HEIDELBERGER
J AHRBÜCHER
d c
Literatu 1
unter der Redaclion der Professoren
G. Kirch cnr. H. E. G. Pjtrzus.
G. Kirchenr. F.lf.C. Scnn'ARZ.
G. Rath C. S. ZtJtCBAhJÄ.
Professor G. F. ITalch.
(i. Hofrath F. Tiedemaxx.
G. Hofrath F. Creuzer.
Hofrath JPriLu. Muncke.
G. Hofrath F. C. Schlosser.
G. R. Ritter K. C. r. Leonhard.
Professor Fr. A. L\ Puciielt. ( Hofrath C. H. Rau.
NEUNZEHNTER JAHRGANG
oder
Neue Folge.
SECHSTER JAHRGANG.
ERSTES HEFT.
JANUAR.
HEIDELBERG,
▼on Al'ccst Osswald's VJnivcrsitüts - Buchhandlung.
1 8 2 6.
Heidelberger Jahrbücher
der Literatur
erscheinen mit 4826 im neunzehnten Jahrgang, wie bisher unter
der Redaktion der Professoren H. E. G. Patjlus, groftherzogl. badischem
Geheim. Kirchenrathe , Fr. H. Chr. Schwarz, grofsherzogl. badischent
Geheim. Kirchenrath , K. S. ZACHARIA, grofsherzogl. bad. Geheimen
Rath, G. Fr. Walch, Fr. Tiedemanw, grofsh. bad. Geh. Hofrath,
Fr. A. B. Puchelt , Fr. Creuzeh, grofsherzogl. bad. Geh. Hofrath,
W. Müncke, grofsherzogl. bad. Hofrath, F. C. Schlosser, grofsherz.
bad. Geh. Hofrath, Geheimen Rath Ritter Carl Cäsar v. Leonhard,
C. H. Hau , grofsherzogl. bad. Hofrath , nach unverändertem Plane,
wöchentlich zu anderthalb Bogen oder in zwölf Heften zu 6 und 7 Bogen.
Der Preis für den Jahrgang ist nach der seit 1821 eingetretenen
Erweiterung in Druck und Format
12 fl. 56 kr. rhein. oder 7 Rthlr. 12 ggr. Sachs.
Vorausbezahlung, so dafs das Journal noch immer das wohlfeil-
ste bleibt, während über seinen Gehalt die Stimmen täglich sich meh-
ren. Die aufmunternde Theilnahme des Publikums und der wachsende
Zutlufs schätzbarer Beiträge haben eine strenge Auswahl des Vorzügli-
chen möglich gemacht, wie der Inhalt eines jeden Heftes an den Tag
gibt, von welchem wir aus der neueren Zeit nur die Beiträge von Pau-
lus und SCHWARZ über theologische Literatur, die Kritiken über den
Fonk'scheu Prozefs von Zacharias und Mitteumaier , und über deo
Hannoverschen Gesetzes - Entwurf von Mi r termater , eine Recensioa
über Cajus von Schräder , über die Gothaische Erbfolge von Zacha-
rias, über Statistik und Kameralwissenschaften von Rah, über Natur-
kunde, theoretische und praktische Heilkunde von Ttedejhann , LEON-
HARD, Conradi , Nägele, Muncke, Gmeltn, über Philologie die
schätzbaren Bekanntmachungen aus der italienischen, französischen und
englischen Literatur , eine Kritik über Cicero de republica von Creuzer,
Beiträge aus der persischen Literatur von HAMMER , eine ausführliche
Kritik des gefeierten Walter Scott , Görres über das Boissere'sche Dom-
werk zuCölu, SCHLOSSER über Dante u.dgl. zu erwähuen brauchen, um
zugleich den Vorzug unseres Instituts zu beurkunden, dafs die bemer-
kenswertheu Erscheinungen iu der Literatnr durch dasselbe so zeitig und
gründlich wie möglich berücksichtigt werden, und das Publicum also
mit Vertrauen auf die wünschenswerthe Vollständigkeit zählen kann.
Um dieselbe noch zu erhöhen, wird
das Intelligenzblatt auch künftig Chronik aller gelehrten
Anstalten, also Erweiterungen, Beförderungen,
Ehrenbezeugungen, Tode snach richten etc. gern un-
entgeldlich aufnehmen , und nur volh'ämlige Leetions- Verzeichnisse
der Berechnung unterwerfen, welche für Antikritiken, Anzei-
gen des Buch - und Kunst iiandels festgesetzt ist.
Wir bitten nun die Bestellungen durch Buchhandlungen oder Post-
ämter möglichst zu beschleunigen , da schnelle und regelmäfsige Ve
iendung auch ferner unser Augenmerk sejn wird.
Die ersten f ü n f J a h r g ä* n g e der neuen Folge,
von 1821 bis 1825, nebst dem Ergilnzimgshefte, welche nach
dem Ladenpreise 63 fl. 43 kr. rhein. oder 38 rth. 4 ggr. sächs.
kosten , werden hiermit zur Erleichterung für neu eintretende
Interessenten für den Lauf des Jahres 1826 auf 30 fl.
rhein. oder 18 rth. sächs. herabgesetzt, soferne sie zusammen
genommen werden. Für einzelne Jahrgänge ermÜfsigt sich
der Preis folgendermaßen :
N. 1. 1826.
i
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
V
|« Erläuterung ttbr judischen Gr schichte bis Zmr Zerstö-
rung Jerusalems durch die Römer* In kurzen Sätzen für Studi-
Yend* und denkende Leser. Tübingen, bei Oslander* 1825.
' *H 3. in 8* 1 fl. 12 kr.
2* Erklärung schwererer Stelle* in den WeisSagun*
gen des Jeremias. Vom Prälaten und General*
Superintendenten Dr. J. Fr* Gaab. Tübingen^ 1824.
428 S* in Ö. 54 kr.
3« Jeremias Vatts A virslone J u d a e o r u m , Alexandri-
ner u m ac reliquorum I n t erpre t um G raecorum emen~
datus riotisqtie criticis illustratus a Nl. Gottl. Leber. Spohn ,
r. Prof. Theol, designi in Acad. fViteberg, Vol. iL post obitum
Patris edidit Fr» Aug. Guil. Spohn, Litt, graee, et lat. Prof.
. , P. O. in Acad* LipS. Leipzig , bei Barth. 1824. 480 S.
ih 8* ' 1 Thlr. 20 Gr.
. . l?cr Verf. von No» 2. bleibt seiner guten Weise getretl*
nur eigenes oder auserlesenes und berichtigtes als Früchte
seines gelehrten Nachdenkens kurz und klar Vorzulegen. —
Möge Würteniberg immer das Glück haben , dafs seine Pr.1-
laten und Studien räthe sd viele ächtgelehrte Kenntnisse, wie
Griesinger, Süfskind, Flatt , Gaab u. s. w,j mit den prakti-
schen Aufgaben ihrCr wichtigen Aemter vereinigen, uiid da-
durch solche Vormänner der Geistlichkeit werden , die in dop-
pelter Beziehung Nacheiferung erwecken und ihren Amts-
ürtheilen Achtung verschaffen.
Auch den ungenannten Verf. Vött No. i. bewahren offen-
bar die darin sichtbaren trefflichen Vorkenntnisse und der hi-
storisch - kritische Scharfsinn vor den (oft noch wirksamen)
Vorurtheilen ^ nach denen einst die sogenannte Orthodoxie
aller mit der Theologie verwandten Geschichte mit Aengstlich-
keit alle ersinnliche Unhistorische Wendungen au geben
pflegte, eben so sehr, als vor übereiltem Verwerfen oder Ab-
sprechen gegen geschichtlich überliefertes. Fast kein Paragraph
XtXi Jahrg, i. He(u i
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2
Zur jüdischen Geschichte und zu Jeremias.
der Erläuterungen über die jüdische, noch immer *ehr ver-
dunkelte, wenigstens nicht psychologisch, und pragmatisch,
gleicji andern Volksgeschichten, beaibeitefce Geschichte ist
ohne-eigenthümliche Andeutungen oder Ansichten. Auch zeu-
gen manche Parallelen und Seitenblicke dafür, dafs der Verf.
sich nicht auf blofse theologica einschränkt. . «
S. 6. berührt die Meinung, dafs vor der uns b e -
katrn'ten Zeit ein ziemlich hoher Grad von Cultur gewesen
sey. • Ree. versteht dies so: Alle iiiteste Geschichte macht sich
zwei Erdepochen. Vor einer groisen VVasser- Revolution auf
unserm Tellus - Planeten war, nach aller Völker Ursage und
nach natürlicher Wahrscheinlichkeit, «-in ausgebildeter Zu-
stand von Gesellschaltlicbkeit , von Künsten u. s. w. Jene
tellurische Urbevölkerung aber hängt mit dem Anfang der
jetzigen nur durch die allenfalls Uebriggebliebenen Zusammen.
Man mufs sich demnach fragen: Was kann aus der Zerstörung
dieses Urgeschlechts herüber gekommen seyn ? Die Weni-
gen geretteten , wie viel mögen sie se!bst gerade gewufst
haben ? Und wie konnten sie au ch nur dieses fortpflanzen,
während sie und ihre Kinder erst wieder der umgekehrten.
Natur die nothdüi ftige Subsistenz abkämpfen mufsten . Ueber
die sogenannte Sündfluth hinauf setzen die Sagen und viele
Pse-ndepigrapha allerlei Weisheit, aber solche, wie sie offen-
bar erst diesseits gedacht wurde. Zunächst nach der Fluth
wollen uns nicht einmal die Sagen bereden, grofse Cultur zu
denken. Nur einige Anfserordentliche weiden mit Namen
genannt, welche die übrigen rohen und wilden zu Künsten,
die Götter zu gewinnen, orphisch beredet haben sollen. So-
gar das Feuermachen wird als verloren erst wieder hergestellt.
Selbst die biblische Tradition nimmt an> die Uebriggebliebenen,
die wieder zur „Ruhe** (das heifst J-^J ) gelangten seyen der
Wirkungen des Weins unkundig gewesen: 1 Mos. 9, 20.
Mögen also die „Antediluviani« noch so hoch cultivirt ge-
wesen seyn. Die Cisdiluviani erscheinen in allen Ursagen
unserer jetzigen tellurischen Epoche als solche, die wieder
von vornen, quam parvis ab initiis, anfangen mufsten. Und,
hätten sie anfangs bedeutend mehr gehabt, welches Wunder-
werk hätte es ihnen entreissen und zu einem Reservat der
Priester und Geheimlebren machen können ? Wo Monotheis-
mus einmal Folge der allgemeinen Cultur und Volksüberzeu-'
gung gewesen" ist, nicht etwa , wie in der Mosaischen Ein-
richtung , blos politisch und priesterlich aufgenöthigt wurde,
wie könnte da wieder der Irrwahn von Vielgötterei entstehen?
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Zur judischen Geschichte und zu Jeremias. 3
Man muthmafst Ueberlieferung aus früherer, höherer Cultur,
um den Monotheismus Ahrahams zu erklären. Warum soll
es aber nicht wahr seyn, wenn die hebräische Tradition selbst
ihn als Polytheismen geboren seyn lafst; was seine Verehrer
gewifs nicht zu ersinnen liebten. Sollte es denn einem Mann
von Abrahams höherem Charakter anders möglich gewesen
seyn, als sich, nicht an einen der geringeren Götter , sondern
an den höchsten , gerechten , seiner wihdigen, anschliefsen zu
wollen? Und sollte Ahraham dies nur von einem andern em-
pfangen haben, so würde die Frage ja doch nicht gelöst, son-
dern blos weiter hinaus gerückt. Der, von welchem her er
es empfieng, woher hatte es dieser, wenn nicht endlich doch
aus den unverlierbaren Grundanlagen,der menschlichen Natur*
aus dem Fragen nach Ursache, und aus der Achtung vor WiU
lensvollkommenheit oder vor allem dem Guten, wovon man
erkennt, dafs es, der Geist nicht durch Naturnotwendigkeit,
sondern durch Selbstwollen hervorbringe? Auch ist Abra-
hams Eljon doch noch nicht (s. l M. 18, 21 — Ende. 22, 2.)
ein solcher, wie ihn eine höhere Cultur gedacht und geglaubt
würde.
Abram wird, im Gegensatz gegen die gewöhnliche Deu-
tung: hoher Vater — . S. 14. übersetzt: Vater, der
sich erheben wird. Aber würde alsdann nicht die Form
1»\ *u ervearten Seyn? Stammt nicht etwa Abram, weil
in den Cbmpositis von nicht mehr sondern 2u
stehen pflegt, eher von "Qfc$ mit dem der Verstärkung,
wie in r— l^M ? Alsdann möchte Abraham aus und «p£jn
oder ^ Menge, zusammengesetzt seyn. — Bei i* M. 14 f
15. wird berichtigt: Jelide Beitho Seyen nicht Sclaven,
sondern Abkömmlinge der Horde, die also stark war.
Die für Abrahams Charakter günstige Vermuthung S. l7f
dafs er die Hagar mit einem Theil seines Viehes und mit
Knechten ausgestattet habe, scheint mit l Mos. 21, 14* wo
ihr selbst Brod und Wasser auf die Schulter gelegt
wird , nicht so zu stimmen, dafs man annehmen könnte, der
alte Erzähler selbst habe sich jene billige Milde gedacht. Ue-
brigens mag freilich zwischen dem, was ursprünglich gesche-
hen war, und dem, was nach so langer Zeit durch die freiere
Einkleidung, der Sagen in die Sammlung der Genesis kam, oft
ein bedeutender Unterschied seyn, da die vier ersten Bücher
Mose wenigstens nicht vor Jerobeam im Umlauf gewesen
•eyn können, weil sonst Jerobeams Verstofsung des Leviten»
1 *
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Zur jBdiachen Geschichte und zu Jeremias.
Stamms und das Symbol von Stieren, statt des Jebovah (dies«
so grellen, fflr einen neuen Usurpator allzu gewagten Gegen-
sätze gegen das , was die jetzige Thorab so stark ausspricht! )
schwerlich ausführbar gewesen wären.
Jakob S. 21. wab rbaft grofs in seinem Vertrauen auf
Gott zu nennen, ist viel gesagt. Ein so furchtsamer, trüg*
licher Charakter, seiner Weiber and Kinder Spiel, kann kei-
nen grolsen Gott gedacht haben, oder in Gott grofs ge»
Wesen seyn, wie Abraham.
Das Wort fraitt kann (S. 36.) allerdings nicht extractut
bedeuten ; aber eher extrahens, Aurfwnj; rou Aaou nach Stephanus.
Act. 7» 36. — Der Name Osarsiph bei Manetho (S. 37.)
erinnert an und vielleicht an das arab. Mn Schwert»
EtwaTElötter durch Schwert. 2 M. 12, 23» 29.
Goschen scheint der Vf. sich innerhalb Aegyptens au
denken. So weit der Nil jährlich Monate lang überschwemmt,
konnte schwerlich einHeerdenvolk wohnen. Deswegen denkt
Ree. bei I M. 46, 28. 34» wo den Einwanderern offenbar eine
abgesonderte Gegend angewiesen wird , an die Gegend um
den Berg Casius« Die Worte Vs. 34. versteht er so, dafs
(nicht die Aegypter, sondern) das Aegyptenland einen Ab-
scheu gegen umherziehende Heerden beweise , dafs es nämlich
nach seiner Natur sie nicht zulasse. Nur wer in der Folge-
zeit Scla^en arbeit an Fharao's Bauten leisten sollte, mufste
dann dortmn sich hineintreiben lassen. Nur diese 600,000
männliche Arbeiter , welche wohl etwas von Weibern, Kin-
dern, Knechten und Vieh, aber nach j M. 46» 34* njeht die
eigentlichen Heerden bei sich haben konnten, machten den
Zug aus dem Innern des Landes und durch die Meerenge :
2 Mos. 12,37. Auch andere Schwierigkeiten möchten sich
dann um so eher lösen lassen, z.B. das, was S. 45* wegen der
Zeit einer einzigen Ebbe scharfsichtig bemerkt ist.
Der Schauplatz, wo Joseph Vezir wurde,, scheint S, 36.
dem Vf. zweifelhaft. Dafs er eine Tochter des Oberpriesters
von On (Heliopolis) heirathete, scheint auf Unterägypten
zu deuten. Auch die Mosaischen Wunder , bei denen S. 40.
mit Recht auf Eichhorn Co mm. de anno mirabili jiegypti hin-
weist, setzen eine durch mehrere Nilkanäle durchschnittene
Landesgegend voraus.
S. 43. sagt: Es beliebte ihm, dem Mose, am arabi-
schen Meerbusen Überzusetzen. Vielmehr hatten nach 2 M.
14, 9. die verfolgenden Aegyptier sich am Anfang des Kanals
*E""^ gesetzt, also den Auswanderern den Marsch au Land
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' Zur jüdischen Geschichte und tu Jeremias. 5
•
um die Chirat herum abgeschnitten, Mose hätte demnach ent.
weder nach Mizraim zurückgehen müssen, oder die Furth
mufste so benutzt werden, wie sie (s. des Ree. exegetisches
Conservatorium 2. St. S. 88. und die Sammlung raerkw. Rei-
sen in den Orient I. Th S. 234. V. Th. S. 371 — 400.) oft
benutzt wird. Nur von Jesuitischen Ignorantinern , wenn sie
neuerdings auf Gymnasialunterricht Eintlufs erhalten , kann man
sich nicht wundern, neuerlich zu hören,dafs sie dergleichen histo-
rische Erklärungen, welche schon längst (1775) J. D. Michae-
lis bei dem II. Th. seiner Uebersetzung des A. Ts. in An-
merkungen f ür . Ung eleh rte unleugbar gemacht hat,
jgnoriren, verheimlichen und verketzern wollen. Die histo-
rische Bibelerklärung weicht dadurch nicht ab von der Bibel,
nur kenntnisschwache Bihelerklärer werden dadurch berich-
tigt, die biblische Geschichte aber als desto glaublicher
gezeigt.
S. 54- spricht mit grofsem Hecht von der Vortrefflichkeit
vieler unter den Mosaischen Gesetzen, Schade, dafs der Vf.
nach seinem pragmatischen Geiste sich nicht auf mehrere Pro-
ben davon und auf das Plan müßige des Gesetzgebers eingelassen
hat. Mose hatte nur Ein Unglück, dafs — allzu lange kein
Mann seiner Art, ungeachtet er nach 5 M. 18, 15. so sehnlich
das Bedürfnifs eines solchen gefühlt hatte , nach ihm folgte.
Man sieht, wenn man in der Menschengeschichte sehen lernt,
dafs die Vorsehung oder die Weltordnung der Gottheit nicht
die Menschen wie im Treibhaus, nicht durch aufgenöthigt«
Mittheilungen, erziehen will. Immer ragt nach langen Zeit-
räumen ein Geist, für diese oder jene Gattung menschlicher
Angelegenheiten, hervor, als Leuchte für Viele, Alsdann fol-
gen wieder lange Zeitfristen, in denen sich dem Eminenten
nachzubilden der übrigen Menge überlassen wird. Ein
Vorbild ist vorgehalten, ein Ziel vorgesteckt; in jedem wäre
eine gewisse Kraft, sich dahin zu richten. Wer aber meint,
dem Einzelnen werde denn doch gleichsam supplirt , was er
selbst zu erreichen sich nicht nach Vermögen anstrengt , der
bat die Geschichte der Menschen weder im Grofsen noch Klei-
nen beobachtet.
Josua's Heldenthaten waren so mäfsig, dafs, die zahl-
reicheren zwei Stämme Judar und Ephraim und die Peräer ab.
gerechnet, die S. 70. berührteLandestheilung am Ende (K. 18.)
meist nur Anweisung in spe, Bezeichnung und Umrifs auf
einer Art von Landescharte (vergl. das Schreiben 2 M. 34 t !•)
War , während überall viele der alten Besitzer als Feinde blie-
ben. Wir sagen ; Landescharte, Denn buchartiges Schreiben
»
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I '
6 Zur jüdischen Geschichte und tu Jeremias.
etwa 1500 Jahre vor Chr. setzt die althebräische Tradition 2M.
24, 7. voraus. Und aus welchen Gründen sollte man diese
bierin bezweifeln ? Wolfs Prolegomena, die unvollendeten,
welche die Hauptargumente erst noch folgen lassen zu wollen
zusagten, geben dazu bei weitem nicht das hinreichende.
Der erste bekannt gebliebene Kopf nach Mose ist Sa*muel.
Auch der Vf. aber S. 97. erkennt in ihm , mit dem freimüthi-
§en v. Rotteck, „ein trauriges Vorspiel jener Kämpfe des
Jerus mit der weltlichen Obrigkeit, wie sie die Geschichte
des Mittelalter» entstellen". Samuel ist ein Beispiel jener Pa*
trioten, welche zwar das Vaterland , aber nur als Mittel ihrer
persönlichen Gröfse, grofs und geltend zu machen streben.
Sehr richtig bemerkt S. 99, dafs der erste König der He-
bräer auch der erste war, dem der Gedanke , eine stehen-
de Heertruppe zu bilden, zweitausend für sich, tausend
für den Erstgebornen , zugeschrieben wird. Davids Salbung
von Samuel hält S. 400. für grofses Unrecht gegen Jonathan»
Woher aber hatte dieser schon ein Erblichkeitsrecht?
Davids Charakter verdient, als mäfsig, besonnen, bie-
der, billig, hervorgehoben zu werden. Eist das Glück, da
er von Feindesangriffen frei geworden war, und Salomo's
Mutter stürzen ihn in einen Meuchelmord , der jeden seiner
Krieger wieder ihn erbittern mufste, und die immer wider
Juda rivalisirenden Ephraimiten zu Aufstandsversuchen reizte.
Für den Sohn der Bathseba, den Zögling Nathans, lälst sich
der Alternde ungerecht raachen gegen seine älteren Söhne,
Die Stiefmutter und Nathan, der seinem Zögling den Vorzug
gewinnt, zerrütten (S. 115.) ihm seine Familie , bilden ihm
das Recht einf den Thronnachfolger zu bestimmen. Genia-
lität aber, wie S.N126. andeutet, vermag Ree. mit ästheti-
scher undpsychologischer Unparteilichkeit weder in deneigen-
tbümlichen Psalmen von David y noch in seinen Thaten nach-
zuweisen. Genialer erscheint ihm Salomo. Aber dessen
gleichsam gelehrte Nathans -Erziehung macht ihn zum pracht-
liebenden Verschwender, S. 127. und S. i3l. zu einem Bei-
spiel von Regenten , welche nicht nur jeder Religionsgesell-
schaft, wie es, seyn soll, ihre Rechte gewähren, sondern ge-
ten die Natur der Sache sogar jede wie an sich gleich gut
ehandelu zu sollen meinen*
Zu Salomo's psychologischem Urtheilsspruch 1 K. 3, 16.
giebt S. 145. eine unerwartete Parallele vön dem nicht, über-
weisen Imperator Claudius. Sueton, Claud. c. 15. Ueber-
haupt sind so manche von dem Verf. eingestreute Parallelen
interessant und überraschend.
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Zur jüdischen Geschichte und iu Jeremias. 7
•
Die unheilschwangere Revolution unter Rehahe. i n füllt
X grofsentheila auf Rechnung des weisen Salomo. Der Pro-
phetenzögling gewann an Rubin in den von Propheten verbals-
ten Reichstag bürhern , wie mancher in den Mönchs chroniken.
Wo lagen von Frankreichs Revolution die tieferen Haupt-
Ursachen? In der erschöpfenden Pracht - und Gewaltregierung
und der mit Kirchenreligiosität übertünchten Sitteulosigkeit
des grofs genannten Urgrofsvaters. Salomo hatte durch un-
nützen Hofaufwand ( s. l.Kön.4. 5.), durch unverbältnifs-
mafsige Bauten und Frohnen u. s. w. den Wohlstand der Na-
tion erschöpft, dureb Zulassung der Vielgötterei die Sitten-
verderbnis zugelassen. Denn ist gleich die Vielgötterei au
sich bloTser Verstandesirrthum , und als solcher nicht staats-
widrig, so wird sie dies doch, weil sie durch die Vorbilder
unvollkommener, willkührlich und leidenschaftlich handelnder
Gottheiten die nachahmenden Menschen demoralisirt, und be-
sonders in der Gescblecbtslust verderblichst ausschweifend
macht.
Nach S, 183. „legten Esra und Nehemia Unfehlbar den
Grund zu unserm alttestamentlichen Kanon", Ree. bezwei-
felt sehr, ob der erst patristisch - bischöfliebe Begriff von
einem Kanon, als einer zum Regulativ für Kircheneinheit ge.
machten Sammlung alter Schriften, in die Denkart der Hebräer
und Juden zurückgetragen wei den könne. Die SadducUer er-
kannten nur die Mosaische Gesetzgebung als Regulativ oder
Norm, die Etiler Gesetz und Propheten, die Pharisäer dieses
beides nebst ihren Ausdeutungen. Nicht alle diese Schrift«
auslegungspartheien hütten als ächte Rabbinen geltend werden
können, wenn man sich ein schriftlich abgeschlossenes Regu-
lativ der Religionsüberlieferungen zu denken gewohnt gewesen
wäre. Ohnehin weüs das Buch Daniel bis zu Antiochus Epi-
phanius Tod hin einzelnes genau, .giebt aber darüber hinaus
nichts mehr in dieser Art. Es ist also erst makkabäisch.
Johann Hyrkanus wurde nach S. 199. wieder der erste
König, etwa 48Q Jahre nach Zedekia. Waren die 70 Jahr-
wochen zu 490 Jahren zu berechnen, so führten sie gerade-
zu auf die Regierungszjit dieses in Wahrheit sehr merkwür-
digen Königs, welcher auch von Josephus als König, Prophet
und Hoherpriester zugleich, d. i. als Alles in Allem, darge-
stellt ist. Dies war abe: (S. 193.) etwas mehr als 100 Jahre
vor der Geburt Jesu. 490 Jahre rückwärts gezählt führen,
s. Ushers Annalen , in die Regierungszeit des Darius Hystaspis.
Kurz ; die ganze Geschichtfolge hätte die Ausleger überführen
sollen, dafs Daniels Stelle nicht von dem gtofsen Messias , son-
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Zur jüdischen Geschichte und zu Jeremias.
dem , wie sie denn auch fTt&'ft be idemale ohne Artikel setzt,
yon zwei andern gesalbten Fürsten früherer Zeit reden wollte,
S. 213. zeigt, dafs bei den nächsten Nachfolgern Herodes
des I. der Name Tetrarch doch Vierhirst bedeuten könne,
weil vier Personen in den Landbesitz dieses Herodes zu un-
gleichen Theilen sich theilen durften. So müfste dann IVfa^x»?«
princeps partis quartae oder quadrantis bedeuten. Andere mit
rcrf zusammengesetzte Worte umfassen immer ein aus vier
Theilen zusammen bestehendes Ganzes, wie rsr^aywyo; eine
Figur, die vier Ecken (nicht nur Eine von vieren) hat. Das
in vier Theile sich theilen de Land der Galater hatte zwölf
Tetrarchen» die vermöge einer gemäfsi^ten Aristokratie
mit gewissen Juchts rn geringere Streitigkeiten, Verbrechen
aber nur vereint und mit einer zu Drynämetos (in einem Etchen-
bayn?) zusammenkommenden Landraths - Versammlung von
dreihundert Männern zu entscheiden hatten. Strabo All. s.
Wernsdorf de Republ. Galatar. c. 6. §. 23. 24.
Nach S. 243. rieth in der Mitte des Jahres 66 der Hohe*
priester Ananus (BelJ. Jud. 2, 17.) die Aufhebung der Opfer
für Fremde, auch für die Kaiser, Ohne Zweifel näherten sich
die gemifshandelten Juden erst allmShlig diesem änfserst an-
stöfsigen Entschlufs. Man sieht, dünkt mich, warum Faulus.
um so mehr das Beten für die römischen Obrigkeiten seinen
Christensynagogen empfahl. 1 Timotb. 2,2. <
Mit Vergnügen begleitete Ree, den ungenannten, Vf. durch
die Reihe seiner Erläuterungen. Unser Raum erlaubt dies nicht
bei No. 2. und 3. , wohl aber die gegründete Versicherung , dafs
diese beide Schriften unter das beste gehören f was zur Er-
klärung des Jeremias zu benutzen ist. Nach der Vorrede
WÜl Hr. G. mit dem hebräischen Sprachschatz mög-
lichst ausreichen. Das heifst ohne Zweifel : Man darf nicht
blös so zufällig, wie allzu oft geschah, aus den verschwister-
ten Dialecten zur Nothhülfe Wortbedeutungen herüberholen.
Dennoch besteht der hebräische Sprachschatz nicht mit Sicher«
heit in dem, wasRahbinen und sinnerrathende Versionen über
die Wortbedeutungen zur Tradition gemacht haben. Ein aus-
ser Uehung gekommener teutscher Dialekt zum Beispiel ist
nur aus Vergleichung der verwandten mit Zuversicht zu er-
klären. Allerdings aber müssen Deductionen der gesammten
Bedeutungen eines Wurzelworts durchgeführt, nicht blos für
einzelne Stellen einige im arabischen oder syrischen angegebene,
oft selbst unerweisliche Nebenbedeutungen zum notdürftigen
Auikunftsmktel verwendet, werdeq.
J/t £. Q Paulus.
V
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«
Un Cathol. Eclecticjue für la Coarers. au Christian Urne evang. 9
C o nverjion de Familie» C atholiq ues' Romaines dans
le Grand" Ducke' de Bad-e au Chris t ianis m e Loun-
ge lique. Evenement expose' et accompagnc de Conside'rations par
le Docteur Tzschirner , Prof, en Theologie et Superinten*
dent a Leipsick. Ouvrage traduit de l'Jlfema/id et enrichi de
notes par un Catho Harne Eclectiq ue. [Eprouooz
toutes choses , approuoez ce qui est bon. St. Paul.) a Liege >
ehez J. Dtsoer , Imprimeur-Libraire, 1825. 145 S. in 8.
#
Der Uebersetzer wünscht, dafs alle Gemuther von dem
Geiste der Mäfsigung beseelt seyn mögen, qui conduisait la
iilume de l'Ecrivain (des Hrn. Dr. Tzschirner), et dont la
hrochure fait foi pour quiconque la lit sans preocntion. Er fin-
det darin cette charite evangelique , q*ti, en de'pit des persecu-
teurs, fera toujours le charactere des vrais disciples de Jesus Christ.
St. Jean i3, 15. Bei dieser Gesinnung beruft er sich auf
Worte von Hrn. Vernes, in dessen „Catechisme de toutes les
Communions chre'tiennes* (welchen Ree. nüher zu kennen wünsch-
te!). Die Worte sind: La plus certaine, comme la plus /u-
neste des heresies, c'est le manque de charite, Vintolerance et la
persecution. "Quelles atrocite's cette barbare he're'sie n'a-t-elle
enfante'es. Quand est ce qu'elle inspirera gene'ralement toute
l'horreur, qu'elle rae'rite.
Ree. bekennt aufrichtig, dafs ihm die fortdauernde Auf-
merksamkeit auf das Uebergehen vom rdmiscb-päbstlichen Ka-
tholicismus zum Evangelischen Protestantismus, das ist, zu
der Ueberzeugurig , dals Jesus Christus von Unterwerfung un-
ter eine fast universal-souveräne pähstliche Kirchengewalt und
von einem durch priesterliche Concilien vorgeschriebenen
Kirchenglauben nichts gelehrt hat, immer sehr erfreulich
bleibt. Nicht etwa um irgend einer Proselytenmacherei oder
um Vermehrung des Kirchenthums überhaupt willen, oder wie
wenn er in dem evangelisch*- protestantischen Kirchenthum
Alles unverbesserlich, Nichts noch evangelischer zu wünschen
nötbig fände. Vielmehr gerade deswegen, weil in dem evan-
gelischen Protestantismus die der Zeit gemäfse Verbesserun-
gen nach dessen oberstem Grundsatz und auch nach dem We-
sentlichen der bestehenden Einrichtungen weit leichter
auszuführen sind, als da', wo die Voraussetzung dogmatisch
und praktisch geworden ist , dafs Alles von der Kirche zu
eiqer gewissen Zeit festgesetzte für alle Zeiten das beste, das
imperfectible, bleiben müsse, und dafs so selten wie möglich
durch Verbesserungen die Notwendigkeit der Verbeisedich-
Digitized by Google
I
10 Un Calhol. Ecleetique cur la Convers. au Chris tianisme evangel.
keit eingestanden werden dürfe. Hierin liegt unstreitig die
Wesentlichste Unterscheidung.
Frage sich doch jeder gutdenkende seihst; wo und wann
sind von der päbstlichen Behörde aus Verbesserungen gemacht,
wo nicht die von den Laien und von der mittleren, unterrich-
teteren Geistlichkeit versuchten gehindert worden? Frägt
. man auch nicht einmal nach so einflufsreichen Puncten, wie
die Aurhebung des kirchlichen (unbiblischen , ja antibiblischen)
Verbots der übe der Geistlichen wäre; frägt man nur; Ob
denn nicht alle katholische Christen endlich wieder den nur
von der Kirche, und erst im dunkeln Mittelalter , zurückge-
haltenen sacramentlichen Kelch im Abendmahl nach Jesu und
der Apostel Anordnung erhalten sollen? ob denn jenes: Non
oh st ante *) des Constanzer Concils vom 15. Jun. 1 4 1 5. ewig
lundendsey? Ja, frägt man nur; Sollen die Teutschen
nicht endlich wenigstenseine teutsche Messe hören dürfen?
sollen die meisten immer nur in lateinischer Snraclie das Sacra«?
ment benedicirt hören nnd nicht verstehen, ungeachtet diese
Todesfeier Jesu im früheren Christenthum nach allgemeiner
Tradition in den Landessprachen (griechisch, syrisch, ara»
bisch u, s. w.) verständlich celebrirt wurde? JDie hierarchi-»
sehe Atotwort auf alle solche Fragen, ungeachtet die denkend-
sten Und gewissenhaftesten in der katholischen Kirche selbst ,
wenn sie mehr E kiektisch als Ekklesiastisch seyn zu
sollen einsehen , ganze Lebensalter hindurch an der Besserung,
oft nur eines einzigen «solchen Puncts, gearbeitet haben, ist
immer: Nein! — Und warum? Weil, wer im, Namen der
infalliblen Kirche zu sprechen liebt, nicht durch Verbesse-
rungen zu erkennen geben mag, dals etwas bedeutendes besser
zu machen sey, dals es also nicht immer gut genug gemacht
war. Und deswegen roufs, so viel Ree, einsehen kann, jedes-
mal ein ruhig entschlossenes Ausgehen aus einem Zustand , wo
alle Verbesserungen, besonders von den römischen Oberbehör-
den herab, so unabsehbar erschwert werden, und wo, wie
am Tage ist, hundert Rückschritte (in Spanien , Frankreich
*; Für jenes antihussi tischen Beschlufs wählte man die mehr als harte
Formel : licet in primitiva ecclesia reeiperetur hoc sacramentum a
ßdeUbus sub utraque specie9 tarnen- postea a Conficientibus (Sacer-
dot.) sub utraque gpecie et a laicis tantummodo sub speoie panis
suseipiatur. Sowenig nahm man — - vor der Evangelischen Refor-
mation — Anstand, das Urcliristenthum und das postea der Kirche
ausdrücklich gegen, einander ia Gegensäue zu stellen,
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Un Cathol. Eoleetique i ur )a Convers. au Christi« nisme eraoge]. 1 1
u. 0. w.) bis zu Erneuerung des Jesuitismus t ja big au die
Kirchen-Inquisition und die Autodafes hin — weit eher, als
tine einzige Verbesserung oder Erhaltung des Verbesserten
zur Wirklichkeit kommen , auf jeden Fall dein Unbefangensten
als ein Uebergang zum Bessern sich erfreulich dai stellen , be-
sonders wenn es so wohlgeordnet und unter dein Schutz einer
gegen kein Kircbenthum partheiischen Staatsregierung in die
Vollziehung tritt, und mit stiller Bescheidenheit sein Gedei-
hen von der Zeit und der wachsenden Ueberzeuguug für das
Heinere erwartet. Und dais dieses alles, um gegen »o schnell
gewagte Rückschritte zum Verbessern aufzufordern, von de«
nen gesagt werde, die davon als Nichtgebundene von Amts-
wesen reden dürfen und sollen, sollte dies nicht selbst den
Gebundeneren lieb und ein Hoffuungsgrund seyn ? Der
Protestantismus erkennt es gewifs dankbar, wenn achtbare
Beobachter von der andern Seite, nicht aus polemischer, son-
dern bessernder Gesinnung, eben so zu seiner Berichtigung
mitwirken.
So achtbar dem Ree. das auch in der katholischen Kirche
wirkliche und mögliche Gute ist, so kann er sich dennoch
nicht untersagen, dabei oft eben so zu denken, wie dieselbe
von der orientalisch- und russisch - griechischen Kirche sic-U
auszudrücken pflegt. Seit dem Concilimn von Florenz nüin-
Jicb pflegt man zu Rom bedachtsam zu sagen: Die griechische
Christenheit ist nicht im Schisma, aber ein Schisma ist
in ihr. Ist nun nicht in dem Theile der Christenheit, wo
die Incruisitionsgerichte von der Geistlichkeit aufgebracht wur-
den und immer noch gehegt werden, wo sie nicht, oder nur
durch die Laien aufgehoben sind, wo sie immer rtoch die un-
widerrufene Sanction des IV. Lateranischen Generalconciliums
von Innocenz III. 1215. für sich haben! ferner: Wo alleNicht-
getaufte, selbst die Kinder, nach dem Florentiner Universal-
concilium von 1439. ewig in die Hölle verwiesen sind ! wo
die Bullen In sacra Coena , Unigenitus u. s. w. und das De-
cretale : Unam sanetam etc. nicht durch die geistliche Hierar-
chie, sondern nur durch, die weiter sehenden Laien unschäd-
lich gemacht wurden! wo die allzu leichte Sündenvergebung
durch Heiligenverdienste und Ablafs eine dogmatische Bulle
Leo des X. von 15i8 für sich hat! (s. des Ree. geschichtliche
und rechtliche Prüfung des Jubeljahrahlasses. 1825. S. 110 —
114.) u.S'W. — ist nicht in einem solchen Theile der Christen-
heit manches unbiblische, nichtchristliche so auffallend, dafs
das Ausgehen davon in einen für Verbesserungen offeneren
■
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12 M.'ver last, legum maritimarufo.
Kirchenzusfand zu bef ördern und zum guten zu leiten Gewis-
senspflicht wird ?
Unter den Zugaben der französischen Uebersetzung ist
die merkwürdigste S.'l05 — 124. De'veloppement du Principe
Protestanten als einer foi raisonnte (p. 116.) „Atne'sure, (jue les
sciences, qui facilitent 1'intelJigence des Saintes - Ecritures se-
ront porte'es a leur perfection , on verra disparoitre des Syste-
mes des prejnge's et des opinions errone'es« (p. 119.)« »L*Inm
faillibilite n'appartient pas au mortel; donc nulle autorite humaine /
ne doit m'imposer une obeissance contraire aux droits impre-
scriptibles , qui me sont acrordes par ma raison et par la reli-
gion de Jesus- Christ c« (p. 118.)» Wer erfreut sich nicht, dafs
die Niederländische Kon. Regierung gerade jetzt der freiwis-
senschaftlichen Geistesbildung partbeilose Unterrichtsanstalten
Öffnet. Aber wer fragt nicht auch zugleich: Wer, um sie zu
hindern 9 alle Kräfte aufbiete? Wessen jesuitische Missionen,
die Staatsregierung anfallen Seiten abzuhalten genöthigt sey ?
Wer, wie ein Universalsouveraiu der Gewissen, hierin mehr
als der Landessouverain gelten wolle, nur um die alte Unver«
bessej liebkeit kirchenthümlich festzuhalten?
Neu war dem Ree. die Notiz S. 133. aus der Etoile 26«
Oct. 1Ö24* dafs es ein Mr. Ker n , Frofesseur a Goet-
tingue, sey, welcher gegen den Hrn. von Lang für di<*
Jesuitenmoral geschrieben habe.
fl. E. Ö. Paulus.
De historia legum maritimarum medii aevi celeberrimarum , Dissert. in"
augur. historico - juridica , quam etc. scripsit El ardus /VI eyer9
HanseaticO' Bremanus. Gottingae 1824. 4- lö Gr.
Was unsere Literatur Über die äufsere Geschichte des
Seerechts des Mittelalters bisher hat aufweisen können, ist,
so fern man Ausführlicheres und Gründlicheres sucht, zer-
streut bei den Herausgebern der einzelnen Gesetzsammlungen
und andern Schriftstellern Spanischer , Italienischer , Franzö-
sischer, Englischer, Holländischer u. a. Zungen. Eine zu-
sammenhängende Darstellung liefern zwar Einige, die über
das Seerecht überhaupt geschrieben haben, z.B. VEstocq
Auszug der Historie des allgemeinen undPreus-
sischen Seerechts, Martens Grundriffe des Han-
delsrechts, — aber nur in höchst dürftigen und wenig
geprüften Notisen. Dafs diesem Mangel für die Rechts - und
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*
Meyer hut. legtiin maritimtrom. 13
Handelsgeschichte des Mittelalter«, wenigstens dem Haupttheile
nach, durch die vorliegende Abhandlung Abhülfe geschehe, be-
rechtigt uns ihr Titel und die ausdrückliche Erklärung des Vf. .
zu erwarten, der sich S.5. dahin äufsert: „haec dissertatio in
investigatione notissimarnm medii aevi legum maritimarum,
consuetudinum , Seil, ßarcinonae (vulgo Consulatus maris ) ,
legum Oleronensium et Wisbyensium subsistet, et, si fieri
potest, quomodo, ubi et quando hae leges ortae sint, quo in
constent , et quam auetoritatem adbuc apud nos habeant,
docere conabitur.« In der That erwirbt diese tüchtige Arbeit
sowohl durch fleifsige Zusammenstellung ausführlicherer Nach-
> richten von den genannten Quellen , als auch durch die eige-
nen sehr dankenswerthen Untersuchungen dem Namen des Vf.
Anspruch auf einen ehrenvollen Platz in diesem Fache der Li-
teratur. Zur Bestätigung hievon , und um zum Lesen der
Dissertation selbst aufzufordern , läfst Ref. hier eine Inhalts-
mittheilung sein Hauptgeschäft seyn; wobei er die eigentüm-
lichen Verdienste sowuhl, als hin und wieder Schwachen we-
niger abzuwägen, als nur anzudeuten gedenkt. Einer voll-
ständigen Beurtheilung mufsRef. sich enthalten, weil ihm die
hiezu erforderlichen Queller! nicht zugänglich sind.
Zuerst unter den genannten Gesetzen handelt der Vf. von
dem Consolato del mare S. 12 — 42. Nach einem kurzen Ue-
berblick des im Mittelalter aufblühenden Handels am Mittel-
ländischen Meere folgen Notizen aus der Geschichte von Bar-
celona und des Handels und Seewesens in Katalonien, welche
durchaus mit Hinblick auf den Haiiptgegenstand gegeben sind,
und bei der Untersuchung über das Rechtsbucb selbst benutzt
werden. Die Ehre des Vaterlandes zu diesem, welche für
Barcelona, Pisa und Valencia in Anspruch genommen worden
ist, spricht der Verf. mit überzeugenden Gründen der zuerst
Benannten Stadt zu, mit den meisten Schriftstellern. Die für
ie beiden andern angeführten Gründe sind augenscheinlich so
unhaltbar, dafs es einer Widerlegung kaum noch bedurfte.
In Hinsicht des Alters ist man seit den Untersuchungen de»
Capmany y de Monpalau einig , es in die Mitte des dreizehn-
ten Jahrhunderts zu setzen , und zwar vor 1266. Hr. Meyer
fügt hinzu noch das Jahr 1227 als die andere Zeitgränze,
weil in mehreren Stellen bereits die Schifffabrt der Barceloni-
achen Börger nach Syrien , Alexandrien und andern Gegenden
in den sogenannten überseeischen Ländern vorausgesetzt wer-
de , und diesen erst 1227 von Jacob I. die Navigation dort-
hin eröffnet worden sey durch ein Privilegium, wonach Bar-
celonlsrhe Güter nur auf Barcelonischen Schiffen dorthin ver-
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1
14 Meyer hiir* legum maritimarom*
führt werden durften. Sollte sich aber hierätfs wohl mehr foU
gern lassen, als dafs von dieser Zeit an die Barcelonische Schiff-
Fahrt nach den überseeischen Gegenden sehr emporgekommen
seyn werde ? — S. 34 — 42 folgen Erörterungen über die
Urbeber, die innere Beschaffenheit, das verbreitete Ansehen
und ein Verzeichnifs der Ausgaben des Göns. d. M,
Ueber das OJeronensische Seerecht verbreitet der Verf..
sich S. 43 — 54» Ein nicht unerheblicher Beitrag , den durch
diese Untersuchung die äufsere Bechtsgescbichte gewinnt , ist
die Unterscheidung, wonach von den von Clairac herausge-
gebenen 47 Artikeln nur die 24 ersten den Namen des Olero-
nensischen Seerechts verdienen , und die folgenden eine davon
ursprünglich verschiedene Sammlung sind. Die .Richtigkeit
dieser Abtheilung erhellet theils aus' einer Vergleichung des
Inhalts beider Abschnitte, wovon nur der erstere auf das .
eigentliche Schifffahrtsgewerbe sich bezieht, zu dessen Bestem
den Bewohnern von Oleron diese Gesetze gegeben sind, wäh-
rend die folgenden Artikel andere Nutzungen der See und die
Küstenpolizei betreffen, und zum Theil blofs die Grundberren
angehen, mithin offenbar nicht für die Oleronensischen Schiff-
fahrer bestimmt gewesen seyn können; theils rechtfertiget
jene Unterscheidung sich aus dem Umstände, dafs in die Hol-
ländischen und Wisbyschen Seegesetze, welche die Oleronen-
sischen Gesetze aufgenommen haben, nur die 24 ersten Artikel
gekommen sind. , ...
In dem alten, bisher unentschiedenen Streite über die
Autorschaft zu diesen Gesetzen zwischen Frankreich und Eng-
land vereinigt der Vf. gewissermafsen die Ansprüche beider,
Theile 2 Heinrich II. von England und Eleonore , seine Ge<»
mablin, haben gemeinschaftlich, jedoch letztere als frühere
Eigenthttmerin von Oleron, mit gröfserem Antheil , diese Ge-
setze verfassen lassen. Allein wenn wir es auch als notbwen- '
dig zugeben wollten, die beiderseitigen Ansprüche auf die
frühesten Zeiten zurückzuführen; so würden wir doch dadurch
zu der von dem Vf. aufgestellten Annahme noch nicht berech-
tigt. Auch wenn Heinrich, oder Eleonore, noch vor ihrer
Vermählung mit ihm, allein dies,e Gesetze erlassen hätte,
dürften schon die ältesten Seerechtsschriftsteller unter den
Franzosen Ursache gefunden haben , sie von Französischem,
und unter den Engländern i sie von Englischem Ursprünge
herzuleiten; war doch der König von England zugleich Fran-
zösischer Vasall , und die Insel Oleron seit Eleonorens Ver-
mählung mit Heinrich zur Englischen Krone gehörig. Nicht
zuverlässiger ist die so gar genaue Zeitbestimmung der Ab-
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»
Meyer bist, legum marhimarum. 15
fassung, welch« Hr. Meyer zwischen 1152, wo Eleonore
von Ludwig VII. geschieden wurde, und 1154» wo Heinrich
den Englischen Thron bestieg, stellt. Schweilich dürfen wir
daraus, dafs nach Unserm Ermessen die Englische Nation auf
diese Gesetze kein so gar grofses Gewicht gelegt habe, und
dafs sich dieselben unter den königlichen Verordnungen jener
Zeit nicht mitbegriffen finden, jetzt den.Schlufs ziehen,' dafs
sie noch vor Heinrichs Thronbesteigung verfafst seyn müssen.
Und in der That sind sie doch von den Engländern hochgehal-
ten , wie sich sowohl aus ihrem verbindlichen Ansehen in den
Englischen Seegerichten, als aus dem Streite über ihren Ur-
sprung ergibt. — Der Vf. lafst sich hier auch auf die Nach-
weisung der Handschriften ein S. 50 ff., deren er .fünf zählt,
jedoch so, dafs er, atifser der von Clairac herausgegebenen %
die als die ältesfte angenommen wird, den andern nur die Ei-
genschaft von Abschriften verschiedener Man-uscripte. beilegt,,
von deren Daseyn selbst sich nichts sagen lüfst; auch auf die
Existenz dieser Copien wird zum Theil nur aus den Ueber-.
Setzungen der Oleronensischen Gesetze in andere Sprachen
geschlossen. Hiernach ermifst Sich leicht der kritische Werth
der von unserm Vf. aufgestellten und nach dem Alter classic
ficirten Anzahl von so viel verschiedenen Handschriften. —
Ueber das Alter des zweiten Abschnitts des sogenannten Ole-
ronensischen Seerechts erklärt sich der Vf. mit Recht sehr un-,
bestimmt, indem er ihn nach 1170 und etwa in die Mitte des
dreizehnten Jahrhunderts setzt. Es imifs noch dahin gestellt
bleiben, ob diese Artikel alle ursprünglich zusammen gehören,
oder erst nach und nach zusammengetragen sind.
Der gelungenste und für die Wissenschaft einträglichste
Abschnitt dieser Abhandlung ist der den Wishysche« See-
gesetzen gewidmete, S. 55 — ■ 76, Über deren Ursprung hier
sehr wichtige Aufschlüsse gegeben werden . Diese Sammlung
ist ans- drei Bestandteilen erwachsen, den ächten Üleronen-
siseben Gesetzen, nach der Redaction, die sie in dem See-
rechte der Holländischen Stadt Damm erhalten haben, aus
Amsterdamischen Seegesetzen, und aus seerechtlichen Artikeln
des Liühischen Rechts, die sich in den älteren Abfassungen
des letzteren noch nicht finden. Diese nehmen zwar in den
Handschriften- des vollständigen Wisbyscheo SeereChts die
erste Stelle ein, sind aber am spätesten hinzugekommen, und
höchst wahrscheinlich die Znthat eines Lübischen Abschrei-
bers. Danach berichtigt sich die Annahme des Alters des
Wisbyschen Seerechts , welche nicht, wie bisher allgemein
geschah, in das zwölfte oder dreizehnte, sondern erst in dat
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16 Meyer bist, legum maritimarum,
fünfzehnte Jahrhundert zu netzen ist. — Aus der Beschaffen-
heit der Handschriften und Ausgaben und aus verschiedenen
historischen Momenten führt der Vf. den ganz überzeugenden
Beweis seiner neuen Darstellung der Geschichte dieser Rechts-
sainmlung.
Diesen von dem Vf. selbst, als eigentlichem Gegenstande
der Dissertation , bezeichneten Untersuchungen sind noch zwei
andere Erörterungen einleitungsweise vorausgeschickt, über
den eigentümlichen Character der Seegesetze überhaupt f und
über die Rbodischen Seegesetze.
Als eine auffallende Erscheinung an den Seegesetzen der
verschiedenen Völker hebt der Vf. ihre grolse Uebereinstim-
mung hervor. Der Betrieb der Seegewerbe nämlich erzeuge
unter den Völkern eine Geneigtheit, sich in einander zu fügen
und sich allgemeineren Rechtsregeln , als ihren ursprünglich
einheimischen, zu unterwerfen, wie dies bei der Lebensweise
der Öewohner des inneren Landes bei weitem nicht der Fall
sey. Dergleichen allgemeine Bemerkungen sind hier durchaus
an ihrer Stelle, und werden auch in der Abhandlung seihst oft
benutzt. Der Vorwurf der Müssigkeit kann sie daher, wie
sonst so gewöhnlich die Einleitungsbetrachtungen , gar nicht
treffen. Aber ein anderer Mangel derselben darf eben des Ge-
wichts Wegen, welches der Vf. öfter auf sie legt, nicht unbe-
merkt bleiben. Es fehlt an historischer Begründung , ünd eben
darum auch an Anschaulichkeit. Es hätte jene Erscheinung an
den Seerechten tbatsächlich in Beispielen vor Augen gelegt,
und zugleich die Eigentümlichkeit hievon dadurch erhohen
werden müssen, dals sich in andern gleichnamigen Zweigen
Verschiedener positiver Rechte, z.B. in den Lehenrechten,
eine so auffallende Uebereinstimmung gar nicht finde. Dann
hätte der Vf. die Gründe hievon in Facten aus dem Leben See«
bandlung treibender Völker, oder auch in Vermuthungen dar*
legen mögen« Wäre so dieThatsache selbst aufser Zweifel ge-
stellt worden, so hätte der Vf, sich mit Recht darauf in der
Folge berufen dürfen i um z. B, die Schwierigkeit der Unter-
suchung über das Vaterland einer Seerechtsquelle (S< 25.) dar-*
suthun. Statt dessen aber werden die auffallende Uebereinstim-
mung der Seerechte und dieGründe hievon blosaufßuten Glauben
hingegeben 5 und doch liefsen sich bedeutende Zweifel gegen
beides erheben t so gegen die Behauptung , dafs die Seege werbe
treibenden Völker vorzugsweise geneigt seyen, von ihrem eigen-
thümlichen Rechte zum Besten anderer Völker nachzulassen,
das Beispiel der Engländer«
(D#r Besehluft fotgi.)
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n. % i8m
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Meyer histoi4a legum maritiriiarunl;
QBttchluft.')
Ueher die Beziehung der §§; von den Rhodischen Gesetzen
zum Hauptgegenstande erklärt zwar der Verf. hier sich nicht;
allein aus dem §. 42. läfst sich «int nehmen , dafs er sie darum
eingeflochten hat, weil nach seiner Ansicht das llhudische See-
recht Grundlage der Seegesetze des M. A. , insbesondere des
Consolato d, M. geworden ist. Als eigenthttmlich ist zu be-
merken die Meinung, dafs das Rhodische Seerecht nie in der
Gestalt eines geschriebenen Hechts existirt, sondern sein Name
nur überhaupt Seegewohnheiten bezeichnet habe, die als eirt
jus universale anerkannt worden seyen (S. 10.). Gestützt
wird diese Annahme auf das Schweigen der Römer von ge-
schriebenen Ilhodischen Seegesetzen, die ihnen zu merkwür-
dig hätten seyn müssen, um nicht viel davon zii reden, na-
mentlich auf das Schweigen von Cicero und Julius Cäsar, die
sich in Rhodus längere Zeit aufhielten ; und dann auf die
Aeufserung von Antonin ul in 1. 9. D. de Lege Rhödia;
worin er auf das Rhodische Recht als ein subsidiäres in See-
sachen verweise, und es dem Römischen Recht entgegensetze;
wäre es geschrieben gewesen, so hätte er es ja nur als Römi-
sches Recht zu puhliciren gebraucht. Erst die Römischen Ju-
risten, welche einzelne der Rhodischen Seegebräuche unter
dem Titel de lege Rhodia erläuterten, hatten die allgemeine
Meinung veranlagst , dafs hierunter ein geschriebenes Recht
zu denken sey. Ilaben aber Römische Juristen wohl jemals
blofse Gewohnheiten lex genannt? um der andern Bedenken!
gegen jene Ansicht zu geSchweigen. Dafs man aber im Mit-
telalter Seerecht überhaupt Rhodische« Recht genannt hätte,
Wßre der Art, wie man damals das Andenken alter Gesetz-
gebungen anwandte, ganz angemessen« Interessant ist in die-
ser Hinsicht die Notiz aus dem Preußischen Chronisten1 Simon
Grünau , welcher das Strandrecht das Schalksrecbt Rhodia nennt,
, XIX. Jahrg. i.Hcft. %
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18
HupfcH Exercitationei Aeihiopicae.
Die Form dieser Abhandlung betreffend, so bat man mit
einer schwierigen LatinitUt oft zu kämpfen.
Bei den freunden der Geschichte des Handels und des
Seerecbts und des Mittelalters überhaupt wird Hr. Meyer
durch diese Dissertation sich nicht nur wahren Dank verdie- -
nen, sondern auch den Wunsch erregen, dafs er in dieser Par-
tie sich zu weiteren Untersuchungen entschliefsen möchte,
wozu er sich so wohl ausgestattet zeigt. Mit Gründlichkeit
und Sorgfalt im Detail verknüpft er ein Anstreben naclj höhe-
ren , umfassenderen Gesichtspunkten. Hiedurch eignet er sich
durchaus zu der so anziehenden Aufsuchung der Fäden , die
in dem dunkelen Leben des Mittelalters die Völker unter ein-
ander verknüpften , als deren einen Hr. Meyer das Seegewerbe
ganz richtig in's Auge gefafst zu haben, und gerade deshalb
so davon angezogen worden zu seyn scheint.
Ä o. § g 0,
■
Exercitationes Aethiopicae sive observationum criticarum ad emenJan»
dam rationem grammaticae Semiticae specimea primum* Scripsit
D. Her mann us Hupfeld^ theologiao in academia Marbur-
gensi Professor extraordinatws. Lipsiae 1.825. 4. 46 S.
■
Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dafs indem
verbältnifsmäfsig geringen Vorrathe hebräischer Denkmale
nicht alle Wurzelwörter vorkommen können , und diese Sprache
daher vielleicht ärmer scheint, als sie wirklich gewesen. Man
bat also mit Recht bei den benachbarten Mundarten Hülfe ge-
sucht, aber bei weitem noch nicht diese Quellen erschöpft.
Am mehresten hat man die arabische Sprache seit Schultens
verglichen, etwas auch die äthiopische, die koptische dagegen
fast gar noch nicht. Letztere hat man nicht benutzt, theils
weil man sie nicht verstand, theils weil ein Vorurtheil
herrschte , dafs sie gar nichts mit der hebräischen gemein habe
Daher die zwei sich ganz widersprechenden Artikel in der
neuen Hallischen Erjcyclopädie, unter welchen der letzte von
Hug in Freiburg wohl die richtigere Ansicht giebt.
Zur Kenntnifs der äthiopischen Sprache hat Ludolf nicht
nur die Bahn gebrochen, sondern auch alles gethan, was da-
mals zu thun möglich war. Ihm wird ewig dieser Ruhm
bleiben. Denn was auch noch zur Erweiterung und Berich-
tigung jener Kenntnifs geschieht, würde nicht geschehen kön-
nen, wenn er nicht gewesen wäre. Allein da aller Anfang
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Hupfeld Exerciutiones Aethiopicae. 19
schwer ist, so konnte Ludolf auch irren , und mufste es , weil
die hier eingreifenden Wissenschaften noch nicht auf der Höhe
standen , auf der sie jetzt stehen. Es war daher nicht genugf
ihn hie und da in den hebräischen Wörterbüchern auszu-
schreiben, sondern man hätte sich wirklich auf die Erler«
nung dieser Sprache Jegen müssen, um eine Revision von
Ludolfs Arbeiten vornehmen zu können. Und letzteres scheint
jetzt die Absicht des Verf. zu se}rn.
Herr Hupfeld theilt seine Arbeit in zwei Theile: der
erste, welcher nun vorliegt, ist der Verbesserung der äthio-
pischen Grammatik gewidmet. Der zweite, den wir künftig
zu erwarten haben, soll die Anwendung auf die andern Mund-
arten enthalten. Jener handelt also jetzt im ersten Buche de
elementis von der Buchstaben Gestalt, Namen und Potenz,
wobei der Verf. sich besonders über die Vocale ausgelassen
hat; im zweiten Buche de partibus orationis von den Prono-
minibus, Verbis und Nominibus. Um Ludolf beouem ver-
gleichen zu können , wird sein Werk bei jedem darüber han-
delnden Hauptstücke angezogen, so dafs man diesen Theil als
Nachtrag und Berichtigung von Ludolfs Grammatik ansehen
und mit grofsem Nutzen gebrauchen kann. Möchten doch
mehrere junge Theologen diesem lobens würdigen Beispiele
folgen, und, wenn sie etwas Mehreres leisten wollen und
leisten zu können glauben, als der grofse Haufen thut, eben-
falls die Exegese berücksichtigen. Denn nur diese kann noch
äu etwas Weiterem führen; nur diese greift auch in andere
Wissenschaften ein, und hat also aufser der Theologie noch
einen besonderen Werth.
Ueber vorliegende Arbeit, halten wir uns überzeugt,
werden auch Sprachkundige ein vorteilhaftes Urtheil fällen.
Unterzeichneter hat begreiflich an dem graphischen Theil den
mehresten Antheii genommen, und wird, wenn er dereinst
die in den Bildern und Schriften entworfenen ersten Linien
der semitischen Paläographie weiter ausführen sollte, mehrere
vom Verf. über die äthiopische Schrift gemachte schätzbare
Anmerkungen gründlich, wie sie es verdienen, zu prüfen Ge-
legenheit haben, wozu hier der Raum fehlt. Nur das noch,
weil es allgemeiner ist, glaubt er hier anführen zu dürfen.
Der Hr. Prof. nimmt nicht nur (S. 2.) die Neuheit der he-
bräischen Quadratschrift, welche an der Gestalt der Schrift-
zeichen selbst Ref. zuerst gezeigt hat, an, sondern auch das
ursprüngliche Daseyn semitischer Vocalbuchstaben in so weit,
als. er über die bisherige Krückenlehre (S. 9.) sagt „momtrum
Htcrarum quuscontium«, Als Ref. über beide Puncte in den
o *
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20 Hupfeld Exerei/aiiones Aerluopicae»
„Bildern und Schriften« seine gegen die alte Lehrart krtze-
rische Ansicht laut vertheidigte , hielt er sich zwar überzeugt
dafs die Wahrheit einst allgemein anerkannt werden würde;
er glaubte aber nicht den Anfang davon selbst noch zu er-
leben, weil die gegenwärtige Generation das in den Schulen
eingeprägte Vorurtheil schwerlich so bald würde ablegen kön-
nen. Gerechter. muiste er aber schon da über seine Zeitge-
nossen urtheilen, als seihst der ehrwürdigste Veteran in der
Wissenschaft, Eichhorn in Gotti ngen, die vom Ref. vorge-
zeichnete Ableitung der hebräischen yuadratschrift in die
neueste Auflage Seiner Einleitung in das alte Testament mit
aufnahm. Seitdem zählt lief, schon mehrere Gelehrte, die
obige Meinung mit ihm theilen. Da ihm jedoch in den dar-
Üher erhaltenen Zuschriften auch Zweifel eröffnet worden
sind, die zum Theil ganz sonderbar klingen, zum Theil aber
wohl der Erörterung werth scheinen ; so sey es erlaubt, bei
dieser Gelegenheit einige zu beantworten. Unter erstere ge-
hört ein Einwurf gegen die Neuheit der hebräischen (Quadrat*
schrift,, welcher so lautet: „Die Folge und Kette in den
„Schriftzeichen der Tafel (Bilder U.S. w. Th.2. S. 157.) könne
,zwar Niemand läugnen, wohl aber den Anfang und das Ende
, umdrehen, wodurch denn die hebräische Quadratschrift
, grade die älteste werden würde." — Hat man aher wohl da-
tei bedacht, dafs alsdann die babylonische auch für die neue-
te müsse gehalten werden? Doch wir wollen einmal den
Ziegelstein, auf Welchem sie steht, unter die neuesten Denk*
nale zählen; soll denn die palmyrenische Schrift mit Zeit-
ngaben nach Christi Geburt älter seyn , als die auf jüdischen
Beckeln, welche Jahrhunderte vor Christi Geburt geschlagen
vorden? — Ernstlicher ist der Einwurf gegen das ursprüng-
iche Daseyn semitischer Vocalbuchstaben statt der Hauche;
,Da nämlich in den phönicischen Inschriften weniger Vocale
^gefunden würden, als in neueren, so folge daraus , dafs an-
fänglich gar keine vorbanden gewesen«. Hiergegen bittet
nan folgendes zu bedenken; Vom Nichrgehrauche einer Sache
kann man auf das Nichtdaseyn derselben nie sicher schliefsen.
}esetzt, wir schrieben, wie es wohl^der Ahkürzung Wegen
u weilen geschieht, „Prfssr n Mrbrg«, folgt daraus, .dafs
'ir in unserer Schrift kein o, e, i, a, u, haben? Niemand
areifelt daran, dafs die Etrurier wirkliche Vocalbuchstaben
atten, und doch liest man in ihren Steinschriften MNRFA,
'RESNTS, APLV, AFLS, PETRNI, RNTHLE u. s. w.
>er Araber hat Vocale (PuncteJ, und doch läfst er sie in sei-
en Schriften oft gänzlich aus. Griechen und Römer haben
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HupfeU Exercitatioues Aethiopica«, 01
in ihren neueren Schriften Wortabtbeilung und Interpunktion.
In älteren fehlt beides mehrere Jahrhunderte hindurch. Wie
falsch würde man aber schliefsen: „also hatten sie sie ur-
sprünglich nicht"! Denn glucklicher Weise haben sich von
ihnen Denkmale erhalten , denen in Ansehung des Alters kein
phönicisches an die Seite gesetzt werden kann, in welchen
eine noch dazu sehr gehäufte Interpunction sichtbar ist.
Beide Einwürfe können also lief, nicht wanken machen. Denn
er gieng von dem aus der Natur der Sprache hergeleiteten
Grundsätze aus , dafs VocaltÖne früher da waren als Consonant«
laute, wie jeder schon am Kinde bemerken kann; dafs bei
Festsetzung eines Alphabets jene also gewifs nicht übergan-
gen wurden, dafs man aber, als man bemerkte, die Vocale
schwankten in dem Munde fast jedes Einzelnen, den an und
für sich richtigen Gedanken fafste, die Consonanten haupt-
sächlich seyen es, welche die Sprache festhalten dafs man da-
her die Vocale oft wegliefs, und einen Jeden nach seiner Aus«,
spräche hinzudenken Jiefs. Denn wenn der türkische Jude
in dem nämlichen Worte A hören läfst, in welchem der pol-
nische O ausspricht, so ändert das in der Bedeutung des Wor-
tes gar nichts. — Allein, was noch mehr ist, man sieht sogar
in den phönicischen Inschriften wirkliche Vocalhuchstaben ,
besonders I und V, ist aber in der Masorethen Schlendrian so
verliebt, dafs man, wo ein 3 E steht, es nur einen Hauch
gelten lassen will, um nach Belieben einen Vocal -hineinlegen ,
oder nach dem eigen is dazu erfundenen lächerlichen Kunst«
ausdrucke darin quiesciren lassen zu können! Dem Buch-
stab selbst, der doch nicht vernichtet werden konnte, gab
man nun den albernen Namen Krücke. Wäre kein Vocal,
so könnte der Syrer nicht schreiben statt fc^Jf* u. s. w.
Wie konnte man wohl den Kabbinen jene Thorheiten glauben?
Wie konnte man sie Jahrhunderte hindurch in allen Gramma-
tiken wiederholen ?
Wir sehen mit Verlangen dem aweiten Specimen der
vorliegenden Aethiopicarum , welches in andere Sprachen ein-
greifen wird, und nach der Aeulserung des Hrn. Prof. nach
und nach manchen Zuwachs erhalten bat, entgegen.
Vir, Fr, Kopp,
■ in.
«
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22 Ausgewählte Schriften von H. Zschokke.
Hilft?« Z schokke* s Ausgewählte Schriften, Aar au , i 82 5 . bei U.
Ii. Sauerländer, 10 Bändchen in 12.
* Treis für 24 Tble. auf ord. Pap. 12 fl.
weifs || 16 fl.
Die Geschäftigkeit des Buchhandels und das Verlangen
der Lesewelt nach etwas Frohehaltigem und Classischem wen-
det sich gegenwärtig auf das Sammeln der Werke von Schrift-
stellern, in welchen die Zeit eine gediegene innere Haltbar-
keit*, wenigstens eine für längere Fortdauer und Wirksamkeit
hinreichende Lebenskraft erkannt hat.
Die sichersten Ansprüche auf dieses musterhafte Fortwir*
leen werden die Schriften haben , welche bleibend anziehende,
immer neuerBetrachtung würdige Materien in einer geschmack-
vollen Form dem Leser vorhalten. Das Geschmackvolle be«
steht darin , dafs einer Materie eine solche Art von Erscheinung
gegeben wird, durch welche sie denen Geistesvermögen , von
denen sie aufzufassen ist, in höherem Grade annehmlich wird,
so dafs sie, wenn wir so sagen dürfen, gerne gekostet wer-
den kann , weil sie für die Empfänglichkeit der Sinne oder des
Geistes und Gemüths gleichsam w wohlschmeckend«« zubereitet
wurden. DieForm der Erscheinung wird deswegen bei sinn-
licheren Stoffen darauf berechnet, dafs sie d u rch sinnlich e
Empfindung (Sehen, Hören und anderes sinnliches Affici-
ren) die Einbildungskraft reize und erwecke; wobei e«
genug ist, wenn sie den Verstand durch Zweckmässigkeit be-
friedigt. Wenigstens darf sie diesem nicht durch das Gegen-
tbeil zurilckstoisend und unangenehm werden. Ein andermal
aber ist die Form der Erscheinung eines zu betrachtenden Ge-
genstands , seiner Natur nach, darauf zu berechnen, dafs sie
vornehmlich durch den Verstand auf die E i n b i 1 *
dungs kraft wirke, damit sie als wahr oder wahrschein-
lich leicht zu fassen sey , und das interessante der Materie um
so erkennbarer werde. Je vollendeter dann die Form oder
Einkleidung des den Verstand und die Mitempfindung an-
sprechenden Inhalts selbst ist, und je harmonischer Form und
Stoff mit einander verbunden sind, desto fortdauernder wird
die Wirkung seyn, verschiedene Zeitalter hindurch Geist und
GemiUh zur Aufmerksamkeit, zum willigen Annehmen und
Betrachten zu reizen.
Eine bewundernde und erfreuliche Betrachtung der Form,
wenn sie trefflich ist, kann fortdauern, auch wenn die Ma-
terie nicht mehr als wahr interessirt; wie das, was von irgend
einer Mythologie schön dargestellt ist oder darstellbar wäre.
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Ausgewählte Schriften Ton H. Zschokke. 23
Macht aber die Materie, ihrer Natur nach, auf Glauben an
ihr Wahrseyn Anspruch , und ist sie doch dem Verstände zu«
riickstofsend oder mit ihm unverträglich geworden , so kann
selbst eine an sich vorzügliche Forin und Gestaltung ein solches
Kunstwerk nicht lange* retten. Es kann nicht als allgemein
annehmbar fortwirken ; nur denen, welche dieFprm vomStoff
subtiler unterscheiden, bleibt eine solche Form doch noch
zur Bewunderung geeignet, während sie übrigens das Ver-
schwenden an eine unhaltbare Materie beklagen; wie bievon
die Messiade ein warnendes Beispiel giebt y worüber man
nicht reden mag , aber stillschweigend und factisch offenbar
einverstanden ist.
Die Zschokkeschen Schriften behandeln meist Mate-
rien, welche sehr lange die Aufmerksamkeit anziehen werden.
Ihre Form ist, durch unverkünstelte, lichte, lebhafte Dar-
stellung der Wahrheitgründe sich der verständigen Fassungs-
kraft annehmbar zu machen , ohne sie., wie Demonstrationen,
aufzunöthigen. Eine Sammlung derselben wird also lange
fortwirken; und zu wünschen ist dieses, weil die behandelte
Materien vielseitig in das Interesse der Menschheit eingrei-
fen , und daher ein Allgerneinwerderi klarer, richtiger Einsich-
ten darüber unabweislicb nothig ist. Ree. freut sich, schon
zehn Bändchen dieser interessanten Sammlung vor sich zu ha«
ben, welche, auch gefällig in der Gestalt und im Abdruck,
7 u reichem Genufs des Nachdenkens und Mitempfindens ein-
laden.
Die psychologisch interessante Frage, wie dem Vf. diese
Vielseitigkeit, dies praktische und pragmatische Urtheil,
diese yolksthümliche Eindringlichkeit und Gewandtheit mög-
lich geworden sey, läfst sich zum Theil aus den vorangestell-
ten „ Lebensgeschichtlichen Umrissen« I, 5 — 62. beantwor-
ten, denen sein Bildnifs vorangeht. Einer ungewöhnlichen
Vielempfänglichkeit seines Geistes kam durch einen eigen-
thümlichen Trieb, sich vielseitig zu beschäftigen und in's Le-
ben sich zu versetzen, eine ungewöhnliche Menge äufserer
Veranlassungen zum Denken und Handeln, zur Wissenschaft-
liehen und augewandten Wirksamkeit entgegen. S. 51? "af
der Vf. namentlich Hrn. H. N, Sa u e r 1 ä n d e r und „den lie-
ben, ailemannischen Sänger, Hebel«, als Freunde hei-~d*n\
frohe* ten Tage seines Lebens ausgezeichnet. — Die „Erin-
nerungen aus llkätien« und der „Bürgerkrieg in der italieni-
schen Schweiz« gehören auch zu dieser Lebensgeschichte , da,
der Vf. überall lebendig darstellt, wie er an dem Drängen der
Zeit bessernden Antheü tu. nehmen strebte« Ebendahin ge-
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X
24 Ausgewählte Schriften von H. Zschokke.
hören vom zweiten Bändchen die' drei ersten Gemälde : die
Aufruhr (der Aufstand) von Stans und der Urcantone im J
1799 ; alsdann Friedr. Cäsar L a ha rp e, nach 178.3 K. Alexan-
der* Il.ehrer, ein Mann, den das Patriciat von Bern ächtete,
der aber den im Archiv vergrabenen Tractat von Lausanne
vom J. 1565 wieder zur Wirkung brachte, doch den Grund-
satz kräftiger Einheit für die Schweiz nicht durchsetzen konn-
te; zuletzt Nikol. Friedr. von Steiger, der Republik Bern
Schuhheils. (Einen Anhang machen die lesenswerthell Skizzen
von der Iebensthütigkeit der seltenen Männer, Sc h wäre
von Sonnenburg, des Evangelischen Apostels Ostindiens, und
Ludw. Burkhard von Basel, des Bereisers des Innern von
Afrika.) Sehr unterhaltend und weckend sind die vielen
Winke der Klio im, dritten Bändchen. Im vierten sind
iti „Sorgen (und Besorgnisse) der edleren Menschheit für die
Erhaltung ihrer VYürde'*- vieje Notizen der neuesten Zeitge-
schichte zusammengestellt. Anregungen für allgemeinen Frie-
len bis aqs Massachuset. Befreiung der N< ger, Sorge für Ver«
laftete. Neben der Pariser Gesellschaft für christliche Moral,
luch (S. 78.) eine Tractätchens-Gesellschaft, die aber nicht fröm-
nelnden Afterglauben und Meinungseifer, nicht Sectirerei,
sondern das, was alle Christen erbauen kann, verbreiten will.
Verbreitung der gegenseitigen ( selbstthätigen ) Unterrichts-
nethoden (das Mittel, welches Südamerika bald von Pfafferei
end Nacbsprecherei freier machen wird). Die Bibelgesell-
►chaften (der Uebergang bis dabin, dafs man lesen und etwas
'zusammenhängendes überall verstehen lerne) bis auf die Bulle
.Mus VII, nach Gnesen (welche das Encyclische Schrei ben JLeo
Jes XI. zum Erstannen aller besser unterrichteten leider bei«
stimmend, für ächt erklärt bat, dä zu gleicher Zeit der'Cha-
iphe oder Vicarius Oei zu Conslantinopel auch ein Bibelver-
)ot durch Muftis und Mollahs verbreiten liefs). Hierauf be-
ginnen gröis,ere historisch-politische Schilderungen : Gröfse
und Untergang des Freistaats Venedig (auch einer Republik
ahne Republikaner). Hollands Schicksal (wo die jetzige
Regierurig wohl zu verstehen scheint, dafs nur rechtliche Frei-
leit mit Geistesbildung solche Moorländer bewohnt erhalten
ind gewerbreich machen kann).
Fünftes B.indchen. Ausbreitung des Christen tlm ms (in
einer Vielgestaltiokeit) S. 267 — 275. Von der Jesuitischen
neokratie, oder dem Priesterreich am Uragay. (l-)as jetzt
treitig gewordene Cbiquito gehörte auch dahin.) S. 3 1 4»
Schicksale der Freimaurerei in Europa , vornehmlich der fran-
ösischen. (Entartungen , wie in allem iV|enschUchen. Aber
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Ausgewählte Schriften von H, Zschokke. 25
zernichten denn diese auch die Anlagen zum Wflrif tg^ren f
die Folgen | welche aus einem engeren, freiwilligen Ilm Je dei
Vertrauens zwischen allen Ständen entstehen, während der
allgemeine Egoismus universelles iVIüstrauen aller g^g^n alle
herrschend macht ? )
Sechstes Bandchen. Kampf und Untergang der schweif
zerischen Berg- und Wajdcantone. (Der gesunde Menschen«
verstand gah nach S. 3t« den Waldstetten vor Zwiugli und
Luther einen „ Pfuffenbi ief ** , da(*s ülier Sch weizerbiirgtrr kein
Fremder eine Jurisdiction habe, jeder Geistliche die Landes«,
auflagen mitentrichte , weltliche Obrigkeit sie ein- und ab»
setze. Sind die Enkel indeffl einsichtiger geworden, als die
Vorväter"?) Umrüs der Geschichte des Aargau. S. 337,
„Aargau fand in der Gunst von Kaisern und Konigen das
Glück seiner Freiheit und Selbstständigkeit gewährleistet,
welches ihm von Einzelnen in der Eidgenossenschaft mißgönnt
worden war.« -
Siebentes Bändchen. M e i 11 n n e s k a m p f im teutschen
Volke zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. (Sehr Uli«
partheiisch und menschenkundig.) Brittisches Besitznahmen
ler Insel C u 1 a s s a o. JöOü. Freuudesworte über v. S c h 1 i c h *
cegroll. Auch ihm wurde schwer genug gemacht die Aus-
übung der grofsen Worte Imcaus (S. 2cJj.) über die Bestim-
mung ächter Menschen ;
servare modum , finemque tenere ,
Naturamque sequi, pattiaeqtttt impendere vhe$
Nun sali sibi9 sed genitunt se credere mundo. 1
In commune bonus t —
, Unter was für Geyer und Raben««, schrieb Schi. 1812- an
.^schokke, „ ist meine Taubennatur gerathen.« Uaid doch,
ie sich auch Ree. aus seinen Erfahrungen mit Freuden zu*
N ickerinnert, war es keineswegs die Regierung, keineswegs
e höheren Mitglieder derselben, die einen solchen Ausruf
veranlassen mochten J Wie edel stillte (S. 280.) Maximilian
)seph 1Ö10 die bis an Napoleon gebrachte antipiotestantische
)enunciationen des Neides, der auch nur i„ der Hauptstadt
tnd nur bei wenigen Machtgierigen sich zeigte. — Von Ja-
cobs (nach Gotha zurückgegangen) schrieb Schi. (S. 271«) im
L 1811 : „der Unersetzliche geht mjr täglich ab, als Freund,
Is Akademiker, als Qebftlfe an Baierns Fortbildung.« Von
;. 294- folgen interessante Stellen aus Briefen. Es ist, da in
iesen Tagen Baiern an seines Maximilians Sarge dankvolle /
, hränen weint, tun so gewisser nicht Schmeichelei , dafsauch
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26 ülr# de Hutten Opera ed. Münch.
Ree. von S. 317. die Worte auszeichnet: „Einer der wohl-
wollendsten Könige, die je über Menschen regiert haben! Er
hat Stand gehalten hei manchem Andringen, dafs auch Er stö-
rend in das eingreifen sollte, was der Zeit gemäTs eingeleitet
und in Gang gebracht worden war. So gelieht zu werden ,
sollen alle streben.«
Achtes und neuntes Bündchen. Des Schweizerlandes Ge-
schichte f'flr das Schweizervolk. (Die Schweiz hat keinen
Auswärtigen > der seine Aufnahme in ihr Bürgerrecht — die-
sen bereidenswerthen republikanischen Adelsbrief — schwei-
zerischer rechtfertigte.)
Die ganze Sammlung wird durch noch vierzehn Bündchen
Complet werden. Ein Register des vielfachen Inhalts , wenig«
stens ein Na mensregister , da nach den Namen auch die Sachen
leicht aufzufinden wären, ist jedem Bündchen , oder dem Gan-
zen zu wünschen.
H. E. G. Paulus.
Ul rieht de Hutten, Equitis Germani, Opera quae exstant ,
Omnia. Calle gity ed'ulit , annotationibus illustravit Ern, Jo-
seph. Hermann Münch, Philos. Dr. et in Alma Un'wersitate AI»
berto-Ludoviciana , quae est Friburgi Brisgoiorumy Prof. P. £x-
traord. Tomas V. {Motto: Ewig wiederliallt ein gro/ses Wort ;
Und die gro/se That schafft ewig fort!) Berolini, sumt. G.
Reimeri. 1825. 546 S. in 8. 2 Thlr. 12 Gr.
Auch unter dem teutschen Titel:
Des teutschen Ritters, Ulrich von Hutten^ s ämmtli che
fTre r k e. Gesammelt , und mit den erforderlichen Einleitungen,
Anmerkungen und Zusätzen herausg. von — Münch —
Herausgeber und V er leg er verdienen ehrenden Dank,
Huttens wahres Monument, seine Geisteswerke,
zum neuen Genufs , zur neuen Fortwirkung , aus der durch
das Seltenwerden der einzelnen alten Abdrücke entstandenen
Vergessenheit wieder in das öffentliche Lieben , in das Den-
ken und Wollen der Gleichgestimmten , eingeführt zu haben,
nachdem sooft von Mindernnternehmenden vergeblich zu einer
solchen mühsamen und kostspieligen Unternehmung und Aus-
stattung Hoffnungen gemacht waren.
Unsere Europüische Geisteserhebung beginnt zuerst mit
den ästhetischen , alsdann mit den philologisch -historischen
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!
Ulr. äe Hutten Opera ed. Mönch. 27
und philosophischen Vorbereitungen der Kirchenreformation ,
ohne welche man sich den finstern , gewaltthätigen Vorurtbei-
len des ptäffischen Mittelalters nicht entwunden hatte. Man
beruft sich umsonst auf Dante, Petrarca u. •. w. als Genien,
die der Kirchenglaube aufgeregt habe. Anders nicht, als so t
dafs sie den Miishräuchen stark widersprachen, und dafür der
Hierarchie gar nicht genehm waren. Die endliche, geistige
Kirchenreformation selbst wurde aus dem Todesschlaf der Un-
wissenheit und der alles duldenden Hingebung an herrschsüch-
tige Mitmenschen, ohne deren Ceremonienwesen und Ablasse
man nicht seelig werden zu können wähnte, durch die uner-
träglichsten Uebertreibungen der Mifsbräuche erst nur zum
negativen Lieben, zum Bezweifeln und Verwerfen der
handgreiflichsten Irrmeinungen aufgeregt, nachdem diegrofsen
ConciJien zu Constanz und Basel auf die Notwendigkeit einer
Kirchenreformation in Haupt und Gliedern laut und allgemein
aufmerksam , aber auch klar gemacht hatten , dafs freilich von
der Sittenverdorbenheit selbst nicht einmal zu äufseren Ver-
besserungen Einwilligung zu hoffen sey.
Ueberhaupt ist es für alle Zeiten wichtig, einzusehen,
dafs eine tüchtige Verbesserung der Mifsbräuche , als der Fol-
gen und Früchte, nicht anders als durch Besserung der Lehr-
einsichten, nämlich 'des Baums, auf welchen die Hierarchie
so viel ungöttliches eingeimpft hatte, zu bewirken war. Da-
zu war neue Entwickelung der Lebenskraft, die Erregung
des Selbsrdenkens durch die Beispiele der Alten, besonders
der griechischen, durch Empfindung für das Schöne, Würdi-
ge, Erhabene zum Wahren geleiteten Muster des Geschmacks
und der Urtheilskraft nothwendig. Und — wie gar oft in
der Menschengeschichte das schlimm gemeinte unerwartet für
das bessere mitwirkt — gerade jenes Co ncilium zu Floreuz,
wodurch die Curie die guten Wirkungen der meist vom ge-
bildeteren Mittelstand geleiteten Kirchenversammlung zu Basel
zu lähmen trachtete, führte — zwar nicht eine haltbare Union
mit der Dogmatik und dem Primat von Rom, aber « — die
geistigere Union herbei, dafs unterrichtetere Griechen
die Vorbilder strenger Forschungskraft und gotteswürdiger
Idealität, Aristoteles und Plato , und die uralten Muster des
Geschmacks, neben welchem die täuschenden Priestersvorur-
theile als lächerlich nicht bestehen können, dahin, wo. man es
am meisten bedurfte, nach Italien, aus der türkischen Ver-
wüstung immer mehr herüber flüchteten, und bald, beson-
ders auch bis in das für ernste Wahrheiten so empfängliche
Teutschland , verbreiteten. *
■
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I
28 Ulr, de Hutten Opora ed. Münch.
Dort also , wo das neue» durch Zertheilung in so viele
selbst&tandige Staaten allmählig der römischen Tendenz nach
Universalherrschait entwachsende Europa zum Aufschwung
der Geister durch die ewigen Musterwerke des AJteithums
wieder erregt worden ist, sollte, dünkt uns immer, auch
hauptsächlich das allgemeinere Studium der neueren Geistes«
Lildung sich den Hauptpunct setzen. Alles mustermäfsige
aus dem höheren Alterthum wurde dort erneuert und darauf
iui rgehaut. Wer sich von dortan mit dem Ausgezeichneten
beschäftigt , wird auch zu dem Geistighesten der Vorzeit zu-
rückgerührt, und erkennt zugleich, wie es, durch spätereEr-
fahruiigen und Denkanstrengungen vermehrt, verbessert, wie
dort das Vielfache im Wesentlichen vereinigt, geläutert und
zur Bildung der jetzigen Welt verwendet wurde. So vie-
lerlei Anhängsel aber, von denen doch keine halthare Aus-
Leute vorauszusehen ist, möchten, wie sie es damals waren,
der Vergessenheit oder etwa nur denen, welche zur Gelahrtheit
verdammt sind, überlassen bleiben«
Die gewöhnliche Methode, immer wieder ab ovo anzu-
fangen, und alles, das einflufslose wie das fortdauernd wich-
tig6» )a jenes sogar oft mehr wie dieses, Schritt für Schritt
mitnehmen zu wollen, ist die Ursache, warum die Meisten
bis zu dem, was unsre Zeit und ganze Bildung viel näher an-
geht, nicht vorzugsweise hinkommen. Will man erst in
den Steppen des vierten, fünften bis fünfzehnten Jahrhunderts
alleSeitenwege der Ps^udoplaton i k , des Augustinismus und der
zugleich daraus entsprossenen Mystik und Scholastik durchge-
spürt haben, wie kann man noch zu rechter Zeit, in der kräftigen
Frische des Lehens, die Zeitgemälden Geisteserregungen auf-
fassen, die uns in Aesthetik, Philosophie und Religionslehre
die Wiederhersteller dieser Wissenschaften im vierzehnten Iis,
sechszehnten Jahrhundert vorbereitet hatten. Deswegen,
dünkt uns, wären Chrestomathien, d. i. mancherlei Auslesen
des geistig nützlichen „ also des wahren, guten, schönen, in
Stellen, wo es gut gesagt und begründet ist, aus den Besten
jener Zeiten viel wünschens werther , als die fleifsigste Be-
schäftigungen mit so manchen Schriftstellern , die, wenn sie
unsre Zeitgenossen wären , der Achtung, welche ihre jetzige
Bearbeiter an «ich verdienen, nicht würdig seyn würden.
Leeres Stroh gedroschen bleibt immer leeres Stroh, wenn man
auch noch so sorgfältig drischt und worfelt. Schade um jeden
schönen Augenblick , um den rühmlichen und der fruchtbar-
sten Anwendung würdigen Fleifs, wenn er an Darstellung
von Charakteren und an Meinungen verschwendet wird, die,
; •
$
e . *
* . Digitized by Google
Ulr. de Hutten Opera ed. Münch. 29
wenn sie nicht gewesen wären, wir nicht zu vermissen hät-
ten. Qua parle locatus es in re terrestri, cerne! ist ein wich-
tiger llath eines alten Zeitbeobachteis. Wohl uns, dals wir
nach der griechischen und der rumischen Culture poche , und
nach dem grofsen Intermezzo eines durch weltliche und reli-
giöse Willkührherrschaft verursachten Zerfalls der Cultur Und
des Staatenwohls, den dritten grofsen Umschwung des mensch-
lichen Geistes , die Vereinbarkeit der griechischen und römi-
schen Geschmacks- und Verstandesbildung mit der Üchtchrist«
liehen Vernunftbildung , erlebt haben. Lasset uns Würdig
fortschreiten auf dieser Bahn der mündig gewordenen Selbst-
tätigkeit, ohne die Meinung , als ob die Gelehrsamkeit des
neunzehnten Jahrhunderts anders nicht, als in den ausgetrete-
nen Schuhen derjenigen Zeitalter gehen in Oiste, die man doch
endlich allgemein als die Zeiten des Sinkens und Fallens der
Wissenschaften und der Staaten, auch als die Zeiten der Aus*
artung des Urchristenthums selbst, anerkennt.
Wie viele lebhafte Erregungen einer geistvollen Freimü-
tigkeit erneuern sich nun nicht durch die glücklich gesammel-
ten fünf Bände des ritterlichen Feindes aller Verdunklungs-
sucht und Willkührgewalt. Bei ihm wechseln immer Ernst
und Spott. Seine Kaustische Satyr«, ihren Inhalt von der
Wahrheit und den schreiendsten Zeiterfahrungen borgend,
geisselt bald lustig bald zürnend das verwerfliche, dieSchlech-
tigkeit der durch Eigennutz Verkehrten und die unerträgliche
Trägheit der alles duldenden Besseren , namentlich der allzu
gutmüthigen Teutschen.
Der letzte Theil enthalt lauter teutsche oder von Hutten
selbst verteutschte Schriften. Unpartheiisch gesprochen ist
er hier in der Sprachgewandtheit hei weitem nicht so iVIer-
ster, wie im lateinischen. Auch verleiteten die teute-chen
Heime zu mancher überflüssigen und ungeordneten Zt?ile,
selbst in der „Klag und Vermahnung gegen unchristliche Ge»
Walt des Babstes zu Rom und der ungeistlichen Geistlichen«,
welche doch zur Zeit grofse Wirkung gethan hat. Ree. erin-
nert sich, wie richtig der Verfasser der teutschen Geschichte ,
Schmidt , darauf aufmerksam macht, dafs um die Zeit der
Kirchenreformation in allen Fächern nichts kläglicher ist , als
das Ringen um den Ausdruck, auch da, wo man den richti-
gen Gedanken hatte. Daher das endlose Geschreibe. Sie
häufen in allen , auch Staatsaufsätzen , Worte auf Worte., weil
sie das rechte Wort nicht finden. Man lese z. B. JVfüllers
Sammlung der Acten we»en Entstehung des Protestantismus
oder- des IVotestiiens ge^en Entscheidung durch Stimmen«
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30 Üir. de Hutten Opera ed. Münch.
mehrheit und Macht in Sachen geistiger Ueberzeugung. Wie
viel hat nur hierin Luthers Ki aftsprache und das Streben ,
selbstständig gedachtes eben so aussprechen zu können, zur
Geistesbildung beigetragen!
Noch für unsre Zeit und länger mochten vom V. Th. die
wichtigsten Aufsätze Huttens seyn : IV. wie die Bähst
all wegen wider die teutschen Kays er ge weist.
Auf das Kürzest aus allen Chronicken gezogen.
Item, d a f s die Kayser all wegen Gewalt, dieBäbst
auf-, und abzusetzen gehabt (nach) Zeugnifs aus der
Babstchrouicka . . . nebst der Bübste Satzung ver-
glichen mit der Lehre Christi S. 103 — l4ö*. Auch
das Gespräcbbilchlein , das erste und das andere Fie-
ber genannt, S. 157 — 214, kann seinen Zweck nicht ver-
fehlen. Eben so das Gesprächbüchlein: d ie Anschau en-
den, S. 330 — 365» welches, dünkt mich, den Vadiscus
weit übertrifft. Unter dem , was Hutten von Andern an's
Licht förderte, möchte (aufser der lateinischen Kritik des
Valla de Donatione Constantini IYI.) das einer Erneuerung
würdigste seyn (S. 370.) „Ermanung, dafs ein jeder bei dem
alten christlichen Glauben bleiben möchte, von Herrn Con-
rad Zärtlin in 76 Artikel verfaßt (Bamberg 152t.)« ^er
Gedanke, auf das ächtbiblische wesentliche Urchristen«
thum zurückzuführen , ist immer einer der wichtigsten und
sich von selbst empfehlenden. ( Di k kleine Schrift selbst ist hier ,
als fremde Arbeit, nicht aufgenommen und sehr selten. Auch
Ree. sah sie noch nicht.) Unter dem übrigen Vorrath ist der
Neu- Karsthans, ein Gespräch zwischen einem zum Reiter
gewordenen Bauer und Franz von Sickingen vortrefflich.
(Durch das viele Werben zu Lanzknechten, Knappen und
Heitern hatte die Bauerschaft endlich Fehde führen gelernt.)
Irrt II ec. nicht sehr, so ist Plan und Ausführung im Karst-
bans viel geordneter, der Ton, so tief eindringend er ist,
viel ruhiger, als in irgend einer Schrift Huttens. Mag es
immer , wie Ree. hieraus schliefsen muis, nicht von Hutten
»eyn. Es ist seiner Stelle und Erneuerung sehr werth. Hr.
M, sieht darin einen früheren Plan von Verbindung des Adels
mit der Bauerschaft, um rechtlicheVe Freiheiten zu erhalten,
ohne dun nachmaligen tollen Mordbrennertumult (S. 453.)»
welcher entstund, als die Bauerschaft, nur durch Knappen -
und Retterdienste an Waffen gewöhnt, ohne Leiter oder viel-
mehr duir.ch mystische Schwärmer verleitet, allein losbrach«
Ueber jener Zeit Sitten und Noth finden sich hier (S. 504.
505. ff.) seltene Winke. Frana v. S. hoffte S. 471, „Kaiser
» •
Mr. de Hutten Opera ed. Müuch. 31
i
Karl sollte anheben, und dann wollten sie alle dazu dienen",
ja wohli wenn es dem jungen Spanier nicht um ahsolütea
Herrschen über Alles zu thun gewesen wäre. (S. 452. ist:
130 Artikel, statt 30, ein Druckfehler.)
Mit Vergnügen knüpft sich hier die Erwartung an, bald
auch über Franz v. Sickingen durch Hrn. M. eine schöne
Sammlung von Thatsachen und Aufschlüssen zu erhalten.
Ueberhaupt ist Hrn. Prof. Münchs literarische Thätig«
keit ausgezeichnet. Aufser der Kedaction seines h ist o ri-
achen Museums, wo mehrere, eigene Aufsätze von ihm,
wieder, auch besonders abgedruckte Bei trag zur
Literatur und Kritik der Quellen des kanonischen Rechts und
der Kirchengeschicbte: Ueber die Schenkung Con-
stantins (Freiburg 1824. 102 S. in 8.) — in würdiger Ge-
sellschaft erscheinen , haben wir vor uns
Die 'Heerzüge des christlichen Europa wider
die Osmanen vom ersten Erscheinen der Osmanenmacht
bis zum Aufstand des Hellenenvolks 1Ü21. I. IL HI. Th.
Basel, bei Schweighäuser. 1822 und i823. 220. 263. u.
300 S. in 8,
Daran schliefst sich an, als Fortsetzung, oder auch als trenn,
bares Werk : ,
Geschichte des Aufstandes der Hellenischen
Nation von der Ermordung des Patriarchen
... bis auf unsre Tage. Nach den zuverlässigsten Be-
richten geschildert. I. Th. Die Begebenheiten des J.
182t. Basel, h. Schweighäuser. J825. 271 S. in 8. Der
II. Th. Die Begebenheiten der J. 1822. 23. und 24. ist
so eben erschienen , und wird mit der Jahrzahl 1826 ab-
gegeben. 329 S. in 8. Mit einer Zueignung an den Vi-
comte Chateaubriand, als Philbellenun und Vf. einer
Heise nach Griechenland u. s. w.
Des Vfs. Erzählungston ist kurz, klar und belebt. Im Inhalt
waltet Forschung nach den besten Quellen und die Idealität
eines Freundes aufhellender Geistesbildung. Die Dedication
scheint in einer fast verzweifelnden Stunde entworfen. MDer
wiedergebornen Hellas Tod ist der Tod des moralischen Cre-
dits unsers WelttbeUs. Den Griechen seihst aber befreit da-
durch das Schicksal von der Gemeinschaft mit Zeitgenossen,
die an Selbstentehrung alle übrige Geschlechtalter übertreffen
haben." — „Wenn im Falle des Untergangs die Frage ergeht 2
Durch wen sind die christlichen Griechen gefallen; so wird
die Geschichte einblutrutbes Blatt enthüllen , darauf die Wort« :
Durch Christen!"
«
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32 Manheim Amatoriae Narradooes ed. Passotv.
Lasset uns vielmehr das Bessere hoffen , und nicht nur
hoffen, sondern dafür jederzeit und in allen Beziehungen thun,
was die Pflicht zum Recht macht*
6. Dec. 1825* ' Dr, Paulus.
- ■■ — —
Parthenii&icattensis Amatoriae N arr atio rie s. Ad fidem
cod icis Pulatini recensuit Franciscus P as sow» Accesserunt
Diogenis A ntonii et J amb licht Excerpta, (Auch unter
dem Titel : Corpus Script omni Eroticorum Graecorum. Edidit Frm
Pafsow. Vol. /.) Lipsiae , sumtibus et typis B. G. Teubneri,
MDCCCXXIV. in Comm. C. H. F. Hartmanni. IV «. 84 & 8.
ord. Pap. & Gn gut Pap. 14 Gr.
Diese Ausgabe des Parttienius als etster Band des Cor»
•pus Scriptorum Eroticorum Graecorum bildet eigentlich einen Theil
der Auswahl Griechischer Autoren , welche bei dem thätigen
Buchdrucker T e u b n e r in Leipzig erscheinen, und die dem
Publicum aus einigen von den Gebrüdern D i n d o rf besorgten
Ausgaben bekannt sind. Homer, Xenophon, Thucy<*
dides und Aeschines sind auf diese Weise bereits erschie-
nen , und die anderen wichtigeren Griechischen Autoren sollen
alsbald durch den dafür thätigen Verein gelehrter Männer nach-
folgen. Es zeichnen sich die genannten Ausgaben durch netten
Druck, sauberes Papier, frische Lettern, die das Auge nicht
so sehr beleidigen und doch dabei an Raum ersparen, insbe-
sondere aber durch grofse Correctheit aus, was wir leider von
manchen der in den letzten Jahren erschienenen Tauchnizischen
Handausgaben nicht rühmen können, So wichtig dies doch ist$
und so sehr dies auch von solchen Ausgaben billigerweise ihres
Gebrauches auf Schulen willen gefordert werden kann. Rechnet
faian dazu den billigen Preis, den der Herausgeber dafür an-
geseszt hat, so wird man kein Bedenken finden, diese Aus-
gaben namentlich dem Gebrauch auf Schulen anzm mptehlen ,
wo besonders ein kritisch gereinigter , aber duch von Drück- -
fehlem gesäuberter Text vonnöthen ist. Beides aber liefern
sicher die oben genannten Ausgaben, wenn auch gleich diö
kurzen beigefügten kritischen Bemerkungen nicht von dem
Umfange sind , als die vorliegender Ausgabe des Paitheniuf
von Hrn. Passow beigefügten; von welcher Ausgabe wir
zunächst einen kurzen. Bericht unsern Lesern erstatten
Worten*
(Der Beschlujs folgt»)
/ •
m * ,
i
i
< • * Digitized by Google
N- 3# " 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
fartlienii Amatoriac Narrationes ed. Franc. Passow.
(Bfschluf *0
Was zunächst den Plan dieser Gesammtausgabe der Grie-
chischen Erotiker betrifft, und die Folge, in welcher die ein-
zelnen Theile dieser Sammlung nach einander erscheinen sol-
len, so. ist auch hier derselbe allgemeine Gesichtspunkt fest-
zuhaken , wo mach die übrigen bei Hrn. Teubner erschienenen
Ausgaben gearbeitet worden sind, d. h. einen reinen., fehler*
freien, mit kritischen Anmerkungen versehenen Text, der
durch angenehmes Aeufsere eben so sehr, wie durch billigen
treis sich empfehle, zu liefern. In Absicht auf die Folge hat
der Herausgeber mit Recht die chronologische vorgezogen,
so dafs die einzelnen Griechischen Erotiker nicht in der Ord-
nung aufeinander folgen, die etwa ihr Umfang oder ihr In-
halt oder ihr innerer Gehalt ihnen anweisen würde, sondern,
in derjenigen > die ihnen der Zeit nach zukömmt.; So erhalten
wir hier zuerst die Erotica des Parthenius, des bekannten
Lehrers des Virgil! US , welche, wenn sie auch in ihrem Ur-
sprünge nur zur Mittheilung' an den Freund, und nicht für
die Nachwelt bestimmt waren, doch durch mannigfache Eru-
dition und e.ine angenehme, nicht zu sehr ins Breite gehende
oder gedehnte Erzählungsweise sich empfehlen.. Auf Par-
thenius soll zunächst folgen Xenopbon Ephesi us, dann
Liongus, rleliodorus, .Achilles.. Tat. Iiis, Charit 6,
A 1c i p h r o , Ar is taenetus mit den Briefen des Aelianus,
und, wo möglich, auch noch die späteren: Eumathius,
Xheodorus, Prodromus, Nicetas Eugenianus,
Constantinus Manasse. Fast alle die genannten Eroti-
ker waren so glücklich, gelehrte Bearbeiter zu finden* die
.uns in Absicht; auf Reinheit des Textes, wie auf Erklärung
desselben, in sachlicher wie sprachlicher Hinsicht weniger xu
"Wünschen übrig gelassen haben. Von Parthenius konnten
wir dies bisher nicht rühmen; wie einem Jeden leicht ein-
tflX. Jahrg. I.Heft. ' $,
I
34 Parthenii Amatoriac Narrationcs ed. Passow; ^
leuchtet, wenn er nur einen Blick in die wenigen, in dieser
Rücksicht nur einigermafsen bedeutenden Ausgaben dieses
Autors wirft, von welchen alle die anderen blofse , durch
Druckfehler mehr oder minder entstellte Abdrücke sind. Um
so mehr dürfen wir uns freuen , dafs die kritische Bearbeitung i
dieses Autors in die Hände eines so scharfsinnigen Kritikers
und feinen Kenners der Griechischen Sprache gerathen ist,
von dessen glücklichen Verbesserungen mau wohl auf jeder
Seite die Proben leicht entdeckt. Unter seinen Vorgängern
bat eigentlich blos Bast für den P-arthenius etwas geleistet;
seine Collation des in der Editio princeps von Cornarius
(Basel I53l) noch fehlervollen , nachher von Thomas 6a le
(Paris 1675) einigermafsen j und eben so nach langem Zwi-
schenraum von Liegrand (Göttingen 1798) in Etwas gebes-
serten Textes mit der damals nach Paris gewanderten, jetzt
in seine ursprüngliche Heimath wieder zurückgekehrten Pfäl-
zischen Handschrift, muthmafslich aus dem zehnten Jahrhun-
dert (so wie diese Collation mit Kast's eigenen Anmerkungen
in seiher bekannten Lettre criticfue abgedruckt ist) , hat da*
her Hr. Passow mit Recht zu Grunde dieser Ausgabe gelegt,
die ihm seiher jedoch vielfache Verbesserungen und Bereiche-
rungen verdankt. Aufserdem benutzte er einige handschrift-
liche Bemerkungen von J. G. Schneider an dein Rande eines
Exemplars der Göttinger Ausgabe beigeschrieben. Das Wich-
tigere davon erwähnte Hr. Passow in dieser Ausgabe, So
folgt nun der Correcte Abdruck des Textes in der oben be-
schriebenen Weise von S. 1 — 28. und dazu die Annota.no crt-
tica von S. 49 — 75. in engem 9 aber doch lesbarem, die Außen
minder angreifendem Drucke. Man wird in ihnen denselben
kritischen Takt, dieselbe feine Kennerschaft der Griechischen
Sprache entdecken, die der Herausgeber in anderen Werken
sattsam bewährt hat, und wir könnten in so fern überhoben
seyn, die einzelnen Belege dafür durch Aushebung der Stellen
und Darlegung der kritischen Fälle beizubringen, was ohne-
bin leicht die Gränzen des uns hier gesteckten Raumes über-
schreiten würde. Doch dürfte es dienlich seyn , auch auf ein-
zelne grammatische und sprachliche Bemerkungen aufmerksam
zu machen, die dem Herausgeber gelegentlich sich darboten.
Hier sowohl, wie in den rein kritischen Bemerkungen , bat
sich derselbe Überall einer gedrängten Kürze beflissen , wie
solches überhaupt in dem Plane dieser Ausgaben liegt; jedocu
so, dafs selbst eine kurze erklärende Bemerkung nicht' ausge-
schlossen blieb. Auch sind an jeder Stelle die abweichenden
Lesarten der oben bemerkten Ausgaben genau angeführt. Rtf *
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Parthenii Awatoilue Narraliones ed. Passow. 35
hebt nur Einiges davon aus. Cap. I. wird ixaarZjtu;
wju; a kkovf koSmkiv mit Recht vertheidigt durch Hinvveisiing
auf den Gebrauch von aXXog, der schon in Homerischen Stellen
begründet erscheint, und selbst bei den Römern nachgebildet
Wurden ist : eben so gleich darauf das nach der Präposition a'v
eingeschobene & in iv bi ujts7; Aü^kov. I §. 4« schreibt der
Herausgeber nach dem Zeugnifs der Griechischen Grammatiker
eben so mit Recht : a-we^yh; statt des gewöhnlichen cjvs^yo;*
III, 3« ou fxird tcoXuv xfovov *i Toi» äirugyjiffStat f eine gewifs un-
gewöhnliche, auffallende Construction , die durch das von
Hrn. Passow vorgeschlagene air«<£ya<r$>j mit Leichtigkeit ge-
hoben wird. — IV, 3. billigen wir es sehr, dals Hr. P.
gegen Jakobs unverändert gelassen ©ircu; — ctxtajrd/ ra crjrif
Y.ui — icit^tT^rai» Glücklicherweise ist man jetzt von der Sucht,
den Conjunctiv in allen diesen und ähnlichen Stellen nach des
Dawesius Kanon in das Futur zu verwandeln, ziemlich zurück-
bekommen , wei 1 do ch zuletzt des Verbesserns kein Ende
gewesen, und die Autorität der besten Handschriften gänz-
lich bei Seite hätte gesetzt werden müssen. V, 2» o/opsvog
gcLtrra d^aXXa^acrBat t>j; veo-ou ist wieder als ursprüngliche Lesart
hergestellt, welche die Herausgeber ail3 Unkunde des Spräch-
gebrauchs in ein dira>X<i^aff^ut verwandelt hatten. Eben so V,
3. hti Su^cüv, von Legiand unnöthig in twv Bu^v verwan-
delt; jenes beweist der Vörf. mit einigen Beispielen, deren
sieb noch andere ausXenophon nachweisen lassen. V, 3. fin.
ixy] TcpcstSo'fxsvG; o;rt; jJv schreibt Hr. Passow: 'xgotfo'psvof nach
XV, 4« «V auT>Jv icvfa o'ficfJAVij . Für die ältere Lesart (ob-
gleich diese Form nirgends , Weder bei lYTatthiä noch sonst
angeführt wird) spricht dagegen üV«5o/x£vo; *n ähnlicher Bedeu-
tung bei Plutarch. Flamin. XL. init. und x^oaiSo/xevo; bei Theo-
phrast. Charact. XXII, 2. Eben so wird im Lex. Polybianum
pag. 627. angeführt uxs/S^Sa/ ; um des Homerischen s!8ofxsvog
nicht zu gedenken. Oder sollte man in diesen Stellen überall
ändern? Ref. findet dies doch etwas bedenklich, zumal da
die Handschriften überall die Vulgata bestätigen. VI, 2. mit
Recht 8ir/AfiAo/xfi/ , das Legrand aus Unkunde in ein ixaXsXoivti
verwandelt hatte. XIV, 7. s. die Bemerkung über den Ge-
brauch von B%XXuj und SaAAn'cu» XVII, 3. über Xtyatv. Cap.
XXIII. hat der Herausgeber icsft XaiXwv iüoq und itachher Xat»
Atuv/3a belassen. In der Parallelstelle bei Plutarch» Vit. Pyrrb.
XXVI. XXVII. und XXVIII. steht in den Ausgaben von Corai
und Schäfer jetzt das richtige XeAi5ov/5a, so wie der vom
Herausgeber auch angeführte Toup ad Schol. Theocrit. IV, 12.
Lereitt verbesserte. XXUI , 3, nai aAAs; hi ouk affo-nopews t*T;
3 *
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56 Parthenii Aimtorine Narrationci ed. Fussow.
* • • • • • » ,
Aa*riatnc>M'ot; »JSstf/v, schrieben Gale und Legrand &«tu>* sö
wie z. B. bei Plutarch Pyrrh, XXVI. foga$jy90jtfyMf' tc7s Aanu;-
9t*o7t; 'däafftv* wo auch die Worte: J &i Kktwvjfxof jv /**v 7*vcu;
ßoffthvLoZy SohcüV 5t ßicuos klvat %al /movee^fHo;, out ti'v»<av,
Our« tet&Ttv «ivjv — für cjx a£WKOfx*vs; ro7; Aäk «5a/uov/ 015.
zu sprechen scheinen. Hr. PassOw setzt auch deshalb
hinzu : quod Jor Lasse teeipere debebam : % B>j si servamus sunt sedts
consüetao ex asu Üomerieo. Letztere Bedeutung halten wir
hierfür minder passend, obgleich wir wissen , dafs der ur-
sprünglich Jonische Gebrauch von in diesem Sinne selbst
bie und da bei Attischen Prosaikern, z. B. bei Aristoteles und
PhiloStratus, vorkomme (s. G. J. Bekker Specimen in Philo-
Strat. Vit. Apbllon. Heidelbergae MDCCCXV1II. p. 30. 3i )*
Allein eben so kommt doch hinwiederum auch in dein
Sinne von populi mores, instituta civilia , vor j wie die Von Bek-
ker a. a. O. p. 12. angeführten Stellen beweisen * wodurch die
Von Hrn; Passow beibehaltene Vulgata aber in dem zuletzt bei
merkten Sinne vollkommen gerechtfertigt wird. Cap. XXIV.
erhalten wir eine schätzbare Bemerkung über den Gebrauch
des zweiten Aorists vom Verbum ayyd\\,tv im Activ , wie im
Passiv , den man bisher blos auf die Schriftsteller des Augu-
steischen und des späteren Zeitalters eingeschränkt wissen
wollte, während derselbe Schon früher bei fierodotus und
Euripides, dagegen bei den filteren Attischen Prosaikern nicht
vorkommt, und erst in dem Zeitalter nach Xenophon häufiger
xu werden anfängt. Doch zei^t sich auch hier durch eine Ver-
gleichüng der verschiedenen Stellen, dafs der zweite Aorist
im Activ ungleich seltener ist,' als der im Passiv* und aufser
dem tndicativ nur im Conjunctiv, und selbst dann nur in der
zvreiten und dritten Person Singülaris und in der dritten Pla-
ralis vorkomme. Eben so ist XXIII. die Lesart der Hand-
schriftenwiederhergestellt! «ut»;v airä yj pavSai, und aus
dem Gebrauche des Wortes y^a<r^at9 dare in matrimonium sc.
ee odet suos % erklärt: de genitore < qui filiam iuam sibimet ipsi ,
^ outw, matrimonio est juncturus\ wie Iliad. IX, 394«
Angehängt sind dem Parthenius noch dieExcerpte, wel-
che bei Photius Cod. XCIV und CLXVI Bibliothec. aus den
erotischen Werken des Antonius Diogenes und Jam-
b Ii chus sich Finden. S. 2$. Avtwv,Vj Aioyevo»;
dieiarwv Xoyot 3 nai x und 'ia/^X/^ou ^ajocar/Hcv; auf gleiche Weise
wie Parthenius mit kritischen Anmerkungen begleitet, worin
die zahlreichen Verbesserungen nachgewiesen sind, die der
Herausgeber gemacht hat. Doch erklärt derselbe in der Vor-
rede , dafs er die meisten dieser Verbesserungen der haupt-
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Geier, Charakteristik des Handelf, 37
s
sächlich nach einer Venetianer Handschrift verbesserten, vpuj
Prof. tm. Bekker besorgten Ausgabe des Photius verdanke,
wovon ihm die einzelnen Bliitter zeitig peinig noch mitgetbeilt
wurden (vergl. unsere Anzeige dieses rbotiuY in diesen Blat-
tern 1825. No. 6 ). Dem Jamblicbus fugte Ifr, Passow auch
noch fii« bei Suidas erhaltenen Fragmente bei, weil (^har-
rt o n de la Roche tte's Sammlung derselben nicht Alles tim-
fdfste, und selbst dem, was sie enthält, nicht immer die
rechte Stelle vom Herausgeber angewiesen wqrden ist; was
freilich bei einem verloren gegangenen Werke keine geringen
Schwierigkeiten bat, wenn aucb schon die Hoffnung einer Wie«
derauffindunß wenigstens noch nicht ganz entschwunden ist,
D» Ph. Geier9 Prof. der Cameralwissenschaft zu PJ^ürzburg , V§r~
such einer Charakteristik des Handels , oder ; Darstellung der
herrschenden Ansichten von der Natur des Handelt und von den
zweckmäfsigsten Mitteln zu seiner Belebung, WUrzburg , Etlittr
ger. 1825. 234 S. 8. 1 fl. 30 kr.
Der durch mehrere Schriften vortheilbaft bekannte Verf.
giebt uns in dieser gut geschriebenen, sowohl von ausgebrei-
teter Belesenheit , als von genauer Kenntnifs des Gegenstan-
des und selbststUndigem Denken zeugenden Schrift eine Ent-
Wicklung der Natur des Handels, wobei er dieses, für die
Gesellschaft vielfach wichtige Gewerbe von drei Seiten be-
trachtet, 1)* in Seinem Yerhältniis „zur gesammten Mensch-
heit im Staatsvereine«, 2) nach seinem Verbältnifs zu dem
Kaufmanne, 3) im Verbältnifs zur Regierung. — Das Zu-
sammenfassen dieser verschiedenen Gesichtspuncte, des pri-
vat- und staatswirth&chaftlichen , so wie des allgemein-staats-
wissenschaftlichen, ist ohne Zweifel verdienstlich, und ge-
währt eine Vollständigkeit, welche Jedem, der nur von der
einen oder anderen Seite sich mit dem Handel bekannt ge-
macht bat, den Weg zur gründlicheren Beurtheilung bahnen
mufs. Es ist gut , wenn der, Staatsmann die Bestrebungen
und die. Einsicht des Kaufmanns achten lernt; aber nicht min-
der nützlich ist es, wenn der letztere belehrt wirö^ über dio
Bedeutung seines Geschäftes in det Gesamintheit menschlicher
Thätigkeiten,. Hec. würde übrigens die zweite Abtheilung
lieber zur ersten gemacht haben, indem bei dem Gewerbe
die Ansicht desjenigen, der dasselbe des Gewinnes willen be-
treibt , da» Nächste i%% , wovon man dann erst tur Betrach-
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38 Geier, Charakteristik des Handels.
tung der höheren Beziehungen übergehen Jcann ; er würde fer-
ner die dritte Abtheilung als den praktischen Tlieil bezeichnet
haben , da er die Anwendung derjenigen Sätze enthält, welche
die Stellung des Handels im Organismus der Gesellschaft er-
örtern.
Folgen wir dem Gange, des Verf., so finden wir in dem
ersten Abschnitt der ersten Abtheilung zunächst die wirt-
schaftliche Beziehung des Handels zur Menschheit dargestellt;
mit den ersten Fortscbritten der Kunst in den Arbeiten der
Völker entsteht der Tausch, der sodann durch die Einführung
eines allgemeinen Tauschmittels, des Geldes, und das Auftre-
ten eines, ausschliefslich der Besorgung der Tauschgeschäfte
sich widmenden Standes um Vieles erleichtert wird. Ree.
stimmt darin ganz mit dem Verf. überein, dafs das Wesen
des Handels als Gewerbes gerade in dieser Absonderung des
Tauschgeschäftes gesucht werden mufs, wodurch dasselbe einen
eigentümlichen Zweck, nämlich den Gewinn beim Tausche,
erhält; nur ist nicht zu übersehen, dafs man, da einzelne
Tauschgeschäfte für andere Zwecke, und zwar für den Absatz
der Erzeugnisse oder die Erlangung des Bedarfes, von allen
Bürgern getrieben werden, in objectivem Sinne, wenn man
blos auf die durch Tauscji in Umlauf befindlichen Güter re-
flektirt, unter dem Handel auch die Gesammtheit der Tausch-
geschäfte versteht. So spricht man vom Wollen- und Getreide-
handel, ohne dabei blos an die Unternehmungen der eigentT
liehen Wollen - und Getreidehändler zu denken, und in gleichem
Sinne berechnet der Statistiker den Umfang des Handels , ohne
dabei zu unterscheiden , welche Gütermassen von den Kauf-
leuten und welche dagegen blos in dem unmittelbaren Verkehre
der Zehrer und Erzenger umgesetzt worden Seyen ; vielleicht
könnte man, um diesen Doppelsinn zu vermeiden, den/wei-
teren , objectiven Begriff mit dem Ausdruck Tau sch ve r kehr
bezeichnen. — Bei der Auseinandersetzung der Vortheile,
welche der Handel dem Wohlstande der Völker leistet, kann,
Ree. der Kürze willen nur bei einer Stelle verweilen : »Der
inländische Handel beschäftigt, wie jeder andere, zwei Ca-,
pitale, welche aber Iioide dem Inlande zu gut kommen« 'S, 30.
Hi«bei ist zu bemerken, dafs nicht gerade jeder einzelne Kauf-
mann immer zwei Waaren für einander giebt und empfängt,
sondern nicht selten Handelsunternehmungen sich auf eine ein-
zige Waare beschränken, die man mit Geld einkauft und für
Geld wieder bingiebt, so dafs man nur im Allgemeinen sagen
kann, die im inländischen Handel angelegten Capitale beschäf-
tigen wenigstens doppelt so viele Capitale der inländischen
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Geier , Charakteristik dei Handels, 39
Erd- und Gewericsarbeit, aU im ausländischen. Es giebt so«
gar Handelszweige, nur keine beträchtlichen, die unmittelbar
gar nicht auf die Production wirken, und mithin keine Capi-
tale inThätigkeit setzen, z.B. der Handel mit schon gebrauch-
ten Kleidern, Geräthen, Büchern. — Der Verf. kommtauf,
die vielbesprochene Frage, ob der Handel productiv sey,
und entscheidet sich für die bejahende Antwort , indem er den
von Graf Burruoy^ Murhard und dem Ree. aufgestellten
Gründen beipflichtet; Unter*, bezieht sich hiebei auf das ,
was er au einer anderen Stelle in diesen Jahrbüchern ausge-
sprochen hat (1823. No. 64«) t un^ billigt es, dafs der Verf.
die ganze Frage für minder wichtig erklärt , als sie bisweilen
genommen worden ist. Im zweiten Abschnitt kommt der Ein«
flufs des Handels auf allseitige Entwicklung der Menschheit in
Erwägung ; mit Recht wird er als Culturmittel geschildert , und
gegen die Vorwürfe, die ihm bisweilen gemacht worden sind,
in Schutz genommen, ohschon bei manchen der ihm von dem
Verf. zugeschriebenen Wirkungen andere miteingreifende Ur-
sachen etwas zu wenig gewürdigt seyn möchten. Was die
alte Klage über den in kalte Selbstsucht ausgearteten Handels«
feist betrifft, so würde bei der Bemerkung des Verf. , man
ürfe das mercantilische Suhject sammt seinen Irrthttmern und
Leidenschaften nicht mit dem Handel seihst verwechseln, immer
noch der Einwand übrig Meinen , der Handel habe so oft eine
solche Wirkung hervorgebracht, dafs man dieselbe wohl als
in seinem Wesen liegend betrachten dürfe; man mufs aber
kleine, ganz auf den Handel gewendete Staaten von den grösse-
ren unterscheiden, in denen es vielerlei Interessen giebt, und
die genaue Durchdringung verschiedener Meinungen, Grund-
sätze und Gefühle das Hervortreten eines so starren Egoismus
der Handelnden verhindert. — Die zweite Abtheilung zeigt,
was zum Betriebe des Handels erforderlich sey, nämlich ver-
schiedene Capttale und persönliche Eigenschaften des Kauf-
manns; sie vergleicht sodann die Vortheile und Nachtheile
des Handels für den , der ihn als Gewerbe treibt, mit einan-
der. — Dritte Abtheilung. Verhältnifs des Handels zur Re-
gierung, und zwar l) in Ansehung der Finanzen. Da der
£>elbstbetrieb von Handelsgeschäften auf Rechnung des Staates
durchaus verwerflich ist, so bleibt nur die Einnahme von
Zöllen übrig, welche der Verf., in so ferne sie mäfsig sind,
aus finanziellen Gründen in Schutz nimmt. 2) In Ansehung
der Vorsorge der Regierung für den Handel. Hier beschäftigt
sich der Verf. zuerst mit einer Darstellung und Widerlegung
desMercantilsystems, die, wie oft der Gegenstand auch schon
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40
Qeier, Charakteristik des Hancleli.
aur Sprache gekommen ist, doch ihr Verdienstliches hat, in- .
dem sie manche neue von den Anhängern jenes Systems ange-
führte Gründe berücksichtigt, und neue Gegengründe wider
sie aufführt. Die Aufhebuug aller Zölle wird für wünschens-
werth, und ihr Ersatz durch directe Steuern für leicht zu be-
werkstelligen erklärt ; , Ree. glaubt, dafs man, bei der Ab-
schaffung der Zölle, wofern nicht auch die inneren Consum-
tionsauflagen ganz umgeändert würden, nicht umhin könnte,
einen Theil der ersteren durch eine in der Form der letzteren «
zu erhebende Steuer za ersetzen, theils um, wenn inländische
Waaren derselben Art einer Accise unterliegen, die Erzeuger
derselben nicht gegen den ausländischen Producenten zu ver-
kürzen, theils um nicht auf eine Besteurung des Luxus zu
verzichten , die bei der unvermeidlichen Ungenauigkeit der
Einkommenssteuern nicht füglich zu enthehren ist. — Hier-
auf werden die Mafsregeln , welche zur Förderung des Handels
mit gutem Erfolge getrofFen werden, durchgegangen; sie be- .
ziehen sich 1) aut Freiheit des Handels, 2) auf Sicherheit des-
selben, 3) auf erleichternde und beschleunigende Anstalten.
Bei l) wird eifrig für die Freiheit des inneren und äufseren
Handels gestritten, womit im Ganzen Ree. einverstanden ist;
nur scheint 4 es ihm, als ob besondere Verhältnisse eines Lan-
des, die das plötzliche Abgehen von einem lange Zeit betre-
tenen Wege uniäthlich machen können, mehr Berücksichtigung
verdient hätten. Unter 3) werden auch die Gründe für und
wider die Messen abgehandelt, woraus der Ver£ das Ergebnils
zieht , es wäre thöricht, neue Messen stiften zu wollen , die
vorhandenen aber solle man nicht stören, sondern fortdauernd
3*egün$tigen , und es der Zeit überlassen , ob sie von selbst
aufhören. Hiebei hätte aus Vincens der gänzliche Verfall
der ehedem berühmten Messe von Novi. der Untergang der
vier Lyoner Messen und das Sinken der Messe von Beaucaire
angeführt werden können; jene Regel aber ist vollkommen
zu billigen." Märkte für besondere Arten von Waaren, z, B.
Seiden-^ Wollen-, Pferde-Märkte u. S. w., dürfen mit den
eigentlichen Messen nicht vermengt werden, indem sie weit
weniger gegen sich haben, als diese; England bat keine Mes-
sen , aber viele solche Märkte.
I * « % I | » M V. . »
K.
H. Rau.
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I
I
\
Scliwerx Anleitung zum praktischen Ackerbau. 41
Anleitung zum vr ak tischen Ackerbau, von Johann Ne~
vomuck von Schwerz^ Director der KÖn. fViirtembergisch'fn
Versuchs - und Unterrichtsanstalt f ür den Landhau. Erster Band
mit 1 5 lithogräphirten Tafeln. Stuttgart und Tili i gen , bei Cotta.
1823. XXII u. 578 S. • • 5 A.
Von dem berühmten Verf. der Ökonomisch - statistischen
Werke über-die Landwirtschaft in Belgien, in der Pfalz und
im Elsafs, von demDirector einer landwirtschaftlichen Lehr-
anstalt , einer Versuchs- und Musterwirtbschaft, durfte man
wohl etwas Gediegenes erwarten, wenn er es einmal für ge-
raten halten sollte, sich über das Ganse des Ackerbaues zu
verbreiten. Diese Erwartung ist in dem vorliegenden Werke
nicht unbefriedigt geblieben , und der Leser wird um so mehr
angezogen, je gründlicher er das Buch studirt. Es verdient,
wenn die folgenden Theile dem ersten gleichen, eine ausge-
zeichnete Stelle in der teutschen landwirtschaftlichen Lite-
ratur, wie sich aus nachstehenden Bemerkungen, durch
welche wirblos den Inhalt kurz darzulegen suchen, ergehen
wird.
Erste Abtheilung. Clima und Boden. In ge-
drängter, fafslicher Kürze rindet hier der Leser Alles, wor-
über er in andern landwirtschaftlichen Schriften Hunderte
von Seiten durchlaufen mufs. Die Bestandteile des Bodens
werden angegeben, die verschiedenen Bodenarten — Kalk-,
Thon-, Sand-, humoser Boden — werden charakterisirt ,
ohne dafs sich der* Verf. , wie so Viele thun, in das chemische
Detail verliert, was aufser den Gränzen wenigstens des prak-
tischen Ackerbaues, welchem dieses Werk gewidmet ist,
liegt. S. 39. schliefst er sich mit Recht an Burger an, und
meint, dafs es unnütz sey, die Classification des Bodens auf
die mechanische oder chemische Scheidung der Bestandteile
desselben zu gründen , dafs man vielmehr zuverlässiger ver-
fahre, wenn man der Einteilung des Bodens den sichtlich
gröfseren oder kleineren Zusammenhang , der sich beim Pflü-
gen und Eggen im halbtrocknen Zustande zeige, so wie sein©
wasserhaltende und anhängende Kraft zu Grunde lege.
Zweite Abthe.ilung. Düng mittel. Nach der
Aufstellung des Begriffes von Dünger überhaupt unterschei-
det der Verf. atmosphärische, animalische, vegetabilische,
vegetabilisch- animalische , flüssige, gemengte und minerali-
sche Düngmittel. Bei den atmosphärischen Düngmitteln wird
der wichtige Einflufs unseres Luftkreises auf die Vegetation
dargethan, und gezeigt, wie der Landwirt diese wohltätige
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42 Schwer« Aul«itung zum praktischen Ackerbau.
Einwirkung benutzen und zu seinem Vortheile leiten könne.
Zu der> animalischen Düngmitteln rechnet der Verf. alle thie-
rischen Abfälle aus der Hauswirthschaft, aus Schlachthäusern,
technischen Werkstätten n. s. w. Dazu gehören anch die
Knochen. Hier treffen wir aber auf Bemerkungen , mit wel-
chen wir nicht ganz einverstanden seyn können. Der Verf.
sagt nämlich einmal, dafs die Knochen durch die allmäblige
Zersetzung ihres Fettes und der Gallerte vermittelst des Kalk-
stoffes , den sie enthalten, eine ammoniakalische Seife bilden,
welche der wirksamste Theil des Düngers sey. Das andere-
mal aber, nachdem er bemerkt hat, dafs man in England die
Knochen erst aussiede, um das Fett zur Bereitung der Rad-
schmiere zu verwenden, ist er der Meinung, es lasse sich
von dem Gebrauche Her Knochen in diesem Zustande kaum
etwas mehr als vom Kalke erwarten, da solche ihrer Fetttbeile
beraubte Knochen kaum etwas mehr als Kalktheile enthalten.
Ref. erlaubt sich die Frage: Bleibt nach dem Aussieden des
Fettes nicht noch die Gallerte mit der Knochenerde verbunden?
Ist Hie Gallerte nicht in grofser Masse in den Knochen vor*
banden, und giebt sie bei ihrer Fäulnifs im Boden keine
Fflanzennabrung ? Ist die Kalkerde isolirt in den Knochen,
ist sie nicht mit Kohlensäure und Fhosphorsäure verbunden?
— Ueber die vegetabilischen Düngmittel, Unkraut, Rasen,
grüne Düngung, Stoppeln, Scheunenabfälle, Laub und Na-
deln, Wasserpflanzen, Torf und Schlamm, Abfälle aus tech-
nischen Werkstätten, Asche u. s. w. verbreitet sich der Verf.
sehr weitläufig, und liefert interessante Belege für seine Be-
hauptungen aus der belgischen Landwirtschaft, die er so
genau kennt. Eben so gründlich ist er bei den vegetabilisch-
animalischen Düngmitteln (die gröfstentheils aus dem soge-
nannten Stalldünger bestehen), und er widmet sogar einen
eigenen Abschnitt den Streumitteln, die den Dung auffassen,
und zum Theil selbst düngen. — Unter der Rubrik ^flüssige
Düngmittel« lehrt er dieBereitung der Gülle, welche bekannt-
lich in der Schweiz auf eine sefyr vollkommene Weise betrie-
ben wird, und im siebenten Abschnitt dieser zweiten Abthei-
lung zeigt er, wie die bisher genannten Düngeraiten behan-
delt und verwendet werden sollen. Die Bereitung des Com-
postes und die Einrichtung der Miststätte kommen hier zur
Sprache, und es werden mehrere Controversen beleuchtet,
über welche die landwirtschaftlichen Theoretiker und Prak-
tiker bisher noch nicht einig werden konnten, z. B. die Frage,
ob man den Mist im kurzen, verrotteten, oder im strohigen,
frischen Zustande auf das Feld schaffen solle. Der Vf. spricht
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I
♦
Schwert Anleitung zum praktischen Ackerbau. 43
sjch für die Meinung derjenigen aus, welche die Anwendung
des frischen Mistes vorziehen, und beruft sich auf die Be-
kannten Versuche von Gazzeri. Einverstanden mit der
hohen Wichtigkeit dieses Gegenstandes, glauht Ref. die frü-
her schon gemachte Bemerkuug wiederholen zu müssen, d.ils
die Gazzeri'schen Versuche nur im Lahoratorium angestellt
worden sind, und noch vieler Modjticationen bedürfen, um
im psaktisch -landwirtschaftlichen Betriehe Anwendung zu
finden. — Im achten, und letzten Anschnitte wird von den
rnineralischen oder erdigen Düngmitteln, vom Kalk, Mergel,
Gyps , den Salzabfällen und dem Erdefahren, wie es im Alten-
^urgischen üblich ist, gesprochen. Vom Gyps wird ange-
führt, dafs er wirklich nahte, denn sonst könnte seine Ein-
wirkung auf die Vegetation durch hlofses Uebei streuen der
Blätter nicht so;auffaJlend grols, seyn , dafs sie manchmal einer
vollständigen Düngung gleich komme. Diese nährende Eigen-
schaft scheine der Gyps vorzüglich seinem Gehalte an Schwe-
fel zu verdanken. Gleich im Anfange schreibt aber der Verf.
auch den andern mineralischen Düngmitteln nährende Eigen-
schaften zu. Er sagt, sie wirken nicht blos auflösend für die
organischen Düngmittel und anziehend für die atmosphärischen
Stoffe, sondern als nährend lagern sie einen Theil ihrer
eigenen Substanz im Organismus der Pflanzen ah, befördern
deren Zunahme, nnd tragen dadurch unmittelbar zur Vegeta-
tation hei. — Die letztere Behauptung , die m in neuerding*
auch in Chaptal's Agriculturchernie vorgetragen findet, ist der
neueren Pflanzenphysiologie nicht adätruat. Diese Bemerkung
kann übrigens Ref. nicht abhalten, diese ganze Düngerlehre
als eine sehr vollständige und gründliche Abhandlung anzu-
erkennen, der, wenn man Burger's Lehrbuch ausnimmt, in
der neuesten Literatur nicht leicht eine ähnliche an die Seite
gesetzt werden kann.
Dritte Abtheilung. Grasbau. Der Verf. würdigt
die Wiesen sehr richtig, gesteht die Notwendigkeit dersel-
ben in manchen Wirthscbaften eju, bemerkt aber, dafs gerade
in jenen Gegenden, wo der Ackerbau am höchsten gestiegen
sey, der Wieseubau nicht am vollkommensten betrieben wer«*
de, wie im Altenburgischen , in der Pfalz, im Elsafs, in Bel-
gien, Norfolk u. s. w. , und spricht dann als Grundsatz aus:
nicht mehr Wiesen, als durchaus nothwendig sind, aber diese
im vollkommensten Zustande! — Zur besseren Deutlichkeit
seiner Darstellung unterscheidet er natürliche und künst-
liche Wieden. Ohne sich in ein unfruchtbares botanische»
Detail *u verlieren, £iebt er die besten, so wie die schäd-
/ , '
9
r
i
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44 Schwerz Anleitung zum praktischen Ackerbau.
♦
liehen Wiesenpflanzen an, «eigt, wie die natürlichen
Wiesen unterhalten, die Ursachen ihres Verderbens wegge-
räumt, und wie sie andauernd verhessert werden können. Zu
den Verbesserungsmethoden rechnet er l) das Einimpfen,
2) das Erhöhen mooriger und versumpfter Stellen, 3) das
Verjüngen durch Erde-Auffflhren nach Pohl. Daran schliefst
sich an das Düngen der Wiesen, welches der Verf. nach den
wichtigsten dazu verwendeten Materialien beschreibt, und
selbst in dem Controversen Über die Entbehrlichkeit oder Un-
entbehrlichkeit, über den Werth oder Nachtheil desselben be-
leuchtet. Unter künstlichen Wiesen versteht er nicht
das, was die Franzosen praiiies artificielles nennen^ nämlich
Klee- Luzerne- und Esparsettefelder — also Futterfelder,
sondern eigentliche, mit Hülfe der Kunst geschaffene Gras-
läoder. Diese können vorkommen, wo die Gegend nicht so
viel natürlichen Graswtichs darbietet, dafs man im Stande
wäre, davon das für den Acker und sonstigen Bedarf nöthige
Futter zu erzielen, oder wo die Bodenart selbst ein zeitwei-
liges Eindreischen mit Gras verlangt, oder wo der Boden
sich besser lohnt, wenn man ihn periodisch dem Pfluge un-
terwirft, und wieder zu Gras niederlegt. Der Verf. stellt hier
die Regeln für ein solches Niederlegen — auf dem Wege der
Kunst — mit einer Präcision und Umsiebt auf, welche nichts
zu wünschen übrig läfst.
Die zwei letzten Hauptstücke dieser dritten Abtheilung
S. 409 — 560. enthalten die Lehre von der Wiesen w äs se-
ru ng, und sind im Grunde der am sorgfältigsten bearbeitete
Theil des ganzen Buches. Der Verf. erklärt sich deutlich
über den Werth der Wässerungs wiesen , und spricht sich da-
hin aus , dafs keine Benutzung des Bodens mit dem Pfluge,
von welcher Art sie auch seyn möge, auf die Dauer der Be-
nutzung der Wässerungswiesen die Waage halten könne. Er
erwähnt kurz der zufällig bewässerten Wiesen, die aber
den künstlich bewässerten in der Regel nachstehen , indem
das Wasser aueb zur Unzeit die Wiesenfläche bedecken kann,
und beschreibt weitläufig die Behandlung der künstlich be-
wässerten Wiesen, die er, wie man es überhaupt thun mufs,
in überrieselte und Überstauete unterscheidet. Er
geht so weit, die bei der Kunstwässerung nöthigen Werk-?,
zeuge genau zu beschreiben, und durch beigefügte Zeichnun-'
gen zu versinnlichen , und verbreitet sich besonders über die
urabenarbeit , selbst über die Handgriffe derselben; wodurch
die Darstellung in jeder Hinsicht gründlich und ibten Gegen-
stand erschöpfend geworden ist. Für die Grabenarbeit und
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Schwer* Anleitung zum praktischen Ackerbau.
45
die Bewässerung überhaupt mufs die Wiese die gehörig ab-
hängige Fläche haben, theils der Zuleitung, thtiJs des Ab-
flusses des Wassers wegen. Sie hat dieselbe aber entweder
schon von Natur aus, und dann kömmt es darauf an , sie ge-
hörig zu benutzen, und höchstens die natürliche Lage, wo es
sich leicht thun läfst, auf dem kürzesten Wege zu verbessern ;
oder man mufs sie erst zu diesem Zwecke künstlich herrich-
ten , im eigentlichen Sinne des Wortes bauen« Dies ist nun
der Punkt, wo, wie der Verf. selbst sagt, die Kunst sich über
das Handwerk erhebt, und wo der Verf. die Gelegenheit ge-
habt und benutzt hat, seine tiefen praktischen Kenntnisse im
Wiesenbau an den Tag zu legen. Bei den überrieselten Wie-
sen unterscheidet er den Hangbau, wo alle Wassergraben
in der Abdachung nach Einer Richtung hin ihren Abiluis ha«
ben , und den R ü ck e n b a u , wo die Wiesenfläche in mehrere
Beete, nach Art der Ackerbeete , gelegt ist. Das Wasser wird
über den Kücken derselben hingeJeitet, ergiefst sich über die
beiden Wände der Beete, und wird in den längs den Seiten
hinlaufenden Furchen wieder aufgefangen. — Auch die Ueber-
stauungswiesen lassen sich durch Bauen künstlich herstellen.
Der Bau mufs aber nach ihrer Natur so geleitet werden, dals
man. ihre ganze Fläche schnell unter Wasser setzen , eine be-
liebige Zeit bedeckt lassen , und nach Willkühr wieder trocken
legen kann. Die Regeln, welche der Verf. deshalb aufstellt,
sind mit sauberen und deutlichen Zeichnungen anf den Tafeln
belegt, und eben dadurch für die unmittelbare Anwendung im
Leben vorbereitet. ■
Wirft man einen Blick auf das Ganze zurück, so mufs
man dem Verf. Dank wissen , dafs er die Resultate seiner
vieljährigen Versuche und Beobachtungen über so wichtige
Theile des landwirtschaftlichen Betriebes dem Publikum mit-
getheilt hat. Sie bilden ein Repertorium nicht hlos für den
Verf. selbst "und ähnliche Lehrer — was übrigens, in seinem
Zwecke lag — , sondern auch für andere Landwitthe, welche
ihre Forschungen an die seinigen anknüpfen wollen. Beson-
ders lobenswerth ist aber die Art, wie er es gethan hat. Als
ein ächter, bescheidener Meister in seiner Kunst, hat er es
nicht verschmähet , auch die Verdienste anderer deutscher,
französischer und englischem Landwitthe zu würdigen und zu
ehren, und selbst interessante Stellen aus ihren Schriften in
seinen Vortrag zu verweben. Dieser hat dadurch eine Leb-
haftigkeit und Mannigfaltigkeit gewonnen, welche man in an-
deren Schriften dieses Faches, . deren Darstellung so leicht in
das Trockene fällt, vergebens sucht. Der Verf. hat sie noch
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46 Tliilo Sammlung geometrischer Aufgaben.
dadurch erhöhet, dafs er hie und da Bemerkungen mit einge-
streut hat, die zwar zur Darstellung der Sache nicht geradezu
nothwendig wären, die aber , indem sie die Phantasie in An-
spruch nehmen, dein Leser lebendigere Bilder vor Augen
stellen. Dies alles lüfst uns wünschen, dafs die folgenden
Bände, welche dem ersten nicht nachstehen werden, recht
bald in die Hände des landwirtschaftlichen Publikums ge-
langen mögen.
Sammlang geometrischer Aufgaben und Lehrsätze , mit synthetischen
Auflösungen und Beweisen , als JVlaterial des Unterrichts in der
Elementar- Geometrie 9 von Dr. Ludwig Thilo- ErsterBandy
enthaltend , als Einleitung , eine Abhandlung über geometrische
^Lehrsätze und Aufgaben überhaupt , und aus der Planimetrie die
■Aufgaben und Lehrsätze, welche die Congruenz und Gleichheit
der Figuren betreffen. Mit 8 Kupfertafeln, Frankfurt am Main9
bei Sauerländer. 1824>
Auch unter dem besonderen Titel:
Materialien für den Unterricht in der Elementar- Geometrie , von Dr.
Ludwig Thilo , Professor der Mathematik und Physik am
Gymnasium zu Frankfurt a. M. Erster Theil. Sammlung geo-
metrischer Aufgaben und Lehrsätze mit synthetischen Auflösungen
und Beweisen. Erster Band. 3 fl. 45 kr.
Zweiter Band , enthaltend aus der Planimetrie die Aufgaben und Lehr-
sätze , welche die Aehnlichkeit der Figuren und den Kreis be-
treffen.
Auch unter dem besonderen Titel :
Materialien u. s. w> Erster Theil , zweiter Band. Frankfurt am
Main 1825. 4 fl. 30 kr.
Es ist dem Hrn. Verf. zum Verdienste zu rechnen, dafs
er einen besonderen Werth auf das geometrische Studium
überhaupt , und die Construction geometrischer Aufgaben ins-
besondere, in den Schulen des Vaterlandes legt. Des Jüng-
lings mathematischer Sinn wird durch kein Studium so sehr
gebildet, als das geometrische, keine Disciplin reicht so
zweckmässige, den jugendlichen Geist so sehr ansprechende
Materialien dar, als die Geometrie, Und vieler Lehrer Dank
verdient der Hr. Verf. , dafs er aus dem reichen Schatze der
Schriften alter und neuer Zeit , welche er kannte, eine grofse
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J
Thilo Sammlung geometrischer Aufgaben 47
Menge von Lehrsätzen und Aufgaben, nach eigener Verarbei-
tung, ab Materialien für einen anregenden Unterricht in der
Elementar-Geometrie mittheilte.
Der erste Band beschränkt sich auf geometrische Aufga-
ben , welche die Congruenz und Gleichheit betreffen. In der
einleitenden Abhandlung erklärt sich der Verf. in zwei Ab»
schnitten, nach des Ree. Gefühl, mit zu vielen Worten, über
den Gegenstand der Sammlung und den Gebrauch derselben,
und eröffnet dieselbe mit einer Zusammenstellung des Weni-
gen, was man über Euclides als Lehrer weil'*, handelt darauf
von den verschiedenen Arten von Sätzen, welche in der Geo-
metrie vorkommen, und demjenigen, was nach dei Relation
von Proclus zu einem vollständig behandelten Satze nach dem
Begriffe der Alten gehört habe, und spricht sich zuletzt über
das Verhältnils des Lehrsatzes und der Aufgabe z*um Systeme
der Geometrie, und über die daraus sich ergebende Form für,
beide aus.
Auffallend ist es, dafs hier unter vielem wohl und gründ-
lich'Gedachten sich ein Irrthum eingeschlichen bat, welcher
den Hrn. Verf. zu vielen überflüssigen Worten und irrigen
Behauptungen veranlafste. Indem er nämlich aus Proclus als
die Bestandteile eines geometrischen Satzes aufführt die Pro-
position, die Exposition , die Determination, die Construction,
die Demonstration und die Conclusion, ist es ihm nicht ge-
Jungen, den richtigen Begriff der Determination aufzufassen.
Um zu erläutern , was unter Determination und den übrigen
Theilen eines Satzes zu verstehen sey, giebt er pag. 62. fol-
gendes Beispiel :
„Proposition. In jedem Dreieck liegt der grösseren Seite der
gröfsere Winkel gegenüber.
»Exposition. Das Dreieck sey ABC, welches die Seite AC
gröfser, als die AB habe.
„Determination. So sage ich, dafs auch der Winkel ABC grös-
ser, als der Winkel BCA ist.
„Construction, Denn da die AC gröfser, als die AB ist, so
werde der AB gleich die AD auf die AC gelegt, und die
BD gezogen.
„Demonstration. Da der Winkel ADB aufserhalb des Dreiecks
BDC ist , so ist er gröfser, als der innere gegenüberstehende
DCB. Es ist aber der ADB dem ABD gleich , da auch die
Seite AB der AD gleich ist. Also ist auch der ABDgröfser,
als der ACB. Also noch mehr der ABC gröfser, als der AGB.
„Conclusion. In jedem Dreieck liegt also der gröfseren Seite der
gröfsere Winkel gegenüber, Welches zu beweisen war,
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1
48 Thilo Sammlung geometrischer Aufgaben.
• ■
Abgesehen davon, dafs Ree in den Schriften der Alten
niemals etwas unter Construction aufgef ührt gefunden hat , was
oben unter dieser Rubrik steht , so ist der Begriff der Deter-
mination gänzlich verfehlt.
Die Determination ist nichts anderes, als die Bestim-
mung der Gränzen , innerhalb derer die gegebenen Stücke
einer Aufgabe sich halten müssen, damit sie möglich bleibe;
Hätte der Hr. Verf. die Schriften des Apollonius vonPerga, in
welchen er besonders von geometrischen Aufgaben handelt, ge-
lesen, z. J£. die de sectione determinata , de inclinationibus,
de sectione rationis , bearbeitet von Diestefweg, u. s. w. , so
würde er sich überzeugt haben , dafs nur jene Gränzbestitn-
mung den Begriff der Determination bildet. Dafs er dieses
nicht wufste, veranlafste ihn nun zu mancherlei irrigen Be-
hauptungen, z. B. für die Aufgaben lasse sich die Unterschei-
dung jener TheHe schwerlich durchführen (Ree. hält dafür,
siegelte, wo nicht ausschliefsend , wenigstens vorzugsweise
für die Aufgaben) , die Determination könne oft ganz weg»
bleiben (Ref. hält sie für etwas ganz wesentliches , und je Je
Aufgabe für höchst unvollkommen aufgelöst , in welcher sie
fehlt, wenn eine dazu gehört), sie lasse sich bei jeder Auf-
gabe leicht aussprechen (Ree. behauptet^ manche Aufgaben
haben gar keine, weil sie unter allen Umständen möglich
sind, bei denen aber, zu welchen eine solche gehört, ist sie
oft das allerschwerste). Auch streitet er von diesem Gesichts*
punkte aus ganz mit Unrecht gegen eine Behauptung Haubers ,
welcher sehr gut weifs, was unter Determination zu verstehen
ist, und dessen Chrestomathia geömetrica übrigens mit gebüh-
rendem Lobe. angeführt wird. Eben so veranlagst ihn jener
Irrthnm, bei den Aufgaben; welche nachher folgen, nach
dem Beweise, in einer Anmerkung von den Füllen zu sprechen,
in welchen die Aufgabe unmöglich wird; gerade als ob, wenn
in dem Beweise die Wirklichkeit der Auflösung dargthan
ist, nachher noch von der Möglichkeit zu sprechen wäre.
Die. Determination gehört noth wendig vor den Beweis. Nur
innerhalb der Gränzen , welche sie vorschreibt, hat der Beweis
seine ganze Kraft. Die Alten pflegten sie vor die Construction zu
stellen. Weil es oft sehr schwer ist, sie vor derselben zu finden,
und es in der Regel leichter ist, sie aus der Construction herzu«
leiten, so lassen sie die Neueren der Construction gewöhnlich
folgen, wenn sie dieselbe nicht wegen der Schwierigkeit ganz
weglassen, welches von vielen freilich ganz mit Unrecht ge-
schieht, namentlich in der oft belobten geometrischen Analysis
vön LesÜe, übersetzt von Grüson. mt
(Der Beschlufs folgt»)
-
\
\ ' • Digitized by Google
N. 4 ' 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Thilo Sammlung geometrischer Aufgabeil.
QBeschlufs.)
—
Was der Hr. Verf. p. tlt. Ober analytische und synthe-
tische Beweise sagt, befriediget Ree. nicht. Analytische
Beweise kennt in der Mathematik er nicht. Was die Alten
in der Geometrie Analysis nannten, war nur die Zurückfüh-
rung der Auflösung einer Aufgabe, oder des Beweises eines
Lehrsatzes auf die näher oder entfernter liegenden Bedingun-
gen, von welchen die Auflösung der Aufgabe, oder der Be-
weis des Lehrsatzes abhing. Es wurde dabei als wahr gefun-
den oder wahr angenommen, was erst gesucht oder bewiesen,
werden sollte. Die Analysis war also kein Beweis. Sie ist
nur eine Methode, welche zur Kenntnifs des Unbekannten
führen sollte. Die Alten hielten sie aber für etwas sehr wich-
tiges. Ihnen galt eine Aufgabe für aufgelöst, ein Beweis
eines Lehrsatzes für gefunden, wenn die Analysis gemacht
war. Und mit Recht. Sie ist auch* jetzt noch etwas sehr
wichtiges,. In so weit überhaupt eine Anleitung gegeben wer«
den kann, eine Aufgabe selbst aufzulösen, den Beweis eines
Lehrsatzes selbst zu finden, giebt sie dieSe Anleitung. Ree.
kann es deshalb auch nicht billigen, dals der Hr. Verf. schon
auf dem Titel nur Synthetisches Verfahren ankündigt, und die
Analysis der Aufgaben wegläfst. Sie gerade scheint ihm bei
Aufgaben das allerwichtigste, und lieber entbehrt er alles
übrige , als sie. Soll die Behandlung geometrischer Aufgaben
für den Schüler einen Werth haben, so ist es nicht genug,
dafs man ihm die Auflösung gebe, oder ihn, wie es unter den
Schülern Pestalozzis der lall war, sich selbst, und dem un-
geregeltesten Nachdenken und blindem Herumtappen t'iber*
lasse, sondern es wird erfordert, dals er an Beispielen gelehrt
werde , von demjenigen, was geleistet Werden soll, zu den
Bedingungen aufzusteigen, wovon das zu Leistende abhängt,
und das so weit zu verfolgen* bis er auf bekannte Sätze ge-
XIX. Jahrg. i. Heft. 4
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00 Thilo, Sammlung geometrischer Aufgaben.
kommen ist. Solche Uehung gewahrt die geometrische Ana-
lysis. Ihre Anwendung kann darum nicht genug eingeschärft
werden , und nichts ist hei Behandlung geometrischer Aufgaben
in der Schule dem analytischen Gange zu vergleichen.
Was der Hr. Verf. am Ende der langen und wortreichen
Einleitung über die Wichtigkeit schrittlich- mathematischer
Arbeiten der Schüler sagt, wie dieselben Einsicht in das We-
sen der Begründung einer mathematischen Wahrheit, Uebung
im gründlichen und methodischen Denken gewähien, wie sie
ein« zweckmässige Wiederholung der Hauptsätze herbeifüh-
ren, dem Lehrer eine genaue Controlle über die, Fortschritte
der sämmtlichen Schüler einer Classe gestatten; was er über
die vielseitige Anwendbarkeit einer Sammlung von Aufgaben
und Lehrsätzen, wie er sie zu geben beabsichtigt, als Mate-
riale für den Unterricht hinzufügt, wie sie dem Lehrer Stoff
2ur Anwendung der Hauptsätze auf Begründung anderer Wahr-
heiten, Stoff zu socrati^irenden Vorträgen und heuristischen
Üebungen darbieten, findet Ree. sehr lesenswert!), mufs es
aber auch hier tadeln, dafs er bei den heuristischen Uebungen
des analytischen Weges nicht gedenkt, welcher der einzige
empfehlenswerthe ist.
In der Sammlung selbst hatte Ree. nur solche Lehrsätze
und Aufgäben erwartet, welche über den gewöhnlichen Schul*
Vortrag des ersten geometrischen Curses hinausreichen. Es
findet sich aber eine grofse Menge der allereinfachsten und in
jedem geometrischen Leitfaden gewifs vorkommenden Sätze,
wie folgende: der äufsere Winkrl eines Dreiecks ist gröfser,
als jeder innere, nicht an ihm liegende, die Winkel an der
Grundlinie eines gleichschenkligen Dreiecks sind einander
gleich, dem größeren Winkel eines Dreiecks s,teht die gröfsere
Seite gegenüber* zwei Seiten eines Dreiecks sind zusammen-
genommen gröfser , als die dritte , u.s.w. Sätze, welche hier
mit vielen anderen hätten Weggelassen werden können.
Dagegen ist die Auswahl der übrigen Sätze und Aufgaben
über Dreiecke, Parallelogramme, Paralleltrapezien , Vier - und
Fünfecke überhaupt sehr zweckmäfsig, und viele Lehrer wer-
den den besten Gebrauch von diesen mannichfaltigen Mitthei-
luhgen , deren Urheber tiberall genannt werden, machen kön-
nen. Es würde Unrecht seyn und zu Weit führen, über Ein-
zelnes mit dem Hrn. Verf. zu rechten^ da des Vorzüglichen,
sehr viel, urtd des zu Tadelnden wenig ist. Ree. begnügt
lieh deshalb mit obigen allgemeinen Bemerkungen und einer
allgemeinen Empfehlung. Angehängt ist dem ersten Bande
eine algebraischeBehahdlung der zehn ersten Sätze dss zweiten
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Thilo Sammlung geometrischer Aufgaben. 51
Buches der Euclideiscben Elemente. Es ist wahr, dafs dirse
Satze sich leichter algebraisch darthun lassen , als geometrisch.
Alter der Verf. würde die Elemente des Euclides ihrer schön*
sten Zierde berauben , Wenn er ihnen dies zweite Buch und die
herrliche geometrische Darstellung jener Sätze mit dein ganzen
Reichtbum ihrer Anwendungen rauben wollte. Schließlich
folgt eine interessante Abhandlung über den Pythagoreischen
Lehrsatz und verwandte Sätze.
- Der zweite Band ist mehr noch, als d *r erste, reiVh an
rnannichfaltigen interessanten geometrischen Lehrsätzen und
Aufgaben, welche der Hr. Verl. aus vielen bedeutenderen
geometrischen Schriften der früheren und späteren Zeit mit
Sorgfalt zusammengestellt und mit Sachkeuutuifs verarbeitet
hat. Ohne Zweifel wird derselbe vielen Lehrern zur Erwei-
terung und Vervollständigung des geometrischen Unterrichts
und zur Anwendung des Gelehrten dienen, auch wegen des
Reichthums der Mittheilungen manches seltene Buch entbehr-
lich machen. Er enthält viele im gewöhnlichen Vortrage nicht
vorkommende Lehrsätze und Aurgaben über gerade Linien ,
Dreiecke und Vierecke, den Kreis , über Maxima ui\d Mini«
ma , welche bei geometrischen Figuren vorkommen, behan-
delt mehrere der Aufgaben , welche Apollouius von Peiga in
der Schrift über die Berührungnn aufgelöst hatte, in der von
Vieta angegebenen Weise, trägt Lehrsätze Über den soge-
nannten Arbelus, den sogenannten Pelecoides und dieLunulas'
des Hippocrates vor u. s. w.
Was das Einzelne betrifft, so ist der verfehlte Begriff der
Determination, welcher im ersten Bande aufgestellt wurde,
beibehalten , und der eigentliche Gegenstand der Determina-
tion vernachlässigt. So z. B. wird pag. 53. die Aufgabe auf-
gelöst : ein Dreieck zu construiren, von welchem ein Winkel,
und die Summen der Gegenseite und jeder der anliegenden ge-
geben Seyen. Der Hr. Verf. setzt dabei die .Möglichkeit der
Construction unter allen Umständen voraus, während es doch
einer genauen Untersuchung bedarf, ob unter allen Umstän-
den von dem in der Figur mit H bezeichneten Punkte aus
eine Linie HI s FE an die Linie FI gezogen werden könne;
und ob die verlängerte DI der Linie AE unter allen Umstän-
den begegne. In der pag. 56. behandelten Aufgabe i „eiii
s, Dreieck zu verzeichnen , in welchem die Grundlinie, dasVer-
„bältnifs der Summe der übrigen Seiten zu der Differenz der-
selben, und ein Winkel an der Grundlinie gegeben Seyen" ,
wird das Zusammentreffen eines au* F als Mittelpunkt mit
einem Radius ^ FD beschriebenen Kreises mir der Linie AB
4*
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. > ■ *
-
5i Thilo Sammlung geometrischer Aufgabeo.
vorausgesetzt, während (lasseihe wirklich gar nicht statt findet, >
wenn das Verhälsnifs der Summe^ der Schenkel zur Diiferenz der-
selben kleiner ist, als das Verhältnifs tang. (45 % A )2 : i.
Auch wird wegen Vernachlässigung der dahin gehörigen Un-
tersuchung das zweite in den meisten Fällen statt findende
Dreieck gar nicht gef unden.
Eine ähnliche Bemerkung gilt von der Aufgabe pag. 95,
ein Dreieck zu beschreiben , in welchem die von den Winkel-
spitzen auf die gegenüber liegenden Seiten gefällten Perpen«
dikel gegebenen geraden Linien gleich seyen. Es wird dabei
vorausgesetzt, was nur unter beschränkenden Bedingungen
statt findet, dafs das in der Figur mit ABF bezeichnete Drei«
. eck immer construirt werden könne.
In der pag. 102. behandelten Aufgabe: „durch einen in-
nerhalb eines gegebenen Winkels gegebenen Punkt eine gerade •
Linie zu legen, welche mit den Schenkeln des Winkels ein
Dreieck von gegebenem Flächeninhalte bilde«*, fühlt der Hr.
Verf. wohl, dafs die Aufgabe nicht immer möglich sey. Er
fügt deshalb am Ende hinzu, die Aufgabe sey unmöglich,
wenn DK < KI würde. Aber damit ist nicht viel gesagt. Er
hätte die Gränze für den gegebenen Raum angeben müssen,
damit ein demselben gleiches Dreieck auf die angegebene Art
beschrieben werden könne. An anderen Stellen würden sich
ähnliche Bemerkungen anknüpfen lassen.
Die Auflösung der pag. 50. gegebenen Aufgabe: „einen
Punkt in der Ebene dreier gegebenen geraden Linien zu finden,
so dafs die von demselben auf die Linien gefällten Perpendikel
in gegebenen Verhältnissen stehen«, ist nicht erschöpfend ,
weil sich mehr als ein Punkt mit den gegebenen Eigenschaften
finden läfst. Eben so lehrt die Construction der pag. 51. auf-
gelösten Aufgabe : „einen Punkt rinden, so dafs die von dem-
selben zu drei gegebenen Punkten gezogenen geraden Linien
in gegebenen Verhältnissen stehen«, nur einen Punkt finden,
während es deren zwei giebt.
Der unter Art. 236fc aufgestellte Lehrsatz hätte er-
schöpfender ausgedrückt werden können, wie folgt: Wenn
zwei Seiten eines Dreiecks zweien Seiten eines anderen
proportionirt, und zwei Winkel gleich sind, welche zweien
correspondirenden dieser Seiten gegenüber liegen, auch von
den übrigen denselhen gegenüber liegenden Winkeln ent-
weder der eine ein rechter, oder jeder kleiner, oder nicht
kleiner, als ein rechter sind, so sind die Dreiecke einander
ähnlich.
r
0
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Archiinedes Werk« Ubers, von Nisse. 53
Der Hr. Verf. glaubt , dafs Euclides den 26. Satz des
sechsten Buches der Elemente nicht gehrauche , während er
schon im 27. Satze desselben Buches seine Anwendung findet,
Ar chime de s von Syrakus vorhandene PVerkem Aus dem Gr»>-
chischen übersetzt und mit Erläuterungen und kritischen Anmer-
kungen begleitet von Ernst Nizze. Mit 15 Tafeln in Stein-
druck. Stralsund 1824. Verlag von Löjfler. 6 A.
Ree. hält es für einen Fortschritt, oder vielmehr für
einen Rückschritt zum Besseren, in der mathematischen Li-
teratur, dafs man hei der sichthat lieh zunehmenden Neigung
»um Studium der Analysis der Neueren, hei der fleifsigen Be-
nutzung der glänzenden Fortschritte, welche dieselbe beson-
ders von Frankreich aus gemacht hat, und bei dem eifrigen
Bemühen, dieselbe überall, wo sie angewendet werden kann,
selbst in geometrischen Dingen, vorzugsweise oder ausschliefst
lieh anzuwenden, der Alten nicht vergifst, und dafs mitten in
jener hohen Verehrung des Neuen neue Ausgaben und Bear*
beitungen der Schriften der Alten erscheinen, und Leser und
Theilnehmer finden. Was kann für das mathematische Studium
erspriefslicher, ja kann etwas anderes für dasselbe wahrhaft
erspriefslich seyn , als wenn die geometrische Methode der
Alten mit der analytischen der Neueren Hand in Hand gebet,
die eine die andere begleitet, erläutert, ergänzt und vervoll-
ständigt? Was kann man dem Anfänger des mathematischen
Studiums besseres rathen, als zuerst den Geist der alten Geo-
metrie durch das Studium der Schriften der griechischen Geo-
meter kennen zu lernen, die darin herrschende Methode sich
anzueignen , seine eigenen Kräfte durch Anwendung der von
ihr dargebotenen Hülfsmittel zu üben, alsdann zu den erleich-
ternden und allgemeineren Kunstgriffen der neueren Analysis
überzugehen, und sich aller der Vortheile zu bemächtigen,
welche sie darbietet, "und wodurch sie den Mathematiker weit
über die Grenzen der alten Geometrie hinausführt.
Mit wahrer Freude sieht Ree. unter den Erzeugnissen
der neueren mathematischen Literatur eine Uebersetzung
sämmtlicher auf uns gekommenen Schriften des Fürsten der
alten Geometer ,^-des Archimedes, welcher wohl verwundert
stehen würde, wenn er die Fortschritte der neueren Mathe-
matik sähe, welcher aber von jedem neueren JYJathematiker
mit noch gröfserer Verwunderung über seine Leistungen mU
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54 Archimedes Werke über«, ton Nizie.
seinen Hülfsmitteln angesehen zu werden verdient. Wie viele
der eminenten Geister führt wohl die Weltgeschichte auf,
welche mit einem so kleinen Vorrathe von Hülfsmitteln so
viel leisteten, als Archimedes leistete?
Seitdem J. C. St urm im Jahre 1670 zu Nürnberg «des
unvergleichlichen Archimedes Kunstbüchercc sehr glücklich
ubersetzt herausgegeben hatte , waren in Deutschland zwar
einzelne Theile der Archimedeischen Schriften in Uebersetzun-
gen und Bearbeitungen erschienen, unter welchen sich „ Archi-
meds zwei Bücher über Kugel und Cylinder, ebendesselben
Kreismessung, von Hauber", auszeichnen. Aber eine Ueber-
setzung des ganzen Archimedes fehlte. Und billig war es, dafs
die Deutschen nicht hinter den Franzosen zurückbiieben, welche
schon 1817 in Peyrard einen Uebersetzer fanden.
Der Verf. der vorliegenden Uebersetzung richtete, wie
Hecht ist, sein Augenmerk vorzüglich darauf, den Inhalt deut-
lich darzulegen , welches bei mathematischen Schriften selbst
in solchen Stellen, in (lenen der Text einer kritischen Berich-
tigung bedürfen möchte, möglich ist, und ah alle Stellen ,
deren bei dem genialen Archimedes viele vorkommen , in wel-
chen eine rasch übersehene Schlufsreihe mit übersprungenen
Mittelgliedern dargelegt ist, einen begleitenden Commentar
anzuknüpfen, ohne jedoch in demselben mehr geben zu wol-
len, als zum vollen Verständnifs der Stellen erforderlich schien.
Dafs die Vorarbeiten anderer Commentatoren dabei benutzt
Wurden, versteht sich von selbst. In der Uebersetzung so-
wohl , als in dem Co mmentar charakterisirt sich Hr. Nizze als
einen Gelehrten, welcher eine vertraute Bekanntschaft mit den
Schriften der alten Geometer und dem darin waltenden Geiste
besitzt, und selbst die Anordnung des Druckes giebt das zu
erkennen, Ueberall zeigt sich Kürze und Bündigkeit des Aus-
drucks, Gründlichkeit der Entwicklung und systematische
Anordnung. Den Sinn des Originals fand Ree. überall , wo er
die Uebersetzung mit dem Originale, oder auch mit der im
Ganzen sehr glücklichen Sturm'scben Uebersetzung verglich ,
treu und genau wiedergegeben, und für die Anmerkungen wird
der Leser dem Hrn. Verf. Dank wissen.
Die erste gedruckte Ausgabe der Schriften des Archimedes
erschien bekanntlich im Jahre 1544 zu Basel. Natürlich be-
durfte der Text derselben noch mancher Berichtigungen , welche
theilweise ihm auch zu Theil wurden. Die zweite vollstän-
dige, seit jener Zeit erschienene Ausgabe ist die von Torelli ,
Oxford 1792 , welche aber bei aller Sorgfalt des Herausgebers,
weeen der Nachlässigkeit des Correctors. für die Kritik des
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Krcli lateiniiche- Schulgramiuatik. 55
Textes #o viel alt Nichts leistet. Es blieb deshalb fjem neuen
Uebersetzer in sämmtlichen Schriften des Arcbimedes, die
über die Kreismessung und die Sandrechnung ausgenommen ,
welche von Wallis eine schätzbare Verbesserung des Textes
erhalten hatten, noch Vieles zu berichtigen übrig, indem
ohne die Absicht des Hrn. Verf , eine neue Ausgabe des Tex-
tes zu veranstalten, die Rücksicht auf eine möglichst vollen«
dete U e 1 1 e t setzung zu einer kritischen Beleuchtung vieler ■Stel-
len des Textes aufforderte. Hr. Nizze theilt in einem Anbange
diejenigen kritischen Bemerkungen mit, wozu ihn die Ueber-
setzung veranlagte. Er wünscht, dais dieselben von dent
freilich seltenen, Freunden dieses Zweiges der altertümlichen
Literatur Berücksichtigung und Berichtigung finden mögen.
Ree. wünscht das gleichfalls, um so mehr, da der Hr. Verf.
eine, freilich noch entfernte, Aussicht zu einer neuen Ausgab«
des Textes eröffnet«
Mögen die Schriften des Fürsten der alten Geometer im-
mer mehr Leser und gründliche Bearbeiter finden ! Möge die
Erscheinung dieser gelungenen Uebersetzung dazu beitragen,
dais das Studium der alten Geometrie, welches ohne Schaden
für die Wissenschaft nicht vernachlässigt werden darf , immer
allgemeiner werde!
Lateinische S ch ul g r amm a t ik zum Gebrauche für all« Clauen ,
von Joha nn Philipp Krebs, Doctor der Philosophie und Pro» .
fessor der alten Literatur am Grojsherzo glichen Gymnasium zu
Wedhur g. Zweite Ausgabe nach ganz neuer Bearbeitung. Gir/sen,
1824. bei G. fr. Hey er. 1 fl. 48 kr.
Auch Krebs , schon durch seine Anleitung zum La-
tein i s ch - S c h r e i b e n sehr voitheilhaft bekannt, verdient
unter den neueren Grammatikern , deren sehr verdienstliches
Bestreben dahin gieng , die lateinische Grammatik zu demsel-
ben Range zu erheben, den die griechische seit geraumer Zeit
durch die Forschungen eines Buttmann, Mattbiä, Thierscb ,
Rost und Anderer behauptet, eine rühmliche Stelle. Zwar
geben seiner Grammatik die gelehrten Ausstattungen ab, welr
che ein Rams,horn , Zumpt u. A. durch tiefere etymologisch«
und philosophische Sprachforschungen, durch Vergleich ungen
mit den älteren Sprachformen, aus denen sich die späteren
nach und nach herausentwickelt haben, so wie mit anderen
Sprachen, besonders der griechischen^ u. dergl. den ihrige^
i
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Krebs lateinische Schulgraminatik.
gegeben %aben ; aber eben dadurch gewann sie an Brauchbar-
keit für den niederem, aber gemeinnützlicheren Zweck des
Scbulgebrauchs — besonders auch durch den ungleich wohl-
feileren'Freis , als Folge hievon — , während sich jene mehr
für das gereiftere Alter der Studirenden und der Lehrer eig-
nen. Doch hat auch Krebs sehr zweckmäfsi" richtige Sprach-
bemerkungen in'neueren Ausgaben römischer Classiker benutzt,
wiewohl nur nebenbei und mit etwas karger Auswahl.
So kam es, dafs das erste Capitel der Orthoepie bei ihm
sehr kurz ausfiel, indem er nur aas Wichtigste aushebt.
Uebrigens wird hie und da etwas mehr Genauigkeit und Voll-
ständigkeit vermifst. Z. B. p. 4. §. 9. ist bemerkt, dafs Ei-
nige vitium (Gen. plur. von vitis) wie ti , nicht wie zi aus-
sprechen. Warum ist nicht auch litium von Iis beigesetzt
worden? Ti , heilst es, wurde und wird noch vor einem
Vocal wie zi ausgesprochen. Hier hätte noch bemerkt werden
sollen: und bei Contractionen , z.B. Horati. Auch vermifst
Ree. eine Eintbeilung der Consonanten nach den Sprachorga-
nen, und eine genauere nach ihrem Laute, z. B. der stummen
jn aspiratas, medias, tenues, der Semivocalen in liquidas und
semiliquidas ; die Lehre von dem Accent oder der Betonung
der Vocale , von den Veränderungen, welche zusammentref-
fende Consonanten'^rer Natur gemäfs erleiden, Weglassung
derselben, Vermehi angen und Verminderungen der Sylben ,
u. dergl., was alles, wie es in der griechischen Grammatik
geschieht, schon dem Anfänger beigebracht werden kann und
soll; ferner den so wichtigen etymologischen Theil, oder die
Lehre von den Bedeutungen der Wörter nach ihrer Form, in
SO fern sie eine analogeClassificirung zulassen, so wie die von
den etymologischen Figuren.
Nach der Lehre von der Schrift und Aussprache kommt
die Formenlehre, welche so ziemlich Alles nöthige und wich-
tige kurz und deutlich darstellt, Unter die mancherlei Aus-
Stellungen jedoch, die Ree. zu machen sich kaum erwehren
Jcann, gehört erstens der Mangel, dafs den lateinischen Kunst-
ausdrücken die teutschen nicht beigesetzt sind, damit sich der
Schüler gelegenheitlicb auch mit diesen bekannt mache, z. B.
bei Nomen (substantivum , adjectivum , appellativum , pro-
prium 11. s. f.), Fronomen , Verbum, Casus, den einzelnen
Casus, und so durchaus in der Formenlehre. Zweitens Aus-
drucksweisen, die nicht genau entsprechend zu seyn scheinen:
Z. B. §. 14. 130. A. „das Verbum giebt einen Zustand
an". Das Wort Zustand wird wohl nur im leidendlichen
Sinne gebraucht, dem des sich Verhaltens. ^ 1 6. »Die
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<
Krebs lateinisch« Schulgrammatilr. 57
*
Substantiven bezeichnen tbeils sinnlich*, tbeils
übersinnliche Gegenstände (nomina concreta , abstracta),
also lebende oder leblose Wesen, die sich, den
Sinnen darbieten, oder Eigenschaften, die man
nur an ihnen wahrnimmt, z.B. canis, sapientia , for-
ma , celeritas.« Sind die letzteren, zu denen man noch eine
Menge rechnen kann, z. B. rubor, hilaritas, u. dergl. über-
sinnlich ? Und doch sind sie ahstract ! Also welche Eintei-
lung , welcher Ausdruck! « Drittens Un Vollständigkeit : so
fehlen in der Lehre von der Bildung der Steigerungsstufen un-
ter denjenigen Adjectiven, welche keine Comparatiensform
zulassen, die Composita mit prae , per, ex, stib (etwas):
praedives, percarus, edentulus, suhamarus; da die von verbis
ihre gradus haben; ferner die auf icus, ivus, inus, imus,
ster, und viele andere mit wenigen Ausnahmen.
Sehr vollständig und genau sind hingegen die Lehren von
den Zahlwörtern, l'ronominen , und in der Lehre vom Ver-
bum besonders die Unterscheidung der einzelnen Zeitverhält-
nisse und die abweichende Bildung einzelner Verben, z. B.
der mit Präpositionen zusammengesetzten, während die ab-
weichenden Formationen der temporum (besonders des Per-
fects) zu kurz abgefertigt wurden. 'Noch weit mehr trifft
der Vorwurf der Unvollständigkeit die Lehre von dem Adver-
bium, in welcher auf die verschiedenen Arten der Adverbien
nach ihrer Bedeutung (crualitatis , limitandi, affirmandi , ne-
gandi, loci, temporis u. dergl.) keine Rücksicht genommen,
ja nicht einmal die Verschiedenheit derselben nach der Ab-
stammung vollständig angegeben ist. Es fehlen z. B. die mit
Präpositionen zusammengesetzten, interdiu, pridie, denuo
u. a. , Und die von Verbis abstammenden. Andere z. B. Ac-
cusative (hier hätte bemerkt werden sollen: auch Ablative)
von Substantiven sind nur angedeutet, statt dafs sie hätten
aufgezählt werden sollen. Vollständig und besonders wegen
der beigesetzten, die Bedeutung anschaulich machenden Bei-
spiele Sehr zweckmäfsig eingerichtet ist die Lehre von den *
Präpositionen. Doch fehlen die zusammengestellten Präpo-
sitionen, z.B. exante, exadversum , ferner die adverbial©
palam, procul, simul (£pz), clam. Wenn bei andern der grie-
chische Ursprung angegeben wurde, warum nicht auch bei
am,amb,dis? In der Lehre von den Conjunctionen, welche
nach ihrer Natur und Bedeutung hätten eingetheilt und auf-
gezählt werden sollen, wird auf die Syntax verwiesen, wo
sie sich doch nur zerstreut finden.
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53 K iv b> lateinisdie Schulgrimroaiik.
t
In der Syntax, dem gelungeneren Theil der Grammatik,
fiel uns sogleich etwas auf , wodurch sich diese Grammatik
vor andern sehr vortheilhaft auszeichnet, dafs nämlich die
Beispiele, welche nur allein die Anwendung der Kegel vor
Augen stellen, so gewählt sind, dafs der Schüler sie verstehen
und übersetzen kann, ohne an solchen grammatischen Fällen
anzustoßen, die erst in der Folge erörtert werden, und also
nur mechanisch mit Hülfe des Lehrers von dem allmählig ina
grammatischen und Sprachstudium fortschreitenden Schüler
übersetzt werden können. Nur sind für den Anfänger mei-
stens zu wenig Beispiele aufgeführt. Manchmal wünschte Ree.
grammatische Fälle, besonders scheinbare Ausnahmen theils
aus logischen Gründen, theils als in der griechischen Rede-
weise begründet, tiefer erfafst zu wissen, z. B. den Accusativ
]>ei Intransitiven §.292, so wie den sogenannten griechischen
(wiewohl jener mit gleichem Recht diesen Namen führen
dürr'te>) Accusativ hei dem Participium perf. passiv. §. 3o3.
Es hätte der aus dem ursprünglichen Gebrauche des Accusativs
zur Bezeichnung des Ohjecis und zwar des näheren hervor-
gebende allgemeinere Gebrauch dieses Casus zur näheren Be-
stimmung des allgemeinen Verbal- oder überhaupt Prädicats»
hegrifFs, so wie der ursprüngliche doppelte Gebrauch der Pas-
sivform in rein passiver und medialer (deponentialer) Bedeutung
besonders nach dem Vorgange der Griechen nachgewiesen
werden sollen. Tadeinswerth findet Ree. , dafs §. 474- quum
in der Bedeutung da, weil, obgleich als unbedingt den
Conjunctiv erfordernd angegeben, und nicht darauf aufmerk-
sam gemacht worden ist, dafs es sich auch mit dem Indicativ
als dem modus des Gegebenen construirt finde, wenn ein ob-
jectiver Grund, d.h. eine Ursache mit factiseber Bestimmt-
heit, oft .mit Hinweisung auf einen bestimmten Zeitpunct
lebhaft angegeben wird, wobei mehr das Resultat des logi-
schen Denkacts , als dieser selbst hervortritt. Alsdann steht
quam statt quando, quandoquidem , quoniam, welches selbst
als aus cruum jam entstanden für den Indicativ des eausalen
quum in gewissen Fällen spricht. Z. B. Cic. Cat. 19 9 9* Se-
nex 9 ne quod speret quidem , habet. At est eo meliore con-
ditione, quam adolescens, quum id , quod ille sperat, hic jam
consecutus est. Epist. ad div. (ed. Bengel) 7, 32, 8. Tu, et
quum instituisti, et mihi vides esse gratum , setibe ad ine
quam saepissime. 11,2. Quae profecto , quum istum ani-
mum babes , in optimam partem aeeipies. 15, 12, 3» Quam
mihi facultatem cum hic casus provincia eripuit , tarnen magno«
pere a te peto. 15, 14* 5. ld (ut me conyenires) quum non
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Krebt lateinische Schulgrammatik, 59 '
•
accidit, utemur bono Jiterarum. 16 , 12, 4. Tu quum eo
tempore mecum esse non potuisti, cave festines. De orat. 2,
46. Cum alienissimos defendimus — tarnen. Sallust. Cat. ?0.
Cum tabulas emunt — tarnen, und in vielen andern Stellen.
Oefters läfst es sich als das oratorisclie wenn fassen, was
aber in so fern nichts in der Sache ändert, als seine logische
Bedeutung dennoch eine causale bleibt.
§•475. Wird der Umstand, dafs quum als das ImperF,
und Plusquamperf. Conjunctivi bei sich habe, wenn im Haupt-
sätze ein Perfectum (oder historisches Präsens) folge, daraus
erklärt, dafs .quum hier nicht eigentliche Ztitpartikel sey t
sondern auch den Grund und die vorangehende Veranlassung
angebe. Ree. kann dieser Ansicht um so weniger beipflich-
ten, als unendlich viele Fälle dagegen sprechen, wo quum -
blos zur Zeitbestimmung dient, nämlich solche: fuit tempus,
quum rura colerent homines. Jam turn, quum hello fugitivo-
rum tota ltalia arderet, C. Norbanus in summo otio fuit; und
ist vielmehr der Meinung, dafs dieser Gebrauch des Conjunctivs
»ich auf eine andere moilale Bedeutung des Imperfects und PluS-
quamperfects Conjunctivi gründe. Unstreitig vertreten diese
tempora des Canjunctivs die Stelle des griechischen Optativs,
als Begleiters der historischen temporum. Daher kommt es
denn auch, dafs quum temporale das Im per f. und Plusquam-
perf. Indicativi bei sich hat, wenn dasselbe tempus im Haupt-
satze steht. Doch genug hievon. Die so wichtige Syntaxis
ornata ist mehr, als zu wünschen war, verkürzt worden. —
Den Schlnfs machen die Abbreviaturen und die Orthographie,
welcheCapitel eben so gründlich und richtig, als zweckmäfsig
abgehandelt sind.
Gleichsam als Anhang zu dieser Grammatik sind 1825 er-
schienen Anfangsgründe der Prosodik unxl Metrik
von demselben Gelehrten bearbeitet. Diese enthalten Alles
nothwendige in gedrängter Kürze. Nicht billigen kann es
übrigens Ree, wenn der Verf. es hie und da an bestimmter
Genauigkeit fehlen lieft: z. B. wenn er §. 10. mutam cum li-
quida absolut für unbestimmt erklärt,., .ja in der Regel die
Länge des von Natur kurzen Vocals doch wohl nur dann statt
findet, wenn der rhythmische Accent darauf fällt; §. 2Q. bei
dem langen a der Imperative die Ausnahme puta nicht anführt,
in der Bedeutung nämlich; ferner die indeclinabeln Zahl-
wörter unter den langen auf a aufführt, statt unter den unbe-
stimmten, so wie unter den Adverbien der zweiten Declina-
tion mit kurzer Endsylbe npprime, longe, clare, teraere, intern©
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Reichenbach griecli. deutsche* Würterbncli,
wegläfst, da er doch sonst Ausnahmen bei den Siteren und
späteren Dichtern anführt; §. 12. das ei der fünften Decjina-
tion nach einem Consonanten unhestimmt nennt, da fid^i , rei
doch nur Ausnahmen sind, und als alte Formen (eigentlich
fideii, reii) sich nur bei Ennius und Lucrez finden; §. 28.
unter den kurzen Endsylben ein« und mebrsylbiger Wörter,
tum, sum, HtD, ainem, tuum u. dergl. aufzählt , ohne zu be-
merken, dafs dies nur in den seltenen Ausnahmen vorkomme,
wo die Ekthlipsls vernachlässigt ist; §. 29* unter den Längen
auf t die dritte Person -Singularis nicht nennt, wenn der Ictus
darauf fällt, meistens in der Cäsur. Gut angebracht ist der
Abschnitt von den Dichterfreiheiten. Nur fehlt nach der Diä-
resis die Synäresis, die Episynaldphe , und nach der Crasis,
welche er mit der Synizesis für gleichbedeutend hält, die
Tmesis. Nach dem vollständigen Verzeichnisse der einzelnen
o
Versf'üise und der Lehre von den Tacten und Cäsuren folgt
die gründliche und in sehr guter Ordnung ausgeführte Lehre
von den wichtigsten , durch teutsche und Tateinische Beispiele
anschaulich gemachten , Versarten, der daetylischen , in wel-
cher die Natur der Hexameter besonders genau gezeichnet ist,
choriambischen, trochäischen, jambischen, alcäischen, oder
mit andern Worten, der daetylischen und Horazischen , auf
welche sich der Verf. als für seinen Zweck genügend mit Recht
beschränkte. Ueber die Art der Anordnung u. dergl., z. B»
warum er mit. dem daetylischen Grundrhythmus beginne und
nicht mit dem choriambischen, erklärt sich der Verf. nicht;
auch konnte er mit Fug und Recht dergleichen gelehrte Unter-
suchungen als auiser und über seinem Plane gelegen seyn lassen.
M, Joh. Friedr. Jakob Re ic h e nh achs , Conrectors an der St.
Thomasschula zu Leipzig, allgemeines Griechisch -Deut-
sches Handwörterbuch, Zweite , ganz umgearbeitete , eer-
mehrte und verbesserte Ausgabe. Erster Band , A — K. Leip-
zig, 1825. Verlafff^n Johann Ambrosius Barth. IV und 930 Sm
gr. 8. Zweiter Band. £bd. 896 S. ß Thlr. J2 Gr.
(Die erste Auflage kostete 4 Thlr. tf Gr.)
■
•
Hr. R. hatte in den Jahren 1801 und %S02 dieses Werk
herausgegeben, ohne dafs es eben besonderes Aufsehen ge-
macht hätte. Man hatte damals die erste, freilich noch sehr
mangelhafte und dürftige, Auflage von Schneiders auf den
durchschossenen Ernesti'schen Hederich gepfropftem Wörter-
»
s
t
V
Reicheubach griecli. deutsches Wörterbuch. 61
buche | es kam bald dessen zweite9 dann Riemer , und diese
Werke, obwohl für Studirende angelegt, doch auch für Ge-
lehrte wichtig | mufsten ein Buch in Schatten stellen, das,
ohne Citate und Autoritäten, ohne allen gelehrten Apparat
und Schein desselben f weiter nichts als ein ziemlich vollsten«
diges Vocabularium für Schulen, etwas besser als Vollbeding ,
war, und das, wer weiter kam, bei Seite stellte, um ein ge-
lehrteres Werk zu gebrauchen. Der Verleger mochte noch
eine ziemliche Anzahl von Exemplaren vorrüthig haben, als
im Jahre j.815 Steins ziemlich oder vielmehr sehr mangelhaftes
Deutsch - Griechisches Wörterbuch erschien, und im Jahre
l8i7 das Rost'sche , gleichfalls Deutsch • Griechische. Da ent»
scblofs sich Hr. lleichenbach , seinem Griechisch -Deutschen,
fast vergessenen Wörterbuche einen Deutsch - Griechischen ,
jenes aufs Neue empfehlenden und bei dem Publicum einfüh-
renden Begleiter nachzusenden und mitzugeben, und dies ge-
lang : denn seit der Erscheinung dieses Begleiters (l8l8«
2 Thlr. 12 Gr.) hat, sich das erste Werk vollends vergriffen ,
und es ist eine neue Ausgahe nöthig geworden. An jenem
Deutsch - Griechischen Wöiterbuche lobte die Kritik zwar
Wortreichthum, woran es nicht nur das magere Stein'sche,
sondern auji das wohlbeleibte Rost'sche Werk übertraf; zog
aber doch das Rost'sche vor, da jener Reichthum des Reichen-
bach'schen vor jenem vorzüglich in zusammengesetzten oder
neugebildeten oder dem Altertbum ganz fremden Begriffen be-
stehe,'die man am besten umschreibe, Rost dagegen mehr
Redensarten gebe$ viel genauer in Unterscheidung der Syno-
nymen und in der Auswahl der Wörter nach der Sprache der
besten Attiker sey. Seitdem ist das Rost'sche vielfach ge-
braucht , auch im Königreich Würtemherg nachgedruckt wor-
den, welcher Nachdruck lauter als alles Zeitungslob für seinen
Werth sprach, aber von Hin, Rost eben nicht mit Dank und
Freude, sondern mit ziemlichem Unwillen begrüfst wurde.
Nun spricht auch Hr. Reichenbach von einer zweiten Ausgabe
seines Deutsch - Griechischen Wörterbuches, über deren Er-
scheinung er sich in Kurzem umständlicher werde vernehmen
lassen. Beachtet er hei derselben die gerechten Ausstellungen
der Kritik, lälst er im Deutsch- Griechischen Theile das Rost'-
sehe Wörterbuch so .weit hinter sich zurück, wie in dem vor-
liegenden Griechisch - Deutschen Theile, so mag er sich zum
voraus eine freundliche Aufnahme versprechen. Doch zu un-
term vorliegenden Werke.
Hr. Reichenbach giebt in der kurzen Vorrede zur zweiten
Auflage seinen eigentlichen Zweck und Flan kürzlich so an:
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62
Reichenbach griech. deutsches Wörterbuch.
„Den ursprünglichen Plan, mein Wörterbuch als kein gros-
ses, kritisches» mit Beweisstellen ausgestattetes, und dadurch
unnöthig im Volumen gesteigertes, sondern als ein Handwör-
terbuch für den Schulbedarf' sowohl, als für jeden Liebhaber
der griechischen Sprache, auftreten zu lassen, habe ich un-
verrückt im Auge behalten, ohne doch irgend etwas auszu-
schliefsen , was den Gebrauch auch nur einigermafsen vermin-
dern könnte. (Die letztere Fhrasis klingt wunderlich. Ref.
erwartete: was die Brauchbarkeit desselben nur
einigermafsen vermehren könnte.) Den analyti-
schen Theil , der in der ersten Ausgabe einen eigenen Anhang
bildete, habe ich in der jetzigen hineingearbeitet, und so
nur eine bequeme alphabetische Ordnung hergestellt; von
der sehr bedeutenden, schon durch die weit sparsamere
Druckeinrichtung in die Augen springenden Vermehrung
und V e r v o 1 1 s tä* n d ig u n g will ich weiter nicht sprechen,
versichere aber, dafs gerade im Puncte des Wortreichthums,
ungeachtet ich die Wörter einer strengen Prüfung unterwarf,
und daher manchem in den ersten Bogen aufgenommenen jetzt
schwerlich mehr einen Platz vergönnen würde, mein Wörter-
buch mehr als alle bestehenden enthält. Die logische An-
ordnung der Begriffe ist durchgehends aufs -strengste
geprüft, 'und , nach Maafsgabe der Umstände , geändert wor-
den; von der Berichtigung der Wortbedeutungen
gilt das Gleiche; die prosodischen Bezeichnungen,
die Aufnahme schwieriger und seltener Dialect-
formen, die Bereicherung der, überall wo es nöthig war,
beigefügten ConStructioneri, die Vermehrung der Re-
densarten (Gräcismen), machen eine ganz neue Zugabe
der jetzigen Bearbeitung aus; die Ausstattung des natur-
historischen Fachs ist insonderheit vielleicht manchem
diese Branchen cultivirenden Gelehrten willkommen. Die
durchgängig unterlassene Anführung der Auctoritälen wird
niemand vermissen; sie gehören , meines Bedünkens , in kein
Handwörterbuch, für so wichtig ich sie auch in einem kriti-
schen Wörterbuche achte , was (welches) auf strikte Bestim-
mung der Zeit und der Sprachart zu sehen hat."
Wir haben absichtlich diese Stelle aus der, übrigens sehr
kurzen, Vorrede ausgehoben, damit sich klar ergebe, was
der Verf. habe leisten wollen, und wie er seinen Zweck er-
reichen zu müssen geglaubt hat. Der gerechteste iVlaalsstab
der Würdigung eines Werkes ist immer der, den der Verfas-
ser desselben seihst angiejrt. Eine andere Frage ist freilich
die, od sich g" wisse Coinbinationed von Zwecken wirklich
MDigitized by G
Reichenbach g;iecb, deutiches Würt5rbuch. 63
mit einander vereinigen lassen , und ob die von demselben zu
dem Ende für nöthig gehaltenen Mittel auch wirklich zu dem
vorgesteckten Ziele führen. So ist z. B. der gedoppelte
Zweck , ein Handbuch für den S ch u 1 b ed a r f zu liefern und
zugleich für jeden Liebhaber der Griechischen Sprache
(hier sind wahrscheinlich theils die Dilettanten gemeint, theils
diejenigen, die Berufshaiher oft in den Fall kommen, Grie-
chische Ausdrücke und Stellen verstehen zu müssen , ohne
Philologen zu seyn). Diese beiden Zwecke sind von der Art,
dafs der eine manches erfordert, was der andere bei Seite las.
sen dürfte. Und eben so li*»fse sich auch sagen, dafs diejeni-
gen Mittel, die ein Wörterbuch für Dilettanten seiner Voll-
kommenheit näher bringen , nicht immer auch ein Schulwör-
terbuch seinem Ideale nähern. Doch davon mag späterhin die
Rede seyn ; jetzt betrachten wir, ob der Vf. geleistet hatt
was er leisten wollte. Ein Handwörterbuch ihr den Schul-
bedarf soll es seyn, nicht mit Beweisstellen ausgestattet. Das
ist es auch, wie das Rost'sche, aber ein solches, das weit
seltener, als das Kost'sche, ja fast nie, den Schüler rathlos
lälst, das nicht bedeutende Wörter der gelesensten Schrift-
steller ausläfst, das die Abstammungen der VVörter fast immer,
und richtig angiebt , und, ohne durcb Hineinarbeiten der
Grammatik in das Lexikon , diejenigen grammatischen Schwie-
rigkeiten löst, die man von einem Wörterbuche gelöst verlän-
gern darf. .Noch mehr berücksichtigt ist die zweite Kl.isse der- «
jeuigen f für die dieses Wörterbuch bestimmt ist. Diese mag
insbesondere dem Verf. für die grofse Vollständigkeit und für
die Aufnahme einer grolsen Menge Wörter danken, die der
Schüler nie vermissen würde, weil er nie in den Fall kommt f
sie aufzusuchen, oder die der regelmässig Studirende und
methodisch Unterrichtete durch die Analogie versteht, ohne
sie jemals aufschlagen zu müssen. Diese Vermehrung ist wirk-
lich von der Art, dals das Buch in Ansehung der Wörtermasse
von keinem ähnlichen übertrofFen , oder aucb nur erreicht
wird. Ref. hat in dem Augenblicke sechs neuere Wörter-
hücher vor sich , Riemer (181 9), Passow(lÖiy)> Schnei-
d * r (i8i9) t Rott (1821), Planche (Dictionnaire Grcc-Fran-
fOtt , compose Sur Vouvrage intitule Thesaurus Linguae Graecae9 de
Henri Etienne , ou se trouvent tous les mots des dijffe'rens äges de la
langue Grecque , leur e'tymolo^ie , leur sens -propre et Jigure', et leurs
diverses acceptionsy justifie'es par des exemplrs, Par J. Planche,
Prix 15 Fr. Paris , le Normant , imprimeur-lihraire , l809» 3t und
1463 S. 8. jede Seite zu 3 Columnen. Ein sehr schätzbares,
in Deutschland wenig bekanntes, Werk, das viele Aehnlicl -
Digitized by Google
64 Reichenbach griech. deutsches Wörterbuch.
Jceit mit demReichenbacb'schen hat, zunächst für Schulen be-
stimmt ist, wo aber auch durch Aufnahme der Kunstausdi ticke
der Malerei, Sculptur, Baukunst, Chirurgie, Medicin und
Botanik, überhaupt der Künste und Wissenschaften, für die
zweite Klasse der Benutzer des Keichenb. Wörterbuches ge-
sorgt ist) und Hrn. Rs. neueste Auflage. Hier haben wir
nun, blos äufserlich die Wörterzabi betrachtend, an drei Stel-
len die Artikel gezählt, und z. B. von A bis £ßat l*ei Reicben-
bach gefunden : 20 mehr als hei Schneider, 22 mehr als bei
Riemer, 32 mehr als bei Passow, 32 mehr als bei Rost und
l6 mthr als bei Planche. Ferner von Z bis Zs i 4 mehr als
bei Schneider, 2 mehr als bei Riemer, 6 mehr als bei Planche,
30 mehr als bei Rost, eben so viele als bei Passow. Endlich
von Sl bis : 8 mehr als bei Schneider, 8 mehr als bei Rie-
mer, 3 mehr als bei Passow, eben so viele als bei Planche
und 30 mehr als bei Rost. Im Ganzen mag etwa Rost beiläu-
fig halb so viele Wörter haben als Reichenbach. Fragen wir
nach der Qualität der Wörter, die Reichenbach voraus hat,
so finden wir in den zahlreichen Vermehrungen freilich man-
ches Wort, das vielleicht gar nicht aus Schriftstellern, son-
dern nur aus einem Lexikon oder einem Grammatiker, wo es
einmal vorkommt, genommen seyn mag, Wörter, die der
Studirende auf keinen Fall vermissen würde, und die at»ch
Andern, für welche das Werk bestimmt ist, wohl schwerlich
vorkommen dürften; manche vielleicht auch, die in die Kate-
gorie derjenigen gehören, welche der Verf. ohne ganz strenge
Prüfung aufgenommen hat, und die zu verwerfen seyn möch-
ten; welches ihm nicht nur in den ersten Bogen passirt ist.
Eine Pro>)e letzterer Art mag aus dem Buchstaben tu das Wort
wbJjv.w, ich bin geschwollen, seyn. Es hat nie ein sol-
ches Verbum gegeben , sondern Planche hat ganz richtig: wb^a
parf, act* d* oiötuu. wb^y.avrt Dor.pour aJSjjucw/- Ein Wort der erstern
Art ist das Wort ZarfSxfov, wo weiter nichts steht, als: Das
Schachspiel. Dieses Wort hat M e u r 8 i u s in seinem Glos-
sarium Graeco- Barbarum , mit der Bemerkung: Ludi genus : hinc
%aT{ivJ$etv. Videtur autem fuisse ille ludus , qui vulgo Scacchia ap-
pellatur. Es ist ein offenbar neugriechisches Wort: da es indessen
in einem Scholiasten eines Klassikers (Schol, Theoer. 6. 18.) vor-
kommt, so hat es auch F. W. V. Schmidt dem Hrn. Schneider
nebst 999 andern zur Vermehrung seines Wörterbuchs präsen-
tirt, ohne eben, wie man weifs, viel Dank dafür von dem Be-
schenkten zu erndten. Die Consequenz erforderte die Aufnahme,
denn dergleichen Scholastenwörter und Glossarienwörter ste-
hen bei Schneider viele.
•
(Der Besthlu/s folgt»)
N. 5* 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur*
Reichelibach Griechisch -Deutsches Wörterbuch.
Wir wollen aber nun doch diejenigen Artikel, die von d
hii aßcu gehen, genauer betrachten , der Kürze wegen aber
nnr unser vorliegende* Werk mit Passow vergleichen, dem
wir unbedingt den Frei» unter den für Studirende geschriebe-
nen Wörterbüchern zugestehen. Unter daaro; hat P. die, Be-
deutung u n v e r 1 e t z 1 i c h in einem doppelten Sinne ; 1\, aber
daneben als gleichbedeutend "aro;9 und noch die Bedeutungen i
untrüglich, unschädlich — - sehr schädlich, ver-
derblich ) furchtbar ( üher die Unsicherheit der Bedeu-
tung solcher mit dem sogenannten « intensivum zusammenge-
setzten Wörter spricht F. unter A.), endlich für a^ro; uner-
sättlich (diese Bedeutung hat F. auch nicht unter a^ro-).
Dann fehlt bei P. dlßavtro; oder dußjviro; däXaß^;', ua9a I-»ak.
f. i'vBstal djötVy}9 Schweinemist* dabin i Eckel haben, beunru-
higen; cco&jc Dor. f. u>i&j; ; aa2t*ro; £ uSiato;; Saxro;, unzer-
brechlich, unverwundbar, gesund; dtho; f. uray.ro; und f.
n}«; aap xt f. a$e<u, sich sättigen; dd'piv; ^at. ames (Hör.); a«wf;9
unvollendhar ; dav>i;9 nützlich; SavSa, Ohrgehenke; ddir)vre$i*
a-x-Xaro;; ua; Boot. f. au^/öv; aa<r/'$o£o;f verderblich; «ao-Htu f,
data % aar»; da<rpo;, das Aushauchen; dacrrc; I. aysv^avTO?;
aajrro5> unschuldijg ; aaraXos, unerfüllbar; aaTuAo;, unschädlich;
da Tw , täuschen ; d/3ay>;^o?, zart; aßayvov, Kose; «^of, «tumm ;
dßafa) zart; äßi^xara, Nasch werk. Alle diese Wörter, da'
-r\r.rs{ und ujlt-jj ausgenommen, stehen schon in dem bekannten
Basler Lexicon Septem virale , freilich fast durchaus ohne
Auctorität, einige ziemlich verdächtig, z. B. dßayyroos und
dßa>}$) andere blos aus Grammatikern,' wie dahiw9 öder blos
aus Dialekten, in denen kein geschriebenes Buch vorhanden
ist, Wiedas Böotische Sa;, dasiVTacedbnische aßayvov.- Einige
indessen sind doch von der Art, dafs man sie in gangbare, für
Studirende bestimmte Wörterbücher aufgenommen vvüuschte,
XHCJahrg/ 4. Heft. 5
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4
66 Reieheubach gricch. deutsches Wörterbuch.
Beabsichtigt aber Hr. R, einen Sprachschatz, 'gleichsam einen
Thesaurus in nuce9 in welchem sich alle wirklich einmal im
Gebrauche gewesenen oder dafür geformten Worte befinden,
nicht blos solche, die sich noch hei Schriftstellern finden,
sondern auch hlos in Glossarien aufbewahrte, damit daraus,
durch eine immer vollständigere Induction , die unendliche
Bildsamkeit der Griechischen Sprache vollkommen in die Augen
springe, und auch bei den Dilettanten Staunen errege; so
kann er sein Wörterbuch noch sehr vergröfsern. Um eine
Probe davon zu geben, zählen wir ihm gleich, aus einem der
.kleinsten Buchstaben , um den Raum zu schonen, über dreifsig
Wörter auf, die in keinem der sechs genannten Wörterbücher,
auch nicht im Septemvirale und im Scaptila stehen, und über-
haupt in keinem gangbaren Wörterbuche, und dennoch ge-
braucht wprden sind, und meist sichtbar der Analogie gemäls
gebildet erscheinen. Es sind folgende: /3*KA/cv, bacilium (auch
in des Meursius oben genanntem Glossar. Graeco-Barbarum),
/8etAavoxAeTT»js 9 ßaWtcr^at ßava'jfforvj; , ßa^vyjyo; , ßa/rrayfxo; 9 ßajy.tg9
ein Gefäls , ßsßaiwpay ßtkcvoBvjKVf Nadelbüchse, ße^Xkc^o £05 ,
texillifer9 ße^oZra (soll qanumentum heifsen , Welches nichts ist:
wahrscheinlich ist es, wie das vorhergehende, aus der Latei-
nischen Sprache in der späteren Römerzeit in die Griechische
übergegangen , aus verutum)9 ß^UoMa, pruna, ße^Bosi veredus
(Meursius l.C. hat ßs^sBu^tc;9 veredarius^ , ßtßa^-JT^i9 cetarius
(auch bei Meursius), /3<*ia» vicia (auch Meursius), ßio^
censor^ ßkav.ta, jactatio , ßXa^o; und ßka^Z(Mit (wahrscheinlich eine
andere Schreibung und Aussprache für ^pA-ja^c; und ^Au^oy/xar ,
denn die Worte sind durch insuhus und insulsor — nu ror — er-
klärt), ßXyptfXo; , missilis, ß\yjT^;9 ßscffTuatov , ßoWAtffjxot , jeniacu-
lum (auch bei Meursius), ß^a<rr^t vannus , ßgaßtsv (soll orairix
heifsen, aber Meursius hat wohl Recht, welcher sagt: ßp-
ß(ov* Breve, Scribitur ß^ovU-J apud Eustbium Histor. Eccles. Lib. X»
cap. VI. In Glossario Graeco-Latino legitur ß(.eßiov;, Oratrix, Quoloco
intelligi djtbet enchiridion precum 9 Breviarium) , ß^o^tTtu^q 9 pluvialisf
ßtjMfai iaqueon ßz<ur>tf9 edax 9 ßvBteis, mersia , ßw,.e; (soll voc*
beiuen, wird aber wohl phocae gemeint seyn ; denn es steht
dabei /xSvb;. In den Wörterbüchern kommt ß'a^9 eine
Fisch^attung, vor: vielleicht ist es überhaupt dasselbe Wort
mit (^tuioj), ßuiXo<Tr^o^iov9 ßw^t<x^ tov , altare. Diese Wörter und
noch viele Hundert andere unbenützte st hen in einem zwar
seltenen, aber doch nicht ganz verschwundenen Buche, das
Henr, Stephanus Seiner Compient. de Atticae Vnguae seu dialecti tdio-
matis vorausgeschickt bat, nämlich: Glossaria duo e situ vetusta»
ih truta, Paris. 1573. Das Lateinisch -Griechische 359, da»
r
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Reichenbach griecb. deutsche* Wörterbuch, 67
Griechisch-Lateinische 30? Columnen* Will Hr. Reichenbach
noch ein Duzend zu demselben Buchstaben; so nehme er es
aus des Ref. Anzeige des «Schneider 'sehen Wörterbuches in
diesen Jahrbüchern l8l9. Febr. No. 13* wo wir auch die
Belege und Beweisstellen dazu gegeben haben. Auch kann er
immerhin noch ßA^^S/xo; und /3w>.*ar&©vptfcu von Passow aufneh-
men. Schneider hat ohnedies auch in seinen Zusätzen alle un-
sere und so vieler Andern zahlreiche Beiträge , die ihm darge-
boten wurden , auf eine nur durch Sein Alter zu entschuldi-
gende Weise verschmäht. Denn das ist eine leere Ausflucht |
dals , was er nicht aufgenommen , nicht brauchbar für ihn ge-
wesen aey , da er den Gebrauch des Wörterbuches auf klas-
sische und Profanscribenten habe einschränken wollen. Denn
erstlich bat er selbst diese Beschränkung nie gehalten , und
dann hat er viele aus den gelesenaten klassischen und Profan*
Schriftstellern ihm dargebotene Wörter nicht angenommen. —
Betrachten wir weiter, was llr, 11. in der Vorrede geleistet
zu haben verspricht, so kommen wir auf die logische An«
Ordnung der Begriffe» Spricht man davon in einem
Wörterbucbe, so muis man sich hüten, darunter das zu ver-
stehen, dals man unter den Bedeutungen die abstracteste vor«
ansetzen und die concreten folgen lassen müsse, wie in so
manchen Wörterbüchern verschiedener Sprechen der Fall ist«
Eine solche Verirrung wäre, wenn man z.B. dem Worte Xoyoi
als Hauptbedeutung ratio unterlegte, dann sagte, es bedeute
auch jede Aeufserung der ratio , sey also besonders innere An-
schauung, Denkvermögen und Sprachvermögen, wieder spe»
cieller das Vermögen, Begriffe, LJrtbeile und Schlüsse zu bil-
den , und führe dann immer so recht logisch eintheilend fort,
bis man endlich auch auf die Verstandesoperation des Rechnens
und auf die davon abgeleitete tropische Bedeutung der Rechen-
schaft käme; schritte man dann auf der andern Seite auf die
Entwickeln ng der im SprachvermÖgeu enthaltenen Begriffe ,
so könnte es nicht fehlen, dafs man am Schlüsse eines so pbu*
losophisch ausgearbeiteten Artikels, nachdem man jede ßedeu-*
tung mit Beispielen aus Philosophen belegt, endlich auch auf
die eigentliche und erste Bedeutung , W o r t , käme, und zum
Beschlüsse sagte : kurz, auch alles, was durch Gedanken oder
Worte geschieht und abgethan wird. Ist nun gleich dieses
Beispiel Hngirt, so sollte es uns doch sehr leicht werden, aus
vielen Wörterbüchern mehrerer Sprachen Beispiele in Menge
nachzuweisen, wo man , ohne alle Berücksichtigung der Wur-
zel des Wortes und ihres ursprünglich sinnlichen Begriffes t
jenen umgekehrten, also verkehrten Weg eingeschlagen* und
6 *
«
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6" 8 Reichenbach grlech. deutschet Wörferbueb.
» sich in Divisionen und Subdivisionen gat sehr gefallen hat*
Hr. R. hat sich diesen MiftgrifF nicht zu Schulden kommen
lassen, sondern aus dem recht erkannten und meistens auch
angegebenen Wortstamme auch den ersten, sinnlichen 9 Be-
griff aufgestellt , und dann, gröfstentheils in guter Ordnung,
die abgeleiteten , die ahstracten und die Nebenbegriife nebst
dem katachrestischen Gebrauche« wo er stattfindet, angege-
ben. Betrachten wir in dieser Hinsiebt den Artikel Aayo; in
Hrn. Rs. Werke, so können wir im Ganzen wohl mit ihm zu*
frieden seyn, und wer nichts als die Bedeutungen des Wortes
ziemlich wohlgeordnet, und noch obenein die neutestainent-
lieben desSelbtn, kennen lernen will, dem kann er genügen,
• denn er giebt das Rechte ^ gieht es gutj und giebt genug.
Aber nun lese man denselben Artikel bei Passow. Wie be-
lehrend wird er nicht gerade durch das, was Hr. 11. in seinem
Wörtetbnche weglassen tu dürfen oder zu müssen geglaubt
bat, um Raum für seine Vollständigkeit zu behalten, und es
doch nicht zu dick anzuschwellen, wir meinen, durch die
Nachweisung des Sprachgebrauchs dieses Wortes durch die
Schriftsteller hindurch vom Homer an, gleichsam auf histori-
schem Wege! Wie stehen hier auch Schneider und Riemer,
tind mehr noch alle Andern zurück! Solche Artikel von Stu-
direnden gelesen und studirt sind eine Quelle der Belehrung,
ein Mittel der GeisteSentwickelung , das befruchtender ist, als
So vieles Andere, das mit Pomp und beschränktem Stolze als
solches allein angepriesen wird. — Indessen, wie gesagt, wir
wollen Hrn. R. logische Anordnung der Bedeutungen in sei-
üem Werke nicht absprechen) und können es nicht, wenn
wir geredet seyn wollen. Aber dies hindert uns nicht zu be-
haupten ,' dafs dennoch manche Bedeutung an einer Stelle stehe,
Wo die Logik sie eben nicht hinzuthun gebietet^ Z. B. wenn
es unter ayü ganz richtig heifst : ich führe, leite, brin-
ge, eigentlich von lebendigen* dann auch von
leblosen Dingen; ich führe an; Med. ich hole mir
u. s. w und unter Nr. 6. ich regiere, erziehe* unter-
richte; so folgt unter Nr. 7. ich treibe das Vieh. Dies
gehörte voran, und t$ hätte oben nach bringe fortgefahren
Werden sollen: treibe, jage (welches Wort Frisch in sei-
nem unschätzbaren deutsch - lateinischen Wörterbuche mit
Recl.t von ayw abreitet), und dann sollte folgen: eigent-
lich von lebendigen (Menschen und Tbieren),
dann von leblosen Dingen. Geordnet ist indessen flie-
ser Artikel bei weitem besser, als, bei Schneider, der aber
die Bedeutung wiegen vor Hrn. R. voraus hat. — Was die
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Reichenbjich gcirch. deutsehes Wörterbuch, 69
Berichtigung der Wortbedeutungen betrifft , so hat
Hr. K. auch hi«rin allerdings viel geleistet, besonders in Ver«
gleicbung mit seiner ersten Auflage, jedoch auch an sich he,
trachtet. Bei einer so endlosen Zahl von Einzelheiten wird
indessen Niemand erwarten , duis ein .Lexicograpb nichts mehr
zu wünschen übrig lassen sollte. litis dies auch hier der Fall
ist , wollen wir nur an einigen Beispielen zeigen, mehrt utn
anzudeuten, von welcher Art diese üesiderien sind, als um
das Werk oder einen Theil desselben durchzugehen, wozu uns,
in diesen Blättern der Raum nicht vergönnt werden könnte.
\flxoaAo; wird von chkOs und aMopcu hergeleitet , und ihm die Be-
deutung schnell springend zugeschrieben; dann von cuVj$
und aki »nit der Bedeutung schnell segelnd. Aber Passow
sagt mit Recht, an eine Zusammensetzung mit Jaäsuh hätte
nie gedacht werden sollen. Bei \^vy*f fehlen die Bedeutungen;
a b g eschiedener Geist und: Geist, Eigentümlich-
keit eines Schriftstellers, dagegen hat Hr. R. die Bedeu-
tung das Mark in den Früchten vor den Andern voraus.
Bei ^v^ayojyoi durfte die Bedeutung : die ah geschiedenen,
Seelen durch Opfer u. der gl. versöhnend, besänf-
tigend nicht fehlen. Bei &dgorcs mufste Pastows, berichti-
gende Berneikung, da(s die Bedeutungen e n s c h e n le e r sehr
zweifelhaft seyf berücksichtigt werden. Bei Tu uyaSu ist wie
bei Allen p auiser bei Schneider , die Bedeutung £ u te Ei ge n -
scharten ausgelassen, wo Schneider das Lateinische bona
(bei Cic. ad Famm. IV. 3.), in demselben Sinne, vergleichen
konnte. Unvollständig ist der Artikel dyo^u , denn es fehlt,
wie bei Rost, die Bedeutung Redegabe. 'Ayfavha'* Das.
Fest der Agraulos oder Aglauros zu Athen, ei-
ner Tochter desCecrops und der Nymphe Aglau-
ris, und Priester in der Minerva, daher uyXav?t'&ii
(sie) die in ihrem Tempel dienenden Priesterin-
nen. So Hr. 11., der diesen Artikel ganz allein bat. Aber
nun kommt weiter vorne der Artikel 'AyAav^'&St und da beifst
es; zu Athen die Parzen. Wie harmonirt das? Das.
letztere ist aus dem mehrmals genannten Basier Lexikon, wo
Wörtlich, aber ohne Beweis , steht: Ab Athcnaeis dicuntur fata%
parcae , [xoi^at. Das ist wohl eine Verwechselung der drei
Bchicksalsschwestern mit den drei Schwestern Agraulos, Heise
und Pandrosos, über deren Bedeutung s. Creuzers Symb. und
Myth. lf. p. 729 ff. — Von hoi^'&ac konnte Hr. R. die rich-
tigere Erklärung bei Passe w finden^ JjLojTttßof ist nach dem,
was Schneider und Passow (vorzüglich nach Groddeck, Beck
Vnd Böttiger) gesagt babefl, docji zix wYoJlstpndig, \Y?ni6e*
•
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70 Reichenbach grieeh. deutsehet Wörterbuch.
richtig hat Hr. R. xapaßaTTurrj; falsch getauf ter als Fassöw
falscher Getaufter oder Schneider unächter Christ.
— Mit der Aufnahme I c h wi er i ger und seltener Dia-
lektformen in die Reihenfolge der Artikel sind wir einver-
standen , und haben alle Ursache damit zufrieden zu seyn.
Ueher das Mehr oder Minder wollen wir nicht ins Einzelne
und Kleinliche gehen. Denn während Einer fragen möchte,
warum denn nicht das Lakonische yaßs^yo; für as?yo;9 und doch
das Arkadische {^rägov für ßagaSfow aufgenommen sey, könnte
ein Anderer fragen , warum denn bei dem aufgenommenen
•yfcVrp die spätere Theokritische Bedeutung iyivsro anachronistisch
zuerst, und die Homerische für «Asto zuletzt gesetzt sey?
Doch möchte Hr. R, auf beiderlei Frdgen ziemlich genügend
antworten können. Bei andern Fällen vielleicht weniger : -
z.B. warum er denn unter ivrl blos anführe, dafs es 3. piur«
praest Dor. für st<rl sey (wekhes freilich wahr ist: Theoer. IV-
52. )•> und nicht auch, dafs es 3. sing, praes. Dor. für i9T) sey$
welches eben so wahr ist , und zuerst stehen sollte: s Theoer.
I. 17. i vrx TtKoop — Die p ro s o d i s c h en Be z eich n u ri-
gen sind in neueren Zeiten mit Recht als einem Lexikon un-
entbehrlich und unerlafslich erklärt worden, und nach Rie-
mer, Rost und Passotv hat auch Hr. R lohenswerthen Fleifs
darauf verwendet. Aber keiner hat noch den fühlbaren Man-
gel eines prosodischen Wörterbuches ganz genügend ersetzt^
wiewohl Passow in diesem Punkte am wenigsten zu wünschen
übrig gelassen hat. Dafs bei Hrn. R. , so viel er auch leistet,
doch noch eine grofse Nachlese zu halten sey, würde schon
zu vermuthen seyn . wenn wir auch nur sagten, dafs eins der
allergangbarsten Wörter, xaA*;» unbezeichnet geblieben ist.
Wir wollen nicht die kritische Genauigkeit Passows (unter d.
W.) verlangen, der Zeiten und Schriftsteller genau unter-
scheidet, aber gar keine Bezeichnung ist zu wenig. Natür-
lich, dafs dann auch Bemerkungen fehlen, wie die, dafs Xaß^ci
einmal (bei Eurip. Herc. für. 84 1. ed. Matth.) kurz vor-
kommt, dafs fjgfati bei den Epikern lang, bei den Attikerri
kurz sey, u. dergl. Fehlen solche Sachen doch auch bei Rie-
mer. — Auch das Uebrige, was Hr. R. von seinem Wörter-
buche .rühmt, Aufnahme der noth wendigen Constructio*
nen, der Gräcismen, der naturhistorischen Artikel
finden wir (um kurz zu seyn) gröfstentheils beifallswürdig ge-
leistet. Dafs noch Manches zu thun ist, zeige der Mangel
der Redensarten tu?T^ «?^g wie er g'^ng und stand, oJ? trohwv
fT^ov was ihre Filfse vermochten. Aber wie viel überhaupt
dem Artikel t'^cu fehlen mag, ergiebt sich, wenn man erwägt
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Reiclienbach griech. deutsches Handwörterbuch. 71
dafs dieser bei Hrn. R. 19 Zeilen, bei Passow 5 Columneii
enthalt. Die naturhistorischen Artikel lassen sich noch aus
den Zusätzen zu Schneider sehr ergänzen. Wir schlugen £v-
v>jcqv auf, und wurden auf av^ccv verwiesen; da 6teht : was
avuSev, Dill. Aber avuSov ist Druckfehler für a-^Ocv, und fin-
det sich natürlich gar nicht. Wie wir über die durchgängige
Unterlassung der Anführung der Auetoritüte n
denken, haben unsere Leser schon bemerkt. Wir halten sie
für zulässig in einem Schullexikon für Anfänger, wie da*s Rost*-
sche ist; wir halten sie auch für zulässig in einem Würter-
buche für die zahlreiche Klasse von Liebhabern der Griechi-
schen Sprache, die, ohne tiefer in die Sprache und die Grie-
chische Literatur eindringen zu wollen , ein Griechisches
Wörterbuch brauchen. Diesen leistet Hrn. Ks. Werk durch
seinen Reichthum Dienste, wie kein anderes, \nd empfiehlt
sich dahei, bei gutem und sehr correctem Druck und gutem
Papier, durch seinen gewifs billigen Preis ; und wir müssen
erklären, djfs Hr. II., was er in der Vorrede versprochen
batj mit rühmlicher Ausdauer geleistet, und billigen Forde-
rungen allerdings Genüge gethan habe. Von den drei vor
uns liegenden, in der aufseien Form und Unterlassung des Ci-
tirens und Raisonnirens sich gleichenden , Wörterbüchern von
Planche, Rost und Reichenbach geben wir dem Reichenbach'»
sehen unbedingt den Vorzug, wobei dem Rost'schen, wohU
feilern und die Spitzner'sche Zugabe nebst dem Deutsch-Grie-
chischen Theil« jetzt noch vor der Hand voraushabenden
Werke immer noch Käufer genug bleiben können. Zur Ver»
gleichung theilen wir hier noch den Artikel /UAAw aus den drei
genannten Werken mit,
Planche.
B*AAcu, /. ßaXtZf p. ßtßkwai aor. 2. tßa\av$ p* moy. (nach alter
Weise, das Perf. Medii) ßißs\ay jeter, lancer , contre quehfu'un
*— attaquer quelquun, avec des traits , etc. j rapper en jetant , bla-
se r, atteindre. JSctkXw , jeter, sans diriger contre personne ce
qu'on jette — jetter , l*s yeux — re'pandre , des larmes —
mettre , dans sa tete, dans son esprit. Dans cette derniere sig-
nification on emploie plus souvent yaiuouoi. ZtkX*:!}* sau*
^CV, Herod. rouler dans sa f£t* t dans son esprit.
B&A<pt Äti metaussi pour j mettre, placer.
Rost.
BaAAoi, f. ßaktS und £aXA»J<r« , aor. ¥ßa\cv und ^AX>j<fa> pF. ß{-
ß\rty.a, werfen, schlendern, besonders das Geschofs, daher
schiefsen , treffen , verwunden, erlegen, 2. hewegen^ treiben.
3, bespritaen, besprengen, bestreuen, 4. fallen lassen , vei-
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72 Reichenbach griech. deutsches Wörterbuch.
Jieren. 5. legen, anlegen, anfügen; ablegen, hineinlegen.
ßaXXitv ri nvi ivi $u/jl£ , Einem etwas in das Herz legen, einge-
ben, anrathen. Med. ßaXt'aSat «vi (fywi» etwas zu Heizen
nehmen, überlegen. ßdXXsiv ^iX'tjjtäj Freundschaft knöpfen.
6. fallen, stürzen, rennen.
Reichenbach.
JJaAAeu, F. ßX^ctu, überhaupt: ich bewege von einem Orte zum
andern; ich werfe, stolse , schiefse, schleudere, giefse; 2) ich
berühre, treffe, verwunde; T/va, Karat, riva i einen; rtvl nvä
oder ata hrl nvd ti, einen mit ; 3) ich lasse fallen; 4) ich werfe
nieder; 5) ich stelle, lege an ; 6) metaph. ich übergebe, ver-
traue an; t/vi ti t einem etwas; 7) fi/$ r>)v Kag&'av nvost un^ •*»
Kaltaus ri oder Ti t/vi iv) $vfxtü9 ich lege einem etwas an's Herz,
d. i. ich rathe ihm etwas; Med. ßaXXo\xa( rt «k veüv oder£vi$£*7i»
ich nehme zu Herzen, ich überlege etwas , beschliefse etwa»
zu thun *).
Zu tadeln ist, dafs beide Deutsche das Verb um fällen,
das, wie fallen, Eines Stammes mit dem Griechischen ist,
nicht genannt und aufgerührt haben, dafs überhaupt beide auf
die Stammesverwandtschaft beider Sprachen nicht nur nicht
hingedeutet haben, sondern gar nicht geachtet zu haben schei-
nen." Freilich absichtlich , wie es scheint: denn Schneider,
Kiemer und Passow haben oft genug die Sprachen verglichen.
Aber hundertmal hätte nur ein Wort, oft nur gesperrter Druck
des entsprechenden Deutschen genügt, das nun gerade häufig
fehlt , 8. ß. hei qpaAAo«* Pfahl,, bei ffKojof, Schatten. Ret.
weifs aus vieljähriger und tausendfältiger Erfahrung, wie
fruchtbar eine solche Sprachvergleichung, nach festen Grund-
sätzen und in den gehörigen Schranken (nicht a ia Kanne mit
Uebertreibung, nicht a la Frenzel mit Seichtigkeit) geübt,
für die Einsicht in den inneren Bau der Sprachen ist, beson-
ders wenn man dabei die Lateinische Sprache auch herein-
zieht, deren Vergleichung sich eben so oft und uncesucht dar-
bietet. 9
Sollen wir aber sagen, welches Griechische Wörterbuch
wir nicht Schülern, sondern Studiren den empfehlen,
welche in den Geist der Sprache eindringen, und sich entwe-
der zu Philologen bilden, oder, sich vorbereitend auf eine
Facultätswissenschaft, diesem Studium eine feste philologische
- •
f) Eine grofse Menge der bedeutendem Artikel ist bei Reichenbach
nicht blos in diesem Verhältnifs, sondern bei] wehem ausführ-
licher, als bei den beiden Andern,
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Hachenbach griech. deutsches Wörterbuch. 73
Basis unterlegen wollen, welche in dem Wörterbuch Wink«
zum Forschm, Hindeutung auf das, worauf vorzüglich zu
sehen ist, offene Erklärung über das noch nicht vollständig
Erforschte, Andeutung des Standpunctes , auf dem gegenwärtig
die Sprachforschung steht, Unterscheidung des Sprachgebrauchs
nach den verschiedenen Formen der Schreihart, und nach den
Zeitaltern, endlich Hinweisung auf Schriftsteller älterer und
neuerer Zeit, und die besten Erklärer derselben, eigenthttm-
liche Ansichten und Behandlungsweise zu finden wünschen;
solche können wir an keins der drei genannten Werke weisen:
und während wir das Schneidersche Werk als dem Philologen
Oberhaupt unentbehrlich, das Riemersche (so sehr uns oft sein
Ton milsfällt) wegen Originalität und geistreicher Behandlung,
wegen Sprachvergleichung und sehr vieler höchst wichtiger
Bemerkungen Studii enden wie Studirten (welche, wenn sie
rechter Art sind, stets Studirende bleiben; als vorzüglich in-
teressant und wichtig bezeichnen müssen ; können wir für
die, welche nach den oben genannten Eigenschaften und Lei-
stungen fragen, einzig und allein das Passow'sche Wörter-
buch als solchen Zwecken vorzüglich entsprechend empfehlen.
Nicht, als ob nicht Schneider und Riemer zum Theil Aehn-
liches leisteten, oder als ob wir glaubten , Pastow leiste schon
Alles (das glaubt der treffliche Philolog wohl selbst nicht):
auch verkennen wir nicht die Ungleichheit der Bearbeitung,
die zwischen seinem ersten und zweiten Theile statt findet.
Denn das gleichförmiger bearbeitete ReichenbacrTscbe Wör-
terbuch hat von A bis K 930 Ooppel-Columnen, Passow bis
eben dahin 927: dagegen jener von A bis zu Ende 896, dieser
1134- Aber die Fruchtbarkeit und das Erregende dieses Wer-
kes hat kein snderes, und Ref-, der täglich Gelegenheit hat,
die Wirkung und den Einflufs sehr verschiedener Wörter-
böcher in den Händen von Studirenden genau zu beobachten,
findet sein eben ausgesprochenes Urtheil täglich bestätigt. —
Doch auch von Hrn. R. scheiden wir mit der vollen, seinem
Fleifse und seiner Sorgfalt gebührenden Achtung, und sind
Überzeugt, dafs es besonders in dem von uns angedeuteten
Kreise sein verdientes Publicum, und bei diesem Schätzung
und Dank finden wird,
i% . . . ......
-
. . . . I
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74 Aroalihea von Bottiger.
Am alt hea9 oder Museum der Kunstmythologie und bildlichen Alter-
thumskunde. Im Verein mit mehreren Freunden des Alterthums
herausgegeben von E. A. Böttiger, Oberaufseher der j\önigl.
Antikenmuseen in Dresden. Dritter Band. Mit 7 Kupfertaft In
und einem Steindruck* Leipzig, bei G. J. Göschen. 1825. XLV
und 49ö S. 8. 3 Thlr. Ö Gr.
■
Die zweijährige Verspätung dieses Bandes wird reichlich
vergütet durch den gewichtigen Inhalt desselben, und der
Verdienstvolle Herausgeber hätte das entschuldigende Vorwort
insofern spjren können, zumal da der langsame Druck hie
und da den Gewinn trefflicher Zusätze und selbst in der aus-
führlichen Voriede noch mancher willkommenen Nachträge
gebracht hat. , Da diese Zusätze, die Anmerkungen und die
Vorrede manche reife Epikrisis der hier gelieferten Aufsätze
enthalten, worin der Herausgeber, als Altmeister der Archäo-
logie, seine jetzigen Ansichten ausspricht, so kann sich eine
Relation oder auch Recension nur auf nachträgliche Bemer-
kungen erstrecken, und ich begnüge mich daher, einzelne
Gaben dieses reichen Füllhorns herauszuheben, zu betrachten,
und dabei meine unmafsgeblicben Meinungen besonders über
einen und andern Beitrag des Herausgebers selbst zu äufsern.
Schon der Vorbericht bringt eine gewünschte Ergänzung
zu dem gelehrten Aufsatz des Herrn G. H. Nöhden in Lon-
don über den Me m n o n (s. den zweiten Band) mit einer litho-
graphischen Abbildung der auf der Rückseite des Bildes sich
befindenden Hieroglyphen. Wenn der Herausgeber hiebei,
10 wie an mehreren Orten dieses Bandes, über die neuesten
Versuche, die altägyptischen Schriftarten zu enträthseln , sich j
in einem verschiedenen Sinne äufsert , so will Referent
dies als Wink und Aufforderung »um eigenen Schweigerl
benutzen, indem eben diese Verschiedenheit der Urtheile
eines und desselben grofsen Gelehrten in ihm die Ueberzeu-
gung bestärkt, wie mifslich es zur Zeit noch sey, hei diesen
kaum eröffneten Acten mit eigener Meinung dazwischen zu
treten. Den Band selbst eröffnet eine Abhandlung über den
Torso derRich mondischen Venus imBrittischen
Museum von D. G. H. N ö b d e n , , Aufseher der Antiken
desselben Museum. Der Verlasser bewährt in dieser, sowie
in andern archäologischen Arbeiten, aufs entschiedenste den
Beruf, einem so reichen Museum vorzustehen, und liefert
einen neuen sprechenden Beweis; wie sehr er unter den Ge-
lehrten Englands unserm deutschen Vaterlande Ehre macht,
und die auf ihn gefallene Wahl der Grofsbrittanischen Regie*
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Amaltlu-a von Bottiger«
75
rung rechtfertigt , wie sehr er aber a.cb und mit welchem er*
wünschten Erfolg er bemüht ist, die seither grofsentheilt unbe-
kannten Kunstschätze dieser an Antiken so reichen Insel teinrn
deutschen Landsleuten bekannter und nutzbarer zu machen.
— — Hierzu eine fein ausgeführte Kupfertafel , die dieses Kleinod
des Brit tischen Museum, so weit es in solchem Format mög-
lich, ist, genügend darstellt, — £s folgt eine Reihe von Auf-
sätzen über die Tripoden, zweiter Abschnitt; über
Tier unedirte und wenig bekannte Monument*
des alten oder hieratischen Styls von K. O. Mül-
ler, Prof. in Göttingen, mit vier K upfer tafeln. In dieser
Fortsetzung der ersteren Abhandlung werden wieder interes«
sante Gegenstände zur Sprache gebracht, welche auch dem
Herausgeher im Vorbericht zu verschiedenen Nachträgen An-
lafs gegeben. Ueber einige Punkte wäre gröfsere Ausführ-
lichkeit Wünschens Werth , z, B, über die *okXy<Tt; vih*)tov$ zu-
mal da neuerlich Ramshorn, Hausmann und andere Gelehrte
die Sache in verschiedenem Sinne gefalst. Das Weitere mtifs
der künftigen Fortsetzung der Comraentatt. Herodott. vorbe-
halten bleiben. Auch die Bezeichnung ^vtroü d-ri^Bov , Weichet
nur übersetzt wird reines Gold, sähe Referent gern näher
bestimmt, da ihm nicht unbekannt ist, was darüber, kei-
neswegs übereinstimmend, von Lempe, Eckhel, Matthill,
"Wurm, Raotil-Rochette und Andern bemerkt worden , und er
würde zu den oedachten Commentationen diese Beihülfe dank«
bar erkannt haben. In Betreff des von Hrn. Müller beschrie-
benen S am o t h r a c i s c h e n Reliefs nimmt es mich Wunder,
Wie der auf Alles aufmerksame Herausgeber im Vorbericht
(pag. XX f.) zu bemerken vergafs , dafs dieses selbige, viel-
leicht älteste Relief auch von Hrn. Doctor Schorn im neue-
sten Heft des Tischbeinischen Homer mitgetheilt und erläutert
worden, worüber ich selbst in diesen Jahrbüchern dasNöthige
hemerkt. Der zum Müllerischen Aufsatz (p. 34") beigefügte
Umrifs mufs ohnehin, weil er an sich nicht genügt, mit den
beiden Kupfern bei Schorn und Millingen verglichen werden»
Die Betrachtung dieser sehr alten Sculpturwerke gibt nun zu
manchen Erörterungen Anlafs, welche für die ganze Kunst-
geschichte bedeutend sind. Der erfahrene Herausgeber sagt
in Beziehung darauf im Vorbericht: „Nur Ober den Styl (Je-
nes Reliefs) scheinen beide (Millingen und Müller) nicht der-
selben Meinung zu seyn. Sebr bestimmt bezeichnet der Deut-
sche den hier herrschenden Kunststyl als den ältesten auch da-
durch» dafs die darin vorherrschende 'Einfalt und Ruhe sich
auch noch in einigen andern Griechischen Basreliefs vorfinden ,
76 Amalthca ron Böttiger;
die der ältesten Kunst zpgebören, und dafs erst in einer nach«
f olgenden Periode jenes überinälsige Streben nach leidenschaft-
lichem Ausdruck, grofser Bewegung und Angabe der Gelenke
und Muskeln eingetreten sey, worüber er denn mit Hein-
rich Meyer, der sowohl in seinen Anmerkungen zu Winckel-
mann, als in seiner zuletzt erschienenen Kunstgeschichte jene
Uebcrreste der alten Kunst mit dem gewaltigen Ausdruck und
Muskelspiel für den ältesten Kunststyl erklärt, und in der«
selbenBeziehung auch mit den Kunstepochen, die Friedrich
Thier ach in seiner ersten Vorlesung annimmt, sich zu ver-
nehmen haben wird. Ich gestehe, dafs ich bis jetzt aus voller
Ueberzeugung die Ansichten meines Weimarischen Freunde«
getheilt habe. Doch wer kann sagen, welche neue Frucht ,
uns der morgende Tag noch immer aus den Gärten der Hespe«
riden bringen wird?" — Im Texte selbst folgt: Uebertlie
Inschrift des Olympischen Helms. Ein Send-
achreiben des Herrn von Brönsted, Kon. Dkni-
• eben Geschäftsträgers in Rom, an den Heraus-
geber — eine strenge Kritik eines früheren Aufsatzes im
zweiten Bande der Amalthea, womit man die nachträglichen
Bemerkungen des Herausgebers S. 400. dieses dritten Bandes
und S„ \ \ 1 1 1 . des Vorberichts verbinden mul's, wo auch auf
Bock h's /Corp us Inscriptt. Graecc. I. 1. n. 16. pag. 34 stf«
Kecbt hingewiesen ist. Herr Ritter von Brönsted liefert
zugleich einen schätzbaren Beitrag zum Text des Pausanias
in einer Anzahl von Lesarten aus einer Handschrift derßiblio-
theca Angelica. — Von demselben gelehrten Kritiker haben
wir nun nächstens ein grofses Beisewerk über Griechenland
in einer Deutschen und einer Französischen Ausgabe zu er^
- warten. Referent, welcher einig« Proben der dazu gehörigen
Kupfertafeln gesehen, kann im Voraus die Versicherung ge-
ben, dafs hierin Ungemeines geleistet worden; Dafs von
Herrn von Brönstedt selbst nichts Gemeines zu erwarten
ist, braucht wohl nicht ausdrücklich bemerkt zu werden* — r
Der vierte Abschnitt dieses Bandes , zur Architektur der
Alten überschrieben, enthält i) eine Abhandlung über die
Bearbeitung architektonischer Formen des Air
terthums auf der Drehbank, 2) Versuch einer
Darstellung der architektonischen Vereine, zwe(
Vorlesungen, vom Kön. Baierischen Hofbauintendanten
und Oberbaurath Herrn von Klenze in München. Zur er-
sten Vorlesung, die einen noch wenig bekannten Punkt der
alten architektonischen Technik ins Licht setzt, gab die Ver-
anlassung: „ein seht gut erhaltener, ja fast unversehrter Du-
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Amaltbta tob Böttiger. J7
„ ri scher Knauf , von einer der Säulen des Pronaos aus dem
Tempel des Zeus Panbellenios auf der Insel Aegina genom-
^ men , und als Eigenthum Sr. Königlichen Hoheit des
9 Kronprinzen von Baiern (des jetzigen Königs
^Majestät) jüngst aus Athen in die Glyptothek nach iMüu-
n che 11 gebracht. w Oer Verfasser geht dabei von der kriti-
schen Behandlung einiger Stellen des Plinius (H. N. XXXVI.
19. VII« 56.) aus, und gelangt zu Ergebnissen , woraus allein
einige rätbselhafte Erscheinungen an den Ueberresten der an«
tiken Baukunst erklärbar werden. — Die andere Vorlesung
Uber die Bauvereine des Alterthums gewährt ein noch
aligemeineres Interesse, und ergänzt rückwärts die folgen-
reichen Untersuchungen« die Herr Or. Sulpiz Boisseree
neulieb über die Bauvereine des Mittelalters in dem ersten
Bande seines unsterblichen Domwerks angestellt bat. Auf
dem Wege jener Untersuchung liegen aber gleich vorn herein
die zum Theil höchst dunkeln mythischen Sagen von den Tel»
chinen, Kabiren, Kory hauten f Cyclopen , Pelasgern, Tyrrhe«
nern , tyrsenischen Pelasgern , und es gereicht gewiis der
Sache zum gröfsesten Vortheile , dals hier einmal ein theore-
tisch und praktisch bewährter Kenner der Architektur diese
Gegenstände mit der Fackel der Kritik beleuchtet. Da der
Vorbericht (S. XXV.) uns die angenehme Hoffnung gibt, der
"Verfasser werde diese und andere seiner Abhandlungen zu
einem gröfseren Werke umarbeiten , so wird derselbe nun
ohne Zweifel in den neueren Untersuchungen von Welcker,
Raoul-Rocbette und Andern mannichfaltigen Anlafs zu neuen
und erwünschten Erörterungen rinden. — Die Vorlesung f
A p el 1 es und A n t i p h i 1 u s von Herrn Prof. Tülken in Ber-
lin, die sich an die Kienzischen anreiht, ist, wie auch der
Herausgeber im Vorbericht (pag. XXV f.) bemerkt , ein will-
kommener Beitrag zur Kritik der Griechischen Kunstgeschichte.
Es ist wohl keinem kritischen Geschichtsforscher unbekannt,
dals die Geschichte der alten Kunst von den alten Bericht»
erstattern selbst mit manchen Fabeln verbrämt uns überliefert
worden , und Sichtung thut hier vor Allem Noth. Würdi«
gung der Gewährsmänner, wie hier des Lucia n , mufs die
Grundlage bilden. Ohne diese Bemerkung auf die Tölken*-
sche Erörterung anwenden zu wollen, mufs Referent doch
bekennen, dals neuerlich auch hierin Grundsätze hie und da
adoptirt worden sind, die zu einer Alles bezweifelnden Skepsis
führen möchten. Er möchte seihst nicht alle Ansichten des
Würdigen, Herausgebers (p. XXVI.) zu den seinige.n machen.
~- Unter der Rubrik Archäologische Beiträge folgen
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I
73 Ainalthea Ton Bulliger,
nun zuvörderst drei sehr gehaltreiche vom Herausgeber seihst:
I. (Jeher die sogenannten Karyatiden am Pandro-
s e li m in Athen und über den M i f s brauch der Be-
nennung: Karyatiden. II. Zwei antike Silenus-
lampen. Nebst einem späteren Zusatz. (Hierzu die
Kupfertafel VII.) III. Afrikanische Antilopen auf
alten Denkmalen. Nebst Auszug eines Briefes
von Prof. Lichtenstein in Berlin. Von E. A. Böt-
tiger. Aufserdem enthält dieselbe Abtheilung dieses Bandes
IV. Fortsetzung der Bemerkungen über antike
Denkmale von Marmor und Erz in der Florenti-
use he n Galerie (bis zur CLL Kupfertafel der Galeria di
Firenze), vom Hofrath Heinrich Meyer in Weimar.
Die ente Abhandlung von Heirn Hofrath ßüttiger eröffnen
sehr unterhaltende Nachrichten von den geretteten Bau - und
Sculptiirwerken auf der Burg zu Athen, von der malerischen
Wirkung, die dieselben noch jetzt auf den Beschauer machen,
und von dem Schicksal mehrerer jener sogenannten Karyati-
den , wobei denn auch das jetzt allgemein bekannte: „Quod
non fecerant Gothi, fecerunt Scoti « vorkommt. Nur dafs
jetzt manchem Leser dagegen einfallen wird: Quid vero fa-
cient Turcae? nämlich wenn sie Athens wieder Meister wer-
den sollten (was Gott verhüte), und wenn sie nicht alle so
sind, wie der Eine, von dein hier geschrieben steht. — Aber
eben weil es geschrieben steht , hebt sich leider das letzter«!
wenn von selber auf. Die Untersuchung Selbst würdigt mit
Recht die von Lessing schon angezweifelte mührchenhafte Er-
Zählung von den gefangenen Karerinnen, und führt zu dem
klaren Ergebnifs : Es sind Kanephoren. Den Gang die-
ser mit eben so viel Scharfsinn als Belesenheit durchgeführten
o
Erörterung können einsichtige Leser schon aus folgenden we-
nigen Worten vermuthen : „Es ist aus der Hauptstelle beim
Pausanias (III. iO. 8.) zur Genüge bekannt, dafs die L,u
cedämonischen Jungfrauen ihrer grofsen Licht-
und Naturgöttin, der zur Dorischen Jägeriii
umgestalteten Artemis, zu Karyä alljährlich
einmal den alten asiatischen Hierodulentanz in
einen eigenthüralichen Nationaltanz umgestal«
tet aufzuführen pflegten.** In dem späteren Nach-
trag zum obigen Aufsatze geht der Herausgeber von
einer durch den gelehrten Herrn Mein ecke in Danzig treff-
lich behandelten Stelle des Ei phorion (Fra^m. XLII. qp*AewXo-
v. • x :.->. xuhati) aus, zeigt, wie dieser Gelehrte in Betreff
jener Mädchenstatuea zu Athen mit ihm selber übereinstimme
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Ämahhea von Boitiger. 79
(„Bei dieser Veranlassung erhebt auch er — Meinecke — die
volJwicfatigsten Zweifel gegen den allgemein angenommenen
Sprachgebrauch , die berühmten Kanephoren am Pandroseum
in der Akropolis Karyatiden zu nennen, mit der feinen Be-
merkung, dafs die ganze Tracht und Gestaltung dieser unver-
gleichlichen weihlichen Figuren ganz dem attischen y aber nicht
dem dorischen Costüme entsprechen w ) , und fügt eine Reibe
gelehrter Bemerkungen über diesen und verwandte Gegenstände
hinzu. — Im folgenden Aufsatze: die Silenuslainpen,
zwei antike Bronzen (wobei eine Kupftrtafel) ^ bringt
der Herausgeber auf die lehrreichste und anziehendste Weise
mehrere Gegenstände zur Sprache, z. B. die Technologie und
den Kunsthandel der Alten (wobei der Wunsch eines Werks
über diesen Gegenstand geäufsert wird), die den Alten be-
kannten Beleuchtungsarten mit Vergleichung der neueren, die
Lampen so verschieden nach Material , noch viel verschiede«
ner und inannichfaltiger in den Formen, mit einem Blick auf
die darüber vorhandenen Werke und mit dem Wunsche eines
neuen, gehörig gesichteten und geordneten (eine antike
Lychnologie möchte ich sie nennen), und kritisch- phi«
lologische Bemerkuugen über die Namen der Beleuchtungs-
gefälse bei den Alten, über die antike Behandlungs - und ße«
wahrungsweise des Weines und anderer Flüssigkeiten u. s. w.
In dem Zusatz werden über die Doppelnatur der Silenus-
mylhe Winke gegeben , über die hoch ernste und hinwieder
Über die scherzhafte Seite dieses Mythus. „Allein** (heilstes
p. 183 f.) »jSO wie er (dieser Mythus) von Phtygien und Ly-
dien her, woher die orgiastisebe DionysosFeier nach TLu-
„cien und über die Inseln nach Bootien kommt, ist auch der
„zweiten Darstellung, der Trink» und Genufslust, die erste
»Anregung gegeben. Als Pädagbg (er war ja im Sinne der
M eing«: bornen Griechen ein Barbar) des Bacchus auf dem fabel-
„ha&en vorderasiatischen Nysa , als Feldherr bei seinem Zug
„nach Indien (eigentlich umgekehrt, von Indien
„her, von Hinterasien nach Vorderasien und
„Kleinasien), tritt er zuerst auf, und dies wird der Ver-
w einigungspunkt beider Vorstellungen. Nun gibt es in der
„Dichtung sowohl als in der bildenden Kunst keine Lächer-
lichkeit , keinen Muthwiilen, der nicht mit dem alten Trun-
kenbolde getrieben würde.«« Hiebet nun noch eine, nach
di s Verfassers Meinung noch nicht gelösete Autgabe: „Oh in
dem asiatisch - phrygischen Silenus- und Marsiasmythus auch
schon ein Keim von der lächerlichen Darstellung, wie sie
der lebenslustige Hellene aufgriff, sicher nachzuweisen ist»
uigiiizea
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80 Amaltbea von Böttiger,
wobei die Zeit genau angegeben werden müfste, wo die alten
Dithyrambensänger und .Lyriker überhaupt den Silen su einer
scherzhaften JYlaske umbildeten.« — Soweit der Verfasser.
Die Frage nach dem „komiicben Keim« des Silenenmy-
thus beantwortet sich, meines Erachtens, einem Jeden von
seihst, der tum Grundgedanken der ganzen Dionysischen Re-
ligion hindurchgedrungen *). War nämlich Dionysos die
verkörperte ge*taltenreiche Natur, die bunte Sinnen weit , so
war damit ursprünglich und nothwendig der physische Ge-
gensatz selber gegeben, und mit dem Gegensatz die hervor*
tretende Dichotomie des göttlich- und heroisch -Tragischen
und des menschlich - und halbthierisch- Komischen; ist ferner
•Silen, wie er ist, nichts anders als der Bildungstrieb des
Stuffes in noch unvollendetem Bestrehen, eine schöne Sinnen-
welt hervorzubringen, so mufs das Ungeschlachte im bizarren
Verein mit dem Gebildeten, das Hüfsliche im widersprechen-
den Bunde mit dem Schönen, das Geistreiche mit dem Geist-
losen und Dumpfen des Silen us ursprünglicher Begriff und
sein eigenstes Wesen seyn, und nicht etwa erst der asiatisch*
phrygische Silenus, sondern der oberasiatische , ja der
Silen von Anbeginn und überhaupt mufste gerade den phy-
sischen Gegensatz unter der Form des plumpen
und zugleich geistreichen Dionys userziehera
aussprechen; er mufste mit einem Worte als der älteste Eiron
der Welt auftreten.
Doch nicht um dieser mystischen Gedanken willen babe
ich jene allgemeinen Sätze des Verfassers hervorgeholten und
beleuchtet, sondern um damit einige kritische Bemerkungen
über die im Aufsatz seihst aufgestellte Erklärung der beiden
bronzenen Silenslampen vorzubereiten, besonders der einen ,
worauf es eigentlich ankömmt.
— ■ -
•) Welches aber vernünftiger Weise bei christlichen Öelehrten nicht
heifst : der an diese heidnische Religion glaubf.
(Der Beithlufs folgt;)
<
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N. 6. 1826,
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur»
. Amalthca Von E. A. Böttiger.
(Bmc/i/«//,)
Hören wir den beredten Ausdeuter selbst i „Es isfc
Grundsatz (p. 172 f.) der antiken Kunst, das Gemeinnützliche
dem beengenden Kreise des Bedürfnisses zu entnehmen, und
durch veredelndere Gestaltung zu einem wahren Kunstwerke
zw steigern. So tritt auch im vorliegenden Falle die Lampe"
als ein blofses Nutzgeräth völlig zutitck. Sie wird zu
einem alten, aber noch immer muskeif estert
Glatzkopf mit vorragender Stirn und aufgestülp-
ter Nase, mit einem Worte, zu jenem stets dur j
stigen, stets bezechten Gefährten und Pflege^
vater des Bacchus, zu einem leibhaften Silem
Er ruht aus, oder hat sich vielmehr niedergekauert, und hält
nun die zwischen seinen Schenkeln hervortretende Lampe mit
Händen und Füfsen fest umklammert. Sein halbgeöffneter 4
lechzender Mund ruht auf der Oeffnung in der Mitte der Lam-
pe, wo man das Oel eingiefst" u. s. w. — Hier also die Be*
Schreibung der Lampe. Nun die Erklärung (p. 1"73.) : „Aber
was hat denn nun dieser alte Zecher mit der Od - Lampe zU
thun? Will er vielleicht, wie jene Ratten oder Mäuse, die"
wir als verrufene Oel- Näschef scherzhaft auf mehreren altert
Leuchtern und Lampen dem Oel nachstellen sehen, das Oel
ausschlürfen! Warum nicht? Wissen wir doch* dafs be»
aonders in Italien und Spanien * Wo das Oel überall die Stell*
der Butter Vertritt, ausgelernte Trinker, Wenn sie berauscht
•ind, durch einen Schluck Oel die Dünste des Rausches nie-
derzuschlagen suchen. Allein mein antiquarisches Gewissen
gestattet mir
Urn sie ganz
Ulglleder dazu ge
iiihrtt» ist der gefüllte Weinschlauch. Und den läfst der Alte,
wenn er einmal angezapft ist, tüchtig auslaufen. Diese Idee*
XIX- Jalirg, 1. Heft« Ö
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$2 AmahUea von Büuiger.
«
ergriff die Plastik der Alten. Bacchus selbst vermahlte sich
ja im ganzen Alterthum mit den Brunnennymphen (d. h. man
trank den Wein nur mit Wasser gemischt). So riefen
auch die bildenden Künstler da, wo sie F o nta i «
u e n schufen, Spring quellen" aus Röhren her-
vorlaufen liefsen, das Bild des Silenus zu Hülfe,
Die Sprihgbrunnenmündung wurde zur Mündung eines
Schlauchs , der vom beistehenden Silen in allerlei komischen
Stellungen gedrückt , statt der süfsen Bacchusgabe klare Nym-
phengabe hervorschüumen läfst, wohl immer eine verdriefs-
liehe Verwechselung für jeden, der mit Horaz zur frohen
Stunde dem Wassertrinken alles Böse nachsagt. Solche
Brunnenfiguren mit auslaufendem Schlauche
heifsen daher im Alterthum vorzugsweise Si-
len e , oder nach der dorischen Aussprache S i -
Jane." — (p. 175 f.) «Die Vergleich ung mehrerer
bronzenentampen — setzt die stufenweise Fort-
bildung des Silenus, der die geschnäbelte Lampe
zwischen den Füfsen hat, aufs er allen Zweifel.
So hat im bildenden Alterthum jede Idee, in Bildwerken aus«
geprägt, ihren Stammbaum!" — Ebendaselbst in der Note :
„Jedes au sge führte Kunstwerk erhielt nun, bei
der unglaublichen Bilderlust und Freude an Vervielfältigung,
auch eine verkleinerte, abgekürzte Form; wir
möchten es Kunstabbreviatur nennen. So scheint e%
nicht unwahrscheinlich, dafs eine grofse 2ahl noch
vorhandener Lampen in gebrannter Erde, wo das
ganze Lämpchen einen Silenuskopf darstellt,
dessen weit geöffneter Mund die Lampendille
bildet, die Oeffnung zum 0*1« in träufeln aber
eben auf der Glatze angebracht ist — auf diese
Weise entstand."
Dies wird genügen, um dem Leser die Ausdeutung des
Verfassers und den Gang, den er dabei genommen, deutlich
zumachen. Es ist unmöglich, mit grösserer Gelehrsamkeit
(wovon in den zahlreichen Noten die reifsten Fruchte aufge-
häuft sind), mit feinerem Witze und mit glücklicherer Com-
hinationsgabe eine Sache zu führen, als der geübte Archäolog
die seinige auch hier wieder geführt hat. Auch ist es gewifs
eine wahre Bemerkung, dafs im bildenden Alterthum jede
(zumal, möchte ich beifügen, eine so oft ausgeprägte) Idee,
in Bildwerken ausgeprägt , ihren Stammbaum hat. Aber sollte
diese Idee wohl diesen Stammbaum haben? und sollte diese
Deduction wohl nicht eine zu künstliche seyn? Das Alter-
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Amaltliea von Bottiger. 83
V
thum ist, wie allerwärts, so auch in der Bildnerei tiefsinnige
geistreich, aber, auch einfach. Hier abes werden einige
künstliche Mittelglieder eingefügt, um die Genealogie zu ver-
binden, Glieder, von denen nicht bewiesen worden, dafs sie
organisch in diese Familie gehören. Zuvörderst ist jene an-
genommene Abbreviatur unwahrscheinlich. Bei weitem
die gröfseste Anzahl (nicht blos eine grofse Anzahl) dieser
Lampen sind blofse Silenusköpfe, auch bronzene. In
einer Heidelberger kleinen Sammlung befindet sich eine solche
aus dem Museum Nani. Und ist dies nicht das Einfachste?
Führte nicht schon die durch den Zweck gehotene Lampen* •
form darauf? Das Einfachere pflegt aber dem Combi nir ten ,
dem Zusammengesetzten, wie die vom Verfasser beschriebe.
nenSilenuslampen sind, vorauszugehen; nicht umgekehrt ihnt
zu folgen. — Sodann mufs der YVeinschlauch zur Vermitte*
lung dienen, um den Silen an Brunnen und an Lampen erklär'
bar zu machen. Scharfsinnig in der That, und' ich will er
auch lieber Anderen anheimstellen , ob sie jetzt noch derr
Visconti mit seinen Fontonniers ( utrieulariis \ worüber
Schwartz schon in den Miscellaneis politioris hmnanitätis sehr
Vieles gesammelt hat) in Schutz nehmen wollen. — . . Aber
Wie nun, wenn ein allgemeiner physischer Begriff, eine ganz
natürliche und nothwendige Sache uns für den Brunnen - Silen
von selber eine Erklärung böte, ohne dafs wir erst nach dem
Weinschlauche, der hier sogar zu einem Vexirwerkzeüge wird,
die Ha'nde auszustrecken brauchten — eine Erklärung, die
eben so nahe und auf demselben Grund und Boden anzutreffen
wäre, wo die jetzt allgemein bekannte und allgemein ange-
nommene Antwort auf die Frage gefunden wird : warum die
Brunnenröhren und die Dachrinnen seit den ältesten Zeiten
bis auf den heutigen Tag so häufig Löwenköpfe haben? —
eine Erklärung endlich, die, was der Verfasser so geschickt
mit dem VVeinschlauch zu erreichen Wufste, über Bei de 8$
Über den Brunnen- wie über den Lamp'en - Silen , Aufscblufs
gäbe. Ja nicht über Beides blos, sondern noch über ein
Drittes, welches der umsichtige und gelehrte Verfasser bei
«einer Deduction ganz aufser Acht gelassen, nämlich, dafs
es noch eine Gattung vonSilenslampen gegeben«
solche, die nichts von Silen seiher an sich trugen , sondern
den Kopf des ihm beständig dienstbaren, getreuen Esels. Sie
kommt in dem calendarischen Monument der Villa Borghese
No 89 vor, und Jeder kann sie jetzt in seinem Miliin (Ga-
lerie Mythol. I. fl LXXIX. no. 33i.) finden. Gegen den
allenfallsigen Versuch, aueh diese Silenische Lampö durch
6*
\
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84 Amalthea von Bot liger. *
den Mittelbegriff des Schlauchs erklären zu wollen, Wörde
der einsichtige Verfasser selbst sich gewifs durch die Einrede
verwahren : das heifse ja am Ende den Schlauch zum Träger
des Esels machen , welcbes in die verkehrte Welt, nicht in
die alte gehöre. Eben deswegen mufs ich aber noch einen
Punkt berühren, der einen andern Silenischen Mythus an«
geht, und dessen der Verfasser nicht zu gedenken brauchte*
Der Satz: Silen ist des Dionysus Pflegevater — ist ein ein-
facher physischer Satz , und enthält eine ganz natürliche Wahr-
heit, diese; Licht, Wärme und Nafs sind die noth wendigen
Bedingungen zum Gedeihen des Weinstocks und zur Zeitigung
des Weines. Der Satz hat alM*r auch in einem allgemeineren
Sinne seine Wahrheit: Licht, Wärme und Feuchtigkeit sind
notbwendige Bedingungen alles natürlichen Lehens , und diese
schöne Natur in ihrer üppigen Fülle ist erst durch jene Ele-
mente geworden , wassieist. Jene Elementarstoffe und Kräfte
selber sind noch nicht die schöne, wohlgeordnete, Dionysi-
sche Naturwelt — sondern sie sind Materialien und Anregun-
gen dazu. Darum stehet der selber umgestaltete Silenus dem
Dionysius vor, leitet und bildet ihn. Darum singt auch Si-
len so gern von der natürlichen Dinge Ursprung
und wie sie allmähligGestaltung gewonnen (Vir-
gil. Eclog. VI« 3l ff.). Dieses vorausgesetzt und mit Bezie-
hung auf die obigen Andeutungen, ist nur Weniges von Nö-
tben , um zu zeigen, wie Silen mit Wassern und Brunnen ,
mit Licht und Lampen in Verbindung gesetzt wird. Zuvör-
derst heilst er ja selbst einer Nymphe Sohn (Theopomp.
ap. Aelian. V. H. HI. 1.8.), und was seine Verbindung mit
Quellen und Bachen noch näher beurkundet, er wird Gemahl
der Najade (Naf£©$ ano/Vas. Pindar. ap. Pausas. III. 15. Fragmm.
incert. no. 75.) genannt. Beiläufig bemerkt, wenn unser ge*
lebrter Verfasser an den Tropus erinnert, Bacchus wird
mit den Nymphen vermählt, so gehört dies in eine
andere Ideenreihe, die den Silen unmittelbar nichts angeht,
wie man schon aus der andern Formel sieht: den rasenden
Gott durch einen andern nüchternen mit Gewalt
zur Besinnung bringen ( Plato de Legg. Vi. pag 773,
p. 454- Bekker. und Plutarcb. an seni ger. respubl. p. 793. B.).
Hi*r soll der W ein durch Wasser gebändigt werden, aber
Silen ist deswegen Hausherr der Wassernymphe und Nym-
phensohn, damit Wein wachsen könne. Mit einem
Worte, schon kosmogonisch gehört Silenus dem Wasser«
reiche an* und das Gede hen der ganzen Vegetation ist an
seine feuchte Natur geknüpft. Darum bringt der Mythus di«
Amaltlua ron Bättiger, ' • 85
*
Silene mit Poseidon in Verbindung, und giebt ibnen den
Schweif des Neptunischen Tbieres, des Pferdes (Gerhard del
dio Fauno pag. 15.). — i Und wo finden wir den Silen, wenn
ihn die Leute fangen, damit er die natürlichen Dinge erklä«
ren soll? — an (Quellen, wie z. B. dort in Thracien an der
mit Wein vermischten Quelle Inna (Bion et Theopomp, ap,
Athen. Ep. II. 6.). Das war lm alten Naturgarten, wo in
tippigster Vegetation Hosen blüheten, und die Wassercru eilen
Wein mit sich fühlten, d. h. wo die gehörige Feuchtigkeit
den Weinstock nährte und gedeihen machte. — Auf diesem
Wege mufste Silenus wohl ganz natürlich zum aquilex, zum
Wasserleiter und Brunnenmeister werden, Die Künstler ein*
pfingen ihn als solchen schon vom Mythus und von der Volks-
legende. Was sie nun aus ihm machten, War ihre Sache,
war Sache der freien Kunst, die eben, weil sie frei und weil
sie Kunst ist, mit den empfangenen Gedanken genialisch spie*
len darf; und so mag auch mancher spätere Künstler da/Vexir*
spiel mit dem Weinschlauch, der Wasser giebt, hinterher
sich erlaubt haben. — Aber an denBrunneu ist Sjlenus n ich %
vom Schlauche, sondern von der Quelle un4 vom Was«»
s e r gekommen.
Wie aber kommt er zum Licht und aurlampe? Hier
wiU ich das Entferntere zur Seite lassen; wie z. B. dafs er des
XJranos, d^s Apollo, des Pan Sohn genannt wird, dafs er mit
dem Oiymptiskin Verbindung steht, dafs er mit Faunus ver*
wechselt ward (Gerhard a. a. O. p» 9 f.) , mit einem Worte,
dafs er mit himmlischen Mächten und mit Lichtgöttern
verwandt ist. Folgendes liegt schon näher, dafs er Phaötons
Bastard heifst (Matth. Gesner de Silenis p. 14 f.), wodurch
er halb und halb zu einem Enkel des Sonnengottes oder zum
Sohn eines Planetengottes wird. Planeten» undSternen.
geister greifen durch die S i 1 e n i s ch- B acc h i s c h e
Fabel durch. Der alte LaconischeLandesheros und Monds*
diener Astrobacus ('A^o/JaHo,-) ist einer aus dieser Sippschaft
_ und wie er Bacchus heifst, so hat er auch den Silensesel;
und Fabel und Name gesellen ihn den Sternen zu (Symbolik
III. p, 21Qf. not. 155.). Silen aber, das ist ein Hauptsatz,
tauscht von Bacchus den Namen ein, und heifst selber Bac-
chus (Gesner a. a. O. p. 14 f. Man s. jetzt noch das^ Etymojo-
ticon Gudianmn p. 497. 1. 37, 38.). Er ist der alte Bacchus
er Urstoffe, der sich im blühend schönen Dionysos verjün-
gen wird. So wie dieser aber sein© eigene Persönlichkeit er*
langt und in seiner Gestaltung vollendet ist, tritt jener, der
alt« mifsgestalttte, _ali Gegensat» ihm gegenüber* Jener
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86 , Amahhea von Böttiger«
Stern- und Eselsdämon (und die aselli standen als Sternbild
am Himmel) war nun in dem dorischen Mondsdienst ein wach-
samer Hausgenius, und mit dem Hausfeuer in eine natürliche
Verbindung gesetzt. Es bat keinen andern Sinn , wenn in
einem Mythus der Silenusesel die Ehre der Vesta rettet (Syin-
bolik II. p. 634«)* — ^CD schicke dies deswegen voraus, weil
sich allein daraus etwas erklärt, was aus des Verfassers Stand-
Sunkt unerklärt bleibt; warum die Hauslampen auch
ie Splenische Zuthat der Eselsköpfe (wie die An-
tikensammlungen beweisen) an sich tragen (Symbol. III.
p. 211. not. löö.). Aber durch seine Glatze wird Silen dem
Licht- und Lampenschein noch ähnlicher, als durch seine Her-
kunft und durch das ihn tragende astronomische Thier. Er
ist ja der Ahnherr aller Glatzköpfe (er ist der (baA«K£cs oder,
Was dasselbe ist, der (pakav$oq vorzugsweise), und der kahle
Sokrates ward ja mit ihm nur verglichen. 2yju/3oAa 3s* sVt«.
(sagt Porphyr, beim Eusebius P. E. III. lü. von unserm Silen)
t$ psv <${kav9ov kcm CTtXmov nara. tvjv Ks(f>ceA>jv r>j; g^avey lra^o^ug $
Sinnbilder der Himmelsbewegung sind die Blumenliebe und
das Glänzende seines Hauptes. (Besser liest man wohl To juuV
(paAavSoy h. t- A. »das Kable, Blanke und Glänzende s. H.«
Das Wort gehört zu den vielen Abkömmlingen von tyauj, (jpa<-
vtu, luceo9 wovon dann zunächst (pa\ls, (J?aA/o$ und seihst (pdkav
j&of, d. i. Xajxv^og » \?jks;, g lä n z e n d , weifs, und das adjecti-
vische (bakvj^Mca d. i. ArjKq. Daher auch das vom Plato ange*
zeigte Komische im Anfang des Gastmahls l (pak^sv; in dem
Wortspiel mit Kahlkopf zu suchen ist. Daher auch $aA«H£og
vom Eustathius in lliad. y. p. 424. erklärt wird: 0f Kafa <"paA*c$,
?ro/ Acy^os» wer einen blanken Scheitel hat. Daher auch ein
Alter, y^cuv, beim Diogenes Laörr. VII. 160. durch ^'AavScj
bezeichnet wird; s. Menage daselhst.) Wie volksmälsig und
wie alt diese Bezeichnungsart bei den Griechen war, beweist
unwidersprechlich die Spottrede auf den kahlköpfigen Ulysses,
der unerkannt in seinem Hause den Lampenbesorger macht f
wo Eurymachus sagt (Odyss. XVIII. 354 f.), von dessen Kopf
scheine ein Glanz wie von einer Fackel auszugehen, weil er
gar keine Haare mehr habe ( — SaTScuv <r4\a<; */x/«ya< alroZ *a<
y*(paA^; x. t- A ). Zu welcher Stelle Synesius in der Lobrede
auf die Kahlköpfigkeit, den besten Commentar liefert. Die
Kahlköpfe, sagt er (p. 74. ed. Petav.) , nenne man lieblich mil-
dernd Mondchen (crsA>jv/a), und wirklich seyen die Glatzen
dem Monde und des Mondes Phasen nicht blos gleichnamig,
sondern auch gleichgestaltig , denn vom Sichelförmigen durch
alle Veränderungen bis zur runden Mondsscheibe könne man
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■
Aiuilthra von Diitliger. 87
r
•
die' verschiedenen Viertel auf den Scheiteln der Kahlköpfe nach-
weisen. Die aber zum vollen Glücke Gelangten, nämlich die
ganz Vollmondigen, könne man mit vollem lUchte bereits
Sonnen nennen, weil sie nicht mehr zu verschiedenen Phasen
übergehen, sondern nun schon bestündig mit vollkommenem
Zirkelrunde den Himmelskörpern entgegenstrahlen (aXAa o<ar»-
. AoÜcnv cAexA^co rw kj'kAu» to7s nur gv'^uvqv avT/Aa/xTovr«;). Darauf
kommt er auf die Steile der Odyssee zu sprechen, wie dort
die jungen reichb^lockten Freier den kahlen Lampenbesoiger
Odysseus (kahl hatte ihn durch ihre Verwandlung Minerva ge-
macht: Odyss. XIII. 431.) erinnerten, er könne sich diese
Mühe ersparen, weil Sein kahles Haupt hinlünglichesLicht im
ganzen Hause verbreiten werde (cS$ a?*x*v*9$ ^% *s$uXZj; vtgjAap«
y^at t>jv oA>jv oUiav). Oie komische Farbe und Wirkung der Ho-
merischen Stelle hat ein anderer Gelehrter (im Classica) Journal
XII. p. 167.) angedeutet.
Ich wende mich wieder zum Silenischen Lampenbalter
und Lampen köfper , und sage nun: dieser fahl - und kahlköpfige
((jpaAaxpo,-, CpaAavSs;) Silenus ist nichts anderes als der phalleni-
sche Dionysos , oder jener alte 'Bacchus, von dein wir bei'm
Pausanias (X. 19. 2.) und bei'm Qenomaus (ap. Euseb. P. E. V.
36. pag. 233. ed. Colon.) lesen. Die Methymnäer auf Lesbos
bekommen ein Orakel, sie sollen den Italienischen Dionysus-
köpf verehren (^uXk^lv t*/W< ätovieou vtd^ycv) , wofür Paus**
jiias den Kopf- Dionysus (Aro'vuo-jv K^aXk^a) nennt. Schon
diese letztere Bezeichnung hütte die Alterthumsforscher war-
nen sollen, der abgeschmackten Vorstellung des Thepdoretus
(Graecc. Affect. Cutatt. X. 141.) kein Gehör zu geben, der
hier an den Phallus denkt — eine Mifsdeutunc , die schon
Liebe in der Gotha Numaria p. 187 scr. sehr gut beseitigt hat,
wenn er gleich darin irret, dafs er den MinervenUopr auf den
Münzen von Mediymna für jenen Bacchuskopf nimmt, Letz-
terer kommt freilich auf Münzen dieser Stadt vor, aber auf
andern iKckhel D. N V. II. p. 502.)- Phallenisch heifst
jener Bacchuskopf von dem falben (fahlen) Schein des Holzes,
woraus er gemacht war (der geistreiche Riemer bat schon
in seinem griechischen Wörterbuch diesen Wortzusammenhang
zwischen Pfahl und fahl, Holz und Schein, richtig nachge-
wiesen). Die Fischer hatten nSmlich in ihrem Netze aus dem
Meere einen Kopf von Oelbaumholz heraufgezogen. Er nä-
herte sich etwas dem Göttlichen, doch zugleich hatte er etwas
Fremdartiges und an den Hellenischen Göttern nicht Bemerk-
hares. Aehnlich beifst es vom Silenus: „Er war unansehn-
licher als ein Gott von Beschaffenheit, doch besser als ein
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88 Amalthea von Böttiger.
JYIansch« (Theopomp. ap. Aelian. V. A. III. 18.). Dabei be-
merkt Oenoraaus (a. a. O.): „Die Städte bringen nicht nur
den hölzernen Dionysusköpf'en ($aXA*jvcTs- Atovvacv xa^«
Vc/;), sondern auch den steinernen, ehernen und gol-
denen Opfer und VVeihungen dar." Jener hölzerne aber war
vom Oelbaume, wovon die Nahrung für die Lampen kommt,
Ist doch auch die Göttin deg Oelbaums dem Lichte besonders
hold. Sie hatte ja nicht nur dein Ulysses und Telemacbus vor-
geleuchtet (Odyss. XIX. 33. 340» sondern auch auf der Burg
zu Athen das ewige Licht (Pausan. I. 26. 7, Meursii Ce-
crop. cap. 21.), und daher ist auch das Pallasbild auf Lampen
nicht selten — wie auf einer thönernen in einer Heidelberger
Sammlung. Aber auch Bacchus und Silen sind dem Oelbaum
und seinem Erzeu^nifs hold , und auch ein eherner S i 1 en n s -
köpf kann wohl schicklich als Lampenge fä ff das Oel auf-
nehmen. Strahlt alsdann die Flamme aus der vorderen OefT-
Hung auf, und wirft der kahle eherne Scheitel den Schein zu-
rück, dann kann man an Mehreres denken; an den Phalleni-
schen (hölzernen, falben) Bacchuskopf von Oelbaum, den das
Meer aus seinem Grunde den Lesbiem zur Verehrung herauf-
fesendet — und barbarisch von Anhlick und Gestalt war und
lieb audi Silentis — an den kahlen und schimmernden Schei-
tel des alten Silen, der, Bastard des Phaöton, wie er
heifst, mit seiner blanken Glatze den Schein der Planeten in
bleicherem Schimmer wiederstrahlt; endlich an den Pflegevater
des schönen Dionysus , der über Feuchtigkeit, Licht und
Wärme waltet, und durch Nafs und Licht das Gedeihen der
Dionysischen Schöpfung vorbereitet.
So waren also Bacchisch-Silenische Köpfe vom
Holze des Oelbaums mit den dabei gedachten natürlichen Din-
gen mythisch überliefert, und es ist nicht unwahrscheinlich,
dafs man den Silen (EeiAqyo;) unter andern auch von <rs\a; ,
Glan z, Sch ein , eben deswegen (obwohl etymologisch nicht
richtig: Gesner a. a. O. p, 11.) ableitete — und so liegt e*
vor Augen, wie die Künstler dazu kamen, zum Träger
des JLampenöls und der Lampenflamme gerade
das kable Haupt eines barbarisch mifsgestalte-
ten alten Silenus zu wählen. Mit dieser Idee und mit
ihrem Bilde war auch gleich aus Eiuer Wurzel die er.nst-
bafte und die scherzhafte Anwendung gewachsen. — r
Ernsthaft angesehen, war ein solcher Silenuskopf das strah-
lende Sternenbaupt des alten göttlichen Bildners, der mit sei-
nem Licht das chaotische Dunkel der tellurischen Schöpfung
trjeuchtet, und deren Dünste mit seiner Wärme niederschlagt
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Amalthea von Böiiiger.
89
— kÖm i f ch ftellte sich der glatzköpfige Lampen -Silenus als
ein wahres osXyvtovf als ein Mondchen, wie man solche
Leute nannt«*, dar, und mit Seiner bizarren Q^sicht^form war
er ein lächerlicher Mimus der himmlischen Sterne. — Genug,
die einfachen Sileniscbe n L a m p e n k ö p t e waren g«-wifs die
älteren, weil die Silenusscheitel selber den ersten Ge-
danken an die Hand gegeben. Dai's nun der Witz und die
Spiellust der Künstler nicht dabei stehen Midien, sundern
durch Zuthaten von Löwenhäuten und Trinkgefäisen an die
mythische Geschichte des Halbgottes und an seine Zechlust er-
innerten, war ganz wieder im Geiste der regsamen und erfin-
derischen Einbildungskraft der Hellenen gegiüudet. In Betreff
des der Eingiefsungsöffnung genäherten Mundes widerstrebe
ich der witzigen Deutung vom Oeltrinken nicht , erinnere je-
doch an die zwergartige Cabirengestalt auf dem berühmten
Dresdner Candelaberfufs (Augusteum Tab. V — VII.) , die
auch den Wechsrind bärtigen Mund über dem Gefäfse hält;
und ich stelle es dem Verfasser an heim , ob dabei nicht an ein
kräftiges Hauchen zu denken ist. Silen war wenigstens das
Sinnbild der vom Hauch und Odem ausgehenden Bewegung
(etpßoXov irvs-jiMaTi*y{q k/v^csou; i Porphyr, ap. Euseb. P. E. III.
110, wobei schon Casaubonus de satyr. poesi p. 62. ed. Ramb.
das spiritus intus alit des Dichters in Erinnerung brachte).
. — Wie man aber auch über die hier angedeuteten allgemeine-
ren VorsteJJungt- n von jenem seltsamen Wesen, Silenus ge-
nannt , denken mag — das bleibt ferner nun wohl zweifels-
frei , dafs es bei den Silenischen La m p e n vor allen Din-
gen auf den Silenskopf, und was die dritte Art derselben
betrifft, auf das ihm dienstbare Thier ankomme.
Doch ßeni,g» und vielleicht zu viel über diese Silenus-
Jampen. Ich iriufs mich nun bei dem Uebrigen , das dieser
reicbe Band^nocb darbietet, um so kürzer fassen. Es folgt
Museographie, und zwar I. Ueber die Königlich
Preussi sehen Denkmäler alter Kunst. Erster
Nachtrag von Dr. Levezow in Berlin, worin besonders
von dtn Erwerbungen aus den schätzbaren Sammlungen des
Königl. Preussischen Herrn Generals von Minutoli lehr-
reiche Notizen gegeben werden. II. Nachrichten über
einige Antikensammlungen in England. Aus den
Tagebüchern des Prof. K. Ottfr. Müller in Göt-
tin g e n. Sodann T\aj$ pvoKrtvos das Käuzchen, der
Mäusetödter. Eine Zugabe. Nebst einem üinrifs
No. VII. von Böttiger. Man roufs es einigen geistreichen
Freunden de« Verfassers Dank wissen i dafs «i* ihn, so wie
90 Amahhes Ton Böttigef.
früher Raphael Mengs seinen Freund Winckelmann, in eine
archäologische Versuchung geführt. Herr Hotrath Böttiger
hat sich hinterher meisterhaft herausgezogen , und rächet
sich, wie reiche und grofsmüthige Männer pflegen, durch
eine nrcht kärgliche Spende aus dem Schatze seiner grofsen
antiquarischen Kenntnisse« Ehen deswegen leidet aber auch
diese Abhandlung, wie die meisten des Verfassers, keinen
Auszug — und wir wollen auch keine Eulen nach Athen tra-
gen. — Aber diesen Belehrungen nach darf man nun nicht
mehr, wenn von Athenischen Bildwerken, Münzen, Vasen
u. s. w. die Hede ist, von einer Pallas -Eule, sondern von
dem auf der dortigen Burg einheimischen Käuzrhen sprechen.
— Dabei nun noch viele andere Aufklärungen der antiken
Zoologie, Landwirtbschaft, Technologie, Sculptur und übri-
gen bildenden Künste. Bei Gelegenheit der Diota auf den
Athenischen Münzen werden auch gelehrte Erläuterungen über
den Attischen Oelbau, über die verschiedenen Gefälse und
über die Salbenbereitung der Athener gegeben* (worüber,
ausser den Genannten, auch Spanheim zum Callimachus H. in
Pallad. vs. 26. und Corsini in den Fasti Attici I. pag. 29 scr.
nachgelesen werden müssen. — Eine Athenische xJkvSc;, wor-
auf eine Salbungsscene, ' bisher im Besitz des kunstverständi-
gen Herrn Negocianten J. Dav. Weber in Venedig, welcher
sie kürzlich von Athen erhalten hatte, befindet sich jetzt in
einer Heidelberger Sammlung, und es wird gelegentlich nähere
N otiz davon gegeben werden.) Den Gedanken an den Frosch-
inäuslerkrieg bei der bekannten Homers - Apotheose lafst Re-
ferent gern fallen, kann aber nicht, so lange man noch in den
neuesten Abbildungen, wie bei Hirt, unter dem Fufsschemel
keine Schriftrolle, sondern dafür einen Frosch neben der
Maus zu sehen bekommt.
\ Die neunte Nummer enthält : Beiträge zu einer kri-
tischen Geschichte der Griechischen Künstler,
mit besonderer Berücksichtigung der in der kö-
niglichen Bibliothek in Paris befindlichen Hand-
schrift der Naturgeschichte des PJinius; aus
einem Briefe an den Herausgeber der Amalthea von Herrn
Julius Sillig (jetzt Professor an der Kreuzschule in Dres-
den). Der Verfasser ist derselbe, der schon im vorhergehen-
den Bande einen Beitrag geliefert, und sich auch bereits durch
eine werthvolle Ausgabe des Catullus (s. Heidelb h. Jahrbb.
1825. No. 74.) einen Platz unter den Philologen erworben.
Die hier gelieferten Beiträge (wodurch auch, gelegentlich
bemerkt, einige Stellen der trefflichen Epochen derGrie-
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Amahhea von Böttiger* 91
i
chiacben Kumt von Thiersph, dritte Abtheilung, be-
richtigt werden können) berechtigen zu grofser Erwartung;
und wir können dabei unsern Lesern die angenehme Nachricht
ertbeijen , dals wir nicht nur die eigentlichen Kunstbücher
des Tlinius in einer neuen kritischen Ausgabe von dem Ver-
fasser zu erwarten haben, sondern auch, was schon lange ein
nicht weniger dringendes Bedüifnifs war, eine gänzlich um-
eatbeitete Edition des Künstlerverzeichnisses von
unius. Auch beschält igt sich derselbe mit der, zum Be-
huf einer neuen Ausgabe veranstalteten,, Sammlung der klei-
nen Schriften seines Lehrers und Freundes Böttiger. —
Die unter Nummer X. angehängte : Archäologische Cor-
respondenz mufs nicht für einen gewöhnlichen Briefwech-
sel über archäologische Neuigkeiten genommen werden. Sie
enthält eine grolse Fülle von Mittheilungen über manchen
neuen Fund, aber auch gehaltreiche Erörterungen uud selbst
kleine Abhandlungen — Alles wieder mit gelehrten Noten
und Zusätzen des Herausgebers ausgestattet. Ich mufs mich
daher auf die Auszeichnung von Einigem beschränken : Der
Fund in den Trümmern von Selinunt (mit den Nach-
richten eines vom König). Bdierischen Oberbaurath Herrn
von Klenze zu erwartenden wichtigen Sicilischen Reise-
werks); — Auszug aus einem Brief aus Sicilien
(wo die Selinuntischen Sculptui werke den Herausgeber
zu einem Zusatz über die Kerkopen veranlassen, worin
auch derjenige, der gerade nicht alle mythologischen Ansich-
ten desselben gut heifsen möchte, ihm für mannichfache Be-
lehrung Dank wissen wird) • — Nachrichten aus Nea-
pel über die Ausgrabungen 'in Pompeji und das
Museo Borbonico, mit einem (gelehrten) Ex eure
des Herausgebers über die Mauerschriften bei den
Griechen und Römern; — Ueber des Haupt-
manns Goro von Agyafalva neuestes Werk: Wan-
derungen durch Pompeji, und einige frühere
Werke dieser. Art; — Nachrichte u aus Horn; —
Briefe des Professors Eduard Gerbard an den
Herausgeber (hiebei eine Nachschrift des letzte-
ren über die von den Herren IMatner, Bunsen und Ger-
hard unternommene Beschreibung der $tadt Korn;
— Ueberdes Baron Otto von Stackelberg neue-
ste Unternehmungen (nebst einer dem Referenten be-
sonders willkommenen Nachricht von den antiquarischen For-
schungen des Königl. Hannoverschen Herrn Legationsraths
Kenner in Rom); — Au« Frankreich; — Au« Eng-
i
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92 Amahhea von Buttiger.
land (mit kritischen Notizen des gelehrten Herrn Professors
Nöhden über bedeutende antiquarische Werke der Englän-
der , und mit einem willkommenen Zusatz des Heraus-
gebers: Ueber Richard PayneKnigbt); — Aus
Holland (von Herrn Professor R e u v e 11 s in Leyden , nebst
einem Zusatz des Herausgebers: Ueber die zwei
archäologischen Museen in Haag und Leyden. —
Hiebei eine Bemerkung des Herausgebers: — ^ „dafs wenig-
stens -auf keiner wohlorganisirten Universität ein jährlich
wiederkehrender Cursus der Archäologie länger veimilst
werden sollte"). Dazu aber ist die Zurichtung und
Ausstattung eines eigenen Antiquariums, d. h.
eines mit versinnlich enden Lehrmitteln ver.se-
henen eigenthüm liehen Hörsaals eben so u n e r -
läfslich, als ein physischer, chemischer und ana>
tomischer Hörsaal mit den erforderlichen Ap-
paraten und Sammlungen, Diese Wünsche sind an
manchen Universitäten bereits aufs schönste in Erfüllung ge-
gangen, während sie an andern fromme Wünsche bleiben
werden. — Aus Kopenhagen: Auszug aus einem
Briefe des Herrn Gierlev, über die Lage des al-
ten Carthago, mit einein Zusatz des Herausge-
bers. Zu den Briefen aus Wien (mit literarischen Zu-
sätzen y namentlich auch des Herausgebers, unter andern
über die Alexandrinische Rhetorstatue, mit einem
Kupferstich Tab. VIII.). — Den Besch! uft macht ein
(wichtiger) Nachtrag zur Museographie: Das Anti-
ken-Museum in Turin im Juli J 823. von Dr. Schorn in
Stuttgart. — Ein dreifaches Register über alle drei
Bände der Amalthea von Herrn Dr. Sillig in Dres-
den erhöhet den Werth und Nutzen dieser Sammlung, die
jeder Ph:lolog und Archäolog besitzen sollte, und der wir den
besten Fortgang wünschen, » ;
Q r 0 u 7t e ri
■
Von demselben Herrn Dr. und Professor Eduard Ger*
hard, dessen in voranstehender Anzeige einigemal gedacht
wurde, und der schon vor mehreren Jahren durch eine kiiti-
sche Schrift QLectiones ApollönianaB scripsit Eduardus Gerhardus,
Lipsiae l8l6.) und durch seine Ausgabe des Maximus -rs^f
xarafxdJv, Lipsiae 1820* sich als einen tüchtigen und scharfsin-
nigen Philologen bewährt hat ,J ist dem Referenten gan*
4
Gerhard, del Dio Fauuo. 93
*
kürzlich aus Neapel eine neue gehaltreiche Abhandlung zuge-
kommen, die von allen Mythologen und Archäologen gelesen
zu werden verdient, und worüber eben deswegen, auch ab-
gesehen von dem engen Räume dieser Blatter , hier nur ein
ganz kurzer Bericht beigefügt wird :
Del Di o Faun o E De* Suoi Sequaci. Osservazioni indirizzate all*
ornatissimo Signore D. Gaspare Selvaggi , membro della Real
Societa Borhonica, dt Odoardo Gerhard. Napoli9 dalla
Stamperia Reale. 1825. 8. 54 S, mit dem Register.
Schon die sehr reichhaltige archäologische Abhandlung des
gelehrten Verfassers über Venm-Proserpina im Kunst-
blatt machte den Referenten auf diese neue Schrift desselben
aufmerksam, und er fand sich in seinen Erwartungen nicht ge-
täuscht. Zwar ist es nur eine Gelegenheitsschrift, bei der
Aufnahme des Verfassern in die Herculanische Akade-
onie geschrieben, auch mufste für die Italienischen Gelehr-
ten, denen die neueren deutschen Forschungen seit Matth.
Gesner unbekannt sind, mit einer gewissen Ausführlichkeit
über manche uns nun schon geläufige Vorstellungen geredet
werden. Dennoch wird der aufmerksame Leser durch manche
neue Aufklärung über einzelne mythologisch - archäologische
Punl^te überrascht werden. Die Hauptsache aber ist , dafs der
Verfasser, nun schon seit Jahren im Vaterlande der Künste ge-
wissermafsen eingebürgert, mit deutscher Gründlichkeit diese
günstige Lage benutzt, und wenn er auf der eineVi Seite ein v
achtbarer Repräsentant unserer Philologie bei den Italienern
ist, andererseits jede mythologische Idee , jede Frucht philo-
logischer Forschung mit den dort im Ueberflufs vorhandenen
Kunstwerken des Alterthums in Vergleichung bringt, und so
Eins durch das Andere erläutert. Diese Methode verleibet
auch der vorliegenden Abhandlung für deutsche Alterthums-
forscher einen eigentümlichen Werth. — Die Hauptsätze
lassen sich mit wenig Worten anzeigen. Zuvörderst, dafs
Faunus nichts anderes als der Pan der Griechen ist; sodann,
dafs die Pane oder Faune sich nur durch die ihnen eigenthüm*
liehen Hörnchen von denSatlrn unterscheiden , denen sie gänz-
lich fehlen. Diese Sätze sind aber durch eine Menge einzelner
Bemerkungen und feiner Beobachtungen, mit philologisch -
archäologischen Ausführungen besonders auch in den inhalts-
vollen Noten, vorbereitet und bekräftigt; wobei denn auch
manche bisher noch nicht gehörig berücksichtigten Unterschei-
dungen gemacht werden. Man bemerke z, B. nur über die
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94 / Vömel Gcdächtnlfsluch der lat. Grammatikt
*
SUene folgende Rubriken p. 17 sqq. II canuto Sileno (2siXjjvo;to-
hoC) ; // Sileno barbato (ytvsttZv) J L' imberbe Satiro (dytveto;) ; Ii
Babbo-Sileno (Xt/Xijvc; irarxo; ossia UairxcaaiX^ci;). Referent glaubt
den Verfasser gerade bei diesen Auseinandersetzungen um so
mehr würdigen zu können, da er selbst auf diesem weitläuf-
igen Gebiete der Dionysischen Religionen einigemal gearbeitet
hat. Den Bcschlufs machen schätzbare Register: Jnäice I. degli
Aulori emendati ed illuslrati ; Indice II. de* monumenti illustrati. Ich
wünsche dem Verfasser Gesundheit und Mufse, um seine
wichtigen Arbeiten mit Lust und Liebe fortsetzen, und zu-
nächst seine angekün digteu Monumenti inediti liefern zu können.
C r e u z e /■•
Gedä chtni fsbuch der lateinischen Grammatik von Karl
Vömel. Frankfurt am Mainy Verla* der Hermannschen Buch~
lung. 1825. VIII und 208 S. kl. 8. 1 fl.
Der Vf., ein jüngerer Bruder des verdienten Rectors am
Frankfurter Gymnasium; Theodor Vömel, bietet hier Schul-
männern ein Hülfsmittel dar, für welches er ihren Dank er-
wartet, der ihm auch gewils von Vielen werden wird. Manche
werden zwar etwas Anderes erwarten , und erschrecken , wenn
wir ihnen sagen, dafs die Regeln und Ausnahmen über das
Genus der Substantive über ein Drittheil des Buches, nämlich
74 Seiten, füllen, dagegen die ganze Syntax auf 10 Seiten ■
abgemacht ist: sie werden den Kopf schütteln, wenn sie se-
hen, dafs ein Viertheil des Buches sodaiin die Ausnahmen der
Casusendungen einnehmen , und endlich zwei Fünftheile des
Ganzen mit Verzeichnissen vonVerbis ausgefüllt sind. Setzen
wir nun noch hinzu, dafs in den beiden grölsten Abteilungen
des Buches eine Menge Wörter stehen, die nicht nur dem
Schüler fast nie, sondern überhaupt fast niemals vorkommen;
so wird das Verdammtingsurtheil fertig seyn , und man wird
•ich die Mühe genauerer Betrachtung ersparen zu können glau-
ben. Und dennoch sind wir in vollem Ernste gesonnen, das
Buch aus UeberzeugiiMg zu loben und zu empfehlen. Unge-
achtet man längst von den beiden Extremen zurückgekommen
ist,' dem Gedächtnisse zu viel, und dann wieder fast gar
nichts zuzutnMthen , so ist doch in der lateinischen Grammatik
immer noch zu Vieles, was reine Getlächtnifssache ist , dem
zufälligen Behalten überlassen, und Manches, was zur gram-
matischen Genauigkeit unentbehrlich ist, findet sich bloa in
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■ *
. Vom»? Gedächtnifsbuch der iat. Grammatik. 95
Wörtcrbflcliern vereinzelt und un verbunden , so dafs es nicht
unter einen Ueberblick gebracht ist, oder es findet sich in
Büchern, die weitläufig, oder theuer, oder aus andern Grün-
den den Schülern, oh auch den Lehrern, nicht zugänglich
sind. Da hat denn Hr. V. die Werke von K. L. Schneider,
Struve, Ruddimann (Rudi man schreibt er) und Andern
benützt, und, anstatt wie Andere, die dem Gedächtnisse zu
Hülfe kommen wollten, nur das Gewöhnliche und Gebräuch-
lichste aufzunehmen, vielmehr Vollständigkeit zu erreichen
gesucht, und die ungewöhnlicheren und selten vorkommenden
Wörter am wehigsten weglassen zu dürfen geglaubt. Das
Gedächtnils wird übrigens, und wenn es auch noch so gut
ist, sich gegen das Lernen und Behalten so vieler im wirk,
liehen Gebrauche so selten vorkommender Einzelnheiten, he-
sonders in den Regeln vom Genus, stark genug sträuben j
was Hr. V. selbst gefühlt hat, und weswegen er die Anmer-
kungen blos für die oberen Klassen , jedoch weniger zumstren-
gen Auswendiglernen bestimmt hat. Dies hindert jedoch
nicht, dafs das Buch zu seinem Zwecke wirklich gebraucht
Werde und tauglich sey, und wir würden es neben jeder Gram-
matik, da keine Schulgrammatik das hier Gegebene so voll-
ständig giebt, zum fleifsigen Gebrauche empfehlen, sollte
auch Maiicher dieses Gedächtnifsbuch nicht in sein Gedächt-
nifs aufnehmen, sondern nur statt des Gedächtnisses brauchen
wollen. So viel Ref. aus dem blofsen Durchlesen des Buches,
ohne dessen Anwendung in Schulen selbst gemacht oder ge-
sehen zu haben, urtbeiferi kann, so ist die Anordnung wie
die Ausführung im Ganzen zweckmäfsig zu nennen. Nur die
Syntax würden wir entweder ganz weggelassen, oder mehr,
als hier geschehen ist, berücksichtigt wünschen. Besonders
verdienstlich scheint uns aber der vierte Abschnitt, Verba.
Dieser enthält 1. Impersonalia. 2« Intransitiva in Ansehung
ihres Perfects und Supinums. 3. Verba ohne Perfect und Su-
pinum. 4. Verba mit der Reduplicatiön im Perfect. 5. Ver-
ba nach der 1 Conjungation , welche ihr Perfect auf «£ oder i
und das Supinum auf itum oder tum endigen. 6. Verba der 2
Conjugation. 7. 8. Verba der 3 Conjugation 9. Verba der
4 Conjugation. 10. Gleichlautende Verba. Darauf folgt ein
alphabetisches Verzeichnifs 1. der Deponentia und Communia,
und 2. aller in der Bildung des Perfects und Supinums abwei-
chenden Verben. Druck und Papier sind sehr gut : um so
fataler ist es , dafs wegen Mangel der Quantitätszeichen in der .
Druckerei die Längen durch den französischen accent grave,
die Kürzen durch den accent aigu f und die mittelzeitigen
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96 Vomel Gedächtnifsbucb der lat. Grammatik.
Sylben durch den accent circonflexe (A) haben bezeichnet wer-
den müssen. Besser noch wäre der letztere umgedreht dazu
zu gebrauchen, wie z. B. Noei in seinem Gradus ad Parnas-
su im (Paris. 18 10. 8) gethan hat, der die Kürzen durch u, die
Syll. ancipites durch v bezeichnet. Um nun dem Hnl. Verf.
noch einige Verbesserungen für die künftige Auflage zu em-
pfehlen , fügen wir unserer Anzeige noch Folgendes bei.
Erstlich ist der deutsche Ausdruck de'r Vorrede nicht sehr gut,
zuweilen geradezu fehlerhaft : z. B. S. III. „das GedHcbtnils
erschweren" für beschweren (man erschwert das
Behalten). Ebend. der Gallicismus : „Alles sollt« — durch
den Verstand geschehen, ohne einzusehen". Ebenso
S. IV. »Aber es fehlt diesem Wenigen — die nöthige Vollstän-
digkeit — geleitet von dem Grundsatze, dafs nur das Ge-
wöhnliche — aufgenommen werden dürfe«. Worauf bezieht
sich nun geleitet? auf diesem Wenigen? auf Voll-
ständigkeit? Keinesweges! Es soll heifsen: da man sich
von dem Grundsatze leiten liefs u.s.w. Unter den
Beispielen sind uns unter andern folgende aufgefallen: S. ß.
in/ans d ej unc t a , ein begrabenes Mädchen. S. Z6. barbitus
def unctus , die aufgehörte Leier. S. 6. debitus verhäng,
nilsvoll. S. 64» stirps rapta9 der beraubte Stamm. S. 34.
arctos sicca, der trockene Bär. S. 112. soll sich inimicissimus
durch Feindchen geben lassen. Auch Druckfehler Knden
sich, z. B. S. 9. Cammerad. S. 34. Perpenticularlinie. S. 43.
beweifst (f. beweist). S. 76- libertatus (f. bus), Freigelas-
sener. S. 125. d§ribeo. Endlich würden wir mehr lateini-
sehe versus inemoi iales , auch solche, dergleichen in de*
Zumpt'schen Grammatik stehen, und die dein Gedächtnisse
sehr helfen, in ein Gedächtnifsbuch der lateinischen Gramma-
tik aufgenommen haben. .
»
• • <
• /
..I."'.*
■
\ •■ ■ -
1
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f
N. 7* 1826,
Heid elber ger
Jahrbücher der Literatur»
Atr-Miche Bemerkungen , veranlajst durch eine Reis* in Deutschland
und Frankreich im Frühjahre und Sommer 1824. Von Dr. Joh,
Heinr. Kopp $ churfdrstl. hessischem Oberhofrathe , Medicinafc*
Referenten u. s. w. zu Hanau. Frankfurt am Main, Verla*
der Hermannischen Buchhandlung, 1325, VI Dedikat- und Vor»
rede und 256 S. in kl. 8t 2 fl. 24 M
Vorliegende, den Herren Geb. Käthen von Leonhard
ünd Lehr zu Heidelberg und Wiesbaden, und dem Heini
Dr. R all mann zu Wiesbaden dedicii te Schrift ist die Fruchfc
einer Reise, welche der berühmte Verfasser, wie schon der
Titel besagt, im Frühjahre und Sommer 1824 in der Absicht
unternahm, seine, durch eine langwierige und schmerzharte
Unterleinskrankheit zerrüttete, durch den Gebrauch der Wies-
badener Heilquellen aber glücklich wieder hergestellte Ge-
sundheit noch weiterhin zu befestigen. Die Reise geht durch
da« Rheingau und die Rheinpfalz , duich einen Theil des
Grofsherzogthums Badert über Strasburg pach Paris, dem
eigentlichen Ziele der Reise. Denn „ vie^ragjsprtchen 1 für
Wissenschaft und für die verschiedenen Zweig» der Heilkunst
schien es nun (sagt der Verf. S. 4-),* hei hergestellten Kräf-
ten und erwachsender Thiitigkeit, Paris zu sehen, mit seinen
Rieserianstalten und dem Vereine grofser Gelehrten in einer
Stadt. Erfreulich war dabei der Gedanke; so manchen Arzt;
mit dem ich lange in Briefwechsel stand, persönlich kennet!
zu lernen. Ich säumte nicht, den lJJan aufzuführen, und
wünschte mir späterhin Glück , dafs ich es that." Ref. häU
sich überzeugt, dafs diese Reise nicht hur zunächst für der!
Zweck des Vf. von erspriefslichen Folgen gewesen sey , son-
dern dafs das gesammte ärztliche Publikum das Ergebnifs der-
selben mit Vergnügen aufnehmen werde. Denn ungeachtei
wir durch die schriftlichen, gleichfalls aus eigener Anschauung
hervorgegangenen Nachrichten j welche uns früh er hin VValr-
denburg und J. Frank , später aber und , wie bekannt;, in
Unseren Tagen, Schweigger, Andre'e; Weisse., Casper . Am-
nion und Heyfelder über die zahlreichen, gröfsereh unakler«
XIX. Jahrg. 2. Hoff; ?
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98 Kopp ärztliche Bemerkungen.
neren Kranken-, Heil- und Verpflegungsanstalten der Haupt-
stadt Frankreichs geliefert haben , zu einer so vollständigen
Kenntnifs über dkse wichtigen Gegenstände gelangt sind,
dafs es uns beinahe ist, als hatten wir von Allem selbst Ein-
sicht genommen, so bietet doch das merlicinische lieben und
Treiben in jener grofsen , in so mancher Hinsicht ausgezeich-
neten Stadt so viel Mann ichfaltiges und Merkwürdiges , und
man kann wohl sagen, nicht nur mit jedem Jahre, sondern
mit jedem Monate sich Veränderndes dar, dafs es einem neuen
Beobachter an weiterem Stoff zu wissenswerthen Mittheilun-
gen keineswegs fehlen kann; und gerne vernimmt daher der-
jenige, welchem der Zustand seiner Kunst, wie sich solche
auch in fremden Ländern darstellt, nicht gleichgültig ist, we-
' nigstens den Hauptzügen nach, von Zeit zu Zeit Kunde von
einer solchen gegenwärtigen Gestaltung derselben. Was da-
her auch bereits in den oben genannten, zum Theil sehr aus-
führlichen und gehaltreichen Schriften über die naturwissen-
schaftlichen und medicinischen Anstalten Frankreichs, und
insbesondere seiner Hauptstadt , zu unserer Kenntnifs gelangt
ist, immer bleiben uns neue Beiträge hierzu nicht unwill-
kommen; und kommt insbesondere dazu, dafs sich der Beob-
achter als ein Mann von vielseitiger Bildung, geschärfter Ur-
theilskraft und gereifter Erfahrung darstellt, wie solches bei
unserem Verf. in vorzüglichem Maafse der Fall ist, so kann
es nicht fehlen, dafs wir ihm Mittheilungen verdanken,
welche uns eben so wohl zur unterhaltenden und angeneh-
men , als zur belehrenden und nützlichen Leetüre dienen
werden.
Eine umfassende und detaillirte Beschreibung sämmt-
lieber, zur Naturwissenschaft und Heilkunde gehöriger An-
stalten, wie sie namentlich Paris aufzuweisen hat, lag übri-
§ens nicht im Plane des Verfassers. Er „wollte (S. V — — VI
er Vorrede) nur auf das hinweisen, was ihn damals beson-
ders anzog, es so darstellen, wie es ihm vorkam, und Re-
flexionen damit verbinden , zu welchen ihn das Gesehene
führte.« Wir glauben, dafs dem Verf., als einem unserer
Veteranen in der Arzneikunde, vorzugsweise ein Urtheil in
diesem Fache zustehe, und dafs seine Bemerkungen über die
verschiedenen, ihm in Paris zur Anschauung und Untersuchung
gekommenen medicinischen Gegenstände von besonderem Ge-
wichte seyn werden. Auch hat der Vf. an verschiedenen Stel-
len der Schrift den Beobachtungen und Urtheilen französischer
Aerzte über die betreffenden medicinischen Gegenstände seine
eigenen Ansichten und Erfahrungen über dieselben eingeschaltet
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<
Kopp 3riilichü Bemerkungen, 9^
Das Werk zerfällt in acht Abschnitte. Ref. wird trach-
ten, dasjenige aus denselben in möglichster Kürze für unsere
Leser auszuheben, was ihm der iVIittheilung vorzugsweise
Werth scheint, und hie und da seine Bemerkungen anfügen.
I. Veranlassung zur Heise. — Mineralquellen. — Me»
dicinalanstalten in Bonn, Mainz und Strasburg. S. 1 — 13.
Der Veranlassung zur Heise des Verf. haben wir bereits er-
wähnt. Hauptsächlich war es der innerliche Gebrauch der
Wiesbadener Heilquellen, welchen derselbe sein« Genesung
verdankte, und eben diesem Gebrauche schreibt er es auch zuy
warum diese Thermen , welctie aufser ihrer beträchtlichen
Wärme sich noch besonders durch die verhültnifsmäisig grofse
Menge fester Bestandteile auszeichnen, gegenwärtig treif»
lichere Wirkungen gegen mancherlei Unterleibsbeschwerden
hervorbringen, als ehemals, wo man sich ihrer häufiger blos
als Bad bediente. .Nach dem Verf. werden diese Quellen , so
wie überhaupt alle, welche stetigen geognostischen Verhält-
nissen ihr Daseyn verdanken , durch einen, tief im Inneren
der Erde durch eigentümliche GebirgsverhÖltnisse hervorge*
brachten, galvanischen Frocefs erzeugt 9 zu welchem ein un-
geheurer Kraftaufwand der Natur gehört , welcher auch die
Ursache ist, dafs schon die blofse natürliche Wärme, die an
einem solchen Wasser verschieden adhärirt, inniger mit ihm
gemischt ist f und langsamer von ihm entweicht, auch ohne
sonst besonders hervorstechende physisch -chemische Qualitä-
ten, ihm Heilkraft verleibt. Daher hält der Verf. auch nicht
viel auf künstlich fabricirte Mineralwasser, weil nicht in der
oft geringen Menge von Kohlensäure, Eisenoxyd oder andern
Salzen, sondern in der von der Natur auf bestimmte Weise
dargestellten Verbindung der Gesammtheit der Bestandteile,
als einem geschlossenen Ganzen, die Wirkungeines Mineral-
wassers auf den belebten Organismus gesucht werden mufs,
die Kunst aber eine solche Verbindung nicht hervorzubringen
vermag. — In Bonn besuchte der Vf. das v. Waltber'sche
chirurgische Klinikum, in Mainz die vom Geheimenrathe Lei-
dig geleitete Hebammenschule, und ertheilt beiden Lehran-
stalten das gebührende Lob. — In Strasburg, dessen medici-
nische Facultät gegenwärtig zwölf Professoren zählt , die in
französischer Sprache Vorlesungen halten, obwohl man auf
dieser Hochschule noch das benachbarte Deutschland erkennt,
sah der Verf. auf dem anatomischen Museum * das er insbeson-
dere (auch wegen seiner trefflichen pathologischen Präparate
als vorzüglich rühmt, den kariös gewesenen Schädel eines Sy-
philitischen (S# 116.), dessen angefressene Stellen hin und
1 *
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wieder QueckailberkGgelchen in den Knochenzeilen zeigen, so
wie er dann (a. a. O.) zum weiteren Beweise des substantiel-
len Ueberganges des Quecksilbers in den Körper die ibm von
Biett in Parts mitgetheilte Erfahrung von einem mit veralteter
Lustseuche behafteten Menschen anführt, der oft Mercurial-
kuren bestanden, und welchem im warmen Bade regulinisches
Quecksilber aus den Puren der Achselhöhle drang. — - Im Ent-
Lindungshause zu Strasburg wendet Lohstein das Mutterkorn
als webenbefördernde Arznei zu einem halben Skrupel halb-
stündlich oder alle Stunden mit Vortheil an. — Von Fode're',
aus Savoyen | ehedem Hospitalarzt in Marseille, gegenwärtig
Prpfessor der gerichtlichen Arzneiwissenschaft in Strasburg,
und der Erste, der diese Wissenschaft in ihrer Gesaramtheit
in Frankreich einführte, rühmt der Verf. seine noch immer
fortdauernde literarische Thätigkeit in schon vorgerücktem
Alter. -i- Zu Gunsten des .Magnetismus erwähnt der Vf. der
Erfahrung des verdienten Dr. Reisseissen in Strasburg von
mehreren in seiner Praxis ihm vorgekommenen Fällen von
Spontanem Somnambulismus, deren öffentliche Bekanntmachung
um so wünschensWerther wäre, als dieselben ohne Einschrei-
tung magnetischer Behandlung verliefen j Beisseissen selbst
keinen Gebrauch vom Magnetismus in seiner Praxis macht,
und et bei grofsem Scharfsinne und Gründlichkeit unbefangen
Und frei von Schwärmerei ist, welche gute Eigenschaften,
nach des Ref. Ermessen , Lei Magnetiseurs um so mehr Aner-
kennung verdienen., je seltener sie bei ihnen angetroffen
werden.
II. Pari*. Aerzte, Wundärzte, Geburtshelfer und
Ändere Heilkünstler. — Acade'mie royale de meMecine. — Apo-
theker. — Mineralwasserverkauf. 7- Klinische Anstalten» —
Anatomie. — Prüfungen. — Ecole de me'decine. — Kranken -
und Versorgungsanstaltfen* S. i4 — 37. Bei einer Zahl von
7l2,212 Seelen hat Paris 640 Aerzte und Geburtshelfer , 154
Wundärzte, 8 Augenärzte, 45 Zahnärzte, 37 Officiers de
Sante', 31 Bruchschneider und Bruchbänderverfertiger , und
23 Thierärzte. Besitzer von Apotheken werden 206 gezählt.
Handlungen von natürlichen und künstlichen Mineralwassern
bestehen 14. Letztere verkaufen beinahe alle Apotheker. In
den Officinen der letzteren wird vorzüglich auf ein gefälliges
und einnehmendes Aeufsere» und bei den Mitteln möglichst
äuf Wohlgeschmack und Wohlgeruch gesehen. Geheimmittel
werden von Apothekern und andern ansässigen Leuten in
Menge feil geboten. Unter jene gehört insbesondere der
T.rtob antisyUhilitique des Laffecteur, dessen eigentlicher Ev-
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«
Kopp ämliühe ßettjerkungen. 101
Ander aber der ArztBoyveau seyn soll. Ref. heilte- Lei feineqi
Aufenthalte in Frankreich zur Zeit der Occupation einen jun*
gen Mann an der Lues confirmata buchstäblich nach den Rust'-
schen Inunctionsvorschriften und deren Zubehör, der vielo
Monate zuvor sein, Geld an diesen Roob nutzlos verschwendet
hatte , und^ler Verzweiflung Ober die vermeinte Unheilbar«
keit seines Ueb«ls nahe war. Derselbe lebt jetzt als glück-
licher Fauiilieuvater. — Für einen chirurgischen Besuch nimmt
Dupuytren oft 300 Franken , andere Aerzte von einem Hand-
werker 30 Sons; die Einnahme des Erstern soll sich jährlich
auf 300,000 Franken belaufen. Ein Pariser*Arzt, der einiger-
mafsen viele Kranke hat, wechselt des Tags zwei bis drei Mal
mit frischen Herden. — Die Acadt'mie royale de mudecine
wurde lq2Q mit der Bestimmung gestiftet, auf Verlangen der
Staatsverwaltung Gutachten über Gegenstände der Gesundheits-
polizei zu geben. — Insbesondere rühmt der Verf. die Leicbr
tigkeit, mit der man in Paris, wo Alles mehr <\em öffent-
lichen Nutzen gewidmet ist, zu allen wissenschaftlichen An-
stalten zugelassen wird , noch mehr aber die Vorzü&lichkeit
der Administrationsweise der pariser Hospitäler, welche mit
grofser Ordnung, Zweckmässigkeit und möglichster Erspar-
liifs von Leuten und Umständen gehandhabt wird, und vielen
Stedten zum Muster dienen könnte. Im Allgemeinen ist die
ärztliche Behandlung in ihnen abwartend und umtbätig, was
Ref., wenn es nicht zu weit getrieben wird, nicht tadeln
kann, da er sich oft überzeugt hat, wie viel eine strenge und
pweckmäfsige medicinisch - polizeiliche Aufsicht in Hospitä-
lern, auch ohne grufsen Arzneiapparat , vermag. Auf die
Krankenkost wird viel Aufmerksamkeit verwendet, und dies
findet Ref. gleichfalls höchst zweckgemäfs , da der Arzt bei
einem strengen diätetischen Regime des tranken in der Kegel
viel leichter und sicherer heilt, und sich die Kranken viel öfter
durch'* Zuviel, als Zu wenige in der Diät Schaden zufügen.
Sämmtliche dreizehn öffentliche Kranken - (HOpitaua;) und eilf
öffentliche Yerpüegungsbäuser (Hospices) , so wie das Gebär-
und Findelhaus, das Ammeubürea,u und andere Wohlthätig-
keitsanstalten , stehen, sie mögen durch. den Regenten, den
Staat oder durch l'rivatstiftungen gegründet seyn (mit alleini-
ger Ausnahme der Irrenanstalt zu Cbar*nton, dem K- Taub-
Stummeninstitut und der K. Erziehungs- und Verpflegungs-r
anstalt für jüngere und ältere Blinde}, unter einer einzigen,
aus siebenzehn Mitgliedern bestehenden, allgemeinen Auf-
sich ts- und Verwaltungsbehörde (welcher wieder andere ärzt-
lich« und administrative IJehördeq untergeordnet sind), deren,
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103 Kopp Hrztliche Bemerkungen.
jährliche, von Kapitalsinsen, Grundstücken, Vermachtnis-
sen, Accisen, Verpachtungen u. s. w. herrührende Einnahme
und Ausgabe beiläufig zu 9 1/2 Million Franken .berechnet
wird. Jene öffentlichen Hospitäler, unter denen z. B. das
Hötel-Dieu jährlich im Durchschnitte 10,500, das Höpital
St. Louis 9000, das Höpital de la Charite' 2753 Kranke auf-
nimmt, geben im Durchschnitte 35iO0O Kranken (mit wenigen
Ausnahmen) unentgeldlichen Aufenthalt, Verköstigun^ uni
ärztliche Behandlung, und auiser den zwölf Anstalten in den
zwölf Stadtbezirken zu unentgeldlicher inedicinischer und chi-
rurgischer Behandlung kranker Hausarmen (secours a clomicile),
der unentgeldlichen Vertheilung von Bruchbändern , der Be-
handlung des Erbgrindes, der Vaccination, finden jährlich
noch etwa 5000 Personen in den Versorgungshänsern (Hospi-
ces) gleichfalls ohne Bezahlung Aufnahme und ärztliche und
diätetische Verpflegung. Vollkommen einverstanden ist Ref. mit
dem Vf., wenn er behauptet, dafs ungeachtet des Reichthums
an Krankenhäusern in Paris der Studirende daselbst doch we-
niger lerne, als in deutschen klinischen Anstalten, wo der-
selbe mehr zur Selbsttätigkeit veranlafst wird, und unter
Anleitung und Aufsicht des Lehrers entweder Kranke selbst
zur Besorgung bekommt, oder wenigstens zu eigener Unter-
suchung derselben specielle und praktische Anleitung erhält.
Zu der sehr wahren Bemerkung des Verf., dafs die Passivität
des Studirenden bei den Hospitalumgängen und den Verord»
nungen des Lehrers während derselben, erstere gegen ge-
wöhnliche Krankheitsfälle gleichgültig mache, fügt Ret. hinzu,
dafs sie dem angehenden Arzt allmählig auch noch zu dem
Dünkel Veranlassung geben, als sey die Untersuchung und
Behandlung der Kranken auch für ihn eine eben so leichte
Sache, wie für den Lehrer, welcher täglich ohne grofseMühe
und Zeitaufwand Hunderte von Kranken zu besuchen und zu
behandeln vermöge ; welcher Dünkel dann unvermeidlich zur
Indolenz und zum Schlendrian führt, und zum grofsen Scha-
den des künftigen Arztes und Kranken von einem eifrigen und
gründlichen Studium der medicinischen Wissenschaften nur
§ar zu leicht entfernt hält. Es ist daher auch nicht selten,
afs junge Aerzte, wenn sie die hohe Schule verlassen haben,
und nun, sich selbst überlassen, in einen praktischen Wir*
lungskreis treten, Vieles ganz anders und namentlich schwe-
rer finden , als sie sich's auf der Akademie, woselbst sie we-
niger, als es hätte geschehen sollen, an die Selbsttätigkeit
am Krankenbette gewöhnt wurden , gedacht hatten, und nun
erst anfangen müssen, die Kranken durch eigene Augen zu
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Kopp Sntllclie Bemerkungen*
iü3
sehen, da sie die ihres Lehrers nun entbehren müssen. Eben
so hält lief. , gleich dem Verf., dafür, dals ein schon gereifte»
rer Arzt aus dem Besuche der vielen und grofsen Pariser Kran«
kenanstalten mehr Nutzen ziehen werde, als ein angehender,
da die Masse dessen, was sich der Beobachtung darbietet , für
den letzteren zu viel ist, als dals sein Geist sich solche assimi-
liren könnte, und es weniger darum zu thun seyn darf, viele
Kranke mit leiblichen Augen anzuschauen, als vielmehr Krank-
heiten zu beobachten und sie gründlich studiren und beban-
deln zu lernen. — Zu Uebungen im Operiren ist in Frivat-
stunden Gelegenheit, und die grofse Wohlfeilheit der Leich-
name begünstigt dasselbe unstreitig. Letzterer Umstand ist
nach Ref. gewiis auch eine Hauptursache, warum das Studium
der praktischen Anatomie in Frankreich (besonders in neuerer
Zeit, und seit Bichat und Broussais) so fleifsig betrieben
wird, obwohl der Schwierigkeiten, Leichen zu erhalten ,
unerachtet, auch in England die praktische Zergliederungs-
knnst in unsern Tagen immer mehr Ansehen gewinnt, und der
, Medicin und Chirurgie voi anleuchtet.
III. Broussais und seine Lehre. S. 38 — 90. Wie et
Ref. scheint, ein treues, aus der Natur genommenes Bild die-
ser Lehre, in der Nühe entworfen, und ohne Leidenschaft
dargestellt, aber, trotz ihrer vielen Anhänger in Frankreich
und andern Ländern aufser Deutschland , keineswegs zum Vor-
theil derselben! Die Grundzüge dieser Doctrin kennt der
Leser längst, tfieils aus dem bekannten Examen des doctrines
medicales, theil* ans dem Catechisme de la me'decine physiolo-
givjue, theil* aus einer nicht geringen Anzahl anderer Schrif-
ten und Bf urtbeilungen, die selten zu Gunsten, viel häufiger
aber zum Nachtheil der genannten Doctrin gesprochen haben ;
und Kef. hält es daher für überflüssig, die Grundsätze dersel-
ben hier zu wiederholen. Bedauern mufs übrigens Ref.f dafs
der Verf., welchem es bei der Darstellung dieses Broussaia'-
schen Systems offenbar nm Wahrheit und Unparteilichkeit
zu thun war, bei Anführung der grofsen Mängel desselben,
nicht auch das, obschon in einer Masse von Einseitigkeiten
und Irrtbümern versteckte, vn'd wahrscheinlich nur durch die
unerträgliche Anmafsung des Stifters mehr in den Hintergrund
fekommene, und weniger anerkannte Gute derselben einer
urzen Aufmerksamkeit werth hielt , und die Verdienste
Broussais um die Lehre von den akuten und chronischen Un-
terlei hsentzündungen , den neuen Impuls, den er der patho-
logischen Anatomie in Frankreich ertheilte, und der nicht ganz
mit Unrecht in einem weiteren Umfange als bisher von ihm
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104 Kopp StttHchc Bemerkungen,
in Anwendung gebrachten Lehre von den krankhaften Svrnpa-»
thien und der Öertlichkeit fieberharter Krankheiten (Gegen-
stände, welche in manchem Betrachte mit einer unbefangenen
Beobachtung der kranken Natur (ibereinstimmen , so wenig
aie auch in den gewöhnlichen Lebren der Schule enthalten sind)
nicht auch einige Erwähnung that. Den Ref., welcher in
Leichen der verschiedensten Art sehr oft auch die unzweideu-
tigsten Merkmale von Entzündung im Verdauungskanale fand,
ohne dafs er ihre Anwesenheit im Leben zu vermuthen Ur«?
sache gehabt ha,tte, bedünkt es, Broussais sey sq zur Grün-
dung Seiner Lehre gekommen, daß* er bei zahlreichen und
genauen anatomisch -pathologischen Untersuchungen den Ma-
gen und Dünndarm zwar allerdings häufig entzündet fand,
hieraus nun aber voreiliger und irriger Weise schlofs, dals
ein solcher Zustand in den meisten, ja allen fieberhaften Krank-
heiten vorhanden sey, und nun einerseits getrieben durch
seinen Hang zur Berühmtheit und den Kitzel zn Reformatio-
nen, andererseits aber doch entblöfst von gründlichen und um-
fassenden medicinischen Kenntnissen, sich verleiten liefs, auf
jene, in unsern Tagen zwar allerdings vernachlässigte, von
älteren Aerzten aber, und insbesondere von Morgagni gar
wohl schon gekannte Lehre von den verborgenen Entzündun-
gen im Verdauungskanale in anhaltenden Fiebern ein ganzes
inedicinisches System zu gründen, und solches, koste es, was
es wolle, und koste es selbst Menschenleben , nach seinen phy-
siologischen , pathologischen und therapeutischen Principien
auf eine bis zur fixen Idee gehende, und mit der verderblich-
sten Consecjuenz geführte Weise zu vertheidigen. Ref. hält
sich daher auch fest überzeugt, dafs Broussais's System sich
Weder nach seiner theoretischen noch praktischen Seite halten
werde, sich nicht halten könne, dafs es namentlich in Dun t sehr
laud, wo man zwar allerdings die Leistungen der Ausländer
oft begieriger aufnimmt, als sie es verdienten, ihre Verdienste
nicht keltert tiberschätzt, dasjenige aber , was sie uns geben,
in der Regel doch vorher seinen 'Fundamenten nach besonnen
und gründlich prüft, ehe ein Urtbeil darüber gefällt, und von
(Demselben praktischer Gebrauch gemacht wird, niemals Wur-
zel fassen , aber auch das einzelne Gute dieser D.octrin bei
vorurteilsfreien und für das Bessere empfänglichen Aerzten
nicht verloren gehen werde, und namentlich die in unsern Ta*
gen vielfach übersehene Lehre von den akuten und chronischen
Entzündungen des Verdau ungskanals, welche gevvifs auch
nicht ohne vortheilhaften Einflufs auf die specielle Lebre der
gastrischen und gaHigten Fieber bleiben wird, durch dieselbe
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Kppp ärztliche Bemerkungen. 105
#
neue und gerechte Anregung empfangen habe. — Im Uebrigen
hat Ref. mit vielem Vergnügen de» Verf. Mittheilungen über
Br., den er als einen kraftvollen, freundlichen Manu von 50
Jahren, mit dem Ausdrucke des Muthes und der Entschlos-
senheit, aber auch der Leidenschaftlichkeit und Schlauheit
beschreibt, gelesen. Die Hauptzüge seines Charakters sind
Ehrgeiz und Ruhmbegierde. So tadelnswerth und wenig
lehrreich der Verf. Br.'s Klinik um seiner mangelhaften, dia*
gnostischen , ätiologischen und therapeutischen Untersuchung
der Krankheiten willen fand, so besuchte er doch dieselbe zu
wiederholten Malen, und lernte Br. , der aufser seinem Hos-
pitaldienste eine weitläuftige Praxis hat, auch bei Besuchen
zu Hause kennen. Br.'s medicinische Klinik im Val-de-Grace
fand der Verf. übrigens immer viel weniger besucht, als die
chirurgische Klinik Dupuytren^ im Hötel-Dieu (was dem
Ref., wenn auch Br.'s Klinik besser beschaffen wäre, als sie
es ist, leicht erklärlich scheint, da eine chirurgische Klinik,
in welcher alle Arten von bedeutenden, und zum Theil sehr
seltene chirurgische Fülle vorkommen, und viele grofse Ope-
rationen gemacht werden, nicht nur von wundärztlichen,
sondern auch vielfach von ärztlichen Zöglingen besucht eu>
werden pflegt), und meistens waren seine Zuhörer Leute von
einer weniger wissenschaftlichen Ausbildung, die möglichst
schnell und auf einem weniger mühevollen Wege gute Aerzte
werden wollten , und die für ihn begeistert sind , wenn sie,
das Bessere noch nicht kennend, -seine Festigkeit und Aus-
dauer im Vertheidigen seiner Lehre und die Sicherheit in sei-
nem Handeln auch unter den mißlichsten Umständen gewah-
ren. Doch erwähnt der Verf. S. 70, dafs wenn Br.'s Behand-
lung eines Kranken keinen vorteilhaften Erfolg habe, er sich
nicht selten hinter den Ohren kratze, indem er sagt: man
müsse Geduld haben, die Zeit bringe Linderung, gewöhnlich
aDer dann au f seine alte Idee, die Gastro - Enteritis zurück-
komme. Zu den vorzüglichsten Anhängern Br.'s in Paris ge-
hören unter Andern Jadelot, Lerminier, Husson , Lallemand,
Be'gin ; einer seiner schonungalosesten Gegner ist Authenac,
sein gediegenster Laennec. Wohl sehen die vorzüglicheren
Aerzte in Paris die Seichtigkeit seines Systems ein, aber sie
nehmen zu viel Rücksicht auf sein Ansehen, auf die Menge
der seiner Parthei Zugetbanen, auf den Einflufs, den er her
reits hat, und auf die heftigen Ausfälle, die er sich gegen
«eine Widersacher erlaubt. — Aufgebracht war Br. über
Marcus, als ihn der Verf. mit der Behauptung des letzteren
bekannt machte, daia dem Typhus eine Gehirnentzündung zu
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106 Kopp ärztliche Bemerkungen.
Grunde Hege. Ref. bemerkt hiebei, dafs sich Br. mit Marcus
wahrscbeinjich wieder ausgesöhnt haben würde, wenn er zu-
gleich erfahren hätte, dafs letzterer schon längst in Deutsch-
land die meisten gastrischen Fieber für Magenentzündungen
erklärte. — Vorzüglich schadet nach unsers Verf. Ansicht
Br/s Verfahren durch Unterlassen, weniger durch starkes Ein-
greifen in der Anwendung von Mitteln; viele seiner Kranken
erholen sich nur langsam, die, auf die Weise deutscher Aerzte
behandelt, sich schneller erholen würden, andere gehen zu
Grunde wegen Versäumnifs des passenden Arzneigehrauchs,
noch andere, weil sie unzeitig, unstatthaft oder unzweck-
mäßig geschwächt wurden. Unter den Aerzten von Val-
de-Grace, welche unter sich abwechselnd den Dienst haben,
sterben auch bei Br. verhältnifsmäfsig am meisten Kranke.
Demungeachtet ist Br. iin Stande, in der Ueberzeugung von
der Wahrheit seiner neuen Lehre zu behaupten, dafs die Pa-
thologie vor ihm „unchaos, un amas inform« de verite's et
d' erreurs« war, und „le grand Hippocrate , s'il vivait encore,
se ferait une gloire, d'assister a mes cours, pour apprendre
ma doctrine.« Wer erinnert sich nicht hiehei unwillktihrlich
an die eben so lächerlichen als ärgerlichen Prahlereien des Pa»
racelsus?!
IV. Lännec. Gehrauch des Brechweinsteins und an-
derer Spiefsglanzmittel, so wie der Ipekakuanha in Brust-
krankheiten und Rheumatismen. — Das Stethoskop. — Du-
puytren. — Boyer. — Das Hötel-Dieu. — Das Ludwigs-
hospital. — Alibert. — Biett. — Dunstbäder. — Neuere
pharmakologische Nomenklatur. — Die Charite'. — Anstek-
kungsfähigkeit der Lungensucht. — Das Hospital der Syphi-
litischen. — Sublimat. — Speichelflufs. — Folgen der vä-
terlichen Lustseuche für die Nachkommenschaft. — Das Hos-
pital für Kinder. — Larrey. — L'Hdpital de la Garde royale.
— Moxa. S. 9t — 139.
Der Verf. rühmt Lännec's richtigen Blick und seine Be-
stimmtheit in der Diagnose der Brustkrankheiten, und die
Anwendung des Stethoskops zur Unterscheidung der Lungen -
und Herzfehler hält er in mehrfachem Betrachte für eine Be-
reicherung unserer Wissenschaft. Es bedienen sich auch des-
selben in Paris Heilkünstler der verschiedensten Meinungen
und Systeme, so wie es die Studirenden während ihrer Hospi-
talbesuche und die meisten praktischen Aerzte in Paris bei sich
tragen. Häufig sey es aber auch, dafs die französischen Aerzte
dadurch etwas mehr zu hören glauben als man in der Tbat
mit gesunden Ohren, aber unbefangenem Sinne höre, und
i /
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Kopp äritlichc Bemerkungen. 107
Ref. fügt aus seinen Erfahrungen, die er bis jetzt mit diesem
Werkzeuge gemacht hat, hinzu, dafs dasselbe seinen dia-
gnostischen Nutzen wohl bewähren dürfe, um nur einiger-
raalsen für die Zeit und Mühe zu entschädigen, welche man
bedarf, um sich in seinem Gebrauch gründlich einzuüben, und
sich wesentliche Vortheile für die Diagnose und Therapie
durch dasselbe zu verschaffen. Lännec wendet den Brech-
weinstein nach Rasori und Peschier in Peripneumonieen und
Rheumatismus articularis von 6 bis 12 Gran häufig mit schnell
gutem Erfolge an, und nur Selten entstehe Erbrechen, meist
aber Verstopfung darnach. Auch der Verf. machte die Er-
fahrung, dafs Kranke mit entzündlichen Affectionen der Brust,
nach vorausgegangenen Aderlässen, den Goldschwefel sowohl,
als die Ipekakuanha in ungewöhnlich grofsen Dosen ohne Ue-
belkeit oder Erbrechen ertragen können, wobei sich Ref. zu
bemerken erlauht, dafs er diesen Umstand, von welchem in
unsern Tagen oft die Rede ist, nicht so sehr auffallend rindet,
da nach den Gesetzen des Antagonismus im kranken Leben,
bei <**r Anwesenheit einer Entzündung in der Brusthöhle, in
der Regel die sensible Stimmung der Eingeweide der Bauch-
höhle vermindert ist, und sich namentlich der Magen, bei
seiner dem kranken Organismus zugewandten, und durch das-
selbe verminderten und veränderten Thätigkeit, im Stadio
cruditatis einer Peripneumonie eine Zeit lang in einer Art von
Torpor befindet , bei welchem nauseose, emetische und pur-
girende Arzneimittel ihre sonst gewöhnliche Wirkung auf
den Körper entweder gar nicht, oder nur in vermindertem
Maafse hervorzubringen pflegen. Dieselbe Erscheinung tem-
porärer und relativer Unempfindlichkeit des Körpers rür ge-
wisse, zu andern Zeiten wieder anders wirkende R^ize finden
wir auch in andern Krankheiten, denn dieselben Gaben nach
lind nach gereichten Quecksilbers, welche im gesunden, oder
wenigstens fieberlosen Zustande bei den meisten Personen die
stärkste Salivation hervorbringen würden, veranlassen hievon
bei akuten Fiebern oder gewissen örtlichen Entzündungen in
aeme morbi keine Spur, dieselben Gaben Opium in krampf-
haften Krankheiten oft keine Minute Beruhigung oder Schlaf,
die im gesunden Körper oder in gewissen andern Krankheits-
zuständen nicht nur alsbald die eben genannten Erscheinun-
gen, sondern selbst die vollkommenste Narkosis nach sich
ziehen. Um aber in diesem Bezüge blos bei der Peripneumo-
nie stehen zu bleiben , so hat Ref. zwar den ßrechwemstein
bisher noch nie in den ihm vorgekommenen Fällen von Lun-
genentzündung in Gehrauch gezogen, und er kann daher aus
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108 Kopp ärillicho Bemerkungen.
eigener Erfahrung bis jetzt weder über den Nutzen dieses Me-
dikaments in der genannten Krankheit überhaupt, noch übex
seine positive oder negative Wirkung auf den Verdauungs-r
kanal in derselben ein Uitheil füllen; aber es bestätigt sich
ibm das eben genannte Gesetz des Antagonismus kranktr Or-
gane gegen einander doch auch bei der von ihm in Anwendung
gebrachten Behandlung der Peripneumonie , indem er, wie
Andere den Brech Weinstein , ohne Erbrechen oder Durchfall
zu erregen, in Lungenentzündungen reichen, eben so auct|
(nach vorangegangenen nnd gleichzeitigen, durch individuelle
Umstände zuweilen sehr reichlich gewordenen allgemeinen
und besonderen Blutausleerungen) nicht selten Tage lang in
der einen Stunde Salpeter und in der andern versüfstes Queck-
silber mit Pulv. fol. digital, purpur. (letzteres zuweiiep zu
1 Gr. alle zwei Stunden) nebst Goldschwefel reichte, ohne
auch nur ein einziges Mal deutliche Uebelkejt , Erbrechen oder
häufige Stuhlgänge im Stailio cruditatis dieser Krankheit er-
regt zu haben. lief, glaubt, dafs es in Fällen reiner Pneu-
monie in der Regel auch gar nicht gut seyn würde, wenn
der Brechweinstein oder jene andern eben genannten Medika-
mente Erbrechen oder Durchfall erregen, und somit ihre sonst
gewöhnlichen Wirkungen auf den Vei dauungskanal äufsern
würden, weil sonst wohl die glückliche und vollkommene
Zertheilung der örtlichen Entzündung dadurch gestört oder
gehindert werden würde, und er bat in den Fällen des gün-
stigen Ausganges selbst der heftigsten I'eripiieuraonieen beob-
achtet, dais es der Natur hiebei nicht um Erbrechen oder Er-
regung von Durchfällen zu thun war, sondern da(s sie ledig-
lich durch Schweifse, reichlichen Bronchial- und Lungen-
auswurf und Sedimente im Urin in der Regel die Genesung
einleitete und bewerkstelligte. — Ein ähnlicher temporärer
Torpor der Verdauungswerkzeuge findet dann aber auch ge-
wöhnlich bei Säufern Statt, jedoch bei diesen offenbar aus
Ueberreiz, und es ist daher nichts Ungewöhnliches, wenn
ein solcher i 1/2 Gr. Opium mit 4 Gr. Goldschwefel ^ wie der
Verf. S. 96. ein Beispiel dieser Art aus eigener Erfahrung mit-
theilt) auf einmal ohne merkliche Aenderung im Husten,
Schläfrigkeit oder Uebelkeit nehmen konnte. Ref. erlaubt
sich hiebei in dieser Beziehung auch an die grolsen Dosen
Mohnsaft zu erinnern, welche zuweilen nöthig sind, um im
Delirium tremens Beruhigung und Schlaf hervorzubringen,
und bittet überhaupt zu bedenken, dafs die Arzneimittel in
gewissem Sinne nicht dem Kranken, sondern der Krankheit
gelten. — Einen interessanten, selbst beobachteten Fall von
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Kopp 3« tliche Bemerkungen, 109
der Heilkraft der Ipekakuanha (mit Salmiak) im Bluthuiten
erzählt der Verf. S. yQ. von einem 22jährigen, bereits seit
13 Monaten an diesem Uebel leidenden Jünglinge, welcher
oft binnen einer Stunde 1 1/2 bis 2 Pfund Blut spie, und gegen
dessen Uebel die sonst bewährtesten und anhaltend gereichten
Mittel nichts gefruchtet hatten. — Nächst Lännecs medici-
nischer Klinik gedenkt der Verf. mit grofser Ausaeichnung
der chirurgischen, von mehreren hundert Zuhörern aus allen
Weltgegenden besuchten Klinik Dupuytren'* im Hdtel-Dieu,
dem gröisten, in neueren Zeiten viel verbesserten Kranken-
hause, und Dupuytren selbst schildert er als einen, in wis-
senschaftlicher und technischer Hinsicht gleich vollendeten
Wundarzt. — Eines der anziehendsten, geräumigsten und
wohlhabendsten Hospitäler in Paris ist das Hdpital bt. Louis,
welches groistentheils Hauskranke aller Art aufnimmt, unter
welchen der Verf. auch einige Fälle von Ichthyosis zu sehen
Gelegenheit hatte* Alibert, Biett und Kicherand wirken in
demselben, und namentlich zeigte sich Biett als ein vielseitig
gebildeter, trefflicher Praktiker, dem auch die Leistungen der
Ausländer nicht fremd sind. Gegen den Herpes exedens wird
das Cosme'sche Mittel und innerlich das Decoct. Zittinanni,
gegen andere Flechten das Blasenpflaster und innerlich nicht
selten die Tr. cantharid, bis zu 25 Gtt. täglich einige Monate
lang angewandt. Eben so wird der Arsenik innerlich g«gen
verschiedene Hautübel häufig in Gebrauch gezogen , und von J
den Franzosen sehr gerühmt. Hauptsächlich ausgezeichnet
ist das Ludwigsspital durch seinen grofsen und kostspielig
errichteten und unterhaltenen Apparat von warmen Wasser-
bädern , durch seine Dampfbäder für die gan&A Hautoberfläche
und einzelne Stellen derselben, die Kegendouche , Schwefel-
dunstbäder (nach Gales ; eigentlich aber ist Datcet nach S. 115*
der Erfinder der Dampfapparate , da er sie längst vor Gales's
Bekanntmachung verfertigen liefs) und örtliche Mineraldunst»
bäder* z. B. von Zinnober* oder Schwefeldämpfen für das
Gesicht, ohne dafs davon etwas in die Lungen des Kranken
kommt, welcher durch eine, mit einem Trichter versebene
Röhre athmet. Diese einzige, grofsartige Badeanstalt ver-
dient, nach dem Verf , wegen des Ungeheuern Umfanges, der
Mannichfaltipkeit ihrer Theile und d«r Trefflichkeit ihrer
mechanischen Hülfs - und Verbindungsmittel , das sehr genaue
Besehen eines jeden nach Paris reisenden praktischen Arates.
Bei Behandlung der Krätze bedient man sich vorzüglich der
Bäder aus Schwefelkali , und nicht nur die Hospital- , sondern
auch viele tausend Kranke überhaupt, die in ihren Häusern
1
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110 Kopp ärrtliche Bemerkungen.
wohnen, und vom Hospitale behandelt werden , erhalten in
letzterem ihre Biider. Unser Verf. hält, wie wir auch schon
aus seinen Beobacht. im Geb. der ausüb. Htilk. wissen, con-
centrirte Schwefelbäder gleichfalls für das sicherste und be-
quemste Mittel, um die Heilung der Krätze in der Rege]
ohne alle innerliche Arzneien zu erzielen , und Ref. versichert»
d irch das blolse, Morgens und Abends unternommene warme
Waschen des Körpers mittelst einer Auflösung des Schwefel-
kaliums y ohne allen inneren Arzneigebrauch und ohne üble
Folgen, eine grofse Anzahl Personen von der Krätze befreit
zu haben, wodurch somit nicht nur die Kosten für die Bäder
erspart, sondern auch die Behandlung des Uebels um Vieles
vereinfacht wurde. Ref. läfst jedoch nicht die ganze Haut-
oberfläche auf einmal, sondern nur stellen - oder gliederweise
mit jener Auflösung waschen, und halt genau darauf, dafs
die Waschungen zwar sehr warm , aber ohne starke Reibung
der Haut geschehen, und dafs von Zeit zu Zeit mit denselben
einen oder mehrere Tage ganz ausgesetzt werde, weil sich
sonst leicht an einzelnen Stellen der Haut, besonders am Ell-
bogengelenke , flechtenähnliche Krusten bilden, welche nicht
selten die gänzliche Heilung verzögern und wieder eine be-
sondere äulsere Behandlung erfordern, auch die Natur solche
Stellen gerne benutzt, um durch, sie habituelle krankhafte
Ausscheidungen zu begründen. Für eine wesentliche Bedin-
gung zur gründlichen Heilung und zu Verhütung der Wieder-
kehr der Krätze hält es Ref. sodann ferner bei dieser Behand-
lung, dafs iin Verlaufe derselben diejenigen Kleidungsstücke,
welche während jener Hautkrankheit getragen wurden, in
Seifenwasser oc^r Lauge gewascheu werden, weil von ihnen
aus die Krätze, besonders an den Handgelenken, sich der
Haut sonst leicht wieder aufs Neue mittheilt. — Auch gegen
allgemeine Kleien - und Schuppenflechten wendet der Verf.
das Schwefelkali in Auflösung äufserlich und die Tinct. can-
o
tharid. innerlich bei Erwachsenen täglich 3 Mal zu 6 , albnäh-
lig zu 24 Tropfen, also bis zu 72 des Tags, 5 bis 6 Wochen
lang, bei magerer Diät, Enthaltung von erhitzenden Geträn-
ken, und zuletzt Bädern aus kohlensaurem Natrum an, wobei
die Flechten zugleich mit Liquor calcar. oxymuriat. bedupft
werden, wenn sie durch die Schwefelleber zuvor roth und
schmerzhaft geworden waren. Die aus Sublimat , Sassaparille -
unu Chinawurzel bestehende, im Höpital St. Louis häufig
angewandte Tisane de Feltz fand der Verf. in seinen Erfah-
rungen gegen eingewurzelte fecundäre Syphilis gleichfalls
sehr hülf reich.
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Kopp ärztliche Bemerkungen. 111
An der Charite, einer reinlichen Anstalt mit beiläufig
2800 Kranken beiderlei Geschlechts (besonders vielen Brust-
kranken und Bleikoliken), und einer medicinisch-chirurgischen
Klinik, wirken Boyer, Roux , Lerminier und Fouquier,
welcher letztere die Ansteckungsfähigkeit der Lungensucht
läugnet, lie unser Verf. aber unter gewissen Umständen in
Schutz nimmt, und gegen deren Ansteckung sich die Gesund-
heitspolizei noch weniger wirksam zu beweisen vermöge, als
selbst gegen dieFortpflanzung der Lustseuche. Ref., welcher
die Lungensucht, wie jeder andere Arzt auch, leider! schon
häufig genug beobachtete, will die Ansteckung durch (^eselbe
in einzelnen Füllen und unter gewissen Bedingungen zwar
nicht läugnen, und bekannt ist es ohnedies, dal's dieser
Krankheit in südlichen Klimaten, wie namentlich in Italien,
eine deutlicher und entschiedener ansteckende Kraft zuge-
schrieben wird. Allein bis jetzt ist ihm noch kein Fall von
Uebertragung dieser Krankheit vorgekommen , und zwar selbst
nicht in solchen Fällen, wo Personen mit offenbarer, entwe-
der individueller oder in iler Familie begründeter Anlage zur
Lungenzehrung mit dem Lungensüchtigen durch eine Reihe
von Medien in naher und beständiger Berührung standen,
stets neben demselben schliefen, zu jeder Zeit mit ihm in
derselben Atmosphäre verweilten, ja sogar, gegen die aus-
drückliche und oh wiederholte Warnung des Ref., selbst das
durch die schmelzenden Schweifse des Scb windsüchtigen durch-
näfste Bett mit ihm theilten. Wäre jedoch bei der Annahme
einer entschiedenen Ansteckungslähigkeit der Lungensucht
von wirksamen gesundheitspoüzeilichen Mafsregeln gegen de-
ren Uebertragung auf Andere die Rede, so fände Ref. ein ein-
faches, und wenn es gehörig befolgt wird, gewils nicht un-
wirksames Verfahren darin, dafs es jedem Arzte, welcher
einen Schwindsüchtigen behandelte, zur Pflicht gemacht wür-
de, im Falle des Ablebens des letzteren der Übrigkeit sogleich
die Anzeige davon zu machen, damit die Angehörigen des
Verstorbenen zu sorgfältiger Lüftung und Reinigung des Zim-
mers, in welchem sich der Schwindsüchtige aufhielt, so wie
zur Reinigung und Lüftung der von ihm gebrauchten Klei-
dungsstücke und des Bettes angehalten würden, welches Ver-
fahren, so weit Ref. die Verhältnisse kennt, in der Stadt
und auf dem Lande um so leichter Eingang im Publikum fin-
den würde, als dasselbe ohne grofses Aufsehen, ohne
grofse Kosten und überhaupt ohne einen fühlbaren Eingriff
in die Freiheit des Borgers in Anwendung gebracht werden
könnte.
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112 Kopp ärztlich« Bemerkungen .
Im Hospital der Venerischen (aux Capucins), welches zu
den unreinlichsten, in Paris gehört, an welchem übrigens Cul-
lerier der Aeltere werthvolle Vorlesungen über die venerischen
Krankheiten hält, werden jährlich gegen 3000 Syphilitische
mit fast allen Formen undModificationen, und etwa 3500 Aus-
wärtige vom Hospital aus behandelt. Das hier fast allein ge-
bräuchliche, innerlich gegebene Quecksilberpräparat ist der in
Weingeist aufgelöste Sublimat als van Swieten'sche Solution;
der Speicbelfl u Ts wird für etwas Zufälliges , für eine Neben-
sache bei der Heilung Venerischer gehalten, und so wie die
Symptome der Lustseucbe verschwunden sind , erfolgt die
Entlassung derselben aus dem Krankenbause. Unser Vi. hält
jedoch den Speichelflufs für mehr als eine blos zufällige Er-
scheinung, er zählt die bekannten nachtheiligen Folgen des
längere Zeit fortgesetzten Sublimatgebrauches auf j und hält
dafür, dafs von denen, die aus dem Hospitale der Venerischen
entlassen werden , genug mit Nachkrankheiten , die einen ve-
nerischen Charakter haben , befallen werden mögen. Ref» ist
derselben Meinung, und er kann sich daher nicht genug wun-
dern , dafs dieses JYIercurialpräparat § welchem nach seiner
häufigen, und wie er glaubt, mit Genauigkeit angestellten
Beobachtung nur eine sehr bedingte Anwendung, selbst in
den secundären Formen der Syphilis zukommt, ein gleich un-
bedingter Gebrauch gegen primäre sowohl als consecutive ve-
nerische Zufälle in einem Hospitale finden kann^ wo jährlich
eine so grolse Anzahl Venerischer behandelt wird « "und es
hiebei gar nicht sollte fehlen können, dafs nicht die Meng.;
derer j .die durchdieses Mittel entweder gänzlich ungebeilt oder
nur scheinbar geheilt, und dann bald wieder mit den aberma-
ligen Symptomen der Lues, vielleicht nur in anderer Gestalt j
in daa Hospital Zurückkehren werden, die Aerzte desselben
schon längst hätte zu der Ueberzeugung bringen sollen, %dafs
Oberhaupt nur die wenigsten syphilitischen Krauken durch den
Sublimat gründlich geheilt werden , dafs man aber insbeson-
dere bei dem Gebrauche dieses Arzneimittels gegen die pri-
mären Formen der Syphilis , abgesehen von seiner oft so zer-
störenden Wirkung auf die assimilativen und blutbereitenden
Organe, am allerwenigsten vor syphilitischen Nachkrankhei-
ten gesichert ist, ja, dafs sich unter dem Gebrauche desselberi
auch die consecutiven Zufälle der venerischen Krankheit (wo-
gegen der Sublimat noch am ehesten angezeigt wäre) sehr oft
«och verschlimmern, statt sich Zu bessern oder gänzlich ge-
beilt zu werden.
(Der Besthlufs folgt.)
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N. 8. 1826,
' Heidelberger 1
■
Jahrbücher der Literatur.
Kopp arztliche Bemerkungen.
CBeschlufs.)
Ref. könnte dieses durch eine Reihe von Beispielen be-
weisen , indem ihm Fälle vorgekommen sind, wo unter dem
Gehrauche des Sublimats die Uvula bereits der Zerstörung
durch das venerische Gift sehr nahe war, und wo nur der
reichliche Gebrauch des versüTsten Quecksilbers das Gebilde
noch rettete, wo ferner venerische Hautausschlage und nächt-
liche Knochenschmerzen, venerische Nasengeschwüre und Auf-
treibungen des Stirnbeines, gegen welche bereits längere Zeit
zuvor unter steter Verschlimmerung fies Uehels der Sublimat
gebraucht ward, allein durch die Auwendung des vetsöfsten
Quecksilbers und den durch dasselbe erregten Speichelflufs
cründJich und für immer getilgt wurden. Ref. bat keinen
Grund, anzunehmen, dafs sich's hierin in Frankreich Viel an-
ders verhalten werde, als in Deutschland, da eine Verschie-
denheit im Klima, dessen Temperatur, der physischen Be-
schaffenheit und Lebensweise der Bewohner beider Länder,
nicht in dem Maafse statt findet, dafs bei gleichet Unbefan-
genheit und Genauigkeit in der Beobachtung die Behandlung
der syphilitischen Uebel durch den innerlichen Sublimatge-
brauch in dem einen dieser Länder andere Resultate, als in
dem andern hervorbringen werde. Ref. bemerkt ferner , dafs
diejenigen Syphilitischen darum noch nicht immer gründlich
geheilt sind, deren Localttbel während der Innerlichen An*
Wendung des Sublimats verschwunden ist (so wertig als der-
jenige vor den Folgen des tollen Hundsbisses gesichert ist,
dessen Bifs wunden bald geheilt sind) , indem er solche örtliche
Uebel schon oft nicht ilur innerhalb weniger Tage, also zu
einer Zeit schon verschwinden sah , wo von einer antisyphi-
litischen Wirkung des Quecksilbers noch gar keine1 Rede seyn
konnte, sondern es auch häufig geschieht, dafs Venerische
Locälaufällq in Kurzem ohue allen innerlichen oder äüfser-
XIX- Jahrg. & B\ ff, ' 8 #
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114 Kopp arztliche Bemerkungen.
lieben Quecksilbergebrauch lediglich von selbst wieder ver-
schwinden , und somit für einige Zeit geheilt zu seyn schei-
nen, dann aber oft erst nach einer Reihe von Monaten durch
den nunmehrigen Ausbruch der Symptome allgemeiner La es
beweisen, dais das einst unbeachtete , schmerzlose , dem An-
scheine nach gänzlich geringfügig gewesene, venerische Local-
übel allmählig im Stande war, seiner inneren Qualität nach
sich über den ganzen Körper zu verbreiten, und die ernsthaf-
testen und hartnäckigsten Folgen nach sich zu ziehen» Ref.
könnte zum Belege dieser Wahrheit (die bei der Häufigkeit
der venerischen Vergiftung und ihrem oft so tiefen Eingreifen
in das physische und moralische Wohl der Menschen , und
weil da und dort die Mos locale Behandlung frischer veneri-
scher Uebel und die Ueberflüssigkeit des innerlichen Queck-
silbergebrauchs gegen dieselben gelehrt wird, nicht häufig ge-
nug gesagt und beherzigt werden kann, und daher nicht nur
in specie für den syphilitischen Kranken und den ihn behan-
delnden Arzt, sondern auch für die Gesundheitspolizei im
Allgemeinen Von der gröfsten Wichtigkeit ist) eine Reibe
selbst beobachteter Falle mittheilen; er will aber» um die
Gränzen einer Anzeige nicht noch mehr zu überschreiten,
statt aller nur anführen, dafs er gerade im gegenwärtigen
Augenblicke einen jungen Menseben behandelt, welcher he.
reits vor zehn Monaten in Folge des Umgangs mit einer un-
reinen Weibsperson ein kleines, schmerzloses Geschwüreben
an der Vorhaut bekam , das er nicht weiter beachtete, und da-
her sich selbst überliefs, worauf es nach zehn bis zwölf Ta-
gen geheilt zu seyn schien. Zehn Monate lang hatte er nun
einer ununterbrochenen Gesundheit genossen, als sich jetzt
erst, ohne dafs er in jener Zeit einen neuen Umgang mit einer
Weibsperson gepflogen, die Zufälle der allgemeinen Lues bei
ihm entwickelten, und nun nach einander, innerhalb weniger
Wochen, venerische Halsschmerzen, Geschwulst und Exul-
ceration beider Mandeln , Condylomata am After und Mittel-
fleisch, dergleichen Auswüchse am Scrotum, dem männlichen
Gliede und der inneren Seite beider Oberschenkel und selbit
in den Zwischenräumen der Zehen des rechten Fufses, «cb
zuletzt aphthöse, warzenartige Erhabenheiten und Excoria-
tionen zeigten, die offenbar Venerischer Natur waren, und
den sorglosen Kranken zuletzt nöthigten , ärztliche Hülfe su
suchen. — - In Rücksicht der wichtigen Frage: ob der Spei-
chelfluf* eine wesentliche oder unwesentliche Bedingung sur
gründlichen Heilung sowohl primärer als secundilrer venerl"
scher JJebel sey , w.ül Ret hier nur noch kurz , obwohl geg*0
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Kopp ärztliche Bemerkungen. \ j 5
die Ansicht der Franzosen, bemerken, dar« er denselben in
der Regel für eine wesentliche Bedingung zu einer radicalen
Heilang der örtlichen und allgemeinen Lustseuche halt 9 dafs
es aber auch einzelne Fälle gehe, wo die gründliche Heilung
derselben ohne einen solchen Speichelflufs erfolge, so wie auch
zuweilen Fälle vorkommen, wo schon Salivation eintritt,
noch ehe das venerische Gift getilgt ist. Ref. kann sich je-
doch über diesen Gegenstand hier nicht weiter einlassen, und
behält sich vor, bei einer andern Gelegenheit seine Ansichten
und Erfahrungen hierüber mitzutbeilen.
Im Hospital für kranke Kinder, das gewöhnlich fünfhun-
dert Kranke von zwei bis vierzehn Jahren enthält, ein schö-
nes Local und gute Verpflegung hat, werden die Knaben von
Jadelot, die Mädchen von Guersent behandelt, f.'er Verf. be-
richtet tins aber nichts Ausgezeichnetes von dieser Anstalt, —
Mehr verweilt derselbe bei dem Hopita] de )a Garde royale,
welchem Larrey vorsteht, dessen Ruhm übrigens bei uns
gröfser ist, als in seinem Vaterlande, der von Napoleon
Sroise Auszeichnung genofs, von demselben zum Baron erho«
en und in seinem Testamente bedacht wurde , nun aber zu-
rückgesetzt ist, der Prahlerei und Uebertreibung von seinen
Landsleuten beschuldigt wird , und ehedem weit besser ope-
rirt haben soll, als jetzt. Unser Verf. schildert ihn als einen
äufserst gutmüthigen und gefälligen Mann sowohl gegen Frem-
de , als gegen seine Kranken und Untergebenen ; meist wird
sein Hospital aber nur von deutschen oder englischen jungen
Aerzten besucht. Die Kranken leben in diesem Hospitale am
besten. Der gedruckte lange Speisezeddel dieses Kranken-
hauses enthält mehr Gerichte, als in den gröfsten Gasthöfen
mancher Mittelstadt zu haben sind, was den Vf. um so mehr
wundert, da Larrey als Militärarzt die Gewöhnung der Kriegs-
leute an Ueppigkeit und UeberflufS gewils nicht gut heifsen
kann. Der vielfachen Anwendung der Moxa (von denen die
kleinere oder chinesische eine aus mehreren Pflanzenpulvern
hestehende Paste ist, die bei'm Abbrennen die Haut nur ober-
flächlich, die grofse ägyptische oder Zylinderinoxa aber, aus
Baumwolle, die Haut tiefer verletzt, welche beide Larrey
fast bei jedem Spitalumgange anwendet, ja zuweilen einem
Kranken nach und nach 30 Moxert appliciren läfst), gedenkt
der Vf. ausführlich, und bemerkt, dals Larrey dadurch nicht
selten in Fällen Genesung bewirke, wo die Anwendung sonst
ganz ungewöhnlich erscheine. Ref. hat sich der Moxa in der
Hospital - undCivilpraxis auch schon öfter bald mit, bald ohne
guten Erfolg bedient^ und er ist überzeugt, däfs die Anwen-
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116 Kopp ärztliche Bemerkungen.
düng dieses kräftigen Mittels in mancherlei chronischen , in-
neren undäufseren, Kränkheitszuständen , gegen welche die
Kunst so oft ohne guten Erfolg kämpft, von ausgezeichnetem
Nutzen seyn würde, wenn nur die betreffenden Kranken sich
in der Regel nicht so sehr vor der Application des Feuers
fürchteten, und daher den Gebrauch desselben seltener zu-
liefsen, als es zu wünschen wäre. Ref. bediente sich bisher
einer sehr kunstlosen Moxa , die aber eben um ihrer Einfach-
heit und Wohlfeilheit willen , und weil man sie fast überall
leicht haben kann, um so eher Anwendung verdient, auch in
physisch -chemischer Hinsicht eben dieselbe, ja vielleicht eine
noch kräftigere Wirkung leistet, als die künstlichere Larrey'-
sche Moxa, nämlich der gewöhnlichen (pyramidenförmig ge-
stalteten) R..uchkerzchen (Gandelulae fumales) der Apotheken,
von denen er, nach Umständen, eines oder zwei aufsetzen,
und dann mit oder neben einander bis zum letzten Funken
abbrennen läfst. Unter andern liefs Ref. einst zwei derselben
einem jungen Manne auf dem Haupte abbrennen, der in Folg*
eines von Sumpfluft entstandenen Quartanfiebers wassersüch-
tig geworden war, und bei dem sich, wie es schien, nach
einer schnell eingetretenen serösen Exsudation zwischen den
Gehirnhäuten und in den Gehirnventrikeln , convulsivische
und apoplectische Zufälle eingestellt hatten. Kaum hatte der
Kranke die Einwirkung des Feuers kräftig empfunden, als er
zumBewufstseyn zurückkehrte, die zuvor statt gehabte Tal-
lys« des resorbirenden Systems, welche fruherhin den wirk-
samsten inneren Mitteln widerstanden hatte, sich binnen
etlichen Tagen hob, worauf in Kurzem viel Urin abgieng,
und der Kranke nun durch den Fortgebrauch roborirender und
diuretiscber Arzneien allmählig zur gänzlichen und dauerhaften
Genesung gelangte.
V. Estjuirol. — Die Salpetriere. — Charenton. — Bi-
cötre. — Itard. — Die Maternite'. — Hebammenanstalt. —
Schaden durch venerische Hebammen. — Findelhaus. — Zell-
gewebsverbärtung. — Taubstummenanstalt, — Institute für
Blinde. — Veterinäranstalt. S. 140 — 172.
Die Salpetriere, Charenton und Bicetre, diese drei für
di« Heilung und Aufbewahrung Geisteskranker bestimmten
Orte, gehören zu den merkwürdigsten ärztlichen Anstalten
in Paris. Die vorzüglichste unter ihnen ist aber in allen Rück-
sichten die Salpetriere, die zugleich Versorgungsanstalt ist,
und unter ihren 5000 weiblichen Bewohnern etwa 800 Psy-
chischkranke und 260 Epileptische zählt. An ihr allein wer-
den, und zwar von EsuuuroJ, dem Arzte der Anstalt, Pinel's
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1
Kopp Iritlicbt Bemerkungen. *47
Nachfolger, Vorlesungen über psychische Krankheiten gehal-
ten, die sehr stark besucht, und durch Esquirol's Humanität,
Kenntnisse, Eiter und ThStigkeit ungemein nützlich sind.
Zugleich besitzt dieser verdienstvolle Gelehrte auch eine sehr
bedeutende und wohl eingerichtete Privatanstalt für Geistes»
zerrüttete. Innerliche Arzneien sieht man in den Pariser
Irrenanstalten selten gegen die Gemüthskrankheiten gebrau-
chen, dagegen wird mehr Werth auf die moralische Behand-
lung, die Art der Verwahrung , Lebensordnung , Bilder, den
Gebrauch des Glüheisens im Nacken und kalte Sturzbäder auf
den abgeschorenen Kopf während des warmen Bades gelegt.
In Charenton, woselbst der Verf. 300 gemflthskranke Männer
und 200 Weiber, meist aus den höheren Stünden , sah, und
woselbst die Einrichtung vollkommener seyn könnte, ist
Royer-Collard Arzt; am Bicetre, das gleichfalls grofser Ver-
besserung bedürfte, nur für männliche, heilbare und unheil-
bare, Irren bestimmt, zugleich aber auch Verpflegungsanstalt
für alte Arme und Unheilbare, so wie Aufbewahrungsort für
schwere männliche Verbrecher ist, ist Pariset angestellt. —
jVIit der Maternite' (Maison d'accoucbement) , einer grofsen
Gebäranstalt, in welcher jährlich über 2000 Schwangere , zum
Theil unerkannt, entbunden werden, und an welcher Dubois
als Geburtshelfer und Chaussier als Arzt wirken, besteht eine
Schule für angehende, auf Kosten der Departements sich un-
terrichtende Hebammen, in welcher junge Aerzte keinen Zu-
tritt haben. Gegen den Gebrauch in Deutschland werden in
Frankreich meist nur junge Personen von 15 bis 25 Jahren zu
Hebammen gebildet, um für das von den Gemeinden auf sie
verwandte Geld lange nützen, und im. mittleren Lebensalter
schon erfahrene Hebammen werden zu können. Der Verf.
thut bei dieser Gelegenheit den gewifs sehr beherzigungswer-
then Vorschlag, die Hebammen bei dem Unterrichte auch mit
den Kennzeichen der Lustseuche, und den sie vor derselben
schützenden Mitteln bekannt zu machen, damit sie bei der
Entbindung venerischer Personen das Gift nicht auf gesun de
Gebärende und Kinder übertragen-, wovon der Verf. sowohl
eigene, als fremde traurige Beispiele erzählt. — Im Findel-
hause , welchem Breschet als Wundarzt vorsteht, ist die
Sterblichkeit wegen der sehr verbesserten Einrichtung weit
geringer, als ehemals. Von den 5000 jährlich aufgenomme-
nen, verlassenen Kindern werden nur die kranken im Hause
behalten, die gesunden aber Ammen auf dem Lande zum Säu-
gen und zur Pflege gegeben, was dem Institute eine jährliche
Auslage von 1,400,000 Franken verursacht. Sehr häufig wird
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H§ Kopp ärztlich« Bemerkungen.
hier die Zellgewebsverhärtung beobachtet, von welcher unser
Verf. nach eigener Ansicht hier ein deutliches Bild entwirft,
und die Krankheit für eine eigentümliche Modification ver-
erbter Lustseuche ansieht, worin ihm Ref. voljkoinmen bei-
stimmt, indem er namentlich vor anderthalb Jahren einen,
von einem früher mit der Lustseuche behaftet gewesenen Va-
ter erzeugten Säugling an dieser Krankheit sterben sah, von
dessen früheren fünf Geschwistern Ref. auch eines, an einem
entschieden syphilitischen , im höchsten Grade bösartigen und
tödtlich gewordenen Ausschlage behandelte. Das letzterzeugte
Kind dieses Mannes starb vor einem halben Jahre am fünften
Tage nach der Geburt unter beständigem Wimmern an Ga-
stromalacie, was den Ref. die Section lehrte. — Am nütz-
lichsten findet man im Pariser Findelbause Wasserdampfbäder
gegen die Zejlgewebsverhärtung ; Ref. würde, wenn ihm
wieder Fälle dieser Art vorkämen, das versüfste Quecksilber
in kleinen Dosen mit Moschus in Gebrauch ziehen. — Ttard
ist Arzt des K. Taubstummeninstituts, und ausschliefslich nur
mit der Behandlung Gehörkranker beschäftigt, worin er Ge-
wandtheit und manches Eigentümliche besitzt. Der Taub-
stummen sind neunzig, und ibr erster Lehrer ist der Abbe
Periez , die Lehrmethode die des Abbe' de l'Epe'e, vom Abbe
Siccard vervollkommnet. Sie geschieht durch die Zeichen-
sprache, wodurch die Taubstummen, aufser der Erlernung
mechanischer Arbeiten, lesen, schreiben und rechnen lernen,
und sich in mehreren Sprachen , in der Geographie, Geschichte
u. s. w. Kenntnisse erwerben , worüber sie jeden Monat zahl-
reich besuchte Prüfungen erfahren. «— Eine ähnliche Einrich-
tung findet auch in der K. Anstalt für junge Blinde statt , die
sechszig Mädchen und dreifsig Knaben zählt. Die Buchstaben
ihrer Bücher, die Gränzen in den Landcharten, die Noten
u. s. w. sind erhaben , und für das Gefühl in den Fingerspitzen
geeignet, und eben so sind auch ihre Bücher eingerichtet. —
An der seit 1767 unter Bourgelat's Direction stehenden Unter-
richtsanstalt für Thierarzneikunde im Schlosse Alfort bei Paris
geben sieben Professoren Unterricht. Der Zweck dieser An.
stalt ist, Thierärzte, geschickte Hufschmiede, Landwirthe
und Schäfer zu bilden, zu welchem Behufe sie treffliche Hülfs-
mittel besitzt.
VI. Magnetismus in Frankreich. — Varietäten, S. 173
179» Ref. ist niebt ganz der Ansicht des Verf. , wenn er
behauptet, dafs die Franzosen, weil sie nicht Gemüth genug
haben, sich weder zum Magnetisiren , noch Magnetisirtwer-
den eignen. Ref. erinnert hier jiur daran , dals Mesmer in
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fcoj»j> 3r*tljch« Bemerkungen. 119
den letzten Decennien des verfloii enen Jahrhunderts mit gros-
•em Glücke und Aufsehen magnetische Kuren in Paris verrieb«
tete, nachdem er *;ura suvor wegen Anwendung derselben in
deutschen Staaten Hindernisse und Verfolgungen mancherlei
Art zu bestehen gehabt hatte; dafs «ich au jener Zeit, in
Folge der Empfänglichkeit der Franzosen für den Mafinetis-
mus, nicht nur in der Hauptstadt» sondern auch in mehreren
Städten Frankreichs, ganze Gesellschaften zu Gunsten des
Magnetismus gebildet hatten, deren Verhandlungen, wenn
aich Ref. nicht irrt, einst öffentlich bekannt geworden und
zum Theil im Drucke erschienen sind, und dafs längst vor der
Revolution, und noch bis zu deren Ausbruche hin» eine Zeit
sensibler oder nervöser Stimmung (wenn Ref. sich *Q aus-
drücken darf) in Frankreich herrschte, während welcher hy-
sterische £rscbeinungenf Vapeurs, Ekstasen, Hellsehen, und
wie die Zufälle einer theils natürlich krankhaften, tbeils er*
künstelten Nervenverstimmung weiter benannt werden mo>
§en, bis zur Beschaulichkeit frommer Inspiration, insbeson-
ere in höheren Zirkeln, sehr häufig zum Vorschein kamen.
Wohl gab dann das Emporkommen jenes, dem sogenannten)
Gefühlleben allerdings fremden , kräftigen Usurpators , der
auf einem Eilande des westlichen Oceana ahnlängst sein Leben
scblofs, der französischen Nation eine ganz andere, dem in«
neren nervenschwachen Beschauungsieben fremde , ja entge.
angesetzte Richtung , indem mit den , durch gewaltsam her«
beigefübrte politische Ereignisse nun nach aufsen gedrängten
Kräften den Bewohnern Frankreichs weder mehr Zeit noch
Gelegenheit übrig blieb, zur eigenen Betrachtung in sich selbst
zurückzukehren, und auch der Geist des friedlicher noch am.
Heerde Weilenden durch die vielfach sich drängenden und
wechselnden Ereignisse fast jedes Tages sich i" eine stete
Spannung und Regung nach aufsen versetzt sah. Eine solche
Richtung des französischen Volkes war und blieb aber nur
eine vorübergehende , und keineswegs eine dauerhafte, und
Ref. tnüfste sich sehr irren, wenn nicht mit der stufen weisen
Rückkehr eines friedlichen Volkes zu alten Gebräuchen und
religiösem Cultus eine, seiner angestammten Natur wohl nicht
fremde, sensible Stimmung, oder, wenn man lieber will,
dasjenige Gefühlleben in demselben, wiederkehren sollte» welche
einer , im TJebrigen keineswegs beneidenswerthen Empfäng-
lichkeit für den Magnetismus, und den ihm verwandten Er-
scheinungen Daseyn verleiht, Andererseits, glaubt Ref., dafs,
die Receptivität der Deutschen für den Magnetismus und das
Treiben derselben, in diesem und ihm verwaisten, Gebieten^
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120 Kopp Srxtliche Bemerkungen.
>
wie wir es sait 2ehn oder zwölf Jahren um uns her beobach-
tet haben, unter Anderem auch in einer, durch politische Er-
eignisse herbeigeführten, bald durch Furcht, bald durch Hoff-
nung hervorgebrachten Stimmung der Gemüther ihre Dispo-
sition gefunden habe, dafs aber der Meridian einer solchen
magnetischen Stimmung unter den Deutschen bereits schon
wieder passirt zu seyn scheine.
VII. Gesundheitspolizei und gerichtliche Medicin in
Frankreich. — Rückblick auf das Betreiben beider Wissen-
schaften in Deutschland. — Nützliche Anwendung des Chlo-
rinkalks in Paris und Marc's Bericht darüber. S. 180 — 224»
In Frankreich bandelt man in medicinisch- polizeilicher Rück-
sicht nur da, wo es augenscheinlich Noth thut, in Deutsch-
land i8t man aber auf das andere Extrem gerathen. Als Beweis
hievon theHt der Verfc von S. l8l — 189. eine Reihe medici-
nisch-polizeilicher, von verschiedenen Aerzten gemachten
Vorschlüge mit, welche wir bereits kennen, und wobei Ref.
blos bemerkt, dafs manches der Aufmerksamkeit der obersten
Medicinalbebörde werth ist, was deswegen doch noch nicht
als allgemeine Malsregel einzuführen wäre, und dafs eine
weise Regierung nie ohne vorhergegangene umsichtige Prü-
fung urtheilen und beschliefsen werde. Irn Uebrigen hält auch
Ref. die Sorge einer Regierung für gute Besetzung unterer
Medicinalämter für die Basis jeder guten Sanitatspolizei und
gerichtlichen Medicin* Besonderen Dank verdient der Verf.
Für die ausführliche Mittheilung des von Apotheker Labarraque
in Paris entdeckten Gebrauchs des Chlorkalciums zur Tilgung
des faulen Geruchs bei Leichnamen f dessen Anwendung sich
aufser der Sicherheit und Schnelligkeit in der Wirkung insbe-
sondere auch noch durch die Woblfeilheit und Leichtigkeit
seiner Anwendung empfiehlt« Dr. Marc, ein Deutscher von
Geburt, Leibarzt des Herzogs von Orleans, und einer der
vorzüglichsten gerichtlichen Aerzte Frankreichs, hat eine
Reihe von Versuchen mit diesem Antiseptikum, sowohl gegen
den Leichengeruch in der Rettungs- und Ausstellungsanstalt
für unbekannte Unglückliche (morgue), als zu Verhütung des
Gestankes in Abtritten und Urinbehältern Öffentlicher Orte
angestellt, die in hohem Grade zu Gunsten der Wirksamkeit
dieses Mittels sprechen , und seine allgemeine Einführung in
den geeigneten Fällen sehr wünschenswerth machen. Unser
Verf. wendet das flüssige Clilorkalcium bei schlaffen, übel-
riechenden, cbronisohen Geschwüren mit auffallendem Nutzen
an, und glaubt, dafs dasselbe zur Zerstörung der Contagien
und Miasmen in manchen Rücksichten noch Voraüge vor den
Kopp Srztlichc Bemerkungen. 121
G. Morvean/schen und Smyth'schen sauren Dampfen haben
werde.
VIII. Wechsel des allgemeinen Krankheitscharaktera. —
Einflufs der Witterung auf die Entstehung der Krankheiten. —
Die Lungensucht in epidemischer Besiehung. S. 225 — 256.
Ref. ühergeht die eindringende Empfehlung des Verf.: den
stationären Krankheitscharakter und seinen Wechsel, zum
Heile der Therapie, eifrig zu beobachten, als bekannt, so
wie die Bemerkungen über die Lungensucht in epidemischer
Beziehung , insbesondere für Hanau , als dem Wohnorte des«
selben, woselbst an dieser Krankheit besondeis viele sterben,
und wovon die Ursache unter andern hauptsächlich in der
durch die localen Verhältnisse der Stadt begründeten, statio-
nären katarrhalischen Constitution und deren späteren nach-
theiligen Folgen für die Kespirationswerkzeuge liegt. Dage-
gen erlaubt sich Ref. noch etliche Augenblicke bei der Behaup-
tung des Verf. zu verweilen, dafs sich der seit dem beisserr
Sommer l8il und der Anwesenheit des grofsen Kometen in
jenem Jahre rein entzündlich gewesene allgemeine Krankheita-
charakter, in Folge des gleichfalls meteorologisch denkwürdi-
gen Jahres 1 8 24 , nun zum asthenischen neige; was derselbe
aus folgenden Erscheinungen schliefst: l) es gebe weniger
Entzündungen, besonders weniger Pneumonieen , als vor eini-
gen Jahren; 2) das Aderlassen sey jetzt bei weitem nicht so
oft nöthig, als früher; 3) die Kranken vertragen jetzt weit
eher Reizmittel ; 4} nervöse Fieber mit dem Charakter der
Schwäche seyen jetzt häufiger, als vor mehreren Jahren, ja
sogar bin und wieder schon epidemisch ; 5) intermittirende
Fieber kamen im Jahre f324 bereits öfter vor, als in einer
ganzen Reihe vorhergegangener Jabre. — Ref. übergibt diese
wichtigen Punkte , so wie die Beobachtung des Verf. : dais
zur Zeit feuchter Witterung weit weniger Kranke sich zeigen,
als unter dem Einflüsse der trockenen, seinen Lesern zur Ver-
gleich ung mit ihren eigenen Beobachtungen und Erfährungen,
erlaubt sich aber seine , auf eine gänzlich unbefangene und
partheilose Wahrnehmung sich stützende Stimme bescheiden
dahin abzugeben , dafs ihn in BetreiF des letzteren Umstandet
namentlich die Erfahrung des gegenwartigen Spätjahres gerade
das Gegentheil gelehrt habe, indem bei der, beinahe den
ganzen Hevbst und anfangenden Winter 1825 herrschend ge-
wesenen feuchten, nebligen und gelinden Witterung in der
Genend und an dem Orte, wo Ref. die Arznei Wissenschaft
gegenwärtig ausübt, nicht nur häufiger alg zuvor fieberhafte
Krankheiten unter Erwachsenen aufgetreten sind, sondern
123 Kopp ärxtliche Benieikuugcn.
»ich zugleich auch unter den Kindern (und nicht selten auch
bei Erwachsenen) der Keuchhusten und das Scharlach fieber
entwickelt bähen, von welchen das letztere in der Stadt mit
Andauer jener Witterung wahrhaft epidemisch geworden ist.
In Rücksicht der gegenwärtigen Abnahme des entzündlichen
epidemischen Genius, dem seltneren Vorkommen vonLungen-
entzündungen als sonst, der seltneren Nothwendigkeit des
Aderlasses in denselben, und dem leichteren Vertragen von
Reizmitteln bei Kranken überhaupt bekennt Ref. um der
Wahrheit willen, dafs seine Beobachtungen zur Zeit gleich«
falls noch nicht mit denen des Verf. übereinstimmen, indem
der inflammatorische Charakter der Krankheiten , nur zuwei-
len mit dem galligten complicirt , in seiner Gegend in der Re-
gel noch immer vorwaltet, insbesondere aber auch Lungen-
entzündungen und entzündliche Seitenstiche häufig auftreten,
allgemeine und besondere Blutentziehungen vor allen Dingen
und meistens wiederholt erfordert werden, und Nitrum in
Emulsion neben Calomel die vorzüglichsten Hülfsmittel sind.
Die Beschaffenheit des Pulses und des aus der Ader gelassenen
Blutes, das in der Regel eine sehr bedeutende Entzündungs-
haut zeigt, der gewöhnlich schnelle Anfang der Krankheiten,
ihr im Ganzen kurzer Verlauf, die Beschaffenheit der Secre-
tionen, die Wege, durch welche die Natur Krisen einleitet
und vollendet, alles das spricht in des Ref. Kreise in der Mehr«
zahl fieberhafter Krankheiten und örtlicher Entzündungen für
einen gegenwärtig noch prävalirenden entzündlichen Genius
epidemicus. Ref. findet daher auch in der Regel bei Behand-
lung derselben keine häufige. Anzeige zum Gebrauche von
Reizmitteln, häufig dagegen zu solchen Hülfsmitteln , welche
die Masse des Blutes vermindern , die Bewegung desselben
mäfsigen, und die Mischung dieser Flüssigkeit verändern,
wo dann meistens auf sehr einfachem Wege, bei gehörigem
Verhalten des Kranken , die Genesung herbeigeführt wird.
Selbst das Alter des Kranken macht in Rücksicht der noch
herrschenden entzündlichen Diathesis keinen wesentlichen Un-
terschied, und beurkundet noch mehr die Allgemeinheit ihrer
Verbreitung, ■ Ref. sah ohnlängst bei einem et] ich' und siebzig-
jährigen , an einer Pneumonie leidenden, hager und schwäch-
lich aussehenden Manne, bei welchem eine dreimalige Venä-
section und das Anlegen von Blutegeln an den Thorax angezeigt
waren, das aus der Ader gelassene Blut jedesmal von einer
eben so entzündlichen Beschaffenheit, als er es auf dieselbe
Weise wieder bei einem sechszehnjährigen Knaben mit der-
selben Krankheit fand, bei welchem ein zweimaliger Adetlafs
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t
f
I Kopp arstiichs Bemerkungen. 123
neben dem Gebrauche von Blutegeln in Anwendung gebracht
wurde, und hei dem die Natur in den nächst darauffolgenden
Tagen doch noch auf demselben Wege, nämlich durch wieder-
hohes Nasenbluten, sich mit sehr günstigem Erfolge Erleich,
terung und Genesung zu versebaifen bemüht war. Zu gleicher
Zeit kommen dem Ref. gar nicht selten Personen vor, die
nicht eigentlich für krank gelten, die umher gehen und ihre
Geschäfte selbst aufser dem Hause betreiben, doch aber öfters
über Mattigkeit und Beklemmung klagen, und deren Blut hei
einem Aderlasse sodann eine sehr auffallende Crusta inflamrna-
toria zeigt. Wohl weifs lief . , wie unendlich verschieden sich
der Genius epidemicus an den verschiedenen Orten gestaltet,
wie vielfach derselbe durch die JLage und Temperatur des
Orts, durch das Verbältnifs des letzteren zum Boden, dem
Wasser, der Luft, der Lebensweise und dem Gewerbe der
Bewohner bestimmt wird, wie zuweilen nur unbedeutend
scheinende topographische Abweichungen in kleinen Entfer-
nungen von einander an dem einen Orte reiner entzündliche,
an dem andern gemischte, an dem dritten wahrhaft nervöse
Fieber endemisch und stationär machen , während doch in
gröfseren Verhältnissen alle unter denselben siderischen und
kosmischen Einflüssen stehen* Ref. will aber mit seinen Be-
merkungen nur andeuten, dafs die Erfahrung wenigstens bis
jetzt noch nicht überall eine solche, von dem Verf. prädicirta
Hinneigung des allgemeinen Charakters der Krankheiten zum
asthenischen nachzuweisen vermag, dafs mitten unter den
Beobachtungen berühmter Aerzte von einer solchen Inclination
der Krankheiten es auch Beobachtungen gebe, die zur Zeit
noch gerade das Gegentheil von dem ersteren factisch darthun,
dafs ferner ein vorherrschender entzündlicher Charakter seihst
bei einer gelinden, feuchten und nebligen Witterung doch
oft längere Zeit fort herrschend beobachtet werden könne,
und dafs, so wichtig auch die auf theoretische Comhination
und eine rationelle Erfahrung gestützten ürtheile über die
Veränderungen im allgemein herrschenden Genius der Krank-
heiten sind , Sie doch immer nur mit grofser Vorsicht und mit
steter Rücksicht und Vergleichung desjenigen, was die eigene
aufmerksame Beobachtung am Aufenthaltsorte lehrt, von je-
dem einzelnen Arzte aufgenommen werden dürfen, wenn sie
für die wichtige, aber noch immer noch grofser Aufhellungen
bedürftige Lehre vom epidemischen Genius , und somit für
die Theorie und Praxis der Heilkunst von, wahrhaft erapriefs-
lichen Folgen seyn sollen,
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124 Tredgold on the itrength of cast fron.
Ref. entschuldigt die Weitläufigkeit der Anzeige dieses
Werkes mit dem Interesse, welches ihm dasselbe durch die
Mannichfaltigkeit der in ihm vorkommenden wissenswiirdigen
Gegenstände gewährte , so wie mit der hohen Achtung , welche
er Für die literarischen Verdienste des berühmten Verf. hegt.
Druck und Fajner der Schrift machen der Verlagshandlung Ehre,
und die Correctur ist mit wenigen Ausnahmen fehlerfrei.
Practica! essay on the strength of cast iron9 and other metals : inten'
ded for the assistance of Engineers , iron maslers , architectsj
millwrights , founders , and others engagtd in the construction of
* machines buildings etc. containing practical rulcs tables and exent'
■ples • f ounde d on a series of netv Experiments , with an extensive
table of the properties of materiah. The second edition , impro*
ved and enlarged. lllustrated by four engravings and several
wood'cuts. By Thomas Tredgold) civil engineer etc. Lo/i-
don 1824. XIX und 506 S. 8. Pr. 15 «litl.
Ref. hat den langen Titel dieser äufserst gehaltreichen
Schrift deswegen vollständig mitgetheilt, weil er alles das-
jenige angiebt, was man im Buche zu suchen hat und auch
gewifs finden wird. Untersuchungen über die absolute, rela-
tive und rückwirkende Festigkeit der verschiedenen Körper
sind seit dem Wiederaufblühen der Mechanik 9 man darf anneh-
men seit Mariotte, hauptsächlich in Frankreich, neuerdings
zahlreicher in England, in Menge angestellt, und auch in
Deutschland sind die Bemühungen verschiedener Gelehrten,
vorzüglich Ey tel w ei n 's , allgemein bekannt. Inzwischen
haben alle jene berühmten Männer 9 z.B. M u ss ch e n b r o ek,
Girard, Gauthy, Rondel et, Duleau, Na vier, l'er-
ronet, Barlow, Smeaton, Brown, Beaufoy, Ren-
nie u. a. ihre Versuche hauptsächlich nur auf die verschiede-
nen Holzarten und unter den Metallen vorzugsweise auf
Schmiedeeisen, dann Messing und Kupfer ausgedehnt. Eine
umfassende Zusammenstellung der früher erhaltenen Resultate
in nächster Beziehung auf das Bauwesen gab neuerdings Tred-
gold in seinen 1820 erschienenen : Elementary principles of car»
pentry u.s. w.f einem eben so gründlichen als schönen, mit
22 Kupfern gezierten Werke in 4- > dessen hoher Preis von
1 Lstl. 4 slstl. dasselbe auf dem (kontinente selten macht. In-
zwischen hat man in den neuesten Zeiten das Gufseisen so
allgemein zu den verschiedensten Maschinen und Vorricbtun-
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Tredgold on the strength of cast iron.
gen benutzt; und die Anwendung desselben wird nicht bloa
in England 9 sondern auch auf dem Cuntinente so ausgebreitet,
dafs dieses Material vorzugsweise eine Prüfung rücktfichtlich
seiner Güte und Festigkeit verdient , um auf der einen Seite
bei kostbaren und auf grofse Dauerhaftigkeit berechneten An-
lagen nicht zu bald Reparaturen not big zu haben, auf der an*
dern aber nicht der Sicherheit wegen die einzelnen Theile un-
förmlich, übermäfsig schwer und kostbar vorrichten zu lassen.
Hierüber vollständige und ganz eigentlich practisch brauchbare
Vorschriften zu geben , ist der nächste Zweck der vorliegen-
den Schrift« Der gründlich gelehrte, ungewöhnlich belesene
und mit der gi -Olsten Menge der klassischen Werke über die
von ihm bearbeiteten Gegenstände vertraute Tredgold hat
daher nicht blos dasjenige benutzt, was vor ihm namentlich
durch B uc h a n a n , Du nlop, Barlo w, Banks, Ebbeis
u. A. über die Festigkeit des Guiseisens aufgefunden ist,
sondern auch theils früher, theils unmittelbar für das vorlie-
gende Werk eine Menge eigener Versuche angestellt, um die
Eigenschaften und insbesondere die Festigkeit dieses höchst
nützlichen Materials mit Sicherheit kennen zu lernen. Die
Resultate dieser fremden und eigenen, genau geprüften und
untereinander verglichenen , Versuche kann man als die Haupt-
grundlage dieser Schrift ansehen, wie, auch der Titel angiebt,
wobei jedoch die anderen Metalle und, .selbst auch Hölzer,
Steine u. dergl. keinesweges ganz übergangen sind.
Es liegt schon in der Natur der Sache, dafs es zweckwi-
drig seyn würde, den Inhalt des Werkes nach allen seinen
Theilen einzeln anzugeben, und Ref. begnügt sich daher, den
Charakter desselben nur im Allgemeinen: zu .bezeichnen, und
die behandelten Gegenstände der Hauptsache nach namhaft zu
machen. Im Ganzen hält sich der Verf. wenig bei der Theorie
auf, zeigt jedoch die allgemeinen Grundsätze , wie sie durch
Galilei, Mario tte, 'Euler, Co'.uipuib: u. A. aufgestellt
sind, folgt in der Darstellung selbst hauptsächlich dem inEng-
land höchst geachteten und wahrhaft gelehrten Th. Young,
und entwickelt nach denselben die verschiedenen Formeln zur
Berechnung des Widerstandes, welchen die Körper nach dem
Grade ihrer Festigkeit einer auf die eine oder andere Weise
gegen sie ausgeübten Gewalt entgegensetzen. Zur Bestim-
mung der Festigkeit der verschiedenen Körper hat er dann die
Resultate der genauesten Versuche , für Gufseisen hauptsäch-
lich seiner eigenen benutzt, und die hieraus erhaltenen Werthe
in die Formeln aufgenommen. bekanntlich hat man iodels
durch die meisten bisherigen Versuche die Festigkeit der Kör-
126
Tredgold 00 tha streng th of cast iroo
per im Maximo zu bestimmen sich bemühet, d. h, man hat
dasjenige Gewicht aufzufinden gesucht, durch welches die
Theile wirklich getrennt werden, oder aber durch welche ein
Zerreissen , ein Zerbrechen derselben bewirkt wird. Für die
practische Anwendung pflegt dann festgesetzt zu werden,
dafs man der Sicherheit wegen von dieser Gröfse nur etwa
ein Drittheil nehmen solle. Der Verf. dagegen befolgt eine
für die Praxis sicher weit bessere Methode , welche übrigens
schon durch Coulomb, Young u. A. mehr oder weniger
bestimmt angegeben ist. Er untersucht nämlich die Festig-
keit der Körper blos bis so weit, als sie keine bleibende
Aenderung ihrer Form annehmen (take a set, nachdem eng-
lischen Ausdrucke), oder nach weggenommener Last zu ihrer
ursprünglichen Form völlig wieder zurückkehren, indem man
dreist annehmen darf, dafs sie bis so weit sicher beschwert
werden dürfen, ohne dafs man ein Zerbrechen derselben zu
befürchten hat. Dabei bedient sich Tredgold einer durch
Th. Young eingeführten Bezeichnung, nämlich Modulus
der Elasticität, und versteht hierunter eine Säule von
der nämlichen Substanz, welche fähig ist, einen Druck auf
die Unterlage hervorzubringen, und sich zu dem Gewichte,
wodurch eine Zusammendrückung des Körpers hervorgebracht
wird, verhält, wie die Länge der zusammendrückenden Säule
zu ihrer Verkürzung, wobei vorausgesetzt wird, dafs ein
gleiches Gewicht dieselbe um eine gleiche Gröfse ausdehnen
würde. Obgleich es gut ist, bei der practischen Anwendung
sich gewisser allgemeiner Bezeichnungen zu bedienen , so
flaubt Ref. doch nicht, dafs die hier mitgetheilte von grofsem
Tutzenjseyn könne, ist indefs nicht Praktiker genug, um aus
genügender Erfahrung siöb ein entscheidendes UrtheiT hierüber
anzumafsen. Uebrigens bleibt Tredgold nicht bei den all-
gemeinen Bestimmungen der Festigkeit der Körper stehen,
sondern zeigt die hieraus folgenden Regeln in bestimmten An-
wendungen, z. B. auf die Construction der Balanciere, der
Säulen, Tragstangen, Wellbäume, Radzähne, hohler Fufs-
böden u. dergl.
Indem das vorliegende Werk vorzugsweise für die prak-
tische Anwendung bestimmt ist , so beginnt dasselbe nach
einer kurzen Einleitung mit Tabellen, deren man sich zur
Ersparung der Berechnung bei der Construction der verschie-
denen Maschinen , der Tragbalken, Säulen und sonstiger Vor-
richtungen bedienen kann, und verbindet hiermit dann eine
Anweisung zum Gebrauche derselben. Zusammenhängend
hiermit sind die in der dritten und vierten Abtheiluflg entbal-
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4
Tredgold od tht strengen of eajt iroa. 127
tenen Untersuchungen Gber die Durch s^nitte von Balken,
welche den stärksten Druck vermöge ihrerrelativen Festigkeit
aushalten können* Was man wo LI nicht mit Unrecht als den
Anfang machend erwarten könnte, folgt dann erst im fünften
und sechsten Abschnitte , nämlich eine Prüfung fremder und
eine Erzählung der eigenen Versuche über die Festigkeit der
verschiedenen Körper, welche schon oben erwähnt sind, und
wovon die über Guiseisen ohne Widerrede unter die ausführ*
liebsten und vorzüglichsten gehören, welche bisher bekannt
gemacht sind. In den drei folgenden Abschnitten findet man
dasjenige, was wohl den gröfsten und allgemeinsten Nutzen
hat, nämlich praktische Formeln zur Berechnung der Dirnen«
sionen solcher Körper, welche Lasten zu tragen oder einem
Drucke Widerstand zu leisten bestimmt sind , und namentlich
wird im neunten von derjenigen Elasticität gehandelt, ver-
möge deren die verschiedenen Substanzen einer Drehung um
ihre Längenaxe widerstehen (resistance to torsion), worüber
unter allen bei weitem die wenigsten Versuche vorhanden
sind, weswegen auch Ref. in diesem Augenblicke mit einer
Reihe solcher beschäftigt ist. Bei der Angabe der Formeln
zur Berechnung des Widerstandes, welchen die verschiedenen
Körper nach ihren ungleichen Dimensionen einer äufseren Ge-
walt entgegenzusetzen vermögen, deren Anwendung meistens
an einem Beispiele praktisch gezeigt wird, bezieht sich der
Vf. stets auf den Gebrauch der von ihm berechneten Tabellen,
welche allerdings grofse Bequemlichkeit für solche Praktiker
haben mögen, deren Geschäfte zahlreiche Berechnungen dieser
Art verlangen , manche andere aber werden es zu mühsam fin-
den, für einzelne Fälle sich in denselben orientiren zu lernen.
Im zehnten Abschnitte endlich handelt der Verf. von dem Wi-
derstande, welchen die verschiedenen Stoffe sowohl als klei-
nere Körper, als auch in Gestalt langer Säulen einem Drucke
entgegensetzen, also von der rückwirkenden Festigkeit,
woran im letzten Abschnitte noch eine Untersuchung der
Kraft geknüpft ist, mit welcher die einzelnen Theile einer
Maschine dem Stofse anderer bewegter Theile vermöge ihrer
Elasticität widerstehen (resistance to impulsion). Angehängt
sind dann eine alphabetische Uebersicht der hauptsächlichsten,
mit dem Inhalte des Werkes in näherer Beziehung stehenden
Eigenschaften der verschiedenen Stoffe, ein Sachregister, eine
(nicht vollständige) alphabetische Zusammenstellung der benutz-
ten Schriftsteller und eine nähere Erklärung der Kupfer,
Diese kurze Anzeige wird genügen , um darzuthun , dafs
dieses gehaltreiche Werk auf dem Continente eine gleiche
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128
Aescbyli Tragoodiae, ed. Schütz.
Aufmerksamkeit verdient, als ihm in England zu Theil ge-
worden ist.
M u n c k e.
■
#■ .
Aeschyli Tragoediaa qua» super sunt ac deperditarum Fragmente.
Recensuit ac Commentario illustravit Chr, Godofr. Schütz,
Vol« IV, Schölt a Graeca in Septem Aeschyli , quae exstant,
tragoedias. Haine, in Bibliopolio Oebauriano , MDCCCXX1,
IV und 459 S. in gr. 8.
Es enthält dieser vierte Band der Schützischen Ausgabe
des Aeschylos, womit übrigens diese Ausgabe keineswegs ge-
schlossen ist, den vollständigen Abdruck der Griechischen
Scholien in die sieben Tragödien des Aeschylos aus der Stan-
leyseben Ausgabe , ein Unternehmen , das um so verdienstlicher
anzusehen ist, als die Stanleysche Ausgabe in neuerer Zeit be-
kanntlich sehr selten und theuer geworden ist. Nur können
wir bei Anzeige dieses Bandes die ßemerkuug nicht unterlassen \
ob es nicht gerathener gewesen wäre, gleich anfangs zu jedem
einzelnen Stücke entweder unter den Text zu jeder Seite oder
am Ende jedes Stücks die Griechischen Scholien im, Abdruck
beizufügen; für den Leser würde diese Einrichtung gewils
mehr Bequemlichkeit gehabt haben. In diesem neuen Abdruck
der Scholien sind nach der Butler'schen Anordnung die 2gAiJ
^wra, deorapa und t^itcc durch beigefügte Buchstaben (A. B. T.J
unterschieden. Sonst ist im Ganzen wenig geändert, nicht,
aus bisher unbenutzten Handschriften hinzugekommen. Unter
dem Texte rinden sich hie und da Nachweisungen der in den
Scholien etwa citirten Stellen aus Homer, Pindar u. dergl.,
dann Verbesserungen fehlerhafter oder verdorbener Stellen
durch Heath, Pauw, Abresch, so wie des Herausge-
bers in kurzen Noten. S. 452. schliefst sich an die Scholien
an: Btc; AtoyCXov (die Bemerkungen der Gelehrten, die abwei-
chenden Lesarten und Zusätze der Hobortellianischen Ausgabe
zu diesem Leben des Aeschylos soll der fürifteBand enthalten);
S. 456. folgen 'Evt-y^^ara a/fc AioyyXcv mit einigen kritischen
Bemerkungen; S. 457 ff. KaraXoyos rtSv AjWuAou .^ajxarcüv , .na«
tTToi-£t~iov, nebst den Zusätzen von Butler* Ueber diese sämmt-
lichen Stücke des Aeschylos kann der fünfte Band dieserAus-
abe nähere Auskunft gehen; da er überdies die Fragmente
er verlorenen Stücke und Supplementa Annotationum zu den
früheren Bunden enthält.
t ■ 1
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N. a 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literater.
M afsdarie ds chisade Seid Hussein1* DreitlicUwig eines J 1'inU-ls
oder des denselben messenden Dogens,
(Hierzu die anliegende Zeichnung.)
Nicht unter diesem Titel, denn das Buch hat keinen Titel,
aher wohl über diesen Gegenstand ist zu Constäntinopcl im
verflossenen Jahre eine kleine (nur 17 Blatter starlie), aber
für die Geschichte geometrischer Bemühungen in der Türkei
äufserst merkwürdige Schrift im Druck erschienen, welche
nichts weniger als den bisher von keinem Mathematiker herge-
stellten Beweis der Dreitheiiung eines Winkels oder des den-
selben messenden Bogens zu liefern vorgibt. Seit der Grün-
dung der Ingenieurschule zu Constantinopel , welche zu Ende
des verflossenen Jahrhunderts unter Sultan Selims III. Regie-
rung in der Hafenvorstadt Chafskoi errichtet ward, ist dieses
nach einem langen Zwischenräume von mehr als zwanzig Jah-
ren wieder das erste geometrische Werk , womit die dortigö
Ingenieurschule in ganz neuem Glänze aufzutreten wähnt. Bin-
nen drei Jahren, nämlich vom J. 1800 bis 1802, erschienen
nicht weniger als sieben mathematische Schriften zu Constanti-
nopel im Druck, nämlich: 1) Telchissul-eschkial d. i. die Läu-
terung der Figuren von Hussein aus Taman, eine Abhand-
lung über Minen i. J. d.H. 1215 (1800); 2) Rissalet fil-hendesset
d. i. geometrische Abhandlung mit sieben Kupfertafcln i. J. d. II.
1217 (1802); 3) Logarithmentafeln, ohne Ort und Jahr des
Drucks • 4) Tafeln für Bombardiere , ebenfalls ohne Angabe
des Jahrs und des Druckortes ; 5) Ussuli hendesset d. i. Grund-
sätze der Geometrie * aus dem Englischen Bonny Castle'* vort
demselben Hussein aus T a man übersetzt , ohne Pruchort ;
6) Medschmuatul-muhendissin d. i. Sammlung der Geometer,
eine Anleitung zur practischen Geometrie von demselben Ver-
fasser, ohne Angabe des Jahres und Ortes des Drucks; 7) Im-
tihanul-muhendissin d. i. die Prüfung der Geometer, von dem-
selben Verfasser, gedruckt zu Skutari i. J. d. II. 1217 (1802).
Diese Elementarbücher ; deren einige mehrere Auflagen erlebt
haben, sind nur Uebersetzungen aus europäischeri geonietri-
XIX; Jalirg; 2; Heft. Ö .. .
V
130 Seid Husscia's Dreiteilung eines Winkel*.
sehen Compendien , und keines derselben gibt Burgschaft für
das Selbststudium irgend eines Professors der türkischen inge-
nieure. Im Gegentheile gibt sich der Verfasser der hier ange-
zeigten Schrift als einen über seine bisherigen Collegen, die
Professoren und Adjuncten der türkischen Ingenieur-Academie,
weit vorragenden , seiner Wissenschaft kundigen und dieselbe
durch Selbststudium mit Liebe treibenden Geometer zu erken-
nen, wenn gleich sein vermeintlicher Beweis von der Drei-
theilung eines Winkels nicht stichhaltig, und dabei die gröfste
Selbsttäuschung untergelaufen ist. Dafs aber Seid Hus-
sein, der Sohn des Schiffszolleinnehmers (dieses ist die Be-
deutung von Mafsdariedschisade), nicht nur sich und
den Sultan , sondern auch alle anderen Professoren und Ad-
juneten der Ingenieur-Academie , in deren Gegenwart er vor
dem Sultan seinen Beweis führte, so weit täuschen konnte,
dafs dieselben das (S. 22 gegebene) Zeugnifs über die unfehl-
bare Beweisführung der Dreitheihing eines Winkels oder des
denselben messenden Bogens ausstellten, ist wohl das spre-
chendste Zeugnifs für den Grad geometrischer Einsicht bei
dem Personale der türkischen Ingenieur-Academie. Da nach
dem islamitischen bürgerlichen Bechte (wie vormals nach dem
römischen) sieben Zeugen die vollgültigste Zeugenschaft ge-
wahren, so ist auch dieses geometrische Attestat von sieben
Zeugen, nämlich von den vier Chodschas oder Professoren
und von drei Chalifen (gewöhnlich Chalfa ausgesprochen) d. i.
Adjuncten unterfertigt. Der vierte dieser auf Chodschastellen
Anwartschaft habenden Chalifen (Nachfolger oder Stellvertre-
ter) ist der Verfasser selbst, welcher natürlich sich nicht selbst
unterschreiben konnte. Er erzählt in der Vorrede, wie die
Beweisführung der Dreitheihing eines Winkels oder des den-
selben messenden Bogens bisher in der grofsen Encyqlopädie
als unstatthaft erklärt, und in der türkischen üebersetzung Eu-
clid's die Dreitheilung selbst in dem 23. Problem des III. Buches
blofs practisch angegeben worden, und fahrt dann S. 5. mit
folgenden Worten bis ans Ende des Vorberichtes fort:
» Lob und wieder Lob! Durch die Gnade des allweisen,
»allmächtigen Gottes, durch die Prophetenwunder unseres
»Herrn des Heilands beider Welten , über welchen Gebet und
»Heil sey, und durch die Kraft des Jugendglücks und den Ein-
»flufs der Gerechtigkeitsfrucht des jetzt den Thron schmiieken-
»den, die Welt mit Obhut beglückenden, und durch den
»Glanz seiner Herrschaft entzückenden Helfers der Diener,
» die ihm angehören, und Entwurzlers der Bösen, welche sich
> wider ihn empören , Bewahrers der wahrsten aller Beligionen ,
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»
Seid Husiein't Dreiteilung eloes Wbkeli.
III
vBchiitcrs der Länder, worin die Moslüncn wohnen, der ge-
*» segnet ist durch allmächtige Segnung und geleitet wird durch
» göttliche Leitung , des Sultans zweier Erdtheile , des Chakan's
» zweier Meere, des Dieners der beiden edlen Heüigthümer
» (Mekka's und Medina's) , des Sultans, Sultans Sohnes und
»Sultans Enkels, Sultans Mahmudchan Ghasis, Sohnes Sultan
» Abdulhamidchan Ghasis , des Sohnes Sultan Achmedchan Gha-
» si 's , Gott verlängere sein Leben , und wolle ihm glückliche
»Herrschaft und durchdringende Befehlski alt geben (durch
» Gottes Gnade , des Propheten Wunderkraft und des Sultans
»Glück also), hat der ohnmächtigste , schwächste, unwürdig-
»ste und nichts vermögendste der Diener, Mafsdariedschi-
»sadeSeid Hussein, der erste Ad junet an der kaiserlichen
» Ingenieur« Academie , die Lösung des Beweises der Dreithci-
» lung eines Winkels oder des denselben messenden Bogens ,
»welche seit dreissig Jahren in allen geometrischen Büchern
»als unauiloslich erklärt worden, am 13* Schaaban (16. Mai)
»d. J. 1237 (1821) glücklich gefunden, und dasZeugnifs, dafs
»er den Beweis davon geometrisch hergestellt habe, wurde
» 7on allen Chodschas und Chalifen mit Unterschrift und Siegel
» bestätigt. So ist dieses seit langer Zeit als unmöglich zu be-
» weisen erklärte Problem glücklich aufgelöst worden , und es
»ist klar, dafs daraus, viele andere bisher in der Geometrie für
» schwierig erachtete Puncte gelöset werden können, weshalb
» das Ganze mit tausend Mängeln und Fehlern dem königlichen
» Throne vorgelegt worden, denn wenn der gerechte Monarch
»dasselbe nur eines halben Blickes würdiget, So wird sich
» darüber sonder Zweifel der Dom der Glorie wölben. Meine
» unterthänigste Hoffnung ist, dafs es dem hohen gerechten
» Willen Seiner Majestät gefallen werde , den ganzen Vorfall
» in die Beichsgeschichten eintragen zu lassen , wie dafs die Lö-
» sung dieser Schwierigkeit aus den geheimsten Wissenschaften
»zur Zeit Allerhöchstdero Begierung in der Ingenieur- Academie
»der hohen ottomannischen Pforte aufgefunden worden ist,
»damit, wenn die europäischen Geomerer dasselbe zufällig in
»die Hände bekommen, sie sich nicht diese Erfindung aneig-
» nen können ; dafs daher dieser Artikel besonders gedruckt in
» der Bibliothek der kaiserlichen Ingenieur-Academie und in allen
» anderen Bibliotheken hinterlegt werde, «c
Möglichster Kürze willen wird Bec. dem Beweise Seid
Husseins bis zur durchschossenen fehlerhaften Stelle genau
folgen, dann aber, seine unnöthigen Weitläufigkeiten vermei-
dend , den Schlufs schneller herbeiführen. » Um den Winkel
» b a c , oder den ihm zum Maa&e dienenden Bogen brqcm drei
9 *
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1 S2 Seid Hnwein's Dreitheilung eines Winlcelf.
v gleiche Theilc zu theilcn , beschreihe man aus seinem Scheitel
» a mit einem beliebigen Halbmesser ab den Halbkreis l>ccf9
» ziehe aus c und d , et und «/ /' senkrecht auf £ /, und aus c
» und dem Haibirungspuncte g von c e , die gleichlaufenden c J
» und # mit dem Durchmesser Ar/. Nun beschreibe man aus
»dem Durchschnitte k der geraden acund#7i, der zugleich
»der Halbirungspunct von ac istr mit dem Halbmesser X« den
»Umfang acc , und au9 «• mit dem Halbmesser gh den Bogen
» hi^ vereinige i mit c, und aus dem Durchschnitte l der gera-
»den gh und ic ziehe man mn senkrecht auf gh; verbindet
» man nun i mit dem uutern Durchschnittspuncte o der geraden
»mn und des Umi'anges aec, verlängert diese Linie 10, bis
»sie den Umfang aec in p schneidet, so wird, wenn man a p
»zieht und bis q verlängert, und endlich ar gleichlaufend mit
»rp fuhrt, der Bogen in die drei gleichen Theile £r, rq
» und q o getheilt seyn «. '
» Die Richtigkeit dieser Theilung soll nun erwiesen wer-
» den. Zu diesem Ende vereinige man den obern Durchschnitts-
»punet s der geraden mn und des Umfangs a ec mitdenPuncten
»c, «und ii und verlängere cj, bis sie den verlängerten
»Durchmesser in t und gh in v schneidet. Da gl mit ei pa-
»rallel ist, und ec halbirt, so mufs gl auch ci halbiren; deni-
» nach sind die rechtwinkligen Dreiecke cnl und Itni wegen
»der gleichen Hypotenusen c/, H% und der gleichen Katheten
y>ln>> Im vollkommen gleich, und es ist mi — nc — em. ße-
» trachtet man nun die rechtwinkligen Dreiecke omi, snc, so
»haben sie nebst den Katheten mi und nc auch die Katheten
»o/n und sn wechselsweise gleich, da nämlich In z~Z Im und
» k l senkrecht auf die Sehne so*, folglich Is — lo> und In
> — Is — /m — lo oder sn~ om ist ; diese Dreiecke sind
»also vollkommen gleich, folglich der Winkel moiziZ nsc
• »— osv und oi mit et gleichlaufend. Da ferner kv mit at
»gleichlaufend und ck die Hälfte von ca ist, so mufs auch >te
»die Hälfte von at seyn. Weil nun kv mit it. und ki
»mit wt parallel "ist, so mufs kv — it seyn; und da
»Xe die Hälfte von at ist, so mufs auch it die
»Hälfte von a/, oder it ZZZ ai seyn. Wreü csa ein
»rechter Winkel, und i k gleichlaufend mit c$ ist, so müssen
»auch die Winkel bei u 90° haben und ik halbirt die Sehne
«jd. Die rechtwinkligen Dreiecke sui, aui sind demnach
» wegen der gemeinen Kathete u i und der gleichen Katheten
VüS) ua vollkommen gleich, und es ist ai^ZZ si* Vereinigt
» man nun s mit p ^ so haben die Dreiecke p o s , kol den Wiu-
tkel o gemein i und die Seiten , welche dicken Winkel in beiden
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Seid Hutiein's Dreiteilung 'eines WinVeU.
133
» Dreiecken cinschliefsen , sind proportionirt ; mithin sind diese
v Dreiecke ähnlich, und ps ist das doppelte von kl nnd mit kl
»gleichlaufend. Wegen der ähnlichen Dreiecke Ac7und aci
»ist ai auch das doppelte von kl\ folglich ist gleich und
»gleichlaufend mit a t\ und die geraden a p und i s müssen auch
» gleich und gleichlaufend seyn. Es ist also a p z^z is; und da
vis ZZT ist, mufs auch ap ai i 'also das Dreieck pai
» gleichschenkligt seyn. Nun ist der äufsere Winkel pah.
» ap i -f- pia oder , weil api zZZ p ia ist , pah ^ZZ 2 p i a ;
»und weil ar gleichlaufend mit ip gezogen worden ist, pah
» ~ 2 kr, mithin r ah ZZZ qar. Der Winkel p a c am Um-
hange und der Winkel pkc am Mittelpuncte ruhen auf dem*
71 k c
» selben Bogen pcy folglich ist c ap — * £-yr , oder,, ire4 we*
»gen der gleichlaufenden pk7 rä7 der' Winkel f k<t Z£l t «T
»ist, cap — ~ ZZZpar — ra£<«
Dem Mathematiker kann es nicht entgehen ^'dafc $eid
Hussein in der durchschossenen Stelle sagt, 4 ^v«ey rn.it vt
parallel. Er setzt also hier voraus , dafs die Verlängerung der
mit vt wirklich gleichlaufenden geraden bi durch den glitte!-
punet k gehe. Zu diesem Glauben niag»ihn die Zeichnung ver^
leitet haben; denn wenn man seine' Jiethodo "befolgt , so geht
die Verlängerung oi durch den IVlitielnünct. Dieses ist aber
nur scheinbar, und rührt blos von der Unmöglichkeit her , in
der wir uns befinden, mathematische Puncto und Linien ,
sichtbar darzustellen. In der Geometrie ist das Zeugnifs der
Sinne ungültig; wenn demnach Seid Hussein auf den. Ruhm,
die Dreitheilung des Winkels gefunden au haben, einengegrün»
deten Anspruch machen will, so be weise er, dafs die Verlängerung
von o i durch k geht, Kann er dieses nicht , so läfst er die.Fraget
wie er sie fand. Denn geht z. B. die Verlängerung von o i durch
k', so wäre nun ÄVm it\ und da Mv nicht wie kv.. gleich der
* a t
Hälfte von at ist, so wäre auchi* nicht gleich -j, oder niejit
gleich at, und der fernere Beweis d6s Türken beruht auf der
Gleichheit von ai und it, und auf der Halbirung der Sehne
as durch die senkrechte t"A, was nur in so fern wahr \st, als
iU mit H übereinkömmt oder durch deu Mittejpunct geht.
Nach Seid Hussein* s Verfahren kann eigentlich kein
anderer Winkel als der von 90° in drei gleiche Theile mathe-
matisch genau gethcilt werden , und* sein Verfahren beschränkt
■
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134 Seid Husifin* Dreiteilung eine, Winkels.
sieh demnach auf eine längst aufgelöste Aufgabe. Hier ist der
IJeweis davon : » , . .
Ist der Winkel cab nr w wirklich in drei gleiche Theile
getheilt, oder caq ~ <g , so ist nach Vorigem pk parallel mit
cv, folglich pkc ~ kcs — cjk ZZZ Nun ist aber
als Sufserer Winkel — oder, weil ~ pkx
— --.ist, ~— — -g + skvt mithin skv~-^ ZZZsvb, und
Zieht man nun ka senkrecht auf gk und aß senkrecht auf
nennt ai — /; <;« — 25 ac — *j so ist aus den ähn-
lichen Dreiecken caß und viziZtai aß oder — : vi
2= * * ^» und * — . Wegen der vollkommen gleichen
Dreiecke slk und j lv ist klzizlv^ nach Vorigem ist aber auch
«= ~=|j mithin ist z — ±L . (1)]
Da ferner, wie bekannt, die Producte der Secanten xv
und cv in ihre äufseren Theile yv und sv gleich sind, so hat
man xv . yv ZZZ cv . sv oder (av 4- cc) sv — ( kv «+- kx)
(*p — ky)i und wenn man d, z und/ einführt («-v -f- s) -
v . .. ; 2
(7 + £)
Es ist aber £*>:zz mithin ist wegen der ähnlichen
Dx-eiecke avk, svly auch av~ 2 . sv— d\ folglich
d d^
(ß -f- z) - — y» und
2 4
x — 2jr* also nach (1)
27 3=5 2y IzX1 odep -
d ■ ' '
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Seid Husstto'i DieitheiiuBg eines Winkels.« 435
Nach Seid Hussein 's Verfahren ist gh — g$9 jjnd ai
ei — ea — gl2 — gl2 — n ZZZ
5 7t 3 d ^
oder ai — H- 2 -j j
Wenn nun dieses Verfahren richtig w2ref so müTste ai
— r se7n j folglich / 3 — ? ^ £ — ij-^ durch / —
h 2 -H ohne Rest theilbar seyn,
oder der Werth yon ai in die Gleichung (2) substituirt, derselben
Genfige leisten. Demnach ist (7"^ — f-2<*»-+-^ nj
~T V "4""*' "*"4 V i~
Schafft man die Wurzelzeichen aus dieser Gleichung weg,
so erhält man ni^^dn4^5d2 i6<*3/i2 — 4<*4*=oj
oder wenn man » — — setzt, j «4- 24 ja 5 4r 3 < — 16 j 4 —
4^ = 0.
Ist nun der zu theilende Winkel m 0°, so ist nmd und
j 1 j daher ganz richtig 1 -f- 2 4 — 5 — 16 — 4 — 0-
Hat aber besagter Winkel 900 , so ist n ~ 0 und j ~ 00 $
man erhält sodann 0 m 0.
Liegt endlich der zu theilende Winkel zwischen 0 und
900, so ist n •< d und s > 1 ; mithin mufs jetzt der yerneinende
Theil der Gleichung, worin die höheren Potenzen von s vor-
kommen , gröfser als der bejahende seyn , oder eine yernei-
nende Zahl gleich null werden, was ungereimt ist.
Aus diesem folgt, dafs nur der Winkel von 90° sich nach
dem Verfahren des Türken mathematisch genau in drei gleiche
Theile theilen läfst , was aber schon die ältesten Geometer auf
eine weit einfachere Art zu bewerkstelligen wufsten.
Anmerkung. Der unterzeichnete Specialredactor hat
diese interessante und sehr gehaltreiche Itecension lange Zeit
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136
Seid Hussein*« Dreitheilung eines Winkel*.
unabgedrucht liegen lassen , worüber er aus gewissen Gründen
sowohl dem Publicum , als insbesondere dem ihm unbekannten
Hrn. Verlasser einige Worte der Entschuldigung beifügen zu
müssen glaubt. Bei dem Durchlesen führten nämlich gerade
bei dem schwierigsten Theile derselben wiederholte Schreib-
fehler , namentlich die vielfache Verwechselung der Gröfse s
mit der Zahl 5 , des Buchstabens d und a , in ein solches La-
byrinth , dafs er bei überhäuften Geschäften die Mühe einer
genauen Revision scheuete, welche bei der Kürze der Darstel-
lung nicht gering seyn konnte, weil sie ein wiederholtes Nach-
rechnen erforderte. Endlich hat eine sorgfältige Prüfung und
fortgehende Corrigirung der Schreibfehler die Ueberzeugung
hervorgebracht , dafs die kritische Beurtheilung des von dem
Türken Geleisteten nicht blos durchaus richtig , sondern auch
mit grofsem Scharfsinn und vorzüglicher Sackkenntnifs abge-
fafst ist.
Folgendes sey mir indefs erlaubt zum Beweise meiner Auf-
merksamkeit auf diese gediegene Arbeit hinzuzufügen. Nur
einen Ausdruck habeich mir deswegen abzuändern erlaubt,
weil der gebrauchte mir weniger üblich zu seyn schien. Durch
welches specielle Verfahren der gelehrte Hr. Verfasser seine
Hauptgleichung vom fünften Grade gefunden habe , weifs ich
nicht. Setzt man indefs + 2 d n -f- = Ä# j
so ergiebt sich nachher durch Substitution
7i6-f-34<**5 — 5d2n*— 16 d*n* — 4^4ti2 — 0.
eine Gleichung der sechsten Ordnung; allein diese sowohl 1
als die des Hrn. Verfassers ist doch eigentlich nur eine biqua-
dratische. Der Umstand aber, dafs der Hr. Verfasser sie nicht
hierauf zurückgeführt , auch der letzten Gleichung nicht die
gewöhnliche Form, nämlich
,*-l-4i» + — 6* — %= :0. . .
gegeben hat, obgleich unbedeutend an sich, schien mir eine
Revision des Ganzen nothwendig zu machen, welche dann,
durch die erwähnten Schreibfehler erschwert, die allerdings
einer Entschuldigung bedürfende Verzögerung des Abdruckes
herbeiführte.
Münchs
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I
Logik nach Twesten , Sigwart, Tieftrunk und Euer« i$7
1) System der Logik von Dr. Willi »Im Esser. Elberfeld, 4823.
XVIII und 612 S. 1 Thlr. 12 Gr.
>
2) Handbuch zu Vorlesungen über die Logik , von IL L, W. Sig~
wart* Zweite vermehrte und »erbesserte Auflage, Tübingen %
1824. Xund 198 S. i fl. 20 kr.
3) Die Logik , insbesondere die Analytik, dargestellt von A. D. Ch.
Twesten. Schleswig, 182.% LI V und 804 S. 1 Thlr. 12 Gr.
4) Die Denklehre in rein-deutschem Gewände , auch zum Selbstunter-
richt fUr gebildete Leser , von 7. //. Tieftrunk. Halle und
Leipzig, 1825. J^rr um* 240 S. 1 Thlr. 8 Gr.
Unter allen philosophischen Disciplinen ist die Logik in
neueren Zeiten am häufigsten bearbeitet worden. Dennoch
ist man sogar über Begriff und Behandlung dieser Wissenschaft
keineswegs zur Einstimmigkeit gelangt, vielmehr wird sie,
wie zu den leiten der Griechen, nach den von einander
durchaus abweichenden, wenn nicht einander entgegengesetz-
ten , Weisen des metaphysischen , psychologischen und ana-
lytischen Standpunctes fortwährend behandelt.
Der Verfasser von No. 1 , das sich System der Logik
nennt, befand sich , laut Vorr. S. XJV. »in der Nothwen-
„digkeit, mehr als zwei Dritt heile der Logik
„selber zu entwickeln, ohne dafs ihm durch die Schril-
lten Anderer über diese Wissenschaft ein bedeutender Dienst
„hätte geleistet werden können . , • und da er (S, XV.) da*
„meiste, was in dem Buche vorkommt, sich selber hat ent-
n wickeln müssen, so ist er aufs er Stand, literarische Nach«
„richten darüber anzuführen." — Die Verf. von No. 2. und
3. beabsichtigen Leitfäden für ihre Zuhörer, nebst Beiträgen
zur Vervollkommnung der Logik zu liefern, und beziehen
sich in Anmerkungen und Erörterungen nicht selten auf frühere
Logiker, durch die sie, geradezu oder im Gegensatz, zu ihren
Entwicklungen veranlafst wurden, No, 4- kündigt sich als
einen „Versuch an, die Denklehre auf eine der Gemein-
n£afs lichkei t zusagende Weise vorzutragen."
Esser giebt ausführliche, wenn nicht weitschweifige,
§§., und möchte dem academischen Vortrag schwerlich etwas
anderes als Erläuterung durch Beispiele, oder literarische
Nacbweisungen , und Ergänzungen, Verbesserungen oder
Widerlegungen, übrig lassen, letztere freilich in nicht gerin-
ger Menge. Tieftrunk berücksichtigt bei seinem sehr
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l3$ Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftrunk und Esser.
(lautlichen, doch keineswegs weitschweifigen y Vortrage vor-
zugsweise das Bedürfnils derer, welche sein Lehrbuch zum
Selbstunterricht benutzen wollen. Die andern zwei
Xehrbücher geben in gedrängter Kürze sowohl die Resultate
eigner Forschungen, als was sie von früheren entlehnen.
T westens Logik ist, auch abgesehen von den neuen Unter-
suchungen und Entdeckungen, die sie in so reichlichem Maafse
enthält, als Muster der für acaderaische Lehrbücher sich eig-
nenden, gedrängten, einfachen, deutlichen und genauen
Schreibart, in den §§. wie in den Erläuterungen, höchst
preiswürdig.
AuchiuBezug auf Dur chf ühr un g des analytisch-
Aristotelischen S'tandpunctes weichen diese vier Be-
arbeitungen bedeutend von einander ab. T i ef t r u n k unter-
nimmt zugleich, jedoch auf dem Wege der Analysis und Re-
flection, eine Deduction der logischen Grundsätze und Grund-
formen : Twesten hält sich mit ungemeiner Schärfe und
Consequenz auf dem analytischen Standpuncte : Sigwart
bestrebt sich gleichfalls , diesem Standpunct treu zu bleiben :
Esser, nicht im Klaren über seinen Zweck, ergänzt häufig
die analytische Behandlung durch psychologische und meta-
physische Excurse.
Soll die Logik, unabhängig von höheren und schwierige-
ren metaphysischen oder psychologischen Untersuchungen,
für sich ausgebildet werden, so inufs ihr ein solcher Begriff
und ein so bestimmtes Frincip vorangestellt seyn , dafs wie
die Verdeutlichung beider, so die Ableitung der Wissenschaft
aus dem Princip vor der Beendigung jener Untersuchungen
unternommen werden kann. Soll ferner der Begriff der Aus-
führung entsprechen, und die Wissenschaft aus dem Princip
oder den Principien abgeleitet seyn (und das beabsichtigen
diese wie alle übrigen Bearbeiter der Logik als Wissenschaft),
so darf der Begriff weder zu eng noch zu weit, und das Prin-
cip mufs so beschaffen und benutzt seyn, dafs die besonderen
Gesetze und Bestimmungen aus ihm sich ergeben, nicht i)los
mit ihm verknüpft werden. — Nach Esser ist Logik „die
„ Wissenschaft von den nothwendigen und unabänderlichen
Gesetzen derjenigen Geistesthätigkeit des Menschen, welche
„das Denken heifst, sie soll mithin das gesammte Denk-
vermögen des menschlichen Geistes untersuchen, erforschen
„und zergliedern, um — abgesehen von der Erfahrung — alle
„Gesetze aufzufinden, welche auf jeden möglichen Fall des
„menschlichen Denkens berechnet sind« u. s. w. Sie ist da-
her „eine Wissenschaft von den allgemeinen und nothwen-
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£ogtk nach Twesten , Sigwart , Tieftrank und Esser. 139
i
„digen Gesetzen des menschlichen Denkens, insofern diese
„Gesetze hlos die Form und nicht den Inhalt unsres Denkens
„betreffen« (s. S. 3 und 5). Sigwart stellt eine Deduction
des Begriffs Denken voran, nennt Logik die Wissenschaft
von den nothwendigen Bestimmungen und Gesetzen des Den-
kens, und unterscheidet, je nachdem das Denken als Denken
alles Seyns, oder abgesehen davon, dafs es Den-
ken alles Seyns sey, betrachtet werde, speculative
und formale Logik, handelt aber nur letztere ab, d. h. „die
B Wissenschaft von den Gesetzen, unter denen das Denken mit
„sich selber Übereinstimmt« (s. S. 14 ff.). Tieftrunk ver-
engt von der Denklehre , dafs sie die Thatsache des Denkens
entwickele, das Thun und Treiben desselben bis zu seinen,
ersten Anfängen und Keimen verfolge, sein Verfahren und die
Gesetze seines Verfahrens zur Klarheit bringe, und zeige,
wie wir von ihm den Leitstern haben, um zur Wahrheit und
Wissenschaft zu gelangen (s. S, l).
Gegen Esser erinnert Ref., dafs sein Begriff von Logik
für sich unverständlich ist, und höhere Erörterung über die
Denkfunction voraussetzt: gegen Sigwart, dafs die von
ihm vorangestellte Deduction, welche mit der Behauptung be-
ginnt, das menschlicheich finde sich in seinem Bewufstseyn
auf endliche und unendliche Weise bestimmt, den Be-
griff der Logik von Untersuchungen abhängig zu machen
scheint, die in der Einleitung zu einer Elementardisciplin ,
wie die formale Logik, unmöglich mit genügender Schärfe
und Ausführlichkeit geführt werden konnten , und gewifs noch
nicht als beendigt zu betrachten sind: gegen Tieftrunk,
der das Denken als eine dem Ich inwohnende, völlig innere
Wirksamkeit beschreibt, dem Anschauen entgegenstellt, und
von der Denklehre verlangt, dafs sie die Gegenstände aufser
dem Denken so weit berücksichtige, wie weit die Denkkraft,
zur Bestimmung der Dinge , Begriffe aus sich selber habe , ist
zu bemerken, dafs, selbst die Genügsamkeit seiner Erörterun-
gen über die Denkthätigkeit zugegeben, keineswegs alle Be-
griffe, welche die Denkkraft zur Bestimmung der Dinge aus
sich selber hat, in seiner Denklehre bearbeitet werden, na-
mentlich die Begriffe von Kraft, Zweck u. s. w. unberück-
sichtigt bleiben. Zugleich ist gegen alle drei, wie gegen den
gröfseren Theil der früheren Logiker überhaupt, zu bemer-
ken, dafs ihre Erklärungen um vieles zu weit und unbestimmt
«ind, da sie doch wohl keineswegs unternehmen, die Gesetze
vollständig aufzustellen, nach welchen entweder das Denken
im Allgemeinen, oder eine bestimmte Art des Denkens, wie
\
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140 Logik nach Twesten, Sigwari, Tieftrunk und Eiser.
das mathematische , metaphysische 11. s, w. fortschreitend sich
entwickelt, vielmehr, gleich wie die übrigen, die die Logik
nicht metaphysisch oder psychologisch bearbeitet wissen wol-
len, auf Ableitung methodischer Regeln und Gesetze, und
zwar zunächst auf Ausmittelung der Formen und Gesetze fast
gänzlich sich beschränken, nach denen nicht etwa neue Ge-
danken erzeugt, sondern schon vorhandene so entwickelt wer-
den , dafs explicite in ihnen hervorgehoben wird, was sich
implicite in ihnen schon fand, und nur beiläufig von den Ge-
setzen und Methoden des fortschreitenden , neues erzeugenden
Denkens handeln (vergl. T w e 1 1 e n s Vorrede S. IX.). JDurch
die Beschränkung der Denklehre, auf die Form des Denkens,
wie sie sich bei Esser und S ig wart rindet, wird diese
Disciplin im Ganzen nicht ausführbarer, da, abgesehen da-
von , dafs der Gegensatz des Formalen und Materialen sich
überhaupt nicht streng durchführen läfst (s. Twestens Vor-
rede S. XI,), was S i g wa rt speculative Logik nertnt , eben-
falls nur von Formen des Denkens zu handeln hat. von den-
jenigen Formen nämlich, vermittelst deren wir das Seyn als
solches denken : so dafs also immer eine nähere Bestimmung
hinzukommen müfste. Eine solche nähere Bestimmung ist
nun auch in Sigwarts Behauptung, dafs „die Logik die
„ Wissenschaft von den Gesetzen sey , unter denen das Den-
D3ken mit sich selber übereinstimmt «*, nicht zu verkennen:
aber werden dadurch die Gesetze der ursprünglichen «Erzeu-
gung im Denken , sey es auf dem mathematischen oder philo-
sophischen Gebiete, wohl ausgeschlossen? und doch ist von
diesen Gesetzen der ursprünglichen Erzeugung im Denken bei
Sigwart, wie hei den übrigen Logikern dieser Richtung
kaum die Rede.
T Westen behauptet, die Logik handle von der Ueber-
zeugung des Verstandes, in wie fern derselbe auf dem klaren
Bewufstseyn beruhe, „dafs dasjenige, wovon man überzeugt
„werden solle, in demjenigen, wovon man überzeugt sey,
M bereits liege, oder damit auf eine solche Weise zusammen-
M hänge, dafs es nicht geläugnet werden kann, ohne uns in
„Widersprüche zu verwickeln" , oder, „ sie sey die Theorie
Mvon der Anwendung der Grundsätze der Identität und des
„Widerspruchs (§. 6.)« Vergleichen wir Twestens Erklä-
rung nun mit dem, was in seiner, wie in den Aristotelisch -
analytischen Logiken überhaupt, wirklich geleistet wird , be-
denken wir, ^ dafs die Logik ursprünglich von Begriffen und
„Urtheilen gar nicht um ihrer selbst, sondern nur um ibr«s
„Gebrauchs willen für ein© andere Denkoperation (das
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Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftronk und Esser. 14*
^Scbliefsen) handelt«, „dafs der eigentliche Kern der Aristo-
telischen Logik die Syllogistik ist, Begriffe und Urtbeile
«für sie nur als Elemente des Schlusses da sind« (s. Vorrede
S. IX f.); so ist offenbar, dafs ein solcher Begriff nicht nur
dieser besonderen Bearbeitung der Logik genau entspreche,
sondern sich auch historisch vollkommen rechtfertigen lasse,
indem er bestimmt ausspricht, was die Logiker dieser Rieh'
tung zunächst und vorzüglich beabsichtigen, wenn sie die
Logik als die Wissenschaft von den Gesetzen des formalen
Denkens u. dergl* bezeichnen. Dieser Begriff hat aufserdem
den Vorzug, dafs er, an sich deutlich, keiner psychologi-
schen oder metaphysischen Vorbereitung bedarf, da die Wahr-
heit der Sätze der Identität und des Widerspruchs an sich als
evidend betracht et, 99ihre Wichtigkeit aber leicht so weit in's
„Licht gesetzt werden kann, als hier nöthig ist (s. Vorrede
S. XXV.). Endlich wird durch dtn so gefafsten Begriff auch
der Bearbeitung der Logik ihre Selbstständigkeit gesichert,
indem er theils ihre Grenzen bestimmt, theils Ableitung der
Disciplin aus einem an sich deutlichen Princip einleitet. Nur
diejenigen Hegeln und Gesetze des vermittelnden Denkens
gehören ihr an, die aus den Grundsätzen der Identität und
des Widerspruchs als besondere Anwendungen abgeleitet wer-
den können. Sie verfährt mithin rein analytisch, da jene
Grundsätze nur Anweisung geben , aus schon vorhandenen
Vorstellungen das in ihnen Enthaltene zu entwickeln. Wenn
aber die analytische Logik oder logische Analytik auf
diese Weise darauf verzichten mufs, von der Entstehung der
Erkenntnisse, ihren Quellen und der Art und Weise zu han-
deln , sie aus denselben im Zusammenbang und mit Vollstän-
digkeit zur Deutlichkeit des Bewufstseyns zu erheben, so
darf die Nothwendigkeit eben dieser Untersuchungen darum
keineswegs verkannt werden. Nur mufs bestimmt anerkannt
werden, dafs die Logik , insofern sie solche Untersuchungen
zu führen unternimmt, d. h. die Logik als allgemeine
Methodologie, anderer Grundsätze bedarf, als der der
Identität und des Widerspruchs, und, wenigstens für jetzt,
hier nicht mit gleicher Sicherheit wie in der Analytik verfah-
ren kann. Dafs die Logik als allgemeine Methodologie nicht
mit den zuletzt genannten Grundsätzen ausreiche, hat man
auch durch die That anerkannt, insofern man ihnen das
Princip des zureichenden Grundes hinzuzufügen
pflegt. Indem man aber dieses Princip , wie jene, nur an die
Spitze stellte, ohne aus ihnen die logischen Regeln und Be-
stimmungen zu deduciren, hat man im analytischen Theil-
142 Logik noch Twesten, Sigwart, Tieftrunk und Esier.
der Logik häufig den Satz vom zureichenden Grunde zu Hölfe
genommen, ohne seiner zu bedürfen, und dagegen auf die
.Satze der Identität und des Widerspruchs nicht analytische
Bestimmungen zurückführen zu können geglaubt, die sieb
durchaus nicht aus ihnen ableiten lassen« Auch kann sich uns
nicht verbergen, dafs die Untersuchungen der nicht analyti-
schen Logik , obwohl gemeiniglich vermischt mit den analy-
tischen Bestimmungen, sich von diesen durch Unbestimmt-
heit, Unsicherheit und Willkührlichkeit sehr merklich unter-
scheiden. Wie sehr viel weiter ist z. B. die Lehre von der
unmittelbaren Ableitung eines neuen Urtheils aus einer gege-
benen, oder von den unmittelbaren Schlüssen (um der Lehre
von den mittelbaren Schlüssen nicht zu gedenken), fortge-
schritten, als die Lehre von der synthetischen Begriffs - und
Urtheilsbildung ?
Durch scharfe und bestimmte Sonderling beider Theile
oder vielmehr Disciplinen der Logik hat Twesten eine wis-
senschaftlichere Behandlung des einen wie des anderen einge-
leitet, und selber, wie wir sehen werden, sehr bedeutend
gefördert. „Im Gegensatz mit der analytischen Logik oder
„ Analytik m9 sagt er S. XXVI, »kann man alsdann die Theo-
rie von der methodischen Anwendung der übrigen Grund-
„sätze des Denkens und Wissens die synthetisch e Logik
„ nennen , in wie fern man als höchste und gemeinschaftliche
„Aufgabe derselben die Bildung (Synthesis) auch solcher Bc-
„griffe, Urtheile und Erkenntnisse betrachtet, die nicht als
„schon gegeben vorausgesetzt werden. m Jedoch hat Twe-
sten die Analytik als den eigentlichen Gegenstand seiner
Darstellung behandelt, und nur einen kurzen Entwurf der
synthetischen Logik hinzugefügt.
Die Eintheilung der Logik in Analytik und
Sy^ithetik ist eine so natürliche und noth wendige, dafs
sie schon frühzeitig in der Behandlung dieser Disciplin mehr
oder weniger bestimmt berücksichtigt worden, aber, weilbis-
her nicht auf ihren wahren Grund zurückgeführt, schwankend
und ohne bedeutenden Einflufs auf wissenschaftliche Strenge
gehlieben ist. Sollten nämlich Elementar- und Methoden-
Jehre auf eine genügende und förderliche Weise von einander
gesondert werden, so müfste erstere auf Analytik, letztere
auf Syntbetik zurückgeführt werden. Eine rein analytische
Betrachtung der Denkfunctionen wird nämlich allerdings in-
nerhalb der Grenzen einer Elementarlehre sich halten: eine
gründlich durchgeführte Methodenlehre dagegen Untersuchun-
gen über ursprüngliche Erzeugung der Erkenntnisse, mithin
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Logik nach Twesten , Sigwart, Tieftrunk und Esser. 1 |3
fiber die Syntbesia derselben, nicht nur voraussetzen , son-
dern als ihre vornehmste Aufgabe betrachten müssen. Auch
enthält des Aristoteles zweite Analytik, die den späteren Me-
tbodenlehren zu Grunde liegt, der Hauptsache nach, einen
Entwurf zur Synthetik. Wenn freilich die Elementarlehre
die einzelnen Functionen des Denkens, die Methodenlehre
das Denken in seiner wissenschaftlichen Tendenz betrachten
soll (s. Sigwart §. 35.), so ist letztere gleichfalls so weit
analytisch , in wie weit auch die Wissenschaft in ihren Me-
tboden sich zum Theil auf Verdeutlichung schon vorhandener
Erkenntnisse beschränkt, unterscheidet sich dann aber auch
von ersterer weder den Frincipien noch der Behandlung nach
hinlänglich, um der Elementarlehre als besonderer und gleich-
liegender Theil beigeordnet zu werden. Die sogenannte an-
gewandte Logik findet allerdings, so fern in ihr das mensch-
liche Denken nach seinen allgemeinen und nothwendigen Be-
schränkungen betrachtet werden soll, nicht eben passender in
der Synthetik als in der Analytik ihren Platz, kann aber auch,
in so weit sie nicht Anweisung zur Vervollkommnung der Er-
kenntnisse enthält, und als solche der Synthetik angehört 4
mit Recht der Psychologie zugewiesen werden ; und ohne
Nachtbeil hat Esser sie ausgelassen (s. seine Gründe S. l3.)>
Tieftrunk in seinem zweiten Theile nur gelegentlich die
Schranken des menschlichen Erkennens berücksichtigt.
Bei Sigwart zerfällt die Logik in zwei Haupt-
t heile, deren ersterer von den Bestimmungen und Ge-
setzen des Denkens, der zweite von der Beziehung
dieser Bestimmungen und Gesetze auf die wirk-
liche Thätigkeit des Denkens handeln soll; der zweite
Haupttheil wird in reine und angewandte Logik, und die
reineLogik in Elementar - und Methodenlehre getheilt. Auch
Esser sondert die Erörterung der Grundgesetze des Denkens
von der Elementar- und Metbodenlehre, tbeilt die Logik in
drei Theile, und handelt im zweiten Theile von den allgemei-
nen Gesetzen des Denkens, die jedem besonderen Denken zu,
Grunde liegen, und im dritten Theile von den Gesetzen des
Denkens in der Wissenschaft.
Tieftrunk erörtert im ersten Theile seiner Denklehre
das Wesen des Denkens an sich selbst, zerlegt es in seine
Tbätigkeiten und entnimmt die Gesetze desselben (s. S. 20.) i
betrachtet in dem sehr kurzen zweiten Theile (von S. 227 —
240.) diese Gesetze als Regeln und Wegweiser zur denkrich-
tigen Anwendung unsres Erkenntnisvermögens, berücksich-
tigt hierbei die Schranken des menschlichen Erkennens, und
144 Logik nach Twesten, Sigwart, Tiefuunk uod Esser.
handelt von der Vervollkommnung unsrer Erkenntnisse; den
ersten Theil aber zerfallet er, scharfsinnig und seiner Behand-
Jungsweise völlig gemäfs, in zwei Hauptstücke , von der denk-
gemäfsen Betrachtung der Dinge, und von der denkgeraäfsen
Bestimmung der Dinge, indem er, als zwiefache Thätigkeit
der Denkkraft, das Vermögen der Regeln und das Vermögen
der Bestimmung durch diese Hegeln , oder das Vermögan Be-
griffe von Gegenständen durch Beachtung Zugewinnen, und
•das Vermögen Gegenstände durch diese Begnife zu Lestim»
xnen, von einander sondert (s. S. 125 ff«)» Im zweiten Haupt-
stücke zieht er dann zuerst die in der Denkkraft selbst ge-
wurzelten Begriffe zur denkgemäisen Bestimmung der Dinge
durch's Urtheil in Betracht ^S. 106 ff.) j unC^ handelt dem-
nächst (S. 157 ff.) von den Hegeln, denen die Urtheilskraft in
ihrem Zersetzungs- und Auilösungsgeschäft zu folgen habe.
Jedem dieser Eintheilungsversuche wird der billige Beur-
theiler gern zugestehen, dais er nicht unerhebliche Gründe für
sich anzuführen habe, und geeignet sey, den logischen Stoff
einigermaisen zweckmäfsig anzuordnen , so lange keine streng«
wissenschaftliche Ableitung aus obersten Grundsätzen beab-
sichtigt wird; keiner aber läfst sich den übrigen entschieden
und in allen Stücken vorziehen, weil keiner derselben durch
Begriff und Frincip der Logik notbwendig bedingt wird, und
keiner so genau und nach so festen Grundsätzen sondert, dafs
<lurch Versetzung einzelner Lehrstücke die Construction des
Ganzen wesentlich gefährdet werden würde.
Indem Twesten den Begriff der Analytik genau begrenzte
und sie aus den Grundsätzen der Identität und des Wider-
spruchs in der That abzuleiten unternahm, mufste er mit der
Erörterung dieser Grundsätze die Analytik beginnen; er konnte
sie nicht der Analytik und Synthetik als gesondert von beiden
voranstellen, da sie nur Grundsätze der Analytik, nicht der
Synthetik sind; ferner aber mufste er für die aus diesen
Grundsätzen abgeleitete Analytik eine von den bisherigen
durchaus verschiedene Eintheilung auffinden, um alle beson-
dere Regeln aus jenen Gesetzen in der Ordnung und auf die
Weise abzuleiten, dafs sowohl ihre Notwendigkeit als ihr
Verhältnifs zu jenen Gesetzen daraus klar werde (s, §. 20.)«
(Die Fortsetzung fol§tt)
N. 10. 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur«
Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftrunk und Esser;
(Fortsetzung,)
Sehr su beachten sind T w e s t e n s Erörterungen über
Zweck, Art und Weise des Studiums der analytischen Logik
(s. §. 14 ff. vergl. Vorr. S. XII f.), welche in der Begrenzung ,
in der sie in seiner Behandlung genommen wird, wie einen
höheren Grad der wissenschaftlichen Vollendung erreichen ,
io auch dem Lernenden mehr Ausheute und namentlich mehr
Uehung in der logischen Sicherheit gewähren mufs9 als da,
WO sie durch vielartigen fremden Stoff sich ergänzt.
Die vielverheifsenden Erörterungen in Essers Einlei«
tung über die Quelle der Logik und die Methode ihrer Be-
handlung (S. 20 — 45.) unternehmen den Beweis, dafs die
Noth wendigkeit, so zu denken, die Notwendigkeit, so
für wahr zu halten, nicht einschliefst? , mithin das Den«
ken und seine Gesetze für den Menschen keine absolute
Zuverlässigkeit haben (auch nicht für's Denken ?), dals daher
die Logik kein allgemeines sicheres Kriterium der Wahrheit
aufstelle, und zwar nicht nur kein materiales , sondern auch
kein formales Kriterium der Wahrheit; dafs sie aber eben
darum keine philosophische Disciplin sey, weil die Philoso-
phie von den nothwendigen Gesetzen des Fürwii klichhaltens
zu handeln habe. Diese Erörterungen sind, gleich wie die
übrigen dieser Abtheilung, theils zu sehr auf der Oberfläche
geschöpft, theils der Logik gcofsentheils fremd. Eine gründ-
liche Prüfung derselben müfste auf ihre Quelle, Hermes
Einleitung in die christkatholische Theologie,
zurückgehen , wo ihnen sehr viel vollständigere und gründ-
lichere Untersuchungen gewidmet sind.
Die Gesetze der Identität und des Wider-
Spruchs werden bei Twesten 22 f.) in Formeln aus-
gedrückt, und sehr bestimmt und genügend dadurch von ein-
ander unterschieden, dafs jener auf den positiven,
XIX. JahrS. 2. H.-f>. 10
t
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/
146 Logik nach Tweste» , Sigwart , Tieft ruuk und Esser.
dieser auf den negativen Ausdruck der Einer-
leih ei t zurückgeführt wird, so dafs die Ableitung des einen
vom anderen sich als ehen so unmöglich ergehen inufs, wie
die Ableitung der Bejahung von der Verneinung * oder um-
gekehrt diese von jener ist. Die höhere Deduction dieser,
sö weit es zü ihrer Entwickelung nöthig ist , deutlichen Ge-
setze Wird mit Recht der Trartscendentalphilosophie oder der
Metaphysik überlassen, deren Untersuchungen die Logik vor-
arbeiten i nicht vorgreifen soll (vergl. Vorrede S. XXIV.).
Ihte Weitere Erörterung aber ergiebt sich aus der Analytik
selber , indem alle Formen und Gesetze derselben aus ihnen,
als Formen ihrer Anwendung, abgeleitet werden.
Vom Princip der Identität wird der Satz der Ein-
stimmung unterschieden, insofern er erlaubt, mit a andere
Vorstellungen zu verbinden, die nicht Nicht- a, aber auch
nicht eben a sind*
Vom Satze deS ausgeschlossenen Dritten wird
eine zwiefache Form, eine ursprüngliche und eine abgeleitete,
angegeben, vort diesem Grundsatze aber wie vom Satze ^ler
Einstimmung gezeigt, dafs sie den Frincipien der Identität
und des Widerspruchs untergeordnet, und gleich wie diese
ausSchliefslich analytische Sätze sind*
Vöm Satze des zureichenden Grundes hingegen
teichte eS hin, zu erinnern, dafs er der Analytik nicht an-
gehöre. Die schon von Jacobi eingeleitete Untersuchung,
in wie weit der Satz vom zureichenden Grunde auf das Prin-
cip der Identität sich zurückführen lasse, hat die Logik weder
Beruf noch Mittel genügend zu führen; zu bedauern aber ist
es, dafs auch Metaphysik und Transcendentalphilosophie sie
unerörtert zu lassen pflegen,
Sigwart unternimmt gleichfalls und mit Recbt keine
eigentliche Deduction der logischen Grundgesetze , bestimmt
aber jedes derselben schön hier vorläufig näher, weil er nicht
wie T Westen die logischen Gesetze und Regeln als ver-
schiedene Formen derselben aus ihnen ableitet, und fügt das
Gesetz des Grundes hinzu* indem er j gleichwie die
früheren Logiker j das analytische und synthetische Verfahren
nicht genau sondert. Das Gesetz der Identität wird von ihm
als das Gesetz der Bejahung und Uebereinstimmung betrach-
tet, also der Grundsatz der Einstimmung mit einbegriffen;
der Grundsatz des Widerspruchs als Gesetz der Verneinung
und des Widerspruchs ; der Grundsatz des ausgeschlossenen
Dritten als die Sphäre der Denkformen beschlielsend und be-
grunzend, indem er bestimme, dafs die in den Gesetzen det
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Logik nach Twesten, S/gwart, Tiefirunk und Esser. *i47
Identität und des Widerspruchs gegebenen, und als einander
ausschliefsend bereits gesetzten Formen die einzig möglichen
seyen.
Die Momente der Qualität und das kategorische Urtheil
führt S i g w a r t auf die Grundsätze der Identität und des \ Vi.
derspruchs, die Bestimmungen der Quantität und das dis-
junctive Urtheil auf' den Grundsatz des ausgeschlossenen Drit-
ten, die Bestimmungen der Relation und der Modalität, so
wie die Form der Bedingtheit, auf das Gesetz des Grundes
zurück, und behauptet, dafs letzteres die Gesetze der Iden-
tität, des Widerspruchs und ausgeschlossenen Dritten, ja nur
diese, voraussetze. Obgleich nun theils das Gesetz des Gm Il-
des wobl noch andere als die genannten analytischen Grund-
sätze voraussetzen möchte, und auf jeden Fall der hier voraus-
gesetzte rein analytische Charakter desselben nicht nachgewie-
sen wird, theils, wie Twesten durch die That gezeigt hat;
die Bestimmungen für die hypothetische Form vollständig auf
den Grundsätzen der Identität und des Widerspruchs abzulei-
ten, mithin nicht auf das Frincip des Grundes, so weit ei
sich von diesem unterscheidet, zurückzuführen sind; obgleich
ferner die Ableitung der Quantitätsbestimmungen und des dis-
junctiven Urtheils einerseits , so wie der Qualitätsverbältnisse
nebst den kategorischen Urtbeilen andrerseits aus je verschie-
denen Grundsätzen sich wohl eben so wenig rechtfertigen las-
sen möchte, als eine solche Sonderung des untergeordneten
principii exclusi tertii von den Grundsätzen der Identität und
des Widerspruchs selber, so haben doch S ig war tS Erörte-
rungen der logischen Grundsätze in Bezug auf Bestimmtheit
im Ausdruck diesen Theil der Logik wesentlich gefördert;
und besonders falsche Bestimmungen früherer Logiker be-
»eitigt.
Esser würde seine überaus weitläuftige Erörterung
wohl bedeutend abgekürzt und manche Fehler in Ausdruck
und Bestimmung sich erspart haben, wenn er den schon in
der ersten Ausgabe von Sigwarts Logik enthaltenen Erör-
terungen über die logiseben Grundgesetze reiflich hätte nach-
denken wollen. Sein Ausdruck für das Gesetz der Identität
(s.S. 51.): „alles das mufs nöthwendig zu einem Gedanken
„ verbunden werden, was mit sich selbst eins," öder was we-
ajsentlicher Bestandtheil eines und desselben Gedankens ist«;
beschränkt dasselbe auf den Satz der Einstimmung,' und fafst
es höchst unbestimmt; oder ist etwa an sich deutlich; was
wesentlicher Bestandtheil eines und desselben Gedankens &eft
Wie sehr viel genauer, bestimmter und für jeden; der den
iti*
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148 Logik nach Twesten , Sigwart, Xipftruuk und Esser,
Begriff der mathematischen Gleichheit kennt, ist doch die alte
Formel A js A. Auch der Ausdruck für den Grundsatz des
Widerspruchs („in unsrem Denken nichts sich seihst wider-
sprechendes zu setzen, weil widersprechende Merkmale
„ nicht zu einem und demselben Bewufstseyn vereinigt werden
„können«) ist eine sehr unbestimmte und ungenaue Ueber-
seczung der Formel : A non est non-A; und ebenso theils
tingenügend , theils schief gestellt die weitläuftige Beweis«
führung, „dafs, wenn auch das Gesetz des Widerspruchs aus
„dem der Einerleiheit gefolgert werden könne, die Ueber-
„ zeugung von der Notwendigkeit desselben sich doch vor-
züglich auf die im unmittelbaren Bewufstseyn deutlich gege-
bene Unmöglichkeit gründe, widersprechende Vorstellungen
wzu einer Totalvorstellung zu vereinigen« (S. 57.). Gefol-
gert werden kann nämlich das Gesetz des Widerspruchs aus
dem der Einerleiheit schlechterdings nicht. 'Wenn das Gesetz
des zureichenden Grundes ausgedrückt wird : n alles, was ist,
„mufs einen' (zureichenden) Grund seines Seyns haben«
(S. 73.), so wird es theils mit dem Grundsatze der Causalität
Verwechselt, theils dieser wiederum unrichtig aufgefafst, da
nicht für das Seyn, sondern für das Werden die Ursache
tesucht wird. Aufser den vier logischen Gesetzen, auf die
ier gleichfalls die Formen des kategorischen, disjunetiven
und hypothetischen Urtheils, und zwar als die einzig mög-
lichen Formen des Urtheils, durch einige wenig genügende
Erörterungen (S. 82 if.) zurückgeführt werden, sind von Es-
ser noch die Principe der Gleichartigkeit, Verschiedenartig-
keit und der Verwandtschaft als solche Gesetze schon an dieser
Stelle erörtert, wonach die Einheit unserer Erkenntnisse —
und hier unserer Begriffe — einzig und allein herangebracht
werde (S. 87.). Erstere beiden sucht er dann als wirklich«
Denkgesetze, das dritte als leitendes Frincip nachzuweisen
(S. 90 ff.).
Wenn Tieftrunk in der zweiten Abtheilung des zwei«
ten Hauptstücks den Satz des Widerspruchs („kein Ur-
theil darf dem andern widersprechen«) als Grundregel. aller
Zersetzungs - und Auflösungs - Urtheile voranstellt (S. l94ff.)>
und daraus als unmittelbare, durch blofse Verdeutlichung sich
ergebende Folgerung den Grundsatz der Ausschlies-
sung eines Mittleren und den Grundsatz der Ei-
nerleiheit ableitet » so findet gegen diese Ableitung theils
die obige Bemerkung ihre Anwendung , theils mufs erinnert
werden, dafs der Ausdruck für den Satz des Widerspruchs
wohl zu eng, und die Deduction ungenügend seyn möchte,
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*
Logik nach Tvvesten , Sigwart , Tisfurimk und BfJfft 149
insofern sie van den Grundbegriffen der Einstimmung und des
Widerstreits absieht, die im ersten Hauptstück als zweiter
Ansatz der Denkkraft zur Betrachtung der Ding? erörtert
werden (S. 45.).
Esser und S ig wart folgen in ihren Elementarlehren
der gewöhnlich gewordenen Anordnung nach Verschiedenheit
der Form, in der die Vorstellungen gegeben werden, sondern
daher die Lehren von den Begriffen, Urtheilen und
Schlüssen. Diese Anordnung empfiehlt sich nun zwar, in
so fern ein Fortschreiten vom Leichteren zum Schwereren
bei ihr statt findet; sie genügt aber nicht, theils weil die
Verschiedenheit dieser Formen überhaupt nur eine relative
und für die analytische Betrachtung bis zu eineqi gewissen
Grade gleichgültig ist , theils weil in der Lehre von den Be*
griffen manches erst aus der Lehre vom Urtheil und sogar aus
derSyllogistik seine Aufklärung erhält. In ersterer Rücksicht
ist durch solche Anordnung die richtige Geltung dieser For»
men verdunkelt worden , in zweiter Rücksicht hat wohl he*
sonders durch diese Anordnung die Logik sich den Vorwurf
zugezogen, dafs ihre Begriffe und Wahrheiten, weit ent*
fernt, nach ihrer eignen Forderung aus Principien abgeleitet
zu seyn, „in Rücksicht eines inneren, nothwendigen Zusam*
„ menhapgs nicht anders neben einander ständen, als in einem
„Register« (H e g e 1 Wissenschaft d. Logik XXII. — a.Twe»
stens Vorr. XXX.).
Auch Tieft r unk vei ziehtet auf die Eintheilufig des
Denkvermögens in das. Vermögen der Begriffe (Verstand) 4 Ver*
mögen der Urtheile (Urtheilskraft) und Vermögen der Schlüsse
(Vernunf t — S. 32.), und sondert die Lehre von. den Be«
griffen, Urtheilen und Schlüssen nur in so fern, inwiefern
das erste Hauptstück des ersten Theils zunächst von der Be»
griffshildung , und das zweite von den Urtheilen , und zwar
in unmittelbarer und mittelbarer Folgerung, handelt.
T westen entwickelt die Formen der Anwendung der
Gesetze der Identität und des Widerspruchs, indem er die
abzuleitenden, analytischen Gesetze und Formeln als andere
nur erweiterte Ausdrücke derselben betrachtet, und als ge*
meinsame Form aller analytischen Gesetze den Grundsatz vor-
anstellt : Hwenn Du a gesetzt hast, mulst Du b setzen, weil
„a ff a ist , oder weil a sonst nicht a seyn würde«* (§. 26»),
Da nun die Verschiedenheit der analytischen Gesetze nur
in der Verschiedenheit des gegebenen ihren Grund haben
kann, so werden — im Fortschreiten vom einfachen zum zu»
sammengesetzten die verschiedenen möglichen Fälle, unter
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150 Logik nach Twesten » Sigwart, Tieftronk und Esser.
denen das gegebene gesetzt und das in ihm implicite enthaltene
aus ihm entwickelt werden kann , vollständig aufgeführt. Der
erste Fall, dem zufolge das gegebene als ein Begriff gesetzt
wird, leitet auf Behauptungen über das Verhältnifs seiner
Merkmale zu dem Begriffe selbst und zu einander, daher theils
»u nothwendigen und allgemeinen , theils zu besonderen und
Mos möglichen Urtheilen. Bei'm zweiten Falle, „es Seyen
*wei Begriffe gegeben« ( §. 36 ff.), wird theils auf eine neue
Weise, theils schärfere Bestimmungen herbeiführend gezeigt,
Wie aus den Verhältnissen des Inhalts die des Umfangs, und
umgekehrt diese aus jenen, sich bestimmen lassen, und, wie
weit auf analytischem Wege ausgemittelt werden könne, ob
von zwei gegebenen Begriffen der eine dem andern beigelegt
oder abgesprochen werden müsse. Da nun auch die aus
Entwicklung des zweiten Falls sich ergebenden Verhältnisse
Urtheile sind, so wird in einem Anhange zu den beiden ersten
Fällen zusammengefafst und weiter ausgeführt, was bisher
yon den Urtheilen, und zwar nach ihrer Entstehung, daher
völlig, auf's Reine gebracht war. Hein analytisch wird hier
das Urtheil als Subsumtion von Begriffen unter Ge-
schlechts- oder Artbegriffe betrachtet, und nur von
den qualitativen, quantitativen und modalen Bestimmungen,
und zwar in letzterer Rücksicht blos von den möglichen
und nothwendigen Urtheilen gehandelt, da einerseits
die Wirklichkeit, als ein nicht analytisch erkenn bares Verhält-
nifs, von dieser Betrachtung ausgeschlossen bleibt, andrer-
seits die gewöhnlich aus dem Verbältnisse der. Urtheile zum
Be wufstseyn abgeleiteten JYlodalitätsbestimmungen der
Urtheile, als problematischer, assertorischer und
apo'd i ctisch er Urtheile, mit Recht als psychologische,
nicht analytische Verbältnisse, aus der analytischen Logik
entfernt werden. Von der Relation aber konnte erst bei'm
dritten Falle, „es sey ein Urtheil gegeben«« (§. 58 ff.)j ^e
Hede seyn. Dieser dritte Fall unterscheidet sich von den
früheren sehr wesentlich dadurch, dafs in ihm das Urtheil
nicht blos analytisch, wie in der früheren, sondern auch syn-
thetisch seyn kann, oder vielmehr seyn mufs , so weit er au
neuen , in vorigen nicht schon enthaltenen Betrachtungen füh-
ren soll. Da nun die kategorischen Urtheile, wenn auch syn-
thetisch, doch entsprechenden analytischen in Bezug auf die
logische Betrachtung gleich sind , so wird in diesem Abschnitte
nur yon den übrigen Momenten der Relation , von dem bypo-
^e^scben, und disjunctiven Urtheile gehandelt. Wiewohl
-ibet da£ hier gegebene als synthetisch verknüpft gesetzt wwd>
uigmzea
by GoogU'
Logik nach Twesten , Sigwart , Tieftrunk und E*w. *5i
so mufs das aus ihm analytisch zu entwickelnde doch schon
implicite in ihm enthalten seyn : daher denn auch die Lehre
von den hypothetischen und disjunctiven Urtheilen durchaus
analytisch behandelt, d. aus den Grundsätzen der Identität
und des Widerspruchs abgeleitet wird. Nachdem dann sehr
kurz, aber mit genügender Vollständigkeit, die durch eigene
Untersuchungen ergänzten Lehren früherer Logiker! nament-
lich Herberts, yon den verschiedenen Arten der hypothe-
tischen und disj unctiven Urtbeile , und von den aus Verknüpfung
des disjunktiven Urthejls mit dem kategorischen und hypothe-
tischen sich ergebenden abgehandelt sind (§. 64 ff.), wjrd ge-
zeigt , wie ans einem gegebenen Urtbeile theils ein Begriff
(§. 75 ff.)> theils ein anderes Urtheil, und zwAr ein entweder
formell (§. 77 ff.) oder materiell (§. 92 ff) von dem gegebenen
verschiedenes Urtheil, angeleitet werde, pieser Abspbnitt
begreift daher die Lehre von den unmittelbaren
Schlössen in sich, die aber der Verfasser vielfach z.u ergän*
zen Gelegenheit findet, indem er picht nur von (Jen Fällen
handelt, wo durch veränderte Quantität (Schlüsse der Sub-
alternative) oder Qualität (Schlüsse der Opposition oder Aecjui-
pollenz), und durch Umstellung (Conversion und Contranqsi«
tion), sondern auch diejenigen berücksichtigt, wo durch ver*
änderte Relation (§. 80.) und JN^odolität (§. 83.) aus einem
gegebenen Urtheile ein neues abgeleitet wird, und zugleich
theils die Opposition und Aecjuipollenz auch disjupctiver Ur-
tbeile, theils einige Arten der Combination unmittelbarer
Schlüsse erwägt (§. 90.). Auch die Betrachtung der upmit*
telbaren Schlüsse als analytischer Urtheile (S. 91.) un4 die
Lehre von der Ableitung materiell verschiedener Urtheile aus.
eiiiem gegebenen (§. 92. 93.) ist neu, und besonders in so fern
wichtig 7 in wie fern die Grenzen der analytischen Behandlung
dadurch von neuem scharf bezeichnet werdep. per vierte
Fall (§. 94 ff.) untersucht, „wie aus zwei gegebenen Urtbei-
ttlen, die in keinem Verhältnifs analytischer Abhängigkeit
33 von einander stehen , theils ein neues Urtheil, dessen *Vabr>
„heit aus keinem von ihnen für sich allein erhellt, theils ein
„von heilen gemeinschaftlich abhängiger Begriff abgeleitet
„werde.« Ständen nä^mlich die gegebenen z.wej Urtbeile in
einem analytisch erkennbaren Verhältnisse, sq würden sich
keine von den im vorigen Abschnitte nachgewiesenen verschie-
dene Resultate ergehen. Dieser vierte Abschnitt handelt da-
her von den mittelbaren Schlüssen. In Bezug auf
die ]Lebre von den einfachen ^ategaris,cheu Schlüssen w$cbt
Ref. besonders auf die §§. aufmerksam, in denen die Nothwen-
\
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152 Logik nach Twestcn, Sigwart, Tieftrunk und Esser.
digkeit find der Unterschied der vier Schlufsfiguren (§. 102.
105. 107, 109.111. 114. 116.) nachgewiesen wird. In der
Lehre von den hypothetischen Schlüssen (§. !21 ff.) werden
theils die verschiedenen möglichen Fälle berücksichtigt, wo
entweder beide Prämissen und der Schlufssatz, oder eine
Prämisse und der Schlufssatz von hypothetischer Form sind,
theils wird vom Verhältnifs der hypothetischen Schlüsse zu
den kategorischen, nach Herberts Vorgang, ausführlich ge-
handelt (§. 127 ff.). Eben so ist die Lehre von den disjuncti-
ven Schlüssen (§. l3l ff.) vervollständigt worden. — Auch
in der Zurückföhrung der mittelbaren Schlüsse auf analytisch
hypothetische Urtheile {§.139 ff.) tritt der rein analytische
Charakter dieser Bearbeitung der Logik sehr bestimmt hervor.
Die fünfte Abtheilung , in der aus mehr als zwei Urtheilen
fefolgert wird (§. i44ff.), handelt — früherer Logiker , wie
'ries und Calker, vorzüglich aber Lamb ert's undHer-
bert's Untersuchungen sorgfältig benutzend, und manch-
faltigr verbessernd und ergänzend — von den zusammengesetz-
ten Schlüssen mit einer Ausführlichkeit, die theils dadurch
hinlänglich gerechtfertigt wird, „dafs es eine eben so noth-
d,wendige Aufgabe der Analytik ist, die analytischen Ver-
knüpfungen der Gedanken , als einer wissenschaftlichen Gram-
„matik, die Verbindungen der Worte und Sätze erschöpfend
w abzuleiten" (s, Vorrede S. XXXII.) ; theils dadurch, dai's
Wes en und Gesetze häufig vorkommender und notb-
wendiger Verknüpftingen der Gedanken jetzt richtiger und
genügender sich erkennen lassen , als es vor dieser ausführ-
lichen Entwickelung der Lehre von den zusammengesetzten
Schlüssen möglich war. Die dem Verfasser eigenthümliche
Kürze und Bestimmtheit im Ausdruck hat es ihm möglich ge-
macht, die Resultate dieser ausführlichen Entwicklungen auf
etwa zwanzig Blättern zusammenzufassen.
Twesteo unterscheidet drei Hauptarten der zu-
sammengesetzten Schlüsse, da entweder mehrere ge-
gebene Urtheile bei gleicher analytischer Form und gleichen
SubjeCtS - und Frädicatsbegriffen , oder gleichen Vorder- und
Nachsätzen, zu zwei zusammengesetzten Sätzen so verbun-
den werden können, dafs ein einfacher Schlufssatz aus ihnen
folgt (Umwege im Schliefsen , nach Lambert), oder meh-
rere Prämissen wegen verschiedener Form oder Materie zwar
nicht auf zusammengesetzte Sätze gebracht werden, aber
doch zu einem gemeinschaftlichen Schlufssatz führen können,
oder endlich diese beiden Hauptarten sich zu einer dritten ver-
binden lassen. ' Die beiden ersten Arten werden raU sorgfäl-
«
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Logik nach T weiten, Sigwart, Tief trank und Esser. 153
tiger Berücksichtigung sowohl der disjunctiven als der kate-
gorischen und hypothetischen Form abgehandelt, und für die
erste Art zusammengesetzter Schlüsse in kategorischer Form
Lamberts in unverdiente Vergessenheit gerathene sieben
inodi derselben aufgeführt (§, l48.), und von neuem belebt,
indem die lemmatischen oder gehörnten Schlüsse auf die modt
in Diprepe, Perdipe und Diprese, die Inductionsschlüsse auf
diemodi Caspide und Serpide, die conjunctiven und Inductions-
schlüsse auf den modus Saccapa zurückgeführt werden (§. 150
— 152.)« Die Behandlung der zweiten Art (§. 153 ff«) bat
besonders durch Subsumtion der kategorischen Kettenschlüsse
unter die Figuren der einfachen Schlüsse, und durch sorgfäl-
tige Berücksichtigung der polysyllogistischen Schlüsse gewon-
nen. Bei der dritten oder gemischten Art werden wiederum
Lamb erts Untersuchungen über die sogenannten entfernteren
Umwege. des Schliefsens in Erinnerung gebracht.
Von Esser ist die logische Analysis dieser Formen im
Ganzen sehr dürftig und ohne gründliche Kenntnifs der vor-
handenen Vorarbeiten , selbst der logischen Schriften des Ari-
stoteles und Lambert, behandelt worden. Wenn doch
nur zu der Leichtfafslichkeit des Ausdrucks Bestimmtheit und
Genauigkeit hinzukamen. Die Dürftigkeit einer analytischen
Darstellung scheint Esser durch Betrachtungen ergänzen zu
wollen über die Vervollkommnung unserer Begriffe (S. 129 #0»
theils an sich, theils in so fern sie Objecten entsprechen.
Diese Betrachtungen enthalten nun zwar verschiedene brauch-
bare, sogar zuweilen , namentlich über den Werth der indi-
recten oder analogen Begriffe und die sprachliche Bezeichnung,
neue Bemerkungen, verfehlen aber ihren Zweck, wenn sie
sich als Lehren von der Begritfsbildung geltend machen wol-
len. Ohne nämlich aus Frincipien abzuleiten, ohne den ana-
lytischen und synthetischen Gesichtspunct irgendwie zu unter-
scheiden , und ohne auf die letzten Quellen der Begriffe zu-
rückzugehen, würden sie selbst dann nur vorläufige, apho-
ristische Bemerkungen zu der Lehre von der Begriffsbildung ,
nicht diese Lehre selber enthalten, wenn sich in ihnen auch
weit mehr richtiger Blick im Einzelnen, natürlicher Sinn für
Anordnung überhaupt, und mehr Scharfsinn fände. Solche
vorläufige Bemerkungen aber können nur dann nützlich wer-
den, wenn sie entweder die Keime zu tieferen Untersuchun-
gen in sich enthalten, oder wenigstens auf die Notwendig-
keit derselben hinweisen; leisten sie weder das eine noch das
andere, so gewöhnen sie, bis zum Grunde vordringende Un-
tersuchungen zu umgehen , statt sie vorzubereiten.
154 Logik nach T weiten, Sigwari, TicXumik und Esser.
Sehr dankenswerth , und keineswegs ohne Wissenschaft-
liehe Ausheilte, sind dagegen S ig war t s Bemühungen um die
Analytik der Begriffe, Urtheile und Schlüsse. In der Begriffs-
lehre wird besonders umständlich von den Verhältnissen der
Uebereinstimmung und des Widerstreits gebandelt (§. 85
Auch in Sigwarts Lehre von den Urtheilen erkennt Ref.
Scharfsinn und Consequenz in Durchführung des Einzelnen
sehr gern an, wiewohl er die zu Grunde liegende Eintheilung
für unrichtig halten muls. Die Urtheile werden nämlich in
kategorische und disjunetive , und jene in assertorisch -kate-
gorische und hypothetisch -kategorische, diese in assertorisch-
disjunetive und hypothetisch - disjunetive getheilt; die hypo-
thetischen darum nicht als besondere Art den kategorischen
und disjunetiven beigeordnet , weil das Yerhältnifs des Grun-
des zur Folge im disjunetiven und kategorischen Urtheile
nicht minder als im hypothetischen statt finde, und die kate-
gorischen und disjunetiven Urtheile sich auch hypothetisch
ausdrücken lielsen (§. HO ff.). Wenn nun aber die Zurück-
führung des hypothetischen Urtheils auf den Satz des Grundes
unnöthig, und die Gesetze und Hegeln für das hypothetische
Urtheil sich, gleich wie die für das kategorische und dis-
junetive, aus den analytischen Grundsätzen der Identität und
des Widerspruchs ableiten lassen (wie T Westen sie voll-
ständig und mit wissenschaftlicher Strenge daraus abgeleitet
hat), so fällt zugleich mit der Ansicht, der sich Sigwrart
widersetzt, sein Hauptgrund gegen die Eintheilung der Ur-
theile in hypothetische, kategorische und disjunetive weg;
und es fragt sich nun, ob der Unterschied zwischen dem hypo-
thetischen Urtheile einerseits, und dem kategorischen und
disjunetiven andrerseits, von der Art sey, dafs er zu einer
Nebenordnung berechtigte. Behauptet man im Allgemeinen,
dafs die Urtheilsformen auf einander zurückgeführt werden
können, so ist mindestens eben so wenig Grund vorhanden,
die disjunetive der kategorischen, als beiden die hypotheti-
sche Form nebenzuordnen; vielmehr behauptet Twesten
mit Recht (S. 49.), „dafs das disjunetive Urtheil dem kate-
«gorischen und hypothetischen nicht auf dieselbe Weise ent-
„ gegengesetzt sey, wie diese unter einander, weil es mit
»beiden Formen verbunden werden könne.» In der TW
lassen sich aber die drei Urtheilsformen nur zum Theil aut
einander zurückführen und nicht so, dafs die Nebenordnung
aufgehoben werden dürfte, da sich jede nach eigentümlichen
analytischen Regeln entwickelt; selbst wenn wir davon ab-
sehen wollen, dafs diese Dreitheilung sich ganz wohl als
Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftrunk und Esser, 155
gründet in höheren Gesetzen des Denkens nachweisen lassen
möchte (s. Twestens sehr beachtenswerthe Bemerkungen
§. 6l.>
Auch hat Sigwart durchaus nicht gezeigt, dafs, was
wir gewöhnlich hypothetisches Urtheil nennen, theils einen
kategorischen, theils einen disjunctiven Charakter habe, und
als Unterabtheilung des kategorischen und disjunctiven Ur-
theils betrachtet werden müsse; vielmehr ist selbst da, wo
man die hypothetische und kategorische Form mit einander
vertauschen kann, die Verbindung eine sehr verschiedene.
Wie sollte doch auch die hypothetische Form in der Syllo-
gistik eine von der kategorischen und disjunctiven verschie-
dene seyn müssen (Sigwart selber aber läfst sie als solche
gelten), wenn der Grund dieser Verschiedenheit sich nicht
schon in der Form des Urtheils fände ? Dagegen kann das
disjunctive Urtheil eben so wohl hypothetisch als kategorisch
seyn; dennoch mufs vom kategorisch -disjunctiven (oder nach
Sigwart, assertorisch - disjunctiven) und hypothetisch- dis-
junctiven das rein disjunctive unterschieden werden (s. Twe-
sten §. 65.); so dafs auch die Zweitheilnng der Urtheile in
kategorische und hypothetische nicht zu billigen seyn würde.
— Besonders ausführlich bat Sigwart von der Vergleichung
der Urtheile, oder von den unmittelbaren Schlüssen gehan-
delt, und auf mehrere bisher vernachlässigte Formen die Auf-
merksamkeit gelenkt , manche aber auch erörtert , deren Er-
örterung theils durch kurze Andeutungen, theils durch Rflck-
weisungen hätte erspart werden können. Indem er nämlich
einerseits je eine seiner vier Arten des Urtheils mit den übri-
gen in-Beziehung auf Quantität, Qualität und Stellung der
Begriffe vergleicht, andrerseits sich nicht auf die Fälle be-
schränkt, in denen aus einem gegebenen Urtheile ein andere«
unmittelbar abgeleitet werden kann, sondern zwei zu ver-
gleichende Urtheile voraussetzt, wird er zu Wiederholungen
und zu Vergleichungen von Urtbeilen veranlafst, deren Un-
terschied hin und wieder sehr unwesentlich ist. Twesten
ist im Stande gewesen , Wiederholungen und Unwesentliches
zu vermeiden, daher dieselbe Lehre mit noch mehr Vollstän-
digkeit kürzer zusammenzufassen, indem, er zeigt, wie aus
einem gegebenen Urtheile theils ein nur formell verschiedenes
durch Veränderung der Relation, Quantität, Modalität,
Qualität und durch Umstellung, theils ein materiell verschie-
denes abgeleitet werden kann. Die Veränderung der
Modalität und der Materie ist von Sigwart, wie von,
den andern früheren Logikern , aufser Acht gelassen. —
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156 Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftrunk und Esser,
Sigwarts Lehre von den Schlüssen zeichnet sich
durch gründliches Eingehen in das Einzelne von den neueren
Darstellungen sehr vortbeilhaft aus, obgleich der Verf. auch
hier, besonders durch Vergleichung mit T Westens meister-
hafter Bearbeitung der Syllogistik , Gelegenheit za Ergänzun-
gen und Verbesserungen finden, und für eine dritte Ausgabe
seines Lehrbuchs gewifs gern benutzen wird. In Beziehung
auf Sigwarts Zurückf'ührung der drei Gattungen der Schlüsse
auf die Sätze des Grundes , der Identität, des Widerspruchs
und des ausgeschlossenen Dritten wiederholt Ref. das früher
bemerkte, dafs nämlich die Regeln für die hypothetischen
Formen sich aus den analytischen Gesetzen der Identität,
des Widerspruchs und ausgeschlossenen Dritten vollständig
ableiten lassen. Bei der Behauptung, die Eintheilung der
Schlüsse in einfache und zusammengesetzte sey nicht wesent-
lich, und beziehe sich nur auf die sprachliche Darstellung
(s. §. 199.)» ist doch wohl übersehen worden, dafs der
Schlufssatz in den zusammengesetzten Schlüssen immer aus
mehr als zwei gegebenen Urtheilen hervorgeht. Sigwart
stellt die hypothetischen Schlüsse voran, ohne jedoch für
diese Anordnung Herbert's Bemerkung geltend zu machen,
dafs die hypothetischen Schlüsse nur zwei Termini haben;
i»o wie er auch übrigens Herbert's scharfsinnige Ent Wicke-
lung der Lehre von den hypothetischen Schlüssen (s. sein
Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie S. 59 ff.) aufser
Acht gelassen zn haben scheint.
Tieftrunk stellt sich im ersten Hauptstücke des ersten
Theils seiner Denklehre die Aufgabe , die Urweisen oder
Grundformen der Betrachtung der Dinge, die zugleich Ur-
-weisen der Bestimmung seyn sollen, aufzufinden, hebt als
•olche die drei Begriffspaare der Einerleiheiheit und Verschie-
denheit, der Einhelligkeit und des Widerstreits, des Inneren
und Aeufseren hervor, leitet aus dem dritten die Begriffe des
Selbstseyenden und der Bestimmung, des Begründenden und
Begründeten, oder der Ursache und Wirkung, und den Be-
griff der wechselseitigen Bestimmung durch einander, oder
der Wechselwirkung, ab, knüpft daran die Regeln der Gleich-
artigkeit, Manchfaitigkeit und Verwandtschaft (der höch-
sten, niedrigsten und Zwischenbegriffe), und beschliefst dies
Hauptstück mit kurzer Erörterung richtiger, und Widerlegung
unrichtiger Weisen, die Bestimmungen der Begriffe einzu-
teilen. Dieses Hauptstück geht grofsentheils weit über die
analytische Logik hinaus in Transcendentalphilosopbie. Ref.
richtet die Aufmerksamkeit auf dieselben als auf Versuche,
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Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftrunk und Esser. 157
die Kan ti s che Deduction der Kategorien zu ergänzen und
zu berichtigen, theils erlaubt er sich einige Bemerkungen.
In der Ableitung der Kategorien der Relation aus den He-
rl ectionsbegriffen des Inneren und Aeufseren vermifst Ref.
nicht minder den Beweis, dafs den Begriffen von Substanz,
Ursache u. s. w. die des Inneren und Aeufseren in der That
zu Grunde liegen , als Rechtfertigung und genaue Bestimmung
des Begriffs der Wechselwirkung, gegen dessen Denkbarkeit:
neuerlich sehr erhebliche Zweifei erhoben worden sind. Ganz
einverstanden ist dagegen Ref. mit Beseitigung der Eintbei-
lung der Begriffe in bejahende, verneinende und einschrän-
kende, einzelne, besondere und allgemeine u. s.w. (S. 95 ff.).
Das zweite Hauptstück (S. 106 ff.) beginnt mit einer ver-
Gleichenden Erörterung der verschiedenen Erklärungen vom
Jrtheil, in denen allen der Vf. mehr oder weniger bestimmte
Hinweisung auf die Grundthütigkeit des Denkens rindet, d. b.
auf die Handlung, Gegenstände durch Merkmale zu bestim-
men ; sucht dann, zur Ergänzung der im ersten Hauptstiick
enthaltenen Deduction , die Begriffe der Einheit, Vielheit
und Allheit, der Sachheit, des Mangels und der Einschrän-
kung , als im Denken selber enthaltene Merkmale oder Weisen
des Urtbeilens, die Begriffe des Selbstseyenden und der Be-
stimmung, des Grundes und der ^°Jge» so w*e der Wechsel-
wirkung, die vorher als Grundweisen der Betrachtung erör*
tert waren, zugleich als Regeln des Urtheils nachzuweisen t
ohne jedoch den Begriff der Wechselwirkung durch die Er-
klärung, „dafs der Verstand sich Dinge in Uufseren Verhält-
„nissen denke, deren Aeufserlichkeit nicht durch Oertlichkeit
„bedingt sey« (S. 142.), denkbarer zu machen. Ableitung
der Begriffe des Möglichen, Wirklichen und Noth wendigen,
als der Verhältnifsbestimmungen der Gegenstände zu unserem
ErkenntnifsvennÖgen, aus der Sonderung des Anschauens und
Denkens in uns, beschliefst die erste Abtheilung dieses Haupt-
stücks, und leitet zu dem zweiten, d. h. zur Erörterung der
verschiedenen durch das blofse Wesen des CJrtheilens bestimm-
ten Urtheilsweisen, in der die Fragen des betrachtenden Den-
kens als eben so viele Aufgaben des bestimmenden Denken»
angesehen werden. Mit Recht wird von der Gröfse- oder
Umfangshestimmung des Urtheils (Bestimmung der Quantität)
das sogenannte unbestimmte Urtheil ausgeschlossen (S. 168),
aber die Sonderung des einzelnen Urtheils vom allgemeinen
wohl schwerlich durch dre Bemerkung hinlänglich gerechtfer- -
tigt , dafs ^die Frage: wie viel? nicht blos auf das, was
„unter einem Begriffe gedacht werde (auf dieSubjecte), son-
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l58 Logik nach Twesten , Sigwart , Tieftrunk und Esser.
„dern auch auf die Begriffe gebe, durch welche das Unter ge-
dacht werde" (auf die Prädicate; S. 170). Ebenso möchten
sich aus der angeblichen Notwendigkeit : „sowohl die he-
^jahlichen als die verneinlichen Bestimmungen bis zur völligen
„Erschöpfung dessen, was einem Gegenstande zu - oder ab«
„gesprochen werden könne, zu treiben«, wohl nicht die so-
genannten unendlichen Urtheile genügend ableiten lassen
(S. 174-)» üer Verhältnifsbestimmung (Relation) nach theilt
der Verf. (S. 177 ff.) die Urtheile in nicht bedingende (kate-
gorische) und in bedingende, und letztere in einseitig bedin-
gende und wechselseitig bedingende (disjunctive) ein.
Die Lehre von den unmittelbaren und mittelbaren Folge-
rungen oder Schlüssen sucht Tieftrunk sehr zu verein«
fachen, hält die in der ersten Figur statt findende Ordnung
des Schiiiisverfahrens für die einzig reine $ und die Stellungen
in den drei anderen Figuren für Entstellungen, die aus ver-
stellter Einmischung unmittelbarer Schlüsse in die Stellung der
mittelbaren entständen u. s. w. (S. 203 ff.); Wogegen J\e£
namentlich durch La m b e rtf s, Herbert* s und Twesten* s
Untersuchungen über Zweck und Bedeutung der verschiedenen
Schlufsfiguren , die Reinheit und Ursprünglichkeit derselben
für erwiesen halten mufs. Der letzte Abschnitt dieses Haupt-
stücks („von dem Verfahren der Denkkraft um Grundsätze
„zu erzeugen, oder von der Vernunft« S. 2l7.) handelt theils
von den auf dem Wege der Erfahrung durch Inductiort und
Analogie angestrebten allgemeinen Wahrheiten und Grund-
sätzen, theiis von den reinen Vernunfterkenntnissen, oder
den Erkenntnissen von strenger Allgemeinheit, und zeigt,
wie schon die Denklehre auf den Begriff des in aller Absicht
Unbedingten leite.
Im zweiten Theile der reinen Denklehre handeln Sig-
wart sowohl wie Tieftrunk, nur unter verschiedenen Ue-
berschriften , und ersterer ausführlicher als letzterer, von der
Verdeutlichung der Begriffe (Erklärung), von ihrer Eintei-
lung und vom Beweise. Esser schickt diesen Lehren im
zweiten Abschnitt seines dritten Theils eine Untersuchung
Uber die Gesetze voran ^ nach denen zu verfahren sey, um die
zu einer Wissenschaft gehörigen Erkenntnisse zu finden. Aus
analytischen Principien eben so wenig als aus andern Grund-
sätzen abgeleitete und sehr loSe verbundene Betrachtungen.
Mit unverhältnifsmäfsiger Ausführlichkeit, ohne aber auch
hier die Regeln irgendwie Wissenschaftlich abzuleiten oder als"
einander bedingend nachzuweisen,- handelt der Vf. S.- 263 —
272. von der höheren und niederen Kritik.
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Logik nach Twesten , Sigwart, Tieftrunk und Esser. 15^
Tw esten, indem er auch in seinem zweiten und dritten
Abschnitt die Bestimmungen aus den analytischen Denkgesetzen
ableitet , hat nicht nur Liehren für die Analytik gewonnen,
die gewöhnlich, wenigstens zum Tbeil, von nicht analyti-
schen Standpuncten behandelt, oder aus nicht analytischen
Grundsätzen abgeleitet werden , sondern dieselben zugleich
vielfach erweitert und ergänzt* Wiewohl aber der Vf. auch
in diesen Abschnitten streng analytisch verfährt, und den
Standpunct der analytischen Behandlung überall nach Verschie-
denheit des zu behandelnden Stoffes genau bezeichnet (vergl.
§. 170. 177. 220. 221. 224« 232.)» *o konnte er doch nicht,
wie im ersten Abschnitte, die hier zu behandelnden Formen
als verschiedene Formeln der obersten analytischen Grundsätze
betrachten, sondern mufste sich begnügen, im zweiten Ab-
schnitte die Gegenstände der Anwendung dieser analytischen
Formeln (zunächst bei'm wissenschaftlichen Denken), im drit-
ten aber die Bedingungen dieser Anwendung, durch lleflection
und Combination möglichst vollständig auszumitteln , und
demnächst die Bestimmungen über die einen wie die andern
aus den Principien der Analytik abzuleiten. Beide nämlich,
jene Gegenstände wie diese Bedingungen, gehören dem Den-
ken überhaupt, also dem synthetischen wie dem analytischen,
nicht letzterem ausschliefslich an , können daher zwar keines-
wegs aus den analytischen Grundsätzen vollständig abgeleitet,
wohl aber ausschliefslich vom Standpuncte derselben betrach-
tet werden.
Di« Anwendung dec analytischen Gesetze
wird in Beziehung auf den Zweck unsres Denkens in eine
positive, negative und gemischte getheilt, innerhalb der po-
sitiven die Anwendung zum Finden von der zum Begründen
und Erweisen unterschieden; jene sowohl in Bezug auf das
Progressive als regressive und mittlere, in Fragen und Aufga-
en sich zeigende Verfahren, nur so weit der analytische Ge-
sichtspunct es verstattet , erwogen (§.172 — 177.); in Be-
zug auf die Anwendung zur Begründung des Wahren zuerst
im Allgemeinen von den Theilen des Beweises und seinen
Arten, nach Verschiedenheit der Form und nach dem Grade
der Gewifsbeit, gehandelt, und derselbe von der Erörterung
unterschieden (§. 182.); dann aber werden die Lehren von
der Prüfung des Beweises, so wie von der Erfindung und Dar-
stellung , mit ausgezeichneter Schärfe und Vollständigkeit vor-
getragen j und in ersterer der zuletzt erwähnten Abtheilun- +
gen, die man wohl als einen Entwurf zu neuen elenchis scv-
phisticis bezeichnen könnte, die Fehler des Beweises in Bezug
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160 Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftrunk und Esser»
sowohl auf die Argumente , als auf die Thesis und auf den
zwischen ihnen nachzuweisenden Zusammenhang, genau ge-
sondert; in letzterer Abhandlung endlich die Grundzüge
zu einer neuen analytischen Topik geliefert, die,
wie zuerst und vorzüglich an sich, so auch als Frohen der
"Wiederbelebung und Verbesserung alter vergessener Bestim-
mungen, in hohem Grade bemerkenswerte sind. Schon Ari-
stoteles nämlich hatte das Bedürfnifs gefühlt, für seine
rhetorische oder dialectische Topik eine analytisch -logische
Crundlage nachzuweisen, und in seiner ersten Analytik (Anal,
prior I, 27. 28. ed. Buhle) gezeigt, dafs, um Beweise zu
finden, man dasjenige, dem das Object oder der Begriff zu-
komme (atioXcjSu ) 9 theils was ihm zukomme, theils was ihm
widerstreite, aufgefunden haben müsse.
4 Twesten leitet eine neue Bearbeitung der Topik wie
im Allgemeinen, so zum Behuf besonderer Wissenschaften*
die er gevyifs mit Recht für keineswegs unnütz hält, dadurch
ein , dafs er zeigt, wie die Prämissen für eine gegebene The-
sis um so leichter gefunden würden, je mehr man im Besitze
der antecedentia , conseejuentia und repugnantia der Begriffe
und Sätze sey, da (auf welche Weise und in welcher Schlufs-
art — ob in kategorischer oder hypothetischer oder disjuneti-
ver, ob durch einfache oder zusammengesetzte Schlüsse —
der Beweis geführt werden solle)- der gesuchte Mittelbe-
griff oder was ihm entspricht, nur durch umfassende Kennt-
uifs der antecedentia, consecruentia oder repugnantia gegebener
Begriffe sich finden lasse. Was also Aristoteles mit vor-
züglicher Rücksicht auf einfache kategorische Schlüsse aus-
spricht, erweitert und bestimmt Twesten auf solche Weise
näher, dafs es zur allgemeingültigen Grundlage einer analyti-
schen Topik wird. — Im Abschnitte über die negative An-
wendung der analytischen Gesetze und Formen werden die
Grundsätze der logischen Kritik, d.h. der Ausmittelung des
Unwahren vermittelst des Widerspruchs , sowohl in Bezug
auf die höhere als die niedere Kritik, aus den analytischen
Gesetzen abgeleitet, indem gezeigt wird, wie diese die An-
weisung enthalten, „gerade diejenigen Vorstellungen zusam-
„men zubringen , die möglicher Weise im Widerspruch stehen
„können" (s. besonders §. 207* u; folg.).
(D*r Beschlufs folgt*)
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N. ti. 1826,
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftrunk und Essel*
Die dritte Abtheilung dieses Abschnittes fceigt, wie weit
die analytischen Grundsäue und Formen eine gemischte An-
wendung zulassen, d. h, „wie sich aus der Unmöglichkeit der
^negativen Anwendung der Analytik auf ein positives Kesul-
rttat, die Wahrheit, schliefsen lasse«; wie das der gemisch-
ten Anwendung eigentümliche Princip („ durchgängige Har-
monie ist Kriterium der Wahrheit«) vollständig nur vorn
ganzen Geschlecht, nicht vom Individuo, durchgeführt, den^
noch aber in einzelnen Fällen , wo die nächsten Voraussetzun-
gen und Folgen einer Voraussetzung sich vollständig anzählen
lassen, auch in den wissenschaftlichen Bestrebungen des Ein-
zelnen, namentlich bei der Prüfung der Hypothese, mit Er-*
folg angewandt werden könne* .
Der dritte Abschnitt der Analytik dieses Lehrbuchs (VonV
den Bedingungen der Anwendung der Gesetze der Identität
und des Widerspruchs) entspricht dem Haupttheile der ana-
lytischen Metbodenlehre in den gewöhnlichen Handbücherit
der Logik, verheifst aber nicht wie diese eine vollständige
Anleitung zur Verdeutlichung des Inhalts und Umfangs dec
Begriffe, und zur Erreichung des systematischen Zusammen-
hangs aller Erkenntnisse (solche Verheifsungen müssen der
Analytik fremd seyn, wenn sie ihre Grenzen kennt), sondern
betrachtet Deutlichkeit und Zusammenhang als die notwen-
digen Bedingungen der Anwendung der analytischen Gesetze.
Deutlichkeit des Inhalts und Umfangs der Begriffe aber wer-
den zunächst als Bedingungen zur Auffindung der antecedens
tia, consequentia und repugnantia unsrer Begriffe und Ur-
theile, systematischer Zusammenhang aller Erkenntnisse aU
Bedingung der negativen und gemischten Anwendung der Ana-
lytik nachgewiesen j so dafs der dritte Abschnitt mit den*
XIX. Jahrg. 2. Heft. Ü
162 Logik nach TweMen , Sigwart, Tieftrunk und Esser.
aweiten auf das engste verknöpft ist, und zugleich die Vor-
ordnung des zweiten sich hinlänglich rechtfertigt (s. beson-
ders §. 222.)« Sehr zu beachten ist z, B. die .Lenkung der
Aufmerksamkeit auf eine Xopik für Auffindung der Merkmale
(§. 225.) i die Zurückfahrung der Verschiedenen Verknüpfungs-
arten der Merkmale zur Einheit, auf die Kategorien (§. 229 ),
die Angabe der verschiedenen möglichen Formen der Erklä-
rungen (§« 231.) und der Eintheilungen (§. 245 ff.); eben so,
was über das Verhältnils der Erklärung und Eintheilung zum
Beweise (§. 237« 251.) und der Eintheilung zur Erklärung
(§. 256 ) gesagt wird. Am Wenigsten Stoff zur analytischen
Betrachtung bietet die — die Forderungen der Deutlichkeit des
Inhalts und Urnfangs ergänzende — Bedingung des systemati-
schen: Zusammenhangs der Erkenntnisse dar. Inzwischen enthält
auch diese Abtheilung bedeutende Winke über Verknüpfung
des Mapchfaltigen , verbindende Einheit (die mit Hecht vom
höchsten Princip unterschieden wird §. 257.) und Entwicke-
lung der Vielheit aus, oder Subsumtion derselben unter die
Einheit*
Nur als Anhang kündigen sich die Grundlinien der?
Synthetik an, und sind allerdings in geringerem Maafse
ausgeführt, als die Analytik, aber offenbar das Resultat eines
sehr reiflichen und eindringenden Nachdenkens, enthalten sie>
Biberaus bedeutende Keime zu höheren speculativen Ent-
Wickelungeri.
T westen beabsichtigt eine an die Analytik sich mög*
liehst eng anschliefsende propädeutische Darstellung der Ke-
geln und Methoden des wissenschaftlichen Verfahrens, und
ilberlalst die tiefere Begründüng transcertdentalen oder meta-
physischen Untersuchungen, Inzwischen würde auch , wer
die Synthetik als Mittelglied zwischen Logik und Metaphy-
sik zu behandeln beabsichtigte (eine Behandlung, wie sie für
academische Vorträge besonders geeignet seyn möchte), in
diesen Grundlinien einen vorzüglichen Leitfaden finden, nebst
^bedeutenden Winken über tiefere Begründung. Wenn der
erste Abschnitt , der von den Quellen und det Begründung
der Erkenntnisse bandelt , dasjenige als* gültig im Sinne der
Synthetik betrachtet, waä nicht aufgehoben werden kann,
ohne das BeWulstseyn selber aufzuheben , als die von ihm un-
abtrennlichen Modifikationen des BeWufstseyns aber, d. h. als
Quellen aller unserer Erkenntnisse, Anschauung, Gefühl und
Reflexion, und als das in diesen Quellen gegebene theils Stoff,
theils Form, theils ursprüngliche Vereinigung beider annimmt,
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Logik nach Twesten, Sigwart, Tiefuunk und Euer. 163
so möchte es nicht schwer seyn, die Notwendigkeit dieser
Annahmen durch tiefere Begründung nachzuweisen. Der
zweite Abschnitt unternimmt zuerst die allgemeinen Erforder-
nisse der Erzeugung und Vervollkommnung der Erkenntnisse
aus dem ursprünglich Gegebenen, in Bezug auf Begrilfsbil-
dung, Bildung der Urtheile, der wissenschaftlichen Ansich-
ten, Theorien und Systeme nachzuweisen ^ demnächst aber
die bestimmtere Entwickeluhg dieser Erfordernisse iri Bezie-
hung auf die drei verschiedene Arten der Erkenntnisse hinzu-
zufügen, mithin von der Erzeugung und Vervollkommnung
der empirischen, philosophischen und mathematischen Erkennt-,
nisse zu handeln : und zwar von der empirischen Erkenntnifs
ausführlich 4 von der philosophischen sehr kurz und propä-
deutisch. In der ersten Abtheilung , von der empirischer!
Erkenntnifs, wird Anweisung gegeben, zuerst ihren Stoff
tbeils aus der Wahrnehmung, theils aus dem Berichte mittel-
barer oder unmittelbarer Zeugen zu schöpfen (s. vorzüglich die
Bemerkungen über die Schätzung der Zeugnisse §. 293 f.);
demnächst den Stoff durch Aufsuchung des Zusammenhangs ,
der Gründe und Gesetze (als deren letzte Quelle die mathe-
matisch-philosophische Erkenntnifs betrachtet wird) auf in-
nere Weise durch Induction , Analogie und vermittelst der
Hypothesen j zu verknüpfen. Die Abtheilung der philosophi-
schen Erkenntnifs beschränkt sich auf Sonderung dieser von
der empirischen und mathematischen, so wie auf Unterschei-
dung der Zergliederung philosophischer Begriffe und der Re-
flexionen und systematischen Bearbeitung. Am eigentüm-
lichsten ist der dritte Abschnitt, der, indem er von dem Ziele
des StrebenS nach Erkenntnifs handelt t die Wahrheit als Ue-
bereinstimmung einer Erkenntnifs mit ihren Gegenständen!
und die Bedingungen dieser Uebereinstimmung nachweist,'
den Trrthum, d. h. die Verwechselung dessen, was in wahrer
Vorstellung blos subjectiv ist,- mit dem Objectiven, nicht
sowohl aus gesetzwidriger Wirksamkeit^ als vielmehr aus Un-
wirksamkeit der Geistesthätigkeit ableitet, ihn vom Nicht-
wissen und dem Scheine genau sondert; und auf eine höchst
iemerkenswerthe Weise Wissen und Glauben nicht dem Gra-
de, sondeiri der Art und der Quelle nach unterscheidet, indem
di Gewifsheit des Wissens aus der Anschauung, die des
Glaubens aus dem Gefühle abgeleitet; und auf diese Art zum*
bestimmten BewufstSeyri erhoben wird ,• was1 Männer wie
Liessing und F. II: Jacob i im Sinne gehabt zu nabeil Schei-
nen,- Bei der Prüfung dieser wichtigen Begriffs sonderung
• *
\
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164 Logik nach Twesteu, Sigwarr, Tieftnmk und Esser.
müfste theils untersucht werden, in wie fern sie sich im
Sprachgebrauch nach allen seinen Richtungen nachweisen lasse,
theils und vorzüglich, ob sie eine an sich nüthwendige, auf
einer zwiefachen wesentlichen Modifikation der Ueberzeugung
gegründete sey. In ersterer Rücksicht hebt der Verfasser be-
sonders hervor, dafs das Bewufstseyn der Gewi fa-
ll eit, als unmittelbares Bewufstseyn vom eignen
Zustande, welches doch wohl für ein Gefühl gehalten
werden mufs, durch den Ausdruck Glauben bezeichnet
Werde, möge nun dieses Gerübl nur ein secundüres, die an-
schauliche Einsicht begleitendes, oder ein ursprüngliches, das
Fürwahrbalten selber unmittelbar und an sich mit sich führen-
des seyn. Und allerdings begreift sich auf diese Weise, wie
in Füllen, wo genügende Einsicht nur auf Anschauung oder
entsprechender Reflexion beruhen kann, der Glaube als
das subjective Gefühl einen geringeren Grad
der Gewifsheit bezeichne, da aber, wo die Ueber-
zeugung aus keiner Anschauung oder Reflexion
hervorgeht, und dennoch unabweisbar ist, der
Glaube von gleichem Grade der Gewifsheit wie
das Wissen seyn müsse. In zweiter Rücksicht möchte
sich wohl nicht blos zeigen lassen, dafs es in der That völ-
lig gewisse Ueberzeugungen gebe, die weder
aus Anschauung noch aus Reflexion abgeleitet
werden können, sondern auch, dafs als Quelle einer sol-
chen Gewifsheit ein unmittelbares, ungegenständ-
liches, in und mit dem Selbstbewufstseyn ge-
gebenes Bewufstseyn gesetzt und Gefühl ge-
nannt werden müsse. Diese Begriffsbestimmung aber
ist um so wichtiger, je mehr sie einerseits die Zusammen-
gehörigkeit von Glauben und Wissen anerkennt, in so fem
sie nämlich für jedes (primäre) Wissen ein (secundüres) Glau-
ben , d. h. ein die anschauliche Gewifsheit begleitendes Ge-
fühl der Ueberzeugung, und für jedes (primäre) Glauben ein
(secundäres) Wissen setzt, d. h. die Veranschaulichung und
denkgemäfse Vermittelung der ursprünglich im Gefühle ru-
henden Gewifsheit; andrerseits verschiedene Entwickelungs-
methoden für die gewisse Ueberzeugung anerkennt, je nach-
dem sie unmittelbar als Wissen oder als Glauben gegeben ist.
Die weitere Durchführung dieses Unterschieds , und die
Nachweisung, wie das die Gewifsheit mit sich führende Ge-
fühl, durch die wissenschaftliche Reflexion vermittelt, und
in wie weit es nach den Gesetzen der Anschauung entwickelt
Logik nach Twesten, Sigwart, Tieftrnnk ond Esser, X65
*
werden könne, wie weit nicht, wNr<te e»n höchst wichtiger
Beitrag zu einer umfassenden philosophischen Methodik , vor-
züglich in Bezug auf die Behandlung der Religionsphilosophie
seyn , und gar sehr geeignet, theils der leidenschaftlichen
Verunglimpfung der Schle^'rmacher'schen Lehre von einem
unmittelharen Gefühle der Abhängigkeit zu hegegnen , theils
die Unmittelharkeit des Gefühls, als einer vom Erkennen und
Wollen verschiedenen Modification des Bewufstseyns zu er-
weisen. %
Nach dem bisher Dargelegten hat die Aristotelisch- analy-
tische Behandlung der Logik um so mehr Ausheute zu gewäh-
ren und zu verheüsen , je mejir sie sich innerhalb der Grenzen
ihres Standpunctes hält. Und wäre denn Ausmittelung aller
allgemeinen und nothwendigen Formen des vermittelnden
Denkens, so weit es sich darauf beschränkt, unsere Erkennt-
nisse durch richtige analytische Ableitung aus einander und
Verknüpfung unter einander zu vervollkommnen, — wäre
eine solche Ausmittelung etwa von geringerem wissenschaft-
lichen Werth* als die Untersuchung über die allgemeinen und
nothwendigen Sprachformen? Die wissenschaftliche Wich-
tigkeit der Sprachlehre aber, ganz abgesehen von ihrem Ein-
11 als auf die Fertigkeit in besonderen Sprachen , pflegt doch
nicht in Anspruch genommen zu werden, obwohl es ihr noch
keineswegs gelingen will, ihre Formen mit einiger Vollstän-
digkeit und aus einem obersten Grundsatz abzuleiten. Die
Wissenschaft von den Formen des analytischen Denkens
würde wichtig seyn , auch wenn weder andere Wissenschaften
sie voraussetzten, noch die Fertigkeit in einem wohlgeordne-
ten, zusammenhangenden Denken durch sie gefördert würde;
wichtig, in so fern jede wissenschaftliche Erforschung der
Gesetze irgend einer Geistesrichtung wichtig seyn mufs. Nun
aber wird sie in der That von andern Wissenschaften, deren
Notwendigkeit anerkannt ist, vorausgesetzt: oder sollten
etwa Untersuchungen über die Quellen unserer Erkenntnisse,
so wie über die Grundbegriffe der Erfahrung, und über die
Begriffe, vermittelst deren wir das Uebersinnliche denken,
durch gründliche Kenntnifs der Formen der analytischen Ver-
inittelung im Denken nicht um so mehr gefordert werden, je
weiter der Kreis der Gedanken ist, über den jene Unter-
suchungen deutliche und bestimmte Uebersicht zu gewinnen,
in dem sie Uebereinstimmung nach allen Richtungen zu ver-
mitteln und nachzuweisen haben? Sie ist ferner der Fertig-
keit in einem wohlgeordneten Denken gar sehr forderlich
166 £ogik nach Twesten , Sigwart, Tieftrunk und Esser.
(vergl. Twestehs Vorrefle S. XII ff.). Es bleibt also nur
die Frage, ob sie, unabhängig von metaphysischen oder
transcendentalen Untersuchungen , zu Stande kommen könne
oder nicht. Diese Frage ist verneint worden , besonders seit
man sich überzeugt hat, dafo aus den logisch -analytischen
Formen des Urtheils keineswegs die Urbegriffe und Principien
der Erkenntnifs, vielmebr jene aus diesen abgeleitet werden
müssen. Eine Philosophie, die aus den Formen und Gesetzen
der blofsen Vermittelung die Grundsätze und Grundbegriffe
der ursprünglichen Auffassung abzuleiten unternimmt, be-
trachtet auch in der That das mittelbare als Quelle des unmit-
telbaren. Ja eine analytische Logik, die nur einmal ihre
eignen Grundsätze und Formen, geschweige denn alle Grund-
sätze und Formen des Denkens und Erkennens , bis zu ihrer
letzten Wurzel verfolgen zu können glaubte, wäre einer Geo-
metrie vergleichbar, die, wejl sie auf untrügliche Weise die
Verhältnisse der räumlichen Gröfsen zu ermessen im Stande
ist, nun auch das Wesen des Raumes und der Gröfse selber
vollkommen begriffen zu haben wähnte. Aber hätte die Geo-
metrie sich ihrer Constructionen etwa enthalten sollen, bis
die Metaphysik die Untersuchung über jene Grundbegriffe
für geschlossen zu erklären im Stande gewesen? Und doch
verlangen eben das in Bezug auf die Logik, die ihr den vor
Jahrtausenden wohlerworbenen Besitz entreißen möchten ,
und sie auffordern , statt auf ihm fortzubauen, den Grund der
Gründe auszumitteln , um von dem aus einen durchaus neuen
Bau aufzuführen. Gerade als wenn unsere Häuser ihres Grun-
des ermangelten, bis wir zum Kern der Erde vorgedrungen.
Wollte freilich die logische Analytik alle ferneren und tieferen
yntersuchungen für überflüssig halten, so handelte sie eben
so unverständig, wie der Bauherr, wenn er die Forschungen
der Geologen bespöttelte, weil er ihrer nicht bedarf, um für
sich einen sicheren Grund zu finden. Bleibt aber die Analytik
auf ihrem Grund und Boden, und entwickelt sich nach
ihren Gesetzen, so wird ihr Gebäude bestehen, auch wenn
der letzte Grund ihres Grundes gefunden seyn wird : gleich
wie griechische Tempel und gothische JKirchen bewundernde
Anerkennung finden werden, selbst wenn unser Wissen bis
zum Kerr» der Erde vordringen sollte. Keine andere philoso-
phische Disciplin erfreut sich, in gleichem Maafse, wie die
analytische Logik, des Vorzugs, ein/ so genau abgrenzendes
Gehiet so selbstständig anbauen, aus so einfachen, an sich
gewissen Grundsätzen so streng sich ableiten zu können. Hüten
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Logik nach T weiten, Sigwart, Tieftrunk und Eiter. J67
wir uns doch, Grenzbestimmnngen aufzuheben , die so wohl
begründet sind — Grenzbesti mm ungen , die immer nöthiger
werden , je mehr die Untersuchungen unsrer Wissenschaften
sich verwicke|n.
Zwei Vorwürfe hat mangelhafte Bearbeitung der analyti-
schen Logik oft genug veranlafst: zuerst, dafs sie den Weg
zu den tieferen, und allerdings auch wichtigeren, Unter-
suchungen der Metaphysik oder Transcendentalphiloso^hie,
wenn nicht versperre, doch keineswegs eröffne; und dann,
dafs sie durch allerlei äufserliche Betrachtungen die logischen
Operationen auf quantitative Bestimmungen oder äufserliche
Unterschiede und begriffsloses Calculiren zurückführe. Bei«
den Vorwürfen entzieht sie sich, wenn sie mit wissenschaft-
licher Strenge aus den ihr eigen t heimlichen Frincipien ableitet,
und eben auf diese Weise das ihrige, und zwar recht vieles,
beiträgt, die Metaphysik in den Stand zu setzen, ihre höchst
schwierigen Forschungen mit möglichst umfassender Ueber-
sicht und streng systematischer Architektonik fortzusetzen.
Soll aber etwa der zweite dieser Vorwürfe gegen die Ver-
knüpfung und Trennung im vermittelnden Denken, nach den
Grundsätzen der Identität und des Widerspruchs, überhaupt
gerichtet seyn , so darf er uns in unsern analytischen Unter-
suchungen nicht irren, bis man uns belehrt haben wird, wie
man einer solchen Vermittelung im Denken enfcrathen könne,
ohne auf Gesetze der Verknüpfung für unsere Erkenntnisse
und auf Verständigung zu verzichten. Ref. gesteht, von der
Unentbehrlichkeit uqa Notwendigkeit der Frincipien der
Analytik noch eben so überzeugt zu seyn, wie es Aristoteles
war, und hält es nicht für überflüssig, die bei diesem grofsen
Logiker und Metaphysiker sich findende Deduction (Metaph.
IV, 3 ff.) wieder in Erinnerung zu bringen. — Ref. hat die
bekannte Behauptung, „die Formen der Logik Seyen bereits
w untergegangen , und müfsten eine völlig veränderte Gestalt
n gewinnen«, lieber unberücksichtigt gelassen, als durch ein-
zelne Bemerkungen einer genauen Prüfung der verschiedenen
# Versuche, sie vom Standpuncte der Speculation aus völlig
neu zu gestalten, vorgreifen wollen; wünscht aber lebhaft,
. dafs eine solche Prüfung, gründlich und leidenschaftlos, reche
Jbald unternommen werden möge.
Nach den bisherigen Untersuchungen, und Betrachtungen
ist es kaum nöthig hinzuzufügen, dafs Ref. Twestens Lo-
gik für eine Arbeit hält, wie wir ihrer in Bezug auf Strenge
der Ableitung und Gliederung , so wie auf Manchfaltigkeit
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468 Logik nach Twesten, Sgwart, Tieftruok und Esser.
der Entdeckungen , seit Aristoteles auf dem analytischen Ge-
riete nur sehr wenige erhalten haben. Daher denn auch der
lebhafte Wunsch, man möge die von neuem eröffnete und ge-
reinigte Bahn fortan nicht wieder verlassen, die Sonderung
-von Analytik und Synthetik anerkennen, zugleich aber die
wichtigen Beziehungen der einen zur andern nicht verkennen ,
und für letztere nach und nach Sicherheit der Methode, und
Malier Stetigkeit im Fortschreiten gewinnen, wie erstere sich
ihrer erfreut. Die Synthetik wenigstens vor der Hand noch
abgesondert von Metaphysik zu bearbeiten , hält Ref. für
wünschenswerth, wiewohl er keineswegs verkennt, dafs
sie sehr viel mehr, als die Analytik, von der höchsten
der philosophischen Disciuljnen abhängig ist upd bleiben
wird,
Uebrigens ist Ref. weit entfernt, die bedeutenden Ver*-
dienste, wie anderer neuer Logiken, so der Sigwart'-
schen und T i eftr unk 'sehen Arbeiten zu verkennen, deren
erstere, wenn auch von Twesten übertroffen an analyti-
scher Conseq/uenz, wissenschaftlicher Strenge und Eigen-
tümlichkeit der Untersuchungen, doch als wichtige Vor*-
arbeit ihren Rang behaupten wird , letztere vorzüglich
schätzbar ist als Versuch, für die logische analytischen For-
men, auf dem Gebiete der Reflexion, einen sicheren Grund
zu gewinnen, und auf diese Weise die Untersuchungen der
Kantischen Kritik zu ergänzen — ein Versuch, welchem
auch diejenigen ihre Achtung und Aufmerksamkeit nicht ver-
sagen dürfen, die, wie Ref., überzeugt sind, dafs auf solche
Weise jene Untersuchungen nur eingeleitet, nicht beendigt
werden können. Esser würde weniger verheifsen und mehr
geleistet haben, wenn er die Vorarbeiten auf diesem Gebiete
besser zu würdigen gewufst hätte; da er aber erlinden wollte,
ohne bestimmt zu wissen, was entbehrt werde, ohne über
Zweck und Umfang der Logik im Klaren zu seyn, und ohne
die Strenge ihrer Methode und die Nothwendigkeit dieser
Strenge reiflich erwogen zu haben . hat sein unleugbare^
Talent der Verdeutlichung sehr geringe Frucht getragen.
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Demosthenes Reden. 169
t
1) Des Demo sthenes Philippische Reden. Uebersetzt, *r-
läutert und mit einigen Abhandlungen begleitet von Dr. Albert
Gerhard Becker. Neuer Bearbeitung erster Theil Halle*
bei 7. Chr, Hendel und Solin. 1824« gr. 8. LXIl und
249 S. 1 Thlr.
2) A>1lxo<?Dbvov; loyot txAixTO«. Demosthenis selectae
oration^s. Ad Codices Mss. recensuit ; Textum, Scholmsten %
et Versionem, plurimis in locis , castigavit ; notis insuper illustra-
pit Richar dus Mounteney , Colleg. Regal, apud Cantabri-
gienses haud ita pridem (!) socius. Praeßguntur Observationes
in Commentarios vulgo Ulpianeos , et Tabula antiquae Graeciae
Demostheni accommodata. Adjicitur etiam Index locupleiissimus.
Edith decima tertia, emendatior et auctior (?). Lond. ap. F. C.
etJ. Riuington. MDCCCXX. gr.S. XL und 343 $.
3) Harangues politiques de Demos thhne, Recueil contenant les
trois Ol ynthienne s 9 les quatre Philippiq ues , les
discours sur la paix et Sur la Cher sonne se9 public
avec une Jntroduction , des Commentaires et une Carte de la Grece,
par R. Toepffer. Geneve , chez A. Clierbuliez. 1824. gr, 8,
Vll. XL und 51C
4) Oeuvres eompletes de D e'mo sthene et d* Eschine, en Gree
et en Francais. Traduction de V Abbe Auger, de V Aca-
demie des I. et B. L. de P. Nouvelle Edition, rerue et corrigee
par 7. Planche, Prof. de Rhetorique au College royale de Bour-
hon. Ome'e d1 un portrait de De'mosthene graoe d' apres V antique
p. M Me'cou. TV bt, it auroüro j d^vLostra ! etc. Par.
chez Verdier e etc. 18 19 — 1821. 10 Bände. 8.
1) Herrn Pastor* s Dr. Alb. Gerb. Becker' • Ueb er-
setz u n g des Demosthenes.
Die erste , längst vergriffene Auflage dieses Bucbes er-
schien unter dem Titel : Auserlesene Heden des Demostbenes
und Aeschines. Aus dem Griechischen tibersetzt und mit den
nötbigen Einleitungen und Erläuterungen verseben. Erste
Hälfte. Halle, 1797. and enthielt Phil. I. Die Olynthischen
in der von Dionysius Hai. angegebenen Folge. Phil, II. De
Cherson. Philippi Epist. und Orat. in Phil, Epist. Die ge-
genwärtige enthält nur ; Flutarch's Lebensbeschreibung des
Demostbenes, Phil. I, die drei Olynthischen in der gewöhn-
lichen Folge, und de pace. Aber mit weit gelehrteren Ein-
leitungen UP4 Anmerkungen, Per Plan dieser Bearbeitung
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170 Demosthenes Reden.
i
ist bestimmter : Alle Philippischen Reden des Demosthenes
nach dem Kanon des Dionysius, folglich auch die darunter
begriffenen unächten, auch die in Deutschland noch nicht
vollständig übersetzte Phil. IV., in Einer Sammlung, initBe-
nutzung alles dessen, was seither zur Erklärung dieser Werke
erschienen ist, und mit eignen Untersuchungen zusammen-
zufassen. Ob Hef. mit Recht dem zweiten Bande ungeduldig
entgegensieht, wird der Leser aus folgenden Andeutungen
selbst beurtheilen.
Die Einleitungen und die Anmerkungen geben historische
und antiquarische Erörterungen, berichtigen sehr ort die Er-
klärungen der Vorgänger, tbeilen hin und wieder die Kunst-
urtheile der alten Grammatiker mit, so dafs der Leser voll-
kommen in den rechten Stand gesetzt wird, den Redner und
seine Zeit zu verstehen. Es sind dabei die neueren Forschun-
fen , namentlich die von Böckh und Schümann , zum erstenmal
ei Demosthenes benutzt. Denn auch der neueste deutsche
Herausgeber einiger Philippischen Reden hatte sie übersehen,
und Schäfer will bei der Reiskischen Ausgabe, mit schütz-
baren Sprachbemerkungen , nicht auf Sacherklärungen ein-
gehen.
In den Anmerkungen zu Plutarch's Biographie , welcher
die Seitenzahl der Frankfurter Ausgabe beigedruckt ist, ist
der Verfasser von: „Demosthenes als Redner und als Staats-
mann" viel kürzer, als in den Anmerkungen zu jeder Rede;
wer mehr wissen will, wird jene Schrift nicht ohne grolse
Zufriedenheit nachsehen. Doch ist auch hier alles Nöthige
§esagt; undeutlich ist manchem nur die Streitsache roitOropus
.XVIII, welche auch de pace p. 61. 1. ö. Reisk. nicht ausein-
ander gesetzt wird. Vergl, Wessel, ad Diod. L, XV. c. 76.
T. VI. Bip. Die Geschichte mit des Harpalus Becher, durch
welchen Demosthenes bestochen worden seyn soll, hätten wir
gerne beleuchtet gesehen, da sonst überall die Quellen , aus
Welchen einige Lästerungen gegen unsern Redner flössen, als
unlauter nachgewiesen sind. Will man den , welcher überall
gegen Bestechungen eifert, mit Lust lesen, so mufs'er selbst
von diesem Fehler rein seyn. Er war es auch; wie sich denn
das Mährchen selbst als solches darstellt: Harpalus soll dem
Demosthenes einen kostbaren Becher in der Nacht geschickt
haben, und den andern Morgen sollen es schon die Leute in
der Volksversammlung, die bekanntlich sehr früh anging, ge-
wufst haben l Wer von beiden hatte wohl einen Vortheil , es
ihnen zu verrathen, Demosthenes oder Harpalus? — Darum
glaubte man die Sache schon im Alterthume nicht ; um darüber
I
/
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Demosthencs Reden. 171
nicht negative Beweise anzuführen , vergleiche man nur Lu-
cian. laus Demosth. c. 33 — 36. T. IX. Bip. Hört man aber
gar dieselbe Bestechung nicht nur vom Harpalus, sondern
auch von Milesischen Gesandten erzählen bei A. Gellius L, XF.
c. 9. §. 1, so ist man sehr geneigt zu glauben, dafs irgend
eine Verwechselung vorgegangen , etwa mit Demades, wo-
zu Dinarchus die Veranlassung mag gegeben haben, adv. Ari«
stogit. pag. 79« sq. und pag. 04. R« id. c. Demosth. init. cf.
Hauptm. de Demad. c. V. p. 261. R. Barton. ad Plut. De-
mosth. c. 25. p. 733. sqq. R.
Nach dieser Biographie folgt die Einleitung zur ersten
Philippischen Rede, worin sachgemäfs die hierher gehörigen
historischen Data, namentlich über Philippus, zusammenge-
stellt und belegt werden. Unter Pbilipp's Biographen ist
Valckenaer's Rede de Philippo JVT. , welchen Hr. B. weiter
unten S. 15. selbst citirt, Leland life of Philipp, und Dru-
mann's Versuch etc. vergessen. Auch führt der gelehrte Hr.
Beck S. 3 12. der Anleitung zur Weltgeschichte (der ülteren
Auflage, da bekanntlich die neuere leider nicht bis zu diesem
,Theile gekommen) noch an: Histoire de Philippe par de B u r y.
Par. 1760. 4.
Was Hr. B. über die Glaubwürdigkeit der Redner für
die politische Geschichte sagt, fanden wir sehr wahr; warum
aber die Rede Tig (rwra^amg von einem Zeitgenossen des De-
mosthenes herrühren soll, konnten wir nicht einsehen. Es
kommt uns vielmehr manchmal vor, als habe ein Grammati-
ker seinen Schülern aufgegeben , aus einigen Reden des De-
mosthenes zur Uehung eine Zusammensetzung, o-uvt^v, zu
machen, woraus dieser cento entstanden sey.
Als Probe eigner Forschungen und deren Mittheilungen
ist die gewöhnliche Folge der Olynth ischen Reden
vertheidigt, nicht allein in einer eignen Abhandlung (S. 103
— 131.), sondern auch zerstreut in den Anmerkungen. Vergl.
diese Jahrb. v. J. 1822. ffro. 75. S. 1185 — 1191. Ref. hat
durch die von Hrn. B. vorgetragenen Ansichten und sehr fleis-
sigen Zusammenstellungen veranlafst die Sache von neuem
erwogen, hat sich aber nicht überzeugt, dafs die gewöhnliche
Folge die richtige sey. Hören wir die Gründe und die Gegen-
gründe in Folgendem zusammengedrängt:
Die Anordnung nach Dionysius beruht auf der Erzählung
des Philochorus- (worauf aber Dionysius selbst kein Gewicht
legen soll): dafs eine dreimalige Gesandtschaft der Olynthier
in Athen um Beistand gefleht, und die Athenienser dreimal
Hülfe geleistet haben. Dies kann aber nicht seyn, denn in
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172 Demosthenes Reden.
den Reden findet sich keine Spur davon, und in der Rede de
f. leg. stellt Demosthenes die Sache ganz anders vor. So
Hr. B.
Der Gegner würde darauf erwiedern: An den Olynthi-
schen Reden ist keine Spur davon; aher der gleichzeitige Ge-
schichtschreiber sagt es. Und Demosthenes selbst bestätigt
de f. 1. das Factum, und stellt die Hilfsleistung dort für seinen
Zweck als grofs und in runden Summen dar; was thut das?
er kommt mit Philochorus mehr überein, als auf den ersten
Augenblick scheinen* sollte :
Nach Philochorus betrug die Nach Demosthenes J, c. p.
Hülfsl eistung 426. R»
Triremen: 65. 50 Triremen.
Söldner: 6450 und die J0000 S ö 1 d n er.
Schiffsmannschaft.
Börger: 2000, wahrschein- 4000 Bürger.
Jich aulser denen, welche
in der ersten Expedition
mitgingen.
Sollten diese Anstrengungen auf Eine Expedition verwendet
worden seyn, wie Hr. B. anzunehmen scheint, der doch auf
derselben (95) Seite 2000 Mann und 30 Triremen eine glän-
zende Expedition nennt ?
Die Reden seihst liefern von der Richtigkeit der gewöhn-
lichen Folge den Beweis, argumentirt Hr. ß- weiter. Denn
die erste (vulgo) Rede mufs gleich nach dem Beginn der
Feindseligkeiten gegen Olynth gehalten worden seyn, weil
darin Demosthenes die von den Olynthischen Gesandten be-
gehrte Hülfe fordert.
Der Gegner: Haben nicht beide Reden, die vulgo erste
und die vulgo zweite, das gleiche Thema: es müsse Hülfe
geleistet werden? so dafs man hieraus für die Stellung gar
nichts beweisen kann. Man vergleiche nur beider
Propositio
Olynthiacae I. Olynthiacae II.
P. 10. "Etni rd y' So- P. 21. <t>1fx) 3} 5<uv utm
xouvra* ty$itrav$at jutei* jftj n}w ro7; fxh'OXwSiotg ßoy$s~\iy naiovw;
ßoij9etav y.au ira$av/.evaaaff$at tjJw rt$ Xtyu Y.aXh<rra kcli -ray^irra , oZ*
ray^i<mjVj oirw; tvStvSs ßovjSijcfir« * reu; af«Vx£/ pot * v^o; hi QsrTakovq
irz&ßsi'av 3« T^xs/vj %ti; raur *q &rßa!av ir^x«/v , >j rot; fxiv lifo^st
ifs7 Kai va^ievai To7; ir^ay\Murt, raZra, tov? iraoo$vv$i.
Wiederholt nun Demosthenes, wie er denn den Haupt-
gedanken gerne wiederholt, um ihn dem Zuhörer an's Herz
zu legen, in der ersten Stelle S. t4* 4>ty*l ßo^rion rc7*
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Demosthenes Reden* " 173
-tguyfüZcrtv rjfxtv l to> t» rxf xAs/j ro7; 'OAüvS/oi; aaofav Kai roug rsvro
Tc/>j<rovTa; oroaT/cura? it&tiffwtm' xaf tä tjjv sksivov ytu'^uv xantuj to/*ii/
Kai mi^sn xat ovfancura/; tre^o/; — so Iii ist sich aus diesem Vor-
schlag eher darauf schliefsen, dais diese Rede später gehalten
ist, weil er gröfsere Anstrengungen verlangt, man müiste
denn mit dem Scholiasten (Ulpian) glauben, dafs Demosthenes
das Doppelte verlangt, um die Hälfte zu erhalten; warum aber
fordert er in der anderen nur die Hälfte?
Hr. B. fährt fort, die Verteidigung aus den Reden
selbst zu führen. S. 97. s^gt er, dals die*vulgo zweite Rede
darum nicht die erste seyn könne, weil darin steht, dals die
Athenienser mit den Olynthiern das Bündnifs geschlossen
hätten.
Gegner : Die Olynthier werden in der zweiten Rede al-
lerdings Bundesgenossen der Athenienser genannt, allein das
waren sie schon vor allen drei Olynthischen Reden geworden,
unter der Verabredung, dafs sie mit Philipp Krieg anfingen,
dann sollten die Athenienser helfen. Nicht von einem Bünd-
nifs, sondern von der Erfüllung der bedungenen Hülfe ist die
Rede, wie aus der ersten p. 10. extr. sg\ und der dritten p. 32.
extr. Liban. Arg. p. 7. hervorgeht.
Hr. B. bezieht sich S. 97. noch auf die Stelle der zweiten
Rede p. 25. »Ihr zaudert in's Feld zu rücken , und schiebt es
hinaus Geld zusammenzubringen.«« Also waren noch keine
Truppen geschickt.
Allein eben darum halten wir diese für die erste.
Die dritte, sagt Hr. B., habe zum Inhalt, den Ueber-
muth des Volkes wegen einiger Siege des Chares über Philip-
pus zu müfsig«n , worauf Theopomp. ap. Athen. L.XII. p. 532.
c. d. bezogen wird.
Dagegen bezieht SchweighUuser diese Stelle auf die erste
Expedition; wir glauben, mit Recht, denn Alles pafst. Nach
der vulgo zweiten „ das heifst nach der ersten, Rede wird
Chares abgeschickt; er gewinnt einigen Vortheil über Phi-
lipp, kehrt nach Hause, opfert den Göttern und speist das
Volk. Theopomp. I.e. Das Volk wird übermüthig; dies
veranlafst, Libanius sagt ausdrücklich: Kaf Tt ^arogBoCv i'3^av,
die folgende Rede, vulgo dritte, worin Demosthenes auch
namentlich auf des Chares ßoiütx anspielt p. 37. cf. Dionys, ad
Amm, c. VIII. extr. Es bleibt also nur die erste Rede übrig,
Welche demnach die letzte seyn mufs. Wollte man bei dem
Allen, aller historischer Autorität zuwider, doch nur Eine
Expedition der Athenienser, Olynth zu helfen, annehmen,
ao geritthe man auf unauflösbare Widersprüche, und Heise
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174 Demos tlienes Reden.
alle Fragen unbeantwortet, welche sich hinter einander auf-
drängten; bei welchen indefs eben so wenig für die Sache ge-
wonnen würde, als bei den Ansichten, Eindrücken, Gefüh-
len , nach denen man aus einigen Stellen der Reden ihre Folge
beweisen wollte. Hr. B. hat dies in den Anmerkungen zu
jenen Stellen recht gut gezeigt, indem er die Gegner, wenn
sie auf diese Art argumentiren, widerlegt. Wenn z. B. H.
Raucbenstein aus p. 9. 1. 1. die Folge nach Dionysius beweist,
so beweist Hr. Becker aus derselben Stelle die gewöhnliche.
Bleiben wir daher 1iuf historischem Grund und Boden stehen,
wie auch Hr. B. von hieraus das Hauptargument führt :
„die Grammatiker citiren die Olynthischen Reden ein-
stimmig nach der gewöhnlichen Ordnung.«
(Die Grammatiker werden mit interessanten Literarnotizen
nachgewiesen.) Allein bedenken wir vorerst, dafs die Gram-
matiker gewöhnlich nur citiren AvjfxooSevy); , oder nur mit dem
Beisatz s'y to?* <t><Amr/xoi$ t wozu bekanntlich die Olynthischen
oft von ihnen gezählt werden, so bleiben nur wenige Stellen
tlhrig, worin die Olynthischen mit A. B. I\ oder iv Tw irgcfrp
n. s. w. angeführt sind. Sodann aber citiren sie nicht chro-
nologisch. Man sehe doch nur den Index Scriptortim zu
Harpocration s. v. AyjfxccBsvij; , wo die Olynthischen Reden
vor die Phil. I, welche als rirafrof <J>/A/x™o; citirt wird, und
welche unumstöfslich die erste aller dieser Staatsreden ist, zu
stehen kommen. Man wird sehen , dafs eben dieselben Gram-
matiker, welche hier als Autorität angenommen werden , eben
denselben Philochorus , dessen Zeugnifs verworfen werden!
soll, als ihren Gewährsmann anführen.
Wenden wir uns jetzt zu der Ü et e rs et z u n g , so kann
von Reiske keineRede seyn ; dessen Art zu paraphrasiren mag
aus folgender Vergleichung hinlänglich ersehen werden :
Demosth. Ph. I. p. 43.. Reiske T. I. p. 72.
TloT oOv, vors a *Qa%ST& „Wann wollt ihr denn nun
tVf/Siv Ai* dvlyHtf t/5 !* — endlich einmal euch zu regen
»Uytrai H mjuvov»« — „rfc'SvjjKs anfangen? Wann wollt ihr
*/ Xiicxo; ; cc oj Ata» denn anfangen, an Ausübung
euerer Schuldigkeit zu denken? Werin'a geschehen seyn wird.4«
„Je was denn?« „Ha, ha! kommt's da heraus. Das war
doch noch ein Wort. Das lasset sich hören.« — „Bruder,
was giebt's neues? — Ist Philipp^ todt? Ich dachte was
mich bisse. Der Teufel wird ihn nicht gleich holen.«
Würdiger wird die Vergleichung der Uebersetzüng vori
Jakobs mit der des Hm, R. seyn ?
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Demosthenes Reden.
175
Jakobs. Becker.
Warni, wann werdet ihr thun, Wannaiso, wann werdet ihr
was nöthig ist ? Welchen Zeit- thun, was geschehen mufs ?
punkt erwartet ihr noch? Bis Sobald etwas sich ereignet hat?
euch die dringende Noth Sobald beim Zeus ! eine Noth
zwingt? — Oder wollt ihr uns treibt ? — Oder wollt ihr,
Lieber auf dem Markte umher« saget an, umherwandelnd auf
gehen und fragen, was man dem Markte, einander befra-
Neues erzählt? Was kann es gen: „Giebt's nichts Neues?«
wohl Neueres geben, als dals Kann es wohl etwas Neueres
ein Makedonier Athenüer he- geben, als dafs ein makedoni-
kriegt, und unter Griechen den scher Mann Athenüer im Kam«
Herrn spielt?«« — „Ist Phi- pfe überwindet, hellenische
lipposgestorben?" — - Leider Angelegenheiten entscheidet?
noch nicht. — „Ist PhiJippos todt?«c —
Nei n, beim Zeus«
Die Uebersetzung des Hrn. B. halt sich treuer an das Ori-
ginal. Aufgefallen sind dem Ref. S. XIX. „Demosthenes lag
seinem II o fm t i s te r (irai&tytuyov) inständig an — Dieser hatte
mit den öffentlichen Sclaven Bekanntschaft — Die Eifer-
sucht (des Knaben, i^Xuice) auf den Ruhm des Mannes.««
Die Anmerkungen bieten reiche Ausbeute, und ver-
dienen alle Aufmerksamkeit.
S. 62. zu Phil. I. p. 42. steht eine gelehrte Bemerkung
tiber die Verse, welche sich bei Demosthenes hüuiig linden.
Auch der Schol. ad Hermog. p. 386. extr. Laur. macht darauf
aufmerksam, hinzusetzend : sie Seyen aber nicht metrisch ge-
sprochen worden; und führt aus Olynth. I. p. 10. an:
&jAov yag iirrt ~o7; 'OkvvSioi; , ort ^ j
Longin (Fragm. 1^1. §. 4) bestätigt dasselbe, behauptend:
sie seyen von dem in gespannter Aufmerksamkeit gehaltenen
Zuhörer nicht bemerkt worden; und führt unter andern eine
von seinen Herausgebern nicht nachgewiesene , aber aus Olynth.
III. p. 29. entnommene Stelle an :
iroAAcuv ii \oywv koi Bofvßcu yty\io^vov ica? J/x7v.
In grofser Menge sind Verse aus den griechischen und aus den
lateinischen Piosaikern, auch aus dem Neuen Testamente,
gesammelt in Fabr. Bibl. latin. T. II. pag. 389. sqq;. ed. Ern.
und den daselbst citirten Schriften.
Schöne kritische und grammatikalische Bemerkungen ent-
hält der Commentar; z. B. zu p, 10. 1. 9. wird Valckenaer's
Aenderung T<u yag shat mit entscheidenden Gründen verworfen.
Zu Olynth, I. p, 12. 1. 4* wird gegen Hoogeveen und Pinzg< r
176 Demosthenes Reden*
tcv ToAe/xov aüf den Amphipoli tan Ischen Krieg belogen , wie
auch Weiske de byperbole I. p. 38. aus mehreren Stellen der
Redner, welche aber nicht alle beweisende Kraft haben , ge-
zeigt hat4 Ueber tat kutwSsv i. q. to. xarw wird auf Loheck ad
Phrynich. p. 128. verwiesen.
Am bedeutendsten sind die Sacherklärungen. Zu Olynth^
I. p. 13. 1. 1. werden Cersobleptes, Berisades (nicht Beresia-
des, wie in einem neueren Commentar steht) und Amadocus
entschieden Brüder genannt, da doch des Amadocus Sohn,
der auch Amadocus hicfs , zu Philippus geflohen war. Der
Vater Amadocus war vielleicht schon ermordet. S. (aufser den
von Hrn. B. Citirten) Diodor. Sic. JL». XVI. c, 34» Demostb,
Aristocr. p. 623. sq. Harpocr. u. Suid. s. vv. Kctu;» K«^<ro/3AfcV-
r/i;. Theopomp. ap. Harpocr, s.v. 'Aj^aSoKo;, und Barbeyrac
Histoire des Traitez T. I. Art. CCXL.II. p. 213. sqq. Die
Bemerkung über die Treulosigkeit der Thessalier zu Olynth.
I, pag. 15. 1. 15. ist, obgleich in drei Zeilen zusammenge-
drängt, auch für den, der mehr wissen will, durch die voll*
ständigen und doch ausgewählten Nach Weisungen vollkommen
hinreichend. Die Bemerkung darüber, wohin Demosthenes
Gesandte wolle geschickt haben, ist zu p. 16. L 7. ganz rieh*
tig , aber die Citate sind unrichtig, wie dies noch einigemal
der Fall ist. S. 112. n. 8. steht Ulpian. p. 268. B. Vol. V. ed.
Hier. Wolfii, was wir weder in dessen gangbarer Ausgabe
v. 1604» noch in der letzten v. 1642 fanden; soll es vielleicht
heifsen : p. 26. B. Vol. V. Wolf'. i642? Dann pafst aber die
Stelle nicht ganz. So wird Longinus noch nach Morus, Fa-
Lricii Bibl. gr. ohne Angabe der Ausgabe citirr. S. 195. über
die veränderte Gesinnung der Athener gegen die Thebaner
steht Wolf ad Leptin. p. 228. statt der von Wolf daselbst an-
feführten Stelle Demosth. Cor. p. 29 1. 1. 4 t wozu noch Pluf*
elop. c. 6. T. II. p. 336. sq. R. und Diodor. L. XIV. c. 6,
hätte kommen können.
Wir m (ilsten aus den Sachbemerkungen vieles, was noch
in keinem Commentar zu Demosthenes stand, und doch sehr
noth wendig zur Erklärung desselben ist, rühmend anführen;
es wird aber Hrn. Becker und dem Leser lieber seyn , wenn
wir einiges, welches vermifst wurde, nachzutragen versuchen,
worin wir bei der zweiten Olynthischen anfangen wollen,
da alles Obige aus Phil. I. und Olynth. I. genommen ist*
(Der Besehlufs folgt»)
N. 12. ' 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Demosthenes Reden.
(Btf schlujs, )
•
Vermissen wird mancher, dafs der literarische Zusam-
menhang des Demosthenes mit seinen Vorgängern und seinen
Nachahmern, wodurch doch die Leetüre einen eigenen Reiz
erhält, nirgends nachgewiesen wurde. Auch mit sieb selbst
hätte Demosthenes an manchen Stellen verglichen werden
können.
Gleich im Proömium der zweiten Olynthischen spricht
Demosthenes vom Wohlwollen der Götter f was er so gerne
thut. S. in derselben Rede p. 24- und Phil. I, p. 53. Damit
vergl. Cicero Catil. III. c, 8 u, 9. S. 22. Wenn eine Ver-
bindung geschlossen wird aus Wohlwollen]
Diese Sentenz ist vielfach von andern Schriftstellern benutzt
-worden. S. Wyttenb. za Julian, p. 47. C. p. 74- Lips. VergL
Cic. de Off. L.II. c. 6. scr<j. Ebend. Ein Un gerechtet
und ein Meineidiger kann keine dauerhafte
Macht besitzen] Mit dieser Sentenz konnte Demosthe-
nes Coron. p. 303. und Euripides als offenbarer Vorgänger
verglichen werden; dafs aber Euripides hier Vorgänger war,
wird man schon an den zufälligen Ausdrücken, wie dvfytfaf
u. s. w., sehen , in der Electra V. 948. Auch Psalm XVIII.
v. 43. (vulg.) würde nicht ohne Interesse damit zusammenge-
stellt. Die Vergleichung von dem festen Grund eines Hauses
iommt im Alterthum oft vor. S>. Reiske und Schäfer zu die-
ser Stelle pag. 21. und Walaens zu Matth, c. VII. v. 34- —
Ebend. Worte ohne Thaten sind eitel] Vergl. Tbu-
eydides, den Lieblingsschriftsteller unseres Redners, L. II.
41. Ta h'fya — Tt9avwT8§ä twv \£ymv bei Xenophon, der wie
Demosthenes Piaton zum Lehrer hatte, Cyrip. L. VI. c. 4.
$. 3. (§. 5. Sehn.) (Cicer.) Declam. in Sallust. c. 4- — Ebend.
Dafs Demosthenes bei aller Kürze Synonyma lieht, bemerkt
Bremi zu Hauchenstein Phil, p. 4i. 1. Eben so Thucydides,
XIX. Jahr-. 2. Heft, *3
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178 Demosthenes Reden.
bis auf dieselben Ausdrücke. Demostbenes sagt p, 21 ' toXA>)
d Tim.
cydides sagte L.II. c. 48 : Tccaur^ psTaßoXij ; £5 to pera-
üTvicat er. VI. c. 20. Daher der nachahmende Julian Or. in
S 9 a
Const. pag. 20. C. ara^ra \xsraßaXovt a vial fjar a<rra vra. —
S. 25. scheint sich Demostbenes zu widersprechen, denn hier
sagt er: *oAu -yip faov tx0VTU; tyvkdrruv vj HrJeafBai , ^ und Ol. I.
Man
muls aber zu jener Stelle tg7> eu^oet ergänzen, wie der Zu-
sammenhang zeigt, und wie man noch deutlicher aus Xeno-
phon sieht Cyrip. L. VII. c. 5. §. 26. Cf. Sallustius, welcher
in seinen Reden den Demosthenes in ganzen Stücken über-
setzt, Catil. c. 51* S. 23. läfst sich ^AAcu* nur aus der Plato-
nischen Philoscphie erklÜren, das Hr. B. durch ferner, Ja-
kobs durch daher übersetzt. Demosthenes sagt: Philippus
mag in seinem vertrauten Umgange keinen Kriegserfabrnen,
und keinen Besonnenen: «,* Ii T/; «rJitycuv >j tUcuo; aXXwg, t>|w
*oS* fixfyav dngcuri'av reu ßio» — ov hvajxsvo; (ßf*f«rv. Hierin liegt:
■wenn jemand aus irgend einem andern Grunde als aus Beson-
nenheit rechtschaffen ist u. s. w. Denn nach Plato- ist der
wahre Grund der Rechtschaffenheit die Besonnenheit : de Legg.
Ii« HI. pag. 696. C. T. VIII. Bip. To ye 5/xa/sv ou (pvtrai •/ufk
roZ <rco 0 vs?v. Dafs aber clXXa; diese Bedeutung hat, aus
sonst irgend einem andern (als dem wahren) Grunde , lehrten
uns Valcken. zu Herod. L. IV. c. 77. p. 3l6. und Rubnk. zu
Tim. p. 198. sq. ibiq. citt.
Die Uebereinstimmung des Demosthenes mit Thucydides
in manchen Stellen ist oft so grofs, dafs sich Verwechselungen
finden : Olynth. II. pag. 23. extr. schreibt der Rhetor Seneca
(Declam. XXIV. ibiq. Schott.) dem Thucydides zu. Cf. Sal-
lust. Orat. Lepidi circa fin. Fragm. Hist. L. I.
Zu diesen Bemerkungen fast nur bei Einer Seite wollen
wir doch noch die nächste sich darbietende Vergleichung aus
Plato selbst fügen :
Demosth. Ol. p. 24. rS oXov Plat. Legg. L.IV. p.709. b.
v] rvyyi iru^d wan** i<rt) tu twv av" r\>ya^ ^vai c"Xa3cv u^avra rat av-
j&ftuTtuV *payfxara* B^mxtva icgayjxara*
"Vergl. Nicostratus ap. Athen. L. XV. p. 693. a. Stob. Ecl.
L.I. c.8. p. 2 12. sqq. Heer. Lennep, ad Phalar. Ep. p. 182. sq.
Interprr. ad Cic. Off. L. IL c. 6. §• 19. Muret. ad Cic. Catil.
I. c. 6. p. 621. sqq. ed. Graev.
Wir schliefsen diese Anzeige mit. aufrichtigem Dank für
die wahre Bereicherung , welche uns Hr. B. mit diesem Werke
gemacht bat.
Demosthenes Reden. 179
Bei den folgenden Bearbeitungen kann Ree. aicb kürzer
fassen.
2) Demosthenes ed. Mounteney. 13; Aufl.
Diese Ausgabe von Mounteney scheint, nach der Zahl
ihrer Auflagen zu schliefsen, die gangbarste zu seyn. Reiske
bat sie nicht gebraucht. S. dessen Prafef. ad DemoSth. §. 1 1 .
p. XXXX1X. p. XL VI. Scbaef., obgleich Mounteney Hand«
schritten benutzt hat (Praef. p. IX.). Desto mehr ist diese
Ausgabe von andern Herausgebern einzelner Reden gebraucht;
denn sie ist in der Tbat sehr beiruem und verstandig einge-
richtet. Unter dem Text, welcher die erste Philippische und
die drei Olynthiscben Reden in chronologischer Ordnung nach
Dionysius von Halicarnafs, in Capitel abgetheilt, und dia
JttoS^s/; des Libanius, nach der Wolfischen Recension, giebt,
stehen die Scholien (des Ulpian) in gespaltenen Cölumnen ziem-
lich vollständig. Hinter dem Text und den Scholien , von
S. HJ. an, kommen die Noten zu beiden; sie bestehen gröfs-
tentheils aus den lateinisch übersetzten Anmerkungen des sel-
ten gewordenen Tourreil, aus den Wolfischen Noten , auch
denen , welche Reiske und neuerlich auch Schäfer mit Unrecht
weggelassen haben, und aus eigenen jetzt zum Theil veralte-
ten Bemerkungen. Alle sind bequem geordnet. Nach den*
Commentar kommt die lateinische Uebersetzung von Libanius1
^tco^&ti; und von Tourreils Einleitung vor der hie und da ver-
änderten Wölfischen Uebersetzung jeder der vier Reden. An-
gehängt ist ein mechanisch verfertigtes, aber sehr vollständi-
ges VVortverzeichnifs, und ein Schlechter von einer abgenutz-
ten Kupferplatte genommener Abdruck einer Charte von Grie-
chenland. Desto schöner ist Druck und Papier des Buches.
Was aber diese Ausgabe Schätzbar macht, sind die vor-
ausgeschickten Observationes in Commentarios vulgo Ulpia-
neos , von J. C. d.i. von Johannes Chapraan. S. Praefati
p. IX. scr. und Harles, ad Fabric. Bibl. gr. Vol. II. p. 828; Set.
und in der Introd. Hist. ling, gr. T. II. 1. p. 235.
3) DeraostheneS ed. Toepffer.
Diese, ihrer Bestimmung wohl entsprechende Äusgaoe*
ist weiter nichts als ein schöner Abdruck eines Tauchnitzi-
acben Abdruckes, mit wenigen Varianten aus Auger's* Aus-
gabe (Vol.I. 4.) und mit Noten auS Tourreil i zuweilen aul
Auger's Uebersetzung^ welcher aber auch auS Tourreil ent-
lehnt hat (z. B. jf. 205. «a\)i und einigen deS Hrn. Herausge*
bers folgender Art:
H*
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180 Demosthenes Reden.
■
S. 249» y>naitxy>, sous-entendez q*<u;9 et rapportee ^osX*
Slvra. a icfiyixara, aussi sous-entendu.« S. 207 ou , depuis
que, sous -entendez ^o'vou. S. 197. Tau™, pour Ta avra, , les
memes choses. Zuweilen wird auf Matthiä's Grammatik ver-
wiesen ; oder Barthe'lemy Anacharsis beniitzt; manchmal auch
eine Parallelstelle aus einem lateinischen Classiker beigesetzt;
meist aber nur die schwierigere Stelle in's Lateinische und in's
Französische übersetzt.
Diese Noten zu den auf dem Titel angegebenen Reden
sind von» verschiedenen verfafst, nämlich : von Hrn. Prof. L.
Vaucher zu Olynth. I. II, und de pace; von Hrn. Prof. J.
Humbert zu Olynth. III. und Phil. I.; von Hm Prof. R.
T Öp ff er zu Phil. II. III. IV. und de Cherson.
Die Einleitung, hinter welcher noch eine kleine chrono-
logische Tafel nach Dionysius Hai. steht, ist ein Auszug aus
Auger's erstem Bande zu dessen Uebersetzung, aus welchem
auch der kürzere geographische Anhang genommen zu seyrt
scheint, denn andere Nachweisungen wird der Leser bei
einem solchen nur für die französische Schuljugend berechne-
ten Buche billig nicht erwarten. Angehängt sind noch die Ab-
weichungen dieses Abdruckes von J. Bekker's Ausgabe der
Philippicae, mit der grofsen Bekkerschen Ausgabe ist er nicht
verglichen worden. Die gröfseren Ausgaben , meint Hr. Töpf-
fer , gehörten nur in die Bibliotheken der Gelehrten, und die
der einzelnen Reden, welche gewöhnlich auf Schulen gelesen
würden , seyen ohne Commentar , und darum nicht zu brauchen.
Die in der Vorrede versprochene geographische Charte fehlt.
4) Demosthenes von J. Planche»
So bändereich diese Ausgabe ist, so kurz können wir
sie anzeigen; denn sie giebt nicht einmal so viel Eigenes,
als die von Hrn. Töpffer. Ref. cbarakterisirt sie wohl am
besten, wenn er sagt : es ist eine neue Ausgabe von Auger's
Uebersetzung des Demosthenes und Aeschines ; samt dessen
Einleitungen, und kleinen Noten, welche aber weit unbeque-
mer als in den bisherigen Ausgaben, wo sie gleich unter der
Uebersetzung am gehörigen Orte standen, hinter jede Rede
fedruckt sind; nur ist der griechische Text, aber ohne allen
ritischen Werth , der Uebersetzung gegenüber gedruckt.
Weggelassen ist Auger's erster Band, welcher eine allgemeine
Einleitung enthält, und aus dem letzten die Tables des ma-
tieres. Zugegeben ist dagegen dreimal eine zweite Ueber-
setzung | welche der Auger'schen angehängt wird; nämlich
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Canaler Burkard. Eine Jubelfes tschti f t v o u Dr. Dans. 1 8 1
von La Harpe de Cheraon. und vom Hrn. Herausgeber Phi-
lipp. III. und IV. Das Kupfer ist ein schöner Stich nach der
bekannten Antike, worüber Winkelmann T.II. S. 275. ed.
Meyer.
So eben erhalten wir noch den fünften Band der von Hrn.
Schäfer besorgten Ausgabe des Detnosthenes , London 1825,
welcher die notas variorum bequem geordnet und uiit höchst
schätzbaren Zusätzen versehen hat.
Franz Burkard aus Weimar , churf. u. herzogl. Sächsischer Canz+
ler zur Zeit der Reformation. Von Dr. J. Tr. Lehr.
Danz 9 Grofsherzogl. Sächs. Geh. Consistor. Ruthe und ordentl.
Prof. der Theologie zu Jena. Weimar , bei Hof mann. 1825.
XII und 000 S. in 8. 16 Gr.
Zudem so herzlich und durch bleibend wohlthätige Anstalten
tef eierten Jubelfest eines Regenten, dessen Huld und
ocbgehildetem Biedersinn auch Ree. in den kräftigsten Jahren
seines Lebens die ermunterndste Freiheit und Unterstützung
für forschende Selbstbildung und unverkümmerte Gedankenmit-
tbeilungen von 1789 bis iüoZ zu danken hatte, und so lange
er denken kann, danken wird, hat sich der Vf. in der merk-
würdigen Lehensgeschichte eines für die Sächsischen Häuser
in der schweren Zeit der Kircbenrelormation wichtig gewor-
denen Staatsmanns ein interessantes Thema gewählt. Ree.
nimmt an diesem Weimarischen Gauzier, welcher von prag-
matisch-philologischen Studien zur grunderforschenden Juris-
prudenz (nicht zu einer blofsen Gesetzanwendungs - Kunde}
unter Melanchthons Leitung übergegangen war, um so inni-
ger Antheil9 weil derselbe, auch Fürsorger für die damals
neue, hoffentlich nie veralternde , Universität Jena geworden,
ihn lebhaft an einen ähnlich verdienstvollen Mann, an den
verstorbenen Geheimen Rath von Voigt erinnert, welcher
ebenfalls durch Geschmack an verständig bildender Philologie
vorbereitet, das Studium des Rechten über der Rechtskunde
nicht vergessen hatte , und dann, ausgefunden von dem tref-
fend wählenden Scharfblick des Fürsten , von Stufe zu Stufe
zum vertrauten Rathgeber und unermüdeten, vielumfassenden
Geschäftleiter erhoben wurde, wo er ebenfalls, nicht blos aus
Staatsraison , sondern zugleich aus Liebe zu freisinniger,
geistig mächtiger Wissenschaft, immerhin als sorgsamer Be-
latber der so glücklich gelegenen , so vielfach wirksamen Uni-
• I
182 Canzler Burk ard. Eine Jubelfes ttchrift Ton Dr. Dan*.
versität, ja als sachkundiger Freund aller ihrer tbätigen Leh-
rer sich erprobte, und daher auch in meinem Dankgefühl un.
yergefsbar fortlebt.
Franz Burkard, geb. d. 3. Jül. 1504» war ein Jahr
jünger als Churfürst, Johann Friedrich, der Grofsmüthige,
dessen Staatsdiener er wurde. Achtzehnjährig hatte er schon
zu den Universitätsstudien in das damals so vollthätige Wit-
teberg neben den classischen Sprachen auch Uebung im Fran-
zösischen und Englischen mitgebracht. Wie B. als Melanch-
thons Haus- Tisch - und Studiengenosse durch die von unsern
Vorurtheilen f reieren Classiker, durch diese lebenskundige Men-
schen- und Staatskenner , Weg von jener am Rechte mecha-
nisch künstelnden Juristerei, über welche Luther und Me-
lancbthon oft so bedenklich jammern, zur ächten Kenntnifs
der aus nothwendigen Pflichteinsichten folgenden Rechte und
zu einem weltbürgerlichen Ueberblick der Staatskunst gelangt
war, sehen wir zunächst aus dem Briefe, in welchem der
sanfte, kluge, nicht blos Stubengelehrte Melanchthon ihn,
der so eben in die Staatsgeschäfte gerufen war, auf die rühm-
lich begonnene gelehrte Laufbahn zurückzublicken veran-
lafste. DerJuriste, Burkard, war seit 1532. Professor der
griechischen Sprache gewesen, und erklärte wiederholt den
Hesiodus , den Aratus u. s. w. vor Zuhörern, wie der Dichter
Job. Stigel war; als nach dem Tode Johanns des Beständigen,
Johann Friedrich in Person sich die Universität Witteberg
huldigen liefs, und in ihm, dem damaligen designirten Rector,
einen Mann kennen lernte, der — auch aufser dem Katheder
Brauchbar wäre. Als ihn nun 1535. dieser Fürst zum Amts-
gehülfen des Canzlers Kluge nach Weimar rief, er aber das,
was er leisten konnte, seiner Melanchthonischen Geistesbil-
dung schuldig zu seyn nicht vergafs, antwortete der rechtsin-
jiige Schwabe ihm zum Theil in folgenden Sätzen : „Dafs Du
einigen Werth auf meine mündliche Mittheilungen über wichtige
Angelegenheiten des Staats, der Wissenschaft und überhaupt
aller Lebensverhältnisse legst, das gewährt mir, wie ich
nicht bergen will, ein ganz besonderes Vergnügen. Denn
so gewifs das Vertrauen, das ich Dir dadurch erwies, ein
Zeichen meiner grofsen und wahren Liebe zu Dir war; eben
so gewifs bin ich {iberzeugt, dafs Du aus diesen Unterredun-
gen, welche Dir mein ganzes inneres Leben unverhüllt vor
Augen legten , weit mehr ächte Gelehrsamkeit gewonnen hast,
als aus den Bücherschätzen der Rechtsgelehi len. Ich kann
dies ohne Anmafsung sagen, weil ich mein Wissen nicht den
Büchern allein * sondern durch Menschenbeobachtung auch
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Canslei B u r k a r d. Eine Jubelfwtstshiift von Dr. Dan* 183
dem Leben verdanke, welches mich au den wichtigsten Ver*
handlangen der Zeit, in Verkehr mit den geistreichsten, und
in Streit mit den ränkevollsten Menschen unserer Tage geführt
hat . . . Wie oft habe ich mir die Ereignisse der alten Welt
mit den Begebenheiten der Gegenwart verglichen, entweder
um mir den rnuthmafslicben Ausgang derselben klar zu machen
oder Mittel dafür aufzufinden . . . Oft, wie Du Dich wohl
erinnerst, habe ich die Zukunft richtig vorher verkündigt.
Und ich darf hoffen, dafs Du durch solche Mittbeilungen für
allerlei Angelegenheiten des Lebens eine Vorbereitung erhal«,
teu hast, nicht nur als richtige Ansicht von der Re-
ligion, von Künsten und Wissenschaften, sondern
auch von der Form und dem Gebäude des Staa-
tes , welche Haltung man in wichtigen Angelegenheiten haben
solle, und was Männer von Herz und Ehre niemals
aus ihrem Gesichtspunct verlieren dürfen« . . , .
So und noch mehr der bekanntlich so bescheidene Melanch-
thon , der zwar seinem Freunde (S. 20.) bemerklich machte,
dafs er einem Herrn, welcher eigenwillig, argwöhnisch, in»
Tadeln unsanft, Geschäfte wie Gewitterwolken ungern heran-
ziehen sehe, zu dienen haben werde; der aber auch, was
seinem Herzen gewifs sehr wobl that, hinzufügte: dennoch
sey Johann Friedrich von grofser und edler Gemüthsart,
und offenbar am ganzen Hofe der beste und menschenliebend-
ste Mann [ Unter den übrigen habe B. Neider und Nachsteller
zu besorgen, so nöthig es auch wäre, dafs, wenn sie in die
heilig genannte Berathung gehen, alle jenes Wort des Diome-
des bedachten: Wo zwei einträchtig zu einem Geschäfte
gehen, sieht dus Paar immer mehr, als der Einzelne. . . ,
Hauptsächlich die Kirche verlange, als ein kränkelnder Kör*
per, sanfte Mittel ; alle heftige seyen ihr verderblich u. s. w.
Schon als bald darauf B. mit seinem Churrttrsten von der
endlich heraus negoziirten Belehnung aus Frag zurückkam,
stund der von der Gräcität in die Diplomatik Übergegangene in
dem Ruf, welchen Stigel, als Dichter, so ausdrückte;
Et Tu, Qur* Ducum , Franciscei et »ratio. Regum^
CUl ßuit eloquii dulcis ab ore sonus.
Wie der überhaupt sehr hochgehaltene Canzler, Georg
Brück (Pontanus) für den besten teutschen Staatsredner galt,
so biefs BL „der feinste Orator in Latein, als man seiner Zeit
in Germanien haben möge, ff Offenbar aber mufste , nach
dieser Charakteristik, B. sich schon als den redlich einneh-
menden Mann bewiesen haben, wie ihn, nach vielen andern
Vrohen» seine Leichenrede (S.76, 77,} schildert, Die fein«;
i&4 Gaoiltr B urk ard. Eine Jubel festschrift von Dr. Danr.
Antwort , welche bald nachher auf einem Convent zu Smalkal-
den B. dem französischen Gesandten, Wilb. du Bellai, zu ge-
hen hatte, wird, als bisher ungedruckt, S. 93 — 98.
bekannt gemacht.
(Schade, denkt Ree. hier beiläufig, dafs eine solche
lateinische Sprache in diesen Dingen der Französischen weichen
rouiste. B. sprach hier wahrhaft urban, und doch unumwun-
dener , runder und klarer, als es in der Sprache gewöhnlich
geschieht, welcher schon deswegen das parteilosere, univer-
sellere, fixirtere Latein vorgezogen hätte bleiben mögen,
weil es mit der Nationalehre der übrigen Staaten nicht zu
barmoniren scheint, " wenn sie die Sprache eines einzelnen
Reichs über sich dominirend werden lassen; weil ferner einer
solchen Partien lär - Sprache Gebrauch im Unterbandeln dem,
dessen Muttersprache sie ist, immer einigen Vortheil über
die, welche sie erlernen , geben mufs; und endlich weil für
die Unterhandlungen selbst es oft nicht vortheilhaft seyn kann,
wenn sie in einer Sprache geführt werden, die der auflauernde
Laquai oder irgend eine Intriguantin ebenfalls verstehen. Die
Erfahrung scheint zu sagen, dafs seit eben der Zeit, wo die
französische Sprache in der Diplomatik ein so grofses Ueber-
gewicht erhalten hat, die übrigen Nationen meistentheils ge-
gen Frankreich im Nachtheil waren» Das Uebergewicht der
Sprache kann allerdings nicht Hauptursache dieser französischen
Präpotenz gewesen seyn. Aber zum wenigsten ist sie ein
Zeichen , ein bedenkliches Zeichen davon , und ein mitwirken«
des Mittel. Man erinnere sich an das Göthesche Xenion!)
Zu bemerken ist, wie selbst diese Smalkadische Ver-
bandlungen , während die protestantischen Fürsten von papi-
stischer Gewalt und List gedrängt waren, in dem mitgetheil-
ten Actenstück beweisen, wie gewifs der lebhaft ergriffene
Protestantismus derselben sie dennoch nichts revolutionäres,
jnchts reichsverfassungswidriges sich erlauben zu wollen ver-
anlafste. Frankreich hatte ihnen (gegen den nach Alleinherr-
schaft strebenden K# Carl V. und seine Dynastie), unter der
Gestalt e^ines Concordienstifters, mächtige Unterstützung an-
geboten. Vergl. Sleidanus II, 57. Offenbar hätten sie um
*o eher in ihrer gerechten Opposition trotzig werden können.
Ihre Antwort aber durch B. war (S. 97 ), se nemini opitula-
turos esse, quam suae (Regia Franciae) Majestati in iu rebus,
quae non -pertiaent ad invictusiraum Jmperatorem ae romanum Imperium.
Denn ihnen sey es, wie sie in Conventibus Augustanis das
BekenntnÜs abgelegt , um Abstellung der gotteswidrigen Mei-
nungen, (imjnae Qjiinjqnes) \i\ der ß-eligion zu thun, quas
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Caniler Burkard. Eine Jubelfes tschrift vqn Dr. Dani. J85
tarnen indocti et mali mordicus tenent, propter avaritiam et
ambitionem. Der König möchte sich also durch die Verfol-
gungssucht dieser Unwissenden, „(jui sine discrimine in bo-
nos et inalos saeviunt , . acerbissimis odiis Student pios recte
sentientes opprimere, circumventos falsis crirninibus et variis
artificiis regum animos incendunt« . . nicht bewegen lassen,
die zu verderben, welche veteres abusus recte reprebendunt.
Nur iu diesem Sinn bestund die protestantische Antwort (S. 95.)
auf der libertas Principum et Potentatura ( Potestatuni ? oder Po-
tentatuum?) Germaniae, ipsorum sanguine parta. Nicht auf
sie, sondern auf die Gegner falle die Schuld der discordia.
Debebant enim credere verbo Dei. Deinde etiain posset re-
stitui concordia . • , sed ambitio et avaritia tum Pontificum
tum aliorum hactenus prohibnit , quo minus j>ia et libera Synodus
(aufser Italien) haberi potuerit.
Auch von Heinrich VIII. aus Englaud waren Gesandte zu
Smalkalden gewesen, welche unter der Bedingung von Reli-
gionseinheit (man verwechselte gar zu lange .Religion mit
den ererbten kirchlichen und kirchenväterlichen Auslegungen ! )
auf Verbündung mit den Evangelischen hinzielten. Dies und
die Vermählung der Anna von Cleve veranlafste B. mehrmals,
und noch kurz vor seinem Tode, zu Gesandtschaftsreisen zu
dem sonderbaren Kön. Kirchenreforrnator , der den Melanch-
thonischen Geschäftsmann, wie den Melanchthon selbst, in
manchem, z.B. in Aufhebung des priesterlichen' Cölibats , bei
sich gelten liefs. Im Ganzen war es aber doch , wieMykonius
Historia Heformationis gerade heraussagt, meist nur darum
zu tbun, „König Heintzen Pabst seyn zu lassen, von dem
sich offenbarte, dafs es nur utn's geistige Einkommen für seine
Collectio Augmentatorum zu thun war« S. io3.
Mit wie mancherlei Sorgen für Staats- und Kirchenfrei-
heit sich der protestantische Staatsmann , während die Will-
kührmacht des Kaisers und die Verluste der Hierarchie einen
Kriegsausbruch immer unvermeidlicher machten, auf Reichs-
tagen , Conventen, Religionsgesprächen, Gonciliumsvorberei-
tungen u. s. w. umtreiben lassen mufste , empfehlen wir in
der Schrift selbst nachzulesen. S. 104 — 106. giebt eine un-
gedruckte Relation Burkards an Canzler Brück dd. 14« Jan-
1541. Ein anderes Schreiben von Cruciger (S. 109.) »agt sehr
aufrichtig: Caesaris voluntatcm apparet esse optimam , "t # . fiat
emendatio omnium abusuum, Sed . • de doctriua non satis in-
«tructus est. Melanchthon und Amsdorf wurden bei ihm ver-
läumderisch denunciirt. (Die Nachwelt kennt sie besser. Die
Dermueiaaten sind mit der Tagsgeschichte dahingegangen l )
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186 Caniler B u r k a r a. Eine Jubelfestschrift von Dr. Dam.
Jede Zusammenkunft vertagte sieb auf eine nächstfolgende,
und das Sprüchwort entstand : Germani Semper conveniunt
et nun quam conveniunt.
Anziehender für die spätere Folgezeit und unvergeßlicher
ist, was B. aus dem unmittelbaren Fürstenrath noch eilfJabre
lang für die Wittebergische Universität und deren sittliche
Gestaltung (S. 35.)» nachher aber 1548. (S. 68.) für das so
schwierige Hervorgehen der Universität Jena aus dem dortigen
Gymnasium gewirkt hat. Auf den Geist gepfropfte Pflanzun-
gen tragen unverwelkliche Früchte, auch des Nachruhms, der
von fast allen andern Bestrebungen nach dem kurzen Glänze
der Gegenwart so leicht vergänglich ist. Canzler Brück selbst
Wurde jetzt noch (S. 69.) -Lehrer. Burkard blieb am Hofe
Und besetzte die Universität mit Melanchthonianern , unter
denen Victorin Strigel sein Tochtermann wurde. Den kläg-
lichen Meinungseifer der Flacianer gegen die gemäfsigteste
dieser exegetisch -praktischen Schule mufste er noch erleben.
Nach der Rückkehr von einer englischen Gesandtschaftsreise
durch welche er die Vermählung Herzog Johann Wilhelms
mit der Königin Elisabeth einleiten sollte, starb der vielver-
suchte Mann den 15- Jan. 1560. Aus seines Tochtermanns,
Matth. Wes enbeck* s Fapinianus p. 150 sqq\ wird eine ge-
schichtliche, beider Männer würdige Parentation nachgewie-
sen , und durch Auszüge erneuert. Auch sein Brustbild (eine
hedachsame, sorglich umsichtige Physiognomie) ist hier, der
Würdigen Jubelfestschrift, beigefügt.
Möchte doch Hr. 'Dr. Danz recht vieles auserlesene und
minder bekannte aus den an Keformationsurkunden reichen
Archiven zu Weimar und Gotha , deren Liberalität Er rühmt,
an den Tag bringen. Europa's Erhebung zur ordnenden
Selbstständigkeit im Regierungswesen datirt sich ja doch für
Regenten und Regierte von der grofsen Geistesepoche des
sechszehnten Jahrhunderts. Erst seitdem sind aus der Menge von
Ländern, die im Römerthum und daher auch noch im Mittel-
alter nur wie Provinzen waren, Staaten und Reiche geworden,
die, nachdem sie der weltlichen Universalmonarchie entwachsen
sind, innerhalb welcher allein die geistliche sich über alles aus-
dehnen konnte, nun unfehlbar auch der vollen Unabhängigkeit
von dem Ueberrest der geistlichen Uni versalmonarchie entgegen
reifen, da offenbar in keinem souverainen Staate zwei Sou ve-
raine (neben dem rechtmässigen einheimischen auch noch ein
fremdartiger) in die Länge anerkennbar bleiben können,
H. E. G. Paulus.
*
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Des Fürsten von N*** Worte aus dem Buche der Bucher. 1Ö7
Worte aus dem Bucha der Bücher, oder über Weh' und
Menschenleben , niedergeschrieben vom Fürsten oon1 N***9
heraus g* von D r. Aug, Wilh. Tappe , Professor, Ritter des
Set. Annen^ Ordens, mehr. gel. Oese lisch. JVlitgl* Dresden , iei
Arnold. 1824. 216 6\ m 8. 1 Thlr.
Der Vornehme, welcher diese Maximen mit Empfindung
gedacht und nach ihnen gehandelt hat, ist gewifs ein äufserst
achtungswerther Mann. Unfehlbar hat Er auch dadurch so
viel innere Selbstbeseeligung sich erworben, als in dem Ge-
misch von Bösem und Gutem auf dieser Erdenwelt erreichbar
ist. Seine Sprüche erfüllen oft, was S. 48. „Die Bitte des
Verfassers« wünscht. Das Buch der Bücher ist ihm we-
der allein das Biblische , noch allein das Nichtbiblische. Al-
les, was der einzelne Mensehengeist aus dei Betrachtung seiner
selbst und der ihm möglichen äufsern und innern Erfahrungen
als möglich, wirklich und nöthig, als das, was ist, was seyri
kann und was seyn soll, in seinem Nachdenken erfassen kann,
ist ihm sein Buch der Bücher, sein lebendiger und lebensthä-
tiger Unterricht. Wir heben aus dem vielen schätzbaren,
was die Religi o n betrifft , einige Stellen aus : „Die Re-
ligion und ihre Formen. Religion und Kirchenthum
vermengen, heilst: Wesen und Sache mit Form und Zeichen
verwechseln. Reines Gold und reine Liebe, ohne Zusatz,
bleiben immer was sie sind, und wenn auch ihre äufsereForm
in unendlicher Gestalt erschiene. Mit Religion und Kirchen-
thum verhält es sich eben so. — Die reine Tucendlehre des
göttlichen Stifters unserer Religion ist allgemein - menschlich,
und deshalb ewig; sie erwärmt und belebt alle edlen Pflanzen
im Reiche der Geister, und erregt in ihnen Wachsthum und
fröhliches Gedeihen, Pfleget sie also, diese herrliche Gottes-
lehre, mit Einsicht und mit treuer Liebe ! Schafft Gutes,
wie sie es gebietet, im weitesten Sinne des Worts, und die
Wahre Religion wird euch erfreuen; und ein belebendes und
himmlisches Licht wird euch leuchten bis in eine höhere Ord-
nung der Dinge ! m — „DerSectengeist. Was ist eine
Secte? Gewöhnlich ist es eine Anzahl Betrügender und Be-
trogener, artgeführt und geplündert von Unredlichen oder Be-
sessenen. Mit Recht hat also jeder Mensch von Kopf und
Herz einen innigen Widerwillen gegen allen Sectengeist." —
„Die Gestirne des Lebens. Denken und Arbeiten; und
dann; Muth , Geduld [Ausdauer*)] und Vertrauen auf
*) Die deutschen Worte : Geduld und De muth, als biblische
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*
188 Des Fürsten von N*** Worte aus dem Buche der Bücher.
Gott . . . das sind die leuchtenden Gestirne in der dunklen
Nacbt des Erdlebens, die unsern Pfad erhellen zum wahren
Leben im Osten der Ewigkeit.« — „Die Gotte serkennt-
nifs. Erwirb Dir Gotteserkenntnisse durch höhere An-
s chau ung D e i n e s G e i s tes.ce So ist es. Wer kann Gott
denken, wenn er nicht sich seihst als Geist, als denkend und
wollendes Selbstbewufstseyn zu betrachten gewohnt ist. Die
meisten Religionen und Religionstbeorien halten sich die Gott-
heit nur vor als Intelligenz und als Macht, das intelligirte zu
verwirklichen. Deswegen sind die meisten Religionen nur
Verstandessache. Nur wenn der Geist auch das Wollensollen
bedenkt, und dann die Uebereinstimmung des Wollens mit
dem Sollen als die höchste Vollkommenheit erkennt, kommt
er durch höhere Anschauung dessen, was er selbst seyn sollte,
zum vollen Ideal der Gottheit, als heiliger, wollend vollkom-
mener Geistigkeit.
Zu dem ersten Satz von Religion und Kirchen«
thum erlaubt sich Ree. eine Bemerkung. Kirchenthum ist
allerdings die äufsere Form und Gestalt, unter welcher die
Religiosität einer Gesellschaft erscheint. So lange die Form
der Materie Gelegenheit giebt, kräftig in die Erscheinung,
in das Leben überzugehen, ist sie gut. Aber bei solcher Mi-
schung des Aeufsern mit dem Innern kann leicht auch der un-
reinen Beimischung (Legirung) so viel seyn, dafs das reine
Gold gar schwer zu finden, noch weniger zu benutzen wäre.
Gar nicht gleichgültig ist's deswegen, unter welcher
Form und Bezeichnung uns das Wesen der Religion vorgehal-
ten wird. Lessings drei Ringe haben viel Mifsverstand
veranlafst. Sie setzen voraus, die Fassung sev bei den dreien
{
" <
Aufgaben häufig 'wiederholt, veranlassen viele Mifs Verständnisse.
Soll man denn also alles nur dulden, nur den Muth uod die
Schätzung dessen , was man in Wahrheit ist, niederdrucken?
Ist das 33 Zuwen'g cc nicht eben so ungerecht, als das Zuviel? Maa
begeht nur einen MifsgrifF in den Worten. Aber die Worte Ver-
kehren dann auch leicht die Sache« 'TVo/xtvfifv, Cvofxovyj ist ein
Bleiben, Beharren, Ausdauern, auch während man unter
einem Uebel ist. TaveivotypQffvv*] ist im biblischen Sprachgebrauch
nicht Niedrigkeit der Gesinnung (Niederträchtigkeit), sondern Ge-
sinnung, Achtung auch für das Niedere, also gerechte Schätzung
auch dessen | was sich nicht selbst erhebt. P,
■
/*
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Cicero de Republica ed. Lehner- 189
so gleich gewesen , dafs man sie nicht unterscheiden konnte.
In der Wirklichkeit ist's nicht also. Nicht allzu schwer wird
es, hei jedem Kircbenthum zu sagen: dieses hindert mehr,
jenes fördert besser das Wesentliche der Religiosi-
tät — die Erweckung des Willens zur thätigen Gesinnung ,
dafs Gott nur durch Wahrhaftigkeit des Geistes (welches die
Rechtschaffenheit ist) zu verehren sey (Job. 4, 23. Matth. 6,
33.)* Wer sich nicht selbst täuschen will, oder nicht zum
Nichtdenken darüber frühe gewöhnt ist, empfindet tief, dafs
kein äufseres Geberdenmachen , sondern allein "die Entschlos-
senheit, immer das Rechte zu wollen, dem Geiste Wahrheit
ist. Welches Kircbenthum nicht immer dahin treibt, darin
vielmehr weich und nachgiebig ist , das hat der Legirung zu viel.
■
H. E. G. Paulus.
M. Tullii Ciceronis de Re Publica quae supersunt.
Varietatem lectionis ex editione -prima sumptam subjecit , notulas
Maji aliorumque selectas nec non (?) suas cum Inäice nominum
propriorum addidit , emendare aliquot loca tentavit J o. Frid,
Carolus Lehner , Gymn. Reg. Monac, Professor. Accedunt
variae lectiones in Somnium Scipionis nondnm vulgatae. Solis-
baci, apud J. G. de Seidel. MDCGCXXIV. XII und 164 S.
gr. 8. 36 kr.
Eine sehr brauchbare und dabei sehr wohlfeile Ausgabe !
Hr. L, auch durch seine Ausgabe des sechsten Buches des Po-
lybius vortheilhaft und rühmlich bekannt, so wie früher durch
seine von uns in diesen Jahrbüchern angezeigte Philologica Cura
(Monach. l82l. 4«) 9 fand sich eben durch das sechste Buch des
Polybius und die Aehnlichkeit der darin vorkommenden Aeus-
serungen mit denen des Scipio in diesem Ciceronischen Werke,
die von A. IYlajus manchmal übersehen worden sind, veran-
lafst, diesen Fragmenten des Cicero eine gröfsere Aufmerk-
samkeit zu widmen, und sie endlich herauszugeben, ungeach-
tet er dazu eben nur wenig Mufse hatte. Was er nun dabei
gethan und thun wollte, sehen unsere Leser am besten aus
folgendem Stücke aus der Vorrede, welche sie zugleich als
eine Probe der Schreibart des Hrn. L. hinnehmen mögen :
Mutata igitur Ortho graphia , suhjecta varietate lectionis , capitumque
summariis conflatis* notulas passim addidit quibuspartimsen-
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190 Cicero de Republiea ed. Lehner.
sum explioarem sive aliorum sbe meis cerbls , partim eoo atiis vel Cico*
ronis vel aliorum scriptis quae apta essent , ajferrem , partim emen-
dandi rationem proponerem, Quae tarnen notae , cum non instituti mei
fuissent, quamquam non temere j actus , quasi irrepsisse put es velim.
Jllud enim conse c u turus fu i , ut editio haecce et minoris quam
princeps ematur, neque talis sitt quae nihil nisi integrum editionis
principis contextum exhibeat, quaque nulla magis esse incommoda
mihi videatur [qua — videtur wollte er Wohl schreiben? Doch
der Leser stöfst wohl noch öfter an diesem Bruchstücke der
Vorrede an], Talern enim cui aptam esse censeas ? Philologi nimi-
rum quaerent, quid codicis sitf quid Mali. In eo namque peccaoit
Malus, quod sua iis quae codicis sunt , passim intirmiscuit. Tirones
vero , nec non cos , qui res potissimum curant , oportet exspectare , do-
nec multorum opera in his fragmentis consumpta minus mendoso uti
contextu liceat.
Die Einrichtung der Ausgabe ist nun folgende. Jedes
* Kapitel hat eine Ueberschrift mit Inhaltsangabe, wo seltsa-
mer Weise bei jedem Kapitel die Kapitelzahl zweimal steht,
nämlich vor der Inhaltsangabe und nach derselben; am innern
Rande ist das Kapitel in Paragraphen abgetheilt, am äuTsem
stehen die Seitenzahlen des Manuscripts aus der Mai'schen
Ausgabe. Unter dem Texte ganz kurze Noten , welche zum
Theil v die verschiedene Schreibung der Handschrift, zum
Theil die Sprache, zum Theil die Sache betreffen. Benutzt
hat er, aulser der Ed. Princ. selbst, die Creuzersche Recen-
tion des Werkes in diesen Jahrbüchern 1823. No. 4 und 5,
und eine in der Jenaischen Litera^urzeitung. Der Text ist
hierund da verbessert, und die Interpunction häufig berich-
tigt, auch ist nicht Alles, was A. M. aus dem Augustinus
u. A. zwischen den Text aufgenommen hat, von Hrn. Li. auf-
genommen worden, z. B. 1. 25. am Schlüsse, wo er sagt:
equidem purgandum Ciceronis contextum non sine causa censui. So la-
konisch sind gewöhnlich seine Bemerkungen. Ueber die Ver-
dächtigung des Somn. Scip. durch einen gewissen Hyperkriti-
ker, wo nicht Afterkritiker oder Kritikaster in Seebode'*
kritischer Bibliothek sagt er kein Wort, es wäre aber auch in
dieser Ausgabe nicht an seiner Stelle gewesen. Eine aus-
führliche Widerlegung verdient jenes Geschreibe selbst in
einer gröfseren kritischen Ausgabe nicht, sondern nur eine
kurze Abfertigung. Nach jenen dort befolgten Grundsätzen
getrauen wir uns dem Cicero z. B. einen grofsen Theil det
Werkes de Natura Deorum, ja manchem lebenden Schrift-
steller sein von ihm selbst herausgegebenes Werk, als mit
*
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CUsero de RepubUca ed. Lehoer. 191
seinen übrigen nicht ganz bannonirend , als unScht und ihm
untergeschoben zu erweisen. Doch zurück zu unserer Aus-
gabe , aus der wir noch einige Stellen ausheben und mit un«
sern Bemerkungen begleiten wollen, da sie sehr beachtet und
berücksichtigt zu werden verdient, und Studirenden beson-
ders auch schon ihres wohlfeilen Preises wegen zu empfehlen
i«t. L. I. 2. §. 6. Quae est enim istorum oratio tarn exquisita.
Das ist die allein richtige Lesart des Codex von der zweiten
Hand, die A. M. in den \dd. selbst billigt, ungeachtet im
Text das schlechte quae etenim istorum etc. steht. Hr. L. sagt
von dem letztern: quae lectio etsi postponenda, nihil vitii habet,
Conf. Liv. XXI. 39. Otium etenim ex lahore , copia ex inopia
.... corpora varie movebant. Wenn Hr. L. weiter nicht»
wollte, als beweisen, dafs etenim an der zweiten Stelle stehen
könne, so konnte er die Beweise näher haben, und brauchte
nicht bis zum Livius zu gehen, Cicero Or. pro Coelio III.
sagt: sunt etenim ista maledicta pervulgata in omnes. Aber er
zeige uns einmal einen solchen Fragesatz, wie das quae etenim
etc. wäre, und zwar nicht etwa bei Cicero, sondern, wenn
er einen rindet, auch aus einem späteren Schriftsteller. 1. 38.
p. 99* ed. princ. et illud oidere st9 in animis hominum regale si
imperium sit. Hier haben Einige wohl allzu begierig einen
Beleg zu finden geglaubt, dafs auch Cicero est videre$ nach
dem Griechischen *Vt<v <3«7v, wie Gellius, gesagt habe. Aber
A. M. giebt selbst an , dafs die Handschrift habe videst in am-
mt>f welches er in den Add. mit Recht in vide si verwandeln,
■und dann das spätere si wegstreichen beifst, wie auch Hein-
rich und Schütz gethan haben, und in dem schönen Heidel-
- lierger Abdrucke (bei Groos 1823. 12.), der allen andern
Aloisen Textesabdrücken vorzuziehen ist, nicht vergessen
Wurde. Hr. L. schreibt et illud vide, in animis — regale si iro-
perium sit, I. 4*« hat der Codex : pectora diu tenet desi»
deriuntf sicut ait Ennius , post optimi regis obitum , simul int er
etc. Im Text giebt A. M, die Worte sicut — obitum vor
pectora; und diese Wortstellung behält Hr. L. im Texte, po-
lemisirt aber gegen den Gelehrten, der dem Hrn. A. M. dies
zu thun gerathen hat.. Lieber hätte er die Wortstellung der
Handschrift geradezu herstellen sollen, wie A. M. in den
Verbesserungen S. 336. ausdrücklich thun beifst, was Hr. L.
Übersehen hat. II. 11. ist eine kleine Verwirrung. A. JYI.
giebt: set a vita hominum abhorrentem et a moribus, sagt aber
in der kritischen Note, der Codex habe von der ersten Hand
amajoribusf von der zweiten moribus ohne ' Träposicion.
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192
Cic. de Republica ed. Lehner.
Hr. L. aber^ giebt an , der Codex habe von der ersten Hand
wie die Edi princ. a moribus. Dies ist falsch. Aber recht
ist, dafs er, wie Heinrich, das a wegläfst. Ilf. 28. hat
Hr. L. anzugeben vergessen, dafs die Stelle Cujus etiam focum
etc. aus dem Nonius Marcellus v. apud ist. V. 5. giebt A.M.
larum Jamiliarum nach der Handschrift, sagt aber in der kriti-
schen Note nisi mavis familiarium. Das letztere nimmt Hr. L.,
wie billig, auf, sagt aber in einer Parenthese in der Note
dazu, oppos. deorum9 welcher Parenthese Sinn schwer ab-
zusehen ist. V. 7. sagt er, das Fragment aus Nonius voc.
contemtus habe er in der Ernestischen Ausgabe nicht gefun-
den. Allein es steht in den Fragmenten des ersten Buches
pag. 1149. ed. min. VI. 12. Die berühmte Stelle im Somrt.
Scip. , WO die alten Codd. haben et parum rebus , audite cetera $
die neueren et pax sit rebus , audite cetera haben, giebt Hr. L.
mit A. M. nach Bouhier: et parumper audite cetera. Einfach ist
diese Emendation, und giebt einen leichten Sinn, immer
Jjesser, als wenn man nach parum rebus eine Aposiopese statuirt,
supplirend animum advertite ; besser auch, als das, so vielfach
empfohlene pax sit rebus, wo erstlich das sit rebus anstöfst und
nur mit Mühe nach dem Beschwichtigungsrufe pax erklärt
„ werden kann; zweitens aber das pax selbst nach der Bitte:
quaeso, ne me ex somno cxcitetis, seltsam auffällt, und man eher
erwarten sollte: leniter ärridens Scipio , Pax, inqait, ne me e
somno excitetis. Was Cicero geschrieben hat, möchte schwer
auszumitteln seyn. Schwerlich bat Heinrich das Wahre
getroffen, wenn er schreibt et rumpatis visum; das Beste
aber hat er gewifs. ,
Wir brechen hier unsere Bemerkungen ab, und setzen
nur noch hinzu, dafs wir mehrere recht gute Anmerkungen
und Vorschläge, mit denen wir übereinstimmen, übergangen
haben, um unsere Anzeige dieser sehr empfehlungswerthen
Ausgabe nicht zu sehr auszudehnen.
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«• 13. 1826,
ß
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
1) Memoire sur la vie et hs opinions de Laom Ts e n , Philosophe
Chinois du VI* siecla avant notre ere , oui a professe les opinions
communement attribue'cs k Pythagore , a Piaton et a leurs disci-
plesy par M. Abel Rem-üsat. A Paris , de V imprimerie
Royale. 1825. 54 S. in 4,
2) Le livre des recompenses et des peines* traduit da Chinois , aveo
des notes et des e'claircissemens , par iW, Abel Remusat ,
Docteur en medecine de la Faeulte de Paris , de V Jcademie ilo-
yale des Inscriptions et Beiles Lettres , Lecteur Royal et Pro/es-
seur de Chinois et de Tartare Mandschou au College Royal de
France. A Paris , che* Antoino Auguste Renouard* 1816.
79 S. in 8.
Wir hoffen, dafs keinem der Leser dieser Anzeige der
Name des berühmten Verfassers dieser Abhandlungen unbe-
kannt seyn wird. Er gehört, ohne dafs darüber ein Zweifel
obwalten könnte, nicht blos zu den gelehrtesten Orientalisten
unserer Zeit, Sondern auch zu den geistreichsten Geschichts*
forschem seines Vaterlandes. Da es ihm, wie jedem ächten
Gelehrten, immer Um die Sache, nie um das blos Zufällige,
was herumliegt, zu thun ist, so weifs er den anscheinend
trockenen uncl weniger ergiebigen Gegenständen den Geist zu
geben, der in ihm selbst ist, und dessen die Sache am Ende
nie ermangelt, wenn man ihn nur in ihr zu findeh Weifs.
Wenn wir aus der Masse der Schriften, durch welche der
berühmte Verfasser eine Zierde der Akademie ist, zu der er
gehört, die obigen Zwei vorläufig herausheben, so geschieht
es der eigenen besseren Vertrautheit mit dem Gegenstande
halber, nicht, weil sie etwa anderen, denen gleiches Lob zu-
kommt, den Vorrang streitig machen,
I. Der Verfasser sagt im Eingänge, dafs so häufig zwi-
schen Gedanken, die im Oriente vorKommen, Und solchen,
die sich der Occideht als ihm gehörig vindicirt, eine Ueber»
einstimmung gefunden Werde , die nicht dem hlöfsen Zufall,
XIX. Jahrg. 2. Heft* " 13
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194 Ab«l RemuÄat über einige chinesische Werke*
•
dieser schlechtesten firklarungsWeiSe , zuzuschreiben sey*
Findet sich solches vor, so mufs die Sufsere Kritik zunächst
daran gehen, und Ursprung« Alter und Atituen ticität unter-
suchen. Es ist den Missionarien in Indien und China oft be-
gegnet, dafs ein aufseres Zusammentreffen mit Satzungen
christlicher Dogmatik, oder europäischer Philosophie, ohne
dafs die gewaltige Kluft des Unterschiedes festgehalten wurde,
zu gewagten Voraussetzungen führte* Diese Missionarien
haben sich, wenn von der chinesischen Gedankenwelt die
Hede war, zu sehr an die Schriften des Confucius und seiner
Schüler gehalten, und so kam es, dafs der Philosoph, von
dem hier die Rede ist, weniger bekannt geworden. Li-eul
öder gewöhnlicher Lao-tseu lebte im Anfang des sechsten
Jahrhunderts vor der christlichen Aera, und wird noch heute
als Erzvater und Reformator der Secte Tao-sse angesehen, zu
welcher Alle gehören, die weder als Gelehrte art Confucius
noch sonst an die ans Hindostan stammende Religion des
Buddha sich anschliefsen* Laö-tseu ist nicht blos ein von
Confucius seihst zu Rathe gezogener Philosoph, er ist eine
der Manifestationen der höchsten Vernunft, welche dieTao-sse
göttlich Verehren. Dieser doppelte Character uragiebt Sein
Leben mit einigem Dunkel, indem die Gelehrten ihm ein blos
gewöhnliches Schicksal, mit nicht herauszuhebenden Particu-
laritaten verleihen, die eigene Secte dagegen von ihm in wun-
derbarer Weise spricht* Dafs seine Existenz historisch un-
bezweifelt ist, bezeugt, aufser seinen Verhältnissen zu Con-
fucius, der Sse-ki des Sse-ma-tsian, der der Herodot
Cbina'a geworden* Nach diesem Wurde Laö-tseu gegen
das Ende des siebenten Jahrhunderts vor Christi Geburt ge-
boren, und zwar im Flecken Li , einem Orte dritter Classe.
Sein Familienname war Li, sein persönlicher Name Eul,
sein Ehrenname Pe-yang, und Sein Titel nach dem Tode
Tan. Am Hofe der Tcheou bekleidete er das Amt eines
Historlographen. Confucius befragte ihn um Ceremönien,
jenem Lebensprincip der Chinesen, und Lao-tseu scheint
ihm Strafreden wegen seiner übertriebenen Anhänglichkeit an
das Alte gehalten zu haben. Er beschäftigte sich viel mit
«einem Werke Über die Vernunft Und Tugend , und suchte
sich so viel als möglich Verborgen zu halten* Doch emigrirte
er aus den Staaten der Tcheou, und pttbUcirte zwei Theile
seines Werkes in mehr als achttausend Worten, worauf er
gänzlich verschwand. Dies sind die einzig historischen
Nachrichten über ihn. Des Fabelhaften giebt es dagegen
mehr« Seina Mutter soll 1ha ein und achtzig Jahrs in ihrem
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Abel Rcmusat über einige chinesische Werlte, 195
Schoo fse getragen haben * weswegen erLao-tscu, da* greise
Kind, genannt wird. Nach anderem soll er, der hier Thai -
cha n g-Lao ,ki un, oder der altfcSehr erhabene Fürst , heifst*
viele Menschwerdungen erfahren haben". Er existirte, heilst
es , von Anfang an , war aber noch nicht durch den Weg der
Geburten gegangen; es ist kein Jahrhundert* in dem er sich
nicht gezeigt hat, und zeigen wird. £Jacb derselben Tradi-
tion wird er zuletzt* nachdem er die Barbaren bekehrt hat,
Buddha* und es ist sehr wahrscheinlich* dafs die Tao-ssc,
die indische Vorstellungen aufnahmen, sie nicht besser zu den
ihrigen machen konnten, als indem sie den Buddha in eine
der Iucarnationen ihres Lad- tseu verwandelten. Vielleicht,
sind auch jedesmal "* wenn seine Lehre In China neu auflebte
und Schwung erhielt, die Häupter der Secte als er selbst an-
gesehen worden 4 so dafs er am Eiide mit dem ganzen Reich-
thum setner Nachfolger ängethan erschien.
Von dem Bache des Lad- tseu über Vernunft und Tugend
sind zwei Ausgaben auf der Königlichen Bibliothek zu Paris :
die erste ist von 1627< in zwei Bünden * mit den Noten und
dem Commentar des Kao - chou - tseu von Sou-men; die an-
dere Ausgabe ist in der Sammlung der Tseu* das heifst der
Philosophen, die vor det grofsen Bücherverbrennung lebten.
Aufserdem enthält das 2lite Buch der Bibliothek des Ma-
tuan-liri eihe genaue Notiz über neunzehn Ansgaben dieses
Baches* das zu den fcings oder classischen Grundbüchern ge-
hört (es heilst Tao-te-kin g). Es ist nicht ausgemacht*
al»er wahrscheinlich t dafs der Tao-te-king dem Schicksal
Verbrannt zu werden entging, indem Kaiser Cbi-hrang-ti
seihst zu den Tao - sse gehörte. Das Wort Tao, das in dem
Suche eine so wichtige Holle spielt, heifst ein Weg, einVer-
Lindungsmittel ^; abgeleitet daher < Wortj Vernunft, Kopf,
Anfang. Die Secte Tao -sse gebraucht das Wort aber im
Sinne der Ürvernunft, welche die Welt geschaffen hät und sie
zusammenhält. Daher der Name Tad-sse* Secte des Tao.
XJeber die verschiedenartige Bedeutung des Tao sagt Lao-tSeit
im Eingange seines Baches: „Die ursprüngliche Vernunft
kann der Vernunft unterworfen seyrt, und durch Worte aus-
gedrückt werden * al»er sie bleibt eine übernatürliche Ver-
nunft.. Man kann ihr einen Namen geben \ aber er ist unaus-
sprechbar. Ohne Namen ist sie das rrincip des Himmels und
der Erde* mit einem Namen ist sie die Mutter des Univer*
sums. Man mufs leidenschaftslös seyn* um ihre Vortrefflich«
keit anzuschauen*, mit Leidenschaften behaftet , würde man
«ur ihre,* Weniger vollkommenen Zustand ^trachten.- Herr
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■
196 Abel kemusat uter einige chinesische Werke.
r « . • ' .... . . t\ ' • •
Hemusat glaubt , dafs diese Uebersetzung nicht ganz zurei-
chend sey, er fügt deswegen eine lateinische Version Li nzti ,
indem er. meint , die, griechische sey vielleicht die einzige
Sprache, rr die. für; <^v Uebersetzurig genögen könne.' Tao
entspreche nämlich ganz dem griechischen Acyo;, dem des
PJaton oder des Johannes, so wie dem aller anderen griechi-
schen Philosophen. Dafs der Tao zugleich einen Namen habe
und keinen , linde sic.b auch in der Philosophie der Platorii.
jker^ jp vpr oder nach. Erschaffung des Universums in den
heulen Demiurgen vor4, uud lasse sich mit den beiden W elten
vergleichen, welche die. Philosophie der Barbaren nach Cle-
. mens von Alexandria (Stroinata 1. V. ed. Potter. p. 702. 703.)
anerkannte. Die ^Leidenschaftslosigkeit, welche man nach
Pythagoras haben mufste, um die Harmonie des Universums
zu geniefsen , treffe auch mit der leidenschaftslosen Betrach-
tung, des Tao zusammen. Eine andere Stelle des Tao-king
ist nach dem Verfasser ganz mit Platonischen Vorstellungen
jiibereinstimmend. Es ist folgende : „Vor der» Chaos, das
„der Geburt des.Himmels und der Erde voranging, war ein
M einziges unendliches und verschwiegenes Wesen, unbeweg-
lich und immer bändelnd, ohne sich zu verändern. Man
'„tann.es als die Mutter des Universums betrachten; ich weifs
Mclen Namen nicht, aber ich bezeichne es durch den Namen
Vernunft. Genöthigt ihm einen Namen zu geben, nenne ich
es Gröfse, Progression, Entfernung, Gegen-
satz. Es giebt in der Welt vier Gröfsen : die Vernunft,
„der Himmel, die Erde, der König. Der Mensch hat sein
„Muster an der Erde, die Erde am Himmel, der Himmel an
„der Vernunft, die Vernunft in sich selbst.« Herr Remusat
gesteht, dafs die Hinzufügung des Königs eine originell chi-
nesische sey, was sich auch vielleicht noch von Anderem sagön
läfst. Der Satz des Tao-king : „Die Vernunft: hat eins her-
vorgebracht, eins zwei, zwei drei, und drei alle Dinge««,
läfst sich allerdings auf die Lehre des Pythagoras zurflekmt-
.ren. Die Zahlenlehre ist bei Lao-tseu eine einfache Symbo-
lik gewesen, die erst späterhin in unendliche Suhtilitäten
Umgestaltet worden ist.
9>
tseu
Eine andere Vergleich ung bietet folgende Stelle des I»ao-
dar: „Der, welchen ihr anschaut , ' /'aber "nichr/^ehet,
heifst I, der, den ihr höret, aber nicht verstehet, heifst W >
J, t*^* . ^ ^ • *■ * Wirst
nddie
im uriiii'ic um um mihi.- u' ii j\finu3ciL öiicnt mu uem ih01
ganz eigentbümlicben Scharfsinn zu zeigen , dafs der tri gram-
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Abel R*Wfft eWg. cbiu?,I«,h, Wprke. 197
mflti.cb» Name I-U-.wei da, in «o yje]«n Verwandlungen
wiederkommende jüdische sey.
die Jjerr nemusat am unae aurwirtt. , Uic tteise aes A-iao-tseu
fa.lljt 'später aj[s dje Vollendung seines Werks; aber sollte sie
nicht dennpcb' ein Beweis seyn. dafs Lao-tseu gerade seine
Meinungen ,aus den westlichen Gerennen hatte, und dafs er
spater nur diese Heise unternahm^ um ihre, (Quelle weiter zu
verfolgen (ß, 48.). " Auch diese Keisen, auch die Verwand«
lungen, von dene*n ,d,ie oecte der Tao-sse spricht, geben ihm
e|ne. Äehnlicbieitmtt fytbagoras , dessen Zeitgenosse er ohne«
hin nach all'gerneinpr, Annahme war, ' "fiier k.önpte man t'reU
lieh den bescheidenen Einwurf machen', dafs das5, was die
Philosophie überhaupt unterscheidet, nur die Form derselben
ist, dafs man also im Grunde nicht dasselbe in zweien Thilo*
Sophien aefunclenjiat. wenn man einen anscheinend gleichen,
Inhalt sieht. Dieser Inhalt : wird durch seine Form selbst ein
anderer; man braucht liier wohl nur an die indische Trimurti
und an die christliche Dreieinigkeit zu erinnern. Doch jst es
ein grofses Verdienst, da« Gleiche in Verschiedenem auf»
zuweisen. %
., , IL Auch dieses Werk gehört der 3ecte der TTao-sse an,
"Voran ^eht eine Vorrede des Kaisers Chun-tcbi, die eigent«.
lieh für eine ganze. Sammlung von moralischen Büchern be-
&,tinimt ist^ welche'aber die 6ectirer diesem speciell vorsetz«
ten, und eine andere ■ des chinesischen Herausgebers. Die
Strafen unä.Belohnungen sind wie der Schatten, der dem Kör*
per folgt* uq4 daher £anz identisch mit ihm ist. Drei Diener
fühlen die Sunden .oben , auf<er denen , die im Kopfe des
Men sehen aefbst sind : ein grobe« Fehler kostet zwölf Lebens-
jahre, ein kleiner nur hundert Tage (S, 22.). Um ein Un-
sterblicher; «des äimmels zu seyn, mufs man dreitausend gute
Handlungen kegahgen habe*, um, ein Unsterblicher der Erde
zu seyn, nux dreihundert. Es gehört zu den Lastern, nach
Norden zu zu spucken, sich zu schneutzen, zu pissen, oder
ausschimpfen,, «Parin besteht vielleicht das Unterscheidende
der chinesischen Moral und jeder andern. Diejenigen, die
Moral und Religion stets für eins halten, die im Christenthum
nichts Höheres kennen als seine Moral , können aus diesem
Buche lernen, dafs die chinesische Moralitiit nicht sehr unter-
geordnet ist, und dafs daher der Vorzug des Christenthums
wohl in etwas, Anderem liegen mufs. Man kann behaupten,
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|98 EichhofF Disputationes HeraclHeae.
olrne paradox zu «eyri , die Moralit ut ist Überall dieselbe. In
Clnna ist alles moralisch,
Herrn Remusat gebührt das eminente Verdienst) dafs er
nicht , wie frühere Gelehrte , im Geheimnifs der chine-
sischen Sprache zu seyn vorgjebt , und daher auf die fast un-
mögliche Erlernung derselben gar bescheidenllich aufmerksam
macht, sondern dafs er in Schrift und Wort behauptet , dieses
Vorgeben sey Charlatanerie und Unwissenheit, und vielmehr
zeigt, wie viel leichter sich an diese Sprache und Literatur ,
als fast an alle anderen orientalischen herangehen lasse. Er
rettet dadurch die Würde des Gegenstandes, dem er sein Le-
ben mit grofser Hingebung gewidmet hat; denn was ein nur
Wenigen enthüllbares Geheimnifs ist, verliert den Character
des Wissenschaftlichen und des Wissenswerthen,
* . I ■ j •» f,»»i«i - » ■ i
t • • •« » . • . . \ «.»•—.
■ ' r.
«/' e r .1 :•» ••/#. U . .
Disputati onas Heracliteae, Particula prima , de doctrinqe lh~
racliteae principiis , qua ad solcmnia gymnasii Crucenacensis cele-
L ran da — invitat Theo d. Lud. Eickhoffs gymnasii volle ga,
Moguntiue, U(t. Kupferberg. 1824, 20 $. 4. maj, '
Mit Hinweisung auf Schleiermacher's geschätzte Unter-
suchungen über diesen Gegenstand (s. Wulf 's Museum der
Alterthums Wissenschaft Bd. 1.) erklärt der Vf. , er habe sich
nicht befreunden können mit der Ansicht; nach welcher der
Heraclitische Hauptgedanke von dem beständigen Fliefsen
oder der immerwährenden Bewegung der Dinge vornehmlich
durch die Anschauung der Natur, und aus den wahrgenom-
menen Veränderungen der Aufsenwelt »ich solle entwickelt
haben; und meint dagegen in den ontologischen Abstractionen
der Eleatiker den wahren Anknüpfungspunkt gefunden zu ba-
ten für die Beurtheilung der Lehre rleraclit*s? indem er das
allerschöpfende, die Verneinung oder das Gegenteil desSeyns
ausschliefsende, jede nähere Bestimmung seines Wesens als
eine Einschränkung *der Realität entfernende Eins des Xeno-
phanes als die negative Grundlage derselben betrachten wilL
Zur Verdeutlichung der Lehrsätze des Xenophanes fügt pr:
denselben einige dem Inhalte nach ihnen entsprechende Verse
des Schülers jenes Philosophen , des Farmenides , bei , weither
den BegrifF des Einen verlassend, unmittelbar, von dem Be-
griffe des Seyenden ausgeht, und bei welchem der trennende
Gegensatz des Seyns und Nichtseyns poch schärfer und be.
atimmter als bei jeneni hervortritt; bemerkt aber zugleich,
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Eickhoff DiipuUtioncs Beracliitae. %99
wie die Behauptungen des parmenides von Plato widerlegt
wurden seyen, Um dieses letztere genauer zu zeigen» hebt
Er die Stellen aus Flatp's Sophisten aus , wo in der l'armenu
deischen Einheit des Alls das Verhältnifs eines Ganzen zu
seinen Thailen nachgewiesen , und wo vermittelst einer Ana«
lyse des BegriiFs der Verschiedenheit gegen Parmenides darge»
than vvud , wie auqh dem Nichtseyeqden (njtmlich den nega*
tiven Eigenschaften der Dinge) ein Seyn zukomme 9 und dem
Seyenden ein (^ichtseyn (negative Bestimmungen); erinnert
sodann an die damit übereinstimmende Dialektik in dem Ge-
spräche Parmenides 9 und In Ist an die sich widersprechenden
Folgerungen, mit welchen dieses Gespräch nicht so wohl zu
Ende gebt, als abgebrochen ist, die Vermittlung und Aus-
gleichung des Widerspruchs sich anreihen durch die (von einem
weiter liegenden Standpunkte aus gefafste) Idee des Seyen»
den* in welcher sich alle Gegensätze durchdringen und eini-
gen. Iii em u , glaubt ljr. E., sey die Hicbtung der Specula-
tion angedeutet, durch welche sich aus jenem Einen und Seyn
der EJeatiker der demselben entgegengesetzte Begriff entwickelt
habe, so dafs aus diesem die vollendete Idee ufes Seynf , das
fvrws «Tva/ des PlatQ, habe hervorgehen können. (Aus diesem?
etwa dein Begiiife des JNichtseyns für sich gedacht? Der Sinn
ist Wohl vielmehr ; aus diesem» indem er mit jenem zusam-
mengefa fs % wurde { es müfste denn vermöge einer uuwillkubr-
liehen Subreption etwas von den Lehrsätzen der neuesten X'hi-
Josophie, wejehe das Absolute aus dein ^Nichts hervorgehen
Iiiist, hier eingeflossen seyn.) Ehen diese von l'lato wissen-
schaftlich erkaunte Wahrheit nun, «agt der V*rft wiederein»
lenkend von der das Spätere vorausnehmenden Digressiori
ftber die alhnählige Ausbildung und Vollendung der Ljehre von;
den in aie Einheit der höchsten Idee sich auflosenden Gegen«
Sätzen | — eben diese Wahrheit sey schon früher von dem
tiefsinnigen {leraclit aufgefaßt, und in einer concretep, oft
bildlichen Sprache angedeutet worden,
Pa der Verf. hier die Hauptaufgabe der Platonischen Pia»
Jektik» wenn auch nur im VorheigeTien t berühre» wollte, so
hätte £r nicht unterlassen sollen , das Verknüpf li ngsverhiiltnils
der Ideen des Seyns und des Nicbtseyns etwas schärfer zu be-
stimmen» die Beziehungen in ihnen kenntlich zu machen,
durch welche der Einigungspunkt für sie gegeben ist; was in
wenigen Worten hätte geschehen können» FlatQ unterschei-
det nJmJich in dem Sophisten t wq er gewisse Begriffe mit der
Idee de» Seyenden, der des Verschiedenen u, «. w* zusam-
menhält, überall sehr genau vqh dem wesentlich Ein» und dal«
>
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200 Eicblioff Disputatione* Heracliteae.
selbe seyn mit einer Idee das blofse Theilhaben (pnix*") an
einer Idee ; und weit entfernt, ein unbestimmtes Ineinander-
aufgehen der Gegensätze zu beabsichtigen , denkt er sich viel-
mehr die negative Seite der Dinge dadurch, dafs er auch sie
als real anerkennt, als von dem Urgründe alles Seyns abhän-
gig (als theilhabend an der Idee des Seyns), ohne Übrigens das
JDaseyn derselben, den ihr zukommenden Charakter der
Wirklichkeit mit ihr selbst oder ihrem Wesen zu
verwechseln. (Es liefse sich hiermit in Verbindung setzen,
was er über das ^ %v als blofse Verneinung des bestimmten
Seyns, und als das materielle Princfp scheint gelehrt zu ha-
ben ; 8. die Anzeige der neuesten Untersuchungen von Bran-
dis in diesen Jahrbüchern 1824. No. 53.).
Däfs Heraclit von den Lehrsätzen des Xenophanes
wohl Kenntnifs gehabt haben müsse, wird S.U. aus der Art,
wie er seiner erwähnt, gefolgert (s. das Fragm. bei Diogen.
Laerr. 1. IX. c. 1. woXv/Jw$nj vo'ov oC StSla^st. Dieses, setzt er
hinzu, bewähre sich an Pythagoras , Xenophanes u. a.). Die
Worte Pbilo's (cjuis rer. div. haer.), 2v yfy To dp$o?v tw'
^ja'jTiwvi ou t/z^ws;, yvwgtixa ra svavriai welehe nach dessen An-
gabe den Hauptsatz der Philosophie Heraclit's ausmachen sol-
len, werden sodann besonders herausgehoben, und mit der
Stelle awa-^stat ouXa k. r. X. (bei Stobäus, Ecl. phys. I. p. 690.
Heeren, und bei Aristoteles) zusammengehalten. Das Wort
ov\c$ wird von dem Vf. richtig und dem Zusammenhange ge-
ihäfs, mit Rücksicht auf Sext. Empir. adv. Mathem. IX, 337»
durch integer, totus erklärt, und die weniger passende, aus
dem Homerischen Gebrauche f#r oAp/j geschöpfte Auslegungs-
art beseitigt. Die von Schleiermacher ebendaselbst als eine
andere Heraclitische Stelle oder ein späterer Zusatz ausge-
schiedenen Worte: •* vavra>v *y *ai ivo; leavra betrachtet Hr.
E. als einen integrirenden Theil des Bruchstücks; allein Jsia
können nicht füglich von ewatysta; abhängen , und man sieht
leicht^ dafs sie durch die ihnen vorstehende Partikel na) als
ein zweites Allegat an die vorher angeführte sinnverwandte
Stelle blofs angeknüpft sind. Uebrigens weifs der Vf. die we-
nigen Zeugnisse und Fragmente geschickt zu verbinden , M
welchen von dem J»> die Rede ist , wiewohl die neuesten Aus-
leger derselben diesen Eleatisch - dialektischen , an spätere
Schulterminologie erinnernden Ausdruck nicht für den von
Heraclit selbst gebrauchten wollen gelten lassen, Amiängsten
verweilt Er bei der hieher gehörenden Stelle Piaton, Conviv.
j>, 187 1 wo Ery*im,acbus sagt; T$ fr yd^v^t (sc. 'H^hA««»')
. Digitized by Googfr
EichliofF Disputatioues Herucliiea« .
wo Kr das bezweifelte T3% ;v gegen ScbJeieruiacber und Ast in
Schutz nimmt. „Luce clariora« möchte Ref. diese Worte He*
raclit's auch nach dem Auslegungsversuch des Hrn. E. schon
deswegen nicht nennen, weil bei dem Bogen das intendi *t r«-
laxari oder der motus in contrarias partes wohl nur mit Noth ein
solches Verbältnils hervorbringt, welches man eine Harmonie
nennen möchte. Hr. E. übersetzt die Stelle durch: unum , a
so ipso dissidehs in. Concor diam redire ut harmoniam etc. Das Eins,'
so erklärt Er diesen Gedanken, das. Eins inufs sich erst mit?
sich selbst entzweien, nach entgegengesetzten Richtungen hin
(gleichsam) auseinandergehen , damit sodann dem Streite die
Versöhnung folgen, und Harmonie entstehen könne. Um
dem Einwurfe, daffl die Verbindung der Wörter Sv und *uf*<ltf-
q*79ou einen tautologischen Satz hervorbringe, zu begegnen-,
bezeichnet er das »y als das in dieser Theorie dem Eleatischen«
Einen am meisten entsprechende Eins (unum , quod Eleäticorum
dicas)9 welches von dem <rv/x$«£ o/xsvsv , dem aus der Versöhnung
des Entgegengesetzten entstandenen Einen , wohl zu unter-
scheiden sey. JDas 3v der Eleatiker an und für sich nennt Er
ein lebloses Abstractum (exanime), und berührt hier eine Aeus-
serung Heraclifs (Simplic. in Aristot. Fraedic. f. 104; in
welcher er den Gedanken ausgedrückt findet , dafs, wenn die-
ses— das '«',, wie es von den -Eleatikern gedacht ward *~
wirklich wäre (wenn die Zwietracht aufhörte , sagt Hera-
clit mit Beziehung, auf einen Homerischen Vers), AHös Bir
Grunde gehen würde. An die Stelle jenes ungenügenden Be-
griffs von dem Einen nun soll Heraclit den verwandten rich-
tigeren gesetzt haben , nach welchem es wesentlich eine Ein-
heit vonTheilen, mithin der Gegensatz in ihm schon gegeben
sey, aus welchem sich der Streit oder die Zwietracht ent-
wickeln könne. Der Verf. berührt hierauf noch einige Zeug-
nisse der Alten, die uns zum Theil erkennen oder errathen
lassen, in welchem Sinne Heraclit die Idee des Streits und
der aus ihm entspringenden Harmonie zum Grundgesetze der
Natur gemacht , und wie er auch in dem Menschen dasselbigö
Gesetz wiedergefunden habe. Doch die ausführlichere Erör-
terung der Lehre von der Harmonie der Natur wii*d' folgenden
Abhandlungen vorbehalten, wo denn freilich die hier vor-
erst nur zurückgeschobenen Zeugnisse, die der ganzen onto-
logisirenden Ansicht und Betrachtungsweise des Hrn. E. am
wenigsten günstig sind, Ihm zunächst wieder entgegentreten
werden. Dahin gehören vornehmlich die klaren und unzwei-
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m Eichhoff Disuütationes Heracüleae.
deutigen Stellen Platonischer Dialogen, welche uns das: $T/
wavTa ^tpfei xai ou'3tw se^et « die Idee des absoluten Werdens, &U
den Grundgedanken der Heracli tischen Philosophie betrachten
lehren. S. Cratyl. p. 402. (dafs es dem Vi. nicht leicht seyn
werde, mit dieser Stelle aus dem Streit zum Frieden zu kom-
men , läfst uns der jNothbehelf vermuthen , zu welchem die
8. 20. durch auszeichnende Oettern hervorgehobenen Worte :
v rf{ir«feuvwO^0{ 'XIhWv uf s. w. scheinen die I^and bieten zu
Böllen.) Ferner The<icut. p. 160, wo der Heraclitische Satz,
dal« Alks sich wie im Strome bewege, mit der Behauptung,
dai's die Erkenntnifs nichts anderes als Wahrnehmung sey,
zusammengestellt, und diese Behauptung als eine Folge des-
selben betrachtet wird. — Der Satz, dafs „AUes sey und
auch nicht sey« (Aristot. Metaph. III. c, 7. c£ c. 3f und 4.) ,
ist wohl eines von jenen r2thselbaften Sprüchlein, welche
die Schüler lleraclit's, wenn man sie etwas fragte, gleichkam
aus dem Köcher hervorzuziehen und abzuschiefsen pflegten
Si. Pitt. Theaet. pag. 180.), und läfst sich mit'der Lehre von
em nie stillstehenden Eutwicke]ungsprocesse der Natur, wo-
bei die verschiedenen Gestaltungen der Dinge doch sämmtlich
als von der ersten Grundgestalt nach und nach ausgegangen
und in stete erneuertem Kreisläufe wieder auf dieselbe zu-
rückführend vorgestellt werden , gans gut vereinigen, Hr. E,
aber scheint etwas weit Höheres die bejiebte Lehre von
der Indifferenz der Gegensätze , in dem Sinne, wie sie oben
von Ihm dem PJatQ geliehen wurde in diesen Worten aus-
gedrückt zu finden, weil sie Ihn zu dem Ausspruche veranlas-
sen, auch das Erhabenste sey dem natürlichen Scharfblicke
lleraclit's nicht unerreichbar gewesen, — Für die Erinnerung
an Sext. Empir. ado. Math», 1. A. pag. 669. Fabric. e$i*a /xtv oCv
V\ä^sv aTycw XZ0V0V Aiv*jer/$jj/uio$ h«t4 rlv. 'HfaxAwrov? //»j &<4>*£«v
yaL$ epirbv, (nicht au 1-3 u) toZ ovtq$ nat rou vpuToxj caijjiaTo;, ist lief,
dem V£ dankbar, kann aber die von Ihm beigefügte Erklü-
*ung; „Tempus nqn differre a prima et summa CQrporum for-
ma* nicht ganz treffend finden, wenn der Heraclitische Ge-
danke dadurch sublimirt , und ihm mehr als eine sehr entfernte
Verwandtschaft mit dem, was Neuere über die Idealität der
Zeit gedacht und erkannt haben , zugeschrieben werden soll.
Würde nicht die Auffassung der Zeit als Form der Körper
eine Sonderung der Begriffe voraussetzen , nach welcher die
Zeit zuyörderst als ein vom Körper selbst Verschiedenes, ei"
ärwparov, müfste gedacht seyn ? Und wie weit ist nicht von
der Vorstellung eine« Unteir jeriisben überhaupt noch entfernt,
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Francisen Harnspices. 20 3
wer die Qualitäten der Seele nach dem Grade ihres Antbeils
an dem trockenen Dunste bestimmt ! — Wenn bei Heraclit
die Zeit mit dem ersten Kflrper in Eine Vorstellung zusammen-
liefst, so bezieht; sich dieses wohl darauf, dals in seiner phy-
sischen Verwandlungstheorie das Vergehen und die Wieder-
erzeugung des Feuers die beiden iTurchgangspunkte sind,
nach welchen sich der ganze Cycius der Naturveränderungen
bestimmt) und die Dauer ihrer regelmässigen Stufenfolge sich
ahm i Ist und begr3nzt»
Der Unterzeichnete bat bei Gelegenheit der ihm aufgetra-
genen Anzeige dieser kleinen Schrift eine mit dem Zeitge-
schmacke und modernen Schuhneinungen in Berührung ste-
hende falsche Richtung der philosophischen Alterlhumsfoi"-
schung bestimmt charakterisiren zu müssen geglaubt, ist aher
nichtsdestoweniger überzeugt, dafs Hr. E. durch fortgesetzte
Bemühungen zur Aufhellung des dunkeln Ileraclit manches
wird beitragen können, wenn Er dabei von anderen Grund-
begriffen ausgehen, und durch eine allseitigere Auflassung
seines Gegenstandes das zu bethütigen suchen wird, was der
feine kritische Takt seines Vorgängers als die Gabe, „aus ab«
gerissenen Theilen sich das Bild eines Ganzen zusaramenzu* '
fetzen«, bezeichnet ba&
L f w ml d.
-
HttrnspUes. Scrlpsit Dr. Petrus Frandsen, Danas. Berolini,
' MDCCCXXUL In libraria Maureriamt. XU u. 59 S. 8. 8 Gr.
i « » « • m i j #
Hinter dem nicht sehr Lateinischen Titel dieser Schrift
folgt eine auch nicht sehr Lateinische, aber gute Abhandlung
über einen Gegenstand, 4en selbst die neuesten Herausgeber
des Cic de I^egg. für noch unentschieden erklärt haben. Die
Sache scheint durch die Bemühung des Hrn. Fr, der Entschei-
dung riüher gebracht, «ojlte auch nicht jede einzelne Erklärung
gebilligt werden können , Einiges auch zur völligen Erschöpfung
des Gegenstandes vermüst werden. — Die > Prohgo mena enthal-
ten querst eine Definition der Harusphina. : Sie sey, heifst es,
ini engern und ursprünglichen Sinne e aictimarum extis futura
cognosceridi ars , im weitern umfasse sie prodigiorum quoque etfuU
gürum interpretationein atquf procurationem* Was man sonst noch
dazu gerechnet habe, beruhe auf keinem sichern Grunde. Er,
4er V*i f W* 4« Y9r|i«n4eneo Lehrbüchern der Ro>
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204. Frandsen Haruspjces.
■
raiscb^ Alterthflmer oder in den Abhandlungen über sie nur
ungerichtete Materialien und Verwirrung gefunden, und sich
deswegen an die Quellen. ^tyrt g*m*cht ; eine nicht geringe,
Mühe, da kein kleinerer ^eitramfc ,ajs4, yon, Enni.ua >is auf,
Ibeodosius zu durchlaufen; gewesen sey. „ jm ersten Buche
handelt er nun de ortu etxc>ri*ineh«TusFieinag.9 im zweiten, quo-
modo ea Romao et quanda adhfbjt* sU.^, ..'»!*
^praus gehen Bemer*Mngen föef die AJigemeinbeit der"
Divination hei allen Völkern, eine unmittelbare Folge, cW All-
gemeinheit der W/g?pn*ju^ s^ an-
St ^4e^ fDann ^ .Verbreitung, fcr,
ganz kurz, Ein ausführliches Capae* darüber ;bat.£ e*ce*us,
AnTt ift • £7T£ - C5ervestae^^9lftl)p3,
4.7Ä ioll.) io . 203 bis 227, :Vorzü&Uch0:Ausbildun&
rvp«ina.in htrunen .woher sie au^ i*i den Römern ^ *Ä
^««aWma hiefs , a.usrdem Nati9na^r,ak|ter . dei , tfolfcf
seiner feudal Verfassung und seinen, ^schu^g aus .Örientaji-,
sc^em^ und Griecbischein Clement hergeleitet^, jedqch , mehr an-
gedeutet, als erklärt. Eigene Biidungstsqhu)en für dieSöhne:
der ^uWen Stände ^amit, die alte Cultur und die geheimen
Wissenschaften nicht untergehen, verglichen, mit den P*Q»be-
tenschulen der Juden, und den Druidenschulen der 'Gaffier.
< Ueber die letzteren sind die Quellen nachgewiesen in J. G.
Frickii Diss. de Druidis Occidentalium populorum Philosophis. 4.
Ulm. 173l.) — Tages, als von den Etruriern angegebener
Erfinder^ dieser Kunst und der. ?ücber,, in. denen s,> en^al^i
war. Die ,]ibn hamspicini9fu^Us.^ duales : wovon die
letzteren wahrscheinlich vorzüglich prodigiorum quoque interpre-
tandqrum procurandpturnque artem engten! Jwiben, - Jfrffphnt
werden aulserdem Etrurische übri fatales y Uhr* Tarqukißw* IM'
Mhtruniici, wenn der letztere Name nicht etwa Ammici
muls , von Muni. einem Etrurischen nomen. proprium s/ijüfr
Tarqußtißfti vpn Z+qu&us. Beides hat viel sich, ,u«4 Wf?
Wagen keine Entscheidung. Ueber den iNamea und dessen»
Schreibung, Arutpicet ?oder Haruspices'; für jeöea spreche ein .
alter. Scholiast (den Hr. Fr,- weiter, nicht angabt) „d«x den:N^»
inen von ara, Altar, herzuleiten scheint, ^ft,*r ib*^«™'^.
Ubersetze, pnopterea quod hostiam in am inspianent. , Diebes Qljiem
cbische Wort, sagt Hr. Fr., habe er nirgends und niemals
gelesen. Das Wort.steht freilich weder bei Schneider, upfib-
hei, seinen \ennehrern und Excer^toreoi^ ^a,Uer j^4em suk
Uw. Steph. Thctaw. Ling. Or. gehöreöde» Wvkp y ;Gf<w*ri*
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Fraadien IläTuspicci. 205
«
t ' » • • /
tJuo 6 situ vetuseatis erüta , ad utriusqae Lingua» eognhionem et locu-
"■pletatiönem perutilid. fbl. Paris. Anno 1573. excadebat Heitr, Steph,
^S. darüber Brunet Manuel du Libraire V. Stephanus , und Cu-
saubon. ad Theophrast. Charact. p. 48 ed. Needhum., wo sie
'nunqOam satis laudaius Uber genannt werden.] Da steht S. 23.
(falsch ist über der Columne 19.) Aruspicts, ßwfxs<TKoxot9 Arw
spexy ßaj[xo<Txoico;i Sutyq. S. J 06. * Hariolus , ßu.txoa-y.o-ro; , tyoißtTyi
(welches Schneider im Lexic. q>0//3>yT>/; gelesen wissen will.)
Ebend. aber: Haruspex^ Sur^, /i^ojtxsVo; ; endlich S. 322. steht
bei Haruspex cvXay-yvccy.oicoi, Vergl. auch Eschenbach. Diss.
acadd. p. 554. VVir wollen flbrigdns auf die Etymologie von
ara nicht dringen, sondern halten die Schreibung des Wortes
mit Jf für besser, und die Ableitung von foeffxo«v$ für sehr
wahrscheinlich. — So viel über den ersten Theil der Schrift,
welcher aufser der Einschränkung der hdruspicina in den ihr
-gehörigen Wirkungskreis weiter nichts Besonderes, Eigen-
tümliches oder Tiefgeschöpftes enthält. Jene Einschränkung
auf exta, fulgura und ostenta giebt Cicero selbst an die Hand
de Divin. II. 18. prc. II. 22. prc.
Es folgt der zweite, ausführlichere und bedeutendere
Theil der Schrift. Zuerst von der engen Verbindung des
politischen Lebens der Römer mit der Religion. Früher Ein-
gang , den Etrurische Cultur Und Sitten in Rom gefunden.
Das eollegium haruspicum des Romulus auf ein Zeugnifs bei
Dionysius von Halikarnafs hin anzunehmen, ist nicht räth-
]icb. Unter den Kaisern freilich existirte eins: aber die Ael-
teren und Neueren haben häufig die Zeiten vermischt. Eins
'ist man darüber , dafs die Haruspicina eine Etrurische Kunst
•ey, dafs sie in Etrurischen Büchern enthalten gewesen, und
'in gewissen Familien dort fortgepflanzt worden sey. Aber
ob die Etrurier allein, oder auch Römische Bürger
in Rom diese Kunst verstanden und geübt haben, das ist die
Hauptfrage und der Gegenstand des Streites. Das Letztere
galt Jange für ausgemacht, und wurde immer mit Stellen aus
Cicero, Valerius Maximus und Livius bewiesen; das Erstere
behauptet Hr. Fr. , und sucht von S. 17. an darzuthun :
Omnes haruspiees , dt quorum origine aliquid e/fiei potest , Etruscos
ftdsse. Wir treten «einem Resultat bei, ohne alle seine Be-
' weise zu billigen. Zuvörderst xnufs aber erwähnt werden,
dafs schon Görenz zum Cicero de Legg. II. 9. erklärt hat,
'dafs die genannte Stelle durchaus nur Etrurische Haruspiees
J mtnneXEtruriaeque prineipts disciplinam docento) , nicht aber von
llömersöhnen (ut mitere, setzt Hr. G. in «einem wunder-
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206 Fransen Harospices.
*
liehen Notenlatein hinzu | tnulti statuum) die Rede sey. Diese
unbewiesen hingeworfene Bemerkung machte dem Ilm. Fr.
Muth, den Beweis für einen Satz aufzusuchen, dessen Wahr-
heit er ahnete« dem jedoch klare Zeugnisse der Alten zu
widersprechen schienen. Dafs übrigens nur Etrurier, und
kein Komischer Bürger, Haruspices gewesen, diesen Satz
hat schon gegen Nieupoort der Sehr gründliche und nicht
genug bekannte Ha y mann in seinen Anmerkungen über
Nieupoorts Handbuch der Hämischen AUerthüiner (Dresden,
1786. 8.) S. 79. bestimmt behauptet, welcher auch zeigt,
„dafs sie aus Etrurien Verlangt wurden, Wenn man sie
„brauchte, bis man sie endlich zu Horn stets vor rathig
„hatte." Doch wir kehren zu Hrn. Fr* zurück«, welcher diu
. Wahrheit auf folgendem Wege suchte. Er untersuchte die
Namen der Männer, welche in der Geschichte Horns als Ha-
ruspices vorkommen, und fand* dafs keiner uns nöthige, be-
stimmt in ihm einen Hömernamen und gehornen Römischen
Bürger zu erkennen. Er fand bei Diodor. Sic. V* 40. da»
bestimmte Zeugnifs, dafs die »östentorum interpretes c« immer
aus Etrurien seyen geholt worden. Er liest bei Cicero de
Legg. II. 9. Etruscos Haruspices (für Ltruscos et Haruspices) mit
Muretus, Davisius, Gmenz, Schütz und den neuesten Her-
ausgebern, Darauf kommt er auf die Stelle Cic. de Divin* I.
41. Zusprechen: „ut de prineipum fdüs sex singulis Etruriae po*
»pulis in diseiplinam tradetentur« — Vergl. mit V aler. Max. I. J.
»ur e florentissima tum et opulentissima civilate deceM prineipum fdii
^ Senat us Consulto singulis Etruriae populis percipientlae sacrurum
„diseiplinae gratia tradereritur." Nach einigen Erörterungen
Uber die nicht zutreiFenden Zahlen wirft er die Frage auf,
wer denn die prineipum filii gewesen seyen. Er will durchaus
Etrurier haben i und dreht an der Stelle so lange* bis er fin-
det, dafs SiHgulis Etruriae populis der üalivus Oraecus ist für a
singulis Etruriae populis ; und dann bringt er zum Beweise eine
Anzahl Stellen aus Cicero vor* wie* Folgende : Honesta bonis
viris , non occulta quaerüntur. Da liel uns. das französische
Sprüchwort ein : il est au bout de son Latin , welches hier aber
buchstäblich zu verstehen ist. Es ist ihm zwar selbst nicht
recht wohl bei seiner Verrauthung* denn er fagt : exemplum
vocabuli t rädere in promptü quidem non hubeo. Aber der Muth
kommt ihm gleich wieder* denn erfährt fort: atqui nulld mihi
incessit libido nodum in seirpo quaerendi. Und döch war Bedenk-
lichkeit hier gerade an det rechten Stelle, Nicht nut nicht
in promptu ist ein Beispiel, wo Cicetö uudiiui mit deatDati*
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Frandsen Ha ru spieet 207
statt ab eo gesetzt hätte, sondern es gieht gar keins , und kann
keins gehen. Denn derselbe Cicero , der Tuscul. III, 1. 2-
demum magistris tradiii sutnus gesagt bat, und in Verr, II, 1, 45-
115* adolescente» ei (Dat.) in disciplinam traditi , derselbe , der die
Klarheit des Ausdrucks so sehr lieht , und der Unklarheit und
dem Doppelsinn So ahhold ist, kann nicht sagen ut Etruriae
populis in disciplinam traderentur für ab Etruriae populis. Die
Stelle läfst sich durch hlofse Interpretation nicht mit der
Wahrheit in Harmonie bringen, lief, wird sich in seiner
bald erscheinenden Bearbeitung der Bricher de Divinatione
umständlicher hierüber erklären. Mit Hrn. Frs. ürtheil über
den Valerius Maximus , dafs nämlich dieser den Cicero mifs-
ver standen habe, können wir uns nicht recht befreunden.
Nicht als ob wir läugnen wollten, dafs ein Homer den an-
dern , und wäre er auch fast dessen Zeitgenosse (da Valerius
Maximus unter dein TiberiuS lebte), in ils verstehen könne:
sehen wir doch täglich , wie unsere Zeitgenossen einander
aus allerlei Ursachen mifsverstehen. Aber das scheint uns
seltsam, dafs dem Valerius Maximus, gesetzt, er hätte auch
den Cicero mifsverstanden , die Sache selbst, wie sie
sich wirklich verhielt oder verhalten hatte , sollte unbekannt
gewesen seyn, Den Beweis, den man für Kömische Harn-
spices im Livius (IX« 36.) hat (Inden wollen, beseitigt Hr.
I r. dadurch , dafs er sagt, Etruscis literis eruditus müsse man
gar nicht nothwendig von der Haruspicina verstehen. Und
darin geben wir ihm Recht; io wie auch in dem Functe, dafs
man selbst zugeben könne, dafs Homer, nämlich Einzelne,
diese Kunst gelernt und verstanden haben, ohne dafs daraus
folge, dafs sie dieselbe auch ausgeübt haben, oder wirkliche
Haruspices gewesen Seyen, Nie also — und das ist ein
Hauptsat« des Verf. — haben zur Zeit jler Republik Römer
die Haruspicina ausgeübt, jedesmal wurden sie, wenn man
sie brauchte, aus Etrurien nach Rom berufen. Die Haruspi-
ces waren keine Priester« Manche Frodigia konnten die l'on-
tifices deuten und (dies ist bekanntlich der Kunstausdruck)
procurare } bei andern Wurden die Sibyllinischen Bücher ein-
S sehen; Wo dies nicht zuzureichen schien, liefs man die
aruspices holen» und zwar ursprünglich immer nur für öf-
fentliche Angelegenheiten. Ihre Antworten waren in der Re-
gel schriftlich.
Doch wir Wollen den Gang des Buches nicht Weiter ver-
folgen , da das Folgende zwar gut ausgeführt ist , aber nicht
gerade besonderes Neues enthält, wir auch die Schrift nicht
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208 Frandien Haruspices.
*
durch einen Auszug entbehrlich machen wollen. Göt wird
gesprochen über die fulgurator es , das Extispicium, über die Ha-
ruspices-unker den Kaisern, den Verfall ihrer Kunst und ihrer
Achtung, über das Collegium Haruspicum (Tac. Ann. XI. 15.)»
und endlich ihren Untergang durch das Christenthum. Könn-
ten wir nur auch noch den Styl und Vortrag des Verf. loben;
aber hier ist eben nicht die glänzende Seite des Büchleins.
Kommen zwar gleich nicht mehrere Stellen vor, wie fol-
gende S. 49: at studio forsitan aedificandi templorum per-
nio tus ; so ist doch das Colorit des Styls im Ganzen und Ein-
zelnen nichts, weniger als Römisch. Da findet sich S. 48. das
-fetale nullibi. S. 55. die falsche Anwendung des bekannten
Sprüchworts fama croscit eundo in der wunderlichen Redens-
art: cujus generis contemtio serius o cius (ein nicht hierher pas-
sender Horazischer Lappen) crescit eundo, S. 54. permix-
tint. S. 45. scatuit copia, S. 54 animum adver te re ad ha-
Tuspicinam, S. VH. oocabulum ambitu suo adstringitur. S. VIII.
curatiorem operam navare. S. IX. homines bonae frugis, S. 5. in
mythicum gyrum incidere. S. 6. diligenter concremare libros. Das.
non oideatur für non videtur. x
Schließlich müssen wir auch noch tadelnd erwähnen,
dafs die Griechischen Stellen in dieser Schrift ohne Accente
geschrieben sind; eine Nachlässigkeit, die unsern * Zeiten
nicht mehr geziemen will. Die Schrift selbst aber empfehlen
wir als einen achtungswerthen Beitrag zu den Römischen
Alterthümern.
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N. 14 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Neue Jüdische Briefe oder Darstellungen aus dem Lo-
hen Jesu. Von. Th. Schul er^ Pfarrer hei der Kirche zu
■ k See* Nicolai* Straf shurg, hei Schüler und Pfähler* Leipzig) bei
Fleischer* 182C. 1. Bändchen 240 II. B ändch e n 241 S»
in 8. % fl. 40 kr.
Eine Schrift, welcher Ree. eine fast allgemein gute Auf-
nahme und recht viele heilsame Wirksamkeit verspricht und
wünscht. Die Hauptpersonen in der so wichtigen Lebens«
feschichte. Jesu hat der Vf. sehr zweckmässig in einen unver*
ünstelten, lehrreichen, historischen Briefwechsel mit einan-
der verbunden , worin jede einer andern gutgewählten gewisse
von ihr vornehmlich zu erwartende Nachrichten aus Jesu
Thun und Lehren meist mit den Hauptworten der Evangelien,
zugleich mit untermischten Empfindungen und deutenden An-
sichten im vertraulichen , rührend begeisternden Ton über»
schreibt. So wird, so viel über Jesus uns aufbewahrt ist,
ohne fremdartige Beimischungen und doch in einer freyeren*
sich selbst verständlicher hingebenden Nacherzählung zu einem
herzerhebenden U eb e r b 1 i ck zusammengefafst, welcher rührt*
weil Gerührte an Theilnehmende sich aussprechen*
Auch der Schleier des Wundersamen bleibt, doch (s. I*
119. von den Dämonischen) ohne dichter gemacht zu werden *
Ober das Ganze verbreitet. Er wirkt also, seiner Bestimmung
nach, fort, nämlich um Aufmerksamkeit und Wifsbegierde zu
reizen und anzuziehen. Aber das an sich wahre * welches
deswegen durch sich selbst für alle Empfängliche glaublich
wird und bleibt, wird nicht von dem Wunderbaren abhängig
gemacht. Nicht auf das Unbegreifliche, oder wenigstens Un-
erklärte, wird das Unmittelbar-glaubwürdige gebaut. Dies
ist das nothwendige und unterscheidende zwischen der Denk-
Gläubigkeit und der Wunderglaubigkeit. Das Erklären des
Wunderbaren, das heifst* das Zurückführen der an sich un-|
jängbaren Erfolge auf den eben so wenig Jäugbaren* immer-
währenden Zusammenhang zwischen Wirkungen und (oft
XHL Jähfg. 3. Heft. 14
210 Th. Schulers Darstellungen aus Jesu Leben. i
lange unerkannten , aber nicht immer unerkennbaren) Ursachen
— dieses Aufklären des Dunkeln ist nur für die, welche klar
werden wollen , um das Klare desto fester zu glauben. Eben
deswegen ist es nicht für Jedermann und nicht Jedem ein Be-
dürfnils. Aber dafs nicht das an sich Nöthige auf das Dunkle
gebaut werde, dies ist um Aller willen nöthig, weil das Dunkle
nicht immer so bleibt. Wo Ueberzeugung allgemein werden
aoll, mufs das, was Allen geltend seyn und beweisen kann, in
der ersten Reibe der Beweisgründe stehen. Wer durch die
Umwege des Wunderbeweises geführt zu werden, ein
cigenthtimliches Bedürfnifs hatf möge es erfüllen, so gut als
es seiner Individualität zusagt. Aber keiner soll dann doch
den übrigen allen zumuthen , anders nicht als durch eben diese
geschichtliche Nebenumstände zur Haup tsache zu ge-
langen. Nur wer den Wunderbeweis nicht vollständig über-
dacht hat, kann ihn für den kürzeren Weg zur Ueberzeugung
halten. Wer mit einem sachkundigen (!!) Wegweiser und mit der
nöthigen Umsicht ihn zu durchwandeln versucht, wird wenig-
stens dies, wie weitläuf er seyn muls, bald bemerken; und
dies schon deswegen , weil der eigentliche auf den Inhalt
gegründete Beweis als ein unentbehrlicher Bestandteil dei
Wunderbeweises in diesen auch aufgenommen und überall mit«
eingeflochten seyn mufs. Denn darüber sind auch die Wun-
derglaubigsten doch endlich einig, dafs, was in sich unrichtig
Wäre, auch durch Wunderumgebungen nicht zur Wahrheit
werden könnte, da — alle populäre Religionen sich auf Wunder
berufen , Und auch die Entstehungszeit des Urchr is tent h ums die
täuschendsten Wunderbeweiseties Satans für an sich falsche Re-
ligionsbehauptungen als möglich und wirklich angibt.
Die bündigste, nicht von wandelbaren Nebenumständen
abhängige Ueberzeugung aber entsteht in jeder Sache dadurch,
dafs der Nachdenkende auf den Inhalt, auf das Wesentliche
des Gegenstands , geradezu alle seine Aufmerksamkeit richtet.
8. 201. im I. Th. schreibt der Liebesjünger Jobannes an Ma-
ria, dafs manche riefen : Kann ein vom Satan besessener auch
der Blinden Augen aufthun? Ihn selbst aber lälst der Verf.
hinzusetzen: „Du siehst, Maria, sie denken hier an die
Heilung des Blindgebornen, Ich aber bedarf keiner
Wunder und Zeichen mehr. O, wie erhaben ist Dei-
nes Sohnes Lehre! Dieses Gleichnifs vom guten Hirten,
> wie ist es so schön und wahr, so rührend und herzlich. 0
dafs ich, von ferne nur, dem lieben Bilde gleichen möchte."
Durch dergleichen leichte Zusätze der wahrscheinlichen
Mitempfindungen, auch durch einfache Verdeutlichungen der
' J* W- *\
^y.* Digitized by Google
Th- Schulers Darstellungen aus Jesu Leben. 211
Aussprüche und durch unpedantische Erklärungen über Zeit*
umstände weil's der Vf. den Briefwechsel Um so anziehender
und belehrender zu machen, ohne dafs Er durch geruchlose
Redeblumen , geschmacklose Empfindeleien und überflüssige
Verzierungen den Schönredner machen will, wie in einigen
ähnlichen Darstellungen die mystische Schwärmerei auch ele-
gant zu werden versucht hat.
Selbst der Umfang dieser zwei Hände zeigt, dafs der Vf.
nicht vielrednerisch seyn, vielmehr lieber concentriren und
durch Kürze das Gute des Inhalts steigern will. In der That
sind seine gedrängte Darstellungen desto gehaltreicher. Auch
ist diese Einkleidung schon dadurch belehrender, weil sie gar
oft, unvermerkt, zeigt, wie wahr eine Empfindung seyn
kann, ohne dafs sie wie ein Dogma, wie ein hyperphysischer
Lehrsatz, wie eine tibergeschichtliche Entdeckung ausgelegt
werden roüfste. So lesen wir z. B. I, 73. auch wieder von
Johannes an Maria : „Mit dieser bedeutenden Frage schloff
Jesus seine tiefe, sinnvolle Rede. O Maria, in Ihm ist wahr-
lich das Wort, die Gottes Weisheit , die da war bei Gott und
Eins mit Gott, von Anfang an ; durch welche alle Dinge ent-
standen sind, und ohne welche nichts vorhanden wäre; in
der das seelige Leben enthalten ist, das Leben, so in der Er-
leuchtung der Menschen , im Lichte, besteht* Dieses ewige
Licht scheint nun in der Finsternifs der Welt; sie aber he-
greift es nicht u. s. w. Das Gesetz wohl ist uns durch Mose
gegeben. Erbarmung und Treue (Ueberzeugungstreue? ) aber
sind uns durch Jesus Christus geworden. Er allein , der er-
kohrneSohn, der in des Vaters Schoofs ist , der mit Ihm
innig Einige, sein Vertrauter und sein Liebling, Er allein
hat uns Gott verkündet, den sonst niemand je geschaut, so
klar und vollkommen erkannt hat." Nach dieser
sehr anwendbaren Umschreibung des erhabenen Prologs im
Johannesevangelium läfst der Vf. den schreibenden Johannes
so schliefsen; »Tief bewegt ende ich hier meine lange Zu-
schrift. Mit beilig freudiger Rührung ergreift mich der Ge-
danke, dafs die Muter meines Herrn meine unendliche, meine
Überirdische Empfindung fassen und theilen wird." Ueber* .....
denkt man jene Worte als ins Leben hinein, und nicht
für eine Gelehrtenschule, gesprochen, so wird selbst der Scho-
lastiker, selbst der Kathedermann kaum meinen können,* die
Muter Jesu werde sich die Gottesweisheit in ihrem Sohne
etwa so, wie eine Substanz, wie eine von seinem Geist unter-
schiedene Persönlichkeit gedacht haben.
14*
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212 Tredgold'g Grundsätze der Dampfheizung.
♦ >
Die ganze Darstellung des Vfs. ist viel zu wahr tml hat,
mit Recht, viel zu wenig fremdartiges, als dafs sie, wäre es
auch im besten Verstand, ein Roman des Lehens Jesu genannt
werden dürfte. Sie kann ein geschichtliches Erbau-
ungsbuch seyn für jeden Theilnehmenden. Das Wesent-
liche ist hervorgehoben für Einsicht und Empfindung. Neben-
umstände sind so gehalten, dafs sie weder das Glauben noch
das Forschen beschränken. Einzelnes, was sich noch erbel-
len lassen möchte, wird der Verf. bei ferneren Ausgaben von
selbst bemerken. Ree. freilich ist für sich immer am meisten
geneigt, das Glaubwürdige durch möglichst volle Erhellung
desto glaublicher zu raachen. Aber er weifs recht gut, dafs
diese Methode ihre Einseitigkeit haben mufs. Sie ist für die,
welche hell sehen können! und wollen! Das allgemeinere
Bedürfnifs ist durch die Methode des Vfs. allgemeiner zu be-
friedigen.
6. Dec. 1825. H. E. G. Paulus. .
#
Thomas Tredgold's Grundsätze der Dampfheizung? und der da*
mit verbundenen Lüftung aller Arten von Gebäuden, Nach der
zweiten englischen Originalem* sähe für Deutschland bearbeitet von
M. O. B. Kühn etc. Leipzig, 1826, XII und 208 S. 8. mit
6 Kupfertafeln. 1 Thlr. 12 Gr.
Dafs wir dieses Werk so bald schon anzuzeigen uns be-
eilen | bedarf wohl bei Sachkennern keiner Entschuldigung.
Es sind nämlich, Gottlob, in allen Theilen der Industrie seit
dem letzten halben Seculo solche Fortschritte gemacht, dafs
das allgemein verbreitete Gefühl des dadurch erzeugten Wohl-
Behagens unwiderstehlich zur Fortsetzung ähnlicher Bemühun-
gen auffordert , und so lange ein hieraus entspringender
höherer Luxus durch geistige Anstrengung erworben werden
mufs, nicht aber, wie ehemals in Rom, auf der Menge der
durch physische Gewalt unterworfenen und in Sclavenstand
versetzten Nationen beruhet, so lange man auf gleiche Weise
auf die militärische Stärke der Staaten als auf die Bequemlich-
keit und den Wohlstand der Völker bedacht ist, darf niemand
fürchten, dafs die höhere Cultur zur Sittenlosigkeit , Schwel-
gerei und Ohnmacht führe. Der rohen Gewalt barbarischer
Völker wird Europa nicht unterliegen ; leichter könnte dieses
vielleicht geschehen durch einen Stillstand des Gewerbfleilses,
ein Nachlassen in der hierzu erforderlichen Anstrengung und
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t
Tredgold'« Grundsätze der Dampfheizung. 2l3
durch Zurückbleiben hinter aufblühenden Völkern , welche
zum Theil durch die Natur allerdings vorzugsweise begün-
stigt sind.
Unter die vorzüglichsten Aufgaben zur Erhaltung der Ge-
sundheit und einer größeren Bequemlichkeit des Lebens ge-
hört aber unstreitig die Sarge für eine zweck in Ufs ige Erwär-
mung und Lüftung der Wohnungen ; die Kunst und Wissen-
schaft verlangt Trockenstuben und Treibhäuser, und vor allen
Dingen fordert der täglich fühlbarere Mangel an Brennmaterial
zu Vorschlügen der Eraparnifs dieser Storfe auf. Man bat
daher schon lange die früher üblichen unförmlichen und holz-
verschwendenden Oefen aufgegeben und mit spärlicher consu-
mirenden vertauscht, man hat aus vielen Gründen die Heizung
durch erwärmte Luft sowohl vorgeschlagen als auch ausge-
führt , und nunraehro tritt ein gewiegter Schriftsteller mit der
Empfehlung der unlängst bekannten Heizungsmethode durch
Wasserdampf auf. Die erstere der neuen Methoden ist in
Deutschland vorzüglich durch Meisner's bekannte Schrift (die
Heizung mit erwärmter Luft. Wien i821. neue Aufl. ebend.
1823.) in Anregung gebracht, welche Ree. in diesen Blättern
Jahrg. 1822. Hft. I. S. 57. beurtheilt hat, die zweite benutzt
man bis jetzt hauptsächlich nur in England, -ie ist aber auch
für Deutschland sicher der Beachtung sehr Werth, und die
Uebersetzung einer vollständigen Abhandlung darüber war da-
her ohne Zweifel ein sehr zweckmässiges Unternehmen.
Bei der Beurtheilung der vorliegenden Schrift bedauert
lief, sehr, dafs er das englische Original gegenwärtig nicht
zur Hand hat. und sich daher blos an die Uebersetzung halten
mufs. Der Verfasser desselben ist der bekannte englische In-
genieur Tredgold, dessen klassisches Werk on the strength
of cast iron B.ec. erst kürzlich angezeigt hat. Dabei wurde
bemerkt, dafs er sowohl als Theoretiker als auch rücksichtlich
des Praktischen unter die bedeutendsten Männer der jetzigen
Zeit gehört, den man allenfalls dem berühmten Smeaton an
die Seite setzen könnte; und eben daher rinden auch seine
Schriften in England ein so ausgebreitetes Publicum und sehr
schnellen Absatz, so dafs bei der Bekanntwerdung derselben
auf dem Continente schon die zweite Auflage erschienen zu
seyn pflegt. Es läfst sich daher nicht anders erwarten, als
dafs auch das vorliegende Werk zu den gehaltreichsten literä-
ri sehen Producten gehört, weiches namentlich für die prak-
tische Anwendung ganz vorzüglich empfohlen . werden kann.
Eben bei dieser Celebrität des Verf. aber mufs die Kritik am
strengsten seyn, weil nichts so nachtheilig ist, als wenn Irr-
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214 Tr«Jgol<Ts Grundsätze der Dampfheizung»
thütner durch bedeutende Autoritäten unterstützt allgemeiner
verbreitet werden, und dieses um so mehr, wenn der Gegen«
stand zur Anwendung für Praktiker bestimmt ist 9 von denen
eine genügende Prüfung der Sacbe selbst auf keine Weise ge-
fordert werden kann. Um diesen Satz mit einem sehr auffal-
lenden Beweise zu belegen , will Ree. nur an die Abhandlung
des Pariser Institutes über die Blitzableiter erinnern, welche
blos wegen ihrer gelehrten und mit Recht berühmten Verfasser
in zahlreiche deutsche und sogar auch in einige englische Zeit-
schriften mit grofsen Lobpreisungen übergegangen ist, ohn-
feachtet sich selbst die Zweckwidrigkeit der darin gegeb-
enen Vorschlage aus anerkannten und unbestreitbaren phy-
sikalischen Grundsätzen leicht nachweisen läfst, und von
einem gründlichen Sachkenner, Pf äff in Kiel, im Gebler-
sehen Wörterbuche der Physik Tb. I. St 1076. wirklich dar-
gethan ist. Vielleicht ist die Autorität jener Gelehrten, für
welche noch obendrein die Celebrität der Stadt Paris und
des Königl. Ins titutes entscheidet, grofs genug, um zu
bewirken, dafs wir in Deutschland um fünfzig Jahre voll
zahlreicher Erfahrungen rückwärts gehend abermals anfangen ,
den Gewittern drei Männer hohe Eisenstangen entgegenzu-
strecken, die Pulvermagazine aber den Blitzstrahlen recht
eigentlich blofszustellen. Ree. hält es daher für seine Schul-
digkeit, den eigentlich zweckmäfsigen und brauchbaren Inhalt
der vorliegenden gehaltreichen Schrift von dem minder richti-
gen zu sondern.
Im Allgemeinen sind alle diejenigen Vorschläge, Berech-
nungen und Angaben über die Einrichtung, GrÖise und das
Materialeder Dampfheizungsapparate und Ventilatoren, welche
der gelehrte Verf. mittheilt, in so weit vollkommen richtig ,
als man bei den verschiedenen mitwirkenden und zum Theil
ganz unbestimmbaren Bedingungen hierbei überhaupt zu siche-
ren Resultaten gelangen kann« Ein jeder weifs nämlich aus
eigener und fremder Erfahrung, wie so oft, selbst aus gar
nicht genügend auszumittelnden Ursachen , gewisse Zimmer
so leicht warm zu halten sind, während andere sehr bald wie-
der erkalten, und auf gleiche Weise geheizt eine weit gröfsere
Menge von Brennmaterial erfordern. Auf den Einflufs der
Winde und den Grad der Stärke, womit sie die Wände ver-
schiedener Zimmer treffen , o<Jer über und unter ihnen einen
kalten Luftstrom erzeugen, hat der Verf. allerdings Rücksicht
genommen , die Ableitung durch die verschiedenartigen Wände
ist bei ihm aber zu wenig berücksichtigt, indem er von der
Voraussetzung ausgebt, dafs, diese von Holz oder raebren*heils
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Tredgold's Grundsätie der Darapflieixung. 215
von Ziegelsteinen gemacht sind , welche für schlechte Wärme«
leiter gelten können. Für England und namentlich für Lon-
don mag dies allerdings passen, allein für Deutschland und die
darin üblichen Häuser von Bruchsteinen mufs auf diese Ab-
leitung nothwendig .Rücksicht genommen werden. Die Be-
stimmung des hierfür erforderlichen grösseren Aufwandes von
Brennmaterial ist indefs äufserst schwierig , weil diese Steine
nach der Beschaffenheit ihrer Bestandteile , z. B, beigemisch*
ten salzsauren Kalkes u. dergl., die Feuchtigkeit mehr oder
weniger anziehen , und diesem gemäfs eine ungleiche Wärme-
leitung besitzen. Inzwischen wird es dennoch nicht nöthig
seyn , aus dieser Ursache die angegebenen Bestimmungen ab-
zuändern , indem der Verf. den Wärmeverlust durch Ventila-
tion etwas hoch anschlägt , bei strengerer Kälte aber die
Notwendigkeit erfordert, dem dringendem Bedürfnisse der
Erwärmung das minder dringende einer fortwährenden Er-
neuerung der Luft aufzuopfern. Ohnehin nimmt der Verf.
die Menge der durch Respiration, Hautausdünstung und Was-
serbildung der in den Zimmern sich aufhaltenden Personen
verdorbenen Luft viel zu grofs an. Für das blofse Athmert
nämlich (S. 40,) bringt er für einen erwachsenen Menschen.
800 engl. Cub. Z. in der Minute in Rechnung, da man kaum
4.80 p.C. Z. hierfür rechnen kann (%. Gmelin in Gehler I. 422.)»
und für die Gesammtinenge der durch ein Individuum verdor-
benen Luft 5l84 C. Z. Nun sind zwar die durch die Haut
ausgestofsenen verunreinigenden Stoffe schwer zu schätzen;
allein wenn auf den erzeugten Wasserdampfgehalt so viel ge-
rechnet wird, so beruhet dieses auf einer unrichtigen Ansicht
von der Schädlichkeit dieser Dämpfe und der Sättigung der
Luft mit denselben, indem es sehr fraglich ist, ob reiner
Wasserdampf überhaupt nachtheilig auf die Gesundheit wirkt,
auf allen Fall aber ergiebt sich bald, dafs die Angabe des Vf.
viel zu hoch ist. Insofern man indefs allezeit in der prakti-
schen Ausführung etwas mehr tbut, als die Theorie strenge
fordert, um auch unerwarteten Hindernissen zu begegnen,
und ohnehin bei der Dampfheizung die Erwärmung und so-
mit auch die Consumtion von Brennmaterial durch stärkere
oder schwächere Feuerung unter dem Dampfkessel sehr gut re»
tulirt werden kann, man nebenbei auch gegen den Einflufs
urze Zeit dauernder ungewöhnlicher Kälte gesichert seyu
mufs, so darf man nach allem diesem sich füglich genau an
die Vorschriften des Verf. halten.
Es würde offenbar zweckwidrig seyn, dem Verf. in allen
seinen Angaben zu folgen, indem es vielmehr nur darauf an«
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216
Tredgold's Grundsätze der Dampfheizung.
kommt 9 anzugeben , was man in diesem Buche findet. Leti-
teres begreift die zwei Hauptaufgaben, nämlich erstlich: auf
welche Weise kann ein gegebener Raum, sey es ein Wohn-
zimmer, eine Kirche, Theater, Hospital, Gefängnifs, Ge-
wächshaus oder Trockenhaus, am bequemsten und sichersten
nach seiner individuellen Gröfse und Beschaffenheit , nach der
Zahl und Gröfse seiner Fenster and Thttren , bei einer gege-
benen äufseren Temperatur vermittelst heifsen Wasserdamptes
bleibend zu einer verlangten inneren erwärmt werden; und
zweitens: welches ist die erforderliche Gröfse und die beste
Einrichtung der Oeffnungen, wodurch in solche Räume nach
der Zahl der darin wohnenden Menschen oder der Menge und
Beschaffenheit der darin befindlichen Sachen frische Luft von
aufsen zugeführt und die verdorbene abgeführt wird. Rück-
sichtlich des Ersteren sucht der Verf. zuvörderst nach fremden
und eigenen Erfahrungen zu bestimmen, wie grofs die Quan-
tität Luft ist, welche nach dem Verhältnifs der Differenz der
äufseren und inneren Temperatur durch die unvermeidlichen
Ritzen der Fenster und Thüren entweicht oder durch die
Fläche des Glases abgekühlt wird. Hierzu setzt er dann fer-
ner die Menge derjenigen Luft, welche nach der Anzahl der
Menschen oder der Menge und.Feuchtigkeit der z.B. zu trock-
nenden Sachen künstlich abgeleitet und von aufsen wieder zu-
elassen werden mufs. Indem hierdurch nach dem Verhältnis
er specifischen Wärmecapacität der Luft und des Wasser-
damptes, dessen Temperatur in den Zuleitungsröhren er zu
75° R. annimmt, die erforderliche Menge des letzteren gefun-
den wird, so berechnet er ferner hauptsächlich nach den Re-
sultaten eigener schätzbarer Versuche , wie viel Wärme von
einer gegebenen Oberfläche eiserner, kupferner, weifsbleche-
ner u. a. Röhren in einer bestimmten Zeit abgegeben wird,
und findet diesemnach die für jeden besonderen Fall erforder-
liche Gröfse dieser Oberfläche. Hieraus ergiebt sich dann
weiter, wie grofs die Quantität des in einer bestimmten Zeit
erforderlichen Wasserdampfes seyn mufs, und somit kommt
er dann ferner auf die Gröfse des hierzu nöthigen Dampfkes-
sels und die Menge des zur Heizung desselben aufzuwenden-
den, Brennmaterials nach der eigenthümlichen Beschaffenheit
des letzteren. Für alles dieses sind leichte und bequeme For-
meln zur Auffindung anderer, in ähnlichen Fällen erforder-
licher, Gröf8en mitgetheilt, wobei zugleich deutlich nachge-
wiesen ist, auf welchem Wege diese Formeln gefunden sind.
Ree. erinnert sich nicht sonst irgendwo ein« so gründ-
liche und praktisch brauchbare Anweisung für diesen Gegen-
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i
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Tredgold's Grundsätze der Dampfheizung. 217
stand gelesen zuhaben, aucb pflegen die Baumeister bekannt-
lich nach dem blofsen Augenmaafse und nach Gutdünken die
Heizapparate den Räumen, welche dadurch erwürmt werden
sollen, anzupassen, bleiben also blos bei einer rohen Empirie
stehen. Nun ist zwar schon oben erwähnt, und niemand
wird in Abrede stellen, dafs bei der Aufgabe der Erwärmung
gegebener Räume viel zu vieleBedingungen zu berücksichtigen
sind, als dafs man glauben dürfte, die Berechnungen des VF.
seyen so haarscharf richtig, dafs sie allezeit, bis auf einen
einzigen Grad etwa, das verlangte Resultat geben müfsten.
Etwas dieser Art zu verlangen, würde unvernünftig seyn; al-
lein jeder Baumeister, welcher in den Fall kommt, solche An-
lagen zu machen , wird es dem Verf. herzlich danken, durch
dieses Werk in den Stand gesetzt zu seyn, die erforderlichen
Einrichtungen nach einer sichern Grundlage herstellen zu kön-
nen, ohne wie bisher gänzlich im Finstern zu tappen, und
diesemnach ungenügende oder übergrofse, unförmliche und
unnöthige Kosten verursachende Apparate anfertigen zu lassen.
Zugleich aber geht auch ein vorzüglicher Nutzen daraus her-
vor, dafs der Praktiker nach den in diesem Werke enthaltenen
Angaben den Kostenaufwand, welchen die Herstellung und
Anwendung der Dampfheiznngsapparate erfordert, in Voraus
berechnen und mit andern Heizapparaten vergleichen kann.
Von dieser Seite ist also das Publicum dem gelehrten Vf. aus-
nehmend verpflichtet.
Auf gleiche Weise vortrefflich sind zweitens die Anwei-
sungen, welche hier mitgetheilt werden, um gegebene Räume
nach ihrer individuellen Bestimmung durch Ventilatoren zu
reinigen. Im Allgemeinen findet man die auf richtige pneu-
matische Grundsätze gegründeten Regeln über die Gröfse und
Lage der anzulegenden Oeffnungen zum Abführen der verdor-
benen Luft und Zuführen der frischen, wobei namentlich die
zwei Vorschläge wohl zu berücksichtigen sind, zuerst, dais
man überhaupt die unteren Luftlöcher mit einem feinen Draht-
gitter überziehen müsse, um das Verstopfen derselben zu ver-
hüten , hauptsächlich aber um die eindringende Luft gleich-
sam zu spalten und ihre scharfe Bewegung dadurch zu mildern;
«weitens aber für Krankenzimmer auch dafür zu sorgen habe,
dafs nicht zum Nachtheile der Gesundheit die kalte Luft un-
mittelbar einströme, sondern erst in einem andern Räume ge-
hörig erwärmt werde, um den Unterschied ihrer Temperatur
un.d derjenigen in den Zimmern weniger auffallend zu machen.
Bei der Anweisung zum Heizen vermittelst Wasserdampt
ist der Vf. nicht blos bei dem, bekannten Vorschlage der Dampt-
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218 Tredgold's Grundsätze der Dampfheizung.
röhren stehengeblieben , sondern er bat auch andere Einrich-
tungen angegeben , wie man namentlich solche Röhren in ge-
schmachvollen Formen als Urnen, Schränke, Säulen u. dergl.
anbringt, sie durch die Mauern und unter den Fufsböden fort-
leitet , an oder in den Wänden fortlaufen Hilst u. s. w. Auch
hierbei ist stets auf das bestimmte Bedürfnifs Rücksicht ge-
nommen | je nachdem man dieselben in Wohnzimmern, Kran-
kenstuben , Opernhäusern, Treibhäusern u. s. w. gebraucht.
Eine Einrichtung zur Heizung eines Zimmers durch Dampf,
welche eben so geschmackvoll als bequem ist , und vom Verf.
im Edinburgh pbilos. Journ. No. XXIII. gleich nach dem Er-
scheinen des Werkes bekannt gemacht wurde, findet sich hier
leider nicht, und ist ohne Zweifel erst später von ihm aus-
dacht. Schade, dafs der Uebersetzer diesen Nachtrag nicht
enutzt hat, da doch das genannte Heft der Zeitschrift schon
im Januar 1Ö25 auf dem Continente war. Für Treibhäuser,
Gewächshäuser und Blumenzimmer, welche wissenschaftlicher
Eifer sowohl als auch Luxus in England auf einen hohen Grad
der Vollkommenheit gebracht haben, findet man hier die An-
gaben der Höhe, Weite, Einrichtung, Heizung, und auch
Vorschläge zur Bewässerung, ein Gegenstand , welchen Ree.
tenau zu beurtheilen aufser Stande ist; allein er mufs aus an-
ern Gründen voraussetzen, dafs hierin die theoretischen
Kenntnisse und praktischen Erfahrungen des Verf. kaum etwas
au wünschen übrig lassen, und würde ihnen daher benöthig-
ten Falls unbedingt folgen. Aufserdera findet sich noch ein
Vorschlag ausführlich erörtert über die Anlegung von Räumen
in gröfserer oder geringerer Ausdehnung von stets gleich-
mälsiger Temperatur für solche Kranke, welche die Aerzte
zu gleichen Zwecken in südlichere Gegenden zu senden pfle-'
gen. Wenn man berücktichtigt , wie beschwerlich oft die
weiten Reisen in solche Länder sind, wie wenig man im Gan-
zen dort auf eine stets gleichmäfsige , dem Befinden solcher
Unglücklichen angemessene, Temperatur rechnen kann, wie
geringe Pflege und wie selten gehörige ärztliche Behandlung
sie dort zu erwarten haben, und was für Kosten Reise und
Aufenthalt daselbst erfordern , so mufs man dem Verf. bei-
pflichten, wenn er behauptet, dafs nicht blos Mitleiden,
sondern selbst auch Speculationsgeist zu einer solchen Anlage
im Grofsen an solchen Orten auffordern könnte, welche durch
die Natur und anderweitige Bedingungen hierzu vorzüglich
geeignet sind. Das Einzige, was dagegen entscheidet, ist
der Umstand, dafs die meisten solcher Patienten von den
Aerzten gröfstentheils deswegen in südliche Gegenden gesandt
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Tredgold's Grundsätze der^ Dampfheizung, 219
werden , weil sie alle Hoffnung dabei aufgehen, und den
Verwandten den Anblick des langsamen Absterbens derselben
ersparen wollen; und so kannte hierdurch ein solches auf's
Beste eingerichtete Haus leicht bald in Mifscredit kommen.
Uebrigens sind die Vorschläge des Verf. für eine solche Anstalt
im hohen Grade zweckmässig.
So weit bat Ree. das Gute und vorzüglich Brauebbare in
dem Werke m.it gebührendem Lobe angezeigt ; es ist nun
aber auch not b wendig, die Mängel desselben zu bezeichnen,
hauptsächlich nur aus dem oben schon erwähnten Grunde,
damit es nicht von Unkundigen, welche sich auf die Autorität
des berühmten Verf. verlassen, als richtig und völlig erwiesen
in die Wissenschaft eingeführt werde. Wir müssen hierher
zuerst die allgemeinen Aeufserungen über das Wesen und
Verhalten der Wärme überhaupt rechnen. Der Vf., welcher
in den zur Statik und Mechanik gehörigen Gesetzen der Natur
durchans klassisch ist und eine wahrhaft seltene Gelehrsam-
keit und Belesenheit besitzt, bat sich hier auf die Theorieen
über das Wesen und das Verhalten der unwägbaren Stoffe,
namentlich der Wärme, eingelassen, worin er minder be-
wandert ist, und obgleich er die wichtigsten Untersuchungen
der neuesten Schriftsteller hierüber kennt, so fehlt es ihm
doch an den gehörigen Vorkenntnissen, um sich in diesem
dunkelen Gebiete überall mit Sicherheit zu orientiren. Weil
es zweckwidrig seyn würde, hier jede einzelne Behauptung
über die strahlende und die durch Mittheilung verbreitete
Wärme, über die zum Schmelzen des Eises erforderliche
Wärme, die latente und sensibele des Dampfes, .die Sätti-
gung der Luft mit Wasserdampf und den Niederschlag des
letzteren zu prüfen, wird es genügen, nur im Allgemeinen
zu bemerken, dafs die Angaben theijs unrichtig, theils nicht
scharf bestimmt sind. Für den Zweck des Verf. war dieses
indefs unnothig, indem diejenigen Bestimmungen , deren er
hier vorzugsweise bedurfte, nämlich der Wärmemenge,
welche die verschiedenen zur Heizung durch Dampf brauch-
baren Stoffe in einer gegebenen Zeit ausstrahlen, durch ei-
gene genaue Versuche aufgefunden sind , auf deren Zuverläs-
sigkeit man bei der bekannten Gewandtheit des Verf. bauen
kann. Hieraus ergiebt sich , dafs Eisenblech mit rostig
brauner Oberfläche die meiste Wärine abgiebt , demnächst
Eisenblech mit schwarzer glatter Oberfläche, am wenigsten
Weifsblech, ein im Allgemeinen schon durch Ilumfora be-
wiesener Satzf Hieraus ergiebt sich dann ferner, dafs Heizungs-
röhren von Eisenblech vorzugsweise für diesen Zweck zu
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220 Tredgold's Grundsätze der Dampfheizung.
empfehlen «Ind. Bei allen den vielen Bemerkungen über die
Natur und das Verhalten der Wärme, nebst u\er Verbreitung
derselben durch Strahlung und Mittheilung, hat übrigens der
Verf. eine Hauptsache vergessen , welche eben so wichtig als
der Mehrzahl der Leser gewifs höchst interessant gewesen
wäre, und worüber Ree. auch seinerseits gern von einem
solchen Sachkenner, als Tredgold ist, Belehrung erhalten
möchte. Man kann nämlich annehmen, dafs es nur drei
Hauptarten der Zimmerheizung giebt, durch mehr oder min-
der vortheilhaft eingerichtete Oefen , durch erhitzte Luft und
durch Dampf, wenn man die meistens ungenügende und auf
allen Fall höchst kostspielige Kaminheizung ganz bei Seite
setzt. Die entere erwähnt der Verf., und empfiehlt sie für
Schulziminer , die zweite verbindet er mit der dritten in so
fern, als er verlangt, dafs die z.B. in Krankenzimmer strö-
mende Luft vorher in eigenen Räumen durch Dampf erwärmt
werde, ohne der namentlich durch Me isner empfohlenen
Methode besonders zu gedenken, die dritte ist das eigent-
liche Object seiner Untersuchung. Es wäre indefs wün-
schens werth gewesen, alle drei rücksichtlich ihrer Vortheile
und Nachtheile prüfend zu vergleichen, und hierauf ein Ur-
theil zu gründen, welche von allen am wohlfeilsten, sicher-
sten und bequemsten angewandt werden kann. Ree. ist sei-
nerseits sehr entschieden für die letztere eingenommen. Die
erstere nämlich steht den beiden folgenden nach, weil sie für
jedes Zimmer einen besonderen Ofen, also auch nahe eben so
viele Kamine und Schornsteine oder Schornsteinschlote erfor-
dert, aus denen eine unraäfsige Menge Wärme unbenutzt
entweicht, und so das Brennmaterial im eigentlichen Sinne
zersplittert wird. Gegen die zweite Heizung mit heilser
Luft lassen sich eine Menge Einwendungen vorbringen, wel-
che Ree. in seiner oben erwähnten Beurtheilung der Meisner'-
schen Schrift namhaft gemacht hat, worunter die wichtigsten
sind, dafs die Luftwegen ihrer verhältnifsmäfsigen geringen
Wärmecapacität auf einen hohen Grad der Temperatur ge-
bracht werden mulV, und daher der durch das Feuer glühend
gemachten Luft so viel weniger Wärme entzieht, je heilser
sie selbst ist, wozu noch der Umstand kommt, dafs sie bei
strenger Kälte in grofse Zimmer fast glühend eintreten mufs,
und also keine volle Sicherung gegen Feuersgelahr gewährt,
abgerechnet, dais die warme Luft aus den Zimmern um so
stärker entweicht, je grolser die Quantität der stets neu zu-
strömenden ist , ohne dafs man das gleichzeitige Eindringen
der äufseren kalten zu verhüten vermag. Die Heizung mit
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i Tredgold's Grandel ze der Daropfaeuung. 221
Dampf gewahrt dalier den großen Vortheil , dafs das Wasser
nur wenig über 8o° R. erhitzt werden kann, und daher der
unter dem Kessel hinstreichenden glühenden Luft de« Feuers
so viel mehr Wärme entzieht , und diese durch die grofse
Quantität der latenten und sensihelen Wärme des Dampfes
der Zimmerluft mittheilt, ohne dafs man ein stärkeres Zu-
strömen kalter Luft zu erzeugen nöthi£ hat, als anderweitige
Bedingungen unvermeidlich fordern. Es läfst sich dann fer-
ner der Heizungsraum so einrichten, dafs durch diesen wenig
Wärme verloren wird, und indem man das abgekühlte Was-
ser wieder in den Siedekessel zurückleitet, oder zu anderwei-
tigen ökonomischen Zwecken benutzt, so darf man ganz ei-
gentlich behaupten,* dafs durch dieses Mittel die gesammte
Wärmeproduction des verbrannten Feuermateriales mit unbe-
deutendem Verluste zur Heizung der Käume verwandt wird.
Nimmt man hinzu, dais diese Methode unter allen am meisten
gegen Feuersgefahr sichert, und noch obendrein mit manchen
ökonomischen Gewerben, namentlich den Destillationen, als
Nebenanstalt verbunden werden könnte; so kann man nicht
umhin einzugestehen, dafs sie unter allen die gröfsten und
entschiedensten Vortheile gewährt. Aus allem diesem er-
giebt sich aber genügend, wie interessant es für Ref. gewe-
sen seyn würde, ein auf Berechnungen gestütztes Urtheil dea
aachverständigen Verf. hierüber mit seinen eigenen Ansichten
vergleichen zu können. Beiläufig mufl Ref. noch erwähnen 9
dafs der Verf. eine sehr zweckmäfsige und eigentlich wohl
nothwendige Einrichtung grofser Dampfheizungsapparate un-
berührt läfst, nämlich die Hähne oder Klappen, durch deren
OefTnen oder Schliefsen der Dampfstrom regulirt, und den zu
erwärmenden Zimmern in gröfserer oder geringerer Menge
zugeführt, oder von ihnen ganz abgeschlossen werden kann;
ferner ist des grofsen Vortheils §. 128. nicht gedacht, welcher
daraus erwächst, dafs man das Wasser aus den Röhren wie-
der in den Kessel zurückführt, indem dasselbe hierdurch stets
rein erhalten wird, und keinen Pfannenstein absetzt, welcher
den Kesseln höchst nachtheilig ist, und ein öfteres Reinigen
derselben nothwendig macht.
Aufser diesen allgemeinen Bemerkungen mufs Ree. noch
auf einige specielle Gegenstände aufmerksam machen, welche
ihm bei'm Lesen aufgefallen sind,' und den blofsen Praktiker
leicht irre führen könnten. Im §. 4. behauptet der Verf.* man
empfände in einer 28 bis 30° R. warmen Luft kaum Wärme,
da doch ein bis 16° warmes Zimmer schon unausstehlich
beifs erscheint. Was dann ferner ebendaselbst über die Ver-
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222 Txedgold'ä Grundsätie der Dampfheizung.
dimstung nasser Kleider gesagt wird, ist eben so unhaltbar,
da die Temperatur derselben obne scharfen Luftzug nur we-
nig unter die der äufseren Umgebung herabgeht; überhaupt
aber ist rttcksichtlich der Empfindlichkeit gegen Wärme und
Kälte in der ganzen Abhandlung auf den wesentlichen Um-
stand nicht Rücksicht genommen, dafs bei anhaltender Ein-
wirkung äufserer Wärme auf den menschlichen Körper die
Entwickelung der thierischen Wärme bedeutend abnimmt,
woraus der unangenehme Eindruck der ersten Kälte im Win-
ter erklärlich wird. Ein Ausdruck §. 50. könnte bei geringe*
rer Aufmerksamkeit leicht zu Mifsverständnissen führen. Es
beifst nämlich, man müsse die Gröfse der Oberfläche der er-
forderlichen Dampfröhren in Quadratfufsen durch 1Ö00 divi«
diren, um die Quantität Kohlen zu finden, wodurch der
Raum auf 12°, 5 R. zu erhalten sey, und durch 2100 und
durch 2520, um denselben auf 21° oder 30° R. bleibend zu
erwärmen, woraus zu folgen scheint, dafs für eine höhere
Temperatur eine geringere Quantität Brennstoff nöthig sey,
welches unmöglich ist. Genau betrachtet wird man aber fin-
den , dafs in den letzteren beiden Fällen die Gröfse der Ober-
fläche wächst, und dadurch der Quotient gleichfalls, ohn-
geachtet des gröfseren Divisors. Ree. vermifst ferner in die*
ser Abhandlung, ihrer grofsen Vollständigkeit ungeachtet,
eine wichtige Vorrichtung, welche insbesondere dann unent-
behrlich ist, wenn das aus dem Dampfe condensirte Wasser
wieder in den Kessel zurückläuft, nämlich ein Ventil, wel-
ches die in den mit Dampf zu füllenden Räumen enthaltene
Luft fortläfst« Solche anzubringen ist nothwendig, weil
sonst die Luft nicht entweichen , folglich keine Erfüllung der
Röhren mit Dampf und keine Heizung erfolgen kann , und
noch obendrein die Spannung der mit Dampf gesättigten Luft
bei der Siedehitze mehr als den doppelten Druck der Atmo-
sphäre betragen würde, worauf solche Apparate nicht einge-
richtet zu seyn pflegen , so dafs also das Sicherheitsventil ge-
hoben werden, und Luft, aber auch Dampf entweichen
würde. In der oben erwähnten Abhandlung Im Edinburgh
Phil. Journal giebt Tredgold an, dafs man solche Ventile
zum Entweichen der Luft durch Ausdehnung der Heizröhren
mechanisch Öffnen und schliefsen läfst, wonach sie also zu«
gleich bei'm Aufhören der Heizung der Luft das Eindringen
verstatten. Man kann indefs diese Vorrichtung dann entbeh-
ren, wenn man das condensirte Wasser nach dem auch ander«
weitig schon bekannten Vorschlage des Verf. durch einen um-
gekehrten Heber nicht unmittelbar in den Kessel, sondern
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Tredgold's Grundsätze der Dampfheizung.
223
vorher in eine Cisterne leitet, aus welcher der Kessel gespei«
set wird, eine auch in so fern zweckmässige Einrichtung, als
durch solche heberförmige Röhren bei'm Erkalten des Appa-
rates auch die äufsere Luft wieder in die Dampfröhren und
den Kessel eindringen kann. Letzteres hält Tredgold nur
dann für nöthig, wenn die Apparate dem äufseren Luftdrucke
nicht widerstehen können- allein es ist allgemein erforder-
lich, da es zweckwidrig seyn würde, die Apparate einem so
grofsen Drucke von 14 Pfund auf den Quadratzoll unnötiger-
weise auszusetzen, um so mehr, als das Sicherheitsventil
sich schon öffnet, wenn der Dampf mit 4 Pfund gegen einen
Quadratzoll drückt , oder eine Wassersäule von etwa 9 Fufs
trägt, wobei zu berücksichtigen ist, dafs die Elast icität des
siedenden Dampfes im Siedekessel und die der äufseren At-
mosphäre einander gleich sind (s. §. 102.). Unter den Ven-
tilen scheint Tredgold das von Edelkranz angegebene,
welches sich zugleich nach Innen und nach Aufsen öffnet,
nicht gekannt zu haben , ohngeachtet es sicher eins der besten
ist; sinnreich wird man dagegen den Vorschlag finden , neben
der mit einem Ventile verschliefsbaren «Röhre, durch welche
der Kessel mit Wasser gespeiset wird, eine etwas höhere und
oben offene anzubringen, durch welche die Luft eindringen
kann, wenn die Spannung des Dampfes im Kessel aufhört.
Dagegen wird das neue Dampfvisir des Verf. (Elesticitäts-
messer des Dampfes ) §. 105» eine metallene Platte zwischen
zwei ßingen, welche durch den Druck des Dampfes sich beu-
gen soll, schwerlich Beifall finden.
Ree. hat sich lange bei dem Werke selbst aufgehalten,
doch sicher nicht länger, als die Wichtigkeit des Gegenstandes
fordert, und es ist Zeit, jetzt noch etwas Weniges über die
Uebersetzung zu sagen. Dafs die Uebersetzung eines so be-
deutenden Werkes nützlich sey, wird keinen Augenblick be-
stritten werden, und ist oben schon anerkannt, auch leidet es
keinen Zweifel, dafs das Werk Liebhaber rinden werde; in-
defs darf eine billige Kritik deswegen einige gerechte Vor-
würfe nicht zurückhalten. Im Allgemeinen ist zwar die Ue-
bersetzung fliefsend, und scheint auch treu zu seyn, wie sich
ohne die Vergleichung mit dem Originale nicht genau ausmit-
teln läfst, allein dafs einige Stellen weggelassen und dagegen
andere vom Uebersetzer eingeschoben sind, ohne beides ge-
nau von einander zu sondern, ist eine nicht zu entschuldi-
gende Freiheit, obgleich in der Vorrede dieses im Allgemeinen
angegeben ist. Ein jeder Schriftsteller hat das , was er dem
Publicum giebt, vor demselben zu verantworten, und daher
224 TredgoltTs Grundsätze der Dampfheizung.
■
inufste Hr. Kühn den Text, so weit er ihn zu übersetzen für
gut fand, unverändert lassen, und konnte dann allerdings
dasjenige, was er zu berichtigen nöthig fand, auf irgend eine
ihm beliebige Weise, aber kenntlich bezeichnet, zusetzen,
Einige Male ist dieses geschehen, z. B. bei der zweiten Ta-
belle, welche die specihschen Gewichte (nicht spec. Schwere,
<denn da alle Materie bekanntlich gleich schwer ist, so kann
es, aller Autoritäten ungeachtet, keine s y e c i Ii s c h e Schwere
geben) der Gasarten enthält, bei der dritten Tabelle über die
Ausdehnung der Körper, welche aus Gehler I, S. 582. genom-
men ist , und bei der nach Biot's Formel neu berechneten
sechsten Tabelle; allein es hätte dieses überall geschehen müs-
sen. Jlücksichtlich der Tabellen, wovon die zweite, dritte,
.fünfte und sechste durch den Uebersetzer umgearbeitet sind,
pereicht diese Bemühung dem Werke offenbar zum Vortheile,
namentlich für Deutschland , wo man weniger an den Gebrauch,
der Fahrenheit'schen Skale gewöhnt ist, die Verbesserungen
nicht gerechnet, welche die Angaben selbst hierdurch erhalten
Laben. Namentlich ist die fünfte Tabelle über die Ausdeh-
aiung der Gasarten von — 25° bis 50Q R. , ihr Volumen
Lei 12° R. als Einheit genommen, nicht ohne grofse Mühe
[berechnet, jedoch ist der Zusatz in der Anmerkung S, i9i§
dafs die Ausdehnung der Flüssigkeiten auf gleiche Weise be-
rechnet werden könne, unrichtig, indem aufser dem Queck*
silber keine Flüssigkeit sich regelmäfsig ausdehnt, wie dieses
Lei der Luft der Fall ist. Endlich wünscht Ree, , dafs ein
vom Uebersetzer gebrauchtes Wort, der Kocher (boiler)
«tatt Dampfkessel oder Siedekessel, nicht möge eingebürgert
werden. Verschiedene Druckfehler, z. B. S. 60. Cubikf ufs
.Zoll, sind leicht zu verbessern; unangenehmer ist die allge-
meine unrichtige Bezeichnung der Figuren auf der zehnten
Tafel.
Es läfst sich erwarten, dafs aus einem so ausnehmend
nützlichen Werke gar bald Auszüge in die Zeitschriften über-
gehen werden. Dabei ist indefs sehr zu wünschen , dafs diese
durch Sachkenner gemacht werden, welche mit Weglassung
des Ueberflüssigen und zum Theil Unrichtigen die Hauptsache
in einer klaren Uebersicht zusammenstellen, um dadurch einer
an sich so vortrefflichen Sache leichteren Eingang zu ver-
schaffen.
M u n c k e.
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• ' I
»
*
N- 15. ' . 1826.
Heidelberger,
Jahrbücher der Literatur.
* » » » •
»
Sammlung Griechischer und Römischer Autoren
bei Töübner in Leipzig«
• • •
Wir haben in No. 2. S. 32 f. dieser Jahrbücher , Jahrgang
1826 t bei unserer Anzeige des Parthenius ex ed. Passow.
bei Teubnet, im Allgemeinen der Sammlung classischer
Autoren , sowohl Griechischer als Römischer | gedacht, welche
in Leipzig bei Hrn. Teubner erscheinen, auch einige von
den Autoren namhaft gemacht , welche bereits daselbst er*
Schienen sind. Ree. rindet -sich um so mehr veranlafst j nähe-
ren Bericht davon 2u erstatten, als diese Ausgaben sich in
jeder Hinsicht empfehlen, und ihrem Zweck so vollkommen
entsprechen. Dieser Zweck nämlich ist kein anderer , als
für den Schulunterricht, wie für den Gebrauch bei akademt-
«eben Vorlesungen und für das Frivatstudium Ausgaben zu
liefern, die durch einen von falschen Lesarten wie von Druck-
fehlern gleich gereinigten Text, so weit solches nach den
vorhandenen Hülfsmitteln nur immer möglich ist, durch rich-
tige Interpunction und Orthographie, dutch deutliche Lettern,
§uten Druck, durch ein angenehmes Aeufsere und billigen
reis allen den Forderungen entsprechen, welche man in die-
ser Hinsicht zu machen gewohnt ist. Allen diesen Forderun-
gen aber ist in den bisher erschienenen Theilen dieser Samm-
lung aufs rühmlichste entsprochen; es ist Alles aufgeboten
Worden, was zu dem bemerkten Zweck dienlich seyn und
dem Unternehmen zur Empfehlung gereichen konnte. Darum
werden Schulmänner insbesondere mit dem gröfsesten Nutzen
diese Ausgaben gebrauchen, und der akademische Lehrer, der
diese Ausgaben seinen Vorlesungen über einzelne Schriftstel-
ler äu Grunde legt, wird sich eben so sehr bald von den Vor-
theilen Überzeugen, die diese Ausgaben vor jeden andern bei
«einen Vorträgen ihm gewähren. Jüetzteres mag insbesondere
von denjenigen Autoren gelten , die ihres Inhalts wie ihrer
Sprache wegen weniger auf Schulen gelesen werden können ,
sondern mehr für akademische Vorträge oder für Privatlectüre
XIX. Jahrg. 2. Heft. 15
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226
Griechische und Heimische Autoren.
sich eignen 4 wie z.B. Aristopbanes, Dionysius Pe-
riegetes, die Griechischen Erotiker u. s. w. Um
»her den Leser in den Stand zu setzen, selber zu übersehen
tind zu beuriheilen, was in diesen Ausgaben geleistet worden,
will ReC. die einzelnen Theile dieser Sammlung durchgehen,
und auf das Unterscheidende derselben , was ihnen zur beson-
deren Empfehlung gereicht, aufmerksam machen»
Aristophanis Co mos diae* Ad opthnorum librOrum fiAem cum
hrevi annotatione critica editae (von Wilh. Diw&orf)* Lipsiaef
Sumtibus et typis B. G. Teubnerl. MDCCCXXF* VoU l. 547
VoU IL 428 St 2 Thlr.
In dieser Ausgabe ist, was die Constituirung des Textes
anbelangt, von den bis jetzt bekannten kritischen flülfsmit-
teln ein Gebrauch gemacht, wie solches in keiner der bishe-
rigen Ausgaben des Aristopbanes der Fall gewesen ist. Der
Text ist von mannichfachen Fehlern , von manchen unnöthi-
gen Verbesserungen Brunk'S (dessen Recension die bisher in
den Handausgaben vorherrschende war) gereinigt, und nach
den bessern Handschriften berichtigt, insbesondere findet sich
eine durchweg verbesserte gleichförmige Schreibart in einzel-
nen Wörtern , Redensarten u. dergl., so wie in Einführung
der bei Aristophanes vorherrschenden Attischen Formen , was
in gleichem Maafsö von den Stücken Dorischer Schreibart
gilt , Welche in einzelnen Dramen (z. B. in den Achamern)
vorkommen. Eben so ist eine bessere Versabtheiläng ein-
geführt da, wo die frühere fehlerhaft und unbegründet er-
scheinen konnte« Der erste Band enthält die Acharner,
die Ritter* die Wolken* die Wespen und den Frie-
den* den Text mit den Griechischen Argumenten zu Anfange
eines jeden Stückes. Am Schlüsse des Ganzen von S. 340 —
347. ist die Annotatio Critica beigefügt, was Ree. deshalb
ausdrücklich bemerken mufs§ damit man nicht etwa dieser? »
Annotatio critica auf den hlofsen Titel hin einen allzu grofsei*
Umfang Zuschreibe, der die Masse des Bandes bedeutend ver-
größert und darum dasselbe dem oben bemerkten Zwecke min*
der entsprechend machen könnte* Denn keineswegs hat der
Herausgeber hier alle die Abweichungen von dem -hergebrach-
ten Brunk'scben Texte* oder die eigenmächtig* zumal nach
handschriftlicher Autorität vorgenommenen Aenderungen auf-
geführt i er sagt vielmehr se'ber: „ quae quia longum est ex-
ponere omnia , pauca elegi , de quibus hac annotatione dice-
rem.« Daher geben die folgenden Bemerkungen einige meist
■
- Grieohischo ond Römische Autoren. 227
kürzere Verbesserungsvorscbläge an, und zwar blos zu den
Acharnern, Rittern, Wespen und zum Frieden. In gleicher
Kürze sind die. Bemerkungen zum zweiten Bande , welcher
die übrigen Stücke: die Vögel, die Thesmophoriazusen , Ly-
sistrata, Frösche, Ekklesiazusen und Plutus enthalt t abge-
falst; hier nimmt ebenfalls die Annotatio critica keinen gros-
seren Raum , als von S. 423 — • 428. ein , und verbreitet «ich
auch hier nicht über alle Stücke. Ref. hat sich die Mühe
nicht verdrießen lassen, bei mehreren Komödien eine genaue
Vergleichung der hier gelieferten Recension mit der früheren
anzustellen; er fand sich aber auf diese Weise vollkommen
überzeugt, wie hier überall ein durchgängig verbesserter und
berichtigter Text (worauf hier so viel ankommt) geliefert ist,
der unbedingt vor jedem bisherigen den Vorzug behauptet;
wie ferner eine seltene Correctheit überall anzutreffen ist,
welche zu erreichen, wie Jeder weifs, der in solchen Dingen
eigene Erfahrungen gemacht, keine Kleinigkeit ist. Ree.
will hier nur beifällig Einiges aus den Achernern anführen;
Z. B. Vers 10. statt des unrichtigen SVa &Jt* «k*x»v>J atebt hier
das Richtigere : "ra 3$ ' * ax *J v *?• VS^ vs* lö* Ehen so gleich
darauf vs. 12. tcus tovt* poy ftpusff tiJv mooo/aV >tatt des bis-
herigen matten c e" <rat. Ree. erinnert Zweifler nur an Monk
zu Euripides Hippoi. 448. Äristoph. Nub. 881. coli. 696 etc.
Sollte aber auch statt ^ou nicht ein pot iiier zu setzen, seyn?
Ibid. vs. 35. yt9>jv für gfy# Vs. 68. ist die gewöhnliche liesart:
y.ai B*jr ir^v^'unDa 3/a tcu v KaOcrf/coV irs&iaov oäanrAavcuvr«;- etc. ; Wo-
für sich hier nach dem Codex Raven nas findet : if&uy^ofxs&Bct
•xaqa Kauotftov lciifm o$otx\avoZvT8; i und in der Annotatio critica
vorgeschlagen wird : xo^a ULatiorgtov «tS/etf. In diesem Fall aber
fragt Ree. , ob nicht statt des ra^ä ein aufgenommen wer«
den dürfte? — V$. 133. ist statt xtgyvori auf die Autorität
des Grammatiker Herodiahus aufgenommen die Form aa^vara*
— Vs. 158. Stätt ävo4&at*ii das Richtigere a^QT&siaw*
— Vs. 295- ist it|Ta </ aJ ymtouw verbessert in das Richtige:
mara, tra yy&<TQH&v9 eben so im folgenden Verse: ju^Sapu^v irg.lv av
y cixovffifT* * dkk* aLvaeypeg ulyctSot (wie zum Theil schon Elmsley
emendirte) statt dvcieysiaS % uJ 'yaBoi, — r Vs. 323. htuvat rü^a
cofxai f wo bei Brunck y d$a steht, was grundfalsch und un-
richtig ist, — Vs. 601*
Die auffallende Construction , die Schäfer zu Lambert. Bos. de
Ellips. p. 479. zu erläutern suchte, hält der Herausgeber für
eine Ausgeburt der Abschreiber , und verbessert demnach 0Jog
ort, für welche Structur auch die angeführten Stellen aus De-
mosthenes und Aeschines zeugen können. Doch kann sich Ree,
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228 Griechische und "ftoraisohe Autoren.
noch nicht vollkommen von der Richtigkeit dieser Emendation
tiberzeugen., zumal da die Attraction veav/a; 3* cious nicht als
irregulär abgewiesen werden kann, wie ähnliche von Matthiä
§. 473. Not. 1. pag. 653. angeführte Stellen beweisen. Sollte
etwas zu ändern seyn, so würde Ree. lieber vorschlagen 0?oy{
o-*, wie weiter unten vs. 703. $vt$u ku$cv, »JA/kov 0oüxv3i-
5>jv, was auch Matthiä a.a.O. p. 654. erwähnt hat. Inden
vs. 729 ff- vorkommenden zahlreichen Dorischen Formen und
Wörtern hat der Herausgeber insbesondere hülfreiche Hand
geleistet, so dals wenige Verse sich finden, die nicht in ir-
gend einer Weise berichtigt worden. Aber auch im Uebrigen
empfiehlt sich dieser Text 'durch die berichtigte und gleich-
roäfsig durchgeführte Schreibart, wie z. B. ' avJjp (vs. 47^.)»
ou (vs. 421.), ouyw (4L)» roZ^yov (vs. 8 ), Jv3^ (53.), Ä*ßa*
Tuva (vs. 64.), otyXwv (vs. 691. statt des alten ©$Xcuv, das so
wenig richtig ist, als z. B. S!ymv% wenn auch gleich Buttmann
in der ausführlichen Grammatik S. 204 des zweiten Bandes
noch Zweifel hegt; vergl. ibid. S. 149. Auch im Demosthe-
nes ist jetzt überall ofcAwv und tyktjv hergestellt : s. die Prae-
jfat. zu Vol. I. pa|T. XIII.); eben so ist das unrichtig gesetzte
jota subscript* bei einer Crasis, als z. B. Ka*W (vs.426.) und
in ähnlichen Fällen überall weggeblieben; was wir um so löb-
licher finden mufsten , als gerade bei Ausgaben, die den Zweck
haben, wie Vorliegende, Fehler dieser Art um so nachtheili-
ger sind , weil durch sie bei den Lernenden so leicht gramma-
tische Irrthümer und Unrichtigkeiten sich fortpflanzen. Auch
ist überall statt des bisherigen h'fxatf Itfjujv ein Ufteu , <Vpjv (z. B»
E(JC[. 625.) gegeben; über welche Aenderung wir von Ludwig
Dindorf *u Euripid, Suppl. 699. eine ausführlichere Erklärung
erhalten. Sehr ist es zu loben, dafs, obgleich durch manche
Veränderung in der Abtheilung der Verse, wie solche durch
die seitdem tortgeschrittene Metrik erforderlich gemacht wur-
den, die Zahl der Verse bald vermindert, bald auch vermehrt
•worden* ist, dennoch die alte Zählung der Verse durch die
dem Rande beigesetzten Verszahlen beibehalten worden ist:
ein Verfahren, wodurch der Verwirrung, die sonst imfehlhar
veranlagst wird , am besten vorgebeugt werden, und die Aus-
gabe selber in den Händen ihres Besitzers um so brauchbarer
werden kann,
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Griechisch* uud R&niiolie Autoren. 029
•
Euripidis fabulaa cum annolatbnibus Ludovici DindorfiL
Vol. I. MedeaM Hippolytus 9 Alcestis , Heraclidae, Supplices9
Troades, Rhesus 9 hm, Helena* 500 S. in S. Fol. 11. An-
dronu EU ct. Hercul. für. Bacch. Hec. Phoen* Orest. Iphigen.
Cyd. 541 S. Lipsiae etc. MDCCCXXF. % Tblr. 4 Gr.
Zu Anfang findet sich auf den beiden ersten Seiten yivoi
Ev;t*<*otf xai ßfoi , dann folgen die einseinen Tragödien in der
auf dem Titel angegebenen Folge, mit jedesmal Vorausgesetz«
tem Griechischen Argument. Von S. 445 — 483. laufen Scho-
lia Faticana :n Troades et Rhesum, mit einzelnen Verbesserungen
oder Verbesserungsvorscblägen , die unter dem Text icurz an-
gedeutet sind. Von S. 48* — 499. geht die Annotatio critica,
ganz in derselben Weise und Anlage, wie wir solches bei der
Ausgabe des Aristophanes bemerkt haben. Auch hier sind es
Llos einzelne Bemerkungen zu einzelnen Stellen, welche vor-
getragen werden, da eine Angabe aller einzelnen Aenderungen
oder Abweichungen von der bisherigen Lesart die Masse der
Annotatio critica allzu sehr vermehrt und so zu befürchten
gewesen , dafs der ursprüngliche Zweck und die Bestimmung
dieser Ausgaben gefährdet würde. Was wir aber über die
Constituirung des Textes bei Aristophaues bemerkt haben,
die bessere Schreibart, die berichtigte Versabtheilung u.s.w. ,
mufs auch von dieser Ausgabe in gleichem Maafse gelten, und
ihr in gleichem Maafse zur nicht geringen Empfehlung ge-
reichen.
Sophoclis Tragoediäe. Cum praefatione Guillelmi Din-
dorfiL Lipsiae etc. MDCCCXXF. LXXI1I und 588 S.
in 8. 1 Tblr.
Die einzelnen Dramen folgen in der Ordnung auf einan-
der : Ajax, Electra, Oedipus Tyrannos, Antigone,
Trachinerinnen, Philoctet, Oedipus epi Kolono,
und am Schlufs des Textes S. 385 — 388. iotponAVou? ßto;- Eine
Annotatio critica ist nicht beigefügt, indem statt ihrer die
Praefatio dienen kann. In dieser nämlich theilt zuvörderst
der Herausgeber die Varianten von drei Mediceiscben Hand-
Schriften mit, wovon die erste vorzüglichere aus dem vier-
zehnten Jahrhundert, auf Pergament geschriebene (No. 2725.
fr]) vier Stücke enthält: Ajax, Electra, Philoctet, Oedipus
Tyrannos; die beiden andern von minderem Werth, und auf
Papier geschrieben (No. 2788. [A] und 28l7# [01 ^» aus dem
vierzehnten und dreizehnten Jahrhundert, nur drei Stücke:
Ajax, Electra und Oedipus Tyrannos enthalten, Dafs diese
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230 Griechische und Romische Autoren.
Handschriften auch für die Constituirung des Textes und Be-
richtigung mancher fehlerhaften Stellen nicht ohne Nutzen
gewesen sind, hraucht Ree. nicht noch besonders zu bemer-
ken. Auch Verbesserungen anderer Gelehrten sind «mit Nutzen
angewendet, eigene Conjecturen seltner zugelassen worden.
Die Gründe jeder einzelnen Aenderung und Verbesserung
konnten aus denselben Ursachen, wie bei Aristophanes und
Euripides, nicht alle angeführt, und somit auch alle die Aen-
derungen selber nicht namhaft gemacht werden; auch ver-
weist uns der Herausgeber wegen mancher von ihm vorge-
nommenen Veränderungen auf seine Recension der Wunder-
schen Ausgabe des Sophocles. So enthalten wiederum S.LVI
— LXXI1I blos einige einzelne Bemerkungen, besonders me-
trische, zu einer Anzahl Stellen aus dem Ajax, dem Philoctet
und den beiden Oedipus. Wenn auch gleich bei Sophocles
dem Herausgeber bessere Vorarbeiten zu <*ebot standen, wie
bei den übrigen Autoren, und in so fern ihm seine Arbeit er-
leichtern konnten, so weifs doch jeder, der mit der Leetüre
des Sophocles einigermafsen vertraut ist, wie viel doch im-
mer hier noch zu thun ist, und welche Schwierigkeiten ein
Herausgeber zu bestehen bat. Darum eben wird der hier ge-
liefert^ Text um so mehr gerechte Anerkennung und Billigung
finden, als eben die Arbeiten der Vorgänger und die dadurch
weiter vorgeschrittene Kritik des Sophocles mit die Grundlage
bilden, und gleiche Vorzüge, wie bei den vorher genannten
Ausgaben, auch hier bemerklich sind. In der Zahlung der
Verse ist, um Verwirrung zu verhüten, dieselbe Zählungs-
vveise beibehalten , die wir oben bei Aristophanes bemerkten.
Homer i Carmina ad optimorum lihroram fidem expressa , enranto
Ouilielmo Dindorfio. Lipsiae etc. MDCCCXXIK Voll
Utas. U u. 447 f. fol. II. Odyssea. 348.5. 1 Thlr. 12 Gr.
Aus dem VorwQrt des Herausgebers ersehen wir, was
auch' nähere Einsicht und Vergleichung der einzelnen Stellen
bald lehren kann, dafs es hier nicht um eine neue Recension
des Textes zu. thun war (was auch bei diesem Autor gerade
jetzt nicht erwartet, noch verlangt werden kann), sondern
dafs es hier hauptsächlich darum zu thun war, einen möglichst
correcten ^ext dera ^Bedürfnisse der Schulen u, s. w. ent-
sprechend , zu liefern. Dies ist aber auch in jeder Hinsicht
geschehen und man wird sich in dieser Hinsicht gewifs voll-
kommen befriedigt finden. Nur höchst ' wenige , minder be-
deutende Äenderungen sind deshalb von' dem Herausgehe*
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Griechische und Römische Autoren. 23 1
vorgenommen worden , und diese betreffen meistens nur die
Orthographie: ein Gegenstand, um den sich auch in den bis-%
her bemerkten Ausgaben des Aristophanes, Euripides und
Sophocles die Herausgeber grofse Verdienste, und ihren Aus-
gaben eigene Vorzüge vor den übrigen verschafft haben. Denn
wenn auch manche richtigere Schreibart schon früher aner-
kannt worden, so hatte man doch bisher noch niebt davon
die allgemeine Anwendung gemacht. Unter den Wörtern,
welche auf diese Weise hier in berichtigter Schreibart erschei-
nen, führen wir noch i^w an, welche Schreibart auf die
Auctorität des Grammatikers Herodianus bin eingefühlt wor-
den; wie denn überhaupt die in Schreibart gemachten Aende-
rungen sich meistens auf die Auctorität alter Grammatiker
gründen.
Hesiodus cum hrovi annotationo critica edidit l^udooic us D In-
dorf ins. Lipsiateu. MDCCCXXr. IV u. 108 S. 6 Gr.
Zuerst das Leben des Hesiodus aus Proclus, dann folgt
Ins S. 71. der Text der drei noch vollständig auf uns gekom-
menen Werke des Hesiodus, Hier sind die b}s jetzt bekann-
ten kritischen Hülfsmittel zum Hesiodus sämmtlich so benutzt,
dafs wir hier einen möglichst berichtigten und verbesserten
Text erhalten , dergleichen die früheren Herausgeber des He-
siodus uns nicht darzureichen vermochten. Einen eigenen
Werth erhalt ferner diese Ausgabe durch die vollständige
Sammlung der Hesiodeischen Fragmente S. 72 — $00. Es ist
zum Theil ein Abdruck aus Gaisford poetae minores, wo sich
l)is jetzt die Fragmente am vollständigsten gesammelt fanden,
und auch die Noten von Gaisford und Ruhnkenius sind zum
Theil mit abgedruckt. J£s hat aber der Herausgeber aus seit-
dem bekannt gewordenen Grammatikern, die freilich Gaisford
noch nicht kannte, dreizehn neue Fragmente hinzugefügt, so
dafs die Zahl sämmtlicher Fragmente 'sich auf hundert und
eins beläuft. Die Annotationes füllen S. 101— 108, sie
enthalten kritische und grammatische Bemerkungen , Verbes-
serungsvorschläge u. dergl. ; wir machen insbesondere auf-
merksam auf die längere Note zu vs. 617 der Theogonie über
Bgugttvfi zu vs. 720 ff. Die Beschreibung des Tartarus, hält
der Herausgeber für das Werk nicht eines einzelnen Dichters,
sondern als aus nicht weniger als acht verschiedenen Gedichten
zusammengesetzt, und so bat er versucht, diese acht verschie-
denen Gedichte nach den einzelnen Versen auszumitteln und
rieben einander zusammenzustellen ; welcher Versuch gewifs
volle BeachtuSu verdient.
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233 Gueohiscliö und Römische Autoren.
ThcQcriii, Bionis et Moschi Carmina edidit Augustus Mßi-
ftpkp. yJcccdit brevis annqtatio trUica, "Lipsiao. MDCCCXXV,
151 in 3. %0 Gr.
Auch hier ist das QsoK^rovi yivoe und die l-roBfruc. der ein»
seinen Idyllen vorausgeschickt, der Text selber dann nach
den neuesten Hülfsmitteln berichtigt gegeben , woran sich*
wie bei den andern Ausgaben, eine kurze Annotatio critica
von S. 144 — 151. anschliefst, in welcher theils von gemach-
ten Aenderunge i Rechenschaft gegeben, theils anderer Gelehr-
ten , so wie des Herausgebers Yerbesserungsvorschläge bemerkt
und in der Kürze besprochen, theils gebilligt, theils auch öfter
als uunOtbjg abgewiesen werden. Wir müssen übrigens auch
bei dieser Ausgabe dasselbe Unheil , das wir bei den andern
Ausgaben ausgesprochen , wiederholen, und dieselben Vor-
züge auch dieser Bearbeitung der Griechischen Bukoli^er zu-
erkennen.
Dionysii orhli lettarum descrlptlo, Recensuit et adnota»
tione critica initruxit Pranciscus Pastow. Accessit tabula
geographica lapidi inscripta. Lipsiae etc. MDCCCXXV. XV
und l«4 S? in 8. *0 Gr.
Diese Ausgabe verdient in mehr als einer Hinsicht all«
Aufmerksamkeit. Vorerst betrifft sie einen Schriftsteller , der
in früheren Zeiten mit vielem Eifer gelesen und erklärt, dann,
besonders wahrend des verflossenen achtzehnten und auch
siebenzehnten Jahrhunderts gänzlich in Vergessenheit gera-
then wari und in neueren leiten, als die Wichtigkeit dieses
Autors und der traurige Zustand desselben mehrere belehrte
zu ejner Bearbeitung desselben veranjafste, eben diese Männer
nach einander durch den Tod dahinschwinden sab. Wir nen-
nen hier nur Bredow, Spohn und Wem icke, lauter
]\länn*r, mit eben so viel Henntnifs und Gelehrsamkeit, als
auch kritischen HüH'smittelp ausgerüstet, der JLrstere mit
zahlreichen Pariser Collationenj der Letztere unter anderm
mit den Bemerkungen des gelehrten Lucas Holstenius. Der
\Viiust mufste um so bedeutender erscheinen, als auch die
•pnst mit einem brauchbaren kritischen Apparat versehene
Ausgabe d*-s. seeligen Matthiä in Frankfurt doch einen berich-
tigten 'XV*t keineswegs zu liefern vermochte. Unter splchen
VeeL;;hnissen war die Heransgabe eines Schriftstellers , dessen
Wichtigkeit und Nutzen jetzt wieder gehörig gewürdigt zu
Warden beginnt, um 40 notwendiger , da wir eines brauch-
baren Textes eigentlich entbehrten. Um so erfreulicher aber
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Griechische und Römische Autoren.
233
mufste diese Ausgabe werden, wenn sie mit neuen kritischen
HüUsmitteln unternommen war, die vereint mit (Jen früher
bekannten, einen Lesseren Text zu liefern im Stande waren:
wie solches hei dieser Ausgabe der Fall ist. Mit Beseitigung
unnötbiger Conjecturen neuerer Gelehrten, mit Verbesserung
falscher .Lesarten durch die bemerkten Hülfsmittel , wobei nur
weniges, wie Orthographie, Interpunction u. dergl. , nach
eigenem Ermessen geändert ward, ist dem Herausgeber solches
möglich geworden; wobei er sorgfältig beflissen gewesen,
jede Stelle, in der er von der Lesart der Handschriften abge-
wichen, in der Adnotatio critica zu bemerken, und so üher
keine Lesart uns im Zweifel zu lassen. Nimmt man dazu die
meisterharte Correctheit des Drucks, besonders wenn man
die von Druckfehlern wimmelnden und deshalb ganz unleser-
lichen älteren Ausgaben vergleicht, so müssen wir uns zu die-
ser Ausgabe doppelt Glück wünschen. Ueber den Verfasser
selber und dessen Werk deutet uns Hr. Passow S. XIV und
XV seine eigene Ansicht kurz an. Er hält Dionysius für einen
Libyer, und setzt die Abfassung des Werkes nicht vor die Re-
gierung des Domitian und njclit nach dessen Tode; auch ist
er nicht der Meinung , dafs bedeutende Lücke/1 in diesem
Stück sich vorfänden, wie wohl Einige zu behaupten versucht
haben. S. i — 37. steht der Text; dann S. 38 — 104. die
Adnotatio critica. Hiezu wurden die Commentarien des Eu-
stathius, die älteren Lateinischen Uebersetzun- en des Avie-
nus und Priscianus und das, was Neuere versucht, benutzt;
auch finden sich die Abweichungen von dem Texte des Hono-
rius Stephanus (nach der Ausgabe von 1577.) und Matthiä
immer augegeben. Dabei finddje Varianten der von Stepha-
nus, der sechs in der F.igliscben Ausgabe von Thwaites und
der beiden von JVXatthiä verglichenen Handschriften sorgfältig
zusammengetragen 4 und ibuen die Vat ianten von fünf andern
unbenutzten Handschriften vollständig hinzugefügt. Letztere
bestehen aus einer Rhedingerscben Handschrift, 1488 ge-
schrieben und mit der ScheTlersheimschen meistens überein-
stimmend, ferner aus einem Codex Gudianus in der Wolfen*
büttler Bibliothek (verglichen durch Hrn. Gonrector Krüger),
einer Dresdner, einer Münchner und Moskauer. Aufserdem
werden noch gelegentlich Varianten mancher andern Codd. an-
geführt, welche andere Gelehrte in ihren Werken gelegentlich
angeführt hatten. An sie knüpfen sich dann weiter die eignen
schätzbaren Bemerkungen des Herausgebers. Gelegentlich
erhalten wir auch Nachricht von einigen zu Rqudnitz an der
Elbe in der Bibliothek des Fürsten Lobkowiu befindlichen
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234
Griechische und Römische Autoren.
Händschriften , eilf Griechischen und fünf Lateinischen , worun-
ter ein Plato , ein Diogenes von Laerte, ein Demosthenes,
Dionysius Periegetes und Dionysius Areopagita, Einiges voii
Plutarch's Morahen u. s. w. Die beigefügte Tafel des Dio-
nysischen Weltkreises auf Steindruck ist eine sehr brauchbare
Zugabe,
Wir wenden uns nun zu den Prosaikern. Auch hier be-
merkt Ree. im Allgemeinen, finden sich überall die Beweise
des Bestrebens, den Text auf die Grundlage der älteren, an-
erkannt besseren Handschriften zurückzuführen, die eigen-
t hü mlichen Formen, sey eS des Dialekts oder des einzelnen
Schriftstellers, wiederherzustellen, mit Benutzung der Re-
sultate neuester Forschungen. Dazu die aufserordentliche
Correctheit des Druckes, die wirklich in Erstaunen setzen
mufs. Auf diese Weise können wir uns bei manchen Schrift-
stellern wohl rühmen, hier erst einen gehörig richtigen und
ursprünglichen Text zunächst dem, wie er aus der Hand des
Verfassers geflossen seyn mag , zu erhalten. Ree. will bei der
Anzeige der einzelnen Autoren , die deshalb dem Schulge-
brauche sich ganz vorzüglich eignen , diese Vorzüge nicht wie-
derholen , es genüge hier, sie im Allgemeinen angedeutet und
besprochen zu haben,
A e s chi ni s Oratione s. Curavit Guilielmus Dindorfius.
Accesserunt Lectiones codicis Havnietuis ad orationem contra Ti-
marchum. Lipsiae etc. MDCCCXXIV. 190 S. 10 Gr.
In dem angenehmsten Aeufseren , niedlichem Druck, schar-
fen und deutlichen Lettern, die, obgleich klein, doch durch
ihre Stellung das Auge nicht angreifen, erhalten wir einen
möglichst gereinigten und gebesserte/i Text des Aeschines )
wobei zugleich die Seitenzahlen der Stephan'schen Ausgabe
bemerkt, und eine eigne Zählung der Zeilen auf jeder oeite
mit 5 — - 10 u. s. w. veranstaltet ist. Statt der Adnotatio cri-
tica erhalten wir am Schlufs die vollständige Collation der auf
dem Titel bemerkten Koppenhagener Handschrift mitgetheilt.
Die Collation dieser trefflichen Handschrift der Königlichen
Bibliothek zu Koppenhagen No. 415- ist von Hrrt. Bloch
nach der Reiske'schen Ausgabe gemacht. Am Ende fehlt Ei£
, niges wenige in der Handschrift.
Demo s thenis orationes edidit Guil9 Dindorfius. Lipsiae etc.
Vol. I. XVI u. 56i S. Um 568 S. III. 529 S. 2 Thlr. 20 Gr.
Obgleich hier durch Bekkers treffliche Recension schon Viel
geleistet, so finden sich doch noch immer viele dunkle, ver-
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Griechische und Römische Autoren. £35
dorbene, schwierige Stellen, welche die hülfreiche Hand des
Herausgebers in Anspruch nahmen. Der eben erschienene Band
von Schäfers Commentarien bot ebenfalls dem Herausgeber
manche Berichtigung und Verbesserung dar. Für die beiden
ersten Olynthiscben ileden besafs er üherdem eine durch Bloch
Semachte Collation der Koppenbagener Handschrift , die auch
enAeschines enthält, mit dem Reiske'schen Texte , und theilt
uns dieselbe in der Praefatio S. II und III kürzlich mit. Daran
reihen sich von S. III — XIV einzelne Bemerkungen zu ver-
schiedenen einzelnen Stellen in den drei Bänden, die den De-
mosthenes enthalten, sie geben theils Rechenschaft von den
gemachten Aenderungen und Verbesserungen , theils enthalten
sie Verbesaerungsvoischläge, selbst mit grammatischen Bemer-
kungen , wie z. ß. S. IV über die Schreibung ^ 'K«7vo; und ähn-
liches; S. V üher ü Ii pj statt «/ U ^ ya; S. IX über Bstvu xai
*oAAa und ähnliches; S. XIII ttberTt'o»,-, dessen Gebrauch für
£0,5 mit Schäfer den Attikern abgesprochen wird ; S. XIV über
cvycif &) — 7« u. s. w. Sie ersetzen auf diese Weise die an-
dern Bänden am Schlüsse beigefügte Annotatio critica. Ein
Index Orationum oder ein alphabetisches Verzeichniis der ein-
zelnen Reden mit Beifügung der Seitenzahlen und des Bandes,
der sie enthält, ist der rraefatio beigegeben. Auch sind, was
wir sehr loben müssen, die Seitenzahlen der Reiske'schen Aus-
gabe am Rande bemerkt, und überdem jede Seite, wie bei
Aeschines, nach den Zeilen numerirt. Auch die unächten oder
verdächtigen Schriften des Demostbenes, wie z. B. die Briefe
und einige Reden , fehlen nicht, es ist aber bei dem Columnen-
titel das Wort AHMOZÖENOTZ in Klammern eingeschlossen.
Isoeratis Orationes. Cum -praefatione Guil, DindorfiL Lipsiae
etc. MDCCCXXV. XIV und 408 S. 1 Thlr. 16 Gr.
Diesem mit derselben rühmlichen Sorgfalt und Correctheit
besorgten Abdrucke liegt im Ganzen die Bekkersche Recension
zu Grunde, die sich mit Recht hauptsächlich auf den vorzüg-
lichen Codex Urbinas aus der Vaticanischen Bibliothek grün-
det. Den grofsen Verdiensten, die Bekker durch scharfsinnige
Ausmittelung vder wahren Lesarten aus den jener Handschrift
beigefügten Interpolationen der Grammatiker sich erworben,
zollt der Herausgeber die verdiente Anerkennung, und giebt
selbst noch einige weitere Beiträge hiezu, verbunden mit eini-
gen sprachlichen Bemerkungen, wie z. B. über den Gebrauch
des Superlativs von -KawohaxU ^ der den Abschreibern stets ein
Anstois war, über*£iv, nicht *Qtvtf$ vor dem Infinitiv u. 8. w.
An diese Bemerkungen schliefst sich an der Abdruck des von
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236 Griechische und Römische Autoren.
■
Andreas Mustoxydes zu erat herausgegebenen ß/0;*EXXuioc9
worauf dej Text der einzelnen Reden folgt, am Rande die Seiten*
zahl der Stepban'achen Ausgabe und dieLiinienzablen jeder ein-
zelnen Seite, wie bei Aeacbine8 und Demoathenea,
Isocratis Parte gyricus. Ex Recensione Immanuelis Bekkeri a Guil.
Dindorfio passim reficta. Brevem annotationem critieam adjeeit,
, Gustavus Pinzger. Lipsiae etc. 1825. IV «. 65 S. 5 Gr.
Es ist der Text aua der gröfseren Ausgabe des Isocrates ab-
gedruckt; von S. 37. an gebt die Annotatio critica, worin der
tuätige Herausgeber die verschiedenen Lesarten zusammenge-
stellt und so hauptsächlich es möglich gemacht hat, eine klare
Uebersicht von allen einzelnen Stellen, deren Lesart geändert
worden, Zugewinnen. Darum sind hier die Lesarten des Co*
dex*Urbinas vollständig mitgetheilt, aus den übrigen Codd.
und alten Ausgaben (die von kritischem Werth sind) nur ein-
zelne Varianten, Da, wo des Vf. Kritik von der seiner bei-
den Vorgänger, Bekker und Dindorf, abweicht, ist solches
mit einem Sternchen bezeichnet. Dafs in der Annotatio bei
Anführung der Varianten auch manches andere gelegentlich
abgehandelt, manche Beiträge zur Verbesserung oder Erklä- ,
rung achwieriger Stellen gegeben worden, braucht Ree. wohl
nicht noch besonders zu bemerken, um dieser Bearbeitung die
verdiente Aufnahuie allerwärts zu verschaffen.
Xenophontis Expedltlo Cyri. Cum breci annotatione edidit Lud.
Dindorf ius. Lipsiae etc. X und 201 S. 10 Gr.
Xenophontis Eis tori a G rm eca , cum brevi annotatione et MS.
Vu uniuni varietai iL us edidit Lud, Dindorfius, Lipsiae etc.
X LI und 220 S. 12 Gr.
Xenophontis Inst itutio Cyri, Cum brevi annotatione critica ed»
Lud. Dindorf ius. Ups etc. IX und 255 S. 12 Gr.
Xenophontis Memorabilia. Cum MS. Vtctoriani varietatibus ed.
Guil. Dindorf ius. Lipsiae etc. XX und 115 S. 8 Gr.
Xenophontis Scripta minor a. Cum breoi annotatione critica ed.
Lud. Dindorfius. Lipsiae etc. XXXIX u. 244 S. 12 Gr.
In allen diesen Tbeilen ist dem Text selber eine gleiche Ver-
vollkommnung zu Theil geworden , und daa, was andere Vor*
gänger geleistet, in gehöriger Weise benutzt: was bei diesem
so viel geleaenen Schriftsteller von desto gröfserem Interesse
seyn muis , und diese Auagabe wegen der Richtigkeit deaTex-
tea und gänzlichen Mangels aller Druckfehler ao aebr für den
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t
Griechische und Romisch« Autoren» 237
Schulgehranch empfiehlt. Auch sind immer jedem einzelnen
Bande lateinische Summarien von den einzelnen Büchern oder
Abschnitten vorausgeschickt, was in jedem Fall angenehm und
bequem ist. Da, wo eine Annotatio critica beigefügt ist, ist
dieselbe von keinem bedeutenden Umfange und ihrem Inhalt
nach gleich der der übrigen Ausgaben , wie wir solches im
Vorhergehenden mehrfach bemerkt haben. Was aus Hand-
schriften in dem Texte aufgenommen worden , ist nicht nament-
lich verzeichnet, sondern nur einzelne Berichtigungen und
Verbesserungsvorschläge angedeutet. Bei der Historia Graeca
ward die von Victorius an den Rand der Aldiner Ausgabe ge-
schriebene Collation einer sonst unbekannten Handschrift be-
nutzt, die einzelnen Varianten in der Vorrede angegeben , zu-
gleich mit einzelnen Bemerkungen des Herausgebers unter-
mischt, die statt der Annotatio critica dienen. Dasselbe ist
der Fall bei den Memorubilien , wo ebenfalls in der Vorrede die
Collation zweier Manuscripte des Victorius, geschrieben an
den Rand einer Aldiner und einer Florentiner Ausgabe, mit-
getheilt und mit Bemerkungen hie und da begleitet wird. Zu
den Scriptis minoribus des letzten Bandes (Oeconomicus , Convioium,
Utero , Agesilaus , Do Republ. Lacedaem. et Athen. t De Vecdgall.%
De* re Equest.f Hipparchic. , Cynegetic, Apolog. Socr.) haben wir
uns zahlreicherer Bemerkungen zu erfreuen, die für die Erklä-
rung vieler Stellen neues Licht anzünden. Lesarten der be-
kannten Handschriften , die der Herausgeber zurückgeführt und
aufgenommen,' Verbesserungen der früheren Herausgeber , die
in gleicher Weise hier eine Stelle fanden, sind freilich hier
nicht aufgezählt , sondern übergangen , und betrifft demnach
der Inhalt der Anmerkungen nur Eigenes.
Thucy didis Historia» Curavit Lud. Dindor/ius. Lipsiae etc.
MDCCCXXIV. XXJI und 497 S. 1 Thlr.
Die Vita Marcellini und die lateinischen Summarien der ein-
zelnen Bücher sind dem Texte vorangeschickt, kurze Annota-
tioneil von S. 492 — 497. beschliefsen denselben. Der Text
erfreut sich derselben Berichtigungen , derselben Correctheit,
Xenophon und die übrigen bisher aufgezählten Autoren.
Plutarchi Vita. Curavit Godofr. Henr. Schaefer. Lipsiae etc.
Vol. I. IV und 450 S. 1 Thlr. 16 Gr.
Es enthält dieser erste Band , welchem noch drei andere fol-
gen, und wovon der letzte auch die nfarrago animadversionum n
enthalten soll, den Text der Vitae in der gewöhnlichen Ord-
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238
Griechische uad Römische Autoren.
nung bis auf A e m i 1 i u s V a til u s incl. Vor der Erscheinung
der Anmerkungen, denen mit dem Ree. gewifs alle Freunde
des Plutarch mit Verlangen entgegensehen, wird man daher
nicht näher ins Einzelne eingehen können. So viel aber kann
Ree. durch Vergleichung einzelner Vitae versichern, dafs der
Text, obwohl auf denselben Grundlagen beruhend , wie die
früheren von Schäfer besorgten Textesausgaben , doch hier in
verbesserter Gestalt erscheint. Die Anmerkungen sollen haupt-
sächlich Kritik, auch wohl Erklärung betreffen, und Einzelnes
au6 Coraji's Noten enthalten. Für den bequemen Gebrauch ist
durch Beifügung der Seitenzahlen der Frankfurter Ausgabe gut
gesorgt. Sonst auch theilt diese Ausgabe dieselben empfeh-
len! wer then Eigenschaften der übrigen Ausgaben.
Herodoti Uistoriarum lihri IX Cum hreoi ann'otatione Aug. M a t -
thiae et Henr. Apetzi'u Lipsiae 1825. Vol. h Vlll und 306 S.
Dieser erste Band enthält den Text der vier ersten Bücher,
nebst den vorausgehenden Lateinischen Summarien jedes Buchs.
Hauptsächlich ist die Gaisford'sche Recension befolgt worden,
jedoch mit einzelnen Veränderungen in Formen u. dergl. , wie
solche der Herausgeber fürnöthig erachtete, worüber die dem
zweiten Bande beigegebene Annotatio uns im Einzelnen beleh-
ren soll. Sie wird dann auch manche Beiträge für die Erklä-
rung einzelner Stellen enthalten.
I
C. Julii Caosaris Commentarii de hello Gallico et Civili. Accedunt
libri de hello Alexandrino , Africano et Hispaniensi. £ recensione
Francis ci Oudendorpii, Textum passim reßnxit , annotationem cri-
ticam adjecit Jo, Christoph* Da ehrte. Lipsiae etc. 1825.
XI und 421 S. 18 Gr.
Dem Text dieser Ausgabe liegt der Oudendorp'sche Text
•von 1740 zwar zu Grunde, aber theils ist nach der Oberlin*-
seben Ausgabe manches in Interpunction , Schreibart u. dergl.
geändert, theils nach den seither bekannt gewordenen Hand-
schriften uud den Bemühungen anderer Gelehrten manches be-
richtigt, jede Abweichung ]edoch sorgfältig in den Annotatio-
nes bemerkt, worin auch zugleich manche andere kritische
Bemerkungen vorgetragen, Verbesserungsvorschläge gemacht
lind mit Gründen unterstützt werden, die auch sprachlichere
Erörterungen herbeiführen. So erhalten wir hier die Angahe
der hauptsächlichsten Varianten aus den grösseren Ausgaben
von Oudendorp, Morus, Oberlin, Held, Herzog, Lemaire,
welcher letztere insbesondere mehrere gute Pariser Handschrift
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Griechische und Römisch« Autorer.
239
ten benutzte, ferner atis drei alteren Ausgaben, zugleich mit
Benutzung des für Kritik wie für Erklärung oft so wichtigen
Qriechischen Uehersetzers. Der Herausgeber wird dafür mit
vollem Recht auf den Dank aller Freunde des Cäsar rechnen
können, um so mehr, da seine so verdienstliche Arbeit so
höchst mühevoll war, da sie mit solcher Genauigkeit, Pünkt-
lichkeit und Gewissenhaftigkeit (welche sich besonders auch
in Constituirung des Textes kund giebt), und mit gleicher
Ausdauer unternommen worden. Diese Annotationes reichen,
bei höchst compendiösera , aber doch sehr correctem und leser-
lichem Druck, von S. 345 — 421, und bilden darum auch
eine für dt? n Kritiker und Gelehrten gleich willkommene und
wichtige Sammlung. In der Vorrede findet sich dabei die
Atigabe der hauptsächlichsten und wichtigsten Handschriften
des Cäsar, wie der im Druck erschienenen Ausgaben dessel-
ben, und eine kurze Zeittafel der Hauptmomente in dem Le-
ben Cäsars, nach YVetzel's Tabelle. S. 324 — 343. nehmen,
nach dep vollständigen Schriften, die Fragmente ein, sie
schliefsen mit Anführung der Dicta Caesaris, so wie der Zeug-
nisse und Urtheile Anderer, Zeitgenossen wie späterer Au-
toren, über Cäsar. Möge das Gesagte hinreichen, auch die-
ser Ausgabe überall geneigte Aufnahme zu verschaffen , und
den Heransgeber die gebührende Anerkennung seiner Bemü-
hungen finden lassen,
P. Firgilii Moronis Opera omnia. Ad optimorum lihrorum
fulem recensuit et in usum scholarum edidit J o. Christ, Jahn.
Ups. etc. MDCCCXXV. XXXIII, und 456 S. 18 Gr.
Obgleich in neueren Zeiten Vieles von verschiedenen Seiten
her für Virgil geleistet worden ist, so wird man doch nicht
läugnen können, dafs die Kritik immer noch hier ihre grofsen
eigenen Schwierigkeiten hat, und die Herausgabe dieses
Dichters, wenn ein berichtigter, auf handschriftliche Aucto-
rität gegründeter Text geliefert werden soll, wie solches bei
den Übrigen Ausgaben dieser Sammlung der Fall ist, keine
leichte Aufgabe ist. Um so mehr müssen wir uns freuen ,
dafs die Bearbeitung dieses Dichters so geschickten Händen
anvertraut worden, die uns einen solchen Text wirklich zu
geben vermochten. Mit Recht bemerkt der Herausgeber,
wie eigentlich unter der Menge Handschriften, die zu Virgil
bereits verglichen worden, vorerst eine kritische Sichtung
vorgenommen werden müsse, mit Bezug auf die Richtigkeit
der Collation und die Interpolation mancher dieser Hand-
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240
Griechische und Römische Autoren.
Schriften. So ziehen Heinsius und Heyne die MediceU
sehe Handschrift vor; unser Herausgeber ist wegen der von
Turcius llufus Apronianus in dieser Handschrift gemachten
Aenderungen geneigt, der Römischen Handschrift den Vor-
zug zuzuerkennen. Doch hat er Wegen des dllgemein einge-
führten Gebrauchs der Heyne'schen Recension dieselbe in den
meisten Füllen beibehalten , und nach dem Römischen Codex
nur da geändert , wo auch andere gute Handschriften damit
Übereinstimmten; im Uebrigen aber auch Sorge getragen, die
unnöthig gemachten yerbesserungen auszumerzen, insbeson-
dere den ungerechten Verdacht, der auf vielen Versen des Vir-
gils haftete, zu beseitigen, wobei Weicherfs Abhandlung
„de versibus aliquot V. Virgilii et C. Valerii Flacci injuria
suspectis« inshesondere benutzt wurde. Derselbe Gelehrte
iiberliefs auch dem Herausgeber seinen ganzen für den Virgil
gesammelten Apparat , wovon uns hier Vieles mitgetheilt wird.
Bei den Georgicis wurde an einigen Stellen Spohlas Hand-
schrift, bei den Eu coli eis die Collation eines Zwickaner
Codex benutzt. Doch sind beide Handschriften nicht sehr
alt, und enthalten nur wenig Brauchbares. In den kleineren,
dem Virgil beigelegten Gedichten ward nur Weniges geändert,
weil bedeutende Hülfe hier nur von guten Handschriften zu
erwarten war. Eine Introductio giebt über das Leben des
Virgil, dessen Schriften und deren Schicksale die erforderliche
Auskunft denjenigen, für welche diese Ausgabe bestimmt ist.
Dann folgt der Text, nach den oben angeführten Grundsätzen
und den bemerkten Hülfsmitteln berichtigt, in correctem
Drucke , und von S. 352 ff. — 456. die Annocationes zu den
verschiedenen einzelnen Werken des Dichters, Es kann hier
nicht der Ort seyn , ausführlicher in das Einzelne dieser so
schätzbaren Annotationes einzugehen, und auf diese Weise
im Einzelnen die Verdienste des Verfassers und die Vorzüge
seiner Arbeit hervorzuheben; wir müssen uns daher begnü-
gen, im Allgemeinen die Freunde des Virgilius aufzufordern,
diese Bemerkungen näher zu durchgehen, und die zahlreichen
exegetischen, grammatischen, metrischen und kritischen £r*
örterungen eines ernstlichen Studiums zu würdigen.
(Der Beschln/s folgt»)
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N. 16, 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Sammlung Griechischer und Römischer Autoren
bei Teubner in Leipzig.
(Beschlujs.)
T. Livii Patavini Historiarum libri qui supersunt omnet et deper*
ditorum Jragmenta, Editionem curavit , brevem annotationem cri-
ticam adjecit Detl, C. G, B aum gar t en* C ru s ius. Tom* /•
L.i- X conänens. Ups* etc. 1825. VUl und 484 S. 16 Gr.
Ein vieljähriges Studium, eine langwierige Bekanntschaft,
-welche der Herausgeber mit den Schritten des Livius gepflo-
gen , und eine vertraute Kenntnifs der Sprache dieses Schrift-
stellers konnten wohl den Herausgeber vor Andern zur Her-
ausgahe des Livius befähigen, und das Publicum andererseits
erwarten, dasselbe zu erhalten, was es bei den übrigen Aus-
gaben erhalten hat, einen berichtigten , lesbaren Text, worin
X'ehler der Handschriften, schlichte Lesarten und unnöthige
Conjecturen eben so sehr vermieden, als richtigen, kritisch
begründeten Lesarten der gebührende Platz wieder eingeräumt
-worden, um so einen der ursprünglichen Handschrift so viel
als möglich genäherten Text zu erhalten. Nach einer kurzen
Einleitung über Leben und Schriften des Livius f sowie de-
ren Schicksale und Bearbeitungen, folgt alsbald der in jeder
Hinsicht correcte Text; dann von S. 464 — 484. die Annota-
tioeritica, nicht in der Ausdehnung, wie bei den eben be-
merkten Ausgaben des Virgil und Cäsar, sondern etwas kür-
sser , aus kritischen Bemerkungen , auch einigen sprachlichen
Erörterungen, die an erstere sich. anknüpfen , bestehend.
Wir schliefsen un&ern Bericht mit dem Wunsche des ge-
deihlichsten Fortgangs dieser Unternehmung, und werden von
den in der Folge erscheinenden weiteren Theüen zu seiner Zeit
unsere Leser in Kenntnifs setzen.
Die Preise sind blos von den ordinären Ausgaben verstan-
den , während auch bessere zu höheren Preisen existiren.
XIX. Jahrg. 3. Heft. 16
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I
242 Steiu chronologisches Handbuch.
Berlin , bei Suhr : Chronologisches Handbuch der neuesten Geschichtem
Enthaltend die Segebenheiten vom Anfange der französischen 21«-
volution an bis zum Ende der Revolution in Spanien , 1789 bis 1823.
Herausgegeben von Karl Stein. 275 S. 8. 1 Tblr. 4 Gr.
Seit die chronologischen Handbücher von Wedekind so
vielen Beifall gefunden haben , sind gröfsere und kleinere
chronologische Werke wie Pilze aus dem Dintenfasse unserer
allzeit fertigen Büchermacher hervorgestiegen , und das Anfer-
tigen derselben scheint ihnen ein leichter und einträglicher
Erwerbszweig zu seyn. Ohne die erforderlichen historischen
Kenntnisse , ohne richtigen Tact, ohne eine Ahnung davon
au haben f dafs mit Wedekind's Werken, so schätzbar sie
auch sind, nicht Alles gethan sey, dafs namentlich sein chro-
nologisches Handbuch der neueren Geschiebte von 1740 bis
i8l5 ohne festen Tlan gearbeitet, viel Unwichtiges darin auf-
fenommen und viel Wichtiges darin übergangen worden ist,
afs es endlich nicht wenig unrichtige Data enthält, schreiten
diese Menschan rüstig ans Werk , excerpiren die Wedekind'-
schen Bücher so gut sie es verstehen , lassen davon weg und
setzen hinzu, was ihnen gut dünkt, und — das Werk ist
fertig. So hat ein gewisser Heiser vor einigen Jahren ein
chronologisches Taschenbuch herausgegeben, dem man nicht
Unrecht thut, wenn man behauptet, es sey unter aller Kri-
tik; so hat Hessel seinem genealogisch statistischen AI ma-
nsch eine nicht weniger als 1 0.8 Seiten enthaltende, roh und
flüchtig gearbeitete chronologische Uebersicht von Noah bis
zur Schlacht bei Ayaruche anhängen zu müssen für dienlich
erachtet, die nun von Jahr zu Jahr mit allen ihren Ungenauig-
keiten unverändert abgedruckt wird.
Was nun das vorliegende Werk betrifft , so zeichnet es sich
weder durch FlanmäTsi&keit, noch durch gute Auswahl, noch
endlich durch Genauigkeit vor den bisher erschienenen zahl-
losen chronologischen Büchern und Büchlein aus. Seit der Er-
scheinung der dritten Auflage seines chronologischen Taschen-
buchs hätten sich — bemerkt der Verf. in der Vorrede —
die merkwürdigen Erscheinungen der Zeit nicht minder ge-
häuft als zuvor, und so sey in ihm der Gedanke entstanden,
das gegenwärtige Handbuch herauszugeben. Ist das aber ein
hinreichender Grund, um ein, wie uns bedünkt, ganz über-
flüssiges Werk anzufertigen? Statt eine neue Anflage seines
chronologischen Taschenbuchs abzuwarten , in die er dann
die neuesten Ereignisse hätte aufnehmen können, bat er lieber
ein neues Buch herausgeben wollen. Wenn er aber deun doch
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Stein chronologisches Handbuch. 243
dies für geratben fand, so hätte er den von Wedekind ausführ-
lich dargestellten Zeitraum von 1789 bis 1815 ganz weglassen
und seine Arbeit erst mit dem Jahre 1815, wo Wedekind auf«
hört, anfangen sollen. Wer das Wedekind'ache Werk be-
sitzt) für den ist die von dem Verf. gelieferte Darstellung des
Zeitraums von 1789 bis 1815 ohne allen Werth 9 indem sie
sich zu der Wedekind'scben nur wie ein flüchtiger und unge-
nauer Auszug verhält. Der Verf. bittet, an seine Arbeit keine
zu hohen Forderungen zu machen ; aber eben , weil er etwas
ganz Ueberflussiges unternommen, und statt seines Vorgän-
gers Werk zu berichtigen, sich begnügt hat, dasselbe zu ex«
cerpiren, ja zu verschlimmbessern, so ist es Pflicht, seine
Arbeit strenge zu beurtbe^len , um wenigstens Andere von
solcher Buchmacherei abzuschrecken.
Hinsichtlich seiner Quellen (bemerkt der Verf.) habe er
Wedekind's Handbuch der Welt- und Völkergescbichte, sein
eigenes chronologisches Taschenbuch und die allgemeine Zei*
tung benutzt«
£s erregt schon ein schlimmes VOrurth*ul, wenn jemand t
der sich für berufen hält, historische Werke herauszugeben f
Quellen und HüJfsmitte) nicht zu unterscheiden weifs. Von
den angeführten Werken kann hlos die allgemeine Zeitung als
Quelle betrachtet werden 9 die beiden andern sind nur Hülfs-
mittel.
Lebte der Verf. an einem Orte, wo ihm sonst keine lite-
rarischen Hülfsmittel zu Gebote stünden, so wäre er zu ent-
schuldigen, wenn er für seine Angaben nichts als eine Zeitung
anzuführen wüfste. Da er aber in Berlin lebt, wo sich eine
eben so zahlreiche als vortreffliche Bibliothek befindet, so ist
es in der That unverzeihlich, dafs er das Recueil von v. Mar«
tens, die Archives diplomatiques und die bei Brockhaus er«
schienenen europäischen Constitutionen (um so vieler anderer
Quellen und Hülfsschriften zu geschweigen) gar nicht be-
nutzt hat«
Der Verf. bat den von ihm dargestellten Zeitraum wieder
in Perioden getheilt, wovon wir keinen Grund einzusehen
vermögen. Die dritte Periode von dem Brande von Moskau
bis zum zweiten Pariser Frieden ist, als nur drei Jahre in
sich begreifend , offenbar zu kurz; besser wäre es gewesen9
die zweite mit dem Sturze des französischen Kaiserthrone
(l8l4) zu schliefsen , und die dritte von da bis 1823 herab-
zuführen. Wie ungleich übrigens diese Perioden bearbeitet
sind, ergibt sich schon aus der Seitenzahl : die erste von 1789
kis 1799, welche an hochwichtigen Ereignissen keiner nacb-
16 *
0
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S44
Stein chronologisches Handbuch.
steht, wird auf 24 Seiten abgefertigt, während die dritte nur
drei Jahre begreifende 45 Seiten und die vierte 73 Seiten ein-
nimmt. So ist von Plan und zweckmässiger Auswahl der Be-
gebenheiten nirgends eine Spur zu finden.
Der Verf. hat seinem Werke eineEinleitung'voranschicken
zu müssen geglaubt, welche von 1661 anhebt, und gegen das
Werk selbst sonderbar absticht, das nur Facta ohne Urtheil
liefert, während jene Raisonnement enthält. Er hat verges.
sen , dafs er jakein historisches Compendium, sondern nur"
„ein Hülfsmittel zur Erinnerung an die Vorgänge unserer Zeit*
zu schreiben beabsichtigte. Die Einleitung hätte daher als ein
wahres hors d' oeuvre ganz wegbleiben sollen.
Es ist schon oben bemerkt worden, dafs dem vorliegen,
den Werke kein Plan, wonach sich die mehrere oder mindere
Ausführlichkeit und die Auswahl der aufzunehmenden Tbat-
aachen richtete, zum Grunde liege, und die meisten Facta
nicht allein ungenau, sondern viele derselben sogar unrichtig
angegeben Seyen. Diese harten Beschuldigungen sollen nun
erwiesen werden.
Dem Werke fehlt es durchaus an einem fe-
sten Plane. Die Frage: was ist wichtig? was aufzuneh-
men, was nicht? hat dem Verf. kein Kopfbrechen verursacht,
und er hat besonders in der neuesten Zeit eine Menge unbe-
deutende Facta, nichts entscheidende Gefechte, die Stiftung
von Ehrenmedaillen (S. 97.), einen Studententumult (S. l36 )
und dergleichen aufgenommen, während er sehr wichtige Be-
gebenheiten, wie z. B. die Revolution von Venedig, entwe-
der ganz übergangen oder nur flüchtig berührt hat. So weifs
er von der Revolutionirung der Schweiz im Jahre 1798 (die
freilich auch von Wedekind höchst dürftig und unbefriedigend
dargestellt worden ist) nichts zu sagen, als unter'm 26. Jän-
ner „Lemanische Republik« und unter'm 12. April „Frocla-
mation der helvetischen Republik«6. Der zahlreichen Verfas-
aungsurkunden der neuesten Zeit hat er mit wenigen Ausnah-
men keine Erwähnung gethan.
Der Ausdruck ist fast durchgehends ungenatf
und aus zu weit getriebener Kürze oft unver-
ständlich. Belege dazu finden sich auf jeder Seite. Gleich
die erste Seite, wo doch der Fleifs des Verf. noch nicht er-
lahmt seyn konnte, zeigt, wie wenig Sorgfalt er auf den Aus-
druck verwendet und wie leicht er sich die Arbeit gemacht
bat. Wenn es z. B. daselbst heifst, „Schwur im Ball hause«,
so erfährt man weder, wer geschworen habe, noch was
geschworen worden ist. Von dem Aufruhr in Rom am 28. Dec.
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Stein chronologisches Handbnoh. ... 245
1798 beifst es blos „Unruhe in Rom (Duphot) «; der Aufdruck
Unruhe sagt viel zu wenig, und dafs der französische Gene«
ral Duphot erschossen worden , erfährt man gar nicht. Diese
Nachlässigkeiten im Ausdrucke verdienen um so schärfere
Rüge, als diese Facta bei Wedekind richtig angegeben sind, ,.
Der Verf. scheint es oft seihst zu fühlen , wie ungenau
un'- unverständlich er sich ausgedrückt habe, und sucht dies
durch einen in Parenthesen eingeschlossenen Nachtrag wieder
gut zu machen, der oft seltsam genug lautet. Statt z. B« zu
sagen: „Friede zu Werelä zwischen Rufsland und Schweden«,
sagt er: „Friede zu Werelä (Rufsland und Schweden)"., Bei
der „Stürmung der Bastille« setzt er in Parenthese bei (rtVolks-
wuth«), und bei'm 4. Mai 182-1 bei ^Ermordung des Hof-
kaplans Vinuesa« bei („Hammer«), ein Beisatz, der wohl
Vielen unverständlich seyn dürfte.
Wedekind gibt bei den kriegerischen Ereignissen wenig-
stens die beiderseitigen Oberbefehlshaber an ; der Verf. nennt
blos den Sieger, z.B. „Schlacht bei Wagram (Napoleon)«.
Bei den Capitulationen von Festungen sagt er nicht, an wen
sie übergegangen sind; so heifst es z. B. unter'm 2. Febr. 1797
blos: „Capitulation von Mantua.« Bei den Friedensschlüssen
und Verträgen werden die paciscirenden Mächte fast nirgends
angegeben. So heifst es z. B. blos: „Friede zu Campo For-
mio, Lutieville, Amiens, Prefsburg , Wien u. s. w., Tractat
zu Valencay« u. s. w. Die beiden Friedensschlüsse zu Tilsit
machen eine Ausnahme , die um so weniger unerwähnt bleiben
darf, als die Ungenauigkeit beim Verf. Regel ist.
Das Datum vieler Thatsachen ist unrichtig.
So heifst es z. B. unterem 30. Sept. 1790. „Top! Josephs II.
Kaiser Leopold II." Der letzlere wurde an diesem Tage zum.
Kjiser erwählt; Joseph II, war bereits am 20. Febr. dieses
Jahres gestorben. Eben so unrichtig heifst es unter'm 1. März
1792. „Kaiser Franz II." f da er doch erst am 5. Juli zum
Kaiser gewählt wurde. Auf den 16. März desselben Jahres
wird der Tod Gustavs III. gesetzt , der doch an diesem Tage
nur verwundet wurde, und erst am 29. März starb.
Dafs der Verf. den Todestag so vieler Gelehrten unter die
politischen Begebenheiten gemischt hat, ist nicht zubilligen.
Wenn er sie denn doch namhaft machen wollte, &o hätte er
ein eigenes chronologisches Verzeichnifs derselben seinem Buche
anhängen sollen.
Um das Aufsuchen der „Facten« (sie!) und Personen zu
erleichtern , hat der Verf. ein alphabetisches Verzeichnifs bei-
gefügt. Wedekind hat dies bei seinem ungleich ausführlichem
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246 Geschichte der Hof-Beichtvater von Bisohof Gregoire.
Werke unterlassen , und nach unserm Dafürhalten wohl daran
gethan. Wer so unwissend ist, dafs er z. B. nicht weifs, in
welchem Jahre die Schlacht hei Marengo geliefert oder der
Friede von Luneville geschlossen worden ist, dem kann die
Angabe des Datums allein nicht viel helfen , und der thut wob),
sich nach andern Hülfsmitteln, z.B. dem Conversationslexikon
umzusehen, wo er mehr Belehrung rindet. Ueberhaupt sind
chronologische Werke nicht für Unwissende, sondern nur für
Sachkundige von Nutzen.
Wir könnten das Verzeichnifs von Nachlässigkeiten und
Unrichtigkeiten noch sehr vermehren 9 wenn es dessen be-
dürfte; bei dem vorliegenden Werke, das wir für völlig un-
brauchbar su erklären kein Bedenken tragen, sind wir nur
deswegen so ausführlich gewesen, um Andern, die aus Gei-
atesarmutb, Trägheit oder Hunger für gut finden sollten,
chronologische Werke anzufertigen , an einem warnenden
Beispiele zu zeigen, dafs es mit dem blofsen Excerpircn und
rohen Comp ihren nicht gethan sey.
Uistoire d$$ C onfe sseurS des Empereurs , des Rois et (PautrßS
Princes. Par Mr. Gregoire, ancien Eveque de Blois. P*
ris. 1824. 8.
Geschieht» der Beichtväter von Kaisern , Königen und andern
Fürsten* Aus dem Franz, des Bischofs Gregoire. h Th. 250 S.
IL Th. 182 S. 8. Leipzig, bei Leop. Vofs. 1 Thlr. 10 Gr.
Eine erschöpfende Geschichte war die Absicht des Verf.
nicht. Aber zu wie vielen interessanten Beleuchtungen , zu
welchen Blicken in die Höfe, in die Orden, besonders i» den
Orden eines P. La Chaise und Le Tellier, die Auswahl
solcher Fragmente Anlafs gebe, sieht man zum voraus. Der
Scharfsinn des Verf. hebt das wichtigste, das treffendste, ber"
vor; die Klarheit seiner Darstellungen macht es anschaulieb,
sein religiöser Sinn ist überall durchleuchtend, und streut die
Beweise aus, dafs er für einen höhern Zweck schrieb , als sur
blofsen Unterhaltung. Die Uebersetzung ist sehr lesbar.
Doch hatte sie manche phraseologische Dehnungen sich er-
sparen können.
Für die Geschichte der fürstlichen Beichtväter hatte man
einzelne Nachrichten in nicht gehaltvollen, wenig verbreite-
ten Schriften, wie Historia de Apostolico sacrario aut. An-
geloRocca. Rom. 1605. 4. — Histoire ecclesiast. de 1«
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Geschichte der Hof-Beichträter von Bischof Gregoire. 247
cour de France par GuilLDu Pe'yrat. Paria 1645. fol. mm
Histoire de la Sainte Chapelle des Rois de France par Archon,
2 Vol. 4* 1715. — Histoire ecclesiast. de la cour de France
par TAbbe* Oroux. 2Vol. 4. Paris 1776. — Dr eux Du«
radier hat in seinen Recre'ations historujues (in 12. 1767.)
eine Geschichte der Narren am französischen Hofe. Um so
mehr mufs man sich wundern , dafs ein ungleich wichti-
gerer Gegenstand die Feder keines Schriftstellers beschäf-
tigte. Die Beichtväter, Von denen hier gesprochen wird,
hatten meistens in Ländern Einflufs, wo der Freisin-
nigkeit durch absolute Macht Stillschweigen
auferlegt ist« Man malt ja aber auch Schiffbrüche, und
giebt die Gefahren an, um den Schiffer zu warnen. Zola,
ein gelehrtes Mitglied der Universität Padua, hat bewiesen,
dafs, schreibt man eine Kirchengesch ichte, man die
Mifsbrä uche nicht zu verschweigen habe — De vitan-
da, inbistoria, calamitatum ecclesiae dissimulatione. 12. Pa-
diae 1777. — Zola bekämpft das Vorurtheil, nach welchem
Mancher Unordnungen duldet oder verschleiert, aus
Furcht, man könnte der Religion schaden, und auf das
Priesterthum einen Schatten werfen, sobald man die bö-
sen Tbaten der damit Bekleideten aufdeckt, Untreue
Beamte suchen sich wohl hinter den Mantel der Unverletz-
barkeit des Regenten zu flüchten. Sie schreien, man greife
die Regierung an, indem man die ihr verantwortlichen
Beamten enthüllt. Eben so ist es mit unmoralischen Geist-
lichen , die das Interesse ihrer Leidenschaften mit dem des
Himmels verwechseln und aller Welt glaublich machen wol-
len, ein Angriff auf i h re Vergehungen sey eine feindselige
Handlung gegen die Religion , namentlich gegen die sogenannte
Staatsreligion.
Da dieser Zweig der Geschichte noch so wenig bearbei-
tet ist, kann man nicht immer die Wahrheit und die sie be-
dingenden Umstände vollständig ausmitteln. Wo wären diese
wohl zu finden? Etwa in den „historischen" Romanen , de-
ren seit den angeblichen Anecdotes de la cour de Philippe Au-
guste par Madeinoiselle de Lussan bis zur La Duchesse de Va-
liere par Madame de Genlis so viele hervorkommen ? In die-
sen Zwittergeburten der Literatur , wo Wirklichkeit und
Dichtung verschmolzen, die Geschichte verwirrt, und j ede
Tbatsache wie ein Traum dargestellt ist? Die Geschichte der
fürstlichen Beichtväter wird auch deswegen unvollkommen
seyn, weil viele Dinge mit dem Geheimnisse des Amtes, das
sie verwalten, zugleich begraben wurden. Den wichtigsten
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148 Geschichte der Hof-Beichtväter von Bischof Gregoire.
Grund entdeckte «chon Tacitus vor 1700 Jahren — : Rara
temperum felicitas, ubi etc.
Ueber die Beichtväter am französischen Hofe, deren Thun
und Treiben schärfer, als irgendwo, beobachtet wurde, ver-
breitet sich der Verf. am ineisten, weil sie dort mehr, als an
andern Höfen, einen grofsen Einllufs gehabt haben. Wir geben
einige Proben aus den Skizzen (S. 116 ff.) über Ludwig XIV.
Einige Tage vor seinem Tode sagte der Jesuite La Chaise
(seit 1675 Beichtvater bei jenem) dem König: „Sirel ich lütte
Sie um die Gnade, meinen Nachfolger aus meinem Ord en zu
wählen. Dieser ist Eurer Majestät so sehr ergeben, ist so>
ausgebreitet und so zahlreich, Alle sind für die Ehre des
Ganzen eingenommen. Man könnte in dem Falle
einer Ungnade nicht für ihn stehen, und ein bö-
ser Stöfs ist doch bald geführt." Der König (so derb
von dem Todtkranken an das Schicksal Heinrich des IV. ge-
mahnt) war von dem Antrage so ergriffen, dafs er ihn seinem
ersten Wundarzte Marechal mittheilte. Me'moires de Du-
clos Tom. L p. 1 34. Vgl. Les Je'suites tels qu'ils ont e'te' daus
Pordre politujue etc. , parM. S.... (Silvy), ancien magi-
strat. £. Paris l8l6. p 298. 133. La Chaise wurde wirk-
lich von seinem Confrater, Michel Le Tellier, ersetzt,
welcher selbsNteines Vorgängers Tod bedauern machte. Mit
solchen Zügen ist Le Tellier sogar von einem seiner Ordensbrü-
der in unsern Tagen gemalt worden; s. Me'moires de Geor-
gel. Fans 1817. 8. Tom. I. p. 47. Abbe' Ge'orgel sagt, indem
er von den nicht zu entschuldigenden Fehlern
des Pater Le Tellier redet, dafs „dieser Mann, von harter
und trotziger Gesinnung, das Alter Ludwig des XTV. gemifs*
braucht habe, um die Ehre. seines Ordens auf den Trümmern
einer Secte zu erhöhen, welche man nur verachten dürfte,
wenn man sie verlöscht sehen wollte. Sein Eifer, von diesem
Ehrgeiz verblendet, sah den Jansenismns, wo er gar nicht
war, und bewaffnete den Arm seines Beichtsohnes gegen die
Parlemente, welche den Jansenismus beschützten.« Das erste
Jahr der Herrschaft dieses Jesuiten war das der Zerstörung
von Fort-Koyal.
In den Memoires de Maurepas (Tom. I. p. 32. Paris
1792.) wird erzählt , die Jansenisten hätten verschiedene Satze
aus Schriften von J^e Tellier gezogen, .«ie nach Horn gesandt,
und dadurch ihre Einverleibung in den Iudex der verboteneu
Bücher bewirkt. Zur Vergeltung habe er nun aus Qu es n eis
Werken Stellen ausheben lassen, die der Grund zu der Bulle.
Unigenitus wurden.
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Geschieht« der Hof-Bcichlväter von Bisohof Gregoire. 249
Der Cardinal von Noailles, Präsident der Geistlich-
keit, trug 1700 krüftic dazu bei, dafs hundert und s i er
ben und zwanzig Sätze der Jesuiten, dieBossuet
gesammelt und übergeben hatte, verdammt wurden. Dieser
aufgeklärte Eifer verwandelte dann vollends denHafs, welchen
sie gegen den Cardinal hegten, in Gift. Schon war es in ihren
Augen ein unauslöschlicher Flecken , dafs er ohne ihre Ver-
inittefung zu dem Putpur gelangt war. Als er zu dem Con-
clave nach Rom ging, wurde er ohne sein Wissen von Papie-
ren begleitet, welche ihn verschrieen. 1711 aber kamen die
Schurkereien des Beichtvaters durch eine Depesche des Abbe'
Bochart an seinen Onkel, den Bischof von Clermont, an das
Licht. Er sandte diesem einen Brief, an den König gerichtet,
um ihn zu versiegeln, und einen Befehl, welchen er anschla-
gen sollte. Beide Papiere fielen verwechselt in andere Häude,
und wurden dem Cardinal gebracht, gegen welchen sie gerich-
tet waren. Le Tellier, trostlos und beschimpft, erbot sich,
eidlich zu erhärten, dafs er an diesen Ränken keinen Antbeij
habe. Noailles schrieb darüber an Frau von JVlaintenon :
„Welchen Schaden thut der Kirche ein Beichtvater von solchem
Ansehen, der sich kein Bedenken macht, sie einer Spaltung
preis zu geben, blos tim seiner Erbitterung gegen mich zu
genügen, der die Bischöfe verführt, indem er ihnen Aussichten
auf Reichthum eröffnet; der sie veruneinigt und herabwür-
digt; der, statt sich in ihre Beschlüsse zu fügen, sie nö-
thigt, die «einigen anzunehmen, und unter ihrem Namen
bekannt zu machen, nicht etwa blos in ihrem Sprengel, son-
dern selbst in dem meinigen und in ganz Frankreich ? Welcher
aufserordentlichen Dinge ist ein Geist solcher Art fähig?"
Dieser Brief des Cardinais ist vom II. August 1711.;
Neun Tage darauf , unter'm 20. desselben Monats, schreibt
dennoch ebenderselbe: „Ich gebe dem Pater Le Tellier neue
Vollmachten, ob er schon am wenigsten sie zu
haben verdient. Ich bringe damit dem Könige ein Opfer,
Und überlasse es Ihm, die erstere zu verantworten, indem ich
unseren Herrn bitte, dafs dieser Ihn die Gefahr erblicken
lasse, in welcher Er schwebt, solange Er seine Seele einem
Manne von solchem Charakter anvertraut« (s. Lettres de Ma-
dame de Maintenon Tom. IV. p. 306 bis 3l4. Du P. La-
Lorde Lettre u son Eminence M. le Cardinal de Noailles , tou-
chant les artifices et les intrigues du P. Le Tellier et de quel-
ques autres Je'suites.). Welche Schwäche des Cardina 1s, Er'
batte einen zarten und frommen Sinn, eine erhabene Tugend ;
aber wie sehr gieng seine Güte hier in Schwäche über
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• 150 Geschichte der Hof-Beich tva ter von Bischof Gregolre
Warum gab er denn neue Vollmachten, wenn er die Gefahr
des Königs, der zu seinem Sprengel gehörte, kannte? Gott
»oll ergänzen, was der Hochverpflichtete von seiner Amts«
pflicht vernachlässigte. Die Entdeckung jenes Betrugs hätte
ohne Zweifel die Entfernung des Beichtvaters bewirkt, wenn
Ludwig den Jesuiten nicht blindergeben gewesen wäre.
Nicht zufrieden , ihnen die Leitung seines Gewissens anzu-
vertrauen, nöthigte er auch die Glieder seiner Familie, Je-
suiten zu Beichtvätern zu nehmen. Die Folge ihrer Intriguen
war, dafs sie die Bulle ünigenitus veranlafsten und auswirk-
ten. Memoire« de Dangeau, publie's par M.Lemontey
p. 166.
Ohne Aufhören belagerte eine Menge Ehrgeiziger und
Pfrttndegieriger den Beichtvater, der gleich seinem Vorgänger
üher alle Stellen verfügte. Doch mufste er dabei sich mit Ma-
dame von Maintenon bereden, da diese, auf Anrathen des
Cardinais von Bissy, sich auch mit den geistlichen Angelegen-
heiten befafst hatte, und bisweilen darin durchdrang. Man
wirft ihm vor, den Häusern seines Ordens ohne gehörige
Form eine Menge der reichsten Pfründen zugewendet zu ha-
ben. Histoire gene'rale dea Je'suites. 12. 1761. T. III. p. 21.
Eine noch gehässigere Anekdote übergiebt ihn der Verachtung
der Nachwelt. Ludwig XIV. wollte wissen, ob er dem Volke
den Zehnten auflegen könnte, da es schon von Abgaben er-
drückt war, wovon ein Theil in den Schoofs der Maitressen
Hofs. Er fragt Le Tellier. Dieser übergiebt ihm nach eini-
gen Tagen ein Gutachten, nicht von der Sorbonne, aber von
mehreren Mitgliedern der Sorbonne, mit dem Resultat: alle
Güter der Unterthanen gehören dem Könige; Er habe also
über das, was sein eigen sey, zu gebieten. Histoire de la
regence T. I. p. 5.
Man hat von Ludwig dem XIV. gesagt , er habe keine
Religion gekannt, aber, um seelig zu werden, sich das ganze
Leben hindurch geschmeichelt, seine Vergehungen aut dem
Rücken anderer, Besonders der Calvinisten und Jansenisten,
auszugleichen, welche er, auf Zureden der Jesuiten,' als
Ketzer büfsen machte. Wer kann läugnen, dafs Frankreich
unter Ludwig XIV. von denLorbeern des Sieges und von den
Lumpen des Elends bedeckt war. Er selbst starb, von den
Dichtern besungen, von seinem Volke aber — nicht zurück-
gewünscht.
Nach seinem Tode leerte der Regent die Staatsgefäng-
nisse, welche Le Tellier mit den Feinden der Bulle (ünige-
nitus) angefüllt hatte. Der Jesuit selbst wurde erst nach
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I
Gemeiner Regensburgiache Chronik. 251
La Fleche und dann nach Amiens verwiesen, wo er 1719
starb. Die Akademie der Inschriften, deren Mitglied er ge-,
wesen, beschränkte ihre sonst gewöhnliche Lobrede darauf,
dafj sieden Tag seiner Geburt, seiner Ernennung zum Beicht-
vater und seinen Todestag nannte. Oeuvres de Saint Simon
Tom. VII. und VIII. Oeuvre« de Duclos. 8. Paris 1806.
Tom. X. p. 60.
ff. E. C. Paulus.
Der Regensburgischen Chronik dritter Band$ aus der Urquelle 9 den
königl* Archiven und Registraturen zu Regensburg bearbeitet von
Carl Theodor Gemeiner, Regensburg , 1821« Ebendaselbst
vierter und letzter Band, mit einer Biographie des verstorbenen
Verfassers von Dr. Kiejhaber. 1 82.4.
Carl Th. Gemeiner ward geboren 1756 zu Regens-
burg, und studirte seit 1775 Theologie zu Leipzig; aus Man-
gel an Aussichten zu einer baldigen Versorgung widmete er
sich später der Diplomatie, brachte es, nachdem er schon!
seit 1781 in seiner Vaterstadt eine Anstellung erhalten hatte,
unter der churerzkanzlerischen , später primatischen Regie-
rung zum Landesdirectionsrath und Hauptarchivar des *ftr-
stenthums Regensburg ; 1810 kam er mit dem Lande an die
Krone Baiern, und endete sein der Geschichte gewidmetes
Leben am 30. November 1824. Klar und bestimmt setzt Hr.
Dr. Kiefhaber das mannigfache Wirken seines Freundes
aus einander; seine Werke werden aufgezählt, die Gelegen«
heiten, die sie hervorgerufen, angedeutet, und zugleich die
Urlheile ausgezeichneter Männer darüber angeführt.
Es würde thöricht seyn, sich jetzt noch über die Art
und Weise, über den Werth und die Wichtigkeit der Re-
gensburger Chronik verbreiten zu wollen, sie ist längst schon
allen, denen gründliche Forschung des Mittelalters am Herzen
liegt, bekannt. Die Specialgeschichten und Chroniken sind
das Hauskleid der Geschichte; in welch einer anderen Gestalt
erscheinen uns hier manchmal die Haupt* und Staatsactionen !
So lernen wir die Anmafsungen der Baseler Synode, die, wie
viele Eiferer alter und neuer Zeit, die Freiheit nur für sich
zu schätzen wufste, nirgends so , als aus dem dritten Bande
der vorliegenden Chronik kennen; nirgends erscheint der hoch-
gefeierte, ritterliche Maximilian so ungerecht, so erbärmlich,
möchte Referent sagen, als in den Geschichten der Stadt Re-
gensburg,
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252
•
Geineiner Regensburgische Chronik,
Der zweite Band schlofs die Reihe der alten adeligen Ge-
schlechter , der dritte beginnt mit dem ersten Kämmerer Lem-
pold Gumberg 1430. In der Urkunde, worin Sigmund Her-
zog Ludwig von Ingolstadt, nachdem er vom Concilium zu
Basel in Bann getban war , in die Acht erklärt (28. April
14340» heilst es: er habe den Boten des Kaisers die Ohren
abgeschnitten, sie genöthigt, die Briefe zu essen u. s. w.
Derselbe Sigmund ertheilt den Regensburgern für 120 Gulden
das Privilegium, in aller Herrn und Fürsten Ländern die StÖ-
rer des Friedens zu fahen und nach ihrem Stadtrecht zu rich-
ten. Die Krone, die er verpfändete, konnte aus Geldmangel
nicht eingelöst werden , da bot der Kaiser der Stadt Pfeffer an
. Zahlungs Statt. Regensburg mufste sich mit den vorbeizie-
henden Zigeunern abfinden, das Land nicht zu beschädigen;
ein Priester ermordet einen andern einer Beischläferin wegen
III. l3i. — Aus IM. 140. ersieht man, dafs die Behauptung
Beckmanns (Geschichte der Erfindungen I. 394.) : anfangs
seyen blos Frauenspersonen höheren Standes gefahren, unge*
gründet ist, — Die Hebammen sollen zu keiner Jüdin kom-
men III. 207. (a. 1452.). Den Wirthen .wurde 1453 nach-
drücklichst anempfohlen, niemand etwas zu GSsen zu geben,
als des Morgens: ein blofses Süppel, nach Essenszeit Käse,
Brot und Rübeln; was jeder Trinker selbst, mitbringt, das
darf ihm jedoch ohne weiters gebraten und gesotten werden.
Unter Friedrich III. war. die Bestechung der IJeamten allge-
mein; Matthäas Döring nennt ihn gradezu regem Judaeorum;
( Contin. Chron. Engelhusii apud Menken III. 10. vergl. mitt
I. 1284.)» Für Geld fand jeder Verbrecher eine Fürsprache v
für Geld fanden alle Recht, Mönche verschiedener Farben und
Juden 640. — Der merkwürdige Aufstand 1485, die Ueber-
abe der Smdt an Herzog Albrecht von Baiern und die endliche
Yiedererlangung der; Freiheit si.nd von S. 685 urkundenmäfsig
dargestellt. • — Zu seinem trefflichen Schrift über den Ursprung
von Regensburg giebt der Verfasser III. 783; einen wicbü«
gen Nachtrag. • ;t
Der vierte Band geht von 1497 — 1535. I«n Namen
Maximilians ward dem Rath angesinnt, sich -seines Rechtes
gegen einen Bürger zu enthalten, darauf antwortete der Käm-
merer Wolfgang Liskircher : des Königs .Meinung wer-,
de aeyn, das Recht zu fördern , nicht aber das-
selbe zu verweigern. Maximilian setzt mit Gewalt 1499
einen Hauptmann ein , damit Albrechts Freunde sich der Stadt
nicht wieder bemeistern könnten» Im Jahr 1505 (98) heilst
es im Rathsprotokoll: Dem Joseph Grunpek , K. M. Sekretari
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r * • » '
Gemeiner Regemburgische Chronik. 253
ist Tags nach Misericordias auf sein Supplicaton lind An-
bringen, all lue eine Foetenschul zu halten (vergl„
des Poeten Maister zu München Klage in Westenrieders Bei-
trägen V. 227.), vergönnt und zugesagt, und ihm deshalb
40 Gulden rheinisch Jahrgeld zu gehen bewilligt, nämlich alle
Quatember 10 Gulden, — In einem Antwortschreiben auf den
Brief Maximilians, nach Rom gehen zu wollen, schreibt Ju-
lius (18. August 1507): Adventum C. t. raaximo cum deside-
rio exspectauius. Hortamur tarnen «andern , ut hujusmodi
modestiatn Dm. Friderici III. imitari velis, qui loca S. roma-
nae ecclesiae parvo comitatu armorum sine ulla suspicione in-
gressus est. IV. 12 1* — Ein 'Jude sagte 1510 der Stadt Vehde
und Feindschaft an. 159. No. 322. — Auf eine Beschwerde
der Geistlichkeit wegen neuer Verfügungen erwiederten die
städtischen Abgeordneten: Wenn dem also ist, dafs in den b.
Schriften verboten wäre, die Geistlichen mit Steuern zu be-
legen, so seyen der Zeiten, da die Gesetze gemacht worden
waren, andere Ursachen vorhanden gewesen; es bat alles eine
andere Gestalt gehabt als jetzt; und ist der Vernunft nicht
wider, dafs durch Ursachen und mit der Zeit die Gesetze ver-
ändert und auch ganz und gar in andere Wege verkehrt wer-
den ; dem natürlichen Versland sey aber widerwärtig, dafs
die Geistlichen den Bürgern das Brod vom Munde abschnei-
den. IV. 2Ö8. (a. 1516.). Damit ist zu vergleichen IV. 440.
Das Volk sagte: hätte es gewufst, dafs die Geistlichen etwas
von dem Geld zur heiligen Mariä bekommen, so würde ihm
jeder Heller gereut haben ! Zu l5l8 klagen, die bischöflichen
Käthe, dafs an jedem Tag, so hochzeitlich er auch sey im
ganzen Jahre, die Altäre, alsbald man Messe gelesen, ihrer
Zier müssen beraubt werden; wo man es aber eine kleine
Weile verzieht, so versieht sich etwa ein unseliger Christ,
der solches entfremdet und eilends der Judengasse zulauft, das
zu versetzen oder zu verkaufen. Daher erwächst, dafs we-
der Kelch, Altartücher, Mantel, Schleier, Corallen - Pater-
noster, noch andere Zier der Bildung Mariä und der h. Mut-
ter S. Anna, item Cborröcke, Mefsbücher nicht sicher sind.
Auch hat S# F. Gnad mit sammt dein Kapitel angezeigt, dafs
die Bildung Mariä und anderer lieber Heiligen blols und nackt
müssen stehen, dafs man die Altarleuchter , wie man sie be-
halten will, an eiserne Ketten legen mufs; auch die Priester,
dieweil sie Messe lesen, sind ihre Barett auf dem Altare nicht
sicher, wie zu Niedermünster besehenen. IV. 444-
Rom, schreibt der Regensburger Gesandte 1522, wo alle
Sachen sehr schwer und mit grofsem Gelde zu Ende kommen ,'
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254 Hullmann Städtewesen des Mittelalters
kann kein guter Geselle Ehre und Dank verdienen. Zu des
Pabstes Leo Zeiten' war man in den Händen florentinischer
Kaufleute, die mit keinem kleinen Haufen Gold zu füllen wa-
ren ; jetzt ist alle Gewalt zu Korn in den Händen der Fliim-
mitiger und Spaniolen , alles aufgewendete Gold ist daher ver-
loren." IV* 461* — Ei" Landvogt zu Frauenfeld hat einen
lutherischen Prädicanten mit Ruthen lassen schlagen und ihm
die Zunge mit einem Nagel lassen an den Pranger heften • die
er sich selbst hat müssen ausreifsen. IV. 5l8. — Auch kön-
nen unsere deutschen Wörterbücher mit trefflichen , den Ur-
kunden entnommenen Ausdrücken durch die Regensburger
Chronik bereichert werden ; so z. B. geleumt« wobige«
]eumt, Rahm Raub, Legstadt d. h, ein Ort, wo Traust-
tohandel getrieben wird« wohlgezeugt (*"yvnj;)t Ent-
gang Verminderung« u r w ä r i g beständig u. s. w. Auch
ersieht man, wie thöricht es ist, über die Orthographie un-
serer Vorfahren in dieser Zeit Untersuchungen anzustellen
oder zu streiten ; in derselben Zeile wird häufig dasselbe
Wort verschieden geschrieben«
Städtewesen des Mittelalters» Von Karl Dietrich Hüllmann,
Erster Theil. Kunstfleis und Handel. Bonn, bei Adolph Marcus.
1826« Vlll und 476 S, 8. 3 fl. iö kr.
j
Im Gegensatz .zu der Weise« die bei uns in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufkam« durch Ansichten und
Ideen« durch Wahrnehmungen und Schlüsse, die sich auf die
Sitten wilder Horden und psychologische Hypothesen grün-
deten, die Weltgeschichte gleichsam a priori construiren zu
wollen« regt sich zu unserer Zeit allenthalben ein scharf sich-
tender Forschungsgeist, der jede Sage« jedes modernde Ue-
I)erbleibse] der dahingeschwundenen Menschheit dreht und
wendet« mit dem Gleichartigen prüfend zusammenhält und ord-
net« um wo möglich aus den hie und da zerstreuten Stücken«)
aus den unscheinbaren Fetzen das verblichene« früher in glän-
zender, jugendlicher Frische prangende Kleid eines längst
verschwundenen Zeitalters wiederum zusammenzusetzen und
aufzuputzen. Diese feine Nadelarbeit wird in den neuesten
Zeiten so kunstreich getrieben , dafs häufig ein geübtes Auge
dazu gehört, die groisen Stiche und blöden Stellen herauszu-
finden. Wie allgemein bekannt, weifs der Verfasser des vor«
liegenden Werke« mit grofser Kunst und Gewandtheit den
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Hüllmann Slädleweien des Mittrlahtrs.
155
Inhalt einzelner Urkunden zu einem Gänsen zusammentrei-
ben; er versteht es, dadurch ein Bild mittelalterlicher Zeiten
zu entwerfen , wie die beschränkten Chronikenscbreiber nim-
mermehr gekonnt hätten. Aufser den gedruckten» zum Theil
seltenen Quellen, wozu Hr, Hofrath Reufs , dessen menschen«
freundliche Theil nähme an Studien aller Art jeder , der die
Göttinger Bibliothek benutzte, nicht genug rühmen kann,
lehül flieh war , hatte Hallmann noch urigedruckte, Urkunden
aus verschiedenen Archiven, besonders aus dem Archive zu
Königsberg; keines, tagt der Verfasser, selbst nicht das zu
Venedig, dürfte über das Innere des Handels im Mitte),
alter so viele Nachrichten enthalten , wie dieses (457.). Vor
allem will lief, den Leser mit dem Inhalt des Ganzen, so weit
es nämlich bei solchen in's Einzelne gehenden Forschungen
möglich ist, bekannt macheu.
Zum grofsen Vortheil gereichte der Landwirthscbaft,
von der die Gewerbe Nahrung und Leben empfangen, die
Erblichkeit der Leben, die Aufnahme freier Zinsbauern, Co«
Ionen, Mal mannen (siebe weiter unten) und Sock* oder Sack«
männer« Wegen der häufigen Fleischspeisen und anderer
schwer verdaulichen Gerichte, die wohl von mancher schwär-
merischen Verirrung unglücklicher Klosterbrüder vorzüglich
Ursache gewesen seyn mögen, waren die Verdauung beför-
deruden Mittel von Nöthen, Pfeffer, der bekanntlich in den.
grundherrlichen und Zollabgaben eine bedeutende Rolle spielt,
und andere Gewürze aller Art. Zum Gottesdienst in den
Kirchen bedurfte man Wachs, Bernstein (Brennstein, Ambra)
und Weiheraucb; die Geistlichen wollten feine Stoffe, selbst
tibetanisches Ziegenhaar zu Kleidern, Chorröcken u. dergl.;
die Ritter Trutz« und Schutz waffen, Reithosen, vorzüglich
aber Pelzwerk, ein Lieblingsputz all-sr deutschen Völker.
(Ueber diePelzkleidung der Gothen sehe man die Ausleger zuaa
Cod. Theod. V. 240. ed. Ritter.)
Die Kreuzzüge und die dadurch entstandene nähere Be«
leanntsebaft mit den Mauren gaben Gelegenheit zu Verände-
' rungen aller Art in Asien und Europa. Seidenbau und Sei«
den Weberei, schon früher bekannt, stieg durch den zuneh-
menden Luxus der Geistlichen, der Ritter und Handelsherrn,
so auch die Manufakturen von Baumwollenzeugen. Außer-
dem kamen noch in Handel feines Leder von verschiedenen
Gattungen, Safran, Alaun, Zucker, allerhand metallene Ge«
rätbschaften , Südfrüchte, endlich auch Menschen, womit
sieb, unerachtet aller pabstlichen und einheimischen, wahr«
•cheinlich so ernstlich nicht gemeinten Verbote, die Vene-
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HiMmann Städtewesen im Mittelalter.
tianer bis tief in's fünfzehnte Jahrhundert beschäftigten* (Dam
III. 22. Ueber diesen schändlichen Menschenhandel in Eng-
land spricht Henry Histoire d'Angleterre IV. 472. > Bologna,
das in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts seine
Leibeigenen in Freiheit setzte, „weil die Menschen frei ge-
boren, nur im Laufe der Zeiten und durch die Schuld des
Völkerrechts in Knechtschaft gerathen Seyen", fand wenig
Nachahmung, weder in den Demokratieen , noch auf den
geistlichen und adeligen Territorien; nur scheinbar ist die
.Entstehung der Comöiunen in Frankreich und in andern Län-
dern dieser Behauptung entgegen. Wenn auch mit Kaisern
und Königen, konnte die römische Hierarchie doch nicht
mit den habsüchtigen Kaufleuten fertig werden, alle Bann-
blitze scheuchten sie im früheren Mittelalter nicht vom Han-
del mit den Saracenen ab, so nicht im späteren mit den Hus-
siten. Von römischer Seite benutzte man diese Verhältnisse,
den übertriebenen, durch die Unsicherheit alles Besitzthuma
einigermafsen entschuldigten Zinsfuß zu neuen Gelderpres-
sungen, Erbschleichereien u. s. w. In einem Concilium zu
Kavenna 1317 ward beschlossen: Usuarius manifestos — fore
cömmunione altäris et ecclesiastica sepultura privatos (Hiero-
nymi Rubei Iiistor. Raven. Venetiis 1589. fol. 877.). In der
Berberei, in Aegypten, Syrien, Cappadocien und am schwar-
zen Meere wurden italienische Handelsniederlassungen ge-
gründet, von den Eingebornen wufste man sich aufserordent-
liche Privilegien, eigene richterliche Behörden und dergl. zu
verschaffen. Diese Niederlassungen, gleichviel, ob über
Aegypten, Bactrien , oder im. westlichen Armenien der indi-
sche Waarenzug ging, wurden Stapelplätze für den Welt-
handel. Neben der griechischen herrschte bis zu den Kreuz-
zügen die Flagge der Saracenen auf dem Mittelmeere ; jetzt
erscheinen Italiener, Provenzalen und Katalonier, die mit
gröfserer Sicherheit die Meere durchzogen, seitdem, wie
und wann, wird nie genau ausgemittelt werden können y ge-
gen die zweite Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die Eigen-
schaft des Magnets entdeckt war.
(Der Beschlufs folgt.")
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I
N. 17. 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Hüllmann Stadtewescn des Mittelalters-
# i
* i •
* (.Beschlufs.)
Dies ist nur eine Seite des Großhandels ; auch in dert
Seestädten des Nordens, atn baltischen Meerbusen , erwachte*
vorzüglich durch den Eifer für die Verbreitung des Christen«
thums, Handel und Schifffahrt; deutsches Leben und Treiben
Ward in den slavischen und wendischen Norden verpflanzt $
ermangelte aber hier aller der schönen Blüthen in Kunst und
Wissenschaft, die das Börgerthum in der Lombardei und in!
deutschen Städten zu Tage Förderte. Lübeck erhob sich nicht
Hut durch sein Stadtrechc, das neunzig Städte an der Ostsed
annahmen, sondern auch durch die später erlangte oberste
Leitung der grofsen, zur gegenseitigen Sicherheit errichteten
deutschen Hansa, zum Mittelpunkt des nördlichen Städte-
•vvesens. Zuerst hatte Cöln Niederlassungen in England, bald
eiferte Lübeck nach ^ nicht ohne Zwistigkeiten vereinigten
sich beide später zu einer* Hansa , wie und wann, läfst ur-*
Rundlich sich nicht nachweisen. Mehrere Städte traten bei g
man erwarb sich die gröfsten Handelsfreiheiten im Nordend-
Süden und Westen, und so entstand der merkwürdigste Han-
delsbund in der ganzen Weltgeschichte. In das Einzelne des
nordischen Itandels, in die ErwerbszWelge und Streitigkeiten
der einzelnen Städte kann hier nicht eingegangen werden.
„Die Summe der wichtigert Veränderungen, der Geist
der neueren Gesellschaft, ist so auszudrücken: die All ei»*
herrschaft des Unbeweglichen Vermögens ward ge-
krochen; es entstand neben ihr eine Mit her rschaft des
Leweglichen«« (207). Die gedrückten Hörigen entfliehen
in die nahen Städte, und nach Jahr und Tag konnten sie ge-
wöhnlich von ihren Leibherren nicht mehr in Anspruch ^e«
nommen werden. Die Könige hoben den Bürgcrstand als Ge-
gengewicht gegen die übermächtigen Aristokraten : ein Kampf
entstand zwischen dem hohen Adel einer Seit«, der niedere
XIX. Jahrg. 3.11,0. ' 17
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258 Hullmaim Städtewesen im Mittelalter.
hielt sich grofsentbeila zu den Städtern (marchands nobles),
den Königen und den Communen anderer Stits, Die geld-
loaen Grundbesitzer konnten mit. den reichen Städtern nicht
gleichen Schritt halten ; Kleidungen, Wobnungen, HausgerU-
the, Nahrungsmittel, Alles verbessert und verfeinert sich,
und dadurch ward der Kunstfleifs erstaunlich gehoben. Wol-
lenzeuge gehören zu den wichtigsten Kunsterzeugnissen in
den Städten; die Tuchbändler , denen die jetzt auch zur Be-
deutung sich erhebenden Färberei- und Wollkämmerinnungen
häufig untergeordnet waren *) , bildeten eigene Zünfte. Vor-
züglich zeichneten sich die Tuchwebereien in den Niederlan-
den und dem südlichen Frankreich aus , später erst erhoben
sich bekanntlich die englischen, die Leinenzeuge wurden aber
gröfstentheils von den Gutsunterthanen beiderlei Geschlechts
verfertigt. Metall waaren , Bier, Meth, der in den nördlichen
Gegenden die Stelle des Weines vertrat, Salz, worüber in
einem grofsenTheil des südlichen Europa's die Venetianer sich
das Monopol gewaltsam zu verschaffen wufsten, gehören auch
eu den vorzüglichsten Handelsartikeln.
Die örtlichen Veranlassungen zu Handelsstädten, zu Ge-
werben, Märkten und Messen waren schiffbare Gewässer,
Bischofssitze, Klöster, Wallfahrten, Verehrung der Heiligen
u. s. w» Natürlich mufsten dann für Waaren und Kaufherren
passende und bequeme Einrichtungen getroffen werden; es
entstanden Kaufhäuser, Tuch- und Gewerbsballen, Börsen,
von den kaufmännischen Geldgeschäften so genannt, Kram-
läden, Bänke, wobei der Umstand , dafs die Läden und Bänke
gleichartiger Waaren neben einander standen , und die bald
eintretende Erblichkeit derselben nicht zu übersehen sind«
Um der Mühen und Störungen tiberhoben zu seyn, die das
Feilhalten in den öffentlichen Hallen verursachte, legte man
in den Häusern Läden an, wodurch die Ueberhänge, Neben-
zimmer und dergl. entstanden. Aus der örtlichen Einrichtung
des Waarenabsatzes der Kunstarbeiten und Handwerken ist
di£ Z u n f tve r fass u n g derselben unmittelbar hervorge-
gangen (3 15), und frühe schon finden wir Zünfte mancherlei
Art, Kürschner, Fleischer, Leinweber u. s. w. Die Gilden
der Kaufleute aber Seyen vorzüglich aus dem Bedürfnifs , sach-
*) Die den Tuchhändlern untergeordneten Zünfte werden in den Sta*
tuten von Padua genau aufgezählt: tentori, purgatori, fotlatori,
garzatori, savonatori, kartezatori, fillatori. Gli «tatuli de Pa-
deva tradotti de Latino in vulgare. Padova 1551- 4. S.42. a.
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Hüllmann Städtewesen des Mittelalter!. 069
kundige Schiedsrichter in Handelssachen zu haben , entstan-
den. Es wird dann Einzelnes über die wichtigsten Städte des
Binnen-Grolsbandels im östlichen Gebiet, Regensburg, Wien,
Breslau, Trag, im westlichen Troyes, Genf, Lyon, Beau«
caire, im mittleren Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, Cöln,
beigebracht, und die verschiedenen Handelsstralsen nebst den
Handelsartikeln urkundlich nachgewiesen« Endlich wird das
JNotbwendigste bemerkt über Münzen, über ihren Namen
und Werth, über Geldwechsel und Anweisungen, und mit
dem Beginne der Girobank zu Venedig , eine Vorkehrung , die
später in allen grofsen Handelsstädten nachgeahmt wurde,
die Darstellung des Handels- und Gewerbwesens im Mittel-
alter geschlossen.
Wie aus dem Ganzen sichtbar ist, wollte Hüllmann das
Städtewesen nicht in einem bestimmten Zeiträume des Mittel*
alters darstellen, sundern historisch auffassen und entwickeln.
Nun beginnt aber der vorliegende erste Theil mit Handel und
Gewerbe, mit der Blüthe der freien städtischen Geineinden,
ohne zuerst über die Anfänge und das allmälige Wachsen der-
selben uns aufgeklärt Zu haben. Das Ungenügende dieses
Plans ward auch von dem einsichtsvollen Verfasser im Laufe
der Arbeit hinlänglich gefühlt, denn bei der kurzen Darstel*
lung der Zünfte mufste er einem später folgenden Theile über
die Anfänge des Städtewesens vorgreifen (317). So sehr Ref.
der Behauptung! Jedes Zeitalter ist ein in sich abgeschlossen
eenes, in allen Hauptzügen genau übereinstimmendes Ganze
(192), beipflichtet, so kann doch das ganze Mittelalter kei«
nes Wegs als ein solches Zeitalter betrachtet werden, gesetzt
auch, wir würden zu unserem Zweck es erst mit der Auf-
lösung der Staatsgewalt, mit der gröfseren Unabhängigkeit
der Beamten und Gemeinden, mit der Ausbilduug des Feudal-
systems und des für Wissenschaften, Leben und Verfassung
bedeutungsvollen Rittertbums beginnen. Würde der Verfas-
ser mit dem Anfange angefangen haben , so würden auch die
bedeutenden Veränderungen , die die veränderte Richtung des
Welthandels in einigen Städten verursachte, deutlicher an's
Licht getreten seyn ; es ist bekannt und Vom Verfasser auch
bemerkt worden , dafs einst die Strafte des Welthandels für
das nördliche Deutschland von Kiew aus über Nowgorod,
Wisby und Lübeck ging , für da0 südliche über Breslau, Frag
und Regensburg. Erst nachdem, nach der Eroberung Con-
etantinopels durch die Lateiner , der Handel wiederum seine
frühere Richtung zur See über Venedig genommen hatte,
boben sich die Städte Augsburg undJNüinberg, Regenaburg
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260
Hüllmann Städtewesen des Mittelalter«
aber kam sichtbar zurück (Bruchstück einer haierischen Han-
delsgeschichte vom Jahre 1253 — 1294» durch Ritter v. Langj).
Ganz anders war das Lehen, der Handel und das Gewerha-
Wesen, ganz anders waren Sitten, Gesetze und Gewohnheiten
im zwölften und in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhun-
derts , im Vergleiche zu den spätem im vierzehnten und fünf-
zehnten! Einen seiner Vorfahren , Cacciaguida, laTst Dante im
XV. Gesang des Faradiso das damalige Florenz so beschreiben:
Fiorenza dentro delle cerchia antica
Ond' ella toglie ancora , e terza , e nona
Si stava in pace sohria , e pudica.
Non aveva catenella , ne Corona,
Non gönne contigiate, non cintura,
Che fosse a veder piü che la persona.
Non faceva nascendo ancor paura
La fielia al padre , che '1 tempo, e la dote
Non fuggian quinci , e quindi la misura.
Non aveva case di famiglia vote
Non vera giunto ancor Sardanapalo
A mostrar cid, che in camera si puote
Bellincion Berti vidi io andar cinto
Di cuojo, ed' osso, e venir dollo specchio
La Donna sua , senza il viso dipinto.
E vidi quel de Nerli , e quel del Vecchio
Esser contenti alla pelle scoperta
E le sue Donne al fuso, e al pennecchio.
Mit dieser vortrefflichen Schilderung kann man Ricard Ma-
lespini cap. 161. und Giovanni Villani VI. 71. vergleichen.
Wie ganz anders spricht derselbe Villani im Jahr 1330 (X.
154). Als die Frauen zu Florenz, schreibt er, zu dieser Zeit
mit grofsem Schmuck an Kronen, Guirlanden von Gold, Sil-
ber und Perlen prangten , als sie Netze mit eingeflochtenen
Ferien und andere kostbare Kopfbedeckungen, wie auch äus-
serst prachtvolle Kleider mit vergoldeten silbernen Knöpfen
trugen, als zu kostspielige Hochzeitsschmäufse gehalten wur-
den (Leonardus Aventinus klagt in einem seiner Briefe, dafs
die Hochzeitsfeier das ganze Vermögen seiner Frau aufgezehrt
habe), sah sich der Magistrat genötbigt, strenge Gegenmittel
su ergreifen, die in den Florentiner Statuten : Ordinamenta
de famulis et famulabus, de prohihitione ornamentorom mu-
lterum, ordinamenta nuptialia et sponsalia (lib. IV. Rubr. 1.
42. 149.)* nachgelesen werden können. Das Leben des deut-
schen Städters war in den früheren Jahrhunderten des Mittel-
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Hüllmann Städtewesen des Mittelalter!. 261
alters spärlich und einförmig. Wie gana anders mufs es im
fünfzehnten Jahrhundert ausgesehen haben, zu einer Zeit, WO
Aeneas Sylvius sagte: Vidimus in civitate Lubecensi qui con-
aulatum gerunt, omnes aureo splendore longum famulorom
ordinem post se ducere. Idem factitant reliquarum urbium
consules, quamvis aurum non ferant; apud Xtaliae civitates
cruantus sit magistratuum fastus vix dici potest (Mart,
Mayer hinter Pii II. Commentarii. Romae 1584- 4. S. 737.).
13a sah sich doch der Magistrat von Regensburg genöthigt,
«ine Kleiderordnung zu erlassen, so viel Ref. weifs, die
erste in Deutschland, worin es unter andern heifst : Zum
siebten verbieten wir auch den Frauen und Jungfrauen die
langen Spitzen an den Schuhen und Sockeln, die sie bisher
getragen haben, die langen Schwänze an den Röcken und be-
sonders die ausgeschnittenen Goller, Busen* und Brusttücher,
die sie in kurzer Zeit «her alle Maafsen aufgebracht haben,
setzen und wollen , dafs ihre keine an den Schuhen Spitzen
trage, die langer seyen als ein Fingerglied, und die Schwänze
nicht über eine halbe. Elle lang. Und wenn sie füran Kleider
machen lassen, sollen die Achsel gana bedeckt, das Kleid vorn
ganz zügethan und nicht niederer gesenkt oder fester ausge-
schnitten seyn, denn auf das meist zwei Twerchfinger unter
dem Halsgrublein und hinten vom Halsknöchlein ein halb Drit-
theil der Elle. Diese äufserst interessante Kleiderordnung
verdient ganz nachgelesen zu werden bei Gemeiner in der Re-
gensburger Chronik III. 682.
Es ist nichts leichter in der Welt , als zu so einem um«
fassenden Werke Zusätze zu machen, daher will sich Refer.
blos auf Einiges, was ihm wichtig dünkt, beschränken. Auf-
fallend ist es, dafs im ganzen Werke nie von Portugal die
Hede ist, da nach den Privilegien der französischen Könige
zu urtheilen (Ordonnances XUI. 58.)» aer Handel der por-
tugiesischen Kauiieute in Frankreich bedeutend gewesen seyn
mufs. Durch den politischen Zusammenhang mit Byzanz
scheint in Unteritalien die griechische Sprache und Luxus
aller Art lange fortgedauert zu haben. In einer Tradition des
lombardischen Dux Arigiso II. im Jahre 717 von Benevent
heilstes: Tyria multa , quidejuid feretlndus , quidve tabso (?)
vana Creta et mollis raittit Arabs, mandatque nigvi pellis
Etiops et vestiunt Seres, alle diese Wundersachen rühmt der
Lombarde zu besitzen. Borgia Memorie storiebe di Benövento
I. 271. — Von den aufserordentlichen Freiheiten , die sich
die handeltreibenden Städte zu verschaffen wufsten , zeugt
besonders Amalfi. Unter Pabst Lucius III. 1184 wurden
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263
Hüllmaua Städtewesen des Mittelalters.
ihnen ihre herkömmlichen Freiheiten zu Benevent bestätigt;
sie konnten nicht vor die gewöhnlichen Gerichte geruren
werden, alle Streitigkeiten selbst mit Einwohnern aus Bene-
vent konnten nur von einem Richter aus Amalfi verhandelt
werden, und, sonderbar genug, testimonium civium contra
Amalfitanum non recipiebatur. Borgiaa. a. O. III. 164. — In
«einen Commentarien a. a. O. S. 6. sagt Pius II: Ex Scotia
in Flandriam conium , lanain, pisces salsas roargaritascrue ferri.
— Manches Wichtige würde wahrscheinlich noch aus den
Concilien-Sammlungen, die selten gehörig benutzt werden,
gezogen werden können ; in den folgenden Bänden wird der
Verfasser wahrscheinlich die Juden, eine nothwendige Ergän-
zung zum Handel- und Städtewesen, und den Handschriften-
handel (über Creta, besonders seitdem es [1205] unter vene-
tianische Herrschaft gerathen war), noch besonders berühren.
— In Beziehung auf die gegenseitige Zollfreiheit der Städte
will Ref. nur eine Note Westenrieders in den Beiträgen zur
vaterländischen Historie V. 234. abschreiben. In den Mon.
Boic. kommen dergleichen Zollfreiheiten genug vor; Kaiser
Ludwig gab im Jahr 1323 den Nürnbergern das Privilegium ,
„dafs die nürnbergischen Bürger in der Stadt München zu
Wasser und Land und die Bürger von München zu Nürnberg
zollfrei seyn sollen.« Wobei sich beide Städte den nächsten
Tag nach Jacobi 1323 reservirt haben, dafs der erste Bürger,
Welcher nach St. Michelstag zu München oder Nürnberg an-
kommt, dem Zöllner ein Pfund Pfeffer, zween weifse Hand-
schuhe und ein weifses Stäblein zur Recognition dieser Zoll-
freiheit reichen wolle. Diese wechselseitige Befreiung der
Kaufleute dauerte bis 1748.
Aus einer Urkunde Otto I. a. 958 (Meibom I. 742.), wo
es heifst: justitia et census , crui saxonice Mal vocatur,
schliefst der Verfasser, nach des Ref. Ansicht mit Unrecht,
dafs die Malmannen wie die Sockmänner Erbzinsbauern ge-
wesen sind. Mal, Mallus heifst bekanntlich Gerichtsplatz ;
Malmannen sind demnach wie Dingraänner freie Grund-
besitzer, die nie ganz verschwunden sind, durch die das
Gericht anberahmt , geschlossen und gehegt wurde, Der Vf.
führt ja selbst eine Urkunde an S. 13. No. 25, worin es
heifst; Malmannen habentes proprias domos. In einer
Urkunde Conrads von 1032f ap. Schaten ad h. a, heifst es: —
aut homines ipsius ecclesiae Francos liberos et ecclesiasticos li-
tones, malman et servos cujuslibet conditionis seu colonos contra
rationem distringendos. Dabei soll nicht geläugnet werden ,
dafs in manchen Gegenden die freien Grundbesitzer zu erb«*
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Hüllmann Städtewesen des Mittelalters, 263
Heben Zinsbauern herabsanken, was zwar aus der Phrase,
„(juidquid fiscus regius consequi debuit« (Hüllraann S. 12.
No. 220 $ nicht gefolgert werden kann , indem ja selbst die
Freien unter gewissen Umständen zu einer Bede in Anspruch
genommen werden konnten. Lang historische Entwicklung
der deutschen Steuerverfassuug S. 54. 05. Ueber die Abga-
ben der Freien und ihre Verbältnisse braucht Ref, blos auf
zwei Anmerkungen in Wigands trefflichem Werke; Das
Femgericht Westphalens S. 98. 99. Anm, Ii. und 12.
zu verweisen. — Abgesehen davon, dafs der freie Bürger- ,
stand | besonders in Frankreich , nie ganz verschwunden ist
man erinnere sich an die Stadtgeschichte von Rheims, so be-
ginnt doch nicht, wie S. 86. bemerkt wird, erst um die Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts, sondern gegen 1100 mit den
Communen das Ablösen und Fixiren der grundherrlichen Ab-
gaben. Gegen 1100 entstand Noyon, nach diesem Muster
Laon lliO, etwas später Amiens, so auch in der Provinz
Languedoc, Carcassone 1107, Montpellier 111 3, Beziers
1121 (Brequigny in der Vorrede zum XI. Bd. der Qrdonnan-
ces und Histoire ge'nerale de Languedoc IX. 515.). — 5.234«
scheint der Verfasser anzunehmen , die Begharden seyen aus
den Weberzünften hervorgegangen. Den Ursprung , die
Weise und die sonderbaren Meinungen dieser mit den Flagel-
lanten zusammenhängenden und vielfach verfolgten Sekte stellt
gründlich dar Lenfant histoire du Concile de Constance II,
80. folg, — Zu S. 240. Unter Eduard III, erging nicht allein
ein Verbot gegen die Ausfuhr der Wolle, sondern das Parlia-
ment verbot auch die Einführung fremden Tuches und dergl.
(Statutes by Ruffhead bal. I. 221. Henry VI. 442.). Ueber
die Art und Weise, wie früher der Wollhandel in England
fetrieben wurde, findet sich ein interessantes Aktenstück in
egalotti's Werk Deila Decima IL 324. — Zu S. 373. Nicht
erst seit dem zwölften Jahrhundert, sondern schon im zehnter*
kommen Consules Mercatorum vor. Fantuzai I. 149. ad a. 959.
Marinus Negotiator et Capitularius Scalae Negotiatorum, so
auch ebendaselbst I, 128 und 385. — Zu S. 325- Die Tuch-
händler bildeten zu Florenz nicht allein eine, sondern awei
Zünfte, eine, die mit ausländischen, und die andere, die
blos mit einheimischen Tüchern bandelte. Non era permesso,
sagt Pegalotti nach den Statuten IV. Trattato de Consoli delle
Arti Rubr. 39, a Lanajoli di tenere, e vendere panni oltra.
montani , nb al contrario potevasi da' Mercanti di Ca Ii mala te-
uere o vender panni delle Fabriche di Firenze. DellaJDecima
II. 91, — S. 66. lese man Uguiccio Faggiola statt Fageo-
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* * . . . »
264 Hassel^ genealogisch historisch statistischer Alma nach«
!äno. — Die. erste Zeile von S. 87 gehört zu 88. S. 445.
Haspe statt Raspo ; 450. s en d et e n statt stundeten. S. 451
kommt von Ziel 4er Plural Zielen vor. — Uebrigens wünscht
Referent, dafs der gelehrte und fleifsige Herr Verfasser diese
wenigen Bemerkungen und Einwürfe hlos als ein Zeichen der
innigsten Theilnahme an Studien dieser Art ansehen, und dafs
er die gelehrte Welt bald mit der Fortsetzung dieses umfas-
senden Werkes beschenken möge.
Weimar t im Vtrhge des Landes - Industrie - Comtoirs : Genealogisch
historisch statistischer Almanach. Dritter Jahrgang für das Jahr
1826. Herausgegeben von Dr. ö. Hassel, 12. V1H und
428 S. 1 Thlr. 16 Gr.
Der vorliegende Jahrgang dieses Almanachs ist wie seine
beiden Vorgänger in Betreff der Genealogie und Statistik von
Hrn. Hasse] bearbeitet worden. Derselbe Fleifs in Samm-
lung der Materialien, dieselbe Genauigkeit und gute Anord-
nung, welche die andern geographischen und statistischen
Werke desselben auszeichnen, sind auch in dem vorliegenden
zu loben.
Das Ganze zerfällt, wie auch schon der Titel sagt, in
drei Abtheilungen: Genealogie, Geschichte und. Statistik.
Die erstere besteht wieder aus vier Rubriken: I, den fünf
großen Mächten von Europa; II, dem deutschen Bunde, und
zwar sowohl den deutschen Bundesstaaten als den mediatisir-
%en Standesherren ; IIL'den säinmtlichen übrigen europäischen
Staaten, und endlich IV. den vornehmsten aufsereuropäischen
Staaten,
Die fünf grofsen Mächte von Enropa von den übrigen ab-
gesondert zu behandeln, dazu scheint uns kein hinreichender
Gr i.i ml vorhanden; der Unterschied zwischen denselben be-
steht blos hinsichtlich der Politik, nicht aber in Betreff der
Genealogie; auch wird der Gebrauch eines Werks durch allzu*
künstliche Eintheilung ohne Noth erschwert.
Bei jedem Staate handelt der Verf. I, von dem Staate nach
Areal , Volksmenge , Einkünften , Land - und Seemacht, II. der
Staatsverfassung , III., dem Titel, IV. dem Wappen, V. den
Ritterorden, VI. der obersten Staatsbehörde , und VII. dem
diplomatischen Corps. So viel wir haben vergleichen können,
Ist die Darstellung dieser Rubriken gut geratlien; nur scheint
es uns inconsequeut , dafs der Verf., der doch den deutschen
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Hassel*« genealogisch historisch statistischer Almanach. 265
Bund nicht allein als ein Ganzes, sondern auch nach den ein-
zelnen Staaten , die ihn bilden , dargestellt hat , bei dei Schweiz,
die hinsichtlich ihrer Verfassung so viel Aehnlichkeit mit dem
deutschen Blinde hat, nicht eben tK> verfahren ist. Die ein-
zelnen Kantone hätten sonach mit Angahe ihrer Staatsverfas-
sung und ihres llegierungspersonales namhaft gemacht wer-
den sollen.
Was die von Hrn. Brücken bearbeitete zweite Abthei-
lung des Werks, die sogenannte „chronologische Uebersicht
der Hauptbegebenbeiten im Volks - und Staatsleben" betrifft,
so können wir davon nicht viel Gutes rühmen. Abgesehen
von dem pretiösen Zusätze „im Volks - und Staatsleben« (in
vornehm seyn sollenden Titeln und Beisätzen suchen unsere
Schriftsteller jetzt einander zu überbieten), scheint sie uns —
wenigstens in dieser Ausführlichkeit — in einen genealogi-
schen Almanach gar nicht zu gehören, der dadurch nur ohne
Noth angeschwellt und vertheuert wird. Es gibt der chrono-
logischen Hand - und Taschenbücher ohnehin nur zu viele,
und wer sich mit chronologischen Studien beschäftigt , kann
Wedekind's Handbuch der Welt- und Völkergescbichte (un-
streitig das vorzüglichste von allen) doch nicht entbehren.
Die Chronik des letztvei flossenen Jahrs mit genauer Angabe
des Tags, die in dieser Uebersicht ganz fehlt, dürfte für den
vorliegenden genealogischen Almanach hinreichend seyn. Für'»
Andere ist, diese chronologische Uebersicht höchst flüchtig be-
arbeitet, und so vielen Baum sie auch einnimmt (sie füllt
volle 93 eng gedruckte Seiten), so ist darin doch viel Wich-
tiges übergangen. So fehlt z. B. die magna charta (1215), die
Schlachten hei Morgarten (l3l5), Sempaph (1386) , Falköping
(1369), Nikopolis (1396), Set. Jakob und Verna (1444)} un-
ter*m Jahr 1307 wird zwar der Schweizerbund erwähnt, der
noch viel wichtigere Aufstand der Waldstädte im folgenden
Jahre und das Bündnifs zu Brunnen ( 1 3 15) aber übergangen.
Der Zeiträume oder Perioden sind unseres Dafürhaltens
viel zu viele angenommen, wodurch die Uebersicht nicht al-
lein nicht erleichtert, sondern eher erschwert wird; überdies
sind mehrere derselben, wie z.B. Rudolfs von Habsburg Kai-
serwahl (1273) und der Anfang des dreifsigjührigen Kriegs
(1618) nicht epochemachend zu nennen. Bis zum Jahre 1697
ist diese Uebersicht völlig unbrauchbar, weil bis dahin nicht
die einzelnen Jahre, worin wichtige Begebenheiten sich ereig-
net, angegeben, sondern die von zwanzig, dreifsig und funt-
zig Jahren unter einem Jahre aufgeführt werden. So stehen
z. ß. unter dem Jahre iüÜO die Begebenheiten bis 1049 1
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266 Hassel»« genealogisch histcuisch statistischer Almanach.
unter dem Jahre 1315 die bis 1349, unter dem Jahre 1500
die bis löi7 u. s. w.
Es geht, geht Alles durcheinander,
Wie MS usedreck und Koriander —
sagt der Gewürzkrämer in Göthe's Puppenspiel von seinem
Laden ; dasselbe könnte man von dieser angeblichen chronolo-
gischen Uebersicht sagen , so bunt und planlos stehen dieFacta
unter einander.
Die „Chronik des Tages «* enthält auf 15 Seiten die Mo-
nate Juli bis December 1Ö24 in einer Ausführlichkeit, die um
sehr unzweckmäfsig scheint. Die unbedeutendsten Dinge
sind aufgenommen, z.B. dafs eine Manoeuvrir- Escadre von
Brest ausgelaufen (S. 94.)» in Philadelphia Feste zu Ebren
Lafayette's gefeiert (S. 102.), in Gotha ein Museum eröffnet
(S. 107.) und dergl. Wenn es S. 106. beifst : „diplomatische
.Regsamkeit in Lissabon", oder S. 108: -jder Pöbel zu Con-
«tantinopel regt sich««, so ist dies, als wenn man das Gras
"wollte wachsen hören. Bequem mag diese Manier, die Zei-
tungen abzuschreiben, und wichtige und unwichtige Bege-
benheiten ohne Plan und Auswahl zusammenzuraffen, aller-
dings seyn, von der Beurtbeiltmgskraft des Verfassers legt sie
aber kein sonderliches Zeugnifs ab.
Der hierauf folgende Nekrolog der im Jabre 1824 ver-
storbenen Gelehrten und Schriftsteller würde willkommener
seyn , wenn er nicht alle , sondern nur die ausgezeichneten
Schriftsteller enthielte. Nicht jeder, von dem man, Geliert*
Worte parodirend, sagen kann:
Er lebte, schrieb ein Buch und starb —
verdient aufgenommen zu werden; aber vielen Deutschen gebt
nun einmal die liebe Vollständigkeit über Alles. Gar nicht
abzusehen ist es, warum der Vf. Meusel's gelehrtes Deutsch-
land citirt; wer dasselbe besitzt, bedarf dieser Citate nicht,
und wer es nicht hat, kann keinen Gebrauch davon machen.
Zum Schlüsse folgen noch statistische Notizen unter dem
Titel „statistisches Quodlibet«. Wir wollen denselben ihre
Brauchbarkeit nicht absprechen, wünschen jedoch, dafs der
Verf. diesen gar zu trivialen Titel mit einem edleren, etwa
„ Statistische Notizen« oder einem ähnlichen vertauschen
möchte. Die „Uebersicbt der europäischen Hochschulen
enthält in sechs Feldern den Na'men der Universität, das Stif-
tungsjahr , die Zahl der Facultäten , der Lehrer, der Studiren«
den und die Angabe des Jahrs, in dem die Zählung geschehen
ist. Der chronologischen Ordnung, in der die Universitäten
aufgeführt werden, hätten wir die alphabetische vorgezogen,
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Tölken Erklärung der Bildwerke des Ammonstempels; 267
nicht allein den leichtern Aufsuchens wegen, sondern auch,
weil das Stiftungsjahr von mehreren nicht genau angegeben
werden kann. Der Verf. gibt zwar das Stiftungsjahr von Bo-
logna, Paris, Oxford und Cambridge als ausgemacht und un-
bestritten an, wir zweifeln aber sehr, ob es damit seine Rieh*
tigkeit habe.
Die Zahl der Facultäten, der Lehrer und Studirenden
würden wir als völlig unerheblich weggelassen haben. Beider
Charakterisirung einer. Universität kommt es auf diese unwe-
sentlichen Dinge gar nicht an, sondern blos darauf, was für
ein Geist die Lehrer und Studirenden beseele, und nach die-
sem allein entscheidenden Maafsstabe dürfte mancher nicht
sahireichen Universität vor mancher sehr frequenten der Vor-
zug gebühren.
Warum die aufsereuropäischen Universitäten, wie Lima,
Mexico u.s.w. weggelassen worden, davon läfst sich kein
hinreichender Grund einsehen, und eben so wenig ist es zu
billigen, dafs die aufgehobenen , wie Altorf , Erfurt, Grätz,
Helmstedt , Ingolstadt, Hinteln u.s.w. ganz weggeblieben
sind. Oder sollte die von Wittenberg ausgegangene Revolu-
tion nicht von weit gröfsern Folgen gewesen seyn, als Alles,
was die italischen , spanischen, portugiesischen und französi-
schen Universitäten zusammen gewirkt haben?
Erklärung der Bildwerke am Tempel des Jupiter Amman zu Siwah ,
von Dr. E. H. Tölken , Professor ander Universität zu Berlin»
Berlin 1823. 4.
Diese Bogen nebst den beiliegenden drei Steindrücken
gehören zu der von Herrn Tölken herauszugebenden Heise
zum Tempel des Jupiter Ammon in der Libyschen Wüste und
nach Oberägypten von dem Herrn General - Lieutenant Frei-
herrn von Minutoli, und machen als Probeheft die Auf-
merksamkeit aller Forscher und Freunde des Alterthums auf
dieses im Verlage von A. Rücker erscheinende und wie inner-
lich so äufserlich trefflich ausgestattete Werk rege. Es wer-
den in diesen nur in wenigen Abdrücken ausgegebenen Blät-
tern zum erstenmal die Reliefs der Tempelwände von Ume-
beda bekannt gemacht und erklärt. Es dürfte zweckmäfsig
seyn, die Hauptvorstellungen kürzlich darzulegen, mit An-
gahe der Abweichungen, die wir uns vou der Erklärung des
V£ abgebend erlauben.
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208 Tolken ErklSrung der Bildwerke des Ammonsteropels.
v
Tat*. X. gibt Bildwerke von der Anfsenseite des Tempels.
Fig. 2: Jupiter Amnion mit dem Herrscherstab und dem
ägyptischen Schlüssel, nebst seiner Tempelgenossin , gleich-
falls mit dem Schlüssel ; ihnen bringt ein Mann, etwa der Er-
bauer, zwei Obelisken (Sinnbild des Tempels) vor einem
Opferaltar dar, und hinter ihm ist seine muthmafslicbe Bitte
an die Götter in Hieroglyphenschrift enthalten. Der Widder-
kopf Jupiters ist nach der Bemerkung des Verf. etwas löwen-
artig gebildet. Die Verschmelzung des ersten Zeichens im
Thierkreis mit dem Löwen als dem eigentlichen Sinnbild der
Sonne mag absichtlich auf die Bedeutung dieses Sonnengottes
anspielen. Ueber den Schlüssel, der hier in den Händen der
Götter so hiiufig als in Aegypten sich findet, macht Hr. T.
am Ende des Heftes lesenswert he Bemerkungen, und recht-
fertigt seine Gestalt durch die Einrichtung der ägyptischen
und altgriechiscben Schlösser. Er ist das Symbol des Eröff-
nens und Beschliefsens der Oher- und Unterweit, und be-
zeichnet im Allgemeinen die gesetzliche M ichtvollkomraenheit
in irgend einem Bereiche. Die Tempelgenossin des Jupiter
Ammon ist nach des Hrn. Verf. überzeugender Auseinander-
setzung Dione. Unter diesem Namen wurde sie neben Zeus
zu Dodona verehrt, nach Demosthenes in Mid. 15. undStrabo
VII. fin. Wenn dann einige unter Dione die Aphrodite ver-
standen, andere aber (Pausan. V. 15.) von einer ammonischeri
Here zu OJympia wufsten, so geschah dies nur vergleichungs-
weise, weil die dodonäisch libysche Dione mit beiden Göt-
tinnen Aehnlichkeit hatte, mit Here als Gattin des Zeus, mit
Aphrodite aber vermöge ihres Begriffes. Um die Einigung
heider griechischen Gottheiten in der einen libyschen anzu-
zeigen , verehrten die Lacedämonier eine Aphrodite • Hera
(fausan. III. 13.). Homer führt dagegen Dione neben Here
und Aphrodite in seinem Göttersystem so auf, dafs er jene*
zum Kebsweibe des Zeus und zur Mutter der Aphrodite
machte (Iliad. V. 3l2. 370,); woraus man sein Verfahren, das
Ausländische dem Einheitnischen anzupassen und damit zu
verflechten, an einem Beispiele sehen kann. Man würde fehl
greifen, wenn man die homerische Dione für die dodonüische
halten wollte; vielmehr war die letztere allem Anschein nach
Aphrodite selbst, und hatte ihre weissagenden Tauben, aber
eine solche, die zugleich Here oder Gattin des Zeus war.
Man darf in den örtlichen Culten keine völlige Uebereinstiin-
mung mit dem systematischen Synkretismus der griechischen
Epiker erwarten. Diese ammouische Dione überkam sehr
Wahrscheinlich Italien unter dem Namen Juno (vgl, Creuzt/i*
*
\
#
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Tölkcn Erklärung der Bildwerke des Ammonstempels. 269
Mytb. II. S. 547 ). Wegen ihres morgenländiacben Ursprungs
und ihrer Begrifisverwecnslung mit Aphrodite glaubt Ref. den
Namen Dione- Juno am wahrscheinlichsten von J-jj^ , Taube
(Taubenweib), ableiten zu können. Dahin scheint auch der
Umstand zu zielen , dafs auf gegenwärtiger Tafel ihre Schen-
kel mit Flügeln eingehüllt sind.
Taf. X. fig. 3. ist ein Bruchstück, worauf wir die gros,
sen Jahresgötter abgebildet sehen. Der Unterschied der Ge-
schlechter ist auf dieser und den folgenden Vorstellungen da-
durch angezeigt, dais die männlichen Gottheiten in schreiten-
der Stellung erscheinen. Nur Osiris und Hermes ithyphalli-
Cus sind Taf. IX. säulenartig gebildet. Das Scepter der
Götter ist am obern Ende durch den Kopf des Kukupha (Ilor-
apollo I. 55.), das der Göttinnen durch einen Lotuskelch aus-
gezeichnet. Die erste weibliche Figur zur Linken des Be-
schauers mit dem Schafskopf wäre kenntlicher , wenn di.j
männliche vor derselben nicht verstümmelt wäre. Könnteu
wir in dieser Jupiter erkennen, so würden wir in jener un-
streitig Dione finden. Der Schafskopf im Tempel des wid-
derköpfigen Gottes übrigens läfst eher diese Göttin vermu-
then, als die Neitb, für welche sie der Verf. ausgibt. Denn
die Bemerkung , dais Athene dem Sternbilde des Widders
vorstehe, könnte nur den Kopf eines Widders, aber nicht
den eines Mutterschafes rechtfertigen. Auf ihrem Haupte ist
die Weltkugel mit der Lebensschlange (nach dem Verf. eine
Sonnenscheibe; aber auch Rbea hat Taf. VIII. denselben Kopf-
schmuck, für welche doch die Sonnenscheibe sehr i npassend
wäre). Hierauf folgt Horus mit der Sonnenkugel und sei-
nem charakteristischen Bartansatz, als Gott der Sonne in ihrem
Zunehmen und des Jahres vor der Sommersonnenwende.
(Der Verf. hält ihn für Herakles, als welcher er nichts. Ausge-
zeichnetes hätte; Horus dagegen ist in der durch die folgen-
den Gottheiten ausgedrückten Ideenreihe unentbehrlich.)
Hieran schliefsen sich zwei gute Genien mit Schlangen-
köpfen, ein weiblicher und ein männlicher, den Jahressegen
bezeichnend. Der Scheffel auf dem Haupte des männlichen
Kamephis deutet wahrscheinlich auf di« erste Erndte zur Zeit
der Sommersonnenwende. Er durchbohrt mit einer Lanze
dem Anschein nach ein typhonisches Thier. Es herrschen ja
im hohen Sommer in Libyen und Aegypten die dem Typhon
zugeschriebenen Gluthwinde, wogegen dieser 'Genius hier
schützend kämpft. Oder wenn andere in dem Werkzeuge,
das Hr. T. für eine Lanze ausgibt, lieber eine Wurfschaufel
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*
270 Tölken Erklärung der Bildwerke des Amnions tempels.
sehen sollten , so bezöge sich diese abermals auf die Erndte.
Nun erscheint Harpokrates, an der einzigen geringelt
herabhängenden Locke kenntlich (Sinnbild der schwach wer-
denden Sonne); auf dem Haupte hat er seinem Charakter ge-
rn ii Ts eine kleine Sonnenscheibe zwischen Bockshörnern. Die
Hörner , können wir sagen , sind vom Fan entlehnt, den ken-
nen wir ja als den Steinbock im Thierkreis (s. unsere Jahrb.
1824* S. 792.). In der Linken hat er den Krummstab und
die Geissei , um in dieser für Aegypten namentlich so geseg«
rieten Zeit der Ueberschwemmung die typhonischen Einflüsse
vollends zu vertreiben, Harpokrates steht hier als die wieder
abnehmende Sonne (der hinkend wandelnde Gott nach der
Mythologie) und als das Jahr nach der Sommersonnenwende
dem Horas in richtiger Stufenfolge gegenüber. Dafs *Xorus
nicht, wie gemeiniglich angenommen wird, blos die Sonne
in der Sommersonnenwende, und Harpokrates in der Winter*
Sonnenwende ist, sondern beide, wie gesagt, umfassender
zu nehmen sind, wird unter andenn aus einer hier in Be-
trachtkommenden unedirten ägyptischen Bronce klar, welche
kürzlich der verdienstliche Kunstkenner J. D. Weber zu Ve-
nedig aus den Händen eines Goldschmieds gerettet, und wo-
von er dem Ref. eine Handzeichnung mitgetheilt hat. Es ist
Harpokrates mit seiner Locke, in den Händen zwei Geissei-
riemen haltend, zwischen den Zeichen des Krebses und Stein-
bocks auf der einen , und des Scorpionen und Löwen auf der
andern Seite. lieber seinem Haupte ist der struppige Kopf
des Typhon mit offenem, gleichsam Gluth blasendem Munde,
mit den Füfsen tritt er auf zwei Krokodile (typhonische
Tbiere). Hierdurch ist die Doppelherrschaft Typhons ange-
deutet; nämlich in der versengenden Hitze einerseits, und
andererseits in den winterlichen Tagen, da das Meer den gu«
ten Nil verschlungen hat, üufsert sich seine zerstörende Macht.
Zwischen beiden typhonischen Extremen steht Harpokrates in
den Zeichen vom Krebs an bis zum Steinbock , wie in der
That, so im Bilde mitten inne# (Hr. T. gibt den Harpokra-
tes für Osiris aus , was gar nichts für sich hat. Den Kopf-
schmuck aus Palmzweigen, der nicht einmal deutlich ist, be-
sitzt Osiris nicht ausschliesslich , und der Krummstab und die
Geissei finden sich notorisch in den' Händen des Harpokrates;
man vergl. nur Creuzers Abbild, zur Myth. Taf. XV. No. 2.)
Die letzte Figur auf dem Bruchstück ist Isis mit dem Modius
auf dem Haupte als Sinnbild der zweiten Erndte im Novem-
ber, darüber befindet sich die Mondsscheibe zwischen den
Kuh - oder Mondshörnern.
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Tölken Erklärung der Bildwerke des Amnion Stempels. 271
Taf. VIII, und IX. enthalten die Reliefs im Innern des
Tempels. An der Decke sind Adler mit ausgebreiteten Flü-
eln und über ihnen Sterne abgebildet, zum Zeichen der
immlischen Herrschaft; in den F(Üsen halten sie h. Opfer- «
messer (nach dem Verf. Feldzeichen, aber s. Taf. IX. die
zweite Reihe von unten, wo eine Priesterin vor dem Opfer-
altar dergleichen in den Händen hat). Zu oberst an den Sei-
tenwänden zieht sich ein Streifen, Ammons Scepter nebst der
Weltkugel, wovor ein Falke mit gesenkten Fittigen huldigt,
in vielen Wiederholungen enthaltend. Darunter ist ein Am-
monsfest mit Candelabern , Altären, Opfernden, Betenden
und Tanzenden. Sodann folgt auf beiden Seiten ein breiter
Streifen von Hieroglyphen, welche aber die Reisenden nicht
abgeschrieben haben, was um so mehr zu bedauern ist, da
deren mögliche Entzifferung in unserer Zeit von mehreren
Seiten her in Anregung gebracht wird. Die folgende Reihe
ist auf den gegenüber stehenden Wänden verschieden, aber
doch nach unserem Urtheil sich auf einander" beziehend. Sie
enthält die segnenden Götter beider Hemisphä-
ren, die eine Wand (Taf. IX.) die der O ber w el t und die
andere (Taf, VIII.) die der Unterwelt. Auf beiden Wän-
den ist Jupiter Ammon vorgestellt, thronend in einer
Capelle, vor welcher ein Anbeter kniet; was die Anschauung
zu der Beschreibung in der Inschrift von Rosette gibt. Aber
Ammon bat nicht beidemal die gleichen Attribute, und nicht
die Willköhr hat unseres E.rachtens abgewechselt. Auf der
rechten Wand Taf. IX. hat er eine gröfsere Sonnenscheibe auf
dem Haupte, auf der linken Taf. VIII. eine kleinere zwischen
Bockshörnern und mit zwei Palmzweigen. Jenes ist die zu-
nehmende (in andern Culten als Horus gedacht), dieses die
abnehmende (anderwärts Harpokrates bezeichnet) Sonne, je-
nes zugleich der Gott der obern, um! dieses der Gott der un-
tern Hemisphäre. Wie alle Sonnendienste, so kennt auch #
der ammonische einen Gott in der Kraft und denselben in der
Entkräftung. Auch Ammon hatte , wie Harpokrates, einen
Fehler im Gang, zusammengewachsene Beine (Plutarch, de t
I«. 62.). Daher hat er auch mit ihm die Bockshörner hier
gemein , was bei beiden eine Anspielung auf das Zeichen des
Steinbocks ist. (Wenn der Verf. S. 120. diese Hörner sogar
dem Horus beilegt, so beruht diese Meinung ohne Zweifel
auf einem Mifsverständnifs.) Deswegen trinkt nach der Fa-
bel der kleine Zeus (als Steinbock im Winter) Ziegenmilch,
und erstarkt so nach und nach von der kleinen Sonne zum
grofsen Gott. Was der Aegypter in die Zweiheie des Har-
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272 Tölkcn Erklärung der Bildwerke des Ammonstempels.
•
poerates und Horus auflöste, geschieht hier in dem Leben
des einen Gottes Zeus. Mit dieser Ausdeutung von dem
gedoppelten Arainon stimmt die folgende Götterreihe äu-
. sammen.
Es folgen nämlich TafVlX. Isis und Osiris, durch die
Attribute eines Lotusstengels, einer Katakombe und eines
Wassergefälles als Vorsteher des Kreislaufes vom Lehen zum
Tode und von diesem zur Wiedergeburt bezeichnet. An sie
schließen sich die Zeugungsgötter Hermes ithyphai Il-
eus und Brimo, diese mit dem Kalathus auf dem Haupte,
jener mit dem stehenden Gliede und mit zwei sich oben um-
legenden Federn als Hauptschmuck. Die Federn erinnern an
dieParcen, welche gleichfalls von den Vögeln als den Pro-
pheten des Schicksals diesen Kopfschmuck entlehnen (s. un-
sere Jahrb. 1824. S 801.), Bei Hermes bedeuten sie hier
ohne Zweifel, dafs sein Geschäft nach festen Naturgesetzen
von Statten gehe. (Der Verf. hält sie nach Horapollo II.
für ein Sinnbild der Gerechtigkeit.) Mit der Geissei in der
Hand vertreibt er die widrigen Einflüsse der Natur, um sie
zur Zeugung vorzubereiten. Dieser Hermes ist die einzige
Vorstellung in diesen Bildwerken, welche uns erinnert, dal's
wir uns nicht in Aegypten befinden; er ist nach Herodot II.
51. ein pelasgischer Gott, und erklärt sich aus dem anerkann-
ten Verkehr zwischen dem pelasgischen Griechenland und
dem libyschen Aminoustempel. Hr. T. nennt ihn Osiris; aber
auch abgesehen von der unangemessenen zweimaligen Wie*
derholung desselben Gottes nach einander, so haben die Ae-
fypter den Osiris selbst nicht als Phallusgott gebildet, son-
ern nur ihm zu Ehren nach Herodot II, 48. eigene Ellen
lange Bildchen verfertiget, an denen das Männliche beinahe
so grofs als der übrige Körper war. Die wir Brimo , Hekatts
oder Proserpina als die Gattin des Hermes, auf welche sein
sinnliches Gelüsten gerieütet ist (Cic. de N. D. III. 22. und
daselhst Creuzer), nennen, in dieser vermuthet der Y£ eine
Personifikation Aegyptens.
(Dur Beschlufs folgt.")
I
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■
N. 18. ' 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur,
Tölken Erklärung der Bildwerke des Ammonstempels
zu Siwah.
(Beschlnjs.)
Nach den Göttern, welche der Fruchtbarkeit im Allge-
meinen vorstehen, werden nunmehr im Besondern die Spen-
der der woblthätigen Jahreseinflüsse und die Förderer des
Gedeihens vorstellig gemacht: Horns mit dem Falkenkopfe
(nach dem Verf. Pht-ha) in Gesellschaft eines weiblichen
Agathodämon, der einen Widderkopf mit der Schlange
hat, und zur Bezeichnung der ersten Erndte derselbe seyn
mag, welcher Taf. X. fig. 3. einen Schlangenkopf hat und auch
auf Horus folgt. (Der Verf. hält diese Göttin für Neith, und
führt ]>£anil. IV. 124. und Serv. ad Aen. XI. 259. an, dafs
ihr das Sternbild des Widders geheiligt gewesen , was aller-
dings durch den borghesischen Thierkreis und ein italisches
Vasengemälde nach unserer Ausdeutung in den Heidelberg.
Jahrb. 1824. S. 791. bestätigt werden kann. Allein der Schlufs
von dem Widderkopf auf die JSIeith ist dessen ungeachtet un-
sicher, wenn man bedenkt, dafs wir uns in einem Ammons-
tempel befinden , wo nach des Verf. eigener Ansicht Taf. IX.
in der zweiten Reihe von, unten zwei Priesterinnen mit Wid-
dermasken, und nach des Ref. Dafürhalten aufserdera Isis und
Osiris mit Widderköpfen vorkommen.) Das Segensjahr, das
mit Horus und dem guten Genius eröffnet wird, erreicht
durch die Nilfluth mit dem Aufgang des Hundssterns seinen
eigentlichen Gipfelpunkt. Daher reiht sich nun Anubis an
a's Repräsentant des guten Hundssterns und der mit seinem
Aufsteigen verbundenen heilsamen Folgen. Mit ihm steht
dem Begriff und der Abbildung gemäis eine 1* arce mit der
Feder auf dem Haupte in Verbindung, um den Gedanken aus-
zudrücken, die Befruchtung des .Landes und deren Maafs er-
folge nach astrologischen Schicksalsgesetzen. (Der Verf. hält
sie für die Göttin der Wahrheit und des Rechts ; s. aber Creu-
XIX. Jahrg. 3. Heft. . - l8
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274 Tölken Erklärung» der Biluwerke ues Amrnonstempels.
• s
zers Abbild, zur Mytb. TaF. XV. n. 2, wo ein Schatten zwi-
schen zwei Parcen , deren Hauptschmuck eine Feder ist, steht,
vergl. Pausan. X. 24. Auch Priester oder Propheten sind
auf ägyptischen Bildwerken geschmückt. Die häufig vorkom-
mende Feder in der Waagn des Todtengerichts kann wieder
nicht, wie der Verf. will, Gerechtigkeit bedeuten; denn man
bült wohl die Waage mit Gerechtigkeit, aber mau kann diese
nicht sinnbildlich in die Waage legen, wohl aber das Schick-
sal, dessen Bestimmung^ die Stelle des Gewichts vertreten.)
Hierauf erscheint Harpokrates mit dem Falkenkopf und
oben mit einer kleinen Sonnenscheibe und zwei Palmzweigen
(nach dem Verf. wieder Osiris). Die Sonne nimmt ab, .aber /
die Natur ist reich und üppig. Daher ^Verden nun die groisen
Segens - und ErndtegÖtter zur Anschauung gebracht : Isis mit
dem Widderkopf und der Moudsscheibe zwischen den sie cha-
rakterisirenden Gazellenhörnern (nachdem Vf. wieder Athene),
und Osiris mit dem Falkenkopf und den mächtigen Stier-
hörnern, die ihm vorzugsweise zukommen (nach dem Verf.
Helios). Es folgt eine Göttin, die mau. für Aphrodite hal-
ten mag. Das Uebrige ist verstümmelt. — Wir begegnen
so ziemlich derselben Götter- und Ideenreihe, wie Tat. X.
fig. 3, wodurch die Richtigkeit unserer Auslegung an Wahr-
scheinlichkeit gewinnt. Es folgten dort, wie hier, Horus
und ein weiblicher Kamephis, Harpokrates und Isis auf ein*
ander. Nur statt des männlichen Kamephis ist hier der An-
fang der Nilfluth deutlicher durch AnuMs und die Parce ange-
deutet. Immer aber ist es derselbe Ideenkreis : Zunehmen
und Abnehmen der Sonne, Wassersegen, Wachsthum und
Fruchtbarkeit nach göttlichen Ilathschlüssen.
Auf der linken Tempelwand Taf. VIII, wo der unter-
irdische Ammon thront, finden wir folgende Gottheiten:
Harpokrates mit der kleinen Sonne und zwei Palmzweigeu
auf seinem menschlichen Haupte, auch sonst als ein unter-
irdischer Gott bekannt (O.euzer Abbild. Taf. XV. n. 2.), von
dem Harpokrates der obern Sphäre Taf. IX. dadurch unter-
schieden, dafs ihm in letzterer Beziehung ein Falkenkopf und
eine Strahlenkrone gegeben wurde. Hierauf erscheint Rhea
mit dem Löu enkopf und der Weltkugel, als Mutter des Ty-
phon und der Nephthys eine Gottheit der Unterwelt. Sie ist
in Bewegung gegen ihren Gatten Kronos, dessen Haupt mit
der Sonnenscheibe geziert ist. Der Seelenführer T h o t h , mit
einem Stern und zwei Falkenfedern auf dem Kopf, steht zwi-
schen zwei der Dione ähnlich gebildeten Parcen, und daran
reiht sich Anubis mit zwei Federn, dessen Hundskopf mit
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Tölken Erklärung der Bildwerke des Ammonsternpeli. 275
Beziehung auf sein unterirdisches Amt nach Art der Schakale
geformt ist. Den Zug heschliefsen Isis, zwischen deren Ga-
zellenbörnern die Mondsscheibe sich befindet, aher etwas klei-
ner als T. IX, und Osiris an seinein charakteristischen Kopf-
schmuck kenntlich, als Sohn des Ammon mit dem Widderkopf
(wie Isis T. IX.), als der unterirdische durch die kleine Sonne
zwischen Bockshörnern bezeichnet. Rückwärts von dem
Throne Ammons ist im Hintergründe dessen Gattin Dione,
gnädig die Hand erhebend, zu bemerken , wie es scheint, als
Hoffnungsbild zur Paligenesie für die Abgeschiedenen, (Der
Verf. sieht in dieser Göttei reihe aulser Kronos und Rhea nur
Priester und Priesterinnen ; solche linden sich wohl in der un-
tern Reihe , diese sind aber in geziemender bittender Stellung,
was hier nicht der Fall ist. Ueberdies würde die Vorstellung
von Priestern den Götterbildern auf der gegenüberstehenden
rechten Seite nicht entsprechen. Nach unserer Auslegung aber
beziehen sie sich auf einander wie Ober- und Unterwelt.)
. Der weiter folgende Streifen auf beiden Seiten enthalt
eine Veranschaulichung des Flehens der Menschen in Beziehung
der oben abgebildeten Gottheiten, und zwar Tafel IX. eine
Opferhandlung in Rücksicht auf Jahressegen und Nilfluth, zuv
welchem Behufe zwei Altäre in der Mitte stehen, der eine mit
dem Ichneumon , der andere mit dem Krokodil bezeichnet.
Also den guten und den feindseligen Göttern wird geopfert,
um die Geneigtheit jener zu gewinnen und den Zorn dieser ab-
zuwenden. Auf der andern Seite der Altäre erblickt man die
Horte des Landes und die Rächer des Osiris, nämlich Horns
in der Mitte des ibisköpfigen Thoth mit der Mondsscheibe
zwischen Kuhhörnern (denn man dachte den Thoth als Beglei-
ter des Mondes : Plut. de Is. 4l.) und des Anubis. (Der Vf. '
hält letztern für Typhon, und den Hundskopf , an weichern
wegen des Aufsatzes die Obren nicht sichtbar sind, für den
Kopf eines Krokodils oder Schweines. Aber wie könnte die-
sem feindseligen Zerstörer das göttliche Scepter , das er in der
Linken, der h. Schlüssel , den er in der Rechten hält, der Kopf-
schmuck , den Anubis mit Horus als dessen Begleiter gemein
hat, zukommen?) Der entgegengesetzte Streifen Taf. VIU.
enthält eine Reihe betender Priester und Priesterinnen, der
Analogie nach in Bezug auf das Todtenreich. Die unterste
Vorstellung beider Seiten ist zu sehr verstümmelt, als dafs et-
was mit Gewifsheit angegeben werden könnte.
W. F. Rinck.
,
18 *
>
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* I
I
276 Cieerojais Brutus ed. Eilende,
M. Tut Iii Ciceronis de Claris Oratoribus liber9 qui Jicitur
Brutus, Cum notis J. A* Ernesti aliorumque interpretum
selectis edidit suasque adjecit Fridericus Ellen dt , Am M-
— Praejlxa est succincta Eloquentiae Romanae usque ad Caesares
Historia. Regiomonti Prussorum9 sumtu Jratrum Borntrager,
MDCCCXXr. X. CXLll und 261 S. in 8. 2 Tblr.
* • *
Eine Ausgabe, die wir willkommen heifsen müssen* Seit
langer Zeit ist dieser Schrift, einer der trefflichsten Cicero's,
keine eigene Bearbeitung zu T heil geworden, und doch konnte
die Wetzeische Ausgabe nach dem jetzigen Stande der Cicero*
nischen Kritik keineswegs mehr befriedigen. Und hier dringt
«ich dem Ref. aufs Neue die schon oft gemachte Bemerkung
auf, wie leicht es noch am Schlüsse des vorigen Jahrhundertl
war, sich mit sehr mittelmäfsigen Commentaren über den Ci-
cero eine Art von CelebritÜt zu erwerben : denn er erinnert
sich noch gar wohl der Lobsprüche, die Wetzeis, man darf
wohl sagen , schlechte Ausgabe des Brutus in der Allg. Deut-
schen Bibliothek erhielt, ungeachtet, besonders in der Bear-
beitung des Textes, sehr wilikührliche, wo nicht gar keine
Grundsätze befolgt waren. — Wenn sich übrigens Hr. E. in
der Vorrede beklagt, dafs die Lateinische Literatur im Ver-
bältnifs gegen die Griechische gegenwärtig vernachlässigt sey,
so mächte diese Klage gegenwärtig wohl etwas weniger ge-
recht seyn, als sie es noch vor einigen Jahren war. Gerech-
ter finden wir die Klage, dafs die meisten der Lateinisch
Schreibenden oder Lateinische Schriftsteller Erläuternden ihre
Kenntniis der Sprache nur durch Schreiben und Lesen erwor-
ben haben, ohne auf die nicht auf der Oberfläche liegenden
Gesetze der Sprache zu achten, ja selbst ohne sie zu ahnen«
Dafs daraus ein Schwanken in den Grundsätzen des kritischen
Verfahrens entstehen müsse, dafs selbst das richtig Gefundene
oder Herausgefühlte nicht zu fester Ueberzeugung gebracht
und Andern überzeugend mitgetheilt werden könne, ist eine
nothw?ndige und an Vielen nicht zu verkennende Folge davon.
— - Doch wir wenden uns zu unserm Buche. Ungebrauchte
Handschriften hatte der Herausgeher nicht, auch an alten Aus-
gaben mangelte es ihm sehr, wie er denn z. B. die beiden
Ascensius'schen Ausgaben von 1511 und 1522, die Basler
Ausgaben vorr Cratander und Herwag, die Robert und Karl
Stephanischen und so manche andere, die weder von Ernesti
und seinem Nachtieter Wetzel, noch von Schütz gehörig ver-
§ liehen sind, und doch so reiche Ausheute geben, nicht unter
en von ihm benutzten Hülfsmitteln nennt, ' Mit seiner
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Ciceronis Brutus ed. Eilende.
277
Ihstoria Eloquentiae Romana* will er zwar nicht mit Rubnkens
Htst.Crit. Oratorum Graec. in die Schranken treten, wohl aber
den Hrn. Burignj übertreffe«*, der in den Mein, de l'Acad. des
inscr. Vol. XXXVI. weiter nichts, als einen Auszug aus dem
Brutus des Cicero giebt. Dies ist ihm allerdings wobl gelun-
gen , und wir müssen diese Abhandlung als eine Bereicherune
der Kömischen Literaturgeschichte betrachten, ob sie gleich
ein eigentliches Buch über die Geschichte der Römischen Be-
redsamkeit nichts weniger als überflüssig macht, und zwar
erstlich wegen der ihr zu enge gesteckten Grönzen, da sie nur
Iiis aut die Caesares geht , dann aber auch, weil sie den Hor-
tensms, den Asmius Pollio und den Cicero ganz übergeht: und
zwar den Letztern, weil - (W, sagt er, « tot auctoribus lau-
,*>*U vel enarratis addi potest? Von den beiden Andern schweigt
er, weil wir über den Hort^.ius von Luzac und über den
Asinius Pollio von Thorbecke treffliche Monographieen
haben. Haben ? fraeen wir. Luzac's Schrift ist eine im Jahr
1810 mLeyden erschienene Inauguralschrift, und Thorbecke's
Commentatio gleichfalls , vom Jahr 1 20. Diese Schriften sind
sehr selten und schwer zu bekommen; und wären sie auch
allgemein verbreitet, es durften darum in einer Historia Elo-
quentiae Romanae die bedeutendsten Mi'nner eben so wenig feh-
len , als künftig ein Gescbichtschreiler der allgemeinen Ge-
schichte die schwäbischen Kaiser wird übergehen dürfen,
„weil man ja Raumers Geschichte der Hohenstaufen habe«.
Auch wird sich wohl in den Quellen seilst noch eine Nachlese
halten lassen, ungeachtet sie vom Verf. mit Sorgfalt und mit
Kritik benutzt worden sind. Doch wollen wir, um den Raum
einer Recension nicht zu überschreiten, die specielle Beur-
teilung der Abhandlung andern Blättern überlassen, um über
die Ausgabe des Brutus selbst etwas ausführlicher sprechen
zu können, und über eine Anzahl von Stellen unsere Ansichten
mitzutheilen. Was den Lateinischen Vortrag betrifft, so"
verdient er im Ganzen Lob. Es sind uns jedoch einige Ver-
sehen aufgefallen, die wir eine.» Manne, der Anderer Jrrthü-
mer nicht immer schonend rügt [Cicero, wie der neueste
Herausgeber des Priscian, Krebl, bekommen dasLob : in*Pte,
Luzac: temerarie]9 ohne weitere Bemerkungen vorzuhalten nicht
umhin können. S. VII. ab Hermanno, vir i itlustri , de me —
praeclare meriti. LVI. praetervidit (ein ganz unerhörtes Wort!)
LXXVI. mentwnem ejusßeri in Gellio, iu riinio. CXU. seculi
potius, quam sui culpa. CX1II. apprime (das bei üchtigte Adver-
bium). S. 159. nullibi. CXIV. Coelinm quem (f cui\ librum
suum inscripnt Varro u. dgl. Auch falsche Citate z/ß. S. XIX.
uigmzea c
t
278 Ciccroais Brutus ed. EUcndf»
i
Cic. ad Att. für ad Famill. IX. 22. haben wir gefunden, und
sinnstörende Druckfehler , z. B. S. X. inuhus statt multus , XVIII.
an/« für arte, XL. Scneca für Sgnecae , ' LXXXUI. earum quif
CXXIII. exsiaret für exstant.
Betrachten wir nun die Ausgabe des Brutus selbst, so
. finden wir an ihr ein besonnenes , sicheres Unheil , eine Ab-
neigung gegen \: illkührliche Textesveränderungen , sorgfaltige
Beobachtung des Ciceronischen Sprachgebrauches, nur nicht
immer von einer hinlänglich umfassenden Leetüre unterstützt,
um jedesmal das zu Beweisende mit den erforderlichen Stellen
zubelegen; dabei ist auch die Auswahl zu loben , die der Her-
ausgeber aus den Anmerkungen der frühern Bearbeiter diese«
Buches giebt. Hier aber vermissen wir eine vor acht Jahren
erschienene sehr gehaltreiche Schrift über den Brutus, dieK<*.
vor sich bat und deren Titel isj : Observationes Criticae in
cjuaedam Bruti Ciceronis loca. Auetore Hallgrlmo Johan-
naeo Scheving, ScholaeBessestadensis inlslandia Adjuncto.
Havniae. Typis exeudit H, F. Pcpp, civis et typographus
Havniensis. 1817. 85 Seiten in 8, über welche B i rg e r Th ot-
lacius das Urtheil gefüllt bat: Commentationem hanc, dili-
genter et cum acumine critico elaboratam, dignissimam judicat
Facultas Philosophica Universitatis Regiae Havniensis, quae
Magisterii Artiura et Doctorutus Philosophici Honores auetori
arquirat. Wir können dieses günstige Urtheil nur bestätigen,
und sind überzeugt, Hr. E. würde Mehreres in dieser Schrift
der Beachtung sehr würdig gefunden, manche Vorschläge des
Hrn. Sch. seinen Lesarten vorgezogen, für manche seiner Be-
hauptungen aber aurb, hier Beweise und Belege gefunden ha-
ben« Da es den meisten unserer Leser eben so gehen möchte,
wie Hrn. E. , nämlich dafs ihnen jene Schrift unzugänglich ist,
so wollen wir dieselbe bei den von uns zu betrachtenden Stel-
len auch berücksichtigen.
V. 21« Ego ver0 i inquani) si potero, faciam vohis satis. So
Hr. E. mit Etnesti, Wetzel und Schütz. Aber Scheving bat
mit Recht das potuero der Handschriften in Schutz genommen,
und dafür Epp. ad Famm. XJ. 23. ad Att. II. 15. Orat. 10.
de Legg. III» sub lin. und andere Stellen citirtj zu denen man
f'igen kann, was Beier ad Cic. de Off. III. 23. 89. p. 351. an-
sagt, und die Stelle Cic. de Rep. I. 43. Auch hat Schev, zu
dieser Stelle einen eigenen Excurs beigefügt S. 82 — 85. — "
IX. Sed st.avitate ea, qua perfunderet animos , non qua p e rj rinde-
ret. Diese Lesart behält und vertheirligt Hr. E. wie Ernesti.
Aber wer wird von der suavitas sagen : perfringit animos? Ja,
wir sollten uns perfringw* gefallen lassen, wenn es hiefse,
\
\
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äd by Google
Ciceronil FJtutüs td. Elleadr.
279
etwas, wodurch die animi umzäunt oder umicblossen oder über-
häutet sind, suavitate perfringere ; aber die animos selbst nimmer-
mehr. Wir ziehen also die von Schneider aus Cod. Gud. i.
(un 1 nicht ex conjectura , wie Hr. E. sagt) vorgezogene , auch
von Schütz und Scbeving gebilligte Lesart perstringeret vor. Es
ist allerdings eine Gradation zwischen perfundere suavitate und
-perstringcrö , die Hr. E. mit seinem perfun.Ht s, leviter tangit, was
dann eben soviel seyn soll, als perstringit, nicht vertuschen
oder vertilgen kann I Richtig erklärt Schütz perstringere durch
leviter pungere, was recht gut zu den aculeis pai*t , von denen
es nachher heilst : cum delectatione aculeos etiam relinqueret in ani-
niis , und bedeutend stärker ist als suavitate perfunderet. — X.
4. cujus (Homeri) etsi incerta sunt tempora, tarnen annis multis fuit
ante Romulum ; siquidem non infra superiorem Ly cur gum fuit , a
quo est disciplina Lacedaemoniorum adstricta legibus. Hier verwirft
Hr, E. Wetzels Erklärung , 'dafs superior Lyeurgus stehe zum
Unterschied von dem Attischen Redner Lykurgus, auch die
des Corradus, der annimmt, Cicero denke an einen jün«ern
Lykurgus aus Sparta, den Timäus erwähnte, und wolle durch
superior den Gesetzgeber von ihm unterscheiden; auch die von
Trofs mitgetheilte Ansicht der Stelle, wonach non infra weg-
geworfen und gelesen werden soll siquidem superior Lycurgo fuit ,
welches freilich gewaltsam ist, verwirft er, und will superio-
rem als Glosse eines interpreti« inepti ausgestrichen wissen.
Scbi^ing supplirt eo nach superiorem (welches wir lieber beige-
setzt sahen), und erklärt die Stelle ganz gut und einfach so :
Etsi incerta sunt Homeri tempora, omni tarnen dubio caret , eumvixisse
ante Romulum , cum constet eum nonfuisse post l.ycurgum , qui tarnen
Romulum aetate praecessit. — XIII. 49« Graeciue qirm'em orato*
mm partus atque fontes vides* Irfnesti stöfat sich an partus
a'que fontes% Schütz emendirt gar, und allerding» scharfsinnig
oratorum partus artisque fontes. Hr. E. hält fontes für eine Glosse
von partus* Scheving sagt zum Schutze der Stelle: Cicero non
attentus fuit ad proprium vocum partus et fontes signißcationem ,
sei tantum ad illam translatam , qua utitur , ex qua idem valent ac
initium et origof — nec ipsa vocabula partus et fontes atsumlo
hoc signißcalu inter se discordant. Similiter dixit Cic. Brut. 17. imi-
tari ossa et sanguinem etc. — XVII. 67. liest Hr. E. zwar
mit Recht Catones ; man erfährt aber nicht, dafs die lectc vulg.
Catonis ist, ob er gleich von ihr spricht, und sogar sa^t , Gö-
renz vertheidige sie ad Cic. de Finn. V. 2. 3* welches C!»at
falsch ist, da Görenz die Stelle mit der alcen Lesart blos an-
führt zu IV. 2. 3- — XXI. 81. cujus et aliae sunt orationes et
contra Tu Gracchum , exposita est in C. Fannii atmalibus. So steht
280
Ciceronis Brutus ed. Ellendr.
allerdings in den Handschriften. Allein die Stelle scheint doch
so nicht stehen bleiben zu können, Scheving will entweder
quae vor exposita einsetzen, oder, was Schütz gethan hat, est
ausstreichen. Eins von beiden scheint nöthig. — XXV. 97.
homo non liberalitate9 ut alii , sed ipsa tristkia et seoeritate popw
luns. Hier haben Em. und Wetzel ganz ohne Noth hilaritate
emendirt. Liberal itas für comitas wird von Schütz, Schev. und
dem Herausgeber mit Recht beibehalten und vertbeidigt. —
XXIX. 110. quoriim neuter summi oratoris habuit laudem, et uterque
in multis causis versatus erat. Hier Weist Hr. E. mit Recht Ei ne«
ati\s von Schütz gebilligtes at ab. Wenn er aber schreibt: sed
ratio temporum prohibet, Si enim et copulative accipiendum esset , vel
si adversatioa particula at ejus locum teneret9 habuit exspectandum
erat, so hat er sich wohl verschrieben, denn habuit steht ja.
Vielleicht wollte er sagen, dann sollte man oersatus est erwar-
ten. Er hält es indessen mit Schneider, der et für et tarnen
nimmt, und belegt diesen Gebrauch mit einer Stelle: alia
exempla , sagt er, nunc non sunt in promptu. Scheving bot viele
Stellen an : z.B. Brut. c. 56. Somn. Scip. c. 8. de Senect. c. 9,
Dann, aus Livius , Celsus, Martialis; darauf Griechische Stel-
len aus Euripides, Aristophanes . Aesopus, Epiktetus. —
XXX. 114. ouae propria est hujus disciplinae philosophorum de se
ipsorum opinio. Dafs dies die Lesart der Handschriften und
Ausgaben ist, erfährt man von Hrn.E. gar nicht. Dies kommt
daher, weil ipsorum , das er Mos zwischen Klammern «*lzea
wollte, durch Zufall, wie es scheint, ganz ausgefallen ist.
Scheving vertbeidigt es und construirt: Itaqud in hoc viro firma
et stabilis inventa est illa opinio , quae ipsorum philosophorum hujus
sectae de sc propria est , mit der Erklärung : Quando nude dicitur ,
hanc vel illam aliquis Je se hahet opinionem , id ita polest intelligi9
ut , si ipse quidem habeat , ntWil tarnen impediat , quo minus et alii. Sin
vero pronomen ipse additur , signißcatur , hanc opinionem Uli , de quo
sermo sit9 proprium esse , nec in alios cadere. Eodem modo Liv.
Üb. 1. 20. Romani, si unquam alias ullo in hello fuit* quod primum
diis immortalibus gratias ageretis , deinde vestrae ipsorum virtuti ,
hesternum id proelium fuit. — XXX. 115. <Jui c um innocentissimus
in judicium vocatus esset , — cum essent eo tempore eloquentissimi
viri L. Crassus et M. Antonius consulares , eorum adhibere neutrum
voluit. Das ersU« cum nimmt Hr.E. mit Schütz aus der Ausgabe
des Victorius auf, für quanquam9 das die Handschriften und
übrigen Ausgaben geben; wobei er eine treffliche Anmerkung
über den Gebrauch des- quanquam mit dem Conjunctiv macht.
Scheving weils niebts von des Victorius cum , sieht aber doch,
dafs dieses quamquam — esset nicht gut stehen kann , und glaubt
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Ciceronii Brutus ed. Elleudf.
281
deswegen, entweder sey quamquam versetzt, uad müsse unten,
statt oben, stehen: quamquam essent eo tempore etc. Wolle
mau das nicht, so soll man esset nach oocatus wegstreichen und
lesen: quanquam innocenlissimus , in Judicium oocatus 9 — cum
essent — consulares , eorum adhibere neulrum voluit. Man wird
diesen Ansichten seinen Beifall nicht versagen können, seihst
wenn man sich auch lieber an Hrn.E. Lesart zu halten geneigt
seyn möchte. — XXXI. 120. Nam, ut Stoicorum adstrictio r
est oratio — : sie illorum liberior et latior, quam patitur consuetudo
judic'wrum et fori, Das latior mifsfällt Hrn. £. und er emendirt
laetior, doch ohne viel auf seine Emendation zu halten. Wir
können sie auch nicht sehr billigen , sondern n - Innen dafür
Schevmgs laxiory und belegen es, da es von ihm unterlassen
worden ist, mit einer Stelle des Cicero seihst, de Orat. I. 60.
254 • adstrictus certa q uad am — moderetione , — quanto facilius
nos non laxare modos oratio nis , sed totos matare possumus? — •
XXXIV. 12!*. C. Fimbria — habitus est sanef ut ita dicam 9 lucu-
lentus patronusj asper , maledicus9 genere toto paullo fervidior
atque commotior. Dafs die Stelle verdorben sey , hat •man läng3t
vermuthet. Vavassor sagte, er begreife nicht, wie bei dem
ganz eigentlichen Ausdruck luculentus patronus die entschuldi-
genden Worte ut ita dicam stehen können; Pighius und Gruter
wollen das gleich nachher folgende tolerabilis patronus wegstrei-
chen , weil es sich mit dem luculentus patronus nicht vertrage.
Ernesti verwandelt erstlich, um einen uneigentlichen Ausdruck
zu haben, der das ut ita dicam rechtfertige, luculentus in trueu-
lentus , und erklärt patronus für eine alberne Glosse, weil, wai
Schütz emendirt noch auf diese Conjectur hinauf, und schreibt
truculentus accusator. Hr. E. wäre geneigt es mit Pighius und
Gruter zu halten, hält sich aber, des ut ita dicam wegen, an
Ernestus truculentus, und streicht mit ihm patronus weg. Sche-
ving weifs nichts von Schütz's Conjectur, er erkennt aber,
dafs luculentus patronus nicht stehen kann, erstens, weil dies
kein ut ita dicam braucht, da der Ausdruck nicht figürlicher ist,
als z.B. eximius , egregius patronus wäre; zweitens, weil luculen-
tus gar schlecht zu asper und maledicus pafst; drittens, weil ein
luculentus patronus unmöglich gleich darauf idem tolerabilis patro-
nus heifsen kann. Er schreibt deswegen luculentus accusator ,
und vertheidigt seine Conjectur so, dafs wir ihr unsern Bei-
fall nicht versagen können. Da diese Verteidigung ausführ-
lich ist, so heben wir aus ihr nur folgendes aus : Primum verba
ut ita dicam — bene cum lectione luculentus accusator con-
veniunt ; nam qui accusationes apud Romanos faclitabant , hominis- non
uigiiizc
282 Ciceronis Brutus ed. Ellendr.
\
boni, eerte non gratiosi^ habebantur , quod cum ex multis locis Cice*
ronis patet , tum oero ex hoc ipso capite sat perspicue ,. ubi Cicero /o-
quitur de M. Bruto, quem dicit dedecori fuisse Brutorum generi, quod
accusationes factitaverit , eumque fuisse accusatorem vehementem et mo-
lesturn , ut facile faerit cernere naturale quoddam stirpis bonum degene*
raoisse oitio depravatae ooluntatis. Cum ero cultori artis alicujus rot-
nus ltonestae , qualis est accusatlo , honesta praedicata tribuimus , quo
de genere est illud luculentus , quia improprie et paulo audacius
loquimury emolliendi formula ut ita die am opus est. Deinde il!a
asper et maledicns , quae tarn male quadrant in luculentum
patronum, accusatori bene conoeniunt. Wir würden Schevingl
Lesart allen andern Vorschlügen vorziehen und in den Text
aufnehmen. — LI. 192. sie oratori populi aures tanqüam tibiao
sunt ; eae siinflatum non reeipiunt aut si nuditnr omnino tanquam eqvus
non facit9 agitandi finis faciendus est. Wir wollen uns mit dtn
verunglückten Erklärungsversuchen und Verbesserungsvor-
Schlägen der ältern Erklärer und Herausgeber nicht aufhalten,
nur zur Ergänzung der Note des Hrn. E., der des Turnebu«
Adversarien nicht nachsehen konnte, übrigens keine eigene
Ansicht aufstellt, aus Schevings Anmerkung die hierher gehö-
rige Stelle mittheilen: Turnebus putat verbum esse circense , pro ar-
gumenta Habens , quod /actione s , quae afaciendo nomen adeptae
Sinti in circo quatuor fuerint , et in lusu pilae facto res etiam appellet
Plautus ; equum igitur 'putat facere t qui aurigae -pareat. Wahr-
scheinlich würde diese Erklärung Hrn. E. so wenig genügt
haben, als sie uns genügt. Auch die Stelle Ovids, die Sehe-
yingeitirt: Amor. 1. 2. 16.
Jsper equus duris contunditur ora lupatis :
1 Frena minus sentit quisquis ad arma facit :
WO er selbst beisetzt: quod mihi tarnen paullo est otscur'ws ; selbst
diese Stelle möchte uns wohl nicht zufrieden stellen können.
Statt Schütz's allzu kühner Emendation (nämlich man soll die
acht Worte aut — fach wegwerfen, und cantandi für a«ita*d\
lesen) schlagen wir blos vor tanquam equus noous facit. Jeder-
mann weifs, wie leicht aus nouo (wie in Handschriften abbre-
virt wird) non werden konnte. Noous equus aber, ein noeb
nicht zugerittenes, widerspenstiges Pferd, bietet in diesem
Sinne Cicero selbst de Amicit. 19. 68. Nemo est9 qui non equo,
quo consuevit, libtntius utatur , quam intractato et no\:o. — Doch
wir brechen ab, um unsere Anzeige nicht über die Gebühr
auszudehnen, und setzen nur noch hinzu, dafs sieb in den
Anmerkungen des Hrn. E. mehrere sehr schätzbare und von
gründlichem Forschen zeugende Bemerkungen über den Cice-
rouischen Sprachgebrauch finden ,t z. B. über quamquam üiitdeu»
Cicero d« officiis von Degen.
283
(Jon j'.mctiv zu XXX. 115; über abesse mit dem Dativ zu
LXXX. 276; über accidere , dal* es auch von günstigen Ereig-
nissen gebraucht werde , zu XXII. 85; über autem und enim an
der dritten, vierten, ja fünften Stelle, zu XLIX. l8l; meh«
rere gute Bemerkungen über den Gebrauch des Conjunctivae
an verschiedenen Stellen; über Aoristische Futura zu L. 187;
fiber jam und nam als Continuativpartikeln mit verschiedener
Bedeutung XLUI. 159; über den Indicativ zwischen der Con»
junctivconstruction XLIX. 185; '"\ber den Indicativ bei der
inrfirecten Frage, zu III. 13; über nescio an als bescheidene
Verneinung zu XVIII. 71; über das continuative Quid? LI.
192. Eigene Emendarionen hat Hr. E. nur selten gemacht ,
noch seltener in den Text aufgenommen; wie z B. XVIII. 72.
Est autem — • Attius enim für '.stenim'—. Attius autem. — '
XLII. 156* ita prorsus etiam antea putabam für et, — Druck
und Papier sind sehr schön, und empfehlen auch ihrerseits
diese so empfehlenswerthe Ausgabe.
M. T. Ciceronis de Of/iciis libri tres. Mit einem Deut-
schen Kommentar besonders für Schulen, Bearbeitet von Job,
Friedr. Degen, Doktor der Theologie , Kön. Baierscher {sie!)
Consistorialrath und Professor zu Baireuth. Dritte von neuem
durchgesehene Ausgabe, Berlin , im Verlage bei J. W. Boicke.
1825. XVI und 415 S. in 8. 2 fl. 20 kr,
•
Nicht immer ist das Urtbeil des Publicums im Einklänge
mit der Kritik. Findet sich dies gleich am häufigsten auf
dem Gebiete der Kunst, so ist es doch auch nicht selten der
Fall auf dem Felde der Wissenschaften. Ein Beweis davon ist
die dritte Auflage dieser Ausgabe, wovon die erste (von
1800.), leidlich gelobt in der AUg. Deutschen Bibliothek, den-
noch erst nach zwanzig Jahren vergriffen war, die zweite
(von 1820.), förmlich vernichtet und todtgeschlagen von Beier
in seiner Ausgabe dieses Werkes, nach fünf Jahren eine dritte
zur Nachfolgerin bat, die ganz unbefangen, ohne eine Vor-
rede (nur in die Einleitung ist ein Stück aus der Vorrede zur
zweiten Auflage eingeschaltet}, ohne von jenem Todtschlag
auch nur Notiz zu nehmen, ächtebristlicb sogar für ihren
Mörder betet, d. b. die Beiersche Ausgabe „eine mit vieler
ÄP* lesenheit und Kritik unternommene Arbeit mit mehreren
„gelehrten Excursen"* nennt, ohne auch nur eines einzigen
der furchtbaren Excurse oder Incurse gegen Hrn. Degen zu
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I
284 Cicero de officiis von Degen.
*
gedenken, von denen das Elogium in der Vorrede zum ersten
Theil S. XV. erroribus partim horribilibui inguinal Usima est Degenii
editio, nuper demum adeo iteraia — noch einer der glimpflichem
ist. Unendlich viel schlimmer fährt Hr. D. in Beiers Aus-
gabe T. [. p. 158. T. II. p. 112. l3t. 217. 268. 347. (Her hier
gerügte Fehler ist jetzt corrigirt) 360. 354. 351. 408. 164. etc.
Wie sollen wir nun die fromme, stille Gelassenheit, mit der
Hr. D. die oft zu harten Streiche nicht hinnimmt, sondern .
förmlich ignorirt, nennen? Wir müfsten sie lohen, und ge-
wissen Schriftstellern zur Nachahmung empfehlen, die, mit
Schonung getadelt, dennoch mit lächerlicher Aufgeblasenheit
und festem Glauben an ihre Infallihilität durch empfindliche
Antikritiken ihrem Herzen Luft machen, und auf die scho-
nendste Erwiederung dersel! ••n mit kindischer Rechthaberei
auch dann noch das letzte Wort haben wollen (wovon im vo-
rigen Jahrgange dieser Jahrbücher ein merkwürdiger Fall vorge-
kommen ist): wir müfsten sie, sagen wir, loben, wenn, wo
mit Recht getadelt wurde, der Fehler stillschweigend getilgt
und das Bessere oder Richtigere aufgenommen würe. Aber
dies ist keineswegs der Fall, und wo etwas Getadeltes ver-
bessert ist, da scheint es nur bei Gelegenheit der Durchsiebt
und genauem Correctur geschehen zu seyn, wie z. B. I. 44.
extr. wo die erste Ausg. Uli officio hatte, die zweite in officio,
wahrscheinlich durch einen Druckfehler , welches von B. ge-
tadelt wird, und wo jetzt wieder richtig Uli steht. Dagegen
stehen alte Fehler in Menge wieder in der neuesten Ausgabe,
ungeachtet sie von B. gerügt waren: z. B. I. 14. 12. die Ver-
wechslung der Familie der Juni er mit der der Juli er, in
der Angabe , dafs jene ihr Geschlecht vom Aeneas abgeleitet
haben; II. 23. 8. die Behauptung f 150 Talente Seyen 150000
Gulden u. dergl. Auch Olshausens kleine, aber vorzügliche
Ausgabe ist nicht beachtet, wohl aber Gernhards Ausgabe zu-
weilen angeführt, was schon in der zweiten Ausgabe gesche-
hen war. Von Uebersetzungen sind zwar Garve's und Hot-
tinger's Arbeiten angeführt, nicht aber die neueste von K. Ii.
C. Hauff, München 1822. Wollte der Vf. durch Nichtnen-
nung derselben vielleicht andeuten, dafs sie keineBereicherung
der philologischen Literatur sey , so stimmen wir ihm gern
und ganz bei ; miijsen dies aber eben so sehr von seiner Aus-
gabe sagen, welche wir wenigstens den in tinserm Bereich
Studirenden weder in der ersten und zweiten Gestalt sehr
empfehlen konnten, noch in der dritten viel mehr empfel.len
können. Dies wird indessen ihren Absatz nicht hindern:
denn bequem ist die Ausgabe für gar manche Studirewle ; ja
*
* Digitized by Google
Cicero de ofncüs von Degen. 285
wir wissen Lehrer, deren Orakel sie Schülern gegenüber war,
welche sämmtlich nur den Nürnberger Text auf des Lehrers
Rath sich angeschafft hatten. Genauer von dieser Ausgabe
und ihrer Einrichtung zu sprechen, ist wohl nicht nöthig;
auch mag es wenig helfen, wenn wir, was wir mit gutein
Gewissen thun können, erklären, das Urtheil des genannten
Kritikers sey zu strenge gegen den Vxrum summe venerandum ,
wie er T. I. p. 35. genannt wird, und es sey viel Richtiges
und Brauchbares in dem Buche , die zweite Auflage sey schon
hesser gewesen als die erste, und die dritte sey, wie wir ge-
sehen haben, wirklich wieder durchgesehen. Das alles macht
Hrn. D. weder zu einem Kenner der Sprache, noch der alten
Philosophie, noch der alten Geschichte, wie die gegenwärti-
ge, nicht mehr so genügsame, Zeit es verlangt und verlangen
jnufs. Eine vierte Auflage wird sich mit Recht wieder eine
a-ifs neue durchgesehene nennen können, wenn wir auch nur
in ihr Dinge, wie S. 6. Cato. Mag, S. 12. van Lyden (für van
Lynden)% S. 13. die Amozonen u. dgl. corrigirt sehen. Hät-
ten wir die Aussicht, Kritik berücksichtigt zu sehen, so wür-
den wir hier noch eine Reihe von Stellen betrachten , die Hr.
D. in der Vorrede zur ersten Ausgabe besser als Heusinger ge-
geben zu haben geglaubt hat, wir Wörden die Aenderung oder
Beibehaltung seiner Ansicht mit Gründen billigen oder mifs-
billigen. Im gegenwärtigen Falle aber sind wir blos unsern
Lesern schuldig, zu beweisen, dafs wir das Buch genauer be-
trachtet haben. Dieser Beweis wird sich aber durch etwa
ein Duzend Stellen führen lassen, und unsere Anzeige kann'
dann ganz gelassen schliefsen. f. 1. 6. ut idem utroque in genere
elabor are t.9 So steht jetzt richtig wie bei Heusinger und
B., da in der ersten Ausg. laboraret vorgezogen und schwan-
kend erklärt war. Hr. D. liefs sich nämlich durch Gemhard
ad Cic. de Sen. 7, 24» überzeugen oder überreden. Von Hrn.
Bi. Belehrungen weifs er nun einmal nichts und will nichts
Wissen. II. ut in aitrologia C. Sulpicium audivimus ; g*gen
Heus. Gernh. Schütz's und Bs. audimus. Olsh. behält das Per-
fectum, das wir hier auch für richtiger halten; und wir ver-
muthen , das audimus mehrerer Handschriften sey aus der Schrei-
bung avdImvs (-audümus) entstanden. I. 10. 1. ea migrare i«-
terdum et non setvare fit justum. Hier hat Hr. D. hartnäckig mit
Sch. das alte sit beibehalten, das, nach Bs. richtiger Bemer-
kung, nur stehen kann, wenn man oben mit den Zweibrük-
kern n. e. A. schreibt ut no n reddere für ut r edder e, — I. 12. 2.
Jndicant XII, ut, STATVS DIES CVM HOSTE. So, ohne
tahulac , lesen wir mit Heus, aus Handschriften und dem nicht
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286 Cicero ae officüs von Degen.
I
seltenen Gebrauche Cicero's. Man sehe nur Cic. de Legg,
II. 23, wo in einem Capitel dreimal XII ohne tahulae steht,
und daselbst Moser p. 33Ö. In den Büchern de Off. III. 16.
$5. schwanken die Herausgeber abermals. Da läfst es B» mit
H. weg: Hr. D. behält es mit O. (wo gar tabili*. steht), und
freilich haben es hier alle Codd., nur Nonius nicht, welcher
die Stelle anführt. — I. 19. 9. ist existantque für das bessere
existuntque abermals beibehalten. Wir verweisen (aber nicht
Hrn. D.) nur der Kürze wegen auf Beier ad I. 3. 8. p. 20 sq.
I. 3l- 5. scrmoneeo, qui n o t u s est rwbis. Hier ist das von
H. Scb. und B. beliebte, aber nicht bewiesene (denn die an-
geführten Stellen beweisen nicht, was sie beweisen sollen)
quinatus est nobis gegen das früher vorgezogene und von O.
mit Recht beibehaltene notus eingetauscht. — I. 3l. 7. vtdtus
adspiciendus fuit. Dies war in der ersten Ausgabe mit Recht
gegen Heusingers aus einer Handschrift geschöpftes vultun
adspiciendum fuit vertheidigt und beibehalten ; aber ungeachtet
alle für das letztere angeführten Stellen nichts beweisen, so
bas sich Hr. D. jetzt doch dafür entschieden , ohne Zweifel
weil — Gernhard es aufgenommen hat , vermutblich weil er
dachte, G. verstehe besser Latein, als er. Und darin hatte
er Recht. Uebrigens ist in der Note das arme verstofsene
vultus noch stehen geblieben. — III. 11. 8. Cyrsilum quemdam
— lapidibus cooperuerunt. Hier hat Hr. D. abermals obrue-
runt behalten , weil cooperuerunt nur in zwei Handschriften
steht. Aber in Füllen, wie dieser, gilt nicht die üeberzahl,
sondern die Wahrscheinlichkeit, dals das Seltenere Wort
(wie es denn nur in ein Paar Stellen des Cicero vorkommt)
von dem bekannteren verdrängt worden sey. — Doch für
wen schreiben wir dies? Vielleicht für den künftigen Ver-
besserer und Sichter dieser Ausgabe : wie wir denn . am
Schlüsse dieser Anzeige die Vermuthung nicht bergen können,
Hr. Degen selbst habe an diesem fast ganz getreuen Ab-
drucke der zweiten Ausgabe wenig oder gar nichts gethan,
vielleicht überhaupt keinen Antheil. Ob sich wohl der Vir
summe venerandus selbst so incönsequent auf dein Titel
DoAtor und Co n s i s t o r ia 1 r a t h geschrieben bat?
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/
Ueber die Heidenmauer von J. G. SchWeiglü'user. 287
Erklärung des neuaufgenommenen topographischen Plans der die Um*
gehangen des Odilienhergs im niederrheinischen Departement ein-
schliefsenden Heiden mauer und der -umliegenden Denkmäler ,
von J. G, Schweig hä ws «r, Professor an der Königl, Akade-
mie u. s» w. Eine kurze Beschreibung aller in diesem Plane
begriffenen Denkmäler und die Anzeige der zu denselben führen-
den VPege enthaltend, Strafsburg 9 Verlag von J, H, Ueitz9
Schlauchgasse No. S. 1825. VI und 50 S. in gr, 8. nebst einem
grojsen lithographirten Plan *). 4 Franks.
Am wir in diesen Blattern (Jahrg. 1825. Nro. 19.) der
Nbtice sur les anciens chdteaux et autres monumeiis remarquables du
Departement du Bas- Rhin von Hrn. Schweighäuser gedach-
ten, machten wir dort (S. 302.) auf ein höchst merkwürdiges
Denkmal der» Vorzeit aufmerksam, welches die Höhen des
Odilienhergs in der Nähe von Strafsburg umgiebt. Die kür-
zere Beschreibung, welche der Hr. Verf. von diesem unter
dem Nam»-u der Hei d enma uer bekannten Denkmal dort ge-
geben, War allerdings in mehr als einer Hinsicht geeignet,
die Aufmerksamkeit des gelehrten Publikums, insbesondere
der Freunde des Alterthums, dafür in Anspruch zu nehmen.
Um so erfreulicher mufs uns die vorliegende Gabe des Verf.
seyn , der mit so unermüdetem Eifer und rastloser Thätigkeit
seinen Beruf als Aufseher über die Alterthümer vaterländischer
Gegenden zu erfüllen sich bestrebt. Mit einem solchen Füh-
rer' in der Hand wird man pewifs nicht ohne das gröfseste In-
teresse diesen classischen Boden durchwandern, man wird
Nichts übersehen, was die Blicke des AUerthumsforschers auf
sich ziehen mufs. Und diesen Genul's, den die Betrachtung
ehrwürdiger Denkmale der Vorzeit gewährt, wird dem
Freunde der Natur durch die romantischen Natnrscenen er»
höht, welche hier überall dem Auge des theilnehmenden Be-
obachters sich darbieten. Dafs vorliegende Schrift, als Füh-
rer in diese interessanten Gegenden , durch dieselbe Klarheit
und Einfachheit des Vortrags, durch dieselbe Genauigkeit und
Sorgfalt in Angabe des Einzelnen sich auszeichnet, wie wir
dies an andern Schriften des Hrn. Verf. ähnlichen Inhalts zu
rühmen Gelegenheit gehabt haben, wird man auch ohne unser
ausdrückliches Bemerken schon erwartet haben.
Was nun das merkwürdige, in seiner Art einzige Denk-
mal selber betrifft, so ist dies ein.- Mauer, welche die ver-
*) Das Ganze wird auch in Französischer Spracht ausgegeben.
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238 Ücber die Heidenmauer von J. 6 Schweighauier.
schiedenen den Odilienberg umgebenden Hohen einschliefst,
und auf diese Weise einen Flächeninhalt von mehr als einer
Million QuadrauMetres umfafst, in einem Umfang von mehr
als 10500 Metres. Ihre Höhe soll ehedem fünfzehn Fufs he«
tragen haben, noch jetzt sieht man Strecken von fünf bis sechs
Fuis, ja sogar von zehn Fufs Hohe, bei einer Dicke von mehr
als fünf Fuls, Ihre Bestandteile sind groise, nur roh in's
Gevierte gehauene Felsstücke , welche durch Keile von Eichen-
holz mit einander verbunden sind, die an den beiden Enden
in Gestalt eines Schwalbenschwanzes ausgeschnitten sind. Die
meisten dieser Keile sind freilich von der Zeit zerstört; aber
man bemerkt doch an den meisten Steinen noch die Einschnitte,
in welche diese Keile eingefügt waren. In den untersten La-
gen der Mauer sind die Steine oft von solcher Gröfse , dafs man
sie kaum von natürlichen Felsblöcken unterscheiden kann;
und selbst in den obern füllt oft ein einziger Stein die ganze
Dicke der Mauer aus. An einigen Stellen noch höher, an an-
dern niedriger, folgt dieselbe den unregelmäßigen , von der
Natur gezogenen Linien , und umschliefst die verschiedenen
Höhen samtnt den Abhängen, wodurch diese Höhen mitein-
ander verbunden sind. An manchen Stellen ersetzen auch na-
türliche Felsenwände die künstliche Mauer, deren einzelne
Stücke dann blos hie und da die Zwischenräume der Felsen
ausfüllen. So, an vielen Orten mit dichten Bogen von Moos
und Flechten bedeckt, gewährt sie allerdings einen grofsarti-
gen Anbiirk, welcher durch die Abgründe, an denen sie hin-
lauft, durch die mannigfache Aussiebt bald in gesegnete Ebe-
nen, bald in romantische Thalschluchten , durch die dunklen
Wälder, womit die Höben bedeckt sind, vermehrt wird , ver-
eint mit dem Interesse , das die mancherlei andern Denk-
male, welche diese Mauer umschliefst, gewähren. Um aber
dahin zu gelangen, wird man am besten tbun, wenn man von
der Seite des sogenannten Men n eis tei ns die Höhe erklimmt.*
Dort ist auch zum Theil die Mauer noch am besten erhalten,
und ihre Trümmer decken weithin den Abhang des Berges.
ÄWild mit den Splittern geborstener Felsen vermengt, bilden
Msie ein Gemälde der wieder ins Chao? versinkenden und die
„stärksten Werke der Menschenband mit in ihren Ruin bin-
m reissenden Natur« (S. 7-)- Auch die Aussiebt von dem ge-
dachten Mennelstein ist eine der prachtvollsten, welche die
ganze Gebirgskette der Vogesen darbietet.
(Der Beschlujs folgt.')
*
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N. 19. 1826.
Heidelberger
i * * • CD
Jahrbücher der Literatur.
• • • • »
Ueber fte HcTdenronner ^oi J. G. Schwei ghäuser.
Gleich merkwürdig ist ein etwas weiter westwärts gele*
gener, senkrecht sich erhebender Fels, der Wachtelstein
genannt, in dessen Nähe der Verf. Druidische Denkmale ver-
muthet (S. 10. 11.). Ganz besonders wohl erhallen ist die
Mauer auch in dem Dreisteiner Tbale , schöne Waldungen
durchschneidend, zwischen deren Grün sie einen malerischen
Anblick aarbietet, und zugleich eine entzückende Aussicht auf
die Dreisteiner Schlösser gewährt. Freilich führt kein Pfad
zu dieser Mauer, aber mit der Beschreibung unseres Vf. und
mit dem Plane in der Hand, wird man diesen Theil derselben
leicht auffinden.
Ueber die Bestimmung dieser Mauer hat man verschiedene
Ansichten. Unser Vf. schliefst sich an die frühere Meinung ,
welche in dieser Art von Festung einen Zufluchtsort für die
Bevölkerung der Ebenen erkennt, wenn letztere durch feind-
liche Einfalle beunruhigt wurden. Schon in den Ueberliefe-
rungen des Mittelalters wird ihr dieser Zweck zugeschrieben,
der auch durch manche andere Umstände bestätigt wird. Er-
wägt man aber die vom Verf. vorgebrachten Gründe, so wird
man seine Vermuthung S. 39. nicht unwahrscheinlich finden,
dafs diese Befestigung zuerst von den alten Galliern oder Cel-
ten errichtet worden, welche mit der militärischen Bestim-
mung derselben noch eine religiöse verbanden. Indefs führt
Manches zu der Vermuthung, dafs von dieser ursprünglichen
Anlage nur noch die rohen leisen übrig sind, welche zur Un-
terlage dienten, dafs die jetzige durch Schwalbenschwänze
zusammengefügte Mauer aber erst unter der Regierung der
Körner auf dieae älteren Grundlagen erbaut worden ist, viel-
leicht im dritten Jahrhundert nach Christo, als die wiederhol-
ten Einfälle der Alemannen die Erneuerung dieser alten Berg-
feste nochwendig machen konnten. Merkwürdig ist, dafs
XIX. Jahrg. 3. Heft. 19
Digitized by Google
200 UeUer die Heidenmauer von J. G. Schweighaaser. :
schon in einer j>abstlicben Bulle vom Jahr 1050 diese Mauer
unter dem jetzigen Namen der Heidenmauer vorkommt.
Aufser der Beschreibung dieses Denkmals, welches den
Haupttheil der Schrift ausmacht, rindet man aber auch die
übrigen merkwürdigen Gegenstände des Aherthums , welche
diese Höhen umschliefsen , verzeichnet, insbesondere die Ab-
tei , welche Herzog Attich im siebenten Jahrhundert für seine
Tochter, die heilige Odilie, hier stiftete, und welche im
siebzehnten Jahrhundert in ein Pi ämonstratenserkloster ver-
wandelt worden, jetzt aber noch immer ein berühmter Wall-
fahrtsort ist. Wahrscheinlich trat sie an die Stelle eines festen
Schlosses, welches am Ende des dritten Jahrhunderts Kaiser
Maximianus erbaut. Obgleich Unglücksfälle aller Art die Ge-
bäude mehrfach zerstört, und die jetzige Kirche, obschon von
sehr gefülliger Einrichtung im Innern , doch erst zwischen
1687 und 1692 erbaut worden, die übrigen Gebäude aber meist
noch neuer sind, so haben sich doch mehrere Capellen von
hohem Alterthum bis auf unsere Zeiten erhalten , und scheint
Einiges sogar Ueberrest des ursprünglichen Baues zu seyn,
da alle Kennzeichen übereinstimmen, sie für Denkmäler der
religiösen Baukunst des siebenten Jahrhunderts zu erklären;
worauf der Verf. mit Recht um so mehr Gewicht legt, als
Denkmale dieser Baukunst diesseits der Alpen so höchst selten
sind. Die genaue Beschreibung dieser verschiedenen Capellen
möchte über die Deutung des Verf. wenig Zweifel übrig las-
sen. Wenn man nun in unseren Tagen der lange Zeit freilich
mit Unrecht verkannten Gothischen Baukunst wieder das ver-
diente Lob und die gerechte Bewunderung hat widerfahren
lassen, so wird man doch auch den schönen Denkmalen dieses
vorgothischen , sogenannten byzantinischen Styls, der in sei-
nen Kundbogen als letzte Nachahmung der Bauten des clas-
sischen Altertbums sich kund giebt, Gerechtigkeit widerfahren
lassen kön nen. „JYfan muls eingestehen", sagt der Vf. S. 22«
„dafs die schönen Gebäude des älteren Styls, aufser dem Um»
„stände, dafs ihre Seltenheit sie angelegentlich aufsuchen
„macht und ohngeachtet ihrer minderen Gröfse, etwas Gefäl-
ligeres für ein an die reinen Formen und Verhaltnisse der
„Griechischen und Römischen Baukunst gewöhntes Auge ha-
lben.« Eine herrliche Aussicht gewährt die Felsenterasse des
Klosters, und eben so malerisch ist das Thal am Fufse des
Berges. — Weiter führen wir noch an aus der Beschreibung
das Landsberger Schlofs S. 5, die Dreisteiner Schlös-
ser S. 29 f., das Hagelschlofs S. 32 f., das Schlofs Rath-
sa in hausen und Lütaelburg S. 42, u. s. W-
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Anticroites de TAlsaoe pir Golbery et Schweighäuser. 29 i
Was den Plan betrifft , so ist derselbe mit der grossesten
Genauigkeit verfertigt, die Hauptpunkte sind trigonometrisch
bestimmt, Alles im Einzelnen mit der rühmlichsten Präcision
durch den Hrn. Thomassin ausgeführt; die lithographische
Behandlung aufs beste entsprechend. Er ist das Resultat mehr*
jähriger und mühevoller, an Ort und Stelle unternommener
Forschungen. Ein Gedicht „Auf dem O d i 1 i e n b e r g e«
beschliefst als schätzbare Zugabe diese Schiift, welcher wir
allgemeine Theilnahme wünschen.
Wir bemerken bei dieser Gelegenheit, dafs das grofse
Unternehmen der Herren Golbe'ry und Schweighäuser,
die Herausgabe sämmtlicher Denkmale des Alterthums in den
beiden Departements des Ober - und Niederrheins, als Th eilen
des ehemaligen Eisais, einen raschen Fortgang gewinnt, und
der gerechten Theilnahme des Publikums sich zu erfreuen hat*
Nicht blos bei den Bewohnern des Elsasses selber, sondern
auch in andern Provinzen des Inlandes wie des Auslandes ist
dieses Werk mit der regsten Theilnahme aufgenommen wor-
den, und der Beifall gekrönter Häupter hat dem Verdienste
die gerechte Anerkennung gezollt. Wir haben in No. 57«
Jahrgang 1825. die drei ersten Lieferungen dieser
Antiquite's de PAlsace ou chäteaux, eglises et autre§
monumens des departemens du Haut* Rhin et du Bas-
Rhin. Avec un texte historirjue et descriptif, par Ph.
de Golbe'ry etc. et J. G. S ch w e i ghae u ser etc.
publie' par G. En gel mann (Mulhouse, rue de Justice
No. 30. Paris, rue Louis le Grand No. 27.)
bereits angezeigt, und die Aufmerksamkeit des Publikums auf
dies grofsartige Unternehmen zu lenken gesucht« Jetzt haben
wir die drei nächst folgenden Lieferungen vor uns, nämlich :
Bas «Rhin par Mr. Schweighaeuser, seconde LivraU
son. 4 Tafeln und 4 Bogen Text,
Haut-Rhin par Mr. Golbe'ry, troisieme Livraison.
4 Tafeln und 2 Bogen Text.
Bas -Rhin etc. troisieme Livraison. 4 Tafeln und 5 Bo-
gen Text.
Wir freuen uns ankündigen zu können, dafs die Herausgeber
sich in jeder Weise des erhaltenen Beifalls würdig erwiesen,
dafs sie En diesen letzteren Lieferungen selbst mehr geleistet,
19 *
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292 Aaticpiittfs de l'AIsaee par Golbery et Scliwcigbänser«
als wozu sie nach dem früheren Prospectus sich anheischig ge-
macht , dals insbesondere der jeder Lieferung beizugebende
Text durch die Reichhaltigkeit der Gegenstände bedeutend
vermehrt worden ist, was in der That dem Publikum nur er-
wünscht seyn kann. Aber auch in Absicht auf Zeichnung und
Stich stehen die Blätter dieser Lieferungen den früheren kei-
neswegs nach, ja sie scheinen dieselben allerdings zu über-
treffen, und wir. wiederholen unsere frühere Aeufserung , dafs
in Absicht auf den Steindruck noch nicht leicht etwas Gelun-
generes und Vorzüglicheres geleistet worden ist. Eben so
trefflich sind die Zeichnungen, in denen die ausgezeichneten
Künstler der Hauptstadt (z.B. Arn out, Adam, Biche-
bois, Deroy, J oly , Lemaitre, Sabathier, Ville-
neuve) mit den Elsässischen Künstlern wetteifern. Für die
Darstellung von Kirchengebäuden ist insbesondere ein in die-
ser Hinsicht durch ganz Frankreich berühmter KüustJer Hr.
Chapuy gewonnen; wir haben schon in der dritten Liefe-
rung einiges durch ihn Gezeichnete erhalten. Durch die geo-
graphische Charte, welche alle die Denkmale und die Haupt-
Örter, wovon hier die Rede ist, enthalten soll, wird man eine
bequeme Uebersicht gewinnen, zumal da in dem Werke sel-
ber die geographische Lage bei Aufführung und Aufeinander-
folge der einzelnen Denkmale berücksichtigt worden ist.
Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen versuchen wir
in einer kurzen Uebersicht den Inhalt dieser drei angezeigten
Lieferungen anzugeben. Wir nehmen Zuvörderst die beiden
Lieferungen zusammen, welche über das Departement des
Niederrheins sich erstrecken.
Die zweite Lieferung enthält folgende vier Ansichten:
i) das Schlofs Ortenberg, 2) das Steinschlofs (Chateau
de la Roche), 3) das Schlofs B er ns tein , 4) die unterirdi-
sche Capelle zuAndlau. Daran schliefst sich in der drit-
ten Lieferung l) das Schlofs Speabourg, 2) die Ruinen
der Kirche von Truttenhaus e n und des Schlosses Lands*
berg, 3) die Kreuzcapelle, von der heiligen Odilie er-
baut , 4) die Capelle der heiligen O d i 1 i e. Die reichhaltige
Beschreibung giebt nicht blos über diese hier abgebildeten
Gegenstände eine vollkommene Erörterung , sondern auch an-
dere in der Nähe derselben liegenden Denkmale alter Zeit
werden sorgfältig beschrieben und nichts Wesentliches über-
gangen. So beginnt der Text der zweiten Lieferung mit der
Frankenburg, gelegen am Ende des Thals, welches sich
der Stadt Scblettstadt gegenüber eröffnet. Dichte Fichten-
wälder decken den Gipfel des Berges, aus deren Dickicht
Anufjuitcs de l'Alsacc par Golbery et Scbweighauser. 293
die Trümmer dieses Schlosses hervorragen. Auf einem abge-
rissenen Felsen, in der Mitte von Gebäuden, erhebt sich ein
Thurm von einer imposanten Masse. Am Fufse des Felsens
aufserhalb dieser Baureste des Mittelalters bemerkt mau die
Grundlagen einer Befestigung von ganz anderer Art und Reste
von Mauerwerk, zu welchem geplattete Wege vor Alters,
wie es scheint, hinführten. Dal's die Römer hier gehaust und
Befestigungen angelegt, ist sehr wahrscheinlich; die Tradi-
tion läist den Clovis nach Unterwerfung des Landes hier ein
festes Schlofs erbauen ; auch spricht der Name des Schlosse»
selber, so wie Anderes für diese Tradition. Zuerst kommt
sonst das Schlofs vor in einer Urkunde von 1106^; es war ein
Besitzthum der Grafen von Werth, die es später, nachdem
sie einen Theil ihrer Allodialgüter veraufsert, wiederum als
Lehen von dem Bisthum Strafsburg empfingen. Ein Brand
zerstörte das Schlofs 1582, und seit dieser Zeit liegt es in
Trümmern. Auf gleiche Weise werden die Schlösser Orten-
berg und Ram stein beschrieben, von denen das erstere
auch abgebildet ist. Die in ihjrer Art einzige Bauart dieses
Schlosses läfst auf ein hohes Alterthum schliefsen , indem die
Gebäude, aus rohen Gpanitmassen aufgeführt , auf ganz unre-
gelmäfsige und seltsame Weise angelegt sind , was besonders
von dem gewaltigen und dicken Thurm* gilt , der sich inner-
halb der übrigen Gebäude erhebt. Nach einer Urkunde des
Kaisers Friedrich I. steigt die Gründung des Schlosses bis auf
das Jahr 1000 zurück, und gehörte dasselbe einem Grafen
Wernher von Ortenberg zu. Verwandtschaftsbande brachten
dasselbe aber an die Grafen von Hohenberg, Haigerloch und
Hönningen; jetzt ist es im Besitz des Hrn. Baron Mathieu da
Faviers. Es folgen das noch bewohnte Schlofs von Than-
ville, das Schlofs von Bilstein, das S teinschlo fs (la
Roche), der Sitz eines kaiserlichen Leben, welches von
diesem Schlosse den Namen des Steinthals (Bau de
la Roche) erhalten hat. Die Lage des Schlosses ist majestä-
tisch, die Aussicht von da über die Thäler und Fluren Lo-,
thringens hinwfeg entzückend, -auch die ganze Umgebung des
Thaies höchst anziehend. Höchst merkwürdig durch sein AU
terthum, durch die wenig regelmäfsige Art des Baues, und;
die Festigkeit der aus Granit aufgeführten Massen, gleich de-*
nen des Schlosses Ortenberg, ist das Schlofs Bernstein in?
der Nähe des Städtchens Dammbach. In alten Urkunden:
heifst es B ä r n stein , und das Städtchen Dammbach führt noch
Bären in seinem Wappen. Der Thurm ist hier mit in den
äufsern Umfang, dessen Theil er bildet, eingeschlijrsst?n. Sonst;
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294 Aatiquites d<s l'Alsaoe par Goibery et Schweighätuer.
• m
' S
hat freilich das Schlofs ein weniger antikes Ansehen , wozu
mehrfache Erneuerungen das Ihrige mögen heigetragen haben.
Von hier fuhrt uns der Verf. üher Da mm h ach und die Abtei
Ebersmünster nach An dl au. Die Kirche der berühmten
gleichnamigen Abtei, von welcher der Verf. zuerst handelt,
ward zwar ,1701 erneuert, aber man sieht noch eine unter-
irdische Capelle, merkwürdig durch ihren einfachen Säulenbau
aus der Zeit der Gründung der Abtei (sie ist abgebildet), so
wie auph Einiges aus dem eilften Jahrhundert; und einige alte
Ornamente in der neuen Kirche angebracht. Die Gründung
dieser Abtei schreibt die Sage der Gemahlin Carls des Dicken,
der heiligen Richarde, also im neunten Jahrhundert, zu. Reh
erlaubt sich, die merkwürdige Sage, die der Verf. so schön
darzustellen gewufst hat, in ihren Hauptpunkten hier mitzu-
theilen. Nachdenkend über. den Ort, wo sie das Kloster stif-
ten solle, wanderte Richarde zum Grabe der heiligen Odilie.
Eine Vision bewog sie, in dem ihr angehörigen Thale von
Andlau den Ort dafür zu wählen, wo sie einen Bären mit
seinen Jungen die Erde aufscharren gesehen. Das Loch, wel-
ches die Thiere ausgegraben, bemerkt man noch bis auf den
heutigen Tag in der unterirdischen Capelle durch eine runde
Oeffnung, an, welche der Glaube wunderbare Heilung von
Beinübeln knüpft. Zum Andenken an diese Begebenheit un-
terhielt man sonst einen Bären in dieser Abtei, der aber,
nachdem er einst ein Kind verschlungen, durch einen grob
aus Steinen gehauenen ersetzt ward, den man noch jetzt hin-
ter der Thüie der Kirche bemerkt. . Seitdem ward das Geld,
welches die Unterhaltung dieses Bären kostete, unter die Ar-
men vertheilt, und merkwürdig genug, man gab bis auf un-
sere Tage jedem Bärenführer, der sich hier zeigte , ein Brod
und drei Gulden, In dieser unterirdischen Capelle ward die
beilige Richarde nach ihrem Tode beigesetzt, doch ward im
eilften Jahrhundert der Körper in die obere , durch Pabst
Leo IX. bei seiner Rückkehr von dem Concil zu Mainz einge-
weihete Kirche transferirt, und noch sieht man heutigen Tags
den alten Sarg derselben in einer Seitencapelle, Die durch
Bauart und Bildwerk ausgezeichneten Reste dieser alten Kirche
werden von dem Verf. sorgfältig beschrieben , worauf er zu
dem Schlofs Andlau (in dem Texte der dritten Lieferung)
übergeht. Die Gegend, in der dieser uralte Sit? einer be-
rühmten deutseben Familie liegt, ist höchst reizend, das
Schlofs selber von einer sehr regelmässigen Bauart, welche
eine besondere Abbildung desselben überflüssig gemacht bat,
zumal da auch mehrere andere Abbildungen desse lben existiren,
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Anli^uites de l'Alsacc pax Gober^ et Schweighäuser. 2\)5
m
Indessen giebt uns doch der Hr. Verf. davon ..eine genaue Be-
schreibung, woran eine Uebersicht der Geschiebte dieses
Schlosses und der berühmten Familie sich knüpft, deren Sitz
dasselbe war. Wir Überlassen dem Leser, naher einzugehen
in das, was der "Verf. Über das hohe Alter dieser Familie,
deren Ursprung sich in die Nacht der Jahrhunderte verliert,
und über ihre merkwürdigen Schicksale erzählt ; wir bemer-
ken nur, dafs das Schlols 1213 zerstört ward, so wie noch
einmal später 1246» das jetzige Gebäude aber aus der zweiten
Hälfte desselben Jahrhunderts herzurühren scheint. Kino
halbe Stunde davon liegt ebenfalls in einer romantischen Lage
das Schlofs Spesburg, wovon eine Ansicht mitgetheilt
wird. Ueber dunkeln VValdungen erbeben sich die pittores-
ken Ruinen desselben, ringsherum umgeben von andern Ge-
birgshähen. Die Grundlage bildet ein auf der westlichen Seite
sich senkrechl herunter ziehender Felsen , der jedoch auf der
andern Seite (von welcher aus die Zeichnung gemacht) wenig
abschüssig und darum leichter zu ersteigen ist, zumal seitdem
eine kleine Leiter an dem früher durch Einfallen von Mauer-
stücken unzugänglichen Eingang angebracht ist. Die Masse,
ans welcher das $chlofs erbaut ist, bildet Granit. Die Ge-
schichte des Schlosses selber ist und bleibt sehr dunkel. Ob-
gleich vor dem dreizehnten Jahrhundert erbaut , finden wir
doch hier nur die erste Spur desselben. Einige merkwürdige
Orte in der Ebene berührt nun der Verfasser : Ell, wo einst
das, Komische Helvetus stand, in dessen Nähe sich der Ort
Jßenfeld erhob, dessen Kirche schon in einer Urkunde von
763 erwähnt wird; das Schlofs SchWanau, westlich davon
mehr in der Nähe des Rheins; Erstein U. s. w. An das Ge-
Jjirge zurückgekehrt, beschreibt er nun zuerst das Lands-
berger Schlols, wiederum ein höchst merkwürdi ges Denk-
mal, das gegen das Jahr 1200 von einem der Ahnen der gleich-
namigen Familie erbaut ward, und zuletzt durch Verkauf an
die Familie von Türkheim gekommen ist. Die jetzigen Ge-
bäude dieser Burg sind meistens aus der zweiten Hälfte des
dreizehnten Jahrhunderts, wo dieselben erneuert wurden und
der Spitzbogen anfienc eingeführt zu werden. Einiges ist aus
noch späterer Zeit. Etwas niedriger liegt T r u 1 1 e n ha u s e n*
ein ll8l von der Aebtissin des Odilienklosters , Herrad
von Landsberg, gestiftetes Fi ämonsti atenser Priorat. Die
Iluinen dieser 1555 abgebrannten Kirche, so wie die beige-
fügte Abbildung sie darstellt, bilden eine höchst malerische
Ruine. Da von hier aus der nächste Weg zu der sogenannten
Heidenmauer und dem Odilienkloster führt , so sind
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296 Antiquites de TAlsace par GolbSry et Schweighäuser.
•5 . ".ii * *
es diese Gegenstände, welcbe der Yerf. nun weiter beschreibt.
Wir haben schon oben davon gesprochen , und sind daher ge-
nötbigt, diese mit sichtbarer Vorliebe vom Verf. geschilder-
ten Punkte hier zu übergehen. Die interessanten Sagen über
die Gründung dieses Klosters durch Qdilie, Tochter Attichs I,
Herzogs von Elsafs, die Schicksale desselben bis auf unsere
Zeiten herab , wo noch Tausende von Wallfahrern auf das
Fßngstfest dahin strömen, werden in anziehender Weise
erzählt.
Die dritte Lieferung der Alterthümer in dem Departement
des Oberrheins enthält nebst dem erklärenden Texte des
Hrn. Golbe'ry folgende Ansichten: l) das Schlofs Wineck;
2) die Ruinen der Capelle des heiligen Gregoriui zu
Schweinspach; 3) das herrliche Thal von St. Gilles
und im Hintergrunde das Schlofs Plixb urg; 4) Schlofs und
Dorf Wasserburg bei Sulzbach. Von allen diesen Denk-
mälern giebt, nebst mehreren andern Merkwürdigkeiten in
der Nähe, der Text eine sehr anmuthige Schilderung. Es
rühren dieselben aber sämmtlich aus einer sehr alten Zeit her,
und es ist nur zu beklagen, dafs wir so oft der erforderlichen
historischen Zeugnisse ermangeln, um weiter den Ursprung
und die Schicksale derselben verfolgen zu können. Dies ist
namentlich der Fall bei dem Schlosse Fl ix bürg, dessen erst
1276 in Urkunden gedacht wird, das später aber in die Hände
der Ribeaupierre's Kam; nicht anders steht es mit dem Schlosse
Wasserburg, welches ebenfalls ein hohes Alterthum bat
und die letzte Besitzung der Ribeaupierre's auf dieser Seite
des Elsasses bildete. Die Gegenden , in denen diese Schleis*
8er liegen, sind meistens sehr reizend, und von der Natur
reichlich mit Allem ausgestattet, was die Blicke des aufmerk-
samen Beobachters auf sich ziehen mufs ; die historischen
Erinnerungen aber, die an diesen Boden sich knüpfen, er-
höhen dieses Interesse nicht wenig. Darum sind wir über-
zeugt, dafs auch die anmuthige Schilderung, welche der Verf.
entwirft, desto allgemeinere Theilnahme finden werde.
Und somit scheiden wir von diesem Werke, das stets
ein rühmliches Denkmal vaterländischer Bestrebungen bleiben
wird. Die weiteren Lieferungen werden wir zur Zeit ihres
Erscheinens unsern Lesern anzeigen.
• » > ■
- .
» —
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Rudolf Stiers christliche Gedichte. 297
Christliche Gedichte von Ludwig Stier, Basel , bei New
kirch. 1826. 207 S. in 8.
Je i I
Chri stlich sollten diese Gedichte seyn ? Ree. betrach-
tet sie gar nicht als Gedichte, aber gar sehr als eine war-
nende Erscheinung in der neuesten Kirchengeschichte. Welch
ein praktisches, biblisch sich nennendes Christentum« inOiste
entstehen, in Oiste alle Quellen der Tugend und Sittlichkeit
verderben, wenn folgende Proben die wahre Anleitung dazu
wären!?
i. Erst wird aufgefordert, ganz sich selbst zu ver-
lieren, für nichts anderes mehr zu sorgen, als —
dafs man ein sich in die Gnade gebender seel'ger
Sünder sey.
Selbst verläugnung (S. i30.).
Kannst Du so mit Herzvergnügen
Ganz ein seel%ger Sünder seyn;
Kann Dir seine Gnade gnügen,
Dorrt Dir JLeib und Seele ein —
Dann erst hast Du Dich verleugnet u. s. w.
Ganz sich in die Gnade geben,
Das ist Dein* und seine Ehr' —
Drum sey das Dein einzig Streben;
Sorge für nichts andres mehr.
Hast Du ganz Dich selbst verloren,
schliefst Dich Gottes Fülle ein ,
Christus ist in Dir geboren,
und der grofse Sieg ist Dein.
Dies, so ungeschickt es ausgedrückt wäre, könnte etwa noch
ins Bessere gedeutet werden. Ein seel'er Sünder solle
einer seyn, in so fern er dem Sündigen recht herzlich und
entschlossen absage, alle Gnaden der Gottheit wohl benutze,
um durch befestigtes Wollen über die Reize zum Sündigen
zu siegen.
Aber nein! So ein seel'ger Sünder , nach Hrn. Stier,
1» leibt in seines Wesens Gräuel, ist in sich selbst
nur Verstockung, nur Sünde, auch seitdem er den
Herrn erkannt hat. S. 134».
Herr, seitdem ich Dich erkannte,
Bin ich etwa sündenrein ?
Rudolf Stiers christliche Gedichte,
Du, defs Lieb' oft in mir brannte,
schaust ja in mein Herz hinein ,
siehest meines Wesens Gräu'l,
wie ich, trotz der Gnadenlockung, .
in mir selber nur VerStockung
und nur Sünde bin, mein Heil»
Und das alles willst Du tragen ,
dennoch bin ich rein in Dir u. s. w.
Wer Menschen kennt, wer weifs, wie gerne der Rohere
und der Feinere gegen das Gewissen den Sophisten macht,
so dafs (Rom. 2, 15. 16.) »die Gedanken unter einander »ich
^anklagen, aber auch entschuldigen", wie entsetzlich mufo
dieser eine Lehrart finden, bei welcher nicht nur der Leicht-
sinnige, der Heuchler, der Frömmler, sondern auch so man-
che d.er weichgeschaffenen Seelen, die immer nicht
lange, aber immer wieder fehlen wollen — die eben deswe-
gen sich in einen pseudomystischen Schlummer so gerne ein-
lullen lassen , sich insgeheim zu sagen veranlafst wird: „Auch,
trotz aller mir gewordenen Gn^de, kann ich, nach dem lieben
Rudolf Stier, doch fortfahren , nur Verstockung, nur
Sünde zu seyn , im Griiuel meines Wesens von Gott
geschaut zu werden. Er trägt dies alles. Ich bin dennoch
rein in Ihm. Je mehr Sünder, desto mehr gnadeliebend l*
2. Einem solchen sagt S. 146*
„Der Reue Liebesbund« (des Hrn. Stier)
Was grämst du dich, mein armes Herz,
und wirst verzagt im Sündenschmerz?
Du darfst ja nichts, als — lieben.
Bei aller deiner Schnödigkeit
und hartverstockter Sprödigkeit
ist Er doch treu geblieben.
Sein Lieben ist gröfser, als deine Sünden ;
du kannst Ihn noch immer von neuem finden!
Wenn du nur willst.
Sonst soll , nach dieser frommen Theorie , das menschliche
Wollen nur zum Bösen sich neigen. Aber hier, wo die
hart ver st ockte Sprödigkeit getröstet und beruhigt
werden soll ,
kann man den Heiland noch immer von neuem
linden) wenn man nur will, ■ >
Am Ende also bleibt der Heiland noch immer. Du darfst als-
dann ja nichts, als lieben II
i »
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Rudolf Stiers christliche Gedichte. 299
Schlaget an Eure Brust, Ihr «eel'ge Sünder und
Sünderinnen! Haben solche Aussichten , immer nöcli.
au rechter Zeit liehen und den Heiland finden zu
können, Euch nie zu anderem Lieblen nachgiebiger ge-
macht? „Des Heilands Liehen sey doch immer gröfser, als
Eure Sünden«? Hartverstockt, spröde und schnöde
gegen Ihn gewesen zu seyn , schade am Ende doch nichts.
Bleibt Er doch treu! Indels mag das arme Herz, im Sün-
denschmerz, anderswohin wohl desto minder spröde zu thun,
sich vergönnen? Zuseiner Zeit heilst es dann (S. 135-)
Heifse Magdalenen-Thrilnen,
immer heilser gieist euch aus,
bis im vollen Liebesmeer
sich die Seele ganz gebadet,
und erneuert und begnadet,
nur in Gott ruht — hlofs und leer.
Bio fs? und leer?? Zu solchen Tändeleien verläuft sich
diese mit dem Heiligsten spielende Andacht.
„Einer lieben Seele zum Geburtstag"*
wird S. 8t. vorphantasiert:
• • •
t>es Heilands seel'ge Liebe
entzücke himmelwärts
heut in des Geistes Triebe
Dein ihm gehörend Herz.
Ruh* sanft in seinen Armen,
Du, liebe Heilandsbraut.
Da kann man recht erwärmen,
wenn man nur — völlig traut.
Trauet nur völlig diesem Herrn Rudolf Stier, Ihr Himmels-
bräute! Er lehrt Euch sogar Minne-Lieder (S. 90. £F.).
Zum Beispiel
33 Gegen (?) die Brautsehnsucht« > , .
Ach wenn ich doch mit solcher Liebe ,
mit der sich Braut und Bräut'gam liebt,
nur fest an meinem Heiland bliebe,
der sich mir ganz zum Freunde giebt u. s. w.
Ach wenn doch all das Liebessebnen ,
das oftmals nach der Erdenbraut
so heifs verlangt in Seelenthränen ,
ach — wenn das doch, so hell und laut
nach ihm und seinem Trost verlangte u. s. w.
»: . •
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300
Rudolf Sliers christliche Gedichte.
L'ingst sind die Gutunterrichteten belehrt, dafs nach einem
Orientalischen Sinnbild der Regent und das Reich wie Eh-
m > im und Frau geschildert werden. Daher eben so der Mes-
sias als Gottesre^ent und das Gottesreich. Der Sinn ist:
nicht Herrscher, sondern wie Hausvater soll der Regent seyn.
Auer nie wird das-Verhältnifs Chi isti und einzelner Seelen oder
Personen wie eine Vermählung biblisch vorgestellt.
y. 3. Neben jener „Himmelsliebe« lehrt dann Hr. Stier
auch um die irdische beten. Aber wie?
Dann lafs in reiner Himmelsliebe .
mir einst ein Herz vereinigt seyn,
und führ* in ächtein Gnaden triebe
uns in das Heiligthum hinein.
Wo sich zwei Seelen, engverbunden,
umschlungen von dem Gnadensebein,
... nur Dir, Du Fürst der Liebeswunden!
zum stillen Z w il 1 i n g s o pf er weyh'n;
Wo sich Dein himmlisches Vermählen
abspiegelt in dem Erdenbild u. s. W.
Z inzendorf hat einst bekanntlich den Versuch gemacht, in
ein heiliges, sacramentJicbes Brautbett u. s. w*. eheliche
Schwestern und Brüder einzuführen. Die damaligen Gemein-
delieder waren übervoll von sonderbaren Vergleicbungen mit
Liebes wu nden, h 1 u,t i g e n ,H ö* big e n , Opfern u. s.w.
s. des seel. Prälat Bengels Betrachtungen über die Herrn«
huter (frühere) Gemeinde -Einrichtungen. Sollen Spangen,
bei -g und andere Fürsichtige die Brüdergemeinde umsonst
von solchen Phantastereien gereinigt haben?? S. 104. spricht
Hr. Stier von der Kreuzgemeine, wo er die rechte
Minne gezeigt haben möchte. 'Nach S. 110. küfst der
Himmelsbräutigam so mild in der Ehe die Eine
Seele durch die Andere.
Stilles Heiligthum der Ehe,
die des Weinstocks Säfte saugt,
immer hräutlich , heimathswehe,
ew'gen Liebens Atbem haucht u. s, w.
— Dafs durch deine Salbung keusch
unsre Triebe
lauter süfse Jesusliebe
seyn u. s. w. S. Iii,
Eine neue Religion, sagte Lessing, ist leicht zu stiften, Man
Digitizedlöy Google
Rudolf Stier* christliche Gedichte, 301
■
weinige nur Aberglauben und Gescblecbtslust, leicbte Sün-
denvergebung mit zärtlichen Gelegenheiten zum Sündigen. —
Ein Christenthum nach der Weise Mohammeds?
Ganz in der anfänglichen (!) abentheuerlichen, sittlich und
biblisch verwerflichen Graf-Zinzendor fischen Lieder-
manier wird S. 95. die arme Seele, in einer „Bitte um die
Braut«, zu beten gelehrt:
Mark und Bein durchdringend Öle
mir Dein Lieben Leib und Seele
und vermähle mich mit Dir.
Dafs ich nichts hinfort will wissen,
als im Geiste Jesuin küssen,
ihn umarmen für und für.
Dafs, was irgend hei Ts et Sünde,
^yeggespület sich geschwinde
in die Lieb e sf lu t he n taucht.
* •
Die bequemste Religion ist immer die, wo man , Was
irgend Sünde heilst, so geschwinde wegspülen
z u können belehrt oder vielmehr beredet wird. Aber ge-
wifs ist jedes Religionssystem in eben dem Grade unbibli»
scher, unchristlicher, ja abscheulicher , je mehr es die Sünden-
vergebung erleichtert.
Von Hrn. Rudolf Stier wird gesprochen als von einem
Manne von Wirksamkeit unter den Seinen. Nach S, 76. bat
Er von sich seihst die Meinung, „ein Helfer an Got-
tes Verklärung« zu seyn. £r weifs S. 73. den Mor-
gen der Gnade, welcher der erste in seinerneuen
Geburt war. Und nun — will er nur bräutlich
schmachtend erkranken und flehen, um (S. 76.)
tief zu wachsen hinein in die harrende Hochzeit-
gemein d e.
Niemand hat mehr Ursache, als die Brüdergemeinde , sich von
dergleichen lieblenden Brüdern rein zu zeigen. Auf der einen
Seite nichts als Bekenntnisse von immerwährendem, gleich«
sam unwillkürlichem, Sündenelend:
• • •
Denk* ich an die Untreu'n alle,
die zu wiederholtem Falle
mich gezogen weg von Dir,
Ach, nachdem ich schon erkannte,
wie Dein Herz in Liebe brannte,
wird mir bang und schauerlich u. s. w. S. 96.
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302
Rudolf Stiers christliche Gedichte.
So wenig also können, wenn sie noch so gut gemeint sind",
jene allzu sentimentale Wendungen in der Doginatik und Mo-
ral , dafs der Christ deswegen das Böse unterlassen , das
Gute lieben solle, weil er zum voraus mit Gott versöhnt
sey, die beabsichtigte heilsame Wirkung hervorbringen. Sie
wirken um so weniger, wenn zugleich alles auf Liebe zu
Gott so gegründet wird, dafs man doch nicht genau bestimmt
und verständlich macht, worin im Gemüth des Christen das
Lieben Gottes nach der Wahrheit und Wirklichkeit bestehen
könne und solle. Aus dergleichen Unbestimmtheiten können
dann solche Ungereimtheiten über Liebe zwischen Gott und
den Menschen entstehen, wie sie Hr. R. Stier für christlich
besingt. Die zu einem so unstatthaften Lieben Gottes auf-
geforderte arme Seele begeht und bekennt dann unbedenklich
immerfort alle möglichen Untreuen.
Auf der andern Seite aber wird ihr immer wieder (eben-
das.) die allerlei ch teste Versöhnungsart zugesichert:
Denk' ich an die Gnaden alle,
wie Du mich nach jedem Falle
neu vergebend wieder nahmst,
ach, mit Langmuth sonder gleichen,
trotz dem s c h ä n d 1 i ch e n E n t w e i ch e n,
mir versöhnt entgegenkamst u. s. w.
Zu welchem Spiel und Traum würde, durch eine solche
Christenthumstheorie, die höchst ernste Forderung der Bes-
serung , ohne welche niemand den Herrn sieht, des Gut-
werdens nicht blos in einzelnen Handlungen , sondern in
der innigsten Gesinnung. Nur weil der Vater in Jesu I-»ebr-
gleichniis von dem Besserungsvorsatz des verirrten Sohnes
aus dessen ganzem Benehmen überzeugt war, gedenkt er auch
der vergangenen Sünden nicht anders, als bei dem frohen Va-
terwort, dafs der Verirrte „wieder gefunden« war. Die un-
bezweifelhare Reue und Gesinnungsünderung versöhnt ihn,
den ächten Vater, sobald sie im Willen da ist, und dieses
allerdings ohne dafs er dann doch auch noch dem Sohne eigene
oder fremde Büfsungen zutnutbet. Eine wahrere Theodicee,
als eben diese biblische, für den „gerechten" Vater ersinnen
zu wollen, wäre es nicht grolse Anmafsung?
U. £. G. P anlas.
— — n — i-
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Reinwald Kultur und Barbarei. 303
Kultur und Barbarei, oder Andeutungen aus und zu der Geschichte
der Menschheit) mit steter Beziehung auf unsere Zeit» Von J.
G. Reinwald (Herzog! . Oldenb. Regierung*- Ass. zu Birkenfeld),
Mainz, bei U. Kupferberg. 1825. 398 S. 8. 2 fl. 15 kr.
Die vorliegende Schrift enthält die Ansichten eines den-
kenden, vielseitig gebildeten Mannes über die wichtigsten
Angelegenheiten der Menschheit, über dieFragen, für welche
sich unser Zeitalter mit besonderer Lebhaftigkeit interessirt.
Da die Schrift nicht füglich (wenigstens in diesen Blättern
nicht) einen Auszug zuläfst, so beschränken wir uns auf die
Anzeige der Aufschriften, unter welchen der Vf. jene Gegen-
stände abhandelt. Sie sind : Religion. Reformation. Volks-
bildung. Der Staat und die Staatslehre. Die Wissenschaft
und die Wissenschaften. Die Kunst und die Künste. Man
wird dem Verf. in seinen Betrachtungen über diese Gegen-
stände mit desto grösserem Interesse folgen , da er überall
Freimüthigkeit mit Besonnenheit, Freiheitsliebe mit Achtung
für die bestehenden Gesetze zu vereinigen gewufst bat.
Eine Stelle der Schrift (S. l3l. ff.) will, der Ref., da sie
ihm in mehr als einer Hinsicht besonders inhaltsschwer zu seyn
scheint, wörtlich anführen: „Welche geringe Sorgfalt dem
Volksunterrichte die französische Regierung in den von Deutsch-
land abgerissenen Provinzen zuwandte, ist bekannt. In gar
vielen Dorfgemeinden wurden die vorhandenen angemessenen
Schulhäuser veräufsert und dienten den dringenden Bedürf-
nissen des Gemeindehaushalts. Der Organismus des Schul-
wesens war aufgehoben und die ständigen Schullehrer quies-
cirten gezwungen , nachher freiwillig. Nach Verlauf von we-
nigen Jahren zeigte es sich, dafs die Liebe und Sorge der
Eltern nichts weniger als ausgestorben war. Für den Winter
wenigstens wurden überall Schullehrer gedingt; die ärmlichsten
Hinterhäuser, wahre Spelunken, ersetzten die Schulbäuser.
Von Haus zu Haus wurde der Schullehrer, häufig dem Hand,
werke, dem Tagelohne entzogen, gefüttert, und selbst die
Dürftigsten zollten gern den kleinen Geldbeitrag. Die alten
ständigen Schullehrer, an besseren Lohn gewöhnt, blieben in
Untfa atigkeit • aber es fand sich auch, dafs ein dem Spiel,
dem Trunk u. s. w. ergebener Lehrer , nach dem Willen der
Wühler, gleich im nächsten Wintersemester vacirte. Eine
Vergleichung der Schreib - und Lesefähigen , nach Maafsgabe
der .Zeit der alten und neuen Schulen , schlägt noch viel mehr
zu Gunsten dieser aus. Wie die Zeit in den Rheinprovinzen
vorwärts trieb, braucht nicht erwähnt zu werden. Wie die
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304
Gelehrten • Almanooli.
Ansprüche an die Schullehrer bei steigendem Wohlstände) er-
höhet | welche Anstalten bei dauernder Ruhe ins Lehen getreten
seyn wurden, läfst sich, da die neuen deutschen Regierungen
wieder stark eingreifen , nicht mit Erfahrungsgründen unter-
stützen.« Wie vielen Stoff zum Nachdenken — vielleicht auch
zu Streitgesprächen — enhalten die in dieser Stelle angeführten
Thatsachen , insbesondere in Beziehung auf die Frage , ob man
das Volk, was die Vorsorge für seine Wohlfarth und für seinen
Wohlstand betrifft, bevormunden solle oder besser sich selbst
überlasse. Ree. erlaubt sich bei dieser Gelegenheit einen schon
lange gehegten Wunsch öffentlich zu äufsern — dafs wir doch
bald von einem Sachkenner ein Werk über den Einflufs erhalten
mögteu, welchen die französische Verfassung, Gesetzgebung
und Verwaltung auf die überrheinisch deutschen Länder und auf
deren Bewohner gehabt haben Wie vieles könnten wir, diesseits
und jenseits des Rheines, aus einem solchen Werke lernen.
Gelehrten- Almanach, oder G a I e r i e der vorzüglichsten Gelehr-
ten älterer und neuerer Zeit. Nebst e. vollständ. Register. Von
J. G. Bbrnemann, Pastor zu Prausniz , Jauerschen Kreises.
Leipzig, hei Glück. 1826. 24 Bogen in länglichtem Duodez-
format. , 1 Thlr. 12 Gr.
Die Galerie besteht darin, dafs unter jedem Tage im Jahr
6 — 8 Gelehrte, die an demselben geboren sind, aufgezeichnet
werden unter den 6 Rubriken : Geburtsjahr , Name, Geburts-
ort, Amt und Würde, Todestag und Jahr , Anmerkungen. Die
letzte Nummer ist fast immer leer. Wenigstens sollten bei jetzt
lebenden und sehr bekannten die übrigen , wenigen Notizen
zuverlässig seyn. Aber zur Probe : G ö t h e unter dem 28. Aug.
ist dem Vf. Herzogl. Sachsen Weimarischer Kammerprä-
sident. GrMvell Regierungsrath zu Merseburg. Aug.
Wilh. Schlegel unter dem 8. Sept. Professor Philosoph, zu
Jena. Jung (Stilling) d. 12. Sept. Prof. zu Marburg,
churpfal*. Hofrath. — — Wie konnte eine solche Com-
pilation einen Verleger finden? während so manches brauch-
bare Buch ihn umsonst sucht.
Dec. 1825. Dr. Paulus.
! *
I
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N. 20. 1826.
Heidelberger
t «
Jahrbücher der Literatur.
Memoire sur les hateaux a vapeur des Etats -unis <Pj4merique9 aveo
un appendice sur diverses machines relatives a la marine ; par M.
Mare stier , Ingenieur de la marine Royale , chevalier de In
1 legion d* Honneur. Prece'de du Rapport fait a V Institut sur ce
Memoire, par MM. Sanc, Diotf Poisson et Dupin. A
Paris, 1824. 290 S. gr. 4. Dazu gehört unter dem nämlichen
Titel , mit dem Zusätze : Planches , ein Band mit XVII litho*
graphirten Tafeln in Landcharten- Format ; beides inprime' par
ordre de Son Excellence le Ministre de la marine et des colonies.
Das Publicum verdankt dem Bestreben der höchsten Be-
hörden in Frankreich, die vielbesprochenen Gegenstände der
IVTilitäreinrichtung , der Industrie , des Handels , des Maschi-
nenwesens und der Navigation Englands kennen zu lernen,
seit Kurzem zwei klassische Werke , das bekannte grofse von
Dupin und das vorliegende; ersteres bei weitem umfassender,
letzteres einen speciellen Gegenstand mit grofser Vollständig-
keit darstellend. Beide Verfasser, vom Gouvernement zur
Untersuchung der fraglichen Gegenstände ausgesandt, mit den
erforderlichen Kenntnissen ausgerüstet und durch Wissenschaft*
liehen Eifer beseelt, fanden schon deswegen tiberall eine gün-
stige Aufnahme, und konnten daher alles dasjenige an Ort
und Stelle genau beobachten , worüber die Regierung Auf-
schluß verlangte. Allerdings erfordern solche Reisen einen
bedeutenden Aufwand, allein dieser wird reichlich ersetzt
durch den Vortheil, welchen die Industrie, das Maschinen -
und Fabrikenwesen daraus zieht, und man kann nicht leugnen,
dafs selbst die militärische Stärke der Reiche dadurch directe
und indirecte gewinnt. Rticksichtlich der Dampfschifffahrt
erregten die grofsen Fortschritte, welche diese Kunst in den
vereinten Staaten von Nordamerica gemacht hat, die Aufmerk-
samkeit der französischen Behörden am meisten, und Märe-
st i er wurde also dortbin gesandt, um die Sache genauer
kennen zulernen, obgleich die Engländer gegenwärtig auch
hierin wohl ohne Zweifel den Vorrang errungen haben. Di©
, XIX. Jahrg. 4. Heft. 20
\
306 Muriner sur \e& baUatu ä vapeur.
Resultate seiner Untersuchungen fafste Mai estier nach sei-
ner Rückkehr in zwei Me'moires zusammen, wovon das eine
das vorliegende ist; das zweite, einige Bemerkungen über
die Kriegsmarine der vereinigten Staaten und eine genauere
Beschreibung der kolossalen Dampffregatte enthaltend» welche
1Ö14 zur Beschützung des Hafens von Newyork erbauet
wurde, ist als minder interessant nicht gedruckt worden.
Alle wissenschaftlich gebildete Männer werden es übrigens
als eine Frucht der allgemein verbreiteten Cultur dankbar an-
erkennen , dafs man endlich aufgehört hat, aus den Gegen-
ständen der Industrie und des Kriegswesens in den verschie-
denen Staaten überall ein Geheim nils zu machen, und viel-
mehr bemüht ist, durch Wetteifer und erhöhete Anstrengung
den Nachbarn den Rang abzugewinnen, da ohnehin die Erfah-
rung dargetban hat, daiseine solche Geheimnifskrämerei nichts
fruchtete, vielmehr durch eine erzeugte eingebildete Sicher-
heit nur schadete.
Der Bericht der Commissarien über das Me'moir enthält
hauptsächlich eine Geschichte der Dampfschifffahrt , deren
wesentlicher Inhalt aus dem Werke selbst entlehnt ist. Als
erster Anfang werden die Versuche genannt , welche Duquet
schon Seit 1687 zu Havre anstellte, um andere mechanische
Mittel als Segel und Ruder zur Bewegung der Schiffe zu be-
nutzen» Will man indefs diese mitzählen , so kommt man
noch weit höher hinauf, namentlich zu den Liburnischen
Kriegsschiffen mit Rädern, wovon schon Stewechius 1585
redet (s. Kleemann in Dingler polyt. J. XVII. 233.) und noch
früher Valturius in seinem 1472 zu Verona erschienenen Werke
de Re Militari. Bleibt man indefs bei der Dampfschi fffahit
im eigentlichen Sinne stehen, so ist zwar sogleich nach der
Erfindung der Dampfmaschinen oft von einer Anwendung der-
selben zur Bewegung der Schiffe die Rede gewesen , genau
genommen aber darf nur angenommen werden, dafs Jona-
than Hull um 1736 einen Plan hierzu in gehöriger Vollstän-
digkeit und Deutlichkeit angab. Wenn man nun den hohen
Grad der Vollkommenheit berücksichtigt, welchen diese Kunst
im letzten Decennium erhalten hat, so mufs man sich wun-
dern , dafs von jener ersten Angabe an bis auf F u 1 1 o n * s ge-
lungene Bemühungen um 1807 keiner der vielen Versuche zu
einem gedeihlichen Resultate führte. Dieses ist um so viel
auffallender, da nach einer in der vorliegenden historischen
Uebersicht nicht enthaltenen Angabe Fran kl i n's schon 1788
ein Dampfschiff auf den nordamericanischen Flüssen fuhr, und
der von Dupin nur im Allgemeinen genannte Miller
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t
Maresiier lur les bateaux a vapcur. 307
Dalswinton nach einer neuerdings (Edinburgh Philos. Joiu n.
1825. N. XXV. p. 76.) bekannt gewordenen Nachricht zwei
Probeböte erbauete, welche sehr genügende Resultate gaben«
Wie weit jetzt diese Kunst gediehen sey, ist allgemein be-
kannt. Die Berichterstatter meynen zwar, ein solches Mittel
des leichteren Transportes sey für das alte Continent weniger
iiöthig, als für das neue, weil jenesschon eine grofse Menge
anderweitiger Transportmittel und eine sehr allgemein ver-
breitete Cultur besitze; allein dieErfahrung hat schon gezeigt,
von welchem Erfolge die Dampfschiffahrt auf einigen Seen des
alten (kontinentes ist, und bei den raseben Fortschritten der
Nachbarn darf kein Mittel der Industrie vernachlässigt wer-
den, wenn nicht die Nationen im Gefühle ihrer gelähmten
Tbätigkeit den Ausländern ohne Austausch tributär, dadurch
aber mifsmüthig und unzufrieden mit ibren Verhältnissen wer-\
den sollen« So lange indefs namentlich in Beziehung auf
Deutschland sein Hauptstrom in Fesseln liegt, werden Handel
und Industrie mit unüberwindlichen Hindernissen zu kämpfen
haben , ohne dafs eigentlicher Wohlstand der Provinzen zu
erwarten ist.
Der nicht geschichtliche Theil des Berichtes giebt eine
für den Raum unserer Blätter zu ausführliche Uebersicht des
Inhalts des gedruckten und ungedruckten Memoire; Ree. ver-
läfst ihn daher, um den Hauptinhalt des Werkes mit wenigen
Worten anzugeben.
Zuerst Endet man die oben schon erwähnte geschichtliche
Uebersicht des Ursprunges und der allmäbligen Verbesserung
der Dampfschifffahrt. Auch hier werden die Bemühungen
Miller's in Dalswinton erwähnt, ohne die Quelle anzuge-
ben, woraus die Nachricht geschöpft ist, und man ersieht
hierbei deutlich, wie nachtheilig es noch dazu bei geschieht-
liehen Thatsachen ist, die Autoritäten zu verschweigen , de-
nen man folgt. Nach Marestier, dessen Angaben künftig
als entscheidend gelten werden, soll Miller's Boot ein dop-
peltes gewesen seyn , mit dem Treibrade zwischen beiden ,
und 17Öy eine Reise nach Schweden gemacht haben; Mil-
lens Sohn dagegen erzählt in Edinb. Phil. Journ. N. XXVf
er habe zuerst ein kleines Doppelboot mit einer sehr kleinen
Maschine erbauet, womit er auf dem See neben Dalswinton
gefahren sey, dasselbe aber im Herbst 1788 aus einander ge-
nommen, und die Maschine in seiner Bibliothek aufbewahrt*
Dasjenige Schiff aber, welches er im folgenden Jahre erbauen
liefs , gab genügende Resultate bei einer Probefahrt auf dem
Förth - und Clyde-Canale, allein es wird ausdiücklich hinzu-
20 *
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308 MaTestier sur les bateaux a vjpeur.
gesetzt, die Maschine sey für das Boot zu schwer gewesen,
tira sich damit in die See zu wagen, sie sey an die Carron
Compagnie zurückgegeben, und Miller habe keine weiteren
Versuche angestellt. Hieraus ergiebt sich dann ferner, dafs
die zu Leith stattgehabten Proben du reu Clarcke und nicht
durch Miller angestellt wurden, worüber Ma r e s t i e r un«
gewifs ist. Uebrigens ist es wahrhaft Erstaunen erregend,
Wenn man lieset, was für eine grofse Menge Dampfschiffe und
von welcher Gröfse sogleich nach den ernstlich gelungenen
Versuchen von Fulton und L i v i n g s t o n , also seit 1807»
die Küsten und groisen Flüsse der vereinigten Staaten befah-
ren. Vergleicht man diese mit der geringen Anzahl , welche
fast ohne Vortheil für die Unternehmer auf den Canälen Eng-
lands gebraucht wurden, so sollte man fast glauben, die Eng-
länder wären zu furchtsam gewesen , sich densrlben anzuver-
trauen, um so mehr, wenn man aus Partington ersieht,
dafs die in Nordnmerica so häufig auf Schiffen angewandten
Maschinen mit hohem Drucke in England aus Besorgnils vor
einer möglichen Gefahr lange Zeit keinen Eingang finden konn-
ten. Zum Theil mag dieser Grund mitgewirkt haben, haupt-
sächlich aber mufs man berücksichtigen, dafs es in England so
viele anderweitige bequeme Mittel des Transportes gab , die
in Nordamerica fehlten. Uebrigens sagt Maresier S. 48»
dafs die Elasticität des Dampfes mit wenigen Ausnahmen 1,75
Atmosphären nicht übersteigt, giebt aber S. 5^. an, dafs es
dort einige Maschinen mit dem acht - auch zehnfachen atmo-
sphärischen Drucke giebt.
Im zweiten Capitel giebt Marestier die Gestalt und
die Dimensionen einer grofsen Menge nordamericaniseber
Dampfschiffe , deren er acht und zwanzig namentlich nennt,
mit Hinzufügung der erforderlichen Angaben über die Bauart
rjnd Einrichtung derselben. Es wird indefs statt eines doch
nur mangelhaften Auszuges für die Leser interessanter seyn,
im Allgemeinen die Bequemlichkeit kennen zu lernen, welche
auf jenen Schiffen schon lange gefunden wurde. Auf den Pas-
sagierschiffen findet man geschmackvoll decorirte grofse Säle,
welche rundum mit Bettln, zwei Etagen über einander, um-
geben sind, und wenn diese nicht ausreichen, werden die
Sopba's , selbst die Tische oder der Fufsboden dazu benutzt,
alles aber wird sehr rein gehalten. Der Saal für die Damen
ist im hinteren Räume des Schiffes, keiner der Herren darf
ohne Erlaubnifs hineingehen, und wiederum kommen die
Damen nicht in die Säle der Herren, als zur gesellschaftlichen
Unterhaltung. In der Mitte des Schiffes befindet sich die Ma-
Marcsticr sur les bateaux a vapeur. 309
schine in einem kleinstmöglichen Räume, neben derselben und
im Vordertheile sind Domestikenzimmer , Vorrathskammern,
die Küche und ein Comtoir zum Verkaufe von Erfrischunge»*
Die Küche aus Eisenblech ist nur etwa drei par. Fufs uach
allen Dimensionen grofs, das Feuer derselben umgiebt eine«
Ofen, worin die Speisen in americanischen Dampfkesseln ge-
kocht werden, einfach, ohne Assietten und viele Saucen, den
Bratspiels aber treibt die Maschine. Das Personale, welches
zur Bedienung des Schiffes und der Fremden gehört* betrügt
mit Einschluis des Gapitains meistens vierzehn Personen*
Im dritten Capitel folgt eine detaillirte Beschreibung ei-
niger der bedeutendsten, namentlich genannten Dampfschiffe,
welches allerdings zu einer genauen Kenntnifs derselben ins-
besondere für diejenigen wichtig ist, welche sie selbst bauen
oder sich für den Bau derselben interessiren. Die Beschrei-
bung ist durch Figuren erläutert. Die Savannah unter, andern
war für die Tour nach Rufsland bestimmt, und ist auch wirk-
lich von Liverpool nach Petersburg gegangen und .von dort
nach Savannah in fünfzig Tagen zurückgekommen, bedient
sich indels nicht stets der Maschine , sondern zuweilen auch
der Segel. Hier werden auch S. 77. diejenigen Transport-
schiffe beschrieben, deren Maschinerie durch Pferde getrieben
wird. Diese bedürfen aus begreiflichen Gründen in der Mitte
einen grölseren Kaum für die bewegenden Pferde.
Das vierte Capitel enthält eine Beschreibung der Dampf-
maschinen, deren man sich auf den Dampfschiffen in Nord-
america vorzugsweise bedient. Hierunter zeichnen sich die
durch Evans gehaueten Expansionsmaschinen am meisten aus,
denen Marestier einen Vorzug vor den W o o lf e ' sehen ein-
räumt. Ref. hat an einem andern Orte zu z«igen sich bemüht,
dafs die Expansionsmaschinen noch bis jetzt ohne Zweifel den
Vorzug vor allen anderen verdienen, so lange der präsumirte
hohe Werth der Perkin s* sehen noch nicht ausgemacht ist,
obgleich die doppelten Cylinder Woolfe*s eine unnöthige
Erweiterung sind. Marestier hat (worauf wir weiter un-
ten zurückkommen werden) das sogenannte Expansionsprincip
auch vorzüglich gut erläutert, und es geht daraus der Nutzen,
seiner Anwendung sehr einleuchtend hervor , wie namentlich
auch Combe in einem kurzen, aber gehaltreichen Aufsatze
im Journ. des Mines 1824- T. IX. S. 144- «ehr gut gezeigt
hat. Hier hat Reh durch Marestier auch zuerst die Ma-
schine kennen gelernt, welche Stiles auf einem Schiffe, La
Surprise in Baltimore angebracht hat, durch deren unmittelbar
rotirende Bewegung die Räder in Bewegung gesetzt werden ,
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310 Mareaier iut les bateaux ä vjpeur.
und deren Anwendung für Dampfschiffe vorzüglich geeignet
«eyn mufa, wenn die Maschinen dieser Art anders überhaupt
vorteilhaft sind. Uebrigens ist es eine eigene Erscheinimg,
dafs auch nach Watt's Zeiten und die durch diesen grofsen
Mechaniker bekannt gemachten leichten Mittel, die gerad-
linige Bewegung in eine rotirende zu verwandeln, so ausneh-
mend viele Vorschläge zu rotirenden Maschinen gemacht sind,
deren keiner indefs Ref. nach seiner individuellen Ansicht
Beifall schenken kann , aufser dem Mastermann* sehen Rade
und der hier beschriebenen, bei denen es übrigem ohne prak-
tische Versuche zweifelhaft bleiben mufs, welcher von beiden
Maschinen der Vorzug einzuräumen ist. Stiles's Maschine
ist übrigens sehr einfach construirt. So weit man sich ohne
Figuren eine Vorstellung davon machen kann , besteht die-
selbe aas zwei in einander liegenden Cylindern von der aufse-
ren Gestalt eines Mühlrades , deren innerer etwas kleiner im
Durchmesser im grösseren dampfdicht schliefsenden beweglich
ist. Die auf der äufseren Mache des mit horizontaler Axe
stehenden Cylinders angebrachten Röhren zum Zuleiten und
Abführen des Dampfes stehen ohngefähr um einen Quadranten
aus einander, und so weit ist auch der Zwischenraum zwi-
schen der äufseren Fläche des inneren und der inneren des
äufseren Cylinders dampfdicht verstopft , der Dampf strömt
also durch den zwischen den übrigen drei Quadranten offenen
Raum, und treibt durch seine Gewalt den inneren Cylinder
nmt indem an der äufseren Fläche desselben sich eine Klappe
öffnet, welche den Zwischenraum zwischen beiden verschliefst
und der Bewegung des Dampfes entgegensteht. Die Axe des
inneren Cylinders treibt dann die zu bewegenden Theile der
Maschinen. Die Maschine gehört im Allgemeinen unter die
mit hohem Drucke, doch ist nicht ausgemacht, ob sie einen
neunfachen4 oder geringeren atmosphärischen Druck ausübe.
Mit einer Beschreibung der speciellen Einrichtung und
Vertheilung der Maschinen auf den Schiffen schliefst die eigent-
liche Abhandlung. Es folgt dann aber eine sehr schätzbare
Zugabe, nämlich mehrere Noten, deren erste die Eigentüm-
lichkeiten derjenigen Dampfschiffe beschreibt , welche sich
durch solche auszeichnen, oder auf denen der Verf. selbst ge-
fahren ist , nebst Bemerkungen über die Dampfschifffahrt im
Inneren. Die Gröfse der meisten dieser Schiffe ist zwischen
100 bis 200 Tonnen, das kleinste ist aber nur von 10, das
rofste von 400 Tonnen. Sehr interessant ist der Inhalt der
ritten Note, nämlich eine Uebersicht der englischen Dampf«*
schiffe, welche von 1807 bis l823 gebadet sind, nebst ihrer
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Maresiier sur Us bateaux a vapeur. Ski
Gröfie und zugefügten Bemerkungen. Qbngeachtet die Zahl
für 1823 nicht vollständig ist, so beträgt ibre Gesammtraenge
doch 152, und das Jahr 1Ö22 lieferte allein 24, «tat* dafs l8t2
nur zwei erbauet wurden. Die ersten waren in der Regel
kleiner, im Mittel von 30 bis 70 Tonnen, später wurden sie
eröfser gebauet, im Mittel zwischen 60 bis 150 Tonnen; m-
defs hält das kleinste nur drei, das gröfste dagegen 448
Tonnen. » _. :
Die fünfte Note kann als Einleitung zur sechsten dienen,
indem erstere die Resultate der Versuche enthält, welche 1796 '
durch eine Gesellschaft für die Vervollkommnung der Schiffs-
baukunst angestellt und durch Fulton berechnet wurden,
um den Widerstand des Wassers gegen bewegte Schiffe zu
finden, letztere 'aber eine Untersuchung, des Verf. über die
Geschwindigkeit der Dampfschiffe ajs Resultat der bewegen-
den Kraft bedingt durch die Hindernisse der Bewegung. Dafs
das Problem über die Geschwindigkeit der in einem wider-
standleistenden Mittel bewegten Körper an sich schon äufserst
schwierig sey, ist allgemein bekannt, noch schwieriger aber
wird dasselbe durch die schwer zu. bestimmende bewegende
Kraft der Dampfmaschinen. Der Verf. ist indefs ein gewand-
ter Geometer, und hat das vorliegende Problem sehr gut ge-
löset, wenn man ihm, wie billig , zugesteht, dafs die bewe-
gende Kraft der Dampfmaschine stets gleich bleibend sey.
Tredgold hat kürzlich die Aufgabe viel einfacher aufgefafst,
indem er blos das Verhältnifs zwischen der Geschwindigkeit
der Schaufelräder und des Schiffe« mit Rücksicht auf die Be-
wegung des Wassers vergleicht; allein man mufs gestehen,
dafs die Darstellung Marestier'a ungleich tiefer in das ei-
gentliche Wesen der Sache eingreift. Der Widerstand des
Wassers wird dem Quadrate der Geschwindigkeit proportional
gesetzt, welches auch für die durch solche Schiffe erreichbaren
Geschwindigkeiten gewifs zulässig ist, übrigens aber ver-
stattet das Ganze keinen kurzen Auszug, ist aber für alle die-
jenigen sehr wichtig, welche sich mit dem Baue der Dampf-
schiffe beschäftigen , und manches , namentlich über das Ver-
hältnifs zwischen dem Durchmesser der Schaufelräder, ihrer
Geschwindigkeit und des Verbrauches von Dampf, verdient
sehr mit genauen Beobachtungen verglichen zu werden*
Es ist oben schon von der Anwendung des Prlncips der
Expansion die Rede gewesen, wie dieses durch den ausge-
zeichneten Mechaniker Evans benutzt wird. Dieser wendet
dabei nicht den doppelten Cylinder an,, wie Woolfe, eine
in vielfacher Hinsicht unbequeme Einrichtung , saudern der
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3 12 Marestiet sur les batesox ä rapeur.
, Dampfbahn schliefst den Zutritt des Dampfes ab , ehe der Cy-
linder ganz erfüllt ist, und Iii ist den Embolus durch den sich
weiter expandirenden Dampf dann vollends bis ans Ende ge-
hoben werden, auf die nämliche Art, wie auch Freund in
Berlin diese Einrichtung angebracht hat, ohne dafs ihm wahr-
scheinlich jene Resultate bekannt waren. Christian, Tar-
tington, Stuart f Hobi«ont Gregory u. A. haben auf
verschiedene Weise gezeigt, wie dieses Princip mit Vortheil
angewandt werden kann , und lief, ist vollkommen überzeugt,
dals der NutzefFect der Maschinen bei gleichem Verbrauche
von Brennmaterial dadurch bedeutend erhöbet wird. Einer
gründlichen Erläuterung dieses Gegenstandes, ohne Wider-
rede der gelehrtesten, Welche lief, bis jetzt zur Kenntnifs
kam, ist die siebente Note gewidmet. Der Verf. geht hier-
bei von dem durch verschiedene Gelehrte , namentlich zuletzt
durch Christian aufgestellten Grundsatze aus, dafs die Ela-
sticität des Dampfes sich verdoppelt, wenn die Temperatur
desselben um eine gleiche Quantität Grade der Wärme erhöhet
wird, woraus für die Elasticität desselben die allgemeine For-
mel in französ. Metern entsteht :
r/ü r ~ 0,76 X 2 *
Wird dann angenommen, dafs 20° C. Wärme die Elasticität
des Dampfes verdoppeln, wie Christian (in Me'can. indu-
strielle) aus seinen Versuchen folgert, so ergiebt der Calcul
des Verf., dafs für eine Expansionsmaschine von zehnfachem
"atmosphärischem Drucke der NutzefFect durch Expansion im
Verhäitnils von 1 :2,973 erhöhet wird. Wären nur 10 °C.
zur Verdoppelung der Elasticität erforderlich , so würde dieses
Verhäitnils k l : 3.1 25 steigen , bei 40 CC. aber nur 55 i: 2,73l
seyn. Es ist indefs bekannt, dafs das genannte Gesetz über-
haupt unzulässig , und kaum für die Temperaturen nahe bei'm
Siedepuncte gültig ist, obgleich noch verschiedene Gelehrte
demselben anhängen; 'weil aber die Elasticität des Dampfes
bei zunehmenden Temperaturen anfangs wenigstens in einem
höheren Verhältnisse, als dem angegebenen steigt, so folgt
aus der Berechnung des Verf. , dafs insbesondere bei den Ma-
schinen mit sehr hohem Drucke der durch Benutzung der Ex-
pansion des Dampfes zu erhaltende Vortheil noch höher steigt,
als im Verhältnifs von 1:2,973, wie bei der Voraussetzung
einer Vermehrung der Elasticität des Dampfes um das Dop-
pelte durch eine Vermehrung der Temperatur um 20° C. fol-
gen würde. Bei einer^ umfassenden Würdigung dieses Gegeu-
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Marestier tur les bateaux ä vapeur. 3l3
Standes kommt ind As hauptsächlich die Berücksichtigung der«
jenigen Teraperatui Verminderung in Betrachtung , welche der
Dampf nach den Über das Verhalten der expansibelen Stoffe
bekannten Gesetzen durch seine Expansion uothwendig erlei*
den muls, und dieses führt dann weiter zu der wichtigen
Frage , ob die Summe der latenten und sensibelen Wärme des
Dampfes von jeder l lasticität eine constante Grölse sey, wie
der Verf. S. 222. annimmt, ohne die Gründe hierfür weiter
anzugeben, welche er vermuthlich als bekannt voraussetzt.
Ref. hat diesen Gegenstand an einem andern Orte ausführlich
erörtert, und findet es nicht zweckmässig, hier über dieses
Gesetz und seine vielfachen Anwendungen auf eine Menge
Naturerscheinungen weitläuftiger zu handeln.
Die achte Note ist einer näheren Untersuchung des Ef-
fectes der durch Stiles construirten Rotationsmaschine ge-
widmet, und die neunte einer Prüfung der verschiedenen Mit-
tel, wodurch man in Nordamerica die Ruder zu ersetzen ver-
sucht hat, obgleich dieselben den Beifall des Verf. nicht er-
halten haben, und er hauptsächlich nur beabsichtigt, sie
bekannter zu machen, um neue Ideen anzuregen und von
Versuchen desjenigen abzuhalten, was unlängst als unbrauch-
bar erprobt ist Es folgt dann noch ein schätzbarer Anhang,
dessen Beurtheilung aber weniger im Bereiche der Kenntnisse
des Ref. liegt , und dessen Inhalt daher nur kurz angezeigt
werden kann. Derselbe handelt nämlich von den Göl etten
der Nordamericaner , ihren Maschinen zum Aufräumen der
Ilafenplätze , denjenigen, welche zur Verfertigung der FJa-
schenzüge und Pumpen dienen, und solchen, welche für die
Schmieden in den ArsenUlen und die Fabrication der Taue
und Nägel und anderer zum Seewesen gehörigen Gegenstände
bestimmt sind, mit steter Rücksicht auf die Methoden, deren
man sich in England bedient.
Die Steindrücke , welche zur Erläuterung der abgehan-
delten Gegenstände des reichhaltigen Werkes dienen, sind
in einem grofsen Maafsstabe verfertigt, zwar nicht pracht-
voll , aber sehr deutlich und instruetiv.
• »
M u n o k e.
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314 Komano von Walter Scott.
Romane von Walter Scott.
Fortsetzung.. (Vergl. Jahrg. 1825. Hfc. IX.)
13« (puentin Durward. Aus dem Englischen des Sir Walter
Scott, Vollständig übertragen und mit Anmerkungen begleitet
von B. J. F. Halem Leipzigs bei Joh. Friedrich Gleditsch.
1824. 5 Thle, 256 , 256 und 284 S. 2 Tblr. 12 Gr.
14. Das Kloster. Ein Roman nach dem Englischen des Walter
Scott von K. L. Methus. Müller. Berlin , bei Dunker und
Humblot. 1821. 5 Thle Vlll. 287, 280 u. 3il 6V SThlr.öGr.
15. Der Abt* Ein romantisches Gemälde von Waller Scott,
Uebersetzt von W. A.Lindau. Leipzig) Rein'schc Buchhand-
lung. 1821. 3 Thle. II. 306, 514 und 384 S. 3 Tblr. 16 Gr.
16» Der Astrolog. Ein romantisches Gemälde von Walter
Scott. Uebersetzt von W. A. Lindau. Leipzig , Rein sehe
Buchhandlung, 1822. Zweite verbesserte Auflage. 5 Thle. Vlll.
278, 258 und 284 S. 2 Thlr.
17. Erzählungen von den Kreuzfahrern, Erste Erzählung.
Die Verlobten. Aus dem Englischen des Walter Scott
übersetzt von Sophie TVla y. Leipzig , bei F. L. Herbig. 182Ä,
2 Thle. 322 , und XXIV und 350 S. 2 Tblr. 8 Gr.
18. Erzählungen von den Kreuzfahrern. Zweite Erzäh-
lung. Richard Löwenherz in Palästina, Aus demEng-
lischen des Walter Scott von C. F. Michaelis. Leipzig,
bei F. L. Herbig. 1825. 2 Thle. 2 Tblr. 16 Gr.
Hier stehen wir nun vor einem grofsen Gemälde, unter
dem wir den Spruch geschrieben lesen:
Mein Vaterland ist Krieg;
Der Harnisch ist mein Haus:
Mein Wahlspruch ist: Heraus
Zum Kampf! — Tod oder Sieg!
Und Kampfeslust und WafFengeräusch hören wir durch das
Ganze ertönen, so wie es ein jugendlicher Krieger ist,
welchen wir in dem Mittelpunkte der Verschlingung er-
blicken, wie er von dieser wechselweise ergriffen und fort-
gezogen wird, und dann mit mächtiger Hand in dieselbe ein-
greift und sie hemmt oder fiügelc. Der junge Kriegesbeld ist
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t
Romane voo Walter Scott. 315
mit den drei Hauptparthien , in welchen sich das grofse Bild
entfaltet, in Verbindung gebracht, indem er zuerst an dem
Hofe des Königes erscheint, dann die schweifenden Damen
nach dem Sitze des fürstlichen Bischofes leitet, von da selbst
au dem Herzoge gebracht wird und in Lüttich zuletzt seines
Schicksals glückliche Entscheidung findet.
Sogleich in dem Eingange verkündet der wandernde
Knappe mit dem SamuietsÜckchen seine männliche Kraft in
der Gewalt, womit er sich durch die Wellen des reissenden
Baches eine Bahn bricht, und erregt damit die Aufmerksamkeit
de* Einen der beiden Unbekannten, die, ohne ihm Hülfe zu
leisten, sein Wagnifs ansehen. Dieser Ma i 1 1 e P i e r r e , der
reiche Seidenhäudler, dem er selbst sich als Qu entin Dur-
ward darstellt, als den nachgeborenen Sohn eines alt -Schot-
tischen Hauses von Glen-Houlakin, aus dem Mücken-
thale, führt darauf die Reisenden nach dem Gasthofe zur
Lilie, wo der Geheimnisvolle sich von der schönen Jacque-
line bedienen läfst, die sogleich mit ihrer ersten Erscheinung
und dann als Sängerin und Lautenspielerin aus dem Thurrae
den jungen Knappen gefangen nimmt. Aus dem nahen könig-
lichen Schlosse flessis les Tours kommt sein Oheim,
Ludwig Leslie, der Benarbte, zu ihm nach dem Dorfe
heraus, und der Bogenschütze der Schottischen Leibgarde er«
zählt ihm das Geschick seiner Familie. Als er darauf sich ver-
leiten läfst, den noch Zeichen des Lebens verrathenden Zi-
geuner von dem Baume, an welchen dieser angeknüpft ist,
luszuscbneiden , geräth er in die Hände des königlichen Ge-
neral-Profofses, Tristan d'Hermite, dessen beide
Gehülfen Trois Echelles und Petit-Andre', oder Jean-
qui-pleure und Jean-qui-rit , ihm schon den Strick um
den Hals legen. Nur die Erscheinung der Bogenschützen und
seine eigene Aufnahme unter dieselben rettet ihn. Er wird
von ihnen nach dem Schlosse gebracht und da durch den grei-
sen Herzog von Crawford, den Führer der Schotten,
seinem Oheime als l'age beigegehen. Es verlautet die Nach«»
riebt von der Ankunft eines Burgundischen Gesandten und
von der flüchtig gewordenen schonen und reichen Erbin Isa-
bella von Croye, die, den Verfolgungen eines verhafsten
Liebhabers, des Günstlinges des seine landesherrliche Gewalt
miisbrauchenden Herzogs, zu entgehen, sich in den Schutz
des Königes begeben, und in welcher der junge Bogenschütze
alsbald die Schöne des Thürmchens vermute et.
An dem andern Morgen erhält er mit seinem Oheime die
Wache in dem Audienzsaule des Königes, und hier sehen wir
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316 Romane von Walter Scott.
nun die Personen des Hofes vor ihm erscheinen: die könig.
liehen Töchter, den ritterlichen Grafen von Dunois,
Ludwig, den Herzog von Orleans, den Cardinal J o-
hann von Balue, den damals begünstigten Minister, und
Oli vier Da in, der Teufel oder der Böse genannt, der
als Bartkünstler und Kammerdiener des Königs Gunst theilte.
Zuletzt nahet der Monarch selbst, in dem Dur ward zu sei-
nein Erstaunen den Seidenhändler erkennt. Es folgt die
groiseScene des Vortrittes des Burgundischen Gesandten, des
Oralen Philipp Crevecoeur von Corele's, wie dieser
seines Herrn Klagen besonders auch in Hinsicht der flüchtigen
Damen von Croye vorbringt und den Handschuh hinwirft;
darauf der lustige Vorgang auf der Jagd , wodurch der Cardi-
nal von dem Könige tief verletzt und zu feindlicber Untreue
verleitet wird ; zuletzt der Vorfall mit dem Eber, durch des-
sen Erlegung Dur ward dem Könige das Leben rettet. Durch
alles dieses steigt er schnell in der Gunst des Fürsten. Er er-
hält die geheime Wache in der Rolands - Halle , und den ver-
borgenen Stand während des Mahles Ludwigs mit dem Cardi-
nale und dem Burgundischen Grafen, mit dem geheimen Lo-
sungsworte: Ecose en avant; ebenso den Auftrag, die
beiden Damen Isabella und deren Tante Hauieline von
Croye zu dem Bischöfe von Lüttich zu leiten, wobei des
Königs eigentliche Absicht ist, die reiche Erbin von Croye
in die Hände Wilhelms von der Mark, eines durch
Huchlosigkeit und wilde Tapferkeit ausgezeichneten Häupt-
hnges und Räubers in den Ardennen, zu liefern , und hier-
durch in diesem einen Bundesgenossen zu gewinnen. Zuvor
hat der König sich das Horoskop des Jünglinges stellen lassen,
den er mit sich gleicher Constellation unterworfen und sieb
von seinem Schutzpatrone, dem heiligen Julian, zugesandt
erachtet. Nun lülst er auch seinen Astrologen Galeotti
Martivalle die Chiromantie auf ihn anwenden, und der
Seher verkündet und bestätigt: der Abgesandte seye
tapfer, glücklich und denen mit wahrer Treue
ergeben, von welchen er Wohlthaten empfan-
gen. Dia Mitternachtstunde des Aufbruches bezeichneter
als den Anfang einer gefährlichen Reise, von
Gewaltsamkeit und Gefangenschaft für den Ab-
gesandten, aber eines erwünschten und glück-
lichen Erfolges für den Absender.
Hiermit ist denn auch die Reihe der nun folgenden Er-
eignisse angedeutet. Der Schottische Bogenschütze entledigt
sich mit Klugheit und Tapferkeit seines Auftrages. Indem *
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Romana von Walter Scotf.
317
seinen gewandten Führer, den Zigeuner Hayraddin Mu-
grabin, d.h. den Africaniscben Mauren , überlistet und ge-
gen den Befehl des Königs den Weg zu der Rechten der Maas
einschlägt , entgeht er dem Hinterbalte des wilden Ebers in
den Ardennen, und bringt seine Schützlinge glücklich zu dem
Bischöfe von Lütticb. Hier ist er eben so Zeuge von den
geheimen Machinationen des Königs, als der Bestürmung des
.bischöflichen Schlosses durch den wilden Eber. Aus Irrthum
rettet er erst die sich ihm in Liebe hingebende Gräfin Hame-
line, deren Kammerfrau M a r t h o n sieb als Zigeunerin ent-
hüllt, dann durch seine Kühnheit und Geistesgegenwart die
von ihm geliebte Isabella, so wie den für den König ge-
wonnenen Syndicus Pavillon und besonders dessen Tochter
Margaretha, die beiden jungen Wanderern auf ihrer Flucht
behültlich ist. Denoch wären sie den schwarzen Reitern Wil-
helm's nicht entgangen , wäre nicht zu rechter Zeit der Graf
von Crevecoeur erschienen und hätte die flüchtigen Damen in
seine Huth genommen.
So gelangen sie nach der festen Stadt Peronne, wo
jetzt Carl von Burgund weilt. Eben befindet sich der
König von Frankreich bei ihmt, vielleicht zum Theil
durch seinen Glauben an die Verkündigungen seines Astro-
logen , zum Theil durch das Bewufstseyn seiner geistigen Ue-
berlegenheit über den Herzog bewogen , seine Person, dem
guten Glauben eines stolzen und erbitterten Feindes Preis zu
geben. Seine ganze Lage wird höchst gefährlich durch die
Nachricht, welche der Graf von Crevecoeur von den Vorgän-
gen in Lüttich bringt. In höchster Wuth läfst der Burgun-
dische Fürst seinen königlichen Gast in dem Hubertsthurme
einschliefsen. Aber auch unter diesen Umständen behauptet
Ludwig seine Besonnenheit und königliche Würde. Den
Astrologen rettet nur seine Geistesgegenwart und Scharfsicb-
tigkeit in Bestimmung des in vier und zwanzig Stunden auf
seinen eigenen erfolgenden Todes des Königs vor der Rache
des hohen Gefangenen, der die Räthe des Herzogs für sich
zu gewinnen weifs, und in seinen Planen durch die Treue
(Juentin Durwards und dessen Einverständnifs mit der„
Gräfin Isabella unterstützt wird ; und vollends versöhnen sich
die beiden Fürsten in der rohen Lust der Bestrafung des trü-
gerischen Wappenheroldes Wilhelms von der Mark, den sie
wie ein Thier durch Hunde hetzen lassen. Es ist dies Hay-
raddin, der Zigeuner, der, zu dem Tode verurtheilt , be-
vor der Strick seinem Leben ein Ende macht, dem jungen
Schotten die Plane Wilhelms verrätb, und von dessen persön-
Roman« von Walter Scott.
Hcher Waffenrüstting erhält der Begünstigte darch den Brief
Hamelinens an ihre Nichte Nachricht« So kann er, ah nun
der vereinte Zug Ludwigs und CarJs gegen die aufrühreri-
schen Lütticher unternommen wird, sich das neue Verdienst
erwerben , dafs er voraus von dem nächtlichen Ueberfalle
Nachricht gibt; und nur er erkennt in dem Treffen den wiU
den Eh r, dessen Kopf als der Preis bestimmt ist, gegen
den sein Sieger mit der reichen Erbin von Croye vermählt
werden soll. Schon ist er diesem Triumphe nahe , als er sich
durch die llettung Gretchens seine Hoffnung entrissen siebt.
Leslie, sein Oheim, vollendet den Kampf und bringt den
Kopf des Ebers. Glück durch Heirath ist seiner Familie ge-
weissagt ; er bestimmt grolsmütbig seinem Neffen das gewon-
nene Gut, und so sehen wir zuletzt den Verstand, die Festig-
keit und Tapferkeit mit dem Besitze des Reichthums , des
Ranges und der Schönheil gelohnt. —
Schon aus dieser Uebersicbt ergibt sich, wie arm dieser
Roman an eigentlichen Thathandlungen und geschichtlichen
Vorgängen ist, und wie die einzelnen Theile desselben min-
der durch Eine Idee zu einem organischen Ganzen vereint,
als alle diese Darstellungen und Scenereien durch eine Kette
zufälliger Ereignisse unter einander verbunden sind. "Ja die
flüchtigen Wandelsterne der Damen von Croye, so wie der
sie leitende schweifende Ritter scheinen nur von dem Dichter
erfunden, um mit ihrer Wanderung uns drei grofse geschicht-
liche Bilder vor den Blick zu stellen. Denn historische Schil-
derung ist hier die Hauptsache, und zwar nicht, wie in an-
dern Stücken, das Ausschmücken einer der handelnden Per-
sonen mit antiquarischen Raritäten und alten Sagen —
ein Geist oder ein Gespenst erscheint hier nicht, obgleich
wenigstens das Gemach in dem Hubertsthurme, in dem Carl
der Einfältige seinen Tod gefunden, schauerlich verschlossen
hleibt, — • sondern, wie in Ivanhoe , das Heraufführen einer
merkwürdigen vergangenen Zeit und einiger grofsartig«n
Charaktere aus derselben, in deren Darstellung die Kunst des
Dichters sich in ihrem vollsten Glänze zu zeigen Gelegenheit
findet. Und so verkündtt er uns denn in einer geistreich a°#
muthigen Vorrede, wie er zu der Bekanntschaft des Marquis
von HautJieu, und in dem achteckigen Thurine auf deui
Schlosse Hautlieu zu der Kenntnifs der von ihm geschilderten
Zeit und den Quellen seiner geschichtlichen Erzählung gelangt.
Nach dem Spruche aus Hamlet :
Seht dort auf jenes Conterfei und dies;
Es sind die treuen Bilder zweier Brüder;
«
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Romane von WaUer Soott. 3l9
werden uns zunächst die beiden Fürsten : König Lud-
wig XI. von Frankreich, und Carl der Kühn«,
Herzog von Burgund, in einer lebendigen und ausführ-
lichen Charakterschilderung vor Augen gestellt, und die Zeit,
in welcher wir sie auftreten sehen , als das Jahr 1^63 be-
stimmt, da ihre Fehden am heftigsten entbrannt waren , ob-
gleich damals gerade ein trügerischer Waffenstillstand zwischen
beiden statt fand,
Johann von Müller sagt von jenem erstem Fürsten in
seinen vier und zwanzig Büchern allgemeiner Geschichten :
„Die Macht der Grofsen schien ihm die gröfste Hindernifs
„der Einheit in der Verwaltung, welche einem Staat Kraft
»und Behendigkeit in Unternehmungen gibt. Er war mit
„ihrer Erniedrigung so ganz beschäftigt, dafs keine Leiden-
schaft ihn an Befolgung dieses Gedankens störte. — Er
„schien dem Lauf der Begebenheiten zu folgen, indefs er ihn
„leitete. Seine Feinde waren eben so mächtig, und reicher,
„als er; also setzte er ihnen nicht Gewalt, sondern List ent-
gegen, worin er ihnen überlegen seyn konnte. — Nicht
„nur verleitete er sie zu ihrem Ruin, er gab seiner Verwal-
tung ein Ansehen von Ordnung und Gerechtigkeit (in Pri-
vatsachen), welche die ihrige nicht liatte. In der Einfalt
„seines Lebens und in der Verstellungskunst war er dem Au-
„gustus ähnlich, und, wie er, aller Verbrechen fähig, die
„seinen Absichten dienlich seyn konnten ; wie er, im Cabinet
„gröfser, als im Heer: denn Augustus und Ludwig , mitten
„in den Planen ihrer Herrschsucht, hatten eine Furchtsam«
„keit, welche eine Ursache der grofsen Vorsicht ihrer Maafs-
„regeln, aber auch oft für sie eine Pein war, wodurch ihre
„Feinde an ihnen gerochen wurden.« — Von Carl dem
Kühnen wird dagegen gesagt: „Dieser Fürst, so herrsch-
„begierig als der König, hatte wildere Leidenschaften , aber
„zu einer hohen und edlen Denkungsart gröfsere Anlagen;
„sein Stolz verschmähete den Gebrauch der List; sein lebhaf-
tes Gefühl liefs ihm keine Macht über sich selbst.«
Ganz in diesem historischen Charakter sehen wir sie
denn auch auftreten. Zuerst werden wir nach dem festen
königlichen Schlosse Plessis les Tours versetzt, das mit
seinen dem Nahenden verborgene Gefahr drohenden Umge-
bungen geschildert wird. Auch schon unter der bescheidenen
Hülle desMaitre Pierre verkündet sich der 'König in sei-
ner ganzen Persönlichkeit, wie er, seine Plane festhaltend ,
den aufserlichen Prunk verschmähet; gewaltsam und schlau
kein Gesetz , kein Hecht eines andern achtet, das ihm in dem
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320
Romane von Walter Scott.
Wege steht, alle nur hebt und hält oder sinken läfst und zer-
nichtet, je nachdem er sie zu gebrauchen gedenkt, oder
schon von ihnen Gebrauch gemacht hat. Er erscheint eben so
in seiner rohen Lustigkeit und Jagdliehhaberei, als in seiner
gräfslichen Freude an Mord und Blut ; als der , welcher karg
ist und verschwenderisch, wenn es seyn mufs, der, um die
Grofsen zu deinüthigen, aus den niedern Ständen seine Werk-
zeuge und Günstlinge erhebt , und zugleich in seinem finste-
ren Aberglauben' und seiner Furchtsamkeit, damit in seiner
Abhängigkeit von seinem Astrologen , in seinem Heiligen-
dienste, und aller der Beschränkung, Furcht und Qual, die
ein solcher in sich selbst zerrissener Charakter sich bereitet.
Und so sehen wir ihn als eine grauenvoll tückische Macht,
die, wo sie vor den Menschen erscheint , alle Würde und
überlegene Persönlichkeit des Herrscherthums zeigt, in der
Mitte seiner schauerlichen Umgebungen walten.
Dem dunkeln Bilde des Herrschers entsprechen seine ab-
scheulichen Diener : sein Vertrauter , Barbier und Kammer-
diener, der still schleichende 0 1 i v i e r Da i n, dessen Katzen-
natur mit grol'ser Kunst gezeichnet wird; und der andere
Rathgeber, der aus der Tiefe emporgehobene, übermüthige
Cardinal Johann von Balue, der später in dem schreck-
lichen Loches in einem der Kähxhe eingeschlossen wird, die
er selbst soll erfunden haben« Dieser schliefst sich als die
dritte wichtigste Person des königlichen Haushaltes der Ge-
neralprofols und Oberhenker T r i s ta n d'Hermite an, mit
seinen beiden Henkersknechten, welche nach ihrem Naturell
und der Weise, wie sie ihre Opfer zu dem Tode zu fördern
pflegen, der eine als Heraclit, der andere als Democrit
bezeichnet werden.
In schöner Männlichkeit steht, obwohl in gleicher Ab-
hängigkeit dieser fast thierischen Wesen Galeotti Marti-
valle, der Astrolog des Königs, gegenüber, der sich seiner
geheimen Kunst nur bedient, damit anmuthig reiche Lebens-
genüsse zu gewinnen. Den edleren Tbeil der königlichen
Umgebung bilden dann die Töchter von Frankreich , der ritter-
liche Grat von Dunois, der berühmteste Kämpfer seiner
Zeit, und der weichere Ludwig, Herzog von Orleans,
denen sich der greise Führer der Bogenschützen der könig-
lichen Leibgarde, der Herzog von Crawford, beigesellt,
welcher die würdige Haltung eines alten Kriegers behauptet.
iDie Fortsetzung folgt.")
» •
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N. 21. •< . r* . 1826.
II cid e 1 berge r
■
Jahrbücher der Literatur.
• i.ii »
• H I
Romane voö Walter Scott.
i. »
>> 1
Eine gnnz untergeordnete Holle spielen die Garden selbst,
tinter denen nur, als ein freies, mit' reichem Humor ausgestatt
tetes Gebilde der trfin durig des Dichters, Ludwig Leali e*
)e Ralaf're', der Krieger mit der Schmarre, hervorragt, ao
wie selbst die Zigeuner einige Male die Dienste von Boten)
Führern, Spionen und geheimen Unterbändlern' übernehme«
müssen , deren Leben und Philosophie in Hayraddin Mu*
grab in repräsentiit wird.
Alle diese verschiedenartigen Personerl und Charakter«
sind in gar herrlicher Wahrheit und Lebendigkeit geschildert,
Wie sie alle den König fürchten , alle von ihm abhängen , Und
doch zugleich auf ihn einwirken, und der Schreckliche nur als
ein Knecht seiner eigenen Leidenschaft* seiner Furcht und
seines Aberglaubens über ihnen waltet. Dabei mufa der von
dem Astrologen ausgesprochene Und vort ihm selbst nicht ge*
glaubte Spruch zur leitenden Stimme des Schicksals dienen,
die, obgleich in anderm Sinne, als sie gesprochen worden v
in Erfüllung geht. Unter den besonders ansprechenden Sceneh
Weisen wir aber auf die folgenden hin: wie Qu entin Duo
ward zuerst in dem Audienzsaale Wache hält und ihm die auf*
tretenden Personen bezeichnet Werden* wie dann der Bur-
gundische Graf seine Sendung vorbringt^ wie der Schotte die
f geheime Huth bei dem Mahle hältf urid besonders die kösb*
iche beerte, wie Galeotti^ in dem Hübertsthurme durch die
Besonnenheit, mit der er seinen eigenen Tod mit dem Lud*»
wigs in Verbindung bringt, dem Könige das dreimal wieder-
holte : „Gehe in Frieden 1« almüthigt, der nun um seine
eigene Erhaltung eben so besorgt ist, als er rachsüchtig den
Tod des trügerischen Sehers verlangt hatte; und besonder?,
noch die schlaue Kaust des königlichen Gefangenen* mit der
er seinem stolzen und heftig gegen ihn gereizten Feinde all«
XIX. Jahr* *Öeft, U
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Mim i Romsoe von Walt« Seott. ^ y? j]
Räthe abwendig zu jachen , ihm. erst tüe HSnde au fesseln
und dann sich selbst denselben zu entwinden weift.
Die mittlere oder Uehergangsparthie bilden die Scenen
ifi Lüttich , wo wieder 'die Kikist r unseres Dichters' in def
Schilderung jener schrecklieben Nacht der Erstürmung des1
Schlosses und der Ermordung des Bischofs Ludwig von
Bo urb on durch den gräfslichen Wilhelm von der Mark
bell leuchtet.
Von hier Werden; wir nach der festen Stadt Feronne und
an den glänzenden Hofhält des Herzogs von Burgund
versetzt9 der in seiner nach, au Isen stürmischen Leidenschaft-
lichkeit und fürstlichen Prachtliebe, so wie in seiner männ-
lichen Kraft und gerade hin strebenden Offenheit und Verach-
tung der List das wahre Gegenbild zu Ludwig darstellt; so
wie er sich in diesem Gegensatze sogleich in seinem Gesand-
ten und Feldherrn, dem Grafen Philipp Crevecoeur
-von Corde's, verkündet, und wie ganz anders erscheinen
•seine beiden Käthe Argenton und Hymtercourt, als
-Ludwigs niedrige Vertraute.
Alle drei Partheien: Ludwig, Carl und Lüttich
tnit Wilhelm von der Mark, werden zuletzt mit dem
Sehweife ihres Gefolges nach Einem Punkte zusamengeführt,
und in ihrem Zusammentreffen , in dem nächtlichen Ausfalle
und der Eroberung der genannten Stadt, findet das Ganze
seine Lösung in dem glücklichen Erfolge des jungen Schotten
Qtientin Durward.
Und nun zuletzt noch einen Blick auf diesen Helden des
Stückes, den aus GJen-Houlakin oder dem Mückentbale Ent-
sprossenen , zu werfen , so findet nun wieder des Dichters
Vorliebe für alt- Schottisches Leben und Sagen vollen Spiel-
raum in der Schilderung dieses seines Lieblings, und anmu-
thig und oft etwas wunderlich schweift dieser, als ein wahres
Kind der Phantasie, die Damen von Croye leitend, zwischen
den mehr starren Bildern der Geschichte hin. Dabei zeigt er
mehr Tbätickeit und eigene Kraftäufserung, als die begün-
stigten Helden vieler andern Stücke des Dichters, obgleich
auch er der überall Begünstigte ist; und besonders gewinnt er
uns in der Mitte wahrhaft infernaler Gestalten durch seine
reine Natur, seinen ritterlichen Sinn und eine über seine Ju-
gend hinausreichende Klugheit. Gern sehen wir daher seine
Treue und Tüchtigkeit durch den Besitz der reichen Erbin
von Croye gelohnt , obgleich freilich Isabella aufser ihrer
Schönheit kaum mit etwas anderem Aufmerksamkeit oder
Theilnahme erregt, und mehr nur durch den Gegensat»
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4
Roman« von Vv"altex SootWj 323
ihrer niedrig gehaltenen Tante Harne] ine emporgehoben
wird.
Bei allem diesem aeigt der Englische Dichter auch hier
nichts weniger » als — wie wir dieses bei einigen unserer,
deutschen Schriftsteller finden — ein Bestreben , jene ritter-
liche Zeit au verschönern oder auszuschmücken, die er uns
vielmehr in aller ihrer Wirklichkeit, in ihrer schauerlichen
Rohheit, so wie in den großartigen Zügen schildert , welche
aie darbietet; und wir glaubten zuerst, dieser Roman werde
an Ivanboe hinanreichen; aber es fehlt das ideale Lieben und
die Hoheit der Charaktere» welche dort hervortreten« Der
recht eigentlichen Romansituationen , Effecte, Liebeleien und;
Verkettungen mischen aich so viele zwischen die historischen
Bilder * dafs man dadurch nicht selten unangenehm berührt;
wird. Auf geschichtliche Schilderung ist aJUs abgesehen |
und wir haben doch keine Geschichte , und wenn irgendwo,
bei unserm Schriftsteller , so finden wir uns hier oft in Ver-
legenheit, nicht au wissen % ob wir auf dem festen Boden der
Historie wandeln s oder von den Begegnissen und Gestalten
einer zauberhaft heraufgerufenen Welt umgaukelt werden.
Auch sieht man dem endlichen Resultate schon fast aus dem
Eingänge des Stuckes mit gewisser Erwartung entgegen, und
wir zweifeln sogleich nicht, wo wir den Schottischen Knap-
pen aus seinem Tbürmchen die Sängerin in dem andern Thurm»
chen belauschen sehen, dafs diese beiden einander bestimmt
seyen. Wo dann das Interesse für das Schicksal unseres Hel-
den und der andern handelnden Personen lebendiger in uns ge-
weckt worden | fühlen wir uns durch die langen Schilderungen
und weiten Umwege % auf welchen wir uns durchwinden müs-
sen, mehr gehemmt Und gestört, als unterhalten. Es mangelt
auch dieser Dichtung , so sehr sie durch die gelungensten Kin-
del n hei ten anspricht, das höhere, ideale Leben; sie ist nicht
rein, als ein innerlich ganz Geschautes und Gefühltes, aus
dem Geiste der Poesie gezeugt; vielmehr erscheint sie ihrem
grofsen Tbeile nach als ein durch Studium künstlich gebilde-
tes , mit Phantasie durchwehtes Werk ; und wir wenigstens
fühlten uns viel minder befriedigt $ nachdem wir den dritten
Band beendigt hatten $ als da wir begierig nach dem aweiten
griffen«
• •» . •.. . » +
XIV und XV,
Wir müssen nun zwei grofse« von einem Lunten Ge-
roische Zahlreicher Figuren angefüllte Gemälde neben, einander
ii « m .
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324 Rbnfefae Tob Waher Scott. v .
vor dem BHcke des'Besdhauers aufstellen , weil beide zwei Ge-
genstücke bilden , die zusammen Eine Keihe von Ereignissart
umfassen: das eine den Anfang und die erste Hälfte, «las an*
der« die aweite Hälfte und den Schlufs der dargestellten Ga-
genichte. Es ist dieses der Untergang des Hauses Avcntl in
seinem altem , und dessen neues Autblühen und Fortleben« int
einem j Ungern Stumme, und nicht hiervon, als ihrem wesent-
lichen Inhalte, sondern von äufsern Nebenbestimmungen sind
beide das Kloster und* der Abt benannt»; • • •
l.kin Wir treten vorerst vor jenes und fassen zunächst zwei
I Unkte in das Auge, nach denen sich, wechselweise auf den.
neu und andern, unser Blick wendet. Es sind diese das
Stattliche Kloster der h. Jungfrau zu Keunaijuliair,
das sich in den Stürmen der Glaubenserneuerung glücklich er-
halten hat) und für das nach dem Friedensschlüsse von 1550
eine Zeit der Ruhe eingetreten ist; und diesem gegenüber der
einsame Thurm von Glend earg oder dem- durch seine schau*
erliche Natur und daran geknüpfte Geister- und Gespenster-
en gen schreckenden rothen Tbale. Oer Vertheid iger des»
selben und Dienstmann des Klosters, Simon Glendinning,
ist in der Schlacht von Pinkie gefallen, und seine Witwe
Elspeth F) ry Jone sehen wir geängstigt durch die Ankunft
einer Englischen Reiterschaar. - Aber .der . edle Hauptmann
S t a w a r t h ßol ton , der sich freundlich mit den beiden Kna-
ben des Hauses, dem trotzigen H albert- und milden und.
weichen Eduard Glendinning, unterhält, gewähret
5chutz dem einsamen Aufenthalte.
Dahin flüchtet sich denn auch mit ihrer einzigen Tochter
die Lady Alice Avenel, die Witwe des umgekommenen
Walter Avenel , und wir erblicken nun beide Verlassene, und
ihre Kinder in dem Verkehre mit einander, wobei oft die
trauernde, kränkelnde Lady den andern aus einem diesen un-
bekannten Buche Trost und Unterhaltung gewährt. Es ist
dieses eine Uebersetzung der Bibel , deren sich der einfältige
Sacristan des Klosters, Pater Philipp,, bei einem Besuche 9
den er in dem fünften Jahre in dem Thurms macht, zu be-
mächtigen weifs. Aber auf dem Rückwege wird ihm sei n
Raub durch die spuckhafte Erscheinung des singenden „Mä-
dels" wieder entrissen, undf einem Wahnsinnigen gle^ch,^
setzt der Geängstigte mit den Nachklängen des Liedes: „Wir
schwimmen lustig! der Mond scheint bell!« alle in
dem Kloster in Erstaunen.
Doch mehr, als das abentheuerliche Ereignifg /erregt sein
Bericht, wie die h. Schrift in der Sprache des Volkes sogar
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Jlomano Von Y^iej, ^
his in dieses verborgene Thal und in, d$e. Nähe des Kloston
fedrungen , die Aufmerksamkeit des Subpriors ' E n,s tathluV,
er dein gutmüthigen, ober an Geist armen Abte Bon ifa-
cius von dem Pri/naa von St. Andreas als leitender Kath bei«
geoidnet worden, /['Er begibt sieb tiact Gleridearg^aber statt
die beabsichtigte Bekehrung der ketzerischen Besitzerin des
Buches zu erreichen l ijt er nur der Zeuge ihres Todes,, Des
Buches selbst indessen bemächtigt er sich glücklich , das ihm
aa
Reit' surück rojt dem Buch, pder du hülsest es theuer I «
nicht schrecken läfst, gewaltsam entrissen
f.. *i :i-"4*
tera «u« umiWuiWmi j u n au van Avenei, «es öcnwogt.
der Verstorbenen, welcher ihr lind ihrem Krnde die Basiter**
gen seines Bruders entrissen hat, ist hier drohend wegen der
Beisetzung der Entseelten erschienen. \Der Abt hat ihn in
Fesseln werfen lassen. Vermittelnd bewirjtfc dW klügere Sub-
prior die Entlassung des Gefährlichen ; aber auch die eigene
Reue un$l Beschämung des Stolzen ist durch das ihnp wider-
fahrene Begegnifs vollkommen. Durch sein demüthiges Be-
fcepntnifa in der Beichte tritt er in ein besseres Verhältnis
i Aber diesen ziehet ein anderer Magnet von ihm ab, Ma>
rie von Ayenel, seine schöne , ahnungsvolle, einer gehei-
men Welt der Geister befreundete, Hausgenossin, durch, dw
ein, eifersüchtiges Streben in beiden Brüdern erregt wird,
denn Eduard entgebt Mariens Hinneigung zu dem männlichen
Halb e r t nicht , , indessen dieser sich zurückgesetzt achtet «
weil die Sinnige sich mehr mit dem mit ihr gleichen Studien
hingegebenen jüngern Bruder beschäftigt. Doch auch er will
lernen, den Inhalt des geheimnisvollen Buches erforscberif
will erfahren, warum es die Lady von -Ävenel so liebte uiyi
die Mönche fürchten und stehlen wollen! Er nahet kühn au
der zauberhaften Quelle in Corr i€ nan.-Sc tu a n , dem Auf«
enthalte des Geistes % , der weisen .Frau von Ave'nel,
\
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^tS Romape voll Walter
und indem er, in die tiefe Krystallgrotte hinab gesunken,
das Buch aus den Flammen nimmt , erhält er die Verheifsung;
u j»Hab' Geduld!
*l « Einstens wird des Himmels Huld
* \ . : . Zelt und Fahrer dir bestimmen!«
Seine Mutter hat indessen dem wilden Sohne, ihn von
dem Leben w durch Sporn, Spiefs und Zaum" abzubringen,
die Hand der schönen Müllerstochter My s i a bestimmt. Mit
dieser ist ein anderer viel vornehmerer Gast erschienen , der
Euphuiate $ i r Pierci e Shafton, der hier einige Tage im
Verborgenen iiibringen will. Ja den Abt selbst, den beque-
men Mann , sehen wir mit seinem Gefolge an dem einsamen
Aufenthalte erscheinen , und der Ritter stellt sich ihm ala
einen nahen Verwandten des Piercie, Earl von Nort-
humberland, dar , und als einen wichtigen Mann in den
Planen der Katholiken : der deswegen flüchtig werden mufste.
.Nach seiner Sinnesweise zeigt er sich nur gegen das Fräulein
•galant, indessen er die andern Hausgenossen, als bäurische
Leute, verächtlich behandelt. Hierdurch fühlt sich Haibert ,
der seit seinem Besuche in CarriÖnan -Schian wie umgewandelt
erscheint , als Haupt der Familie, gekränkt; und auf den Rath
der waiXsen Frau;
„Treffen Piercie Shafton's pralereien dein Ohr,
So halt' ihm dieses Geschenk nur vor !«
hält er wirklich dem Uebermüthigen die silberne Nadel vor,
welche ihm die Erscheinung aus ihren Haaren gereicht hat«
Des Kitters Wuth ist grofs, und er fordert seinen Gegner zu
dem Zweikampfe, der ihn in der Frühe des Morgens , ohne
sich durch Mariens Bitten zurückhalten zu lassen, nach dem
zauberhaften Orte leitet. Da gähnt ihnen ein geöffnetes Grab
entgegen. Sie kämpfen bei demselben , und der gewandte
Fechter sinkt durch die Hand des ungeübten Jünglings, Ent-
' setzt Über den begangenen Mord, eilt Haibert, einen Frem-
den, den er von ferne nahen sieht, zur Hülfe herbei zu rufen.
Doch bis er mit diesem, der sich als den reformirten Prediger
Heinrich Warden zu erkennen gibt, zurückkehrt, findet
er den Leichnam verschwunden und das Grab geschlossen;
und da er es nun nicht wagt, sich zu den Seinen zurück zu
begeben, so folgt er dern Prediger nach der von den Fluthen
des Sees umschlossenen Burg des Ritters von Avenel. TVIit
Empfehlungsschreiben von dem Lorde James Stuart, dem
nachmals, so berühmten Earl von Murray, versehen, findet
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Romane reo Wtltei SeoU. 327
dieser, der von Edinburgh entflohen war, erat ei oe freund-
liche Aufnahme. Als er aber in feinem Eifer über Üti Ver-
bindung des Schlofsherrri mit der diesem gehandfesteten Ca >
tharina sich nicht au mäTiigen weifs, wird er in daa Ger
fängnifs geworfen. Halbert rettet sich durch nachtliche
Fiucbt aus den Händen des Gewaltsamen, dessen Dienste er
gleichfalls , wie die des Klosters , nach höhern Dingen stre-
bend, verschmäht.
, Sein Ausbleiben verursacht indefs in Glendearg grofse
JBestürzung. Der Prior hat sich hier wieder eingefunden, unll
alle werden durch das ängstliche Geschrei Mariens erschreckt,
die «i« »n einem sehr besorglichen Zustande auf ihrem Zimmer
finden. Doch jetzt erscheint wenigstens Einer der Vermifs-
ten , der Euphuist, obwohl mit bleichem Antlitze und blut-
beflecktem Kleide, und sogleich will er seiner schönen „Dis-
cretion« zu Hülfe eilen. Aber sie stöfst ihn zurück und schilt
Jhn einen Mörder. Ihr treuer Diener Martin, den sie in
liebender Besorgnifs den Kämpfern nachgesandt, hat die Kunde
von dem geschlossenen Grabe gebracht, und alle »weifein
nicht, dals der Ritter an dem Junglinge zum Mörder gewor-
den. Bios bei dem Prior , der selbst die Zauber des Ortea
erfahren f kann dessen Erzählung, wie er selbst der Ver-
wundete seye, aber nur durch Zauberei habe unterliegen
Jtönnen, und wie er , als er wieder zu sich selbst gekommen,
eich ohne Wamines in seinen Mantel gehüllt und mit vernarb-
ter Wunde gefunden, einigen Glauben gewinnen. Eduard,
der seine bewaffneten Nachbarn herbei gerufen, hält den ver-
neinten Verbrecher die Nacht in dem Thurme gefangen*
Aber die schöne Mysia oder Mysinda wird dem Einge-
schlossenen zur Retterin, und so sehen wir denn, während
«ein Gegner sich auf eiliger Flucht gegen Edinburgh wendet,
*len Ritter gleichfalls in anderer Richtung entfliehen, diejschöne
•Müllerin erst hinter sich auf dem Rosse, dann als verkleideten
Knappen au seiner Seite,
Noch in der Nacht aber ist Maria durch! die Erscheinung
.der weifsen Frau beruhigt worden, welche. sie nach der
Stelle auf dem Boden hinweist, wo Halbert unter den (aufge-
brochenen Dielen die Bibel verborgen bat. An dem Morgen
bringt darauf auch Christie von Clinthill die Kunde, dafs der
^Flüchtige in der Nacht auf dem Schlosse seines Herrn gewesen.
Dieser selbst hat unterdessen andere Plane entworfen, und
in dem Verlangen der Rache sendet er rnit seinem Diener den
,verhafsten Prediger dem Kloster , um für diese Gefälligkeit
andere Dienste au empfangen. So treffen die zwei gewaltigen
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328 ■ üS^Wm&mk
Männer in GlendMrg zusammen, Utl<! sie etUÜtiiien einander^
der^ jtföncK "den Prediger alt. seinen frühWn Stubengenoasen
Hei n r ich Well Wo o d, und dieser jenen als seinen Freund
Wiftlam Allan, Und wie ihre Geister indessen auf ganz
gntgegenkcsetzten Bahnen sich geschieden. Der Prior , der
den Veriundiger der gehafsten neuen Lehre in seiner Gewalt
sieht9 bestehet den Kampf* zwischen Seinem Winden Glau*
benseifer und den. besseren Regungen seines nicht unedeln
Herzens. Ohne an dem alten Freunde irgend eine Gewalt su
yerüben tn lSfst e-r ihn" tn dem Th urme zurück, wo wir den
ungWciHchen Eduard y6n fentsetzen über sich selbst erfaßt
8 eben; v!0ie Nachricht von dem Leben seines Bruders bat nicht
Freude, riüV eifersüchtigen Scomerz in ihm geweckt, Nun ist
Mar'ia äüf immer für ihu. verlbren ; er beschliefst, entsagend
ein Manch zu werden.
Doch auch in dem Kloster ist alles In grofser Bewegung.
Neue Kriegsstürme wälzen srcb, Verderben drohend, gegen
den friedlichen Aufenthalt. Von der einen Seite schreckt Sit
JonFoste^, der Englische Gränzwächter, von der andern
J a m e s : S tu a r t , jetzt Lord Murra y. Unter so schwieri-
gen Verhältnissen fühlt sich der friedliebende Abt Bonifa-
tius seiner Steele nicht gewachsen, und legt sie in die Hände
cjes PriörsEustathius. Dieser waffnet die? Lehnsleute des
Klosters ; an die Spitze der Vertheidiger tritt Julian von
Avenel, dem später sich P i e r ci e?Sha f to n beigesellt.
Haibert ist inzwischen, in die Dienste des Lords Murräf
und hat den' PvniSfT^lisrh^n ( i! angenommen.
voran au eiieu » um ane r emasejigKeiten zu veruinuci."'
kommt zu spät; eben hat sich die Schlacht surft Nachtheile
der Klosterleute entschieden. Julian von Avenel
entseelt auf dem Wahlplatze; neben ihm die treue Catha-
rina, dir m-J ' ^ ' ^- Ah« we-
ie den Tod „Vs Geliebten nicht überlebte. Aber we-
nigstens das Kind der Unglücklichen rettet er. Engländer
und Schotten gleichen sich friedlich aus, und der altefcta-
wart Boltqn bleibt als Bürge bei dem Schottischen Heere.
Diesem zieht die feierliche Processiqn des Klosters entgegen
für da* sich nun erkenntlich der Prediger Heinrich War-
den ^'Wendet, Der Enphuist ergibt sich auf Gnade u«
UngMade. Die höchstö Strafe ist die volle Beschämung «■
Faul», dessen Geheimnis Bultoq cntltihV, * wt<? *T TP
der MUtter des Ritter», statt ein gek^^ftites jrltiupt ^ v 4 c 1 m dir
^noA hierdurch, erklart $icb sein* Wuth, Ober dieTPr^haW
-»ene^Neidel der ake Schneider Croff stich von - Ü»r
<l er n e i 's gewesen, f Dame GJendiohihg erkennt da na in dem
♦Englischen Offieier ihren alten Woblthäter, und dieier selbst
ist nicht minder erstaunt, allee, wie er e» bei seinem erste»
Besuche in dem rotheo Thale vorausgesagt , erfüllt, und den
f«rinen jener Leider* Knaben nun zu dem Mönche, den andern
zu einem tüchtigen Krieger herangereift zu sehen. Der Eu-
phuist wird mit seiner liebenswürdigen Mvsinda nach Flan#-
ctern entlassen, die, schöne Maria vpn ^yenel aber, diu
durch den Prediger Warden zu dem £yangelium geführt wor-
den* an Halbort vermählt, mit deren Uand dieser zu dem
•Besitze de» alten Schlosses ihrer Familie gelangt, ,n/ ;i>
Eduard stürzt sich in Verzweiflung nach Corriönan-
Scbian binauff. Die weifse Frau erscheint ihm. Ihr gol-
i! «Ii i-r Gürtel ist zu- einem dünnen Seidenfaden geworden; sie
lüfst sich in dem' Spruche vernehmen i ''••/ '•»»••il
* r ' i
■ • < . ■ . > t . ['S' *" *l * * J "» (' '-Ii. ».'Iii
Dv'r Knoten des Verhängnisses ist geschlungen ! ,
. Z«r Braut bat die Maid, zum Lord der Bauer
Sich aufgeschwungen !
.4 .Vergebens meine List und Zaubermacht
• Auf »|er Liebenden Trennung war bedacht.
Das Haus Avenel von stolzer Höh* i
T 1 C II i • i
Jch fallen seh l, —
Iii'!..
; • • i«V •* ' r ... . vi . «»•: : i
Aber das Hau« Avenel soll «ich wieder in verjüngtem
Glänze zu seiner Höbe erheben. Wie wir in der ersten Dich-
tung den Sohn des Dienstmannes aus dem> schauerhaffcen Thale
sich zu dem Lorde empor schwingen sehen, so enthüllet uns
die zweite , der Abt überschrieben , wie ein armer , verlas-
sener Knabe, aber der ächte Spröfsling des alten Stammes,
zu gleich herrlicher Ehra aufblühet, und endlich wieder die
Stelle einnimmt, die ein Fremdling nur^kurze Zeit behaup-
tet hatte. .
Dieser, Halb er t Glendinning, erscheint zunächst
als Ritter von Avenel und ausgezeichneter Krieger vor
uns, so wie Maria als die gebietende Frau auf dem von dem
See umrlutheten Schlosse dieses Namens. Aber obgleich sie
sich zu dem Besitze ihrer VUter zurück gelangt und dem. ge-
liebten Manne verbunden weifs, mangelt doch noch vieles zu
dem Glücke ihres Hauses.. Die Kinderlose entbehret der
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33© Rom.ne von Waltet Scott.
Mutter freien ; ihr dfeal.l fit viel abwesend in dem Dienste
Seines Herrn, des mächtigen Grafen Murray ; nur wenig
•entschädigt sie in ihrer Einsamkeit die Gesellschaft des stren-
gen Predigers Heinrieb Warden. ' Um so mehr wendet
sie alle Innigkeit ihres der Liebe bedürftigen Herzens einem
Knaben zu , der durch sie aus dem See, in welchen er ge-
stört war, gerettet wurde, und dem sie die Stelle eines
Edelknaben einräumt. * Dieser Knabe, Roland Gräme,
eine Waise von unbekannter Abkunft, wird ihr von seiner
-Grofsmutter und eineigen Verwandtin, Magdalena Grä-
me,-der versteckten Papistin, überlassen, die nur so viel von
sich vernehmen Ufte, dafs sie, obgleich jetzt von dem Glücke
Verlässen und ein armes Weib, ihren Stamm von dem edeln
Gr3me von Heatbercill ableitet. Nachdem sie mit geheimnis-
vollen Worten deu Enkel der Edelfrau empfohlen, verschwin-
det sie gänzlich.. , , . i </
. In der katholischen Kirche wird nun auch Roland insge-
heim von H albert's Bruder, Eduard, erhalten, der aus
dem nahqn Kloster Kennaquhair, wo er als Mönch Ambro,
aius lebf, öfter herüber kommt. Der Ritter selbst überläfst
ihren Zögling ganz seiner Gemahlin, und es entwickeln sich
auch bald die Folgen einer solchen weiblichen Erziehung in
dem Begünstigten der Edelfrau. Kühn, absprechend und
herrisch, edehnüthig, wenn er keinen Widerstand findet,
und leidenschaftlich bei jedem Tadel oder Widerspruch, achtet
er sich durch niemand gebunden, keinem verantwortlich , als
seiner Herrin, vor der er in aller jugendlichen Demuth und
Liebe sich neigt. Obgleich ohne allen Unterricht, eignet er
»ich, wie durch einen natürlichen Trieb, alle ritterliche Kunst
und Uebung -an. Um die Gunst seiner Gebieterin beneidet
und durch eigene Heftigkeit und Stolz beleidigend, wendet
er die übrige Dienerschaft des Hauses gegen sich, und läfst
sich endlich bis zu thfitiger Beleidigung an dem Falkner Adam
Woodock und zu Trdtz gegen seine eigene Gebieterin verlei-
ten; er wird als ein Jüngling von sieben zehn Jahren aus' dem
-Hause verwiesen.
Da erscheint plötzlich vor dem keineswegs Verlassenen
in Cuthberts Klause seine Grofsmutter, und sich des Zügels
*>des nach eigener Freiheit Begierigen bemächtigend , leitet sie
ihn nach der zerstörten Klosterwobnung , wo Catharina
Seyton, die Pflegeempfohlene der verborgen lebenden Aeb-
tissin Brigitta, sogleich mit ihrem ersten Erscheinen einen
tiefen Eindruck auf den Jüngling hervorbringt. Auch das
Fräulein scheint nicht gleichgültig, und die kühne, begeisterte
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Romane Ton Walter Scott»
Magdalena heifst sie, einet de« andern Zöge scharf in das
Aug« fassen, damit sie, sich wieder begegnend, welche täu-
(Bchendto Verkleidung auch die Zeitumstände nöthig machen
könnten , ineinander die Rüstzeuge des grofsen Werkes er.-
kennen möchten, wozu sie verbündet seyn würden« Nach
diesen und ähnlichen Andeutungen führet die Grofsmutter den
Enkel weiter nach dem Marienkloster in Kennacruhair , wo sie
z u der nächtlich geheimen Weihe des Paters Ambrosius
treffen, der die Kühnheit besitzt, nach erfolgtem Tode des
Ai)tes Eustachius die gefährliche Würde, als letzter Abt von
Kennaciubair durch Wahl des Klosters zu übernehmen. Aber
auch Zeugen sind sie des wilden Lärmes und Unfuges, den
•der seltsam aufgeputzte Hanfe, den Ab( der Unvernunft an
seiner Spitze, in dem Kloster erregt, und der endlich nur
durch die Erscheinung des Ritters von Avenel gestillt wird.
» Dieser verspricht sich mit allem seinem Einflüsse für
seinen Bruder wegen des kühnen Schrittes zu verwenden,
den der Pater gegen die Staatsgesetze gewagt hatte, Roland
•glaubt er, um der Ehre seines Hauses willen, so lange, in
sein Gefolge aufnehmen zu müssen, bis er ihn auf eine an-
ständige Weise werde unterbringen können. So ziehet der
-Jüngling lustig eine Weile in dem Gefolge des Ritters bin,,
bis dieser ihn mit seinem Falkner , eine Botschaft au den Re-
genten zu überbringen, nach Edinburgh absendet.
> Hiermit tritt der in aller Losgescoiedenheit Aufgeblühete
. stierst in die Welt ein . Staunend reitet er in die grofse Stadt
Edinburgh, wo ihm sein Begleiter zum Cicerone dient, sich
'ihm aber sogleich auch der bedrohliche Zustand des Landes
in einem Kampfe kund gibt , in den die beiden mächtigen Par-
theihHupter, Li esl i e und S ey ton , auf offener Strafe sich
i verwickeln. Da Roland den letztern im Nachtheile sieht,
.springt er ohne weiteres von seinem Pferde ab, schliefst sich
'ihm an und rettet ihn durch einen mächtigen nach dessen Geg-
ner gerichteten Streich. Gleich rasch folgt er einer Vorüber-
gehenden, in welcher er Catharina Seyton zu erkennen
glaubt, und bringt, statt der von seinem Begleiter für ihn
gefürchteten Schläge, eine goldene Kette zurück. Sie gelan-
gen nach der alten Königsburg. Herrliche Schilderung des
Lebens in derselben. Während er an den Regenten, Lord
3VI u r r a y , seine Botschaft besorgt , ist er unbeachteter Zeuge
eines Gespräches desselben mit dem Grafen Morton, woraus
sich ihm die gefährliche Lage der Königin ergibt, die von
-ihrem Bruder gefangen gehalten wird. In der Herberge tritt
der Edelknabe in/ dem JuruarmanU} *H ihmi. unter dessen
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332 Romane von Waltet 'Scott*
rother Sammetrnütxe er wieder die Zuge seiner Catbarina er-
kenne, und der ihm geheimnifsvoll das schöne Schwert unter
der Bedingung überreicht, die Waffe nicht eher sü entblöfsen,
Lis seine rechtmässige Königin es ihm gebieten werde.
Roland selbst wird von dem Regenten, als ihm von dem
treuen Ritter Halhert Glendinning zugesandt, seiner gefan-
genen Schwester zum Edelknaben bestimmt. in dem Gefolge
des starren JLordes Lindesay begibt er sich zu derselben ,
und wir werden nun hiermit aus den freieren Räumen der
Dichtung in das enger umschränkte Gebiet der Geschichte ver-
setzt. Das schauerliche Schlois L o c h 1 e v e n in der Mitte
des Sees aufragend , tritt vor unsere Blicke , in dessen engen
Räumen sich jetzt MaT i a Stuart bewegt, die durch Sc'
beit, Geistesbildung und Mifsgescbick gleich ausgezeict
Frau, »sie, in deren Antlitze sich alles vereint, was
Anmutb, Hoheit und Glanz nennen, und das uns in Unge-
Wifsheit läfst, ob diese Zuge glücklicher die Königin, dio
Schönheit oder das vollendete Weib bezeichnen.« Und diese
Fürstin erblicken wir zunächst in dem feindlich höfischen Ver-
kehre mit ihrer Hüterin * der Herrin von Lochleven, deren
Kelze früher Jacob V. gefesselt , welchem sie den berühmten
Regenten Murray geboren , und der später Sit} Willi
Regenten Murray geboren , und der später
glas seine Hand geweiht hatte. — Dann sehen wir die beiden
Jt'artbeien um die Gefangene ringen, Wie ihr von Seitee des
Regenten die zwei starren Männer Lindesay und Ruth-
Veri, in Begleitung des vermittelnden Robert Melville,
drohend die Ku t sag ungs acte abnöth igen , und sie diese auf dein
Rath ihrer eigenen Freunde unterzeichnet — und Rolands
Schwert verbirgt ein Blatt des treuen Seyton — weil sie , in
Freiheit gesetzt, nicht durch eine ihr in der Gefangenschaft
abgedrungene Unterschrift gebunden seyn werde; und wie
von 'der andern Seite' ihre eigenen Anhänger alles aufbieten,
sie der Macht ihrer Feinde? zu entreisaen , und diese über dem
See in dem Dorfe ihre geheimen Zusammenkünfte in (
Hause des alten Gärtners halten. Der erste Versuch ihrer
Rettung, zu welchem der junge Georg Douglas selbst,
von Liebe zu der Königin gewonnen , mitwirkt, mifslingt.
Zu desto erwünschterem Erfolge führt der zweite, da Maria
Stuart den Versuch des fatalistischen Haushofmeisters Deyfes-
dale, sie au vergiften , schlau zu benutzen weifs , Magdalena
Gräme zu sich herüberzurufen, und der Abt Ambrosius
selbst, unter der Hülle des der Schlofsfrau von ihrem Söhne
zugesandten Bewaffneten, sich einen Weg in den Kerker d«
königlichen Gefangenen eröffnet. • •
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Romane von Walte* Soetr. ^33
Roland zeigt indem Ringen beider Partheien , in einer
vielfach verstrickten, und nicht immer der behaglichsten Lagu
mehr Klugheit, als man diese von dem Unerfahrenen hätte
erwarten sollen« Um so weniger gewinnt er , der von dem
Kegenten Bestellte, anfänglich das Zutrauen der Verbündeten
der Königin, da man auch seine Annäherung zu dem verstän-
digen Prediger des Schlosses , Elias Henderson, bemerkt,
der allerdings seinen kirchlichen Glauben, aber keineswegs
seine Treue gegen die Königin wankend macht. Er erkennt
vielmehr , wie er bei dieser durch den Hegenten eben nur die
Stelle erhalten, die ihm seine Grolsmutter zugedacht hatte;
und seine Verbündete ist hier seine geliebte Catharina
Seyton, welche er als die jüngere der beulen Hoffräulein
der Königin trifft, die aber erst durch ifcr augenscheinliches
Einverständnis: mit dem jungen Douglas eifersüchtige He-
gungen, so wie durch ihre Verkleidung seltsame Ideen in ihm
weckt, bis es sich aufklärt, wie der junge Ritter nicht die
Dienerin, sondern die Fürstin seihst lieht, und die in wech-
selnder Hülle erscheinende Gestalt nicht Catharina, sondern
deren Zwillingsbruder , Heinrich Seyton, ist.
Aber eben dieser feurige Bruder tritt nun dem Geliebten
seiner Schwester feindlich entgegen, indem er sich beharrlich
jeder Verbindung der Tochter eines so alten Hauses mit einem
Manne ohne Herkunft widersetzt; und da hierauf die Köni-
gin, von dem Abte und dem treuen Ritter Douglas geleitet,
sich glücklich in das Schlofs des Lords Seyton rettet, so ge-
lingt es selbst ihr und dem Lorde kaum, die beiden gegen
einander aufbrausenden jungen Gemüther zu beschwichtigen.
Doch der Ernst der Geschichte zieht uns wieder von dem hei*»
tern Spiele der Dichtung ab. Es folgt die Niederlage, welche
die königliche Parthei sich durch Uebermuth und Unvorsich-
tigkeit selbst zuzog, und welche die Königin endlich, nach^
dem ihre Farthei sich zerstreut hat, zu dem unglücklichen
Entschlüsse bestimmt, sich in den Schutz ihrer Nebenbuhlerin
Elisabeth zu begeben. Ihr männliches Gefolge, und yon
diesem zuletzt noch Roland und der umsonst warnende Abt
Ambrosius, mufs ander Gränze zurückbleiben.
Der schwarze Ritter (Georg Douglas) und der
mächtige Heinrich Seyton sind in der Schlacht gefallen.
Dafs aber Roland der Sohn des kühnen Julian von Avenel sey,
daran hat der Leser da schon nicht gezweifelt, als er von dem
aus dem See Geretteten hörte; und dafs seine Mutter, Ca-
tharina Gräme, wirklich durch das Sacrament der Ehe ins-
geheim mit Julian verbunden gewesen , hiervon tiberzeugt
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334
«ich selbst Haibert Glendinning durch ein Document,
das er in der Wohnung des alten Gärtners gefunden, in dem
wir den alten, den Frieden in solcher -Losgeschiedenheit
suchenden Abt Bonifacius wieder erkennen. Der Ritter
bescheidet nun seihen einzigen Erben zu sich, diesem und
dem Abte die Verzeihung des Regenten zu verkündigen.
Ambrosius findet eine Zuflucht in einem Schotten kloster
in Frankreich , wo er als Heiliger stirbt. Mit inniger Freude
wird Koland von seiner Pflegerin Maria aufgenommen, die
staunend erkennt 9 wie sie in dem vermeinten Waisenknaben
den einzigen Zweig ihres Stammes auferzogen. Der Verbin«
düng des £rbep des alten Hauses von Avenel mit Fräulein
Seyton steht länger kein Hindernifs entgegen; obgleich ver-
schiedenen Glaubens — den der junge Ritter nach dem Tode
seiner Grofsmutter geändert — leben Roland und Catharina
innig und glücklich mit einander.
t •
t
•
Wir versuchen es aber, nachdem wir so die verschiede«
nen Figuren und Gruppen, welche diese beiden Gemälde in
reicher Mannigfaltigkeit, ja fast buntem Gemische dem Blicke
des Betrachters darbieten 9 in dem Einzelnen überschaut haben,
ein Urtheil über das Ganze zu fällen.
Das Kloster ist das erstere überschrieben y und das
Marien kloster zu Kenaqubair macht allerdings eine
Hauptepoche in demselben aus , eine Zeichnung , die durch
gelungene Ausführung fesselt und zugleich durch ihre Bezie-
hung auf die kirchlich- politischen Verhältnisse Schottlands
in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts dem
Stücke zu seinem historischen Grunde und Anlehnungspunkte
dient. Aber doch ist dieses Kloster nur ein Beigegebenes«
Das, wovon die ganze Reihe der Ereignisse ausgeht und wo-
hin sie zusammenliefst, ist das Schicksal des alten vornehmen
H auses Avenel, das mit dem der dienstbaren Familie
Glendinning in Verbindung gebracht wird, und dagegen
kämpft die weifse Frau, der Geist dieses Hauses , mit
ihrem gespenstischen Einwirken, dafs nicht das alte Erbe der
edeln Avenel in die Hände der bäurischen Glendinning kommen
möge. Aber sie kann die Macht des Schicksals nicht hemmen,
und indem es ihr gelingt , Haibert von dem heimatblicben
Thale und aus Mariens Nähe zu verscheuchen 9 sendet sie ihn
nur dem Lorde Murray zu, dessen Gunst ihn mit Mariens
Hand und dem Besitze ihres alten Stammschlosses belohnt.
«
Romane tob Waker Scotr. J 3 5
Aber als ein gar seltsames Wesen erscheint diese w ei fae
Frau, allau körperlich für einen Geiat, da sie wirklich Hak
hert die Nadel aus ihren Haaren darreicht, und zu geheimnil's-
reich , gespenstisch mächtig für ein in dem Verborgenen wir«
kendea leibliches Wesen. Wer sie seye, bleibt unerklärt«
and doch tritt sie allau materiell auf , ala dafa sie für ein
blofaea Erzeugnife der Phantasie der durch sie Geängsteten
gelten könnte, oder« wie dies in vielen Stücken unseres geist-
reichen HoiFmann mit so köstlicher Kunst durchgeführt ist,
ea findet hier nicht jene geheimnisvolle Mitte zwischen Wirk.'*
liebkeit und Täuschung statt« ao dafs es unentschieden bliebe«
ob die Erscheinung nur Phantom« oder wirklich exUtireodes
Wesen sey. Auch ist sehr auffallend das Interesse , das dieser
Geist der Unterwelt« der auf keine Weise den heiligen und
reinen Bewohnern des Himmels beigezählt werden kann « da
er« Grauen verbreitend und ohne die Hube des Grabes zu ge-
tiiefsen , umher wandelt , gerade an dem heiligen < Buche
nimmt, so anmuthig sonst auch der doppelte Vorgang erzählt
wird, wie die Spuckgestalt den beiden Mönchen das Buch
entreifst , und in so schöne Verse auch sonst der Geist seine
Sprüche einkleidet.
Eine fast überflüssige Beigabe, die man, wenn sie nicht
dawäre« kaum vermissen würde« ist der Eupbuist Sir
V iercieShafton, mit seinen Koffern und dem vierfachen
Anzüge, der durch den Wechsel der Bänder und Garnierungen
scheinbar zu einem zwölffachen umgestaltet werden kann, die-
ser Abkömmling der Donquixote« dieses Gemisch von ritter-
lichem Wesen und Galanterie, und von gemeiner Eitelkeit
und Rohheit, — der, von dem Dichter frei erfunden,^ sich
doch in den Fesseln seines Euphuisten nut etwas schwerfällig
bewegt, sonst aber gut durchgeführt ist, als — nach dem
Urtheile des Subpriors — einer jener gekräuselten Elegants,«
Welche auf eitle Beweise der Tapferkeit ihr Vermögen ver-
schwenden und ihr Leben in Gefahr setzen, um unter der
Blüthe der Kitterschaft zu glänzen , dann aber ihre Umstände
dadurch zu verbessern suchen , dafs sie sich zu der Ausführung
von Unternehmungen hingeben , welche Gescheidtere ala aie
entworfen haben.
* Eine Person, die durch besondere Stärke oder Hoheit
des Charakters anspricht, oder überhaupt eine rechtglänzende«
grofsartige Erscheinung« wie in andern Stücken, zeigt sich
hier nicht, in sb. edler Haltung sonst aucl} die unglückliche,
von ihrem Schwager verdrängte Lady von Avenel dasteht.
Auch ihre Tochter, die innige, ahnungsvolle Maria, befrie-
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336 " Rerniwe von Walter Scotf,
digt nicht ganz , > u «ft der gegen beide feindliche J ul ian vo »
- A venel stellt nur da*1 Bild der rohen, nicht von einem edlen
Geiste geleiteten Tapferkeit dar. Selbst die ihm — ihrem
Glauben nach — nur gehandfestete Ca t ha rina zeigt, sich,
obgleich in inniger?, doch nicht edler Liebe. J%
Den eigentlichen Mittelpunkt des zweiten: Stockas sehen
wir dann den Sohn dieser beiden, Rolan 4#rärae, bilden,
wie er zuerst unter dem Namen seiner Grofsmutter erscheint,
3)is er dann als Roland Avenel auftritt, und zuletzt sich
als den wirklich gesetzlichen Abkömmling der zweiten JLinie
der Aröttöl und alrdeitrechtmäfsigen Erben der Besitzungen
derselben darstellt, ünd^dar junge trotzige Knappe, wie er
in seiner edeln Natur sich entfaltet, erweckt immer mehr un-
sere Liebe und Theilnnhme für sich. Nur freilich wird er
bald einem glänzenden Bilde nahe gebracht, in dessen präch-
tigem* Leuchten sein schwächerer Schein erloschen mufs.
Denn hier erscheint uns nun in heerlicher Zeichnung
Maria von Schottland in ihrem Gewabrsame in dein
von den Wellen des Sees umspülten Schlosse Lochleven,
und die ganze Theilnahme, die der Dichter dem von ihm er-
fundenen Hause Avenel gewonnen , zerstiebet gleichsam vor der
gewaltigem Macht der Wirklichkeit und dem hohem Interesse
der Geschichte. Ja die ganze dichterisch erfundene und aus-
geschmückte Fabel will uns hier nur erscheinen, wie ein aus
phantastisch gemalten Tapeten und Papier wänden aufgeführte!
Lusthaus ,-das an die Seite eines alten, ehrwürdigen , auch in
seinen Trümmern noch festen Baues angefügt worden. Die
Geschichte stehet in ihrem Ernste und ihrer Ehrfurcht gebie-
tenden Macht in sich abgeschlossen da. Es darf in das Le-
Leu , das in grofser und erfolgreicher Wirklichkeit vollendet
worden, wo dieses geschildert wird, nicht ein Anderes, das
nie exiatirte, und mit Einflüssen auf dasselbe, die es nie übte,
eingefügt werden. Und man wende nicht ein, dafs so das
ganze geschichtliche Drama nicht besteben dürfe. Denn in
dem Drama , der höhern Tragödie zumal, dient die Geschichte
nur grofsen, das Gemüth anregenden, uns in der heiligsten
Tiefe erfassenden Ideen; sie gibt nur die Fabel, die mit einer
gewissen Freiheit ausgehildet wird. In dem Romane dagegen
ist das Erste die Wirklichkeit} ganz vorzüglich in diesen
Romanen ist dieses der Fall.
{Dil Forts$tzung folgt.)
*■ . . . # . . •
/ f
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N. 22. • 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Romane von Walter Scott.
{Fortsetzung*)
Üm so mehr mufs uns gerade hier der seltsame Wider»
spruch fühlbar werden, in welchen sich der Dichter dadurch
mit sich selbst versetzt, dafs er sich in allen seinen Dichtun-
gen bemüht, die Wirklichkeit auf das vollkommenste nachzu-
bilden , und uns doch die geschichtlichen Ereignisse nirgends
rein gibt, wie sie sind, ohne sie mit seinen Erfindungen aus-
zuschmücken, zu vermischen und zu verfälschen. Wie er da-
mit seinen eigenen Erfindungen das Interesse entzieht und oft
dem Ganzen seine wohlgeordnete Haltung nimmt, darauf haben
wir eben hingedeutet. Und doch sind das nur zufällige Ein-
fügungen, die nicht mit innerer Notwendigkeit aus der Ver-
knüpfung des Ganzen oder dem Leben und den Verhältnissen
der handelnden Personen hervorgehen. So hier diese Gefan-
genschaft der Maria Stuart. Wie herrlich ist die
.Zeichnung dieser Königin! In wie scharfen Umrissen steht
sie ihrer feindlichen Hüterin, der Herrin von Lochleven, der
frühern Geliebten ihres Vaters , gegenüber! Wie unvergleich-
lich ist die ganze. lange Scerle, da die beiden starren Männer,
Lindesay und Rutbven , ihr die Entsagungsacte ahzunöthigen
glauben, und sie doch nur nachgibt, sich fügend dem schlauen
liatbe Mel ville' s und des alten Sey ton, der ihr das Blatt
in dem .Schwerte ihres Pagt*n zusendet, wie dabei Lindesay
den zarten Arm der Fürstin fafst und demselben die Spur sei-
nes Panzerhandschuhes eindrückt, und dann vor der Unbesieg-
]ichen, zwar nicht als der Königiu, aber als Maria Stuart,
auf das Knie niedersinkt. Aber dennoch ist das Ganze, als
Jjlofse Episode, in der Geschichte des Hauses von Avenel allzu
lang, oder als eine Darstellung der Gefangenschaft Maria's,
die einen ganzen Band anfüllt, hier nicht an seinem Orte j und
in denselben unsichern, fast ängstlichen Zustand, wie in an-
XIX. Jahrg. 4.Hefc 22 ..
Digitized by Google
338 Romane von Walter Scott.
dem Stficken , werden wir auch hier oft durch diese Mischung
von Dichtung und Wahrheit versetzt.
Uebrigens ist gleich gewaltig, wie die Zeichnung der kö-
niglichen Gefangenen, auch die ihres Halbbruders , des Rd-
genten, besonders da, wo Roland vor ihm stehet, dessen
Vorschriften in Hinsicht seiner Schwester zu empfangen. Mit
dem kühnen , von hier an durchaus edel gehaltenen Jünglinge
erweckt aber gleiches Interesse die von ihm innig geliebte
Catharina Seyton, dieses Wesen voll gemüthlicher Tiefe
und froher Lebenslust zugleich, und der Reiz in dem Ver-
kehre der beiden ihrer frühem Einscbliefsung Entlassenen,
aber nun von neuem von dem heitern Leben Losgeschiedenen
wird noch erhöhet durch die gebeiranifsvolle Verwirrung , die
in dem Geiste des Liebenden durch den in der Gestalt der
Geliebten umherwandelnden Zwillinßsbruder des Fräuleins
erregt wird.
Besonders bemerkt zu werden verdient noch der Unglück*
lieh liebende schwarze Ritter, Georg Douglas, der we-
nigstens für die geliebte Königin stirbt, die er nicht besitzen
kann. Als untergeordnete Person übt hier, wie dort Hein-
rich Warden, immer einigen Einflufs Elias Henderson.
In edler männlicher Gesinnung zeigt sich Halber t Glen-
dinning, als Ritter von Avenel. Nur in dem Eingange der
Geschichte, und auch hier ohne besonders bedeutende Persön-
lichkeit, erscheint Maria, und dann an dem Schlüsse wieder,
wo sie den als den einzigen Erben ihres Stammes zurück-
empfangt, den sie als verwöhnten Edelknaben aus dem Hause
verwiesen. In desto schrofferer Haltung hebt sich die kühne
Magdalena Grame empor, mit ihrem Sehergeiste und ih-
rem Irrsinne, mit der versengenden Gluth ihres Glaubens und
der mütterlichen Liebe zu dem einzigen Enkel. Zu ihrer Seite
stehet, als die eigentliche Stütze und besonnene Mitte d'.r
katholischen, für die Königin thütigen Parthei, noch gewal-
tiger Eduard Glendinning da, nun Ambrosius, er-
wählter und auch vertriebener Abt des einst so blühenden
Klosters Kennaquhair, und wenigstens noch einmal tauch« t
in dem Getümmel erschütternder Ereignisse, als blödsinniger,
nur noch um seinen Garten besorgter Greis, der friedliche AI t
Bonifacius herauf, wie eine webmüthige Ironie über das
rasche, gewaltthätige Leben, das doch auch endlich verstum-
men muls in leise verhallenden Tönen.
So müssen wir denn dem zweiten Gemälde in jeder Hin-
sicht den Vorzug vor dem erstem einräumen, so wie als die
Blüthc desselben nicht die Gefangenschaft der Stuart, sondern
V
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Romane von Walter Seotf. 33£
■
das Verhältnifs des Edelknaben und des Hoffräuleins der Kö-
nigin und alle die Verstrickungen betrachten, in welchen diese
beiden durch ihre Liebe zu einander mit andern Personen
verflochten werden. Aber eine so ansiebende Macht dieses
Stfück auch übe, so können wir es doch nur in die Reihe der
Dichtungen des zweiten Ranges von dem berühmten Meister
«teilen.
' xvi.
Dagegen führen wir nun den Beschauer vor ein Gemälde,
das, der Astrolog überschrieben) und durchaus wohlgehal-
ten und gleichmälsig durchgeführt , mit St. Ronans-Brun-
nen den Vorzug theilt, dafs es, ohne einen besondern histo-
rischen Anlehnungspunkt und frei von allzu grofser Anhäufung
alterthümlicher Seltsamkeiten , rein aus dem innern Leben und
der Idee des Dichters hervorgeht, und so selbst sich eines
freiem Lebensregens in sich erfreut. Doch aber kann des
Dichters Vorliebe für das AlterthÜmliche nicht ganz zurück-
bleiben. Denn auch hier handelt es sich, wie in dem andern
fenannten Stücke 9 um die Existenz eines alten Geschlechtes,
as, wie es dort untergeht, hier erhalten wird. Auch sehen
wir uns sogleich in dem Eingange des Romans in die Nähe
der verfallenen Stammburg desselben versetzt, und treflFen in
dem neuen Schlosse , das der alten Burg Ellangowan ge-
genüber in seiner Aermlichkeit das Bild der gegenwärtigen,
von ihrer frühern Macht und ihrem Glänze herabgesunkenen
Besitzer darstellt, alle Haupthelden des Stückes zusammen.
Mannering, ein junger Engländer, welcher die hohe
Schule von Oxford verlassen, benutzt die gewonnene Frei-
heit, einige Gegenden von Nord -England zu bereisen, und
dehnt seine Wanderung bis in den angränzenden Theil des
Nachbarlandes aus. Er hat einige Klostertrümmer in der Graf-
schaft Dumfries besucht ; in der Nacht will er noch das Dorf
Klippetringam erreichen , verirrt sich aber und findet eia
Nachtquartier auf dem Schlösse Ellangowan. Hier wird
in eben dieser Nacht die Gattin des Hausherrn, Göttfried
Bertram's von Ellangowan, den wir nebst seinem Ge-
sellschafter, dem Magister Abel Sampson, kennen lernen,
von einem gesunden Sohne entbunden, und schon hat sich
MegMerrilies, das lange , in seiner ganzen Gestalt aus*
gezeichnete Zigeunerweib, eingefunden, um das künftige
Schicksal des Neugeborenen zu weissagen. Aber der Rei-
sende versucht es in jugendlichem Uebermuthe, selbst, als
22 *
♦
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340 Romane von Walter Scotf.
besserer Astrolog, dem jungen Spröfslinge von Ellangowan
die Nativität zu stellen. Es ergibt sich ihm durch die Beob-
achtung der Gestirne, dafs dem Kinde vorzüglich drei Lebens-
jahre gefährlich seyn werden, das fünfte, zehente und ein
und zwanzigste, und seine Beobachtungen stimmen so mit der
Verkündigung der Prophetin überein ; dafs dem Kinde viele
Gefahr drohe, aber seye nur das ein und zwanzigste Jahr
f lücklich vorüber gegangen, so werde alles herrlich enden.
)abei überrascht ihn noch der besondere Umstand, dafs, als
er früher in einer ähnlichen Anwandlung thörichter Laune
seiner Geliebten, Sophie Wellwood, die Nativität ge-
stellt, sich für diese das neun und dreilsigste Jahr bedrohlich
gezeigt hatte; und nach seiner Berechnung wird ihr neun und
dreiisigstes genau mit dem ein und zwanzigsten des Knaben
zusammen stimmen , was auf eine Verschlingung des Schick-
sals beider zu deuten scheint. Um aber mit diesem Spiele —
wofür er selbst es achtet — nicht , eine nachtheilige Einwir-
kung auf das Leben des Neugeborenen zu üben , übergibt er
seine Beobachtung versiegelt dem Vater, mit der Bitte, da9
Gebeimnifs vor dem Verlaufe des fünften Jahres nicht zu ent-
hüllen, und in der sichern Erwartung, dafs dann der unglück-
liche Zeitpunkt ohne irgend ein auffallendes Ereignifs werde
vorüber gegangen und seine Wahrsagung in ihrer Nichtigkeit
erkannt worden seyn.
Nach seiner Abreise wird das Horoscop dem Kinde, als
ein Amulet , in einem Sammetbeutelchen an den Hals gehängt.
Sampson wird zur Unterhaltung des Hausherrn und zu der
Erziehung des sich muthig Und kräftig entfaltenden Knaben
auf das Scblofs genommen. Der gutmücbige Herr Gottfried
Bertram erreicht das Ziel seiner Wünsche, indem er Frie-
densrichter wird. Aber in dem Eifer seines Amtes reizt er
nun auch die Landstreicher und Bettler, die bisher einen ru-
higen Aufenthalt in seinem Gebiete gefunden hatten, beson-
ders die Gesellschaft der Zigeuner, der Meg Merrilies an-
gehörte, gegen sich, und gar herrlich ist die Schilderung des
Abzuges der kleinen Gemeine von Derncleugh, und wie er
selbst den gewaltsam Verdrängten begegnet, und die Fürch-
terliche, Unheil verkündend, an ihm vorüberzieht. Auch
den Schleichhändlern und deren Führer, dem Hauptmanne
Dirk Hatterai k , tritt er, in Verbindung mit dem rüsti-
gen Zollaufseher , Franz Ken n e d y , «feindlich entgegen. So
nahet der Tag, an welchem der Sohn des Hauses das fünfte
Jahr beschliefst. Auf einem Spaziergange, den er mit seinem
Lehret macht, begegnet ihnen Kennedy, und nimoit, eben
i
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Romane von Walter Scott, 341
in Verfolgung der Schleichhändler begriffen, den muntern
Knaben zu sich auf das Pferd. Man findet hierauf den Leich-
nam dea ermordeten Zollaufsehers; alle Versuche, den ent-
schwundenen Knaben wieder aufzufinden , sind verg eblich.
Der Unfall fördert die allzu schnelle Enthindung von Bertram'a
Gattin , die ihrer zweiten Niederkunft nahe ist. Der Frie-
densrichter wird zugleich Vater einer Tochter und Wittwer.
Diese Vorgänge füllen die zehen ersten Kapitel des ersten
Theiles, und sind gleichsam das Vorspiel des Ganzen, aus
dem sich der scharfsinnige Leser nun seihst die Verkettung
des Folgenden bildet, wie der Knabe mit Mannering's Gattin
in Berührung treten, und das ganze Stück mit dessen Wieder*
erscheinen sich beschäftigen werde.
So sehen wir denn nach einem Zeiträume von siebenzehn
Jahren den reisenden Studenten abermals in dem Dorfe Kip-
pletringain , aber nun als den indessen in Indien berühmt ge-
wordenen reichen Obristen Guy Mannering, er-
scheinen; und zwar au eben der Zeit, da die Herrschaft von
Ellangowan den Händen ihres herangekommenen Besitzers
durch öffentliche Versteigerung entnommen werden soll. Noch
ist in dem Obristen die Erinnerung an jenes nächtliche Ereig-
xiifs und die Theilnahme für die unglückliche Familie leben«
dig, und er beschliefst, mit Hülfe des Untersheriffs der Graf«
schaft, des redlichen Mac Morlan, das Gut zu retten. Er
wird Zeuge des Todes des beklagenswerthen Lairds und des
würdigen Verhaltens seiner Tochter Lucio. Hierdurch zwar
wird die Auction aufgeschoben , aber die Herrschaft Ellan-
gowan kommt zuletzt doch in die Hände des schändlichen
Glos sin, des Schreibers des Edelmannes, der am meisten
zu dem Ruine des Verstorbenen , seines Wohltbäters, beige-
tragen , und zwar durch die Schuld des Boten , der die Briefe
und Vollmachten des Obristen nicht zeitig genug an den SherilF
tiberbrachte.
JVIannering nämlich sieht sich durch seine eigenen
Familienangelegenheiten zu einer schnellen Reise nach Mer-
vyn-Hall in Westmoreland veranlafst , wo er in dem Hause,
seines Freundes Arthur Mervyn seine Tochter Julie, welche
ihm aus Indien gefolgt war, zurückgelassen. Schon sein eige-
ner Brief an diesen Freund gibt uns von seinen Schicksalen in
dem fernen Erdtheile Kunde, wie hier ein junger Officier»
Brown, seine Eifersucht erregt, und dieser, in dem Zwei-
kampfe von ihm verwundet, darauf durch den Ueberfall einer
räuberischen Horde seinen Blicken entzogen worden. Seine
Gattin, die ihm besorgt folgte, war in derselben Zeit in Ge-
34a
Romane von Walter Scott.
fahrf in die Gewalt einer andern Bande zu geratben, und
durch diese Vorgänge erschüttert, acht Monate darauf gestor-
ben. ( Die Briefe Julien» enthüllen uns dann , wie die Ohristin
selbst keine Verbindung mit Brown gehabt, sondern diese
nur zwischen dem jungen Manne und ihrer Tochter geför-
dert, und lieber, als dafs sie ihrem Gemahle das Geheimnifa
entdeckt, dessen eifersüchtigen Argwohn auf sich habe ruhen
lassen. Brown bat sich nun aber auch in Mervyn-Hall ge-
zeigt, und wir vernehmen vorerst soviel von ihm, wie er
selbst in Hinsicht seiner Abkunft blofs weils, dals er aus
Schottland stamme, und, in Holland indem Hause eines Kauf-
mannes erzogen, von da nach Indien gegangen, wo er, ob-
gleich für den Kaufmannsstand gebildet, Militärdienste genom-
men. Diese Erscheinung des nächtlichen Flötenspielers aber,
die dem Obristen durch seinen Freund gemeldet worden, ist
die Ursache von seiner schnellen Reise nach Mervyn-Hall. Er
bezieht hierauf mit seiner Tochter seinen Landsitz W ood-
]) o u r n e , den Mac Morlan in der Nähe von Ellango wan für
ihn mifthetö. Die verlassene Lucie Bertram findet eine
Freistätte in seinem Hause, eine Gesellschafterin in seiner
Tochter. Sampson, der sich von Luden nicht trennen
kann, wird Aufseher der Bibliothek.
Doch auch Brown bleibt nicht unthätig. Sich keiner
Verbindung mit der Gattin des Obristen bewufst, weifs er
um dessen Eifersucht gar nicht, und erblickt blos in seinem
Verhalten die Mifsgunst eines aristokratischen Unterdrückers,
gegen den er sich durch keine Rücksicht gebunden glaubt,
lim so höher achtet er seine Geliebte, und, selbst edel und
muthig, will er sie, ohne Gewalt oder Ueberredung , allein
nur durch ihren eigenen freien Entschlufs besitzen.
Er tritt zu Fufs seine Wanderung nach Schottland an.
In Cumberland trifft er mitMegMerrilies zusammen, die
durch den rächt er Dinmont von dem Falle des Hauses
Ellangowan hört und mit dem Tode iles Laird alle Schuld ge-
tilgt achtet. Brown wird sogleich von ihr erkannt, so wie
ihre Erscheinung frühere Erinnerungen in ihm weckt. Den
Pachter rettet er aus den Händen der Räuber und gewinnt
sich die Liebe des treuen Mannes, auf dessen Gute er mehrere
Tage verweilt. Bei Fortsetzung seiner ^eise geiäth er zur
Nachtzeit in die Mörderhöble, den Thurm von Derncleugh ,
wo er Zeuge ist von dem Tode des sterbenden RäuLerhauptes,
und durch die Meg vor den nächtlich zechenden Männern ge-
schirmt wird. Bei dem Abschiede reicht sie ihm den Beutel
mit d-n Goldstücken und Kleinodien, den Schatz der Horde,
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>
Roman« von Walter Scott. 343
und gewinnt ihm das Versprechen ab » ihr auf ihren Ruf, wo
er eich auch befinden möge, zu folge».
Die Familie in Woodbourne war indessen durch einen
Anfall der Schleichhändler erschreckt worden. Diese waren
in Verfolgung einiger Zollbeamten bis zu dem Wohnsitze des
Ohristen selbst gelangt, und da die Flüchtlinge hier Schutz
fanden, so hatten sie auf die Wohnung selbst einen Angriff
gemacht, wobei durch den Obristen und den jungen reichen
Hu zlewoöd, der um Luciens Liebe wirbt, der Führer der
Bande und ein anderer tödtlich verwundet worden waren.
Hierdurch siebt sich der junge Hausfreund, da er an dem fol-
genden schönen Wintertage die beiden Fräulein nach einem
nahen gefrorenen See begleitet, zu der Vorsicht veranlalst,
sich sein Gewehr nachtragen zu lassen. Auf dieser kleinen
Wanderung erscheint plötzlich der colossale Brown in seiner
Heisetracht vor ihnen. Julie schreit in der Ueberraschung
laut auf. Ihr Begleiter vermUthet ein Glied aus der gefähr*
liehen Genossenschaft vor sich und gebietet dem Ungekannten
schnelle Entfernung. Da dieser nicht gehorcht, so legt er
st in Gewehr auf ihn an. Sie ringen mit einander. Und bei
der gegenseitigen Anstrengung geht die Waffe los; Hazlewood
wird in die Schulter verwundet.
* * * • < ■ ■
Man ist nun auf das eifrigste bemüht, die Spur seines
flüchtig gewordenen Gegners aufzufinden. Besonders bietet
der unedle Glossin alles auf , sich der Person des Flüchtlin-
ges zu bemächtigen, um so das ihm noch fehlende Ansehen
,uh.I vorzüglich die Gunst des reichen Vaters des Verwundeten
Z4j gewinnen. Ks gelingt ihm, der Wirtliin zu Kippletrin«
gaio, bis wohin Brown gelangt war, das Geheimnils ihres
Oaites zu entlocken ; und da ihm jetzt ein Gefangener einge-
bracht wird, sowähnter, den Gegenstand seiner Nachstellung
in seinen Händen zu sehen; aber er erkennt zu seinem Schrecken
DirkHatteraik in demselben. Er mufs diesen zwar gefangen
nehmen, aber er läfst den alten Schleichhändler in der Nascht
aus seinem Gewahrsame entfliehen, und da er darauf mit ihm
iti der geheimen Höhle zusammen trifft, so enthüllt sich aus
ihrer Unterredung, wie der Schändliche früher mit den Schleich«
händlern in Verbindung gestanden und selbst zu der Entfer*
imng des Knaben mitgewirkt hatte, der von dem Lieutenant
Brown (eben jenem bei Woodbourne erschossenen Führer
der Bande) seinem Vater in dem Hause Vanbeest und Van-
hruggen war übergeben und von diesem erzogen und liebge-
wonnen worden. Zugleich erhalt er durch Dirk die* Gewiis-
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344 Romane von Walter Scott.
heit, dafs Brown noch an dem Leben und in dem Lande aeye,
und er verabredet mit ihm den PJan, wie er aich dea einzigen
münnlichen Erben vonEUangowan, der ihm aeinen Besitz strei-
tig machen könnte, zu entledigen gedenkt.
Unterdessen langt ein Brief an , welcher den Tod des
Fräuleins Margaretha Bertram von Singleside mel-
det und die Erben des verstorbenen Lairds auffordert , einen
Bevollmächtigten zu Eröffnung des Testaments der Verstorbe-
nen nach Edinburgh zu senden. Der Qbrist beschliefst, selbst
sich in dieser Angelegenheit dahin zu begeben. Mit ihm
trifft der redliche Dinmont, als Beschützer einer armen Ver-
wandtin des Fräuleins, einf und wir lernen nun eine neu«
Person kennen, den lebensbehaglichen , jovialen, gelehrten,
biedern Rechtsmann Pau 1 P 1 ey d e 11 , an den Mannering ge-
wiesen ist und den er in dem lustigen Kreise bei dem Spiele
High Jinks trifft. In Beiseyn aller wird das Testament eröff-
net, aber auch zu Täuschung der Erwartung aller zeigt sich,
dafs die Ve rstorbene über das Gut Singleside zu Gunsten des
Testamentsei oiFners selbst, Peter Protocol, verfügt hat, je-
doch unter der Bedingung, dafs derselbe das Gut an Hein-
rich Bertram, Sohn und Erben des Gottfried Bertrain, von
welchem die Erblasserin versichert sey, dafs er sich noch am
Lehen befinde, nach dessen Rückkehr in seine Heimath z«
übergeben habe. Und durch die Dienerin der Verstorbenen
weils Pleydell zu erfahren, dafs sich diese ihre Gewifsheit von
dem noch Vorhandenseyn ihres Verwandten auf die Aussagen
einer Zigeunerin gründe, die der Beschreibung nach keine
andre, als Meg Merrilies seyn konnte. Hierdurch wird
von neuem des Obristen Aufmerksamkeit auf den Verachwun«
denen gewendet.
Dieser — Brown — war den gegen ihn gerichteten Nach-
forschungen dadurch entgangen, dafs er zu guter Stunde ein
Fahrzeug an dem Ufer vörfand, das ihn nach dem kleinen
Hafenorte Allonby in Cumbeiland hinüber gebracht hatte.
Von hier gelang es ihm, Julien einen Brief au übersenden,
und ihre Antwort bestimmte ihn, seihst während des Obristen
Entfernung sich wieder herüberschiffen isu lassen. Er landet
bei dem alten Schlosse von Ellango wan, und unkundig und
fremd, in einer bedrängten Lage, ohne Freund und eines
schweren Verbrechens angeschuldigt, tritt er in die Räume
ein, in denen seine Väter mächtig' geherrscht hatten. Wäh-
rend frflhe Jiigendorinnerungen immer mehr in ihm Gewalt
gewinnen^, gesellt sich der schlechte Glossin *u ihm, der ihn
sogleich erkennt und au Sir Rqber/t Hazlowood von
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Komane von Walter Scott. 345
4
6 WO od , dem Vater des durch ihn Verwundeten, brin-
gen läfst, der, als Friedensrichter, auf Glossins Antrieb, den
Verhaftsbefehl ausfertigt, worauf er einstweilen , da er sich
auf den Obristen Mannering beruft, der noch nicht zurückge-
kehrt ist, nach dem Zuchtbause von Portanferry gebracht
wird. Nun scheint er ohne Rettung verloren. Doch helfend
waltet in dem Verborgenen Meg Merrilies. Auf ihren Antrieb
eilt der getreue Dinmont in den Kerker zu ihm; durch den in
den Thurm von Derncleugh verirrten Sampson übersendet sie
dem Obristen den Brief, welcher diesen bestimmt , den Wa-
gen abzuschicken ; auch dein jungen Hazlewood erscheint sie ,
und veranlagst ihn, die Dragoner, die sein Vater, auf des
schlauen Glossin Einflüsterung, aus Besorgnifs eines ihm von
den Schleichhändlern drohenden Angritfes von dem Zollhause
zu Portanferry zu seiner eigenen Vertheidigung herbei gerufen
hatte,, dahin zurückzusenden. In der Nacht klärt sich dann
Glossins Plan auf, der kein anderer war, als sich mit Hülfe
der Schleichhändler des Erben von EHangowan zu bemächti-
gen. Denn nach Entfernung der Wachen brechen diese nun
gewaltsam in das Zollhaus ein, legen Feuer an und führen den
Gefangenen aus dem Kerker. Doch von der wilden Rotte
selbst ist durch die Meg einer für ihn gewonnen, mit dessen
Hülfe er sich losmacht und von dem durch den Obristen abge-
sandten Wagen aufgenommen wird.
In Woodbourne ist unterdessen der treffliche PleydeH
eingetroffen, mit dem sich der Obrist beredet, und dem er
den Brief der Meg zeigt, welcher mit den Worten schliefst 2
Was dunkel ist, soll Licht, > .
, Und Unrecht werden Recht,
Und Bertrams Recht und Bertrama Macht
Auf Ellangowan's Burg erwacht.
Die ungeduldig Harrenden sehen endlich den Wagen anlangen,
und grofs ist aller Erstaunen, da die beiden, Bertram-
Brown und Dinmont, eintreten. Bertram erkennt den
Obristen, und Manne ring erblickt den Mann vorsieh, den
er wähnt in Indien getödtet au haben; Julie sieht den Ge-
liebten in einer sehr gefährlichen Lage, und Lucie erkennt
den Fremden, der auf Hazlewood geschossen hatte; Pley-
deH entdeckt in ihm das leihhafte Ebenbild von EHangowan,
aber vor allen ist Sampson's Freude grofs, der in dem sechs
Fufs hohen Kriegsmauue seinen kleinen Heiniich wieder er-
kennt. Alles enthüllt sich. Bertram erzählt seine Jugend-
eriuuerungen; der Erbe von EHangowan wieder genahet,
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3 16 Romane Ton Walter Scott.
, - •
Xiiicie hat den Bruder gefunden, des Astrologen Verkündigun-
gen aind alle wahr geworden.
Doch Bertram, auf den die Gerichte noch , ala auf einen
entsprungenen Gefangenen, Anspruch haben , mufs vorerst sui
juris werden. In dieser Absicht begibt man sich nach dem
Schlosse Hazlewood, wo die Freunde für ihn Bürgschaft stel-
len, und der Entlassungsbefehl ausgefertigt wird. Nur noch
on den klaren Beweisen in Hinsicht seiner Person fehlt es.
Auch hier erscheint die Meg helfend. Seinem gegebenen
Worte gemäfs folgt Bertram ihrem Rufe in Begleitung dea
treuen Dinmont. Sie leitet sie nach dem Thurme von Dem-
cleugb, nach dein Warroch- Walde , in die geheime Höhle an
dem Strande, wo sie sich mit Hülfe des jungen Hazlewood,
der ihnen gefolgt war, Hatteraik's bemächtigen , der rächend
sein Piatol auf die Meg abdrückt. Dals es so kommen werde,
bat sie vorher gewufst, und läfst sich nach dem Thurme von
Derncleugh bringen , wo nur die Seele frei werden kann von
3 dem Leibe. Hier thut sie ihre Aussagen und stirbt. Hatte-
raik bekennt vor Gericht nicht; aber gegen Glossin finden
sich alle Beweise vor, und er wird von jenem in dem Gefäng-
nisse erwürgt. Bertram tritt nun ungestört in den Besitz
seiner Väter ein; seiner Schwester bestimmt er das Gut Sin-
gleside; der Verbindung beider Geschwister steht keine Hin-
derung mehr im Wege. Der Obrist entwirf t den Plan zu einem
grofsen und glänzenden Hause, das unweit des neuen Schlosses
in einem der Pracht der benachbarten alten Trümmer angemes-
senen Style erbaut werden soll, und wo auch dem treuen
Sampson sein Gemach neben der Bibliothek bezeichnet ist,
der, hierüber entzückt, dreimal sein „Wundersam!« wie-
derholt. —
So übt der Dichter an dem Schlüsse volle Gerechtigkeit,
und gleicht alles zu der angenehmsten Befriedigung der Leser
aus. Und einen grofsen Eindruck kann dieses Stück auf den
Geist und die Phantasie des Lesers nicht verfehlen , da es sich
in seinen einzelnen Theilen und seiner ganzen Entfaltung
durchaus klar und von einer aufserordentlichen Frischbeit
zeigt, und zugleich in seiner Verschlingung dunkel und ge-
beimnifsvoll von dem Anfange an fast bis zu dein Ende bleibt.
Denn nach dem Leben sind alle handelnde Personen gemalt;
mehr, als in vielen andern Stücken, waltet ein gemüthliches
Hegen durch das Ganze, und wie überaus herrlich sind viele
einzelne Scenen durch grofsartige Zeichnung oder launige
Schilderung; als der Abzug der Zigeuner , Glossins Besuch in
Woodbourne, wie alle dem Verachteten den Rücken kehren,
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Romane von Walter Scott. 347
das Spiel High Jinks mit feinem Könige in Edinburgh, das
Auftauchen feiner Jugenderinnerungen in Bertrain, da er die
Burg seiner Väter betritt u. 8, w. Dagegen die, welche in
dieser so wahr gehaltenen und so klar und bestimmt hervor*
tretenden Wirklichkeit in wunderlichem Contraste mitten inne
steht, ist ein seltsam phantastisches Gebilde das Zigeuner*
weib Meg Merriliea. Sie spricht voraus das Schicksal
des Erben von Ellango wan aus, und veranlalst Mannering zu
Ausübung seiner astrologischen Kunst, Mic treuer Liebe
hängt sie an dem alten Geschlechte , bei dem ihre Gemeinde
so lange eine Zuflucht gefunden; sie spricht den Fluch über
den Verdränger derselben; aber dem Knaben bleibt ihr Hera
gewogen. Da war sie ein irrender Geist, alf Dirk Hatteraik
ihn in dem Walde von Warroch wegnahm und den Zöllner
mordete. Sie rettet des Kindes Lieben , doch schwört sie, bis
su seinem ein und zwanzigsten Jahre das Gebeimnifa nicht zu
verrathen , und sie weifs, dafs er bis zu dem ihm bestimmten
Tage sein Schicksal tragen mufs. Sie hält ihren Eid , aber
auch noch einen andern hat sie geschworen, da£s sie ihn wie-
der in seines Vaters Gut einsetzen will, wenn sie den Tag
seiner Rückkehr erleben wird, und sollte jeder Schritt über
einen Todten gehen. Auch diesem Schwüre bleibt sie treu;
sie selbst ist der erste Schritt, Hatteraik der zweite, Glossin
der dritte. In ihrem Spruche aus dem alten Liede:
„Was dunkel ist, soll Licht« u. s. w.
ist der Inhalt des ganzen Stuckes angedeutet. So steht sie als
geheime, dunkle Macht in dem Mittelpunkte des klaren Lie-
nens, das sie leitet, und alle die verständigen Personen ge-
horchen dem Worte und Antriebe der Phantastin. Wie sie
dein jungen Hazlewood entgegentritt und den Zügel seines
Kosses f'afst ; eine hohe weibliche Gestalt, die ein groTses
Tuch um den Kopf gebunden hat, aus welchem wild graue
Haare herabiliefsen, gehüllt in einen langen rothen Mantel
und in der Hand einen Stab mit einer Art von Lanzenapitze
tragend; so erscheint sie durchaus seltsam und Grauen er-
weckend, voll Drohen, aber nicht ohne Liebe in dem hinter
einem so baroken Aeuisern- verhorgenen Innern, und es ist
von dem Dichter mit preiswürdiger Kunst in dem Dunkel ge-
lassen , ob mehr Betrug oder Selbsttäuschung, mehr Wahnsinn
oder Divinationsgabe und ein Sehergeist in ihr walte.
Als eine desto edler gehaltene, klarere Gestalt steht der
O brist Guy Mannering dem Zigeuner- und Zauberweibe
gegenüber, der selbst einmal in jugendlichem üebermuthe sieb,
« »
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348 Romane vou Walter Scott«
verleiten läfstt in dem gastlichen Hause der Ellangowan die
Rolle des Astrologen zu spielen, und nun in inniger Theil-
nabme sieb an das Schicksal des Hauses gefesselt sieht. An
ihn schliefst sich zunächst der ansehnliche Krieger und edle
junge Kämpfer Brown — Heinrich Bertram an, mit
•einer gleich edeln Schwester Lucie, die beiden kräftigen,
geistigen Kinder eines geistesarmen Vaters, Gottfried Ber-
trams, aus dessen Wesen nur Ein Zug, der seiner grofsen
Gutmüthigkeit , anspricht. Als ein seltsam launenhaftes We-
sen, wie eine Blume aus einem glühendem, üppigem Him-
melsstriche herüber verpflanzt, erscheint J u 1 i e Mannering
in ihrem Verhältnisse zu Brown. Anziehende vermittelnde
Personen sind Mac Morlan und Pleydell, die redlichen
und geschickten Rechtsmänner, zu welchen den Gegensatz
Lüdet der tückische Verrüther Gilbert Glossin, der un-
dankbar den Untergang des alten Geschlechtes herbeizuführen
strebt; so wie dem gleich schlechten, aber gewaltigen Dirk
Hatteraik der redliche Dinmont gegenüber steht. Als
ein besonderes Gebilde des genialen Erfindungsgeistes des ,
Dichters aber glänzet in dem vollen Flimmern seines glück-
lichen Humors der arme Magister Abel Sampton, die lange,
magere, ungeschlachte Gestalt, der Knochenmann mit seiner
Ungeschicklichkeit und seinen Grimassen, aber dem treuen
Herzen und Gemüthe und seiner grofsen Gelehrsamkeit lind
Brauchbarkeit für den, welcher, wie der Obrist, ihn zu ach-
ten und sich seiner zu bedienen weifs.
So fehlt es nicht an einer Fülle des Anziehenden und Er-
götzlichen in diesem Stücke, an dem nur das getadelt werden
mufs, dafs es eigentlich aus zweien Stücken besteht, aus dem
Vorspiele und dem Romane selbst , der nach einem leeren
Zwischenräume von siebenzehn Jahren beginnt. Auch zwei-
felt der Leser sogleich nicht, dafs dieser Spröfsling von Ellan-
gowan in ein besonderes Verhältnifs mit Mannering treten,
und zwar, so wie wir von einer Tochter des Obristen hören,
dafs er durch diese ihm werde verbunden werden ; so wie der
entschwundene Heinrich Bertram in Brown sogleich erkannt
wird. Dessen unerachtet weifs der Dichter das Interesse bis
an das Ende des Stückes lege zu erhalten. Aber es ist auch
hier minder eine grofse Idee — die nur wie zufällig in dem
Spruche der Zigeunerin herauftönt — - was anzieht und fest-
hält und dann einen bleibenden Nachklang in dem Gemüthe
aurückliefse ; es ist der Reiz einer anmuthigen Verschlingung,
«in dunkles Geheimnifs, ein geistreiches Rätbsel , was bis zu
aoiner Lösung fesselt und beschäftigt, dann aber, so wie dies«
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§
t
r
Romane von Walter Scott* 349
gefunden ist, seine Bedeutung verloren hat. Und hieraus er-
klärt sich denn eben so wohl die geringe Wirkung, welche
diese Stücke auf das Gemüth hervorbringen, als das grofse
Interesse, das sie dennoch erwecken, und warum selbst die,
in denen das ideale Regen untergegangen, und die schon ans
der Feen weit der Poesie in alle* Nüchternheit eines prosaischen
Geschäftlebens eingegangen sind, die fast jeden Dichter flie-
hen, die selbst Shakespeare nicht mehr anspricht, doch be-
gierig nach Walter Scott'* Romanen greifen : es ist das Solide,
die Macht einer grofsen Wirklichkeit, mit Phantasie und
räthselhafter Verscblingung durchwebt, was sie ansieht, und
ohne sie unbequem anzuregen, angenehm beschäftigt«
, . . .
XVII.
Wir treten von dem Astrologen vor zwei grofse geschicht-
liche Gemälde, die neuesten Schöpfungen unseres Meisters.
Ein jedes derselben umfafst auf zwei mit zahlreichen Figuren
belebten Bildern, die als Gegenstücke neben einander aufge-
stellt sind, einen besondern Kreis von Ereignissen. Erzäh-
lungen von den Kreuzfahrern sind beide überschrie-
ben, obgleich das eine — näher alsdieVerlobten bezeich-
net — nur eine fernere Beziehung auf den groisen geschicht-
lichen Vorgang hat, während das andere uns geradehin mitten
in das Lager des berühmtesten unter allen Fürsten versetzt,
-welche das Schwert zu Eroberung des heiligen Grabes geführt
baben, der aber in dem erstem Stücke nur einmal als kühner,
kampflustiger Jüngling erscheint und im Sturme die Burg
nimmt, welche den Mittelpunkt der Ereignisse desselben
ausmacht.
Es ist dieses das Schlofs Garde Doloureuse, von wo
der Normannische Ritter Sir Raymond Ber enger die
Gränze von Wales schirmt, und eben das Leben dieser Nor-
mannischen Gränzlorde in ihrem Kampfe und Gegensatze mit
den Waliser Häuptlingen ist es , was der Dichter sich haupt-
sächlich zu dem Gegenstande seiner Darstellung erwählt hat.
Es ist um das Jahr lid7. Der Erzbiscbof Balduin von
Ca n te rbury hat den Kreuzzug verkündet, und der gemein-
same Eifer für das heilige Unternehmen zwischen die Kämpfe
der Waliser und Gränzlorde eine kurze Ruhe gebracht» Ja
freundlich sehen wir die beiden alten Feinde, Sir Raymond
Berenger und den kühnen Waliser Häuptling Gwenwyn
pder Gwenwynwen von Powys, die Brandfackel von
l1 eng wem, auch der Wolf von Plinliuimon genannt,
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350 Romane von Walter Scott.
sich auf ihren Burgen bewirtben. Noch mehr hofft der letz-
tere den Frieden durch eine Verbindung mit der Tochter des
IV itters, der schönen siebzehnjährigen Eveline Berenger,
xu befestigen. An dem Osterfeste, da er seine Barden, dar-
unter den hochgesinnten Cadwallon, und seine Helden um
sich versammelt, sendet er werbend den Boten ab. Der Rit-
ter antwortet ablehnend, aber versöhnend, weil die Hand des
Fräuleins schon Hugo von Lacy, dem edeln Constabler von
Chester, zugesagt sey. Aber in wildem Feuer lodert der ab-
gewiesene Häuptling mit seinen Britten auf. Krieg und Hache
wird bei dem Feste beschlossen.
Bei den früheren Festen war vor dem Ritter darauf hin-
gedeutet worden, wie er sich nur in dem Schutze seiner un-
überwindlichen Burg zu behaupten vermocht. Da hat er das
kühne Wort fallen lassen 2 Gwenwyn solle ihn, wenn er wie-
der bei der nahen Brücke sein Banner aufpflanzen werde, aus-
sen treffen. Durch dieses rasche Wort halt er sich nun ge-
bunden, und tritt mit seiner kleinen Schaar dem ttbermüthi-
gen Feinde auf offenem Felde entgegen. Er fällt in gewaltigem
Kampfe mit seinem treuen Knappen Dennis M or oft, Sei-
ner Tochter und seiner Veste hat er in dem ruhig festen Fla-
mänder Wilkin FJammok einen sichern Beschützer zurück-
gelassen, dessen List es nicht nur gelingt, seine fetten Kühe
in die zu einer Belagerung wenig vorbereitete Burg zu brin-
§en , sondern dessen Tapferkeit auch die heftigen Stürme der
einde abwehrt, bis Hugo von Lacy zu rechter Zeit er-
scheint, und an den Walisern, deren Fürsten Gwenwyn er
mit eigener Hand erlegt, blutige Hache nimmt. Seinen Nef-
fen , den edeln jungen Damian Lacy, sendet er mit der
Nachricht von ihrer Errettung an Eveltne, und da er selbst
sich zu dem Kreuzzuge verpflichtet und gelobt hat, unter kein
Dach mehr zu treten, so ladet er sie, nach der feierlichen Be-
stattung ihres Vaters , zu einer Zusammenkunft in seinem präch-
tigen Zelte ein.
Eveline hat indessen in aller Noth und Bedrängnifs
sich als die grofsartige Tochter eines ritterlichen Vaters be-
währt. Vor der heiligen Jungfrau , der besondern Beschütze-
rin ihrer Burg, ist sie in banger Stunde niedergesunken , und
hat der Dame von Garde Doloureuse gelobt, wenn sie
Befreiung schenken werde , ihrem Retter alles, was er verlan-
gen und was nur ihre Ehre gestatten würde, und sey es der
Besitz ihrer eigenen Person, zu gewähren. Und Hugo von
Lacy bringt nun die frühern Unterhandlungen mit ihrem Va-
ter in Anregung; er, der ältliche Oheim, der berühmte Rit-
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I
Romane von Walter Scott. 351
ter, aber nichts weniger als schöne Mann, tritt hervor, der
junge, liebenswürdige Damian de La cy weicht in den Hin-
tergrund zurück. £ veline hat beschlossen, ohne vorerst
dem Ritter eine bestimmte Erklärung su geben, sich in die
Huth ihrer Tante, der Aebtissin in dem Kloster der Bene-
dictiner innen zu GJocester , zurückzuziehen. Auf der Reist*
dahin wird sie von einer andern Verwandten, Ermen gard
von Baldringham, eingeladen, die Nacht bei ihr zuzu-
bringen, und durch die alte Dame genöthigt, übernachtet sie,
nach der Sitte der Frauen von Baldringham, in dem Zimmer
des ruthen Fingers. Ihr nächtlicher Schrecken ist grofs,
und sie wird nur durch ihre treue Rosa Flammok gerettet,
die den normannischen Krieger von ihrer Schutz wache herbei-
ruft, welcher das bebende Mädchen in seinen Armen aus dem
verschlossenen Gemache trägt. Auf der Reise vernimmt dar-
auf Rosa die Erzflhlung von der unglücklichen Van da von
Baldringham, und wie der ßahrgeisi. über den Abkömm-
lingen ihres Mörders drohend die blutige Hand emporzuheben
pflege. Auch theilt sie den geheimnisvollen Spruch mit, der
ihr in der Erinnerung geblieben:
Jungfräulich Weib, als Witwe Gattin!
Verlobt, verrathen und VerriUheiin !
4 \
Aber der Einflufs ihrer Getreuen vermag nicht so viel, als der
der Aebtissin, bei welcher sie anlangt und dem edeln Hugo
ihre Hand in dem Kloster zusagt. Der Tag ihrer Verlobung
wird bestimmt. Damian zeigt sich indessen krank und in
einem seltsam verworrenen Zustande. Ein anderer, älterer
Verwandter, der unwürdige Randal de Lacy, erlangt
durch Evelinens Fürsprache Verzeihung und das Versprechen;
bei der Verlobung als Zeuge zugegen seyn zu dürfen.
Mit der zweiten Abtheilung sehen wir nun wirklich in
dem Kloster der Aebtissin zu Olocester die Verlobung der
schönen Eveline und des edeln Hugo von Lacy, aber
unter schlimmen Vorbedeutungen , vorgehen. Damian er-
scheint, Evelinen nochmals zu sehen, aufsen , krank und fast
in dem Zustande der Geistesverwirrung. Beide Verlobte eilen
bestürzt zu ihm hinaus. Der Arzt hat ihm an dem Morgen
eine Ader geöffnet; die Binde hat sich verschoben, und da
beide sich zu dem Ohnmächtigen helfend hinabneigen, so tra-
gen sie die Zeichen seines Blutes in das Verlobungsgemach
zurück. Da erscheint auch der mönchische Bote des stolzen
Bischofs Balduin, der in der Stadt angelangt ist. Hugo
hatte gehofft, seine Vermählung vorerst vollziehen und die
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352
Romane von Walter Scott.
Erfüllung seines Gelübdes um einige Jahre verzögern tu kön-
nen. Diesem setzt sieb der Bischof beharrlich entgegen j und
durch sein Wort gebunden , tritt der Ritter den Zug nach
dem gelobten Lande an, zu welchem er sich auf drei Jahre
verpflichtet.
Damian , der für seinen Oheim die bewaffneten Scbaaren
hatte nach Palästina führen sollen , wird nun die Huth der
Verlobten vertraut, die sich nach ihrem Stammschlosse begibt,
daselbst die Rückkehr Hugo's zu erwarten. In ihrer Nähe
weilt der junge Ritter, wie ein unsichtbarer Hüter jeden
Augenblick zu ihrer Hülfe bereit. Denn mit zarter Gewis-
senhaftigkeit meidet er es, vor der auch nur zu erscheinen ,
der er mit abgöttischer Verehrung sich zum Dienste geweibet
bat, und die er doch nicht besitzen kann. So lebt die Ver-
lobte in ihrer Losgeschiedenheit , „ein jungfräulich Weib,
als Witwe Gattin •*; und dafs auch der andere Theil des Spru-
ches, den der Bahrgeist in ihre Seele geflüstert hat, in Erfül-
lung gehe, waltet der tückische Ran dal de Lacy, als un.
heilbringende Macht, in dem Verborgenen zu dem Verderben
der beiden Ungewahrten. Es gelingt ihm, die, nach welcher
Beine Lüsternheit erwacht, unter der Hülle des Kaufmannes,
der die Falken feil bietet, von ihrer sichern Burg zu locken,
und sie Dawsyd, dem Einäugigen, und der ihm verschwo-
renen Bande in die Hände zu führen. In Edri's Grabgewölbe
wie in ihre eigene Gruft lebend eingeschlossen , ist darauf
Eveline unsichtbare Zeugin des Kampfes ihres edlen Ritters,
den sie, endlich aus ihrer Todeshöhle gerettet, mit Blut und
Wunden auf dem Wahlplatze wiederfindet.
Damian hatte sich in der Frühe des Morgens mit seinen
Reitern zu Befreiung eines durch die Schaaren aufrührerischer
Bauern schwer bedrängten Gränzlordes aufgemacht, als er
noch zeitig von Evelinens Gefahr Nachricht erhielt, und,
das andere Unternehmen aufgebend, zu ihrer Rettung herbei
eilte. Ohne gehörig bewaffnet zu seyn, hat er sich unvor-
sichtig unter die Feinde gestürzt, unter deren Streichen er
niedergesunken.
(Der Besehlufs folgt.*)
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N. 23. 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Romane von Walter Scott.
(Beschlufs.)
Eveline aber setzt nun, wo es die Erhaltung des Lehens
ihres Retters gilt, in dem Bewufstseyn ihrer Unschuld alle
beengende Rücksichten auf die Seite. Gegen den Rath ihrer
treuen Rosa läfst sie den todtwunden Ritter nach ihrem
Schlossebringen, und da nun der Normannische Lord, dein
er hatte zu Hülfe eilen wollen, von den Bauern getödtet und
dessen Schlofs genommen wird, so weifs Randal de Lacy
durch diesen Umstand seinen dunkeln Anschuldigungen um so
mehr Glauben zu verschaffen: als oh Damian nicht nur mit der
seiner Huth* Vertrauten in einem heimlichen Liebesverständ-
nisaelebe, sondern auch insgeheim den Empörern sich ver-
bunden habe. Der königliche Herold erscheint vor Evelinens
Burg, und fordert sie auf, die Thore zu öffnen und den Ver-
räther den Händen der Gerechtigkeit zu tibergeben. Da sie
beides verweigert, wird sie selbst zur „ Verrätherin« erklärt,
König Heinrich erscheint in eigener Person mit seinen
beiden Söhnen Richard und Johann, und beginnt die Be-
lagerung der widerspenstigen Veste, deren Noth noch durch
Uneinigkeit und Meuterei der Besatzung erhöhet wird; und
dafs Eveline auch „Verrathene« seye, begibt sich der
treue Flamänder Wilkin Flammok heimlich in das Lager
des Königs, diesem gegen günstige Bedingungen die Burg in
die Hände zu liefern. Aber eben diesen Augenblick ersieht
der kühne Königssobn Richard, dasselbe schneller durch un-
erwarteten Sturm zu erreichen. Damian wird, als Schwei er
Verbrecher, in den Kerker geworfen; auch Eveline harret,
aller väterlichen Güter beraubt, ihres Gerichtes, während der
verrätherische Randal, der das Gerücht von Hugo's Tode
verbreitet, mit dessen Besitzungen belehnt, glänzend aus sei-
nem ehrlosen Dunkel hervortritt.
XIX. Jahrg. 4. Heft. 23
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<
354 Romane von Walter Scott,
Die drei Jahre sind indessen verlaufen, find in dieser
Zeit der Noth und "Verwirrung erscheint nun, nachdem er
seine Krieger und Schütze eingebüfst, der für todt geachtete
Ritter als rückkehrender Pilger. Nur zwei einzige Begleiter
folgen ihm, sein treuer Knappe Guarine und sein Ministrel
Henault Vidal. Auf Kundschaft ausgesandt, berichtet der
letztere, der wie ein böser Geist begierig des Todesschmerzes
und der Verzweifelung seines unglücklichen Herrn harret,
alles das Unheilvolle : Evelinens Untreue und Damian'* Ehr-
losigkeit.
Damit nahet alles einer neuen Katastrophe, und dafs
diese sich endlich zur Rettung und Verherrlichung der Un-
schuldigen gestalten werde, daran zweireit niemand , wer mit
der Weise unseres Dichters vertraut ist und weifs, wie dem- ,
selben, wo sonst die Mittel der Losung fehlen, selbst noch
Schwert oder Dolch zu Gebote stehen , den fest geknüpften
Knoten zu entwirren. Und so sehen wir denn auch jetzt
de Lacy, der zu dem Könige in die Burg getreten , vor Garde
Doloureuse in feierlichem Aufzuge erscheinen, um den FJa-
mändern ihren Freiheitsbrief zu übergeben. Denn dafs der
festlich geschmückte Reiter , den er nur von hinten sieht, die-
ser sey, vernimmt der Ministrel von einigen Landleuten ; und
wie ein blutgieriges Wild schleicht er herbei; schnell hat er
hinter dem Ritter sich auf das Rofs geschwungen, und der
von seinem Dolche rücklings Getroifene sinkt auf die Erde
nieder. Der Mörder wird ergriffen und vor den König in das
Schlofs gebracht. Da tritt ihm der lebend entgegen, welchen
er wähnt gemordet zu haben. Es ist ein Lacy gewesen,
aber Ran dal de Lacy, den die Rache mitten in seinem
Siegesjubel ereüte. Der Mörder verflucht seinen Irrthum,
denn der Ministrel enthüllt sich nun als Gadwallon, den
Barden Gwenwyn's, des Fürsten von Powys, und dessen
Rächer. Schon aber ist von Hugo de Lacy die Unschuld
der schwer Angeklagten aufgedeckt. Damian besteht die
Probe, welcher er ihn unter der Hülle des Pilgers in dem Ker-
ker unterwirft , und wird grofsmüthig eingeladen, nun des
Oheims Stelle bei dem Verm2hlung«feste zu vertreten. Ein
neuer Traum verkündet Evelinen in dem Kloster der Bene-
dictinerinnen, wo sie eingeschlossen worden, ihr nahes Glück,
und der versöhnte Geist lafst sich jetzt also vernehmen:
Jungfräulich Weib, als Witwe Gattin! ,
Verlobt, verrathen und Venätherin!
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•
Romane von Waller Scott. 355
Nun ist erfüllt der ganze Sinn,
Wanda's Leiden sind geroeben
Und Versöhnung dir gesprochen !
Auch Rosa wird belohnt durch die Hand Amelot's, des
Pagen Damian's, die beide, gleich treu, 'ihrem Gebieter und
ihrer Gebieterin in aller Noth und Prüfung zur Seite ge-
standen.
So schliefst denn auch dieser Roman mit einer Doppel«
beirath. Wie ein grofsgebaltenes Vorspiel eröffnet das Ganze
der Kampf des Ritters von der Schmerzenswache (Garde Do-
loureuse) und des Wolfes von Plinlimmon und der Tod beider
Kämpfer , wovon der des Letztern sich erst an dem Schlüsse
recht folgereich zeigt in dem rächenden , obgleich das unbeab-
sichtigte Opfer treffenden Stahle des Barden Cadwallon. In
einer steten Folge in einander greifender Ereignisse bewegt
sich die Geschichte in dieser ersten Hälfte fort, und es fehlt
nicht an ergreifenden Parthien, wie diese z. B. die Scenen
bei der Belagerung und dann besonders Evelinens Uebernach-
ten in dem Zimmer des rothen Fingers darbieten» Und die
fanze Erscheinung tritt so hervor, dafs es in dem Dunkel
leibt, ob wirklich der alten Familienüberlieferung gemäfs
der Bahrgeist sich gezeigt, oder nur Evelinens geängstigte
Phantasie das schauerliche Traumbild geschaffen habe, ob*
gleich der Dichter auf das Letztere hindeutet, indem er sie
in die Erscheinung auch als das Bild ihres rettenden Schutz«
engels das des schönen jungen Helden Damian verweben läfstf
der in seinen Armen die Geliebte aus dem Gemache des Ent-
setzens fortgetragen.
Bei dem zweiten Theile tritt die grofse Schwierigkeit
ein , die überall sich in der Dichtung darbietet, wenn weite
Zeiträume, in denen die eigentliche Geschichte stille steht,
doch durch eine Reihe und einen Wechsel von Ereignissen
ausgefüllt und belebt werden sollen. Man fühlt auf eine un-
angenehme Weise dieses Stillestehen und die Leere in den
drei Jahren der Entfernung Hugo's. Nur wenig hängen die
Vorgänge unter sich zusammen, und das Interesse wird da-
durch geschwächt, dafs der verständige Leser , der schon sei-
nen Schriftsteller kennt, auch nicht einen Augenblick an dem
endlichen Erfolge zweifelt und voraus überzeugt ist, dafs der
Neffe die Braut des Oheims zum Altare führen werde. Auch
da» wird immer fühlbarer, wie der Dichter nun schon gewisse
Typen, wie feststehende Formen, gefunden hat, in welche
er aeine Gebilde preist , und wie viel in dieser Darstellung
23 *
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356 Rumäne von Walter Scott.
• <
des Normannischen Adels vor der Zeit der Kreuzzüge Wahr*
heit, wie viel Dichtung sey, vermag der freilich nicht zu ent-
scheiden 9 der nicht genau die Geschichte jener Jahrhunderte
und besonders die specielle jener Landschaften studirt hat.
Uebrigens stehet jenes Ritterthum in sehr scharf gezeichneten
Umrissen und frisch colorirten Bildern da, mit seinem Adel,
seiner Tapferkeit, seinem Festhalten an der Ehre, dem cere-
moniösen , fast abgöttischen Dienste der Frauen , mit seiner
starren Fracht und daneben der Beimischung von Barbarei,
Ueppigkeit und dumpfer , religiöser Bornirtheit» Als Meister
zeigt sich der Dichter in der Haltung und genauen Zeichnung
der drei so verschiedenen Lacy , des ritterlich edeln Hugo,
des zart jugendlichen , ehrliebenden Damian und des herab-
gewürdigten Wollüstlings Ran dal, wie jeder seinen eigen-
tümlichen , und zugleich alle den gemeinsamen Charakter des
Ritterthums behaupten. Ein anmuthiges Bild stellt die junge,
edle, schöne , von dem Geiste eines ritterlichen Vaters frühe
beseelte Evel ine mit ihrer reinen Liebe und der Treue dar,
die sie ihrer Dame von Garde Doloureuse wahrt. Den Ge-
gensatz zu den Rittern bildet dann der nicht minder tapfere,
aber ganz von dem ruhigen Sinne kaufmännischer Berechnung
geleitete Flamänder W ilkin Flammok, gleichsam der nüch-
terne, klare Geschäftsverstand dem phantastischen Treiben
gegenüber, und wir möchten seine ganze Darstellung, so wie
die seiner Tochter, als die anziehendste und gelungenste int
dem reichen Gemälde betrachten. Wie kräftig ist sogleich
seine erste Erscheinung, wie köstlich die Art, wie er den
schlauen Waliser berückt und seine fetten Kühe für die be-
drängte Veste zu gewinnen weifs; wie er dann den Täter Al-
drovand, den Mönch , in welchem noch sein früherer Krie-
gergeist sich regt, rächend zum Besten hat, und überall den
Rittern mit seiner sichern Besonnenheit entgegentritt. Und
als eine wie innige, zarte, jungfräulich weiche, gemüthliche,
und doch in all ihrer Weiblichkeit feste und starke, eben so
wenig in das Phantastische verwirrte, als durch die Habsucht
ihres Vaters berückte Seele erscheint Rosa*
So ist dieses Stück reich an den herrlichsten Einzelnhei-
ten , aber doch mangelt demselben etwas, dals es eine volle
Befriedigung nicht gewährt, dal höhere Ideale, die Eine
grofse Idee, der alle Einzelnheiten nur dienen, in denen allen
ste nur wiederscheint, als die helle Morgensonne in den tau-
send Perlen des Tbaues sich spiegelt. Von grolser Breite und
wenig zusammengehalten, sind die einzelnen Scenen und
Schilderungen nur lose unter einander verbunden. Auch das
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Romane von Waltet Scott.
Grauenvolle, das in den Sprüchen des Bahrgeistes, wie die
leitende Stimme des Schicksals selbst , das wir nicht verste-
hen, durch das Ganze tönt, kann den Mangel dieses hdhern
Poetischen nicht ersetzen, und der allzu grellen Zeichnungen
und fast verzeichneten Parthien, wie diese z.B. in einigen
Nebenfiguren , der scharlachstrümpfigen DameGillian, indem
bäurischen Scharfrichter, der den Kopf: des erschlagenen Kit-
ters Wild Wenlock aus seinem Beutel hervolholt, oder auch
in der rohen Scene im Gefängnisse hervortreten, wo Oheim
und Neffe ihre Athletenkünste gegen einander versuchen, wol-
len wir gar nicht gedenken.
XVIII.
So wenden wir uns denn zu dem zweiten Gemälde, das
uns nach einem ganz andern Himmelsstriche, nach jener Feme
versetzt , nach der Ritter Hugo von Lacy gezogen, die aber
in dem ersten Bilde noch verhüllt bleibt, um in dem zweiten
in allem Farbenschimmer hervorzutreten.
In dem Thale des todten Meeres sehen wir in seiner vol-
len Rüstung den schwer bewaffneten Ritter von dem liegenden
Leoparden erscheinen. Erschöpft will er zu der Quelle bei
den Palmen, dem Diamanten der Wüste, nahen, als
ihm von hier ein Sarazenischer Reiter entgegen kommt. Beide
kämpfen erst eine W*ile , bis darauf der Franke an den ge-
schlossenen Waffenstillstand erinnert wird und selbst seinen
Pafs von Saladin vorzeigt. Schnell ist Friede und Versöhnung
unter den Kämpfern hergestellt. &eide erquicken sich und
ihre müden Thiere an der Quelle. Der Christ gibt sich als
den Schottischen Ritter Kenneth vom Leoparden, der
Sarazene als den Emir Sheerkoff, den Löwen des Gebirges
aus Kurdistan, zu erkennen, und da er von des Schotten
Heiseplane vernimmt,* so bietet er sich ihm zum Führer nach
dem Aufenthalte des Eremiten T h eod or i ch von Engaddi
dar, der, von den Christen geehrt, als Hamaku oder Blöd-
sinniger von den Mabomedanern gleich unverletzlich geachtet
wird. In dem scheinbaren Anfalle seines Wahnsinnes zeigt
sich dieser den heiden Reisenden zuerst zwischen den Felsen»
der Wüste, „und Löwe und Leopard kehren bei dem Bocke
ein«. In der Nacht weckt er seinen christlichen Gast und
leitet ihn in die geheime Jfcupelle, wo Kervneth Zeuge der aus-
serordentlichen Verehrung ist, welche der heiligen Reliquie,
Veracrux, durch den Umgang der Nonnen und der mit Rosen
Gekränzten Frauen zu Theile wird. Er erkennt unter den
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368 Romane von Walter Scott.
letzteren die Dame seines Herzens , die er nur angeschaut , mit
der er aber noch kein Wort gewechselt hat, und die, alt Ver-
wandte Richards, hoch über ihm steht. Die drei abgepflück-
ten Rosen fallen vor ibm nieder, und er sieh et, gleich zweien
Spukgestalten , die beiden Zwerge aus dem Boden heraufstei-
gen ; bis zuletzt der Eremite ihn zu seinem schlafenden Ge-
führten zurückruft.
Hier läTst ihn der Dichter und versetzt uns in das Zelt
des an gefährlichem Fieber erkrankten Richard, und wir
hören den unmuthigen König sich mit seinem Wärter, Sir
Thomas de Multon, Lord von Gilsland in Cum-
3) e r 1 a n d , bei den NormSnnern nur Lord de Vaux genannt,
unterhalten. Da verkündet eine fremde Musik die Ankunft
eines Sarazenischen Trupps. Es ist der Ritter Kenneth und
mit ihm der Arzt cjes Sultans Saladin , £l Hakim, den dieser
dem christlichen Könige sendet. Richard läfst zuerst den Rit-
ter vor sich bescheiden, von welchem er den Zweck seiner
Sendung vernimmt, wie er von der Rathsversammlung der
christlichen Fürsten abgesandt worden, um durch den Einsied-
ler mit dem Sultane wegen des Friedens zu unterhandeln,
Nachdem hierauf De Vaux sich in das Quartier des armen
Schottischen Ritters begeben, und sich hier von der Hülfe,
die der Mohrische Arzt dessen allein noch von seiner Beglei-
tung übrigem treuen Knappen geleistet, überzeugt hat, so
bringt er auch El Hakim in das Zelt des Monarchen. Vergeb-
lich warnen Giles Amaury, der Priester- Soldat, Grofs-
meister der Templer, und Marquis Conrad von Mont-
serrat (statt des Markgrafen von Monferrat ! ) vor feindlicher
List. Vertrauend trinkt der königliche Kranke den Trank,
in welchen der fremde Arzt seinen wunderthätigen Talisman
getaucht, und fühlt schnelle Befreiung von dem Fieber. Jene
beiden enthüllen indessen in geheimer Unterredung ihre arge
Tücke, wie sie, nur um ihre eigene Macht besorgt, mitVer-
drtils dem Siege des christlichen Heeres entgegensehen, und
der Templer Heutet auf Plane gegen das Leben des Königs
seihst. Der listige Montserrat weifs den Herzog von Oester-
reich anzureizen, dafs dieser in stolzer Eifersucht erst die hoch
in dem Lager aufgepflanzte Fahne des kranken Führers herab-
zureissen droht, dann die seinige daneben aufsteckt. Dem
Kranken aber flüstert der Tückische zu, als ob jenes. wirklich
geschehen, und in heftiger Entrüstung stürzt sich Richard mit
enthlöTstem Schwerte nach dem Orte hin, wo er in dem Ange-
sichte Leopold's dessen Banner niederwirft und mit Föfsen
tritt. Nur Kenneth und De Vaux sind in der Eile ge-
Romane von Walter Scott. 359
folgt, und nachdem Philipp von Frankreich vermittelnd
zwischen die zürnenden Fürsten getreten , übergibt Richard
dem Leopardenritter die Bewachung seiner Fahne bis zu dem
kommenden Morgen.
Die Nacht waltet mit ihrem Schweigen über dem Lager.
Allein mit seinem treuen, trefflichen Hunde hält Kenneth
die Wache, Da erscheint der Zwerg und überreicht zum
Zeichen s» iner Sendung den Karfunkelring, durch welchen die
Dame seines Herzens ihn zu sich bescheidet. Er kämpft eine
Weile in sich; endlich folgt er, in der Absiebt, schntll wie-
der zurückzukehren, dem Zwerge, der ihn geradehin nach
dem Zelte der Königin leitet. Er tritt ein, und hinter einer
Decke verborgen, vernimmt er den Trug, den die Fürstin
sich mit dem Ringe .der edeln Editha erlaubt, und wie sie
ihn, blos ihre Behauptung zu bewähren, dafs der Ritter die
Probe nicht bestehen werde, wirklich vermittelst des Kleino-
des von seiner Wache hierher gelockt. Editha selbst wird
herbeigerufen und bezeigt ihren Unmuth über das dem Ritter
Widerfahrene und die Verletzung ihrer eigenen Ehre; uud da
sie durch den Zwerg vernimmt, wie der Ritter selbst verbor-
gener Zeuge des ganzen Vorganges seye, so zieht sie die Decke
zurück, und mahnt ihn, seihst sich entschuldigend, zu schnel-
ler Flucht. Er will ihr Kleinod zurück geben; sie heifst es
ihn behalten. In Verwirrung eilt er nach der Fahne zurück.
Von fern hört er den Schrei des Todeskampfes seines treuen
Thieres, das er bei derselben gelassen. Er ersteigt den künst-
lichen Wall; der hervortretende Mond zeigt ihm, dafs die
Standarte Englands verschwunden ist. Zerbrochen liegt der
Speer, an dem sie ge wehet, auf dem Boden; daneben windet
sich sein treuer Roswal in den Zuckungen des Todes.
Das Entsetzlichste ist somit geschehen ; der unglückliche
Leopardenritter sieht seine Ehre zernichtet, sein Leben ver-
wirkt, sein treues Thier zum Tode verwundet. In dieser
tiefen Noth nahet ihm Adonbek el IIa kirn, der Mohrische
Arzt , und ermuntert ihn zur Flucht, Er verheilst Sicherheit
bei Saladin und deutet daraufhin, wie kein Abschwören des
Glaubens verlangt werde, sondern dem Sultane ein Mann, der
mit den Europäischen Gebräuchen vertraut wäre, eben jetzt
sehr willkommen seyn würde, da man darüber unterhandle,
dafs ihm, zu Vermittlung des Friedens zwischen dem Mor-
gen- und Abendlande, eine nahe Verwandte Richards ^ die
junge Lady Editha Plantagenet, vermählt werde. Das.
aber eben ist die von dem Ritter angebetete Dame, und er
fühlt sich tief durch den Gedanken entrüstet, dafs die schöne
*
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360 Romane von Walter Scott.
Jungfrau von Anjou gar einem Ungläubigen solle zu Tbeile
werden. Auch die Liebe zum Leben vermag jetzt nichts über
ihn. Kaum achtet er es für möglich, dafs der ritterliche Ri-
chard in solche Plane eingehen solle. Vor allem glaubt er ihn
unterrichten zu müssen, und tritt in der Frühe des Morgens
zu dem Fürsten , der nun durch den Talisman des Arztes ganz
hergestellt ist.
Des Königs Entrüstung über die seinem Panier widerfah-
rene Schmach ist ohne Gränzen. Erfolglos verwendet sich
De Vaux für den unglücklichen Ritter; vergeblich bitten für
ihn die schöne Königin Berengaria und die hochherzige
Ed i t ha; umsonst erscheint der Einsiedler von Engaddi
und läfst warnend den König in das schauerliche Gsheimnifs
seines Daseyns blicken, indem er sich als den berühmten
Ritter Alberich Mortem ar enthüllt. Nur erst dem Moh-
rischen Arzte schenkt Richard, um gegen seinen Retter nicht
undankbar zu erscheinen, den zu dem Tode Verurtheilten zu
seinem Sclaven, wodurch er zugleich von dem hierdurch ehr-
los gewordenen Ritter Editha's Liebe auf immer abzuleiten
gedenket*
Richard vernimmt hierauf durch den Erzbischof von Ty-
rus, der als Abgeordneter der Fürsten zu ihm naht, wie diese
wirklich, zu der Rückkehr entschlossen, den Frieden mit Sa-
ladin durch ein Ehebündnifs zu vermitteln gedächten; wie
selbst der beilige Mann von Engaddi mit einverstanden seye,
und man an des Pabstes Genehmigung nicht zweifle, ja die
Hoffnung hege, Saladin selbst hierdurch für das Cbristenthum
gewinnen zu können. Auch der König zeigt sich in dieser
Hoffnung nicht abgeneigt, nur von der Rückkehr will er
nichts wissen, und durch seine Erscheinung in dem Rathe der
christlichen Häupter gelingt es ihm , augenblicklich die krie-
gerische Begeisterung wieder anzuregen. Um so mehr sinnen
im Geheimen der Grofsmeister der Templer und der Marquis
Conrad auf neue Tücke, und in ihrer Unterredung enthüllt es
sich, wie der letztere es gewesen, der, neuen Streit zu ent-
zünden, in der Nacht die Fahne zerrissen und entwendet hat.
Es war nun der vierte Tag, seit Sir K^nneth das Lager in dem
Gefolge des Mohrischen Arztes verlassen, durch welchen letz-
tern der König zugleich seine beiden Zwerge, Fürst Nectaba-
nus und Frau Genevra, SaJadin zum Geschenke sandte. Da-
für schickt ihm sein edler Feind einen Nubischen Sclaven,
der, seihst von ansehnlicher Gestalt, mit einem schönen,
grofsen Jagdhunde erscheint, und obgleich stumm, doch als
geschickt gepriesen wird, dem Könige gute Dienste zu leisten.
Romane von Waltet Scott. 36 1 .
*
Auch verräth der Stumme sogleich grofse geistige Fähigkeit
und Fertigkeit in Behandlung der Waffen ; und während nun
der König in seinem Zelte heschäftigt ist, eben aus England
angelangte Depeschen zu lesen , der Nubier weiter innen , einen
grofsen blanken Schild zu putzen, erscheint aufsen ein Mara-
bout, mit dem die Wachen eine Zeit lang ihr muthwilliges
Spiel treiben , bis zuletzt ihre Aufmerksamkeit von dem schein-
bar Trunkenen sich abwendet, und dieser den Augenblick er-
sieht, mit seinem Dolche über den König herzufallen. Aber
alles, was aufsen vorgefallen, zeigte sich dem Nubier in sei-
nem leuchtenden Schilde , wie in einem Spiegel ; schnell genug
eilt er herbei, und unter seiner Hand sinkt der Mörder, der
Assasine, den der Templer gesandt hat. Da er eine leichte
Wunde empfangen, so saugt der dankbare König selbst ihm
diese aus, und erkennt hierbei den Kitter Kenneth in dem
Verhüllten.
Dieser war indessen mit dem Arzte nach Saladins Lager
gelangt, wo sein freundlicher Herr sich ihm als seinen Gegner
bei dem Diamanten der Wüste, Uder im, den Löwen
des Gebirges, zu erkennen gegeben, und ihm zugleich
die Aussicht eröffnet hatte, vermittelst des Instinctes seines
Hundes , der durch den Talisman des Arztes eine schnelle
Heilung gewonnen, unter den Fürsten denjenigen zu ent-
decken, welcher dem Banner die Schmach angethan und das
edle Thier verwundet hatte, und hierdurch seine eigene Ehre
wieder zu gewinnen. Und wirklich, als hierauf die Fürsten,
dem Führer ihre Ehrfurcht zu erweisen , der Reihe nach zu
der neu aufgerichteten Fahne nahen , verräth der sichere Trieb
des Thieres den schuldigen Marquis von Montserrat. Zu
Entscheidung des Streites , der sich entspinnt, wird auf den
fünften Tag ein Zweikampf bestimmt, so dafs König Richard,
als der Ankläger, für sich einen Kämpfer stellen, Conrad,
Marquis von Montserrat aber, als der Angeklagte, in eigener
Person erscheinen soll. Den Sultan Saladin beschliefst man
um einen Ort aufserhalb des Lagers zu dem Kampfplatze zu
bitten. Kenneth, als Nubischer Sclave , übergibt an Editha
des Sultans Briefe , und behauptet, obgleich von de* Gelieb-
ten erkannt, diesmal treu das gelobte Schweigen. Noch ist er
Zeuge, wie Blondel von Nesle das Lied von dem Blut-
ge wände singt, und kehrt dann mit des Königs Botschaft zu
Öuladin zurück.
Dieser bestimmt den christlichen Kämpfern den Diaman-
ten der Wüste zu dem Kampffelde. Dahin begibt sich Ri-
chard mit den Damen , so wie der Marquis Conrad, beide mit
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362 Romane von Walter Scott.
0
dem verabredeten Gefolge, und des Königs Arzt tritt nun in
dritter Enthüllung als Sultan Saladin selbst hervor. Beide
ritterliche Fürsten geben Proben ihrer Stärke und Gewandt-
heit im Gebrauche der Waffen. Darauf gehet der Kampf vor,
worin Sir Kenneth, von dem Sarazenischen Fürsten gewapp-
net, als Aichaids Kämpfer erscheint und seinen Gegner so-
gleich bei dem ersten Zusammentreffen niederwirft. Der Be-
siegte bekennet seine Schuld und wird in den Gewahrsam
seiner beiden Bürgen, des Herzogs von Oesterreich und des
Templers, gegeben. Der Sieger wird in das Zelt der Damen
geführt, die ihm die Waffenstücke abnehmen, und vor denen
der Ritter des Leoparden sich nun in neuer Enthüllung von
seinen Knien als David Graf von Huntingdon, kö-
niglicher Prinz von Schottland, erhebt, als den ihn
Richard schon zuvor erkannt hatte. Länger stehet nun keine
Scheidewand zwischen ihm und Editha, und auch der Ein-
siedler thut kund, wie die himmlischen Schaaren, die ihm
den Traum gegeben , nichts als Wahrheit in ihren leuchten-
den Urkunden schreiben. Denn Editha's Vermälung soll Ri-
chard aussöhnen mit einem seiner mächtigsten Feinde und ihr
Gemahl ein Christ seyn.
Nachdem aber der Dichter die Liebenden glücklich ver-
eint hat, und jede neue Enthüllung einer der verschleierten
Personen auch zu der neuen Lösung eines der verschlungenen
Knoten geworden , so bleibt ihm nur noch übrig, das Werk
der Rache zu vollbringen, das er diesmal einer gar hohen
Hand anvertraut. Denn indessen der Sultan seine christlichen
Gäste in seinem Zelte bewirthet, klingt aus seinem Munde
das gräfsliche : Accipehocl dem Templer entgegen, und von
seiner Hand und seinem Schwerte rollt des Verläthers Haupt
vor den zechenden Fürsten auf den Boden nieder. Mit jenen
Worten nämlich hatte — wie als unbemerkter Zeuge der
Zwerg dieses belauschte — der Grofsmeister der Templer
den unglücklichen Martjuis von- Montserrat erdolcht, damit
dieser seine geheimen Verbrechen nicht verrathen möge. Der
anze Vorgang bringt indessen kaum eine Störung des Festes
ervor. Das Blut wird weggewischt und die Gesellschaft setzt
das Mahl fort.
An dem folgenden Tage kehren die christlichen Fürsten
nach ihrem Lager zurück. Bald darauf wird der junge Graf
von Huntingdon mit Editha Plantagenet vermählt.
Der Sultan schickt uls Hochzeitsgeschenk den berühmten
Talisman. —
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Romane von Walter Scotf. 363
Recht anschaulich wird uns aber in diesen Bildern, die
nun ganz historisch sind, die Methode, wonach der Dichter
seine Schöpfungen zu Stande bringt. Es ist nicht Eine Idee ,
von der ergriffen er seinen Plan entwirft; die sichtbar in das
Leben zu führen, er Ort, Zeit und Personen wählt, und sei-
nen Knoten schürzend und lösend, neue Verscblingungen her-
vorbringt, so dafs wir zuletzt, nachdem das bunte Spiel an
uns vorüber gegangen, in dem Besitze seiner besten, blei-
benden Gabe, von seiner Idee gehoben und beruhigt, von
ihm scheiden. Sein Streben vielmehr beschränkt sich darauf,
irgend ein geschichtliches Ereignifs, eine Zeit, Personen aus
derselben darzustellen. Hiernach ordnet er seinen Entwurf»
Die Scene wird geschildert, mit unermüdlicher Beharrlichkeit
weilt der Zeichner dann bei seinen Personen, fafst sie in die«
sei und dann wieder in einer andern Situation auf, und läfst
sie nicht eher los, bis er sie in voller Verständlichkeit vor
den Beschauer hingestellt hat. Damit gewinnen seine Gemälde
allerdings eine groise Anschaulichkeit, aber auch eine gleich
groise Breite; er schaffet mehr einen Kranz anmuthig wech-
selnder Schilderungen, Zeichnungen, Malereien, als Ein gros-
ses, in allen seinen Theilen fest verbundenes und gleichmäfsig
ausgeführtes Ganze; der augenblickliche Effect ist gewaltig,
und doch das Resultat und der letzte Nachklang gering Und
was dann den aus der Geschichte entlehnten Gegenstand an-
gebt, so unterhält uns unser Dichter hier nicht, wie in vie-
len andern Stücken, mit dem Leben und den Ereignissen einer
fernen, ungekannten Welt, mit einer Reihe von Sagen, wie
diese in dem engen Kreise eines abgetrennt lebenden Völkchens
eingeschlossen sind, das wir durch ihn erat kennen lernen;
er führet uns auf ein allgemein gekanntes Gebiet, auf den hell
leuchtenden Schauplatz der grofsen Weltereignisse seihst.
Wir müssen ihm dabei das Zeugnifs geben : in ihrem geschicht-
lichen Charakter stehen im Allgemeinen Zeit , Ort und Per-
sonen da, aber zugleich entgeh es uns nicht, welchen Zwang
er daneben der Geschichte anthut, wie sie in die Schranken
seines Dichterwerkes sich fügen mufs, wie er nur so viel von
ihr aufnimmt, als mit seinem Plane sich verträgt, und dieses
wieder zu seinem Zwecke gestaltet, dehnt oder verkürzt,
ändert und ausschmückt, und seltsam mit den grofsen Perso-
nen historischer Wirklichkeit die Gebilde seiner eigenen
Schöpferkraft verkehren läfst, als ob sie zugleich mit jenen
geboren worden, gelebt und gewirkt hätten und gestorben
seyen, da e,s uns vielmehr oft vorkam, als ob wir in denselben
nur flüchtig biuschitnmernde Irrlichter, und Spukgestalten
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1
361 Romane von Walter Scott.
zwischen dm testen , in unvergänglichem Erze aufgestellten
Bildern der Historie hingaukeln sähen. Auch sind die letz-
tern, um sie recht stark in ihren Charakterzügen auftreten
zu lassen, mehrmals bis zu dem Carricaturartigen grell ge-
zeichnet, und wir gestehen ollen, wie wir durch diese Be-
handlung der Geschichte x\ns wenig befriedigt gefühlt haben,
und dem letzten Werke unseres Dichters nicht eben die erste
Stelle unter seinen Schöpfungen einräumen möchten.
Um aber dieses allgemeine Urtheil durch Einzelnheiten
aus dem Stücke selbst zu bewähren und zu erörtern, so be-
ruhet die Verschlingung und Lösung in diesem romantischen
Gemälde wörtlich auf einer Verkleidung und Entklei-
d ung einer der Hauptpersonen aus demselben. Sa 1 ad in er-
scheint erst als der .Löwe Ilderim von Kurdistan, legt
darauf die Verhüllung des Arztes El Hakim um, steht
dann wieder als Ilderim vor Kenneth , und zeigt sich zuletzt
. erst in seiner wahren Gestalt, als den gewaltigen Sul-
tan selbst, vor dem Ritter und dem christlichen Könige. In
dem Ganzen erscheint er mehr als ein abendländischer Aben-
theurer, denn als orientalischer Monarch , und wir zweifeln
sehr, ob diese seine Beweglichkeit je mit dem starren Ernste
des Morgenlandes sich einen werde. Besonders ist die letzte
Scene, wo er mit eigener Hand das Scharfrichteramt übt und
vor den bei dem Mahle versammelten Fürsten dem Templer
den Kopf abmäht, grell genug gezeichnet, und es ist eine
grofse Anforderung an den Leser, einen solchen Vorgang als
in dem Charakter der Geschichte gegründet zu achten. Ganz
in dem Sinne, wie neuere Geschieb tforscher die Templer wie*
der auffassen, istGilesAmaury, der Priester- Soldat und
Groismeister des Templerordens, gezeichnet, als das Haupt
eines durch geheime Gräuel entweiheten Bundes, der keinen
andern Zweck hat ( als den Tempel seiner eigenen Gröise , und
sey es eben so auf den Trümmern der christlichen, als der sa-
razenischen Macht, aufzuführ* . Sein Verbündeter erscheint
als ein Marquis von Montierrat, und damit sein Name
nicht zweifelhaft seye, auch mit dem sägeförmig gezackten
Berge auf seinem Schilde, statt des geschichtlichen Mark-
grafen Conrad von Montferrat, der, gegen die An-
sprüche des gefangenen und von Saladiu frei gegebenen Königs
Guido von Jerusalem, das von ihm eroberte Tyrua zu behaup-
ten sucht, und hier durch den Dolch eines Assassinen endet,
statt dais unser Dichter ihn erst durch die Lanze Kenneth s
sinken und dann unter dem Dolche des Templers verbluten
läist. — Herrlich ist der Ritter Kenneth, als freies Ge-
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Romane von Walter Scotr. 365
bilde der schöpferischen Kraft des Dichters , dargestellt, in
seinem Adel, in seiner Armuth und seinem Stolze, in seiner
Liebe su seinem Diener nnd Hunde, und in dem Dienste sei-
ner Dame , wie er in diesem seine ritterliche Ehre verletzt/,
aber auch wieder herstellt, und hierdurch die Liebe Editha's
zu ihm sich enthüllt. Es ist dieses das gelungenste Bild von
allen , so wie die Lösung da gegeben wird , wo er als Schot-
tischer Königsprinz, David Graf von Huntingdon her-
vortritt. Als ein hochgehaltenes Gebilde steht dann die schöne
Jungfrau von Anjou, Editha Plantagenet, zu seiner
Seite, und wir betrachten jene Scene als die anziehendste,
wo Kenneth und Editha zusammen auftreten, so wie die er-
sten Erzählungen als die Blütbe des Ganzen. Wie herrlich
sind jene nächtlichen Vorgänge in dem Carmeliterkloster ;
dann die nächtliche Wache bei der Standarte Englands und die
Verlockung des Wächters in das Zelt der Königin durch den
Zwerg, der doch den fremden Ritter zu weit führt, so dafs
die königliche Herrin durch ihre übermüthige Laune sich in
Verlegenheit und zuletzt in grofse Trauer und Beängstigung
gesetzt fühlt. Hier ist hohe Poesie. Auch die Unterhaltung
des ungeduldigen Königs mit seinem treuen De Vaux , dem
Seht Englischen Charakter, ist vortrefflich. Darauf aber zer-
fällt das Ganze und dehnt sich ungebührlich in die Breite, und
die geschichtlichen Züge werden vielfach entstellt, indem nun
gar Saladin , der Sultan, in dem christlichen Lager als Arzt
erscheint, und, phantastisch genug , seinen ritterlichen Feind
mit seinem Talismane heilt. Und werfen wir zuletzt einen
Blick auf den Helden selbst, der dem Stücke den Namen gibt,
so ist König Richard ganz so gehalten , wie ihn einer un-
serer gründlichen Historiker schildert: als der, „in dessen
Charakter sich dieselbe Mischung entgegengesetzter Eigen-
schaften zeigte, welche der ganzen ritterlichen Sängerzunft
jener Zeiten und Gegenden eigentbümlich war, der er ange-
hörte: Heldenmuth, Durst nach Thaten, lebendiges religiö-
ses Gefühl , welches abwechselnd mit Rohheit, Grausamkeit,
Habsucht, Jähzorn und Wollust in ihm wirkte, und ihn bald
zu dem Höchsten, bald zu dem Niedrigsten fähig machte.«
Und in wie ganz anderer Persönlichkeit erscheint er hier, als
in einigen deutschen Romanen , wo er allein nur von Seiten
seiner Ritterlichkeit , seines Frauendienstes und seines Edel-
muthes srufgefafst wird. Ueberhaupt bemühet sich unser.
Dichter eben so wenig das Harte, Hohe und die ganze grelle
Barbarei jener Zeit zu verdecken und zu beschönigen, als er
von der andern Seite mit inniger Liebe die Züge wahrer Gröfse
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366 Romane von Walter Scott.
und einea gewaltigem Lebens - und Glaubensgefühles , als die
unsrige es besitzt, hervorhebt. Nur in Zeit, Ort und, wia
schon angedeutet worden, in den Personen ist mit erofser
Willkühr alles umgestaltet, und das, was Effect hervorbringt,
ao gehäuft, dafs jene glänzenden Züge aus einem weitern, ge-
schichtlichen Gebiete in den engen Kaum dieser Vorgänge zu-
sammengedrängt sind.
So war wirklich der Plan einer Versöhnung durch Heirath
zwischen den christlichen und sarazenischen Fürsten vorban-
den , aber nicht zwischen Saladin selbst und dieser Ediths
Plantagenet, sondern zwischen El Adel, dem Bruder des
Sultans, und Richards Schwester, der Witwe Wilhelms II.
von Sicilien. Auch ist der ganze Vorgang mit der Fahne ein
anderer. Nicht hier in dem .Lager trug sich das Ereignifs zu,
und nicht der Herzog Leopold von Oesterreich war der zuerst
Beleidigende, sondern Richard war es, der in Acre, als er
das Panier des Herzogs aut einem der von den Seinigen be-
haupteten T Lünne aufgepflanzt sah, es herabrifs und he-
schimpfte, wodurch sich der später für Richard so schädliche
Zwist zwischen beiden Fürsten entspann. Eben so war es
nicht jener poetisch erfundene Büfser von Engaddi, der Ri-
chard seine Töchter vorrückte, sondern es ist auch hier nur
ein früheres Ereignifs benutzt. Denn der Pfarrer Fulco von
TM t uill y war es, der Richard gewarnt hatte, nicht eher auf
den Kreuzzug zu gehen, bis er seine drei Tochter: Stolz,
Wollust und Habsucht, würde verheirathet haben ; worauf
ihm denn freilich Richard zu dienen vr niste, indem er nach
andern einleitenden Worten entgegnete: »Do igitur super-
biam meam superbis templariis, et cupiditatem meam monachis
de ordine Cisterciensi et luxuriam meam praelatis ecclesiarum"
Schlossers Weltgesch. Th. III, II, 1. S. 10.
We nn man nun diese Willkührlichkeit ansieht, mit wel-
cher der Dichter die Geschichte benutzt, und was in anderer
Zeit und von andern Personen geschehen, den seinigen in den
Mund legt, so wird man um so mehr bedenklich in den an-
dern Romanen desselben, wu wir ihm nicht Schritt für Schritt
folgen können, weil nur er mit den Quellen seiner Erzählung
vertraut ist, und wir überhaupt nicht wissen, wie weit wir
auf dem festen Boden der Geschichte uns bewegen. Und so
ist es nicht dieses, was wir ihm vorrücken wollen : er ver-
wirre die Begrilfe durch seine Mischung von Dichtung und
Wahrheit, sondern der innere Widerstreit in seiner ganzen
Methode, die von der einen Seite auf grofsartige, lebendige
Nachbildung der Wirklichkeit binstiebt, und von der andern
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Simon über venerische Krankheiten,
367
diese Wirklichkeit mit aller Willkühr in seine Dichtung hinein-
zieht, sie mit dieser mischt und nach dem Bedürfnisse dersel-
ben schmückt und umgestaltet.
Ueber die Zeichen der venerischen Krankheit und deren Bedeutung £
über die Notwendigkeit einer energischen Behandlung der allge-
meinen Lustseuche und über das wahre Wesen der vermeinten und
sogenannten Merkurialkrankheit , zu ernster Belehrung und drin-
gender Warnung Jür alle gebildete Laien von Dr. Friedrich
Alexander Simon, jun.r praktischem Arzte in Hamburg.
Mit dem Motto : nil humani a me alienum esse puto. Leipzig ,
1825. bei Steinacker und Hartknoch. Hamburg 9 beim Verfasser.
Xmi und 236 S. 8. 1 Thlr. 8 Gr.
Eine gründliche Anleitung für den Nichtarzt zur Aufklä-
rung üher die wahre Natur der venerischen Krankheit, eine
von einem redlichen und zugleich kenntnifsvollen und erfah-
rungsreichen Arzte verfafste Darstellung desjenigen, was zu
thun oder zu lassen sey, um, einmal befallen von dieser bös-
artigen Seuche, vor ihren weitern zerstörenden Folgen ge-
sichert zu seyn, ist in Wahrheit kein unverdienstliches Un-
ternehmen l Was wir zur öffentlichen Belehrung über dieses
so vielfach verbreitete, in so mannigfachen Gestalten einher-
ziehende, so tief in das körperliche und moralische Wohl der
Menschen eingreifende Uehel für den Laien bis jetzt besitzen,
ist, mit nur wenigen Ausnahmen, entweder das schale Er-
zeugnifs literarischer Speculation und Gewinnsucht, dem alles
Andere theuer ist, nur nicht das wahre Wohl der leidenden
Menschheit, obwohl solche Schriften letzteres als den Zweck
ihrer Erscheinung gewöhnlich in den Schild hängen, oder sie
geben Anleitung zu jenen unseligen Selbstkuren, die den im
Gebiete ärztlicher Beurtheilung fremden Kranken nicht selten
im Innersten zerstört und an aller Hülfe verzweifelnd, zuletzt
doch noch dem Arzte zuführen; oder sie enthalten geradezu
von vorn herein theoretische Sülze und Kurregeln, die eben
sowohl der wahren Natur des Uebels, als einer gesunden The-
rapie zuwider laufen, und den Kranken, werden sie realisirt,
frfliier oder spater in ein unvermeidliches Siechthum stürzen.
— Nicht minder aber ist es wahr, dafs sich Vieles von dieser
bösartigen , im Finstern schleichenden Seuche unter den Men-
schen durch die Unwissenheit der letztern von der Bedeutung
derselben verbreitet; Vielen, die früher Hülfe gesucht und
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368
gefunden hätten, ist es unbekannt geblieben, dafs sie, wie
es dem Ref. schon oft auf die auffallendste Weise vorgekom-
men, das Gift der Krankheit bereits schon Jahre lang mit sich
herum schleppen, und dasjenige, woran sie lange schon die
qualvollsten Stunden verseufzt, venerischer Abkunft sey;
nicht weniger halten auch wieder Andere, die den Ursprung
ihres Leidens zwar kennen , dasselbe aber wegen seiner
Schuierzlosigkeit , seines langsamen Umsichgreifens, weil sie
dasselbe oft lange nicht an ihren Gewohnheiten, ihren Genüs-
sen und Berufsverhältnissen hindert, und ein solches zuweilen
auch längere Zeit verborgen halten können, doch nur für eine
Kleinigkeit, spötteln wohl gar darüber, machen sich lustig
über ihre Galanterieen , wie sie die Folgen ihrer Vergehen
allzu gelinde benennen , und tbun sich wohl noch etwas dar«
auf zu Gute, in diesem unreinen Gebiete sich wacker herum*
getummelt zu haben ; noch Andere aber endlich werden nicht
blos durch eigene Unwissenheit, durch Vorurtheil oder seihst
verschuldete Nachlässigkeit, sondern leider nicht selten durch
die irrigen Ansichten ihrer Aerzte, durch die Lauigkeit und
Gleichgültigkeit, mit welcher letztere ihr Uebel ansehen und
behandeln, durch das kraftlose Verfahren derselben gegen die
Krankheit, die Beute einer schnellern oder langsamem Vergif-
tung. — Vorliegende Schrift nun entspricht nach des Ref. Er-
messen vollkommen denjenigen Forderungen, welche man an
einen populären Unterricht über den in Frage stehenden wich-
tigen Gegenstand zu machen berechtigt ist, und von ganzem
Herzen wünscht er, dafs ihr so viele Leser zu Theil werden
möchten , als sie es verdiente. Der Verf. bat sich strenge an
die Befugnifs des ächten, populär schreibenden Arztes gehal-
ten, nämlich dem Laien keine eigentlichen Arzneivorschriften
zu ertheilen , sondern denselben lediglich auf eine klare und
bündige Weise mit dem Wesen und der Form des abzuhan-
delnden Gegenstandes bekannt zu machen; herrschende Vor-
urtheile'über denselben gründlich zu beseitigen, verständige
Vorschriften und dringende Warnungen in der Diät und Le-
bensordnung des Kranken überhaupt zu ertheilen, und aufser-
dem auf die menschenfreundliche und kenntnifsvolle Berathung
und Hülfe durch den Arzt hinzuweisen.
(D#r Beschluf s folgt.)
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N. 24 ■ • 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Simon, über die Zeichen der venerischen Krankheit
und deren Bedeutung.
(Beschlu j s.)
Hauptsächlich aher ist es dem Verf. darum zu thun , zum
Tröste und zur Belehrung des Nichtarztes zu zeigen , dafs
das venerische Uebel bei weitem in den meisten Fällen gründ-
lich und ohne weitern und spätem Schaden für die Gesundheit
wieder geheilt werden könne, wenn nur die Bedingungen eu
einer solchen Heilung von Seiten des Arztes sowohl als des
Kranken pünktlich erfüllt werden ; dafs aber nur allein das
Quecksilber und seine zweckmäfsige und kräftige Anwendung,
nicht aber der unverständige und unvollkommene Gebrauch
dieses Medikaments, oder die blos äufserliche oder örtliche
Behandlung des venerischen Lokalübels, und eben so wenig
der Gebrauch des Guajaks, der Sassaparille, der Säuren oder
der Schwefelbäder diejenigen Heilmittel seyen , durch welche
das venerische Gift gründlich getilgt werden könne ; dafs die
sogenannte Merkurialkrankheit im gewöhnlichen Sinne des
Worts ein Unding und nichts weiter sey, als eine Complica-
tion der noch nicht gänzlich getilgten syphilitischen Krankheit
mit dem, durch den oft wiederholten oder unzweckmäfsigen
Quecksilbergebrauch im Körper hervorgebrachten Schwäche -
und Auflösungszustande , und dafs es von Vorurtheilen oder
einem Mangel an oft wiederholter unparteiischer und gründ-
licher Beobachtung zeuge, wenn von der Schädlichkeit des
gegen die Syphilis verständig angewandten Merkurs für die
übrige Gesundheit, oder gar von der Ueberflüssigkeit und
Nutzlosigkeit dieses Metalls gegen jene Krankheit die Sprache
sey. — lief, findet die hier aufgestellten Ansichten und Grund-
sätze des Verf. , der Hauptsache nach , mit seinen eigenen
Über diesen Gegenstand vollkommen übereinstimmend ; schon
längst verdankt er der Befolgung derselben die glückliche Wie-
derherstellung mancher an dieser Seuche Leidenden, die längst
XIX. Jahrg. 4. Heft. 24
Digitized
370 Siwim über venerische Krankheiten.
• . *. # • •
schon alle Hoffnung zu ihrer Genesung aufgegeben hatten, und
er hegt die volle Ueberzetigung , dafs die allgemeinere Berück-
sichtigung jener Grundsätze für Kranke und Aerzte von gleich
segensvoHen Folgen seyn würde. '*,-.
Nach dieser allgemeinen Darstellung des wesentlichen In—
Lahes der Schrift wendet sich Ref. nun mit Kurzem zu der
besondern Anzeige ihrer einzelnen Theile. .Sie besteht auf
sieben Kapiteln, von denen das erste (S. i — 24.) eine
„historische Skizze der Lustseuche und ihrer Behandlung seit
Erscheinung derselben bis auf unsere Zeiten « enthält, die
nicht nur der Laie, sondern auch der^Arzt mit Interesse und
Nutzen lesen wird. Zu S. 22. gedenkt Ref. in Bezug auf die
Trüglichkeit der sogenannten gelinden Montpellier'schen Ku-
ren durch Sublimat ohne Salivation und des warmen Klima's
jener 'Geg e'nVl* eines Marines mit einer syphilitischen Auftrei-
bung des Brustheins , den er vor wenigen Jahren an seinem
gegenwartigen Wohnorte behandelte, welcher zuvor in1 Tou-
louse und Montpellier gegen seine consecutive Lues auf jene
Weise fruchtlos behandelt worden war, und eben so daselbst
auch eine Menge Schwefelbäder, zuletzt aber die Pyrenäen-
bäder von Bareges ohne eine gründliche Heilung seines Uebela
gebraucht hatte. — Das zweite Kapitel (S. 25 — 42.)
ist der Belehrung „über die venerische Ansteckung*«, d. i. der
Art und Weise, wie das venerische Gift mitgetheilt wird,
und auf welchen verschiedenen Wegen die Ansteckung durch
dasselbe geschehen kann , gewidmet, Ref. vermifst hier eine
kurze Belehrung für den Nichtarzt, was von der durch den
gemeinschaftlichen Gebrauch eines Abttittcs angeblich gesche-
henen venerischen Ansteckung zu halten sey; da gerade die
Meinung, dafs sich auf diesem Wege das syphilitische Gift
leicht mittheile, unter den Laien häufiger verbreitet ist, als
sich mit der Wahrheit vorträgt, dieselbe aber unter gewissen
Bedingungen und in seltnen Fällen allerdings auch Statt finden
kann. Desgleichen hätte auch die häufig von Laien "ehö'rte
Meinung: dafs durch den Beischlaf mit einer Frauensperson f
welche die monatliche Reini^im? habe, auch wenn sie sonst
rein sey, eine Ansteckung geschehen könne, Erwähnung und
Berichtigung verdient. — In Betracht der wichtigen Streit-
frage über die Fortpflanzung des venerischen Giftes durch die
Zeugung bemerkt Ref. zu Gunsten der erstem, dafs auch ium
mehrere unbestreitbare Fälle einer solchen Fortpflanzung vor-
gekommen Seyen, die sich aber zum Theil nicht gleich nach
der Geburt oder in den ersten Lebensjahren, sondern erst
nach Verflufs mehrerer Jahre bei den Kindern offenbarten. —
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Simon über vcneriichc Krankheiten. 371
Ohne im Sinne älterer Schriftsteller eine actio in diatans dea
venerischen Giftea anzunehmen, so hält Ref. doch eine Mit-
theilung desselben durch die Atmosphäre, den. Athens, den
Schweifs unter gewissen Umstünden und bei gün-
stiger Disposition des. Körpers nicht für. unmöglich ,
eben so wie sich auch die JLungensucbt unter gewissen Bedin-
gungen ansteckend zeigt j und er macht hiebei insbesondere
auch auf das aufmerksam, was neuerlich J. H. Kopp (in seU
nen ärztl. Bemerk, auf einer Reise in Deutschland und Fraujt-
reiqb , Frankf. a. M. 1825. S. 127 lf.) über Mittheilungen der
Syphilis- auf diesen Wegen beobachtet hat. — Im dritten
Kapitel (S. 42 — 58.) handelt der Verf. „von den verschie-
denen Vorbauungsmitteln der Ansteckung* , .bei deren Auf-
isählung und Würdigung die vor mehreren Jahren von Eich-
rodt als Schutzmittel gegen die venerische Ansteckung äufserr
lieh zu gebrauchende oxydirte Salzsäure auch eine Stelle ,ver#-
dient hätte, um so eher, als die Wirksamkeit jenes Mittel«
gegen Ansteckungsstoffe ȟberhaupt vielen gebildeten Laien
ohnedies längst schon bekannt ist. — ■ Dbs vierte Kap i t ej
(S. 59 — l3u.) ist der Beschreibung der „ ursprünglichen oder
sogenannten örtlichen venerischen Üehel, dem Tripper , Schau-
ker und den Leistenheulen ct gewidmet. Dieses vortielflkhe
Kapitel enthält für Laien , so wie auch selbst für Aerzte,. l>e-
herzignngswerthe, inhaltscbwere Worte, die dem Ref. aus
der Seele geschrieben sind. Ref. erlaubt aich dabei blos die
Bemerkung, dafs es dem Verf. hätte gefallen mögen, bei den
diätetischen Vorschriften gegen jene Uebel, und namentlich
gegen den Tripper, specialer zu seyn, indem der Nichtarzt
eine nähere Belehrung, hierüber durch eine bessere medici-
nisch - populäre Schrift um so mehr fordern kann, je weniger
in einer solchen- die Rede vom Selbstgehrauch von Arznei-
mitteln seyn soll. Ref. weifs aus täglicher Erfahrung -auch
in andern Krankheiten, dafs e* nicht genug ist, blos im All-
gemeinen zu bestimmen: der Laie aoll eine strenge, milde
1 Hat halten, den Genufs schwerer, unverdaulicher, blähen-
der Speisen vermeiden, sondern es müssen ihm auf positive
Weise diejenigen Speisen .und Getränke namentlich benannt
Verden, welche er während seiner Krankheit zu genielseii
oder zu vermeiden hat, damit ihm weniger Zweifel in seiner
eigenen Wahl unter denselben übrig bleiben, und ihm die Be-
folgung diätetischer Vorschriften , worauf ja im Heilungs-
processe so vieles ankommt, um so bequemer, und dann auch
um so sicherer gemacht wird. — Beim Gehrauch eines Suspen-
soriums im Tripper vennifst Ref. den Rath, dasselbe nicht
24 *
372 Sfooa über venerische Krankheiten.
nur gleich im Anfange dieser Krankheit in Anwendung zu
bringen, sondejn es auch noch zu tragen, wenn der Tripper
bereits schon gänzlich im Abnehmen ist, indem nach des Ref;
Beobachtung die gonorrhöischen Hodenanschwellungen im
zweiten Zeiträume des Trippers, wo der Kranke sich schon
wieder mehr Uebertretungen in den ärztlichen Vorschriften
erlauben zu dürfen glaubt, häufiger vorkommen , als im ersten
entzündlichen Stadium desselben, ein passend verfertigter,
nicht zu weiter oder zu enger Tragbeutel aber zu deren Ver-
hütung vieles beiträgt. Außerdem räth Ref. seinen Tripper-
kranken auch noch, um die Reibung an der empfindlichen
Harnröhrenmündnng bei den Bewegungen des Körpers, im
Gehen u. s. w. , so wie um das Ankleben des männlichen Glie-
des am Hemde oder den Beinkleidern , und das ekelhafte und
-Obel riechende Beschmutzen jener Kleidungsstücke zu verhü-
ten, das gleichzeitige Traden eines nicht zu engen, mit Lein«
Wandläppchen oder Cbarpie zum Tbeil angefüllten Suspenso-
riums oder Futterals für das männliche Glied selbst, dessen
theilweise beschmutzter Inhalt von Zeit zu Zeit leicht ent-
fernt werden kann , während das gereizte und etwas geschwol-
lene Glied in der nach seiner Form gefertigten Hülle eine
wohlthätige Unterstützung findet. Für wesentlich hätte Ref.
ferner den Rath für Tripperkranke gehalten, das nur allzu-
häufig bei ihnen vorkommende schädliche Betasten und Drük-
ken des Gliedes, wozu sie theils an sich schon durch den ge-
reizten Zustand desselben , theils durch die beständige Neu-
gierde, den lästigen Ausfluß bald vermindert und entfernt zu
sehen, aufgelegt sind, zu vermeiden, und insbesondere im
ersten Zeiträume der Krankheit das männliche Glied als in
einein entzündeten Zustande befindlich zu betrachten, wobei
das häufige Betasten und Drücken fast so nachtbeilig ist, als
bei einem entzündeten Auge. Aus diesem Grunde hält Ref.
auch das vom Verf. um der Reinlichkeit willen angerathene
öftere Entfernen des ausfließenden Tripperschleimes nicht für
ganz zweckmäßig , insbesondere da der Laie Maafs und Ziel
zu halten, in den meisten Fällen so wenig geeignet ist. — —
Nicht ganz sachgemäß findet es Ref., wenn der gelehrte Vf.
das gewöhnlich sogenannte zweite oder reizlosere Stadium
der Gonorrhoe Nacbtripper nennt, da nicht dieser Zeitraum
des Schleimflusses, sondern erst die ungewöhnliche oder wi-
dernatürliche Verlängerung desselben, oder eine abermalige
Schleimabsonderung, nachdem die erstere bereits schon auf
gewöhnliche Weise aufgehört hatte, gleichsam eine dritte Pe-
riode des Tripptrs, mit Recht Nachtripper genannt werden
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Simon über veneritche Krankheiten. 373
I
kann. — Unter die auf sogenannte gestopfte Tripper auwei.
Jen erst später noch folgende Uebe), welche der Nichtarat
kennen soll, gehören auch noch die Mastdarm-, Mittelfleisch -
und Harnröhrenfisteln, die sich dann in gewissen Jahren um
so leichter bilden , je mehr sich zugleich Hämorrhoidalumst&ndo
damit verbinden. Eben so wäre es auch nicht überflüssig ge-
wesen für den Laien su bemerken, dafs der Augenschleim-
flufs neugeborener Kinder, durch welchen au weilen in gana
kurzer Zeit die Augen zerstört werden und das Kind für im.
mer erblindet, nicht selten in einer von den angesteckten Ael-
tern aus mittelbar oder unmittelbar durch die Zeugung gesebe-
bener Uebertragung des Trippergiftes auf das Kind hervorge-
bracht werde. — ZUr Verhütung und Mild erung der schmerz-
haften nächtlichen Erectionen bei'm Tripper würde Ref. dem
Laien vorzüglich auch die Vermeidung der llückenlage im
Bette und frühes Aufstehen empfohlen haben. — Die S. 80.
gegen diesen lästigen Zufall vom Verf. empfohlenen lauen Bä-
hungen des männlichen Gliedes (woraus diese bestehen sollen,
ist für den Laien nicht gesagt) findet Ref. deswegen nicht
gut anwendbar, weil ihre Bereitung für den Tripperkrauken
gewöhnlich zu umständlich ist , er in deren Anwendung zum
Schaden leicht zu viel oder zu wenig tbut, und sein Uebel bei
ihrem Gebrauche auch eher verrathen wird. Leichter für den
Laien ausführbar sind gegen den genannten Zufall das öftere
sanfte Baden des männlichen Gliedes in lauer Milch, sorgfäl-
tige, nicht drückende Einhüllung desselben nachher in Lein-
wand, vorzüglich aber strenge Vermeidung aller geistigen und
körperlichen Reize für die Geschlechtstbeile, als Nachtessen,
blos eine leichte Suppe und Seitenlage im Bette. — Im Punkt
der Einspritzung gestattet der Verf. ganz milde Injectionen
von lauer Milch und Habergrütze nicht nur als unschädlich in
der ersten Periode des Trippers, sondern auch als nützlich
gegen den heftigen Schmerz. Ref. wider räth Einspritzungen
im Tripper ganz und gar, sey es im ersten Zeiträume dessel-
ben mit lauer Milch, oder bei'm eigentlichen Nachtripper mit
adstringirenden und narkotischen Substanzen ; denn erstete
schaden durch den mechanischen Reiz an der entzündeten Mün«
dung der Harnröhre, ohne dafs die besänftigende Elttssigkeit
tief in letztere eindränge und Nutzen schaffte , bei letzterem,
aber hat Ref. durch Unterdrückung des Tripperausflusses nicht
nur die bekannten nachtheiligen folgen, sondern statt dersel-
ben sehr oft auch den Tripperausflufs neuerdings wieder, stär-^
ber , als er zuvor war, werden sehen. — lieber die wahre
Bedeutung der von Laien (und vielen Aeczten) gar häufig zu.
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374 Simon über venerische Krankheiten.
leicht genommenen, nicht gelten blos oberflächlich und mibe«
deutend scheinenden Excoriationen an der Vorhaut oder der
Eichel, deren der Verf. S. 116 und 118 erwähnt, hat eich auch
Ref. kürzlich in diesen Jahrbüchern hei Gelegenheit der An-
zeige von J. H. Kopp'« ärztlichen Bemerkungen auf einer
Reise u. s. w. atisgesprochen, und es wäre ihm leicht, das
dort Gesagte mit einer nicht geringen Anzahl eigener Beob-
achtungennoch weiterhin zu belegen. — Im fünften Ka-
. pitel (S. 130 — 201.) unterrichtet der- Verf. über die „vene-
Tischen Folgeübel oder die sogenannte allgemeine Lustseuche«.
Unter diesen sind nach des Ref. Erfahrung geschwürige Nägel
an Händen und Füfsen gar nicht so selten, und er hatte oha-
längst Gelegenheit, ein Auswachsen der Nagel an den Fingern
bei einem halbjährigen Säuglinge zu beobachten , der von einer
verdächtigen Mutter geboren war. Desgleichen sah er auch
schon mehrere Male Condylomata an der inneren Flüche der
Oberschenkol und selbst zwischen den Fufszehen. Andrer-
seits sind aber Feigwarzen in der Mundhöhle nicht immer die
Zeugen einer tief eingewurzelten und verjährten Lustseuche,
denn Ref. sah sie schon in einer erst wenige Monate eher be-
stehenden Lustseuche neben andern gleichzeitigen Zufällen
consecutiver Lues auftreten. — Zu den S. 189. vom Verf. er-
wähnten, zuweilen auch nach kräftig behandelten venerischen
Halsgeschwüren noch auftretenden Knochenanschwellungen,
die „mehr ängstigend als wichtig Seyen«, zählt Ref. auch die
nach jenen gründlich geheilten Geschwüren zuweilen nachher
noch übrig bleibende Disposition zu katarrhalischen Halsent-
zündungen bei Personen, die zuvor nie oder nur selten an
letztern gelitten hatten , einem diaphoretischen Verfahren
weichen, kein Quecksilber mehr erfordern, jedoch mit den
eigentlichen syphilitischen Halsentzündungen oder mit den
durch unvollkommenen Quecksilhergebrauch nur gedämpften,
aber nicht getilgten Halsentzündungen dieser Art ja nicht ver-
wechselt werden dürfen. Die Heiserkeit und der würgende
Husten aus venerischer Ursache ist oft nicht leicht zu erken-
nen, Nebenumstünde müssen, nach des Ref. Erfahrung, hier
oft in der Diagnose leiten; ist aber die Ursache erkannt, so
vermag den Kranken nur der verständige Gebrauch des Queck-
silbers in dem frühem Zeiträume der Krankheit vor dem mar-
tervollen Tode der Kehlkopf- oder Luftröhren Schwindsucht
zu retten. — Sechstes Kapitel. Von der sogenannten
und vetlarvten venerischen Krankheit (S. 202 — 212.). ^er
Verf. gibt nicht zu, dals es eine verborgene oder verlarvte ve-
nerische Krankheit gebe, allein in dem gewöhnlichen Sinne
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V
Simon über venerische Krankheilen. 375
des Worts und nach der Analogie anderer Krankheiiszustifnd«>
wie z. B. der Wechselfieber, gibt es allerdings eine solche*
so ferne man darunter entweder eine Gomplication dea vene-
rischen Gifts mit einem andern Uebel versteht, wobei das er-
stere schwer zu erkennen ist, oder aber die meistens erst spät
eintretenden consecutiven Zufälle der Lues unter einer unge-
wöhnlichen und mit andern liebeln leicht au verwechselnden
Form auftreten; es gibt aber keine, so ferne von der Kennt-
nifs und dem Scharfsinne des Arztes zu erwarten steht, dafa
er die Complication der' Lustseuche mit andern Zuständen,,
oder die feinern und ungewöhnlichem Nuancen derselben in
den meisten Füllen ihrer wahren Natur nach erkennen werde*
Dafs das venerische Gift zwanzig bis dreifsig und noch meh-
rerejahre, ohne auszubrechen , im Körper schlummern könne^
^bezweifelt »auch Ref. eben so , wie er in die Fälle von nach so
langer Zeit erst ausgebrochener Wasserscheu nach dem tollen
Hund&bisse auch ein grolses Milstrauen setzt. Doch ist ihm
ein Fall vorgekommen , wo bei einer, allen 3 ufsern Zeichen
nach venerischen, durch Merkur und Speichelfiufs getilgten
Flechte im Gesichte, keine andere Ursache, als ein siebzehn
Jahre zuvor gehabtes venerisches Geschwür an den Geschlechts«
theilen, gegen welches dazumal das Quecksilber nicht kräftig
genug angewandt worden zu seyn schien, ausgemittelt wer-
den konnte. — Siebentes Kapitel» \on dem wahren
Wesen der sogenannten und vermeinten Merkurialkrankheit
(S. 21 3 — 236*). lief, findet in seinem Wirkungskreise unter
Laien nicht so viele Vorurtheile gegen das Quecksilber, als es
in dem des gelehrten Verf. der Fall zu seyn scheint; er wun-
dert sich aber, dafs der Verf. nicht an die metallische lle-
duetion desselben im lebenden Körper glaubt, und dafs er es
laugnet, dafs man im Blute der mit Quecksilber eingeriebenen
Thiere solches ie wieder gefunden habe. Sind denn dem Vf.
in letzterer Beziehung Zeller's Versuche unbekannt, zu Folge
welcher aus dem Blute der Thiere, denen dieses Metall ein-
gerieben worden war, laufendes Quecksilber entschieden dar-
gestellt wurde, und sollten die mehrfachen Beobachtungen von
metallischer Ausscheidung des Merkurs in die Knochen, so
wie durch den Eiter, den Schweifs und den Urin, worüber
uns unter Andern neuerlich Otto, Engelhard, Biett undCantu
merkwürdige Beobachtungen und Erfahrungen geliefert haben,
und wir uns auch durch den Augenschein in mehreren anato-
misch - pathologischen Sammlungen überzeugen können, in
den Augen des Vei f. keinen Glauben verdienen? — Gar nicht
für überllüssig hätte lief, in diesem Kapitel, wo von den ge-
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376 Simon über venerische Krankheiten.
i
wöhnlicheii Wirkungen des Quecksilber« auf den Körper und
insbesondere auf die Mundhöhle die Rede ist, die Bemerkung
für den Laien gehalten, dafs Geduld eines der vorzüglichsten
Hülfsmittel bei dem gewöhnlichen Speichelflusse sey, dafs Hie
Örtliche Anwendung von Arznei- und andern vermeinten Er-
leichterungsmitteln für den durch das Quecksilber verletzten
Mund in der Regel mehr lästig und schädlich als nützlich
werde, und dafs er meistens am besten sich selbst überlassen
werde, indem das Quecksilber, je nach den Umständen, ent-
weder ganz ausgesetzt, oder die Anwendung desselben we-
nigstens vermindert und seltner gemacht wird. Ferner hätte
Ref. für Salivirende den Rath für unerläfslich gehalten, sich
während des Quecksilbergebraucbs vor jeder Erkältung und
Durchnässung aufs sorgfältigste zu hüten, da von der Ver-
nachlässigung dieser Punkte oft die schlimmsten Folgen ent-
stehen, ja nicht selten der gute Erfolg der Behandlung dadurch
vereitelt wird, und eben so auch in Hinsicht auf das Verhal-
ten eines solchen Kranken im Essen und Trinken die pünkt-
lichsten Angaben nicht aufser Acht gelassen werden dürfen.
In Fällen hartnäckiger Syphilis hält Ref. das Tragen eines
Leibchens von sogenanntem Gesundheitsflanell auf dem blos-
sen Leibe und wollenen Strümpfen oder Halbstrümpfen wäh-
rend und nach der Kur für wesentlich, und er bedauert, dafs
unser geehrter Verf. in diesen Funkten den Layen nicht grös-
sere Vorsicht anempfohlen hat.
Zum Schlüsse bemerkt Ref. , dafs, da, seiner Ueberzeu-
gung nach, durch die Aerzte selbst am meisten zur Verhütung
und Verminderung des Schadens, den das syphilitische Uebel
unter den Menschen anrichtet, durch Wort und That gesche-
hen kann, es sehr zu wünschen wäre, dafs angehende Aerzte
auf Akademieen über einen so wichtigen, ihnen späterbin s6
oft zur Berathung kommenden Gegenstand einen ernsthaftem
und speciellern theoretischen und praktischen Unterricht er-
halten möchten, als es gewöhnlich geschieht. Zweitens aber
sieht es Ref. noch als einen grofsen Nachtheil an, dafs die
Behandlung dieser Krankheit sich so häufig in den Händen ge-
wöhnlicher Wundärzte befindet, von welchen kaum eine rich-
tige Einsicht in die Natur und Bedeutung, und also auch
kein zweckmäfsiges Heilverfahren gegen dieselbe erwartet
werden kann
Indem Ref. den würdigen Verf. auffordert, uns auch
künftighin mit den Resultaten seiner Forschungen am Kran-
kenbette zu beschenken , ersucht er ihn zugleich , sich durch
die Begegnisse mit anders Denkenden nicht abhalten zu lassen^
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Jurenalis Satirae ex rec. Weber. > 377
unerschrocken und, wo es gilt, der Wahrheit und der Wis-
senschaft und somit der Menschheit zu dienen , und diese
Bahn um so eifriger zu verfolgen, je öfter es in unsern Tagen
geschieht, dafs Autorität und einseitiges Nachbeten höher
gestellt werden, als die Freiheit einer redlichen und kennt-
nilsvollen Selbstanschauung der Natur im gesunden und kran-
ken Zustande.
D. Junii Juvenalis Aquinatis Satirae XVh Recensuit et
annotalionibus instruxit Ernestus Guilielmus fVeber9 PAi-
losoph. Dr. et Professor Gymnasii PVimariensis. fVimariaef in
novo Bibliopolio , vulgo Landesindustriecomptoir. MDCCCXXV.
X und 580 S. in gr. 8. 1 Thlr.
Dafs ungeachtet der Ausgaben von Achaintre und Ruperts
eine neue Ausgabe des J u v e n a] i s, sowohl in Absicht auf
Wiederherstellung des Textes , als Erklärung unzähliger schwie-
riger Stellen , ein keineswegs überflössiges Unternehmen sey,
wird Jeder gern zugeben, der nur eintgermafsen mit diesem
Dichter sich bekannt gemacht hat. Aus diesem Grunde nahm
Ree. auch vorliegende Bearbeitung des Hrn. Weber, der be-
reits vor sechs Jahren in seinen Animadversiones in Juvenalis £a-
tiras sich ruhmlichst der gelehrten Welt empfohlen, mit Ver-
gnügen in die Hand. Zwar hätte er lieber gewünscht, eine
vollständige neue Bearbeitung zu erhalten, wie der Herausge-
ber S. Vlfl der Vorrede solche charakterisirt ; er bedauert die
vielfachen Hindernisse, welche der Ausführung dieses Unter-
nehmens von Seiten des Hrn. Weber im Wege gestanden und
es ihm unmöglich gemacht haben, eine sorgfältige Prüfung und
Sichtung der kritischen Hülfsmittel und des ganzen Vorratlies
der varia lectio vorzunehmen, wie sie doch bei einer vollstän-
digen Ausgabe erforderlich ist, wo eine neue Recension des
Textes geliefert und begründet werden soll. Da nun dies aus
den bemerkten Gründen nicht in dem Plane des Hrn. Weber
lag, da ihm ferner neue, unbenutzte kritische Hülfsmittel
nicht zu Gebote standen, so beschränkte er sich nach den bis-
her gekannten Handschriften und nach Ruperti's Ausgabe den
Text zu liefern , jedoch mit manchen Veränderungen , welche
tbeils durch frühere vermeintliche Verbesserungen , theils
durch genauere Kenntnifs des Sprachgebrauchs des Juvenalis
veranlagst worden sind« Conjecturen fanden mit Recht nur
selten eine Stelle; desto öfterer aber hoifte der Herausgeber
378 Juvenalis Sarirae ex reo. Weber.
tlurcli gebesserte Interpunction dunkele und schwierige Stellen
erläutert, angefochtene und verdächtige Stellen aber verthei-
digt ru haben.
Was die Erklärung des Juvenals betrifft, die für den Be-
arbeiter dieses Dichters gewifs nicht minder grofse Schwieiig-
keiten darbietet, als die Kritik des Textes, und ein weites
noch nicht hinreichend bebautes Feld ihm eröffnet, so hat der
Herausgeber die Wichtigkeit dieses Umstandes keineswegs
verkannt oder übersehen, im Gegentheil hat er darauf mit
Hecht ein Hauptaugenmerk gerichtet; da er jedoch bei seiner
Ausgabe nicht jene Vollständigkeit berücksichtigte, so wird
man hier nicljt über alle dunkein und schwierigen Stellen Auf-
klarung finden , obgleich die Bemerkungen , die der Verf.
tiebt, meistens nur schwierige, vielfach angefochtene und
estrittene oder sehr verschieden erklürte Stellen betreffen ,
und darum ein höchst schätzbarer Beitrag zu der Erklärung
des schwierigen und dunklen Dichters zu nennen sind. Auf
die Bemerkungen eines Jenaer Kecensenten der Donner'schen
Uebersetzung des Juvenal (l822. No. 80. seqq.) ward Rück-
sicht genommen, und einige handschriftliche Bemerkungen
von R a i n e s i u s und II e i n d o r f benutzt. Nach der Vorrede
folgt unmittelbar der rein correcte Abdruck des Textes. Wir
hätten gewünscht , dals zur Erleichterung des. kritischen Ge-
brauchs der Herausgeber unter dem Texte die Abweichungen,
die er sich von der Kuperti'schen Ausgabe erlaubt hat, be-
merkt hätte. Mit S. 131. beginnen die Atmotationes in D. Junii
Juvenalis S atiras , welche den Kest des Buches füllen und dem-
nächst Gegenstand unserer Beurtheilung seyn müssen,
SaJ. 1, 27 — 29. Zuerst behandelt der Verf. die schwie-
rige Stelle : — Tyrias humero revocante lacertias , welche derselbe
also erklärt: „Incedebat ut equites illius temporibus, pur-
pura lacerna indutus, sed ut veri equitis speciem haberet,
eorum quoque negligentiam inter eundiun diligentem, quum
lacernam delapsam mox attraheret, mox attractam humeri
motu dejiceret , atfectabat.« Er nimmt also revocare, wie der
Jenaer Recensent, in dem gewifs richtigen Sinne von attrahere^
mifsbilligt aber dessen Erklärung im Ganzen. Allein nach
des Ree. Ermessen wäre der Hauptgedanke, auf den das zu-
nächst Vorhergehende, wie das zunächst Folgende führe, der
eines stolzen, aufgeblasenen und überraüthigen Parvenü*«,
der aber sich in seine Lage noch nicht recht zu schicken weifs
und solches in seinem Aeufsern unwillkührlich veriäth. Da-
mit aber scheint Hrn. Webers Erklärung nickt ganz überein-
zustimmen, so dals ltec. entweder die ült< re Erklärung dts
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1
Javcnali« Satirae ex rec. Weber. 379
Gronovia« (Observv. II,*l9.)t wornach man an die an der
Schulter befestigte, aber, weil Crispin sie noch nicht zu tra-
gen versteht, stets nach hinten zurückfallende, und von ihm
stets wieder angezogene Lacerna zu denken habe — wodurch
der Stolz des reichen Emporkömmlings eben so sehr wie seine
Gemeinheit kenntlich gemacht wird — vorziehen würde,
oder die des Jenaer Kecensenten , nach welcher man sich den
Crispin zu denken hat, wie er die nur lose befestigte Lacerna,
die bei jeder Bewegung herabzufallen droht, durch eine Bewe-
gung der Schulter herauf zu ziehen und fest zu halten sucht;
welche Nachliissigkeit und Verletzung des Austandes bei einein
Manne wie Crispinus von dem grölsten Stolze zeige. (Jeher
das Tyriiis hat der Verf. einige Stellen aus Martialis beigelügt.
Am ausführlichsten hat unsers Wissens darüber gehandelt mit
.Zusammenstellung der hierher gehörigen Stellen Obharius zu
Horat. Epist. I, 10. vs. 26. pag. 50. (Helmstadt 1824.). Im
nächstfolgenden Verse: ventilet aestivum digitis sudantibus aarum9
erklärt sich der Verf. mit Hecht penen die unpassende Verbin-
dung des aestivum (als Adverbium) mit sudantibus, wie jener
Jenaer Recens. vorgeschlagen, mit der Uebersetzung : wäh-
rend die Finger vor Sommerhitze schwitzen. Der
Verf. verbindet richtiger, aestivum mitaurum, und versteht
darunter einen goldenen, mit einer grofsen Gemme, deren
Farben auf den Sommer passen , geschmückten King , mit Ver-
weisung auf Böttiger Sabina p. 4l2. (soll wohl heilsen IL Tb,
p. 133. nach der neuen Ausgabe). Der Widerspruch, den
man darin finden könnte, dafs Crispinus im Sommer doch
einen Ring mit so schwerer Gemme trage, wird sich wohl be-
aeitigen lassen, wenn man bedenkt, dafs hier ein Mensch
dargestellt wird, der, von gemeiner Herkunft , jetzt, da er
zu Reichthum und Ansehen gelangt ist, dies djirch äufsere
Pracht zu zeigen sich bemüht.
Sat. I, 32. causidiei nova quum veniat lectica Mathonis plena
ipsa? giebt der Verf. eine scharfsinnige Erklärung, die wir
der von Ruperti gegebenen vorziehen müssen. Da nämlich
in Sat. VII, 129 ff. Matho als ein armer Advocat bezeichnet
Wird, der durch Lärmen und den Schein eines gröfseren Ver-
mögens sich durchbringt, da ferner das FahTen in einer lectica
nur reichen und angesehenen Personen zukomme, so werde
hier Matho dargestellt, wie er, um reich zu scheinen, eine
Sänfte miethet, und zwar, um desto mehr zu glänzen, eine
neue , d. h. eine vorher noch nicht gebrauchtet Dazu passen
auch die Worte plena ipsay welche der Ver£ nicht mit Ruperti
auf die Dicke dieses Advocaten bezieht, da er nach Sat. VIL
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380
Juvenalis Satirae ex rec. Wober.
ein magerer Mann war, also eher dessen Dicktbuer ei (man
erlaube Rec. diesen Ausdruck) hier bezeichnet wird. „Ad
ejus vanitatem refero, sagt der Ver£ , cjui nimirum in lectica
sedens tanto fastu se extendit et jactat, ut totam quasi ex-
pleat, nec satis spatii in ea habere videatur.« Wie sehr diese
Erklärung dein satirischen Geiste des Dichters und der ganzen
Art seiner Darstellung angemessen ist, wird Niemand läutg-
neu wollen.
Sat. I. vs. 58 — 62. streiten sich die Ausleger, auf wen
diese Stelle zu bezieben ist, ob auf den Cornelius Fuscus oder
Sophonius Tigellinus. Der Verfc zeigt, dals die erstere An-
nahme unstatthaft sey, indem das, was Tacitus und Sueton
von diesem Fuscus berichten, mit dem, was Juvenal hier er-
zähle , durchaus nicht vereinbar sey. Für den letzteren da-
gegen spreche Alles. Auf seine gemeine dürftige Herkunft
bezieht der Verf. die Worte: carot omni majorum censu vs. 59
und 60; durch eine Erbschaft — er soll ja auch ein heredipeta
gewesen seyn — in den Besitz eines Vermögens gelangt, er-
kaufte er sich damit Triften in Appnlien und Calabrien, auf
denen er seine Pferde weiden liefs (daher auch praesepia nicht
für lupanaria genommen werden darf )9 und so führte er, als
er mit Nero bekannt geworden, und höhere Würden beab-
sichtigte, wie die eines praefectus praetorio, den in den Um-
armungen des Si lorus schwelgenden Nero in den Strafsen von
Rom herum. Daher interpungirt der Verf. anders als Ru-
perti, indem er das Semicolon, was gewöhnlich nach FJami-
niam steht, hinter puer Automedon setzt, und also diese bei-
den Worte noch zu dem Satze dum pervolat etc. hinzunimmt,
weil man nun gleich ersehen könne, ob Tigellinus aus eigenem
Vergnügen, wie andere Vornehme Roms , nach dem Beispiel
des Cäsar , oder blos als Fuhrmann des Nero die Flaminische
Strafse durcheile. Deshalb unmittelbar darauf der Zusatz :
nam lora tenebat etc. Die lacernata amxca bezieht der Verf. mit
früheren Erklärern auf den entmannten Sporus, mit welchem
Nero unnatürliche Laster trieb, und das verschieden erklärte
jactare vs. 62. nimmt er in dem Sinne von: gloriari so apud a/i—
quem, grofs thun. Die Beziehung des puer Automedon auf Ti-
tellinus, mit Vergleichung von 11. XVI, 145, wird man nicht
estreiten können, sie ist auch von Andern nachgewiesen.
Sat. I, 66 IF. vertheidigt der Verf. mit Recht die gewöhn-
liche Verbindung signator /also, welche Ruperti verändert»
indem er falso zu dem nächstfolgenden Sa'ze qui se lautum atque
beatum exiguis tabulis et gemma faceret uda hinzieht, wobei aber
das falso wegen des folgenden exiguis tabulis schon alle Kraft
Juvenalu Satire ex rec. Weber.
381
verliert. An der Härte dea Ausdrucks signator falao dürfte
man wohl kaum Anatofa nehmen , denn ein Substantiv falsum
lafst sich hinreichend aus dem Sprachgebrauch jenea Zeitalter«
erweisen , kommt auch beaondera in den Rechtaurkunden un-
zähligemal vor, s. B. crimen faltig poena falsi u. dergl. Veral.
nur in der Kürze: Ph. Villa t Vocab. Jur. utriusq. Tom, II.
p. 8 «ujq. und über signator ibid. Tom. III. p. 386 sq. Uebri-
gena glaubt der Verf. hier eine Anspielung auf den Advocaten
M. Regulua zu entdecken, denselben, von dem auch Pliniua
Epist. II, 20. spreche.
Sat. I. vs. 81— 88. Die Umstellung, die der Jenaer
Recenaent in Anordnung und Folge der einzelnen Stellen vor-
nahm, wird als durchaua unnöthig erwieaen. Auch hier
mufa Rec. dem Verf. vollkommen beiatimmen. Zu der Erklä-
rung der Worte va. 90. posita sed luditur arca führt der Verf.
Wunderliche Bemerkung zum Tibullua I, 3, 85. an, wor-
nach Ruperti'a Erklärung von ponere aufs Spiel setzen völlig ver-
fehlt aey, sondern ponere so viel hier sey als apponere; welche
Bedeutung unser Verf. weiter aus andern Stellen zu begründen
sucht. Juvenal wolle blos sagen, die Römer hatten ihre ganze
arca mit zum Spiel gebracht, um das erforderliche Geld
stets zur Hand zu haben. Allein dies erscheint als Gegen,
•atz oder Steigerung des comitantibus loculis vs. 89. matt und
«chwach, während dagegen die andere Erklärung stark und
der hyperbolischen Ausdrucksweise des Dichters angemessener
erscheint. Gleich darauf vs. 91 if. freuen wir uns Ueberein»
Stimmung mit dem Verf. gefunden zu haben , wenn auch er in
dieaer Stelle nicht sowohl an einen Kampf der Spieler unter
einander oder dea apielenden Herrn mit aeinem Dispensator
denkt, sondern eine Vergleicbung des Würfelspiels mit einem
Gefecht oder eine Bataille, wo die Spielenden die Kämpfenden
sind, annimmt. Das non reddere tunicam servo vs. 93, wo
reddere von Einigen in dem Sinne von restituere, von Andern,
einfach für dare genommen worden , erklärt der Verf. mit Bei-
behaltung der Grundbedeutung des Wortes auf folgende Weise:
nonne inaudita insania est, centum sestertiis amissis, servum
redeunte hieme, t/uum frigore horret, non denua veatire ? —
Bei den schwierigen Versen 155. 156. 157. ist der Verf. im
Texte völlig Ruperti gefolgt, dessen Erklärung der beiden er-
ateren Verse er auch billigt und nur die des dritten Verses
bezweifelt. Man bezieht nämlich dies auf den Haken (uncus) ,
welcher Missethätern eingeschlagen , und womit sie über den
Sand geschleppt worden, tiefe Furchen im Sande auf di< se
W eise hinterlassend« Da aber aulcus , nach dea Ree. Ermes-
\
382
Juvenalis Satirae ex ree. Weber.
sen , hier richtiger von der Grube verstanden wird, in welcher
jene Un glücklichen. gleich Piählen eingerammelt werden, so
wird man des Verf.. Erklärung nicht unpässend finden, wenn
er diesen Vers nicht, auf eine besondere Strafe deutet, son-
dern auf die Furcht und Angst des Verdammten ., welche er,
während er, an den Pfahl angeschlagen und mit dem Pech«
kleid angethan , angezündet wird * durch Bewegung der Füfse
und Zertheilen des Sarides (pedes volvendo arenamque divi-
dendo) äufsert. Man könnte höchstens dem Verf. entgegnen ,
dafs man doch wohl jene Unglücklichen nicht blos am Halse
an den Pfahl befestigt , sondern . auch mit den Füfsen
angebunden, was jedoch keineswegs damit streitet,
cus als Graben zu nehmen , worin der Pfahl eingerammelt
und der Unglückliche eingestellt wurde. Gegen die gewöhn-
liche/ Erklärung bemerkt der Verf. nicht' ohne Grund, dafs
dann dieser. Vers 157 vor den Vers 155 gestellt werden müsse^
indem ein so entstehendes Hysteron proteron doch kaum zu*
lässig sey. Heindorfs Verbesserung: aut latus media stdcus te
ducet arcna,. mit Bezug «auf die hiatus pegmatis (man 8. die
weitere. Au&legUng. des.' Veoif.), möchte schwerlich Beifall fin-
den , da sie einen -igan* aadern Gedanken enthält, als der un-
mittelbar! vorhergehende;. . »j *. | \
l .i Sat. III, 12 — I7.f folgt der Verf. ganz der Interpunction,
Welche Kuperti in der zweiten, Ausgabe angenommen hat*
ohne weiter in den Annotationen in diese Stell* einzugehen),
deren Schwierigkeiten neulich Prof. Wagner in einem eigenen
Programm ( De Egeriae fönte et specu ejusque 9itu Coramen«*
tatio, Marburgi 1824.) näher beleuchtet- hat , auch mit Ku-
perti im Ganzen übereinstimmt, nur dafs er stattdes MeARSvifl)
ein hinc setzen will , so dafs man verbinde : ^suhstitit primum ad
portam Capenam et Ämc, iförtasse postcruam Juvenalis ad eura
accesserat, descendbt ab eo comitatus in- vallem Egeriam« etC;
(S«. 17/ not.). . Hic au belassen , gehe nicht an, weil man sonst
annehmen .müsse , die.Nyinphe Egeria sey aus dem von ihr be-
wohnten Thale an /las jCapenische Thdr gekommen, um hier
sen Nuroaieu treffen*,; ♦ und dann widerspreche JLivius I, 2t,
welcher. an eine und dieselbe Stelle den (^uell der Egeria und
den .Harn .der Musen, int welchem Nriraa seine Zusammen-
künfte mit der Egeria gehalten, verlegt. Indessen kann viel-
leicht'/«'« stehen bleiben, wenn man eine Verwechslung dieses
Adverbiums loci tür hino annimmt , dergleichen Verwechslun-
gen im Griechischen wie im Lateinischem« angetroffen werden,
oder das hic nach der Analogie ähnlicher Falle, wo auf hic
ein ubi oder ein cum oder eine ähnliche Partikel folgt, erklären
Juveiialis Satirae ex ree. Weber,
383
(«in verg). nur Tursellin. de Tart-icc; s* v, Gap. 92. III.), nri
Vers 18. vertbeidigt der Verf. mit schlagenden Gründen die
Lesart praestantius , und erörtert dabei auch, den Ausdruck nu-
mcn aqua* für gleichbedeutend mit divinusfont. a . n», ., .
Sat. III, 30 ff. Hier spreche Juvenal nicht im Allgemei-
nen von Bauten oder Zöllen (Gegenständen, die an mvl.ftlR
sich nicht schimpflich seyen), sondern von gemeinen Men-
schen, die sich nicht schämen, durch die schmutzigsten Ge-
schäfte Reichthümer zu sammeln, die deshalb die Reinigung
von Gebäuden, Flüssen, Häfen und Cloaken eisteiaern^ ; «b-f
wohl sie selber das Geschäft nicht verrichten , sondern durch
Andere verrichten lassen und daraus ihren Voitheil ziehen.
Dafs conducere hier so viel ist als entrepreniren , die Ausfüh-
rung um einen bestimmten Preis übernehmen, ist richtig,
auch mit einigen. Stellen vom Verf. bewiesen ; allein welcher
Grund berechtigt uns, aedem conducere , Was einfach heilst:
den Aufbau eines Tempels übernehmen in der bestimmter;
Weise, zu erklären durch: die Reinigung eines Tempels
tibernehmen; aus dem sicoandam eluviem vs. 32. zu aedes , flu-
mina und portus ein purgandos herauszunehmen, möchte doch
etwas zu gewagt und willkührlich erscheinen. Darum möchte
Ree. vorerst hier bei der gewöhnlichen Erklärung bleiben^ -7-.
Vers 33. et praebere caput domina venale sub hasta konnte sich
Ree. nie mit der Erklärung von Ruperti befreunden, derqn
Unrichtigkeit auch Cramer nachgewiesen* als hätte man hier
an den Zoll .zu denken, welchen August und die folgenden
Kaiser auf jeden Kauf und Verkauf voivSclaven gelegt , wel-
cher Zoll dann, wie jeder andere Zoll r verpachtet gewesen,
Allein wie diese Erklärung ohne gewaltsame DeutungenTden
Worten des Dichteis angepafst werden könne, weils Ree.
nicht abzusehen. :Er ergreift daher die Erklärung von X>a-?
mer, welcher es von einem Präco versteht, der Sclaven ,. etwa
Staatssclaven , zum Verkauf:öfFentlich feilbietet — ein gewils,
gemeines und entehrendes Geschäft. Hr. Weber ist wohl auch
dieser Ansicht, wenn er die Stelle erklärt: „praecones,, con*
temtum hominum genus., venales servos, auetione constitut.i ,
plurimum licitantibus addicentes intelliguntur. c< Den At*H
druck hasta domina erklärt der Verf. mit Verweisung auf Grär
vius-und Hotomann zu Cicero pro Quinct. Ö. 15: „cfuiaihoQ
signo posito is, (fui bona eine re t , anetori tat em , seu jus do-
minii in ea sibi comparavit.« Die hasta nämlich, diese älteste
Auszeichnung und Insignie der Herrscberwürde , ist Symbol
der auetoritas publica , daher ist unter der hasta erstandenes
oder zugesprochenes Gut auetoritate publica erworben und im
I
384 '. Juvenilis Satirae ex reo. Weber.
Quiriteneigenthume des Erwerber« , deshalb auch nennt Juve-
nal die hasta domina, weil sie zum dominus macht, weil sie ju*
stum dominium verleiht* Vergl. die schöne Auseinandersetzung
(auch mit Berücksichtigung dieser Stelle des Juvenal) in Bai U
ho r n - Kosen Juristisch -Philologischen Studien I. über Do-
minium p. 293 — - 295. |üeber foricae vs. 38. haben wir be-
kanntlich von Craraer (Schol. Juven. p. 76.) eine ausführlichere
Erörterung erhalten; unser Verf. versteht es nicht sowohl von
dem Pacht der Reinigung der öffentlichen Abtritte, welche
bereits oben vs. 32. angedeutet, sondern von der Pachtung der
. öffentlichen Abtritte selber, welche dafür gegen Entrichtung
einer kleinen Summe an den Pächter von den Vorübergehenden
benutzt werden können. Wie man sonst dem Volke Spiele
gab, um dadurch zu höheren Ehren und Würden zu gelangen,
so wiederholen dies diese gemeinen Menschen, um die schmut-
zigsten Geschäfte betreiben zu können. — Vs. 56. ponenda
praemia schien dem Ree. die Erklärung : praemia (deponenda
i. e.) recusanda, detestanda, non sumenda die annehmbarste,
zumal da sie auch durch Horaz Od. III, 2, 19 : nec sumit autpo-
vit secures gewisserraalsen bestätigt wird. Hr. Weber erklärt
mit Achaintre und hält diese Erklärung für starker und kräfti-
ger: Unoli praemia suraere, quae serius ociusve reddere et re-
linquere cogeris, quaeque insuper tibi animi sollicitudinem
et metum afferent; adeoque insidias et ipsam mortem para-
Bant." Dies liegt aber wohi schon in deponenda, oder könnte
als weitere Exposition des in deponenda liegenden Sinnes be-
trachtet werden. — Vs. 65. ad Circum jussas prostate puellas be-
sieht der Verf. bestimmt auf die berüchtigten Syrischen Ambu-
bajen (wir vergleichen über diese Syrischen Bajaderen Hein-
dorf ad Hör. Sat. I, 2. vs. l. p. 29, der schon dort auf Juve-
nalis hinweist und wohl eine ähnliche Beziehung ahnete)»
Allerdings führt darauf der ganze Zusammenhang der Stelle;
d*r Syrus Orontes vs. 62, die Pauken und das Saitenspiel
vs, 63 und 64» endlich vs. 66 die lupa Barbara (welches letztere
Wort auch auf Syrische zu beziehen) mit der mitra picta
(worüber jetzt zu vergleichen Bai er zu Cicer. Orat. in P„
Clodium et Curionem Fragmm. pag. 34. Lips. 1825.). Auch
geht aus den von Heindorf a. a. Ö. und auch vom Verf. ange-
führten Stellen hervor, dafs diese Bajaderen besonders im
Circus sich herumtrieben.
•
(Der Besehlufs folg**)
# * 4
uiguiz
N. 25. 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
■
D. Junii Juvenalis Satirae ed. Weber.
(Besch lufs.)
Sat. III, 72. viscera magnarum domuum dominlque futuri.
Hier hat bekanntlich das Wort viscera verschiedene Erklärun-
gen sich gefallen lassen müssen. Auch der Verf. versuchte
sich an dieser Stelle. Zuletzt erklürte er sich für die Erklärung
von Heinecke, da viscera, wie im Griechischen c-xhly/ya , hei
Dichtern wie bei Prosaikern von Kindern Freunden, kurz
von Allem, was uns theuer und werth ist, gesagt werde.
Diesen Sprachgebrauch hat der Verf. mit einigen treffenden
Beispielen belegt; es war auch dies, nach des Ree. Ermessen,
die einzig richtige, mit dem Wortsinn, wie mit dem Zu-
sammenhang verträgliche Erklärung, die von dieser Stelle ge-
geben werden konnte.
Sat. III, 74* sermo promtus et Uaeo torrentior erklärt
der Verf. richtig für Isaei sermone , was Ruperti nicht hätte ver-
kennen sollen, deutet es aber nicht auf den Attischen Redner
dieses Namens,, den Schüler des Isokrates und Lehrer des De-
mosthenes (vergl. Fabric. Biblioth, Graec. II. p. 808.) , son-
dern auf einen zu Hadrians Zeiten lebenden Redner gleichen
Namens, welcher Juvenal der Zeit nach näher stehe, und
auch von Plinius . Epist. III, 2. mit gleichem Lohe erwähnt
werde. Ueber die für die Erklärung schwierige Stelle vs.90.
91 J miratur vocem angustam , qua deterius nec Ille sonat,
quo mordetur gallina marito, hätten wir allerdings gern ge-
wünscht, den Verf. zu hören; er hat sich über diese Stelle
nicht näher verbreitet, ist aber im Texte der gewöhnlichen
Ruperti'schen Lesart gefolgt. Dagegen vs. 98. nec tarnen An-
tiochus etc. sucht er mit Recht das tarnen zu vertheidigen ,
durch Annahme eines dem Sinne nach vorausgegangenen, in
der Rede selbst aber weggelassenen , mit quamquam oder etsi
beginnenden Satzes. Wenn er aber illic erklärt in arte fallend^
so möchte Ree. ihm nicht beistimmen, der dieses Adverbium
XIX. Jahrg. 4. Heft. 25
386 . Juvcnalis Satijrae ex rec. Weber. *
A V. • '
lieber in rein localem Sinne auffafst , dort, d. i. in Griechen-
land (wo jene Meister in der Verstellungskunst kein Aufsehen
machen würden, weil Jedermann darin geschickt ist und sich
darauf versteht), im Gegensatz gegen Rom, wo diese Män-
ner solches Aufsehen erregen. — Vs. 100. erklärt sich der
Verf. mit vollem Recht gegen die unnötbige Aufnahme der
Lesart meliore cachinno für majore (was alle Handschriften mit
Ausnahme einer einzigen bringen) durch Ruperti. — Vs« 108»
si trulla inverso crepitum dedit aurea fundo; eine schwierige,
vieldeutige Stelle, worüber man bisher durchaus nicht auf«
Reine gekommen war. Die ältere Erklärung, welche trulla
für ein tieferes Trinkgeschirr oder für einen Becher nimmt,
den der vornehme Herr bis auf den Grund ausgeleert und so
den Grund umgekehrt, oder den er au f die Erde habe fallen
lassen, nachdem er ihn ausgeleert, diese und ähnliche Erklä-
rungen wollten Rec. nie genügen, zumal da sie nicht gut zu
dem Inhalt des zunächst vorhergehenden Verses zu passen
scheinen«, welcher etwas dem ructare und mingere Aehnüches
erwarten liefs, ferner dieErklärung des Scboliums : si pepedarit]
(man vergl. die von Ruperti passend angeführte Stelle des
Diodor von Sinope bei Athenäus VI, 9. s. 36.) damit nicht
übereinstimmte. Diese Gründe machten ihn schon früher ge-
neigt, hier trulla für einen N a chts t uhl zu nehmen, und er.
freut sich, auch hier Uebereinstimmung mit dem Verf. gefun-
den zu haben, der, nachdem er auch die Nichtigkeit der an-
dern Erklärungen berührt, in folgender Weise die immerhin
etwas dunkle Stelle erklärt: „ad laudandum paratus est, si
tanto ventris onere lasanum implet, ut fundus ejus invertatur
et sonitus et murmur exi-no reddatur, w Auch Donner scheint,
dieser Ansicht zu seyn , wenn er (obgleich auch etwas dunkel
und unverständlich) übersetzt:
„Oder aus goldnem Gestühl ein anderes Omen
h era uf scboll.5*
Hier scheint freilich das schwierige inverso fundo umgangen. —
Vs. 187. plena clomus \ih\s genialibus. Diese Lesart nennt der
Verf. languidissima , und erklärt sie für eine Ausgeburt der Ab-
schreiber; venalibus allein sey das richtige; die Clienten näm-
lich müssen an Festtagen ihren Patronen Kuchen als Tribut-
senden , die aber dann nur von den Sclaven , die bei den Her-
ren in Gunst stehen, verkauft werden, von denen also blos
die Sclaven den Profit haben. Allein Rec. möchte eher fol-
ende Erklärung dem Ganzen für angemessener halten. Um-
ricius klagt, wie man selbst die Sclaven mit Geld bestechen
müsse, um durch sie Zutritt zum vornehmen Herrn zu.erhal-
I
Jnrenalis Satirae er rec. Weber. 387
ten, oder nur den Anblick desselben zu gewinnen. So müsse
man nicht Llos (wie es Sitte und Ordnung sey) an dem Fette
der Herren mit Kuchen aufwarten , sondern selbst den Scla-
ven, wenn sie ähnliche Feste feiern, auf gleiche Weise- mit
ähnlichen Präsenten dienen, um durch sie den Zutritt und die
Gunst des vornehmen Herrn sich zu erhalten. Also nicht JjIos,
wenn der Herr das Fest seines genius feiert, sondern auch
wenn seine Bedienten ihren Geburts- oder Namenstag oder
andere Feste der Art (wie sie vs. 86. angedeutet sind) begehen,
müssen die Clienten mit libis aufwarten. Sonach beziehen wir
ille, wie hic vs.. i£6, nicht auf Herren, welche Sclaven , die
sie liebgewonnen haben, zu Gefallen diese Feste feiern, son-
dern auf Sclaven, *die unter einander dies thun. Au« diesem
Grunde möchten wir auch das genialibas vs. 187. nicht verwer-
fen , wofür uns im Gegentheil venalibus matter und minder
bezeichnend erscheint. Denn wir denken dabei an liba, welche
an dem Feste des genius (welches, die Sitte des Herrn nach-
ahmend, auch der Bediente feiert) zum Geschenke dargebracht
werden. Man vergl. übrigens über die liba Obbarius zuHoraz
Epist. I, 10, vs. 10. p. 21. und in so fern sie dem genius bei
der Feier des Geburtstages dargebracht werden: Ovid. Trist.
III, 13, 18. TibulLI, 8. 54. II, 2» 5 .und 8. 9. — Vs. 192.
bei den Worten simplicibus Gabiis wollen wir bei dieser Gele-
genheit erinnern an Iforat. Epist. I, 11, 7: Lebedus Gabiis de-
sert'wr atque Fi denis vicus, vergl. mit Propert. Eleg. IV , 1 ,
34, Mi» Donners, nach unserm Ermessen richtige, lieber-
Setzung: öde. (.d.i. wenig besuchte) zu rechtfertigen.
Das alte Scholium erklärt simplicibus durch non ornatis. —
Vs. 194 ff. vertheidigt der Verf. die Vulgate gegen Iluperti,
der in der Verbindung der Verba obstat — eontexit — jubet an-
stiels; man denke sich nur ein si bei dem mittleren Satze aus«
gelassen , so lallt die Schwierigkeit weg. Villicus versteht auch
Hr. Weber mit Anführung einiger Parallelstellen vom praefectus
urbi. — Vs. 219. biclibros dabit et forulos mediamque Minervam
sucht der Verf. zU beweisen, dafs unter der media Minerva nur
eine Hermathene, und nichts anderes zu verstehen sey. Sonst
dachten wir auch wohl mit Andern an . ein in der Mitte
der Bücherschränke oder der Bibliothek aufzustellendes Bild
der Minerva. .
Sat. III. vs. 231. (sollte wohl im Druck der Bemerkung
tiber die folgenden Verse 236 ff. vorgestellt seyn) : unius sese
dominum fecisse lacertae. Da man hier an dem Worte lacerta
Anstofs nahm, so versuchte man sich an demselben mit allen
möglichen Conjecturen, denen Ruperti's tabema die Krone auf-
25 *
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388
Juvenilis Satirao ex rec. Weber.
s Ute. Aber schon eine oberflächliche Einsicht in diese Stelle
konnte überzeugen, wie wenig alle diese Conjecturen dem
vermeintlichen Uebel in dieser Stelle abhelfen, und Ree. folgte
daher noch immer der älteren Erklärung der Scholien, so wie
des Farnabius, die lacerta für agellus oder hortulus nehmen,
ein Garten, so klein, so winzig, der kaum so viel Raum ent-
fallt, dafs eine Eidechse darauf herumlaufen kann. Das Hy-
perbolische in dieser, wie es scheint, sprichwörtlichen Re-
densart durfte bei einem Juvenalis am wenigsten auffallen.
Aber es darf noch weniger, wenn man die ähnlichen Stellen
und Redensarten vergleicht, welche unser Verf. für diese Er-
klärung, die als die einzig zulässige und richtige betrachtet
werden mufs, aus Martialis, aus der Lateinischen Anthologie
u. s, w. anführt. Ganz richtig macht er auf die dem Juvenal
eigene Brevilotjuenz , sowie auf das Hyperbolische des Aus-
drucks aufmerksam, und erklärt ganz richtig: „ magni pretii
est, (juocuiHjue te reeeperis , hortum possidere cruamvis ex.i-
g'ium, ut una tantum perrepat ipsum lacerta.«
Sat. III, 236 — 238. Rhedarum trausitus areto Vicorum
inflexu et stantis convicia mandrae Eripient somnum Druso
vitulisffue marinis. Hier vertheidigt der Verf. die Lesart
corum wflexu mit Recht, und giebt bei dieser Gelegenheit eine
ausführlichere Erörterung über die Ellipse der Präposition Iis
vor dem Ablativ da, wo das Verhältnifs der Ruhe, des Ver-
weilens an einem Orte bezeichnet werden soll ; die convicia
stantis mandrae erklärt derselbe: „ea, cruae agitatores instan-
tem, cunetantem, non progredientem mandram h. e. longarn
mulorum Seriem jaciunt«, hauptsächlich nach Martial. Epigr.
V, 23. (vixerue datur longas mulorum vincere mundras) und
Seneca de Ira III, 6. Allein bei Martialis steht eben um die
lange Reihe zu bezeichnen das longas dabei, was in der Stelle
des Juvenalis fehlt. Wir würden daher immer noch mandra
für Gespann, Wagen sammt Thieren nehmen, es sey im wirk-
lichen Singular oder als ein collectiviscber Singular. — Vs. 238.
erklärt sich der Verf. mit Recht gegen die unnöthigen Verbes-
serungen, welche man hier hat machen wollen. Ohne Zwei-
fel ist dieselbe auch zu belassen , und eben so wenig Druso als
vitulisque marinis zu ändern, da gerade durch die Zusammen-
stellung der lange schlafenden Seekälber mit dem scblafoüchti-
gen Drusus der Vers recht witzig wird. Man vergl. die rich-
tige Auseinandersetzung eines Ungenannten in der von Zim-
mermann und Dilthey herausgegebenen Schulzeitung, Darm-
stadt, Jahrg. i824- No. 97. Decemb. p. 839.
Sat. III, 296. ede ubiconsistas: in qua terjuaeroproseucha.
Juvenalis Satirae ex rec. Weber. 389
Dieser Vers, so wie auch Einiges zunächst vorhergehende und
darauf Bezügliche wird erklärt, wie z. ß. ace.'um, concfie^ und
insbesondere proseucha nicht von einem Bethause oder einer
Kapelle, kurz einem heiligen Orte verstanden, sondern als
Judenher berge, Judenkneipe bezeichnet.
Sat. IV, 2 — 4. monstruui nulla virtute redemtum a vi-
tiis, aeger, solaque libidine fortis: delicias viduae tautuin
aspernatur adulter. So schreibt Hr. Weber nach Rupert!, wo
wir indefs das spernatur, das die Handschriften geben , beibe-
halten möchten , als eine ältere Grundform [spernari) , woraus
nachher aspernari. Gröfsere Schwierigkeiten aber macht die
Erklärung der letzteren Worte, bei denen Hr. Weber mit
Recht verweilt. Die gewöhnliche Erklärung, wornach Ct is-
pin us blos verheiratheten Weibern nachgehe , nicht aber reichen
Wittwen, weil man sonst glauben könnte, er thue dies aus
Gewinnsucht, und nicht aus bl oft er Wollust, findet der Vf.
darum nicht zulässig, weil man dann nicht einsehe, wo in
das sola libidine fortis drs Crispinus bestehe. Allein diese Schwie-
rigkeit hebt sich wohl, wenn man dem sola libidine fortis , seil,
in.vitiis, ein non lucri causa fortis, invitiis scilicet, ut plerum-
que fit, entgegensetzt. Dafs aber auch noch mehr in dem
fortis liege, hat der Verf. richtig mit Bezug auf das folgende
adulter erkannt. Es verschmäht Crispiniis die Wittwen des-
halb, weil man zu ihnen leicht, ohne Hindernisse gelangen
kann, dies in so fern weder angenehm noch rühmlich ist;
Crispinus dagegen ''Schwierigkeiten und Gefahren sucht, um
hier seine Geschicklichkeit und Ausdauer zu zeigen, womit er
die Gatten täusche und ihre Weiber verführe. Rec. verband
stets das tan tum mit adulter in dem Sinne, als nähere Ausfüh-
rung des vorausgegangenen sola libidine fortis, Crispinus
seigt seine libidinosa fortitudo eben darin, dafs er nicht, wie
Andere, um des Gewinns willen, mit alten Wittwen sündigt,
sondern, indem er diese verschmäht, blos als Ehebrecher in
der Verführung von verheiratbeten Frauen und Täuschung
ihrer Gatten , also im höchsten Grade des Lasters, sich be-
merklich macht. Die Verbindung von tantum adulter möchte
durch ähnliche Verbindungsarten, wie z. B. plane orator bei
Cic. B rut. 10, admodum puella Liv. XXXIX, 12. und dergl.
(vergl. Ruddimann. Institut. Gramm. II, p. 304») »ich recht-
fertigen lassen.
S3t. IV, 32. jam prineeps equitum, magna qui voce sole-
bat Vendere munieipes fracta de merce siluros. So schreibt
Hr. Weber. Was zuvörderst das prineeps equitum betri fFt*
so erklärt Ruperti : qui inter equites insrgirem obtinuit locum*
t
•>. • • •
v
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I
590 Juveualis Saurae ex rec. Weber.
oder einer, der zu den e<juites illustres kam, nach Tacit. Ann.
' II, 59. XI, 4» mit den Auslegern. Aber Rec. möchte es eher
von dein sogenannten Princeps Juventutis verstehen (vgl. Schwara
Observatt. ad Nieupoort p. 110. Span heim de usu et praestantw
numismm. Diss. VII. p. 664 S<I<J>)> weil dann der Gegensatz
nachdrücklicher erscheint. Hr. Weber verweilt bei dem viel-
besprochenen fracta de merce , wofür Ruperti nach Manso in
den Text nahm: fricta de merce, der andern zahlreichen Con-
jecturen und Emendationen nicht zu gedenken. Hr. Weber
erklärt sich durchaus für die ältere, von den meisten Hand.
Schriften bestätigte Lesart fracta de merce, weil sie am besten
dazu diene, das gemeine Betragen des Crispinus zu schildern,
„qnod viles siluros , eosque per viam mutilatos atqjue a ceta-
riis ipsi venumdatos rursus aliis venderet. Sic Crispinus ut
humillimus inter viles piscitim mercatores designatur.« Auch
Rec. hat sich nie von der Richtigkeit des gesuchten und ge-
künstelten fricta de merce überzeugen können , und ibm selbst
das pacta mercede von Grävius und Henninius als bezeichnender
und charakteristischer vorgezogen ; doch verweilt auch er lie-
ber bei der Lesart der Handschriften fracta de merce, wie
denn öfters ,da, wo unzählige mehr oder minder unpassende
Und unnöthige Conjecluren ausgesponnen worden , die Les-
art der Handschriften doch immer die wahre bleiht, an deren
richtigen Erklärung der Interpret seinen Scharfsinn zu üben
hat , was freilich schwerer und mühevoller ist, als durch eine
Conjectur einen beliebigen Sinn in die Stelle hineinzutragen.
In den nächstfolgenden Versen: incipe Calliope, licet et con-
sidere; non est Canrandum, res vera agitur, schliefst sich,
auch der Verf. in Absicht auf die Erklärung des considere (ge-
wöhnlich für hac in re immorari^ consistere genommen} dem alten
Scholiasten an, und erklärt diese Worte: Mnon opus est Bür-
gere f non opus instinctu inflatucrue divino , licet ut in aliorurn
poetarum carminibus, etiam hie humi serpere, et summisse
dicere. Nam nihil fingendum est, sed res vera narranda.« Aber
mit dieser Erklärung des licet considere weifs Rec. eben nicht
das folgende non est cantandum, res vera agitur in Einklang zu
bringen, womit das Wichtige des Gegenstandes bezeichnet
werden soll; was wiederum für die Ansicht derjenigen spricht,
Welche bei dem considere an Richter und ähnliche denken 9
die sich niederlassen, um über Dinge, welche sorgfältige,
langwierige Berathung erfordern, sich zu besprechen. Damit
ist freilich der Scholiast in directem Widerspruch, wenn er
considere erklärt durch: aut summisse dicere aut proprio res
(enues. Diese res tenues könnten doch hier auf nichts anders
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Jnrenalis Satirac ex rec. Weber. 391
geben , als auf die res ven, die der. Dichter erzählen will,
und als wichtig darstellt, eben deshalb höher stellt a!s cantaro
(dem eigentliche! Geschäfte der Musen). — Vs. 36. prosit
mihi vos dixisse puellas, erinnern die Atisieger wohl nicht mit
Unrecht an den Seitenblick , den hier der Dichter auf die in
seinen Tagen so selten gewordene Keuschheit unter den Jung-
frauen werfe; es durfte aber auch zugleich dieBemerkting nicht
Übergangen werden, dafs man im Alterthum die Götter mit
dem Namen anruft, der ihnen am liebsten ist, den sie am lieb-
sten vtrnehmen , besonders wenn man sie um etwas bittet
und sie zur Gewährung dieser Bitte dadurch geneigter machen
will. Vergl. Blomfield Glossar, zu Aeschyl. Agimemn. 156.
(a). 168 ) und Heindorf zu Horat. JI, 6, 20. p. 385. Daher
dieser Zusatz hier: prosit mihi cos dixisse puellas.
Sat. IV, 48.* dispersi protimis algae imjuisitores ogerent
cum remige nudo vertheidigt der Verf. gegen Ruperti das agere
cum remige in dem Sinne von in jus cocare'f^illum in judicio conve»
nire9 accusare ; eben so vs. 64. exclusi (i. e. a foribus conclavis
imperatoris) sppetant admissä ohsonia Patres; richtig be-
merkt er: „(juibus adittis ad alitjuem prohibetur, ii cxdudi
vulgo, quibns contra patet , admitti dicuntur«; was dann
durch einige Beispiele weiter bewiesen wird. .
Sat. IV, 69 ff. Ipse capi voluit. Quid apertius? Et tarnen
illi Surgebant cristae ; nihil est, quod credeie de se etc. etc.
kann Rec. dem Verf. nicht beipflichten. Rec. nämlich erklärt
die Stelle so, dafs er die Worte ipse capi voluit als Worte des
Fischers nimmt, welche den höchsten Grad von Schmeichelei
enthalten; die nächstfolgenden Worte quid apertius, wenn
man sie nicht als Fortsetzung der Rede des Fischers betrach-
ten will, wären dann ein ironischer Ausruf des Dichters selber
in dem Sinne: ja, was kann offenbarer, klarer seyn , was
kann mehr am Tage liegen, als dies? (dafs nämlich der Fisch
selber habe wollen gefangen werden.) Mit den Worten: et
tarnen illi (pisci) surgebant cristae wäre dann der Unwille des
Fisches über die lügenhafte Schmeichelei des Fischers gegen
den Kaiser ausgedrückt : und doch (gleichsam als wolle er da-
mit Lügen strafen die Rede des schmeichlerischen Fischers)
standen ihm (vor Unwillen) die Flolsfedern in die Höhe. Aber,
fährt der Dichter fort, der Kaiser glaubt doch dem Fischer
mehr, er glaubt Alles , wenn seine göttliche Macht dabei ge-
priesen wird: nihil est, quod credere de se nön possit,v
qunm laudatur diis aequa potestas. Hr. Weber aber bezieht
das illi vs. 69. auf den über das eitle Lob und die Schmeiche-
lei unwilligen Kaiser, also wohl indem Sinne: und dock
■
i
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392 Juvenaiii Satirae ex rec. Weber.
N
(ungeachtet dieser Lobreden und Scbmeicbeleien) schwoll ihm
der Kamm an (vor Unwillen darüber). Oder nach dem Scho-
liasten erklärt der Verf.: »et tarnen ille inaguifice se ifleo
jactat, tanquam gallus gallinaceus, cristis erectis Ingrediens,
quin» sibi nomine dei arrogato etiam divinam potestatem indi-
tam putet? AHein bezieht man illi auf den Imperator Dorai-
tianus, dann weils Rec. durchaus nicht, was die folgenden
Worte nihil est — aequa potestas bedeuten sollen , die mit
dem Unwillen des Kaisers über ]ene Schmeichelei, wodurch
er einem Gotte ja gleichgesetzt wird , dem sich der Fisch sel-
ber als Huldigung habe darbringen wollen, in geradem Wi-
derspruch zu stehen scheinen, da sie selber doch nichts anders
bezeichnen, als dafs der Kaiser jene Schmeichelei angenommen
habe (ungeachtet der Aeufserungen des Unwillens, die der
Fisch von sich gab), wie er denn Alles der Art glaube, wo
seine göttergleiche Allmacht gepriesen werde.
Sat. IV , 98. onde fit , ut malim fraterculus esse gigantis.
Der Verf. vertheidigf mit Recht die Vulgata g^gen Aenderun-
gen wie nolim oder wie gigantum. Da Domitian besonders ge-
gen die Reichen und Vornehmen wüthete, 'so ist es ganz na-
türlich, wenn der Dichter hier den Wunsch äufsert, lieber,
statt reich und angesehen, ein ganz armer, gemeiner Erden«
' söhn zu seyn. Dieser Sinn des fraterculus gigas kann nach
dem, was die Ausleger beigebracht, gar keinem Zweifel un-
terliegen ; und mit Recht führte schon Erasmus in seinen
Adagien unter dem Worte Terrae fd'ms (I» 8 , 86.) auch unsere
Stelle an.
Sat. IV, 104— 106* Rubrius, ofFensae veteris reus
atque tacendae Et tarnen improbior satiram scribente cinaedo,
bezieht Hr. Weber, da andere Nachrichten uns abgeben, nach
dem Scboliasten , die offen sa vetus atque tacenda auf die Ver-
führung irgend einer Jungfrau aus vornehmem Gescblechte,
oder "auf den mit des Domitianus Weibe begangenen Ehe-
bruch. Für letzteres spricht der Scholiast und alle Wahr-
scheinlichkeit. Die Worte: satiram scribente cinaedo bezieht
Hr. Weber auf den Nero, der, selber CinSde, auf andere,
die ähnlichen Lastern huldigten , Satiren geschrieben ; was
der Hr. Verf. durch einige Stellen weiter zu erhärten sucht«
Sat. IV, 115 ff. Caecus adulator dirusque a ponte sa-
telles dignus Aricinos qui mendicaret ad axes etc. Nach dem
Verf. sind es hauptsächlich zwei Laster des Catulus, welche
hier bemerklich gemacht werden 9 seine Schmeichelei und seine
Grausamkeit, In Bezug auf die erstere heifse er, obgleich
in der That kein Bettler , xioeb" vergleichungsweise a ponte
uiguizeo d
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Jureualit Satirae ex rcc. Weber.
393
satelles , weil er den Imperator mit niedrigen Schmeicheleien
verfolgte, eben so wie Bettler die Vorübei fahrenden ; mit
Bezug auf die letztere heifse er dirnr satelles , der nie von des
Kaisers Seite weichend, ihn stets zu grausamen Thaten auf-
fordere und darin unterstütze. Durch den Ausdruck a ponte
werde der gemeine, niedrige Charakter dieses Menschen be-
zeichnet; die Redensart selber aber sey analog der bekannten
Red ensart a rationibus , ab epistolis, wofür nur selten ad
Stehe (jedoch scheinen die vom Verf angeführten Stellen des
ad nicht ganz für diesen Fall zu passen und eine Gleichheit
beider Redensarten nicht zu begründen) ; eher dg. Der nächste
Vers dignus Aricinos etc. enthalte die nähere Ausführung des
a ponte , denn wie an Brücken, so auch hei Aricia, wo viel
Volks immer zusammenströmte wegen des Mains der Diana,
pflegten Bettler sich an bestimmten Plätzen oder Stationen
aufzuhalten, die Hände um die Wette ausstreckend nach den
vorbeifahrenden Wagen, oder auch mit niedriger Schmeichelei
Handküsse den Vorbeieilenden zuwerfend (über letzteres v^l.
man Böttigers Sabina II. p. 51.). So kommt nach Hrn. We-
ber folgender Sinn heraus: „Catullus, grande monstrum, cae-
cus adulter, crudelis Domitiani satelles ingenio servili et tan«
topere adulandi artem callens, ut quovis tempore mendicorum
in via ad Ariciam versantium turbae adscribi queat." Man
wird gegen diese Erklärung wohl schwerlich etwas Gegründe-
tes einwenden können , nur möchte Ree. das a ponte nicht
nach der oben bemerkten Analogie erklären, weil er dieselbe
auf diesen Fall für nicht anwendbar hält ; er würde lieber a
ponte wörtlich nehmen: ein Trabant des Kaisers von der
Brücke her, d. h. einer, der gleichsam von der Brücke (wo
er als gemeiner Bettler stand) nun bis zum Trabanten des
Kaisers es gebracht bat, einer, der eben so niedrig und ge-
mein sich beträgt, wie die Bettler auf der Landstralse bei
Aricia.
Sat. Vt 10, Tarn jejuna fames, quum possit honestius
illic Et tremere etc. So schreibt Hr. Weber, zumal da auch
die meisten Codd. possit liefern, zu dem man ein ausgelassenes
aliquis als Subject hinzudenken dürfe 9 wie solches bei inquit,
ait so oft hinzuzudenken sey. Allein die vom Verf. deshalb
angeführten Stellen (s. auch Heindorf zu Horaz Satir. I, 4»
79. und Creuzer zu Cicero de Nat. Deor. pag. 164.) beziehen
sich blos auf eine solche Ellipse bei inquit und ait, was doch
keineswegs als analog mit vorliegendem Fall wird aufgestellt
werden können , im Gegentbeil diese Wendungen ganz ande-
rer Art sind , und der Sprachgebrauch sich bestimmt hier
394 Juvenalis Satirae ex rcc. Weber.
flxirt bat. Ref. wünscht, dafs durch Auffindung anderer pas-
senderer Stellen diese Ellipse bestätigt und somit auch possit
in vorliegender Stelle vertheidigt werden könne , was sonst
grammatisch unsicher bleiht, wenn auch gleich kritische Grün-
de dafür sprechen, und die zahlreichen Conjecturen, die man
hier versucht hat, insbesondere Ruperti's jüngstes quum po/-
sit für quum possit (das auch Hr. Weber mit vollem Recht ver-
worfen) sämmtlich abzuweisen sind.
. Sat. V, 39. liest der Verf. Heliadum crustas et inaequales
beryllos (gewöhnlich beryllo), welche Lesart zuerst Achaintre
aufgenommen, aber nach des Verf. Urtheil nicht genügend er-
klärt hat. Mau soll nämlich hier nach dem Vf. au sogenannte
pocula grmmata denken (hÜQv.'Mvra -rcr^öia) j mit goldenem Bo-
den , aber ringsherum mit Gemmen besetzt, deren Menge und
Glanz seihst das Gold verdunkelte und den Schein erregte, als
ob das Ganze aus lauter Beryll zusammengesetzt sey. Allein
Ree. gesteht, dafs er doch die Vulgate beryllo für einfacher
hält , als beryllos.
Sat. IV, 72. schreibt der Verf. mit Ruferti : salva sie
artocopi reverentia , und vertheidigt dies gegen die Lesart
artoptae oder artocoptae , was beides unrichtig sey; artocopos
übrigens sey hier nicht einer, der das Brod zerschneide, son-
dern: „(jui panem subigendo elaborat eumque ita molliorem
et delicatiorem perficit«, wobei er sich auf Follux VII, 21.
stützt. Allein Ree. meint9 dafs das Wort in der ersteren Be-
deutung zu nehmen, hier viel passender in den ganzen Zu-
sammenhang der Stelle sey, sowohl des unmittelbar vorher-
gehenden, wie des zunächst folgenden willen, worin doch
die Andeutung liegt, dafs der arme Client einen Versuch
mache, sich selber von dem besseren Brod ein Stück abzu-
schneiden, was doch das Geschäft des dafür angestellten Scla-
ven, des artocopus ist, welchem deshalb der Client den gehöri-
gen Respect bezeugen soll.
Sat. V, 83. Sed tibi dimidio constrictus commarus ovo
nimmt der Verf. constrictus in dem Sinne von conclusus, und
midio für dimidiato,
Sat. V, 92. schreibt der Verf. mullus erit domini, nicht,
wie Ruperti und Achaintre: domino. Bei vs. 99. quod capta-
tor emat Lentis, Aurelia vendat, bemerkt der Verf. , dafs beides
erdichtete Namen seyen, jener, ein Erbschaftsschleicher, a
leniendo, Aurelia aber, eine reiche, aber geizige Wittwe, bei
deren Namen ad auri ejus molem angespielt werde. Letztere
Beziehung aber möchte doch zu gesucht seyn , da die Bezie-
hung aurden bekannten Römischen Gentilnamen so naheliegt.
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Juvenilis Satirae ei rtc. Weber. 395
Sonst giebt der Verf. noch mehrere Beispiele aus Juvenal, wo
ähnliche fingirte Namen vorkommen; ob aber z. B. vs. 141*.
bei der Mycale gerade an eine inic Sternseherei und Sterndeu-
terei sich abgebende Frau zu denken sey, und warum di^se
Beziehung hier anzunehmen sey f will lief, noch dahin ge-
stellt seyn lassen.
Sat. V, 115 und 116. vertheidi^t der Verf. mit vollem
Recht das flavi dignus ferro Meleagri g^gen Heinsiiis unnOthi-
ges gnavi oder validi, so wie im nächstfolgenden Verse : post
hunc raduntur tubera, wo Iluperti so wie auch Achaintre tra*
dentür mit Andern lesen. In der That mufs die Lesart raduntur
Aufmerksamkeit erregen, da man leichter einsieht, wie aus
raduntur von den Abschreibern ein trodentur gemacht woideh,-
als umgekehrt. Indessen macht die Erklärung dieses Wortes
Schwierigkeiten, da hier, wie auch Andere richtig bemerkt,
nicht von Zubereitung der Speisen, sondern vom Auftragen
der zubereiteten die Hede ist, da ferner sich wieder aus kri-
tischen Gründen das Wegfallen des Anfangsbuchstabens leicht
erklären läfst. Wenn aber der Dichter hier eine Handlurg,
die man als schon geschehen erwarte, so darstelle, als ob sie
jetzt geschähe , so sey der Grund davon blos in der Lebhaftig-
keit der Darstellung, so wie in dem Umstände zu suchen»'
dafs der Dichter angeben wolle, in welcher Art und Weise
die tubera Seyen aufgetragen worden. Aber damit ist nach de»
Ree. Ermessen die Schwierigkeit und Härte, die in dieser
Art von Hysteron Proteron liegt, nicht gehoben; weshalb et
noch immer bei dem tradentnr verbleiben will.
Sat. V, 133. verbindet unser Verf. mit den älteren Aus-
gaben: aut similis dis et melior fatis donaret homuncio , Welches
letztere Wort die neueren Herausgeber mit den folgenden
Worten verbanden. Der Verf. sucht seine Verbindung durch
die Sitte des Juvenals, der das Entgegengesetzte gern mit ein-
ander verbinde, so wie durch einige andere Stellen zu recht-
fertigen , wo eine ähnliche Verbindung oder Entgegensetzung
von deus mit homuncio statt finde. Allein , selbst abgesehen'
davon, dafs homuncio zu dem melior fatis nicht recht zu pas-
sen scheint , dafs ferner selbst die vom Verf. angezogenen
Stellen wohl einen Gegensatz und eine Entgegenstellung von
deus und homuncio, nicht aber eine Verbindung, wie die in
vorliegendem Falle wäre , begründen , dafs gerade diese Stel-
len den Gegensatz begründen, der in unserer Stelle liegt,
wenn wir homuncio von fatis donaret trennen, und so auf-
fassen: du, vorher ein gemeiner, verächtlicher Mensch (ho-
muncio), was würdest du nun werden, wie weit würdest du
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396 Juvenalis Satirae ex rcc. Weber.
nun emporsteigen, du würdest selber , obgleich vorher ho-
muncio , nun auch ein sirailis dis werden« — - Die dunkle,
sehr verschieden erklärte Stelle vs. l4l — 145. hat der Verf.
Glücklicher erklärt, so wie die gänzliche Unhaltbarkt-it der
lanso'schen Erklärung dargethan. Allerdings kommt es hier
viel auf die richtige Erklärung des nunc vs. 141. «n »Jetzt,
wenn du reich geworden und dadurch aus einem homuncio ein
dominus und Freund des Virro geworden, wird selbst eine
zahlreiche Nachkommenschaft von Kindern dir nicht die Freund-
schaft desselben entziehen, deine Frau mag von drei Kindern
auf einmal entbunden werden, Virro wird selber an den Klei«
nen seine Freude haben, er wtrd ihnen, wenn er bei dir
speist, Kleidungsstücke, Nüsse und dergl. zum Geschenk
bringen.« Nach dieser Erklärung mufs also Ipse vs. i42. auf
den Virro bezogen werden. Ree. wttfste nicht, was er gegen
diese Erklärung einzuwenden hätte; mit der Erklärung der
Stelle, wieManso sie gegeben, konnte er sich nie befreunden«
— Auch die Stelle vs. 146 — 148. vertheidigt der Verf. gut
gegen Heinecke und Schurzfleisch. Zu den S. 209. gesammel-
ten Stellen bemerkt Ree. noch Aeschylus Agamemn. 696. nach
Blomfteld und dessen Glossar (al. 720.), nebst Plutarch Alex,
cap. 2. — In der vieldeutigen Stelle vs. 154» discit ab birsuta
jaculum torquere capella versteht auch der Verf. unter der bir-
suta capella einen Centurionen, der die Rekruten exercirt und
mit Bezug auf sein Gesicht spöttisch capella genannt wird.
Auch Ree. fand diese Erklärung unter den verschiedenen an
dieser Stelle versuchten noch immer für die dem Zusammen-
hange entsprechendste, er findet es jetzt um so mehr, als der
Verf. zwei merkwürdige Stellen aus Ammianus IVEarcellinus
(XVII, 12. und XXIV, 8.) anführt, wo das Wort capella in
ähnlichen Beziehungen als Spottname vorkommt. A**er ver-
steht der Verf. richtig von dem agger praetorianorum castro-
rum , in dessen Nähe nach einer Inschrift bei Gruter (p. 651.
nr. 11.) ein pomarium lag; ßagella ist dann der Stab des Cen-
turionen. Es sollte uns freuen, wenn durch diese Angaben
des Verf. nun die Zweifel über die Erklärung dieser dunkeln
Stelle verschwinden könnten. Ueber das für die Erklärung
schwierige stricto pane vs. 169. hätten wir gern die Ansicht des
scharfsinnigen Verf. zu erfahren gewünscht« Ree. erklärt die
Stelle so: „Am Ende haltet ihr doch Alle das Maul, wenn ihr
das euch zugeschnittene, für euch in Bereitschalt hingestellte
(harte, geineine) Brod habt unversehrt da stehen lassen , und
so hungrig von der Tafel aufsteht, ohne von den guten Bissen,
wie ihrgehoift, etwas erhalten zu haben. *
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Juvenaüs Satirae ex ree. Weber.
397
Sat. VII, 8 ff. gieht der Verf. den Sinn de« Ganzen rieh-
tig an 9 und knüpft daran noch einige Bemerkungen Aber ein-
zelne Wörter, so über den Gebrauch von umbra vs. 8, wie
solche* besonders den Dichtern zugeschrieben werde; ferner
beweist er, dafs Machaera hier anginer Name eines Parasiten
sey, was trefflich in den ganzen Zusammenhang der Stelle
palst.
Sat. VII, 13. verbindet der Verf. mit Heindorf: faciant
equites Asiani Quam quam, et Cappadoces faciant equitesque
Bitbyni. — Vs. 40. Mactäonus commodat aedes. Diese ältere
Lesart der Codd. , woraus ein Maxulonis entstanden , und Hein-
rich ein maculosas herausconjectirte (was selbst Ruperti auf»
nahm), ist mit Recht hier wieder hervorgezogen worden; sie
ist sicher bezeichnender und stärker, und schliefst überdies
noch den Begriff des maculosus in sich, war also in keinem Fall
zu verändern.
Sat. VII, 79. Contentus fama jaceat Lucanus in hortig
marmoreis wird gegen Gronov's Aenderungen gewifs mit
Recht vertheidigt, und erklärt. Horti marinorei sind zwei-
felsohne Gärten, mit zahlreichen marmornen Statuen ausce-
schmückt; jacere aber passend gebraucht von einem ruhig le-
benden , blos dem Studium oder der Poesie hingegebenen.
Sat, VII, 104. quantum daret acta legenti, freuen wir
uns , dafs nun endlich einmal die Stelle richtig erklärt worden
ist. An die acta senatus zu denken, ist durchaus unpassend
und unstatthaft; man kann nur an die acta diurna oder acta po~
■puli, auch oft schlechtweg acta genannt, hier denken; s. Lip-
sius Excurs. ad Tacit, Annal. V, 4. — Vs. 109 ff. sed tunc,
cum creditor audit, praeeipue vel si tetigit latus acrior illo ,
qui venit etc. erklärt der Verf. im Ganzen nach Britta nnicuS
und Cramer. Auch Ree. konnte sich nie überzeugen, dafs ille
qui etc. von einem andern , als dem Schuldner zu verstehen
sey, indem es durchaus nicht pafst, ille auf einen andern,
zweiten Gläubiger zu beziehen. Darin aber kann Ree. Hrn.
Weher nicht beistimmen, wenn er unter codex nicht ein Buch
der Einnahmen und Ausgaben, ein Rechnungsbuch versteht,
sondern ein mit allerlei Schriften angefülltes Buch, welches
wichtige Gründe bei der Entscheidung der Sache zum Nach-
theile des Gegners oder des Anklägers enthalten. Allein warum
soll man die Erklärung, die zunächst liegt, die durch das da*
hitum nomen noch mehr bestätigt wird, durchaus abweisen,
und unter codex hier, wo doch von einem Schuldprocefs die
Rede ist, kein R ech n u ngs b u ch verstehen?
Sat. VII, 124. schreibt der Verf. Aemilio dabitur, quan-
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398' Juvenalts Satlrae ex rec. Weber.
tum wie denn auch Rec. diese Lesart dem petit, wie
insbesondere dem licet oder dem von Rupertj aufgenommenen
übet unbedingt vorziehen würde , weil sie viel Stärker und
nachdrücklicher , so wie dem Zusammenhang des Ganzen , wo
von, den vornehmen Advocaten die Rede ist, die, wenn sie.
auch nicht so gut, als die armen , geringeren , plädiren , doch
mehr Geld dafür bekommen 9 ja so viel, als sie nur fordern 9
angemessener erscheint. In den folgenden Worten et melius
nos.egimus erklärt Hr. Weber das et ganz richtig durch ettta-
men,. seJ tarnen. Verwandt ist damit der hei, Cicero so oft
vorkommende Sprachgebrauch, wo nach negativen Sätzen_ öf-
ters et statt des erwarteten sed folgt. Vergli Görenz zu Qjcer.
de Legg. U. 21. §. 53. vergl. zu de Legg. pag. 71. 124,. 161.
253. 390. At oder ut wäre hier durchaus unpassend, und so ,
jede andere Partikel,, die man hineincorrigiren oder .hinzu- .
denken wollte Das enim im nächstfolgenden Satze Iii Ist sich
dann gut durch unser freilich wiedergeben. Die Wprse et
statua meditatur proelia lusca vs. 123. bezieht der ^erf, scharfsin-
nig auf das ernste Nachdenken des zu Kämpfen auf dem. Fo-|
rum sich rüstenden Advocaten , und erklärt, luscus nach dem .
Schöliasten (cujus oculus introrsus cadit) durch ho-hläu-
gig, blödsüchtig, wie denn überhaupt durch diesen Zu-
satz die ernste, in tiefes Nachdenken über seinen Procefs ver-
sunkene Miene des Advocaten bezeichnet werden solle. In.
dem folgenden vs. 12^. nahm man Pedo und Mathofür arme
Advocaten, die, indem sieden äufseren Glanz des reicheren.
Advocaten nachmachen wollen, dadurch sich in Schuldenlast
, stürzen. Hr. Weber versteht dagegen unter Pedo einen der '
reicheren Advocaten, welcher durch den Uufseren Prunk, den
er mache, die andern ärmeren Advocaten zu gleichem veran-
lasse und dadurch ihr Vermögen in zerrüttete Umstände bringe.
Wenn man also bisher ergänzte conturbat >ua* rationes oder,
rem familiärem y so roufs man nach dieser Erklärung suppli- \
ren: conturbat rationes aliorum. lndefs, auch abgesehen da* .
von, dafs die Ergänzung conturbat suas rationes natürlicher •
ist, als rationes aliorum 9 scheint selbst das sie, welches die
ganze Reihe der nun aufgezählten, in gleicher Kategorie ste-
henden Advocaten beginnt, als Resultat und Folge des, vor*
hergesagten, lerner ein gewisser Numerus dagegen zu spre-
chen. Denn da Tigellinus auch ein armer Advocat ist, so
hätte man ihm gegenüber dann eben so einen reicheren ge»
stellt erwartet, wie vorher dem Matho diesen Pedo. Aus
diesen Gründen möchte Ree. lieber alle drei, Pedo, Matho und
Tigellinus, als drei arme Advocaten nehmen, deren Gleichheit
auch das vorangestellte sie beurkundet.
r
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I
Juvenalis Sarirae ex rec. Weber,
599
Sat. VIT, 134. Spondet enimTyrio Stlataria purpura filo.
Hier verwirft der Verf. wegen des dabei stehenden Tyrio filo
die Erklärung , welche in stlataria ein über das Meer zu Schiffe
herbeigeführtes l'urpu rkleid , nach Festus, wo stlata als eine
Art von breitem Schiff angegeben wird, erkennt. Die Er-
klärung des Scholiasten : illecebrosa führe eher darauf , stlataria
hier von einem breiten, weiten Purpurgewand zu verstehen,
welches demjenigen, der mit diesem kostbaren und glänzen-
den Kleide vor dem Publicum erscheine, das Ansehen eines
deichen gebe, der im Stande sey, das Theuerste zu kaufen,
und so die Verkäufer täusche; dazu passe auch sehr gut das
Verhum spondet, Dafs diese Erklärung in den Zusammenbang
der Stelle am besten passe , dafs ferner mit dem Worte stlataria
auch gewifs eine ausländische, fremde Art von Kleidungs,
stück bezeichnet werde, davon war Rec. immer schon über«
zeugt. Allein wie dies in dem Worte selber liege , was die
eigentliche Bedeutung des Wortes sey, konnte ihm bisher
eben so wenig gelingen, auszumitteln , als Hrn. Weber, in-
dem dann erst nur jene Bedeutung als gerechtfertigt und be-
gründet wird angesehen werden können. — Zu vs. 152 und
153 I Nam quaecunque sedens modo legerat, haec eadem stans
proferet etc. bemerkt der Verf. richtig, dafs man diese Worte
nicht von dem Lehrer, sondern von dem Schüler verstehen
müsse, und macht zugleich auf den Gegensatz zwischen legerat
und proferet (nicht perferet) aufmerksam.
Sat. V, 156. schreibt Ruperti mit andern Aelteren: cruae
veniant diversae forte sagittae; weil aber dieseStellung des forte
unpassend und unrichtig sey, so schreibt der Verf. mit Hein-
dorf : diversa a parte , zumal da auch Handschriften bemerken:
diversa parte , das a aber leicht ausfallen konnte. — Ys. 177.
freut sich Ree. nun eine richtige Erklärung der Worte: artem
scindens Theodori gefunden zu haben. Da die Citharöden zu
jener Zeit in so hoher Achtung standen, dafs alle übrigen
Künste, selbst die Redekunst in Verachtung und Geringschaz-
zung kam, so ist der Sinn von scindens 1 »zn nichte ma-
chend, zu Schanden machend selbst die Kunst eines
(so berühmten und ausgezeichneten) Theodorus« gewifs sehr
passend. — Vs. 2i8. schreibt der Verf. mit Ruperti Acocno-
noetus , und zieht dies selbst der andern hauptsächlich hier in
Betracht kommenden Lesart Acoenonetus vor.
Sat. VIII 9 7. schreibt der Verf. mit den meisten Codd.:
et posthac multa deducere virga etc. (denn die in einigen Hand-
schriften vorkommende Lesart continsere möchte wohl als Er-
klärung des deducere erscheinen), und spricht zugleich für die
Beibehaltung dieses in einigen Codd. fehlenden Verses.
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Kolb kleine Schriften.
Doch Ree. fürchtet fast, allzu ausführlich gewesen zu
seyn und die ihm gesteckten Gränzen überschritten zu haben.
Er will daher seine Bemerkungen nicht weiter fortsetzen 9 da
das von ihm Mi tget heilte wohl hinreichend ist, um dem Her-
ausgeber die Aufmerksamkeit zu beweisen, der wir allerdings
seine Ausgabe für würdig erachtet haben , so wie dem gelehr-
ten Publicum zu zeigen , was in dieser Ausgabe des Juvenalis
für die Erklärung des so dunklen und schwierigen Dichters
geleistet worden ist. Möge der Herausgeber fortfahren, uns
mit erfreulichen Beiträgen dieser Art zu beschenken!
Kleine Schriften politischen und geschichtlichen Inhalts , von G. R Kolb,
Speier, 1826. bei J. C. Kolb. 400 S. in 8. 1 fl. 48 kr.
Lesens werthe gröfsere und kleinere Sammlungen statistischer
und historischer Data für freisinnige Resultate. Die bedeutend-
sten Aufsätze sind : Ueber die Schulden und Einkünfte der euro-
päischen Staaten (wo besonders die Nachweisung der Gewährs-
männer für die einzelne, bestimmte Angaben erwünscht wäre).
Rufslands steigende Macht. Ueber Veranlassung einiger Revo-
lutionen der neuesten Zeit, zu vergleichen mit der S. 364» ge-
lieferten Aufzählung, durch wen die 135 Regenten, welche
seit der christlichen Zeitrechnung den Thron verloren, diese
Gewalt erlitten haben. Nur zweimal fällt dieTbat auf Volksrevo-
lutionen, 47 mal auf Heere, 40 mal auf Rivalen der Macht , 17
mal auf Magnaten, 14 mal auf Päbste und Geistlichkeit. Der
Aufsatz verdiente, durch das nöthige Detail bestätigt zu werden.
Zur (unpartheiischen) Charakteristik der drei grofsgepriesenen,
Carls, Peters und Napoleons. Die Entvölkerung Spaniens durch
die Inquisition. Zur Probe zeichnen wir von S. 248. Eine Be-
merkung aus: Man behauptet, Frankreich entrichte jetzt bei
weitem mehr Steuern, als im J. 1789. Freilich kamen damals
in die Staats casse nur 585 Mill., jetzt fast 900. Dagegen
aber sind Zehnten und Lehnsgefälle aufgehoben , die Steuerfrei-
heiten abgeschafft, die jetzigen Steuern auf alles Einkommen
vertheilt, die Willkühr der Intendanten u.s. w., die vielleicht
allein für sich 1000 Mill. erprefsten, ist nicht mehr. Die arbei-
tenden Gassen sind aufserordentlich vermehrt und haben weit
weniger abzugeben. Necker schätzte die Einkünfte der Geist-
lichkeit auf 130 Mill. und da» Verhältnis ihrer Güter zü denen
der weltlichen Grundbesitzer wie 1 zu 5 3/4. Sie entrichtete
nur drei und 1/2 Mill. Li v res. S. 247.
27. Dec. 1825. Dr. Paulus.
f
Digitized by Googl
N. 26, 1826.
I I
Heidelberger
• i ■ ,|* 4
Jahrbücher der Literatur.
• l • ': '. * ! -,'1
Anecdota Hemsterhutiana* Ex schedis MSS.$ in BiblwtUcd
Lugduno - Batavd servatis , collegit et edidit Jacohus Geel.
Pars I. btgduni Batavorum^ apud & et J. Lucktmans, Aca-
demiae typogrmphos. MDCCCXXr. Pagg. XXVlll und
pp. 522. «. , 2 ThhvöGr,
So gerne wir auch zugeben, dafs die Klagen über di*
allzu «rofse Anzahl neuer , zum Tb/eil gehaltloser Bücher und
Ausgaben , womit wir im Fache der alten Literatur mit jedem
Jahre überströmt werden , im Ganzen nicht ungegründet sind*
ao sind wir doch der Ueberzeugung , dafs das gegenwärtig all-
gemein rege Strehen, alle zur Erklärung und Verbesserung
der klassischen Schriftsteller dienenden Hülfsmittel durch den
Druck bekannt und auf diese Weise Jedermann zugänglich zu.
machen, nicht nur keinen Tadel verdiene, sondern mit zu den
Vorzügen unserer Zeit gehöre. , Unter diesen Hülfsmittelnv
verdienen nicht hlos Collationen von Handschriften, Scholia-
aten und altere Grammatiker, sondern auch, Und oft selbst
in einem noch höhern Grade, die uhgedrucüten Arbeiten neue,
rer Kritiker die Aufmerksamkeit eines jeden Philologen, wel-
chem es um die höchst mögliche Vervollkommnung seiner ^Wis-
senschaft aufrichtig zu thun ist. Die Mittheilung von Einen-
dationen, Erklärungen und Bemerkungen ausgezeichneter
Gelehrten, gehörten dieselben auch nicht gerade au den Lite-
ratoren vom ersten Range, ist oft schon insofern mit Dank
anzuerkennen, als sie uns mit dem Studiengange und der lite-
rarischen Thätigkeit unserer Facbgeno^sen vertrauter, macht i
und mufs uns dann vorzüglich willkommen seyn* wenn diö
Literatur selbst dadurch eine wesentliche Bereicherung erhält.
Dies ist nud ganz besonders der Fall mit den vorliegenden
Anecdotis Henuterhusißnis , durch deren Bekanntmachung Sich der
in jeder Hinsicht achtungswerthe und verdienstvolle Hr. Bi-
Lliothekar GeeJ alle wahren Freunde und Verehrer der klas-
sischen Literatur zix vorzüglichem Danke verpflichtet. Wem*
sollte nicht schon der Name des grofsen. Holländers , mit dem
XIX. Jahrg, 4. Heft. Zf
uigmzed
402* : Anecdota üemsterhusiana ed. Geel.
■
man, gleich mit dem eines Aristarchus , jeden feinen und
scharfsinnigen Kritiker zu bezeichnen pflegt, Achtung und
Ehrfurcht einflöfsen, und wem drängt sich bei'm Gebrauche
von dessen Schriften nicht der sehnliche Wunsch auf^ Alles zu
besitzen, was dieser gelehrte, geistvolle und tiefdenkende
Mann je niedergeschrieben ? Indessen waren die Berichte
üher dessen literarischen Nachlais, welche Ruhnkenins (Elog.
Hemsterh. p. 281. Opusc. T. I.) mitgetheilt, sehr unbestimmt
und unzulänglich ; und Wyttenbach's Aeufserung (Vit. llu lin-
ken. |>. 204. vergl. p. 132.) : „Invcnta sunt (juidem (Hemater-
husii adversaria), sed spe pauciora: libri , ejus manu notati,
comphires subjecti sunt cum relhjnis auctioni , sed emtione
vindicati bihliothecae Lugdunobatavae« hatte dem gelehrten
Publikum beinahe alle Hoffnung benommen, je etwas bedeu-
tendes aus jenem von Hemstei huis hinterlassenen Schatze zu
Gesicht zu bekommen. So war man denn auch während der
letzten vier und zwanzig Jahre über diese Sache im Ungewis-
sen , bis endlich Hr. Geel, bei'm Sichten und Ordnen der auf
der Leydner Bibliothek bewahrten bandschriftlichen Schätze,,
dem Hemsterhuis'schen Apparate seine besondere Aufmerk«
samkeit widmete, und Alles, was sich von demselben vor-
fand, mit Mühe und Fleifs zusammenbrachte. Wann und auf
welche Weise derselbe der Leydner Bibliothek einverleibt
worden , darüber weifs Hr. Geel selbst keine sichere Auskunft
zll geben; gewifs ist indefs, dafs ein Theü das Hemsterhuis'-
schen Bdchei nachlasse« schon im Jahre 1791 theils der Biblio-
thek geschenkt, theils für dieselbe angekauft wurde; und
wahrscheinlich, dafs Knhnkenius als Bibliothekar noch wäh-
rend seiner letzten Lebensjahre die Bibliothek auch mit den
in zwei Fascikeln enthaltenen Papieren bereicherte (Praefat.
pag. 17«). Dafs Wyttenbach in seiner Vita Ruhnkenii keine
genaueren Nachrichten über diesen Gegenstand gegeben , kann
ihm um so weniger verargt werden, da er zu jener Zeit, als
neuer Ankömmling in Leyden, mit dem so reichen und über-
dies damals noch nicht geordneten handschriftlichen Vorrathe
der Bibliothek unmöglich ganz vertraut seyn konnte. Das
Hauptsächlichste von dem, was uns Hr. Geel in seiner bündig
und schön geschriebenen Vorrede , in welcher unter andern
auch Über die von Hemsterhuis geschaffene Analogie einige le-
senswerthe Bemerkungen gemacht werden, hierüber berichtet ,
ist ungefähr Folgendes. Da Hemsterhuis, streng genommen,
sich nie ausschließlich mit Einem Schriftsteller beschäftigte ,
sondern alle Auetoren d*s klassischen Alterthums beinahe mit
gleicher Sorgfalt behandelte; so behielt er während seines
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I
Aneodota Hemsterhutiaoa ed. Gcel. 403
*
ganzen Lebens die schon in früheren Jahren angenommene Ge-
wohnheit bei , die wesentlichsten seiner Verbesserungen und
Erklärungen auf den Rändern der Ausgaben zu bemerken.
Auf diese Weise gewann er allmählig für die meisten Auetoren
einen so bedeutenden Apparat, dafa er ohne lange Vorberei-
tung von jedem einzelnen ohne Unterschied eine neue kriti-
sche Bearbeitung zu liefern im Stande gewesen wäre. Aber
nur selten und ungerne unterzog er sich dem Geschäfte des
Sichtens , Ordnens und Redigirens seiner frühem Bemerkun-
gen; wovon wohl dessen , man möchte sagen , allzugrofses
Streben nach Vollkommenheit die Hauptursache gewesen seyrt
mag. Indessen fanden sich aufser den durch den Druck be-
kannt gemachten Arbeiten des Mannes und den noch unedirten
Noten zu Lucian unter dessen Papieren noch folgende bereits
redigirte Anmerkungen vor: 1} Notae in Juliani Caesares% 2) in
Apollonium Rhodium j Z) ein grofser Theil der Commentatii am*
pliores in Aristophanis Plutum (worüber Hemsterhuis, nachdem
er hin und wieder in seinen gedruckten Anmerkungen auf die.
selben verwiesen hatte, sich in der Vorrede p. XaIII. scj. ed.
Bat. auf folgende Weise erklärt: „Principio statueram ube-
riores adnotationes Pluto ad finem dedueto subjungere, <jua-
rum ea foret ratio, ut tum locutiones Atticas virtutemrjue
Comicae venustatis, tum res et historias ab Aristophane tan-
tum digito demonatratas tironibus explanarent i postea, quum
Plutus, spectabili satis Notarum satellitio stipatus* justi vo-
luininis modum videretur impleturus, consilium illud priuS
deserui, vel Certe tantisper seposui, dum occasio cfuaedam
ejus exse<Juendi opportunior oriatur.«), und endlich 4) da*
Schediasma de Verhorum Jormis Doticii , Ldconicis aus, Welchem
schon Ruhnkenius Epist. Crit. IL pv 301. und Alherti ad He-
sych. T< IL p. 1294. Auszüge mitgetheilt haben, t>ie übri-
gen nöch vorhandenen Aufsätze, z. B. De Ehgäntiis Ctdtci Sir*
tnonis * Commentatio in höcratis Or» ad Demonicnm, Ohiervdtiones in
Homerurtif iri Heliodori Aethiopicai in Volyaentxm% in Athenagoränt
u. a., sind Jugendarbeiten und mehr zur eignen Uebung (wahr-* ,
Scheinlich noch vor der Bearbeitung des Pollux) niedergeschrien
ben, als zur Herausgabe bestimmt; weswegen denn auch Hr.
Geel aus denselben nur das Wenige zu excerpireri gedenkt«
was für* die Erklärung der behandelten Auetoren von einiger"
Wichtigkeit zu seyn scheint (pag, XXX — XXIIL), %\x dert
Vollendeten Arbeiten gehört auch der ausführliche Cbmmehtar'
zum Pollux f worüber Ruhnkenius im Jahre 1756 in einem
Briefe an Ernesti schrieb: „Hemsterhusius parura contentus
juvenüibus in Pollucem curis , ingentem in hunc Gfammätk .an»
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404 Anecdota Hemsterhusiana ed. Geel.
sciipsit Coramentarium, separatim edendum, in quem omnes
eruditionis suae thesauros profudit. Cui etsi nihil ad per-
fectionem absolutionemque deest, tarnen is manum de tabuR
tollere nescit« (Opusc. T. II. pag. 844- «ff). Hr. Geel läfst-
diesen Commentar in seiner Vorrede gänzlich unerwähnt;
woraus wir nothwendig folgern müssen, dafs sich derselbe bis
jetzt noch rficht hat auffinden lassen. Denn die in gegenwär-
tiger Sammlung p. 164—220. mitgetheilten Noten zu diesem
Grammatiker scheinen gröfstentheils Randbemerkungen zu
seyn, welche Ruhnkenius bei jener Aeufserung unmöglich
konnte gemeint haben. Ein sehr bedeutender Tbeil der noch
ungedruckten Emendationen und Bemerkungen von Hemster-
husius findet sich aber auf den Rändern der von ihm gebrauch,
ten Ausgaben zerstreut, welche nach Hrn. Geel's Urtheil mit
zu den kostbarsten Schützen der Leydner Bibliothek gehören.
Auf derselben befinden sich gegenwärtig aufser den schon von
Ruhnkenius (Elog. Hemsterh. pag. 281. Opusc. T. I.) aufge-
zählten Auetoren, nämlich Aristophanes, Theocritus, Apol-
lonias JAhodius , Harpocration , den Attischen Rednern , Pro-
pertius, Manilius, Valerius Flaccus , noch viele andere mit
einer Menge handschriftlicher Bemerkungen versehene Exem-
plare klassischer Auetoren aus der Hemsterhuis'schen Biblio-
thek ; unter welchen Hr. Geel das der Arcerschen Ausgabe von
Jamblichi Protrepticus auszeichnet, und uns dabei die angenehme
Nachricht ertbeilt, dafs er auch den in einem zweiten Exem-
plare enthaltenen Apparat von Jo. A. Fabricius zu diesem
Buche aufgefunden, welcher bekanntlich in den Besitz von
Hemsterhuis gekommen war (s. H. S. Reimärus De Vit! et
Scriptis J. A. Fabricii pag. 56.). Beide Exemplare befinden
sich gegenwärtig in den Händen des Hrn. Koppeyne van de
Coppello ini Haag, eines der ausgezeichnetsten Philologen aus
der Wyttenbach'schen Schule; von welchem wir entweder
eine neue Bearbeitung des Protrepticus oder wenigstens öln
Supplement zu der Kiefsling'schen Ausgabe zu erwarten haben
(p. VII sqq.) *). Aufserdem aber hielt sich Hemsterhuis (an-
ders als Wyttenbacb Vit. Ruhnken. p. 132. berichtet) für ein-
f
*) Beide Gelehrte haben diese Anmerkungen dem Unterzeichneten
gutigst mitgetheilt , der in seiner angekündigten Ausgabe der
Werke dieses Plnlosophen gewissenhaft und dankbar davon Ge-
brauch machen wird.
Creuzer.
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Anecdota Hemsterlnmana cd. Geol. 405
leine Fächer, als für die Geschichte» Mythologie, Geogra-
phie, Literaturgeschichte, für die Antiquitäten u. a. w. be-
sondere Adversarienbttcher , deren sich drei ganz und andere
theil weise noch vorlinden (p. XX. *<{. vergl, p. 246. und
p. 30Q. not.).
lieber die Art und Weise, wie Hr. Geel diese verschieden.
artigen Subsidien zum Behuf seiner Herausgabe der Anecdota
benutzte; *welche der mitgetheilten einzelnen Anmerkungen
sich auf den Händern fanden , welche in den Adversarien ; ob
und in wie fern die Randbemerkungen durch die Adversarien
ünd umgekehrt diese durch jene ergänzt worden; darüber
gibt die Vorrede keine befriedigende Aufklärung, Bios in An«
•ehung der Animadversionen zu Lucian, welche schon im vo-
rigen Jahre (1Ö24.) unter dem Titel Tib. Hemsterhusii Animad-
vcrsionum in Lucianum Appendix $ als Supplement der Rei tauschen
Ausgabe abgesondert, und zwar in Quartformat erschienen,
ersehen wir aus der denselben beigefügten kurzen Vorrede
und aus den in Parenthese hinzugesetzten Erinnerungen, dafs
aie theils aus Fragmenten unedirter Briefe , tbeils aus andern
Papieren und theils von den Rändern des ersten Baudes der
Benedict'schen Ausgabe entnommen sind. In der Vorrede zu
diesen Anecdotis (p. XXI — XXIV.) bemerkt Hr. Geel über
seine Verfahrungs weise nur so viel im Allgemeinen, dafs er
Alles weggelassen, was Hemsterhuis noch in früher Jugend
oder allein zum Privatgehrauche niedergeschrieben zu haben
schien , und dafs er ferner , bei seinem Bestreben nur Neues
zu geben, auch diejenigen Bemerkungen hier unterdrücke
habe, welche Hemsterhuis selbst schon anderswo gelegentlich
mitgetbeüt hatte. Nur wo diese Mittbeilung blos theilweise
geschehen war, wie dies z. B. mit der kurzen Note zu den
Worten AvoywuJvia; ad Luciani Somn, cap. 6., mit welcher die
ausführliche von p. 2 — 10. hier abgedruckte Anmerkung be-
schlossen wird , der Fall ist , da hat Hr. Geel des Zusammen«
banges wegen mit Recht die vollständigen Bemerkungen gege«
ben , ohne das bereits Excerpirte auszumerzen* *
Die in diesem ersten Bande enthaltenen Anecdota sind
1) die, wie wir so eben bemerkt, schon früher besonders ab-
gedruckten Animadversiones in Lucianum, von p. 1 -~ .163» unter
welchen sich mehrere acht bis zehn Seiten lange vollständige
Abhandlungen finden ; 2) theils kürzere, theils längere AninA
adversionet in Pollucem* von pvl64 — 220. und 3) in Uarpo-
crationem, deren mehrere sich auch blos auf die Noten von»
Vajeaius bezieheu, von p« ZZi ~ 4) Ad Jmlißni. Caesar es.
406 AuecdbU Hemsterlmaiana ed. Geel. N
Notae breves et Emendationes » welche sich jedoch nur auf einen
«ehr kleinen Thei] dieser Schrift, von p. 1 — 8. Heu«, (p.306
— 3l3. Spanh.) erstrecken, aber der Üeberscbrift ungeachtet
mehrere vollständig ausgearbeitete Anmerkungen enthalten ,
von p. 269 — 286. und endlich 5) von p# 287 — 322. Animad-
vtrs'wnes iß Jpollonium Rhodium. Die beiden letztern Stücke sind,
wiewohl dies nirgends ausdrücklich bemerkt wird, vermuthlich
dieselben, welche Hr. Greel in der Vorrede p. XXII, unter den
Jicreits von Hemsterhuis selbst redigirten Arbeiten aufzählt»
Diese einzelnen Bestapdtheile nun beurtheilend durchzu-
gehen und verbessern oder vervollständigen zu wollen, wäre
eben so unbescheiden , als vertraute Mittheilungen eines edlen
Freundes zu dessen Tadel zu mii'sb rauchen. Sollten sich hin
und wieder auch Bemerkungen finden, welche entweder an
und für sich für einen Fremden kein besonderes Interesse ha-
ben oder durch die Forschungen und Bemühungen anderer
Gelehrten während der letzten sechzig Jahre überflüssig ge-
worden sind; so bleibt es für uns immerhin sehr erfreulich,
den gr nisten aller Kritiker, welcher nie etwas anders als höchst
vollendet Von sich an's Liebt treten liefs , auch gewissermafsen
in seinen Privatstudien zu verfolgen. Dafs aber Hemsterhuis
alles hier Mitgetheilte zu seinem blofsen Privatgebrauche ,
grofsentheils zu verschiedenen Zeiten , niedergeschrieben
hatte, ergiebt sich hinlänglich aus der Zusammenstellung
mancher Citate, so wie überhaupt aus der Vergleichung dieser
Inedita mit den übrigen Arbeiten des Mannes, in welchen
letztern man überall mit einer Fülle von Gelehrsamkeit die
strengste Ordnung, Bündigkeit und Kürze vereinigt findet.
Selbst die scheinbar zur Herausgabe vollendeten längeren An-
merkungen würde Hemsterhuis, hätte er sie selbst bekannt
gemacht, noch mannigfaltig verändert haben, wie sich schon
aus der schwierigen Erörterungen beigesetzten Erinnerung,
cogitandum uherius u. dergl, und aus den häufigen Anführungen
von Stellen mit Vorsetzung eines examina, -perlende , considera
abnehmen Jüfst. Indessen glauben wir nach einem nicht ober-
flächlichen Studium eines grofsen Theiles dieser Anecdota un-
sere Leser versichern zu können, dafs die philologische Lite-
ratur durch sie eine äufserst schätzbare Bereicherung erhalten.
Hemsterhuis hatte, wie bekanntlich bei allen seinen Arbeiten,
so auch bei dieser die Pflicht eines guten Kritikers und Inter-
preten stets in ihrem ganzen Umfange vor Augen. Textes-
vetbessef ungert , Erklärungen exquisiter und dunkler Worte,
Redensarten üna ConStructionen, Erläuterungen schwieriger
~^kte aas den Antiquitäten f der Geographie und Geschichte,
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Anecdota Hemsterhusiana ed. Gee!# 407
•
drängen aich wechselseitig und sind beinahe immer auf die
ausgesuchtesten Belege aus den Alten selbst gegründet. Von
gana vorzüglicher Wichtigkeit scheinen uns aber die in rei-
chem Maafse mitgetheilten £mendationen sowohl der absicht-
lich hier behandelten , als^ieler anderen im Vorbeigehen an-
geführten Schriftsteller. Als Probe derselben mögen hier
einige wenigen aus den sieben ersten Seiten der Animad Versio-
nen zum Harpocration gewählten genügen,
T. 223. 1. 23. werden in 'ABt*tev die Worte diroT/vwra/ 31
reu™ jhrAeSv aus dem Etymol. Magn. s. v. in anor- 93 ro tZ/uuj^j
cJitXojv verändert. — 'Ibid. 1. 28. in \a, / wird statt d
baren «v rw ^oot^ fäaro richtig ay^varo verbessert, — P. 225.
J. 2. in *ÄXi£av$?Qi «vird bei Plutarcb. Ne Suav. Quid. V. P.
See. Ep. Decr. p. 1093. C. das später durch Manuscripte be-
atätigte Qißvfi für das gewöhnliche 0eV/fyc oder 0;<r/% herge-
atellt und die Richtigkeit dieser Verbesserung mit den gehöri«
gen Belegen bewiesen. — Ib. 1. 14. in 'A\*tßia$tjs wird aus
Tie verdorbene Stelle auf die einzig richtige Weise also ver-
bessert : 'J<TZ~0S iv TW TfQS AlOKX^a * 3ifi<A«KTCM IT«?! ' 'AfAC^OV/OU
„>^x.T.Ji. — P. 227. 22. in 'AitoMttwv wird für &yefi
die Lesart der Aldiner Ausgabe »o« zurückgerufen, und gele-
gentlich in den Worten des Athenäus? tov %£vov tov Biaro^oZvra
rh rwv xa^oy, p. 298. D. &0U6 für yvov« vorgeschlagen,
welches letztere Schweighäuser gegen Coray's Conjectur (tAou$)
nur durch Annahme einer sehr gezwungenen Ellipse zu retten
suchte. — P. 228. 15. in 'Airfo'tcwv wird das sinnlose tfffxtp
»AA>j£y/^wv nach dem Etymol. Ma^n. verändert in cus*-«^! Ag*r<vv.
! J». 229. 6. in 'A?yv$t o9>j *>j» Ka?TVf*a in k<*i &'Sufau —
T. 230. 12. in 'A<nra<r<a d»« gänzlich verdorbenen Worte 3,«-
InLwi twmlfridvt 'Aeroer/a in *5 (*c. Aeschinis Socratici) a,a-
A*™ frewftmm W»'«. — D^h wir wollen hier abbrechen
und nur die allgemeine Erinnerung beifügen, dafs sieb nicht
leicht eine Seite in diesem ganzen Buche findet, auf welcher
nicht eine oder mehrere ähnliche und zum Theil noch wichti-
gere Verbesserungen vorkämen.
Um endlich auf den Herausgeber zu kommen, so müssen
wir sein Verfahren bei dieser eben ao mühsamen als ver-
dienstvollen Arbeit vorzüglich billigen. Nur hin und wieder
hat derselbe, besonders da, wo es der Zusammenhang und
die Deutlichkeit erheischte, kleine Zusätze, Erklärungen oder
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40ß Anecdota Hemsterhmiana cd. Geel.
Nachweisungen in Parenthesen beigefügt, im Übrigen aber
Alles als bloisen Apparat zu künftigen Bearbeitungen getreu
abdrucken lassen, so wie es sich im Mspt, vorfand. Wir
würden es Hrn. Geel . selbst nicht zu einem sehr hohen Ver-
dienste angerechnet haben, wenn er siph die Mühe gegeben,
alle neueren Commentare und kritischen Abhandlungen sorg-
fältig durchzugehen und auf dieselben zu verweisen, so oft
deren Vergleicbung mit diesen Ineditis für einen künftigen
Herausgeber der in denselben behandelten Schriftsteller uner-
läfslich ist. Denn die Hauptarbeiten über die einzelnen Aueto-
ren sind Jedermann hinlänglich bekannt, um das hierher gehö-
rige yon selbst ohne grofse Mühe auffinden zu können, und
deren jedesmalige Erwähnung will de das Buch unnöthiger
Weise vergröfsert haben; die Angabe der in verschiedenen
Commentaren zerstreuten Bemerkungen aber wäre ohne Rück-
sicht auf jene Hauptarbeiten nur lückenhaft ; auch mufs, wer
sich mit Einem jener Schriftsteller ausschliefslich beschäftigt,
dieselben doch mit mehr Sorgfalt zusammensuchen, als dies
von Hrn. Geel hätte geschehen können. Ganz verschieden
würden wir über diesen, auch in der Vorrede (p.XXIV. sqq.)
berührten, Punkt urtheilen, wenn zwischen Hemsterhuis
Tode und der Herausgabe seiner Adversarien nur wenige Jahre
verflossen wären, oder wenn Hr, Geel z. B. von Apollonius
Khodius und Harpocration eine neue Ausgabe mit den hier ab-
gedruckten Hemsterhuis'schen Anmerkungen besorgt hätte.
Nur Eine L»ast hätten wir dem Herausgeber, so dankbar wir
seine verdienstlichen Bemühungen auerkennen, gerne noch
aufgebürdet, nämlich die Veränderung mehrerer Citate nach
neueren oder gebräuchlicheren Ausgaben und in den Anmer-
kungen zu JLucian auch die Beifügung der Seitenzahlen nach
dem Zweibrücker Abdrucke. Denn die Reitz'sche Ausgabe,
an welche diese Anmerkungen sich anschliefsen , besitzen aus-
ser Holland nur wenige Gelehrte, und das jedesmalige Nach-
suchen der betreffenden Stellen in der Zweibrücker ist müh-
sam und zeitraubend. JNoch mühsamer aber ist das Vergleichen»'
von Stellen ausXenophon, welche nach den Seitenzahlen der
Stephanischen Ausgabe, und aus Plato, welche nach der Lyo-
ner'(ap. Laemarium) angeführt sind. Schon die erstere ist
selten, und die letztere haben viele Gelehrte in Frankreich
und Deutschland noch nie zu Gesicht bekommen , wiewohl
auch Kuhnkenius u. A. nach ihr zu citiren pflegten.
Die gelehrten Zusätze von Hrn. Geel , welche, hierund
da als Anmerkungen beigefügt, zusammengedruckt wohl einige
Bogen anfüllen Würden, hätten allerdings einer Erwähnung
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Horatü opera ed. Döring. 409
auf dem Titel verdient; obschon sie ihr Verfasser selbst die*
ser Ehre nicht würdig geachtet, und sieb gewissermalsen ent-
schuldigt, Anmerkungen zu Anmerkungen geschrieben zu ba-
llen. So sehr wir übrigens den reinen Abdruck der hier ge-
sammelten Materialien billigen, ohne uns nach einer beigefüg-
ten Anhäufung von Citaten und Nachweisungen zu sehnen, so
sehr sind wir von der andern Seite überzeugt, dafs sich Hr.
Geel bei keinem sachkundigen Beurtheiler den mindestein Ta-
del würde zugezogen haben, wenn er seine Anecdota Hem-
sterhusiana auch mit einer noch viel' grösseren Menge eben so
gründlicher und gediegener Anmerkungen bereichert hätte.
Der zweite Band wird den noch übrigen Theil des schritt-
lichen Nachlasses von Hemsterhuis, mitbin auch die oben er-
wähnten Commentarii uberiores in Aristophanis Plutum , enthalten
und mit den gehörigen Registern versehen werden. Wir
sehen demselben mit grofsem Verlangen entgegen, und wün-
schen dem würdigen Herausgeber , welcher sich auch in seinen
Beziehungen als Bibliothekar durch eine seltene Humanität und
Dienstfertigkeit gegen auswärtige Gelehrte auszeichnet, von
Herzen die erforderliche Mufse und Ausdauer zur Vollendung
dieser Unternehmung, so wie zu seiner neuen Bearbeitung des
Dio Ghrysostornus , mit welcher er sich bereits seit mehreren
Jahren beschäftigt.
G. J. Bekker.
Q. Horatii Flaeci Opera omnia rec§nsuit et illustraoit Frideri-
cus Guil. D Oering. Edith ter tia auetior et emendatior, To-
müs primus. Lipsiaet sumt. librariae Hahmanae. MDCCCXXIV.
XXXXund 485 S.
Vor kurzem haben wir den ganz neuen zweiten Theil die-
ser verdienstlichen Ausgabe angezeigt, und tragen nun die
Anzeige der dritten Ausgabe des ersten Theils nach. Den
Zweck der Döring'schen Bearbeitung dürfen wir als bekannt
voraussetzen, so wie, da jetzt eine dritte Auflage erscheint,
diese wiederholten Ausgaben wohl ftinigermafsen beweisen
mögen, dafs das Bedürtnifs einer solchen Ausgabe gefühlt,
und durch diese wo liicht vollkommen , doch gröfstentheils
befriedigt worden sey. Studirende insbesondere hatte der
Herausgeber vor Augen, nicht Philologen von Profession.
Jenen soll die Ausgabe bei'm, Selbststudium dienen, und sie,
ohne die Kritik ganz bei Seite zu lassen, vorzüglich in den
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410
Uoratii opera cd. Döring.
Sinn des Dichters einführen , wobei er absichtlich eigentlich
gelehrte Erörterungen vermied, „ u tili tat is magis , quam glo-
riae Studiosus*1. l)afs die Arbeit des Herausgebers ihrem
Zwecke wirklich entspricht, und dafs bei weitem die meisten
Stellen hinlänglich und richtig erklärt sind, auch im Ganzen
die Wahl der Lesarten zu billigen ist, können wir nach an-
gestellter sorgfaltiger Vergleichung einer grofsen Anzahl von
Oden versichern , auch das , dafs Hr. D. das Neueste über den
Hpratius nicht unbeachtet gelassen bat. Weniger Billigen
können wir es indefs, dafs er auf öffentliche Beurtheilungen
nicht gehörige Rücksicht genommen, und z.B. die manche
wahre und nicht zu verschmähende Bemerkung und Bericht!«
tigung enthaltende Recension in den Ergänzungsblättern der
A.L. Z. l8i7. No. 19. 20. übersehen hat. Es ist wahr, jene
Anzeige ist eben nicht sehr freundlich; und vielleicht hat man
dem Herausgeber, wiewohl mit Unrecht, sie zu lesen wider-
rathen» Es kann Fälle geben, wo der Herausgeber eines
selbstständigen Werkes wohl daran thut, wenn er sich die
Mühe und den Verdrufs ersparen will, Kritiken darüber in
öifentlichen Blättern zu lesen, von denen er im voraus weifs,
dafs sie von ihm persönlich übel wollenden Menschen oder,
Such von Leuten herrühren, deren Stimmfäbigkeit im Gebiete
derjenigen Wissenschaft, die er bearbeitet bat, er gar nicht
anerkennen kann. Aber ein Herausgeber eines Klassikers,
ein Verfasser eines aus tausend einzelnen Bemerkungen beste»
benden Commentars, darf öffentliche mit Bemerkungen beglei-
tete Beurtheilungen nicht unbeachtet lassen, und sollte ihm
auch ihr Ton mifs fallen, ja sollte auch der Beurtheiler ihm
wenig Neues und Besseres bieten. Wollte z. B. Hr. D. von
jener ganzen Recension gar nichts annehmen , so konnte sie
ihn doch vor dem Fehler bewahren, nun schon in die dritte
Auflage einen Druck- oder Schreibfehler übergehen zu lassen,
der zwar nicht den Sinn, aber das Metrum gänzlich zerstört,
nämlich in der Sapphischen Zeile I. 32. 15. dulce levnmen
mihi cunojue salve, für lenimen, wie er offenbar lesen wollte,
da er in der Note o lab. dulc, len. schreibt. Doch wir kehren
au unserm Werke zurück. Voraus geht auf achtzehn Seiten
eine Abhandlung Metra Horatii fyrica betitelt, als deren Vf.
Hr. D, in der Vorrede zur ersten Auflage einen Herrn Sparr
nennt. Man kann mit dieser Abhandlung im Allgemeinen zu-
frieden seyn, da sie absichtlich höhere wissenschaftliche For-
derungen ablehnt, und den tiefer eindringen wollenden auf
Hermanns Handbuch der Metrik (Leipzig 1799.) verweist,
[Wir denken, Studirende wären jetzt eher auf dessen Epitome
t
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I
J
Horatii opera ed. Döring. 411
doctrinae metricae, Lips. 1818. tu verweisen.] Bei dieser
Abhandlung ist uns vorzüglich eins aufgefallen , nämlich wie
der Verf. einen so auffallenden Verstofs bei dem ersten Me«
trum machen, und seit so vielen Jahren un verbessert lassen
konnte. Da heilst es nämlich : a. Versus Jambici. 1. Versus
Ityphallicus [schreibe Ithypballicus] qui e6t dimeter (Jambi-
cus) brachycatalectus : o — o — u cf. n. 19. Man wun-
dert sich, diesen Vers einen jambischen genannt zu sehen,
von dem doch Jedermann weifs, was geschrieben steht ^Her-
mann Elem. doctr. metr. p. 94.): Versus ithyphallicus — ex
tribus trochaeis constat ; vevgl. Hermanns Handb. der Metrik
§. 120. p. 59 s<j. Man sucht n. 19. und findet bei dem Vor-
aus Archilochius major: Solvitur acris hiems grata vice \ veris
et Favoni richtig bezeichnet -— o — u — u, dagegen nur ein
einziges trocbäisches Metrum unter n. 5j nämlich den trochai-
cus dimeter catalectus — u — u — u ~ truditur dies die. Eine
neue Auflage, die wir dem Werke wünschen, wird hoffent-
lich diese Verwirrung verbessern.
In der ersten Öde de» ersten Buches billigen wir die
Gründe, warum Hr. D. WakefieJda von Wolf vertheidigtes
nnd neuerdings viel besprochenes Te doctarum hederae prae-
mia frontium (für Me) nicht aufnimmt, ganz. Eichstädts
Verdächtigung des 35sten Verses derselben Ode: Quodsi me
lyricis vatibus inseris ignorirt er: wir mifsbilligen sie. I. 3.
18. ist Bentleys rectis oculis für siccis oculis aufgenommen, und
Cunninghams fixis ignorirt. Uns gefällt zwar siccis trotz der
Verteidigung des Hallischen Kecensenten nicht sonderlich:
aber wir können uns nicht überreden, dafs, wenn Horas
rectis schrieb, durch Zufall oder Absicht siccis so allgemein
in den Text gekommen ist. Bei firmis liefse sich eher ein
Versehen bei'm Abschreiben, so wie bei fixis eher ein Ver-
hören bei'lO Dictiren denken. I. 4. 17. wird nach den neue-
sten Erörterungen domus exilis Flutonia doch wohl von dem
Grabe zu verstehen seyn müssen, wie es auch Grävius in
seinen Scholien (s. die Fea -Bothe'sche Ausgabe) verstanden
bat. I. 6. 2. nimmt Hr. D. mit Fasserat« Lambin, Baxter,
Mitscherlich , Fea aliti für alite. Wir nehmen Vario für den
Ablativ, statt a Vario, und alite für dessen Apposition. Auch
verdient über die Stelle nachgelesen zu werden Henr. Stephani
Diatrib. de suae editionis Horatianae accuratione pag. 89 s(j.
Ed. Horat. II. 1588, ob wir gleich nicht mit ihm alite für
volatu nehmen möchten. L 7. 7. Nicht Erasmus hat zuerst
undicjue in den Text aufgenommen, wie auch Bothe zur Fea*-
schen Ausgabe auf des Glareanua ^eugnifs hin angiebt ; es
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4 15 Horatii opera ed. Döring*
•
stellt schon in der Ausgabe von Venedig 14Ö3. mit dem Com-
uientar des Landinus, die lief, vor sich bat; um diese Zeit
konnte Erasmus noch nicht an Verbesserung, des Horatius
denken. I. 24. \ 3. bat Hr. D. mit Hecht Ouod si beibehal-
ten, ungeachtet eine gewisse Autorität, die nie Unrecht bat, *
quid ? si zu lesen gebietet. I. 32. 1. ist zwar mit Recht ge-
gen Bentleis Poscitnus das alte poscimur beibehalten, aber in
der Erklärung möchten wir uns doch eher an Mi t scher] ich , als
an den Herausgeber , halten. II. 17. 14« wird wohl in einer
jieuen Auflage Gyan aufzunehmen seyn für Gygen. S. Her-
mann de Mytiiologia Graecorum antiquissima p. IX. Endlich
müssen wir uns noch über die Versabtbeilung der vielbespro-
chenen , aus lauter Jonicis a minore bestehenden Ode IU. 12.
Miserarum est erklären. Hr. D. läfst sie abdrucken , wie die
^weibrücker, wie JV|it scher! ich und F*.>a, so dafs sie zehen
ganz gleiche aus vier Jonikern bestehende Verse bildet, im
Grunde nur e i n e n Vers , der nur, weil das Papier nicht breit
genug ist, in zehen gleiche Stücke zerbrochen ist, aber unaus-
stehlich eintönig fortläuft. Wahrhaftig nicht viel besser 9 als
Vanderbourg, der jeden Fufs eine eigene Zeile seyn läßt,
und absetzt :
miserarum est
necjue amori
dare ludum
nerrue dulci etc.
Dafs die Ode in vier Strophen oder Systeme abzutheilen ist,
bat man schon längst gesehen, auch sind die Rubepunkte hei
linguae, Hebri (wo Hr. D. nicht einmal interpungirt) und bei
victus nicht zu verkennen; nur bat man nicht richtig abgebro-
chen, wenn man, wie Cunningham, die Strophen absetzte
nach 4, 3, 3 Jonikern, oder, wie Lambin und Heinsius, nach
3,3,4 Jonikern. Das Rechte bat längst Bentley gesehen und
gegeben, und neuerlich Bothe in den Anmerkungen zum Fe*'«
«eben Hör. und in der Baxterschen Ausg. vgl. Hermann Elem.
Doctr«Metr. p. 472. — Wegen des von Hrn. D. aus Conjectur
aufgenommenen stipendia für incendia bitten wir ihn wenig-
stens Fea, und Bothe zur Baxterschen Ausg. nachzusehen;
vielleicht entschliefst er sich incendia zu begnadigen. — Doch
wir schliefsen mit dem Wunsche, dafs diese auch im Aeufsern
von der Verlagshandlung treiFlicb ausgestattete Ausgabe bei
denen, für die sie bestimmt ist, und ältern gebildeten Freun-
den des Altertbums die verdiente gute Aufnahme wieder finden
möge.
uigmzea Dy vjUU
Euripidis AIcestis ed. G. Hermann. 41 $
«
turipidis A lee s Li s , cum delictis adnotationibus , potusimum /. H.
MONK1I. Accedunt emendationes GODOFREDI HERMJNNL
Lipsiae, sumtibus J. C. Hinrichm. MDCQGXXIV* IV und
126 £. tn gr. 8.
Ein neuer Abdruck der veralteten Auagabe dieaea Trauer-
spiels von Künöl, wobei der Verleger mit rühmlicher Vor-
aicht Hrn. Hermann zu Rathe zog. Ia ei auctor fuit, aagt
daa Vorwort, ut pleraaque Monkii, paucaa Wüstemanni,
aliorumcrue, animadversiones recipiendas curaret, (juod genus
quoniam fere verborum formulia explicandia, locorumcrue aimi-
lium comparatione , contineretur, non infructuoaum fore iis,
qui aermonem Tragicorum vellent cognoacere; monendos ta-
rnen magistria esse tironea, ne itnitarentur * <juae in il Ii s ob-
aervationibua vel parum latine essen t , vel non eleganter
tcripta. Ipae impertiit emendationea et explicationes, ijuas ,
quum in acholia Academicia Alceatin tractaret9 in chartaa con-
jecerat; quibus addidit disaertationem de illa Euripidis tra-
goedia. Ad hujus igitur Judicium textua refictua est, nume-
ria verauum editionia Monkianae , aeu Wüstemannianae,
aimul adscriptis, ne numeros in horum adnotationibus mutart
necease esset. So entstand diese Ausgabe, zu deren Empfeh-
lung Her manne Name hinreichen würde, an der aber auch
Monk und Wü ste m an n schätzbaren Antbeil haben, indem
aua „Euripidia Alceatia, cum integris Monkii suisifue adno-
tationibus«, von 3;Dr. Ern. Fr id. Wüste mann, Prof. in
Gymn. Gothano, Gothae, sumtibus Ettingeri, 1823. gf. 8.
XVI und 235 S. (mit Buchanana Ueberaetzung in lateini-
sche Verse)«, daa Beste hier auagezogen iat.
% ■ ■ • * *
*
Herrn an na Abhandlung, fünfzehn Seiten atark, enthält
manchea Anziehende und Wiaaenawerthe über die Oekonomie
des Stücks, über deasen Werth und Unwerth, über die Zeit
der ersten Aufführung zu Athen, und über andere Bearbei-
tungen desselben Stoffs unter Griechen sowohl als Lateinern.
Besonders nützlich aber sind seine Berichtigungen und Zu-
sätze zu den Adnotationes der Vorgänger; und zwar vornehm-
lich da, wo die Rede blos von Erklärung der sogenanntem
Sachen und der Sprache ist (zwei Hauptpunkte für die Mehr-
zahl der Leser); weniger, wo es auf Wortbesserung oder
Anordnung der Verse ankommt: denn hier kann man nicht
immer der Meinung des geschätzten Herausgebers seyn. So
heifst es z, B. V. 448. in den gewöhnlichen Ausgaben:
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EuripWis Alcestis ed. G. Ilermaarr.
t
f.
tu ITsA/ou SCyarsc-i
ya/jpouo*c2 /*ci «*y 'A/5<a houioitn
tow avaAiov o?kcv oiKStsvotq, —
ToXAa er« (ircAA^ o*«} fxoxicotoAoi
^tr'Auv, tv r* a'AuPC<$ »tAa<'ovTi$ ujuvo<S>
Hr. Hermann schreibt dafür ao:
g>ouo*a jjici «i'v 'AT5üc * *
* t3v dvdktov olvtov oiatravoti*
nroXkci es ftovcoicokoi /xt'A-
yfyovffi vaS* ixrarovov r ov£»tm
ay yikw, T* ukv^ot; kAs/cvt«; v/xy«;.
■* ,
Und hierzu Folgendes: Libri in tribus verbis variant, €V et
ifrt 'AT5a et 'AlJao , fc'p«*» et a0%0f<; praebentes. pai syliahas ri-
nuinfar, iis satisraciat a/y 'Aida &op.oifiv% servato in antistropba
vulgato tftfa» «Sco* « cui cognitum est hoc genus Dorici numeri, is
perverti eum namerum sendet isto 3cf*c«r/v , quod vocabulum nee si to~
tum f nee si duae tantum priores syllabae huic versui adjiciantur , con-
venit* Contra aliquot codicum scriptura in versa ajitistrophico cu pt/ov s
quae just um usitatumque in hoc metri genere trochaeum semantwn prae-
bet9 non potest duhitari quin vera sit. Quare eertissimum esse aTbi-
tror, vel omissam, vel obscuratam in lacero codice vocem male
a metricii ex Homero (Iliad. 4/, 179. p^c'i cJ Harpe k As »
»ai tlv 'Albao 5ofxai<rt) esse suppletam, Euripidem autem aliud
vocabulum, fortasse H«uS/uuuc7v 9 posuisse. Sed id quum repo-
nere non anderem, satis habui, quod eum non scripsisse aper tum
esset 9 ejicere. Armes d//io/er^ allem Anschein nach schrieb
dich Euripides; aber unare Metriker wollen dich nicht leiden,
wie du dich auch anstellst und fügst 9 weil du nicht zu dem
dorischen trochäus semantus passest, sollten sie auch deshalb
in sechs Versen drei Wortbrechungen annehmen 9 und eine
Stelle, deren Sinn völlig klar ist, als lückenhaft , bekreuzen
müssen! Im 116* Verse las man 'Aup-Mviuba; %a$f und in der
Antistropbe "Aßa r» irvAaf. Hr. Hermann hält dieses für ver-
derbt, und setzt «ruAcuva;. » Metri indicia scripsi *vX<uva;»m In
der Strophe schreibt er 'AjuuMuy/fa;. Wie willkührlich dieses
sey, fällt in die Augen. Ebenda gefällt ihm Botbe's Ver«
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von Bothe. 4 15
muthung o0Krf/ *x». „Solet eniu* vwium f qualisestis, t|ui
sequitur, praecedere dochmicus. Sed non favet ei conjecturae
antistrophicus. Die Conjectur , die Bothe in der eriten Aus-
gabe seiner Verdeutschung vortrug, ist unnötbig, und er sei-
her setzt dafür in der neuen Ausgabe, die bereits um Ostern
1823. an haben war, richtig 0ur S'x" W rival aber ©Gk^t «x«
Vi T/va einmal angenommen, entsprechen sich ja
cuk^t* Ig« Vi t/v«
und vüv & riv tri ßiou*
(die Lesart der Kopenhagener Handschrift), oder, wie Her-
mann lieset, vuv 3i? t/v *ri 0/ov, als zwei regelrechte dochraü ,
und überdies war es offenbar besser, je zwei dieser Verse in
eine, den Tragikern höchst geläufige , Zusammensetzung, den
dochmiacus bypercatalecticus, au vereinigen :
ouk *xoo exf rfva juwjAcSurav *o%iv9w*
vuv ii t/v* Fr# /3/ou ikxitct xqo^iyoiimi \
Da wir alle Menschen sind, so würde auch wohl ein
weniger absprechender Ton, als der ist, den man hier häufig
findet, dieser Wissenschaft der humaniora gemülser seyn,
und Aeufserungen, wie Quid ad Euripidem , quid velit aut
nolit Monkiuai wären, unserem Gefühle nach, gänzlich au
vermeiden.
Xe nophons Feldzug nach Oberasien, verbessert $ und mit
Inhaltsanzeigen und einem Wortregister versehen , von Dr. F. H.
Bothe» Vierte umgearbeitete Auflage, Leipzig , 1825, J. C.
Hinrichssche kuchhandl. IV und 252 S. gr. 8. 21 Gr.
Aus C. A. Deutrichs geschmackvoller Officin.
» #
Bei dieser Schulausgabe , deren Einrichtung dem jugend-
lichen Charakter zusagt, und die daher, besonders in Nord-
deutschland, weit verbreitet ist, liegt Schneiders Text
(ohne Zweifel der im Ganzen vorzüglichste) zum Grunde,
üeber die Abweichungen davon liest man am Schlüsse de»
Werke« Folgendes , was einen Begriff von Art und Richtung
desselben giebt: »Der beschränkte Raum gestattete dem Her-
ausgeber nicht, seine Abweichungen von Schneiders Texte
auch da au beweisen, wo der Beweis aus der blofsen , unbe-
fangenen Uebersicht der bekannten Lesarten und Verbesse-
rungen hervorzugehen schien. Vornehmlich ist dies der Fall
bei Stellen, wo die Handschriften nicht übereinstimmen , und
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416 Xenophons Feldtug von Bothe.
jeder Kundige das Recht hat, seine eigen« Wahl «u treffen.
Ebenso kann man sich meistentheÜs begnügen, die Namen
der Verbesserer zu nennen, da ihre Schriften Jedem zugäng-
lich sind. Nur bei den meisten eigenen Aenderungen war
eine gewisse Ausführlichkeit nötbig, um diese Aenderungen
in ihr gehöriges Licht zu setzen, und die Leser von den dabei
befolgten Gründen, entweder der .Spräche, oder des Zusam-
menhangs , zu überzeugen. Wo ganze Wörter verändert
sind (was selten geschab), da bat man sie durch die Schrift
unterschieden. Die ziemlich häufigen Klammern bezeichnen
anscheinende Zusätze von fremder Hand, woran es auch in
diesem Schriftsteller nicht fehlt, dessen ungeschmöckter Styl
den Abschreibern Gelegenheit genug gab , Gewähltem All-
tägliches unterzuschieben, und klare Gedanken durch verwor-
renes Mifsverständnifs, attische Einfalt, die ohne Eleganz
undenkbar ist, durch geschmacklose Redseligkeit , zu ver-
brämen.«
Wenn die häufigen Textabschnitte dieser Ausgabe die
Aufmerksamkeit junger Leser rege erhalten, so scheinen auch
deutsche Wortregister, wie das hier beigefügte ist, keines-
wegs so verwerflich, als es Manchem scheint ; wenigstens so
lange nicht, als Weder allgemeine Wörterbücher eben söge-
naue Rücksicht auf einzelne Schriftsteller nehmen, noch Un-
begüterte im Stande sind , nur einigermaisen brauchbare
Werke dieser Art anzuschaffen. Hoffentlich wird daher das
anspruchlose Buch, in seiner durchaus verbesserten Gestalt,
des Beifalls der Kundigen auch fernerhin nicht unwürdig be-
funden werden , und seinen Weg durch die Schulen Deutsch-
lands» fortsetzen.
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N. 27. ' 1826.
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Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
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Die Nationalen schichte der Deutschen von U. C. Freiherrn von Ga-
'" gern. Zioeiter Theil: Die grojsen Wanderungen, . Von der
Störung des Gothenreiches an der Donau bis zum Frankenreich.
Frankfurt a. bei Fr. Wilmots. 1,826. X n. 861 Sf 8. 5 fl*
Die Art der Geschieh tschreibung des Herrn Verfassers ist
aus dem ersten Bande seines Werkes bekannt. Wenn er von
der Manier des ersten Bandes in diesem zweiten abweicht, sd
ist es zum Vortheii des Werkes geschehen. Die, lebendige
Darstellung ist weniger als in der frühern Geschichte durch
Empfindungen , Einfällef Hin- und Herreden und Blicke auf
jetzige Zeit und ihre Verhaltnisse unterbrochen, und hat da-
heY mehr innern Zusammenhang, Es. kann nirgends nie hu
mit Meinungen und Hypothesen ein für die Geschichte schäd-
liches Spiel getrieben werden, als bei dem Entstehen neuer
Reiche, weil der Ursprung der Reiche und Völker in Zeiten
hinausgeht, wo man ganz andere Dinge zu überliefern suchte^
ati Staatsgeschichie j und das Späterbestebende oft selbst den *
Zeitgenossen unbemerkt sich ausbildete. Es gibt daher kei-
nen schwierigem Theil in der deutschen Geschichte, als grade*
die Zeit der Völkerwanderung. Die* Werke der Alten j die* .
von den deutschen Verhältnissen schlecht unterrichtet waren ,
hören nach und nach auf, magere und geistlose Chronikschrei*
her , schwulstige Kirchenväter, geschraubte Dichter werden
Führer. Wir befinden Uns auf keinem festen Boden : vom
Osten Europa's bis zu den Fluthen des 'mittelländischen und
atlantischen Meeres müssen wir die wandernden Völker be-
gleiten, und erfahren mehr die Folgen dieser Züge, als inrö
Veranlassung. Es ist deshalb nichts leichtes, diese dunklen
und schwankenden Geschichten zu beleuchten und festzustel-
len. Nach den magern und sparsamen Quellen ist dieses oft f
nicht möglich; sehr gewagt und unsicher ist es, durch^
selbst geschaffene Meinungen , woran es einem geistreicheri
Manne nie gebricht, das Fehlende zu ergänzen, das ein Äp*\
derer nieder anders ergänzt. Da die Geschichte aber ein«''
XIX. Jahrg. 5. Heft; V
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4i3 ?• Gagera Nationalgeschichte der Deutschen.
«
objective Seite hat, worin das Individuum , das einzelne
Factum verschwindet, die Entwicklung der Menschheit und
des Begriffes des Staatslebens sich als eine nothwendige Folge
des Geschehenen darttmt, und es sich da nicht um Wahr-
scheinlichkeit , sondern um Wahrheit handelt, so wird dem
Blicke , der das Ganze umfafst, und daher die Theile durch-
schaut, auch da Aufscblufs werden , wo die sonst so not-
wendigen Quellen mangeln , oder Entstelltes und Falsches be-
richten. Um aber diese objective Seite der Historie, die frei-
lich ohne Kenntnifs der Thatsachen ein Träumen wäre, recht
zu ergreifen, ist es durchaus erforderlich, dafs des Histori-
kers Individualität verschwinde. Er kann dessen ungeachtet
mit Wärme und Theilnahme schreiben, das Grofse bewun-
dern, das Schlechte verabscheuen u. s. w. , ohne sich doch
von dem leiten zu lassen, was Fartheilichkeit und Meinungen
erregt. Wir wollen sehen, wie sich der Verfasser seinen
Weg bahnt, und dabei andeuten, wie er die erwähnte Forde-
rung befriedigt hat.
Was die Anordnung des Buches betrifft , so ist dieser
zweite Band wie der erste in zwölf Abschnitte getheilt, wo-
von die drei ersten theils noch zur frühem Geschichte gehören,
theils als einleitend zur eigentlichen Völkerwanderung zu be-
trachten sind. Es stellt nämlich der dreizehnte Abschnitt
(S. 1 — 4L) die Germanen während der liegierungen der
Söhne Constantins dar; der vierzehnte (bis S. 77.) beschreibt
Julians Kriege mit den Alemannen, Franken und Sachsen; der
fünfzehnte (bis S. 120.) handelt vom Verhältnils der christ-
lichen Religion zum Heidenthum, von den Römischen Grenz*
befestigungswerken , und von Valentinians Anstrengungen
gegen Alemannen und andere Germanische Völkerschaften.
Mit dem sechszehnten Abschnitte (von S. 120 — 145.) wird
eigentlich die Geschichte des ersten Bandes fortgeführt, wie
Hermanrichs grofses Gothenreich den einwandernden Hunnen
unterliegt, die Gothen, innerhalb der Grenzen des Römer-
reiches aufgenommen, die Waffen gegen den Kaiser Valens
richten, und Thracien nebst den benachbarten Provinzen ver-
heerend durchziehen; der siebzehnte (bis S. 176.) enthält,
wie Theodosius durch Benutzung der Umstände das sinkende
Reich rettet, und ihm durch Aufnahme Germanischer Völker
im Heere neue Stärke zu geben sucht. Des Gainas Schicksale,
des Alarich und Rhadagais Züge beschreibt der achtzehnte Ab-
schnitt (bis S. 235.)» "nri der neunzehnte (bis S. 270.)L der
Deutschen Niederlassungen im Römerreiche. Der zwanzigste
(von' S: 270 — 309 ) ist den Vändalen in Afrika unter Gaiserich,
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Gagettt Nationalgescluchte der Deutschen. 4l9
und der ein und zwanzigste (bis S* 352.) Attila und seiner
Zeit gewidmet. Der zwei und zwanzigste {bis S. 394.) er-
zählt die Geschichte der Völker, die nach der Auflösung des
Hunnenreiches wieder selbstständig geworden, bis auf den
Untergang des Weströmischen Reiches ; der drei und zwanzig-
ste (bis S. 428.) führt zu den Niederlassungen der Sachsen in
Britannien 4 und der letzte Abschnitt (bis S. 511.) beschliefst
den Band mit der Geschichte der Burgunder, Westgotben und
Franken bis auf den Tod Clodwigs.
Dafs der Hr. Verfasser bei der Bearbeitung seines Werkes
die Quellen selbst studirte, und sie mit kritischem Forschungs-
sinn zu gebtauchen strebte, zeigen die Noten von S. 5il bis
861, wo nicht nur die Stellen aus den Quellschriftstellern
zahlreich und oft in extenso angegeben sind, sondern auch die
abweichenden oder bestätigenden Ansichten neuerer Geschicht-
schreiber angeführt werden. Zu wünschen wäre es freilich
gewesen, da die Noten doch nur für den Gelehrten sind , dafs
die Citate aus Griechischen Schriftstellern nicht in der lateini-
schen Uebersetzung , sondern in der Originalsprache mitge-
theilt worden wären.
So sehr Ref. dieses Werk im Ganzen loben und empfeh-
len mufs , so stimmt er doch manchmal mit den Ansichten des
Hrn. Vf. gar nicht überein. Nicht um an einem guten Buch«
auch etwas auszusetzen, sondern Punkte der deutschen Ge-
schichte, die noch einer Erörterung oder Aufhellung bedürfen,
zur Sprache zu bringen, werden folgende Stellen zur nähern
Beurtbeilung herausgehoben,
S. 93. im fünfzehnten Abschnitte : ttDie Alemannen hat-
ten sich aus den Ebenen der Bergstrafse zurückgezogen und
auf einem Berge am Neckar Halt gemacht. Als die Römer an
einen Ort kamen , den sie Soliconium oder Solicinium nennen,
höchst wahrscheinlich kein anderer als Schwetzingen, wurden
sie der Feinde gewahr. Alsobald machte Valentiniart die An-
stalten zur Schlacht« u. s. w. Was auch der Hr. Verf. in Hei*
Note 34. gesagt hat, um zu beweisen, dafs Ammiah 'Marceil in
(XXVII, 10.) hier mit Solicinium Schwetzingen (Suezzin-
gium) bezeichnet habe, hält Ref. flßr unstatthaft, Und die
früher aufgestellte und noch jetzt gewöhnliche Annahme, So-
licinium in Sulz am Neckar in der Nähe von Tübingen zu fin-
den, möchte gewils mehr für sich haben. Nach des Dichters
Ausonius Mosella vs. 421 scrq. wäre es wahrscheinlich zu ma-
chen, dafs, während der Kaiser von Westen her über den
Rhein ging, und *lie Alemannen über den Neckar und Lupo-
dunum (Ladenburg) hinaustrieb, der Sohn vom Süden herauf
27 * '
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420 t. Gagern Nationalgeschichte der Deutschen,
über den Rhein ins Breisgau einrückte , und die Alemannen auf
das linke Donauufer zurückdrängte. Vater und Sohn konnten
dann in der Gegend der Quellen des Neckars und der Donau
zusammentreffen, wovon nicht sehr entfernt Sulz, der vom
Ammian erwähnte Schlachtort Solicinium, zu suchen ist.
Diese Ansicht, dafs die Römer den Deutschen von entgegen-
gesetzten Seiten zusetzten , begründen nicht nur Ausons Worte:
Spectavit junctos Natique Fatrisque triumphos,
Hostibus exactis Nicrum super et .Lupodunum
Et fontem Latus ignotum annalihus Histri ;
sondern auch Ammians umständliche Beschreibung , die dem
Hrn. Verf. Schwierigkeit macht, da er das Schlachtfeld in die
unrechte Gegend verlegt. Die Worte : Qui (Alemanni) nul-
lam ad tuendam salutem viam süperesse cementes mon-
tem occupavere praecelsum etc. zeigen deutlich, dafs sie auf
mehreren Seiten bedroht wurden.
In dem neulich erschienenen Werke: „Schwaben unter
den Römern« behauptet dessen Verfasser, der verdienstvolle
und gelehrte Archivrath Leichtlen S. 65: Ammian und Auson
sprächen von verschiedenen Feldzügen , und dos Solicinium des
erstem wäre im Breisgau zu suchen , weil der Feldzug gegen
die Breisgauer Alemannen gerichtet war, deren Fürsten der
Kaiser vorher durch Meuchelmord aus dem Wege geräumt
hatte. Diese Behauptung bedürfte freilich noch näherer Belege,
und es wäre zu wünschen, dafs sie der gelehrte Forscher deut«
scher Geschichte und Alterthumskunde ausführlich gäbe.
S. i46. im siebzehnten Abschnitt: „ Die Geschichtiger det
nächsten Jahrhunderte — bestätigen auf das neue, als völlig
angenommen zu ihrer Zeit, die alte Identität der Gothen und
Geten.ef Schon im ersten Band im zweiten Abschnitte hat der
Hr. Verf. diese Behauptung aufgestellt, und sie durchzuführen
gesucht. Allein Ref. kann mit dieser Ansicht aus vielfachen
Gründen nicht übereinstimmen. Denn nicht nur widerstreiten
ihr die geschichtlichen Nachrichten , die wir von den Gothen
und Geten haben, sondern eine selbst unvollkommene Ver-
gleichung beider Völker mit einander in Hinsicht der Sprache
und Sitten zeigt schon zür^fenüge, dafs beide ganz verschie-
den sind; ja es möchte noch sehr zweifelhaft seyn, ob nur die
Geten oder Dacier (Plin. Hist. Nat. IV. 12. Getae Daci Ro-
inanis dicti) für ein Germanisches Volk zu betrachten sin<L
Dafs nach der Vertilgung der Getischen Nation die in ihr
I*an<j eingewanderten Gothen von Römischen und Griechischen
Schriftstellern, besonders von den spätem , mit dem Namen
Geten benannt worden sind, beweist nicht«, da der Fall in
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Gagern Nationalgeschichte der Deutschen* • 41 1
(Irr Geschichte nichts seltenes ist, dafs eingewanderte Völker
den Namen der Nation annehmen, welche früher das Land be-
sessen hat. • •
Wenn der Hr. Verf.- aber Procop anführt,' um aus ihm
die alte Identität der Gothen und Geten zu beweisen , so ist
dieses ein sehr schlechter Gewährsmann. Denn es ist be-
kannt, dafs l'rocop, aufser den Vorfällen, die er seihst er«
lebte, und zwar in «einer Nähe erlebte, sehr oft in dem Be-
richte über frühere Begebenheiten und entfernte Völker nicht
nur mit grofser Behutsamkeit zu gebrauchen ist , sondern oft
solche Ivrthümer und ganz Unrichtiges mittheilt', träfe man
gar keine Rücksicht auf ihn nehmen darf. Selbst in der vom
Hrn. Verf. angeführten Steile begeht der in der frühern deut-
schen Geschiente schlecht unterrichtete Grieche mehr als einen
Irrthum, wenn er die Gepiden , die wahrscheinlich zum Gü-
thischen Stamme gehörten , für Sarmaten erklärt , und die
Vandalen zu den Gothen rechnet, da sie nach den ausdrück-
lichen Nachrichten früherer und besserer Schriftsteller einen
ganz davon verschiedenen Volksstamm ausmachten, der eher
dem «Suevischen beizuzählen ist. Was hauptsächlich den Irr-
thum veranlafste, die Vandalen, Alanen, Seinen und andere
Völker als zum Gothischen Stamme gehörig zu betrachten, ist
die Ausdehnung der Gothischen Macht unter dem alten Könige
Hermanricb, der von den Ufern der Ostsee bis zum schwar-
zen Meere verschiedene Völker beherrschte ; alle diese für
Gatbiscbe zu halten, wäre eben so irrig, als alle Nationen,
die Attila beherrschte, Hunnen zu nennen.
Was S. 312- im ein und zwanzigsten Abschnitt von der
»sSelbigkeit der. Sprache der Daker und der Gothen« gesagt
wird, mufs noch nachgewiesen werden, bis jetzt ist es noch
keinem Gelehrten gelungen , auch nicht dem verdienstvollen
Ihre in seinem Glossarium Sui -Gothicum.
Im achtzehnten Abschnitt S. 203 8. scheint dem lief, über
den ersten Einfall AlarichV in Italien zu kurz gehandelt, und
zu wenig die Schwierigkeiten in den gewöhnlichen Angaben
dargetban. Des Griechen Zosimus Schweigen über diesen
wichtigen Theil von Alarichs Geschichte ist auffallend und er-
regt die Vermuthung, dafs in seinem Werke eine Lücke ist,
da er doch über die übrigen Begebenheiten dieses Westgothi-
schen Königs sehr ausführlich berichtet. Da er früher den
Eunapius benutzt, der mit dem Jahre 404 aufhört, und nach
diesem den Olympiodor, der mit 407 anfängt, zum Führer
wählt, so hätte er immer von 400 — 403 ausführlich handeln
können. Die kurzen und z im Theil unrichtigen Notizen in
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423 ; V. Gagern NaÜonalgescUiebte der Deutzen.
Prospers iip<} jCaiaiodors Chroniken, und die mehr wortspie-
lenden als genauen Andeutungen, de« Orosw* zwingen uns,
den Dichter Claudian (de bello Getico) und den oft unsichern
Jornandes (de re}>«$ Geticis c. 29*) als einiige Föhrer zu neh-
men.. - Nach dem leute.rh; drang Altrich unter Stilicho'* und
AjuxpliÄns,Confulat, dt:i. ioi JaUca 400, upd zvyar im Winter
am Ende des Jahres, wie CJaudian sagt, in Italien ein. Allein
da wir erst 40 3 von berJeuten4en, kriegerischen Vorfällen spre-
chen huren, so war man in grofser Verlegenheit womit man
die Zwischenzeit ,au#föU^n aolke. Wahrscheinlich ist es,
dals Alanen bei seinem ersten Erscheinen in Italien nicht sehr
schnelle Fortschritte machte, und er in der für die Römer un-
glücklichen Schlacht am Timavus *) , nich t w ei t von Aquileja , <
auch bedeutend geschwächt wurde , so dafs ex «ich- wieder mit
neuen Truppen verstärkte, und eist im Jahre 402 nach Mai-
land« der damaligen kaiserlichen Residenz, vorrückte« Der
Kaiser ergrüF die Flucht , und wurde bis in die Nähe von
Kavenna verfolgt ; allein Stilicho, der von Norden ein Heer
zur Rettung Italiens herbeiführte, nöthigte Alarich , dahin
seinen .Marsch zu richten, und den Kaiser im stark befestig-
ten Kavenna zu lassen. Des Hrn. Verf. Worte S. 205. lassen
sich daher gar nicht aus den Quellen rechtfertigen: „Alarich
hatte indessen den Hofaus Mailand vertrieben , auf der Flucht
nach Lyon, oder Arles in JLigurien oder dem l'iemontesischen
erreicht und nach Asti am Tanavo geworfen« — obwohl auch
Gibbon **J nach seiner Art die Flucht des Honorius nach Arles
*) Die einsige Nachricht davon gibt Claudian de bello Ger. v, 575 s^cr.,
wo Stilicho, seine Truppen vqr der Schlacht bei Pollentia ermun*
ternd , sagt ;
Nunc, nunc, osocii, temeratae sumite tandem
Italiae poenas. Obscssi prineipis armis
Excusate nefas, Deplorqtumqu? TmavQ
VulnuS) et Albinum gladiis abolete pudorem.
**) Biatorj of the decline and fall of the Rom» Emp, Chapt. 30.
T. V. pag. 163» cd, Lips. Honorius, aecompanied bj a feeble
train of statesmen and eunuchs, hnstly retreated towards the
Alps,, with a design of securing his person in the citj of Arles,
which had often been the royal residence of Iiis predecessors. But
Honorius had scarcely passed the Po 9 before he was overtaken by
the speed of the Gothic cavalry ; sioce the urgency of the danger
compelled him to seek a temporary shelter within the fortification
of Asta etc.
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v. Gager n Nationalgescluchte der Deutschen*' 423
— >
• • • »-.»I . » * 99*
und dessen Einschliefsung in Asti ausmalt, Dafs aber diese
Anwesenheit des Kaisers in Ligurien statt fand, können wir
aus dem Codex beweisen, woraus wir sehen, dafs der Kaiser
402 und -I o3 beständig in Ravenna, seiner nunmehrigen Re-
sidenz, zugegen war. Aus mehrfachen Gründen rückte Ala-
rich nicht weiter gegen Ravenna und Rom vor, «ondern rich-
tete seinen Marsch nach Ligurien ; jene stark befestigten Städte
zu belagern, durfte er nicht wagen, so lange ihm Stilicbo,
der mit allen Legjonen von Norden herannahte, im Rücken
war : leicht konnte er von den Verstärkungen aus Illyiien
und von der Donau her abgeschnitten, und in einem unglück-
lichen Falle ihm sogar der Rückzug versperrt werden. t)ie
Hülfe der deutschen Völker, die sich um diese Zeit an RhU-
tiena Grenze gegen die Römer erhoben, war ihm desto ge-
wisser, wenn er sich in Qberitaliea hielt. Daher »ein Zug
nach Ligurien, * r * •
S. 230* »Den Mar ich ernannte er (Attalus) zum Römi-
schen Feldherrn, Athaulf zum General der Reiterei.«* In der
Note 293. ist dazu Zosimus L. VI. c. 7. citirt. Hier findet
sich zwar die Erhebung Alaricha zum Feldberrn, aber nicht
die Ernennung Atbaulis zum Reitergeneral. Gewöhnlich
nimmt man an, dafs Sigonius , der sagt, dafs Ataulf comes
domeaticorum geworden, ein vollständigeres Manuscript vom
Zosimus besessen habe, als wir jetzt kennen. Da aber Sigo-
nius sonst ganz mit dem jetzigen Text übereinstimmt, so ist
sehr wahrscheinlich , dafs er diesen Zusatz aus sich dazu ge-
macht bähe , und die Stelle des Sozomenus L, VII, 8. vor sich
hatte , wo von Athauüs Erhebung die Rede ist.
S. 233, wo vom Tode Alarichs gesprochen wird, wel-
chen der Hr. Verf. Note 322. unpassend »vielleicht dem Gra-
me«« zuschreibt, heifst es: »Um seine Grabstatte zu sichern,
bestattete das Gothische Heer den unsterblichen Helden und
König im Beet (Bett) des Barentin , den sie deswegen ab-
leiteten. In der Note (323) dazu wird Jornand. c. 30. ange-
führt: Quem nimia dilectione lugentes, Barentinum amnem
juxta Consentinam civitatem de alveo suo derivant. Ref. weifs
nicht, warum die Lesart Barentinum amnem vorgezogen ist;
die gewöhnliche ist Busentum amnem oder Basentum amnem,
welche auch mit dem jetzigen Namen des Flusses Baseno (wie
Muratori angibt) am meisten überein kommt. Auch der vor-
treffliche CoJex Palatinus Heidelbergensis nennt den Flufs
nicht Barentin us, sondern Basentus, und kommt daher am
meisten mit dem jetzigen Baseno überein. Ueberhaupt ist zu
424 v» Gagern Natfonalgeschichte d« Deutschen.
bemerken | dafs Jornandes oft in den Namen in seiner jetzigen
Gestalt fast nicht gebraucht werden kann , und daher zu den
gröfsten Bedürfnissen bei der Bearbeitung der alten deutschen
Geschichte , besonders der Gothischen, es gehört, eine nach
den besten Handschriften verglichene Ausgabe des Jornandes
su besitzen. *
~ Im neunzehnten Abschnitt 8. 258» wo von dem West«
gothenkönig Athaulf erzahlt wird , dafs er mehrere Städte des
südlichen Frankreichs, Valence, Narbohne , Toulouse, Bor-
deaux eroberte, fährt der Hr. Verf. so' fort: wEr sah sie als
sein beschied enes Erbtheil an, das Muth und Schwert ihm
gab, wählte sich die Residenz, die Villen und den königlichen
Park, der viele Jahrhunderte nach ihm in Urkunden noch la
Selva Gothesca hiefs« u, s. w. Der gelehrte Maskov in der .
Geschichte derTeutschen (B. VIII. gT 36.) behauptet nach Go~ "
dofredus Viterbiensis (in Pantheo P. Xyi. p. 402.) und Otto
Frisingensis (Chronicon L. IV, c. 21.) * dafs Heraclea an der
Rhone, das nachherige St. Gilles, der Wohnsitz Ataulfs gewe-
sen, da, wie. die angeführten Schriftsteller bewiesen, der Ort
lange Palatium Gothorum und das nahe dabei gelegene Gehölz
Ta Selva Gothesca (nach Urkunden bei Catel Me'moires de PhU
stoire de Languedoc p. 4530 geheifsen habe. Diese Behaup-
tung, welche durch eine bei St. Gilles aufgefundene Inschrift
bestätigt zu werden schien, widerruft aber Maskov im zwei-
ten Bande, Anmerk. XII, nachdem ihm die gründliche und
gelehrte Widerlegung des Benedictiners Vaisette in der histoire
de Languedoc T. I. Not. XLVI. p. 643. zu Gesicht gekom-
men war. Dafs jene Inschrift, welche Ataulf zu Ehren bei
Heraclea gesetzt seyn sollte, falsch ist, zeigt Vaisette aus
Gründen der Sprache und Geschichte. Dessen ungeachtet
scheint Freiherr von Gagern, durch D* An ville's Unentschie-
denbeit verleitet, geneigt zu seyn, sie für ächt zu halten.
Was aber die Angabe des Gottfried von Viterba und Otto von
Freisingen von einem Palatium Gothorum und dem N amen,
eines Waldes bei St. Gilles, la Selva Gothesca, betrifft, so
sa^t auch schon die angeführte Note Vaisette's pag. 645« 'das
beste, was darüber gesagt werden kann r Ces autorite's prou-
vent tout au plus, que quelqu'un des rois Visigots, qui reg-
nerent dans les Gaules , fit construire un palais a St. Gilles, ou
aux environs, ce que nous ne disputons pas ; mais ce dtit &tre
posterieurement a la mort de l'empereur Majorien, puisqua
c'est seulement depuis ce tems-la, que ces peuples e'tendirent
leur domination josqu'au Hhdne. Ferner wird sehr gut be-
wiesen, dafs das alte Heraclea schon einige hundert Jahre vor
«
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4
' ' V, Gagern Nationalgesclnchte der Deutschen. 425
Ataulf «erstört und in der Zwischenzeit nicht wieder aufge-
baut worden, und dafs dieser König wohl nicht im Territo-
rium seines heftigsten Feindes Constantius, im Gebiete der
Stadt Arles, seinen Wohnsitz aufgeschlagen habe.
S. 267. »Toulouse wurde die Hauptstadt dieses neuen
anerkannten Westgothischen Reiches , welches sich jenseits
der Pyrenäen in die Tarraconensis ausdehnte, das heifst, in
das heutige Catalonien" u. s. w. Maskov (Gesch. d. Teutsch.
B. Vllh §. 42.) und Guthrie und Gray (Th. V. Bd. 2. p. 346
der deutschen Bearbeitung ) stellen dieselbe Behauptung auf,
dafs den Gothen aufser den Districten in Gallien noch Catalo-
nien in Spanien zu. Wohnsitzen angewiesen worden. Allein
sie wird weder von des Idatius noch Prospers Chronik unter-
stützt, und diese beiden sind einzige Quellen Aber die Grün-
' dung des Tolosanischen Reiches. Was Isidoras Hispalensis
im Cbronicon Visigothorum darüber sagt, ist aus Idatius auf-
genommen. Allein nicht nur schweigen die Quellen von die-
ser Abtretung des Spanischen Landes an die Gothen , sondern
der Verlauf der Geschichte zeigt auch, dafs der Umfang des
Tolosanischen Reiches , wie er von den Römern anerkannt
wurde, nur Arjuitania secun da und Toulouse mit seinem Ge-
biete begriff, und den Namen Septimania erhielt. Theodo-
rich I, suchte die Grenzen seines Reiches zu erweitern; dea
Aerius tapferer Arm hinderte ihn , seinen Vorsatz auszufüh-
ren. Thorismund, sein Sohn, regierte zu kurz und hatte mit
iimern Streitigkeiten zu kämpfen, als dafs er an Vergrölserung
des Reiches denken konnte. Erst sein Bruder Theoderich 11»
überschritt mit Glück als Eroberer die Grenzen Septimaniens ,
nacbdem er zuvor als treuer Bundesgenosse des Kaisers, den
er auf den Thron gehoben , in Spanien gegen die Sueven ge-
stritten hatte. Er oder doch gewifs sein Bruder Eurich, der
sich zuerst ganz Spanien mit Ausnahme von Gallicien unter-
warf, nahm Catalonien in Besitz. Daher sagt auch der Dich-
ter Sidonius Apollinaris (ad Avitum L. III. epist. 1.) : Ve)
Gothis credite , qui saepe numero etiam Septiraaniam suam
fastidiunt, woraus zu ersehen, dafs die Römer den Gothen
nur Land in Gallien abgetreten hatten.
Im ein und zwanzigsten Abschnitt, wö S. 334« nach Si-
donius Apollinaris Cann. VII. v. 3i9 sqrr. die Völker, welche
Attila folgten, aufgezählt werden, machen die Worte v. 324»
Schwierigkeit : . /
— ulvosa vel rjuem Nicer abluit unda,
" Proruinpit Prancus.
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426 v. Gagetä Nationalgeschichte der Deutschen.
■
Um dieselbe zu beben, sagt der Hr. Verf. S; 335: „— es ist
wobl möglich, dafs damals schon die Franken in wenig be-
setzte tmd wenig vertheidigte Gegenden über Sieg und Lahn
wnd Main vorgedrungen waren, und dafs des Neckars rohrige
Wellen sie bespülten. Denn dieser Neckartiufs flofs vermutb-
lich noch gegen Lampertheim und Trebur bin , Landschaften,
«Jenen Sumpt und Kohr eigentümlicher ist, als denen um
Heidelberg, Seckenheim und Mannheim.« Wenn behauptet
wird, dals der Neckar früher einen andern' Lauf als den jetzi-
gen hatte, wofür nicht nur Wahrscheinlichkeit der Spuren des
alten Flufsbettes, sondern auch die geschichtliche Ueberliefe-
rung des Auimian Marcellin (XVIH, 2.) sprechen, so mufs
dieses vor Valentinian angenommen werden, wie auch der
Hr. Verfc im fünfzehnten Abschnitt thut. Denn S. 110, sagt
derselbe: „der Kriegsschauplatz damals, die römischen Lager
und festen Standpunkte waren augenscheinlich gegen den Aus-
Hufs des Neckars, welchen schönen Strom Valentinian mit
grofser Anstrengung und Beharrlichkeit der Legionen ganz
anders leitete, als damals seiue Rinne war* u. s. w. Wenn
man nun nicht annimmt, dafs nach Valentinian's Entfernung
vom» Neckar derselbe wieder in sein altes Bett flofs , so steht
die eben angegebene Stelle mit der obigen im offenbaren Wi-
derspruche. Die Stelle des Sidonius bleiht freilich schwierig,
wenn man den Gordischen Knoten nicht durchschneiden und
annehmen will, der Dichter, nicht ganz genau bekannt mit
de;r Lage der Wohnsitze deutscher Völker, hat hier einen poe-
tischen Schmuck angebracht, der nicht mit der Wahrheit der
Geschichte übereinkommt.
S. 339, werden die Bundesvölker der Römer gegen Attila,
wie sie Jornandes (cap. 36.) angibt, aufgezählt. Da wegen
der Namen Schwierigkeiten herrschen , so hätte die Stelle in
der historia miscella (bei Muratori T. I. p. 97.), wie sie aus
denn Codex Ambros. vervollständigt ist, und das, was Pagi
darüber sagt, verglichen werden sollen. Dort werden anstatt
der Ibriones (Breones oder Olibriones) des Jornandes die Ba-
liories, und anstatt der Litiani die Luteciani angegeben. Je-
doch hat auch der alte Codex Palatinos Heidelbergensis von
Jornandes Liticiani , was mit der bistoria miscella ziemlich
übereinkommt. Es möchte sehr zu bezweifeln seyn , dafs die
Liticiani, wie der Hr. Verf. sagt, unsere Leten sind, Ihre
Wohnsitze verlegt Pagi in den Hennegau.
S. 348. gebt Attila zum zweitenmal über deu Rhein und
wird abermals in einer grofsen Schlacht von den Westgothen
überwunden. Diese Nachricht, die uns allein Jornandes auf-
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Gagern Nationalgeschichte der Deutschen. 427
bewahrt hat, hätte der Hr. Verf. nicht ohne Zweifel aufneh-
men sollen. Note 163. p. 75v. »Und doch iit daran, nach so
umständlichem Bericht , obgleich alle andere Annalen von einer
so merkwürdigen Thatsache schweigen, nicht zu zweifeln."
x£s lUfst «ich nicht denken , dafs eine s o wichtige Begebenheit
von den andern Schriftstellern wäre mit Stillschweigen über-
gangen: worden; was etwa Wahres an diesem Zuge ist, und
Joruandes zu dem Irrthum verleitet hat, ist der Krieg des
Westgothischen Königs Xborismund mit den Alanen an der
Loire, die vielleicht durch Hunnische Hulfsvölker unterstützt
wurden« Gregor von Tours LfJI, 'c.7, erwähnt dieser Kriege,
ohne jedoch dabei der Hunnen zu gedenken,
Da der 11 r. Verf. schon früher den Arianismus zum Ka-
tholicismus im Verhältnils des Protestantismus ' zu demselben^
(wie dem Ref. scheint, nicht passend) dargestellt hat, so hat
auch folgende Stelle im zwei und zwanzigsten Abschnitt S. 372. '
darauf Bezug : Eine der angesehenen Kirchen Roms verdankt
ihm (Ricimer) die Entstehung, wenigstens die Dotirung — 1
Diese Kirche bestimmte er zum Gottesdienste und Begräbnifs-
ort der Arianer seiner Kriegsgefährten , zum grofsen Aerger-
nifs des Cardinal Baronius. Pabst Gregor der Groise gab sie
hernach den Rechtgläubigen zurück, liels die Gebeine der hei«
ligen Agathe dahin bringen , und einer der Cardinäle führt
noch als Diacon davon den Titel, Wenn irgend so entfernte
Nationalstiftungen und Erinnerungen noch einige Gültigkeit
haben könnten, sollte namentlich diese Pfründe stets einem
unsrer Landsleute verliehen werden \ Und es geht daraus fer-
ner hervor, dafs der protestantische Gottesdienst in
eigener Kirche zu Rom selbst nicht neu sey.
Im letzten Abschnitte S. 477. folgt der Hr. Verf. in der
Darstellung des Krieges, den Clodwig gegen den Burgundi-
schen König Gundobald (im J. 500.) führte, dem Procop, der
ganz gegen Gregor von Tours und die andern Fränkischen
Schriftsteller den Ostgothtscben König Theodorich Theil an
diesem Kriege nehmen läfst, was ganz und gar dessen Grund-
sätzen von der Erhaltung des Friedens unter den deutschen
Fürsten widerspricht. Mit Recht verwirft daher nach der
Einsicht des Ref. der gelehrte Maskov den in der Fränkischen
Geschichte s-ehr schlecht unterrichteten Procop; und es möchte
nicht zu loben seyn , dafs der Hr. Verf. den Ansichten von
Gibbon und Du hos (in der histoire critique de 1* e'tablissement
de la Monarchie franc;ai$e dans les Gaules) folgt, wovon jener
gern Widersprechendes verbindet und daher Neues zu geben
liebt, der andere aber, obwohl ein sehr geistreicher Mann,
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I
428 v. Gagern National geschieh te der Deutschen.
doch allen Quellen entgegen Behauptungen aufstellt ; die ein
Geachichtkundiger, wie der Hr. Verf., nicht adoptiren sollte.
Dahin rechnet lief, besonders auch die Worte S. 4&0: „Es.
wird nicht so ausdrücklich gesagt, aber es gebt aus den fol-
genden Verhältnissen hervor, dafs Theodorich gegen die Ab-
tretung von Marseille mit ansehnlicher Umgebung seinen Frie-
den scnlofs" — welche, wie in der Note 152. S. 844. be-
merkt ist, sich auf des Dubos Bemerkung IV. 6. stützen:
Queis furent les pays dont Theodoric se mit alors en posses-
sion? Ce fut la ville de Marseille et. la province Marseilloise
Srises sur les Visigoths par les Bourguignons apres la raort
u Roi Euric. — Dieses kann nicht nur nirgends nachgewie-
sen werden, sondern es liegt das Unrichtige der Behauptung
aucb in der Sache selbst. Das Tolosaniscbe Reich besala eine
bedeutend gröfsere Macht als das Burgundische, und Eurich,
der mächtigste König seiner Zeit, hat, wenn wir auch des
Jornandes Worte (Burgundiones subegit) nicht buchstäblich
nehmen wollen, die Burgunder gewifs in den letzten Jahren
seiner Regierung f als er ihr Grenznachbar geworden, in meh-
reren Treffen überwunden. Dafs zwischen Alaricb , Euricbs
Nachfolger, und Gundobald irgend ein Krieg ausgebrochen,
davon geschieht bei keinem Schriftsteller Erwähnung; im Ge-
gentbeil haben wir Nachrichten , dafs zwischen beiden Köni-
gen bis zum Jahre 500 ein gutes Einverständnis herrschte,
und es können sogar Beweise geführt werden, dafs der West-
gothische König den Burgundiscben heimlich gegen Clodwig
unterstützte. yon diesem allen abgesehen , zeigt aber auch
schon die folgende Zeit, dafs Theodorich der Grofse nicht
früher in den Besitz von Marseille kam, als nach Alarichs un-
glücklichem Tode in der Schlacht bei Vongle. Denn dann
schickte er zuerst ein Heer unter dem General Ibbas nach der
Provence, und als Arles von der Belagerung der Franken be-
freit war (508), wurden die Ostgothen Herren von Marseille.
S. 491. „Drei fs ig Jahre lang herrschte über diese
Sueven (in Spanien), in so tumultuarischer Zeit, Herman-
rich, der sie hinüber geführt hatte.« Maskov (Gesch. der
Teutsch. B. IX. §• 20.) mag diese irrige Angabe veranlafst
haben, wenn er sagt: „Ihr (der Sueven) König Hermanaricus,
der die Nation nach Spanien geführet, und über dreifsig Jahre
sein Reich gegen die Römer und Gothen mit so vieler Tapfer-
keit behauptet hatte, sah sich durch langwierige Leihes-
achwachheit genöthigt, die Regierung seinem Sohne Rechilae
zu überJassen.« Hier findet aber offenbar eine Namenaver-
wechslung statt, und um dieses einzusehen, braucht man nur
1
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v. Gagern Naüonalgeschiohte der Deutschen. 4 - f)
eine Stelle aus des Idatius Chronicon ad a. V. Valentin ian. ,
wo von Gaiserich's Abzug aus Spanien nach Afrika die Rede
ist, anzuführen. Darnach wird ganz richtig erzählt S. 2&3*
»jGai seriell war bereits dem Spanischen Ufer mit dem Heeres«
zuge nahe, als er vernahm 9 dafs die eifersüchtigen und zu gte^
rigen Sueven den Ziehenden schon auf dem FuFs folgten. £r
wendete sich daher schnell , griff den Feind bei Merida leb»
baft an 9 und zersprengte ihn dermafsen , dafs Hermigar,
ihr König, der verum th lieh die wohlausgestatteten Kirchen
geplündert oder sonst entweiht hatte, in der Guadiana er-
trank. Da der Vandalenkönig im Mai 429 in Afrika ankam,
so mag Ilennigars Tod noch in das Jahr 42Ö fallen. Sein Nach*
folger jfiermerich öder Hermanrich , der im Jahre 436* seinem
Sohne Rechila aus .LeibessCb wachheit die Regierung abtrat,
lebte nach dem ausdrücklichen Zeugnisse des Idatius noch drei
Jahre, also bis 44 I oder Anfangs 442, in welcher Zeit er im-
mer noch sein königliches Ansehen behauptete. Damit stimmt
denn fast ganz genau überein Isidor von Sevilla , wenn er in
der historia Suevorum ( Hispania illustrat. T. Hf, pag. 852.)
sagt: Wandalis autem transeuntihus Africam Galliciam soli
Suevi sortiti sunt : quibus praefuit Emericus annis quatuor-
deeim, .
S. 493. „Kurich fand Anlafs, durch Beschickungen und
Verträge zwischen den Sueven oder Remismund und dem Kai»
ser aufmerksam geworden, in JLusitanien einzufallen (46Ö),
sofort auf der Rückkehr die provincia Tarraconensis — die
Reste der Kornau ie im nördlichen Spanien, Pampeion. >, Sarra-
gossa Gothisch werden zu lassen. Wieder nach Gallien zu*
rückgekebrt, nahm er Arles und Marseille, begünstigt durch
Einverständnisse, und belagerte Augustonemetum oder Oer«
mont, die Hauptstadt von Auvergne.** S. 4-94. >»Arles und
Marseille wurden zurückgegeben, aber die Landschaft Anvergne
blieb in Eurichs Händen«, und S. 495. „Eurich nahm aber-
mals Arles und Marseille. « Hier ist in der Reihenfolge der
Begebenheiten nicht nur gegen. die Chronologie gefehlt, son-
dern die Abtretung der zwei genannten Städte , nach der ersten
Eroberung, die nicht stattfand, entbehrt der historischen
Beweise. Wie der Hr. Verf. die Sache dargestellt hat, so ist
sie. fast allgemein bei den Historikern angenommen, zu wi-
ehern Irrthum nicht bjos Jornandes, der bekanntlich oft Ver-
stöfse gegen die Chronologie begeht und frühere Thatsachen
später geschehenen nachsetzt, Veranlassung gegeben hat, son-
dern auch der Appendix zu Vicrors Chronik und die bei Vielen
so bedeutende Auctorität des höchst verdienstvollen Chrono*
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430 Gogeru Nationalgesehichte der Deutschen.
logen Pagi, Da im Buche über diesen Theil von Eurichs Ge-
schichte, der zu den schwierigsten gehört, mit Leichtigkeit
, hinausgegangen wurde , so hält Ref. für nothwendig , etwas
ausführlicher darüber zu sprechen , um zugleich auch die Be-
weise der obigen Behauptung beizubringen. — - Aller Wahr-
scheinlichkeit nach machte Kurich die FeldzÜge in Spanien
gegen Römer und Sueven in den Jahren 468 — 469» welche
Jdatius am Ende seiner Chronik berichtet, nicht in Person
mit, da er in Gallien zu thun hatte, wo er 470 die Britten
unter ihrem Fürsten Riothimus schlug. Die Anstrengungen,
das fast mitten im Tolosaniscben Reiche gelegene Land Au-
vergne zu erhalten, wurden durch die Tapferkeit des Römers
Ekdicius vereitelt. Erst durch einen Vertrag im Jahre 474
oder Anfangs 475 wurde dieses Land, da es doch nicht länger
behauptet werden konnte, vom Kaiser Nepos den Westgothen
überlassen. Dafs dagegen Eurich Arles und Marseille , wie
Pagi (Annal. ad a. 474« N. XI.) angibt, herausgegeben habe,
wird eben so wenig von einem alten Schriftsteller gesagt, als
dafs er diese Stüdte. vor seinem Zuge nach Spanien, wodurch
er sich die Provincia Tarraconensis unterwarf, eroberte. Auch
zeugt die Gesandtschaft der Bischöfe aus eben diesen Städten,
welche Nepos 474 an den Westgothenkönig schickte, schon
dagegen. Die Eroberung Spaniens füllt aber weder in das
Jahr 467 (wie Guthrie und Gray wollen), noch in das Jahr
469 (wie die meisten annehmen), sondern sie geschah 477.
Durch die Abtretung von Auvergne hatte Eurich mit dem Rö-
mischen Kaiserreich einen Frieden eingegangen, den er auch
bis zum Sturze dei Romulus Augustinus hielt (476). Mit
der Auflösung des Weströmischen Reiches glaubte Eurich,
schon im Besitze grofser Länderstricbe in Spanien, berechtigt
zuseyn, sich dasselbe ganz zuzueignen. Wahrscheinlich in
Begleitung des Ostgothischen Fürsten Widimer, der seit 473
ihm in Gallien bei seinen Eroberungen bis an die Rhone und
Loire grofse Dienste leistete, zog er (477) über die Pyrenäen,
und unterwarf sich anfser dem nordwestlichen Winkel, Galli-
oien, das er den Sueven liefs, die ganze Halbinsel. Folgen
wir nun dem Isidor von Sevilla, so ging Eurich gleich nach
der Rückkehr aus Spanien (478) über dieRbone, und eroberte
Arles und Marseille, oder weil wir Nachrichten haben , dafs
die Provence dem Exkaiser Nepos bis an seinen Tod treu
blieb , so könnte diese Ei oberung auch vielleicht 480 zu setzen
seyn. Freilich sagt der Appendix zur Chronik des Victor
Tunnunensis (ed. Scaliger. ; in andern Ausgaben , auch in der
Hispan> illustr. T. IV. fehlt die Stelle}, dafs unter dem Con-
•
1
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I
r. Gagera Nation»Ige«chichUi der Deutschen. 43 1
sulat des Johannes und Severus, d. i. 470, Eurtch über die
Rhone gegangen; allein in diesem Appendix kommen mehrere
Beispiele vor, dafs von den Copisten diese Randbemerkungen
an unrechte Stellen geschrieben wurden.
S. 496. „Besonders besserte und mehrte er (Alanen II.)
die Sammlung der Gesetze , um welche sich schon der Vater
und Grofsvater Mühe gegeben hatten.« Isidors Worte,
die ausdrücklich dem Ellrich das Verdienst zueignen , zuerst
den Westgothen geschriebene Gesetze gegeben zu hahen , be-
weisen mehr als eine mit Worten spielende Stelle bei Sidonius
Apollinaris L. II. epist. 1, wo er üher den Verriither Sexo-
iiatus, der mit den Gothen Einverständnisse unterhielt, ibl-
gendermafsen loszieht: Exultans Gothus insultansq ue Ron la-
nis, illudens praefectis colludensrrue numerariis : leges Th<;o-
dosianas calcar.s Theodoricianasrrue proponens, veteres culpas,
nova tributa perrruirit. Hier setzt Sidonius, das Spiel der
Worte vollständig zu machen , offenbar, blos um die le^es
Tbeodosianas mit einem Gegensatz zu versehen , Theodoricta-
nas# Aus diesen Worten aber schliefsen zu wollen, dafs
Theodorich (ungewifs ob der Vater oder Bruder Eurichs) den
Westgothen schriftliche Verfügungen gegeben habe, halt Ref.
für zu gewagt. Da Isidor sagt: Gothi antea (ante Euricumj
tantum moribus et consuetudine tenebantur, so lSfst sich die-
sen bestimmten Worten jenes Spiel des Sidonius nicht ent-
gegensetzen.
Hier durchzugehen, an wie vielen Orten der Hr. .Verf.
über bisher zum Theil oder ganz dunkle Punkte in der deut-
schen Geschichte Licht verbreitet, wie manche Begebenheit
er neu und wahr entwickelt, und überhaupt, wie viel durch
ihn die Geschichte unseres Vaterlandes gewonnen hat, möchte
bei weitem die Grenzen einer Recension überschreiten. JEiri
jeder» der mit der Geschichte vertraut ist, wird bei'm Durch-
lesen des Buches gewifs diese Ansicht mit dem Ref. theilen.
Oer Unterzeichnete , dem so eben auch eine. Anzeige von
Ludens deutscher Geschichte von einem andern jungen Ge-
lehrten zukommt, würde eine Beurtheilung der v. Gagernschen
Nationalgesch iebte der Deutschen wahrscheinlich anders ab«
fassen; er erklärt daher , dafs diese Recension einen gelehrten
und fleifsigen Mann, den Professor Dr. Aschbach in Frank-
furt am Main , zum Verfasser hat, Hr. Aschbach ist dem
Unterzeichneten durch mehrere gelehrte Arbeiten, besonders
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432 Juvenalis Satirae ed. Cramer.
durch «ine schon ganz ausgearbeitete Geschichte Spaniens unter
den Westgothen, vortbeilhaft bekannt, und er hofft, dafs
die Beurtbeilung selbst die Gründlichkeit ihres Verfassers be-
weisen wird»
Schlosser*
In D. Junii Juvenalis Satiras C ommo ntarii vetastt.
Post F. Pithoei curas aux'u , virorum doctorum suisque notis in-
struxit D. A* G, Cramer9 J. C. et Antecessor. Hamburgi,
apud Perthes et Besser. MDCCCXXIII. 656 Seiten in grofs
Octav. . 3 Thlr. 18 Gr.
w ' ■
Wenn man in neueren Zeiten mehr Bemühung und
Sorgfajt auf die Erklärung des Juvenalis verwandt hat, so
znulste man es um so mehr beklagen, dafs auch nicht ein Theil
dieser Bemühungen dem alten Erklärer des Satyrikers zuge-
wendet wurde, dafs man im Gegentheil mit Verachtung auf
die schwachen Von ihm binterlassenen Ueberreste hinblickte,
oder sie keines Studiums für würdig erachtete. Gründliche
Forscher, vertraut mit dem Dichter selber, wie mit dessen
alten Erklärer, urtheilten freilich nicht so; ihnen konnte es
nicht verborgen bleiben, welchen Schatz von wichtigen Nach«
richten und Angaben aller Art, höchst wichtig im Allgemeinen
für die Kenntnifs des Alterthums, wie im Besondern für die
Erklärung des Juvenalis, welche zahlreiche Fragmente verlo-
ren gegangener Dichter und dergl. mehr diese freilich mangel*
haft, verstümmelt und verdorben auf uns gekommenen Ueber-
reste alter Erklärer des Juvenalis enthalten. Und so fand es
selbst ein Cramer Wohl der Mühe werth , die alten Scholien
des Satyrikers zum Gegenstande einer neuen Bearbeitung zu
machen, der wir nicht blos die vollständige, verbesserte
Sammlung alles dessen verdanken, was davon aus dem Alter«
thum auf uns gekommen, sondern vielfache Berichtigungen
und Erklärungen des Dichters selber, ausgezeichnet eben so
sehr durch Scharfsinn, wie durch allumfassende Gelehr-
samkeit.
, (Der Beschlufs folgt.)
. * . , » • • • • •
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N. 28. 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur*
In D. Junii Juvcnalis Satiras Commentarii vetusti.
(Betchlufs.)
Bekanntlich ist das, was wir unter dem Namen der
Scholien des Juvenalis gewöhnlich hegreifen , zurrst
von Fithöus aus einer anpe blich Of ner Handschrift, von der
man freilich seitdem nichts in Erfahrung mehr hat bringen
können , edirt worden y indem die Bruchstücke, die früher
Valla daraus bekannt gemacht , hier nicht in Anschlag ge-
bracht werden können. Aus der Ausgabe von Fahrnis (1585)
sind diese Scholien mehrmals in der Folge mit mehr oder We-
niger Genauigkeit abgedruckt worden, .zu Heidelberg 1590,
zweimal zu Fat is , 1602, 1613, und von Schre v e 1 i u s 1648,
dessen Bemühungen um die Wiederherstellung und Verbesse-
rung der aus jener Ofner Handschrift in höchst verdorbener 9
von Fehlern aller Art wimmelnden Gestalt durch Fithöus her»
ausgegebenen Fragmente freilich von keinem sonderlichen Er-
folg begleitet waren. Ihm folgte Henninius, der, indem
er seiner Ausgabe des Juvenal einen Abdruck dieser alten Scho-
lien beifügte, auch zugleich in einem Spicilegium Animadver»
sionum seine eigenen Verbesserungsvorschläge , wie die an-
derer Gelehrten , niederlegte. Seitdem ist eigentlich nichts
für die alten Scholien des Juvenal geschehen; und auf das,
Was wir angeführt haben , beschränkt sich Alles. Die Schwie-
rigkeit, ohne handschriftliche Mittel bedeutende Verbesse-
rungen mit Glück anzuwenden, die oberflächlichen , ungün-
stigen Urtheile Anderer waren allerdings Hindernisse, welch»
Manchen zurückschrecken mochten, nur nicht Hrn. Gramer,
der bereits in einem Programm vom Jahr 1Ö20 die Scholien zu
den beiden ersten Satiren herausgab, und dadurch Hoffnungen
in uns erregen liefs, welche jetzt glücklicher Weise- in Erfül-
lung g**gan£en
sind. Der Zufall ff.&t« es nämlich, dafs Hr.
Gramer auf einer gelehrten Reise in der an handschriftliche»
Schützen so reichen Bibliothek zu St. Gallen eine »ehr alte
XJX. Jahrg. 5. Heft. 28
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434 .» Jurenalis Satlrac ed. Craxner. .
Handschrift entdeckte, welche die Scholien des Juvenal (je-
doch ohne den Text des Dichter* selber) enthielt, und jvovon
sich Hr. Gramer, der in ganz St. Gallen kein Exemplar der
von Pithöus herausgegebenen Scholien fand», mit dem er selber
die Vergleicbung hätte vornehmen können, ein höchst getreues
Fac simile machen liefs, welches ihm auf diese Weise den Be-
sitz der Handschrift selber und die eigene Vergleichung er-
setzen konnte. Der Codex selber, im Catalog der Bibliothek
mit No. 476. bezeichnet, und in das zehnte Jahrhundert ge-
wiesen, möchte wohl mit mehr Hecht in das eilfte Jahrhun-
dert gehören. Er ist in Quartformat auf glattem Pergament,
mit sehr zierlichen Buchstaben beschrieben, ohne zahlreiche
oder schwer zu verstehende Abbreviaturen, kurz mit allen
Anzeigen einer sehr alten , schönen Schrift. Er enthält im
Ganzen mehr, als der von Fitböus herausgegebene Scholiast,
er giebt an vielen Stellen bessere Lesarten , woraus der alte
Scholiast kann berichtigt werden, obgleich doch wahrschein-
licher Weise beide Handschriften aus Einer Quelle geflossen
sind. Ueber die Beschaffenheit der Scholien selber äufsert
sich Hr. Gramer (S. 3.) folgendermafsen : „Quorum omniiun
fere hacc facies est, ut fundamenti loco sit antiquus aliquis
Grammaticus , doctus hercle, verumque quae tractavit, quo
propior aberat ab illo quem illustravit scriptore, tanto etiam
peritior, ad quem vero deinceps alii mediae aetatis magistelii,
monachi, scholares, Suas nugas suaqne aegri somnia allinere
instituerunt, neque in his sordibus substitere, sed quae proba
recta, ea detrahendo, interpolando , mutando ita in pejus re-
formarunt, ut pristini auctoris facies passim aut plane oblitte-
raretur , aut sui prorsus dissimilis evaderet.« Die Zeit, in
welcher dieser alte. Erklärer gelebt, bestimmt Hr. Cramer da-
hin, dafs er aus mehreren Stellen den richtigen Schlufs zieht,
der Verfasser dieser Scholien sey ein Heide gewesen, noch
vor der Zeit, als unter Constantin dem Grofsen die christliche
Religion Ansehen und Bedeutung gewonnen; er zeigt viele
Kenntnifs der Geschichte, Antiquitäten und Mythen, Bele-
senheit in vielen Schriftstellern, unter denen manche sich be-
finden, von denen wir nur durch ihn Kenntnifs erhalten haben.
Aber leider kleben ihm nur zu sehr Makel und Verderlmils
späterer Zeit an', was um so mehr zu beklagen, da wir nicht
eine Reihe von Handschriften, wie in andern Fallen , besitzen,
aus der wir nach und nach mit leichterer Mühe diese Scholien
berichtigen und ergänzen könnten.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen bleibt uns übrig,
von dem zu reden, was Hr. Gramer in dieser neuen Bearbei-
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JuvcnalU Salirae ©a. Cramer.
435
tung der Scholien geleistet hat. Er legte allerdings »einem
Abdruck der Scholien den des Pitbtfus zu Grunde, fügte dann
die in der St. Gallener Handschritt allein enthaltenen Stücke
fehörigen Ortes ein, jedoch unterschieden durch Sternchen,
eder Stelle sind mit kleinerer Schrift unten heigedruckt die
abweichenden Lesarten, dann etwaige Bemerkungen , von
Schrevelius und Henninius, so wie von Schurxfleisch aus des-
sen selten gewordenem Spicilegium animadversionum in D.
Junii Juvenalis Satyras XVI, Viennae 1717, Alles gehörigen
Ortes eingeschaltet. Daran schliefsen sich die reichhaltigen
Zusätze und Bemerkungen des Herausgebers selber an, die
auf gleiche Weise vielfaches Licht über den alten Scholiasten
sowohl, wie über den Juvenal selber verbreiten, und zu«
gleich alle übrigen anderwärts und gelegentlich von Andern
gemachten Berichtigungen und Erläuterungen nachtragen.
Wie umfassend dieselben sind , kann schon aus der Seitenzahl
hervorgehen, denn S. 19 his 564 füllt der Abdruck der alten
Scholien , nebst den jedem einzelnen Scholion untergesetzten
Noten und Erläuterungen. Wie manch« Stellen des Dichters
sind hier erklärt, wie manche schwierige, seltnere Ausdrücke
des Scholiasten verständlich gemacht und durch die seltene Ge-
lehrsamkeit und Belesenheit des Herausgebers nicht Mos da,
wo die Sache in das Gebiet der Jurisprudenz einschlägt, son-
dern auch in andern Gegenständen, deren Behandlung wohl
Wenigen obliegt, erklärt. So z. B. V, 143. p. 182. armilau-
sia. V, 165. p. 186. corrigia. VI, 310. p. 224« siphon. VII,
165- pi'g- 298. prorroga. IV, 35. p. 360. Diptycha. JX , 145.
p. 376. anaglypharii. XIII, 73. p. 485, commendare. I, 106.
p. 60. fiber, biber. III, 38. p. 76 *(f^. foricarii etc. HI, 136»
fi. 92. sellariae. III, 150. p. 94. sutriballus. III, 204» p. SO!«
V, 24» Pag» 122. chartapolae , chartoprata, chartarii. IV, tOO*
p. 139. lusoria XIV, 61. p. 509. camara. XIV, 222. p. 527.
offocare. XIV, 305. p. 535. SparteolU und unzähliges Andere
der Art, wovon wir noch im Verfolg Manches anführen
werden.
Snt. II, 142. p. 66. erklärt der Herausgeber solium rich-
tig durch aloeus lavandi causa institutus , %\j.ßavi$t und beruft sich
dabei auf die Autorität de* Festus. Wir fögen noch Sueton.
Vit. August. 82. und Plinius H. N. XXXIII, 12. bei. — Sat.
III, 10. p. 71. 72. billigen wir vollkommen die Erklärung des
Herausgebers, wo er die Worte des SchoKasten : „primum
enim ibidem fuerunt portae, quae porta Capena vocahaturcc so
Versteht, dafs jener Atruäduct, von >dem hier die Rede ist,
»ich erstreckt bis au das Thor, da« jetzt die Benennung de«
28 *
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\
436 Juvenali« Saline ed. Cramer.
•
Capeniicben fahrt. Denn dies ist gewifs die einzlg^mögliche
Erklärungsweise. Schwieriger sind die folgenden Worte des
Scholiasten: „Capenam. Per correptivom , id est, Capena«!,
und Wir unterschreiben hier gerne die Worte des Herausge-
bers: „ Haeo quid significent 9 dicant doctiores.** Auch Ree. weil«
nicht, was er mit Correptivum anfangen soll, das er in jedem
Falle für verdorben hält, obgleich er eine Ahnung dessen zu
haben glaubt , was vielleicht der Scholiast angedeutet haben
könnte. Bekanntlich macht das vs. 12. folgende hic Schwierig-
keit, wenn man nicht mit Wagner dafür hina lesen oder das
hic in dem Sinne von hino nehmen will; sollte nur nicht der
Scholiast, fragt Ree. , eben darauf sieb beziehen, dafs mau aus
Capenam für das folgende ein Capona (das also darin liege) im
Ablativ herausnehme und für das folgende hinzuzudenken seyt
etwa in dem Sinne: hier oder von hier (nämlich von dem
Capenischen Thore aus) stiegen wir in das Thal der Egeria ;
wie denn der Zusammenhang von vs. 19. mit vs. 17. in vallem
Egeriae descendimus bereits von Wagner nachgewiesen wor-
den. Dies ist die einzige Art, wieB.ec. sich einigermafsen
die sonst unverständliche« Worte des Scholiasten zu erklären
weifs. — Sat. III, 32. pag. 74. „siccandam eluviem ut publici
fani eloacam« kann man die Vermuthung des Hrn. Cramer,
dafs hier zu lesen «t pubiieani cloacawi , eine gewifs glückliche
und gelungene Verbesserung nennen; wobei wir zugleich einige
Erörterungen über die Sache selber erhalten. Ibid. vs. 32. bei
den von Ruperti als inept verworfenen Worten des Scholiasten
zu dem Texte des Juvenal : Met praebere caput domina venale
8ub basta" gieht uns Hr. Cramer zugleich seine eigene An-
sicht von dieser für die Erklärung so schwierigen Stelle, und
zeigt die Unrichtigkeit der von Rupert! gegebenen Erklärung.
Unter caput venale versteht Hr. Cramer ganz richtig öffent-
liche d. h. Staatssclaven , welche von einem Präco auf Geheif«
des Censor zum Verkauf öffentlich ausgeboten werden — eine
Erklärung, die gewifs eben so in de« Sinn des Ganzen pafst,
als sie mit den einzelnen Worten selber vereinbar ist. Aus-
führlichere Bemerkungen werden d*n Worten des Scholiasten
zu III, 38. inde reversi oonducunt/orrcaj beigefügt. Bekannt-
lich finden sich zu dieser Stelle in den Scholien mehrere Erklä-
rungen. Die meisten Interpreten denken hier an einen auf
die öffentlichen Abtritte gelegten Zoll oder Pacht, den diese
Leute an sich steigern und dafür vom Publikum, welches die
Abtritte benutzte, sich etwas bezahlen lassen. Dann leitet
man forka ab von forire \. e. deenerare ventrem^ was jedoch blos
bei Glossographen vorkontmt. Andere, das Wort forica ab-
»
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Jurenali*|Satirae ed. Cramcr. 43?
leitend von formm, denken an die Pachtung öffentlicher dem
ftfcus angehörigen Buden in der Nähe de» Markte». Andere
endlich denken gar an einen Weinzoll, wai aber, wie Crarner
bewiesen, in der Stelle des Jtrvenal unstatthaft ist. Verschie-
dene Erklärungen finden »ich auch in einer andern Glosse,
welche Hr. Crarner am Scblu»»e »einer gelehrten Bemerkung
luittheik. III, 237. et aranti» convicia mandrae erklärt der
Herauageber ganz richtig: convicia ejaculata in mandras siant§s.
Denn Weber » , neue»te Erklärung, wornach mandra ao viel
aeyn «oll als longa muiorum series, und convieia S4antis mandrae also
Schimpf Worte bedeuten, welche die Fuhrleute gegen die »te-
ilende, zögernde, nicht voranschreitend* Reihe von Maul-
thieren ausstoßen, können wir durchaus. nicht in den Worten
selber begründet finden. — Sat. V, 14t. p. ldl. bestätigt
auch die St. Gallensche Handschrift die Schreibart und Erklä-
rung des Wortes Mygale^ als ein erdichtetes Wort, abgeleitet
von dem Verbum p/y^. Vergl. jetzt Weber'» Bemerkung
über diesen und ähnliche ßngirte eigene Namen, die bei Ju-
venalis vorkommen, pjg. 198. 199. Ob aber mit Weber auch
im Text Migale zu schreiben*, ist eine andere Sache. — Sat.
VI, 486. pag. 2)5, wo das Scholium des" PUaleria, Tyrannen
von Agrigent, erwähnt, und dabei aus Cicero eine Stelle an-
führt, bemerkt der Herausgeber, dafs bei Cicero wohl mehr-
fach dieses Tyrannen gedacht werde, nirgends jedoch die vO*n
Scboliasten angeführten Worte sich fanden, und deshalb wohl
aus einer verloren gegangenen Schrift entlehnt Seyen, glauben
wir, dafs dieses Fragment in die Bücher de republica gehöre,
und zwar in die Lücke, welche zwischen cap. XXX und XXXI
de» dritten Buch» »ich findet , wo schon Majo die Verinutpung
äufsert, dafs hier Scipio von des Phalaris Tyrannei geredet;
vergl. p. 261. ed. prineip. — Sat. VII, 1JQ. p. 289. giebt Hr.
Cramer einige Beitrage suder schwierigen, vielfach behan-
delten und erklärten Stelle des Juvenalis selber t „vel »i teti-
git latus acrior illo, Qui venit ad dubium grandi cum codice
nomen.« Er bemerkt ganz richtig, dafs im letxtern Verse
man nicht an einen Gläubiger und Klager, sondern an einen
Schuldner und Angeklagten zu denken habe , und illo auf den
Gläubiger beziehen müsse, da venire ad nomen nur auf den
Schuldner und Angeklagten gehen könne. Diese Bemerkung
pafst eben »o sehr in den Zusammenhang und Sinn der Steile,
wie sie aus den einzelneu Worten ohne Anstofs ausgemittelt
werden kann. — Sat. VII, il8. pag. 292. bei Erklärung de»
Wortes scalae fallen uns ein die beiden Parallelstellen bei Ci-
cero pro Milon. 15. Philipp. II , 9. — Sat. VIII, 63. p. 315.
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>
438 Juvenalis Salirae ed. Cramer.
•
werden genau unterschieden Hirpini und HirpU, Leides Völker-
«cbaften Italiens. Ibid. 66. p. 3l6. schätzbure Erläuterungen
zu Epirrhedia;- ibid. 138. p. 324- Ober die Schreibart von ob-
tunsus und' obtusus \ ibid. 155. p. 329. über das alte Wort robus,
was der Herausgeber in den Text des Juvenal setzen will :
robumqutr juvencum rür torvumque juvencum, wie jetzt in den Aus-
gaben steht. Die Bedeutung und Ableitung dieses Wortes
(«fX«x<»5 *ür rufas) «ucht der Verf. aus seltenen Quellen zu er-
weisen. — Sat. X, 24. p. 380. über die Area Senatus ; ibid.
136. p. 396. über Jplustra; X, 362, wo bei Sardanapal das
Scholion eine Stelle aus Cicero de Republica anführt; s. jetzt
III, 36. p. 268', wo jedoch anders als hier geschrieben steht
Sardanapallus mit doppeltem 1, wie auch Schweighäuser aus
Handschriften jetzt am Athenäus hat setzen lassen (s. XII, 7.
S. 528. F. und dazu die Annotatt. Tom. VI. p 4 1*6. und zu
uch VIII. p. 335. F.), während Diodor und Herodot das ein-
fache 1 haben; vergl. Wesseling zu Herodot II, 150. — Er-
örterungen von bedeutenderem Umfang folgen: Sat. XI, 138.
p. 440. über Pyrgamus; XI, 141. p. 444. über ulmea; XI, 195.
p. 454. Über hordearii. — Zu XIV, 97. p. 5l4- werden meh-
rere Nachweisungen für die Erklärung des Verses angeführt.
Zu Sat. XV, 112. pag. 549. giebt der Herausgeber besonders
nach den Rechtsquellen den Unterschied und die verschiedene
Bedeutung von Orator, Rhetor 9 Sophista an; Orator kommt in
doppeltem Sinne vor: 1) von einem Advocaten oder, wie man
sie früher nannte, patronus causarum ; 2) von einem Lehrer der
Beredsamkeit in den Schulen, welche man in den gröfseren
Städten errichtet hatte, um das Studium der für den gericht-
lichen Gebrauch notwendigen Beredsamkeit zu erhalten.
Das Wort Rhetor kommt zwar in den Griechisch geschriebenen
Constitutionen auch in der Bedeutung von advocatus oder patro-
nus causarum vor , in den Lateinischen Schriftstellern aber nicht;
hier bedeutet es stets einen Lehrer der Beredsamkeit , der auch
wohl Redner selber ist. Das Wort Sophista hat im Ganzen
dieselbe Bedeutung wie Rhetor, und läfst sich der von Eini-
gen gemachte Unterschied zwischen Rhetores und Sophistae 9
wornach jene die Römische, diese die Griechische Beredsam-
keit lehren , durchaus nicht begründen , zumal aus Rechts-
quellen, — Gelegentlich erhalten wir auch bei Sat. VII, 4-
p. 278. eine Berichtigung der Etymologie des Wortes mediasti-
nusf da* man bald von stare , bald von 2<rru und andern Wör-
tern hat ableiten wollen. Hr. Cramer dagegen rindet es weit
wahrscheinlicher, dafs, wie in clandestinus und ähnlichen , stinus
nichts weiter sey als eine Verlängerung des Wortstamms ; tiua
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Juveualis Satirae ed. Gramer. 439
•
Erklärung, die so einfach und natürlich sie ist, uns vieler ge-
zwungenen Etymologien bei diesem Worte gänzlich überhebt.
Daher ist auch die einigemal vorkommende Liesart mtdiastrinus
unrichtig, und die ältere mediastinus unbedingt vorzuziehen.
Sonst werden vielfach höchst schutzbare Bemerkungen aus dem
Römischen Recht mitgetheilt (z. B. aufser dem üben bereits
gelegentlich angeführten, zu I, 56. p. 28.) , dergleichen man
freilich bei so vielen Philologen unserer Tage vergeblich suchen
wird, die es entweder nicbt zu erkennen vermögen , oder
nicht erkennen wollen, wie gründliche Kenntnils der Rö-
mischen Sprache und der Römischen Welt überhaupt ohne
Kenntnils der Römischen Rechtsquellen nicht möglich ist,
die sich nicht entblöden zu behaupten, Kenntnifs der Römi-
schen Antiquitäten sey etwas dem Philologen minder Not-
wendiges, oder gar Ueberflüssiges. Solche mögen bei Hrn.
Cramer in die Sctiule gehen und aus seinen Bemerkungen 1er- .
nen, worauf sie ihr Augenmerk zu richten haben.
S. 565 — 616. folgt eine Mantissa scholiorum antiquorum e
variis in Juvenalem Commentariu MSS. collect* Hier sind alle
Glossen zusammengestellt und nach der Folge der einzelnen
Satiren und Verse geordnet, welche in den verschiedenen
zahlreichen Handschriften des Juvenal theils zwischen den Li-
nien, theils am Rande sich beigeschrieben finden, verschieden
von dem eigentlichen , durch rithöus herausgegebenen Scho-
Ji isten. Oergleichen Glossen waren von den frühes en Heraus-
gebern und Erklärern des Juvenalis wohl benutzt "worden, erst
später aber mit mehr Sorgfalt aus Handschriften hervorgezo-
ten. Dahin gehören drei von Caspar Barth, eine von Schura-
eisch , eine von Burmann dem Jüngeren verglichene, Hand-
schriften; dahin gehört ferner , was aus einer Handschrift im
Classical Journal i8l0. Vol. II. p. 456. bekannt gemacht wor-
den. Einiges fügte der Herausgeber aus einer wahrscheinlich
zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts geschriebenen Koppen-
hagener Handschrift, Anderes aus einer Münchner und Wiener
bei. In jedem Falle sind wir dem Herausgeber für diese Zu-
sammenstellung, Sichtung und Ordnung vielen Dank schuldig,
zumal da er nicht versäumt hat, bei jeder einzelnen Glosse die
Quelle genau anzugeben, aus der sie genommen ist.
S. 616 bis 636 folgen Addenda et Corrigcnda , wo am
Schlufs die für die Geschichte des Scholiasten so wichtigen
Scblufsworte des Pithöus bei seiner Ausgabe desselben beige-
fügt sind, so dafs also der Leser nichts vermifst, uud den
ganzen Apparat des Pithöus vollständig mit erhält. Ein drei-
facher Index beschliefst das Ganze, und" zwar I) lade* Scripto-
440 Lätiemann Bibliotheca Romao« CUssica.
rvm, qui in schal iis citantur , II) Index Script omm , qui in notis i//«-
strantur9 emendantur ,• reprehenduntur aut vindicantur , III) Index
Herum et Verborum in Glossis et Notis.
Möge das Beispiel des gelehrten Herausgebers Nachah-
mung Anden, und in ähnlicher Weise ähnliche Bearbeitungen
des Donatus , Servius , Asconius und Anderer hervorrufen i.
Bibliotheca Romana Clas sica, probatissimos utriusque oratio*
nis scriptores Latinos eachibens. Ad optimarum editionum fidem
scholarum4n usum adornavit G. H. Lünemann , Philot, Dr. aa
Gymn. Gotting. Rector. T. VUh
mit dem Nebentitel:
Thardri Augasti IXberti Fabulae A es opiae. Accedunt Julii
Phaedri et Aviani Fabulae , Pubiii Syri Sententiae et
D iony sii Catonis Disticha. Ad optimarum etc. Gottingae 9
4 823. Sumtibus Rud. Deuerlich. VlU und 177 $. 8. 6 grv
I
Bibliotheca Romana Clatsica etc. T. JX.
mit dem Nebentitel:
C, Valerii Flacci Setini Balbi Ar go nauticon Libri VIII.
Ad optimarum etc. curavit G. H. Lünemann, Gotting. ibid.
eod. IV und 190 S. 9 gr.
Nach einiger Unterbrechung erhalten wir die Fortsetzung
*iner Autorenfolge, die, ungeachtet so mancher ähnlicher Un-
ternehmungen, dennoch durch einen eigentümlichen Werth
•ich den Weg in das Publicum gebahnt hat, und auch mit
dazu beitragt, nach und nach aus den Händen der Studirenden
die alten elenden Texte und die noch elendein Noten so vieler
•©genannten Schulausgaben des vorigen Jahrhunderts zu ver-
diängen, eine Wohltbat, welche nur der Schulmann ganz zu
schätzen weif», der oft in Händen unbemittelter Schüler die
erbärmlichsten Ausgaben dulden mufste, weil die bessern,
die er hätte empfehlen können , zu theuer waren. Oer Titel
dieser Ausgaben verspricht zwar weiter nichts, als einen nach
den besten Ausgaben berichtigten Text. Indessen sucht sieb
Hr. Lünemann doch immer noch selbst einiges Verdienst um
die Autoren su erwerben, wie er denn dem achten Bande
neun Seiten, und dem neunten Bande acht Seiten kurze kriti-
sche Anmerkungen beigegeben hat, worin er Rechenschaft
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Lüaemaiin Hibliotlieca Romana Classica. 4*1
/
von dtr Aufnahrae gewisser Lesarten giebt, in denen er von
dem übrigens angenommenen Texte abweicht. So wenig nun
diese Ausgaben den Zweck haben, eine eigene Kecension der
Texte aufstellen zu wollen : so wenig erfordern sie auch eine
ausführliche Kritik von unserer Seite, und es könnte im All-
gemeinen das gerechte Urtheil genügen , dafs sie Empfehlung
verdienen theils wegen Correctheit des Textes, theils wegen
des wohlfeilen Preises, dafs der Druck gut in's Auge fällt,
und das Papier so ist, dafs man es bei diesem Preise ohne Un-
gerechtigkeit nicht besser verlangen kann. indessen wollen
wir uns doch noch in der Kürze über diese beiden Ausgaben
(denen, dem Vernehmen nach, schon der Silius ltalicus als Xr
Theil gefolgt ist) auslassen.
Den Phädrus giebt uns Hr. L. nach der Schwabischen
Ausgabe (zwei Thle. Braunschweig )806). Die in Italien
neu aufgefundenen Fabeln nach Cassitti's zweiter Ausgabe (von
l8ll. Neap. 1 Bogen in Folio, mit gespaltenen Columnen),
mit Zuziehung von F. H. Bothe's schätzbarer Ausgabe dieses
Fundes (Heidelberg und Speier, 1822. 12. bei Oswald) , und
mit Angabe der Abweichungen von Cassini. Den Avianu»
fiebt er nach Nodells Ausgabe (Amst. 1787. 8.). Den Pu-
lius Syrus erhalten wir nach der Ausgabe von Ortlli;
doch konnten Bothe's Recension in diesen Jahrbb. und Orel-
Ji's Nachtrag zu seiner Ausgabe dem Herausgeber noch nicht
bekannt seyn. Der Dionysius Cato endlich wird nach
der Arntzenius'schen von Tzschucke wiederholten Ausgabe
gegeben, da die Bernhold'sche (von 1784) Hrn. L. au spät
»ukara. Im Phädrus müssen wir die Wahl der aufgenomme-
nen Lesarten, so weit wir ihn verglichen haben* gröfsten*-
theils bill igen. Weggelassen hätte werden sollen das unnö-
thige Comma in I. 23. repente liberalis, stultia gratus est:
Welches Billerbeck in seiner Ausgabe (8- Hannover, HaUn,.
1824.) lichtig wegläfst. Bei dem letzten Verse des erste»
Buches dagegen Tunc de reliquiis una: merito plectimur ge-
fällt uns diese Wortstellung , als der prosaischen Betonung
näher, besser, als die bei BilJerbeck : De reliejuis tunc una etc.
Bei den von Cassitti neu aufgefundenen Fabeln werden mit
Hecht Bothe's Lesarten den Lesarten des Cassitti vorgezogen.
Fab. II. v. 4. bat Cassitti: Quaecunque indulgens Fortuna ani-
mali dedit; Bothe : Quotquot Fortuna indulgens animali dedit;
Billerbeck: Quaecunque Fortuna animali indulgens dedit. Hr.
L. hält es mit Bothe, und daran thut er Recht; auch ist die
Handschrift für diese Wortstellung. IV. 20. giebt Cassitti ,
dessen Ausg. von l8ll. wir vor uns haben (V. 20.) : . . .
1
443 Lunemann Blbliotbeea Romana Classica.
Tanc falsa Imago, atque operis furtivus labor ■
Mendacium adpellatum est: quod ne cogites
Pedes habere, /utile ipse conspicis.
Bothe giebt Hinc für tun« und so auch ilr. L. und Billerbeck,
Aber im zweiten und dritten Verse giebt Botbe : quod se j>rae-
dicans Pedes habere, mendax ipsum corruit, und sa»t, der
Codex gebe blos: Mendacium appellatum est quod . . . Pedes
habere, m . . ipse ; allein bei Cassitti sieht man, dals der
Codex bat: quod -na und dann: pedes habere , / . . . le ipse
c . . . tu . . . Und gerade so giebt vorsichtig Hr. L. Dage-
gen hat Billerbeck Cassitti's Lesart oder Ergänzung aufgenom-
men, vermuthet aber in einer Anmerkung fusile, das Ge-
Lüde, für futile. Wir können keine der gegebenen Ergän-
zungen für sicher halten , und loben Hrn. Ls. Vorsicht, Nur
«och eine Bemerkung zum Publius Syrus. Nach v. 233 : For-
luna plus homini quam consilium valet, wo eigentlich vor und
nach quam cousilium ein Comma stehen mufs, folgt nach zwei
Versen: Fortuna nulli plus quam consilium valet. Beide Verse
stehen in der Gruterschen Ausgabe (Lugd. Batav. 1708 )» die
wir vor uns haben, als v. 226. und 22*. und auch Orelli hat
«ie. Nun giebt aber Gruter an, der zweite dieser Verse scy
längst im Besitze seiner Stelle; den ersten haben die Codd.
Palatt. und der Cod. Frising geliefert. Hr. L. hat den zwei-
ten herausgeworfen „quum ex mero (?) librariorum errore
natus videatur«. Wir glauben, er mufs blos ernendiit werden:
Fortuna multis plus, quam consilium, valet:
dann können wir die halbwahre Variation desselben:
Fortuna plus homini, quam consilium, valet,
die erst seit Gruter in den Text gekommen ist, entbehren.
Dem Verrius Fl accus weist Hr. L. mit Recht einen
der ersten Plätze unter den Nachahmern des Virgil ein.
sein Text durch Abschreiber und Correctoren sehr verdorben
ist, so ist auch nach Wagners Ausgabe (Gotting. |805.)> ^e
Hr. L. zum Grunde gelegt hat, noch Manches für ihn riu thun.
Er hat zu dem Ende die Burmannische Ausgabe (Leid. 1724.
4.) und die unter manchem Guten auch grobe Verstöfse dar-
bietende Ausgabe von Dureau de La malle (T. III. Paris. l8ll.
8.) betgezogen, auch Weicherts Epist. Critica de Val. Fl. Ar-
gonauticis (Lips. 1Ö12. 8.) und dessen Ausgabe des achten Bu-
ches des V. F. (Misn. l8l8. 8.)« Eigene Veibesserungen bat
Hr. L. nicht versucht, aber, wie uns scheint, dennoch einen
bessern Text als alle bisherigen Herausgeber geliefert; manche
gute Lesart, die hier und da in LileraturzeitungCn empfohlen
war, zuerst aufgenommen, auch einigen gelungenen Con-
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Rosenmüller Anolecta arab. I. II. 443
jccturen Anderer im Texte Raum gegeben. Und von dem
Allem giebt er in den angehängten kurzen Anmerkungen Re-
chenschaft. Doch es mag genug seyn, auch die Philologen
aufmerksam gemacht zu halten, dafs sich hier nicht Mos ein
unveränderter Abdruck eines schon' bekannten Textes, son-
dern ein Text finde, der seinen Platz auch in der Bibliothek
des Gelehrten, nicht nur des Studirenden einnehmen kann.
Die Enge des Raumes, den wir uns für diese Anzeige heraus-
nehmen zu dürten glaubten, erlaubt uns nicht, Proben zu
gehen und in's Einzelne zu gehen , sondern nur, den Heraus-
geber und die Verlagshandlujig zur Fortsetzung dieses Unter-
nehmens aufzumuntern.
—
Analecla arahica edidit, vertir et illustravit Ern, Fr id. Cur.
Rosenmüller, Th. Dr. et Litt, Or. in Acad. Lips. P. P. N.
Pars I. 25 S. arabischen Textes , XII Vorrede 9 44 üebersetznng,
Anmerkungen und Glossarium latino - arabicum. 1825. Pars II.
39 S. arabischen Textes, Vül Vorrede, 55 Uebersetzung mit
Noten und arabisch' lateinischem Glossar. Leipzig , bei Ambras.
Barth. Pars prima l Thlr. — —
— secunda l Thlr. 12 Gr.
Schon der äufserst niedliche Druck (litteris Guil. Haak,
Lipsiae) rnufs zum Lesen dieser Texte anlocken. Eben so
sehr die entgegenkommende Erleichterungen, durch die latei-
nische Uebersetzung mit gelehrten Noten und das gerade zu
dem gegebenen Texte passende kleine Wörterbuch, wo bei
jedem Wort der Text nachgewiesen ist, so dafs der Schüler
sicher weifs, ob er die wahre Form getroffen habe.
Die Wahl des ersten Textes ist zeitgemäTs, Deswegen j
bat auch der f. Theil seinen eigenen Titel :
Institutiones Juris Mohammedani circa bellum contra eos , qui ab
Islamo sunt alieni, E duohus Al'Codurii Codicibus (Dres-
densibus) nunc primum arabice edidit, latine vertit, Glos-
sar, adjecit . . Rosenmüller.
Nach Abulfeda Annal. T. III. p. 92. ed. Reisk. Adler, starb
Abul Hosein Achmed, der Koduri ( bei Herhelot : Caduri)
genannt, um's Jahr Chr. 1036. Heg. 428. Der Inhalt betrifft
Kriegsgesetze der Araber, welche statt fanden , wiihrend sie
selbst auch, nach Nro. XXI. p. 5. mit den Türken Kriege
hatten. Nach I. soll der Moslem die Ungläubigen bekriegen,
444 Soiemnfiller Aoaiecta arab. I. II
auch wenn sie nicht angreifen. Doch soll man nach III. sia
erst einmal, zweimal, au Annahme des Islam einladen, oder
wenigsten« Tribut au zahlen. Alsdann sollen sie so sicher
aeyn, als der Moslem, und nur was dieser leistet, auch lei-
sten. Nach VIII. soll der Araber nicht fideui fallere,
auch nicht Kranke, Weiher, Greise u. s. w. morden. Wie
viel milder waren noch die Arabischen Sitten, als die der
Türken! Nro. XIV. ist übersetzt: Non licet ab hostibus arraa
cofcinere. Warum sollte der Moslem dies nicht dürfen? So
verlören die Feinde doch von ihrem Kriegsapparat. Man
sieht, der Sinn mufs anders gefafst werden. Und so ist ts
tuch. Der Text verbietet, von den Leuten des. Krieg*
Waffen zu kaufen. Ohne Zweifel heifst dies: dem Krie-
fer soll niemand Waffen abkaufen. Er soll sie nicht ver-
aufen können.
Angehängt sind e Libro, tjui inscribitur Thesaurus il^om,
auct. Seid Ali Hamadensi, conditiones, qua* Omarus in Consti-
tutione sua de Jura Tributariorum ipsis scripsit. Neue Tempel
oder Synagogen bauen, wird ihnen verboten, die verfallenen
sollen sie nicht wiederherstellen (Moslemische Toleranz 1 tines
Oman würdig). Wo ein Moslem sitzen will, müssen sie auf-
stehen. Sie dürfen sich nicht wie die Mosleme kleiden, nicbt
Sigillringe mit Wappen tragen, nicht gesattelte und gezäumte
Pferde reiten u. s. w. Wer diese Vorschriften verletzt, den
darf der Moslem todt machen, ohne daft er, Blutgeld ver-
schuldet.
Der Inhalt de» II. Bandchens ergiebt »ich auch aus einem
hesondern Titel :
Zohairi Carmen Almoallakah. Cum Schaliis Zuzenii integri»
et Nachast selectis. E Codicibut Manuscr. arabice edidit
• . . Rosenmüller.
Der seel. Rink hatte dem Vf. 1792. diese Moallakah aus einem
Leydener Ms. zur Herausgabe anvertraut. Jetzt giebt es Hr.R.
Jonge emendatius et Zuzenii Commentario auctum e Cod. Paris.
Sabbaghiano No. 1416. (Sabbagh ist !8l8. au Paris gestorben.)
Das Gedicht besteht, wie die andern Moallakat, aus drei ver-
achiedenen Theilen : Zuerst Andenken an eine Geliebte (hier
Om-Aupha, Mutter des Schönsten oder Trefflichsten , genannt)
Alsdann, von Vs. 16 an bis 33, folgt der heroische Theil.
Hier Preis zweier Edlen, welche hundert Kameele Blutgela
bezahlten, um der verderblichen Blutrache zwischen zweien
Stämmen ein Ende zu machen. Von Vs. 34 — 46. friß*
Preis eines andern Heroismus. Ein Hosein führt eine kühne
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RosenmSUer Analen a artib. I. II. 445
i
Fehde aus, deren Umstände aber dunkler angedeutet sind.
Zum vorhergebenden ist dieser Päan nicht zu rechnen. —
Zum Schlufs spricht der Dichter von sich selbst und von eini-
gen Sentenzen (Maschais), die ihm seine Lebenserfahrung ein-
gegeben. Er beginnt:
47. Ich bin überdrüssig der Mühen des Lebens , und wer
durchgelebt hat achtzig Jahre, mag (du kannst's *) nicht
weigern!) überdrüssig seyn.
49. Oft sah ich den Tod, wie wenn ein blindes Kamee] aus-
schlagt; wen es erreicht, den tödtet es. Wen's verfehlt,
lebt und mag alt werden.
(Sinn : Mich hat der Tod lange nicht getroffen. Etwa
jenem ähnlich von Fontenelle: Still' wenn er uns ver-
gessen hat.)
54. Wer furchtsam flieht die Anläufe des Schicksals , ihn
werden sie erreichen, und wenn er bestiege die Zugänge
des Himmels auf einer Leiter.
57. Wer nicht wegtreibt von seiner Cisterne mit seinen Waf-
fen , dem wird sie zerworfen. Wer die Leute nicht
wegdrängt, wird weggedrängt.
59. Wer nicht aufhört, zu machen, dafs die Leute ihm den
Kameelssattel auflasten,
und nicht frei macht seine Seele bei Zeiten von der Ernie-
drigung, den wird's reuen.
60. Was irgend von GemüthsbeschafFenheit bei den Männern
seyn mag ,
und wenn sie ihren Zustand verdeckt vor den Leuten, sie
wird doch gewußt.
62. Die -Zunge des Jünglings (nicht: des Mannes über-
haupt) ist (seine) Eine Hälfte, und die andere Hälfte
seine Brust ;
Und nichts ist (sonst) übrig, aufser die Gestalt von Fleisch
und Blut. (fr$p2 fehlt im Glossar.)
*
*) Der Text hat: s
Dies wird im Glossar übersem: Non est pater tihi! mit der Be-
merkung *. Qoae proprie conviciandi fommla nonnuncruaiii asscve-
rat et ad attentiooem excitai: projecto, sane. Dies, dünkt
mich , wäre doch gar zu sonderbar. als nomeQ actionis be-
deutet auch recusare, fastidire alicjuid. Cnstcll. fol. Ii. Also:
non est recmsatio tibi («o auditor! lectorJ ), id est, ne nolis.
1
1
Uigitiz
446 . Rosemnüller Analecia arab. !. 1K
63. Auf die Unverständigkeit des Greis kommt, nicht noch
Verstand hinteunach ;
Aber der Jüngling kann, nach seiner Unverständigkeit,
noch verständig seyn.
Das letzte ist:
64. Wir baten und Ihr gewährtet; und wir wiederholten (zu
bitten) und Ihr wiederholtet (zu gewähren).
Wer aber vervielfältigt das Bitten, eines Tags mag ihm
(auch wohl) versagt werden.
Fast scheint es, in der letzten Sentenz wende sich der
Dichter um Beifall, um Gewährung des Preises, an die Hö-
rer; wenn man es sich so örtlich denken darf, an die Zuhörer
beider Caaba. Bescheiden erkennt er, schon einigemale ihr Lob
gewonnen zu haben. Je bescheidener er für möglich hält , es
einmal zu verfehlen, desto weniger wird es ihm auch dieses-
mal versagt (Oberem) geworden seyn.
Die Orientalisch eigentümliche Anlage dieser Gedichte
ist, dafs immer dreierlei Inhalt auf einander folgt, nur durch
das Einerlei des Metrum verbunden. Denn da der Inhalt von
drei verschiedenen Gegenständen bandelt, und nicht das Eine
Gedicht anf das Gebiet der andern wenigstens hinführt, so
kann man doch nicht eigentlich sagen, es sey E i n Gedicht ,
aber aus dreierlei verschiedenartigem Stoff componirt. Es
mufs nur Sitte gewesen oder den Hörern angenehm geachtet
worden seyn, wenn ein Dichter sich in ebenderselben Versart
über dreierlei Materien , eine leichtere, eine ernstere und end-
lich sententiös hören liefs. —
Eben so ist zusammengefügt die an poetischem Schwung
vorzüglichere Bürde, das .Lobgedicht auf Mohammed,
welches unter dem Titel :
Funkelnde Wandelsterne zum Lobe des Be-
sten der Geschöpfe (nämlich Mohammeds) von Bus-
siri, übersetzt und erläutert von Vincenz Edlem
von Rosenzweig. Wien", 1824. bei Anton Schmid.
26 S. in Fol.
erschien. Bis zum Vs. XXXIV. singt der Dichter reuige Er-
innerungen an seine Liebschaften. Der Vs. XXXV. beginnt,
ohne Uebergang, einen oft wahrhaft erhabenen Lobgesang auf
den Propheten. Statt der Sprüche am Ende von Vs. CLXVI.
scbliefsen fromme Anreden an die Seele des Dichters.
Die Betrachtung dieser Orientalischen Geisteserrengnisse
erinnert den J\ec. au die offenbar ähnliche Compositiou der
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I
Rosenmüller Aualecia arab. I. II. 447
Rede Jesu vom Berge. Die Seeligpreisungen gehen den an-
ziehendsten Eingang. Alsdann folgt der Ernst der Ermahnun-
gen gegen Pharisäische scheinbare Werkheiligkeit, gegen
sitteuverderhliche Gesetzauslegungen u. s. w. Den Schluis
machen S i n n s p r ü ch e, ohne näheren Zusammenhang. Ge-
rade dies hleiht bei jener geordneten Hede für den Abendländer
das auffallende. Die Nachweisung, wie eben dieses Orienta-
lische Sitte sey, macht diese Eigenheit der Composition er-
klärbarer.
Erwünscht ist es dem Ree. immer zeigen zu können,
wie jedes genauere Bekanntwerden mit dem west- und süd-
semitischen Orientalismus. mit Art und Kunst der abrahami-
dischen Stammverwandten in Palästina, Arabien und Arum,
auch in das Bibelstudium allerlei Licht bringt; weit mehr als
das schon viel fremdartigere Zoroastrische Licht, das
selbst ohne den Gegensatz der ahrimanischen Finsternils (die-
ses der Bibelreligion vor der Wegführung nach Babel noch
ganz unbekannten Versuchs, das Böse und Uebel erklärbar zu
linden) nicht mehr so recht als Licht erscheinen zu können
wähnte; und noch weit mehr als die indische, nie einige,
ja gegen sich selbst kämpfende, Trimurti ( Drei -fachheit )
mit all ihren pantbeistischen Verwandlungen und Incarna-
tionen.
Eben deswegen, weil der bessere Theil des Orientalis-
mus, der semitische, immer mit unserm christlichen Eindrin-
gen in den Bibelsinn in so naher Verbindung steht und von
Mischung des Christenthums mit der allzu occidentalischeu
Patristik und Scholastik abhält , hat Ree. in sich auch oft bei
den Glossarien des Vfs. gewünscht, dais Winke von Benutzung
der arabischen Wortbedeutungen für das hebräische, wie Er
sie gar oft hätte geben können, eingestreut seyn möchten,
um das alte , nie abzureissende Band zwischen beiden Studien
bei jeder Gelegenheit neu anzuknüpfen.
Wir verbinden mit dieser Anzeige mit Vergnügen noch
mehrere neue Beweise von dem unermüdeten Fleil's und Keniit-
nifsunifang des Vfs. Eine für das ganze biblisch - orientalische
Studium bedeutende Unternehmung ist begonnen, unter der
Aufschrift:
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446 Dr. Rosenmullers Handb. d. bibl. Alterthumskunde.
Handbuch der Biblischen Alter thumskunde. Von £. Fr.
C. Rosenmllller, der Theol. Dr. und der morgenländ. Litte*
ratur Ord. Prof. zu Leipzig. Erster Band. Biblische Erd - und
Länderkunde. I. Th. 385 S. IL Th. 346 S. mit filnf (er-
wünschten) Registern Uber beide Theile. Leipzig, bei Baum-
gärtner. 1825 und 1825. L Bd. 1. Th. 2 Thlr. 12 Gr.
2. Th. 2 Thlr.
■
Die Einleitung giebt den Umfang des Begriffs : Alter-
thnmskunde. Der Boden , die Menschen nach ihren Anlagen
lind Sitten, die geschichtliche Begebenheiten, immer auch das
darauf sich beziehende Auswärtige mit einbegriffen, sind die
drei Hauptgegenstände. Bis S. 130. wird eine beurtheilende
Aufzählung der Quellen, aus denen die nöthige Menge von
Notizen zu vereinigen ist, vorangeschickt. Das erste Haupt«
stück, die eigentliche Geographie, zeigt, dafs auch die He-
bräer sich eine runde , vom Ocean umströmte Erdscheibe,
über welcher der Himmel wie eine Zeltdecke aufgestülpt seyy
eingebildet haben. Hierin also nichts von berichtigender Of-
fenbarung; nichts von einem Zuvorkommen vor den viel spä-
teren Entdeckungen der menschlichen Beobachtungskraft. Das
Bild, welches sich die Psalmen und Propheten machten, hätte
aber auch nie von Uebertreibern der Offenbarungslehre zur
Hinderung der späteren, jetzt endlich doch unläugbar gewor-
denen, geographischen und astronomischen Entdeckungeil ge»
milsbraucht werden sollen. Ree. wundert sich, dafs der viel«
belesene Verf. nicht vollständiger bei Note 4« S. 135. die Be-
merkung gemacht bat, wie V o f s der erste war, welcher im
Griechischen Alterrhum nachwies , dafs man sich gar lange
die Teil US nicht als eine im Lufträume schwimmende Kugel , son-
dern im Ganzen eben so, wie wir es auch in den althebräischen
Schriften finden, vorgebildet hatte. Damit aber hängt denn
auch, was noch immer viel zu wenig bemerkt wird, die wei-
tere Folge zusammen, dals man in den früheren Zeitaltern
zur Belehrung über die damals bekannte Geographie und Cboro-
graphie nicht die uns jetzt bekannte Erdscheibe und die jetzt
bekannten Uiergi änzei* und Gestalten der Länder zur Grund-
lage annehmen darf, um nur die altbekannten Inseln, Flüsse,
Gebirge, Distanzen darauf hinzuzeichneu
(Der Beschlufs folgt.')
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/
N. 29, 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Dr. Roscnmüllers Handbuch der biblischen
Alter thumskun de.
• ( B e s c h l n/s.)
Die Kundigsten hatten bei weitem nicht das in der Natur
vorhandene Bild des Ganzen und seines Inhalts in ihrer Vor-
stellung. Ihre Uferschifffahrten gaben ihnen nicht leicht die
wahren Distanzen, die Verhältnisse der Lagen der Orte gegen
einander. Sie füllten sich in ihrer ohne Messungen entstande-
nen Einhildungscharte die viel kleiner angenommenen Räume
mit muthmafslichem Stoff aus. Nur aus der Odyssee selbst
kann man finden, wie sich die Homerische Zeit und Gegend
— Adria, Trinakria, die Kalypso - Insel u. s. w. gestaltet und
wohin sie, in unrichtigen Zwischenräumen , das wenige ge~
legt haben, wovon sie Sage hatten. .
Eben diese Grundbegriffe müssenr auch uns Orientalisten
bei Genes. X. und ähnlichen Stellen ein Leitstern werden, wo
etwa das, was zu Salomo's , zu Assa's Zeit (2Cbron. 16, 9.)
von der Handels-Chorograpbie der solchen Fund kaufmännisch '
verheimlichenden l'hönicier dem Hebräer zur Kunde gekom-
men war, aufgenommen seyn mag, da der nichthandelnde He- ,
bräer für sich keine Kunde von Seeländern haben konnte, die
Thorah aber überhaupt vor Jeroheams Zeit nicht publicirt ge-
wesen seyn kann. - Gerne nahm dann jede Priesterschaft ihren
Tempelort zum Mittelpunkt. Die Hebräer haben KenntniCs
vom Euphrat und Tigris, wie Homer sie noch nicht hatte-,
wahrscheinlich weil die l'hönicier und dann auch David und
Salomo schon das Landschiff, das Kameel, in Karavanen be-
nutzten, um dann bis gegen den persischen Meerbusen hinab
auf den greisen Hussen YVaaren zu senden und zu erhalten.
. Alle Schriften, welche diese altertbtimlich noch unrich-
tigen Bf griffe nicht, sondern schon das mehr berichtigte ha«
ben 4 oder darauf anspielen , beweisen eben dadurch ihre Un-
ächtbeit und verratbesi den späteren Zeitraum ihrer Erdich-
XIX. Jahrg. 5. Heft. 29
t
450 Dr. Rosenmüllers Handb. der bibl. Alterthumskunde.
tung. Deswegen ist die Entdeckung der ältesten Vorstellungen
-von Erd- und Länderkunde ein so wichtiger Schlüssel, um
-der Neuheit der mystischen Verschönerungen und Umdeutun-
gen handgreiflicher gewifs zu Werden. Ebendahin gehört auch
die unterirdische Geographie , niimlich - das subtelluriscb
Todtengeb^et der Hebräer. Anerkannt ist endlich, dafs der
Seheol der Hebräer sowohl, wie der griechische Hades, noch
nicht ein Himmel der Seeligen und eine Hülle, noch nicht ein-
mal ein in Tartarus und Paradies gesondertes , sondern noch
hei Jesäiab, wie in Hiob, ein allen Todtenseelen gemein-
schaftliches Todtengebiet ist. Diese unterirdische Geo-
graphie ist im höhern Alterthum eben so sehr eine andere,
einfachcie, aber nicht feststehende und nicht infallibel gege-
bene , sondern eine perfectible, wie die von der Oberwelt
perfectibel war, allmählich perficirt wurde und noch immer
unter dem Schut« ihrer vorausgesetzten Perfectibilität per-
ficirt: wird» Wer. vermag 's , die Gehenna des Neuen Testa-
ments in der lalttes tarnen tlichen Theologie nachzuweisen?
•Wer sieht nicht sogar, dafs selbst das.neutestamentliche Para-
dies, wo Abraham, Lazarus, auch Jesu Seele bis zur Wieder-
helebu»g hin Versetzt waten, vom Himmel der Seeligen, wie
ihn der spätere Kirchen glaube statu Irte «ehr verschieden ge-
dacht isti -Wie sickdie sinnliche £nd- und Länderkunde erwei-
terte , so auch die übersinnliche , unter » und überirdische.
IL Hauptstück. Aeiteste Erdkunde vor der Flut.
Indisches Pjtra.äieft;- Dafs die davon aufbewahrte Lehr-
«erzäldung den Phra^lden Chidekel U. i. ,w. auch über die di-
luvische Erdrevolutian/ hinaus, in die jenseitige
telluriscbe
Periode, versetzen, ist unstreitig Beweises genug, dafs die
Chorographie dieses Abschnitts postdilu vische Vorstellungen
zur Grundlage hat. Ist es wahrscheinlich , dafs diese
beiden
•Sbürne «in Paar tausend Jahre vor der Noachischen lieber-
schwemmung von .Hochasien (Sems- Laad ) so waren, wie
nach dieser t Welche Veränderungen mufs nicht eine solche
«Flut Aind die [ihr vorausgehende Uraafche hervorgebracht bä-
hen. Dennoch geht die Lehrerzählung; Genes. IL HL *on
tdw Voraussetzung aus, Pbtät and Tigris waren zweitaasend
Jahre «vor N.oah % w.ie Jfiach der JMoacbiscben NatorrevQluiion.
Ihr alter Verfasser Scheint das CasrjUcbe Meejr als den Rau"
des irdischen verlornen Paradieses angenommen zu hshen;
»den» «nur von dorther können die vier^awj^lircHrie (welche
~Hr.*R. S, 192. richtiger als gewöhnlich bezeichnet) als aus-
-gehend gedacht wöüien seyiu , Die Muthmafsung konnte ge-
ralle*, das uralte Paradies, sty. jetzt, wie die Gegend von So-
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Dr. Rosenmüllers Handb. der bihl. Aherthumskuncle 451
dorn, aus einem Garten Gottes in einen See umgewandelt und
für Menschen »ein Gherem. Von (Jen Avier Strömen sagt; der
Text nicht, dafs sie d o r t f in <jem Eden selbst, «ich getheirt
hätten. Er sagt: Und von dort weg, das ist wohl; In
einer gewissen Entfernung von <Jein Umfang des Lustgarten*,.
Man scheint sich gedacht zu haben, dafs vier Ströme Quellen
hätten einen unterirdischen Zusammenhang mit dem aus dem
Eden entstandenen Caspiscben. Landsee, in welchen sich ein
Hauptstrom, die Wolga, vom Norden herab ergiefst. Bei
Pischon an den Phasis zudenken, ist, weil der Name. P-äsch
(S. 1^3.) noch fortdauert, sehr bequem. Wenn Gen, 2, Ii-
nur statt ft^ft etwa J"I^^n zu lesen wäre, um das alte, Güjd-
jand, Kolchis, zu haben. Bei GicUon an den Oxus (S. J95.)
zu denken, scheint nicht passend, weil dieser Strom nicht
wie der Euphrat, Tigris, Fhasis von der Gegend Edens weg-
fliefst, sondern dahin. Auf der beigefügten Charte von Mit«
telasien hat der Flufs Kara Su9 der Flufs, an welchem Susa
lag, die passende Richtung und strömt durch Cbusistaj? , wel-
ches aber (vergl. S. 308.) arabisch ftn» nicht geschrieben
erscheint. Ist es etwa doch, nach dem Gehör geschrieben,
das Cusch Vs. 13 ? Vergl. auch Eatb. 1,1. : , .
S.213. bemerkt die Schwierigkeit* dafs der Chicjekel nech Vf.
j4. ostwärts vonAssur flielse. Wie hätte ein Hebräer dies
schreiben oder geschrieben lassen können , da das ihm, leider!
gekannt gewordeneÄssur Östlich voniTigris liegt. Wir zweifeln,
ob TWp ostwärts bedeutet Die drei andern Stellen, wo das
-Wort vorkommt, beweisen dies nicht. j— Hft Kodam i*tf
was vorwärts liegt, ehe man zu dem, was darauf genannt
Wird, kommt. Dem Hebräer war der Tigris vorwärts
Assu r. Kedem bedeutet nur in so fern den Osten, w«il
• diese Erdgegend vorwärts, vordem Gesicht des Beob-
achter» lag, der rechts Süden, links iNorden hatte. —
All diese Erklärungsversuche, aber, bezieht Ree, nur auf
das , was postdiluvianisch und hebräisch über den ersten Wohn-
ort der Menschen vermuthet war» ■• «JLben deswegen sucht er
nirgends ein Land N o d oder des Unstätseyns , da au.cl} Habel
den Hirtenstand überhaupt und Kain den Stand der Hand-
arbeiter bedeutet £s. auch im Glossar (le^r arab, Analecten :
Kain ) und die Geschichte dieser Brüder rwohl nicht den in-
dividuellen Gräuel eines mörderischen Bru^erhasses zwischen
den ersten Söhnen Adams , sondern eher .das Verhältnifs d^er
mühsam arbeitenden (Ackerleute, Bauleute u. s. w,J • zu den
von Gott mit Ruhe/begünstigten Hilten schildert.
29 *
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452 Dr. Rosenmüllers.Haadb. der bibl. Altertumskunde.
\
III. Hauptstück. Die genealogisch - ethnogra-
phische Tafel im zehnten Kapitel der Genesis.
Der Verf. denkt, Stammväter und Stamm Völker zugleich in
den meisten der dortigen Namen annehmen tu können , wie
Juda Stammvater und Volk bedeute. Aber die ersten Namen
JNoach (Ruhe) , Sem (Hochland), Cham (Heifsland) , Japhet
(das hin und her sich ausbreitende) sind doch erst aus der
Sache gebildet? Wer könnte annehmen , jeder von den drei
leiblichen Söhnen des nach der Flut zur Hube gekommenen
Vaters sey einem eigenen Welttheil, um ihn zu bevölkern,
zugewandert?
IV. Der Biblische Norden. — ' Dafs Askenas der
A*fvo; irsvro; der Alten ist, vermuthete Hasse S. 239. sehr wahr-
scheinlich. Alsdann wäre die Tafel aus einer Zeit, wo den
Hellenen das schwarze Meer noch un-gast freundlich, den
Schiffenden sehr gefährlich , war? und Hebräer hätten schon
die griechische Benennung empfangen? eine Benennung , die
doch, aus Zeiten, wo nicht mehr PhÖnicier allein, sondern
schon auch"Jonier sich bis dorthin wagten, aber andere ab-
schlucken wollten, herkommen mttlste? «*- Das Zweifelhafte
im Uralten giebt wenigstens Anlafs , dafs der Fleifs des Vft.
manche neuere Nachrichten über die Kaukasischen Gegenden
■ u. $. w. zusammenstellt. /
Die folgenden Hauptstücke: V.Medien, V*. Elam,
VII. Persien, führen nun in Gegenden, die den Hebräern
allmählich bekannter wurden. Bei Persien Verbindet der Verf.
» die Geschichte von Coresch an, mit der Geographie. Ebenso
bei den folgenden Iiauptstücken,
Als schön gestochene Charte ist beigegeben Mittel-
asien, ferner lithographisch der Berg Ararat, ein Paar Mo-
numente von Persepoiis und ein Königshof von Ispahan. Der
zweite Theil hat den Plan der Ruinen von Babel und von Birs
Nimroc). — — Oefters war Ree. zu dem Wunsch bewogen,
dafs die reichen Anmerkungen erläuternd unter dem Text ste-
hen möchten; wenigstens alle die kleineren.
1 Der zweite Theil des ersten Bandes beleuchtet VIII. Ba-
• bylonien und Chaldäa, IX. Assyrien, X. Mesopota-
mien, XI. Kleinasisn, XII. Syrien. Wir können nur
'noch wenige Berief kungln uns erlauben. Bei S. H. Dafs der
Babylonische Bei derTlanet Jupiter war, zweifelt Ree. sehr,
"Weil 2 Kön. 23, 6. ausdrücklich der Sonnengott und der
lt McVriii neben einander stehen , und der erstere mit dem Artikel
v >ri.'«gs weise d et Baa l «tuuuac ist. Denn wäre da* Wort
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Dr. Ro*cumülfers Haudfc» der bUbl. Altertliumskuude. 453
von <Jem ttfttttfr zn trennen, 40 würde yor letzterem, wie
» - — v v —
vor den folgenden ein stehen. Auch wäre nicht wahrschein-
lich , dals der Planet Jupiter vor dem Sonnengott genannt
würde. Sollten wohl, möchten wir den mit Recht hier
& 56. als verehrten Gewährsmann citirten Commentator des
Jesaiah fragen können, die chaldäischen Astrologen und'Ge-*
stii n;m I »eter den Planeten Jupiter mehr als den Sonnenpläneten
des Wege
£en fahrend dargestellt werde. 2 K3n. 23, 5. 11. ZendaveSta
II. S. 264. Pi*'8 ist auch an sich richtig. Aher n ich t Lö-
wen, sondern Rosse sind 2 Kön. 23, 11. mit d e n Sonnen-
wagen (JVQ5*T2 imPlural), auf denen, als Pracht wagen , des
Sonnengottes Symbole bei Feierlichkeiten umhergefahren wor-
den zu seyn scheinen , in Verbindung gesetzt. Auch würde
sich wieder, dünkt mich, die Frage aufdringen: Ist's wahr«
scheinlich, dafs der Sonnengott bei Gestirndienern nur im
Tempel eine» Planeten , nur als Nebengottheit, als o-uwao;, auf-
gestellt wäre? Kann es einen Gestirndienst gegeben haben,
worin nicht der Sol die Hauptgottheit gewesen wäre? Ist
demnach jene wegen der Löwen leicht mit „Rhea« vergleich-
bare Gottheit schwerlich die Sonne, so würde dann, wenn
nicht Baal der Sonnengott der Cbaldäer gewesen wäre, gerade
dieses Hauptgestirn nicht unter den chaldäischen Gottheiten
vorkommen ; was doch wieder sehr unwahrscheinlich seyn
müiste. Uebrigens bleibt immer, wenn auch Ha -Baal , mit
dem auszeichnenden Artikel, der Sonnengott war, richtig*
dafs das Wort Baal, Beel, auch als Appellativ, Herr, be-
deutet und den Beinamen eines andern Gottes oder vielleicht
eines Gotteshauses (z. B. Baal Gad. Josua 11, 17. 12, 7.) ma-
chen kann, dafs daher die Zabier (Gesen. Jes. 11, 355.) auch
den Planeten Jupiter einen ZZZ nennen mochten.
Ueberhaupt mochte sich Ree, ehe er den Cbaldäern den Pla-
neten Jupiter als Hauptgatt zuzuschreiben wagte, die Frav
gen beantworten können: Wie bald wurde der Planet, den
»wir Jupiter nennen, so benannt? Nannten die Griechen r
vor dem Römerthum, denselben Planeten Zw{* u. dg), m.
Auch ob bei den J-fi^ft ~ ffl^a Massaloth schon
v - i -
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454- Ezechiels et Jcremiae Vaticraia ed. Dr. Rosentnuller.
2Ktfn. 23» 5. an den Th ierfcr eis gedacht werden dürfe, oder
eher noch an die fünf Planeten , möchte ich einer gründlichen
Geschichte der uralten Astronomie und Astrologie erst abira-
gen können. Das Wort bedeutet : descendere Jacientes (daher
auch den Ort, crui descendere facit, der zum Herabsteigen ein-
ladet, mansio). Man dachte sich die Planeten, weil sie laufen
und am Himmel abwärts zu gehen scheinen, als II er a lösen-
der und Ueberhringer der Schicksale. Wegen des Thierkrei-
ses w3re zuvörderst wohl zu bedenken der Wink von Vofs
in der Antisymbolik I, 78. „Doch wohl hiebt früher
(könne- auf die Thiere im Zodiacus Anspielung gedacht werden)
als nachdem der Thierkreis in den sechsziger Olym-
piaden mit Thieren besetzt worden war? und, wo die
VVaage sich blicken läfst, noch etwas später, um vier Jahr-
hunderte.« — — So wird die ächte historische Alterthums-
kunde überall her in einander eingreifend, und veranlafst be-
stimmtere Wort- und Sachkenntnisse , wenn man die Zeitalter
genau zu unterscheiden sich zum ersten Gesetz macht.
• • •
Wahrend der unermüdete Vf# durch diese mit Vergnügen
angezeigten neuen Arbeiten und Untersuchungen seine
dienste um die uns am meisten nützliche orientalische Gelehr«
ssmkeit vermehrt, zeigt sich die Anerkennung derselben und
iure* allgemeine Nutzbarkeit durch eine neue Ausgabe seines
wichtigsten Werks, der Scholien über das alte Testament,
durch welche der würdige Sohn den Kec. zugleich an die zu
ihrer 2eit für achtere, grotianische Schriftstudien so wirk-
same neu testamentliche Scholien des Vaters erinnert, nie aller-
dings auch jetzt noch nicht Vergessenheit oder das Zurück-
stellen-, vielmehr eine gleichartige Vervollständigung und er»
heuernde Bearbeitung verdienen. Wer mit Bedauern siebt,
wie? rrrrgünstig, die Zeit gegen gelehrt durchgeführte, beson-
der» lateinische Werke ist, den erfreut es um so mehr, dafs
äeit die ar» gelehrten Materialien und deren Anwendung
scr reichen Kosenmullerischen Scholien über die Psal-
J*e-n irr drei Blinden in. einer secunda Editio, emendatior et
imetior, der Pentateucb seit 1Ö21* sooar in einer dritten-
Mitgehe 9, sie ab auetore recognita , emendata et aueta, ut no»
von» plane- opus* v*rderl possit, hervorgegangen sind, ibi*
AVjrksamkeit fortsetzen und den erwünschte«. Beweis gebe»»
dais dss- orientalische- tiefere Sprachstudium, ohne welches die
TBeologi« wieder patriotisch' und Scholas tiseti werdten zu müssen«
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EzetiücÜ4T«t.3tfTt)2iiae Vaticioi* ediiDr.RoienmüUer. 4&5
in' Gefabr küme, in seiner Unentbehrlichkeit nicht verkannt
wird. Wer nicht aus. dir ganzen Reibe der alttestamen fliehe n
BieligionsüberHeferuhgeii anschaulich überzeugt iit,> was die-
Nation , unter welcher Jesus Christus daa nationale zum allge-
mein geistigen in der Gottandächtigkeit erhob , unter den ur-
alten Begritfen von Königreich Gottes, vom David ischeh Mea-
siasgeschlecht , von den Gottessöhnen , das ist, GoU als Vater
und Öberkönig nachahmenden Unterregenten des Gottesreiqhs
u.'dgl. m. zu denken längst und ununterbrochen gewohnt war,»
der weilt alsdann freilich auch nicht, in welchem Sinn der jti.fi
iHsche Oherpriester Kaiphas feierlichst fragen könnt« : Bis*/
Du der Gottgesalbte, des lebendigen Gottes . Sohn j Matthe
26, 63. Nur dem Nrcbtoi ientalisten ist et möglich, das orien-I
talisch gefragte- occi dentalisch umzudeuten und entweder dia-
lektisch, oder tpeculativ-ideaJistiscb auszulegen. . r; t
Die neueste Vervollständigung det alttestt^eptlicban:
Scholienweiks giebt n
Ez echte Iis raiicinia. Latin« vertit et ännotathrt* p*rpewd>
" illustravit Em. Erid. Car. Rosenmiltler. . . . / Ei. #Jb
auetior et enutndatior: Volumen jtriviunt, 602. S. in' 8. JÜtph
bei Barth. 1*16. • '■ '» • 2 Thlr. l6*Jtt
/ ...Per Verf, bat hier, den Text ganz in lateinischer Ueoer«
Setzung den Scholien vorangestellt. Die Prolegomena zeigen^
vornehmlich dies, dafs, diese Orakel mehr nach Materien alt
nach der Zeitfolge (also wahrscheinlich; nicht schon von Jqcjies-
kiel selbst!) zusammengetragen sind. Was beiläufig die &>
kläruog des Ntwne,ns (S. 3.) betrifft, so scheint doch eher aus.
der Alexandriniscben Version , als aus der Matorethitchen
Punctation, ersichtlich . zu seyn, wie der Name geklungen,
habe, nämlich J«^k^ ; folglich wäre aus validus est V. sit
entstanden •»Jp'rj-p und daher {^rtiT (»»*r fteV Gott stark!>
nicht ^p^h (stark tey Gott). ' Sehr gut giebt S. 15 2&-
einen vollständigen Ueberblickoder Conspectus (der Vf. nenntet»
Synopsis) det Inhalts der Orakel. Wir wundern uns nur, da.
wir das Vol. II. noch nicht nachschlagen können, zum voraus^
dafs Caput 34. de ci vi täte per Messiam inttituenda, Cap. 36, des-
civitatis a Messia restaurandae prosperitate bandeln« toll.. > Der
Text spricht von einem (neuen) David, ohne auch nur die
Benennung Messias, noch, weniger eine Idee davon, nach«
welchem Umfang und in wie fern er Volksregent sey , be»
ttimmter anzugeben. Unstreitig log die altdavidkcbe , durch
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456 Eiechielii el Jeremiao Vatfoiaia ed. Pr. RosenmüHer.
Nathan « Sam. 7. ausgesprochene Hoffnung : Durch Nachkom-
men Davids, als Gottessöhne, als Jehovabs Untergebene,;
wird die Nation Seegen haben! zum Grunde. Aber während
der Gefangenschaft das Wie? der künftigen Einwirkung Da-
vid* und seines Hauses auf Wiederherstellung des National-
wohls bestimmt bezeichnen zu wollen, gerade dies hätte leicht
der Ausführung selbst hinderlich werden können. Es raufste
frei bleiben, dafs Davididen alsdann, nach Zeitumständen,
das mögliche thaten, wie Serubabel mehr nicht, als ein Statt-
balter, also freilich nur einer der schwächeren Messiase su
werden vermochte. Ohnehin haben nachher die Makkabäi-
•eben Regenten, geborne Leviten, das auf Juda' s Stamm und
Davids Geschlecht gebaute Königthum ganz unterbrochen, das
See pt er von Juda (Genes. 49.) eigentlich weichen gemacht.
Endlich, da sie selbst des Scepters und auch der Ordnerswürde
(des Mechokekats) sich so unwürdig zeigten, dafs durch die
Römische Einmischung und Uebermacht alles sogar an den
Proselyten aus Edom kam, kehrte der Volksglaube, antihero-
dianisch und durch die antiherodische Pharisäer und Anhänger
des Judas aus Galiläa » aufgeweckt wieder zum Blicken auf Da-
vidische Nachkommenschaft zurück; und ein mancher wurde
um so geneigter, auf den, in welchem sich zwei Zweige des
Davjdbauses , der des Josephs und der der Maria ver-
einigt zeigten, desto eher als auf den rettenden Davidssobn
zu achten.
*\ ' Ree. erlaubt sich, auch über einiges Einzelne noch etwas
beizutragen. Sogleich der Anfang Ezechiels: „Und es war
im dretfsigsten Jahre« ist ein chronologischer Knoten,
Weil der Anfangspunkt dieser dreifsig Jahre dem Muthmafsen
Öberlassen ist. S. 52. nimmt mit Pradus (vergl. S. 29.) zur
Ergänzung : anno trigesimo , subaudi : Imperii Nabopolats***»
Allein, nach Usser. Annales ad ann. ante Chr. 626 und 605.
regieite Nabopolassar nur ein und zwanzig Jahre. I'c
es wahrscheinlich, dafs unter dem Nachfolger eine besondere
aera Nabopolassaris angenommen war und fortdauerte, da,
wenn man eine all g e m e i n e aera wollte, schon eine solche,
nämlich die länger gebrauchte aera Nabonassaris (seit ann. ante
Chr. 747. s. Usser. p. 50.) da war, sonst aber, wie auch
•enmtiller im Nächstfolgenden richtig bemerkt, nach den R*-
gierur/gs jähren des jedesmaligen Königs gezählt wurde.
Dazu kommt: Nach Usher starb Nabopolassar ann. ante Cbr.
605. Jechonias wurde weggeschleppt als Gefangener 599-
Das fünfte Jahr seiner Gefangenschaft, welches dann doch dem
dreifsigsten der angeblichen aera Nabopolassaris gleich seyn
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Ezeehielts et Jeremiac Vaticiuia ed. Dr. Roienmülier. 457
müfste (nach Ezecb. 1*2.), wäre 594. Dieses aber wHre
nicht das dreifsigste, sondern erst das acht und zwanzigste
Jahr seit dem Anfang des Imperii Nabopolassaris s a. ante
Chr. 626. — *— Der Sinn der ganzen Stelle scheint zu seyn :
Jecheskiel begann durch seine erste, offenbar nach chaldüischer
Sinnbildlichkeit sebr künstlich ausgebildete Vision seine Pro«
phetenschaft, sobald er der Sitte gemäfs konnte, nämlich im
dreißigsten Lebensjahr. Weil aber seine Lebenszeit
nicht eine allgemein bekannte Epoche seyn konnte, so ist im
Ys. 2. hinzugesetzt, dafs eben das dreißigste Jahr Jecheskiels
gleich war dem fünften der Gefangenschaft des Jechoniah. So
war jene Epoche des Privatmanns bestimmter bezeichnet durch
das öffentlichere Datum.
Unstreitig sind die Verse 2. 3. eine erklärende, erst
aufs er dem Text gestandene, Glosse. Deswegnn sind die
Worte des Vs. \ . £j-jnb FltfJ/Jfiil im fünften Monat repe-
tirt, ungeachtet sich die Glosse nicht auf sie zunächst, sou-,
dern auf die ganze erste Zeile des ersten Verses bezieht.
Nicht dieser fünfte Monat soll erklärt werden, sondern das
Jahr selbst, dals nämlich das im Vs. 1. gedachte dreifsigste
Jahr und das fünfte der Gefangenschaft des Jechoniah einerlei
Zeit sey. Ein drtiter, der in der dritten Person diese seine
Glosse macht, suchte den in der ersten Person schreibenden
Propheten wohl nicht mitten im Texte zu unterbrechen. Seine
Glosse mufs also vorerst neben oder unter dem Texte gestan-
den seyn. Der erste Vers hat seine Fortsetzung, von jeches-
kiel selbst, im vierten Vers.
Wohl der Mühe werth ist es, sich den wunderbaren
Herrscherwagen deutlich vorzustellen, durchweichen der Pro-
phet chaldiiisch die Idee vei sinnlicht : Mich begeistert der
Herr der Natur, der Gott des Festlandes, auf welchem
das Schicksal der Judaer und ihrer Bedränger entschieden wer-
den mufste. Vs. 7. sagt : die vier (wa hatten, wie überhaupt
IVIenschenfigur, so auch gerade Füfse, das heilst, nicht
thierartig gekrümmte. Nur neben dem Einen Men-
• eben köpf hatte jedes auch einen Kopf des Löwen , des Stiers
und des Adlers. Die Gestalt des Leibes aber war menschlich,
eben so die der Füfse. Nur statt der menschlichen Ferse war
die Klaue von einem Kalbsfufs. (Wahrscheinlich deutend auf
Reinheit. Gespaltene Klauen waren bei Mose unter den Cha-
rakteren der reinen Thiere.)
Dies alles ist nun dem charakteristischen der Babyloni-%
sehen Bildnerei ge mä ls , welche, ohne olle lUicksicht auf
Schönheit der Gestalt,: nur Begriffe durch sonderbar zusam-
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458 r*echi«lis et Jeremiae Valiciaia ed. Df. ftoientDÜller.
niengesetzte Naturgegenstände als zusammengefügt oder 'zu-1
gleich denkbar ausdrücken wollte'. — Jeder dieser ChertuV
^wie sie 10, 14, genannt sind) vereinigt in Sich die Beziehung
auf das vierlache der auf der Erde sicntÜaren Naturen,
Menschheit, w ilde, Thierheit , zahme Erdthieve , GeVögel.
' (Das'Reich der \ Vasserthiere fällt nicht in die Äugen. Auch
hatte das Meer auf Israel und Juda keinen Einflufs , da diene
Völker nicht seehandelnd wurden. ÖeswegenJ dünkt mich,
ühergeht die prophetische Poesie das Reich der Fische.)
Vs. U. Die viererlei Kopfe waren — nicht wie ait ein-
ander "gewachsen, sondern jeder stund auf einet der vier Seiten
auf der Figur eines Menschenleibs als 'abgesondert von dem
andern. Daher gehörten auch für .jeden Kopf; Oder für jede
der vier Seiten des Cherubs vier Flügel, zwei; zum Fliegen,
zwei um sich auf dieser seiner Seite zu decken , wo er auch
zwei Hände hatte. Der ganze Cherub mufs alsd wohl mit acht
Händeh .und acht Füfsen gedacht werden, so dafs von jeder
Seite angeschaut, eine ordentliche Menschengestalt mit Ihren
zwei Händen, zwei deckenden und zwei zum Fliegen ausge-
streckten Flügeln, auf zwei gerade stehenden Füfsen zu er-
blicken war. Ohne sich zu wenden, konnte der ganz«
Cherub nach jeder der vier Seiten fliegen oder gehen. Daran,
dafs der Begriff der schnellsten Beweglichkeit und Dienst-
bereitwilligkeit anschaulich gemacht Wäre, lag dem Sinnbild-,
ner viel. Deswegen wiederholt er diese JBeahsichtigung
mehrmals.
Vs. l£— 17. Unter jedem der vier Cherube oder {o>a
(Lebewesen) war, so dafs er darauf schwebte , ein Rad, abep
ein sehr sonderbares, nämlich ein Rad mitten im Rade;
wie es auch Hr. R. recht genau beschreibt. Weil der Cherub
schleunigst, ohne sich zuwenden, nach jede* der vier Seiten
hinaus sich zu bewegen bereit seyn sollte, so mufste auch das
Rad, worauf die zwei Füfae jeder Seite schwebten , ein .Ol-
ches seyn, das, ohne gewendet zu werden, überall hin nach
den vier Richtungen sich drehen konnte. Die prophetische
Phantasie dichtet sieb biezu ein Rad im Rade, das heilst,
zwei Räder sind so (in der Mitte) in einander g efügt, dafs
sie zusammen vier Viertheile (quadrantes , machen
und so nach vier Seiten rollen können, wie der Geist sie treibt
und bewegt. Deswegen beifsen sie au ch Doppelräder,
Ophnaium im Dual. — Wie alle hephästische Kunstarbeiten
sich selbst zu bewegen, eine geistige Kraft hatten» sonach
Vs.,20. auch diese Räder , deren vier, nacL allen vier Seiten
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I
/ Ezechiel is ft Jeremiae Vaticiniir ett. Dr; Rosrnmüller. : 459
sogleich wälzbar, unter jedem Cherub seyn mufsten , weil
dieser selbst vierseitig war, gegeu jede Seite bin einen (Men-
schen- oder Thiers-) Kopf, iflenschenleib f vier Flügel« und
zwei Menschen! CÜse mit Kalbs klauen hatte« Welch wuqder-
sames Spiel der babylonisch • chaldäischen ßinnbildnerei !« —
Augen haben selbst die «Räder überall, auch an ibren Heilen
(Gabbim); denn sie giengen nicht auf der Erde. Sie schweb-
ten in der Luft, Ober der Erde, nur bald niederer bald höher,
ohne sich auf dem Bodden zu reiben. Die Luft trug sie, wie
nach der alten Bewegungsart der homerischen Götter diesen^
die Luft noch materiell genug war , um mit weitgestreckten
Schritten darauf aufzutreten. 'J
■ * " !.••■«...
Von den vier Cheruben getragen!, also über ihnen ausge-
breitet, war ein Rakia, das, worauf der Thron der Gottheit
stund. Iiier also mufs Kakia nicht die Himmelsdecke seyn,
die sich auch der Hebräer als ein um die Luft und den Aether/
ausgespanntes stahlblaues Firmament f crh% sw^a , dachte, son-^
dem nur ein ausgedehnter Wa^enboden, auf welchem der Kö-,
nigsstuhl feststehen konnte. Sie tragen ihn oder er schwebt f|
indem unter ihm von jeder Seite jedes Cherubs zwei Flügel
gerade ausgestreckt, alsp fliegend sind. Sie selbst schweben,
über den Rädern. Mit Recht verweist der Verf, bei Vs. 22»'
wegen des llakra des Himmels auf Vofs ad Georg. III, 261. / ,
seh»
sen
zu seinem Propheten. Erschrocken war dieser und zusam-
mengesunken. Aber aufrecht stehend II,' 2. soll er nun Gott
hören und in seiner Gottheit Namen sprechen.
• • • : . . .
— Ii* eben diesem Jahre 1826. ist auch das-
Volumen Frimum Je r e m iae , Valicinid et Threni
auf gleiche Weise schon erschienen. Ohhe Zweifel folgen die'
zwei weitere Volumina von den beiden Propheten ununter-
brochen nach. Ree. fügt indefs noch eine kurze Anzeige
zweier weiteren Beweise des ilosenmüllerischen Fleifsea bei»
, . .... ... »»<•!
uiuiiizeu uy Vjijei
gle
0
460 BibUsch-extjefc Repettotium l. II. vqü Dr. RosenmüJler.
Biblisch» exegetische Repertorium oder die neuesten
Fortsehritte in Erklärung der heiligen. Sihrift , herausgegeben von
Dr. Ernst F riedr. Carl Rosenmüll er . . . und J\f.
G e. Hi eron. Ro s e nmül l e r , " Prediger zu Oelzschau bei Leip-
»« *ig. I. Bd. 1822. 199 «y. IL Bd. 1824 806 tf. bei Baum»
~ •'■ gärtner. IT Bd. 18 Gr.
2r Bd. i Thlr. 4 Gr.
erklärte, wie auf dem Tire] , so in der Vorrede, die Absicht,
dem theologischen Publicum die neuesten Entdeckun-
fen im Felde der biblischen Exegese (und Kritik) möglichst
urz und vollständig darzulegen. Dennoch wurden dtr hieza
Röthigen Auszüge nur wenige gegeben, meist aber selbststän-
dige Aufsätze, Vielleicht würde die Fortsetzung schleuniger
möglich geworden seyn , wenn jene Absicht als eigentümlich
z\im Hauptzweck gemacht wäre. Die Quintessenz des Zu-
wachses, den ein solches theologisches Fach enthält, möchte
wohl mancher gerne erhalten; besonders von den kleineren
Schriften , die nicht in den Buchhandel kommen. Uebrigens
hatte besonders der erste Band so interessante Abhandlungen,
dafs auch dadurch eine ununterbrochene Fortsetzung gut vor-
bereitet war. Bleek über Entstehung des Pentateuch rjnd
Aber "einige Psalmstellen, auch, von Bohl ens und Gesenius
PaialMen aus orientalischen Schriften zum N. T. dürfen von
Forschern nicht übersehen werden. Die Anzeigen aber,
dünkt mich, müfsten ge drängt er e A uszü ge geben, wenn
sie die Absicht erfüllen sollen.
Wegen des Pentateuchs wird es schwerlich möglich
seyn, in's Klare zu kommen, wenn man nicht daran festhält,
dafs das Deuteronomium mit den vier andern, unter sich mehr
zusammenhängenden Büchern nicht zusammenhängt, also für
sich entstanden seyn kann, deswegen sogar im Decalogus Ab«
weichungen hat, überhaupt aber mehr als einmal den Mose
dem Volke vorsagen läfst , was nach den vier ersten Büchern
und nach der Natur der - Sache anders geschehen war. Die
Publication der vier ersten Bücher meint Kec. 2 Chron.
17, 7. ff. au finden. Wären sie früher in der Nation bekannt
gewesen, so häl te Jerobeam als neuer König nicht Stiersym-
}>ole, nicht der Leviten Absetzung vom Opferdienst unterneh-
men und durchsetzen können. Das , was er deswegen mög-
lich fand, in niste erst die Priester bei'm Tempel zu Jerusalem
aufmerksam inachen« wie nöthip ein nationales Bekannt*
machen ihrer auf Mose zurückgehenden Ueberlieferungen
«
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Comnientationes theo!, ed. Rotenmülter , FulJaer et Maarer. 461
t
wäre. So nahmen sie manches auf , was sie altes hatten. Oft
scheint der Gesichtspunkt, antijeroheamisches in's Licht zu
stellen , unverkennbar. Aufser den Kapiteln, welche so stark
für die Leviten und gegen die Stierhilder sprechen , ist auch
das Hervorziehen alles dessen, was für Juda und was dagegen
gegen Ephraim, Rüben u, s. w. seyn konnte, auffallend.
Von den
Comnientationes Theolozicae. Ediderunt Em. Frid. C.
Rosen muller, Gottlob IL Faidner , Gymnas. Rintelicnsis
Conrector , et Jos, Vol. Dominic. Maurer , Phil. Dr. Ups.
bei Reclam. 1825. 555 $. in 8. 1 Thlr. 8 Gr.
hat Ree. nur Tomi J. pars prima vor sich. Schade, wenn die
nützliche Sammlung nicht fortgesetzt würde. Das Gesaminelte
ist der Aufbewahrung sehr Werth. Aber alle vom Fach, wel-
che dies anerkennen und wünschen, sollten zugleich , wenn
sie kaufen können, sich sagen, dafs dergleichen Sammlungen
}>ald durch das Ankaufen, wenigstens in allen theologischen
Lesegesellscbaften unterstützt werden müssen, wenn sie nicht
allzu frühe stocken sollen. Das Gegebene würde sich an die
«ehr nutzbaren Collectionen von Veithusen und Pott würdig
anreihen. Zu Erleichterung des Gebrauchs wünschte Ree. auf
jeder Columne den Titel der gelieferten Abhandlung und am
Ende ein kurzes, aber vollständiges Register zu sehen, wel-
ches nur die erläuterten Hauptworte und die Pagina anzu-
ben hätte.
20. April 1826. Dr. Paulus.
Einige Bemerkungen zu den von Hrn. Prof. Dr. Ullmann und mir auf-
gestellten Ansichten über den Ursprung und den Character der
Hypsistarier. Nebst einem Anhange oon dem Lic. Böhmer.
Hamburg , bei Fr. Perthes. 1826. 75 S. 8. 8 Gr.
Nachdem der Unterzeichnete seine Commentatio de Hypsi-
stariis , Heidelb. l823. herausgegeben, erschien von Herrn
Lic. Böhmer (jetzt Professor der Theologie in GreifsWalrie)
eine lateinische Abhandlung über denselben Gegenstand Ber-
lin 1824 t worin dieser mit vielem Scharfsinn und Gelehrsam-
keit eine andere Ansicht über die dunkle Secte der Hypsista-
' rier und die ihr ähnlichen oder mit ihr verwandten Partheieu
der Messalianer und Theosebeis aufstellt , und die von dem
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462 , . . Böhmers Bemerkungen über die Hjpsistaricr.
m ■
« ->
*) Auf das Einzelne eiozugehen9 wurde nun, wie mir scheint i die
Sache nicht mehr weiter fördern. Nur eine specie lle Bemerkung
sey mir noch vergönnt. Hr. Prof. Böhmer beschuldigt mich u>
der Anmerkung S. 18, »in der No. 47. der Jahrbücher enthal-
tenen Anzeige seiner und meiner Schrift überhaupt eine ganz an-
dere Sprache zu reden , als in meiner Commentatio de Hypsi*ta*
riis", und führt zum Beweis dieser Behauptung Folgendes an:
m Von der gröfsesten Wahrscheinlichkeit in Ansehung seiner An*
sieht über die H ypsistarier , oder davon 9 dafs er dieselbe blos ah
Vermuthung vortrage, wie er sie in seiner kritischen Anzeige der
beiden Schriften nennt, hat Prof. Ullmann'in seiner Schrift ae
' Hypsistariis nichts gesagt. - Hier stellt er seine sententia so auf,
als wären die Hypshtnrirr wirklich das gewesen, wofür er««
'hält. "' ' Hierauf habe ich zu entgegnen : *1) Auch in meiner Com-
mentatio de Hypsistariij glaube ich nicht mit allzu grofser Ent-
schiedenheit gesprochen zu haben. Das Wort sententia sollte
nicht einen Kichterspruch , sondern blos Meinung» Ansicht be*
zeichnen. Allerdings glaubte ich, die Hypsistarier seyen das
wirklich gewesen, wofür ich sie hielt. Allein darin ist nicht!
Verwerfliches. Sagte ich doch auf derselben Seite : — denno
fateamur necesse est, non omnibus numeris absolutam esse., quam
m\ dedimus, sectae nostrae descriptionem , sed multis partibus man-
. ciam etc. Also delatorisch wollte ich nichts behaupten. —
2) Wenn ich in der Anzeige manches mehr problematisch ge-
stellt habe , als in der Commentatio selbst , so hat dies Hr. Prof.
Böhmer der Kraft seiner widerlegenden Gründe zuzuschreiben,
I und es kann auch das niety als taddnswerth angesehen werden,
, M j da£s ich , durch scharfsinnigen Widerspruch aufmerksam gemacht,
manches beschränkte und modificirte.
Referenten mirgetheilte Hypothese bestreitet, jedoch mit
vielem persönlichen Wohlwollen, Beide Commentationen hat
Referent zum Gegenstand einer kritischen Anzeige in diesen
Jahrbüchern (Jahrgang 1824- No. 47.) gemacht, wobei er
seinerseits wieder versuchte , die Bühmeriscbe Ansicht zu wi-
derlegen, und das in möglichster Bestimmtheit auszusprechen,
was sich für seine eigene frühere Vermuthung sagen lief«.
Hierdurch ist nun Hr. Böhmer zu vorliegender Schrift veran-
lafst worden, wodurch er aufs Neue seine Ueberzeugung ver-
theidigt und die des Referenten bestreitet. Auch diese letzte
Schrift des freundschaftlichen Gegners ist dem Referenten
willkommen gewesen, weil sie nur zur vollkommneren Auf-
teilung des fraglichen Gegenstandes dienen kann *). Beide
*
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I
. Zell Ferienschrifien und leg. XII tabb. 463
Ansichten sind nun in aller Bestimmtheit und Schärfe einan-
der gegenüber gestellt, und es ist des Referenten herzlicher
Wunsch, worin ohne Zweifel auch sein Widersacher mit
ihm übereinstimmen wird, dafs sachkundige Männer ein prü-
fendes Ürtbeil aussprechen, oder, falls sie keine der lnitge-
theilten Ansichten billigen können , eine noch treffendere V*r-
muthung über Character und Ursprung der von uns behandej-
ten ReUgionspartheien aufstellen möchten. Von seinem
Gegner aber scheidet Ref. mit der Gesinnung aufrichtiger Hoch-
achtung und Zuneigung.
Der Anhang bandelt sehr gut von der Hypothese eines
Recensenten in der Jenaer Lit. Zeitung, welcher die Hypsi-
atarier mit den Essiiern und Therapeuten in näheren Zusam-
menhang su bringen geneigt ist,
9 *
C. Uli mann. ,.
1. Ferienschriften von Karl Zell, Professor der alten Lite-
ratur zu Freiburg. Erste Sammlung* Freiburg 9 bei Friedr,
Wagner, 1825. 8.* i 11. 12 kr.
2. Legum XII tubulär um fragmenta cum variarnm lectionum delectuf
paraplirasi et indicatis singulorum fragmentorum fotitibus , prae-
lect'iQnum \n usum edidit C. Zell, Friburgi Brisgoviaey in of~
ßcina Frid. Wagner. 1825. 4,
Nach den Gesetzen dieser literarischen Jahrbücher über-
nimmt es der Verfasser der beiden hier genannten kleinen '
Schriften, als inländischer Schriftsteller, den Inhalt uod
Zweck derselben mit wenigen Watten in diesen Bietern
selbst anzuzeigen.
Die erste Schrift enthält eine Sammlung von Aufsätzen
über Gegenstände aus dem Kreise des griechischen und römi-
schen Alterthums. Die Wahl und Behandlung sollte nach
dem Plane des Verfassers in der Art seyn# dafs diese Aufsätze
nicht blos I^eser von allgemeiner Bildung, sondern auch Ge-
lehrte vom Fache , als Excurse über einzelne weniger beach-
tete Punkte aus diesem Gebiete, interessiren könnten. In
dieser Absicht sind die Nachweisungen und Beweisstellen in
abgesonderten Anmerkungen gegeben. Die Aufschriften der
einzelnen Aufsätze jiud folgende : JJeber die Wirths-
häuser der Alten. Liener xlie Volkslieder der
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464 - Zell Ferienschriften und legg. XII tabb.
alten Griechen. Ueber die Sprttch Wörter der af.
ten Griechen. ß a i a e , ein römischer Badeort.
Catull's Liebe. Aristoteles, als Lehrer Alexan-
ders. Ueber das Sittliche in der griechischen
Volksreligion.
Der Abdruck der Fragmente der XII Tafeln wurde durch
Vorlesungen veranlafst , welche der Herausgeber über diese
Fragmente hielt, die man, so viel bekannt ist, bis jetzt sonst
noch nicht in eigenen Vorlesungen erläutert bat. Die Erfah-
rung hat ihm nun schon die Gewifsheit verschafft, dafs ein
solches Collegium für Lehrer und Lernende interessant und
nützlich ist; doch wird auch aufser dem Gebrauche bei Vor-
lesungen, wegen des Mangels einer passenden Handausgabe,
dieser Abdruck nicht unwillkommen erscheinen. Die darin
befolgte Einrichtung ist diese: vier auf zwei Seiten neben
einander stehende Columnen enthalten den Text, die An-
gabe der Quellen, eine Auswahl der wichtigsten verschiede-
nen Lesarten , und zuletzt eine erklärende Paraphrase; jede
Columne ist mit verschiedenen Lettern gedruckt. Am Schluls
folgt ein Verzeicbniis der in der varietas lectionis nur kurz
bezeichneten verschiedenen Ausgaben und Commentare. In
der Anordnung der Fragmente ist der Herausgeber Dirk-
sen gefolgt , so wie auch darin, dafs die noch übrigen Tex-
tesworte von den Relationen der Schriftsteller genau geschie-
nen worden sind. Die nothwendig gewordene Eile des
Druckes trägt die Schuld von mehreren Druckfehlern, welche
die sonst sauber gedruckte Schrift entstellen. Es wird ein
Druckfehlerverzeichnifs nachgeliefert werden. Ich benutze
diese Gelegenheit, um vorläufig folgende Berichtigungen im
Texte zu geben. S. 8. fragm. 2. Z. 4. 1. iudicer st. indicei.
S. 36- fragm. 4. Z. 4. ist nach tabulao einzuschieben: usuca-
pionem. 6. 38. fragm, 9, Z. 6. lxpraedio st. praedis.
» * \ ...
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N. 30,
1826,
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Beschriftung des auf der Sternwarte der Kaiserlichen Universität fei
Dorpat befindlichen grofsen Refractors von Frauenhofer. Heraus-
gegeben von F. G. W. Struve, Director der Sternwarte. Dor-
pat 1825. 22 S. Royal-Folio mit 4 Tafeln*
Ree. glaubt allen liesern dieser Zeitschrift einen Gefallen
*u erzeigen, wenn er sich beeilt, von diesem ihm so ehert
au gekommenen Werke einige Nachriebt mitzutheileri. Der
Inhalt desselben, die genaue Beschreibung des gröfstert und
vollendetsten, bis jetzt zu Stande gekommenen, Refractors
kann nßmlich nicht bios dem Astronomen lind Optiker Wichtig
seyn, sondern mufs einen jeden interessiren , welcher auf eine
der jetzigen Zeit angemessene» geistige Bildung Ansprüche
macht. Wenn man berücksichtigt, was für allgemeines In-
teresse HerschePs Riesenteleskop zu seiner Zeit erregte j
Wenn man überlegt, wie oft und in wie vielen Werken, so-
gar in Jugendschriften, dasselbe abgebildet und beschrieben!
ist , sp darf man mit Recht fragen , warum dieses neue Mei-
sterwerk j durch den Scharfsinn eines Deutschen erfundenxtind
durch deutschen Kunstfleifs vollendet, nicht noch mehr beach-
tet und geschätzt wird. Allerdings entdeckte Her schel mit
seinem RefraCtor bald nach der Vollendung desselben einen
neuen Planeten , Welches die Theilnahme des ganzen wissen-
schaftlichen Publicums erregte, und aufserdem sind in den
neuesten Zeiten so viele wichtige Entdeckungen gemacht^
dafs eine einzige sich leicht unter der Menge verlieren kann;
endlich* aber gehört der Künstler, welcher das in Rede ste-
hende Meisterwerk vollendete, unter die Seltenen Männer,
deren Bescheidenheit nicht mindere Bewunderung verdient,
als ihr Scharfsinn Hochachtung gebietet. Her schel 's Name
ist unsterblich; allein wenn man überlegt, dafs sein Reflector
hauptsächlich durch einen kühuen Entschlufs und eine seltene
Beharrlichkeit in der Ueberwindung mannigfaltiger Schwie-
rigkeiten in's Daseyn gerufen wurde, Frauenhofer'» Re-
fractor aber mit allen seinen Theilen nur durch eine Menge
XIX. Jahrg. 5. Heft
30
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466 * Struve Beschreibung des greisen Refractorj.
von Comhinationen, viele wissenschaftliche Forschungen,
zahllose Versuche und die ausdauerndste Anstrengung in der
Erfindung und Ausführung der schwierigsten technischen und
mechanischen Probleme zu Stande kommen konnte, so darr'
Deutschland auf Frauenhof er unbedenklich eben so stoli
aeyn, als es sich freuet, Hörschel den seinigen nennen su
können.
Wer das in dem vorliegenden Buche beschriebene Meister-
werk genau kennen will, mufs die interessante Schrift gani
lesen. Ref. hatte das Vergnügen , das in Rede stehende sel-
tene Kunstproduct kurz vor seiner Vollendung zu sehen, und
wird sich daher bemühen , aus der eben so deutlichen als ge-
nauen Beschreibung desselben soviel herauszuheben, als ohne
Zeichnungen hinreicht, eine Vorstellung von dem Refractor
sowohl als auch von dem eines so kostbaren Instrumentes
würdigen Gebäude zu erhalten, worin dasselbe aufgestellt ist.
Das Gewicht des ganzen Instrumentes wird von Hrn.
iglichen
mittelst feiner Libellen zeigte das parallactisch montirte Fern-
rohr die Declinationen der beobachteten Sterne mit vollkom-
mener Schärfe, woraus allein schon die seltene Genauigkeit
der ganzen Arbeit genügend hervorgeht. Auf dem Stativ ruhet
die bewegliche Axe des Rohrs parallel mit der Weltaxe, und
wird durch ein Uhrwerk mit einem horizontal liegenden Cen-
trifugalpendel mit einer der Bewegung des Himmelsgewölbes
tleichen Geschwindigkeit umgetrieben. Sehr sinnreich ist
ierbei die Friction der ganzen Last durch ein besonderes Ge-
wicht aufgehoben , welches 22 Pfund betragend , und mitnicht
mehr als 5 Pfund Kraft gegen die Peripherie des zu drehen-
den Rades wirkend, den Reibungswiderstand der ganzen Un-
geheuern Last aufhebt, so dafs das Fernrohr ohne Schwan-
kung und Intermittirung dem beobachteten Sterne in sanfter
.^Bewegung durch das feine Uhrwerk folgt. An dieser Stun-
denaxe ist ein 13 zölliger getheilter Kreis, welcher durch die
Verniere 4 Zeitsecunden , durch Schätzung 1/2 Zeitsecunde
giebt. Auf dieser Axe ruhet genau rechtwinklig eine zweite
Axe, an deren einen Seite das Lager des Fernrohrs, an der
andern ein Declinationskreis von 20 Zoll Durchmesser befind-
*) Das russische Pfund betragt 27,34 oder nahe 27i/3 Loth Ber-
liner Gewicht und ist also etwas über i/ß leichter als jenes.
Digitized by Googlt
Struve Beschreibung des gtofsen Rcfractors. 467
lieh ist ^ dessen Vernier 10 SeCuhdett giebt. Beide Kreise
sind nur dazu bestimmt, die zu beobachtenden Sterne aufzu-
finden, einige angestellte Versuche aber haben ergeben, dafs
ihre Genauigkeit allerdings verstattet, das Instrument auch
sur Bestimmung des absoluten Ortes eines Himmelskörpers zu
gebrauchen, welches bei sehr lichtschwachen Kometen von
grofsem Nutzen seyn kann.
Die Länge des ganzen Fernrohrs betrügt 13 F# 7 Z. Der
Körper desselben ist von Tannenholz mit Mahagoni -Furni-
rung, deren Farbe, eben wie bei'm Stativ, der des polirten
Kupfers gleicht. Das Holz gewährt nicht blos den Vortheil
der gröfseren Leichtigkeit* sondern auch einer sehr geringen
Ausdehnung durch die Temperatur. An dem oberen , etwas
weiteren, binde dieses Rohres ist die messingene Fassung der
Objectivlinse hinlänglich befestigt, und dabei sorgsam Bedacht
genommen, dafs durch die ungleiche Ausdehnung des Metalles
und des Glases die Centrirung des Objectivs nicht leidet, wel-
ches aus zwei Linsen bestehend 9 Zoll freie OefFnung und 160
Zoll Brennweite hat. Das Rohr ist mit allen seinen Theilen '
auf das genaueste durch Gegengewichte balancirt* wodurch
theils das Uebergewicht des schwereren urtd längeren Objectiv-
theiles compensirt, theils einer Biegung des langen Rohrs be-
gegnet wird. Hierbei ist sogar auch dafür gesorgt, dafs die
Gewichtsvermehrung an dem Ocularende , welche durch das
Einsetzen schwerere^ Oculäre entsteht , durch Wegnahme an-
gemessener Bleistücke eine Compensation erhält. Ohne dieses
genaue Gleichgewicht aller einzelnen Theile dieses Instruments
in jeder möglichen Lage desselben wäre es unmöglich, seine
ungeheure Last durch eine so geringe Kraft* als oben angege-
ben ist, vermittelst eines Uhrwerkes so leicht und sanft zu
bewegen* als dieses wirklich geschieht. Die Uhr und das
Frictionsgewicht gehen nur etwas über eine Stunde* allein
beide können wieder aufgezogen werden > ohne den Fortgang
im mindesten zu stören, wonach also die Beobachtung su %
lange fortgesetzt werden kann , als man wünscht. Densinn-
reichen Mechanismus * wodurch bewerkstelligt wird , dafs
hei*m Aufziehen der Gewichte das Uhrwerk sich ungestört be-
wegt, hat Ref. mit Vergnügen an seiner astronomischen Uhr
von Liebherr kennen gelernt.
Ueber die dem Instrumente beigegebenen herrlichen Mi-
krometer etwas zu sagen, unterläfst Ref. der Kürze wegen,
und eben so über die sinnreich ausgedachteri Mittel zur Be-
richtigung der Centrirung des Fernrohrs , der balancirenden
Gewichte j des Standes des ganzen Instruments und des Uhr-
28 *
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46» Su u?B Beschreibung des großen Refractors.
werks. Die genaue Beschreibung aller dieser einzelnen Tlieile
durch Hm, Struve zeigt genugsam, mit welchem Eifer die-
ser fleifsige Astronom sich mit den Eigenthümlichkeiten «H^ses
seltenen Kunstwerkes bekannt gemacht habe, und dafs das-
selbe in seinen Händen nicht als nutzloses Schaustück ruliig
stehen, sondern der Wissenschaft einen dem größten Auf-
wände angemessenen Nutzen bringen wird. Es läfst sich in
dieser Hinsicht um so mehr erwarten, wenn man berücksich-
tigt, wie viel schon während der vorläufigen Aufstellung des
Instrumentes geschehen ist , un d Ref. erlaubt sich hierüber
noch einiges mitzutheilen , weil dadurch die Leser in den Stand
gesetzt werden , eine mindestens ohngefübre Vergleichung zwi-
schen den Leistungen dieses Refractors und den bisher ge-
brauchten riesenmäisigen Rt-flectoren anzustellen.
Ein grofser Vorttieil fällt im Allgemeinen auf die Seite
der dioptrischen Fernröhre dadurch, dufs sie ungleich länger
vollkommen brauchbar bleiben, als die katoptrischen. D»e
Objectivlinsen jener können nämlich bei sorgfältiger Behand-
lung durch das Reinigen mit etwas Alkohol und Abreihen nut
feinen leinenen , in Kalkwasser getränkten und getrockneten
Läppchen unbestimmbar lange unversehrt erhalten werden»
statt dafs die Spiegel allmählig verblinden, «ine neue kost-
spielige Polirung erfordern, hierdurch aber stets verlieren,
und nur zu bald ganz unbrauchbar werden. Wirklich sind
ebendaher auch Herscuel's 40fQfsige\ und Schröter «
25füfsiges Teleskop schon seit geraumer Zeit aufser Gehrauchj
und eine nähere Vergleichung werden daher Struve und der
jüngere Hörschel mit dem beschriebenen Refractor und dem
2t)fufsigen Reflector des letzteren anstellen. Hr. Struve
giebt den Refractoren den Vorzug der gröfseren Lichtstärke.
Hierin ist Ref. anderer Meinung, und glaubt, dafs durch die
])isher wirklich verfertigten, bewunderungswürdig grofs"'
Spiegel von der vollendetsten Politur allerdings mehr Licht
^erhalten werde* könne, als selbst das bis zum Unbegreiflichen
klare Glas Frauenhofens durchläfst, welches der jüng***
Hörschel auch durch Beispiele darzuthun gesucht hat. Al*
lein mit der blofsen Lichtstärke ist es nicht gethan, wenn es
auf Deutlichkeit und Schärfe der Bilder ankommt, und dafs
in letzterer Hinsicht F r a u e n b ofe r* s Meisterwerke alle Er-
wartung übertreffen , geht aufser theoretischen , hier nicht zu
erörternden Gründen schon aus den Leistungen des beschrie-
benen Refractors genugsam hervor. Unter andern erkannte
Schröter mit seinem 25f«fsigen Teleskope den Stern t
üriouis als zwölffach, Struve aber denselben als sechsehn-
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Struve Beschreibung des grofsen Refracton. 469
i
fach. Von den Resultaten der Weiteren Beobachtungen des
fleifsigen Struve werden die Astronomen weitere Kunde er-
halten; vorläufig aber kann hier rnitgetheilt werden, dafs an
demjenigen T heile des Himmels, an welchem Her sc hei 68
Doppel sterne der vier ersten Classen entdeckte, Struve 334
neue aufgefunden hat, und unter diesen 111 solche der ersten
Classe, deren Distanz kleiner als 4 See. ist. und deren Her*
8 che) unter seinen £8 nur 14 zahlte.
Mit Uebergehung einiger absichtlich deshalb angestellten
Beobachtungen, aus denen die unglaubliche Schärfe der Bilder
hervorgeht, welche der unvergleichliche Kefractor giebt, wen-
den wir uns endlich noch zu einer Vergleichung des Mecha-
nismus der Bewegung dieses und der früheren Instrumente.
Wenn man die Art betrachtet, wie der unsterbliche Herschel
sein Riesenteleskop montirte und sur Beobachtung becruem
^einrichtete, so mufs man der sinnreichen Ausführung die ge-
bührende Bewunderung zollen; genau genommen aber haben
die zahllosen Seile, Hullen, Flaschenzüge, Hebel und derg),
etwas Schwerfälliges, und bleiben hinter der sanften, gleich-
sam automatischen, Bewegung des grofsen. Refractors und der
bewundernswürdigen mechanischen Kunst, wodurch -sie er-
zeugt wird , weit zurück. Rücksichtlich der absoluten Ver-
größerungen, welche Herschel's Teleskop ertrug, und de-
nen, welche von Struve angegeben sind, deren stärkste nur
ßOOfach ist, bleibt der Refractor allerdings weit zurück, und
manche werden hierin einen wesentlichen Abstand des letz-' •
teren von jenem linden. Ref. weifs nicht, ob die angegebene
Vergrölserung die stärkste ist, welche Frauenhofens In-
strument verträgt, Kenner aber werden darin einverstanden
seyn, dafs durch blofse Vermehrung der Vergrölserung nur
wenig gewonnen wird, wenn man dagegen die Deutlichkeit
und Schärfe der Bilder aufopfert, wobei inzwischen nicht zu
bestreiten ist, dafs 2 bis nahe 4 Fuis im Durchmesser haltende
Spiegel im Allgemeinen stärkere Vergröfserungen zulassen,
als ein 9zÖlliges Objectiv.
Eine kurze Erwähnung verdient vor allen Dingen noch
das sinnreich construirte Gebäude, worin das beschriebene,
einzig in seiner Art vortreffliche Kunstwerk aufgestellt ist,
und rief, freuet sich , hierbei aus gütigst mitgetheilten Nach-
richten einiges ergänzen zu können, was das vorliegende
Werk nicht enthält, weil es vor der Vollendung des beweg-
lichen Thurms gedruckt wurde. Es verstand sich nämlich von
selbst, dafs ein so vollendetes Meisterwerk auch ein ange-
messenes Locale zur Aufstellung erforderte, und dieses ist
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Struve Beschreibung aes großen Rerractew,
ihm auch durch die Liberalität eines Gouvernements gewor»
den, welches keinen Aufwand scheuet , sobald es die Förde«
rung der Wissenschaften gilt. Hr. Struye beschreibt daa-
selbe ausführlich, zum Theil noch vor der wirklichen Vollen-
dung nach dem entworfenen Plane , und unterlägst nicht, seinem
Col legen , dem als Physiker berühmten Staatsrath und Professor
Parrot für den Entwurf und die thätige Hülfe bei der Aus«
führung den gebührenden Dank zu zollen« Mit was für un-
säglichen Schwierigkeiten die letztere an einem Orte, wie
Dorpat ist, verbunden gewesen sey, wird jeder Sacbverstän«
dige leicht begreifen; aber um so erfreulicher ist es zu bemer-
ken, da Ts Mau nur von Kraft und eiserner Beharrlichkeit ihre
wohldurchdachten Plane dennoch durchzusetzen vermögen,
Nach der Angabe der vorliegenden Schrift und 'der brieflich
mitgetheilten Ergänzungen besteht das Gebäude des Refractors
aus einem zwölfeckigen Thurme, welcher so hoch über den
übrigen Gebäuden der Stadt liegt, dafs er nach allen Seiten
einen freien Horizont gewährt. Das Fundament des beweg-
lichen Theiles ist ein alter massiver Thurm, er selbst aber
gesteht aus zwölf Riegelwänden , deren vier mit Fenstern ver-
sehen sind , zwei einen Durchschnitt bilden , und sechs aUo
ausgemauerte Wände bleiben. Das Ganze ruhet auf zwölt
eisernen Rollen, welche mit ihren Einschnitten auf der con-
vexen Kante einer genau waagerecht gelegten kreisförmige11
' Eisenbahn laufen. Auf solche Weise besteht also durch den
Einschnitt das Ganze aus zwei Theilen, welche unten zwar
leicht verbunden werden konnten, schwieriger jedoch war
dieses am oberen, Theile unter dem Dache, wenn nicht zu-
gleich ein undurchsichtiger Anker an irgend einer Stelle in das
Gesichtsfeld kommen sollte. Diese Schwierigkeit ist glücklich
überwunden durch einen rectanguläreu eiseinen Rahmen,
dessen schmale Seiten auf zwei starken eisernen Bolzen an den
Seiten der Einschnitte drehbar befestigt sind, so dafs die
Fläche dieses Rahmens entweder vertical oder horizontal ge-
stellt werden kann; und da sein halber Durchmesser größer
als die Oeffnung des Fernrohrs ist, so bietet derselbe in einer
der genannten Richtungen allezeit eine freie Aussicht dar.
Ein flaches Dach von Brettern mit Segeltuch überzogen und
von einer durchbrochenen Gallerie umgeben, desgleichen eine
unter dem drehbaren Theile befindliche, ganz herumlaufende
Gallerie geben dem Ganzen ein gefälliges Ansehen, und die
letztere verstattet noch aufserdem, dais man allerorten um den
beweglichen Thurm herumgehen , und die Theile nachsehen
kann. Die Eise/ibahn ist geschliffen, die Rollen, welche
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Snmve Beschreibung des großen Rcfracton. 471
zwölf Zoll im Durchmesser halten und zwei Zoll über die Ei-
senbahn von conischem Durchschnitte übergreifen , sind von
polit'tem Gufseisen und laufen mit ihren stählernen , nur sechs
Linien starken , Axen in Büchsen von Glockenspeise. Ref.
hat sich ungemein gefreuet , hierbei zu linden, dafs der sach-
kundige Farrot, gestützt auf eine durch die Erfahrung wohl«
begründete Theorie, diese Axen nicht stärker gewählt, und
dadurch hinlängliche Stärke mit sehr geringer Reibung' verei-
nigt hat, da sonst gewöhnlich sokhe Theile von blofsen Em-
pirikern nnverhältnifsmäfsig stark und massiv gemacht zu
werden pflegen. Der freie Kaum zwischen den Rollen ist ge-
fen eindringenden Regen und Schneegestöber durch einen am
eweglichen Theile des Thurmes befindlichen blechenen Man-
tel geschützt , welcher über einen am unbeweglichen Tbeile
angebrachten Ring von Brettern so gebogen ist, dafs er, ohne
irgendwo zu berühren, frei mit umgedrehet wird, und doch
das Eindringen des Schnees auch bei heftigem Winde verhütet«
Endlich versteht es sich von selbst, dals die Einschnitte des
Thurms mit genau schliefsenden Klappen versehen sind, in-
defs h.it man diesen zugleich eine solche Richtung gegeben,
dafs sie geöffnet den Einflufs des Windes auf das Instrument
abzuhalten dienen,
Farrot berechnete das Gewicht des beweglichen Theiles
des Thurmes zu 17000 Pf. und die zu überwindende Reibung
nach dem Verhältnils der Durchmesser der Rollen und deren
Axen mit einem Frictionscoöfficienten s j/s zu 212,5 Pf. 'Ein
vorläufiger Versuch vor der gänzlichen Vollendung ergab, d fa
nur 180 Ff. erforderlich waren, die ganze Last des Thurmes
zu überwinden.. Zur Drehung ist indels eine Kurbel von
14 Z. Radius mit einem Getriebe von 4 Z. Durchmesser ange-
bracht, um die Drehung zu bewerkstelligen, indem das Ge-
triebe in ein Rad von 17 Z. Durchmesser mit einer Welle von '
6 Z. Durchmesser eingreift, um welche das am Kranze be-
festigte 0,5 Z. dicke Seil geschlungen ist. Diese Maschine
befindet sich zwischen zwei eisernen, am Umfange der Mauer
befestigten, Stangen, und der Berechnung nach sollten 10 Pf.
Kraft zur Drehung erforderlich seyn. Weiter als bis zu den
hier mitgetheilten Angaben reicht die Schrift nicht, und es ist
daher interessant gegenwärtig au erfahren, dafs die erhalte-
nen Resultate die erwarteten noch übertrofFen ha^on. Da«
Totalgewicht des beweglichen Theiles des Thurmes ist näm-
lich 30000 Pf. und dennoch werden zur Drehung desselben an
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47$ fittu?e Beschreibung des grofsen Refracto«.'
4er Kurbel von 14 Z. Radius *) für den Fall der vortheilhafte-
#ten Wirkung nur 7 Pf. , für den der un vo i theilhaf'testen aber
9 r£> erfordert. Um das Gebäude durch einen Raum von 4
zu bewegen • welches die Gröfse des Ausschnittes ist, sind
nicht mehr als zwölf Secunden erforderlich, und wenn man
noch eben so viel hin zunimmt, um das Seil aus- und einzuha-
ken , so ergiebt sich, wie wenig der Beobachter verliert y
wenn er ohne Gehülfen die Drehung selbst vornehmen muis.
Das Gebäude bat bereits einen Winter ausgehalten , in wel-
chem die Kälte bis 23° R. gestiegen ist, und nicht blos dieser«
sondern auch dem Thauwetter9 dem Schneegestöber und den
Sturmwinden des Novembers glücklich widerstanden. Letz*
tere waren wohl am meisten zu berücksichtigen. Farrot
hatte berechnet, dafs die Last des Gebäudes 2,5 mal so grofs
sey als die Kraft, welche der Druck eines Windes von 150 F«
Geschwindigkeit in einer Secunde gegen die dargeboteneFläche
auszuüben vermögte. Indem aber das Gewicht des Gebäudes
im Verhültnifs von 20: 17 vermehrt ist, die angenommene Ge-
schwindigkeit des Windes von 150 F. aber vielleicht schon
über das Maximum der Wirklichkeit hinausgeht, so läfstsich
von dieser Seite nichts fürchten, jedoch wird auf jeden Fall
der bewegliche Theil des Thurmes an der unbeweglichen
Mauer durch Ilaken befestigt. Der ganze Ausschnitt bat acht
Klappen, zwei vertjcale auf jeder Seite und vier auf dem
Dache. Geöifnet lehnen 6ie sich gegen eiserne Streben, welche
stark genug sind, dem Sturmwinde zu widerstehen. Für die
Genauigkeit der Arbeit zeugt insbesondere der Umstand, dafs
nicht blos das, Schneegestöber hinlänglich abgehalten wird,
sondern selb«t der Wind nirgend an der Flamme einer ^Vachs-
Jcerze bemerklich ist.
Ref. kann diese Anzeige nicht scbliefsen , ohne vorher
noch einigen Betrachtungen Raum zu geben, welche sich man-
chem Leser, gleich wie ihm selbst, vielleicht aufdringen wer*
4en. — Wo befindet sich denn dieses gröfste und schönste
jetzt existirende Werkzeug für die beobachtende Astronomie?
— Auf einer Lehranstalt, welche, eine der jüngsten unter
ih ren Schwestern, schon manche an wissenschaftlichem Stre-
ben und an den hierzu behülilichen Schätzen überflügelt hat.
£>en Beweis liefern eben dieser Apparat mit seinem zweck-
mässigen Gebäude, ein nhysiealisebes Gabinet 9 welches an
*) Die Angabe von 16 Z. in der {Schrift i*t eja Druckfehler» flerca
übrigens lief.' keine gefunden hat.
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I
Struvo BeichreibuDg des grofsen Refractor*? 473
Vollständigkeit, Güte und Schönheit seiner Apparate von we-
nigen übertroffen, von den meisten nicht erreicht wird, und
ohne Zweifel noch manche andere literarische Hülfsmittel,
deren genauere Kenntnifs dem Ref. abgeht. So war es stets
der Fall und wird es auch künftig seyn, dafs die Musen ihre
früher begünstigten Wohnsitze verliefsen , wenn man sie
nicht mit inniger Liehe pflegte und mit hoher Achtung begün-
stigte; sie wählten sich neue Tempel an andern Orten, und
an den verlassenen nahm Stille und Dürftigkeit Platz. Viele
der Sternwarten, welche vor etwa einem Jahrhunderte zu den
Zeiten der Cassini' s berühmt waren, kennt man jetzt nicht
mehr , aber statt ihrer sind neue mit vermehrtem Glänze her»
vorgegangen, und erfreulich ist es dabei für den ruhigen Be-
obachter der wissenschaftlichen Cultur, wahrzunehmen, wie
weit die jüngeren jene älteren hinter sich lassen , wovon der
vorliegende Bericht unter andern einen sprechenden Beweis
liefert. Inzwischen ist es nicht blos die Astronomie, welche
in Rufsland so ausgezeichneten Schutz und hohe Beförderung
findet, sondern dieser grofse Staat versäumt überhaupt nicht,
die ihm zu Gebote stehenden ausgezeichneten Hülfsmittel zur
Erweiterung der Wissenschaften durch grofsartige Unterneh-
mungen zu verwenden. Ref. erwähnt in dieser Hinsicht
nur das ihm zunächst Bekannte und für ihn besonders Interes-
sante, unter andern die gegenwärtig gleichzeitig stattfindende
dritte Entdeckungsreise, die mühsamen und kostspieligen Un-
tersuchungen der Küsten des sibirischen Polarmeeres , die
wissenschaftlichen Reisen in denCaucasus, und vieles anderes.
Die gelehrte Welt darf von allen diesen Unternehmungen viele
und mancherlei interessante und wichtige Aufklärungen er*
warten, worauf Ref. sich schon im Voraus freuet, und wo-
von er seiner Zeit gern dem Publicum nähere Nachricht mit-
sutheilen hofft, so bald und so weit er selbst zur Kenntnifs
derselben zu gelangen das Glück haben wird.
• -
M u n c k e.
474 Rudhart , über de» Zustand des K. Baiern.
Cfe&sr den Zustand des Königreichs Bitten» nach amtlichen Quellen von
D. Ignatz Rudhart , K. B. Regie rungsdirector (jetzt zu fie-
gensburg) n. s, u>. Erster Band. Stuttgart und Tübingen, bei
Cotta. 1826. XII und 233 S. nebst 104 S. Beilagen und einer
Cliarte. 3 fl.
- ' \-
»Die Materialien dieses Buches», sagt die Vorrede,
«waren bestimmt, nach und nach in der Bayerischen Wochen-
schrift bekannt gemacht zu werden; als aber diese nicht mehr
fortgesetzt wurde, schien es am nützlichsten, sie zu einem
Bucue zu verwenden, durch welches das Publicum und beson*
dera Staatsmänner, statt einzelner Bruchstücke, gleichsam
aus einem Gusse, ein vollständiges Bild von dem Zustande
des Königreichs Baiern erhalten können. « Der hochverdiente
Verf., der in der vorjährigen Ständeversammlung zu München
als der erste Redner glänzte, giebt in dieser Schrift mehr, als
man aus obiger Aeuiserung erwarten dürfte; er theilt nicht
allein eine Menge der schätzbarsten Materialien mit, welche,
Weil er sie auf amtlichem Wege erhielt, so grofse Glaubwür-
digkeit haben , als sie ihrer Natur nach überhaupt haben kön-
nen, sondern er knüpft daran viele allgemeine Betrachtungen,
bald, um den jetzigen Zustand zu beleuchten, bald, um Wün-
sche zu Verbesserungen darzulegen. Der Leser erhält also
zunächst Theile einer reflectirenden Statistik, sodann einge-
schaltete Untersuchungen staatswissenschaftlicher Gegenstände.
Kec. kann nicht in Abrede stellen, dafs durch diese Verschmel-
zung statistischer und politischer Sätze das Werk an Einheit
und Gleichförmigkeit verloren hat, aber dafür ist es gewifs in-
teressanter und nützlicher geworden. Der Statistiker be-
schränkt sich auf die Schilderung des Bestehenden, so weites
«ich durch sichere Thatsachen kund giebt; er strebt, wie der
Geschicbtschreiber, ein Bild zu entwerfen, über welchem man
den Bildner vergifst, und welches, wenn es nur mit Fleifs
und Treue gearbeitet ist, Jedem, welcher Gesinnung er auch
Seyn möge, Nutzen und Vergnügen gewähren muls. Der
politische Schriftsteller dagegen kann nicht umhin, von ge-
wissen Grundsätzen auszugehen, gewisse Hauptzwecke im
Auge zu behalten, über welche die Vorstellungen der Men-
schen vielleicht noch eben so lange von einander abweichen
werden , als sie es schon gethan haben. Hier mufs die Indi-
vidualität des Schriftstellers lebendig hervortreten, seine Aus-
sprüche können nicht Allen behagen, und in so ferne sie die
Gebrechen, die Bedürfnisse einer bestimmten Zeit berühren,
in der unaufhörlich anschwellenden Fluth der Literatur auf
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Hudhart 9 über den Zustand des K. Baiern. 475
kein dauerndes Interesse rechnen , dafür aber vermögen sie
desto kräftiger in die Gegenwart einzugreifen. Die vorlie-
gende Schritt bat nun von politischer Seite den Vorzug, dal«
sie keine in die Wolken gebauten, sondern nur solche Schlufs-
folgen enthält, die sich aus bestimmten Erfahrungen entwik-
kein lassen, ferner dafs sie von Frincipien ausgeht, die dem
Ree. die einzig wahren und gedeihlichen zu seyn scheinen;
von statistischer Seite wird sie dadurch fruchtbar, (bis sie
das einzelne Material belebt und in das Ganze verwebt zeigt,
unähnlich jenen gedankenlos zusammengeschriebenen Büchern,
die man nicht selten mit dem Titel Statistik erscheinen
sieht. Die Schönheit und Wärme des Styls wird auch solche
L*eser anziehen, für welche sonst der Gegenstand zu trocken
seyn würde.
Der vorliegende erste Band enthält nur einen Theil des-
sen , was die Staatenkunde umfafst, er handelt nämlich von
der Gröfse und den Glänzen des Landes, von der Bevölke-
rung, den Religionsverhältnissen und Bildungsanstalten und
von der Landwirthschaft. Die 41 Beilagen bestehen blos aus
Statistischen Tabellen. Ree. ist nicht gesonnen, einen regel-
mäfaigen Auszug aus diesem an tiefen Gedanken, erhabenen
Empfindungen und merkwürdigen Thatsachen reichen Buche
zu liefern, welches ohnehin in die Hände aller derer kommen
wild, für die ein Auszug Interesse »hätte : er beschränkt sich
auf eine Andeutung des Inhaltes und auf einiges Besondere.
I. Gränzen. Zu diesem Abschnitte gehört die schöne
litbographirte Gränzcharte, welche zugleich' die Amtssitze
und das Quadratnetz der Steuervermessung angiebt. Der
Flächenrauin berechnet sich auf 1382 Geviertmeilen. Die
Nachtheile, welche die abgesonderte Lage des Rheinkreises
mit sich bringt, werden nicht verschwiegen, doch, sey der
Besitz dieses Kreises für Baiern und vielleicht selbst für ganz
Deutschland wichtig, er „hält uns stets die geläuterten Grund-
sätze der Einrichtung und Verwaltung der bürgerlichen Ge»
Seilschaft vor*.
II. Bevölkerung. Die Volksmenge ist nicht genau
bekannt, was nur denen auffallen kann, welche die Schwie-
rigkeiten einer Volkszählung nicht zu beurtheilen wissen.
Die neueste Angabe von 1822 ist 3,743,000. Verbindet man
hiermit diejenige Zahl der Familien, welche der Verf. für die
richtigste hält, nämlich 787,8l8, so ergiebt sich, dais hier
nicht 4*/2» wie man gewöhnlich annimmt, sondern 4 3/4 Köpfe
auf die Familie kommen. Der Verf. rechnet nur 41/2, und
schliefst so auf eine Volksmenge von 3,545,000 Menschen,
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476 Rudhart, aber den Zustand des K. Baiern.
wobei die Bevölkerung auf einer Quadratmeile 614 Familien
oder 2763 Menschen beträgt; dafs sie nicht doppelt so grofs
aey, wird aus verschiedenen politischen Einrichtungen er-
klärt. Ree will den Einflufs aller dieser Ursachen nicht be-
streiten, es scheint ihm aber, dais sich über die Sache nicht
mit Entschiedenheit urtheilen lasse , weil wir die Stärke des
jährlichen Zuwachses der. Volksmenge nicht kennen, und dafs
der Zustand des Gewerbfleifses , vor Allem das noch unvoll-
kommene Fahi ik wesen , die Hauptursache dar im Verhältnils
zu den Nachbarstaaten schwächeren Bevölkerung bilde. Der
Cälibat der Geistlichen und vieler Staatsdiener und die Kriege
würden von dieser Seite wenig schaden , wenn die Production
mit besserem Erfolge betrieben und das Nationalcapical stär-
ker vermehrt würde. Die fehlerhaften Gesetze, welche das
Ansässigmachen zu sehr erschweren , werden mit Wärme ge-
tadelt , und als eine Ursache der zahlreichen unehelichen Ge-
burten dargestellt. Bekanntlich ist diesem Uebelstande indes-
sen durch ein neues Gesetz abgeholfen worden. Beherzigens*
Werth ist der Rath, die Annen Versorgung nicht ganz der
Gemeinde zu überlassen, sondern sie auf ganze Kreise auszu-
dehnen, weil sonst die Last für einzelne Gemeinden unerträg«
lieh werden kann ; vergl. auch S. 39.
III. Sterblichkeit. Die Mortalität von Nürnberg,
wie sie aus den S. 34. mitgetheilten Zahlen folgt, ist nicht
1/42 » sondern i/4o, und dies kann nach den neueren Erfahrun-
gen in England und Frankreich nicht für eine ausgezeichnet
geringe Sterblichheit gehalten werden, indefs läfst sich auch
von einem einzigen Jahre kein sicherer Schlufs ziehen. Wenn
wirklich die Mortalität im Isarkreise 1/29, im Obermainkreise
aber 1/58 ist (es bleibt zweifelhaft wegen des Mangels einer
zuverlässigen Volkszählung) , so beweist dies viel für die
Medicinalanstalten im letzteren Kreise und gegen die Nütz-
lichkeit der grofsen Landgüter, wie man dieses auch kürzlich
von Frankreich dargethan hat. — Medicinalwesen , Unzuläng-
lichkeit der bestehenden Irrenhäuser u. s. w.
IV. Vertheüune der Bevölkerung. Blickaufdas
Gemeindewesen. VerhäUniftt wischen Stadt und Land. Nimmt
man nur die Städte von mehr als 600 Familien in Betracht,
bo zeigt sich, dafs in ihnen ungefähr 1/7 der Volksmenge
wohnt , die anderen 6/7 bewohnen das platte Land und die
kleineren Städte. Werden auch die Städte unter 500 Familien
und die Marktflecken eingerechnet, so belaufen sich die Stadt»
bewohner auf io/47. Dieses Verhältnifs ist, wie bekannt, »"
Beziehung auf den vorherrschenden Charakter der Gewerl)«'
uigitized by y
Rudhart , über den Zustand des K. Beiern. 477
»
tbätigkeit bedeutend, indem Ge werke und Handel desto star-
ker betrieben zu werden pflegen, je gröfser der in den Städten
wohnendeTheilder Volksmenge ist. Jn Norwegen ist es kaum
i/n, in Ungarn i/i9, in England aber über die Hälfte. Ge-
wöhnlich ist die Zahl der Städter in solchen Gegenden am
gröfsten , wo auch die Bevölkerung im Allgemeinen die stärk-
ste ist ; doch trifft dies in Baiern nach den hier mitgetheilten
Tabellen nicht genau zu , denn der Oberdonaukreis ist schwa-
cher bevölkert (610 Familien auf der Quadratmeile), als der
Ober- upd Unter -Mainkreis (643 und 692 Familien), hat
aber etwas mehr Bewohner gröfserer Städte (15 3/5 Proc.) als
beide (i3i/5 und iii/ü Proc.). Der Isarkreis ohne die Haupt-
stadt hat die niedrigste Bevölkerung (337 Familien) und die
wenigsten Stadtbewohner (6 Proc). — Zahl und versicherter
Werth der Gebäude im Königreiche. — Fast nirgends findet
man die verschiedenen Arten von Gebäuden so unterschieden,
wie es zu wünschen ist, wenn man daraus Schlüsse, z. B. in
Ansehung des landwirtschaftlichen und Gewerkscapitales,
machen will. — Der Verf. tadelt den, in der Ständeversamm-
lung von 1822 gemachten Vorschlag , die Brandversicherungs-
anstalt in Kreisvereine aufzulösen, mit Recht, äufsert aber
zugleich, es sey billig, die Aufnahme leicht verbrennbarer
Häuser durch höhere Beitragsquoten zu bedingen. Ree. hat
auf diese Verbesserung der bisherigen wechselseitigen Asse-
curanzen kürzlich in einer anderen Zeitschrift aufmerksam ge-
macht. Dafs ein Kreis mehr Brandschäden hat als der andere,
mufs, wenn es fortdauernd ist, der verschiedenen Bauart zu-
geschrieben werden , und deshalb kann man es den Abgeord-
neten des Untermainkreises nicht verargen, dafs sie in Bezie-
hung auf ihre Gegend die Einrichtungen der Anstalt für man-
gelhaft erklärten, nur wäre die Auflösung des Gesammtver-
eines das unrechte Mittel. Die Prümienassecuranzen geben
das Beispiel, wie man nach Maafsgabe der Bauart den jähr-
lichen Beitrag ungleich ansetzen kann. Dagegen ist das Aus-
Icunftsmittel, welches die'erneuerte Assecuranz -Ordnung für
Bremen und Verden, vom 23.December 1825, ergreift, Häu-
ser mit Schindeldächern nur zu zwei Drittheil des Werthes
aufzunehmen, unzureichend, weil dabei auch der Beitrag ge-
ringer wird und für die gröfsere Gefahr keine verbältnifsmäfsigö
Vergütung Statt findet.
V. Unterscheidung der Bevölkerung nach
Ständen. Der Adel begreift 1384 Familien, mit 945 ade-
lichen Gütern, die Besitzungen der 33 erblichen Reich<näthe
nicht eingerechnet. Man kann also wohl 450 — * 500 adelicbe
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478 Rudhart, Ober den Zustand des K. Baiern.
Familien ohne Grundbesitz annehmen, denn wenn auch bis-
weilen mehrere Familien an einem Gute Theil haben, so trifft
es sich doch weit öfter, dafs eine Familie mehrere Güter be-
sitzt. Ree. findet durch Vergleichung der Kreise, dafs, mit
einziger Ausnahme des Oberma Inkreises , die Bevölkerung je-
des .Landestheiles um so höher ist, ja wenigere adeliche Güter
er enthält. Das Zusammentreffen ist merkwürdig genug , um
hier nachgewiesen zu werden.
Ad eliche Güter.
Familien
-
auf 1 QM.
Rheinkreis
0
809
Retzatkreis
64
781
Untermainkreis
77
622
Oberdonaukreis
78^
610
Unterdonaukreia
l63
499
Regenkreis
179
444
Isai kreis
227
377
Ree. hat sich schon früher (Allg Encyklop. Von Kr sc Ii und
G ruber, Art. Adel) für die Nützlichkeit des Adels in Eih-
monarchieen erklärt, er mufs aber mit unserem Verl. indem
Urtheile über das Unzweckinilfsige der Vorrechte, die d< t
Adel in Baiern geniefst, übereinstimmen. Ueber die Patri-
monialgerichtsbarkeit ist kaumnöthig, etwas zu sagen; die
Siegelmäfsigkeit befreit den Adelicheit von verschiedenen Ge-
richtstaxen , „und ist so vortheilhaft für den Privilegirten,
dafs ein einziger Taxenfall den Betrag der Taxe für das Adels-
diplom übersteigen kann." Dieser Umstand und die Ein-
künfte der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit (welche indefs nach
der Verfassung auf die früheren Rittergüter beschränkt ist) er-
klären die vielen Gesuche um die Ertheilung des Adels gegen
Entrichtung der Taxe.
VI. Unterscheidung der Bevölkerung nach
der Religion. Der Verf., welcher selbst der katholischen
Confession angehört, spricht einen grofsen Theil seiner Glau«
hensgenossen von Aberglauben, Lippen- und Bilderdienst
nicht frei, wahrend viele andere, und ein grofser Theil der
Protestanten, aus Mangel an Nachdenken oder Frivolität in
Unglauben verfallen; selbst bei der katholischen Geistlichkeit
sey die Aufklärung über das wahre Wesen der christlichen und
katholischen Religion selten. „Das Wesen des Katholicismus
„ist kein anderes als jenes der Religion. Wie er iu verschie-
denen Zeiten begriffen und verdorben "worden ist, entsche-
idet nicht. Wer in die eisten Zeiten an die Quelle zurück-
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Rudhart , übet den Zustand des K. Baiern. 479
„geht, lernt sie ungetrübt als eine evangelische Lehre kennen.
„Diese Lehre ist freilich unwandelbar und ewig, nicht aber
„die Streits2tze der theologischen Schulen. Dogmen hat der
„Protestant wie der Katholik; beiden müssen sie etwas, aber
„etwas lintergeordnetes seyn. Nicht blinder, sondern thäti-
„ger und lebendiger Glaube ist noth wendig, den Katholiken
„wie den Protestanten, und dafs die Formen der Kirchenver-
„fassung veränderlich und verbesserlich seyen, lehrt die Kir-
„chengeschichte, welche durch di« Concilien au Kostnitz und
„Basel zeigt, welche Gränze die Gewalt des Pabstes und der
„Kirche hat. Allein die unbeschiänkte Gewalt jenes hat «ich
„durch ähnliche Mittel erhalten, deren sich die Könige be-
dienten, welche nach absoluter Gewalt strebten; sie ver-
säumten, die Concilien, wie die englischen Könige die Par-
lamente einzuberufen.«
VII. Ueber die Verhältnisse der Juden. Die-
ser 27 Seiten starke Abschnitt inufs jedem Leser gegen die
edle Menschlichkeit, mit welcher der Verf. einem unterdrück-
ten S|sjmme das Wort redet, die höchste Achtung einflössen.
Die Entartung der Juden wird zum Theile dem Grade von re-
ligiöser Bildung der meisten unter fhnen , gröfatentheils aber
den politischen Einrichtungen und der unchristlichen Behand-
lung von Seite der Christen Schuld gegeben. Gewifs wird der
Jude im Ganzen besser werden , nützlichere Beschäftigungen
ergreifen, und ein theilnehmenderer Bürger seyn , wenn
man alles Demüthigende von ihm nimmt, und ihm den Zutritt
zu mehreren Gewerben gestattet ; er wird sich und seine Glau-
bensgenossen weniger schroff der übrigen Gesellschaft entge-
genstellen , wenn man. aufhört, ihm mit, Härte zu begegnen.
Gleichwohl möchte, wie Ree. glaubt, die Ertheilung des
vollen Staatsbürgerrechtes, in so ferne darin auch die Wähl-
barkeit zur Ständeversammlung, die Befugnifs zur Bekleidung
von otaatsämtern , zu dem Besitze von Gütern mit Gerichts-
barkeit und Patronatsrecht liegt, noch zu frühzeitig seyn;
erst müssen die Bildungsanstalten krättig gewirkt haben , es
mufs eist der vorherrschende Wuchergeist vertilgt seyn, der,
Wenn auch grofsentheiJs durch den Druck von Seite der Chri-
ste/i verschuldet, doch nun einmal da ist, bis auch jene Schei-
dewand ohne Gefahr aufgehoben werden kann. Die aufgeklär-
ten , aber zugleich frommen Juden (beides war bisher sonst
nie verbunden) werden von selbst zum Christenthume üher-
treten, sie müssendes aber zuvor in der Handlungsweise seiner
Bekenner achten gelernt haben. Der Verf. urthei.lt unbefangen
und gerecht über die Intoleranz der Christen. „Sie tadeln,
480 Rudhatt, über den Zustand des K. Baiern.
„dafs Moses Religion zum lächerlichen Ceremoniendienste
herabgesunken sey, und rergesSen, wie viele Christen die
„Cereiuonien werther als das Wesen der lleligion halten. —
„Sie rügen, dafs der Gottesdienst in einer Sprache gehalten
„Werde, welche die meisten nicht verstehen, und ist es denn
„leider hei uns Christen anders?«
VIII. Unterricht, Erziehung und Bildung.
IX. Landescultur. Dieser Abschnitt wird durch zahl-
reiche höchst lehrreiche Tabellen erläutert. Der Wald be-
tragt 29 Proc. der Flüche und es kommen auf die Familie acht
Morgen, was bei guter Wirthschaft das Bedürfnifs über-
steigt. Der Verf. glaubt, dafs niedrige Holzpreise im Inlands
nützlich seyen, weil sie das Uebergewicht «her die Gewerbe
des Auslandes gewinnen helfen. Dies ist in Beziehung auf
einzelne Gewerbszweige, zumal auf das Hüttenwesen, rich-
tig, aber wird nicht da* wo ein Theil des Waldgrundes U
anderer Benutzung fähig ist, gerade durch deri niedrigen Preis
die Holzsparung verhindert, die Forstwirtschaft in ihrem
mangelhaften Zustande erhalten, und so die bessere Benutzung
des Bodens verzögert? Man soll zwar keinen unerschwing-
lich hohen Holzpreis für unschädlich halten , aber auch nicht
einen so niedrigen als nützlich ansehen, der dem Waldeigen,
thümer keinen Antrieb gewährt, sich um gute
Holazucht tu
bemühen.
X. Saarn enerträgnifs. Getreidepreise. Die jetzige
Wohlfeilheit des Getreides bei hoch gebliebenen Preisen an-
derer Dinge mache die Fruchtbarkeit zum Fluche, sie wird
S. 124. (vergl. 159. und Vor:. VI.) ein gotteslästerliches V«*-
hältnifs genannt, welches nur aus menschlicher Verkehrtheit
entspringen könne. Zwar hat der Verf. S. 125. mit wenigen
gehaltschweren Worten die Ursachen von der Noth des Land-
manns geschildert , aber es darfauch die in der Natur des Land-
baus gegründete Verschiedenheit der Ernten nicht ünerseheö
werden. Ein wichtiges Gut , vön dem man bald viel mehri
bald merklich weniger gewinnt, als man braucht, mufs not-
wendig einen sehr verschiedenen Preis haben, und die anderen
Ursachen, welche die Preisveränderungen gröfser oder kleiner
machen, sind nur accessorisch,
XI. Gewerbs- und Handelsgewächse.
(Der Beschlufs folgt.?
I
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N. 3t 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Rudhart, über den Zustand des Königreichs Raiern.
ihetchlnfs.)
Xtl. Viehzucht. Der Zahl nach sollte man die Rind*
Vieh- und Scbaafzucht flir gut halten, da auf fünf Morgen
Acker ein Stück Rindvieh und auf acht Morgen ein Schaar!
trifft. Aber unter den Schäafen sind nur wenige Merinos»
und däs Rindvieh ist von schlechtem Schlage, woran Unwis*
Senhett viele Schuld hat. — Statt ärztliche Hülfe zu gebraut
dien j gind 1820 gegen 18Ö0Ö und 1821 dogär 30000 Menscherl
mit k ran kein Viehö nach Griesbach gevvallrahrtet.
XIII. Pferde zucht. Es kommen hier die in Baiern
vielfach besprochenen Angelegenheiten des Militärgestütes
zur Sprache* Der Verf. erklärt Sich für die Erhaltung des-
selben,
XIV. Vertheiluhg des GruhdbeS i tzes. Wären
die auf der 41* Tabelle verzeichneten Thatsachen früher be-
kannt gewesen , so hätte man daS Wahlgesetz zweckmässiger
einrichten und den Ue beistand vermeiden können, dafs 1 1 Land-
gerichte gar keinen wählbaren Grundeigentümer haben*
XV. Ueber die Ursachen des gegenwärtigen
Zustandes der Land wi r t bsthaft und die Mittel
zür Verbesserung desselben. Wichtig und lehr-
reich.
XVI. Dieser vier Bogen starke Abschnitt enthält den,
der Ständeversammlung von 1822 vorgelegten , aber nicht zur
Abstimmung gekommenen Entwurf eines neuen CultUrgesetzes
mit Abänderungen und Erläuterungen unseres Vfs. Obgleich
wenige Leser in einer Darstellung des Zustandes von Baiern
diesen Excurs Über einen speciellen Verwaltungsgegenstand
zu finden erwarten möchten , so tnufs doch die Gabe ihres
Gehaltes willen mit Dank angenommen werden. Wir wollen
nur bei einigen Sätzen verweilen. Die Bestimmungen , welche
die Cultur öder Weideplätze begünstigen sollen, kann Ree.
XIX. Jahrg. 5. Heft. 3t
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48fc Rudhart, über den Zustand des K. Baiern.
nicht ganz billigen, weil es ihm ein Eingriff in das Privat-
eigenthum scheint, wenn Jeder ein als Weide liegen geblie-
benes Grundstück in Anspruch nehmen darf, um es anzubauen.
Die bisherigen Culturgesetze in Baiern sind oft genug als zu
ungestüme Antriebe zur Urbarmachung getadelt worden , es
ist also kein eigentlicher Rückschritt; wenn man den natür-
lichen Gang der Dinge mehr als bisher walten läfst. Der "Vf.
nimmt zwar im §. 3. künstliche Weiden aus, aber hierunter
pflegt man blos angesäete au verstehen , es könnte also nach
dem Entwürfe der Eigenthümer einer Weidekoppel, die er
zur Viehmästung, zur Pferde- oder Schaarzucht u, s. w. vor-
trefflich brauchen kann, gezwungen werden, sie abzugeben
oder selbst unter den Pflug zu nehmen. Natürlich wird jeder
Eigenthümer, wenn das Grundstück nicht ganz schlecht ist,
den eigenen Anbau vorziehen, man weifs aber, dafs die Aul-
dehnung der urbaren Fläche in vielen Fällen weniger nützlich
ist , als eine bessere intensive Cultur. Wie manche W eiden
giebt es an Abhängen, die zum Umbrüche nicht geeignet sind,
die aber ein Culturlustiger , der dabei nichts zu verlieren hat,
wenigstens des Versuches willen in Anspruch nehmen wird.
Gemeindegrundstücke mögen andere Behandlung zulassen, bei
den öden Ländereien Einzelner aber würden die vorgeschla-
genen Bestimmungen noch mancher Einschränkungen bedür-
fen , z. B. dafs sie nur von Plätzen gelten, die nicht einmal
beweidet werden. Sollte man nicht ruhig erwarten dürfen,
dafs bei'm Zunehmen der Bevölkerung , des Capitales und der
Betriebsamkeit die Grundrente steigt 9 und der Eigenthümer
seines Vortheiles willen diejenige Benutzung wählt, die dem
allgemeinen Bedürfnisse entspricht? Eben so viel läfst sieb
gegen den Satz einwenden, den auch schon die bisherigen
Culturgesetze haben, dafs die Weide der Cultur ohne Ent-
schädigung weichen inuls. — Empfehlenswerth ist es, dafs
die Laudemien und andere gutsherrliche Prästationen nach
dem bisherigen Werthe des öden Grundstückes fixirt werden
sollen. Die gänzliche Freigebung der Privatforstwirthschaft,
selbst der Rodungen , riebt Besorgnissen Raum , deren Ent-
wicklung hier zu weit führen würde; wie sehr man auch dem
lästigen Einmengen des Staates in die Forstwirthschaft der
Bürger abgeneigt seyn mag,* so raufs man doch, schon aus
klimatischen Rücksichten , Beschränkungen des Ausrodens von
Waldungen, welches in Gebirgsgegenden die gröfsten Nach-
theile verursachen kann, für nöthig halten. Das fünfte Ca-
pitel, von den Lasten der Grundeigentümer , hat der Verf.
neu hinzugefügt. Es war von seinem hellen Blicke zu erwar-
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Pankowukj's Geschichte slavischer Volker. 4"83
-
ten, dafs er auf die Milderung und Ablösung der bäuerlichen
Lasten Bedacht nehmen würde, und man wird bei seinen Vor-
schlägen wenig zu bedenken finden , aufs er etwa , dafs der
§. 36» Moderation der Lasten wegen bisheriger Ueberjastung
betreffend, nähere Bestimmung, wie der Reinertrag auszu-
xnitteln sey , erforderte, und dafs die Umwandlung des Frucht-
zehnten in eine jährliche Fruchtgilt in theuren Jahren eine
unerschwingliche Last hervorbringen würde.
Mit Verlangen sieht Ree. dem Erscheinen eines zweiten
Sandes entgegen.
K. H. R a u.
Gregor Dankowszky 's Fragmente zur Geschichte 'der Völker un~
garischer und slawischer Znnge , nach den griechischen Quellen
bearbeite^* Pj*«/f&firg, 1825, Erstes Heft, Urgeschichte der
Völker slawischer Zunge. 52 S. 8. 12 Gr.
Ks gibt in dem Alterthume wohl wenige Völker» welche
in die Geschichte so thätig eingreifen , und dennoch eigent-
lich so wenig gekannt werden, als die Skythen. Unbesiegbar
durch die Natur des Bodens, auf dem sie nomadisirten , und
durch die Lebensart, welche nothwendig bedingt war durch
die Beschaffenheit ihres Landes, bewohnten sie friedlich die
ungeheueren Steppen, welche das südöstliche Europa und die
Hochebenen Mittelasiens einnehmen, und nur ein äufserer
Anstois bewog sie zu der Ueberzügelung, womit sie zur Zeit
des Kyaxares Vorderasien überschwemmten. Da aber diese
Eroberung von kurzer Dauer war und sie nach acht und zwan-
zigjähriger Herrschaft wieder in ihre Steppen zurückgewor-
fen wurden, so li^gt uns ihre Geschichte, bei der übrigen
Abgeschiedenheit des Volkes, sehr im Dunkel, und wir sind
beschränkt auf wenige unzusammenhängende Begebenheiten«
Denn alle einheimische Quellen, die etwa vorhanden gewesen
seyn dürften, sind verloren. Eben so auch die Persischen
Nachrichten. Die Griechen aber standen nie mit den Skythen
in genauerer Berührung, denn es fehlten die beiden nie tische n -
verknüpfenden Wege, Krieg und Handel. Die Feldzüge
Alexanders des Groisen streiFten nur an das Gebiet; und der
Handel konnte seinen wohltbiitigen Einflufs auf Erweiterung
der Kenntnisse hier nur in unbedeutendem Grade ausüben , da
die wenigen griechischen Kolonien an der Nordküste des Pon-
tusEuxinus, als Pflanzstädte von Pfiatizstädten , nur in losem
31 *
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484 Dankowsik/s Gebuchte slawischer Völker*
Verbände mit den griechischen Mutterstaaten standen. Di©
genaueren Nachrichten über den merkwürdigen Erdstrich, an
dessen Saume sie wohnten , und das Volk, mit dem sie ver-
kehrten , Waren also wohl schon für die Griechen verloren;
für uns sind sie es gewifs, und wir sind beschränkt auf die
Nachrichten, welche einzelne Griechen zufällig oder mit Ab-
sicht in den PflanzstUdten an der Skythischen Küste einzogen,
und deren Zuverlässigkeit, nur durch die Glaubwürdigkeit
des Erzählers bedingt s durch Mangel an Kenntnifs der Sprache,
Sitten u. s. W. der Skythen, und dadurch Sühr getrübt wird,
dafs bei den meisten eigene Ansicht fehlte, die durch Hören-
sagen nicht ersetzt wird. Dadurch ging natürlich alle ethno-
graphische Genauigkeit nothwendig verloren , und die Grie-
chen befafsten unter den» gemeinschaftlichen Skythennamen
alle die Völker, von denen sie erfuhren, dafs sie in den Euro-
päischen oder Asiatischen Steppen nomadisirten. Gleichheit
der Lebensart verleitete sie zu dem Schlüsse auf Gleichheit
des Stammes, und so finden wir Skythen an der Donau und
Skythen als Nachbarn der friedfertigen Seren. Zu einer be-
stimmtet! klaren Einsicht über dieses Volk haben es die Grie-
chen wohl eben so weriig gebracht , als sie z. B. mit den Kel-
ten und JVethiopen in's Beine gekommen sind, Im Gegen-
theile War sicherlich jene weitschichtige Benennung die ziem-
lich allgemein herrschende, wenn auch einzelne Forscher das
Unrichtige und Unbestimmte derselben einsahen und, indem
sie die Völker absonderten s die nicht zusammen gehörten, den
Umfang des Skythenvolkes in engere Gränzen wiesen. Daher
die Streitigkeiten, ob dieses oder jenes Volk Skythisch sey
oder nicht. Der Beispiele könnte eineLegion aufgeführt wer-
den; hier nur einige der zunächst liegenden! Herodot (I,
20 i.) hält die Massageten für. ein eigenes Volk; jedoch mit
dem Zusätze! sifft 5« olnvs; na) <rxu3mov Xdyovtri toüto ro t'9vo; g»va/.
— » Diodor. Sic. II. pag. 128. Bipont., Stephan. Byz. u A,
nennen sie geradezu «5v«5 r>tuStüv. — Dielssedonen unterschei-
det Herodot (z. B. IV, 27*) von den Skythen; Hekatäus bei
Steph. Byz* nennt sie ein Skythisches Volk* Derselbe Fall
ist bei den Taurern, Sauromaten u* a. Wer demnach Unter-
suchungen anstellen will über die Skythen, mufs vorerst eine
sorgfältige Sichtung der verschiedenen Vorstellungen und An-
gaben vornehmen, und den Begriff, Umfang und die. Begren-
zung des Volkes genau feststellen ; er muls erst den Grund
reinigen, auf dem er bauen will. Nur so kann die Unter-
suchung zu einem sicheren Ziele führen. Aber gerade diese
Grundlegung ist es, die Ref. an dem anzuzeigenden Werke
■
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I
Dankowsiky's Geschichte sla wischet Völker, 485
gänzlich vermifst. Der Hr. Verf. erklärt «ich Ober die Sky,
then im Allgemeinen durchaus nicht, sondern hUlt sich
ausschliefsend an die Beschreibung Herodots, ohne auf etwas,
anderes ilücksieht zu nehmen, und leitet dann vqn diesen He-
rodotischen Skythen die Slawen abi ein wo möglich ebeu sq
Weitschichtiger Begriff,
Der Hr. Verf, sticht seine Meinung, die übrigens keines*
Wegs neu ist, Ruf etymologischem oder linguistischem Wege
begründen, So gewifs es auch ist, dafs 5urachahnlichkeitf
wenn sie au andern, historischen beweisen kommt, von
grofsem Gewicht ist, eben so gewifs ist es auch, dafs man
auf eine solche Aehnlichkeit allein keine sicheren Forschung
gen begründen kann, wenn von der einen Sprache nur ein-
zelne wenige Wörter übrig sind, deren Bedeutung uns
«och dazw nieist unbekannt ist. Um eine zu Folge-
rungen berechtigende Vergleichung anstellen zu können, ist
unumgänglich uothwendig , dafs vqn beiden Sprachen wenn
nicht zusammenhängende , doch wenigstens der Bedeutung
nach fest bestimmte Ueberreste vorhanden seyen.. Di« Anaahl
der Wörter aber, die uns pebst ihrer Bedeutung von
^er Skythischen Sprache übrig sind, ist so unbedeutend, dafs
man darauf wühl keine geschichtliche Behauptung begründen
kann, zumal da der Hr. Verf. gerade bei den meisten dieser
Art die Nachweisung schuldig geblieben ist. Es la'l'st sich
nicht lUugnen, dafs Hr. Dankowszky zu vielen Skythischen
Namen recht scharfsinnig Anklänge und Bedeutungen in den
Slawischen Sprachen gefunden hat ; aber wer bürgt uns da*
für, dafs diese Wftrter im Skythischen wirklich diese Bedeu-
tung hatten? Das Unsichere und Schwankende dieser Ver-
fahrungsart wird dadurch ersichtlich, dafs z, B. Theod. Siegfr,
Bayer in seiner Abhandlung de angine Scytharum , in den
Cumment, Acad. I'etrop. Tum. I p. 379. in denselben Wör*
tern den Finnischen Sprachstamm erkennt, und ohne Mühe
kö nnen wir auch Deutsche Wurzeln darin finden. Wozu
aber «ein solches Hepumtappen imFinstern, wo uns jeder Leit*
•tern fehlt? Ks ist wahr, dies und das Wort konnte diese
und jene Bedeutung haben. Aliein hatte es dieselbe auch?
Die Namen der Skythischen Gottheiten erklärt der Verf. auf
folgende Art; fqfari, Siaw. ta byti d,i, Göttin der Wohnung
(Gut.) — 'A*/*, &tew, Aupiga, d, i, die nach un4 nach triiv»
ken.de. (Minder gelungen,) — Oa/^W&ii* Sla.w< tmawy «*a,
«ad, d. i. er hat einen finstera Sita. (Gelungen) — • ^t^tcw^
vom §law. Anrak, Bezauberung, undpas, Gürtel, d, i- die
mit dem bezaubernde« Qttrteh Der Qitqwpi h&\ Herqd. IV,
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486
Dankowszk/s Geschichte slawischer Völker.
59. bleibt unerklärt. Die Erklärung mehrerer Namen «ollen
in der Ordnung angeführt werden, in welcher sie im Buche
vorkommen.
Der Verf. beginnt mit der Erörterung der Sagen, die wir
Lei Herodot IV, 5 — 11. finden. Nach der ersten Sage ist
der Stammvater des Skytbenvolkes Targitaos, des Zeus und
der Tochter des Borysthenes Sohn. Dieses Targitaos soll
Slawisch gewesen seyn und dem jetzigen Stary tata oder Sta-
ry ta entsprechen, d. h. Altvater. So sollen sie ihren Stamm-
vater genannt haben, da sie durch die Länge der Zeit seinen
wahren Namen vergessen hatten und „da das beseligende Licht
„der Offenbarung noch nicht zu ihnen gedrungen, oder viel»
„mehr nach der Zeit wieder aus ihrem Gedächtnisse ver-
schwunden war.« (Ref. gesteht , nicht recht einzusehen ,
was hier das beseligende Licht der Offenbarung soll.) Durch
Einwirkung griechischer Religionsbegriffe hätten die Skythen
ihren Stary ta zum Sohn des rapaios und der Tochter des Bo-
rysthenes gemacht. Aber Ref. sieht nicht ein | warum die
Skythen nicht eben so gut s el b s t s tä n d x g ihr Geschlecht auf
eine ihrer Gottheiten und die Tochter eines ihrer Haupt-
ströme zurückführen konnten, als die Griechen. Warum
denn sogleich Einwirkung Griechischer Religionsbegriffe an-
nehmen V Die Namen der drei Söhne des Targitaos sollen
nach Hrn. D. ursprünglich gewesen seyn: Lipockai (ck ausge-
sprochen zk) d. i. von der Linde; Arpockai (statt Hrpockai)
d. i, von der Kornblume; und Kolackäi, d. i. vom Rade.
Von Lipockai stammten die Auebaten (Vcbaty, spr. Uchaty,
~ Grofsohrig, die späteren Uzen); von Hrpockai die Katia-
u
ren und Traspier (Kazar, Slaw. Zuchtmeister; Trapic, spr.
Trapitsch, Slaw. Plagegeister); von dem jüngsten, der König
ward, die Paralaten (prawalud, oderlid, Slaw. Leute des
Rechts). Mehrere dieser Erklärungen sind ohne Zweifel sehr
gelungen, und würden in Verbindung mit historischen
Beweisen von grofser Wichtigkeit seyn ; allein so lange sie
vereinzelt dastehen, kann man sie doch wohl nur als sinnreich
anerkennen, mit Anwendung des bekannten ben trovato ma
non vero.
Ref. erlaubt sich hierbei einige Bemerkungen über diese
Sage. Der Name Targitaos scheint in diesen Gegenden nicht
ungewöhnlich zu seyn. Wenigstens finden wir ihn aufser
Herodot als königlichen Namen in der vom Verf. angeführ-
ten Stelle Theophylact.l I, 6. (Ta^V/o; nZ rwv 'A^cov <J)uAu>
QtßAsirro;) und als Name einer Königin der Mäoten bei Polyän.
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Dankowizky's Geschichte slawischer Volker* 487
VIII. C. 55. (TifYarauJ Maiwri; iyjfJLaro 'Enata/a* ßafftXat 27vrcui>, c7
vipovrott fj.tv.<jGv avw ßoffropou").
Die drei Söhne des Targitaos Leipoxa'is, Arpoxai* und
Kolaxa'is können nach Herodots eigener Erzählung nicht wohl
als Gründer ihrer Stämme betrachtet werden , sondern nur
als Repräsentanten derselben. Denn es heilst ja gleich
anfangs IV , 5. ain toutwv agy^cvraiv x. t. A. und rovj ir%e(TßvTk'{ov$
a$*A(J>*ou$ tijv ßaviXvfi^v traerav vafO&oZvcu rZ vfieuraTw. Ueber wen
sollen sie denn geherrscht haben? Ueber sich selbst? Und
die Regierung über wen? überliefsen sie denn ihrem jüngeren
Bruder? Es scheint daraus zu erhellen , dafs man diese drei
Brüder als Vertreter ihrer Stämme betrachten müsse, ßetrach-
ten wir ferner diese Eintheilung genauer, so liefse es sich
wohl wahrscheinlich machen , dafs sie auf keiner politischen
Verschiedenheit beruhe , sondern vielmehr castenartig sey.
Schon die Art, wie Herodot sieb ausdrückt, scheint darauf
hinzudeuten, rovrov; reuv EKuSfc'uuv, ol Axiy^arat , yivof naXiovrai'
— oi Kor/afeY t« xai T^amtf xaXf'ovra/. Bei dem dritten Bruder
findet eine Verschiedenheit der Lesart statt: einige lesen näm-
lich dtro hi tqv vsmvarov avHtuv rou; ßaff/Avjas, andere" Tou ßum
9i\$q<;. Wäre es dem Ref. erlaubt, so möchte er econjectura
eine dritte aufstellen, rot; /3<arfA>jious. Wir hätten demnach
vier Casten, die Faralaten , Auchaten, Katiarer und Traspier.
Die vornehmste, eine Adels - und Krieger-Caste, sind die Pa-
ralaten, die ZxuSai ßavtXyjlot, ol Spfftoi t« x«i TAt7<rrei » xai tou; ÄtX«
Aou; vofxtiovrss Exu&a; ocvAcuj <r(J)6T^ou, shat , wie Herodot IV, 20.
In besonderer Beziehung auf diese Stelle scheint zu stehen He-
rod. II, 167, wo er von der Aegyptischen Priestercaste (die
Casten nennt er dort auch yivsa) redet und ihrer Verachtung
der Handwerker, und nicht zu entscheiden wagt, ob die Grie-
chen dies von den Aegyptiern gelernt hätten, ooiwv xai O^t^i
> "C »t\ » J - *%% » J ~ . ^
ysvvato
Ae/*ov dvufxivove* '
Diese Caste der Paralaten nennt Herodot IV, 110. 2*tea;
fttu&om*; denn die Stadt Kremnoi, welche hier im Lande der
freien Skythen liegt, wird cap. 20. in das Land der könig-
lichen Skythen verlegt. Das Uebergewicht der Paralatencaste
scheint auf religiösen Vorstellungen zu beruhen, wenigstens
wird es begründet durch ein Zeichen vom Himmel. Kolaxais
theilte das Land unter seine drei Söbue und bildete so drei
Königreiche, von denen das eine bedeutend Pröfser war, als
die andern, in dem der heilige Tflug u. s. w aufbewahrt wurde.
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488 Danko^sikv** Geichiclito slawischer Völker.
Auch hatte dieses wahrscheinlich eine gewisse Oberherrschaft
über die *wei übrigen. Bei dem Einfalle des Darius stellte das
gröfsere Königreich Ein Heer, die zwei kleineren zusammen
ebenfalls Eins; s. Herpd. IV, 120.
Uebrigens dürfte diese Sage wohl nicht zu den ürsagen
des Skythischeu Volkes gehören ^ da das L<and um den Bory-
•thenes sicherlich nicbt Ursjtz der Skythen ist. Da s\e aber
ganz besonders auf dem Borysthenes heruhtf sq mufs sie in
eine Zeit gehören, wo sie schon langer an diesem Flusse ge-
wohnt hatten und theilweise zum Ackerbau überzugehen be-
gannen* Denn dje Nachricht von ursprünglich ackere
bauenden Skythen, die erst von den Thraziern bedrängt zur
nomadischen Lebensart übergegangen «eyen , wie sie uns Eu-
jtatb, ad Pionys. ^erieget. 551. p. 80. und $65. p. 91. ed. U.
Stephan, 1577. giebt, hält lief; für eine Verwechslung de?
Namen, und halt diese Skythen für ein ganz anderes Volk,
Welchesj Stephan. $yz. anführt £xtea,, «>o5 0^*,cv , und Eu-
aUth. ad Dionys. Perieg. 728. n. 97. jcrav K Inte«, x«i 0?«kiC»
#vo;, o} \ mi Ne/*a<a, «X^ovro; Wo schon aus der Ar* des Aus-
drucks hervorgeht, dals Eustathius diese Skythen von den
andern; unterscheiden wi«. Doch a^iese Untersuchung würde
*^ weit abführen., ' ' *
- . Be\ «^weiten Sage, welche Herodot IV, 8 - 10. aus-
führt, ist die griechische Form unverkennbar; aber eben so
gewils darf man auch wohl annehmen, dafs Skythische Ele-
mente zun, Grunde liegen, die pur von den kriechen nach
ihrer Ar* behandelt wurden. Auffallend ist in dieser £rzäh.
tr&M r~L*hnU*Z d- 5chlangenmädchenst' mit dem Hera-
kles drei Sohne zeugte. Schon Humboldt in seinen Vues de
fconfcll^rei et . monu.nens des neuples indigene« de l/Ämerique,
Paris 1816. hat auf die häu./fge Übereinstimmung aufmerk-
sau, gedacht, Welche zwischen den Sagen der Mexikaner und
denen oVr Völker Hpchasjens statt findet. Ljen angeführten
Beispielen «ey es erlaubt dieses, beizufügen. Dieser grofse
^rsqher sagt «. a,. O. S, ?35 £ : U grpupe no, Ü. reprlsente
a celöbrefemmeauseruent, CihuacAatl , appelee auls« Out.
latslj pu Tqnacph.ua, /fernrne de nQtre chairf - Les Mexi-
...... .«Mfa P m QiYinites rl'^nahuacj on la voit toujour*
renresentee^ rapport ayec uq graod serpent/ tes plus an-
Cannes traditiqns des peup|es remqntent £ un e^at des choses ,
QU la terre cquyerte de marais etait habite'e par des couleuvres
et d autres auiu^aux k taille gigantest|ue; l'astre bienfaisant en
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DankowKk/i Geschichte slawischer Völker. 4Ö9
desseebant ]e sol delivra la terre de ces monstres aquatirjues,
— Uebrigens spielt sowohl in dieser Erzählung , als auch in
der ersten die tyixq eine Rolle; eine genauere Erklärung ge-
hört nicht hieher.
Gehen wir nun iu der dritten Sage über, die Herodot IV,
11 ♦ erzählt (denn Diodor. Sic i|. acheint nur eine Verschmel-
zung der beiden ersten Sagen Herodo ts zu feyn, wenn auch
die Genealogie bei ihm wesentlich, abweicht). Herodot gibt
ihr den meisten Beifall und mit Recht, obgleich sie mit den
beiden ersten nicht in Widerspruch steht. Ohne Zweifel hat
sieden meisten hi stör i sehen Grund und greift passend in
die uns bekannte Geschichte ein. Doch müssen wir erst einige
Schwierigkeiten beseitigen, bevor diese Nachricht für uns
volle Brauchbarkeit erhält. Die Frage nämlich : wo ist das
ursprüngliche Vaterland der Skythen? ist abhängig von
der: welcher Strom, ist unter dem A nix es Herodots und Ande*.
rer hier zu verstehen ? Unser Hr. Verf. scheint keine Schwie-
rigkeit zu ahnen, und erkennt dafür ohne weiteres (wozu ihn
freilich der wörtliche Sinn der Herodoteischen Erzählung
berechtigt) den Armenischen Aras , der sich jetzt in den Kur
(Cyrus) ergiefst, ehemals aber unmittelbar in das Kaspische
Meer einmündete; *. Ritters Erdkunde ?I. S. 8l8 f. Oer
Hr. Verf. gibt uns hier zu bedenken, dafs der Araxes auf dem
Ararat entspringe , und ermahnt uns die Geschichte der Noa-
ebischen Fluth zu beherzigen. Das ist jehon recht gut ; aber
es ist zu bedauern, dafs der übrigens sehr ehrwürdige Noa-
chische Kasten bei vielen bedeutend an Beweiskraft verloren
hat, und bei einer solchen Untersuchung, wie die unsrige,
mu(s ni an doch auch die Hartgläubigen berücksichtigen. Auch
bedürfen wir dieser Beherzigung kaum, da uns der Kaukasus
ohnehin als der grofse Völfcersteg zwischen Europa und Asien
bekannt ist; Wenn uns nur nicht andere Schwierigkeiten in
den Weg träten. Wir brauchen nämlich nur mit einiger Auf-
merksamkeit Herod, IV , 11, und I, 201. zu lesen, um einzu-
sehen, dafs man hier durchaus nicht an den Armenischen Ära«
xes denken könne. Die Skythen sollen nämlich ursprünglich
auf dem rechten Ufer dss Araxes gewohnt haben* neben ihnen
die Massageten , die Nachbarn der Issedoneu. Von
diesen bedrängt gingen sie über den Arar.es nach Europa über
(denn vorher hatten sie in Asien gewohnt), vertrieben die
Kimmerier, die im nachmaligen Skythien wohnten , aus ihren
Wohnplätzen , verfehlten sie aber bei der ferneren Verfolgung,
indem die KiuiHierier längs dem Pontus Euxinus flohen, die
Skythen aber längs dem Kaukasus zogen, so dafs sie das Ge-
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490
Daokowszky* Geschichte slawischer Volker.
birg zur Hechten hatten. Dieser Weg mufste sie nothwendig
zum Araxes führen , und ihren Feinden 9 den Massageten (ge-
setzt nämlich, sie hätten am Araxes gewohnt), gerade in die
Hände. Aber sie gingen ohne Hindernifs, über den Strom
(also in ihr altes Vaterland?) und fielen in Medien ein. Wer
möchte dieses zusammen reimen? Man ist auch so ziemlich
einig in der Meinung, dafs Herodot hier geirrt haben müsse;
um so mehr ist es zu verwundern , dafs unser Hr. Verf. ganz
arglos bei dem Armenischen Araxes stehen bleibt, fast möchte
man glauben, aus besonderer Vorliebe für den Ararat und die
Arche Noahs, denn darauf wird zweimal, S. 9 und 17, ange-
spielt. Nur entsteht noch die Frage, mit welchem andern
FJusse verwechselt Herodot und Diodor (denn auch er ver-
legt den Ursitz jenseits des Araxes; diesen Armenischen
Strom ?
Die Namen Araxes, Tanais, Jaxartes sind eigentlich Ap-
pellativnamen und in den Gegenden am Fontus, dem Kaspi-
scben Meere und Aralsee sehr gewöhnlich ; s. Ritters Erdkunde
II. S. 658. Den Araxes rinden wir sogar im alten Namen des
Feneus wieder, und die Etymologie des Steph.Byz. s. v. 'Af#j{
dürfte schwerlich grofsen Beifall finden. — Durch diesen Um-
stand wurde schon in den ältesten Zeiten Verwirrung in die
Geographie gebracht, und mannigfache Verwechslung veran-
lafst. Zwar glaubt Ritter (Erdk. II. 658.) alle Fälle durch
blofse Namens Verwechslung erklären oder entschuldigen tu
können, indem Herodot faktisch Sihon, Araa und Wolga
unterscheide. Aber in unserm vorliegenden Falle ist doch
wohl kaum zu bezweifeln, dafs Herodot durch eine Namens-
gleichheit zu einer faktischen Verwechslung verleitet wor-
den ist. Denn I, 202. beschreibt er ganz bestimmt den Ar-
menischen Araxes , und doch mufs er eben so gewifs einen
andern Flufs meinen.
Schon Tb. Siegfr. Bayer in seiner Abhandlung de origh*
Scyth. in den Commentt. Acad. Petrop. Tom, I. p. 395.
die Vermuthung auf, unter dem Araxes Herodots dürfte die
Wolga zu verstehen seyn; und in der That läfst sich für diese
Ansicht so viel sagen, dafs Ref. nicht ansteht, ihr beizutre-
ten. Er will daher die Gründe angeben, die ihn zu dieser
Meinung bestimmen. Per Araxes ist Gränzflufs zwischen Eu-
ropa und Asien (S^'Sa; oUicvra$ iv 'Aar 3 o\'f&Su **■
ßavra; xora/xov 'A%a*ea «Vi yZjv tjJv Ktjut^ngv , r»v mmm vvv vipovrat Xu»*-
&at Herodot. IV, 11. Mit dem Uebergang des Araxes
übertraten sie also die Gränzscheide der beiden Erdtheile.)»
und zwar so, dafs er Asien gegen Osten hat, Europa gf&ea
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DankowsskyV Geschichte slawischer VSHcer. 491
Westen; denn die Massageten , die unmittelbaren Nachbarn
der Skythen in ihren Ursitzen, wohnen nach Herod. I, 201.
yjw ra Kai 5jX/cu dwuTokdi » ir^v tcu 9Afd$sw xora^ou ; ferner be-
sitzen sie (Herod. I, 204«) einen bedeutendan Theil der unab-
sehbaren Ebene im Osten vom Kaspischen Meere (also wob!
bis etwa an den Ochus, oder »wo wir sonst die Gränzscbeide'
annehmen wollen ; zu dieser Untersuchung gehört es nicht«
Vom Aralsee hatte Herodpt sicher keine Kenntnifs.); auch sagt
Dionys. Perieg. 739. — — dvroh'ijvh vs^v K«Xa$ovro; 'AfaSfit»
M-Cunraytrat vatov<rt9 Sctuv Qvt^s; oivrwv. Der Strom mufs sich
also von Norden nach Süden in das Kaspiscbe Meer ergossen
haben.
Doch nun legt uns abermals Namensgleichheit und die
Unkunde der .Griechen fast unbesiegbare Schwierigkeiten in
den Weg, gleichsam als ob die Wassersysteme des Aral und '
Kaspischen Meeres von jeher bestimmt gewesen wären , den
Geographen ein Kathsel zu seyn. Wir sehen uns nämlich ge-
nöthigt, noch eine Verwechslung des Namens des Araxes; mit
dem Tanais, und zwar nicht dem, der sich in das Mäotische
Meer ergießt, anzunehmen; denn so gewifs der Name Araxes
mehreren Flüssen zukommt, eben so gewifs ist auch die Be-
nennung Tanais ursprünglich hur appellativisch. Wir haben
oben den Araxes kennen gelernt als Gränzflufs zwischen Eu-
ropa und Asien; jetzt müssen wir den Tanais als solchen be-
trachten, und Ref. wird sieb bemühen, Gründe aufzustellen,
aus denen sich die Einerleiheit dieses Araxes und Tanais und
der Wolga ergeben dürfte.
Aristoteles in Meteor. I, 13. erzählt,, $H Ha$va<ro\) (über
diesen Parnasus, den Parapamisus, s. Eustath. ad Dionys.
Perieg. 737.) fliefse der Choaspes. und Araxes ; toutou 3J o Ta-
va»5 dtoaviifiTat /utepos cuv tj)v Mawirtv Xi/uiv>jv. Vortrefflich palst
zyr Erklärung dieser Nachricht die Notiz des Ftolemäus : fori
y.a\ ird%a tou *Pgc -xora^oZ £k/3oX>) , x\ytct3i$ovaa ryj toG TavaT5o$» WO
Vossius ad Melam wohl mit Unrecht «V/otgc^jJ vorschlug , weil
ihm vermuthlich die Meinung unbekannt war, welche den Ta-
nais (Don) nur als den einen Arm eines andern Stromes be-
trachtete. Beider angeführten Stellen bedient sich schon Bayer
a.a.O. und zwar mit Recht; ob dagegen die von ihm benutzte
Stelle des Onomacritus (Orph. Argonaut. 752.) in dieser Un-
tersuchung von einigem Belang sey , ist sehr zweifelhait;
denn mit welchem Gewissen soll man einer Stelle Beweiskraft
zugestehen, in welcher der Tbermodon, Phasis und Tanais
für Ausflüsse Eines Stromes, des Araxes, ausgegeben werden?
Mit mehr Bescheidenheit läfst Apollon. Rhod. IV, i32 f. den
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492 DankowszVy's Geschichte slawischer Völker
Araxes und Phasis durch den Lykos', einen Arm des ersteren,
in Verbindung stehen. Doch ist hier auf jeden Fall vom Ar-
menischen Araxes die Rede. Eher kann man eine Stelle aus
dem Jtinerar. Alexandra M. c. 79, welches Ang. Mai 1Ö17. in
Mailand zuerst herausgegeben hat, hieher sieben. Der Verf.
dieses mittelmäfsigen VVerkes hat freilich im Allgemeinen we-
nig Gewicht; in der angeführten Stelle gibt er sich sogar eine
lächerJicheBlöfse, indem er eine Meinung noch anfuhrt, deren
Unrichtigkeit «u seiner Zeit schon allgemein bekannt war.
Für uns aber ist er eben dadurch nur um so wichtiger, weil
wir daraus sehen, dafs er alte Quellen vor Augen hatte und
sie, wenn auch ohne alle Kritik, benutzte. Seine Worte sind
folgende: Tanaim. (contendit), qui suhortus e Caucaso in-
gressurustjue hyrcanum tnare Asiam Europaintfue dispertir.
Ejus pars fertur Tanaidos humo Asia paludibus Maeotis emer-
gere denuo, causasque Euxino dare , ut Curau quo volvitur
tirgeatur. Weit wichtiger ist uns indefs die Erzählung Poly-
Jclets, die uns Strabo , obgleich verwerfend, mitgetheilt hat,
XI. p. 465 — 468. ed. Tzsch., der Tanais ergieise sich in das
Kaspische Meer, bis zu ihm, d em Gränzflusse zwischen Eu-
ropa und Asien , habe Alexander das Land erobert. Strabo
wirft den Lobrednern des Macedonischen Eroberers vor, sia
hätten aus Schmeichelei Verfälschungen in der Geographie
vorgenommen. Um nämlich den Alexander als Besieger von
fana Asien darzustellen, hätten sie den Jaxartes, bis zu dem
ie Macedonier kamen, und den Tanais (in Strabo's Sinne
den Don) verwechselt, und alsdann das Mäotische und Kas-
pische Meer in Eins zusammengezogen, weil der Tanais sich
in das erstere ergiefse , a>r andere Flufs aber, bis au welchem
«ich Alexanders Eroberungen erstreckten, in das Kaspische
Meer, für welchen Zusammenhang sie sogar Beweise vor-
brächten* Aber hier dürfte doch wohl Strabo dem Polyklet
Unrecht thun, der in diesen Gegenden vielleicht bewanderter
war, als sein Tadler; wenigstens mochte es einige Schwierig-
keiten haben, den Jaxartes qhne Umwege in das Kaspische
I\Ieer zu führen mit Umgehung des Arals. Strabo, so wie
auch PK nius VJ, l8, mifs verstanden den Polyklet und die
Seiner Meinung waren, wenn sie sich unter dem von ihnen
erwähnten Tanais den Don dachten. Dieser war den Griechen
bei seiner Mündung schon viel au bekannt, als dafs man bei
den Geographen Alexanders des Gräften eine solche Unkunde
oder Unverschämtheit annehmen könnte. Der Tanais, dessen
ndung Polyklet in das Kaspische Meer angibt, ist di*
Wolga, deren Bifluenz man, nach dem Obigen , annahm. Als
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»
Danko\v.,Ek/a Geschichte sljwlscher Vtflker. 493
■
Beweis führt Polyklet an, fyfs jenseits dieses Flusses (vom
Standpunkte des Macedonischen Heeres aus) die Skythen
wohnten, welche sich solcher Pfeile bedienten, die von Tan-
nenholz waren; Asien aber (njv a%iv *a) rJjb tr^s Ttu ) brachte
keine Tannen hervor; folglich sey das jenseitige Ufer des Flus-
ses Europäisch, der Strom die Gränzscheide Europa's und
Asiens, so wie er auch genau die Gränze des Nadelholzes an-
gibt» So erklärt Ref. die Stelle Strabo's; ganz etwas andere«
hndet Ritter darin, Erdk. II. S. 658 f. Er nimmt den Tanaia
Folyklets für den Jaxartes (Sihon), und bedient sich dennoch
der Bemerkung, „dafs in dein Lande am Tanais, welches den
Europäischen Skythen (d, h, im Norden des Sihon) zustehe*
nur allein Nadelbolz wachse; in Asien, d.h. im Süden vom
Sihon, aber nicht.« Eine weitläufigere Prüfung dieser
Meinung würde uns zu weit führen; nur ist auffallend, wia
Polyklet in Be zug auf den Sihon sagen konnte rjv'Aff/aii
<n}v ccvcw vMt rtjy Tpoc so*; auch möchte schwer au beweisen
seyn, dais man je den Jaxartes als Gränzflufs zwischen Eu-
ropa und Asien angenommen habe. — Von demselben Tanaia
erzählt Arrian. Exped. Alex. III. pag. 147. «d. Gronov. L. B.
1704» er entspringe auf dem Kaukasus und ergiefse sich in
das Kaspische Meer. Ausdrücklich unterscheidet er ihn von
dem gleichnamigen Strome, den Herodot unter den Sky tau-
schen Flüssen aulzählt. Auch dieses weiset uns auf die Wol-
ga; denn es lüfst sich darlegen, dafs sich die Griechen den
Ural und die Werchoturje als Fortsetzung des Kaukasus dach-
ten, und wenn auch die eigentliche Wolga nicht auf die-
sem Gebirge entspringt, so empfängt sie doch Hauptzuströma
von da. Aristobul erzählt (Arrian. a. a. O.), dieser Tanais
heifse bei den Eingebornen Orxantes, ein Beweis für die oben
aufgestellte Meinung, Herodots Araxes sey die Wolga; denn
gewifs ist Araxes und Orxantes dasselbe Wort , nur im Mundo
der Griechen verschiedenartig gestaltet. Ritter (Erdk* II.
S. 517«) meint, dieser Orxantes sey unstreitig der Parteii-
sche Och us oder Tedjen. Sonderbar; und es ist doch der-
selbe Strom, welcher bei Strabo der Jaxartes oder Sihon seyn
sollte.
Wie schwankend in dieser Gegend für uns alle Namen
sind , ist auch noch aus folgender Vergleichung ersichtlich«
Plin. H. N, VI, 10. sagt: includente flumine Jaxarte, quod
Scythae Silin vocant ; Alexander militesque ejus Tanain puta-
vere esse. Eifstathius ad Dionys. Perieg. pag. 10. ed. Steph.
dagegen behauptet, der Tanais (Don) werde so genannt, Uriov
8k ort o *otafA9i eure;, hia to T«ra^*vu>s f«7v Tava'i; iAA>jv«rri naAov/Ji«-
/
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494 Dankowszky's Geschichte slawischer Völker.
v
vo;t 27A/$, tu? tyaai tivs;, wa^a to7$ itegoixourt tuvspat+att Dürfte
man vielleicht bei diesem Silis ah den Kisil Darja (s. Ritter'«
Erdk. II. S. 660 ff.) denken, oder an den Namen Syr Darja,
den allgemein gebräuchlichen für den Sibon an dessen unterem
Laufe i s. Ritter a. a. O. S. 655 und 660. Denn Kisil sowohl
als Syr bedeutet „rothCT, und der Jaxartes *und Kisil Darja
führten diesen Namen von der rothen Farbe des Wassers,
welche von dem Laufe durch die rothe Wüste entsteht. —
Was übrigens die Hellenisirung der Namen Tanais , Neilos,
Thermodon, Araxes angeht, die Eustathius a. a. O. bebaup»
tet , und Steph. Byz. s. v. Tuvai; auf Auctorität des Nikanor
ebenfalls anführt (er hatte nämlich erzählt, dafs auch der Ja-
xartes und Akesines von einigen Tanais genannt werde), w
können wir dieselbe dahingestellt seyn lassen.
Späterhin nahm man allgemein den Don als Gränzflufs
zwischen Europa und Asien an, und für die Wolga ward der
Name Rha herrschend. S. Strabo XI. p. 465. ed. Tzsch. Dio-
nys. Perieg. et Eust. in comment. p. 10. ed. H. Steph. Dio-
nys, v. 660. und viele andere Stellen.
Schliesslich legt Ref. noch seine Meinung vor, wie ihm
der Irrthum Herodots in Bezug auf den Araxes entstanden
scheint. Vermuthlich hatte er die Beschreibung des unteren
Araxes (d. h. der Wolga) von Oriechischen oder Skythiscben
Kaufleuten gehört , und sie pafst auch gut auf die Wolga.
Durch den Nam^n verführt, fügte er aus anderen Nachrichten
die Quellen des Armenischen Araxes hinzu, und daraus ent-
stand die Verwirrung. Die erwähnten Inseln sind die durch
das Stromdelta gebildeten; denn Ref. glaubt nicht, dafs He-
rodot I, 202. so zu erklären sey, als ob sich neun und dreifug
Arme des Stromes in Sümpfen verlören und nur Einer das Kai-
pisebe Meer erreiche; sondern ihm scheint Herodot zu sage":
alle Arme ergiefsen sich in das Kaspische Meer, aber neun
und dreifsig derselben sind seicht und versumpft vor ihrer
Mündung; nur Einer geht rein, offen in das Meer; nlp*1
i^sCysrat rsava^ovrat Ttuv rd iravra, -xhjv svo; , s; sXsd tb K«i rm'
y$a i*dt&o7' to Bs tv twv cTOfxdrwv toj 'Agticgsai $tet 3<a naBa^ou im*
Kaf<>v Bo'Xuceav.
Doch es ist Zeit, dafs wir zu unserm Verf. zurückkehren,
Die Namen der Skythen erklärt er so, dafs Skoloti oder rich-
tiger Zkolotti so viel seyf als „vom (im Slaw. z ~ von) Ko-
lackai; Zkyty — der von der Hüfte abstammende. Erstmüf*te
aber doch erwiesen werden , dafs „S k y t he n « überhaupt ein
Skythisches Wort sey. Herodot sagt ausdrücklich IV, 6,
der Name sey Griechisch. Bayer a. a. O. S. 379. behauptet»
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Dankowsskv's Geschichte slawischer Volker. 495
es bedeute einen Bogenschützen. Die Perser nannten sie
Saken. Herodot. VII, 64. Eustath, ad Dionys. Perieg. 750.
p. 99. «Unter den Stämmen dieses Volkes«, sagt der Ver£f
„zeichnet sich besonders derjenige aus , welcher am Dnepr
blieb, 'und dem Könige Skythi gehorchte; in ihrer eigenen
Sprache nennen sie sieb Zhlawy, d. h, die vom Haupte ab«
stammenden, welches Herodot durch königliche Skythen
ausdrückt. «* Eine gewagte Vermuthung, wohl eines Beweises
bedürftig ! Wahrend also der König Skythi nur von der Hüfte
stammt , soll sein Volk vom Haupte stammen? Auch glaubt
Ref. nicht, dafs Herodot bedeutungsvolle Namen ohne wei-
tere Angabe ti be rset z t. Schwer einzusehen ist ferner , wie
die Griechen Mvon dem Namen Skythi Veranlassung genom-
men haben sollen, ihn von einer Jungfrau abzuleiten, deren
Oberleib bis an die Hüfte Mensch, übrigens aber Schlange
war. «
Von S. 19. an bandelt der Hr. Verf. von den Sitzen der
Völker Slawischer Zunge, ausschliesslich nach Herodot. Wenn
5.20. g**a£t wird: „der volkreichste Stamm Slawischer Zunge
war der ökythische«, so erstaunt man, wie dieses zu ver-
stehen sey; indem daduicb Stammeinheit der Slawen aufgeho-
ben würde. Von welchen andern Völkern stammen denn
die Slawen also sonst noch ? Auch ist es unrichtig, dafs die „
Skythen zu Herodots Zeiten ihre Ursitze noch inne gehabt
hätten« Diese waren ja jenseits des Araxes, Dann geht der
Verf. die Flüsse Skythiens durch. Der Istros soll seinen Na-
ssen haben vom slaw. Ostrow, ursprünglich Istro, d.h. Insel,
„folglich 53 der inselreiche Flufs". Die Ableitung Job. Thun-
rnanns von ist, niedrig, und tir, Land, wird gänzlich ver-
worfen, denn „wer hätte wohl einen Flufs Land genannt*?
Richtig^ aber darf man nicht auch fragen: wer hat je einen
Flufs Insel genannt? Denn wenn auch Istro die Insel heifst,
so folgt daraus doch wohl nicht, dafs Istros ein inselreicher
o
Flufs heifst?! Danubios soll das slaw. Dan hubi seyn , d. b.
er verwüstet die Gaben. Der Vf. freut sich unendlich, diese
Ableitung durch ein historisches Zeugnifs bestätigt zu finden,
indem Stephanus von Byzanz und Eustathius bezeugten, dafs
die- Skythen den Flufs deswegen Danubios genannt hätten,
weil er ihnen vielen Schaden anrichtete. Ref. bedauert sehr,
dem Verf. seine Freude stören zu müssen ; aber hat er denn
auch wirklich den Stephanus von Byzanz und Eustathius nach-
felesen? Steph. Byz. s. v. Auvwßi «agt : anfänglich habe der
lufs Matous geheüsen, welches auf griechisch bedeute uViv>)$
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406 Dankowsiky's Geschfehte slawischer Volker*
(so lasen Tanaq. Faber und Salmasius statt des handschrift.
liehen ,xctc;f wie auch Eustathius hat, weshalb aViugf wöhl noch
nicht fest begründet ist); denn die Skythen seyeh oft ohne
Unfall hinüber und herüber gegangen; einmal aber sey ihnen
keim Uebergauge ein Unglück Widerfahren , und von der Zeit
an hätten sie ihn Üanubis genannt, <2$*s? rcD «W™* *XCÖV +
aitt'av. Enstath. ad Dionys. Ferteg. 299. pag. 42. wiederholt
dieselbe Erzählung und Namensei klärung fast mit denselben
Worten. Wo liegt in diesen Worten der Verwüster der Ga.
fcen? Wo finden wir die häutigen Ueberschwemmungen ?
Warum weiset uns der Verf. nicht auch die Bedeutung von
Matoaa im Slawischen nach? Lassen wir aber die Erklärung
dieses Nairiens aus dem Skythischen dahingestellt seyn. £>er
Strom führte diesen Namen in seinem oberen Laufe ; an die-
sem aber wohnten Germanen , folglich werden wir wohl da«
Danubios den Germanen lassen müssen, ist auch aus dieser
Sprache schon genügend erklärt. Unter den Skythischen Zu-
£üssen der Donau ist der Torata oder Tyretos der Pruth (il.
yo, durch; rata* Feld). Der Tiarant (sl. bleichroth, rötb-
Jich) ist der heutige Sireth; nach Bayer a. a. O. S. 408. die
Aluta. Dor Arar z= Kalmascbi (bei Bayer » Sireth); Naparis
«S Jalomitza; Oredessos — Ardysh. Naparis s sl. Naparjse,
d. h. er blähet sich auf! Ordefs - sl. Hrdj se, d. b. er ist
»tolz* Sonderbar ist hier eine Spracbbemerkung des Verfs.,
die sieb schwerlich grofsen Beifalls erfreuen wird. Herodot.
IV, 48. sagt: cT |i|J *KmU
piaov (nicht ^«Vcv, wie im Buche zweimal steht) towtmv lltoi*
i*ßa\kovtrt es rev'twrpv» Hier will nun Hr. D. ^Veu tövtcbv
iVvrs; erklären: »in einer mittelmäfsigen Entfernung von diesen
sogar den deutschen Uebei setzer J. F.
Degen, der es durch „zwischen« übersetzt. Heifst also He*
rodot, I, 104. rJ hu fxtoiu :£&«•$ vielleicht „das mittelmäßig«
Volk"?!
, ■ . ■ ■
(Üer BetcUuJs folgt.)
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N. 32. . 18m
Heidelberger.
Jahrbücher der Literatur,
Gregor Dankowszky's Fragmente zur Geschichte der
Völker ungarischer utld slawischer Zunge»
XBeschtufs.)
Der Tyras soll genannt seyn vom s1. Tyra oder Teyra,
o, Ii, der Plagende; der spatere Name Danastris zz sl. Gde na
öströ , d. h, er geht scharr". Hypanis zz sl. cbod Pane, d. h.
der Gang des Herrn; später Bog, d. h. Gott. Der Exampäos
ist der sal&ige Ingul zz sl. hezky hampeys, d. i. die schöne
Bahn. Borysthenes zz sl. borj steny, d.h. er reifst die Wände
ein. Der spätere Name Danapris zz sl. Gde na prabi , d. h.
er geht Über Schwellen oder er bat Wasserfälle. Pantikapes
zz sl. Pant wykapi, d. b. er träufelt bie und da aus; heute
Tschernaja, Dolina, d.h. das schwarze Thal. Hypakyris zz sb
Wypachorj'se, d. h. er gebt dick aus. Hierbei abermals eine
merkwürdige Sprachbemerkung. Der Verf. glaubt nämlich,
Herodot hätte IV, 55. ganz gewifs geschrieben: S$ l^lrai
jxi-j sir* XtfJL\>vi; statt 6* Xt'fjtvvj,^ denn da Herodot selbst dort gewe-
sen sey, so könne man ihm unmöglich zumuthen, dafs er nicht
bemerkt laben sollte, dafs der Flufs nicht aus einem See ent-
stehe, sondern in einem See endige; daher sage er t „er geht
auf einen See los und endigt in demselben bei det Stadt
Karkinitis.« Hätte er dies nicht so gemeint 9 so würde er;
wie gewöhnlich dessen anderweitige Mündung angegeben ha*
bert. Also st kf^i soll Herodot geschrieben haben! Hätte*
er aber duch so geschrieben , so fehlte dennoch die Angabe der
Mündung; denn das „in demselben« ist blofser, ZuSatz des
Hrn. Vfs., dem es .auch Schwer werden dürfte, nachzuweisen*
dafs Herodot an der Quelle des Hypakyris gewesen sey. Warum
soll endlich Herodot gerade bei diesem Flusse die Quelle:
ausgelassen haben? Der Gerrhos soll der heutige Konskid
Wodi uud Berda seyn, ö sl. Gde rozf d. h. er geht auä ein*
ander, nach der näher beschriebenen Natur des Flusses; Taa
XIX,>brg, 5, Heft, 33
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498 Dankowsxky's Geschichte slawischer Völker.
nais- sl.Tana* o\ h, stfllea Wasser. KygrU (heute Donet«)
ps ij. Hyrj, d. K. der schwelgende.
Dann folgt hei dem Verf ein Abschnitt „Skythiens ßr-
gänzung«, gahä nach Herodot; darauf handelt er von dem
ebiet der königlichen Skythen oder eigen'tfichen Slawen.
Neue Aufschlüsse wjrd man wenig finden; denn wir erhalten
nichts als eine dürftige Schilderung dtfs Landes, mit einigen
auffallenden Unrichtigkeiten. So werden z. B. die Taureti
ein SkytbischeS Volk genannt, mit Berufung auf Herodot. IV,
20. 99. Iiv der ersten Stelle steht, dafs in Taurien Skythen
gewohnt hätten 4 Welches allgemein bekannt ist. In der zwei-
ten erklärt doch Herodot deutlich genug, dafs die Tanlen —
keine Skythen Seyen. fiuth gehörte ja der König der Tauren
zu den Fremden, mit welchen die Skythen wegen der Hülfe
fegen den Darius unterhandelten. Herodot. IV, 102. 1! 9. —
line andere eigene Meinung stellt der Verf. auf in Bezug auf
das von Herodot erwähnte Kremnoi. Dieses soll sl. einen
Mastviehmarkt bedeuten, und das griechische Bosporus ejne
blofse Uebei Setzung davon seyn. Freilich « ine ganz sonder-
bare tjehersetzung] Gründliche Kentitnifs des Slawischen
hätte der Uebersetzer Wenigstens nicht an den Tag gelegt.
Andere Erklärungen des Namens, freilich aus keiner fremden
Sprache > bieten uns die Griechen selbst, z. B. Aeschyl. Pro«
metb. V. 732 ff. Orph, Argon. 1059. Eustath. an Dionys. Pc-
rieg. p. 24- «d. H. Stepb. — Auch die Krimm soll von ihren
Viehheerden den Namen haben. Mit der Beschreibung des
Übrigen Skytbiens schliefst das erste Heft«
Bei den zu erwartenden Fortsetzungen ist zu wünschen,
dafs sich der Verf, mehr an das Bestimmte oder doch Be-
atimmbare halten, und Sich nicht allzu tief in Behatiptun-
gen einlassen möge, die nur auf Wortäbnlichkeiten beruhen,
aber ohne historische Stütze nur höchst schwankend seyn kön-
nen. Verdienstlicher wäre es wohl und förderlicher für Seine
Meinung, wenn der Verf. alle Wörter sammelte, diefürSky-
tbtsch ausgegeben werden, und deren Bedeutung bekannt ist,
und diese gehörig nachwiese, als wenn er für die FJufsnamen,
die wir doch nur der Wahrscheinlichkeit nach für Skythisch
halten können, Slawische Wurzeln sucht, die, trenn auch oft
gelungen, jedoch bisweilen sehr gezwungen sind.' Ja man
möchte bei dem gänzlichen Mangel geschichtlicher Nachwei-
sung die auffallendsten Wortäbnlichkeiten hör für ein Spiel
des Zufalls halten, da es fast unmöglich ist, anzunehmen,
dafs ein Volk }bei^ gänzlicher Veränderung seiner Lebensart ,
nach weitet Entfernung von seinem alten Vaterlande, in man-
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Sicking Sclmlatlas. 499
higfacher BerOhritng mit vieler! andern Völkern , seine Sprache
durch deH Stürm von zwei und einem halben Jahrtausende fast
unverändert gerettet haben sollte: Fenier wäre zu wünschen f
dafs sich der Verf. uiit den neueren Forschungen mehr bekannt
machte 4 und seihe Untersuchungen aüf ein umfassende-
res Studium der alten Schriftsteller gründete*. Nur dadurch
wird er Licht in die Urgeschichte des so merkwürdiger» Skyi
thenvolket bringen«
Politisch - historischer Schulatlas der oft in Geographie! Nach einer er*
leichter ich Methode, in s&chszthii Uthographirten Blättern ,
titlnirti Vön Dr. F. C L. Sichler Erste Lieferung, i) tfii-
pdniai 2) Gdllia, S) BriUnniät 4) Gerriiania. Cassel t Verlag
von J. J. Bohne. 1825. * fl- 48 kr;
Laut der Vörterle sollte dem von Dr. F. C. L. Si ekler
1824. erschienenen Händbuche der alten Geographie
für Gymnasien und zum Selbstunterrichte ein
Scbiilatlas zur Seite gesehen Werden* der nach einer
das Studium det alten Geographie «ehr erleich-
terten Methode gearbeitet wäre»
Das Handbuch selbst ist seit seiner Erscheinung fast täg-i
Ücti in meinen, Händen h und ob ich gleich weder Zeit noch
Lust bdböi dasselbe zu beuitheilenj sö will ich dbfch äl« Re-
sultat meiner Beobachtungen angeben, daf« dattelbe* was die
B-stimmung der Gränzen Und der Lage einzelner Völker be-
trifft ä meistens ausführlich genug und ziemlich präciÄ ist ^ je-
doch iri der Behandlung der Topographie zu kurz und unsyste-
matisch < und die lateinischen Klassiker «irid durchweg in den
Schatten gestellt. Wie viel hätte der Verf. thun können ,
wenn er< dessen Handbuch doch da* Studiuni der Altert er-
leichtern will* seine Topographie ari den Fäderi der Geschieht«*
nekhüpft hätte 1 Gerne Wurde ihm der Lehrer dei Herodot;
Thucjrdides, Xertophön, de. CiCerO^ Cäsar , LiviuS und Ta-
citug seine Etymolögieeri erlassen haben, die ohnehin j wie
.ehr aich der Verf. darin gefällt, in elri solches rfandbuch
nicht gehören j er würde ihm ferner den gdnzert gelehrten nu-
,ni.ma!iscben Raridapparat erlaben , fände er nur ^aUje^eri
hie und da eine gemeine Note, öb der öder jener Ort südlich
oder nördlich * östlich öder westlich liege, öder wie .weit von
Siele* und jenem. Hat der Verf. nalh Seinem »ch.
dirf Geographie gelehrt* .ö wird «ich ihm dierfe Bemerkung
• 30 *
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500 Sickler'« Schulatlas.
wohl schon Selbst aufgedrängt haben. — Doch meine Sache
ist nur die Beurtheilung des erschienenen Stückes von seinem
Schulatlasse, die ich um deswillen jetzt schon einschicke, da-
mit der Verf. bei dem Uehrigen sich vor Schaden hüte. Die
Charten führen den Titel: politisch - historischer Schulatlas,
und darnach sollen sie auch geprüft werden.
Hier entsteht die Frage: worin unterscheidet sich ein
Schulatlas, besonders ein historischer, von einem alles Mög-
liche umfassenden , ausführlichen Atlas der alten Welt? Eine
Charte der alten Welt, als Resultat der untersuch enden und
vergleichenden Geographie, ist ein Versuch, das antikeLand,
das sie darstellt, in Allem, was es geographisch und topogra-
phisch Bestimmbares davon gibt, sey es merkwürdig oder
nicht, unserm Auge darzulegen. Die Grundlage zu solchem
Gebäude geben die früheren Griechischen Geographen, die
noch selbst zu den Klassikern gehören, dann aber hauptsäch-
lich die Itinerarien , die Feutingersche Tafel und PtoleraÄu«.
Durch sie stellt sich der gelehrte Geograph die sichersten
Punkte fest, durch sie spinnt sich ein Netz über das ganze
Land; und erst von diesen Positionen aus sieht er sich nach
dem geographischen Inhalt der Geschichtscbreiher , Dichter
n. s.w. um, und sucht diesen nach jenen zu bestimmen, auch
wohl jene aus diesen zu berichtigen. Die einzelnen bei je-
nen vorkommenden Oerter sind gleichsam Glieder eines syste-
matischen Ganzen, und der forschende Geograph .ist an die
genaue Verzeichnung derselben, so weit nur möglich, ße-
bunden. Denn das geographische Ganze ist ihm der Zweck
seiner Charte. So wie er sich aber zunächst und hauptsäch-
lich an die alten Geographen selbst hält, so mufs er auch seine
Länder nach ihnen eintheilen, seine Völker placiren. Nun
aber sind die besten geographischen Materialien aus einer Zeit,
die wen.ger oder mehr aufgehört bat, eigentlich klassisch zu
seyn aus einer Zeit wo Namen und L^gen der Völker sich
oft schon verändert hatten, und - wo man auch sehr viel
Oerter mehr kannte, als früherhin, wenigstens Namen der
^Zf ri ^Yn\d'U ^ 8rätern' auGh ^ie frühern,
welches alles dieses deutlich macht, führe ich an ReU
£oJr.pu" ' 61,1 Mei8te"tück ^r wissenschaftlichen
zu miLThll^ Schulcharte
r&St de ?ine Wahre Kleinigkeit. Denn
man braucht sie ,a nur zu verkleinern, und.verhaltnifsmäfsigf
r* ' " ' • 7 ; '
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Sicklei'« Sehulatlas. 501
Namen wegzulassen. Nichts ist irriger und der Natur der
Sache unangemessene r , als diese Ansicht. Denn eine Schul-
charte der alten Welt ist ja nur eine Charte far Schulen, worin
theils die alte Geschichte gelehrt wird, theils die alten Klas-
siker erklürt werden. Die Itinerarien abe; , die Peutingersche
Tafel und rtolemüus enthalten weder lauter geschichtliche
IMamen, nöch werden sie für wahre Klassiker gehalten, noch
in <len Schulen gelesen. Liest man doch sogar fast nirgends
auf Schulen den Polybius, Strahn-, Diodorus von Sicilien oder
Dio Cassius, so wenig als einen Plinitis den älteren und Mela,
obgleich diese natürlich bei Errichtung einer Schulcharte der
Geschichte wegen befragt und verglichen werden müssen. - —
Ein Scbulatlas der alten Welt ist demnach ein Atlas, der die
Summe der Geographie, welche in den Klassikern vorkommt,
mithält, und da dieser geographische Inhalt samt und sonders
für uns Spälerlebende historisch geworden ist, so ist er somit
eo ipso ein historischer, • wenn's auch der Titel nicht sagte;
politisch aber wird er dadurch, dafs in ihm die politischen
Eintheilungen , Einrichtungen und Veränderungen durch ge-
wisse Zeichen bemerklich gemacht sind; enthält aber ein
Land nur eine politische Emtheilung und Einrichtung, nur
einen Status, so verdient eine solche Charte den Namen
einer politischen nicht, nämlich was die alte Welt betrifft.
Ich möchte doch einmal in der letztern Beziehung eine nicht
historische, nicht politische (also nach natürlichen Gzänzea
bestimmte) Charte der alten Welt sehen I
* . *
Aus der Natur des Schulatlasses der alten Welt» als eines
hlos der Geschichte und der Erklärung der alten Klassiker die-
nenden, geht schon hervor, dafs nichthistorische Namen auch
nicht in ihn gehören, wie kann dem Schüler sonst die Summe
der klassischen Geographie sich herausstellen ? Was küm-
mern ihn die Oerter ad Times, ad Tricesimum, ad Herculem
u. s. w, ? was nützt ihm die Wissenschaft von einem Byza-
dum, einer Zeugitana i Der yerfasser eines ausführlichen
und der Verfasser eines Schulatlasses haben zwar ein und das-
selbe Geschäft (und sollten auch eine und dieselbe Person
seyn), jedoch mit dem Unterschiede, dafs jener seine müh-
selige'Arbeit vollständig dtMn Auge darstellt, dieser hingegeh
nicht so viel — und bei weitem nicht so viel — aufgewandten
Fleifses blicken lassen darf; wovon nachher«. Insbesondere
aber ist es das Geschäft des Letztern, dafs er
i) sämmtliche Klassiker selbst gelesen, verglichen und aus-
gezogen habe ;
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60?
SicU^'s SclmlatWi-
2) dafs er «Ich ein nqn plus ultra der Kjassicität annehme,
Leicht lassen sich ja durch £eiphen diejenigen Oerler te«
merken , welche erst unter den Kaisern bis weiter hinab
an das lYJittelmeer vorkommen, so wie auch die spätem
(aber auch nur die geschichtlichen} Eintheilungeu ißtä>
ein Paar Randbemerkungep $
3) dafs er auf diejenigen Autoren hauptsächlich reflectire,
i 'welche in den Schulen gelesen werden, also auf Herodot,
Tbucydiojes, Xenophon, Cicero, Cäsar, SajW, Liviui,
Tacitüs, Cornelius,, tarnt den Dichtern u. s.w., \n IQ,
fern sie nicht der mythischen Geographie angehören [
4) dafs er nun auf feine Charten, diejenigen Eintbeilungcn
Und Qerter trage, we(che sich aus den Autoren heraus
ergeben haben.« VVer z. Spanien recht politisch ein-
theilen will, der theile es, am £bro hin in zwei Theile,
nämlich in Hisnania Citerior und UJteripr vor d«ni zmi*
ten punUchen Kriege; das ganze Land in Hispaniae oder
Hispanjae duae (nach Cäsar, Liviu* und Pliniu»). Dann
nach dem zweiten punischen Krieg« nQci| einmal in flis*
papiae, und die einzelnen Theile ujtei ior d. i. Lusitania,
Vettque« und Baetica bis; nach Neukartbagp, das, (ihrige
— citerior, wie dies Alles kein geographisches Geheim-
nifs ist , war um den TarraQonenais '( \ das Plinius nur
einmal nennt, dagegen citerior mehr als fünfzig-
• ma|, Iri Gallien kam, man ebenfalls recht politisch yef
fdhrep» man giebt Cäsars Ejntheiltuig und die dei A>
fus,tus suiamuien , wenn man wegen Atjuitania ein«
leine Randbemerkung gemacht bat , man j;(st Qe\tfa%
#elgica und frpvinqa stehen. Denn was thut der I***
des Cas.ar mit einem, Lugdupepajs upd £farbpnensis, das,
fcann man ihm an den Rapd setzen. Ip QberitaHen theile
man eip in Citer^pr oder Cisajpini, aber picht en Ciapa-
dana, höcbsteps noch Transpadanj. JV(ati Jasse rpare w>
ternum weg, biß man es. in eipem rö>is,chen Klassiker
findet, und setze lieber nach den Griechen auf die Weit-
hälft* Sardoum mare, wenn man das arrogante römi|cbe
nostrum haty M» s. w> ~
Pazq kqmmt danp poch , als, einet ebep so wichtig«
Sache, eip möglichst vollständiges Verzeichnifs; der in deQ
Klassikern wirklich vorkommenden Berge.. Flüsse und Oerter.
JVJit der Graphik vertraut, ipuft der Autor eine* Scb"M«Me*
je^ep einzelnen Schriftsteller in geograpbiseber ^ücksieb^ )«•
sen, den jedesmaligen Beschreitungen und vorkpipmende"
■
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e
Sicller'a Sclmlatlas, 503
JUisen und Heereszügen genau nachgehen, und durch Hülfe
**Htrr Mittel die 1'usiUuneu bestimmen. Die oben erwähnten
Geographen und Itin^raritn samt den nicht erwähnten sind das
Geitiste, mit dem man den Bau aulführt; sind alle Klassiker
durchgelesen, durchgedacht und verglichest ist das Bestimm-
bare eingetragen, su nimmt man üjs Gerüste wieder weg,
und die Charte ist fertig. — Hierbei -geschieht Freilich nicht
aalten, dafs uns ein Volk, ein Ort genannt wird, den die
Geographie nicht genau zu bestimmen weifs, wenn wir aber
nur 4111114+ r uutmei Ksam auf den Zusammenhang sind , so lüUt
»ich Uer wall räch ei n liehe PlatA doch angeben, und als-
dann muU es in einem Scliulatlul auch eilaubt seyn, ihn zu
J»ezeithneu, denn wir wollen ja das A«»ge des Schülers nur auf
den wahrscheinlichsten Tunkt lixireii, damit er z. Q« das L*iv4-
sehe Mund i nicht für da» Cäsariache halte.
Natu dieseu Betrachtungen , die alle auf die hier zu ver-
handelnde Sache genauen Bezug haben, nehme ich nun die erste
JUieienMig der Sickler'scheii Charten zur Hand, und zwar die
eiste Charte — - I(i*]>.i<iU,
Der Verf. hat Wort gehalten, er hat die Charte nach
einer der besten vorangegangenen Arbeiten dieser Art gege-
ben , es ist nämlich, ganz, bis auf einige unbedeutende
(darf ich eigentlich nicht sagen) A«?nderun^en die Charte — *
Uckerts.
Das ist für die Charte etwas sehr Empfehlendes, denn
Uckerts Ilispania, vornehmlich mit Uckerts Buch dazu, da*
ist (bis auf einige Mangel in der Zeichnung) ein unnahbarer
geharnischter Hilter auf einem geharnischten Hosse. Hütte
iiur der Verf. bei seinem Cupiren dieser Qbarte zweierlei nicht
versäumt! Er hätte erstens Uckerts Charte zuvor genau un-
tersuchen , und sowohl mit dessen Beschreibung als auch mit
einer guten neueren Charte zusammenhalten; zweitens % er
hätte seine eigene abgezeichnete Charte noch einmal mit der
Uckertseifen vergleichen sollen. Den Schaden der Unterlas.
sung werden wir nachher kennen lernen. Verschieden von
dieser ist seine Charte nur darin, dafs auf derselben die Oer-
ter , worin sich Amtssitze befanden , welche Colon ien,. Mu*
meipien waren t wo Schlachten vorgefallen., und sonst noch
einige Sachen mit Zeichen versehen sind^ welches, alles aber
dein Gescbichtlernenden, und dem. Leser der Klassiker nicht
viel 4iAtzt, wenn er nur den Ort auf der Charte findet; das
Nöthige sagt ihm der Ges.chichtleluer oder sein Buch , in dem
er den Ort liest. Und dann sind diese Sachen doch auch nicht
vollständig im Buche, auch nicht ausführlich genug. Hätte
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504 Sicklct** Sclmladas,
, doch der Verf. statt all dieses Schmuckes sich die Mühe gege-
ben , die Oerter aus Cäsar , Livius» Flinius u. A. möglichst
vollständig einzutragen} da doch die gelehrte Geographie durch
seine Charte nicht um ein Jota bereichert wird, — Dafs meh-
rere Positionen anders sind, als sie bisher angenommen wor-
den, daran mag der Steinzeichner den gröfsten Antheii haben;
sollte aber der Verf. die eine oder die andere in Schutz neh-
men wollen, so hat er die Beweise noch zu liefern in dem
Handbuche wäre der schicklichste Platz dazu gewesen. Und
so fehlen denn auf der Charte z. B, aus Cäsar und was
dazu gehört: Bursavolenses, A. Bell, Hisp. 22. Bursaotien-
ses , Fiin. III, 4« Bursao, jetzt Burgos, oder Borja , fehlt
auch im Handbuch, Aspavia A. B. H. 24. fünf Millien von
Ucubis , jetzt Esptfja. Ungefähr in der Mitte kann Soricaria
(im Handbuch wohl nur verdruckt Sorilaria) ihd. gelegen ha-
ben , dies ist auch das Soritia c. 27. Seine Ansicht von dem
Flufs Silicense und der Stadt Segovia (Hirt. AI. 57.) hat der
Verl, nicht in dem Hundhuch gegeben, wo sie doch der Er«
klärer des Alexandrinischen Krieges sucht. Denn nur wenige
Lehrer des Griechischen und Lateinischen besitzen die aus-
führlichem geographischen Werke, sie kaufen sich, um Alles
beisammen zuhaben, ein Handbuch, und Sickler's Handbuch
wäre doch zu so etwas dick genug.
Wollte der Verf. in seinem Handbuch auch etwas von
dem Hirt. AI. 48. vorkommenden Medobrega sagen, so hätte
er vor allen Dingen die Lage festsetzen sollen. Da er dies
nicht gethan, so mufs man annehmen, er sey darin mit Uckert
einverstanden. Aber wie seitsam! Der Ort, der ihm im
Handhuch Medobriga und JVJedubriga beifst, heilst auf der
Charte Mundobriga. Warum ? Weil die aus Uckert copirte
Charte mit dem Handbuch nicht verglichen ist, welches
sich bei diesem Ort nach Mannert richtet, der dabei keines
Mundabi iga's erwähnt, Uckert dagegen hält das Mundobriga
des It. Ant. für eben jenes Med ohrega. Es ist auch nach dem
Handbuch das Mirobriga des Ftolemäus, nämlich 7°;38°,26'.
Das Handbuch hat nach Medobriga noch folgendes: , In der
Nähe von Portalegre mehrere Meribriga." So? w7e viele-
denn? Es giebt nur eines, nämlich das Meribriga des Ptole-
in 3 us, 6°.3o': 39°. 4o'. Das andere des Ptolemäus, von dem
obigen verschieden, heilst in meiner Ausgabe Mirobriga,
5°. 20 : 39°. 45'. 6
Der Irrthum des Verf. röhrt daher, dafs er folgende Stelle
inMannert I, 345. hat abkürzen wollen. Dort heilst es :
«Meribriga und Mirobriga gab es mehrere in der Nach-
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»
fr»»
Sickler*« Schulatlas. 605
harschaft ct , nämlich von Portalegre. — ' Das aber ist noch
nicht das Schlimmste. Hat der Verf. sein Mundobriga auf der
Charte für 'Portalegre gehalten, so gehört es Südwest wärts
von Ammaea gestellt, und zwar schon etwas vom Ursprung
des heutigen Sever-Flüfschens weg; hat er es mit Uckert für
Marvao gehalten, so gehört es nicht an die Stelle» wo Mun-
dobriga steht, sondern vor Ammaea auf seiner Charte, denn
dort Hegt Marvao. Saejus-Flufs (A. B. H. c. 7.) ist der Gua-
dajoz, etwas südwestlich von Corduba auf der Südseite in den
Baetis fliefsend, nordwärts liegt Attegua bei S. Cruz, süd-
wärts Ucubist bei S. Pedro. Beide Oerter konnte man von
Castra Postuuiiana ihd. 8. erblicken. Salsus und Castra Post,
fehlen auch im Handbuch.
Den mons Herminiut bat der Verf. auf der Charte und
im Handbuch , ' er hält ihn mit den angesehensten Geographen
> für die Sierra de Estrella nördlich vom Tajo. Dio Cassius
Und Sueton möchten nicht viel dagegen einzuwenden haben,
desto mehr Hirtias Bell. Alexandr. c, 48, welche Stelle der
Verf. im Handbuch gerade ausgelassen hat. Wenn die ver-
folgten Einwohner von Medobrega sich flüchtig machen mufs-
ten, werden sie wohl in der Gescu windigkeit über den Tagus
gegangen seyn? Mit nichten. Sie wufsten Zufluchtsörter
genug in ihren eigenen Gebirgen, westlich und südlich von
der Stadt. Diese sind des Hirtius mons Herminius, also die
e heutigen M. S. Mamel und S. Pedro.' Warum lül'st man denn
dem gründlichen Mannert in diesem Punkt nicht Gerechtigkeit
, widerfahren? Bei dieser Gelegenheit will ich doch auch et-
was über den saltus Castulonensis sagen. Uckert hält ihn für
• ein zwischen Sisapon und Castulo nordöstlich vom Bätis hin-
laufendes Gebirg (für einen Theil der Sierra Morena) , wel-
ches das Land zwischen dem Anas und Bätis ungefähr in der
Mitte durchschneidet. Nach Cäsar Bell. Ctv. I, 38. stand Pe-
trejus vom Anas bis zum Castulonensis saltus , Varro in Lusi-
tanien und bei den Vettonen. Nun sollte Petrejus zum Afra-
nius in Herda «tolsen, und Varro Hispaniatulterior nicht nur
decken, sondern auch im Zuum halten. Wer nun Hispania
ulterior bis nach Carthago nova ausdehnt, der mufs die Ge-
birgskette von Cazlona an bis nach Cartagena für den saltus
Castulonensis erklären; wer von den Quellen o'es Bätis eine
«üdöstliche Linie ans Meer zieht , mufs die in diese Linie fal-
lenden Berge dafür halten, und so werden wir nicht viel feh-
len, wenn wir die Berge von Cazorle als saltus Castulonensis
annehmen, 'wenn auch schon Castulo in Cazlona gefunden
würde.
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506, SicW^i
Dtf im Bell.Xiv. vorkommende Gctogeaa (im Handbuch;
verschrieben Octosegra) mufs hart, an den JHufs Sicoris , uwl,
wie die Charte hat» auf die linke Seite, der Cinga aber fällt
nicht überhalb Herda in de» Sicoris , denn er ist nicht
der heutige Riba&ortana. Octocesa laß entweder rechts
*.-u<^ Ulm x ompejaner untersucht. Uiese hatten eine
Herd*, verbundene Biflrke gher den Sicgris, G. I, 4<> ,
wolle« den Krirg nacu Cejtiberien spielen , C, 61 , und lasseu
tu dem Ende eine Menge Schiffe nach Qctogesa bringen, ibid.
Dadurch ist die Jq«|tion am Sicoris bewiese«.
Aber wie wollen, sie nuUda.hin ? Sie gehen über den Sicoris,
rechts am Flusse h'«rupter, und werden dann abgeschnitten,
ilso Jag Octogesa rechts. Ferner nach C. 4». hatten die Casa-
laner ihr t»*ger zwischen dem Sicoris und Qnga t in dieser
Stellung sehen sie aich genQthigt, Alles anzuwenden, damit
diese nur nicht auf des Scpris rechte Seite kommen; dies be-
weist, dafs die Casarian«r Kufe», am Flusse Cinga herunter,
staodeu, und dal's jene also Unk« schon vom EImq abgeschnit-
ten waren, Ware der Flufr ftibagortana der Cinga gewesen,
so bitten die Pqmpe^aner bei ihrem intentirtep Kückzuge
kejne Noth gehabt, denn die Feinde wären ja durch den Cinjja
von jbnen getrennt gewesen. Sie, die Pompejaner, brauch-
ten alsdann picht über d«p Sicoris au setzen, sondern unge-
liiMdert südlich, fort Übe* <ie« heutigen Cinca und dann Ober
<ien Ehra, Aber das ware*eb«n, Casar stand schon links
südlicher als sie, »wischendem heutigen Qnca upd dem Sicoris,
dieser heutige QU«a, ist also Casars Cinga.
• Von Casar ge^en wir 411 Livius über. Olcades, Liv.
XXIt 6, mit ihrer Hauptstadt Carteja. Die Sitze der Qlca-
des, werden schon durch, die £üg« ibid. bestimmt »wischen Sa-
guntum und Carthago. Carieja ist nach Ileichard Carcelen^.
lolftlich wären die Olcadee so ziemlich sicher zu setzen , sie
fehlen; aber auf der Charte samt üwrer Hauptstadt. Im Händ-
hueb stehen sie, dort stehen auch p. 23. unter No. 2. die Car-
petani, östlich neben den Keltiberern , westlich neben
dem Lusitanern. Das möchte wohl. unmöglich seyu, wofern
nicht die Carpetani <Jne Fischnatiir halten.
Schwerer freilich sind die Städte Hermandica und A^°*
cala, die Livius a. a. O, Cartejorum urbes nennt, zu bestim-
men. Es ist im Vorhergehenden vqn den, Vaccaei die Rede;
dann hei fs t es : Hermandica et Arbocala, Cartejorum urbes»
5ickier*s Schularten 60V
vi captae, Wenn'a denn nur noch Carpetanorttm hiefse, so
lieft e sich etwa» tagen. Dürfte man anttatt Cartejorum leten
eorum, dann wären heida — Städte der Vaccäer, und man
könnte, wie man auch tchon gethan hat, Hermandica für Sa-
lamanca. Arbpcala für det lt, Am, A|buce}la und ajto für Villa
Fatila halten.
fehlen; die Bargutii , Liv, XXI, 19, 23, östlich von
den Ilergetet. Raum wäre noch; Ibis , XXVlII, 21, jetzt
lbi , südlich von Murviedro. Bei Hlici hätte im Handbuch
angegeben werden müssen , dafs östlich davon wahrscheinlich
da? Akra keufce des Diqdorus, vielleicht des Livius Castrum
Album, XXIV, 41, gelegen habe \ auch hätte die ungefähre
Lage auf der Charte wohl bezeichnet werden dürfen, denn ein
Qrt , „insignia caede magni Hamtfcaria«, ibid., gehört doch
wohl in einen politisch • historischen Schulatlas, der alten Welt.
Es fehlt Lapides atri zwischen Mentissa und Hliturgis, Liv.
XXVI, 17, im Handbuch und auf der Charte, eben so Tyre-
naei Promontorium, jetzt Cap Creux, Liv. XXVI, 19. Bae-
cula, XXVII, 18. etc. nach Reicbard Baylen fehlt auf der
Charte, steht im Handbuch ohne alle Erklärung. Die Bergi-
ftaniV XXXIV, 16, 17, gehören als ein Völkchen aufgeführt
Um das jetzige Berga, denn dies ist des Livius Vergium Ca-
strum , XXXIV, 24, Im Handbuch fehlt der Qrt, auf der
Chart« Volk und Ort. *
Ergavia, Liv.XL, 30, Ergavicenaee f Plin.IU, 4» »tellt
Ückert in seiner Geographie Äan den Einflufe der Gua-
diel a in den Tajo, wo grofse Ruinen sind, welche Santaver
Keifen.« Purch 'ein Versehen aber steht Ergavica aut seiner
Charte ungefähr zw^achen den Quellen dieeer beiden Flüsse;
die« steht denn getreulich auf der Sickfer'acuen
Charte auch so. Im Handbuch steht von der Position
nichts, er nennt daselbst Ergavia und dann noch ein Erga-
vica. Der Beweis möchte schwer «erft \ Die Loge des ten-
■ lenden Contrebia, XL , 33, ach wer zu bezt{i*men, Uckert
jedoch bat sie bestimmt | so wie Reichard die Lage von
Munda, XL, 47? in IVJu'nnoz, und; von Q«rti>a, ebend., in
PVortNoiga, Kpff** Strab. III» 465, aagt der Verf., der
Ort aey vielleicht Saftender, und stellt <bn doch i3 deutsche
Meilen davon weg l
fr fehlt aut der Charte Folgendes; Cbalybs, Justin.
XLIV, jt. und Silbiiis, ibid., tfebenflüaae des Miniue, je-
n«r ist der Cabe, dieser der Bibei . die in den SU fallen. Lae-
rbn-Flufs, Mel.III, 1, 79, nördlich vom Mini« , jetatLe-
I
508 Sickler*« Sclmlallas.
i
rea. Sanda-Flufs, "Plin. IV, 34 , entweder Miera, ein Arm
des Deve, oder Saja, ein Arm des Besaja oder Suances. Ma-
grada-Flufs, Mel. III, n6} jetzt Urumea. Olintigi ,
Mel. III, 1, 48, jetzt Palos. Ebora, Mel. III, 1, 36.
'E/joufra i Strab. III, 3?5, am Ausflufs des Biitis, jetzt SanLu«
car de Barrameda. Sehunbiua, PJin. III, 3, jetzt Salabrenna.
Lastigi, Plin. lIl/3, jetzt Zahara. Aurinx, Liv. l^XIV,
42. Ürin*, ibid. XXVIII, 2. ' Oringis, Plin. ibid. Urso
oder Uisj kommt bei Strabö, Appian, im Bell. Hisp. und bei
Plinius vor, jetzt Ubrique oder Orsunna. 'Astigi Julienses,
Plin. a. a. O., jetzt Albaum. Jlipula laus, ibid., jetzt Loxa.
Astigi vetus, ibid., jetzt Alameda. Nertöbriga, ibid., jetzt
Valera la Vieja. Contributa Julia, ibid. , jetzt Medina de los
Tones, am Ursprung des Ardila - Flusses., der bei Moura in
die Guadiana füllt. Der Medullus Möns des Florus, jetzt
Sierra de Mamea, der Möns Sacer des Justin* jetzt Puerto de
llabanon, der Caunug M. des Livius, jttzt Moncayo. —
Der Verf. s.jge nicht, er habe für diese Oerter keinen Kaum
gehabt, ich wollte ihm eine ganze Liste von Namen hersetzen,
die auf der Charte wirklich stehen, und die dem Schüler zu
nichts, su gar nichts nütze sind !
Aus noch Vielem hebe ich Folgendes heraus, um nur mit
der Charte zum Schlufs zu kommen. Bilbüis. giebt der Verf.
selbst für Calatayud , und doch liegt es auf der Charte mehrere
Meilen südlicher. Mit Saetabis ist's nicht besser. Da das
Prom. Junonis das C. Trafalgar ist, so mufs Baesippo, Mel.
It, 6, 88 und 89, südöstlich davon stehen, es ist Barbato,
auf der linken Seite des Baibateflusses, folglich ist die Po-
sition auf der Charte falsch, da sie nördlich über dem C. Tra-
falgar angenommen ist. Wie postirt der Verf. die drei Öerter
Ipagrum It. Ant. (er hätte es weglassen können), Aegäbrum ,
Plin. III, 3, und'psimbrum, ibid.? Erstens steht von
allen dreien keine Sylbe im Handbuch, sodann ist Ipngrum
entweder eins mit' Aegabrum , oder nicht, in diesem Falle ist
es Aguilar, am Flusse Cabra. Dieser llio Cabra oder Mon-
tuiqjue fliefst rechts in den Xenil, und fast fünf spanische
Meilen rückwärts vom Einflufs liegt Aguilar de la Frontera.
Nach Sickler's Charte Hegt es aber eine gute Strecke nord-
westlich vom Einflüsse, dicht am Xenil! ückert, der den
Ort p. 368. genau bestimmt , bat ihn eben so genau auf seiner
Charte.' Ungefähr zwei spanische Meilen südöstlich davon,
am Ursprung des Cabra , liegt das jetzige Cabra, dies ist Ae-
gabrum, bei Sickler liegt es südlich vom Cabra am Xenil.
Südlich von Cabra, zwischen Lucena und Rute, liegt Torre
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I
SUkicr'« ScliulallaJ. * 50
deZambra, dies ist Cisimbrum , immer noch zwei [spanische
Meilen von Xenil , bei Sickler hart daran.
Wir wollen nun hier von Spanien abbrechen, um noch
einige Blicke in des Verfassers Gallia zu werfen. Ich kann
mir eine Beurtheilung desselben schon um deswillen nicht
versagen, weil der Verf. meiner Schulcharte v.on Gallia , nach
Reichard , verbunden mit Mannerts Beschreibung, bearbeitet,
die Ehre erwiesen hat, sie der seinigen zu Grunde zu legen.
Der Verf. soll sehen, dals ich gegen ihn nicht strenger bin,
als gegen mich selbst. — Das Kind sieht der Mutter ähnlich,
wie ein Ei dem andern, bis auf wenige Ausstattungen und
Zusätze, es bat aber auch die Gebrechen der Mutter geerbt.
. Mein Steinzeichner hat mir damals , weil er keinen Platz mehr
auf dem linken Rheinufer fand, die Vangiones neben an auf
' das rechte geschrieben, diesen Platz haben sie auf der Sickler'-
schen Charte behalten. Wie viele solcher Positionen mögen
wir wo hl schon den Kupfersteebern und Steinzeichnern zu
verdanken haben ! Sodann steht auf meiner Charte statt des
antiken Arduenna silva das moderne Ai dennengebirge , bei
Sickler aber auch. Casar hat mich inzwischen eines bessern
belehrt: pertinet per medios fines Trevirorum a fl limine Rhe-
no ad initium Remorum, G. V, 3. patet ab ripio Rheni ad
Nervios , milibus amplius D. in longitudinem (das ist frei-
lich etwas aufgeschnitten) VI, 29. — Laut Casars Bericht
liegen die Städte Lutetia und Melodunum auf Inseln der Seine
— „Melodunum pervenit. Id est oppidum Senonum, in in-
sula Sequanae positum, nt paulo ante Lutetiam diximus, VII,
58.« Das kann ihnen, wenigstens was Melodunum betrifft ,
auf unsern Charten kein Mensch ansehen, so we^ig als dafs
Vesontio überall, nur nicht auf einer Seite, vom Du bis um-
f eben ist, I, 38. Ich habe den so wichtigen Flufs Sabio , , ,
I, 16» 18, vergessen, der Verf. auch, ich (J#n eben s,9
■wichtigen Elaver, VII, 34» nicht benannt, der Verf. auch
nicht. Hätten wir statt dieser Auslassungen nicht d/ie vielen
kleinen Flüfschen unterdrücken können, welche nördlich in
die Mosel fallen? Wir haben nicht die Namen Civitates
Armoricae, V, 53. VII, 75. VIII, 31 , nicht das Belgium,
V, 24. VIII, 46. Die Bituriges — * Gubi hat mein Stein-
zeichner für zwei verschiedene Hieroglyphen angesehen, und
daher dem Namen Bit« riges eine nordöstliche, dem Namen
Cubi eine horizontale Richtung gegeben, er liefs aber hinter
Biturig««— den Anhängestrich stehen, so dafs man allenfalls
noeb errathen kann, dqfs das Wort zu etwas gehört, zu wa9?
das kann nur der wissen, der es vorher schon weifs; da nun
Wickler*« Steinzeichner die Richtung beibehalten, deu Strich
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510 Sickler 's Schul alias.
aber weggelassen hat, sd bal>en wir fein neues, berlitbogra-
phirtes Volk weiter in Gallia. Dafs Sickler'a Charte keine
Nervii als Volk kennt, dafür katin ich nicht , ich habe sie auf
der meinigen, fes fehlen folgende Namen * die alle in Cüsar
vorkommen J Gergovia, jetzt Järgeau , G. VII 4 4i 9, 34t
36, und um dieses Gergovia hat «ich doch lleichard 'ein gros-
ses Verdienst erworben; BranndVios, VII, 76\ jetzt üran-
ge; Ambivareti, ibid., jetzt AuberienJ Uxellodunum, VIII,
32, 40, 43, jetzt CapdenacJ Boja,*VIIi l4i J«***' Autry;
Stbuzate», III, 27, jetzt Sobusse; Sostrates und Sotiatum
oppidum, III, 20, 31, jetzt SösJ Preciani, III, 27, jetzt
Bresac; TaruSateS, III, 23, 27, jetzt Jartas,
Wenn der Verf. die Charte Von Oberitalieri zeichnet, sd
vergesse er nicht, folgende noch nachiuhdlen 3 Centrones,
Veragri4 Octodurum, Seduni, Sartlnetes j sie kommen auch
im Casar vor, und mussert auf einer Charte von Gallien, sd
wie auch Ocelum und Gfajoceji nachgesehen werden. Das
leere Stück von Deutschland nordöstlich hatte da4u benutzt
werden können, die Paar Völker zu bezeichnen, Welche auf
dem Zuge Casars zu den Deutschen Vorkommen J dje Ubii
wenigstens gehörten hierher, da sie auf der Charte von Ger-
manien schon auf dem linken Rheinufer stehen.
• Möchte nun der Verf* die UeberZeugung gewinnen $ wie"
toothwendig die Römer auf einem Schulatlasse sind. Könnte
er die Charten von Italien 4 Griechenland und dem westlichen
Kleinasien sehen* die ich allein nach Livius Zu einem
besonderen Zweck errichtete, et würde bemerken^ dafs sie
schon dadurch beinahe ganz Vollständig sind. Sollte er es
aber Obel nehmen, dafa ich die Blöisen seiner Charten aufge-
deckt habe, so möge er sich damit trösten, dafs durch die
oben aufgestellten Grundsätze aucb mancher Charte aus mei-
nem Schulatlasse der Stab gebrochen i?t.
karl Härener.
* — - — i
Jahrbücher eter Ländwifthiphdft iri .ßaierm Heraus *e-
geben von G. Freiherrn von Ar et in urid M. S ch'önl Sri tne> n
Zweiter Jahrgang. Zwei Hefte. Landihati bei KrüJl 1325.
506 S\ 8. i fl, 48 kr.
In No. 13. dieser Jahrbücher fort 1Ö2Ä. haben wir den
ersten Jahrgang obiger Zeitschrift angekündigt* und zeigen
den zweiten hier blos deswegen an* Weif wir in diesem unser
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Areliu u. Schünlcutner Jahrmicticr 4er Landwirthtcliaft. 511
dortiges Urtheil ganz gerechtfertigt finden. Die Zahl d*r
Aufsätze ist auch in diesem «Weiten Jahrgänge nicht so grol>§
daf* wir sie nicht« ohne Kanin zu verschwenden, hier alle
namhaft machen könnten, was unsere Behauptung am besten
bestätigen wird.
I. Dringende Bitte an die Regierung um Herstellung einer
guten Feldpolizei von G. A. Der Verf. klagt öher den söge*
nannten wilden Hirtenstah und das einzelne Hdten mit
Kindvieh, Schweinen u. a. w,t so wie Über das Ausgrasender
Felder auch auf fremdem Eigenthum. Er findet darin nicht
blos eine directe Beschädigung der verwüsteten Felder, son-
dern auch ein Hindernifs des Klee - und andern Futterbaues,
und dadurch des landwirtschaftlichen Betriebes überhaupt.
Es ist traurig, solche Klagen aus einem Lande zu hören, wo
die Verordnungen über Ljndwirthscbaftspolizei nicht zu den
schlechten gehören. II. Bemerkungen Über die Bewirtschaf-
tung der adeligen Güter in Bdiern, von JYt. S. Der Grund,
warum sie weniger eintragen , soll meistens in der unrich«
tigen Darstellung der VVirthschaftserfolge liegen. Die Herr«
Schaft bezieht zu ihrem LuxuS, Hausbedarf, für Pferde, Die«
nerachaft» Gerichts- und Kircbenpersonale aus der Landwirth*
tchaft verschiedene Naturalien, welche dieser nicht zu gut
gerechnet werden. Indem der Verf* dieses tadelt, giebt er
Vorschriften zu einer richtigen Verrechnung und einer ange-
messenen Direction, die natürlich nur von den Regeln dea
landwirtschaftlichen Haushaltes ausgehen kann. III. üeber
einige Hindernisse der Landeskultur in Baiern, von einem
Oekonomen im Unterdonatikreise. Als solche Hindernisse
werden angegeben der Mangel an Menschen, eine schlechte
Feldpolizei, besonders Beschädigungen durch Thiere, selbst
durch das Geflügel, z.B. Tauben, schlechte Benutzung der
vorhandenen Arbeitskräfte (es wird eine Gegend angeführt,
wo man in einem Jahre 204 Feier - und Ruhetage und nur 16 1
Arbeitstage zahlte! dabei ist die tägliche Arbeitszeit sehr kürz)
und die Gebundenheit der Güter. IV. Beleuchtung der C,
Sprengel'schen Schrift Über Hofwyl (Celle l8l9 ), von S — r.
Es wird hier eine Ehrenrettung der v. Fellenberg'schen Wirth-
sebaft und seiher Unterrichtsanstatten gegen die Behauptungen
von Sprengel versucht. Diese wir auch nicht schwer« da die
letzteren jedem Leser als oberflächlich erscheinen müssen « und
bei der billigsten Annahme in dem kurzen Aufenthalte des H.
Sprengel zu Hofwyl ihren Grund gefunden haben müssen.
V. Ein Wort an meine Mitarbeiter , gehalten «m Erntefeste
zu Scbleifsheim l823. von M. S, Alle« recht schön und gut.
Digitized by
Ol 2 Aretin u. Schönleutner Jahrbücher der Landwirtschaft.
Nor Schade, dafs man auf den sterilsten Boden des Königreichs ßaiern
so viel Geld und Arbeit verwendet« IV. Auszag aus einem Briefe
eines reisenden Baiern aus England. Der Verf. glaubt , in dreißig
Jahren sey "der sächsische Wollenhandel niedergelegt durch die Wolle
Von Is cuholland und Vau Diemensland* Daran mochte aber billig zu
zweifeln seyn, und» der Verf. würde sieh diesen Ausspruch nicht erlaubt
haben , wenn er mit dem Wesen der norddeutschen hochfeinen Schüfe«
reien 9 und mit den Anstrengungen « durch welche sie gebildet und er-
halten werden , genau bekannt gewesen wäre. VlI. Anzeige einiger?
landwirtschaftlicher Werke und einiger Schriften des Hi'n. Hofratli
Harl in Erlangen , die nicht hierher gehören. VIII. Das Zunftwesen
im Vefhältnifs zur Landwirthschaft, von G. A. Treffende Bemerken*
gen über das Unnöthige und Schädliche der Zünfte. Sie sind den For-
derungen der "Landwirthschaft geradezu entgegengesetzt. IX. Nach-
richten über den im Monat Mai 1823. in Leipzig bestandenen (1) Schaf*
züchter Convent von M. S. Der Verf. hat in Auftrag des Kon. Baier.
Staatsministeriums, der Finanzen diesem Convente beigewohnt , undf
giebt hier die' Resultate desselben , die aber ausführlicher in den Möge*
liner Annalen und auch in anderen landwirtschaftlichen Zeitschriften
dargestellt sind. Merkwürdig ist es , hier zu erfahren , daf» Se. MaJ.
der König von Baiern iu demselben Jahre eine kleine Electorriheerdd
aus der K. Sachs, Schäferei zu Lohmen uud aus der FürstL Reufs. zu Klipp-
hausen angekauft hat, welche zur Veredlung der Baierischen Schafe-'
reien wesentlich beitragen kann, wenu anders mit der nöthigen Sorgfalt
und Sachkenutnifs die Zuchtthiere ausgewühlt werden , und in der Ver-
edlung ein Prinzip constant verfolgt wird. X üeber die fahrbare Fut-
terraufe des Frh'rri. v. Hafenbrädel. Das Futter wird auf dem Felde
in die Raufe eingeladen, diese nach Hause geführt, in den Stall ge-
schoben , und vom Vieh selbst leer gemacht, XI. Vermischte Nach-
richten , zum Theile commerclellen Inhaltes, eine nicht vollständige
landwirtschaftliche Literatur von 1823 und l824> der Versuch eines
Beweises; dafs die Lehre von der Wechselw.irthschaft in Deutschland
zuerst von Baiern ausgegangen sey u. s. w.
Im Ganzen müssen wir bedauern, d ,f< die Verf. der angeführten
Aufsätze — auch bei allgemeinen Behauptungen^ — immer nur ihre
nächsten Umgebungen vor Augen haben, und manches generalisireri ,
was nur für jene Kreise von Baiern pafst , Ui welchen sie leben. Auer*
sieht man leicht, dafs der rechte Ernst und das Leben, welche ander©
ökonomische Zeitschriften charakterisiren , der hier angezeigten fehlen*
j. •
*
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N. 33. • ■< • 1826.
„ Heidelberger ,
Jahrbücher der Literatur.
t.l *! I*. « • ' . «r '»
Ueper einb Kretische Kolonie in Tlelcn, die Gdttin Europa und Kad*
mos den König. Von F. G. fVelcker) Professor in Bonn.
Bonn, bei A. Marius, t824. 64-kr.
Diese Abhandlung hat der Verf. ursprünglich für den der
Aescbylischen Trilugie Prometheus über die Irreh der Jo bei-
gegebenen Excurs bestimmt, spiker aber von demselben ge-
trennt (vergl. Aeschyl. Trilog. S. 596.) und nun besonders
herausgegeben.
r , Der Verf. geht von dem Dienste der Europa in der älte-
sten Kretischen Hauptstadt Gortyn aus, wo Europa mit dem
Namen Hellotis nach der Ansicht des Verf. als Monds^öttin
Verehrt wurde. Aus Kreta zieht uns Europa nach Böotien
hinüber, wo in Teumessos bei Theben ihre Brautböhle war.
5L £i. Dieses uralte Heiligthum in Teumessos ist, wie S„22.
iemerkt wird, wichtig, weil in Theben an diesen Dienst die
Sagen von Kadmos und demnächst ,von einer Phönizischen
Kolonie sich angeschlossen f und von ihm der Welttheil den
Namen empfangen hat. Kadmos ist nichts als der alte Königs-
»ame, von *aim% xa^«f eigentlich der Fürst als Heerführer,
hooT^tcu? Aaa-v. vS. 23. Von diesem historischen .Idealnamen
jKadnos scheidet der Verf. S. 31. streng das kosmogonische
Symbol, denn auch im theologischen Natursystem habe die
Idee des Kc<r/*o;, in der Schule der Philosophen seit Pytbagoras
behandelt, sich vordem eine Person angebildet, und dieser
Xadmos werde als Hermes gedeutet und den Tyrrhenern bei-
felegt. Die Vermuthung Sey einfach, behauptet nun der Vf.
.,'43, dafs. zwischen dem Thebischen und dem Kretischen
Dienste der Europa Verbindung Statt gefunden und der Krei
tische oder der. ursprüngliche gegolten habe, oder vielmehr es
.*uch wirklich gewesen sey. Schon ehe denn Priester aus dem
Minotschen Knossos in Dorischer Zeit nach Krissa zogen und
pol Ions Heiligthum gründeten, müsse sich eine Knossische
paar eine Gortyn iscbe Kolonie gen Theben gewandt haben. —
Wenn man r.un im Thebischen «inen im höhern Alterthum
XIX. Jahrgj. 6. Heft. 33
I
514 Welckorubcr eine Kretische Kolonie. ) { #
s
berühmten Cultus der Europa anerkenne, so falle von selbst
in die Augen , w(e <fer gebgraphische Gebranch des Namens
Europa entstehen konnte, 5. 4tf. — Denke man a^ich, dafs
Gorcyna, nachdem alten Gebrauch , den Stedten hieratische
Zunamen zu geben, seihst Hellotis hiefs, so sey sehr hätur-
Iich, dafs die Kreter auch ihre Kolonie in Theben Europa
nannten, S. 50. ->*v"
Bleiben wir hier vorerst stehen, so mufs uns sogleich
auffallen, mit welcher Zufälligkeit der Verf. den Namen Eu-
ropa die allgemeine Benennung des Welttheils werden täfst.
Der Verf. lindet dies jedoch so wenig bedenklich, dafs wir
S. 50. sogar die Behauptung lesen: ÄWiire Pytbo vor Thebe
gewesen, so würde der Welttheil jetzt vermuthlich nach Py-
tho oder Delphi benannt seyn , wie er Athenaa beilsen würde,
hätte Athen ein Kretisches Heiligthurn gehabt, oder wäre ea
für die Kreter zu der Zeit, als sie das verbreitetste und am
Meisten geltende Griechische Volk waren, der Hauptort des
jetzt sogenannten eigentlichen Hellas gewesen.« Eine solche
Erklärung könnte nur dann einige Wahrscheinlichkeit haben,
wenn sich kein inneres Verhültnifs zwischen dem Namen und
dem mit demselben bezeichneten (gegenständ nachweisen Heise.
Dies ist aber, wie wir glauben, keineswegs der Fall. Der
Verf. betrachtet mit Unrecht die in Kreta und in Thebü verz-
ehrte Europa nun als Mondsgöttin , da ja, wie S. 26. zwai:
nicht unbemerkt geblieben, aber nicht weiter beachtet vvor-
den ist, Demeter in der ebenfalls Böotischen Stadt Lebadea
mit dem Beinamen Europa verehrt wurde. Sie sollte daselbst
Erzieherin des Trophonios seyn. Pausan. IX. 39. Da nun
Demeter ihrem Hauptbegriff nach die Erdgffttin ist , so mtffsre
in der That ein sonderbares Spiel des Zuralls sich eingemischt
haben, wenn nicht der auf den Welttbei^ übergetragene Narrie
damit in Zusammenhang stünde. Als Erdgöttin heifst Demen-
ter ganz natürlich Europa^ d.h. die Weithinschauende, Weit-
ausgedehnte, oder auch, wenn 'wir «0^01*0; in der Bedeutung
von ffxorstvo; nehmen, vergl. S. 26 , die1 in das Dunhel der
Ferne sich Verlierende, in die Schatten der Unterwelt. CJebe>r-
gebende. Es ist wahrscheinlich , dafs diese Benennung "nur
von einem bestimmten Standpunkte aiis entatfftrdeh ist. Dar-
auf leitet aber auch sogleich die Natur der Sache von «c^IBit»
Demeter kann nur eine weirauspedehnteV tlur^ch'" keintf 2TtoHf-
schen- Meere unterbrochene Erdrßlche genannt worden $eyrt,
welche ursprünglich noch ohne besondern Lokalr/amerV nt/r irAc
•iner unbestimmten und allgemeinen Beri^nnu /töf bezeichnet:
und dadurch zugleich einer bereits b*siimmteii,kuritf g^WöVifi-
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VWIckjr . uber eine Kretische Kolonie. 515
»
liehen entgegengesetzt wurde. Was das Letztere betrifft, so
bemerkt der Verf. selbst S. 53, dafs die Gegeneinanderstellung
von Asien mit Europa nach der von ihm gegebenen Erklärung
des ersten geographischen Gebrauchs des Namens Europa dun-
kel bleibe, weil zwischen beiden Tunkten kein Verhültnifs
bekannt sey, kein Krieg, noch auch ein bedeutender Verkehr
Diese Schwierigkeit kann nur dadurch gehoben werden, dals
der Standpunkt für die erste Entstehung des geographischen
Namens Europa in diejenige bedeutende Lokalität gesetzt
wird, welche als der Europa entgegengesetzte bereits ihre
eigenthümliche geographische Benennung erhalten hatte. Da
•hihi diese keine andere als Asien seyn kann, so ist gewifs
auch aus der ursprünglichen geographischen Bedeutung des
Namens Asien der ursprünglich geographische Gebrauch des
Namens Europa zu bestimmen. Das älteste Asien ist nach
Horner die Lydische Landschaft am Kayster. Doch scheint
dqr Name Asien schon in der ältesten Zeit eine giöfsere Län-
der*Einheit umfafst zu haben. In den Pontischen und Kauka-
sischen Ländern kommen so viele Spuren desselben Namens
vßf (man vergl. besonders eine Hauptstelle bei Aesch. Prom*
. 41 i;: .o*oeot iiroty.o'j dyvai Aova; aSc? ve'xovrat i vom Prometbeischen
. Kaukasus gesagt) , dafs offenbar von diesen Ländern aus der
ganze Welttheil seinen allgemeinen Namen erhalten hat. JVtan
yergh hierüber HeyH Etymologische Versuche, Tübing, 1Ö23.
S. 125. f. Die in der genannten Schrift ausgeführten geogra-
phischen und historischen Gründe machen uns, wenn wir da-
mit f>4>ch die obige Bemerkung verbinden, dafs Eutojia Bei-
, na^ne der Erdgöttin Demeter ist, den in derselben aufgestell-
ten Hauptsatz sehr wahrscheinlich, dafs der Name Europa
durch die örtliche Beschaffenheit der vom Tanais und Pontuft
Eu^inus nördlich, nordwestlich und westlich gelegenen Län-
der veranlagst worden ist, da jene Länder sich in einer un-
übersehbaren Ebene hinstrecken, und eben dadurch einen Ge-
gensatz geg^n die vom Kaukasus ausgehenden bilden, Welche
entweder selbst bergigt sind, ode* an einem Bergabhang sich
befinden. . Auf dies<i Lokalität, wo der Gegensatz zweier
, Erdfesten durch Meeref Flüsse und Gebirgszüge so stark he*
zeichnet ist, mufs sich auch der Name Europa ursprünglich
bezogen haben. Dafs, wie der Verf. S. 50« bemerkt y in dem
Homerischen Hymnus auf Apollon, wo Europa zum ersten*
-mal deutlich geographisch vorkommt, v. 251« Europa .an def
Stelle von Hellas dem Peloponnes und den Inseln entgegen-
gesetzt wird, scheint uns kein Beweis gegen die Annahme
eines nördlicheren Ursprungs des Namens Europa, da ja der
33 *
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5!6 Welckcr über eiiie Kretische '"Kolonie
Verfasser des Hymnus Hellas nie* auch als Theil eines weithin
nach Norden sich erstreckenden Continents dem Peloponnes
und den Inseln entgegenstellen konnte. In jedem Fall möch-
ten in dieser Stelle unter Europa namentlich die v. 216. sij.
genannten nordgriechischen Landschaften zu verstehen seyn.
Ehen so möchte auch die von Europos , Makedons Sohn, ge-
stiftete Stadt Europos in Makedonien wenigstens in so fern
hier in Betracht kommen, so fern sie ehenfalls als ein Beweis
dafür gelten kann , dafs der Name Europa vorzuglich im Nord-
osten des Welttheils zu Hause war. Der Verf. glauht zwar
S. 55, dafs erst nach der Zeit der Makedonischen Gewalt üher
Asien etwa ein Schriftsteller aus dem Lande von der Stadt
Europos Anlals nahm , einen König Europos als Stammvater
des VVelttheils zu dichten, in welchem jetzo Makedonien als
das Hauptland erschien« Aber hemerkenswerth ist doch, dafs
der Name Gortynia, der in Kreta mit dem Namen Europa ver-
bunden ist 9 auch als Name einer Makedonischen Stadt ange-
geben wird , hei Steph. Byz. Die Behauptung des nordöst-
lichen Ursprungs des Namens Europa glauben wir hier auch
noch durch eine andere Bemerkung bestätigen zu können.
Europa hiefs die Demeter in Lebadea, wo sie die Amme des
unterirdischen Trophonios seyn sollte. Ebendaselbst finden
wir eine E^nuva, die zwar eine Gespielin der Kora , der Toch-
ter der Demeter, genannt wird , ohne Zweifel aber eigentlich
nur eine andere Gestalt der Demeter- PerSephone ist. Als
Erdgöttin bezeichnen die Herkyna nehen Trophonios die mit
Schlangen umwundenen Stäbe der aufrecht stehenden Bildnisse
in der Höhle, aus welcher die Quellen des Flusses Herkyna
entspringen.' Fausanias sagt IX. 3i. von diesen ayaXfxara J
stsv 5* ov TfotpcLwc; neu EfKuva. Ist es nun wohl hlos zufällig ,
dafs dieser Name Herkyna so ganz gleichlautend mit dem Na-
men des bekannten, durch ganz Mittel -Europa Östlich und
nördlich sich hindurchziehenden Hercynischen Waldes zusam-
mentrifft ? Wir können in der That nicht umbin zu glauben,
dafs der Name des Hercynischen Waldes oder des Harzwaldes
den Namen und den Begriff der Erde enthält, d. h. der Deme-
ter, ^yie Demeter Europa hiefs in Hinsicht des in die dunkle
Ferne sich hinziehenden Europäischen Erdstrichs, so konnte
ihr auch der ohne Zweifel auch mit dem Lateinischen orcus *)
*) Dos Griechische $^0; ist dasselbe Wort, Well der Schwor bei
der Unterwelt der heiligste. J Epyu», cfxcu» wovon man o£ko{ ge-
wöhülich ableitet, weil der Eid eine Schranke sej, gehört «war
Googl
/
Weloker über eine Kretische Kolpnic 517
verwandte und an das Dunkel der Unterwelt erinnernde Name
Herkyna beigelegt werden. In dem düstern t)unkel der in'i
Unermeßliche
ausgedehnten Wälder stellte sieb auf dem Stand«
punkte der von Osten nach Westen blickenden Völker in einer
ganz besonders grofsariigen Anschauung die gewaltige Erd-
göttin dar. Daher gieng der Name der Erde (altdeutsch Art,
Artjr) aul die Harz Wühler Ober; daher derselbe Name in Ger-
manien und Griechenland , ohne dai's wir den einen von dem
andern abzuleiten berechtigt sind. Auf gleiche Weise verhält
es lieb mit dem Namen Hermiune, Demeter und Fersepbon?
heilsen selbst so; s. Creuzer Symb. und Mytb. Bd. IV. S.40.
Vorzüglich aber ist der Name bekannt als Name der Argeiseben
Stadl y in welcher Demeter als'Chthonia 9 als Güttin der Un-
terwelt, besonders verehrt wurde. Diese uralte Stadt Her«
inione sollte von Hermion, einem Sohne des Europs , ihren
tarnen haben. Paus. II. 34- Also wiederum der Name Europs
in Beziehung auf die Dmeter« Da nun der Name und Cultua
des Hermes im alten Germanien ganz einheimisch ist, da wir
dort einen Hauptstamm mit dem Namen Hermionen finden j
, Tac. Germ. C 2, da schon der Orphische Argonaut 1136* eine
1 Stadt Hermioneia im Sufsersten Westen erwähnt 9 welche die
gerechtesten Männer bewohnen , dem Hades eben so ver-
wandt, wie die Argeische Hermione , s. Creuzer a. a. O,, so
ist wohl der Name der Demeter Hermione eben so mit Ger-
manien in Zusammenhang zu setzen, wie der Name der De*
jneter Europa sich auf die westlichen Länder bezieht, die vom
Politischen Norden ans sieb darstellten. Es scheinen uns mit
Einem Worte auch diese Sagen und Namen, wie so vieles an-
dere, einer Zeit und Lokalität anzugehören, wo einst noch,
,wie Kitter (Vorhalle. Europ. Völkeigescb. 1824« S,4*9.) sagt,
Teutonia und Jonia gesellig weilten,
Zusammenstellungen dieser Art werden in dem Grade
•wahrscheinlicher, in welchem sie sich auf eine übereinstim-
mende Weise auch weiterhin verfolgen lassen. In dieser Hin«
.sieht scheint uns der Name der alten Kretischen Stadt Gortyn,
wo Europa ihren Sitz hatte , noch besonders heaebtenswertb.
X)ai's auch in Makedonien die beiden Namen Gortynia und Eu-
ropos als Stüdtenamen neben einander vorkommen, ist schon
bemerkt wurden. Aber auch in Arkadien, dessen uralter und
auch hierher, aber zugleich in ciue andere Combination von Be-
griffen. Eben so ist auch das Ilebr, yjflg von dem Object des
Schwörens benannt.
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518
Wclcker Ober eine Kretische Kolonie.
eigentümlicher Demetercultus mit dem Böotischen am iriei-
»ten übereinstimmt, finden wir denselben; Namen. Nicht fern
von Megalopolis war ein Ort Gortys, welcher, wie das be-
nachbarte Teutbis, einst «ine Stadt war; der Flufs, der dureb.
den Ort flofs, ausgezeichnet durch die Kalte seines Wässert
hiefs an seineu Quellen Lusios von dem Bart des neugeborene!
Zeus, ferner davon aber nach dem Orte Gortynios. /Ä««e»
pios, der mit Trophonios so manches gemein hat, hatte da-
selbst einen Tempel; und wahrscheinlich von dem Orte den
Beinamen Gortynios. Fausan. VIII. 20. II. 11. Am heröbm-
testen ist das Fhrygische Gordium, und auch hier bleibt die
Beziehung auf die Demeter nicht aus, da Gordius» d'er Stifter
der Stadt, in der Sage und durch seijien Wägen ganzes]«
Ackermann bezeichnet ist. Noch unmittelbarer 'sehen wrr
dieselbe Beziehung inGordys, dem Sohne des Triptoiemos,
Welcher die Io aufsuchen halt', und der Armenischen, von Ver-
zweigungen des Taurusgebirgs durchschnittenen Landschaft
Gordyäa (dem Lande der Kurden) den Namen gab'; s, Stepb.
Byz, So weit ist der Name verbreitet; was aber die Verbin-
dung desselben mit der Demeter Europa betrifft', so mochten
wir ihm dieselbe Bedeutung geben, welche in dem ältesten
Asien das beilige Asgard bat. Gortys ist wie Gard das Orieri-
talische Kerta (die so oh vorkommende StÜdtebezeicbnung)»
das Deutsche Garten (hortus), und wohl aueb mit dem Wort
Erde selbst verwandt, in Beziehung auf die Erdgöttin Deme-
ter Oberall die heilige Statte, wo ihr Cultus einen festen Sitz
erhalten hatte. Jede Stadt ist als ein für sich abgerundetes
Ganze eine Erde im Kleinen, daher Gard, Gordys Stadt,
Stätte. Selbst der Gordische Knoten in der Stadt des
Gordius erhält dadurch seine bestimmtere Bedeutung, indem
ja die Erde aueb Schicksals- und Orakelgottheit ist, t|,»to^
Dafs die geographische Bedeutung das Namens Europtf
obgleich uralten Ursprungs, doch erst in beträchtlich sp^r
Zeit in Gebrauch kam, bat nichts Befremdliches, wenn man
bedenkt, dafs es sich mit. so vielen andern Namen ganz aut
dieselbe Weise verbalt. Der Name ist lange Zeit vorbanden,
ehe sich der bestimmtere Sprachgebrauch desselben fixi^
Dieselbe Erscheinung zeigt sich uns bei dem Namen As»*1*»
lind bei dem Namen Europa war die geographische Bedeu-
tung ursprünglich zu sehr mit der religiösen verschmolz»
als dafs jene sieb unabhängig von dieser geltend machen
konnte. Der Sache nach aber stimmt die ursprüngliche Be-
deutung der beiden Namen Asien und Europa ganz zusanmie»1
;
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Welcker über eiup Kretische Kglouie. 519
tafX fer gjjwöbnlich^n Homerischen Welteintheilung. t
,-Pie Jiier gemachten Bemerkungen beziehen sich sehr ge-
nau mii die Behauptung des , Verf. , rlafs die ii. Teumessos Lei
T Ii eliii verehrte Europa von einer alten Kolonie - Verhindung
zwischen Kreta und Thehä herzuleiten sey. Der Hauptgrund ,
ä -i t vv l leiten der Verl', diese Behauptung stützt, ist neben der
Identität der Gottheit eigentlich nur die Leichtigkeit, mit
Vfelcher unter dieser Voraussetzung die Entstehung des geo-
graphischen Gebrauchs des Namens Europa erklärt werden zu
können scheint. Da nun aber diese vielmehr in eine andere
Lokalität führt , und keineswegs nothwendig von der in Boo»
tien v.erehrten Europa ursprünglich herzuleiten ist^ so mufs
nun- auch dje Frage, ol> die Böotiscbe Europa aus einer zwi-
schen Kreta und Thebü bestehenden Kolonie - Verbindung ab-
stammt, von der Untersuchung über den Ursprung des geo-
graphischen Namens Europa ganz getrennt werden. Damit
Grunde auch den Drallen Böotiscben Cultus der Demeter über-
haupt von Kreta herleiten, wahrend dagegen nichts natür-
licher seyn kann, als die in mehreren Spuren und der Natur
der Sache nach nach Nordgriechenland hinweisende Europa -
Demeter auch unmittelbar aus dieser Lokalität nach Böotien
kommen zu lassen.' Aufsehern drängt sieb uns dabey, wenn
wir die. Kretische Europa als die ursprüngliche setzen wollen ,
die Frage, woher denn die Kretische Europa selbst abzuleiten
Sey , so noth wendig auf, däfs wir unmöglich in Kreta, einem
z\it Voraussetzung eines primitiven Cultus so gar nicht geeig-
neten Eilande, festen Fufs fassen können. Eben so wenig
aber ist nach unserer Ansicht die Kretische Europa- Demeter
auf die Böotische zurückzuführen , vielmehr gehört wohl die
Identitüt des Cultus der Europa- Demeter in Kreta und Böo-
tien und andern Orten überhaupt derjenigen Periode an, in
Welche die älteste Ausbreitung des Griechischen Volksstammes
zu setzen ist. Ist diese, wie nach Allem wahrscheinlich wird,
von Norden aus geschehen, so ist Kreta zwar allerdings einer
der entferntesten Tunkte, aher demungeachtet zugleich einer
derjenigen, in welchen die Nation unter mancherlei Uufseren
Begünstigungen frühzeitig sich zu einem bedeutenderen Grade
der religiösen und politischen Culttir erhoben hat, als anders-
wo und namentlich auf dem Griechischen Continent. Es ist
dieselbe Erscheinung, die uns Delos in Hins cht des Cultus
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520 W<rlckcr Über eine Kretische Kolonie.
* * • ♦ ■
des ApoDon zeigt, obgleich gerade der Delische Apollon der
Hyperboreifche heilst. Solche äufserste Funkte eiber grofsen
Völkerbewegung treten in der ältesten Zeit nur in einem be-
sonders hellen Lichte hervor, ohne dal's wir deswegen' jene
Bewegung von ihnen selbst ausgehen zu lassen berechtigt sind.
Sehr ha*uüg ist, was man gewöhnlich nur als eine Folge spä*
terer Kolonien - Aussendung betrachtet (wie z. B. in Hinsicht
Kreta'* zur Zeit der sogenannten Minoi sehen Thalassokratie) ,
eine aus der Zeit der ältesten Völkerwanderung herstammende
Identität der Sitte und des Cultüs, ja die Späteren Kolonien
selbst scheinen, nach mehreren Beispielen zu schliefsen , so
oft nur die durch die ältesten Züge bereits vorgezeichnete
Bahn auf's neue verfolgt zu haben» Nicht ohne solchen Grund
scheint z. B. Kreta in einem besonders lebhaften Verkehr mit
den Kleinasiatischen Küstenländern gestanden zu seyn , Ko-
rinth seine Kolonien vorzüglich in den Westen Griechenlands
gesendet zu haben.
In den Zusammenhang dieser Sätze möchte wohl auch der
Beiname Hellotis gehören , welchen die Europa in dem Kri-
tischen Gortyn eben so hatte, wie die Athene in Korinth.
Der Verf. stellt S. 11. den Namen mit den Formen".**,,
'EXXij zusammen, und ist geneigt, ihn als Bezeichnung einer
Lichtgqttheit zu erklären, glaubt dann aber doch , ihn wegen
der Form 'Ekkwrts, die sich derselben Allleitung nicht füge,
eher von fiXw, « At«, gAAcu ableiten zu müssen., Schon diese
Ambiguität empfiehlt keine der beiden Erklärungen. Wir
glauben den Namen vielmehr, mit Rücksicht auf die DodonHi-
sehe Hellopia (vergl. S. 29 ) , und das hohe Alterthum der
, Orte, in welchen der Name vorkommt, als Bezeichnung der
ältesten. Hellenensitz« nehmen zu müssen. Ist Europa -I>e-
meter die in die weite Ferne ausgedehnte Erdgöttin des Welt-
theils, so ist die Europa-Demeter mit dem Beinamen Hellotis
die in einer bestimmten Lokalität fixirte Hellenische Europa*
Demeter.
' Der Mythus von der Europa hängt mit dem Mythüs von
Kadmos zusammen. Wie der Verf. den Kadraos historisch
und kosmogonisch nimmt, ist schon bemerkt worden, per
kosmogonische Kadmos hat in Samothrake auch ein Weib
gleichen Begriffes an sich, herangezogen , Harmonia. 8. 35.
Harmonia aber finden wir aber auch dem Thebischen Kadmos
vermählt. S. 37. Darüber bemerkt nun der Vf. S. 38. »Wenn
man nicht anstehn wird, den Thebischen Kadmos früher als
den Samothiakischen, oder den historisch - mythischen für die
Veranlassung zu dem theologisch - symbolischen zu halteri, so
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f r vMAil wZ^w» WHv iMBUfBlll Äwwn^*«a
521
folgt daraus mk aller Wahrscheinlichkeit, dafs auch Harmonia
*äetttds weltliche Ordnung sey gefäist'urid nach Samothrak*
übergetragen worden, dafc, Harmonia , die Tochter dee Tbe»
tischten Are«, früher eeyvals Harmonie* der Elektra Tochter,
ihSamothrake, wo man , wie Dtodor 48.) «agt, der Hei*,
fetten Mythologie i die ihr Area «um Vater gebe, nicht au*
Die Contequehz dieser Behauptung ist H der That
Glicht zu begreifen , wenn man nicht im Allgemeinen dieEu*
hemeristische Ansicht,; nach welcher zu dem ursprünglich
Menschlichen das Göttliche erst mit der Zeit hinzttgehommen
ist, für die Uberall richtige hält. Denn dafs das Wort
<«v, J^crr«« auch das Geschäft eines bürgerlichen Kosmos,
. wekbea dem König mit zukommt, ausdrückt , dafs eben daher
auch der Amtsname der Harmosten kommt, beweist an sich
eben so Wenig, ah der Amtsname der Kosmbi in Ere^a in
Bearehöng aufden Kadmos, und die Annahme, daf* die Poesie
von Kadmos die Philosophen auf die erhabene Idee desKosinoe
im Weltall geleitet, nicht anders, wie sie das Bild eine*
Weltheerdes aus der häuslichen Wohnung« entlehnt haben,
S. 39, läfst völlig unerklärt * wie man gerade dazu k,am, den
Kadmos, als Hermes gedeutet, den Tyrrhertern beizulegen,
5. 3it und wie schon der alte Dichter Pisander aus Kbodoe
-um die 32. Ol. diesen Hermes - Kadmos bezeugen kann. Wie
Ideen, die zuerst von Philosophen aufgestellt wurden, in den
mythischen Volksglanben sollen tibergegangen seyn, ist an sich
undenkbar, und im Einzelnen nirgends bestimmt nachzuwei>
sen', dagegen eine nothwendige Annahme, dafs der eigent*
liehen Philosophie eine Philosophie des Mythus von nicht
thinder hoher Bedeutung vorausgegangen ist. Ein Beispiel
hiervon ist der Mythus von Kadmos, in welchen, als Ganzen
betrachtet, nur dann Einheit und Zusammenhang kommt*
wenn wir der Deutung desselben nicht eine historische ThaU
sache, sondern eine philosophische Idee zu Grunde legen.
Kadmos und Harmonia bezeichnen den Weltseist als zeugen-
des Princip (welches der eigentliche und älteste Begriff den
Hermes , und zwar nicht blos bei den Griechen ist), dem ge-
wordenen harmonisch gestalteten Weltganzen gegenüber.
Nach der Samothrakischen Lehre ist Harmonia die Tochter de»
.Zeus und der Elektra, welches Paar nur eine Modification dea
zuerst genannten Paares ist. Zeus als der höchste Gott ist
auch der Erzeuger der Welt. Elektra , wie der Verf. S. 36.
deutet, die immer Wache, nicht zu Bett gehende, durch die
Nacht wan deliule, oder vielleicht richtiger die Glänzende,
nach der Bedeutung von ^akt^v' und der Benennung der Sonne
62$ Welokqr . 01** eitfe Kret*Kfce Kotohle.
i
me auch (ü<j(,Giän»«bd9tl>tKl)e»|t<n)^k,i*i^l<skh, •a^Im^!'
A¥*kg<i|tiiT, aU Üyln^»cWn*öi *4l*m,i>u«M: 4^ Na<*|iM'l
In*Tneba sollte. di^lb« a«ife4Wii>tK># d^mOii^U^öP»^
Tdcbte«wd*a ArejA^b^idcr M«".i*it:d*firApb*ml;m «eraeugt^
4tecbfttr •<*«•• A*»i*/ s«öt id«r tV.«f fc 6ä 4£>*, , »
Apoaiont{ (Vi) .<de* tc«t^4tonrHe feaü (/i^fciJSidicUÄrflöinw»*^
%md «ler Erdmi) (U.bi /JHi»J wwpbribrtfatt $tß\n«^ >mi* ^
tier WVphrödila* di#..tfbeogtortie-.$0nU;$7i*) *rg*ir W1..*1
( i ö l t , n 4o iif As Im!»* /Mticl K,Ui ort i Irfiv ei m». & Ile^ori e, de * Scböa-
feeit U.nd 4er l^ebt? y2»fiVJM>d<rlt,l5f»v.«o^ro T.brak*sbsa
Welcbe fite i*w*er. fe* GOtb*C!Y^r/einril^a{X)ly«ip# <g*>«
Maeboiujtfto uoidi i^UfptiUe >J4iA,WI|if^hft0den Wden , und
©iobter, W <w-a*cb. allein; Reiche ..die. Tlfoan}aMu»6
gegeben, -<i*fs in -Tbeben/ so,'*«« JJarinönia . (des,K*d«uö*)
Göttin &ena»ftt% «o> ibr^r Mm ter;i Aphrodite Vereisung S*"
s*ei]M,.war, h VMar.u.fi solide Zufall und VyLll^übr au-
genommen W^flft^^iÄÜlhi e^UnjMreilija^^jue^Uanä mcht
Aphrodite
sehen Sinti , „,iv. ..1Uk <ltJLn ^'^111.11^ - '
weibliche* We*en$ tÄt Are« ;imm deivG^t 4*s «f*6« f d
der Schlachten ? Mao erwäge doch* uW.vor deun Serbischen
*Arks. Herod. I;V/. 62 ..ide<n AltiömiSchen Mar*,, mcb« werter
feu;täg«n<, /nur tlen bedeutungsvollen ., Hojtifj-isfhen tylyibM»
Odyss. VIII^26ß. .von der geheimen kiebe de*.*** uwd der
Aphrodite« ündrdio uozwe>felbafte Etyinplogie de* Naiaeni
AT^$.»elb»t. Wi« die genaanten>Pa*r^
rtia^-Zeu* und Ekktra das' 25e^nde; \YeU|nii<cip;, und diftfl**
W.rdene, schön georrdn«tef; wirklich* Weit darstellei^ pd^j
ungemeiner ausdrückt ,> Geist- undNutu*, das Ideöje und
das Reale , sso ist es wiederum nur; eine, andere Modifikation,
wen« nun dieselben Begriffe' in Ares und Apu.rQdite^s miino-
Irche* und weiblicl»es,l>rincipJaH%efaCs^ werden. Dil» W
'kann dem Idealen- ge-gen üb er nur das Untergeordneter > Ablw"-
gige -seyn , die Natur als -Gewordenes im Verhältnils z,l,n
Geist als Princip der Tbiitigkeit. . Es ist derselbe ..dureb d*
«rythische fcHd der Eue d.argf*telh«. dynamische oder k6$m*
g<£niscbe Gegensatz., der auf dieselbe* Weise Ufrter verschiede-
ii«u- Formen sowobLin der Master »enlehre , ,al* in -dcr-Mfc?1
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WelcVer fiöer eine Km tische ftifeiii* 623
.** • ■
YOti «teil Kabiren wiederkehrt , u nd wi e m Olsten den Geiat d*r
eben ?in solcher Mannigfaltigkeit der- Bilder und Formen sich
gefallenden alten Symbolik und Mythologie ganz i verkenr/eni^
Wehn' Wir sogleich als eine reelle Ditferenz an sehen WO üt«J&
wate sich sd leicht auf: die natürlichen Modiiicaüonen eines aU?
geixwVihen7B\>gri'Ö8 zurüjckhsingeir lii&t« • • -fu ' »' c »Vi'
JVfit-dies n V oraussetzungen- lassen «ich auch Jiöiübrigtn
den KadiiH.is fretreiff-nde n Mythen in eititrfeso iwigezwungene
Uebereinstimmung bringen , - data sie «tl^ft dadurch ötfvaö
mehr bestätigt werden. Da« Bekannteste f. wi< >de*: <;ewühu-
liehe Mythus Von Kadmos erfühlt, ist, dals er aiigEgesapdf:
worden sey , die J;.uiüp,i von i^ nid 7,u Lüm1 au suchen. Der
Verfi Weilt S. 67; ein gleiches Suchen» als^einen imtdesr. JaU» ,
res rasten mehrerer Göttinnen vei im nde neu G ehr au cht Jiach ,
und hemei Ja dabei eben so ti eilend 8. h'J : „ Da r; ur die heilige
JEhe der -in denNatur zeugenden Gottheit; Sonst die wukücheii
Hochzeitgel)i äuthe in aller Einfalt übergetragen sind , . soi i*t >
EÜm weiteren Verständnifs1 noch dieses zu^wiss^ii/ 'dafs jier
scheinbare Kaub der Braut ein wirklicher alter Hjeirat-hage**
J i.üh'i war (in Sparta , Kreta , ^owii^ Was aber d*n; 16**r
•Ämmerthang dieses Mythus mit KadiWä^toetriiFt , so istdut Mjb^r
die Meinung des Verf. S. 70-, folgende*: „ Wenn an der Jfcbres-
hoebzeit der Europa die vei -schwundtme Braut gesucht würdig»
so giengen wahrscheinlich der König uücl die Peinigen voraus
und man konnte die Ceremonie- in der Sage leich* durch «nVji. 'f
Ausdruck bezeichnen , • der Kadmos sucht h^rerEuropa. AI*er
mit diesem Zug der Tbebi sehen Sage hat sieb, wi4 es scheint,
eine andere an sioh bestehende, unter allerlei Gestakdn .Vvia-
derkehrer.de VolksmUhre, die Stadt steht da, wo die Kuh den
ersten König hingeleitet hat, verschlungen , und so jen*^«-
kannte ErSäblung sich gestaltet.« Als besonders be<b*utsflfcn>
Züge stellen sich nach unserer Ansicht vor AHerti; folge njgp
dar : 1) An die Stelle der Europa tritt"dfe Kuh, wfrlcber>aU
Fahrerin Kadmos ebenso folgt, wie er zuvor der .Sp*trad*r
'EuropaY na'chgieng. 2) Es scheint nichts natürlicher zu s*yn,
als diese Kuh, welcher Kadmos folgt , mit dar ^ Stierge>täje
zusammen zu stellen, in welcher £eus die Europa entführt. ...
Die Entführung der Europa bat der Sache nach .dieselft« ,
Bedeutung,' wie wenn Kadmos die Europa sucht. >Waa d£r
Mythus als historisclie Folge darstellt, ist neben einander be-
stehende Verschiedenheit des symbolischen Ausdrucks. Hal-
ten wir zuerst dies letztere fest, so lülst sich der Meinung
des Verf., Kadmos suche nur darum die Europa, weil au dein
jährlichen Festgehrauch der König, welchen der Idealname
0
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Kadmos bezeichnet, voraugiang *niin bedenk lieb die Behaup-
tung entgegenstellen, das Verhältnis des Zeus zu Europa sey
gao* dasselbe mit dem Verbal tnift de« Kadmos zu Europa.
Aadmos ist mi die Stelle des Zeus gesetzt, weil Kad mos nach
»icheren Zeugnissen alt Hermes der z engende Naturgott ist,
i-uropa ist mit Kadmos verbunden, wie ihm nicht blea die
>nia, sondern auch die Elektra oder aucb die Telepbae,
^Telephassa nur Gattin « gegeben wird. S. 41. Es ist dasselbe
Verhflltnifs der Begritfe, wie das zuvor angegebene, nur mit
einer Modifikation, durch welche nun, wenn wir den obiges
Satz , dais Europa eigentlich Demeter ist, noch bi an u nehmen,
die Samothrafciscbe und Thebäiscbe JLefare dem Mysterien-
tlogma ton der Ehe de« Zeus mit Demeter - Pereephone naher
gebracht wird. ) Der Verf. erinnert selbst an die ältestefynv
Jjohk j nach welcher die Demeter des Kofsposeidon Pier4a.
Leto mit dem Zeus O^ug Wachtelgestalt bat. S„72.
Auf dieselbe Weise nun, glauben wir, .ist der Demeter -Eu-
ropa in Kubgeataln der raubende Stiergott Zeus beigesellt. <Da-
iier sodann aucb die übrige Uebereinstimmnng der Sage, wia
-Sil. B von der Täuschiliig durch duftende Blumen, wie bei'*
.Kaub« der Kora ; verge^S. 3. Um so mehr müssen wir uns
-wundern , d»fa dem Verf. S. 72. die Führ er in des Kadmes nicht
«ursprünglich au ihm und zu der gesachten Europa zu geba-
ren, sondern erst mit dem Namen der später eingewanderten
IBöotier gekommen und dann, mit dem üebrigen verschmolzen
•worden zu seyn ach eint. Es gebe nämlich eine Art pheneti-
«Jcher Symbole der Städte und Gebiete, wonach ein mit ibnsn
gleichlautendes Thier oder Pflanze gleichsam ihr Wappen sb-
gibt, wie man z.B. um A«A$oi zu deuten ♦ »agte, in Gestalt
eines ««A^ habe Apollon die Kreter nach Pytho geführt. Al-
lein Wehe sogenannte phonetische Symbole sind wohl seilen
M* blos phonetische und so zufällig entstanden , als es bei'm
ersten Anblick scheinen könnte, und in keinem Fall da ansu-
jiehmen, wo uns andere Gründe einen ganz andern Zuaam-
jnenhang aeigen , als den zufälligen des Lauts. Selbst d-«n
Jüelphm, dessen Gestalt Apollon annimmt, möchten wir niefat
<Ue Deutung geben,- die der Verf. ihm gibt, sondern in engere
Beziehung zu de m dem Poseidon auch sonst verwandten ipol-
Jon setzen *). ,Eben so beruht es auf einem eigentbümlicheo
• ...... 9
■ ■ . ■ . " 1 ■i-
*> Apollon ist d er Delphiniselie , wie Poseidon Nepiunus ist (von
nepos, vsTolefr, d. h.,der GoU der Sprößlinge, alles dessen
was lebt und si ch regt. Eben so 5SA$,; verwandt itrft *«•
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Nuturkegriff, wenn Zeus als Wachtel die Lttoiden sjeugt.
Vgl. dt» Unterzeichneten Symbv und MyJthol. ©der die Natur -
relig. det Altertb. Th. IL AUbfciJ. J. S. 21Ö. Daher Rauben
wir nun auch, dafs. die Kub:, welcher Kadmos folgt, nicht blo»
dem Namen der Böotier ihr Daseym verdankt, sondern von
Anfang an da« Symbol der Europa * Demeter war. Eine Be-
stätigung dafür scheint uns auch dies zu seyn, dafs der My-
thus diese Kuh nach der Gründung, der Kadmeia der Athene
geopfert werden läfst^ Diese Athene ist, wie in andern dpr
ältesten Mythen, so auch in diesem ohne Zweifel der Demeter
sehr nahe verwandt. In den Orakelversen des alten Diebtort
bei Schol. Eurip. Tboen. 64t» wird statt der Athene die Güt-
tin, welcher die Kuh geopfert werden soll, die« Erde genannt;
vergl. S. 7/d Es ist jene Athene, welche in Atli.-n eben rfo
den Kid - und Ackermann Erecbtbeus aus ihrem Tempel her-
vorgehen läTst, Iliad. II, 547 , wie Demeter-Europa in Leba-
dea die Amme des Trophonios ist, oder jene Athene, die in
Korintb denselben Beinamen Hellotis gehabt haben soll, wel-
chen in Gortyh die Europa hatte, ein neuer Beweis, wie da»
Getrennte und Auseinanderliegende immer auch auf Merkmal*»
der ursprünglichen Identität zurückführt.
Einer der wichtigsten Züge der Kadmossage ist die Satt
der Drachenzähne. Nach der Meinung des Verf. sind di« fünf
erdgebor enen Drachen subue Urgeschlechter , Eupatjriden, wel-
che sich gewöhnlich für Autochthonen ausgaben, wahrschein-
lich fünf bevorrechtete Familien, welche durch die Abstam-
mung von dem Erddrachen ihre unbestrittene Legitimität^
durch die Zähne desselben ihre eigene Wahrhaftigkeit aus-
drückten« Und dies scheine das Einzige, was sich bei dieser
Saat im Sinne einer rohen Tropensprache mit Wahrscheinlich i-
keit denken lasse, Männer wie Drachenzähne, darum erwacli-
ten aus Drachen zähnen, weswegen auch ihrer zuerst viele ge-
wesen seyn sollen. S. 78« - Wir geben gerne zu, dafs die fünf
Drachen zahne fünf Autochthonen - Familien bezeichnen, daj.1l
aber ihre Herkunft von den gesäeten Zähnen des Drachen nur
•in symbolischer Ausdruck für ihre Wahrhaftigkeit seyn soll I,
können wir nimmermehr glauben , weil dabei eine gar zu vag e
Beziehung »wischen Bild und Sache angenommen werden
Barmutter) und elfj die Wurzel so vieler Tlnernsmen , auch des
Wortes a&tkfyo;* So, wenig scheint uns des Verf. Ableitung des
i Namem AsAJpoi Ton TyXztyosf TiA<J>s*wi u. s. w. S.46< die ein-
zig titlttige su seyn«
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Weleker über eine Kretische Xolome.
•
Atlfiee; wte sie von dem symbolischen Sinne de* AHertnums
nicht zu erwarten ist. Und in der That iöonen wir auch
flb*r die Bedeutung des bildlichen Ausdrucks nicht lange zwei,
fethaft seyn. Festzuhalten isr dabei nur, was keinen Zwei-
fel'zdäfst, dafs Kadmos Hermes ist, d. h. das zeugende. Welt,
und Erdprinctp-, von welchem daher auch alles Naturleben,
idle Fruchtbarkeit, aller Jabresseegen kommt , daber ist Eu-
ropa mit ihm verbunden, wie mit unbedeutenden Modifica-
tionen in Lebadea Demeter mit Trophonios. Ares (welchen
der Verf. S. ^6/ ohne Grund von Karischen Urbewohnern her-
leitet), der Vater des Drachen, ist auch hier nicht der Gott
des Kriegs im gewöhnlichen Sinn, sondern wie Kadmos-Her-
mr>9, dem Obigen zufolge , das männliche Erdprincip; die
Mutter des Drachen Telephassa oder Tilphosa (nach dem Verf.
*e;ine andere Form der Europa) mit dem Beinamen Erinnys
trifft sicher nicht blos zufallig., wie der Verf. S. 79.
5 VlOiler Orchom. S. 122. behauptet, mit' der Arkadischen De-
ineter-Erinnys, die dem Poseidon zörnt in Thelpusa oder Til-
jphosa, zusammen. Der Begriff der Demeter, die bald die
Naturgöttin überhaupt ist, bald die Göttin der finstern Tiefe,
gleicht diese zuinende, furchtbare Göttin mit der Aphrodite
aus , die nach einer andern Sage gerade in Tbebä mit Ares
verbunden ist. Der die Quelle des Ares hütende Drache ist,
wi^ eben aus diesem Zuge zu sehen ist, eben so wie der Del.
phische*; welcher Pytho bewacht , oder wie jener in den Gäs-
ten der Hesperiden, ein Symbol der Localität , auf welche
sich diese uralten' Sagen beziehen, dann aber wohl auch als
iSobn des Ares und der Telephassa die Erde überhaupt. Was
nun aber die Saat der Drachenzähne selbst betrifft, so scheinen
s/.ie uns, wenn wir die Bedeutung aller damit zusammenhän-
spenden Wesen und. den ganzen Hergang- der seltsamen Kriegs«
■ s cene bedenken , und be£ onders auch die bedeutsamen Aus-
drucke damit zusammenhalten/ welcher sich Euripides in
x nehreren Stellen bedient, in denen er von diesen Exoire re-
^ lej , wenn er« sie bald ytfV70Vl^*fc endt^i ' ^ald yyyws; St^o; u. s.
^T. nennt (Pbo«n. 937. BaccU. 245. 976. 1267.), von nichts
Minderem verstanden werd« n zu können, als von den Halmen
der Fruchtfelder, welche, wie auch die Zähne, aus welchen
s.ie hervorwnchsen , in P.ei'je und Glied einem Krieg9heere
gl eich im Felde stehen, u nd wie sie aufwachsen und erstehen,
<eben so auch niedergemä ht und gefällt werden-, ein Bild des
JVlenscheri leben s , in welchem . ein Geschlecht auf das andere
folgt, das eine das ande.e gleichsam feindlich verdrängt, ohne
dais jedoch die stete Sw ;cession je ein Ende nimmt , weswegen
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»
Wf Icker über eine KwNw Kolonie. 627
*
eben VC** -den sich gegenseitig aufre ibeftde n Ge wa&nitmty «Uh
Ybtytttf wenigsten^ ei ni^gB'ttbri-g 'bleiben müssen. Das Natur-
Itiierv im Grollen, das agrarische im Verlauf jedes Jahres , und
das* Menschenleben sind hier r wie auch sonst , namentlich in
dein Eleusinischen Mythus von der Demeter , die Ideen ,
welch« so innig in einander eingreifen , dais das eine immer
entweder das Vorbild oder das Abbild des andern ist, wie es
überhaupt das organische- lieben des Mythus mit sich bringt ,
»ich vo^n^BiM zU üild zu reftectiren. J > ' n ti%. , biOlA vA
Auf die Erlegung des Drachen läfst die Sage das' grosse
Dienstjahr folgen , welches Kadmos dem« wegen der Todtung
des Drachen , Seines Sohnes , erzürnten Ares dient , wie nacu,
der Delphischen Sage Apöllon nach der Erlegung des Drachen
ei« grofses Jahr bei Admetos dienen mufsi Der, Verfe»)£i%$
hierüber keine bestimmtere Erklärung?. >»Er nimmt 81 i?^;^ An*
merk. 176. da« grofse Dienstjahf "des Kadmos arW'Bufisa »Ufr
Sühnung der Blutschuld, welche er durch Ausrc*tftt»n£ der^aur
zen Einwohnerschaft auf-sich geladen, glaubt d^nn-aber^ allein
das JüngUngsopfer , iWekhes 1 in der Sage von den Ziehen/ ge-
gen Thebä der alte Drache heischt, verrathe uns , cfafs aus der
Kadmossage nur die Legende oder m^thi»che> Her leiten g für
einen furchtbaren Gebrauch, die Versöhnung- des 'Difa'clÄu im
Heiligthum-, welcher bei öffentlicher Notk ab deren TJrbebik
betrachtet wurde j hergenommen war-, und dal« Ghc*da*l~>i«nsfc.
jähr des Kadmos auch eine ganz andere Beziehung gehabt ha-
ben könne. Die Uebereinstirnrnän/r der Thebüischen uft(/ Del-
phischen Sage über die-Tödturig des Drachen rst»föf d^e Dets-
tung dieses iVTytbus höebst wichtig, und ■* vor Allem be* «chteni-
werth das ewige Jahr, welches Kadmos -dienen mufsttt , <wi»
Apollodor. III. 4. 1. ausdrücklich sagt! Kd^o; fo\x*nr*>\
dttto» svtayrov ' «9qrsvsy A?sc*' »jv 8s o svtavrof rofe oxtco ery. f Oiestfs
achtjährige Jahr ist die Pythische Enneateris , aufweiche iieue-
stens- K. Ö. Möller Gesch. der Dorier (Tb; I^Svsfltf. ' 2315-
242. 437. und a. a. St.) besonders aufmerksam gemach* ' hat
Sromit nun auch die Prölegomena zu eine* Wissenschaf tfc 'iVIy-
olofr 1825. S. 304 f. zw vergleichen srnd)', eine Zeit' ^Vtfh
acut Jahren und drei Sehaltmonaten^y welche -afrUt* dem A ^ol-
lon geheiligte Periode in mehreren Mythen desselben vor-
kommt, den Cyclus der grofsen Feste des Gottes in Del ph/,
Kreta und Thebä bildet«, und auch Jie ^ejt des Exils unc l der
Dienstbarkeit Blutbefleckter war. Namentlich mufste Ap< )llou
selbst wii» Kadmos gerade acht Jahre dem Admetos. in P herä.
dienen, und nach dieser Periode erst kehrte er gereinigt wie-
der in sein Heiligthum zurück. Enneaterisch war auet t der
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j-u tv oiow» iwcr eine xvrciucu« rvuiuMif.
die Wanderung des Gottes darstellende Zug de* Delphischen
Knaben nach Teinpet wobei die Hauptbegebenheit die Knecht-*,
schalt bei Admetos war ; tv Müller Prolegom. a. a. O, Dorier
Th. 1. S. 320. Diesem zufolge könnte es nun scheinen, dais ,
wie Müller sagt, nur die Idee , aus welcher die Notwendig-
keit* der Mords üb ne hervorgieng, auch: den Mythus, von der
Diensth^rkeit der acht Jahre erzeugte. Gleichwohl könne»
wir dabei hoch nicht stehen bleiben, schon darum a weil ja
der Mord, dessen Schuld gesühnt und durch Diensthat keit
gehülst werden soll, ganz eigener Art ist, und nur symbo-
lisch verstanden werden kann , und dann auch deswegen , weil
auch die Enneateris in Beziehung auf Apollon selbst eine Be-
deutung zu haben scheint, die nicht Llos aus seinem Fest-
cycius nn gewöhnlichen Begriffe zu erklaren ist. Was» das
erltere betrifft , so kann die Tddtung des Drachen , wenn der
Drache leihst entweder eine' bestimmte Lokalität, o<Jer die
Erde im Ganzen bezeichnet, nichts anders .bedeuten, als die
Aufschliefsung der Erde in jedem neuen Frühjahr zu jähr-
licher Fruchtbarkeit ; aus ihrem Blute gleichsam iliefst der
Seegen des Jahres hervor. Er heifst der Drache des Ares ,
weil Ares selbst der Eröffner der Erde ist, Vergl. Symbol,
und Mytbol. oder die Naturrelig. des Altertb. Tb. ff. Abth. I.
6. 121 1* Damit aber werden wir sogleich in eine Ideensphäf *
versetzt , in welcher das Agrarische sich zum Kosmogonischen ,
die Jahresperiode sich zum grofsen Welt jähr erweitert. Der
Drache, aus dessen Blute die Saat der Felder und Menschen»
ersteht f ist mit Einem Worte ganz analog dem Weltstiere der
Persischen Schöpfungslehre, der den Saamen aller Geschöpf«
•und Gewächse enthält, oder dem Opferstiere, welchen Mi-
thras erwürgt. Wie in Beziehung auf die Jahresperiode die
Erlegung des Drachen die Eröffnung des geschlossenen Leibes
-der Erde ist, ohne welche der Saamen der Gewächse aus ihrem.
Scboofse nicht hervorgehen kann, so bedeutet dasselbe Sym-
l)ol in kosmogoni scher Hinsicht die mit der einmal gesetzten
realen Welt noth wendig verbundene Dahingebung in die End-
lichkeit des Seyns , vermöge welcher der Tod allein die Bedin-
gung jeder neuem Lebensentwicklung ist.
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1 (Der Btschlufs folgt.)
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Jahrbücher der Literatur.
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Welckeiy über eine Kretische Kolonie in Theben,
die G$m Europa und Haimos den König.
Der Tod ist das wahres te Symbol der Endlichkeit. Daher
mufs der Drache als . Symbol,. der Endlichkeit sterben f und
alles , was aus der Saat des Drachen kommt» ist dem gleichen
Gesetze der Endlichkeit und des Todes unterworfen, wie Ku-
Tipi^de* gans im Sinne unserer Deutung von dem Drachen des
Kad mOS Sagt! ysvov; be 3si Savs/v roud c; <5^«kcvts; *y£vjc; tKT«<))vlta
Tfl(,- , eine Wahrheit, die der .Mythus durch den verhängnila-
vollen Untergang des Thehäischen Königshauses recht anschau-
lich darstellt *). Der Gott, der den Drachen erlegt, stellt
«war als Sieger des Drachen . und; als Frincip der göttlichen
weltschöpferisch en Thätigkeit die Idee des Unendlichen im
Gegensau des Endlichen dar; da er aber selbst auch nicht als
reiner Gott an sich , sondern als Gott der geschaffenen realen
Welt gedacht werden mufs, so kann das Unendliche in ihm
■4f ■ t- r— •
Nicht ohne Interesse ist die Vergleiehung der Griechischen Drachen*
y . sagen mit den Alt teutseheof nach welchen furchtbare Linttrachen
von starken Rittern erschlagen werden. Obgleich in diesen das
Kosmogonische heroisch - ritterlich gewendet ist, so fehlt es doch
nicht an Andeutungen eines inneren mythischen Zusammenhangs
mit der oben entwickelten Idee wenigstens in dar Sage des Nibe-
lungenlieds v* 409. 3609. Dem heifsen Blute des erlegten Lint-
t rächen verdankt swar der hürnene Sigfrid »eine Unverwundbar«
leeit, aber das zwischen die Schultern gefallene Lindenblatt läfst
dem Tode der Endlichkeit einen verhängnisvollen Fleck offen.
Dieselbe ethische Wendung der Sagen von solchen Kämpfen ist
auch sonst In des Orientalischen und Griechischen Mythologie
wahrzunehmen. f
XIX. Jahrg. 6. Heft. U
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530 \f Wtloker über eine Kretische Kolonie. $
nur in seiner Beziehung zum Endlichen erscheinen, und es
mufs seihst auch von dem Loose alles Endlichen berührt wer«
den. Daher ist es auch dem Gotte bestimmt, sich irdischer
Dienstbarkeit zu unter werfen , und er selbst bedarf der Bufse
und Reinigung. Auch in andern Mythen bezeichnet die ge-
wissen Gottheiten zugeschriebene irdische Dienstbarkeit den
in der Idee d.er mythischen Gottheit ausgedrückten Gegensatz
des Unendlichen und Endlichen. Mehrere Gottheiten dieser
Art werden in den Versen zusammengestellt 9 die aus der He-
raklee des Panyasis bei Clem. Alex. Cohort. p. 56, ed. Wirceb.
aufbewahrt sind, Ueber die Modificationen , mit welchen
diese Idee in andern Mythen wiederkehrt, vergl. man Symb.
und Myth. oder die Naturrelig. des Alterth. Th. II. Abth. II.
S. 370. Was wird nun aber nach diesen Voraussetzungen die
Bufse und Reinigung bedeuten , welche mit dem Ende der
Dienstbarkeit erfolgte? Die Antwort hierauf liegt in der be-
merkenswerthen Angabe, dafs die Dienstharkeit sowohl bei
Apollon als bei Kadmos gerade einen Zeitraum von neun Jab-
ren dauerte. Die Enneateris war nach Müller Dorier I. Th.
S. 330. ein Cyclus , welcher Monden- und Sonnenjahre in
Uebereinstiinmung bringen sollte, indem immer nach neun
und neunzig Mondenmonaten der Frühaufgang der Pleiaden
ziemlich genau mit derselhen Phase des Mondes coincidirte;
sie bildete demnach eine astronomisch in sich geschlossene
tröfsere Periode , in welcher das Ende zum Anfang zurück-
ehrte. Nun ist aber nicht blos im Begriffe des Apollon die
Idee der Seelen Wanderung ein sehr wesentliches Merkmal,
sondern es kommt auch die Zahl neun auf eine solche Weise
vor, dafs wir an ihrer Beziehung auf die Lehre der Seelen-
wanderung nicht wohl zweifeln können. So finden wir sie
bei Piaton Pliädrus p. 45. coli. 60. ed. Bekk. , vielleicht auch
bei Pindar Ol. II. 123- coli. Ilerodot. II. 148. , am deutlich-
sten abt-r in der merkwürdigen Sage, welche Plinius H. N.
VIII. 34. aus dem Griechischen Schrittsteller Evanthes zwar,
wie er meint, nur als ein Beispiel der graeca credulitas , je-
doch mit solchen Zügen anführt, dafs sich uns ihr wahrer
Sinn und Inhalt nicht wohl verbergen kann. So ist demnach,
dies ergibt sich uns als Hauptsinn des ganzen Mythus, die
Enneateris der auf die Tüdtung des Drachen folgenden Dienst-
barkeit ein Bild des grofsen Weltjahrs, in dessen Verlauf der
in die reale Welt eingetretene Gott oder Mensch in die ganze
Tiefe der Endlichkeit hinabsteigen mufs, bis er endlich, nach-
dem er die der Endlichkeit anhängende Schuld abgebüfst bat,
gelüutert und gereinigt zu dem reinen Anfang, von welchem
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Wetßktt über eine Krehsrhe Kolonie 53l
efcausgierfg, wieder zurückkehl t. Dies verainnlicht der ent
dffatferische Zug de« den Äpollon darstellenden Delphis eben
Knaben nach Tempe, dies bezeichnet die Sage von dein, zwi«
Sebent ^Delpbr Und« dein Hyperboreerlun<le getheilten Aufent-
Mterdes Gottes selbst. Vergl. Müller Dorier Tb. I. S. 269.
^29. u- Von diesem Gesichtspunkt aus können wir erst deut-
ÜlÄer begreife» f war um wir in den Sagen , die von der Dienst-
4Wl*keit im Hause des Admetos handeln« oder von der Moti-
#4furig derselben , Vorstellungen über Leben Und Tod einen
Wesentlichen Beatandtbeil ausmachen , wie s. B. in der Sage,
ilafs ^Alcestts aus der Unterw e t durch Apojlon und Herakles
*r*sJtikt? Worden oder *dals Zeus des Apollon Sohn Asklepios
erschlagen habe, weil er Todte iu's Leben zurückgerufen*
dUtaietos , ?nn dessen (lause Apollon ist, ist, wie auch Müller
*l>ttrieT' I. Vh. S> 330* ijemeckt, Hades selbst, und der GoU
(des Lebens Inn is dein . Gölte, des Todes und der Unterwelt an.
«bei ^fallen. » Die Tfer de, -welche Apollon bei Admetos weidet,
sind" wähl dieselben, Von welchen Pluton als Entführer der
Kors/ecbon bei Homer xAo^ira-Ac; beifst. Man vergl. hierüber
-feriier»| was Mürllet Proleg. S. 306 £ Weiter hemerht hat. Die
*Be«iikin*u«g desselben Forschers, Dorier Tb. I. S. 235»
t# nur als eine dichterische Uebertragung zu betrachten sejr,
dals Kachnos nach der Tödtung des Diachen acht Jahre als
Knecht dienen inufs, denn ursprünglich haben Kadmos und
Af»oWön nichts Entsprechendes , würde nur dann einige Wahr-
scheinlichkeit haben, wenn Kadmos wirklich so zu nehmen
•Wu*re, wie ihn Unser Verf. deuten will. Fehlt es aber dieser
'Deutung i auch abgesehen von den Mythen , welche den Kad-
nto* in nahe Berührung mit Apollon bringen , an gehöriger
Begründung, so sind offenbar diese Mythen ein neuer Beweis
dafür, dafs Kadmos einen höheren mit Apöllon gemeinschaft-
lnihen Begriff enthalten mufs, Er ist wi*«Apoilou der Gott
•der realen Welt überhaupt , dessen mythische Geschichte den
ganzen Cyclus darsttdit, welchen jedes in die reale Welt ein-
, betretene Wesen durchlaufen mufs.
Was in der heiligen Sage der Parser Ormuzd und Ahri-
f man als Gegensatz und als Einheit, was in untergeordneter
Beziehung und minder scharfer Entgegensetzung des Guten
-und Bösen oder des Unendlichen und Endlichen Mithras der
- Stierschlächter und der von ihm (nach der eigentlichen Zend-
»age aber von Ahriman) erschlagene Stier bezeichnen , als Sym-
bol einer an eine bestimmte Periode geknüpften, auf das Ver-
»bältnüs der Gottheit zur Welt oder des Idealen zum Realen
»ich beziehende Entwicklung, dasselbe liegt auch in dem
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5)2 Welekcr über eine Kretische Kolonie.
Drachenkampf und dem Drachensieg des Apollon und des Kad-
mai. Nicht zufällig ist es wohl , dafs derselbe Drachenkampt
und die ganze seltsame Kriegsscene sich auch in der Sage von
Jason und den Argonauten in der Kolchiscben Aea wiederholt,
einer Landschaft, in welcher Fersische Einflüsse nicht su ver-
kennen sind. Dafs Ahriraan, die personificirte Endlichkeit,
auch in der Persischen Sage als Schlange erscheint, wollen
wir nicht einmal geltend machen, da wir diese Ideen und
Symbole, die in der alten Religion unter so vielen Gestalten
sich finden, wenn sie auch gleich in der Persischen Religion
sich uns am unzweideutigsten darstellen, doch nicht gerade
im Einzelnen zu bestimmt von einem einzelnen System abhän-
gig inachen dürfen.
Wie wir aus Euripides Phoen. 931. sehen, wurde auch
noch im Kampfe der Sieben gegen Thebä wegen des Drachen-
mords ein blutiges Opfer geheischt. Aar tcv5« (rauha) SakapWi
Kahuov -Kokaiwv A^e; «* ^vz/xara-v etc. Dieses Opfer scheint su
den Sühngehräuchen der Apollinischen Religion zu gehören,
zu deren Erläuterung Müller Dorier Th. I. S. 23l; 326. neb-
leres beigebracht hat. Am auffallendsten aber stimmt diese»
Theb3ische Opfer mit dem Opfer zusammen , welches die Athe-
ner nach der bekannten Sage dem Minotauros in Kreta dar-
bringen muhten. Der Antheil, welchen Apollon an de© Kre-
tischen und ThebSischen Opfer hatte, erhellt füVs erste dar-
aus, dafs beide in Folge eines Orakelspruchs geschehen.
Charakteristisch ist dann aber besonders, dafs es ein Jüng-
lingsopfer seyn mufste. In Thebä war es der unverheiratete
Sohn des Kreon Mencikeus, vgl. Eurip. Phoen. 945, in Athen
waren es sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen (diß ^e,n
Apollon in Beziehung auf die Wochentage heilige Siehenzahl)»
welche nach Kreta gesandt werden mulsten , weil Mino* ^n
Athenern die Ermordung «eines Sohnes Androgeos Schuld gab.
Dieser Androgeos nimmt in diesem Mythus dieselbe Stell'*
ein, welche in dem Thebäischen der erdgehorene Drache hat,
und in der That ist er auch nach der Bedeutung seines Name'1»
ein Erdensohn. Wie der Drache wird auch dieser getödtet,
und der Tod beider ist ein Symbol der allen in das zeitliche
Lieben eingetretenen Wesen anhaftenden, der Söhne und Ha*
nignng bedürfenden Endlichkeit. Daher denn auch , wa> »*•
sonders bedeutsam ist, dieselbe Zahl der Jahre der Bufie»
welche die Schuld des Mordes erforderte. Kadmos rauf*** e,n
ewiges Jahr dienstbar seyn, d. h. eine Enneateris nach der
andern, weil es eine im endlichen Leben immer wieder sich
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erneuernde Schuld ist, von weicher der Mensch alt endliche!
Wesen nie frei wird. So müssen nun auch die Athener sieben
Paare dem Minotauros Jahr für Jahr schicken, wie Apoliodor.
III. 15. 9. sagt, v.iru froj. Schon dieser Ausdruck würde be-
rechtigen , das achtjährige Jahr zu verstehen, wenn wir auch
nicht wirklich bei Plut. Thes. c. 15. und Diodor. IV. 61. die
bestimmte Angabe fänden, dafs je nach neun Jahren ein Sühn*
Opfer gebracht werden mufste. Etoi^ävtc <rjv$vjxa; , wti t^ti»
3< fivvaa arcev S'zrucv, ijTC»9V5 tVra xa* Ta^S^voü; rsffaura;« c/txoAo•ycuo,*^^
ol TXitffTci rwv cjyy^uQawv* Plut.a. a. O. Die Uebereinstimmung
heider Mythen geht ferner aus der Varietät der Sage hervor,
dals die Jünglinge nicht wirklich geopfert wurden« sondern
nur tttr die Dienstbarkeit des Gottes bestimmt waren (A^/tto-
-iA-^ — 9*jXq; &tiv o'j vöfAtfav avcufsivBat tovj xcuia; yiro reuM/vw, akka
fyrmnvTui iv ry K^rjy xaT<ryijpawK«v. Plut. c. 2 6.). Nach dieser
Combination ergibt »ich nun die Deutung der übrigen wich-
tigeren Züge des Mythus von selbst. In das Labyrinth wer«
den die sieben Paare geschickt, weil das Labyrinth, wie in
Aegypten, so auch in Kreta das Symbol der vom Leben zum
Tdde und vom Tode zum Leben innerhalb einer astronomisch
bestimmten Periode hindurchführenden Bahn ist, welche alle
endliche Wesen zu durchlaufen haben. Diese Periode des
Kreislaufes ist in Kreta an das Stiersymbol des Minotauros ge-
knüpft, wie in Kreta die enneaterische Dienstbarkeit sich auf
das Symbol des Drachen bezieht, zur Bestätigung der obigen
Behauptung, dafs das eigentliche Vorbild auch des Drachen«
symbols der Persische Mithrasstier oder Weltstier ist, das
Symbol des innerhalb einer bestimmten Periode sich entwik-
kelnden Weltlaufes, der durch Kampf und Leiden hindurch«
gehenden Endlichkeit des realen Seyns. (Die Idee des Kampfes
wird auch in Androgeos durch die Sagen bei Apollod. III. 15.
7. hervorgehoben, so wie in ihm auch die Sage der Wieder-
erweckung durch Asklepios wiederkehrt, wenigstens bei Pro«
pert. II. 1. 63.). Theseus ist der glückliche Held , welcher
den durch die Irrgänge des Labyrinths führenden Faden fest-
hält | und zwar gelang ihm die Errettung, wie ebenfalls nicht
ohne Bedeutung gesagt wird, als der verhängnifsvolle Tribut
zum drittenmal entrichtet werden sollte; Plutarcb. Thes. 17.
Denn drei und neun sind die immer wiederkehrenden heiligen
Zahlen, nach welchen die Periode dieser Wanderung bestimmt
wird ; vergl. die obigen Stellen. Nach glücklich vollbrachter
Kettung schüft Theseus mit dein heiligen Schiffe nach Delos
zum Heiligthum des Apollon , wie Apollon selbst , wenn er
»ich gereinigt bat von der Befleckung des Drachemnords, nach
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534
Welckei über eine Krerische
Delphi zurückkehrt. Dann ist die Period* der Bufre, Reini-
gung und Wanderung vorüber, aus der Verdunkelung des end-
lichen Seyns ist die Rückkehr zum idealen Anfangspunkte ge-
funden; alter immer auf's neue Wiederholt sich derselbe Cycl
Apollon reinigt sich immer aufs neu« in Tempe, und das
seische Theorenschiff der Athener vollbringt Jahr für -J
seine Fahrt von Athen nach Delos. Historisch müssen
hieraus auf einen in uralte Zeit zurückgehenden religiösen Zu-
sammenhang zwischen Athen , Kreta und üelos schlidsen. .
Unwillkübrlicb werden wir in diesem Zusammenhang
auch an die Tbebäische Sphinx erinnert-,, die in dn Geschiebte
des Oedipus den verhängnisvollen Knoten knüpft. Di«
neueren mythologischen Untersuchungen haben sie noch virenig
beachtet 9 um so mehr glauben wir sie hier nicht gana^ä^St#
gehen zu dürfen. Sie ist ohne Zweifel nur eine
des Drachensymbols, von welchem wir hier reden, tinfith0*
steht, die sowohl durch die isolirte Stellang , die sie in dem
Thebaischen Mytbenkreise hat, begünstigt, als auch 4urcb
mehrere einzelne historische Züge wahrscheinlich gemacht
wird. Als Erzeugnis der Echidna und des Typhon, wie sie
bei Hesiod. Theog. 3 19. und bei Apollod. III. 5. 8. genannt
wird (Euripid. Fhoen. 1019. ya; Ao^tu/ua) 9 ist sie ein Wesen
gleicher Art, wie der erdgeborene Drache, mit welchem sie
auch in ihrer Gestalt wenigstens einiges gemein hatte. Nach
Pisander bei dem Schol. ad Eurip. Fhoen. 1728. hatte sie den
Schwanz eines Drachen. Sie sollte von der Here gesandt
•eyn, nach einer andern Angabe aber von Ares, Weiler den
Tbebaern zürnte, dafs Kadmos seinen Sohn, den Dracben,
getödtet hatte; s. Argum. ad Eurip. Fhoen. e cod. Guelpb.
Merkwürdig ist die Versetzung der Sphinx vermittelst der
Echidna und des Typhon nach Arima (Hesiod. Theog. 299-)»
da auch unser Verf. Aeschyl. Trilog. From. S. 3 19. in diesem
Narnen, gewifs mit Hecht, eine Bezeichnung des Arimans.
gefildes erkennt. Die Vermischung der Sphinx mit den Ae-
cyptischen Sphinxen hat ihren Grund tbeils in der gleichen
Bestimmung dieser symbolischen Wesen, eine 1j eilige Localität
*u bewahren, theils in der Voraussetzung, Kadmos sey ein
Fböniziscber oder Aegyptiscber Ankömmling gewesen. Die
gröfste Aehnlichkeit mit dem Drachen gibt jedoch der Spinn*
die blutige Gier, mit welcher sie ein immer neues Opfer
heischt. Wie der Drache alle tödtete, die Kadmos aussandte,
so verschlang die Sphinx alle, die ihr Räthsel nicht lösen
konnten. Und dieses Räthsel selbst, was hat es ander! z«'n
Gegenstand, als den Menschen in der Wanderung durch das
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W«Uk* ü*er eim Kretin Kol«**
gliche Le**nt welche «*,der auf den Dr«cbenmor4 l
cUx>^eim«atf|i4phea l'eriode zu vollenden ist? Daher die räth-i
selbüftt: Bezeichnung dei Menschen nach der verschiedenen-
ZM feiner in den Ygrjchied*nen Perioden, die er tu
4e*«nUttt*it Jia&. Die in 4epi Mythus enthaltene Idee kann
4wiuach >«r fplgtn^^yn: Endlichkeit : und Tod ist das all«
gereifte* |M}4 abwendige Schicksal in der einmal gewordeneu
V\{«JÄfc,»ur.W^r.d*«Äätlj$elt deseen lösendes Wort der Mensch
Wfr W fe^, wieQedipu», d. h. weif in der Verdun-
klung de^itdiseken Seyna/tfcs WaWhaft menschliche Bewufst-
aeyn in sich lebendig zu erhalten, vermag (oder auch wer wie
Tüet#uf .4e^ du^cb die Irrgäuge des Labyrinth* leitenden Fa-»
den "nicht Meliert,, wer nicht wie Nisos durch seine Tochter
Sc§iIla,da#rpejlpurM-e7iaart an welchem das Lehen hängt, vqtfi.
Haupte weh n^e^lafst, Apollod. III, 15. 8, werwieOdys.*
seus mit Mawieskraft der Zauhergewalt der Kirkt» widersteht,
Od. X, 294» wer wie Alexander den lahyrinthisch verschlun»
genen Gordischen Knoten, s. oben, Jöst) , nur ein solcher ist
ton Stande¥~dent Schlünde des Verderbens, der alles Endliche
zu veracblingfcn droht, au entgehen und wieder aufzuatbmenf
vom Drangsal, mag er auch wie Oedipus durch alle" Dunkel
und Irrpiadö des irdischen Lebens hindurchgpführt werden.
Darum stürzt »ich das verderbende Ungeheuer , nachdem ihr
Rätbsel gelöst ist, selbst von der Höhe der Burg herab. Der
Mensch überwindet den Tod der Endlichkeit, wenn er sein
eigenes Wesen erkennt, die Kraft seines Selbstbewufstseyna
ist das leuchtende Licht durch die Irren des Lebens. Räthsel-
«elgeberin ist demnach die Sphinx nur darum, weil der mit ihr
identische Drache eine symbolische Bedeutung hat, wofür der
eigentliche Ausdruck der alten Sprache acjnr&Saa, (vvtypa ia*.
In demselben Sinn heifst sie auch Muse und Sängerin, Soph.
Oed, Tyr« 3D9. Eur, Phoen. 1728, wodurch sich übrigens zu-
§leich ihr Begriff, dem der Sirenen nähert , welche wie sie als
ymbole der materiellen Welt und als Wesen verderblicher
Art geschildert werden (xoAv$ 3' a/Ap* caracdpiv St; ayfywv irvBof*evwv.
Od. XII. 45. m Man vgl. damit auch die Scylla , die bei Apol-
lodor a. a.O. in dem der Sache nach Übereinstimmenden Mythus,
von Androgeos genannt ist.
i.j-Je mehr nach diesen Erörterungen, die wir für uofcbwen-
dig hielten, um die vom Verf. berührten Gegenstände richtig
zu durchschauen , der ganze Mythenkreis des. Kadmos ideellen
Gehaltes zu seyn scheint, desto zweifelhafter m.ufs das Histo-
rische werden , das mm etwa in diesen Sagen finden mag.
Der Verf. vermutbet S. 00, der König sey in Tbebü gehalten
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536 Wecker Ober ein«' Ktetisehe Kekmie.
gewesen, aus einem der fünf Au tochthonen- Geschlechter su
heirathen, wie den Polydoros , des Kadmos Sohn , eine Ba-
ke] in des Chthonios beirathet. Aber eben der Name des
Sohnes, Polydoros, ganz gleichlautend mit dem Pluto's, wel-
eben Demeter mit Jasios in Kreta erzeugt, Hes. Theog. 962,
weist zugleich mit den Namen Chthonios und Nykterinos,
Apollod, III. 5. 4, unverkennbar auf den obigen kosmiic*.
tellurischen oder agrarischen Sinn der Sage zurück. Das an.
gedeutete Verhältnis der Sparten , fährt der Verf. fort, da*
einzige Erhebliche, was von der Kadmeiscben Verfassung sich
verrathe, scheine auch die vielen Vormundschaften in der
Thebäischen Königssage zu erklären. Nach Kreon sey es su
gewaltsamen Herrscbaftswecliseln gekommen, und das Haus
Chthonios habe, indem es Kadmos stürzte, eine Diarchie ein-
geführt, eine Form die Obergewalt zu theilen und zu be-
schränken, welche hier und dort vorkomme, und durchaui
noch nicht mit der Aufmerksamkeit betrachtet worden sey,
welche ibr gebühre. Wie viel Historisches werden wir ab«
voraussetzen dürfen, wenn wir auch nur die Nariien der Brö-
derpaare der Thebäischen Diarchie betrachten, Nykteus und
Lykos (Nacht und Tag), Amphion (der Umlaufende) und Ze-
thos (m anderer Form Zetes und Kaiais, Söhne des Bbresi
und der Oreithyia, vielleicht irgend ein Gegensatz der W*U-
gegenden oder der Winde, Zetes vielleicht verwandt mit Z*
phyros, von <fi£» d. i. ^ ? Die Diarchie kommt allerdings
auf eine auffallende Weise als älteste Staatenform wiederholt
vor in dem alten Achaia sind es Kastor und Pollux, dieBrü-
der der Helena, oder Agamemnon und Menelaos, die beide»
Horte und Hirten der Völker, in Rom Romulus und Remui.
Und doch ist in allen diesen Brüdtrpaaren , deren Name, Ge-
nealogie und Geschichte durchaus mythisch ist, immer nur
die Idee der Dioskuren ausgedrückt, und sie haben eine so
ideelle Bedeutung, dafs wir auf keinen festen Grund und Bo-
hlen kommen können. Das Wesentliche ist dabei nur dies:
Die kosmischen Wesen, die Söhne des Zeus, die Kräfte, de
ren gegenseitiges Verhältnifs die Weltschöpfung und Welt-
ordnung bedingt , sind auch die Potenzen, durch welche der
^taat, als eine Welt im Kleinen, gegründet und erhalten wird,
die Senaten im höchsten Sinne sind auch die Penaten des Staa-
tenlebens. Und wirklich werden auch die Thebäischen Zwti-
ganz besonders die Gründer der
siebenthorigen Stadt, die Erbauer der starken Mauern genannt.
Uie» ist das Eigentümliche der alten Naturansicht, dafs sieb
«ör die einmal aufgefafste Idee immer wieder in einem neuen
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Reflexe darstellt, ali höhere und untergeordnete Einheit. So
h/t Staat und Stadt1 äÜcB^ern *Ccuo<;, so ist da» Vorbild der Ehe
in der Einheit und deaa 'Gegensatz der in der Natur sengenden
Götter. Es ist irnttiet' ttW «ine andere Modi fication derselben
Weef -werde sie kosmisch , oder teUurisch und agrarisch , oder
politisch und etbrself gewendet. Iat et nun an »ich schon na-
tflrfidir, auf diea*m: Standpunkt das Höhere auch für daa Ur-
sprüngliche an hatten, so kann un» eben die Erscheinung der
Diarchie als eigentlicher Staat enfonn einen auffallenden Be*
wfeis der Notwendigkeit dieser Ansicht geben. Den» was
könnte wohl die Veranlassung gewesen Seyrt , an die Spitze
der ältesten Staaten ein Brflderitf lai 7Ai setzen , wenn nicht der
Staat sogleich als ein Abbild des eigentlichen kc<t,uc$ betrachtet
worden ist, dessen Entstehung und Weaen nur dynamisch
aus einem Gegensatze verbundener Kräfte begriffen werden
kann *) ? So ist denn auch in dem Dorischen Sparta f in wel-
chem die Diarchie in historischer Zeit als herrschende Staaten«
form erscheint , diese dann erst eingeführt worden , nachdem
sie längst als kosmische und religiöse Idee vorbanden war.
Merkwürdig ist in 'den Sagen von den Söhnen der An«
tiope , Amphion und Zethos , die Einmischung der Lydischen
Niobe. Denn Niobe ist mit Amphion vermählt. Der Verf.
denkt dabei nur an die in der iiitesten Kunstgeschichte Grie-
chenlands wichtige Thatsache, dafs das Geschlecht von Sän-
gern, welche die Söhne der Antiope verherrlichten, lieh der
Lydischen Laute bedient habe ; S. 84. Die Laute des Amphion
hat jedoch sicher eine symbolische Bedeutung. Als historische
Thataache aber glauben wir einen Zusammenbang des alten
Böotiens mit Lydien oder Vorderasien annehmen zu dürfen,
sowohl , weil Niobe (deren sieben von Apollon getödtete Kin-
der nur die Unterordnung der sieben Einheiten anter die Ein«
heit der Siehenzahl bedeuten, deren Vorsteher Apollon als
ißtcfActysTtf ist, wie so oft das Negative einem Positiven ge-
genüber mythisch durch ein Tödten, Verbergen u. s. w. aus-
gedrückt wird) wie in Lydien ao auch in Thebä einheimisch
ist , weil eben so auch der in Thebä geborene Dionysos gerade
von Lydien der Sage nach hei überwandert, und weil daa
*) Ein dynamisches Verlilhnifs enthält immer einen Gegensatz und
eine Einheit. Daher das Brüderpaar bald durch feindliehen Hafs
getrennt, bald durch idealische Eintracht verbunden, gerade so
wie derErwürger des Stiers das einemal der böst Ahriman ist,
das andcremal der gute Mithras.
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e
53d W eicker über eint Kre tische Kolonie-
Dioak urenpaar, wie überall , so arch in Tbebä historisch doch
nur auf das Samothraciscb - Troische zurückzuführen ist, als
aucb besonders deswegen, weil uei selbe Zusammenhang gerad
bei denjenigen Ländern consequent eben so sieb zu erkennen
gibt, welcbe aucb mit Böotien in alter Verbindung stehen.
Es sind die Lünder des Pelops, Eii* nameutlkh, woneben
Pelops der Lydiscbe Endymior. einheimisch wird (dessen my-
thische Liebe zu Selene n3cb Böckh's treffender Deutung, ad
Pindar. Explic. pig. j3ü\ mit dem Mythus von Apollon und
Niobe sehr gut zusammenstimmt ) , wie in Argos -wube, ab
Tochter des Tboroneiis, S. 84 , und (las alte Acbaia, dessen
Hauptstadt Sparta eben so eine Stadt der ixa^ror war, wie das
Böotisch«Tbehä\ Vollkommen begründet ist aber dieses histo-
rische Völkerveihaltnifs nur dann, wenn wir die Völker der
genannten Länder als Zweige des von den Küsten Vorderasiens
eingewanderten Pelasgischen Stammes betrachten.
Durch das Bisherige ist die Beantwortung der Frage,
welche der Verf. in der Ileibe seiner Untersuchungen eben-
falls in besondere Erwägung zieht (S. 67 — 66) , wir ah«
absichtlich hier erst berühren wollten, ob nämlich Kadmos
Führer einer Phönizischen Kolonie gewesen sey, hinlänghcb
eingeleitet. Der Verf. führt, um zu entwickeln, wie sich die
Vorstellung von einer Phöniziscbexi Kolonie in Theben »ui
Alterthum habe bilden können, die Tbebäische Europa auf
die Kretische als die ältere zurück, und behauptet sodann,
dals in den ältesten Dicbtersagen Europa des Phönix Tochter
sey, müsse entweder seinen Grund darin haben, dafs tu der
Zeit die Vorstellung herrschte, es sey der Dienst der Europa
von den Phöniziern eingeführt worden, oder in der, dais vor
dem Volke des Minos Phöuiker im Lande gewohnt hättet;.
Keine von beiden Vorstellungen sey au sich unglauhhaU, die
erstare, weil der l ehlscblufs sehr leicht gemacht werden konntr,
wo zwei Götter Hauptbedeutungen und Symbole in dem Grade
gemein haben , wie die Sidonische Astarte und die Kretisch*
Jluropa, da ist eine die andere, und das gröfsere oder gebil-
detere Volk bat sie dem andern zugeführt; das andere habt
eben so wenig etwas gegen sich, dajs irgend ein Gebieter von
Gortyn, oder ein Kretischer Minos Pböniker aus den Wohn-
sitzen verjagt habe, nur sey hieraus für die Griechische Be*
völkerung wenig zu schliefsen , und um Phönizischen Einftuls
wahrscheinlich zu machen, nur dies von einiger Bedeutung
dafs in Vorhomei ischer Zeit die PhönizUche Aphrodite unter
die Olympier aufgenommen worden. Bedeute aber tür Kiel1
selbst der ethnographische Vater der Göttin Europa so wenigi
»y CooqIe
Sä
eine Kretische Kolonie» *i 539
so folge, notwendig,, dafs die Sage nacb Kreta verpflanzt
l.g leer und gleichgüj^^^^^ wir die Anhebt de« Verf.
über di.e £u/qpa und den Zusammenhang Kreta's mit Tbebä
nicht tbeilen können, so können wir auch dieser ohnedies
«ehr schwankenden Erklärung nicht Leistimmen , IO sehr wir
auch die vorgebliche PhÖniziscbe Kolonie des Kadmos für un-
btfttoriath halten*- Unsere Meinung ist Jiierübex folgend«:
Ofied»eokad käarilsesne älteste Bevölkerung .^r wäus.; dem
ÖeiÄntef halten haben. Dies bringt die allgemtine historische
Ansicht ffO* selbst mit/S ich, davon zeugen so viele Spuren,
die uns an die Küstenländer Vorderasiens unnVtdie Pontischen
Gestade zurückführen (wie namentlich in Beziehung auf Kreta
auch dHüh-Hök's Untersuchungen bestätigt wii d). Pie älte-
ste Sage erhielt das Andenken hieran. Alt aber später die Grie-
chischen. Volker mil» Aegypten und Pboniwen in Berührung
kamen, and <siclutheils über manche Züge gegenseitiger Yer^
wandtschaft, theils über ihre eigene 1 i< : .unlt Rechenschaft
geben wollten, wurde die allgemeine Erinnerung an den Orient,
anjdaanlchstliegende bekannte und berühmte angeknüpft. %M*
fällige Umstände gaben die Veranlassung, bald Pbönizien bald
Aegypten den Vorzug zu geben; in Athen war dieses gesebe.
ben , in Theb jenes, vielleicht auch deswegen , weil alte An-
siedlutigen der Phönizier auf den benachbarten Küiten und In-
aein , wie*«.<B. Thasos, historisch bekannt waren. Die Sage
in dieser Gestalt ist zwar allerdings täuschend , auf der.9nde.ru
Seite aber doch auch der .Wahrheit nicht so, fern f wie es
scheint, t Die gemeinsame Herkunft aus dem höhern Orient
knüpft auch so zwischen den Phöniziern und Aegyptiern auf
der einen und den Griechen, auf der andern Seite, wenn gleich
nichreiw unmittelbares jdqch wenigstens ein mittelbares Band,
dessen Realität aum Theib schon durch die Sprache, vorzüglich
abet» durch die Uebereinstimmung der ältesten Religionsbe-
grifcV hinlänglich heurkundet wird. Nur unter dieser Vor*
flirssettung löfst sie* die Wichtigkeit, welche diese Sagen bei
so* inanchem Widerstreitenden dennoch für das Griechische
Ve4k hatten,» begreifen« Denn defs Hermes, wie der Verf.
S. &f. meint , durchaus, keine Beziehung »um Orient habe,
dafs die vermeinten Männer Kedems auch nicht ein einziges
anderes Wort ihrer Sprache in irgend einer Kadmeischen
Sprache zurückgelassen haben, ist eine Behauptung, welche
di.s Studium der Orientalischen Sprachen und Religionen so-
gleich hinlänglich widerlegt. Dafs aber aus der. in Kadmos
aits^edruckte« Idee ein Kolonienführer mit allem , was an ihm
hängt, geworden ist, davon ist der einfache Schlüssel die
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I
54 0 Dt Hypcrboreis fcrtpsft'$a H.^lnV Schob ar f.
natu »liehe und gewöhnliche Verwechslung einer mythischen
rörsoniheation mit einer wirklichen gj^isf »*%^ffotv ™
" - w«< ■ ' .jt;»;.ifi' - ».Vi Ul g'<ftv "•>--**
De Uyperbor eis Commentatio inaugurtdis, quam, contentients am-
■plissimo -philo sophor um ordine Academiae Marbmr%et*i$} mtmdito*
mm examim subjicit Jo. Henricus Gktistums S e h u b a r t , Mar-
burg ensis. Marburgi , typis J, Chr. Kriegeri academicis. > t« 25.
60 S. in Octav, / ♦ " \»\ •»!*. US 3*ltf*ei!i
' 1 * *•■ »Air Ii P I • '.l iJOU
Diele Monographie über die Hyperboreer lerfällt in
zwei Hauptabschnitte, wovon der erslere die früheren Mei-
nungen verschiedener Gelehrten Uber diesen Gegenstand durch-
geht und Widerlegung oder Zweifel daran knüpft , der andere
aber die eigenen Ansichten des Verf. enthalt , und «war wieder
in ewei UnterabtheiKingen v worin er die Fragen sn beantwoi«
ten sucht, was denn die Hyperboreer eigentlich für ein Volk
gewesen, und wie es sich mit den im Alter thum öfters vor-
kommenden Gesandtschaften derselben verhalte; So wird also
der Gegenstand bios von der geographischen und historischen
Seite beleuchtet, das Mythische glaubte der Vf. ausschliefsen au
können, „baec enim pars, sagt er S. 7, luculenter admodum ab
aliis est exposita", und S. 31. jMythologica enim hujasfabu-
lae pars egregie a Creusero Q. aliisque est tractata. «* Ob sich
aber beides so getrennt bebandeln lasse, ist eine andre Frage,
die wir dem Verf. vorlegen wollen, zumal da derselbe Oberall
auf eine lobens wer r he Weise bemüht ist, in die verworrenen
und widersprechenden Nachrichten, welche aus den verschie-
densten Schriften des Alterthums auf uns gekommen sind , eini-
ges Licht su bringen und die Dunkelheit, welche durch manche
Heuere Gelehrte eher vermehrt als vermindert worden, einiger«
mafsen aufzuhellen , obgleich der Gegenstand von des Art ist,
„in qua quid non sit , quam quid sit , facilius est definitu." Wir
t heilen daher eine Ueber sieht der in dieser Schrift enthaltenen
Forschungen nebst den Resultaten derselben mit, und erlauben
uns einig« weitere Bemerkungen daran su knüpfen.
Von S. 7 an bis S. 26 führt der Verf. die Meinungen frü-
herer Gelehrten Ober die Hyperboreer auf. Zuvörderst
die Behauptung einiger nordischen Gelehrten, welche dieSiue
der Hyperboreer in Scaudinavien suchen, und dabei besonders
auf eine Stelle des Diodor XI, 47. sich berufen, deren riebti-
geren Sinn jedoch der Verf. sur Genüge entwickelt und so die
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Dt BjprrbtMtfs texip si t J. H. Chf; Schubart. 644
Nichtigkeit jener Behauptung erhärtet. Z weite ni die Mei-
nung des gelehrten Bayer, der selbst Wesseling in gewisser
Hinsicht beitrat. Er meinte, Hyperboreer seyen die Griechen,
welche lieh nach dem Trojanischen Kriege in Thracien und in
der ganzen Landstrecke bis «um Pontus Euxinus und dem nörd-
lichen Theile des Adriatiscben Meeres Wohnsitze gesucht.
Solche aber seyen die Hyllen im Liburnerland, eine Colonie,
von Hyllos, dem Sohne des Herakles, dahin gerührt; von
ihnen , im Norden und Nordwesten Thraciens , seyen die be-
kannten Hyperboreischen Gesandtschaften gekommen. Aber
die Gegengiünde des Verf. entkräften diese Annahme vollkom-
men. VVie sollen die von Herakles abstammenden Hyllen Hy-
perboreer seyn , zu welchen Herakles selber zog und zwar lange
vor dem Trojanischen Kriege, während die Hyllen erst nach
demselben dahin gezogen seyn sollen! Dann ist auch die Grie-
chische Abkunft der Hyllen selber zweifelhaft, für welche blos
die schwache Autorität des Scymnus Chius spricht, Andere
aber, ja die Meisten , jenes Volk für illyrisch, celtiscb , kurz
hür barbarisebeu (im Griechischen Sinne des Worts) Ursprungs
erklüren. An diese Meinung Bayer's schliefst sich drittens
die von Fre'ret in den Me'moires de l Academie des Inscript.
aufgestellte und von Des-Brosses angenommene Behaup-
tung, dafs unter dem Volke der Hyperboreer die jenseits des
Berges Bora in Macedonien wohnenden Völkerschaften zu
verstehen seyen, welche dann nach und nach immer weiter
selbst bis an den Nordpol hinaufgerückt seyen. Aber die ein-
zige Stelle, in welcher ein Berg dieses Namens vorkommt,
bei Livius XLV, 29. 30. ist keineswegs ohne gegründeten
Verdacht, und kömmt bei Griechischen Schriftstellern dieser
Berg unter dem Namen Bcfve; und Bttass* vor. Vorsichtiger
gieng der Abbe' Gedoyn zu Werke. Er unterschied über-
haupt im Hellenischen Alterthura eine doppelte Zeit, die äl-
tere, wo die ungebildeten, aller Kenntnil* der Physik und
Geographie ermangelnden Hellenen die Hyperboreer sich als
ein Volk dachten, das unter dem Nordpol selber wohne, un-
ausgesetzt dem Hauche des Boreas , und eine spätere Zeit,
wo die Griechen bei fortgeschrittener Kenntnifs und Cultur
unter den Hyperboreern sich Volksstämme dachten, welche im
hoben Norden von Griechenland wohnten, in dem Lande zwi-
schen der Talus Maeotica und dem Pontus Euxinus; die Opfer
bringenden Scythen aber Seyen keine andere, als die Bewoh-
ner der durch Mithridates unterjochten scythischen Chersones.
Diese Behauptung , gestützt auf die allerdings nothwendige
Unterscheidung der Zeiten ( — Ausscheidung der mythischen
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512 Be Hrperbüreis scripslt frfl/fefcr; Seft»bs*ft
*
Zeit von der historischen — -), hat aber hlos die Autorität des
Pausanias für sich, ohne den Herodotus und alle andern Ul-
teren Quellen zu berücksichtigen oder mit rhner im Einklang
zu seyn. Banier, der ebenfalls diesen Gegenstand behan-
delte , äufserte sich widersprechend. Ihm sind die Hyperbo-
reer die über dem nach Meinung der Hellenen von Thracien
her kommenden Boreas wohnenden Völker, also die Bewohner
des Nordens oberhalb Thracien; dann aber läfst er dasselbe
Volk wieder in Kolchis am Phasis wohnen.
In neueren Zeiten hat man diesen Gegenstand wiederholt
zu behandeln gesucht. Man hat die Hyperboreer in die ans«
serste Westwelt verlegt , wo sie die nachmaligen lberier und
Kelten umfaßten, bis sie in Skythien sich verloren und immer
weiter hinaufgedrängt endlich art den äufsersten Nordrand des
Okeanos versetzt worden. So Seyen die Hyperboreer, ein
anfangs westliches Volk, Aber des Böreas Erreichung hinweg
ein Volk jenseits der nördlichen Rhipüenkette , der Heiniath
des Boreas, geworden; an diesen nordwestlichen Rhipäen —
die nur dunkel gekannten Pyrenäen oder Alpert — um des He-
rakles Süulen hätten die Hyperboreer gewohnt , dort, wo auch
Oelbiiiune hatten fortkommen können. Das sind die Haupt-
züge , deren nähere Entwicklung man hier nicht erwarten
wird. Vernehmen wir, was der Vf. dagegen erinnert.^ Wenn
hier, um die Hyperboreer in die Westwelt zu' verlegen und
mit den Khipü»m u. s. w. in Verbindung zu brirrgen, die Er-
zählungen des Herodot von den SehifFfabrten der Phocäer u. s. w.
herbeigezogen werden, so ist immer zu bemerken, dals Hero-
dot nicht die Hyperboreer , sondern Tartels, Adria ,• das Tyr-
rhenische Meer u. s. w. nennt, dafs er aber hier der Hyperbo-
reer eben so wenig als der Khipäen und Arimaspen auch nur
mit einer Sylbe gedenkt. Wenn zwar bei späteren Schrift-
stellern die Hyperboreer in dieser Verbindung mit den Rhi-
päen u. s. w. vorkommen, so müssen doch, nach den Grund-
sätzen historischer Kritik , eben diese späteren Nachrichten
von den älteren eines Herodotus sorgfältig geschieden wer-
den. Herodot beschreibt zwar beide, aber an völlig verschie-
denen Orten und ohne auf irgend eine Verbindung zwischen
beiden zu führen. Ferner der Name dieses Volkes , der doch
natürlicher Weise nach seiner Zusammensetzung nur die über
«lein Boreas Wohnenden bezeichnen kann, also nicht auf ein
Volk des VVe s t lande» f sondern des Nordlandes passen kann.
Auf die unsichere Stelle des Aeschylus im Prometheus 790 tf.
wird man keine sichere Behauptung zu gründen vermögend
seyn. Zwar verlegt Pindar die Hyperboreer an die Quellen
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I
des Isther ; aber dachte sich Pindar die letzteren an derselben
Steife, wo Herodot sie hinsetzt, nämlich in öjen äufsersten
Westen ? Dann , tilgt Ree. hinzu , werden eben bei Pindar
Isthin. Vr, 31. den Ouellen des Nil (im äufsersten Süden) die
Hyperboreer entgegengestellt. Durch diese und andere Stel-
len gewinnen die von unserm Verf., wie es scheint, nicht ge-
kannten Ansichten von Hug (Untersuchungen über den My-
thus S. 57.) und Tafel (Explicatt. Pindarr, zu Olymp. III,
56. pag. 144 ff.) neue Stütze, und wie wären genöthigt, bei
den Hyperboreern nur an den Norden zu denken. Auch die
ausführlichere Untersuchung, welche neuerdings K. O. Mül-
ler in den Dorern I. Abth. S. 267 ff. 273 ff. über diesen Ge-
genstand angestellt, scheint dem Verf. nicht bekannt gewesen
zu ieyn. üewifs mit Recht weist Müller dem Volke der
Hyperboreer den Norden als ursprüngliche* Lokal an, indem
hierauf der Name desselben eben so führt , wie der von Nor-
den herabkommende Dienst des Apollo. Wenn aber Müller
an die Gegend von Tempe denkt, was der alten, einfachen
Beschi änktheit der Sage am angemessensten wäre, oder, wenn
man kühnere Vermutbung gestatte, an die Illyrischen Hylleer,
so will Ree. solches dahingestellt seyn lassen, da er nähere Be-
werber1 dafür, die nicht aus der Luft gegriffen sind, nicht auf-
zubringen weifs; er ist aber auch der Meinung, dafs man bei
dt«- Untersuchung nach den wirklichen Wohnsitzen dieses
Volkes zugleich ein ideelles Volk, ein mythisches Volk vor
Aügen haben müsse, welchem spatere Dichter und Geographen
ein bestimmtes Lokal auszumitteln gesucht in den verschiede-
nen, Hellas minder bekannten nördlichen Landstrichen, wo-
mit jedoch die Existenz eines wirklichen Volkes nicht ge-
längnet wird.
Vernehmen wir endlich, wie sich unser Verf. die von den
von ihm früher aufgezählten Gelehrten ungenügend beantwor-
tete Frage nach den Wohnsitzen der Hyperboreer, deren
Existenz als die eines wirklichen Volkes ungezweifelt ist , zu
beantworten sucht. Wie verwickelt dieser Gegenstand, wie
schwierig dadurch die Beantwortung desselben geworden ist,
werden die. Leser schon aus dem früher Bemerkten ersehen
haben. Bei der, freilich in die vorhistorische Periode fallen-
den Verbindung zwischen den Völkern des östlichen Asiens
und dem Bergrücken des Caucasus zwischen dem Caspischeu
IMeere und dem Pontus Euxinus, glaubt der Verf. die Ver-
mutbung wagen zu dürfen, dafs die Hyperboreer kein eigener
Volksstamm gewesen, sondern Colonisten, aus dein Orient
abstammend, welche, vielleicht unter Anführung von Prie-
644 Pü Hyperboreis mipiit X ö. Chr. SchuUrt.
•tem t eine Reihe von Colonie» in den Ländern, welche den
l'ontus Euxinus umgeben, in nördlicher und östlicher Rieh«
tuug gegründet. Verschmolzen aber mit den hier lebenden
Volksstäramen, gieng ihr eigentlicher Name unter und verlor
»ich in den Namen des Volkes, mit dem sie sich verbanden,
woraus es sich dann erklären lälst, wie unter dem Namen
verschiedener Scythischer Völkerschaften, als Ariraaspen, Ar-
ippäer, Arymphäer, die Hyperboreer verborgen sind. Ins-
esondere ist nun der Verfasser S. 34 tf. bemüht, in mehreren
Punkten die Aehnlichkeiten in Sitten u. dergl. zwischen den
Hyperboreern und den Scythischen Argippäern zusammen-
zustellen.
Die zweite Frage, deren Beantwortung sich der Verf.
»um Gegenstände gemacht hatte, betraf die G e s a n d ts ch ar-
tende r Hyperboreer nach Delus , und zwar unter fünf
Funkten. Im ersteren sucht er nach Herodot die Art und
Weise auszumitteln , in welcher die Hyperboreer ihre Opfer
überbracht; dann im zweiten den Weg auszumitteln, auf
welchem dieselben überbracht worden; worin freilich Hero-
dotus (IV, 33.) und Pausanias (I, 3l, 2.) sich widersprechen,
des ersteren Autorität aber wohl überwiegend seyn düifte.
Man vergleiche, wie sich der Vf. S. 46. dies erklärt. Drity
tens, welche Geschenke und Opfer die Hyperboreer nach De-
los gesendet; wobei der Verf. auf Salmasius Exercitt. Plin.
sich mit Recht beziehen und dabei beruhigen mufste , indem
wohl nichts Neues darüber sich bemerken läfst. Viertens
zählt der Verf. die verschiedenen Gesandtschaften, von denen
wir aus dem Alterthum einige Kunde erhalten haben, aufj
Vuid endlich fünftens macht er auf die Ehrenbezeugungen
aufmerksam, welche den Hyperboreern auf Delos erwiesen
worden. Einige Bemerkungen über den Homerischen Hym-
nus auf Apollo vs. 146 — 164, der auf Hyperboreische Reli-
gionen sich nach des Verf. Ansicht bezieht, beschließen die
fleiisig gearbeitete Schritt.
• , ' ' ' ' •. > .
. j | *
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<
N. 35. 1826.
■ 4
Heidelberger
. " s
Jahrbücher der Literatur.
Breslau , hei J. Max u. Komp. Das alte Magdehurgische und Hallt*
sehe Recht. Ein Beitrag zur deutschen Rechts geschieht e 4 Dort
Dr. £. Th. Gaupp, Professor der Rechte %u Breslau, 1820*
Vorrede S, X S. 354.
Es kann für die Bearbeitung des deutschen Privatrcclits
keine bessere Vorarbeit geliefert werden, als wenn alte llechts-
cju eilen aus ihrem Dunkel hervorgezogen, verständig erläutert
und wenn vorzüglich die Mutterrechte der deutschen Stadtf echte-
nach ihrer Entstehung , ihrem Zusammenhange und nach der
Fortbildung in den von ihnen abstammenden Hechten erläutert
werden» Noch liegen in den verschiedenen Archiven Deutsch*
Jands die herrlichsten Rechtscruellen unbenutzt; so ist z. B/
für die Geschichte der niederrheinischen Stadtrechte noch
nichts geschehen, während doch das Stadtrecht von Zütpben
und das darauf gebaute Recht der Stadt Emerich ein schon am
Ende des dreizehnten oder sicher am Anfange des vierzehnten
Jahrhunderts gesammeltes sehr vollständiges Stadtrecht enthält,
das die wichtigsten Aufschlüsse über die Natur des fränkischen
Hecbts giebt, und z. B. in der Lehre von der Vormundschaft
Verhältnisse des deutschen Rechts erläutert. Über Welche in
anderen Stadtrechten nichts oder nur sehr wenig vorkömmt.
So hat die Stadt Cleve ein sehr vollständiges (218 Titel ent-
haltendes) Stadrecht aus dem Anfang des fünfzehnten Jahrhun«
derts. Vorzüglich aber verdienen noch die Sammlungen der
Gewohnheiten einzelner Länder , die durch ihre politischen
Verhältnisse sich selbstständig erhalten 9 und das germanische
Hecht rein bewahrt haben f eine genauere Erforschung, Ree«
macht in dieser Hinsicht auf einige Statute aufmerksam 9 die
noch ungedruckt sind , und höchst reichhaltige Ausbeute für
deutsches Recht geben. Dahin gehören die Gewohnheitsrechte
der einzelnen tyrolischen Thäler ; fast jedes Thal bat seine be-
sondere Sammlung, in welcher 9 vorzüglich in Deutschtyrol,
keine Spur vom römischen Recht «ich zeigt. Für das deutsche
Erbrecht findet sich darin vorzüglich Vieles. Sehr merkwür«
.XIX. Jahrg. 6. Heft. 35
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646 Gaupp, das Mag 'i burgische und UaTtischc Recht
dig sind auch die westphäli sehen Sandwellerrechtssprflche, die
in einer sehr vollständigen Sammlung Schönnens prüche de*
obersten Schöffengerichts au Saiidwelle enthalten. Zu Sand-
Welle befand sieb nämlich das höchste Gogericht, an welches
von den anderen Gogerichten der Recbtszug ging ; s."Urkimdcn
in Kindling-r Mönsterische Beitr. II. Th. S. 346. und IM,
von 1491 »n Niesert Münsteriscbes Uikundenbuch H. Th.
S. l3l. Nicbt weniger verdiente das Landrecht der Land-
schaft Delbrück in Westphalen einer Bekanntmachung, <fa
darin (dies Landrecht galt bis zur neuesten Zeit) alrgermani-
schea Recht vorkömmt, und das Sehr weitläufige Landrecbt
nur aus SchöfFeusprficben hervorging.
Unter den deutschen durch den Druck verbreiteten Mut-
terrechten ragt insbesondere das Magdeburg! sehe Recht hervor.
Es ergab sich aus einer Reihe von Stadtstatuten, dafs sie nur
auf Magdeburgisches Recht gebaut waren, und sehr viele Städte
ihren Rechtszug an den Obeihof von Magdeburg hatten; ver-
geblich aber bemühte man sich, einen Codex des in Magde-
bürg selbst in Uebung gewesenen und für Magdeburg gesam-
melten Rechts zu erhalten; es blieb daher nichts übrig, als au«
den bekannten Stadtrechten jener Städte, welche ihr Hecht
von Magdeburg unmittelbar oder mittelbar eibalten hatten,
z.B. aus den Rechten von Görlitz, Brieg, Neumarkt in Schle-
sien, auf das Magdeburgische Recht zui ückzuscbliefsen,
wichtiger Gegenstand der Forschung blieb dabei das soge-
nannte Magdeburgische oder sächsische, von Ludovici u. A.
herausgegebene Weichbiblrecht. oollte für die Geschichte
dieses höchst interessanten Mutterrechts etwaa Gründliches
geleistet werden, so miifste der innere Zusammenhang der
Stadtrechte, welche auf das Magdeburgische Recht gebaut
waren, hergestellt, und insbesondere der Ursprung des sach-
sischen Weichbildfechts Und das Verhältnifs desselben zu den
abgeleiteten Stadtrechten erforscht werden. Aus den bei Böh-
me in seinen Beitr. zum schlesischen Rechte gegebenen Nach-
richten zeigte sich leiebt, dafs in den Archiven der schlesiscben
Städte noch unbenüt2te, reichhaltige Schätze von.Rechtscptllen
vorhanden seyn müfsten; und die im vorliegenden Buche von
dem Verf. mitgetheilten Urkunden zeigen, dals die /Vermu-
ttiung wohl gegründet war. Uebrigens sind die vom Verl.
benützten Uckunden nicht die einzigen, nach deren Mittei-
lung der Rechtshistoriker sich sehnt; denn noch existiren Viele
Stadtrechte in .Schlesien , die ein hohes Älter haben, und von
deren Daseyn bisher die Germanisten nichts wufsten ; so . fc.B«
führt Homeyer in seiner Uebersetgung von Rosenving«5
i
e
Gaupp, das Magdoburglsche uud Hallische Recht. 647
* . •
Grundrifs der dänischen Rechtsgeschichte S. 97. einen Auszug
aui einem noch unedirten Stadtrecht von Löwenberg iu Schle-
sien aus dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts an, wovon
der Verf. der vorliegenden Schrift nichts erwähnt ; aus einet
Note S. 46. der gegenwärtigen Schrift erfährt man noch, dafs
die schlesischen Städte nicht hlos mit dem Magdeburgischen
Rechte hewidraet waren, sondern auch einige Städte mit flä-
mischem Rechte bewidmet sind. Der Verf. scheint zwar an*
Zunehmen, dafs dies flämische Recht nur auf irgend ein ein.
seines Rcchtsverhältnifs sich bezogen habe; Ree. aber kann
diesem nicht beistimmen , da nach den Notizen , welche Ver-
aebe in seinem bekannten Werke übet die Verbreitung der
niederländischen Colonleen gegeben hat, nicht zu bestreiten
istt dafs auch in Schlesien solche flämische Colonieen vorka-
men, — Der Verfasser, als ein gründlicher und geistvoller
Germanist hinreichend durch die Herausgabe seiner Schrift :
über deutsche Städtegründung, dein Publikum bekannt, hat
durch die Bearbeitung der für deutsches Recht so interessanten
Geschichte der Fortbildung des Magdeburgischen Rechts in
den schlesischen Städten ein grofses Verdienst sich erworben,
Und durch die Bekanntmachung mancher bisher unbenutzten
Urkunden jedem Germanisten ein sehr willkommenes Geschenk
gemacht. Der Verf. handelt S. 19. zuerst von den seit Mitte
des vorigen Jahrhunderts neu entdeckten Quellen des älteren
Magdeburgischen Rechts, und verweilt dann S. 24- genauer
bei dem der Stadt Görlitz 1304 mitgetheilten Codex des Mag-
deburgischen Rechts. Urkunden, wodurch Brieg 1327 das
Breslauische Recht erhielt, hatte bereits Bühnte in seinen Bei-
trägen mitgetbeilt, und dies Briegische Recht war im Wesent-
lichen Magdeburgerrecht ; dies wies darauf zurück, dafs Bres-
lau schon früher Magdeburgerrecht erhalten haben müfste ; wie
. und wann aber dies Statt gefunden, lag im Dunkeln, auch
war es auffallend, Warum Brieg ursprünglich Auf deutsches
oder Magdeburgisches Recht gegründet wurde (i350)< und
später sein Recht von Breslau holte; nicht unwahrscheinlich
ist die S. 43 — 47. geäufserte Meinung des Verf., dafs Bres-
lau, welches bald emporblühte, und seit der zweiten Hälft«
des dreizehnten Jahrhunderts das Magdeburgische Recht in
einer viel ausführlicheren Urkunde besafs* als sie bis dahin
. in Schlesien vorhanden war, allmäblig als diejenige Stadt be-
trachtet wurde, von welcher man lieber das Recht für die be-
nachbarten Städte holte, als dafs man an das entfernte Magde-
burg sich wendete; am wichtigsten wurde es unter diesen
Umständen, das Breslauische Recht selbst genauer Rennen zu
35 *
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648 Caupp, das &.»2<!tLiurgt:;che und Ualü.-ciu Recht.
lernen, und in Bezug darauf hat der Vf. ganz neue Aufschlüsse
mitg^Üicilt, die ß ich auf die im Breslauer Archive neu aufge.
fundenen Urkunden gründen; es ergiebt sich, dafs 1261 zu-
erst das Magdeburgische Hecht nach Bresiuu gesendet wurde.
Auf der Rückseite der Originalurkunde sind alier (S. 5 1.) Zu-
sätze, die erst später beigefügt seyn müssen, beigeschrieben
(der Verf. hat diese Zusätze S. 244 — 49. in dem vorliegenden
Buche abdrucken lassen); Breslau besitzt dann noch eine Ur-
kunde von 1283» die die frühere Rechtsbelehritng von 1261,
die Zusätze und die Bestätigung beider Stücke durch Herzog
Heinrich IV. enthält, zugleich Befindet sich noch (S. 53.) in
Breslau eine spätere Urkunde. Auffallend ist es nun , dafs in
der Urkunde von 1283 der Herzog seinen Unwillen ausspricht,
dafs die J^reslauer eigenmächtig an die Urkunde von 1261 Zu-
sätze geschrieben hätten» und von der negligentia au t ig riavia
carinii, qui pro tempore fuerant, spricht; der Verf. (i>. 59|.)
sucht die« so zu erklären, dafs die Bürger, um den Unwillen
des Herzogs über ihr eigenmächtiges Verfahren zu beschwich-
tigen, die Trägheit oder Nachlässigkeit der Aussteller der
Urkunde von 1261, Wodurch nothvvendige. Artikel ausgelassen
worden wären, anführten, indem die Bürger dadurch zu den
Zusätzen veranlafst worden wärm; auch meint der Vf. S. 60,
dafs die Magdeburnischen Schöffen in der Urkunde von 1 26t
wortlich oft den Sachsenspiegel abschrieben , aber manches
Wichtige ausliefsen, und dafs dann die Breslauer, in deren
Hände der Sachsenspiegel gekommen, die Lücke bemerkt,
und nun das Fehlende ans dem Sachsenspiegel abgeschrieben,
und vielleicht noch aus einer Glosse des Sachsenspiegels etwas
entlehnt hätten. Allerdings ist diese Conjectur sehr wahr*
scheinlich, obwohl in Bezug auf das Abschreiben aus dein
Sachsenspiegel manche Bedenklichkeiten bleiben ; man mufs
nur erwägen, dafs die in der Hauptsache zusammentreffende
Aebnlichkeit einer Stelle in einem Rechtsbuche mit einem Ar»
tikel des Sachsenspiegels keinen Beweis giebt, dafs die Erste
aus dem Zweiten genommen sey, weil im Mittelalter der Sach-
senspiegel und die Land- und Stadtrechte aus einer gemein-
schaftlichen Quelle, nämlich aus dem gemeinen, im Volks
lebenden, den Schöffen vorschwebenden Rechte schöpften,
und insbesondere war dies bei den Bestimmungen der Fall»
die sich auf die Form des Verfahrens bezogen. — Der Verf.
giebt nun S. 69. von einem neu aufgefundenen Codex von
Breslau, nämlich einer von Magdeburg 1295 den Breslauern
ertheilten llechtsbelehrüng Nachricht. v In Ansehung dieser
Urkunde ergeben sich zwar manche Bedenklichkeiten, z.B.
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Gaupp, das Mogdeburgische uqd Hallisclic Recht. 549
•
warum di<i Breslauer, die sieb doch in der Zwischenzeit selbst
geholfen batteVi, 1295 wieder nach Magdeburg sich wende-
ten; es lafst sieji aber auch aus der Geschichte anderer Stadt«
nachweisen, dats siu oft in sehr schwierigen Füllon, über
welche die bisherige Rechtsübung schwieg, wieder an die
Mutterstadt recurrirten. Es ist sehr zu beklagen, dafs der
Verf. nicht mehr den Inhalt dieser einzelnen Urkunden ent-
wickelt, und daf* er nur an die üufsere Geschichte sich gehal-
ten hat. — 'Zu den merkwürdigsten scblesischen Urkunden,
aus welchen Magdeburgisches Recht erkannt werden kann,
gehört der Schöttenbriet von 1235, welchen Neumai kt von
Halle erhielt. Böhme, StÖckel und spater von Kamptz hatten
die Urkunde bekannt gemacht; der Verf. hat nun auf der Bres-
lauer Bibliothek den Codex , welchen Stockei benützte, ' aufge-
funden, und theilt darübet S. 75 — 00. Nachrichten mit. Bis-
her hatte man diesen Brief von 1235 als die älteste Sammlung/
woraus das Magdeburgische Recht (wenigstens mittelbar) er-
kannt werden konnte , betrachtet; i$24 aber hat Worbs im
neuen Archiv für die Geschichte Schlesien! zwei andere Mag- :
debur£ische Urkunden bekannt gemacht, eine Urkunde von
1211 und eine etwas spätere, jedoch bald darauf erfolgende
Urkunde für die Stadt Goldberg. De« Verf. des vorliegenden
Schrift hat sich den Dank der Germanisten verdient , dafs er
diese Urkunde sur allgemeineren Kenntuifs gebracht, und zur
Entstehungsgeschichte dieser Urkunden interessante Materia-
lien (S. 80 — 8'/.) geliefert bat. Die erste Urkunde von 1211
ist ein Privilegium des Erabischofs Wichmann 1188 den Mag-
deburgern verliehen , und 1211 den Bürgern von Goldberg
mitgetheilt ; die aweite Urkunde (ohne Datum, jedoch wahr-
scheinlich bald nach 171)) enthält eine Rechtsbelehrung für
Goldberg. Interessante Bemerkungen über das Verbältnifs
dieser verschiedenen Rechtsbelehrungen stellt der Verf. S. 87.
auf; es ist ganz richtig (&91.), dafs kein Satz, der in solchen
Sammlungen von Rechtsbelebrungen stand, deswegen als prak-
tisches Recht galt, weil er in des Sammlung Platz gefunden
hatte, dafs er vielmehr nur deswegen in die Sammlung aufge-
nommen worden, weil er schon vorher als praktisches Recht
galt. Ueberall zeigt sich die Idee, dafs man im Mittelalter
.ui ein gemeines Recht sich hielt, welches allen Schöffen vor-
schwebte, und woraus die Sammlungen genommen wurden,
weil gleichsam der Sammler nur aus der Fülle des lebendigen
Hechts schupfte, und als Garantie für die praktische Natur
iieses Rechtskauf das Zeugnifs des ganzen Volkes sich berufen
konnte; überall aber in u taten die Sammler sich auch an das in
•
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- . .
550 Gaupp , das Magdeburglsche und Hallische Recht,
dem speciellen Kreise, für den die Sammlung bestimmt war,
in Rechtsflbung befindliche Hecht halten, welches in den
Grundideen gemeines Recht war, in dem Detail aber nach der
Verschiedenheit der Elemente t die auf die Fortbildung an
einem gewissen Orte wirkten , als partikulares Recht betrach-
tet werden konnte. Ree. will in dieser Beziehung auf ein«
höchst interessante Stelle (in Wigands Archiv für Geschieht«
und Alterthumskunde Westphalens, Hamm 1825. I.Hft. S.98.)
in den Höxterischen Statuten (zwischen 1223 -7- 57.) aufmerj^,
sam machen 9 wo es- heilst; arbitrio sive conauetudine, qued
vulgariter Wilkore dicitur, truod tarnen non est jus commune.
— Durch die Sammlungen des Rechts gewann freilich, die
Recbtsübung einen festen Boden , allein es ist wahrscheinlich,
dafs jeder Sammler unvei merkt an dem bisherigen Rechte etwas
niodificirte und von seinen Ansichten bimuthat, so dais all—
mahl ig doch dies gesammelte Recht in die Praxis überging.;
daher erklärt es sich auch , warum jede Rechtssammlung r wenn
sie auch auf das Recht der nämlichen Stadt sich bezieht, von
der anderen abweicht , die vielleicht nur ein Paar Jahre später
entstand; nirgends zeigt sich dies deutlicher , als bei der Be-
trachtung der verschiedenen Codices des Lübischen Rechts. —
Wie schnell der Sachsenspiegel auf die neuen Rechtssammlun-
gen Ein Hufs hatte, ergiebt sich , wenq man bemerkt, data
wörtlich Stellen daraus in die Rechtsbelehrungen von Magde-
burg für Breslau , Görlitz u. a. übergingen (S. 107.).
befriedigend ist die Untersuchung des Verf, (S. 119.) überlas
sogenannte sächsische oder Magdeburgische Weichbild. Das
Resultat der,Fof*chuftig des Verf. ist: dafs dies Weichbild aus
zwei Xheileu besteht , wovon der eine (vom Art. 42 an bis
stim Ende) aus einer Handschrift irgend einer R.ecbtsbelehru«g
des Magdeburgischen Rechts genommen ist , und am meisten
mit der Breslauischen Urkunde von 1261 übereinstimmt, wäh-
rend die ersten 27 Artikel ein kleines von einem Privatinanne
bearbeitetes Rechtsbuch enthalten; es scheint auch, da(s das
jetzige sächsische Weichbild nicht ein von einem einzigen
Verfasser frei ausgearbeitetes Rechtsbuch ist, daher au cb Wie-
derholungen vorkommen. Der Verf. meint (S. l34*)> dafs der
erste Theil (27 ersten Artikel) vor 1294 abgefafst seyn müsse,
der iweite Theil wohl erst von 1261, 1295 an in Abschritten
verbreitet seyn kann. Den Beweis des ersten Tbeils seiner
Behauptung gründet der Verf. darauf, dafs in djn
Gerichts-
Verhältnissen Magdeburgs 1294 VerÖnderungen&Vorgingen,
und dafs die in dun ersten 27 Artikeln vorkommenden: Stellen
nur mit den vor 1394 Statt gefundeneu Verhältnissen vereinbar
•* ... .
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Verzeichnlf« einer philologischen Handbibliothek- $5|
« • '*»**" ** *' - . «
sind (Sf 144.). Zu glauben ist, dafs durch die Verbreitung
des sächsisch. -n Weichbilds die unmittelbaren Einholungen
von Sammlungen des Magdehurgischen Hechts seltener gewor-
den sind, und nur auf die Einholung von Hechtsbelehruugen
über einzelne schwierige Falle sich beschrankten, — Auf-
merksamkeit verdient auch, was S. 122. »•> der Note der Verf.
über das Verhältnils des alten culmiachen Hechts zum Mägde«
Jnjrgischen Hechte sagt ; es ist sehr glaublich, dafs das entmi-
sch* Hecht aus Schlesien und zwar aus Breslau stammt; und
Wenn man erwägt, wie vollständige HechtsbeUhrtingen bald
nach einander 1261, 1295 in Breslau sich fanden, so gewinnt
die schon von Hartknoch geiiufserte Meinung sehr grofso
Wahrscheinlichkeit. Der Verf. (S# 156.) berichtigt noen, die
Meinung vieler Schriftsteller von den fünf Arten des Magde-
hurgischen Hechts,' und spricht (S. 166 — » 206.) von den
Magdeburgischen SchülFen urtheilen ; die gegebenen , häufig
aus neuen, bisher unbenutzten Urkunden geschöpften Notizen
beziehen sich grölstentheüs nur auf die ftufsere Geschichte
dieser Schöffensprüche; auffallend ist es, dafs der Verf. auf
ein höchst wichtiges und vollständiges Mannscript des Mag«
deburgischen Schöffen, woraus z. B, auch Faetz Comm. jucc.
uuiv. per pactum promiss, Goetting. 1801. einige Auszüge
gab, keine Rücksicht genommen bat, — Eine sehr willkom-
mene Zugabe* hat der Verf. dadurch geliefert, dafs er S. 215
— 354. alle Urkunden, auf welche seine Untersuchung sich
l>dzog, bat abdrucken lassen. Wer es weifs, wie zerstreut
diese alten Rechts rju eilen in verschiedenen oft sehr seltenen
Büchern aufgesucht werden müssen, mufs dem Verf. für die
Wieder holte Sammlung danken , die dadurch an Werth gewinnt,
dafs der Abdruck nach den vom Verf. sorgfäJtig| verglichenen
Originalurkunden, veranstaltet worden ist,
Mittermaißr*
Verzeichnifs einer philologischen Handbibliothek für die- oberen Klasse 1
• deutscher Gymnasien und Lyceen zum öffentlichen und Privatge-
brauche. Braunschweig , bei L* Lucius. 1825. 52 S. 8. 3 Gr.
j . . . .
'^mm Mit voller Ueberzeugung kann jHef.j die eben angezeigte
Schrift empfehlen, deren Brauchbarkeit und Nützlichkeit in
die' Augen fällt. Veranlafst ward sie, wie der ungenannte
Herausgeber in einer beherzigensvvetthen Vorerinnerung be-
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651 Veneicljrufi einer philologischen Handbibliothek.
, „ . • . . • . • * I t • . • • , * * 1 ' • *
/
merkt, durch die unerfreuliche Erfahrung, dafs ein grofier
Tb eil der Studireuden Jugend Deutschlands aus Sorglosigkeit,
Unkunde und dergl. mehr sich mit den schlechtesten Büchern
hehilft und hei der Wahl seiner Bücher MifsgrifTe thut, deren
traurige Folgen oft auf das ganze Leben ihren nachtheiligen
Einflufs äufsern. Jedoch darf man nicht in dieser Handbibuo-.
thek ein ausführliches Verzeichnis Alles im Druck erschiene-
nen, aller und jedei Ausgabe erwarten, da solches der Zweck
dieser Schrift keineswegs erforderte , sondern nur eine sorg-
fältige Auswahl des Brauchbaren zur Weckung und Beschäfti-,
gung der Selbsttätigkeit, welche Ziel alles Unterrichts, na-
mentlich der ersten Gyinnasialclassen seyn soll. Deshalb sind
(S. VI.) nicht alle kostbaren und grösseren Werke aufgenom-
men , sondern nur die wohlfeilsten und bewährtesten Hand«
büchtr, nicht all« alten Autoren, sondern nur Jugendschrift-
steller, nicht alle ihre Schriften ? sondern nur solche, welche
man wegen ihres Bild Hilfsstoffes gewöhnlich zu öffentlichen
Lectionen braucht , nicht alle Ausgaben, sondern nur die,
welch« durch fruchtbare Commentare für Frimaner sich aus-
zeichnen, «q wie dagegen auch alle die ausgeschlossen wurden, .
welche unter diesem Standpunkte sind ; es wird aber mit .
Grund vorausgesetzt, dafs selbst Auggezeichnetere sich bei
den angefahrten Schriften begnügen können. Wo das Ver-
zeichnii* mehrere Schriften neben einander nennt , sind ent-
weder ihre besonderen Eigenschaften angegeben, oder man
soll die zueilt genannte als die vorzüglichste betrachten
(S. VII.). Unvollständige Schriften, oder solche,' deren bal- ;
diges Erscheinen «icbt durch besondere Umstände verbürgt
war, sind ganz übergangen worden (S. VIII/). Endlich sind
die Ladenpreise überall mit der möglichsten Genauigkeit an«
gegeben.
Nach diesen Grundsätzen, deren Zweckmässigkeit Nie-
mand in Abrede stellen wird, und deren zweckmäfsige An-
wendung wir mit Dank und Beifall anerkennen müssen, folgt
zuerst das Verseichnifsdei allgemeinen unentbehrlichen Hülfs-
mittel, als Lexica, Grammatiken, Griechische wie Lateini-
sche, ferner Hülfsmittel für den Lateinischen Styl und dessen
Bildung durch schriftliche Uebu;igen (hier hätte neben Zu mpt \
auch die früher vonCreuzer, zuletzt 1825- von Hefs be.
sorgte Chrestomathie eine Erwähnung verdient; das neu er-
schienene Uebtingsbuch von Weber, Frankfurt 1825» wird
der Verf., wenn er es für nöthig erachtet, bei einer zweiten
Auflage nachtragen, da dasselbe nicht, wie die beiden ge.nann. »
Iten Bücher, deavSchiiler die Selbstverbesserung durch eigens
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< >
Verzeichnis eher philologischen Handbibliothek. 553
• • • .
• ■
•
ausgewählte Muster der neueren Latinisten möglich macht),
oder durch Leetüre der besten Neu-Lateiner , wie Muretut,
Kuhnken und Andere (sind wohl hier auch die Collocruia Eras-
ini anzuführen?); dann Handbücher für Prosodie und Metrik,
für Kenntnifs der Literatur, Antiquitäten, Mythologie, Ar-
chäologie, alte Geschiebte und Geographie. - Wir hatten hier
auch Krebs Handbuch der philologischen Bücberkunde (zwei
Theile, Bremen 1822.) erwähnt gewünscht. Darauf folgen
nun die einzelnen Ausgaben der Griechischen und Komischen
classischeu Autoren in alphabetischer Ordnung kurzweg mit
jedesmaliger Angabe des Ladenpreises aufgeführt, und ausge-
wählt nach den oben bemerkten Grundsätzen. Ref. hält die
Auswahl des Fassenden und für diesen Zweck Geeignetem für
kein so leichtes Unternehmen, als es auf den ersten Anblick
scheinen möchte, im Gegentheil hält er es für schwierig, in- .
allen Fällen das Rechte auszuwählen, nichts zu übersehen,
was jenem Zwecke entspricht, nichts aber auch anzuführen,
was demselben widerspricht. So hätte Ree. z. B, gleich bei
Aelian, von dessen Varia* Historie Mos die Taucbnitziscba
Ausgabe angeführt ist , es sind nämlich bei allen Autoren die
Ausgaben von Tauchnitz, Weigel und Teubner angegeben),
auch die Ausgabe von Kühn mit dem Commentar des Perl«'
zoniui (Lipsiae 1780. 2 Tomi. 2 Tblr. 8 Gr.) aufgeführt,
da dieser Commentar für das Selbststudium höchst fruchtbar
ist, und immer noch besonders jungep Studirenden als Anlei-
tung, die alten Autoren zu behandeln, empfohlen werden kann.
Dagegen sind z.B. bei A es cbylus die Ausgaben von Schwenk
billigerweise übergangen; dafs die Schützische Ausgabe eben-
falls übergangen, kann Ref. wenigstens nicht tadeln. Bei
Demosthenes vermifste Recl die Ausgabe der Leptinea von
F. A. Wolf, Hai. 1789. 1 Thlr. 8 Gr. Bei Euripides sind
auch die trefflichen Bearbeitungen einzelner Stucke vonMonk, •
Elmsley , Hermann, Seidler u. A. angeführt, was wir in jeder
Hinsicht billigen müssen, nur glauben wfc, dafs Valcke-
naers Ausgaben der Phoenissen und des Hippolytus, viel-
leicht auch Mo n ks Hippolytus eine Erwähnung verdient hät-
ten, zumal wir jetzt statt der selteneren und theueren Origi-
nalausgaben wohlfeilere und genaue Abdrücke von Leipzig
erhalten haben. Die neue Ausgabe »in usum scholarum" von
Bothe (Leipzig, bei Hahn, 1Ö25.)» von der vier Stücke
(Hecuba, Orestes, Phoenissae , Medea) , jedes besonders, erschie-
nen sind als integrirende Theile der Poetae scenici Graecorutri,
wovon der erste Band, die neun ersten Dramen des Euripides
enthaltend, bereits erschienen ist, wird der Verf, bei der
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554 VeTielchnifs einer philologischen Handbibliothek.
I * - -
% weiten Ausgabe nachtragen , da er bei dieser Ausgabe schwer-
lich davon bereits Keniitnü* erhalten haben konnte. Bei He.
rodian würde Ree auch F. A. Wolfs Ausgabe (Hai. 1792.
16 Gr.) angerührt haben. Dagegen würde tr S. 2u< Menandri
et PhUemonis Reliquiao ed. Meiueke weggelassen haben, zumal
da auch alle andere und ähnliche Fragmentensammlungen weg;
auch Ree. mit dem Verf. aar
worden sind, worüber auch Ree. mit dem Verfw g!
nicht- rechten will; er würde lieber bei den OtpfdcU die Aus-
gabe von Hermann (Lips. 1805.) und eben so früher desselben
Ausgabe der Homerischen Hymnen (Lips. 1806.) oder
auch die Ausgabe des Hymnus in Cererem cum notis Ruhnkenii
et Mttschfrlichii (Lugd. Bat. 1808.) angeführt haben. Dafs
bei 1/lutarch nicht die Schulausgabe einiger Vitae von Bre-
dow angeführt ist, darüber kann wenigstens Ree. dem Verf.
durchaus keinen Vorwurf machen ; auch die zwei Bände ein*
seiner Vitae von Leopold (Lips. 1789, und 1795.) konnten in
gewisser Hinsicht weggelassen werden, da diese Ausgabe
minder eine Schulausgabe genannt werden kann. Eher viel-
leicht könnte die Ausgabe des Agesilaus in Verbindung mit
dem XenQphonteischen Encomium Agesilai von Baum gar-
ten-Cr usius (Lips. l8l2.) in das Verzeichnis aufgenommen
werden. Von der Hutten'schen Ausgabe des Demosthenes
und Cicero, die hier nach der Ausgabe von 1796 Tubingae an-
geführt wird, ist, wenn Ree. nicht sehr irrt, eine neue Ausi
gäbe 1Ö20 zu Stuttgart erschienen. — Bei Horaz würde Ree.
die Ausgabe der Ars Foetica von Paula von Hocheder wegge-
lassen haben, da er den Gebrauch derselben nicht für sonder*
lieb nützlich halten kann, es sey auf Schulen oder zum Selbst»
Stadium. Ob bei Livius die Chrestomathieen von Bauer
und Kayser anzuführen sind, wird immer noch erwogen wer-
den müssen. — Bei Terenz sind auch die Dictata Rubnke«
nii in Terentium ed. Schopen angeführt, was Ree. sehr bil-
ligt; er würde aber auch die ältere Ausgabe des Terentius von
Brun« (Hai. l8ll. 2 Tom.), worin diese Dictata, freilich
nicht mit der Genauigkeit, wie bei Schopen, bereits abge-
druckt sind, anführen. — Möge der Verf. in diesen ihm vor-
gelegten Bemerkungen nur einen Beweis der Th ei Inahme er-
kennen, mit welcher Ree. seine verdienstliche Schrift durch-
gangen hat, und möge er darauf bei einer weiteren Ausgabe
die geeiguete Rücksicht nebmen wolleu \
>
•
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I . ...
Heya etymologisch« Vorsuolie. 655
fyymologhchö Versuche für MterthumtwUsenschaft und Spruchkunde *
pon Ludwig Friedrich Üeyd, Stadlpfarrer in Markgrö-
ningen. Tübingen, 1824, 148$. in 5.
- ■ . %
Diese unter dem bescheidenen Titel Versuche sich an-
kündende Schrift verdient Beachtung, und nicht umsonst 4ioflt
der Verfasser, entweder Ergänzungen gegeben, oder auf i>«uo
Funkte aufmerksam gemacht und Lexikographie ttod.GraoMna-
t/k nicht unbereichert gelassen zu haben , auch wejUer« und
strengere Prüfung des Bodens, auf welchem Urgeschichte,
Mythologie und Geographie ruhen, zu veranlassen. Di< ge-
genwärtige Beurtheilung richtet übrigens ihr Augenmerk
hauptsächlich auf das Etymologische, und fiberläfst dasjenige,
was auf Älterthumskunde , namentlich auf Mythologie Bezug
hat, solchen, die sich ein Recht erworben haben, darüber zu
sprechen. Ree darf die Versicherung vorausschicken, dafs
die Ergebnisse, die der Verf» durch seine Forschungen gewon-
nen hat, mit den sein igen häufig übereinstimmen, wird aber
auch Olfen gestehen, wo er Behauptungen für zu wenig be-
gründet, oder die Anwendung des aufgestellten Grundes für
gewagt halt.
< Nach vorausgeschickter Grundlegung, worin aus einander
gesetzt wird, dafs die Selhstlauter ein Allgemeines, Uobe-
stimmtes ausdrücken und erst durch Mitlauter zu einem Beson-
dern, Bestimmten werden, dafs s, als Halbvocal den Selbst-
lautem am nächsten stehend, ihnen ihren allgemeinen Cha-
rakter lasse, folglich geeignet sey, das Allgemeine zu einem
Individuellen zu bilden, und somit ein Es, ein Etwas in der
Weitesten Bedeutung zu bezeichnen, geht der Verf. zur An-
wendung über und weist den Sylbenlaut as, es,* ia u. s. w.
zuerst in dem Fürwort, dem Artikel, der Zahl Eins und dem
Zeitwort Seyn »als in Wörtern nach, die das Allgemeine in
seiner erkennbaren Einzelnheit ausdrücken. Sodann sucht er
den S-Laut auch in solchen Wörtern nachzuweisen, die, ob-
§leich einen mehr zusammengesetzte» Begriff ausdrückend *
och immer den Hauptbegriff einer in die Augen fallende« .
GrÖfse Und eines als Einzelnbeit hervortretenden Ganzen in
sich tragen, und eben deswegen Benennungen für Gegenstände
sind, welche vorzugsweise ein Es genannt werden können,
und sich entweder durch ihre grofse Ausdehnung und abgeson-
derte Stellung, z. B, Berge, Thiere, Pflanzen, Sonne, Gott
und Göttliches, Priester, Herr u. 8. w,f auch ausgedehnte,
hervorragende Theile lebendiger Körper und andere hervor-
stehende Größen , oder durch ihre . theilweise Zusammen-
«
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556 HeyJ elymologbchc Versuche.
setzung zu einem Ganzen der Anschauung kenntlich machen.
Nach diesen Grundsätzen sind S. 29 — 38. viele Bergnaineff
aufgezählt , am reichsten ist die Anzahl der Benennungen für
Gott und Göttliches , Priester und Herr, S. 43 — 95. 'Auf
diesem Wege wird an einer Menge von Wörtern der ihnen
durch jene Ursylbe aufgeprägte, jedoch durch Hinzugekom-
menes genauer bestimmte und individualisirte Allgemeinbegriff,
und somit der Grund , warum sie als Benennungen der bezeich-
neten Gegenstände gebraucht wurden, nachgewiesen, — Nun
leidet es allerdings keinen Zweifel, dafs öune Annahme von
Vorlauten und Stammsylben, vermittelst deren ein Allgemein-
begriff bezeichnet wird, sich keine Wortforschung anstellen
Ififst, lind dafs sie aufzusuchen und durch Absonderung der
dem ausgebildeten Worte angewachsenen Anlaute herauszu-
stellen für Sprachkunde wie für Alterthumskunde eben so
uoth wendig ist, als die Begründung einer Sprachlehre noth-
w endig macht, Sätze in Wörter, Wörter in Sylben, Sylben
in Buchstaben aufzulösen. Auch treten solche (ideell-, nicht
historisch«) primitive Laute oft so klar hervor und lassen sich
vom Ganzen eines Worts als etwas Selbstständiges oft so leicht
ablösen, dafs ihr Vorhaodenseyn und ihre Bedeutung nicht
geleugnet werden kann, wie z.B. ak das Spitzige, Scharfe,
Stechende 9 Schneidende , d a , du, das Untere, Tiefe, Ver«
borgene, Finstere, mu, das Heimliche, Innere, \ er-
schlossene, Dunkle, ad, das Umschliefsende, ar, das in die
Höhe Ragende bezeichnet. Und so gieht wohl jeder Sprach«
forscher dem Verf. gerne zu , dafs in dem Urlaut as, es u.s.vr.
« in AllgemeinbegrifF liegt. Dennoch hat die Sache ihre Be-
denklichkeit , und in ihrer Anwendung nicht geringe Schwie-
rigkeiten. Erstlich gerüth man leicht in Gefahr, den AK-
gemeinbegri£P, den man in vielen mit einem solchen Laute
versehenen Wörtern durch Induction gefunden hat, überhaupt
Wörtern, die diesen Laut haben, auf zu zw irtgrn, wenn er
gleich in ihnen nicht enthalten ist: denn solche .Laute können
Wörtern aus einem zwar in dem menschlichen Sprachbildungs-
vermögen liegenden, aber nicht immer erforschbaren Grunde,
oder zufolge einer nationellen Gestaltung der Sprach Werkzeugs,
oder wegen vermeintlichen Wohllauts, oder aus Mifsbören
de» aus der Fremde Hergekommenen eingewoben worden seyn,
oder sie bezeichnen auch noch einen andern Allgemeinbegritt,
der sich mit dem angenommenen nicht unter Eine Klasse brin-
gen lüfst. So ist namentlich as , es, is, os, us eine so bau»
hge und unter so mancherlei Bedeutungen vorkommende ety*
mologische Anbildung , dafs es schwer halten möchte, diese
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0
«
Hoya* i t^niologiichc Versuche. 557
• .«.••■•'.• «
Laute alle oder den gröfseren Theil derselben in die von dem
. Verf. aufgestellten Classen einzureiben. Die Ursylbe ar
driiekt das Hervorragen aus, aber gleich häutig bezeichnet, sie
auch das Umfassen, Einschliefsen. W ollte man nun allen oder
den meisten Wörtern, die einen solchen Urlaut haben, über-
all den in demselben wahrgenommenen Allgemeinbegriff bei-
legen, so würde der Zwang in die Augen fallen. Bemühte
man sich aber, um diesen Stein des Anstofses aus dem Wege
zu schaffen, mehrere Ällgemeinbegriffe , die man durch einen
und denselben Urlaut ausgedrückt glaubt, unter einen noch
höheren zusammen zufassen, so möchte ein zweites Uebei
entstehen: der noch höber stehende Allgemein begriff würde
nämlich einen Umfang haben, in den sich zuletzt alles stellen
lieise, was am Ende so viel wäre, als nichts Bestimmtes sa~
gen. So hat Lennep in den meisten griechischen Wörtern
Urlaute gefunden, die eine Bewegung anzeigen. Da nun die
lebendige und leblose Schöpfung in unaufhörlicher Bewegung
ist, to läfit sieb freilich am Ende in jedes Wort, welches
etwas bezeichnet, das getban wird oder geschieht, ein Ur-
laut, der den Allgemeinbegriff Bewegung ausdrückt, hin-
eindichten. Aber was für ein llesultat tritt am Ende hervor?
Kein anderes, als dafs die Natur in steter Bewegung ist, und
dafs wir, um zur Bezeichnung unserer Vorstellungen und Bei
griffe Wörter zu bekommen, Buchstaben nöthig haben. So
hat auch der Verf., ohne sich übrigens so weit in das Allge-
meine zu verlieren , sein as und überhaupt die Grundlegung
zu hoch gefafst: denn was ist am Ende nicht ein Etwas im
Allgemeinen oder im Besondern, in der Einzelnheit oder in
der Zusammensetzung? In dieser alles verschwemmenden
Allgemeinheit verlor sich Lennep, wenn er alle Zeitwör-
ter auf au; > £«, iwi oto» dyoif tywi iyw n. S. W, , a5«> , «So», iBvj
ü. s. w.t ßdynt ßtym, ß'y» w. zurückführte. Vor einer
noch weiter führenden Verirrung hat sich der Verf. dadurch
sieber gestellt, dafs er die mit s analogen und nachweisbar
häufig mit ihnen ausgewechselten Buchstaben dt t, r, und in.
Folge des letzteren auch 1, nicht in seine Erörterungen gezo-
f;eti hat, obgleich die Aufforderung dazu so nahe lag. End-
ich zeigt sich auch darin eine Bedenklichkeit, dafs, wenn
jene Laute, dergleichen as einer ist, das sind, wofür wir
sie, halten, Grund - oder Urlaute, welche einen Allgemein-
begriff in sich schliefsen , sie in dem sprachbildenden Geiste
des Menschen liegen müssen, folglich in allen Sprachen sollten
nachgewiesen werden können. Der Verf. hält sich an das
Griechische, Lateinische und Deutsche, weil uns nur von
■
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553 Hey*
diesen Völkern die Kruft und Bedeutung
bekannt iey, doch geht er nicht selten auf Wörter Aber, die
offenbar orientalischen Ursprungs sind. Nun entstellt
lieh und notbwendig die Frage: lÄfst sich in andern Sp
— der grolsen Katbarina Slo war möfste Antwort geben kön-
nen — Jafst sich namentlich in den slawi*chen , ostasiatischen
und amerikanischen dieser Laut mit dieser Bedeutung nach-
weisen ? — Durch Anführung aller dieser BedenJrficbkeiten
und Schwierigkeiten »oll der Grundsatz , däfs e» ürlaute gehe,
denen bestimmte Allgemeinbegriffe in wohnen, keineswegs an«
gegriffen, sondern nur die Klippen gezeigt werden j auf die
der Etymolog zu stofsen Gefahr läuft, zumal wenn er aufser
der reinen Sprachforschung noch einen auf einzelne Wissen-
schaften gerichteten Zweck — hier z.B. auf Mythologie —
vor Augen hat. Vor manchen Abschweiftingen und Verirrun-
gen kann man sich in vielen Fällen htiten , wen« man von Wör-
tern, in denen man einen primitiven Laut mit einem Allge-
meinbegriff wahrzunehmen glaubt, die Vprlaute absondert,
diese aber vorher gehörig, etwa auf folgende Weise, classi-
ficirt : b , ch , k , q , j , g ; v , $ , f ; w , b , p , m ; s , sch ;
IT, d, t (n, in, d, t gehören zu den seltenern). EinBeispiel
mag dies erläutern. Ad ist im Germanischen und seinen nähe-
ren und nächsten Verwandten und selbst im Hebräischen ein
Elementarlaut, der den Begriff des Einschliefsen* in sich ent-
hält, wie die -folgende, aus einem zahlreichen, nach der so
eben angegebenen Buchstabeneintheilung gemachten Verzeich-
nis in's Kurze gezozene Induction klar erweisen wird:
1) ohne Vorlaut i Ader, ädere, Eingeweide, rythm. de S.
Ann. atter, Markung, S. Skinnet, aedes , Ette r , eder, eodor,
.Zaun, Ang.S. Euter, %to$> Herz, ida, Adel, Gl. Möns, idr,
Eingeweide, Isl. c3«fo$» Bauch, uter, Uterus, Euter; 2} h,
ch, k, q, j, g: Haut, Hode, Hütte, beed, verbergen,
Engl, cader, Einzäunung, Wall, cadre , Sahmen , cadus,cood,
codde, Beute], AS. citte, Bauch, AS. ewith, vulva, AS. cu-
tis, gatten, gata, verwahren, Schwed. Gaden, Gatter,
*ysVr«?> Bauch, mit eingeschobenem Nasenlaut Dotter, Kothe,
Kutte, Quält, Quätten, Bauch, Schwb/quitbrs, dassel-
be, Ulf. quoden, interior pars coxae, S. Nyer. Symb. 206.
*m, ftt« iZÜf einschließen, das Innere; 3) v,$,f:
veuter, mit eingeschobenem Nasenlaut, wobei aus dem obi-
gen »ytvT#p erhellt, dafs weder u noch y zu der Wurzel des Worts
gehört; 4) w,b,p,in: Wat, Einge- weide, ßaita^ ßa/nj,
Fell, Hirtenkleid, Beutel, Bude; 5) s,6ch; Schädel,
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Iloyd etymologische Verbuche.
559
Schade, Schotte; 6) Nater, Citter, a. Fulda Idiot. So
tritt der durch ad, ed u. s. w. ausgedrückte Allgemeinbegriff
in allen diesen Wörtern klar hervor , Und der Verf. hätte hei
einer solchen Verfahrungsart, auch mit Beibehaltung seiner
sonstigen Einteilung, ohne Zweifel sicherere Schritte ge-
than. Diese Weise wird iwar Manchen allzu nüchtern vor-
kommen; mögen sie auf ihre Gefahr hin einer bodenlosen Spe-
. x* in uieae allgemein eii £>einerituiigan mugirn nun anuu ein-
zelne über Einzelnes folgen. S. 10. 1* r-es soll durch die En-
dung das Etwas ausgedrückt seyn; auch in sp-es, qui-es ,
di-es, lim-es, vat-es , heb-es? Ebend. Anm. 0. esse, Seyn,
und esse, Essen, hängt bei dem Menschen, dem civilisirten
wie dem Naturmenschen, zu genau zusammen, als dafs es
eines so weit hergeholten Grundes der Wortübereinstimmung
beider Begriffe bedürfte; daher auch beide Begriffe nicht nur
in esse, sondern noch in mehreren Wörtern durch gleichen^
Wortlaut ausgedrückt werden : uti, geniefsen, essen, und ge-
wohnt seyn , seyn; vesci, Lat. vesa# Isl. vastag, dick, Ung.
Waiden, und wisen, &*fn; wara , essen und seyn, Schwd. ;
fahren in der Bedeutung von leben, und Fuhr, Nahrung;
Leib, und Leben. S. 13. Anm. l5. D als 500 erklährt sich
am natürlichsten aus der Form M, welche so gestaltet war:
CO, die Hälfte dieser Figur ist D, und L, 50, durerrdie
alte Figur des C, nSinlich L , wovon es gleichfalls die Hälfte
ausmacht; V, 5* ist die Hälfte der Figur X, wsrum aber^
diese 10 bedeutet, möge von Andern entziffert werden; V*
durch die ausgestreckten Finger zu erklären, scheint auf jeden1
TT» 11 O . * M 3 _ • . 1 • - . _
Jura (Wie OWeil, U.ngl. weilen, iwiej, die Festung,
Wiel, Weil, Wyl). In zwanzig ist statt des vorlautendeit
Zahnhuchstahen ein Zischer vorangesetzt, in viginri (biginti)'
aber drückt die erste Sylbe, trotz G. J. Vossens Widerspruch ^
bi, bis aus, welches zwei bedeutet, wie / , ;5 eins. S. J5.
Anm, 19. it, unus? Sollte nicht in dem als Gewährsmann an-
fefübrten Fulda ein Druckfehler seyn, und es, wie aus den
enachbarten Wörtern zu schliefsen ist, vanus heifsen müs-
sen? Daraus Heise sich das schwabische itt, itta, nicht,
erklären, und es träte eine Verwandtschaft mit wicht,
nichtsbeMeutend , an's Licht, In diese Anmerkung gehört auch
JSfö;, pro|>riiis, privus, und das etrurische iduare, theilen,
trennen, wovon viduus, viduare, Witwe, abzuleiten st.
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560 HcyJ etymologische Versuche.
v}
S. 15. Hier hatte auch A eis, das Eins im Würfel, wieofy*
und Seeovp 3ue fwv crSriZv, Etymol. M. Lips. 143. Sylb. 158»
ferner B'asch, P'aar, b'is angeführt werden können; sie
bedeuten alle Eins und Eins. Merkwürdig und auf eine JJe*
griflsähnlicbkeit deutend scheint auch , dals atrcovro >yW< M
(£.M. 142.) 9 und Tyyia eins bedeutet: also eng» d. i. in Eins
geprefst. Ebend. assus möchte bei mehreren Wörtern, in
deren Verbindung der Verf. es anführt, statt assatuf stehen,
und die im Italienischen häufig vorkommende, aber auch, wie
orbus9 privus statt orbatus, privatus beweist, im Lateini-
schen nicht ungewöhnliche Form des Fassivparticips seyn,
braten aber läfst sich nur zwangsweise mit Eins unter Einen
Begriff bringen; assare scheint vielmehr mit esse, essen, in
derselben Verwandtschaft zu stehen, wie Brot mit braten.
S. 20. oinus statt uuus kommt auch in den Zwölf Tafeln vor.
S. 21. Zvojxa aus unns? beifsen aus eins, ,|{? S. 0.
Ann. 39. Die Infinitivendigung Ä/v dürfte das abgekürzte #&»
und die lateinische are» ere, ii e durch Umtausch des s mit r
das abgekürzte esse seyn. S. 30. In Parnassus möchte
Paa (Bor, empor, Berg, Fergamus) den Begriff eines Berges
aufdrücken , doch könnte auch die andere Hälfte des Wort!
denselben Begriff in sich enthalten, gleichwie viele Flufi«
namen aus zwei, Flufs oder Bach bedeutenden, Namen zu-
sammengestellt sind : Louter-ach , Ei-ach , Bi ber-hach , Biber-
ach , Brig-ach, Breg-ens u. s. w. S. 32. 'AS^vo/ fast wie A«*
De; so lautet noch jetzt bei den Griechen das 0 wie das go-
rdische, angelsächsische und neuenglische th, bald mehr dem
f, bald dem s sich nähernd.' S. 36. Unter Deutschlsnds Ber-
gen wäre hier auch der schwäbische Bussen an auführen ge-
wesen. S. 39. Zu E i ch e sey folgende in der Geschichte der
Menschheit gegründete Bemerkung erlaubt: Vor Versllgc*
sneinerung des Getreidebaues nährten sich die Menschen von
wildwachsenden Beeren und Baumfrüchten , besonders W«
die Eichel ein Nahrungsmittel :
.*
Glandiferas inter curabant corpora quercus/ Lueret
' fr Tellus
pingui glandem mutavit arista. Virg.
• • . » /■ !
- V.*-'
(Der Beichlujs folgt.) . *l
uiginzeo
N. 36.
1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Heyd* etymologische Versuche für Alterthumswissen-
schaft und Sprkchkunde.
. , . .< >•.•• .i • . ,"*".' .* ,
(Bttchlnfs.)
> . >
So ist es natürlich, dafs Beere und Bäflme mit Speisey
Essen durch Benennungen gleiches Stammes bezeichnet wur-1
den: Eiche, B -u che, ^ ; f.agus , $-<*'y* ; Aesche, aes-
culus: esca, wie schon Servius bemerkt* In der Edda wer-
den die Menschen Askur genannt* Worunter wenigstens eben
so wahrscheinlich Essende als Göttersöhne verstanden werden
können) mefs, Eiche], Altbrit. mtrrou* Kastanie! IVlafs,
Speise, davon mafsleidigf Mafs^.ng; B eere, bere, AS* Ger-
ate (daher Bier), ^ , Getreide, »J^, dasselbe» Bim* pi-
suni| Veesen; atan, aten, AS. öat, Engl. Häher : edere,
etan, essen, AS. Hängt vielleicht auch essen* mit
Apfel, akran, Traube, Obat* Ulf* etymologisch zusammen?
S. 57. iat noch anzuführen 'A^ou?* ^arfo M ^o/Wkcuv, Et*M«
1 , 141. S. 61. Aua dem Et. M. konnte noch angeführt Wer-
den , dafs die Aegyptier die Aphrodite 1 asJ, ? nannten, 8. 62*
Aua a1<rä causa, Weil die Götter die Ursache Von Allem sind!
Und inLooi die Äylbe os, Gott, Göttliche«* vön Gott be-
stimmt? Ebend. sacer , ausgesprochen sager , enthält schwer-
lich den Grundlaut as, eher ac, an, das hoch, erhaben
andeutet. S. 63. Da die VögeldeUter sich bei ihrer heiligen
Verrichtung nach Norden Wendeten, so *eigt tesrjüüs sowohl
dasjenige, Was *ut priesterlicben Beobachtung des Vogel flugs
dienlich ist, als auch die Unfruchtbarkeit der Gegend an* wo-
hin das Angesicht des Priesters gerichtet war, Haiden , Step-
pen ttnd dergl.* und dal Wort vön as* göttlich* abzuleiten,
möchte gewagt seyn, S. 65. taceo ist doch wohl eher aus
dem Grundlaut tak , teg, tuk tougert. heimlich* altd. —
Gedeckt, verborgen« heimlich* als von aV« herzuleiten* iu-
a 1 wenn man Buttmarins Ableitung des letzteren Wörti v o ri
XIX. Jahrg. 6. Bcft M
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562 H*yd etymologische Versuche.
%&*$ x&tmt beitritt; Ebend. castus bedeutet eigentlich aus«
erlesen, und geht dann erat in dieJBedeutung' rein , unbefleckt,
keusch über 9 quaerere, küren, kiesen, carus sind seine Stamms-
verwandten. S. 66 ff. Also Sarmaten, Amazonen, Pelasger,
Hellenen, Ausonier, Thusker u. s. w. lauter aus Namen von
Göttern und Götterdienern entstandene Benennungen für Völ-
kerschaften. Ree. hütte nicht Muth, so weit zu gehen. —
S. 75. fascinare leitet Festus mit vielem Rechte von fari ab.
Zauberei wurde nämlich vermittelst heimlicher Worte oder
Gesänge, welche Seegen oder Fluch enthielten, ausgeübt;
achon in den Zwölf Tafeln heifst es , VII, 3. Quei fruges
excantasit, und 14. Quei malom Carmen incantasit; Tib. I,
2, 41* Fluminis haec rapidi Carmen rapit iter , vergl. VIII,
i7 — 24. und Psalm LVIII, 5 6. Daher dieNameu für die-
aelbe meistens von Wörtern hergenommen sind, welche Rede,
Geschrei, Gesang bedeuten : mit naA«iv, gallus, Hahn, to call}
gala, kalda, galer, altfranz., singen, rufen, schreien, ^p,
jttj, Gal, Hall, Schall, calm , galm, Gesang, Ruf, Ge*
schrei , ^uXthwv, helundo, Schwalbe, Skalde, Sänger, steht
in nfiherer und entfernterer Verwandtschaft x^Xtiv, bezaubern,
fdan, AS. galdra, Isl. dasselbe, calstrare, mathematici, d. i.
auberer, Notker, galendt- , Zauberer, Gl. Lips. Skal-
de, Zauber, Schwd. , ferner Efrt?» uiussitare und incantare;
carminare; to spei), buebstahiren , lesen, bezaubern; impre-
cari; ßeschreien; besprechen« trollen, ein widriges 1
Geschrei erheben (Adelung) und trolla r behexen, Schwed.
B-ratti] ; t o beshre w , to wish a cursa to Sheridan. So möchte
Fcstus Ableitung vollkommen gerechtfertigt seyn. S. 76.
Anm. 224» Für Hexe läfst sich in hag, Hexe, Skinne, bug','
Verstand, Klugheit, hagur, klug, Isl. sagus, sagi, nach
Coto bei den Thuskern pontifices et sacri expiatores, sagax,
sagire statt sapere (s. Cic. Divih. 1, 3i.) eine ungezwungene,
nahe liegende Ableitung finden. S. 78. hatte bei oWa'o/ auch
die von Rubnken. in Tim. Lex.. Hat. zu ?rra angezogene Stelle
aus Suidas: %rra% v.al "cca , <P>//jwj, /xavTs/a, angeführt werden
können. S. öl. rex kann nicht wohl refs gelautet haben , son-
dern regs, reges, d.i. Reger, mit der Wurzelsylbe, die
auch in ragen, regen, Recke, Ruck (Berg, Hundsruck, d.i.
Jagd- oder Hind-ßerg), roc, rocher, rogus, p££
u. s. w. vorhanden ist. S. 85. Ran, Herr, Slaw., wie ßt£
va; ßcurtXst;.. Zu S. 84. Anm. 250. ist. noch anzumerken* dais
Näs der Name mehrerer Vorgebirge im nördlichen Europa ist.
S.96. auris lautete nicht nur vi el leicht wie ausia, sondern,
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Hejd etymologische Versuche. 663
wie dftis auscultare (ausiculitare) erhellt , wirklieb so, S. 97«
pvi gehört dem Stammlaut mau, meu, mo, mu an, welcher
Verborgenheit bezeichnet. Von S. 104. am erscheinen die Zu*
Rückführungen auf den Grundlaut a s gröTstentheils zu gewagt
und unsicher , und das Zusammenfassen von solchen Gau.
zen, aus deren Wesen sichtbar ist, da Ts sie aus
Mehreren eine in die Augen fallende Einheit ge-
worden sind, ist so uubegrünzt und weit, dafs es zum
willkübrlicbsten und schrankenlosesten Umherschweifen An*
Jafs giebt. S. 109. In Eisen, ayas, Sanskr. nach Schlegel,
liegt nicht Mos der Begriff des zusammengeschmolzen
neu Metalls, sondern des Metalls , ja der unorganischen Eid-
stoffe überhaupt, wie aus den diese Gegenstände bezeichnen-
den und den Stammlaut as oder ar enthaltenden Wörtern er«
hellt: aes, eer, Kupfer , altd. ore, Erz, "iron, Eisen, ar,
AS. und Schwed. aur-um, ferr-um, ar-gentum , aur, Koth9
Gries, Ist. ar-ena, Sand , ar-gilla, Lehm, H-or, Koth,
Er-de, Er-z, arziz, Zinn, Pers., vielleichtauch y^*
ccs ~ x~€Zmvff°S' *n ähnlicher Verwandtschaft stehen Kupfer,
*)32» Staub, und JfpjgjJ, Blei. Ebend. Anm. 326. In *\%$of
T T
und plenus die Wurzel as oqer aes und unus zu finden, dürfte
schwer halten ; folgende Deduction möchte zu einer klareren
und vermuthlich auch richtigeren Ansicht führen: all, cXo;*
beel, Heil, viel, voll, iwAvj, ->r(o)k^Bo; , p(o)lenus, aus
pleus, plus, pleo , mit eingeschobenem Nasenton. S. hj,
Fafs kommt von fasen her, wovon fassen die Augmentan
tivform ist, wie rjuasso von quatio. Die Hegel kann also
allgemeiner gefaßt werden: as, als ist eine Verstürkungs-
forrti. Sickler hat daher im Cadmus auch die Masculinendung
c*5 hieraus erklärt , sicherer dürfte osus hieher zu reebnen seyn :
gloriosus, -onerosus, famosus, furiosus, ehriosns u. s, w«
8. 136. Buttmann hat in seiner akademischen Abhandlung über
die mythische« Verbindungen von Griechenland mit Asien aus
der Mythe von Kadmus und Europa dargethan , dafs der friU
here Gegensatz nicht Asien und Europa, sondern E~*Tp Mor-
genland, und <2*y Abendland, Europa , war. — Bec. hat sich
hei dieser Schrill nur darum so lange verweilt, Weil er die ge-
lehrten Forschungen des Vf. nach Verdienst schützt, und den
Gewinn, den sie der Alterthumskunde gewahren, anerkennr.
Möchte ihm seine Lag* verwandte Forschungen gestatten J
S c h m id.
»
36*
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564 Luden Geschichte des teuucheu Volkes,
Geschieht* des t einsehen Volkes t von Heinrieh Luden, GotUt
• bei Justus Perthes. 1825. Erster Bd. 792 S. ffr. 8. 4 A. 30 kr.
Jedem nur einigermafsen gebildeten Minne | welcher an
den vor ihm vorübergehenden Erscheinungen Tbeil nimmt,
darf die Geschichte seines Landes nicht gleichgültig seyn;
einem Volke, das von seinen Vorfahren und ihren Tbaten,
von den Einrichtungen seines Vaterlandes und ihrer Fortent-
wicklung nichts weifs, fehlt es gewifs an dem Gefühle der
Nationalität und an der Liebe, zum Vaterlande , wenn nicht
andere Ursachen die mangelhafte Kenntnifs herbeigeführt ha-
ben. In den Freistaaten begünstigt das offen t liehe Leben,
) die Theilnahme aller Mitglieder des gemeinen Wesens an4em
Schicksale ihrer Vater und die stete Zurückbeziehung auf Ein-
richtungen urffi Anordnungen der Vorfahren die Geschicht-
beschreibung; Herodot trat, wieesheifst, zu Olympia vor
der allgemeinen Versammlung von Hellas mit seiner Geschichte
auf, worin er den grofsen und siegreichen Kampf der Hellenen
Segen die Barharen in seinen ersten Ursachen erforscht und
argestellt hatte , und der Beifall der anwesenden Völker
klatschte einem Unternehmen Lob, welches die von ihnen
ausgeführten Thaten dem Gedachfnifs der Nachwelt erhielt.
Ehen so war bei den Römern eine Geschichte ihres Staates
«ine Sache des Volkes , und nicht blos der Gelehrten ; ihre
Redner beziehen sich so oft auf Beispiele vergangener Jahr-
hunderte, dafs man sieht, sie setzen hei ihren Zuhörern eine
Kenntnifs derselben voraus. Dieselbe Erscheinung hat sich
in den italienischen Freistaaten wiederholt, Welchen Italien
die gröfsten Geschichtschreiher der neueren Zeit verdankt.
In England erhält der Geist des öffentlichen Lebens (the pu-
blic spirit) die Theilnahme an den Ereignissen der Gegenwart
wie der Vergangenheit selbst bei den niedrigsten Volksklassen,
und nirgends, als hier, das Beispiel von Aescbylus Persern
etwa ausgenommen , hat man eine Reihe historischer Ge-
mälde in dramatischer Form auf dem Theater gesehen und
bewundert.
Anders in Deutschland. Leuten, die in den Geschichten
der Nachbarländer sehr gut bewandert waren , blieb die Ge-
schichte ihres Vaterlandes in den mittleren Zeiten ein unbe-
kanntes Feld ; kaum dafs eine oder die andere ausgezeichnete
Begebenheit nothdürftig zu ihrer Kenntnifs gekommen war.
Die Ursache davon lag zum Theil an dem Mangel eines ausge-
zeichneten Werkes, das auch für einen andern Kreis von Le-
aern berechnet war, als für Gelehrte , zum Theil aber auch in
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Luden Geschieht« des teutscheo Volkes. 565
einem wirklichen Mangel de» Nationalgefubls bei dem deut-
»chen Volke. Wäre dieses Gefühl stark gewesen , so würde
das fiedfirfnifs einer Nationalgescbichte früher erkannt, und
zur Erfüllung desselben ein Versuch gemacht worden seyn.
Die grobe Begebenheit unserer Zeit aber, wo alle deutsche
Völker sich gegen den gemeinschaftlichen Feind erhoben, und
die Einigkeit ihrer Warfen Deutschland von dem Drucke der
Auslander befreite, weckte, wie mit einem Schlage der Zau-
berruthe, das bisher schlummernde Nationalgefühl, und die
Folge davon war statt des bisherigen Kaltsiuns ein feuriger
Enthusiasmus für Alles, was deutsch war, bis zur Ausschwei-
fung. Dies hatte natürlich auf die Geschichte den gröfsten
Einllufsf die Helden unseres Volkes wurden besungen, ihre
Thaten in Volksbüchern beschrieben, — kurz, es schien eine
neue Zeit aufzugehen für die deutsche Nation. Dafs dieser
Rausch der Begeisterung bald wieder verllog, lag in der Natur
der Dinge, allein seine wohlthätigen Wirkungen sind nicht
mit ihm erloschen, und jetzt wird gewifs eine Geschichte
des teutschen Volkes von allen Gebildeten desselben mit
wärmerer Liebe aufgenommen werden , als vor einem halben
Jahrhundert. Allein jetzt werden auch gröfsere Ansprüche
gemacht, als in der Zeit der Begeisterung; das schöne Gefühl,
die Thaten einer grofsen Nation ihren Enkeln zum dankbaren
Andenken und zur Belehrung zu überliefern, mufs mit gründ.
lieber Forschung und gleicher Abwägung der Gerechtigkeit,
verbunden seyn, und darf nie das Urtheil bestechen.
Nach einer zwanzigjährigen Forschung (Vorwort S. XI.)
übergibt nun Hr. Luden dem deutschen Volke seine Ge-
schiebte, mit dem vollen Bewufstseyn der Anforderungen des .
Augenblicks und mit dem Bestreben , dieselben zu befriedi-
gen, Von diesem Werke zeigen wir hier den ersten Band an.
Er umfafst die Zeit vom Eintritt der Deutschen in die Ge-
schichte bis an das Ende des ersten Jahrhunderts nach Christi
Geburt , und zwar in drei Büchern : das erste Buch S. 1 —
156* stellt die Geschichte dar bis auf die Unterwerfung von
ganz Gallien durch Julius Cäsar und die Ausdehnung des Rö-
mischen Reichs bis an den Rheinstrom; das zweite Buch S. 159
— 424* bebandelt die Versuche der Romer, Deutschland selbst
zu unterjochen, und die Geschichte der deutschen Völker in
ihren gegenseitigen Reibungen nach jenem mifslungenen Ver-
such, so wie in ihren Verhältnissen zu den Römern; das
dritte Buch endlich S. 427 — 586. entwickelt Deutschlands
inneren Zustand, also alle Verhältnisse, auf welche sich die
Einriebtungen der Folgezeit gründen. Von S, 589» bis an s
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566 Luden Geschichte des teutsclien Volkes.
Ende folgen die Anmerkungen als Beweise und Rechtferti-
gung aufgestellter Ansichten oder zur Erläuterung einzelner
tunkte.
Die klare Ordnung, in der die Begebenheiten dargestellt
sind , die würdevolle ernste Sprache und der schöne edle Sinn,
mit welchem der Hr. Verf. seinen Landsleuten ihre Geschichte
erzählt, müssen hei unserem Volke den verdienten Beifall und
Anerkennung finden, auch wen« alle Theilnabme an der Ge-
schichte des Vaterlandes erstickt wäre. Ja, wäre dies der
Fall, so müfste dieses Werk sie wecken, und Ref. wünscht,
dafs es einen recht grofsen Kreis von Lesern finden möchte,
so wie er überzeugt ist, dafs es seineWirkung nicht verfeh-
len wird, den Leser zu belehren und zu erheben. Was lief,
vor den Richterstuhl der historischen Kritik zieht, geht die
Wissenschaft als solche an , und wenn er hier von dem Hrn.
Verf. abweicht, so geschieht dies immer mit der gehörigen
Anerkennung des Scharfsinnes, der Verdienste und des Wer-
thes, den seine Untersuchtingen und die daf&us hervorgegan-
genen Ansichten für die deutsebe Geschichte haben.
Die mageren Quellen für die ganze Geschichte, welche
in diesem ersten Bande abgehandelt wird , entspringen in den
Werken Römischer und Griechischer Geschicbtschreiber, also
der Feinde des deutschen Volkes, und auch hei der gröfsten
Wahrheitsliebe konnten diese sich nicht leicht von ihren Vor-
urtheilen losreissen. Daher hat der Hr. Verf. diese Quellen
mit grofsem Mifstrauen und Argwohn benutzt, und einen
andern Quell geöffnet, „der in des Menschen Geist und Em-
pfindung entspringt, und den Nichts zu trüben vermag"
(S..102.). Ref. mufs diesem Verfahren da seinen Beifall ge-
ben, wo man den Grund eines gerechten Argwohns nachwei-
sen, und aus den vorhandenen Spuren die Wahrheit oder.we-
nigstens eine Annäherung an die Wahrheit überzeugend
herausfinden kann. „Die Geschiebte kann aber nicht über
ihre Quellen hinaus«; Wo also die Erzählung, deren Resultat
wir doch nie ändern können, in ihren einzelnen Tbeilen mit
sieb selbst und mit der Natur der Dinge übereinstimmt, mufs
sie stehen bleiben, als historisches Factum. Dafs aber ein zu.
grofses Mifstrauen den Hrn. Verf. zu einem wärmeren Ver-
cheidiger der Deutschen gemacht hat, als sich mit der Historie
verträgt, glaubt Ref. an einigen Beispielen zeigen zu können,
wo eine unverkennbare Parteilichkeit Hrn. Luden bewogen
bat, den Feind in einem trüben Lichte zu zeigen, und den
Freund dagegen von allen an ihm haftenden Beschuldigungen
zu reinigen. In dieser Beziehung kann uns zuerst die üe*
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Lliden Geschichte des teutschen Volkes. 567
sch chte der Usipeten (Usipier) und Tenchterer S. 104 ff. du-
nen. Nach Cäsar kamen diese deutschen Völkerschaften von
den Sueven gedrängt an den Hb ein da, wo die Menapier an
beiden Seiten des Stromes wohnten. Diese gingen Bei der
Ankunft so zahlreicher Mannschaft auf das linke Rbeinufer,
um ihnen den Uebergang zu wehren; die Tenchterer und Usi-
peten zogen, um die Feinde sicher zu machen, zum Scheine
ab; wandten sich aber nach der Rückkehr derselben in ihre
Wohnungen plötzlich um, und überfielen sie so unerwartet,
dafs sie sich der Schiffe der Menapier bemächtigten, und mit
diesen auch das Land derselben am linken Rheinufer unter«
•warfen. Die Erscheinung dieser Deutschen auf der Gallischen .
Rheinseite veranlafste Bewegungen unter den Galliern und
Unterbandlungen, sodafsCüsar schnell herbeieilte, und durch
eine schandliche Treulosigkeit- die er mit schauderhafter Kälte
erzählt, die Feinde vernichtete.
Hr. Luden berichtet uns dagegen, die Tenchterer und
Usipeten seyen von den Menapiern zu Hülfe gerufen worden,
und zu ihrem Beistände erschienen. Wie aber? Wir wollen
einmal zugeben , dies wäre der Fall gewesen, so bleibt es
doch immer eben so unerklärlich, warum diese beiden Völ-
kerschaften mit allen den Ihrigen (cum omnibns suis domo
excesserant, Rhenumrjue transierant. Caes, lib. IV. cap. 14.)
herangezogen kamen, als warum sie mit den Menapiern in
Streit geriethen. Das Erstere lfifst Hr. Luden unberücksich«
tigt, xflr das Zweite steht uns die Wahl zwischen zwei Er-
ilärungsarten frei» 99Sey es nun«, beifst es S. 106, »dafs
die Menapier nach der Unterwerfung aller Gallischen Stämme
an ihrer Sache verzweifelnd gewünscht haben , den Bund wie-
der aufzulösen, um den Krieg zu vermeiden, und dafs sie .
wegen dieses Verlangens mit den Usipetern und Tenchterern,
die schon gerüstet unter den Waffen waren, wirklich in einen
Zwist geriethen; sey es, was wahrscheinlicher ist, dafs sie
nur einen Zwist mit diesen Bundesgenossen verabredet ba-
ten , um unter dem Vorwande eines Zwanges den Krieg wider
die Römer im Fall eines Unglücks entschuldigen zu können:
die Usipeten und Tenchterer gingen im Winter über den Rhein
und vereinigten (!) sich mit den Menapiern." Ref. denkt,
statt dafs wir uns auf ein so unbestimmtes und willkührliches
»Sey es» einlassen, bleiben wir bei der bestimmten Angabe
Cäsar s, dafs die Usipeten und ihre Verbündete das Land der
Menapier mit Gewalt besetzt haben; denn dafs die Menapier
hernach wieder als Feinde der Römer auftreten, beweist nicht
das Gegentbeil, weil sie nach dem Untergänge der Usipeten
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- • »
urid Tenchttrer das Joch der Römer eben so wenig auf sich
-nehmen wollten , ah sie sieb ungern der Waffengewalt jener
gefügt hatten. •
Die folgenden Begebenheiten dieses Kriegs stellt der Hr.
.Verf. ganz nach Cäsars Bericht dar, und weicht blos einmal
ab, indem er die Römer die deutseben Heiter necken und
•reisen Hilst, woraus denn ein Reitergefecbt entsteht, wüh-
lend Cäsar (IV, 12.) die deutschen Reiter des Anfangens der
Feindseligkeiten beschuldigt. Hr. .Luden mag Recht haben ;
schon Caisius Dio B. 39. Kap. 47. konnte sich diese Bege-
benheit nach Cäsars Ezäblung so wenig erklären, dafs er den
•Römern wenige Reiter» und den Feinden die üebermaebt gibt.
In den Anmerkungen aber findet man stets die Hinweisung«
dafs alle Anstalten und Befehle Cäsars darauf abgesehen gewe-
sen wären « die Gelegenheit zur 'Treulosigkeit herbeizufüh-
ren, die nach des Reh Ansiebt der Zufall dem Cäsar in die
Hände spielte, und in dem Text S. 110. den ungegründeten
Verdacht « dafs die gefangenen A ehesten der Deutschen „in
sittlicher Hinsicht noch schrecklicher untergegangen seyen,
als ihr Volk«. Cäsar IV, 15. sagt, sie Seyen freiwillig bei
ihm zurückgeblieben ; hätte er sie umgebracht« so wurde er
es wohl nicht verschwiegen« und auf keinen Fall, die Unver-
schämtheit gehabt haben , bei noch so vielen lebenden Zeugen
dieser Begebenheiten geradezu das Gegentbeil zu berich-
ten. Hr. Luden mag auch noch so hart über Casars Ge-
schichte urt heilen, so sind doch offenbare Unwahrheiten oder
absichtliche Angaben des. Gegentheils nicht denkbar« und Ca-
sar hätte gewüs statt des Glaubens und Zutrauens bei den
Späteren eine Widerlegung gefunden. fio sehr »her der Hr.
Verf. Cäsars Treulosigkeit noch schändlicher« als sie schon
an und für sich erscheint« hinzustellen sucht« eben so sehr
bemüht er sich« den Ambiorix von der Beschuldigung der
Treulosigkeit au reinigen. Die Eburonen unter Ambiorix
und Kativolk empörten sich « und griffen das Lager der Römi-
schen Legaten Cotta und Sabinus in ihrem Lande. an; allein
als ihr Sturm mifslang« kam es zu einer Unterhandlung« die«
wie Hr. Luden sagt S; 119, von den Römern gesucht
ward; nach Cäsar Üb, V. cap. 26. aber, wurden die Römer
von den Eburonen (suo more) eingeladen, Gesandte su schik-
ken. Den Gesandten gab Ambiorix aus Dankbarkeit gegen
Cäsar« wie er sagte, das Versprechen, dafs er seinem Gast*
freunde Sabinus und den Römern freien Abzug erlauben« und
ihn in «einem Lande nicht hindern wolle. Im Vertrauen auf
dieses Versprechen bewog Sabinus, troU <Jeqi Widerspruche
*
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Luden Geschichte des tsutleben Volkes- 569
Cotta'«, die Legionen tum Aufbruche, ohne einen weiteren
Vertrag abzuscbliefsen, JNach Cäsar 1. c. cap. 32« »»erwartet«
nun Ambiorix in einem Hinterhalte die sicher geraachten Rö-
mer (collocatie insidiig — — Komanorum adventum exspecta-
bant); Hr. Luden aber weifs S. 121 § dafs die Eburonen
diese Stellung nur aus Vorsicht nahmen, weil bei der Bewe-
gung im Römischen Lager es ihnen unbekannt war» ob die
-Körner angreifen oder abziehen wollten. Die Römer zogen
ab, ohne Feindseligkeiten im Sinne su haben oder zu erwar-
ten; allein trotz seineingegebenen Versprechen liejs Ambio-
rix sie angreifen , und selbst nicht seinen Gastfreund Sabinua
schonen, Vergl. Dio Cass. Üb. 40. cap. 6. Nichtsdestowe-
niger siebt Hr. Luden S. 626. keine Treulosigkeit indem
Benehmen des Ambiorix; er sieht nur Unverstand bei den
Römern und im Besondern bei Titurius Sabinus. Wenn wir
solche Künste gebrauchen zur Rechtfertigung, so könnte Ref.
auch die Treulosigkeit Cäsars gegen die Aeltesten der Usip«-
ten und Tenchterer hinwegreinigen» indem er denselben den
Unverstand vorwürfe, sich in Cäsars Lager zu begehen ohn«
«inen vorher gemachten Vertrag, da sie doch wulsten» dafs
durch das vorgefallene Gefecht der Waffenstillstand gebrochen
worden war. Allein das sey ferne von ihm J Reh erkennt
in dem einen Falle wie in dem andern eine schändliche Treu-
losigkeit, und sein Gefühl für strenge bb torische Wahrheit
erlaubt ihm nicht, gerechte Beschuldigungen dem Landsmann«
Abzunehmen, und sie in desto grü fser ein Maafse auf das Haupt
des verhafsten Feindes susammenzubäufen. •
Cäsar bot das Land der Eburonen den benachbarten Völ-
kern zur Plünderung. Auf seinen Ruf strömte „ allerlei Ge-
sindel« zusammen. Nun aber berichtet Cäsar VI, 35» ej
Seyen auch zweitausend igambrische Reiter zu diesem Raub«
über den Rhein gekommen. Hr. Luden übergebt diese Nach-
richt ganz mit der Wendung, S. 141 x „Zweitausend Sieam-
brische Reiter Seyen über den Rhein gegangen, sey es» dafs
sie Kundschaft über die Lage der Ding« einzie-
hen, oder dafs sie den Eburonen Hülfe bringen
sollten." In der Note dagegen erfahren wir dafür einen
Grund, die Zahl der Tage soll beweisen» dafs Cäsars Erzäh-
lung ofenbar falsch und unnatürlich ist, .und dafs in fünf Ta-
gen nicht alles geschehen seyn kann, was Cäsar anführt. Di«
Sigambern wohnten von der Lipps an den Rhein hinab , und
Cäsar mochte sehr gut wissen , wie rasch die Sigambrischen
Pferde ihre Reiter trugen. Der Ruf , nicht ein Rote, wie He.
I*ud*n sagt, der Ruf kommt, zu den Sigambern, jenseits
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610 LuHen. Geschichte des tentscnen Volkes.
• •• '*•»••.. ...
des Aheinet gäbe es Beute. Ist kein Krieg, so erwirbt sich
der Deutsche Stoff zu* Freigebigkeit durch Raub (materia
-fwirsincentiae per bella et raptus. Tac. Genn. cap. 14.)- Aleo
machen sich zweitausend eben- so kriegs - als beutelustiger
junger Leute auf', und kommen in das La"nd der Eburonen,
wo dann das erfolgte, was Cäsar Hb. VI. cap. 35 s<j<J. und Hr.
Luden S. 141 ff. erzählt hat.
M Als ein viertes Beispiel will Ref. die Befreiung Deutsch-
lands durch Armin betrachten. Diese Begebenheit hat Hr.
Luden in ihre ganze Bedeutsamkeit gestellt; denn ohne sie
wäre es vielleicht den Römern gelungen, die Germanische Ei-
fenthümlichkeit zu unterdrücken , und den Deutschen dasselbe
och, wie den Galliern aufzubürden. Die Art und Weise
«dieser Befreiung aber stellt Hr. Luden ganz anders, als die
Alten und Neuen dar, und spricht sich darübnr in einer An-
merkung folgendermaßen aus, S. 665 : — »Wer die Angaben
der Römischen Schriftsteller glaublich findet, wer annimmt,
dafs Armin mit der Miene der Treue, dia Verschwörung in
der Seele, sich zu des Varus Mahle gesetzt, dafs er Eifer für
den Römischen Dienst heuchelnd immer den Varus um-
gebend primo paueos, mox plurea in societatem consilii auf-
genommen, und alle Künste arglistiges Betrugs angewandt
babe, ihn zu, umstricken, ihn in's Verderben zuführen, — .
wer das annimmt, der mufs mir verzeihen, dafs ich ihm eiv
kläre : ich freue mich über die Befreiung des Vaterlandes,
♦aber über die Art, wie sie bewirkt worden,
kann ich mich nicht freuen, und seinen Helden
iann ich wohl bewundern, aber mich nicht mit
•ihm befreunden.« Man sieht, Hr. Luden hat bei der
•Darstellung dieser Begebenheit Armin als das Ideal eines Hel-
den im Auge gehabt , und da ihn die -Geschichte anders zeigte,
-aus Unwillen,, dafs das schöne Bild von der grausamen Wirk-
lichkeit einen. Schatten erhalten sollte, allen Scharfsinn auf«
•geboten, um seinen Helden so hinzustellen , dafs er sich mit
ihm befreunden kann. Auch scheint es dem Ref. , dafs die
Befreiung Deutschlands in der neuesten Zeit auf die Darstel-
lung des Hrn. Luden keinen geringen Einflufs gehabt habe.
Die gewöhnliche Erzählung dieses grofsen Ereignisses ist be-
kanntlich in Kurzein folgende: Die Römer und ihr Einflufs
herrschten schon bis an die Weser und über den Flufs hinaus,
als Quinctilius Varus Statthalter wurde, und dieselben Künste
der Bedrückung und des Despotismus, welche er in Syrien zu
seiner Bereicherung geübt, auch hier gebrauchte. Dies em-
pörte die deutschen Männer, und Einer ihrer Fürsten, .der
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I
Luden Geschichte des teutichen Volkel. 571
. '■
Cherusker Armin, der Rom und Römischen Dienst ans Erfah-
rung .kannte, war unermüdlich ihätig, unter den Fürsten der
Deutschen einen Bund gegen Rom zur Befreiung des Vaterlan-
des zusammen zu bringen, i Je mehr die Gemütber tfmpört
Ovaren, um desto leichter gelang ihm seine Absicht; als alres
reif war, mufste ein deutsches Volk die Waffen ergreifen, um
Varus von der Weser, wo er sein Standlager hatte, hinweg
zu locken; auch dies gelang. Auf dem Zuge trennte sich Ar-
min von ihm (Liv. lib. 56. cap. i9.)> und in dem Teutoburger
Walde fand Varus mit seinen Legionen den Untergang.
Hr. Luden erzählt diese Begebenheit S, 233 iF. anders:
*>ein entferntes teutsches Volk habe sich zu einem Aufstände
erhoben, die Römischen Dränger in seiner Mitte erschlagen,
und das Netz der Arglist und Gewaltthat, in welchem es sich
gefangen sab , zerrissen ; gegen dieses Volk sey Varus aufge-
brochen, und habe die teutscben Fürsten (unter ihnen also
auch Armin) mit ihren Hülfsschaaren folgen lassen.- Sobald
*ber die teut sehen Völker in der Nähe den Abzug des Römi-
schen Heeres gesehen, und in der Ferne von demselben ge-
•hört, da sey der lang verhaltene Ingrimm hervorg<tstürmt, —
das ganze teutsche Volk, so weit die Kunde erscholl, habe
.sich erhoben, wie ein einiger Mann. Zwischen den Teut-
schen im Römischen Heere und den Römern sey es schon zu
blutigen Auftritten gekommen ; in dem Gefühle seiner schwie-
rigen Lage habe Varus seinem Zuge eine, veränderte Richtung
gegeben, um Aliso zu erreichen und die Stralse nach dem
Rhein; er. sey aber bald in die Schluchten und Engpässe des
Teutoburger .Waldes gerathen. Unter diesen Umständen sey
Armin hervorgetreten mit seinen Cheruskern (so lange war er
also dem Varus gefolgt) , urtd sey Feldherr und Herzog der
Teutschen aus Ost und West geworden cc u. s, w.
Für diese Ansicht zeujit keiner von den Schriftstellern«
aus denen wir die Nachrichten von dieser Begebenheit schö-
pfen ; alle, seihst Tacitus, wissen, dals der Aufstand der
Deutschen durch Armin vorbereitet war. Hr. Luden glaubt
zwar in der Stelle des Tacitus Annj lib. I. cap. 9, 4 wo- er den
Armin sagen läfst: non enim se proditione (neqjue adversus
feminas gravidas — warum läfst Hr. Luden diese für den
Gegensatz unentbehrlichen Worte weg? — ), sedpalam, ad-
versus armatos bellum tractare, — das Urtheil des Tacitus
für sich zu haben , allein dies bedarf keiner Widerlegung.
Armin spricht im Unwillen über die hinterlistige Entführung
seiner Gattin , und der Geschichtschreiber gibt ihm blos Ge-
gensätze, wie sie die Leidenschaft liebt, in den Mund , die
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$7%
durchaus für ein historisches Zeugnifs nicht die geringste Be-
rücktichtigung verdienen. Tacitue nennt die Deutschen,
Germ. cap. 22 : gena non astuta , nec callida — und dazu be-
merkt Hr. Luden S. 726: „So ist ea, und eben deswegen
iat ea nicht wahr, dal« ea der Hinterliat, dem Verratb
und einer geheimen Bündelei aeine Kettung verdanket.« —
Dieae allgemeine Charakteristik kann wiederum für diesen be-
sonderen Fall kein Zeugnifs geben. Also hat Hr. Luden für
» - e .i % . * ■ * . . i * • t> . . • s
Gescnichtschreiber eine innere ünwahracheinlichkeit lieg«.
Äef. mufs gestehen, dafs er dieae eher in dea Hrn. Verf. Dar-
Stellung findet, und dafs Armin bei ihm in einem kleineren
Lichte erscheint, ala bei den Römern selbst. Armin. sieht die
Grausamkeiten und den Druck dea Varus geduldig mit an, st
sieht mit dem habsuchtigen Statthalter aus, er folgt ihm noch,
eis die Deutschen schon unter Waffen stehen, und erat da Va-
fua kein Rettungsmittel mehr weif«, als den Rückzug nach
dem Rhein , tritt Armin mit seinen Cheruskern hervor. Bringt
ihm daa Ehre ? Ref. sweifelt. Allein ea handelt sich hier
nicht um die Ehre oder Schande einea Mannes, sondern um
die Sache selbst, wie aie sich zugetragen bat nach den Zeug-
nissen, die allein die Geschichte begründen können, und nicht,
wie aie aich zugetragen haben kann. Nichts ist natürlicher,
ala dafs Armin , ein Mann von grofsen Fähigkeiten und gebil-
detem Verstände , mit Römern und Römischen Sitten bekannt,
sobald er aus Unwillen über die Unterdrückung der Freiheit
seines Vaterlandes den Entschlufs fafste, das Joch der Aus-
länder au zerbrachen, sich darüber andern Fürsten und Anfüh-
rern des deutschen Volkes mittheilte, und mit ihnen den Plan
verabredete 9 den er so glücklich und zum Heile der spätestes
Nachwelt ausgeführt hat. Hätten wir des Tacitus Erzählung
über dieses Ereignifs , so würden wir nicht mehr zweifeln,
dafs dieser Aufstand eben so gut die Folge einer Verschwö-
rung oder Verabredung, als der des Bataviseben Volkes unter
Civilis, war. Den Armin allein nennt Tacitua Ann. I, 5t
turbatorem Germania«, insignem perfidia in noa, —.und
darum stand such Armin allein sn der Spitze des ganzen Un-
ternehmens. Ref. begreift nicht , warum nach Hrn. L u daa1
Darstellung die Deutschen gerade ihn zu ihrem Anführer wählen
sollten, da er erst die Römer verlieft, ala sie beinahe verlo-
ren waren. Nein, Armin ist es, der die deutschen Völker-
schaften zu vereinigen wuiste gegen den gemeinschaftlichen
Feind, und diesem nach der bewirkten Vereinigung die Stiio
otfen und frei bot. Auch war Armin ein im Römischen Dienst«
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Luden Geschichte dei teutschen Volkes. 573
gebildeter Kriegsmann , der sehr gut wufite, wie viel List
ind Klugheit vor dem ungebändigten Ungestüm des rohen
Natursohnes voraus habe; s. Tacit. Ann. Hb. I. c. 68. Also
iuch abgesehen von den Betheuerungen des Verräthers Segeetes
[ ibid. cap. 58.) 9 so hat die Erzählung der Römer durchaus
keine inilere Un Wahrscheinlichkeit i und der Sieg in Folge
einer von den Umständen noth wendig gemachten Verabredung
tat Wenigstens nach des Ref. Ansicht nicht weniger ehrenvoll 9
ala wenn der Aufstand , wie Hr. L iwlen will, durch „die Ge-
walt des Geistes « herbeigeführt worden ist.
Dies hält Ref. für hinreichend sum Beweise, dafs ein zu
grofses und oft un gegründetes Mi Ts trauen den Hrn. Verf. zu
einem der Historie nichts weniger als zuträglichen Verfahren
rerleitet habe. Man findet hier viele ganz von der gewöhn-
lichen Darstellung abweichende Ansichten , und wenige Bege-
benheiten , die nicht in einem neuen Lichte dastehen. Diese
zu prüfen, bleibt dem überlassen, der es nach Hrn. Luden
übernehmen wird , die Geschichte der Deutschen von neuem
tu bearbeiten; da sich diese Ansichten gröfstentheils auf die
Erklärung der Quellen gründen, so werden des Hrn. Verf. Be-
mühungen um die deutsche Geschichte atets mit gerechtem
Danke anerkannt werden. So ist z. B. des Hrn. Verf. Ansicht
von dem Zuge der Cimhern und Teutonen ganz neu. Dieser
.Zug ist keine Wanderung , er ist eine „Fahrt" deutscher
Männer zur Eroberung* . Die Cimbern bilden keinen von den
Teutonen verschiedenen Völkerstamm , und der Zweck dea
Zuges ist nicht die Erwerbung neuer Sitze» sondern ein Er*
oberungsplan in Gallien; der Krieg mit den Römern ward von
den Deutschen mehr vermieden, als gesucht, und eher wurden
sie nicht der angreifende Theil , als bis die Römer sie oft be-
unruhigt hatten, und ihnen nie den ungeatörten Besitz von
Gallien einräumen wollten; denn darauf bezieht Hr. Luden
die von Jen Alten erwähnte Forderung der Deutschen um
Land« Fordern sie z. B. bei Flutarcb ^'^v xai voXti; /nava* .
„vo/Kfl'y, — » «o fragt Hr. Luden S. 607. ganz richtig : M Konnte
es ihnen die ganz Gallien inne gehabt hatten (Caes. de bell.
Gall« I, 33«) t an Wohnsitzen fehlen? Sie forderten, Rom
sollte Städte und Land abtreten. Und wo ? In Italien ?
Wahrscheinlich sollte Gallien geräumt werden.« Dem Ref..
genügt die Anführung dieser Ansicht , die mit Scharfsinn auf
äufsere Beweise gestützt nicht ohne starke innere Wahrschein-
lichkeit dasteht, und so manches sich auch dagegen sagen
läfst, doch nach dea Ref. Ansicht nicht leicht urazustoTsen
seyn wird. . t
5 liti^l^ö esc) i icli t c (3 es t^ut selben \^olk CS ■
* ■
- Dal dritte £ucb behandelt, wie schon oben bemerkt
den, „Teutschlands inneren Zustand«. Die bekannte Stelle
Casars im sechsten Buch seiner Geschiebte der in Gallien ge.
führten Kriege und die Germania des Tacitus sind Quellen,
und spätere Einrichtungen dienen zur Erklärung und AuifDh.
rung. Bei dieser Gelegenheit spricht Hr. Luden S. 699 £
eeine Ansicht über die Germania des grofsen Römischen G ■
achichtsebreibers aus. Sie ist: die Germania bestehe in hin-
ge worft/nen Bemerkungen, Studien für einen spateren Ge«
' - .brauch in den Annalen und Historien, die für Freunde in
einen «othdilrftigen Zusammenhang gebracht und so bekannt
worden Seyen; auch habe Tacitus wirklich Gebrauch davon
gemacht, z. B. Germ. cap. 29. mit Hist. (Anh. ist ein Druck-
fehler) IV, 12. Diese beiden Stellen enthalten aber eine
nothwe n,d i g e Wiederholung. Was das zweite Beispiel an-
geht — Germ. cap. 3l. mit Ann. IV, 6l. — so mufs das wobl
heLTsen, Germ. cap. 8. mit Hist. IV, 61, wo aber wieder
eine Wiederholung der Sache nothwendig ist; auch sind «Iis
. Worte an beiden Stellen ganz verschieden. Diese Ansicht
wird schwerlich Beifall finden; ihr steht der ausgearbeitete
Styl, der gewifs nicht den Stempel flüchtig hingeworfener
Bemerkungen an sich tragt, entgegen. Wenn einzelne Sätze
an Verse von Dichtern erinnern : z.B. cap. 37: veterisque
famae lata vestigia manent, so möchte Ref. fragen, ob es
vielleicht Tacitus anders ergangen ist, als Hrn. Luden, des«
sen Worte gleich im Anfange: „ Dieses Land gehört sQ
den schönsten Ländern, welche die Sonne besrüfset in ihrem
ewigen Laufe — '«. an das Lob erinnern, das die Jungfrau von
Orleans bei Schiller ihrem Vaterlande gibt. Tacitus lieht
einen gewichtigen Rhythmus; so ist ja seihst die erste Zeile
in seinen Annalen ein Hexameter, — und verschmähte auch
giewifs den poetischen Ausdruck, wo er seiner Rede Kraft
gab, oft eben so wenig, als Hr. Luden, der S. 265 • j^'e
trausamen Würger hatten nur den Schlaf gemordet« —
iesen Shakespearischen von Schiller ebenfalls nachgeahmte
Ausdruck, aufgenommen hat. Alle ^Andeutungen«, die Hr.
Luden zur Begründung seiner Ansicht vorbringt, durch*«»
gehen, würde den Ref. zu weit führen; er wenigstens kann
sich nicht zu dieser Ansicht hekennen. Ihm scheint es, «*■
Tacitus das, was er von den Germanen wufste, zusammen-
gestellt hat, mix der Nebenabsicht, den Römern zu zeige«1'
wie eines t ig«-ndhafterif unverdorbenen Volkes Sitten mit <kD
Lastern, we che am Römischen Leben zehrten, einen grell«"
Contrast hilr en. Wozu hätte Tacitus, wenn er blos Notisen
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' Luden Geschichte des Putschen Volk«. 575
für sich seihst geschrieben , So bittere Blicke auf das Römische
Leben geworfen ? —
Das Gemälde aber, welches Hr. Luden von dem deut-
schen Leben in allen seinen Beziehungen aus den Stellen -der«
Alten entwickelt , ist vortrefflich, und nicht ohne neue An-
sichten. Hievon will Ref. eine ausheben über die bei Cäsar-,
und Tacitus erwähnte Sitte der Sueven, jährlich ihre Felder
zu wechseln, S. 483 ff. Hr. Luden erklärt dies so: der'
grofse .Grundeigentümer behielt einen Theil seiner. Besitzun-
gen für sich, und übergab die andern Theile Andern zur Be«.
nutzung, wofür er als Grundherr einen Theil des Ertrags ein*
püng. Dies waren die Hintersassen , und unter diese bat
wohl der Grundherr nach einer billigen Schätzung durch kun-
dige und erkohrene Männer (magisiratus et principe») jähr«
lieh die Besitzung neu vertheilt, um dadurch. die Einheit und
Gleichheit zu erhalten. <— - Der Haupthof mit seinen Gliedern
(Lili) oder Hintersassen und die kleinen Besitzungen der
Männer, die keine Hintersassen hatten, bildeten die Ge-
meinden, und mehrere derselben eine Markgenossen-
schaft. Die Verbindung sämmtlicher Grundeigentümer •
einer Gegend machten einen Gau aus (S. 492.)» und alle Mit-
glieder desselben vereinigten sich zu einer Volksgemeinde,
welche über die den ganzen Gau betreffenden Angelegenhei-
ten gemeinschaftlich berathschlagte. Den Vorsitz führte der
Graf, zuerst der äl teste Mann, der Graun, bernach der
Würdigste, der aber die hergebrachte Benennung des Gra-
fen beibehielt, auch wenn er das Alter noch nicht hatte, das
ihn zu diesem ehrwürdigen Namen berechtigte. Der Gau f
heilst es S. 503. weiter, war wieder in Kreise eingetheilt,
von welchen ein jeder hundert Grundeigentümer umschlofs ,
und die daher Hunderte Helsen. Diesen stand der Cent«
graf vor. Die Hunderte zerfielen wieder in Zehenten,
welche einen Zehnt graf en an der Spitze hatten. Die
Gauen selbst aber waren nur Theile eines Staats. Eine solche
Verbindung mehrerer Gaue zu einem Staate nennt Hr. Lu-
den Mannei (S. 507.)» z.B. Mark-Mannei, Alle-Mannei,
Ger - Alan n ei. Ref. wünschte übrigens, dafs Hr. Luden zum
Belege für diese A nsicht nicht Tacit, Hist. XV, 64* angeführt,
wo die Gesandten der Tenchterer den Agrippinensern oder
Ubiern, die dem Civilis beitraten, danken- dafs sie zurück-
gekehrt seyen in corpus nomentjue Germaniae, was Hr. Lu-
den übersetzt: „zu dem Namen und zu dem Leihe
einer -Germania", und hinzufügt: „diese Germania, was
konnte sie anders seyn, als der Bund der Bataver mit den
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Völkern auf dem rechten Rhein ukr Jeder Unbefangene
wird einsehen , daff Germania an der Stelle des Tacitus nicht»
heifst, alt Deutschland ; die Tenchterer freuen sich , dafa sich
die Ubier von den Rötnern losgerissen , und wiederum an ihr«
Brüder und Landsleute, die Deutschen , angeschlossen haben«
So hätten z. B. die Deutschen im Jähre 18 14. hei ihrer An-
kunft auf dem linken Rhein ufer au ihren deutschen Brüdern
daselbst , welche sie als Befreier vom Joche der Fransosen mit
offenen Armen aufnahmen, die Worte des Tacitus sagen kön-
nen : rediisse vos in corpus nomepque Germaniae communibus
Diis grates agimus. • — Eine solche Verbindung von Gauen
sttr gemeinschaftlichen Verteidigung oder Wehrmannei hatte
•inen Heriog an der Spitze, Was bei den Alten von Köni-
gen in Deutschland selbst vorkommt, ist verworren und voll
Widersprüche ; »»Tacitus gab wieder , was er wufste und er*
fuhr, und liefe uns Spätem die Aufgabe zurück zu versuchen,
was ihm unmöglich gewesen.«
Ref. ist dieser Untersuchung in ihren Hauptpunkten ge* -
folgt. Schön und gründlich entwickeln die folgenden Kapitel,
das sechste die Kriegs Verfassung , das siebente Gewerbe , Han-
del, Kunst und Wissenschaft — Ref. vermifste hier ungern
•ine Bemerkung über die unleugbar aus vorrämiscber -Zeit
herrührenden Bauwerke der Trierer, — das achte Religion
und Gottesdienst, und das neunte das häusliche und gesellige 1
Lieben.
Ref. schliefst diese Anzeige mit dem Wunsche, dafs die-
ses Werk recht viele Liebe zum Studium der deutschen Ge-
schichte wecken möge. Der Verleger hat Druck und Papier
«ingerichtet, wie es das Werk verdient, und dem Ref. ist,
aulser den oben angeführten. Versehen im Drucke , nur eis
atörender Druckfehler aufgefallen , S. 393* Naas, wofür man
Nahe lesen mufs.
I.
(D#r Beseht u/s folgt.)
K
*
♦
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N. 37. ' " ' 1826/
Heidelberger
* • *
Jahrbücher der Literatur.
Luden Geschichte des teutschen Volkes.
. • • . • • -. .
♦ CBescklufs.)
v
Bei einem so wichtigen Werke, als das hier angezeigte
ist, glaubt der Untengenannte einer anonymen Recension
einige Worte in seinem Namen beifügen zu müssen. Er
kann weder dem Recensenten, wenn er diese ganze Art Ge-,
schichte zu schreiben zu tadeln scheint, beitreten, noch Hm,
Luden gegen ihn in Schutz nehmen wollen, da seine drin-
genden Geschärte ihm bisher noch nicht erlaubt haben, Hrn.
Ludens .Werk aufmerksam zu lesen. Da ihm indessen der
Verfasser der Recension als ein milder, gelehrter, keiner
Fartbei angehöriger junger Geschichtforscher bekannt ist,
der sich Hrn. Luden auch nicht in dei Entfernung gleich
oder gar .über ihn stellen will, so bat er dem Publicum und
Hrn. Luden selbst mit der Bekanntmachung der abwei-
chenden, Ansichten über Art und Methode einen Dienst
zu thun geglaubt, weil gewifs Hr. Luden über die klein-
liche Eitelkeit erhaben ist, dals er nur pomphaftes Lob für
Anerkennung des Verdienstes halt. Unerwähnt darf es Un-
terzeichneter dabei nicht lassen , dafs der Verf. einer der be-
sten, wenn nicht der beste, seiner ehemaligen Zuhörer und
derer ist, die seiner speciellen Leitung genossen haben, da
er aber weder eine Schule hat, noch haben will , so wird dies
hoffentlich keinen Unterschied machen. Er würde sich die
ganze Bemerkung erspart haben, wenn man nicht gewohnt
wäre, seinen geringen Antheil an diesen Blättern über die Ge-
bühr auszudehnen, und jeden Tadel ihm oder seiner Veran-
staltung zuzuschreiben. Er theilt mit, was ihm zugeschickt
wird, wenn es nicht schlecht oder partheiisch ist, das ist Al-
les ; dem Publicum eine Meinung aufzudringen oder gar durch
Kreaturen einschwärzen zu lassen, das wird ihm keiner zu-
trauen , der ihn kennt.
Schlosser.
. . . - i ..
XIX. Jahrg. 6. Hoff.
37
578 Sclmlxe t über die WirlhachafisWissenscuafjen.
Ufte* Westn Und Studium der PVirthschafts • oder Catne raiwissen.
Schäften * vorzüglich Ober wissenschaftliche Btgrüridung der Land-
wirthschfftslehre . . . Von Fr. C Schulze, Professor in Jena.
Jena, Frotnann. 1826. 126*5. ß. . .10 Gr,
Der Verf. ist dem Publicum schon durch seine Disierta.
tion de aratro Romano* und durch die* auf die Weimar i sehen
landständischen Verhandlungen sich beziehende Schrift: tther
Papiergeld* äuf das Vorteilhafteste bekannt. Er glaubt in
d«-r bisherigen Behandlung der Gewerbswissenschaften * he-
sonders der Landwirthschaftslebre* Mähgel zu erkennen, de-
ren Hebung ihm nur dadurch möglich scheint* dafs man die
Volkswirtschaftslehre als eine Grundlehre dieser Wissen-
Schäften benutze* Jene Mangel sind auch in der Tbat nicht
zu verkennen ^ und zwar zeigen sie sich hauptsächlich in dem
einen flattpttheile, den sowohl die Land wirtuschaftslehre, al«
die Technologie , Bergbaukünde u. s. W. enthalten muf* , und
den man den allgemeinen, oder tnercant i Tisch eti Theil,
Hie landvvirtbschaftliche und technologische Gewerbslehre,
im Gegensätze des technischen Thetls oder der Kumt-
lehre, genannt hat. Erst seit Kurzem hat man diesem Theile
gröfsere Aufmerksamkeit gewidmet* und er ist auch nach dem,
was Tbaer und von Crud für die landwirtschaftliche ,
Geyer für die technologische Gejverbslehre geleistet haben,
noch Weit von derjenigen Ausbildung entfernt, welche der
technische Thtil unter dem Einflösse der Naturwissenschaften
erlangt hat. Unser Verf. nennt die GeSammtheit der auf das
Mercantilische in der Landwirtschaft gerichteten Lehren den
Volks wirtschaftswissenschaftlichen Theil * wel-
chem er den naturwissenschaftlichen gegenüberstellt.
Ffir jede GeWerbswissehschaft gebe es nämlich, da sie einen
Kampf des Menschen mit der äufseren Natur darzustellen
habe, eine naturwissenschaftliche und eine anthropologische
Grundlebre* und die letztere sey die Volkswirtschaftslehre*
die aus einer Anwendung der Anthropologie auf das wirt-
schaftliche Leben entspringe* indem sie die Erscheinungen
des letzteren aus Gesetzen der Menschenlehre zu erklären be-
StiOimt Sey. Um dies Verhältnifs der Volkswirtschaftslehre
zu den Ge.wetbswisSenschafteu darzuthun* werden die Schrif-
ten Beck man n S * vonSeutters* Thaers u. A. beleuch-
tet, es Werden unrichtige oder doch unklare Satze aus ihnen
hervorgehoben, die aus dem Standpuncte der Völkswirtb^
schaftslehre besser gefafst Werden können. Tbaer wflrHe
seine Erklärung des umlaufenden Capitales* ob sie schon n ebt
•
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Schutze, Uber die Wirthschaffi Wissenschaft cu. 5"^
die deutlichste ist, gegen die ßemerkungen Unsere« Vf. S. 49.
zu vertheidigen im Stande seyh. Letzterer sagt : „ich seh*
z. K. nicht ein, wie man von dem Holze, aus welchem der
Pflug bereitet ist, nicht eben so gut sagen könne, dafs es in
seinein Produ'cte (sein Fröduct hat wohl Thaer schreiben
wollen) verwandelt werde * als von dem Brennholze, womit
der Landwirth das Futter für sein Rindvieh brüht? und doch
rechnet man den Pflug zum stehenden, und das Brennholz zum
umlaufenden Capitale«. Hiehei ist aber zu erinnern* dais
das Holz, aus welchem der Pflug Verfertiget wird, in der
That in das umlaufende Capital des Wagners gehört, und erst
der fertige Pflug als Werkzeug iich dem stehenden Capitale
des Landmannes anreihet; — (Jeher das ganze Verhältnis
kann Ree , um nicht das anderswo Gesagte zu wiederholen ,
nur Folgendes bemerken. In der Ansicht von dem Wesen der - ,
Volkswirtschaftslehre stimmt er dem Verf. völlig bei; aber
als Grundlehre der Landwirthscbaftslehre kann er sie darurtt
nicht betrachten, weil sie Selbst ohne die Hülfe von dieser *
ohne einzelne Ahstractionen aus ihr, nicht möglich ist. Wie
könnte die Theorie der Grundrente genügend dargestellt wer*
den, Wönn man nicht die Ergebnisse der Landwirthschafts-
lehre dabei zu benutzen im Stande wäre ? wie die Lehre vom
Maschinenwesen oder von der Arbeitsteilung 4 ohne den Bei*
stand der Technologie? In der methodischen Entwicklung
der wirtschaftlichen Lehren mufs man eher die Grundsätze,
des landwirtschaftlichen Gewerbes vortragen, als man das
Nahrungswöseri ganzer Völker nach seinen natürlichen Ge-
setzen erforscht. Auch ist das Princip der Landwirtschaft
ein Wesentlich anderes * der Gewinn für deri Einzelnen, der.
zwar oft mit dem Vortheile für die Gesellschaft zusammen*
trifft, oft aber auch von demselben abweicht* Die Volks-
wirtschaftslehre kennt kein einzelnes Interesse, sondern über*
schaut alle* aus ihr kann also nicht der Zweck abgeleitet
werden , nach Welchem der Landwirth, Forstwirt u; s. w,
sein Verfahren einrichten soll. Auf den Einwand , dafs ohne
Begriffe * z. Ei von Capital , au* der Volkswirtschaftslehre
herüber zu nehmen, das OekonÖmiscbe der Land Wirtschaft
nicht gut abgehandelt werden könne ^ läfst sich erwiedern : es
giebt allgemein wirtschaftliche Begriffe und Grundsätze; die,
aus dem Verbältnisse des Menschen zu den Gütern entsprin-
gend, allen besondere« Regeln über wirtschaftliche Artgele*
!• enbfiiten zu Grunde gelegt werden müssen , und deshalb nicht
.sowohl in die Volkswirtschaftslehre, als vielmehr an die
Spitze des ganzen wirtschaftlichen Lehrgebäudes gestellt
■
♦
t
t
l
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580 Schuhe, über die Wirtschaftswissenschaften.
werden sollten. Ferner liegt es in der Natur der Sache, dafs
der Umfang des Capilals in der Privatökonomie anders bestimmt
werde, als in der politischen Oekonoraie, oder, dafs das Pri-
vatcapital von dem volkswirtschaftlichen Capitale abweiche.
Der gemeinschaftliche Begriff ist: bewegliches Vermögen,
welches sur Erlangung neuer Vermögenstheile behülflich ist.
Nun erwirbt der Einzelne eben so gut von anderen Menschen,
als von der Natur, und die Drehorgel , die wandernde JYlena-
gecie, der Circus eines Fianconi u. s. w. fallen eben so wohl
in den Begriff des Frivatcapitales , als der Pflug, der Porsel-
lanthon und die Kohlen des Schmiedes. Erst wenn man sich
zur Betrachtung der Vermögensverbältnisse eines ganzen Vol-
kes erhebt, scheiden sich die produetiven Beschäftigungen,
welche das volkswirtschaftliche Capital zu Hülfe nehmen,
vön denen, welche auf persönliche Dienste abzielen. — In-
defs ist unsere Wissenschaft noch zu jung, um schon feste
Formen und Abtheilungen zu besitzen; jede Meinung verdient
Beachtung, wenn sie mit so viel Talent und Kenntnifs, wie
von dem Verf. geschehen, verteidiget wird, und so viel we-
nigstens wird ihm Jeder zugestehen müssen, dafs es durchaus
Bedürfnifs für jeden denkenden Gewerbsmann sey, sich uai
die ganze Volkswirtschaft zu bekümmern. Sollten die, vor
deren Hause eine Quelle fliefst, nicht begierig seyn, den
Strom kennen zu lernen, zu welchem jene ihre Flu then sendet?
Auch ist es nicht blos speculative Kenntnifs, welche die gebil-
deteren Landwirte, Fabricanten und Kaufleute aus der Volks-
wirtschaftslehre gewinnen können, sondern die höhere An-
sicht ihres Geschäftes im ganzen Organismus der Betriebsam-
keit mufs ihnen in vielen Hinsichten fruchtbar werden, indem
aus dem unaufhaltsamen Gange des Nahrungswesens im Grofsen
auch nützliche Verhaltungsregeln für jede einzelne Privatwirt-
schaft abgeleitet werden können.
Der Verf. verbindet mit der bisher besprochenen Abhand-
lung die Ankündigung einer landwirtschaftlichen Lehranstalt,
die er zu Jena zu eröffnen Willens ist. Sie wird mit der Uni-
versität in genauem Zusammenhange stehen, so dafs auch die
Studirenden Kameralisten und Juristen an den meisten JLebr-
stunden des Instituts Theil nehmen , und wiederum die abge-
henden Landwirthe auch andere Vorlesungen benutzen kön-
nen. Hec. bedauert, dafs die zum Staatsdienste sich vorberei-
tenden jungen Männer nicht Gelegenheit haben werden, von
dem Verf. mit der Land wirthschaftslehre bekannt gemacht zu
werden, indem sie wohl nicht zu den vier Gollegieu über die-
selbe, welche einen zweijährigen Cursus bilden, hinreichende
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Hö'rtcr, der rhcinländische Weinbau. 68 1
-
Zeit finden können. Sonst ist der Nutzen, den diese Anstalt
unter der Leitung des acbtungswttrdigen Verf. und bei der
sorgfältigen Benutzung aller Hülfsmitte), (wovon die Schrift
Zeugniis ablegt) zur Bildung tüchtiger Landwirt he haben
kann , nicht zu bezweifeln, und man wird es, da wir nur zu
viele kenntnifsarme Praktiker haben, nicht zu beklagen ha-
ben, dafs die Erlernung beim Mangel eines unmittelbar für
das Institut bestimmten gröfseren Landgutes vorherrschend
theoretisch werden wird.
Ree. wird durch die vorliegende Abhandlung erinnert , die
Anzeige der kleinen Schrift:
Ueber die Kameralwissenschaft. Entwicklung ihres We-
sens und ihrer Theile von K. H. Kau. .Heidelberg, bei
Winter. 1825. VI und 90 S. ö.
welche zur Erläuterung seines 1823 erschienenen Grundrisses
der Kameralwissenschaft bestimmt ist und in diesen Jahrbüchern
noch keine Erwähnung gefunden hat, kürzlich nachzuholen.
K. tf. R a u.
Der rheinländische We inbau , nach theoretisch - praktischen
Grundsätzen für denkende Oekonomen, Von J. Härter, prak-
tischem W einpflanzer am Rhein. Erster Theil. Cohlenz , in der
neuen gelehrten Buchhandlung. 1822. 8. S. VI und 128. Zwei-
ter Theil. Trier , bei F. A. Galt. 1824. S. VIII und 208. mit
vier lithographirten Tafeln. Beide Theile 3 fl. 45 kr.
Tn der Vorrede bemerkt der Verf. mit Hecht, dafs man
den Weinstock noch zu häufig auf Gründen cultivire, wo er
als exotische Pflanze in Deutschland nicht gedeihen, oder doch
nur in seltenen Jahren eine ergiebige Ernte liefern, also nicht
mit Gewinn angebauet werden könne. Diesen Schlendrian
und noch manchen anderen, der bis jetzt noch im deutschen
Weinhau vorkommt, näher zu beleuchten, die blos empiri-
sche Behandlung des Weinstocks zu entfernen, und zur Auf-
fassung und Anwendung rationeller Pegeln zu ermuntern, ist
der Zweck des Verf., der durch vieljährige eigene Beobachtung
und durch Umgang mit aufgeklärten Weinbauern sich dazu be-
rufen fühlt.
Der erste Theil enthält iil sieben Capiteln eine voll-
ständige Anleitung zum Weinbau, so dafs er als ein für 6ich
533 Holtet, der rhemläüdibcUe Weinbau,.
bestehendes Ganses betrachtet werden kann. Pas erste Capi-
tel — von der Geschichte des VVejnbaues — enthält mehrere
interessante Notisen: dem zweiten aber, über die Anatomie
und Physiologie des \Veinstocks, mangelt es au der oötbigen
l'rgcision; auch dürfte sich gegen einzelne Behauptungen man-
ches erinnern lassen, s. B. g^gen jene, dafs schleimiger Saft,
Zuckerstpff, Sauerstoff und Meblsubstans sich in den
verschiedenen Abthei]ungen des Beerenmarkes befinden, aus
dem der JY|oqt oder Wein zum Vorschein ItQinrue. Im dritten
Gapite) eifert der Verf. mit guten Qründen gegen die Anlegung
ypn Weingärten auf der Ebene, und indem er die beste ur-
sprüngliche Mischung des Bodens und die zweckmäßigsten
Verbesserung*- und Düngmittel angieht, yertheidigt er den
Gebrauch des animalischen Düngers gegen die Behauptung
älterer und neuerer Oenologen , unter andern des Grafeu Chap-
fal. |m vierten Capite) lehrt er die Beuflanzung der Wein,
berge s«hr deutlich und bestimmt, und zUblt dabei die. be-
kanntesten Hebensorten auf. Im fünften beschreibt er, sum
The.l kritisch, die jährlichen WeinbergsarbeiUn, wobei aber
lief, bemerken mufs, dafs das hier angeführte Ausbrechen
überflüssiger Triebe l^urz vor der Blttthe in vielen Weinge-
genden Deutschlands nicht üblich ist. Das sechste CapUel
enthält eine Utbersictit f\her die Krankheiten , Beschädigun-
gen und Feinde des Weinstocks und die llettuugsmittel. Der
Verf. erwähnt dabei der Frühlingsfröste und des Haucheins
als Voibeugungsmittel, und rühmt die Verdienste des, iVIedi.
cinalrat|is Pickel, der diese Methpde in der Gegend von
\Vürsburg eingeführt und verbreitet habe. lief, kaiia nicht
unerwähnt lassen, dafs man in der genannten Gegend, so wie
auch in andern, seit mehreren Jahren das Ua>ct>ern wieder
unterlagen habe, und swar aus rein wirtschaftlichen Grün-
den, nämlich wegen des zu grofsen Aufwandes an 2*it, Ar-
beit und Biennmateriale, der um so grofser wird^ wenn mau
.auch bei der noch mehr entfernten Gefahr schon räuchern will,
wie es der Verf. verlangt, der bei einem Thermometer Staude
von f6 — 7^ H. die Notwendigkeit dieser Ope ration schuu
angezeigt findet. Das siebente Capitel enthält polizeiliche
Bestimmungen über die Weinlese.
Der s wei te Tb eil ist eigentlich nur ein Supplement des
ersten , und führt in eilf Capiteln einzelne IVlaterieu weiter
aus, welche im ersten blos angedeutet waren. Wir wollen
hier nur diejenigen nenn«*, welche mehr Interesse haben und
welche wir mit einigen Bemerkungen begl- tten können. Jim
zweiten Cipitel ist die Hede von dem Oedeliegeu alter wieder
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flqrter, der thcioI^aMclie Weinbau, 383
anaturqttender Weinberge, Schon die Römer hielten dieses
Itfr noth wendig, wie man aus Colurnella sieht. Per Verf,
.sucht ea auch au yertheidigen , zum Tneile aus, theoretischen
'.«rüiiden, die aber schwerlich Stich halten werden, Sa leitet
er z.B. die Unfruchtbarkeit des Bodens in solchen Weinbergen
von einer Uebersättigung desselben mit Sauerstoff ab, was
schwer zn beweisen seyn möchte. Auch ist nicht «U verges^
aen , dafs man dieses Qedeliegen in manchen Gegenden nicht
kennt, und dafs manche Weinberge, zum Tueil.e dje besten,
Jahrhunderte lang nichts als Weinstöcke getragen haben, phne.
üi der Zwischenzeit öde gelegen oder eine andere Ernte an
Klee u. s. w. geliefert zu haben, In diesen Gegenden wird
jeder alte, unfruchtbare Weinstock immer durch einen jungen
ersetzt. — Das vierte Capitel handelt von den Hebschulen,
deren Anlage und Fflanzung, einem Gegenstände, der bisher
meistens vernachlässigt wurde, aber die gröfste Beachtung
Verdient. Denn die Verpflanzung he wurzelt er Reben aus den
Heb schulen hat mehrere unbestreitbare Vortheile; a) die auf
diese Weise angelegten Weinberge werden eher traghar, und
man gewinnt vielleicht die Ernte eines guten Jahres* di« njan
nach der gewöhnlichen Methode aufgeben müfste, um die
Stöcke erstarken zu lassen ; b> die Rebschulen dienen zur Bil-
dung neuer Rebensorten aus Saainen* c) sie tragen zur Ver-
mehrung und Verbreitung der edelsten Rebensorten, bei, und
d) l^onnten anch benutzt werden, die unter verschiedenen Na*
men iin In-» «nd Auslande vorkommenden I\ebepsorten zu un,
tersuchen, zu vergleichen, und endlich eine sichere Termino-
logie herzustellen B woran es in der Oenologie noch so sehr
fehlt. Dieser JV^angel ist auch im fünften Capit*}, wo der
Verf. das vierte des ersten Theiles in der Aufs^blung von 46
Heben sortt u weiter ausführt, noch sehr fohlbar , und es w^ra
doch nicht SQ schwer, hier nach und nach in'* Rein« au kom.*
men, wenn n\an nur in mehreren Gegenden das bekannte R>in
spiel des Ritters v. Heintl in Oesterreich nachahmte, — * Ca*
achte Capitel, von der Benutzung der Bestaudtheile dea Wein*
Stocks und dessen Educte, ist eines der vollständigsten % un<l
J\*:f. will blos auf einige Stellen aufmerksam machen, welche
eiuer Berichtigung bed(\rfen. So sagt der Verf., dafs aus der
zerriebenen Kohle der verbrannten Weinstock wurzel-die Tun-,
eher eine blaue Farbe zum inneren und $u(W«tt AnftUUh der
Gebäude bereiten, Ref. hat immer nur von einer achwar*
zen Farbe gehört, Ferner soll d.U TranfceuaAü^<iYade% V\
Wasser aufgehst » ein lieblich ber ansehende* Gejr$nk g*-»
ben, gleich dem IY?alagaweiii. Doch wohl eist «ach tttattttn«
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5ö4 Hölter, der rheinländische Weinbau.
den er Qährung? Endlich heilst es S. I23f die Weinbefen
(Extractivstofie) liefern in der Destillation den Hefenbrannt«
wein. Aber nicht die Hefe als solche, sondern der vergobrene
Most oder Wein , in dem die Hefe mechanisch enthalten ist
liefert den Branntwein. Auch hätte noch angeführt werden»
sollen, dafs die ausgepreiste Hefe durch Ausglühen in ver-
schlossenen Gefälsen eine gute schwarze Farbe liefere. — Im
neunten Capitel , von den Keltern oder Traubenpressen , er»
klärt sich ,der Verf. zum Tbeile ironisch gegen das bekannte
K r 8 me r *scbe Traubensieb, eine Maschine, welche die Ku-
fen und Keltern ersetzen , und die gänzliche Abschaffung der«
seihen herbeiführen soll. Die Beschreibung dieses Siebes ist
nicht sehr deutlich gegeben, aber so viel scheint gewifs zu
seyn, dafs es das Keltern nicht entbehrlich macht, und mit
vielen andern Verlusten und Unbequemlichkeiten verbunden
ist, welche letztere der Verf. richtig aufzählt. Im zehnten
Oapitel, welches wir zuletzt anführen, wird die Bereitung
und Veredlung des Weines in der Gährungsperiode gelehrt.
Der Verf. verwirft mit Recht die Wei n Verfälschung , und 1
meint, dafs diese an dem Rhein, der Mosel, Aar, Nabe und
Saar nicht zu Hause sey (?). Er billigt es aber, bei gering*"
ren Herbsten der Natur durch die Kunst zu Hülfe zu kommen,
wobei aber nur die Traube selbst, und was ihr angehört, an-
gewendet werden soll. Er beruft sich auf die Alten, welche
schon dem Moste Zusätze gegeben haben, besonders wieder
den Most von gekochten Traubenbeeren, was auch später die
Franzosen thaten. Zugleich berührter S. 155. das sonst am
Rheine übliche Feuern des Mostes, wodurch die Weine sehr
veredelt worden seyn sollen. Er empfiehlt, die verschiedenen
Trauhensorten bei der Lese schon zu trennen, und dann die
verschiedenen Moste zweckmäfsig zu mischen, .wogegen kein
vernünftiger Weinpflanzer etwas einzuwenden haben wird, £r
will aber auch einen Tbeil des Mostes kochen und heifs mit
dem übrigen mischen, und selbst eine Entsäuerung desMoiM
durch Kalk und Kreide scheint er zu billigen, wogegen sieb
zwar theoretisch nichts sagen h'ifst, was aber die Jligoristen
in der Gewinnung reiner Weine nicht mit ganz gleichgültig*0
Augen ansehen werden. Zu wünschen wäre es gewesen, <Ja[J
es der Verf. unterlassen hätte, sein Verfahren mit der chemi-
schen Theorie zu beleuchten, was ihm hier, wie früher, nur
halb gelungen ist. — In jeder Hinsicht zweckmäfsig aber
erscheint ein vom Verf. angeführter Trichter, der den Fässern
beim Transporte von Most, welcher noch nicht vergohren ist,
aufgesetzt weiden, und die Entweiclmng von Alcohol mit dem
♦
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Sulla Iscrixioue etrusea , da VeiuiigUoli* 685
m
kohlensauren Gase hindern soll. Auch dürften die anderen
hier angeführten und mit Zeichnungen versinnlichten Vorrich-
tungen, diesen AJcohol Verlust in Oer Gäbrung zu vermeiden»
Nachahmung verdienen. Denn nach früheren und neueren
Versuchen ist es gewifs, dafs der Zutritt der atmosphärischen
Luft zu den in geistiger Gährung sich befindenden Flüssig*
keiten schädlich ist, und dafs Vorrichtungen zweckmäfsig sind,
welche diese abhalten, und doch das Entweichen des sich ent-
bindenden kohlensauren Gases zulassen, jedoch die zugleich
entweichenden Alcoholrlämpfe auffangen. Von dieser Art sind
die vom Verf. angegebenen, deren Herstellung noch überdies
wenig kostspielig scheint. — Die Behandlung des rothen
Weines in der Gährung hat der Verf. von jener des weifse»
unterschieden, aber auch bei jenem die Gährung in bedeckten
Gefäfsen mit Schutztrichtern empfohlen. Die Kegeln, die er
giebt, sind praktisch und können mit Vortheil angew*»det
Werden, allein die Theorie, die er auch hier mit einmischt,
ist theils unrichtig, theils unvollständig. So nennt er S. 193L
das kohlensaure Gas „Kohlenstoffgas«, und sagt, dieses Gas
tödte Menschen und Thiere, weil ihm der Sauerstoff, das
Oxygene, das Lehensprincip gänzlich abgehe (!), und S. 201.
sagt er, die Gährung durchlaufe zwei verschiedene Perioden,
die zuckerige (stürmische) Vorgährung, und die weinige,
stille Nachgährung.
. Dieser theoretischen Rügen ungeachtet können wir das
Buch seines praktischen Werthes wegen als lesenswerth em-
pfehlen. Die Darstellung ist deutlich und populär, und die
neuesten Vorschläge zur Verbesserung des Weinbaues und der
Weinbereitung sind in demselben berührt. Dem praktischen
Weinpflanzer und dem denkenden Ökonomen, für welchen
der Verf. dasselbe bestimmt hat, wird es Stoff zu nützlichen
Betrachtungen gewähren , und vielleicht selbst Versuche ver-
anlassen , Welche den Weinbau fördern.
Saggio di Congetture sulla grande Jscrizione etrusea scoperta nelV anno
1822. e riposta nel gabinetto de* Monumenti antichi delta Univer-
sita di Perugia, semplicemente proposto da Gio. B'attista
Vermigliolu Perugia 1824. 4. 96$.
>
Einer der gründlichsten Kenner alt - italischer IPaläogra-
phie macht hier eine grofse etruskische Inschrift auf einem in
der Umgegend von Perugia ausgegrabenen Marmor bekannt,
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«
586 Sulla Iserizioac etrusca, da VermigUoii.
welcher vor vielen dergleichen Denkmalen den schätzbaren
Vorzug hat, dafs die Buchstaben fleifsig und genau geschrie-
ben, und dabei gut. erhalten sind. Das Resultat der Entziffe-
rung aber ist, wie es der bescheidene Verf. in dein Motto aus-
drückt: et voluisse sat est. Seine Untersuchungen beschrank-
ten sich darauf, mehrere Eigennamen durch Vergleichung
etruskischer zum Tbeil uned}rter Grabschriften von Perugia
nachzuweisen, und die Wöiter abzutheih-n , was der Srbrift-
g raber wohl hie und da, aber nicht regelmässig du ich Punkte
angedeutet bat. Beiderlei Forschungen aber, so wenig sie
auch gewagt scheinen t so anspruchslos sie auch sind, haben
gleicbwohr noch viel Unsicheres und Schwankendes. Denn
manche Wörter von bestimmter Bedeutung können Eigen-
namen ahnlich lauten, ohne es doch zu seyn; und das Wort-
abtheilen ist ein ungewisses und unfruchtbares Buchstaben -
Verlesen, so lange man die sprachliche Bedeutung nicht k*»nnt.
Nur sehr selten wagte es aber Hr. V. , einzelne Wörter aus
dem Lateinischen und Griechischen zu erklären. Allein auch
dieses führt zu nichts. Denn wer bürgt dafür, dafs jene
Wörter im Munde eines Volkes, auf welches der Norden und
der Qrient auf* er Latium und Hellas einen anerkannten Einflufs
behauptete , nicht mit andern Sprachelementen verwandt
seyeu, als mit lateinischen und griechischen? Die Wortver-
kuüpfung wäre der einstige Bürge, dafs man richtig verglichen
habe und verstehe, und der Zusammenbang könnte allein die
wahre Bedeutung der einzelnen Wörter dieser ausgestorbenen
Sprache ins Licht setzen. Hievon aber ahstrahirt flr. V. Die
ersten Versuche dürfte*» freilich raifslingen { aber ohne zu wa-
ßen, ist gar kein Fortschreiten abzuseheu.
Ref. will die schüchterne Aengst] ichkeit, womit man die
Sache am wenigsten fördert , bei Seite setzen , und weil es
JIrn. V. nicht gelingen wollte, auf occulentalischem Boden
irgend einen Sinn auszumitteln , den orientalischen Weg ein-
schlagen , mehr um <»ie*en, welchen: der V*rfc p. 4- verscblies.
sen möchte, wenigstens offen zu behalten und erfahrneren
Orientalisten anzuzeigen, als auf irjin zur Zeit etwas Sicheres
finden ZU wollen. Wir beschränken uns auf den ersten Ab«
«atz der Vorderseite , von der Wartabtbeilung des Verf. bin
und wieder abweichend, und T bajd u bald o lesend t weil die
Etrusker für beide Vocale nur Ein Zeichen hatten.
Eulat. Tanna. Larexul. Statt Tanna kommt Tha,na häufig
als Frauenname auf etruskischen Grabschriften vor % es ist das
hebräische j-j-,— , "Avva, und Jas lateinische Annia. Larexul ist
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Sulla Etrusca Iscrixione, da Vermißlioli. 587
viel a)s Laresiae (filia). Der Verf. halt p. 12. diesen Ei-
tennamen für zusammengesetzt aus Lars und Kexu , welche»
letztere ein in mehreren Grabschriften befindlicher Familien-
name in Perugia war. Ref. vergleicht (Jen Namen "ppi i»<U»M
clie Etrusker in Ermangelung des I iq ihrem Alphabet hegreif-
licher Weise das x wühlten. Die Endung 1 bezeichnet , wie
bekannt, den Genitiv weihlicher Wörter.' Der" Hebräer setzt
^ am Anfang der im Genitiv un<J Dativ stehenden Wörter.
i )at\s aber die Etrusker die Eigennamen durch die Nennung
fler Mütter näher zu bestimmen pflegten , bedarf keiner £r-
yvubnung. — Amefachr Lau tu. Felthinas. Der auch in an-
dern Deukinalen von J'erugia vorkommende (pag. 15») Eigen*
nauie Lautn entspricht dem hebräischen ; denn p und au
gehen in einander (iber (ulaustrum und plpstrum). Felthinas
l*t so viel als Velthinii (hlius). Dieser Name war auch sonst
in Etrurien gebräuchlich (p. 19.), und scheint aus dem hebräi-
schen Eigennamen *J)Vö entsprungen, welcher 2 Samuel. 3, 15.
auch ^fc^t3^3 lautet. Anstatt des Mengen di« Etrusker na-
lürlich den Namen ihres obersten Gottes Tina an: woher ver-
mittelst einer Zusammeuziehung Felthina , statt Felthiel. Die
^uduiig s, gewöhnlich den. Genitiv männlicher Wörter be-
zeichnend, erkläitsich ursprünglich aus p', das der Hebräer
den Wörtern im Genitiv vorsetzte. Die beiden noch nicht
erklärten Wörtef Eulaf und Amefachr scheinen in dieser Ver-
bindung der epigräphischen Analogie gemafs Würden zürn Be-
huf* der Zeitbestimmung zu bedeuten, und zwar das erste
eine Obei -p riesterill (vergl. mit ffyxf Opfer), da auch ander-
wärts nach Oheipriesteiinnen die Jahrs gezahlt wurden (s.
Creuzer Mytliol. IV. S. 4Ö#.)> und das zvveite die oberste
bürgerliche Magistratspecsou (von f— Volk und "TG er-
Wählen^, * *
* • •
Es tla Apluinas sleUtb, ledaute* Beute ; somit mag
man übersetzen : aus (t-s von jjs, uud von jenem unser aus) der (das
1 in tla nehme mau für das Reichen ''es casus oblU[. des. weiblichen
Artikels) Apuaner Beute. Die Apuaner, waten nördliche Gränz-
ii ach ham der Etrusker, Das ph aber findet sich öfter Statt des
p wegen des Aeolicisuius dieser Sprache (p. 25.). Carotexan
ist mit der griechischen Aoristflexion (x und s werden häufig
verwechselt; p. 28.) uud mjt der hebräischen Wurzel y^p?
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58a Sulla Iscrixione etrusca, da Vermiglioli.
ausbauen, zu vergleichen. Fhoaleri tesna; tugL {{|| ein
ausgebauenes Bildnils, tesns, diese: sey es nun, dafa darun-
ter der behauene Stein selbst, oder in der Mehrzahl Götter«
bilder, die oben auf dem viereckigen Marmor gestanden aeyn
mögen, zu verstehen seyen. Teis Rasnes, die Fürsten (wird
wiederholt Z. 220» von fl^j, Fürat "(vergl. Möllera allgeml
Geach. I. S. 51.)- Dcr etruskische Artikel tSu rd ist auch aonat
anerkannt. Ipa, das auf der Nebenaeite Z. 3. noch einmal
mit einem Punkt vor und nach vorkommt, und also gevvifs
ein Wort für aich ist, vergleicht der Verf. mit uitcmuxo/, Ref.
aber mit einem etruakischen Spiegel bei Inghirami Mon. Etr.
S. II. T. 54, wo zwischen den Namen von Kastor und Pollux
pa geschrieben steht, somit aus dem Zusammenhang aich alz
die Verbindungipartikel und erklärt, verwandt mit f. Ama-
hen, ihr Volk, ihre Leute, von rra und Ama kommt
auf der Nebenseite Z. 15. und hen als Suffix auf der Vorder-
aeite Z. 23 f. in der Verbindung enahen noch einmal vor.
Naper XII. Felthina Thuraa. Der Verf. vergleicht p. 39. die
fünfte eugubinische Tafel für das Zahlzeichen XII. In Thu-
raa aber, das Z. 20. wiederkehrt, findet Ref. den National-
namen Tu rasener, woraus die Römer und Griechen Tusci,
Etrusci und Tyrrheni machten ; der Verf. dagegen erklärt es
mit to cfo; , und hält das Ganze vorzüglich deswegen für einen
Gränzstein, während wir nach unserer Auslegung ein Denk-
mal für einen erfochtenen Sieg darin aehen. Ref. leitet den
Namen ab von *\y\]}> chaldaisch ^yfai» Stier, Es war ein Stier- •
volk, welches nach Antiochus von Syrakus vorlängst ganz Ita-
lien Apennine (von Apis) oder' Taurina und die Alpen (d. i.
Stiergebirge) benannte (vergl. nach Kanne im Pantheon Baur
Symbol I. S. 179.). Setzen wir die Zwölfzahl und die Tura-
ßener in Verbindung, so mag man unter Felthina, welche«
Wort eilfmal vorkommt und gewifs nicht immer als Eigenname
zu nehmen ist, Stämme verstehen, und *Ag (Bezirk) verglei-
chen, naper aber von diro ableiten. Aras peras nehmen wir
mit dem Verf. p. 45. für brennenden Altar: peras, xufoc/;, wie
auf den eugubinischen Tafeln pir von tüp. Cemolml escol:
bbtöN bedeutet Weintraube , wornach das erste Wort, mit
: v
unserm zermalmen und molere verwandt, das Ausgepreiste be-
deuten mag. Xuci (von Wjjj, giefsen) enesci : beide Wörter
kommen auch auf der Nebenseite Z. 2 f. und Z. 11 £ vor, be-
leben sich daher wohl auf einander, wie ein zusanunenge-
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Th. Ausonioli Opuseules Arche ographiques. N 589
aetztes Zeitwort, etwa: ausgiefsen. Eplto Laru: da« e des
ersten Wortes nehme man als Präfix statt ^* das aucb wegen
V
bedeutet; ftt^D aber heifst die Rettung; so hätten wir: we-
gen des Beistandes der Laren.
Den ersten Absatz könnten wir somit ubertragen: Als
Tanna, Tochter der. Larexu, Oberpriester in , Lau tan , Sohn
des Velthina, Volksoberster war, haben aus der Beute der
Apuaner die Fürsten und ihre Leute von den zwölf Stämmen
der Turasen diese Götterbilder bauen lassen , auf den bren-
nenden Altar wegen des Beistandes der Laren Traubensaft aus«
fiefsend. Doch legen wir auf diese Deutung vor der Hand
ein Gewicht, so lange nicht die nämlichen Wörter auf andern
Denkmalen sich in der angegebenen Bedeutung rechtfertigen
lassen. Immerhin aber mufs man sich mit Versuchen heraus*
wagen , ehe durch weitere Vergleichung die Bedeutung siehe«
rer gestellt werden kann.
O p u S c ule s Ar cJi eO gr aphique s. Par TA, Ausoniolt. Prem
miete livraison* A Paris , chez P, Dufart , libraire , Quai VoU
taire No. 19. MDCCCXXlV, Juillet. De Vinprimerie de Cra-
pelet, ruede Vaurigard No. 9. Mit dem Motto : rlv e>ov xsVAcv
s ovhsii ircü aVgKa'Am^v , und dem besonderen Titel: Premiere part.
Analyse de la Theorie de M, Champollion le Jeune, Sur les hiero-
glyphes des anciens Egyptiens *). 58 $. in gr. 4.
Der Hauptzweck dieser Schrift ist, die äufseren und in-
neren Widersprüche, welche das von Hrn. Champollion zur
Lesung der Hieroglyphen aufgestellte System darbietet, nach-
zuweisen, und. So die völlige Unbaltbarkeit desselben klar
und deutlich zu zeigen. Sie zerfällt demnach in zwei Hanpt-
tbeilev obschon sieder bequemeren und leichteren Uebersicht
wegen in drei Abschnitte getheilt ist; der erste betrifft die
Übereinstimmung des Champollion*schen Systems mit der
Hauptstelle des Clemens von Alexandrien über die verschie-
i . .
*) Pre'cis du Systeme hieroglyphique des anciens Egyptiens 9 ou Rc-
, oherches sur les t'Uraens preiniers de cette Venture saoree» sur les
, diverses combinaisons et sur les rapportx de ce Systeme, arec les
au t res methodes graphiques t'gyptienne« , par M. Champollion
Le Jeune. Aree un volum« de planches. Paris 1824» Haupt-
sächlich das neuute nnd sehnte Capitel sind hier berücksichtigt.
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590 Th. Ausonioli Opuscnles Areheographi^ues.
dene Schrift der Aegyptier , Stromat. V. p. 657. Tom. JI. ed.
l'otter., worauf sich Ersterer um so mehr stützt und stützen
mufa-, ala nach seiner eignen Versicherung „Clement d'Alexan* >
drie S est, lui seu], occasionneJUment attachJ a en dorm er ane
g sdJe cldire , et que ce philosophe chre'tien etait bien plus que
* tout autre en position d*en e*tre hien instruit* (pag. 327.)f
und Ebenderselbe „de'veloppe l'ensemMe et las detail* de tout
le sjrsteme grapbique des Egjyptielis sous te meme point de vue
que Jes monumeni, ses seuls guides, ont dd le lui o-ffrir ; et
que Tanalyae que Clement presente, en particulier, des e\i**
mens de l'e'criture hieroglyphique, est entierement Cdriform*
st celle qui est re'sultee de ses rechercbes« (pag; 332.) — eine
Uebereinatimmungf in der Hr. Cbampollion ein neues Gewicht:
für die Richtigkeit seines Systems erblicken will. ^ Der
zweite Theil der Schrift bebandelt die inneren Widersprüche
der Theorie des Hrrt. Cbampollion mit sich selber in ihren ge-
genseitigen Beziehungen auf einander. Dieser Bestimmung
und Einteilung gemdfs enthält die erste Section.' Analyse de
1a traduction du text de Clement * donne'e par M. Letronne, et des
point s pnnctpaax de ses deax commentaireS. Hier giebt der Verf.
zuerst den Griechischen Originaltext der angeführten Stelle
des Clemens mit gegenüberstehender Französischer Ueber-
setzung, dann die Lateinische Uebersetzung des Textes mit
der gegenüberstehenden Französischen des Hrri. Letronne,
welche letztere der Verf. doch mindestens nicht so wörtlich
findet, als die von Letronne, ob zwar bie und da vielleicht
nicht mit Unrecht getadelte Lateinische Uebersetzung. So
sucht der Verf. hauptsächlich die Unrichtigkeit der Ueber-
setzung Letronne's in den Worten des Clemens: f pft (nAmlich
u +wv Tftt'r»ii crroi ^ «/ai v nvßiokoyiKt} nächzu»
weisen. Diese hier bedeutsamen Worte t d ji.de r Verf. über*
setzt; „kyriologique, au moytn des Gemens toftaux* , hatte
Hr. Letronne tibersetzt! „/•«» (gerne), exprimant au propra
hs objets par Iis Lettres; denn <rt<>iXü<i sey das eigentliche
Wort im Griechischen! um alphabetische Charaktere
(Jes characterea alphabetiques«) zu beliehnen, so dafs die
wörtliche Uebersetzung der Stelle keine ander» seyrt würde,
Als.- „servant h exprimer au pröpte les objets par hs characteres
alphabetiques«. Dagegen bemerkt der Verf. und wohl nicht
mit Unrecht, dafs VrotXüa eine allgemeine Bedeutung hebe von
einer jeden Art Elemente; dafs es demnach im Texte nur nles
Clements de la paroh* bedeuten könne, indem das eigentlich«
Wort im Griechischen zur Bezeichnung alphabetischer Charak-
tere y^dujiara «ey. — Die zweite Section giebt nun l „ Examen
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Th. Au»ouioIi Opuicuiei Archeographimiei., 69 1
de la concordanee du Systeme de JVt. Champollion , civec le texte de
Clement d' Ale xan drie« , Weshalb eben in dei ersten Section der
Originaltext mit den verschiedene rt Uebersetzungen vorausge-
schickt worden war. Nach jener Steile des Clemens muis man
offenbar ein dreifaches Schriftsyst'em annehmen i l) die epi-
stolo graphische oder de mo tische Schrift, zum Öe-
brauche im geraeinen .Leben, 2) die hieratische, für die
Priester, und 3) die h i e r o gl y p h i ich e , gebildet aus Bil-
dern verschiedener materieller Gegenstände, berechnet auf
mehr oder weniger geheime Ansichten ; sie zerfällt dann wie-
der auf zweifache Weiset i) wenn das Bild eines materiellen
Gegenstandes angewendet wirdj in der Absicht, auf eine ge*
hei tue oder verborgene Art den Anfangsbuchstaben (Ele'ment
initial) des Namens dieses Bildes anzuzeigen — die kyrio-
logische Schrift; 2) Wenn dieselben Bilder angewendet
werden, aber auf eine emblematische Weise, um durch mehr
oder minder feine Anspielungen an dasjenige, dessen Anden-
ken man erhalten wollte, &u erinnern — die symbolische
Schrift. Dagegen behauptet nun Hr. Champollion, dafs es
durchaus gar keine durch Llofse Zeichen darstellende Schrift
(e'criture egyptienrte tönte representätive) gegeben, eben sö we-
nig, wie auf den Aegyptiscben Denkmalen eine regflmüfsige,
durchaus ideographische, d. h. eine solche, die sich blos
der Verbindung figürlicher und symbolischer Charaktere be-
dient (pag* 326 s<{.). Sonach nimmt derselbe natürlich auch
.eine dreifache Schrift nach Clemens, obwohl in umgekehrter
9 Ordnung an, und theilt dann die erste, die hieroglyphische
öder heilige , in dreifacher Weise ein nach der Anwendung
1) fi g ü r 1 ic b e r Charaktere^ die den Gegenstand selber, den
sie ausdrücken sollen, darstellen; 2) symbolischer, tro-
pischer odet %nigma t i scher Charaktere, die eine Idee
durch das Bild eines physischen Gegenstandes ausdrücken,
Welcher mit der auszudrückenden Idee irgend eine Analogie
bat, es Sey dieselbe wahr oder falsch , direct oder indirect,
näher oder entfernter liegend; 3) ph o n et i s eher Charak-
tere, welche die Töne mittelst Bilder von physischen Gegen-
ständen ausdrücken. Aufserdem nimmt aber Hr. Champollion
?och eine besondere Gattung an, die nicht zur hieroglyphi-
schen Schrift gehöre j bezeichnet von den Alten mit dem
Worte Anaglyphen, Bilder physischer Gegenstände, be.
sonders mönstruöser Figuren« die in Beziehung mit einander
gesetzt sind, als rein allegorische oder symbolische Darstel-
lungen. Doch f'flgt Hr. Champollion hinzu , eine Anzahl von
Bildern war der hieroglyphischen Schrift gemeinsam,
\
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592 Th. Ausonioli Opuscules Archeographlques.
oder wenn man will, derjenigen Schrift, welche die Anagly-
phen hervorbrachte; letztere sollen nur den Priestern oder
Ein ge weiheten bekannt gewesen seyn 9 da die eigentliche Hie-
roglyphenschrift nie geheim gewesen, und Alle, die In,
Aegypten einer Erziehung genossen, dieselbe verstanden.
Aus dieser Schrift aber bildete sich mit der Zeit, um die
Kunst des Schreibens schneller zu verbreiten und allgemeiner
su machen, vorerst die hieratische oder Priesterschrift,
eine blofse Tachygraphie jener heiligen Schrift, und dann aus
hriftart unmittelbar die dritte, die demo-
sweiten Sc
tische. Dafs dieses in der gedachten Art von C hampoll ion
aufgestellte System nun nicht so völlig, wie dieser vorgiebt,
mit Clemens übereinstimmt, fällt aus der gegebenen Darstel-
lung in die Augen; es wird es noch mehr, wenn man das.
selbe in tabellarischen Formen einander gegenüber stellt,
wie solches hier'pag. i4 srjrr. geschehen. Iii die Umstellung
der Ordnung der drei Schriftarten wird man diese Verschie-
denheit zwar riicht wohl setzen dürfen, als vielmehr in die
Unterabtheilungen der hieroglypbischen Schrift. Hier unter«
scheidet Clemens i) die eigentlich k y r i o 1 o g i sch e und 2) die
symbolische, welche dann wieder a) in die kyriologi-
sehe Kttra ptfAyiTtv, b) in die tropische, und c) in die
allegorische, änigmatische zerfällt. Hr. Champollion
unterscheidet ebenfalls zwei Gattungen der heiligen oder hie-
roglyphischen Schrift: 1) figtirl i che Charakter e (Cha-
racteres figuratifs — darstellend das Bild physischer Gegen-
stande, an welche sie erinnern sollen) oder reine Hierogly-
phen/ 2) symbolische, tropische oder änigmati-
«c he' Charaktere. Von der ersten Gattung der reinen Hiero-
glyphen sind abgeleitet die'Caracteres ph>one tiques,
und von diesen a) die hieratische oder priestetiiehe Schrift,
und b) zunächst weiter von der letztgenannten, deren Ver-
einfachung sie ist, abgeleitet, die demotische Schrift.
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, (D" Bes.hUJ, folgt.)
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N. 38.. • ; ; 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
Th. Aus oni oli Opuscules Archeographiques.
Wir haben die in dieser Schrift ausführlicher behandelten
Gegenstände hier nur in kurzer üebersicht mitgetheilt, um
die Leser zum weiteren Studium dieser interessanten For-
schungen aufzufordern , um so mehr, als Hr. Champollion,
wie wir oben gesehen, eine vollkommene Uebereinstiinmung
seines Systems mit Clemens von Alexandrien vorgiebt; wir
bemerken nur noch , dafs der Verf. , nachdem er noch einige
Widersprüche in der Lehre von den Anaglyphen nachzuweisen
bemüht gewesen, diesen ersten Abschnitt mit der freilich we-
nig tröstlichen Ueberzeugung schliefst: „que sous le titre:
Pre'cis da Systeme hieroglyphique des anciens Egypt iens , M.
Champollion n* a donne, serieusement parlant, que son propre
Systeme." Gehen wir zum zweiten Theile über, oder der drit-
ten Section : Analyse de la thebrie de M. Champollion , consideree
dans ses rapports intrinseques (pag. 21 ff.). Hier sucht der Verf.,
wie wir bereits bemerkt, die inneren Widersprüche in der
gedachten Theorie aufzudecken , und so ihre Unnahbarkeit
darzuthun. Er glaubt sie mit hauptsächlich in Folgendein zu
entdecken. Nach Hrn. Champollion's System ist das Princip
der Sprachen, wie das der wahrhaft ideographischen
Schritten, ein und dasselbe, nämlich die Nachahmung;
und dieses von der Natur selber gegebene Frincip ist denn auf
eine mehr oder minder directe Art in den Sprachen, die gere-
det werden, ebenso wie in den id eograph i s ch e n Schrif-
ten angewandt. Aber Sprache und ideographische Schrift er-
schöpft bald die Reihe der Gegenstände, welche es ihnen
möglich ist auszudrücken , jene durch directe Nachahmung •
der Töne, diese durch d i recte Nachahmung der Formen; so
gehen beide nun weiter zu einer indirecten Nachahmung
über. Die ideographische Schrift , da sie nicht mehr d«a
Zeichen gewisser Gegenstände die Formen selber dieser Ge«
XIX. Jahrg. 6. Heft. 38
594 Tiu Amonioli Üpusculca Archcographl^ues.
uenatände geben kann, bemüht sich daher, sie durch das Bild
anderer physischer Gegenstand«, in Wekhem man dein auszu-
drückenden Gegenstande analoge Eigenschaften zu finden glaubt,
darzustellender*); diese Charaktere haben dann den Nato«
der symbolischen, Symbole erhalten: Wörter, die eine
Vergleichung oder ein Aehnlicbmacben ausdrücken. Auf diese
symbolische oder comparative Methode, führt Hr. Champol-
lion fort , mufsten die Aegyptier in dem rein ideographi-
schen Theil ihrer, heiligen Schrift zurückkommen, sie suchten
«unnatürlich die Ideen von rein inteliectuellen Gegenständen
ohne sinnliche Formen durch körperliche Gegenstände auszu-
drücken, die in mehr oder minder reeller Beziehung, mehr
oder minder entfernt von dem Gegenstand der Idee stehen,
welche bemerklich gemacht werden soll. Die umgeschaffenen
Zeichen bereicherten die hieroglyphische Schrift mit einer
neuen Gattung von Charakteren, den symbolischen oder
•tTopischen, Hieraus nun läfst sich freilich nicht ohne
Grund folgern, dafs in des Hrn. Cbampollion Theorie die
wa hrhaf t (ve'ritablement) ideo graphische Methode, die
nachahmende, die rein (purement) ideographische
aber die vergleichende ist. Mittelst der symbolischen
Methode, heilst es weiter, war der Aegyptier vielleicht schon
seit langer Zeit (!) gewöhnt, indirect die Ideen, deren Ge-
genstände keine Form haben, durch das Bild physischer Ge-
genstände darzustellen, welche gewisse wahre oder falsche
Beziehungen mit den Gegenständen rein abstracter Form ha-
ben, wovon diese physischen Gegenstände eben dadurch in«
directe Zeichen wurden. So konnte man es eben so leicht
und selbst natürlich finden, diesen oder jenen Ton durch das
Bild eines physischen Gegenstandes auszudrücken, wobei der
zur Darstellung gewählte Ton sich vielmehr auf' jeden andern
der gesprochenen Sprache bezog ; so hatte man nun den Zweck
erreicht, seit man die Möglichkeit erkannt, indirect darzustel-
len oder vielmehr ins Gedächtnifs zurückzurufen jeden Ton
feiner Sprache durch das Bild materieller Gegenstände, wo-
von das Wort, das sie in der Aegyptischen Sprache ausdrückte,
in erster Linie den Ton enthielt, dessen Darstellung be-
absichtigt war. Die eigenen Formen dieser phonetischen
Zeichen aber, Bilder natürlicher Gegenstände, zeigen, dals
der Aegyptier sich hiebei ganz einfach durch ein Princip
der Analogie führen liefs, das bereits in dem System der
Schrift, das er zu vervollkommnen bemüht war, angewendet
worden. Wenn hier,, bemerkt dagegen der Verf., der Ur-
sprung der phonetischen alphabetischen Schrift ganz einfach
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I
t
Th. Ausonioli Opuscules Archcogtaplncpiei. 595
von Statten geht» so liest man bald darauf , dafs die Losung
eines solchen Problems eine au fser ordentliche Sch wie«
rigkeit darbot u. s. \v\ Eben so läfst es sich nicht begrei-
fen,' wie der Aegyptier, der nach Hrn. Champollion noch
nicht die geringste Jdee einer isolirten Existent der Buchata«
})en („existence isole*e des elemens de la parolete) hat» es
leicht, convenabel und Selbst natürlich rinden konnte, in sei*
nem Geist den Anfangsbuchstaben des Namens eines jeden ma-
teriellen Bildes zu trennen und sich zu dieser Operation ganz
einfach hinführen liefs durch das bereits in dem System der
symbolischen Schrift angewandte Princip der Analogie. ' Wie
kann man denken, dafs z. B. die Gewohnheit , durch das Bild
eines Löwen die Stärke und den Muth zu bezeichnen, et
gleich leicht , passend und natürlich machen konnte, aus dem
Namen dieses Tbieres den Anfangsbuchstaben L herauszuhe-
ben ? Ferner: das von Hrn. Champollion angewandte Princip
der Analogie besteht in der indirecten Anwendung eines Zei-
chens an einem und dem andern Theile. Aber haben denn
wirklich zwei indirecte Verfahrungsarten (deux proce'des indi-
rects) dadurch allein, dafs sie, das eine, wie das andere, in-
direct sind, eine Analogie unter einander ? Welche Analogie
z. Ö. findet statt zwischen der Anwendung des Bildes eines
Löwen, um die Stärke und den Muth zu bezeichnen, und der
Anwendung desselben Bildes, um den Buchstaben L zu be-
zeichnen? Kehren wir zu Hrn. Champollion zurück. Er be-
hauptet ferner noch, dafs der Ton der Vocale so flüchtig und
die Art, sie in einem und demselben Worte auszusprechen,
so mannigfach, selbst in den einzeihen Individuen sey, dafs
e*s natürlich war, bei der Bildung des Aegyptischen , Hebräi-
schen u. s. w. Alphabets dem Ausdruck der Vocale eine nur
untergeordnete Wichtigkeit zu leihen. Aber, wendet der
lief, ein', wie konnte der Aegyptier diese so wandelbaren Vo-
cale von einander unterscheiden, sie von den Consonanten
trennen, und die einen wie die andern aus dem Anfangstone
der hieroglyphischen Namen ausziehen! Folgt daraus, dafs
die phonetischen Hieroglyphen seit dem neunzehnten
Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung auf den Monu-
menten Aegyptens existiten, auch, d/«fs die alphabetische
Schrift denselben ihren Ursprung verdanke? dafs der, der Buch-
staben noch nicht kundige (ilie'ttre') Erfinder der phonetischen
Hieroglyphen auch konnte und wufste die Anfangssylben zu
trennen und die Vocale von den Consonanten zu unterschei-
den? Aber, sagt Hr. Champollion , es mufsten die Aegyptier
früh das Bedürfnifs eines leichteren (plus expedi.tif) Schreib-
> • >
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»
596 Tii. Ausouioli Opuscules Arclieographiquet.
#
Systems fühlen , man kam deshalb darauf, die reinen hierogl y-
phischen Charaktere abzukürzen, und verwandelte sie in eine
leicht zu begreifende Art »de Caricatures ou charges«; man gierig
weiter und kam so nach und nach unvermerklich auf eine neue
Schrift, die hieratische oder priesterliche. Man zog natürlich
diesen Gang vor, als eine von der bereits erfundenen, durch
die Religion bestimmt in den Augen der ganzen Nation gehei-
ligten gänzlich verschiedene Schrift aufzufinden. So muiste
also auch die Kenntnifs der bitroglyphiscben Schrift allgemein
unter allen Güsten Aegyptens seit ihrer Erfindung selber ver-
breitet gewesen seyn.
Manches allerdings Auffallende in diesen Sätzen wird kaum
der Aufmerksamkeit unserer Leser entgangen seyn 9 zumal
wenn man dieselben, wie in vorliegender Schrift geschehen,
scharf nebeneinander stellt, auch weist der Verf. bestimmt
daraufhin. Wenn, bemerkt derselbe, dies Wunder der Er-
findung der phonetischen Hieroglyphen allen Casten der Aegyp-
tisebeu Nation familiär war, ist es denn natürlich, dafs unter
der Masse der Eingeweiheten sich auch nicht ein Einziger ge-
funden haben sollte, den diese Methode der Priester zurück-
geschreckt, die ein und dasselbe (im seul et mime elemeni) dur?h
einen Haufen gänzlich verschiedener phonetischen Caricaturen
darstellte; ist es natürlich, dafs Niemand daran gedacht, die«
sem Chaos nur eine Zwölfzahl bequemerer Zeichen für die
dringendsten täglichen Lebensbedürfnisse zu Substituten ;
und dafs die Aegyptischen Casten den kommenden Jahrhunder-
ten die Sorge überfassen, diese Hieroglyphen zu decomponiren
und unvermerkt auf demotische Zeichen zurückzuführen.
Auch müfste man, wollte man dieser Theorie noch einigen
Schein lassen, entweder annehmen , dafs die Aegyptischen Ge-
nerationen in einer völligen Stupidität befangen, oder, wollte
man dies nicht gelten lassen, doch behaupten, dafs die Schrei-
bfkunst ein ausscbliefsendes Eigenthum de* Priesterstandes
gewesen bis auf die Epoche der demotischen Schrift, oder end-
lich zu der Hypothese seine Zuflucht nehmen, dafs ein Gesetz
der Pharaonen den des Schreibens kundigen Casten untersagt,
sich einer andern Schrift zu bedienen, als der durch die Prie-
ster erfundenen. Nicht minder auffallend findet der Verf die
Ansicht des Hrn. Chawpollion , dafs diese phonetischen Cha-
raktere einem wahrhaft, alpha betischen System ange-
hörten, wie die der andern Völker Asiens, der Araber, He-
bräer, Syrer und Phönicier, dafs man sie also in keiner Hin-
sicht als syllabische Zeichen im eigentlichen Sinne des
Wortes nehmen dürfe. Auch diese Ansicht bestreitet der
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«
Xenophons MemorabiUen von Froböse, 597
Verf., als to «ich und in ihrer Anwendung widersprechend
mit «ich selber. Der Rest der Schrift betrifft das Verhältnif«,
in welchem zwei Englische Gelehrte, die sich vor Hrn. Cham-
pollion mit Entzifferung der Hieroglyphen und Auffindung
eines hiezu erforderlichen Princips oder Systems beschäftigt,
Youn5 und Warb u r ton, zu dem Erstgenannten stehen;
das Resultat ist auch hier wieder (p. 37.), dai« Hrn. Champof-
Hon» Theorie nur *>un abrege fidele« der Theorie von Warbur-
ton , und eben so Hrn. Champolliön« Entdeckung njur eiue Ver-
vollkommnung der Entdeckung von Young aey.
Noch drei Theile sollen diesem Werk, dessen ersten Theil
Wir hier angezeigt haben , folgen ; der zweite unter der Presse
befindliche soll enthalten: un Coup d*oeil sur les Mphabett anciens
et sur les elemens primitifs ; der dritte soll die Anwendung dieser
e'le'mens primitifs und ihrer Zeichen auf hieroglyphische Cha-
raktere enthalten ; der vierte Einige« Aber die Chinesische
Schrift, dann Ober die Fersepolitanische Keilschrift, und end-
lich: U motif de sept vogelles grecques consacrees aux sept planet es
hebdomaires. Auch sollen diesen Theilen lithograpbirte Ta-
fein beigefügt werden.
Xenophons Nachrichten über Sokrates Reden und Thaten. üebersetzt
von Dr. J oh. Chr. Wtlh. Fr ob Öse, Rector in Hameln. Ö.
Göttingen , bei R.Deuerlich. 4324. Vllu. 176 3. 1 fl. 12 kr,
Hr. Fr. ist ein rüstiger Uebersetzer ; hat er uns doch in
einem und demselben Jahre auch mit einer Uebersetzung der
Catilinariscben Reden des Cicero beschenkt. Ob er wohl mit
Grund glauben kann, durch dergleichen Arbeiten eine Lücke
in der Literatur auszufüllen, einem Bedürfnisse abzuhelfen,
oder überhaupt nur etwas Verdienstliches und Dankenswerthes
geliefert zu haben? Wir können es kaum glaube». Eine
neue Uebersetzung eines schon oft übersetzten Buches kann
«ich nur dadurch rechtfertigen, dafs sie die früheren alle über-
trifft, wo nicht in jeder, doch wenigstens in einer Hin-
sicht. Diese eine Hinsicht giebt er gleich zu Anfang der
Vorrede in einer wenigstens keine Eleganz versprechenden Pe-
riode zu erkennen: „Ob wir gleich, sagt er, schon mehre
n Uebersetzungen von Xenophons Nachrichten über $okrates
„Reden und Thaten besitzen, so entsebrofs ich mich doch,
„diese Arbeit, wegen der von mir beabsichtigten
»Treue mit der Urschrift« [welches Deutsch,' und dann
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t
V
$98 Xcaopbons Menjorabilien von Frobüse.
entschuldigt nur die err eichte, nicht die beabsichtigte,
Treue einen sonst so überflüssigen Entschlufs] „ — der
„freilich zuweilen Rundung und Wohlklang der Sätze wei-
wchen mufsten — erscheinen zu lassen.** Also mit der gegen-
wärtig nicht unbilligen Forderung an einen Uebersetzer , Treue
mit Rundung und Wohlklang der Satz» zu vereinigen, wäre
die Kritik, so wie das Publicum, ein für allemal rund abge-
wiesen. Aber wie sieht es mit der Entschädigung dafür, der
beabsichtigten Treue mit der Urschrift, aus? Es
ist überhaupt um das Uebersetzen der Alten eine undankbare
Sache, wenn man nicht Meisterwerke liefert, wie z.B. Ja-
kobs , Wolf und Schleiermacher. Fast Jeder , der eine Ueber-
«etzung genau ansieht, sieht sie mit kritischem Auge an. Was
getroffen und richtig ist, dabei verweilt er niebt : das er-
scheint als Pflicht des Uebersetzers , die kein besonderes Lob
verdient. —Fehlt etwas, ist ein Ausdruck schief oder falsch.,
dann gfcht es an ein Tadeln und Zurechtweisen, und, da es so
leicht ist, Anderer Fehler zu entdecken, und Einzelnes besser
zu machen, so ist gleich ein ungünstiges Urtheil gefällt, und
der Fleifs des Verfassers mit Undank belohnt. Und so wird
auch Hr. Fr., oder wem sorgst seine Uebersetzung gefällt, Jt>ei
unserm Urtheil denken, wenn wir, mit aller Achtung vor den
übrigen Verdiensten des Mannes, erklären , difs wir -seiner
Uebersetzung das von ihr aliein erstrebte Prädicat der Treue
nicht geben können, und sie für eine Arbeit erklären müssen,
die zu machen der Verf. vielleicht Gründe haben mochte, aber
die drucken zu lassen eben nicht, nöthig war. Wir wollen
übrigens nicht läugnen , dafs ein Studirender, welcher diese
( Schrift Xenophons, ohne die Leitung eines Lehrers geniefsen
zu können, lesen will, bei gehörigem vorhergegangenem ei-
genem Fleifse , mit dieser Uebersetzung zur Hand den Sinn
meistens nicht verfehlen werde; allein Aehnliches, oder Glei-
ches vielmehr, leisten auch andere, und zwar eher mit weni-
gem, als mit mehr Müsgriffen. Wir müssen zu unserer
Rechtfertigung unser Urtheil mit Beweisen belegen , und wäh-
len da»" zwei Stellen, wo sieb die Uebersetzer in der Regel
am meisten anzustrengen pflegen, das erste Capitel des ersten
Buches und aus dem zweiten Buche den Herakles am Scheide-
wege. I. l. i. <£; £ztc; {fy Savdrov r # xaAs< : dafs er gegen
den Staat den Tod verdient habe. 2. .Süwv ^af
ve?ofi |vS denn ein Opferer war e.r. AiaT&pMtrq 'y*j:
denn jeder wei f s. &q*&ttv aJrh airUvacSat : iahen it«
Beschuldigungen gegründet. 1..3. 'O S^^V xa/v^cv
reu « u AAwv ; £ r führte aber sowol nichts Neues ein
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I
♦ •
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XcßopUoos Momorabilien von Frobose 599
■
als Andere. >mt*»}/ v*/A/fcvrt; : We issaguugsmi ttel,
glaubend. 1. 5* «$a<'v*ro : gefunden würe, wrauwv 33
S-soi«: glaubt« er aber Götter. 1. 8. tuJ hoXw; oiVoy,
ciKoao/x^^'vcp: der ein Hau» baute. &! evuWe** ff+garq-
yslvi ob rf ihm glücklich aufschlagen werde, j.
9. u rotg .dvöouSvots *&w*av öS $to\ j*aSau<r< ha*$tvetvl was die
Götter den unterrichtet en M e n s c h en zurBeurthei-
lung überlassen hatten, fampsi»» wo/Bspy» — 5 f*| lir#-
erraV«^1 einen geschickten Steuermann oder einen
ungeschickten. & /tx«v pu$cvra$ *oi«7v edwxav c/S«eivwa*
die Götter sunt Lernen gegeben hätten. 1, 10. j**äv
Ao<: er hoffte. 1. lt. J XaAoi5ptiis« — Ko<r^o5^das so-
genannte schöne Weltall. I. 12. ^ t<5 uiv *tymwwrmß*A
rt;, tu icup-.vta 5s av oirouvra* * »Jvouvrai ra -r? ojj/xovto. wfarr^y : oder
ob sie es für ihre Pflicht hielten, m i t Ve r n achl äs-
sigung des Irdischen, tich um himmlische jin^ele*
genheiten zu bekümmern. 1. 14. höi to7; ovfjk *X*<P>
aov.fiTv a/ffxpo v *?vai A^«/v 5 iroiwv owoCy : Einige meinten,
dtifs es selbst vor dem Volke nicht erlaubt sey, ftU.
leS Mögliche zu sagen und zu tbun. 0u5sv av tots'
ttivjjSijvai: es iawif^tf sich gar nichts. oyr'.av Ysvt-
o^a* iröTt ©u'3Iv, our«a*o As'er9ci : es entstehe und vergehe'
niemals Etwas, i. 15. «tfvffMta : gemeinnützige
Künste. Ii 16. W «rtuCpfeevwj , ri : w a s Y e r n an f t,,
was Unsinn. xaAcu; xai dyaQe^: gute Menschen. «\\
dga™acu'sef$ av 3r*a7a>* xsxAijeScM :• &k 1 a v e n s ee le n beifsen.
1. 18. tViSu^'öuvTas tou &JjfAo\> — aroxTsTvai xavros : U n d vom
Volke — alle zum Tode verurtheilt werden soll^
ten. QnxZzcuTBat rovi d*si Xouvraq* sich vor den Drohun-
gen sicher zu stellen. 1. 20. &rt£fc: Frevelhaftes
und Schlechtes. claTte.uV M.ai Xtywv na) *QUTra>v si'yj t *
x a I vo\x($oito vJa&ßteTaro; 5 Wie man sich nur immer «er.
haitun kann9 um für den frommsten Mann zu gel-
ten. Diese und noch mehrere übergangene Stellen habe»
Wir uns blos aus dem ersten Kapitel des ersten Buches ange-
strichen. Wir lassen jetzt nur noch wenige Proben aus dem
ersten Kapitel des zweiten Buches folgen. Zuerst die schöne
Stelle aus Epicharmus : II. 1. 20. tiüv xjvtuv iruiXaZcnv Jjuh
Tuvrot TuyaS1 et Buit Die Götter verkaufen uns alU
Güter für unsere Mühseligkeiten. II. 1. 27* <r$Ztf a»
ce tiüv yaXcu» •*o,*/,jw>cü* ^y<AT^v dyaS&v. yBVk7$ait dufs du in
ed'eln u Ii d« wü r di gen Handlungen soh-r thätig seyn
werdest. 1 . -2$. Sav/xa^saSai : v e r e h r t Werden. r)v yZjv
^st'jffcii dtfis das Land trage. oYetfalv: gedenkst du.
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600 Wiesbaden und seine Heil<raelle» ?on Rullmann.
o^-: lehnst du dich. tyOnt unter Beschwerden.
1. 29. i*t rai; eCtyoirvwic yjyvvj <rot aZry BtyjysTrat l S i e d i cb fahrt
(alle» Uebrige fehlt), l. 30. dvayna^tc: erzeugst du.
biit Behülflicb. 1. SU. ar/^: fehlt, «aurfc: sein
eigenes. T«$«a<7ai : siehst <1 U; dircvwc /uuv krra?ot hu v^'t^c;
$*J;jtv9ti die arheislos und glänzend ihre Jugend
durchlaufen. 1.33. IfAvoCfAsvoti in Lobreden. ^Ka^*-
erzrxTV tliaifxovictv : die herrlichste Glückseligkeit. 1.
34- *V< fA9ya\itcr1;.ot; fafsamv 5 noch mehr mit schöneren
Worten. <to\ 3* o t v a£tov , d i r g e z i em t. — Dies möchte
wohl mehr als hinreichend seyn, unser obiges Urtheil zu be-<
stätigen. Einer Correctur dieser Stellen haben wir uns eben
so sehr aus Achtung vor unsern Lesern (den Verf. mit einge-
schlossen , als aus Köcksicht auf den tu. schonenden Raum
enthalten. Aber wenn das Buch nun durchgehends so ist,
wie wir aus der Vergleichung mehrerer Stellen gesehen ha-
ben; wenn Auslassungen, ungehörige Zusätze , ungenaue
Gonstrnctionen , oberflächliche Uehersetzung einzelner Worte,
tänzlicbe Entstellung des Sinnes in manchen Stellen, so gar
Sufig sind; wo bleibt dann der Werth einer Arbeit, die
„als treue Uehersetzung in der Hand der reifere« fleifsigen
„Jugend, bei nöthiger Gewandtheit und Umsicht des Leh-
rers, nur Gutes wirkenr und die Schüler recht bald rn dem
„Gebiete der classischen Literatur kundig und einheimisch
„'machen« will ? An solcher Wirkung , wenn überhaupt ge-
druckte Uebersetzungen so was leisten, wird bei dieser Ue-
bersetsung jeder Unbefangene mit uns zweifeln müssen.
1 !
*
Wiesbaden und seine Heilquellen. Für Kurgäste beschrie-
ben von Dr. G. C. W. Rull mann % Medicinalrath des Amts
Wiesbaden. Wiesbaden, 1825. bei Ludw. Schfillenberg, Hof-
bucMiändler und Hofbuchdrucker. 288 8. Mit einem Kupfer- ,
Stiche , den Kochbrunnen in Wiesbaden vorstellend , und einer
Titel - Vignette , welche den Kursaal von der Südostseite
1 fl. 48 kr.
• ■
Allgemein bekannt ist es, dafs Wiesbaden mit zu' den
besuchtesten und hülfereichsten Heilquellen Deutschlands ge-
hört, und dennoch ist über dessen berühmten Heilbrunnen
weit weniger geschrieben worden, als her so manchen an-
dern geringeren Badeort. Seitdem Lehr und Ritter vor
mehr als zwanzig Jahren ihre bekannten Schriften über Wies-
i
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*
a •
Wiesbaden nnd «eine Heilquellen von Rullmann. 601
baden herausgaben, tat von den dortigen Aerzten bit jetzt
nicht« weiter erschienen : wir müssen es daher dem Hrn. Vf.
de« vorliegenden Werkes Dank wissen , dafs er uns durch das-
selbe mit allen neuen Einrichtungen, Verbesserungen und An-
stalten, die seitdem in Wiesbaden vorgenommen wurden,
bekannt macht, und auch aus seiner mehrjährigen Praxis da-
selbst über die Anwendung des Heilbrannens Notizen mit-
theilt, die den deutschen Aerzten nicht gleichgültig seyn kön-
nen. Wir geben eine kurze üebersicht des Inhalts.
I. Lage, Beschreibung und Geschichte Wies-
badens.
f
Die Ueberschrift dieses ersten Kapitels zeigt hinreichend,
was man hier zu erwarten hat. Jedem, der Wiesbaden be-
sucht, wird dasselbe interessant seyn.
II. Bade- und Speiaehä.u erer , Medicinal Ver-
fassung und andere für die Kurgäste be-
rechnete Einrichtungen.
Der Hr. Verf. beschreibt hier ausführlich die Einrichtung
der Badehäuaer, die Zubereitungsart de Bäder u. s. w. , wo-
bei wir bedauern müssen, dafs derselbe alles das, was Hr.
Medicinalrath Wetzl er in seinem vortrefflichen Werke über
Gesundbrunnen und Heilbäder (Mainz l8i9.) von den Bade-
einrichtungen in Wiesbaden bemerkt, durchaus nicht berück-
sichtigt. Wetzl er behauptet, dafs die Anstalten zum Duscb-
bade schlecht seyen; dagegen versichert nun Hr. Medicinal-
rath Rullmann, dafs sie schon einen ziemlichen Grad
( von Vollkommenheit erreicht hätten , und selbst in den klein-
sten Badebäusern Anstalten dazu getroffen worden wären.
Für Dampfbäder, sagt Hr. Wetzl er ferner, ist meistens ,
gar nicht gesorgt, und auch unser Hr. Verf. bekennt S. 37,
dafs erst in einigen Badehäusern und zwar noch unvollkom-
mene Vorrichtungen dazu sich vorfänden. Ueber den Man-
gel an Reservoirs klagt Wetzler ebenfalls, und, wie dem
Ree. scheint, mit Recht; noch, immer läfst man, wie aus
8. 34. erhellt, das Xhermalwasser in den Badewannen selbst
abkühlen, ja Hr. Dr. Rullmann hält dies Verfahren selbst
für vortheilhafter , besonders darum , weil Kastner in einem
bis zur Badewärme erkalteten Thermalwasser etwas weniger
atmosphärische Luft fand, als in einem Wasser, welches zu
gleichen Theilen aus zuvor gänzlich erkaltetem Wasser und
natürlich heifsem zur Badetemperatur gebracht worden war.
Wenn man aber den Schaden, welchen ein gar kleiner Antheil
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602 . Wiesbaden unS seine Heilquellen Von Rulfcnann.
atmosphärischer Luft in einem Badewasser hervorbringt , mit
dem Umstände vergleicht, dofs ohne Reservoir die Badewan-
nen weit seltener gebraucht werden können , und somit eine
höchst kostbare Zeit verloren j>eht, die zum Baden verwendet
werden konnte, so kann man keinen Augenblick1 mehr an dem
Nutzen der Reservoirs zweifeln, deren Mangel in Wiesbaden
wir mit dem Hrn. Wetz ler nach wie vor rür sehr riachthei-
Ü£, und baldige Abhülfe für wünschenswert" halten. — Von
Wiesbadens Medicinal Verfassung ist nur ganzk:trz gesprochen;
es befindet sich daselbst ein eigener Badearzt, gegenwärtig
der erste Herzogl. Nassauische Leibarzt, Geh, Rath Lebr,
Oheim des Um. Verf., ferner ein ärztliches Mitglied der Lan-
desregierung, dermalen Hr. Oberiuedicinalrath Döring, und
mehrere andere Aerzte. Fremden anerkaunten Aerzten ist die
Behandlung der Kurgäste ohne Anstand gestattet.
III. Umgebungen und Belustigungsorte Wies-
Ladens.
Der Beschreibung der Fracht des Kursaales mit allen sei-
nen Herrlichkeiten ist hier ungefähr ein halber Bogen gewid-
met; von seiner wundervollen Schönheit spricht unser Hr.
"Verf. ganz enthusiastisch, leider aber erinnert sich hier Ree.
der gewichtvollen Worte Wetzlar'* (Seite 462 der oben
angeführten Schrift) : „Mit einem Ungeheuern Kostenaufwand
bat man den Kursaal erbaut; indessen die Badeanstalten zum
Theil im erbärmlichsten Zustande blieben. * Möchte man
dies nie vergessen! Sonst ist hier der Weg nach Sonneit-
berg , Geisberg, Eltville u. 's. w. angegeben-, Und überhaupt
findet hier der, Fremde eine zweckmässige Anleitung y die in-
teressantesten Funkte in der Nühe von Wiesbaden zu be-
suchen.
IV. Geognostisches Verhalten der umgeben-
den Gebirge und Andeutungen über die
Entstehung unseres Mineralwassers,
Ein vorzüglich wichtiger, und für alle verständige Kur-
gaste, welche zugleich Naturfreunde sind, ohne Zweifel
höchst interessanter Abschnitt, dessen Bearbeitung hIus Buch
einem bewährten Mineralogen, dem Herrn Bergt athe Stifft,-
verdankt. Die geognostisebe Umgebung Wiesbadens' hatte ,
in neuerer Zeit, die sehr flüchtigen, und mitunter un-
richtigen, Bemerkungen des Hrn. Steininger abgerechnet ,
keinen Beschreiber gefunden ; um desto erfreulicher war -uns
diese Mittheilung, ein Resultat gründlicher und sorgfältiger
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I
Wiesbaden und seine Heilquellen Tön Rullmauu. 603
* • , • * • i
Beobachtung, Das Gebirge, aus welchem die Heilquellen
hervortreten, gehört ziir Schiefer-Formation. Abhang und
Fuls der Schieferberge, vorzüglich im Mainthale , sieht man
überdeckt mit Kiesel - Kongloment , mit Lagern von Tbonf
Sand-Morgel und jüngstem Flözkalk. Dafs die, in letzterem
sehr gehäuft vorkommenden, Versteinerungen als Ueberreste
von Bewohnt- n süfser Wasser und des Landes angegeben
Werden , scheint uns ein Versehen, denn die lleste von Mee-
res-Geschöpfen dürf ten bei weitem die häufigsten seyn. In-
teressant ist das Auftreten basaltischer Gebilde, so wie jenes
der mächtigen Braunkohlen -Niederlagen auf dem hohen Wt-
sterwalde. Die versuchte Ei klärungsweise des Entstehens
der Mineralquellen zeugt von Scharfsinn und verdient alle Be-
achtung; allein der beschränkte Kaum verstattet hier keine
ausführliche Mittheilung derselben.
V. Physische Eigenheiten und chemische Be-
schaffenheit der hiesigen Mineral quell en,
Bereits vor zwanzig Jahren hatte Herr Hofrath Ritter
chemische Untersuchungen der Mineralquellen zu Wiesbaden
vorgenommen, die jedoch keineswegs vollständig und genü-
gend waren. " Es sah sich daher die Nassauische Landesregie-
rung veranlaßt, eine neue sorgfältige Prüfung veranstalten zu
lassen , die sie dem Hrn. Hofrath Kastner in Erlangen auf-
trug, welcher im Beiseyn und mit Hülfe des Hofapothekers
Lade in Wiesbaden, der sich früher schon damit beschäftigt
hatte, zwei Jahre lang die Untersuchung betrieb , und darüber
späterhin eigenen Bericht erstatten wird. Die Hauptresukate
theilt uns der Hr. Verf. vorläufig hier mit, wovon wir das
Wesentlichste ausziehen wollen. Lade fand die Temperatur
der heifsesten Quelle 56° R. 9 die der mindest heifsen 38i/2°
II. an ihrem Ausflusse aus dem Berge. Ueber das, sonst
auch bei andern heifsen Mineralquellen vorkommende lang-
same Erkalten des Wiesbadener Wassers stellte Hr. Kästner
besondere Versuche an, deren Resultat der Hr. Verf. in fol-
gende zwei Sätze zusammenfafst, wovon besonders der letz-
tere hätte deutlicher ausgedrückt werden können :
1) Das Wasser unserer Quelle erkaltet, unter übrigens
genau gleichen Bedingungen , bedeutend langsamer, als reines
VVasser und als Salzwasser von demselben Eigengewichte.
2) Die Erkältungsdauer ist gröfser als sie seyn sollte,
wenn sie, wie bei einer künstlichen Salzlösung, im zusam-
mengesetzten verkehrten Verhältnils der Wärmeieitung und
Wärmestrahlung, und im zusammengesetzten geraden der Zä-
»
»
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Wiesbaden und seine Heilquellen von Rullmann.
bigkeit (CobSsion) und der chemischen Anziehung (Bindungs-
stärke) zwischen dem Wasser und den darin gelösten Substan-
zen fände.
Aus jenem Phänomene wird ferner geschlossen, dafs das
Thermal wasser mehr gebundene Wärme als reines Wasser,
oder ein ähnliches Kunstgemisch enthalte, und auch dem
menschlichen Körper zuführe; damit soll auch die eigene Wir-
kung auf die Magnetnadel zusammenhängen, und überhaupt
das Wasser reicher an Mischungs-Electricität seyn ; endlich
wird noch der langsamen WärmeentUssung jene bekannte Er-
scheinung zugeschrieben , dafs man nämlich das 70 C. heifse
Kochbrunnenwasser in den Mund nehmen kann, ohne sich im
mindesten zu verletzen (S. 142.)- Zehn Cubikzoll des Koch-
brunnens von 70° C. mit gehöriger Vorsicht geschöpft, geben
2,15 C. Z. kohlensaures Gas und fast 0,03 C. Z. Stickgas.
Ein Pfund desselben Wassers gab überhaupt 7,6869 C.Z. gas-
förmige Kohlensäure, sonst nach Gewicht bestimmt enthielt
ein Pfund des Kochbrunnens »
Sä uren,
Gran.
Kohlensäure . 3,977970
Salzbasen.
Schwefelsäure
Salzsäure . .
Kieselsäure
Wasser • •
0,638834
24,2501615
0,19026
7619,494888
Kalk . .
Talkerde
Natron ,
Kali . .
Eisenoxyd
Thonerde
3,897848
0,67849
23,8902295
0,75912
0,042
0,40974-
Organisches Eytract 1,75
Wiesbaden besitzt noch einige sogenannte kühle Mineralquel-
len, wovon der sogenannte Faulbrunnen 9i/2° R. Temperatur
bat, und selbst einige kalte salzhaltige Quellen.
* .
VI. Wirkungen des hiesigen Mineralwassers
auf den menschlichen Organismus im All-
gemeinen und dessen Anwendung in ein-
zelnen Kraukheisformen.
Unstreitig ist für den praktischen Arzt gerade dieser Ab-
schnitt der wichtigste, auch bat ihn der Hr. Verf. ziemlich
ausgedehnt bearbeitet, obgleich wir weitere Aufschlüsse vom
Hrn. geh. Rath Lehr selbst zu erwarten haben. — Wir über-
gehen alles das, was Hr. Dr. Rull mann bloS theoretisch
von der Wirkung des Wiesbadener Wassers rücksichtlich sei-
ner Be.standtheile beibringt, wohl wissend, dafs bei weitem
nicht alles, was auf den menschlichen Körper wirkt, sich
durch chemische Reagentien entdecken lasse. — Als Bad au-
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Wiesbaden und seine Heilquellen von Rullmann. 606
gewendet zeigen nach unserem Hrn. Verf. die Mineralquellen
zu Wiesbaden folgende Hauptwirkungen 9 die wir mit dessen
eignen Worten aufzeichnen : '
1) Gleichförmige Bethätigung oder Regulirung der Haut-
function.
2) Bethätigung des Lymphsystems.
3) Auf das Gefäfssystem wirkt Wiesbaden meistens erre- .
gend, seine Thätigkeit erhöhend, vorzüglich wenn es
in irgend einem hohen Wärmegrad angewandt wird.
4) Auf das Nervensystem wirken die Bäder zu Wiesbaden
besänftigend, calmirend.
6) Auf das Muskel- und Knochensystem , sowie auf die
Ernährung haben sie wenig directen Einflufs.
6) Auf das Uterinsystem äulsern aie eine fast specifische
Wirkung, sie bethätigen dessen Functionen, vorzüg-
lieh die seines Kreislaufs und der ihm natürlichen Se-
cretionen.
Die einzelnen Krankheiten, gegen welche die Bäder
in Wiesbaden ausgezeichnete Wirkung besitzen, sind nun
folgende: Gicht und Rheumatismus fast in allen Formen 9
ausgenommen im acuten Zustande. Fast alle Hautkrankhei-
ten ; der Hr. Verf. nennt Finnen , Kupferausschlag , Leber -
und Sommerflecken (! ), Flechten , Krätze; ferner gegen Mer.
kurialkrankheit j Hypochondrie und Hysterie, Stein-, und
Griesbeschwerden, Blasenkatarrhe, Schleimflüsse aus den Ge-
nitalien , skrophulöse , rbachitische Uebel , m rheumatische
Wassersucht, Kücken mark Wassersucht , Lähmungen, Ii eber-
lose Entwickelungskrankheiten, unregelmäfsige Menstruation,
Unfruchtbarkeit u. s. w.
Von dem innern Gebrauche des Wiesbadener Wassers er*
wartet der Hr. Verf. im Ganzen dieselbe Wirkung, wie von
dem Bade , mit einigen sich von selbst ergebenden Unter«
schieden; doch rühmt er ihn besonders bei Stockungen im
Unterleibe, Würmern, Obstructionen , Plethora abdominalis,
Hämorrhoiden u. s, w.
... :
VH. Bestimmung der Fälle, in denen der äus- ,
sere und innere Gebrauch unsers Was-
sers schadet, Unwirksam ist, oder doch
nur wenige Linderung verschafft.
Dieser Abschnitt ist verhältnifsmäfsig äufserst klein,
da er doch gerade eine ganz besonders ausführliche Erörte-
rung verdient hätte, damit der Arzt nicht Kranke nach Wies-
baden gehen heilst, um dort ihre Leiden noch verschlimmern
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606 Wiesbaden und seine Heilquellen von Rullmann,
zu lassen , oder doch trostlos und ohne Erleichterung sie heim«
kehren sehen zu müssen. Mehrere Contra - Indicationen des
Wiesbadener Wassers, von denen der Hr. Verf. spricht, ver-
stehen sich im Grunde von selbst. Jedermann wird einschen,
daTs an sich unheilbare Uebel auch in Wiesbaden nicht werden
gebeilt werden; kein Arzt wird einen an einem acuten Fieber,
an einer heftigen Entzündung, an einem übermässigen , bald
Gefahr drohenden Blutflufs Leidenden in irgend einen Bade-
ort senden wollen , und doch ist dies alles hier ziemlich wort«
reich erörtert; dagegen ist aber auch nicht zu verschweigen,
dafs manche nützliche Bemerkung hier vorkommt ; so wird
z. B, erinnert, dafs Epileptischen , so wie am Scorbute und
Krebse Leidenden das Wiesbadener Wasser selten bekommt;
wir müsseh daher dieses Kapitel, so kurz es auch ist, den
Aerzten doch zu besonderer Beachtung empfehlen.
VIII. Von der Vorbereitung zum hiesigen Bade
und Brunnenkur, und der Nachkür.
Hier werden allgemeine, so ziemlich für jedes Heilbad
geltende Regeln gegeben, die nichts Eigenes oder Neues
enthalten.
ß *
IX. Anleitung zum zweckmässigen Gebrauche
des Wiesbadener Mineralwassers«
Nur einiges Wenige wollen wir aus des Hrn. Verf. Vor*
schritten mittheilen. Die ersten Bäder soll man weder zu
lange noch zu warm nehmen; eine Viertel - bis eine halbe
Stunde soll den Anfang machen; eben so empfiehlt er in der
ersten Zeit nicht zweimal des Tages zu baden. Das Wasser
soll man besonders Morgens nüchtern frisch aus der Quelle
trinken, mit zwei bis drei GlSsern anfangen, und bis zu einer
bis zwei Bonteillen steigen. In der Hegel werde es ziemlich
warm getrunken , und meistens ohne Milch oder aridere Zn-
sätze, als durch welche der Geschmack eher verschlimmert
werde; das reine Mineralwasser für sich schmecke fast wie
stark gesalzene Fleischbrühe.
X. Von der DiUt der Kurgäste. *
Vieles Gute, Nützliche und wohl zu Beherzigende, wenn
auch gleich zur Genüge Bekannte, ist hier zusammengetragen ;
besonders müssen wir die Wärme, loben, mit welcher der
Hr. Verf. gegen das Hazardspielen in Bädern spricht , eine
verderbliche Sitte, die langst schon hiltte abgeschafft werden
können und sollen.
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I
Don Ramiro von Hotho. 607
Wenn wir nicht irren , so ist das vorliegende, wie au«
dev gegebenen Uebersicht erhellt , sehr braachbare Buch das
erste oder doch eines der ersten literarischen Froducte des
Hrn. Verfassers. ; Wir sind überzeugt, dafs, wenn es dem-
selben gefallen sollte, noch mehrere Gegenstände zu bearbei-
ten , es ihm bald gelingen wird , sich gröfsere Gewandtheit
in der Auswahl mancher Aasdrücke und der Schreibart über-
haupt zu eigen zu machen.
Don 21 am ir o , Trauerspiel in drei Aufzügen^ von H. G. Hot ho.
Berlin, 1825. Maurersclie Buchh. 8. 152 «?. , i fl. 12 kr.
* ■
Als Uraca, die Gemahlin Alfonso's des Ersten, Königs
von Aragon, sich Mutter fühlte, verkündete ihr Maria, dafs
sie einen Sohn gebären und dieser das maurische Zaragoza
zum Christenthume bekehren würde. Der am Kreuze schwe-
bende Christus verkündete ihr ein Aehnliches. Ramiro wurde
geboren, und „das Zeichen der Bewährung«: auf dem rech-
ten Arm ein Kreuz gleich einem Schwerte und ein Schwert
gleich Christus Kreuze, liefs Arragon laut jubeln:
Ein Infant ist uns geboren,
Christi und Maria's Streiter,
Solches Alles geschah ,aber vor dem Beginn unseres Trauer-
spiels, und Ramiro erzählt es lediglich sieben Seiten hin-
durch (S. 20 — 27.) und in wohlgefügten Trochäen. Das
Trauerspiel selbst eröffqet sich im Paljast- Garten zu Zara-
goza, und Mirza, die maurische Prinzessin , unterhält sich
mit ihren Dienerinnen vom Einzüge Ramiro's, welcher auf
sie Alle den lebhaftesten Eindruck gemacht hat. Ramiro tritt
hinzu. Schon ist Mirza Willens, auf sein Ersuchen , ihren
Schleier zurück zu schlagen, als Ahuhazalen, der Vater Mir-
za's und König Zaragoza's, und sein NefFe Omar hinzutreten.
Ramiro erzählt, was bereits oben erwähnt worden, und
schliefst dann folgendermafsen :
Ahuhazalen! Steig* nieder t
Von dem heil'gen Christenthrone,
Den du frevelhaft entweihst.
Alle Kirchen stelle her.
Die du mit gottlosem Eifer
In Moskeen hast verwandelt,
Und mit deinem ganzen Volke
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60B Doü Ramiro ?on Hotho.
Knie1 vor Gottes Altar nieder y /
Bet* ein reuig Miserere,
Dafs sich euer Gott erbarme,
Und sein heil'ger Geist erleuchtend 1
Und besel'gend niedersteige :
Denn nur der dreiein'ge Gott
Ist der ew'ge Gott der Wahrheit.
Die anwesenden Mauren rufen: Rache! Allah, Rache! und
der König spricht sich aufs Heftigste gegen solche Anmutbung
aus* Da droht Ilamira :
— eh* dieser Sonne Strahl ,
Die dort scheidend niedersinkt,
Dreimal wieder euch begrufste.
Schwör' ich euch, soll diese Stadt,
Sollen der Moskeen Thürme,
Und ihr selbst, vor Christi Kreuz
Gott als Herrn und Sieger preisen.
Mirza und Ramiro verrathen vor der Versammlung ihren leb-
haften Antheil an einander. Der König schwört, selbst sei-
nes eignen Kindes nicht zu schonen, wenn es vom Mahoro
abfiele. Er schliefst:
Dies, Infant, sagt euerm König,
Und eh' noch des Mondes Scheibe
Ueber unserm Haupte glänzt,
RSumet Zaragoza's Mauern,
Sonst mit euerm längern Weilen
Ruft ihr euern Tod herbei!
: .»
(Der Beschlufs folgt.)
N. 39. 1826.
Heidelberger
Jahrbücher der Literatur.
.1. ;
Don Ramiro, Trauerspiel in drei Aufzügen,
von H. G. Hotho.
• - • ■ .
■ *
CBeichlufs.)
• ••
Der zweite Akt findet Ramiro noch in Zaragoza. Seine
Liebe zu Mirza, derer völlig inne geworden, hält ihn zu-
rück. Omar trifft ihn und bald entspinnt sich ein lebhafter?
Wortwechsel. Mirza unterbricht ihr Gelecht und heifst
Omarn gehen. Er gehorcht, Die nun folgende Scene ist eine
der gelungensten» Ramiro und Mirza erklären sich ihre Liebe.
Mirza wird Christin. Eine Stelle als Beleg jener Behauptung t
Mirza.
Ramiro! — * —
Ich athme nur, mich dir dahin zu gehen!
Ramiro.
Ich lebe nur, mein Leben dir zu weih'n!
Mirza.
So schenkst du mir mit dir ein doppelt Leben?
Ramiro.
So werd' ich mir in dir nun zwiefach mein?
Mirza»
Hegt denn die Erde solche Himmelstriebe?
Kam i ro.
Die Erde nicht, nur Gottes ist die Liebe! —
M i r z a.V * - ^ ^
O könnte dieser Gott mir niedersteigen!
Ramiro.
Sucht ihn dein Blick ?
Mirzd.
^ Er hat umsonst gespäht!
Ramiro,
Im tiefsten Innern wird er dir sich zeigen !
Mirza.
Er zeigt sich nicht , was auch mein Mund gefleht !
XIX. Jahrg. 6« Heft* 39
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510 E°Q Rainico von Hot ho.
9
llamiro, . ,
* J I Ä ■
Erzeuge ihn, so wird er von «ich zeugen:
Mirza.
Neigt er sich mir ?
Ramiro.
Wenn du dich ihm erhöht!
Mirza. • •
O könntest du mir seinen Namen nennen.
Ramiro«
Erkenne dich, und du wirst ihn erkennen!
Don Juan, ein Freund Ramiro*« , tritt auf und räth zur
Flucht. Endlich entschliefst sich hierzu Ramiro. Omar trifft
Mirzan betend — zu Christus. Omar will ihr das Kreuz ent*
reifsen. Der König kommt hinzu. Er ist ausser sich. Er
verkündiget Mirzan , sie müsse sterben. Omar bietet sich ibr
als Retter an. Sie weist es von sich, zeigt ihm, dafs sie ei
müsse.
Der dritte Akt findet uns im christlichen Lager vor Zara-
goza, im inneren Theile des königlichen Gezeltet. König
Alfonso von Arragon erzählt seinem Sohne den Tod Uraca's,
seiner Mutter. Sie starb wehe rufend, dafs Ramiro, der
göttlichen Sendung Vergessend, in Liebe zu einer Sarazenin
erglüht sey. Don Juan unterbricht die hierauf folgenden Er*
örterungen mit der Nachricht von Mirza's Tode. Sie hatte
eine christliche Kirche, unfern Zaragoza unter Schutt Und
Trümmern aufgebaut, heimlich besucht (von Ranvro war ihr
deren Daseyn verrathen worden), aber die Mauren erkunden
den Ort, Fackeln werden bineingeschleudert, und die heilige
Stätte, zusammenstürzend, begräbt ihre frommen Beter. Mit
ihnen ; Mirzan. Alfonso beschließt den Sturm auf Zaragoza.
Ramiro schwört den Seinen :
Dafs die Sonne, die dort aufglüht,
Lebend uns in Zaragoza
Wiederfindet , oder weinend
Vor den unerstürmten Mauern
Von den Todten scheiden soll.
Jenes geschieht. Ramiro, als der Erste, pflanzt die cbritt«
liehe Standarte auf die Zinnen der Stadt. Auch Ramiro stirbt.
Woran ? scheint zweifelhaft. Nach Juan verblutet er sieb.
Ramiro sagt :
— der Erdenrose Dornen,
Und der Mutter sterbend Wehe
Trösten mich —
. Digitized by Google
Don Ramiro von Hotho.
611
Alfonso bietet Abuhazalen seinen Thron wieder an und — das
Kreuz. Abuhazalen zieht vor, nach Osten zurückzukehren.
Dies die Fabel des Stücks , welches , wie die Proben geben,
meist in vierfüfsigen Trochäen , fünffüfsigtn Jamben, mit unter-
mischten Heimen , geschrieben ist. Auch eingestreute Sonette
kommen vor (S, 12. 13. H- 95- 96.) , und die Sprache ist blü-
hend und edel. Den Streit zwischen Muhamedanismus und
Christenthum und den früheren, friedvollen Sieg des letzte«
ren über das erstere in der Liebe , den späteren, blutigen im
Waffenspiele darzustellen , war unstreitig ein poetischer Ge-
danke. Aber, dramatisch bebandelt, raufste er seiner Be-
handlung selbst, die Handlung und weniger Reden fordert,
noth wendig schädlich werden. Dieses scheint dem Ree. na-
mentlich hier der Fall. Indessen ist auch der Verfasser nicht
ohne Schuld. Wozu die häufig sich wiederholenden Expo-
sitionen über Christenthuin und Aluhammeds Lehre , nament-
lich die vielen Spezialitäten ? Wozu der oft lyrisch gewor-
dene Gang der Rede? Wozu die Menge historischer und geo-
graphischer Notizen , e. B.. S. 29 — 32 ? „Trauerspiel« hat
der Verf. seinem Buche vorgesetzt. Er deute nicht übel , dafs
wir nach selbst aufgestecktem Maafse es beurtheilen , dafs
^wir insbesondere auch meinen, seine Personen seyen sich an
Gefühl und Sinnesart ähnlicher, weniger individualisirt, als
das Interesse und die Wahrscheinlichkeit es erlauben. Man-
che werden Anstand nehmen , dafs Ramiro Mirzan auf dem
Theater taufe (S. 61.)» Uns dünkt auffallender, dafs plötz-
lich Mirsa so erstaunlich viel vom Christenthume weifs, was
doch nicht möglich ist, sogar Sprüche anführt (S. 98.), und
namentlich so christlich- katholi sch ist (•• B. S. 97.). Es
war rweckmäfsig, den damals ohnehin herrschenden Katholi-
zismus dem Aluhammedan ismug entgegen zu setzen, aber diese
offenbare Vorliebe sagt uns nicht zu. Schöne Momente,
Seht- poetischer Schmuck finden sich häufig. Möchten der
spanisch -romantischen Spielereien weniger seyn (z. B. S. 39.
40. 47. 48.). Di« letzte Oelung (S. 115) durfte Mirzan
nicht gegeben werden (Wiese, Kirchenrecht II. S. 58l.). —
Wir erlauben uns, zum Schlüsse dem talent - und geistvollen
Verf. das Studium Shakespeares zu empfehlen.
39 *
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612 Horas eme Epistel von Schmid.
Des Quintus Horatius Flaccus Erste Epistel das ersten
Buchs , erklärt von Theodor Schmid, Oberlehrer am Gyn*
nasium zu Halberstadt. Halberstadt, bei C. Brüggemann. 1824.
33 S. in gr. 8. 6 Gr.
• * ■ r • •
Wir müssen es mit dem Hrn. Verf. beklsgen, dafs, so
sehr auch in neueren Zeiten die lyrischen Dichtungen des Ho-
ratius bearbeitet worden sind, dagegen die Episteln — doch
unstreitig das vorzüglichste, was uns der Dichter hinterlas-
sen — desto weniger Bearbeiter gefunden haben. Um so er-
wünschter aber mufs uns jeder Beitrag seyn, wenn er auch
nur die Bearbeitung einer einzelnen Epistel enthält, indem da-
durch am besten eine vollständige, dem jetzigen Standpunkte
der Wissenschaft entsprechende Bearbeitung sämmtlicher Epi-
steln möglich gemacht und vorbereitet wird. Bis jetzt sind
wir aber im Ganzen von nur wenig Episteln so glücklich ge-,
Wesen, einzelne Bearbeitungen zu erhalten. Unter ihnen
nehmen jedoch unstreitig die gelehrten und umfassenden Bear-
beitung der ersten und sehnten Epistel des ersten Buchs von
Obbarius die erste Stelle ein. Nach dem von Heindorf in
den Satiren des HoratiuB gelieferten Muster hat in gleicher
Weise Zell eine Bearbeitung der ersten Epistel des ersten
Buchs (Heidelberg, bei Oswald. 1819.) geliefert* Unser
Verf. bedauert in einer Nachschrift» dafs er zu spät, erst
als seine Arbeit schon vollendet war, durch die Vorrede von
Obbarius zur Ausgabe der zehnten Epistel, Kenntnifs von
Ebendesselben Bearbeitung deT ersten Epistel erhalten *>
Indessen sind die Bearbeitungen der Horazischen Briefe durch
Obbarius (deren Fortsetzung wir freilich nicht genug wün-
schen können) von der unsers Verf. in Anlage eben so wie in
Zweck und Bestimmung verschieden , da man sie mit Recht
gelehrte, vollständig Alles enthaltende Ausgaben nennen
dürfte. Der Verf. vorliegender Bearbeitung verbindet damit
aber einen ganz anderen Zweck , und hat dabei ganz andere
Absichten. Eben so wenig für gelehrte Philologen
wollte er schreiben, als andererseits eine eigentliche
Schulausgabe liefern. Jünglinge vielmehr t und Freunde
des Horatius, Welche sich diese Dichtungen zum Gegenstands
des Privatfleilses wählen und denen es an den besseren , be-
sonders älteren Hülfsmitteln fehle,, diese sind es, für welche
*) Auch Ree. kennt diese Bearbeitung bis jetit ntrr ans Ankündi-
gungen.
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, Horas erste Epistel von SchuaiJ. 61 3
diese Aufgabe bestimmt ist. Deshalb bat auch der Verf. die
älteren Commentare des Larabin, Cruquius, Bentley U. A.,
so wie die alten Scholien, die immerhin manches Schätzbare
enthalten, sorgfältig benutzt» hie und da auch ihre Bemer-
kungen wörtlich mitgetheilt. Die Aufmerksamkeit, die wir
dieser neuen Bearbeitung einer Ilorazischen Epistel, der der
Verf. in ähnlicher Weise die Bearbeitung anderer Episteln fol-
gen lassen will, widmen zu müssen glaubten, veranlafst uns,
näher in das Einzelne einzugehen.
Gleich vs. 2. bei Erklärung des donatüm Jam rüde sind
keine Beweisstellen weiter für rudis angeführt, und nur ver-
gleichungswei&e Juvenal. Sat. VI, 113. VII, 171. genannt,
während bei Abrami zu Cicer. Philipp. II, 29. pag. 266- ed.
Wernsdorf., Lipsius Saturn. I, |5. u. a. w/ sich reichliche
Beweisstellen und gute Erörterungen finden. — Vs. 5> Wenn
Vejanius, der ausgediente Fechter , seine WaiFen dem Her-
kules, der Sitte gemäfs., weiht, so gieht der Verf. davon
den Grund an mit den Worten des Lipsius Saturn. II* 23, in
so fern nämlich dieser Gott Muster und Vorbild der Athleten
ist. Diese Idee ist gewifs nicht unrichtig, allein der Grund
davon liegt wohl tiefer. Schon in Griechenland sind Hermes
.und Herakles Vorsteher der Gymnasien, wie aller gymnasti-
schen Uebungen, letzterer insbesondere als Vorsteher der
Stärke, welche zu diesen Uebungen erforderlich ist. Eusta-
sius zu Odyss. VIII, 266 *qu\ pag, 309. Basil. sagt: 5« *a<
tut Yy/AV5t<r/afEf/^3 xai 'ffyavtAfiT outov auv/fyuov» «tjJ u*v Xfyou* tw B' aX*
H>jf X^QSTrCUTI , OiV fAtyf-VZWV tyXfa KCU ^UQ.VOia ytWUT(ZU — • \s. 6. ne
populuin extrema toties expret arena, wird man wobl sich
nicht begnügen können mit des Verf. Erklärung, der hier an
eine Bitte des Fechters an das Volk um Entlassung (wohl,
von seinem Fechterdienste) denkt, während wir an den von
«einem Gegner an den äufsersten Theil — in die Ecke der
Arena getriebenen und überwundenen Gladiator denken > der
in dieser Lage das Volk bitten rauft, ihm das Leben, das er
verwirkt, zu schenken; worauf das Volk durch das bekannte
pollicem premere oder pollicem vertere antwortete (vergl. Ju-
venal. Sat. III, 36. und daselbst die Ausleger> — Vs. 11.
Uta ducere ist dem Verfc, keuchen. Wir würden lieber sagen:
die Lenden (keuchend ). fortschleppen. — Vs. 15. «t
die Bedeutung von addictus,. so wie die Construction dessel-
ben nebst den übrigen, Wörtern richtig angegeben. — Vs-17.
bei Erklärung der Worte *t mersor c'wiübui undis r würde» wir die
Parallelsteile Epist. IL, 2* 85. bic ego reriun fluctibus in tue-
diia et tempestatibus urbis , nicht übergangen babtn. —
614
Horas erste Epistel von Schmid.
Ys. 28, schreibt der Verf. mit Fea und Döring : non possis
oculo contendere Quantum Lynceus; was gewils hier die ein-
zig richtige Lesart ist, die nur unwissende Schreiber in ein
vcuIüs contendere verwandeln konnten; oculo contendere erklärt
auch unser Verf. durch: oculorum acie valere, praestare ; s.
Fea, der ausführlicher den Unterschied erörtert, üeber die
Ellipse des ji vor possis vergl. Heindorf zu den Satiren des
HoratiuS If lj 45. p. Ii. — Vs. 12. Est quodam prodire te-
nus, si non datur ultra. So schreibt der Verf. im Texte,
führt dann in den Noten die ältere von Lambin ohne hand-
schriftliche Autorität, dann aber von Cruq; und Bentley nach
Handschriften und grammatischen Grundsätzen veränderte Les-
art quodam, und darauf Fea's unpassendes quoddam auf, ent-
scheidet sich aber mit Recht für die von Lambin , Cru(j, Fea
und jetzt auch von Döring aufgenommene Lesart, die schon
in der Analogie der ähnlichen Adverbien , wie solches Bentlvy
nachgewiesen , hinreichende Bestätigung erlangt hat. Eben
so wird die Erklärung von vs. 34i 3& und vs. ter pure
lecto gewifs befriedigen. — Auch vs. 44. schreibt der Verf.
mit Bentley (und Döring); quanto devites animi capitisque
dolore, Statt des minder passenden und concinneu animo. — -
Ys. 46. per mare pauperiem fugiens, per saxa, per ignes,
hält der Vf. es für richtiger, mit Lambin die letzteren Worte
per ignes in allgemeinerem Sinne für per gravissima pericula zu
nehmen, mit Anwendung des Griechischen Spruch worts; £,a'
wvbos ßa&litv (vgl, Er asm. Adagg. III, 10, 94»). Allein dieser
allgemeine Sinn Hegt dem ganzen Verse zum Grunde, und
eben deshalb müssen die einzelnen Worte, aus denen zusam-
men dieser allgemeine Begriff hervorgeht, in bestimmterer Be-
ziehung und Bedeutung genommen Werden, daher wie per
mare die Gefahren des auf offener weiter See, per saxa die des
an Untiefen, unwirtbbaren Gestaden und Klippen bermnschif-
fenden gewinnsuchtigen Kaufmanns bezeichnet, so bezieht
sich per ignes auf die Länder der beifsen Zone, die der Kömer
nur als schrecklieb und fürchterlich kennt, vor denen aber die
Gewinnsucht des habsüchtigen Händlers sich nicht zurück«
schrecken läfst. Vergl. Od. III, 3j Ö5j was für unsere Stelle
fewifs entscheidend ist. — Das mirare vs, 47. konnte hier
urz durch die Bemerkung erörtert werden,, dafs es hier so
viel sey, als sectari, magui facere , mit Verweisung auf Od. III,
29 ylj. und Epist. 1^ 10, 2_L vergl. mit Li *L* L* wo admirari
in ähnlichem Sinn vorkommt. — Vs. 5& bat der Verf. die al-
tere Schreibart condicio für das gewöhnliche conditio wieder
eingvtiinrr. — \s. £4. über Janas mmmus gb Imo prodocet giebt
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Horas erste Epistel von Schmie!.
615
der Verf. ausführliche Erläuterung, so wie auch vs. Über
das laevo suspensiv locuJos tabulamque lacerto, und vs. SJL
püeri ludentes etc. — Vs. öl. bei esto erinnert der Ve,rf. recht
gut an das Griechische J4v, das wohl Horatius hier ausge-
drückt hat. Vergl. Larabin zu Horat. Epist. L, Iß* vs. ££. —
Vs. 94- schreibt der Verf. mit Fea und Döring: si curatus in-
aequali tontore capillos statt : si curtatus inaequali tonsore ca-
pillos , indem curtatus unstreitig nur (?) eine Erklärung des
curatus sey, wie denn curare von der Sorge f ür die Haare sehr
gewöhnlich sey, was auch Fea erwiesen. Allein das curtatus
scheint fast stärker und schärfer bezeichnend zu seyn, als der
matte, in jedem Fall allgemeinere Ausdruck curtatus. Auch
im folgenden Vers schreibt der Verf. wie Fea und Döring
occurro , statt dts früheren oeeurri, — Vs. 96. vel si toga dis-
sidet impar macht der Verf. mit Recht aufmerksam auf den
hohen Werth, welchen die Römer auf das kunstvolle Umwer-
fen der Toga gelegt , und führt Einiges darüber au. Bezeich«
rvend ist auch die Stelle bei Ovid Amor. I, 51ü ; Sit bene con-
veniens et sine labe toga, — Vs, 104. et prave sectum stomache-
ris ob unguem war gewifs Bottiger (nicht Böttcher, wie
der Verf. S. 34* bei einer andern Gelegenheit schreibt]) in der
Sabina L p. 297. 320. II. 62 ff. anzuführen. — Vs. 105. —
de te pendentis , te respicientis amici scheint, der Verf. die Hein*
sius'sche Conjectur Suspicientis , welche doch nur auf Schein«
gründe gestützt ist , vertheidigen au wollen 9 indefa am
Ende bemerkt er, der Sinn des Wortes respicere könne nicht
zweideutig erscheinen, da es als Synonimum (mufs wohl heis-
•en Synonym um) von de te pendentis zu betrachten ist, und
auch sonst in der Bedeutung vorkommt : sein Vertrauen , seine
Hoffnung auf Etwas setzen. Und in der That hätte schon
eben das zunächst vorhergehende von jeder Aendrrung abmah-
nen sollen, da respicere offenbar ein Zurückblicken auf jemand
bedeutet, in der Erwartung, bei ihm Schutz, Unterstützung
ynd Hülfe zu finden , oder überhaupt ratiouem habere ali-
cujus, wie der Verf. richtig bemerkt. Vergl. z. B. Ter. Andr.
U, 5j fi. — An einigen Stellen hatten die Citate etwas ge-
nauer gegeben werden können, wie z. B. S. $3. Z. 3* von un-,
ten, statt des allgemeinen Citats ^Cic. fin, extr.« bess'er :
Cic. de Fin. III, 20. §. 6Ä. eben so wie S. £2. Z. 3. von un-
ten, „Cic, fin. 3*extr.« statt Cic. de Fin. III, 22m §. 2h. —
S. 22m Z. von unten: „Fausan. in Eliac. pag. 186. ed. Syl-
hurg.« statt Eliac. II. (VI.) %U §• p- 47d. — S. 2<L Z. 4.
von unten zu vs. 76. bellua multorum es capitum verweist der
Verf. auf llato's 1*^1; ToXv*bfyi\as (soll heifsen h^uo; T©)ux*\i>aAos) .
616 De origine, causis et«, tribunorum jcrips. A- F. SoUan.
« • *
jedoch ohne die Stelle zu citiren9 Wir verweisen auf Plat.
de Rep. IX, $2. und daselbst Ast p. 6Q6. Greuter ad Olymp.
Comment. in Alcib. primum p. 244»
De origine , causis et primo tribunorum ptebis numero.
Commentatio , quam auctorifate amplissimi philosophorum ordinu
etc. etc. tcriptit Augustus F er dinartdus Soldan, Gyruna-
siiUanoviensis Collega quartus. Hanoviae , formis Orpkanotropkei
Campianu 132$. 44 S. in gr. 8.
Commentatio inauguralis de Tribunicia Tote s täte , qüalis fuerit
in de a Sultäe dictatura usque ad primum consulatum Pompeji,
quam consentiente atnplissimo philosophorum ordine Acad. Jüan'
bürg, eruditomm examini subjicit Joseph us Rubino, philoso-
phiae doctor. Cassellis% MbCCCXXr. apud Ja. Chr. Krieger*
$4 S. in gr. 8,
Wir verbinden beide Abhandlungen mit einander , da sie
im Ganzen nur verschiedene Theile eines und desselben Ge-
genstandes behandeln, und beide von Seiten einer fteifsigen
und gründlichen Behandlung gleiches Lob verdienen. Die er-
Stere Abhandlung hat, wie schon der Titel andeutet, sich zu-
nächst auf drei Funkte beschränkt, diese aber mit Ausführ-
lichkeit behandelt : l) Woher d. h. aus welcher Ciasse des
Römischen Volkes wurden die Tribunen gewählt ? f) Welche
Gründe und Ursachen gaben die Veranlassung zur Errichtung
des Tribunats ? 3) Welches war ursprünglich und anfänglich
die Zahl der Tribunen ? Wenn auch gleich der beschränkte
Raum dieser Blätter es uns nicht verstattet* ausführlich den
Untersuchungen des Verfassers Schritt für Schritt zu folgen,
ao wollen wir es doch nicht unterlassen, die Haupt res ultate
derselben in möglichster Bestimmtheit und Kürze darzulegen.
Um die-Beantwortung der ersten Frage zu erreichen , und den
Ursprung der Tribunen näher au&zumitteln , geht der Verf. in
die Geschichte der Verfassung des Römischen Staats, nament-
lich der Verhältnisse der Tribus unter den ersten Römischen
Königen zurück, und glaubt hierin die Annahme als. ziemlich
begründet zu finden, cfafs die Tribunen hervorgegangen, aus
den Vorstehern derLand-tribua^ keineswegs aber, wie Wachs-
muth und Andere meinen, aus den Kriegstribunen oder mili-
tärischen Vorgesetzten — »Ex iis, qui tribubus erant prae-
yositi rusticis,; non e Tribun is rei iniljtam, priraorum Tri-.
»
. . Digitized by Google
De origine, causis etc. tribunorum scripsit A. F. Soldan. 617
hunorum plebfs effloruisse potestatem, justissimis mihi fir-
missimiscjue videtur conti r mar i posse argumentis« (pag. 21.)*
Man sieht also, dafs der Verf. im Ganzen der Niebuhr'scbeti
Ansicht über Begründung und Ursprung der tribuniciscben
Macht gefolgt ist.
Mit vieler Ausführlichkeit verbreitet sich der Veit Ober
den zweiten Punkt, nämlich über die Veranlassungen, wel-
che die Begründung dieser Behörde herbeigeführt, in der
Schuldenlast der Aermeren, in der Harte und Grausamkeit,
welche die reichen Patricier gegen ihre plebejischen Schuldner
sieb erlaubten , findet der Verf. die Notwendigkeit, für die
Plebejer sich eine Schutzbehörde gegen die Willkühr der Pa-
tricier au schaffen. In welcher Zeit diese Schuldenlast, unter
der das Volk so sehr seufzte, entstanden, wann zunächst der
Grund'dazu gelegt worden, lasse sich jedoch nicht bestimmen.
Zwar sey wohl schon unter Tullus Hostilius durch dessen be-
ständige Kriege ein Anfang gemacht worden, welcher unter
Tarquinius dem Aelteren, und besonders unter Tarqjuinius
Superbus vermehrt worden, obsebon Servius TulJius der be-
drückten Volksmenge aufzuhelfen bemüht gewesen. Indem
der Verf. Einiges über das den Patriciern in dieser Hinsicht
gegen die plebejischen Schuldner zustehende (Recht einschal-
tet, geht er dann auf die weiteren Vorfälle über vor dem Vols-
cischen Kriege u. s. w. und auf die Auswanderung der Plebe-
jer, welche als nächste Veranlassung zur Gründung der Tri-
bunen berichtet wird. Hier wird nun von neuem die Frage,
oh die Plebejer auf den Möns sacer oder auf den Möns
Aventinüs ausgewandert, einer genauen Untersuchung un«
terworfen, mit Zuziehung sämmtlicher Stellen der Alten«
Letztere sprechen meistens für die erstere Angabe, die schon
Li vi us als die allgemeiner verbreitete anführt. Der Verf.
scheint einen Mittelweg einschlagen zu wollen, wenn er S. 37.
bemerkt und im Verfolg weiter darzulegen sich bemüht: —
fcfc* tarnen, quod Cicero et Sallustius tradunl% fiebern primum $acrum
mortem, deinde Jventinum insedisse, haud difficile erit ad existiman-
dum.** Dies liefe also auf die in Crsuzer* Abrifs der Römi-
schen Antiquitäten S. t$U Not. angedeutete Ansicht hinaus.
Will man diese vermittelnde Ansicht nicht annehmen und die
Angabe des Li vi us als die richtige erkennen, so mufs man die
Angabe des Annalisten Piso betrachten als eine Verwechslung
dieser ersten Auswanderung mit der spateren um Abschaffung
des Decemvirats , 305 a. u. c.
In Ansehung des dritten Punktes endlich, betreffend
dl« ursprüngliche Zahl der Tribunen , schliefst sich der Verf.
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6 13 De tribunicia poteitate scrips. J. Rubiuo.
•
auch wieder an die Behauptung des Liviut und Niebubr an,
wornach die Zahl der Tribunen der Zahl der Tribus vollkom-
men gleich kam, also die Fünfzabl war. Er schliefst seine
Untersuchung 5. 42. mit den Worten: Quamobrem quo tem-
pore facta secessio est, eodem duobus Tribunis accessi&se tres,
pro certo posse compertoque haberi videtur.
, Gehen wir auf die zweite Abhandlung über , so Iii ist
es sich nicht läugnen , dafs sie einen der interessantesten
Tunkte aus der Geschichte des Römischen Tribunats behan«
delt , wir meinen die Gescbicbte desselben während der Zeit
der Sullanischen Dictatur bis auf die Erhebung des Pompejus
»um Consulat — eine Periode, die als aristokratische Gegen-
revolution in der Geschiebte der Römischen Republik Über-
haupt einen Wendepunkt bildet. Welchen Einflufa derselbe
auf das Tribunat , als eine der mächtigsten Stützen der Römi-
schen Volksfreiheit geäufsert, läfst sich aus dieser Abhandlung
zur Genüge ersehen. Die Uebersicht des Ganzen zu erleich-
tern und den Gang der Untersuchung selber zu befördern» hat
der Verf. seine Schrift in zwei Abschnitte getbeilt, wovon
der erste die Geschichte des Tribunats in dem genann-
ten Zeiträume erzählt, der zweite von dem Rechte der
Tribunen während dieser Periode handelt. Vor Allem hebt
hier der Verf. das Gesetz des Sulla hervor, das er nach be-
gründeten Angaben in das Jahr 674 a. u. c. verlegt. Es be-
schränkte nicht blos die Macht der Tribunen, ja es vernichtete
im eigentlichen Sinn das Wesen der Tribunicischen Macht,
die nun zu einem blofsen Schatten herabsank, während dage-
gen die Macht des Senats ins Unermefsliche stieg. Darauf
verfolgt der Verf. die weiteren Schicksale desTribunats. Wir
wollen nur der Hauptversuche gedenken» welche einzelne Tri-
bunen gemacht, die Würde und das Ansehen dieser Macht
herzustellen, bis endlich Pompejus im Jah* der Stadt 684»
als er zum Consulat gelangt war, zwar mit heftiger Wider«
aetzlichkeit des Adels , aber mit Unterstützung des Cäsar und
Grassus, unter grofser Zustimmung der Plebejer und derEqui-
tes die Tribunicische Würde in ihrer alten Macht und in ih-
rem früheren Ansehen wieder herstellte, nachdem schon seit
längerer Zeit die den Senatoren zurückgegebenen Gerichte das
Volk gegen den Senat aufgereizt hatten. Unter den verschie-
denen früher gemachten, aber mißlungenen Versuchen, die
Tribunicische Gewalt wiederherzustellen, führen wir an den
noch zu Lebzeiten des Sulla, nur zwei Jahr« nach Einführung
jenes Gesetzes gemachten Versuch des Coi isu] Lepidus , ferner
den eben so vergeblichen des Tribunen Sücinius 678, »o wie
V
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De tribunicia potestate icrips. J. Rabiao. 619
ein Jahr später 679 hei Gelegenheit der durch Tbeuerung de»
Getreides und Mangel an Lebensmitteln entstandenen Unruhen
gegen den Senat , wo zwar der Consul Cotta den Versuch
machte, den Tribunen einen Theil , wo nicht der verlorenen
Macht9 so doch der früheren Würde zurückzugeben, aber
grolsen und heftigen Widerstand fand. Ehen so vergeblich
waren die Bemühungen des Tribunen Quinctius im nächstfol-
genden Jahre; er ward durch die Drohungen des Consul Lu-
cullus zurückgeschreckt, und gleiche» Schicksal hatten die Be-
mühungen des Tribunen Licinius Macer 68t beim Ausbruch
des Mithridatiscben Krieges, so wie die heftigen Angriffe des
Lollius Palicanus 682, die nur durch das Versprechen des Pom«
pejus, bei seiner Rückkehr nach Rom die Gemütber zufrieden
zu stellen , von weiteren Folgen abgewendet werden konnten
— ein Versprechen , welches dann auch wirklich 684 Pompe*
, jus erfüllte.
Schwieriger ist die Untersuchung über das Recht der
Tribunen während jener Periode zufolge des von Sulla gege-
heuen Gesetzes, da das letztere nicht mehr auf uns gekommen
ist, indem die Werke des Sallustius wiedesLivius (Buch 89.)»
worin wahrscheinlich ausführlicher davon gehandelt wu rdef
untergegangen sind. Aus den einzelnen Nachrichten und Au«
deutungen, die sich erhalten haben, sucht der Verf. die Be-
standteile des Gesetzes auszumitteln und sonach das Wesen
desselben zu bestimmen, über welches sich allgemeine An-
deutungen der Alten vorfinden, wie z. B. des Vedlejus Pater«
culus: »Sulla imaginem sine re reliquerat" — eine Behauptung *
die im Wesentlichen durch die Untersuchungen des Verf. be-
stätiget wird. Zuvörderst das den Tribunen zustehende jus
cum populo ogendi9 welches ihnen durch Sulla entrissen ward«
Ferner 2) das jus intercedendu Es wurde beschränkt auf die
Entscheidungen der Magistrat« in gerichtlichen Sachen , also
auf ein blofses Appellationsrecht reducirt , während die Inter-
cession gegen Staatsbescblüsse und Gesetze gänzlich aufhörte.
3) "Das jus concionum, wobei sich freilich ein dreifaches Recht
unterscheiden läist, zuvörderst das allen Magistraten, insbe-
sondere aber den Tribunen zustehende Recht, das Volk durch
den Präco zu einer Versammlung berufen zu lassen, und an
dasselbe einen Vortrag zu halten über den Gegenstand oder
das wichtige Ereignifs, welches die JZusaramenherufung einer
solchen Versammlung veranlafst (jus concionem habendi). Die-
ses Vorrecht nahm ihnen Sulla allerdings, aber der Consul
Cotta | der das Gefährliche der dadurch veranlafsten unordent-
lichen Zusammenkünfte und Aufläufe einsah, verschaffte den
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620
De tribunicia potestate scrips. J. Rubino,
Tribunen wieder das Recht , von der Rostra herab Vorträge
und Reden an das ordentlicher Weise versammelte Volk zu
halten. Das weitere Recht — jus concionem dandi — stand den-
selben Magistraten zu , die das erstere Vorrecht batton, und
bestand in der B fugnils, einem Privaten zu verstatten, vor
dem Volke zu reden. Auch dieses Recht haben die Tribunen
mit dem ersteren verloren und wieder erhalten. Das dritte
den Tribunen allein zustehende Recht — jus in concionem produ»
cendi, wornach sie jedweden Magistrat oder Privaten vor ihre
Schranken rufen konnten , um vor dem versammelten Volke
Rede zu stehen | ein nicht sowohl in der Macht der Tribunen,
als vielmehr in der Majestät des Volkes begründetes Recht,
acheint nicht einmal während jener Periode in Abnahme ge-
kommen zu seyn. 4) Das Recht der Tribunen in Bezug auf
den Senat — senatorium tribunorum jus. Es hatten es die Tribu-
nen durch wiederholte Anstrengungen dahin gebracht , dafs
auf ihre Aufforderung der Consul den Senat zusammenberufen
mufste, ja dafs sie selber im Senat sich erklären durften, und
ihre Sitze neben denen der Consuln und Prätoren standen.
In wie weit nun Sulla die Tribunen im Besitz dieser Rechte
gelassen oder sie ihnen entrissen 9 darüber schweigen die Al-
ten gänzlich | kaum aber ist es glaublich , dafs Sulla, nachdem
er die übrigen Rechte des Tribunats so sehr geschmälert ,
diese Rechte ihnen belassen haben sollte. Wenn aber Andere ,
besonders Lipsius Electt. II, i3, behaupten wollen, dafs
durch das Sullanische Gesetz auch die fernere Wahl der Tri-
bunen aus den Senatoren sey bestimmt worden , so mufs nach
den Erörterungen unsers Verfassers diese Annahme als unbe-
gründet und unstatthaft erscheinen und den Absichten des Sulla
geradezu widersprechend.
Wir schliefsen unsere Anzeige mit dem Wunsche , dafs
der Verf, seine interessanten Forschungen fortsetzen möge.
Wir werden auf diese Weise zu einer sicheren , gründlichen
Kenntnifs des Römischen Tribunats gelangen, und dann nur
im Stande seyn, in das ganze Wesen und den inneren Gang
der Römischen Staatsverwaltung tiefere Blicke zu werfen.
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Volcker üW die Bedeutung ? ou und «ßwAov im Homer. 621
Ucber die Bedeutung von ¥üx>/ und EifouAov in der Rias nnd Odyssee ,
als Beitrag zu der Homer'ubhen Psychologie, von Dr. Carl
Heinrich Wilhelm V dicker.' Einladungsschrift etc. etc.
Gie/sen , in Comm. bei G. F. Heyer. 1825. 24 S. 4. 18 kr,
■ •
Einige (allerdings wesentliche) Theile Homerischer Psy-
chologie näher zu bestimmen, und die bisherigen keineswegs
befriedigenden Angaben darüber zu berichtigen oder zu er-
gänzen, giebt der Verf. bescheiden als Zweck dieser Blätter
an. Er hat dazu eine neue Auseinandersetzung des Begriffs
und der Bedeutung der Wörter ^u/»/ und sl'Bwkov in den Home-
rischen Gedichten gewählt, und damit einen höchst schätzba-
ren Beitrag zur Homerischen Psychologie geliefert, die über-
haupt, selbst ganz im Allgemeinen von Seiten der Entwicke-
lungsstufen menschlicher Erkenntnifs betrachtet, von unge-
meiner Wichtigkeit ist. Eine Menge Stellen des Homer werden
nun erst in ihrem wahren Sinn aufgefafst und gewürdigt wer-
den können. Dabei hat der Vf. seinen Gegenstand mit einer,
leider in unsern Tagen immer seltner werdenden Klarheit und
Gründlichkeit behandelt, welche uns wünschen läfst, von
dem Verf. in der Folge noch mit ahnlichen Gaben beschenkt
zu werden.
Es geht der Verf. hier vo# dem allerdings richtigen Satze
aus, dafs^u^'bei Homer nur den Ätbem und das JL eben,
nie aber, wie der Sprachgebrauch späterer Zeit solches be-
stimmte, Seele oder Geist, bedeutet, dafs ferner ,)$<>;, otJj-
So;, Kfa3i»j Sitze von Leibeskräften im Körper bezeichnen,
woran das Geistige sich anknüpft, die aber eben deswegen
nicht in den Hades wandern können, indem das Körperliche,
sichtbar- Materielle auf Erden zurückbleibt. Da nun Su/x0's,
vcJs, fjulvo; nicht örtlich sind, und im Tode den Leichnam ver-
lassen , jedoch ohne in den Hades zu gehen , also ihr Seyn mit
dem des Körpers aufhört, so ergiebt sich das Resultat, „dafs
nicht die Seele oder der Geist es sind, die nach
dem Glauben des Homerischen Zeitalters nacti
dem Tode fortdauern« (S. 5.). Es ist merkwürdig, dafs
bei Homer nirgends der Geist als etwas Selbstständiges, Ab-
•tractes , dem Körper Entgegengesetztes oder von ihm Unab-
hä ngiges vorkommt, dafs im Gegentheil der Gebrauch geisti-
ger Kräfte gänzlich vom Körper abhängt, und selbst der Glaube
an eine Fortdauer der S«ele an rein sinnliche Wahrnehmungen
noch geknüpft ist. Denn eben diese fy»^ in ihrer ursprüng-
lichen Bedeutung als Athen* und somit als Lebensprincip er-
icheint der sinnlichen Anschauung als Ursache alles Lebens
V
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622 V31cker über die Bedeutung von ty^y und «JfceAov im Homer.
und alles Sterbens; entweicht der Atbem, so bleiben die an-
dern Theile des Körpers tu rück , der Athem selber aber» wel-
cher entwichen ist, kann nirgends anderswobin entweichen als
in den Hades, und da er Grund des Lebens ist, wird er auch
dort fortdauern und fortleben. Dieses Fortleben der Psyche
wird bezeichnet mit dem Worte %\'bmXw$ welches mit \^ux>/ völ-
lig gleichbedeutend, oder vielmehr die Erklärung des letztern
ist. Auch Carus in seiner Geschichte der Psychologie S. 104.
hatte bereits diese Verbindung bemerkt. Ausgehend, wie
unser Verf. , vom Grundbegriffe des Wortes ^x>t «1* Atbem,
woraus die zweite Bedeutung von Leben, lebendiger,
reger Kraft hervorgeht, jedoch so, dafs dieses Leben schon
als ein inneres , am Körper durch dessen gelenksame Beweglich«
keit sichtbares erscheint, nimmt er als die nächste dritte Be-
deutung, wo dieses Innere noch mehr vom Körper sich isolirt,
«in Art von Analogon des Lebens, ein einst lebender Mensch,
ein Abbild eines lebendigen Individuums, ein durch de.i Tod
den Sinnen entnommenes Traumbild des Verstorbenen , ein ab-
geschiedenes Dunstbild. Darin, sagt Carus, sah man ein Ath-
mendes und Lebendiges zugleich, und verband es daher mit
dem Neutrum sfötuAov, einem oeweglichen Schattenwesen ; der
Athem bildet eben dieses sftcuAov, diese Traumgestalt der Tod-
ten, die sich zwar sehen, aber nicht greifen läist. Dafs hierin
schon der erste verfeinerte Substanzbegriff, oder wenigstens
ein Uebergang dazu erkennbar ist, wird sich nicht läugnen las-
sen. Doch wir kehren zu unserm Verf. zurück , der nun die
Beschaffenheit jenes Fortlebens der \|/u^ als «föuAov aus den drei
Grundbedeutungen der Wurzel dieses Wortes «!3cu, si&of*at ab-
leitet, nämlich 1) das Erscheinen, 2) das Scheinen, 3) das
Gleichen oder Aehnlichseyn. Es ist hiernach die y^vjtf Erschei-
nung, wie sie z. B. aus dem Hades heraufschwebt, oder im
Traume sich zeigt, aber es ist dies kein wirkliches Bild , son-
dern nur ein Schein- und Trugbild, o bschon dem Original in
Allem vollkommen gleich und ähnlich* Luftiger Art und Natur
ist ihr Wesen , sie verdampfet daher gleich Hauch und erhält
manche Epitheta, welche auf dies luftige Seyn dieses Wesens
sich bezieben. Ref. erinnert hiebei an ähnliche philosophische
Ansichten späterer Zeit, auf den Volksglauben — denn so er-
scheint der Homerische — gegründet; vgl. Plat. Phaed. p. 70
A. 80 D. und Wyttenbachs Erörterung zu Plutarch de S. N. V.
p. 80. und zu Plato's Fhäd. p. 1?4* Es haben daher auch diese
Wesen keine Besinnung, kein Bewufstseyn, bevor sie Blut
getrunken, indem an letzteres, als Hauptbedingung des Lebens
ntt dem Athem, der Begriff und die Möglichkeit die-
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Döderlein de voeabulo r*j\vyt>ro;> 623
•er geistigen Fähigkeiten , so wie aller geistigen Tätigkeit
^gefcriüpft ist. Daher auch die Theile des Körper«, worin
Athem und Blut ihren Sitz haben , <rr^Bo;% vjvoo und ^alifjt als
Sitze der geistigen Thätigkeit gedacht werden , wohin auch
ganz richtig der Ausdruck $p ftac bezogen wird. Uebrigens Iflfst
es sich auch aus dem oben bemerkten BegriiFe des Wortes rf-
Swkcv erklären, warum die Todten ganz die äufsere Form und
Gestalt des wirklichen Menschen in den Aides mitnehmen.
Denn das iftwAov im Aides ist immer Abbild des wahren Men-
schen , so wie er zur Zeit seines Sterbens war; selbst die
Seelenzustände sind mit ihm in den Aides übergegangen. Als
Grund dieser Ansicht erkennen auch wir mit dem Ver£ die
sinnliche Vorstellung, die eine Fortsetzung des Lebens nicht
anders denken kann, als eine Fortsetzung aller gegenwärtigen
.Zustände", und ein Leben ohne Raum nicht zu fassen vermag,
also auch die Unterwelt nur als ein Abbild der oberen Erde
betrachten kann. Zum Scblufs erklärt der Verf. noch die
Homerische Stelle Odyss. XI, 600. vom Herakles, dessen «i&u-
Xov — sein blofses Scheinbild — in der Unterwelt ist, wie
das aller andern Todten, während er selber, aurif — der
wahre, leibhaftige Herakles oben im OJympos unter den Göt-
tern wohnt.
Ref. benutzt diese Gelegenheit, um die Leser auf eine
andere Schrift aufmerksam zu machen , deren Inhalt sich gleich«
falls auf Homer bezieht:
. . .
Actus solemnes in Gymnasio \regio Erlangensi D. VII Septemb.
MDCCCXXV. rite habendos indicit L. Döderlein, antt. litt.
P. P. O. et Gymnasii rector. Inest Commentatio de vocabulo
"njAitysTOS. Erlangae, typis Jungeanis. 16 S. in gr. 4.
Der Verf. führt zuerst die acht Stellen auf, in welchen das
Wort TqXvysTos in verschiedenem Sinne bei Homer vorkommt,
läfst dann die Erklärungen der alten Grammatiker folgen,
und dann, da sie ungenügend erscheinen , seine eigene
Erklärungsart gegründet auf eine andere Ableitung dieses
Wortes. Die alten Grammatiker nämlich leiten das Wort
ab von r>jXs und yat» i. e. yiyvQjxai , und geben ihm die
Bedeutung: fern vom Vater oder vom Vaterlande
geboren. Da dies aber auf die Homerischen Stellen nicht
pafste, so bezogen sie das Wort nicht auf den Ort, sondern
auf die Zeit, also indem Sinn von o^i'yovo;» Da aber auch
dies nicht auf alle Stellen pafste, so ging man weiter, und
nahm das Wort ganz allgemein: senis patrisjilii quandocunque pro*
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Inhalt des dritten Heftes.
Seite
1) Schultlptyf', neue Jüdische Briefe oder Darstellun-
gen aus dem Leben Jesu. Von Paulus
2) TredgöLTs, Th., Grundsätze der Dampfheilung, a.
d. Engl, übers, von O. B. Kühn. Von Muncke. .
3) Sammlung Griechischer und Römischer Autoren bei
Teubner in Leipzig . . • • : * * *
4) Stein, K* , Chronologische! Handbuch der neuesten
Geschichte . . ä**J • *7 * * * * " *
5) Geschichte der Beichtväter von Kaisem , Königen nnd
:, { andern Fürsten. Au* dem Französ. des Bischofs Gre-
goire. Von Paulus • • • •
6) Gemeiner, C. TA., der Regensburgischen Chronik
dritter und vierter Band
7) Hüllmann, K. D., Städtewesen des Mittelalters .
8) Hassel , G.9 Genealogisch historisch statistischer Al-
manach. Dritter Jahrg. für 1826 •
9) Tölken , £. H. , Erklärung der Bildwerke am Tempel
des Jupiter Ammon zu Siwah. Von Rinckt • .
JO) Ellendt, F., M. Tullii Ciceronii de Claris Oratori-
bus Hb er , cjui dicitur Brutus . • • •
Ii) Degen, J. F., M. T. Ciceronis de offieüs libri tres.
J2) Schweighäuser, J. G. , Erklärung des neuaufgenom-
menen topographischen Plans der die Umgebungen det
Odilienbergs cinschliefsenden Heidenmauer . • .
13) Stier, R., christliche Gedichte« Von Paulus . .
14) Reinwald, J. G*, Kultur und Barbarei, oder An-
deutungen aus und zu der Geschichte der Menschheit
15) Barnemann, J. G. , Gelehrten- Almanaoh , oder Ga-
lerie der vorzüglichsten Gelehrten älterer und neuerer
Zeit. Von Paulus. .,.«••.•••
209
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225
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297
—2
—2
-3
305—
Intelligenzblatt No. HL
der Jahrgang 1821 mit 6 fi. 30kr. rhein. oder 3rtb. l8ggr. sächt»
die Jahrgänge 1822 bis 1Ö25, jeder eu 7 fl. 12 kr. rbein. oder
4 Ith. 6 ggr. tächt.
daf ErgSnisungsheft zu l fl. 30 kr. rhein. oder 22 ggr. «ficht.
Auf einzelne Hefte kann jedoch dieie Ermttisigung nicht
autgedehnt w«i'det^mw^l| i^w^r'-
Lehrbuch
Schul- und Selbstunterricht
|UATrnfcssor xap Ljceiiai xn Ra*tatt.V '-^£^«8HB
ZvwSrhcilc. 48 eingedruckte Bogen in 8. Mit 16 grofsen Ta-
^ 4 • \ fein Abbildungen in einem bf sondern Hefte^^f^^j«
fc -SF^*^ '^den^r., 3, Thlr, £ gGr. sä'ehs. 5. ij. a4 kr. rhein.
BBKr Von der frühesten Kindheit an empfangen wir die bedciitendsten und
«ugleich die angenehmsten Eindrücke aus den Erscheinungen der Natur.
Auf dem Anne der Mutter reicht das aufkeimende Kind nach Blumen,
nach deu Hausthierent äufsert leine Freude über vorbeigehende Pferde,
Hunde etc., und, weiter herangewachsen , können besonders dem Knaben
Messen und andere Ausstellungen nichts Interessanteres bieten, als die Buden
mit fremden Thieren und Vögeln , oder die Kasten mit Meermuschcln und
Mineralien. Keine Erzählung fesselt die Kleinen mehr, als, wo die Perso-
nen aus dem Thierreich gewählt sind , und ihre Abbildungen werden sicher
iu Bilderbüchern am ersten aufgesucht und am längsten besehatt^^^V^^^
BKaMPiibest reit bar seigt also dieser Trieb , dafs im Sehofse der Natur die
erste und wichtigst* Quelle für die Ausbildung des Menschen liegt, und dafs
ihre Keuntnifs und Erforschung der unerschöpflichste Gegenstand seines Stre-
ben» bleibt. Je mehr er mit derselben sich vertraut gemacht , um so sicherer
ergreift und erlangt er auch die Erfordernisse des Lebens, um soreiner be-
wahrt er seine Gefühle, um so weniger weicht er von seiner bürgerlichen
und sittlichen Bestimmung ab. Warum sollte es also nicht eine dringende
Augelegen heitseyn, bei der Erziehung der Jugend und bei der eigenen Aus-
bildung zunächst sich di.- besten Mittel anzueignen, welche zur richtigen und
gründlichen Kenntnifs der Natur, ihrer Elemente und verschiedenen Erschei-
,iuingen führen können, und wie wichtig ist es, ßei deu grofsen Fortschritten
l3er Naturwissenschaften das Neueste zu wählen , was bewährte Männer uns
Helen. Der Herr Verfasser dieses Buches hat sich als soleher schon vollstän-
ig beurkundet durch seine Leh rb ü ch e r der Na turl ehre und der Ge-
• rbskunde, welche von der Kritik und in der Anwendung bei LemV*
i, Erziehungsanstalten die ungetheilteste Anerkennung gefunden haben,
und wir glauben daher um so zuversichtlicher zu leiner vorzugsweisen An-
^^afFung ermuntern zu dürfen , da bei seiner bedeutenden Ausdehnung mit
.dem sparsamsten Druck, bei den meisterhaft gezeichneten und ausgeführten
Abbildungen auch der wohlfeile Preis eine seiner vorzüglicheren Eigenschaf-
ten ist^?=*Tt^M^er crsl* Theil von 25 Bogen und die Abbildungen sind
bereits fertig ; und der zweite Theil wird nach seiner baldigen Vollen«
duu£ ohne wettere Vergütung nach gel iefffjjjjk*^^
August Osswald's Buchhandlung in Heidelberg und Speyer.
Inhalt des fünften Heftes.
jj Gagern , H. C Freih, v, » Nationalgcichichte der Dent-
leben. Zweiter Theil. , • > . . . . . .417
—
2) Cramer, A. G.9 in D. JudÜ Juvenalis SatiraJ Com*
tnentarü vetusti . 43
3) Lünemann » Q. H.f Bibliothcca Romaoa Clanioa. . 44
4) RosenmUlter » E. F. C. , Analecta arabica-
5) Handbuch der biblischen Altertbtunsknnde / £
6) ■— — Erechielis ei Jeremiae Vaticinia
*
0« 44*
7) — — - Biblisch ■» exegetisches Repertorjum . «
8) — — Commeotationes theologicae ,
9) Böhmer , Bemerkungen über die Bjpsi3Uricr, Von
Ullmann* . . . . . . . ~ . . . . ; 46t
10) Zelly C.f Ferieoschriften . , • . # .v
'■ r ' — ■ — •>> >-k.^l-''r?>, i • — ■ ~ ■ •
11) — Legum XII tabularum Fragmenta ♦ . .
463—
12) Struve t F. G, W* y Beschreibung des auf d. Sternwarte
tu Dorpat befindl. grofsen Refractors. Von Muncke, 465
1 3) Rudhart | J. | über den Zustand des Königreichs Baiera. -
Von K. H. Hau. . 474
14) pankowszkfi O. , Fragmente zur Geschichte der Völ-
ker ungariieher und slawischer Zunge 433
15) Sickler, F» C. JL. t politisch - historischer Schulatlas
der alten Geographie . « «»»499
16) Schönievtner 9 M>, Jahrbucher der Landwirtbtehaft
io Baiecq 51Q«
InteUigensblatt Ho, V.
t Jahrgang 1821 mit 6 fl. 30 kr. rhein. oder 3 rtb. l6 ggr. aächs.
fcjahr£aiipe 1Ö22 bii 1825, jeder zu 7 fl. 12 kr. rbein. oder
D 4 rth. 6 ggr. süchs.
Ii Ergänzungsheft ^^P*ä^^rheil,• odeI 22 ößr- sUchs'
f • Auf einzelne Helte kafi|faoch.'^^ nicht
fl£«debnt werden.
Pliamiaceuten, Acrzte und Droguisten.
Die zweite Auflage von
bctr ef feutL
I Kaum isLein Jahr abgelaufen, seit die erste Auflage dieses unvergleich-
*n Handbuches ins Publicum gekommen; noch hat der fleifsige und ge-
isenhafle Herr Verfasser nicht die Zeit finden können, den im. Ent.
rfe fertigen zweiten Theil völlig zu vollenden, und schon sind die
emplare des ersten Theila ganzlich vergriffen, und eine neue^ Auflage
,zend nöthig, um die vielseitigen Anfragen zu befriedigen. Ware nicht
allen Seiten Anerkennung und Empfehlung dem Werke, sozusagen,
irauseeeanzen, so würde dieser beispiellos rasche Erfolg schon die trii-
jg,te Empfehlung seyn, und er bestätigt auf jeden Fall am gründlichsten
Ue die günstigen Voraussetzungen.
Um dieselben nun auch von unserer Seite zu fdrdern und die resp. In-
press*nten möglichst zu erleichtern, wurde für die bereits begon-
tene neue Auflag des ersten Theils saramt dem damit
;le ichlaufenden zweiten Theil eine Pränumeration bis
u Pfingsten 1826 dergestalt eröffnet, dafs wer bis zu diesem Ter-
aiu ZwölfGulden rhein. oder 6 Thlr. 48 egT. säclis. für das Exexn-
llar bezahlt hat , dafür die beiden Theile nach der Vollendung ohne wei-
ere Zurechnung erhSU. " üeberdies wurde für die Sammler auf l2 Exem-
•lare Ein Freiexemplar, auf 6 Exemplare die Hälfte des Prei-
'« s auf 3 Exemplare der vierte Tlreil desselben als Vergütung aus-
setzt. — Der nach diesem Termine eintjjjpp n de La d en prei s
rird wenigstens auf 16 bis 18. fl. rheinisch oder 9 bis 10 Thaler sach-
iscli kommen, ffij Stfw^*'-
Heidelberg im Junius 1324&4
August O 9s wal d' s
Universitäts-Buch handlang.
Inhalt des sechsten Heftes.
1) WeUker, F. d.. Aber eine Kretitehe Kolonie in TLei ^.
ben, die Göttin Europa und Kidmos den König . . 513
2) Schulart, J.II.Ch., de Hjperboreia Comment. inaug. 54p — &
3) Gaupp, E.Th.j da» alte Magdebürgische und Halli«
ache Recht. Von JVlitiermaier 545— 5
4) Verxeichnifs einer philologischen Handbibliothek » . 55t— 51
6) HeyJf L. F. f etymologische Versuche für Altcrthams»
Wissenschaft und Sprachkundc
• • • «
6) Luden, H.» Geschichte des teotschen Volkes . . . 564— .5^
7) Schulze, F. G«, über die Wirtschaft«* oder Came-
ra! Wissenschaften. Von JE. //. Hau , , . . . 578 ,51
8) Härter , J. , der rhcinländische Weinbau .... 58l — 5t
9) VcrTniglioliy G.B*9 Saggio di Congetture- mlla grau Je
Iscriiione Etrusca ........... 534 5j
10) Ausonicli , TA. y Opuscules Arehöographiques . . . 589 — 59
11) Xenophons Nachrichten über Socrates Leben und Tha*
ten, übersetzt von J. C. J47> Froböso . . 597
12) üu//mo«rt, G. C. fV. , Wiesbaden u. seine Heilquellen 600—/
13) Hofio, //. G. , Don Ramiro , Tjauersp. in 3 Aufzogen 607—1
14) Schmidt Th., des Q, Horath» Flaocus erste Epistel . 612—61
15) Soldan , A. F., de origine» causit et primo trihu»
norum plebis numero • • # • . * * . «
~ ! i UiU'
16) Bt<oi/»o> J0 Comm. inaug. de Tribnnicia potestaie ,
17) V dicker, C . H. t über die Bedeutung von fo^ty und
iISmAoT in der Ilias und Odjrtsec . . . . t 621-
Intelligeniblatt No. VI.
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