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Full text of "Heidelberger Jahrbücher der Literatur"

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HEIDELBERGER 


J  AHRBÜCHER 


d  c 


Literatu 1 


unter  der  Redaclion  der  Professoren 


G.  Kirch  cnr.  H.  E.  G.  Pjtrzus. 
G.  Kirchenr.  F.lf.C.  Scnn'ARZ. 
G.  Rath  C.  S.  ZtJtCBAhJÄ. 
Professor  G.  F.  ITalch. 
(i.  Hofrath  F.  Tiedemaxx. 


G.  Hofrath  F.  Creuzer. 
Hofrath  JPriLu.  Muncke. 
G.  Hofrath  F.  C.  Schlosser. 
G.  R.  Ritter  K.  C.  r.  Leonhard. 


Professor  Fr.  A.  L\  Puciielt.  (  Hofrath  C.  H.  Rau. 


NEUNZEHNTER  JAHRGANG 

oder 

Neue  Folge. 

SECHSTER  JAHRGANG. 


ERSTES  HEFT. 


JANUAR. 


HEIDELBERG, 

▼on  Al'ccst   Osswald's  VJnivcrsitüts  -  Buchhandlung. 

1   8  2  6. 


Heidelberger  Jahrbücher 

der  Literatur 
erscheinen  mit  4826  im  neunzehnten  Jahrgang,  wie  bisher  unter 
der  Redaktion  der  Professoren  H.  E.  G.  Patjlus,  groftherzogl.  badischem 
Geheim.  Kirchenrathe ,  Fr.  H.  Chr.  Schwarz,  grofsherzogl.  badischent 
Geheim.  Kirchenrath ,  K.  S.  ZACHARIA,  grofsherzogl.  bad.  Geheimen 
Rath,  G.  Fr.  Walch,  Fr.  Tiedemanw,  grofsh.  bad.  Geh.  Hofrath, 
Fr.  A.  B.  Puchelt  ,  Fr.  Creuzeh,  grofsherzogl.  bad.  Geh.  Hofrath, 
W.  Müncke,  grofsherzogl.  bad.  Hofrath,  F.  C.  Schlosser,  grofsherz. 
bad.  Geh.  Hofrath,  Geheimen  Rath  Ritter  Carl  Cäsar  v.  Leonhard, 
C.  H.  Hau  ,  grofsherzogl.  bad.  Hofrath ,  nach  unverändertem  Plane, 
wöchentlich  zu  anderthalb  Bogen  oder  in  zwölf  Heften  zu  6  und  7  Bogen. 

Der  Preis  für  den  Jahrgang  ist  nach  der  seit  1821  eingetretenen 
Erweiterung  in  Druck  und  Format 

12  fl.  56  kr.  rhein.  oder  7  Rthlr.  12  ggr.  Sachs. 

Vorausbezahlung,  so  dafs  das  Journal  noch  immer  das  wohlfeil- 
ste bleibt,  während  über  seinen  Gehalt  die  Stimmen  täglich  sich  meh- 
ren. Die  aufmunternde  Theilnahme  des  Publikums  und  der  wachsende 
Zutlufs  schätzbarer  Beiträge  haben  eine  strenge  Auswahl  des  Vorzügli- 
chen möglich  gemacht,  wie  der  Inhalt  eines  jeden  Heftes  an  den  Tag 
gibt,  von  welchem  wir  aus  der  neueren  Zeit  nur  die  Beiträge  von  Pau- 
lus und  SCHWARZ  über  theologische  Literatur,  die  Kritiken  über  den 
Fonk'scheu  Prozefs  von  Zacharias  und  Mitteumaier  ,  und  über  deo 
Hannoverschen  Gesetzes  -  Entwurf  von  Mi  r  termater  ,  eine  Recensioa 
über  Cajus  von  Schräder  ,  über  die  Gothaische  Erbfolge  von  Zacha- 
rias, über  Statistik  und  Kameralwissenschaften  von  Rah,  über  Natur- 
kunde, theoretische  und  praktische  Heilkunde  von  Ttedejhann  ,  LEON- 
HARD, Conradi  ,  Nägele,  Muncke,  Gmeltn,  über  Philologie  die 
schätzbaren  Bekanntmachungen  aus  der  italienischen,  französischen  und 
englischen  Literatur ,  eine  Kritik  über  Cicero  de  republica  von  Creuzer, 
Beiträge  aus  der  persischen  Literatur  von  HAMMER ,  eine  ausführliche 
Kritik  des  gefeierten  Walter  Scott ,  Görres  über  das  Boissere'sche  Dom- 
werk zuCölu,  SCHLOSSER  über  Dante  u.dgl.  zu  erwähuen  brauchen,  um 
zugleich  den  Vorzug  unseres  Instituts  zu  beurkunden,  dafs  die  bemer- 
kenswertheu Erscheinungen  iu  der  Literatnr  durch  dasselbe  so  zeitig  und 
gründlich  wie  möglich  berücksichtigt  werden,  und  das  Publicum  also 
mit  Vertrauen  auf  die  wünschenswerthe  Vollständigkeit  zählen  kann. 
Um  dieselbe  noch  zu  erhöhen,  wird 

das  Intelligenzblatt  auch  künftig  Chronik  aller  gelehrten 
Anstalten,    also   Erweiterungen,  Beförderungen, 
Ehrenbezeugungen,  Tode  snach  richten  etc.  gern  un- 
entgeldlich  aufnehmen  ,  und  nur  volh'ämlige  Leetions- Verzeichnisse 
der  Berechnung  unterwerfen,  welche  für  Antikritiken,  Anzei- 
gen des  Buch  -  und  Kunst  iiandels  festgesetzt  ist. 
Wir  bitten  nun  die  Bestellungen  durch  Buchhandlungen  oder  Post- 
ämter möglichst  zu  beschleunigen  ,  da  schnelle  und  regelmäfsige  Ve 
iendung  auch  ferner  unser  Augenmerk  sejn  wird. 

Die  ersten  f  ü  n  f  J  a  h  r  g  ä*  n  g  e  der  neuen  Folge, 
von  1821  bis  1825,  nebst  dem  Ergilnzimgshefte,  welche  nach 
dem  Ladenpreise  63  fl.  43  kr.  rhein.  oder  38  rth.  4  ggr.  sächs. 
kosten  ,  werden  hiermit  zur  Erleichterung  für  neu  eintretende 
Interessenten  für  den  Lauf  des  Jahres  1826  auf  30  fl. 
rhein.  oder  18  rth.  sächs.  herabgesetzt,  soferne  sie  zusammen 
genommen  werden.  Für  einzelne  Jahrgänge  ermÜfsigt  sich 
der  Preis  folgendermaßen : 


N.  1.  1826. 

i 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 

V 


|«    Erläuterung  ttbr  judischen    Gr  schichte   bis  Zmr  Zerstö- 
rung Jerusalems  durch  die  Römer*      In  kurzen  Sätzen  für  Studi- 
Yend*  und  denkende  Leser.       Tübingen,    bei  Oslander*  1825. 
'     *H  3.  in  8*  1  fl.  12  kr. 

2*  Erklärung  schwererer  Stelle*  in  den  WeisSagun* 
gen  des  Jeremias.  Vom  Prälaten  und  General* 
Superintendenten  Dr.  J.  Fr*  Gaab.  Tübingen^  1824. 
428  S*  in  Ö.  54  kr. 

3«     Jeremias   Vatts  A  virslone  J  u  d  a  e  o  r  u  m  ,  Alexandri- 
ner u  m  ac  reliquorum  I  n  t  erpre  t  um  G  raecorum  emen~ 
datus  riotisqtie  criticis  illustratus  a  Nl.  Gottl.  Leber.  Spohn  , 
r.     Prof.  Theol,  designi  in  Acad.  fViteberg,    Vol.  iL    post  obitum 
Patris  edidit  Fr»  Aug.  Guil.  Spohn,  Litt,  graee,  et  lat.  Prof. 
.  ,     P.  O.  in  Acad*  LipS.     Leipzig ,    bei   Barth.    1824.      480  S. 
ih  8*  '  1  Thlr.  20  Gr. 

.  .  l?cr  Verf.  von  No»  2.  bleibt  seiner  guten  Weise  getretl* 
nur  eigenes  oder  auserlesenes  und  berichtigtes  als  Früchte 
seines  gelehrten  Nachdenkens  kurz  und  klar  Vorzulegen.  — 
Möge  Würteniberg  immer  das  Glück  haben ,  dafs  seine  Pr.1- 
laten  und  Studien räthe  sd  viele  ächtgelehrte  Kenntnisse,  wie 
Griesinger,  Süfskind,  Flatt ,  Gaab  u.  s.  w,j  mit  den  prakti- 
schen Aufgaben  ihrCr  wichtigen  Aemter  vereinigen,  uiid  da- 
durch solche  Vormänner  der  Geistlichkeit  werden  ,  die  in  dop- 
pelter Beziehung  Nacheiferung  erwecken  und  ihren  Amts- 
ürtheilen Achtung  verschaffen. 

Auch  den  ungenannten  Verf.  Vött  No.  i.  bewahren  offen- 
bar die  darin  sichtbaren  trefflichen  Vorkenntnisse  und  der  hi- 
storisch -  kritische  Scharfsinn  vor  den  (oft  noch  wirksamen) 
Vorurtheilen  ^  nach  denen  einst  die  sogenannte  Orthodoxie 
aller  mit  der  Theologie  verwandten  Geschichte  mit  Aengstlich- 
keit  alle  ersinnliche  Unhistorische  Wendungen  au  geben 
pflegte,  eben  so  sehr,  als  vor  übereiltem  Verwerfen  oder  Ab- 
sprechen gegen  geschichtlich  überliefertes.  Fast  kein  Paragraph 

XtXi  Jahrg,    i.  He(u  i 


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2 


Zur  jüdischen  Geschichte  und  zu  Jeremias. 


der  Erläuterungen  über  die  jüdische,  noch  immer  *ehr  ver- 
dunkelte, wenigstens  nicht  psychologisch,  und  pragmatisch, 
gleicji  andern  Volksgeschichten,  beaibeitefce  Geschichte  ist 
ohne-eigenthümliche  Andeutungen  oder  Ansichten.  Auch  zeu- 
gen manche  Parallelen  und  Seitenblicke  dafür,  dafs  der  Verf. 
sich  nicht  auf  blofse  theologica  einschränkt.  .  « 

S.  6.  berührt  die  Meinung,    dafs  vor   der   uns   b  e  - 
katrn'ten  Zeit  ein  ziemlich  hoher  Grad  von  Cultur  gewesen 
sey.  •  Ree.  versteht  dies  so:  Alle  iiiteste  Geschichte  macht  sich 
zwei  Erdepochen.    Vor  einer  groisen  VVasser- Revolution  auf 
unserm  Tellus -  Planeten  war,   nach  aller  Völker  Ursage  und 
nach  natürlicher  Wahrscheinlichkeit,    «-in  ausgebildeter  Zu- 
stand von  Gesellschaltlicbkeit ,  von  Künsten  u.  s.  w.  Jene 
tellurische  Urbevölkerung  aber  hängt  mit  dem  Anfang  der 
jetzigen  nur  durch  die  allenfalls  Uebriggebliebenen  Zusammen. 
Man  mufs  sich  demnach  fragen:  Was  kann  aus  der  Zerstörung 
dieses  Urgeschlechts  herüber  gekommen  seyn  ?     Die  Weni- 
gen geretteten  ,    wie  viel  mögen  sie  se!bst  gerade  gewufst 
haben  ?     Und  wie  konnten  sie  au  ch  nur  dieses  fortpflanzen, 
während  sie  und  ihre  Kinder  erst  wieder   der  umgekehrten. 
Natur  die  nothdüi ftige  Subsistenz  abkämpfen  mufsten  .  Ueber 
die  sogenannte  Sündfluth  hinauf  setzen  die  Sagen  und  viele 
Pse-ndepigrapha  allerlei  Weisheit,  aber  solche,  wie  sie  offen- 
bar erst  diesseits  gedacht  wurde.     Zunächst  nach  der  Fluth 
wollen  uns  nicht  einmal  die  Sagen  bereden,  grofse  Cultur  zu 
denken.     Nur  einige  Anfserordentliche  weiden  mit  Namen 
genannt,  welche  die  übrigen  rohen  und  wilden  zu  Künsten, 
die  Götter  zu  gewinnen,  orphisch  beredet  haben  sollen.  So- 
gar das  Feuermachen  wird  als  verloren  erst  wieder  hergestellt. 
Selbst  die  biblische  Tradition  nimmt  an>  die  Uebriggebliebenen, 
die  wieder  zur  „Ruhe**  (das  heifst  J-^J  )  gelangten  seyen  der 

Wirkungen  des  Weins  unkundig  gewesen:  1  Mos.  9,  20. 
Mögen  also  die  „Antediluviani«  noch  so  hoch  cultivirt  ge- 
wesen seyn.  Die  Cisdiluviani  erscheinen  in  allen  Ursagen 
unserer  jetzigen  tellurischen  Epoche  als  solche,  die  wieder 
von  vornen,  quam  parvis  ab  initiis,  anfangen  mufsten.  Und, 
hätten  sie  anfangs  bedeutend  mehr  gehabt,  welches  Wunder- 
werk hätte  es  ihnen  entreissen  und  zu  einem  Reservat  der 
Priester  und  Geheimlebren  machen  können  ?  Wo  Monotheis- 
mus einmal  Folge  der  allgemeinen  Cultur  und  Volksüberzeu-' 
gung  gewesen"  ist,  nicht  etwa  ,  wie  in  der  Mosaischen  Ein- 
richtung ,  blos  politisch  und  priesterlich  aufgenöthigt  wurde, 
wie  könnte  da  wieder  der  Irrwahn  von  Vielgötterei  entstehen? 


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Zur  judischen  Geschichte  und  zu  Jeremias.  3 

Man  muthmafst  Ueberlieferung  aus  früherer,  höherer  Cultur, 
um  den  Monotheismus  Ahrahams  zu  erklären.  Warum  soll 
es  aber  nicht  wahr  seyn,  wenn  die  hebräische  Tradition  selbst 
ihn  als  Polytheismen  geboren  seyn  lafst;  was  seine  Verehrer 
gewifs  nicht  zu  ersinnen  liebten.  Sollte  es  denn  einem  Mann 
von  Abrahams  höherem  Charakter  anders  möglich  gewesen 
seyn,  als  sich,  nicht  an  einen  der  geringeren  Götter  ,  sondern 
an  den  höchsten ,  gerechten ,  seiner  wihdigen,  anschliefsen  zu 
wollen?  Und  sollte  Ahraham  dies  nur  von  einem  andern  em- 
pfangen haben,  so  würde  die  Frage  ja  doch  nicht  gelöst,  son- 
dern blos  weiter  hinaus  gerückt.  Der,  von  welchem  her  er 
es  empfieng,  woher  hatte  es  dieser,  wenn  nicht  endlich  doch 
aus  den  unverlierbaren  Grundanlagen,der  menschlichen  Natur* 
aus  dem  Fragen  nach  Ursache,  und  aus  der  Achtung  vor  WiU 
lensvollkommenheit  oder  vor  allem  dem  Guten,  wovon  man 
erkennt,  dafs  es,  der  Geist  nicht  durch  Naturnotwendigkeit, 
sondern  durch  Selbstwollen  hervorbringe?  Auch  ist  Abra- 
hams Eljon  doch  noch  nicht  (s.  l  M.  18,  21  —  Ende.  22,  2.) 
ein  solcher,  wie  ihn  eine  höhere  Cultur  gedacht  und  geglaubt 
würde. 


Abram  wird,  im  Gegensatz  gegen  die  gewöhnliche  Deu- 
tung:  hoher  Vater  — .  S.  14.  übersetzt:    Vater,  der 
sich  erheben  wird.     Aber  würde  alsdann  nicht  die  Form 
1»\         *u  ervearten  Seyn?  Stammt  nicht  etwa  Abram,  weil 

in  den  Cbmpositis  von         nicht  mehr  sondern  2u 

stehen  pflegt,  eher  von  "Qfc$  mit  dem  der  Verstärkung, 
wie  in  r— l^M ?    Alsdann  möchte  Abraham  aus         und  «p£jn 

oder      ^  Menge,  zusammengesetzt  seyn.  —  Bei  i*  M.  14 f 

15.  wird  berichtigt:  Jelide  Beitho  Seyen  nicht  Sclaven, 
sondern  Abkömmlinge  der  Horde,  die  also  stark  war. 

Die  für  Abrahams  Charakter  günstige  Vermuthung  S.  l7f 
dafs  er  die  Hagar  mit  einem  Theil  seines  Viehes  und  mit 
Knechten  ausgestattet  habe,  scheint  mit  l  Mos.  21,  14*  wo 
ihr  selbst  Brod  und  Wasser  auf  die  Schulter  gelegt 
wird  ,  nicht  so  zu  stimmen,  dafs  man  annehmen  könnte,  der 
alte  Erzähler  selbst  habe  sich  jene  billige  Milde  gedacht.  Ue- 
brigens  mag  freilich  zwischen  dem,  was  ursprünglich  gesche- 
hen war,  und  dem,  was  nach  so  langer  Zeit  durch  die  freiere 
Einkleidung,  der  Sagen  in  die  Sammlung  der  Genesis  kam,  oft 
ein  bedeutender  Unterschied  seyn,  da  die  vier  ersten  Bücher 
Mose  wenigstens  nicht  vor  Jerobeam  im  Umlauf  gewesen 
•eyn  können,  weil  sonst  Jerobeams  Verstofsung  des  Leviten» 

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Zur  jBdiachen  Geschichte  und  zu  Jeremias. 


Stamms  und  das  Symbol  von  Stieren,  statt  des  Jebovah  (dies« 
so  grellen,  fflr  einen  neuen  Usurpator  allzu  gewagten  Gegen- 
sätze gegen  das  ,  was  die  jetzige  Thorab  so  stark  ausspricht!  ) 
schwerlich  ausführbar  gewesen  wären. 

Jakob  S.  21.  wab  rbaft  grofs  in  seinem  Vertrauen  auf 
Gott  zu  nennen,  ist  viel  gesagt.  Ein  so  furchtsamer,  trüg* 
licher  Charakter,  seiner  Weiber  and  Kinder  Spiel,  kann  kei- 
nen grolsen  Gott  gedacht  haben,  oder  in  Gott  grofs  ge» 
Wesen  seyn,  wie  Abraham. 

Das  Wort  fraitt  kann  (S.  36.)  allerdings  nicht  extractut 

bedeuten  ;  aber  eher  extrahens,  Aurfwnj;  rou  Aaou  nach  Stephanus. 
Act.  7»  36.  —  Der  Name  Osarsiph  bei  Manetho  (S.  37.) 
erinnert  an  und  vielleicht  an  das  arab.  Mn  Schwert» 

EtwaTElötter  durch  Schwert.  2  M.  12,  23»  29. 

Goschen  scheint  der  Vf.  sich  innerhalb  Aegyptens  au 
denken.  So  weit  der  Nil  jährlich  Monate  lang  überschwemmt, 
konnte  schwerlich  einHeerdenvolk  wohnen.  Deswegen  denkt 
Ree.  bei  I  M.  46,  28.  34»  wo  den  Einwanderern  offenbar  eine 
abgesonderte  Gegend  angewiesen  wird ,  an  die  Gegend  um 
den  Berg  Casius«  Die  Worte  Vs.  34.  versteht  er  so,  dafs 
(nicht  die  Aegypter,  sondern)  das  Aegyptenland  einen  Ab- 
scheu gegen  umherziehende  Heerden  beweise  ,  dafs  es  nämlich 
nach  seiner  Natur  sie  nicht  zulasse.  Nur  wer  in  der  Folge- 
zeit Scla^en  arbeit  an  Fharao's  Bauten  leisten  sollte,  mufste 
dann  dortmn  sich  hineintreiben  lassen.  Nur  diese  600,000 
männliche  Arbeiter ,  welche  wohl  etwas  von  Weibern,  Kin- 
dern, Knechten  und  Vieh,  aber  nach  j  M.  46»  34*  njeht  die 
eigentlichen  Heerden  bei  sich  haben  konnten,  machten  den 
Zug  aus  dem  Innern  des  Landes  und  durch  die  Meerenge  : 
2  Mos.  12,37.  Auch  andere  Schwierigkeiten  möchten  sich 
dann  um  so  eher  lösen  lassen,  z.B.  das,  was  S. 45*  wegen  der 
Zeit  einer  einzigen  Ebbe  scharfsichtig  bemerkt  ist. 

Der  Schauplatz,  wo  Joseph  Vezir  wurde,,  scheint  S,  36. 
dem  Vf.  zweifelhaft.  Dafs  er  eine  Tochter  des  Oberpriesters 
von  On  (Heliopolis)  heirathete,  scheint  auf  Unterägypten 
zu  deuten.  Auch  die  Mosaischen  Wunder  ,  bei  denen  S.  40. 
mit  Recht  auf  Eichhorn  Co  mm.  de  anno  mirabili  jiegypti  hin- 
weist, setzen  eine  durch  mehrere  Nilkanäle  durchschnittene 
Landesgegend  voraus. 

S.  43.  sagt:  Es  beliebte  ihm,  dem  Mose,  am  arabi- 
schen Meerbusen  Überzusetzen.  Vielmehr  hatten  nach  2  M. 
14,  9.  die  verfolgenden  Aegyptier  sich  am  Anfang  des  Kanals 
*E""^  gesetzt,  also  den  Auswanderern  den  Marsch  au  Land 


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'     Zur  jüdischen  Geschichte  und  tu  Jeremias.  5 

• 

um  die  Chirat  herum  abgeschnitten,  Mose  hätte  demnach  ent. 
weder  nach  Mizraim  zurückgehen  müssen,  oder  die  Furth 
mufste  so  benutzt  werden,  wie  sie  (s.  des  Ree.  exegetisches 
Conservatorium  2.  St.  S.  88.  und  die  Sammlung  raerkw.  Rei- 
sen in  den  Orient  I.  Th  S.  234.  V.  Th.  S.  371  —  400.)  oft 
benutzt  wird.  Nur  von  Jesuitischen  Ignorantinern ,  wenn  sie 
neuerdings  auf  Gymnasialunterricht  Eintlufs  erhalten  ,  kann  man 
sich  nicht  wundern,  neuerlich  zu  hören,dafs  sie  dergleichen  histo- 
rische Erklärungen,  welche  schon  längst  (1775)  J.  D.  Michae- 
lis bei  dem  II.  Th.  seiner  Uebersetzung  des  A.  Ts.  in  An- 
merkungen f  ür  .  Ung  eleh  rte  unleugbar  gemacht  hat, 
jgnoriren,  verheimlichen  und  verketzern  wollen.  Die  histo- 
rische Bibelerklärung  weicht  dadurch  nicht  ab  von  der  Bibel, 
nur  kenntnisschwache  Bihelerklärer  werden  dadurch  berich- 
tigt, die  biblische  Geschichte  aber  als  desto  glaublicher 
gezeigt. 

S.  54-  spricht  mit  grofsem  Hecht  von  der  Vortrefflichkeit 
vieler  unter  den  Mosaischen  Gesetzen,  Schade,  dafs  der  Vf. 
nach  seinem  pragmatischen  Geiste  sich  nicht  auf  mehrere  Pro- 
ben davon  und  auf  das  Plan  müßige  des  Gesetzgebers  eingelassen 
hat.  Mose  hatte  nur  Ein  Unglück,  dafs  —  allzu  lange  kein 
Mann  seiner  Art,  ungeachtet  er  nach  5  M.  18,  15.  so  sehnlich 
das  Bedürfnifs  eines  solchen  gefühlt  hatte ,  nach  ihm  folgte. 
Man  sieht,  wenn  man  in  der  Menschengeschichte  sehen  lernt, 
dafs  die  Vorsehung  oder  die  Weltordnung  der  Gottheit  nicht 
die  Menschen  wie  im  Treibhaus,  nicht  durch  aufgenöthigt« 
Mittheilungen,  erziehen  will.  Immer  ragt  nach  langen  Zeit- 
räumen ein  Geist,  für  diese  oder  jene  Gattung  menschlicher 
Angelegenheiten,  hervor,  als  Leuchte  für  Viele,  Alsdann  fol- 
gen wieder  lange  Zeitfristen,  in  denen  sich  dem  Eminenten 
nachzubilden  der  übrigen  Menge  überlassen  wird.  Ein 
Vorbild  ist  vorgehalten,  ein  Ziel  vorgesteckt;  in  jedem  wäre 
eine  gewisse  Kraft,  sich  dahin  zu  richten.  Wer  aber  meint, 
dem  Einzelnen  werde  denn  doch  gleichsam  supplirt ,  was  er 
selbst  zu  erreichen  sich  nicht  nach  Vermögen  anstrengt  ,  der 
bat  die  Geschichte  der  Menschen  weder  im  Grofsen  noch  Klei- 
nen beobachtet. 

Josua's  Heldenthaten  waren  so  mäfsig,  dafs,  die  zahl- 
reicheren zwei  Stämme  Judar  und  Ephraim  und  die  Peräer  ab. 
gerechnet,  die  S.  70.  berührteLandestheilung  am  Ende  (K.  18.) 
meist  nur  Anweisung  in  spe,  Bezeichnung  und  Umrifs  auf 
einer  Art  von  Landescharte  (vergl.  das  Schreiben  2  M.  34  t  !•) 
War  ,  während  überall  viele  der  alten  Besitzer  als  Feinde  blie- 
ben.   Wir  sagen ;  Landescharte,    Denn  buchartiges  Schreiben 

» 

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I  ' 


6  Zur  jüdischen  Geschichte  und  tu  Jeremias. 

etwa  1500  Jahre  vor  Chr.  setzt  die  althebräische  Tradition  2M. 
24,  7.  voraus.  Und  aus  welchen  Gründen  sollte  man  diese 
bierin  bezweifeln  ?  Wolfs  Prolegomena,  die  unvollendeten, 
welche  die  Hauptargumente  erst  noch  folgen  lassen  zu  wollen 
zusagten,  geben  dazu  bei  weitem  nicht  das  hinreichende. 

Der  erste  bekannt  gebliebene  Kopf  nach  Mose  ist  Sa*muel. 
Auch  der  Vf.  aber  S.  97.  erkennt  in  ihm ,  mit  dem  freimüthi- 

§en  v.  Rotteck,  „ein  trauriges  Vorspiel  jener  Kämpfe  des 
Jerus  mit  der  weltlichen  Obrigkeit,  wie  sie  die  Geschichte 
des  Mittelalter»  entstellen".  Samuel  ist  ein  Beispiel  jener  Pa* 
trioten,  welche  zwar  das  Vaterland  ,  aber  nur  als  Mittel  ihrer 
persönlichen  Gröfse,  grofs  und  geltend  zu  machen  streben. 

Sehr  richtig  bemerkt  S.  99,  dafs  der  erste  König  der  He- 
bräer auch  der  erste  war,  dem  der  Gedanke  ,  eine  stehen- 
de Heertruppe  zu  bilden,  zweitausend  für  sich,  tausend 
für  den  Erstgebornen ,  zugeschrieben  wird.  Davids  Salbung 
von  Samuel  hält  S.  400.  für  grofses  Unrecht  gegen  Jonathan» 
Woher  aber  hatte  dieser  schon  ein  Erblichkeitsrecht? 

Davids  Charakter  verdient,  als  mäfsig,  besonnen,  bie- 
der, billig,  hervorgehoben  zu  werden.  Eist  das  Glück,  da 
er  von  Feindesangriffen  frei  geworden  war,  und  Salomo's 
Mutter  stürzen  ihn  in  einen  Meuchelmord ,  der  jeden  seiner 
Krieger  wieder  ihn  erbittern  mufste,  und  die  immer  wider 
Juda  rivalisirenden  Ephraimiten  zu  Aufstandsversuchen  reizte. 
Für  den  Sohn  der  Bathseba,  den  Zögling  Nathans,  lälst  sich 
der  Alternde  ungerecht  raachen  gegen  seine  älteren  Söhne, 
Die  Stiefmutter  und  Nathan,  der  seinem  Zögling  den  Vorzug 
gewinnt,  zerrütten  (S.  115.)  ihm  seine  Familie ,  bilden  ihm 
das  Recht  einf  den  Thronnachfolger  zu  bestimmen.  Genia- 
lität aber,  wie  S.N126.  andeutet,  vermag  Ree.  mit  ästheti- 
scher undpsychologischer  Unparteilichkeit  weder  in  deneigen- 
tbümlichen  Psalmen  von  David y  noch  in  seinen  Thaten  nach- 
zuweisen. Genialer  erscheint  ihm  Salomo.  Aber  dessen 
gleichsam  gelehrte  Nathans -Erziehung  macht  ihn  zum  pracht- 
liebenden  Verschwender,  S.  127.  und  S.  i3l.  zu  einem  Bei- 
spiel von  Regenten ,  welche  nicht  nur  jeder  Religionsgesell- 
schaft, wie  es,  seyn  soll,  ihre  Rechte  gewähren,  sondern  ge- 

ten  die  Natur  der  Sache  sogar  jede  wie  an  sich  gleich  gut 
ehandelu  zu  sollen  meinen* 

Zu  Salomo's  psychologischem  Urtheilsspruch  1  K.  3,  16. 
giebt  S.  145.  eine  unerwartete  Parallele  vön  dem  nicht,  über- 
weisen Imperator  Claudius.  Sueton,  Claud.  c.  15.  Ueber- 
haupt  sind  so  manche  von  dem  Verf.  eingestreute  Parallelen 
interessant  und  überraschend. 


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Zur  jüdischen  Geschichte  und  iu  Jeremias.  7 

• 

Die  unheilschwangere  Revolution  unter  Rehahe. i  n  füllt 
X  grofsentheila  auf  Rechnung  des  weisen  Salomo.  Der  Pro- 
phetenzögling gewann  an  Rubin  in  den  von  Propheten  verbals- 
ten Reichstag bürhern  ,  wie  mancher  in  den  Mönchs  chroniken. 
Wo  lagen  von  Frankreichs  Revolution  die  tieferen  Haupt- 
Ursachen?  In  der  erschöpfenden  Pracht  -  und  Gewaltregierung 
und  der  mit  Kirchenreligiosität  übertünchten  Sitteulosigkeit 
des  grofs  genannten  Urgrofsvaters.  Salomo  hatte  durch  un- 
nützen Hofaufwand  (  s.  l.Kön.4.  5.),  durch  unverbältnifs- 
mafsige  Bauten  und  Frohnen  u.  s.  w.  den  Wohlstand  der  Na- 
tion erschöpft,  dureb  Zulassung  der  Vielgötterei  die  Sitten- 
verderbnis zugelassen.  Denn  ist  gleich  die  Vielgötterei  au 
sich  bloTser  Verstandesirrthum ,  und  als  solcher  nicht  staats- 
widrig, so  wird  sie  dies  doch,  weil  sie  durch  die  Vorbilder 
unvollkommener,  willkührlich  und  leidenschaftlich  handelnder 
Gottheiten  die  nachahmenden  Menschen  demoralisirt,  und  be- 
sonders in  der  Gescblecbtslust  verderblichst  ausschweifend 
macht. 

Nach  S,  183.  „legten  Esra  und  Nehemia  Unfehlbar  den 
Grund  zu  unserm  alttestamentlichen  Kanon",  Ree.  bezwei- 
felt sehr,  ob  der  erst  patristisch  -  bischöfliebe  Begriff  von 
einem  Kanon,  als  einer  zum  Regulativ  für  Kircheneinheit  ge. 
machten  Sammlung  alter  Schriften,  in  die  Denkart  der  Hebräer 
und  Juden  zurückgetragen  wei  den  könne.  Die  SadducUer  er- 
kannten nur  die  Mosaische  Gesetzgebung  als  Regulativ  oder 
Norm,  die  Etiler  Gesetz  und  Propheten,  die  Pharisäer  dieses 
beides  nebst  ihren  Ausdeutungen.  Nicht  alle  diese  Schrift« 
auslegungspartheien  hütten  als  ächte  Rabbinen  geltend  werden 
können,  wenn  man  sich  ein  schriftlich  abgeschlossenes  Regu- 
lativ der  Religionsüberlieferungen  zu  denken  gewohnt  gewesen 
wäre.  Ohnehin  weüs  das  Buch  Daniel  bis  zu  Antiochus  Epi- 
phanius  Tod  hin  einzelnes  genau,  .giebt  aber  darüber  hinaus 
nichts  mehr  in  dieser  Art.    Es  ist  also  erst  makkabäisch. 

Johann  Hyrkanus  wurde  nach  S.  199.  wieder  der  erste 
König,  etwa  48Q  Jahre  nach  Zedekia.  Waren  die  70  Jahr- 
wochen  zu  490  Jahren  zu  berechnen,  so  führten  sie  gerade- 
zu auf  die  Regierungszjit  dieses  in  Wahrheit  sehr  merkwür- 
digen Königs,  welcher  auch  von  Josephus  als  König,  Prophet 
und  Hoherpriester  zugleich,  d.  i.  als  Alles  in  Allem,  darge- 
stellt ist.  Dies  war  abe:  (S.  193.)  etwas  mehr  als  100  Jahre 
vor  der  Geburt  Jesu.  490  Jahre  rückwärts  gezählt  führen, 
s.  Ushers  Annalen ,  in  die  Regierungszeit  des  Darius  Hystaspis. 
Kurz  ;  die  ganze  Geschichtfolge  hätte  die  Ausleger  überführen 
sollen,  dafs  Daniels  Stelle  nicht  von  dem  gtofsen  Messias  ,  son- 


□ 


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Zur  jüdischen  Geschichte  und  zu  Jeremias. 


dem  ,  wie  sie  denn  auch  fTt&'ft  be idemale  ohne  Artikel  setzt, 
yon  zwei  andern  gesalbten  Fürsten  früherer  Zeit  reden  wollte, 
S.  213.  zeigt,  dafs  bei  den  nächsten  Nachfolgern  Herodes 
des  I.  der  Name  Tetrarch  doch  Vierhirst  bedeuten  könne, 
weil  vier  Personen  in  den  Landbesitz  dieses  Herodes  zu  un- 
gleichen Theilen  sich  theilen  durften.  So  müfste  dann  IVfa^x»?« 
princeps  partis  quartae  oder  quadrantis  bedeuten.  Andere  mit 
rcrf  zusammengesetzte  Worte  umfassen  immer  ein  aus  vier 
Theilen  zusammen  bestehendes  Ganzes,  wie  rsr^aywyo;  eine 
Figur,  die  vier  Ecken  (nicht  nur  Eine  von  vieren)  hat.  Das 
in  vier  Theile  sich  theilen  de  Land  der  Galater  hatte  zwölf 
Tetrarchen»  die  vermöge  einer  gemäfsi^ten  Aristokratie 
mit  gewissen  Juchts rn  geringere  Streitigkeiten,  Verbrechen 
aber  nur  vereint  und  mit  einer  zu  Drynämetos  (in  einem  Etchen- 
bayn?)  zusammenkommenden  Landraths -  Versammlung  von 
dreihundert  Männern  zu  entscheiden  hatten.  Strabo  All.  s. 
Wernsdorf  de  Republ.  Galatar.  c.  6.  §.  23.  24. 

Nach  S.  243.  rieth  in  der  Mitte  des  Jahres  66  der  Hohe* 
priester  Ananus  (BelJ.  Jud.  2,  17.)  die  Aufhebung  der  Opfer 
für  Fremde,  auch  für  die  Kaiser,  Ohne  Zweifel  näherten  sich 
die  gemifshandelten  Juden  erst  allmShlig  diesem  änfserst  an- 
stöfsigen  Entschlufs.  Man  sieht,  dünkt  mich,  warum  Faulus. 
um  so  mehr  das  Beten  für  die  römischen  Obrigkeiten  seinen 
Christensynagogen  empfahl.  1  Timotb.  2,2.  < 

Mit  Vergnügen  begleitete  Ree,  den  ungenannten,  Vf.  durch 
die  Reihe  seiner  Erläuterungen.  Unser  Raum  erlaubt  dies  nicht 
bei  No.  2.  und  3. ,  wohl  aber  die  gegründete  Versicherung  ,  dafs 
diese  beide  Schriften  unter  das  beste  gehören  f  was  zur  Er- 
klärung des  Jeremias  zu  benutzen  ist.  Nach  der  Vorrede 
WÜl  Hr.  G.  mit  dem  hebräischen  Sprachschatz  mög- 
lichst ausreichen.  Das  heifst  ohne  Zweifel :  Man  darf  nicht 
blös  so  zufällig,  wie  allzu  oft  geschah,  aus  den  verschwister- 
ten  Dialecten  zur  Nothhülfe  Wortbedeutungen  herüberholen. 
Dennoch  besteht  der  hebräische  Sprachschatz  nicht  mit  Sicher« 
heit  in  dem,  wasRahbinen  und  sinnerrathende  Versionen  über 
die  Wortbedeutungen  zur  Tradition  gemacht  haben.  Ein  aus- 
ser Uehung  gekommener  teutscher  Dialekt  zum  Beispiel  ist 
nur  aus  Vergleichung  der  verwandten  mit  Zuversicht  zu  er- 
klären. Allerdings  aber  müssen  Deductionen  der  gesammten 
Bedeutungen  eines  Wurzelworts  durchgeführt,  nicht  blos  für 
einzelne  Stellen  einige  im  arabischen  oder  syrischen  angegebene, 
oft  selbst  unerweisliche  Nebenbedeutungen  zum  notdürftigen 
Auikunftsmktel  verwendet,  werdeq. 

J/t  £.  Q  Paulus. 

V 


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« 


Un  Cathol.  Eclecticjue  für  la  Coarers.  au  Christian  Urne  evang.  9 

C  o  nverjion  de  Familie»  C  atholiq  ues'  Romaines  dans 
le  Grand"  Ducke'  de  Bad-e  au  Chris  t  ianis  m  e  Loun- 
ge lique.  Evenement  expose'  et  accompagnc  de  Conside'rations  par 
le  Docteur  Tzschirner ,  Prof,  en  Theologie  et  Superinten* 
dent  a  Leipsick.  Ouvrage  traduit  de  l'Jlfema/id  et  enrichi  de 
notes  par  un  Catho  Harne  Eclectiq  ue.  [Eprouooz 
toutes  choses  ,  approuoez  ce  qui  est  bon.  St.  Paul.)     a  Liege  > 

ehez  J.  Dtsoer  ,  Imprimeur-Libraire,  1825.     145  S.  in  8. 

# 

Der  Uebersetzer  wünscht,  dafs  alle  Gemuther  von  dem 
Geiste  der  Mäfsigung  beseelt  seyn  mögen,  qui  conduisait  la 
iilume  de  l'Ecrivain  (des  Hrn.  Dr.  Tzschirner),  et  dont  la 
hrochure  fait  foi  pour  quiconque  la  lit  sans  preocntion.  Er  fin- 
det darin  cette  charite  evangelique ,  q*ti,  en  de'pit  des  persecu- 
teurs,  fera  toujours  le  charactere  des  vrais  disciples  de  Jesus  Christ. 
St.  Jean  i3,  15.  Bei  dieser  Gesinnung  beruft  er  sich  auf 
Worte  von  Hrn.  Vernes,  in  dessen  „Catechisme  de  toutes  les 
Communions  chre'tiennes*  (welchen  Ree.  nüher  zu  kennen  wünsch- 
te!). Die  Worte  sind:  La  plus  certaine,  comme  la  plus  /u- 
neste  des  heresies,  c'est  le  manque  de  charite,  Vintolerance  et  la 
persecution.  "Quelles  atrocite's  cette  barbare  he're'sie  n'a-t-elle 
enfante'es.  Quand  est  ce  qu'elle  inspirera  gene'ralement  toute 
l'horreur,  qu'elle  rae'rite. 

Ree.  bekennt  aufrichtig,  dafs  ihm  die  fortdauernde  Auf- 
merksamkeit auf  das  Uebergehen  vom  rdmiscb-päbstlichen  Ka- 
tholicismus  zum  Evangelischen  Protestantismus,  das  ist,  zu 
der  Ueberzeugurig ,  dals  Jesus  Christus  von  Unterwerfung  un- 
ter eine  fast  universal-souveräne  pähstliche  Kirchengewalt  und 
von   einem   durch  priesterliche   Concilien  vorgeschriebenen 
Kirchenglauben  nichts  gelehrt  hat,    immer   sehr  erfreulich 
bleibt.     Nicht  etwa  um  irgend  einer  Proselytenmacherei  oder 
um  Vermehrung  des  Kirchenthums  überhaupt  willen,  oder  wie 
wenn  er  in  dem  evangelisch*-  protestantischen  Kirchenthum 
Alles  unverbesserlich,  Nichts  noch  evangelischer  zu  wünschen 
nötbig  fände.    Vielmehr  gerade  deswegen,  weil  in  dem  evan- 
gelischen Protestantismus  die  der  Zeit  gemäfse  Verbesserun- 
gen nach  dessen  oberstem  Grundsatz  und  auch  nach  dem  We- 
sentlichen der  bestehenden  Einrichtungen    weit  leichter 
auszuführen  sind,  als  da',  wo  die  Voraussetzung  dogmatisch 
und  praktisch  geworden  ist ,   dafs  Alles  von  der  Kirche  zu 
eiqer  gewissen  Zeit  festgesetzte  für  alle  Zeiten  das  beste,  das 
imperfectible,  bleiben  müsse,  und  dafs  so  selten  wie  möglich 
durch  Verbesserungen  die  Notwendigkeit  der  Verbeisedich- 


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I 


10    Un  Calhol.  Ecleetique  cur  la  Convers.  au  Chris tianisme  evangel. 

keit  eingestanden  werden  dürfe.  Hierin  liegt  unstreitig  die 
Wesentlichste  Unterscheidung. 

Frage  sich  doch  jeder  gutdenkende  seihst;  wo  und  wann 
sind  von  der  päbstlichen  Behörde  aus  Verbesserungen  gemacht, 
wo  nicht  die  von  den  Laien  und  von  der  mittleren,  unterrich- 
teteren  Geistlichkeit  versuchten  gehindert  worden?  Frägt 
.  man  auch  nicht  einmal  nach  so  einflufsreichen  Puncten,  wie 
die  Aurhebung  des  kirchlichen  (unbiblischen ,  ja  antibiblischen) 
Verbots  der  übe  der  Geistlichen  wäre;  frägt  man  nur;  Ob 
denn  nicht  alle  katholische  Christen  endlich  wieder  den  nur 
von  der  Kirche,  und  erst  im  dunkeln  Mittelalter ,  zurückge- 
haltenen sacramentlichen  Kelch  im  Abendmahl  nach  Jesu  und 
der  Apostel  Anordnung  erhalten  sollen?  ob  denn  jenes:  Non 
oh  st  ante  *)  des  Constanzer  Concils  vom  15.  Jun.  1 4 1 5.  ewig 
lundendsey?  Ja,  frägt  man  nur;  Sollen  die  Teutschen 
nicht  endlich  wenigstenseine  teutsche  Messe  hören  dürfen? 
sollen  die  meisten  immer  nur  in  lateinischer  Snraclie  das  Sacra«? 
ment  benedicirt  hören  nnd  nicht  verstehen,  ungeachtet  diese 
Todesfeier  Jesu  im  früheren  Christenthum  nach  allgemeiner 
Tradition  in  den  Landessprachen  (griechisch,  syrisch,  ara» 
bisch  u,  s.  w.)  verständlich  celebrirt  wurde?  JDie  hierarchi-» 
sehe  Atotwort  auf  alle  solche  Fragen,  ungeachtet  die  denkend- 
sten Und  gewissenhaftesten  in  der  katholischen  Kirche  selbst , 
wenn  sie  mehr  E kiektisch  als  Ekklesiastisch  seyn  zu 
sollen  einsehen  ,  ganze  Lebensalter  hindurch  an  der  Besserung, 
oft  nur  eines  einzigen  «solchen  Puncts,  gearbeitet  haben,  ist 
immer:  Nein!  —  Und  warum?  Weil,  wer  im,  Namen  der 
infalliblen  Kirche  zu  sprechen  liebt,  nicht  durch  Verbesse- 
rungen zu  erkennen  geben  mag,  dals  etwas  bedeutendes  besser 
zu  machen  sey,  dals  es  also  nicht  immer  gut  genug  gemacht 
war.  Und  deswegen  roufs,  so  viel  Ree,  einsehen  kann,  jedes- 
mal ein  ruhig  entschlossenes  Ausgehen  aus  einem  Zustand  ,  wo 
alle  Verbesserungen,  besonders  von  den  römischen  Oberbehör- 
den herab,  so  unabsehbar  erschwert  werden,  und  wo,  wie 
am  Tage  ist,  hundert  Rückschritte  (in  Spanien  ,  Frankreich 


*;  Für  jenes  antihussi  tischen  Beschlufs  wählte  man  die  mehr  als  harte 
Formel :  licet  in  primitiva  ecclesia  reeiperetur  hoc  sacramentum  a 
ßdeUbus  sub  utraque  specie9  tarnen-  postea  a  Conficientibus  (Sacer- 
dot.)  sub  utraque  gpecie  et  a  laicis  tantummodo  sub  speoie  panis 
suseipiatur.  Sowenig  nahm  man  — -  vor  der  Evangelischen  Refor- 
mation —  Anstand,  das  Urcliristenthum  und  das  postea  der  Kirche 
ausdrücklich  gegen,  einander  ia  Gegensäue  zu  stellen, 


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Un  Cathol.  Eoleetique  i ur )a  Convers.  au  Christi« nisme  eraoge].     1 1 

u.  0.  w.)  bis  zu  Erneuerung  des  Jesuitismus  t  ja  big  au  die 

Kirchen-Inquisition  und  die  Autodafes  hin  —  weit  eher,  als 
tine  einzige  Verbesserung  oder  Erhaltung  des  Verbesserten 
zur  Wirklichkeit  kommen  ,  auf  jeden  Fall  dein  Unbefangensten 
als  ein  Uebergang  zum  Bessern  sich  erfreulich  dai  stellen  ,  be- 
sonders wenn  es  so  wohlgeordnet  und  unter  dein  Schutz  einer 
gegen  kein  Kircbenthum  partheiischen  Staatsregierung  in  die 
Vollziehung  tritt,  und  mit  stiller  Bescheidenheit  sein  Gedei- 
hen von  der  Zeit  und  der  wachsenden  Ueberzeuguug  für  das 
Heinere  erwartet.  Und  dais  dieses  alles,  um  gegen  »o  schnell 
gewagte  Rückschritte  zum  Verbessern  aufzufordern,  von  de« 
nen  gesagt  werde,  die  davon  als  Nichtgebundene  von  Amts- 
wesen  reden  dürfen  und  sollen,  sollte  dies  nicht  selbst  den 
Gebundeneren  lieb  und  ein  Hoffuungsgrund  seyn  ?  Der 
Protestantismus  erkennt  es  gewifs  dankbar,  wenn  achtbare 
Beobachter  von  der  andern  Seite,  nicht  aus  polemischer,  son- 
dern bessernder  Gesinnung,  eben  so  zu  seiner  Berichtigung 
mitwirken. 

So  achtbar  dem  Ree.  das  auch  in  der  katholischen  Kirche 
wirkliche  und  mögliche  Gute  ist,  so  kann  er  sich  dennoch 
nicht  untersagen,  dabei  oft  eben  so  zu  denken,  wie  dieselbe 
von  der  orientalisch-  und  russisch  -  griechischen  Kirche  sic-U 
auszudrücken  pflegt.  Seit  dem  Concilimn  von  Florenz  nüin- 
Jicb  pflegt  man  zu  Rom  bedachtsam  zu  sagen:  Die  griechische 
Christenheit  ist  nicht  im  Schisma,  aber  ein  Schisma  ist 
in  ihr.  Ist  nun  nicht  in  dem  Theile  der  Christenheit,  wo 
die  Incruisitionsgerichte  von  der  Geistlichkeit  aufgebracht  wur- 
den und  immer  noch  gehegt  werden,  wo  sie  nicht,  oder  nur 
durch  die  Laien  aufgehoben  sind,  wo  sie  immer  rtoch  die  un- 
widerrufene  Sanction  des  IV.  Lateranischen  Generalconciliums 
von  Innocenz  III.  1215.  für  sich  haben!  ferner:  Wo  alleNicht- 
getaufte,  selbst  die  Kinder,  nach  dem  Florentiner  Universal- 
concilium  von  1439.  ewig  in  die  Hölle  verwiesen  sind  !  wo 
die  Bullen  In  sacra  Coena ,  Unigenitus  u.  s.  w.  und  das  De- 
cretale  :  Unam  sanetam  etc.  nicht  durch  die  geistliche  Hierar- 
chie, sondern  nur  durch,  die  weiter  sehenden  Laien  unschäd- 
lich gemacht  wurden!  wo  die  allzu  leichte  Sündenvergebung 
durch  Heiligenverdienste  und  Ablafs  eine  dogmatische  Bulle 
Leo  des  X.  von  15i8  für  sich  hat!  (s.  des  Ree.  geschichtliche 
und  rechtliche  Prüfung  des  Jubeljahrahlasses.  1825.  S.  110  — 
114.)  u.S'W.  —  ist  nicht  in  einem  solchen  Theile  der  Christen- 
heit manches  unbiblische,  nichtchristliche  so  auffallend,  dafs 
das  Ausgehen  davon  in  einen  für  Verbesserungen  offeneren 

■ 


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12  M.'ver  last,  legum  maritimarufo. 

Kirchenzusfand  zu  bef  ördern  und  zum  guten  zu  leiten  Gewis- 
senspflicht wird  ? 

Unter  den  Zugaben  der  französischen  Uebersetzung  ist 
die  merkwürdigste  S.'l05  —  124.  De'veloppement  du  Principe 
Protestanten  als  einer  foi  raisonnte  (p.  116.)  „Atne'sure,  (jue  les 
sciences,  qui  facilitent  1'intelJigence  des  Saintes  -  Ecritures  se- 
ront  porte'es  a  leur  perfection  ,  on  verra  disparoitre  des  Syste- 
mes  des  prejnge's  et  des  opinions  errone'es«  (p.  119.)«  »L*Inm 
faillibilite  n'appartient  pas  au  mortel;  donc  nulle  autorite  humaine  / 
ne  doit  m'imposer  une  obeissance  contraire  aux  droits  impre- 
scriptibles  ,  qui  me  sont  acrordes  par  ma  raison  et  par  la  reli- 
gion  de  Jesus- Christ c«  (p.  118.)»  Wer  erfreut  sich  nicht,  dafs 
die  Niederländische  Kon.  Regierung  gerade  jetzt  der  freiwis- 
senschaftlichen Geistesbildung  partbeilose  Unterrichtsanstalten 
Öffnet.  Aber  wer  fragt  nicht  auch  zugleich:  Wer,  um  sie  zu 
hindern 9  alle  Kräfte  aufbiete?  Wessen  jesuitische  Missionen, 
die  Staatsregierung  anfallen  Seiten  abzuhalten  genöthigt  sey  ? 
Wer,  wie  ein  Universalsouveraiu  der  Gewissen,  hierin  mehr 
als  der  Landessouverain  gelten  wolle,  nur  um  die  alte  Unver« 
bessej  liebkeit  kirchenthümlich  festzuhalten? 

Neu  war  dem  Ree.  die  Notiz  S.  133.  aus  der  Etoile  26« 
Oct.  1Ö24*  dafs  es  ein  Mr.  Ker n ,  Frofesseur  a  Goet- 
tingue,  sey,  welcher  gegen  den  Hrn.  von  Lang  für  di<* 
Jesuitenmoral  geschrieben  habe. 

fl.  E.  Ö.  Paulus. 


De  historia  legum  maritimarum  medii  aevi  celeberrimarum  ,  Dissert.  in" 
augur.  historico  -  juridica  ,  quam  etc.  scripsit  El  ardus  /VI  eyer9 
HanseaticO' Bremanus.     Gottingae  1824.  4-  lö  Gr. 

Was  unsere  Literatur  Über  die  äufsere  Geschichte  des 
Seerechts  des  Mittelalters  bisher  hat  aufweisen  können,  ist, 
so  fern  man  Ausführlicheres  und  Gründlicheres  sucht,  zer- 
streut bei  den  Herausgebern  der  einzelnen  Gesetzsammlungen 
und  andern  Schriftstellern  Spanischer ,  Italienischer ,  Franzö- 
sischer, Englischer,  Holländischer  u.  a.  Zungen.  Eine  zu- 
sammenhängende Darstellung  liefern  zwar  Einige,  die  über 
das  Seerecht  überhaupt  geschrieben  haben,  z.B.  VEstocq 
Auszug  der  Historie  des  allgemeinen  undPreus- 
sischen  Seerechts,  Martens  Grundriffe  des  Han- 
delsrechts, —  aber  nur  in  höchst  dürftigen  und  wenig 
geprüften  Notisen.    Dafs  diesem  Mangel  für  die  Rechts  -  und 


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* 


Meyer  hut.  legtiin  maritimtrom.  13 

Handelsgeschichte  des  Mittelalter«,  wenigstens  dem  Haupttheile 
nach,  durch  die  vorliegende  Abhandlung  Abhülfe  geschehe,  be- 
rechtigt uns  ihr  Titel  und  die  ausdrückliche  Erklärung  des  Vf.  . 
zu  erwarten,  der  sich  S.5.  dahin  äufsert:  „haec  dissertatio  in 
investigatione  notissimarnm  medii  aevi  legum  maritimarum, 
consuetudinum ,  Seil,  ßarcinonae  (vulgo  Consulatus  maris  ) , 
legum  Oleronensium  et  Wisbyensium  subsistet,  et,  si  fieri 
potest,  quomodo,  ubi  et  quando  hae  leges  ortae  sint,  quo  in 
constent  ,  et  quam  auetoritatem  adbuc  apud  nos  habeant, 
docere  conabitur.«  In  der  That  erwirbt  diese  tüchtige  Arbeit 
sowohl  durch  fleifsige  Zusammenstellung  ausführlicherer  Nach- 
>  richten  von  den  genannten  Quellen ,  als  auch  durch  die  eige- 
nen sehr  dankenswerthen  Untersuchungen  dem  Namen  des  Vf. 
Anspruch  auf  einen  ehrenvollen  Platz  in  diesem  Fache  der  Li- 
teratur. Zur  Bestätigung  hievon ,  und  um  zum  Lesen  der 
Dissertation  selbst  aufzufordern  ,  läfst  Ref.  hier  eine  Inhalts- 
mittheilung sein  Hauptgeschäft  seyn;  wobei  er  die  eigentüm- 
lichen Verdienste  sowuhl,  als  hin  und  wieder  Schwachen  we- 
niger abzuwägen,  als  nur  anzudeuten  gedenkt.  Einer  voll- 
ständigen Beurtheilung  mufsRef.  sich  enthalten,  weil  ihm  die 
hiezu  erforderlichen  Queller!  nicht  zugänglich  sind. 

Zuerst  unter  den  genannten  Gesetzen  handelt  der  Vf.  von 
dem  Consolato  del  mare  S.  12  —  42.  Nach  einem  kurzen  Ue- 
berblick  des  im  Mittelalter  aufblühenden  Handels  am  Mittel- 
ländischen Meere  folgen  Notizen  aus  der  Geschichte  von  Bar- 
celona und  des  Handels  und  Seewesens  in  Katalonien,  welche 
durchaus  mit  Hinblick  auf  den  Haiiptgegenstand  gegeben  sind, 
und  bei  der  Untersuchung  über  das  Rechtsbucb  selbst  benutzt 
werden.  Die  Ehre  des  Vaterlandes  zu  diesem,  welche  für 
Barcelona,  Pisa  und  Valencia  in  Anspruch  genommen  worden 
ist,  spricht  der  Verf.  mit  überzeugenden  Gründen  der  zuerst 

Benannten  Stadt  zu,  mit  den  meisten  Schriftstellern.  Die  für 
ie  beiden  andern  angeführten  Gründe  sind  augenscheinlich  so 
unhaltbar,  dafs  es  einer  Widerlegung  kaum  noch  bedurfte. 
In  Hinsicht  des  Alters  ist  man  seit  den  Untersuchungen  de» 
Capmany  y  de  Monpalau  einig  ,  es  in  die  Mitte  des  dreizehn- 
ten Jahrhunderts  zu  setzen  ,  und  zwar  vor  1266.  Hr.  Meyer 
fügt  hinzu  noch  das  Jahr  1227  als  die  andere  Zeitgränze, 
weil  in  mehreren  Stellen  bereits  die  Schifffabrt  der  Barceloni- 
achen  Börger  nach  Syrien ,  Alexandrien  und  andern  Gegenden 
in  den  sogenannten  überseeischen  Ländern  vorausgesetzt  wer- 
de ,  und  diesen  erst  1227  von  Jacob  I.  die  Navigation  dort- 
hin eröffnet  worden  sey  durch  ein  Privilegium,  wonach  Bar- 
celonlsrhe  Güter  nur  auf  Barcelonischen  Schiffen  dorthin  ver- 


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1 


14  Meyer  hiir*  legum  maritimarom* 

führt  werden  durften.  Sollte  sich  aber  hierätfs  wohl  mehr  foU 
gern  lassen,  als  dafs  von  dieser  Zeit  an  die  Barcelonische  Schiff- 
Fahrt  nach  den  überseeischen  Gegenden  sehr  emporgekommen 
seyn  werde  ?  —  S.  34  — 42  folgen  Erörterungen  über  die 
Urbeber,  die  innere  Beschaffenheit,  das  verbreitete  Ansehen 
und  ein  Verzeichnifs  der  Ausgaben  des  Göns.  d.  M, 

Ueber  das  OJeronensische  Seerecht  verbreitet  der  Verf.. 
sich  S.  43  —  54»  Ein  nicht  unerheblicher  Beitrag ,  den  durch 
diese  Untersuchung  die  äufsere  Bechtsgescbichte  gewinnt ,  ist 
die  Unterscheidung,  wonach  von  den  von  Clairac  herausge- 
gebenen 47  Artikeln  nur  die  24  ersten  den  Namen  des  Olero- 
nensischen  Seerechts  verdienen  ,  und  die  folgenden  eine  davon 
ursprünglich  verschiedene  Sammlung  sind.  Die  .Richtigkeit 
dieser  Abtheilung  erhellet  theils  aus' einer  Vergleichung  des 
Inhalts  beider  Abschnitte,  wovon  nur  der  erstere  auf  das . 
eigentliche  Schifffahrtsgewerbe  sich  bezieht,  zu  dessen  Bestem 
den  Bewohnern  von  Oleron  diese  Gesetze  gegeben  sind,  wäh- 
rend die  folgenden  Artikel  andere  Nutzungen  der  See  und  die 
Küstenpolizei  betreffen,  und  zum  Theil  blofs  die  Grundberren 
angehen,  mithin  offenbar  nicht  für  die  Oleronensischen  Schiff- 
fahrer bestimmt  gewesen  seyn  können;  theils  rechtfertiget 
jene  Unterscheidung  sich  aus  dem  Umstände,  dafs  in  die  Hol- 
ländischen und  Wisbyschen  Seegesetze,  welche  die  Oleronen- 
sischen Gesetze  aufgenommen  haben,  nur  die  24  ersten  Artikel 
gekommen  sind.   ,  ... 

In  dem  alten,  bisher  unentschiedenen  Streite  über  die 
Autorschaft  zu  diesen  Gesetzen  zwischen  Frankreich  und  Eng- 
land vereinigt  der  Vf.  gewissermafsen  die  Ansprüche  beider, 
Theile  2  Heinrich  II.  von  England  und  Eleonore  ,  seine  Ge<» 
mablin,  haben  gemeinschaftlich,  jedoch  letztere  als  frühere 
Eigenthttmerin  von  Oleron,  mit  gröfserem  Antheil ,  diese  Ge- 
setze verfassen  lassen.  Allein  wenn  wir  es  auch  als  notbwen-  ' 
dig  zugeben  wollten,  die  beiderseitigen  Ansprüche  auf  die 
frühesten  Zeiten  zurückzuführen;  so  würden  wir  doch  dadurch 
zu  der  von  dem  Vf.  aufgestellten  Annahme  noch  nicht  berech- 
tigt. Auch  wenn  Heinrich,  oder  Eleonore,  noch  vor  ihrer 
Vermählung  mit  ihm,  allein  dies,e  Gesetze  erlassen  hätte, 
dürften  schon  die  ältesten  Seerechtsschriftsteller  unter  den 
Franzosen  Ursache  gefunden  haben  ,  sie  von  Französischem, 
und  unter  den  Engländern  i  sie  von  Englischem  Ursprünge 
herzuleiten;  war  doch  der  König  von  England  zugleich  Fran- 
zösischer Vasall ,  und  die  Insel  Oleron  seit  Eleonorens  Ver- 
mählung mit  Heinrich  zur  Englischen  Krone  gehörig.  Nicht 
zuverlässiger  ist  die  so  gar  genaue  Zeitbestimmung  der  Ab- 


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» 


Meyer  bist,  legum  marhimarum.  15 

fassung,  welch«  Hr.  Meyer  zwischen  1152,  wo  Eleonore 
von  Ludwig  VII.  geschieden  wurde,  und  1154»  wo  Heinrich 
den  Englischen  Thron  bestieg,  stellt.  Schweilich  dürfen  wir 
daraus,  dafs  nach  Unserm  Ermessen  die  Englische  Nation  auf 
diese  Gesetze  kein  so  gar  grofses  Gewicht  gelegt  habe,  und 
dafs  sich  dieselben  unter  den  königlichen  Verordnungen  jener 
Zeit  nicht  mitbegriffen  finden,  jetzt  den.Schlufs  ziehen,'  dafs 
sie  noch  vor  Heinrichs  Thronbesteigung  verfafst  seyn  müssen. 
Und  in  der  That  sind  sie  doch  von  den  Engländern  hochgehal- 
ten ,  wie  sich  sowohl  aus  ihrem  verbindlichen  Ansehen  in  den 
Englischen  Seegerichten,  als  aus  dem  Streite  über  ihren  Ur- 
sprung ergibt.  —  Der  Vf.  lafst  sich  hier  auch  auf  die  Nach- 
weisung der  Handschriften  ein  S.  50  ff.,  deren  er  .fünf  zählt, 
jedoch  so,  dafs  er,  atifser  der  von  Clairac  herausgegebenen % 
die  als  die  ältesfte  angenommen  wird,  den  andern  nur  die  Ei- 
genschaft von  Abschriften  verschiedener  Man-uscripte.  beilegt,, 
von  deren  Daseyn  selbst  sich  nichts  sagen  lüfst;  auch  auf  die 
Existenz  dieser  Copien  wird  zum  Theil  nur  aus  den  Ueber-. 
Setzungen  der  Oleronensischen  Gesetze  in  andere  Sprachen 
geschlossen.  Hiernach  ermifst  Sich  leicht  der  kritische  Werth 
der  von  unserm  Vf.  aufgestellten  und  nach  dem  Alter  classic 
ficirten  Anzahl  von  so  viel  verschiedenen  Handschriften.  — 
Ueber  das  Alter  des  zweiten  Abschnitts  des  sogenannten  Ole- 
ronensischen  Seerechts  erklärt  sich  der  Vf.  mit  Recht  sehr  un-, 
bestimmt,  indem  er  ihn  nach  1170  und  etwa  in  die  Mitte  des 
dreizehnten  Jahrhunderts  setzt.  Es  imifs  noch  dahin  gestellt 
bleiben,  ob  diese  Artikel  alle  ursprünglich  zusammen  gehören, 
oder  erst  nach  und  nach  zusammengetragen  sind. 

Der  gelungenste  und  für  die  Wissenschaft  einträglichste 
Abschnitt  dieser  Abhandlung  ist  der  den  Wishysche«  See- 
gesetzen gewidmete,  S.  55  — ■  76,  Über  deren  Ursprung  hier 
sehr  wichtige  Aufschlüsse  gegeben  werden .  Diese  Sammlung 
ist  ans- drei  Bestandteilen  erwachsen,  den  ächten  Üleronen- 
siseben  Gesetzen,  nach  der  Redaction,  die  sie  in  dem  See- 
rechte der  Holländischen  Stadt  Damm  erhalten  haben,  aus 
Amsterdamischen  Seegesetzen,  und  aus  seerechtlichen  Artikeln 
des  Liühischen  Rechts,  die  sich  in  den  älteren  Abfassungen 
des  letzteren  noch  nicht  finden.  Diese  nehmen  zwar  in  den 
Handschriften-  des  vollständigen  Wisbyscheo  SeereChts  die 
erste  Stelle  ein,  sind  aber  am  spätesten  hinzugekommen,  und 
höchst  wahrscheinlich  die  Znthat  eines  Lübischen  Abschrei- 
bers. Danach  berichtigt  sich  die  Annahme  des  Alters  des 
Wisbyschen  Seerechts ,  welche  nicht,  wie  bisher  allgemein 
geschah,  in  das  zwölfte  oder  dreizehnte,  sondern  erst  in  dat 


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16  Meyer  bist,  legum  maritimarum, 

fünfzehnte  Jahrhundert  zu  netzen  ist.  —  Aus  der  Beschaffen- 
heit der  Handschriften  und  Ausgaben  und  aus  verschiedenen 
historischen  Momenten  führt  der  Vf.  den  ganz  überzeugenden 
Beweis  seiner  neuen  Darstellung  der  Geschichte  dieser  Rechts- 
sainmlung. 

Diesen  von  dem  Vf.  selbst,  als  eigentlichem  Gegenstande 
der  Dissertation ,  bezeichneten  Untersuchungen  sind  noch  zwei 
andere  Erörterungen  einleitungsweise  vorausgeschickt,  über 
den  eigentümlichen  Character  der  Seegesetze  überhaupt f  und 
über  die  Rbodischen  Seegesetze. 

Als  eine  auffallende  Erscheinung  an  den  Seegesetzen  der 
verschiedenen  Völker  hebt  der  Vf.  ihre  grolse  Uebereinstim- 
mung  hervor.  Der  Betrieb  der  Seegewerbe  nämlich  erzeuge 
unter  den  Völkern  eine  Geneigtheit,  sich  in  einander  zu  fügen 
und  sich  allgemeineren  Rechtsregeln ,  als  ihren  ursprünglich 
einheimischen,  zu  unterwerfen,  wie  dies  bei  der  Lebensweise 
der  Öewohner  des  inneren  Landes  bei  weitem  nicht  der  Fall 
sey.  Dergleichen  allgemeine  Bemerkungen  sind  hier  durchaus 
an  ihrer  Stelle,  und  werden  auch  in  der  Abhandlung  seihst  oft 
benutzt.  Der  Vorwurf  der  Müssigkeit  kann  sie  daher,  wie 
sonst  so  gewöhnlich  die  Einleitungsbetrachtungen  ,  gar  nicht 
treffen.  Aber  ein  anderer  Mangel  derselben  darf  eben  des  Ge- 
wichts Wegen,  welches  der  Vf.  öfter  auf  sie  legt,  nicht  unbe- 
merkt bleiben.  Es  fehlt  an  historischer  Begründung ,  ünd  eben 
darum  auch  an  Anschaulichkeit.  Es  hätte  jene  Erscheinung  an 
den  Seerechten  tbatsächlich  in  Beispielen  vor  Augen  gelegt, 
und  zugleich  die  Eigentümlichkeit  hievon  dadurch  erhohen 
werden  müssen,  dals  sich  in  andern  gleichnamigen  Zweigen 
Verschiedener  positiver  Rechte,  z.B.  in  den  Lehenrechten, 
eine  so  auffallende  Uebereinstimmung  gar  nicht  finde.  Dann 
hätte  der  Vf.  die  Gründe  hievon  in  Facten  aus  dem  Leben  See« 
bandlung  treibender  Völker,  oder  auch  in  Vermuthungen  dar* 
legen  mögen«  Wäre  so  dieThatsache  selbst  aufser  Zweifel  ge- 
stellt worden,  so  hätte  der  Vf,  sich  mit  Recht  darauf  in  der 
Folge  berufen  dürfen  i  um  z.  B,  die  Schwierigkeit  der  Unter- 
suchung über  das  Vaterland  einer  Seerechtsquelle  (S<  25.)  dar-* 
suthun.  Statt  dessen  aber  werden  die  auffallende  Uebereinstim- 
mung der  Seerechte  und  dieGründe  hievon  blosaufßuten  Glauben 
hingegeben  5  und  doch  liefsen  sich  bedeutende  Zweifel  gegen 
beides  erheben  t  so  gegen  die  Behauptung ,  dafs  die  Seege  werbe 
treibenden  Völker  vorzugsweise  geneigt  seyen,  von  ihrem  eigen- 
thümlichen  Rechte  zum  Besten  anderer  Völker  nachzulassen, 
das  Beispiel  der  Engländer« 

(D#r  Besehluft  fotgi.) 


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n.  %  i8m 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 

Meyer  histoi4a  legum  maritiriiarunl; 

QBttchluft.') 

Ueher  die  Beziehung  der  §§;  von  den  Rhodischen  Gesetzen 
zum  Hauptgegenstande  erklärt  zwar  der  Verf.  hier  sich  nicht; 
allein  aus  dem  §.  42.  läfst  sich  «int nehmen  ,  dafs  er  sie  darum 
eingeflochten  hat,  weil  nach  seiner  Ansicht  das  llhudische  See- 
recht Grundlage  der  Seegesetze  des  M.  A. ,  insbesondere  des 
Consolato  d,  M.  geworden  ist.     Als  eigenthttmlich  ist  zu  be- 
merken die  Meinung,   dafs  das  Rhodische  Seerecht  nie  in  der 
Gestalt  eines  geschriebenen  Hechts  existirt,  sondern  sein  Name 
nur  überhaupt  Seegewohnheiten  bezeichnet  habe,  die  als  eirt 
jus  universale  anerkannt  worden  seyen  (S.  10.).  Gestützt 
wird  diese  Annahme  auf  das  Schweigen  der  Römer  von  ge- 
schriebenen Ilhodischen  Seegesetzen,   die  ihnen  zu  merkwür- 
dig hätten  seyn  müssen,  um  nicht  viel  davon  zii  reden,  na- 
mentlich auf  das  Schweigen  von  Cicero  und  Julius  Cäsar,  die 
sich   in  Rhodus  längere  Zeit  aufhielten  ;    und  dann  auf  die 
Aeufserung  von  Antonin  ul  in  1.  9.  D.  de  Lege  Rhödia; 
worin  er  auf  das  Rhodische  Recht  als  ein  subsidiäres  in  See- 
sachen verweise,  und  es  dem  Römischen  Recht  entgegensetze; 
wäre  es  geschrieben  gewesen,  so  hätte  er  es  ja  nur  als  Römi- 
sches Recht  zu  puhliciren  gebraucht.    Erst  die  Römischen  Ju- 
risten,  welche  einzelne  der  Rhodischen  Seegebräuche  unter 
dem  Titel  de  lege  Rhodia  erläuterten,   hatten  die  allgemeine 
Meinung  veranlagst ,  dafs  hierunter  ein  geschriebenes  Recht 
zu  denken  sey.     Ilaben  aber  Römische  Juristen  wohl  jemals 
blofse  Gewohnheiten  lex  genannt?   um  der  andern  Bedenken! 
gegen  jene  Ansicht  zu  geSchweigen.    Dafs  man  aber  im  Mit- 
telalter Seerecht  überhaupt  Rhodische«  Recht  genannt  hätte, 
Wßre  der  Art,  wie  man  damals  das  Andenken  alter  Gesetz- 
gebungen anwandte,  ganz  angemessen«    Interessant  ist  in  die- 
ser Hinsicht  die  Notiz  aus  dem  Preußischen  Chronisten1  Simon 
Grünau  ,  welcher  das  Strandrecht  das  Schalksrecbt  Rhodia  nennt, 

,       XIX.  Jahrg.    i.Hcft.  % 


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18 


HupfcH  Exercitationei  Aeihiopicae. 


Die  Form  dieser  Abhandlung  betreffend,  so  bat  man  mit 
einer  schwierigen  LatinitUt  oft  zu  kämpfen. 

Bei  den  freunden  der  Geschichte  des  Handels  und  des 
Seerecbts  und  des  Mittelalters  überhaupt  wird  Hr.  Meyer 
durch  diese  Dissertation  sich  nicht  nur  wahren  Dank  verdie-  - 
nen,  sondern  auch  den  Wunsch  erregen,  dafs  er  in  dieser  Par- 
tie sich  zu  weiteren  Untersuchungen  entschliefsen  möchte, 
wozu  er  sich  so  wohl  ausgestattet  zeigt.  Mit  Gründlichkeit 
und  Sorgfalt  im  Detail  verknüpft  er  ein  Anstreben  naclj  höhe- 
ren ,  umfassenderen  Gesichtspunkten.  Hiedurch  eignet  er  sich 
durchaus  zu  der  so  anziehenden  Aufsuchung  der  Fäden  ,  die 
in  dem  dunkelen  Leben  des  Mittelalters  die  Völker  unter  ein- 
ander verknüpften ,  als  deren  einen  Hr.  Meyer  das  Seegewerbe 
ganz  richtig  in's  Auge  gefafst  zu  haben,  und  gerade  deshalb 
so  davon  angezogen  worden  zu  seyn  scheint. 

Ä  o.  §  g  0, 

■ 


Exercitationes  Aethiopicae  sive  observationum  criticarum  ad  emenJan» 
dam  rationem  grammaticae  Semiticae  specimea  primum*  Scripsit 
D.  Her  mann  us  Hupfeld^    theologiao  in  academia  Marbur- 

gensi  Professor  extraordinatws.    Lipsiae  1.825.  4.  46  S. 

■ 

Es  ist  eine  allgemein  anerkannte  Wahrheit,  dafs  indem 
verbältnifsmäfsig  geringen  Vorrathe  hebräischer  Denkmale 
nicht  alle  Wurzelwörter  vorkommen  können  ,  und  diese  Sprache 
daher  vielleicht  ärmer  scheint,  als  sie  wirklich  gewesen.  Man 
bat  also  mit  Recht  bei  den  benachbarten  Mundarten  Hülfe  ge- 
sucht, aber  bei  weitem  noch  nicht  diese  Quellen  erschöpft. 
Am  mehresten  hat  man  die  arabische  Sprache  seit  Schultens 
verglichen,  etwas  auch  die  äthiopische,  die  koptische  dagegen 
fast  gar  noch  nicht.  Letztere  hat  man  nicht  benutzt,  theils 
weil  man  sie  nicht  verstand,  theils  weil  ein  Vorurtheil 
herrschte ,  dafs  sie  gar  nichts  mit  der  hebräischen  gemein  habe 
Daher  die  zwei  sich  ganz  widersprechenden  Artikel  in  der 
neuen  Hallischen  Erjcyclopädie,  unter  welchen  der  letzte  von 
Hug  in  Freiburg  wohl  die  richtigere  Ansicht  giebt. 

Zur  Kenntnifs  der  äthiopischen  Sprache  hat  Ludolf  nicht 
nur  die  Bahn  gebrochen,  sondern  auch  alles  gethan,  was  da- 
mals zu  thun  möglich  war.  Ihm  wird  ewig  dieser  Ruhm 
bleiben.  Denn  was  auch  noch  zur  Erweiterung  und  Berich- 
tigung jener  Kenntnifs  geschieht,  würde  nicht  geschehen  kön- 
nen, wenn  er  nicht  gewesen  wäre.    Allein  da  aller  Anfang 


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Hupfeld  Exerciutiones  Aethiopicae.  19 

schwer  ist,  so  konnte  Ludolf  auch  irren ,  und  mufste  es  ,  weil 
die  hier  eingreifenden  Wissenschaften  noch  nicht  auf  der  Höhe 
standen  ,  auf  der  sie  jetzt  stehen.  Es  war  daher  nicht  genugf 
ihn  hie  und  da  in  den  hebräischen  Wörterbüchern  auszu- 
schreiben, sondern  man  hätte  sich  wirklich  auf  die  Erler« 
nung  dieser  Sprache  Jegen  müssen,  um  eine  Revision  von 
Ludolfs  Arbeiten  vornehmen  zu  können.  Und  letzteres  scheint 
jetzt  die  Absicht  des  Verf.  zu  se}rn. 

Herr  Hupfeld  theilt  seine  Arbeit  in  zwei  Theile:  der 
erste,    welcher  nun  vorliegt,  ist  der  Verbesserung  der  äthio- 
pischen Grammatik  gewidmet.     Der  zweite,  den  wir  künftig 
zu  erwarten  haben,  soll  die  Anwendung  auf  die  andern  Mund- 
arten enthalten.     Jener  handelt  also  jetzt  im  ersten  Buche  de 
elementis  von  der  Buchstaben  Gestalt,  Namen  und  Potenz, 
wobei  der  Verf.  sich  besonders  über  die  Vocale  ausgelassen 
hat;  im  zweiten  Buche  de  partibus  orationis  von  den  Prono- 
minibus,  Verbis  und  Nominibus.     Um  Ludolf  beouem  ver- 
gleichen zu  können  ,  wird  sein  Werk  bei  jedem  darüber  han- 
delnden Hauptstücke  angezogen,  so  dafs  man  diesen  Theil  als 
Nachtrag  und  Berichtigung  von  Ludolfs  Grammatik  ansehen 
und  mit  grofsem  Nutzen  gebrauchen  kann.     Möchten  doch 
mehrere  junge  Theologen  diesem  lobens würdigen  Beispiele 
folgen,  und,   wenn  sie  etwas  Mehreres  leisten  wollen  und 
leisten  zu  können  glauben,  als  der  grofse  Haufen  thut,  eben- 
falls die  Exegese  berücksichtigen.    Denn  nur  diese  kann  noch 
äu  etwas  Weiterem  führen;  nur  diese  greift  auch  in  andere 
Wissenschaften  ein,  und  hat  also  aufser  der  Theologie  noch 
einen  besonderen  Werth. 

Ueber  vorliegende  Arbeit,  halten  wir  uns  überzeugt, 
werden  auch  Sprachkundige  ein  vorteilhaftes  Urtheil  fällen. 
Unterzeichneter  hat  begreiflich  an  dem  graphischen  Theil  den 
mehresten  Antheii  genommen,  und  wird,  wenn  er  dereinst 
die  in  den  Bildern  und  Schriften  entworfenen  ersten  Linien 
der  semitischen  Paläographie  weiter  ausführen  sollte,  mehrere 
vom  Verf.  über  die  äthiopische  Schrift  gemachte  schätzbare 
Anmerkungen  gründlich,  wie  sie  es  verdienen,  zu  prüfen  Ge- 
legenheit haben,  wozu  hier  der  Raum  fehlt.  Nur  das  noch, 
weil  es  allgemeiner  ist,  glaubt  er  hier  anführen  zu  dürfen. 
Der  Hr.  Prof.  nimmt  nicht  nur  (S.  2.)  die  Neuheit  der  he- 
bräischen Quadratschrift,  welche  an  der  Gestalt  der  Schrift- 
zeichen selbst  Ref.  zuerst  gezeigt  hat,  an,  sondern  auch  das 
ursprüngliche  Daseyn  semitischer  Vocalbuchstaben  in  so  weit, 
als.  er  über  die  bisherige  Krückenlehre  (S.  9.)  sagt  „momtrum 
Htcrarum  quuscontium«,     Als  Ref.  über  beide  Puncte  in  den 

o  * 


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20  Hupfeld  Exerei/aiiones  Aerluopicae» 

„Bildern  und  Schriften«  seine  gegen  die  alte  Lehrart  krtze- 
rische  Ansicht  laut  vertheidigte ,  hielt  er  sich  zwar  überzeugt 
dafs  die  Wahrheit  einst  allgemein  anerkannt  werden  würde; 
er  glaubte  aber  nicht  den  Anfang  davon  selbst  noch  zu  er- 
leben, weil  die  gegenwärtige  Generation  das  in  den  Schulen 
eingeprägte  Vorurtheil  schwerlich  so  bald  würde  ablegen  kön- 
nen.    Gerechter. muiste  er  aber  schon  da  über  seine  Zeitge- 
nossen urtheilen,  als  seihst  der  ehrwürdigste  Veteran  in  der 
Wissenschaft,  Eichhorn  in  Gotti  ngen,  die  vom  Ref.  vorge- 
zeichnete Ableitung   der    hebräischen  yuadratschrift  in  die 
neueste  Auflage  Seiner  Einleitung  in  das  alte  Testament  mit 
aufnahm.     Seitdem  zählt  lief,  schon  mehrere  Gelehrte,  die 
obige  Meinung  mit  ihm  theilen.     Da  ihm  jedoch  in  den  dar- 
Üher  erhaltenen  Zuschriften  auch  Zweifel  eröffnet  worden 
sind,  die  zum  Theil  ganz  sonderbar  klingen,  zum  Theil  aber 
wohl  der  Erörterung  werth  scheinen  ;   so  sey  es  erlaubt,  bei 
dieser  Gelegenheit  einige  zu  beantworten.     Unter  erstere  ge- 
hört ein  Einwurf  gegen  die  Neuheit  der  hebräischen  (Quadrat* 
schrift,,  welcher  so  lautet:    „Die  Folge  und  Kette  in  den 
„Schriftzeichen  der  Tafel  (Bilder  U.S.  w.  Th.2.  S.  157.)  könne 
,zwar  Niemand  läugnen,  wohl  aber  den  Anfang  und  das  Ende 
,  umdrehen,    wodurch  denn    die  hebräische  Quadratschrift 
, grade  die  älteste  werden  würde."  —  Hat  man  aher  wohl  da- 
tei  bedacht,  dafs  alsdann  die  babylonische  auch  für  die  neue- 
te  müsse  gehalten  werden?     Doch  wir  wollen  einmal  den 
Ziegelstein,  auf  Welchem  sie  steht,  unter  die  neuesten  Denk* 
nale  zählen;    soll  denn  die  palmyrenische  Schrift  mit  Zeit- 
ngaben  nach  Christi  Geburt  älter  seyn ,  als  die  auf  jüdischen 
Beckeln,  welche  Jahrhunderte  vor  Christi  Geburt  geschlagen 
vorden?  —  Ernstlicher  ist  der  Einwurf  gegen  das  ursprüng- 
iche  Daseyn  semitischer  Vocalbuchstaben  statt  der  Hauche; 
,Da  nämlich  in  den  phönicischen  Inschriften  weniger  Vocale 
^gefunden  würden,  als  in  neueren,  so  folge  daraus  ,  dafs  an- 
fänglich gar  keine  vorbanden  gewesen«.     Hiergegen  bittet 
nan  folgendes  zu  bedenken;  Vom  Nichrgehrauche  einer  Sache 
kann  man  auf  das  Nichtdaseyn  derselben  nie  sicher  schliefsen. 
}esetzt,  wir  schrieben,  wie  es  wohl^der  Ahkürzung  Wegen 
u weilen  geschieht,  „Prfssr  n  Mrbrg«,   folgt  daraus,  .dafs 
'ir  in  unserer  Schrift  kein  o,  e,  i,  a,  u,  haben?  Niemand 
areifelt  daran,  dafs  die  Etrurier  wirkliche  Vocalbuchstaben 
atten,  und  doch  liest  man  in  ihren  Steinschriften  MNRFA, 
'RESNTS,  APLV,  AFLS,  PETRNI,  RNTHLE  u.  s.  w. 
>er  Araber  hat  Vocale  (PuncteJ,   und  doch  läfst  er  sie  in  sei- 
en Schriften  oft  gänzlich  aus.     Griechen  und  Römer  haben 


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HupfeU  Exercitatioues  Aethiopica«,  01 

in  ihren  neueren  Schriften  Wortabtbeilung  und  Interpunktion. 
In  älteren  fehlt  beides  mehrere  Jahrhunderte  hindurch.  Wie 
falsch  würde  man  aber  schliefsen:  „also  hatten  sie  sie  ur- 
sprünglich nicht"!  Denn  glucklicher  Weise  haben  sich  von 
ihnen  Denkmale  erhalten ,  denen  in  Ansehung  des  Alters  kein 
phönicisches  an  die  Seite  gesetzt  werden  kann,  in  welchen 
eine  noch  dazu  sehr  gehäufte  Interpunction  sichtbar  ist. 
Beide  Einwürfe  können  also  lief,  nicht  wanken  machen.  Denn 
er  gieng  von  dem  aus  der  Natur  der  Sprache  hergeleiteten 
Grundsätze  aus ,  dafs  VocaltÖne  früher  da  waren  als  Consonant« 
laute,  wie  jeder  schon  am  Kinde  bemerken  kann;  dafs  bei 
Festsetzung  eines  Alphabets  jene  also  gewifs  nicht  übergan- 
gen wurden,  dafs  man  aber,  als  man  bemerkte,  die  Vocale 
schwankten  in  dem  Munde  fast  jedes  Einzelnen,  den  an  und 
für  sich  richtigen  Gedanken  fafste,  die  Consonanten  haupt- 
sächlich seyen  es,  welche  die  Sprache  festhalten dafs  man  da- 
her die  Vocale  oft  wegliefs,  und  einen  Jeden  nach  seiner  Aus«, 
spräche  hinzudenken  Jiefs.  Denn  wenn  der  türkische  Jude 
in  dem  nämlichen  Worte  A  hören  läfst,  in  welchem  der  pol- 
nische O  ausspricht,  so  ändert  das  in  der  Bedeutung  des  Wor- 
tes gar  nichts.  —  Allein,  was  noch  mehr  ist,  man  sieht  sogar 
in  den  phönicischen  Inschriften  wirkliche  Vocalhuchstaben , 
besonders  I  und  V,  ist  aber  in  der  Masorethen  Schlendrian  so 
verliebt,  dafs  man,  wo  ein  3  E  steht,  es  nur  einen  Hauch 
gelten  lassen  will,  um  nach  Belieben  einen  Vocal -hineinlegen  , 
oder  nach  dem  eigen  is  dazu  erfundenen  lächerlichen  Kunst« 
ausdrucke  darin  quiesciren  lassen  zu  können!  Dem  Buch- 
stab selbst,  der  doch  nicht  vernichtet  werden  konnte,  gab 
man  nun  den  albernen  Namen  Krücke.  Wäre  kein  Vocal, 
so  könnte  der  Syrer  nicht  schreiben  statt  fc^Jf*  u.  s.  w. 
Wie  konnte  man  wohl  den  Kabbinen  jene  Thorheiten  glauben? 
Wie  konnte  man  sie  Jahrhunderte  hindurch  in  allen  Gramma- 
tiken wiederholen  ? 

Wir  sehen  mit  Verlangen  dem  aweiten  Specimen  der 
vorliegenden  Aethiopicarum  ,  welches  in  andere  Sprachen  ein- 
greifen wird,  und  nach  der  Aeulserung  des  Hrn.  Prof.  nach 
und  nach  manchen  Zuwachs  erhalten  bat,  entgegen. 

Vir,  Fr,  Kopp, 

■  in. 


« 


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22  Ausgewählte  Schriften  von  H.  Zschokke. 

Hilft?«  Z  schokke*  s  Ausgewählte  Schriften,     Aar  au ,  i  82  5 .   bei  U. 
Ii.  Sauerländer,     10  Bändchen  in  12. 

*    Treis  für  24  Tble.  auf  ord.  Pap.  12  fl. 

weifs  ||    16  fl. 

Die  Geschäftigkeit  des  Buchhandels  und  das  Verlangen 
der  Lesewelt  nach  etwas  Frohehaltigem  und  Classischem  wen- 
det sich  gegenwärtig  auf  das  Sammeln  der  Werke  von  Schrift- 
stellern, in  welchen  die  Zeit  eine  gediegene  innere  Haltbar- 
keit*, wenigstens  eine  für  längere  Fortdauer  und  Wirksamkeit 
hinreichende  Lebenskraft  erkannt  hat. 

Die  sichersten  Ansprüche  auf  dieses  musterhafte  Fortwir* 
leen  werden  die  Schriften  haben  ,  welche  bleibend  anziehende, 
immer  neuerBetrachtung  würdige  Materien  in  einer  geschmack- 
vollen Form  dem  Leser  vorhalten.  Das  Geschmackvolle  be« 
steht  darin ,  dafs  einer  Materie  eine  solche  Art  von  Erscheinung 
gegeben  wird,  durch  welche  sie  denen  Geistesvermögen  ,  von 
denen  sie  aufzufassen  ist,  in  höherem  Grade  annehmlich  wird, 
so  dafs  sie,  wenn  wir  so  sagen  dürfen,  gerne  gekostet  wer- 
den kann  ,  weil  sie  für  die  Empfänglichkeit  der  Sinne  oder  des 
Geistes  und  Gemüths  gleichsam  w  wohlschmeckend««  zubereitet 
wurden.  DieForm  der  Erscheinung  wird  deswegen  bei  sinn- 
licheren Stoffen  darauf  berechnet,  dafs  sie  d  u  rch  sinnlich  e 
Empfindung  (Sehen,  Hören  und  anderes  sinnliches  Affici- 
ren)  die  Einbildungskraft  reize  und  erwecke;  wobei  e« 
genug  ist,  wenn  sie  den  Verstand  durch  Zweckmässigkeit  be- 
friedigt. Wenigstens  darf  sie  diesem  nicht  durch  das  Gegen- 
tbeil  zurilckstoisend  und  unangenehm  werden.  Ein  andermal 
aber  ist  die  Form  der  Erscheinung  eines  zu  betrachtenden  Ge- 
genstands ,  seiner  Natur  nach,  darauf  zu  berechnen,  dafs  sie 
vornehmlich  durch  den  Verstand  auf  die  E i n b i  1  * 
dungs  kraft  wirke,  damit  sie  als  wahr  oder  wahrschein- 
lich leicht  zu  fassen  sey ,  und  das  interessante  der  Materie  um 
so  erkennbarer  werde.  Je  vollendeter  dann  die  Form  oder 
Einkleidung  des  den  Verstand  und  die  Mitempfindung  an- 
sprechenden Inhalts  selbst  ist,  und  je  harmonischer  Form  und 
Stoff  mit  einander  verbunden  sind,  desto  fortdauernder  wird 
die  Wirkung  seyn,  verschiedene  Zeitalter  hindurch  Geist  und 
GemiUh  zur  Aufmerksamkeit,  zum  willigen  Annehmen  und 
Betrachten  zu  reizen. 

Eine  bewundernde  und  erfreuliche  Betrachtung  der  Form, 
wenn  sie  trefflich  ist,  kann  fortdauern,  auch  wenn  die  Ma- 
terie nicht  mehr  als  wahr  interessirt;  wie  das,  was  von  irgend 
einer  Mythologie  schön  dargestellt  ist  oder  darstellbar  wäre. 


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Ausgewählte  Schriften  Ton  H.  Zschokke.  23 

Macht  aber  die  Materie,  ihrer  Natur  nach,  auf  Glauben  an 
ihr  Wahrseyn  Anspruch ,  und  ist  sie  doch  dem  Verstände  zu« 
riickstofsend  oder  mit  ihm  unverträglich  geworden  ,  so  kann 
selbst  eine  an  sich  vorzügliche  Forin  und  Gestaltung  ein  solches 
Kunstwerk  nicht  lange*  retten.  Es  kann  nicht  als  allgemein 
annehmbar  fortwirken ;  nur  denen,  welche  dieFprm  vomStoff 
subtiler  unterscheiden,  bleibt  eine  solche  Form  doch  noch 
zur  Bewunderung  geeignet,  während  sie  übrigens  das  Ver- 
schwenden an  eine  unhaltbare  Materie  beklagen;  wie  bievon 
die  Messiade  ein  warnendes  Beispiel  giebt  y  worüber  man 
nicht  reden  mag  ,  aber  stillschweigend  und  factisch  offenbar 
einverstanden  ist. 

Die  Zschokkeschen  Schriften  behandeln  meist  Mate- 
rien, welche  sehr  lange  die  Aufmerksamkeit  anziehen  werden. 
Ihre  Form  ist,  durch  unverkünstelte,  lichte,  lebhafte  Dar- 
stellung der  Wahrheitgründe  sich  der  verständigen  Fassungs- 
kraft annehmbar  zu  machen  ,  ohne  sie.,  wie  Demonstrationen, 
aufzunöthigen.  Eine  Sammlung  derselben  wird  also  lange 
fortwirken;  und  zu  wünschen  ist  dieses,  weil  die  behandelte 
Materien  vielseitig  in  das  Interesse  der  Menschheit  eingrei- 
fen ,  und  daher  ein  Allgerneinwerderi  klarer,  richtiger  Einsich- 
ten darüber  unabweislicb  nothig  ist.  Ree.  freut  sich,  schon 
zehn  Bändchen  dieser  interessanten  Sammlung  vor  sich  zu  ha« 
ben,  welche,  auch  gefällig  in  der  Gestalt  und  im  Abdruck, 
7  u  reichem  Genufs  des  Nachdenkens  und  Mitempfindens  ein- 
laden. 

Die  psychologisch  interessante  Frage,  wie  dem  Vf.  diese 
Vielseitigkeit,  dies  praktische  und  pragmatische  Urtheil, 
diese  yolksthümliche  Eindringlichkeit  und  Gewandtheit  mög- 
lich geworden  sey,  läfst  sich  zum  Theil  aus  den  vorangestell- 
ten „  Lebensgeschichtlichen  Umrissen«  I,  5  —  62.  beantwor- 
ten, denen  sein  Bildnifs  vorangeht.  Einer  ungewöhnlichen 
Vielempfänglichkeit  seines  Geistes  kam  durch  einen  eigen- 
thümlichen  Trieb,  sich  vielseitig  zu  beschäftigen  und  in's  Le- 
ben sich  zu  versetzen,  eine  ungewöhnliche  Menge  äufserer 
Veranlassungen  zum  Denken  und  Handeln,  zur  Wissenschaft- 
liehen  und  augewandten  Wirksamkeit  entgegen.  S.  51?  "af 
der  Vf.  namentlich  Hrn.  H.  N,  Sa  u  e r  1  ä  n  d e  r  und  „den  lie- 
ben, ailemannischen  Sänger,  Hebel«,  als  Freunde  hei-~d*n\ 
frohe* ten  Tage  seines  Lebens  ausgezeichnet.  —  Die  „Erin- 
nerungen aus  llkätien«  und  der  „Bürgerkrieg  in  der  italieni- 
schen Schweiz«  gehören  auch  zu  dieser  Lebensgeschichte ,  da, 
der  Vf.  überall  lebendig  darstellt,  wie  er  an  dem  Drängen  der 
Zeit  bessernden  Antheü  tu.  nehmen  strebte«     Ebendahin  ge- 


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X 


24  Ausgewählte  Schriften  von  H.  Zschokke. 

hören  vom  zweiten  Bändchen  die'  drei  ersten  Gemälde :  die 
Aufruhr  (der  Aufstand)  von  Stans  und  der  Urcantone  im  J 
1799  ;  alsdann  Friedr.  Cäsar  L  a  ha  rp  e,  nach  178.3  K.  Alexan- 
der* Il.ehrer,  ein  Mann,  den  das  Patriciat  von  Bern  ächtete, 
der  aber  den  im  Archiv  vergrabenen  Tractat  von  Lausanne 
vom  J.  1565  wieder  zur  Wirkung  brachte,   doch  den  Grund- 
satz kräftiger  Einheit  für  die  Schweiz  nicht  durchsetzen  konn- 
te;  zuletzt  Nikol.  Friedr.  von  Steiger,  der  Republik  Bern 
Schuhheils.    (Einen  Anhang  machen  die  lesenswerthell  Skizzen 
von  der  Iebensthütigkeit  der  seltenen  Männer,  Sc  h  wäre 
von  Sonnenburg,  des  Evangelischen  Apostels  Ostindiens,  und 
Ludw.  Burkhard  von  Basel,  des  Bereisers  des  Innern  von 
Afrika.)     Sehr  unterhaltend  und   weckend   sind   die  vielen 
Winke  der  Klio  im,  dritten  Bändchen.     Im  vierten  sind 
iti  „Sorgen  (und  Besorgnisse)  der  edleren  Menschheit  für  die 
Erhaltung  ihrer  VYürde'*-  vieje  Notizen  der  neuesten  Zeitge- 
schichte zusammengestellt.    Anregungen  für  allgemeinen  Frie- 
len  bis  aqs  Massachuset.  Befreiung  der  N<  ger,  Sorge  für  Ver« 
laftete.     Neben  der  Pariser  Gesellschaft  für  christliche  Moral, 
luch  (S.  78.)  eine  Tractätchens-Gesellschaft,  die  aber  nicht  fröm- 
nelnden  Afterglauben  und  Meinungseifer,    nicht  Sectirerei, 
sondern  das,  was  alle  Christen  erbauen  kann,  verbreiten  will. 
Verbreitung  der  gegenseitigen  ( selbstthätigen )  Unterrichts- 
nethoden (das  Mittel,  welches  Südamerika  bald  von  Pfafferei 
end  Nacbsprecherei  freier  machen  wird).     Die  Bibelgesell- 
►chaften  (der  Uebergang  bis  dabin,  dafs  man  lesen  und  etwas 
'zusammenhängendes  überall  verstehen  lerne)  bis  auf  die  Bulle 
.Mus  VII,  nach  Gnesen  (welche  das  Encyclische  Schrei ben  JLeo 
Jes  XI.  zum  Erstannen  aller  besser  unterrichteten  leider  bei« 
stimmend,  für  ächt  erklärt  bat,  dä  zu  gleicher  Zeit  der'Cha- 
iphe  oder  Vicarius  Oei  zu  Conslantinopel  auch  ein  Bibelver- 
)ot  durch  Muftis  und  Mollahs  verbreiten  liefs).     Hierauf  be- 
ginnen gröis,ere  historisch-politische  Schilderungen  :  Gröfse 
und  Untergang  des  Freistaats  Venedig  (auch  einer  Republik 
ahne  Republikaner).     Hollands  Schicksal  (wo  die  jetzige 
Regierurig  wohl  zu  verstehen  scheint,  dafs  nur  rechtliche  Frei- 
leit  mit  Geistesbildung  solche  Moorländer  bewohnt  erhalten 
ind  gewerbreich  machen  kann). 

Fünftes  B.indchen.     Ausbreitung  des  Christen tlm ms  (in 
einer  Vielgestaltiokeit)  S.  267  —  275.     Von  der  Jesuitischen 
neokratie,  oder  dem  Priesterreich  am  Uragay.     (l-)as  jetzt 
treitig  gewordene  Cbiquito  gehörte  auch  dahin.)      S.  3 1 4» 
Schicksale  der  Freimaurerei  in  Europa  ,  vornehmlich  der  fran- 
ösischen.    (Entartungen ,  wie  in  allem  iV|enschUchen.  Aber 


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Ausgewählte  Schriften  von  H,  Zschokke.  25 

zernichten  denn  diese  auch  die  Anlagen  zum  Wflrif tg^ren f 
die  Folgen  |  welche  aus  einem  engeren,  freiwilligen  Ilm  Je  dei 
Vertrauens  zwischen  allen  Ständen  entstehen,  während  der 
allgemeine  Egoismus  universelles  iVIüstrauen  aller  g^g^n  alle 
herrschend  macht  ?  ) 

Sechstes  Bandchen.  Kampf  und  Untergang  der  schweif 
zerischen  Berg-  und  Wajdcantone.  (Der  gesunde  Menschen« 
verstand  gah  nach  S.  3t«  den  Waldstetten  vor  Zwiugli  und 
Luther  einen  „ Pfuffenbi  ief ** ,  da(*s  ülier  Sch  weizerbiirgtrr  kein 
Fremder  eine  Jurisdiction  habe,  jeder  Geistliche  die  Landes«, 
auflagen  mitentrichte  ,  weltliche  Obrigkeit  sie  ein-  und  ab» 
setze.  Sind  die  Enkel  indeffl  einsichtiger  geworden,  als  die 
Vorväter"?)  Umrüs  der  Geschichte  des  Aargau.  S.  337, 
„Aargau  fand  in  der  Gunst  von  Kaisern  und  Konigen  das 
Glück  seiner  Freiheit  und  Selbstständigkeit  gewährleistet, 
welches  ihm  von  Einzelnen  in  der  Eidgenossenschaft  mißgönnt 
worden  war.«  - 

Siebentes  Bändchen.  M  e  i  11  n  n  e  s  k  a  m  p  f  im  teutschen 
Volke  zu  Anfang  des  neunzehnten  Jahrhunderts.  (Sehr  Uli« 
partheiisch  und  menschenkundig.)  Brittisches  Besitznahmen 
ler  Insel  C  u  1  a s  s  a  o.  JöOü.  Freuudesworte  über  v.  S  c  h  1  i  c  h  * 
cegroll.  Auch  ihm  wurde  schwer  genug  gemacht  die  Aus- 
übung der  grofsen  Worte  Imcaus  (S.  2cJj.)  über  die  Bestim- 
mung ächter  Menschen  ; 

servare  modum  ,  finemque  tenere  , 
Naturamque  sequi,  pattiaeqtttt  impendere  vhe$ 
Nun  sali  sibi9  sed  genitunt  se  credere  mundo.  1 
In  commune  bonus  t  — 

, Unter  was  für  Geyer  und  Raben««,  schrieb  Schi.  1812-  an 
.^schokke,  „  ist  meine  Taubennatur  gerathen.«      Uaid  doch, 
ie  sich  auch  Ree.  aus  seinen  Erfahrungen  mit  Freuden  zu* 
N  ickerinnert,  war  es  keineswegs  die  Regierung,  keineswegs 
e  höheren  Mitglieder  derselben,   die  einen  solchen  Ausruf 
veranlassen  mochten  J    Wie  edel  stillte  (S.  280.)  Maximilian 
)seph  1Ö10  die  bis  an  Napoleon  gebrachte  antipiotestantische 
)enunciationen  des  Neides,  der  auch  nur  i„  der  Hauptstadt 
tnd  nur  bei  wenigen  Machtgierigen  sich  zeigte.  —   Von  Ja- 
cobs (nach  Gotha  zurückgegangen)  schrieb  Schi.  (S.  271«)  im 
L  1811  :  „der  Unersetzliche  geht  mjr  täglich  ab,  als  Freund, 
Is  Akademiker,   als  Qebftlfe  an  Baierns  Fortbildung.«  Von 
;.  294-  folgen  interessante  Stellen  aus  Briefen.    Es  ist,  da  in 
iesen  Tagen  Baiern  an  seines  Maximilians  Sarge  dankvolle  / 
,  hränen  weint,  tun  so  gewisser  nicht  Schmeichelei ,  dafsauch 


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26  ülr#  de  Hutten  Opera  ed.  Münch. 

Ree.  von  S.  317.  die  Worte  auszeichnet:  „Einer  der  wohl- 
wollendsten Könige,  die  je  über  Menschen  regiert  haben!  Er 
hat  Stand  gehalten  hei  manchem  Andringen,  dafs  auch  Er  stö- 
rend in  das  eingreifen  sollte,  was  der  Zeit  gemäTs  eingeleitet 
und  in  Gang  gebracht  worden  war.  So  gelieht  zu  werden , 
sollen  alle  streben.« 

Achtes  und  neuntes  Bündchen.  Des  Schweizerlandes  Ge- 
schichte f'flr  das  Schweizervolk.  (Die  Schweiz  hat  keinen 
Auswärtigen >  der  seine  Aufnahme  in  ihr  Bürgerrecht  —  die- 
sen bereidenswerthen  republikanischen  Adelsbrief —  schwei- 
zerischer rechtfertigte.) 

Die  ganze  Sammlung  wird  durch  noch  vierzehn  Bündchen 
Complet  werden.  Ein  Register  des  vielfachen  Inhalts  ,  wenig« 
stens  ein  Na  mensregister  ,  da  nach  den  Namen  auch  die  Sachen 
leicht  aufzufinden  wären,  ist  jedem  Bündchen  ,  oder  dem  Gan- 
zen zu  wünschen. 

H.  E.  G.  Paulus. 


Ul  rieht  de  Hutten,  Equitis  Germani,  Opera  quae  exstant , 
Omnia.  Calle  gity  ed'ulit  ,  annotationibus  illustravit  Ern,  Jo- 
seph. Hermann  Münch,  Philos.  Dr.  et  in  Alma  Un'wersitate  AI» 
berto-Ludoviciana ,  quae  est  Friburgi  Brisgoiorumy  Prof.  P.  £x- 
traord.  Tomas  V.  {Motto:  Ewig  wiederliallt  ein  gro/ses  Wort ; 
Und  die  gro/se  That  schafft  ewig  fort!)  Berolini,  sumt.  G. 
Reimeri.  1825.     546  S.  in  8.  2  Thlr.  12  Gr. 

Auch  unter  dem  teutschen  Titel: 

Des    teutschen    Ritters,     Ulrich    von    Hutten^     s  ämmtli  che 
fTre  r  k  e.     Gesammelt ,  und  mit  den  erforderlichen  Einleitungen, 
Anmerkungen  und  Zusätzen  herausg.  von —  Münch  — 

Herausgeber  und  V  er  leg  er  verdienen  ehrenden  Dank, 
Huttens  wahres  Monument,  seine  Geisteswerke, 
zum  neuen  Genufs  ,  zur  neuen  Fortwirkung  ,  aus  der  durch 
das  Seltenwerden  der  einzelnen  alten  Abdrücke  entstandenen 
Vergessenheit  wieder  in  das  öffentliche  Lieben ,  in  das  Den- 
ken und  Wollen  der  Gleichgestimmten ,  eingeführt  zu  haben, 
nachdem  sooft  von  Mindernnternehmenden  vergeblich  zu  einer 
solchen  mühsamen  und  kostspieligen  Unternehmung  und  Aus- 
stattung Hoffnungen  gemacht  waren. 

Unsere  Europüische  Geisteserhebung  beginnt  zuerst  mit 
den  ästhetischen ,  alsdann  mit  den  philologisch -historischen 


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! 


Ulr.  äe  Hutten  Opera  ed.  Mönch.  27 

und  philosophischen  Vorbereitungen  der  Kirchenreformation , 
ohne  welche  man  sich  den  finstern ,  gewaltthätigen  Vorurtbei- 
len  des  ptäffischen  Mittelalters  nicht  entwunden  hatte.  Man 
beruft  sich  umsonst  auf  Dante,  Petrarca  u.  •.  w.  als  Genien, 
die  der  Kirchenglaube  aufgeregt  habe.  Anders  nicht,  als  so  t 
dafs  sie  den  Miishräuchen  stark  widersprachen,  und  dafür  der 
Hierarchie  gar  nicht  genehm  waren.  Die  endliche,  geistige 
Kirchenreformation  selbst  wurde  aus  dem  Todesschlaf  der  Un- 
wissenheit und  der  alles  duldenden  Hingebung  an  herrschsüch- 
tige Mitmenschen,  ohne  deren  Ceremonienwesen  und  Ablasse 
man  nicht  seelig  werden  zu  können  wähnte,  durch  die  uner- 
träglichsten Uebertreibungen  der  Mifsbräuche  erst  nur  zum 
negativen  Lieben,  zum  Bezweifeln  und  Verwerfen  der 
handgreiflichsten  Irrmeinungen  aufgeregt,  nachdem  diegrofsen 
ConciJien  zu  Constanz  und  Basel  auf  die  Notwendigkeit  einer 
Kirchenreformation  in  Haupt  und  Gliedern  laut  und  allgemein 
aufmerksam  ,  aber  auch  klar  gemacht  hatten  ,  dafs  freilich  von 
der  Sittenverdorbenheit  selbst  nicht  einmal  zu  äufseren  Ver- 
besserungen Einwilligung  zu  hoffen  sey. 

Ueberhaupt  ist  es  für  alle  Zeiten  wichtig,  einzusehen, 
dafs  eine  tüchtige  Verbesserung  der  Mifsbräuche ,  als  der  Fol- 
gen und  Früchte,  nicht  anders  als  durch  Besserung  der  Lehr- 
einsichten, nämlich  'des  Baums,  auf  welchen  die  Hierarchie 
so  viel  ungöttliches  eingeimpft  hatte,  zu  bewirken  war.  Da- 
zu war  neue  Entwickelung  der  Lebenskraft,  die  Erregung 
des  Selbsrdenkens  durch  die  Beispiele  der  Alten,  besonders 
der  griechischen,  durch  Empfindung  für  das  Schöne,  Würdi- 
ge, Erhabene  zum  Wahren  geleiteten  Muster  des  Geschmacks 
und  der  Urtheilskraft  nothwendig.  Und  —  wie  gar  oft  in 
der  Menschengeschichte  das  schlimm  gemeinte  unerwartet  für 
das  bessere  mitwirkt  —  gerade  jenes  Co  ncilium  zu  Floreuz, 
wodurch  die  Curie  die  guten  Wirkungen  der  meist  vom  ge- 
bildeteren Mittelstand  geleiteten  Kirchenversammlung  zu  Basel 
zu  lähmen  trachtete,  führte  —  zwar  nicht  eine  haltbare  Union 
mit  der  Dogmatik  und  dem  Primat  von  Rom,  aber  « —  die 
geistigere  Union  herbei,  dafs  unterrichtetere  Griechen 
die  Vorbilder  strenger  Forschungskraft  und  gotteswürdiger 
Idealität,  Aristoteles  und  Plato ,  und  die  uralten  Muster  des 
Geschmacks,  neben  welchem  die  täuschenden  Priestersvorur- 
theile  als  lächerlich  nicht  bestehen  können,  dahin,  wo. man  es 
am  meisten  bedurfte,  nach  Italien,  aus  der  türkischen  Ver- 
wüstung immer  mehr  herüber  flüchteten,  und  bald,  beson- 
ders auch  bis  in  das  für  ernste  Wahrheiten  so  empfängliche 
Teutschland ,  verbreiteten.  * 


■ 


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I 


28  Ulr,  de  Hutten  Opora  ed.  Münch. 

Dort  also  ,  wo  das  neue»  durch  Zertheilung  in  so  viele 
selbst&tandige  Staaten  allmählig  der  römischen  Tendenz  nach 
Universalherrschait  entwachsende  Europa  zum  Aufschwung 
der  Geister  durch  die  ewigen  Musterwerke  des  AJteithums 
wieder  erregt  worden  ist,  sollte,  dünkt  uns  immer,  auch 
hauptsächlich  das  allgemeinere  Studium  der  neueren  Geistes« 
Lildung  sich  den  Hauptpunct  setzen.  Alles  mustermäfsige 
aus  dem  höheren  Alterthum  wurde  dort  erneuert  und  darauf 
iui  rgehaut.  Wer  sich  von  dortan  mit  dem  Ausgezeichneten 
beschäftigt  ,  wird  auch  zu  dem  Geistighesten  der  Vorzeit  zu- 
rückgerührt, und  erkennt  zugleich,  wie  es,  durch  spätereEr- 
fahruiigen  und  Denkanstrengungen  vermehrt,  verbessert,  wie 
dort  das  Vielfache  im  Wesentlichen  vereinigt,  geläutert  und 
zur  Bildung  der  jetzigen  Welt  verwendet  wurde.  So  vie- 
lerlei Anhängsel  aber,  von  denen  doch  keine  halthare  Aus- 
Leute vorauszusehen  ist,  möchten,  wie  sie  es  damals  waren, 
der  Vergessenheit  oder  etwa  nur  denen,  welche  zur  Gelahrtheit 
verdammt  sind,  überlassen  bleiben« 

Die  gewöhnliche  Methode,  immer  wieder  ab  ovo  anzu- 
fangen, und  alles,  das  einflufslose  wie  das  fortdauernd  wich- 
tig6» )a  jenes  sogar  oft  mehr  wie  dieses,  Schritt  für  Schritt 
mitnehmen  zu  wollen,  ist  die  Ursache,  warum  die  Meisten 
bis  zu  dem,  was  unsre  Zeit  und  ganze  Bildung  viel  näher  an- 
geht, nicht  vorzugsweise  hinkommen.  Will  man  erst  in 
den  Steppen  des  vierten,  fünften  bis  fünfzehnten  Jahrhunderts 
alleSeitenwege  der  Ps^udoplaton  i  k  ,  des  Augustinismus  und  der 
zugleich  daraus  entsprossenen  Mystik  und  Scholastik  durchge- 
spürt haben,  wie  kann  man  noch  zu  rechter  Zeit,  in  der  kräftigen 
Frische  des  Lehens,  die  Zeitgemälden  Geisteserregungen  auf- 
fassen, die  uns  in  Aesthetik,  Philosophie  und  Religionslehre 
die  Wiederhersteller  dieser  Wissenschaften  im  vierzehnten  Iis, 
sechszehnten  Jahrhundert  vorbereitet  hatten.  Deswegen, 
dünkt  uns,  wären  Chrestomathien,  d.  i.  mancherlei  Auslesen 
des  geistig  nützlichen „  also  des  wahren,  guten,  schönen,  in 
Stellen,  wo  es  gut  gesagt  und  begründet  ist,  aus  den  Besten 
jener  Zeiten  viel  wünschens werther ,  als  die  fleifsigste  Be- 
schäftigungen mit  so  manchen  Schriftstellern ,  die,  wenn  sie 
unsre  Zeitgenossen  wären  ,  der  Achtung,  welche  ihre  jetzige 
Bearbeiter  an  «ich  verdienen,  nicht  würdig  seyn  würden. 
Leeres  Stroh  gedroschen  bleibt  immer  leeres  Stroh,  wenn  man 
auch  noch  so  sorgfältig  drischt  und  worfelt.  Schade  um  jeden 
schönen  Augenblick  ,  um  den  rühmlichen  und  der  fruchtbar- 
sten Anwendung  würdigen  Fleifs,  wenn  er  an  Darstellung 
von  Charakteren  und  an  Meinungen  verschwendet  wird,  die, 


;  • 

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e  .  * 

*  .  Digitized  by  Google 


Ulr.  de  Hutten  Opera  ed.  Münch.  29 

wenn  sie  nicht  gewesen  wären,  wir  nicht  zu  vermissen  hät- 
ten. Qua  parle  locatus  es  in  re  terrestri,  cerne!  ist  ein  wich- 
tiger llath  eines  alten  Zeitbeobachteis.  Wohl  uns,  dals  wir 
nach  der  griechischen  und  der  rumischen  Culture  poche ,  und 
nach  dem  grofsen  Intermezzo  eines  durch  weltliche  und  reli- 
giöse Willkührherrschaft  verursachten  Zerfalls  der  Cultur  Und 
des  Staatenwohls,  den  dritten  grofsen  Umschwung  des  mensch- 
lichen Geistes  ,  die  Vereinbarkeit  der  griechischen  und  römi- 
schen Geschmacks-  und  Verstandesbildung  mit  der  Üchtchrist« 
liehen  Vernunftbildung ,  erlebt  haben.  Lasset  uns  Würdig 
fortschreiten  auf  dieser  Bahn  der  mündig  gewordenen  Selbst- 
tätigkeit, ohne  die  Meinung ,  als  ob  die  Gelehrsamkeit  des 
neunzehnten  Jahrhunderts  anders  nicht,  als  in  den  ausgetrete- 
nen Schuhen  derjenigen  Zeitalter  gehen  in  Oiste,  die  man  doch 
endlich  allgemein  als  die  Zeiten  des  Sinkens  und  Fallens  der 
Wissenschaften  und  der  Staaten,  auch  als  die  Zeiten  der  Aus* 
artung  des  Urchristenthums  selbst,  anerkennt. 

Wie  viele  lebhafte  Erregungen  einer  geistvollen  Freimü- 
tigkeit erneuern  sich  nun  nicht  durch  die  glücklich  gesammel- 
ten fünf  Bände  des  ritterlichen  Feindes  aller  Verdunklungs- 
sucht und  Willkührgewalt.  Bei  ihm  wechseln  immer  Ernst 
und  Spott.  Seine  Kaustische  Satyr«,  ihren  Inhalt  von  der 
Wahrheit  und  den  schreiendsten  Zeiterfahrungen  borgend, 
geisselt  bald  lustig  bald  zürnend  das  verwerfliche,  dieSchlech- 
tigkeit  der  durch  Eigennutz  Verkehrten  und  die  unerträgliche 
Trägheit  der  alles  duldenden  Besseren ,  namentlich  der  allzu 
gutmüthigen  Teutschen. 

Der  letzte  Theil  enthalt  lauter  teutsche  oder  von  Hutten 
selbst  verteutschte  Schriften.  Unpartheiisch  gesprochen  ist 
er  hier  in  der  Sprachgewandtheit  hei  weitem  nicht  so  iVIer- 
ster,  wie  im  lateinischen.  Auch  verleiteten  die  teute-chen 
Heime  zu  mancher  überflüssigen  und  ungeordneten  Zt?ile, 
selbst  in  der  „Klag  und  Vermahnung  gegen  unchristliche  Ge» 
Walt  des  Babstes  zu  Rom  und  der  ungeistlichen  Geistlichen«, 
welche  doch  zur  Zeit  grofse  Wirkung  gethan  hat.  Ree.  erin- 
nert sich,  wie  richtig  der  Verfasser  der  teutschen  Geschichte , 
Schmidt ,  darauf  aufmerksam  macht,  dafs  um  die  Zeit  der 
Kirchenreformation  in  allen  Fächern  nichts  kläglicher  ist ,  als 
das  Ringen  um  den  Ausdruck,  auch  da,  wo  man  den  richti- 
gen Gedanken  hatte.  Daher  das  endlose  Geschreibe.  Sie 
häufen  in  allen ,  auch  Staatsaufsätzen ,  Worte  auf  Worte.,  weil 
sie  das  rechte  Wort  nicht  finden.  Man  lese  z.  B.  JVfüllers 
Sammlung  der  Acten  we»en  Entstehung  des  Protestantismus 
oder-  des  IVotestiiens  ge^en  Entscheidung  durch  Stimmen« 


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30  Üir.  de  Hutten  Opera  ed.  Münch. 

mehrheit  und  Macht  in  Sachen  geistiger  Ueberzeugung.  Wie 
viel  hat  nur  hierin  Luthers  Ki  aftsprache  und  das  Streben  , 
selbstständig  gedachtes  eben  so  aussprechen  zu  können,  zur 
Geistesbildung  beigetragen! 

Noch  für  unsre  Zeit  und  länger  mochten  vom  V.  Th.  die 
wichtigsten  Aufsätze  Huttens  seyn :  IV.  wie  die  Bähst 
all  wegen  wider  die  teutschen  Kays  er  ge  weist. 
Auf  das  Kürzest  aus  allen  Chronicken  gezogen. 
Item,  d  a  f  s  die  Kayser  all  wegen  Gewalt,  dieBäbst 
auf-,  und  abzusetzen  gehabt  (nach)  Zeugnifs  aus  der 
Babstchrouicka  .  .  .  nebst  der  Bübste  Satzung  ver- 
glichen  mit  der  Lehre  Christi  S.  103  —  l4ö*.  Auch 
das  Gespräcbbilchlein ,  das  erste  und  das  andere  Fie- 
ber genannt,  S.  157  —  214,  kann  seinen  Zweck  nicht  ver- 
fehlen. Eben  so  das  Gesprächbüchlein:  d  ie  Anschau  en- 
den, S.  330  —  365»  welches,  dünkt  mich,  den  Vadiscus 
weit  übertrifft.  Unter  dem  ,  was  Hutten  von  Andern  an's 
Licht  förderte,  möchte  (aufser  der  lateinischen  Kritik  des 
Valla  de  Donatione  Constantini  IYI.)  das  einer  Erneuerung 
würdigste  seyn  (S.  370.)  „Ermanung,  dafs  ein  jeder  bei  dem 
alten  christlichen  Glauben  bleiben  möchte,  von  Herrn  Con- 
rad Zärtlin  in  76  Artikel  verfaßt  (Bamberg  152t.)«  ^er 
Gedanke,  auf  das  ächtbiblische  wesentliche  Urchristen« 
thum  zurückzuführen  ,  ist  immer  einer  der  wichtigsten  und 
sich  von  selbst  empfehlenden.  ( Di k  kleine  Schrift  selbst  ist  hier  , 
als  fremde  Arbeit,  nicht  aufgenommen  und  sehr  selten.  Auch 
Ree.  sah  sie  noch  nicht.)  Unter  dem  übrigen  Vorrath  ist  der 
Neu- Karsthans,  ein  Gespräch  zwischen  einem  zum  Reiter 
gewordenen  Bauer  und  Franz  von  Sickingen  vortrefflich. 
(Durch  das  viele  Werben  zu  Lanzknechten,  Knappen  und 
Heitern  hatte  die  Bauerschaft  endlich  Fehde  führen  gelernt.) 
Irrt  II  ec.  nicht  sehr,  so  ist  Plan  und  Ausführung  im  Karst- 
bans viel  geordneter,  der  Ton,  so  tief  eindringend  er  ist, 
viel  ruhiger,  als  in  irgend  einer  Schrift  Huttens.  Mag  es 
immer  ,  wie  Ree.  hieraus  schliefsen  muis,  nicht  von  Hutten 
»eyn.  Es  ist  seiner  Stelle  und  Erneuerung  sehr  werth.  Hr. 
M,  sieht  darin  einen  früheren  Plan  von  Verbindung  des  Adels 
mit  der  Bauerschaft,  um  rechtlicheVe  Freiheiten  zu  erhalten, 
ohne  dun  nachmaligen  tollen  Mordbrennertumult  (S.  453.)» 
welcher  entstund,  als  die  Bauerschaft,  nur  durch  Knappen  - 
und  Retterdienste  an  Waffen  gewöhnt,  ohne  Leiter  oder  viel- 
mehr duir.ch  mystische  Schwärmer  verleitet,  allein  losbrach« 
Ueber  jener  Zeit  Sitten  und  Noth  finden  sich  hier  (S.  504. 
505.  ff.)  seltene  Winke.     Frana  v.  S.  hoffte  S.  471,  „Kaiser 


»  • 


Mr.  de  Hutten  Opera  ed.  Müuch.  31 

i 

Karl  sollte  anheben,  und  dann  wollten  sie  alle  dazu  dienen", 
ja  wohli  wenn  es  dem  jungen  Spanier  nicht  um  ahsolütea 
Herrschen  über  Alles  zu  thun  gewesen  wäre.  (S.  452.  ist: 
130  Artikel,  statt  30,  ein  Druckfehler.) 

Mit  Vergnügen  knüpft  sich  hier  die  Erwartung  an,  bald 
auch  über  Franz  v.  Sickingen  durch  Hrn.  M.  eine  schöne 
Sammlung  von  Thatsachen  und  Aufschlüssen  zu  erhalten. 

Ueberhaupt  ist  Hrn.  Prof.  Münchs  literarische  Thätig« 
keit  ausgezeichnet.  Aufser  der  Kedaction  seines  h  ist  o  ri- 
achen Museums,  wo  mehrere,  eigene  Aufsätze  von  ihm, 
wieder,  auch  besonders  abgedruckte  Bei  trag  zur 
Literatur  und  Kritik  der  Quellen  des  kanonischen  Rechts  und 
der  Kirchengeschicbte:  Ueber  die  Schenkung  Con- 
stantins  (Freiburg  1824.  102  S.  in  8.)  —  in  würdiger  Ge- 
sellschaft erscheinen  ,  haben  wir  vor  uns 

Die 'Heerzüge  des  christlichen  Europa  wider 

die  Osmanen  vom  ersten  Erscheinen  der  Osmanenmacht 

bis  zum  Aufstand  des  Hellenenvolks  1Ü21.    I.  IL  HI.  Th. 

Basel,  bei  Schweighäuser.  1822  und  i823.    220.  263.  u. 

300  S.  in  8, 

Daran  schliefst  sich  an,  als  Fortsetzung,  oder  auch  als  trenn, 
bares  Werk  :  , 

Geschichte  des  Aufstandes  der  Hellenischen 
Nation  von   der  Ermordung   des  Patriarchen 
...  bis  auf  unsre  Tage.     Nach  den  zuverlässigsten  Be- 
richten geschildert.     I.  Th.   Die  Begebenheiten   des  J. 
182t.  Basel,  h.  Schweighäuser.  J825.  271  S.  in  8.  Der 
II.  Th.   Die  Begebenheiten  der  J.  1822.  23.  und  24.  ist 
so  eben  erschienen  ,  und  wird  mit  der  Jahrzahl  1826  ab- 
gegeben.   329  S.  in  8.    Mit  einer  Zueignung  an  den  Vi- 
comte  Chateaubriand,  als  Philbellenun  und  Vf.  einer 
Heise  nach  Griechenland  u.  s.  w. 
Des  Vfs.  Erzählungston  ist  kurz,  klar  und  belebt.     Im  Inhalt 
waltet  Forschung  nach  den  besten  Quellen  und  die  Idealität 
eines  Freundes  aufhellender  Geistesbildung.     Die  Dedication 
scheint  in  einer  fast  verzweifelnden  Stunde  entworfen.  MDer 
wiedergebornen  Hellas  Tod  ist  der  Tod  des  moralischen  Cre- 
dits  unsers  WelttbeUs.    Den  Griechen  seihst  aber  befreit  da- 
durch das  Schicksal  von  der  Gemeinschaft  mit  Zeitgenossen, 
die  an  Selbstentehrung  alle  übrige  Geschlechtalter  übertreffen 
haben."  —  „Wenn  im  Falle  des  Untergangs  die  Frage  ergeht  2 
Durch  wen  sind  die  christlichen  Griechen  gefallen;  so  wird 
die  Geschichte  einblutrutbes  Blatt  enthüllen  ,  darauf  die  Wort« : 
Durch  Christen!" 


« 

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32  Manheim  Amatoriae  Narradooes  ed.  Passotv. 


Lasset  uns  vielmehr  das  Bessere  hoffen ,  und  nicht  nur 
hoffen,  sondern  dafür  jederzeit  und  in  allen  Beziehungen  thun, 
was  die  Pflicht  zum  Recht  macht* 

6.  Dec.  1825*  '      Dr,  Paulus. 

  -  ■■  —  — 

Parthenii&icattensis  Amatoriae  N  arr  atio  rie  s.  Ad  fidem 
cod  icis  Pulatini  recensuit  Franciscus  P  as  sow»  Accesserunt 
Diogenis  A ntonii  et  J amb  licht  Excerpta,  (Auch  unter 
dem  Titel :  Corpus  Script  omni  Eroticorum  Graecorum.  Edidit  Frm 
Pafsow.  Vol.  /.)  Lipsiae  ,  sumtibus  et  typis  B.  G.  Teubneri, 
MDCCCXXIV.  in  Comm.  C.  H.  F.  Hartmanni.   IV  «.  84  &  8. 

ord.  Pap.  &  Gn    gut  Pap.  14  Gr. 

Diese  Ausgabe  des  Parttienius  als  etster  Band  des  Cor» 
•pus  Scriptorum  Eroticorum  Graecorum  bildet  eigentlich  einen  Theil 
der  Auswahl  Griechischer  Autoren  ,  welche  bei  dem  thätigen 
Buchdrucker  T  e  u  b  n  e  r  in  Leipzig  erscheinen,  und  die  dem 
Publicum  aus  einigen  von  den  Gebrüdern  D  i  n  d  o  rf  besorgten 
Ausgaben  bekannt  sind.    Homer,  Xenophon,  Thucy<* 
dides  und  Aeschines  sind  auf  diese  Weise  bereits  erschie- 
nen ,  und  die  anderen  wichtigeren  Griechischen  Autoren  sollen 
alsbald  durch  den  dafür  thätigen  Verein  gelehrter  Männer  nach- 
folgen. Es  zeichnen  sich  die  genannten  Ausgaben  durch  netten 
Druck,  sauberes  Papier,  frische  Lettern,  die  das  Auge  nicht 
so  sehr  beleidigen  und  doch  dabei  an  Raum  ersparen,  insbe- 
sondere aber  durch  grofse Correctheit  aus,  was  wir  leider  von 
manchen  der  in  den  letzten  Jahren  erschienenen  Tauchnizischen 
Handausgaben  nicht  rühmen  können,  So  wichtig  dies  doch  ist$ 
und  so  sehr  dies  auch  von  solchen  Ausgaben  billigerweise  ihres 
Gebrauches  auf  Schulen  willen  gefordert  werden  kann.  Rechnet 
faian  dazu  den  billigen  Preis,  den  der  Herausgeber  dafür  an- 
geseszt  hat,  so  wird  man  kein  Bedenken  finden,   diese  Aus- 
gaben namentlich  dem  Gebrauch  auf  Schulen  anzm  mptehlen  , 
wo  besonders  ein  kritisch  gereinigter ,  aber  duch  von  Drück-  - 
fehlem  gesäuberter  Text  vonnöthen  ist.     Beides  aber  liefern 
sicher  die  oben  genannten  Ausgaben,  wenn  auch  gleich  diö 
kurzen  beigefügten  kritischen  Bemerkungen  nicht   von  dem 
Umfange  sind  ,  als  die  vorliegender  Ausgabe  des  Paitheniuf 
von  Hrn.  Passow  beigefügten;   von  welcher  Ausgabe  wir 
zunächst    einen    kurzen.  Bericht    unsern    Lesern  erstatten 
Worten* 

(Der  Beschlujs  folgt») 

/  • 

m  *  , 

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N-  3#  "  1826. 


Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


fartlienii  Amatoriac  Narrationes  ed.  Franc.  Passow. 

(Bfschluf *0 

Was  zunächst  den  Plan  dieser  Gesammtausgabe  der  Grie- 
chischen Erotiker  betrifft,  und  die  Folge,  in  welcher  die  ein- 
zelnen Theile  dieser  Sammlung  nach  einander  erscheinen  sol- 
len, so. ist  auch  hier  derselbe  allgemeine  Gesichtspunkt  fest- 
zuhaken ,  wo  mach  die  übrigen  bei  Hrn.  Teubner  erschienenen 
Ausgaben  gearbeitet  worden  sind,  d.  h.  einen  reinen.,  fehler* 
freien,  mit  kritischen  Anmerkungen  versehenen  Text,  der 
durch  angenehmes  Aeufsere  eben  so  sehr,  wie  durch  billigen 
treis  sich  empfehle,  zu  liefern.    In  Absicht  auf  die  Folge  hat 
der  Herausgeber  mit  Recht  die  chronologische  vorgezogen, 
so  dafs  die  einzelnen  Griechischen  Erotiker  nicht  in  der  Ord- 
nung aufeinander  folgen,   die  etwa  ihr  Umfang  oder  ihr  In- 
halt oder  ihr  innerer  Gehalt  ihnen  anweisen  würde,  sondern, 
in  derjenigen  >  die  ihnen  der  Zeit  nach  zukömmt.;    So  erhalten 
wir  hier  zuerst  die  Erotica  des  Parthenius,  des  bekannten 
Lehrers  des  Virgil! US  ,  welche,  wenn  sie  auch  in  ihrem  Ur- 
sprünge nur  zur  Mittheilung'  an  den  Freund,  und  nicht  für 
die  Nachwelt  bestimmt  waren,  doch  durch  mannigfache  Eru- 
dition und  e.ine  angenehme,  nicht  zu  sehr  ins  Breite  gehende 
oder  gedehnte  Erzählungsweise  sich  empfehlen..    Auf  Par- 
thenius soll  zunächst  folgen  Xenopbon  Ephesi  us,  dann 
Liongus,  rleliodorus,  .Achilles.. Tat. Iiis,  Charit  6, 
A  1c  i  p  h  r  o  ,  Ar  is  taenetus  mit  den  Briefen  des  Aelianus, 
und,  wo  möglich,  auch  noch  die  späteren:  Eumathius, 
Xheodorus,    Prodromus,     Nicetas  Eugenianus, 
Constantinus  Manasse.     Fast  alle  die  genannten  Eroti- 
ker waren  so  glücklich,   gelehrte  Bearbeiter  zu  finden*  die 
.uns  in  Absicht;  auf  Reinheit  des  Textes,   wie  auf  Erklärung 
desselben,  in  sachlicher  wie  sprachlicher  Hinsicht  weniger  xu 
"Wünschen  übrig  gelassen  haben.     Von  Parthenius  konnten 
wir  dies  bisher  nicht  rühmen;  wie  einem  Jeden  leicht  ein- 

tflX.  Jahrg.    I.Heft.  '  $, 


I 


34  Parthenii  Amatoriac  Narrationcs  ed.  Passow;  ^ 

leuchtet,  wenn  er  nur  einen  Blick  in  die  wenigen,  in  dieser 
Rücksicht  nur  einigermafsen   bedeutenden  Ausgaben  dieses 
Autors  wirft,  von  welchen  alle  die  anderen  blofse  ,  durch 
Druckfehler  mehr  oder  minder  entstellte  Abdrücke  sind.  Um 
so  mehr  dürfen  wir  uns  freuen  ,  dafs  die  kritische  Bearbeitung  i 
dieses  Autors  in  die  Hände  eines  so  scharfsinnigen  Kritikers 
und  feinen  Kenners  der  Griechischen  Sprache  gerathen  ist, 
von  dessen  glücklichen  Verbesserungen  mau  wohl  auf  jeder 
Seite  die  Proben  leicht  entdeckt.     Unter  seinen  Vorgängern 
bat  eigentlich  blos  Bast  für  den  P-arthenius  etwas  geleistet; 
seine  Collation  des  in  der  Editio  princeps  von  Cornarius 
(Basel  I53l)  noch  fehlervollen ,  nachher  von  Thomas  6a  le 
(Paris  1675)  einigermafsen  j  und  eben  so  nach  langem  Zwi- 
schenraum von  Liegrand  (Göttingen  1798)  in  Etwas  gebes- 
serten Textes  mit  der  damals  nach  Paris  gewanderten,  jetzt 
in  seine  ursprüngliche  Heimath  wieder  zurückgekehrten  Pfäl- 
zischen Handschrift,  muthmafslich  aus  dem  zehnten  Jahrhun- 
dert (so  wie  diese  Collation  mit  Kast's  eigenen  Anmerkungen 
in  seiher  bekannten  Lettre  criticfue  abgedruckt  ist)  ,   hat  da* 
her  Hr.  Passow  mit  Recht  zu  Grunde  dieser  Ausgabe  gelegt, 
die  ihm  seiher  jedoch  vielfache  Verbesserungen  und  Bereiche- 
rungen verdankt.    Aufserdem  benutzte  er  einige  handschrift- 
liche Bemerkungen  von  J.  G.  Schneider  an  dein  Rande  eines 
Exemplars  der  Göttinger  Ausgabe  beigeschrieben.    Das  Wich- 
tigere davon  erwähnte  Hr.  Passow  in  dieser  Ausgabe,  So 
folgt  nun  der  Correcte  Abdruck  des  Textes  in  der  oben  be- 
schriebenen Weise  von  S.  1  —  28.   und  dazu  die  Annota.no  crt- 
tica  von  S.  49  —  75.  in  engem  9  aber  doch  lesbarem,  die  Außen 
minder  angreifendem  Drucke.     Man  wird  in  ihnen  denselben 
kritischen  Takt,  dieselbe  feine  Kennerschaft  der  Griechischen 
Sprache  entdecken,  die  der  Herausgeber  in  anderen  Werken 
sattsam  bewährt  hat,  und  wir  könnten  in  so  fern  überhoben 
seyn,  die  einzelnen  Belege  dafür  durch  Aushebung  der  Stellen 
und  Darlegung  der  kritischen  Fälle  beizubringen,   was  ohne- 
bin leicht  die  Gränzen  des  uns  hier  gesteckten  Raumes  über- 
schreiten würde.    Doch  dürfte  es  dienlich  seyn  ,  auch  auf  ein- 
zelne grammatische  und  sprachliche  Bemerkungen  aufmerksam 
zu  machen,  die  dem  Herausgeber  gelegentlich  sich  darboten. 
Hier  sowohl,   wie  in  den  rein  kritischen  Bemerkungen  ,  bat 
sich  derselbe  Überall  einer  gedrängten  Kürze  beflissen  ,  wie 
solches  überhaupt  in  dem  Plane  dieser  Ausgaben  liegt;  jedocu 
so,   dafs  selbst  eine  kurze  erklärende  Bemerkung  nicht' ausge- 
schlossen blieb.     Auch  sind  an  jeder  Stelle  die  abweichenden 
Lesarten  der  oben  bemerkten  Ausgaben  genau  angeführt.    Rtf  * 


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Parthenii  Awatoilue  Narraliones  ed.  Passow.  35 


hebt  nur  Einiges  davon  aus.  Cap.  I.  wird  ixaarZjtu; 
wju;  a  kkovf  koSmkiv  mit  Recht  vertheidigt  durch  Hinvveisiing 
auf  den  Gebrauch  von  aXXog,  der  schon  in  Homerischen  Stellen 
begründet  erscheint,  und  selbst  bei  den  Römern  nachgebildet 
Wurden  ist :  eben  so  gleich  darauf  das  nach  der  Präposition  a'v 
eingeschobene  &  in  iv  bi  ujts7;  Aü^kov.  I  §.  4«  schreibt  der 
Herausgeber  nach  dem  Zeugnifs  der  Griechischen  Grammatiker 
eben  so  mit  Recht  :  a-we^yh;  statt  des  gewöhnlichen  cjvs^yo;* 
III,  3«  ou  fxird  tcoXuv  xfovov  *i  Toi»  äirugyjiffStat  f  eine  gewifs  un- 
gewöhnliche, auffallende  Construction ,  die  durch  das  von 
Hrn.  Passow  vorgeschlagene  air«<£ya<r$>j  mit  Leichtigkeit  ge- 
hoben wird.  —  IV,  3.  billigen  wir  es  sehr,  dals  Hr.  P. 
gegen  Jakobs  unverändert  gelassen  ©ircu;  —  ctxtajrd/  ra  crjrif 
Y.ui  —  icit^tT^rai»  Glücklicherweise  ist  man  jetzt  von  der  Sucht, 
den  Conjunctiv  in  allen  diesen  und  ähnlichen  Stellen  nach  des 
Dawesius  Kanon  in  das  Futur  zu  verwandeln,  ziemlich  zurück- 
bekommen ,  wei  1  do  ch  zuletzt  des  Verbesserns  kein  Ende 
gewesen,  und  die  Autorität  der  besten  Handschriften  gänz- 
lich bei  Seite  hätte  gesetzt  werden  müssen.  V,  2»  o/opsvog 
gcLtrra  d^aXXa^acrBat  t>j;  veo-ou  ist  wieder  als  ursprüngliche  Lesart 
hergestellt,  welche  die  Herausgeber  ail3  Unkunde  des  Spräch- 
gebrauchs in  ein  dira>X<i^aff^ut  verwandelt  hatten.  Eben  so  V, 
3.  hti  Su^cüv,  von  Legiand  unnöthig  in  twv  Bu^v  verwan- 
delt; jenes  beweist  der  Vörf.  mit  einigen  Beispielen,  deren 
sieb  noch  andere  ausXenophon  nachweisen  lassen.  V,  3.  fin. 
ixy]  TcpcstSo'fxsvG;  o;rt;  jJv  schreibt  Hr.  Passow:  'xgotfo'psvof  nach 
XV,  4«  «V  auT>Jv  icvfa  o'ficfJAVij .  Für  die  ältere  Lesart  (ob- 
gleich diese  Form  nirgends  ,  Weder  bei  lYTatthiä  noch  sonst 
angeführt  wird)  spricht  dagegen  üV«5o/x£vo;  *n  ähnlicher  Bedeu- 
tung bei  Plutarch.  Flamin.  XL.  init.  und  x^oaiSo/xevo;  bei  Theo- 
phrast.  Charact.  XXII,  2.  Eben  so  wird  im  Lex.  Polybianum 
pag.  627.  angeführt  uxs/S^Sa/ ;  um  des  Homerischen  s!8ofxsvog 
nicht  zu  gedenken.  Oder  sollte  man  in  diesen  Stellen  überall 
ändern?  Ref.  findet  dies  doch  etwas  bedenklich,  zumal  da 
die  Handschriften  überall  die  Vulgata  bestätigen.  VI,  2.  mit 
Recht  8ir/AfiAo/xfi/ ,  das  Legrand  aus  Unkunde  in  ein  ixaXsXoivti 
verwandelt  hatte.  XIV,  7.  s.  die  Bemerkung  über  den  Ge- 
brauch von  B%XXuj  und  SaAAn'cu»  XVII,  3.  über  Xtyatv.  Cap. 
XXIII.  hat  der  Herausgeber  icsft  XaiXwv  iüoq  und  itachher  Xat» 
Atuv/3a  belassen.  In  der  Parallelstelle  bei  Plutarch»  Vit.  Pyrrb. 
XXVI.  XXVII.  und  XXVIII.  steht  in  den  Ausgaben  von  Corai 
und  Schäfer  jetzt  das  richtige  XeAi5ov/5a,  so  wie  der  vom 
Herausgeber  auch  angeführte  Toup  ad  Schol.  Theocrit.  IV,  12. 
Lereitt  verbesserte.    XXUI ,  3,  nai  aAAs;  hi  ouk  affo-nopews  t*T; 

3  * 


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56  Parthenii  Aimtorine  Narrationci  ed.  Fussow. 

*  •  •        •  •  •   »  , 

Aa*riatnc>M'ot;  »JSstf/v,  schrieben  Gale  und  Legrand  &«tu>*  sö 
wie  z.  B.  bei  Plutarch  Pyrrh,  XXVI.  foga$jy90jtfyMf'  tc7s  Aanu;- 
9t*o7t;  'däafftv*  wo  auch  die  Worte:  J  &i  Kktwvjfxof  jv  /**v  7*vcu; 
ßoffthvLoZy  SohcüV  5t  ßicuos  klvat  %al  /movee^fHo;,  out  ti'v»<av, 
Our«  tet&Ttv  «ivjv  —  für  cjx  a£WKOfx*vs;  ro7;  Aäk  «5a/uov/ 015. 

zu  sprechen  scheinen.  Hr.  PassOw  setzt  auch  deshalb 
hinzu  :  quod  Jor Lasse  teeipere  debebam  :  %  B>j  si  servamus  sunt  sedts 
consüetao  ex  asu  Üomerieo.  Letztere  Bedeutung  halten  wir 
hierfür  minder  passend,  obgleich  wir  wissen  ,  dafs  der  ur- 
sprünglich Jonische  Gebrauch  von  in  diesem  Sinne  selbst 
bie  und  da  bei  Attischen  Prosaikern,  z.  B.  bei  Aristoteles  und 
PhiloStratus,  vorkomme  (s.  G.  J.  Bekker  Specimen  in  Philo- 
Strat.  Vit.  Apbllon.  Heidelbergae  MDCCCXV1II.  p.  30.  3i  )* 
Allein  eben  so  kommt  doch  hinwiederum  auch  in  dein 

Sinne  von  populi  mores,  instituta  civilia  ,  vor  j  wie  die  Von  Bek- 
ker a.  a.  O.  p.  12.  angeführten  Stellen  beweisen  *  wodurch  die 
Von  Hrn;  Passow  beibehaltene  Vulgata  aber  in  dem  zuletzt  bei 
merkten  Sinne  vollkommen  gerechtfertigt  wird.  Cap.  XXIV. 
erhalten  wir  eine  schätzbare  Bemerkung  über  den  Gebrauch 
des  zweiten  Aorists  vom  Verbum  ayyd\\,tv  im  Activ  ,  wie  im 
Passiv  ,  den  man  bisher  blos  auf  die  Schriftsteller  des  Augu- 
steischen und  des  späteren  Zeitalters  eingeschränkt  wissen 
wollte,  während  derselbe  Schon  früher  bei  fierodotus  und 
Euripides,  dagegen  bei  den  filteren  Attischen  Prosaikern  nicht 
vorkommt,  und  erst  in  dem  Zeitalter  nach  Xenophon  häufiger 
xu  werden  anfängt.  Doch  zei^t  sich  auch  hier  durch  eine  Ver- 
gleichüng  der  verschiedenen  Stellen,  dafs  der  zweite  Aorist 
im  Activ  ungleich  seltener  ist,'  als  der  im  Passiv*  und  aufser 
dem  tndicativ  nur  im  Conjunctiv,  und  selbst  dann  nur  in  der 
zvreiten  und  dritten  Person  Singülaris  und  in  der  dritten  Pla- 
ralis  vorkomme.  Eben  so  ist  XXIII.  die  Lesart  der  Hand- 
schriftenwiederhergestellt! «ut»;v  airä  yj pavSai,  und  aus 
dem  Gebrauche  des  Wortes  y^a<r^at9  dare  in  matrimonium  sc. 
ee  odet  suos  %  erklärt:  de  genitore  <  qui  filiam  iuam  sibimet  ipsi , 
^  outw,  matrimonio  est  juncturus\  wie  Iliad.  IX,  394« 

Angehängt  sind  dem  Parthenius  noch  dieExcerpte,  wel- 
che bei  Photius  Cod.  XCIV  und  CLXVI  Bibliothec.  aus  den 
erotischen  Werken  des  Antonius  Diogenes  und  Jam- 
b  Ii  chus  sich  Finden.  S.  2$.  Avtwv,Vj  Aioyevo»; 
dieiarwv  Xoyot  3  nai  x  und  'ia/^X/^ou  ^ajocar/Hcv;  auf  gleiche  Weise 
wie  Parthenius  mit  kritischen  Anmerkungen  begleitet,  worin 
die  zahlreichen  Verbesserungen  nachgewiesen  sind,  die  der 
Herausgeber  gemacht  hat.  Doch  erklärt  derselbe  in  der  Vor- 
rede ,   dafs  er  die  meisten  dieser  Verbesserungen  der  haupt- 


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Geier,  Charakteristik  des  Handelf,  37 

s 

sächlich  nach  einer  Venetianer  Handschrift  verbesserten,  vpuj 
Prof.  tm.  Bekker  besorgten  Ausgabe  des  Photius  verdanke, 
wovon  ihm  die  einzelnen  Bliitter  zeitig  peinig  noch  mitgetbeilt 
wurden  (vergl.  unsere  Anzeige  dieses  rbotiuY  in  diesen  Blat- 
tern 1825.  No.  6  ).  Dem  Jamblicbus  fugte  Ifr,  Passow  auch 
noch  fii«  bei  Suidas  erhaltenen  Fragmente  bei,  weil  (^har- 
rt o  n  de  la  Roche  tte's  Sammlung  derselben  nicht  Alles  tim- 
fdfste,  und  selbst  dem,  was  sie  enthält,  nicht  immer  die 
rechte  Stelle  vom  Herausgeber  angewiesen  wqrden  ist;  was 
freilich  bei  einem  verloren  gegangenen  Werke  keine  geringen 
Schwierigkeiten  bat,  wenn aucb schon  die  Hoffnung  einer  Wie« 
derauffindunß  wenigstens  noch  nicht  ganz  entschwunden  ist, 


D»  Ph.  Geier9  Prof.  der  Cameralwissenschaft  zu  PJ^ürzburg ,  V§r~ 
such  einer  Charakteristik  des  Handels ,  oder ;  Darstellung  der 
herrschenden  Ansichten  von  der  Natur  des  Handelt  und  von  den 
zweckmäfsigsten  Mitteln  zu  seiner  Belebung,  WUrzburg ,  Etlittr 
ger.  1825.     234  S.  8.  1  fl.  30  kr. 

Der  durch  mehrere  Schriften  vortheilbaft  bekannte  Verf. 
giebt  uns  in  dieser  gut  geschriebenen,  sowohl  von  ausgebrei- 
teter Belesenheit ,  als  von  genauer  Kenntnifs  des  Gegenstan- 
des und  selbststUndigem  Denken  zeugenden  Schrift  eine  Ent- 
Wicklung  der  Natur  des  Handels,  wobei  er  dieses,  für  die 
Gesellschaft  vielfach  wichtige  Gewerbe  von  drei  Seiten  be- 
trachtet, 1)*  in  Seinem  Yerhältniis  „zur  gesammten  Mensch- 
heit im  Staatsvereine«,  2)  nach  seinem  Verbältnifs  zu  dem 
Kaufmanne,  3)  im  Verbältnifs  zur  Regierung.  —  Das  Zu- 
sammenfassen dieser  verschiedenen  Gesichtspuncte,  des  pri- 
vat- und  staatswirth&chaftlichen  ,  so  wie  des  allgemein-staats- 
wissenschaftlichen,  ist  ohne  Zweifel  verdienstlich,  und  ge- 
währt eine  Vollständigkeit,  welche  Jedem,  der  nur  von  der 
einen  oder  anderen  Seite  sich  mit  dem  Handel  bekannt  ge- 
macht bat,  den  Weg  zur  gründlicheren  Beurtheilung  bahnen 
mufs.  Es  ist  gut ,  wenn  der,  Staatsmann  die  Bestrebungen 
und  die.  Einsicht  des  Kaufmanns  achten  lernt;  aber  nicht  min- 
der nützlich  ist  es,  wenn  der  letztere  belehrt  wirö^  über  dio 
Bedeutung  seines  Geschäftes  in  det  Gesamintheit  menschlicher 
Thätigkeiten,.  Hec.  würde  übrigens  die  zweite  Abtheilung 
lieber  zur  ersten  gemacht  haben,  indem  bei  dem  Gewerbe 
die  Ansicht  desjenigen,  der  dasselbe  des  Gewinnes  willen  be- 
treibt ,  da»  Nächste  i%% ,  wovon  man  dann  erst  tur  Betrach- 


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38  Geier,  Charakteristik  des  Handels. 

tung  der  höheren  Beziehungen  übergehen  Jcann  ;  er  würde  fer- 
ner die  dritte  Abtheilung  als  den  praktischen  Tlieil  bezeichnet 
haben  ,  da  er  die  Anwendung  derjenigen  Sätze  enthält,  welche 
die  Stellung  des  Handels  im  Organismus  der  Gesellschaft  er- 
örtern. 

Folgen  wir  dem  Gange,  des  Verf.,  so  finden  wir  in  dem 
ersten  Abschnitt  der  ersten  Abtheilung  zunächst  die  wirt- 
schaftliche Beziehung  des  Handels  zur  Menschheit  dargestellt; 
mit  den  ersten  Fortscbritten  der  Kunst  in  den  Arbeiten  der 
Völker  entsteht  der  Tausch,  der  sodann  durch  die  Einführung 
eines  allgemeinen  Tauschmittels,  des  Geldes,  und  das  Auftre- 
ten eines,  ausschliefslich  der  Besorgung  der  Tauschgeschäfte 
sich  widmenden  Standes  um  Vieles  erleichtert  wird.  Ree. 
stimmt  darin  ganz  mit  dem  Verf.  überein,  dafs  das  Wesen 
des  Handels  als  Gewerbes  gerade  in  dieser  Absonderung  des 
Tauschgeschäftes  gesucht  werden  mufs,  wodurch  dasselbe  einen 
eigentümlichen  Zweck,  nämlich  den  Gewinn  beim  Tausche, 
erhält;  nur  ist  nicht  zu  übersehen,  dafs  man,  da  einzelne 
Tauschgeschäfte  für  andere  Zwecke,  und  zwar  für  den  Absatz 
der  Erzeugnisse  oder  die  Erlangung  des  Bedarfes,  von  allen 
Bürgern  getrieben  werden,  in  objectivem  Sinne,  wenn  man 
blos  auf  die  durch  Tauscji  in  Umlauf  befindlichen  Güter  re- 
flektirt,  unter  dem  Handel  auch  die  Gesammtheit  der  Tausch- 
geschäfte versteht.  So  spricht  man  vom  Wollen-  und  Getreide- 
handel,  ohne  dabei  blos  an  die  Unternehmungen  der  eigentT 
liehen  Wollen  -  und  Getreidehändler  zu  denken,  und  in  gleichem 
Sinne  berechnet  der  Statistiker  den  Umfang  des  Handels  ,  ohne 
dabei  zu  unterscheiden ,  welche  Gütermassen  von  den  Kauf- 
leuten und  welche  dagegen  blos  in  dem  unmittelbaren  Verkehre 
der  Zehrer  und  Erzenger  umgesetzt  worden  Seyen  ;  vielleicht 
könnte  man,  um  diesen  Doppelsinn  zu  vermeiden,  den/wei- 
teren ,  objectiven  Begriff  mit  dem  Ausdruck  Tau  sch  ve  r  kehr 
bezeichnen.  —  Bei  der  Auseinandersetzung  der  Vortheile, 
welche  der  Handel  dem  Wohlstande  der  Völker  leistet,  kann, 
Ree.  der  Kürze  willen  nur  bei  einer  Stelle  verweilen  :  »Der 
inländische  Handel  beschäftigt,  wie  jeder  andere,  zwei  Ca-, 
pitale,  welche  aber  Iioide  dem  Inlande  zu  gut  kommen«  'S,  30. 
Hi«bei  ist  zu  bemerken,  dafs  nicht  gerade  jeder  einzelne  Kauf- 
mann immer  zwei  Waaren  für  einander  giebt  und  empfängt, 
sondern  nicht  selten  Handelsunternehmungen  sich  auf  eine  ein- 
zige Waare  beschränken,  die  man  mit  Geld  einkauft  und  für 
Geld  wieder  bingiebt,  so  dafs  man  nur  im  Allgemeinen  sagen 
kann,  die  im  inländischen  Handel  angelegten  Capitale  beschäf- 
tigen wenigstens  doppelt  so  viele  Capitale  der  inländischen 


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Geier ,  Charakteristik  dei  Handels,  39 

Erd-  und  Gewericsarbeit,  aU  im  ausländischen.  Es  giebt  so« 
gar  Handelszweige,  nur  keine  beträchtlichen,  die  unmittelbar 
gar  nicht  auf  die  Production  wirken,  und  mithin  keine  Capi- 
tale  inThätigkeit  setzen,  z.B.  der  Handel  mit  schon  gebrauch- 
ten Kleidern,  Geräthen,  Büchern.  —  Der  Verf.  kommtauf, 
die  vielbesprochene  Frage,  ob  der  Handel  productiv  sey, 
und  entscheidet  sich  für  die  bejahende  Antwort ,  indem  er  den 
von  Graf  Burruoy^  Murhard  und  dem  Ree.  aufgestellten 
Gründen  beipflichtet;  Unter*,  bezieht  sich  hiebei  auf  das , 
was  er  au  einer  anderen  Stelle  in  diesen  Jahrbüchern  ausge- 
sprochen hat  (1823.  No.  64«)  t  un^  billigt  es,  dafs  der  Verf. 
die  ganze  Frage  für  minder  wichtig  erklärt ,  als  sie  bisweilen 
genommen  worden  ist.  Im  zweiten  Abschnitt  kommt  der  Ein« 
flufs  des  Handels  auf  allseitige  Entwicklung  der  Menschheit  in 
Erwägung  ;  mit  Recht  wird  er  als  Culturmittel  geschildert ,  und 
gegen  die  Vorwürfe,  die  ihm  bisweilen  gemacht  worden  sind, 
in  Schutz  genommen,  ohschon  bei  manchen  der  ihm  von  dem 
Verf.  zugeschriebenen  Wirkungen  andere  miteingreifende  Ur- 
sachen etwas  zu  wenig  gewürdigt  seyn  möchten.  Was  die 
alte  Klage  über  den  in  kalte  Selbstsucht  ausgearteten  Handels« 

feist  betrifft,  so  würde  bei  der  Bemerkung  des  Verf. ,  man 
ürfe  das  mercantilische  Suhject  sammt  seinen  Irrthttmern  und 
Leidenschaften  nicht  mit  dem  Handel  seihst  verwechseln,  immer 
noch  der  Einwand  übrig  Meinen ,  der  Handel  habe  so  oft  eine 
solche  Wirkung  hervorgebracht,  dafs  man  dieselbe  wohl  als 
in  seinem  Wesen  liegend  betrachten  dürfe;  man  mufs  aber 
kleine,  ganz  auf  den  Handel  gewendete  Staaten  von  den  grösse- 
ren unterscheiden,  in  denen  es  vielerlei  Interessen  giebt,  und 
die  genaue  Durchdringung  verschiedener  Meinungen,  Grund- 
sätze und  Gefühle  das  Hervortreten  eines  so  starren  Egoismus 
der  Handelnden  verhindert.  —  Die  zweite  Abtheilung  zeigt, 
was  zum  Betriebe  des  Handels  erforderlich  sey,  nämlich  ver- 
schiedene Capttale  und  persönliche  Eigenschaften  des  Kauf- 
manns; sie  vergleicht  sodann  die  Vortheile  und  Nachtheile 
des  Handels  für  den  ,  der  ihn  als  Gewerbe  treibt,  mit  einan- 
der. —  Dritte  Abtheilung.  Verhältnifs  des  Handels  zur  Re- 
gierung, und  zwar  l)  in  Ansehung  der  Finanzen.  Da  der 
£>elbstbetrieb  von  Handelsgeschäften  auf  Rechnung  des  Staates 
durchaus  verwerflich  ist,  so  bleibt  nur  die  Einnahme  von 
Zöllen  übrig,  welche  der  Verf.,  in  so  ferne  sie  mäfsig  sind, 
aus  finanziellen  Gründen  in  Schutz  nimmt.  2)  In  Ansehung 
der  Vorsorge  der  Regierung  für  den  Handel.  Hier  beschäftigt 
sich  der  Verf.  zuerst  mit  einer  Darstellung  und  Widerlegung 
desMercantilsystems,  die,  wie  oft  der  Gegenstand  auch  schon 


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40 


Qeier,  Charakteristik  des  Hancleli. 


aur  Sprache  gekommen  ist,  doch  ihr  Verdienstliches  hat,  in-  . 
dem  sie  manche  neue  von  den  Anhängern  jenes  Systems  ange- 
führte Gründe  berücksichtigt,  und  neue  Gegengründe  wider 
sie  aufführt.  Die  Aufhebuug  aller  Zölle  wird  für  wünschens- 
werth,  und  ihr  Ersatz  durch  directe  Steuern  für  leicht  zu  be- 
werkstelligen erklärt ;  ,  Ree.  glaubt,  dafs  man,  bei  der  Ab- 
schaffung der  Zölle,  wofern  nicht  auch  die  inneren  Consum- 
tionsauflagen  ganz  umgeändert  würden,  nicht  umhin  könnte, 
einen  Theil  der  ersteren  durch  eine  in  der  Form  der  letzteren  « 
zu  erhebende  Steuer  za  ersetzen,  theils  um,  wenn  inländische 
Waaren  derselben  Art  einer  Accise  unterliegen,  die  Erzeuger 
derselben  nicht  gegen  den  ausländischen  Producenten  zu  ver- 
kürzen, theils  um  nicht  auf  eine  Besteurung  des  Luxus  zu 
verzichten  ,  die  bei  der  unvermeidlichen  Ungenauigkeit  der 
Einkommenssteuern  nicht  füglich  zu  enthehren  ist.  —  Hier- 
auf werden  die  Mafsregeln ,  welche  zur  Förderung  des  Handels 
mit  gutem  Erfolge  getrofFen  werden,  durchgegangen;  sie  be-  . 
ziehen  sich  1)  aut  Freiheit  des  Handels,  2)  auf  Sicherheit  des- 
selben, 3)  auf  erleichternde  und  beschleunigende  Anstalten. 
Bei  l)  wird  eifrig  für  die  Freiheit  des  inneren  und  äufseren 
Handels  gestritten,  womit  im  Ganzen  Ree.  einverstanden  ist; 
nur  scheint 4 es  ihm,  als  ob  besondere  Verhältnisse  eines  Lan- 
des, die  das  plötzliche  Abgehen  von  einem  lange  Zeit  betre- 
tenen Wege  uniäthlich  machen  können,  mehr  Berücksichtigung 
verdient  hätten.  Unter  3)  werden  auch  die  Gründe  für  und 
wider  die  Messen  abgehandelt,  woraus  der  Ver£  das  Ergebnils 
zieht ,  es  wäre  thöricht,  neue  Messen  stiften  zu  wollen  ,  die 
vorhandenen  aber  solle  man  nicht  stören,  sondern  fortdauernd 
3*egün$tigen  ,  und  es  der  Zeit  überlassen  ,  ob  sie  von  selbst 
aufhören.  Hiebei  hätte  aus  Vincens  der  gänzliche  Verfall 
der  ehedem  berühmten  Messe  von  Novi.  der  Untergang  der 
vier  Lyoner  Messen  und  das  Sinken  der  Messe  von  Beaucaire 
angeführt  werden  können;  jene  Regel  aber  ist  vollkommen 
zu  billigen."  Märkte  für  besondere  Arten  von  Waaren,  z,  B. 
Seiden-^  Wollen-,  Pferde-Märkte  u.  S.  w.,  dürfen  mit  den 
eigentlichen  Messen  nicht  vermengt  werden,  indem  sie  weit 
weniger  gegen  sich  haben,  als  diese;  England  bat  keine  Mes- 
sen ,  aber  viele  solche  Märkte. 


I     *   «       %   I      |  »     M  V.  .  » 


K. 


H.  Rau. 




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I 


I 

\ 


Scliwerx  Anleitung  zum  praktischen  Ackerbau.  41 

Anleitung  zum  vr  ak  tischen  Ackerbau,  von  Johann  Ne~ 

vomuck  von  Schwerz^  Director  der  KÖn.  fViirtembergisch'fn 
Versuchs  -  und  Unterrichtsanstalt  f  ür  den  Landhau.  Erster  Band 
mit  1 5  lithogräphirten  Tafeln.  Stuttgart  und  Tili  i  gen ,  bei  Cotta. 
1823.     XXII  u.  578  S.  •    •  5  A. 

Von  dem  berühmten  Verf.  der  Ökonomisch  -  statistischen 
Werke  über-die  Landwirtschaft  in  Belgien,  in  der  Pfalz  und 
im  Elsafs,  von  demDirector  einer  landwirtschaftlichen  Lehr- 
anstalt ,  einer  Versuchs-  und  Musterwirtbschaft,  durfte  man 
wohl  etwas  Gediegenes  erwarten,  wenn  er  es  einmal  für  ge- 
raten halten  sollte,  sich  über  das  Ganse  des  Ackerbaues  zu 
verbreiten.  Diese  Erwartung  ist  in  dem  vorliegenden  Werke 
nicht  unbefriedigt  geblieben ,  und  der  Leser  wird  um  so  mehr 
angezogen,  je  gründlicher  er  das  Buch  studirt.  Es  verdient, 
wenn  die  folgenden  Theile  dem  ersten  gleichen,  eine  ausge- 
zeichnete Stelle  in  der  teutschen  landwirtschaftlichen  Lite- 
ratur, wie  sich  aus  nachstehenden  Bemerkungen,  durch 
welche  wirblos  den  Inhalt  kurz  darzulegen  suchen,  ergehen 
wird. 

Erste  Abtheilung.  Clima  und  Boden.  In  ge- 
drängter, fafslicher  Kürze  rindet  hier  der  Leser  Alles,  wor- 
über er  in  andern  landwirtschaftlichen  Schriften  Hunderte 
von  Seiten  durchlaufen  mufs.  Die  Bestandteile  des  Bodens 
werden  angegeben,  die  verschiedenen  Bodenarten  —  Kalk-, 
Thon-,  Sand-,  humoser  Boden  —  werden  charakterisirt , 
ohne  dafs  sich  der*  Verf. ,  wie  so  Viele  thun,  in  das  chemische 
Detail  verliert,  was  aufser  den  Gränzen  wenigstens  des  prak- 
tischen Ackerbaues,  welchem  dieses  Werk  gewidmet  ist, 
liegt.  S.  39.  schliefst  er  sich  mit  Recht  an  Burger  an,  und 
meint,  dafs  es  unnütz  sey,  die  Classification  des  Bodens  auf 
die  mechanische  oder  chemische  Scheidung  der  Bestandteile 
desselben  zu  gründen  ,  dafs  man  vielmehr  zuverlässiger  ver- 
fahre, wenn  man  der  Einteilung  des  Bodens  den  sichtlich 
gröfseren  oder  kleineren  Zusammenhang ,  der  sich  beim  Pflü- 
gen und  Eggen  im  halbtrocknen  Zustande  zeige,  so  wie  sein© 
wasserhaltende  und  anhängende  Kraft  zu  Grunde  lege. 

Zweite  Abthe.ilung.  Düng  mittel.  Nach  der 
Aufstellung  des  Begriffes  von  Dünger  überhaupt  unterschei- 
det der  Verf.  atmosphärische,  animalische,  vegetabilische, 
vegetabilisch- animalische ,  flüssige,  gemengte  und  minerali- 
sche Düngmittel.  Bei  den  atmosphärischen  Düngmitteln  wird 
der  wichtige  Einflufs  unseres  Luftkreises  auf  die  Vegetation 
dargethan,  und  gezeigt,  wie  der  Landwirt  diese  wohltätige 


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42  Schwer«  Aul«itung  zum  praktischen  Ackerbau. 

Einwirkung  benutzen  und  zu  seinem  Vortheile  leiten  könne. 
Zu  der>  animalischen  Düngmitteln  rechnet  der  Verf.  alle  thie- 
rischen Abfälle  aus  der  Hauswirthschaft,  aus  Schlachthäusern, 
technischen  Werkstätten  n.  s.  w.  Dazu  gehören  anch  die 
Knochen.  Hier  treffen  wir  aber  auf  Bemerkungen ,  mit  wel- 
chen wir  nicht  ganz  einverstanden  seyn  können.  Der  Verf. 
sagt  nämlich  einmal,  dafs  die  Knochen  durch  die  allmäblige 
Zersetzung  ihres  Fettes  und  der  Gallerte  vermittelst  des  Kalk- 
stoffes ,  den  sie  enthalten,  eine  ammoniakalische  Seife  bilden, 
welche  der  wirksamste  Theil  des  Düngers  sey.  Das  andere- 
mal  aber,  nachdem  er  bemerkt  hat,  dafs  man  in  England  die 
Knochen  erst  aussiede,  um  das  Fett  zur  Bereitung  der  Rad- 
schmiere zu  verwenden,  ist  er  der  Meinung,  es  lasse  sich 
von  dem  Gebrauche  Her  Knochen  in  diesem  Zustande  kaum 
etwas  mehr  als  vom  Kalke  erwarten,  da  solche  ihrer  Fetttbeile 
beraubte  Knochen  kaum  etwas  mehr  als  Kalktheile  enthalten. 
Ref.  erlaubt  sich  die  Frage:  Bleibt  nach  dem  Aussieden  des 
Fettes  nicht  noch  die  Gallerte  mit  der  Knochenerde  verbunden? 
Ist  Hie  Gallerte  nicht  in  grofser  Masse  in  den  Knochen  vor* 
banden,  und  giebt  sie  bei  ihrer  Fäulnifs  im  Boden  keine 
Fflanzennabrung  ?  Ist  die  Kalkerde  isolirt  in  den  Knochen, 
ist  sie  nicht  mit  Kohlensäure  und  Fhosphorsäure  verbunden? 
—  Ueber  die  vegetabilischen  Düngmittel,  Unkraut,  Rasen, 
grüne  Düngung,  Stoppeln,  Scheunenabfälle,  Laub  und  Na- 
deln, Wasserpflanzen,  Torf  und  Schlamm,  Abfälle  aus  tech- 
nischen Werkstätten,  Asche  u.  s.  w.  verbreitet  sich  der  Verf. 
sehr  weitläufig,  und  liefert  interessante  Belege  für  seine  Be- 
hauptungen aus  der  belgischen  Landwirtschaft,  die  er  so 
genau  kennt.  Eben  so  gründlich  ist  er  bei  den  vegetabilisch- 
animalischen Düngmitteln  (die  gröfstentheils  aus  dem  soge- 
nannten Stalldünger  bestehen),  und  er  widmet  sogar  einen 
eigenen  Abschnitt  den  Streumitteln,  die  den  Dung  auffassen, 
und  zum  Theil  selbst  düngen.  —  Unter  der  Rubrik  ^flüssige 
Düngmittel«  lehrt  er  dieBereitung  der  Gülle,  welche  bekannt- 
lich in  der  Schweiz  auf  eine  sefyr  vollkommene  Weise  betrie- 
ben wird,  und  im  siebenten  Abschnitt  dieser  zweiten  Abthei- 
lung zeigt  er,  wie  die  bisher  genannten  Düngeraiten  behan- 
delt und  verwendet  werden  sollen.  Die  Bereitung  des  Com- 
postes  und  die  Einrichtung  der  Miststätte  kommen  hier  zur 
Sprache,  und  es  werden  mehrere  Controversen  beleuchtet, 
über  welche  die  landwirtschaftlichen  Theoretiker  und  Prak- 
tiker bisher  noch  nicht  einig  werden  konnten,  z.  B.  die  Frage, 
ob  man  den  Mist  im  kurzen,  verrotteten,  oder  im  strohigen, 
frischen  Zustande  auf  das  Feld  schaffen  solle.    Der  Vf.  spricht 


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I 


♦ 

Schwert  Anleitung  zum  praktischen  Ackerbau.  43 

sjch  für  die  Meinung  derjenigen  aus,  welche  die  Anwendung 
des  frischen  Mistes  vorziehen,  und  beruft  sich  auf  die  Be- 
kannten Versuche  von  Gazzeri.  Einverstanden  mit  der 
hohen  Wichtigkeit  dieses  Gegenstandes,  glauht  Ref.  die  frü- 
her schon  gemachte  Bemerkuug  wiederholen  zu  müssen,  d.ils 
die  Gazzeri'schen  Versuche  nur  im  Lahoratorium  angestellt 
worden  sind,  und  noch  vieler  Modjticationen  bedürfen,  um 
im  psaktisch -landwirtschaftlichen  Betriehe  Anwendung  zu 
finden.  —  Im  achten,  und  letzten  Anschnitte  wird  von  den 
rnineralischen  oder  erdigen  Düngmitteln,  vom  Kalk,  Mergel, 
Gyps  ,  den  Salzabfällen  und  dem  Erdefahren,  wie  es  im  Alten- 
^urgischen  üblich  ist,  gesprochen.  Vom  Gyps  wird  ange- 
führt, dafs  er  wirklich  nahte,  denn  sonst  könnte  seine  Ein- 
wirkung auf  die  Vegetation  durch  hlofses  Uebei streuen  der 
Blätter  nicht  so;auffaJlend  grols,  seyn ,  dafs  sie  manchmal  einer 
vollständigen  Düngung  gleich  komme.  Diese  nährende  Eigen- 
schaft scheine  der  Gyps  vorzüglich  seinem  Gehalte  an  Schwe- 
fel zu  verdanken.  Gleich  im  Anfange  schreibt  aber  der  Verf. 
auch  den  andern  mineralischen  Düngmitteln  nährende  Eigen- 
schaften zu.  Er  sagt,  sie  wirken  nicht  blos  auflösend  für  die 
organischen  Düngmittel  und  anziehend  für  die  atmosphärischen 
Stoffe,  sondern  als  nährend  lagern  sie  einen  Theil  ihrer 
eigenen  Substanz  im  Organismus  der  Pflanzen  ah,  befördern 
deren  Zunahme,  nnd  tragen  dadurch  unmittelbar  zur  Vegeta- 
tation  hei.  —  Die  letztere  Behauptung  ,  die  m  in  neuerding* 
auch  in  Chaptal's  Agriculturchernie  vorgetragen  findet,  ist  der 
neueren  Pflanzenphysiologie  nicht  adätruat.  Diese  Bemerkung 
kann  übrigens  Ref.  nicht  abhalten,  diese  ganze  Düngerlehre 
als  eine  sehr  vollständige  und  gründliche  Abhandlung  anzu- 
erkennen, der,  wenn  man  Burger's  Lehrbuch  ausnimmt,  in 
der  neuesten  Literatur  nicht  leicht  eine  ähnliche  an  die  Seite 
gesetzt  werden  kann. 

Dritte  Abtheilung.  Grasbau.  Der  Verf.  würdigt 
die  Wiesen  sehr  richtig,  gesteht  die  Notwendigkeit  dersel- 
ben in  manchen  Wirthscbaften  eju,  bemerkt  aber,  dafs  gerade 
in  jenen  Gegenden,  wo  der  Ackerbau  am  höchsten  gestiegen 
sey,  der  Wieseubau  nicht  am  vollkommensten  betrieben  wer«* 
de,  wie  im  Altenburgischen ,  in  der  Pfalz,  im  Elsafs,  in  Bel- 
gien, Norfolk  u.  s.  w.  ,  und  spricht  dann  als  Grundsatz  aus: 
nicht  mehr  Wiesen,  als  durchaus  nothwendig  sind,  aber  diese 
im  vollkommensten  Zustande!  —  Zur  besseren  Deutlichkeit 
seiner  Darstellung  unterscheidet  er  natürliche  und  künst- 
liche Wieden.  Ohne  sich  in  ein  unfruchtbares  botanische» 
Detail  *u  verlieren,  £iebt  er  die  besten,  so  wie  die  schäd- 

/  ,  ' 

9 

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44  Schwerz  Anleitung  zum  praktischen  Ackerbau. 

♦ 

liehen  Wiesenpflanzen  an,  «eigt,  wie  die  natürlichen 
Wiesen  unterhalten,  die  Ursachen  ihres  Verderbens  wegge- 
räumt, und  wie  sie  andauernd  verhessert  werden  können.  Zu 
den  Verbesserungsmethoden  rechnet  er  l)  das  Einimpfen, 
2)  das  Erhöhen  mooriger  und  versumpfter  Stellen,  3)  das 
Verjüngen  durch  Erde-Auffflhren  nach  Pohl.  Daran  schliefst 
sich  an  das  Düngen  der  Wiesen,  welches  der  Verf.  nach  den 
wichtigsten  dazu  verwendeten  Materialien  beschreibt,  und 
selbst  in  dem  Controversen  Über  die  Entbehrlichkeit  oder  Un- 
entbehrlichkeit,  über  den  Werth  oder  Nachtheil  desselben  be- 
leuchtet. Unter  künstlichen  Wiesen  versteht  er  nicht 
das,  was  die  Franzosen  praiiies  artificielles  nennen^  nämlich 
Klee-  Luzerne-  und  Esparsettefelder  —  also  Futterfelder, 
sondern  eigentliche,  mit  Hülfe  der  Kunst  geschaffene  Gras- 
läoder.  Diese  können  vorkommen,  wo  die  Gegend  nicht  so 
viel  natürlichen  Graswtichs  darbietet,  dafs  man  im  Stande 
wäre,  davon  das  für  den  Acker  und  sonstigen  Bedarf  nöthige 
Futter  zu  erzielen,  oder  wo  die  Bodenart  selbst  ein  zeitwei- 
liges Eindreischen  mit  Gras  verlangt,  oder  wo  der  Boden 
sich  besser  lohnt,  wenn  man  ihn  periodisch  dem  Pfluge  un- 
terwirft, und  wieder  zu  Gras  niederlegt.  Der  Verf.  stellt  hier 
die  Regeln  für  ein  solches  Niederlegen  —  auf  dem  Wege  der 
Kunst  —  mit  einer  Präcision  und  Umsiebt  auf,  welche  nichts 
zu  wünschen  übrig  läfst. 

Die  zwei  letzten  Hauptstücke  dieser  dritten  Abtheilung 
S.  409  —  560.  enthalten  die  Lehre  von  der  Wiesen  w  äs  se- 
ru  ng,  und  sind  im  Grunde  der  am  sorgfältigsten  bearbeitete 
Theil  des  ganzen  Buches.  Der  Verf.  erklärt  sich  deutlich 
über  den  Werth  der  Wässerungs wiesen  ,  und  spricht  sich  da- 
hin aus  ,  dafs  keine  Benutzung  des  Bodens  mit  dem  Pfluge, 
von  welcher  Art  sie  auch  seyn  möge,  auf  die  Dauer  der  Be- 
nutzung der  Wässerungswiesen  die  Waage  halten  könne.  Er 
erwähnt  kurz  der  zufällig  bewässerten  Wiesen,  die  aber 
den  künstlich  bewässerten  in  der  Regel  nachstehen  ,  indem 
das  Wasser  aueb  zur  Unzeit  die  Wiesenfläche  bedecken  kann, 
und  beschreibt  weitläufig  die  Behandlung  der  künstlich  be- 
wässerten Wiesen,  die  er,  wie  man  es  überhaupt  thun  mufs, 
in  überrieselte  und  Überstauete  unterscheidet.  Er 
geht  so  weit,  die  bei  der  Kunstwässerung  nöthigen  Werk-?, 
zeuge  genau  zu  beschreiben,  und  durch  beigefügte  Zeichnun-' 
gen  zu  versinnlichen ,  und  verbreitet  sich  besonders  über  die 
urabenarbeit ,  selbst  über  die  Handgriffe  derselben;  wodurch 
die  Darstellung  in  jeder  Hinsicht  gründlich  und  ibten  Gegen- 
stand erschöpfend  geworden  ist.     Für  die  Grabenarbeit  und 


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Schwer*  Anleitung  zum  praktischen  Ackerbau. 


45 


die  Bewässerung  überhaupt  mufs  die  Wiese  die  gehörig  ab- 
hängige Fläche  haben,  theils  der  Zuleitung,  thtiJs  des  Ab- 
flusses des  Wassers  wegen.  Sie  hat  dieselbe  aber  entweder 
schon  von  Natur  aus,  und  dann  kömmt  es  darauf  an  ,  sie  ge- 
hörig zu  benutzen,  und  höchstens  die  natürliche  Lage,  wo  es 
sich  leicht  thun  läfst,  auf  dem  kürzesten  Wege  zu  verbessern  ; 
oder  man  mufs  sie  erst  zu  diesem  Zwecke  künstlich  herrich- 
ten ,  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  bauen«  Dies  ist  nun 
der  Punkt,  wo,  wie  der  Verf.  selbst  sagt,  die  Kunst  sich  über 
das  Handwerk  erhebt,  und  wo  der  Verf.  die  Gelegenheit  ge- 
habt und  benutzt  hat,  seine  tiefen  praktischen  Kenntnisse  im 
Wiesenbau  an  den  Tag  zu  legen.  Bei  den  überrieselten  Wie- 
sen unterscheidet  er  den  Hangbau,  wo  alle  Wassergraben 
in  der  Abdachung  nach  Einer  Richtung  hin  ihren  Abiluis  ha« 
ben  ,  und  den  R  ü  ck  e  n  b  a  u ,  wo  die  Wiesenfläche  in  mehrere 
Beete,  nach  Art  der  Ackerbeete  ,  gelegt  ist.  Das  Wasser  wird 
über  den  Kücken  derselben  hingeJeitet,  ergiefst  sich  über  die 
beiden  Wände  der  Beete,  und  wird  in  den  längs  den  Seiten 
hinlaufenden  Furchen  wieder  aufgefangen.  —  Auch  die  Ueber- 
stauungswiesen  lassen  sich  durch  Bauen  künstlich  herstellen. 
Der  Bau  mufs  aber  nach  ihrer  Natur  so  geleitet  werden,  dals 
man.  ihre  ganze  Fläche  schnell  unter  Wasser  setzen ,  eine  be- 
liebige Zeit  bedeckt  lassen  ,  und  nach  Willkühr  wieder  trocken 
legen  kann.  Die  Regeln,  welche  der  Verf.  deshalb  aufstellt, 
sind  mit  sauberen  und  deutlichen  Zeichnungen  anf  den  Tafeln 
belegt,  und  eben  dadurch  für  die  unmittelbare  Anwendung  im 
Leben  vorbereitet.  ■ 

Wirft  man  einen  Blick  auf  das  Ganze  zurück,  so  mufs 
man  dem  Verf.  Dank  wissen  ,  dafs  er  die  Resultate  seiner 
vieljährigen  Versuche  und  Beobachtungen  über  so  wichtige 
Theile  des  landwirtschaftlichen  Betriebes  dem  Publikum  mit- 
getheilt  hat.  Sie  bilden  ein  Repertorium  nicht  hlos  für  den 
Verf.  selbst  "und  ähnliche  Lehrer  —  was  übrigens,  in  seinem 
Zwecke  lag  — ,  sondern  auch  für  andere  Landwitthe,  welche 
ihre  Forschungen  an  die  seinigen  anknüpfen  wollen.  Beson- 
ders lobenswerth  ist  aber  die  Art,  wie  er  es  gethan  hat.  Als 
ein  ächter,  bescheidener  Meister  in  seiner  Kunst,  hat  er  es 
nicht  verschmähet ,  auch  die  Verdienste  anderer  deutscher, 
französischer  und  englischem  Landwitthe  zu  würdigen  und  zu 
ehren,  und  selbst  interessante  Stellen  aus  ihren  Schriften  in 
seinen  Vortrag  zu  verweben.  Dieser  hat  dadurch  eine  Leb- 
haftigkeit und  Mannigfaltigkeit  gewonnen,  welche  man  in  an- 
deren Schriften  dieses  Faches,  . deren  Darstellung  so  leicht  in 
das  Trockene  fällt,  vergebens  sucht.     Der  Verf.  hat  sie  noch 


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46  Tliilo  Sammlung  geometrischer  Aufgaben. 

dadurch  erhöhet,  dafs  er  hie  und  da  Bemerkungen  mit  einge- 
streut hat,  die  zwar  zur  Darstellung  der  Sache  nicht  geradezu 
nothwendig  wären,  die  aber ,  indem  sie  die  Phantasie  in  An- 
spruch nehmen,  dein  Leser  lebendigere  Bilder  vor  Augen 
stellen.  Dies  alles  lüfst  uns  wünschen,  dafs  die  folgenden 
Bände,  welche  dem  ersten  nicht  nachstehen  werden,  recht 
bald  in  die  Hände  des  landwirtschaftlichen  Publikums  ge- 
langen mögen. 


Sammlang  geometrischer  Aufgaben  und  Lehrsätze ,  mit  synthetischen 
Auflösungen  und  Beweisen ,  als  JVlaterial  des  Unterrichts  in  der 
Elementar- Geometrie  9  von  Dr.  Ludwig  Thilo-  ErsterBandy 
enthaltend ,  als  Einleitung ,  eine  Abhandlung  über  geometrische 
^Lehrsätze  und  Aufgaben  überhaupt ,  und  aus  der  Planimetrie  die 
■Aufgaben  und  Lehrsätze,  welche  die  Congruenz  und  Gleichheit 
der  Figuren  betreffen.  Mit  8  Kupfertafeln,  Frankfurt  am  Main9 
bei  Sauerländer.  1824> 

Auch  unter  dem  besonderen  Titel: 

Materialien  für  den  Unterricht  in  der  Elementar-  Geometrie ,  von  Dr. 
Ludwig  Thilo ,  Professor  der  Mathematik  und  Physik  am 
Gymnasium  zu  Frankfurt  a.  M.  Erster  Theil.  Sammlung  geo- 
metrischer Aufgaben  und  Lehrsätze  mit  synthetischen  Auflösungen 
und  Beweisen.     Erster  Band.  3  fl.  45  kr. 

Zweiter  Band  ,  enthaltend  aus  der  Planimetrie  die  Aufgaben  und  Lehr- 
sätze ,  welche  die  Aehnlichkeit  der  Figuren  und  den  Kreis  be- 
treffen. 

Auch  unter  dem  besonderen  Titel  : 

Materialien  u.  s.  w>  Erster  Theil ,  zweiter  Band.  Frankfurt  am 
Main  1825.  4  fl.  30  kr. 

Es  ist  dem  Hrn.  Verf.  zum  Verdienste  zu  rechnen,  dafs 
er  einen  besonderen  Werth  auf  das  geometrische  Studium 
überhaupt ,  und  die  Construction  geometrischer  Aufgaben  ins- 
besondere, in  den  Schulen  des  Vaterlandes  legt.  Des  Jüng- 
lings mathematischer  Sinn  wird  durch  kein  Studium  so  sehr 
gebildet,  als  das  geometrische,  keine  Disciplin  reicht  so 
zweckmässige,  den  jugendlichen  Geist  so  sehr  ansprechende 
Materialien  dar,  als  die  Geometrie,  Und  vieler  Lehrer  Dank 
verdient  der  Hr.  Verf. ,  dafs  er  aus  dem  reichen  Schatze  der 
Schriften  alter  und  neuer  Zeit ,  welche  er  kannte,  eine  grofse 


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J 

Thilo  Sammlung  geometrischer  Aufgaben  47 

Menge  von  Lehrsätzen  und  Aufgaben,  nach  eigener  Verarbei- 
tung, ab  Materialien  für  einen  anregenden  Unterricht  in  der 
Elementar-Geometrie  mittheilte. 

Der  erste  Band  beschränkt  sich  auf  geometrische  Aufga- 
ben ,  welche  die  Congruenz  und  Gleichheit  betreffen.  In  der 
einleitenden  Abhandlung  erklärt  sich  der  Verf.  in  zwei  Ab» 
schnitten,  nach  des  Ree.  Gefühl,  mit  zu  vielen  Worten,  über 
den  Gegenstand  der  Sammlung  und  den  Gebrauch  derselben, 
und  eröffnet  dieselbe  mit  einer  Zusammenstellung  des  Weni- 
gen, was  man  über  Euclides  als  Lehrer  weil'*,  handelt  darauf 
von  den  verschiedenen  Arten  von  Sätzen,  welche  in  der  Geo- 
metrie vorkommen,  und  demjenigen,  was  nach  dei  Relation 
von  Proclus  zu  einem  vollständig  behandelten  Satze  nach  dem 
Begriffe  der  Alten  gehört  habe,  und  spricht  sich  zuletzt  über 
das  Verhältnils  des  Lehrsatzes  und  der  Aufgabe  z*um  Systeme 
der  Geometrie,  und  über  die  daraus  sich  ergebende  Form  für, 
beide  aus. 

Auffallend  ist  es,  dafs  hier  unter  vielem  wohl  und  gründ- 
lich'Gedachten  sich  ein  Irrthum  eingeschlichen  bat,  welcher 
den  Hrn.  Verf.  zu  vielen  überflüssigen  Worten  und  irrigen 
Behauptungen  veranlafste.  Indem  er  nämlich  aus  Proclus  als 
die  Bestandteile  eines  geometrischen  Satzes  aufführt  die  Pro- 
position, die  Exposition  ,  die  Determination,  die  Construction, 
die  Demonstration  und  die  Conclusion,  ist  es  ihm  nicht  ge- 
Jungen,  den  richtigen  Begriff  der  Determination  aufzufassen. 
Um  zu  erläutern  ,  was  unter  Determination  und  den  übrigen 
Theilen  eines  Satzes  zu  verstehen  sey,  giebt  er  pag.  62.  fol- 
gendes Beispiel : 

„Proposition.  In  jedem  Dreieck  liegt  der  grösseren  Seite  der 
gröfsere  Winkel  gegenüber. 

»Exposition.  Das  Dreieck  sey  ABC,  welches  die  Seite  AC 
gröfser,  als  die  AB  habe. 

„Determination.  So  sage  ich,  dafs  auch  der  Winkel  ABC  grös- 
ser, als  der  Winkel  BCA  ist. 

„Construction,  Denn  da  die  AC  gröfser,  als  die  AB  ist,  so 
werde  der  AB  gleich  die  AD  auf  die  AC  gelegt,  und  die 
BD  gezogen. 

„Demonstration.  Da  der  Winkel  ADB  aufserhalb  des  Dreiecks 
BDC  ist ,  so  ist  er  gröfser,  als  der  innere  gegenüberstehende 
DCB.  Es  ist  aber  der  ADB  dem  ABD  gleich  ,  da  auch  die 
Seite  AB  der  AD  gleich  ist.  Also  ist  auch  der  ABDgröfser, 
als  der  ACB.  Also  noch  mehr  der  ABC  gröfser,  als  der  AGB. 

„Conclusion.  In  jedem  Dreieck  liegt  also  der  gröfseren  Seite  der 
gröfsere  Winkel  gegenüber,  Welches  zu  beweisen  war, 


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1 


48  Thilo  Sammlung  geometrischer  Aufgaben. 

•  ■ 

Abgesehen  davon,  dafs  Ree  in  den  Schriften  der  Alten 
niemals  etwas  unter  Construction  aufgef  ührt  gefunden  hat ,  was 
oben  unter  dieser  Rubrik  steht ,  so  ist  der  Begriff  der  Deter- 
mination gänzlich  verfehlt. 

Die  Determination  ist  nichts  anderes,  als  die  Bestim- 
mung der  Gränzen  ,  innerhalb  derer  die  gegebenen  Stücke 
einer  Aufgabe  sich  halten  müssen,  damit  sie  möglich  bleibe; 
Hätte  der  Hr.  Verf.  die  Schriften  des  Apollonius  vonPerga,  in 
welchen  er  besonders  von  geometrischen  Aufgaben  handelt,  ge- 
lesen, z.  J£.  die  de  sectione  determinata ,  de  inclinationibus, 
de  sectione  rationis ,  bearbeitet  von  Diestefweg,  u.  s.  w. ,  so 
würde  er  sich  überzeugt  haben ,  dafs  nur  jene  Gränzbestitn- 
mung  den  Begriff  der  Determination  bildet.  Dafs  er  dieses 
nicht  wufste,  veranlafste  ihn  nun  zu  mancherlei  irrigen  Be- 
hauptungen, z.  B.  für  die  Aufgaben  lasse  sich  die  Unterschei- 
dung jener  TheHe  schwerlich  durchführen  (Ree.  hält  dafür, 
siegelte,  wo  nicht  ausschliefsend  ,  wenigstens  vorzugsweise 
für  die  Aufgaben)  ,  die  Determination  könne  oft  ganz  weg» 
bleiben  (Ref.  hält  sie  für  etwas  ganz  wesentliches ,  und  je  Je 
Aufgabe  für  höchst  unvollkommen  aufgelöst ,  in  welcher  sie 
fehlt,  wenn  eine  dazu  gehört),  sie  lasse  sich  bei  jeder  Auf- 
gabe leicht  aussprechen  (Ree.  behauptet^  manche  Aufgaben 
haben  gar  keine,  weil  sie  unter  allen  Umständen  möglich 
sind,  bei  denen  aber,  zu  welchen  eine  solche  gehört,  ist  sie 
oft  das  allerschwerste).  Auch  streitet  er  von  diesem  Gesichts* 
punkte  aus  ganz  mit  Unrecht  gegen  eine  Behauptung  Haubers  , 
welcher  sehr  gut  weifs,  was  unter  Determination  zu  verstehen 
ist,  und  dessen  Chrestomathia  geömetrica  übrigens  mit  gebüh- 
rendem Lobe. angeführt  wird.  Eben  so  veranlagst  ihn  jener 
Irrthnm,  bei  den  Aufgaben;  welche  nachher  folgen,  nach 
dem  Beweise,  in  einer  Anmerkung  von  den  Füllen  zu  sprechen, 
in  welchen  die  Aufgabe  unmöglich  wird;  gerade  als  ob,  wenn 
in  dem  Beweise  die  Wirklichkeit  der  Auflösung  dargthan 
ist,  nachher  noch  von  der  Möglichkeit  zu  sprechen  wäre. 
Die. Determination  gehört  noth wendig  vor  den  Beweis.  Nur 
innerhalb  der  Gränzen  ,  welche  sie  vorschreibt,  hat  der  Beweis 
seine  ganze  Kraft.  Die  Alten  pflegten  sie  vor  die  Construction  zu 
stellen.  Weil  es  oft  sehr  schwer  ist,  sie  vor  derselben  zu  finden, 
und  es  in  der  Regel  leichter  ist,  sie  aus  der  Construction  herzu« 
leiten,  so  lassen  sie  die  Neueren  der  Construction  gewöhnlich 
folgen,  wenn  sie  dieselbe  nicht  wegen  der  Schwierigkeit  ganz 
weglassen,  welches  von  vielen  freilich  ganz  mit  Unrecht  ge- 
schieht, namentlich  in  der  oft  belobten  geometrischen  Analysis 
vön  LesÜe,  übersetzt  von  Grüson.  mt 

(Der  Beschlufs  folgt») 

- 

\ 


\         '  •  Digitized  by  Google 


N.  4  '  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Thilo  Sammlung  geometrischer  Aufgabeil. 

QBeschlufs.) 

— 

Was  der  Hr.  Verf.  p.  tlt.  Ober  analytische  und  synthe- 
tische Beweise  sagt,  befriediget  Ree.  nicht.  Analytische 
Beweise  kennt  in  der  Mathematik  er  nicht.  Was  die  Alten 
in  der  Geometrie  Analysis  nannten,  war  nur  die  Zurückfüh- 
rung  der  Auflösung  einer  Aufgabe,  oder  des  Beweises  eines 
Lehrsatzes  auf  die  näher  oder  entfernter  liegenden  Bedingun- 
gen, von  welchen  die  Auflösung  der  Aufgabe,  oder  der  Be- 
weis des  Lehrsatzes  abhing.  Es  wurde  dabei  als  wahr  gefun- 
den oder  wahr  angenommen,  was  erst  gesucht  oder  bewiesen, 
werden  sollte.  Die  Analysis  war  also  kein  Beweis.  Sie  ist 
nur  eine  Methode,  welche  zur  Kenntnifs  des  Unbekannten 
führen  sollte.  Die  Alten  hielten  sie  aber  für  etwas  sehr  wich- 
tiges. Ihnen  galt  eine  Aufgabe  für  aufgelöst,  ein  Beweis 
eines  Lehrsatzes  für  gefunden,  wenn  die  Analysis  gemacht 
war.  Und  mit  Recht.  Sie  ist  auch*  jetzt  noch  etwas  sehr 
wichtiges,.  In  so  weit  überhaupt  eine  Anleitung  gegeben  wer« 
den  kann,  eine  Aufgabe  selbst  aufzulösen,  den  Beweis  eines 
Lehrsatzes  selbst  zu  finden,  giebt  sie  dieSe  Anleitung.  Ree. 
kann  es  deshalb  auch  nicht  billigen,  dals  der  Hr.  Verf.  schon 
auf  dem  Titel  nur  Synthetisches  Verfahren  ankündigt,  und  die 
Analysis  der  Aufgaben  wegläfst.  Sie  gerade  scheint  ihm  bei 
Aufgaben  das  allerwichtigste,  und  lieber  entbehrt  er  alles 
übrige  ,  als  sie.  Soll  die  Behandlung  geometrischer  Aufgaben 
für  den  Schüler  einen  Werth  haben,  so  ist  es  nicht  genug, 
dafs  man  ihm  die  Auflösung  gebe,  oder  ihn,  wie  es  unter  den 
Schülern  Pestalozzis  der  lall  war,  sich  selbst,  und  dem  un- 
geregeltesten Nachdenken  und  blindem  Herumtappen  t'iber* 
lasse,  sondern  es  wird  erfordert,  dals  er  an  Beispielen  gelehrt 
werde ,  von  demjenigen,  was  geleistet  Werden  soll,  zu  den 
Bedingungen  aufzusteigen,  wovon  das  zu  Leistende  abhängt, 
und  das  so  weit  zu  verfolgen*  bis  er  auf  bekannte  Sätze  ge- 

XIX.  Jahrg.   i.  Heft.  4 


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00  Thilo,  Sammlung  geometrischer  Aufgaben. 

kommen  ist.  Solche  Uehung  gewahrt  die  geometrische  Ana- 
lysis.  Ihre  Anwendung  kann  darum  nicht  genug  eingeschärft 
werden  ,  und  nichts  ist  hei  Behandlung  geometrischer  Aufgaben 
in  der  Schule  dem  analytischen  Gange  zu  vergleichen. 

Was  der  Hr.  Verf.  am  Ende  der  langen  und  wortreichen 
Einleitung  über  die  Wichtigkeit  schrittlich- mathematischer 
Arbeiten  der  Schüler  sagt,  wie  dieselben  Einsicht  in  das  We- 
sen der  Begründung  einer  mathematischen  Wahrheit,  Uebung 
im  gründlichen  und  methodischen  Denken  gewähien,  wie  sie 
ein«  zweckmässige  Wiederholung  der  Hauptsätze  herbeifüh- 
ren, dem  Lehrer  eine  genaue  Controlle  über  die,  Fortschritte 
der  sämmtlichen  Schüler  einer  Classe  gestatten;  was  er  über 
die  vielseitige  Anwendbarkeit  einer  Sammlung  von  Aufgaben 
und  Lehrsätzen,  wie  er  sie  zu  geben  beabsichtigt,  als  Mate- 
riale  für  den  Unterricht  hinzufügt,  wie  sie  dem  Lehrer  Stoff 
2ur  Anwendung  der  Hauptsätze  auf  Begründung  anderer  Wahr- 
heiten, Stoff  zu  socrati^irenden  Vorträgen  und  heuristischen 
Üebungen  darbieten,  findet  Ree.  sehr  lesenswert!),  mufs  es 
aber  auch  hier  tadeln,  dafs  er  bei  den  heuristischen  Uebungen 
des  analytischen  Weges  nicht  gedenkt,  welcher  der  einzige 
empfehlenswerthe  ist. 

In  der  Sammlung  selbst  hatte  Ree.  nur  solche  Lehrsätze 
und  Aufgäben  erwartet,  welche  über  den  gewöhnlichen  Schul* 
Vortrag  des  ersten  geometrischen  Curses  hinausreichen.  Es 
findet  sich  aber  eine  grofse  Menge  der  allereinfachsten  und  in 
jedem  geometrischen  Leitfaden  gewifs  vorkommenden  Sätze, 
wie  folgende:  der  äufsere  Winkrl  eines  Dreiecks  ist  gröfser, 
als  jeder  innere,  nicht  an  ihm  liegende,  die  Winkel  an  der 
Grundlinie  eines  gleichschenkligen  Dreiecks  sind  einander 
gleich,  dem  größeren  Winkel  eines  Dreiecks  s,teht  die  gröfsere 
Seite  gegenüber*  zwei  Seiten  eines  Dreiecks  sind  zusammen- 
genommen gröfser ,  als  die  dritte ,  u.s.w.  Sätze,  welche  hier 
mit  vielen  anderen  hätten  Weggelassen  werden  können. 

Dagegen  ist  die  Auswahl  der  übrigen  Sätze  und  Aufgaben 
über  Dreiecke,  Parallelogramme,  Paralleltrapezien ,  Vier  -  und 
Fünfecke  überhaupt  sehr  zweckmäfsig,  und  viele  Lehrer  wer- 
den den  besten  Gebrauch  von  diesen  mannichfaltigen  Mitthei- 
luhgen  ,  deren  Urheber  tiberall  genannt  werden,  machen  kön- 
nen. Es  würde  Unrecht  seyn  und  zu  Weit  führen,  über  Ein- 
zelnes mit  dem  Hrn.  Verf.  zu  rechten^  da  des  Vorzüglichen, 
sehr  viel,  urtd  des  zu  Tadelnden  wenig  ist.  Ree.  begnügt 
lieh  deshalb  mit  obigen  allgemeinen  Bemerkungen  und  einer 
allgemeinen  Empfehlung.  Angehängt  ist  dem  ersten  Bande 
eine  algebraischeBehahdlung  der  zehn  ersten  Sätze  dss  zweiten 


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Thilo  Sammlung  geometrischer  Aufgaben.  51 

Buches  der  Euclideiscben  Elemente.     Es  ist  wahr,  dafs  dirse 
Satze  sich  leichter  algebraisch  darthun  lassen ,  als  geometrisch. 
Alter  der  Verf.  würde  die  Elemente  des  Euclides  ihrer  schön* 
sten  Zierde  berauben  ,  Wenn  er  ihnen  dies  zweite  Buch  und  die 
herrliche  geometrische  Darstellung  jener  Sätze  mit  dein  ganzen 
Reichtbum  ihrer  Anwendungen  rauben  wollte.  Schließlich 
folgt  eine  interessante  Abhandlung  über  den  Pythagoreischen 
Lehrsatz  und  verwandte  Sätze. 

-  Der  zweite  Band  ist  mehr  noch,  als  d  *r  erste,  reiVh  an 
rnannichfaltigen  interessanten  geometrischen  Lehrsätzen  und 
Aufgaben,  welche  der  Hr.  Verl.  aus  vielen  bedeutenderen 
geometrischen  Schriften  der  früheren  und  späteren  Zeit  mit 
Sorgfalt  zusammengestellt  und  mit  Sachkeuutuifs  verarbeitet 
hat.  Ohne  Zweifel  wird  derselbe  vielen  Lehrern  zur  Erwei- 
terung  und  Vervollständigung  des  geometrischen  Unterrichts 
und  zur  Anwendung  des  Gelehrten  dienen,  auch  wegen  des 
Reichthums  der  Mittheilungen  manches  seltene  Buch  entbehr- 
lich machen.  Er  enthält  viele  im  gewöhnlichen  Vortrage  nicht 
vorkommende  Lehrsätze  und  Aurgaben  über  gerade  Linien , 
Dreiecke  und  Vierecke,  den  Kreis  ,  über  Maxima  ui\d  Mini« 
ma ,  welche  bei  geometrischen  Figuren  vorkommen,  behan- 
delt mehrere  der  Aufgaben  ,  welche  Apollouius  von  Peiga  in 
der  Schrift  über  die  Berührungnn  aufgelöst  hatte,  in  der  von 
Vieta  angegebenen  Weise,  trägt  Lehrsätze  Über  den  soge- 
nannten Arbelus,  den  sogenannten  Pelecoides  und  dieLunulas' 
des  Hippocrates  vor  u.  s.  w. 

Was  das  Einzelne  betrifft,  so  ist  der  verfehlte  Begriff  der 
Determination,   welcher  im  ersten  Bande  aufgestellt  wurde, 
beibehalten  ,   und  der  eigentliche  Gegenstand  der  Determina- 
tion vernachlässigt.     So  z.  B.  wird  pag.  53.  die  Aufgabe  auf- 
gelöst :  ein  Dreieck  zu  construiren,  von  welchem  ein  Winkel, 
und  die  Summen  der  Gegenseite  und  jeder  der  anliegenden  ge- 
geben Seyen.    Der  Hr.  Verf.  setzt  dabei  die  .Möglichkeit  der 
Construction  unter  allen  Umständen  voraus,  während  es  doch 
einer  genauen  Untersuchung  bedarf,   ob  unter  allen  Umstän- 
den von  dem  in  der  Figur  mit  H  bezeichneten  Punkte  aus 
eine  Linie  HI  s  FE  an  die  Linie  FI  gezogen  werden  könne; 
und  ob  die  verlängerte  DI  der  Linie  AE  unter  allen  Umstän- 
den begegne.      In  der  pag.  56.  behandelten  Aufgabe  i  „eiii 
s,  Dreieck  zu  verzeichnen ,  in  welchem  die  Grundlinie,  dasVer- 
„bältnifs  der  Summe  der  übrigen  Seiten  zu  der  Differenz  der- 
selben,  und  ein  Winkel  an  der  Grundlinie  gegeben  Seyen"  , 
wird  das  Zusammentreffen  eines  au*  F  als  Mittelpunkt  mit 
einem  Radius  ^  FD  beschriebenen  Kreises  mir  der  Linie  AB 

4* 


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.  >    ■  * 

- 

5i  Thilo  Sammlung  geometrischer  Aufgabeo. 

vorausgesetzt,  während  (lasseihe  wirklich  gar  nicht  statt  findet,  > 
wenn  das  Verhälsnifs  der  Summe^  der  Schenkel  zur  Diiferenz der- 
selben kleiner  ist,  als  das  Verhältnifs  tang.  (45  %  A  )2  :  i. 
Auch  wird  wegen  Vernachlässigung  der  dahin  gehörigen  Un- 
tersuchung das  zweite  in  den  meisten  Fällen  statt  findende 
Dreieck  gar  nicht  gef  unden. 

Eine  ähnliche  Bemerkung  gilt  von  der  Aufgabe  pag.  95, 
ein  Dreieck  zu  beschreiben  ,  in  welchem  die  von  den  Winkel- 
spitzen  auf  die  gegenüber  liegenden  Seiten  gefällten  Perpen« 
dikel  gegebenen  geraden  Linien  gleich  seyen.  Es  wird  dabei 
vorausgesetzt,  was  nur  unter  beschränkenden  Bedingungen 
statt  findet,  dafs  das  in  der  Figur  mit  ABF  bezeichnete  Drei« 
.    eck  immer  construirt  werden  könne. 

In  der  pag.  102.  behandelten  Aufgabe:  „durch  einen  in- 
nerhalb eines  gegebenen  Winkels  gegebenen  Punkt  eine  gerade  • 
Linie  zu  legen,  welche  mit  den  Schenkeln  des  Winkels  ein 
Dreieck  von  gegebenem  Flächeninhalte  bilde«*,  fühlt  der  Hr. 
Verf.  wohl,  dafs  die  Aufgabe  nicht  immer  möglich  sey.  Er 
fügt  deshalb  am  Ende  hinzu,  die  Aufgabe  sey  unmöglich, 
wenn  DK  <  KI  würde.  Aber  damit  ist  nicht  viel  gesagt.  Er 
hätte  die  Gränze  für  den  gegebenen  Raum  angeben  müssen, 
damit  ein  demselben  gleiches  Dreieck  auf  die  angegebene  Art 
beschrieben  werden  könne.  An  anderen  Stellen  würden  sich 
ähnliche  Bemerkungen  anknüpfen  lassen. 

Die  Auflösung  der  pag.  50.  gegebenen  Aufgabe:  „einen 
Punkt  in  der  Ebene  dreier  gegebenen  geraden  Linien  zu  finden, 
so  dafs  die  von  demselben  auf  die  Linien  gefällten  Perpendikel 
in  gegebenen  Verhältnissen  stehen«,  ist  nicht  erschöpfend  , 
weil  sich  mehr  als  ein  Punkt  mit  den  gegebenen  Eigenschaften 
finden  läfst.  Eben  so  lehrt  die  Construction  der  pag.  51.  auf- 
gelösten Aufgabe  :  „einen  Punkt  rinden,  so  dafs  die  von  dem- 
selben zu  drei  gegebenen  Punkten  gezogenen  geraden  Linien 
in  gegebenen  Verhältnissen  stehen«,  nur  einen  Punkt  finden, 
während  es  deren  zwei  giebt. 

Der  unter  Art.  236fc  aufgestellte  Lehrsatz  hätte  er- 
schöpfender ausgedrückt  werden  können,  wie  folgt:  Wenn 
zwei  Seiten  eines  Dreiecks  zweien  Seiten  eines  anderen 
proportionirt,  und  zwei  Winkel  gleich  sind,  welche  zweien 
correspondirenden  dieser  Seiten  gegenüber  liegen,  auch  von 
den  übrigen  denselhen  gegenüber  liegenden  Winkeln  ent- 
weder der  eine  ein  rechter,  oder  jeder  kleiner,  oder  nicht 
kleiner,  als  ein  rechter  sind,  so  sind  die  Dreiecke  einander 
ähnlich. 

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Archiinedes  Werk«  Ubers,  von  Nisse.  53 

Der  Hr.  Verf.  glaubt ,  dafs  Euclides  den  26.  Satz  des 
sechsten  Buches  der  Elemente  nicht  gehrauche  ,  während  er 
schon  im  27.  Satze  desselben  Buches  seine  Anwendung  findet, 


Ar  chime  de  s  von  Syrakus  vorhandene  PVerkem  Aus  dem  Gr»>- 
chischen  übersetzt  und  mit  Erläuterungen  und  kritischen  Anmer- 
kungen begleitet  von  Ernst  Nizze.  Mit  15  Tafeln  in  Stein- 
druck.    Stralsund  1824.     Verlag  von  Löjfler.  6  A. 

Ree.  hält  es  für  einen  Fortschritt,  oder  vielmehr  für 
einen  Rückschritt  zum  Besseren,  in  der  mathematischen  Li- 
teratur, dafs  man  hei  der  sichthat  lieh  zunehmenden  Neigung 
»um  Studium  der  Analysis  der  Neueren,  hei  der  fleifsigen  Be- 
nutzung der  glänzenden  Fortschritte,  welche  dieselbe  beson- 
ders von  Frankreich  aus  gemacht  hat,  und  bei  dem  eifrigen 
Bemühen,  dieselbe  überall,  wo  sie  angewendet  werden  kann, 
selbst  in  geometrischen  Dingen,  vorzugsweise  oder  ausschliefst 
lieh  anzuwenden,  der  Alten  nicht  vergifst,  und  dafs  mitten  in 
jener  hohen  Verehrung  des  Neuen  neue  Ausgaben  und  Bear* 
beitungen  der  Schriften  der  Alten  erscheinen,  und  Leser  und 
Theilnehmer  finden.  Was  kann  für  das  mathematische  Studium 
erspriefslicher,  ja  kann  etwas  anderes  für  dasselbe  wahrhaft 
erspriefslich  seyn ,  als  wenn  die  geometrische  Methode  der 
Alten  mit  der  analytischen  der  Neueren  Hand  in  Hand  gebet, 
die  eine  die  andere  begleitet,  erläutert,  ergänzt  und  vervoll- 
ständigt? Was  kann  man  dem  Anfänger  des  mathematischen 
Studiums  besseres  rathen,  als  zuerst  den  Geist  der  alten  Geo- 
metrie durch  das  Studium  der  Schriften  der  griechischen  Geo- 
meter  kennen  zu  lernen,  die  darin  herrschende  Methode  sich 
anzueignen  ,  seine  eigenen  Kräfte  durch  Anwendung  der  von 
ihr  dargebotenen  Hülfsmittel  zu  üben,  alsdann  zu  den  erleich- 
ternden und  allgemeineren  Kunstgriffen  der  neueren  Analysis 
überzugehen,  und  sich  aller  der  Vortheile  zu  bemächtigen, 
welche  sie  darbietet,  "und  wodurch  sie  den  Mathematiker  weit 
über  die  Grenzen  der  alten  Geometrie  hinausführt. 

Mit  wahrer  Freude  sieht  Ree.  unter  den  Erzeugnissen 
der  neueren  mathematischen  Literatur  eine  Uebersetzung 
sämmtlicher  auf  uns  gekommenen  Schriften  des  Fürsten  der 
alten  Geometer  ,^-des  Archimedes,  welcher  wohl  verwundert 
stehen  würde,  wenn  er  die  Fortschritte  der  neueren  Mathe- 
matik sähe,  welcher  aber  von  jedem  neueren  JYJathematiker 
mit  noch  gröfserer  Verwunderung  über  seine  Leistungen  mU 


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54  Archimedes  Werke  über«,  ton  Nizie. 


seinen  Hülfsmitteln  angesehen  zu  werden  verdient.  Wie  viele 
der  eminenten  Geister  führt  wohl  die  Weltgeschichte  auf, 
welche  mit  einem  so  kleinen  Vorrathe  von  Hülfsmitteln  so 
viel  leisteten,  als  Archimedes  leistete? 

Seitdem  J.  C.  St  urm  im  Jahre  1670  zu  Nürnberg  «des 
unvergleichlichen  Archimedes  Kunstbüchercc  sehr  glücklich 
ubersetzt  herausgegeben  hatte ,  waren  in  Deutschland  zwar 
einzelne  Theile  der  Archimedeischen  Schriften  in  Uebersetzun- 
gen  und  Bearbeitungen  erschienen,  unter  welchen  sich  „  Archi- 
meds  zwei  Bücher  über  Kugel  und  Cylinder,  ebendesselben 
Kreismessung,  von  Hauber",  auszeichnen.  Aber  eine  Ueber- 
setzung  des  ganzen  Archimedes  fehlte.  Und  billig  war  es,  dafs 
die  Deutschen  nicht  hinter  den  Franzosen  zurückbiieben,  welche 
schon  1817  in  Peyrard  einen  Uebersetzer  fanden. 

Der  Verf.  der  vorliegenden  Uebersetzung  richtete,  wie 
Hecht  ist,  sein  Augenmerk  vorzüglich  darauf,  den  Inhalt  deut- 
lich darzulegen  ,  welches  bei  mathematischen  Schriften  selbst 
in  solchen  Stellen,  in  (lenen  der  Text  einer  kritischen  Berich- 
tigung bedürfen  möchte,  möglich  ist,  und  ah  alle  Stellen , 
deren  bei  dem  genialen  Archimedes  viele  vorkommen ,  in  wel- 
chen eine  rasch  übersehene  Schlufsreihe  mit  übersprungenen 
Mittelgliedern  dargelegt  ist,  einen  begleitenden  Commentar 
anzuknüpfen,  ohne  jedoch  in  demselben  mehr  geben  zu  wol- 
len, als  zum  vollen  Verständnifs  der  Stellen  erforderlich  schien. 
Dafs  die  Vorarbeiten  anderer  Commentatoren  dabei  benutzt 
Wurden,  versteht  sich  von  selbst.  In  der  Uebersetzung  so- 
wohl ,  als  in  dem  Co  mmentar  charakterisirt  sich  Hr.  Nizze  als 
einen  Gelehrten,  welcher  eine  vertraute  Bekanntschaft  mit  den 
Schriften  der  alten  Geometer  und  dem  darin  waltenden  Geiste 
besitzt,  und  selbst  die  Anordnung  des  Druckes  giebt  das  zu 
erkennen,  Ueberall  zeigt  sich  Kürze  und  Bündigkeit  des  Aus- 
drucks, Gründlichkeit  der  Entwicklung  und  systematische 
Anordnung.  Den  Sinn  des  Originals  fand  Ree.  überall ,  wo  er 
die  Uebersetzung  mit  dem  Originale,  oder  auch  mit  der  im 
Ganzen  sehr  glücklichen  Sturm'scben  Uebersetzung  verglich  , 
treu  und  genau  wiedergegeben,  und  für  die  Anmerkungen  wird 
der  Leser  dem  Hrn.  Verf.  Dank  wissen. 

Die  erste  gedruckte  Ausgabe  der  Schriften  des  Archimedes 
erschien  bekanntlich  im  Jahre  1544  zu  Basel.  Natürlich  be- 
durfte der  Text  derselben  noch  mancher  Berichtigungen  ,  welche 
theilweise  ihm  auch  zu  Theil  wurden.  Die  zweite  vollstän- 
dige, seit  jener  Zeit  erschienene  Ausgabe  ist  die  von  Torelli , 
Oxford  1792  ,  welche  aber  bei  aller  Sorgfalt  des  Herausgebers, 
weeen  der  Nachlässigkeit  des  Correctors.  für  die  Kritik  des 


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Krcli  lateiniiche-  Schulgramiuatik.  55 

Textes  #o  viel  alt  Nichts  leistet.  Es  blieb  deshalb  fjem  neuen 
Uebersetzer  in  sämmtlichen  Schriften  des  Arcbimedes,  die 
über  die  Kreismessung  und  die  Sandrechnung  ausgenommen  , 
welche  von  Wallis  eine  schätzbare  Verbesserung  des  Textes 
erhalten  hatten,  noch  Vieles  zu  berichtigen  übrig,  indem 
ohne  die  Absicht  des  Hrn.  Verf  ,  eine  neue  Ausgabe  des  Tex- 
tes zu  veranstalten,  die  Rücksicht  auf  eine  möglichst  vollen« 
dete  U  e  1 1 e t  setzung  zu  einer  kritischen  Beleuchtung  vieler  ■Stel- 
len des  Textes  aufforderte.  Hr.  Nizze  theilt  in  einem  Anbange 
diejenigen  kritischen  Bemerkungen  mit,  wozu  ihn  die  Ueber- 
setzung  veranlagte.  Er  wünscht,  dais  dieselben  von  dent 
freilich  seltenen,  Freunden  dieses  Zweiges  der  altertümlichen 
Literatur  Berücksichtigung  und  Berichtigung  finden  mögen. 
Ree.  wünscht  das  gleichfalls,  um  so  mehr,  da  der  Hr.  Verf. 
eine,  freilich  noch  entfernte,  Aussicht  zu  einer  neuen  Ausgab« 
des  Textes  eröffnet« 

Mögen  die  Schriften  des  Fürsten  der  alten  Geometer  im- 
mer mehr  Leser  und  gründliche  Bearbeiter  finden  !  Möge  die 
Erscheinung  dieser  gelungenen  Uebersetzung  dazu  beitragen, 
dais  das  Studium  der  alten  Geometrie,  welches  ohne  Schaden 
für  die  Wissenschaft  nicht  vernachlässigt  werden  darf ,  immer 
allgemeiner  werde! 


Lateinische  S  ch  ul g  r  amm  a  t  ik  zum  Gebrauche  für  all«  Clauen  , 

von  Joha  nn  Philipp  Krebs,  Doctor  der  Philosophie  und  Pro»  . 
fessor  der  alten  Literatur  am   Grojsherzo glichen  Gymnasium  zu 
Wedhur g.  Zweite  Ausgabe  nach  ganz  neuer  Bearbeitung.  Gir/sen, 
1824.  bei  G.  fr.  Hey  er.  1  fl.  48  kr. 

Auch  Krebs  ,  schon  durch  seine  Anleitung  zum  La- 
tein i  s  ch  -  S  c  h  r  e  i  b  e  n  sehr  voitheilhaft  bekannt,  verdient 
unter  den  neueren  Grammatikern ,  deren  sehr  verdienstliches 
Bestreben  dahin  gieng  ,  die  lateinische  Grammatik  zu  demsel- 
ben Range  zu  erheben,  den  die  griechische  seit  geraumer  Zeit 
durch  die  Forschungen  eines  Buttmann,  Mattbiä,  Thierscb , 
Rost  und  Anderer  behauptet,  eine  rühmliche  Stelle.  Zwar 
geben  seiner  Grammatik  die  gelehrten  Ausstattungen  ab,  welr 
che  ein  Rams,horn ,  Zumpt  u.  A.  durch  tiefere  etymologisch« 
und  philosophische  Sprachforschungen,  durch  Vergleich  ungen 
mit  den  älteren  Sprachformen,  aus  denen  sich  die  späteren 
nach  und  nach  herausentwickelt  haben,  so  wie  mit  anderen 
Sprachen,  besonders  der  griechischen^  u.  dergl.  den  ihrige^ 

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Krebs  lateinische  Schulgraminatik. 


gegeben  %aben ;  aber  eben  dadurch  gewann  sie  an  Brauchbar- 
keit für  den  niederem,  aber  gemeinnützlicheren  Zweck  des 
Scbulgebrauchs  —  besonders  auch  durch  den  ungleich  wohl- 
feileren'Freis ,  als  Folge  hievon  —  ,  während  sich  jene  mehr 
für  das  gereiftere  Alter  der  Studirenden  und  der  Lehrer  eig- 
nen. Doch  hat  auch  Krebs  sehr  zweckmäfsi"  richtige  Sprach- 
bemerkungen in'neueren  Ausgaben  römischer  Classiker  benutzt, 
wiewohl  nur  nebenbei  und  mit  etwas  karger  Auswahl. 

So  kam  es,  dafs  das  erste  Capitel  der  Orthoepie  bei  ihm 
sehr  kurz  ausfiel,  indem  er  nur  aas  Wichtigste  aushebt. 
Uebrigens  wird  hie  und  da  etwas  mehr  Genauigkeit  und  Voll- 
ständigkeit vermifst.  Z.  B.  p.  4.  §.  9.  ist  bemerkt,  dafs  Ei- 
nige vitium  (Gen.  plur.  von  vitis)  wie  ti ,  nicht  wie  zi  aus- 
sprechen. Warum  ist  nicht  auch  litium  von  Iis  beigesetzt 
worden?  Ti ,  heilst  es,  wurde  und  wird  noch  vor  einem 
Vocal  wie  zi  ausgesprochen.  Hier  hätte  noch  bemerkt  werden 
sollen:  und  bei  Contractionen ,  z.B.  Horati.  Auch  vermifst 
Ree.  eine  Eintbeilung  der  Consonanten  nach  den  Sprachorga- 
nen, und  eine  genauere  nach  ihrem  Laute,  z.  B.  der  stummen 
jn  aspiratas,  medias,  tenues,  der Semivocalen  in  liquidas  und 
semiliquidas ;  die  Lehre  von  dem  Accent  oder  der  Betonung 
der  Vocale ,  von  den  Veränderungen,  welche  zusammentref- 
fende Consonanten'^rer  Natur  gemäfs  erleiden,  Weglassung 
derselben,  Vermehi angen  und  Verminderungen  der  Sylben  , 
u.  dergl.,  was  alles,  wie  es  in  der  griechischen  Grammatik 
geschieht,  schon  dem  Anfänger  beigebracht  werden  kann  und 
soll;  ferner  den  so  wichtigen  etymologischen  Theil,  oder  die 
Lehre  von  den  Bedeutungen  der  Wörter  nach  ihrer  Form,  in 
SO  fern  sie  eine  analogeClassificirung  zulassen,  so  wie  die  von 
den  etymologischen  Figuren. 

Nach  der  Lehre  von  der  Schrift  und  Aussprache  kommt 
die  Formenlehre,  welche  so  ziemlich  Alles  nöthige  und  wich- 
tige kurz  und  deutlich  darstellt,  Unter  die  mancherlei  Aus- 
Stellungen  jedoch,  die  Ree.  zu  machen  sich  kaum  erwehren 
Jcann,  gehört  erstens  der  Mangel,  dafs  den  lateinischen  Kunst- 
ausdrücken die  teutschen  nicht  beigesetzt  sind,  damit  sich  der 
Schüler  gelegenheitlicb  auch  mit  diesen  bekannt  mache,  z.  B. 
bei  Nomen  (substantivum ,  adjectivum  ,  appellativum ,  pro- 
prium 11.  s.  f.),  Fronomen  ,  Verbum,  Casus,  den  einzelnen 
Casus,  und  so  durchaus  in  der  Formenlehre.  Zweitens  Aus- 
drucksweisen, die  nicht  genau  entsprechend  zu  seyn  scheinen: 
Z.  B.  §.  14.  130.  A.  „das  Verbum  giebt  einen  Zustand 
an".  Das  Wort  Zustand  wird  wohl  nur  im  leidendlichen 
Sinne  gebraucht,  dem  des  sich  Verhaltens.    ^  1  6.  »Die 


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< 

Krebs  lateinisch«  Schulgrammatilr.  57 

* 

Substantiven  bezeichnen  tbeils  sinnlich*,  tbeils 
übersinnliche  Gegenstände  (nomina  concreta ,  abstracta), 
also  lebende  oder  leblose  Wesen,  die  sich,  den 
Sinnen  darbieten,  oder  Eigenschaften,  die  man 
nur  an  ihnen  wahrnimmt,  z.B.  canis,  sapientia  ,  for- 
ma ,  celeritas.«  Sind  die  letzteren,  zu  denen  man  noch  eine 
Menge  rechnen  kann,  z.  B.  rubor,  hilaritas,  u.  dergl.  über- 
sinnlich ?  Und  doch  sind  sie  ahstract !  Also  welche  Eintei- 
lung ,  welcher  Ausdruck!  «  Drittens  Un Vollständigkeit :  so 
fehlen  in  der  Lehre  von  der  Bildung  der  Steigerungsstufen  un- 
ter denjenigen  Adjectiven,  welche  keine  Comparatiensform 
zulassen,  die  Composita  mit  prae ,  per,  ex,  stib  (etwas): 
praedives,  percarus,  edentulus,  suhamarus;  da  die  von  verbis 
ihre  gradus  haben;  ferner  die  auf  icus,  ivus,  inus,  imus, 
ster,  und  viele  andere  mit  wenigen  Ausnahmen. 

Sehr  vollständig  und  genau  sind  hingegen  die  Lehren  von 
den  Zahlwörtern,  l'ronominen ,   und  in  der  Lehre  vom  Ver- 
bum  besonders  die  Unterscheidung  der  einzelnen  Zeitverhält- 
nisse und  die  abweichende  Bildung  einzelner  Verben,   z.  B. 
der  mit  Präpositionen  zusammengesetzten,   während  die  ab- 
weichenden Formationen  der  temporum  (besonders  des  Per- 
fects)  zu  kurz  abgefertigt  wurden.    'Noch  weit  mehr  trifft 
der  Vorwurf  der  Unvollständigkeit  die  Lehre  von  dem  Adver- 
bium, in  welcher  auf  die  verschiedenen  Arten  der  Adverbien 
nach  ihrer  Bedeutung   (crualitatis  ,  limitandi,  affirmandi ,  ne- 
gandi,  loci,  temporis  u.  dergl.)  keine  Rücksicht  genommen, 
ja  nicht  einmal  die  Verschiedenheit  derselben  nach  der  Ab- 
stammung vollständig  angegeben  ist.     Es  fehlen  z.  B.  die  mit 
Präpositionen  zusammengesetzten,  interdiu,  pridie,  denuo 
u.  a. ,  Und  die  von  Verbis  abstammenden.      Andere  z.  B.  Ac- 
cusative  (hier  hätte  bemerkt  werden  sollen:  auch  Ablative) 
von  Substantiven  sind  nur  angedeutet,   statt  dafs  sie  hätten 
aufgezählt  werden  sollen.     Vollständig  und  besonders  wegen 
der  beigesetzten,  die  Bedeutung  anschaulich  machenden  Bei- 
spiele Sehr  zweckmäfsig  eingerichtet  ist  die  Lehre  von  den  * 
Präpositionen.     Doch  fehlen  die  zusammengestellten  Präpo- 
sitionen,  z.B.  exante,   exadversum ,  ferner  die  adverbial© 
palam,  procul,  simul  (£pz),  clam.    Wenn  bei  andern  der  grie- 
chische Ursprung  angegeben  wurde,   warum  nicht  auch  bei 
am,amb,dis?    In  der  Lehre  von  den  Conjunctionen,  welche 
nach  ihrer  Natur  und  Bedeutung  hätten  eingetheilt  und  auf- 
gezählt werden  sollen,  wird  auf  die  Syntax  verwiesen,  wo 
sie  sich  doch  nur  zerstreut  finden. 


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53  K iv b>  lateinisdie  Schulgrimroaiik. 

t 

In  der  Syntax,  dem  gelungeneren  Theil  der  Grammatik, 
fiel  uns  sogleich  etwas  auf  ,  wodurch  sich  diese  Grammatik 
vor  andern  sehr  vortheilhaft  auszeichnet,  dafs  nämlich  die 
Beispiele,  welche  nur  allein  die  Anwendung  der  Kegel  vor 
Augen  stellen,  so  gewählt  sind,  dafs  der  Schüler  sie  verstehen 
und  übersetzen  kann,  ohne  an  solchen  grammatischen  Fällen 
anzustoßen,  die  erst  in  der  Folge  erörtert  werden,  und  also 
nur  mechanisch  mit  Hülfe  des  Lehrers  von  dem  allmählig  ina 
grammatischen  und  Sprachstudium  fortschreitenden  Schüler 
übersetzt  werden  können.  Nur  sind  für  den  Anfänger  mei- 
stens zu  wenig  Beispiele  aufgeführt.  Manchmal  wünschte  Ree. 
grammatische  Fälle,  besonders  scheinbare  Ausnahmen  theils 
aus  logischen  Gründen,  theils  als  in  der  griechischen  Rede- 
weise begründet,  tiefer  erfafst  zu  wissen,  z.  B.  den  Accusativ 
]>ei  Intransitiven  §.292,  so  wie  den  sogenannten  griechischen 
(wiewohl  jener  mit  gleichem  Recht  diesen  Namen  führen 
dürr'te>)  Accusativ  hei  dem  Participium  perf.  passiv.  §.  3o3. 
Es  hätte  der  aus  dem  ursprünglichen  Gebrauche  des  Accusativs 
zur  Bezeichnung  des  Ohjecis  und  zwar  des  näheren  hervor- 
gebende allgemeinere  Gebrauch  dieses  Casus  zur  näheren  Be- 
stimmung des  allgemeinen  Verbal-  oder  überhaupt  Prädicats» 
hegrifFs,  so  wie  der  ursprüngliche  doppelte  Gebrauch  der  Pas- 
sivform in  rein  passiver  und  medialer  (deponentialer)  Bedeutung 
besonders  nach  dem  Vorgange  der  Griechen  nachgewiesen 
werden  sollen.  Tadeinswerth  findet  Ree. ,  dafs  §.  474-  quum 
in  der  Bedeutung  da,  weil,  obgleich  als  unbedingt  den 
Conjunctiv  erfordernd  angegeben,  und  nicht  darauf  aufmerk- 
sam gemacht  worden  ist,  dafs  es  sich  auch  mit  dem  Indicativ 
als  dem  modus  des  Gegebenen  construirt  finde,  wenn  ein  ob- 
jectiver  Grund,  d.h.  eine  Ursache  mit  factiseber  Bestimmt- 
heit, oft  .mit  Hinweisung  auf  einen  bestimmten  Zeitpunct 
lebhaft  angegeben  wird,  wobei  mehr  das  Resultat  des  logi- 
schen Denkacts  ,  als  dieser  selbst  hervortritt.  Alsdann  steht 
quam  statt  quando,  quandoquidem  ,  quoniam,  welches  selbst 
als  aus  cruum  jam  entstanden  für  den  Indicativ  des  eausalen 
quum  in  gewissen  Fällen  spricht.  Z.  B.  Cic.  Cat.  19 9  9*  Se- 
nex  9  ne  quod  speret  quidem  ,  habet.  At  est  eo  meliore  con- 
ditione,  quam  adolescens,  quum  id  ,  quod  ille sperat,  hic  jam 
consecutus  est.  Epist.  ad  div.  (ed.  Bengel)  7,  32,  8.  Tu,  et 
quum  instituisti,  et  mihi  vides  esse  gratum  ,  setibe  ad  ine 
quam  saepissime.  11,2.  Quae  profecto ,  quum  istum  ani- 
mum  babes  ,  in  optimam  partem  aeeipies.  15,  12,  3»  Quam 
mihi  facultatem  cum  hic  casus  provincia  eripuit ,  tarnen  magno« 
pere  a  te  peto.    15,  14*  5.  ld  (ut  me  conyenires)  quum  non 


'       t  Digitized  by  Googl 


Krebt  lateinische  Schulgrammatik,  59  ' 

• 

accidit,  utemur  bono  Jiterarum.  16  ,  12,  4.  Tu  quum  eo 
tempore  mecum  esse  non  potuisti,  cave  festines.  De  orat.  2, 
46.  Cum  alienissimos  defendimus  —  tarnen.  Sallust.  Cat.  ?0. 
Cum  tabulas  emunt  —  tarnen,  und  in  vielen  andern  Stellen. 
Oefters  läfst  es  sich  als  das  oratorisclie  wenn  fassen,  was 
aber  in  so  fern  nichts  in  der  Sache  ändert,  als  seine  logische 
Bedeutung  dennoch  eine  causale  bleibt. 

§•475.  Wird  der  Umstand,  dafs  quum  als  das  ImperF, 
und  Plusquamperf.  Conjunctivi  bei  sich  habe,  wenn  im  Haupt- 
sätze ein  Perfectum  (oder  historisches  Präsens)  folge,  daraus 
erklärt,  dafs  .quum  hier  nicht  eigentliche  Ztitpartikel  sey  t 
sondern  auch  den  Grund  und  die  vorangehende  Veranlassung 
angebe.  Ree.  kann  dieser  Ansicht  um  so  weniger  beipflich- 
ten, als  unendlich  viele  Fälle  dagegen  sprechen,  wo  quum  - 
blos  zur  Zeitbestimmung  dient,  nämlich  solche:  fuit  tempus, 
quum  rura  colerent  homines.  Jam  turn,  quum  hello  fugitivo- 
rum  tota  ltalia  arderet,  C.  Norbanus  in  summo  otio  fuit;  und 
ist  vielmehr  der  Meinung,  dafs  dieser  Gebrauch  des  Conjunctivs 
»ich  auf  eine  andere  moilale  Bedeutung  des  Imperfects  und  PluS- 
quamperfects  Conjunctivi  gründe.  Unstreitig  vertreten  diese 
tempora  des  Canjunctivs  die  Stelle  des  griechischen  Optativs, 
als  Begleiters  der  historischen  temporum.  Daher  kommt  es 
denn  auch,  dafs  quum  temporale  das  Im  per  f.  und  Plusquam- 
perf.  Indicativi  bei  sich  hat,  wenn  dasselbe  tempus  im  Haupt- 
satze steht.  Doch  genug  hievon.  Die  so  wichtige  Syntaxis 
ornata  ist  mehr,  als  zu  wünschen  war,  verkürzt  worden.  — 
Den  Schlnfs  machen  die  Abbreviaturen  und  die  Orthographie, 
welcheCapitel  eben  so  gründlich  und  richtig,  als  zweckmäfsig 
abgehandelt  sind. 

Gleichsam  als  Anhang  zu  dieser  Grammatik  sind  1825  er- 
schienen Anfangsgründe  der  Prosodik  unxl  Metrik 
von  demselben  Gelehrten  bearbeitet.  Diese  enthalten  Alles 
nothwendige  in  gedrängter  Kürze.  Nicht  billigen  kann  es 
übrigens  Ree,  wenn  der  Verf.  es  hie  und  da  an  bestimmter 
Genauigkeit  fehlen  lieft:  z.  B.  wenn  er  §.  10.  mutam  cum  li- 
quida  absolut  für  unbestimmt  erklärt,.,  .ja  in  der  Regel  die 
Länge  des  von  Natur  kurzen  Vocals  doch  wohl  nur  dann  statt 
findet,  wenn  der  rhythmische  Accent  darauf  fällt;   §.  2Q.  bei 

dem  langen  a  der  Imperative  die  Ausnahme  puta  nicht  anführt, 
in  der  Bedeutung  nämlich;  ferner  die  indeclinabeln  Zahl- 
wörter unter  den  langen  auf  a  aufführt,  statt  unter  den  unbe- 
stimmten, so  wie  unter  den  Adverbien  der  zweiten  Declina- 

tion  mit  kurzer  Endsylbe  npprime,  longe,  clare,  teraere,  intern© 


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Reichenbach  griecli.  deutsche*  Würterbncli, 


wegläfst,  da  er  doch  sonst  Ausnahmen  bei  den  Siteren  und 
späteren  Dichtern  anführt;  §.  12.  das  ei  der  fünften  Decjina- 

tion  nach  einem  Consonanten  unhestimmt  nennt,  da  fid^i ,  rei 
doch  nur  Ausnahmen  sind,  und  als  alte  Formen  (eigentlich 
fideii,  reii)  sich  nur  bei  Ennius  und  Lucrez  finden;  §.  28. 
unter  den  kurzen  Endsylben  ein«  und  mebrsylbiger  Wörter, 
tum,  sum,  HtD,  ainem,  tuum  u.  dergl.  aufzählt  ,  ohne  zu  be- 
merken, dafs  dies  nur  in  den  seltenen  Ausnahmen  vorkomme, 
wo  die  Ekthlipsls  vernachlässigt  ist;  §.  29*  unter  den  Längen 
auf  t  die  dritte  Person  -Singularis  nicht  nennt,  wenn  der  Ictus 
darauf  fällt,  meistens  in  der  Cäsur.  Gut  angebracht  ist  der 
Abschnitt  von  den  Dichterfreiheiten.  Nur  fehlt  nach  der  Diä- 
resis die  Synäresis,  die  Episynaldphe ,  und  nach  der  Crasis, 
welche  er  mit  der  Synizesis  für  gleichbedeutend  hält,  die 

Tmesis.    Nach  dem  vollständigen  Verzeichnisse  der  einzelnen 

o 

Versf'üise  und  der  Lehre  von  den  Tacten  und  Cäsuren  folgt 
die  gründliche  und  in  sehr  guter  Ordnung  ausgeführte  Lehre 
von  den  wichtigsten  ,  durch  teutsche  und  Tateinische  Beispiele 
anschaulich  gemachten ,  Versarten,  der  daetylischen ,  in  wel- 
cher die  Natur  der  Hexameter  besonders  genau  gezeichnet  ist, 
choriambischen,  trochäischen,  jambischen,  alcäischen,  oder 
mit  andern  Worten,  der  daetylischen  und  Horazischen  ,  auf 
welche  sich  der  Verf.  als  für  seinen  Zweck  genügend  mit  Recht 
beschränkte.  Ueber  die  Art  der  Anordnung  u.  dergl.,  z.  B» 
warum  er  mit. dem  daetylischen  Grundrhythmus  beginne  und 
nicht  mit  dem  choriambischen,  erklärt  sich  der  Verf.  nicht; 
auch  konnte  er  mit  Fug  und  Recht  dergleichen  gelehrte  Unter- 
suchungen als  auiser  und  über  seinem  Plane  gelegen  seyn  lassen. 


M,  Joh.  Friedr.  Jakob  Re  ic  h  e  nh  achs  ,  Conrectors  an  der  St. 
Thomasschula  zu  Leipzig,  allgemeines  Griechisch  -Deut- 
sches  Handwörterbuch,  Zweite  ,  ganz  umgearbeitete  ,  eer- 
mehrte  und  verbesserte  Ausgabe.  Erster  Band  ,  A  —  K.  Leip- 
zig, 1825.  Verlafff^n  Johann  Ambrosius  Barth.  IV  und  930  Sm 
gr.  8.     Zweiter  Band.  £bd.  896  S.  ß  Thlr.  J2  Gr. 

(Die  erste  Auflage  kostete  4  Thlr.  tf  Gr.) 

■ 

• 

Hr.  R.  hatte  in  den  Jahren  1801  und  %S02  dieses  Werk 
herausgegeben,  ohne  dafs  es  eben  besonderes  Aufsehen  ge- 
macht hätte.  Man  hatte  damals  die  erste,  freilich  noch  sehr 
mangelhafte  und  dürftige,   Auflage  von  Schneiders  auf  den 

durchschossenen  Ernesti'schen  Hederich  gepfropftem  Wörter- 

» 

s 


t 

V 


Reicheubach  griecli.  deutsches  Wörterbuch.  61 

buche  |  es  kam  bald  dessen  zweite9  dann  Riemer ,  und  diese 
Werke,  obwohl  für  Studirende  angelegt,  doch  auch  für  Ge- 
lehrte wichtig  |  mufsten  ein  Buch  in  Schatten  stellen,  das, 
ohne  Citate  und  Autoritäten,  ohne  allen  gelehrten  Apparat 
und  Schein  desselben f  weiter  nichts  als  ein  ziemlich  vollsten« 
diges  Vocabularium  für  Schulen,  etwas  besser  als  Vollbeding , 
war,  und  das,  wer  weiter  kam,  bei  Seite  stellte,  um  ein  ge- 
lehrteres Werk  zu  gebrauchen.  Der  Verleger  mochte  noch 
eine  ziemliche  Anzahl  von  Exemplaren  vorrüthig  haben,  als 
im  Jahre  j.815  Steins  ziemlich  oder  vielmehr  sehr  mangelhaftes 
Deutsch  -  Griechisches  Wörterbuch  erschien,  und  im  Jahre 
l8i7  das  Rost'sche  ,  gleichfalls  Deutsch  •  Griechische.  Da  ent» 
scblofs  sich  Hr.  lleichenbach ,  seinem  Griechisch -Deutschen, 
fast  vergessenen  Wörterbuche  einen  Deutsch  -  Griechischen  , 
jenes  aufs  Neue  empfehlenden  und  bei  dem  Publicum  einfüh- 
renden Begleiter  nachzusenden  und  mitzugeben,  und  dies  ge- 
lang :  denn  seit  der  Erscheinung  dieses  Begleiters  (l8l8« 
2  Thlr.  12  Gr.)  hat,  sich  das  erste  Werk  vollends  vergriffen  , 
und  es  ist  eine  neue  Ausgahe  nöthig  geworden.  An  jenem 
Deutsch  -  Griechischen  Wöiterbuche  lobte  die  Kritik  zwar 
Wortreichthum,  woran  es  nicht  nur  das  magere  Stein'sche, 
sondern  auji  das  wohlbeleibte  Rost'sche  Werk  übertraf;  zog 
aber  doch  das  Rost'sche  vor,  da  jener  Reichthum  des  Reichen- 
bach'schen  vor  jenem  vorzüglich  in  zusammengesetzten  oder 
neugebildeten  oder  dem  Altertbum  ganz  fremden  Begriffen  be- 
stehe,'die  man  am  besten  umschreibe,  Rost  dagegen  mehr 
Redensarten  gebe$  viel  genauer  in  Unterscheidung  der  Syno- 
nymen und  in  der  Auswahl  der  Wörter  nach  der  Sprache  der 
besten  Attiker  sey.  Seitdem  ist  das  Rost'sche  vielfach  ge- 
braucht ,  auch  im  Königreich  Würtemherg  nachgedruckt  wor- 
den, welcher  Nachdruck  lauter  als  alles  Zeitungslob  für  seinen 
Werth  sprach,  aber  von  Hin,  Rost  eben  nicht  mit  Dank  und 
Freude,  sondern  mit  ziemlichem  Unwillen  begrüfst  wurde. 
Nun  spricht  auch  Hr.  Reichenbach  von  einer  zweiten  Ausgabe 
seines  Deutsch  -  Griechischen  Wörterbuches,  über  deren  Er- 
scheinung er  sich  in  Kurzem  umständlicher  werde  vernehmen 
lassen.  Beachtet  er  hei  derselben  die  gerechten  Ausstellungen 
der  Kritik,  lälst  er  im  Deutsch- Griechischen  Theile  das  Rost'- 
sehe  Wörterbuch  so  .weit  hinter  sich  zurück,  wie  in  dem  vor- 
liegenden Griechisch  -  Deutschen  Theile,  so  mag  er  sich  zum 
voraus  eine  freundliche  Aufnahme  versprechen.  Doch  zu  un- 
term vorliegenden  Werke. 

Hr.  Reichenbach  giebt  in  der  kurzen  Vorrede  zur  zweiten 
Auflage  seinen  eigentlichen  Zweck  und  Flan  kürzlich  so  an: 


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62 


Reichenbach  griech.  deutsches  Wörterbuch. 


„Den  ursprünglichen  Plan,  mein  Wörterbuch  als  kein  gros- 
ses, kritisches»  mit  Beweisstellen  ausgestattetes,  und  dadurch 
unnöthig  im  Volumen  gesteigertes,  sondern  als  ein  Handwör- 
terbuch für  den  Schulbedarf'  sowohl,  als  für  jeden  Liebhaber 
der  griechischen  Sprache,  auftreten  zu  lassen,  habe  ich  un- 
verrückt im  Auge  behalten,  ohne  doch  irgend  etwas  auszu- 
schliefsen  ,  was  den  Gebrauch  auch  nur  einigermafsen  vermin- 
dern könnte.  (Die  letztere  Fhrasis  klingt  wunderlich.  Ref. 
erwartete:  was  die  Brauchbarkeit  desselben  nur 
einigermafsen  vermehren  könnte.)  Den  analyti- 
schen Theil ,  der  in  der  ersten  Ausgabe  einen  eigenen  Anhang 
bildete,  habe  ich  in  der  jetzigen  hineingearbeitet,  und  so 
nur  eine  bequeme  alphabetische  Ordnung  hergestellt;  von 
der  sehr  bedeutenden,  schon  durch  die  weit  sparsamere 
Druckeinrichtung  in  die  Augen  springenden  Vermehrung 
und  V  e  r  v  o  1 1  s  tä*  n  d  ig  u  n  g  will  ich  weiter  nicht  sprechen, 
versichere  aber,  dafs  gerade  im  Puncte  des  Wortreichthums, 
ungeachtet  ich  die  Wörter  einer  strengen  Prüfung  unterwarf, 
und  daher  manchem  in  den  ersten  Bogen  aufgenommenen  jetzt 
schwerlich  mehr  einen  Platz  vergönnen  würde,  mein  Wörter- 
buch mehr  als  alle  bestehenden  enthält.  Die  logische  An- 
ordnung der  Begriffe  ist  durchgehends  aufs  -strengste 
geprüft, 'und ,  nach  Maafsgabe  der  Umstände ,  geändert  wor- 
den; von  der  Berichtigung  der  Wortbedeutungen 
gilt  das  Gleiche;  die  prosodischen  Bezeichnungen, 
die  Aufnahme  schwieriger  und  seltener  Dialect- 
formen,  die  Bereicherung  der,  überall  wo  es  nöthig  war, 
beigefügten  ConStructioneri,  die  Vermehrung  der  Re- 
densarten (Gräcismen),  machen  eine  ganz  neue  Zugabe 
der  jetzigen  Bearbeitung  aus;  die  Ausstattung  des  natur- 
historischen Fachs  ist  insonderheit  vielleicht  manchem 
diese  Branchen  cultivirenden  Gelehrten  willkommen.  Die 
durchgängig  unterlassene  Anführung  der  Auctoritälen  wird 
niemand  vermissen;  sie  gehören  ,  meines  Bedünkens ,  in  kein 
Handwörterbuch,  für  so  wichtig  ich  sie  auch  in  einem  kriti- 
schen Wörterbuche  achte  ,  was  (welches)  auf  strikte  Bestim- 
mung der  Zeit  und  der  Sprachart  zu  sehen  hat." 

Wir  haben  absichtlich  diese  Stelle  aus  der,  übrigens  sehr 
kurzen,  Vorrede  ausgehoben,  damit  sich  klar  ergebe,  was 
der  Verf.  habe  leisten  wollen,  und  wie  er  seinen  Zweck  er- 
reichen zu  müssen  geglaubt  hat.  Der  gerechteste  iVlaalsstab 
der  Würdigung  eines  Werkes  ist  immer  der,  den  der  Verfas- 
ser desselben  seihst  angiejrt.  Eine  andere  Frage  ist  freilich 
die,  od  sich  g"  wisse  Coinbinationed  von  Zwecken  wirklich 


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Reichenbach  g;iecb,  deutiches  Würt5rbuch.  63 

mit  einander  vereinigen  lassen  ,  und  ob  die  von  demselben  zu 
dem  Ende  für  nöthig  gehaltenen  Mittel  auch  wirklich  zu  dem 
vorgesteckten   Ziele    führen.       So  ist  z.  B.  der  gedoppelte 
Zweck  ,  ein  Handbuch  für  den  S  ch  u  1  b ed  a  r f  zu  liefern  und 
zugleich  für  jeden  Liebhaber    der  Griechischen  Sprache 
(hier  sind  wahrscheinlich  theils  die  Dilettanten  gemeint,  theils 
diejenigen,  die  Berufshaiher  oft  in  den  Fall  kommen,  Grie- 
chische Ausdrücke  und  Stellen  verstehen  zu  müssen  ,  ohne 
Philologen  zu  seyn).    Diese  beiden  Zwecke  sind  von  der  Art, 
dafs  der  eine  manches  erfordert,  was  der  andere  bei  Seite  las. 
sen  dürfte.     Und  eben  so  li*»fse  sich  auch  sagen,  dafs  diejeni- 
gen Mittel,   die  ein  Wörterbuch  für  Dilettanten  seiner  Voll- 
kommenheit näher  bringen  ,   nicht  immer  auch  ein  Schulwör- 
terbuch seinem  Ideale  nähern.    Doch  davon  mag  späterhin  die 
Rede  seyn ;    jetzt  betrachten  wir,  ob  der  Vf.  geleistet  hatt 
was  er  leisten  wollte.    Ein  Handwörterbuch  ihr  den  Schul- 
bedarf soll  es  seyn,  nicht  mit  Beweisstellen  ausgestattet.  Das 
ist  es  auch,   wie  das  Rost'sche,  aber  ein  solches,   das  weit 
seltener,  als  das  Kost'sche,  ja  fast  nie,   den  Schüler  rathlos 
lälst,   das  nicht  bedeutende  Wörter  der  gelesensten  Schrift- 
steller ausläfst,  das  die  Abstammungen  der  VVörter  fast  immer, 
und  richtig  angiebt ,   und,   ohne  durcb  Hineinarbeiten  der 
Grammatik  in  das  Lexikon  ,  diejenigen  grammatischen  Schwie- 
rigkeiten löst,  die  man  von  einem  Wörterbuche  gelöst  verlän- 
gern darf.    .Noch  mehr  berücksichtigt  ist  die  zweite  Kl.isse  der-  « 
jeuigen  f  für  die  dieses  Wörterbuch  bestimmt  ist.    Diese  mag 
insbesondere  dem  Verf.  für  die  grofse  Vollständigkeit  und  für 
die  Aufnahme  einer  grolsen  Menge  Wörter  danken,   die  der 
Schüler  nie  vermissen  würde,  weil  er  nie  in  den  Fall  kommt  f 
sie  aufzusuchen,     oder  die  der  regelmässig  Studirende  und 
methodisch  Unterrichtete  durch  die  Analogie  versteht,  ohne 
sie  jemals  aufschlagen  zu  müssen.     Diese  Vermehrung  ist  wirk- 
lich von  der  Art,  dals  das  Buch  in  Ansehung  der  Wörtermasse 
von  keinem  ähnlichen  übertrofFen  ,    oder  aucb   nur  erreicht 
wird.      Ref.  hat  in  dem  Augenblicke  sechs  neuere  Wörter- 
hücher  vor  sich ,  Riemer  (181 9),  Passow(lÖiy)>  Schnei- 
d  *  r  (i8i9)  t  Rott  (1821),    Planche  (Dictionnaire  Grcc-Fran- 
fOtt ,    compose  Sur  Vouvrage  intitule  Thesaurus  Linguae  Graecae9  de 
Henri  Etienne ,    ou  se  trouvent  tous  les  mots  des  dijffe'rens  äges  de  la 
langue  Grecque ,  leur  e'tymolo^ie ,  leur  sens  -propre  et  Jigure',    et  leurs 
diverses  acceptionsy  justifie'es  par  des  exemplrs,      Par  J.  Planche, 
Prix  15  Fr.     Paris ,  le  Normant ,  imprimeur-lihraire  ,  l809»    3t  und 
1463  S.  8.  jede  Seite  zu  3  Columnen.     Ein  sehr  schätzbares, 
in  Deutschland  wenig  bekanntes,  Werk,  das  viele  Aehnlicl - 


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64  Reichenbach  griech.  deutsches  Wörterbuch. 

Jceit  mit  demReichenbacb'schen  hat,  zunächst  für  Schulen  be- 
stimmt ist,  wo  aber  auch  durch  Aufnahme  der  Kunstausdi ticke 
der  Malerei,  Sculptur,  Baukunst,  Chirurgie,  Medicin  und 
Botanik,  überhaupt  der  Künste  und  Wissenschaften,  für  die 
zweite  Klasse  der  Benutzer  des  Keichenb.  Wörterbuches  ge- 
sorgt ist)  und  Hrn.  Rs.  neueste  Auflage.  Hier  haben  wir 
nun,  blos  äufserlich  die  Wörterzabi  betrachtend,  an  drei  Stel- 
len die  Artikel  gezählt,  und  z.  B.  von  A  bis  £ßat  l*ei  Reicben- 
bach  gefunden :  20  mehr  als  hei  Schneider,  22  mehr  als  bei 
Riemer,  32  mehr  als  bei  Passow,  32  mehr  als  bei  Rost  und 
l6  mthr  als  bei  Planche.  Ferner  von  Z  bis  Zs  i  4  mehr  als 
bei  Schneider,  2  mehr  als  bei  Riemer,  6  mehr  als  bei  Planche, 
30  mehr  als  bei  Rost,  eben  so  viele  als  bei  Passow.  Endlich 
von  Sl  bis  :  8  mehr  als  bei  Schneider,  8  mehr  als  bei  Rie- 
mer, 3  mehr  als  bei  Passow,  eben  so  viele  als  bei  Planche 
und  30  mehr  als  bei  Rost.  Im  Ganzen  mag  etwa  Rost  beiläu- 
fig halb  so  viele  Wörter  haben  als  Reichenbach.  Fragen  wir 
nach  der  Qualität  der  Wörter,  die  Reichenbach  voraus  hat, 
so  finden  wir  in  den  zahlreichen  Vermehrungen  freilich  man- 
ches Wort,  das  vielleicht  gar  nicht  aus  Schriftstellern,  son- 
dern nur  aus  einem  Lexikon  oder  einem  Grammatiker,  wo  es 
einmal  vorkommt,  genommen  seyn  mag,  Wörter,  die  der 
Studirende  auf  keinen  Fall  vermissen  würde,  und  die  at»ch 
Andern,  für  welche  das  Werk  bestimmt  ist,  wohl  schwerlich 
vorkommen  dürften;  manche  vielleicht  auch,  die  in  die  Kate- 
gorie derjenigen  gehören,  welche  der  Verf.  ohne  ganz  strenge 
Prüfung  aufgenommen  hat,  und  die  zu  verwerfen  seyn  möch- 
ten; welches  ihm  nicht  nur  in  den  ersten  Bogen  passirt  ist. 
Eine  Pro>)e  letzterer  Art  mag  aus  dem  Buchstaben  tu  das  Wort 
wbJjv.w,  ich  bin  geschwollen,  seyn.  Es  hat  nie  ein  sol- 
ches Verbum  gegeben  ,  sondern  Planche  hat  ganz  richtig:  wb^a 
parf,  act*  d*  oiötuu.  wb^y.avrt  Dor.pour  aJSjjucw/-  Ein  Wort  der  erstern 
Art  ist  das  Wort  ZarfSxfov,  wo  weiter  nichts  steht,  als:  Das 
Schachspiel.  Dieses  Wort  hat  M  e  u  r  8  i  u  s  in  seinem  Glos- 
sarium Graeco- Barbarum  ,  mit  der  Bemerkung:  Ludi  genus :  hinc 
%aT{ivJ$etv.  Videtur  autem  fuisse  ille  ludus  ,  qui  vulgo  Scacchia  ap- 
pellatur.  Es  ist  ein  offenbar  neugriechisches  Wort:  da  es  indessen 
in  einem Scholiasten  eines  Klassikers  (Schol, Theoer.  6. 18.)  vor- 
kommt, so  hat  es  auch  F.  W.  V.  Schmidt  dem  Hrn.  Schneider 
nebst  999  andern  zur  Vermehrung  seines  Wörterbuchs  präsen- 
tirt,  ohne  eben,  wie  man  weifs,  viel  Dank  dafür  von  dem  Be- 
schenkten zu  erndten.  Die  Consequenz  erforderte  die  Aufnahme, 
denn  dergleichen  Scholastenwörter  und  Glossarienwörter  ste- 
hen bei  Schneider  viele. 

• 

(Der  Besthlu/s  folgt») 


N.  5*  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur* 


Reichelibach  Griechisch -Deutsches  Wörterbuch. 

Wir  wollen  aber  nun  doch  diejenigen  Artikel,  die  von  d 
hii  aßcu  gehen,  genauer  betrachten  ,  der  Kürze  wegen  aber 
nnr  unser  vorliegende*  Werk  mit  Passow  vergleichen,  dem 
wir  unbedingt  den  Frei»  unter  den  für  Studirende  geschriebe- 
nen Wörterbüchern  zugestehen.     Unter  daaro;  hat  P.  die, Be- 
deutung u  n  v  e  r  1  e t  z  1  i  c h  in  einem  doppelten  Sinne ;  1\,  aber 
daneben  als  gleichbedeutend  "aro;9  und  noch  die  Bedeutungen  i 
untrüglich,  unschädlich  — -  sehr  schädlich,  ver- 
derblich )  furchtbar  (  üher  die  Unsicherheit  der  Bedeu- 
tung solcher  mit  dem  sogenannten  «  intensivum  zusammenge- 
setzten Wörter  spricht  F.  unter  A.),  endlich  für  a^ro;  uner- 
sättlich   (diese  Bedeutung  hat  F.  auch  nicht  unter  a^ro-). 
Dann  fehlt  bei  P.  dlßavtro;  oder  dußjviro;       däXaß^;',   ua9a  I-»ak. 
f.  i'vBstal  djötVy}9  Schweinemist*   dabin  i  Eckel  haben,  beunru- 
higen;  cco&jc  Dor.  f.  u>i&j; ;   aa2t*ro;  £  uSiato;;   Saxro;,  unzer- 
brechlich, unverwundbar,  gesund;  dtho;  f.  uray.ro;  und  f. 
n}«;  aap xt  f.  a$e<u,  sich  sättigen;  dd'piv;  ^at.  ames  (Hör.);  a«wf;9 
unvollendhar  ;  dav>i;9  nützlich;  SavSa,  Ohrgehenke;  ddir)vre$i* 
a-x-Xaro;;   ua;  Boot.  f.      au^/öv;   aa<r/'$o£o;f  verderblich;    «ao-Htu  f, 
data  %    aar»;    da<rpo;,    das  Aushauchen;    dacrrc;  I.  aysv^avTO?; 
aajrro5>  unschuldijg  ;  aaraXos,  unerfüllbar;  aaTuAo;,  unschädlich; 
da Tw  ,  täuschen  ;  d/3ay>;^o?,  zart;  aßayvov,  Kose;  «^of,  «tumm  ; 
dßafa)  zart;  äßi^xara,  Nasch  werk.     Alle  diese  Wörter,  da' 
-r\r.rs{  und  ujlt-jj  ausgenommen,  stehen  schon  in  dem  bekannten 
Basler   Lexicon   Septem  virale  ,    freilich   fast  durchaus  ohne 
Auctorität,   einige  ziemlich  verdächtig,    z.  B.  dßayyroos  und 
dßa>}$)  andere  blos  aus  Grammatikern,'  wie  dahiw9  öder  blos 
aus  Dialekten,  in  denen  kein  geschriebenes  Buch  vorhanden 
ist,  Wiedas  Böotische  Sa;,  dasiVTacedbnische  aßayvov.-  Einige 
indessen  sind  doch  von  der  Art,  dafs  man  sie  in  gangbare,  für 
Studirende  bestimmte  Wörterbücher  aufgenommen  vvüuschte, 

XHCJahrg/  4.  Heft.  5 


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4 


66  Reieheubach  gricch.  deutsches  Wörterbuch. 

Beabsichtigt  aber  Hr.  R,  einen  Sprachschatz,  'gleichsam  einen 
Thesaurus  in  nuce9  in  welchem  sich  alle  wirklich  einmal  im 
Gebrauche  gewesenen  oder  dafür  geformten  Worte  befinden, 
nicht  blos  solche,  die  sich  noch  hei  Schriftstellern  finden, 
sondern  auch  hlos  in  Glossarien  aufbewahrte,  damit  daraus, 
durch  eine  immer  vollständigere  Induction  ,  die  unendliche 
Bildsamkeit  der  Griechischen  Sprache  vollkommen  in  die  Augen 
springe,  und  auch  bei  den  Dilettanten  Staunen  errege;  so 
kann  er  sein  Wörterbuch  noch  sehr  vergröfsern.  Um  eine 
Probe  davon  zu  geben,  zählen  wir  ihm  gleich,  aus  einem  der 
.kleinsten  Buchstaben ,  um  den  Raum  zu  schonen,  über  dreifsig 
Wörter  auf,  die  in  keinem  der  sechs  genannten  Wörterbücher, 
auch  nicht  im  Septemvirale  und  im  Scaptila  stehen,  und  über- 
haupt in  keinem  gangbaren  Wörterbuche,  und  dennoch  ge- 
braucht wprden  sind,  und  meist  sichtbar  der  Analogie  gemäls 
gebildet  erscheinen.  Es  sind  folgende:  /3*KA/cv,  bacilium  (auch 
in  des  Meursius  oben  genanntem  Glossar.  Graeco-Barbarum), 
/8etAavoxAeTT»js  9  ßaWtcr^at  ßava'jfforvj;  ,  ßa^vyjyo;  ,  ßa/rrayfxo;  9  ßajy.tg9 
ein  Gefäls  ,  ßsßaiwpay  ßtkcvoBvjKVf  Nadelbüchse,  ße^Xkc^o £05 , 
texillifer9  ße^oZra  (soll  qanumentum  heifsen ,  Welches  nichts  ist: 
wahrscheinlich  ist  es,  wie  das  vorhergehende,  aus  der  Latei- 
nischen Sprache  in  der  späteren  Römerzeit  in  die  Griechische 
übergegangen ,  aus  verutum)9  ß^UoMa,  pruna,  ße^Bosi  veredus 
(Meursius  l.C.  hat  ßs^sBu^tc;9  veredarius^  ,  ßtßa^-JT^i9  cetarius 
(auch  bei  Meursius),  /3<*ia»  vicia  (auch  Meursius),  ßio^ 
censor^  ßkav.ta,  jactatio  ,  ßXa^o;  und  ßka^Z(Mit  (wahrscheinlich  eine 
andere  Schreibung  und  Aussprache  für  ^pA-ja^c;  und  ^Au^oy/xar , 
denn  die  Worte  sind  durch  insuhus  und  insulsor  —  nu  ror  —  er- 
klärt), ßXyptfXo; ,  missilis,  ß\yjT^;9  ßscffTuatov ,  ßoWAtffjxot ,  jeniacu- 
lum  (auch  bei  Meursius),  ß^a<rr^t  vannus ,  ßgaßtsv  (soll  orairix 
heifsen,  aber  Meursius  hat  wohl  Recht,  welcher  sagt:  ßp- 
ß(ov*  Breve,  Scribitur  ß^ovU-J  apud  Eustbium  Histor.  Eccles.  Lib.  X» 
cap.  VI.  In  Glossario  Graeco-Latino  legitur  ß(.eßiov;,  Oratrix,  Quoloco 
intelligi  djtbet  enchiridion  precum  9  Breviarium)  ,  ß^o^tTtu^q  9  pluvialisf 
ßtjMfai  iaqueon  ßz<ur>tf9  edax  9  ßvBteis,  mersia ,  ßw,.e;  (soll  voc* 
beiuen,  wird  aber  wohl  phocae  gemeint  seyn ;  denn  es  steht 
dabei  /xSvb;.   In  den  Wörterbüchern  kommt  ß'a^9  eine 

Fisch^attung,  vor:  vielleicht  ist  es  überhaupt  dasselbe  Wort 
mit  (^tuioj),  ßuiXo<Tr^o^iov9  ßw^t<x^ tov ,  altare.  Diese  Wörter  und 
noch  viele  Hundert  andere  unbenützte  st  hen  in  einem  zwar 
seltenen,  aber  doch  nicht  ganz  verschwundenen  Buche,  das 
Henr,  Stephanus  Seiner  Compient.  de  Atticae  Vnguae  seu  dialecti  tdio- 
matis  vorausgeschickt  bat,  nämlich:  Glossaria  duo  e  situ  vetusta» 
ih  truta,  Paris.  1573.     Das  Lateinisch -Griechische  359,  da» 


r 


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Reichenbach  griecb.  deutsche*  Wörterbuch,  67 

Griechisch-Lateinische  30?  Columnen*    Will  Hr.  Reichenbach 
noch  ein  Duzend  zu  demselben  Buchstaben;   so  nehme  er  es 
aus  des  Ref.  Anzeige  des  «Schneider 'sehen   Wörterbuches  in 
diesen  Jahrbüchern   l8l9.  Febr.  No.  13*  wo  wir  auch  die 
Belege  und  Beweisstellen  dazu  gegeben  haben.    Auch  kann  er 
immerhin  noch  ßA^^S/xo;  und  /3w>.*ar&©vptfcu  von  Passow  aufneh- 
men.    Schneider  hat  ohnedies  auch  in  seinen  Zusätzen  alle  un- 
sere und  so  vieler  Andern  zahlreiche  Beiträge ,  die  ihm  darge- 
boten wurden  ,   auf  eine  nur  durch  Sein  Alter  zu  entschuldi- 
gende Weise  verschmäht.    Denn  das  ist  eine  leere  Ausflucht  | 
dals  ,  was  er  nicht  aufgenommen  ,  nicht  brauchbar  für  ihn  ge- 
wesen aey  ,  da  er  den  Gebrauch  des  Wörterbuches  auf  klas- 
sische und  Profanscribenten  habe  einschränken  wollen.  Denn 
erstlich  bat  er  selbst  diese  Beschränkung  nie  gehalten  ,  und 
dann  hat  er  viele  aus  den  gelesenaten  klassischen  und  Profan* 
Schriftstellern  ihm  dargebotene  Wörter  nicht  angenommen.  — 
Betrachten  wir  weiter,   was  llr,  11.  in  der  Vorrede  geleistet 
zu  haben  verspricht,  so  kommen  wir  auf  die  logische  An« 
Ordnung  der  Begriffe»      Spricht  man  davon  in  einem 
Wörterbucbe,  so  muis  man  sich  hüten,  darunter  das  zu  ver- 
stehen, dals  man  unter  den  Bedeutungen  die  abstracteste  vor« 
ansetzen   und  die  concreten  folgen  lassen   müsse,   wie  in  so 
manchen  Wörterbüchern  verschiedener  Sprechen  der  Fall  ist« 
Eine  solche  Verirrung  wäre,  wenn  man  z.B.  dem  Worte  Xoyoi 
als  Hauptbedeutung  ratio  unterlegte,  dann  sagte,  es  bedeute 
auch  jede  Aeufserung  der  ratio ,  sey  also  besonders  innere  An- 
schauung, Denkvermögen  und  Sprachvermögen,  wieder  spe» 
cieller  das  Vermögen,  Begriffe,  LJrtbeile  und  Schlüsse  zu  bil- 
den ,  und  führe  dann  immer  so  recht  logisch  eintheilend  fort, 
bis  man  endlich  auch  auf  die  Verstandesoperation  des  Rechnens 
und  auf  die  davon  abgeleitete  tropische  Bedeutung  der  Rechen- 
schaft käme;    schritte  man  dann  auf  der  andern  Seite  auf  die 
Entwickeln ng  der  im  SprachvermÖgeu  enthaltenen  Begriffe , 
so  könnte  es  nicht  fehlen,  dafs  man  am  Schlüsse  eines  so  pbu* 
losophisch  ausgearbeiteten  Artikels,  nachdem  man  jede  ßedeu-* 
tung  mit  Beispielen  aus  Philosophen  belegt,  endlich  auch  auf 
die  eigentliche  und  erste  Bedeutung  ,  W o  r  t ,  käme,  und  zum 
Beschlüsse  sagte  :  kurz,  auch  alles,  was  durch  Gedanken  oder 
Worte  geschieht  und  abgethan  wird.     Ist  nun  gleich  dieses 
Beispiel  Hngirt,  so  sollte  es  uns  doch  sehr  leicht  werden,  aus 
vielen  Wörterbüchern  mehrerer  Sprachen  Beispiele  in  Menge 
nachzuweisen,  wo  man  ,  ohne  alle  Berücksichtigung  der  Wur- 
zel des  Wortes  und  ihres  ursprünglich  sinnlichen  Begriffes t 
jenen  umgekehrten,  also  verkehrten  Weg  eingeschlagen*  und 

6  * 


« 


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6"  8  Reichenbach  grlech.  deutschet  Wörferbueb. 

»  sich  in  Divisionen  und  Subdivisionen  gat  sehr  gefallen  hat* 
Hr.  R.  hat  sich  diesen  MiftgrifF  nicht  zu  Schulden  kommen 
lassen,  sondern  aus  dem  recht  erkannten  und  meistens  auch 
angegebenen  Wortstamme  auch  den  ersten,  sinnlichen  9  Be- 
griff aufgestellt ,  und  dann,  gröfstentheils  in  guter  Ordnung, 
die  abgeleiteten ,  die  ahstracten  und  die  Nebenbegriife  nebst 
dem  katachrestischen  Gebrauche«  wo  er  stattfindet,  angege- 
ben. Betrachten  wir  in  dieser  Hinsiebt  den  Artikel  Aayo;  in 
Hrn.  Rs.  Werke,  so  können  wir  im  Ganzen  wohl  mit  ihm  zu* 
frieden  seyn,  und  wer  nichts  als  die  Bedeutungen  des  Wortes 
ziemlich  wohlgeordnet,  und  noch  obenein  die  neutestainent- 
lieben  desSelbtn,  kennen  lernen  will,  dem  kann  er  genügen, 
•  denn  er  giebt  das  Rechte  ^  gieht  es  gutj  und  giebt  genug. 
Aber  nun  lese  man  denselben  Artikel  bei  Passow.  Wie  be- 
lehrend wird  er  nicht  gerade  durch  das,  was  Hr.  11.  in  seinem 
Wörtetbnche  weglassen  tu  dürfen  oder  zu  müssen  geglaubt 
bat,  um  Raum  für  seine  Vollständigkeit  zu  behalten,  und  es 
doch  nicht  zu  dick  anzuschwellen,  wir  meinen,  durch  die 
Nachweisung  des  Sprachgebrauchs  dieses  Wortes  durch  die 
Schriftsteller  hindurch  vom  Homer  an,  gleichsam  auf  histori- 
schem Wege!  Wie  stehen  hier  auch  Schneider  und  Riemer, 
tind  mehr  noch  alle  Andern  zurück!  Solche  Artikel  von  Stu- 
direnden  gelesen  und  studirt  sind  eine  Quelle  der  Belehrung, 
ein  Mittel  der  GeisteSentwickelung  ,  das  befruchtender  ist,  als 
So  vieles  Andere,  das  mit  Pomp  und  beschränktem  Stolze  als 
solches  allein  angepriesen  wird.  —  Indessen,  wie  gesagt,  wir 
wollen  Hrn.  R.  logische  Anordnung  der  Bedeutungen  in  sei- 
üem  Werke  nicht  absprechen)  und  können  es  nicht,  wenn 
wir  geredet  seyn  wollen.  Aber  dies  hindert  uns  nicht  zu  be- 
haupten ,' dafs  dennoch  manche  Bedeutung  an  einer  Stelle  stehe, 
Wo  die  Logik  sie  eben  nicht  hinzuthun  gebietet^  Z.  B.  wenn 
es  unter  ayü  ganz  richtig  heifst  :  ich  führe,  leite,  brin- 
ge, eigentlich  von  lebendigen*  dann  auch  von 
leblosen  Dingen;  ich  führe  an;  Med.  ich  hole  mir 
u.  s.  w  und  unter  Nr.  6.  ich  regiere,  erziehe*  unter- 
richte; so  folgt  unter  Nr.  7.  ich  treibe  das  Vieh.  Dies 
gehörte  voran,  und  t$  hätte  oben  nach  bringe  fortgefahren 
Werden  sollen:  treibe,  jage  (welches  Wort  Frisch  in  sei- 
nem unschätzbaren  deutsch  -  lateinischen  Wörterbuche  mit 
Recl.t  von  ayw  abreitet),  und  dann  sollte  folgen:  eigent- 
lich von  lebendigen  (Menschen  und  Tbieren), 
dann  von  leblosen  Dingen.  Geordnet  ist  indessen  flie- 
ser Artikel  bei  weitem  besser,  als,  bei  Schneider,  der  aber 
die  Bedeutung  wiegen  vor  Hrn.  R.  voraus  hat.  —  Was  die 


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Reichenbjich  gcirch.  deutsehes  Wörterbuch,  69 

Berichtigung  der  Wortbedeutungen  betrifft ,  so  hat 
Hr.  K.  auch  hi«rin  allerdings  viel  geleistet,  besonders  in  Ver« 
gleicbung  mit  seiner  ersten  Auflage,  jedoch  auch  an  sich  he, 
trachtet.  Bei  einer  so  endlosen  Zahl  von  Einzelheiten  wird 
indessen  Niemand  erwarten  ,  duis  ein  .Lexicograpb  nichts  mehr 
zu  wünschen  übrig  lassen  sollte.  litis  dies  auch  hier  der  Fall 
ist ,  wollen  wir  nur  an  einigen  Beispielen  zeigen,  mehrt  utn 
anzudeuten,  von  welcher  Art  diese  üesiderien  sind,  als  um 
das  Werk  oder  einen  Theil  desselben  durchzugehen,  wozu  uns, 
in  diesen  Blättern  der  Raum  nicht  vergönnt  werden  könnte. 
\flxoaAo;  wird  von  chkOs  und  aMopcu  hergeleitet  ,  und  ihm  die  Be- 
deutung schnell  springend  zugeschrieben;  dann  von  cuVj$ 
und  aki  »nit  der  Bedeutung  schnell  segelnd.  Aber  Passow 
sagt  mit  Recht,  an  eine  Zusammensetzung  mit  Jaäsuh  hätte 
nie  gedacht  werden  sollen.  Bei  \^vy*f  fehlen  die  Bedeutungen; 
a  b  g  eschiedener  Geist  und:  Geist,  Eigentümlich- 
keit eines  Schriftstellers,  dagegen  hat  Hr.  R.  die  Bedeu- 
tung das  Mark  in  den  Früchten  vor  den  Andern  voraus. 
Bei  ^v^ayojyoi  durfte  die  Bedeutung  :  die  ah  geschiedenen, 
Seelen  durch  Opfer  u.  der  gl.  versöhnend,  besänf- 
tigend nicht  fehlen.  Bei  &dgorcs  mufste  Pastows,  berichti- 
gende Berneikung,  da(s  die  Bedeutungen  e  n  s  c  h  e  n  le  e  r  sehr 
zweifelhaft  seyf  berücksichtigt  werden.  Bei  Tu  uyaSu  ist  wie 
bei  Allen  p  auiser  bei  Schneider  ,  die  Bedeutung  £  u  te  Ei  ge  n  - 
scharten  ausgelassen,  wo  Schneider  das  Lateinische  bona 
(bei  Cic.  ad  Famm.  IV.  3.),  in  demselben  Sinne,  vergleichen 
konnte.  Unvollständig  ist  der  Artikel  dyo^u ,  denn  es  fehlt, 
wie  bei  Rost,  die  Bedeutung  Redegabe.  'Ayfavha'*  Das. 
Fest  der  Agraulos  oder  Aglauros  zu  Athen,  ei- 
ner Tochter  desCecrops  und  der  Nymphe  Aglau- 
ris,  und  Priester  in  der  Minerva,  daher  uyXav?t'&ii 
(sie)  die  in  ihrem  Tempel  dienenden  Priesterin- 
nen. So  Hr.  11.,  der  diesen  Artikel  ganz  allein  bat.  Aber 
nun  kommt  weiter  vorne  der  Artikel  'AyAav^'&St  und  da  beifst 
es;  zu  Athen  die  Parzen.  Wie  harmonirt  das?  Das. 
letztere  ist  aus  dem  mehrmals  genannten  Basier  Lexikon,  wo 
Wörtlich,  aber  ohne  Beweis ,  steht:  Ab  Athcnaeis  dicuntur  fata% 
parcae ,  [xoi^at.  Das  ist  wohl  eine  Verwechselung  der  drei 
Bchicksalsschwestern  mit  den  drei  Schwestern  Agraulos,  Heise 
und  Pandrosos,  über  deren  Bedeutung  s.  Creuzers  Symb.  und 
Myth.  lf.  p.  729  ff.  —  Von  hoi^'&ac  konnte  Hr.  R.  die  rich- 
tigere Erklärung  bei  Passe w  finden^  JjLojTttßof  ist  nach  dem, 
was  Schneider  und  Passow  (vorzüglich  nach  Groddeck,  Beck 
Vnd Böttiger)  gesagt  babefl,  docji  zix  wYoJlstpndig,  \Y?ni6e* 


• 


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70  Reichenbach  grieeh.  deutsehet  Wörterbuch. 


richtig  hat  Hr.  R.  xapaßaTTurrj;  falsch getauf  ter  als  Fassöw 
falscher  Getaufter  oder  Schneider  unächter  Christ. 
—  Mit  der  Aufnahme  I  c  h  wi  er  i  ger  und  seltener  Dia- 
lektformen  in  die  Reihenfolge  der  Artikel  sind  wir  einver- 
standen ,  und  haben  alle  Ursache  damit  zufrieden  zu  seyn. 
Ueher  das  Mehr  oder  Minder  wollen  wir  nicht  ins  Einzelne 
und  Kleinliche  gehen.  Denn  während  Einer  fragen  möchte, 
warum  denn  nicht  das  Lakonische  yaßs^yo;  für  as?yo;9  und  doch 
das  Arkadische  {^rägov  für  ßagaSfow  aufgenommen  sey,  könnte 
ein  Anderer  fragen  ,  warum  denn  bei  dem  aufgenommenen 
•yfcVrp  die  spätere  Theokritische  Bedeutung  iyivsro anachronistisch 
zuerst,  und  die  Homerische  für  «Asto  zuletzt  gesetzt  sey? 
Doch  möchte  Hr.  R,  auf  beiderlei  Frdgen  ziemlich  genügend 
antworten  können.  Bei  andern  Fällen  vielleicht  weniger :  - 
z.B.  warum  er  denn  unter  ivrl  blos  anführe,  dafs  es  3.  piur« 
praest  Dor.  für  st<rl  sey  (wekhes  freilich  wahr  ist:  Theoer.  IV- 
52. )•>  und  nicht  auch,  dafs  es  3.  sing,  praes.  Dor.  für  i9T)  sey$ 
welches  eben  so  wahr  ist ,  und  zuerst  stehen  sollte:  s  Theoer. 
I.  17.  i  vrx  TtKoop  —  Die  p  ro s  o  d  i s  c  h  en  Be  z  eich  n  u  ri- 
gen  sind  in  neueren  Zeiten  mit  Recht  als  einem  Lexikon  un- 
entbehrlich und  unerlafslich  erklärt  worden,  und  nach  Rie- 
mer, Rost  und  Passotv  hat  auch  Hr.  R  lohenswerthen  Fleifs 
darauf  verwendet.  Aber  keiner  hat  noch  den  fühlbaren  Man- 
gel eines  prosodischen  Wörterbuches  ganz  genügend  ersetzt^ 
wiewohl  Passow  in  diesem  Punkte  am  wenigsten  zu  wünschen 
übrig  gelassen  hat.  Dafs  bei  Hrn.  R.  ,  so  viel  er  auch  leistet, 
doch  noch  eine  grofse  Nachlese  zu  halten  sey,  würde  schon 
zu  vermuthen  seyn  .  wenn  wir  auch  nur  sagten,  dafs  eins  der 
allergangbarsten  Wörter,  xaA*;»  unbezeichnet  geblieben  ist. 
Wir  wollen  nicht  die  kritische  Genauigkeit  Passows  (unter  d. 
W.)  verlangen,  der  Zeiten  und  Schriftsteller  genau  unter- 
scheidet, aber  gar  keine  Bezeichnung  ist  zu  wenig.  Natür- 
lich, dafs  dann  auch  Bemerkungen  fehlen,  wie  die,  dafs  Xaß^ci 
einmal  (bei  Eurip.  Herc.  für.  84 1.  ed.  Matth.)  kurz  vor- 
kommt, dafs  fjgfati  bei  den  Epikern  lang,  bei  den  Attikerri 
kurz  sey,  u.  dergl.  Fehlen  solche  Sachen  doch  auch  bei  Rie- 
mer. —  Auch  das  Uebrige,  was  Hr.  R.  von  seinem  Wörter- 
buche .rühmt,  Aufnahme  der  noth wendigen  Constructio* 
nen,  der  Gräcismen,  der  naturhistorischen  Artikel 
finden  wir  (um  kurz  zu  seyn)  gröfstentheils  beifallswürdig  ge- 
leistet. Dafs  noch  Manches  zu  thun  ist,  zeige  der  Mangel 
der  Redensarten  tu?T^  «?^g  wie  er  g'^ng  und  stand,  oJ?  trohwv 
fT^ov  was  ihre  Filfse  vermochten.  Aber  wie  viel  überhaupt 
dem  Artikel  t'^cu  fehlen  mag,  ergiebt  sich,  wenn  man  erwägt 


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Reiclienbach  griech.  deutsches  Handwörterbuch.  71 

dafs  dieser  bei  Hrn.  R.  19  Zeilen,  bei  Passow  5  Columneii 
enthalt.  Die  naturhistorischen  Artikel  lassen  sich  noch  aus 
den  Zusätzen  zu  Schneider  sehr  ergänzen.  Wir  schlugen  £v- 
v>jcqv  auf,  und  wurden  auf  av^ccv  verwiesen;  da  6teht  :  was 
avuSev,  Dill.  Aber  avuSov  ist  Druckfehler  für  a-^Ocv,  und  fin- 
det sich  natürlich  gar  nicht.  Wie  wir  über  die  durchgängige 
Unterlassung  der  Anführung  der  Auetoritüte n 
denken,  haben  unsere  Leser  schon  bemerkt.  Wir  halten  sie 
für  zulässig  in  einem  Schullexikon  für  Anfänger,  wie  da*s  Rost*- 
sche  ist;  wir  halten  sie  auch  für  zulässig  in  einem  Würter- 
buche  für  die  zahlreiche  Klasse  von  Liebhabern  der  Griechi- 
schen Sprache,  die,  ohne  tiefer  in  die  Sprache  und  die  Grie- 
chische Literatur  eindringen  zu  wollen  ,  ein  Griechisches 
Wörterbuch  brauchen.  Diesen  leistet  Hrn.  Ks.  Werk  durch 
seinen  Reichthum  Dienste,  wie  kein  anderes,  \nd  empfiehlt 
sich  dahei,  bei  gutem  und  sehr  correctem  Druck  und  gutem 
Papier,  durch  seinen  gewifs  billigen  Preis ;  und  wir  müssen 
erklären,  djfs  Hr.  II.,  was  er  in  der  Vorrede  versprochen 
batj  mit  rühmlicher  Ausdauer  geleistet,  und  billigen  Forde- 
rungen allerdings  Genüge  gethan  habe.  Von  den  drei  vor 
uns  liegenden,  in  der  aufseien  Form  und  Unterlassung  des  Ci- 
tirens  und  Raisonnirens  sich  gleichenden  ,  Wörterbüchern  von 
Planche,  Rost  und  Reichenbach  geben  wir  dem  Reichenbach'» 
sehen  unbedingt  den  Vorzug,  wobei  dem  Rost'schen,  wohU 
feilern  und  die  Spitzner'sche  Zugabe  nebst  dem  Deutsch-Grie- 
chischen Theil«  jetzt  noch  vor  der  Hand  voraushabenden 
Werke  immer  noch  Käufer  genug  bleiben  können.  Zur  Ver» 
gleichung  theilen  wir  hier  noch  den  Artikel  /UAAw  aus  den  drei 
genannten  Werken  mit, 

Planche. 

B*AAcu,  /.  ßaXtZf  p.  ßtßkwai  aor.  2.  tßa\av$  p*  moy.  (nach  alter 
Weise,  das  Perf.  Medii)  ßißs\ay  jeter,  lancer  ,  contre  quehfu'un 
*—  attaquer  quelquun,  avec  des  traits  ,  etc.  j rapper  en  jetant ,  bla- 
se r,  atteindre.  JSctkXw ,  jeter,  sans  diriger  contre  personne  ce 
qu'on  jette  —  jetter ,  l*s  yeux  —  re'pandre ,  des  larmes  — 
mettre  ,  dans  sa  tete,  dans  son  esprit.  Dans  cette  derniere  sig- 
nification  on  emploie  plus  souvent  yaiuouoi.  ZtkX*:!}*  sau* 
^CV,  Herod.  rouler  dans  sa  f£t*  t  dans  son  esprit. 

B&A<pt  Äti  metaussi  pour  j  mettre,  placer. 

Rost. 

BaAAoi,  f.  ßaktS  und  £aXA»J<r« ,  aor.  ¥ßa\cv  und  ^AX>j<fa>  pF.  ß{- 
ß\rty.a,  werfen,  schlendern,  besonders  das  Geschofs,  daher 
schiefsen ,  treffen  ,  verwunden,  erlegen,  2.  hewegen^  treiben. 
3,  bespritaen,  besprengen,  bestreuen,  4.  fallen  lassen ,  vei- 


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72  Reichenbach  griech.  deutsches  Wörterbuch. 

Jieren.  5.  legen,  anlegen,  anfügen;  ablegen,  hineinlegen. 
ßaXXitv  ri  nvi  ivi  $u/jl£  ,  Einem  etwas  in  das  Herz  legen,  einge- 
ben, anrathen.  Med.  ßaXt'aSat  «vi  (fywi»  etwas  zu  Heizen 
nehmen,  überlegen.  ßdXXsiv  ^iX'tjjtäj  Freundschaft  knöpfen. 
6.  fallen,  stürzen,  rennen. 

Reichenbach. 

JJaAAeu,  F.  ßX^ctu,  überhaupt:  ich  bewege  von  einem  Orte  zum 
andern;  ich  werfe,  stolse ,  schiefse,  schleudere,  giefse;  2)  ich 
berühre,  treffe,  verwunde;  T/va,  Karat,  riva  i  einen;  rtvl  nvä 
oder  ata  hrl  nvd  ti,  einen  mit  ;  3)  ich  lasse  fallen;  4)  ich  werfe 
nieder;  5)  ich  stelle,  lege  an  ;  6)  metaph.  ich  übergebe,  ver- 
traue an;  t/vi  ti  t  einem  etwas;  7)  fi/$  r>)v  Kag&'av  nvost  un^  •*» 
Kaltaus  ri  oder  Ti  t/vi  iv)  $vfxtü9  ich  lege  einem  etwas  an's  Herz, 
d.  i.  ich  rathe  ihm  etwas;  Med.  ßaXXo\xa(  rt  «k  veüv  oder£vi$£*7i» 
ich  nehme  zu  Herzen,  ich  überlege  etwas ,  beschliefse  etwa» 
zu  thun  *). 

Zu  tadeln  ist,  dafs  beide  Deutsche  das  Verb  um  fällen, 
das,  wie  fallen,  Eines  Stammes  mit  dem  Griechischen  ist, 
nicht  genannt  und  aufgerührt  haben,  dafs  überhaupt  beide  auf 
die  Stammesverwandtschaft  beider  Sprachen  nicht  nur  nicht 
hingedeutet  haben,  sondern  gar  nicht  geachtet  zu  haben  schei- 
nen." Freilich  absichtlich ,  wie  es  scheint:  denn  Schneider, 
Kiemer  und  Passow  haben  oft  genug  die  Sprachen  verglichen. 
Aber  hundertmal  hätte  nur  ein  Wort,  oft  nur  gesperrter  Druck 
des  entsprechenden  Deutschen  genügt,  das  nun  gerade  häufig 
fehlt  ,  8.  ß.  hei  qpaAAo«*  Pfahl,,  bei  ffKojof,  Schatten.  Ret. 
weifs  aus  vieljähriger  und  tausendfältiger  Erfahrung,  wie 
fruchtbar  eine  solche  Sprachvergleichung,  nach  festen  Grund- 
sätzen und  in  den  gehörigen  Schranken  (nicht  a  ia  Kanne  mit 
Uebertreibung,  nicht  a  la  Frenzel  mit  Seichtigkeit)  geübt, 
für  die  Einsicht  in  den  inneren  Bau  der  Sprachen  ist,  beson- 
ders wenn  man  dabei  die  Lateinische  Sprache  auch  herein- 
zieht, deren  Vergleichung  sich  eben  so  oft  und  uncesucht  dar- 
bietet. 9 

Sollen  wir  aber  sagen,  welches  Griechische  Wörterbuch 
wir  nicht  Schülern,  sondern  Studiren  den  empfehlen, 
welche  in  den  Geist  der  Sprache  eindringen,  und  sich  entwe- 
der zu  Philologen  bilden,  oder,  sich  vorbereitend  auf  eine 
Facultätswissenschaft,  diesem  Studium  eine  feste  philologische 


-  • 


f)  Eine  grofse  Menge  der  bedeutendem  Artikel  ist  bei  Reichenbach 
nicht  blos  in  diesem  Verhältnifs,  sondern  bei]  wehem  ausführ- 
licher, als  bei  den  beiden  Andern, 


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Hachenbach  griech.  deutsches  Wörterbuch.  73 

Basis  unterlegen  wollen,  welche  in  dem  Wörterbuch  Wink« 
zum  Forschm,  Hindeutung  auf  das,  worauf  vorzüglich  zu 
sehen  ist,  offene  Erklärung  über  das  noch  nicht  vollständig 
Erforschte,  Andeutung  des  Standpunctes ,  auf  dem  gegenwärtig 
die  Sprachforschung  steht,  Unterscheidung  des  Sprachgebrauchs 
nach  den  verschiedenen  Formen  der  Schreihart,  und  nach  den 
Zeitaltern,  endlich  Hinweisung  auf  Schriftsteller  älterer  und 
neuerer  Zeit,  und  die  besten  Erklärer  derselben,  eigenthttm- 
liche  Ansichten  und  Behandlungsweise  zu  finden  wünschen; 
solche  können  wir  an  keins  der  drei  genannten  Werke  weisen: 
und  während  wir  das  Schneidersche  Werk  als  dem  Philologen 
Oberhaupt  unentbehrlich,  das  Riemersche  (so  sehr  uns  oft  sein 
Ton  milsfällt)  wegen  Originalität  und  geistreicher  Behandlung, 
wegen  Sprachvergleichung  und  sehr  vieler  höchst  wichtiger 
Bemerkungen  Studii enden  wie  Studirten  (welche,  wenn  sie 
rechter  Art  sind,  stets  Studirende  bleiben;  als  vorzüglich  in- 
teressant und  wichtig  bezeichnen  müssen ;  können  wir  für 
die,  welche  nach  den  oben  genannten  Eigenschaften  und  Lei- 
stungen fragen,  einzig  und  allein  das  Passow'sche  Wörter- 
buch als  solchen  Zwecken  vorzüglich  entsprechend  empfehlen. 
Nicht,  als  ob  nicht  Schneider  und  Riemer  zum  Theil  Aehn- 
liches  leisteten,  oder  als  ob  wir  glaubten ,  Pastow  leiste  schon 
Alles  (das  glaubt  der  treffliche  Philolog  wohl  selbst  nicht): 
auch  verkennen  wir  nicht  die  Ungleichheit  der  Bearbeitung, 
die  zwischen  seinem  ersten  und  zweiten  Theile  statt  findet. 
Denn  das  gleichförmiger  bearbeitete  ReichenbacrTscbe  Wör- 
terbuch hat  von  A  bis  K  930  Ooppel-Columnen,  Passow  bis 
eben  dahin  927:  dagegen  jener  von  A  bis  zu  Ende  896,  dieser 
1134-  Aber  die  Fruchtbarkeit  und  das  Erregende  dieses  Wer- 
kes hat  kein  snderes,  und  Ref-,  der  täglich  Gelegenheit  hat, 
die  Wirkung  und  den  Einflufs  sehr  verschiedener  Wörter- 
böcher  in  den  Händen  von  Studirenden  genau  zu  beobachten, 
findet  sein  eben  ausgesprochenes  Urtheil  täglich  bestätigt.  — 
Doch  auch  von  Hrn.  R.  scheiden  wir  mit  der  vollen,  seinem 
Fleifse  und  seiner  Sorgfalt  gebührenden  Achtung,  und  sind 
Überzeugt,  dafs  es  besonders  in  dem  von  uns  angedeuteten 
Kreise  sein  verdientes  Publicum,   und  bei  diesem  Schätzung 

und  Dank  finden  wird, 

i%  .  .  .  ...... 

- 

.  .  .  .  I 


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74  Aroalihea  von  Bottiger. 

Am  alt  hea9  oder  Museum  der  Kunstmythologie  und  bildlichen  Alter- 
thumskunde. Im  Verein  mit  mehreren  Freunden  des  Alterthums 
herausgegeben  von  E.  A.  Böttiger,  Oberaufseher  der  j\önigl. 
Antikenmuseen  in  Dresden.  Dritter  Band.  Mit  7  Kupfertaft  In 
und  einem  Steindruck*  Leipzig,  bei  G.  J.  Göschen.  1825.  XLV 
und  49ö  S.  8.  3  Thlr.  Ö  Gr. 

■ 

Die  zweijährige  Verspätung  dieses  Bandes  wird  reichlich 
vergütet  durch  den  gewichtigen  Inhalt  desselben,  und  der 
Verdienstvolle  Herausgeber  hätte  das  entschuldigende  Vorwort 
insofern  spjren  können,  zumal  da  der  langsame  Druck  hie 
und  da  den  Gewinn  trefflicher  Zusätze  und  selbst  in  der  aus- 
führlichen Voriede  noch  mancher  willkommenen  Nachträge 
gebracht  hat. ,  Da  diese  Zusätze,  die  Anmerkungen  und  die 
Vorrede  manche  reife  Epikrisis  der  hier  gelieferten  Aufsätze 
enthalten,  worin  der  Herausgeber,  als  Altmeister  der  Archäo- 
logie, seine  jetzigen  Ansichten  ausspricht,  so  kann  sich  eine 
Relation  oder  auch  Recension  nur  auf  nachträgliche  Bemer- 
kungen erstrecken,  und  ich  begnüge  mich  daher,  einzelne 
Gaben  dieses  reichen  Füllhorns  herauszuheben,  zu  betrachten, 
und  dabei  meine  unmafsgeblicben  Meinungen  besonders  über 
einen  und  andern  Beitrag  des  Herausgebers  selbst  zu  äufsern. 

Schon  der  Vorbericht  bringt  eine  gewünschte  Ergänzung 
zu  dem  gelehrten  Aufsatz  des  Herrn  G.  H.  Nöhden  in  Lon- 
don über  den  Me  m  n  o  n  (s.  den  zweiten  Band)  mit  einer  litho- 
graphischen Abbildung  der  auf  der  Rückseite  des  Bildes  sich 
befindenden  Hieroglyphen.  Wenn  der  Herausgeber  hiebei, 
10  wie  an  mehreren  Orten  dieses  Bandes,  über  die  neuesten 
Versuche,  die  altägyptischen  Schriftarten  zu  enträthseln  ,  sich  j 
in  einem  verschiedenen  Sinne  äufsert ,  so  will  Referent 
dies  als  Wink  und  Aufforderung  »um  eigenen  Schweigerl 
benutzen,  indem  eben  diese  Verschiedenheit  der  Urtheile 
eines  und  desselben  grofsen  Gelehrten  in  ihm  die  Ueberzeu- 
gung  bestärkt,  wie  mifslich  es  zur  Zeit  noch  sey,  hei  diesen 
kaum  eröffneten  Acten  mit  eigener  Meinung  dazwischen  zu 
treten.  Den  Band  selbst  eröffnet  eine  Abhandlung  über  den 
Torso  derRich  mondischen  Venus  imBrittischen 
Museum  von  D.  G.  H.  N  ö  b  d  e  n  ,  ,  Aufseher  der  Antiken 
desselben  Museum.  Der  Verlasser  bewährt  in  dieser,  sowie 
in  andern  archäologischen  Arbeiten,  aufs  entschiedenste  den 
Beruf,  einem  so  reichen  Museum  vorzustehen,  und  liefert 
einen  neuen  sprechenden  Beweis;  wie  sehr  er  unter  den  Ge- 
lehrten Englands  unserm  deutschen  Vaterlande  Ehre  macht, 
und  die  auf  ihn  gefallene  Wahl  der  Grofsbrittanischen  Regie* 


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Amaltlu-a  von  Bottiger« 


75 


rung  rechtfertigt ,  wie  sehr  er  aber  a.cb  und  mit  welchem  er* 
wünschten  Erfolg  er  bemüht  ist,  die  seither grofsentheilt  unbe- 
kannten Kunstschätze  dieser  an  Antiken  so  reichen  Insel  teinrn 
deutschen  Landsleuten  bekannter  und  nutzbarer  zu  machen. 
— —  Hierzu  eine  fein  ausgeführte  Kupfertafel ,  die  dieses  Kleinod 
des  Brit tischen  Museum,  so  weit  es  in  solchem  Format  mög- 
lich, ist,  genügend  darstellt,  —  £s  folgt  eine  Reihe  von  Auf- 
sätzen über  die  Tripoden,  zweiter  Abschnitt;  über 
Tier  unedirte  und  wenig  bekannte  Monument* 
des  alten  oder  hieratischen  Styls  von  K.  O.  Mül- 
ler, Prof.  in  Göttingen,  mit  vier  K upfer  tafeln.  In  dieser 
Fortsetzung  der  ersteren  Abhandlung  werden  wieder  interes« 
sante  Gegenstände  zur  Sprache  gebracht,  welche  auch  dem 
Herausgeher  im  Vorbericht  zu  verschiedenen  Nachträgen  An- 
lafs  gegeben.  Ueber  einige  Punkte  wäre  gröfsere  Ausführ- 
lichkeit Wünschens  Werth ,  z,  B,  über  die  *okXy<Tt;  vih*)tov$  zu- 
mal da  neuerlich  Ramshorn,  Hausmann  und  andere  Gelehrte 
die  Sache  in  verschiedenem  Sinne  gefalst.  Das  Weitere  mtifs 
der  künftigen  Fortsetzung  der  Comraentatt.  Herodott.  vorbe- 
halten bleiben.  Auch  die  Bezeichnung  ^vtroü  d-ri^Bov  ,  Weichet 
nur  übersetzt  wird  reines  Gold,  sähe  Referent  gern  näher 
bestimmt,  da  ihm  nicht  unbekannt  ist,  was  darüber,  kei- 
neswegs übereinstimmend,  von  Lempe,  Eckhel,  Matthill, 
"Wurm,  Raotil-Rochette  und  Andern  bemerkt  worden ,  und  er 
würde  zu  den  oedachten  Commentationen  diese  Beihülfe  dank« 
bar  erkannt  haben.  In  Betreff  des  von  Hrn.  Müller  beschrie- 
benen S  am  o  t  h  r  a  c  i  s  c  h  e  n  Reliefs  nimmt  es  mich  Wunder, 
Wie  der  auf  Alles  aufmerksame  Herausgeber  im  Vorbericht 
(pag.  XX  f.)  zu  bemerken  vergafs  ,  dafs  dieses  selbige,  viel- 
leicht älteste  Relief  auch  von  Hrn.  Doctor  Schorn  im  neue- 
sten Heft  des  Tischbeinischen  Homer  mitgetheilt  und  erläutert 
worden,  worüber  ich  selbst  in  diesen  Jahrbüchern  dasNöthige 
hemerkt.  Der  zum  Müllerischen  Aufsatz  (p.  34")  beigefügte 
Umrifs  mufs  ohnehin,  weil  er  an  sich  nicht  genügt,  mit  den 
beiden  Kupfern  bei  Schorn  und  Millingen  verglichen  werden» 
Die  Betrachtung  dieser  sehr  alten  Sculpturwerke  gibt  nun  zu 
manchen  Erörterungen  Anlafs,  welche  für  die  ganze  Kunst- 
geschichte bedeutend  sind.  Der  erfahrene  Herausgeber  sagt 
in  Beziehung  darauf  im  Vorbericht:  „Nur  Ober  den  Styl  (Je- 
nes Reliefs)  scheinen  beide  (Millingen  und  Müller)  nicht  der- 
selben Meinung  zu  seyn.  Sebr  bestimmt  bezeichnet  der  Deut- 
sche den  hier  herrschenden  Kunststyl  als  den  ältesten  auch  da- 
durch» dafs  die  darin  vorherrschende  'Einfalt  und  Ruhe  sich 
auch  noch  in  einigen  andern  Griechischen  Basreliefs  vorfinden  , 


76  Amalthca  ron  Böttiger; 

die  der  ältesten  Kunst  zpgebören,  und  dafs  erst  in  einer  nach« 
f  olgenden  Periode  jenes  überinälsige  Streben  nach  leidenschaft- 
lichem Ausdruck,  grofser  Bewegung  und  Angabe  der  Gelenke 
und  Muskeln  eingetreten  sey,  worüber  er  denn  mit  Hein- 
rich Meyer,  der  sowohl  in  seinen  Anmerkungen  zu  Winckel- 
mann,  als  in  seiner  zuletzt  erschienenen  Kunstgeschichte  jene 
Uebcrreste  der  alten  Kunst  mit  dem  gewaltigen  Ausdruck  und 
Muskelspiel  für  den  ältesten  Kunststyl  erklärt,  und  in  der« 
selbenBeziehung  auch  mit  den  Kunstepochen,  die  Friedrich 
Thier  ach  in  seiner  ersten  Vorlesung  annimmt,  sich  zu  ver- 
nehmen  haben  wird.  Ich  gestehe,  dafs  ich  bis  jetzt  aus  voller 
Ueberzeugung  die  Ansichten  meines  Weimarischen  Freunde« 
getheilt  habe.  Doch  wer  kann  sagen,  welche  neue  Frucht  , 
uns  der  morgende  Tag  noch  immer  aus  den  Gärten  der  Hespe« 
riden  bringen  wird?"  —  Im  Texte  selbst  folgt:  Uebertlie 
Inschrift  des  Olympischen  Helms.  Ein  Send- 
achreiben des  Herrn  von  Brönsted,  Kon.  Dkni- 
•  eben  Geschäftsträgers  in  Rom,  an  den  Heraus- 
geber —  eine  strenge  Kritik  eines  früheren  Aufsatzes  im 
zweiten  Bande  der  Amalthea,  womit  man  die  nachträglichen 
Bemerkungen  des  Herausgebers  S.  400.  dieses  dritten  Bandes 
und  S„  \  \  1 1 1 .  des  Vorberichts  verbinden  mul's,  wo  auch  auf 
Bock h's /Corp us  Inscriptt.  Graecc.  I.  1.  n.  16.  pag.  34  stf« 
Kecbt  hingewiesen  ist.  Herr  Ritter  von  Brönsted  liefert 
zugleich  einen  schätzbaren  Beitrag  zum  Text  des  Pausanias 
in  einer  Anzahl  von  Lesarten  aus  einer  Handschrift  derßiblio- 
theca  Angelica.  —  Von  demselben  gelehrten  Kritiker  haben 
wir  nun  nächstens  ein  grofses  Beisewerk  über  Griechenland 
in  einer  Deutschen  und  einer  Französischen  Ausgabe  zu  er^ 
-  warten.  Referent,  welcher  einig«  Proben  der  dazu  gehörigen 
Kupfertafeln  gesehen,  kann  im  Voraus  die  Versicherung  ge- 
ben, dafs  hierin  Ungemeines  geleistet  worden;  Dafs  von 
Herrn  von  Brönstedt  selbst  nichts  Gemeines  zu  erwarten 
ist,  braucht  wohl  nicht  ausdrücklich  bemerkt  zu  werden*  — r 
Der  vierte  Abschnitt  dieses  Bandes ,  zur  Architektur  der 
Alten  überschrieben,  enthält  i)  eine  Abhandlung  über  die 
Bearbeitung  architektonischer  Formen  des  Air 
terthums  auf  der  Drehbank,  2)  Versuch  einer 
Darstellung  der  architektonischen  Vereine,  zwe( 
Vorlesungen,  vom  Kön.  Baierischen  Hofbauintendanten 
und  Oberbaurath  Herrn  von  Klenze  in  München.  Zur  er- 
sten Vorlesung,  die  einen  noch  wenig  bekannten  Punkt  der 
alten  architektonischen  Technik  ins  Licht  setzt,  gab  die  Ver- 
anlassung: „ein  seht  gut  erhaltener,  ja  fast  unversehrter  Du- 


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Amaltbta  tob  Böttiger.  J7 

„ ri scher  Knauf ,  von  einer  der  Säulen  des  Pronaos  aus  dem 
Tempel  des  Zeus  Panbellenios  auf  der  Insel  Aegina  genom- 
^  men  ,  und  als  Eigenthum  Sr.  Königlichen  Hoheit  des 
9  Kronprinzen  von  Baiern    (des   jetzigen  Königs 
^Majestät)  jüngst  aus  Athen  in  die  Glyptothek  nach  iMüu- 
n  che  11  gebracht. w      Oer  Verfasser  geht  dabei  von  der  kriti- 
schen Behandlung  einiger  Stellen  des  Plinius  (H.  N.  XXXVI. 
19.  VII«  56.)  aus,  und  gelangt  zu  Ergebnissen ,  woraus  allein 
einige  rätbselhafte  Erscheinungen  an  den  Ueberresten  der  an« 
tiken  Baukunst  erklärbar  werden.    —    Die  andere  Vorlesung 
Uber  die  Bauvereine  des  Alterthums  gewährt  ein  noch 
aligemeineres  Interesse,    und  ergänzt  rückwärts  die  folgen- 
reichen Untersuchungen«  die  Herr  Or.  Sulpiz  Boisseree 
neulieb  über  die  Bauvereine  des  Mittelalters  in  dem  ersten 
Bande  seines  unsterblichen  Domwerks  angestellt  bat.  Auf 
dem  Wege  jener  Untersuchung  liegen  aber  gleich  vorn  herein 
die  zum  Theil  höchst  dunkeln  mythischen  Sagen  von  den  Tel» 
chinen,  Kabiren,  Kory  hauten  f  Cyclopen ,  Pelasgern,  Tyrrhe« 
nern ,  tyrsenischen  Pelasgern  ,    und  es   gereicht  gewiis  der 
Sache  zum  gröfsesten  Vortheile  ,  dals  hier  einmal  ein  theore- 
tisch und  praktisch  bewährter  Kenner  der  Architektur  diese 
Gegenstände  mit  der  Fackel  der  Kritik  beleuchtet.     Da  der 
Vorbericht  (S.  XXV.)  uns  die  angenehme  Hoffnung  gibt,  der 
"Verfasser  werde  diese  und  andere  seiner  Abhandlungen  zu 
einem  gröfseren  Werke  umarbeiten  ,    so  wird  derselbe  nun 
ohne  Zweifel  in  den  neueren  Untersuchungen  von  Welcker, 
Raoul-Rocbette  und  Andern  mannichfaltigen  Anlafs  zu  neuen 
und  erwünschten  Erörterungen  rinden.   —    Die  Vorlesung  f 
A  p  el  1  es  und  A  n  t  i  p  h  i  1  u  s  von  Herrn  Prof.  Tülken  in  Ber- 
lin,  die  sich  an  die  Kienzischen  anreiht,   ist,   wie  auch  der 
Herausgeber  im  Vorbericht  (pag.  XXV  f.)  bemerkt  ,  ein  will- 
kommener Beitrag  zur  Kritik  der  Griechischen  Kunstgeschichte. 
Es  ist  wohl  keinem  kritischen  Geschichtsforscher  unbekannt, 
dals  die  Geschichte  der  alten  Kunst  von  den  alten  Bericht» 
erstattern  selbst  mit  manchen  Fabeln  verbrämt  uns  überliefert 
worden  ,  und  Sichtung  thut  hier  vor  Allem  Noth.  Würdi« 
gung  der  Gewährsmänner,   wie  hier  des  Lucia n ,   mufs  die 
Grundlage  bilden.    Ohne  diese  Bemerkung  auf  die  Tölken*- 
sche  Erörterung  anwenden  zu  wollen,   mufs  Referent  doch 
bekennen,   dals  neuerlich  auch  hierin  Grundsätze  hie  und  da 
adoptirt  worden  sind,  die  zu  einer  Alles  bezweifelnden  Skepsis 
führen  möchten.     Er  möchte  seihst  nicht  alle  Ansichten  des 
Würdigen,  Herausgebers  (p.  XXVI.)  zu  den  seinige.n  machen. 
~-  Unter  der  Rubrik  Archäologische  Beiträge  folgen 


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I 

73  Ainalthea  Ton  Bulliger, 

nun  zuvörderst  drei  sehr  gehaltreiche  vom  Herausgeber  seihst: 
I.  (Jeher  die  sogenannten  Karyatiden  am  Pandro- 
s  e  li  m  in  Athen  und  über  den  M  i  f  s  brauch  der  Be- 
nennung: Karyatiden.  II.  Zwei  antike  Silenus- 
lampen.  Nebst  einem  späteren  Zusatz.  (Hierzu  die 
Kupfertafel  VII.)  III.  Afrikanische  Antilopen  auf 
alten  Denkmalen.  Nebst  Auszug  eines  Briefes 
von  Prof.  Lichtenstein  in  Berlin.  Von  E.  A.  Böt- 
tiger.  Aufserdem  enthält  dieselbe  Abtheilung  dieses  Bandes 
IV.  Fortsetzung  der  Bemerkungen  über  antike 
Denkmale  von  Marmor  und  Erz  in  der  Florenti- 
use he  n  Galerie  (bis  zur  CLL  Kupfertafel  der  Galeria  di 
Firenze),  vom  Hofrath  Heinrich  Meyer  in  Weimar. 
Die  ente  Abhandlung  von  Heirn  Hofrath  ßüttiger  eröffnen 
sehr  unterhaltende  Nachrichten  von  den  geretteten  Bau  -  und 
Sculptiirwerken  auf  der  Burg  zu  Athen,  von  der  malerischen 
Wirkung,  die  dieselben  noch  jetzt  auf  den  Beschauer  machen, 
und  von  dem  Schicksal  mehrerer  jener  sogenannten  Karyati- 
den ,  wobei  denn  auch  das  jetzt  allgemein  bekannte:  „Quod 
non  fecerant  Gothi,  fecerunt  Scoti «  vorkommt.  Nur  dafs 
jetzt  manchem  Leser  dagegen  einfallen  wird:  Quid  vero  fa- 
cient  Turcae?  nämlich  wenn  sie  Athens  wieder  Meister  wer- 
den sollten  (was  Gott  verhüte),  und  wenn  sie  nicht  alle  so 
sind,  wie  der  Eine,  von  dein  hier  geschrieben  steht.  —  Aber 
eben  weil  es  geschrieben  steht ,  hebt  sich  leider  das  letzter«! 
wenn  von  selber  auf.  Die  Untersuchung  Selbst  würdigt  mit 
Recht  die  von  Lessing  schon  angezweifelte  mührchenhafte  Er- 
Zählung  von  den  gefangenen  Karerinnen,  und  führt  zu  dem 
klaren  Ergebnifs  :  Es  sind  Kanephoren.  Den  Gang  die- 
ser mit  eben  so  viel  Scharfsinn  als  Belesenheit  durchgeführten 

o 

Erörterung  können  einsichtige  Leser  schon  aus  folgenden  we- 
nigen Worten  vermuthen  :  „Es  ist  aus  der  Hauptstelle  beim 
Pausanias  (III.  iO.  8.)  zur  Genüge  bekannt,  dafs  die  L,u 
cedämonischen  Jungfrauen  ihrer  grofsen  Licht- 
und  Naturgöttin,  der  zur  Dorischen  Jägeriii 
umgestalteten  Artemis,  zu  Karyä  alljährlich 
einmal  den  alten  asiatischen  Hierodulentanz  in 
einen  eigenthüralichen  Nationaltanz  umgestal« 
tet  aufzuführen  pflegten.**  In  dem  späteren  Nach- 
trag zum  obigen  Aufsatze  geht  der  Herausgeber  von 
einer  durch  den  gelehrten  Herrn  Mein  ecke  in  Danzig  treff- 
lich behandelten  Stelle  des  Ei  phorion  (Fra^m.  XLII.  qp*AewXo- 
v.  •  x  :.->.  xuhati)  aus,  zeigt,  wie  dieser  Gelehrte  in  Betreff 
jener  Mädchenstatuea  zu  Athen  mit  ihm  selber  übereinstimme 


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Ämahhea  von  Boitiger.  79 

(„Bei  dieser  Veranlassung  erhebt  auch  er  —  Meinecke  —  die 

volJwicfatigsten  Zweifel  gegen  den  allgemein  angenommenen 
Sprachgebrauch  ,  die  berühmten  Kanephoren  am  Pandroseum 
in  der  Akropolis  Karyatiden  zu  nennen,  mit  der  feinen  Be- 
merkung, dafs  die  ganze  Tracht  und  Gestaltung  dieser  unver- 
gleichlichen weihlichen  Figuren  ganz  dem  attischen  y  aber  nicht 
dem  dorischen  Costüme  entsprechen  w  )  ,  und  fügt  eine  Reibe 
gelehrter  Bemerkungen  über  diesen  und  verwandte  Gegenstände 
hinzu.  —  Im  folgenden  Aufsatze:  die  Silenuslainpen, 
zwei  antike  Bronzen  (wobei  eine  Kupftrtafel) ^  bringt 
der  Herausgeber  auf  die  lehrreichste  und  anziehendste  Weise 
mehrere  Gegenstände  zur  Sprache,  z.  B.  die  Technologie  und 
den  Kunsthandel  der  Alten  (wobei  der  Wunsch  eines  Werks 
über  diesen  Gegenstand  geäufsert  wird),  die  den  Alten  be- 
kannten Beleuchtungsarten  mit  Vergleichung  der  neueren,  die 
Lampen  so  verschieden  nach  Material  ,  noch  viel  verschiede« 
ner  und  inannichfaltiger  in  den  Formen,  mit  einem  Blick  auf 
die  darüber  vorhandenen  Werke  und  mit  dem  Wunsche  eines 
neuen,  gehörig  gesichteten  und  geordneten  (eine  antike 
Lychnologie  möchte  ich  sie  nennen),  und  kritisch- phi« 
lologische  Bemerkuugen  über  die  Namen  der  Beleuchtungs- 
gefälse  bei  den  Alten,  über  die  antike  Behandlungs -  und  ße« 
wahrungsweise  des  Weines  und  anderer  Flüssigkeiten  u.  s.  w. 
In  dem  Zusatz  werden  über  die  Doppelnatur  der  Silenus- 
mylhe  Winke  gegeben ,  über  die  hoch  ernste  und  hinwieder 
Über  die  scherzhafte  Seite  dieses  Mythus.  „Allein**  (heilstes 
p.  183  f.)  »jSO  wie  er  (dieser  Mythus)  von  Phtygien  und  Ly- 
dien her,  woher  die  orgiastisebe  DionysosFeier  nach  TLu- 
„cien  und  über  die  Inseln  nach  Bootien  kommt,  ist  auch  der 
„zweiten  Darstellung,  der  Trink»  und  Genufslust,  die  erste 
»Anregung  gegeben.  Als  Pädagbg  (er  war  ja  im  Sinne  der 
M eing«: bornen  Griechen  ein  Barbar)  des  Bacchus  auf  dem  fabel- 
„ha&en  vorderasiatischen  Nysa  ,  als  Feldherr  bei  seinem  Zug 
„nach  Indien  (eigentlich  umgekehrt,  von  Indien 
„her,  von  Hinterasien  nach  Vorderasien  und 
„Kleinasien),  tritt  er  zuerst  auf,  und  dies  wird  der  Ver- 
w einigungspunkt  beider  Vorstellungen.  Nun  gibt  es  in  der 
„Dichtung  sowohl  als  in  der  bildenden  Kunst  keine  Lächer- 
lichkeit ,  keinen  Muthwiilen,  der  nicht  mit  dem  alten  Trun- 
kenbolde getrieben  würde.««  Hiebet  nun  noch  eine,  nach 
di s  Verfassers  Meinung  noch  nicht  gelösete  Autgabe:  „Oh  in 
dem  asiatisch  -  phrygischen  Silenus-  und  Marsiasmythus  auch 
schon  ein  Keim  von  der  lächerlichen  Darstellung,  wie  sie 
der  lebenslustige  Hellene  aufgriff,  sicher  nachzuweisen  ist» 


uigiiizea 


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80  Amaltbea  von  Böttiger, 

wobei  die  Zeit  genau  angegeben  werden  müfste,  wo  die  alten 

Dithyrambensänger  und  .Lyriker  überhaupt  den  Silen  su  einer 
scherzhaften  JYlaske  umbildeten.«    —    Soweit  der  Verfasser. 
Die  Frage  nach  dem  „komiicben  Keim«  des  Silenenmy- 
thus  beantwortet  sich,    meines  Erachtens,   einem  Jeden  von 
seihst,  der  tum  Grundgedanken  der  ganzen  Dionysischen  Re- 
ligion hindurchgedrungen  *).      War  nämlich  Dionysos  die 
verkörperte  ge*taltenreiche  Natur,  die  bunte  Sinnen  weit ,  so 
war  damit  ursprünglich  und  nothwendig  der  physische  Ge- 
gensatz selber  gegeben,  und  mit  dem  Gegensatz  die  hervor* 
tretende  Dichotomie  des  göttlich-  und  heroisch -Tragischen 
und  des  menschlich  -  und  halbthierisch-  Komischen;  ist  ferner 
•Silen,    wie  er  ist,    nichts  anders  als  der  Bildungstrieb  des 
Stuffes  in  noch  unvollendetem  Bestrehen,  eine  schöne  Sinnen- 
welt hervorzubringen,  so  mufs  das  Ungeschlachte  im  bizarren 
Verein  mit  dem  Gebildeten,  das  Hüfsliche  im  widersprechen- 
den Bunde  mit  dem  Schönen,   das  Geistreiche  mit  dem  Geist- 
losen und  Dumpfen  des  Silen  us  ursprünglicher  Begriff  und 
sein  eigenstes  Wesen  seyn,  und  nicht  etwa  erst  der  asiatisch* 
phrygische  Silenus,    sondern  der  oberasiatische ,    ja  der 
Silen  von  Anbeginn  und  überhaupt  mufste  gerade  den  phy- 
sischen Gegensatz   unter  der  Form   des  plumpen 
und    zugleich    geistreichen    Dionys  userziehera 
aussprechen;  er  mufste  mit  einem  Worte  als  der  älteste  Eiron 
der  Welt  auftreten. 

Doch  nicht  um  dieser  mystischen  Gedanken  willen  babe 
ich  jene  allgemeinen  Sätze  des  Verfassers  hervorgeholten  und 
beleuchtet,  sondern  um  damit  einige  kritische  Bemerkungen 
über  die  im  Aufsatz  seihst  aufgestellte  Erklärung  der  beiden 
bronzenen  Silenslampen  vorzubereiten,  besonders  der  einen , 
worauf  es  eigentlich  ankömmt. 

—  ■  - 

•)  Welches  aber  vernünftiger  Weise  bei  christlichen  Öelehrten  nicht 
heifst :  der  an  diese  heidnische  Religion  glaubf. 


(Der  Beithlufs  folgt;) 


< 


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N.  6.  1826, 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur» 


.    Amalthca  Von  E.  A.  Böttiger. 

(Bmc/i/«//,) 

Hören  wir  den  beredten  Ausdeuter  selbst  i  „Es  isfc 
Grundsatz  (p.  172  f.)  der  antiken  Kunst,  das  Gemeinnützliche 
dem  beengenden  Kreise  des  Bedürfnisses  zu  entnehmen,  und 
durch  veredelndere  Gestaltung  zu  einem  wahren  Kunstwerke 
zw  steigern.  So  tritt  auch  im  vorliegenden  Falle  die  Lampe" 
als  ein  blofses  Nutzgeräth  völlig  zutitck.  Sie  wird  zu 
einem  alten,  aber  noch  immer  muskeif  estert 
Glatzkopf  mit  vorragender  Stirn  und  aufgestülp- 
ter Nase,  mit  einem  Worte,  zu  jenem  stets  dur  j 
stigen,  stets  bezechten  Gefährten  und  Pflege^ 
vater  des  Bacchus,  zu  einem  leibhaften  Silem 
Er  ruht  aus,  oder  hat  sich  vielmehr  niedergekauert,  und  hält 
nun  die  zwischen  seinen  Schenkeln  hervortretende  Lampe  mit 
Händen  und  Füfsen  fest  umklammert.  Sein  halbgeöffneter 4 
lechzender  Mund  ruht  auf  der  Oeffnung  in  der  Mitte  der  Lam- 
pe, wo  man  das  Oel  eingiefst"  u.  s.  w.  —  Hier  also  die  Be* 
Schreibung  der  Lampe.  Nun  die  Erklärung  (p.  1"73.) :  „Aber 
was  hat  denn  nun  dieser  alte  Zecher  mit  der  Od  -  Lampe  zU 
thun?  Will  er  vielleicht,  wie  jene  Ratten  oder  Mäuse,  die" 
wir  als  verrufene  Oel- Näschef  scherzhaft  auf  mehreren  altert 
Leuchtern  und  Lampen  dem  Oel  nachstellen  sehen,  das  Oel 
ausschlürfen!  Warum  nicht?  Wissen  wir  doch*  dafs  be» 
aonders  in  Italien  und  Spanien  *  Wo  das  Oel  überall  die  Stell* 
der  Butter  Vertritt,  ausgelernte  Trinker,  Wenn  sie  berauscht 
•ind,  durch  einen  Schluck  Oel  die  Dünste  des  Rausches  nie- 
derzuschlagen suchen.  Allein  mein  antiquarisches  Gewissen 
gestattet  mir 
Urn  sie  ganz 
Ulglleder  dazu  ge 
iiihrtt»  ist  der  gefüllte  Weinschlauch.  Und  den  läfst  der  Alte, 
wenn  er  einmal  angezapft  ist,  tüchtig  auslaufen.    Diese  Idee* 

XIX-  Jalirg,   1.  Heft«  Ö 


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$2  AmahUea  von  Büuiger. 

« 

ergriff  die  Plastik  der  Alten.    Bacchus  selbst  vermahlte  sich 
ja  im  ganzen  Alterthum  mit  den  Brunnennymphen  (d.  h.  man 
trank  den  Wein  nur  mit  Wasser  gemischt).      So  riefen 
auch  die  bildenden  Künstler  da,   wo  sie  F  o  nta  i « 
u  e  n    schufen,    Spring  quellen"    aus    Röhren  her- 
vorlaufen  liefsen,  das  Bild  des  Silenus  zu  Hülfe, 
Die    Sprihgbrunnenmündung    wurde    zur    Mündung  eines 
Schlauchs ,   der  vom  beistehenden  Silen  in  allerlei  komischen 
Stellungen  gedrückt ,  statt  der  süfsen  Bacchusgabe  klare  Nym- 
phengabe hervorschüumen  läfst,  wohl  immer  eine  verdriefs- 
liehe  Verwechselung  für  jeden,    der  mit  Horaz   zur  frohen 
Stunde  dem   Wassertrinken  alles  Böse  nachsagt.  Solche 
Brunnenfiguren     mit     auslaufendem  Schlauche 
heifsen  daher   im   Alterthum    vorzugsweise  Si- 
len e ,    oder   nach    der  dorischen  Aussprache   S i - 
Jane."  —     (p.  175  f.)  «Die  Vergleich  ung  mehrerer 
bronzenentampen  —  setzt  die  stufenweise  Fort- 
bildung des  Silenus,  der  die  geschnäbelte  Lampe 
zwischen  den  Füfsen  hat,    aufs  er  allen  Zweifel. 
So  hat  im  bildenden  Alterthum  jede  Idee,  in  Bildwerken  aus« 
geprägt,  ihren  Stammbaum!"  —    Ebendaselbst  in  der  Note  : 
„Jedes  au  sge  führte  Kunstwerk  erhielt  nun,  bei 
der  unglaublichen  Bilderlust  und  Freude  an  Vervielfältigung, 
auch    eine  verkleinerte,  abgekürzte  Form;  wir 
möchten  es  Kunstabbreviatur  nennen.     So  scheint  e% 
nicht  unwahrscheinlich,   dafs   eine   grofse  2ahl  noch 
vorhandener  Lampen  in  gebrannter  Erde,  wo  das 
ganze  Lämpchen    einen    Silenuskopf  darstellt, 
dessen   weit   geöffneter  Mund    die  Lampendille 
bildet,   die    Oeffnung   zum   0*1«  in  träufeln  aber 
eben  auf  der  Glatze  angebracht  ist  —  auf  diese 
Weise  entstand." 

Dies  wird  genügen,  um  dem  Leser  die  Ausdeutung  des 
Verfassers  und  den  Gang,  den  er  dabei  genommen,  deutlich 
zumachen.     Es  ist  unmöglich,  mit  grösserer  Gelehrsamkeit 
(wovon  in  den  zahlreichen  Noten  die  reifsten  Fruchte  aufge- 
häuft sind),  mit  feinerem  Witze  und  mit  glücklicherer  Com- 
hinationsgabe  eine  Sache  zu  führen,  als  der  geübte  Archäolog 
die  seinige  auch  hier  wieder  geführt  hat.     Auch  ist  es  gewifs 
eine  wahre  Bemerkung,   dafs  im  bildenden  Alterthum  jede 
(zumal,  möchte  ich  beifügen,  eine  so  oft  ausgeprägte)  Idee, 
in  Bildwerken  ausgeprägt ,  ihren  Stammbaum  hat.    Aber  sollte 
diese  Idee  wohl  diesen  Stammbaum  haben?  und  sollte  diese 
Deduction  wohl  nicht  eine  zu  künstliche  seyn?    Das  Alter- 


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Amaltliea  von  Bottiger.  83 

V 

thum  ist,  wie  allerwärts,  so  auch  in  der  Bildnerei  tiefsinnige 
geistreich,  aber,  auch  einfach.      Hier  abes  werden  einige 
künstliche  Mittelglieder  eingefügt,  um  die  Genealogie  zu  ver- 
binden, Glieder,  von  denen  nicht  bewiesen  worden,  dafs  sie 
organisch  in  diese  Familie  gehören.     Zuvörderst  ist  jene  an- 
genommene  Abbreviatur  unwahrscheinlich.     Bei  weitem 
die  gröfseste  Anzahl  (nicht  blos  eine  grofse  Anzahl)  dieser 
Lampen  sind  blofse  Silenusköpfe,   auch  bronzene.  In 
einer  Heidelberger  kleinen  Sammlung  befindet  sich  eine  solche 
aus  dem  Museum  Nani.     Und  ist  dies  nicht  das  Einfachste? 
Führte  nicht  schon  die  durch  den  Zweck  gehotene  Lampen*  • 
form  darauf?     Das  Einfachere  pflegt  aber  dem  Combi  nir  ten  , 
dem  Zusammengesetzten,  wie  die  vom  Verfasser  beschriebe. 
nenSilenuslampen  sind,  vorauszugehen;  nicht  umgekehrt  ihnt 
zu  folgen.  —  Sodann  mufs  der  YVeinschlauch  zur  Vermitte* 
lung  dienen,  um  den  Silen  an  Brunnen  und  an  Lampen  erklär' 
bar  zu  machen.     Scharfsinnig  in  der  That,   und'  ich  will  er 
auch  lieber  Anderen  anheimstellen ,  ob  sie  jetzt  noch  derr 
Visconti    mit  seinen  Fontonniers    ( utrieulariis \  worüber 
Schwartz  schon  in  den  Miscellaneis  politioris  hmnanitätis  sehr 
Vieles  gesammelt  hat)   in  Schutz  nehmen  wollen.  — . .  Aber 
Wie  nun,  wenn  ein  allgemeiner  physischer  Begriff,  eine  ganz 
natürliche  und  nothwendige  Sache  uns  für  den  Brunnen  -  Silen 
von  selber  eine  Erklärung  böte,  ohne  dafs  wir  erst  nach  dem 
Weinschlauche,  der  hier  sogar  zu  einem  Vexirwerkzeüge  wird, 
die  Ha'nde  auszustrecken  brauchten  —    eine  Erklärung,  die 
eben  so  nahe  und  auf  demselben  Grund  und  Boden  anzutreffen 
wäre,  wo  die  jetzt  allgemein  bekannte  und  allgemein  ange- 
nommene Antwort  auf  die  Frage  gefunden  wird  :  warum  die 
Brunnenröhren  und  die  Dachrinnen  seit  den  ältesten  Zeiten 
bis  auf  den  heutigen  Tag  so  häufig  Löwenköpfe  haben?  — 
eine  Erklärung  endlich,  die,  was  der  Verfasser  so  geschickt 
mit  dem  VVeinschlauch  zu  erreichen  Wufste,   über  Bei  de  8$ 
Über  den  Brunnen-  wie  über  den  Lamp'en  -  Silen ,  Aufscblufs 
gäbe.     Ja  nicht  über  Beides  blos,  sondern  noch  über  ein 
Drittes,  welches  der  umsichtige  und  gelehrte  Verfasser  bei 
«einer  Deduction  ganz  aufser  Acht  gelassen,  nämlich,  dafs 
es  noch  eine  Gattung  vonSilenslampen  gegeben« 
solche,  die  nichts  von  Silen  seiher  an  sich  trugen ,  sondern 
den  Kopf  des  ihm  beständig  dienstbaren,  getreuen  Esels.  Sie 
kommt  in  dem  calendarischen  Monument  der  Villa  Borghese 
No  89  vor,  und  Jeder  kann  sie  jetzt  in  seinem  Miliin  (Ga- 
lerie Mythol.  I.  fl  LXXIX.  no.  33i.)  finden.      Gegen  den 
allenfallsigen  Versuch,  aueh  diese  Silenische  Lampö  durch 

6* 


\ 


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84  Amalthea  von  Bot  liger.  * 

den  Mittelbegriff  des  Schlauchs  erklären  zu  wollen,  Wörde 
der  einsichtige  Verfasser  selbst  sich  gewifs  durch  die  Einrede 
verwahren  :  das  heifse  ja  am  Ende  den  Schlauch  zum  Träger 
des  Esels  machen ,   welcbes  in  die  verkehrte  Welt,   nicht  in 
die  alte  gehöre.     Eben  deswegen  mufs  ich  aber  noch  einen 
Punkt  berühren,  der  einen  andern  Silenischen  Mythus  an« 
geht,   und  dessen  der  Verfasser  nicht  zu  gedenken  brauchte* 
Der  Satz:  Silen  ist  des  Dionysus  Pflegevater  —   ist  ein  ein- 
facher physischer  Satz ,  und  enthält  eine  ganz  natürliche  Wahr- 
heit, diese;  Licht,  Wärme  und  Nafs  sind  die  noth wendigen 
Bedingungen  zum  Gedeihen  des  Weinstocks  und  zur  Zeitigung 
des  Weines.    Der  Satz  hat  alM*r  auch  in  einem  allgemeineren 
Sinne  seine  Wahrheit:  Licht,  Wärme  und  Feuchtigkeit  sind 
notbwendige  Bedingungen  alles  natürlichen  Lehens  ,  und  diese 
schöne  Natur  in  ihrer  üppigen  Fülle  ist  erst  durch  jene  Ele- 
mente geworden ,  wassieist.    Jene  Elementarstoffe  und  Kräfte 
selber  sind  noch  nicht  die  schöne,  wohlgeordnete,  Dionysi- 
sche Naturwelt  —  sondern  sie  sind  Materialien  und  Anregun- 
gen dazu.     Darum  stehet  der  selber  umgestaltete  Silenus  dem 
Dionysius  vor,  leitet  und  bildet  ihn.     Darum  singt  auch  Si- 
len so  gern  von   der  natürlichen  Dinge  Ursprung 
und  wie  sie  allmähligGestaltung  gewonnen  (Vir- 
gil. Eclog.  VI«  3l  ff.).     Dieses  vorausgesetzt  und  mit  Bezie- 
hung auf  die  obigen  Andeutungen,  ist  nur  Weniges  von  Nö- 
tben ,  um  zu  zeigen,  wie  Silen   mit  Wassern  und  Brunnen  , 
mit  Licht  und  Lampen  in  Verbindung  gesetzt  wird.  Zuvör- 
derst heilst  er  ja  selbst  einer  Nymphe  Sohn  (Theopomp. 
ap.  Aelian.  V.  H.  HI.  1.8.),  und  was  seine  Verbindung  mit 
Quellen  und  Bachen  noch  näher  beurkundet,   er  wird  Gemahl 
der  Najade  (Naf£©$  ano/Vas.  Pindar.  ap.  Pausas.  III.  15.  Fragmm. 
incert.  no.  75.)  genannt.     Beiläufig  bemerkt,  wenn  unser  ge* 
lebrter  Verfasser  an  den  Tropus  erinnert,  Bacchus  wird 
mit  den  Nymphen  vermählt,  so  gehört  dies  in  eine 
andere  Ideenreihe,  die  den  Silen  unmittelbar  nichts  angeht, 
wie  man  schon  aus  der  andern  Formel  sieht:  den  rasenden 
Gott  durch  einen  andern  nüchternen  mit  Gewalt 
zur  Besinnung  bringen   ( Plato  de  Legg.  Vi.  pag  773, 
p.  454-  Bekker.  und  Plutarcb.  an  seni  ger.  respubl.  p.  793.  B.). 
Hi*r  soll  der  W  ein  durch  Wasser  gebändigt  werden,  aber 
Silen  ist  deswegen  Hausherr  der  Wassernymphe  und  Nym- 
phensohn, damit  Wein   wachsen   könne.     Mit  einem 
Worte,  schon  kosmogonisch  gehört  Silenus  dem  Wasser« 
reiche  an*  und  das  Gede  hen  der  ganzen  Vegetation  ist  an 
seine  feuchte  Natur  geknüpft.    Darum  bringt  der  Mythus  di« 


Amaltlua  ron  Bättiger,  '  •  85 

* 

Silene  mit  Poseidon  in  Verbindung,  und  giebt  ibnen  den 
Schweif  des  Neptunischen  Tbieres,  des  Pferdes  (Gerhard  del 
dio  Fauno  pag.  15.).  — i  Und  wo  finden  wir  den  Silen,  wenn 
ihn  die  Leute  fangen,  damit  er  die  natürlichen  Dinge  erklä« 
ren  soll?  —  an  (Quellen,  wie  z.  B.  dort  in  Thracien  an  der 
mit  Wein  vermischten  Quelle  Inna  (Bion  et  Theopomp,  ap, 
Athen.  Ep.  II.  6.).  Das  war  lm  alten  Naturgarten,  wo  in 
tippigster  Vegetation  Hosen  blüheten,  und  die  Wassercru eilen 
Wein  mit  sich  fühlten,  d.  h.  wo  die  gehörige  Feuchtigkeit 
den  Weinstock  nährte  und  gedeihen  machte.  —  Auf  diesem 
Wege  mufste  Silenus  wohl  ganz  natürlich  zum  aquilex,  zum 
Wasserleiter  und  Brunnenmeister  werden,  Die  Künstler  ein* 
pfingen  ihn  als  solchen  schon  vom  Mythus  und  von  der  Volks- 
legende. Was  sie  nun  aus  ihm  machten,  War  ihre  Sache, 
war  Sache  der  freien  Kunst,  die  eben,  weil  sie  frei  und  weil 
sie  Kunst  ist,  mit  den  empfangenen  Gedanken  genialisch  spie* 
len  darf;  und  so  mag  auch  mancher  spätere  Künstler  da/Vexir* 
spiel  mit  dem  Weinschlauch,  der  Wasser  giebt,  hinterher 
sich  erlaubt  haben.  —  Aber  an  denBrunneu  ist  Sjlenus  n  ich  % 
vom  Schlauche,  sondern  von  der  Quelle  un4  vom  Was«» 
s  e  r  gekommen. 

Wie  aber  kommt  er  zum  Licht  und  aurlampe?  Hier 
wiU  ich  das  Entferntere  zur  Seite  lassen;  wie  z.  B.  dafs  er  des 
XJranos,  d^s  Apollo,  des  Pan  Sohn  genannt  wird,  dafs  er  mit 
dem  Oiymptiskin  Verbindung  steht,  dafs  er  mit  Faunus  ver* 
wechselt  ward  (Gerhard  a.  a.  O.  p»  9  f.) ,  mit  einem  Worte, 
dafs  er  mit  himmlischen  Mächten  und  mit  Lichtgöttern 
verwandt  ist.  Folgendes  liegt  schon  näher,  dafs  er  Phaötons 
Bastard  heifst  (Matth.  Gesner  de  Silenis  p.  14  f.),  wodurch 
er  halb  und  halb  zu  einem  Enkel  des  Sonnengottes  oder  zum 
Sohn  eines  Planetengottes  wird.  Planeten»  undSternen. 
geister  greifen  durch  die  S i 1 e n i s ch- B acc h i s c h e 
Fabel  durch.  Der  alte  LaconischeLandesheros  und  Monds* 
diener  Astrobacus  ('A^o/JaHo,-)  ist  einer  aus  dieser  Sippschaft 
_  und  wie  er  Bacchus  heifst,  so  hat  er  auch  den  Silensesel; 
und  Fabel  und  Name  gesellen  ihn  den  Sternen  zu  (Symbolik 
III.  p,  21Qf.  not.  155.).  Silen  aber,  das  ist  ein  Hauptsatz, 
tauscht  von  Bacchus  den  Namen  ein,  und  heifst  selber  Bac- 
chus (Gesner  a.  a.  O.  p.  14  f.  Man  s.  jetzt  noch  das^  Etymojo- 

ticon  Gudianmn  p.  497.  1.  37,  38.).  Er  ist  der  alte  Bacchus 
er  Urstoffe,  der  sich  im  blühend  schönen  Dionysos  verjün- 
gen wird.  So  wie  dieser  aber  sein©  eigene  Persönlichkeit  er* 
langt  und  in  seiner  Gestaltung  vollendet  ist,  tritt  jener,  der 
alt«  mifsgestalttte,  _ali  Gegensat»  ihm  gegenüber*  Jener 


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86  ,  Amahhea  von  Böttiger« 

Stern-  und  Eselsdämon  (und  die  aselli  standen  als  Sternbild 
am  Himmel)  war  nun  in  dem  dorischen  Mondsdienst  ein  wach- 
samer Hausgenius,  und  mit  dem  Hausfeuer  in  eine  natürliche 
Verbindung  gesetzt.  Es  bat  keinen  andern  Sinn  ,  wenn  in 
einem  Mythus  der  Silenusesel  die  Ehre  der  Vesta  rettet  (Syin- 
bolik  II.  p.  634«)*  —  ^CD  schicke  dies  deswegen  voraus,  weil 
sich  allein  daraus  etwas  erklärt,  was  aus  des  Verfassers  Stand- 

Sunkt  unerklärt  bleibt;  warum  die  Hauslampen  auch 
ie  Splenische  Zuthat  der  Eselsköpfe  (wie  die  An- 
tikensammlungen beweisen)  an  sich  tragen  (Symbol.  III. 
p.  211.  not.  löö.).     Aber  durch  seine  Glatze  wird  Silen  dem 
Licht-  und  Lampenschein  noch  ähnlicher,  als  durch  seine  Her- 
kunft und  durch  das  ihn  tragende  astronomische  Thier.  Er 
ist  ja  der  Ahnherr  aller  Glatzköpfe  (er  ist  der  (baA«K£cs  oder, 
Was  dasselbe  ist,  der  (pakav$oq  vorzugsweise),  und  der  kahle 
Sokrates  ward  ja  mit  ihm  nur  verglichen.     2yju/3oAa  3s*  sVt«. 
(sagt  Porphyr,  beim  Eusebius  P.  E.  III.  lü.  von  unserm  Silen) 
t$  psv  <${kav9ov  kcm  CTtXmov  nara.  tvjv  Ks(f>ceA>jv  r>j;  g^avey  lra^o^ug  $ 
Sinnbilder  der  Himmelsbewegung  sind  die  Blumenliebe  und 
das  Glänzende  seines  Hauptes.    (Besser  liest  man  wohl  To  juuV 
(paAavSoy  h.  t-  A.  »das  Kable,  Blanke  und  Glänzende  s.  H.« 
Das  Wort  gehört  zu  den  vielen  Abkömmlingen  von  tyauj,  (jpa<- 
vtu,  luceo9  wovon  dann  zunächst  (pa\ls,  (J?aA/o$  und  seihst  (pdkav 
j&of,  d.  i.  Xajxv^og »  \?jks;,  g  lä  n  z  e  n  d ,  weifs,  und  das  adjecti- 
vische  (bakvj^Mca  d.  i.  ArjKq.    Daher  auch  das  vom  Plato  ange* 
zeigte  Komische  im  Anfang  des  Gastmahls  l  (pak^sv;  in  dem 
Wortspiel  mit  Kahlkopf  zu  suchen  ist.     Daher  auch  $aA«H£og 
vom  Eustathius  in  lliad.  y.  p.  424.  erklärt  wird:  0f  Kafa  <"paA*c$, 
?ro/  Acy^os»  wer  einen  blanken  Scheitel  hat.  Daher  auch  ein 
Alter,  y^cuv,   beim  Diogenes  Laörr.  VII.  160.  durch  ^'AavScj 
bezeichnet  wird;  s.  Menage  daselhst.)     Wie  volksmälsig  und 
wie  alt  diese  Bezeichnungsart  bei  den  Griechen  war,  beweist 
unwidersprechlich  die  Spottrede  auf  den  kahlköpfigen  Ulysses, 
der  unerkannt  in  seinem  Hause  den  Lampenbesorger  macht f 
wo  Eurymachus  sagt  (Odyss.  XVIII.  354  f.),  von  dessen  Kopf 
scheine  ein  Glanz  wie  von  einer  Fackel  auszugehen,  weil  er 
gar  keine  Haare  mehr  habe  ( —  SaTScuv  <r4\a<;  */x/«ya<  alroZ  *a< 
y*(paA^;  x.  t-  A  ).     Zu  welcher  Stelle  Synesius  in  der  Lobrede 
auf  die  Kahlköpfigkeit,  den  besten  Commentar  liefert.  Die 
Kahlköpfe,  sagt  er  (p.  74.  ed.  Petav.)  ,  nenne  man  lieblich  mil- 
dernd Mondchen  (crsA>jv/a),  und  wirklich  seyen  die  Glatzen 
dem  Monde  und  des  Mondes  Phasen  nicht  blos  gleichnamig, 
sondern  auch  gleichgestaltig ,  denn  vom  Sichelförmigen  durch 
alle  Veränderungen  bis  zur  runden  Mondsscheibe  könne  man 


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■ 

Aiuilthra  von  Diitliger.  87 

r 

• 

die' verschiedenen  Viertel  auf  den  Scheiteln  der  Kahlköpfe  nach- 
weisen. Die  aber  zum  vollen  Glücke  Gelangten,  nämlich  die 
ganz  Vollmondigen,  könne  man  mit  vollem  lUchte  bereits 
Sonnen  nennen,  weil  sie  nicht  mehr  zu  verschiedenen  Phasen 
übergehen,  sondern  nun  schon  bestündig  mit  vollkommenem 
Zirkelrunde  den  Himmelskörpern  entgegenstrahlen  (aXAa  o<ar»- 
.  AoÜcnv  cAexA^co  rw  kj'kAu»  to7s  nur  gv'^uvqv  avT/Aa/xTovr«;).  Darauf 
kommt  er  auf  die  Steile  der  Odyssee  zu  sprechen,  wie  dort 
die  jungen  reichb^lockten  Freier  den  kahlen  Lampenbesoiger 
Odysseus  (kahl  hatte  ihn  durch  ihre  Verwandlung  Minerva  ge- 
macht: Odyss.  XIII.  431.)  erinnerten,  er  könne  sich  diese 
Mühe  ersparen,  weil  Sein  kahles  Haupt  hinlünglichesLicht  im 
ganzen  Hause  verbreiten  werde  (cS$ a?*x*v*9$  ^%  *s$uXZj;  vtgjAap« 
y^at  t>jv  oA>jv  oUiav).  Oie  komische  Farbe  und  Wirkung  der  Ho- 
merischen Stelle  hat  ein  anderer  Gelehrter  (im  Classica)  Journal 
XII.  p.  167.)  angedeutet. 

Ich  wende  mich  wieder  zum  Silenischen  Lampenbalter 
und  Lampen  köfper ,  und  sage  nun:  dieser  fahl  -  und  kahlköpfige 
((jpaAaxpo,-,  CpaAavSs;)  Silenus  ist  nichts  anderes  als  der  phalleni- 
sche  Dionysos ,  oder  jener  alte  'Bacchus,  von  dein  wir  bei'm 
Pausanias  (X.  19.  2.)  und  bei'm  Qenomaus  (ap.  Euseb.  P.  E.  V. 
36.  pag.  233.  ed.  Colon.)  lesen.  Die  Methymnäer  auf  Lesbos 
bekommen  ein  Orakel,  sie  sollen  den  Italienischen  Dionysus- 
köpf  verehren  (^uXk^lv  t*/W<  ätovieou  vtd^ycv)  ,  wofür  Paus** 
jiias  den  Kopf- Dionysus  (Aro'vuo-jv  K^aXk^a)  nennt.  Schon 
diese  letztere  Bezeichnung  hütte  die  Alterthumsforscher  war- 
nen sollen,  der  abgeschmackten  Vorstellung  des  Thepdoretus 
(Graecc.  Affect.  Cutatt.  X.  141.)  kein  Gehör  zu  geben,  der 
hier  an  den  Phallus  denkt  —  eine  Mifsdeutunc  ,  die  schon 
Liebe  in  der  Gotha Numaria  p.  187  scr.  sehr  gut  beseitigt  hat, 
wenn  er  gleich  darin  irret,  dafs  er  den  MinervenUopr  auf  den 
Münzen  von  Mediymna  für  jenen  Bacchuskopf  nimmt,  Letz- 
terer kommt  freilich  auf  Münzen  dieser  Stadt  vor,  aber  auf 
andern  iKckhel  D.  N  V.  II.  p.  502.)-  Phallenisch  heifst 
jener  Bacchuskopf  von  dem  falben  (fahlen)  Schein  des  Holzes, 
woraus  er  gemacht  war  (der  geistreiche  Riemer  bat  schon 
in  seinem  griechischen  Wörterbuch  diesen  Wortzusammenhang 
zwischen  Pfahl  und  fahl,  Holz  und  Schein,  richtig  nachge- 
wiesen). Die  Fischer  hatten  nSmlich  in  ihrem  Netze  aus  dem 
Meere  einen  Kopf  von  Oelbaumholz  heraufgezogen.  Er  nä- 
herte sich  etwas  dem  Göttlichen,  doch  zugleich  hatte  er  etwas 
Fremdartiges  und  an  den  Hellenischen  Göttern  nicht  Bemerk- 
hares.  Aehnlich  beifst  es  vom  Silenus:  „Er  war  unansehn- 
licher als  ein  Gott   von  Beschaffenheit,  doch  besser  als  ein 


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88  Amalthea  von  Böttiger. 

JYIansch«  (Theopomp.  ap.  Aelian.  V.  A.  III.  18.).  Dabei  be- 
merkt Oenoraaus  (a.  a.  O.):  „Die  Städte  bringen  nicht  nur 
den  hölzernen  Dionysusköpf'en  ($aXA*jvcTs-  Atovvacv  xa^« 
Vc/;),  sondern  auch  den  steinernen,  ehernen  und  gol- 
denen Opfer  und  VVeihungen  dar."  Jener  hölzerne  aber  war 
vom  Oelbaume,  wovon  die  Nahrung  für  die  Lampen  kommt, 
Ist  doch  auch  die  Göttin  deg  Oelbaums  dem  Lichte  besonders 
hold.  Sie  hatte  ja  nicht  nur  dein  Ulysses  und  Telemacbus  vor- 
geleuchtet (Odyss.  XIX.  33.  340»  sondern  auch  auf  der  Burg 
zu  Athen  das  ewige  Licht  (Pausan.  I.  26.  7,  Meursii  Ce- 
crop.  cap.  21.),  und  daher  ist  auch  das  Pallasbild  auf  Lampen 
nicht  selten  —  wie  auf  einer  thönernen  in  einer  Heidelberger 
Sammlung.  Aber  auch  Bacchus  und  Silen  sind  dem  Oelbaum 
und  seinem  Erzeu^nifs  hold  ,  und  auch  ein  eherner  S  i  1  en  n  s  - 
köpf  kann  wohl  schicklich  als  Lampenge  fä  ff  das  Oel  auf- 
nehmen. Strahlt  alsdann  die  Flamme  aus  der  vorderen  OefT- 
Hung  auf,  und  wirft  der  kahle  eherne  Scheitel  den  Schein  zu- 
rück,  dann  kann  man  an  Mehreres  denken;  an  den  Phalleni- 
schen  (hölzernen,  falben)  Bacchuskopf  von  Oelbaum,  den  das 
Meer  aus  seinem  Grunde  den  Lesbiem  zur  Verehrung  herauf- 

fesendet  —  und  barbarisch  von  Anhlick  und  Gestalt  war  und 
lieb  audi  Silentis  —  an  den  kahlen  und  schimmernden  Schei- 
tel des  alten  Silen,  der,  Bastard  des  Phaöton,  wie  er 
heifst,  mit  seiner  blanken  Glatze  den  Schein  der  Planeten  in 
bleicherem  Schimmer  wiederstrahlt;  endlich  an  den  Pflegevater 
des  schönen  Dionysus ,  der  über  Feuchtigkeit,  Licht  und 
Wärme  waltet,  und  durch  Nafs  und  Licht  das  Gedeihen  der 
Dionysischen  Schöpfung  vorbereitet. 

So  waren  also  Bacchisch-Silenische  Köpfe  vom 
Holze  des  Oelbaums  mit  den  dabei  gedachten  natürlichen  Din- 
gen mythisch  überliefert,  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich, 
dafs  man  den  Silen  (EeiAqyo;)  unter  andern  auch  von  <rs\a;  , 
Glan  z,  Sch  ein  ,  eben  deswegen  (obwohl  etymologisch  nicht 
richtig:  Gesner  a.  a.  O.  p,  11.)  ableitete  —  und  so  liegt  e* 
vor  Augen,  wie  die  Künstler  dazu  kamen,  zum  Träger 
des  JLampenöls  und  der  Lampenflamme  gerade 
das  kable  Haupt  eines  barbarisch  mifsgestalte- 
ten  alten  Silenus  zu  wählen.  Mit  dieser  Idee  und  mit 
ihrem  Bilde  war  auch  gleich  aus  Eiuer  Wurzel  die  er.nst- 
bafte  und  die  scherzhafte  Anwendung  gewachsen.  — r 
Ernsthaft  angesehen,  war  ein  solcher  Silenuskopf  das  strah- 
lende Sternenbaupt  des  alten  göttlichen  Bildners,  der  mit  sei- 
nem Licht  das  chaotische  Dunkel  der  tellurischen  Schöpfung 
trjeuchtet,  und  deren  Dünste  mit  seiner  Wärme  niederschlagt 


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Amalthea  von  Böiiiger. 


89 


—  kÖm  i  f  ch  ftellte  sich  der  glatzköpfige  Lampen -Silenus  als 

ein  wahres  osXyvtovf  als  ein  Mondchen,  wie  man  solche 
Leute  nannt«*,  dar,  und  mit  Seiner  bizarren  Q^sicht^form  war 
er  ein  lächerlicher  Mimus  der  himmlischen  Sterne.  —  Genug, 
die  einfachen  Sileniscbe  n  L  a  m  p  e  n  k  ö  p  t  e  waren  g«-wifs  die 
älteren,  weil  die  Silenusscheitel  selber  den  ersten  Ge- 
danken an  die  Hand  gegeben.  Dai's  nun  der  Witz  und  die 
Spiellust  der  Künstler  nicht  dabei  stehen  Midien,  sundern 
durch  Zuthaten  von  Löwenhäuten  und  Trinkgefäisen  an  die 
mythische  Geschichte  des  Halbgottes  und  an  seine  Zechlust  er- 
innerten, war  ganz  wieder  im  Geiste  der  regsamen  und  erfin- 
derischen  Einbildungskraft  der  Hellenen  gegiüudet.  In  Betreff 
des  der  Eingiefsungsöffnung  genäherten  Mundes  widerstrebe 
ich  der  witzigen  Deutung  vom  Oeltrinken  nicht ,  erinnere  je- 
doch an  die  zwergartige  Cabirengestalt  auf  dem  berühmten 
Dresdner  Candelaberfufs  (Augusteum  Tab.  V  —  VII.)  ,  die 
auch  den  Wechsrind  bärtigen  Mund  über  dem  Gefäfse  hält; 
und  ich  stelle  es  dem  Verfasser  an  heim  ,  ob  dabei  nicht  an  ein 
kräftiges  Hauchen  zu  denken  ist.  Silen  war  wenigstens  das 
Sinnbild  der  vom  Hauch  und  Odem  ausgehenden  Bewegung 
(etpßoXov  irvs-jiMaTi*y{q  k/v^csou;  i  Porphyr,  ap.  Euseb.  P.  E.  III. 
110,  wobei  schon  Casaubonus  de  satyr.  poesi  p.  62.  ed.  Ramb. 
das  spiritus  intus  alit  des  Dichters  in  Erinnerung  brachte). 
.  —  Wie  man  aber  auch  über  die  hier  angedeuteten  allgemeine- 
ren VorsteJJungt- n  von  jenem  seltsamen  Wesen,  Silenus  ge- 
nannt ,  denken  mag  —  das  bleibt  ferner  nun  wohl  zweifels- 
frei ,  dafs  es  bei  den  Silenischen  La  m  p  e  n  vor  allen  Din- 
gen auf  den  Silenskopf,  und  was  die  dritte  Art  derselben 
betrifft,  auf  das  ihm  dienstbare  Thier  ankomme. 

Doch  ßeni,g»  und  vielleicht  zu  viel  über  diese  Silenus- 
Jampen.  Ich  iriufs  mich  nun  bei  dem  Uebrigen  ,  das  dieser 
reicbe  Band^nocb  darbietet,  um  so  kürzer  fassen.  Es  folgt 
Museographie,  und  zwar  I.  Ueber  die  Königlich 
Preussi sehen  Denkmäler  alter  Kunst.  Erster 
Nachtrag  von  Dr.  Levezow  in  Berlin,  worin  besonders 
von  dtn  Erwerbungen  aus  den  schätzbaren  Sammlungen  des 
Königl.  Preussischen  Herrn  Generals  von  Minutoli  lehr- 
reiche Notizen  gegeben  werden.  II.  Nachrichten  über 
einige  Antikensammlungen  in  England.  Aus  den 
Tagebüchern  des  Prof.  K.  Ottfr.  Müller  in  Göt- 
tin g  e  n.  Sodann  T\aj$  pvoKrtvos das  Käuzchen,  der 
Mäusetödter.  Eine  Zugabe.  Nebst  einem  üinrifs 
No.  VII.  von  Böttiger.  Man  roufs  es  einigen  geistreichen 
Freunden  de«  Verfassers  Dank  wissen i  dafs  «i*  ihn,  so  wie 


90  Amahhes  Ton  Böttigef. 

früher  Raphael  Mengs  seinen  Freund  Winckelmann,  in  eine 
archäologische  Versuchung  geführt.     Herr  Hotrath  Böttiger 
hat  sich  hinterher  meisterhaft  herausgezogen ,     und  rächet 
sich,    wie  reiche  und  grofsmüthige  Männer  pflegen,  durch 
eine  nrcht  kärgliche  Spende  aus  dem  Schatze  seiner  grofsen 
antiquarischen  Kenntnisse«     Ehen  deswegen  leidet  aber  auch 
diese  Abhandlung,   wie  die  meisten  des  Verfassers,  keinen 
Auszug  —   und  wir  wollen  auch  keine  Eulen  nach  Athen  tra- 
gen. —    Aber  diesen  Belehrungen  nach  darf  man  nun  nicht 
mehr,  wenn  von  Athenischen  Bildwerken,  Münzen,  Vasen 
u.  s.  w.  die  Hede  ist,   von  einer  Pallas -Eule,  sondern  von 
dem  auf  der  dortigen  Burg  einheimischen  Käuzrhen  sprechen. 
—    Dabei  nun  noch  viele  andere  Aufklärungen  der  antiken 
Zoologie,  Landwirtbschaft,  Technologie,  Sculptur  und  übri- 
gen bildenden  Künste.     Bei  Gelegenheit  der  Diota  auf  den 
Athenischen  Münzen  werden  auch  gelehrte  Erläuterungen  über 
den  Attischen  Oelbau,   über  die  verschiedenen  Gefälse  und 
über  die  Salbenbereitung  der  Athener  gegeben*  (worüber, 
ausser  den  Genannten,   auch  Spanheim  zum  Callimachus  H.  in 
Pallad.  vs.  26.  und  Corsini  in  den  Fasti  Attici  I.  pag.  29  scr. 
nachgelesen  werden  müssen.  —  Eine  Athenische  xJkvSc;,  wor- 
auf eine  Salbungsscene,  '  bisher  im  Besitz  des  kunstverständi- 
gen Herrn  Negocianten  J.  Dav.  Weber  in  Venedig,  welcher 
sie  kürzlich  von  Athen  erhalten  hatte,    befindet  sich  jetzt  in 
einer  Heidelberger  Sammlung,  und  es  wird  gelegentlich  nähere 
N  otiz  davon  gegeben  werden.)    Den  Gedanken  an  den  Frosch- 
inäuslerkrieg  bei  der  bekannten  Homers  -  Apotheose  lafst  Re- 
ferent gern  fallen,  kann  aber  nicht,  so  lange  man  noch  in  den 
neuesten  Abbildungen,  wie  bei  Hirt,   unter  dem  Fufsschemel 
keine  Schriftrolle,   sondern  dafür  einen  Frosch  neben  der 
Maus  zu  sehen  bekommt. 
\    Die  neunte  Nummer  enthält  :  Beiträge  zu  einer  kri- 
tischen Geschichte  der   Griechischen  Künstler, 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  in  der  kö- 
niglichen Bibliothek  in  Paris  befindlichen  Hand- 
schrift   der    Naturgeschichte   des    PJinius;  aus 
einem  Briefe  an  den  Herausgeber  der  Amalthea  von  Herrn 
Julius  Sillig  (jetzt  Professor  an  der  Kreuzschule  in  Dres- 
den).   Der  Verfasser  ist  derselbe,  der  schon  im  vorhergehen- 
den Bande  einen  Beitrag  geliefert,  und  sich  auch  bereits  durch 
eine  werthvolle  Ausgabe  des  Catullus  (s.  Heidelb h.  Jahrbb. 
1825.  No.  74.)  einen  Platz  unter  den  Philologen  erworben. 
Die  hier  gelieferten  Beiträge  (wodurch  auch,  gelegentlich 
bemerkt,  einige  Stellen  der  trefflichen  Epochen  derGrie- 


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Amahhea  von  Böttiger*  91 

i 

chiacben  Kumt  von  Thiersph,  dritte  Abtheilung,  be- 
richtigt werden  können)  berechtigen  zu  grofser  Erwartung; 
und  wir  können  dabei  unsern  Lesern  die  angenehme  Nachricht 
ertbeijen  ,   dals  wir  nicht  nur  die  eigentlichen  Kunstbücher 
des  Tlinius  in  einer  neuen  kritischen  Ausgabe  von  dem  Ver- 
fasser zu  erwarten  haben,  sondern  auch,  was  schon  lange  ein 
nicht  weniger  dringendes  Bedüifnifs  war,  eine  gänzlich  um- 
eatbeitete  Edition  des  Künstlerverzeichnisses  von 
unius.     Auch  beschält  igt  sich  derselbe  mit  der,   zum  Be- 
huf einer  neuen  Ausgabe  veranstalteten,,  Sammlung  der  klei- 
nen Schriften  seines  Lehrers  und    Freundes  Böttiger.  — 
Die  unter  Nummer  X.  angehängte :  Archäologische  Cor- 
respondenz  mufs  nicht  für  einen  gewöhnlichen  Briefwech- 
sel über  archäologische  Neuigkeiten  genommen  werden.  Sie 
enthält  eine  grolse  Fülle  von  Mittheilungen  über  manchen 
neuen  Fund,  aber  auch  gehaltreiche  Erörterungen  uud  selbst 
kleine  Abhandlungen  —    Alles  wieder  mit  gelehrten  Noten 
und  Zusätzen  des  Herausgebers  ausgestattet.     Ich  mufs  mich 
daher  auf  die  Auszeichnung  von  Einigem  beschränken  :  Der 
Fund  in  den  Trümmern  von  Selinunt  (mit  den  Nach- 
richten  eines  vom  König).  Bdierischen    Oberbaurath  Herrn 
von  Klenze  zu  erwartenden  wichtigen  Sicilischen  Reise- 
werks);   —    Auszug  aus  einem  Brief  aus  Sicilien 
(wo  die  Selinuntischen  Sculptui  werke  den  Herausgeber 
zu   einem  Zusatz  über  die  Kerkopen  veranlassen,  worin 
auch  derjenige,  der  gerade  nicht  alle  mythologischen  Ansich- 
ten desselben  gut  heifsen  möchte,    ihm  für  mannichfache  Be- 
lehrung Dank  wissen  wird)  •   —   Nachrichten  aus  Nea- 
pel über  die  Ausgrabungen  'in  Pompeji   und  das 
Museo  Borbonico,    mit   einem   (gelehrten)    Ex  eure 
des  Herausgebers  über  die  Mauerschriften  bei  den 
Griechen    und    Römern;    —     Ueber    des  Haupt- 
manns Goro  von  Agyafalva  neuestes  Werk:  Wan- 
derungen  durch    Pompeji,   und    einige  frühere 
Werke  dieser. Art;   —  Nachrichte  u  aus  Horn;  — 
Briefe    des  Professors   Eduard    Gerbard   an  den 
Herausgeber  (hiebei  eine  Nachschrift  des  letzte- 
ren über  die  von  den  Herren  IMatner,  Bunsen  und  Ger- 
hard   unternommene  Beschreibung  der  $tadt  Korn; 
—   Ueberdes  Baron   Otto  von  Stackelberg  neue- 
ste Unternehmungen  (nebst  einer  dem  Referenten  be- 
sonders willkommenen  Nachricht  von  den  antiquarischen  For- 
schungen des  Königl.  Hannoverschen  Herrn  Legationsraths 
Kenner  in  Rom);  —  Au«  Frankreich;  —  Au«  Eng- 


i 


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92  Amahhea  von  Buttiger. 

land  (mit  kritischen  Notizen  des  gelehrten  Herrn  Professors 
Nöhden  über  bedeutende  antiquarische  Werke  der  Englän- 
der ,  und  mit  einem  willkommenen  Zusatz  des  Heraus- 
gebers: Ueber  Richard  PayneKnigbt);  —  Aus 
Holland  (von  Herrn  Professor  R  e  u  v  e  11  s  in  Leyden  ,  nebst 
einem  Zusatz  des  Herausgebers:  Ueber  die  zwei 
archäologischen  Museen  in  Haag  und  Leyden.  — 
Hiebei  eine  Bemerkung  des  Herausgebers:  — ^  „dafs  wenig- 
stens -auf  keiner  wohlorganisirten  Universität  ein  jährlich 
wiederkehrender  Cursus  der  Archäologie  länger  veimilst 
werden  sollte").  Dazu  aber  ist  die  Zurichtung  und 
Ausstattung  eines  eigenen  Antiquariums,  d.  h. 
eines  mit  versinnlich  enden  Lehrmitteln  ver.se- 
henen  eigenthüm liehen  Hörsaals  eben  so  u  n  e  r  - 
läfslich,  als  ein  physischer,  chemischer  und  ana> 
tomischer  Hörsaal  mit  den  erforderlichen  Ap- 
paraten und  Sammlungen,  Diese  Wünsche  sind  an 
manchen  Universitäten  bereits  aufs  schönste  in  Erfüllung  ge- 
gangen, während  sie  an  andern  fromme  Wünsche  bleiben 
werden.  —  Aus  Kopenhagen:  Auszug  aus  einem 
Briefe  des  Herrn  Gierlev,  über  die  Lage  des  al- 
ten Carthago,  mit  einein  Zusatz  des  Herausge- 
bers. Zu  den  Briefen  aus  Wien  (mit  literarischen  Zu- 
sätzen y  namentlich  auch  des  Herausgebers,  unter  andern 
über  die  Alexandrinische  Rhetorstatue,  mit  einem 
Kupferstich  Tab.  VIII.).  —  Den  Besch! uft  macht  ein 
(wichtiger)  Nachtrag  zur  Museographie:  Das  Anti- 
ken-Museum in  Turin  im  Juli  J 823.  von  Dr.  Schorn  in 
Stuttgart.  —  Ein  dreifaches  Register  über  alle  drei 
Bände  der  Amalthea  von  Herrn  Dr.  Sillig  in  Dres- 
den erhöhet  den  Werth  und  Nutzen  dieser  Sammlung,  die 
jeder  Ph:lolog  und  Archäolog  besitzen  sollte,  und  der  wir  den 
besten  Fortgang  wünschen,  » ; 

Q  r  0  u  7t  e  ri 

■ 

Von  demselben  Herrn  Dr.  und  Professor  Eduard  Ger* 
hard,  dessen  in  voranstehender  Anzeige  einigemal  gedacht 
wurde,  und  der  schon  vor  mehreren  Jahren  durch  eine  kiiti- 
sche  Schrift  QLectiones  ApollönianaB  scripsit  Eduardus  Gerhardus, 
Lipsiae  l8l6.)  und  durch  seine  Ausgabe  des  Maximus  -rs^f 
xarafxdJv,  Lipsiae  1820*  sich  als  einen  tüchtigen  und  scharfsin- 
nigen Philologen  bewährt  hat  ,J   ist  dem  Referenten  gan* 


4 


Gerhard,  del  Dio  Fauuo.  93 

* 

kürzlich  aus  Neapel  eine  neue  gehaltreiche  Abhandlung  zuge- 
kommen, die  von  allen  Mythologen  und  Archäologen  gelesen 
zu  werden  verdient,  und  worüber  eben  deswegen,  auch  ab- 
gesehen von  dem  engen  Räume  dieser  Blatter ,  hier  nur  ein 
ganz  kurzer  Bericht  beigefügt  wird  : 

Del  Di  o  Faun  o  E  De*  Suoi  Sequaci.  Osservazioni  indirizzate  all* 
ornatissimo  Signore  D.  Gaspare  Selvaggi ,  membro  della  Real 
Societa  Borhonica,  dt  Odoardo  Gerhard.  Napoli9  dalla 
Stamperia  Reale.  1825.  8.  54  S,  mit  dem  Register. 

Schon  die  sehr  reichhaltige  archäologische  Abhandlung  des 
gelehrten  Verfassers  über  Venm-Proserpina  im  Kunst- 
blatt machte  den  Referenten  auf  diese  neue  Schrift  desselben 
aufmerksam,  und  er  fand  sich  in  seinen  Erwartungen  nicht  ge- 
täuscht. Zwar  ist  es  nur  eine  Gelegenheitsschrift,  bei  der 
Aufnahme  des  Verfassern  in  die  Herculanische  Akade- 
onie  geschrieben,  auch  mufste  für  die  Italienischen  Gelehr- 
ten, denen  die  neueren  deutschen  Forschungen  seit  Matth. 
Gesner  unbekannt  sind,  mit  einer  gewissen  Ausführlichkeit 
über  manche  uns  nun  schon  geläufige  Vorstellungen  geredet 
werden.  Dennoch  wird  der  aufmerksame  Leser  durch  manche 
neue  Aufklärung  über  einzelne  mythologisch  -  archäologische 
Punl^te  überrascht  werden.  Die  Hauptsache  aber  ist ,  dafs  der 
Verfasser,  nun  schon  seit  Jahren  im  Vaterlande  der  Künste  ge- 
wissermafsen  eingebürgert,  mit  deutscher  Gründlichkeit  diese 
günstige  Lage  benutzt,  und  wenn  er  auf  der  eineVi  Seite  ein  v 
achtbarer  Repräsentant  unserer  Philologie  bei  den  Italienern 
ist,  andererseits  jede  mythologische  Idee  ,  jede  Frucht  philo- 
logischer Forschung  mit  den  dort  im  Ueberflufs  vorhandenen 
Kunstwerken  des  Alterthums  in  Vergleichung  bringt,  und  so 
Eins  durch  das  Andere  erläutert.  Diese  Methode  verleibet 
auch  der  vorliegenden  Abhandlung  für  deutsche  Alterthums- 
forscher einen  eigentümlichen  Werth.  —  Die  Hauptsätze 
lassen  sich  mit  wenig  Worten  anzeigen.  Zuvörderst,  dafs 
Faunus  nichts  anderes  als  der  Pan  der  Griechen  ist;  sodann, 
dafs  die  Pane  oder  Faune  sich  nur  durch  die  ihnen  eigenthüm* 
liehen  Hörnchen  von  denSatlrn  unterscheiden  ,  denen  sie  gänz- 
lich fehlen.  Diese  Sätze  sind  aber  durch  eine  Menge  einzelner 
Bemerkungen  und  feiner  Beobachtungen,  mit  philologisch  - 
archäologischen  Ausführungen  besonders  auch  in  den  inhalts- 
vollen Noten,  vorbereitet  und  bekräftigt;  wobei  denn  auch 
manche  bisher  noch  nicht  gehörig  berücksichtigten  Unterschei- 
dungen gemacht  werden.     Man  bemerke  z,  B.  nur  über  die 


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94       /        Vömel  Gcdächtnlfsluch  der  lat.  Grammatikt 

* 

SUene  folgende  Rubriken  p.  17  sqq.  II  canuto  Sileno  (2siXjjvo;to- 
hoC) ;  //  Sileno  barbato  (ytvsttZv)  J  L'  imberbe  Satiro  (dytveto;)  ;  Ii 
Babbo-Sileno  (Xt/Xijvc;  irarxo;  ossia  UairxcaaiX^ci;).  Referent  glaubt 
den  Verfasser  gerade  bei  diesen  Auseinandersetzungen  um  so 
mehr  würdigen  zu  können,  da  er  selbst  auf  diesem  weitläuf- 
igen Gebiete  der  Dionysischen  Religionen  einigemal  gearbeitet 
hat.  Den  Bcschlufs  machen  schätzbare  Register:  Jnäice  I.  degli 
Aulori  emendati  ed  illuslrati ;  Indice  II.  de*  monumenti  illustrati.  Ich 
wünsche  dem  Verfasser  Gesundheit  und  Mufse,  um  seine 
wichtigen  Arbeiten  mit  Lust  und  Liebe  fortsetzen,  und  zu- 
nächst seine  angekün digteu  Monumenti  inediti  liefern  zu  können. 

C  r  e  u  z  e  /■• 


Gedä chtni fsbuch  der  lateinischen  Grammatik  von  Karl 
Vömel.  Frankfurt  am  Mainy  Verla*  der  Hermannschen  Buch~ 
lung.  1825.     VIII  und  208  S.  kl.  8.  1  fl. 

Der  Vf.,  ein  jüngerer  Bruder  des  verdienten  Rectors  am 
Frankfurter  Gymnasium;  Theodor  Vömel,   bietet  hier  Schul- 
männern ein  Hülfsmittel  dar,  für  welches  er  ihren  Dank  er- 
wartet, der  ihm  auch  gewils  von  Vielen  werden  wird.  Manche 
werden  zwar  etwas  Anderes  erwarten  ,  und  erschrecken  ,  wenn 
wir  ihnen  sagen,  dafs  die  Regeln  und  Ausnahmen  über  das 
Genus  der  Substantive  über  ein  Drittheil  des  Buches,  nämlich 
74  Seiten,  füllen,    dagegen  die  ganze  Syntax  auf  10  Seiten  ■ 
abgemacht  ist:   sie  werden  den  Kopf  schütteln,  wenn  sie  se- 
hen, dafs  ein  Viertheil  des  Buches  sodaiin  die  Ausnahmen  der 
Casusendungen  einnehmen  ,   und  endlich  zwei  Fünftheile  des 
Ganzen  mit  Verzeichnissen  vonVerbis  ausgefüllt  sind.  Setzen 
wir  nun  noch  hinzu,  dafs  in  den  beiden  grölsten  Abteilungen 
des  Buches  eine  Menge  Wörter  stehen,   die  nicht  nur  dem 
Schüler  fast  nie,  sondern  überhaupt  fast  niemals  vorkommen; 
so  wird  das  Verdammtingsurtheil  fertig  seyn ,   und  man  wird 
•ich  die  Mühe  genauerer  Betrachtung  ersparen  zu  können  glau- 
ben.    Und  dennoch  sind  wir  in  vollem  Ernste  gesonnen,  das 
Buch  aus  UeberzeugiiMg  zu  loben  und  zu  empfehlen.  Unge- 
achtet man  längst  von  den  beiden  Extremen  zurückgekommen 
ist,' dem  Gedächtnisse  zu  viel,    und  dann   wieder  fast  gar 
nichts  zuzutnMthen ,  so  ist  doch  in  der  lateinischen  Grammatik 
immer  noch  zu  Vieles,   was  reine  Getlächtnifssache  ist ,  dem 
zufälligen  Behalten  überlassen,   und  Manches,  was  zur  gram- 
matischen Genauigkeit  unentbehrlich  ist,  findet  sich  bloa  in 


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■  * 

.    Vom»?  Gedächtnifsbuch  der  iat.  Grammatik.  95 

Wörtcrbflcliern  vereinzelt  und  un verbunden ,  so  dafs  es  nicht 
unter  einen  Ueberblick  gebracht  ist,   oder  es  findet  sich  in 
Büchern,  die  weitläufig,  oder  theuer,  oder  aus  andern  Grün- 
den den  Schülern,   oh  auch  den  Lehrern,    nicht  zugänglich 
sind.     Da  hat  denn  Hr.  V.  die  Werke  von  K.  L.  Schneider, 
Struve,  Ruddimann  (Rudi  man  schreibt  er)   und  Andern 
benützt,  und,  anstatt  wie  Andere,  die  dem  Gedächtnisse  zu 
Hülfe  kommen  wollten,  nur  das  Gewöhnliche  und  Gebräuch- 
lichste aufzunehmen,    vielmehr  Vollständigkeit  zu  erreichen 
gesucht,  und  die  ungewöhnlicheren  und  selten  vorkommenden 
Wörter  am  wehigsten  weglassen  zu  dürfen  geglaubt.  Das 
Gedächtnils  wird  übrigens,  und  wenn  es  auch  noch  so  gut 
ist,  sich  gegen  das  Lernen  und  Behalten  so  vieler  im  wirk, 
liehen  Gebrauche  so  selten  vorkommender  Einzelnheiten,  he- 
sonders  in  den  Regeln  vom  Genus,   stark  genug  sträuben j 
was  Hr.  V.  selbst  gefühlt  hat,  und  weswegen  er  die  Anmer- 
kungen blos  für  die  oberen  Klassen ,  jedoch  weniger  zumstren- 
gen  Auswendiglernen  bestimmt  hat.      Dies  hindert  jedoch 
nicht,   dafs  das  Buch  zu  seinem  Zwecke  wirklich  gebraucht 
Werde  und  tauglich  sey,  und  wir  würden  es  neben  jeder  Gram- 
matik,   da  keine  Schulgrammatik  das  hier  Gegebene  so  voll- 
ständig giebt,  zum  fleifsigen  Gebrauche  empfehlen,  sollte 
auch  Maiicher  dieses  Gedächtnifsbuch  nicht  in  sein  Gedächt- 
nifs  aufnehmen,  sondern  nur  statt  des  Gedächtnisses  brauchen 
wollen.    So  viel  Ref.  aus  dem  blofsen  Durchlesen  des  Buches, 
ohne  dessen  Anwendung  in  Schulen  selbst  gemacht  oder  ge- 
sehen zu  haben,  urtbeiferi  kann,  so  ist  die  Anordnung  wie 
die  Ausführung  im  Ganzen  zweckmäfsig  zu  nennen.    Nur  die 
Syntax  würden  wir  entweder  ganz  weggelassen,   oder  mehr, 
als  hier  geschehen  ist,  berücksichtigt  wünschen.  Besonders 
verdienstlich  scheint  uns  aber  der  vierte  Abschnitt,  Verba. 
Dieser  enthält  1.  Impersonalia.    2«  Intransitiva  in  Ansehung 
ihres  Perfects  und  Supinums.     3.  Verba  ohne  Perfect  und  Su- 
pinum.    4.  Verba  mit  der  Reduplicatiön  im  Perfect.     5.  Ver- 
ba nach  der  1  Conjungation ,   welche  ihr  Perfect  auf  «£  oder  i 
und  das  Supinum  auf  itum  oder  tum  endigen.     6.  Verba  der  2 
Conjugation.     7.  8.  Verba  der  3  Conjugation      9.  Verba  der 
4  Conjugation.     10.  Gleichlautende  Verba.     Darauf  folgt  ein 
alphabetisches  Verzeichnifs  1.  der  Deponentia  und  Communia, 
und  2.  aller  in  der  Bildung  des  Perfects  und  Supinums  abwei- 
chenden Verben.     Druck  und  Papier  sind  sehr  gut  :    um  so 
fataler  ist  es  ,  dafs  wegen  Mangel  der  Quantitätszeichen  in  der  . 
Druckerei  die  Längen  durch  den  französischen  accent  grave, 
die  Kürzen  durch  den  accent  aigu  f    und  die  mittelzeitigen 


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96  Vomel  Gedächtnifsbucb  der  lat.  Grammatik. 

Sylben  durch  den  accent  circonflexe  (A)  haben  bezeichnet  wer- 
den müssen.  Besser  noch  wäre  der  letztere  umgedreht  dazu 
zu  gebrauchen,  wie  z.  B.  Noei  in  seinem  Gradus  ad  Parnas- 
su  im  (Paris.  18 10.  8)  gethan  hat,  der  die  Kürzen  durch  u,  die 
Syll.  ancipites  durch  v  bezeichnet.  Um  nun  dem  Hnl.  Verf. 
noch  einige  Verbesserungen  für  die  künftige  Auflage  zu  em- 
pfehlen ,  fügen  wir  unserer  Anzeige  noch  Folgendes  bei. 
Erstlich  ist  der  deutsche  Ausdruck  de'r  Vorrede  nicht  sehr  gut, 
zuweilen  geradezu  fehlerhaft  :  z.  B.  S.  III.  „das  GedHcbtnils 
erschweren"  für  beschweren  (man  erschwert  das 
Behalten).  Ebend.  der  Gallicismus  :  „Alles  sollt« —  durch 
den  Verstand  geschehen,  ohne  einzusehen".  Ebenso 
S.  IV.  »Aber  es  fehlt  diesem  Wenigen  —  die  nöthige  Vollstän- 
digkeit —  geleitet  von  dem  Grundsatze,  dafs  nur  das  Ge- 
wöhnliche —  aufgenommen  werden  dürfe«.  Worauf  bezieht 
sich  nun  geleitet?  auf  diesem  Wenigen?  auf  Voll- 
ständigkeit? Keinesweges!  Es  soll  heifsen:  da  man  sich 
von  dem  Grundsatze  leiten  liefs  u.s.w.  Unter  den 
Beispielen  sind  uns  unter  andern  folgende  aufgefallen:  S.  ß. 
in/ans  d  ej unc  t  a ,  ein  begrabenes  Mädchen.  S.  Z6.  barbitus 
def  unctus  ,  die  aufgehörte  Leier.  S.  6.  debitus  verhäng, 
nilsvoll.  S.  64»  stirps  rapta9  der  beraubte  Stamm.  S.  34. 
arctos  sicca,  der  trockene  Bär.  S.  112.  soll  sich  inimicissimus 
durch  Feindchen  geben  lassen.  Auch  Druckfehler  Knden 
sich,  z.  B.  S.  9.  Cammerad.  S.  34.  Perpenticularlinie.  S.  43. 
beweifst  (f.  beweist).  S.  76-  libertatus  (f.  bus),  Freigelas- 
sener. S.  125.  d§ribeo.  Endlich  würden  wir  mehr  lateini- 
sehe  versus  inemoi  iales  ,  auch  solche,  dergleichen  in  de* 
Zumpt'schen  Grammatik  stehen,  und  die  dein  Gedächtnisse 
sehr  helfen,  in  ein  Gedächtnifsbuch  der  lateinischen  Gramma- 
tik aufgenommen  haben.  . 
» 


•         •  < 

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1 


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f 

N.  7*  1826, 

Heid  elber ger 

Jahrbücher  der  Literatur» 


Atr-Miche  Bemerkungen ,  veranlajst  durch  eine  Reis*  in  Deutschland 
und  Frankreich  im  Frühjahre  und  Sommer  1824.  Von  Dr.  Joh, 
Heinr.  Kopp  $  churfdrstl.  hessischem  Oberhofrathe  ,  Medicinafc* 
Referenten  u.  s.  w.  zu  Hanau.  Frankfurt  am  Main,  Verla* 
der  Hermannischen  Buchhandlung,  1325,  VI  Dedikat-  und  Vor» 
rede  und  256  S.  in  kl.  8t  2  fl.  24  M 

Vorliegende,  den  Herren  Geb.  Käthen  von  Leonhard 
ünd  Lehr  zu  Heidelberg  und  Wiesbaden,  und  dem  Heini 
Dr.  R  all  mann  zu  Wiesbaden  dedicii  te  Schrift  ist  die  Fruchfc 
einer  Reise,  welche  der  berühmte  Verfasser,  wie  schon  der 
Titel  besagt,  im  Frühjahre  und  Sommer  1824  in  der  Absicht 
unternahm,  seine,  durch  eine  langwierige  und  schmerzharte 
Unterleinskrankheit  zerrüttete,  durch  den  Gebrauch  der  Wies- 
badener Heilquellen  aber  glücklich  wieder  hergestellte  Ge- 
sundheit noch  weiterhin  zu  befestigen.  Die  Reise  geht  durch 
da«  Rheingau  und  die  Rheinpfalz  ,  duich  einen  Theil  des 
Grofsherzogthums  Badert  über  Strasburg  pach  Paris,  dem 
eigentlichen  Ziele  der  Reise.  Denn  „  vie^ragjsprtchen  1  für 
Wissenschaft  und  für  die  verschiedenen  Zweig»  der  Heilkunst 
schien  es  nun  (sagt  der  Verf.  S.  4-),*  hei  hergestellten  Kräf- 
ten und  erwachsender  Thiitigkeit,  Paris  zu  sehen,  mit  seinen 
Rieserianstalten  und  dem  Vereine  grofser  Gelehrten  in  einer 
Stadt.  Erfreulich  war  dabei  der  Gedanke;  so  manchen  Arzt; 
mit  dem  ich  lange  in  Briefwechsel  stand,  persönlich  kennet! 
zu  lernen.  Ich  säumte  nicht,  den  lJJan  aufzuführen,  und 
wünschte  mir  späterhin  Glück  ,  dafs  ich  es  that."  Ref.  häU 
sich  überzeugt,  dafs  diese  Reise  nicht  hur  zunächst  für  der! 
Zweck  des  Vf.  von  erspriefslichen  Folgen  gewesen  sey ,  son- 
dern dafs  das  gesammte  ärztliche  Publikum  das  Ergebnifs  der- 
selben mit  Vergnügen  aufnehmen  werde.  Denn  ungeachtei 
wir  durch  die  schriftlichen,  gleichfalls  aus  eigener  Anschauung 
hervorgegangenen  Nachrichten  j  welche  uns  früh  er  hin  VValr- 
denburg  und  J.  Frank  ,  später  aber  und  ,  wie  bekannt;,  in 
Unseren  Tagen,  Schweigger,  Andre'e;  Weisse.,  Casper .  Am- 
nion und  Heyfelder  über  die  zahlreichen,  gröfsereh  unakler« 

XIX.  Jahrg.    2.  Hoff;  ? 


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98  Kopp  ärztliche  Bemerkungen. 

neren  Kranken-,  Heil-  und  Verpflegungsanstalten  der  Haupt- 
stadt Frankreichs  geliefert  haben  ,  zu  einer  so  vollständigen 
Kenntnifs  über  dkse  wichtigen  Gegenstände  gelangt  sind, 
dafs  es  uns  beinahe  ist,   als  hatten  wir  von  Allem  selbst  Ein- 
sicht genommen,  so  bietet  doch  das  merlicinische  lieben  und 
Treiben  in  jener  grofsen ,  in  so  mancher  Hinsicht  ausgezeich- 
neten Stadt  so  viel  Mann  ichfaltiges  und  Merkwürdiges ,  und 
man  kann  wohl  sagen,  nicht  nur  mit  jedem  Jahre,  sondern 
mit  jedem  Monate  sich  Veränderndes  dar,  dafs  es  einem  neuen 
Beobachter  an  weiterem  Stoff  zu  wissenswerthen  Mittheilun- 
gen keineswegs  fehlen  kann;   und  gerne  vernimmt  daher  der- 
jenige, welchem  der  Zustand  seiner  Kunst,  wie  sich  solche 
auch  in  fremden  Ländern  darstellt,  nicht  gleichgültig  ist,  we- 
'  nigstens  den  Hauptzügen  nach,   von  Zeit  zu  Zeit  Kunde  von 
einer  solchen  gegenwärtigen  Gestaltung  derselben.     Was  da- 
her auch  bereits  in  den  oben  genannten,  zum  Theil  sehr  aus- 
führlichen und  gehaltreichen  Schriften  über  die  naturwissen- 
schaftlichen  und  medicinischen  Anstalten  Frankreichs,  und 
insbesondere  seiner  Hauptstadt ,  zu  unserer  Kenntnifs  gelangt 
ist,  immer  bleiben  uns  neue  Beiträge  hierzu  nicht  unwill- 
kommen; und  kommt  insbesondere  dazu,  dafs  sich  der  Beob- 
achter als  ein  Mann  von  vielseitiger  Bildung,  geschärfter  Ur- 
theilskraft  und  gereifter  Erfahrung  darstellt,   wie  solches  bei 
unserem  Verf.  in  vorzüglichem  Maafse  der  Fall  ist,  so  kann 
es  nicht  fehlen,    dafs    wir  ihm  Mittheilungen  verdanken, 
welche  uns  eben  so  wohl  zur  unterhaltenden  und  angeneh- 
men ,   als  zur  belehrenden   und  nützlichen   Leetüre  dienen 
werden. 

Eine  umfassende  und  detaillirte  Beschreibung  sämmt- 
lieber,  zur  Naturwissenschaft  und  Heilkunde  gehöriger  An- 
stalten, wie  sie  namentlich  Paris  aufzuweisen  hat,  lag  übri- 

§ens  nicht  im  Plane  des  Verfassers.  Er  „wollte  (S.  V  — —  VI 
er  Vorrede)  nur  auf  das  hinweisen,  was  ihn  damals  beson- 
ders anzog,  es  so  darstellen,  wie  es  ihm  vorkam,  und  Re- 
flexionen damit  verbinden  ,  zu  welchen  ihn  das  Gesehene 
führte.«  Wir  glauben,  dafs  dem  Verf.,  als  einem  unserer 
Veteranen  in  der  Arzneikunde,  vorzugsweise  ein  Urtheil  in 
diesem  Fache  zustehe,  und  dafs  seine  Bemerkungen  über  die 
verschiedenen,  ihm  in  Paris  zur  Anschauung  und  Untersuchung 
gekommenen  medicinischen  Gegenstände  von  besonderem  Ge- 
wichte seyn  werden.  Auch  hat  der  Vf.  an  verschiedenen  Stel- 
len der  Schrift  den  Beobachtungen  und  Urtheilen  französischer 
Aerzte  über  die  betreffenden  medicinischen  Gegenstände  seine 
eigenen  Ansichten  und  Erfahrungen  über  dieselben  eingeschaltet 


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< 


Kopp  3riilichü  Bemerkungen,  9^ 

Das  Werk  zerfällt  in  acht  Abschnitte.  Ref.  wird  trach- 
ten, dasjenige  aus  denselben  in  möglichster  Kürze  für  unsere 
Leser  auszuheben,  was  ihm  der  iVIittheilung  vorzugsweise 
Werth  scheint,  und  hie  und  da  seine  Bemerkungen  anfügen. 

I.  Veranlassung  zur  Heise.  —  Mineralquellen.  —  Me» 
dicinalanstalten  in  Bonn,  Mainz  und  Strasburg.  S.  1  —  13. 
Der  Veranlassung  zur  Heise  des  Verf.  haben  wir  bereits  er- 
wähnt. Hauptsächlich  war  es  der  innerliche  Gebrauch  der 
Wiesbadener  Heilquellen,  welchen  derselbe  sein«  Genesung 
verdankte,  und  eben  diesem  Gebrauche  schreibt  er  es  auch  zuy 
warum  diese  Thermen  ,  welctie  aufser  ihrer  beträchtlichen 
Wärme  sich  noch  besonders  durch  die  verhültnifsmäisig  grofse 
Menge  fester  Bestandteile  auszeichnen,  gegenwärtig  treif» 
lichere  Wirkungen  gegen  mancherlei  Unterleibsbeschwerden 
hervorbringen,  als  ehemals,  wo  man  sich  ihrer  häufiger  blos 
als  Bad  bediente.  .Nach  dem  Verf.  werden  diese  Quellen  ,  so 
wie  überhaupt  alle,  welche  stetigen  geognostischen  Verhält- 
nissen ihr  Daseyn  verdanken  ,  durch  einen,  tief  im  Inneren 
der  Erde  durch  eigentümliche  GebirgsverhÖltnisse  hervorge* 
brachten,  galvanischen  Frocefs  erzeugt 9  zu  welchem  ein  un- 
geheurer Kraftaufwand  der  Natur  gehört ,  welcher  auch  die 
Ursache  ist,  dafs  schon  die  blofse  natürliche  Wärme,  die  an 
einem  solchen  Wasser  verschieden  adhärirt,  inniger  mit  ihm 
gemischt  ist f  und  langsamer  von  ihm  entweicht,  auch  ohne 
sonst  besonders  hervorstechende  physisch -chemische  Qualitä- 
ten, ihm  Heilkraft  verleibt.  Daher  hält  der  Verf.  auch  nicht 
viel  auf  künstlich  fabricirte  Mineralwasser,  weil  nicht  in  der 
oft  geringen  Menge  von  Kohlensäure,  Eisenoxyd  oder  andern 
Salzen,  sondern  in  der  von  der  Natur  auf  bestimmte  Weise 
dargestellten  Verbindung  der  Gesammtheit  der  Bestandteile, 
als  einem  geschlossenen  Ganzen,  die  Wirkungeines  Mineral- 
wassers auf  den  belebten  Organismus  gesucht  werden  mufs, 
die  Kunst  aber  eine  solche  Verbindung  nicht  hervorzubringen 
vermag.  —  In  Bonn  besuchte  der  Vf.  das  v.  Waltber'sche 
chirurgische  Klinikum,  in  Mainz  die  vom  Geheimenrathe  Lei- 
dig geleitete  Hebammenschule,  und  ertheilt  beiden  Lehran- 
stalten das  gebührende  Lob.  —  In  Strasburg,  dessen  medici- 
nische  Facultät  gegenwärtig  zwölf  Professoren  zählt ,  die  in 
französischer  Sprache  Vorlesungen  halten,  obwohl  man  auf 
dieser  Hochschule  noch  das  benachbarte  Deutschland  erkennt, 
sah  der  Verf.  auf  dem  anatomischen  Museum  *  das  er  insbeson- 
dere (auch  wegen  seiner  trefflichen  pathologischen  Präparate 
als  vorzüglich  rühmt,  den  kariös  gewesenen  Schädel  eines  Sy- 
philitischen (S#  116.),   dessen  angefressene  Stellen  hin  und 

1  * 


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wieder  QueckailberkGgelchen  in  den  Knochenzeilen  zeigen,  so 
wie  er  dann  (a.  a.  O.)  zum  weiteren  Beweise  des  substantiel- 
len Ueberganges  des  Quecksilbers  in  den  Körper  die  ibm  von 
Biett  in  Parts  mitgetheilte  Erfahrung  von  einem  mit  veralteter 
Lustseuche  behafteten  Menschen  anführt,  der  oft  Mercurial- 
kuren  bestanden,  und  welchem  im  warmen  Bade  regulinisches 
Quecksilber  aus  den  Puren  der  Achselhöhle  drang.  — -  Im  Ent- 
Lindungshause  zu  Strasburg  wendet  Lohstein  das  Mutterkorn 
als  webenbefördernde  Arznei  zu  einem  halben  Skrupel  halb- 
stündlich oder  alle  Stunden  mit  Vortheil  an.  —  Von  Fode're', 
aus  Savoyen  |  ehedem  Hospitalarzt  in  Marseille,  gegenwärtig 
Prpfessor  der  gerichtlichen  Arzneiwissenschaft  in  Strasburg, 
und  der  Erste,  der  diese  Wissenschaft  in  ihrer  Gesaramtheit 
in  Frankreich  einführte,  rühmt  der  Verf.  seine  noch  immer 
fortdauernde  literarische  Thätigkeit  in  schon  vorgerücktem 
Alter.  -i-  Zu  Gunsten  des  .Magnetismus  erwähnt  der  Vf.  der 
Erfahrung  des  verdienten  Dr.  Reisseissen  in  Strasburg  von 
mehreren  in  seiner  Praxis  ihm  vorgekommenen  Fällen  von 
Spontanem  Somnambulismus,  deren  öffentliche  Bekanntmachung 
um  so  wünschensWerther  wäre,  als  dieselben  ohne  Einschrei- 
tung magnetischer  Behandlung  verliefen  j  Beisseissen  selbst 
keinen  Gebrauch  vom  Magnetismus  in  seiner  Praxis  macht, 
und  et  bei  grofsem  Scharfsinne  und  Gründlichkeit  unbefangen 
Und  frei  von  Schwärmerei  ist,  welche  gute  Eigenschaften, 
nach  des  Ref.  Ermessen  ,  Lei  Magnetiseurs  um  so  mehr  Aner- 
kennung verdienen.,  je  seltener  sie  bei  ihnen  angetroffen 
werden. 

II.  Pari*.  Aerzte,  Wundärzte,  Geburtshelfer  und 
Ändere  Heilkünstler.  —  Acade'mie  royale  de  meMecine.  —  Apo- 
theker. —  Mineralwasserverkauf.  7-  Klinische  Anstalten»  — 
Anatomie.  —  Prüfungen.  —  Ecole  de  me'decine.  —  Kranken - 
und  Versorgungsanstaltfen*  S.  i4  —  37.  Bei  einer  Zahl  von 
7l2,212  Seelen  hat  Paris  640  Aerzte  und  Geburtshelfer ,  154 
Wundärzte,  8  Augenärzte,  45  Zahnärzte,  37  Officiers  de 
Sante',  31  Bruchschneider  und  Bruchbänderverfertiger ,  und 
23  Thierärzte.  Besitzer  von  Apotheken  werden  206  gezählt. 
Handlungen  von  natürlichen  und  künstlichen  Mineralwassern 
bestehen  14.  Letztere  verkaufen  beinahe  alle  Apotheker.  In 
den  Officinen  der  letzteren  wird  vorzüglich  auf  ein  gefälliges 
und  einnehmendes  Aeufsere»  und  bei  den  Mitteln  möglichst 
äuf  Wohlgeschmack  und  Wohlgeruch  gesehen.  Geheimmittel 
werden  von  Apothekern  und  andern  ansässigen  Leuten  in 
Menge  feil  geboten.  Unter  jene  gehört  insbesondere  der 
T.rtob  antisyUhilitique  des  Laffecteur,  dessen  eigentlicher  Ev- 


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« 


Kopp  ämliühe  ßettjerkungen.  101 

Ander  aber  der  ArztBoyveau  seyn  soll.  Ref.  heilte-  Lei  feineqi 
Aufenthalte  in  Frankreich  zur  Zeit  der  Occupation  einen  jun* 
gen  Mann  an  der  Lues  confirmata  buchstäblich  nach  den  Rust'- 
schen  Inunctionsvorschriften  und  deren  Zubehör,  der  vielo 
Monate  zuvor  sein, Geld  an  diesen  Roob  nutzlos  verschwendet 
hatte  ,  und^ler  Verzweiflung  Ober  die  vermeinte  Unheilbar« 
keit  seines  Ueb«ls  nahe  war.  Derselbe  lebt  jetzt  als  glück- 
licher Fauiilieuvater.  —  Für  einen  chirurgischen  Besuch  nimmt 
Dupuytren  oft  300  Franken  ,  andere  Aerzte  von  einem  Hand- 
werker 30  Sons;  die  Einnahme  des  Erstern  soll  sich  jährlich 
auf  300,000  Franken  belaufen.  Ein  Pariser*Arzt,  der  einiger- 
mafsen  viele  Kranke  hat,  wechselt  des  Tags  zwei  bis  drei  Mal 
mit  frischen  Herden.  —  Die  Acadt'mie  royale  de  mudecine 
wurde  lq2Q  mit  der  Bestimmung  gestiftet,  auf  Verlangen  der 
Staatsverwaltung  Gutachten  über  Gegenstände  der  Gesundheits- 
polizei  zu  geben.  —  Insbesondere  rühmt  der  Verf.  die  Leicbr 
tigkeit,  mit  der  man  in  Paris,  wo  Alles  mehr  <\em  öffent- 
lichen Nutzen  gewidmet  ist,  zu  allen  wissenschaftlichen  An- 
stalten zugelassen  wird  ,  noch  mehr  aber  die  Vorzü&lichkeit 
der  Administrationsweise  der  pariser  Hospitäler,  welche  mit 
grofser  Ordnung,  Zweckmässigkeit  und  möglichster  Erspar- 
liifs  von  Leuten  und  Umständen  gehandhabt  wird,  und  vielen 
Stedten  zum  Muster  dienen  könnte.  Im  Allgemeinen  ist  die 
ärztliche  Behandlung  in  ihnen  abwartend  und  umtbätig,  was 
Ref.,  wenn  es  nicht  zu  weit  getrieben  wird,  nicht  tadeln 
kann,  da  er  sich  oft  überzeugt  hat,  wie  viel  eine  strenge  und 
pweckmäfsige  medicinisch  -  polizeiliche  Aufsicht  in  Hospitä- 
lern, auch  ohne  grufsen  Arzneiapparat ,  vermag.  Auf  die 
Krankenkost  wird  viel  Aufmerksamkeit  verwendet,  und  dies 
findet  Ref.  gleichfalls  höchst  zweckgemäfs ,  da  der  Arzt  bei 
einem  strengen  diätetischen  Regime  des  tranken  in  der  Kegel 
viel  leichter  und  sicherer  heilt,  und  sich  die  Kranken  viel  öfter 
durch'*  Zuviel,  als  Zu  wenige  in  der  Diät  Schaden  zufügen. 
Sämmtliche  dreizehn  öffentliche  Kranken  -  (HOpitaua;)  und  eilf 
öffentliche  Yerpüegungsbäuser  (Hospices) ,  so  wie  das  Gebär- 
und  Findelhaus,  das  Ammeubürea,u  und  andere  Wohlthätig- 
keitsanstalten  ,  stehen,  sie  mögen  durch. den  Regenten,  den 
Staat  oder  durch  l'rivatstiftungen  gegründet  seyn  (mit  alleini- 
ger Ausnahme  der  Irrenanstalt  zu  Cbar*nton,  dem  K-  Taub- 
Stummeninstitut  und  der  K.  Erziehungs-  und  Verpflegungs-r 
anstalt  für  jüngere  und  ältere  Blinde},  unter  einer  einzigen, 
aus  siebenzehn  Mitgliedern  bestehenden,  allgemeinen  Auf- 
sich ts-  und  Verwaltungsbehörde  (welcher  wieder  andere  ärzt- 
lich« und  administrative  IJehördeq  untergeordnet  sind),  deren, 


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103  Kopp  Hrztliche  Bemerkungen. 

jährliche,  von  Kapitalsinsen,  Grundstücken,  Vermachtnis- 
sen, Accisen,  Verpachtungen  u.  s.  w.  herrührende  Einnahme 
und  Ausgabe  beiläufig  zu  9  1/2  Million  Franken  .berechnet 
wird.  Jene  öffentlichen  Hospitäler,  unter  denen  z.  B.  das 
Hötel-Dieu  jährlich  im  Durchschnitte  10,500,  das  Höpital 
St.  Louis  9000,  das  Höpital  de  la  Charite'  2753  Kranke  auf- 
nimmt, geben  im  Durchschnitte  35iO0O  Kranken  (mit  wenigen 
Ausnahmen)  unentgeldlichen  Aufenthalt,  Verköstigun^  uni 
ärztliche  Behandlung,  und  auiser  den  zwölf  Anstalten  in  den 
zwölf  Stadtbezirken  zu  unentgeldlicher  inedicinischer  und  chi- 
rurgischer Behandlung  kranker  Hausarmen  (secours  a  clomicile), 
der  unentgeldlichen  Vertheilung  von  Bruchbändern ,  der  Be- 
handlung des  Erbgrindes,  der  Vaccination,  finden  jährlich 
noch  etwa  5000  Personen  in  den  Versorgungshänsern  (Hospi- 
ces)  gleichfalls  ohne  Bezahlung  Aufnahme  und  ärztliche  und 
diätetische  Verpflegung.  Vollkommen  einverstanden  ist  Ref.  mit 
dem  Vf.,  wenn  er  behauptet,  dafs  ungeachtet  des  Reichthums 
an  Krankenhäusern  in  Paris  der  Studirende  daselbst  doch  we- 
niger lerne,  als  in  deutschen  klinischen  Anstalten,  wo  der- 
selbe mehr  zur  Selbsttätigkeit  veranlafst  wird,  und  unter 
Anleitung  und  Aufsicht  des  Lehrers  entweder  Kranke  selbst 
zur  Besorgung  bekommt,  oder  wenigstens  zu  eigener  Unter- 
suchung derselben  specielle  und  praktische  Anleitung  erhält. 
Zu  der  sehr  wahren  Bemerkung  des  Verf.,  dafs  die  Passivität 
des  Studirenden  bei  den  Hospitalumgängen  und  den  Verord» 
nungen  des  Lehrers  während  derselben,  erstere  gegen  ge- 
wöhnliche Krankheitsfälle  gleichgültig  mache,  fügt  Ret.  hinzu, 
dafs  sie  dem  angehenden  Arzt  allmählig  auch  noch  zu  dem 
Dünkel  Veranlassung  geben,  als  sey  die  Untersuchung  und 
Behandlung  der  Kranken  auch  für  ihn  eine  eben  so  leichte 
Sache,  wie  für  den  Lehrer,  welcher  täglich  ohne  grofseMühe 
und  Zeitaufwand  Hunderte  von  Kranken  zu  besuchen  und  zu 
behandeln  vermöge ;  welcher  Dünkel  dann  unvermeidlich  zur 
Indolenz  und  zum  Schlendrian  führt,  und  zum  grofsen  Scha- 
den des  künftigen  Arztes  und  Kranken  von  einem  eifrigen  und 
gründlichen  Studium  der  medicinischen  Wissenschaften  nur 

§ar  zu  leicht  entfernt  hält.  Es  ist  daher  auch  nicht  selten, 
afs  junge  Aerzte,  wenn  sie  die  hohe  Schule  verlassen  haben, 
und  nun,  sich  selbst  überlassen,  in  einen  praktischen  Wir* 
lungskreis  treten,  Vieles  ganz  anders  und  namentlich  schwe- 
rer finden  ,  als  sie  sich's  auf  der  Akademie,  woselbst  sie  we- 
niger, als  es  hätte  geschehen  sollen,  an  die  Selbsttätigkeit 
am  Krankenbette  gewöhnt  wurden ,  gedacht  hatten,  und  nun 
erst  anfangen  müssen,  die  Kranken  durch  eigene  Augen  zu 


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Kopp  Sntllclie  Bemerkungen* 


iü3 


sehen,  da  sie  die  ihres Lehrers  nun  entbehren  müssen.  Eben 

so  hält  lief.  ,  gleich  dem  Verf.,  dafür,  dals  ein  schon  gereifte» 
rer  Arzt  aus  dem  Besuche  der  vielen  und  grofsen  Pariser  Kran« 
kenanstalten  mehr  Nutzen  ziehen  werde,  als  ein  angehender, 
da  die  Masse  dessen,  was  sich  der  Beobachtung  darbietet  ,  für 
den  letzteren  zu  viel  ist,  als  dals  sein  Geist  sich  solche  assimi- 
liren  könnte,  und  es  weniger  darum  zu  thun  seyn  darf,  viele 
Kranke  mit  leiblichen  Augen  anzuschauen,  als  vielmehr  Krank- 
heiten zu  beobachten  und  sie  gründlich  studiren  und  beban- 
deln zu  lernen.  —  Zu  Uebungen  im  Operiren  ist  in  Frivat- 
stunden  Gelegenheit,  und  die  grofse  Wohlfeilheit  der  Leich- 
name begünstigt  dasselbe  unstreitig.  Letzterer  Umstand  ist 
nach  Ref.  gewiis  auch  eine  Hauptursache,  warum  das  Studium 
der  praktischen  Anatomie  in  Frankreich  (besonders  in  neuerer 
Zeit,  und  seit  Bichat  und  Broussais)  so  fleifsig  betrieben 
wird,  obwohl  der  Schwierigkeiten,  Leichen  zu  erhalten , 
unerachtet,  auch  in  England  die  praktische  Zergliederungs- 
knnst  in  unsern  Tagen  immer  mehr  Ansehen  gewinnt,  und  der 
,  Medicin  und  Chirurgie  voi  anleuchtet. 

III.  Broussais  und  seine  Lehre.  S.  38  —  90.  Wie  et 
Ref.  scheint,  ein  treues,  aus  der  Natur  genommenes  Bild  die- 
ser Lehre,  in  der  Nühe  entworfen,  und  ohne  Leidenschaft 
dargestellt,  aber,  trotz  ihrer  vielen  Anhänger  in  Frankreich 
und  andern  Ländern  aufser  Deutschland  ,  keineswegs  zum  Vor- 
theil  derselben!  Die  Grundzüge  dieser  Doctrin  kennt  der 
Leser  längst,  tfieils  aus  dem  bekannten  Examen  des  doctrines 
medicales,  theil*  ans  dem  Catechisme  de  la  me'decine  physiolo- 
givjue,  theil*  aus  einer  nicht  geringen  Anzahl  anderer  Schrif- 
ten und  Bf urtbeilungen,  die  selten  zu  Gunsten,  viel  häufiger 
aber  zum  Nachtheil  der  genannten  Doctrin  gesprochen  haben  ; 
und  Kef.  hält  es  daher  für  überflüssig,  die  Grundsätze  dersel- 
ben hier  zu  wiederholen.  Bedauern  mufs  übrigens  Ref.f  dafs 
der  Verf.,  welchem  es  bei  der  Darstellung  dieses  Broussaia'- 
schen  Systems  offenbar  nm  Wahrheit  und  Unparteilichkeit 
zu  thun  war,  bei  Anführung  der  grofsen  Mängel  desselben, 
nicht  auch  das,  obschon  in  einer  Masse  von  Einseitigkeiten 
und  Irrtbümern  versteckte,  vn'd  wahrscheinlich  nur  durch  die 
unerträgliche  Anmafsung  des  Stifters  mehr  in  den  Hintergrund 

fekommene,  und  weniger  anerkannte  Gute  derselben  einer 
urzen  Aufmerksamkeit  werth  hielt  ,  und  die  Verdienste 
Broussais  um  die  Lehre  von  den  akuten  und  chronischen  Un- 
terlei hsentzündungen ,  den  neuen  Impuls,  den  er  der  patho- 
logischen Anatomie  in  Frankreich  ertheilte,  und  der  nicht  ganz 
mit  Unrecht  in  einem  weiteren  Umfange  als  bisher  von  ihm 


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104  Kopp  StttHchc  Bemerkungen, 

in  Anwendung  gebrachten  Lehre  von  den  krankhaften  Svrnpa-» 
thien  und  der  Öertlichkeit  fieberharter  Krankheiten  (Gegen- 
stände, welche  in  manchem  Betrachte  mit  einer  unbefangenen 
Beobachtung  der  kranken  Natur  (ibereinstimmen  ,  so  wenig 
aie  auch  in  den  gewöhnlichen  Lebren  der  Schule  enthalten  sind) 
nicht  auch  einige  Erwähnung  that.  Den  Ref.,  welcher  in 
Leichen  der  verschiedensten  Art  sehr  oft  auch  die  unzweideu- 
tigsten  Merkmale  von  Entzündung  im  Verdauungskanale  fand, 
ohne  dafs  er  ihre  Anwesenheit  im  Leben  zu  vermuthen  Ur«? 
sache  gehabt  ha,tte,  bedünkt  es,  Broussais  sey  sq  zur  Grün- 
dung Seiner  Lehre  gekommen,  daß*  er  bei  zahlreichen  und 
genauen  anatomisch -pathologischen  Untersuchungen  den  Ma- 
gen und  Dünndarm  zwar  allerdings  häufig  entzündet  fand, 
hieraus  nun  aber  voreiliger  und  irriger  Weise  schlofs,  dals 
ein  solcher  Zustand  in  den  meisten,  ja  allen  fieberhaften  Krank- 
heiten vorhanden  sey,  und  nun  einerseits  getrieben  durch 
seinen  Hang  zur  Berühmtheit  und  den  Kitzel  zn  Reformatio- 
nen, andererseits  aber  doch  entblöfst  von  gründlichen  und  um- 
fassenden medicinischen  Kenntnissen,  sich  verleiten  liefs,  auf 
jene,  in  unsern  Tagen  zwar  allerdings  vernachlässigte,  von 
älteren  Aerzten  aber,  und  insbesondere  von  Morgagni  gar 
wohl  schon  gekannte  Lehre  von  den  verborgenen  Entzündun- 
gen im  Verdauungskanale  in  anhaltenden  Fiebern  ein  ganzes 
inedicinisches  System  zu  gründen,  und  solches,  koste  es,  was 
es  wolle,  und  koste  es  selbst  Menschenleben ,  nach  seinen  phy- 
siologischen ,  pathologischen  und  therapeutischen  Principien 
auf  eine  bis  zur  fixen  Idee  gehende,  und  mit  der  verderblich- 
sten Consecjuenz  geführte  Weise  zu  vertheidigen.  Ref.  hält 
sich  daher  auch  fest  überzeugt,  dafs  Broussais's  System  sich 
Weder  nach  seiner  theoretischen  noch  praktischen  Seite  halten 
werde,  sich  nicht  halten  könne,  dafs  es  namentlich  in  Dun  t sehr 
laud,  wo  man  zwar  allerdings  die  Leistungen  der  Ausländer 
oft  begieriger  aufnimmt,  als  sie  es  verdienten,  ihre  Verdienste 
nicht  keltert  tiberschätzt,  dasjenige  aber ,  was  sie  uns  geben, 
in  der  Regel  doch  vorher  seinen  'Fundamenten  nach  besonnen 
und  gründlich  prüft,  ehe  ein  Urtbeil  darüber  gefällt,  und  von 
(Demselben  praktischer  Gebrauch  gemacht  wird,  niemals  Wur- 
zel fassen ,  aber  auch  das  einzelne  Gute  dieser  D.octrin  bei 
vorurteilsfreien  und  für  das  Bessere  empfänglichen  Aerzten 
nicht  verloren  gehen  werde,  und  namentlich  die  in  unsern  Ta* 
gen  vielfach  übersehene  Lehre  von  den  akuten  und  chronischen 
Entzündungen  des  Verdau ungskanals,  welche  gevvifs  auch 
nicht  ohne  vortheilhaften  Einflufs  auf  die  specielle  Lebre  der 
gastrischen  und  gaHigten  Fieber  bleiben  wird,  durch  dieselbe 


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Kppp  ärztliche  Bemerkungen.  105 

# 

neue  und  gerechte  Anregung  empfangen  habe.  —  Im  Uebrigen 
hat  Ref.  mit  vielem  Vergnügen  de»  Verf.  Mittheilungen  über 
Br.,  den  er  als  einen  kraftvollen,  freundlichen  Manu  von  50 
Jahren,   mit  dem  Ausdrucke  des  Muthes  und  der  Entschlos- 
senheit, aber  auch  der  Leidenschaftlichkeit   und  Schlauheit 
beschreibt,  gelesen.     Die  Hauptzüge  seines  Charakters  sind 
Ehrgeiz  und  Ruhmbegierde.      So   tadelnswerth   und  wenig 
lehrreich  der  Verf.  Br.'s  Klinik  um  seiner  mangelhaften,  dia* 
gnostischen  ,  ätiologischen  und  therapeutischen  Untersuchung 
der  Krankheiten  willen  fand,  so  besuchte  er  doch  dieselbe  zu 
wiederholten  Malen,  und  lernte  Br. ,  der  aufser  seinem  Hos- 
pitaldienste  eine  weitläuftige  Praxis  hat,  auch  bei  Besuchen 
zu  Hause  kennen.    Br.'s  medicinische  Klinik  im  Val-de-Grace 
fand  der  Verf.  übrigens  immer  viel  weniger  besucht,  als  die 
chirurgische  Klinik  Dupuytren^  im  Hötel-Dieu  (was  dem 
Ref.,  wenn  auch  Br.'s  Klinik  besser  beschaffen  wäre,  als  sie 
es  ist,  leicht  erklärlich  scheint,   da  eine  chirurgische  Klinik, 
in  welcher  alle  Arten  von  bedeutenden,    und  zum  Theil  sehr 
seltene  chirurgische  Fülle  vorkommen,   und  viele  grofse  Ope- 
rationen gemacht  werden,    nicht  nur  von  wundärztlichen, 
sondern  auch  vielfach  von  ärztlichen  Zöglingen  besucht  eu> 
werden  pflegt),  und  meistens  waren  seine  Zuhörer  Leute  von 
einer  weniger  wissenschaftlichen  Ausbildung,   die  möglichst 
schnell  und  auf  einem  weniger  mühevollen  Wege  gute  Aerzte 
werden  wollten  ,   und  die  für  ihn  begeistert  sind  ,   wenn  sie, 
das  Bessere  noch  nicht  kennend,  -seine  Festigkeit  und  Aus- 
dauer im  Vertheidigen  seiner  Lehre  und  die  Sicherheit  in  sei- 
nem Handeln  auch  unter  den  mißlichsten  Umständen  gewah- 
ren.   Doch  erwähnt  der  Verf.  S.  70,  dafs  wenn  Br.'s  Behand- 
lung eines  Kranken  keinen  vorteilhaften  Erfolg  habe,  er  sich 
nicht  selten  hinter  den  Ohren  kratze,    indem  er  sagt:  man 
müsse  Geduld  haben,  die  Zeit  bringe  Linderung,  gewöhnlich 
aDer  dann  au  f  seine  alte  Idee,  die  Gastro  -  Enteritis  zurück- 
komme.    Zu  den  vorzüglichsten  Anhängern  Br.'s  in  Paris  ge- 
hören unter  Andern  Jadelot,  Lerminier,  Husson ,  Lallemand, 
Be'gin  ;   einer  seiner  schonungalosesten  Gegner  ist  Authenac, 
sein  gediegenster  Laennec.      Wohl  sehen  die  vorzüglicheren 
Aerzte  in  Paris  die  Seichtigkeit  seines  Systems  ein,  aber  sie 
nehmen  zu  viel  Rücksicht  auf  sein  Ansehen,  auf  die  Menge 
der  seiner  Parthei  Zugetbanen,  auf  den  Einflufs,  den  er  her 
reits  hat,  und  auf  die  heftigen  Ausfälle,   die  er  sich  gegen 
«eine  Widersacher  erlaubt.    —    Aufgebracht   war  Br.  über 
Marcus,   als  ihn  der  Verf.  mit  der  Behauptung  des  letzteren 
bekannt  machte,  daia  dem  Typhus  eine  Gehirnentzündung  zu 


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106  Kopp  ärztliche  Bemerkungen. 

Grunde  Hege.  Ref.  bemerkt  hiebei,  dafs  sich  Br.  mit  Marcus 
wahrscbeinjich  wieder  ausgesöhnt  haben  würde,  wenn  er  zu- 
gleich erfahren  hätte,  dafs  letzterer  schon  längst  in  Deutsch- 
land die  meisten  gastrischen  Fieber  für  Magenentzündungen 
erklärte.  —  Vorzüglich  schadet  nach  unsers  Verf.  Ansicht 
Br/s  Verfahren  durch  Unterlassen,  weniger  durch  starkes  Ein- 
greifen in  der  Anwendung  von  Mitteln;  viele  seiner  Kranken 
erholen  sich  nur  langsam,  die,  auf  die  Weise  deutscher  Aerzte 
behandelt,  sich  schneller  erholen  würden,  andere  gehen  zu 
Grunde  wegen  Versäumnifs  des  passenden  Arzneigehrauchs, 
noch  andere,  weil  sie  unzeitig,  unstatthaft  oder  unzweck- 
mäßig geschwächt  wurden.  Unter  den  Aerzten  von  Val- 
de-Grace,  welche  unter  sich  abwechselnd  den  Dienst  haben, 
sterben  auch  bei  Br.  verhältnifsmäfsig  am  meisten  Kranke. 
Demungeachtet  ist  Br.  iin  Stande,  in  der  Ueberzeugung  von 
der  Wahrheit  seiner  neuen  Lehre  zu  behaupten,  dafs  die  Pa- 
thologie vor  ihm  „unchaos,  un  amas  inform«  de  verite's  et 
d' erreurs«  war,  und  „le  grand  Hippocrate ,  s'il  vivait  encore, 
se  ferait  une  gloire,  d'assister  a  mes  cours,  pour  apprendre 
ma  doctrine.«  Wer  erinnert  sich  nicht  hiehei  unwillktihrlich 
an  die  eben  so  lächerlichen  als  ärgerlichen  Prahlereien  des  Pa» 
racelsus?! 

IV.  Lännec.  Gehrauch  des  Brechweinsteins  und  an- 
derer Spiefsglanzmittel,  so  wie  der  Ipekakuanha  in  Brust- 
krankheiten und  Rheumatismen.  —  Das  Stethoskop.  —  Du- 
puytren. —  Boyer.  —  Das  Hötel-Dieu.  —  Das  Ludwigs- 
hospital. —  Alibert.  —  Biett.  —  Dunstbäder.  —  Neuere 
pharmakologische  Nomenklatur.  —  Die  Charite'.  —  Anstek- 
kungsfähigkeit  der  Lungensucht.  —  Das  Hospital  der  Syphi- 
litischen. —  Sublimat.  —  Speichelflufs.  —  Folgen  der  vä- 
terlichen Lustseuche  für  die  Nachkommenschaft.  —  Das  Hos- 
pital für  Kinder.  —  Larrey.  —  L'Hdpital  de  la  Garde  royale. 
—  Moxa.    S.  9t  —  139. 

Der  Verf.  rühmt  Lännec's  richtigen  Blick  und  seine  Be- 
stimmtheit in  der  Diagnose  der  Brustkrankheiten,  und  die 
Anwendung  des  Stethoskops  zur  Unterscheidung  der  Lungen - 
und  Herzfehler  hält  er  in  mehrfachem  Betrachte  für  eine  Be- 
reicherung unserer  Wissenschaft.  Es  bedienen  sich  auch  des- 
selben in  Paris  Heilkünstler  der  verschiedensten  Meinungen 
und  Systeme,  so  wie  es  die  Studirenden  während  ihrer  Hospi- 
talbesuche und  die  meisten  praktischen  Aerzte  in  Paris  bei  sich 
tragen.  Häufig  sey  es  aber  auch,  dafs  die  französischen  Aerzte 
dadurch  etwas  mehr  zu  hören  glauben als  man  in  der  Tbat 
mit  gesunden  Ohren,  aber  unbefangenem  Sinne  höre,  und 


i  / 


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Kopp  äritlichc  Bemerkungen.  107 


Ref.  fügt  aus  seinen  Erfahrungen,  die  er  bis  jetzt  mit  diesem 
Werkzeuge  gemacht  hat,  hinzu,  dafs  dasselbe  seinen  dia- 
gnostischen Nutzen  wohl  bewähren  dürfe,  um  nur  einiger- 
raalsen  für  die  Zeit  und  Mühe  zu  entschädigen,  welche  man 
bedarf,  um  sich  in  seinem  Gebrauch  gründlich  einzuüben,  und 
sich  wesentliche  Vortheile  für  die  Diagnose  und  Therapie 
durch  dasselbe  zu  verschaffen.  Lännec  wendet  den  Brech- 
weinstein  nach  Rasori  und  Peschier  in  Peripneumonieen  und 
Rheumatismus  articularis  von  6  bis  12  Gran  häufig  mit  schnell 
gutem  Erfolge  an,  und  nur  Selten  entstehe  Erbrechen,  meist 
aber  Verstopfung  darnach.  Auch  der  Verf.  machte  die  Er- 
fahrung, dafs  Kranke  mit  entzündlichen  Affectionen  der  Brust, 
nach  vorausgegangenen  Aderlässen,  den  Goldschwefel  sowohl, 
als  die  Ipekakuanha  in  ungewöhnlich  grofsen  Dosen  ohne  Ue- 
belkeit  oder  Erbrechen  ertragen  können,  wobei  sich  Ref.  zu 
bemerken  erlauht,  dafs  er  diesen  Umstand,  von  welchem  in 
unsern  Tagen  oft  die  Rede  ist,  nicht  so  sehr  auffallend  rindet, 
da  nach  den  Gesetzen  des  Antagonismus  im  kranken  Leben, 
bei  <**r  Anwesenheit  einer  Entzündung  in  der  Brusthöhle,  in 
der  Regel  die  sensible  Stimmung  der  Eingeweide  der  Bauch- 
höhle vermindert  ist,  und  sich  namentlich  der  Magen,  bei 
seiner  dem  kranken  Organismus  zugewandten,  und  durch  das- 
selbe verminderten  und  veränderten  Thätigkeit,  im  Stadio 
cruditatis  einer  Peripneumonie  eine  Zeit  lang  in  einer  Art  von 
Torpor  befindet ,  bei  welchem  nauseose,  emetische  und  pur- 
girende  Arzneimittel  ihre  sonst  gewöhnliche  Wirkung  auf 
den  Körper  entweder  gar  nicht,  oder  nur  in  vermindertem 
Maafse  hervorzubringen  pflegen.  Dieselbe  Erscheinung  tem- 
porärer und  relativer  Unempfindlichkeit  des  Körpers  rür  ge- 
wisse, zu  andern  Zeiten  wieder  anders  wirkende  R^ize  finden 
wir  auch  in  andern  Krankheiten,  denn  dieselben  Gaben  nach 
lind  nach  gereichten  Quecksilbers,  welche  im  gesunden,  oder 
wenigstens  fieberlosen  Zustande  bei  den  meisten  Personen  die 
stärkste  Salivation  hervorbringen  würden,  veranlassen  hievon 
bei  akuten  Fiebern  oder  gewissen  örtlichen  Entzündungen  in 
aeme  morbi  keine  Spur,  dieselben  Gaben  Opium  in  krampf- 
haften Krankheiten  oft  keine  Minute  Beruhigung  oder  Schlaf, 
die  im  gesunden  Körper  oder  in  gewissen  andern  Krankheits- 
zuständen  nicht  nur  alsbald  die  eben  genannten  Erscheinun- 
gen, sondern  selbst  die  vollkommenste  Narkosis  nach  sich 
ziehen.  Um  aber  in  diesem  Bezüge  blos  bei  der  Peripneumo- 
nie  stehen  zu  bleiben  ,  so  hat  Ref.  zwar  den  ßrechwemstein 
bisher  noch  nie  in  den  ihm  vorgekommenen  Fällen  von  Lun- 
genentzündung in  Gehrauch  gezogen,  und  er  kann  daher  aus 


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108  Kopp  ärillicho  Bemerkungen. 

eigener  Erfahrung  bis  jetzt  weder  über  den  Nutzen  dieses  Me- 
dikaments in  der  genannten  Krankheit  überhaupt,  noch  übex 
seine  positive  oder  negative  Wirkung  auf  den  Verdauungs-r 
kanal  in  derselben  ein  Uitheil  füllen;  aber  es  bestätigt  sich 
ibm  das  eben  genannte  Gesetz  des  Antagonismus  kranktr  Or- 
gane gegen  einander  doch  auch  bei  der  von  ihm  in  Anwendung 
gebrachten  Behandlung  der  Peripneumonie ,  indem  er,  wie 
Andere  den  Brech Weinstein ,  ohne  Erbrechen  oder  Durchfall 
zu  erregen,  in  Lungenentzündungen  reichen,  eben  so  auct| 
(nach  vorangegangenen  nnd  gleichzeitigen,  durch  individuelle 
Umstände  zuweilen  sehr  reichlich  gewordenen  allgemeinen 
und  besonderen  Blutausleerungen)  nicht  selten  Tage  lang  in 
der  einen  Stunde  Salpeter  und  in  der  andern  versüfstes  Queck- 
silber mit  Pulv.  fol.  digital,  purpur.  (letzteres  zuweiiep  zu 
1  Gr.  alle  zwei  Stunden)  nebst  Goldschwefel  reichte,  ohne 
auch  nur  ein  einziges  Mal  deutliche  Uebelkejt ,  Erbrechen  oder 
häufige  Stuhlgänge  im  Stailio  cruditatis  dieser  Krankheit  er- 
regt zu  haben.  lief,  glaubt,  dafs  es  in  Fällen  reiner  Pneu- 
monie in  der  Regel  auch  gar  nicht  gut  seyn  würde,  wenn 
der  Brechweinstein  oder  jene  andern  eben  genannten  Medika- 
mente Erbrechen  oder  Durchfall  erregen,  und  somit  ihre  sonst 
gewöhnlichen  Wirkungen  auf  den  Vei dauungskanal  äufsern 
würden,  weil  sonst  wohl  die  glückliche  und  vollkommene 
Zertheilung  der  örtlichen  Entzündung  dadurch  gestört  oder 
gehindert  werden  würde,  und  er  bat  in  den  Fällen  des  gün- 
stigen Ausganges  selbst  der  heftigsten  I'eripiieuraonieen  beob- 
achtet, dais  es  der  Natur  hiebei  nicht  um  Erbrechen  oder  Er- 
regung von  Durchfällen  zu  thun  war,  sondern  da(s  sie  ledig- 
lich durch  Schweifse,  reichlichen  Bronchial-  und  Lungen- 
auswurf und  Sedimente  im  Urin  in  der  Regel  die  Genesung 
einleitete  und  bewerkstelligte.  —  Ein  ähnlicher  temporärer 
Torpor  der  Verdauungswerkzeuge  findet  dann  aber  auch  ge- 
wöhnlich bei  Säufern  Statt,  jedoch  bei  diesen  offenbar  aus 
Ueberreiz,  und  es  ist  daher  nichts  Ungewöhnliches,  wenn 
ein  solcher  i  1/2  Gr.  Opium  mit  4  Gr.  Goldschwefel  ^  wie  der 
Verf.  S.  96.  ein  Beispiel  dieser  Art  aus  eigener  Erfahrung  mit- 
theilt) auf  einmal  ohne  merkliche  Aenderung  im  Husten, 
Schläfrigkeit  oder  Uebelkeit  nehmen  konnte.  Ref.  erlaubt 
sich  hiebei  in  dieser  Beziehung  auch  an  die  grolsen  Dosen 
Mohnsaft  zu  erinnern,  welche  zuweilen  nöthig  sind,  um  im 
Delirium  tremens  Beruhigung  und  Schlaf  hervorzubringen, 
und  bittet  überhaupt  zu  bedenken,  dafs  die  Arzneimittel  in 
gewissem  Sinne  nicht  dem  Kranken,  sondern  der  Krankheit 
gelten.  —  Einen  interessanten,  selbst  beobachteten  Fall  von 


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Kopp  3« tliche  Bemerkungen,  109 

der  Heilkraft  der  Ipekakuanha  (mit  Salmiak)  im  Bluthuiten 

erzählt  der  Verf.  S.  yQ.  von  einem  22jährigen,    bereits  seit 
13  Monaten  an  diesem  Uebel  leidenden  Jünglinge,  welcher 
oft  binnen  einer  Stunde  1 1/2  bis  2  Pfund  Blut  spie,  und  gegen 
dessen  Uebel  die  sonst  bewährtesten  und  anhaltend  gereichten 
Mittel  nichts  gefruchtet  hatten.  —    Nächst  Lännecs  medici- 
nischer  Klinik  gedenkt  der  Verf.  mit  grofser  Ausaeichnung 
der  chirurgischen,  von  mehreren  hundert  Zuhörern  aus  allen 
Weltgegenden  besuchten  Klinik  Dupuytren'*  im  Hdtel-Dieu, 
dem  gröisten,  in  neueren  Zeiten  viel  verbesserten  Kranken- 
hause,   und  Dupuytren  selbst  schildert  er  als  einen,  in  wis- 
senschaftlicher und   technischer  Hinsicht  gleich  vollendeten 
Wundarzt.    —    Eines  der  anziehendsten,  geräumigsten  und 
wohlhabendsten  Hospitäler  in  Paris  ist  das  Hdpital  bt.  Louis, 
welches  groistentheils  Hauskranke  aller  Art  aufnimmt,  unter 
welchen  der  Verf.  auch  einige  Fälle  von  Ichthyosis  zu  sehen 
Gelegenheit  hatte*     Alibert,  Biett  und  Kicherand  wirken  in 
demselben,  und  namentlich  zeigte  sich  Biett  als  ein  vielseitig 
gebildeter,  trefflicher  Praktiker,  dem  auch  die  Leistungen  der 
Ausländer  nicht  fremd  sind.     Gegen  den  Herpes  exedens  wird 
das  Cosme'sche  Mittel  und  innerlich  das  Decoct.  Zittinanni, 
gegen  andere  Flechten  das  Blasenpflaster  und  innerlich  nicht 
selten  die  Tr.  cantharid,  bis  zu  25  Gtt.  täglich  einige  Monate 
lang  angewandt.     Eben  so  wird  der  Arsenik  innerlich  g«gen 
verschiedene  Hautübel  häufig  in  Gebrauch  gezogen ,   und  von  J 
den  Franzosen  sehr  gerühmt.      Hauptsächlich  ausgezeichnet 
ist  das  Ludwigsspital  durch  seinen  grofsen  und  kostspielig 
errichteten  und  unterhaltenen  Apparat  von  warmen  Wasser- 
bädern  ,  durch  seine  Dampfbäder  für  die  gan&A  Hautoberfläche 
und  einzelne  Stellen  derselben,  die  Kegendouche ,  Schwefel- 
dunstbäder (nach  Gales  ;  eigentlich  aber  ist  Datcet  nach  S.  115* 
der  Erfinder  der  Dampfapparate ,   da  er  sie  längst  vor  Gales's 
Bekanntmachung  verfertigen  liefs)  und  örtliche  Mineraldunst» 
bäder*   z.  B.  von  Zinnober*  oder  Schwefeldämpfen  für  das 
Gesicht,  ohne  dafs  davon  etwas  in  die  Lungen  des  Kranken 
kommt,   welcher  durch  eine,  mit  einem  Trichter  versebene 
Röhre  athmet.     Diese  einzige,  grofsartige  Badeanstalt  ver- 
dient, nach  dem  Verf  ,  wegen  des  Ungeheuern  Umfanges,  der 
Mannichfaltipkeit    ihrer  Theile  und  d«r  Trefflichkeit  ihrer 
mechanischen  Hülfs  -  und  Verbindungsmittel ,  das  sehr  genaue 
Besehen  eines  jeden  nach  Paris  reisenden  praktischen  Arates. 
Bei  Behandlung  der  Krätze  bedient  man  sich  vorzüglich  der 
Bäder  aus  Schwefelkali  ,  und  nicht  nur  die  Hospital- ,  sondern 
auch  viele  tausend  Kranke  überhaupt,  die  in  ihren  Häusern 


1 


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t 


110  Kopp  ärrtliche  Bemerkungen. 

wohnen,  und  vom  Hospitale  behandelt  werden ,  erhalten  in 
letzterem  ihre  Biider.     Unser  Verf.  hält,   wie  wir  auch  schon 
aus  seinen  Beobacht.  im  Geb.  der  ausüb.  Htilk.  wissen,  con- 
centrirte  Schwefelbäder  gleichfalls  für  das  sicherste  und  be- 
quemste Mittel,    um  die   Heilung  der  Krätze  in  der  Rege] 
ohne  alle  innerliche  Arzneien  zu  erzielen  ,  und  Ref.  versichert» 
d  irch  das  blolse,  Morgens  und  Abends  unternommene  warme 
Waschen  des  Körpers  mittelst  einer  Auflösung  des  Schwefel- 
kaliums y  ohne  allen  inneren  Arzneigebrauch  und  ohne  üble 
Folgen,   eine  grofse  Anzahl  Personen  von  der  Krätze  befreit 
zu  haben,   wodurch  somit  nicht  nur  die  Kosten  für  die  Bäder 
erspart,   sondern  auch  die  Behandlung  des  Uebels  um  Vieles 
vereinfacht  wurde.      Ref.  läfst  jedoch  nicht  die  ganze  Haut- 
oberfläche auf  einmal,  sondern  nur  stellen  -  oder  gliederweise 
mit  jener  Auflösung  waschen,    und  halt  genau  darauf,  dafs 
die  Waschungen  zwar  sehr  warm ,  aber  ohne  starke  Reibung 
der  Haut  geschehen,  und  dafs  von  Zeit  zu  Zeit  mit  denselben 
einen  oder  mehrere  Tage  ganz  ausgesetzt  werde,  weil  sich 
sonst  leicht  an  einzelnen  Stellen  der  Haut,  besonders  am  Ell- 
bogengelenke  ,  flechtenähnliche  Krusten  bilden,  welche  nicht 
selten  die  gänzliche  Heilung  verzögern  und  wieder  eine  be- 
sondere äulsere  Behandlung  erfordern,  auch  die  Natur  solche 
Stellen  gerne  benutzt,    um  durch,  sie  habituelle  krankhafte 
Ausscheidungen  zu  begründen.     Für  eine  wesentliche  Bedin- 
gung zur  gründlichen  Heilung  und  zu  Verhütung  der  Wieder- 
kehr der  Krätze  hält  es  Ref.  sodann  ferner  bei  dieser  Behand- 
lung, dafs  iin  Verlaufe  derselben  diejenigen  Kleidungsstücke, 
welche   während  jener  Hautkrankheit  getragen  wurden,  in 
Seifenwasser  oc^r  Lauge  gewascheu  werden,   weil  von  ihnen 
aus  die  Krätze,  besonders  an  den  Handgelenken,   sich  der 
Haut  sonst  leicht  wieder  aufs  Neue  mittheilt.  —  Auch  gegen 
allgemeine  Kleien  -  und  Schuppenflechten  wendet  der  Verf. 

das  Schwefelkali  in  Auflösung  äufserlich  und  die  Tinct.  can- 

o 

tharid.  innerlich  bei  Erwachsenen  täglich  3  Mal  zu  6  ,  albnäh- 
lig  zu  24  Tropfen,  also  bis  zu  72  des  Tags,  5  bis  6  Wochen 
lang,  bei  magerer  Diät,  Enthaltung  von  erhitzenden  Geträn- 
ken, und  zuletzt  Bädern  aus  kohlensaurem  Natrum  an,  wobei 
die  Flechten  zugleich  mit  Liquor  calcar.  oxymuriat.  bedupft 
werden,  wenn  sie  durch  die  Schwefelleber  zuvor  roth  und 
schmerzhaft  geworden  waren.  Die  aus  Sublimat ,  Sassaparille  - 
unu  Chinawurzel  bestehende,  im  Höpital  St.  Louis  häufig 
angewandte  Tisane  de  Feltz  fand  der  Verf.  in  seinen  Erfah- 
rungen gegen  eingewurzelte  fecundäre  Syphilis  gleichfalls 
sehr  hülf reich. 


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Kopp  ärztliche  Bemerkungen.  111 

An  der  Charite,  einer  reinlichen  Anstalt  mit  beiläufig 
2800  Kranken  beiderlei  Geschlechts  (besonders  vielen  Brust- 
kranken und  Bleikoliken),  und  einer  medicinisch-chirurgischen 
Klinik,   wirken  Boyer,   Roux ,    Lerminier   und  Fouquier, 
welcher  letztere  die  Ansteckungsfähigkeit  der  Lungensucht 
läugnet,    lie  unser  Verf.  aber  unter  gewissen  Umständen  in 
Schutz  nimmt,  und  gegen  deren  Ansteckung  sich  die  Gesund- 
heitspolizei noch  weniger  wirksam  zu  beweisen  vermöge,  als 
selbst  gegen  dieFortpflanzung  der  Lustseuche.    Ref.,  welcher 
die  Lungensucht,  wie  jeder  andere  Arzt  auch,  leider!  schon 
häufig  genug  beobachtete,  will  die  Ansteckung  durch  (^eselbe 
in  einzelnen   Füllen  und  unter  gewissen  Bedingungen  zwar 
nicht  läugnen,    und   bekannt  ist   es   ohnedies,    dal's  dieser 
Krankheit  in  südlichen  Klimaten,  wie  namentlich  in  Italien, 
eine  deutlicher  und  entschiedener  ansteckende  Kraft  zuge- 
schrieben wird.     Allein  bis  jetzt  ist  ihm  noch  kein  Fall  von 
Uebertragung  dieser  Krankheit  vorgekommen  ,  und  zwar  selbst 
nicht  in  solchen  Fällen,   wo  Personen  mit  offenbarer,  entwe- 
der individueller  oder  in  iler  Familie  begründeter  Anlage  zur 
Lungenzehrung  mit  dem  Lungensüchtigen  durch  eine  Reihe 
von  Medien  in  naher  und  beständiger  Berührung  standen, 
stets  neben  demselben  schliefen,  zu  jeder  Zeit  mit  ihm  in 
derselben  Atmosphäre  verweilten,  ja  sogar,   gegen  die  aus- 
drückliche und  oh  wiederholte  Warnung  des  Ref.,  selbst  das 
durch  die  schmelzenden  Schweifse  des  Scb  windsüchtigen  durch- 
näfste  Bett  mit  ihm  theilten.     Wäre  jedoch  bei  der  Annahme 
einer    entschiedenen  Ansteckungslähigkeit   der  Lungensucht 
von  wirksamen  gesundheitspoüzeilichen  Mafsregeln  gegen  de- 
ren Uebertragung  auf  Andere  die  Rede,  so  fände  Ref.  ein  ein- 
faches, und  wenn  es  gehörig  befolgt  wird,  gewils  nicht  un- 
wirksames  Verfahren  darin,   dafs  es  jedem  Arzte,  welcher 
einen  Schwindsüchtigen  behandelte,  zur  Pflicht  gemacht  wür- 
de, im  Falle  des  Ablebens  des  letzteren  der  Übrigkeit  sogleich 
die  Anzeige  davon  zu  machen,  damit  die  Angehörigen  des 
Verstorbenen  zu  sorgfältiger  Lüftung  und  Reinigung  des  Zim- 
mers, in  welchem  sich  der  Schwindsüchtige  aufhielt,  so  wie 
zur  Reinigung  und  Lüftung  der  von  ihm  gebrauchten  Klei- 
dungsstücke und  des  Bettes  angehalten  würden,  welches  Ver- 
fahren,  so  weit  Ref.  die  Verhältnisse  kennt,   in  der  Stadt 
und  auf  dem  Lande  um  so  leichter  Eingang  im  Publikum  fin- 
den würde,     als  dasselbe    ohne    grofses   Aufsehen,  ohne 
grofse  Kosten  und  überhaupt  ohne  einen  fühlbaren  Eingriff 
in  die  Freiheit  des  Borgers  in  Anwendung  gebracht  werden 
könnte. 


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112  Kopp  ärztlich«  Bemerkungen . 


Im  Hospital  der  Venerischen  (aux  Capucins),  welches  zu 
den  unreinlichsten,  in  Paris  gehört,  an  welchem  übrigens  Cul- 
lerier  der  Aeltere  werthvolle  Vorlesungen  über  die  venerischen 
Krankheiten  hält,  werden  jährlich  gegen  3000  Syphilitische 
mit  fast  allen  Formen  undModificationen,  und  etwa  3500  Aus- 
wärtige vom  Hospital  aus  behandelt.  Das  hier  fast  allein  ge- 
bräuchliche, innerlich  gegebene  Quecksilberpräparat  ist  der  in 
Weingeist  aufgelöste  Sublimat  als  van  Swieten'sche  Solution; 
der  Speicbelfl u Ts  wird  für  etwas  Zufälliges ,  für  eine  Neben- 
sache bei  der  Heilung  Venerischer  gehalten,  und  so  wie  die 
Symptome  der  Lustseucbe  verschwunden  sind  ,  erfolgt  die 
Entlassung  derselben  aus  dem  Krankenbause.  Unser  Vi.  hält 
jedoch  den  Speichelflufs  für  mehr  als  eine  blos  zufällige  Er- 
scheinung, er  zählt  die  bekannten  nachtheiligen  Folgen  des 
längere  Zeit  fortgesetzten  Sublimatgebrauches  auf  j  und  hält 
dafür,  dafs  von  denen,  die  aus  dem  Hospitale  der  Venerischen 
entlassen  werden ,  genug  mit  Nachkrankheiten ,  die  einen  ve- 
nerischen Charakter  haben ,  befallen  werden  mögen.  Ref»  ist 
derselben  Meinung,  und  er  kann  sich  daher  nicht  genug  wun- 
dern ,  dafs  dieses  JYIercurialpräparat  §  welchem  nach  seiner 
häufigen,  und  wie  er  glaubt,  mit  Genauigkeit  angestellten 
Beobachtung  nur  eine  sehr  bedingte  Anwendung,  selbst  in 
den  secundären  Formen  der  Syphilis  zukommt,  ein  gleich  un- 
bedingter Gebrauch  gegen  primäre  sowohl  als  consecutive  ve- 
nerische Zufälle  in  einem  Hospitale  finden  kann^  wo  jährlich 
eine  so  grolse  Anzahl  Venerischer  behandelt  wird «  "und  es 
hiebei  gar  nicht  sollte  fehlen  können,  dafs  nicht  die  Meng.; 
derer  j  .die  durchdieses  Mittel  entweder  gänzlich  ungebeilt  oder 
nur  scheinbar  geheilt,  und  dann  bald  wieder  mit  den  aberma- 
ligen Symptomen  der  Lues,  vielleicht  nur  in  anderer  Gestalt j 
in  daa  Hospital  Zurückkehren  werden,  die  Aerzte  desselben 
schon  längst  hätte  zu  der  Ueberzeugung  bringen  sollen,  %dafs 
Oberhaupt  nur  die  wenigsten  syphilitischen  Krauken  durch  den 
Sublimat  gründlich  geheilt  werden  ,  dafs  man  aber  insbeson- 
dere bei  dem  Gebrauche  dieses  Arzneimittels  gegen  die  pri- 
mären Formen  der  Syphilis  ,  abgesehen  von  seiner  oft  so  zer- 
störenden Wirkung  auf  die  assimilativen  und  blutbereitenden 
Organe,  am  allerwenigsten  vor  syphilitischen  Nachkrankhei- 
ten gesichert  ist,  ja,  dafs  sich  unter  dem  Gebrauche  desselberi 
auch  die  consecutiven  Zufälle  der  venerischen  Krankheit  (wo- 
gegen der  Sublimat  noch  am  ehesten  angezeigt  wäre)  sehr  oft 
«och  verschlimmern,  statt  sich  Zu  bessern  oder  gänzlich  ge- 
beilt zu  werden. 

(Der  Besthlufs  folgt.) 


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N.  8.  1826, 

'     Heidelberger  1 

■ 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Kopp  arztliche  Bemerkungen. 

CBeschlufs.) 

Ref.  könnte  dieses  durch  eine  Reihe  von  Beispielen  be- 
weisen ,  indem  ihm  Fälle  vorgekommen  sind,  wo  unter  dem 
Gehrauche  des  Sublimats  die  Uvula  bereits  der  Zerstörung 
durch  das  venerische  Gift  sehr  nahe  war,   und  wo  nur  der 
reichliche  Gebrauch  des  versüTsten  Quecksilbers  das  Gebilde 
noch  rettete,  wo  ferner  venerische  Hautausschlage  und  nächt- 
liche Knochenschmerzen,  venerische  Nasengeschwüre  und  Auf- 
treibungen des  Stirnbeines,  gegen  welche  bereits  längere  Zeit 
zuvor  unter  steter  Verschlimmerung  fies  Uehels  der  Sublimat 
gebraucht  ward,  allein  durch  die  Auwendung  des  vetsöfsten 
Quecksilbers  und  den  durch  dasselbe  erregten  Speichelflufs 
cründJich  und  für  immer  getilgt  wurden.     Ref.  bat  keinen 
Grund,  anzunehmen,  dafs  sich's  hierin  in  Frankreich  Viel  an- 
ders verhalten  werde,  als  in  Deutschland,  da  eine  Verschie- 
denheit im  Klima,  dessen  Temperatur,   der  physischen  Be- 
schaffenheit und  Lebensweise  der  Bewohner  beider  Länder, 
nicht  in  dem  Maafse  statt  findet,  dafs  bei  gleichet  Unbefan- 
genheit und  Genauigkeit  in  der  Beobachtung  die  Behandlung 
der  syphilitischen  Uebel  durch  den  innerlichen  Sublimatge- 
brauch in  dem  einen  dieser  Länder  andere  Resultate,  als  in 
dem  andern  hervorbringen  werde.     Ref.  bemerkt  ferner ,  dafs 
diejenigen  Syphilitischen  darum  noch  nicht  immer  gründlich 
geheilt  sind,  deren  Localttbel  während  der  Innerlichen  An* 
Wendung  des  Sublimats  verschwunden  ist  (so  wertig  als  der- 
jenige vor  den  Folgen  des  tollen  Hundsbisses  gesichert  ist, 
dessen  Bifs wunden  bald  geheilt  sind) ,  indem  er  solche  örtliche 
Uebel  schon  oft  nicht  ilur  innerhalb  weniger  Tage,   also  zu 
einer  Zeit  schon  verschwinden  sah  ,  wo  von  einer  antisyphi- 
litischen Wirkung  des  Quecksilbers  noch  gar  keine1  Rede  seyn 
konnte,  sondern  es  auch  häufig  geschieht,   dafs  Venerische 
Locälaufällq  in  Kurzem  ohue  allen  innerlichen  oder  äüfser- 

XIX-  Jahrg.  &  B\  ff,  '        8  # 


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114  Kopp  arztliche  Bemerkungen. 

lieben  Quecksilbergebrauch  lediglich  von  selbst  wieder  ver- 
schwinden ,  und  somit  für  einige  Zeit  geheilt  zu  seyn  schei- 
nen, dann  aber  oft  erst  nach  einer  Reihe  von  Monaten  durch 
den  nunmehrigen  Ausbruch  der  Symptome  allgemeiner  La  es 
beweisen,  dais  das  einst  unbeachtete ,  schmerzlose ,  dem  An- 
scheine nach  gänzlich  geringfügig  gewesene,  venerische  Local- 
übel  allmählig  im  Stande  war,  seiner  inneren  Qualität  nach 
sich  über  den  ganzen  Körper  zu  verbreiten,  und  die  ernsthaf- 
testen und  hartnäckigsten  Folgen  nach  sich  zu  ziehen»  Ref. 
könnte  zum  Belege  dieser  Wahrheit  (die  bei  der  Häufigkeit 
der  venerischen  Vergiftung  und  ihrem  oft  so  tiefen  Eingreifen 
in  das  physische  und  moralische  Wohl  der  Menschen ,  und 
weil  da  und  dort  die  Mos  locale  Behandlung  frischer  veneri- 
scher Uebel  und  die  Ueberflüssigkeit  des  innerlichen  Queck- 
silbergebrauchs gegen  dieselben  gelehrt  wird,  nicht  häufig  ge- 
nug gesagt  und  beherzigt  werden  kann,  und  daher  nicht  nur 
in  specie  für  den  syphilitischen  Kranken  und  den  ihn  behan- 
delnden Arzt,    sondern  auch  für  die  Gesundheitspolizei  im 
Allgemeinen  Von  der  gröfsten  Wichtigkeit  ist)    eine  Reibe 
selbst  beobachteter  Falle  mittheilen;    er  will  aber»  um  die 
Gränzen  einer  Anzeige  nicht  noch  mehr  zu  überschreiten, 
statt  aller  nur  anführen,   dafs  er  gerade  im  gegenwärtigen 
Augenblicke  einen  jungen  Menseben  behandelt,  welcher  he. 
reits  vor  zehn  Monaten  in  Folge  des  Umgangs  mit  einer  un- 
reinen Weibsperson  ein  kleines,  schmerzloses  Geschwüreben 
an  der  Vorhaut  bekam  ,  das  er  nicht  weiter  beachtete,  und  da- 
her sich  selbst  überliefs,  worauf  es  nach  zehn  bis  zwölf  Ta- 
gen geheilt  zu  seyn  schien.     Zehn  Monate  lang  hatte  er  nun 
einer  ununterbrochenen  Gesundheit  genossen,  als  sich  jetzt 
erst,  ohne  dafs  er  in  jener  Zeit  einen  neuen  Umgang  mit  einer 
Weibsperson  gepflogen,  die  Zufälle  der  allgemeinen  Lues  bei 
ihm  entwickelten,  und  nun  nach  einander,  innerhalb  weniger 
Wochen,  venerische  Halsschmerzen,  Geschwulst  und  Exul- 
ceration  beider  Mandeln ,  Condylomata  am  After  und  Mittel- 
fleisch,  dergleichen  Auswüchse  am  Scrotum,  dem  männlichen 
Gliede  und  der  inneren  Seite  beider  Oberschenkel  und  selbit 
in  den  Zwischenräumen  der  Zehen  des  rechten  Fufses,  «cb 
zuletzt  aphthöse,  warzenartige  Erhabenheiten  und  Excoria- 
tionen  zeigten,  die  offenbar  Venerischer  Natur  waren,  und 
den  sorglosen  Kranken  zuletzt  nöthigten ,  ärztliche  Hülfe  su 
suchen.  — -    In  Rücksicht  der  wichtigen  Frage:  ob  der  Spei- 
chelfluf*  eine  wesentliche  oder  unwesentliche  Bedingung  sur 
gründlichen  Heilung  sowohl  primärer  als  secundilrer  venerl" 
scher  JJebel  sey ,  w.ül  Ret  hier  nur  noch  kurz  ,  obwohl  geg*0 


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Kopp  ärztliche  Bemerkungen.  \  j  5 


die  Ansicht  der  Franzosen,  bemerken,  dar«  er  denselben  in 
der  Regel  für  eine  wesentliche  Bedingung  zu  einer  radicalen 
Heilang  der  örtlichen  und  allgemeinen  Lustseuche  halt  9  dafs 
es  aber  auch  einzelne  Fälle  gehe,  wo  die  gründliche  Heilung 
derselben  ohne  einen  solchen Speichelflufs  erfolge,  so  wie  auch 
zuweilen  Fälle  vorkommen,  wo  schon  Salivation  eintritt, 
noch  ehe  das  venerische  Gift  getilgt  ist.  Ref.  kann  sich  je- 
doch über  diesen  Gegenstand  hier  nicht  weiter  einlassen,  und 
behält  sich  vor,  bei  einer  andern  Gelegenheit  seine  Ansichten 
und  Erfahrungen  hierüber  mitzutbeilen. 

Im  Hospital  für  kranke  Kinder,  das  gewöhnlich  fünfhun- 
dert Kranke  von  zwei  bis  vierzehn  Jahren  enthält,  ein  schö- 
nes Local  und  gute  Verpflegung  hat,  werden  die  Knaben  von 
Jadelot,  die  Mädchen  von  Guersent  behandelt,  f.'er  Verf.  be- 
richtet tins  aber  nichts  Ausgezeichnetes  von  dieser  Anstalt,  — 
Mehr  verweilt  derselbe  bei  dem  Hopita]  de  )a  Garde  royale, 
welchem  Larrey  vorsteht,  dessen  Ruhm  übrigens  bei  uns 
gröfser  ist,   als  in  seinem  Vaterlande,   der  von  Napoleon 

Sroise  Auszeichnung  genofs,  von  demselben  zum  Baron  erho« 
en  und  in  seinem  Testamente  bedacht  wurde ,  nun  aber  zu- 
rückgesetzt ist,  der  Prahlerei  und  Uebertreibung  von  seinen 
Landsleuten  beschuldigt  wird  ,  und  ehedem  weit  besser  ope- 
rirt  haben  soll,  als  jetzt.  Unser  Verf.  schildert  ihn  als  einen 
äufserst  gutmüthigen  und  gefälligen  Mann  sowohl  gegen  Frem- 
de ,  als  gegen  seine  Kranken  und  Untergebenen ;  meist  wird 
sein  Hospital  aber  nur  von  deutschen  oder  englischen  jungen 
Aerzten  besucht.  Die  Kranken  leben  in  diesem  Hospitale  am 
besten.  Der  gedruckte  lange  Speisezeddel  dieses  Kranken- 
hauses enthält  mehr  Gerichte,  als  in  den  gröfsten  Gasthöfen 
mancher  Mittelstadt  zu  haben  sind,  was  den  Vf.  um  so  mehr 
wundert,  da  Larrey  als  Militärarzt  die  Gewöhnung  der  Kriegs- 
leute an  Ueppigkeit  und  UeberflufS  gewils  nicht  gut  heifsen 
kann.  Der  vielfachen  Anwendung  der  Moxa  (von  denen  die 
kleinere  oder  chinesische  eine  aus  mehreren  Pflanzenpulvern 
hestehende  Paste  ist,  die  bei'm  Abbrennen  die  Haut  nur  ober- 
flächlich, die  grofse  ägyptische  oder  Zylinderinoxa  aber,  aus 
Baumwolle,  die  Haut  tiefer  verletzt,  welche  beide  Larrey 
fast  bei  jedem  Spitalumgange  anwendet,  ja  zuweilen  einem 
Kranken  nach  und  nach  30  Moxert  appliciren  läfst),  gedenkt 
der  Vf.  ausführlich,  und  bemerkt,  dals  Larrey  dadurch  nicht 
selten  in  Fällen  Genesung  bewirke,  wo  die  Anwendung  sonst 
ganz  ungewöhnlich  erscheine.  Ref.  hat  sich  der  Moxa  in  der 
Hospital  -  undCivilpraxis  auch  schon  öfter  bald  mit,  bald  ohne 
guten  Erfolg  bedient^  und  er  ist  überzeugt,  däfs  die  Anwen- 


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116  Kopp  ärztliche  Bemerkungen. 


düng  dieses  kräftigen  Mittels  in  mancherlei  chronischen ,  in- 
neren undäufseren,  Kränkheitszuständen ,  gegen  welche  die 
Kunst  so  oft  ohne  guten  Erfolg  kämpft,  von  ausgezeichnetem 
Nutzen  seyn  würde,  wenn  nur  die  betreffenden  Kranken  sich 
in  der  Regel  nicht  so  sehr  vor  der  Application  des  Feuers 
fürchteten,  und  daher  den  Gebrauch  desselben  seltener  zu- 
liefsen,  als  es  zu  wünschen  wäre.  Ref.  bediente  sich  bisher 
einer  sehr  kunstlosen  Moxa  ,  die  aber  eben  um  ihrer  Einfach- 
heit und  Wohlfeilheit  willen  ,  und  weil  man  sie  fast  überall 
leicht  haben  kann,  um  so  eher  Anwendung  verdient,  auch  in 
physisch -chemischer  Hinsicht  eben  dieselbe,  ja  vielleicht  eine 
noch  kräftigere  Wirkung  leistet,  als  die  künstlichere  Larrey'- 
sche  Moxa,  nämlich  der  gewöhnlichen  (pyramidenförmig  ge- 
stalteten) R..uchkerzchen  (Gandelulae  fumales)  der  Apotheken, 
von  denen  er,  nach  Umständen,  eines  oder  zwei  aufsetzen, 
und  dann  mit  oder  neben  einander  bis  zum  letzten  Funken 
abbrennen  läfst.  Unter  andern  liefs  Ref.  einst  zwei  derselben 
einem  jungen  Manne  auf  dem  Haupte  abbrennen,  der  in  Folg* 
eines  von  Sumpfluft  entstandenen  Quartanfiebers  wassersüch- 
tig geworden  war,  und  bei  dem  sich,  wie  es  schien,  nach 
einer  schnell  eingetretenen  serösen  Exsudation  zwischen  den 
Gehirnhäuten  und  in  den  Gehirnventrikeln ,  convulsivische 
und  apoplectische  Zufälle  eingestellt  hatten.  Kaum  hatte  der 
Kranke  die  Einwirkung  des  Feuers  kräftig  empfunden,  als  er 
zumBewufstseyn  zurückkehrte,  die  zuvor  statt  gehabte  Tal- 
lys« des  resorbirenden  Systems,  welche  fruherhin  den  wirk- 
samsten inneren  Mitteln  widerstanden  hatte,  sich  binnen 
etlichen  Tagen  hob,  worauf  in  Kurzem  viel  Urin  abgieng, 
und  der  Kranke  nun  durch  den  Fortgebrauch  roborirender  und 
diuretiscber  Arzneien  allmählig  zur  gänzlichen  und  dauerhaften 
Genesung  gelangte. 

V.  Estjuirol.  —  Die  Salpetriere.  —  Charenton.  —  Bi- 
cötre.  —  Itard.  —  Die  Maternite'.  —  Hebammenanstalt.  — 
Schaden  durch  venerische  Hebammen.  —  Findelhaus.  —  Zell- 
gewebsverbärtung.  —  Taubstummenanstalt,  —  Institute  für 
Blinde.  —  Veterinäranstalt.    S.  140  —  172. 

Die  Salpetriere,  Charenton  und  Bicetre,  diese  drei  für 
di«  Heilung  und  Aufbewahrung  Geisteskranker  bestimmten 
Orte,  gehören  zu  den  merkwürdigsten  ärztlichen  Anstalten 
in  Paris.  Die  vorzüglichste  unter  ihnen  ist  aber  in  allen  Rück- 
sichten die  Salpetriere,  die  zugleich  Versorgungsanstalt  ist, 
und  unter  ihren  5000  weiblichen  Bewohnern  etwa  800  Psy- 
chischkranke und  260  Epileptische  zählt.  An  ihr  allein  wer- 
den, und  zwar  von  EsuuuroJ,  dem  Arzte  der  Anstalt,  Pinel's 


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1 


Kopp  Iritlicbt  Bemerkungen.  *47 

Nachfolger,  Vorlesungen  über  psychische  Krankheiten  gehal- 
ten, die  sehr  stark  besucht,  und  durch  Esquirol's  Humanität, 
Kenntnisse,   Eiter  und  ThStigkeit  ungemein  nützlich  sind. 
Zugleich  besitzt  dieser  verdienstvolle  Gelehrte  auch  eine  sehr 
bedeutende  und  wohl  eingerichtete  Privatanstalt  für  Geistes» 
zerrüttete.     Innerliche  Arzneien  sieht  man  in  den  Pariser 
Irrenanstalten  selten  gegen  die  Gemüthskrankheiten  gebrau- 
chen, dagegen  wird  mehr  Werth  auf  die  moralische  Behand- 
lung, die  Art  der  Verwahrung  ,  Lebensordnung ,  Bilder,  den 
Gebrauch  des  Glüheisens  im  Nacken  und  kalte  Sturzbäder  auf 
den  abgeschorenen  Kopf  während  des  warmen  Bades  gelegt. 
In  Charenton,  woselbst  der  Verf.  300  gemflthskranke  Männer 
und  200  Weiber,  meist  aus  den  höheren  Stünden  ,  sah,  und 
woselbst  die  Einrichtung  vollkommener  seyn   könnte,  ist 
Royer-Collard  Arzt;  am  Bicetre,  das  gleichfalls  grofser  Ver- 
besserung bedürfte,  nur  für  männliche,  heilbare  und  unheil- 
bare, Irren  bestimmt,  zugleich  aber  auch  Verpflegungsanstalt 
für  alte  Arme  und  Unheilbare,  so  wie  Aufbewahrungsort  für 
schwere  männliche  Verbrecher  ist,  ist  Pariset  angestellt.  — 
jVIit  der  Maternite'  (Maison  d'accoucbement)  ,  einer  grofsen 
Gebäranstalt,  in  welcher  jährlich  über  2000 Schwangere ,  zum 
Theil  unerkannt,  entbunden  werden,  und  an  welcher  Dubois 
als  Geburtshelfer  und  Chaussier  als  Arzt  wirken,  besteht  eine 
Schule  für  angehende,  auf  Kosten  der  Departements  sich  un- 
terrichtende Hebammen,  in  welcher  junge  Aerzte  keinen  Zu- 
tritt haben.     Gegen  den  Gebrauch  in  Deutschland  werden  in 
Frankreich  meist  nur  junge  Personen  von  15  bis  25  Jahren  zu 
Hebammen  gebildet,  um  für  das  von  den  Gemeinden  auf  sie 
verwandte  Geld  lange  nützen,    und  im. mittleren  Lebensalter 
schon  erfahrene  Hebammen  werden  zu  können.     Der  Verf. 
thut  bei  dieser  Gelegenheit  den  gewifs  sehr  beherzigungswer- 
then  Vorschlag,  die  Hebammen  bei  dem  Unterrichte  auch  mit 
den  Kennzeichen  der  Lustseuche,  und  den  sie  vor  derselben 
schützenden  Mitteln  bekannt  zu  machen,  damit  sie  bei  der 
Entbindung  venerischer  Personen  das  Gift  nicht  auf  gesun  de 
Gebärende  und  Kinder  übertragen-,  wovon  der  Verf.  sowohl 
eigene,  als  fremde  traurige  Beispiele  erzählt.   —    Im  Findel- 
hause ,    welchem  Breschet  als  Wundarzt  vorsteht,    ist  die 
Sterblichkeit  wegen  der  sehr  verbesserten  Einrichtung  weit 
geringer,  als  ehemals.    Von  den  5000  jährlich  aufgenomme- 
nen, verlassenen  Kindern  werden  nur  die  kranken  im  Hause 
behalten,  die  gesunden  aber  Ammen  auf  dem  Lande  zum  Säu- 
gen und  zur  Pflege  gegeben,  was  dem  Institute  eine  jährliche 
Auslage  von  1,400,000  Franken  verursacht.    Sehr  häufig  wird 


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H§  Kopp  ärztlich«  Bemerkungen. 

hier  die  Zellgewebsverhärtung  beobachtet,  von  welcher  unser 
Verf.  nach  eigener  Ansicht  hier  ein  deutliches  Bild  entwirft, 
und  die  Krankheit  für  eine  eigentümliche  Modification  ver- 
erbter Lustseuche  ansieht,  worin  ihm  Ref.  voljkoinmen  bei- 
stimmt, indem  er  namentlich  vor  anderthalb  Jahren  einen, 
von  einem  früher  mit  der  Lustseuche  behaftet  gewesenen  Va- 
ter erzeugten  Säugling  an  dieser  Krankheit  sterben  sah,  von 
dessen  früheren  fünf  Geschwistern  Ref.  auch  eines,  an  einem 
entschieden  syphilitischen  ,  im  höchsten  Grade  bösartigen  und 
tödtlich  gewordenen  Ausschlage  behandelte.  Das  letzterzeugte 
Kind  dieses  Mannes  starb  vor  einem  halben  Jahre  am  fünften 
Tage  nach  der  Geburt  unter  beständigem  Wimmern  an  Ga- 
stromalacie,  was  den  Ref.  die  Section  lehrte.  —  Am  nütz- 
lichsten findet  man  im  Pariser  Findelbause  Wasserdampfbäder 
gegen  die  Zejlgewebsverhärtung ;  Ref.  würde,  wenn  ihm 
wieder  Fälle  dieser  Art  vorkämen,  das  versüfste  Quecksilber 
in  kleinen  Dosen  mit  Moschus  in  Gebrauch  ziehen.  —  Ttard 
ist  Arzt  des  K.  Taubstummeninstituts,  und  ausschliefslich  nur 
mit  der  Behandlung  Gehörkranker  beschäftigt,  worin  er  Ge- 
wandtheit und  manches  Eigentümliche  besitzt.  Der  Taub- 
stummen sind  neunzig,  und  ibr  erster  Lehrer  ist  der  Abbe 
Periez  ,  die  Lehrmethode  die  des  Abbe'  de  l'Epe'e,  vom  Abbe 
Siccard  vervollkommnet.  Sie  geschieht  durch  die  Zeichen- 
sprache, wodurch  die  Taubstummen,  aufser  der  Erlernung 
mechanischer  Arbeiten,  lesen,  schreiben  und  rechnen  lernen, 
und  sich  in  mehreren  Sprachen ,  in  der  Geographie,  Geschichte 
u.  s.  w.  Kenntnisse  erwerben  ,  worüber  sie  jeden  Monat  zahl- 
reich besuchte  Prüfungen  erfahren.  «—  Eine  ähnliche  Einrich- 
tung findet  auch  in  der  K.  Anstalt  für  junge  Blinde  statt  ,  die 
sechszig Mädchen  und  dreifsig  Knaben  zählt.  Die  Buchstaben 
ihrer  Bücher,  die  Gränzen  in  den  Landcharten,  die  Noten 
u.  s.  w.  sind  erhaben  ,  und  für  das  Gefühl  in  den  Fingerspitzen 
geeignet,  und  eben  so  sind  auch  ihre  Bücher  eingerichtet.  — 
An  der  seit  1767  unter  Bourgelat's  Direction  stehenden  Unter- 
richtsanstalt für  Thierarzneikunde  im  Schlosse  Alfort  bei  Paris 
geben  sieben  Professoren  Unterricht.  Der  Zweck  dieser  An. 
stalt  ist,  Thierärzte,  geschickte  Hufschmiede,  Landwirthe 
und  Schäfer  zu  bilden,  zu  welchem  Behufe  sie  treffliche  Hülfs- 
mittel  besitzt. 

VI.    Magnetismus  in  Frankreich.  —  Varietäten,  S.  173 
179»     Ref.  ist  niebt  ganz  der  Ansicht  des  Verf. ,  wenn  er 
behauptet,  dafs  die  Franzosen,  weil  sie  nicht  Gemüth  genug 
haben,  sich  weder  zum  Magnetisiren ,  noch  Magnetisirtwer- 
den  eignen.     Ref.  erinnert  hier  jiur  daran ,  dals  Mesmer  in 


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fcoj»j>  3r*tljch«  Bemerkungen.  119 


den  letzten  Decennien  des  verfloii enen  Jahrhunderts  mit  gros- 

•em  Glücke  und  Aufsehen  magnetische  Kuren  in  Paris  verrieb« 
tete,  nachdem  er  *;ura  suvor  wegen  Anwendung  derselben  in 
deutschen  Staaten  Hindernisse  und  Verfolgungen  mancherlei 
Art  zu  bestehen  gehabt  hatte;  dafs  «ich  au  jener  Zeit,  in 
Folge  der  Empfänglichkeit  der  Franzosen  für  den  Mafinetis- 
mus, nicht  nur  in  der  Hauptstadt»  sondern  auch  in  mehreren 
Städten  Frankreichs,  ganze  Gesellschaften  zu  Gunsten  des 
Magnetismus  gebildet  hatten,  deren  Verhandlungen,  wenn 
aich  Ref.  nicht  irrt,  einst  öffentlich  bekannt  geworden  und 
zum  Theil  im  Drucke  erschienen  sind,  und  dafs  längst  vor  der 
Revolution,  und  noch  bis  zu  deren  Ausbruche  hin»  eine  Zeit 
sensibler  oder  nervöser  Stimmung  (wenn  Ref.  sich  *Q  aus- 
drücken darf)  in  Frankreich  herrschte,  während  welcher  hy- 
sterische £rscbeinungenf  Vapeurs,  Ekstasen,  Hellsehen,  und 
wie  die  Zufälle  einer  theils  natürlich  krankhaften,  tbeils  er* 
künstelten  Nervenverstimmung  weiter  benannt  werden  mo> 

§en,  bis  zur  Beschaulichkeit  frommer  Inspiration,  insbeson- 
ere  in  höheren  Zirkeln,  sehr  häufig  zum  Vorschein  kamen. 
Wohl  gab  dann  das  Emporkommen  jenes,  dem  sogenannten) 
Gefühlleben  allerdings  fremden ,  kräftigen  Usurpators ,  der 
auf  einem  Eilande  des  westlichen  Oceana  ahnlängst  sein  Leben 
scblofs,  der  französischen  Nation  eine  ganz  andere,  dem  in« 
neren  nervenschwachen  Beschauungsieben  fremde ,  ja  entge. 
angesetzte  Richtung ,  indem  mit  den  ,  durch  gewaltsam  her« 
beigefübrte  politische  Ereignisse  nun  nach  aufsen  gedrängten 
Kräften  den  Bewohnern  Frankreichs  weder  mehr  Zeit  noch 
Gelegenheit  übrig  blieb,  zur  eigenen  Betrachtung  in  sich  selbst 
zurückzukehren,  und  auch  der  Geist  des  friedlicher  noch  am. 
Heerde  Weilenden  durch  die  vielfach  sich  drängenden  und 
wechselnden  Ereignisse  fast  jedes  Tages  sich  i"  eine  stete 
Spannung  und  Regung  nach  aufsen  versetzt  sah.  Eine  solche 
Richtung  des  französischen  Volkes  war  und  blieb  aber  nur 
eine  vorübergehende ,  und  keineswegs  eine  dauerhafte,  und 
Ref.  tnüfste  sich  sehr  irren,  wenn  nicht  mit  der  stufen  weisen 
Rückkehr  eines  friedlichen  Volkes  zu  alten  Gebräuchen  und 
religiösem  Cultus  eine,  seiner  angestammten  Natur  wohl  nicht 
fremde,  sensible  Stimmung,  oder,  wenn  man  lieber  will, 
dasjenige  Gefühlleben  in  demselben,  wiederkehren  sollte»  welche 
einer ,  im  TJebrigen  keineswegs  beneidenswerthen  Empfäng- 
lichkeit für  den  Magnetismus,  und  den  ihm  verwandten  Er- 
scheinungen Daseyn  verleiht,  Andererseits,  glaubt  Ref.,  dafs, 
die  Receptivität  der  Deutschen  für  den  Magnetismus  und  das 
Treiben  derselben,  in  diesem  und  ihm  verwaisten,  Gebieten^ 


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120  Kopp  Srxtliche  Bemerkungen. 

> 

wie  wir  es  sait  2ehn  oder  zwölf  Jahren  um  uns  her  beobach- 
tet haben,  unter  Anderem  auch  in  einer,  durch  politische  Er- 
eignisse herbeigeführten,  bald  durch  Furcht,  bald  durch  Hoff- 
nung hervorgebrachten  Stimmung  der  Gemüther  ihre  Dispo- 
sition gefunden  habe,  dafs  aber  der  Meridian  einer  solchen 
magnetischen  Stimmung  unter  den  Deutschen  bereits  schon 
wieder  passirt  zu  seyn  scheine. 

VII.  Gesundheitspolizei  und  gerichtliche  Medicin  in 
Frankreich.  —  Rückblick  auf  das  Betreiben  beider  Wissen- 
schaften in  Deutschland.  —  Nützliche  Anwendung  des  Chlo- 
rinkalks  in  Paris  und  Marc's  Bericht  darüber.  S.  180  —  224» 
In  Frankreich  bandelt  man  in  medicinisch- polizeilicher  Rück- 
sicht nur  da,  wo  es  augenscheinlich  Noth  thut,  in  Deutsch- 
land i8t  man  aber  auf  das  andere  Extrem  gerathen.  Als  Beweis 
hievon  theHt  der  Verfc  von  S.  l8l  —  189.  eine  Reihe  medici- 
nisch-polizeilicher,  von  verschiedenen  Aerzten  gemachten 
Vorschlüge  mit,  welche  wir  bereits  kennen,  und  wobei  Ref. 
blos  bemerkt,  dafs  manches  der  Aufmerksamkeit  der  obersten 
Medicinalbebörde  werth  ist,  was  deswegen  doch  noch  nicht 
als  allgemeine  Malsregel  einzuführen  wäre,  und  dafs  eine 
weise  Regierung  nie  ohne  vorhergegangene  umsichtige  Prü- 
fung urtheilen  und  beschliefsen  werde.  Irn  Uebrigen  hält  auch 
Ref.  die  Sorge  einer  Regierung  für  gute  Besetzung  unterer 
Medicinalämter  für  die  Basis  jeder  guten  Sanitatspolizei  und 
gerichtlichen  Medicin*  Besonderen  Dank  verdient  der  Verf. 
Für  die  ausführliche  Mittheilung  des  von  Apotheker  Labarraque 
in  Paris  entdeckten  Gebrauchs  des  Chlorkalciums  zur  Tilgung 
des  faulen  Geruchs  bei  Leichnamen  f  dessen  Anwendung  sich 
aufser  der  Sicherheit  und  Schnelligkeit  in  der  Wirkung  insbe- 
sondere auch  noch  durch  die  Woblfeilheit  und  Leichtigkeit 
seiner  Anwendung  empfiehlt«  Dr.  Marc,  ein  Deutscher  von 
Geburt,  Leibarzt  des  Herzogs  von  Orleans,  und  einer  der 
vorzüglichsten  gerichtlichen  Aerzte  Frankreichs,  hat  eine 
Reihe  von  Versuchen  mit  diesem  Antiseptikum,  sowohl  gegen 
den  Leichengeruch  in  der  Rettungs-  und  Ausstellungsanstalt 
für  unbekannte  Unglückliche  (morgue),  als  zu  Verhütung  des 
Gestankes  in  Abtritten  und  Urinbehältern  Öffentlicher  Orte 
angestellt,  die  in  hohem  Grade  zu  Gunsten  der  Wirksamkeit 
dieses  Mittels  sprechen ,  und  seine  allgemeine  Einführung  in 
den  geeigneten  Fällen  sehr  wünschenswerth  machen.  Unser 
Verf.  wendet  das  flüssige  Clilorkalcium  bei  schlaffen,  übel- 
riechenden, cbronisohen  Geschwüren  mit  auffallendem  Nutzen 
an,  und  glaubt,  dafs  dasselbe  zur  Zerstörung  der  Contagien 
und  Miasmen  in  manchen  Rücksichten  noch  Voraüge  vor  den 


Kopp  Srztlichc  Bemerkungen.  121 


G.  Morvean/schen  und  Smyth'schen  sauren  Dampfen  haben 
werde. 

VIII.  Wechsel  des  allgemeinen  Krankheitscharaktera.  — 
Einflufs  der  Witterung  auf  die  Entstehung  der  Krankheiten.  — 
Die  Lungensucht  in  epidemischer  Besiehung.  S.  225  —  256. 
Ref.  ühergeht  die  eindringende  Empfehlung  des  Verf.:  den 
stationären  Krankheitscharakter  und  seinen  Wechsel,  zum 
Heile  der  Therapie,  eifrig  zu  beobachten,  als  bekannt,  so 
wie  die  Bemerkungen  über  die  Lungensucht  in  epidemischer 
Beziehung  ,  insbesondere  für  Hanau ,  als  dem  Wohnorte  des« 
selben,  woselbst  an  dieser  Krankheit  besondeis  viele  sterben, 
und  wovon  die  Ursache  unter  andern  hauptsächlich  in  der 
durch  die  localen  Verhältnisse  der  Stadt  begründeten,  statio- 
nären  katarrhalischen  Constitution  und  deren  späteren  nach- 
theiligen Folgen  für  die  Kespirationswerkzeuge  liegt.  Dage- 
gen erlaubt  sich  Ref.  noch  etliche  Augenblicke  bei  der  Behaup- 
tung des  Verf.  zu  verweilen,  dafs  sich  der  seit  dem  beisserr 
Sommer  l8il  und  der  Anwesenheit  des  grofsen  Kometen  in 
jenem  Jahre  rein  entzündlich  gewesene  allgemeine  Krankheita- 
charakter,  in  Folge  des  gleichfalls  meteorologisch  denkwürdi- 
gen Jahres  1  8 24 ,  nun  zum  asthenischen  neige;  was  derselbe 
aus  folgenden  Erscheinungen  schliefst:  l)  es  gebe  weniger 
Entzündungen,  besonders  weniger  Pneumonieen  ,  als  vor  eini- 
gen Jahren;  2)  das  Aderlassen  sey  jetzt  bei  weitem  nicht  so 
oft  nöthig,  als  früher;  3)  die  Kranken  vertragen  jetzt  weit 
eher  Reizmittel ;  4}  nervöse  Fieber  mit  dem  Charakter  der 
Schwäche  seyen  jetzt  häufiger,  als  vor  mehreren  Jahren,  ja 
sogar  bin  und  wieder  schon  epidemisch ;  5)  intermittirende 
Fieber  kamen  im  Jahre  f324  bereits  öfter  vor,  als  in  einer 
ganzen  Reihe  vorhergegangener  Jabre.  —  Ref.  übergibt  diese 
wichtigen  Punkte  ,  so  wie  die  Beobachtung  des  Verf. :  dais 
zur  Zeit  feuchter  Witterung  weit  weniger  Kranke  sich  zeigen, 
als  unter  dem  Einflüsse  der  trockenen,  seinen  Lesern  zur  Ver- 
gleich ung  mit  ihren  eigenen  Beobachtungen  und  Erfährungen, 
erlaubt  sich  aber  seine  ,  auf  eine  gänzlich  unbefangene  und 
partheilose  Wahrnehmung  sich  stützende  Stimme  bescheiden 
dahin  abzugeben ,  dafs  ihn  in  BetreiF  des  letzteren  Umstandet 
namentlich  die  Erfahrung  des  gegenwartigen  Spätjahres  gerade 
das  Gegentheil  gelehrt  habe,  indem  bei  der,  beinahe  den 
ganzen  Hevbst  und  anfangenden  Winter  1825  herrschend  ge- 
wesenen feuchten,  nebligen  und  gelinden  Witterung  in  der 
Genend  und  an  dem  Orte,  wo  Ref.  die  Arznei  Wissenschaft 
gegenwärtig  ausübt,  nicht  nur  häufiger  alg  zuvor  fieberhafte 
Krankheiten  unter  Erwachsenen  aufgetreten  sind,  sondern 


123  Kopp  ärxtliche  Benieikuugcn. 

»ich  zugleich  auch  unter  den  Kindern  (und  nicht  selten  auch 
bei  Erwachsenen)  der  Keuchhusten  und  das  Scharlach fieber 
entwickelt  bähen,  von  welchen  das  letztere  in  der  Stadt  mit 
Andauer  jener  Witterung  wahrhaft  epidemisch  geworden  ist. 
In  Rücksicht  der  gegenwärtigen  Abnahme  des  entzündlichen 
epidemischen  Genius,  dem  seltneren  Vorkommen  vonLungen- 
entzündungen  als  sonst,  der  seltneren  Nothwendigkeit  des 
Aderlasses  in  denselben,  und  dem  leichteren  Vertragen  von 
Reizmitteln  bei  Kranken  überhaupt  bekennt  Ref.  um  der 
Wahrheit  willen,  dafs  seine  Beobachtungen  zur  Zeit  gleich« 
falls  noch  nicht  mit  denen  des  Verf.  übereinstimmen,  indem 
der  inflammatorische  Charakter  der  Krankheiten  ,  nur  zuwei- 
len mit  dem  galligten  complicirt ,  in  seiner  Gegend  in  der  Re- 
gel noch  immer  vorwaltet,  insbesondere  aber  auch  Lungen- 
entzündungen und  entzündliche  Seitenstiche  häufig  auftreten, 
allgemeine  und  besondere  Blutentziehungen  vor  allen  Dingen 
und  meistens  wiederholt  erfordert  werden,  und  Nitrum  in 
Emulsion  neben  Calomel  die  vorzüglichsten  Hülfsmittel  sind. 
Die  Beschaffenheit  des  Pulses  und  des  aus  der  Ader  gelassenen 
Blutes,  das  in  der  Regel  eine  sehr  bedeutende  Entzündungs- 
haut zeigt,  der  gewöhnlich  schnelle  Anfang  der  Krankheiten, 
ihr  im  Ganzen  kurzer  Verlauf,  die  Beschaffenheit  der  Secre- 
tionen,  die  Wege,  durch  welche  die  Natur  Krisen  einleitet 
und  vollendet,  alles  das  spricht  in  des  Ref.  Kreise  in  der  Mehr« 
zahl  fieberhafter  Krankheiten  und  örtlicher  Entzündungen  für 
einen  gegenwärtig  noch  prävalirenden  entzündlichen  Genius 
epidemicus.  Ref.  findet  daher  auch  in  der  Regel  bei  Behand- 
lung derselben  keine  häufige.  Anzeige  zum  Gebrauche  von 
Reizmitteln,  häufig  dagegen  zu  solchen  Hülfsmitteln ,  welche 
die  Masse  des  Blutes  vermindern  ,  die  Bewegung  desselben 
mäfsigen,  und  die  Mischung  dieser  Flüssigkeit  verändern, 
wo  dann  meistens  auf  sehr  einfachem  Wege,  bei  gehörigem 
Verhalten  des  Kranken ,  die  Genesung  herbeigeführt  wird. 
Selbst  das  Alter  des  Kranken  macht  in  Rücksicht  der  noch 
herrschenden  entzündlichen  Diathesis  keinen  wesentlichen  Un- 
terschied, und  beurkundet  noch  mehr  die  Allgemeinheit  ihrer 
Verbreitung,  ■  Ref.  sah  ohnlängst  bei  einem  et] ich'  und  siebzig- 
jährigen ,  an  einer  Pneumonie  leidenden,  hager  und  schwäch- 
lich aussehenden  Manne,  bei  welchem  eine  dreimalige  Venä- 
section  und  das  Anlegen  von  Blutegeln  an  den  Thorax  angezeigt 
waren,  das  aus  der  Ader  gelassene  Blut  jedesmal  von  einer 
eben  so  entzündlichen  Beschaffenheit,  als  er  es  auf  dieselbe 
Weise  wieder  bei  einem  sechszehnjährigen  Knaben  mit  der- 
selben Krankheit  fand,  bei  welchem  ein  zweimaliger  Adetlafs 


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t 

f 

I  Kopp  arstiichs  Bemerkungen.  123 

neben  dem  Gebrauche  von  Blutegeln  in  Anwendung  gebracht 
wurde,  und  hei  dem  die  Natur  in  den  nächst  darauffolgenden 
Tagen  doch  noch  auf  demselben  Wege,  nämlich  durch  wieder- 
hohes  Nasenbluten,  sich  mit  sehr  günstigem  Erfolge  Erleich, 
terung  und  Genesung  zu  versebaifen  bemüht  war.    Zu  gleicher 
Zeit  kommen  dem  Ref.  gar  nicht  selten  Personen  vor,  die 
nicht  eigentlich  für  krank  gelten,  die  umher  gehen  und  ihre 
Geschäfte  selbst  aufser  dem  Hause  betreiben,  doch  aber  öfters 
über  Mattigkeit  und  Beklemmung  klagen,  und  deren  Blut  hei 
einem  Aderlasse  sodann  eine  sehr  auffallende  Crusta  inflamrna- 
toria  zeigt.    Wohl  weifs  lief . ,  wie  unendlich  verschieden  sich 
der  Genius  epidemicus  an  den  verschiedenen  Orten  gestaltet, 
wie  vielfach  derselbe  durch  die  JLage  und  Temperatur  des 
Orts,  durch  das  Verbältnifs  des  letzteren  zum  Boden,  dem 
Wasser,  der  Luft,  der  Lebensweise  und  dem  Gewerbe  der 
Bewohner  bestimmt  wird,  wie  zuweilen  nur  unbedeutend 
scheinende  topographische  Abweichungen  in  kleinen  Entfer- 
nungen von  einander  an  dem  einen  Orte  reiner  entzündliche, 
an  dem  andern  gemischte,  an  dem  dritten  wahrhaft  nervöse 
Fieber  endemisch  und  stationär  machen  ,    während  doch  in 
gröfseren  Verhältnissen  alle  unter  denselben  siderischen  und 
kosmischen  Einflüssen  stehen*     Ref.  will  aber  mit  seinen  Be- 
merkungen nur  andeuten,  dafs  die  Erfahrung  wenigstens  bis 
jetzt  noch  nicht  überall  eine  solche,  von  dem  Verf.  prädicirta 
Hinneigung  des  allgemeinen  Charakters  der  Krankheiten  zum 
asthenischen  nachzuweisen  vermag,   dafs  mitten  unter  den 
Beobachtungen  berühmter  Aerzte  von  einer  solchen  Inclination 
der  Krankheiten  es  auch  Beobachtungen  gebe,   die  zur  Zeit 
noch  gerade  das  Gegentheil  von  dem  ersteren  factisch  darthun, 
dafs  ferner  ein  vorherrschender  entzündlicher  Charakter  seihst 
bei  einer  gelinden,  feuchten  und  nebligen  Witterung  doch 
oft  längere  Zeit  fort  herrschend  beobachtet  werden  könne, 
und  dafs,  so  wichtig  auch  die  auf  theoretische  Comhination 
und  eine  rationelle  Erfahrung  gestützten  ürtheile  über  die 
Veränderungen  im  allgemein  herrschenden  Genius  der  Krank- 
heiten sind ,  Sie  doch  immer  nur  mit  grofser  Vorsicht  und  mit 
steter  Rücksicht  und  Vergleichung  desjenigen,  was  die  eigene 
aufmerksame  Beobachtung  am  Aufenthaltsorte  lehrt,  von  je- 
dem einzelnen  Arzte  aufgenommen  werden  dürfen,  wenn  sie 
für  die  wichtige,  aber  noch  immer  noch  grofser  Aufhellungen 
bedürftige  Lehre  vom  epidemischen  Genius ,   und  somit  für 
die  Theorie  und  Praxis  der  Heilkunst  von,  wahrhaft  erapriefs- 
lichen  Folgen  seyn  sollen, 


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124  Tredgold  on  the  itrength  of  cast  fron. 


Ref.  entschuldigt  die  Weitläufigkeit  der  Anzeige  dieses 
Werkes  mit  dem  Interesse,  welches  ihm  dasselbe  durch  die 
Mannichfaltigkeit  der  in  ihm  vorkommenden  wissenswiirdigen 
Gegenstände  gewährte  ,  so  wie  mit  der  hohen  Achtung ,  welche 
er  Für  die  literarischen  Verdienste  des  berühmten  Verf.  hegt. 
Druck  und  Fajner  der  Schrift  machen  der  Verlagshandlung  Ehre, 
und  die  Correctur  ist  mit  wenigen  Ausnahmen  fehlerfrei. 


Practica!  essay  on  the  strength  of  cast  iron9  and  other  metals :  inten' 
ded  for  the  assistance  of  Engineers  ,  iron  maslers  ,  architectsj 
millwrights  ,  founders  ,  and  others  engagtd  in  the  construction  of 
*  machines  buildings  etc.  containing  practical  rulcs  tables  and  exent' 
■ples  •  f ounde d  on  a  series  of  netv  Experiments ,  with  an  extensive 
table  of  the  properties  of  materiah.  The  second  edition  ,  impro* 
ved  and  enlarged.  lllustrated  by  four  engravings  and  several 
wood'cuts.  By  Thomas  Tredgold)  civil  engineer  etc.  Lo/i- 
don  1824.    XIX  und  506  S.  8.  Pr.  15  «litl. 

Ref.  hat  den  langen  Titel  dieser  äufserst  gehaltreichen 
Schrift  deswegen  vollständig  mitgetheilt,  weil  er  alles  das- 
jenige angiebt,  was  man  im  Buche  zu  suchen  hat  und  auch 
gewifs  finden  wird.  Untersuchungen  über  die  absolute,  rela- 
tive und  rückwirkende  Festigkeit  der  verschiedenen  Körper 
sind  seit  dem  Wiederaufblühen  der  Mechanik  9  man  darf  anneh- 
men seit  Mariotte,  hauptsächlich  in  Frankreich,  neuerdings 
zahlreicher  in  England,  in  Menge  angestellt,  und  auch  in 
Deutschland  sind  die  Bemühungen  verschiedener  Gelehrten, 
vorzüglich  Ey  tel  w  ei  n 's  ,  allgemein  bekannt.  Inzwischen 
haben  alle  jene  berühmten  Männer  9  z.B.  M  u  ss  ch  e  n  b  r  o  ek, 
Girard,  Gauthy,  Rondel  et,  Duleau,  Na  vier,  l'er- 
ronet,  Barlow,  Smeaton,  Brown,  Beaufoy,  Ren- 
nie  u.  a.  ihre  Versuche  hauptsächlich  nur  auf  die  verschiede- 
nen Holzarten  und  unter  den  Metallen  vorzugsweise  auf 
Schmiedeeisen,  dann  Messing  und  Kupfer  ausgedehnt.  Eine 
umfassende  Zusammenstellung  der  früher  erhaltenen  Resultate 
in  nächster  Beziehung  auf  das  Bauwesen  gab  neuerdings  Tred- 
gold in  seinen  1820  erschienenen  :  Elementary  principles  of  car» 
pentry  u.s.  w.f  einem  eben  so  gründlichen  als  schönen,  mit 
22  Kupfern  gezierten  Werke  in  4-  >  dessen  hoher  Preis  von 
1  Lstl.  4  slstl.  dasselbe  auf  dem  (kontinente  selten  macht.  In- 
zwischen hat  man  in  den  neuesten  Zeiten  das  Gufseisen  so 
allgemein  zu  den  verschiedensten  Maschinen  und  Vorricbtun- 


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Tredgold  on  the  strength  of  cast  iron. 


gen  benutzt;  und  die  Anwendung  desselben  wird  nicht  bloa 
in  England  9  sondern  auch  auf  dem  Cuntinente  so  ausgebreitet, 
dafs  dieses  Material  vorzugsweise  eine  Prüfung  rücktfichtlich 
seiner  Güte  und  Festigkeit  verdient ,  um  auf  der  einen  Seite 
bei  kostbaren  und  auf  grofse  Dauerhaftigkeit  berechneten  An- 
lagen nicht  zu  bald  Reparaturen  not  big  zu  haben,  auf  der  an* 
dern  aber  nicht  der  Sicherheit  wegen  die  einzelnen  Theile  un- 
förmlich, übermäfsig  schwer  und  kostbar  vorrichten  zu  lassen. 
Hierüber  vollständige  und  ganz  eigentlich  practisch  brauchbare 
Vorschriften  zu  geben ,  ist  der  nächste  Zweck  der  vorliegen- 
den Schrift«  Der  gründlich  gelehrte,  ungewöhnlich  belesene 
und  mit  der  gi -Olsten  Menge  der  klassischen  Werke  über  die 
von  ihm  bearbeiteten  Gegenstände  vertraute  Tredgold  hat 
daher  nicht  blos  dasjenige  benutzt,  was  vor  ihm  namentlich 
durch  B  uc  h  a  n  a  n ,  Du  nlop,  Barlo  w,  Banks,  Ebbeis 
u.  A.  über  die  Festigkeit  des  Guiseisens  aufgefunden  ist, 
sondern  auch  theils  früher,  theils  unmittelbar  für  das  vorlie- 
gende Werk  eine  Menge  eigener  Versuche  angestellt,  um  die 
Eigenschaften  und  insbesondere  die  Festigkeit  dieses  höchst 
nützlichen  Materials  mit  Sicherheit  kennen  zu  lernen.  Die 
Resultate  dieser  fremden  und  eigenen,  genau  geprüften  und 
untereinander  verglichenen  ,  Versuche  kann  man  als  die  Haupt- 
grundlage dieser  Schrift  ansehen,  wie,  auch  der  Titel  angiebt, 
wobei  jedoch  die  anderen  Metalle  und, .selbst  auch  Hölzer, 
Steine  u.  dergl.  keinesweges  ganz  übergangen  sind. 

Es  liegt  schon  in  der  Natur  der  Sache,  dafs  es  zweckwi- 
drig seyn  würde,  den  Inhalt  des  Werkes  nach  allen  seinen 
Theilen  einzeln  anzugeben,  und  Ref.  begnügt  sich  daher,  den 
Charakter  desselben  nur  im  Allgemeinen:  zu  .bezeichnen,  und 
die  behandelten  Gegenstände  der  Hauptsache  nach  namhaft  zu 
machen.  Im  Ganzen  hält  sich  der  Verf.  wenig  bei  der  Theorie 
auf,  zeigt  jedoch  die  allgemeinen  Grundsätze  ,  wie  sie  durch 
Galilei,  Mario  tte, 'Euler,  Co'.uipuib:  u.  A.  aufgestellt 
sind,  folgt  in  der  Darstellung  selbst  hauptsächlich  dem  inEng- 
land höchst  geachteten  und  wahrhaft  gelehrten  Th.  Young, 
und  entwickelt  nach  denselben  die  verschiedenen  Formeln  zur 
Berechnung  des  Widerstandes,  welchen  die  Körper  nach  dem 
Grade  ihrer  Festigkeit  einer  auf  die  eine  oder  andere  Weise 
gegen  sie  ausgeübten  Gewalt  entgegensetzen.  Zur  Bestim- 
mung der  Festigkeit  der  verschiedenen  Körper  hat  er  dann  die 
Resultate  der  genauesten  Versuche  ,  für  Gufseisen  hauptsäch- 
lich seiner  eigenen  benutzt,  und  die  hieraus  erhaltenen  Werthe 
in  die  Formeln  aufgenommen.  bekanntlich  hat  man  iodels 
durch  die  meisten  bisherigen  Versuche  die  Festigkeit  der  Kör- 


126 


Tredgold  00  tha  streng th  of  cast  iroo 


per  im  Maximo  zu  bestimmen  sich  bemühet,  d.  h,  man  hat 
dasjenige  Gewicht  aufzufinden  gesucht,  durch  welches  die 
Theile  wirklich  getrennt  werden,  oder  aber  durch  welche  ein 
Zerreissen ,  ein  Zerbrechen  derselben  bewirkt  wird.  Für  die 
practische  Anwendung  pflegt  dann  festgesetzt  zu  werden, 
dafs  man  der  Sicherheit  wegen  von  dieser  Gröfse  nur  etwa 
ein  Drittheil  nehmen  solle.  Der  Verf.  dagegen  befolgt  eine 
für  die  Praxis  sicher  weit  bessere  Methode ,  welche  übrigens 
schon  durch  Coulomb,  Young  u.  A.  mehr  oder  weniger 
bestimmt  angegeben  ist.  Er  untersucht  nämlich  die  Festig- 
keit der  Körper  blos  bis  so  weit,  als  sie  keine  bleibende 
Aenderung  ihrer  Form  annehmen  (take  a  set,  nachdem  eng- 
lischen Ausdrucke),  oder  nach  weggenommener  Last  zu  ihrer 
ursprünglichen  Form  völlig  wieder  zurückkehren,  indem  man 
dreist  annehmen  darf,  dafs  sie  bis  so  weit  sicher  beschwert 
werden  dürfen,  ohne  dafs  man  ein  Zerbrechen  derselben  zu 
befürchten  hat.  Dabei  bedient  sich  Tredgold  einer  durch 
Th.  Young  eingeführten  Bezeichnung,  nämlich  Modulus 
der  Elasticität,  und  versteht  hierunter  eine  Säule  von 
der  nämlichen  Substanz,  welche  fähig  ist,  einen  Druck  auf 
die  Unterlage  hervorzubringen,  und  sich  zu  dem  Gewichte, 
wodurch  eine  Zusammendrückung  des  Körpers  hervorgebracht 
wird,  verhält,  wie  die  Länge  der  zusammendrückenden  Säule 
zu  ihrer  Verkürzung,  wobei  vorausgesetzt  wird,  dafs  ein 
gleiches  Gewicht  dieselbe  um  eine  gleiche  Gröfse  ausdehnen 
würde.  Obgleich  es  gut  ist,  bei  der  practischen  Anwendung 
sich  gewisser  allgemeiner  Bezeichnungen  zu  bedienen ,  so 

flaubt  Ref.  doch  nicht,  dafs  die  hier  mitgetheilte  von  grofsem 
Tutzenjseyn  könne,  ist  indefs  nicht  Praktiker  genug,  um  aus 
genügender  Erfahrung  siöb  ein  entscheidendes  UrtheiT  hierüber 
anzumafsen.  Uebrigens  bleibt  Tredgold  nicht  bei  den  all- 
gemeinen Bestimmungen  der  Festigkeit  der  Körper  stehen, 
sondern  zeigt  die  hieraus  folgenden  Regeln  in  bestimmten  An- 
wendungen, z.  B.  auf  die  Construction  der  Balanciere,  der 
Säulen,  Tragstangen,  Wellbäume,  Radzähne,  hohler  Fufs- 
böden  u.  dergl. 

Indem  das  vorliegende  Werk  vorzugsweise  für  die  prak- 
tische Anwendung  bestimmt  ist ,  so  beginnt  dasselbe  nach 
einer  kurzen  Einleitung  mit  Tabellen,  deren  man  sich  zur 
Ersparung  der  Berechnung  bei  der  Construction  der  verschie- 
denen Maschinen  ,  der  Tragbalken,  Säulen  und  sonstiger  Vor- 
richtungen bedienen  kann,  und  verbindet  hiermit  dann  eine 
Anweisung  zum  Gebrauche  derselben.  Zusammenhängend 
hiermit  sind  die  in  der  dritten  und  vierten  Abtheiluflg  entbal- 


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4 


Tredgold  od  tht  strengen  of  eajt  iroa.  127 

tenen  Untersuchungen  Gber  die  Durch s^nitte  von  Balken, 
welche  den  stärksten  Druck  vermöge  ihrerrelativen  Festigkeit 
aushalten  können*     Was  man  wo  LI  nicht  mit  Unrecht  als  den 
Anfang  machend  erwarten  könnte,  folgt  dann  erst  im  fünften 
und  sechsten  Abschnitte  ,  nämlich  eine  Prüfung  fremder  und 
eine  Erzählung  der  eigenen  Versuche  über  die  Festigkeit  der 
verschiedenen  Körper,  welche  schon  oben  erwähnt  sind,  und 
wovon  die  über  Guiseisen  ohne  Widerrede  unter  die  ausführ* 
liebsten  und  vorzüglichsten  gehören,  welche  bisher  bekannt 
gemacht  sind.     In  den  drei  folgenden  Abschnitten  findet  man 
dasjenige,  was  wohl  den  gröfsten  und  allgemeinsten  Nutzen 
hat,   nämlich  praktische  Formeln  zur  Berechnung  der  Dirnen« 
sionen  solcher  Körper,   welche  Lasten  zu  tragen  oder  einem 
Drucke  Widerstand  zu  leisten  bestimmt  sind ,  und  namentlich 
wird  im  neunten  von  derjenigen  Elasticität  gehandelt,  ver- 
möge deren  die  verschiedenen  Substanzen  einer  Drehung  um 
ihre  Längenaxe  widerstehen  (resistance  to  torsion),  worüber 
unter  allen  bei  weitem  die  wenigsten  Versuche  vorhanden 
sind,   weswegen  auch  Ref.  in  diesem  Augenblicke  mit  einer 
Reihe  solcher  beschäftigt  ist.     Bei  der  Angabe  der  Formeln 
zur  Berechnung  des  Widerstandes,  welchen  die  verschiedenen 
Körper  nach  ihren  ungleichen  Dimensionen  einer  äufseren  Ge- 
walt entgegenzusetzen  vermögen,  deren  Anwendung  meistens 
an  einem  Beispiele  praktisch  gezeigt  wird,  bezieht  sich  der 
Vf.  stets  auf  den  Gebrauch  der  von  ihm  berechneten  Tabellen, 
welche  allerdings  grofse  Bequemlichkeit  für  solche  Praktiker 
haben  mögen,  deren  Geschäfte  zahlreiche  Berechnungen  dieser 
Art  verlangen  ,  manche  andere  aber  werden  es  zu  mühsam  fin- 
den, für  einzelne  Fälle  sich  in  denselben  orientiren  zu  lernen. 
Im  zehnten  Abschnitte  endlich  handelt  der  Verf.  von  dem  Wi- 
derstande, welchen  die  verschiedenen  Stoffe  sowohl  als  klei- 
nere Körper,  als  auch  in  Gestalt  langer  Säulen  einem  Drucke 
entgegensetzen,    also    von   der   rückwirkenden  Festigkeit, 
woran  im  letzten  Abschnitte  noch  eine   Untersuchung  der 
Kraft  geknüpft  ist,  mit  welcher  die  einzelnen  Theile  einer 
Maschine  dem  Stofse  anderer  bewegter  Theile  vermöge  ihrer 
Elasticität  widerstehen  (resistance  to  impulsion).  Angehängt 
sind  dann  eine  alphabetische  Uebersicht  der  hauptsächlichsten, 
mit  dem  Inhalte  des  Werkes  in  näherer  Beziehung  stehenden 
Eigenschaften  der  verschiedenen  Stoffe,  ein  Sachregister,  eine 
(nicht  vollständige)  alphabetische  Zusammenstellung  der  benutz- 
ten Schriftsteller  und  eine  nähere  Erklärung  der  Kupfer, 

Diese  kurze  Anzeige  wird  genügen  ,  um  darzuthun  ,  dafs 
dieses  gehaltreiche  Werk  auf  dem  Continente  eine  gleiche 


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128 


Aescbyli  Tragoodiae,  ed.  Schütz. 


Aufmerksamkeit  verdient,  als  ihm  in  England  zu  Theil  ge- 
worden ist. 

M  u  n  c  k  e. 

■ 

#■  . 

Aeschyli  Tragoediaa  qua»  super  sunt  ac  deperditarum  Fragmente. 
Recensuit  ac  Commentario  illustravit  Chr,  Godofr.  Schütz, 
Vol«  IV,  Schölt  a  Graeca  in  Septem  Aeschyli ,  quae  exstant, 
tragoedias.  Haine,  in  Bibliopolio  Oebauriano ,  MDCCCXX1, 
IV  und  459  S.  in  gr.  8. 

Es  enthält  dieser  vierte  Band  der  Schützischen  Ausgabe 
des  Aeschylos,  womit  übrigens  diese  Ausgabe  keineswegs  ge- 
schlossen ist,  den  vollständigen  Abdruck  der  Griechischen 
Scholien  in  die  sieben  Tragödien  des  Aeschylos  aus  der  Stan- 
leyseben Ausgabe ,  ein  Unternehmen  ,  das  um  so  verdienstlicher 
anzusehen  ist,  als  die  Stanleysche  Ausgabe  in  neuerer  Zeit  be- 
kanntlich sehr  selten  und  theuer  geworden  ist.  Nur  können 
wir  bei  Anzeige  dieses  Bandes  die  ßemerkuug  nicht  unterlassen \ 
ob  es  nicht  gerathener  gewesen  wäre,  gleich  anfangs  zu  jedem 
einzelnen  Stücke  entweder  unter  den  Text  zu  jeder  Seite  oder 
am  Ende  jedes  Stücks  die  Griechischen  Scholien  im,  Abdruck 
beizufügen;  für  den  Leser  würde  diese  Einrichtung  gewils 
mehr  Bequemlichkeit  gehabt  haben.  In  diesem  neuen  Abdruck 
der  Scholien  sind  nach  der  Butler'schen  Anordnung  die  2gAiJ 
^wra,  deorapa  und  t^itcc  durch  beigefügte  Buchstaben  (A.  B.  T.J 
unterschieden.  Sonst  ist  im  Ganzen  wenig  geändert,  nicht, 
aus  bisher  unbenutzten  Handschriften  hinzugekommen.  Unter 
dem  Texte  rinden  sich  hie  und  da  Nachweisungen  der  in  den 
Scholien  etwa  citirten  Stellen  aus  Homer,  Pindar  u.  dergl., 
dann  Verbesserungen  fehlerhafter  oder  verdorbener  Stellen 
durch  Heath,  Pauw,  Abresch,  so  wie  des  Herausge- 
bers in  kurzen  Noten.  S.  452.  schliefst  sich  an  die  Scholien 
an:  Btc;  AtoyCXov  (die  Bemerkungen  der  Gelehrten,  die  abwei- 
chenden Lesarten  und  Zusätze  der  Hobortellianischen  Ausgabe 
zu  diesem  Leben  des  Aeschylos  soll  der  fürifteBand  enthalten); 
S.  456.  folgen  'Evt-y^^ara  a/fc  AioyyXcv  mit  einigen  kritischen 
Bemerkungen;  S.  457  ff.  KaraXoyos  rtSv  AjWuAou  .^ajxarcüv ,  .na« 
tTToi-£t~iov,  nebst  den  Zusätzen  von  Butler*  Ueber  diese  sämmt- 
lichen  Stücke  des  Aeschylos  kann  der  fünfte  Band  dieserAus- 
abe  nähere  Auskunft  gehen;  da  er  überdies  die  Fragmente 
er  verlorenen  Stücke  und  Supplementa  Annotationum  zu  den 
früheren  Bunden  enthält. 

t      ■  1  


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N.  a  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literater. 


M  afsdarie  ds  chisade  Seid  Hussein1*  DreitlicUwig  eines  J  1'inU-ls 

oder  des  denselben  messenden  Dogens, 

(Hierzu  die  anliegende  Zeichnung.) 

Nicht  unter  diesem  Titel,  denn  das  Buch  hat  keinen  Titel, 
aher  wohl  über  diesen  Gegenstand  ist  zu  Constäntinopcl  im 
verflossenen  Jahre  eine  kleine  (nur  17  Blatter  starlie),  aber 
für  die  Geschichte  geometrischer  Bemühungen  in  der  Türkei 
äufserst  merkwürdige  Schrift  im  Druck  erschienen,  welche 
nichts  weniger  als  den  bisher  von  keinem  Mathematiker  herge- 
stellten Beweis  der  Dreitheiiung  eines  Winkels  oder  des  den- 
selben messenden  Bogens  zu  liefern  vorgibt.  Seit  der  Grün- 
dung der  Ingenieurschule  zu  Constantinopel ,  welche  zu  Ende 
des  verflossenen  Jahrhunderts  unter  Sultan  Selims  III.  Regie- 
rung in  der  Hafenvorstadt  Chafskoi  errichtet  ward,  ist  dieses 
nach  einem  langen  Zwischenräume  von  mehr  als  zwanzig  Jah- 
ren wieder  das  erste  geometrische  Werk ,  womit  die  dortigö 
Ingenieurschule  in  ganz  neuem  Glänze  aufzutreten  wähnt.  Bin- 
nen drei  Jahren,  nämlich  vom  J.  1800  bis  1802,  erschienen 
nicht  weniger  als  sieben  mathematische  Schriften  zu  Constanti- 
nopel im  Druck,  nämlich:  1)  Telchissul-eschkial  d.  i.  die  Läu- 
terung der  Figuren  von  Hussein  aus  Taman,  eine  Abhand- 
lung über  Minen  i.  J.  d.H.  1215  (1800);  2)  Rissalet  fil-hendesset 
d.  i.  geometrische  Abhandlung  mit  sieben  Kupfertafcln  i.  J.  d.  II. 
1217  (1802);  3)  Logarithmentafeln,  ohne  Ort  und  Jahr  des 
Drucks  •  4)  Tafeln  für  Bombardiere ,  ebenfalls  ohne  Angabe 
des  Jahrs  und  des  Druckortes ;  5)  Ussuli  hendesset  d.  i.  Grund- 
sätze der  Geometrie  *  aus  dem  Englischen  Bonny  Castle'*  vort 
demselben  Hussein  aus  T  a  man  übersetzt ,  ohne  Pruchort ; 
6)  Medschmuatul-muhendissin  d.  i.  Sammlung  der  Geometer, 
eine  Anleitung  zur  practischen  Geometrie  von  demselben  Ver- 
fasser,  ohne  Angabe  des  Jahres  und  Ortes  des  Drucks;  7)  Im- 
tihanul-muhendissin  d.  i.  die  Prüfung  der  Geometer,  von  dem- 
selben Verfasser,  gedruckt  zu  Skutari  i.  J.  d.  II.  1217  (1802). 
Diese  Elementarbücher  ;  deren  einige  mehrere  Auflagen  erlebt 
haben,  sind  nur  Uebersetzungen  aus  europäischeri  geonietri- 

XIX;  Jalirg;   2;  Heft.  Ö      ..  . 


V 


130  Seid  Husscia's  Dreiteilung  eines  Winkel*. 

sehen  Compendien ,  und  keines  derselben  gibt  Burgschaft  für 
das  Selbststudium  irgend  eines  Professors  der  türkischen  inge- 
nieure.  Im  Gegentheile  gibt  sich  der  Verfasser  der  hier  ange- 
zeigten Schrift  als  einen  über  seine  bisherigen  Collegen,  die 
Professoren  und  Adjuncten  der  türkischen  Ingenieur-Academie, 
weit  vorragenden ,  seiner  Wissenschaft  kundigen  und  dieselbe 
durch  Selbststudium  mit  Liebe  treibenden  Geometer  zu  erken- 
nen, wenn  gleich  sein  vermeintlicher  Beweis  von  der  Drei- 
theilung  eines  Winkels  nicht  stichhaltig,  und  dabei  die  gröfste 
Selbsttäuschung  untergelaufen  ist.  Dafs  aber  Seid  Hus- 
sein, der  Sohn  des  Schiffszolleinnehmers  (dieses  ist  die  Be- 
deutung von  Mafsdariedschisade),  nicht  nur  sich  und 
den  Sultan  ,  sondern  auch  alle  anderen  Professoren  und  Ad- 
juneten  der  Ingenieur-Academie ,  in  deren  Gegenwart  er  vor 
dem  Sultan  seinen  Beweis  führte,  so  weit  täuschen  konnte, 
dafs  dieselben  das  (S.  22  gegebene)  Zeugnifs  über  die  unfehl- 
bare Beweisführung  der  Dreitheihing  eines  Winkels  oder  des 
denselben  messenden  Bogens  ausstellten,  ist  wohl  das  spre- 
chendste Zeugnifs  für  den  Grad  geometrischer  Einsicht  bei 
dem  Personale  der  türkischen  Ingenieur-Academie.  Da  nach 
dem  islamitischen  bürgerlichen  Bechte  (wie  vormals  nach  dem 
römischen)  sieben  Zeugen  die  vollgültigste  Zeugenschaft  ge- 
wahren, so  ist  auch  dieses  geometrische  Attestat  von  sieben 
Zeugen,  nämlich  von  den  vier  Chodschas  oder  Professoren 
und  von  drei  Chalifen  (gewöhnlich  Chalfa  ausgesprochen)  d.  i. 
Adjuncten  unterfertigt.  Der  vierte  dieser  auf  Chodschastellen 
Anwartschaft  habenden  Chalifen  (Nachfolger  oder  Stellvertre- 
ter) ist  der  Verfasser  selbst,  welcher  natürlich  sich  nicht  selbst 
unterschreiben  konnte.  Er  erzählt  in  der  Vorrede,  wie  die 
Beweisführung  der  Dreitheihing  eines  Winkels  oder  des  den- 
selben messenden  Bogens  bisher  in  der  grofsen  Encyqlopädie 
als  unstatthaft  erklärt,  und  in  der  türkischen  üebersetzung  Eu- 
clid's  die  Dreitheilung  selbst  in  dem  23.  Problem  des  III.  Buches 
blofs  practisch  angegeben  worden,  und  fahrt  dann  S. 5.  mit 
folgenden  Worten  bis  ans  Ende  des  Vorberichtes  fort: 

»  Lob  und  wieder  Lob!  Durch  die  Gnade  des  allweisen, 
»allmächtigen  Gottes,  durch  die  Prophetenwunder  unseres 
»Herrn  des  Heilands  beider  Welten ,  über  welchen  Gebet  und 
»Heil  sey,  und  durch  die  Kraft  des  Jugendglücks  und  den  Ein- 
»flufs  der  Gerechtigkeitsfrucht  des  jetzt  den  Thron  schmiieken- 
»den,  die  Welt  mit  Obhut  beglückenden,  und  durch  den 
»Glanz  seiner  Herrschaft  entzückenden  Helfers  der  Diener, 
»  die  ihm  angehören,  und  Entwurzlers  der  Bösen,  welche  sich 
>  wider  ihn  empören ,  Bewahrers  der  wahrsten  aller  Beligionen , 


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» 


Seid  Husiein't  Dreiteilung  eloes  Wbkeli. 


III 


vBchiitcrs  der  Länder,  worin  die  Moslüncn  wohnen,  der  ge- 
*»  segnet  ist  durch  allmächtige  Segnung  und  geleitet  wird  durch 
»  göttliche  Leitung ,  des  Sultans  zweier  Erdtheile ,  des  Chakan's 
» zweier  Meere,  des  Dieners  der  beiden  edlen  Heüigthümer 
»  (Mekka's  und  Medina's)  ,  des  Sultans,   Sultans  Sohnes  und 
»Sultans  Enkels,  Sultans  Mahmudchan  Ghasis,  Sohnes  Sultan 
»  Abdulhamidchan  Ghasis ,  des  Sohnes  Sultan  Achmedchan  Gha- 
» si 's  ,   Gott  verlängere  sein  Leben ,  und  wolle  ihm  glückliche 
»Herrschaft  und  durchdringende  Befehlski  alt  geben  (durch 
»  Gottes  Gnade ,  des  Propheten  Wunderkraft  und  des  Sultans 
»Glück  also),  hat  der  ohnmächtigste ,  schwächste,  unwürdig- 
»ste  und  nichts  vermögendste  der  Diener,  Mafsdariedschi- 
»sadeSeid  Hussein,  der  erste  Ad  junet  an  der  kaiserlichen 
» Ingenieur« Academie ,  die  Lösung  des  Beweises  der  Dreithci- 
» lung  eines  Winkels  oder  des  denselben  messenden  Bogens , 
»welche  seit  dreissig  Jahren  in  allen  geometrischen  Büchern 
»als  unauiloslich  erklärt  worden,  am  13*  Schaaban  (16.  Mai) 
»d.  J.  1237  (1821)  glücklich  gefunden,  und  dasZeugnifs,  dafs 
»er  den  Beweis  davon  geometrisch  hergestellt  habe,  wurde 
»  7on  allen  Chodschas  und  Chalifen  mit  Unterschrift  und  Siegel 
»  bestätigt.    So  ist  dieses  seit  langer  Zeit  als  unmöglich  zu  be- 
»  weisen  erklärte  Problem  glücklich  aufgelöst  worden ,  und  es 
»ist klar,  dafs  daraus,  viele  andere  bisher  in  der  Geometrie  für 
»  schwierig  erachtete  Puncte  gelöset  werden  können,  weshalb 
»  das  Ganze  mit  tausend  Mängeln  und  Fehlern  dem  königlichen 
»  Throne  vorgelegt  worden,  denn  wenn  der  gerechte  Monarch 
»dasselbe  nur  eines  halben  Blickes  würdiget,  So  wird  sich 
»  darüber  sonder  Zweifel  der  Dom  der  Glorie  wölben.  Meine 
» unterthänigste  Hoffnung  ist,  dafs  es  dem  hohen  gerechten 
»  Willen  Seiner  Majestät  gefallen  werde ,  den  ganzen  Vorfall 
» in  die  Beichsgeschichten  eintragen  zu  lassen ,  wie  dafs  die  Lö- 
»  sung  dieser  Schwierigkeit  aus  den  geheimsten  Wissenschaften 
»zur  Zeit  Allerhöchstdero  Begierung  in  der  Ingenieur- Academie 
»der  hohen  ottomannischen  Pforte  aufgefunden  worden  ist, 
»damit,  wenn  die  europäischen  Geomerer  dasselbe  zufällig  in 
»die  Hände  bekommen,  sie  sich  nicht  diese  Erfindung  aneig- 
»  nen  können ;  dafs  daher  dieser  Artikel  besonders  gedruckt  in 
»  der  Bibliothek  der  kaiserlichen  Ingenieur-Academie  und  in  allen 
»  anderen  Bibliotheken  hinterlegt  werde,  «c 

Möglichster  Kürze  willen  wird  Bec.  dem  Beweise  Seid 
Husseins  bis  zur  durchschossenen  fehlerhaften  Stelle  genau 
folgen,  dann  aber,  seine  unnöthigen  Weitläufigkeiten  vermei- 
dend ,  den  Schlufs  schneller  herbeiführen.  »  Um  den  Winkel 
»  b  a  c ,  oder  den  ihm  zum  Maa&e  dienenden  Bogen  brqcm  drei 

9  * 


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1 S2  Seid  Hnwein's  Dreitheilung  eines  Winlcelf. 


v  gleiche  Theilc  zu  theilcn ,  beschreihe  man  aus  seinem  Scheitel 
»  a  mit  einem  beliebigen  Halbmesser  ab  den  Halbkreis  l>ccf9 
»  ziehe  aus  c  und  d ,  et  und  «/ /'  senkrecht  auf  £  /,  und  aus  c 
»  und  dem  Haibirungspuncte  g  von  c  e ,  die  gleichlaufenden  c J 
»  und  #  mit  dem  Durchmesser  Ar/.  Nun  beschreibe  man  aus 
»dem  Durchschnitte  k  der  geraden  acund#7i,  der  zugleich 
»der  Halbirungspunct  von  ac  istr  mit  dem  Halbmesser  X«  den 
»Umfang  acc ,  und  au9  «•  mit  dem  Halbmesser  gh  den  Bogen 
»  hi^  vereinige  i  mit  c,  und  aus  dem  Durchschnitte  l  der  gera- 
»den  gh  und  ic  ziehe  man  mn  senkrecht  auf  gh;  verbindet 
»  man  nun  i  mit  dem  uutern  Durchschnittspuncte  o  der  geraden 
»mn  und  des  Umi'anges  aec,  verlängert  diese  Linie  10,  bis 
»sie  den  Umfang  aec  in  p  schneidet,  so  wird,  wenn  man  a p 
»zieht  und  bis  q  verlängert,  und  endlich  ar  gleichlaufend  mit 
»rp  fuhrt,  der  Bogen  in  die  drei  gleichen  Theile  £r,  rq 
»  und  q  o  getheilt  seyn  «.  ' 

» Die  Richtigkeit  dieser  Theilung  soll  nun  erwiesen  wer- 
»  den.  Zu  diesem  Ende  vereinige  man  den  obern  Durchschnitts- 
»punet  s  der  geraden  mn  und  des  Umfangs  a  ec  mitdenPuncten 
»c,  «und  ii  und  verlängere  cj,  bis  sie  den  verlängerten 
»Durchmesser  in  t  und  gh  in  v  schneidet.  Da  gl  mit  ei  pa- 
»rallel  ist,  und  ec  halbirt,  so  mufs  gl  auch  ci  halbiren;  deni- 
» nach  sind  die  rechtwinkligen  Dreiecke  cnl  und  Itni  wegen 
»der  gleichen  Hypotenusen  c/,  H%  und  der  gleichen  Katheten 
y>ln>>  Im  vollkommen  gleich,  und  es  ist  mi  —  nc  —  em.  ße- 
» trachtet  man  nun  die  rechtwinkligen  Dreiecke  omi,  snc,  so 
»haben  sie  nebst  den  Katheten  mi  und  nc  auch  die  Katheten 
»o/n  und  sn  wechselsweise  gleich,  da  nämlich  In  z~Z  Im  und 
» k l  senkrecht  auf  die  Sehne  so*,  folglich  Is  —  lo>  und  In 
>  —  Is  —  /m  —  lo  oder  sn~  om  ist ;  diese  Dreiecke  sind 
»also  vollkommen  gleich,  folglich  der  Winkel  moiziZ  nsc 
•  »—  osv  und  oi  mit  et  gleichlaufend.  Da  ferner  kv  mit  at 
»gleichlaufend  und  ck  die  Hälfte  von  ca  ist,  so  mufs  auch  >te 
»die  Hälfte  von  at  seyn.  Weil  nun  kv  mit  it.  und  ki 
»mit  wt  parallel  "ist,  so  mufs  kv  —  it  seyn;  und  da 
»Xe  die  Hälfte  von  at  ist,  so  mufs  auch  it  die 
»Hälfte  von  a/,  oder  it  ZZZ  ai  seyn.  Wreü  csa  ein 
»rechter  Winkel,  und  i k  gleichlaufend  mit  c$  ist,  so  müssen 
»auch  die  Winkel  bei  u  90°  haben  und  ik  halbirt  die  Sehne 
«jd.  Die  rechtwinkligen  Dreiecke  sui,  aui  sind  demnach 
»  wegen  der  gemeinen  Kathete  u  i  und  der  gleichen  Katheten 
VüS)  ua  vollkommen  gleich,  und  es  ist  ai^ZZ  si*  Vereinigt 
»  man  nun  s  mit  p ^  so  haben  die  Dreiecke  p  o  s ,  kol  den  Wiu- 
tkel  o  gemein  i  und  die  Seiten  ,  welche  dicken  Winkel  in  beiden 


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Seid  Hutiein's  Dreiteilung 'eines  WinVeU. 


133 


»  Dreiecken  cinschliefsen ,  sind  proportionirt ;  mithin  sind  diese 

v Dreiecke  ähnlich,  und ps  ist  das  doppelte  von  kl  nnd  mit  kl 
»gleichlaufend.  Wegen  der  ähnlichen  Dreiecke  Ac7und  aci 
»ist  ai  auch  das  doppelte  von  kl\  folglich  ist  gleich  und 
»gleichlaufend  mit  a  t\  und  die  geraden  a  p  und  i  s  müssen  auch 
»  gleich  und  gleichlaufend  seyn.  Es  ist  also  a p  z^z  is;  und  da 
vis  ZZT  ist,  mufs  auch  ap  ai  i  'also  das  Dreieck  pai 
» gleichschenkligt  seyn.  Nun  ist  der  äufsere  Winkel  pah. 
»  ap  i  -f-  pia  oder ,  weil  api  zZZ  p  ia  ist ,  pah  ^ZZ  2  p  i a  ; 
»und  weil  ar  gleichlaufend  mit  ip  gezogen  worden  ist,  pah 
»  ~  2  kr,  mithin  r  ah  ZZZ  qar.  Der  Winkel  p  a  c  am  Um- 
hange und  der  Winkel  pkc  am  Mittelpuncte  ruhen  auf  dem* 

71  k  c 

» selben  Bogen  pcy  folglich  ist  c ap  — * £-yr ,  oder,,  ire4  we* 
»gen  der  gleichlaufenden  pk7  rä7  der'  Winkel  f  k<t  Z£l  t  «T 
»ist,  cap  —  ~  ZZZpar  —  ra£<« 

Dem  Mathematiker  kann  es  nicht  entgehen ^'dafc  $eid 
Hussein  in  der  durchschossenen  Stelle  sagt,  4 ^v«ey  rn.it  vt 
parallel.  Er  setzt  also  hier  voraus  ,  dafs  die  Verlängerung  der 
mit  vt  wirklich  gleichlaufenden  geraden  bi  durch  den  glitte!- 
punet  k  gehe.  Zu  diesem  Glauben  niag»ihn  die  Zeichnung  ver^ 
leitet  haben;  denn  wenn  man  seine' Jiethodo  "befolgt ,  so  geht 
die  Verlängerung  oi  durch  den  IVlitielnünct.  Dieses  ist  aber 
nur  scheinbar,  und  rührt  blos  von  der  Unmöglichkeit  her  ,  in 
der  wir  uns  befinden,  mathematische  Puncto  und  Linien  , 
sichtbar  darzustellen.  In  der  Geometrie  ist  das  Zeugnifs  der 
Sinne  ungültig;  wenn  demnach  Seid  Hussein  auf  den.  Ruhm, 
die  Dreitheilung  des  Winkels  gefunden  au  haben,  einengegrün» 
deten  Anspruch  machen  will,  so  be  weise  er, dafs  die  Verlängerung 
von  o  i  durch  k  geht,  Kann  er  dieses  nicht ,  so  läfst  er  die.Fraget 
wie  er  sie  fand.  Denn  geht  z.  B.  die  Verlängerung  von  o  i  durch 
k',  so  wäre  nun  ÄVm  it\  und  da  Mv  nicht  wie  kv.. gleich  der 

*  a  t 

Hälfte  von  at  ist,  so  wäre  auchi*  nicht  gleich  -j,  oder  niejit 

gleich  at,  und  der  fernere  Beweis  d6s  Türken  beruht  auf  der 
Gleichheit  von  ai  und  it,  und  auf  der  Halbirung  der  Sehne 
as  durch  die  senkrechte  t"A,  was  nur  in  so  fern  wahr  \st,  als 
iU  mit  H  übereinkömmt  oder  durch  deu  Mittejpunct  geht. 

Nach  Seid  Hussein* s  Verfahren  kann  eigentlich  kein 
anderer  Winkel  als  der  von  90°  in  drei  gleiche  Theile  mathe- 
matisch genau  gethcilt  werden  ,  und*  sein  Verfahren  beschränkt 


■ 


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134  Seid  Husifin*  Dreiteilung  eine,  Winkels. 

sieh  demnach  auf  eine  längst  aufgelöste  Aufgabe.  Hier  ist  der 
IJeweis  davon :  » , .  . 

Ist  der  Winkel  cab  nr  w  wirklich  in  drei  gleiche  Theile 

getheilt,  oder  caq  ~  <g  ,  so  ist  nach  Vorigem  pk  parallel  mit 

cv,  folglich  pkc  ~  kcs  —  cjk  ZZZ  Nun  ist  aber 

als  Sufserer  Winkel  —  oder,  weil       ~ pkx 

— --.ist,  ~—  —  -g  +  skvt  mithin  skv~-^  ZZZsvb,  und 

Zieht  man  nun  ka  senkrecht  auf  gk  und  aß  senkrecht  auf 
nennt  ai  —  /;  <;«  —  25  ac  —  *j  so  ist  aus  den  ähn- 
lichen Dreiecken  caß  und  viziZtai  aß  oder  —  :  vi 

2=  *  * ^»  und  *  —       .    Wegen  der  vollkommen  gleichen 

Dreiecke  slk  und  j lv  ist  klzizlv^  nach  Vorigem  ist  aber  auch 

«=  ~=|j  mithin  ist  z  —  ±L  .  (1)] 

Da  ferner,  wie  bekannt,  die  Producte  der  Secanten  xv 
und  cv  in  ihre  äufseren  Theile  yv  und  sv  gleich  sind,  so  hat 
man  xv  .  yv  ZZZ  cv  .  sv  oder  (av  4-  cc)  sv  —  ( kv  «+-  kx) 

(*p  —  ky)i  und  wenn  man  d,  z  und/  einführt  («-v  -f-  s)  - 

v  .  ..  ;  2 


(7  +  £) 


Es  ist  aber  £*>:zz  mithin  ist  wegen  der  ähnlichen 

Dx-eiecke  avk,  svly  auch  av~  2  .  sv—  d\  folglich 

d  d^ 

(ß  -f-  z)  -  —  y»  und 

2  4 

x  —  2jr*  also  nach  (1) 

27  3=5 2y IzX1  odep  - 

d  ■     '  ' 


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Seid  Husstto'i  DieitheiiuBg  eines  Winkels.«  435 

Nach  Seid  Hussein  's  Verfahren  ist  gh  —  g$9  jjnd  ai 

ei  —  ea  —       gl2  —  gl2  —  n  ZZZ 


5  7t                  3  d  ^ 
oder  ai  —  H-  2      -j  j  

Wenn  nun  dieses  Verfahren  richtig  w2ref  so  müTste  ai 
—  r  se7n  j    folglich  / 3  —  ?  ^  £  —  ij-^    durch  /  — 

 h  2       -H  ohne  Rest  theilbar  seyn, 

oder  der  Werth  yon  ai  in  die  Gleichung  (2)  substituirt,  derselben 

Genfige  leisten.    Demnach  ist  (7"^ — f-2<*»-+-^  nj 

~T  V   "4""*'       "*"4      V  i~ 

Schafft  man  die  Wurzelzeichen  aus  dieser  Gleichung  weg, 
so  erhält  man  ni^^dn4^5d2         i6<*3/i2  —  4<*4*=oj 

oder  wenn  man  »  —  —  setzt,  j  «4-  24  ja  5  4r  3  < —  16  j  4  — 
4^  =  0. 

Ist  nun  der  zu  theilende  Winkel  m  0°,  so  ist  nmd  und 
j      1  j  daher  ganz  richtig  1  -f-  2  4  —  5  —  16  —  4  —  0- 

Hat  aber  besagter  Winkel  900 ,  so  ist  n  ~  0  und  j  ~  00  $ 
man  erhält  sodann  0  m  0. 

Liegt  endlich  der  zu  theilende  Winkel  zwischen  0  und 
900,  so  ist  n  •<  d  und  s  >  1 ;  mithin  mufs  jetzt  der  yerneinende 
Theil  der  Gleichung,  worin  die  höheren  Potenzen  von  s  vor- 
kommen ,  gröfser  als  der  bejahende  seyn ,  oder  eine  yernei- 
nende Zahl  gleich  null  werden,  was  ungereimt  ist. 

Aus  diesem  folgt,  dafs  nur  der  Winkel  von  90°  sich  nach 
dem  Verfahren  des  Türken  mathematisch  genau  in  drei  gleiche 
Theile  theilen  läfst ,  was  aber  schon  die  ältesten  Geometer  auf 
eine  weit  einfachere  Art  zu  bewerkstelligen  wufsten. 


Anmerkung.  Der  unterzeichnete  Specialredactor  hat 
diese  interessante  und  sehr  gehaltreiche  Itecension  lange  Zeit 


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136 


Seid  Hussein*«  Dreitheilung  eines  Winkel*. 


unabgedrucht  liegen  lassen ,  worüber  er  aus  gewissen  Gründen 
sowohl  dem  Publicum ,  als  insbesondere  dem  ihm  unbekannten 
Hrn.  Verlasser  einige  Worte  der  Entschuldigung  beifügen  zu 
müssen  glaubt.  Bei  dem  Durchlesen  führten  nämlich  gerade 
bei  dem  schwierigsten  Theile  derselben  wiederholte  Schreib- 
fehler ,  namentlich  die  vielfache  Verwechselung  der  Gröfse  s 
mit  der  Zahl  5 ,  des  Buchstabens  d  und  a ,  in  ein  solches  La- 
byrinth ,  dafs  er  bei  überhäuften  Geschäften  die  Mühe  einer 
genauen  Revision  scheuete,  welche  bei  der  Kürze  der  Darstel- 
lung nicht  gering  seyn  konnte,  weil  sie  ein  wiederholtes  Nach- 
rechnen erforderte.  Endlich  hat  eine  sorgfältige  Prüfung  und 
fortgehende  Corrigirung  der  Schreibfehler  die  Ueberzeugung 
hervorgebracht ,  dafs  die  kritische  Beurtheilung  des  von  dem 
Türken  Geleisteten  nicht  blos  durchaus  richtig ,  sondern  auch 
mit  grofsem  Scharfsinn  und  vorzüglicher  Sackkenntnifs  abge- 
fafst  ist. 

Folgendes  sey  mir  indefs  erlaubt  zum  Beweise  meiner  Auf- 
merksamkeit auf  diese  gediegene  Arbeit  hinzuzufügen.  Nur 
einen  Ausdruck  habeich  mir  deswegen  abzuändern  erlaubt, 
weil  der  gebrauchte  mir  weniger  üblich  zu  seyn  schien.  Durch 
welches  specielle  Verfahren  der  gelehrte  Hr.  Verfasser  seine 
Hauptgleichung  vom  fünften  Grade  gefunden  habe ,  weifs  ich 

nicht.    Setzt  man  indefs  +  2  d  n  -f-  =  Ä#  j 

so  ergiebt  sich  nachher  durch  Substitution 

7i6-f-34<**5  —  5d2n*—  16  d*n*  —  4^4ti2  —  0. 
eine  Gleichung  der  sechsten  Ordnung;  allein  diese  sowohl  1 
als  die  des  Hrn.  Verfassers  ist  doch  eigentlich  nur  eine  biqua- 
dratische. Der  Umstand  aber,  dafs  der  Hr.  Verfasser  sie  nicht 
hierauf  zurückgeführt ,  auch  der  letzten  Gleichung  nicht  die 
gewöhnliche  Form,  nämlich 

,*-l-4i» +         — 6*  —  %= :0.  .  . 

gegeben  hat,  obgleich  unbedeutend  an  sich,  schien  mir  eine 
Revision  des  Ganzen  nothwendig  zu  machen,  welche  dann, 
durch  die  erwähnten  Schreibfehler  erschwert,  die  allerdings 
einer  Entschuldigung  bedürfende  Verzögerung  des  Abdruckes 
herbeiführte. 

Münchs 


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I 


Logik  nach  Twesten ,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Euer«  i$7 

1)  System  der  Logik  von  Dr.  Willi  »Im  Esser.     Elberfeld,  4823. 

XVIII  und  612  S.  1  Thlr.  12  Gr. 

> 

2)  Handbuch  zu  Vorlesungen  über  die  Logik  ,   von  IL  L,  W.  Sig~ 

wart*  Zweite  vermehrte  und  »erbesserte  Auflage,  Tübingen  % 
1824.    Xund  198  S.  i  fl.  20  kr. 

3)  Die  Logik ,  insbesondere  die  Analytik,    dargestellt  von  A.  D.  Ch. 

Twesten.  Schleswig,  182.%  LI V und  804  S.     1  Thlr.  12  Gr. 

4)  Die  Denklehre  in  rein-deutschem  Gewände ,   auch  zum  Selbstunter- 

richt fUr  gebildete  Leser ,  von  7.  //.  Tieftrunk.  Halle  und 
Leipzig,  1825.    J^rr  um*  240  S.  1  Thlr.  8  Gr. 

Unter  allen  philosophischen  Disciplinen  ist  die  Logik  in 
neueren  Zeiten  am  häufigsten  bearbeitet  worden.  Dennoch 
ist  man  sogar  über  Begriff  und  Behandlung  dieser  Wissenschaft 
keineswegs  zur  Einstimmigkeit  gelangt,  vielmehr  wird  sie, 
wie  zu  den  leiten  der  Griechen,  nach  den  von  einander 
durchaus  abweichenden,  wenn  nicht  einander  entgegengesetz- 
ten ,  Weisen  des  metaphysischen ,  psychologischen  und  ana- 
lytischen Standpunctes  fortwährend  behandelt. 

Der  Verfasser  von  No.  1  ,  das  sich  System  der  Logik 
nennt,  befand  sich ,  laut  Vorr.  S.  XJV.  »in  der  Nothwen- 
„digkeit,  mehr  als  zwei  Dritt  heile  der  Logik 
„selber  zu  entwickeln,  ohne  dafs  ihm  durch  die  Schril- 
lten Anderer  über  diese  Wissenschaft  ein  bedeutender  Dienst 
„hätte  geleistet  werden  können  .  ,  •  und  da  er  (S,  XV.)  da* 
„meiste,  was  in  dem  Buche  vorkommt,  sich  selber  hat  ent- 
n  wickeln  müssen,  so  ist  er  aufs  er  Stand,  literarische  Nach« 
„richten  darüber  anzuführen."  —  Die  Verf.  von  No.  2.  und 
3.  beabsichtigen  Leitfäden  für  ihre  Zuhörer,  nebst  Beiträgen 
zur  Vervollkommnung  der  Logik  zu  liefern,  und  beziehen 
sich  in  Anmerkungen  und  Erörterungen  nicht  selten  auf  frühere 
Logiker,  durch  die  sie,  geradezu  oder  im  Gegensatz,  zu  ihren 
Entwicklungen  veranlafst  wurden,  No,  4-  kündigt  sich  als 
einen  „Versuch  an,  die  Denklehre  auf  eine  der  Gemein- 
n£afs  lichkei t  zusagende  Weise  vorzutragen." 

Esser  giebt  ausführliche,  wenn  nicht  weitschweifige, 
§§.,  und  möchte  dem  academischen  Vortrag  schwerlich  etwas 
anderes  als  Erläuterung  durch  Beispiele,  oder  literarische 
Nacbweisungen ,  und  Ergänzungen,  Verbesserungen  oder 
Widerlegungen,  übrig  lassen,  letztere  freilich  in  nicht  gerin- 
ger Menge.      Tieftrunk  berücksichtigt  bei  seinem  sehr 


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l3$       Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser. 

(lautlichen,  doch  keineswegs  weitschweifigen y  Vortrage  vor- 
zugsweise das  Bedürfnils  derer,  welche  sein  Lehrbuch  zum 
Selbstunterricht  benutzen  wollen.  Die  andern  zwei 
Xehrbücher  geben  in  gedrängter  Kürze  sowohl  die  Resultate 
eigner  Forschungen,  als  was  sie  von  früheren  entlehnen. 
T  westens  Logik  ist,  auch  abgesehen  von  den  neuen  Unter- 
suchungen und  Entdeckungen,  die  sie  in  so  reichlichem Maafse 
enthält,  als  Muster  der  für  acaderaische  Lehrbücher  sich  eig- 
nenden, gedrängten,  einfachen,  deutlichen  und  genauen 
Schreibart,  in  den  §§.  wie  in  den  Erläuterungen,  höchst 
preiswürdig. 

AuchiuBezug  auf  Dur  chf  ühr  un  g  des  analytisch- 
Aristotelischen  S'tandpunctes  weichen  diese  vier  Be- 
arbeitungen bedeutend  von  einander  ab.  T  i  ef  t  r  u  n  k  unter- 
nimmt zugleich,  jedoch  auf  dem  Wege  der  Analysis  und  Re- 
flection,  eine  Deduction  der  logischen  Grundsätze  und  Grund- 
formen :  Twesten  hält  sich  mit  ungemeiner  Schärfe  und 
Consequenz  auf  dem  analytischen  Standpuncte  :  Sigwart 
bestrebt  sich  gleichfalls  ,  diesem  Standpunct  treu  zu  bleiben  : 
Esser,  nicht  im  Klaren  über  seinen  Zweck,  ergänzt  häufig 
die  analytische  Behandlung  durch  psychologische  und  meta- 
physische Excurse. 

Soll  die  Logik,  unabhängig  von  höheren  und  schwierige- 
ren metaphysischen  oder  psychologischen  Untersuchungen, 
für  sich  ausgebildet  werden,  so  inufs  ihr  ein  solcher  Begriff 
und  ein  so  bestimmtes  Frincip  vorangestellt  seyn ,  dafs  wie 
die  Verdeutlichung  beider,  so  die  Ableitung  der  Wissenschaft 
aus  dem  Princip  vor  der  Beendigung  jener  Untersuchungen 
unternommen  werden  kann.  Soll  ferner  der  Begriff  der  Aus- 
führung entsprechen,  und  die  Wissenschaft  aus  dem  Princip 
oder  den  Principien  abgeleitet  seyn  (und  das  beabsichtigen 
diese  wie  alle  übrigen  Bearbeiter  der  Logik  als  Wissenschaft), 
so  darf  der  Begriff  weder  zu  eng  noch  zu  weit,  und  das  Prin- 
cip mufs  so  beschaffen  und  benutzt  seyn,  dafs  die  besonderen 
Gesetze  und  Bestimmungen  aus  ihm  sich  ergeben,  nicht  i)los 
mit  ihm  verknüpft  werden.  —  Nach  Esser  ist  Logik  „die 
„  Wissenschaft  von  den  nothwendigen  und  unabänderlichen 
Gesetzen  derjenigen  Geistesthätigkeit  des  Menschen,  welche 
„das  Denken  heifst,  sie  soll  mithin  das  gesammte  Denk- 
vermögen des  menschlichen  Geistes  untersuchen,  erforschen 
„und  zergliedern,  um  —  abgesehen  von  der  Erfahrung  —  alle 
„Gesetze  aufzufinden,  welche  auf  jeden  möglichen  Fall  des 
„menschlichen  Denkens  berechnet  sind«  u.  s.  w.  Sie  ist  da- 
her „eine  Wissenschaft  von  den  allgemeinen  und  nothwen- 


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£ogtk  nach  Twesten ,  Sigwart ,  Tieftrank  und  Esser.  139 

i 

„digen  Gesetzen  des  menschlichen  Denkens,  insofern  diese 
„Gesetze  hlos  die  Form  und  nicht  den  Inhalt  unsres  Denkens 
„betreffen«  (s.  S.  3  und  5).  Sigwart  stellt  eine  Deduction 
des  Begriffs  Denken  voran,  nennt  Logik  die  Wissenschaft 
von  den  nothwendigen  Bestimmungen  und  Gesetzen  des  Den- 
kens, und  unterscheidet,  je  nachdem  das  Denken  als  Denken 
alles  Seyns,  oder  abgesehen  davon,  dafs  es  Den- 
ken alles  Seyns  sey,  betrachtet  werde,  speculative 
und  formale  Logik,  handelt  aber  nur  letztere  ab,  d.  h.  „die 
B Wissenschaft  von  den  Gesetzen,  unter  denen  das  Denken  mit 
„sich  selber  Übereinstimmt«  (s.  S.  14  ff.).  Tieftrunk  ver- 
engt von  der  Denklehre ,  dafs  sie  die  Thatsache  des  Denkens 
entwickele,  das  Thun  und  Treiben  desselben  bis  zu  seinen, 
ersten  Anfängen  und  Keimen  verfolge,  sein  Verfahren  und  die 
Gesetze  seines  Verfahrens  zur  Klarheit  bringe,  und  zeige, 
wie  wir  von  ihm  den  Leitstern  haben,  um  zur  Wahrheit  und 
Wissenschaft  zu  gelangen  (s.  S,  l). 

Gegen  Esser  erinnert  Ref.,  dafs  sein  Begriff  von  Logik 
für  sich  unverständlich  ist,  und  höhere  Erörterung  über  die 
Denkfunction  voraussetzt:  gegen  Sigwart,  dafs  die  von 
ihm  vorangestellte  Deduction,  welche  mit  der  Behauptung  be- 
ginnt, das  menschlicheich  finde  sich  in  seinem  Bewufstseyn 
auf  endliche  und  unendliche  Weise  bestimmt,  den  Be- 
griff der  Logik  von  Untersuchungen  abhängig  zu  machen 
scheint,  die  in  der  Einleitung  zu  einer  Elementardisciplin , 
wie  die  formale  Logik,  unmöglich  mit  genügender  Schärfe 
und  Ausführlichkeit  geführt  werden  konnten  ,  und  gewifs  noch 
nicht  als  beendigt  zu  betrachten  sind:  gegen  Tieftrunk, 
der  das  Denken  als  eine  dem  Ich  inwohnende,  völlig  innere 
Wirksamkeit  beschreibt,  dem  Anschauen  entgegenstellt,  und 
von  der  Denklehre  verlangt,  dafs  sie  die  Gegenstände  aufser 
dem  Denken  so  weit  berücksichtige,  wie  weit  die  Denkkraft, 
zur  Bestimmung  der  Dinge  ,  Begriffe  aus  sich  selber  habe ,  ist 
zu  bemerken,  dafs,  selbst  die  Genügsamkeit  seiner  Erörterun- 
gen über  die  Denkthätigkeit  zugegeben,  keineswegs  alle  Be- 
griffe, welche  die  Denkkraft  zur  Bestimmung  der  Dinge  aus 
sich  selber  hat,  in  seiner  Denklehre  bearbeitet  werden,  na- 
mentlich die  Begriffe  von  Kraft,  Zweck  u.  s.  w.  unberück- 
sichtigt bleiben.  Zugleich  ist  gegen  alle  drei,  wie  gegen  den 
gröfseren  Theil  der  früheren  Logiker  überhaupt,  zu  bemer- 
ken, dafs  ihre  Erklärungen  um  vieles  zu  weit  und  unbestimmt 
«ind,  da  sie  doch  wohl  keineswegs  unternehmen,  die  Gesetze 
vollständig  aufzustellen,  nach  welchen  entweder  das  Denken 
im  Allgemeinen,  oder  eine  bestimmte  Art  des  Denkens,  wie 


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140       Logik  nach  Twesten,  Sigwari,  Tieftrunk  und  Eiser. 


das  mathematische  ,  metaphysische  11.  s,  w.  fortschreitend  sich 
entwickelt,  vielmehr,  gleich  wie  die  übrigen,  die  die  Logik 
nicht  metaphysisch  oder  psychologisch  bearbeitet  wissen  wol- 
len,  auf  Ableitung  methodischer  Regeln  und  Gesetze,  und 
zwar  zunächst  auf  Ausmittelung  der  Formen  und  Gesetze  fast 
gänzlich  sich  beschränken,  nach  denen  nicht  etwa  neue  Ge- 
danken erzeugt,  sondern  schon  vorhandene  so  entwickelt  wer- 
den ,  dafs  explicite  in  ihnen  hervorgehoben  wird,  was  sich 
implicite  in  ihnen  schon  fand,  und  nur  beiläufig  von  den  Ge- 
setzen und  Methoden  des  fortschreitenden ,  neues  erzeugenden 
Denkens  handeln  (vergl.  T  w  e  1 1  e  n  s  Vorrede  S.  IX.).  JDurch 
die  Beschränkung  der  Denklehre,  auf  die  Form  des  Denkens, 
wie  sie  sich  bei  Esser  und  S  ig  wart  rindet,  wird  diese 
Disciplin  im  Ganzen  nicht  ausführbarer,  da,  abgesehen  da- 
von ,  dafs  der  Gegensatz  des  Formalen  und  Materialen  sich 
überhaupt  nicht  streng  durchführen  läfst  (s.  Twestens  Vor- 
rede S.  XI,),  was  S  i  g  wa  rt  speculative  Logik  nertnt ,  eben- 
falls nur  von  Formen  des  Denkens  zu  handeln  hat.  von  den- 
jenigen Formen  nämlich,  vermittelst  deren  wir  das  Seyn  als 
solches  denken  :  so  dafs  also  immer  eine  nähere  Bestimmung 
hinzukommen  müfste.  Eine  solche  nähere  Bestimmung  ist 
nun  auch  in  Sigwarts  Behauptung,  dafs  „die  Logik  die 
„  Wissenschaft  von  den  Gesetzen  sey  ,  unter  denen  das  Den- 
D3ken  mit  sich  selber  übereinstimmt «*,  nicht  zu  verkennen: 
aber  werden  dadurch  die  Gesetze  der  ursprünglichen  «Erzeu- 
gung im  Denken  ,  sey  es  auf  dem  mathematischen  oder  philo- 
sophischen Gebiete,  wohl  ausgeschlossen?  und  doch  ist  von 
diesen  Gesetzen  der  ursprünglichen  Erzeugung  im  Denken  bei 
Sigwart,  wie  hei  den  übrigen  Logikern  dieser  Richtung 
kaum  die  Rede. 

T  Westen  behauptet,  die  Logik  handle  von  der  Ueber- 
zeugung  des  Verstandes,  in  wie  fern  derselbe  auf  dem  klaren 
Bewufstseyn  beruhe,  „dafs  dasjenige,  wovon  man  überzeugt 
„werden  solle,  in  demjenigen,  wovon  man  überzeugt  sey, 
M  bereits  liege,  oder  damit  auf  eine  solche  Weise  zusammen- 
M hänge,  dafs  es  nicht  geläugnet  werden  kann,  ohne  uns  in 
„Widersprüche  zu  verwickeln"  ,  oder,  „  sie  sey  die  Theorie 
Mvon  der  Anwendung  der  Grundsätze  der  Identität  und  des 
„Widerspruchs  (§.  6.)«  Vergleichen  wir  Twestens  Erklä- 
rung nun  mit  dem,  was  in  seiner,  wie  in  den  Aristotelisch  - 
analytischen  Logiken  überhaupt,  wirklich  geleistet  wird  ,  be- 
denken wir,  ^  dafs  die  Logik  ursprünglich  von  Begriffen  und 
„Urtheilen  gar  nicht  um  ihrer  selbst,  sondern  nur  um  ibr«s 
„Gebrauchs   willen  für  ein©  andere   Denkoperation  (das 


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Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftronk  und  Esser.  14* 


^Scbliefsen)  handelt«,  „dafs  der  eigentliche  Kern  der  Aristo- 
telischen Logik  die  Syllogistik  ist,    Begriffe  und  Urtbeile 
«für  sie  nur  als  Elemente  des  Schlusses  da  sind«  (s.  Vorrede 
S.  IX  f.);   so  ist  offenbar,  dafs  ein  solcher  Begriff  nicht  nur 
dieser  besonderen  Bearbeitung  der  Logik  genau  entspreche, 
sondern  sich  auch  historisch  vollkommen  rechtfertigen  lasse, 
indem  er  bestimmt  ausspricht,  was  die  Logiker  dieser  Rieh' 
tung  zunächst  und  vorzüglich  beabsichtigen,    wenn  sie  die 
Logik  als  die  Wissenschaft  von  den  Gesetzen  des  formalen 
Denkens  u.  dergl*  bezeichnen.     Dieser  Begriff  hat  aufserdem 
den  Vorzug,  dafs  er,  an  sich  deutlich,  keiner  psychologi- 
schen oder  metaphysischen  Vorbereitung  bedarf,  da  die  Wahr- 
heit der  Sätze  der  Identität  und  des  Widerspruchs  an  sich  als 
evidend  betracht  et,  99ihre  Wichtigkeit  aber  leicht  so  weit  in's 
„Licht  gesetzt  werden  kann,   als  hier  nöthig  ist  (s.  Vorrede 
S.  XXV.).     Endlich  wird  durch  dtn  so  gefafsten  Begriff  auch 
der  Bearbeitung  der  Logik  ihre  Selbstständigkeit  gesichert, 
indem  er  theils  ihre  Grenzen  bestimmt,  theils  Ableitung  der 
Disciplin  aus  einem  an  sich  deutlichen  Princip  einleitet.  Nur 
diejenigen  Hegeln   und  Gesetze  des  vermittelnden  Denkens 
gehören  ihr  an,   die  aus  den  Grundsätzen  der  Identität  und 
des  Widerspruchs  als  besondere  Anwendungen  abgeleitet  wer- 
den können.     Sie  verfährt  mithin  rein  analytisch,    da  jene 
Grundsätze  nur  Anweisung  geben  ,    aus  schon  vorhandenen 
Vorstellungen  das  in  ihnen  Enthaltene  zu  entwickeln.  Wenn 
aber  die  analytische  Logik  oder  logische  Analytik  auf 
diese  Weise  darauf  verzichten  mufs,  von  der  Entstehung  der 
Erkenntnisse,  ihren  Quellen  und  der  Art  und  Weise  zu  han- 
deln ,   sie  aus  denselben  im  Zusammenbang  und  mit  Vollstän- 
digkeit zur  Deutlichkeit  des  Bewufstseyns  zu  erheben,  so 
darf  die  Nothwendigkeit  eben  dieser  Untersuchungen  darum 
keineswegs  verkannt  werden.     Nur  mufs  bestimmt  anerkannt 
werden,   dafs  die  Logik  ,  insofern  sie  solche  Untersuchungen 
zu  führen  unternimmt,  d.  h.  die  Logik  als  allgemeine 
Methodologie,   anderer  Grundsätze  bedarf,  als  der  der 
Identität  und  des  Widerspruchs,  und,  wenigstens  für  jetzt, 
hier  nicht  mit  gleicher  Sicherheit  wie  in  der  Analytik  verfah- 
ren kann.    Dafs  die  Logik  als  allgemeine  Methodologie  nicht 
mit  den  zuletzt  genannten  Grundsätzen  ausreiche,    hat  man 
auch  durch  die  That  anerkannt,    insofern  man  ihnen  das 
Princip    des    zureichenden    Grundes  hinzuzufügen 
pflegt.    Indem  man  aber  dieses  Princip  ,  wie  jene,  nur  an  die 
Spitze  stellte,  ohne  aus  ihnen  die  logischen  Regeln  und  Be- 
stimmungen zu  deduciren,   hat  man  im  analytischen  Theil- 


142        Logik  noch  Twesten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esier. 


der  Logik  häufig  den  Satz  vom  zureichenden  Grunde  zu  Hölfe 
genommen,  ohne  seiner  zu  bedürfen,  und  dagegen  auf  die 
.Satze  der  Identität  und  des  Widerspruchs  nicht  analytische 
Bestimmungen  zurückführen  zu  können  geglaubt,  die  sieb 
durchaus  nicht  aus  ihnen  ableiten  lassen«  Auch  kann  sich  uns 
nicht  verbergen,  dafs  die  Untersuchungen  der  nicht  analyti- 
schen Logik  ,  obwohl  gemeiniglich  vermischt  mit  den  analy- 
tischen Bestimmungen,  sich  von  diesen  durch  Unbestimmt- 
heit, Unsicherheit  und  Willkührlichkeit  sehr  merklich  unter- 
scheiden. Wie  sehr  viel  weiter  ist  z.  B.  die  Lehre  von  der 
unmittelbaren  Ableitung  eines  neuen  Urtheils  aus  einer  gege- 
benen, oder  von  den  unmittelbaren  Schlüssen  (um  der  Lehre 
von  den  mittelbaren  Schlüssen  nicht  zu  gedenken),  fortge- 
schritten, als  die  Lehre  von  der  synthetischen  Begriffs  -  und 
Urtheilsbildung  ? 

Durch  scharfe  und  bestimmte  Sonderling  beider  Theile 
oder  vielmehr  Disciplinen  der  Logik  hat  Twesten  eine  wis- 
senschaftlichere Behandlung  des  einen  wie  des  anderen  einge- 
leitet, und  selber,  wie  wir  sehen  werden,  sehr  bedeutend 
gefördert.  „Im  Gegensatz  mit  der  analytischen  Logik  oder 
„  Analytik  m9  sagt  er  S.  XXVI,  »kann  man  alsdann  die  Theo- 
rie von  der  methodischen  Anwendung  der  übrigen  Grund- 
„sätze  des  Denkens  und  Wissens  die  synthetisch  e  Logik 
„ nennen  ,  in  wie  fern  man  als  höchste  und  gemeinschaftliche 
„Aufgabe  derselben  die  Bildung  (Synthesis)  auch  solcher  Bc- 
„griffe,  Urtheile  und  Erkenntnisse  betrachtet,  die  nicht  als 
„schon  gegeben  vorausgesetzt  werden. m  Jedoch  hat  Twe- 
sten die  Analytik  als  den  eigentlichen  Gegenstand  seiner 
Darstellung  behandelt,  und  nur  einen  kurzen  Entwurf  der 
synthetischen  Logik  hinzugefügt. 

Die  Eintheilung  der  Logik  in  Analytik  und 
Sy^ithetik  ist  eine  so  natürliche  und  noth wendige,  dafs 
sie  schon  frühzeitig  in  der  Behandlung  dieser  Disciplin  mehr 
oder  weniger  bestimmt  berücksichtigt  worden,  aber,  weilbis- 
her  nicht  auf  ihren  wahren  Grund  zurückgeführt,  schwankend 
und  ohne  bedeutenden  Einflufs  auf  wissenschaftliche  Strenge 
gehlieben  ist.  Sollten  nämlich  Elementar-  und  Methoden- 
Jehre  auf  eine  genügende  und  förderliche  Weise  von  einander 
gesondert  werden,  so  müfste  erstere  auf  Analytik,  letztere 
auf  Syntbetik  zurückgeführt  werden.  Eine  rein  analytische 
Betrachtung  der  Denkfunctionen  wird  nämlich  allerdings  in- 
nerhalb der  Grenzen  einer  Elementarlehre  sich  halten:  eine 
gründlich  durchgeführte  Methodenlehre  dagegen  Untersuchun- 
gen über  ursprüngliche  Erzeugung  der  Erkenntnisse,  mithin 


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Logik  nach  Twesten ,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser.        1  |3 

fiber  die  Syntbesia  derselben,  nicht  nur  voraussetzen  ,  son- 
dern als  ihre  vornehmste  Aufgabe  betrachten  müssen.  Auch 
enthält  des  Aristoteles  zweite  Analytik,  die  den  späteren  Me- 
tbodenlehren zu  Grunde  liegt,  der  Hauptsache  nach,  einen 
Entwurf  zur  Synthetik.  Wenn  freilich  die  Elementarlehre 
die  einzelnen  Functionen  des  Denkens,  die  Methodenlehre 
das  Denken  in  seiner  wissenschaftlichen  Tendenz  betrachten 
soll  (s.  Sigwart  §.  35.),  so  ist  letztere  gleichfalls  so  weit 
analytisch  ,  in  wie  weit  auch  die  Wissenschaft  in  ihren  Me- 
tboden sich  zum  Theil  auf  Verdeutlichung  schon  vorhandener 
Erkenntnisse  beschränkt,  unterscheidet  sich  dann  aber  auch 
von  ersterer  weder  den  Frincipien  noch  der  Behandlung  nach 
hinlänglich,  um  der  Elementarlehre  als  besonderer  und  gleich- 
liegender Theil  beigeordnet  zu  werden.  Die  sogenannte  an- 
gewandte Logik  findet  allerdings,  so  fern  in  ihr  das  mensch- 
liche Denken  nach  seinen  allgemeinen  und  nothwendigen  Be- 
schränkungen betrachtet  werden  soll,  nicht  eben  passender  in 
der  Synthetik  als  in  der  Analytik  ihren  Platz,  kann  aber  auch, 
in  so  weit  sie  nicht  Anweisung  zur  Vervollkommnung  der  Er- 
kenntnisse enthält,  und  als  solche  der  Synthetik  angehört 4 
mit  Recht  der  Psychologie  zugewiesen  werden ;  und  ohne 
Nachtbeil  hat  Esser  sie  ausgelassen  (s.  seine  Gründe  S.  l3.)> 
Tieftrunk  in  seinem  zweiten  Theile  nur  gelegentlich  die 
Schranken  des  menschlichen  Erkennens  berücksichtigt. 

Bei  Sigwart  zerfällt  die  Logik  in  zwei  Haupt- 
t heile,  deren  ersterer  von  den  Bestimmungen  und  Ge- 
setzen des  Denkens,  der  zweite  von  der  Beziehung 
dieser  Bestimmungen  und  Gesetze  auf  die  wirk- 
liche Thätigkeit  des  Denkens  handeln  soll;  der  zweite 
Haupttheil  wird  in  reine  und  angewandte  Logik,  und  die 
reineLogik  in  Elementar  -  und  Methodenlehre  getheilt.  Auch 
Esser  sondert  die  Erörterung  der  Grundgesetze  des  Denkens 
von  der  Elementar-  und  Metbodenlehre,  tbeilt  die  Logik  in 
drei  Theile,  und  handelt  im  zweiten  Theile  von  den  allgemei- 
nen Gesetzen  des  Denkens,  die  jedem  besonderen  Denken  zu, 
Grunde  liegen,  und  im  dritten  Theile  von  den  Gesetzen  des 
Denkens  in  der  Wissenschaft. 

Tieftrunk  erörtert  im  ersten  Theile  seiner  Denklehre 
das  Wesen  des  Denkens  an  sich  selbst,  zerlegt  es  in  seine 
Tbätigkeiten  und  entnimmt  die  Gesetze  desselben  (s.  S.  20.)  i 
betrachtet  in  dem  sehr  kurzen  zweiten  Theile  (von  S.  227  — 
240.)  diese  Gesetze  als  Regeln  und  Wegweiser  zur  denkrich- 
tigen Anwendung  unsres  Erkenntnisvermögens,  berücksich- 
tigt hierbei  die  Schranken  des  menschlichen  Erkennens,  und 


144       Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tiefuunk  uod  Esser. 


handelt  von  der  Vervollkommnung  unsrer  Erkenntnisse;  den 
ersten  Theil  aber  zerfallet  er,  scharfsinnig  und  seiner  Behand- 
Jungsweise  völlig  gemäfs,  in  zwei  Hauptstücke  ,  von  der  denk- 
gemäfsen  Betrachtung  der  Dinge,  und  von  der  denkgeraäfsen 
Bestimmung  der  Dinge,  indem  er,  als  zwiefache  Thätigkeit 
der  Denkkraft,  das  Vermögen  der  Regeln  und  das  Vermögen 
der  Bestimmung  durch  diese  Hegeln  ,  oder  das  Vermögan  Be- 
griffe von  Gegenständen  durch  Beachtung  Zugewinnen,  und 
•das  Vermögen  Gegenstände  durch  diese  Begnife  zu  Lestim» 
xnen,  von  einander  sondert  (s.  S.  125 ff«)»  Im  zweiten  Haupt- 
stücke zieht  er  dann  zuerst  die  in  der  Denkkraft  selbst  ge- 
wurzelten Begriffe  zur  denkgemäisen  Bestimmung  der  Dinge 
durch's  Urtheil  in  Betracht  ^S.  106  ff.)  j  unC^  handelt  dem- 
nächst (S.  157  ff.)  von  den  Hegeln,  denen  die  Urtheilskraft  in 
ihrem  Zersetzungs-  und  Auilösungsgeschäft  zu  folgen  habe. 

Jedem  dieser  Eintheilungsversuche  wird  der  billige  Beur- 
theiler  gern  zugestehen,  dais  er  nicht  unerhebliche  Gründe  für 
sich  anzuführen  habe,  und  geeignet  sey,  den  logischen  Stoff 
einigermaisen  zweckmäfsig  anzuordnen  ,  so  lange  keine  streng« 
wissenschaftliche  Ableitung  aus  obersten  Grundsätzen  beab- 
sichtigt wird;  keiner  aber  läfst  sich  den  übrigen  entschieden 
und  in  allen  Stücken  vorziehen,  weil  keiner  derselben  durch 
Begriff  und  Frincip  der  Logik  notbwendig  bedingt  wird,  und 
keiner  so  genau  und  nach  so  festen  Grundsätzen  sondert,  dafs 
<lurch  Versetzung  einzelner  Lehrstücke  die  Construction  des 
Ganzen  wesentlich  gefährdet  werden  würde. 

Indem  Twesten  den  Begriff  der  Analytik  genau  begrenzte 
und  sie  aus  den  Grundsätzen  der  Identität  und  des  Wider- 
spruchs in  der  That  abzuleiten  unternahm,  mufste  er  mit  der 
Erörterung  dieser  Grundsätze  die  Analytik  beginnen;  er  konnte 
sie  nicht  der  Analytik  und  Synthetik  als  gesondert  von  beiden 
voranstellen,  da  sie  nur  Grundsätze  der  Analytik,  nicht  der 
Synthetik  sind;  ferner  aber  mufste  er  für  die  aus  diesen 
Grundsätzen  abgeleitete  Analytik  eine  von  den  bisherigen 
durchaus  verschiedene  Eintheilung  auffinden,  um  alle  beson- 
dere Regeln  aus  jenen  Gesetzen  in  der  Ordnung  und  auf  die 
Weise  abzuleiten,  dafs  sowohl  ihre  Notwendigkeit  als  ihr 
Verhältnifs  zu  jenen  Gesetzen  daraus  klar  werde  (s,  §.  20.)« 


(Die  Fortsetzung  fol§tt) 


N.  10.  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur« 


Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser; 

(Fortsetzung,) 

Sehr  su  beachten  sind  T  w  e  s  t  e  n  s  Erörterungen  über 

Zweck,  Art  und  Weise  des  Studiums  der  analytischen  Logik 
(s.  §.  14  ff.  vergl.  Vorr.  S.  XII  f.),  welche  in  der  Begrenzung  , 
in  der  sie  in  seiner  Behandlung  genommen  wird,  wie  einen 
höheren  Grad  der  wissenschaftlichen  Vollendung  erreichen , 
io  auch  dem  Lernenden  mehr  Ausheute  und  namentlich  mehr 
Uehung  in  der  logischen  Sicherheit  gewähren  mufs9  als  da, 
WO  sie  durch  vielartigen  fremden  Stoff  sich  ergänzt. 

Die  vielverheifsenden  Erörterungen  in  Essers  Einlei« 
tung  über  die  Quelle  der  Logik  und  die  Methode  ihrer  Be- 
handlung (S.  20  —  45.)  unternehmen  den  Beweis,  dafs  die 
Noth wendigkeit,  so  zu  denken,  die  Notwendigkeit,  so 
für  wahr  zu  halten,  nicht  einschliefst? ,  mithin  das  Den« 
ken  und  seine  Gesetze  für  den  Menschen  keine  absolute 
Zuverlässigkeit  haben  (auch  nicht  für's  Denken  ?),  dals  daher 
die  Logik  kein  allgemeines  sicheres  Kriterium  der  Wahrheit 
aufstelle,  und  zwar  nicht  nur  kein  materiales ,  sondern  auch 
kein  formales  Kriterium  der  Wahrheit;  dafs  sie  aber  eben 
darum  keine  philosophische  Disciplin  sey,  weil  die  Philoso- 
phie von  den  nothwendigen  Gesetzen  des  Fürwii  klichhaltens 
zu  handeln  habe.  Diese  Erörterungen  sind,  gleich  wie  die 
übrigen  dieser  Abtheilung,  theils  zu  sehr  auf  der  Oberfläche 
geschöpft,  theils  der  Logik  gcofsentheils  fremd.  Eine  gründ- 
liche Prüfung  derselben  müfste  auf  ihre  Quelle,  Hermes 
Einleitung  in  die  christkatholische  Theologie, 
zurückgehen ,  wo  ihnen  sehr  viel  vollständigere  und  gründ- 
lichere Untersuchungen  gewidmet  sind. 

Die  Gesetze  der  Identität  und  des  Wider- 
Spruchs  werden  bei  Twesten  22  f.)  in  Formeln  aus- 
gedrückt, und  sehr  bestimmt  und  genügend  dadurch  von  ein- 
ander unterschieden,    dafs  jener   auf  den  positiven, 

XIX.  JahrS.    2.  H.-f>.  10 


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146        Logik  nach  Tweste» ,  Sigwart ,  Tieft ruuk  und  Esser. 

dieser  auf  den  negativen  Ausdruck  der  Einer- 
leih ei t  zurückgeführt  wird,  so  dafs  die  Ableitung  des  einen 
vom  anderen  sich  als  ehen  so  unmöglich  ergehen  inufs,  wie 
die  Ableitung  der  Bejahung  von  der  Verneinung  *  oder  um- 
gekehrt  diese  von  jener  ist.  Die  höhere  Deduction  dieser, 
sö  weit  es  zü  ihrer  Entwickelung  nöthig  ist  ,  deutlichen  Ge- 
setze Wird  mit  Recht  der  Trartscendentalphilosophie  oder  der 
Metaphysik  überlassen,  deren  Untersuchungen  die  Logik  vor- 
arbeiten i  nicht  vorgreifen  soll  (vergl.  Vorrede  S.  XXIV.). 
Ihte  Weitere  Erörterung  aber  ergiebt  sich  aus  der  Analytik 
selber ,  indem  alle  Formen  und  Gesetze  derselben  aus  ihnen, 
als  Formen  ihrer  Anwendung,  abgeleitet  werden. 

Vom  Princip  der  Identität  wird  der  Satz  der  Ein- 
stimmung unterschieden,  insofern  er  erlaubt,  mit  a  andere 
Vorstellungen  zu  verbinden,  die  nicht  Nicht- a,  aber  auch 
nicht  eben  a  sind* 

Vom  Satze  deS  ausgeschlossenen  Dritten  wird 
eine  zwiefache  Form,  eine  ursprüngliche  und  eine  abgeleitete, 
angegeben,  vort  diesem  Grundsatze  aber  wie  vom  Satze  ^ler 
Einstimmung  gezeigt,  dafs  sie  den  Frincipien  der  Identität 
und  des  Widerspruchs  untergeordnet,  und  gleich  wie  diese 
ausSchliefslich  analytische  Sätze  sind* 

Vöm  Satze  des  zureichenden  Grundes  hingegen 
teichte  eS  hin,  zu  erinnern,  dafs  er  der  Analytik  nicht  an- 
gehöre.  Die  schon  von  Jacobi  eingeleitete  Untersuchung, 
in  wie  weit  der  Satz  vom  zureichenden  Grunde  auf  das  Prin- 
cip der  Identität  sich  zurückführen  lasse,  hat  die  Logik  weder 
Beruf  noch  Mittel  genügend  zu  führen;  zu  bedauern  aber  ist 
es,  dafs  auch  Metaphysik  und  Transcendentalphilosophie  sie 
unerörtert  zu  lassen  pflegen, 

Sigwart  unternimmt  gleichfalls  und  mit  Recbt  keine 
eigentliche  Deduction  der  logischen  Grundgesetze  ,  bestimmt 
aber  jedes  derselben  schön  hier  vorläufig  näher,  weil  er  nicht 
wie  T Westen  die  logischen  Gesetze  und  Regeln  als  ver- 
schiedene Formen  derselben  aus  ihnen  ableitet,  und  fügt  das 
Gesetz  des   Grundes  hinzu*    indem  er j  gleichwie  die 
früheren  Logiker  j  das  analytische  und  synthetische  Verfahren 
nicht  genau  sondert.    Das  Gesetz  der  Identität  wird  von  ihm 
als  das  Gesetz  der  Bejahung  und  Uebereinstimmung  betrach- 
tet, also  der  Grundsatz  der  Einstimmung  mit  einbegriffen; 
der  Grundsatz  des  Widerspruchs  als  Gesetz  der  Verneinung 
und  des  Widerspruchs  ;   der  Grundsatz  des  ausgeschlossenen 
Dritten  als  die  Sphäre  der  Denkformen  beschlielsend  und  be- 
grunzend,  indem  er  bestimme,  dafs  die  in  den  Gesetzen  det 


i 


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Logik  nach  Twesten,  S/gwart,  Tiefirunk  und  Esser.  *i47 

Identität  und  des  Widerspruchs  gegebenen,  und  als  einander 
ausschliefsend  bereits  gesetzten  Formen  die  einzig  möglichen 
seyen. 

Die  Momente  der  Qualität  und  das  kategorische  Urtheil 
führt  S  i  g  w  a  r  t  auf  die  Grundsätze  der  Identität  und  des  \  Vi. 
derspruchs,  die  Bestimmungen  der  Quantität  und  das  dis- 
junctive  Urtheil  auf' den  Grundsatz  des  ausgeschlossenen  Drit- 
ten, die  Bestimmungen  der  Relation  und  der  Modalität,  so 
wie  die  Form  der  Bedingtheit,  auf  das  Gesetz  des  Grundes 
zurück,  und  behauptet,  dafs  letzteres  die  Gesetze  der  Iden- 
tität, des  Widerspruchs  und  ausgeschlossenen  Dritten,  ja  nur 
diese,  voraussetze.  Obgleich  nun  theils  das  Gesetz  des  Gm  Il- 
des wobl  noch  andere  als  die  genannten  analytischen  Grund- 
sätze voraussetzen  möchte,  und  auf  jeden  Fall  der  hier  voraus- 
gesetzte rein  analytische  Charakter  desselben  nicht  nachgewie- 
sen wird,  theils,  wie  Twesten  durch  die  That  gezeigt  hat; 
die  Bestimmungen  für  die  hypothetische  Form  vollständig  auf 
den  Grundsätzen  der  Identität  und  des  Widerspruchs  abzulei- 
ten, mithin  nicht  auf  das  Frincip  des  Grundes,  so  weit  ei 
sich  von  diesem  unterscheidet,  zurückzuführen  sind;  obgleich 
ferner  die  Ableitung  der  Quantitätsbestimmungen  und  des  dis- 
junctiven  Urtheils  einerseits  ,  so  wie  der  Qualitätsverbältnisse 
nebst  den  kategorischen  Urtbeilen  andrerseits  aus  je  verschie- 
denen Grundsätzen  sich  wohl  eben  so  wenig  rechtfertigen  las- 
sen möchte,  als  eine  solche  Sonderung  des  untergeordneten 
principii  exclusi  tertii  von  den  Grundsätzen  der  Identität  und 
des  Widerspruchs  selber,  so  haben  doch  S  ig  war  tS  Erörte- 
rungen der  logischen  Grundsätze  in  Bezug  auf  Bestimmtheit 
im  Ausdruck  diesen  Theil  der  Logik  wesentlich  gefördert; 
und  besonders  falsche  Bestimmungen  früherer  Logiker  be- 
»eitigt. 

Esser  würde  seine  überaus  weitläuftige  Erörterung 
wohl  bedeutend  abgekürzt  und  manche  Fehler  in  Ausdruck 
und  Bestimmung  sich  erspart  haben,  wenn  er  den  schon  in 
der  ersten  Ausgabe  von  Sigwarts  Logik  enthaltenen  Erör- 
terungen über  die  logiseben  Grundgesetze  reiflich  hätte  nach- 
denken wollen.  Sein  Ausdruck  für  das  Gesetz  der  Identität 
(s.S.  51.):  „alles  das  mufs  nöthwendig  zu  einem  Gedanken 
„ verbunden  werden,  was  mit  sich  selbst  eins,"  öder  was  we- 
ajsentlicher  Bestandtheil  eines  und  desselben  Gedankens  ist«; 
beschränkt  dasselbe  auf  den  Satz  der  Einstimmung,'  und  fafst 
es  höchst  unbestimmt;  oder  ist  etwa  an  sich  deutlich;  was 
wesentlicher  Bestandtheil  eines  und  desselben  Gedankens  &eft 
Wie  sehr  viel  genauer,  bestimmter  und  für  jeden;  der  den 

iti* 


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148        Logik  nach  Twesten  ,  Sigwart,  Xipftruuk  und  Esser, 

Begriff  der  mathematischen  Gleichheit  kennt,  ist  doch  die  alte 
Formel  A  js  A.     Auch  der  Ausdruck  für  den  Grundsatz  des 
Widerspruchs  („in  unsrem  Denken  nichts  sich  seihst  wider- 
sprechendes  zu  setzen,    weil   widersprechende  Merkmale 
„  nicht  zu  einem  und  demselben  Bewufstseyn  vereinigt  werden 
„können«)   ist  eine  sehr  unbestimmte  und  ungenaue  Ueber- 
seczung  der  Formel :  A  non  est  non-A;  und  ebenso  theils 
tingenügend ,  theils  schief  gestellt  die  weitläuftige  Beweis« 
führung,   „dafs,  wenn  auch  das  Gesetz  des  Widerspruchs  aus 
„dem  der  Einerleiheit  gefolgert  werden  könne,    die  Ueber- 
„  zeugung  von  der  Notwendigkeit  desselben  sich  doch  vor- 
züglich auf  die  im  unmittelbaren  Bewufstseyn  deutlich  gege- 
bene Unmöglichkeit  gründe,  widersprechende  Vorstellungen 
wzu  einer  Totalvorstellung  zu  vereinigen«  (S.  57.).  Gefol- 
gert werden  kann  nämlich  das  Gesetz  des  Widerspruchs  aus 
dem  der  Einerleiheit  schlechterdings  nicht.    'Wenn  das  Gesetz 
des  zureichenden  Grundes  ausgedrückt  wird  :  n  alles,  was  ist, 
„mufs  einen'  (zureichenden)   Grund  seines  Seyns  haben« 
(S.  73.),  so  wird  es  theils  mit  dem  Grundsatze  der  Causalität 
Verwechselt,  theils  dieser  wiederum  unrichtig  aufgefafst,  da 
nicht  für  das  Seyn,   sondern  für  das  Werden  die  Ursache 

tesucht  wird.  Aufser  den  vier  logischen  Gesetzen,  auf  die 
ier  gleichfalls  die  Formen  des  kategorischen,  disjunetiven 
und  hypothetischen  Urtheils,  und  zwar  als  die  einzig  mög- 
lichen Formen  des  Urtheils,  durch  einige  wenig  genügende 
Erörterungen  (S.  82  if.)  zurückgeführt  werden,  sind  von  Es- 
ser noch  die  Principe  der  Gleichartigkeit,  Verschiedenartig- 
keit und  der  Verwandtschaft  als  solche  Gesetze  schon  an  dieser 
Stelle  erörtert,  wonach  die  Einheit  unserer  Erkenntnisse  — 
und  hier  unserer  Begriffe  —  einzig  und  allein  herangebracht 
werde  (S.  87.).  Erstere  beiden  sucht  er  dann  als  wirklich« 
Denkgesetze,  das  dritte  als  leitendes  Frincip  nachzuweisen 
(S.  90  ff.). 

Wenn  Tieftrunk  in  der  zweiten  Abtheilung  des  zwei« 
ten  Hauptstücks  den  Satz  des  Widerspruchs  („kein  Ur- 
theil  darf  dem  andern  widersprechen«)  als  Grundregel. aller 
Zersetzungs  -  und  Auflösungs  -  Urtheile  voranstellt  (S.  l94ff.)> 
und  daraus  als  unmittelbare,  durch  blofse Verdeutlichung  sich 
ergebende  Folgerung  den  Grundsatz  der  Ausschlies- 
sung eines  Mittleren  und  den  Grundsatz  der  Ei- 
nerleiheit ableitet »  so  findet  gegen  diese  Ableitung  theils 
die  obige  Bemerkung  ihre  Anwendung  ,  theils  mufs  erinnert 
werden,  dafs  der  Ausdruck  für  den  Satz  des  Widerspruchs 
wohl  zu  eng,  und  die  Deduction  ungenügend  seyn  möchte, 


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* 


Logik  nach  Tvvesten ,  Sigwart ,  Tisfurimk  und  BfJfft  149 

insofern  sie  van  den  Grundbegriffen  der  Einstimmung  und  des 
Widerstreits  absieht,  die  im  ersten  Hauptstück  als  zweiter 
Ansatz  der  Denkkraft  zur  Betrachtung  der  Ding?  erörtert 
werden  (S.  45.). 

Esser  und  S  ig  wart  folgen  in  ihren  Elementarlehren 
der  gewöhnlich  gewordenen  Anordnung  nach  Verschiedenheit 
der  Form,  in  der  die  Vorstellungen  gegeben  werden,  sondern 
daher  die  Lehren  von  den  Begriffen,  Urtheilen  und 
Schlüssen.  Diese  Anordnung  empfiehlt  sich  nun  zwar,  in 
so  fern  ein  Fortschreiten  vom  Leichteren  zum  Schwereren 
bei  ihr  statt  findet;  sie  genügt  aber  nicht,  theils  weil  die 
Verschiedenheit  dieser  Formen  überhaupt  nur  eine  relative 
und  für  die  analytische  Betrachtung  bis  zu  eineqi  gewissen 
Grade  gleichgültig  ist ,  theils  weil  in  der  Lehre  von  den  Be* 
griffen  manches  erst  aus  der  Lehre  vom  Urtheil  und  sogar  aus 
derSyllogistik  seine  Aufklärung  erhält.  In  ersterer  Rücksicht 
ist  durch  solche  Anordnung  die  richtige  Geltung  dieser  For» 
men  verdunkelt  worden  ,  in  zweiter  Rücksicht  hat  wohl  he* 
sonders  durch  diese  Anordnung  die  Logik  sich  den  Vorwurf 
zugezogen,  dafs  ihre  Begriffe  und  Wahrheiten,  weit  ent* 
fernt,  nach  ihrer  eignen  Forderung  aus  Principien  abgeleitet 
zu  seyn,  „in  Rücksicht  eines  inneren,  nothwendigen  Zusam* 
„  menhapgs  nicht  anders  neben  einander  ständen,  als  in  einem 
„Register«  (H  e  g  e  1  Wissenschaft  d.  Logik  XXII. —  a.Twe» 
stens  Vorr.  XXX.). 

Auch  Tieft  r  unk  vei ziehtet  auf  die  Eintheilufig  des 
Denkvermögens  in  das. Vermögen  der  Begriffe  (Verstand)  4  Ver* 
mögen  der  Urtheile  (Urtheilskraft)  und  Vermögen  der  Schlüsse 
(Vernunf  t  —  S.  32.),  und  sondert  die  Lehre  von.  den  Be« 
griffen,  Urtheilen  und  Schlüssen  nur  in  so  fern,  inwiefern 
das  erste  Hauptstück  des  ersten  Theils  zunächst  von  der  Be» 
griffshildung ,  und  das  zweite  von  den  Urtheilen ,  und  zwar 
in  unmittelbarer  und  mittelbarer  Folgerung,  handelt. 

T  westen  entwickelt  die  Formen  der  Anwendung  der 
Gesetze  der  Identität  und  des  Widerspruchs,  indem  er  die 
abzuleitenden,  analytischen  Gesetze  und  Formeln  als  andere 
nur  erweiterte  Ausdrücke  derselben  betrachtet,  und  als  ge* 
meinsame  Form  aller  analytischen  Gesetze  den  Grundsatz  vor- 
anstellt :  Hwenn  Du  a  gesetzt  hast,  mulst  Du  b  setzen,  weil 
„a  ff  a  ist ,  oder  weil  a  sonst  nicht  a  seyn  würde«*  (§.  26»), 

Da  nun  die  Verschiedenheit  der  analytischen  Gesetze  nur 
in  der  Verschiedenheit  des  gegebenen  ihren  Grund  haben 
kann,  so  werden  —  im  Fortschreiten  vom  einfachen  zum  zu» 
sammengesetzten        die  verschiedenen  möglichen  Fälle,  unter 


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150       Logik  nach  Twesten  »  Sigwart,  Tieftronk  und  Esser. 

denen  das  gegebene  gesetzt  und  das  in  ihm  implicite  enthaltene 
aus  ihm  entwickelt  werden  kann ,  vollständig  aufgeführt.  Der 
erste  Fall,  dem  zufolge  das  gegebene  als  ein  Begriff  gesetzt 
wird,  leitet  auf  Behauptungen  über  das  Verhältnifs  seiner 
Merkmale  zu  dem  Begriffe  selbst  und  zu  einander,  daher  theils 
»u  nothwendigen  und  allgemeinen ,  theils  zu  besonderen  und 
Mos  möglichen  Urtheilen.  Bei'm  zweiten  Falle,  „es  Seyen 
*wei  Begriffe  gegeben«  (  §.  36  ff.),  wird  theils  auf  eine  neue 
Weise,  theils  schärfere  Bestimmungen  herbeiführend  gezeigt, 
Wie  aus  den  Verhältnissen  des  Inhalts  die  des  Umfangs,  und 
umgekehrt  diese  aus  jenen,  sich  bestimmen  lassen,  und,  wie 
weit  auf  analytischem  Wege  ausgemittelt  werden  könne,  ob 
von  zwei  gegebenen  Begriffen  der  eine  dem  andern  beigelegt 
oder  abgesprochen  werden  müsse.  Da  nun  auch  die  aus 
Entwicklung  des  zweiten  Falls  sich  ergebenden  Verhältnisse 
Urtheile  sind,  so  wird  in  einem  Anhange  zu  den  beiden  ersten 
Fällen  zusammengefafst  und  weiter  ausgeführt,  was  bisher 
yon  den  Urtheilen,  und  zwar  nach  ihrer  Entstehung,  daher 
völlig,  auf's  Reine  gebracht  war.  Hein  analytisch  wird  hier 
das  Urtheil  als  Subsumtion  von  Begriffen  unter  Ge- 
schlechts- oder  Artbegriffe  betrachtet,  und  nur  von 
den  qualitativen,  quantitativen  und  modalen  Bestimmungen, 
und  zwar  in  letzterer  Rücksicht  blos  von  den  möglichen 
und  nothwendigen  Urtheilen  gehandelt,  da  einerseits 
die  Wirklichkeit,  als  ein  nicht  analytisch  erkenn  bares  Verhält- 
nifs, von  dieser  Betrachtung  ausgeschlossen  bleibt,  andrer- 
seits die  gewöhnlich  aus  dem  Verbältnisse  der.  Urtheile  zum 
Be wufstseyn  abgeleiteten  JYlodalitätsbestimmungen  der 
Urtheile,  als  problematischer,  assertorischer  und 
apo'd  i  ctisch  er  Urtheile,  mit  Recht  als  psychologische, 
nicht  analytische  Verbältnisse,  aus  der  analytischen  Logik 
entfernt  werden.  Von  der  Relation  aber  konnte  erst  bei'm 
dritten  Falle,  „es  sey  ein  Urtheil  gegeben««  (§.  58  ff.)j  ^e 
Hede  seyn.  Dieser  dritte  Fall  unterscheidet  sich  von  den 
früheren  sehr  wesentlich  dadurch,  dafs  in  ihm  das  Urtheil 
nicht  blos  analytisch,  wie  in  der  früheren,  sondern  auch  syn- 
thetisch seyn  kann,  oder  vielmehr  seyn  mufs  ,  so  weit  er  au 
neuen  ,  in  vorigen  nicht  schon  enthaltenen  Betrachtungen  füh- 
ren soll.  Da  nun  die  kategorischen  Urtheile,  wenn  auch  syn- 
thetisch, doch  entsprechenden  analytischen  in  Bezug  auf  die 
logische  Betrachtung  gleich  sind  ,  so  wird  in  diesem  Abschnitte 
nur  yon  den  übrigen  Momenten  der  Relation ,  von  dem  bypo- 
^e^scben,  und  disjunctiven  Urtheile  gehandelt.  Wiewohl 
-ibet  da£  hier  gegebene  als  synthetisch  verknüpft  gesetzt  wwd> 


uigmzea 


by  GoogU' 


Logik  nach  Twesten ,  Sigwart ,  Tieftrunk  und  E*w.  *5i 

so  mufs  das  aus  ihm  analytisch  zu  entwickelnde  doch  schon 
implicite  in  ihm  enthalten  seyn  :   daher  denn  auch  die  Lehre 
von  den  hypothetischen  und  disjunctiven  Urtheilen  durchaus 
analytisch  behandelt,  d.      aus  den  Grundsätzen  der  Identität 
und  des  Widerspruchs  abgeleitet  wird.     Nachdem  dann  sehr 
kurz,  aber  mit  genügender  Vollständigkeit,  die  durch  eigene 
Untersuchungen  ergänzten  Lehren  früherer  Logiker!  nament- 
lich Herberts,   yon  den  verschiedenen  Arten  der  hypothe- 
tischen und  disj  unctiven  Urtbeile ,  und  von  den  aus  Verknüpfung 
des  disjunktiven  Urthejls  mit  dem  kategorischen  und  hypothe- 
tischen sich  ergebenden  abgehandelt  sind  (§.  64  ff.),  wjrd  ge- 
zeigt ,  wie  ans  einem  gegebenen  Urtbeile  theils  ein  Begriff 
(§.  75  ff.)>  theils  ein  anderes  Urtheil,  und  zwAr  ein  entweder 
formell  (§.  77  ff.)  oder  materiell  (§.  92  ff)  von  dem  gegebenen 
verschiedenes  Urtheil,  angeleitet  werde,     pieser  Abspbnitt 
begreift    daher    die   Lehre    von    den  unmittelbaren 
Schlössen  in  sich,  die  aber  der  Verfasser  vielfach  z.u  ergän* 
zen  Gelegenheit  findet,  indem  er  picht  nur  von  (Jen  Fällen 
handelt,   wo  durch  veränderte  Quantität  (Schlüsse  der  Sub- 
alternative) oder  Qualität  (Schlüsse  der  Opposition  oder  Aecjui- 
pollenz),  und  durch  Umstellung  (Conversion  und  Contranqsi« 
tion),  sondern  auch  diejenigen  berücksichtigt,  wo  durch  ver* 
änderte  Relation  (§.  80.)  und  JN^odolität  (§.  83.)  aus  einem 
gegebenen  Urtheile  ein  neues  abgeleitet  wird,  und  zugleich 
theils  die  Opposition  und  Aecjuipollenz  auch  disjupctiver  Ur- 
tbeile,   theils  einige  Arten  der  Combination  unmittelbarer 
Schlüsse  erwägt  (§.  90.).     Auch  die  Betrachtung  der  upmit* 
telbaren  Schlüsse  als  analytischer  Urtheile  (S.  91.)  un4  die 
Lehre  von  der  Ableitung  materiell  verschiedener  Urtheile  aus. 
eiiiem  gegebenen  (§.  92.  93.)  ist  neu,  und  besonders  in  so  fern 
wichtig  7  in  wie  fern  die  Grenzen  der  analytischen  Behandlung 
dadurch  von  neuem  scharf  bezeichnet  werdep.      per  vierte 
Fall  (§.  94  ff.)  untersucht,  „wie  aus  zwei  gegebenen  Urtbei- 
ttlen,    die  in  keinem  Verhältnifs   analytischer  Abhängigkeit 
33 von  einander  stehen ,  theils  ein  neues  Urtheil,  dessen  *Vabr> 
„heit  aus  keinem  von  ihnen  für  sich  allein  erhellt,  theils  ein 
„von  heilen  gemeinschaftlich  abhängiger  Begriff  abgeleitet 
„werde.«    Ständen  nä^mlich  die  gegebenen  z.wej  Urtbeile  in 
einem  analytisch  erkennbaren  Verhältnisse,  sq  würden  sich 
keine  von  den  im  vorigen  Abschnitte  nachgewiesenen  verschie- 
dene Resultate  ergehen.     Dieser  vierte  Abschnitt  handelt  da- 
her von  den  mittelbaren  Schlüssen.     In  Bezug  auf 
die  ]Lebre  von  den  einfachen  ^ategaris,cheu  Schlüssen  w$cbt 
Ref.  besonders  auf  die  §§.  aufmerksam,  in  denen  die  Nothwen- 


\ 


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152       Logik  nach  Twestcn,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser. 

digkeit  find  der  Unterschied  der  vier  Schlufsfiguren  (§.  102. 
105.  107,  109.111.  114.  116.)  nachgewiesen  wird.  In  der 
Lehre  von  den  hypothetischen  Schlüssen  (§.  !21  ff.)  werden 
theils  die  verschiedenen  möglichen  Fälle  berücksichtigt,  wo 
entweder  beide  Prämissen  und  der  Schlufssatz,  oder  eine 
Prämisse  und  der  Schlufssatz  von  hypothetischer  Form  sind, 
theils  wird  vom  Verhältnifs  der  hypothetischen  Schlüsse  zu 
den  kategorischen,  nach  Herberts  Vorgang,  ausführlich  ge- 
handelt (§.  127  ff.).  Eben  so  ist  die  Lehre  von  den  disjuncti- 
ven  Schlüssen  (§.  l3l  ff.)  vervollständigt  worden.  —  Auch 
in  der  Zurückföhrung  der  mittelbaren  Schlüsse  auf  analytisch 
hypothetische  Urtheile  {§.139  ff.)  tritt  der  rein  analytische 
Charakter  dieser  Bearbeitung  der  Logik  sehr  bestimmt  hervor. 
Die  fünfte  Abtheilung ,  in  der  aus  mehr  als  zwei  Urtheilen 

fefolgert  wird  (§.  i44ff.),  handelt  —  früherer  Logiker ,  wie 
'ries  und  Calker,  vorzüglich  aber  Lamb  ert's  undHer- 
bert's  Untersuchungen  sorgfältig  benutzend,  und  manch- 
faltigr  verbessernd  und  ergänzend  —  von  den  zusammengesetz- 
ten Schlüssen  mit  einer  Ausführlichkeit,  die  theils  dadurch 
hinlänglich  gerechtfertigt  wird,  „dafs  es  eine  eben  so  noth- 
d,wendige  Aufgabe  der  Analytik  ist,  die  analytischen  Ver- 
knüpfungen der  Gedanken  ,  als  einer  wissenschaftlichen  Gram- 
„matik,  die  Verbindungen  der  Worte  und  Sätze  erschöpfend 
w abzuleiten"  (s,  Vorrede  S.  XXXII.)  ;  theils  dadurch,  dai's 
Wes  en  und  Gesetze  häufig  vorkommender  und  notb- 
wendiger  Verknüpftingen  der  Gedanken  jetzt  richtiger  und 
genügender  sich  erkennen  lassen ,  als  es  vor  dieser  ausführ- 
lichen Entwickelung  der  Lehre  von  den  zusammengesetzten 
Schlüssen  möglich  war.  Die  dem  Verfasser  eigenthümliche 
Kürze  und  Bestimmtheit  im  Ausdruck  hat  es  ihm  möglich  ge- 
macht, die  Resultate  dieser  ausführlichen  Entwicklungen  auf 
etwa  zwanzig  Blättern  zusammenzufassen. 

Twesteo  unterscheidet  drei  Hauptarten  der  zu- 
sammengesetzten Schlüsse,  da  entweder  mehrere  ge- 
gebene Urtheile  bei  gleicher  analytischer  Form  und  gleichen 
SubjeCtS -  und  Frädicatsbegriffen ,  oder  gleichen  Vorder-  und 
Nachsätzen,  zu  zwei  zusammengesetzten  Sätzen  so  verbun- 
den werden  können,  dafs  ein  einfacher  Schlufssatz  aus  ihnen 
folgt  (Umwege  im  Schliefsen ,  nach  Lambert),  oder  meh- 
rere Prämissen  wegen  verschiedener  Form  oder  Materie  zwar 
nicht  auf  zusammengesetzte  Sätze  gebracht  werden,  aber 
doch  zu  einem  gemeinschaftlichen  Schlufssatz  führen  können, 
oder  endlich  diese  beiden  Hauptarten  sich  zu  einer  dritten  ver- 
binden lassen.  '  Die  beiden  ersten  Arten  werden  raU  sorgfäl- 

« 


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Logik  nach  T  weiten,  Sigwart,  Tief  trank  und  Esser.  153 


tiger  Berücksichtigung  sowohl  der  disjunctiven  als  der  kate- 
gorischen und  hypothetischen  Form  abgehandelt,  und  für  die 
erste  Art  zusammengesetzter  Schlüsse  in  kategorischer  Form 
Lamberts  in  unverdiente  Vergessenheit  gerathene  sieben 
inodi  derselben  aufgeführt  (§,  l48.),  und  von  neuem  belebt, 
indem  die  lemmatischen  oder  gehörnten  Schlüsse  auf  die  modt 
in  Diprepe,  Perdipe  und  Diprese,  die  Inductionsschlüsse  auf 
diemodi  Caspide  und  Serpide,  die  conjunctiven  und  Inductions- 
schlüsse auf  den  modus  Saccapa  zurückgeführt  werden  (§.  150 
—  152.)«  Die  Behandlung  der  zweiten  Art  (§.  153  ff«)  bat 
besonders  durch  Subsumtion  der  kategorischen  Kettenschlüsse 
unter  die  Figuren  der  einfachen  Schlüsse,  und  durch  sorgfäl- 
tige Berücksichtigung  der  polysyllogistischen  Schlüsse  gewon- 
nen. Bei  der  dritten  oder  gemischten  Art  werden  wiederum 
Lamb  erts  Untersuchungen  über  die  sogenannten  entfernteren 
Umwege. des  Schliefsens  in  Erinnerung  gebracht. 

Von  Esser  ist  die  logische  Analysis  dieser  Formen  im 
Ganzen  sehr  dürftig  und  ohne  gründliche  Kenntnifs  der  vor- 
handenen Vorarbeiten ,  selbst  der  logischen  Schriften  des  Ari- 
stoteles und  Lambert,  behandelt  worden.  Wenn  doch 
nur  zu  der  Leichtfafslichkeit  des  Ausdrucks  Bestimmtheit  und 
Genauigkeit  hinzukamen.  Die  Dürftigkeit  einer  analytischen 
Darstellung  scheint  Esser  durch  Betrachtungen  ergänzen  zu 
wollen  über  die  Vervollkommnung  unserer  Begriffe  (S.  129  #0» 
theils  an  sich,  theils  in  so  fern  sie  Objecten  entsprechen. 
Diese  Betrachtungen  enthalten  nun  zwar  verschiedene  brauch- 
bare,  sogar  zuweilen ,  namentlich  über  den  Werth  der  indi- 
recten  oder  analogen  Begriffe  und  die  sprachliche  Bezeichnung, 
neue  Bemerkungen,  verfehlen  aber  ihren  Zweck,  wenn  sie 
sich  als  Lehren  von  der  Begritfsbildung  geltend  machen  wol- 
len. Ohne  nämlich  aus  Frincipien  abzuleiten,  ohne  den  ana- 
lytischen und  synthetischen  Gesichtspunct  irgendwie  zu  unter- 
scheiden ,  und  ohne  auf  die  letzten  Quellen  der  Begriffe  zu- 
rückzugehen, würden  sie  selbst  dann  nur  vorläufige,  apho- 
ristische Bemerkungen  zu  der  Lehre  von  der  Begriffsbildung , 
nicht  diese  Lehre  selber  enthalten,  wenn  sich  in  ihnen  auch 
weit  mehr  richtiger  Blick  im  Einzelnen,  natürlicher  Sinn  für 
Anordnung  überhaupt,  und  mehr  Scharfsinn  fände.  Solche 
vorläufige  Bemerkungen  aber  können  nur  dann  nützlich  wer- 
den,  wenn  sie  entweder  die  Keime  zu  tieferen  Untersuchun- 
gen in  sich  enthalten,  oder  wenigstens  auf  die  Notwendig- 
keit derselben  hinweisen;  leisten  sie  weder  das  eine  noch  das 
andere,  so  gewöhnen  sie,  bis  zum  Grunde  vordringende  Un- 
tersuchungen zu  umgehen ,  statt  sie  vorzubereiten. 


154        Logik  nach  T weiten,  Sigwari,  TicXumik  und  Esser. 


Sehr  dankenswerth ,  und  keineswegs  ohne  Wissenschaft- 
liehe  Ausheilte,  sind  dagegen  S  ig  war  t  s  Bemühungen  um  die 
Analytik  der  Begriffe,  Urtheile  und  Schlüsse.  In  der  Begriffs- 
lehre wird  besonders  umständlich  von  den  Verhältnissen  der 
Uebereinstimmung  und  des  Widerstreits  gebandelt  (§.  85 
Auch  in  Sigwarts  Lehre  von  den  Urtheilen  erkennt  Ref. 
Scharfsinn  und  Consequenz  in  Durchführung  des  Einzelnen 
sehr  gern  an,  wiewohl  er  die  zu  Grunde  liegende  Eintheilung 
für  unrichtig  halten  muls.  Die  Urtheile  werden  nämlich  in 
kategorische  und  disjunetive ,  und  jene  in  assertorisch -kate- 
gorische und  hypothetisch -kategorische,  diese  in  assertorisch- 
disjunetive  und  hypothetisch  -  disjunetive  getheilt;  die  hypo- 
thetischen darum  nicht  als  besondere  Art  den  kategorischen 
und  disjunetiven  beigeordnet ,  weil  das  Yerhältnifs  des  Grun- 
des zur  Folge  im  disjunetiven  und  kategorischen  Urtheile 
nicht  minder  als  im  hypothetischen  statt  finde,  und  die  kate- 
gorischen und  disjunetiven  Urtheile  sich  auch  hypothetisch 
ausdrücken  lielsen  (§.  HO  ff.).  Wenn  nun  aber  die  Zurück- 
führung  des  hypothetischen  Urtheils  auf  den  Satz  des  Grundes 
unnöthig,  und  die  Gesetze  und  Hegeln  für  das  hypothetische 
Urtheil  sich,  gleich  wie  die  für  das  kategorische  und  dis- 
junetive, aus  den  analytischen  Grundsätzen  der  Identität  und 
des  Widerspruchs  ableiten  lassen  (wie  T Westen  sie  voll- 
ständig und  mit  wissenschaftlicher  Strenge  daraus  abgeleitet 
hat),  so  fällt  zugleich  mit  der  Ansicht,  der  sich  Sigwrart 
widersetzt,  sein  Hauptgrund  gegen  die  Eintheilung  der  Ur- 
theile in  hypothetische,  kategorische  und  disjunetive  weg; 
und  es  fragt  sich  nun,  ob  der  Unterschied  zwischen  dem  hypo- 
thetischen Urtheile  einerseits,  und  dem  kategorischen  und 
disjunetiven  andrerseits,  von  der  Art  sey,  dafs  er  zu  einer 
Nebenordnung  berechtigte.  Behauptet  man  im  Allgemeinen, 
dafs  die  Urtheilsformen  auf  einander  zurückgeführt  werden 
können,  so  ist  mindestens  eben  so  wenig  Grund  vorhanden, 
die  disjunetive  der  kategorischen,  als  beiden  die  hypotheti- 
sche Form  nebenzuordnen;  vielmehr  behauptet  Twesten 
mit  Recht  (S.  49.),  „dafs  das  disjunetive  Urtheil  dem  kate- 
«gorischen  und  hypothetischen  nicht  auf  dieselbe  Weise  ent- 
„ gegengesetzt  sey,  wie  diese  unter  einander,  weil  es  mit 
»beiden  Formen  verbunden  werden  könne.»  In  der  TW 
lassen  sich  aber  die  drei  Urtheilsformen  nur  zum  Theil  aut 
einander  zurückführen  und  nicht  so,  dafs  die  Nebenordnung 
aufgehoben  werden  dürfte,  da  sich  jede  nach  eigentümlichen 
analytischen  Regeln  entwickelt;  selbst  wenn  wir  davon  ab- 
sehen wollen,  dafs  diese  Dreitheilung  sich  ganz  wohl  als 


Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser,  155 

gründet  in  höheren  Gesetzen  des  Denkens  nachweisen  lassen 
möchte  (s.  Twestens  sehr  beachtenswerthe  Bemerkungen 
§.  6l.> 

Auch  hat  Sigwart  durchaus  nicht  gezeigt,  dafs,  was 
wir  gewöhnlich  hypothetisches  Urtheil  nennen,  theils  einen 
kategorischen,  theils  einen  disjunctiven  Charakter  habe,  und 
als  Unterabtheilung  des  kategorischen  und  disjunctiven  Ur- 
theils  betrachtet  werden  müsse;  vielmehr  ist  selbst  da,  wo 
man  die  hypothetische  und  kategorische  Form  mit  einander 
vertauschen  kann,  die  Verbindung  eine  sehr  verschiedene. 
Wie  sollte  doch  auch  die  hypothetische  Form  in  der  Syllo- 
gistik  eine  von  der  kategorischen  und  disjunctiven  verschie- 
dene seyn  müssen  (Sigwart  selber  aber  läfst  sie  als  solche 
gelten),  wenn  der  Grund  dieser  Verschiedenheit  sich  nicht 
schon  in  der  Form  des  Urtheils  fände  ?  Dagegen  kann  das 
disjunctive  Urtheil  eben  so  wohl  hypothetisch  als  kategorisch 
seyn;  dennoch  mufs  vom  kategorisch -disjunctiven  (oder  nach 
Sigwart,  assertorisch  -  disjunctiven)  und  hypothetisch- dis- 
junctiven das  rein  disjunctive  unterschieden  werden  (s.  Twe- 
sten §.  65.);  so  dafs  auch  die  Zweitheilnng  der  Urtheile  in 
kategorische  und  hypothetische  nicht  zu  billigen  seyn  würde. 
—  Besonders  ausführlich  bat  Sigwart  von  der  Vergleichung 
der  Urtheile,  oder  von  den  unmittelbaren  Schlüssen  gehan- 
delt, und  auf  mehrere  bisher  vernachlässigte  Formen  die  Auf- 
merksamkeit gelenkt ,  manche  aber  auch  erörtert ,  deren  Er- 
örterung theils  durch  kurze  Andeutungen,  theils  durch  Rflck- 
weisungen  hätte  erspart  werden  können.  Indem  er  nämlich 
einerseits  je  eine  seiner  vier  Arten  des  Urtheils  mit  den  übri- 
gen in-Beziehung  auf  Quantität,  Qualität  und  Stellung  der 
Begriffe  vergleicht,  andrerseits  sich  nicht  auf  die  Fälle  be- 
schränkt, in  denen  aus  einem  gegebenen  Urtheile  ein  andere« 
unmittelbar  abgeleitet  werden  kann,  sondern  zwei  zu  ver- 
gleichende Urtheile  voraussetzt,  wird  er  zu  Wiederholungen 
und  zu  Vergleichungen  von  Urtbeilen  veranlafst,  deren  Un- 
terschied hin  und  wieder  sehr  unwesentlich  ist.  Twesten 
ist  im  Stande  gewesen  ,  Wiederholungen  und  Unwesentliches 
zu  vermeiden,  daher  dieselbe  Lehre  mit  noch  mehr  Vollstän- 
digkeit kürzer  zusammenzufassen,  indem,  er  zeigt,  wie  aus 
einem  gegebenen  Urtheile  theils  ein  nur  formell  verschiedenes 
durch  Veränderung  der  Relation,  Quantität,  Modalität, 
Qualität  und  durch  Umstellung,  theils  ein  materiell  verschie- 
denes abgeleitet  werden  kann.  Die  Veränderung  der 
Modalität  und  der  Materie  ist  von  Sigwart,  wie  von, 
den  andern  früheren  Logikern ,    aufser  Acht  gelassen.  — 


\ 


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156        Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser, 

Sigwarts  Lehre  von  den  Schlüssen  zeichnet  sich 
durch  gründliches  Eingehen  in  das  Einzelne  von  den  neueren 
Darstellungen  sehr  vortbeilhaft  aus,  obgleich  der  Verf.  auch 
hier,  besonders  durch  Vergleichung  mit  T  Westens  meister- 
hafter  Bearbeitung  der  Syllogistik ,  Gelegenheit  za  Ergänzun- 
gen und  Verbesserungen  finden,  und  für  eine  dritte  Ausgabe 
seines  Lehrbuchs  gewifs  gern  benutzen  wird.  In  Beziehung 
auf  Sigwarts  Zurückf'ührung  der  drei  Gattungen  der  Schlüsse 
auf  die  Sätze  des  Grundes  ,  der  Identität,  des  Widerspruchs 
und  des  ausgeschlossenen  Dritten  wiederholt  Ref.  das  früher 
bemerkte,  dafs  nämlich  die  Regeln  für  die  hypothetischen 
Formen  sich  aus  den  analytischen  Gesetzen  der  Identität, 
des  Widerspruchs  und  ausgeschlossenen  Dritten  vollständig 
ableiten  lassen.  Bei  der  Behauptung,  die  Eintheilung  der 
Schlüsse  in  einfache  und  zusammengesetzte  sey  nicht  wesent- 
lich, und  beziehe  sich  nur  auf  die  sprachliche  Darstellung 
(s.  §.  199.)»  ist  doch  wohl  übersehen  worden,  dafs  der 
Schlufssatz  in  den  zusammengesetzten  Schlüssen  immer  aus 
mehr  als  zwei  gegebenen  Urtheilen  hervorgeht.  Sigwart 
stellt  die  hypothetischen  Schlüsse  voran,  ohne  jedoch  für 
diese  Anordnung  Herbert's  Bemerkung  geltend  zu  machen, 
dafs  die  hypothetischen  Schlüsse  nur  zwei  Termini  haben; 
i»o  wie  er  auch  übrigens  Herbert's  scharfsinnige  Ent Wicke- 
lung der  Lehre  von  den  hypothetischen  Schlüssen  (s.  sein 
Lehrbuch  zur  Einleitung  in  die  Philosophie  S.  59  ff.)  aufser 
Acht  gelassen  zn  haben  scheint. 

Tieftrunk  stellt  sich  im  ersten  Hauptstücke  des  ersten 
Theils  seiner  Denklehre  die  Aufgabe  ,  die  Urweisen  oder 
Grundformen  der  Betrachtung  der  Dinge,  die  zugleich  Ur- 
-weisen  der  Bestimmung  seyn  sollen,  aufzufinden,  hebt  als 
•olche  die  drei  Begriffspaare  der  Einerleiheiheit  und  Verschie- 
denheit, der  Einhelligkeit  und  des  Widerstreits,  des  Inneren 
und  Aeufseren  hervor,  leitet  aus  dem  dritten  die  Begriffe  des 
Selbstseyenden  und  der  Bestimmung,  des  Begründenden  und 
Begründeten,  oder  der  Ursache  und  Wirkung,  und  den  Be- 
griff der  wechselseitigen  Bestimmung  durch  einander,  oder 
der  Wechselwirkung,  ab,  knüpft  daran  die  Regeln  der  Gleich- 
artigkeit,  Manchfaitigkeit  und  Verwandtschaft  (der  höch- 
sten, niedrigsten  und  Zwischenbegriffe),  und  beschliefst  dies 
Hauptstück  mit  kurzer  Erörterung  richtiger,  und  Widerlegung 
unrichtiger  Weisen,  die  Bestimmungen  der  Begriffe  einzu- 
teilen. Dieses  Hauptstück  geht  grofsentheils  weit  über  die 
analytische  Logik  hinaus  in  Transcendentalphilosopbie.  Ref. 
richtet  die  Aufmerksamkeit  auf  dieselben  als  auf  Versuche, 


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Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser.  157 


die  Kan  ti  s  che  Deduction  der  Kategorien  zu  ergänzen  und 
zu  berichtigen,  theils  erlaubt  er  sich  einige  Bemerkungen. 
In  der  Ableitung  der  Kategorien  der  Relation  aus  den  He- 
rl ectionsbegriffen  des  Inneren  und  Aeufseren  vermifst  Ref. 
nicht  minder  den  Beweis,  dafs  den  Begriffen  von  Substanz, 
Ursache  u.  s.  w.  die  des  Inneren  und  Aeufseren  in  der  That 
zu  Grunde  liegen  ,  als  Rechtfertigung  und  genaue  Bestimmung 
des  Begriffs  der  Wechselwirkung,  gegen  dessen  Denkbarkeit: 
neuerlich  sehr  erhebliche  Zweifei  erhoben  worden  sind.  Ganz 
einverstanden  ist  dagegen  Ref.  mit  Beseitigung  der  Eintbei- 
lung  der  Begriffe  in  bejahende,  verneinende  und  einschrän- 
kende, einzelne,  besondere  und  allgemeine  u.  s.w.  (S.  95  ff.). 
Das  zweite  Hauptstück  (S.  106  ff.)  beginnt  mit  einer  ver- 

Gleichenden  Erörterung  der  verschiedenen  Erklärungen  vom 
Jrtheil,  in  denen  allen  der  Vf.  mehr  oder  weniger  bestimmte 
Hinweisung  auf  die  Grundthütigkeit  des  Denkens  rindet,  d.  b. 
auf  die  Handlung,  Gegenstände  durch  Merkmale  zu  bestim- 
men ;  sucht  dann,  zur  Ergänzung  der  im  ersten  Hauptstiick 
enthaltenen  Deduction ,  die  Begriffe  der  Einheit,  Vielheit 
und  Allheit,  der  Sachheit,  des  Mangels  und  der  Einschrän- 
kung ,  als  im  Denken  selber  enthaltene  Merkmale  oder  Weisen 
des  Urtbeilens,  die  Begriffe  des  Selbstseyenden  und  der  Be- 
stimmung, des  Grundes  und  der  ^°Jge»  so  w*e  der  Wechsel- 
wirkung, die  vorher  als  Grundweisen  der  Betrachtung  erör* 
tert  waren,  zugleich  als  Regeln  des  Urtheils  nachzuweisen t 
ohne  jedoch  den  Begriff  der  Wechselwirkung  durch  die  Er- 
klärung, „dafs  der  Verstand  sich  Dinge  in  Uufseren  Verhält- 
„nissen  denke,  deren  Aeufserlichkeit  nicht  durch  Oertlichkeit 
„bedingt  sey«  (S.  142.),  denkbarer  zu  machen.  Ableitung 
der  Begriffe  des  Möglichen,  Wirklichen  und  Noth wendigen, 
als  der  Verhältnifsbestimmungen  der  Gegenstände  zu  unserem 
ErkenntnifsvennÖgen,  aus  der  Sonderung  des  Anschauens  und 
Denkens  in  uns,  beschliefst  die  erste  Abtheilung  dieses  Haupt- 
stücks,  und  leitet  zu  dem  zweiten,  d.  h.  zur  Erörterung  der 
verschiedenen  durch  das  blofse  Wesen  des  CJrtheilens  bestimm- 
ten Urtheilsweisen,  in  der  die  Fragen  des  betrachtenden  Den- 
kens als  eben  so  viele  Aufgaben  des  bestimmenden  Denken» 
angesehen  werden.  Mit  Recht  wird  von  der  Gröfse-  oder 
Umfangshestimmung  des  Urtheils  (Bestimmung  der  Quantität) 
das  sogenannte  unbestimmte  Urtheil  ausgeschlossen  (S.  168), 
aber  die  Sonderung  des  einzelnen  Urtheils  vom  allgemeinen 
wohl  schwerlich  durch  dre  Bemerkung  hinlänglich  gerechtfer-  - 
tigt ,  dafs  ^die  Frage:  wie  viel?  nicht  blos  auf  das,  was 
„unter  einem  Begriffe  gedacht  werde  (auf  dieSubjecte),  son- 


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l58        Logik  nach  Twesten  ,  Sigwart ,  Tieftrunk  und  Esser. 


„dern  auch  auf  die  Begriffe  gebe,  durch  welche  das  Unter  ge- 
dacht werde"  (auf  die  Prädicate;  S.  170).  Ebenso  möchten 
sich  aus  der  angeblichen  Notwendigkeit :  „sowohl  die  he- 
^jahlichen  als  die  verneinlichen  Bestimmungen  bis  zur  völligen 
„Erschöpfung  dessen,  was  einem  Gegenstande  zu  -  oder  ab« 
„gesprochen  werden  könne,  zu  treiben«,  wohl  nicht  die  so- 
genannten unendlichen  Urtheile  genügend  ableiten  lassen 
(S.  174-)»  üer  Verhältnifsbestimmung  (Relation)  nach  theilt 
der  Verf.  (S.  177  ff.)  die  Urtheile  in  nicht  bedingende  (kate- 
gorische) und  in  bedingende,  und  letztere  in  einseitig  bedin- 
gende  und  wechselseitig  bedingende  (disjunctive)  ein. 

Die  Lehre  von  den  unmittelbaren  und  mittelbaren  Folge- 
rungen oder  Schlüssen  sucht  Tieftrunk  sehr  zu  verein« 
fachen,  hält  die  in  der  ersten  Figur  statt  findende  Ordnung 
des  Schiiiisverfahrens  für  die  einzig  reine  $  und  die  Stellungen 
in  den  drei  anderen  Figuren  für  Entstellungen,  die  aus  ver- 
stellter Einmischung  unmittelbarer  Schlüsse  in  die  Stellung  der 
mittelbaren  entständen  u.  s.  w.  (S.  203  ff.);  Wogegen  J\e£ 
namentlich  durch  La  m  b  e  rtf  s,  Herbert* s  und  Twesten*  s 
Untersuchungen  über  Zweck  und  Bedeutung  der  verschiedenen 
Schlufsfiguren ,  die  Reinheit  und  Ursprünglichkeit  derselben 
für  erwiesen  halten  mufs.  Der  letzte  Abschnitt  dieses  Haupt- 
stücks („von  dem  Verfahren  der  Denkkraft  um  Grundsätze 
„zu  erzeugen,  oder  von  der  Vernunft«  S.  2l7.)  handelt  theils 
von  den  auf  dem  Wege  der  Erfahrung  durch  Inductiort  und 
Analogie  angestrebten  allgemeinen  Wahrheiten  und  Grund- 
sätzen, theiis  von  den  reinen  Vernunfterkenntnissen,  oder 
den  Erkenntnissen  von  strenger  Allgemeinheit,  und  zeigt, 
wie  schon  die  Denklehre  auf  den  Begriff  des  in  aller  Absicht 
Unbedingten  leite. 

Im  zweiten  Theile  der  reinen  Denklehre  handeln  Sig- 
wart sowohl  wie  Tieftrunk,  nur  unter  verschiedenen  Ue- 
berschriften ,  und  ersterer  ausführlicher  als  letzterer,  von  der 
Verdeutlichung  der  Begriffe  (Erklärung),  von  ihrer  Eintei- 
lung und  vom  Beweise.  Esser  schickt  diesen  Lehren  im 
zweiten  Abschnitt  seines  dritten  Theils  eine  Untersuchung 
Uber  die  Gesetze  voran  ^  nach  denen  zu  verfahren  sey,  um  die 
zu  einer  Wissenschaft  gehörigen  Erkenntnisse  zu  finden.  Aus 
analytischen  Principien  eben  so  wenig  als  aus  andern  Grund- 
sätzen abgeleitete  und  sehr  loSe  verbundene  Betrachtungen. 
Mit  unverhältnifsmäfsiger  Ausführlichkeit,  ohne  aber  auch 
hier  die  Regeln  irgendwie  Wissenschaftlich  abzuleiten  oder  als" 
einander  bedingend  nachzuweisen,-  handelt  der  Vf.  S.-  263  — 
272.  von  der  höheren  und  niederen  Kritik. 


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Logik  nach  Twesten ,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser.  15^ 

Tw  esten,  indem  er  auch  in  seinem  zweiten  und  dritten 
Abschnitt  die  Bestimmungen  aus  den  analytischen  Denkgesetzen 
ableitet ,  hat  nicht  nur  Liehren  für  die  Analytik  gewonnen, 
die  gewöhnlich,  wenigstens  zum  Tbeil,  von  nicht  analyti- 
schen Standpuncten  behandelt,  oder  aus  nicht  analytischen 
Grundsätzen  abgeleitet  werden ,  sondern  dieselben  zugleich 
vielfach  erweitert  und  ergänzt*  Wiewohl  aber  der  Vf.  auch 
in  diesen  Abschnitten  streng  analytisch  verfährt,  und  den 
Standpunct  der  analytischen  Behandlung  überall  nach  Verschie- 
denheit des  zu  behandelnden  Stoffes  genau  bezeichnet  (vergl. 
§.  170.  177.  220.  221.  224«  232.)»  *o  konnte  er  doch  nicht, 
wie  im  ersten  Abschnitte,  die  hier  zu  behandelnden  Formen 
als  verschiedene  Formeln  der  obersten  analytischen  Grundsätze 
betrachten,  sondern  mufste  sich  begnügen,  im  zweiten  Ab- 
schnitte die  Gegenstände  der  Anwendung  dieser  analytischen 
Formeln  (zunächst  bei'm  wissenschaftlichen  Denken),  im  drit- 
ten aber  die  Bedingungen  dieser  Anwendung,  durch  lleflection 
und  Combination  möglichst  vollständig  auszumitteln ,  und 
demnächst  die  Bestimmungen  über  die  einen  wie  die  andern 
aus  den  Principien  der  Analytik  abzuleiten.  Beide  nämlich, 
jene  Gegenstände  wie  diese  Bedingungen,  gehören  dem  Den- 
ken überhaupt,  also  dem  synthetischen  wie  dem  analytischen, 
nicht  letzterem  ausschliefslich  an  ,  können  daher  zwar  keines- 
wegs aus  den  analytischen  Grundsätzen  vollständig  abgeleitet, 
wohl  aber  ausschliefslich  vom  Standpuncte  derselben  betrach- 
tet werden. 

Di«  Anwendung  dec  analytischen  Gesetze 
wird  in  Beziehung  auf  den  Zweck  unsres  Denkens  in  eine 
positive,  negative  und  gemischte  getheilt,  innerhalb  der  po- 
sitiven die  Anwendung  zum  Finden  von  der  zum  Begründen 
und  Erweisen  unterschieden;   jene  sowohl  in  Bezug  auf  das 

Progressive  als  regressive  und  mittlere,  in  Fragen  und  Aufga- 
en  sich  zeigende  Verfahren,  nur  so  weit  der  analytische  Ge- 
sichtspunct  es  verstattet ,  erwogen  (§.172  —  177.);  in  Be- 
zug auf  die  Anwendung  zur  Begründung  des  Wahren  zuerst 
im  Allgemeinen  von  den  Theilen  des  Beweises  und  seinen 
Arten,  nach  Verschiedenheit  der  Form  und  nach  dem  Grade 
der  Gewifsbeit,  gehandelt,  und  derselbe  von  der  Erörterung 
unterschieden  (§.  182.);  dann  aber  werden  die  Lehren  von 
der  Prüfung  des  Beweises,  so  wie  von  der  Erfindung  und  Dar- 
stellung ,  mit  ausgezeichneter  Schärfe  und  Vollständigkeit  vor- 
getragen j  und  in  ersterer  der  zuletzt  erwähnten  Abtheilun-  + 
gen,  die  man  wohl  als  einen  Entwurf  zu  neuen  elenchis  scv- 
phisticis  bezeichnen  könnte,  die  Fehler  des  Beweises  in  Bezug 


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160        Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser» 


sowohl  auf  die  Argumente ,  als  auf  die  Thesis  und  auf  den 
zwischen  ihnen  nachzuweisenden  Zusammenhang,  genau  ge- 
sondert; in  letzterer  Abhandlung  endlich  die  Grundzüge 
zu  einer  neuen  analytischen  Topik  geliefert,  die, 
wie  zuerst  und  vorzüglich  an  sich,  so  auch  als  Frohen  der 
"Wiederbelebung  und  Verbesserung  alter  vergessener  Bestim- 
mungen, in  hohem  Grade  bemerkenswerte  sind.  Schon  Ari- 
stoteles nämlich  hatte  das  Bedürfnifs  gefühlt,  für  seine 
rhetorische  oder  dialectische  Topik  eine  analytisch -logische 
Crundlage  nachzuweisen,  und  in  seiner  ersten  Analytik  (Anal, 
prior  I,  27.  28.  ed.  Buhle)  gezeigt,  dafs,  um  Beweise  zu 
finden,  man  dasjenige,  dem  das  Object  oder  der  Begriff  zu- 
komme (atioXcjSu )  9  theils  was  ihm  zukomme,  theils  was  ihm 
widerstreite,  aufgefunden  haben  müsse. 

4  Twesten  leitet  eine  neue  Bearbeitung  der  Topik  wie 
im  Allgemeinen,  so  zum  Behuf  besonderer  Wissenschaften* 
die  er  gevyifs  mit  Recht  für  keineswegs  unnütz  hält,  dadurch 
ein  ,  dafs  er  zeigt,  wie  die  Prämissen  für  eine  gegebene  The- 
sis um  so  leichter  gefunden  würden,  je  mehr  man  im  Besitze 
der  antecedentia ,  conseejuentia  und  repugnantia  der  Begriffe 
und  Sätze  sey,  da  (auf  welche  Weise  und  in  welcher  Schlufs- 
art  —  ob  in  kategorischer  oder  hypothetischer  oder  disjuneti- 
ver,  ob  durch  einfache  oder  zusammengesetzte  Schlüsse  — 
der  Beweis  geführt  werden  solle)-  der  gesuchte  Mittelbe- 
griff oder  was  ihm  entspricht,  nur  durch  umfassende  Kennt- 
uifs  der  antecedentia,  consecruentia  oder  repugnantia  gegebener 
Begriffe  sich  finden  lasse.  Was  also  Aristoteles  mit  vor- 
züglicher Rücksicht  auf  einfache  kategorische  Schlüsse  aus- 
spricht, erweitert  und  bestimmt  Twesten  auf  solche  Weise 
näher,  dafs  es  zur  allgemeingültigen  Grundlage  einer  analyti- 
schen Topik  wird.  —  Im  Abschnitte  über  die  negative  An- 
wendung der  analytischen  Gesetze  und  Formen  werden  die 
Grundsätze  der  logischen  Kritik,  d.h.  der  Ausmittelung  des 
Unwahren  vermittelst  des  Widerspruchs  ,  sowohl  in  Bezug 
auf  die  höhere  als  die  niedere  Kritik,  aus  den  analytischen 
Gesetzen  abgeleitet,  indem  gezeigt  wird,  wie  diese  die  An- 
weisung enthalten,  „gerade  diejenigen  Vorstellungen  zusam- 
„men  zubringen ,  die  möglicher  Weise  im  Widerspruch  stehen 
„können"  (s.  besonders  §.  207*  u;  folg.). 

(D*r  Beschlufs  folgt*) 


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N.  ti.  1826, 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Essel* 

Die  dritte  Abtheilung  dieses  Abschnittes  fceigt,  wie  weit 
die  analytischen  Grundsäue  und  Formen  eine  gemischte  An- 
wendung zulassen,  d.  h,  „wie  sich  aus  der  Unmöglichkeit  der 
^negativen  Anwendung  der  Analytik  auf  ein  positives  Kesul- 
rttat,  die  Wahrheit,  schliefsen  lasse«;  wie  das  der  gemisch- 
ten Anwendung  eigentümliche  Princip  („ durchgängige  Har- 
monie ist  Kriterium  der  Wahrheit«)  vollständig  nur  vorn 
ganzen  Geschlecht,  nicht  vom  Individuo,  durchgeführt,  den^ 
noch  aber  in  einzelnen  Fällen ,  wo  die  nächsten  Voraussetzun- 
gen und  Folgen  einer  Voraussetzung  sich  vollständig  anzählen 
lassen,  auch  in  den  wissenschaftlichen  Bestrebungen  des  Ein- 
zelnen, namentlich  bei  der  Prüfung  der  Hypothese,  mit  Er-* 
folg  angewandt  werden  könne*  . 

Der  dritte  Abschnitt  der  Analytik  dieses  Lehrbuchs  (VonV 
den  Bedingungen  der  Anwendung  der  Gesetze  der  Identität 
und  des  Widerspruchs)  entspricht  dem  Haupttheile  der  ana- 
lytischen Metbodenlehre  in  den  gewöhnlichen  Handbücherit 
der  Logik,  verheifst  aber  nicht  wie  diese  eine  vollständige 
Anleitung  zur  Verdeutlichung  des  Inhalts  und  Umfangs  dec 
Begriffe,  und  zur  Erreichung  des  systematischen  Zusammen- 
hangs aller  Erkenntnisse  (solche  Verheifsungen  müssen  der 
Analytik  fremd  seyn,  wenn  sie  ihre  Grenzen  kennt),  sondern 
betrachtet  Deutlichkeit  und  Zusammenhang  als  die  notwen- 
digen Bedingungen  der  Anwendung  der  analytischen  Gesetze. 
Deutlichkeit  des  Inhalts  und  Umfangs  der  Begriffe  aber  wer- 
den zunächst  als  Bedingungen  zur  Auffindung  der  antecedens 
tia,  consequentia  und  repugnantia  unsrer  Begriffe  und  Ur- 
theile,  systematischer  Zusammenhang  aller  Erkenntnisse  aU 
Bedingung  der  negativen  und  gemischten  Anwendung  der  Ana- 
lytik nachgewiesen  j   so  dafs  der  dritte  Abschnitt  mit  den* 

XIX.  Jahrg.   2.  Heft.  Ü 


162        Logik  nach  TweMen  ,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser. 

aweiten  auf  das  engste  verknöpft  ist,  und  zugleich  die  Vor- 
ordnung des  zweiten  sich  hinlänglich  rechtfertigt  (s.  beson- 
ders §.  222.)«  Sehr  zu  beachten  ist  z,  B.  die  .Lenkung  der 
Aufmerksamkeit  auf  eine  Xopik  für  Auffindung  der  Merkmale 
(§.  225.)  i  die  Zurückfahrung  der  Verschiedenen  Verknüpfungs- 
arten der  Merkmale  zur  Einheit,  auf  die  Kategorien  (§.  229  ), 
die  Angabe  der  verschiedenen  möglichen  Formen  der  Erklä- 
rungen (§«  231.)  und  der  Eintheilungen  (§.  245  ff.);  eben  so, 
was  über  das  Verhältnils  der  Erklärung  und  Eintheilung  zum 
Beweise  (§.  237«  251.)  und  der  Eintheilung  zur  Erklärung 
(§.  256  )  gesagt  wird.  Am  Wenigsten  Stoff  zur  analytischen 
Betrachtung  bietet  die  —  die  Forderungen  der  Deutlichkeit  des 
Inhalts  und  Urnfangs  ergänzende  —  Bedingung  des  systemati- 
schen: Zusammenhangs  der  Erkenntnisse  dar.  Inzwischen  enthält 
auch  diese  Abtheilung  bedeutende  Winke  über  Verknüpfung 
des  Mapchfaltigen ,  verbindende  Einheit  (die  mit  Hecht  vom 
höchsten  Princip  unterschieden  wird  §.  257.)  und  Entwicke- 
lung  der  Vielheit  aus,  oder  Subsumtion  derselben  unter  die 
Einheit* 

Nur  als  Anhang  kündigen  sich  die  Grundlinien  der? 
Synthetik  an,  und  sind  allerdings  in  geringerem  Maafse 
ausgeführt,  als  die  Analytik,  aber  offenbar  das  Resultat  eines 
sehr  reiflichen  und  eindringenden  Nachdenkens,  enthalten  sie> 
Biberaus  bedeutende  Keime  zu  höheren  speculativen  Ent- 
Wickelungeri. 

T westen  beabsichtigt  eine  an  die  Analytik  sich  mög* 
liehst  eng  anschliefsende  propädeutische  Darstellung  der  Ke- 
geln und  Methoden  des  wissenschaftlichen  Verfahrens,  und 
ilberlalst  die  tiefere  Begründüng  transcertdentalen  oder  meta- 
physischen Untersuchungen,  Inzwischen  würde  auch ,  wer 
die  Synthetik  als  Mittelglied  zwischen  Logik  und  Metaphy- 
sik zu  behandeln  beabsichtigte  (eine  Behandlung,  wie  sie  für 
academische  Vorträge  besonders  geeignet  seyn  möchte),  in 
diesen  Grundlinien  einen  vorzüglichen  Leitfaden  finden,  nebst 
^bedeutenden  Winken  über  tiefere  Begründung.  Wenn  der 
erste  Abschnitt ,  der  von  den  Quellen  und  det  Begründung 
der  Erkenntnisse  bandelt  ,  dasjenige  als*  gültig  im  Sinne  der 
Synthetik  betrachtet,  waä  nicht  aufgehoben  werden  kann, 
ohne  das  BeWulstseyn  selber  aufzuheben ,  als  die  von  ihm  un- 
abtrennlichen  Modifikationen  des  BeWufstseyns  aber,  d.  h.  als 
Quellen  aller  unserer  Erkenntnisse,  Anschauung,  Gefühl  und 
Reflexion,  und  als  das  in  diesen  Quellen  gegebene  theils  Stoff, 
theils  Form,  theils  ursprüngliche  Vereinigung  beider  annimmt, 


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Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tiefuunk  und  Euer.  163 

so  möchte  es  nicht  schwer  seyn,  die  Notwendigkeit  dieser 
Annahmen  durch  tiefere  Begründung  nachzuweisen.  Der 
zweite  Abschnitt  unternimmt  zuerst  die  allgemeinen  Erforder- 
nisse der  Erzeugung  und  Vervollkommnung  der  Erkenntnisse 
aus  dem  ursprünglich  Gegebenen,  in  Bezug  auf  Begrilfsbil- 
dung,  Bildung  der  Urtheile,  der  wissenschaftlichen  Ansich- 
ten, Theorien  und  Systeme  nachzuweisen  ^  demnächst  aber 
die  bestimmtere  Entwickeluhg  dieser  Erfordernisse  iri  Bezie- 
hung auf  die  drei  verschiedene  Arten  der  Erkenntnisse  hinzu- 
zufügen, mithin  von  der  Erzeugung  und  Vervollkommnung 
der  empirischen,  philosophischen  und  mathematischen  Erkennt-, 
nisse  zu  handeln  :  und  zwar  von  der  empirischen  Erkenntnifs 
ausführlich  4  von  der  philosophischen  sehr  kurz  und  propä- 
deutisch. In  der  ersten  Abtheilung  ,  von  der  empirischer! 
Erkenntnifs,  wird  Anweisung  gegeben,  zuerst  ihren  Stoff 
tbeils  aus  der  Wahrnehmung,  theils  aus  dem  Berichte  mittel- 
barer oder  unmittelbarer  Zeugen  zu  schöpfen  (s.  vorzüglich  die 
Bemerkungen  über  die  Schätzung  der  Zeugnisse  §.  293  f.); 
demnächst  den  Stoff  durch  Aufsuchung  des  Zusammenhangs , 
der  Gründe  und  Gesetze  (als  deren  letzte  Quelle  die  mathe- 
matisch-philosophische Erkenntnifs  betrachtet  wird)  auf  in- 
nere Weise  durch  Induction ,  Analogie  und  vermittelst  der 
Hypothesen  j  zu  verknüpfen.  Die  Abtheilung  der  philosophi- 
schen Erkenntnifs  beschränkt  sich  auf  Sonderung  dieser  von 
der  empirischen  und  mathematischen,  so  wie  auf  Unterschei- 
dung der  Zergliederung  philosophischer  Begriffe  und  der  Re- 
flexionen und  systematischen  Bearbeitung.  Am  eigentüm- 
lichsten ist  der  dritte  Abschnitt,  der,  indem  er  von  dem  Ziele 
des  StrebenS  nach  Erkenntnifs  handelt  t  die  Wahrheit  als  Ue- 
bereinstimmung  einer  Erkenntnifs  mit  ihren  Gegenständen! 
und  die  Bedingungen  dieser  Uebereinstimmung  nachweist,' 
den  Trrthum,  d.  h.  die  Verwechselung  dessen,  was  in  wahrer 
Vorstellung  blos  subjectiv  ist,-  mit  dem  Objectiven,  nicht 
sowohl  aus  gesetzwidriger  Wirksamkeit^  als  vielmehr  aus  Un- 
wirksamkeit der  Geistesthätigkeit  ableitet,  ihn  vom  Nicht- 
wissen und  dem  Scheine  genau  sondert;  und  auf  eine  höchst 
iemerkenswerthe  Weise  Wissen  und  Glauben  nicht  dem  Gra- 
de, sondeiri  der  Art  und  der  Quelle  nach  unterscheidet,  indem 
di  Gewifsheit  des  Wissens  aus  der  Anschauung,  die  des 
Glaubens  aus  dem  Gefühle  abgeleitet;  und  auf  diese  Art  zum* 
bestimmten  BewufstSeyri  erhoben  wird  ,•  was1  Männer  wie 
Liessing  und  F.  II:  Jacob i  im  Sinne  gehabt  zu  nabeil  Schei- 
nen,-    Bei  der  Prüfung  dieser  wichtigen  Begriffs  sonderung 


•  * 

\ 


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164        Logik  nach  Twesteu,  Sigwarr,  Tieftnmk  und  Esser. 

müfste  theils  untersucht  werden,  in  wie  fern  sie  sich  im 
Sprachgebrauch  nach  allen  seinen  Richtungen  nachweisen  lasse, 
theils  und  vorzüglich,  ob  sie  eine  an  sich  nüthwendige,  auf 
einer  zwiefachen  wesentlichen  Modifikation  der  Ueberzeugung 
gegründete  sey.  In  ersterer  Rücksicht  hebt  der  Verfasser  be- 
sonders hervor,  dafs  das  Bewufstseyn  der  Gewi  fa- 
ll eit,  als  unmittelbares  Bewufstseyn  vom  eignen 
Zustande,  welches  doch  wohl  für  ein  Gefühl  gehalten 
werden  mufs,  durch  den  Ausdruck  Glauben  bezeichnet 
Werde,  möge  nun  dieses  Gerübl  nur  ein  secundüres,  die  an- 
schauliche Einsicht  begleitendes,  oder  ein  ursprüngliches,  das 
Fürwahrbalten  selber  unmittelbar  und  an  sich  mit  sich  führen- 
des seyn.  Und  allerdings  begreift  sich  auf  diese  Weise,  wie 
in  Füllen,  wo  genügende  Einsicht  nur  auf  Anschauung  oder 
entsprechender  Reflexion  beruhen  kann,  der  Glaube  als 
das  subjective  Gefühl  einen  geringeren  Grad 
der  Gewifsheit  bezeichne,  da  aber,  wo  die  Ueber- 
zeugung aus  keiner  Anschauung  oder  Reflexion 
hervorgeht,  und  dennoch  unabweisbar  ist,  der 
Glaube  von  gleichem  Grade  der  Gewifsheit  wie 
das  Wissen  seyn  müsse.  In  zweiter  Rücksicht  möchte 
sich  wohl  nicht  blos  zeigen  lassen,  dafs  es  in  der  That  völ- 
lig gewisse  Ueberzeugungen  gebe,  die  weder 
aus  Anschauung  noch  aus  Reflexion  abgeleitet 
werden  können,  sondern  auch,  dafs  als  Quelle  einer  sol- 
chen Gewifsheit  ein  unmittelbares,  ungegenständ- 
liches, in  und  mit  dem  Selbstbewufstseyn  ge- 
gebenes Bewufstseyn  gesetzt  und  Gefühl  ge- 
nannt werden  müsse.  Diese  Begriffsbestimmung  aber 
ist  um  so  wichtiger,  je  mehr  sie  einerseits  die  Zusammen- 
gehörigkeit von  Glauben  und  Wissen  anerkennt,  in  so  fem 
sie  nämlich  für  jedes  (primäre)  Wissen  ein  (secundüres)  Glau- 
ben ,  d.  h.  ein  die  anschauliche  Gewifsheit  begleitendes  Ge- 
fühl der  Ueberzeugung,  und  für  jedes  (primäre)  Glauben  ein 
(secundäres)  Wissen  setzt,  d.  h.  die  Veranschaulichung  und 
denkgemäfse  Vermittelung  der  ursprünglich  im  Gefühle  ru- 
henden Gewifsheit;  andrerseits  verschiedene  Entwickelungs- 
methoden  für  die  gewisse  Ueberzeugung  anerkennt,  je  nach- 
dem sie  unmittelbar  als  Wissen  oder  als  Glauben  gegeben  ist. 
Die  weitere  Durchführung  dieses  Unterschieds  ,  und  die 
Nachweisung,  wie  das  die  Gewifsheit  mit  sich  führende  Ge- 
fühl, durch  die  wissenschaftliche  Reflexion  vermittelt,  und 
in  wie  weit  es  nach  den  Gesetzen  der  Anschauung  entwickelt 


Logik  nach  Twesten,  Sigwart,  Tieftrnnk  ond  Esser,  X65 

* 


werden  könne,  wie  weit  nicht,  wNr<te  e»n  höchst  wichtiger 
Beitrag  zu  einer  umfassenden  philosophischen  Methodik ,  vor- 
züglich in  Bezug  auf  die  Behandlung  der  Religionsphilosophie 
seyn  ,  und  gar  sehr  geeignet,  theils  der  leidenschaftlichen 
Verunglimpfung  der  Schle^'rmacher'schen  Lehre  von  einem 
unmittelharen  Gefühle  der  Abhängigkeit  zu  hegegnen  ,  theils 
die  Unmittelharkeit  des  Gefühls,  als  einer  vom  Erkennen  und 
Wollen  verschiedenen  Modification  des  Bewufstseyns  zu  er- 
weisen. % 

Nach  dem  bisher  Dargelegten  hat  die  Aristotelisch- analy- 
tische Behandlung  der  Logik  um  so  mehr  Ausheute  zu  gewäh- 
ren und  zu  verheüsen  ,  je  mejir  sie  sich  innerhalb  der  Grenzen 
ihres  Standpunctes  hält.  Und  wäre  denn  Ausmittelung  aller 
allgemeinen  und  nothwendigen  Formen  des  vermittelnden 
Denkens,  so  weit  es  sich  darauf  beschränkt,  unsere  Erkennt- 
nisse durch  richtige  analytische  Ableitung  aus  einander  und 
Verknüpfung  unter  einander  zu  vervollkommnen,  —  wäre 
eine  solche  Ausmittelung  etwa  von  geringerem  wissenschaft- 
lichen Werth*  als  die  Untersuchung  über  die  allgemeinen  und 
nothwendigen  Sprachformen?  Die  wissenschaftliche  Wich- 
tigkeit der  Sprachlehre  aber,  ganz  abgesehen  von  ihrem  Ein- 
11  als  auf  die  Fertigkeit  in  besonderen  Sprachen ,  pflegt  doch 
nicht  in  Anspruch  genommen  zu  werden,  obwohl  es  ihr  noch 
keineswegs  gelingen  will,  ihre  Formen  mit  einiger  Vollstän- 
digkeit und  aus  einem  obersten  Grundsatz  abzuleiten.  Die 
Wissenschaft  von  den  Formen  des  analytischen  Denkens 
würde  wichtig  seyn ,  auch  wenn  weder  andere  Wissenschaften 
sie  voraussetzten,  noch  die  Fertigkeit  in  einem  wohlgeordne- 
ten, zusammenhangenden  Denken  durch  sie  gefördert  würde; 
wichtig,  in  so  fern  jede  wissenschaftliche  Erforschung  der 
Gesetze  irgend  einer  Geistesrichtung  wichtig  seyn  mufs.  Nun 
aber  wird  sie  in  der  That  von  andern  Wissenschaften,  deren 
Notwendigkeit  anerkannt  ist,  vorausgesetzt:  oder  sollten 
etwa  Untersuchungen  über  die  Quellen  unserer  Erkenntnisse, 
so  wie  über  die  Grundbegriffe  der  Erfahrung,  und  über  die 
Begriffe,  vermittelst  deren  wir  das  Uebersinnliche  denken, 
durch  gründliche  Kenntnifs  der  Formen  der  analytischen  Ver- 
inittelung  im  Denken  nicht  um  so  mehr  gefordert  werden,  je 
weiter  der  Kreis  der  Gedanken  ist,  über  den  jene  Unter- 
suchungen deutliche  und  bestimmte  Uebersicht  zu  gewinnen, 
in  dem  sie  Uebereinstimmung  nach  allen  Richtungen  zu  ver- 
mitteln und  nachzuweisen  haben?  Sie  ist  ferner  der  Fertig- 
keit in  einem  wohlgeordneten  Denken  gar  sehr  forderlich 


166        £ogik  nach  Twesten  ,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Esser. 

(vergl.  Twestehs  Vorrefle  S.  XII  ff.).    Es  bleibt  also  nur 
die  Frage,  ob  sie,    unabhängig  von  metaphysischen  oder 
transcendentalen  Untersuchungen ,  zu  Stande  kommen  könne 
oder  nicht.     Diese  Frage  ist  verneint  worden  ,  besonders  seit 
man  sich  überzeugt  hat,   dafo  aus  den  logisch -analytischen 
Formen  des  Urtheils  keineswegs  die  Urbegriffe  und  Principien 
der  Erkenntnifs,   vielmebr  jene  aus  diesen  abgeleitet  werden 
müssen.    Eine  Philosophie,  die  aus  den  Formen  und  Gesetzen 
der  blofsen  Vermittelung  die  Grundsätze  und  Grundbegriffe 
der  ursprünglichen  Auffassung   abzuleiten  unternimmt,  be- 
trachtet auch  in  der  That  das  mittelbare  als  Quelle  des  unmit- 
telbaren.    Ja  eine  analytische  Logik,   die  nur  einmal  ihre 
eignen  Grundsätze  und  Formen,  geschweige  denn  alle  Grund- 
sätze und  Formen  des  Denkens  und  Erkennens ,  bis  zu  ihrer 
letzten  Wurzel  verfolgen  zu  können  glaubte,  wäre  einer  Geo- 
metrie vergleichbar,  die,  wejl  sie  auf  untrügliche  Weise  die 
Verhältnisse  der  räumlichen  Gröfsen  zu  ermessen  im  Stande 
ist,  nun  auch  das  Wesen  des  Raumes  und  der  Gröfse  selber 
vollkommen  begriffen  zu  haben  wähnte.    Aber  hätte  die  Geo- 
metrie sich  ihrer  Constructionen  etwa  enthalten  sollen,  bis 
die  Metaphysik  die  Untersuchung  über  jene  Grundbegriffe 
für  geschlossen  zu  erklären  im  Stande  gewesen?     Und  doch 
verlangen  eben  das  in  Bezug  auf  die  Logik,  die  ihr  den  vor 
Jahrtausenden  wohlerworbenen  Besitz   entreißen  möchten  , 
und  sie  auffordern ,  statt  auf  ihm  fortzubauen,  den  Grund  der 
Gründe  auszumitteln ,  um  von  dem  aus  einen  durchaus  neuen 
Bau  aufzuführen.     Gerade  als  wenn  unsere  Häuser  ihres  Grun- 
des ermangelten,  bis  wir  zum  Kern  der  Erde  vorgedrungen. 
Wollte  freilich  die  logische  Analytik  alle  ferneren  und  tieferen 
yntersuchungen  für  überflüssig  halten,  so  handelte  sie  eben 
so  unverständig,  wie  der  Bauherr,  wenn  er  die  Forschungen 
der  Geologen  bespöttelte,  weil  er  ihrer  nicht  bedarf,  um  für 
sich  einen  sicheren  Grund  zu  finden.    Bleibt  aber  die  Analytik 
auf  ihrem  Grund  und  Boden,    und  entwickelt  sich  nach 
ihren  Gesetzen,  so  wird  ihr  Gebäude  bestehen,  auch  wenn 
der  letzte  Grund  ihres  Grundes  gefunden  seyn  wird  :  gleich 
wie  griechische  Tempel  und  gothische  JKirchen  bewundernde 
Anerkennung  finden  werden,  selbst  wenn  unser  Wissen  bis 
zum  Kerr»  der  Erde  vordringen  sollte.     Keine  andere  philoso- 
phische Disciplin  erfreut  sich,  in  gleichem  Maafse,  wie  die 
analytische  Logik,    des  Vorzugs,    ein/ so  genau  abgrenzendes 
Gehiet  so  selbstständig  anbauen,  aus  so  einfachen,  an  sich 
gewissen  Grundsätzen  so  streng  sich  ableiten  zu  können.  Hüten 


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Logik  nach  T  weiten,  Sigwart,  Tieftrunk  und  Eiter.  J67 

wir  uns  doch,  Grenzbestimmnngen  aufzuheben  ,  die  so  wohl 
begründet  sind  —  Grenzbesti mm ungen  ,  die  immer  nöthiger 
werden ,  je  mehr  die  Untersuchungen  unsrer  Wissenschaften 
sich  verwicke|n. 

Zwei  Vorwürfe  hat  mangelhafte  Bearbeitung  der  analyti- 
schen Logik  oft  genug  veranlafst:  zuerst,  dafs  sie  den  Weg 
zu  den  tieferen,  und  allerdings  auch  wichtigeren,  Unter- 
suchungen der  Metaphysik  oder  Transcendentalphiloso^hie, 
wenn  nicht  versperre,  doch  keineswegs  eröffne;  und  dann, 
dafs  sie  durch  allerlei  äufserliche  Betrachtungen  die  logischen 
Operationen  auf  quantitative  Bestimmungen  oder  äufserliche 
Unterschiede  und  begriffsloses  Calculiren  zurückführe.  Bei« 
den  Vorwürfen  entzieht  sie  sich,  wenn  sie  mit  wissenschaft- 
licher Strenge  aus  den  ihr  eigen t heimlichen  Frincipien  ableitet, 
und  eben  auf  diese  Weise  das  ihrige,  und  zwar  recht  vieles, 
beiträgt,  die  Metaphysik  in  den  Stand  zu  setzen,  ihre  höchst 
schwierigen  Forschungen  mit  möglichst  umfassender  Ueber- 
sicht  und  streng  systematischer  Architektonik  fortzusetzen. 
Soll  aber  etwa  der  zweite  dieser  Vorwürfe  gegen  die  Ver- 
knüpfung und  Trennung  im  vermittelnden  Denken,  nach  den 
Grundsätzen  der  Identität  und  des  Widerspruchs,  überhaupt 
gerichtet  seyn  ,  so  darf  er  uns  in  unsern  analytischen  Unter- 
suchungen nicht  irren,  bis  man  uns  belehrt  haben  wird,  wie 
man  einer  solchen  Vermittelung  im  Denken  enfcrathen  könne, 
ohne  auf  Gesetze  der  Verknüpfung  für  unsere  Erkenntnisse 
und  auf  Verständigung  zu  verzichten.  Ref.  gesteht,  von  der 
Unentbehrlichkeit  uqa  Notwendigkeit  der  Frincipien  der 
Analytik  noch  eben  so  überzeugt  zu  seyn,  wie  es  Aristoteles 
war,  und  hält  es  nicht  für  überflüssig,  die  bei  diesem  grofsen 
Logiker  und  Metaphysiker  sich  findende  Deduction  (Metaph. 
IV,  3  ff.)  wieder  in  Erinnerung  zu  bringen.  —  Ref.  hat  die 
bekannte  Behauptung,  „die  Formen  der  Logik  Seyen  bereits 
w  untergegangen  ,  und  müfsten  eine  völlig  veränderte  Gestalt 
n  gewinnen«,  lieber  unberücksichtigt  gelassen,  als  durch  ein- 
zelne Bemerkungen  einer  genauen  Prüfung  der  verschiedenen 
#  Versuche,  sie  vom  Standpuncte  der  Speculation  aus  völlig 
neu  zu  gestalten,  vorgreifen  wollen;  wünscht  aber  lebhaft, 
.  dafs  eine  solche  Prüfung,  gründlich  und  leidenschaftlos,  reche 
Jbald  unternommen  werden  möge. 

Nach  den  bisherigen  Untersuchungen,  und  Betrachtungen 
ist  es  kaum  nöthig  hinzuzufügen,  dafs  Ref.  Twestens  Lo- 
gik für  eine  Arbeit  hält,  wie  wir  ihrer  in  Bezug  auf  Strenge 
der  Ableitung  und  Gliederung  ,    so  wie  auf  Manchfaltigkeit 


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468        Logik  nach  Twesten,  Sgwart,  Tieftruok  und  Esser. 

der  Entdeckungen  ,  seit  Aristoteles  auf  dem  analytischen  Ge- 
riete nur  sehr  wenige  erhalten  haben.  Daher  denn  auch  der 
lebhafte  Wunsch,  man  möge  die  von  neuem  eröffnete  und  ge- 
reinigte Bahn  fortan  nicht  wieder  verlassen,  die  Sonderung 
-von  Analytik  und  Synthetik  anerkennen,  zugleich  aber  die 
wichtigen  Beziehungen  der  einen  zur  andern  nicht  verkennen  , 
und  für  letztere  nach  und  nach  Sicherheit  der  Methode,  und 
Malier  Stetigkeit  im  Fortschreiten  gewinnen,  wie  erstere  sich 
ihrer  erfreut.  Die  Synthetik  wenigstens  vor  der  Hand  noch 
abgesondert  von  Metaphysik  zu  bearbeiten ,  hält  Ref.  für 
wünschenswerth,  wiewohl  er  keineswegs  verkennt,  dafs 
sie  sehr  viel  mehr,  als  die  Analytik,  von  der  höchsten 
der  philosophischen  Disciuljnen  abhängig  ist  upd  bleiben 
wird, 

Uebrigens  ist  Ref.  weit  entfernt,  die  bedeutenden  Ver*- 
dienste,  wie  anderer  neuer  Logiken,  so  der  Sigwart'- 
schen  und  T  i  eftr  unk  'sehen  Arbeiten  zu  verkennen,  deren 
erstere,  wenn  auch  von  Twesten  übertroffen  an  analyti- 
scher Conseq/uenz,  wissenschaftlicher  Strenge  und  Eigen- 
tümlichkeit der  Untersuchungen,  doch  als  wichtige  Vor*- 
arbeit  ihren  Rang  behaupten  wird  ,  letztere  vorzüglich 
schätzbar  ist  als  Versuch,  für  die  logische  analytischen  For- 
men,  auf  dem  Gebiete  der  Reflexion,  einen  sicheren  Grund 
zu  gewinnen,  und  auf  diese  Weise  die  Untersuchungen  der 
Kantischen  Kritik  zu  ergänzen  —  ein  Versuch,  welchem 
auch  diejenigen  ihre  Achtung  und  Aufmerksamkeit  nicht  ver- 
sagen dürfen,  die,  wie  Ref.,  überzeugt  sind,  dafs  auf  solche 
Weise  jene  Untersuchungen  nur  eingeleitet,  nicht  beendigt 
werden  können.  Esser  würde  weniger  verheifsen  und  mehr 
geleistet  haben,  wenn  er  die  Vorarbeiten  auf  diesem  Gebiete 
besser  zu  würdigen  gewufst  hätte;  da  er  aber  erlinden  wollte, 
ohne  bestimmt  zu  wissen,  was  entbehrt  werde,  ohne  über 
Zweck  und  Umfang  der  Logik  im  Klaren  zu  seyn,  und  ohne 
die  Strenge  ihrer  Methode  und  die  Nothwendigkeit  dieser 
Strenge  reiflich  erwogen  zu  haben .  hat  sein  unleugbare^ 
Talent  der  Verdeutlichung  sehr  geringe  Frucht  getragen. 


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Demosthenes  Reden.  169 

t 

1)  Des  Demo  sthenes  Philippische  Reden.     Uebersetzt,  *r- 

läutert  und  mit  einigen  Abhandlungen  begleitet  von  Dr.  Albert 
Gerhard  Becker.  Neuer  Bearbeitung  erster  Theil  Halle* 
bei  7.  Chr,  Hendel  und  Solin.  1824«  gr.  8.  LXIl  und 
249  S.  1  Thlr. 

2)  A>1lxo<?Dbvov;  loyot    txAixTO«.       Demosthenis  selectae 

oration^s.  Ad  Codices  Mss.  recensuit ;  Textum,  Scholmsten  % 
et  Versionem,  plurimis  in  locis ,  castigavit ;  notis  insuper  illustra- 
pit  Richar  dus  Mounteney  ,  Colleg.  Regal,  apud  Cantabri- 
gienses  haud  ita  pridem  (!)  socius.  Praeßguntur  Observationes 
in  Commentarios  vulgo  Ulpianeos ,  et  Tabula  antiquae  Graeciae 
Demostheni  accommodata.  Adjicitur  etiam  Index  locupleiissimus. 
Edith  decima  tertia,  emendatior  et  auctior  (?).  Lond.  ap.  F.  C. 
etJ.  Riuington.  MDCCCXX.  gr.S.  XL  und  343  $. 

3)  Harangues  politiques  de  Demos thhne,    Recueil  contenant  les 

trois  Ol  ynthienne  s  9  les  quatre  Philippiq  ues ,  les 
discours  sur  la  paix  et  Sur  la  Cher  sonne  se9  public 
avec  une  Jntroduction ,  des  Commentaires  et  une  Carte  de  la  Grece, 
par  R.  Toepffer.  Geneve  ,  chez  A.  Clierbuliez.  1824.  gr,  8, 
Vll.  XL  und  51C 

4)  Oeuvres  eompletes  de  D  e'mo  sthene  et  d*  Eschine,  en  Gree 

et  en  Francais.  Traduction  de  V  Abbe  Auger,  de  V  Aca- 
demie  des  I.  et  B.  L.  de  P.  Nouvelle  Edition,  rerue  et  corrigee 
par  7.  Planche,  Prof.  de  Rhetorique  au  College  royale  de  Bour- 
hon.  Ome'e  d1  un  portrait  de  De'mosthene  graoe  d'  apres  V  antique 
p.  M  Me'cou.     TV  bt,  it  auroüro  j  d^vLostra !  etc.  Par. 

chez  Verdier e  etc.  18 19 —  1821.     10  Bände.  8. 

1)  Herrn  Pastor* s  Dr.  Alb.  Gerb.  Becker' •  Ueb  er- 
setz u  n  g  des  Demosthenes. 

Die  erste ,  längst  vergriffene  Auflage  dieses  Bucbes  er- 
schien unter  dem  Titel :  Auserlesene  Heden  des  Demostbenes 
und  Aeschines.  Aus  dem  Griechischen  tibersetzt  und  mit  den 
nötbigen  Einleitungen  und  Erläuterungen  verseben.  Erste 
Hälfte.  Halle,  1797.  and  enthielt  Phil.  I.  Die  Olynthischen 
in  der  von  Dionysius  Hai.  angegebenen  Folge.  Phil,  II.  De 
Cherson.  Philippi  Epist.  und  Orat.  in  Phil,  Epist.  Die  ge- 
genwärtige enthält  nur  ;  Flutarch's  Lebensbeschreibung  des 
Demostbenes,  Phil.  I,  die  drei  Olynthischen  in  der  gewöhn- 
lichen Folge,  und  de  pace.  Aber  mit  weit  gelehrteren  Ein- 
leitungen UP4  Anmerkungen,     Per  Plan  dieser  Bearbeitung 


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170  Demosthenes  Reden. 

i 

ist  bestimmter :  Alle  Philippischen  Reden  des  Demosthenes 
nach  dem  Kanon  des  Dionysius,  folglich  auch  die  darunter 
begriffenen  unächten,  auch  die  in  Deutschland  noch  nicht 
vollständig  übersetzte  Phil.  IV.,  in  Einer  Sammlung,  initBe- 
nutzung  alles  dessen,  was  seither  zur  Erklärung  dieser  Werke 
erschienen  ist,  und  mit  eignen  Untersuchungen  zusammen- 
zufassen. Ob  Hef.  mit  Recht  dem  zweiten  Bande  ungeduldig 
entgegensieht,  wird  der  Leser  aus  folgenden  Andeutungen 
selbst  beurtheilen. 

Die  Einleitungen  und  die  Anmerkungen  geben  historische 
und  antiquarische  Erörterungen,  berichtigen  sehr  ort  die  Er- 
klärungen der  Vorgänger,  tbeilen  hin  und  wieder  die  Kunst- 
urtheile  der  alten  Grammatiker  mit,  so  dafs  der  Leser  voll- 
kommen in  den  rechten  Stand  gesetzt  wird,  den  Redner  und 
seine  Zeit  zu  verstehen.    Es  sind  dabei  die  neueren  Forschun- 

fen  ,  namentlich  die  von  Böckh  und  Schümann  ,  zum  erstenmal 
ei  Demosthenes  benutzt.  Denn  auch  der  neueste  deutsche 
Herausgeber  einiger  Philippischen  Reden  hatte  sie  übersehen, 
und  Schäfer  will  bei  der  Reiskischen  Ausgabe,  mit  schütz- 
baren Sprachbemerkungen ,  nicht  auf  Sacherklärungen  ein- 
gehen. 

In  den  Anmerkungen  zu  Plutarch's  Biographie ,  welcher 
die  Seitenzahl  der  Frankfurter  Ausgabe  beigedruckt  ist,  ist 
der  Verfasser  von:  „Demosthenes  als  Redner  und  als  Staats- 
mann" viel  kürzer,  als  in  den  Anmerkungen  zu  jeder  Rede; 
wer  mehr  wissen  will,  wird  jene  Schrift  nicht  ohne  grolse 
Zufriedenheit  nachsehen.     Doch  ist  auch  hier  alles  Nöthige 

§esagt;  undeutlich  ist  manchem  nur  die  Streitsache  roitOropus 
.XVIII,  welche  auch  de  pace  p.  61.  1.  ö.  Reisk.  nicht  ausein- 
ander gesetzt  wird.  Vergl,  Wessel,  ad  Diod.  L,  XV.  c.  76. 
T.  VI.  Bip.  Die  Geschichte  mit  des  Harpalus  Becher,  durch 
welchen  Demosthenes  bestochen  worden  seyn  soll,  hätten  wir 
gerne  beleuchtet  gesehen,  da  sonst  überall  die  Quellen  ,  aus 
Welchen  einige  Lästerungen  gegen  unsern  Redner  flössen,  als 
unlauter  nachgewiesen  sind.  Will  man  den ,  welcher  überall 
gegen  Bestechungen  eifert,  mit  Lust  lesen,  so  mufs'er  selbst 
von  diesem  Fehler  rein  seyn.  Er  war  es  auch;  wie  sich  denn 
das  Mährchen  selbst  als  solches  darstellt:  Harpalus  soll  dem 
Demosthenes  einen  kostbaren  Becher  in  der  Nacht  geschickt 
haben,  und  den  andern  Morgen  sollen  es  schon  die  Leute  in 
der  Volksversammlung,  die  bekanntlich  sehr  früh  anging,  ge- 
wufst  haben  l  Wer  von  beiden  hatte  wohl  einen  Vortheil ,  es 
ihnen  zu  verrathen,  Demosthenes  oder  Harpalus?  —  Darum 
glaubte  man  die  Sache  schon  im  Alterthume  nicht ;  um  darüber 

I 

/ 


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Demosthencs  Reden.  171 

nicht  negative  Beweise  anzuführen ,  vergleiche  man  nur  Lu- 
cian.  laus  Demosth.  c.  33  —  36.  T.  IX.  Bip.  Hört  man  aber 
gar  dieselbe  Bestechung  nicht  nur  vom  Harpalus,  sondern 
auch  von  Milesischen  Gesandten  erzählen  bei  A.  Gellius  L,  XF. 
c.  9.  §.  1,  so  ist  man  sehr  geneigt  zu  glauben,  dafs  irgend 
eine  Verwechselung  vorgegangen ,  etwa  mit  Demades,  wo- 
zu Dinarchus  die  Veranlassung  mag  gegeben  haben,  adv.  Ari« 
stogit.  pag.  79«  sq.  und  pag.  04.  R«  id.  c.  Demosth.  init.  cf. 
Hauptm.  de  Demad.  c.  V.  p.  261.  R.  Barton.  ad  Plut.  De- 
mosth. c.  25.  p.  733.  sqq.  R. 

Nach  dieser  Biographie  folgt  die  Einleitung  zur  ersten 
Philippischen  Rede,  worin  sachgemäfs  die  hierher  gehörigen 
historischen  Data,  namentlich  über  Philippus,  zusammenge- 
stellt und  belegt  werden.  Unter  Pbilipp's  Biographen  ist 
Valckenaer's  Rede  de  Philippo  JVT. ,  welchen  Hr.  B.  weiter 
unten  S.  15.  selbst  citirt,  Leland  life  of  Philipp,  und  Dru- 
mann's  Versuch  etc.  vergessen.  Auch  führt  der  gelehrte  Hr. 
Beck  S.  3 12.  der  Anleitung  zur  Weltgeschichte  (der  ülteren 
Auflage,  da  bekanntlich  die  neuere  leider  nicht  bis  zu  diesem 
,Theile  gekommen)  noch  an:  Histoire  de  Philippe  par  de B  u  r  y. 
Par.  1760.  4. 

Was  Hr.  B.  über  die  Glaubwürdigkeit  der  Redner  für 
die  politische  Geschichte  sagt,  fanden  wir  sehr  wahr;  warum 
aber  die  Rede  Tig  (rwra^amg  von  einem  Zeitgenossen  des  De- 
mosthenes  herrühren  soll,  konnten  wir  nicht  einsehen.  Es 
kommt  uns  vielmehr  manchmal  vor,  als  habe  ein  Grammati- 
ker seinen  Schülern  aufgegeben ,  aus  einigen  Reden  des  De- 
mosthenes  zur  Uehung  eine  Zusammensetzung,  o-uvt^v,  zu 
machen,  woraus  dieser  cento  entstanden  sey. 

Als  Probe  eigner  Forschungen  und  deren  Mittheilungen 
ist  die  gewöhnliche  Folge  der  Olynth ischen  Reden 
vertheidigt,  nicht  allein  in  einer  eignen  Abhandlung  (S.  103 
— 131.),  sondern  auch  zerstreut  in  den  Anmerkungen.  Vergl. 
diese  Jahrb.  v.  J.  1822.  ffro.  75.  S.  1185  —  1191.  Ref.  hat 
durch  die  von  Hrn.  B.  vorgetragenen  Ansichten  und  sehr  fleis- 
sigen  Zusammenstellungen  veranlafst  die  Sache  von  neuem 
erwogen,  hat  sich  aber  nicht  überzeugt,  dafs  die  gewöhnliche 
Folge  die  richtige  sey.  Hören  wir  die  Gründe  und  die  Gegen- 
gründe in  Folgendem  zusammengedrängt: 

Die  Anordnung  nach  Dionysius  beruht  auf  der  Erzählung 
des  Philochorus- (worauf  aber  Dionysius  selbst  kein  Gewicht 
legen  soll):  dafs  eine  dreimalige  Gesandtschaft  der  Olynthier 
in  Athen  um  Beistand  gefleht,  und  die  Athenienser  dreimal 
Hülfe  geleistet  haben.     Dies  kann  aber  nicht  seyn,  denn  in 


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172  Demosthenes  Reden. 

den  Reden  findet  sich  keine  Spur  davon,  und  in  der  Rede  de 
f.  leg.  stellt  Demosthenes  die  Sache  ganz  anders  vor.  So 
Hr.  B. 

Der  Gegner  würde  darauf  erwiedern:  An  den  Olynthi- 
schen  Reden  ist  keine  Spur  davon;  aher  der  gleichzeitige  Ge- 
schichtschreiber sagt  es.  Und  Demosthenes  selbst  bestätigt 
de  f.  1.  das  Factum,  und  stellt  die  Hilfsleistung  dort  für  seinen 
Zweck  als  grofs  und  in  runden  Summen  dar;  was  thut  das? 
er  kommt  mit  Philochorus  mehr  überein,  als  auf  den  ersten 
Augenblick  scheinen*  sollte  : 

Nach  Philochorus  betrug  die  Nach  Demosthenes  J,  c.  p. 
Hülfsl  eistung  426.  R» 

Triremen:  65.  50  Triremen. 

Söldner:   6450  und  die        J0000  S  ö  1  d  n  er. 

Schiffsmannschaft. 
Börger:  2000,  wahrschein-        4000  Bürger. 
Jich  aulser  denen,  welche 
in  der  ersten  Expedition 
mitgingen. 

Sollten  diese  Anstrengungen  auf  Eine  Expedition  verwendet 
worden  seyn,  wie  Hr.  B.  anzunehmen  scheint,  der  doch  auf 
derselben  (95)  Seite  2000  Mann  und  30  Triremen  eine  glän- 
zende Expedition  nennt  ? 

Die  Reden  seihst  liefern  von  der  Richtigkeit  der  gewöhn- 
lichen Folge  den  Beweis,  argumentirt  Hr.  ß-  weiter.  Denn 
die  erste  (vulgo)  Rede  mufs  gleich  nach  dem  Beginn  der 
Feindseligkeiten  gegen  Olynth  gehalten  worden  seyn,  weil 
darin  Demosthenes  die  von  den  Olynthischen  Gesandten  be- 
gehrte Hülfe  fordert. 

Der  Gegner:  Haben  nicht  beide  Reden,  die  vulgo  erste 
und  die  vulgo  zweite,  das  gleiche  Thema:  es  müsse  Hülfe 
geleistet  werden?  so  dafs  man  hieraus  für  die  Stellung  gar 
nichts  beweisen  kann.    Man  vergleiche  nur  beider 

Propositio 

Olynthiacae  I.  Olynthiacae  II. 

P.  10.  "Etni  rd  y'  So-  P.  21.  <t>1fx)  3}  5<uv  utm 
xouvra*  ty$itrav$at  jutei*  jftj  n}w  ro7;  fxh'OXwSiotg  ßoy$s~\iy  naiovw; 
ßoij9etav  y.au  ira$av/.evaaaff$at  tjJw  rt$  Xtyu  Y.aXh<rra  kcli  -ray^irra ,  oZ* 
ray^i<mjVj  oirw;  tvStvSs  ßovjSijcfir«  *  reu;  af«Vx£/  pot  *  v^o;  hi  QsrTakovq 
irz&ßsi'av  3«  T^xs/vj  %ti;  raur  *q &rßa!av  ir^x«/v  ,  >j  rot;  fxiv  lifo^st 
ifs7  Kai  va^ievai  To7;  ir^ay\Murt,  raZra,  tov?  iraoo$vv$i. 

Wiederholt  nun  Demosthenes,  wie  er  denn  den  Haupt- 
gedanken gerne  wiederholt,  um  ihn  dem  Zuhörer  an's  Herz 
zu  legen,  in  der  ersten  Stelle  S.  t4*  4>ty*l  ßo^rion  rc7* 


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Demosthenes  Reden*    "  173 

-tguyfüZcrtv  rjfxtv  l  to>  t»  rxf  xAs/j  ro7;  'OAüvS/oi;  aaofav  Kai  roug  rsvro 
Tc/>j<rovTa;  oroaT/cura?  it&tiffwtm'  xaf  tä  tjjv  sksivov  ytu'^uv  xantuj  to/*ii/ 
Kai  mi^sn  xat  ovfancura/;  tre^o/;  —  so  Iii  ist  sich  aus  diesem  Vor- 
schlag eher  darauf  schliefsen,  dais  diese  Rede  später  gehalten 
ist,  weil  er  gröfsere  Anstrengungen  verlangt,  man  müiste 
denn  mit  dem  Scholiasten  (Ulpian)  glauben,  dafs  Demosthenes 
das  Doppelte  verlangt,  um  die  Hälfte  zu  erhalten;  warum  aber 
fordert  er  in  der  anderen  nur  die  Hälfte? 

Hr.  B.  fährt  fort,  die  Verteidigung  aus  den  Reden 
selbst  zu  führen.  S.  97.  s^gt  er,  dals  die*vulgo  zweite  Rede 
darum  nicht  die  erste  seyn  könne,  weil  darin  steht,  dals  die 
Athenienser  mit  den  Olynthiern  das  Bündnifs  geschlossen 
hätten. 

Gegner  :  Die  Olynthier  werden  in  der  zweiten  Rede  al- 
lerdings Bundesgenossen  der  Athenienser  genannt,  allein  das 
waren  sie  schon  vor  allen  drei  Olynthischen  Reden  geworden, 
unter  der  Verabredung,  dafs  sie  mit  Philipp  Krieg  anfingen, 
dann  sollten  die  Athenienser  helfen.  Nicht  von  einem  Bünd- 
nifs, sondern  von  der  Erfüllung  der  bedungenen  Hülfe  ist  die 
Rede,  wie  aus  der  ersten  p.  10.  extr.  sg\  und  der  dritten  p.  32. 
extr.  Liban.  Arg.  p.  7.  hervorgeht. 

Hr.  B.  bezieht  sich  S.  97.  noch  auf  die  Stelle  der  zweiten 
Rede  p.  25.  »Ihr  zaudert  in's  Feld  zu  rücken  ,  und  schiebt  es 
hinaus  Geld  zusammenzubringen.««  Also  waren  noch  keine 
Truppen  geschickt. 

Allein  eben  darum  halten  wir  diese  für  die  erste. 

Die  dritte,  sagt  Hr.  B.,  habe  zum  Inhalt,  den  Ueber- 
muth  des  Volkes  wegen  einiger  Siege  des  Chares  über  Philip- 
pus zu  müfsig«n  ,  worauf  Theopomp.  ap.  Athen.  L.XII.  p.  532. 
c.  d.  bezogen  wird. 

Dagegen  bezieht  SchweighUuser  diese  Stelle  auf  die  erste 
Expedition;  wir  glauben,  mit  Recht,  denn  Alles  pafst.  Nach 
der  vulgo  zweiten „  das  heifst  nach  der  ersten,  Rede  wird 
Chares  abgeschickt;  er  gewinnt  einigen  Vortheil  über  Phi- 
lipp, kehrt  nach  Hause,  opfert  den  Göttern  und  speist  das 
Volk.  Theopomp.  I.e.  Das  Volk  wird  übermüthig;  dies 
veranlafst,  Libanius  sagt  ausdrücklich:  Kaf  Tt  ^arogBoCv  i'3^av, 
die  folgende  Rede,  vulgo  dritte,  worin  Demosthenes  auch 
namentlich  auf  des  Chares  ßoiütx  anspielt  p.  37.  cf.  Dionys,  ad 
Amm,  c.  VIII.  extr.  Es  bleibt  also  nur  die  erste  Rede  übrig, 
Welche  demnach  die  letzte  seyn  mufs.  Wollte  man  bei  dem 
Allen,  aller  historischer  Autorität  zuwider,  doch  nur  Eine 
Expedition  der  Athenienser,  Olynth  zu  helfen,  annehmen, 
ao  geritthe  man  auf  unauflösbare  Widersprüche,   und  Heise 


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174  Demos tlienes  Reden. 

alle  Fragen  unbeantwortet,  welche  sich  hinter  einander  auf- 
drängten; bei  welchen  indefs  eben  so  wenig  für  die  Sache  ge- 
wonnen würde,  als  bei  den  Ansichten,  Eindrücken,  Gefüh- 
len ,  nach  denen  man  aus  einigen  Stellen  der  Reden  ihre  Folge 
beweisen  wollte.  Hr.  B.  hat  dies  in  den  Anmerkungen  zu 
jenen  Stellen  recht  gut  gezeigt,  indem  er  die  Gegner,  wenn 
sie  auf  diese  Art  argumentiren,  widerlegt.  Wenn  z.  B.  H. 
Raucbenstein  aus  p.  9.  1.  1.  die  Folge  nach  Dionysius  beweist, 
so  beweist  Hr.  Becker  aus  derselben  Stelle  die  gewöhnliche. 
Bleiben  wir  daher  1iuf  historischem  Grund  und  Boden  stehen, 
wie  auch  Hr.  B.  von  hieraus  das  Hauptargument  führt : 

„die  Grammatiker  citiren  die  Olynthischen  Reden  ein- 
stimmig nach  der  gewöhnlichen  Ordnung.« 
(Die  Grammatiker  werden  mit  interessanten  Literarnotizen 
nachgewiesen.)  Allein  bedenken  wir  vorerst,  dafs  die  Gram- 
matiker gewöhnlich  nur  citiren  AvjfxooSevy); ,  oder  nur  mit  dem 
Beisatz  s'y  to?*  <t><Amr/xoi$ t  wozu  bekanntlich  die  Olynthischen 
oft  von  ihnen  gezählt  werden,  so  bleiben  nur  wenige  Stellen 
tlhrig,  worin  die  Olynthischen  mit  A.  B.  I\  oder  iv  Tw  irgcfrp 
n.  s.  w.  angeführt  sind.  Sodann  aber  citiren  sie  nicht  chro- 
nologisch. Man  sehe  doch  nur  den  Index  Scriptortim  zu 
Harpocration  s.  v.  AyjfxccBsvij; ,  wo  die  Olynthischen  Reden 
vor  die  Phil.  I,  welche  als  rirafrof  <J>/A/x™o;  citirt  wird,  und 
welche  unumstöfslich  die  erste  aller  dieser  Staatsreden  ist,  zu 
stehen  kommen.  Man  wird  sehen  ,  dafs  eben  dieselben  Gram- 
matiker, welche  hier  als  Autorität  angenommen  werden  ,  eben 
denselben  Philochorus ,  dessen  Zeugnifs  verworfen  werden! 
soll,  als  ihren  Gewährsmann  anführen. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  der  Ü  et  e  rs  et  z  u  n  g  ,  so  kann 
von  Reiske  keineRede  seyn ;  dessen  Art  zu  paraphrasiren  mag 
aus  folgender  Vergleichung  hinlänglich  ersehen  werden  : 

Demosth.  Ph.  I.  p.  43..  Reiske  T.  I.  p.  72. 

TloT   oOv,  vors  a  *Qa%ST&    „Wann  wollt  ihr  denn  nun 

tVf/Siv  Ai*  dvlyHtf  t/5  !*  —  endlich  einmal  euch  zu  regen 
»Uytrai  H  mjuvov»« —  „rfc'SvjjKs  anfangen?  Wann  wollt  ihr 
*/ Xiicxo; ; cc  oj       Ata»  denn  anfangen,  an  Ausübung 

euerer  Schuldigkeit  zu  denken?  Werin'a  geschehen  seyn  wird.4« 
„Je  was  denn?«  „Ha,  ha!  kommt's  da  heraus.  Das  war 
doch  noch  ein  Wort.  Das  lasset  sich  hören.«  —  „Bruder, 
was  giebt's  neues?  —  Ist  Philipp^  todt?  Ich  dachte  was 
mich  bisse.    Der  Teufel  wird  ihn  nicht  gleich  holen.« 

Würdiger  wird  die  Vergleichung  der  Uebersetzüng  vori 
Jakobs  mit  der  des  Hm,  R.  seyn  ? 


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Demosthenes  Reden. 


175 


Jakobs.  Becker. 
Warni,  wann  werdet  ihr  thun,  Wannaiso,  wann  werdet  ihr 
was  nöthig  ist  ?  Welchen  Zeit-  thun,  was  geschehen  mufs  ? 
punkt  erwartet  ihr  noch?  Bis  Sobald  etwas  sich  ereignet  hat? 
euch  die  dringende  Noth  Sobald  beim  Zeus !  eine  Noth 
zwingt?  —  Oder  wollt  ihr  uns  treibt  ?  —  Oder  wollt  ihr, 
Lieber  auf  dem  Markte  umher«  saget  an,  umherwandelnd  auf 
gehen  und  fragen,  was  man  dem  Markte,  einander  befra- 
Neues  erzählt?  Was  kann  es  gen:  „Giebt's  nichts  Neues?« 
wohl  Neueres  geben,  als  dals  Kann  es  wohl  etwas  Neueres 
ein  Makedonier  Athenüer  he-  geben,  als  dafs  ein  makedoni- 
kriegt,  und  unter  Griechen  den  scher  Mann  Athenüer  im  Kam« 
Herrn  spielt?««  —  „Ist  Phi-  pfe  überwindet,  hellenische 
lipposgestorben?"  — -  Leider  Angelegenheiten  entscheidet? 
noch  nicht.  —  „Ist  PhiJippos  todt?«c  — 

Nei  n,  beim  Zeus« 

Die  Uebersetzung  des  Hrn.  B.  halt  sich  treuer  an  das  Ori- 
ginal. Aufgefallen  sind  dem  Ref.  S.  XIX.  „Demosthenes  lag 
seinem  II  o  fm  t  i  s  te  r  (irai&tytuyov)  inständig  an  —  Dieser  hatte 
mit  den  öffentlichen  Sclaven  Bekanntschaft  —  Die  Eifer- 
sucht (des  Knaben,  i^Xuice)  auf  den  Ruhm  des  Mannes.«« 

Die  Anmerkungen  bieten  reiche  Ausbeute,  und  ver- 
dienen alle  Aufmerksamkeit. 

S.  62.  zu  Phil.  I.  p.  42.  steht  eine  gelehrte  Bemerkung 
tiber  die  Verse,  welche  sich  bei  Demosthenes  hüuiig  linden. 
Auch  der  Schol.  ad  Hermog.  p.  386.  extr.  Laur.  macht  darauf 
aufmerksam,  hinzusetzend  :  sie  Seyen  aber  nicht  metrisch  ge- 
sprochen worden;  und  führt  aus  Olynth.  I.  p.  10.  an: 

&jAov  yag  iirrt  ~o7;  'OkvvSioi;  ,  ort  ^  j 

Longin  (Fragm.  1^1.  §.  4)  bestätigt  dasselbe,  behauptend: 
sie  seyen  von  dem  in  gespannter  Aufmerksamkeit  gehaltenen 
Zuhörer  nicht  bemerkt  worden;  und  führt  unter  andern  eine 
von  seinen  Herausgebern  nicht  nachgewiesene  ,  aber  aus  Olynth. 
III.  p.  29.  entnommene  Stelle  an  : 

iroAAcuv  ii  \oywv  koi  Bofvßcu  yty\io^vov  ica?  J/x7v. 
In  grofser  Menge  sind  Verse  aus  den  griechischen  und  aus  den 
lateinischen  Piosaikern,  auch  aus  dem  Neuen  Testamente, 
gesammelt  in  Fabr.  Bibl.  latin.  T.  II.  pag.  389.  sqq;.  ed.  Ern. 
und  den  daselbst  citirten  Schriften. 

Schöne  kritische  und  grammatikalische  Bemerkungen  ent- 
hält der  Commentar;  z.  B.  zu  p,  10.  1.  9.  wird  Valckenaer's 
Aenderung  T<u  yag  shat  mit  entscheidenden  Gründen  verworfen. 
Zu  Olynth,  I.  p,  12.  1.  4*  wird  gegen  Hoogeveen  und  Pinzg<  r 


176  Demosthenes  Reden* 

tcv  ToAe/xov  aüf  den  Amphipoli  tan  Ischen  Krieg  belogen  ,  wie 
auch  Weiske  de  byperbole  I.  p.  38.  aus  mehreren  Stellen  der 
Redner,  welche  aber  nicht  alle  beweisende  Kraft  haben ,  ge- 
zeigt hat4  Ueber  tat  kutwSsv  i.  q.  to.  xarw  wird  auf  Loheck  ad 
Phrynich.  p.  128.  verwiesen. 

Am  bedeutendsten  sind  die  Sacherklärungen.  Zu  Olynth^ 
I.  p.  13.  1.  1.  werden  Cersobleptes,  Berisades  (nicht  Beresia- 
des,  wie  in  einem  neueren  Commentar  steht)  und  Amadocus 
entschieden  Brüder  genannt,  da  doch  des  Amadocus  Sohn, 
der  auch  Amadocus  hicfs ,  zu  Philippus  geflohen  war.  Der 
Vater  Amadocus  war  vielleicht  schon  ermordet.  S.  (aufser  den 
von  Hrn.  B.  Citirten)  Diodor.  Sic.  JL».  XVI.  c,  34»  Demostb, 
Aristocr.  p.  623.  sq.  Harpocr.  u.  Suid.  s.  vv.  Kctu;»  K«^<ro/3AfcV- 
r/i;.  Theopomp.  ap.  Harpocr,  s.v.  'Aj^aSoKo;,  und  Barbeyrac 
Histoire  des  Traitez  T.  I.  Art.  CCXL.II.  p.  213.  sqq.  Die 
Bemerkung  über  die  Treulosigkeit  der  Thessalier  zu  Olynth. 
I,  pag.  15.  1.  15.  ist,  obgleich  in  drei  Zeilen  zusammenge- 
drängt, auch  für  den,  der  mehr  wissen  will,  durch  die  voll* 
ständigen  und  doch  ausgewählten  Nach  Weisungen  vollkommen 
hinreichend.  Die  Bemerkung  darüber,  wohin  Demosthenes 
Gesandte  wolle  geschickt  haben,  ist  zu  p.  16.  L  7.  ganz  rieh* 
tig  ,  aber  die  Citate  sind  unrichtig,  wie  dies  noch  einigemal 
der  Fall  ist.  S.  112.  n.  8.  steht  Ulpian.  p.  268.  B.  Vol.  V.  ed. 
Hier.  Wolfii,  was  wir  weder  in  dessen  gangbarer  Ausgabe 
v.  1604»  noch  in  der  letzten  v.  1642  fanden;  soll  es  vielleicht 
heifsen  :  p.  26.  B.  Vol.  V.  Wolf'.  i642?  Dann  pafst  aber  die 
Stelle  nicht  ganz.  So  wird  Longinus  noch  nach  Morus,  Fa- 
Lricii  Bibl.  gr.  ohne  Angabe  der  Ausgabe  citirr.  S.  195.  über 
die  veränderte  Gesinnung  der  Athener  gegen  die  Thebaner 
steht  Wolf  ad  Leptin.  p.  228.  statt  der  von  Wolf  daselbst  an- 

feführten  Stelle  Demosth.  Cor.  p.  29 1.  1.  4  t   wozu  noch  Pluf* 
elop.  c.  6.  T.  II.  p.  336.  sq.  R.  und  Diodor.  L.  XIV.  c.  6, 
hätte  kommen  können. 

Wir  m (ilsten  aus  den  Sachbemerkungen  vieles,  was  noch 
in  keinem  Commentar  zu  Demosthenes  stand,  und  doch  sehr 
noth wendig  zur  Erklärung  desselben  ist,  rühmend  anführen; 
es  wird  aber  Hrn.  Becker  und  dem  Leser  lieber  seyn ,  wenn 
wir  einiges,  welches  vermifst  wurde,  nachzutragen  versuchen, 
worin  wir  bei  der  zweiten  Olynthischen  anfangen  wollen, 
da  alles  Obige  aus  Phil.  I.  und  Olynth.  I.  genommen  ist* 


(Der  Besehlufs  folgt») 


N.  12.  '  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Demosthenes  Reden. 

(Btf  schlujs, ) 

• 

Vermissen  wird  mancher,  dafs  der  literarische  Zusam- 
menhang des  Demosthenes  mit  seinen  Vorgängern  und  seinen 
Nachahmern,  wodurch  doch  die  Leetüre  einen  eigenen  Reiz 
erhält,  nirgends  nachgewiesen  wurde.  Auch  mit  sieb  selbst 
hätte  Demosthenes  an  manchen  Stellen  verglichen  werden 
können. 

Gleich  im  Proömium  der  zweiten  Olynthischen  spricht 
Demosthenes  vom  Wohlwollen  der  Götter  f  was  er  so  gerne 
thut.  S.  in  derselben  Rede  p.  24-  und  Phil.  I,  p.  53.  Damit 
vergl.  Cicero  Catil.  III.  c,  8  u,  9.  S.  22.  Wenn  eine  Ver- 
bindung geschlossen  wird  aus  Wohlwollen] 
Diese  Sentenz  ist  vielfach  von  andern  Schriftstellern  benutzt 
-worden.  S.  Wyttenb.  za  Julian,  p.  47.  C.  p.  74-  Lips.  VergL 
Cic.  de  Off.  L.II.  c.  6.  scr<j.  Ebend.  Ein  Un  gerechtet 
und  ein  Meineidiger  kann  keine  dauerhafte 
Macht  besitzen]  Mit  dieser  Sentenz  konnte  Demosthe- 
nes Coron.  p.  303.  und  Euripides  als  offenbarer  Vorgänger 
verglichen  werden;  dafs  aber  Euripides  hier  Vorgänger  war, 
wird  man  schon  an  den  zufälligen  Ausdrücken,  wie  dvfytfaf 
u.  s.  w.,  sehen ,  in  der  Electra  V.  948.  Auch  Psalm  XVIII. 
v.  43.  (vulg.)  würde  nicht  ohne  Interesse  damit  zusammenge- 
stellt. Die  Vergleichung  von  dem  festen  Grund  eines  Hauses 
iommt  im  Alterthum  oft  vor.  S>.  Reiske  und  Schäfer  zu  die- 
ser Stelle  pag.  21.  und  Walaens  zu  Matth,  c.  VII.  v.  34-  — 
Ebend.  Worte  ohne  Thaten  sind  eitel]  Vergl.  Tbu- 
eydides,  den  Lieblingsschriftsteller  unseres  Redners,  L.  II. 

41.  Ta  h'fya  —  Tt9avwT8§ä  twv  \£ymv  bei  Xenophon,  der  wie 
Demosthenes  Piaton  zum  Lehrer  hatte,  Cyrip.  L.  VI.  c.  4. 
$.  3.  (§.  5.  Sehn.)  (Cicer.)  Declam.  in  Sallust.  c.  4-  —  Ebend. 
Dafs  Demosthenes  bei  aller  Kürze  Synonyma  lieht,  bemerkt 
Bremi  zu  Hauchenstein  Phil,  p.  4i.  1.     Eben  so  Thucydides, 

XIX.  Jahr-.   2.  Heft,  *3 


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178  Demosthenes  Reden. 

bis  auf  dieselben  Ausdrücke.    Demostbenes  sagt  p,  21  '  toXA>) 

d  Tim. 

cydides  sagte  L.II.  c.  48  :  Tccaur^  psTaßoXij  ;  £5  to  pera- 
üTvicat  er.  VI.  c.  20.     Daher  der  nachahmende  Julian  Or.  in 

S  9  a 

Const.  pag.  20.  C.  ara^ra  \xsraßaXovt  a  vial  fjar  a<rra  vra.  — 
S.  25.  scheint  sich  Demostbenes  zu  widersprechen,  denn  hier 

sagt  er:   *oAu  -yip  faov  tx0VTU;  tyvkdrruv  vj  HrJeafBai  ,  ^  und  Ol.  I. 

Man 

muls  aber  zu  jener  Stelle  tg7>  eu^oet  ergänzen,  wie  der  Zu- 
sammenhang zeigt,  und  wie  man  noch  deutlicher  aus  Xeno- 
phon  sieht  Cyrip.  L.  VII.  c.  5.  §.  26.  Cf.  Sallustius,  welcher 
in  seinen  Reden  den  Demosthenes  in  ganzen  Stücken  über- 
setzt, Catil.  c.  51*  S.  23.  läfst  sich  ^AAcu*  nur  aus  der  Plato- 
nischen Philoscphie  erklÜren,  das  Hr.  B.  durch  ferner,  Ja- 
kobs durch  daher  übersetzt.  Demosthenes  sagt:  Philippus 
mag  in  seinem  vertrauten  Umgange  keinen  Kriegserfabrnen, 
und  keinen  Besonnenen:  «,*  Ii  T/;  «rJitycuv  >j  tUcuo;  aXXwg,  t>|w 
*oS*  fixfyav  dngcuri'av  reu  ßio»  —  ov  hvajxsvo;  (ßf*f«rv.  Hierin  liegt: 
■wenn  jemand  aus  irgend  einem  andern  Grunde  als  aus  Beson- 
nenheit rechtschaffen  ist  u.  s.  w.  Denn  nach  Plato-  ist  der 
wahre  Grund  der  Rechtschaffenheit  die  Besonnenheit :  de  Legg. 
Ii«  HI.  pag.  696.  C.  T.  VIII.  Bip.  To  ye  5/xa/sv  ou  (pvtrai  •/ufk 
roZ  <rco  0  vs?v.  Dafs  aber  clXXa;  diese  Bedeutung  hat,  aus 
sonst  irgend  einem  andern  (als  dem  wahren)  Grunde  ,  lehrten 
uns  Valcken.  zu  Herod.  L.  IV.  c.  77.  p.  3l6.  und  Rubnk.  zu 
Tim.  p.  198.  sq.  ibiq.  citt. 

Die  Uebereinstimmung  des  Demosthenes  mit  Thucydides 
in  manchen  Stellen  ist  oft  so  grofs,  dafs  sich  Verwechselungen 
finden  :  Olynth.  II.  pag.  23.  extr.  schreibt  der  Rhetor  Seneca 
(Declam.  XXIV.  ibiq.  Schott.)  dem  Thucydides  zu.  Cf.  Sal- 
lust.  Orat.  Lepidi  circa  fin.  Fragm.  Hist.  L.  I. 

Zu  diesen  Bemerkungen  fast  nur  bei  Einer  Seite  wollen 
wir  doch  noch  die  nächste  sich  darbietende  Vergleichung  aus 
Plato  selbst  fügen : 

Demosth.  Ol.  p.  24.  rS  oXov  Plat.  Legg.  L.IV.  p.709.  b. 
v]  rvyyi  iru^d  wan**  i<rt)  tu  twv  av"  r\>ya^  ^vai  c"Xa3cv  u^avra  rat  av- 
j&ftuTtuV  *payfxara*  B^mxtva  icgayjxara* 

"Vergl.  Nicostratus  ap.  Athen.  L.  XV.  p.  693.  a.  Stob.  Ecl. 
L.I.  c.8.  p.  2 12.  sqq.  Heer.  Lennep,  ad  Phalar.  Ep.  p.  182.  sq. 
Interprr.  ad  Cic.  Off.  L.  IL  c.  6.  §•  19.  Muret.  ad  Cic.  Catil. 
I.  c.  6.  p.  621.  sqq.  ed.  Graev. 

Wir  schliefsen  diese  Anzeige  mit. aufrichtigem  Dank  für 
die  wahre  Bereicherung  ,  welche  uns  Hr.  B.  mit  diesem  Werke 
gemacht  bat. 


Demosthenes  Reden.  179 


Bei  den  folgenden  Bearbeitungen  kann  Ree.  aicb  kürzer 
fassen. 

2)  Demosthenes  ed.  Mounteney.    13;  Aufl. 

Diese  Ausgabe  von  Mounteney  scheint,  nach  der  Zahl 
ihrer  Auflagen  zu  schliefsen,  die  gangbarste  zu  seyn.  Reiske 
bat  sie  nicht  gebraucht.  S.  dessen  Prafef.  ad  DemoSth.  §.  1 1 . 
p.  XXXX1X.  p.  XL  VI.  Scbaef.,  obgleich  Mounteney  Hand« 
schritten  benutzt  hat  (Praef.  p.  IX.).  Desto  mehr  ist  diese 
Ausgabe  von  andern  Herausgebern  einzelner  Reden  gebraucht; 
denn  sie  ist  in  der  Tbat  sehr  beiruem  und  verstandig  einge- 
richtet. Unter  dem  Text,  welcher  die  erste  Philippische  und 
die  drei  Olynthiscben  Reden  in  chronologischer  Ordnung  nach 
Dionysius  von  Halicarnafs,  in  Capitel  abgetheilt,  und  dia 
JttoS^s/;  des  Libanius,  nach  der  Wolfischen  Recension,  giebt, 
stehen  die  Scholien  (des  Ulpian)  in  gespaltenen  Cölumnen  ziem- 
lich vollständig.  Hinter  dem  Text  und  den  Scholien ,  von 
S.  HJ.  an,  kommen  die  Noten  zu  beiden;  sie  bestehen  gröfs- 
tentheils  aus  den  lateinisch  übersetzten  Anmerkungen  des  sel- 
ten gewordenen  Tourreil,  aus  den  Wolfischen  Noten ,  auch 
denen ,  welche  Reiske  und  neuerlich  auch  Schäfer  mit  Unrecht 
weggelassen  haben,  und  aus  eigenen  jetzt  zum  Theil  veralte- 
ten Bemerkungen.  Alle  sind  bequem  geordnet.  Nach  den* 
Commentar  kommt  die  lateinische  Uebersetzung  von  Libanius1 
^tco^&ti;  und  von  Tourreils  Einleitung  vor  der  hie  und  da  ver- 
änderten Wölfischen  Uebersetzung  jeder  der  vier  Reden.  An- 
gehängt ist  ein  mechanisch  verfertigtes,  aber  sehr  vollständi- 
ges VVortverzeichnifs,  und  ein  Schlechter  von  einer  abgenutz- 
ten Kupferplatte  genommener  Abdruck  einer  Charte  von  Grie- 
chenland.   Desto  schöner  ist  Druck  und  Papier  des  Buches. 

Was  aber  diese  Ausgabe  Schätzbar  macht,  sind  die  vor- 
ausgeschickten Observationes  in  Commentarios  vulgo  Ulpia- 
neos ,  von  J.  C.  d.i.  von  Johannes  Chapraan.  S.  Praefati 
p.  IX.  scr.  und  Harles,  ad  Fabric.  Bibl.  gr.  Vol.  II.  p.  828;  Set. 
und  in  der  Introd.  Hist.  ling,  gr.  T.  II.  1.  p.  235. 

3)  DeraostheneS  ed.  Toepffer. 

Diese,  ihrer  Bestimmung  wohl  entsprechende  Äusgaoe* 
ist  weiter  nichts  als  ein  schöner  Abdruck  eines  Tauchnitzi- 
acben  Abdruckes,  mit  wenigen  Varianten  aus  Auger's*  Aus- 
gabe (Vol.I.  4.)  und  mit  Noten  auS  Tourreil  i  zuweilen  aul 
Auger's  Uebersetzung^  welcher  aber  auch  auS  Tourreil  ent- 
lehnt hat  (z.  B.  jf.  205.  «a\)i  und  einigen  deS  Hrn.  Herausge* 
bers  folgender  Art: 

H* 


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180  Demosthenes  Reden. 

■ 

S.  249»  y>naitxy>,  sous-entendez  q*<u;9  et  rapportee  ^osX* 
Slvra.  a  icfiyixara,  aussi  sous-entendu.«  S.  207  ou  ,  depuis 
que,  sous -entendez  ^o'vou.  S.  197.  Tau™,  pour  Ta  avra,  ,  les 
memes  choses.  Zuweilen  wird  auf  Matthiä's  Grammatik  ver- 
wiesen ;  oder  Barthe'lemy  Anacharsis  beniitzt;  manchmal  auch 
eine  Parallelstelle  aus  einem  lateinischen  Classiker  beigesetzt; 
meist  aber  nur  die  schwierigere  Stelle  in's  Lateinische  und  in's 
Französische  übersetzt. 

Diese  Noten  zu  den  auf  dem  Titel  angegebenen  Reden 
sind  von»  verschiedenen  verfafst,  nämlich  :  von  Hrn.  Prof.  L. 
Vaucher  zu  Olynth.  I.  II,  und  de  pace;  von  Hrn.  Prof.  J. 
Humbert  zu  Olynth.  III.  und  Phil.  I.;  von  Hm  Prof.  R. 
T  Öp  ff  er  zu  Phil.  II.  III.  IV.  und  de  Cherson. 

Die  Einleitung,  hinter  welcher  noch  eine  kleine  chrono- 
logische Tafel  nach  Dionysius  Hai.  steht,  ist  ein  Auszug  aus 
Auger's  erstem  Bande  zu  dessen  Uebersetzung,  aus  welchem 
auch  der  kürzere  geographische  Anhang  genommen  zu  seyrt 
scheint,  denn  andere  Nachweisungen  wird  der  Leser  bei 
einem  solchen  nur  für  die  französische  Schuljugend  berechne- 
ten Buche  billig  nicht  erwarten.  Angehängt  sind  noch  die  Ab- 
weichungen dieses  Abdruckes  von  J.  Bekker's  Ausgabe  der 
Philippicae,  mit  der  grofsen  Bekkerschen  Ausgabe  ist  er  nicht 
verglichen  worden.  Die  gröfseren  Ausgaben ,  meint  Hr.  Töpf- 
fer  ,  gehörten  nur  in  die  Bibliotheken  der  Gelehrten,  und  die 
der  einzelnen  Reden,  welche  gewöhnlich  auf  Schulen  gelesen 
würden ,  seyen  ohne  Commentar  ,  und  darum  nicht  zu  brauchen. 
Die  in  der  Vorrede  versprochene  geographische  Charte  fehlt. 

4)  Demosthenes  von  J.  Planche» 

So  bändereich  diese  Ausgabe  ist,  so  kurz  können  wir 
sie  anzeigen;  denn  sie  giebt  nicht  einmal  so  viel  Eigenes, 
als  die  von  Hrn.  Töpffer.  Ref.  cbarakterisirt  sie  wohl  am 
besten,  wenn  er  sagt :  es  ist  eine  neue  Ausgabe  von  Auger's 
Uebersetzung  des  Demosthenes  und  Aeschines  ;  samt  dessen 
Einleitungen,  und  kleinen  Noten,  welche  aber  weit  unbeque- 
mer als  in  den  bisherigen  Ausgaben,  wo  sie  gleich  unter  der 
Uebersetzung  am  gehörigen  Orte  standen,  hinter  jede  Rede 

fedruckt  sind;  nur  ist  der  griechische  Text,  aber  ohne  allen 
ritischen  Werth ,  der  Uebersetzung  gegenüber  gedruckt. 
Weggelassen  ist  Auger's  erster  Band,  welcher  eine  allgemeine 
Einleitung  enthält,  und  aus  dem  letzten  die  Tables  des  ma- 
tieres.  Zugegeben  ist  dagegen  dreimal  eine  zweite  Ueber- 
setzung |  welche  der  Auger'schen  angehängt  wird;  nämlich 


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Canaler  Burkard.  Eine  Jubelfes tschti f t  v o u  Dr.  Dans.      1 8 1 


von  La  Harpe  de  Cheraon.  und  vom  Hrn.  Herausgeber  Phi- 
lipp. III.  und  IV.  Das  Kupfer  ist  ein  schöner  Stich  nach  der 
bekannten  Antike,  worüber  Winkelmann  T.II.  S.  275.  ed. 
Meyer. 

So  eben  erhalten  wir  noch  den  fünften  Band  der  von  Hrn. 
Schäfer  besorgten  Ausgabe  des  Detnosthenes ,  London  1825, 
welcher  die  notas  variorum  bequem  geordnet  und  uiit  höchst 
schätzbaren  Zusätzen  versehen  hat. 


Franz  Burkard  aus  Weimar  ,  churf.  u.  herzogl.  Sächsischer  Canz+ 
ler  zur  Zeit  der  Reformation.  Von  Dr.  J.  Tr.  Lehr. 
Danz  9  Grofsherzogl.  Sächs.  Geh.  Consistor.  Ruthe  und  ordentl. 
Prof.  der  Theologie  zu  Jena.  Weimar ,  bei  Hof  mann.  1825. 
XII  und  000  S.  in  8.  16  Gr. 

Zudem  so  herzlich  und  durch  bleibend  wohlthätige  Anstalten 

tef eierten  Jubelfest  eines  Regenten,  dessen  Huld  und 
ocbgehildetem  Biedersinn  auch  Ree.  in  den  kräftigsten  Jahren 
seines  Lebens  die  ermunterndste  Freiheit  und  Unterstützung 
für  forschende  Selbstbildung  und  unverkümmerte  Gedankenmit- 
tbeilungen  von  1789  bis  iüoZ  zu  danken  hatte,  und  so  lange 
er  denken  kann,  danken  wird,  hat  sich  der  Vf.  in  der  merk- 
würdigen Lehensgeschichte  eines  für  die  Sächsischen  Häuser 
in  der  schweren  Zeit  der  Kircbenrelormation  wichtig  gewor- 
denen Staatsmanns  ein  interessantes  Thema  gewählt.  Ree. 
nimmt  an  diesem  Weimarischen  Gauzier,  welcher  von  prag- 
matisch-philologischen  Studien  zur  grunderforschenden  Juris- 
prudenz (nicht  zu  einer  blofsen  Gesetzanwendungs  -  Kunde} 
unter  Melanchthons  Leitung  übergegangen  war,  um  so  inni- 
ger Antheil9  weil  derselbe,  auch  Fürsorger  für  die  damals 
neue,  hoffentlich  nie  veralternde ,  Universität  Jena  geworden, 
ihn  lebhaft  an  einen  ähnlich  verdienstvollen  Mann,  an  den 
verstorbenen  Geheimen  Rath  von  Voigt  erinnert,  welcher 
ebenfalls  durch  Geschmack  an  verständig  bildender  Philologie 
vorbereitet,  das  Studium  des  Rechten  über  der  Rechtskunde 
nicht  vergessen  hatte  ,  und  dann,  ausgefunden  von  dem  tref- 
fend wählenden  Scharfblick  des  Fürsten ,  von  Stufe  zu  Stufe 
zum  vertrauten  Rathgeber  und  unermüdeten,  vielumfassenden 
Geschäftleiter  erhoben  wurde,  wo  er  ebenfalls,  nicht  blos  aus 
Staatsraison ,  sondern  zugleich  aus  Liebe  zu  freisinniger, 
geistig  mächtiger  Wissenschaft,  immerhin  als  sorgsamer  Be- 
latber  der  so  glücklich  gelegenen  ,  so  vielfach  wirksamen  Uni- 


•  I 

182      Canzler  Burk  ard.  Eine  Jubelfes ttchrift  Ton  Dr.  Dan*. 

versität,  ja  als  sachkundiger  Freund  aller  ihrer  tbätigen  Leh- 
rer  sich  erprobte,  und  daher  auch  in  meinem  Dankgefühl  un. 
yergefsbar  fortlebt. 

Franz  Burkard,  geb.  d.  3.  Jül.  1504»  war  ein  Jahr 
jünger  als  Churfürst,  Johann  Friedrich,  der  Grofsmüthige, 
dessen  Staatsdiener  er  wurde.  Achtzehnjährig  hatte  er  schon 
zu  den  Universitätsstudien  in  das  damals  so  vollthätige  Wit- 
teberg  neben  den  classischen  Sprachen  auch  Uebung  im  Fran- 
zösischen und  Englischen  mitgebracht.  Wie  B.  als  Melanch- 
thons Haus-  Tisch  -  und  Studiengenosse  durch  die  von  unsern 
Vorurtheilen  f  reieren  Classiker,  durch  diese  lebenskundige  Men- 
schen- und  Staatskenner ,  Weg  von  jener  am  Rechte  mecha- 
nisch künstelnden  Juristerei,  über  welche  Luther  und  Me- 
lancbthon  oft  so  bedenklich  jammern,  zur  ächten  Kenntnifs 
der  aus  nothwendigen  Pflichteinsichten  folgenden  Rechte  und 
zu  einem  weltbürgerlichen  Ueberblick  der  Staatskunst  gelangt 
war,  sehen  wir  zunächst  aus  dem  Briefe,  in  welchem  der 
sanfte,  kluge,  nicht  blos  Stubengelehrte  Melanchthon  ihn, 
der  so  eben  in  die  Staatsgeschäfte  gerufen  war,  auf  die  rühm- 
lich begonnene  gelehrte  Laufbahn  zurückzublicken  veran- 
lafste.  DerJuriste,  Burkard,  war  seit  1532.  Professor  der 
griechischen  Sprache  gewesen,  und  erklärte  wiederholt  den 
Hesiodus  ,  den  Aratus  u.  s.  w.  vor  Zuhörern,  wie  der  Dichter 
Job.  Stigel  war;  als  nach  dem  Tode  Johanns  des  Beständigen, 
Johann  Friedrich  in  Person  sich  die  Universität  Witteberg 
huldigen  liefs,  und  in  ihm,  dem  damaligen  designirten  Rector, 
einen  Mann  kennen  lernte,  der  —  auch  aufser  dem  Katheder 
Brauchbar  wäre.  Als  ihn  nun  1535.  dieser  Fürst  zum  Amts- 
gehülfen  des  Canzlers  Kluge  nach  Weimar  rief,  er  aber  das, 
was  er  leisten  konnte,  seiner  Melanchthonischen  Geistesbil- 
dung schuldig  zu  seyn  nicht  vergafs,  antwortete  der  rechtsin- 
jiige  Schwabe  ihm  zum  Theil  in  folgenden  Sätzen  :  „Dafs  Du 
einigen  Werth  auf  meine  mündliche  Mittheilungen  über  wichtige 
Angelegenheiten  des  Staats,  der  Wissenschaft  und  überhaupt 
aller  Lebensverhältnisse  legst,  das  gewährt  mir,  wie  ich 
nicht  bergen  will,  ein  ganz  besonderes  Vergnügen.  Denn 
so  gewifs  das  Vertrauen,  das  ich  Dir  dadurch  erwies,  ein 
Zeichen  meiner  grofsen  und  wahren  Liebe  zu  Dir  war;  eben 
so  gewifs  bin  ich  {iberzeugt,  dafs  Du  aus  diesen  Unterredun- 
gen, welche  Dir  mein  ganzes  inneres  Leben  unverhüllt  vor 
Augen  legten  ,  weit  mehr  ächte  Gelehrsamkeit  gewonnen  hast, 
als  aus  den  Bücherschätzen  der  Rechtsgelehi  len.  Ich  kann 
dies  ohne  Anmafsung  sagen,  weil  ich  mein  Wissen  nicht  den 
Büchern  allein  *    sondern  durch  Menschenbeobachtung  auch 


« 

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Canslei  B  u  r  k  a  r  d.  Eine  Jubelfwtstshiift  von  Dr.  Dan*  183 


dem  Leben  verdanke,  welches  mich  au  den  wichtigsten  Ver* 
handlangen  der  Zeit,  in  Verkehr  mit  den  geistreichsten,  und 
in  Streit  mit  den  ränkevollsten  Menschen  unserer  Tage  geführt 
hat  .  .  .  Wie  oft  habe  ich  mir  die  Ereignisse  der  alten  Welt 
mit  den  Begebenheiten  der  Gegenwart  verglichen,  entweder 
um  mir  den  rnuthmafslicben  Ausgang  derselben  klar  zu  machen 
oder  Mittel  dafür  aufzufinden  .  .  .  Oft,  wie  Du  Dich  wohl 
erinnerst,  habe  ich  die  Zukunft  richtig  vorher  verkündigt. 
Und  ich  darf  hoffen,  dafs  Du  durch  solche  Mittbeilungen  für 
allerlei  Angelegenheiten  des  Lebens  eine  Vorbereitung  erhal«, 
teu  hast,  nicht  nur  als  richtige  Ansicht  von  der  Re- 
ligion, von  Künsten  und  Wissenschaften,  sondern 
auch  von  der  Form  und  dem  Gebäude  des  Staa- 
tes ,  welche  Haltung  man  in  wichtigen  Angelegenheiten  haben 
solle,  und  was  Männer  von  Herz  und  Ehre  niemals 
aus  ihrem  Gesichtspunct  verlieren  dürfen«  .  .  ,  . 
So  und  noch  mehr  der  bekanntlich  so  bescheidene  Melanch- 
thon  ,  der  zwar  seinem  Freunde  (S.  20.)  bemerklich  machte, 
dafs  er  einem  Herrn,  welcher  eigenwillig,  argwöhnisch,  in» 
Tadeln  unsanft,  Geschäfte  wie  Gewitterwolken  ungern  heran- 
ziehen sehe,  zu  dienen  haben  werde;  der  aber  auch,  was 
seinem  Herzen  gewifs  sehr  wobl  that,  hinzufügte:  dennoch 
sey  Johann  Friedrich  von  grofser  und  edler  Gemüthsart, 
und  offenbar  am  ganzen  Hofe  der  beste  und  menschenliebend- 
ste  Mann  [  Unter  den  übrigen  habe  B.  Neider  und  Nachsteller 
zu  besorgen,  so  nöthig  es  auch  wäre,  dafs,  wenn  sie  in  die 
heilig  genannte  Berathung  gehen,  alle  jenes  Wort  des  Diome- 
des  bedachten:  Wo  zwei  einträchtig  zu  einem  Geschäfte 
gehen,  sieht  dus  Paar  immer  mehr,  als  der  Einzelne.  .  .  , 
Hauptsächlich  die  Kirche  verlange,  als  ein  kränkelnder  Kör* 
per,  sanfte  Mittel ;  alle  heftige  seyen  ihr  verderblich  u.  s.  w. 

Schon  als  bald  darauf  B.  mit  seinem  Churrttrsten  von  der 
endlich  heraus  negoziirten  Belehnung  aus  Frag  zurückkam, 
stund  der  von  der  Gräcität  in  die  Diplomatik  Übergegangene  in 
dem  Ruf,  welchen  Stigel,  als  Dichter,  so  ausdrückte; 

Et  Tu,  Qur*  Ducum  ,  Franciscei  et  »ratio.  Regum^ 
CUl  ßuit  eloquii  dulcis  ab  ore  sonus. 

Wie  der  überhaupt  sehr  hochgehaltene  Canzler,  Georg 
Brück  (Pontanus)  für  den  besten  teutschen  Staatsredner  galt, 
so  biefs  BL  „der  feinste  Orator  in  Latein,  als  man  seiner  Zeit 
in  Germanien  haben  möge,  ff  Offenbar  aber  mufste ,  nach 
dieser  Charakteristik,  B.  sich  schon  als  den  redlich  einneh- 
menden Mann  bewiesen  haben,  wie  ihn,  nach  vielen  andern 
Vrohen»  seine  Leichenrede  (S.76, 77,}  schildert,       Die  fein«; 


i&4      Gaoiltr  B  urk  ard.  Eine  Jubel festschrift  von  Dr.  Danr. 


Antwort  ,  welche  bald  nachher  auf  einem  Convent  zu  Smalkal- 
den  B.  dem  französischen  Gesandten,  Wilb.  du  Bellai,  zu  ge- 
hen hatte,  wird,  als  bisher  ungedruckt,  S.  93  —  98. 
bekannt  gemacht. 

(Schade,  denkt  Ree.  hier  beiläufig,  dafs  eine  solche 
lateinische  Sprache  in  diesen  Dingen  der  Französischen  weichen 
rouiste.  B.  sprach  hier  wahrhaft  urban,  und  doch  unumwun- 
dener ,  runder  und  klarer,  als  es  in  der  Sprache  gewöhnlich 
geschieht,  welcher  schon  deswegen  das  parteilosere,  univer- 
sellere, fixirtere  Latein  vorgezogen  hätte  bleiben  mögen, 
weil  es  mit  der  Nationalehre  der  übrigen  Staaten  nicht  zu 
barmoniren  scheint,  "  wenn  sie  die  Sprache  eines  einzelnen 
Reichs  über  sich  dominirend  werden  lassen;  weil  ferner  einer 
solchen  Partien lär  -  Sprache  Gebrauch  im  Unterbandeln  dem, 
dessen  Muttersprache  sie  ist,  immer  einigen  Vortheil  über 
die,  welche  sie  erlernen ,  geben  mufs;  und  endlich  weil  für 
die  Unterhandlungen  selbst  es  oft  nicht  vortheilhaft  seyn  kann, 
wenn  sie  in  einer  Sprache  geführt  werden,  die  der  auflauernde 
Laquai  oder  irgend  eine  Intriguantin  ebenfalls  verstehen.  Die 
Erfahrung  scheint  zu  sagen,  dafs  seit  eben  der  Zeit,  wo  die 
französische  Sprache  in  der  Diplomatik  ein  so  grofses  Ueber- 
gewicht  erhalten  hat,  die  übrigen  Nationen  meistentheils  ge- 
gen Frankreich  im  Nachtheil  waren»  Das  Uebergewicht  der 
Sprache  kann  allerdings  nicht  Hauptursache  dieser  französischen 
Präpotenz  gewesen  seyn.  Aber  zum  wenigsten  ist  sie  ein 
Zeichen  ,  ein  bedenkliches  Zeichen  davon ,  und  ein  mitwirken« 
des  Mittel.    Man  erinnere  sich  an  das  Göthesche  Xenion!) 

Zu  bemerken  ist,  wie  selbst  diese  Smalkadische  Ver- 
bandlungen ,  während  die  protestantischen  Fürsten  von  papi- 
stischer Gewalt  und  List  gedrängt  waren,  in  dem  mitgetheil- 
ten  Actenstück  beweisen,  wie  gewifs  der  lebhaft  ergriffene 
Protestantismus  derselben  sie  dennoch  nichts  revolutionäres, 
jnchts  reichsverfassungswidriges  sich  erlauben  zu  wollen  ver- 
anlafste.  Frankreich  hatte  ihnen  (gegen  den  nach  Alleinherr- 
schaft strebenden  K#  Carl  V.  und  seine  Dynastie),  unter  der 
Gestalt  e^ines  Concordienstifters,  mächtige  Unterstützung  an- 
geboten. Vergl.  Sleidanus  II,  57.  Offenbar  hätten  sie  um 
*o  eher  in  ihrer  gerechten  Opposition  trotzig  werden  können. 
Ihre  Antwort  aber  durch  B.  war  (S.  97  ),  se  nemini  opitula- 
turos  esse,  quam  suae  (Regia  Franciae)  Majestati  in  iu  rebus, 
quae  non  -pertiaent  ad  invictusiraum  Jmperatorem  ae  romanum  Imperium. 
Denn  ihnen  sey  es,  wie  sie  in  Conventibus  Augustanis  das 
BekenntnÜs  abgelegt ,  um  Abstellung  der  gotteswidrigen  Mei- 
nungen, (imjnae  Qjiinjqnes)  \i\  der  ß-eligion  zu  thun,  quas 


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Caniler  Burkard.  Eine  Jubelfes  tschrift  vqn  Dr.  Dani.  J85 


tarnen  indocti  et  mali  mordicus  tenent,  propter  avaritiam  et 
ambitionem.  Der  König  möchte  sich  also  durch  die  Verfol- 
gungssucht dieser  Unwissenden,  „(jui  sine  discrimine  in  bo- 
nos et  inalos  saeviunt  ,  .  acerbissimis  odiis  Student  pios  recte 
sentientes  opprimere,  circumventos  falsis  crirninibus  et  variis 
artificiis  regum  animos  incendunt«  .  .  nicht  bewegen  lassen, 
die  zu  verderben,  welche  veteres  abusus  recte  reprebendunt. 
Nur  iu  diesem  Sinn  bestund  die  protestantische  Antwort  (S.  95.) 
auf  der  libertas  Principum  et  Potentatura  (  Potestatuni  ?  oder  Po- 
tentatuum?)  Germaniae,  ipsorum  sanguine  parta.  Nicht  auf 
sie,  sondern  auf  die  Gegner  falle  die  Schuld  der  discordia. 
Debebant  enim  credere  verbo  Dei.  Deinde  etiain  posset  re- 
stitui  concordia  .  •  ,  sed  ambitio  et  avaritia  tum  Pontificum 
tum  aliorum  hactenus  prohibnit ,  quo  minus  j>ia  et  libera  Synodus 
(aufser  Italien)  haberi  potuerit. 

Auch  von  Heinrich  VIII.  aus  Englaud  waren  Gesandte  zu 
Smalkalden  gewesen,  welche  unter  der  Bedingung  von  Reli- 
gionseinheit (man  verwechselte  gar  zu  lange  .Religion  mit 
den  ererbten  kirchlichen  und  kirchenväterlichen  Auslegungen !  ) 
auf  Verbündung  mit  den  Evangelischen  hinzielten.  Dies  und 
die  Vermählung  der  Anna  von  Cleve  veranlafste  B.  mehrmals, 
und  noch  kurz  vor  seinem  Tode,  zu  Gesandtschaftsreisen  zu 
dem  sonderbaren  Kön.  Kirchenreforrnator  ,  der  den  Melanch- 
thonischen  Geschäftsmann,  wie  den  Melanchthon  selbst,  in 
manchem,  z.B.  in  Aufhebung  des  priesterlichen'  Cölibats  ,  bei 
sich  gelten  liefs.  Im  Ganzen  war  es  aber  doch  ,  wieMykonius 
Historia  Heformationis  gerade  heraussagt,  meist  nur  darum 
zu  tbun,  „König  Heintzen  Pabst  seyn  zu  lassen,  von  dem 
sich  offenbarte,  dafs  es  nur  utn's  geistige  Einkommen  für  seine 
Collectio  Augmentatorum  zu  thun  war«  S.  io3. 

Mit  wie  mancherlei  Sorgen  für  Staats-  und  Kirchenfrei- 
heit sich  der  protestantische  Staatsmann  ,  während  die  Will- 
kührmacht des  Kaisers  und  die  Verluste  der  Hierarchie  einen 
Kriegsausbruch  immer  unvermeidlicher  machten,  auf  Reichs- 
tagen ,  Conventen,  Religionsgesprächen,  Gonciliumsvorberei- 
tungen  u.  s.  w.  umtreiben  lassen  mufste  ,  empfehlen  wir  in 
der  Schrift  selbst  nachzulesen.  S.  104  —  106.  giebt  eine  un- 
gedruckte Relation  Burkards  an  Canzler  Brück  dd.  14«  Jan- 
1541.  Ein  anderes  Schreiben  von  Cruciger  (S.  109.)  »agt  sehr 
aufrichtig:  Caesaris  voluntatcm  apparet  esse  optimam ,  "t  #  .  fiat 
emendatio  omnium  abusuum,  Sed  .  •  de  doctriua  non  satis  in- 
«tructus  est.  Melanchthon  und  Amsdorf  wurden  bei  ihm  ver- 
läumderisch  denunciirt.  (Die  Nachwelt  kennt  sie  besser.  Die 
Dermueiaaten  sind  mit  der  Tagsgeschichte  dahingegangen  l ) 


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186      Caniler  B  u  r  k  a  r  a.  Eine  Jubelfestschrift  von  Dr.  Dam. 

Jede  Zusammenkunft  vertagte  sieb  auf  eine  nächstfolgende, 
und  das  Sprüchwort  entstand  :  Germani  Semper  conveniunt 
et  nun quam  conveniunt. 

Anziehender  für  die  spätere  Folgezeit  und  unvergeßlicher 
ist,  was  B.  aus  dem  unmittelbaren Fürstenrath  noch  eilfJabre 
lang  für  die  Wittebergische  Universität  und  deren  sittliche 
Gestaltung  (S.  35.)»  nachher  aber  1548.  (S.  68.)  für  das  so 
schwierige  Hervorgehen  der  Universität  Jena  aus  dem  dortigen 
Gymnasium  gewirkt  hat.  Auf  den  Geist  gepfropfte  Pflanzun- 
gen tragen  unverwelkliche  Früchte,  auch  des  Nachruhms,  der 
von  fast  allen  andern  Bestrebungen  nach  dem  kurzen  Glänze 
der  Gegenwart  so  leicht  vergänglich  ist.  Canzler  Brück  selbst 
Wurde  jetzt  noch  (S.  69.)  -Lehrer.  Burkard  blieb  am  Hofe 
Und  besetzte  die  Universität  mit  Melanchthonianern ,  unter 
denen  Victorin  Strigel  sein  Tochtermann  wurde.  Den  kläg- 
lichen Meinungseifer  der  Flacianer  gegen  die  gemäfsigteste 
dieser  exegetisch -praktischen  Schule  mufste  er  noch  erleben. 
Nach  der  Rückkehr  von  einer  englischen  Gesandtschaftsreise 
durch  welche  er  die  Vermählung  Herzog  Johann  Wilhelms 
mit  der  Königin  Elisabeth  einleiten  sollte,  starb  der  vielver- 
suchte  Mann  den  15-  Jan.  1560.  Aus  seines  Tochtermanns, 
Matth.  Wes  enbeck*  s  Fapinianus  p.  150  sqq\  wird  eine  ge- 
schichtliche, beider  Männer  würdige  Parentation  nachgewie- 
sen ,  und  durch  Auszüge  erneuert.  Auch  sein  Brustbild  (eine 
hedachsame,  sorglich  umsichtige  Physiognomie)  ist  hier,  der 
Würdigen  Jubelfestschrift,  beigefügt. 

Möchte  doch  Hr. 'Dr.  Danz  recht  vieles  auserlesene  und 
minder  bekannte  aus  den  an  Keformationsurkunden  reichen 
Archiven  zu  Weimar  und  Gotha ,  deren  Liberalität  Er  rühmt, 
an  den  Tag  bringen.  Europa's  Erhebung  zur  ordnenden 
Selbstständigkeit  im  Regierungswesen  datirt  sich  ja  doch  für 
Regenten  und  Regierte  von  der  grofsen  Geistesepoche  des 
sechszehnten  Jahrhunderts.  Erst  seitdem  sind  aus  der  Menge  von 
Ländern,  die  im  Römerthum  und  daher  auch  noch  im  Mittel- 
alter nur  wie  Provinzen  waren,  Staaten  und  Reiche  geworden, 
die,  nachdem  sie  der  weltlichen  Universalmonarchie  entwachsen 
sind,  innerhalb  welcher  allein  die  geistliche  sich  über  alles  aus- 
dehnen konnte,  nun  unfehlbar  auch  der  vollen  Unabhängigkeit 
von  dem  Ueberrest  der  geistlichen  Uni  versalmonarchie  entgegen 
reifen,  da  offenbar  in  keinem  souverainen  Staate  zwei  Sou ve- 
raine (neben  dem  rechtmässigen  einheimischen  auch  noch  ein 
fremdartiger)  in  die  Länge  anerkennbar  bleiben  können, 

H.  E.  G.  Paulus. 

* 


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Des  Fürsten  von  N***  Worte  aus  dem  Buche  der  Bucher.  1Ö7 

Worte  aus  dem  Bucha  der  Bücher,  oder  über  Weh'  und 
Menschenleben ,  niedergeschrieben  vom  Fürsten  oon1  N***9 
heraus g*  von  D r.  Aug,  Wilh.  Tappe  ,  Professor,  Ritter  des 
Set.  Annen^  Ordens,  mehr.  gel.  Oese  lisch.  JVlitgl*  Dresden  ,  iei 
Arnold.  1824.    216  6\  m  8.  1  Thlr. 

Der  Vornehme,  welcher  diese  Maximen  mit  Empfindung 
gedacht  und  nach  ihnen  gehandelt  hat,  ist  gewifs  ein  äufserst 
achtungswerther  Mann.  Unfehlbar  hat  Er  auch  dadurch  so 
viel  innere  Selbstbeseeligung  sich  erworben,  als  in  dem  Ge- 
misch von  Bösem  und  Gutem  auf  dieser  Erdenwelt  erreichbar 
ist.  Seine  Sprüche  erfüllen  oft,  was  S.  48.  „Die  Bitte  des 
Verfassers«  wünscht.  Das  Buch  der  Bücher  ist  ihm  we- 
der allein  das  Biblische  ,  noch  allein  das  Nichtbiblische.  Al- 
les, was  der  einzelne Mensehengeist  aus  dei  Betrachtung  seiner 
selbst  und  der  ihm  möglichen  äufsern  und  innern  Erfahrungen 
als  möglich,  wirklich  und  nöthig,  als  das,  was  ist,  was  seyri 
kann  und  was  seyn  soll,  in  seinem  Nachdenken  erfassen  kann, 
ist  ihm  sein  Buch  der  Bücher,  sein  lebendiger  und  lebensthä- 
tiger  Unterricht.  Wir  heben  aus  dem  vielen  schätzbaren, 
was  die  Religi  o  n  betrifft ,  einige  Stellen  aus  :  „Die  Re- 
ligion und  ihre  Formen.  Religion  und  Kirchenthum 
vermengen,  heilst:  Wesen  und  Sache  mit  Form  und  Zeichen 
verwechseln.  Reines  Gold  und  reine  Liebe,  ohne  Zusatz, 
bleiben  immer  was  sie  sind,  und  wenn  auch  ihre  äufsereForm 
in  unendlicher  Gestalt  erschiene.  Mit  Religion  und  Kirchen- 
thum verhält  es  sich  eben  so.  —  Die  reine  Tucendlehre  des 
göttlichen  Stifters  unserer  Religion  ist  allgemein  -  menschlich, 
und  deshalb  ewig;  sie  erwärmt  und  belebt  alle  edlen  Pflanzen 
im  Reiche  der  Geister,  und  erregt  in  ihnen  Wachsthum  und 
fröhliches  Gedeihen,  Pfleget  sie  also,  diese  herrliche  Gottes- 
lehre, mit  Einsicht  und  mit  treuer  Liebe  !  Schafft  Gutes, 
wie  sie  es  gebietet,  im  weitesten  Sinne  des  Worts,  und  die 
Wahre  Religion  wird  euch  erfreuen;  und  ein  belebendes  und 
himmlisches  Licht  wird  euch  leuchten  bis  in  eine  höhere  Ord- 
nung der  Dinge ! m  —  „DerSectengeist.  Was  ist  eine 
Secte?  Gewöhnlich  ist  es  eine  Anzahl  Betrügender  und  Be- 
trogener, artgeführt  und  geplündert  von  Unredlichen  oder  Be- 
sessenen. Mit  Recht  hat  also  jeder  Mensch  von  Kopf  und 
Herz  einen  innigen  Widerwillen  gegen  allen  Sectengeist."  — 
„Die  Gestirne  des  Lebens.  Denken  und  Arbeiten;  und 
dann;  Muth ,  Geduld  [Ausdauer*)]  und  Vertrauen  auf 


*)  Die  deutschen  Worte :  Geduld  und  De  muth,  als  biblische 


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* 

188     Des  Fürsten  von  N***  Worte  aus  dem  Buche  der  Bücher. 


Gott  .  .  .  das  sind  die  leuchtenden  Gestirne  in  der  dunklen 
Nacbt  des  Erdlebens,  die  unsern  Pfad  erhellen  zum  wahren 
Leben  im  Osten  der  Ewigkeit.«  —  „Die  Gotte  serkennt- 
nifs.  Erwirb  Dir  Gotteserkenntnisse  durch  höhere  An- 
s  chau  ung  D  e  i  n  e  s  G  e  i  s  tes.ce  So  ist  es.  Wer  kann  Gott 
denken,  wenn  er  nicht  sich  seihst  als  Geist,  als  denkend  und 
wollendes  Selbstbewufstseyn  zu  betrachten  gewohnt  ist.  Die 
meisten  Religionen  und  Religionstbeorien  halten  sich  die  Gott- 
heit nur  vor  als  Intelligenz  und  als  Macht,  das  intelligirte  zu 
verwirklichen.  Deswegen  sind  die  meisten  Religionen  nur 
Verstandessache.  Nur  wenn  der  Geist  auch  das  Wollensollen 
bedenkt,  und  dann  die  Uebereinstimmung  des  Wollens  mit 
dem  Sollen  als  die  höchste  Vollkommenheit  erkennt,  kommt 
er  durch  höhere  Anschauung  dessen,  was  er  selbst  seyn  sollte, 
zum  vollen  Ideal  der  Gottheit,  als  heiliger,  wollend  vollkom- 
mener Geistigkeit. 

Zu  dem  ersten  Satz  von  Religion  und  Kirchen« 
thum  erlaubt  sich  Ree.  eine  Bemerkung.  Kirchenthum  ist 
allerdings  die  äufsere  Form  und  Gestalt,  unter  welcher  die 
Religiosität  einer  Gesellschaft  erscheint.  So  lange  die  Form 
der  Materie  Gelegenheit  giebt,  kräftig  in  die  Erscheinung, 
in  das  Leben  überzugehen,  ist  sie  gut.  Aber  bei  solcher  Mi- 
schung des  Aeufsern  mit  dem  Innern  kann  leicht  auch  der  un- 
reinen Beimischung  (Legirung)  so  viel  seyn,  dafs  das  reine 
Gold  gar  schwer  zu  finden,  noch  weniger  zu  benutzen  wäre. 
Gar  nicht  gleichgültig  ist's  deswegen,  unter  welcher 
Form  und  Bezeichnung  uns  das  Wesen  der  Religion  vorgehal- 
ten wird.  Lessings  drei  Ringe  haben  viel  Mifsverstand 
veranlafst.    Sie  setzen  voraus,  die  Fassung  sev  bei  den  dreien 

{  

"  < 

Aufgaben  häufig  'wiederholt,  veranlassen  viele  Mifs  Verständnisse. 
Soll  man  denn  also  alles  nur  dulden,  nur  den  Muth  uod  die 
Schätzung  dessen  ,  was  man  in  Wahrheit  ist,  niederdrucken? 
Ist  das  33 Zuwen'g cc  nicht  eben  so  ungerecht,  als  das  Zuviel?  Maa 
begeht  nur  einen  MifsgrifF  in  den  Worten.  Aber  die  Worte  Ver- 
kehren dann  auch  leicht  die  Sache«  'TVo/xtvfifv,  Cvofxovyj  ist  ein 
Bleiben,  Beharren,  Ausdauern,  auch  während  man  unter 
einem  Uebel  ist.  TaveivotypQffvv*]  ist  im  biblischen  Sprachgebrauch 
nicht  Niedrigkeit  der  Gesinnung  (Niederträchtigkeit),  sondern  Ge- 
sinnung, Achtung  auch  für  das  Niedere,  also  gerechte  Schätzung 
auch  dessen  |  was  sich  nicht  selbst  erhebt.  P, 

■ 

/* 


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Cicero  de  Republica  ed.  Lehner-  189 

so  gleich  gewesen ,  dafs  man  sie  nicht  unterscheiden  konnte. 
In  der  Wirklichkeit  ist's  nicht  also.  Nicht  allzu  schwer  wird 
es,  hei  jedem  Kircbenthum  zu  sagen:  dieses  hindert  mehr, 
jenes  fördert  besser  das  Wesentliche  der  Religiosi- 
tät —  die  Erweckung  des  Willens  zur  thätigen  Gesinnung  , 
dafs  Gott  nur  durch  Wahrhaftigkeit  des  Geistes  (welches  die 
Rechtschaffenheit  ist)  zu  verehren  sey  (Job.  4,  23.  Matth.  6, 
33.)*  Wer  sich  nicht  selbst  täuschen  will,  oder  nicht  zum 
Nichtdenken  darüber  frühe  gewöhnt  ist,  empfindet  tief,  dafs 
kein  äufseres  Geberdenmachen  ,  sondern  allein  "die  Entschlos- 
senheit, immer  das  Rechte  zu  wollen,  dem  Geiste  Wahrheit 
ist.  Welches  Kircbenthum  nicht  immer  dahin  treibt,  darin 
vielmehr  weich  und  nachgiebig  ist ,  das  hat  der  Legirung  zu  viel. 

■ 

H.  E.  G.  Paulus. 


M.  Tullii  Ciceronis  de  Re  Publica  quae  supersunt. 
Varietatem  lectionis  ex  editione  -prima  sumptam  subjecit ,  notulas 
Maji  aliorumque  selectas  nec  non  (?)  suas  cum  Inäice  nominum 
propriorum  addidit  ,  emendare  aliquot  loca  tentavit  J  o.  Frid, 
Carolus  Lehner  ,  Gymn.  Reg.  Monac,  Professor.  Accedunt 
variae  lectiones  in  Somnium  Scipionis  nondnm  vulgatae.  Solis- 
baci,  apud  J.  G.  de  Seidel.  MDCGCXXIV.  XII  und  164  S. 
gr.  8.  36  kr. 

Eine  sehr  brauchbare  und  dabei  sehr  wohlfeile  Ausgabe  ! 
Hr.  L,  auch  durch  seine  Ausgabe  des  sechsten  Buches  des  Po- 
lybius  vortheilhaft  und  rühmlich  bekannt,  so  wie  früher  durch 
seine  von  uns  in  diesen  Jahrbüchern  angezeigte  Philologica  Cura 
(Monach.  l82l.  4«) 9  fand  sich  eben  durch  das  sechste  Buch  des 
Polybius  und  die  Aehnlichkeit  der  darin  vorkommenden  Aeus- 
serungen  mit  denen  des  Scipio  in  diesem  Ciceronischen  Werke, 
die  von  A.  IYlajus  manchmal  übersehen  worden  sind,  veran- 
lafst,  diesen  Fragmenten  des  Cicero  eine  gröfsere  Aufmerk- 
samkeit zu  widmen,  und  sie  endlich  herauszugeben,  ungeach- 
tet er  dazu  eben  nur  wenig  Mufse  hatte.  Was  er  nun  dabei 
gethan  und  thun  wollte,  sehen  unsere  Leser  am  besten  aus 
folgendem  Stücke  aus  der  Vorrede,  welche  sie  zugleich  als 
eine  Probe  der  Schreibart  des  Hrn.  L.  hinnehmen  mögen  : 
Mutata  igitur  Ortho  graphia  ,  suhjecta  varietate  lectionis  ,  capitumque 
summariis  conflatis*  notulas  passim  addidit  quibuspartimsen- 


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190  Cicero  de  Republiea  ed.  Lehner. 


sum  explioarem  sive  aliorum  sbe  meis  cerbls ,  partim  eoo  atiis  vel  Cico* 
ronis  vel  aliorum  scriptis  quae  apta  essent ,   ajferrem  ,  partim  emen- 
dandi  rationem  proponerem,     Quae  tarnen  notae ,  cum  non  instituti  mei 
fuissent,   quamquam  non  temere  j actus  ,  quasi  irrepsisse  put  es  velim. 
Jllud  enim  conse  c  u  turus  fu  i ,   ut  editio  haecce  et  minoris  quam 
princeps  ematur,   neque  talis  sitt  quae  nihil  nisi  integrum  editionis 
principis  contextum  exhibeat,   quaque  nulla  magis  esse  incommoda 
mihi  videatur  [qua —  videtur  wollte  er  Wohl  schreiben?  Doch 
der  Leser  stöfst  wohl  noch  öfter  an  diesem  Bruchstücke  der 
Vorrede  an],     Talern  enim  cui  aptam  esse  censeas  ?     Philologi  nimi- 
rum  quaerent,  quid  codicis  sitf  quid  Mali.     In  eo  namque  peccaoit 
Malus,  quod  sua  iis  quae  codicis  sunt ,   passim  intirmiscuit.  Tirones 
vero  ,  nec  non  cos ,  qui  res  potissimum  curant ,  oportet  exspectare  ,  do- 
nec  multorum  opera  in  his  fragmentis  consumpta  minus  mendoso  uti 
contextu  liceat. 

Die  Einrichtung  der  Ausgabe  ist  nun  folgende.  Jedes 
*  Kapitel  hat  eine  Ueberschrift  mit  Inhaltsangabe,  wo  seltsa- 
mer Weise  bei  jedem  Kapitel  die  Kapitelzahl  zweimal  steht, 
nämlich  vor  der  Inhaltsangabe  und  nach  derselben;  am  innern 
Rande  ist  das  Kapitel  in  Paragraphen  abgetheilt,  am  äuTsem 
stehen  die  Seitenzahlen  des  Manuscripts  aus  der  Mai'schen 
Ausgabe.  Unter  dem  Texte  ganz  kurze  Noten  ,  welche  zum 
Theil  v  die  verschiedene  Schreibung  der  Handschrift,  zum 
Theil  die  Sprache,  zum  Theil  die  Sache  betreffen.  Benutzt 
hat  er,  aulser  der  Ed.  Princ.  selbst,  die  Creuzersche  Recen- 
tion  des  Werkes  in  diesen  Jahrbüchern  1823.  No.  4  und  5, 
und  eine  in  der  Jenaischen  Litera^urzeitung.  Der  Text  ist 
hierund  da  verbessert,  und  die  Interpunction  häufig  berich- 
tigt, auch  ist  nicht  Alles,  was  A.  M.  aus  dem  Augustinus 
u.  A.  zwischen  den  Text  aufgenommen  hat,  von  Hrn.  Li.  auf- 
genommen worden,  z.  B.  1.  25.  am  Schlüsse,  wo  er  sagt: 
equidem  purgandum  Ciceronis  contextum  non  sine  causa  censui.  So  la- 
konisch sind  gewöhnlich  seine  Bemerkungen.  Ueber  die  Ver- 
dächtigung des  Somn.  Scip.  durch  einen  gewissen  Hyperkriti- 
ker,  wo  nicht  Afterkritiker  oder  Kritikaster  in  Seebode'* 
kritischer  Bibliothek  sagt  er  kein  Wort,  es  wäre  aber  auch  in 
dieser  Ausgabe  nicht  an  seiner  Stelle  gewesen.  Eine  aus- 
führliche Widerlegung  verdient  jenes  Geschreibe  selbst  in 
einer  gröfseren  kritischen  Ausgabe  nicht,  sondern  nur  eine 
kurze  Abfertigung.  Nach  jenen  dort  befolgten  Grundsätzen 
getrauen  wir  uns  dem  Cicero  z.  B.  einen  grofsen  Theil  det 
Werkes  de  Natura  Deorum,  ja  manchem  lebenden  Schrift- 
steller sein  von  ihm  selbst  herausgegebenes  Werk,  als  mit 


* 


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CUsero  de  RepubUca  ed.  Lehoer.  191 

seinen  übrigen  nicht  ganz  bannonirend  ,  als  unScht  und  ihm 
untergeschoben  zu  erweisen.  Doch  zurück  zu  unserer  Aus- 
gabe ,  aus  der  wir  noch  einige  Stellen  ausheben  und  mit  un« 
sern  Bemerkungen  begleiten  wollen,  da  sie  sehr  beachtet  und 
berücksichtigt  zu  werden  verdient,  und  Studirenden  beson- 
ders auch  schon  ihres  wohlfeilen  Preises  wegen  zu  empfehlen 
i«t.  L.  I.  2.  §.  6.  Quae  est  enim  istorum  oratio  tarn  exquisita. 
Das  ist  die  allein  richtige  Lesart  des  Codex  von  der  zweiten 
Hand,  die  A.  M.  in  den  \dd.  selbst  billigt,  ungeachtet  im 
Text  das  schlechte  quae  etenim  istorum  etc.  steht.  Hr.  L.  sagt 
von  dem  letztern:  quae  lectio  etsi  postponenda,  nihil  vitii  habet, 
Conf.  Liv.  XXI.  39.  Otium  etenim  ex  lahore ,  copia  ex  inopia 
....  corpora  varie  movebant.  Wenn  Hr.  L.  weiter  nicht» 
wollte,  als  beweisen,  dafs  etenim  an  der  zweiten  Stelle  stehen 
könne,  so  konnte  er  die  Beweise  näher  haben,  und  brauchte 
nicht  bis  zum  Livius  zu  gehen,  Cicero  Or.  pro  Coelio  III. 
sagt:  sunt  etenim  ista  maledicta  pervulgata  in  omnes.  Aber  er 
zeige  uns  einmal  einen  solchen  Fragesatz,  wie  das  quae  etenim 
etc.  wäre,  und  zwar  nicht  etwa  bei  Cicero,  sondern,  wenn 
er  einen  rindet,  auch  aus  einem  späteren  Schriftsteller.  1.  38. 
p.  99*  ed.  princ.  et  illud  oidere  st9  in  animis  hominum  regale  si 
imperium  sit.  Hier  haben  Einige  wohl  allzu  begierig  einen 
Beleg  zu  finden  geglaubt,  dafs  auch  Cicero  est  videre$  nach 
dem  Griechischen  *Vt<v  <3«7v,  wie  Gellius,  gesagt  habe.  Aber 
A.  M.  giebt  selbst  an ,  dafs  die  Handschrift  habe  videst  in  am- 
mt>f  welches  er  in  den  Add.  mit  Recht  in  vide  si  verwandeln, 
■und  dann  das  spätere  si  wegstreichen  beifst,  wie  auch  Hein- 
rich und  Schütz  gethan  haben,  und  in  dem  schönen  Heidel- 
-  lierger  Abdrucke  (bei  Groos  1823.  12.),  der  allen  andern 
Aloisen  Textesabdrücken  vorzuziehen  ist,  nicht  vergessen 
Wurde.  Hr.  L.  schreibt  et  illud  vide,  in  animis  —  regale  si  iro- 
perium  sit,  I.  4*«  hat  der  Codex  :  pectora  diu  tenet  desi» 
deriuntf  sicut  ait  Ennius ,  post  optimi  regis  obitum  ,  simul  int  er 
etc.  Im  Text  giebt  A.  M,  die  Worte  sicut  —  obitum  vor 
pectora;  und  diese  Wortstellung  behält  Hr.  L.  im  Texte,  po- 
lemisirt  aber  gegen  den  Gelehrten,  der  dem  Hrn.  A.  M.  dies 
zu  thun  gerathen  hat..  Lieber  hätte  er  die  Wortstellung  der 
Handschrift  geradezu  herstellen  sollen,  wie  A.  M.  in  den 
Verbesserungen  S.  336.  ausdrücklich  thun  beifst,  was  Hr.  L. 
Übersehen  hat.  II.  11.  ist  eine  kleine  Verwirrung.  A.  JYI. 
giebt:  set  a  vita  hominum  abhorrentem  et  a  moribus,  sagt  aber 
in  der  kritischen  Note,  der  Codex  habe  von  der  ersten  Hand 
amajoribusf    von  der  zweiten  moribus  ohne '  Träposicion. 


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192 


Cic.  de  Republica  ed.  Lehner. 


Hr.  L.  aber^  giebt  an ,  der  Codex  habe  von  der  ersten  Hand 
wie  die  Edi  princ.  a  moribus.  Dies  ist  falsch.  Aber  recht 
ist,  dafs  er,  wie  Heinrich,  das  a  wegläfst.  Ilf.  28.  hat 
Hr.  L.  anzugeben  vergessen,  dafs  die  Stelle  Cujus  etiam  focum 
etc.  aus  dem  Nonius  Marcellus  v.  apud  ist.  V.  5.  giebt  A.M. 
larum  Jamiliarum  nach  der  Handschrift,  sagt  aber  in  der  kriti- 
schen Note  nisi  mavis  familiarium.  Das  letztere  nimmt  Hr.  L., 
wie  billig,  auf,  sagt  aber  in  einer  Parenthese  in  der  Note 
dazu,  oppos.  deorum9  welcher  Parenthese  Sinn  schwer  ab- 
zusehen ist.  V.  7.  sagt  er,  das  Fragment  aus  Nonius  voc. 
contemtus  habe  er  in  der  Ernestischen  Ausgabe  nicht  gefun- 
den. Allein  es  steht  in  den  Fragmenten  des  ersten  Buches 
pag.  1149.  ed.  min.  VI.  12.  Die  berühmte  Stelle  im  Somrt. 
Scip.  ,  WO  die  alten  Codd.  haben  et  parum  rebus ,  audite  cetera  $ 
die  neueren  et  pax  sit  rebus ,  audite  cetera  haben,  giebt  Hr.  L. 
mit  A.  M.  nach  Bouhier:  et  parumper  audite  cetera.  Einfach  ist 
diese  Emendation,  und  giebt  einen  leichten  Sinn,  immer 
Jjesser,  als  wenn  man  nach  parum  rebus  eine  Aposiopese  statuirt, 
supplirend  animum  advertite ;  besser  auch,  als  das,  so  vielfach 
empfohlene  pax  sit  rebus,  wo  erstlich  das  sit  rebus  anstöfst  und 
nur  mit  Mühe  nach  dem  Beschwichtigungsrufe  pax  erklärt 
„  werden  kann;  zweitens  aber  das  pax  selbst  nach  der  Bitte: 
quaeso,  ne  me  ex  somno  cxcitetis,  seltsam  auffällt,  und  man  eher 
erwarten  sollte:  leniter  ärridens  Scipio ,  Pax,  inqait,  ne  me  e 
somno  excitetis.  Was  Cicero  geschrieben  hat,  möchte  schwer 
auszumitteln  seyn.  Schwerlich  bat  Heinrich  das  Wahre 
getroffen,  wenn  er  schreibt  et  rumpatis  visum;  das  Beste 
aber  hat  er  gewifs.  , 

Wir  brechen  hier  unsere  Bemerkungen  ab,  und  setzen 
nur  noch  hinzu,  dafs  wir  mehrere  recht  gute  Anmerkungen 
und  Vorschläge,  mit  denen  wir  übereinstimmen,  übergangen 
haben,  um  unsere  Anzeige  dieser  sehr  empfehlungswerthen 
Ausgabe  nicht  zu  sehr  auszudehnen. 


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«•  13.  1826, 

ß 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


1)  Memoire  sur  la  vie  et  hs  opinions  de  Laom  Ts  e  n ,  Philosophe 

Chinois  du  VI*  siecla  avant  notre  ere ,  oui  a  professe  les  opinions 
communement  attribue'cs  k  Pythagore  ,  a  Piaton  et  a  leurs  disci- 
plesy  par  M.  Abel  Rem-üsat.  A  Paris ,  de  V  imprimerie 
Royale.  1825.    54  S.  in  4, 

2)  Le  livre  des  recompenses  et  des  peines*   traduit  da  Chinois ,  aveo 

des  notes  et  des  e'claircissemens ,  par  iW,  Abel  Remusat , 
Docteur  en  medecine  de  la  Faeulte  de  Paris  ,  de  V  Jcademie  ilo- 
yale  des  Inscriptions  et  Beiles  Lettres ,  Lecteur  Royal  et  Pro/es- 
seur  de  Chinois  et  de  Tartare  Mandschou  au  College  Royal  de 
France.  A  Paris ,  che*  Antoino  Auguste  Renouard*  1816. 
79  S.  in  8. 

Wir  hoffen,  dafs  keinem  der  Leser  dieser  Anzeige  der 
Name  des  berühmten  Verfassers  dieser  Abhandlungen  unbe- 
kannt seyn  wird.  Er  gehört,  ohne  dafs  darüber  ein  Zweifel 
obwalten  könnte,  nicht  blos  zu  den  gelehrtesten  Orientalisten 
unserer  Zeit,  Sondern  auch  zu  den  geistreichsten  Geschichts* 
forschem  seines  Vaterlandes.  Da  es  ihm,  wie  jedem  ächten 
Gelehrten,  immer  Um  die  Sache,  nie  um  das  blos  Zufällige, 
was  herumliegt,  zu  thun  ist,  so  weifs  er  den  anscheinend 
trockenen  uncl  weniger  ergiebigen  Gegenständen  den  Geist  zu 
geben,  der  in  ihm  selbst  ist,  und  dessen  die  Sache  am  Ende 
nie  ermangelt,  wenn  man  ihn  nur  in  ihr  zu  findeh  Weifs. 
Wenn  wir  aus  der  Masse  der  Schriften,  durch  welche  der 
berühmte  Verfasser  eine  Zierde  der  Akademie  ist,  zu  der  er 
gehört,  die  obigen  Zwei  vorläufig  herausheben,  so  geschieht 
es  der  eigenen  besseren  Vertrautheit  mit  dem  Gegenstande 
halber,  nicht,  weil  sie  etwa  anderen,  denen  gleiches  Lob  zu- 
kommt, den  Vorrang  streitig  machen, 

I.  Der  Verfasser  sagt  im  Eingänge,  dafs  so  häufig  zwi- 
schen Gedanken,  die  im  Oriente  vorKommen,  Und  solchen, 
die  sich  der  Occideht  als  ihm  gehörig  vindicirt,  eine  Ueber» 
einstimmung  gefunden  Werde  ,  die  nicht  dem  hlöfsen  Zufall, 

XIX.  Jahrg.    2.  Heft*  "  13 


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194  Ab«l  RemuÄat  über  einige  chinesische  Werke* 

• 

dieser   schlechtesten  firklarungsWeiSe  ,    zuzuschreiben  sey* 
Findet  sich  solches  vor,  so  mufs  die  Sufsere  Kritik  zunächst 
daran  gehen,  und  Ursprung«  Alter  und  Atituen  ticität  unter- 
suchen.   Es  ist  den  Missionarien  in  Indien  und  China  oft  be- 
gegnet,   dafs  ein  aufseres  Zusammentreffen   mit  Satzungen 
christlicher  Dogmatik,  oder  europäischer  Philosophie,  ohne 
dafs  die  gewaltige  Kluft  des  Unterschiedes  festgehalten  wurde, 
zu  gewagten  Voraussetzungen  führte*     Diese  Missionarien 
haben  sich,   wenn  von  der  chinesischen  Gedankenwelt  die 
Hede  war,  zu  sehr  an  die  Schriften  des  Confucius  und  seiner 
Schüler  gehalten,  und  so  kam  es,  dafs  der  Philosoph,  von 
dem  hier  die  Rede  ist,  weniger  bekannt  geworden.  Li-eul 
öder  gewöhnlicher  Lao-tseu  lebte  im  Anfang  des  sechsten 
Jahrhunderts  vor  der  christlichen  Aera,  und  wird  noch  heute 
als  Erzvater  und  Reformator  der  Secte  Tao-sse  angesehen,  zu 
welcher  Alle  gehören,  die  weder  als  Gelehrte  art  Confucius 
noch  sonst  an  die  ans  Hindostan  stammende  Religion  des 
Buddha  sich  anschliefsen*    Laö-tseu  ist  nicht  blos  ein  von 
Confucius  seihst  zu  Rathe  gezogener  Philosoph,  er  ist  eine 
der  Manifestationen  der  höchsten  Vernunft,  welche  dieTao-sse 
göttlich  Verehren.     Dieser  doppelte  Character  uragiebt  Sein 
Leben  mit  einigem  Dunkel,  indem  die  Gelehrten  ihm  ein  blos 
gewöhnliches  Schicksal,  mit  nicht  herauszuhebenden  Particu- 
laritaten  verleihen,  die  eigene  Secte  dagegen  von  ihm  in  wun- 
derbarer Weise  spricht*     Dafs  seine  Existenz  historisch  un- 
bezweifelt  ist,  bezeugt,  aufser  seinen  Verhältnissen  zu  Con- 
fucius, der  Sse-ki  des  Sse-ma-tsian,  der  der  Herodot 
Cbina'a  geworden*     Nach  diesem  Wurde  Laö-tseu  gegen 
das  Ende  des  siebenten  Jahrhunderts  vor  Christi  Geburt  ge- 
boren, und  zwar  im  Flecken  Li ,   einem  Orte  dritter  Classe. 
Sein  Familienname  war  Li,  sein  persönlicher  Name  Eul, 
sein  Ehrenname  Pe-yang,  und  Sein  Titel  nach  dem  Tode 
Tan.    Am  Hofe  der  Tcheou  bekleidete  er  das  Amt  eines 
Historlographen.     Confucius  befragte  ihn  um  Ceremönien, 
jenem  Lebensprincip  der  Chinesen,   und  Lao-tseu  scheint 
ihm  Strafreden  wegen  seiner  übertriebenen  Anhänglichkeit  an 
das  Alte  gehalten  zu  haben.     Er  beschäftigte  sich  viel  mit 
«einem  Werke  Über  die  Vernunft  Und  Tugend ,  und  suchte 
sich  so  viel  als  möglich  Verborgen  zu  halten*    Doch  emigrirte 
er  aus  den  Staaten  der  Tcheou,  und  pttbUcirte  zwei  Theile 
seines  Werkes  in  mehr  als  achttausend  Worten,  worauf  er 
gänzlich  verschwand.     Dies  sind   die  einzig  historischen 
Nachrichten  über  ihn.     Des  Fabelhaften  giebt  es  dagegen 
mehr«    Seina  Mutter  soll  1ha  ein  und  achtzig  Jahrs  in  ihrem 


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Abel  Rcmusat  über  einige  chinesische  Werlte,  195 

Schoo  fse  getragen  haben  *  weswegen  erLao-tscu,  da*  greise 

Kind,  genannt  wird.  Nach  anderem  soll  er,  der  hier  Thai - 
cha n g-Lao ,ki un,  oder  der  altfcSehr  erhabene  Fürst ,  heifst* 
viele  Menschwerdungen  erfahren  haben".  Er  existirte,  heilst 
es  ,  von  Anfang  an ,  war  aber  noch  nicht  durch  den  Weg  der 
Geburten  gegangen;  es  ist  kein  Jahrhundert*  in  dem  er  sich 
nicht  gezeigt  hat,  und  zeigen  wird.  £Jacb  derselben  Tradi- 
tion wird  er  zuletzt*  nachdem  er  die  Barbaren  bekehrt  hat, 
Buddha*  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich*  dafs  die  Tao-ssc, 
die  indische  Vorstellungen  aufnahmen,  sie  nicht  besser  zu  den 
ihrigen  machen  konnten,  als  indem  sie  den  Buddha  in  eine 
der  Iucarnationen  ihres  Lad-  tseu  verwandelten.  Vielleicht, 
sind  auch  jedesmal "*  wenn  seine  Lehre  In  China  neu  auflebte 
und  Schwung  erhielt,  die  Häupter  der  Secte  als  er  selbst  an- 
gesehen worden  4  so  dafs  er  am  Eiide  mit  dem  ganzen  Reich- 
thum setner  Nachfolger  ängethan  erschien. 

Von  dem  Bache  des  Lad- tseu  über  Vernunft  und  Tugend 
sind  zwei  Ausgaben  auf  der  Königlichen  Bibliothek  zu  Paris  : 
die  erste  ist  von  1627<  in  zwei  Bünden  *  mit  den  Noten  und 
dem  Commentar  des  Kao  -  chou  -  tseu  von  Sou-men;  die  an- 
dere  Ausgabe  ist  in  der  Sammlung  der  Tseu*  das  heifst  der 
Philosophen,  die  vor  det  grofsen  Bücherverbrennung  lebten. 
Aufserdem  enthält  das  2lite  Buch  der  Bibliothek  des  Ma- 
tuan-liri  eihe  genaue  Notiz  über  neunzehn  Ansgaben  dieses 
Baches*  das  zu  den  fcings  oder  classischen  Grundbüchern  ge- 
hört (es  heilst  Tao-te-kin  g).  Es  ist  nicht  ausgemacht* 
al»er  wahrscheinlich t  dafs  der  Tao-te-king  dem  Schicksal 
Verbrannt  zu  werden  entging,  indem  Kaiser  Cbi-hrang-ti 
seihst  zu  den  Tao  -  sse  gehörte.  Das  Wort  Tao,  das  in  dem 
Suche  eine  so  wichtige  Holle  spielt,  heifst  ein  Weg,  einVer- 
Lindungsmittel  ^;  abgeleitet  daher <  Wortj  Vernunft,  Kopf, 
Anfang.  Die  Secte  Tao -sse  gebraucht  das  Wort  aber  im 
Sinne  der  Ürvernunft,  welche  die  Welt  geschaffen  hät  und  sie 
zusammenhält.  Daher  der  Name  Tad-sse*  Secte  des  Tao. 
XJeber  die  verschiedenartige  Bedeutung  des  Tao  sagt  Lao-tSeit 
im  Eingange  seines  Baches:  „Die  ursprüngliche  Vernunft 
kann  der  Vernunft  unterworfen  seyrt,  und  durch  Worte  aus- 
gedrückt werden  *  al»er  sie  bleibt  eine  übernatürliche  Ver- 
nunft.. Man  kann  ihr  einen  Namen  geben \  aber  er  ist  unaus- 
sprechbar. Ohne  Namen  ist  sie  das  rrincip  des  Himmels  und 
der  Erde*  mit  einem  Namen  ist  sie  die  Mutter  des  Univer* 
sums.  Man  mufs  leidenschaftslös  seyn*  um  ihre  Vortrefflich« 
keit  anzuschauen*,  mit  Leidenschaften  behaftet ,  würde  man 
«ur  ihre,*  Weniger  vollkommenen  Zustand  ^trachten.-  Herr 


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■ 


196  Abel  kemusat  uter  einige  chinesische  Werke. 

r         «   .  •  '  ....       . .  t\  '        •  • 

Hemusat  glaubt ,  dafs  diese  Uebersetzung  nicht  ganz  zurei- 
chend sey,   er  fügt  deswegen  eine  lateinische  Version  Li nzti , 
indem  er.  meint ,    die,  griechische  sey  vielleicht  die  einzige 
Sprache, rr  die.  für;  <^v  Uebersetzurig  genögen  könne.'  Tao 
entspreche  nämlich ganz  dem  griechischen  Acyo;,   dem  des 
PJaton  oder  des  Johannes,  so  wie  dem  aller  anderen  griechi- 
schen Philosophen.    Dafs  der  Tao  zugleich  einen  Namen  habe 
und  keinen  ,  linde  sic.b  auch  in  der  Philosophie  der  Platorii. 
jker^  jp  vpr  oder  nach.  Erschaffung  des  Universums  in  den 
heulen  Demiurgen  vor4,  uud  lasse  sich  mit  den  beiden  W elten 
vergleichen,   welche  die.  Philosophie  der  Barbaren  nach  Cle- 
.  mens  von  Alexandria  (Stroinata  1.  V.  ed.  Potter.  p.  702.  703.) 
anerkannte.     Die  ^Leidenschaftslosigkeit,   welche  man  nach 
Pythagoras  haben  mufste,  um  die  Harmonie  des  Universums 
zu  geniefsen  ,  treffe  auch  mit  der  leidenschaftslosen  Betrach- 
tung, des  Tao  zusammen.     Eine  andere  Stelle  des  Tao-king 
ist  nach  dem  Verfasser  ganz  mit  Platonischen  Vorstellungen 
jiibereinstimmend.    Es  ist  folgende  :   „Vor  der»  Chaos,  das 
„der  Geburt  des.Himmels  und  der  Erde  voranging,  war  ein 
M einziges  unendliches  und  verschwiegenes  Wesen,  unbeweg- 
lich und  immer  bändelnd,  ohne  sich  zu  verändern.  Man 
'„tann.es  als  die  Mutter  des  Universums  betrachten;  ich  weifs 
Mclen  Namen  nicht,  aber  ich  bezeichne  es  durch  den  Namen 
Vernunft.    Genöthigt  ihm  einen  Namen  zu  geben,  nenne  ich 
es   Gröfse,    Progression,   Entfernung,  Gegen- 
satz.   Es  giebt  in  der  Welt  vier  Gröfsen  :  die  Vernunft, 
„der  Himmel,  die  Erde,  der  König.    Der  Mensch  hat  sein 
„Muster  an  der  Erde,  die  Erde  am  Himmel,  der  Himmel  an 
„der  Vernunft,  die  Vernunft  in  sich  selbst.«     Herr  Remusat 
gesteht,  dafs  die  Hinzufügung  des  Königs  eine  originell  chi- 
nesische sey,  was  sich  auch  vielleicht  noch  von  Anderem  sagön 
läfst.    Der  Satz  des  Tao-king  :   „Die  Vernunft:  hat  eins  her- 
vorgebracht, eins  zwei,  zwei  drei,  und  drei  alle  Dinge««, 
läfst  sich  allerdings  auf  die  Lehre  des  Pythagoras  zurflekmt- 
.ren.    Die  Zahlenlehre  ist  bei  Lao-tseu  eine  einfache  Symbo- 
lik gewesen,   die  erst  späterhin  in  unendliche  Suhtilitäten 
Umgestaltet  worden  ist. 


9> 


tseu 


Eine  andere  Vergleich ung  bietet  folgende  Stelle  des  I»ao- 
dar:    „Der,  welchen  ihr  anschaut , ' /'aber  "nichr/^ehet, 
heifst  I,  der,  den  ihr  höret,  aber  nicht  verstehet,  heifst  W > 
J,   t*^*  .   ^       ^        •        *■  *  Wirst 

nddie 

im  uriiii'ic  um  um  mihi.-     u'  ii  j\finu3ciL  öiicnt  mu  uem  ih01 

ganz  eigentbümlicben  Scharfsinn  zu  zeigen ,  dafs  der  tri  gram- 


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Abel  R*Wfft        eWg.  cbiu?,I«,h,  Wprke.  197 

mflti.cb»  Name  I-U-.wei  da,  in  «o  yje]«n  Verwandlungen 

wiederkommende  jüdische  sey. 


die  Jjerr  nemusat  am  unae  aurwirtt.  ,  Uic  tteise  aes  A-iao-tseu 
fa.lljt  'später  aj[s  dje  Vollendung  seines  Werks;  aber  sollte  sie 
nicht dennpcb'  ein  Beweis  seyn.  dafs  Lao-tseu  gerade  seine 


Meinungen  ,aus  den  westlichen  Gerennen  hatte,  und  dafs  er 
spater  nur  diese  Heise  unternahm^  um  ihre,  (Quelle  weiter  zu 
verfolgen  (ß,  48.).  "  Auch  diese  Keisen,  auch  die  Verwand« 
lungen,  von  dene*n  ,d,ie  oecte  der  Tao-sse  spricht,  geben  ihm 
e|ne.  Äehnlicbieitmtt  fytbagoras  ,  dessen  Zeitgenosse  er  ohne« 
hin  nach  all'gerneinpr,  Annahme  war,  '  "fiier  k.önpte  man  t'reU 
lieh  den  bescheidenen  Einwurf  machen',  dafs  das5,  was  die 
Philosophie  überhaupt  unterscheidet,  nur  die  Form  derselben 
ist,  dafs  man  also  im  Grunde  nicht  dasselbe  in  zweien  Thilo* 
Sophien  aefunclenjiat.  wenn  man  einen  anscheinend  gleichen, 
Inhalt  sieht.  Dieser  Inhalt :  wird  durch  seine  Form  selbst  ein 
anderer;  man  braucht  liier  wohl  nur  an  die  indische  Trimurti 
und  an  die  christliche  Dreieinigkeit  zu  erinnern.  Doch  jst  es 
ein  grofses  Verdienst,  da«  Gleiche  in  Verschiedenem  auf» 

zuweisen.  % 

.,  ,  IL  Auch  dieses  Werk  gehört  der  3ecte  der  TTao-sse  an, 
"Voran  ^eht  eine  Vorrede  des  Kaisers  Chun-tcbi,  die  eigent«. 
lieh  für  eine  ganze.  Sammlung  von  moralischen  Büchern  be- 
&,tinimt  ist^  welche'aber  die  6ectirer  diesem  speciell  vorsetz« 
ten,  und  eine  andere  ■  des  chinesischen  Herausgebers.  Die 
Strafen  unä.Belohnungen  sind  wie  der  Schatten,  der  dem  Kör* 
per  folgt*  uq4  daher £anz  identisch  mit  ihm  ist.  Drei  Diener 
fühlen  die  Sunden  .oben ,  auf<er  denen ,  die  im  Kopfe  des 
Men sehen  aefbst  sind  :  ein  grobe«  Fehler  kostet  zwölf  Lebens- 
jahre, ein  kleiner  nur  hundert  Tage  (S,  22.).  Um  ein  Un- 
sterblicher; «des  äimmels  zu  seyn,  mufs  man  dreitausend  gute 
Handlungen  kegahgen  habe*,  um,  ein  Unsterblicher  der  Erde 
zu  seyn,  nux dreihundert.  Es  gehört  zu  den  Lastern,  nach 
Norden  zu  zu  spucken,  sich  zu  schneutzen,  zu  pissen,  oder 
ausschimpfen,,  «Parin  besteht  vielleicht  das  Unterscheidende 
der  chinesischen  Moral  und  jeder  andern.  Diejenigen,  die 
Moral  und  Religion  stets  für  eins  halten,  die  im  Christenthum 
nichts  Höheres  kennen  als  seine  Moral ,  können  aus  diesem 
Buche  lernen,  dafs  die  chinesische  Moralitiit  nicht  sehr  unter- 
geordnet ist,  und  dafs  daher  der  Vorzug  des  Christenthums 
wohl  in  etwas,  Anderem  liegen  mufs.    Man  kann  behaupten, 


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|98  EichhofF  Disputationes  HeraclHeae. 

olrne  paradox  zu  «eyri ,  die  Moralit  ut  ist  Überall  dieselbe.  In 
Clnna  ist  alles  moralisch, 

Herrn  Remusat  gebührt  das  eminente  Verdienst)  dafs  er 
nicht ,  wie  frühere  Gelehrte ,  im  Geheimnifs  der  chine- 
sischen Sprache  zu  seyn  vorgjebt ,  und  daher  auf  die  fast  un- 
mögliche Erlernung  derselben  gar  bescheidenllich  aufmerksam 
macht,  sondern  dafs  er  in  Schrift  und  Wort  behauptet ,  dieses 
Vorgeben  sey  Charlatanerie  und  Unwissenheit,  und  vielmehr 
zeigt,  wie  viel  leichter  sich  an  diese  Sprache  und  Literatur , 
als  fast  an  alle  anderen  orientalischen  herangehen  lasse.  Er 
rettet  dadurch  die  Würde  des  Gegenstandes,  dem  er  sein  Le- 
ben mit  grofser  Hingebung  gewidmet  hat;  denn  was  ein  nur 
Wenigen  enthüllbares  Geheimnifs  ist,  verliert  den  Character 
des  Wissenschaftlichen  und  des  Wissenswerthen, 

*     .  I  ■   j  •»  f,»»i«i  -    »  ■  i 

 t  •       •     •«     »  .    •    .    .      \  «.»•—. 

■  '  r. 

«/'       e  r    .1  :•»  ••/#.  U  .  . 

Disputati onas  Heracliteae,  Particula  prima ,  de  doctrinqe  lh~ 
racliteae  principiis ,  qua  ad  solcmnia  gymnasii  Crucenacensis  cele- 
L  ran  da  —  invitat  Theo  d.  Lud.  Eickhoffs  gymnasii  volle  ga, 
Moguntiue,  U(t.  Kupferberg.  1824,    20  $.  4.  maj,  ' 

Mit  Hinweisung  auf  Schleiermacher's  geschätzte  Unter- 
suchungen über  diesen  Gegenstand  (s.  Wulf 's  Museum  der 
Alterthums  Wissenschaft  Bd.  1.)  erklärt  der  Vf. ,  er  habe  sich 
nicht  befreunden  können  mit  der  Ansicht;  nach  welcher  der 
Heraclitische  Hauptgedanke  von  dem  beständigen  Fliefsen 
oder  der  immerwährenden  Bewegung  der  Dinge  vornehmlich 
durch  die  Anschauung  der  Natur,  und  aus  den  wahrgenom- 
menen Veränderungen  der  Aufsenwelt  »ich  solle  entwickelt 
haben;  und  meint  dagegen  in  den  ontologischen  Abstractionen 
der  Eleatiker  den  wahren  Anknüpfungspunkt  gefunden  zu  ba- 
ten für  die  Beurtheilung  der  Lehre  rleraclit*s?  indem  er  das 
allerschöpfende,  die  Verneinung  oder  das  Gegenteil  desSeyns 
ausschliefsende,  jede  nähere  Bestimmung  seines  Wesens  als 
eine  Einschränkung  *der  Realität  entfernende  Eins  des  Xeno- 
phanes  als  die  negative  Grundlage  derselben  betrachten  wilL 
Zur  Verdeutlichung  der  Lehrsätze  des  Xenophanes  fügt  pr: 
denselben  einige  dem  Inhalte  nach  ihnen  entsprechende  Verse 
des  Schülers  jenes  Philosophen ,  des  Farmenides  ,  bei ,  weither 
den  BegrifF  des  Einen  verlassend,  unmittelbar,  von  dem  Be- 
griffe des  Seyenden  ausgeht,  und  bei  welchem  der  trennende 
Gegensatz  des  Seyns  und  Nichtseyns  poch  schärfer  und  be. 
atimmter  als  bei  jeneni  hervortritt;  bemerkt  aber  zugleich, 


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Eickhoff  DiipuUtioncs  Beracliitae.  %99 

wie  die  Behauptungen  des  parmenides  von  Plato  widerlegt 
wurden  seyen,  Um  dieses  letztere  genauer  zu  zeigen»  hebt 
Er  die  Stellen  aus  Flatp's  Sophisten  aus ,  wo  in  der  l'armenu 
deischen  Einheit  des  Alls  das  Verhältnifs  eines  Ganzen  zu 
seinen  Thailen  nachgewiesen ,  und  wo  vermittelst  einer  Ana« 
lyse  des  BegriiFs  der  Verschiedenheit  gegen  Parmenides  darge» 
than  vvud  ,  wie  auqh  dem  Nichtseyeqden  (njtmlich  den  nega* 
tiven  Eigenschaften  der  Dinge)  ein  Seyn  zukomme  9  und  dem 
Seyenden  ein  (^ichtseyn  (negative  Bestimmungen);  erinnert 
sodann  an  die  damit  übereinstimmende  Dialektik  in  dem  Ge- 
spräche Parmenides  9  und  In  Ist  an  die  sich  widersprechenden 
Folgerungen,  mit  welchen  dieses  Gespräch  nicht  so  wohl  zu 
Ende  gebt,  als  abgebrochen  ist,  die  Vermittlung  und  Aus- 
gleichung des  Widerspruchs  sich  anreihen  durch  die  (von  einem 
weiter  liegenden  Standpunkte  aus  gefafste)  Idee  des  Seyen» 
den*  in  welcher  sich  alle  Gegensätze  durchdringen  und  eini- 
gen. Iii em u  ,  glaubt  ljr.  E.,  sey  die  Hicbtung  der  Specula- 
tion  angedeutet,  durch  welche  sich  aus  jenem  Einen  und  Seyn 
der  EJeatiker  der  demselben  entgegengesetzte  Begriff  entwickelt 
habe,  so  dafs  aus  diesem  die  vollendete  Idee  ufes  Seynf  ,  das 
fvrws  «Tva/  des  PlatQ,  habe  hervorgehen  können.  (Aus  diesem? 
etwa  dein  Begiiife  des  JNichtseyns  für  sich  gedacht?  Der  Sinn 
ist  Wohl  vielmehr ;  aus  diesem»  indem  er  mit  jenem  zusam- 
mengefa fs %  wurde  {  es  müfste  denn  vermöge  einer  uuwillkubr- 
liehen  Subreption  etwas  von  den  Lehrsätzen  der  neuesten  X'hi- 
Josophie,  wejehe  das  Absolute  aus  dein  ^Nichts  hervorgehen 
Iiiist,  hier  eingeflossen  seyn.)  Ehen  diese  von  l'lato  wissen- 
schaftlich  erkaunte  Wahrheit  nun,  «agt  der  V*rft  wiederein» 
lenkend  von  der  das  Spätere  vorausnehmenden  Digressiori 
ftber  die  alhnählige  Ausbildung  und  Vollendung  der  Ljehre  von; 
den  in  aie  Einheit  der  höchsten  Idee  sich  auflosenden  Gegen« 
Sätzen  |  —  eben  diese  Wahrheit  sey  schon  früher  von  dem 
tiefsinnigen  {leraclit  aufgefaßt,  und  in  einer  concretep,  oft 
bildlichen  Sprache  angedeutet  worden, 

Pa  der  Verf.  hier  die  Hauptaufgabe  der  Platonischen  Pia» 
Jektik»  wenn  auch  nur  im  VorheigeTien  t  berühre»  wollte,  so 
hätte  £r  nicht  unterlassen  sollen  ,  das  Verknüpf li ngsverhiiltnils 
der  Ideen  des  Seyns  und  des  Nicbtseyns  etwas  schärfer  zu  be- 
stimmen» die  Beziehungen  in  ihnen  kenntlich  zu  machen, 
durch  welche  der  Einigungspunkt  für  sie  gegeben  ist;  was  in 
wenigen  Worten  hätte  geschehen  können»  FlatQ  unterschei- 
det nJmJich  in  dem  Sophisten  t  wq  er  gewisse  Begriffe  mit  der 
Idee  de»  Seyenden,  der  des  Verschiedenen  u,  «.  w*  zusam- 
menhält, überall  sehr  genau  vqh  dem  wesentlich  Ein»  und  dal« 

> 


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200  Eicblioff  Disputatione*  Heracliteae. 

selbe  seyn  mit  einer  Idee  das  blofse  Theilhaben  (pnix*")  an 
einer  Idee  ;  und  weit  entfernt,  ein  unbestimmtes  Ineinander- 
aufgehen  der  Gegensätze  zu  beabsichtigen  ,  denkt  er  sich  viel- 
mehr die  negative  Seite  der  Dinge  dadurch,  dafs  er  auch  sie 
als  real  anerkennt,  als  von  dem  Urgründe  alles  Seyns  abhän- 
gig (als  theilhabend  an  der  Idee  des  Seyns),  ohne  Übrigens  das 
JDaseyn  derselben,  den  ihr  zukommenden  Charakter  der 
Wirklichkeit  mit  ihr  selbst  oder  ihrem  Wesen  zu 
verwechseln.  (Es  liefse  sich  hiermit  in  Verbindung  setzen, 
was  er  über  das  ^  %v  als  blofse  Verneinung  des  bestimmten 
Seyns,  und  als  das  materielle  Princfp  scheint  gelehrt  zu  ha- 
ben ;  8.  die  Anzeige  der  neuesten  Untersuchungen  von  Bran- 
dis in  diesen  Jahrbüchern  1824.  No.  53.). 

Däfs  Heraclit  von  den  Lehrsätzen   des  Xenophanes 
wohl  Kenntnifs  gehabt  haben  müsse,  wird  S.U.  aus  der  Art, 
wie  er  seiner  erwähnt,  gefolgert  (s.  das  Fragm.  bei  Diogen. 
Laerr.  1.  IX.  c.  1.  woXv/Jw$nj  vo'ov  oC  StSla^st.     Dieses,  setzt  er 
hinzu,  bewähre  sich  an  Pythagoras ,  Xenophanes  u.  a.).  Die 
Worte  Pbilo's  (cjuis  rer.  div.  haer.),   2v  yfy  To      dp$o?v  tw' 
^ja'jTiwvi  ou  t/z^ws;,  yvwgtixa  ra  svavriai  welehe  nach  dessen  An- 
gabe den  Hauptsatz  der  Philosophie  Heraclit's  ausmachen  sol- 
len,  werden  sodann  besonders  herausgehoben,   und  mit  der 
Stelle  awa-^stat  ouXa  k.  r.  X.  (bei  Stobäus,  Ecl.  phys.  I.  p.  690. 
Heeren,  und  bei  Aristoteles)  zusammengehalten.     Das  Wort 
ov\c$  wird  von  dem  Vf.  richtig  und  dem  Zusammenhange  ge- 
ihäfs,  mit  Rücksicht  auf  Sext.  Empir.  adv.  Mathem.  IX,  337» 
durch  integer,  totus  erklärt,   und  die  weniger  passende,  aus 
dem  Homerischen  Gebrauche  f#r  oAp/j  geschöpfte  Auslegungs- 
art beseitigt.     Die  von  Schleiermacher  ebendaselbst  als  eine 
andere  Heraclitische  Stelle  oder  ein  späterer  Zusatz  ausge- 
schiedenen Worte:  •*  vavra>v  *y  *ai     ivo;  leavra  betrachtet  Hr. 
E.  als  einen  integrirenden  Theil  des  Bruchstücks;  allein  Jsia 
können  nicht  füglich  von  ewatysta;  abhängen  ,  und  man  sieht 
leicht^  dafs  sie  durch  die  ihnen  vorstehende  Partikel  na)  als 
ein  zweites  Allegat  an  die  vorher  angeführte  sinnverwandte 
Stelle  blofs  angeknüpft  sind.   Uebrigens  weifs  der  Vf.  die  we- 
nigen Zeugnisse  und  Fragmente  geschickt  zu  verbinden  ,  M 
welchen  von  dem  J»>  die  Rede  ist ,  wiewohl  die  neuesten  Aus- 
leger derselben  diesen    Eleatisch  -  dialektischen ,   an  spätere 
Schulterminologie  erinnernden  Ausdruck  nicht  für  den  von 
Heraclit  selbst  gebrauchten  wollen  gelten  lassen,  Amiängsten 
verweilt  Er  bei  der  hieher  gehörenden  Stelle  Piaton,  Conviv. 
j>,  187 1  wo  Ery*im,acbus  sagt;  T$  fr  yd^v^t  (sc. 'H^hA««»') 


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EichliofF  Disputatioues  Herucliiea« . 


wo  Kr  das  bezweifelte  T3%  ;v  gegen  ScbJeieruiacber  und  Ast  in 
Schutz  nimmt.  „Luce  clariora«  möchte  Ref.  diese  Worte  He* 
raclit's  auch  nach  dem  Auslegungsversuch  des  Hrn.  E.  schon 
deswegen  nicht  nennen,  weil  bei  dem  Bogen  das  intendi  *t  r«- 
laxari  oder  der  motus  in  contrarias  partes  wohl  nur  mit  Noth  ein 
solches  Verbältnils  hervorbringt,  welches  man  eine  Harmonie 
nennen  möchte.  Hr.  E.  übersetzt  die  Stelle  durch:  unum ,  a 
so  ipso  dissidehs  in. Concor diam  redire  ut  harmoniam  etc.  Das  Eins,' 
so  erklärt  Er  diesen  Gedanken,  das. Eins  inufs  sich  erst  mit? 
sich  selbst  entzweien,  nach  entgegengesetzten  Richtungen  hin 
(gleichsam)  auseinandergehen  ,  damit  sodann  dem  Streite  die 
Versöhnung  folgen,  und  Harmonie  entstehen  könne.  Um 
dem  Einwurfe,  daffl  die  Verbindung  der  Wörter  Sv  und  *uf*<ltf- 
q*79ou  einen  tautologischen  Satz  hervorbringe,  zu  begegnen-, 
bezeichnet  er  das  »y  als  das  in  dieser  Theorie  dem  Eleatischen« 
Einen  am  meisten  entsprechende  Eins  (unum  ,  quod  Eleäticorum 
dicas)9  welches  von  dem  <rv/x$«£ o/xsvsv ,  dem  aus  der  Versöhnung 
des  Entgegengesetzten  entstandenen  Einen ,  wohl  zu  unter- 
scheiden sey.  JDas  3v  der  Eleatiker  an  und  für  sich  nennt  Er 
ein  lebloses  Abstractum  (exanime),  und  berührt  hier  eine  Aeus- 
serung  Heraclifs  (Simplic.  in  Aristot.  Fraedic.  f.  104;  in 
welcher  er  den  Gedanken  ausgedrückt  findet  ,  dafs,  wenn  die- 
ses—  das  '«',,  wie  es  von  den  -Eleatikern  gedacht  ward  *~ 
wirklich  wäre  (wenn  die  Zwietracht  aufhörte ,  sagt  Hera- 
clit  mit  Beziehung,  auf  einen  Homerischen  Vers),  AHös  Bir 
Grunde  gehen  würde.  An  die  Stelle  jenes  ungenügenden  Be- 
griffs von  dem  Einen  nun  soll  Heraclit  den  verwandten  rich- 
tigeren gesetzt  haben  ,  nach  welchem  es  wesentlich  eine  Ein- 
heit vonTheilen,  mithin  der  Gegensatz  in  ihm  schon  gegeben 
sey,  aus  welchem  sich  der  Streit  oder  die  Zwietracht  ent- 
wickeln könne.  Der  Verf.  berührt  hierauf  noch  einige  Zeug- 
nisse der  Alten,  die  uns  zum  Theil  erkennen  oder  errathen 
lassen,  in  welchem  Sinne  Heraclit  die  Idee  des  Streits  und 
der  aus  ihm  entspringenden  Harmonie  zum  Grundgesetze  der 
Natur  gemacht ,  und  wie  er  auch  in  dem  Menschen  dasselbigö 
Gesetz  wiedergefunden  habe.  Doch  die  ausführlichere  Erör- 
terung der  Lehre  von  der  Harmonie  der  Natur  wii*d'  folgenden 
Abhandlungen  vorbehalten,  wo  denn  freilich  die  hier  vor- 
erst nur  zurückgeschobenen  Zeugnisse,  die  der  ganzen  onto- 
logisirenden  Ansicht  und  Betrachtungsweise  des  Hrn.  E.  am 
wenigsten  günstig  sind,  Ihm  zunächst  wieder  entgegentreten 
werden.    Dahin  gehören  vornehmlich  die  klaren  und  unzwei- 


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m Eichhoff  Disuütationes  Heracüleae. 

deutigen  Stellen  Platonischer  Dialogen,  welche  uns  das:  $T/ 
wavTa  ^tpfei  xai  ou'3tw  se^et «  die  Idee  des  absoluten  Werdens,  &U 
den  Grundgedanken  der  Heracli tischen  Philosophie  betrachten 
lehren.  S.  Cratyl.  p.  402.  (dafs  es  dem  Vi.  nicht  leicht  seyn 
werde,  mit  dieser  Stelle  aus  dem  Streit  zum  Frieden  zu  kom- 
men ,  läfst  uns  der  jNothbehelf  vermuthen  ,  zu  welchem  die 
8.  20.  durch  auszeichnende  Oettern  hervorgehobenen  Worte : 
v  rf{ir«feuvwO^0{  'XIhWv  uf  s.  w.  scheinen  die  I^and  bieten  zu 

Böllen.)  Ferner  The<icut.  p.  160,  wo  der  Heraclitische  Satz, 
dal«  Alks  sich  wie  im  Strome  bewege,  mit  der  Behauptung, 
dai's  die  Erkenntnifs  nichts  anderes  als  Wahrnehmung  sey, 
zusammengestellt,  und  diese  Behauptung  als  eine  Folge  des- 
selben betrachtet  wird.  —  Der  Satz,  dafs  „AUes  sey  und 
auch  nicht  sey«  (Aristot.  Metaph.  III.  c,  7.  c£  c.  3f  und  4.) , 
ist  wohl  eines  von  jenen  r2thselbaften  Sprüchlein,  welche 
die  Schüler  lleraclit's,  wenn  man  sie  etwas  fragte,  gleichkam 
aus  dem  Köcher  hervorzuziehen  und  abzuschiefsen  pflegten 

Si.  Pitt.  Theaet.  pag.  180.),  und  läfst  sich  mit'der  Lehre  von 
em  nie  stillstehenden  Eutwicke]ungsprocesse  der  Natur,  wo- 
bei die  verschiedenen  Gestaltungen  der  Dinge  doch  sämmtlich 
als  von  der  ersten  Grundgestalt  nach  und  nach  ausgegangen 
und  in  stete  erneuertem  Kreisläufe  wieder  auf  dieselbe  zu- 
rückführend vorgestellt  werden  ,  gans  gut  vereinigen,  Hr.  E, 
aber  scheint  etwas  weit  Höheres  die  bejiebte  Lehre  von 
der  Indifferenz  der  Gegensätze  ,  in  dem  Sinne,  wie  sie  oben 
von  Ihm  dem  PJatQ  geliehen  wurde  in  diesen  Worten  aus- 
gedrückt zu  finden,  weil  sie  Ihn  zu  dem  Ausspruche  veranlas- 
sen, auch  das  Erhabenste  sey  dem  natürlichen  Scharfblicke 
lleraclit's  nicht  unerreichbar  gewesen,  —  Für  die  Erinnerung 
an  Sext.  Empir.  ado.  Math»,  1.  A.  pag.  669.  Fabric.  e$i*a  /xtv  oCv 
V\ä^sv  aTycw  XZ0V0V  Aiv*jer/$jj/uio$  h«t4  rlv.  'HfaxAwrov?  //»j  &<4>*£«v 
yaL$  epirbv,  (nicht  au  1-3  u)  toZ  ovtq$  nat  rou  vpuToxj  caijjiaTo;,  ist  lief, 
dem  V£  dankbar,  kann  aber  die  von  Ihm  beigefügte  Erklü- 
*ung;  „Tempus  nqn  differre  a  prima  et  summa  CQrporum  for- 
ma* nicht  ganz  treffend  finden,  wenn  der  Heraclitische  Ge- 
danke dadurch  sublimirt ,  und  ihm  mehr  als  eine  sehr  entfernte 
Verwandtschaft  mit  dem,  was  Neuere  über  die  Idealität  der 
Zeit  gedacht  und  erkannt  haben ,  zugeschrieben  werden  soll. 
Würde  nicht  die  Auffassung  der  Zeit  als  Form  der  Körper 
eine  Sonderung  der  Begriffe  voraussetzen ,  nach  welcher  die 
Zeit  zuyörderst  als  ein  vom  Körper  selbst  Verschiedenes,  ei" 
ärwparov,  müfste  gedacht  seyn  ?  Und  wie  weit  ist  nicht  von 
der  Vorstellung  eine«  Unteir  jeriisben  überhaupt  noch  entfernt, 


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Francisen  Harnspices.  20 3 

wer  die  Qualitäten  der  Seele  nach  dem  Grade  ihres  Antbeils 
an  dem  trockenen  Dunste  bestimmt !  —  Wenn  bei  Heraclit 
die  Zeit  mit  dem  ersten  Kflrper  in  Eine  Vorstellung  zusammen- 
liefst, so  bezieht;  sich  dieses  wohl  darauf,  dals  in  seiner  phy- 
sischen Verwandlungstheorie  das  Vergehen  und  die  Wieder- 
erzeugung des  Feuers  die  beiden  iTurchgangspunkte  sind, 
nach  welchen  sich  der  ganze  Cycius  der  Naturveränderungen 
bestimmt)  und  die  Dauer  ihrer  regelmässigen  Stufenfolge  sich 
ahm i Ist  und  begr3nzt» 

Der  Unterzeichnete  bat  bei  Gelegenheit  der  ihm  aufgetra- 
genen Anzeige  dieser  kleinen  Schrift  eine  mit  dem  Zeitge- 
schmacke und  modernen  Schuhneinungen  in  Berührung  ste- 
hende falsche  Richtung  der  philosophischen  Alterlhumsfoi"- 
schung  bestimmt  charakterisiren  zu  müssen  geglaubt,  ist  aher 
nichtsdestoweniger  überzeugt,  dafs  Hr.  E.  durch  fortgesetzte 
Bemühungen  zur  Aufhellung  des  dunkeln  Ileraclit  manches 
wird  beitragen  können,  wenn  Er  dabei  von  anderen  Grund- 
begriffen ausgehen,  und  durch  eine  allseitigere  Auflassung 
seines  Gegenstandes  das  zu  bethütigen  suchen  wird,  was  der 
feine  kritische  Takt  seines  Vorgängers  als  die  Gabe,  „aus  ab« 
gerissenen  Theilen  sich  das  Bild  eines  Ganzen  zusaramenzu* ' 
fetzen«,  bezeichnet  ba& 

L  f  w  ml  d. 


- 


HttrnspUes.    Scrlpsit  Dr.  Petrus  Frandsen,  Danas.  Berolini, 
'  MDCCCXXUL  In  libraria  Maureriamt.  XU  u.  59  S.  8.     8  Gr. 

i  «  »  «  •      m      i  j  # 

Hinter  dem  nicht  sehr  Lateinischen  Titel  dieser  Schrift 
folgt  eine  auch  nicht  sehr  Lateinische,  aber  gute  Abhandlung 
über  einen  Gegenstand,  4en  selbst  die  neuesten  Herausgeber 
des  Cic  de  I^egg.  für  noch  unentschieden  erklärt  haben.  Die 
Sache  scheint  durch  die  Bemühung  des  Hrn.  Fr,  der  Entschei- 
dung riüher  gebracht,  «ojlte  auch  nicht  jede  einzelne  Erklärung 
gebilligt  werden  können ,  Einiges  auch  zur  völligen  Erschöpfung 
des  Gegenstandes  vermüst  werden.  —  Die >  Prohgo mena  enthal- 
ten querst  eine  Definition  der  Harusphina.  :  Sie  sey,  heifst  es, 
ini  engern  und  ursprünglichen  Sinne  e  aictimarum  extis  futura 
cognosceridi  ars ,  im  weitern  umfasse  sie  prodigiorum  quoque  etfuU 
gürum  interpretationein  atquf  procurationem*  Was  man  sonst  noch 
dazu  gerechnet  habe,  beruhe  auf  keinem  sichern  Grunde.  Er, 

4er  V*i  f  W*     4«  Y9r|i«n4eneo  Lehrbüchern  der  Ro> 


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204.  Frandsen  Haruspjces. 

■ 

raiscb^  Alterthflmer  oder  in  den  Abhandlungen  über  sie  nur 
ungerichtete  Materialien  und  Verwirrung  gefunden,  und  sich 
deswegen  an  die  Quellen. ^tyrt  g*m*cht  ;  eine  nicht  geringe, 
Mühe,  da  kein  kleinerer  ^eitramfc  ,ajs4, yon,  Enni.ua  >is  auf, 
Ibeodosius  zu  durchlaufen; gewesen  sey.  „  jm  ersten  Buche 
handelt  er  nun  de  ortu  etxc>ri*ineh«TusFieinag.9  im  zweiten,  quo- 
modo  ea  Romao  et  quanda  adhfbjt*  sU.^,  ..'»!* 

^praus  gehen  Bemer*Mngen  föef  die  AJigemeinbeit  der" 
Divination  hei  allen  Völkern,  eine  unmittelbare Folge, cW  All- 
gemeinheit der  W/g?pn*ju^  s^  an- 
St    ^4e^  fDann          ^ .Verbreitung,  fcr, 

ganz  kurz,    Ein  ausführliches  Capae*  darüber  ;bat.£ e*ce*us, 

AnTt  ift •  £7T£  -  C5ervestae^^9lftl)p3, 

4.7Ä  ioll.)  io  .  203  bis  227,  :Vorzü&Uch0:Ausbildun& 
rvp«ina.in  htrunen   .woher  sie  au^  i*i  den  Römern  ^  *Ä 
^««aWma  hiefs  ,  a.usrdem  Nati9na^r,ak|ter .  dei ,  tfolfcf 
seiner  feudal  Verfassung  und  seinen,  ^schu^g  aus  .Örientaji-, 
sc^em^ und  Griecbischein  Clement  hergeleitet^,  jedqch  , mehr  an- 
gedeutet, als  erklärt.     Eigene  Biidungstsqhu)en  für  dieSöhne: 
der ^uWen  Stände   ^amit,  die  alte  Cultur  und  die  geheimen 
Wissenschaften  nicht  untergehen,  verglichen, mit  den  P*Q»be- 
tenschulen  der  Juden,  und  den  Druidenschulen  der  'Gaffier. 
<  Ueber  die  letzteren  sind  die  Quellen  nachgewiesen  in  J.  G. 
Frickii  Diss.  de  Druidis  Occidentalium  populorum  Philosophis.  4. 
Ulm.  173l.)  —   Tages,  als  von  den  Etruriern  angegebener 
Erfinder^ dieser  Kunst  und der. ?ücber,,  in.  denen  s,>  en^al^i 
war.     Die  ,]ibn  hamspicini9fu^Us.^  duales :  wovon  die 
letzteren  wahrscheinlich  vorzüglich  prodigiorum  quoque  interpre- 
tandqrum  procurandpturnque  artem   engten!  Jwiben,   -  Jfrffphnt 
werden  aulserdem  Etrurische  übri  fatales  y  Uhr*  Tarqukißw*  IM' 
Mhtruniici,  wenn  der  letztere  Name  nicht  etwa  Ammici 
muls  ,  von  Muni. einem  Etrurischen  nomen.  proprium  s/ijüfr 
Tarqußtißfti  vpn  Z+qu&us.    Beides  hat  viel        sich,  ,u«4  Wf? 
Wagen  keine  Entscheidung.         Ueber  den  iNamea  und  dessen» 
Schreibung,  Arutpicet  ?oder  Haruspices';   für  jeöea  spreche  ein  . 
alter. Scholiast  (den  Hr.  Fr,-  weiter, nicht  angabt) „d«x  den:N^» 
inen  von  ara,  Altar,  herzuleiten  scheint,  ^ft,*r  ib*^«™'^. 
Ubersetze,  pnopterea  quod  hostiam  in  am  inspianent.  ,  Diebes  Qljiem 
cbische  Wort,  sagt  Hr.  Fr.,   habe  er  nirgends  und  niemals 
gelesen.    Das  Wort.steht  freilich  weder  bei  Schneider,  upfib- 
hei, seinen  \ennehrern  und  Excer^toreoi^  ^a,Uer  j^4em  suk 
Uw.  Steph.  Thctaw.  Ling.  Or.  gehöreöde»  Wvkp  y  ;Gf<w*ri* 


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Fraadien  IläTuspicci.  205 

« 

t '  »    •    •  / 

tJuo  6  situ  vetuseatis  erüta ,  ad  utriusqae  Lingua»  eognhionem  et  locu- 

"■pletatiönem  perutilid.  fbl.  Paris.  Anno 1573.  excadebat  Heitr,  Steph, 
^S.  darüber  Brunet  Manuel  du  Libraire  V.  Stephanus  ,  und  Cu- 
saubon.  ad  Theophrast.  Charact.  p.  48  ed.  Needhum.,  wo  sie 

'nunqOam  satis  laudaius  Uber  genannt  werden.]  Da  steht  S.  23. 
(falsch  ist  über  der  Columne  19.)  Aruspicts,  ßwfxs<TKoxot9  Arw 
spexy  ßaj[xo<Txoico;i  Sutyq.  S.  J  06.  *  Hariolus ,  ßu.txoa-y.o-ro;  ,  tyoißtTyi 
(welches  Schneider  im  Lexic.  q>0//3>yT>/;  gelesen  wissen  will.) 
Ebend.  aber:  Haruspex^  Sur^,  /i^ojtxsVo;  ;  endlich  S.  322.  steht 
bei  Haruspex  cvXay-yvccy.oicoi,  Vergl.  auch  Eschenbach.  Diss. 
acadd.  p.  554.  VVir  wollen  flbrigdns  auf  die  Etymologie  von 
ara  nicht  dringen,  sondern  halten  die  Schreibung  des  Wortes 
mit  Jf  für  besser,  und  die  Ableitung  von  foeffxo«v$  für  sehr 
wahrscheinlich.  —  So  viel  über  den  ersten  Theil  der  Schrift, 
welcher  aufser  der  Einschränkung  der  hdruspicina  in  den  ihr 

-gehörigen  Wirkungskreis  weiter  nichts  Besonderes,  Eigen- 
tümliches oder  Tiefgeschöpftes  enthält.  Jene  Einschränkung 
auf  exta,  fulgura  und  ostenta  giebt  Cicero  selbst  an  die  Hand 
de  Divin.  II.  18.  prc.  II.  22.  prc. 

Es  folgt  der  zweite,  ausführlichere  und  bedeutendere 
Theil  der  Schrift.  Zuerst  von  der  engen  Verbindung  des 
politischen  Lebens  der  Römer  mit  der  Religion.  Früher  Ein- 
gang ,  den  Etrurische  Cultur  Und  Sitten  in  Rom  gefunden. 
Das  eollegium  haruspicum  des  Romulus  auf  ein  Zeugnifs  bei 
Dionysius  von  Halikarnafs  hin  anzunehmen,  ist  nicht  räth- 
]icb.  Unter  den  Kaisern  freilich  existirte  eins:  aber  die  Ael- 
teren  und  Neueren  haben  häufig  die  Zeiten  vermischt.  Eins 

'ist  man  darüber  ,  dafs  die  Haruspicina  eine  Etrurische  Kunst 
•ey,  dafs  sie  in  Etrurischen  Büchern  enthalten  gewesen,  und 

'in  gewissen  Familien  dort  fortgepflanzt  worden  sey.  Aber 
ob  die  Etrurier  allein,  oder  auch  Römische  Bürger 
in  Rom  diese  Kunst  verstanden  und  geübt  haben,  das  ist  die 
Hauptfrage  und  der  Gegenstand  des  Streites.  Das  Letztere 
galt  Jange  für  ausgemacht,  und  wurde  immer  mit  Stellen  aus 
Cicero,  Valerius  Maximus  und  Livius  bewiesen;  das  Erstere 
behauptet  Hr.  Fr.  ,  und  sucht  von  S.  17.  an  darzuthun : 
Omnes  haruspiees ,  dt  quorum  origine  aliquid  e/fiei  potest  ,  Etruscos 
ftdsse.    Wir  treten  «einem  Resultat  bei,  ohne  alle  seine  Be- 

'  weise  zu  billigen.  Zuvörderst  xnufs  aber  erwähnt  werden, 
dafs  schon  Görenz  zum  Cicero  de  Legg.  II.  9.  erklärt  hat, 

'dafs  die  genannte  Stelle  durchaus  nur  Etrurische  Haruspiees 

J  mtnneXEtruriaeque  prineipts  disciplinam  docento) ,  nicht  aber  von 
llömersöhnen  (ut  mitere,  setzt  Hr.  G.  in  «einem  wunder- 


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206  Fransen  Harospices. 

* 

liehen  Notenlatein  hinzu  |  tnulti  statuum)  die  Rede  sey.  Diese 
unbewiesen  hingeworfene  Bemerkung  machte  dem  Ilm.  Fr. 
Muth,  den  Beweis  für  einen  Satz  aufzusuchen,  dessen  Wahr- 
heit er  ahnete«  dem  jedoch  klare  Zeugnisse  der  Alten  zu 
widersprechen  schienen.  Dafs  übrigens  nur  Etrurier,  und 
kein  Komischer  Bürger,  Haruspices  gewesen,  diesen  Satz 
hat  schon  gegen  Nieupoort  der  Sehr  gründliche  und  nicht 
genug  bekannte  Ha y  mann  in  seinen  Anmerkungen  über 
Nieupoorts  Handbuch  der  Hämischen  AUerthüiner  (Dresden, 
1786.  8.)  S.  79.  bestimmt  behauptet,  welcher  auch  zeigt, 
„dafs  sie  aus  Etrurien  Verlangt  wurden,  Wenn  man  sie 
„brauchte,  bis  man  sie  endlich  zu  Horn  stets  vor  rathig 
„hatte."  Doch  wir  kehren  zu  Hrn.  Fr*  zurück«,  welcher  diu 
.  Wahrheit  auf  folgendem  Wege  suchte.  Er  untersuchte  die 
Namen  der  Männer,  welche  in  der  Geschichte  Horns  als  Ha- 
ruspices  vorkommen,  und  fand*  dafs  keiner  uns  nöthige,  be- 
stimmt in  ihm  einen  Hömernamen  und  gehornen  Römischen 
Bürger  zu  erkennen.  Er  fand  bei  Diodor.  Sic.  V*  40.  da» 
bestimmte  Zeugnifs,  dafs  die  »östentorum  interpretes c«  immer 
aus  Etrurien  seyen  geholt  worden.  Er  liest  bei  Cicero  de 
Legg.  II.  9.  Etruscos  Haruspices  (für  Ltruscos  et  Haruspices)  mit 
Muretus,  Davisius,  Gmenz,  Schütz  und  den  neuesten  Her- 
ausgebern, Darauf  kommt  er  auf  die  Stelle  Cic.  de  Divin*  I. 
41.  Zusprechen:  „ut  de  prineipum  fdüs  sex  singulis  Etruriae  po* 
»pulis  in  diseiplinam  tradetentur«  —  Vergl.  mit  V  aler.  Max.  I.  J. 
»ur  e  florentissima  tum  et  opulentissima  civilate  deceM  prineipum  fdii 
^  Senat us  Consulto  singulis  Etruriae  populis  percipientlae  sacrurum 
„diseiplinae  gratia  tradereritur."  Nach  einigen  Erörterungen 
Uber  die  nicht  zutreiFenden  Zahlen  wirft  er  die  Frage  auf, 
wer  denn  die  prineipum  filii  gewesen  seyen.  Er  will  durchaus 
Etrurier  haben  i  und  dreht  an  der  Stelle  so  lange*  bis  er  fin- 
det,  dafs  SiHgulis  Etruriae  populis  der  üalivus  Oraecus  ist  für  a 
singulis  Etruriae  populis  ;  und  dann  bringt  er  zum  Beweise  eine 
Anzahl  Stellen  aus  Cicero  vor*  wie*  Folgende :  Honesta  bonis 
viris  ,  non  occulta  quaerüntur.  Da  liel  uns.  das  französische 
Sprüchwort  ein  :  il  est  au  bout  de  son  Latin  ,  welches  hier  aber 
buchstäblich  zu  verstehen  ist.  Es  ist  ihm  zwar  selbst  nicht 
recht  wohl  bei  seiner  Verrauthung*  denn  er  fagt :  exemplum 
vocabuli  t rädere  in  promptü  quidem  non  hubeo.  Aber  der  Muth 
kommt  ihm  gleich  wieder*  denn  erfährt  fort:  atqui  nulld  mihi 
incessit  libido  nodum  in  seirpo  quaerendi.  Und  döch  war  Bedenk- 
lichkeit  hier  gerade  an  det  rechten  Stelle,  Nicht  nut  nicht 
in  promptu  ist  ein  Beispiel,  wo  Cicetö  uudiiui  mit  deatDati* 


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Frandsen  Ha  ru  spieet  207 

statt  ab  eo  gesetzt  hätte,  sondern  es  gieht  gar  keins ,  und  kann 
keins  gehen.  Denn  derselbe  Cicero  ,  der  Tuscul.  III,  1.  2- 
demum  magistris  tradiii  sutnus  gesagt  bat,  und  in  Verr,  II,  1,  45- 
115*  adolescente»  ei  (Dat.)  in  disciplinam  traditi ,  derselbe  ,  der  die 
Klarheit  des  Ausdrucks  so  sehr  lieht ,  und  der  Unklarheit  und 
dem  Doppelsinn  So  ahhold  ist,  kann  nicht  sagen  ut  Etruriae 
populis  in  disciplinam  traderentur  für  ab  Etruriae  populis.  Die 
Stelle  läfst  sich  durch  hlofse  Interpretation  nicht  mit  der 
Wahrheit  in  Harmonie  bringen,  lief,  wird  sich  in  seiner 
bald  erscheinenden  Bearbeitung  der  Bricher  de  Divinatione 
umständlicher  hierüber  erklären.  Mit  Hrn.  Frs.  ürtheil  über 
den  Valerius  Maximus ,  dafs  nämlich  dieser  den  Cicero  mifs- 
ver standen  habe,  können  wir  uns  nicht  recht  befreunden. 
Nicht  als  ob  wir  läugnen  wollten,  dafs  ein  Homer  den  an- 
dern ,  und  wäre  er  auch  fast  dessen  Zeitgenosse  (da  Valerius 
Maximus  unter  dein  TiberiuS  lebte),  in ils verstehen  könne: 
sehen  wir  doch  täglich ,  wie  unsere  Zeitgenossen  einander 
aus  allerlei  Ursachen  mifsverstehen.  Aber  das  scheint  uns 
seltsam,  dafs  dem  Valerius  Maximus,  gesetzt,  er  hätte  auch 
den  Cicero  mifsverstanden  ,  die  Sache  selbst,  wie  sie 
sich  wirklich  verhielt  oder  verhalten  hatte  ,  sollte  unbekannt 
gewesen  seyn,  Den  Beweis,  den  man  für  Kömische  Harn- 
spices  im  Livius  (IX«  36.)  hat  (Inden  wollen,  beseitigt  Hr. 
I  r.  dadurch  ,  dafs  er  sagt,  Etruscis  literis  eruditus  müsse  man 
gar  nicht  nothwendig  von  der  Haruspicina  verstehen.  Und 
darin  geben  wir  ihm  Recht;  io  wie  auch  in  dem  Functe,  dafs 
man  selbst  zugeben  könne,  dafs  Homer,  nämlich  Einzelne, 
diese  Kunst  gelernt  und  verstanden  haben,  ohne  dafs  daraus 
folge,  dafs  sie  dieselbe  auch  ausgeübt  haben,  oder  wirkliche 
Haruspices  gewesen  Seyen,  Nie  also  —  und  das  ist  ein 
Hauptsat«  des  Verf.  —  haben  zur  Zeit  jler  Republik  Römer 
die  Haruspicina  ausgeübt,  jedesmal  wurden  sie,  wenn  man 
sie  brauchte,  aus  Etrurien  nach  Rom  berufen.  Die  Haruspi- 
ces waren  keine  Priester«  Manche  Frodigia  konnten  die  l'on- 
tifices  deuten  und  (dies  ist  bekanntlich  der  Kunstausdruck) 
procurare }  bei  andern  Wurden  die  Sibyllinischen  Bücher  ein- 

S sehen;  Wo  dies  nicht  zuzureichen  schien,  liefs  man  die 
aruspices  holen»  und  zwar  ursprünglich  immer  nur  für  öf- 
fentliche Angelegenheiten.  Ihre  Antworten  waren  in  der  Re- 
gel schriftlich. 

Doch  wir  Wollen  den  Gang  des  Buches  nicht  Weiter  ver- 
folgen ,  da  das  Folgende  zwar  gut  ausgeführt  ist ,  aber  nicht 
gerade  besonderes  Neues  enthält,  wir  auch  die  Schrift  nicht 


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208  Frandien  Haruspices. 

* 

durch  einen  Auszug  entbehrlich  machen  wollen.  Göt  wird 
gesprochen  über  die  fulgurator es ,  das  Extispicium,  über  die  Ha- 
ruspices-unker  den  Kaisern,  den  Verfall  ihrer  Kunst  und  ihrer 
Achtung,  über  das  Collegium  Haruspicum  (Tac.  Ann.  XI.  15.)» 
und  endlich  ihren  Untergang  durch  das  Christenthum.  Könn- 
ten wir  nur  auch  noch  den  Styl  und  Vortrag  des  Verf.  loben; 
aber  hier  ist  eben  nicht  die  glänzende  Seite  des  Büchleins. 
Kommen  zwar  gleich  nicht  mehrere  Stellen  vor,  wie  fol- 
gende S.  49:  at  studio  forsitan  aedificandi  templorum  per- 
nio tus ;  so  ist  doch  das  Colorit  des  Styls  im  Ganzen  und  Ein- 
zelnen nichts,  weniger  als  Römisch.  Da  findet  sich  S.  48.  das 
-fetale  nullibi.  S.  55.  die  falsche  Anwendung  des  bekannten 
Sprüchworts  fama  croscit  eundo  in  der  wunderlichen  Redens- 
art: cujus  generis  contemtio  serius  o  cius  (ein  nicht  hierher  pas- 
sender Horazischer  Lappen)  crescit  eundo,  S.  54.  permix- 
tint.  S.  45.  scatuit  copia,  S.  54  animum  adver te  re  ad  ha- 
Tuspicinam,  S.  VH.  oocabulum  ambitu  suo  adstringitur.  S.  VIII. 
curatiorem  operam  navare.  S.  IX.  homines  bonae  frugis,  S.  5.  in 
mythicum  gyrum  incidere.  S.  6.  diligenter  concremare  libros.  Das. 
non  oideatur  für  non  videtur.  x 

Schließlich  müssen  wir  auch  noch  tadelnd  erwähnen, 
dafs  die  Griechischen  Stellen  in  dieser  Schrift  ohne  Accente 
geschrieben  sind;  eine  Nachlässigkeit,  die  unsern  *  Zeiten 
nicht  mehr  geziemen  will.  Die  Schrift  selbst  aber  empfehlen 
wir  als  einen  achtungswerthen  Beitrag  zu  den  Römischen 
Alterthümern. 


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N.  14  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Neue  Jüdische  Briefe  oder  Darstellungen  aus  dem  Lo- 
hen Jesu.      Von.  Th.  Schul  er^    Pfarrer  hei  der  Kirche  zu 
■  k    See* Nicolai*  Straf shurg,  hei  Schüler  und  Pfähler*   Leipzig)  bei 
Fleischer*  182C.     1.  Bändchen  240        II.  B  ändch  e  n  241  S» 
in  8.  %  fl.  40  kr. 

Eine  Schrift,  welcher  Ree.  eine  fast  allgemein  gute  Auf- 
nahme und  recht  viele  heilsame  Wirksamkeit  verspricht  und 
wünscht.     Die  Hauptpersonen  in  der  so  wichtigen  Lebens« 

feschichte.  Jesu  hat  der  Vf.  sehr  zweckmässig  in  einen  unver* 
ünstelten,  lehrreichen,  historischen  Briefwechsel  mit  einan- 
der verbunden ,  worin  jede  einer  andern  gutgewählten  gewisse 
von  ihr  vornehmlich  zu  erwartende  Nachrichten  aus  Jesu 
Thun  und  Lehren  meist  mit  den  Hauptworten  der  Evangelien, 
zugleich  mit  untermischten  Empfindungen  und  deutenden  An- 
sichten im  vertraulichen ,  rührend  begeisternden  Ton  über» 
schreibt.  So  wird,  so  viel  über  Jesus  uns  aufbewahrt  ist, 
ohne  fremdartige  Beimischungen  und  doch  in  einer  freyeren* 
sich  selbst  verständlicher  hingebenden  Nacherzählung  zu  einem 
herzerhebenden  U  eb  e  r b 1 i  ck  zusammengefafst,  welcher  rührt* 
weil  Gerührte  an  Theilnehmende  sich  aussprechen* 

Auch  der  Schleier  des  Wundersamen  bleibt,  doch  (s.  I* 
119.  von  den  Dämonischen)  ohne  dichter  gemacht  zu  werden  * 
Ober  das  Ganze  verbreitet.  Er  wirkt  also,  seiner  Bestimmung 
nach,  fort,  nämlich  um  Aufmerksamkeit  und  Wifsbegierde  zu 
reizen  und  anzuziehen.  Aber  das  an  sich  wahre  *  welches 
deswegen  durch  sich  selbst  für  alle  Empfängliche  glaublich 
wird  und  bleibt,  wird  nicht  von  dem  Wunderbaren  abhängig 
gemacht.  Nicht  auf  das  Unbegreifliche,  oder  wenigstens  Un- 
erklärte, wird  das  Unmittelbar-glaubwürdige  gebaut.  Dies 
ist  das  nothwendige  und  unterscheidende  zwischen  der  Denk- 
Gläubigkeit  und  der  Wunderglaubigkeit.  Das  Erklären  des 
Wunderbaren,  das  heifst*  das  Zurückführen  der  an  sich  un-| 
jängbaren  Erfolge  auf  den  eben  so  wenig  Jäugbaren*  immer- 
währenden Zusammenhang  zwischen  Wirkungen  und  (oft 

XHL  Jähfg.   3.  Heft.  14 


210  Th.  Schulers  Darstellungen  aus  Jesu  Leben.  i 

lange  unerkannten  ,  aber  nicht  immer  unerkennbaren)  Ursachen 
—  dieses  Aufklären  des  Dunkeln  ist  nur  für  die,  welche  klar 
werden  wollen  ,  um  das  Klare  desto  fester  zu  glauben.  Eben 
deswegen  ist  es  nicht  für  Jedermann  und  nicht  Jedem  ein  Be- 
dürfnils. Aber  dafs  nicht  das  an  sich  Nöthige  auf  das  Dunkle 
gebaut  werde,  dies  ist  um  Aller  willen  nöthig,  weil  das  Dunkle 
nicht  immer  so  bleibt.  Wo  Ueberzeugung  allgemein  werden 
aoll,  mufs  das,  was  Allen  geltend  seyn  und  beweisen  kann,  in 
der  ersten  Reibe  der  Beweisgründe  stehen.  Wer  durch  die 
Umwege  des  Wunderbeweises  geführt  zu  werden,  ein 
cigenthtimliches  Bedürfnifs  hatf  möge  es  erfüllen,  so  gut  als 
es  seiner  Individualität  zusagt.  Aber  keiner  soll  dann  doch 
den  übrigen  allen  zumuthen  ,  anders  nicht  als  durch  eben  diese 
geschichtliche  Nebenumstände  zur  Haup  tsache  zu  ge- 
langen. Nur  wer  den  Wunderbeweis  nicht  vollständig  über- 
dacht hat,  kann  ihn  für  den  kürzeren  Weg  zur  Ueberzeugung 
halten.  Wer  mit  einem  sachkundigen  (!!)  Wegweiser  und  mit  der 
nöthigen  Umsicht  ihn  zu  durchwandeln  versucht,  wird  wenig- 
stens dies,  wie  weitläuf  er  seyn  muls,  bald  bemerken;  und 
dies  schon  deswegen ,  weil  der  eigentliche  auf  den  Inhalt 
gegründete  Beweis  als  ein  unentbehrlicher  Bestandteil  dei 
Wunderbeweises  in  diesen  auch  aufgenommen  und  überall  mit« 
eingeflochten  seyn  mufs.  Denn  darüber  sind  auch  die  Wun- 
derglaubigsten  doch  endlich  einig,  dafs,  was  in  sich  unrichtig 
Wäre,  auch  durch  Wunderumgebungen  nicht  zur  Wahrheit 
werden  könnte,  da  —  alle  populäre  Religionen  sich  auf  Wunder 
berufen  ,  Und  auch  die  Entstehungszeit  des  Urchr is tent h  ums  die 
täuschendsten  Wunderbeweiseties  Satans  für  an  sich  falsche  Re- 
ligionsbehauptungen als  möglich  und  wirklich  angibt. 

Die  bündigste,  nicht  von  wandelbaren  Nebenumständen 
abhängige  Ueberzeugung  aber  entsteht  in  jeder  Sache  dadurch, 
dafs  der  Nachdenkende  auf  den  Inhalt,  auf  das  Wesentliche 
des  Gegenstands ,  geradezu  alle  seine  Aufmerksamkeit  richtet. 
8.  201.  im  I.  Th.  schreibt  der  Liebesjünger  Jobannes  an  Ma- 
ria, dafs  manche  riefen  :  Kann  ein  vom  Satan  besessener  auch 
der  Blinden  Augen  aufthun?  Ihn  selbst  aber  lälst  der  Verf. 
hinzusetzen:  „Du  siehst,  Maria,  sie  denken  hier  an  die 
Heilung  des  Blindgebornen,  Ich  aber  bedarf  keiner 
Wunder  und  Zeichen  mehr.  O,  wie  erhaben  ist  Dei- 
nes Sohnes  Lehre!  Dieses  Gleichnifs  vom  guten  Hirten, 
>  wie  ist  es  so  schön  und  wahr,  so  rührend  und  herzlich.  0 
dafs  ich,  von  ferne  nur,  dem  lieben  Bilde  gleichen  möchte." 

Durch  dergleichen  leichte  Zusätze  der  wahrscheinlichen 
Mitempfindungen,  auch  durch  einfache  Verdeutlichungen  der 


'  J*  W-  *\ 


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Th-  Schulers  Darstellungen  aus  Jesu  Leben.  211 

Aussprüche  und  durch  unpedantische  Erklärungen  über  Zeit* 
umstände  weil's  der  Vf.  den  Briefwechsel  Um  so  anziehender 
und  belehrender  zu  machen,  ohne  dafs  Er  durch  geruchlose 
Redeblumen ,  geschmacklose  Empfindeleien  und  überflüssige 
Verzierungen  den  Schönredner  machen  will,  wie  in  einigen 
ähnlichen  Darstellungen  die  mystische  Schwärmerei  auch  ele- 
gant zu  werden  versucht  hat. 

Selbst  der  Umfang  dieser  zwei  Hände  zeigt,  dafs  der  Vf. 
nicht  vielrednerisch  seyn,  vielmehr  lieber  concentriren  und 
durch  Kürze  das  Gute  des  Inhalts  steigern  will.    In  der  That 
sind  seine  gedrängte  Darstellungen  desto  gehaltreicher.  Auch 
ist  diese  Einkleidung  schon  dadurch  belehrender,  weil  sie  gar 
oft,  unvermerkt,  zeigt,    wie  wahr  eine  Empfindung  seyn 
kann,  ohne  dafs  sie  wie  ein  Dogma,  wie  ein  hyperphysischer 
Lehrsatz,  wie  eine  tibergeschichtliche  Entdeckung  ausgelegt 
werden  roüfste.     So  lesen  wir  z.  B.  I,  73.  auch  wieder  von 
Johannes  an  Maria  :  „Mit  dieser  bedeutenden  Frage  schloff 
Jesus  seine  tiefe,  sinnvolle  Rede.  O  Maria,  in  Ihm  ist  wahr- 
lich das  Wort,  die  Gottes  Weisheit ,  die  da  war  bei  Gott  und 
Eins  mit  Gott,  von  Anfang  an  ;  durch  welche  alle  Dinge  ent- 
standen sind,  und  ohne  welche  nichts  vorhanden  wäre;  in 
der  das  seelige  Leben  enthalten  ist,  das  Leben,  so  in  der  Er- 
leuchtung der  Menschen ,  im  Lichte,  besteht*    Dieses  ewige 
Licht  scheint  nun  in  der  Finsternifs  der  Welt;  sie  aber  he- 
greift es  nicht  u.  s.  w.    Das  Gesetz  wohl  ist  uns  durch  Mose 
gegeben.    Erbarmung  und  Treue  (Ueberzeugungstreue?  )  aber 
sind  uns  durch  Jesus  Christus  geworden.    Er  allein ,  der  er- 
kohrneSohn,  der  in  des  Vaters  Schoofs  ist ,  der  mit  Ihm 
innig  Einige,  sein  Vertrauter  und  sein  Liebling,  Er  allein 
hat  uns  Gott  verkündet,  den  sonst  niemand  je  geschaut,  so 
klar  und  vollkommen  erkannt  hat."     Nach  dieser 
sehr  anwendbaren  Umschreibung  des  erhabenen  Prologs  im 
Johannesevangelium  läfst  der  Vf.  den  schreibenden  Johannes 
so  schliefsen;  »Tief  bewegt  ende  ich  hier  meine  lange  Zu- 
schrift.    Mit  beilig  freudiger  Rührung  ergreift  mich  der  Ge- 
danke, dafs  die  Muter  meines  Herrn  meine  unendliche,  meine 
Überirdische  Empfindung  fassen  und  theilen  wird."     Ueber*  ..... 
denkt  man  jene  Worte  als  ins  Leben  hinein,   und  nicht 
für  eine  Gelehrtenschule,  gesprochen,  so  wird  selbst  der  Scho- 
lastiker, selbst  der  Kathedermann  kaum  meinen  können,*  die 
Muter  Jesu  werde  sich  die  Gottesweisheit  in  ihrem  Sohne 
etwa  so,  wie  eine  Substanz,  wie  eine  von  seinem  Geist  unter- 
schiedene  Persönlichkeit  gedacht  haben. 

14* 


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212  Tredgold'g  Grundsätze  der  Dampfheizung. 

♦  > 

Die  ganze  Darstellung  des  Vfs.  ist  viel  zu  wahr  tml  hat, 
mit  Recht,  viel  zu  wenig  fremdartiges,  als  dafs  sie,  wäre  es 
auch  im  besten  Verstand,  ein  Roman  des  Lehens  Jesu  genannt 
werden  dürfte.  Sie  kann  ein  geschichtliches  Erbau- 
ungsbuch  seyn  für  jeden  Theilnehmenden.  Das  Wesent- 
liche ist  hervorgehoben  für  Einsicht  und  Empfindung.  Neben- 
umstände sind  so  gehalten,  dafs  sie  weder  das  Glauben  noch 
das  Forschen  beschränken.  Einzelnes,  was  sich  noch  erbel- 
len  lassen  möchte,  wird  der  Verf.  bei  ferneren  Ausgaben  von 
selbst  bemerken.  Ree.  freilich  ist  für  sich  immer  am  meisten 
geneigt,  das  Glaubwürdige  durch  möglichst  volle  Erhellung 
desto  glaublicher  zu  raachen.  Aber  er  weifs  recht  gut,  dafs 
diese  Methode  ihre  Einseitigkeit  haben  mufs.  Sie  ist  für  die, 
welche  hell  sehen  können!  und  wollen!  Das  allgemeinere 
Bedürfnifs  ist  durch  die  Methode  des  Vfs.  allgemeiner  zu  be- 
friedigen. 

6.  Dec.  1825.  H.  E.  G.  Paulus.  . 


# 

Thomas  Tredgold's  Grundsätze  der  Dampfheizung?  und  der  da* 
mit  verbundenen  Lüftung  aller  Arten  von  Gebäuden,  Nach  der 
zweiten  englischen  Originalem* sähe  für  Deutschland  bearbeitet  von 
M.  O.  B.  Kühn  etc.  Leipzig,  1826,  XII  und  208  S.  8.  mit 
6  Kupfertafeln.  1  Thlr.  12  Gr. 

Dafs  wir  dieses  Werk  so  bald  schon  anzuzeigen  uns  be- 
eilen |  bedarf  wohl  bei  Sachkennern  keiner  Entschuldigung. 
Es  sind  nämlich,  Gottlob,  in  allen  Theilen  der  Industrie  seit 
dem  letzten  halben  Seculo  solche  Fortschritte  gemacht,  dafs 
das  allgemein  verbreitete  Gefühl  des  dadurch  erzeugten  Wohl- 
Behagens  unwiderstehlich  zur  Fortsetzung  ähnlicher  Bemühun- 
gen auffordert ,  und  so  lange  ein  hieraus  entspringender 
höherer  Luxus  durch  geistige  Anstrengung  erworben  werden 
mufs,  nicht  aber,  wie  ehemals  in  Rom,  auf  der  Menge  der 
durch  physische  Gewalt  unterworfenen  und  in  Sclavenstand 
versetzten  Nationen  beruhet,  so  lange  man  auf  gleiche  Weise 
auf  die  militärische  Stärke  der  Staaten  als  auf  die  Bequemlich- 
keit und  den  Wohlstand  der  Völker  bedacht  ist,  darf  niemand 
fürchten,  dafs  die  höhere  Cultur  zur  Sittenlosigkeit ,  Schwel- 
gerei und  Ohnmacht  führe.  Der  rohen  Gewalt  barbarischer 
Völker  wird  Europa  nicht  unterliegen  ;  leichter  könnte  dieses 
vielleicht  geschehen  durch  einen  Stillstand  des  Gewerbfleilses, 
ein  Nachlassen  in  der  hierzu  erforderlichen  Anstrengung  und 


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t 


Tredgold'«  Grundsätze  der  Dampfheizung.  2l3 

durch  Zurückbleiben  hinter  aufblühenden  Völkern ,  welche 
zum  Theil  durch  die  Natur  allerdings  vorzugsweise  begün- 
stigt sind. 

Unter  die  vorzüglichsten  Aufgaben  zur  Erhaltung  der  Ge- 
sundheit und  einer  größeren  Bequemlichkeit  des  Lebens  ge- 
hört aber  unstreitig  die  Sarge  für  eine  zweck  in  Ufs  ige  Erwär- 
mung und  Lüftung  der  Wohnungen ;  die  Kunst  und  Wissen- 
schaft verlangt  Trockenstuben  und  Treibhäuser,  und  vor  allen 
Dingen  fordert  der  täglich  fühlbarere  Mangel  an  Brennmaterial 
zu  Vorschlügen  der  Eraparnifs  dieser  Storfe  auf.  Man  bat 
daher  schon  lange  die  früher  üblichen  unförmlichen  und  holz- 
verschwendenden Oefen  aufgegeben  und  mit  spärlicher  consu- 
mirenden  vertauscht,  man  hat  aus  vielen  Gründen  die  Heizung 
durch  erwärmte  Luft  sowohl  vorgeschlagen  als  auch  ausge- 
führt ,  und  nunraehro  tritt  ein  gewiegter  Schriftsteller  mit  der 
Empfehlung  der  unlängst  bekannten  Heizungsmethode  durch 
Wasserdampf  auf.  Die  erstere  der  neuen  Methoden  ist  in 
Deutschland  vorzüglich  durch  Meisner's  bekannte  Schrift  (die 
Heizung  mit  erwärmter  Luft.  Wien  i821.  neue  Aufl.  ebend. 
1823.)  in  Anregung  gebracht,  welche  Ree.  in  diesen  Blättern 
Jahrg.  1822.  Hft.  I.  S.  57.  beurtheilt  hat,  die  zweite  benutzt 
man  bis  jetzt  hauptsächlich  nur  in  England,  -ie  ist  aber  auch 
für  Deutschland  sicher  der  Beachtung  sehr  Werth,  und  die 
Uebersetzung  einer  vollständigen  Abhandlung  darüber  war  da- 
her ohne  Zweifel  ein  sehr  zweckmässiges  Unternehmen. 

Bei  der  Beurtheilung  der  vorliegenden  Schrift  bedauert 
lief,  sehr,  dafs  er  das  englische  Original  gegenwärtig  nicht 
zur  Hand  hat.  und  sich  daher  blos  an  die  Uebersetzung  halten 
mufs.  Der  Verfasser  desselben  ist  der  bekannte  englische  In- 
genieur Tredgold,  dessen  klassisches  Werk  on  the  strength 
of  cast  iron  B.ec.  erst  kürzlich  angezeigt  hat.  Dabei  wurde 
bemerkt,  dafs  er  sowohl  als  Theoretiker  als  auch  rücksichtlich 
des  Praktischen  unter  die  bedeutendsten  Männer  der  jetzigen 
Zeit  gehört,  den  man  allenfalls  dem  berühmten  Smeaton  an 
die  Seite  setzen  könnte;  und  eben  daher  rinden  auch  seine 
Schriften  in  England  ein  so  ausgebreitetes  Publicum  und  sehr 
schnellen  Absatz,  so  dafs  bei  der  Bekanntwerdung  derselben 
auf  dem  Continente  schon  die  zweite  Auflage  erschienen  zu 
seyn  pflegt.  Es  läfst  sich  daher  nicht  anders  erwarten,  als 
dafs  auch  das  vorliegende  Werk  zu  den  gehaltreichsten  literä- 
ri sehen  Producten  gehört,  weiches  namentlich  für  die  prak- 
tische Anwendung  ganz  vorzüglich  empfohlen .  werden  kann. 
Eben  bei  dieser  Celebrität  des  Verf.  aber  mufs  die  Kritik  am 
strengsten  seyn,  weil  nichts  so  nachtheilig  ist,  als  wenn  Irr- 


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214  Tr«Jgol<Ts  Grundsätze  der  Dampfheizung» 


thütner  durch  bedeutende  Autoritäten  unterstützt  allgemeiner 
verbreitet  werden,  und  dieses  um  so  mehr,  wenn  der  Gegen« 
stand  zur  Anwendung  für  Praktiker  bestimmt  ist  9  von  denen 
eine  genügende  Prüfung  der  Sacbe  selbst  auf  keine  Weise  ge- 
fordert werden  kann.  Um  diesen  Satz  mit  einem  sehr  auffal- 
lenden Beweise  zu  belegen  ,  will  Ree.  nur  an  die  Abhandlung 
des  Pariser  Institutes  über  die  Blitzableiter  erinnern,  welche 
blos  wegen  ihrer  gelehrten  und  mit  Recht  berühmten  Verfasser 
in  zahlreiche  deutsche  und  sogar  auch  in  einige  englische  Zeit- 
schriften mit  grofsen  Lobpreisungen  übergegangen  ist,  ohn- 

feachtet  sich  selbst  die  Zweckwidrigkeit  der  darin  gegeb- 
enen Vorschlage  aus  anerkannten  und  unbestreitbaren  phy- 
sikalischen Grundsätzen  leicht  nachweisen  läfst,  und  von 
einem  gründlichen  Sachkenner,  Pf  äff  in  Kiel,  im  Gebler- 
sehen  Wörterbuche  der  Physik  Tb.  I.  St  1076.  wirklich  dar- 
gethan  ist.  Vielleicht  ist  die  Autorität  jener  Gelehrten,  für 
welche  noch  obendrein  die  Celebrität  der  Stadt  Paris  und 
des  Königl.  Ins titutes  entscheidet,  grofs  genug,  um  zu 
bewirken,  dafs  wir  in  Deutschland  um  fünfzig  Jahre  voll 
zahlreicher  Erfahrungen  rückwärts  gehend  abermals  anfangen  , 
den  Gewittern  drei  Männer  hohe  Eisenstangen  entgegenzu- 
strecken, die  Pulvermagazine  aber  den  Blitzstrahlen  recht 
eigentlich  blofszustellen.  Ree.  hält  es  daher  für  seine  Schul- 
digkeit, den  eigentlich  zweckmäfsigen  und  brauchbaren  Inhalt 
der  vorliegenden  gehaltreichen  Schrift  von  dem  minder  richti- 
gen zu  sondern. 

Im  Allgemeinen  sind  alle  diejenigen  Vorschläge,  Berech- 
nungen und  Angaben  über  die  Einrichtung,  GrÖise  und  das 
Materialeder  Dampfheizungsapparate  und  Ventilatoren,  welche 
der  gelehrte  Verf.  mittheilt,  in  so  weit  vollkommen  richtig  , 
als  man  bei  den  verschiedenen  mitwirkenden  und  zum  Theil 
ganz  unbestimmbaren  Bedingungen  hierbei  überhaupt  zu  siche- 
ren Resultaten  gelangen  kann«  Ein  jeder  weifs  nämlich  aus 
eigener  und  fremder  Erfahrung,  wie  so  oft,  selbst  aus  gar 
nicht  genügend  auszumittelnden  Ursachen  ,  gewisse  Zimmer 
so  leicht  warm  zu  halten  sind,  während  andere  sehr  bald  wie- 
der erkalten,  und  auf  gleiche  Weise  geheizt  eine  weit  gröfsere 
Menge  von  Brennmaterial  erfordern.  Auf  den  Einflufs  der 
Winde  und  den  Grad  der  Stärke,  womit  sie  die  Wände  ver- 
schiedener Zimmer  treffen  ,  o<Jer  über  und  unter  ihnen  einen 
kalten  Luftstrom  erzeugen,  hat  der  Verf.  allerdings  Rücksicht 
genommen  ,  die  Ableitung  durch  die  verschiedenartigen  Wände 
ist  bei  ihm  aber  zu  wenig  berücksichtigt,  indem  er  von  der 
Voraussetzung  ausgebt,  dafs,  diese  von  Holz  oder  raebren*heils 


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Tredgold's  Grundsätie  der  Darapflieixung.  215 

von  Ziegelsteinen  gemacht  sind ,  welche  für  schlechte  Wärme« 
leiter  gelten  können.  Für  England  und  namentlich  für  Lon- 
don mag  dies  allerdings  passen,  allein  für  Deutschland  und  die 
darin  üblichen  Häuser  von  Bruchsteinen  mufs  auf  diese  Ab- 
leitung nothwendig  .Rücksicht  genommen  werden.  Die  Be- 
stimmung des  hierfür  erforderlichen  grösseren  Aufwandes  von 
Brennmaterial  ist  indefs  äufserst  schwierig ,  weil  diese  Steine 
nach  der  Beschaffenheit  ihrer  Bestandteile ,  z.  B,  beigemisch* 
ten  salzsauren  Kalkes  u.  dergl.,  die  Feuchtigkeit  mehr  oder 
weniger  anziehen  ,  und  diesem  gemäfs  eine  ungleiche  Wärme- 
leitung  besitzen.  Inzwischen  wird  es  dennoch  nicht  nöthig 
seyn  ,  aus  dieser  Ursache  die  angegebenen  Bestimmungen  ab- 
zuändern ,  indem  der  Verf.  den  Wärmeverlust  durch  Ventila- 
tion etwas  hoch  anschlägt ,  bei  strengerer  Kälte  aber  die 
Notwendigkeit  erfordert,  dem  dringendem  Bedürfnisse  der 
Erwärmung  das  minder  dringende  einer  fortwährenden  Er- 
neuerung der  Luft  aufzuopfern.  Ohnehin  nimmt  der  Verf. 
die  Menge  der  durch  Respiration,  Hautausdünstung  und  Was- 
serbildung der  in  den  Zimmern  sich  aufhaltenden  Personen 
verdorbenen  Luft  viel  zu  grofs  an.  Für  das  blofse  Athmert 
nämlich  (S.  40,)  bringt  er  für  einen  erwachsenen  Menschen. 
800  engl.  Cub.  Z.  in  der  Minute  in  Rechnung,  da  man  kaum 
4.80  p.C.  Z.  hierfür  rechnen  kann  (%.  Gmelin  in  Gehler  I.  422.)» 
und  für  die  Gesammtinenge  der  durch  ein  Individuum  verdor- 
benen Luft  5l84  C.  Z.  Nun  sind  zwar  die  durch  die  Haut 
ausgestofsenen  verunreinigenden  Stoffe  schwer  zu  schätzen; 
allein  wenn  auf  den  erzeugten  Wasserdampfgehalt  so  viel  ge- 
rechnet wird,  so  beruhet  dieses  auf  einer  unrichtigen  Ansicht 
von  der  Schädlichkeit  dieser  Dämpfe  und  der  Sättigung  der 
Luft  mit  denselben,  indem  es  sehr  fraglich  ist,  ob  reiner 
Wasserdampf  überhaupt  nachtheilig  auf  die  Gesundheit  wirkt, 
auf  allen  Fall  aber  ergiebt  sich  bald,  dafs  die  Angabe  des  Vf. 
viel  zu  hoch  ist.  Insofern  man  indefs  allezeit  in  der  prakti- 
schen Ausführung  etwas  mehr  tbut,  als  die  Theorie  strenge 
fordert,  um  auch  unerwarteten  Hindernissen  zu  begegnen, 
und  ohnehin  bei  der  Dampfheizung  die  Erwärmung  und  so- 
mit auch  die  Consumtion  von  Brennmaterial  durch  stärkere 
oder  schwächere  Feuerung  unter  dem  Dampfkessel  sehr  gut  re» 

tulirt  werden  kann,  man  nebenbei  auch  gegen  den  Einflufs 
urze  Zeit  dauernder  ungewöhnlicher  Kälte  gesichert  seyu 
mufs,  so  darf  man  nach  allem  diesem  sich  füglich  genau  an 
die  Vorschriften  des  Verf.  halten. 

Es  würde  offenbar  zweckwidrig  seyn,  dem  Verf.  in  allen 
seinen  Angaben  zu  folgen,  indem  es  vielmehr  nur  darauf  an« 


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216 


Tredgold's  Grundsätze  der  Dampfheizung. 


kommt 9  anzugeben  ,  was  man  in  diesem  Buche  findet.  Leti- 
teres  begreift  die  zwei  Hauptaufgaben,  nämlich  erstlich:  auf 
welche  Weise  kann  ein  gegebener  Raum,  sey  es  ein  Wohn- 
zimmer, eine  Kirche,  Theater,  Hospital,  Gefängnifs,  Ge- 
wächshaus oder  Trockenhaus,  am  bequemsten  und  sichersten 
nach  seiner  individuellen  Gröfse  und  Beschaffenheit ,  nach  der 
Zahl  und  Gröfse  seiner  Fenster  and  Thttren  ,  bei  einer  gege- 
benen äufseren  Temperatur  vermittelst  heifsen  Wasserdamptes 
bleibend  zu  einer  verlangten  inneren  erwärmt  werden;  und 
zweitens:  welches  ist  die  erforderliche  Gröfse  und  die  beste 
Einrichtung  der  Oeffnungen,  wodurch  in  solche  Räume  nach 
der  Zahl  der  darin  wohnenden  Menschen  oder  der  Menge  und 
Beschaffenheit  der  darin  befindlichen  Sachen  frische  Luft  von 
aufsen  zugeführt  und  die  verdorbene  abgeführt  wird.  Rück- 
sichtlich des  Ersteren  sucht  der  Verf.  zuvörderst  nach  fremden 
und  eigenen  Erfahrungen  zu  bestimmen,  wie  grofs  die  Quan- 
tität Luft  ist,  welche  nach  dem  Verhältnifs  der  Differenz  der 
äufseren  und  inneren  Temperatur  durch  die  unvermeidlichen 
Ritzen  der  Fenster  und  Thüren  entweicht  oder  durch  die 
Fläche  des  Glases  abgekühlt  wird.     Hierzu  setzt  er  dann  fer- 
ner die  Menge  derjenigen  Luft,  welche  nach  der  Anzahl  der 
Menschen  oder  der  Menge  und.Feuchtigkeit  der  z.B.  zu  trock- 
nenden Sachen  künstlich  abgeleitet  und  von  aufsen  wieder  zu- 
elassen  werden  mufs.    Indem  hierdurch  nach  dem  Verhältnis 
er  specifischen  Wärmecapacität  der  Luft  und  des  Wasser- 
damptes,   dessen  Temperatur  in  den  Zuleitungsröhren  er  zu 
75°  R.  annimmt,  die  erforderliche  Menge  des  letzteren  gefun- 
den wird,  so  berechnet  er  ferner  hauptsächlich  nach  den  Re- 
sultaten eigener  schätzbarer  Versuche ,  wie  viel  Wärme  von 
einer  gegebenen  Oberfläche  eiserner,  kupferner,  weifsbleche- 
ner  u.  a.  Röhren  in  einer  bestimmten  Zeit  abgegeben  wird, 
und  findet  diesemnach  die  für  jeden  besonderen  Fall  erforder- 
liche Gröfse  dieser  Oberfläche.     Hieraus  ergiebt  sich  dann 
weiter,  wie  grofs  die  Quantität  des  in  einer  bestimmten  Zeit 
erforderlichen  Wasserdampfes  seyn  mufs,   und  somit  kommt 
er  dann  ferner  auf  die  Gröfse  des  hierzu  nöthigen  Dampfkes- 
sels und  die  Menge  des  zur  Heizung  desselben  aufzuwenden- 
den, Brennmaterials  nach  der  eigenthümlichen  Beschaffenheit 
des  letzteren.     Für  alles  dieses  sind  leichte  und  bequeme  For- 
meln zur  Auffindung  anderer,  in  ähnlichen  Fällen  erforder- 
licher, Gröf8en  mitgetheilt,  wobei  zugleich  deutlich  nachge- 
wiesen ist,  auf  welchem  Wege  diese  Formeln  gefunden  sind. 

Ree.  erinnert  sich  nicht  sonst  irgendwo  ein«  so  gründ- 
liche und  praktisch  brauchbare  Anweisung  für  diesen  Gegen- 

\ 

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Tredgold's  Grundsätze  der  Dampfheizung.  217 

stand  gelesen  zuhaben,  aucb  pflegen  die  Baumeister  bekannt- 
lich nach  dem  blofsen  Augenmaafse  und  nach  Gutdünken  die 
Heizapparate  den  Räumen,  welche  dadurch  erwürmt  werden 
sollen,  anzupassen,  bleiben  also  blos  bei  einer  rohen  Empirie 
stehen.  Nun  ist  zwar  schon  oben  erwähnt,  und  niemand 
wird  in  Abrede  stellen,  dafs  bei  der  Aufgabe  der  Erwärmung 
gegebener  Räume  viel  zu  vieleBedingungen  zu  berücksichtigen 
sind,  als  dafs  man  glauben  dürfte,  die  Berechnungen  des  VF. 
seyen  so  haarscharf  richtig,  dafs  sie  allezeit,  bis  auf  einen 
einzigen  Grad  etwa,  das  verlangte  Resultat  geben  müfsten. 
Etwas  dieser  Art  zu  verlangen,  würde  unvernünftig  seyn;  al- 
lein jeder  Baumeister,  welcher  in  den  Fall  kommt,  solche  An- 
lagen zu  machen  ,  wird  es  dem  Verf.  herzlich  danken,  durch 
dieses  Werk  in  den  Stand  gesetzt  zu  seyn,  die  erforderlichen 
Einrichtungen  nach  einer  sichern  Grundlage  herstellen  zu  kön- 
nen, ohne  wie  bisher  gänzlich  im  Finstern  zu  tappen,  und 
diesemnach  ungenügende  oder  übergrofse,  unförmliche  und 
unnöthige  Kosten  verursachende  Apparate  anfertigen  zu  lassen. 
Zugleich  aber  geht  auch  ein  vorzüglicher  Nutzen  daraus  her- 
vor, dafs  der  Praktiker  nach  den  in  diesem  Werke  enthaltenen 
Angaben  den  Kostenaufwand,  welchen  die  Herstellung  und 
Anwendung  der  Dampfheiznngsapparate  erfordert,  in  Voraus 
berechnen  und  mit  andern  Heizapparaten  vergleichen  kann. 
Von  dieser  Seite  ist  also  das  Publicum  dem  gelehrten  Vf.  aus- 
nehmend verpflichtet. 

Auf  gleiche  Weise  vortrefflich  sind  zweitens  die  Anwei- 
sungen, welche  hier  mitgetheilt  werden,  um  gegebene  Räume 
nach  ihrer  individuellen  Bestimmung  durch  Ventilatoren  zu 
reinigen.  Im  Allgemeinen  findet  man  die  auf  richtige  pneu- 
matische Grundsätze  gegründeten  Regeln  über  die  Gröfse  und 
Lage  der  anzulegenden  Oeffnungen  zum  Abführen  der  verdor- 
benen Luft  und  Zuführen  der  frischen,  wobei  namentlich  die 
zwei  Vorschläge  wohl  zu  berücksichtigen  sind,  zuerst,  dais 
man  überhaupt  die  unteren  Luftlöcher  mit  einem  feinen  Draht- 
gitter überziehen  müsse,  um  das  Verstopfen  derselben  zu  ver- 
hüten ,  hauptsächlich  aber  um  die  eindringende  Luft  gleich- 
sam zu  spalten  und  ihre  scharfe  Bewegung  dadurch  zu  mildern; 
«weitens  aber  für  Krankenzimmer  auch  dafür  zu  sorgen  habe, 
dafs  nicht  zum  Nachtheile  der  Gesundheit  die  kalte  Luft  un- 
mittelbar einströme,  sondern  erst  in  einem  andern  Räume  ge- 
hörig erwärmt  werde,  um  den  Unterschied  ihrer  Temperatur 
un.d  derjenigen  in  den  Zimmern  weniger  auffallend  zu  machen. 

Bei  der  Anweisung  zum  Heizen  vermittelst  Wasserdampt 
ist  der  Vf.  nicht  blos  bei  dem,  bekannten  Vorschlage  der Dampt- 


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218  Tredgold's  Grundsätze  der  Dampfheizung. 

röhren  stehengeblieben  ,  sondern  er  bat  auch  andere  Einrich- 
tungen angegeben  ,  wie  man  namentlich  solche  Röhren  in  ge- 
schmachvollen Formen  als  Urnen,  Schränke,  Säulen  u.  dergl. 
anbringt,  sie  durch  die  Mauern  und  unter  den  Fufsböden  fort- 
leitet ,  an  oder  in  den  Wänden  fortlaufen  Hilst  u.  s.  w.  Auch 
hierbei  ist  stets  auf  das  bestimmte  Bedürfnifs  Rücksicht  ge- 
nommen |  je  nachdem  man  dieselben  in  Wohnzimmern,  Kran- 
kenstuben ,  Opernhäusern,  Treibhäusern  u.  s.  w.  gebraucht. 
Eine  Einrichtung  zur  Heizung  eines  Zimmers  durch  Dampf, 
welche  eben  so  geschmackvoll  als  bequem  ist ,  und  vom  Verf. 
im  Edinburgh  pbilos.  Journ.  No.  XXIII.  gleich  nach  dem  Er- 
scheinen des  Werkes  bekannt  gemacht  wurde,  findet  sich  hier 
leider  nicht,  und  ist  ohne  Zweifel  erst  später  von  ihm  aus- 
dacht.  Schade,  dafs  der  Uebersetzer  diesen  Nachtrag  nicht 
enutzt  hat,  da  doch  das  genannte  Heft  der  Zeitschrift  schon 
im  Januar  1Ö25  auf  dem  Continente  war.  Für  Treibhäuser, 
Gewächshäuser  und  Blumenzimmer,  welche  wissenschaftlicher 
Eifer  sowohl  als  auch  Luxus  in  England  auf  einen  hohen  Grad 
der  Vollkommenheit  gebracht  haben,  findet  man  hier  die  An- 
gaben der  Höhe,  Weite,  Einrichtung,  Heizung,  und  auch 
Vorschläge  zur  Bewässerung,   ein  Gegenstand ,   welchen  Ree. 

tenau  zu  beurtheilen  aufser  Stande  ist;  allein  er  mufs  aus  an- 
ern  Gründen  voraussetzen,  dafs  hierin  die  theoretischen 
Kenntnisse  und  praktischen  Erfahrungen  des  Verf.  kaum  etwas 
au  wünschen  übrig  lassen,  und  würde  ihnen  daher  benöthig- 
ten  Falls  unbedingt  folgen.  Aufserdera  findet  sich  noch  ein 
Vorschlag  ausführlich  erörtert  über  die  Anlegung  von  Räumen 
in  gröfserer  oder  geringerer  Ausdehnung  von  stets  gleich- 
mälsiger  Temperatur  für  solche  Kranke,  welche  die  Aerzte 
zu  gleichen  Zwecken  in  südlichere  Gegenden  zu  senden  pfle-' 
gen.  Wenn  man  berücktichtigt ,  wie  beschwerlich  oft  die 
weiten  Reisen  in  solche  Länder  sind,  wie  wenig  man  im  Gan- 
zen dort  auf  eine  stets  gleichmäfsige ,  dem  Befinden  solcher 
Unglücklichen  angemessene,  Temperatur  rechnen  kann,  wie 
geringe  Pflege  und  wie  selten  gehörige  ärztliche  Behandlung 
sie  dort  zu  erwarten  haben,  und  was  für  Kosten  Reise  und 
Aufenthalt  daselbst  erfordern  ,  so  mufs  man  dem  Verf.  bei- 
pflichten, wenn  er  behauptet,  dafs  nicht  blos  Mitleiden, 
sondern  selbst  auch  Speculationsgeist  zu  einer  solchen  Anlage 
im  Grofsen  an  solchen  Orten  auffordern  könnte,  welche  durch 
die  Natur  und  anderweitige  Bedingungen  hierzu  vorzüglich 
geeignet  sind.  Das  Einzige,  was  dagegen  entscheidet,  ist 
der  Umstand,  dafs  die  meisten  solcher  Patienten  von  den 
Aerzten  gröfstentheils  deswegen  in  südliche  Gegenden  gesandt 


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Tredgold's  Grundsätze  der^  Dampfheizung,  219 

werden  ,  weil  sie  alle  Hoffnung  dabei  aufgehen,  und  den 
Verwandten  den  Anblick  des  langsamen  Absterbens  derselben 
ersparen  wollen;  und  so  kannte  hierdurch  ein  solches  auf's 
Beste  eingerichtete  Haus  leicht  bald  in  Mifscredit  kommen. 
Uebrigens  sind  die  Vorschläge  des  Verf.  für  eine  solche  Anstalt 
im  hohen  Grade  zweckmässig. 

So  weit  bat  Ree.  das  Gute  und  vorzüglich  Brauebbare  in 
dem  Werke  m.it  gebührendem  Lobe  angezeigt ;  es  ist  nun 
aber  auch  not b wendig,  die  Mängel  desselben  zu  bezeichnen, 
hauptsächlich  nur  aus  dem  oben  schon  erwähnten  Grunde, 
damit  es  nicht  von  Unkundigen,  welche  sich  auf  die  Autorität 
des  berühmten  Verf.  verlassen,  als  richtig  und  völlig  erwiesen 
in  die  Wissenschaft  eingeführt  werde.  Wir  müssen  hierher 
zuerst  die  allgemeinen  Aeufserungen  über  das  Wesen  und 
Verhalten  der  Wärme  überhaupt  rechnen.  Der  Vf.,  welcher 
in  den  zur  Statik  und  Mechanik  gehörigen  Gesetzen  der  Natur 
durchans  klassisch  ist  und  eine  wahrhaft  seltene  Gelehrsam- 
keit und  Belesenheit  besitzt,  bat  sich  hier  auf  die  Theorieen 
über  das  Wesen  und  das  Verhalten  der  unwägbaren  Stoffe, 
namentlich  der  Wärme,  eingelassen,  worin  er  minder  be- 
wandert ist,  und  obgleich  er  die  wichtigsten  Untersuchungen 
der  neuesten  Schriftsteller  hierüber  kennt,  so  fehlt  es  ihm 
doch  an  den  gehörigen  Vorkenntnissen,  um  sich  in  diesem 
dunkelen  Gebiete  überall  mit  Sicherheit  zu  orientiren.  Weil 
es  zweckwidrig  seyn  würde,  hier  jede  einzelne  Behauptung 
über  die  strahlende  und  die  durch  Mittheilung  verbreitete 
Wärme,  über  die  zum  Schmelzen  des  Eises  erforderliche 
Wärme,  die  latente  und  sensibele  des  Dampfes,  .die  Sätti- 
gung der  Luft  mit  Wasserdampf  und  den  Niederschlag  des 
letzteren  zu  prüfen,  wird  es  genügen,  nur  im  Allgemeinen 
zu  bemerken,  dafs  die  Angaben  theijs  unrichtig,  theils  nicht 
scharf  bestimmt  sind.  Für  den  Zweck  des  Verf.  war  dieses 
indefs  unnothig,  indem  diejenigen  Bestimmungen ,  deren  er 
hier  vorzugsweise  bedurfte,  nämlich  der  Wärmemenge, 
welche  die  verschiedenen  zur  Heizung  durch  Dampf  brauch- 
baren Stoffe  in  einer  gegebenen  Zeit  ausstrahlen,  durch  ei- 
gene genaue  Versuche  aufgefunden  sind  ,  auf  deren  Zuverläs- 
sigkeit man  bei  der  bekannten  Gewandtheit  des  Verf.  bauen 
kann.  Hieraus  ergiebt  sich  ,  dafs  Eisenblech  mit  rostig 
brauner  Oberfläche  die  meiste  Wärine  abgiebt ,  demnächst 
Eisenblech  mit  schwarzer  glatter  Oberfläche,  am  wenigsten 
Weifsblech,  ein  im  Allgemeinen  schon  durch  Ilumfora  be- 
wiesener Satzf  Hieraus  ergiebt  sich  dann  ferner,  dafs  Heizungs- 
röhren von  Eisenblech  vorzugsweise  für  diesen  Zweck  zu 


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220  Tredgold's  Grundsätze  der  Dampfheizung. 


empfehlen  «Ind.  Bei  allen  den  vielen  Bemerkungen  über  die 
Natur  und  das  Verhalten  der  Wärme,  nebst  u\er  Verbreitung 
derselben  durch  Strahlung  und  Mittheilung,  hat  übrigens  der 
Verf.  eine  Hauptsache  vergessen ,  welche  eben  so  wichtig  als 
der  Mehrzahl  der  Leser  gewifs  höchst  interessant  gewesen 
wäre,  und  worüber  Ree.  auch  seinerseits  gern  von  einem 
solchen  Sachkenner,  als  Tredgold  ist,  Belehrung  erhalten 
möchte.  Man  kann  nämlich  annehmen,  dafs  es  nur  drei 
Hauptarten  der  Zimmerheizung  giebt,  durch  mehr  oder  min- 
der vortheilhaft  eingerichtete  Oefen  ,  durch  erhitzte  Luft  und 
durch  Dampf,  wenn  man  die  meistens  ungenügende  und  auf 
allen  Fall  höchst  kostspielige  Kaminheizung  ganz  bei  Seite 
setzt.  Die  entere  erwähnt  der  Verf.,  und  empfiehlt  sie  für 
Schulziminer  ,  die  zweite  verbindet  er  mit  der  dritten  in  so 
fern,  als  er  verlangt,  dafs  die  z.B.  in  Krankenzimmer  strö- 
mende Luft  vorher  in  eigenen  Räumen  durch  Dampf  erwärmt 
werde,  ohne  der  namentlich  durch  Me isner  empfohlenen 
Methode  besonders  zu  gedenken,  die  dritte  ist  das  eigent- 
liche Object  seiner  Untersuchung.  Es  wäre  indefs  wün- 
schens werth  gewesen,  alle  drei  rücksichtlich  ihrer  Vortheile 
und  Nachtheile  prüfend  zu  vergleichen,  und  hierauf  ein  Ur- 
theil  zu  gründen,  welche  von  allen  am  wohlfeilsten,  sicher- 
sten und  bequemsten  angewandt  werden  kann.  Ree.  ist  sei- 
nerseits sehr  entschieden  für  die  letztere  eingenommen.  Die 
erstere  nämlich  steht  den  beiden  folgenden  nach,  weil  sie  für 
jedes  Zimmer  einen  besonderen  Ofen,  also  auch  nahe  eben  so 
viele  Kamine  und  Schornsteine  oder  Schornsteinschlote  erfor- 
dert, aus  denen  eine  unraäfsige  Menge  Wärme  unbenutzt 
entweicht,  und  so  das  Brennmaterial  im  eigentlichen  Sinne 
zersplittert  wird.  Gegen  die  zweite  Heizung  mit  heilser 
Luft  lassen  sich  eine  Menge  Einwendungen  vorbringen,  wel- 
che Ree.  in  seiner  oben  erwähnten  Beurtheilung  der  Meisner'- 
schen  Schrift  namhaft  gemacht  hat,  worunter  die  wichtigsten 
sind,  dafs  die  Luftwegen  ihrer  verhältnifsmäfsigen  geringen 
Wärmecapacität  auf  einen  hohen  Grad  der  Temperatur  ge- 
bracht werden  mulV,  und  daher  der  durch  das  Feuer  glühend 
gemachten  Luft  so  viel  weniger  Wärme  entzieht,  je  heilser 
sie  selbst  ist,  wozu  noch  der  Umstand  kommt,  dafs  sie  bei 
strenger  Kälte  in  grofse  Zimmer  fast  glühend  eintreten  mufs, 
und  also  keine  volle  Sicherung  gegen  Feuersgelahr  gewährt, 
abgerechnet,  dais  die  warme  Luft  aus  den  Zimmern  um  so 
stärker  entweicht,  je  grolser  die  Quantität  der  stets  neu  zu- 
strömenden ist ,  ohne  dafs  man  das  gleichzeitige  Eindringen 
der  äufseren  kalten  zu  verhüten  vermag.     Die  Heizung  mit 


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i  Tredgold's  Grandel ze  der  Daropfaeuung.  221 

Dampf  gewahrt  dalier  den  großen  Vortheil ,  dafs  das  Wasser 
nur  wenig  über  8o°  R.  erhitzt  werden  kann,  und  daher  der 
unter  dem  Kessel  hinstreichenden  glühenden  Luft  de«  Feuers 
so  viel  mehr  Wärme  entzieht ,  und  diese  durch  die  grofse 
Quantität  der  latenten  und  sensihelen  Wärme  des  Dampfes 
der  Zimmerluft  mittheilt,  ohne  dafs  man  ein  stärkeres  Zu- 
strömen kalter  Luft  zu  erzeugen  nöthi£  hat,  als  anderweitige 
Bedingungen  unvermeidlich  fordern.  Es  läfst  sich  dann  fer- 
ner der  Heizungsraum  so  einrichten,  dafs  durch  diesen  wenig 
Wärme  verloren  wird,  und  indem  man  das  abgekühlte  Was- 
ser wieder  in  den  Siedekessel  zurückleitet,  oder  zu  anderwei- 
tigen ökonomischen  Zwecken  benutzt,  so  darf  man  ganz  ei- 
gentlich behaupten,*  dafs  durch  dieses  Mittel  die  gesammte 
Wärmeproduction  des  verbrannten  Feuermateriales  mit  unbe- 
deutendem Verluste  zur  Heizung  der  Käume  verwandt  wird. 
Nimmt  man  hinzu,  dais  diese  Methode  unter  allen  am  meisten 
gegen  Feuersgefahr  sichert,  und  noch  obendrein  mit  manchen 
ökonomischen  Gewerben,  namentlich  den  Destillationen,  als 
Nebenanstalt  verbunden  werden  könnte;  so  kann  man  nicht 
umhin  einzugestehen,  dafs  sie  unter  allen  die  gröfsten  und 
entschiedensten  Vortheile  gewährt.  Aus  allem  diesem  er- 
giebt  sich  aber  genügend,  wie  interessant  es  für  Ref.  gewe- 
sen seyn  würde,  ein  auf  Berechnungen  gestütztes  Urtheil  dea 
aachverständigen  Verf.  hierüber  mit  seinen  eigenen  Ansichten 
vergleichen  zu  können.  Beiläufig  mufl  Ref.  noch  erwähnen  9 
dafs  der  Verf.  eine  sehr  zweckmäfsige  und  eigentlich  wohl 
nothwendige  Einrichtung  grofser  Dampfheizungsapparate  un- 
berührt läfst,  nämlich  die  Hähne  oder  Klappen,  durch  deren 
OefTnen  oder  Schliefsen  der  Dampfstrom  regulirt,  und  den  zu 
erwärmenden  Zimmern  in  gröfserer  oder  geringerer  Menge 
zugeführt,  oder  von  ihnen  ganz  abgeschlossen  werden  kann; 
ferner  ist  des  grofsen  Vortheils  §.  128.  nicht  gedacht,  welcher 
daraus  erwächst,  dafs  man  das  Wasser  aus  den  Röhren  wie- 
der in  den  Kessel  zurückführt,  indem  dasselbe  hierdurch  stets 
rein  erhalten  wird,  und  keinen  Pfannenstein  absetzt,  welcher 
den  Kesseln  höchst  nachtheilig  ist,  und  ein  öfteres  Reinigen 
derselben  nothwendig  macht. 

Aufser  diesen  allgemeinen  Bemerkungen  mufs  Ree.  noch 
auf  einige  specielle  Gegenstände  aufmerksam  machen,  welche 
ihm  bei'm  Lesen  aufgefallen  sind,'  und  den  blofsen  Praktiker 
leicht  irre  führen  könnten.  Im  §.  4.  behauptet  der  Verf.*  man 
empfände  in  einer  28  bis  30°  R.  warmen  Luft  kaum  Wärme, 
da  doch  ein  bis  16°  warmes  Zimmer  schon  unausstehlich 
beifs  erscheint.    Was  dann  ferner  ebendaselbst  über  die  Ver- 


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222  Txedgold'ä  Grundsätie  der  Dampfheizung. 


dimstung  nasser  Kleider  gesagt  wird,  ist  eben  so  unhaltbar, 
da  die  Temperatur  derselben  obne  scharfen  Luftzug  nur  we- 
nig unter  die  der  äufseren  Umgebung  herabgeht;  überhaupt 
aber  ist  rttcksichtlich  der  Empfindlichkeit  gegen  Wärme  und 
Kälte  in  der  ganzen  Abhandlung  auf  den  wesentlichen  Um- 
stand nicht  Rücksicht  genommen,  dafs  bei  anhaltender  Ein- 
wirkung äufserer  Wärme  auf  den  menschlichen  Körper  die 
Entwickelung  der  thierischen  Wärme  bedeutend  abnimmt, 
woraus  der  unangenehme  Eindruck  der  ersten  Kälte  im  Win- 
ter erklärlich  wird.  Ein  Ausdruck  §.  50.  könnte  bei  geringe* 
rer  Aufmerksamkeit  leicht  zu  Mifsverständnissen  führen.  Es 
beifst  nämlich,  man  müsse  die  Gröfse  der  Oberfläche  der  er- 
forderlichen Dampfröhren  in  Quadratfufsen  durch  1Ö00  divi« 
diren,  um  die  Quantität  Kohlen  zu  finden,  wodurch  der 
Raum  auf  12°,  5  R.  zu  erhalten  sey,  und  durch  2100  und 
durch  2520,  um  denselben  auf  21°  oder  30°  R.  bleibend  zu 
erwärmen,  woraus  zu  folgen  scheint,  dafs  für  eine  höhere 
Temperatur  eine  geringere  Quantität  Brennstoff  nöthig  sey, 
welches  unmöglich  ist.  Genau  betrachtet  wird  man  aber  fin- 
den  ,  dafs  in  den  letzteren  beiden  Fällen  die  Gröfse  der  Ober- 
fläche wächst,  und  dadurch  der  Quotient  gleichfalls,  ohn- 
geachtet  des  gröfseren  Divisors.  Ree.  vermifst  ferner  in  die* 
ser  Abhandlung,  ihrer  grofsen  Vollständigkeit  ungeachtet, 
eine  wichtige  Vorrichtung,  welche  insbesondere  dann  unent- 
behrlich ist,  wenn  das  aus  dem  Dampfe  condensirte  Wasser 
wieder  in  den  Kessel  zurückläuft,  nämlich  ein  Ventil,  wel- 
ches die  in  den  mit  Dampf  zu  füllenden  Räumen  enthaltene 
Luft  fortläfst«  Solche  anzubringen  ist  nothwendig,  weil 
sonst  die  Luft  nicht  entweichen  ,  folglich  keine  Erfüllung  der 
Röhren  mit  Dampf  und  keine  Heizung  erfolgen  kann  ,  und 
noch  obendrein  die  Spannung  der  mit  Dampf  gesättigten  Luft 
bei  der  Siedehitze  mehr  als  den  doppelten  Druck  der  Atmo- 
sphäre betragen  würde,  worauf  solche  Apparate  nicht  einge- 
richtet zu  seyn  pflegen ,  so  dafs  also  das  Sicherheitsventil  ge- 
hoben werden,  und  Luft,  aber  auch  Dampf  entweichen 
würde.  In  der  oben  erwähnten  Abhandlung  Im  Edinburgh 
Phil.  Journal  giebt  Tredgold  an,  dafs  man  solche  Ventile 
zum  Entweichen  der  Luft  durch  Ausdehnung  der  Heizröhren 
mechanisch  Öffnen  und  schliefsen  läfst,  wonach  sie  also  zu« 
gleich  bei'm  Aufhören  der  Heizung  der  Luft  das  Eindringen 
verstatten.  Man  kann  indefs  diese  Vorrichtung  dann  entbeh- 
ren, wenn  man  das  condensirte  Wasser  nach  dem  auch  ander« 
weitig  schon  bekannten  Vorschlage  des  Verf.  durch  einen  um- 
gekehrten Heber  nicht  unmittelbar  in  den  Kessel,  sondern 


■ 

> 


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Tredgold's  Grundsätze  der  Dampfheizung. 


223 


vorher  in  eine  Cisterne  leitet,  aus  welcher  der  Kessel  gespei« 
set  wird,  eine  auch  in  so  fern  zweckmässige  Einrichtung,  als 
durch  solche  heberförmige  Röhren  bei'm  Erkalten  des  Appa- 
rates auch  die  äufsere  Luft  wieder  in  die  Dampfröhren  und 
den  Kessel  eindringen  kann.  Letzteres  hält  Tredgold  nur 
dann  für  nöthig,  wenn  die  Apparate  dem  äufseren  Luftdrucke 
nicht  widerstehen  können-  allein  es  ist  allgemein  erforder- 
lich, da  es  zweckwidrig  seyn  würde,  die  Apparate  einem  so 
grofsen  Drucke  von  14  Pfund  auf  den  Quadratzoll  unnötiger- 
weise auszusetzen,  um  so  mehr,  als  das  Sicherheitsventil 
sich  schon  öffnet,  wenn  der  Dampf  mit  4  Pfund  gegen  einen 
Quadratzoll  drückt ,  oder  eine  Wassersäule  von  etwa  9  Fufs 
trägt,  wobei  zu  berücksichtigen  ist,  dafs  die  Elast icität  des 
siedenden  Dampfes  im  Siedekessel  und  die  der  äufseren  At- 
mosphäre einander  gleich  sind  (s.  §.  102.).  Unter  den  Ven- 
tilen scheint  Tredgold  das  von  Edelkranz  angegebene, 
welches  sich  zugleich  nach  Innen  und  nach  Aufsen  öffnet, 
nicht  gekannt  zu  haben  ,  ohngeachtet  es  sicher  eins  der  besten 
ist;  sinnreich  wird  man  dagegen  den  Vorschlag  finden  ,  neben 
der  mit  einem  Ventile  verschliefsbaren  «Röhre,  durch  welche 
der  Kessel  mit  Wasser  gespeiset  wird,  eine  etwas  höhere  und 
oben  offene  anzubringen,  durch  welche  die  Luft  eindringen 
kann,  wenn  die  Spannung  des  Dampfes  im  Kessel  aufhört. 
Dagegen  wird  das  neue  Dampfvisir  des  Verf.  (Elesticitäts- 
messer  des  Dampfes )  §.  105»  eine  metallene  Platte  zwischen 
zwei  ßingen,  welche  durch  den  Druck  des  Dampfes  sich  beu- 
gen soll,  schwerlich  Beifall  finden. 

Ree.  hat  sich  lange  bei  dem  Werke  selbst  aufgehalten, 
doch  sicher  nicht  länger,  als  die  Wichtigkeit  des  Gegenstandes 
fordert,  und  es  ist  Zeit,  jetzt  noch  etwas  Weniges  über  die 
Uebersetzung  zu  sagen.  Dafs  die  Uebersetzung  eines  so  be- 
deutenden Werkes  nützlich  sey,  wird  keinen  Augenblick  be- 
stritten werden,  und  ist  oben  schon  anerkannt,  auch  leidet  es 
keinen  Zweifel,  dafs  das  Werk  Liebhaber  rinden  werde;  in- 
defs  darf  eine  billige  Kritik  deswegen  einige  gerechte  Vor- 
würfe nicht  zurückhalten.  Im  Allgemeinen  ist  zwar  die  Ue- 
bersetzung fliefsend,  und  scheint  auch  treu  zu  seyn,  wie  sich 
ohne  die  Vergleichung  mit  dem  Originale  nicht  genau  ausmit- 
teln  läfst,  allein  dafs  einige  Stellen  weggelassen  und  dagegen 
andere  vom  Uebersetzer  eingeschoben  sind,  ohne  beides  ge- 
nau von  einander  zu  sondern,  ist  eine  nicht  zu  entschuldi- 
gende Freiheit,  obgleich  in  der  Vorrede  dieses  im  Allgemeinen 
angegeben  ist.  Ein  jeder  Schriftsteller  hat  das  ,  was  er  dem 
Publicum  giebt,  vor  demselben  zu  verantworten,  und  daher 


224  TredgoltTs  Grundsätze  der  Dampfheizung. 

■ 

inufste  Hr.  Kühn  den  Text,  so  weit  er  ihn  zu  übersetzen  für 
gut  fand,  unverändert  lassen,  und  konnte  dann  allerdings 
dasjenige,  was  er  zu  berichtigen  nöthig  fand,  auf  irgend  eine 
ihm  beliebige  Weise,  aber  kenntlich  bezeichnet,  zusetzen, 
Einige  Male  ist  dieses  geschehen,  z.  B.  bei  der  zweiten  Ta- 
belle, welche  die  specihschen  Gewichte  (nicht  spec.  Schwere, 
<denn  da  alle  Materie  bekanntlich  gleich  schwer  ist,  so  kann 
es,  aller  Autoritäten  ungeachtet,  keine  s  y  e  c  i  Ii  s  c  h  e  Schwere 
geben)  der  Gasarten  enthält,  bei  der  dritten  Tabelle  über  die 
Ausdehnung  der  Körper,  welche  aus  Gehler  I,  S.  582.  genom- 
men ist  ,  und  bei  der  nach  Biot's  Formel  neu  berechneten 
sechsten  Tabelle;  allein  es  hätte  dieses  überall  geschehen  müs- 
sen. Jlücksichtlich  der  Tabellen,  wovon  die  zweite,  dritte, 
.fünfte  und  sechste  durch  den  Uebersetzer  umgearbeitet  sind, 
pereicht  diese  Bemühung  dem  Werke  offenbar  zum  Vortheile, 
namentlich  für  Deutschland  ,  wo  man  weniger  an  den  Gebrauch, 
der  Fahrenheit'schen  Skale  gewöhnt  ist,  die  Verbesserungen 
nicht  gerechnet,  welche  die  Angaben  selbst  hierdurch  erhalten 
Laben.  Namentlich  ist  die  fünfte  Tabelle  über  die  Ausdeh- 
aiung  der  Gasarten  von —  25°  bis  50Q  R. ,  ihr  Volumen 
Lei  12°  R.  als  Einheit  genommen,  nicht  ohne  grofse  Mühe 
[berechnet,  jedoch  ist  der  Zusatz  in  der  Anmerkung  S,  i9i§ 
dafs  die  Ausdehnung  der  Flüssigkeiten  auf  gleiche  Weise  be- 
rechnet werden  könne,  unrichtig,  indem  aufser  dem  Queck* 
silber  keine  Flüssigkeit  sich  regelmäfsig  ausdehnt,  wie  dieses 
Lei  der  Luft  der  Fall  ist.  Endlich  wünscht  Ree, ,  dafs  ein 
vom  Uebersetzer  gebrauchtes  Wort,  der  Kocher  (boiler) 
«tatt  Dampfkessel  oder  Siedekessel,  nicht  möge  eingebürgert 
werden.  Verschiedene  Druckfehler,  z.  B.  S.  60.  Cubikf  ufs 
.Zoll,  sind  leicht  zu  verbessern;  unangenehmer  ist  die  allge- 
meine unrichtige  Bezeichnung  der  Figuren  auf  der  zehnten 
Tafel. 

Es  läfst  sich  erwarten,  dafs  aus  einem  so  ausnehmend 
nützlichen  Werke  gar  bald  Auszüge  in  die  Zeitschriften  über- 
gehen werden.  Dabei  ist  indefs  sehr  zu  wünschen  ,  dafs  diese 
durch  Sachkenner  gemacht  werden,  welche  mit  Weglassung 
des  Ueberflüssigen  und  zum  Theil  Unrichtigen  die  Hauptsache 
in  einer  klaren  Uebersicht  zusammenstellen,  um  dadurch  einer 
an  sich  so  vortrefflichen  Sache  leichteren  Eingang  zu  ver- 
schaffen. 

M  u  n  c  k  e. 


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•  '  I 

» 


* 

N-  15.  '  .  1826. 

Heidelberger, 

Jahrbücher  der  Literatur. 

*  » »   »  • 

» 

Sammlung  Griechischer  und  Römischer  Autoren 
bei  Töübner  in  Leipzig« 

•  •  • 

Wir  haben  in  No.  2.  S.  32  f.  dieser  Jahrbücher  ,  Jahrgang 
1826  t  bei  unserer  Anzeige  des  Parthenius  ex  ed.  Passow. 
bei  Teubnet,  im  Allgemeinen  der  Sammlung  classischer 
Autoren  ,  sowohl  Griechischer  als  Römischer  |  gedacht,  welche 
in  Leipzig  bei  Hrn.  Teubner  erscheinen,  auch  einige  von 
den  Autoren  namhaft  gemacht ,  welche  bereits  daselbst  er* 
Schienen  sind.  Ree.  rindet -sich  um  so  mehr  veranlafst  j  nähe- 
ren Bericht  davon  2u  erstatten,  als  diese  Ausgaben  sich  in 
jeder  Hinsicht  empfehlen,  und  ihrem  Zweck  so  vollkommen 
entsprechen.  Dieser  Zweck  nämlich  ist  kein  anderer  ,  als 
für  den  Schulunterricht,  wie  für  den  Gebrauch  bei  akademt- 
«eben  Vorlesungen  und  für  das  Frivatstudium  Ausgaben  zu 
liefern,  die  durch  einen  von  falschen  Lesarten  wie  von  Druck- 
fehlern gleich  gereinigten  Text,  so  weit  solches  nach  den 
vorhandenen  Hülfsmitteln  nur  immer  möglich  ist,  durch  rich- 
tige Interpunction  und  Orthographie,  dutch  deutliche  Lettern, 

§uten  Druck,  durch  ein  angenehmes  Aeufsere  und  billigen 
reis  allen  den  Forderungen  entsprechen,  welche  man  in  die- 
ser Hinsicht  zu  machen  gewohnt  ist.  Allen  diesen  Forderun- 
gen aber  ist  in  den  bisher  erschienenen  Theilen  dieser  Samm- 
lung aufs  rühmlichste  entsprochen;  es  ist  Alles  aufgeboten 
Worden,  was  zu  dem  bemerkten  Zweck  dienlich  seyn  und 
dem  Unternehmen  zur  Empfehlung  gereichen  konnte.  Darum 
werden  Schulmänner  insbesondere  mit  dem  gröfsesten  Nutzen 
diese  Ausgaben  gebrauchen,  und  der  akademische  Lehrer,  der 
diese  Ausgaben  seinen  Vorlesungen  über  einzelne  Schriftstel- 
ler äu  Grunde  legt,  wird  sich  eben  so  sehr  bald  von  den  Vor- 
theilen Überzeugen,  die  diese  Ausgaben  vor  jeden  andern  bei 
«einen  Vorträgen  ihm  gewähren.  Jüetzteres  mag  insbesondere 
von  denjenigen  Autoren  gelten ,  die  ihres  Inhalts  wie  ihrer 
Sprache  wegen  weniger  auf  Schulen  gelesen  werden  können , 
sondern  mehr  für  akademische  Vorträge  oder  für  Privatlectüre 

XIX.  Jahrg.    2.  Heft.  15 


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226 


Griechische  und  Heimische  Autoren. 


sich  eignen 4  wie  z.B.  Aristopbanes,  Dionysius  Pe- 
riegetes,  die  Griechischen  Erotiker  u.  s.  w.  Um 
»her  den  Leser  in  den  Stand  zu  setzen,  selber  zu  übersehen 
tind  zu  beuriheilen,  was  in  diesen  Ausgaben  geleistet  worden, 
will  ReC.  die  einzelnen  Theile  dieser  Sammlung  durchgehen, 
und  auf  das  Unterscheidende  derselben ,  was  ihnen  zur  beson- 
deren Empfehlung  gereicht,  aufmerksam  machen» 

Aristophanis  Co  mos  diae*     Ad  opthnorum  librOrum  fiAem  cum 
hrevi  annotatione  critica  editae  (von  Wilh.  Diw&orf)*  Lipsiaef 
Sumtibus  et  typis  B.  G.  Teubnerl.  MDCCCXXF*   VoU  l.  547 
VoU  IL  428  St  2  Thlr. 

In  dieser  Ausgabe  ist,  was  die  Constituirung  des  Textes 
anbelangt,  von  den  bis  jetzt  bekannten  kritischen  flülfsmit- 
teln  ein  Gebrauch  gemacht,  wie  solches  in  keiner  der  bishe- 
rigen Ausgaben  des  Aristopbanes  der  Fall  gewesen  ist.  Der 
Text  ist  von  mannichfachen  Fehlern  ,  von  manchen  unnöthi- 
gen  Verbesserungen  Brunk'S  (dessen  Recension  die  bisher  in 
den  Handausgaben  vorherrschende  war)  gereinigt,  und  nach 
den  bessern  Handschriften  berichtigt,  insbesondere  findet  sich 
eine  durchweg  verbesserte  gleichförmige  Schreibart  in  einzel- 
nen Wörtern ,  Redensarten  u.  dergl.,  so  wie  in  Einführung 
der  bei  Aristophanes  vorherrschenden  Attischen  Formen ,  was 
in  gleichem  Maafsö  von  den  Stücken  Dorischer  Schreibart 
gilt ,  Welche  in  einzelnen  Dramen  (z.  B.  in  den  Achamern) 
vorkommen.     Eben  so  ist  eine  bessere  Versabtheiläng  ein- 
geführt  da,   wo  die  frühere  fehlerhaft  und  unbegründet  er- 
scheinen konnte«     Der  erste  Band  enthält  die  Acharner, 
die  Ritter*  die  Wolken*  die  Wespen  und  den  Frie- 
den* den  Text  mit  den  Griechischen  Argumenten  zu  Anfange 
eines  jeden  Stückes.    Am  Schlüsse  des  Ganzen  von  S.  340  — 
347.  ist  die  Annotatio  Critica  beigefügt,   was  Ree.  deshalb 
ausdrücklich  bemerken  mufs§   damit  man  nicht  etwa  dieser?  » 
Annotatio  critica  auf  den  hlofsen  Titel  hin  einen  allzu  grofsei* 
Umfang  Zuschreibe,  der  die  Masse  des  Bandes  bedeutend  ver- 
größert und  darum  dasselbe  dem  oben  bemerkten  Zwecke  min* 
der  entsprechend  machen  könnte*    Denn  keineswegs  hat  der 
Herausgeber  hier  alle  die  Abweichungen  von  dem  -hergebrach- 
ten Brunk'scben  Texte*  oder  die  eigenmächtig*  zumal  nach 
handschriftlicher  Autorität  vorgenommenen  Aenderungen  auf- 
geführt i  er  sagt  vielmehr  se'ber:   „  quae  quia  longum  est  ex- 
ponere  omnia  ,  pauca  elegi  ,  de  quibus  hac  annotatione  dice- 
rem.«    Daher  geben  die  folgenden  Bemerkungen  einige  meist 


■ 


-    Grieohischo  ond  Römische  Autoren.  227 

kürzere  Verbesserungsvorscbläge  an,  und  zwar  blos  zu  den 
Acharnern,  Rittern,  Wespen  und  zum  Frieden.  In  gleicher 
Kürze  sind  die.  Bemerkungen  zum  zweiten  Bande ,  welcher 
die  übrigen  Stücke:  die  Vögel,  die  Thesmophoriazusen ,  Ly- 
sistrata,  Frösche,  Ekklesiazusen  und  Plutus  enthalt t  abge- 
falst;  hier  nimmt  ebenfalls  die  Annotatio  critica  keinen  gros- 
seren Raum ,  als  von  S.  423  — •  428.  ein ,  und  verbreitet  «ich 
auch  hier  nicht  über  alle  Stücke.  Ref.  hat  sich  die  Mühe 
nicht  verdrießen  lassen,  bei  mehreren  Komödien  eine  genaue 
Vergleichung  der  hier  gelieferten  Recension  mit  der  früheren 
anzustellen;  er  fand  sich  aber  auf  diese  Weise  vollkommen 
überzeugt,  wie  hier  überall  ein  durchgängig  verbesserter  und 
berichtigter  Text  (worauf  hier  so  viel  ankommt)  geliefert  ist, 
der  unbedingt  vor  jedem  bisherigen  den  Vorzug  behauptet; 
wie  ferner  eine  seltene  Correctheit  überall  anzutreffen  ist, 
welche  zu  erreichen,  wie  Jeder  weifs,  der  in  solchen  Dingen 
eigene  Erfahrungen  gemacht,  keine  Kleinigkeit  ist.  Ree. 
will  hier  nur  beifällig  Einiges  aus  den  Achernern  anführen; 
Z.  B.  Vers  10.  statt  des  unrichtigen  SVa  &Jt*  «k*x»v>J  atebt  hier 
das  Richtigere  :  "ra  3$  '  *  ax *J v *?•  VS^  vs*  lö*  Ehen  so  gleich 
darauf  vs.  12.  tcus  tovt*  poy  ftpusff  tiJv  mooo/aV  >tatt  des  bis- 

herigen matten  c  e" <rat.  Ree.  erinnert  Zweifler  nur  an  Monk 
zu  Euripides  Hippoi.  448.  Äristoph.  Nub.  881.  coli.  696  etc. 
Sollte  aber  auch  statt  ^ou  nicht  ein  pot  iiier  zu  setzen,  seyn? 
Ibid.  vs.  35.  yt9>jv  für  gfy#  Vs.  68.  ist  die  gewöhnliche  liesart: 
y.ai  B*jr  ir^v^'unDa  3/a  tcu  v  KaOcrf/coV  irs&iaov  oäanrAavcuvr«;-  etc.  ;  Wo- 
für sich  hier  nach  dem  Codex  Raven nas  findet  :  if&uy^ofxs&Bct 
•xaqa  Kauotftov  lciifm  o$otx\avoZvT8; i  und  in  der  Annotatio  critica 
vorgeschlagen  wird  :  xo^a  ULatiorgtov  «tS/etf.  In  diesem  Fall  aber 
fragt  Ree. ,  ob  nicht  statt  des  ra^ä  ein  aufgenommen  wer« 
den  dürfte?  —  V$.  133.  ist  statt  xtgyvori  auf  die  Autorität 
des  Grammatiker  Herodiahus  aufgenommen  die  Form  aa^vara* 

—  Vs.  158.  Stätt  ävo4&at*ii         das  Richtigere  a^QT&siaw* 

—  Vs.  295-  ist  it|Ta  </  aJ  ymtouw  verbessert  in  das  Richtige: 
mara,  tra  yy&<TQH&v9  eben  so  im  folgenden  Verse:  ju^Sapu^v  irg.lv  av 
y  cixovffifT*  *  dkk*  aLvaeypeg  ulyctSot  (wie  zum  Theil  schon  Elmsley 
emendirte)  statt  dvcieysiaS  %  uJ  'yaBoi,  — r  Vs.  323.  htuvat  rü^a 
cofxai  f  wo  bei  Brunck  y  d$a  steht,  was  grundfalsch  und  un- 
richtig ist,     —    Vs.  601* 

Die  auffallende  Construction ,  die  Schäfer  zu  Lambert.  Bos.  de 
Ellips.  p.  479.  zu  erläutern  suchte,  hält  der  Herausgeber  für 
eine  Ausgeburt  der  Abschreiber ,  und  verbessert  demnach  0Jog 
ort,  für  welche  Structur  auch  die  angeführten  Stellen  aus  De- 
mosthenes  und  Aeschines  zeugen  können.  Doch  kann  sich  Ree, 


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228  Griechische  und  "ftoraisohe  Autoren. 

noch  nicht  vollkommen  von  der  Richtigkeit  dieser  Emendation 
tiberzeugen.,  zumal  da  die  Attraction  veav/a;  3*  cious  nicht  als 
irregulär  abgewiesen  werden  kann,  wie  ähnliche  von  Matthiä 
§.  473.  Not.  1.  pag.  653.  angeführte  Stellen  beweisen.  Sollte 
etwas  zu  ändern  seyn,  so  würde  Ree.  lieber  vorschlagen  0?oy{ 
o-*,  wie  weiter  unten  vs.  703.  $vt$u  ku$cv,  »JA/kov  0oüxv3i- 
5>jv,  was  auch  Matthiä  a.a.O.  p.  654.  erwähnt  hat.  Inden 
vs.  729  ff-  vorkommenden  zahlreichen  Dorischen  Formen  und 
Wörtern  hat  der  Herausgeber  insbesondere  hülfreiche  Hand 
geleistet,  so  dals  wenige  Verse  sich  finden,  die  nicht  in  ir- 
gend einer  Weise  berichtigt  worden.    Aber  auch  im  Uebrigen 
empfiehlt  sich  dieser  Text  'durch  die  berichtigte  und  gleich- 
roäfsig  durchgeführte  Schreibart,  wie  z.  B.  '  avJjp  (vs.  47^.)» 
ou  (vs.  421.),  ouyw  (4L)»  roZ^yov  (vs.  8  ),  Jv3^  (53.),  Ä*ßa* 
Tuva  (vs.  64.),  otyXwv  (vs.  691.  statt  des  alten  ©$Xcuv,  das  so 
wenig  richtig  ist,  als  z.  B.  S!ymv%  wenn  auch  gleich  Buttmann 
in  der  ausführlichen  Grammatik  S.  204  des  zweiten  Bandes 
noch  Zweifel  hegt;  vergl.  ibid.  S.  149.    Auch  im  Demosthe- 
nes  ist  jetzt  überall  ofcAwv  und  tyktjv  hergestellt  :   s.  die  Prae- 
jfat.  zu  Vol.  I.  pa|T.  XIII.);  eben  so  ist  das  unrichtig  gesetzte 
jota  subscript*  bei  einer  Crasis,  als  z.  B.  Ka*W  (vs.426.)  und 
in  ähnlichen  Fällen  überall  weggeblieben;  was  wir  um  so  löb- 
licher finden  mufsten  ,  als  gerade  bei  Ausgaben,  die  den  Zweck 
haben,  wie  Vorliegende,  Fehler  dieser  Art  um  so  nachtheili- 
ger sind  ,  weil  durch  sie  bei  den  Lernenden  so  leicht  gramma- 
tische Irrthümer  und  Unrichtigkeiten  sich  fortpflanzen.  Auch 
ist  überall  statt  des  bisherigen  h'fxatf  Itfjujv  ein  Ufteu ,  <Vpjv  (z.  B» 
E(JC[.  625.)  gegeben;  über  welche  Aenderung  wir  von  Ludwig 
Dindorf  *u  Euripid,  Suppl.  699.  eine  ausführlichere  Erklärung 
erhalten.    Sehr  ist  es  zu  loben,  dafs,  obgleich  durch  manche 
Veränderung  in  der  Abtheilung  der  Verse,   wie  solche  durch 
die  seitdem  tortgeschrittene  Metrik  erforderlich  gemacht  wur- 
den, die  Zahl  der  Verse  bald  vermindert,  bald  auch  vermehrt 
•worden*  ist,   dennoch  die  alte  Zählung  der  Verse  durch  die 
dem  Rande  beigesetzten  Verszahlen  beibehalten  worden  ist: 
ein  Verfahren,  wodurch  der  Verwirrung,  die  sonst  imfehlhar 
veranlagst  wird ,  am  besten  vorgebeugt  werden,  und  die  Aus- 
gabe selber  in  den  Händen  ihres  Besitzers  um  so  brauchbarer 
werden  kann, 


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Griechisch*  uud  R&niiolie  Autoren.  029 

• 

Euripidis  fabulaa  cum  annolatbnibus  Ludovici  DindorfiL 
Vol.  I.  MedeaM  Hippolytus  9  Alcestis ,  Heraclidae,  Supplices9 
Troades,  Rhesus 9  hm,  Helena*  500  S.  in  S.  Fol.  11.  An- 
dronu  EU  ct.  Hercul.  für.  Bacch.  Hec.  Phoen*  Orest.  Iphigen. 
Cyd.  541  S.    Lipsiae  etc.  MDCCCXXF.         %  Tblr.  4  Gr. 

Zu  Anfang  findet  sich  auf  den  beiden  ersten  Seiten  yivoi 
Ev;t*<*otf  xai  ßfoi ,  dann  folgen  die  einseinen  Tragödien  in  der 
auf  dem  Titel  angegebenen  Folge,  mit  jedesmal  Vorausgesetz« 
tem  Griechischen  Argument.  Von  S.  445  —  483.  laufen  Scho- 
lia  Faticana  :n  Troades  et  Rhesum,  mit  einzelnen  Verbesserungen 
oder  Verbesserungsvorscblägen ,  die  unter  dem  Text  icurz  an- 
gedeutet sind.  Von  S.  48*  —  499.  geht  die  Annotatio  critica, 
ganz  in  derselben  Weise  und  Anlage,  wie  wir  solches  bei  der 
Ausgabe  des  Aristophanes  bemerkt  haben.  Auch  hier  sind  es 
Llos  einzelne  Bemerkungen  zu  einzelnen  Stellen,  welche  vor- 
getragen werden,  da  eine  Angabe  aller  einzelnen  Aenderungen 
oder  Abweichungen  von  der  bisherigen  Lesart  die  Masse  der 
Annotatio  critica  allzu  sehr  vermehrt  und  so  zu  befürchten 
gewesen ,  dafs  der  ursprüngliche  Zweck  und  die  Bestimmung 
dieser  Ausgaben  gefährdet  würde.     Was  wir  aber  über  die 


Constituirung  des  Textes  bei  Aristophaues  bemerkt  haben, 
die  bessere  Schreibart,  die  berichtigte  Versabtheilung  u.s.w. , 
mufs  auch  von  dieser  Ausgabe  in  gleichem  Maafse  gelten,  und 
ihr  in  gleichem  Maafse  zur  nicht  geringen  Empfehlung  ge- 
reichen. 

Sophoclis  Tragoediäe.  Cum  praefatione  Guillelmi  Din- 
dorfiL Lipsiae  etc.  MDCCCXXF.  LXXI1I  und  588  S. 
in  8.  1  Tblr. 

Die  einzelnen  Dramen  folgen  in  der  Ordnung  auf  einan- 
der :  Ajax,  Electra,  Oedipus  Tyrannos,  Antigone, 
Trachinerinnen,  Philoctet,  Oedipus  epi  Kolono, 
und  am  Schlufs  des  Textes  S.  385 —  388.  iotponAVou?  ßto;-  Eine 
Annotatio  critica  ist  nicht  beigefügt,  indem  statt  ihrer  die 
Praefatio  dienen  kann.  In  dieser  nämlich  theilt  zuvörderst 
der  Herausgeber  die  Varianten  von  drei  Mediceiscben  Hand- 
Schriften  mit,  wovon  die  erste  vorzüglichere  aus  dem  vier- 
zehnten Jahrhundert,  auf  Pergament  geschriebene  (No.  2725. 
fr])  vier  Stücke  enthält:  Ajax,  Electra,  Philoctet,  Oedipus 
Tyrannos;  die  beiden  andern  von  minderem  Werth,  und  auf 
Papier  geschrieben  (No.  2788.  [A]  und  28l7#  [01  ^»  aus  dem 
vierzehnten  und  dreizehnten  Jahrhundert,  nur  drei  Stücke: 
Ajax,  Electra  und  Oedipus  Tyrannos  enthalten,     Dafs  diese 


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230  Griechische  und  Romische  Autoren. 

Handschriften  auch  für  die  Constituirung  des  Textes  und  Be- 
richtigung mancher  fehlerhaften  Stellen  nicht  ohne  Nutzen 
gewesen  sind,  hraucht  Ree.  nicht  noch  besonders  zu  bemer- 
ken.   Auch  Verbesserungen  anderer  Gelehrten  sind  «mit Nutzen 
angewendet,  eigene  Conjecturen  seltner  zugelassen  worden. 
Die  Gründe  jeder   einzelnen  Aenderung  und  Verbesserung 
konnten  aus  denselben  Ursachen,  wie  bei  Aristophanes  und 
Euripides,  nicht  alle  angeführt,  und  somit  auch  alle  die  Aen- 
derungen  selber  nicht  namhaft  gemacht  werden;    auch  ver- 
weist uns  der  Herausgeber  wegen  mancher  von  ihm  vorge- 
nommenen Veränderungen  auf  seine  Recension  der  Wunder- 
schen Ausgabe  des  Sophocles.    So  enthalten  wiederum  S.LVI 
—  LXXI1I  blos  einige  einzelne  Bemerkungen,  besonders  me- 
trische, zu  einer  Anzahl  Stellen  aus  dem  Ajax,  dem  Philoctet 
und  den  beiden  Oedipus.     Wenn  auch  gleich  bei  Sophocles 
dem  Herausgeber  bessere  Vorarbeiten  zu  <*ebot  standen,  wie 
bei  den  übrigen  Autoren,  und  in  so  fern  ihm  seine  Arbeit  er- 
leichtern konnten,  so  weifs  doch  jeder,  der  mit  der  Leetüre 
des  Sophocles  einigermafsen  vertraut  ist,  wie  viel  doch  im- 
mer hier  noch  zu  thun  ist,  und  welche  Schwierigkeiten  ein 
Herausgeber  zu  bestehen  bat.    Darum  eben  wird  der  hier  ge- 
liefert^ Text  um  so  mehr  gerechte  Anerkennung  und  Billigung 
finden,  als  eben  die  Arbeiten  der  Vorgänger  und  die  dadurch 
weiter  vorgeschrittene  Kritik  des  Sophocles  mit  die  Grundlage 
bilden,  und  gleiche  Vorzüge,  wie  bei  den  vorher  genannten 
Ausgaben,  auch  hier  bemerklich  sind.     In  der  Zahlung  der 
Verse  ist,   um  Verwirrung  zu  verhüten,  dieselbe  Zählungs- 
vveise  beibehalten  ,  die  wir  oben  bei  Aristophanes  bemerkten. 


Homer  i  Carmina  ad  optimorum  lihroram  fidem  expressa  ,  enranto 
Ouilielmo  Dindorfio.  Lipsiae  etc.  MDCCCXXIK  Voll 
Utas.  U  u.  447  f.    fol.  II.  Odyssea.  348.5.    1  Thlr.  12  Gr. 

Aus  dem  VorwQrt  des  Herausgebers  ersehen  wir,  was 
auch' nähere  Einsicht  und  Vergleichung  der  einzelnen  Stellen 
bald  lehren  kann,  dafs  es  hier  nicht  um  eine  neue  Recension 
des  Textes  zu.  thun  war  (was  auch  bei  diesem  Autor  gerade 
jetzt  nicht  erwartet,  noch  verlangt  werden  kann),  sondern 
dafs  es  hier  hauptsächlich  darum  zu  thun  war,  einen  möglichst 
correcten  ^ext  dera  ^Bedürfnisse  der  Schulen  u,  s.  w.  ent- 
sprechend ,  zu  liefern.  Dies  ist  aber  auch  in  jeder  Hinsicht 
geschehen und  man  wird  sich  in  dieser  Hinsicht  gewifs  voll- 
kommen befriedigt  finden.  Nur  höchst '  wenige  ,  minder  be- 
deutende Äenderungen  sind  deshalb  von'  dem  Herausgehe* 


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Griechische  und  Römische  Autoren.  23 1 

vorgenommen  worden ,  und  diese  betreffen  meistens  nur  die 

Orthographie:  ein  Gegenstand,  um  den  sich  auch  in  den  bis-% 
her  bemerkten  Ausgaben  des  Aristophanes,  Euripides  und 
Sophocles  die  Herausgeber  grofse  Verdienste,  und  ihren  Aus- 
gaben eigene  Vorzüge  vor  den  übrigen  verschafft  haben.  Denn 
wenn  auch  manche  richtigere  Schreibart  schon  früher  aner- 
kannt worden,  so  hatte  man  doch  bisher  noch  niebt  davon 
die  allgemeine  Anwendung  gemacht.  Unter  den  Wörtern, 
welche  auf  diese  Weise  hier  in  berichtigter  Schreibart  erschei- 
nen, führen  wir  noch  i^w  an,  welche  Schreibart  auf  die 
Auctorität  des  Grammatikers  Herodianus  bin  eingefühlt  wor- 
den; wie  denn  überhaupt  die  in  Schreibart  gemachten  Aende- 
rungen  sich  meistens  auf  die  Auctorität  alter  Grammatiker 
gründen. 

Hesiodus  cum  hrovi  annotationo  critica  edidit  l^udooic  us  D  In- 
dorf ins.  Lipsiateu.  MDCCCXXr.    IV  u.  108  S.      6  Gr. 

Zuerst  das  Leben  des  Hesiodus  aus  Proclus,  dann  folgt 
Ins  S.  71.  der  Text  der  drei  noch  vollständig  auf  uns  gekom- 
menen Werke  des  Hesiodus,  Hier  sind  die  b}s  jetzt  bekann- 
ten kritischen  Hülfsmittel  zum  Hesiodus  sämmtlich  so  benutzt, 
dafs  wir  hier  einen  möglichst  berichtigten  und  verbesserten 
Text  erhalten  ,  dergleichen  die  früheren  Herausgeber  des  He- 
siodus uns  nicht  darzureichen  vermochten.  Einen  eigenen 
Werth  erhalt  ferner  diese  Ausgabe  durch  die  vollständige 
Sammlung  der  Hesiodeischen  Fragmente  S.  72  —  $00.  Es  ist 
zum  Theil  ein  Abdruck  aus  Gaisford  poetae  minores,  wo  sich 
l)is  jetzt  die  Fragmente  am  vollständigsten  gesammelt  fanden, 
und  auch  die  Noten  von  Gaisford  und  Ruhnkenius  sind  zum 
Theil  mit  abgedruckt.  J£s  hat  aber  der  Herausgeber  aus  seit- 
dem bekannt  gewordenen  Grammatikern,  die  freilich  Gaisford 
noch  nicht  kannte,  dreizehn  neue  Fragmente  hinzugefügt,  so 
dafs  die  Zahl  sämmtlicher  Fragmente  'sich  auf  hundert  und 
eins  beläuft.  Die  Annotationes  füllen  S.  101—  108,  sie 
enthalten  kritische  und  grammatische  Bemerkungen ,  Verbes- 
serungsvorschläge  u.  dergl. ;  wir  machen  insbesondere  auf- 
merksam auf  die  längere  Note  zu  vs.  617  der  Theogonie  über 
Bgugttvfi  zu  vs.  720  ff.  Die  Beschreibung  des  Tartarus,  hält 
der  Herausgeber  für  das  Werk  nicht  eines  einzelnen  Dichters, 
sondern  als  aus  nicht  weniger  als  acht  verschiedenen  Gedichten 
zusammengesetzt,  und  so  bat  er  versucht,  diese  acht  verschie- 
denen Gedichte  nach  den  einzelnen  Versen  auszumitteln  und 
rieben  einander  zusammenzustellen  ;  welcher  Versuch  gewifs 
volle  BeachtuSu  verdient. 


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233  Gueohiscliö  und  Römische  Autoren. 

ThcQcriii,  Bionis  et  Moschi  Carmina  edidit  Augustus  Mßi- 
ftpkp.  yJcccdit  brevis  annqtatio  trUica,  "Lipsiao.  MDCCCXXV, 
151      in  3.  %0  Gr. 

Auch  hier  ist  das  QsoK^rovi  yivoe  und  die  l-roBfruc.  der  ein» 
seinen  Idyllen  vorausgeschickt,  der  Text  selber  dann  nach 
den  neuesten  Hülfsmitteln  berichtigt  gegeben ,  woran  sich* 
wie  bei  den  andern  Ausgaben,  eine  kurze  Annotatio  critica 
von  S.  144  —  151.  anschliefst,  in  welcher  theils  von  gemach- 
ten Aenderunge  i  Rechenschaft  gegeben,  theils  anderer  Gelehr- 
ten ,  so  wie  des  Herausgebers  Yerbesserungsvorschläge  bemerkt 
und  in  der  Kürze  besprochen,  theils  gebilligt,  theils  auch  öfter 
als  uunOtbjg  abgewiesen  werden.  Wir  müssen  übrigens  auch 
bei  dieser  Ausgabe  dasselbe  Unheil  ,  das  wir  bei  den  andern 
Ausgaben  ausgesprochen ,  wiederholen,  und  dieselben  Vor- 
züge auch  dieser  Bearbeitung  der  Griechischen  Bukoli^er  zu- 
erkennen. 

Dionysii  orhli  lettarum  descrlptlo,  Recensuit  et  adnota» 
tione  critica  initruxit  Pranciscus  Pastow.  Accessit  tabula 
geographica  lapidi  inscripta.  Lipsiae  etc.  MDCCCXXV.  XV 
und  l«4  S?  in  8.  *0  Gr. 

Diese  Ausgabe  verdient  in  mehr  als  einer  Hinsicht  all« 
Aufmerksamkeit.  Vorerst  betrifft  sie  einen  Schriftsteller ,  der 
in  früheren  Zeiten  mit  vielem  Eifer  gelesen  und  erklärt,  dann, 
besonders  wahrend  des  verflossenen  achtzehnten  und  auch 
siebenzehnten  Jahrhunderts  gänzlich  in  Vergessenheit  gera- 
then  wari  und  in  neueren  leiten,  als  die  Wichtigkeit  dieses 
Autors  und  der  traurige  Zustand  desselben  mehrere  belehrte 
zu  ejner  Bearbeitung  desselben  veranjafste,  eben  diese  Männer 
nach  einander  durch  den  Tod  dahinschwinden  sab.  Wir  nen- 
nen hier  nur  Bredow,  Spohn  und  Wem  icke,  lauter 
]\länn*r,  mit  eben  so  viel  Henntnifs  und  Gelehrsamkeit,  als 
auch  kritischen  HüH'smittelp  ausgerüstet,  der  JLrstere  mit 
zahlreichen  Pariser  Collationenj  der  Letztere  unter  anderm 
mit  den  Bemerkungen  des  gelehrten  Lucas  Holstenius.  Der 
\Viiust  mufste  um  so  bedeutender  erscheinen,  als  auch  die 
•pnst  mit  einem  brauchbaren  kritischen  Apparat  versehene 
Ausgabe  d*-s.  seeligen  Matthiä  in  Frankfurt  doch  einen  berich- 
tigten 'XV*t  keineswegs  zu  liefern  vermochte.  Unter  splchen 
VeeL;;hnissen  war  die  Heransgabe  eines  Schriftstellers  ,  dessen 
Wichtigkeit  und  Nutzen  jetzt  wieder  gehörig  gewürdigt  zu 
Warden  beginnt,  um  40  notwendiger ,  da  wir  eines  brauch- 
baren Textes  eigentlich  entbehrten.     Um  so  erfreulicher  aber 


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Griechische  und  Römische  Autoren. 


233 


mufste  diese  Ausgabe  werden,  wenn  sie  mit  neuen  kritischen 
HüUsmitteln  unternommen  war,  die  vereint  mit  (Jen  früher 
bekannten,  einen  Lesseren  Text  zu  liefern  im  Stande  waren: 
wie  solches  hei  dieser  Ausgabe  der  Fall  ist.  Mit  Beseitigung 
unnötbiger  Conjecturen  neuerer  Gelehrten,  mit  Verbesserung 
falscher  .Lesarten  durch  die  bemerkten  Hülfsmittel ,  wobei  nur 
weniges,  wie  Orthographie,  Interpunction  u.  dergl. ,  nach 
eigenem  Ermessen  geändert  ward,  ist  dem  Herausgeber  solches 
möglich  geworden;  wobei  er  sorgfältig  beflissen  gewesen, 
jede  Stelle,  in  der  er  von  der  Lesart  der  Handschriften  abge- 
wichen, in  der  Adnotatio  critica  zu  bemerken,  und  so  üher 
keine  Lesart  uns  im  Zweifel  zu  lassen.  Nimmt  man  dazu  die 
meisterharte  Correctheit  des  Drucks,  besonders  wenn  man 
die  von  Druckfehlern  wimmelnden  und  deshalb  ganz  unleser- 
lichen älteren  Ausgaben  vergleicht,  so  müssen  wir  uns  zu  die- 
ser Ausgabe  doppelt  Glück  wünschen.  Ueber  den  Verfasser 
selber  und  dessen  Werk  deutet  uns  Hr.  Passow  S.  XIV  und 
XV  seine  eigene  Ansicht  kurz  an.  Er  hält  Dionysius  für  einen 
Libyer,  und  setzt  die  Abfassung  des  Werkes  nicht  vor  die  Re- 
gierung des  Domitian  und  njclit  nach  dessen  Tode;  auch  ist 
er  nicht  der  Meinung ,  dafs  bedeutende  Lücke/1  in  diesem 
Stück  sich  vorfänden,  wie  wohl  Einige  zu  behaupten  versucht 
haben.  S.  i  —  37.  steht  der  Text;  dann  S.  38  —  104.  die 
Adnotatio  critica.  Hiezu  wurden  die  Commentarien  des  Eu- 
stathius,  die  älteren  Lateinischen  Uebersetzun- en  des  Avie- 
nus  und  Priscianus  und  das,  was  Neuere  versucht,  benutzt; 
auch  finden  sich  die  Abweichungen  von  dem  Texte  des  Hono- 
rius  Stephanus  (nach  der  Ausgabe  von  1577.)  und  Matthiä 
immer  augegeben.  Dabei  finddje  Varianten  der  von  Stepha- 
nus, der  sechs  in  der  F.igliscben  Ausgabe  von  Thwaites  und 
der  beiden  von  JVXatthiä  verglichenen  Handschriften  sorgfältig 
zusammengetragen  4  und  ibuen  die  Vat  ianten  von  fünf  andern 
unbenutzten  Handschriften  vollständig  hinzugefügt.  Letztere 
bestehen  aus  einer  Rhedingerscben  Handschrift,  1488  ge- 
schrieben und  mit  der  ScheTlersheimschen  meistens  überein- 
stimmend, ferner  aus  einem  Codex  Gudianus  in  der  Wolfen* 
büttler  Bibliothek  (verglichen  durch  Hrn.  Gonrector  Krüger), 
einer  Dresdner,  einer  Münchner  und  Moskauer.  Aufserdem 
werden  noch  gelegentlich  Varianten  mancher  andern  Codd.  an- 
geführt, welche  andere  Gelehrte  in  ihren  Werken  gelegentlich 
angeführt  hatten.  An  sie  knüpfen  sich  dann  weiter  die  eignen 
schätzbaren  Bemerkungen  des  Herausgebers.  Gelegentlich 
erhalten  wir  auch  Nachricht  von  einigen  zu  Rqudnitz  an  der 
Elbe  in  der  Bibliothek  des  Fürsten  Lobkowiu  befindlichen 


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234 


Griechische  und  Römische  Autoren. 


Händschriften ,  eilf  Griechischen  und  fünf  Lateinischen  ,  worun- 
ter ein  Plato  ,  ein  Diogenes  von  Laerte,  ein  Demosthenes, 
Dionysius  Periegetes  und  Dionysius  Areopagita,  Einiges  voii 
Plutarch's  Morahen  u.  s.  w.  Die  beigefügte  Tafel  des  Dio- 
nysischen Weltkreises  auf  Steindruck  ist  eine  sehr  brauchbare 
Zugabe, 

Wir  wenden  uns  nun  zu  den  Prosaikern.  Auch  hier  be- 
merkt Ree.  im  Allgemeinen,  finden  sich  überall  die  Beweise 
des  Bestrebens,  den  Text  auf  die  Grundlage  der  älteren,  an- 
erkannt besseren  Handschriften  zurückzuführen,  die  eigen- 
t hü mlichen  Formen,  sey  eS  des  Dialekts  oder  des  einzelnen 
Schriftstellers,  wiederherzustellen,  mit  Benutzung  der  Re- 
sultate neuester  Forschungen.  Dazu  die  aufserordentliche 
Correctheit  des  Druckes,  die  wirklich  in  Erstaunen  setzen 
mufs.  Auf  diese  Weise  können  wir  uns  bei  manchen  Schrift- 
stellern wohl  rühmen,  hier  erst  einen  gehörig  richtigen  und 
ursprünglichen  Text  zunächst  dem,  wie  er  aus  der  Hand  des 
Verfassers  geflossen  seyn  mag ,  zu  erhalten.  Ree.  will  bei  der 
Anzeige  der  einzelnen  Autoren  ,  die  deshalb  dem  Schulge- 
brauche sich  ganz  vorzüglich  eignen  ,  diese  Vorzüge  nicht  wie- 
derholen ,  es  genüge  hier,  sie  im  Allgemeinen  angedeutet  und 
besprochen  zu  haben, 

A  e  s  chi  ni  s  Oratione  s.  Curavit  Guilielmus  Dindorfius. 
Accesserunt  Lectiones  codicis  Havnietuis  ad  orationem  contra  Ti- 
marchum.    Lipsiae  etc.  MDCCCXXIV.  190  S.  10  Gr. 

In  dem  angenehmsten  Aeufseren ,  niedlichem  Druck,  schar- 
fen und  deutlichen  Lettern,  die,  obgleich  klein,  doch  durch 
ihre  Stellung  das  Auge  nicht  angreifen,  erhalten  wir  einen 
möglichst  gereinigten  und  gebesserte/i  Text  des  Aeschines ) 
wobei  zugleich  die  Seitenzahlen  der  Stephan'schen  Ausgabe 
bemerkt,  und  eine  eigne  Zählung  der  Zeilen  auf  jeder  oeite 
mit  5  — -  10  u.  s.  w.  veranstaltet  ist.  Statt  der  Adnotatio  cri- 
tica  erhalten  wir  am  Schlufs  die  vollständige  Collation  der  auf 
dem  Titel  bemerkten  Koppenhagener  Handschrift  mitgetheilt. 
Die  Collation  dieser  trefflichen  Handschrift  der  Königlichen 
Bibliothek  zu  Koppenhagen  No.  415-  ist  von  Hrrt.  Bloch 
nach  der  Reiske'schen  Ausgabe  gemacht.  Am  Ende  fehlt  Ei£ 
,  niges  wenige  in  der  Handschrift. 

Demo  s  thenis  orationes  edidit  Guil9  Dindorfius.  Lipsiae  etc. 
Vol.  I.  XVI  u.  56i  S.  Um  568  S.  III.  529  S.     2  Thlr.  20  Gr. 

Obgleich  hier  durch  Bekkers  treffliche  Recension  schon  Viel 
geleistet,  so  finden  sich  doch  noch  immer  viele  dunkle,  ver- 


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Griechische  und  Römische  Autoren.  £35 

dorbene,  schwierige  Stellen,  welche  die  hülfreiche  Hand  des 
Herausgebers  in  Anspruch  nahmen.  Der  eben  erschienene  Band 
von  Schäfers  Commentarien  bot  ebenfalls  dem  Herausgeber 
manche  Berichtigung  und  Verbesserung  dar.  Für  die  beiden 
ersten  Olynthiscben  ileden  besafs  er  üherdem  eine  durch  Bloch 

Semachte  Collation  der  Koppenbagener  Handschrift ,  die  auch 
enAeschines  enthält,  mit  dem  Reiske'schen  Texte ,  und  theilt 
uns  dieselbe  in  der  Praefatio  S.  II  und  III  kürzlich  mit.  Daran 
reihen  sich  von  S.  III  —  XIV  einzelne  Bemerkungen  zu  ver- 
schiedenen einzelnen  Stellen  in  den  drei  Bänden,  die  den  De- 
mosthenes  enthalten,  sie  geben  theils  Rechenschaft  von  den 
gemachten  Aenderungen  und  Verbesserungen  ,  theils  enthalten 
sie  Verbesaerungsvoischläge,  selbst  mit  grammatischen  Bemer- 
kungen ,  wie  z.  ß.  S.  IV  über  die  Schreibung  ^  'K«7vo;  und  ähn- 
liches; S.  V  üher  ü  Ii  pj  statt  «/  U  ^  ya;  S.  IX  über  Bstvu  xai 
*oAAa  und  ähnliches;  S.  XIII  ttberTt'o»,-,  dessen  Gebrauch  für 
£0,5  mit  Schäfer  den  Attikern  abgesprochen  wird ;  S.  XIV  über 
cvycif  &)  —  7«  u.  s.  w.  Sie  ersetzen  auf  diese  Weise  die  an- 
dern Bänden  am  Schlüsse  beigefügte  Annotatio  critica.  Ein 
Index  Orationum  oder  ein  alphabetisches  Verzeichniis  der  ein- 
zelnen Reden  mit  Beifügung  der  Seitenzahlen  und  des  Bandes, 
der  sie  enthält,  ist  der  rraefatio  beigegeben.  Auch  sind,  was 
wir  sehr  loben  müssen,  die  Seitenzahlen  der  Reiske'schen  Aus- 
gabe am  Rande  bemerkt,  und  überdem  jede  Seite,  wie  bei 
Aeschines,  nach  den  Zeilen  numerirt.  Auch  die  unächten  oder 
verdächtigen  Schriften  des  Demostbenes,  wie  z.  B.  die  Briefe 
und  einige  Reden ,  fehlen  nicht,  es  ist  aber  bei  dem  Columnen- 
titel  das  Wort  AHMOZÖENOTZ  in  Klammern  eingeschlossen. 

Isoeratis  Orationes.  Cum -praefatione  Guil,  DindorfiL  Lipsiae 
etc.  MDCCCXXV.   XIV  und  408  S.  1  Thlr.  16  Gr. 

Diesem  mit  derselben  rühmlichen  Sorgfalt  und  Correctheit 
besorgten  Abdrucke  liegt  im  Ganzen  die  Bekkersche  Recension 
zu  Grunde,  die  sich  mit  Recht  hauptsächlich  auf  den  vorzüg- 
lichen Codex  Urbinas  aus  der  Vaticanischen  Bibliothek  grün- 
det. Den grofsen  Verdiensten,  die  Bekker  durch  scharfsinnige 
Ausmittelung vder  wahren  Lesarten  aus  den  jener  Handschrift 
beigefügten  Interpolationen  der  Grammatiker  sich  erworben, 
zollt  der  Herausgeber  die  verdiente  Anerkennung,  und  giebt 
selbst  noch  einige  weitere  Beiträge  hiezu,  verbunden  mit  eini- 
gen sprachlichen  Bemerkungen,  wie  z.  B.  über  den  Gebrauch 
des  Superlativs  von  -KawohaxU ^  der  den  Abschreibern  stets  ein 
Anstois  war,  über*£iv,  nicht  *Qtvtf$  vor  dem  Infinitiv  u.  8.  w. 
An  diese  Bemerkungen  schliefst  sich  an  der  Abdruck  des  von 


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236  Griechische  und  Römische  Autoren. 

■ 

Andreas  Mustoxydes  zu  erat  herausgegebenen  ß/0;*EXXuioc9 
worauf  dej  Text  der  einzelnen  Reden  folgt,  am  Rande  die  Seiten* 
zahl  der  Stepban'achen  Ausgabe  und  dieLiinienzablen  jeder  ein- 
zelnen Seite,  wie  bei  Aeacbine8  und  Demoathenea, 

Isocratis  Parte gyricus.  Ex Recensione Immanuelis  Bekkeri  a  Guil. 
Dindorfio  passim  reficta.     Brevem  annotationem  critieam  adjeeit, 
,    Gustavus  Pinzger.     Lipsiae  etc.  1825.  IV «.  65  S.     5  Gr. 

Es  ist  der  Text  aua  der  gröfseren  Ausgabe  des  Isocrates  ab- 
gedruckt;  von  S.  37.  an  gebt  die  Annotatio  critica,  worin  der 
tuätige  Herausgeber  die  verschiedenen  Lesarten  zusammenge- 
stellt und  so  hauptsächlich  es  möglich  gemacht  hat,  eine  klare 
Uebersicht  von  allen  einzelnen  Stellen,  deren  Lesart  geändert 
worden,  Zugewinnen.  Darum  sind  hier  die  Lesarten  des  Co* 
dex*Urbinas  vollständig  mitgetheilt,  aus  den  übrigen  Codd. 
und  alten  Ausgaben  (die  von  kritischem  Werth  sind)  nur  ein- 
zelne Varianten,  Da,  wo  des  Vf.  Kritik  von  der  seiner  bei- 
den Vorgänger,  Bekker  und  Dindorf,  abweicht,  ist  solches 
mit  einem  Sternchen  bezeichnet.  Dafs  in  der  Annotatio  bei 
Anführung  der  Varianten  auch  manches  andere  gelegentlich 
abgehandelt,  manche  Beiträge  zur  Verbesserung  oder  Erklä-  , 
rung  achwieriger  Stellen  gegeben  worden,  braucht  Ree.  wohl 
nicht  noch  besonders  zu  bemerken,  um  dieser  Bearbeitung  die 
verdiente  Aufnahuie  allerwärts  zu  verschaffen. 

Xenophontis  Expedltlo  Cyri.  Cum  breci  annotatione  edidit  Lud. 
Dindorf  ius.      Lipsiae  etc.     X  und  201  S.  10  Gr. 

Xenophontis  Eis  tori  a  G  rm  eca  ,  cum  brevi  annotatione  et  MS. 
Vu  uniuni  varietai  iL  us  edidit  Lud,  Dindorfius,  Lipsiae  etc. 
X LI  und  220  S.  12  Gr. 

Xenophontis  Inst  itutio  Cyri,  Cum  brevi  annotatione  critica  ed» 
Lud.  Dindorf  ius.     Ups  etc.    IX  und  255  S.  12  Gr. 

Xenophontis  Memorabilia.  Cum  MS.  Vtctoriani  varietatibus  ed. 
Guil.  Dindorf  ius.     Lipsiae  etc.    XX  und  115  S.         8  Gr. 

Xenophontis  Scripta  minor a.  Cum  breoi  annotatione  critica  ed. 
Lud.  Dindorfius.    Lipsiae  etc.   XXXIX  u.  244  S.     12  Gr. 

In  allen  diesen  Tbeilen  ist  dem  Text  selber  eine  gleiche  Ver- 
vollkommnung zu  Theil  geworden  ,  und  daa,  was  andere  Vor* 
gänger  geleistet,  in  gehöriger  Weise  benutzt:  was  bei  diesem 
so  viel  geleaenen  Schriftsteller  von  desto  gröfserem  Interesse 
seyn  muis  ,  und  diese  Auagabe  wegen  der  Richtigkeit  deaTex- 
tea  und  gänzlichen  Mangels  aller  Druckfehler  ao  aebr  für  den 


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t 


Griechische  und  Romisch«  Autoren»  237 

Schulgehranch  empfiehlt.    Auch  sind  immer  jedem  einzelnen 
Bande  lateinische  Summarien  von  den  einzelnen  Büchern  oder 
Abschnitten  vorausgeschickt,  was  in  jedem  Fall  angenehm  und 
bequem  ist.    Da,  wo  eine  Annotatio  critica  beigefügt  ist,  ist 
dieselbe  von  keinem  bedeutenden  Umfange  und  ihrem  Inhalt 
nach  gleich  der  der  übrigen  Ausgaben  ,  wie  wir  solches  im 
Vorhergehenden  mehrfach  bemerkt  haben.     Was  aus  Hand- 
schriften in  dem  Texte  aufgenommen  worden  ,  ist  nicht  nament- 
lich verzeichnet,    sondern  nur  einzelne  Berichtigungen  und 
Verbesserungsvorschläge  angedeutet.     Bei  der  Historia  Graeca 
ward  die  von  Victorius  an  den  Rand  der  Aldiner  Ausgabe  ge- 
schriebene Collation  einer  sonst  unbekannten  Handschrift  be- 
nutzt, die  einzelnen  Varianten  in  der  Vorrede  angegeben ,  zu- 
gleich mit  einzelnen  Bemerkungen  des  Herausgebers  unter- 
mischt,  die  statt  der  Annotatio  critica  dienen.      Dasselbe  ist 
der  Fall  bei  den  Memorubilien ,  wo  ebenfalls  in  der  Vorrede  die 
Collation  zweier  Manuscripte  des  Victorius,  geschrieben  an 
den  Rand  einer  Aldiner  und  einer  Florentiner  Ausgabe,  mit- 
getheilt  und  mit  Bemerkungen  hie  und  da  begleitet  wird.  Zu 
den  Scriptis  minoribus  des  letzten  Bandes  (Oeconomicus ,  Convioium, 
Utero ,  Agesilaus  ,  Do  Republ.  Lacedaem.  et  Athen.  t    De  Vecdgall.% 
De*  re  Equest.f  Hipparchic. ,  Cynegetic,  Apolog.  Socr.)  haben  wir 
uns  zahlreicherer  Bemerkungen  zu  erfreuen,  die  für  die  Erklä- 
rung vieler  Stellen  neues  Licht  anzünden.    Lesarten  der  be- 
kannten Handschriften ,  die  der  Herausgeber  zurückgeführt  und 
aufgenommen,'  Verbesserungen  der  früheren  Herausgeber  ,  die 
in  gleicher  Weise  hier  eine  Stelle  fanden,   sind  freilich  hier 
nicht  aufgezählt ,   sondern  übergangen  ,   und  betrifft  demnach 
der  Inhalt  der  Anmerkungen  nur  Eigenes. 

Thucy didis  Historia»  Curavit  Lud.  Dindor/ius.  Lipsiae  etc. 
MDCCCXXIV.  XXJI  und  497  S.  1  Thlr. 

Die  Vita  Marcellini  und  die  lateinischen  Summarien  der  ein- 
zelnen Bücher  sind  dem  Texte  vorangeschickt,  kurze  Annota- 
tioneil von  S.  492  —  497.  beschliefsen  denselben.  Der  Text 
erfreut  sich  derselben  Berichtigungen  ,  derselben  Correctheit, 
Xenophon  und  die  übrigen  bisher  aufgezählten  Autoren. 


Plutarchi  Vita.     Curavit  Godofr.  Henr.  Schaefer.    Lipsiae  etc. 

Vol.  I.  IV  und  450  S.  1  Thlr.  16  Gr. 

Es  enthält  dieser  erste  Band ,  welchem  noch  drei  andere  fol- 
gen, und  wovon  der  letzte  auch  die  nfarrago  animadversionum  n 
enthalten  soll,  den  Text  der  Vitae  in  der  gewöhnlichen  Ord- 


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238 


Griechische  uad  Römische  Autoren. 


nung  bis  auf  A  e  m  i  1  i  u  s  V  a  til  u  s  incl.  Vor  der  Erscheinung 
der  Anmerkungen,  denen  mit  dem  Ree.  gewifs  alle  Freunde 
des  Plutarch  mit  Verlangen  entgegensehen,  wird  man  daher 
nicht  näher  ins  Einzelne  eingehen  können.  So  viel  aber  kann 
Ree.  durch  Vergleichung  einzelner  Vitae  versichern,  dafs  der 
Text,  obwohl  auf  denselben  Grundlagen  beruhend ,  wie  die 
früheren  von  Schäfer  besorgten  Textesausgaben  ,  doch  hier  in 
verbesserter  Gestalt  erscheint.  Die  Anmerkungen  sollen  haupt- 
sächlich Kritik,  auch  wohl  Erklärung  betreffen,  und  Einzelnes 
au6  Coraji's  Noten  enthalten.  Für  den  bequemen  Gebrauch  ist 
durch  Beifügung  der  Seitenzahlen  der  Frankfurter  Ausgabe  gut 
gesorgt.  Sonst  auch  theilt  diese  Ausgabe  dieselben  empfeh- 
len! wer  then  Eigenschaften  der  übrigen  Ausgaben. 

Herodoti  Uistoriarum  lihri  IX  Cum  hreoi  ann'otatione  Aug.  M  a  t  - 
thiae  et  Henr.  Apetzi'u  Lipsiae  1825.   Vol.  h  Vlll  und  306  S. 

Dieser  erste  Band  enthält  den  Text  der  vier  ersten  Bücher, 
nebst  den  vorausgehenden  Lateinischen  Summarien  jedes  Buchs. 
Hauptsächlich  ist  die  Gaisford'sche  Recension  befolgt  worden, 
jedoch  mit  einzelnen  Veränderungen  in  Formen  u.  dergl. ,  wie 
solche  der  Herausgeber  fürnöthig  erachtete,  worüber  die  dem 
zweiten  Bande  beigegebene  Annotatio  uns  im  Einzelnen  beleh- 
ren soll.  Sie  wird  dann  auch  manche  Beiträge  für  die  Erklä- 
rung einzelner  Stellen  enthalten. 

I 

C.  Julii  Caosaris  Commentarii  de  hello  Gallico  et  Civili.  Accedunt 
libri  de  hello  Alexandrino  ,  Africano  et  Hispaniensi.  £  recensione 
Francis ci  Oudendorpii,  Textum  passim  reßnxit ,  annotationem  cri- 
ticam  adjecit  Jo,  Christoph*  Da  ehrte.  Lipsiae  etc.  1825. 
XI  und  421  S.  18  Gr. 

Dem  Text  dieser  Ausgabe  liegt  der  Oudendorp'sche  Text 
•von  1740  zwar  zu  Grunde,  aber  theils  ist  nach  der  Oberlin*- 
seben  Ausgabe  manches  in  Interpunction  ,  Schreibart  u.  dergl. 
geändert,  theils  nach  den  seither  bekannt  gewordenen  Hand- 
schriften uud  den  Bemühungen  anderer  Gelehrten  manches  be- 
richtigt, jede  Abweichung  ]edoch  sorgfältig  in  den  Annotatio- 
nes  bemerkt,  worin  auch  zugleich  manche  andere  kritische 
Bemerkungen  vorgetragen,  Verbesserungsvorschläge  gemacht 
lind  mit  Gründen  unterstützt  werden,  die  auch  sprachlichere 
Erörterungen  herbeiführen.  So  erhalten  wir  hier  die  Angahe 
der  hauptsächlichsten  Varianten  aus  den  grösseren  Ausgaben 
von  Oudendorp,  Morus,  Oberlin,  Held,  Herzog,  Lemaire, 
welcher  letztere  insbesondere  mehrere  gute  Pariser  Handschrift 


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Griechische  und  Römisch«  Autorer. 


239 


ten  benutzte,  ferner  atis  drei  alteren  Ausgaben,  zugleich  mit 
Benutzung  des  für  Kritik  wie  für  Erklärung  oft  so  wichtigen 
Qriechischen  Uehersetzers.  Der  Herausgeber  wird  dafür  mit 
vollem  Recht  auf  den  Dank  aller  Freunde  des  Cäsar  rechnen 
können,  um  so  mehr,  da  seine  so  verdienstliche  Arbeit  so 
höchst  mühevoll  war,  da  sie  mit  solcher  Genauigkeit,  Pünkt- 
lichkeit und  Gewissenhaftigkeit  (welche  sich  besonders  auch 
in  Constituirung  des  Textes  kund  giebt),  und  mit  gleicher 
Ausdauer  unternommen  worden.  Diese  Annotationes  reichen, 
bei  höchst  compendiösera ,  aber  doch  sehr  correctem  und  leser- 
lichem Druck,  von  S.  345  —  421,  und  bilden  darum  auch 
eine  für  dt? n  Kritiker  und  Gelehrten  gleich  willkommene  und 
wichtige  Sammlung.  In  der  Vorrede  findet  sich  dabei  die 
Atigabe  der  hauptsächlichsten  und  wichtigsten  Handschriften 
des  Cäsar,  wie  der  im  Druck  erschienenen  Ausgaben  dessel- 
ben, und  eine  kurze  Zeittafel  der  Hauptmomente  in  dem  Le- 
ben  Cäsars,  nach  YVetzel's  Tabelle.  S.  324  —  343.  nehmen, 
nach  dep  vollständigen  Schriften,  die  Fragmente  ein,  sie 
schliefsen  mit  Anführung  der  Dicta  Caesaris,  so  wie  der  Zeug- 
nisse und  Urtheile  Anderer,  Zeitgenossen  wie  späterer  Au- 
toren, über  Cäsar.  Möge  das  Gesagte  hinreichen,  auch  die- 
ser Ausgabe  überall  geneigte  Aufnahme  zu  verschaffen ,  und 
den  Heransgeber  die  gebührende  Anerkennung  seiner  Bemü- 
hungen finden  lassen, 

P.  Firgilii  Moronis  Opera  omnia.     Ad  optimorum  lihrorum 
fulem  recensuit  et  in  usum  scholarum  edidit  J  o.  Christ,  Jahn. 
Ups.  etc.  MDCCCXXV.     XXXIII,  und  456  S.  18  Gr. 

Obgleich  in  neueren  Zeiten  Vieles  von  verschiedenen  Seiten 
her  für  Virgil  geleistet  worden  ist,  so  wird  man  doch  nicht 
läugnen  können,  dafs  die  Kritik  immer  noch  hier  ihre  grofsen 
eigenen  Schwierigkeiten  hat,  und  die  Herausgabe  dieses 
Dichters,  wenn  ein  berichtigter,  auf  handschriftliche  Aucto- 
rität  gegründeter  Text  geliefert  werden  soll,  wie  solches  bei 
den  Übrigen  Ausgaben  dieser  Sammlung  der  Fall  ist,  keine 
leichte  Aufgabe  ist.  Um  so  mehr  müssen  wir  uns  freuen , 
dafs  die  Bearbeitung  dieses  Dichters  so  geschickten  Händen 
anvertraut  worden,  die  uns  einen  solchen  Text  wirklich  zu 
geben  vermochten.  Mit  Recht  bemerkt  der  Herausgeber, 
wie  eigentlich  unter  der  Menge  Handschriften,  die  zu  Virgil 
bereits  verglichen  worden,  vorerst  eine  kritische  Sichtung 
vorgenommen  werden  müsse,  mit  Bezug  auf  die  Richtigkeit 
der  Collation  und  die  Interpolation  mancher  dieser  Hand- 


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240 


Griechische  und  Römische  Autoren. 


Schriften.    So  ziehen  Heinsius  und  Heyne  die  MediceU 
sehe  Handschrift  vor;   unser  Herausgeber  ist  wegen  der  von 
Turcius  llufus  Apronianus  in  dieser  Handschrift  gemachten 
Aenderungen  geneigt,  der  Römischen  Handschrift  den  Vor- 
zug zuzuerkennen.     Doch  hat  er  Wegen  des  dllgemein  einge- 
führten Gebrauchs  der  Heyne'schen  Recension  dieselbe  in  den 
meisten  Füllen  beibehalten  ,   und  nach  dem  Römischen  Codex 
nur  da  geändert  ,  wo  auch  andere  gute  Handschriften  damit 
Übereinstimmten;  im  Uebrigen  aber  auch  Sorge  getragen,  die 
unnöthig  gemachten  yerbesserungen  auszumerzen,  insbeson- 
dere den  ungerechten  Verdacht,  der  auf  vielen  Versen  des  Vir- 
gils haftete,  zu  beseitigen,  wobei  Weicherfs  Abhandlung 
„de  versibus  aliquot  V.  Virgilii  et  C.  Valerii  Flacci  injuria 
suspectis«  inshesondere  benutzt  wurde.     Derselbe  Gelehrte 
iiberliefs  auch  dem  Herausgeber  seinen  ganzen  für  den  Virgil 
gesammelten  Apparat ,  wovon  uns  hier  Vieles  mitgetheilt  wird. 
Bei  den  Georgicis  wurde  an  einigen  Stellen  Spohlas  Hand- 
schrift,  bei  den  Eu  coli  eis  die  Collation  eines  Zwickaner 
Codex  benutzt.     Doch  sind  beide  Handschriften  nicht  sehr 
alt,  und  enthalten  nur  wenig  Brauchbares.    In  den  kleineren, 
dem  Virgil  beigelegten  Gedichten  ward  nur  Weniges  geändert, 
weil  bedeutende  Hülfe  hier  nur  von  guten  Handschriften  zu 
erwarten  war.     Eine  Introductio  giebt  über  das  Leben  des 
Virgil,  dessen  Schriften  und  deren  Schicksale  die  erforderliche 
Auskunft  denjenigen,  für  welche  diese  Ausgabe  bestimmt  ist. 
Dann  folgt  der  Text,  nach  den  oben  angeführten  Grundsätzen 
und  den  bemerkten  Hülfsmitteln  berichtigt,    in  correctem 
Drucke  ,   und  von  S.  352  ff.  —  456.  die  Annocationes  zu  den 
verschiedenen  einzelnen  Werken  des  Dichters,     Es  kann  hier 
nicht  der  Ort  seyn ,  ausführlicher  in  das  Einzelne  dieser  so 
schätzbaren  Annotationes  einzugehen,  und  auf  diese  Weise 
im  Einzelnen  die  Verdienste  des  Verfassers  und  die  Vorzüge 
seiner  Arbeit  hervorzuheben;  wir  müssen  uns  daher  begnü- 
gen, im  Allgemeinen  die  Freunde  des  Virgilius  aufzufordern, 
diese  Bemerkungen  näher  zu  durchgehen,  und  die  zahlreichen 
exegetischen,  grammatischen,  metrischen  und  kritischen  £r* 
örterungen  eines  ernstlichen  Studiums  zu  würdigen. 


(Der  Beschln/s  folgt») 


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N.  16,  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Sammlung  Griechischer  und  Römischer  Autoren 
bei  Teubner  in  Leipzig. 

(Beschlujs.) 

T.  Livii  Patavini  Historiarum  libri  qui  supersunt  omnet  et  deper* 
ditorum  Jragmenta,  Editionem  curavit ,  brevem  annotationem  cri- 
ticam  adjecit  Detl,  C.  G,  B  aum  gar  t  en*  C  ru  s  ius.  Tom*  /• 
L.i-  X  conänens.  Ups*  etc.  1825.  VUl  und  484  S.         16  Gr. 

Ein  vieljähriges  Studium,  eine  langwierige  Bekanntschaft, 
-welche  der  Herausgeber  mit  den  Schritten  des  Livius  gepflo- 
gen ,  und  eine  vertraute  Kenntnifs  der  Sprache  dieses  Schrift- 
stellers konnten  wohl  den  Herausgeber  vor  Andern  zur  Her- 
ausgahe des  Livius  befähigen,  und  das  Publicum  andererseits 
erwarten,  dasselbe  zu  erhalten,  was  es  bei  den  übrigen  Aus- 
gaben erhalten  hat,  einen  berichtigten ,  lesbaren  Text,  worin 
X'ehler  der  Handschriften,  schlichte  Lesarten  und  unnöthige 
Conjecturen  eben  so  sehr  vermieden,  als  richtigen,  kritisch 
begründeten  Lesarten  der  gebührende  Platz  wieder  eingeräumt 
-worden,  um  so  einen  der  ursprünglichen  Handschrift  so  viel 
als  möglich  genäherten  Text  zu  erhalten.  Nach  einer  kurzen 
Einleitung  über  Leben  und  Schriften  des  Livius  f  sowie  de- 
ren Schicksale  und  Bearbeitungen,  folgt  alsbald  der  in  jeder 
Hinsicht  correcte  Text;  dann  von  S.  464  —  484.  die  Annota- 
tioeritica,  nicht  in  der  Ausdehnung,  wie  bei  den  eben  be- 
merkten Ausgaben  des  Virgil  und  Cäsar,  sondern  etwas  kür- 
sser  ,  aus  kritischen  Bemerkungen ,  auch  einigen  sprachlichen 
Erörterungen,  die  an  erstere  sich. anknüpfen  ,  bestehend. 

Wir  schliefsen  un&ern  Bericht  mit  dem  Wunsche  des  ge- 
deihlichsten Fortgangs  dieser  Unternehmung,  und  werden  von 
den  in  der  Folge  erscheinenden  weiteren  Theüen  zu  seiner  Zeit 
unsere  Leser  in  Kenntnifs  setzen. 

Die  Preise  sind  blos  von  den  ordinären  Ausgaben  verstan- 
den ,  während  auch  bessere  zu  höheren  Preisen  existiren. 


XIX.  Jahrg.   3.  Heft.  16 


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I 


242  Steiu  chronologisches  Handbuch. 

Berlin ,  bei  Suhr  :  Chronologisches  Handbuch  der  neuesten  Geschichtem 
Enthaltend  die  Segebenheiten  vom  Anfange  der  französischen  21«- 
volution  an  bis  zum  Ende  der  Revolution  in  Spanien  ,  1789  bis  1823. 
Herausgegeben  von  Karl  Stein.    275  S.  8.       1  Tblr.  4  Gr. 

Seit  die  chronologischen  Handbücher  von  Wedekind  so 
vielen  Beifall  gefunden  haben  ,  sind  gröfsere  und  kleinere 
chronologische  Werke  wie  Pilze  aus  dem  Dintenfasse  unserer 
allzeit  fertigen  Büchermacher  hervorgestiegen  ,  und  das  Anfer- 
tigen derselben  scheint  ihnen  ein  leichter  und  einträglicher 
Erwerbszweig  zu  seyn.  Ohne  die  erforderlichen  historischen 
Kenntnisse ,  ohne  richtigen  Tact,  ohne  eine  Ahnung  davon 
au  haben f  dafs  mit  Wedekind's  Werken,  so  schätzbar  sie 
auch  sind,  nicht  Alles  gethan  sey,  dafs  namentlich  sein  chro- 
nologisches Handbuch  der  neueren  Geschiebte  von  1740  bis 
i8l5  ohne  festen  Tlan  gearbeitet,  viel  Unwichtiges  darin  auf- 

fenommen  und  viel  Wichtiges  darin  übergangen  worden  ist, 
afs  es  endlich  nicht  wenig  unrichtige  Data  enthält,  schreiten 
diese  Menschan  rüstig  ans  Werk ,  excerpiren  die  Wedekind'- 
schen  Bücher  so  gut  sie  es  verstehen  ,  lassen  davon  weg  und 
setzen  hinzu,  was  ihnen  gut  dünkt,  und  —  das  Werk  ist 
fertig.  So  hat  ein  gewisser  Heiser  vor  einigen  Jahren  ein 
chronologisches  Taschenbuch  herausgegeben,  dem  man  nicht 
Unrecht  thut,  wenn  man  behauptet,  es  sey  unter  aller  Kri- 
tik; so  hat  Hessel  seinem  genealogisch  statistischen  AI  ma- 
nsch eine  nicht  weniger  als  1 0.8  Seiten  enthaltende,  roh  und 
flüchtig  gearbeitete  chronologische  Uebersicht  von  Noah  bis 
zur  Schlacht  bei  Ayaruche  anhängen  zu  müssen  für  dienlich 
erachtet,  die  nun  von  Jahr  zu  Jahr  mit  allen  ihren  Ungenauig- 
keiten  unverändert  abgedruckt  wird. 

Was  nun  das  vorliegende  Werk  betrifft ,  so  zeichnet  es  sich 
weder  durch  FlanmäTsi&keit,  noch  durch  gute  Auswahl,  noch 
endlich  durch  Genauigkeit  vor  den  bisher  erschienenen  zahl- 
losen chronologischen  Büchern  und  Büchlein  aus.  Seit  der  Er- 
scheinung der  dritten  Auflage  seines  chronologischen  Taschen- 
buchs hätten  sich  —  bemerkt  der  Verf.  in  der  Vorrede  — 
die  merkwürdigen  Erscheinungen  der  Zeit  nicht  minder  ge- 
häuft als  zuvor,  und  so  sey  in  ihm  der  Gedanke  entstanden, 
das  gegenwärtige  Handbuch  herauszugeben.  Ist  das  aber  ein 
hinreichender  Grund,  um  ein,  wie  uns  bedünkt,  ganz  über- 
flüssiges Werk  anzufertigen?  Statt  eine  neue  Anflage  seines 
chronologischen  Taschenbuchs  abzuwarten ,  in  die  er  dann 
die  neuesten  Ereignisse  hätte  aufnehmen  können,  bat  er  lieber 
ein  neues  Buch  herausgeben  wollen.    Wenn  er  aber  deun  doch 


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Stein  chronologisches  Handbuch.  243 


dies  für  geratben  fand,  so  hätte  er  den  von  Wedekind  ausführ- 
lich dargestellten  Zeitraum  von  1789  bis  1815  ganz  weglassen 
und  seine  Arbeit  erst  mit  dem  Jahre  1815,  wo  Wedekind  auf« 
hört,  anfangen  sollen.  Wer  das  Wedekind'ache  Werk  be- 
sitzt) für  den  ist  die  von  dem  Verf.  gelieferte  Darstellung  des 
Zeitraums  von  1789  bis  1815  ohne  allen  Werth 9  indem  sie 
sich  zu  der  Wedekind'scben  nur  wie  ein  flüchtiger  und  unge- 
nauer Auszug  verhält.  Der  Verf.  bittet,  an  seine  Arbeit  keine 
zu  hohen  Forderungen  zu  machen  ;  aber  eben ,  weil  er  etwas 
ganz  Ueberflussiges  unternommen,  und  statt  seines  Vorgän- 
gers Werk  zu  berichtigen,  sich  begnügt  hat,  dasselbe  zu  ex« 
cerpiren,  ja  zu  verschlimmbessern,  so  ist  es  Pflicht,  seine 
Arbeit  strenge  zu  beurtbe^len ,  um  wenigstens  Andere  von 
solcher  Buchmacherei  abzuschrecken. 

Hinsichtlich  seiner  Quellen  (bemerkt  der  Verf.)  habe  er 
Wedekind's  Handbuch  der  Welt-  und  Völkergescbichte,  sein 
eigenes  chronologisches  Taschenbuch  und  die  allgemeine  Zei* 
tung  benutzt« 

£s  erregt  schon  ein  schlimmes  VOrurth*ul,  wenn  jemand  t 
der  sich  für  berufen  hält,  historische  Werke  herauszugeben f 
Quellen  und  HüJfsmitte)  nicht  zu  unterscheiden  weifs.  Von 
den  angeführten  Werken  kann  hlos  die  allgemeine  Zeitung  als 
Quelle  betrachtet  werden  9  die  beiden  andern  sind  nur  Hülfs- 
mittel. 

Lebte  der  Verf.  an  einem  Orte,  wo  ihm  sonst  keine  lite- 
rarischen Hülfsmittel  zu  Gebote  stünden,  so  wäre  er  zu  ent- 
schuldigen, wenn  er  für  seine  Angaben  nichts  als  eine  Zeitung 
anzuführen  wüfste.  Da  er  aber  in  Berlin  lebt,  wo  sich  eine 
eben  so  zahlreiche  als  vortreffliche  Bibliothek  befindet,  so  ist 
es  in  der  That  unverzeihlich,  dafs  er  das  Recueil  von  v.  Mar« 
tens,  die  Archives  diplomatiques  und  die  bei  Brockhaus  er« 
schienenen  europäischen  Constitutionen  (um  so  vieler  anderer 
Quellen  und  Hülfsschriften  zu  geschweigen)  gar  nicht  be- 
nutzt hat« 

Der  Verf.  bat  den  von  ihm  dargestellten  Zeitraum  wieder 
in  Perioden  getheilt,  wovon  wir  keinen  Grund  einzusehen 
vermögen.  Die  dritte  Periode  von  dem  Brande  von  Moskau 
bis  zum  zweiten  Pariser  Frieden  ist,  als  nur  drei  Jahre  in 
sich  begreifend  ,  offenbar  zu  kurz;  besser  wäre  es  gewesen9 
die  zweite  mit  dem  Sturze  des  französischen  Kaiserthrone 
(l8l4)  zu  schliefsen  ,  und  die  dritte  von  da  bis  1823  herab- 
zuführen. Wie  ungleich  übrigens  diese  Perioden  bearbeitet 
sind,  ergibt  sich  schon  aus  der  Seitenzahl :  die  erste  von  1789 
kis  1799,  welche  an  hochwichtigen  Ereignissen  keiner  nacb- 

16  * 


0 


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S44 


Stein  chronologisches  Handbuch. 


steht,  wird  auf  24  Seiten  abgefertigt,  während  die  dritte  nur 
drei  Jahre  begreifende  45  Seiten  und  die  vierte  73  Seiten  ein- 
nimmt. So  ist  von  Plan  und  zweckmässiger  Auswahl  der  Be- 
gebenheiten nirgends  eine  Spur  zu  finden. 

Der  Verf.  hat  seinem  Werke  eineEinleitung'voranschicken 
zu  müssen  geglaubt,  welche  von  1661  anhebt,  und  gegen  das 
Werk  selbst  sonderbar  absticht,  das  nur  Facta  ohne  Urtheil 
liefert,  während  jene  Raisonnement  enthält.  Er  hat  verges. 
sen  ,  dafs  er  jakein  historisches  Compendium,  sondern  nur" 
„ein  Hülfsmittel  zur  Erinnerung  an  die  Vorgänge  unserer  Zeit* 
zu  schreiben  beabsichtigte.  Die  Einleitung  hätte  daher  als  ein 
wahres  hors  d' oeuvre  ganz  wegbleiben  sollen. 

Es  ist  schon  oben  bemerkt  worden,  dafs  dem  vorliegen, 
den  Werke  kein  Plan,  wonach  sich  die  mehrere  oder  mindere 
Ausführlichkeit  und  die  Auswahl  der  aufzunehmenden  Tbat- 
aachen  richtete,  zum  Grunde  liege,  und  die  meisten  Facta 
nicht  allein  ungenau,  sondern  viele  derselben  sogar  unrichtig 
angegeben  Seyen.  Diese  harten  Beschuldigungen  sollen  nun 
erwiesen  werden. 

Dem  Werke  fehlt  es  durchaus  an  einem  fe- 
sten Plane.  Die  Frage:  was  ist  wichtig?  was  aufzuneh- 
men, was  nicht?  hat  dem  Verf.  kein  Kopfbrechen  verursacht, 
und  er  hat  besonders  in  der  neuesten  Zeit  eine  Menge  unbe- 
deutende Facta,  nichts  entscheidende  Gefechte,  die  Stiftung 
von  Ehrenmedaillen  (S.  97.),  einen  Studententumult  (S.  l36  ) 
und  dergleichen  aufgenommen,  während  er  sehr  wichtige  Be- 
gebenheiten,  wie  z.  B.  die  Revolution  von  Venedig,  entwe- 
der ganz  übergangen  oder  nur  flüchtig  berührt  hat.  So  weifs 
er  von  der  Revolutionirung  der  Schweiz  im  Jahre  1798  (die 
freilich  auch  von  Wedekind  höchst  dürftig  und  unbefriedigend 
dargestellt  worden  ist)  nichts  zu  sagen,  als  unter'm  26.  Jän- 
ner „Lemanische  Republik«  und  unter'm  12.  April  „Frocla- 
mation  der  helvetischen  Republik«6.  Der  zahlreichen  Verfas- 
aungsurkunden  der  neuesten  Zeit  hat  er  mit  wenigen  Ausnah- 
men keine  Erwähnung  gethan. 

Der  Ausdruck  ist  fast  durchgehends  ungenatf 
und  aus  zu  weit  getriebener  Kürze  oft  unver- 
ständlich. Belege  dazu  finden  sich  auf  jeder  Seite.  Gleich 
die  erste  Seite,  wo  doch  der  Fleifs  des  Verf.  noch  nicht  er- 
lahmt seyn  konnte,  zeigt,  wie  wenig  Sorgfalt  er  auf  den  Aus- 
druck verwendet  und  wie  leicht  er  sich  die  Arbeit  gemacht 
bat.  Wenn  es  z.  B.  daselbst  heifst,  „Schwur  im  Ball  hause«, 
so  erfährt  man  weder,  wer  geschworen  habe,  noch  was 
geschworen  worden  ist.    Von  dem  Aufruhr  in  Rom  am  28.  Dec. 


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Stein  chronologisches  Handbnoh.       ...  245 

1798  beifst  es  blos  „Unruhe  in  Rom  (Duphot)  «;  der  Aufdruck 
Unruhe  sagt  viel  zu  wenig,  und  dafs  der  französische  Gene« 
ral  Duphot  erschossen  worden  ,  erfährt  man  gar  nicht.  Diese 
Nachlässigkeiten  im  Ausdrucke  verdienen  um  so  schärfere 
Rüge,  als  diese  Facta  bei  Wedekind  richtig  angegeben  sind,  ,. 

Der  Verf.  scheint  es  oft  seihst  zu  fühlen ,  wie  ungenau 
un'-  unverständlich  er  sich  ausgedrückt  habe,  und  sucht  dies 
durch  einen  in  Parenthesen  eingeschlossenen  Nachtrag  wieder 
gut  zu  machen,  der  oft  seltsam  genug  lautet.  Statt  z.  B«  zu 
sagen:  „Friede  zu  Werelä  zwischen  Rufsland  und  Schweden«, 
sagt  er:  „Friede  zu  Werelä  (Rufsland  und  Schweden)".,  Bei 
der  „Stürmung  der  Bastille«  setzt  er  in  Parenthese  bei  (rtVolks- 
wuth«),  und  bei'm  4.  Mai  182-1  bei  ^Ermordung  des  Hof- 
kaplans  Vinuesa«  bei  („Hammer«),  ein  Beisatz,  der  wohl 
Vielen  unverständlich  seyn  dürfte. 

Wedekind  gibt  bei  den  kriegerischen  Ereignissen  wenig- 
stens die  beiderseitigen  Oberbefehlshaber  an  ;  der  Verf.  nennt 
blos  den  Sieger,  z.B.  „Schlacht  bei  Wagram  (Napoleon)«. 
Bei  den  Capitulationen  von  Festungen  sagt  er  nicht,  an  wen 
sie  übergegangen  sind;  so  heifst  es  z.  B.  unter'm  2. Febr.  1797 
blos:  „Capitulation  von  Mantua.«  Bei  den  Friedensschlüssen 
und  Verträgen  werden  die  paciscirenden  Mächte  fast  nirgends 
angegeben.  So  heifst  es  z.  B.  blos:  „Friede  zu  Campo  For- 
mio, Lutieville,  Amiens,  Prefsburg ,  Wien  u.  s.  w.,  Tractat 
zu  Valencay«  u.  s.  w.  Die  beiden  Friedensschlüsse  zu  Tilsit 
machen  eine  Ausnahme  ,  die  um  so  weniger  unerwähnt  bleiben 
darf,  als  die  Ungenauigkeit  beim  Verf.  Regel  ist. 

Das  Datum  vieler  Thatsachen  ist  unrichtig. 
So  heifst  es  z.  B.  unterem  30.  Sept.  1790.  „Top!  Josephs  II. 
Kaiser  Leopold  II."  Der  letzlere  wurde  an  diesem  Tage  zum. 
Kjiser  erwählt;  Joseph  II,  war  bereits  am  20.  Febr.  dieses 
Jahres  gestorben.  Eben  so  unrichtig  heifst  es  unter'm  1.  März 
1792.  „Kaiser  Franz  II." f  da  er  doch  erst  am  5.  Juli  zum 
Kaiser  gewählt  wurde.  Auf  den  16.  März  desselben  Jahres 
wird  der  Tod  Gustavs  III.  gesetzt ,  der  doch  an  diesem  Tage 
nur  verwundet  wurde,  und  erst  am  29.  März  starb. 

Dafs  der  Verf.  den  Todestag  so  vieler  Gelehrten  unter  die 
politischen  Begebenheiten  gemischt  hat,  ist  nicht  zubilligen. 
Wenn  er  sie  denn  doch  namhaft  machen  wollte,  &o  hätte  er 
ein  eigenes  chronologisches  Verzeichnifs  derselben  seinem  Buche 
anhängen  sollen. 

Um  das  Aufsuchen  der  „Facten«  (sie!)  und  Personen  zu 
erleichtern ,  hat  der  Verf.  ein  alphabetisches  Verzeichnifs  bei- 
gefügt. Wedekind  hat  dies  bei  seinem  ungleich  ausführlichem 


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246      Geschichte  der  Hof-Beichtvater  von  Bisohof  Gregoire. 


Werke  unterlassen ,  und  nach  unserm  Dafürhalten  wohl  daran 
gethan.  Wer  so  unwissend  ist,  dafs  er  z.  B.  nicht  weifs,  in 
welchem  Jahre  die  Schlacht  hei  Marengo  geliefert  oder  der 
Friede  von  Luneville  geschlossen  worden  ist,  dem  kann  die 
Angabe  des  Datums  allein  nicht  viel  helfen ,  und  der  thut  wob), 
sich  nach  andern  Hülfsmitteln,  z.B.  dem  Conversationslexikon 
umzusehen,  wo  er  mehr  Belehrung  rindet.  Ueberhaupt  sind 
chronologische  Werke  nicht  für  Unwissende,  sondern  nur  für 
Sachkundige  von  Nutzen. 

Wir  könnten  das  Verzeichnifs  von  Nachlässigkeiten  und 
Unrichtigkeiten  noch  sehr  vermehren  9  wenn  es  dessen  be- 
dürfte;  bei  dem  vorliegenden  Werke,  das  wir  für  völlig  un- 
brauchbar su  erklären  kein  Bedenken  tragen,  sind  wir  nur 
deswegen  so  ausführlich  gewesen,  um  Andern,  die  aus  Gei- 
atesarmutb,  Trägheit  oder  Hunger  für  gut  finden  sollten, 
chronologische  Werke  anzufertigen ,  an  einem  warnenden 
Beispiele  zu  zeigen,  dafs  es  mit  dem  blofsen  Excerpircn  und 
rohen  Comp  ihren  nicht  gethan  sey. 


Uistoire  d$$  C  onfe  sseurS  des  Empereurs ,  des  Rois  et  (PautrßS 
Princes.  Par  Mr.  Gregoire,  ancien  Eveque  de  Blois.  P* 
ris.  1824.  8. 

Geschieht»  der  Beichtväter  von  Kaisern  ,  Königen  und  andern 
Fürsten*  Aus  dem  Franz,  des  Bischofs  Gregoire.  h  Th.  250  S. 
IL  Th.  182  S.  8.    Leipzig,  bei  Leop.  Vofs.      1  Thlr.  10  Gr. 

Eine  erschöpfende  Geschichte  war  die  Absicht  des  Verf. 
nicht.  Aber  zu  wie  vielen  interessanten  Beleuchtungen ,  zu 
welchen  Blicken  in  die  Höfe,  in  die  Orden,  besonders  i»  den 
Orden  eines  P.  La  Chaise  und  Le  Tellier,  die  Auswahl 
solcher  Fragmente  Anlafs  gebe,  sieht  man  zum  voraus.  Der 
Scharfsinn  des  Verf.  hebt  das  wichtigste,  das  treffendste,  ber" 
vor;  die  Klarheit  seiner  Darstellungen  macht  es  anschaulieb, 
sein  religiöser  Sinn  ist  überall  durchleuchtend,  und  streut  die 
Beweise  aus,  dafs  er  für  einen  höhern  Zweck  schrieb  ,  als  sur 
blofsen  Unterhaltung.  Die  Uebersetzung  ist  sehr  lesbar. 
Doch  hatte  sie  manche  phraseologische  Dehnungen  sich  er- 
sparen können. 

Für  die  Geschichte  der  fürstlichen  Beichtväter  hatte  man 
einzelne  Nachrichten  in  nicht  gehaltvollen,  wenig  verbreite- 
ten Schriften,  wie  Historia  de  Apostolico  sacrario  aut.  An- 
geloRocca.  Rom.  1605.  4.  —   Histoire  ecclesiast.  de  1« 


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Geschichte  der  Hof-Beichträter  von  Bischof  Gregoire.  247 

cour  de  France  par  GuilLDu  Pe'yrat.  Paria  1645.  fol.  mm 
Histoire  de  la  Sainte  Chapelle  des  Rois  de  France  par  Archon, 
2  Vol.  4*  1715.  —  Histoire  ecclesiast.  de  la  cour  de  France 
par  TAbbe*  Oroux.  2Vol.  4.  Paris  1776.  —  Dr  eux  Du« 
radier  hat  in  seinen  Recre'ations  historujues  (in  12.  1767.) 
eine  Geschichte  der  Narren  am  französischen  Hofe.  Um  so 
mehr  mufs  man  sich  wundern  ,  dafs  ein  ungleich  wichti- 
gerer Gegenstand  die  Feder  keines  Schriftstellers  beschäf- 
tigte. Die  Beichtväter,  Von  denen  hier  gesprochen  wird, 
hatten  meistens  in  Ländern  Einflufs,  wo  der  Freisin- 
nigkeit durch  absolute  Macht  Stillschweigen 
auferlegt  ist«  Man  malt  ja  aber  auch  Schiffbrüche,  und 
giebt  die  Gefahren  an,  um  den  Schiffer  zu  warnen.  Zola, 
ein  gelehrtes  Mitglied  der  Universität  Padua,  hat  bewiesen, 
dafs,  schreibt  man  eine  Kirchengesch  ichte,  man  die 
Mifsbrä  uche  nicht  zu  verschweigen  habe  —  De  vitan- 
da,  inbistoria,  calamitatum  ecclesiae  dissimulatione.  12.  Pa- 
diae  1777.  —  Zola  bekämpft  das  Vorurtheil,  nach  welchem 
Mancher  Unordnungen  duldet  oder  verschleiert,  aus 
Furcht,  man  könnte  der  Religion  schaden,  und  auf  das 
Priesterthum  einen  Schatten  werfen,  sobald  man  die  bö- 
sen Tbaten  der  damit  Bekleideten  aufdeckt,  Untreue 
Beamte  suchen  sich  wohl  hinter  den  Mantel  der  Unverletz- 
barkeit des  Regenten  zu  flüchten.  Sie  schreien,  man  greife 
die  Regierung  an,  indem  man  die  ihr  verantwortlichen 
Beamten  enthüllt.  Eben  so  ist  es  mit  unmoralischen  Geist- 
lichen ,  die  das  Interesse  ihrer  Leidenschaften  mit  dem  des 
Himmels  verwechseln  und  aller  Welt  glaublich  machen  wol- 
len, ein  Angriff  auf  i  h  re  Vergehungen  sey  eine  feindselige 
Handlung  gegen  die  Religion ,  namentlich  gegen  die  sogenannte 
Staatsreligion. 

Da  dieser  Zweig  der  Geschichte  noch  so  wenig  bearbei- 
tet ist,  kann  man  nicht  immer  die  Wahrheit  und  die  sie  be- 
dingenden Umstände  vollständig  ausmitteln.  Wo  wären  diese 
wohl  zu  finden?  Etwa  in  den  „historischen"  Romanen ,  de- 
ren seit  den  angeblichen  Anecdotes  de  la  cour  de  Philippe  Au- 
guste par  Madeinoiselle  de  Lussan  bis  zur  La  Duchesse  de  Va- 
liere  par  Madame  de  Genlis  so  viele  hervorkommen  ?  In  die- 
sen Zwittergeburten  der  Literatur ,  wo  Wirklichkeit  und 
Dichtung  verschmolzen,  die  Geschichte  verwirrt,  und  j  ede 
Tbatsache  wie  ein  Traum  dargestellt  ist?  Die  Geschichte  der 
fürstlichen  Beichtväter  wird  auch  deswegen  unvollkommen 
seyn,  weil  viele  Dinge  mit  dem  Geheimnisse  des  Amtes,  das 
sie  verwalten,  zugleich  begraben  wurden.     Den  wichtigsten 


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148       Geschichte  der  Hof-Beichtväter  von  Bischof  Gregoire. 

Grund  entdeckte  «chon  Tacitus  vor  1700  Jahren  —  :  Rara 
temperum  felicitas,  ubi  etc. 

Ueber  die  Beichtväter  am  französischen  Hofe,  deren  Thun 
und  Treiben  schärfer,  als  irgendwo,  beobachtet  wurde,  ver- 
breitet sich  der  Verf.  am  ineisten,  weil  sie  dort  mehr,  als  an 
andern  Höfen,  einen  grofsen  Einllufs  gehabt  haben.  Wir  geben 
einige  Proben  aus  den  Skizzen  (S.  116  ff.)  über  Ludwig  XIV. 
Einige  Tage  vor  seinem  Tode  sagte  der  Jesuite  La  Chaise 
(seit  1675  Beichtvater  bei  jenem)  dem  König:  „Sirel  ich  lütte 
Sie  um  die  Gnade,  meinen  Nachfolger  aus  meinem  Ord  en  zu 
wählen.  Dieser  ist  Eurer  Majestät  so  sehr  ergeben,  ist  so> 
ausgebreitet  und  so  zahlreich,  Alle  sind  für  die  Ehre  des 
Ganzen  eingenommen.  Man  könnte  in  dem  Falle 
einer  Ungnade  nicht  für  ihn  stehen,  und  ein  bö- 
ser Stöfs  ist  doch  bald  geführt."  Der  König  (so  derb 
von  dem  Todtkranken  an  das  Schicksal  Heinrich  des  IV.  ge- 
mahnt) war  von  dem  Antrage  so  ergriffen,  dafs  er  ihn  seinem 
ersten  Wundarzte  Marechal  mittheilte.  Me'moires  de  Du- 
clos  Tom.  L  p.  1 34.  Vgl.  Les  Je'suites  tels  qu'ils  ont  e'te'  daus 
Pordre  politujue  etc. ,  parM.  S....  (Silvy),  ancien  magi- 
strat.  £.  Paris  l8l6.  p  298.  133.  La  Chaise  wurde  wirk- 
lich von  seinem  Confrater,  Michel  Le  Tellier,  ersetzt, 
welcher  selbsNteines  Vorgängers  Tod  bedauern  machte.  Mit 
solchen  Zügen  ist  Le  Tellier  sogar  von  einem  seiner  Ordensbrü- 
der in  unsern  Tagen  gemalt  worden;  s.  Me'moires  de  Geor- 
gel.  Fans  1817.  8.  Tom.  I.  p.  47.  Abbe'  Ge'orgel  sagt,  indem 
er  von  den  nicht  zu  entschuldigenden  Fehlern 
des  Pater  Le  Tellier  redet,  dafs  „dieser  Mann,  von  harter 
und  trotziger  Gesinnung,  das  Alter  Ludwig  des  XTV.  gemifs* 
braucht  habe,  um  die  Ehre. seines  Ordens  auf  den  Trümmern 
einer  Secte  zu  erhöhen,  welche  man  nur  verachten  dürfte, 
wenn  man  sie  verlöscht  sehen  wollte.  Sein  Eifer,  von  diesem 
Ehrgeiz  verblendet,  sah  den  Jansenismns,  wo  er  gar  nicht 
war,  und  bewaffnete  den  Arm  seines  Beichtsohnes  gegen  die 
Parlemente,  welche  den  Jansenismus  beschützten.«  Das  erste 
Jahr  der  Herrschaft  dieses  Jesuiten  war  das  der  Zerstörung 
von  Fort-Koyal. 

In  den  Memoires  de  Maurepas  (Tom.  I.  p.  32.  Paris 
1792.)  wird  erzählt ,  die  Jansenisten  hätten  verschiedene  Satze 
aus  Schriften  von  J^e  Tellier  gezogen,  .«ie  nach  Horn  gesandt, 
und  dadurch  ihre  Einverleibung  in  den  Iudex  der  verboteneu 
Bücher  bewirkt.  Zur  Vergeltung  habe  er  nun  aus  Qu  es  n  eis 
Werken  Stellen  ausheben  lassen,  die  der  Grund  zu  der  Bulle. 
Unigenitus  wurden. 


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Geschieht«  der  Hof-Bcichlväter  von  Bisohof  Gregoire.  249 


Der  Cardinal  von  Noailles,  Präsident  der  Geistlich- 
keit, trug  1700  krüftic  dazu  bei,  dafs  hundert  und  s  i  er 
ben  und  zwanzig  Sätze  der  Jesuiten,  dieBossuet 
gesammelt  und  übergeben  hatte,  verdammt  wurden.  Dieser 
aufgeklärte  Eifer  verwandelte  dann  vollends  denHafs,  welchen 
sie  gegen  den  Cardinal  hegten,  in  Gift.  Schon  war  es  in  ihren 
Augen  ein  unauslöschlicher  Flecken  ,  dafs  er  ohne  ihre  Ver- 
inittefung  zu  dem  Putpur  gelangt  war.  Als  er  zu  dem  Con- 
clave  nach  Rom  ging,  wurde  er  ohne  sein  Wissen  von  Papie- 
ren begleitet,  welche  ihn  verschrieen.  1711  aber  kamen  die 
Schurkereien  des  Beichtvaters  durch  eine  Depesche  des  Abbe' 
Bochart  an  seinen  Onkel,  den  Bischof  von  Clermont,  an  das 
Licht.  Er  sandte  diesem  einen  Brief,  an  den  König  gerichtet, 
um  ihn  zu  versiegeln,  und  einen  Befehl,  welchen  er  anschla- 
gen sollte.  Beide  Papiere  fielen  verwechselt  in  andere  Häude, 
und  wurden  dem  Cardinal  gebracht,  gegen  welchen  sie  gerich- 
tet waren.  Le  Tellier,  trostlos  und  beschimpft,  erbot  sich, 
eidlich  zu  erhärten,  dafs  er  an  diesen  Ränken  keinen  Antbeij 
habe.  Noailles  schrieb  darüber  an  Frau  von  JVlaintenon : 
„Welchen  Schaden  thut  der  Kirche  ein  Beichtvater  von  solchem 
Ansehen,  der  sich  kein  Bedenken  macht,  sie  einer  Spaltung 
preis  zu  geben,  blos  tim  seiner  Erbitterung  gegen  mich  zu 
genügen,  der  die  Bischöfe  verführt,  indem  er  ihnen  Aussichten 
auf  Reichthum  eröffnet;  der  sie  veruneinigt  und  herabwür- 
digt; der,  statt  sich  in  ihre  Beschlüsse  zu  fügen,  sie  nö- 
thigt,  die  «einigen  anzunehmen,  und  unter  ihrem  Namen 
bekannt  zu  machen,  nicht  etwa  blos  in  ihrem  Sprengel,  son- 
dern selbst  in  dem  meinigen  und  in  ganz  Frankreich  ?  Welcher 
aufserordentlichen  Dinge  ist  ein  Geist  solcher  Art  fähig?" 

Dieser  Brief  des  Cardinais  ist  vom  II.  August  1711.; 
Neun  Tage  darauf ,  unter'm  20.  desselben  Monats,  schreibt 
dennoch  ebenderselbe:  „Ich  gebe  dem  Pater  Le  Tellier  neue 
Vollmachten,  ob  er  schon  am  wenigsten  sie  zu 
haben  verdient.  Ich  bringe  damit  dem  Könige  ein  Opfer, 
Und  überlasse  es  Ihm,  die  erstere  zu  verantworten,  indem  ich 
unseren  Herrn  bitte,  dafs  dieser  Ihn  die  Gefahr  erblicken 
lasse,  in  welcher  Er  schwebt,  solange  Er  seine  Seele  einem 
Manne  von  solchem  Charakter  anvertraut«  (s.  Lettres  de  Ma- 
dame de  Maintenon  Tom.  IV.  p.  306  bis  3l4.  Du  P.  La- 
Lorde  Lettre  u  son  Eminence  M.  le  Cardinal  de  Noailles  ,  tou- 
chant  les  artifices  et  les  intrigues  du  P.  Le  Tellier  et  de  quel- 
ques autres  Je'suites.).  Welche  Schwäche  des  Cardina  1s,  Er' 
batte  einen  zarten  und  frommen  Sinn,  eine  erhabene  Tugend  ; 
aber   wie  sehr  gieng  seine  Güte  hier  in  Schwäche  über 


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•  150       Geschichte  der  Hof-Beich  tva  ter  von  Bischof  Gregolre 

Warum  gab  er  denn  neue  Vollmachten,  wenn  er  die  Gefahr 
des  Königs,  der  zu  seinem  Sprengel  gehörte,  kannte?  Gott 
»oll  ergänzen,  was  der  Hochverpflichtete  von  seiner  Amts« 
pflicht  vernachlässigte.  Die  Entdeckung  jenes  Betrugs  hätte 
ohne  Zweifel  die  Entfernung  des  Beichtvaters  bewirkt,  wenn 
Ludwig  den  Jesuiten  nicht  blindergeben  gewesen  wäre. 
Nicht  zufrieden  ,  ihnen  die  Leitung  seines  Gewissens  anzu- 
vertrauen, nöthigte  er  auch  die  Glieder  seiner  Familie,  Je- 
suiten zu  Beichtvätern  zu  nehmen.  Die  Folge  ihrer  Intriguen 
war,  dafs  sie  die  Bulle  ünigenitus  veranlafsten  und  auswirk- 
ten. Memoire«  de  Dangeau,  publie's  par  M.Lemontey 
p.  166. 

Ohne  Aufhören  belagerte  eine  Menge  Ehrgeiziger  und 
Pfrttndegieriger  den  Beichtvater,  der  gleich  seinem  Vorgänger 
üher  alle  Stellen  verfügte.  Doch  mufste  er  dabei  sich  mit  Ma- 
dame von  Maintenon  bereden,  da  diese,  auf  Anrathen  des 
Cardinais  von  Bissy,  sich  auch  mit  den  geistlichen  Angelegen- 
heiten befafst  hatte,  und  bisweilen  darin  durchdrang.  Man 
wirft  ihm  vor,  den  Häusern  seines  Ordens  ohne  gehörige 
Form  eine  Menge  der  reichsten  Pfründen  zugewendet  zu  ha- 
ben. Histoire  gene'rale  dea  Je'suites.  12.  1761.  T.  III.  p.  21. 
Eine  noch  gehässigere  Anekdote  übergiebt  ihn  der  Verachtung 
der  Nachwelt.  Ludwig XIV.  wollte  wissen,  ob  er  dem  Volke 
den  Zehnten  auflegen  könnte,  da  es  schon  von  Abgaben  er- 
drückt war,  wovon  ein  Theil  in  den  Schoofs  der  Maitressen 
Hofs.  Er  fragt  Le  Tellier.  Dieser  übergiebt  ihm  nach  eini- 
gen Tagen  ein  Gutachten,  nicht  von  der  Sorbonne,  aber  von 
mehreren  Mitgliedern  der  Sorbonne,  mit  dem  Resultat:  alle 
Güter  der  Unterthanen  gehören  dem  Könige;  Er  habe  also 
über  das,  was  sein  eigen  sey,  zu  gebieten.  Histoire  de  la 
regence  T.  I.  p.  5. 

Man  hat  von  Ludwig  dem  XIV.  gesagt ,  er  habe  keine 
Religion  gekannt,  aber,  um  seelig  zu  werden,  sich  das  ganze 
Leben  hindurch  geschmeichelt,  seine  Vergehungen  aut  dem 
Rücken  anderer,  Besonders  der  Calvinisten  und  Jansenisten, 
auszugleichen,  welche  er,  auf  Zureden  der  Jesuiten,'  als 
Ketzer  büfsen  machte.  Wer  kann  läugnen,  dafs  Frankreich 
unter  Ludwig  XIV.  von  denLorbeern  des  Sieges  und  von  den 
Lumpen  des  Elends  bedeckt  war.  Er  selbst  starb,  von  den 
Dichtern  besungen,  von  seinem  Volke  aber  —  nicht  zurück- 
gewünscht. 

Nach  seinem  Tode  leerte  der  Regent  die  Staatsgefäng- 
nisse,  welche  Le  Tellier  mit  den  Feinden  der  Bulle  (ünige- 
nitus) angefüllt  hatte.     Der  Jesuit  selbst  wurde  erst  nach 


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I 


Gemeiner  Regensburgiache  Chronik.  251 

La  Fleche  und  dann  nach  Amiens  verwiesen,  wo  er  1719 
starb.  Die  Akademie  der  Inschriften,  deren  Mitglied  er  ge-, 
wesen,  beschränkte  ihre  sonst  gewöhnliche  Lobrede  darauf, 
dafj  sieden  Tag  seiner  Geburt,  seiner  Ernennung  zum  Beicht- 
vater und  seinen  Todestag  nannte.  Oeuvres  de  Saint  Simon 
Tom.  VII.  und  VIII.  Oeuvre«  de  Duclos.  8.  Paris  1806. 
Tom.  X.  p.  60. 

ff.  E.  C.  Paulus. 


Der  Regensburgischen  Chronik  dritter  Band$  aus  der  Urquelle  9  den 
königl*  Archiven  und  Registraturen  zu  Regensburg  bearbeitet  von 
Carl  Theodor  Gemeiner,  Regensburg ,  1821«  Ebendaselbst 
vierter  und  letzter  Band,  mit  einer  Biographie  des  verstorbenen 
Verfassers  von  Dr.  Kiejhaber.  1 82.4. 

Carl  Th.  Gemeiner  ward  geboren  1756  zu  Regens- 
burg, und  studirte  seit  1775  Theologie  zu  Leipzig;  aus  Man- 
gel an  Aussichten  zu  einer  baldigen  Versorgung  widmete  er 
sich  später  der  Diplomatie,  brachte  es,  nachdem  er  schon! 
seit  1781  in  seiner  Vaterstadt  eine  Anstellung  erhalten  hatte, 
unter  der  churerzkanzlerischen ,  später  primatischen  Regie- 
rung zum  Landesdirectionsrath  und  Hauptarchivar  des  *ftr- 
stenthums  Regensburg ;  1810  kam  er  mit  dem  Lande  an  die 
Krone  Baiern,  und  endete  sein  der  Geschichte  gewidmetes 
Leben  am  30.  November  1824.  Klar  und  bestimmt  setzt  Hr. 
Dr.  Kiefhaber  das  mannigfache  Wirken  seines  Freundes 
aus  einander;  seine  Werke  werden  aufgezählt,  die  Gelegen« 
heiten,  die  sie  hervorgerufen,  angedeutet,  und  zugleich  die 
Urlheile  ausgezeichneter  Männer  darüber  angeführt. 

Es  würde  thöricht  seyn,  sich  jetzt  noch  über  die  Art 
und  Weise,  über  den  Werth  und  die  Wichtigkeit  der  Re- 
gensburger Chronik  verbreiten  zu  wollen,  sie  ist  längst  schon 
allen,  denen  gründliche  Forschung  des  Mittelalters  am  Herzen 
liegt,  bekannt.  Die  Specialgeschichten  und  Chroniken  sind 
das  Hauskleid  der  Geschichte;  in  welch  einer  anderen  Gestalt 
erscheinen  uns  hier  manchmal  die  Haupt*  und  Staatsactionen  ! 
So  lernen  wir  die  Anmafsungen  der  Baseler  Synode,  die,  wie 
viele  Eiferer  alter  und  neuer  Zeit,  die  Freiheit  nur  für  sich 
zu  schätzen  wufste,  nirgends  so ,  als  aus  dem  dritten  Bande 
der  vorliegenden  Chronik  kennen;  nirgends  erscheint  der  hoch- 
gefeierte,  ritterliche  Maximilian  so  ungerecht,  so  erbärmlich, 
möchte  Referent  sagen,  als  in  den  Geschichten  der  Stadt  Re- 
gensburg, 


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252 

• 


Geineiner  Regensburgische  Chronik, 


Der  zweite  Band  schlofs  die  Reihe  der  alten  adeligen  Ge- 
schlechter ,  der  dritte  beginnt  mit  dem  ersten  Kämmerer  Lem- 
pold  Gumberg  1430.  In  der  Urkunde,  worin  Sigmund  Her- 
zog Ludwig  von  Ingolstadt,  nachdem  er  vom  Concilium  zu 
Basel  in  Bann  getban  war  ,  in  die  Acht  erklärt  (28.  April 
14340»  heilst  es:  er  habe  den  Boten  des  Kaisers  die  Ohren 
abgeschnitten,  sie  genöthigt,  die  Briefe  zu  essen  u.  s.  w. 
Derselbe  Sigmund  ertheilt  den  Regensburgern  für  120  Gulden 
das  Privilegium,  in  aller  Herrn  und  Fürsten  Ländern  die  StÖ- 
rer  des  Friedens  zu  fahen  und  nach  ihrem  Stadtrecht  zu  rich- 
ten. Die  Krone,  die  er  verpfändete,  konnte  aus  Geldmangel 
nicht  eingelöst  werden ,  da  bot  der  Kaiser  der  Stadt  Pfeffer  an 
.  Zahlungs  Statt.  Regensburg  mufste  sich  mit  den  vorbeizie- 
henden Zigeunern  abfinden,  das  Land  nicht  zu  beschädigen; 
ein  Priester  ermordet  einen  andern  einer  Beischläferin  wegen 
III.  l3i.  —  Aus  IM.  140.  ersieht  man,  dafs  die  Behauptung 
Beckmanns  (Geschichte  der  Erfindungen  I.  394.) :  anfangs 
seyen  blos  Frauenspersonen  höheren  Standes  gefahren,  unge* 
gründet  ist,  —  Die  Hebammen  sollen  zu  keiner  Jüdin  kom- 
men III.  207.  (a.  1452.).  Den  Wirthen  .wurde  1453  nach- 
drücklichst anempfohlen,  niemand  etwas  zu  GSsen  zu  geben, 
als  des  Morgens:  ein  blofses  Süppel,  nach  Essenszeit  Käse, 
Brot  und  Rübeln;  was  jeder  Trinker  selbst, mitbringt,  das 
darf  ihm  jedoch  ohne  weiters  gebraten  und  gesotten  werden. 
Unter  Friedrich  III.  war.  die  Bestechung  der  IJeamten  allge- 
mein; Matthäas  Döring  nennt  ihn  gradezu  regem  Judaeorum; 
(  Contin.  Chron.  Engelhusii  apud  Menken  III.  10.  vergl.  mitt 
I.  1284.)»  Für  Geld  fand  jeder  Verbrecher  eine  Fürsprache  v 
für  Geld  fanden  alle  Recht,  Mönche  verschiedener  Farben  und 
Juden  640.  —  Der  merkwürdige  Aufstand  1485,  die  Ueber- 
abe  der  Smdt  an  Herzog  Albrecht  von  Baiern  und  die  endliche 
Yiedererlangung  der;  Freiheit  si.nd  von  S.  685  urkundenmäfsig 
dargestellt.  • —  Zu  seinem  trefflichen  Schrift  über  den  Ursprung 
von  Regensburg  giebt  der  Verfasser  III.  783;  einen  wicbü« 
gen  Nachtrag.  •  ;t 

Der  vierte  Band  geht  von  1497  —  1535.  I«n  Namen 
Maximilians  ward  dem  Rath  angesinnt,  sich  -seines  Rechtes 
gegen  einen  Bürger  zu  enthalten,  darauf  antwortete  der  Käm- 
merer Wolfgang  Liskircher  :  des  Königs  .Meinung  wer-, 
de  aeyn,  das  Recht  zu  fördern ,  nicht  aber  das- 
selbe zu  verweigern.  Maximilian  setzt  mit  Gewalt  1499 
einen  Hauptmann  ein  ,  damit  Albrechts  Freunde  sich  der  Stadt 
nicht  wieder  bemeistern  könnten»  Im  Jahr  1505  (98)  heilst 
es  im  Rathsprotokoll:  Dem  Joseph  Grunpek  ,  K.  M.  Sekretari 


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r  *  •  »  ' 

Gemeiner  Regemburgische  Chronik.  253 

ist  Tags  nach  Misericordias  auf  sein  Supplicaton  lind  An- 
bringen, all  lue  eine  Foetenschul  zu  halten  (vergl„ 
des  Poeten  Maister  zu  München  Klage  in  Westenrieders  Bei- 
trägen V.  227.),  vergönnt  und  zugesagt,  und  ihm  deshalb 
40  Gulden  rheinisch  Jahrgeld  zu  gehen  bewilligt,  nämlich  alle 
Quatember  10  Gulden,  —  In  einem  Antwortschreiben  auf  den 
Brief  Maximilians,  nach  Rom  gehen  zu  wollen,  schreibt  Ju- 
lius (18.  August  1507):  Adventum  C.  t.  raaximo  cum  deside- 
rio  exspectauius.  Hortamur  tarnen  «andern ,  ut  hujusmodi 
modestiatn  Dm.  Friderici  III.  imitari  velis,  qui  loca  S.  roma- 
nae  ecclesiae  parvo  comitatu  armorum  sine  ulla  suspicione  in- 
gressus  est.  IV.  12 1*  —  Ein  'Jude  sagte  1510  der  Stadt  Vehde 
und  Feindschaft  an.  159.  No.  322.  —  Auf  eine  Beschwerde 
der  Geistlichkeit  wegen  neuer  Verfügungen  erwiederten  die 
städtischen  Abgeordneten:  Wenn  dem  also  ist,  dafs  in  den  b. 
Schriften  verboten  wäre,  die  Geistlichen  mit  Steuern  zu  be- 
legen, so  seyen  der  Zeiten,  da  die  Gesetze  gemacht  worden 
waren,  andere  Ursachen  vorhanden  gewesen;  es  bat  alles  eine 
andere  Gestalt  gehabt  als  jetzt;  und  ist  der  Vernunft  nicht 
wider,  dafs  durch  Ursachen  und  mit  der  Zeit  die  Gesetze  ver- 
ändert und  auch  ganz  und  gar  in  andere  Wege  verkehrt  wer- 
den ;  dem  natürlichen  Versland  sey  aber  widerwärtig,  dafs 
die  Geistlichen  den  Bürgern  das  Brod  vom  Munde  abschnei- 
den. IV.  2Ö8.  (a.  1516.).  Damit  ist  zu  vergleichen  IV.  440. 
Das  Volk  sagte:  hätte  es  gewufst,  dafs  die  Geistlichen  etwas 
von  dem  Geld  zur  heiligen  Mariä  bekommen,  so  würde  ihm 
jeder  Heller  gereut  haben  !  Zu  l5l8  klagen,  die  bischöflichen 
Käthe,  dafs  an  jedem  Tag,  so  hochzeitlich  er  auch  sey  im 
ganzen  Jahre,  die  Altäre,  alsbald  man  Messe  gelesen,  ihrer 
Zier  müssen  beraubt  werden;  wo  man  es  aber  eine  kleine 
Weile  verzieht,  so  versieht  sich  etwa  ein  unseliger  Christ, 
der  solches  entfremdet  und  eilends  der  Judengasse  zulauft,  das 
zu  versetzen  oder  zu  verkaufen.  Daher  erwächst,  dafs  we- 
der Kelch,  Altartücher,  Mantel,  Schleier,  Corallen  -  Pater- 
noster, noch  andere  Zier  der  Bildung  Mariä  und  der  h.  Mut- 
ter S.  Anna,  item  Cborröcke,  Mefsbücher  nicht  sicher  sind. 
Auch  hat  S#  F.  Gnad  mit  sammt  dein  Kapitel  angezeigt,  dafs 
die  Bildung  Mariä  und  anderer  lieber  Heiligen  blols  und  nackt 
müssen  stehen,  dafs  man  die  Altarleuchter  ,  wie  man  sie  be- 
halten will,  an  eiserne  Ketten  legen  mufs;  auch  die  Priester, 
dieweil  sie  Messe  lesen,  sind  ihre  Barett  auf  dem  Altare  nicht 
sicher,  wie  zu  Niedermünster  besehenen.  IV.  444- 
Rom,  schreibt  der  Regensburger  Gesandte  1522,  wo  alle 
Sachen  sehr  schwer  und  mit  grofsem  Gelde  zu  Ende  kommen ,' 


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254  Hullmann  Städtewesen  des  Mittelalters 

kann  kein  guter  Geselle  Ehre  und  Dank  verdienen.  Zu  des 
Pabstes  Leo  Zeiten'  war  man  in  den  Händen  florentinischer 
Kaufleute,  die  mit  keinem  kleinen  Haufen  Gold  zu  füllen  wa- 
ren ;  jetzt  ist  alle  Gewalt  zu  Korn  in  den  Händen  der  Fliim- 
mitiger  und  Spaniolen  ,  alles  aufgewendete  Gold  ist  daher  ver- 
loren." IV*  461*  —  Ei"  Landvogt  zu  Frauenfeld  hat  einen 
lutherischen  Prädicanten  mit  Ruthen  lassen  schlagen  und  ihm 
die  Zunge  mit  einem  Nagel  lassen  an  den  Pranger  heften  •  die 
er  sich  selbst  hat  müssen  ausreifsen.  IV.  5l8.  —  Auch  kön- 
nen unsere  deutschen  Wörterbücher  mit  trefflichen  ,  den  Ur- 
kunden entnommenen  Ausdrücken  durch  die  Regensburger 
Chronik  bereichert  werden ;  so  z.  B.  geleumt«  wobige« 
]eumt,  Rahm  Raub,  Legstadt  d.  h,  ein  Ort,  wo  Traust- 
tohandel  getrieben  wird«  wohlgezeugt  (*"yvnj;)t  Ent- 
gang Verminderung«  u  r  w  ä  r  i  g  beständig  u.  s.  w.  Auch 
ersieht  man,  wie  thöricht  es  ist,  über  die  Orthographie  un- 
serer Vorfahren  in  dieser  Zeit  Untersuchungen  anzustellen 
oder  zu  streiten ;  in  derselben  Zeile  wird  häufig  dasselbe 
Wort  verschieden  geschrieben« 


Städtewesen  des  Mittelalters»  Von  Karl  Dietrich  Hüllmann, 
Erster  Theil.  Kunstfleis  und  Handel.  Bonn,  bei  Adolph  Marcus. 
1826«    Vlll  und  476  S,  8.  3  fl.  iö  kr. 

j 

Im  Gegensatz  .zu  der  Weise«  die  bei  uns  in  der  zweiten 
Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  aufkam«  durch  Ansichten  und 
Ideen«  durch  Wahrnehmungen  und  Schlüsse,  die  sich  auf  die 
Sitten  wilder  Horden  und  psychologische  Hypothesen  grün- 
deten, die  Weltgeschichte  gleichsam  a  priori  construiren  zu 
wollen«  regt  sich  zu  unserer  Zeit  allenthalben  ein  scharf  sich- 
tender  Forschungsgeist,  der  jede  Sage«  jedes  modernde  Ue- 
I)erbleibse]  der  dahingeschwundenen  Menschheit  dreht  und 
wendet«  mit  dem  Gleichartigen  prüfend  zusammenhält  und  ord- 
net« um  wo  möglich  aus  den  hie  und  da  zerstreuten  Stücken«) 
aus  den  unscheinbaren  Fetzen  das  verblichene«  früher  in  glän- 
zender, jugendlicher  Frische  prangende  Kleid  eines  längst 
verschwundenen  Zeitalters  wiederum  zusammenzusetzen  und 
aufzuputzen.  Diese  feine  Nadelarbeit  wird  in  den  neuesten 
Zeiten  so  kunstreich  getrieben  ,  dafs  häufig  ein  geübtes  Auge 
dazu  gehört,  die  groisen  Stiche  und  blöden  Stellen  herauszu- 
finden. Wie  allgemein  bekannt,  weifs  der  Verfasser  des  vor« 
liegenden  Werke«  mit  grofser  Kunst  und  Gewandtheit  den 


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Hüllmann  Slädleweien  des  Mittrlahtrs. 


155 


Inhalt  einzelner  Urkunden  zu  einem  Gänsen  zusammentrei- 
ben; er  versteht  es,  dadurch  ein  Bild  mittelalterlicher  Zeiten 
zu  entwerfen ,  wie  die  beschränkten  Chronikenscbreiber  nim- 
mermehr gekonnt  hätten.  Aufser  den  gedruckten»  zum  Theil 
seltenen  Quellen,  wozu  Hr,  Hofrath  Reufs ,  dessen  menschen« 
freundliche  Theil  nähme  an  Studien  aller  Art  jeder ,  der  die 
Göttinger  Bibliothek  benutzte,  nicht  genug  rühmen  kann, 
lehül flieh  war ,  hatte  Hallmann  noch  urigedruckte,  Urkunden 
aus  verschiedenen  Archiven,  besonders  aus  dem  Archive  zu 
Königsberg;  keines,  tagt  der  Verfasser,  selbst  nicht  das  zu 
Venedig,  dürfte  über  das  Innere  des  Handels  im  Mitte), 
alter  so  viele  Nachrichten  enthalten ,  wie  dieses  (457.).  Vor 
allem  will  lief,  den  Leser  mit  dem  Inhalt  des  Ganzen,  so  weit 
es  nämlich  bei  solchen  in's  Einzelne  gehenden  Forschungen 
möglich  ist,  bekannt  macheu. 

Zum  grofsen  Vortheil  gereichte  der  Landwirthscbaft, 
von  der  die  Gewerbe  Nahrung  und  Leben  empfangen,  die 
Erblichkeit  der  Leben,  die  Aufnahme  freier  Zinsbauern,  Co« 
Ionen,  Mal  mannen  (siebe  weiter  unten)  und  Sock*  oder  Sack« 
männer«  Wegen  der  häufigen  Fleischspeisen  und  anderer 
schwer  verdaulichen  Gerichte,  die  wohl  von  mancher  schwär- 
merischen Verirrung  unglücklicher  Klosterbrüder  vorzüglich 
Ursache  gewesen  seyn  mögen,  waren  die  Verdauung  beför- 
deruden  Mittel  von  Nöthen,  Pfeffer,  der  bekanntlich  in  den. 
grundherrlichen  und  Zollabgaben  eine  bedeutende  Rolle  spielt, 
und  andere  Gewürze  aller  Art.  Zum  Gottesdienst  in  den 
Kirchen  bedurfte  man  Wachs,  Bernstein  (Brennstein,  Ambra) 
und  Weiheraucb;  die  Geistlichen  wollten  feine  Stoffe,  selbst 
tibetanisches  Ziegenhaar  zu  Kleidern,  Chorröcken  u.  dergl.; 
die  Ritter  Trutz«  und  Schutz waffen,  Reithosen,  vorzüglich 
aber  Pelzwerk,  ein  Lieblingsputz  all-sr  deutschen  Völker. 
(Ueber  diePelzkleidung  der  Gothen  sehe  man  die  Ausleger  zuaa 
Cod.  Theod.  V.  240.  ed.  Ritter.) 

Die  Kreuzzüge  und  die  dadurch  entstandene  nähere  Be« 
leanntsebaft  mit  den  Mauren  gaben  Gelegenheit  zu  Verände- 
'  rungen  aller  Art  in  Asien  und  Europa.  Seidenbau  und  Sei« 
den  Weberei,  schon  früher  bekannt,  stieg  durch  den  zuneh- 
menden Luxus  der  Geistlichen,  der  Ritter  und  Handelsherrn, 
so  auch  die  Manufakturen  von  Baumwollenzeugen.  Außer- 
dem kamen  noch  in  Handel  feines  Leder  von  verschiedenen 
Gattungen,  Safran,  Alaun,  Zucker,  allerhand  metallene  Ge« 
rätbschaften ,  Südfrüchte,  endlich  auch  Menschen,  womit 
sieb,  unerachtet  aller  pabstlichen  und  einheimischen,  wahr« 
•cheinlich  so  ernstlich  nicht  gemeinten  Verbote,  die  Vene- 


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HiMmann  Städtewesen  im  Mittelalter. 


tianer  bis  tief  in's  fünfzehnte  Jahrhundert  beschäftigten* (Dam 
III.  22.  Ueber  diesen  schändlichen  Menschenhandel  in  Eng- 
land spricht  Henry  Histoire  d'Angleterre  IV.  472. >  Bologna, 
das  in  der  zweiten  Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  seine 
Leibeigenen  in  Freiheit  setzte,  „weil  die  Menschen  frei  ge- 
boren,  nur  im  Laufe  der  Zeiten  und  durch  die  Schuld  des 
Völkerrechts  in  Knechtschaft  gerathen  Seyen",  fand  wenig 
Nachahmung,  weder  in  den  Demokratieen ,  noch  auf  den 
geistlichen  und  adeligen  Territorien;  nur  scheinbar  ist  die 
.Entstehung  der  Comöiunen  in  Frankreich  und  in  andern  Län- 
dern dieser  Behauptung  entgegen.  Wenn  auch  mit  Kaisern 
und  Königen,  konnte  die  römische  Hierarchie  doch  nicht 
mit  den  habsüchtigen  Kaufleuten  fertig  werden,  alle  Bann- 
blitze scheuchten  sie  im  früheren  Mittelalter  nicht  vom  Han- 
del mit  den  Saracenen  ab,  so  nicht  im  späteren  mit  den  Hus- 
siten.  Von  römischer  Seite  benutzte  man  diese  Verhältnisse, 
den  übertriebenen,  durch  die  Unsicherheit  alles  Besitzthuma 
einigermafsen  entschuldigten  Zinsfuß  zu  neuen  Gelderpres- 
sungen, Erbschleichereien  u.  s.  w.  In  einem  Concilium  zu 
Kavenna  1317  ward  beschlossen:  Usuarius  manifestos  —  fore 
cömmunione  altäris  et  ecclesiastica  sepultura  privatos  (Hiero- 
nymi  Rubei  Iiistor.  Raven.  Venetiis  1589.  fol.  877.).  In  der 
Berberei,  in  Aegypten,  Syrien,  Cappadocien  und  am  schwar- 
zen Meere  wurden  italienische  Handelsniederlassungen  ge- 
gründet, von  den  Eingebornen  wufste  man  sich  aufserordent- 
liche  Privilegien,  eigene  richterliche  Behörden  und  dergl.  zu 
verschaffen.  Diese  Niederlassungen,  gleichviel,  ob  über 
Aegypten,  Bactrien  ,  oder  im. westlichen  Armenien  der  indi- 
sche Waarenzug  ging,  wurden  Stapelplätze  für  den  Welt- 
handel. Neben  der  griechischen  herrschte  bis  zu  den  Kreuz- 
zügen die  Flagge  der  Saracenen  auf  dem  Mittelmeere  ;  jetzt 
erscheinen  Italiener,  Provenzalen  und  Katalonier,  die  mit 
gröfserer  Sicherheit  die  Meere  durchzogen,  seitdem,  wie 
und  wann,  wird  nie  genau  ausgemittelt  werden  können y  ge- 
gen die  zweite  Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  die  Eigen- 
schaft des  Magnets  entdeckt  war. 

(Der  Beschlufs  folgt.") 


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I 


N.  17.  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Hüllmann  Stadtewescn  des  Mittelalters- 

#  i 
*  i  • 

*  (.Beschlufs.) 

Dies  ist  nur  eine  Seite  des  Großhandels ;  auch  in  dert 
Seestädten  des  Nordens,  atn  baltischen  Meerbusen ,  erwachte* 
vorzüglich  durch  den  Eifer  für  die  Verbreitung  des  Christen« 
thums,  Handel  und  Schifffahrt;  deutsches  Leben  und  Treiben 
Ward  in  den  slavischen  und  wendischen  Norden  verpflanzt  $ 
ermangelte  aber  hier  aller  der  schönen  Blüthen  in  Kunst  und 
Wissenschaft,  die  das  Börgerthum  in  der  Lombardei  und  in! 
deutschen  Städten  zu  Tage  Förderte.  Lübeck  erhob  sich  nicht 
Hut  durch  sein  Stadtrechc,  das  neunzig  Städte  an  der  Ostsed 
annahmen,  sondern  auch  durch  die  später  erlangte  oberste 
Leitung  der  grofsen,  zur  gegenseitigen  Sicherheit  errichteten 
deutschen  Hansa,  zum  Mittelpunkt  des  nördlichen  Städte- 
•vvesens.  Zuerst  hatte  Cöln  Niederlassungen  in  England,  bald 
eiferte  Lübeck  nach  ^  nicht  ohne  Zwistigkeiten  vereinigten 
sich  beide  später  zu  einer*  Hansa ,  wie  und  wann,  läfst  ur-* 
Rundlich  sich  nicht  nachweisen.  Mehrere  Städte  traten  bei  g 
man  erwarb  sich  die  gröfsten  Handelsfreiheiten  im  Nordend- 
Süden  und  Westen,  und  so  entstand  der  merkwürdigste  Han- 
delsbund in  der  ganzen  Weltgeschichte.  In  das  Einzelne  des 
nordischen  Itandels,  in  die  ErwerbszWelge  und  Streitigkeiten 
der  einzelnen  Städte  kann  hier  nicht  eingegangen  werden. 

„Die  Summe  der  wichtigert  Veränderungen,  der  Geist 
der  neueren  Gesellschaft,  ist  so  auszudrücken:  die  All  ei»* 
herrschaft  des  Unbeweglichen  Vermögens  ward  ge- 
krochen; es  entstand  neben  ihr  eine  Mit  her rschaft  des 
Leweglichen««  (207).  Die  gedrückten  Hörigen  entfliehen 
in  die  nahen  Städte,  und  nach  Jahr  und  Tag  konnten  sie  ge- 
wöhnlich von  ihren  Leibherren  nicht  mehr  in  Anspruch  ^e« 
nommen  werden.  Die  Könige  hoben  den  Bürgcrstand  als  Ge- 
gengewicht gegen  die  übermächtigen  Aristokraten  :  ein  Kampf 
entstand  zwischen  dem  hohen  Adel  einer  Seit«,  der  niedere 

XIX.  Jahrg.    3.11,0.  '  17 


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258  Hullmaim  Städtewesen  im  Mittelalter. 

hielt  sich  grofsentbeila  zu  den  Städtern  (marchands  nobles), 
den  Königen  und  den  Communen  anderer  Stits,  Die  geld- 
loaen  Grundbesitzer  konnten  mit. den  reichen  Städtern  nicht 
gleichen  Schritt  halten ;  Kleidungen,  Wobnungen,  HausgerU- 
the,  Nahrungsmittel,  Alles  verbessert  und  verfeinert  sich, 
und  dadurch  ward  der  Kunstfleifs  erstaunlich  gehoben.  Wol- 
lenzeuge gehören  zu  den  wichtigsten  Kunsterzeugnissen  in 
den  Städten;  die  Tuchbändler ,  denen  die  jetzt  auch  zur  Be- 
deutung sich  erhebenden  Färberei-  und  Wollkämmerinnungen 
häufig  untergeordnet  waren  *) ,  bildeten  eigene  Zünfte.  Vor- 
züglich zeichneten  sich  die  Tuchwebereien  in  den  Niederlan- 
den und  dem  südlichen  Frankreich  aus ,  später  erst  erhoben 
sich  bekanntlich  die  englischen,  die  Leinenzeuge  wurden  aber 
gröfstentheils  von  den  Gutsunterthanen  beiderlei  Geschlechts 
verfertigt.  Metall  waaren ,  Bier,  Meth,  der  in  den  nördlichen 
Gegenden  die  Stelle  des  Weines  vertrat,  Salz,  worüber  in 
einem  grofsenTheil  des  südlichen  Europa's  die  Venetianer  sich 
das  Monopol  gewaltsam  zu  verschaffen  wufsten,  gehören  auch 
eu  den  vorzüglichsten  Handelsartikeln. 

Die  örtlichen  Veranlassungen  zu  Handelsstädten,  zu  Ge- 
werben, Märkten  und  Messen  waren  schiffbare  Gewässer, 
Bischofssitze,  Klöster,  Wallfahrten,  Verehrung  der  Heiligen 
u.  s.  w»  Natürlich  mufsten  dann  für  Waaren  und  Kaufherren 
passende  und  bequeme  Einrichtungen  getroffen  werden;  es 
entstanden  Kaufhäuser,  Tuch-  und  Gewerbsballen,  Börsen, 
von  den  kaufmännischen  Geldgeschäften  so  genannt,  Kram- 
läden, Bänke,  wobei  der  Umstand  ,  dafs  die  Läden  und  Bänke 
gleichartiger  Waaren  neben  einander  standen ,  und  die  bald 
eintretende  Erblichkeit  derselben  nicht  zu  übersehen  sind« 
Um  der  Mühen  und  Störungen  tiberhoben  zu  seyn,  die  das 
Feilhalten  in  den  öffentlichen  Hallen  verursachte,  legte  man 
in  den  Häusern  Läden  an,  wodurch  die  Ueberhänge,  Neben- 
zimmer und  dergl.  entstanden.  Aus  der  örtlichen  Einrichtung 
des  Waarenabsatzes  der  Kunstarbeiten  und  Handwerken  ist 
di£  Z  u  n  f  tve  r  fass  u  n  g  derselben  unmittelbar  hervorge- 
gangen (3 15),  und  frühe  schon  finden  wir  Zünfte  mancherlei 
Art,  Kürschner,  Fleischer,  Leinweber  u.  s.  w.  Die  Gilden 
der  Kaufleute  aber  Seyen  vorzüglich  aus  dem  Bedürfnifs ,  sach- 


*)  Die  den  Tuchhändlern  untergeordneten  Zünfte  werden  in  den  Sta* 
tuten  von  Padua  genau  aufgezählt:  tentori,  purgatori,  fotlatori, 
garzatori,  savonatori,  kartezatori,  fillatori.  Gli  «tatuli  de  Pa- 
deva  tradotti  de  Latino  in  vulgare.  Padova  1551-  4.  S.42.  a. 


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Hüllmann  Städtewesen  des  Mittelalter!.  069 


kundige  Schiedsrichter  in  Handelssachen  zu  haben  ,  entstan- 
den. Es  wird  dann  Einzelnes  über  die  wichtigsten  Städte  des 
Binnen-Grolsbandels  im  östlichen  Gebiet,  Regensburg,  Wien, 
Breslau,  Trag,  im  westlichen  Troyes,  Genf,  Lyon,  Beau« 
caire,  im  mittleren  Augsburg,  Nürnberg,  Frankfurt,  Cöln, 
beigebracht,  und  die  verschiedenen  Handelsstralsen  nebst  den 
Handelsartikeln  urkundlich  nachgewiesen«  Endlich  wird  das 
JNotbwendigste  bemerkt  über  Münzen,  über  ihren  Namen 
und  Werth,  über  Geldwechsel  und  Anweisungen,  und  mit 
dem  Beginne  der  Girobank  zu  Venedig ,  eine  Vorkehrung  ,  die 
später  in  allen  grofsen  Handelsstädten  nachgeahmt  wurde, 
die  Darstellung  des  Handels-  und  Gewerbwesens  im  Mittel- 
alter geschlossen. 

Wie  aus  dem  Ganzen  sichtbar  ist,  wollte  Hüllmann  das 
Städtewesen  nicht  in  einem  bestimmten  Zeiträume  des  Mittel* 
alters  darstellen,  sundern  historisch  auffassen  und  entwickeln. 
Nun  beginnt  aber  der  vorliegende  erste  Theil  mit  Handel  und 
Gewerbe,  mit  der  Blüthe  der  freien  städtischen  Geineinden, 
ohne  zuerst  über  die  Anfänge  und  das  allmälige  Wachsen  der- 
selben uns  aufgeklärt  Zu  haben.  Das  Ungenügende  dieses 
Plans  ward  auch  von  dem  einsichtsvollen  Verfasser  im  Laufe 
der  Arbeit  hinlänglich  gefühlt,  denn  bei  der  kurzen  Darstel* 
lung  der  Zünfte  mufste  er  einem  später  folgenden  Theile  über 
die  Anfänge  des  Städtewesens  vorgreifen  (317).  So  sehr  Ref. 
der  Behauptung!  Jedes  Zeitalter  ist  ein  in  sich  abgeschlossen 
eenes,  in  allen  Hauptzügen  genau  übereinstimmendes  Ganze 
(192),  beipflichtet,  so  kann  doch  das  ganze  Mittelalter  kei« 
nes Wegs  als  ein  solches  Zeitalter  betrachtet  werden,  gesetzt 
auch,  wir  würden  zu  unserem  Zweck  es  erst  mit  der  Auf- 
lösung der  Staatsgewalt,  mit  der  gröfseren  Unabhängigkeit 
der  Beamten  und  Gemeinden,  mit  der  Ausbilduug  des  Feudal- 
systems und  des  für  Wissenschaften,  Leben  und  Verfassung 
bedeutungsvollen  Rittertbums  beginnen.  Würde  der  Verfas- 
ser mit  dem  Anfange  angefangen  haben  ,  so  würden  auch  die 
bedeutenden  Veränderungen ,  die  die  veränderte  Richtung  des 
Welthandels  in  einigen  Städten  verursachte,  deutlicher  an's 
Licht  getreten  seyn ;  es  ist  bekannt  und  Vom  Verfasser  auch 
bemerkt  worden ,  dafs  einst  die  Strafte  des  Welthandels  für 
das  nördliche  Deutschland  von  Kiew  aus  über  Nowgorod, 
Wisby  und  Lübeck  ging  ,  für  da0  südliche  über  Breslau,  Frag 
und  Regensburg.  Erst  nachdem,  nach  der  Eroberung  Con- 
etantinopels  durch  die  Lateiner  ,  der  Handel  wiederum  seine 
frühere  Richtung  zur  See  über  Venedig  genommen  hatte, 
boben  sich  die  Städte  Augsburg  undJNüinberg,  Regenaburg 


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Hüllmann  Städtewesen  des  Mittelalter« 


aber  kam  sichtbar  zurück  (Bruchstück  einer  haierischen  Han- 
delsgeschichte vom  Jahre  1253  —  1294»  durch  Ritter  v.  Langj). 
Ganz  anders  war  das  Lehen,  der  Handel  und  das  Gewerha- 
Wesen,  ganz  anders  waren  Sitten,  Gesetze  und  Gewohnheiten 
im  zwölften  und  in  der  ersten  Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhun- 
derts ,  im  Vergleiche  zu  den  spätem  im  vierzehnten  und  fünf- 
zehnten! Einen  seiner  Vorfahren  ,  Cacciaguida,  laTst  Dante  im 
XV. Gesang  des  Faradiso  das  damalige  Florenz  so  beschreiben: 

Fiorenza  dentro  delle  cerchia  antica 

Ond' ella  toglie  ancora ,  e  terza  ,  e  nona 
Si  stava  in  pace  sohria ,  e  pudica. 

Non  aveva  catenella ,  ne  Corona, 

Non  gönne  contigiate,  non  cintura, 
Che  fosse  a  veder  piü  che  la  persona. 

Non  faceva  nascendo  ancor  paura 

La  fielia  al  padre ,  che  '1  tempo,  e  la  dote 
Non  fuggian  quinci ,  e  quindi  la  misura. 

Non  aveva  case  di  famiglia  vote 

Non  vera  giunto  ancor  Sardanapalo 
A  mostrar  cid,  che  in  camera  si  puote 

Bellincion  Berti  vidi  io  andar  cinto 

Di  cuojo,  ed'  osso,  e  venir  dollo  specchio 
La  Donna  sua  ,  senza  il  viso  dipinto. 

E  vidi  quel  de  Nerli ,  e  quel  del  Vecchio 
Esser  contenti  alla  pelle  scoperta 
E  le  sue  Donne  al  fuso,  e  al  pennecchio. 

Mit  dieser  vortrefflichen  Schilderung  kann  man  Ricard  Ma- 
lespini cap.  161.  und  Giovanni  Villani  VI.  71.  vergleichen. 
Wie  ganz  anders  spricht  derselbe  Villani  im  Jahr  1330  (X. 
154).  Als  die  Frauen  zu  Florenz,  schreibt  er,  zu  dieser  Zeit 
mit  grofsem  Schmuck  an  Kronen,  Guirlanden  von  Gold,  Sil- 
ber und  Perlen  prangten  ,  als  sie  Netze  mit  eingeflochtenen 
Ferien  und  andere  kostbare  Kopfbedeckungen,  wie  auch  äus- 
serst prachtvolle  Kleider  mit  vergoldeten  silbernen  Knöpfen 
trugen,  als  zu  kostspielige  Hochzeitsschmäufse  gehalten  wur- 
den (Leonardus  Aventinus  klagt  in  einem  seiner  Briefe,  dafs 
die  Hochzeitsfeier  das  ganze  Vermögen  seiner  Frau  aufgezehrt 
habe),  sah  sich  der  Magistrat  genötbigt,  strenge  Gegenmittel 
su  ergreifen,  die  in  den  Florentiner  Statuten  :  Ordinamenta 
de  famulis  et  famulabus,  de  prohihitione  ornamentorom  mu- 
lterum,  ordinamenta  nuptialia  et  sponsalia  (lib.  IV.  Rubr.  1. 
42.  149.)*  nachgelesen  werden  können.  Das  Leben  des  deut- 
schen Städters  war  in  den  früheren  Jahrhunderten  des  Mittel- 


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Hüllmann  Städtewesen  des  Mittelalter!.  261 


alters  spärlich  und  einförmig.     Wie  gana  anders  mufs  es  im 

fünfzehnten  Jahrhundert  ausgesehen  haben,  zu  einer  Zeit,  WO 
Aeneas  Sylvius  sagte:  Vidimus  in  civitate  Lubecensi  qui  con- 
aulatum  gerunt,  omnes  aureo  splendore  longum  famulorom 
ordinem  post  se  ducere.  Idem  factitant  reliquarum  urbium 
consules,  quamvis  aurum  non  ferant;  apud  Xtaliae  civitates 
cruantus  sit  magistratuum  fastus  vix  dici  potest  (Mart, 
Mayer  hinter  Pii  II.  Commentarii.  Romae  1584-  4.  S.  737.). 
13a  sah  sich  doch  der  Magistrat  von  Regensburg  genöthigt, 
«ine  Kleiderordnung  zu  erlassen,  so  viel  Ref.  weifs,  die 
erste  in  Deutschland,  worin  es  unter  andern  heifst :  Zum 
siebten  verbieten  wir  auch  den  Frauen  und  Jungfrauen  die 
langen  Spitzen  an  den  Schuhen  und  Sockeln,  die  sie  bisher 
getragen  haben,  die  langen  Schwänze  an  den  Röcken  und  be- 
sonders die  ausgeschnittenen  Goller,  Busen*  und  Brusttücher, 
die  sie  in  kurzer  Zeit  «her  alle  Maafsen  aufgebracht  haben, 
setzen  und  wollen ,  dafs  ihre  keine  an  den  Schuhen  Spitzen 
trage,  die  langer  seyen  als  ein  Fingerglied,  und  die  Schwänze 
nicht  über  eine  halbe.  Elle  lang.  Und  wenn  sie  füran  Kleider 
machen  lassen,  sollen  die  Achsel  gana  bedeckt,  das  Kleid  vorn 
ganz  zügethan  und  nicht  niederer  gesenkt  oder  fester  ausge- 
schnitten seyn,  denn  auf  das  meist  zwei  Twerchfinger  unter 
dem  Halsgrublein  und  hinten  vom  Halsknöchlein  ein  halb  Drit- 
theil  der  Elle.  Diese  äufserst  interessante  Kleiderordnung 
verdient  ganz  nachgelesen  zu  werden  bei  Gemeiner  in  der  Re- 
gensburger  Chronik  III.  682. 

Es  ist  nichts  leichter  in  der  Welt ,  als  zu  so  einem  um« 
fassenden  Werke  Zusätze  zu  machen,  daher  will  sich  Refer. 
blos  auf  Einiges,  was  ihm  wichtig  dünkt,  beschränken.  Auf- 
fallend ist  es,  dafs  im  ganzen  Werke  nie  von  Portugal  die 
Hede  ist,  da  nach  den  Privilegien  der  französischen  Könige 
zu  urtheilen  (Ordonnances  XUI.  58.)»  aer  Handel  der  por- 
tugiesischen Kauiieute  in  Frankreich  bedeutend  gewesen  seyn 
mufs.  Durch  den  politischen  Zusammenhang  mit  Byzanz 
scheint  in  Unteritalien  die  griechische  Sprache  und  Luxus 
aller  Art  lange  fortgedauert  zu  haben.  In  einer  Tradition  des 
lombardischen  Dux  Arigiso  II.  im  Jahre  717  von  Benevent 
heilstes:  Tyria  multa  ,  quidejuid  feretlndus ,  quidve  tabso  (?) 
vana  Creta  et  mollis  raittit  Arabs,  mandatque  nigvi  pellis 
Etiops  et  vestiunt  Seres,  alle  diese  Wundersachen  rühmt  der 
Lombarde  zu  besitzen.  Borgia  Memorie  storiebe  di  Benövento 
I.  271.  —  Von  den  aufserordentlichen  Freiheiten  ,  die  sich 
die  handeltreibenden  Städte  zu  verschaffen  wufsten  ,  zeugt 
besonders  Amalfi.     Unter  Pabst  Lucius  III.  1184  wurden 


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263 


Hüllmaua  Städtewesen  des  Mittelalters. 


ihnen  ihre  herkömmlichen  Freiheiten  zu  Benevent  bestätigt; 
sie  konnten  nicht  vor  die  gewöhnlichen  Gerichte  geruren 
werden,  alle  Streitigkeiten  selbst  mit  Einwohnern  aus  Bene- 
vent konnten  nur  von  einem  Richter  aus  Amalfi  verhandelt 
werden,  und,  sonderbar  genug,  testimonium  civium  contra 
Amalfitanum  non  recipiebatur.  Borgiaa.  a.  O.  III.  164.  —  In 
«einen  Commentarien  a.  a.  O.  S.  6.  sagt  Pius  II:  Ex  Scotia 
in  Flandriam  conium ,  lanain,  pisces  salsas  roargaritascrue  ferri. 

—  Manches  Wichtige  würde  wahrscheinlich  noch  aus  den 
Concilien-Sammlungen,  die  selten  gehörig  benutzt  werden, 
gezogen  werden  können  ;  in  den  folgenden  Bänden  wird  der 
Verfasser  wahrscheinlich  die  Juden,  eine  nothwendige  Ergän- 
zung zum  Handel-  und  Städtewesen,  und  den  Handschriften- 
handel (über  Creta,  besonders  seitdem  es  [1205]  unter  vene- 
tianische  Herrschaft  gerathen  war),  noch  besonders  berühren. 

—  In  Beziehung  auf  die  gegenseitige  Zollfreiheit  der  Städte 
will  Ref.  nur  eine  Note  Westenrieders  in  den  Beiträgen  zur 
vaterländischen  Historie  V.  234.  abschreiben.  In  den  Mon. 
Boic.  kommen  dergleichen  Zollfreiheiten  genug  vor;  Kaiser 
Ludwig  gab  im  Jahr  1323  den  Nürnbergern  das  Privilegium  , 
„dafs  die  nürnbergischen  Bürger  in  der  Stadt  München  zu 
Wasser  und  Land  und  die  Bürger  von  München  zu  Nürnberg 
zollfrei  seyn  sollen.«  Wobei  sich  beide  Städte  den  nächsten 
Tag  nach  Jacobi  1323  reservirt  haben,  dafs  der  erste  Bürger, 
Welcher  nach  St.  Michelstag  zu  München  oder  Nürnberg  an- 
kommt, dem  Zöllner  ein  Pfund  Pfeffer,  zween  weifse  Hand- 
schuhe und  ein  weifses  Stäblein  zur  Recognition  dieser  Zoll- 
freiheit reichen  wolle.  Diese  wechselseitige  Befreiung  der 
Kaufleute  dauerte  bis  1748. 

Aus  einer  Urkunde  Otto  I.  a.  958  (Meibom  I.  742.),  wo 
es  heifst:  justitia  et  census ,  crui  saxonice  Mal  vocatur, 
schliefst  der  Verfasser,  nach  des  Ref.  Ansicht  mit  Unrecht, 
dafs  die  Malmannen  wie  die  Sockmänner  Erbzinsbauern  ge- 
wesen sind.  Mal,  Mallus  heifst  bekanntlich  Gerichtsplatz ; 
Malmannen  sind  demnach  wie  Dingraänner  freie  Grund- 
besitzer, die  nie  ganz  verschwunden  sind,  durch  die  das 
Gericht  anberahmt ,  geschlossen  und  gehegt  wurde,  Der  Vf. 
führt  ja  selbst  eine  Urkunde  an  S.  13.  No.  25,  worin  es 
heifst;  Malmannen  habentes  proprias  domos.  In  einer 
Urkunde  Conrads  von  1032f  ap.  Schaten  ad  h.  a,  heifst  es:  — 
aut  homines  ipsius  ecclesiae  Francos  liberos  et  ecclesiasticos  li- 
tones,  malman  et  servos  cujuslibet  conditionis  seu  colonos  contra 
rationem  distringendos.  Dabei  soll  nicht  geläugnet  werden  , 
dafs  in  manchen  Gegenden  die  freien  Grundbesitzer  zu  erb«* 


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Hüllmann  Städtewesen  des  Mittelalters,  263 

Heben  Zinsbauern  herabsanken,   was  zwar  aus  der  Phrase, 

„(juidquid  fiscus  regius  consequi  debuit«  (Hüllraann  S.  12. 
No.  220  $  nicht  gefolgert  werden  kann  ,  indem  ja  selbst  die 
Freien  unter  gewissen  Umständen  zu  einer  Bede  in  Anspruch 
genommen  werden  konnten.  Lang  historische  Entwicklung 
der  deutschen  Steuerverfassuug  S.  54.  05.  Ueber  die  Abga- 
ben der  Freien  und  ihre  Verbältnisse  braucht  Ref,  blos  auf 
zwei  Anmerkungen  in  Wigands  trefflichem  Werke;  Das 
Femgericht  Westphalens  S.  98.  99.  Anm,  Ii.  und  12. 
zu  verweisen.  —  Abgesehen  davon,  dafs  der  freie  Bürger-  , 
stand  |  besonders  in  Frankreich  ,  nie  ganz  verschwunden  ist 
man  erinnere  sich  an  die  Stadtgeschichte  von  Rheims,  so  be- 
ginnt doch  nicht,  wie  S.  86.  bemerkt  wird,  erst  um  die  Mitte 
des  dreizehnten  Jahrhunderts,  sondern  gegen  1100  mit  den 
Communen  das  Ablösen  und  Fixiren  der  grundherrlichen  Ab- 
gaben. Gegen  1100  entstand  Noyon,  nach  diesem  Muster 
Laon  lliO,  etwas  später  Amiens,  so  auch  in  der  Provinz 
Languedoc,  Carcassone  1107,  Montpellier  111 3,  Beziers 
1121  (Brequigny  in  der  Vorrede  zum  XI.  Bd.  der  Qrdonnan- 
ces  und  Histoire  ge'nerale  de  Languedoc  IX.  515.).  —  5.234« 
scheint  der  Verfasser  anzunehmen  ,  die  Begharden  seyen  aus 
den  Weberzünften  hervorgegangen.  Den  Ursprung  ,  die 
Weise  und  die  sonderbaren  Meinungen  dieser  mit  den  Flagel- 
lanten zusammenhängenden  und  vielfach  verfolgten  Sekte  stellt 
gründlich  dar  Lenfant  histoire  du  Concile  de  Constance  II, 
80.  folg,  —  Zu  S.  240.  Unter  Eduard  III,  erging  nicht  allein 
ein  Verbot  gegen  die  Ausfuhr  der  Wolle,  sondern  das  Parlia- 
ment  verbot  auch  die  Einführung  fremden  Tuches  und  dergl. 
(Statutes  by  Ruffhead  bal.  I.  221.  Henry  VI.  442.).  Ueber 
die  Art  und  Weise,   wie  früher  der  Wollhandel  in  England 

fetrieben  wurde,  findet  sich  ein  interessantes  Aktenstück  in 
egalotti's  Werk  Deila  Decima  IL  324.  —  Zu  S.  373.  Nicht 
erst  seit  dem  zwölften  Jahrhundert,  sondern  schon  im  zehnter* 
kommen  Consules  Mercatorum  vor.  Fantuzai  I.  149.  ad  a.  959. 
Marinus  Negotiator  et  Capitularius  Scalae  Negotiatorum,  so 
auch  ebendaselbst  I,  128  und  385.  —  Zu  S.  325-  Die  Tuch- 
händler  bildeten  zu  Florenz  nicht  allein  eine,  sondern  awei 
Zünfte,  eine,  die  mit  ausländischen,  und  die  andere,  die 
blos  mit  einheimischen  Tüchern  bandelte.  Non  era  permesso, 
sagt  Pegalotti  nach  den  Statuten  IV.  Trattato  de  Consoli  delle 
Arti  Rubr.  39,  a  Lanajoli  di  tenere,  e  vendere  panni  oltra. 
montani ,  nb  al  contrario  potevasi  da'  Mercanti  di  Ca  Ii  mala  te- 
uere o  vender  panni  delle  Fabriche  di  Firenze.  DellaJDecima 
II.  91,  —  S.  66.  lese  man  Uguiccio  Faggiola  statt  Fageo- 


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*  *  .  .  .  » 

264       Hassel^  genealogisch  historisch  statistischer  Alma  nach« 

!äno.  —  Die.  erste  Zeile  von  S.  87  gehört  zu  88.  S.  445. 
Haspe  statt  Raspo  ;  450.  s  en  d  et  e  n  statt  stundeten.  S.  451 
kommt  von  Ziel  4er  Plural  Zielen  vor.  —  Uebrigens  wünscht 
Referent,  dafs  der  gelehrte  und  fleifsige  Herr  Verfasser  diese 
wenigen  Bemerkungen  und  Einwürfe  hlos  als  ein  Zeichen  der 
innigsten  Theilnahme  an  Studien  dieser  Art  ansehen,  und  dafs 
er  die  gelehrte  Welt  bald  mit  der  Fortsetzung  dieses  umfas- 
senden Werkes  beschenken  möge. 


Weimar  t  im  Vtrhge  des  Landes  -  Industrie  -  Comtoirs  :  Genealogisch 
historisch  statistischer  Almanach.  Dritter  Jahrgang  für  das  Jahr 
1826.  Herausgegeben  von  Dr.  ö.  Hassel,  12.  V1H  und 
428  S.  1  Thlr.  16  Gr. 

Der  vorliegende  Jahrgang  dieses  Almanachs  ist  wie  seine 
beiden  Vorgänger  in  Betreff  der  Genealogie  und  Statistik  von 
Hrn.  Hasse]  bearbeitet  worden.  Derselbe  Fleifs  in  Samm- 
lung der  Materialien,  dieselbe  Genauigkeit  und  gute  Anord- 
nung, welche  die  andern  geographischen  und  statistischen 
Werke  desselben  auszeichnen,  sind  auch  in  dem  vorliegenden 
zu  loben. 

Das  Ganze  zerfällt,  wie  auch  schon  der  Titel  sagt,  in 
drei  Abtheilungen:  Genealogie,  Geschichte  und.  Statistik. 
Die  erstere  besteht  wieder  aus  vier  Rubriken:  I,  den  fünf 
großen  Mächten  von  Europa;  II,  dem  deutschen  Bunde,  und 
zwar  sowohl  den  deutschen  Bundesstaaten  als  den  mediatisir- 
%en  Standesherren  ;  IIL'den  säinmtlichen  übrigen  europäischen 
Staaten,  und  endlich  IV.  den  vornehmsten  aufsereuropäischen 
Staaten, 

Die  fünf  grofsen  Mächte  von  Enropa  von  den  übrigen  ab- 
gesondert zu  behandeln,  dazu  scheint  uns  kein  hinreichender 
Gr i.i ml  vorhanden;  der  Unterschied  zwischen  denselben  be- 
steht blos  hinsichtlich  der  Politik,  nicht  aber  in  Betreff  der 
Genealogie;  auch  wird  der  Gebrauch  eines  Werks  durch  allzu* 
künstliche  Eintheilung  ohne  Noth  erschwert. 

Bei  jedem  Staate  handelt  der  Verf.  I,  von  dem  Staate  nach 
Areal  ,  Volksmenge ,  Einkünften  ,  Land  -  und  Seemacht,  II.  der 
Staatsverfassung  ,  III.,  dem  Titel,  IV.  dem  Wappen,  V.  den 
Ritterorden,  VI.  der  obersten  Staatsbehörde ,  und  VII.  dem 
diplomatischen  Corps.  So  viel  wir  haben  vergleichen  können, 
Ist  die  Darstellung  dieser  Rubriken  gut  geratlien;  nur  scheint 
es  uns  inconsequeut  ,  dafs  der  Verf.,   der  doch  den  deutschen 


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Hassel*«  genealogisch  historisch  statistischer  Almanach.  265 

Bund  nicht  allein  als  ein  Ganzes,  sondern  auch  nach  den  ein- 
zelnen  Staaten ,  die  ihn  bilden  ,  dargestellt  hat ,  bei  dei  Schweiz, 
die  hinsichtlich  ihrer  Verfassung  so  viel  Aehnlichkeit  mit  dem 
deutschen  Blinde  hat,  nicht  eben  tK>  verfahren  ist.  Die  ein- 
zelnen Kantone  hätten  sonach  mit  Angahe  ihrer  Staatsverfas- 
sung und  ihres  llegierungspersonales  namhaft  gemacht  wer- 
den sollen. 

Was  die  von  Hrn.  Brücken  bearbeitete  zweite  Abthei- 
lung des  Werks,  die  sogenannte  „chronologische  Uebersicht 
der  Hauptbegebenbeiten  im  Volks  -  und  Staatsleben"  betrifft, 
so  können  wir  davon  nicht  viel  Gutes  rühmen.  Abgesehen 
von  dem  pretiösen  Zusätze  „im  Volks  -  und  Staatsleben«  (in 
vornehm  seyn  sollenden  Titeln  und  Beisätzen  suchen  unsere 
Schriftsteller  jetzt  einander  zu  überbieten),  scheint  sie  uns  — 
wenigstens  in  dieser  Ausführlichkeit  —  in  einen  genealogi- 
schen Almanach  gar  nicht  zu  gehören,  der  dadurch  nur  ohne 
Noth  angeschwellt  und  vertheuert  wird.  Es  gibt  der  chrono- 
logischen Hand  -  und  Taschenbücher  ohnehin  nur  zu  viele, 
und  wer  sich  mit  chronologischen  Studien  beschäftigt  ,  kann 
Wedekind's  Handbuch  der  Welt-  und  Völkergescbichte  (un- 
streitig das  vorzüglichste  von  allen)  doch  nicht  entbehren. 
Die  Chronik  des  letztvei  flossenen  Jahrs  mit  genauer  Angabe 
des  Tags,  die  in  dieser  Uebersicht  ganz  fehlt,  dürfte  für  den 
vorliegenden  genealogischen  Almanach  hinreichend  seyn.  Für'» 
Andere  ist, diese  chronologische  Uebersicht  höchst  flüchtig  be- 
arbeitet, und  so  vielen  Baum  sie  auch  einnimmt  (sie  füllt 
volle  93  eng  gedruckte  Seiten),  so  ist  darin  doch  viel  Wich- 
tiges übergangen.  So  fehlt  z.  B.  die  magna  charta  (1215),  die 
Schlachten  hei  Morgarten  (l3l5),  Sempaph  (1386) ,  Falköping 
(1369),  Nikopolis  (1396),  Set.  Jakob  und  Verna  (1444)}  un- 
ter*m  Jahr  1307  wird  zwar  der  Schweizerbund  erwähnt,  der 
noch  viel  wichtigere  Aufstand  der  Waldstädte  im  folgenden 
Jahre  und  das  Bündnifs  zu  Brunnen  ( 1 3 15)  aber  übergangen. 

Der  Zeiträume  oder  Perioden  sind  unseres  Dafürhaltens 
viel  zu  viele  angenommen,  wodurch  die  Uebersicht  nicht  al- 
lein nicht  erleichtert,  sondern  eher  erschwert  wird;  überdies 
sind  mehrere  derselben,  wie  z.B.  Rudolfs  von  Habsburg  Kai- 
serwahl (1273)  und  der  Anfang  des  dreifsigjührigen  Kriegs 
(1618)  nicht  epochemachend  zu  nennen.  Bis  zum  Jahre  1697 
ist  diese  Uebersicht  völlig  unbrauchbar,  weil  bis  dahin  nicht 
die  einzelnen  Jahre,  worin  wichtige  Begebenheiten  sich  ereig- 
net, angegeben,  sondern  die  von  zwanzig,  dreifsig  und  funt- 
zig  Jahren  unter  einem  Jahre  aufgeführt  werden.  So  stehen 
z.  ß.   unter   dem  Jahre  iüÜO  die  Begebenheiten  bis  1049 1 


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266       Hassel»«  genealogisch  histcuisch  statistischer  Almanach. 

unter  dem  Jahre  1315  die  bis  1349,  unter  dem  Jahre  1500 
die  bis  löi7  u.  s.  w. 

Es  geht,  geht  Alles  durcheinander, 

Wie  MS  usedreck  und  Koriander  — 
sagt  der  Gewürzkrämer  in  Göthe's  Puppenspiel  von  seinem 
Laden  ;  dasselbe  könnte  man  von  dieser  angeblichen  chronolo- 
gischen Uebersicht  sagen  ,  so  bunt  und  planlos  stehen  dieFacta 
unter  einander. 

Die  „Chronik  des  Tages  «*  enthält  auf  15  Seiten  die  Mo- 
nate Juli  bis  December  1Ö24  in  einer  Ausführlichkeit,  die  um 
sehr  unzweckmäfsig  scheint.  Die  unbedeutendsten  Dinge 
sind  aufgenommen,  z.B.  dafs  eine  Manoeuvrir- Escadre  von 
Brest  ausgelaufen  (S.  94.)»  in  Philadelphia  Feste  zu  Ebren 
Lafayette's  gefeiert  (S.  102.),  in  Gotha  ein  Museum  eröffnet 
(S.  107.)  und  dergl.  Wenn  es  S.  106.  beifst :  „diplomatische 
.Regsamkeit  in  Lissabon",  oder  S.  108:  -jder  Pöbel  zu  Con- 
«tantinopel  regt  sich««,  so  ist  dies,  als  wenn  man  das  Gras 
"wollte  wachsen  hören.  Bequem  mag  diese  Manier,  die  Zei- 
tungen abzuschreiben,  und  wichtige  und  unwichtige  Bege- 
benheiten ohne  Plan  und  Auswahl  zusammenzuraffen,  aller- 
dings seyn,  von  der  Beurtbeiltmgskraft  des  Verfassers  legt  sie 
aber  kein  sonderliches  Zeugnifs  ab. 

Der  hierauf  folgende  Nekrolog  der  im  Jabre  1824  ver- 
storbenen Gelehrten  und  Schriftsteller  würde  willkommener 
seyn  ,  wenn  er  nicht  alle  ,  sondern  nur  die  ausgezeichneten 
Schriftsteller  enthielte.  Nicht  jeder,  von  dem  man,  Geliert* 
Worte  parodirend,  sagen  kann: 

Er  lebte,  schrieb  ein  Buch  und  starb  — 
verdient  aufgenommen  zu  werden;  aber  vielen  Deutschen  gebt 
nun  einmal  die  liebe  Vollständigkeit  über  Alles.  Gar  nicht 
abzusehen  ist  es,  warum  der  Vf.  Meusel's  gelehrtes  Deutsch- 
land citirt;  wer  dasselbe  besitzt,  bedarf  dieser  Citate  nicht, 
und  wer  es  nicht  hat,  kann  keinen  Gebrauch  davon  machen. 

Zum  Schlüsse  folgen  noch  statistische  Notizen  unter  dem 
Titel  „statistisches  Quodlibet«.  Wir  wollen  denselben  ihre 
Brauchbarkeit  nicht  absprechen,  wünschen  jedoch,  dafs  der 
Verf.  diesen  gar  zu  trivialen  Titel  mit  einem  edleren,  etwa 
„ Statistische  Notizen«  oder  einem  ähnlichen  vertauschen 
möchte.  Die  „Uebersicbt  der  europäischen  Hochschulen 
enthält  in  sechs  Feldern  den  Na'men  der  Universität,  das  Stif- 
tungsjahr ,  die  Zahl  der  Facultäten ,  der  Lehrer,  der  Studiren« 
den  und  die  Angabe  des  Jahrs,  in  dem  die  Zählung  geschehen 
ist.  Der  chronologischen  Ordnung,  in  der  die  Universitäten 
aufgeführt  werden,  hätten  wir  die  alphabetische  vorgezogen, 


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Tölken  Erklärung  der  Bildwerke  des  Ammonstempels;  267 

nicht  allein  den  leichtern  Aufsuchens  wegen,  sondern  auch, 
weil  das  Stiftungsjahr  von  mehreren  nicht  genau  angegeben 
werden  kann.  Der  Verf.  gibt  zwar  das  Stiftungsjahr  von  Bo- 
logna, Paris,  Oxford  und  Cambridge  als  ausgemacht  und  un- 
bestritten an,  wir  zweifeln  aber  sehr,  ob  es  damit  seine  Rieh* 
tigkeit  habe. 

Die  Zahl  der  Facultäten,  der  Lehrer  und  Studirenden 
würden  wir  als  völlig  unerheblich  weggelassen  haben.  Beider 
Charakterisirung  einer.  Universität  kommt  es  auf  diese  unwe- 
sentlichen Dinge  gar  nicht  an,  sondern  blos  darauf,  was  für 
ein  Geist  die  Lehrer  und  Studirenden  beseele,  und  nach  die- 
sem allein  entscheidenden  Maafsstabe  dürfte  mancher  nicht 
sahireichen  Universität  vor  mancher  sehr  frequenten  der  Vor- 
zug gebühren. 

Warum  die  aufsereuropäischen  Universitäten,  wie  Lima, 
Mexico  u.s.w.  weggelassen  worden,  davon  läfst  sich  kein 
hinreichender  Grund  einsehen,  und  eben  so  wenig  ist  es  zu 
billigen,  dafs  die  aufgehobenen ,  wie  Altorf ,  Erfurt,  Grätz, 
Helmstedt ,  Ingolstadt,  Hinteln  u.s.w.  ganz  weggeblieben 
sind.  Oder  sollte  die  von  Wittenberg  ausgegangene  Revolu- 
tion nicht  von  weit  gröfsern  Folgen  gewesen  seyn,  als  Alles, 
was  die  italischen ,  spanischen,  portugiesischen  und  französi- 
schen Universitäten  zusammen  gewirkt  haben? 


Erklärung  der  Bildwerke  am  Tempel  des  Jupiter  Amman  zu  Siwah , 
von  Dr.  E.  H.  Tölken  ,  Professor  ander  Universität  zu  Berlin» 
Berlin  1823.  4. 

Diese  Bogen  nebst  den  beiliegenden  drei  Steindrücken 
gehören  zu  der  von  Herrn  Tölken  herauszugebenden  Heise 
zum  Tempel  des  Jupiter  Ammon  in  der  Libyschen  Wüste  und 
nach  Oberägypten  von  dem  Herrn  General  -  Lieutenant  Frei- 
herrn von  Minutoli,  und  machen  als  Probeheft  die  Auf- 
merksamkeit aller  Forscher  und  Freunde  des  Alterthums  auf 
dieses  im  Verlage  von  A.  Rücker  erscheinende  und  wie  inner- 
lich so  äufserlich  trefflich  ausgestattete  Werk  rege.  Es  wer- 
den in  diesen  nur  in  wenigen  Abdrücken  ausgegebenen  Blät- 
tern zum  erstenmal  die  Reliefs  der  Tempelwände  von  Ume- 
beda  bekannt  gemacht  und  erklärt.  Es  dürfte  zweckmäfsig 
seyn,  die  Hauptvorstellungen  kürzlich  darzulegen,  mit  An- 
gahe der  Abweichungen,  die  wir  uns  vou  der  Erklärung  des 
V£  abgebend  erlauben. 


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208       Tolken  ErklSrung  der  Bildwerke  des  Ammonsteropels. 

v 

Tat*.  X.  gibt  Bildwerke  von  der  Anfsenseite  des  Tempels. 
Fig.  2:  Jupiter  Amnion  mit  dem  Herrscherstab  und  dem 
ägyptischen  Schlüssel,  nebst  seiner  Tempelgenossin ,  gleich- 
falls mit  dem  Schlüssel ;  ihnen  bringt  ein  Mann,  etwa  der  Er- 
bauer, zwei  Obelisken  (Sinnbild  des  Tempels)   vor  einem 
Opferaltar  dar,  und  hinter  ihm  ist  seine  muthmafslicbe  Bitte 
an  die  Götter  in  Hieroglyphenschrift  enthalten.    Der  Widder- 
kopf Jupiters  ist  nach  der  Bemerkung  des  Verf.  etwas  löwen- 
artig gebildet.     Die  Verschmelzung  des  ersten  Zeichens  im 
Thierkreis  mit  dem  Löwen  als  dem  eigentlichen  Sinnbild  der 
Sonne  mag  absichtlich  auf  die  Bedeutung  dieses  Sonnengottes 
anspielen.     Ueber  den  Schlüssel,  der  hier  in  den  Händen  der 
Götter  so  hiiufig  als  in  Aegypten  sich  findet,   macht  Hr.  T. 
am  Ende  des  Heftes  lesenswert  he  Bemerkungen,  und  recht- 
fertigt seine  Gestalt  durch  die  Einrichtung  der  ägyptischen 
und  altgriechiscben  Schlösser.     Er  ist  das  Symbol  des  Eröff- 
nens und  Beschliefsens  der  Oher-  und  Unterweit,   und  be- 
zeichnet im  Allgemeinen  die  gesetzliche  M  ichtvollkomraenheit 
in  irgend  einem  Bereiche.     Die  Tempelgenossin  des  Jupiter 
Ammon  ist  nach  des  Hrn.  Verf.  überzeugender  Auseinander- 
setzung Dione.     Unter  diesem  Namen  wurde  sie  neben  Zeus 
zu  Dodona  verehrt,  nach  Demosthenes  in  Mid.  15.  undStrabo 
VII.  fin.    Wenn  dann  einige  unter  Dione  die  Aphrodite  ver- 
standen, andere  aber  (Pausan.  V.  15.)  von  einer  ammonischeri 
Here  zu  OJympia  wufsten,  so  geschah  dies  nur  vergleichungs- 
weise,  weil  die  dodonäisch  libysche  Dione  mit  beiden  Göt- 
tinnen Aehnlichkeit  hatte,  mit  Here  als  Gattin  des  Zeus,  mit 
Aphrodite  aber  vermöge  ihres  Begriffes.     Um  die  Einigung 
heider  griechischen  Gottheiten  in  der  einen  libyschen  anzu- 
zeigen ,    verehrten  die  Lacedämonier  eine  Aphrodite  •  Hera 
(fausan.  III.  13.).     Homer  führt  dagegen  Dione  neben  Here 
und  Aphrodite  in  seinem  Göttersystem  so  auf,  dafs  er  jene* 
zum  Kebsweibe  des  Zeus  und  zur  Mutter  der  Aphrodite 
machte  (Iliad.  V.  3l2.  370,);  woraus  man  sein  Verfahren,  das 
Ausländische  dem  Einheitnischen  anzupassen  und  damit  zu 
verflechten,  an  einem  Beispiele  sehen  kann.    Man  würde  fehl 
greifen,  wenn  man  die  homerische  Dione  für  die  dodonüische 
halten  wollte;  vielmehr  war  die  letztere  allem  Anschein  nach 
Aphrodite  selbst,  und  hatte  ihre  weissagenden  Tauben,  aber 
eine  solche,  die  zugleich  Here   oder  Gattin  des  Zeus  war. 
Man  darf  in  den  örtlichen  Culten  keine  völlige  Uebereinstiin- 
mung  mit  dem  systematischen  Synkretismus  der  griechischen 
Epiker  erwarten.      Diese  ammouische  Dione  überkam  sehr 
Wahrscheinlich  Italien  unter  dem  Namen  Juno  (vgl,  Creuzt/i* 

* 

\ 

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Tölkcn  Erklärung  der  Bildwerke  des  Ammonstempels.  269 

Mytb.  II.  S.  547  ).  Wegen  ihres  morgenländiacben  Ursprungs 
und  ihrer  Begrifisverwecnslung  mit  Aphrodite  glaubt  Ref.  den 
Namen  Dione- Juno  am  wahrscheinlichsten  von  J-jj^ ,  Taube 

(Taubenweib),  ableiten  zu  können.  Dahin  scheint  auch  der 
Umstand  zu  zielen ,  dafs  auf  gegenwärtiger  Tafel  ihre  Schen- 
kel mit  Flügeln  eingehüllt  sind. 

Taf.  X.  fig.  3.  ist  ein  Bruchstück,  worauf  wir  die  gros, 
sen  Jahresgötter  abgebildet  sehen.  Der  Unterschied  der  Ge- 
schlechter ist  auf  dieser  und  den  folgenden  Vorstellungen  da- 
durch angezeigt,  dais  die  männlichen  Gottheiten  in  schreiten- 
der Stellung  erscheinen.  Nur  Osiris  und  Hermes  ithyphalli- 
Cus  sind  Taf.  IX.  säulenartig  gebildet.  Das  Scepter  der 
Götter  ist  am  obern  Ende  durch  den  Kopf  des  Kukupha  (Ilor- 
apollo  I.  55.),  das  der  Göttinnen  durch  einen  Lotuskelch  aus- 
gezeichnet. Die  erste  weibliche  Figur  zur  Linken  des  Be- 
schauers mit  dem  Schafskopf  wäre  kenntlicher ,  wenn  di.j 
männliche  vor  derselben  nicht  verstümmelt  wäre.  Könnteu 
wir  in  dieser  Jupiter  erkennen,  so  würden  wir  in  jener  un- 
streitig Dione  finden.  Der  Schafskopf  im  Tempel  des  wid- 
derköpfigen  Gottes  übrigens  läfst  eher  diese  Göttin  vermu- 
then,  als  die  Neitb,  für  welche  sie  der  Verf.  ausgibt.  Denn 
die  Bemerkung  ,  dais  Athene  dem  Sternbilde  des  Widders 
vorstehe,  könnte  nur  den  Kopf  eines  Widders,  aber  nicht 
den  eines  Mutterschafes  rechtfertigen.  Auf  ihrem  Haupte  ist 
die  Weltkugel  mit  der  Lebensschlange  (nach  dem  Verf.  eine 
Sonnenscheibe;  aber  auch  Rbea  hat  Taf.  VIII.  denselben  Kopf- 
schmuck, für  welche  doch  die  Sonnenscheibe  sehr  i  npassend 
wäre).  Hierauf  folgt  Horus  mit  der  Sonnenkugel  und  sei- 
nem charakteristischen  Bartansatz,  als  Gott  der  Sonne  in  ihrem 
Zunehmen  und  des  Jahres  vor  der  Sommersonnenwende. 
(Der  Verf.  hält  ihn  für  Herakles,  als  welcher  er  nichts. Ausge- 
zeichnetes hätte;  Horus  dagegen  ist  in  der  durch  die  folgen- 
den Gottheiten  ausgedrückten  Ideenreihe  unentbehrlich.) 
Hieran  schliefsen  sich  zwei  gute  Genien  mit  Schlangen- 
köpfen, ein  weiblicher  und  ein  männlicher,  den  Jahressegen 
bezeichnend.  Der  Scheffel  auf  dem  Haupte  des  männlichen 
Kamephis  deutet  wahrscheinlich  auf  di«  erste  Erndte  zur  Zeit 
der  Sommersonnenwende.  Er  durchbohrt  mit  einer  Lanze 
dem  Anschein  nach  ein  typhonisches  Thier.  Es  herrschen  ja 
im  hohen  Sommer  in  Libyen  und  Aegypten  die  dem  Typhon 
zugeschriebenen  Gluthwinde,  wogegen  dieser 'Genius  hier 
schützend  kämpft.  Oder  wenn  andere  in  dem  Werkzeuge, 
das  Hr.  T.  für  eine  Lanze  ausgibt,  lieber  eine  Wurfschaufel 


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* 


270       Tölken  Erklärung  der  Bildwerke  des  Amnions tempels. 

sehen  sollten  ,  so  bezöge  sich  diese  abermals  auf  die  Erndte. 
Nun  erscheint  Harpokrates,    an  der  einzigen  geringelt 
herabhängenden  Locke  kenntlich  (Sinnbild  der  schwach  wer- 
denden Sonne);  auf  dem  Haupte  hat  er  seinem  Charakter  ge- 
rn ii  Ts  eine  kleine  Sonnenscheibe  zwischen  Bockshörnern.  Die 
Hörner ,  können  wir  sagen  ,  sind  vom  Fan  entlehnt,  den  ken- 
nen wir  ja  als  den  Steinbock  im  Thierkreis  (s.  unsere  Jahrb. 
1824*  S.  792.).     In  der  Linken  hat  er  den  Krummstab  und 
die  Geissei ,  um  in  dieser  für  Aegypten  namentlich  so  geseg« 
rieten  Zeit  der  Ueberschwemmung  die  typhonischen  Einflüsse 
vollends  zu  vertreiben,    Harpokrates  steht  hier  als  die  wieder 
abnehmende  Sonne   (der  hinkend  wandelnde  Gott  nach  der 
Mythologie)  und  als  das  Jahr  nach  der  Sommersonnenwende 
dem  Horas  in  richtiger  Stufenfolge  gegenüber.     Dafs  *Xorus 
nicht,    wie  gemeiniglich  angenommen  wird,  blos  die  Sonne 
in  der  Sommersonnenwende,  und  Harpokrates  in  der  Winter* 
Sonnenwende  ist,  sondern  beide,   wie  gesagt,  umfassender 
zu  nehmen  sind,    wird  unter  andenn  aus  einer  hier  in  Be- 
trachtkommenden unedirten  ägyptischen  Bronce  klar,  welche 
kürzlich  der  verdienstliche  Kunstkenner  J.  D.  Weber  zu  Ve- 
nedig  aus  den  Händen  eines  Goldschmieds  gerettet,  und  wo- 
von er  dem  Ref.  eine  Handzeichnung  mitgetheilt  hat.     Es  ist 
Harpokrates  mit  seiner  Locke,   in  den  Händen  zwei  Geissei- 
riemen haltend,  zwischen  den  Zeichen  des  Krebses  und  Stein- 
bocks auf  der  einen  ,   und  des  Scorpionen  und  Löwen  auf  der 
andern  Seite.     lieber  seinem  Haupte  ist  der  struppige  Kopf 
des  Typhon  mit  offenem,  gleichsam  Gluth  blasendem  Munde, 
mit  den  Füfsen  tritt  er  auf  zwei  Krokodile  (typhonische 
Tbiere).     Hierdurch  ist  die  Doppelherrschaft  Typhons  ange- 
deutet; nämlich  in  der  versengenden  Hitze  einerseits,  und 
andererseits  in  den  winterlichen  Tagen,  da  das  Meer  den  gu« 
ten  Nil  verschlungen  hat,  üufsert  sich  seine  zerstörende  Macht. 
Zwischen  beiden  typhonischen  Extremen  steht  Harpokrates  in 
den  Zeichen  vom  Krebs  an  bis  zum  Steinbock  ,  wie  in  der 
That,  so  im  Bilde  mitten  inne#     (Hr.  T.  gibt  den  Harpokra- 
tes für  Osiris  aus  ,  was  gar  nichts  für  sich  hat.    Den  Kopf- 
schmuck aus  Palmzweigen,  der  nicht  einmal  deutlich  ist,  be- 
sitzt Osiris  nicht  ausschliesslich  ,  und  der  Krummstab  und  die 
Geissei  finden  sich  notorisch  in  den' Händen  des  Harpokrates; 
man  vergl.  nur  Creuzers  Abbild,  zur  Myth.  Taf.  XV.  No.  2.) 
Die  letzte  Figur  auf  dem  Bruchstück  ist  Isis  mit  dem  Modius 
auf  dem  Haupte  als  Sinnbild  der  zweiten  Erndte  im  Novem- 
ber,   darüber  befindet  sich  die  Mondsscheibe  zwischen  den 
Kuh  -  oder  Mondshörnern. 


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Tölken  Erklärung  der  Bildwerke  des  Amnion  Stempels.  271 

Taf.  VIII,  und  IX.  enthalten  die  Reliefs  im  Innern  des 
Tempels.  An  der  Decke  sind  Adler  mit  ausgebreiteten  Flü- 
eln  und  über  ihnen  Sterne  abgebildet,  zum  Zeichen  der 
immlischen  Herrschaft;  in  den  F(Üsen  halten  sie  h.  Opfer-  « 
messer  (nach  dem  Verf.  Feldzeichen,  aber  s.  Taf.  IX.  die 
zweite  Reihe  von  unten,  wo  eine  Priesterin  vor  dem  Opfer- 
altar dergleichen  in  den  Händen  hat).  Zu  oberst  an  den  Sei- 
tenwänden zieht  sich  ein  Streifen,  Ammons  Scepter  nebst  der 
Weltkugel,  wovor  ein  Falke  mit  gesenkten  Fittigen  huldigt, 
in  vielen  Wiederholungen  enthaltend.  Darunter  ist  ein  Am- 
monsfest  mit  Candelabern  ,  Altären,  Opfernden,  Betenden 
und  Tanzenden.  Sodann  folgt  auf  beiden  Seiten  ein  breiter 
Streifen  von  Hieroglyphen,  welche  aber  die  Reisenden  nicht 
abgeschrieben  haben,  was  um  so  mehr  zu  bedauern  ist,  da 
deren  mögliche  Entzifferung  in  unserer  Zeit  von  mehreren 
Seiten  her  in  Anregung  gebracht  wird.  Die  folgende  Reihe 
ist  auf  den  gegenüber  stehenden  Wänden  verschieden,  aber 
doch  nach  unserem  Urtheil  sich  auf  einander"  beziehend.  Sie 
enthält  die  segnenden  Götter  beider  Hemisphä- 
ren, die  eine  Wand  (Taf.  IX.)  die  der  O ber  w el  t  und  die 
andere  (Taf,  VIII.)  die  der  Unterwelt.  Auf  beiden  Wän- 
den ist  Jupiter  Ammon  vorgestellt,  thronend  in  einer 
Capelle,  vor  welcher  ein  Anbeter  kniet;  was  die  Anschauung 
zu  der  Beschreibung  in  der  Inschrift  von  Rosette  gibt.  Aber 
Ammon  bat  nicht  beidemal  die  gleichen  Attribute,  und  nicht 
die  Willköhr  hat  unseres  E.rachtens  abgewechselt.  Auf  der 
rechten  Wand  Taf.  IX.  hat  er  eine  gröfsere  Sonnenscheibe  auf 
dem  Haupte,  auf  der  linken  Taf.  VIII.  eine  kleinere  zwischen 
Bockshörnern  und  mit  zwei  Palmzweigen.  Jenes  ist  die  zu- 
nehmende (in  andern  Culten  als  Horus  gedacht),  dieses  die 
abnehmende  (anderwärts  Harpokrates  bezeichnet)  Sonne,  je- 
nes zugleich  der  Gott  der  obern,  um!  dieses  der  Gott  der  un- 
tern Hemisphäre.  Wie  alle  Sonnendienste,  so  kennt  auch  # 
der  ammonische  einen  Gott  in  der  Kraft  und  denselben  in  der 
Entkräftung.  Auch  Ammon  hatte  ,  wie  Harpokrates,  einen 
Fehler  im  Gang,  zusammengewachsene  Beine  (Plutarch,  de  t 
I«.  62.).  Daher  hat  er  auch  mit  ihm  die  Bockshörner  hier 
gemein  ,  was  bei  beiden  eine  Anspielung  auf  das  Zeichen  des 
Steinbocks  ist.  (Wenn  der  Verf.  S.  120.  diese  Hörner  sogar 
dem  Horus  beilegt,  so  beruht  diese  Meinung  ohne  Zweifel 
auf  einem  Mifsverständnifs.)  Deswegen  trinkt  nach  der  Fa- 
bel der  kleine  Zeus  (als  Steinbock  im  Winter)  Ziegenmilch, 
und  erstarkt  so  nach  und  nach  von  der  kleinen  Sonne  zum 
grofsen  Gott.     Was  der  Aegypter  in  die  Zweiheie  des  Har- 


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272       Tölkcn  Erklärung  der  Bildwerke  des  Ammonstempels. 

• 

poerates  und  Horus  auflöste,  geschieht  hier  in  dem  Leben 
des  einen  Gottes   Zeus.     Mit  dieser  Ausdeutung  von  dem 
gedoppelten  Arainon   stimmt  die  folgende  Götterreihe  äu- 
.  sammen. 

Es  folgen  nämlich  TafVlX.  Isis  und  Osiris,  durch  die 
Attribute  eines  Lotusstengels,  einer  Katakombe  und  eines 
Wassergefälles  als  Vorsteher  des  Kreislaufes  vom  Lehen  zum 
Tode  und  von  diesem  zur  Wiedergeburt  bezeichnet.  An  sie 
schließen  sich  die  Zeugungsgötter  Hermes  ithyphai  Il- 
eus und  Brimo,  diese  mit  dem  Kalathus  auf  dem  Haupte, 
jener  mit  dem  stehenden  Gliede  und  mit  zwei  sich  oben  um- 
legenden Federn  als  Hauptschmuck.  Die  Federn  erinnern  an 
dieParcen,  welche  gleichfalls  von  den  Vögeln  als  den  Pro- 
pheten des  Schicksals  diesen  Kopfschmuck  entlehnen  (s.  un- 
sere Jahrb.  1824.  S  801.),  Bei  Hermes  bedeuten  sie  hier 
ohne  Zweifel,  dafs  sein  Geschäft  nach  festen  Naturgesetzen 
von  Statten  gehe.  (Der  Verf.  hält  sie  nach  Horapollo  II. 
für  ein  Sinnbild  der  Gerechtigkeit.)  Mit  der  Geissei  in  der 
Hand  vertreibt  er  die  widrigen  Einflüsse  der  Natur,  um  sie 
zur  Zeugung  vorzubereiten.  Dieser  Hermes  ist  die  einzige 
Vorstellung  in  diesen  Bildwerken,  welche  uns  erinnert,  dal's 
wir  uns  nicht  in  Aegypten  befinden;  er  ist  nach  Herodot  II. 
51.  ein  pelasgischer  Gott,  und  erklärt  sich  aus  dem  anerkann- 
ten Verkehr  zwischen  dem  pelasgischen  Griechenland  und 
dem  libyschen  Aminoustempel.  Hr.  T.  nennt  ihn  Osiris;  aber 
auch  abgesehen  von  der  unangemessenen  zweimaligen  Wie* 
derholung  desselben  Gottes  nach  einander,   so  haben  die  Ae- 

fypter  den  Osiris  selbst  nicht  als  Phallusgott  gebildet,  son- 
ern  nur  ihm  zu  Ehren  nach  Herodot  II,  48.  eigene  Ellen 
lange  Bildchen  verfertiget,  an  denen  das  Männliche  beinahe 
so  grofs  als  der  übrige  Körper  war.  Die  wir  Brimo ,  Hekatts 
oder  Proserpina  als  die  Gattin  des  Hermes,  auf  welche  sein 
sinnliches  Gelüsten  gerieütet  ist  (Cic.  de  N.  D.  III.  22.  und 
daselhst  Creuzer),  nennen,  in  dieser  vermuthet  der  Y£  eine 
Personifikation  Aegyptens. 


(Dur  Beschlufs  folgt.") 


I 


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■ 


N.  18.       '  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur, 


Tölken  Erklärung  der  Bildwerke  des  Ammonstempels 

zu  Siwah. 

(Beschlnjs.) 

Nach  den  Göttern,  welche  der  Fruchtbarkeit  im  Allge- 
meinen vorstehen,   werden  nunmehr  im  Besondern  die  Spen- 
der der  woblthätigen  Jahreseinflüsse  und  die  Förderer  des 
Gedeihens  vorstellig  gemacht:  Horns  mit  dem  Falkenkopfe 
(nach  dem  Verf.  Pht-ha)   in  Gesellschaft  eines  weiblichen 
Agathodämon,   der  einen  Widderkopf  mit  der  Schlange 
hat,  und  zur  Bezeichnung  der  ersten  Erndte   derselbe  seyn 
mag,  welcher  Taf.  X.  fig.  3.  einen  Schlangenkopf  hat  und  auch 
auf  Horus  folgt.    (Der  Verf.  hält  diese  Göttin  für  Neith,  und 
führt  ]>£anil.  IV.  124.  und  Serv.  ad  Aen.  XI.  259.  an,  dafs 
ihr  das  Sternbild  des  Widders  geheiligt  gewesen ,  was  aller- 
dings durch  den  borghesischen  Thierkreis  und  ein  italisches 
Vasengemälde  nach  unserer  Ausdeutung  in  den  Heidelberg. 
Jahrb.  1824.  S.  791.  bestätigt  werden  kann.  Allein  der  Schlufs 
von  dem  Widderkopf  auf  die  JSIeith  ist  dessen  ungeachtet  un- 
sicher,  wenn  man  bedenkt,  dafs  wir  uns  in  einem  Ammons- 
tempel  befinden ,  wo  nach  des  Verf.  eigener  Ansicht  Taf.  IX. 
in  der  zweiten  Reihe  von,  unten  zwei  Priesterinnen  mit  Wid- 
dermasken, und  nach  des  Ref.  Dafürhalten  aufserdera  Isis  und 
Osiris  mit  Widderköpfen  vorkommen.)    Das  Segensjahr,  das 
mit  Horus   und  dem  guten  Genius  eröffnet  wird,  erreicht 
durch  die  Nilfluth  mit  dem  Aufgang  des  Hundssterns  seinen 
eigentlichen  Gipfelpunkt.     Daher  reiht  sich  nun  Anubis  an 
a's  Repräsentant  des  guten  Hundssterns  und  der  mit  seinem 
Aufsteigen  verbundenen  heilsamen  Folgen.      Mit  ihm  steht 
dem  Begriff  und  der  Abbildung  gemäis  eine  1* arce  mit  der 
Feder  auf  dem  Haupte  in  Verbindung,  um  den  Gedanken  aus- 
zudrücken, die  Befruchtung  des  .Landes  und  deren  Maafs  er- 
folge nach  astrologischen  Schicksalsgesetzen.     (Der  Verf.  hält 
sie  für  die  Göttin  der  Wahrheit  und  des  Rechts ;  s.  aber  Creu- 

XIX.  Jahrg.    3.  Heft.  .  -  l8 


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274       Tölken  Erklärung»  der  Biluwerke  ues  Amrnonstempels. 

•  s 

zers  Abbild,  zur  Mytb.  TaF.  XV.  n.  2,  wo  ein  Schatten  zwi- 
schen zwei  Parcen  ,  deren  Hauptschmuck  eine  Feder  ist,  steht, 
vergl.  Pausan.  X.  24.     Auch  Priester  oder  Propheten  sind 
auf  ägyptischen  Bildwerken  geschmückt.    Die  häufig  vorkom- 
mende Feder  in  der  Waagn  des  Todtengerichts  kann  wieder 
nicht,  wie  der  Verf.  will,  Gerechtigkeit  bedeuten;  denn  man 
bült  wohl  die  Waage  mit  Gerechtigkeit,  aber  mau  kann  diese 
nicht  sinnbildlich  in  die  Waage  legen,  wohl  aber  das  Schick- 
sal, dessen  Bestimmung^  die  Stelle  des  Gewichts  vertreten.) 
Hierauf  erscheint  Harpokrates  mit  dem  Falkenkopf  und 
oben  mit  einer  kleinen  Sonnenscheibe  und  zwei  Palmzweigen 
(nach  dem  Verf.  wieder  Osiris).     Die  Sonne  nimmt  ab,  .aber  / 
die  Natur  ist  reich  und  üppig.    Daher  ^Verden  nun  die  groisen 
Segens  -  und  ErndtegÖtter  zur  Anschauung  gebracht :  Isis  mit 
dem  Widderkopf  und  der  Moudsscheibe  zwischen  den  sie  cha- 
rakterisirenden  Gazellenhörnern  (nachdem  Vf.  wieder  Athene), 
und  Osiris  mit  dem  Falkenkopf  und  den  mächtigen  Stier- 
hörnern,  die  ihm  vorzugsweise  zukommen  (nach  dem  Verf. 
Helios).    Es  folgt  eine  Göttin,  die  mau. für  Aphrodite  hal- 
ten mag.    Das  Uebrige  ist  verstümmelt.    —    Wir  begegnen 
so  ziemlich  derselben  Götter-  und  Ideenreihe,  wie  Tat.  X. 
fig.  3,  wodurch  die  Richtigkeit  unserer  Auslegung  an  Wahr- 
scheinlichkeit gewinnt.     Es  folgten  dort,  wie  hier,  Horus 
und  ein  weiblicher  Kamephis,  Harpokrates  und  Isis  auf  ein* 
ander.     Nur  statt  des  männlichen  Kamephis  ist  hier  der  An- 
fang der  Nilfluth  deutlicher  durch  AnuMs  und  die  Parce  ange- 
deutet.    Immer  aber  ist  es  derselbe  Ideenkreis  :  Zunehmen 
und  Abnehmen  der  Sonne,   Wassersegen,   Wachsthum  und 
Fruchtbarkeit  nach  göttlichen  Ilathschlüssen. 

Auf  der  linken  Tempelwand  Taf.  VIII,  wo  der  unter- 
irdische Ammon  thront,  finden  wir  folgende  Gottheiten: 
Harpokrates  mit  der  kleinen  Sonne  und  zwei  Palmzweigeu 
auf  seinem  menschlichen  Haupte,  auch  sonst  als  ein  unter- 
irdischer Gott  bekannt  (O.euzer  Abbild.  Taf.  XV.  n.  2.),  von 
dem  Harpokrates  der  obern  Sphäre  Taf.  IX.  dadurch  unter- 
schieden,  dafs  ihm  in  letzterer  Beziehung  ein  Falkenkopf  und 
eine  Strahlenkrone  gegeben  wurde.     Hierauf  erscheint  Rhea 
mit  dem  Löu  enkopf  und  der  Weltkugel,   als  Mutter  des  Ty- 
phon und  der  Nephthys  eine  Gottheit  der  Unterwelt.    Sie  ist 
in  Bewegung  gegen  ihren  Gatten  Kronos,  dessen  Haupt  mit 
der  Sonnenscheibe  geziert  ist.    Der  Seelenführer  T  h  o  t  h ,  mit 
einem  Stern  und  zwei  Falkenfedern  auf  dem  Kopf,  steht  zwi- 
schen zwei  der  Dione  ähnlich  gebildeten  Parcen,  und  daran 
reiht  sich  Anubis  mit  zwei  Federn,  dessen  Hundskopf  mit 


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Tölken  Erklärung  der  Bildwerke  des  Ammonsternpeli.  275 


Beziehung  auf  sein  unterirdisches  Amt  nach  Art  der  Schakale 
geformt  ist.  Den  Zug  heschliefsen  Isis,  zwischen  deren  Ga- 
zellenbörnern  die  Mondsscheibe  sich  befindet,  aher  etwas  klei- 
ner als  T.  IX,  und  Osiris  an  seinein  charakteristischen  Kopf- 
schmuck kenntlich,  als  Sohn  des  Ammon  mit  dem  Widderkopf 
(wie  Isis  T.  IX.),  als  der  unterirdische  durch  die  kleine  Sonne 
zwischen  Bockshörnern  bezeichnet.  Rückwärts  von  dem 
Throne  Ammons  ist  im  Hintergründe  dessen  Gattin  Dione, 
gnädig  die  Hand  erhebend,  zu  bemerken  ,  wie  es  scheint,  als 
Hoffnungsbild  zur  Paligenesie  für  die  Abgeschiedenen,  (Der 
Verf.  sieht  in  dieser  Göttei reihe  aulser  Kronos  und  Rhea  nur 
Priester  und  Priesterinnen ;  solche  linden  sich  wohl  in  der  un- 
tern Reihe ,  diese  sind  aber  in  geziemender  bittender  Stellung, 
was  hier  nicht  der  Fall  ist.  Ueberdies  würde  die  Vorstellung 
von  Priestern  den  Götterbildern  auf  der  gegenüberstehenden 
rechten  Seite  nicht  entsprechen.  Nach  unserer  Auslegung  aber 
beziehen  sie  sich  auf  einander  wie  Ober-  und  Unterwelt.) 

.  Der  weiter  folgende  Streifen  auf  beiden  Seiten  enthalt 
eine  Veranschaulichung  des  Flehens  der  Menschen  in  Beziehung 
der  oben  abgebildeten  Gottheiten,  und  zwar  Tafel  IX.  eine 
Opferhandlung  in  Rücksicht  auf  Jahressegen  und  Nilfluth,  zuv 
welchem  Behufe  zwei  Altäre  in  der  Mitte  stehen,  der  eine  mit 
dem  Ichneumon  ,  der  andere  mit  dem  Krokodil  bezeichnet. 
Also  den  guten  und  den  feindseligen  Göttern  wird  geopfert, 
um  die  Geneigtheit  jener  zu  gewinnen  und  den  Zorn  dieser  ab- 
zuwenden. Auf  der  andern  Seite  der  Altäre  erblickt  man  die 
Horte  des  Landes  und  die  Rächer  des  Osiris,  nämlich  Horns 
in  der  Mitte  des  ibisköpfigen  Thoth  mit  der  Mondsscheibe 
zwischen  Kuhhörnern  (denn  man  dachte  den  Thoth  als  Beglei- 
ter des  Mondes  :  Plut.  de  Is.  4l.)  und  des  Anubis.  (Der  Vf.  ' 
hält  letztern  für  Typhon,  und  den  Hundskopf ,  an  weichern 
wegen  des  Aufsatzes  die  Obren  nicht  sichtbar  sind,  für  den 
Kopf  eines  Krokodils  oder  Schweines.  Aber  wie  könnte  die- 
sem feindseligen  Zerstörer  das  göttliche  Scepter ,  das  er  in  der 
Linken,  der  h.  Schlüssel ,  den  er  in  der  Rechten  hält,  der  Kopf- 
schmuck ,  den  Anubis  mit  Horus  als  dessen  Begleiter  gemein 
hat,  zukommen?)  Der  entgegengesetzte  Streifen  Taf.  VIU. 
enthält  eine  Reihe  betender  Priester  und  Priesterinnen,  der 
Analogie  nach  in  Bezug  auf  das  Todtenreich.  Die  unterste 
Vorstellung  beider  Seiten  ist  zu  sehr  verstümmelt,  als  dafs  et- 
was mit  Gewifsheit  angegeben  werden  könnte. 

W.  F.  Rinck. 

,   

18  * 

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*  I 

I 

276  Cieerojais  Brutus  ed.  Eilende, 

M.  Tut  Iii  Ciceronis  de  Claris  Oratoribus  liber9  qui  Jicitur 
Brutus,  Cum  notis  J.  A*  Ernesti  aliorumque  interpretum 
selectis  edidit  suasque  adjecit  Fridericus  Ellen  dt ,  Am  M- 
—  Praejlxa  est  succincta  Eloquentiae  Romanae  usque  ad  Caesares 
Historia.  Regiomonti  Prussorum9  sumtu  Jratrum  Borntrager, 
MDCCCXXr.    X.  CXLll  und  261  S.  in  8.  2  Tblr. 

*  •  * 

Eine  Ausgabe,  die  wir  willkommen  heifsen  müssen*  Seit 
langer  Zeit  ist  dieser  Schrift,  einer  der  trefflichsten  Cicero's, 
keine  eigene  Bearbeitung  zu  T heil  geworden,  und  doch  konnte 
die  Wetzeische  Ausgabe  nach  dem  jetzigen  Stande  der  Cicero* 
nischen  Kritik  keineswegs  mehr  befriedigen.     Und  hier  dringt 
«ich  dem  Ref.  aufs  Neue  die  schon  oft  gemachte  Bemerkung 
auf,  wie  leicht  es  noch  am  Schlüsse  des  vorigen  Jahrhundertl 
war,  sich  mit  sehr  mittelmäfsigen  Commentaren  über  den  Ci- 
cero eine  Art  von  CelebritÜt  zu  erwerben  :   denn  er  erinnert 
sich  noch  gar  wohl  der  Lobsprüche,  die  Wetzeis,   man  darf 
wohl  sagen  ,  schlechte  Ausgabe  des  Brutus  in  der  Allg.  Deut- 
schen Bibliothek  erhielt,  ungeachtet,  besonders  in  der  Bear- 
beitung des  Textes,  sehr  wilikührliche,  wo  nicht  gar  keine 
Grundsätze  befolgt  waren.  —    Wenn  sich  übrigens  Hr.  E.  in 
der  Vorrede  beklagt,  dafs  die  Lateinische  Literatur  im  Ver- 
bältnifs  gegen  die  Griechische  gegenwärtig  vernachlässigt  sey, 
so  mächte  diese  Klage  gegenwärtig  wohl  etwas  weniger  ge- 
recht seyn,  als  sie  es  noch  vor  einigen  Jahren  war.  Gerech- 
ter finden  wir  die  Klage,   dafs  die  meisten  der  Lateinisch 
Schreibenden  oder  Lateinische  Schriftsteller  Erläuternden  ihre 
Kenntniis  der  Sprache  nur  durch  Schreiben  und  Lesen  erwor- 
ben haben,  ohne  auf  die  nicht  auf  der  Oberfläche  liegenden 
Gesetze  der  Sprache  zu  achten,  ja  selbst  ohne  sie  zu  ahnen« 
Dafs  daraus  ein  Schwanken  in  den  Grundsätzen  des  kritischen 
Verfahrens  entstehen  müsse,  dafs  selbst  das  richtig  Gefundene 
oder  Herausgefühlte  nicht  zu  fester  Ueberzeugung  gebracht 
und  Andern  überzeugend  mitgetheilt  werden  könne,  ist  eine 
nothw?ndige  und  an  Vielen  nicht  zu  verkennende  Folge  davon. 
— -   Doch  wir  wenden  uns  zu  unserm  Buche.  Ungebrauchte 
Handschriften  hatte  der  Herausgeher  nicht,  auch  an  alten  Aus- 
gaben mangelte  es  ihm  sehr,  wie  er  denn  z.  B.  die  beiden 
Ascensius'schen  Ausgaben  von  1511  und  1522,    die  Basler 
Ausgaben  vorr  Cratander  und  Herwag,  die  Robert  und  Karl 
Stephanischen  und  so  manche  andere,  die  weder  von  Ernesti 
und  seinem  Nachtieter  Wetzel,  noch  von  Schütz  gehörig  ver- 

§ liehen  sind,  und  doch  so  reiche  Ausheute  geben,  nicht  unter 
en  von  ihm  benutzten  Hülfsmitteln  nennt, '     Mit  seiner 


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■ 


Ciceronis  Brutus  ed.  Eilende. 


277 


Ihstoria  Eloquentiae  Romana*  will  er  zwar  nicht  mit  Rubnkens 
Htst.Crit.  Oratorum  Graec.  in  die  Schranken  treten,  wohl  aber 
den  Hrn.  Burignj  übertreffe«*,  der  in  den  Mein,  de  l'Acad.  des 
inscr.  Vol.  XXXVI.  weiter  nichts,  als  einen  Auszug  aus  dem 
Brutus  des  Cicero  giebt.    Dies  ist  ihm  allerdings  wobl  gelun- 
gen ,  und  wir  müssen  diese  Abhandlung  als  eine  Bereicherune 
der  Kömischen  Literaturgeschichte  betrachten,  ob  sie  gleich 
ein  eigentliches  Buch  über  die  Geschichte  der  Römischen  Be- 
redsamkeit nichts  weniger  als  überflüssig  macht,  und  zwar 
erstlich  wegen  der  ihr  zu  enge  gesteckten  Grönzen,  da  sie  nur 
Iiis  aut  die  Caesares  geht ,  dann  aber  auch,  weil  sie  den  Hor- 
tensms,  den  Asmius  Pollio  und  den  Cicero  ganz  übergeht:  und 
zwar  den  Letztern,  weil  -  (W,  sagt  er,  «  tot  auctoribus  lau- 
,*>*U  vel  enarratis  addi  potest?    Von  den  beiden  Andern  schweigt 
er,   weil  wir  über  den  Hort^.ius  von  Luzac  und  über  den 
Asinius  Pollio   von  Thorbecke  treffliche  Monographieen 
haben.    Haben  ?  fraeen  wir.    Luzac's  Schrift  ist  eine  im  Jahr 
1810  mLeyden  erschienene Inauguralschrift,  und  Thorbecke's 
Commentatio  gleichfalls ,  vom  Jahr  1  20.    Diese  Schriften  sind 
sehr  selten  und  schwer  zu  bekommen;   und  wären  sie  auch 
allgemein  verbreitet,  es  durften  darum  in  einer  Historia  Elo- 
quentiae Romanae  die  bedeutendsten  Mi'nner  eben  so  wenig  feh- 
len ,    als  künftig  ein  Gescbichtschreiler  der  allgemeinen  Ge- 
schichte die  schwäbischen  Kaiser   wird   übergehen  dürfen, 
„weil  man  ja  Raumers  Geschichte  der  Hohenstaufen  habe«. 
Auch  wird  sich  wohl  in  den  Quellen  seilst  noch  eine  Nachlese 
halten  lassen,   ungeachtet  sie  vom  Verf.  mit  Sorgfalt  und  mit 
Kritik  benutzt  worden  sind.    Doch  wollen  wir,  um  den  Raum 
einer  Recension  nicht  zu  überschreiten,  die  specielle  Beur- 
teilung der  Abhandlung  andern  Blättern  überlassen,  um  über 
die  Ausgabe  des  Brutus  selbst  etwas  ausführlicher  sprechen 
zu  können,  und  über  eine  Anzahl  von  Stellen  unsere  Ansichten 
mitzutheilen.     Was  den  Lateinischen  Vortrag  betrifft,  so" 
verdient  er  im  Ganzen  Lob.     Es  sind  uns  jedoch  einige  Ver- 
sehen aufgefallen,  die  wir  eine.»  Manne,  der  Anderer  Jrrthü- 
mer  nicht  immer  schonend  rügt   [Cicero,  wie  der  neueste 
Herausgeber  des  Priscian,  Krebl,  bekommen  dasLob :  in*Pte, 
Luzac:  temerarie]9  ohne  weitere  Bemerkungen  vorzuhalten  nicht 
umhin  können.      S.  VII.  ab  Hermanno,  vir  i  itlustri ,  de  me  — 
praeclare  meriti.  LVI.  praetervidit  (ein  ganz  unerhörtes  Wort!) 
LXXVI.    mentwnem  ejusßeri  in  Gellio,  iu  riinio.      CXU.  seculi 
potius,  quam  sui  culpa.    CX1II.  apprime  (das  bei üchtigte  Adver- 
bium).    S.  159.  nullibi.     CXIV.    Coelinm  quem  (f  cui\  librum 
suum  inscripnt  Varro  u.  dgl.     Auch  falsche  Citate  z/ß.  S.  XIX. 


uigmzea  c 


t 


278  Ciccroais  Brutus  ed.  EUcndf» 

i 

Cic.  ad  Att.  für  ad  Famill.  IX.  22.  haben  wir  gefunden,  und 
sinnstörende  Druckfehler ,  z.  B.  S.  X.  inuhus  statt  multus ,  XVIII. 
an/«  für  arte,  XL.  Scneca  für  Sgnecae ,  '  LXXXUI.  earum  quif 
CXXIII.  exsiaret  für  exstant. 

Betrachten  wir  nun  die  Ausgabe  des  Brutus  selbst,  so 
.  finden  wir  an  ihr  ein  besonnenes ,  sicheres  Unheil  ,  eine  Ab- 
neigung gegen  \:  illkührliche  Textesveränderungen  ,  sorgfaltige 
Beobachtung  des  Ciceronischen  Sprachgebrauches,  nur  nicht 
immer  von  einer  hinlänglich  umfassenden  Leetüre  unterstützt, 
um  jedesmal  das  zu  Beweisende  mit  den  erforderlichen  Stellen 
zubelegen;  dabei  ist  auch  die  Auswahl  zu  loben ,  die  der  Her- 
ausgeber aus  den  Anmerkungen  der  frühern  Bearbeiter  diese« 
Buches  giebt.  Hier  aber  vermissen  wir  eine  vor  acht  Jahren 
erschienene  sehr  gehaltreiche  Schrift  über  den  Brutus,  dieK<*. 
vor  sich  bat  und  deren  Titel  isj  :  Observationes  Criticae  in 
cjuaedam  Bruti  Ciceronis  loca.  Auetore  Hallgrlmo  Johan- 
naeo  Scheving,  ScholaeBessestadensis  inlslandia  Adjuncto. 
Havniae.  Typis  exeudit  H,  F.  Pcpp,  civis  et  typographus 
Havniensis.  1817.  85 Seiten  in  8,  über  welche  B  i  rg  e  r  Th  ot- 
lacius  das  Urtheil  gefüllt  bat:  Commentationem  hanc,  dili- 
genter  et  cum  acumine  critico  elaboratam,  dignissimam  judicat 
Facultas  Philosophica  Universitatis  Regiae  Havniensis,  quae 
Magisterii  Artiura  et  Doctorutus  Philosophici  Honores  auetori 
arquirat.  Wir  können  dieses  günstige  Urtheil  nur  bestätigen, 
und  sind  überzeugt,  Hr.  E.  würde  Mehreres  in  dieser  Schrift 
der  Beachtung  sehr  würdig  gefunden,  manche  Vorschläge  des 
Hrn.  Sch.  seinen  Lesarten  vorgezogen,  für  manche  seiner  Be- 
hauptungen aber  aurb,  hier  Beweise  und  Belege  gefunden  ha- 
ben« Da  es  den  meisten  unserer  Leser  eben  so  gehen  möchte, 
wie  Hrn.  E. ,  nämlich  dafs  ihnen  jene  Schrift  unzugänglich  ist, 
so  wollen  wir  dieselbe  bei  den  von  uns  zu  betrachtenden  Stel- 
len  auch  berücksichtigen. 

V.  21«  Ego  ver0  i  inquani)  si  potero,  faciam  vohis  satis.  So 
Hr.  E.  mit  Etnesti,  Wetzel  und  Schütz.  Aber  Scheving  bat 
mit  Recht  das  potuero  der  Handschriften  in  Schutz  genommen, 
und  dafür  Epp.  ad  Famm.  XJ.  23.  ad  Att.  II.  15.  Orat.  10. 
de  Legg.  III»  sub  lin.  und  andere  Stellen  citirtj  zu  denen  man 
f'igen  kann,  was  Beier  ad  Cic.  de  Off.  III.  23.  89.  p.  351.  an- 
sagt, und  die  Stelle  Cic.  de  Rep.  I.  43.  Auch  hat  Schev,  zu 
dieser  Stelle  einen  eigenen  Excurs  beigefügt  S.  82  —  85.  — " 
IX.  Sed  st.avitate  ea,  qua  perfunderet  animos  ,  non  qua  p  e  rj rinde- 
ret. Diese  Lesart  behält  und  vertheirligt  Hr.  E.  wie  Ernesti. 
Aber  wer  wird  von  der  suavitas  sagen  :  perfringit  animos?  Ja, 
wir  sollten  uns  perfringw*  gefallen  lassen,    wenn  es  hiefse, 


\ 
\ 


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Ciceronil  FJtutüs  td.  Elleadr. 


279 


etwas,  wodurch  die  animi  umzäunt  oder  umicblossen  oder  über- 
häutet sind,  suavitate  perfringere ;  aber  die  animos  selbst  nimmer- 
mehr.    Wir  ziehen  also  die  von  Schneider  aus  Cod.  Gud.  i. 
(un  1  nicht  ex  conjectura ,  wie  Hr.  E.  sagt)  vorgezogene ,  auch 
von  Schütz  und  Scbeving  gebilligte  Lesart  perstringeret  vor.  Es 
ist  allerdings  eine  Gradation  zwischen  perfundere  suavitate  und 
-perstringcrö  ,  die  Hr.  E.  mit  seinem  perfun.Ht  s,  leviter  tangit,  was 
dann  eben  soviel  seyn  soll,  als  perstringit,  nicht  vertuschen 
oder  vertilgen  kann  I   Richtig  erklärt  Schütz  perstringere  durch 
leviter  pungere,   was  recht  gut  zu  den  aculeis  pai*t ,   von  denen 
es  nachher  heilst  :    cum  delectatione  aculeos  etiam  relinqueret  in  ani- 
niis  ,   und  bedeutend  stärker  ist  als  suavitate  perfunderet.  —  X. 
4.    cujus  (Homeri)  etsi  incerta  sunt  tempora,  tarnen  annis  multis  fuit 
ante  Romulum  ;  siquidem  non  infra  superiorem  Ly cur gum  fuit ,  a 
quo  est  disciplina  Lacedaemoniorum  adstricta  legibus.     Hier  verwirft 
Hr,  E.  Wetzels  Erklärung , 'dafs  superior  Lyeurgus  stehe  zum 
Unterschied  von  dem  Attischen  Redner  Lykurgus,  auch  die 
des  Corradus,  der  annimmt,  Cicero  denke  an  einen  jün«ern 
Lykurgus  aus  Sparta,  den  Timäus  erwähnte,  und  wolle  durch 
superior  den  Gesetzgeber  von  ihm  unterscheiden;  auch  die  von 
Trofs  mitgetheilte  Ansicht  der  Stelle,  wonach  non  infra  weg- 
geworfen und  gelesen  werden  soll  siquidem  superior  Lycurgo  fuit , 
welches  freilich  gewaltsam  ist,  verwirft  er,  und  will  superio- 
rem als  Glosse  eines  interpreti«  inepti  ausgestrichen  wissen. 
Scbi^ing  supplirt  eo  nach  superiorem  (welches  wir  lieber  beige- 
setzt sahen),   und  erklärt  die  Stelle  ganz  gut  und  einfach  so  : 
Etsi  incerta  sunt  Homeri  tempora,  omni  tarnen  dubio  caret ,  eumvixisse 
ante  Romulum  ,  cum  constet  eum  nonfuisse  post  l.ycurgum ,    qui  tarnen 
Romulum  aetate  praecessit.  —   XIII.  49«        Graeciue  qirm'em  orato* 
mm  partus  atque  fontes  vides*     Irfnesti  stöfat  sich  an  partus 
a'que  fontes%  Schütz  emendirt  gar,  und  allerding»  scharfsinnig 
oratorum  partus  artisque  fontes.  Hr.  E.  hält  fontes  für  eine  Glosse 
von  partus*     Scheving  sagt  zum  Schutze  der  Stelle:    Cicero  non 
attentus  fuit  ad  proprium  vocum  partus  et  fontes  signißcationem  , 
sei  tantum  ad  illam  translatam  ,   qua  utitur ,  ex  qua  idem  valent  ac 
initium  et  origof  —  nec  ipsa  vocabula  partus  et  fontes  atsumlo 
hoc  signißcalu  inter  se  discordant.     Similiter  dixit  Cic.  Brut.  17.  imi- 
tari  ossa  et  sanguinem  etc.   —    XVII.  67.  liest  Hr.  E.  zwar 
mit  Recht  Catones ;  man  erfährt  aber  nicht,  dafs  die  lectc  vulg. 
Catonis  ist,  ob  er  gleich  von  ihr  spricht,  und  sogar  sa^t ,  Gö- 
renz vertheidige  sie  ad  Cic.  de  Finn.  V.  2.  3*   welches  C!»at 
falsch  ist,   da  Görenz  die  Stelle  mit  der  alcen  Lesart  blos  an- 
führt zu  IV.  2.  3-    —    XXI.  81.   cujus  et  aliae  sunt  orationes  et 
contra  Tu  Gracchum ,  exposita  est  in  C.  Fannii  atmalibus.     So  steht 


280 


Ciceronis  Brutus  ed.  Ellendr. 


allerdings  in  den  Handschriften.  Allein  die  Stelle  scheint  doch 
so  nicht  stehen  bleiben  zu  können,  Scheving  will  entweder 
quae  vor  exposita  einsetzen,  oder,  was  Schütz  gethan  hat,  est 
ausstreichen.  Eins  von  beiden  scheint  nöthig.  —  XXV.  97. 
homo  non  liberalitate9  ut  alii ,  sed  ipsa  tristkia  et  seoeritate  popw 
luns.  Hier  haben  Em.  und  Wetzel  ganz  ohne  Noth  hilaritate 
emendirt.  Liberal itas  für  comitas  wird  von  Schütz,  Schev.  und 
dem  Herausgeber  mit  Recht  beibehalten  und  vertbeidigt.  — 

XXIX.  110.  quoriim  neuter  summi  oratoris  habuit  laudem,  et  uterque 
in  multis  causis  versatus  erat.  Hier  Weist  Hr.  E.  mit  Recht  Ei  ne« 
ati\s  von  Schütz  gebilligtes  at  ab.  Wenn  er  aber  schreibt:  sed 
ratio  temporum  prohibet,  Si  enim  et  copulative  accipiendum  esset  ,  vel 
si  adversatioa  particula  at  ejus  locum  teneret9  habuit  exspectandum 
erat,  so  hat  er  sich  wohl  verschrieben,  denn  habuit  steht  ja. 
Vielleicht  wollte  er  sagen,  dann  sollte  man  oersatus  est  erwar- 
ten. Er  hält  es  indessen  mit  Schneider,  der  et  für  et  tarnen 
nimmt,  und  belegt  diesen  Gebrauch  mit  einer  Stelle:  alia 
exempla  ,  sagt  er,  nunc  non  sunt  in  promptu.  Scheving  bot  viele 
Stellen  an  :  z.B.  Brut.  c.  56.  Somn.  Scip.  c.  8.  de  Senect.  c.  9, 
Dann,  aus  Livius  ,  Celsus,  Martialis;  darauf  Griechische  Stel- 
len aus  Euripides,   Aristophanes  .   Aesopus,  Epiktetus.  — 

XXX.  114.  ouae  propria  est  hujus  disciplinae  philosophorum  de  se 
ipsorum  opinio.    Dafs  dies  die  Lesart  der  Handschriften  und 
Ausgaben  ist,  erfährt  man  von  Hrn.E.  gar  nicht.  Dies  kommt 
daher,  weil  ipsorum ,  das  er  Mos  zwischen  Klammern  «*lzea 
wollte,   durch  Zufall,  wie  es  scheint,  ganz  ausgefallen  ist. 
Scheving  vertbeidigt  es  und  construirt:   Itaqud  in  hoc  viro  firma 
et  stabilis  inventa  est  illa  opinio ,   quae  ipsorum  philosophorum  hujus 
sectae  de  sc  propria  est ,   mit  der  Erklärung  :    Quando  nude  dicitur , 
hanc  vel  illam  aliquis  Je  se  hahet  opinionem  ,    id  ita  polest  intelligi9 
ut ,  si  ipse  quidem  habeat ,  ntWil  tarnen  impediat ,  quo  minus  et  alii.  Sin 
vero  pronomen  ipse  additur ,  signißcatur ,  hanc  opinionem  Uli ,  de  quo 
sermo  sit9   proprium  esse ,    nec  in  alios  cadere.      Eodem  modo  Liv. 
Üb.  1.  20.   Romani,  si  unquam  alias  ullo  in  hello  fuit*    quod  primum 
diis  immortalibus  gratias  ageretis  ,    deinde  vestrae  ipsorum  virtuti , 
hesternum  id  proelium  fuit.  —  XXX.  115.  <Jui  c  um  innocentissimus 
in  judicium  vocatus  esset  ,  —    cum  essent  eo  tempore  eloquentissimi 
viri  L.  Crassus  et  M.  Antonius  consulares ,    eorum  adhibere  neutrum 
voluit.    Das  ersU«  cum  nimmt  Hr.E.  mit  Schütz  aus  der  Ausgabe 
des  Victorius  auf,  für  quanquam9  das  die  Handschriften  und 
übrigen  Ausgaben  geben;  wobei  er  eine  treffliche  Anmerkung 
über  den  Gebrauch  des-  quanquam  mit  dem  Conjunctiv  macht. 
Scheving  weils  niebts  von  des  Victorius  cum  ,  sieht  aber  doch, 
dafs  dieses  quamquam  —  esset  nicht  gut  stehen  kann ,  und  glaubt 


■ 

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Ciceronii  Brutus  ed.  Elleudf. 


281 


deswegen,  entweder  sey  quamquam  versetzt,  uad  müsse  unten, 
statt  oben,  stehen:  quamquam  essent  eo  tempore  etc.  Wolle 
mau  das  nicht,  so  soll  man  esset  nach  oocatus  wegstreichen  und 
lesen:  quanquam  innocenlissimus ,  in  Judicium  oocatus  9  —  cum 

essent  —  consulares ,  eorum  adhibere  neulrum  voluit.  Man  wird 
diesen  Ansichten  seinen  Beifall  nicht  versagen  können,  seihst 
wenn  man  sich  auch  lieber  an  Hrn.E.  Lesart  zu  halten  geneigt 
seyn  möchte.  —  XXXI.  120.  Nam,  ut  Stoicorum  adstrictio  r 
est  oratio  — :  sie  illorum  liberior  et  latior,  quam  patitur  consuetudo 
judic'wrum  et  fori,  Das  latior  mifsfällt  Hrn.  £.  und  er  emendirt 
laetior,  doch  ohne  viel  auf  seine  Emendation  zu  halten.  Wir 
können  sie  auch  nicht  sehr  billigen ,  sondern  n  - Innen  dafür 
Schevmgs  laxiory  und  belegen  es,  da  es  von  ihm  unterlassen 
worden  ist,  mit  einer  Stelle  des  Cicero  seihst,  de  Orat.  I.  60. 
254  •  adstrictus  certa  q  uad  am  —  moderetione ,  —  quanto  facilius 
nos  non  laxare  modos  oratio nis ,  sed  totos  matare  possumus?  — • 
XXXIV.  12!*.  C.  Fimbria  —  habitus  est  sanef  ut  ita  dicam  9  lucu- 
lentus  patronusj  asper ,  maledicus9  genere  toto  paullo  fervidior 
atque  commotior.  Dafs  die  Stelle  verdorben  sey  ,  hat  •man  läng3t 
vermuthet.  Vavassor  sagte,  er  begreife  nicht,  wie  bei  dem 
ganz  eigentlichen  Ausdruck  luculentus  patronus  die  entschuldi- 
genden Worte  ut  ita  dicam  stehen  können;  Pighius  und  Gruter 
wollen  das  gleich  nachher  folgende  tolerabilis  patronus  wegstrei- 
chen ,  weil  es  sich  mit  dem  luculentus  patronus  nicht  vertrage. 
Ernesti  verwandelt  erstlich,  um  einen  uneigentlichen  Ausdruck 
zu  haben,  der  das  ut  ita  dicam  rechtfertige,  luculentus  in  trueu- 
lentus  ,  und  erklärt  patronus  für  eine  alberne  Glosse,  weil,  wai 


Schütz  emendirt  noch  auf  diese  Conjectur  hinauf,  und  schreibt 
truculentus  accusator.     Hr.  E.  wäre  geneigt  es  mit  Pighius  und 
Gruter  zu  halten,  hält  sich  aber,  des  ut  ita  dicam  wegen,  an 
Ernestus  truculentus,    und  streicht  mit  ihm  patronus  weg.  Sche- 
ving  weifs  nichts  von  Schütz's  Conjectur,  er  erkennt  aber, 
dafs  luculentus  patronus  nicht  stehen  kann,   erstens,  weil  dies 
kein  ut  ita  dicam  braucht,  da  der  Ausdruck  nicht  figürlicher  ist, 
als  z.B.  eximius ,  egregius  patronus  wäre;  zweitens,  weil  luculen- 
tus gar  schlecht  zu  asper  und  maledicus  pafst;  drittens,  weil  ein 
luculentus  patronus  unmöglich  gleich  darauf  idem  tolerabilis  patro- 
nus heifsen  kann.     Er  schreibt  deswegen  luculentus  accusator  , 
und  vertheidigt  seine  Conjectur  so,   dafs  wir  ihr  unsern  Bei- 
fall nicht  versagen  können.    Da  diese  Verteidigung  ausführ- 
lich ist,  so  heben  wir  aus  ihr  nur  folgendes  aus  :  Primum  verba 
ut  ita  dicam  —  bene  cum  lectione  luculentus  accusator  con- 
veniunt ;  nam  qui  accusationes  apud  Romanos  faclitabant ,  hominis-  non 


uigiiizc 


282  Ciceronis  Brutus  ed.  Ellendr. 

\ 

boni,  eerte  non  gratiosi^  habebantur ,  quod  cum  ex  multis  locis  Cice* 
ronis  patet  ,  tum  oero  ex  hoc  ipso  capite  sat  perspicue  ,.  ubi  Cicero  /o- 
quitur  de  M.  Bruto,  quem  dicit  dedecori  fuisse  Brutorum  generi,  quod 
accusationes  factitaverit ,  eumque  fuisse  accusatorem  vehementem  et  mo- 
lesturn  ,  ut  facile  faerit  cernere  naturale  quoddam  stirpis  bonum  degene* 
raoisse  oitio  depravatae  ooluntatis.      Cum    ero  cultori  artis  alicujus  rot- 
nus  ltonestae  ,   qualis  est  accusatlo  ,  honesta  praedicata  tribuimus ,  quo 
de  genere  est  illud  luculentus ,  quia  improprie  et  paulo  audacius 
loquimury    emolliendi  formula  ut  ita  die  am  opus  est.     Deinde  il!a 
asper  et  maledicns  ,    quae  tarn  male  quadrant  in  luculentum 
patronum,  accusatori  bene  conoeniunt.      Wir  würden  Schevingl 
Lesart  allen  andern  Vorschlügen  vorziehen  und  in  den  Text 
aufnehmen.    —    LI.  192.   sie  oratori  populi  aures  tanqüam  tibiao 
sunt ;  eae  siinflatum  non  reeipiunt  aut  si  nuditnr  omnino  tanquam  eqvus 
non  facit9   agitandi  finis  faciendus  est.     Wir  wollen  uns  mit  dtn 
verunglückten   Erklärungsversuchen   und  Verbesserungsvor- 
Schlägen  der  ältern  Erklärer  und  Herausgeber  nicht  aufhalten, 
nur  zur  Ergänzung  der  Note  des  Hrn.  E.,  der  des  Turnebu« 
Adversarien  nicht  nachsehen  konnte,  übrigens  keine  eigene 
Ansicht  aufstellt,  aus  Schevings  Anmerkung  die  hierher  gehö- 
rige  Stelle  mittheilen:   Turnebus  putat  verbum  esse  circense  ,  pro  ar- 
gumenta Habens  ,  quod  /actione  s ,  quae  afaciendo  nomen  adeptae 
Sinti  in  circo  quatuor  fuerint ,   et  in  lusu  pilae  facto  res  etiam  appellet 
Plautus  ;  equum  igitur  'putat  facere  t   qui  aurigae  -pareat.  Wahr- 
scheinlich würde  diese  Erklärung  Hrn.  E.  so   wenig  genügt 
haben,  als  sie  uns  genügt.     Auch  die  Stelle  Ovids,  die  Sehe- 
yingeitirt:  Amor.  1.  2.  16. 

Jsper  equus  duris  contunditur  ora  lupatis  : 

1  Frena  minus  sentit  quisquis  ad  arma  facit : 
WO  er  selbst  beisetzt:  quod  mihi  tarnen  paullo  est  otscur'ws  ;  selbst 
diese  Stelle  möchte  uns  wohl  nicht  zufrieden  stellen  können. 
Statt  Schütz's  allzu  kühner  Emendation  (nämlich  man  soll  die 
acht  Worte  aut  —  fach  wegwerfen,  und  cantandi  für  a«ita*d\ 
lesen)  schlagen  wir  blos  vor  tanquam  equus  noous  facit.  Jeder- 
mann weifs,  wie  leicht  aus  nouo  (wie  in  Handschriften  abbre- 
virt  wird)  non  werden  konnte.  Noous  equus  aber,  ein  noeb 
nicht  zugerittenes,  widerspenstiges  Pferd,  bietet  in  diesem 
Sinne  Cicero  selbst  de  Amicit.  19.  68.  Nemo  est9  qui  non  equo, 
quo  consuevit,  libtntius  utatur ,  quam  intractato  et  no\:o.  —  Doch 
wir  brechen  ab,  um  unsere  Anzeige  nicht  über  die  Gebühr 
auszudehnen,  und  setzen  nur  noch  hinzu,  dafs  sieb  in  den 
Anmerkungen  des  Hrn.  E.  mehrere  sehr  schätzbare  und  von 
gründlichem  Forschen  zeugende  Bemerkungen  über  den  Cice- 
rouischen  Sprachgebrauch  finden  ,t  z.  B.  über  quamquam  üiitdeu» 


Cicero  d«  officiis  von  Degen. 


283 


(Jon j'.mctiv  zu  XXX.  115;  über  abesse  mit  dem  Dativ  zu 
LXXX.  276;  über  accidere ,  dal*  es  auch  von  günstigen  Ereig- 
nissen gebraucht  werde ,  zu  XXII.  85;  über  autem  und  enim  an 
der  dritten,  vierten,  ja  fünften  Stelle,  zu  XLIX.  l8l;  meh« 
rere  gute  Bemerkungen  über  den  Gebrauch  des  Conjunctivae 
an  verschiedenen  Stellen;  über  Aoristische  Futura  zu  L.  187; 
fiber  jam  und  nam  als  Continuativpartikeln  mit  verschiedener 
Bedeutung  XLUI.  159;  über  den  Indicativ  zwischen  der  Con» 
junctivconstruction  XLIX.  185;  '"\ber  den  Indicativ  bei  der 
inrfirecten  Frage,  zu  III.  13;  über  nescio  an  als  bescheidene 
Verneinung  zu  XVIII.  71;  über  das  continuative  Quid?  LI. 
192.  Eigene  Emendarionen  hat  Hr.  E.  nur  selten  gemacht , 
noch  seltener  in  den  Text  aufgenommen;  wie  z  B.  XVIII.  72. 
Est  autem  —  •  Attius  enim  für  '.stenim'—.  Attius  autem.  —  ' 
XLII.  156*  ita  prorsus  etiam  antea  putabam  für  et,  —  Druck 
und  Papier  sind  sehr  schön,  und  empfehlen  auch  ihrerseits 
diese  so  empfehlenswerthe  Ausgabe. 


M.  T.  Ciceronis  de  Of/iciis  libri  tres.  Mit  einem  Deut- 
schen Kommentar  besonders  für  Schulen,  Bearbeitet  von  Job, 
Friedr.  Degen,  Doktor  der  Theologie ,  Kön.  Baierscher  {sie!) 
Consistorialrath  und  Professor  zu  Baireuth.  Dritte  von  neuem 
durchgesehene  Ausgabe,  Berlin ,  im  Verlage  bei  J.  W.  Boicke. 
1825.    XVI  und  415  S.  in  8.  2  fl.  20  kr, 

• 

Nicht  immer  ist  das  Urtbeil  des  Publicums  im  Einklänge 
mit  der  Kritik.  Findet  sich  dies  gleich  am  häufigsten  auf 
dem  Gebiete  der  Kunst,  so  ist  es  doch  auch  nicht  selten  der 
Fall  auf  dem  Felde  der  Wissenschaften.  Ein  Beweis  davon  ist 
die  dritte  Auflage  dieser  Ausgabe,  wovon  die  erste  (von 
1800.),  leidlich  gelobt  in  der  AUg. Deutschen  Bibliothek,  den- 
noch erst  nach  zwanzig  Jahren  vergriffen  war,  die  zweite 
(von  1820.),  förmlich  vernichtet  und  todtgeschlagen  von  Beier 
in  seiner  Ausgabe  dieses  Werkes,  nach  fünf  Jahren  eine  dritte 
zur  Nachfolgerin  bat,  die  ganz  unbefangen,  ohne  eine  Vor- 
rede (nur  in  die  Einleitung  ist  ein  Stück  aus  der  Vorrede  zur 
zweiten  Auflage  eingeschaltet},  ohne  von  jenem  Todtschlag 
auch  nur  Notiz  zu  nehmen,  ächtebristlicb  sogar  für  ihren 
Mörder  betet,  d.  b.  die  Beiersche  Ausgabe  „eine  mit  vieler 
ÄP*  lesenheit  und  Kritik  unternommene  Arbeit  mit  mehreren 
„gelehrten  Excursen"*  nennt,  ohne  auch  nur  eines  einzigen 
der  furchtbaren  Excurse  oder  Incurse  gegen  Hrn.  Degen  zu 


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I 


284  Cicero  de  officiis  von  Degen. 

* 

gedenken,  von  denen  das  Elogium  in  der  Vorrede  zum  ersten 
Theil  S.  XV.  erroribus  partim  horribilibui  inguinal Usima  est  Degenii 
editio,  nuper  demum  adeo  iteraia  —  noch  einer  der  glimpflichem 
ist.  Unendlich  viel  schlimmer  fährt  Hr.  D.  in  Beiers  Aus- 
gabe T.  [.  p.  158.  T.  II.  p.  112.  l3t.  217.  268.  347.  (Her  hier 
gerügte  Fehler  ist  jetzt  corrigirt)  360.  354.  351.  408.  164.  etc. 
Wie  sollen  wir  nun  die  fromme,  stille  Gelassenheit,  mit  der 
Hr.  D.  die  oft  zu  harten  Streiche  nicht  hinnimmt,  sondern  . 
förmlich  ignorirt,  nennen?  Wir  müfsten  sie  lohen,  und  ge- 
wissen Schriftstellern  zur  Nachahmung  empfehlen,  die,  mit 
Schonung  getadelt,  dennoch  mit  lächerlicher  Aufgeblasenheit 
und  festem  Glauben  an  ihre  Infallihilität  durch  empfindliche 
Antikritiken  ihrem  Herzen  Luft  machen,  und  auf  die  scho- 
nendste Erwiederung  dersel! ••n  mit  kindischer  Rechthaberei 
auch  dann  noch  das  letzte  Wort  haben  wollen  (wovon  im  vo- 
rigen Jahrgange  dieser  Jahrbücher  ein  merkwürdiger  Fall  vorge- 
kommen ist):  wir  müfsten  sie,  sagen  wir,  loben,  wenn,  wo 
mit  Recht  getadelt  wurde,  der  Fehler  stillschweigend  getilgt 
und  das  Bessere  oder  Richtigere  aufgenommen  würe.  Aber 
dies  ist  keineswegs  der  Fall,  und  wo  etwas  Getadeltes  ver- 
bessert ist,  da  scheint  es  nur  bei  Gelegenheit  der  Durchsiebt 
und  genauem  Correctur  geschehen  zu  seyn,  wie  z.  B.  I.  44. 
extr.  wo  die  erste  Ausg.  Uli  officio  hatte,  die  zweite  in  officio, 
wahrscheinlich  durch  einen  Druckfehler  ,  welches  von  B.  ge- 
tadelt wird,  und  wo  jetzt  wieder  richtig  Uli  steht.  Dagegen 
stehen  alte  Fehler  in  Menge  wieder  in  der  neuesten  Ausgabe, 
ungeachtet  sie  von  B.  gerügt  waren:  z.  B.  I.  14.  12.  die  Ver- 
wechslung der  Familie  der  Juni  er  mit  der  der  Juli  er,  in 
der  Angabe  ,  dafs  jene  ihr  Geschlecht  vom  Aeneas  abgeleitet 
haben;  II.  23.  8.  die  Behauptung f  150  Talente  Seyen  150000 
Gulden  u.  dergl.  Auch  Olshausens  kleine,  aber  vorzügliche 
Ausgabe  ist  nicht  beachtet,  wohl  aber  Gernhards  Ausgabe  zu- 
weilen angeführt,  was  schon  in  der  zweiten  Ausgabe  gesche- 
hen war.  Von  Uebersetzungen  sind  zwar  Garve's  und  Hot- 
tinger's  Arbeiten  angeführt,  nicht  aber  die  neueste  von  K.  Ii. 
C.  Hauff,  München  1822.  Wollte  der  Vf.  durch  Nichtnen- 
nung  derselben  vielleicht  andeuten,  dafs  sie keineBereicherung 
der  philologischen  Literatur  sey  ,  so  stimmen  wir  ihm  gern 
und  ganz  bei ;  miijsen  dies  aber  eben  so  sehr  von  seiner  Aus- 
gabe sagen,  welche  wir  wenigstens  den  in  tinserm  Bereich 
Studirenden  weder  in  der  ersten  und  zweiten  Gestalt  sehr 
empfehlen  konnten,  noch  in  der  dritten  viel  mehr  empfel.len 
können.  Dies  wird  indessen  ihren  Absatz  nicht  hindern: 
denn  bequem  ist  die  Ausgabe  für  gar  manche  Studirewle ;  ja 

* 


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Cicero  de  ofncüs  von  Degen.  285 

wir  wissen  Lehrer,  deren  Orakel  sie  Schülern  gegenüber  war, 
welche  sämmtlich  nur  den  Nürnberger  Text  auf  des  Lehrers 
Rath  sich  angeschafft  hatten.     Genauer  von  dieser  Ausgabe 
und  ihrer  Einrichtung  zu  sprechen,   ist  wohl  nicht  nöthig; 
auch  mag  es  wenig  helfen,  wenn  wir,   was  wir  mit  gutein 
Gewissen  thun  können,  erklären,  das  Urtheil  des  genannten 
Kritikers  sey  zu  strenge  gegen  den  Vxrum  summe  venerandum , 
wie  er  T.  I.  p.  35.  genannt  wird,   und  es  sey  viel  Richtiges 
und  Brauchbares  in  dem  Buche  ,  die  zweite  Auflage  sey  schon 
hesser  gewesen  als  die  erste,  und  die  dritte  sey,  wie  wir  ge- 
sehen haben,  wirklich  wieder  durchgesehen.    Das  alles  macht 
Hrn.  D.  weder  zu  einem  Kenner  der  Sprache,  noch  der  alten 
Philosophie,  noch  der  alten  Geschichte,  wie  die  gegenwärti- 
ge, nicht  mehr  so  genügsame,  Zeit  es  verlangt  und  verlangen 
jnufs.     Eine  vierte  Auflage  wird  sich  mit  Recht  wieder  eine 
a-ifs  neue  durchgesehene  nennen  können,  wenn  wir  auch  nur 
in  ihr  Dinge,  wie  S.  6.  Cato.  Mag,  S.  12.  van  Lyden  (für  van 
Lynden)%  S.  13.  die  Amozonen  u.  dgl.  corrigirt  sehen.  Hät- 
ten wir  die  Aussicht,  Kritik  berücksichtigt  zu  sehen,  so  wür- 
den wir  hier  noch  eine  Reihe  von  Stellen  betrachten  ,  die  Hr. 
D.  in  der  Vorrede  zur  ersten  Ausgabe  besser  als  Heusinger  ge- 
geben zu  haben  geglaubt  hat,  wir  Wörden  die  Aenderung  oder 
Beibehaltung  seiner  Ansicht  mit  Gründen  billigen  oder  mifs- 
billigen.    Im  gegenwärtigen  Falle  aber  sind  wir  blos  unsern 
Lesern  schuldig,  zu  beweisen,  dafs  wir  das  Buch  genauer  be- 
trachtet haben.     Dieser  Beweis  wird  sich  aber  durch  etwa 
ein  Duzend  Stellen  führen  lassen,  und  unsere  Anzeige  kann' 
dann  ganz  gelassen  schliefsen.     f.  1.  6.  ut  idem  utroque  in  genere 
elabor  are  t.9  So  steht  jetzt  richtig  wie  bei  Heusinger  und 
B.,  da  in  der  ersten  Ausg.  laboraret  vorgezogen  und  schwan- 
kend erklärt  war.    Hr.  D.  liefs  sich  nämlich  durch  Gemhard 
ad  Cic.  de  Sen.  7,  24»  überzeugen  oder  überreden.     Von  Hrn. 
Bi.  Belehrungen  weifs  er  nun  einmal  nichts  und  will  nichts 
Wissen.      II.  ut  in  aitrologia  C.  Sulpicium  audivimus ;  g*gen 
Heus.  Gernh.  Schütz's  und  Bs.  audimus.    Olsh.  behält  das  Per- 
fectum,  das  wir  hier  auch  für  richtiger  halten;   und  wir  ver- 
muthen  ,  das  audimus  mehrerer  Handschriften  sey  aus  der  Schrei- 
bung avdImvs  (-audümus)  entstanden.     I.  10.  1.  ea  migrare  i«- 
terdum  et  non  setvare  fit  justum.  Hier  hat  Hr.  D.  hartnäckig  mit 
Sch.  das  alte  sit  beibehalten,  das,   nach  Bs.  richtiger  Bemer- 
kung,  nur  stehen  kann,  wenn  man  oben  mit  den  Zweibrük- 
kern  n.  e.  A.  schreibt  ut  no  n  reddere  für  ut  r edder e,  —  I.  12.  2. 
Jndicant  XII,  ut,  STATVS  DIES  CVM  HOSTE.     So,  ohne 
tahulac ,  lesen  wir  mit  Heus,  aus  Handschriften  und  dem  nicht 


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286  Cicero  ae  officüs  von  Degen. 

I 

seltenen  Gebrauche  Cicero's.  Man  sehe  nur  Cic.  de  Legg, 
II.  23,  wo  in  einem  Capitel  dreimal  XII  ohne  tahulae  steht, 
und  daselbst  Moser  p.  33Ö.  In  den  Büchern  de  Off.  III.  16. 
$5.  schwanken  die  Herausgeber  abermals.  Da  läfst  es  B»  mit 
H.  weg:  Hr.  D.  behält  es  mit  O.  (wo  gar  tabili*.  steht),  und 
freilich  haben  es  hier  alle  Codd.,  nur  Nonius  nicht,  welcher 
die  Stelle  anführt.  —  I.  19.  9.  ist  existantque  für  das  bessere 
existuntque  abermals  beibehalten.  Wir  verweisen  (aber  nicht 
Hrn.  D.)  nur  der  Kürze  wegen  auf  Beier  ad  I.  3.  8.  p.  20  sq. 

  I.  3l-  5.  scrmoneeo,  qui  n o t u s  est  rwbis.     Hier  ist  das  von 

H.  Scb.  und  B.  beliebte,  aber  nicht  bewiesene  (denn  die  an- 
geführten Stellen  beweisen  nicht,  was  sie  beweisen  sollen) 
quinatus  est  nobis  gegen  das  früher  vorgezogene  und  von  O. 
mit  Recht  beibehaltene  notus  eingetauscht.  —   I.  3l.  7.  vtdtus 
adspiciendus  fuit.    Dies  war  in  der  ersten  Ausgabe  mit  Recht 
gegen  Heusingers  aus  einer  Handschrift  geschöpftes  vultun 
adspiciendum  fuit  vertheidigt  und  beibehalten  ;  aber  ungeachtet 
alle  für  das  letztere  angeführten  Stellen  nichts  beweisen,  so 
bas  sich  Hr.  D.  jetzt  doch  dafür  entschieden ,  ohne  Zweifel 
weil —  Gernhard  es  aufgenommen  hat ,  vermutblich  weil  er 
dachte,  G.  verstehe  besser  Latein,  als  er.     Und  darin  hatte 
er  Recht.     Uebrigens  ist  in  der  Note  das  arme  verstofsene 
vultus  noch  stehen  geblieben.  —   III.  11.  8.  Cyrsilum  quemdam 
—  lapidibus  cooperuerunt.     Hier  hat  Hr.  D.  abermals  obrue- 
runt  behalten ,    weil  cooperuerunt  nur  in  zwei  Handschriften 
steht.    Aber  in  Füllen,  wie  dieser,  gilt  nicht  die  üeberzahl, 
sondern  die  Wahrscheinlichkeit,    dals   das  Seltenere  Wort 
(wie  es  denn  nur  in  ein  Paar  Stellen  des  Cicero  vorkommt) 
von  dem  bekannteren  verdrängt  worden  sey.   —    Doch  für 
wen  schreiben  wir  dies?    Vielleicht  für  den  künftigen  Ver- 
besserer und  Sichter  dieser  Ausgabe  :    wie   wir  denn  .  am 
Schlüsse  dieser  Anzeige  die  Vermuthung  nicht  bergen  können, 
Hr.  Degen  selbst  habe  an  diesem  fast  ganz  getreuen  Ab- 
drucke der  zweiten  Ausgabe  wenig  oder  gar  nichts  gethan, 
vielleicht  überhaupt  keinen  Antheil.    Ob  sich  wohl  der  Vir 
summe  venerandus  selbst  so  incönsequent  auf  dein  Titel 
DoAtor  und  Co  n  s  i  s  t  o  r  ia  1  r  a  t  h  geschrieben  bat? 


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/ 


Ueber  die  Heidenmauer  von  J.  G.  SchWeiglü'user.  287 

Erklärung  des  neuaufgenommenen  topographischen  Plans  der  die  Um* 
gehangen  des  Odilienhergs  im  niederrheinischen  Departement  ein- 
schliefsenden  Heiden  mauer  und  der  -umliegenden  Denkmäler , 
von  J.  G,  Schweig  hä  ws  «r,  Professor  an  der  Königl,  Akade- 
mie u.  s»  w.  Eine  kurze  Beschreibung  aller  in  diesem  Plane 
begriffenen  Denkmäler  und  die  Anzeige  der  zu  denselben  führen- 
den VPege  enthaltend,  Strafsburg  9  Verlag  von  J,  H,  Ueitz9 
Schlauchgasse  No.  S.  1825.  VI  und  50  S.  in  gr,  8.  nebst  einem 
grojsen  lithographirten  Plan  *).  4  Franks. 

Am  wir  in  diesen  Blattern  (Jahrg.  1825.  Nro.  19.)  der 
Nbtice  sur  les  anciens  chdteaux  et  autres  monumeiis  remarquables  du 
Departement  du  Bas- Rhin  von  Hrn.  Schweighäuser  gedach- 
ten, machten  wir  dort  (S.  302.)  auf  ein  höchst  merkwürdiges 
Denkmal  der»  Vorzeit  aufmerksam,  welches  die  Höhen  des 
Odilienhergs  in  der  Nähe  von  Strafsburg  umgiebt.  Die  kür- 
zere Beschreibung,  welche  der  Hr.  Verf.  von  diesem  unter 
dem  Nam»-u  der  Hei  d  enma  uer  bekannten  Denkmal  dort  ge- 
geben, War  allerdings  in  mehr  als  einer  Hinsicht  geeignet, 
die  Aufmerksamkeit  des  gelehrten  Publikums,  insbesondere 
der  Freunde  des  Alterthums,  dafür  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Um  so  erfreulicher  mufs  uns  die  vorliegende  Gabe  des  Verf. 
seyn  ,  der  mit  so  unermüdetem  Eifer  und  rastloser  Thätigkeit 
seinen  Beruf  als  Aufseher  über  die  Alterthümer  vaterländischer 
Gegenden  zu  erfüllen  sich  bestrebt.  Mit  einem  solchen  Füh- 
rer' in  der  Hand  wird  man  pewifs  nicht  ohne  das  gröfseste  In- 
teresse diesen  classischen  Boden  durchwandern,  man  wird 
Nichts  übersehen,  was  die  Blicke  des  AUerthumsforschers  auf 
sich  ziehen  mufs.  Und  diesen  Genul's,  den  die  Betrachtung 
ehrwürdiger  Denkmale  der  Vorzeit  gewährt,  wird  dem 
Freunde  der  Natur  durch  die  romantischen  Natnrscenen  er» 
höht,  welche  hier  überall  dem  Auge  des  theilnehmenden  Be- 
obachters sich  darbieten.  Dafs  vorliegende  Schrift,  als  Füh- 
rer in  diese  interessanten  Gegenden  ,  durch  dieselbe  Klarheit 
und  Einfachheit  des  Vortrags,  durch  dieselbe  Genauigkeit  und 
Sorgfalt  in  Angabe  des  Einzelnen  sich  auszeichnet,  wie  wir 
dies  an  andern  Schriften  des  Hrn.  Verf.  ähnlichen  Inhalts  zu 
rühmen  Gelegenheit  gehabt  haben,  wird  man  auch  ohne  unser 
ausdrückliches  Bemerken  schon  erwartet  haben. 

Was  nun  das  merkwürdige,  in  seiner  Art  einzige  Denk- 
mal selber  betrifft,  so  ist  dies  ein.-  Mauer,  welche  die  ver- 


*)  Das  Ganze  wird  auch  in  Französischer  Spracht  ausgegeben. 


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238         Ücber  die  Heidenmauer  von  J.  6  Schweighauier. 


schiedenen  den  Odilienberg  umgebenden  Hohen  einschliefst, 
und  auf  diese  Weise  einen  Flächeninhalt  von  mehr  als  einer 
Million  QuadrauMetres  umfafst,  in  einem  Umfang  von  mehr 
als  10500  Metres.     Ihre  Höhe  soll  ehedem  fünfzehn  Fufs  he« 
tragen  haben,  noch  jetzt  sieht  man  Strecken  von  fünf  bis  sechs 
Fuis,  ja  sogar  von  zehn  Fufs  Hohe,  bei  einer  Dicke  von  mehr 
als  fünf  Fuls,     Ihre  Bestandteile  sind  groise,  nur  roh  in's 
Gevierte  gehauene  Felsstücke ,  welche  durch  Keile  von  Eichen- 
holz mit  einander  verbunden  sind,  die  an  den  beiden  Enden 
in  Gestalt  eines  Schwalbenschwanzes  ausgeschnitten  sind.  Die 
meisten  dieser  Keile  sind  freilich  von  der  Zeit  zerstört;  aber 
man  bemerkt  doch  an  den  meisten  Steinen  noch  die  Einschnitte, 
in  welche  diese  Keile  eingefügt  waren.    In  den  untersten  La- 
gen der  Mauer  sind  die  Steine  oft  von  solcher  Gröfse ,  dafs  man 
sie  kaum  von  natürlichen  Felsblöcken  unterscheiden  kann; 
und  selbst  in  den  obern  füllt  oft  ein  einziger  Stein  die  ganze 
Dicke  der  Mauer  aus.    An  einigen  Stellen  noch  höher,  an  an- 
dern niedriger,  folgt  dieselbe  den  unregelmäßigen ,  von  der 
Natur  gezogenen  Linien  ,  und  umschliefst  die  verschiedenen 
Höhen  samtnt  den  Abhängen,  wodurch  diese  Höhen  mitein- 
ander verbunden  sind.     An  manchen  Stellen  ersetzen  auch  na- 
türliche Felsenwände  die  künstliche  Mauer,  deren  einzelne 
Stücke  dann  blos  hie  und  da  die  Zwischenräume  der  Felsen 
ausfüllen.    So,  an  vielen  Orten  mit  dichten  Bogen  von  Moos 
und  Flechten  bedeckt,  gewährt  sie  allerdings  einen  grofsarti- 
gen  Anbiirk,  welcher  durch  die  Abgründe,  an  denen  sie  hin- 
lauft, durch  die  mannigfache  Aussiebt  bald  in  gesegnete  Ebe- 
nen,  bald  in  romantische  Thalschluchten  ,  durch  die  dunklen 
Wälder,  womit  die  Höben  bedeckt  sind,  vermehrt  wird ,  ver- 
eint mit  dem  Interesse  ,    das  die  mancherlei  andern  Denk- 
male, welche  diese  Mauer  umschliefst,  gewähren.     Um  aber 
dahin  zu  gelangen,  wird  man  am  besten  tbun,  wenn  man  von 
der  Seite  des  sogenannten  Men  n  eis  tei  ns  die  Höhe  erklimmt.* 
Dort  ist  auch  zum  Theil  die  Mauer  noch  am  besten  erhalten, 
und  ihre  Trümmer  decken  weithin  den  Abhang  des  Berges. 
ÄWild  mit  den  Splittern  geborstener  Felsen  vermengt,  bilden 
Msie  ein  Gemälde  der  wieder  ins  Chao?  versinkenden  und  die 
„stärksten  Werke  der  Menschenband  mit  in  ihren  Ruin  bin- 
m  reissenden  Natur«  (S.  7-)-     Auch  die  Aussiebt  von  dem  ge- 
dachten Mennelstein  ist  eine  der  prachtvollsten,    welche  die 
ganze  Gebirgskette  der  Vogesen  darbietet. 

(Der  Beschlujs  folgt.') 

* 


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N.  19.  1826. 

Heidelberger 

i  *  *  •  CD 


Jahrbücher  der  Literatur. 


•  •  •  •  » 

Ueber  fte  HcTdenronner  ^oi  J.  G.  Schwei ghäuser. 


Gleich  merkwürdig  ist  ein  etwas  weiter  westwärts  gele* 
gener,  senkrecht  sich  erhebender  Fels,  der  Wachtelstein 
genannt,  in  dessen  Nähe  der  Verf.  Druidische  Denkmale  ver- 
muthet  (S.  10.  11.).  Ganz  besonders  wohl  erhallen  ist  die 
Mauer  auch  in  dem  Dreisteiner  Tbale ,  schöne  Waldungen 
durchschneidend,  zwischen  deren  Grün  sie  einen  malerischen 
Anblick  aarbietet,  und  zugleich  eine  entzückende  Aussicht  auf 
die  Dreisteiner  Schlösser  gewährt.  Freilich  führt  kein  Pfad 
zu  dieser  Mauer,  aber  mit  der  Beschreibung  unseres  Vf.  und 
mit  dem  Plane  in  der  Hand,  wird  man  diesen  Theil  derselben 
leicht  auffinden. 

Ueber  die  Bestimmung  dieser  Mauer  hat  man  verschiedene 
Ansichten.  Unser  Vf.  schliefst  sich  an  die  frühere  Meinung , 
welche  in  dieser  Art  von  Festung  einen  Zufluchtsort  für  die 
Bevölkerung  der  Ebenen  erkennt,  wenn  letztere  durch  feind- 
liche Einfalle  beunruhigt  wurden.  Schon  in  den  Ueberliefe- 
rungen  des  Mittelalters  wird  ihr  dieser  Zweck  zugeschrieben, 
der  auch  durch  manche  andere  Umstände  bestätigt  wird.  Er- 
wägt man  aber  die  vom  Verf.  vorgebrachten  Gründe,  so  wird 
man  seine  Vermuthung  S.  39.  nicht  unwahrscheinlich  finden, 
dafs  diese  Befestigung  zuerst  von  den  alten  Galliern  oder  Cel- 
ten  errichtet  worden,  welche  mit  der  militärischen  Bestim- 
mung derselben  noch  eine  religiöse  verbanden.  Indefs  führt 
Manches  zu  der  Vermuthung,  dafs  von  dieser  ursprünglichen 
Anlage  nur  noch  die  rohen  leisen  übrig  sind,  welche  zur  Un- 
terlage dienten,  dafs  die  jetzige  durch  Schwalbenschwänze 
zusammengefügte  Mauer  aber  erst  unter  der  Regierung  der 
Körner  auf  dieae  älteren  Grundlagen  erbaut  worden  ist,  viel- 
leicht im  dritten  Jahrhundert  nach  Christo,  als  die  wiederhol- 
ten Einfälle  der  Alemannen  die  Erneuerung  dieser  alten  Berg- 
feste nochwendig  machen  konnten.     Merkwürdig  ist,  dafs 

XIX.  Jahrg.    3.  Heft.  19 


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200        UeUer  die  Heidenmauer  von  J.  G.  Schweighaaser. : 

schon  in  einer  j>abstlicben  Bulle  vom  Jahr  1050  diese  Mauer 
unter  dem  jetzigen  Namen  der  Heidenmauer  vorkommt. 

Aufser  der  Beschreibung  dieses  Denkmals,  welches  den 
Haupttheil  der  Schrift  ausmacht,  rindet  man  aber  auch  die 
übrigen  merkwürdigen  Gegenstände  des  Aherthums  ,  welche 
diese  Höhen  umschliefsen ,  verzeichnet,  insbesondere  die  Ab- 
tei ,  welche  Herzog  Attich  im  siebenten  Jahrhundert  für  seine 
Tochter,  die  heilige  Odilie,  hier  stiftete,  und  welche  im 
siebzehnten  Jahrhundert  in  ein  Pi ämonstratenserkloster  ver- 
wandelt worden,  jetzt  aber  noch  immer  ein  berühmter  Wall- 
fahrtsort ist.  Wahrscheinlich  trat  sie  an  die  Stelle  eines  festen 
Schlosses,  welches  am  Ende  des  dritten  Jahrhunderts  Kaiser 
Maximianus  erbaut.  Obgleich  Unglücksfälle  aller  Art  die  Ge- 
bäude mehrfach  zerstört,  und  die  jetzige  Kirche,  obschon  von 
sehr  gefülliger  Einrichtung  im  Innern  ,  doch  erst  zwischen 
1687  und  1692  erbaut  worden,  die  übrigen  Gebäude  aber  meist 
noch  neuer  sind,  so  haben  sich  doch  mehrere  Capellen  von 
hohem  Alterthum  bis  auf  unsere  Zeiten  erhalten  ,  und  scheint 
Einiges  sogar  Ueberrest  des  ursprünglichen  Baues  zu  seyn, 
da  alle  Kennzeichen  übereinstimmen,  sie  für  Denkmäler  der 
religiösen  Baukunst  des  siebenten  Jahrhunderts  zu  erklären; 
worauf  der  Verf.  mit  Recht  um  so  mehr  Gewicht  legt,  als 
Denkmale  dieser  Baukunst  diesseits  der  Alpen  so  höchst  selten 
sind.  Die  genaue  Beschreibung  dieser  verschiedenen  Capellen 
möchte  über  die  Deutung  des  Verf.  wenig  Zweifel  übrig  las- 
sen. Wenn  man  nun  in  unseren  Tagen  der  lange  Zeit  freilich 
mit  Unrecht  verkannten  Gothischen  Baukunst  wieder  das  ver- 
diente Lob  und  die  gerechte  Bewunderung  hat  widerfahren 
lassen,  so  wird  man  doch  auch  den  schönen  Denkmalen  dieses 
vorgothischen ,  sogenannten  byzantinischen  Styls,  der  in  sei- 
nen Kundbogen  als  letzte  Nachahmung  der  Bauten  des  clas- 
sischen  Altertbums  sich  kund  giebt,  Gerechtigkeit  widerfahren 
lassen  kön  nen.  „JYfan  muls  eingestehen",  sagt  der  Vf.  S.  22« 
„dafs  die  schönen  Gebäude  des  älteren  Styls,  aufser  dem  Um» 
„stände,  dafs  ihre  Seltenheit  sie  angelegentlich  aufsuchen 
„macht  und  ohngeachtet  ihrer  minderen  Gröfse,  etwas  Gefäl- 
ligeres für  ein  an  die  reinen  Formen  und  Verhaltnisse  der 
„Griechischen  und  Römischen  Baukunst  gewöhntes  Auge  ha- 
lben.« Eine  herrliche  Aussicht  gewährt  die  Felsenterasse  des 
Klosters,  und  eben  so  malerisch  ist  das  Thal  am  Fufse  des 
Berges.  —  Weiter  führen  wir  noch  an  aus  der  Beschreibung 
das  Landsberger  Schlofs  S.  5,  die  Dreisteiner  Schlös- 
ser S.  29  f.,  das  Hagelschlofs  S.  32  f.,  das  Schlofs  Rath- 
sa  in  hausen  und  Lütaelburg  S.  42,  u.  s.  W- 


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Anticroites  de  TAlsaoe  pir  Golbery  et  Schweighäuser.        29 i 

Was  den  Plan  betrifft ,  so  ist  derselbe  mit  der  grossesten 

Genauigkeit  verfertigt,  die  Hauptpunkte  sind  trigonometrisch 
bestimmt,  Alles  im  Einzelnen  mit  der  rühmlichsten  Präcision 
durch  den  Hrn.  Thomassin  ausgeführt;  die  lithographische 
Behandlung  aufs  beste  entsprechend.  Er  ist  das  Resultat  mehr* 
jähriger  und  mühevoller,  an  Ort  und  Stelle  unternommener 
Forschungen.  Ein  Gedicht  „Auf  dem  O  d  i  1  i  e  n  b  e  r  g  e« 
beschliefst  als  schätzbare  Zugabe  diese  Schiift,  welcher  wir 
allgemeine  Theilnahme  wünschen. 


Wir  bemerken  bei  dieser  Gelegenheit,  dafs  das  grofse 
Unternehmen  der  Herren  Golbe'ry  und  Schweighäuser, 
die  Herausgabe  sämmtlicher  Denkmale  des  Alterthums  in  den 
beiden  Departements  des  Ober  -  und  Niederrheins,  als  Th  eilen 
des  ehemaligen  Eisais,  einen  raschen  Fortgang  gewinnt,  und 
der  gerechten  Theilnahme  des  Publikums  sich  zu  erfreuen  hat* 
Nicht  blos  bei  den  Bewohnern  des  Elsasses  selber,  sondern 
auch  in  andern  Provinzen  des  Inlandes  wie  des  Auslandes  ist 
dieses  Werk  mit  der  regsten  Theilnahme  aufgenommen  wor- 
den, und  der  Beifall  gekrönter  Häupter  hat  dem  Verdienste 
die  gerechte  Anerkennung  gezollt.  Wir  haben  in  No.  57« 
Jahrgang  1825.  die  drei  ersten  Lieferungen  dieser 

Antiquite's  de  PAlsace  ou  chäteaux,  eglises  et  autre§ 
monumens  des  departemens  du  Haut* Rhin  et  du  Bas- 
Rhin.  Avec  un  texte  historirjue  et  descriptif,  par  Ph. 
de  Golbe'ry  etc.  et  J.  G.  S  ch  w e i  ghae u ser  etc. 
publie'  par  G.  En  gel  mann  (Mulhouse,  rue  de  Justice 
No.  30.  Paris,  rue  Louis  le  Grand  No.  27.) 

bereits  angezeigt,  und  die  Aufmerksamkeit  des  Publikums  auf 
dies  grofsartige  Unternehmen  zu  lenken  gesucht«  Jetzt  haben 
wir  die  drei  nächst  folgenden  Lieferungen  vor  uns,  nämlich  : 

Bas  «Rhin  par  Mr.  Schweighaeuser,  seconde  LivraU 
son.    4  Tafeln  und  4  Bogen  Text, 

Haut-Rhin  par  Mr.  Golbe'ry,  troisieme  Livraison. 
4  Tafeln  und  2  Bogen  Text. 

Bas -Rhin  etc.  troisieme  Livraison.  4  Tafeln  und  5  Bo- 
gen Text. 

Wir  freuen  uns  ankündigen  zu  können,  dafs  die  Herausgeber 
sich  in  jeder  Weise  des  erhaltenen  Beifalls  würdig  erwiesen, 
dafs  sie  En  diesen  letzteren  Lieferungen  selbst  mehr  geleistet, 

19  * 


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292        Aaticpiittfs  de  l'AIsaee  par  Golbery  et  Scliwcigbänser« 

als  wozu  sie  nach  dem  früheren  Prospectus  sich  anheischig  ge- 
macht ,  dals  insbesondere  der  jeder  Lieferung  beizugebende 
Text  durch  die  Reichhaltigkeit  der  Gegenstände  bedeutend 
vermehrt  worden  ist,  was  in  der  That  dem  Publikum  nur  er- 
wünscht seyn  kann.  Aber  auch  in  Absicht  auf  Zeichnung  und 
Stich  stehen  die  Blätter  dieser  Lieferungen  den  früheren  kei- 
neswegs nach,  ja  sie  scheinen  dieselben  allerdings  zu  über- 
treffen, und  wir.  wiederholen  unsere  frühere  Aeufserung ,  dafs 
in  Absicht  auf  den  Steindruck  noch  nicht  leicht  etwas  Gelun- 
generes und  Vorzüglicheres  geleistet  worden  ist.  Eben  so 
trefflich  sind  die  Zeichnungen,  in  denen  die  ausgezeichneten 
Künstler  der  Hauptstadt  (z.B.  Arn  out,  Adam,  Biche- 
bois,  Deroy,  J  oly ,  Lemaitre,  Sabathier,  Ville- 
neuve)  mit  den  Elsässischen  Künstlern  wetteifern.  Für  die 
Darstellung  von  Kirchengebäuden  ist  insbesondere  ein  in  die- 
ser Hinsicht  durch  ganz  Frankreich  berühmter  KüustJer  Hr. 
Chapuy  gewonnen;  wir  haben  schon  in  der  dritten  Liefe- 
rung einiges  durch  ihn  Gezeichnete  erhalten.  Durch  die  geo- 
graphische Charte,  welche  alle  die  Denkmale  und  die  Haupt- 
Örter,  wovon  hier  die  Rede  ist,  enthalten  soll,  wird  man  eine 
bequeme  Uebersicht  gewinnen,  zumal  da  in  dem  Werke  sel- 
ber die  geographische  Lage  bei  Aufführung  und  Aufeinander- 
folge der  einzelnen  Denkmale  berücksichtigt  worden  ist. 

Nach  diesen  allgemeinen  Vorbemerkungen  versuchen  wir 
in  einer  kurzen  Uebersicht  den  Inhalt  dieser  drei  angezeigten 
Lieferungen  anzugeben.  Wir  nehmen  Zuvörderst  die  beiden 
Lieferungen  zusammen,  welche  über  das  Departement  des 
Niederrheins  sich  erstrecken. 

Die  zweite  Lieferung  enthält  folgende  vier  Ansichten: 
i)  das  Schlofs  Ortenberg,  2)  das  Steinschlofs  (Chateau 
de  la  Roche),  3)  das  Schlofs  B  er  ns  tein  ,  4)  die  unterirdi- 
sche Capelle  zuAndlau.  Daran  schliefst  sich  in  der  drit- 
ten Lieferung  l)  das  Schlofs  Speabourg,  2)  die  Ruinen 
der  Kirche  von  Truttenhaus e n  und  des  Schlosses  Lands* 
berg,  3)  die  Kreuzcapelle,  von  der  heiligen  Odilie  er- 
baut ,  4)  die  Capelle  der  heiligen  O  d  i  1  i  e.  Die  reichhaltige 
Beschreibung  giebt  nicht  blos  über  diese  hier  abgebildeten 
Gegenstände  eine  vollkommene  Erörterung  ,  sondern  auch  an- 
dere in  der  Nähe  derselben  liegenden  Denkmale  alter  Zeit 
werden  sorgfältig  beschrieben  und  nichts  Wesentliches  über- 
gangen. So  beginnt  der  Text  der  zweiten  Lieferung  mit  der 
Frankenburg,  gelegen  am  Ende  des  Thals,  welches  sich 
der  Stadt  Scblettstadt  gegenüber  eröffnet.  Dichte  Fichten- 
wälder decken  den  Gipfel  des  Berges,    aus  deren  Dickicht 


Anufjuitcs  de  l'Alsacc  par  Golbery  et  Scbweighauser.  293 

die  Trümmer  dieses  Schlosses  hervorragen.  Auf  einem  abge- 
rissenen Felsen,  in  der  Mitte  von  Gebäuden,  erhebt  sich  ein 
Thurm  von  einer  imposanten  Masse.  Am  Fufse  des  Felsens 
aufserhalb  dieser  Baureste  des  Mittelalters  bemerkt  mau  die 
Grundlagen  einer  Befestigung  von  ganz  anderer  Art  und  Reste 
von  Mauerwerk,  zu  welchem  geplattete  Wege  vor  Alters, 
wie  es  scheint,  hinführten.  Dal's  die  Römer  hier  gehaust  und 
Befestigungen  angelegt,  ist  sehr  wahrscheinlich;  die  Tradi- 
tion läist  den  Clovis  nach  Unterwerfung  des  Landes  hier  ein 
festes  Schlofs  erbauen  ;  auch  spricht  der  Name  des  Schlosse» 
selber,  so  wie  Anderes  für  diese  Tradition.  Zuerst  kommt 
sonst  das  Schlofs  vor  in  einer  Urkunde  von  1106^;  es  war  ein 
Besitzthum  der  Grafen  von  Werth,  die  es  später,  nachdem 
sie  einen  Theil  ihrer  Allodialgüter  veraufsert,  wiederum  als 
Lehen  von  dem  Bisthum  Strafsburg  empfingen.  Ein  Brand 
zerstörte  das  Schlofs  1582,  und  seit  dieser  Zeit  liegt  es  in 
Trümmern.  Auf  gleiche  Weise  werden  die  Schlösser  Orten- 
berg und  Ram stein  beschrieben,  von  denen  das  erstere 
auch  abgebildet  ist.  Die  in  ihjrer  Art  einzige  Bauart  dieses 
Schlosses  läfst  auf  ein  hohes  Alterthum  schliefsen  ,  indem  die 
Gebäude,  aus  rohen  Gpanitmassen  aufgeführt ,  auf  ganz  unre- 
gelmäfsige  und  seltsame  Weise  angelegt  sind  ,  was  besonders 
von  dem  gewaltigen  und  dicken  Thurm*  gilt ,  der  sich  inner- 
halb der  übrigen  Gebäude  erhebt.  Nach  einer  Urkunde  des 
Kaisers  Friedrich  I.  steigt  die  Gründung  des  Schlosses  bis  auf 
das  Jahr  1000  zurück,  und  gehörte  dasselbe  einem  Grafen 
Wernher  von  Ortenberg  zu.  Verwandtschaftsbande  brachten 
dasselbe  aber  an  die  Grafen  von  Hohenberg,  Haigerloch  und 
Hönningen;  jetzt  ist  es  im  Besitz  des  Hrn.  Baron  Mathieu  da 
Faviers.  Es  folgen  das  noch  bewohnte  Schlofs  von  Than- 
ville,  das  Schlofs  von  Bilstein,  das  S  teinschlo  fs  (la 
Roche),  der  Sitz  eines  kaiserlichen  Leben,  welches  von 
diesem  Schlosse  den  Namen  des  Steinthals  (Bau  de 
la  Roche)  erhalten  hat.  Die  Lage  des  Schlosses  ist  majestä- 
tisch, die  Aussicht  von  da  über  die  Thäler  und  Fluren  Lo-, 
thringens  hinwfeg  entzückend,  -auch  die  ganze  Umgebung  des 
Thaies  höchst  anziehend.  Höchst  merkwürdig  durch  sein  AU 
terthum,  durch  die  wenig  regelmäfsige  Art  des  Baues,  und; 
die  Festigkeit  der  aus  Granit  aufgeführten  Massen,  gleich  de-* 
nen  des  Schlosses  Ortenberg,  ist  das  Schlofs  Bernstein  in? 
der  Nähe  des  Städtchens  Dammbach.  In  alten  Urkunden: 
heifst  es  B  ä  r  n  stein  ,  und  das  Städtchen  Dammbach  führt  noch 
Bären  in  seinem  Wappen.  Der  Thurm  ist  hier  mit  in  den 
äufsern  Umfang,  dessen  Theil  er  bildet,  eingeschlijrsst?n.  Sonst; 


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294        Aatiquites  d<s  l'Alsaoe  par  Goibery  et  Schweighätuer. 

•  m 

'  S 

hat  freilich  das  Schlofs  ein  weniger  antikes  Ansehen ,  wozu 
mehrfache  Erneuerungen  das  Ihrige  mögen  heigetragen  haben. 
Von  hier  fuhrt  uns  der  Verf.  üher  Da  mm h ach  und  die  Abtei 
Ebersmünster  nach  An  dl  au.    Die  Kirche  der  berühmten 
gleichnamigen  Abtei,  von  welcher  der  Verf.  zuerst  handelt, 
ward  zwar ,1701  erneuert,  aber  man  sieht  noch  eine  unter- 
irdische Capelle,  merkwürdig  durch  ihren  einfachen  Säulenbau 
aus  der  Zeit  der  Gründung  der  Abtei  (sie  ist  abgebildet),  so 
wie  auph  Einiges  aus  dem  eilften  Jahrhundert;  und  einige  alte 
Ornamente  in  der  neuen  Kirche  angebracht.     Die  Gründung 
dieser  Abtei  schreibt  die  Sage  der  Gemahlin  Carls  des  Dicken, 
der  heiligen  Richarde,  also  im  neunten  Jahrhundert,  zu.  Reh 
erlaubt  sich,  die  merkwürdige  Sage,  die  der  Verf.  so  schön 
darzustellen  gewufst  hat,  in  ihren  Hauptpunkten  hier  mitzu- 
theilen.    Nachdenkend  über. den  Ort,  wo  sie  das  Kloster  stif- 
ten solle,  wanderte  Richarde  zum  Grabe  der  heiligen  Odilie. 
Eine  Vision  bewog  sie,   in  dem  ihr  angehörigen  Thale  von 
Andlau  den  Ort  dafür  zu  wählen,  wo  sie  einen  Bären  mit 
seinen  Jungen  die  Erde  aufscharren  gesehen.    Das  Loch,  wel- 
ches die  Thiere  ausgegraben,  bemerkt  man  noch  bis  auf  den 
heutigen  Tag  in  der  unterirdischen  Capelle  durch  eine  runde 
Oeffnung,   an,  welche  der  Glaube  wunderbare  Heilung  von 
Beinübeln  knüpft.     Zum  Andenken  an  diese  Begebenheit  un- 
terhielt man  sonst  einen  Bären  in  dieser  Abtei,    der  aber, 
nachdem  er  einst  ein  Kind  verschlungen,  durch  einen  grob 
aus  Steinen  gehauenen  ersetzt  ward,  den  man  noch  jetzt  hin- 
ter der  Thüie  der  Kirche  bemerkt.  .  Seitdem  ward  das  Geld, 
welches  die  Unterhaltung  dieses  Bären  kostete,  unter  die  Ar- 
men vertheilt,  und  merkwürdig  genug,  man  gab  bis  auf  un- 
sere Tage  jedem  Bärenführer,  der  sich  hier  zeigte ,  ein  Brod 
und  drei  Gulden,     In  dieser  unterirdischen  Capelle  ward  die 
beilige  Richarde  nach  ihrem  Tode  beigesetzt,  doch  ward  im 
eilften  Jahrhundert  der  Körper  in  die  obere ,    durch  Pabst 
Leo  IX.  bei  seiner  Rückkehr  von  dem  Concil  zu  Mainz  einge- 
weihete  Kirche  transferirt,  und  noch  sieht  man  heutigen  Tags 
den  alten  Sarg  derselben  in  einer  Seitencapelle,     Die  durch 
Bauart  und  Bildwerk  ausgezeichneten  Reste  dieser  alten  Kirche 
werden  von  dem  Verf.  sorgfältig  beschrieben ,    worauf  er  zu 
dem  Schlofs  Andlau  (in  dem  Texte  der  dritten  Lieferung) 
übergeht.     Die  Gegend,   in  der  dieser  uralte  Sit?  einer  be- 
rühmten deutseben  Familie  liegt,  ist  höchst  reizend,  das 
Schlofs  selber  von  einer  sehr  regelmässigen  Bauart,  welche 
eine  besondere  Abbildung  desselben  überflüssig  gemacht  bat, 
zumal  da  auch  mehrere  andere  Abbildungen  desse  lben  existiren, 


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Anli^uites  de  l'Alsacc  pax  Gober^  et  Schweighäuser.  2\)5 

m 

Indessen  giebt  uns  doch  der  Hr.  Verf.  davon  ..eine  genaue  Be- 
schreibung, woran  eine  Uebersicht  der  Geschiebte  dieses 
Schlosses  und  der  berühmten  Familie  sich  knüpft,  deren  Sitz 
dasselbe  war.  Wir  Überlassen  dem  Leser,  naher  einzugehen 
in  das,  was  der  "Verf.  Über  das  hohe  Alter  dieser  Familie, 
deren  Ursprung  sich  in  die  Nacht  der  Jahrhunderte  verliert, 
und  über  ihre  merkwürdigen  Schicksale  erzählt ;  wir  bemer- 
ken nur,  dafs  das  Schlols  1213  zerstört  ward,  so  wie  noch 
einmal  später  1246»  das  jetzige  Gebäude  aber  aus  der  zweiten 
Hälfte  desselben  Jahrhunderts  herzurühren  scheint.  Kino 
halbe  Stunde  davon  liegt  ebenfalls  in  einer  romantischen  Lage 
das  Schlofs  Spesburg,  wovon  eine  Ansicht  mitgetheilt 
wird.  Ueber  dunkeln  VValdungen  erbeben  sich  die  pittores- 
ken Ruinen  desselben,  ringsherum  umgeben  von  andern  Ge- 
birgshähen.  Die  Grundlage  bildet  ein  auf  der  westlichen  Seite 
sich  senkrechl  herunter  ziehender  Felsen  ,  der  jedoch  auf  der 
andern  Seite  (von  welcher  aus  die  Zeichnung  gemacht)  wenig 
abschüssig  und  darum  leichter  zu  ersteigen  ist,  zumal  seitdem 
eine  kleine  Leiter  an  dem  früher  durch  Einfallen  von  Mauer- 
stücken unzugänglichen  Eingang  angebracht  ist.  Die  Masse, 
ans  welcher  das  $chlofs  erbaut  ist,  bildet  Granit.  Die  Ge- 
schichte des  Schlosses  selber  ist  und  bleibt  sehr  dunkel.  Ob- 
gleich vor  dem  dreizehnten  Jahrhundert  erbaut ,  finden  wir 
doch  hier  nur  die  erste  Spur  desselben.  Einige  merkwürdige 
Orte  in  der  Ebene  berührt  nun  der  Verfasser  :  Ell,  wo  einst 
das, Komische  Helvetus  stand,  in  dessen  Nähe  sich  der  Ort 
Jßenfeld  erhob,  dessen  Kirche  schon  in  einer  Urkunde  von 
763  erwähnt  wird;  das  Schlofs  SchWanau,  westlich  davon 
mehr  in  der  Nähe  des  Rheins;  Erstein  U.  s.  w.  An  das  Ge- 
Jjirge  zurückgekehrt,  beschreibt  er  nun  zuerst  das  Lands- 
berger Schlols,  wiederum  ein  höchst  merkwürdi  ges  Denk- 
mal,  das  gegen  das  Jahr  1200  von  einem  der  Ahnen  der  gleich- 
namigen Familie  erbaut  ward,  und  zuletzt  durch  Verkauf  an 
die  Familie  von  Türkheim  gekommen  ist.  Die  jetzigen  Ge- 
bäude dieser  Burg  sind  meistens  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
dreizehnten  Jahrhunderts,  wo  dieselben  erneuert  wurden  und 
der  Spitzbogen  anfienc  eingeführt  zu  werden.  Einiges  ist  aus 
noch  späterer  Zeit.  Etwas  niedriger  liegt  T  r  u  1 1  e  n  ha  u  s  e  n* 
ein  ll8l  von  der  Aebtissin  des  Odilienklosters ,  Herrad 
von  Landsberg,  gestiftetes  Fi  ämonsti  atenser  Priorat.  Die 
Iluinen  dieser  1555  abgebrannten  Kirche,  so  wie  die  beige- 
fügte Abbildung  sie  darstellt,  bilden  eine  höchst  malerische 
Ruine.  Da  von  hier  aus  der  nächste  Weg  zu  der  sogenannten 
Heidenmauer  und  dem  Odilienkloster  führt  ,  so  sind 


\ 


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296        Antiquites  de TAlsace  par  GolbSry  et  Schweighäuser. 

•5     .  ".ii  *  * 

es  diese  Gegenstände,  welcbe  der  Yerf.  nun  weiter  beschreibt. 
Wir  haben  schon  oben  davon  gesprochen  ,  und  sind  daher  ge- 
nötbigt,  diese  mit  sichtbarer  Vorliebe  vom  Verf.  geschilder- 
ten Punkte  hier  zu  übergehen.  Die  interessanten  Sagen  über 
die  Gründung  dieses  Klosters  durch  Qdilie,  Tochter  Attichs  I, 
Herzogs  von  Elsafs,  die  Schicksale  desselben  bis  auf  unsere 
Zeiten  herab ,  wo  noch  Tausende  von  Wallfahrern  auf  das 
Fßngstfest  dahin  strömen,  werden  in  anziehender  Weise 
erzählt. 

Die  dritte  Lieferung  der  Alterthümer  in  dem  Departement 
des  Oberrheins  enthält  nebst  dem  erklärenden  Texte  des 
Hrn.  Golbe'ry  folgende  Ansichten:  l)  das  Schlofs  Wineck; 
2)  die  Ruinen  der  Capelle  des  heiligen  Gregoriui  zu 
Schweinspach;  3)  das  herrliche  Thal  von  St.  Gilles 
und  im  Hintergrunde  das  Schlofs  Plixb  urg;  4)  Schlofs  und 
Dorf  Wasserburg  bei  Sulzbach.  Von  allen  diesen  Denk- 
mälern giebt,  nebst  mehreren  andern  Merkwürdigkeiten  in 
der  Nähe,  der  Text  eine  sehr  anmuthige  Schilderung.  Es 
rühren  dieselben  aber  sämmtlich  aus  einer  sehr  alten  Zeit  her, 
und  es  ist  nur  zu  beklagen,  dafs  wir  so  oft  der  erforderlichen 
historischen  Zeugnisse  ermangeln,  um  weiter  den  Ursprung 
und  die  Schicksale  derselben  verfolgen  zu  können.  Dies  ist 
namentlich  der  Fall  bei  dem  Schlosse  Fl  ix  bürg,  dessen  erst 
1276  in  Urkunden  gedacht  wird,  das  später  aber  in  die  Hände 
der  Ribeaupierre's  Kam;  nicht  anders  steht  es  mit  dem  Schlosse 
Wasserburg,  welches  ebenfalls  ein  hohes  Alterthum  bat 
und  die  letzte  Besitzung  der  Ribeaupierre's  auf  dieser  Seite 
des  Elsasses  bildete.  Die  Gegenden  ,  in  denen  diese  Schleis* 
8er  liegen,  sind  meistens  sehr  reizend,  und  von  der  Natur 
reichlich  mit  Allem  ausgestattet,  was  die  Blicke  des  aufmerk- 
samen Beobachters  auf  sich  ziehen  mufs ;  die  historischen 
Erinnerungen  aber,  die  an  diesen  Boden  sich  knüpfen,  er- 
höhen dieses  Interesse  nicht  wenig.  Darum  sind  wir  über- 
zeugt, dafs  auch  die  anmuthige  Schilderung,  welche  der  Verf. 
entwirft,  desto  allgemeinere  Theilnahme  finden  werde. 

Und  somit  scheiden  wir  von  diesem  Werke,  das  stets 
ein  rühmliches  Denkmal  vaterländischer  Bestrebungen  bleiben 
wird.  Die  weiteren  Lieferungen  werden  wir  zur  Zeit  ihres 
Erscheinens  unsern  Lesern  anzeigen. 

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-  . 
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Rudolf  Stiers  christliche  Gedichte.  297 

Christliche  Gedichte  von  Ludwig  Stier,     Basel ,  bei  New 
kirch.     1826.     207  S.  in  8. 

Je  i  I 

Chri  stlich  sollten  diese  Gedichte  seyn  ?  Ree.  betrach- 
tet sie  gar  nicht  als  Gedichte,  aber  gar  sehr  als  eine  war- 
nende Erscheinung  in  der  neuesten  Kirchengeschichte.  Welch 
ein  praktisches,  biblisch  sich  nennendes  Christentum«  inOiste 
entstehen,  in  Oiste  alle  Quellen  der  Tugend  und  Sittlichkeit 
verderben,  wenn  folgende  Proben  die  wahre  Anleitung  dazu 
wären!? 

i.  Erst  wird  aufgefordert,  ganz  sich  selbst  zu  ver- 
lieren, für  nichts  anderes  mehr  zu  sorgen,  als  — 
dafs  man  ein  sich  in  die  Gnade  gebender  seel'ger 
Sünder  sey. 

Selbst  verläugnung  (S.  i30.). 

Kannst  Du  so  mit  Herzvergnügen 

Ganz  ein  seel%ger  Sünder  seyn; 
Kann  Dir  seine  Gnade  gnügen, 

Dorrt  Dir  JLeib  und  Seele  ein  — 

Dann  erst  hast  Du  Dich  verleugnet  u.  s.  w. 

Ganz  sich  in  die  Gnade  geben, 

Das  ist  Dein*  und  seine  Ehr'  — 
Drum  sey  das  Dein  einzig  Streben; 
Sorge  für  nichts  andres  mehr. 

Hast  Du  ganz  Dich  selbst  verloren, 

schliefst  Dich  Gottes  Fülle  ein  , 
Christus  ist  in  Dir  geboren, 

und  der  grofse  Sieg  ist  Dein. 

Dies,  so  ungeschickt  es  ausgedrückt  wäre,  könnte  etwa  noch 
ins  Bessere  gedeutet  werden.  Ein  seel'er  Sünder  solle 
einer  seyn,  in  so  fern  er  dem  Sündigen  recht  herzlich  und 
entschlossen  absage,  alle  Gnaden  der  Gottheit  wohl  benutze, 
um  durch  befestigtes  Wollen  über  die  Reize  zum  Sündigen 
zu  siegen. 

Aber  nein!  So  ein  seel'ger  Sünder ,  nach  Hrn.  Stier, 
1» leibt  in  seines  Wesens  Gräuel,  ist  in  sich  selbst 
nur  Verstockung,  nur  Sünde,  auch  seitdem  er  den 
Herrn  erkannt  hat.    S.  134». 

Herr,  seitdem  ich  Dich  erkannte, 
Bin  ich  etwa  sündenrein  ? 


Rudolf  Stiers  christliche  Gedichte, 


Du,  defs  Lieb'  oft  in  mir  brannte, 

schaust  ja  in  mein  Herz  hinein , 
siehest  meines  Wesens  Gräu'l, 

wie  ich,  trotz  der  Gnadenlockung,  . 

in  mir  selber  nur  VerStockung 
und  nur  Sünde  bin,  mein  Heil» 

Und  das  alles  willst  Du  tragen , 

dennoch  bin  ich  rein  in  Dir  u.  s.  w. 

Wer  Menschen  kennt,  wer  weifs,  wie  gerne  der  Rohere 
und  der  Feinere  gegen  das  Gewissen  den  Sophisten  macht, 
so  dafs  (Rom.  2,  15.  16.)  »die  Gedanken  unter  einander  »ich 
^anklagen,  aber  auch  entschuldigen",  wie  entsetzlich  mufo 
dieser  eine  Lehrart  finden,  bei  welcher  nicht  nur  der  Leicht- 
sinnige, der  Heuchler,  der  Frömmler,  sondern  auch  so  man- 
che d.er  weichgeschaffenen  Seelen,  die  immer  nicht 
lange,  aber  immer  wieder  fehlen  wollen  —  die  eben  deswe- 
gen sich  in  einen  pseudomystischen  Schlummer  so  gerne  ein- 
lullen lassen  ,  sich  insgeheim  zu  sagen  veranlafst  wird:  „Auch, 
trotz  aller  mir  gewordenen  Gn^de,  kann  ich,  nach  dem  lieben 
Rudolf  Stier,  doch  fortfahren ,  nur  Verstockung,  nur 
Sünde  zu  seyn ,  im  Griiuel  meines  Wesens  von  Gott 
geschaut  zu  werden.  Er  trägt  dies  alles.  Ich  bin  dennoch 
rein  in  Ihm.    Je  mehr  Sünder,  desto  mehr  gnadeliebend l* 

2.    Einem  solchen  sagt  S.  146* 

„Der  Reue  Liebesbund«  (des  Hrn.  Stier) 

Was  grämst  du  dich,  mein  armes  Herz, 
und  wirst  verzagt  im  Sündenschmerz? 

Du  darfst  ja  nichts,  als  —  lieben. 
Bei  aller  deiner  Schnödigkeit 
und  hartverstockter  Sprödigkeit 

ist  Er  doch  treu  geblieben. 
Sein  Lieben  ist  gröfser,  als  deine  Sünden  ; 
du  kannst  Ihn  noch  immer  von  neuem  finden! 

Wenn  du  nur  willst. 

Sonst  soll ,  nach  dieser  frommen  Theorie ,  das  menschliche 
Wollen  nur  zum  Bösen  sich  neigen.  Aber  hier,  wo  die 
hart  ver  st  ockte  Sprödigkeit  getröstet  und  beruhigt 
werden  soll , 

kann  man  den  Heiland   noch  immer  von  neuem 

linden)  wenn  man  nur  will,        ■  > 
Am  Ende  also  bleibt  der  Heiland  noch  immer.    Du  darfst  als- 
dann ja  nichts,  als       lieben  II 


i  » 


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Rudolf  Stiers  christliche  Gedichte.  299 


Schlaget  an  Eure  Brust,  Ihr  «eel'ge  Sünder  und 

Sünderinnen!  Haben  solche  Aussichten ,  immer  nöcli. 
au  rechter  Zeit  liehen  und  den  Heiland  finden  zu 
können,  Euch  nie  zu  anderem  Lieblen  nachgiebiger  ge- 
macht? „Des  Heilands  Liehen  sey  doch  immer  gröfser,  als 
Eure  Sünden«?  Hartverstockt,  spröde  und  schnöde 
gegen  Ihn  gewesen  zu  seyn  ,  schade  am  Ende  doch  nichts. 
Bleibt  Er  doch  treu!  Indels  mag  das  arme  Herz,  im  Sün- 
denschmerz,  anderswohin  wohl  desto  minder  spröde  zu  thun, 
sich  vergönnen?    Zuseiner  Zeit  heilst  es  dann  (S.  135-) 

Heifse  Magdalenen-Thrilnen, 
immer  heilser  gieist  euch  aus, 

bis  im  vollen  Liebesmeer 

sich  die  Seele  ganz  gebadet, 

und  erneuert  und  begnadet, 
nur  in  Gott  ruht  —  hlofs  und  leer. 

Bio  fs?  und  leer??  Zu  solchen  Tändeleien  verläuft  sich 
diese  mit  dem  Heiligsten  spielende  Andacht. 

„Einer  lieben  Seele  zum  Geburtstag"* 
wird  S.  8t.  vorphantasiert: 

•  •  • 

t>es  Heilands  seel'ge  Liebe 
entzücke  himmelwärts 
heut  in  des  Geistes  Triebe 
Dein  ihm  gehörend  Herz. 

Ruh*  sanft  in  seinen  Armen, 

Du,  liebe  Heilandsbraut. 
Da  kann  man  recht  erwärmen, 
wenn  man  nur  —  völlig  traut. 

Trauet  nur  völlig  diesem  Herrn  Rudolf  Stier,  Ihr  Himmels- 
bräute! Er  lehrt  Euch  sogar  Minne-Lieder  (S.  90.  £F.). 
Zum  Beispiel 

33 Gegen  (?)  die  Brautsehnsucht«  >  ,  . 

Ach  wenn  ich  doch  mit  solcher  Liebe  , 
mit  der  sich  Braut  und  Bräut'gam  liebt, 

nur  fest  an  meinem  Heiland  bliebe, 

der  sich  mir  ganz  zum  Freunde  giebt  u.  s.  w. 

Ach  wenn  doch  all  das  Liebessebnen  , 

das  oftmals  nach  der  Erdenbraut 
so  heifs  verlangt  in  Seelenthränen , 

ach  —  wenn  das  doch,  so  hell  und  laut 
nach  ihm  und  seinem  Trost  verlangte  u.  s.  w. 


»: .  • 


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300 


Rudolf  Sliers  christliche  Gedichte. 


L'ingst  sind  die  Gutunterrichteten  belehrt,  dafs  nach  einem 
Orientalischen  Sinnbild  der  Regent  und  das  Reich  wie  Eh- 
m  >  im  und  Frau  geschildert  werden.  Daher  eben  so  der  Mes- 
sias als  Gottesre^ent  und  das  Gottesreich.  Der  Sinn  ist: 
nicht  Herrscher,  sondern  wie  Hausvater  soll  der  Regent  seyn. 
Auer  nie  wird  das-Verhältnifs  Chi  isti  und  einzelner  Seelen  oder 
Personen  wie  eine  Vermählung  biblisch  vorgestellt. 

y.  3.  Neben  jener  „Himmelsliebe«  lehrt  dann  Hr.  Stier 
auch  um  die  irdische  beten.    Aber  wie? 

Dann  lafs  in  reiner  Himmelsliebe  . 

mir  einst  ein  Herz  vereinigt  seyn, 
und  führ*  in  ächtein  Gnaden  triebe 

uns  in  das  Heiligthum  hinein. 

Wo  sich  zwei  Seelen,  engverbunden, 

umschlungen  von  dem  Gnadensebein, 
...        nur  Dir,  Du  Fürst  der  Liebeswunden! 

zum  stillen  Z  w  il  1  i  n  g  s  o  pf  er  weyh'n; 

Wo  sich  Dein  himmlisches  Vermählen 
abspiegelt  in  dem  Erdenbild  u.  s.  W. 

Z  inzendorf  hat  einst  bekanntlich  den  Versuch  gemacht,  in 
ein  heiliges,  sacramentJicbes  Brautbett  u.  s.  w*.  eheliche 
Schwestern  und  Brüder  einzuführen.  Die  damaligen  Gemein- 
delieder waren  übervoll  von  sonderbaren  Vergleicbungen  mit 
Liebes  wu  nden,  h  1  u,t  i  g  e  n  ,H  ö*  big  e  n ,  Opfern  u.  s.w. 
s.  des  seel.  Prälat  Bengels  Betrachtungen  über  die  Herrn« 
huter  (frühere)  Gemeinde -Einrichtungen.  Sollen  Spangen, 
bei -g  und  andere  Fürsichtige  die  Brüdergemeinde  umsonst 
von  solchen  Phantastereien  gereinigt  haben??  S.  104.  spricht 
Hr.  Stier  von  der  Kreuzgemeine,  wo  er  die  rechte 
Minne  gezeigt  haben  möchte.  'Nach  S.  110.  küfst  der 
Himmelsbräutigam  so  mild  in  der  Ehe  die  Eine 
Seele  durch  die  Andere. 

Stilles  Heiligthum  der  Ehe, 

die  des  Weinstocks  Säfte  saugt, 
immer  hräutlich ,  heimathswehe, 

ew'gen  Liebens  Atbem  haucht  u.  s,  w. 

—  Dafs  durch  deine  Salbung  keusch 

unsre  Triebe 

lauter  süfse  Jesusliebe 
seyn  u.  s.  w.    S.  Iii, 

Eine  neue  Religion,  sagte  Lessing,  ist  leicht  zu  stiften,  Man 


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Rudolf  Stier*  christliche  Gedichte,  301 

■ 

weinige  nur  Aberglauben  und  Gescblecbtslust,  leicbte  Sün- 
denvergebung mit  zärtlichen  Gelegenheiten  zum  Sündigen.  — 
Ein  Christenthum  nach  der  Weise  Mohammeds? 

Ganz  in  der  anfänglichen  (!)  abentheuerlichen,  sittlich  und 
biblisch  verwerflichen  Graf-Zinzendor  fischen  Lieder- 
manier wird  S.  95.  die  arme  Seele,  in  einer  „Bitte  um  die 
Braut«,  zu  beten  gelehrt: 

Mark  und  Bein  durchdringend  Öle 

mir  Dein  Lieben  Leib  und  Seele 

und  vermähle  mich  mit  Dir. 
Dafs  ich  nichts  hinfort  will  wissen, 
als  im  Geiste  Jesuin  küssen, 

ihn  umarmen  für  und  für. 

Dafs,  was  irgend  hei  Ts  et  Sünde, 
^yeggespület  sich  geschwinde 
in  die  Lieb  e  sf  lu  t  he  n  taucht. 

*  • 

Die  bequemste  Religion  ist  immer  die,  wo  man ,  Was 
irgend  Sünde  heilst,  so  geschwinde  wegspülen 
z  u  können  belehrt  oder  vielmehr  beredet  wird.  Aber  ge- 
wifs  ist  jedes  Religionssystem  in  eben  dem  Grade  unbibli» 
scher,  unchristlicher,  ja  abscheulicher ,  je  mehr  es  die  Sünden- 
vergebung erleichtert. 

Von  Hrn.  Rudolf  Stier  wird  gesprochen  als  von  einem 
Manne  von  Wirksamkeit  unter  den  Seinen.  Nach  S,  76.  bat 
Er  von  sich  seihst  die  Meinung,  „ein  Helfer  an  Got- 
tes Verklärung«  zu  seyn.  £r  weifs  S.  73.  den  Mor- 
gen der  Gnade,  welcher  der  erste  in  seinerneuen 
Geburt   war.      Und  nun  —    will   er   nur  bräutlich 

schmachtend  erkranken  und  flehen,  um  (S.  76.) 

tief  zu  wachsen  hinein  in  die  harrende  Hochzeit- 
gemein  d  e. 

Niemand  hat  mehr  Ursache,  als  die  Brüdergemeinde ,  sich  von 
dergleichen  lieblenden  Brüdern  rein  zu  zeigen.  Auf  der  einen 
Seite  nichts  als  Bekenntnisse  von  immerwährendem,  gleich« 
sam  unwillkürlichem,  Sündenelend: 

•  •  • 

Denk*  ich  an  die  Untreu'n  alle, 
die  zu  wiederholtem  Falle 

mich  gezogen  weg  von  Dir, 

Ach,  nachdem  ich  schon  erkannte, 
wie  Dein  Herz  in  Liebe  brannte, 

wird  mir  bang  und  schauerlich  u.  s.  w.    S.  96. 


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302 


Rudolf  Stiers  christliche  Gedichte. 


So  wenig  also  können,  wenn  sie  noch  so  gut  gemeint  sind", 
jene  allzu  sentimentale  Wendungen  in  der  Doginatik  und  Mo- 
ral ,  dafs  der  Christ  deswegen  das  Böse  unterlassen  ,  das 
Gute  lieben  solle,  weil  er  zum  voraus  mit  Gott  versöhnt 
sey,  die  beabsichtigte  heilsame  Wirkung  hervorbringen.  Sie 
wirken  um  so  weniger,  wenn  zugleich  alles  auf  Liebe  zu 
Gott  so  gegründet  wird,  dafs  man  doch  nicht  genau  bestimmt 
und  verständlich  macht,  worin  im  Gemüth  des  Christen  das 
Lieben  Gottes  nach  der  Wahrheit  und  Wirklichkeit  bestehen 
könne  und  solle.  Aus  dergleichen  Unbestimmtheiten  können 
dann  solche  Ungereimtheiten  über  Liebe  zwischen  Gott  und 
den  Menschen  entstehen,  wie  sie  Hr.  R.  Stier  für  christlich 
besingt.  Die  zu  einem  so  unstatthaften  Lieben  Gottes  auf- 
geforderte arme  Seele  begeht  und  bekennt  dann  unbedenklich 
immerfort  alle  möglichen  Untreuen. 

Auf  der  andern  Seite  aber  wird  ihr  immer  wieder  (eben- 
das.)  die  allerlei  ch  teste  Versöhnungsart  zugesichert: 

Denk'  ich  an  die  Gnaden  alle, 
wie  Du  mich  nach  jedem  Falle 

neu  vergebend  wieder  nahmst, 
ach,  mit  Langmuth  sonder  gleichen, 
trotz  dem  s c  h  ä  n  d  1  i  ch  e  n  E n  t  w  e i  ch  e n, 

mir  versöhnt  entgegenkamst  u.  s.  w. 

Zu  welchem  Spiel  und  Traum  würde,  durch  eine  solche 
Christenthumstheorie,  die  höchst  ernste  Forderung  der  Bes- 
serung ,  ohne  welche  niemand  den  Herrn  sieht,  des  Gut- 
werdens nicht  blos  in  einzelnen  Handlungen ,  sondern  in 
der  innigsten  Gesinnung.  Nur  weil  der  Vater  in  Jesu  I-»ebr- 
gleichniis  von  dem  Besserungsvorsatz  des  verirrten  Sohnes 
aus  dessen  ganzem  Benehmen  überzeugt  war,  gedenkt  er  auch 
der  vergangenen  Sünden  nicht  anders,  als  bei  dem  frohen  Va- 
terwort, dafs  der  Verirrte  „wieder  gefunden«  war.  Die  un- 
bezweifelhare  Reue  und  Gesinnungsünderung  versöhnt  ihn, 
den  ächten  Vater,  sobald  sie  im  Willen  da  ist,  und  dieses 
allerdings  ohne  dafs  er  dann  doch  auch  noch  dem  Sohne  eigene 
oder  fremde  Büfsungen  zutnutbet.  Eine  wahrere  Theodicee, 
als  eben  diese  biblische,  für  den  „gerechten"  Vater  ersinnen 
zu  wollen,  wäre  es  nicht  grolse  Anmafsung? 

U.  £.  G.  P anlas. 


— — n — i- 


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Reinwald  Kultur  und  Barbarei.  303 

Kultur  und  Barbarei,  oder  Andeutungen  aus  und  zu  der  Geschichte 
der  Menschheit)  mit  steter  Beziehung  auf  unsere  Zeit»  Von  J. 
G.  Reinwald  (Herzog! .  Oldenb.  Regierung*- Ass.  zu  Birkenfeld), 
Mainz,  bei  U.  Kupferberg.  1825.     398  S.  8.  2  fl.  15  kr. 

Die  vorliegende  Schrift  enthält  die  Ansichten  eines  den- 
kenden, vielseitig  gebildeten  Mannes  über  die  wichtigsten 
Angelegenheiten  der  Menschheit,  über  dieFragen,  für  welche 
sich  unser  Zeitalter  mit  besonderer  Lebhaftigkeit  interessirt. 
Da  die  Schrift  nicht  füglich  (wenigstens  in  diesen  Blättern 
nicht)  einen  Auszug  zuläfst,  so  beschränken  wir  uns  auf  die 
Anzeige  der  Aufschriften,  unter  welchen  der  Vf.  jene  Gegen- 
stände abhandelt.  Sie  sind :  Religion.  Reformation.  Volks- 
bildung. Der  Staat  und  die  Staatslehre.  Die  Wissenschaft 
und  die  Wissenschaften.  Die  Kunst  und  die  Künste.  Man 
wird  dem  Verf.  in  seinen  Betrachtungen  über  diese  Gegen- 
stände mit  desto  grösserem  Interesse  folgen  ,  da  er  überall 
Freimüthigkeit  mit  Besonnenheit,  Freiheitsliebe  mit  Achtung 
für  die  bestehenden  Gesetze  zu  vereinigen  gewufst  bat. 

Eine  Stelle  der  Schrift  (S.  l3l.  ff.)  will,  der  Ref.,  da  sie 
ihm  in  mehr  als  einer  Hinsicht  besonders  inhaltsschwer  zu  seyn 
scheint,  wörtlich  anführen:    „Welche  geringe  Sorgfalt  dem 
Volksunterrichte  die  französische  Regierung  in  den  von  Deutsch- 
land abgerissenen  Provinzen  zuwandte,  ist  bekannt.     In  gar 
vielen  Dorfgemeinden  wurden  die  vorhandenen  angemessenen 
Schulhäuser  veräufsert  und  dienten  den  dringenden  Bedürf- 
nissen des  Gemeindehaushalts.     Der  Organismus  des  Schul- 
wesens war  aufgehoben  und  die  ständigen  Schullehrer  quies- 
cirten  gezwungen ,  nachher  freiwillig.    Nach  Verlauf  von  we- 
nigen Jahren  zeigte  es  sich,   dafs  die  Liebe  und  Sorge  der 
Eltern  nichts  weniger  als  ausgestorben  war.  Für  den  Winter 
wenigstens  wurden  überall  Schullehrer  gedingt;  die  ärmlichsten 
Hinterhäuser,  wahre  Spelunken,    ersetzten  die  Schulbäuser. 
Von  Haus  zu  Haus  wurde  der  Schullehrer,  häufig  dem  Hand, 
werke,  dem  Tagelohne  entzogen,  gefüttert,  und  selbst  die 
Dürftigsten  zollten  gern  den  kleinen  Geldbeitrag.    Die  alten 
ständigen  Schullehrer,  an  besseren  Lohn  gewöhnt,  blieben  in 
Untfa atigkeit •    aber  es  fand  sich  auch,  dafs  ein  dem  Spiel, 
dem  Trunk  u.  s.  w.  ergebener  Lehrer  ,   nach  dem  Willen  der 
Wühler,    gleich  im  nächsten  Wintersemester  vacirte.  Eine 
Vergleichung  der  Schreib  -  und  Lesefähigen ,  nach  Maafsgabe 
der  .Zeit  der  alten  und  neuen  Schulen  ,   schlägt  noch  viel  mehr 
zu  Gunsten  dieser  aus.    Wie  die  Zeit  in  den  Rheinprovinzen 
vorwärts  trieb,  braucht  nicht  erwähnt  zu  werden.     Wie  die 


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304 


Gelehrten  •  Almanooli. 


Ansprüche  an  die  Schullehrer  bei  steigendem  Wohlstände)  er- 
höhet |  welche  Anstalten  bei  dauernder  Ruhe  ins  Lehen  getreten 
seyn  wurden,  läfst  sich,  da  die  neuen  deutschen  Regierungen 
wieder  stark  eingreifen  ,  nicht  mit  Erfahrungsgründen  unter- 
stützen.« Wie  vielen  Stoff  zum  Nachdenken  —  vielleicht  auch 
zu  Streitgesprächen  —  enhalten  die  in  dieser  Stelle  angeführten 
Thatsachen  ,  insbesondere  in  Beziehung  auf  die  Frage ,  ob  man 
das  Volk,  was  die  Vorsorge  für  seine  Wohlfarth  und  für  seinen 
Wohlstand  betrifft,  bevormunden  solle  oder  besser  sich  selbst 
überlasse.  Ree.  erlaubt  sich  bei  dieser  Gelegenheit  einen  schon 
lange  gehegten  Wunsch  öffentlich  zu  äufsern  —  dafs  wir  doch 
bald  von  einem  Sachkenner  ein  Werk  über  den  Einflufs  erhalten 
mögteu,  welchen  die  französische  Verfassung,  Gesetzgebung 
und  Verwaltung  auf  die  überrheinisch  deutschen  Länder  und  auf 
deren  Bewohner  gehabt  haben  Wie  vieles  könnten  wir,  diesseits 
und  jenseits  des  Rheines,  aus  einem  solchen  Werke  lernen. 


Gelehrten- Almanach,  oder  G  a  I  e  r  i  e  der  vorzüglichsten  Gelehr- 
ten älterer  und  neuerer  Zeit.    Nebst  e.  vollständ.  Register.  Von 
J.  G.  Bbrnemann,   Pastor  zu  Prausniz ,   Jauerschen  Kreises. 
Leipzig,  hei  Glück.   1826.      24  Bogen  in  länglichtem  Duodez- 
format. ,      1  Thlr.  12  Gr. 

Die  Galerie  besteht  darin,  dafs  unter  jedem  Tage  im  Jahr 
6  —  8  Gelehrte,  die  an  demselben  geboren  sind,  aufgezeichnet 
werden  unter  den  6  Rubriken :  Geburtsjahr ,  Name,  Geburts- 
ort, Amt  und  Würde,  Todestag  und  Jahr  ,  Anmerkungen.  Die 
letzte  Nummer  ist  fast  immer  leer.  Wenigstens  sollten  bei  jetzt 
lebenden  und  sehr  bekannten  die  übrigen  ,  wenigen  Notizen 
zuverlässig  seyn.  Aber  zur  Probe :  G  ö  t  h  e  unter  dem  28.  Aug. 
ist  dem  Vf.  Herzogl.  Sachsen  Weimarischer  Kammerprä- 
sident. GrMvell  Regierungsrath  zu  Merseburg.  Aug. 
Wilh.  Schlegel  unter  dem  8.  Sept.  Professor  Philosoph,  zu 
Jena.  Jung  (Stilling)  d.  12.  Sept.  Prof.  zu  Marburg, 
churpfal*.  Hofrath.  —  —  Wie  konnte  eine  solche  Com- 
pilation  einen  Verleger  finden?  während  so  manches  brauch- 
bare Buch  ihn  umsonst  sucht. 

Dec.  1825.  Dr.  Paulus. 


!  * 


I 


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N.  20.  1826. 

Heidelberger 

t  « 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Memoire  sur  les  hateaux  a  vapeur  des  Etats -unis  <Pj4merique9  aveo 
un  appendice  sur  diverses  machines  relatives  a  la  marine  ;  par  M. 
Mare  stier  ,  Ingenieur  de  la  marine  Royale  ,  chevalier  de  In 
1  legion  d*  Honneur.  Prece'de  du  Rapport  fait  a  V Institut  sur  ce 
Memoire,  par  MM.  Sanc,  Diotf  Poisson  et  Dupin.  A 
Paris,  1824.  290  S.  gr.  4.  Dazu  gehört  unter  dem  nämlichen 
Titel ,  mit  dem  Zusätze  :  Planches ,  ein  Band  mit  XVII  litho* 
graphirten  Tafeln  in  Landcharten- Format  ;  beides  inprime'  par 
ordre  de  Son  Excellence  le  Ministre  de  la  marine  et  des  colonies. 

Das  Publicum  verdankt  dem  Bestreben  der  höchsten  Be- 
hörden in  Frankreich,  die  vielbesprochenen  Gegenstände  der 
IVTilitäreinrichtung  ,  der  Industrie ,  des  Handels  ,  des  Maschi- 
nenwesens und  der  Navigation  Englands  kennen  zu  lernen, 
seit  Kurzem  zwei  klassische  Werke  ,  das  bekannte  grofse  von 
Dupin  und  das  vorliegende;  ersteres  bei  weitem  umfassender, 
letzteres  einen  speciellen  Gegenstand  mit  grofser  Vollständig- 
keit darstellend.     Beide  Verfasser,  vom  Gouvernement  zur 
Untersuchung  der  fraglichen  Gegenstände  ausgesandt,  mit  den 
erforderlichen  Kenntnissen  ausgerüstet  und  durch  Wissenschaft* 
liehen  Eifer  beseelt,  fanden  schon  deswegen  tiberall  eine  gün- 
stige Aufnahme,  und  konnten  daher  alles  dasjenige  an  Ort 
und  Stelle  genau  beobachten  ,  worüber  die  Regierung  Auf- 
schluß verlangte.     Allerdings  erfordern  solche  Reisen  einen 
bedeutenden  Aufwand,   allein  dieser  wird  reichlich  ersetzt 
durch  den  Vortheil,  welchen  die  Industrie,  das  Maschinen  - 
und  Fabrikenwesen  daraus  zieht,  und  man  kann  nicht  leugnen, 
dafs  selbst  die  militärische  Stärke  der  Reiche  dadurch  directe 
und  indirecte  gewinnt.     Rticksichtlich  der  Dampfschifffahrt 
erregten  die  grofsen  Fortschritte,   welche  diese  Kunst  in  den 
vereinten  Staaten  von  Nordamerica  gemacht  hat,  die  Aufmerk- 
samkeit der  französischen  Behörden  am  meisten,  und  Märe- 
st i  er  wurde  also  dortbin  gesandt,    um  die  Sache  genauer 
kennen  zulernen,  obgleich  die  Engländer  gegenwärtig  auch 
hierin  wohl  ohne  Zweifel  den  Vorrang  errungen  haben.  Di© 

,   XIX.  Jahrg.   4.  Heft.  20 


\ 


306  Muriner  sur  \e&  baUatu  ä  vapeur. 

Resultate  seiner  Untersuchungen  fafste  Mai  estier  nach  sei- 
ner Rückkehr  in  zwei  Me'moires  zusammen,  wovon  das  eine 
das  vorliegende  ist;  das  zweite,  einige  Bemerkungen  über 
die  Kriegsmarine  der  vereinigten  Staaten  und  eine  genauere 
Beschreibung  der  kolossalen  Dampffregatte  enthaltend»  welche 
1Ö14  zur  Beschützung  des  Hafens  von  Newyork  erbauet 
wurde,  ist  als  minder  interessant  nicht  gedruckt  worden. 
Alle  wissenschaftlich  gebildete  Männer  werden  es  übrigens 
als  eine  Frucht  der  allgemein  verbreiteten  Cultur  dankbar  an- 
erkennen ,  dafs  man  endlich  aufgehört  hat,  aus  den  Gegen- 
ständen der  Industrie  und  des  Kriegswesens  in  den  verschie- 
denen Staaten  überall  ein  Geheim  nils  zu  machen,  und  viel- 
mehr bemüht  ist,  durch  Wetteifer  und  erhöhete  Anstrengung 
den  Nachbarn  den  Rang  abzugewinnen,  da  ohnehin  die  Erfah- 
rung dargetban  hat,  daiseine  solche  Geheimnifskrämerei  nichts 
fruchtete,  vielmehr  durch  eine  erzeugte  eingebildete  Sicher- 
heit nur  schadete. 

Der  Bericht  der  Commissarien  über  das  Me'moir  enthält 
hauptsächlich  eine  Geschichte  der  Dampfschifffahrt ,  deren 
wesentlicher  Inhalt  aus  dem  Werke  selbst  entlehnt  ist.  Als 
erster  Anfang  werden  die  Versuche  genannt ,  welche  Duquet 
schon  Seit  1687  zu  Havre  anstellte,  um  andere  mechanische 
Mittel  als  Segel  und  Ruder  zur  Bewegung  der  Schiffe  zu  be- 
nutzen» Will  man  indefs  diese  mitzählen ,  so  kommt  man 
noch  weit  höher  hinauf,  namentlich  zu  den  Liburnischen 
Kriegsschiffen  mit  Rädern,  wovon  schon  Stewechius  1585 
redet  (s.  Kleemann  in  Dingler  polyt.  J.  XVII.  233.)  und  noch 
früher  Valturius  in  seinem  1472  zu  Verona  erschienenen  Werke 
de  Re  Militari.  Bleibt  man  indefs  bei  der  Dampfschi fffahit 
im  eigentlichen  Sinne  stehen,  so  ist  zwar  sogleich  nach  der 
Erfindung  der  Dampfmaschinen  oft  von  einer  Anwendung  der- 
selben zur  Bewegung  der  Schiffe  die  Rede  gewesen  ,  genau 
genommen  aber  darf  nur  angenommen  werden,  dafs  Jona- 
than Hull  um  1736  einen  Plan  hierzu  in  gehöriger  Vollstän- 
digkeit und  Deutlichkeit  angab.  Wenn  man  nun  den  hohen 
Grad  der  Vollkommenheit  berücksichtigt,  welchen  diese  Kunst 
im  letzten  Decennium  erhalten  hat,  so  mufs  man  sich  wun- 
dern ,  dafs  von  jener  ersten  Angabe  an  bis  auf  F  u  1 1  o  n  *  s  ge- 
lungene Bemühungen  um  1807  keiner  der  vielen  Versuche  zu 
einem  gedeihlichen  Resultate  führte.  Dieses  ist  um  so  viel 
auffallender,  da  nach  einer  in  der  vorliegenden  historischen 
Uebersicht  nicht  enthaltenen  Angabe  Fran  kl  i  n's  schon  1788 
ein  Dampfschiff  auf  den  nordamericanischen  Flüssen  fuhr,  und 
der  von  Dupin  nur  im  Allgemeinen  genannte  Miller 


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t 


Maresiier  lur  les  bateaux  a  vapcur.  307 

Dalswinton  nach  einer  neuerdings  (Edinburgh  Philos.  Joiu  n. 
1825.  N.  XXV.  p.  76.)  bekannt  gewordenen  Nachricht  zwei 
Probeböte  erbauete,  welche  sehr  genügende  Resultate  gaben« 
Wie  weit  jetzt  diese  Kunst  gediehen  sey,  ist  allgemein  be- 
kannt. Die  Berichterstatter  meynen  zwar,  ein  solches  Mittel 
des  leichteren  Transportes  sey  für  das  alte  Continent  weniger 
iiöthig,  als  für  das  neue,  weil  jenesschon  eine  grofse  Menge 
anderweitiger  Transportmittel  und  eine  sehr  allgemein  ver- 
breitete Cultur  besitze;  allein  dieErfahrung  hat  schon  gezeigt, 
von  welchem  Erfolge  die  Dampfschiffahrt  auf  einigen  Seen  des 
alten  (kontinentes  ist,  und  bei  den  raseben  Fortschritten  der 
Nachbarn  darf  kein  Mittel  der  Industrie  vernachlässigt  wer- 
den, wenn  nicht  die  Nationen  im  Gefühle  ihrer  gelähmten 
Tbätigkeit  den  Ausländern  ohne  Austausch  tributär,  dadurch 
aber  mifsmüthig  und  unzufrieden  mit  ibren  Verhältnissen  wer-\ 
den  sollen«  So  lange  indefs  namentlich  in  Beziehung  auf 
Deutschland  sein  Hauptstrom  in  Fesseln  liegt,  werden  Handel 
und  Industrie  mit  unüberwindlichen  Hindernissen  zu  kämpfen 
haben  ,  ohne  dafs  eigentlicher  Wohlstand  der  Provinzen  zu 
erwarten  ist. 

Der  nicht  geschichtliche  Theil  des  Berichtes  giebt  eine 
für  den  Raum  unserer  Blätter  zu  ausführliche  Uebersicht  des 
Inhalts  des  gedruckten  und  ungedruckten  Memoire;  Ree.  ver- 
läfst  ihn  daher,  um  den  Hauptinhalt  des  Werkes  mit  wenigen 
Worten  anzugeben. 

Zuerst  Endet  man  die  oben  schon  erwähnte  geschichtliche 
Uebersicht  des  Ursprunges  und  der  allmäbligen  Verbesserung 
der  Dampfschifffahrt.  Auch  hier  werden  die  Bemühungen 
Miller's  in  Dalswinton  erwähnt,  ohne  die  Quelle  anzuge- 
ben, woraus  die  Nachricht  geschöpft  ist,  und  man  ersieht 
hierbei  deutlich,  wie  nachtheilig  es  noch  dazu  bei  geschieht- 
liehen  Thatsachen  ist,  die  Autoritäten  zu  verschweigen  ,  de- 
nen man  folgt.  Nach  Marestier,  dessen  Angaben  künftig 
als  entscheidend  gelten  werden,  soll  Miller's  Boot  ein  dop- 
peltes gewesen  seyn ,  mit  dem  Treibrade  zwischen  beiden , 
und  17Öy  eine  Reise  nach  Schweden  gemacht  haben;  Mil- 
lens Sohn  dagegen  erzählt  in  Edinb.  Phil.  Journ.  N.  XXVf 
er  habe  zuerst  ein  kleines  Doppelboot  mit  einer  sehr  kleinen 
Maschine  erbauet,  womit  er  auf  dem  See  neben  Dalswinton 
gefahren  sey,  dasselbe  aber  im  Herbst  1788  aus  einander  ge- 
nommen, und  die  Maschine  in  seiner  Bibliothek  aufbewahrt* 
Dasjenige  Schiff  aber,  welches  er  im  folgenden  Jahre  erbauen 
liefs  ,  gab  genügende  Resultate  bei  einer  Probefahrt  auf  dem 
Förth  -  und  Clyde-Canale,  allein  es  wird  ausdiücklich  hinzu- 

20  * 


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308  MaTestier  sur  les  bateaux  a  vjpeur. 


gesetzt,  die  Maschine  sey  für  das  Boot  zu  schwer  gewesen, 
tira  sich  damit  in  die  See  zu  wagen,  sie  sey  an  die  Carron 
Compagnie  zurückgegeben,  und  Miller  habe  keine  weiteren 
Versuche  angestellt.  Hieraus  ergiebt  sich  dann  ferner,  dafs 
die  zu  Leith  stattgehabten  Proben  du  reu  Clarcke  und  nicht 
durch  Miller  angestellt  wurden,  worüber  Ma  r  e  s  t  i  e  r  un« 
gewifs  ist.  Uebrigens  ist  es  wahrhaft  Erstaunen  erregend, 
Wenn  man  lieset,  was  für  eine  grofse Menge  Dampfschiffe  und 
von  welcher  Gröfse  sogleich  nach  den  ernstlich  gelungenen 
Versuchen  von  Fulton  und  L  i  v  i  n  g  s  t  o  n  ,  also  seit  1807» 
die  Küsten  und  groisen  Flüsse  der  vereinigten  Staaten  befah- 
ren. Vergleicht  man  diese  mit  der  geringen  Anzahl  ,  welche 
fast  ohne  Vortheil  für  die  Unternehmer  auf  den  Canälen  Eng- 
lands gebraucht  wurden,  so  sollte  man  fast  glauben,  die  Eng- 
länder wären  zu  furchtsam  gewesen  ,  sich  densrlben  anzuver- 
trauen, um  so  mehr,  wenn  man  aus  Partington  ersieht, 
dafs  die  in  Nordnmerica  so  häufig  auf  Schiffen  angewandten 
Maschinen  mit  hohem  Drucke  in  England  aus  Besorgnils  vor 
einer  möglichen  Gefahr  lange  Zeit  keinen  Eingang  finden  konn- 
ten. Zum  Theil  mag  dieser  Grund  mitgewirkt  haben,  haupt- 
sächlich aber  mufs  man  berücksichtigen,  dafs  es  in  England  so 
viele  anderweitige  bequeme  Mittel  des  Transportes  gab  ,  die 
in  Nordamerica  fehlten.  Uebrigens  sagt  Maresier  S.  48» 
dafs  die  Elasticität  des  Dampfes  mit  wenigen  Ausnahmen  1,75 
Atmosphären  nicht  übersteigt,  giebt  aber  S.  5^.  an,  dafs  es 
dort  einige  Maschinen  mit  dem  acht  -  auch  zehnfachen  atmo- 
sphärischen Drucke  giebt. 

Im  zweiten  Capitel  giebt  Marestier  die  Gestalt  und 
die  Dimensionen  einer  grofsen  Menge  nordamericaniseber 
Dampfschiffe ,  deren  er  acht  und  zwanzig  namentlich  nennt, 
mit  Hinzufügung  der  erforderlichen  Angaben  über  die  Bauart 
rjnd  Einrichtung  derselben.  Es  wird  indefs  statt  eines  doch 
nur  mangelhaften  Auszuges  für  die  Leser  interessanter  seyn, 
im  Allgemeinen  die  Bequemlichkeit  kennen  zu  lernen,  welche 
auf  jenen  Schiffen  schon  lange  gefunden  wurde.  Auf  den  Pas- 
sagierschiffen findet  man  geschmackvoll  decorirte  grofse  Säle, 
welche  rundum  mit  Bettln,  zwei  Etagen  über  einander,  um- 
geben sind,  und  wenn  diese  nicht  ausreichen,  werden  die 
Sopba's  ,  selbst  die  Tische  oder  der  Fufsboden  dazu  benutzt, 
alles  aber  wird  sehr  rein  gehalten.  Der  Saal  für  die  Damen 
ist  im  hinteren  Räume  des  Schiffes,  keiner  der  Herren  darf 
ohne  Erlaubnifs  hineingehen,  und  wiederum  kommen  die 
Damen  nicht  in  die  Säle  der  Herren,  als  zur  gesellschaftlichen 
Unterhaltung.    In  der  Mitte  des  Schiffes  befindet  sich  die  Ma- 


Marcsticr  sur  les  bateaux  a  vapeur.  309 

schine  in  einem  kleinstmöglichen  Räume,  neben  derselben  und 

im  Vordertheile  sind  Domestikenzimmer  ,  Vorrathskammern, 
die  Küche  und  ein  Comtoir  zum  Verkaufe  von  Erfrischunge»* 
Die  Küche  aus  Eisenblech  ist  nur  etwa  drei  par.  Fufs  uach 
allen  Dimensionen  grofs,  das  Feuer  derselben  umgiebt  eine« 
Ofen,  worin  die  Speisen  in  americanischen  Dampfkesseln  ge- 
kocht werden,  einfach,  ohne  Assietten  und  viele  Saucen,  den 
Bratspiels  aber  treibt  die  Maschine.  Das  Personale,  welches 
zur  Bedienung  des  Schiffes  und  der  Fremden  gehört*  betrügt 
mit  Einschluis  des  Gapitains  meistens  vierzehn  Personen* 

Im  dritten  Capitel  folgt  eine  detaillirte  Beschreibung  ei- 
niger der  bedeutendsten,  namentlich  genannten  Dampfschiffe, 
welches  allerdings  zu  einer  genauen  Kenntnifs  derselben  ins- 
besondere für  diejenigen  wichtig  ist,  welche  sie  selbst  bauen 
oder  sich  für  den  Bau  derselben  interessiren.  Die  Beschrei- 
bung ist  durch  Figuren  erläutert.  Die  Savannah  unter,  andern 
war  für  die  Tour  nach  Rufsland  bestimmt,  und  ist  auch  wirk- 
lich von  Liverpool  nach  Petersburg  gegangen  und  .von  dort 
nach  Savannah  in  fünfzig  Tagen  zurückgekommen,  bedient 
sich  indels  nicht  stets  der  Maschine  ,  sondern  zuweilen  auch 
der  Segel.  Hier  werden  auch  S.  77.  diejenigen  Transport- 
schiffe beschrieben,  deren  Maschinerie  durch  Pferde  getrieben 
wird.  Diese  bedürfen  aus  begreiflichen  Gründen  in  der  Mitte 
einen  grölseren  Kaum  für  die  bewegenden  Pferde. 

Das  vierte  Capitel  enthält  eine  Beschreibung  der  Dampf- 
maschinen, deren  man  sich  auf  den  Dampfschiffen  in  Nord- 
america  vorzugsweise  bedient.  Hierunter  zeichnen  sich  die 
durch  Evans  gehaueten  Expansionsmaschinen  am  meisten  aus, 
denen  Marestier  einen  Vorzug  vor  den  W  o  o  lf  e  '  sehen  ein- 
räumt. Ref.  hat  an  einem  andern  Orte  zu  z«igen  sich  bemüht, 
dafs  die  Expansionsmaschinen  noch  bis  jetzt  ohne  Zweifel  den 
Vorzug  vor  allen  anderen  verdienen,  so  lange  der  präsumirte 
hohe  Werth  der  Perkin  s* sehen  noch  nicht  ausgemacht  ist, 
obgleich  die  doppelten  Cylinder  Woolfe*s  eine  unnöthige 
Erweiterung  sind.  Marestier  hat  (worauf  wir  weiter  un- 
ten zurückkommen  werden)  das  sogenannte  Expansionsprincip 
auch  vorzüglich  gut  erläutert,  und  es  geht  daraus  der  Nutzen, 
seiner  Anwendung  sehr  einleuchtend  hervor  ,  wie  namentlich 
auch  Combe  in  einem  kurzen,  aber  gehaltreichen  Aufsatze 
im  Journ.  des  Mines  1824-  T.  IX.  S.  144-  «ehr  gut  gezeigt 
hat.  Hier  hat  Reh  durch  Marestier  auch  zuerst  die  Ma- 
schine kennen  gelernt,  welche  Stiles  auf  einem  Schiffe,  La 
Surprise  in  Baltimore  angebracht  hat,  durch  deren  unmittelbar 
rotirende  Bewegung  die  Räder  in  Bewegung  gesetzt  werden  , 


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310  Mareaier  iut  les  bateaux  ä  vjpeur. 

und  deren  Anwendung  für  Dampfschiffe  vorzüglich  geeignet 
«eyn  mufa,  wenn  die  Maschinen  dieser  Art  anders  überhaupt 
vorteilhaft  sind.  Uebrigens  ist  es  eine  eigene  Erscheinimg, 
dafs  auch  nach  Watt's  Zeiten  und  die  durch  diesen  grofsen 
Mechaniker  bekannt  gemachten  leichten  Mittel,  die  gerad- 
linige Bewegung  in  eine  rotirende  zu  verwandeln,  so  ausneh- 
mend viele  Vorschläge  zu  rotirenden  Maschinen  gemacht  sind, 
deren  keiner  indefs  Ref.  nach  seiner  individuellen  Ansicht 
Beifall  schenken  kann  ,  aufser  dem  Mastermann*  sehen  Rade 
und  der  hier  beschriebenen,  bei  denen  es  übrigem  ohne  prak- 
tische Versuche  zweifelhaft  bleiben  mufs,  welcher  von  beiden 
Maschinen  der  Vorzug  einzuräumen  ist.  Stiles's  Maschine 
ist  übrigens  sehr  einfach  construirt.  So  weit  man  sich  ohne 
Figuren  eine  Vorstellung  davon  machen  kann  ,  besteht  die- 
selbe aas  zwei  in  einander  liegenden  Cylindern  von  der  aufse- 
ren  Gestalt  eines  Mühlrades  ,  deren  innerer  etwas  kleiner  im 
Durchmesser  im  grösseren  dampfdicht  schliefsenden  beweglich 
ist.  Die  auf  der  äufseren  Mache  des  mit  horizontaler  Axe 
stehenden  Cylinders  angebrachten  Röhren  zum  Zuleiten  und 
Abführen  des  Dampfes  stehen  ohngefähr  um  einen  Quadranten 
aus  einander,  und  so  weit  ist  auch  der  Zwischenraum  zwi- 
schen der  äufseren  Fläche  des  inneren  und  der  inneren  des 
äufseren  Cylinders  dampfdicht  verstopft ,  der  Dampf  strömt 
also  durch  den  zwischen  den  übrigen  drei  Quadranten  offenen 
Raum,  und  treibt  durch  seine  Gewalt  den  inneren  Cylinder 
nmt  indem  an  der  äufseren  Fläche  desselben  sich  eine  Klappe 
öffnet,  welche  den  Zwischenraum  zwischen  beiden  verschliefst 
und  der  Bewegung  des  Dampfes  entgegensteht.  Die  Axe  des 
inneren  Cylinders  treibt  dann  die  zu  bewegenden  Theile  der 
Maschinen.  Die  Maschine  gehört  im  Allgemeinen  unter  die 
mit  hohem  Drucke,  doch  ist  nicht  ausgemacht,  ob  sie  einen 
neunfachen4  oder  geringeren  atmosphärischen  Druck  ausübe. 

Mit  einer  Beschreibung  der  speciellen  Einrichtung  und 
Vertheilung  der  Maschinen  auf  den  Schiffen  schliefst  die  eigent- 
liche Abhandlung.  Es  folgt  dann  aber  eine  sehr  schätzbare 
Zugabe,  nämlich  mehrere  Noten,  deren  erste  die  Eigentüm- 
lichkeiten derjenigen  Dampfschiffe  beschreibt ,  welche  sich 
durch  solche  auszeichnen,  oder  auf  denen  der  Verf.  selbst  ge- 
fahren ist ,  nebst  Bemerkungen  über  die  Dampfschifffahrt  im 
Inneren.  Die  Gröfse  der  meisten  dieser  Schiffe  ist  zwischen 
100  bis  200  Tonnen,  das  kleinste  ist  aber  nur  von  10,  das 
rofste  von  400  Tonnen.  Sehr  interessant  ist  der  Inhalt  der 
ritten  Note,  nämlich  eine  Uebersicht  der  englischen  Dampf«* 
schiffe,  welche  von  1807  bis  l823  gebadet  sind,   nebst  ihrer 


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Maresiier  sur  Us  bateaux  a  vapeur.  Ski 

Gröfie  und  zugefügten  Bemerkungen.  Qbngeachtet  die  Zahl 
für  1823  nicht  vollständig  ist,  so  beträgt  ibre  Gesammtraenge 
doch  152,  und  das  Jahr  1Ö22  lieferte  allein  24,  «tat*  dafs  l8t2 
nur  zwei  erbauet  wurden.  Die  ersten  waren  in  der  Regel 
kleiner,  im  Mittel  von  30  bis  70  Tonnen,  später  wurden  sie 
eröfser  gebauet,  im  Mittel  zwischen  60  bis  150  Tonnen;  m- 
defs  hält  das  kleinste  nur  drei,    das  gröfste  dagegen  448 

Tonnen.  »  _.  : 

Die  fünfte  Note  kann  als  Einleitung  zur  sechsten  dienen, 
indem  erstere  die  Resultate  der  Versuche  enthält,  welche  1796  ' 
durch  eine  Gesellschaft  für  die  Vervollkommnung  der  Schiffs- 
baukunst  angestellt  und  durch  Fulton  berechnet  wurden, 
um  den  Widerstand  des  Wassers  gegen  bewegte  Schiffe  zu 
finden,  letztere  'aber  eine  Untersuchung,  des  Verf.  über  die 
Geschwindigkeit  der  Dampfschiffe  ajs  Resultat  der  bewegen- 
den Kraft  bedingt  durch  die  Hindernisse  der  Bewegung.  Dafs 
das  Problem  über  die  Geschwindigkeit  der  in  einem  wider- 
standleistenden Mittel  bewegten  Körper  an  sich  schon  äufserst 
schwierig  sey,  ist  allgemein  bekannt,  noch  schwieriger  aber 
wird  dasselbe  durch  die  schwer  zu.  bestimmende  bewegende 
Kraft  der  Dampfmaschinen.    Der  Verf.  ist  indefs  ein  gewand- 
ter Geometer,   und  hat  das  vorliegende  Problem  sehr  gut  ge- 
löset,  wenn  man  ihm,  wie  billig ,  zugesteht,  dafs  die  bewe- 
gende Kraft  der  Dampfmaschine  stets  gleich  bleibend  sey. 
Tredgold  hat  kürzlich  die  Aufgabe  viel  einfacher  aufgefafst, 
indem  er  blos  das  Verhältnifs  zwischen  der  Geschwindigkeit 
der  Schaufelräder  und  des  Schiffe«  mit  Rücksicht  auf  die  Be- 
wegung des  Wassers  vergleicht;  allein  man  mufs  gestehen, 
dafs  die  Darstellung  Marestier'a  ungleich  tiefer  in  das  ei- 
gentliche Wesen  der  Sache  eingreift.    Der  Widerstand  des 
Wassers  wird  dem  Quadrate  der  Geschwindigkeit  proportional 
gesetzt,  welches  auch  für  die  durch  solche  Schiffe  erreichbaren 
Geschwindigkeiten  gewifs  zulässig  ist,  übrigens  aber  ver- 
stattet das  Ganze  keinen  kurzen  Auszug,  ist  aber  für  alle  die- 
jenigen sehr  wichtig,  welche  sich  mit  dem  Baue  der  Dampf- 
schiffe beschäftigen ,  und  manches  ,  namentlich  über  das  Ver- 
hältnifs zwischen  dem  Durchmesser  der  Schaufelräder,  ihrer 
Geschwindigkeit  und  des  Verbrauches  von  Dampf,  verdient 
sehr  mit  genauen  Beobachtungen  verglichen  zu  werden* 

Es  ist  oben  schon  von  der  Anwendung  des  Prlncips  der 
Expansion  die  Rede  gewesen,  wie  dieses  durch  den  ausge- 
zeichneten Mechaniker  Evans  benutzt  wird.  Dieser  wendet 
dabei  nicht  den  doppelten  Cylinder  an,,  wie  Woolfe,  eine 
in  vielfacher  Hinsicht  unbequeme  Einrichtung ,  saudern  der 


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3 12  Marestiet  sur  les  batesox  ä  rapeur. 


,  Dampfbahn  schliefst  den  Zutritt  des  Dampfes  ab  ,  ehe  der  Cy- 
linder  ganz  erfüllt  ist,  und  Iii  ist  den  Embolus  durch  den  sich 
weiter  expandirenden  Dampf  dann  vollends  bis  ans  Ende  ge- 
hoben werden,  auf  die  nämliche  Art,  wie  auch  Freund  in 
Berlin  diese  Einrichtung  angebracht  hat,  ohne  dafs  ihm  wahr- 
scheinlich jene  Resultate  bekannt  waren.    Christian,  Tar- 
tington,  Stuart f  Hobi«ont  Gregory  u.  A.  haben  auf 
verschiedene  Weise  gezeigt,   wie  dieses  Princip  mit  Vortheil 
angewandt  werden  kann  ,  und  lief,  ist  vollkommen  überzeugt, 
dals  der  NutzefFect  der  Maschinen  bei  gleichem  Verbrauche 
von  Brennmaterial  dadurch  bedeutend  erhöbet  wird.  Einer 
gründlichen  Erläuterung  dieses  Gegenstandes,   ohne  Wider- 
rede der  gelehrtesten,    Welche  lief,  bis  jetzt  zur  Kenntnifs 
kam,  ist  die  siebente  Note  gewidmet.     Der  Verf.  geht  hier- 
bei von  dem  durch  verschiedene  Gelehrte ,  namentlich  zuletzt 
durch  Christian  aufgestellten  Grundsatze  aus,  dafs  die  Ela- 
sticität des  Dampfes  sich  verdoppelt,   wenn  die  Temperatur 
desselben  um  eine  gleiche  Quantität  Grade  der  Wärme  erhöhet 
wird,  woraus  für  die  Elasticität  desselben  die  allgemeine  For- 
mel in  französ.  Metern  entsteht : 


r/ü  r  ~  0,76  X  2  * 


Wird  dann  angenommen,  dafs  20°  C.  Wärme  die  Elasticität 
des  Dampfes  verdoppeln,  wie  Christian  (in  Me'can.  indu- 
strielle) aus  seinen  Versuchen  folgert,  so  ergiebt  der  Calcul 
des  Verf.,  dafs  für  eine  Expansionsmaschine  von  zehnfachem 
"atmosphärischem  Drucke  der  NutzefFect  durch  Expansion  im 
Verhäitnils  von  1  :2,973  erhöhet  wird.     Wären  nur  10  °C. 
zur  Verdoppelung  der  Elasticität  erforderlich ,  so  würde  dieses 
Verhäitnils  k  l  :  3.1 25  steigen  ,  bei  40  CC.  aber  nur  55  i:  2,73l 
seyn.    Es  ist  indefs  bekannt,  dafs  das  genannte  Gesetz  über- 
haupt unzulässig  ,  und  kaum  für  die  Temperaturen  nahe  bei'm 
Siedepuncte  gültig  ist,  obgleich  noch  verschiedene  Gelehrte 
demselben  anhängen;  'weil  aber  die  Elasticität  des  Dampfes 
bei  zunehmenden  Temperaturen  anfangs  wenigstens  in  einem 
höheren  Verhältnisse,  als  dem  angegebenen  steigt,  so  folgt 
aus  der  Berechnung  des  Verf. ,  dafs  insbesondere  bei  den  Ma- 
schinen mit  sehr  hohem  Drucke  der  durch  Benutzung  der  Ex- 
pansion des  Dampfes  zu  erhaltende  Vortheil  noch  höher  steigt, 
als  im  Verhältnifs  von  1:2,973,  wie  bei  der  Voraussetzung 
einer  Vermehrung  der  Elasticität  des  Dampfes  um  das  Dop- 
pelte durch  eine  Vermehrung  der  Temperatur  um  20°  C.  fol- 
gen würde.    Bei  einer^  umfassenden  Würdigung  dieses  Gegeu- 


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Marestier  tur  les  bateaux  ä  vapeur.  3l3 

Standes  kommt  ind  As  hauptsächlich  die  Berücksichtigung  der« 
jenigen  Teraperatui  Verminderung  in  Betrachtung  ,  welche  der 
Dampf  nach  den  Über  das  Verhalten  der  expansibelen  Stoffe 
bekannten  Gesetzen  durch  seine  Expansion  uothwendig  erlei* 
den  muls,  und  dieses  führt  dann  weiter  zu  der  wichtigen 
Frage  ,  ob  die  Summe  der  latenten  und  sensibelen  Wärme  des 
Dampfes  von  jeder  l  lasticität  eine  constante  Grölse  sey,  wie 
der  Verf.  S.  222.  annimmt,  ohne  die  Gründe  hierfür  weiter 
anzugeben,  welche  er  vermuthlich  als  bekannt  voraussetzt. 
Ref.  hat  diesen  Gegenstand  an  einem  andern  Orte  ausführlich 
erörtert,  und  findet  es  nicht  zweckmässig,  hier  über  dieses 
Gesetz  und  seine  vielfachen  Anwendungen  auf  eine  Menge 
Naturerscheinungen  weitläuftiger  zu  handeln. 

Die  achte  Note  ist  einer  näheren  Untersuchung  des  Ef- 
fectes  der  durch  Stiles  construirten  Rotationsmaschine  ge- 
widmet, und  die  neunte  einer  Prüfung  der  verschiedenen  Mit- 
tel, wodurch  man  in  Nordamerica  die  Ruder  zu  ersetzen  ver- 
sucht hat,    obgleich  dieselben  den  Beifall  des  Verf.  nicht  er- 
halten  haben,    und  er  hauptsächlich  nur  beabsichtigt,  sie 
bekannter  zu  machen,   um  neue  Ideen  anzuregen  und  von 
Versuchen  desjenigen  abzuhalten,  was  unlängst  als  unbrauch- 
bar erprobt  ist      Es  folgt  dann  noch  ein  schätzbarer  Anhang, 
dessen  Beurtheilung  aber  weniger  im  Bereiche  der  Kenntnisse 
des  Ref.  liegt ,   und  dessen  Inhalt  daher  nur  kurz  angezeigt 
werden  kann.      Derselbe  handelt  nämlich  von  den  Göl  etten 
der  Nordamericaner ,   ihren  Maschinen  zum  Aufräumen  der 
Ilafenplätze ,   denjenigen,  welche  zur  Verfertigung  der  FJa- 
schenzüge  und  Pumpen  dienen,   und  solchen,  welche  für  die 
Schmieden  in  den  ArsenUlen  und  die  Fabrication  der  Taue 
und  Nägel  und  anderer  zum  Seewesen  gehörigen  Gegenstände 
bestimmt  sind,  mit  steter  Rücksicht  auf  die  Methoden,  deren 
man  sich  in  England  bedient. 

Die  Steindrücke  ,  welche  zur  Erläuterung  der  abgehan- 
delten Gegenstände  des  reichhaltigen  Werkes  dienen,  sind 
in  einem  grofsen  Maafsstabe  verfertigt,  zwar  nicht  pracht- 
voll ,  aber  sehr  deutlich  und  instruetiv. 

•  » 

M  u  n  o  k  e. 


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314  Komano  von  Walter  Scott. 

Romane  von  Walter  Scott. 

Fortsetzung..      (Vergl.  Jahrg.  1825.  Hfc.  IX.) 

13«  (puentin  Durward.  Aus  dem  Englischen  des  Sir  Walter 
Scott,  Vollständig  übertragen  und  mit  Anmerkungen  begleitet 
von  B.  J.  F.  Halem  Leipzigs  bei  Joh.  Friedrich  Gleditsch. 
1824.     5  Thle,     256  ,  256  und  284  S.  2  Tblr.  12  Gr. 

14.  Das  Kloster.  Ein  Roman  nach  dem  Englischen  des  Walter 
Scott  von  K.  L.  Methus.  Müller.  Berlin  ,  bei  Dunker  und 
Humblot.  1821.  5  Thle    Vlll.  287,  280  u.  3il  6V  SThlr.öGr. 

15.  Der  Abt*  Ein  romantisches  Gemälde  von  Waller  Scott, 
Uebersetzt  von  W.  A.Lindau.  Leipzig)  Rein'schc  Buchhand- 
lung. 1821.     3  Thle.     II.  306,  514  und  384  S.     3  Tblr.  16  Gr. 

16»  Der  Astrolog.  Ein  romantisches  Gemälde  von  Walter 
Scott.  Uebersetzt  von  W.  A.  Lindau.  Leipzig  ,  Rein  sehe 
Buchhandlung,  1822.  Zweite  verbesserte  Auflage.  5  Thle.  Vlll. 
278,  258  und  284  S.  2  Thlr. 

17.  Erzählungen  von  den  Kreuzfahrern,  Erste  Erzählung. 
Die  Verlobten.  Aus  dem  Englischen  des  Walter  Scott 
übersetzt  von  Sophie  TVla  y.  Leipzig  ,  bei  F.  L.  Herbig.  182Ä, 
2  Thle.     322  ,  und  XXIV  und  350  S.  2  Tblr.  8  Gr. 

18.  Erzählungen  von  den  Kreuzfahrern.  Zweite  Erzäh- 
lung. Richard  Löwenherz  in  Palästina,  Aus  demEng- 
lischen  des  Walter  Scott  von  C.  F.  Michaelis.  Leipzig, 
bei  F.  L.  Herbig.  1825.    2  Thle.  2  Tblr.  16  Gr. 

Hier  stehen  wir  nun  vor  einem  grofsen  Gemälde,  unter 
dem  wir  den  Spruch  geschrieben  lesen: 

Mein  Vaterland  ist  Krieg; 
Der  Harnisch  ist  mein  Haus: 
Mein  Wahlspruch  ist:  Heraus 
Zum  Kampf!  —  Tod  oder  Sieg! 

Und  Kampfeslust  und  WafFengeräusch  hören  wir  durch  das 
Ganze  ertönen,  so  wie  es  ein  jugendlicher  Krieger  ist, 
welchen  wir  in  dem  Mittelpunkte  der  Verschlingung  er- 
blicken, wie  er  von  dieser  wechselweise  ergriffen  und  fort- 
gezogen wird,  und  dann  mit  mächtiger  Hand  in  dieselbe  ein- 
greift und  sie  hemmt  oder  fiügelc.     Der  junge  Kriegesbeld  ist 


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t 


Romane  voo  Walter  Scott.  315 

mit  den  drei  Hauptparthien ,  in  welchen  sich  das  grofse  Bild 
entfaltet,  in  Verbindung  gebracht,  indem  er  zuerst  an  dem 
Hofe  des  Königes  erscheint,  dann  die  schweifenden  Damen 
nach  dem  Sitze  des  fürstlichen  Bischofes  leitet,  von  da  selbst 
au  dem  Herzoge  gebracht  wird  und  in  Lüttich  zuletzt  seines 
Schicksals  glückliche  Entscheidung  findet. 

Sogleich  in  dem  Eingange  verkündet  der  wandernde 
Knappe  mit  dem  SamuietsÜckchen  seine   männliche  Kraft  in 
der  Gewalt,   womit  er  sich  durch  die  Wellen  des  reissenden 
Baches  eine  Bahn  bricht,  und  erregt  damit  die  Aufmerksamkeit 
de*  Einen  der  beiden  Unbekannten,   die,  ohne  ihm  Hülfe  zu 
leisten,  sein  Wagnifs  ansehen.     Dieser  Ma  i  1 1  e  P  i  e  r  r  e ,  der 
reiche  Seidenhäudler,  dem  er  selbst  sich  als  Qu  entin  Dur- 
ward darstellt,  als  den  nachgeborenen  Sohn  eines  alt -Schot- 
tischen Hauses  von  Glen-Houlakin,  aus  dem  Mücken- 
thale,   führt  darauf  die  Reisenden  nach  dem  Gasthofe  zur 
Lilie,  wo  der  Geheimnisvolle  sich  von  der  schönen  Jacque- 
line bedienen  läfst,  die  sogleich  mit  ihrer  ersten  Erscheinung 
und  dann  als  Sängerin  und  Lautenspielerin  aus  dem  Thurrae 
den  jungen  Knappen  gefangen  nimmt.    Aus  dem  nahen  könig- 
lichen Schlosse    flessis   les  Tours  kommt  sein  Oheim, 
Ludwig  Leslie,  der  Benarbte,  zu  ihm  nach  dem  Dorfe 
heraus,  und  der  Bogenschütze  der  Schottischen  Leibgarde  er« 
zählt  ihm  das  Geschick  seiner  Familie.    Als  er  darauf  sich  ver- 
leiten läfst,  den  noch  Zeichen  des  Lebens  verrathenden  Zi- 
geuner von  dem  Baume,  an  welchen  dieser  angeknüpft  ist, 
luszuscbneiden  ,  geräth  er  in  die  Hände  des  königlichen  Ge- 
neral-Profofses,   Tristan  d'Hermite,    dessen  beide 
Gehülfen  Trois  Echelles  und  Petit-Andre',  oder  Jean- 
qui-pleure  und  Jean-qui-rit  ,  ihm  schon  den  Strick  um 
den  Hals  legen.    Nur  die  Erscheinung  der  Bogenschützen  und 
seine  eigene  Aufnahme  unter  dieselben  rettet  ihn.     Er  wird 
von  ihnen  nach  dem  Schlosse  gebracht  und  da  durch  den  grei- 
sen Herzog  von  Crawford,   den  Führer  der  Schotten, 
seinem  Oheime  als  l'age  beigegehen.     Es  verlautet  die  Nach«» 
riebt  von  der  Ankunft  eines  Burgundischen  Gesandten  und 
von  der  flüchtig  gewordenen  schonen  und  reichen  Erbin  Isa- 
bella von  Croye,  die,  den  Verfolgungen  eines  verhafsten 
Liebhabers,  des  Günstlinges  des  seine  landesherrliche  Gewalt 
miisbrauchenden  Herzogs,   zu  entgehen,   sich  in  den  Schutz 
des  Königes  begeben,  und  in  welcher  der  junge  Bogenschütze 
alsbald  die  Schöne  des  Thürmchens  vermute  et. 

An  dem  andern  Morgen  erhält  er  mit  seinem  Oheime  die 
Wache  in  dem  Audienzsaule  des  Königes,  und  hier  sehen  wir 


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316  Romane  von  Walter  Scott. 

nun  die  Personen  des  Hofes  vor  ihm  erscheinen:  die  könig. 
liehen  Töchter,  den  ritterlichen  Grafen  von  Dunois, 
Ludwig,  den  Herzog  von  Orleans,  den  Cardinal  J o- 
hann  von  Balue,  den  damals  begünstigten  Minister,  und 
Oli  vier  Da  in,   der  Teufel  oder  der  Böse  genannt,  der 
als  Bartkünstler  und  Kammerdiener  des  Königs  Gunst  theilte. 
Zuletzt  nahet  der  Monarch  selbst,   in  dem  Dur  ward  zu  sei- 
nein  Erstaunen   den  Seidenhändler   erkennt.      Es  folgt  die 
groiseScene  des  Vortrittes  des  Burgundischen  Gesandten,  des 
Oralen  Philipp  Crevecoeur  von  Corele's,  wie  dieser 
seines  Herrn  Klagen  besonders  auch  in  Hinsicht  der  flüchtigen 
Damen  von  Croye  vorbringt  und  den  Handschuh  hinwirft; 
darauf  der  lustige  Vorgang  auf  der  Jagd  ,  wodurch  der  Cardi- 
nal von  dem  Könige  tief  verletzt  und  zu  feindlicber  Untreue 
verleitet  wird  ;   zuletzt  der  Vorfall  mit  dem  Eber,  durch  des- 
sen Erlegung  Dur  ward  dem  Könige  das  Leben  rettet.  Durch 
alles  dieses  steigt  er  schnell  in  der  Gunst  des  Fürsten.    Er  er- 
hält die  geheime  Wache  in  der  Rolands  -  Halle  ,   und  den  ver- 
borgenen Stand  während  des  Mahles  Ludwigs  mit  dem  Cardi- 
nale  und  dem  Burgundischen  Grafen,   mit  dem  geheimen  Lo- 
sungsworte: Ecose  en  avant;   ebenso  den  Auftrag,  die 
beiden  Damen  Isabella  und  deren  Tante  Hauieline  von 
Croye  zu  dem  Bischöfe  von  Lüttich  zu  leiten,  wobei  des 
Königs  eigentliche  Absicht  ist,  die  reiche  Erbin  von  Croye 
in  die  Hände   Wilhelms  von   der  Mark,  eines  durch 
Huchlosigkeit  und  wilde  Tapferkeit  ausgezeichneten  Häupt- 
hnges  und  Räubers  in  den  Ardennen,   zu  liefern  ,  und  hier- 
durch  in  diesem  einen  Bundesgenossen  zu  gewinnen.  Zuvor 
hat  der  König  sich  das  Horoskop  des  Jünglinges  stellen  lassen, 
den  er  mit  sich  gleicher  Constellation  unterworfen  und  sieb 
von  seinem  Schutzpatrone,   dem  heiligen  Julian,  zugesandt 
erachtet.      Nun  lülst  er  auch  seinen  Astrologen  Galeotti 
Martivalle  die  Chiromantie  auf  ihn  anwenden,   und  der 
Seher  verkündet  und   bestätigt:    der   Abgesandte  seye 
tapfer,  glücklich  und   denen    mit   wahrer  Treue 
ergeben,   von  welchen   er  Wohlthaten  empfan- 
gen.     Dia  Mitternachtstunde  des  Aufbruches  bezeichneter 
als    den   Anfang  einer   gefährlichen   Reise,  von 
Gewaltsamkeit   und  Gefangenschaft  für  den  Ab- 
gesandten,  aber  eines  erwünschten   und  glück- 
lichen Erfolges  für  den  Absender. 

Hiermit  ist  denn  auch  die  Reihe  der  nun  folgenden  Er- 
eignisse angedeutet.  Der  Schottische  Bogenschütze  entledigt 
sich  mit  Klugheit  und  Tapferkeit  seines  Auftrages.    Indem  * 


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* 


Romana  von  Walter  Scotf. 


317 


seinen  gewandten  Führer,  den  Zigeuner  Hayraddin  Mu- 
grabin,  d.h.  den  Africaniscben  Mauren  ,  überlistet  und  ge- 
gen den  Befehl  des  Königs  den  Weg  zu  der  Rechten  der  Maas 
einschlägt  ,  entgeht  er  dem  Hinterbalte  des  wilden  Ebers  in 
den  Ardennen,  und  bringt  seine  Schützlinge  glücklich  zu  dem 
Bischöfe  von  Lütticb.  Hier  ist  er  eben  so  Zeuge  von  den 
geheimen  Machinationen  des  Königs,  als  der  Bestürmung  des 
.bischöflichen  Schlosses  durch  den  wilden  Eber.  Aus  Irrthum 
rettet  er  erst  die  sich  ihm  in  Liebe  hingebende  Gräfin  Hame- 
line,  deren  Kammerfrau  M a  r  t  h  o  n  sieb  als  Zigeunerin  ent- 
hüllt, dann  durch  seine  Kühnheit  und  Geistesgegenwart  die 
von  ihm  geliebte  Isabella,  so  wie  den  für  den  König  ge- 
wonnenen Syndicus  Pavillon  und  besonders  dessen  Tochter 
Margaretha,  die  beiden  jungen  Wanderern  auf  ihrer  Flucht 
behültlich  ist.  Denoch  wären  sie  den  schwarzen  Reitern  Wil- 
helm's  nicht  entgangen  ,  wäre  nicht  zu  rechter  Zeit  der  Graf 
von  Crevecoeur  erschienen  und  hätte  die  flüchtigen  Damen  in 
seine  Huth  genommen. 

So  gelangen  sie  nach  der  festen  Stadt  Peronne,  wo 
jetzt  Carl  von  Burgund  weilt.  Eben  befindet  sich  der 
König  von  Frankreich  bei  ihmt,  vielleicht  zum  Theil 
durch  seinen  Glauben  an  die  Verkündigungen  seines  Astro- 
logen ,  zum  Theil  durch  das  Bewufstseyn  seiner  geistigen  Ue- 
berlegenheit  über  den  Herzog  bewogen  ,  seine  Person,  dem 
guten  Glauben  eines  stolzen  und  erbitterten  Feindes  Preis  zu 
geben.  Seine  ganze  Lage  wird  höchst  gefährlich  durch  die 
Nachricht,  welche  der  Graf  von  Crevecoeur  von  den  Vorgän- 
gen in  Lüttich  bringt.  In  höchster  Wuth  läfst  der  Burgun- 
dische Fürst  seinen  königlichen  Gast  in  dem  Hubertsthurme 
einschliefsen.  Aber  auch  unter  diesen  Umständen  behauptet 
Ludwig  seine  Besonnenheit  und  königliche  Würde.  Den 
Astrologen  rettet  nur  seine  Geistesgegenwart  und  Scharfsicb- 
tigkeit  in  Bestimmung  des  in  vier  und  zwanzig  Stunden  auf 
seinen  eigenen  erfolgenden  Todes  des  Königs  vor  der  Rache 
des  hohen  Gefangenen,  der  die  Räthe  des  Herzogs  für  sich 
zu  gewinnen  weifs,  und  in  seinen  Planen  durch  die  Treue 
(Juentin  Durwards  und  dessen  Einverständnifs  mit  der„ 
Gräfin  Isabella  unterstützt  wird  ;  und  vollends  versöhnen  sich 
die  beiden  Fürsten  in  der  rohen  Lust  der  Bestrafung  des  trü- 
gerischen Wappenheroldes  Wilhelms  von  der  Mark,  den  sie 
wie  ein  Thier  durch  Hunde  hetzen  lassen.  Es  ist  dies  Hay- 
raddin, der  Zigeuner,  der,  zu  dem  Tode  verurtheilt ,  be- 
vor der  Strick  seinem  Leben  ein  Ende  macht,  dem  jungen 
Schotten  die  Plane  Wilhelms  verrätb,  und  von  dessen  persön- 


Roman«  von  Walter  Scott. 


Hcher  Waffenrüstting  erhält  der  Begünstigte  darch  den  Brief 
Hamelinens  an  ihre  Nichte  Nachricht«  So  kann  er,  ah  nun 
der  vereinte  Zug  Ludwigs  und  CarJs  gegen  die  aufrühreri- 
schen Lütticher  unternommen  wird,  sich  das  neue  Verdienst 
erwerben  ,  dafs  er  voraus  von  dem  nächtlichen  Ueberfalle 
Nachricht  gibt;  und  nur  er  erkennt  in  dem  Treffen  den  wiU 
den  Eh  r,  dessen  Kopf  als  der  Preis  bestimmt  ist,  gegen 
den  sein  Sieger  mit  der  reichen  Erbin  von  Croye  vermählt 
werden  soll.  Schon  ist  er  diesem  Triumphe  nahe  ,  als  er  sich 
durch  die  llettung  Gretchens  seine  Hoffnung  entrissen  siebt. 
Leslie,  sein  Oheim,  vollendet  den  Kampf  und  bringt  den 
Kopf  des  Ebers.  Glück  durch  Heirath  ist  seiner  Familie  ge- 
weissagt ;  er  bestimmt  grolsmütbig  seinem  Neffen  das  gewon- 
nene Gut,  und  so  sehen  wir  zuletzt  den  Verstand,  die  Festig- 
keit und  Tapferkeit  mit  dem  Besitze  des  Reichthums ,  des 
Ranges  und  der  Schönheil  gelohnt.  — 

Schon  aus  dieser  Uebersicbt  ergibt  sich,  wie  arm  dieser 
Roman  an  eigentlichen  Thathandlungen  und  geschichtlichen 
Vorgängen  ist,  und  wie  die  einzelnen  Theile  desselben  min- 
der durch  Eine  Idee  zu  einem  organischen  Ganzen  vereint, 
als  alle  diese  Darstellungen  und  Scenereien  durch  eine  Kette 
zufälliger  Ereignisse  unter  einander  verbunden  sind.  "Ja  die 
flüchtigen  Wandelsterne  der  Damen  von  Croye,  so  wie  der 
sie  leitende  schweifende  Ritter  scheinen  nur  von  dem  Dichter 
erfunden,  um  mit  ihrer  Wanderung  uns  drei  grofse  geschicht- 
liche Bilder  vor  den  Blick  zu  stellen.  Denn  historische  Schil- 
derung ist  hier  die  Hauptsache,  und  zwar  nicht,  wie  in  an- 
dern Stücken,  das  Ausschmücken  einer  der  handelnden  Per- 
sonen mit  antiquarischen  Raritäten  und  alten  Sagen  — 
ein  Geist  oder  ein  Gespenst  erscheint  hier  nicht,  obgleich 
wenigstens  das  Gemach  in  dem  Hubertsthurme,  in  dem  Carl 
der  Einfältige  seinen  Tod  gefunden,  schauerlich  verschlossen 
hleibt,  — •  sondern,  wie  in  Ivanhoe ,  das  Heraufführen  einer 
merkwürdigen  vergangenen  Zeit  und  einiger  grofsartig«n 
Charaktere  aus  derselben,  in  deren  Darstellung  die  Kunst  des 
Dichters  sich  in  ihrem  vollsten  Glänze  zu  zeigen  Gelegenheit 
findet.  Und  so  verkündtt  er  uns  denn  in  einer  geistreich  a°# 
muthigen  Vorrede,  wie  er  zu  der  Bekanntschaft  des  Marquis 
von  HautJieu,  und  in  dem  achteckigen  Thurine  auf  deui 
Schlosse  Hautlieu  zu  der  Kenntnifs  der  von  ihm  geschilderten 
Zeit  und  den  Quellen  seiner  geschichtlichen  Erzählung  gelangt. 
Nach  dem  Spruche  aus  Hamlet : 

Seht  dort  auf  jenes  Conterfei  und  dies; 
Es  sind  die  treuen  Bilder  zweier  Brüder; 

« 

\ 


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Romane  von  WaUer  Soott.  3l9 

werden  uns  zunächst  die  beiden  Fürsten  :  König  Lud- 
wig XI.  von  Frankreich,  und  Carl  der  Kühn«, 
Herzog  von  Burgund,  in  einer  lebendigen  und  ausführ- 
lichen Charakterschilderung  vor  Augen  gestellt,  und  die  Zeit, 
in  welcher  wir  sie  auftreten  sehen  ,  als  das  Jahr  1^63  be- 
stimmt, da  ihre  Fehden  am  heftigsten  entbrannt  waren ,  ob- 
gleich damals  gerade  ein  trügerischer  Waffenstillstand  zwischen 
beiden  statt  fand, 

Johann  von  Müller  sagt  von  jenem  erstem  Fürsten  in 
seinen  vier  und  zwanzig  Büchern  allgemeiner  Geschichten  : 
„Die  Macht  der  Grofsen  schien  ihm  die  gröfste  Hindernifs 
„der  Einheit  in  der  Verwaltung,  welche  einem  Staat  Kraft 
»und  Behendigkeit  in  Unternehmungen  gibt.  Er  war  mit 
„ihrer  Erniedrigung  so  ganz  beschäftigt,  dafs  keine  Leiden- 
schaft ihn  an  Befolgung  dieses  Gedankens  störte.  —  Er 
„schien  dem  Lauf  der  Begebenheiten  zu  folgen,  indefs  er  ihn 
„leitete.  Seine  Feinde  waren  eben  so  mächtig,  und  reicher, 
„als  er;  also  setzte  er  ihnen  nicht  Gewalt,  sondern  List  ent- 
gegen, worin  er  ihnen  überlegen  seyn  konnte.  —  Nicht 
„nur  verleitete  er  sie  zu  ihrem  Ruin,  er  gab  seiner  Verwal- 
tung ein  Ansehen  von  Ordnung  und  Gerechtigkeit  (in  Pri- 
vatsachen), welche  die  ihrige  nicht  liatte.  In  der  Einfalt 
„seines  Lebens  und  in  der  Verstellungskunst  war  er  dem  Au- 
„gustus  ähnlich,  und,  wie  er,  aller  Verbrechen  fähig,  die 
„seinen  Absichten  dienlich  seyn  konnten  ;  wie  er,  im  Cabinet 
„gröfser,  als  im  Heer:  denn  Augustus  und  Ludwig ,  mitten 
„in  den  Planen  ihrer  Herrschsucht,  hatten  eine  Furchtsam« 
„keit,  welche  eine  Ursache  der  grofsen  Vorsicht  ihrer  Maafs- 
„regeln,  aber  auch  oft  für  sie  eine  Pein  war,  wodurch  ihre 
„Feinde  an  ihnen  gerochen  wurden.«  —  Von  Carl  dem 
Kühnen  wird  dagegen  gesagt:  „Dieser  Fürst,  so  herrsch- 
„begierig  als  der  König,  hatte  wildere  Leidenschaften  ,  aber 
„zu  einer  hohen  und  edlen  Denkungsart  gröfsere  Anlagen; 
„sein  Stolz  verschmähete  den  Gebrauch  der  List;  sein  lebhaf- 
tes Gefühl  liefs  ihm  keine  Macht  über  sich  selbst.« 

Ganz  in  diesem  historischen  Charakter  sehen  wir  sie 
denn  auch  auftreten.  Zuerst  werden  wir  nach  dem  festen 
königlichen  Schlosse  Plessis  les  Tours  versetzt,  das  mit 
seinen  dem  Nahenden  verborgene  Gefahr  drohenden  Umge- 
bungen geschildert  wird.  Auch  schon  unter  der  bescheidenen 
Hülle  desMaitre  Pierre  verkündet  sich  der 'König  in  sei- 
ner ganzen  Persönlichkeit,  wie  er,  seine  Plane  festhaltend , 
den  aufserlichen  Prunk  verschmähet;  gewaltsam  und  schlau 
kein  Gesetz ,  kein  Hecht  eines  andern  achtet,  das  ihm  in  dem 


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320 


Romane  von  Walter  Scott. 


Wege  steht,  alle  nur  hebt  und  hält  oder  sinken  läfst  und  zer- 
nichtet, je  nachdem  er  sie  zu  gebrauchen  gedenkt,  oder 
schon  von  ihnen  Gebrauch  gemacht  hat.  Er  erscheint  eben  so 
in  seiner  rohen  Lustigkeit  und  Jagdliehhaberei,  als  in  seiner 
gräfslichen  Freude  an  Mord  und  Blut ;  als  der  ,  welcher  karg 
ist  und  verschwenderisch,  wenn  es  seyn  mufs,  der,  um  die 
Grofsen  zu  deinüthigen,  aus  den  niedern  Ständen  seine  Werk- 
zeuge und  Günstlinge  erhebt ,  und  zugleich  in  seinem  finste- 
ren Aberglauben'  und  seiner  Furchtsamkeit,  damit  in  seiner 
Abhängigkeit  von  seinem  Astrologen ,  in  seinem  Heiligen- 
dienste, und  aller  der  Beschränkung,  Furcht  und  Qual,  die 
ein  solcher  in  sich  selbst  zerrissener  Charakter  sich  bereitet. 
Und  so  sehen  wir  ihn  als  eine  grauenvoll  tückische  Macht, 
die,  wo  sie  vor  den  Menschen  erscheint ,  alle  Würde  und 
überlegene  Persönlichkeit  des  Herrscherthums  zeigt,  in  der 
Mitte  seiner  schauerlichen  Umgebungen  walten. 

Dem  dunkeln  Bilde  des  Herrschers  entsprechen  seine  ab- 
scheulichen Diener  :  sein  Vertrauter  ,  Barbier  und  Kammer- 
diener, der  still  schleichende  0 1  i  v  i  e r  Da i  n,  dessen  Katzen- 
natur mit  grol'ser  Kunst  gezeichnet  wird;  und  der  andere 
Rathgeber,  der  aus  der  Tiefe  emporgehobene,  übermüthige 
Cardinal  Johann  von  Balue,  der  später  in  dem  schreck- 
lichen Loches  in  einem  der  Kähxhe  eingeschlossen  wird,  die 
er  selbst  soll  erfunden  haben«  Dieser  schliefst  sich  als  die 
dritte  wichtigste  Person  des  königlichen  Haushaltes  der  Ge- 
neralprofols  und  Oberhenker  T  r  i  s  ta  n  d'Hermite  an,  mit 
seinen  beiden  Henkersknechten,  welche  nach  ihrem  Naturell 
und  der  Weise,  wie  sie  ihre  Opfer  zu  dem  Tode  zu  fördern 
pflegen,  der  eine  als  Heraclit,  der  andere  als  Democrit 
bezeichnet  werden. 

In  schöner  Männlichkeit  steht,  obwohl  in  gleicher  Ab- 
hängigkeit dieser  fast  thierischen  Wesen  Galeotti  Marti- 
valle,  der  Astrolog  des  Königs,  gegenüber,  der  sich  seiner 
geheimen  Kunst  nur  bedient,  damit  anmuthig  reiche  Lebens- 
genüsse zu  gewinnen.  Den  edleren  Tbeil  der  königlichen 
Umgebung  bilden  dann  die  Töchter  von  Frankreich  ,  der  ritter- 
liche Grat  von  Dunois,  der  berühmteste  Kämpfer  seiner 
Zeit,  und  der  weichere  Ludwig,  Herzog  von  Orleans, 
denen  sich  der  greise  Führer  der  Bogenschützen  der  könig- 
lichen Leibgarde,  der  Herzog  von  Crawford,  beigesellt, 
welcher  die  würdige  Haltung  eines  alten  Kriegers  behauptet. 

iDie  Fortsetzung  folgt.") 

»  • 


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N.  21.        •<     .   r*  .  1826. 


II  cid  e  1  berge  r 

■ 

Jahrbücher  der  Literatur. 


•  i.ii  » 

•       H  I 


Romane  voö  Walter  Scott. 


i. » 


>>  1 


Eine  gnnz  untergeordnete  Holle  spielen  die  Garden  selbst, 
tinter  denen  nur,  als  ein  freies,  mit' reichem  Humor  ausgestatt 
tetes  Gebilde  der  trfin  durig  des  Dichters,  Ludwig  Leali  e* 
)e  Ralaf're',  der  Krieger  mit  der  Schmarre,  hervorragt,  ao 
wie  selbst  die  Zigeuner  einige  Male  die  Dienste  von  Boten) 
Führern,  Spionen  und  geheimen  Unterbändlern' übernehme« 
müssen  ,  deren  Leben  und  Philosophie  in  Hayraddin  Mu* 
grab  in  repräsentiit  wird. 

Alle  diese  verschiedenartigen  Personerl  und  Charakter« 
sind  in  gar  herrlicher  Wahrheit  und  Lebendigkeit  geschildert, 
Wie  sie  alle  den  König  fürchten  ,  alle  von  ihm  abhängen ,  Und 
doch  zugleich  auf  ihn  einwirken,  und  der  Schreckliche  nur  als 
ein  Knecht  seiner  eigenen  Leidenschaft*  seiner  Furcht  und 
seines  Aberglaubens  über  ihnen  waltet.  Dabei  mufa  der  von 
dem  Astrologen  ausgesprochene  Und  vort  ihm  selbst  nicht  ge* 
glaubte  Spruch  zur  leitenden  Stimme  des  Schicksals  dienen, 
die,  obgleich  in  anderm  Sinne,  als  sie  gesprochen  worden v 
in  Erfüllung  geht.  Unter  den  besonders  ansprechenden  Sceneh 
Weisen  wir  aber  auf  die  folgenden  hin:  wie  Qu  entin  Duo 
ward  zuerst  in  dem  Audienzsaale  Wache  hält  und  ihm  die  auf* 
tretenden  Personen  bezeichnet  Werden*  wie  dann  der  Bur- 
gundische  Graf  seine  Sendung  vorbringt^  wie  der  Schotte  die 

f geheime  Huth  bei  dem  Mahle  hältf  urid  besonders  die  kösb* 
iche  beerte,  wie  Galeotti^  in  dem  Hübertsthurme  durch  die 
Besonnenheit,  mit  der  er  seinen  eigenen  Tod  mit  dem  Lud*» 
wigs  in  Verbindung  bringt,  dem  Könige  das  dreimal  wieder- 
holte :  „Gehe  in  Frieden  1«  almüthigt,  der  nun  um  seine 
eigene  Erhaltung  eben  so  besorgt  ist,  als  er  rachsüchtig  den 
Tod  des  trügerischen  Sehers  verlangt  hatte;  und  besonder?, 
noch  die  schlaue  Kaust  des  königlichen  Gefangenen*  mit  der 
er  seinem  stolzen  und  heftig  gegen  ihn  gereizten  Feinde  all« 

XIX.  Jahr*   *Öeft,  U 


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Mim    i  Romsoe  von  Walt«  Seott.  ^  y?  j] 

Räthe  abwendig  zu  jachen ,  ihm.  erst  tüe  HSnde  au  fesseln 
und  dann  sich  selbst  denselben  zu  entwinden  weift. 

Die  mittlere  oder  Uehergangsparthie  bilden  die  Scenen 
ifi  Lüttich ,  wo  wieder  'die  Kikist  r  unseres  Dichters'  in  def 
Schilderung  jener  schrecklieben  Nacht  der  Erstürmung  des1 
Schlosses  und  der  Ermordung  des  Bischofs  Ludwig  von 
Bo urb on  durch  den  gräfslichen  Wilhelm  von  der  Mark 
bell  leuchtet. 

Von  hier  Werden;  wir  nach  der  festen  Stadt  Feronne  und 
an  den  glänzenden  Hofhält  des  Herzogs  von  Burgund 
versetzt9  der  in  seiner  nach,  au  Isen  stürmischen  Leidenschaft- 
lichkeit und  fürstlichen  Prachtliebe,  so  wie  in  seiner  männ- 
lichen Kraft  und  gerade  hin  strebenden  Offenheit  und  Verach- 
tung der  List  das  wahre  Gegenbild  zu  Ludwig  darstellt;  so 
wie  er  sich  in  diesem  Gegensatze  sogleich  in  seinem  Gesand- 
ten und  Feldherrn,  dem  Grafen  Philipp  Crevecoeur 
-von  Corde's,  verkündet,  und  wie  ganz  anders  erscheinen 
•seine  beiden  Käthe  Argenton  und  Hymtercourt,  als 
-Ludwigs  niedrige  Vertraute. 

Alle  drei  Partheien:  Ludwig,  Carl  und  Lüttich 
tnit  Wilhelm  von  der  Mark,  werden  zuletzt  mit  dem 
Sehweife  ihres  Gefolges  nach  Einem  Punkte  zusamengeführt, 
und  in  ihrem  Zusammentreffen ,  in  dem  nächtlichen  Ausfalle 
und  der  Eroberung  der  genannten  Stadt,  findet  das  Ganze 
seine  Lösung  in  dem  glücklichen  Erfolge  des  jungen  Schotten 
Qtientin  Durward. 

Und  nun  zuletzt  noch  einen  Blick  auf  diesen  Helden  des 
Stückes,  den  aus  GJen-Houlakin  oder  dem  Mückentbale  Ent- 
sprossenen ,  zu  werfen ,  so  findet  nun  wieder  des  Dichters 
Vorliebe  für  alt- Schottisches  Leben  und  Sagen  vollen  Spiel- 
raum in  der  Schilderung  dieses  seines  Lieblings,  und  anmu- 
thig  und  oft  etwas  wunderlich  schweift  dieser,  als  ein  wahres 
Kind  der  Phantasie,  die  Damen  von  Croye  leitend,  zwischen 
den  mehr  starren  Bildern  der  Geschichte  hin.  Dabei  zeigt  er 
mehr  Tbätickeit  und  eigene  Kraftäufserung,  als  die  begün- 
stigten Helden  vieler  andern  Stücke  des  Dichters,  obgleich 
auch  er  der  überall  Begünstigte  ist;  und  besonders  gewinnt  er 
uns  in  der  Mitte  wahrhaft  infernaler  Gestalten  durch  seine 
reine  Natur,  seinen  ritterlichen  Sinn  und  eine  über  seine  Ju- 
gend hinausreichende  Klugheit.  Gern  sehen  wir  daher  seine 
Treue  und  Tüchtigkeit  durch  den  Besitz  der  reichen  Erbin 
von  Croye  gelohnt  ,  obgleich  freilich  Isabella  aufser  ihrer 
Schönheit  kaum  mit  etwas  anderem  Aufmerksamkeit  oder 
Theilnahme  erregt,   und  mehr  nur  durch  den  Gegensat» 


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4 


Roman«  von  Vv"altex  SootWj  323 

ihrer  niedrig  gehaltenen  Tante  Harne]  ine  emporgehoben 
wird. 

Bei  allem  diesem  aeigt  der  Englische  Dichter  auch  hier 
nichts  weniger »  als  —  wie  wir  dieses  bei  einigen  unserer, 
deutschen  Schriftsteller  finden  —  ein  Bestreben ,  jene  ritter- 
liche Zeit  au  verschönern  oder  auszuschmücken,  die  er  uns 
vielmehr  in  aller  ihrer  Wirklichkeit,  in  ihrer  schauerlichen 
Rohheit,  so  wie  in  den  großartigen  Zügen  schildert ,  welche 
aie  darbietet;  und  wir  glaubten  zuerst,  dieser  Roman  werde 
an  Ivanboe  hinanreichen;  aber  es  fehlt  das  ideale  Lieben  und 
die  Hoheit  der  Charaktere»  welche  dort  hervortreten«  Der 
recht  eigentlichen  Romansituationen ,  Effecte,  Liebeleien  und; 
Verkettungen  mischen  aich  so  viele  zwischen  die  historischen 
Bilder  *  dafs  man  dadurch  nicht  selten  unangenehm  berührt; 
wird.  Auf  geschichtliche  Schilderung  ist  aJUs  abgesehen  | 
und  wir  haben  doch  keine  Geschichte ,  und  wenn  irgendwo, 
bei  unserm  Schriftsteller ,  so  finden  wir  uns  hier  oft  in  Ver- 
legenheit, nicht  au  wissen  %  ob  wir  auf  dem  festen  Boden  der 
Historie  wandeln s  oder  von  den  Begegnissen  und  Gestalten 
einer  zauberhaft  heraufgerufenen  Welt  umgaukelt  werden. 
Auch  sieht  man  dem  endlichen  Resultate  schon  fast  aus  dem 
Eingänge  des  Stuckes  mit  gewisser  Erwartung  entgegen,  und 
wir  zweifeln  sogleich  nicht,  wo  wir  den  Schottischen  Knap- 
pen aus  seinem Tbürmchen  die  Sängerin  in  dem  andern  Thurm» 
chen  belauschen  sehen,  dafs  diese  beiden  einander  bestimmt 
seyen.  Wo  dann  das  Interesse  für  das  Schicksal  unseres  Hel- 
den und  der  andern  handelnden  Personen  lebendiger  in  uns  ge- 
weckt worden  |  fühlen  wir  uns  durch  die  langen  Schilderungen 
und  weiten  Umwege  %  auf  welchen  wir  uns  durchwinden  müs- 
sen, mehr  gehemmt  Und  gestört,  als  unterhalten.  Es  mangelt 
auch  dieser  Dichtung ,  so  sehr  sie  durch  die  gelungensten  Kin- 
del n hei ten  anspricht,  das  höhere,  ideale  Leben;  sie  ist  nicht 
rein,  als  ein  innerlich  ganz  Geschautes  und  Gefühltes,  aus 
dem  Geiste  der  Poesie  gezeugt;  vielmehr  erscheint  sie  ihrem 
grofsen  Tbeile  nach  als  ein  durch  Studium  künstlich  gebilde- 
tes ,  mit  Phantasie  durchwehtes  Werk  ;  und  wir  wenigstens 
fühlten  uns  viel  minder  befriedigt  $  nachdem  wir  den  dritten 
Band  beendigt  hatten  $  als  da  wir  begierig  nach  dem  aweiten 
griffen« 

•  •»  .        •..  .      »  + 

XIV  und  XV, 

Wir  müssen  nun  zwei  grofse«  von  einem  Lunten  Ge- 
roische Zahlreicher  Figuren  angefüllte  Gemälde  neben,  einander 

ii  «     m  . 


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324  Rbnfefae  Tob  Waher  Scott. v  . 

vor  dem  BHcke  des'Besdhauers  aufstellen ,  weil  beide  zwei  Ge- 
genstücke bilden  ,  die  zusammen  Eine  Keihe  von  Ereignissart 
umfassen:   das  eine  den  Anfang  und  die  erste  Hälfte,  «las  an* 
der«  die  aweite  Hälfte  und  den  Schlufs  der  dargestellten  Ga- 
genichte.   Es  ist  dieses  der  Untergang  des  Hauses  Avcntl  in 
seinem  altem  ,   und  dessen  neues  Autblühen  und  Fortleben« int 
einem  j  Ungern  Stumme,   und  nicht  hiervon,  als  ihrem  wesent- 
lichen Inhalte,  sondern  von  äufsern  Nebenbestimmungen  sind 
beide  das  Kloster  und*  der  Abt  benannt»;  •  •  • 
l.kin  Wir  treten  vorerst  vor  jenes  und  fassen  zunächst  zwei 

I Unkte  in  das  Auge,  nach  denen  sich,  wechselweise  auf  den. 
neu  und  andern,    unser  Blick  wendet.      Es  sind  diese  das 
Stattliche  Kloster  der  h.  Jungfrau   zu  Keunaijuliair, 
das  sich  in  den  Stürmen  der  Glaubenserneuerung  glücklich  er- 
halten hat)  und  für  das  nach  dem  Friedensschlüsse  von  1550 
eine  Zeit  der  Ruhe  eingetreten  ist;  und  diesem  gegenüber  der 
einsame  Thurm  von  Glend earg  oder  dem- durch  seine  schau* 
erliche  Natur  und  daran  geknüpfte  Geister-  und  Gespenster- 
en gen  schreckenden  rothen  Tbale.     Oer  Vertheid iger  des» 
selben  und  Dienstmann  des  Klosters,  Simon  Glendinning, 
ist  in  der  Schlacht  von  Pinkie  gefallen,   und  seine  Witwe 
Elspeth  F)  ry  Jone  sehen  wir  geängstigt  durch  die  Ankunft 
einer  Englischen  Reiterschaar.    -  Aber  .der .  edle  Hauptmann 
S  t  a  w  a  r  t  h  ßol  ton  ,  der  sich  freundlich  mit  den  beiden  Kna- 
ben des  Hauses,  dem  trotzigen  H albert-  und  milden  und. 
weichen    Eduard   Glendinning,    unterhält,  gewähret 
5chutz  dem  einsamen  Aufenthalte. 

Dahin  flüchtet  sich  denn  auch  mit  ihrer  einzigen  Tochter 
die  Lady  Alice  Avenel,  die  Witwe  des  umgekommenen 
Walter  Avenel ,  und  wir  erblicken  nun  beide  Verlassene,  und 
ihre  Kinder  in  dem  Verkehre  mit  einander,  wobei  oft  die 
trauernde,  kränkelnde  Lady  den  andern  aus  einem  diesen  un- 
bekannten Buche  Trost  und  Unterhaltung  gewährt.  Es  ist 
dieses  eine  Uebersetzung  der  Bibel ,  deren  sich  der  einfältige 
Sacristan  des  Klosters,  Pater  Philipp,,  bei  einem  Besuche 9 
den  er  in  dem  fünften  Jahre  in  dem  Thurms  macht,  zu  be- 
mächtigen weifs.  Aber  auf  dem  Rückwege  wird  ihm  sei n 
Raub  durch  die  spuckhafte  Erscheinung  des  singenden  „Mä- 
dels" wieder  entrissen,  undf  einem  Wahnsinnigen  gle^ch,^ 
setzt  der  Geängstigte  mit  den  Nachklängen  des  Liedes:  „Wir 
schwimmen  lustig!  der  Mond  scheint  bell!«  alle  in 
dem  Kloster  in  Erstaunen. 

Doch  mehr,  als  das  abentheuerliche Ereignifg /erregt  sein 
Bericht,  wie  die  h.  Schrift  in  der  Sprache  des  Volkes  sogar 


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Jlomano  Von  Y^iej, ^ 

his  in  dieses  verborgene  Thal  und  in,  d$e.  Nähe  des  Kloston 

fedrungen  ,  die  Aufmerksamkeit  des  Subpriors  '  E  n,s  tathluV, 
er  dein  gutmüthigen,  ober  an  Geist  armen  Abte  Bon  ifa- 
cius  von  dem  Pri/naa  von  St.  Andreas  als  leitender  Kath  bei« 
geoidnet  worden, /['Er  begibt  sieb  tiact  Gleridearg^aber  statt 
die  beabsichtigte  Bekehrung  der  ketzerischen  Besitzerin  des 
Buches  zu  erreichen l  ijt  er  nur  der  Zeuge  ihres  Todes,,  Des 
Buches  selbst  indessen  bemächtigt  er  sich  glücklich  ,   das  ihm 

aa 


Reit'  surück  rojt  dem  Buch,  pder  du  hülsest  es  theuer  I « 
nicht  schrecken  läfst,  gewaltsam  entrissen 


f..  *i  :i-"4* 


tera  «u«  umiWuiWmi  j  u  n  au  van  Avenei,  «es  öcnwogt. 
der  Verstorbenen,  welcher  ihr  lind  ihrem  Krnde  die  Basiter** 
gen  seines  Bruders  entrissen  hat,  ist  hier  drohend  wegen  der 
Beisetzung  der  Entseelten  erschienen.  \Der  Abt  hat  ihn  in 
Fesseln  werfen  lassen.  Vermittelnd  bewirjtfc  dW  klügere  Sub- 
prior  die  Entlassung  des  Gefährlichen ;  aber  auch  die  eigene 
Reue  un$l  Beschämung  des  Stolzen  ist  durch  das  ihnp  wider- 
fahrene Begegnifs  vollkommen.  Durch  sein  demüthiges  Be- 
fcepntnifa  in  der  Beichte  tritt  er  in  ein  besseres  Verhältnis 


i  Aber  diesen  ziehet  ein  anderer  Magnet  von  ihm  ab,  Ma> 
rie  von  Ayenel,  seine  schöne ,  ahnungsvolle,  einer  gehei- 
men Welt  der  Geister  befreundete,  Hausgenossin,  durch,  dw 
ein,  eifersüchtiges  Streben  in  beiden  Brüdern  erregt  wird, 
denn  Eduard  entgebt  Mariens  Hinneigung  zu  dem  männlichen 
Halb  e  r  t  nicht , ,  indessen  dieser  sich  zurückgesetzt  achtet « 
weil  die  Sinnige  sich  mehr  mit  dem  mit  ihr  gleichen  Studien 
hingegebenen  jüngern  Bruder  beschäftigt.  Doch  auch  er  will 
lernen,  den  Inhalt  des  geheimnisvollen  Buches  erforscberif 
will  erfahren,  warum  es  die  Lady  von -Ävenel  so  liebte  uiyi 
die  Mönche  fürchten  und  stehlen  wollen!  Er  nahet  kühn  au 
der  zauberhaften  Quelle  in  Corr  i€  nan.-Sc  tu  a  n  ,  dem  Auf« 
enthalte  des  Geistes % ,  der  weisen  .Frau  von  Ave'nel, 


\ 


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^tS  Romape  voll  Walter 

und  indem  er,  in  die  tiefe  Krystallgrotte  hinab  gesunken, 
das  Buch  aus  den  Flammen  nimmt  ,  erhält  er  die  Verheifsung; 

u   j»Hab'  Geduld! 
*l     «     Einstens  wird  des  Himmels  Huld 
*  \  .  :  .  Zelt  und  Fahrer  dir  bestimmen!« 

Seine  Mutter  hat  indessen  dem  wilden  Sohne,  ihn  von 
dem  Leben  w durch  Sporn,  Spiefs  und  Zaum"  abzubringen, 
die  Hand  der  schönen  Müllerstochter  My  s i  a  bestimmt.  Mit 
dieser  ist  ein  anderer  viel  vornehmerer  Gast  erschienen  ,  der 
Euphuiate  $  i  r  Pierci  e  Shafton,  der  hier  einige  Tage  im 
Verborgenen  iiibringen  will.    Ja  den  Abt  selbst,  den  beque- 
men Mann ,  sehen  wir  mit  seinem  Gefolge  an  dem  einsamen 
Aufenthalte  erscheinen  ,  und  der  Ritter  stellt  sich  ihm  ala 
einen  nahen  Verwandten  des  Piercie,  Earl  von  Nort- 
humberland,  dar ,  und  als  einen  wichtigen  Mann  in  den 
Planen  der  Katholiken :  der  deswegen  flüchtig  werden  mufste. 
.Nach  seiner  Sinnesweise  zeigt  er  sich  nur  gegen  das  Fräulein 
•galant,  indessen  er  die  andern  Hausgenossen,  als  bäurische 
Leute,  verächtlich  behandelt.    Hierdurch  fühlt  sich  Haibert , 
der  seit  seinem  Besuche  in  CarriÖnan -Schian  wie  umgewandelt 
erscheint ,  als  Haupt  der  Familie,  gekränkt;  und  auf  den  Rath 
der  waiXsen  Frau; 

„Treffen  Piercie  Shafton's  pralereien  dein  Ohr, 
So  halt'  ihm  dieses  Geschenk  nur  vor  !« 

hält  er  wirklich  dem  Uebermüthigen  die  silberne  Nadel  vor, 
welche  ihm  die  Erscheinung  aus  ihren  Haaren  gereicht  hat« 
Des  Kitters  Wuth  ist  grofs,  und  er  fordert  seinen  Gegner  zu 
dem  Zweikampfe,  der  ihn  in  der  Frühe  des  Morgens ,  ohne 
sich  durch  Mariens  Bitten  zurückhalten  zu  lassen,  nach  dem 
zauberhaften  Orte  leitet.    Da  gähnt  ihnen  ein  geöffnetes  Grab 
entgegen.     Sie  kämpfen  bei  demselben ,  und  der  gewandte 
Fechter  sinkt  durch  die  Hand  des  ungeübten  Jünglings,  Ent- 
'  setzt  Über  den  begangenen  Mord,  eilt  Haibert,  einen  Frem- 
den, den  er  von  ferne  nahen  sieht,  zur  Hülfe  herbei  zu  rufen. 
Doch  bis  er  mit  diesem,  der  sich  als  den  reformirten  Prediger 
Heinrich  Warden  zu  erkennen  gibt,  zurückkehrt,  findet 
er  den  Leichnam  verschwunden  und  das  Grab  geschlossen; 
und  da  er  es  nun  nicht  wagt,  sich  zu  den  Seinen  zurück  zu 
begeben,  so  folgt  er  dern  Prediger  nach  der  von  den  Fluthen 
des  Sees  umschlossenen  Burg  des  Ritters  von  Avenel.  TVIit 
Empfehlungsschreiben  von  dem  Lorde  James  Stuart,  dem 
nachmals,  so  berühmten  Earl  von  Murray,  versehen,  findet 


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Romane  reo  Wtltei  SeoU.  327 

dieser,  der  von  Edinburgh  entflohen  war,  erat  ei oe  freund- 
liche Aufnahme.  Als  er  aber  in  feinem  Eifer  über  Üti  Ver- 
bindung des  Schlofsherrri  mit  der  diesem  gehandfesteten  Ca > 
tharina  sich  nicht  au  mäTiigen  weifs,  wird  er  in  daa  Ger 
fängnifs  geworfen.  Halbert  rettet  sich  durch  nachtliche 
Fiucbt  aus  den  Händen  des  Gewaltsamen,  dessen  Dienste  er 
gleichfalls ,  wie  die  des  Klosters  ,  nach  höhern  Dingen  stre- 
bend, verschmäht. 

,  Sein  Ausbleiben  verursacht  indefs  in  Glendearg  grofse 
JBestürzung.  Der  Prior  hat  sich  hier  wieder  eingefunden,  unll 
alle  werden  durch  das  ängstliche  Geschrei  Mariens  erschreckt, 
die  «i«  »n  einem  sehr  besorglichen  Zustande  auf  ihrem  Zimmer 
finden.  Doch  jetzt  erscheint  wenigstens  Einer  der  Vermifs- 
ten ,  der  Euphuist,  obwohl  mit  bleichem  Antlitze  und  blut- 
beflecktem Kleide,  und  sogleich  will  er  seiner  schönen  „Dis- 
cretion«  zu  Hülfe  eilen.  Aber  sie  stöfst  ihn  zurück  und  schilt 
Jhn  einen  Mörder.  Ihr  treuer  Diener  Martin,  den  sie  in 
liebender Besorgnifs  den  Kämpfern  nachgesandt,  hat  die  Kunde 
von  dem  geschlossenen  Grabe  gebracht,  und  alle  »weifein 
nicht,  dals  der  Ritter  an  dem  Junglinge  zum  Mörder  gewor- 
den.    Bios  bei  dem  Prior  ,  der  selbst  die  Zauber  des  Ortea 


erfahren f  kann  dessen  Erzählung,  wie  er  selbst  der  Ver- 
wundete seye,  aber  nur  durch  Zauberei  habe  unterliegen 
Jtönnen,  und  wie  er  ,  als  er  wieder  zu  sich  selbst  gekommen, 
eich  ohne  Wamines  in  seinen  Mantel  gehüllt  und  mit  vernarb- 
ter Wunde  gefunden,  einigen  Glauben  gewinnen.  Eduard, 
der  seine  bewaffneten  Nachbarn  herbei  gerufen,  hält  den  ver- 
neinten Verbrecher  die  Nacht  in  dem  Thurme  gefangen* 
Aber  die  schöne  Mysia  oder  Mysinda  wird  dem  Einge- 
schlossenen zur  Retterin,  und  so  sehen  wir  denn,  während 
«ein  Gegner  sich  auf  eiliger  Flucht  gegen  Edinburgh  wendet, 
*len  Ritter  gleichfalls  in  anderer  Richtung  entfliehen,  diejschöne 
•Müllerin  erst  hinter  sich  auf  dem  Rosse,  dann  als  verkleideten 
Knappen  au  seiner  Seite, 

Noch  in  der  Nacht  aber  ist  Maria  durch!  die  Erscheinung 
.der  weifsen  Frau  beruhigt  worden,  welche. sie  nach  der 
Stelle  auf  dem  Boden  hinweist,  wo  Halbert  unter  den  (aufge- 
brochenen Dielen  die  Bibel  verborgen  bat.    An  dem  Morgen 
bringt  darauf  auch  Christie  von  Clinthill  die  Kunde,  dafs  der 
^Flüchtige  in  der  Nacht  auf  dem  Schlosse  seines  Herrn  gewesen. 
Dieser  selbst  hat  unterdessen  andere  Plane  entworfen,  und 
in  dem  Verlangen  der  Rache  sendet  er  rnit  seinem  Diener  den 
,verhafsten  Prediger  dem  Kloster  ,  um  für  diese  Gefälligkeit 
andere  Dienste  au  empfangen.   So  treffen  die  zwei  gewaltigen 


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0 


■ 


328        ■  üS^Wm&mk 


Männer  in  GlendMrg  zusammen,  Utl<!  sie etUÜtiiien  einander^ 
der^  jtföncK  "den  Prediger  alt.  seinen  frühWn  Stubengenoasen 
Hei  n  r  ich  Well  Wo  o  d,  und  dieser  jenen  als  seinen  Freund 
Wiftlam  Allan,  Und  wie  ihre  Geister  indessen  auf  ganz 
gntgegenkcsetzten  Bahnen  sich  geschieden.  Der  Prior  ,  der 
den  Veriundiger  der  gehafsten  neuen  Lehre  in  seiner  Gewalt 
sieht9  bestehet  den  Kampf*  zwischen  Seinem  Winden  Glau* 
benseifer  und  den.  besseren  Regungen  seines  nicht  unedeln 
Herzens.  Ohne  an  dem  alten  Freunde  irgend  eine  Gewalt  su 
yerüben  tn  lSfst  e-r  ihn"  tn  dem  Th  urme  zurück,  wo  wir  den 
ungWciHchen  Eduard  y6n  fentsetzen  über  sich  selbst  erfaßt 
8 eben;  v!0ie  Nachricht  von  dem  Leben  seines  Bruders  bat  nicht 
Freude,  riüV  eifersüchtigen  Scomerz  in  ihm  geweckt,  Nun  ist 
Mar'ia  äüf  immer  für  ihu.  verlbren  ;  er  beschliefst,  entsagend 
ein  Manch  zu  werden. 

Doch  auch  in  dem  Kloster  ist  alles  In  grofser  Bewegung. 
Neue  Kriegsstürme  wälzen  srcb,  Verderben  drohend,  gegen 
den  friedlichen  Aufenthalt.  Von  der  einen  Seite  schreckt  Sit 
JonFoste^,  der  Englische  Gränzwächter,  von  der  andern 
J  a  m  e  s  : S  tu a  r  t ,  jetzt  Lord  Murra y.  Unter  so  schwieri- 
gen Verhältnissen  fühlt  sich  der  friedliebende  Abt  Bonifa- 
tius seiner  Steele  nicht  gewachsen,  und  legt  sie  in  die  Hände 
cjes  PriörsEustathius.  Dieser  waffnet  die?  Lehnsleute  des 
Klosters ;  an  die  Spitze  der  Vertheidiger  tritt  Julian  von 
Avenel,  dem  später  sich  P i e r ci e?Sha f to n  beigesellt. 
Haibert  ist  inzwischen,  in  die  Dienste  des  Lords  Murräf 
und  hat  den' PvniSfT^lisrh^n    ( i!  angenommen. 


voran  au  eiieu  »  um  ane  r emasejigKeiten  zu  veruinuci."' 
kommt  zu  spät;  eben  hat  sich  die  Schlacht  surft  Nachtheile 
der  Klosterleute  entschieden.     Julian  von  Avenel 
entseelt  auf  dem  Wahlplatze;  neben  ihm  die  treue  Catha- 
rina,  dir        m-J  ' ^    '  ^-     Ah«  we- 


ie  den  Tod  „Vs  Geliebten  nicht  überlebte.  Aber  we- 
nigstens das  Kind  der  Unglücklichen  rettet  er.  Engländer 
und  Schotten  gleichen  sich  friedlich  aus,  und  der  altefcta- 
wart  Boltqn  bleibt  als  Bürge  bei  dem  Schottischen  Heere. 
Diesem  zieht  die  feierliche  Processiqn  des  Klosters  entgegen 
für  da*  sich  nun  erkenntlich  der  Prediger  Heinrich  War- 
den ^'Wendet,  Der  Enphuist  ergibt  sich  auf  Gnade  u« 
UngMade.  Die  höchstö  Strafe  ist  die  volle  Beschämung  «■ 
Faul»,  dessen  Geheimnis  Bultoq  cntltihV, *  wt<?  *T  TP 


der  MUtter des  Ritter»,  statt  ein  gek^^ftites  jrltiupt  ^  v 4 c  1  m dir 

^noA  hierdurch,  erklart  $icb  sein*  Wuth,  Ober  dieTPr^haW 
-»ene^Neidel        der  ake  Schneider  Croff  stich  von -  Ü»r 
<l  er  n  e  i  's  gewesen,  f  Dame  GJendiohihg  erkennt  da  na  in  dem 
♦Englischen  Offieier  ihren  alten  Woblthäter,  und  dieier  selbst 
ist  nicht  minder  erstaunt,  allee,  wie  er  e»  bei  seinem  erste» 
Besuche  in  dem  rotheo  Thale  vorausgesagt ,  erfüllt,  und  den 
f«rinen  jener  Leider*  Knaben  nun  zu  dem  Mönche,  den  andern 
zu  einem  tüchtigen  Krieger  herangereift  zu  sehen.     Der  Eu- 
phuist  wird  mit  seiner  liebenswürdigen  Mvsinda  nach  Flan#- 
ctern  entlassen,  die,  schöne  Maria  vpn  ^yenel  aber,  diu 
durch  den  Prediger  Warden  zu  dem  £yangelium  geführt  wor- 
den* an  Halbort  vermählt,  mit  deren  Uand  dieser  zu  dem 
•Besitze  de»  alten  Schlosses  ihrer  Familie  gelangt,         ,n/  ;i> 

Eduard  stürzt  sich  in  Verzweiflung  nach  Corriönan- 
Scbian  binauff.  Die  weifse  Frau  erscheint  ihm.  Ihr  gol- 
i! «Ii i-r  Gürtel  ist  zu-  einem  dünnen  Seidenfaden  geworden;  sie 
lüfst  sich  in  dem' Spruche  vernehmen  i  ''••/  '•»»••il 

*  r  '  i 

■       •  <  .  ■  .    >  t        .  ['S'  *"  *l      *  *  J  "»      ('   '-Ii.  ».'Iii 

Dv'r  Knoten  des  Verhängnisses  ist  geschlungen  !  , 
.  Z«r  Braut  bat  die  Maid,  zum  Lord  der  Bauer 

Sich  aufgeschwungen  ! 
.4  .Vergebens  meine  List  und  Zaubermacht 
•    Auf  »|er  Liebenden  Trennung  war  bedacht. 
Das  Haus  Avenel  von  stolzer  Höh*  i 

T  1     C  II  i  •  i 

Jch  fallen  seh  l,  — 


Iii'!.. 


;  •  •  i«V  •*  '  r        ...     .  vi  .         «»•:  :  i 

Aber  das  Hau«  Avenel  soll  «ich  wieder  in  verjüngtem 
Glänze  zu  seiner  Höbe  erheben.  Wie  wir  in  der  ersten  Dich- 
tung den  Sohn  des  Dienstmannes  aus  dem>  schauerhaffcen  Thale 
sich  zu  dem  Lorde  empor  schwingen  sehen,  so  enthüllet  uns 
die  zweite  ,  der  Abt  überschrieben  ,  wie  ein  armer  ,  verlas- 
sener Knabe,  aber  der  ächte  Spröfsling  des  alten  Stammes, 
zu  gleich  herrlicher  Ehra  aufblühet,  und  endlich  wieder  die 
Stelle  einnimmt,  die  ein  Fremdling  nur^kurze  Zeit  behaup- 
tet hatte.  . 

Dieser,  Halb  er  t  Glendinning,  erscheint  zunächst 
als  Ritter  von  Avenel  und  ausgezeichneter  Krieger  vor 
uns,  so  wie  Maria  als  die  gebietende  Frau  auf  dem  von  dem 
See  umrlutheten  Schlosse  dieses  Namens.  Aber  obgleich  sie 
sich  zu  dem  Besitze  ihrer  VUter  zurück  gelangt  und  dem.  ge- 
liebten Manne  verbunden  weifs,  mangelt  doch  noch  vieles  zu 
dem  Glücke  ihres  Hauses..     Die  Kinderlose  entbehret  der 


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33©  Rom.ne  von  Waltet  Scott. 

Mutter  freien  ;  ihr  dfeal.l  fit  viel  abwesend  in  dem  Dienste 

Seines  Herrn,  des  mächtigen  Grafen  Murray  ;  nur  wenig 
•entschädigt  sie  in  ihrer  Einsamkeit  die  Gesellschaft  des  stren- 
gen Predigers  Heinrieb  Warden.  '  Um  so  mehr  wendet 
sie  alle  Innigkeit  ihres  der  Liebe  bedürftigen  Herzens  einem 
Knaben  zu ,  der  durch  sie  aus  dem  See,  in  welchen  er  ge- 
stört war,  gerettet  wurde,  und  dem  sie  die  Stelle  eines 
Edelknaben  einräumt.  *  Dieser  Knabe,  Roland  Gräme, 
eine  Waise  von  unbekannter  Abkunft,  wird  ihr  von  seiner 
-Grofsmutter  und  eineigen  Verwandtin,  Magdalena  Grä- 
me,-der  versteckten  Papistin,  überlassen,  die  nur  so  viel  von 
sich  vernehmen  Ufte,  dafs  sie,  obgleich  jetzt  von  dem  Glücke 
Verlässen  und  ein  armes  Weib,  ihren  Stamm  von  dem  edeln 
Gr3me  von  Heatbercill  ableitet.  Nachdem  sie  mit  geheimnis- 
vollen Worten  deu  Enkel  der  Edelfrau  empfohlen,  verschwin- 
det sie  gänzlich..         , ,  .     i  </ 

.  In  der  katholischen  Kirche  wird  nun  auch  Roland  insge- 
heim von  H albert's  Bruder,  Eduard,  erhalten,  der  aus 
dem  nahqn  Kloster  Kennaquhair,  wo  er  als  Mönch  Ambro, 
aius  lebf,  öfter  herüber  kommt.  Der  Ritter  selbst  überläfst 
ihren  Zögling  ganz  seiner  Gemahlin,  und  es  entwickeln  sich 
auch  bald  die  Folgen  einer  solchen  weiblichen  Erziehung  in 
dem  Begünstigten  der  Edelfrau.  Kühn,  absprechend  und 
herrisch,  edehnüthig,  wenn  er  keinen  Widerstand  findet, 
und  leidenschaftlich  bei  jedem  Tadel  oder  Widerspruch,  achtet 
er  sich  durch  niemand  gebunden,  keinem  verantwortlich ,  als 
seiner  Herrin,  vor  der  er  in  aller  jugendlichen  Demuth  und 
Liebe  sich  neigt.  Obgleich  ohne  allen  Unterricht,  eignet  er 
»ich,  wie  durch  einen  natürlichen  Trieb,  alle  ritterliche  Kunst 
und  Uebung  -an.  Um  die  Gunst  seiner  Gebieterin  beneidet 
und  durch  eigene  Heftigkeit  und  Stolz  beleidigend,  wendet 
er  die  übrige  Dienerschaft  des  Hauses  gegen  sich,  und  läfst 
sich  endlich  bis  zu  thfitiger  Beleidigung  an  dem  Falkner  Adam 
Woodock  und  zu  Trdtz  gegen  seine  eigene  Gebieterin  verlei- 
ten; er  wird  als  ein  Jüngling  von  sieben  zehn  Jahren  aus' dem 
-Hause  verwiesen. 

Da  erscheint  plötzlich  vor  dem  keineswegs  Verlassenen 
in  Cuthberts  Klause  seine  Grofsmutter,  und  sich  des  Zügels 
*>des  nach  eigener  Freiheit  Begierigen  bemächtigend  ,  leitet  sie 
ihn  nach  der  zerstörten  Klosterwobnung ,  wo  Catharina 
Seyton,  die  Pflegeempfohlene  der  verborgen  lebenden  Aeb- 
tissin  Brigitta,  sogleich  mit  ihrem  ersten  Erscheinen  einen 
tiefen  Eindruck  auf  den  Jüngling  hervorbringt.  Auch  das 
Fräulein  scheint  nicht  gleichgültig,  und  die  kühne,  begeisterte 


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Romane  Ton  Walter  Scott» 


Magdalena  heifst  sie,  einet  de«  andern  Zöge  scharf  in  das 
Aug«  fassen,  damit  sie,  sich  wieder  begegnend,  welche  täu- 
(Bchendto  Verkleidung  auch  die  Zeitumstände  nöthig  machen 
könnten ,  ineinander  die  Rüstzeuge  des  grofsen  Werkes  er.- 
kennen  möchten,   wozu  sie  verbündet  seyn  würden«  Nach 
diesen  und  ähnlichen  Andeutungen  führet  die  Grofsmutter  den 
Enkel  weiter  nach  dem  Marienkloster  in  Kennacruhair ,  wo  sie 
z u  der  nächtlich  geheimen  Weihe  des  Paters  Ambrosius 
treffen,  der  die  Kühnheit  besitzt,  nach  erfolgtem  Tode  des 
Ai)tes  Eustachius  die  gefährliche  Würde,  als  letzter  Abt  von 
Kennaciubair  durch  Wahl  des  Klosters  zu  übernehmen.  Aber 
auch  Zeugen  sind  sie  des  wilden  Lärmes  und  Unfuges,  den 
•der  seltsam  aufgeputzte  Hanfe,  den  Ab(  der  Unvernunft  an 
seiner  Spitze,  in  dem  Kloster  erregt,  und  der  endlich  nur 
durch  die  Erscheinung  des  Ritters  von  Avenel  gestillt  wird. 
»         Dieser  verspricht  sich  mit  allem  seinem  Einflüsse  für 
seinen  Bruder  wegen  des  kühnen  Schrittes  zu  verwenden, 
den  der  Pater  gegen  die  Staatsgesetze  gewagt  hatte,  Roland 
•glaubt  er,  um  der  Ehre  seines  Hauses  willen,    so  lange,  in 
sein  Gefolge  aufnehmen  zu  müssen,  bis  er  ihn  auf  eine  an- 
ständige Weise  werde  unterbringen  können.     So  ziehet  der 
-Jüngling  lustig  eine  Weile  in  dem  Gefolge  des  Ritters  bin,, 
bis  dieser  ihn  mit  seinem  Falkner  ,  eine  Botschaft  au  den  Re- 
genten zu  überbringen,  nach  Edinburgh  absendet. 

>  Hiermit  tritt  der  in  aller  Losgescoiedenheit  Aufgeblühete 
.  stierst  in  die  Welt  ein .    Staunend  reitet  er  in  die  grofse  Stadt 
Edinburgh,  wo  ihm  sein  Begleiter  zum  Cicerone  dient,  sich 
'ihm  aber  sogleich  auch  der  bedrohliche  Zustand  des  Landes 
in  einem  Kampfe  kund  gibt ,  in  den  die  beiden  mächtigen  Par- 
theihHupter,  Li esl  i  e  und  S  ey  ton  ,  auf  offener  Strafe  sich 
i verwickeln.     Da  Roland  den  letztern  im  Nachtheile  sieht, 
.springt  er  ohne  weiteres  von  seinem  Pferde  ab,  schliefst  sich 
'ihm  an  und  rettet  ihn  durch  einen  mächtigen  nach  dessen  Geg- 
ner gerichteten  Streich.     Gleich  rasch  folgt  er  einer  Vorüber- 
gehenden, in  welcher  er  Catharina  Seyton  zu  erkennen 
glaubt,  und  bringt,  statt  der  von  seinem  Begleiter  für  ihn 
gefürchteten  Schläge,  eine  goldene  Kette  zurück.    Sie  gelan- 
gen nach  der  alten  Königsburg.    Herrliche  Schilderung  des 
Lebens  in  derselben.     Während  er  an  den  Regenten,  Lord 
3VI  u  r  r  a  y ,  seine  Botschaft  besorgt ,  ist  er  unbeachteter  Zeuge 
eines  Gespräches  desselben  mit  dem  Grafen  Morton,  woraus 
sich  ihm  die  gefährliche  Lage  der  Königin  ergibt,   die  von 
-ihrem  Bruder  gefangen  gehalten  wird.    In  der  Herberge  tritt 
der  Edelknabe  in/  dem  JuruarmanU}  *H  ihmi.  unter  dessen 


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332  Romane  von  Waltet  'Scott* 

rother  Sammetrnütxe  er  wieder  die  Zuge  seiner  Catbarina  er- 
kenne, und  der  ihm  geheimnifsvoll  das  schöne  Schwert  unter 
der  Bedingung  überreicht,  die  Waffe  nicht  eher  sü  entblöfsen, 
Lis  seine  rechtmässige  Königin  es  ihm  gebieten  werde. 

Roland  selbst  wird  von  dem  Regenten,  als  ihm  von  dem 
treuen  Ritter  Halhert  Glendinning  zugesandt,  seiner  gefan- 
genen Schwester  zum  Edelknaben  bestimmt.  in  dem  Gefolge 
des  starren  JLordes  Lindesay  begibt  er  sich  zu  derselben , 
und  wir  werden  nun  hiermit  aus  den  freieren  Räumen  der 
Dichtung  in  das  enger  umschränkte  Gebiet  der  Geschichte  ver- 
setzt. Das  schauerliche  Schlois  L  o  c  h  1  e  v  e  n  in  der  Mitte 
des  Sees  aufragend ,  tritt  vor  unsere  Blicke ,  in  dessen  engen 
Räumen  sich  jetzt  MaT i a  Stuart  bewegt,  die  durch  Sc' 
beit,  Geistesbildung  und  Mifsgescbick  gleich  ausgezeict 
Frau,  »sie,  in  deren  Antlitze  sich  alles  vereint,  was 
Anmutb,  Hoheit  und  Glanz  nennen,  und  das  uns  in  Unge- 
Wifsheit  läfst,  ob  diese  Zuge  glücklicher  die  Königin,  dio 
Schönheit  oder  das  vollendete  Weib  bezeichnen.«  Und  diese 
Fürstin  erblicken  wir  zunächst  in  dem  feindlich  höfischen  Ver- 
kehre  mit  ihrer  Hüterin  *  der  Herrin  von  Lochleven,  deren 
Kelze  früher  Jacob  V.  gefesselt ,  welchem  sie  den  berühmten 
Regenten  Murray  geboren  ,  und  der  später  Sit}  Willi 


Regenten  Murray  geboren  ,  und  der  später 
glas  seine  Hand  geweiht  hatte.  —  Dann  sehen  wir  die  beiden 
Jt'artbeien  um  die  Gefangene  ringen,  Wie  ihr  von  Seitee  des 
Regenten  die  zwei  starren  Männer  Lindesay  und  Ruth- 
Veri,  in  Begleitung  des  vermittelnden  Robert  Melville, 
drohend  die  Ku  t  sag  ungs  acte  abnöth igen  ,  und  sie  diese  auf  dein 
Rath  ihrer  eigenen  Freunde  unterzeichnet  —  und  Rolands 
Schwert  verbirgt  ein  Blatt  des  treuen  Seyton  —  weil  sie  ,  in 
Freiheit  gesetzt,  nicht  durch  eine  ihr  in  der  Gefangenschaft 

abgedrungene  Unterschrift  gebunden  seyn  werde;  und  wie 

von 'der  andern  Seite'  ihre  eigenen  Anhänger  alles  aufbieten, 
sie  der  Macht  ihrer  Feinde?  zu  entreisaen  ,  und  diese  über  dem 


See  in  dem  Dorfe  ihre  geheimen  Zusammenkünfte  in  ( 
Hause  des  alten  Gärtners  halten.  Der  erste  Versuch  ihrer 
Rettung,  zu  welchem  der  junge  Georg  Douglas  selbst, 
von  Liebe  zu  der  Königin  gewonnen ,  mitwirkt,  mifslingt. 
Zu  desto  erwünschterem  Erfolge  führt  der  zweite,  da  Maria 
Stuart  den  Versuch  des  fatalistischen  Haushofmeisters  Deyfes- 
dale,  sie  au  vergiften ,  schlau  zu  benutzen  weifs  ,  Magdalena 
Gräme  zu  sich  herüberzurufen,  und  der  Abt  Ambrosius 
selbst,  unter  der  Hülle  des  der  Schlofsfrau  von  ihrem  Söhne 
zugesandten  Bewaffneten,  sich  einen  Weg  in  den  Kerker  d« 
königlichen  Gefangenen  eröffnet.    •  • 


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Romane  von  Walte*  Soetr.  ^33 

Roland  zeigt  indem  Ringen  beider  Partheien ,  in  einer 
vielfach  verstrickten,  und  nicht  immer  der  behaglichsten  Lagu 
mehr  Klugheit,  als  man  diese  von  dem  Unerfahrenen  hätte 
erwarten  sollen«    Um  so  weniger  gewinnt  er ,  der  von  dem 
Kegenten  Bestellte,  anfänglich  das  Zutrauen  der  Verbündeten 
der  Königin,  da  man  auch  seine  Annäherung  zu  dem  verstän- 
digen Prediger  des  Schlosses  ,  Elias  Henderson,  bemerkt, 
der  allerdings  seinen  kirchlichen  Glauben,  aber  keineswegs 
seine  Treue  gegen  die  Königin  wankend  macht.     Er  erkennt 
vielmehr ,  wie  er  bei  dieser  durch  den  Hegenten  eben  nur  die 
Stelle  erhalten,  die  ihm  seine  Grolsmutter  zugedacht  hatte; 
und   seine  Verbündete  ist  hier  seine  geliebte  Catharina 
Seyton,  welche  er  als  die  jüngere  der  beulen  Hoffräulein 
der  Königin  trifft,  die  aber  erst  durch  ifcr  augenscheinliches 
Einverständnis:  mit  dem  jungen  Douglas  eifersüchtige  He- 
gungen, so  wie  durch  ihre  Verkleidung  seltsame  Ideen  in  ihm 
weckt,  bis  es  sich  aufklärt,  wie  der  junge  Ritter  nicht  die 
Dienerin,  sondern  die  Fürstin  seihst  lieht,  und  die  in  wech- 
selnder Hülle  erscheinende  Gestalt  nicht  Catharina,  sondern 
deren  Zwillingsbruder ,  Heinrich  Seyton,  ist. 

Aber  eben  dieser  feurige  Bruder  tritt  nun  dem  Geliebten 
seiner  Schwester  feindlich  entgegen,  indem  er  sich  beharrlich 
jeder  Verbindung  der  Tochter  eines  so  alten  Hauses  mit  einem 
Manne  ohne  Herkunft  widersetzt;  und  da  hierauf  die  Köni- 
gin, von  dem  Abte  und  dem  treuen  Ritter  Douglas  geleitet, 
sich  glücklich  in  das  Schlofs  des  Lords  Seyton  rettet,  so  ge- 
lingt es  selbst  ihr  und  dem  Lorde  kaum,  die  beiden  gegen 
einander  aufbrausenden  jungen  Gemüther  zu  beschwichtigen. 
Doch  der  Ernst  der  Geschichte  zieht  uns  wieder  von  dem  hei*» 
tern  Spiele  der  Dichtung  ab.  Es  folgt  die  Niederlage,  welche 
die  königliche  Parthei  sich  durch  Uebermuth  und  Unvorsich- 
tigkeit selbst  zuzog,  und  welche  die  Königin  endlich,  nach^ 
dem  ihre  Farthei  sich  zerstreut  hat,  zu  dem  unglücklichen 
Entschlüsse  bestimmt,  sich  in  den  Schutz  ihrer  Nebenbuhlerin 
Elisabeth  zu  begeben.  Ihr  männliches  Gefolge,  und  yon 
diesem  zuletzt  noch  Roland  und  der  umsonst  warnende  Abt 
Ambrosius,  mufs  ander  Gränze  zurückbleiben. 

Der  schwarze  Ritter  (Georg  Douglas)  und  der 
mächtige  Heinrich  Seyton  sind  in  der  Schlacht  gefallen. 
Dafs  aber  Roland  der  Sohn  des  kühnen  Julian  von  Avenel  sey, 
daran  hat  der  Leser  da  schon  nicht  gezweifelt,  als  er  von  dem 
aus  dem  See  Geretteten  hörte;  und  dafs  seine  Mutter,  Ca- 
tharina Gräme,  wirklich  durch  das  Sacrament  der  Ehe  ins- 
geheim mit  Julian  verbunden  gewesen ,  hiervon  tiberzeugt 


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334 


«ich  selbst  Haibert  Glendinning  durch  ein  Document, 

das  er  in  der  Wohnung  des  alten  Gärtners  gefunden,  in  dem 
wir  den  alten,  den  Frieden  in  solcher  -Losgeschiedenheit 
suchenden  Abt  Bonifacius  wieder  erkennen.  Der  Ritter 
bescheidet  nun  seihen  einzigen  Erben  zu  sich,  diesem  und 
dem  Abte  die  Verzeihung  des  Regenten  zu  verkündigen. 
Ambrosius  findet  eine  Zuflucht  in  einem  Schotten kloster 
in  Frankreich ,  wo  er  als  Heiliger  stirbt.  Mit  inniger  Freude 
wird  Koland  von  seiner  Pflegerin  Maria  aufgenommen,  die 
staunend  erkennt  9  wie  sie  in  dem  vermeinten  Waisenknaben 
den  einzigen  Zweig  ihres  Stammes  auferzogen.  Der  Verbin« 
düng  des  £rbep  des  alten  Hauses  von  Avenel  mit  Fräulein 
Seyton  steht  länger  kein  Hindernifs  entgegen;  obgleich  ver- 
schiedenen Glaubens  —  den  der  junge  Ritter  nach  dem  Tode 
seiner  Grofsmutter  geändert  —  leben  Roland  und  Catharina 
innig  und  glücklich  mit  einander. 


t  • 

t 

• 

Wir  versuchen  es  aber,  nachdem  wir  so  die  verschiede« 
nen  Figuren  und  Gruppen,  welche  diese  beiden  Gemälde  in 
reicher  Mannigfaltigkeit,  ja  fast  buntem  Gemische  dem  Blicke 
des  Betrachters  darbieten  9  in  dem  Einzelnen  überschaut  haben, 
ein  Urtheil  über  das  Ganze  zu  fällen. 

Das  Kloster  ist  das  erstere  überschrieben y  und  das 
Marien  kloster  zu  Kenaqubair  macht  allerdings  eine 
Hauptepoche  in  demselben  aus  ,  eine  Zeichnung ,  die  durch 
gelungene  Ausführung  fesselt  und  zugleich  durch  ihre  Bezie- 
hung auf  die  kirchlich- politischen  Verhältnisse  Schottlands 
in  der  zweiten  Hälfte  des  sechszehnten  Jahrhunderts  dem 
Stücke  zu  seinem  historischen  Grunde  und  Anlehnungspunkte 
dient.  Aber  doch  ist  dieses  Kloster  nur  ein  Beigegebenes« 
Das,  wovon  die  ganze  Reihe  der  Ereignisse  ausgeht  und  wo- 
hin sie  zusammenliefst,  ist  das  Schicksal  des  alten  vornehmen 
H  auses  Avenel,  das  mit  dem  der  dienstbaren  Familie 
Glendinning  in  Verbindung  gebracht  wird,  und  dagegen 
kämpft  die  weifse  Frau,  der  Geist  dieses  Hauses  ,  mit 
ihrem  gespenstischen  Einwirken,  dafs  nicht  das  alte  Erbe  der 
edeln  Avenel  in  die  Hände  der  bäurischen  Glendinning  kommen 
möge.  Aber  sie  kann  die  Macht  des  Schicksals  nicht  hemmen, 
und  indem  es  ihr  gelingt ,  Haibert  von  dem  heimatblicben 
Thale  und  aus  Mariens  Nähe  zu  verscheuchen  9  sendet  sie  ihn 
nur  dem  Lorde  Murray  zu,  dessen  Gunst  ihn  mit  Mariens 
Hand  und  dem  Besitze  ihres  alten  Stammschlosses  belohnt. 


« 


Romane  tob  Waker  Scotr.  J 3  5 

Aber  als  ein  gar  seltsames  Wesen  erscheint  diese  w ei fae 
Frau,  allau  körperlich  für  einen  Geiat,  da  sie  wirklich  Hak 
hert  die  Nadel  aus  ihren  Haaren  darreicht,  und  zu  geheimnil's- 
reich  ,  gespenstisch  mächtig  für  ein  in  dem  Verborgenen  wir« 
kendea  leibliches  Wesen.  Wer  sie  seye,  bleibt  unerklärt« 
and  doch  tritt  sie  allau  materiell  auf ,  ala  dafa  sie  für  ein 
blofaea  Erzeugnife  der  Phantasie  der  durch  sie  Geängsteten 
gelten  könnte,  oder«  wie  dies  in  vielen  Stücken  unseres  geist- 
reichen HoiFmann  mit  so  köstlicher  Kunst  durchgeführt  ist, 
ea  findet  hier  nicht  jene  geheimnisvolle  Mitte  zwischen  Wirk.'* 
liebkeit  und  Täuschung  statt«  ao  dafs  es  unentschieden  bliebe« 
ob  die  Erscheinung  nur  Phantom«  oder  wirklich  exUtireodes 
Wesen  sey.  Auch  ist  sehr  auffallend  das  Interesse ,  das  dieser 
Geist  der  Unterwelt«  der  auf  keine  Weise  den  heiligen  und 
reinen  Bewohnern  des  Himmels  beigezählt  werden  kann  «  da 
er«  Grauen  verbreitend  und  ohne  die  Hube  des  Grabes  zu  ge- 
tiiefsen ,  umher  wandelt ,  gerade  an  dem  heiligen  <  Buche 
nimmt,  so  anmuthig  sonst  auch  der  doppelte  Vorgang  erzählt 
wird,  wie  die  Spuckgestalt  den  beiden  Mönchen  das  Buch 
entreifst ,  und  in  so  schöne  Verse  auch  sonst  der  Geist  seine 
Sprüche  einkleidet. 

Eine  fast  überflüssige  Beigabe,  die  man,  wenn  sie  nicht 
dawäre«  kaum  vermissen  würde«  ist  der  Eupbuist  Sir 
V  iercieShafton,  mit  seinen  Koffern  und  dem  vierfachen 
Anzüge,  der  durch  den  Wechsel  der  Bänder  und  Garnierungen 
scheinbar  zu  einem  zwölffachen  umgestaltet  werden  kann,  die- 
ser Abkömmling  der  Donquixote«  dieses  Gemisch  von  ritter- 
lichem Wesen  und  Galanterie,  und  von  gemeiner  Eitelkeit 
und  Rohheit,  —  der,  von  dem  Dichter  frei  erfunden,^  sich 
doch  in  den  Fesseln  seines  Euphuisten  nut  etwas  schwerfällig 
bewegt,  sonst  aber  gut  durchgeführt  ist,  als  —  nach  dem 
Urtheile  des  Subpriors  —  einer  jener  gekräuselten  Elegants,« 
Welche  auf  eitle  Beweise  der  Tapferkeit  ihr  Vermögen  ver- 
schwenden und  ihr  Leben  in  Gefahr  setzen,  um  unter  der 
Blüthe  der  Kitterschaft  zu  glänzen  ,  dann  aber  ihre  Umstände 
dadurch  zu  verbessern  suchen  ,  dafs  sie  sich  zu  der  Ausführung 
von  Unternehmungen  hingeben ,  welche  Gescheidtere  ala  aie 
entworfen  haben. 

*  Eine  Person,  die  durch  besondere  Stärke  oder  Hoheit 
des  Charakters  anspricht,  oder  überhaupt  eine  rechtglänzende« 
grofsartige  Erscheinung«  wie  in  andern  Stücken,  zeigt  sich 
hier  nicht,  in  sb. edler  Haltung  sonst  aucl}  die  unglückliche, 
von  ihrem  Schwager  verdrängte  Lady  von  Avenel  dasteht. 
Auch  ihre  Tochter,  die  innige,  ahnungsvolle  Maria,  befrie- 


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« 


336  "  Rerniwe  von  Walter  Scotf, 

digt  nicht  ganz  ,  >  u «ft  der  gegen  beide  feindliche  J  ul  ian  vo  » 
-  A  venel  stellt  nur  da*1  Bild  der  rohen,  nicht  von  einem  edlen 
Geiste  geleiteten  Tapferkeit  dar.  Selbst  die  ihm  —  ihrem 
Glauben  nach  — nur  gehandfestete  Ca t ha rina  zeigt, sich, 
obgleich  in  inniger?,  doch  nicht  edler  Liebe.  J% 

Den  eigentlichen  Mittelpunkt  des  zweiten: Stockas  sehen 
wir  dann  den  Sohn  dieser  beiden,  Rolan  4#rärae,  bilden, 
wie  er  zuerst  unter  dem  Namen  seiner  Grofsmutter  erscheint, 
3)is  er  dann  als  Roland  Avenel  auftritt,  und  zuletzt  sich 
als  den  wirklich  gesetzlichen  Abkömmling  der  zweiten  JLinie 
der  Aröttöl  und  alrdeitrechtmäfsigen  Erben  der  Besitzungen 
derselben  darstellt,  ünd^dar  junge  trotzige  Knappe,  wie  er 
in  seiner  edeln  Natur  sich  entfaltet,  erweckt  immer  mehr  un- 
sere Liebe  und  Theilnnhme  für  sich.  Nur  freilich  wird  er 
bald  einem  glänzenden  Bilde  nahe  gebracht,  in  dessen  präch- 
tigem* Leuchten  sein  schwächerer  Schein  erloschen  mufs. 

Denn  hier  erscheint  uns  nun  in  heerlicher  Zeichnung 
Maria  von  Schottland  in  ihrem  Gewabrsame  in  dein 
von  den  Wellen  des  Sees  umspülten  Schlosse  Lochleven, 
und  die  ganze  Theilnahme,  die  der  Dichter  dem  von  ihm  er- 
fundenen Hause  Avenel  gewonnen  ,  zerstiebet  gleichsam  vor  der 
gewaltigem  Macht  der  Wirklichkeit  und  dem  hohem  Interesse 
der  Geschichte.  Ja  die  ganze  dichterisch  erfundene  und  aus- 
geschmückte Fabel  will  uns  hier  nur  erscheinen,  wie  ein  aus 
phantastisch  gemalten  Tapeten  und  Papier  wänden  aufgeführte! 
Lusthaus  ,-das  an  die  Seite  eines  alten,  ehrwürdigen  ,  auch  in 
seinen  Trümmern  noch  festen  Baues  angefügt  worden.  Die 
Geschichte  stehet  in  ihrem  Ernste  und  ihrer  Ehrfurcht  gebie- 
tenden Macht  in  sich  abgeschlossen  da.  Es  darf  in  das  Le- 
Leu  ,  das  in  grofser  und  erfolgreicher  Wirklichkeit  vollendet 
worden,  wo  dieses  geschildert  wird,  nicht  ein  Anderes,  das 
nie  exiatirte,  und  mit  Einflüssen  auf  dasselbe,  die  es  nie  übte, 
eingefügt  werden.  Und  man  wende  nicht  ein,  dafs  so  das 
ganze  geschichtliche  Drama  nicht  besteben  dürfe.  Denn  in 
dem  Drama  ,  der  höhern  Tragödie  zumal,  dient  die  Geschichte 
nur  grofsen,  das  Gemüth  anregenden,  uns  in  der  heiligsten 
Tiefe  erfassenden  Ideen;  sie  gibt  nur  die  Fabel,  die  mit  einer 
gewissen  Freiheit  ausgehildet  wird.  In  dem  Romane  dagegen 
ist  das  Erste  die  Wirklichkeit}  ganz  vorzüglich  in  diesen 
Romanen  ist  dieses  der  Fall. 

{Dil  Forts$tzung  folgt.) 

*■    .  .  .  #  .  .  • 


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N.  22.  •  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Romane  von  Walter  Scott. 

{Fortsetzung*) 

Üm  so  mehr  mufs  uns  gerade  hier  der  seltsame  Wider» 
spruch  fühlbar  werden,  in  welchen  sich  der  Dichter  dadurch 
mit  sich  selbst  versetzt,  dafs  er  sich  in  allen  seinen  Dichtun- 
gen bemüht,  die  Wirklichkeit  auf  das  vollkommenste  nachzu- 
bilden ,  und  uns  doch  die  geschichtlichen  Ereignisse  nirgends 
rein  gibt,  wie  sie  sind,  ohne  sie  mit  seinen  Erfindungen  aus- 
zuschmücken, zu  vermischen  und  zu  verfälschen.    Wie  er  da- 
mit seinen  eigenen  Erfindungen  das  Interesse  entzieht  und  oft 
dem  Ganzen  seine  wohlgeordnete  Haltung  nimmt,  darauf  haben 
wir  eben  hingedeutet.     Und  doch  sind  das  nur  zufällige  Ein- 
fügungen, die  nicht  mit  innerer  Notwendigkeit  aus  der  Ver- 
knüpfung des  Ganzen  oder  dem  Leben  und  den  Verhältnissen 
der  handelnden  Personen  hervorgehen.    So  hier  diese  Gefan- 
genschaft  der  Maria  Stuart.      Wie  herrlich  ist  die 
.Zeichnung  dieser  Königin!    In  wie  scharfen  Umrissen  steht 
sie  ihrer  feindlichen  Hüterin,  der  Herrin  von  Lochleven,  der 
frühern  Geliebten  ihres  Vaters  ,  gegenüber!    Wie  unvergleich- 
lich ist  die  ganze. lange  Scerle,  da  die  beiden  starren  Männer, 
Lindesay  und  Rutbven  ,  ihr  die  Entsagungsacte  ahzunöthigen 
glauben,  und  sie  doch  nur  nachgibt,  sich  fügend  dem  schlauen 
liatbe  Mel  ville'  s  und  des  alten  Sey  ton,  der  ihr  das  Blatt 
in  dem  .Schwerte  ihres  Pagt*n  zusendet,  wie  dabei  Lindesay 
den  zarten  Arm  der  Fürstin  fafst  und  demselben  die  Spur  sei- 
nes Panzerhandschuhes  eindrückt,  und  dann  vor  der  Unbesieg- 
]ichen,  zwar  nicht  als  der  Königiu,  aber  als  Maria  Stuart, 
auf  das  Knie  niedersinkt.     Aber  dennoch  ist  das  Ganze,  als 
Jjlofse  Episode,  in  der  Geschichte  des  Hauses  von  Avenel  allzu 
lang,  oder  als  eine  Darstellung  der  Gefangenschaft  Maria's, 
die  einen  ganzen  Band  anfüllt,  hier  nicht  an  seinem  Orte  j  und 
in  denselben  unsichern,  fast  ängstlichen  Zustand,  wie  in  an- 

XIX.  Jahrg.   4.Hefc  22  .. 


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338  Romane  von  Walter  Scott. 

dem  Stficken ,  werden  wir  auch  hier  oft  durch  diese  Mischung 
von  Dichtung  und  Wahrheit  versetzt. 

Uebrigens  ist  gleich  gewaltig,  wie  die  Zeichnung  der  kö- 
niglichen Gefangenen,  auch  die  ihres  Halbbruders ,  des  Rd- 
genten,  besonders  da,  wo  Roland  vor  ihm  stehet,  dessen 
Vorschriften  in  Hinsicht  seiner  Schwester  zu  empfangen.  Mit 
dem  kühnen  ,  von  hier  an  durchaus  edel  gehaltenen  Jünglinge 
erweckt  aber  gleiches  Interesse  die  von  ihm  innig  geliebte 
Catharina  Seyton,  dieses  Wesen  voll  gemüthlicher  Tiefe 
und  froher  Lebenslust  zugleich,  und  der  Reiz  in  dem  Ver- 
kehre der  beiden  ihrer  frühem  Einscbliefsung  Entlassenen, 
aber  nun  von  neuem  von  dem  heitern  Leben  Losgeschiedenen 
wird  noch  erhöhet  durch  die  gebeiranifsvolle  Verwirrung  ,  die 
in  dem  Geiste  des  Liebenden  durch  den  in  der  Gestalt  der 
Geliebten  umherwandelnden  Zwillinßsbruder  des  Fräuleins 
erregt  wird. 

Besonders  bemerkt  zu  werden  verdient  noch  der  Unglück* 
lieh  liebende  schwarze  Ritter,  Georg  Douglas,  der  we- 
nigstens für  die  geliebte  Königin  stirbt,  die  er  nicht  besitzen 
kann.  Als  untergeordnete  Person  übt  hier,  wie  dort  Hein- 
rich Warden,  immer  einigen  Einflufs  Elias  Henderson. 
In  edler  männlicher  Gesinnung  zeigt  sich  Halber t  Glen- 
dinning, als  Ritter  von  Avenel.  Nur  in  dem  Eingange  der 
Geschichte,  und  auch  hier  ohne  besonders  bedeutende  Persön- 
lichkeit, erscheint  Maria,  und  dann  an  dem  Schlüsse  wieder, 
wo  sie  den  als  den  einzigen  Erben  ihres  Stammes  zurück- 
empfangt,  den  sie  als  verwöhnten  Edelknaben  aus  dem  Hause 
verwiesen.  In  desto  schrofferer  Haltung  hebt  sich  die  kühne 
Magdalena  Grame  empor,  mit  ihrem  Sehergeiste  und  ih- 
rem Irrsinne,  mit  der  versengenden  Gluth  ihres  Glaubens  und 
der  mütterlichen  Liebe  zu  dem  einzigen  Enkel.  Zu  ihrer  Seite 
stehet,  als  die  eigentliche  Stütze  und  besonnene  Mitte  d'.r 
katholischen,  für  die  Königin  thütigen  Parthei,  noch  gewal- 
tiger Eduard  Glendinning  da,  nun  Ambrosius,  er- 
wählter und  auch  vertriebener  Abt  des  einst  so  blühenden 
Klosters  Kennaquhair,  und  wenigstens  noch  einmal  tauch«  t 
in  dem  Getümmel  erschütternder  Ereignisse,  als  blödsinniger, 
nur  noch  um  seinen  Garten  besorgter  Greis,  der  friedliche  AI  t 
Bonifacius  herauf,  wie  eine  webmüthige  Ironie  über  das 
rasche,  gewaltthätige  Leben,  das  doch  auch  endlich  verstum- 
men muls  in  leise  verhallenden  Tönen. 

So  müssen  wir  denn  dem  zweiten  Gemälde  in  jeder  Hin- 
sicht den  Vorzug  vor  dem  erstem  einräumen,  so  wie  als  die 
Blüthc  desselben  nicht  die  Gefangenschaft  der  Stuart,  sondern 


V 


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Romane  von  Walter  Seotf.  33£ 

■ 

das  Verhältnifs  des  Edelknaben  und  des  Hoffräuleins  der  Kö- 
nigin und  alle  die  Verstrickungen  betrachten,  in  welchen  diese 
beiden  durch  ihre  Liebe  zu  einander  mit  andern  Personen 
verflochten  werden.  Aber  eine  so  ansiebende  Macht  dieses 
Stfück  auch  übe,  so  können  wir  es  doch  nur  in  die  Reihe  der 
Dichtungen  des  zweiten  Ranges  von  dem  berühmten  Meister 
«teilen. 

'  xvi. 

Dagegen  führen  wir  nun  den  Beschauer  vor  ein  Gemälde, 
das,  der  Astrolog  überschrieben)  und  durchaus  wohlgehal- 
ten und  gleichmälsig  durchgeführt ,  mit  St.  Ronans-Brun- 
nen den  Vorzug  theilt,  dafs  es,  ohne  einen  besondern  histo- 
rischen  Anlehnungspunkt  und  frei  von  allzu  grofser  Anhäufung 
alterthümlicher  Seltsamkeiten  ,  rein  aus  dem  innern  Leben  und 
der  Idee  des  Dichters  hervorgeht,  und  so  selbst  sich  eines 
freiem  Lebensregens  in  sich  erfreut.  Doch  aber  kann  des 
Dichters  Vorliebe  für  das  AlterthÜmliche  nicht  ganz  zurück- 
bleiben.     Denn  auch  hier  handelt  es  sich,  wie  in  dem  andern 

fenannten  Stücke 9  um  die  Existenz  eines  alten  Geschlechtes, 
as,  wie  es  dort  untergeht,  hier  erhalten  wird.  Auch  sehen 
wir  uns  sogleich  in  dem  Eingange  des  Romans  in  die  Nähe 
der  verfallenen  Stammburg  desselben  versetzt,  und  treflFen  in 
dem  neuen  Schlosse ,  das  der  alten  Burg  Ellangowan  ge- 
genüber in  seiner  Aermlichkeit  das  Bild  der  gegenwärtigen, 
von  ihrer  frühern  Macht  und  ihrem  Glänze  herabgesunkenen 
Besitzer  darstellt,  alle  Haupthelden  des  Stückes  zusammen. 

Mannering,  ein  junger  Engländer,  welcher  die  hohe 
Schule  von  Oxford  verlassen,  benutzt  die  gewonnene  Frei- 
heit, einige  Gegenden  von  Nord -England  zu  bereisen,  und 
dehnt  seine  Wanderung  bis  in  den  angränzenden  Theil  des 
Nachbarlandes  aus.  Er  hat  einige  Klostertrümmer  in  der  Graf- 
schaft Dumfries  besucht ;  in  der  Nacht  will  er  noch  das  Dorf 
Klippetringam  erreichen ,  verirrt  sich  aber  und  findet  eia 
Nachtquartier  auf  dem  Schlösse  Ellangowan.  Hier  wird 
in  eben  dieser  Nacht  die  Gattin  des  Hausherrn,  Göttfried 
Bertram's  von  Ellangowan,  den  wir  nebst  seinem  Ge- 
sellschafter, dem  Magister  Abel  Sampson,  kennen  lernen, 
von  einem  gesunden  Sohne  entbunden,  und  schon  hat  sich 
MegMerrilies,  das  lange  ,  in  seiner  ganzen  Gestalt  aus* 
gezeichnete  Zigeunerweib,  eingefunden,  um  das  künftige 
Schicksal  des  Neugeborenen  zu  weissagen.  Aber  der  Rei- 
sende versucht  es  in  jugendlichem  Uebermuthe,  selbst,  als 

22  * 

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340  Romane  von  Walter  Scotf. 

besserer  Astrolog,  dem  jungen  Spröfslinge  von  Ellangowan 

die  Nativität  zu  stellen.  Es  ergibt  sich  ihm  durch  die  Beob- 
achtung der  Gestirne,  dafs  dem  Kinde  vorzüglich  drei  Lebens- 
jahre gefährlich  seyn  werden,  das  fünfte,  zehente  und  ein 
und  zwanzigste,  und  seine  Beobachtungen  stimmen  so  mit  der 
Verkündigung  der  Prophetin  überein  ;  dafs  dem  Kinde  viele 
Gefahr  drohe,    aber  seye  nur  das  ein  und  zwanzigste  Jahr 

f lücklich  vorüber  gegangen,  so  werde  alles  herrlich  enden. 
)abei  überrascht  ihn  noch  der  besondere  Umstand,  dafs,  als 
er  früher  in  einer  ähnlichen  Anwandlung  thörichter  Laune 
seiner  Geliebten,  Sophie  Wellwood,  die  Nativität  ge- 
stellt, sich  für  diese  das  neun  und  dreilsigste  Jahr  bedrohlich 
gezeigt  hatte;  und  nach  seiner  Berechnung  wird  ihr  neun  und 
dreiisigstes  genau  mit  dem  ein  und  zwanzigsten  des  Knaben 
zusammen  stimmen  ,  was  auf  eine  Verschlingung  des  Schick- 
sals beider  zu  deuten  scheint.  Um  aber  mit  diesem  Spiele  — 
wofür  er  selbst  es  achtet  —  nicht  ,  eine  nachtheilige  Einwir- 
kung auf  das  Leben  des  Neugeborenen  zu  üben  ,  übergibt  er 
seine  Beobachtung  versiegelt  dem  Vater,  mit  der  Bitte,  da9 
Gebeimnifs  vor  dem  Verlaufe  des  fünften  Jahres  nicht  zu  ent- 
hüllen, und  in  der  sichern  Erwartung,  dafs  dann  der  unglück- 
liche Zeitpunkt  ohne  irgend  ein  auffallendes  Ereignifs  werde 
vorüber  gegangen  und  seine  Wahrsagung  in  ihrer  Nichtigkeit 
erkannt  worden  seyn. 

Nach  seiner  Abreise  wird  das  Horoscop  dem  Kinde,  als 
ein  Amulet ,  in  einem  Sammetbeutelchen  an  den  Hals  gehängt. 
Sampson  wird  zur  Unterhaltung  des  Hausherrn  und  zu  der 
Erziehung  des  sich  muthig  Und  kräftig  entfaltenden  Knaben 
auf  das  Scblofs  genommen.  Der  gutmücbige  Herr  Gottfried 
Bertram  erreicht  das  Ziel  seiner  Wünsche,  indem  er  Frie- 
densrichter wird.  Aber  in  dem  Eifer  seines  Amtes  reizt  er 
nun  auch  die  Landstreicher  und  Bettler,  die  bisher  einen  ru- 
higen Aufenthalt  in  seinem  Gebiete  gefunden  hatten,  beson- 
ders die  Gesellschaft  der  Zigeuner,  der  Meg  Merrilies  an- 
gehörte, gegen  sich,  und  gar  herrlich  ist  die  Schilderung  des 
Abzuges  der  kleinen  Gemeine  von  Derncleugh,  und  wie  er 
selbst  den  gewaltsam  Verdrängten  begegnet,  und  die  Fürch- 
terliche, Unheil  verkündend,  an  ihm  vorüberzieht.  Auch 
den  Schleichhändlern  und  deren  Führer,  dem  Hauptmanne 
Dirk  Hatterai  k ,  tritt  er,  in  Verbindung  mit  dem  rüsti- 
gen Zollaufseher  ,  Franz  Ken  n  e  d  y ,  «feindlich  entgegen.  So 
nahet  der  Tag,  an  welchem  der  Sohn  des  Hauses  das  fünfte 
Jahr  beschliefst.  Auf  einem  Spaziergange,  den  er  mit  seinem 
Lehret  macht,  begegnet  ihnen  Kennedy,  und  nimoit,  eben 


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Romane  von  Walter  Scott,  341 

in  Verfolgung  der  Schleichhändler  begriffen,  den  muntern 
Knaben  zu  sich  auf  das  Pferd.  Man  findet  hierauf  den  Leich- 
nam dea  ermordeten  Zollaufsehers;  alle  Versuche,  den  ent- 
schwundenen Knaben  wieder  aufzufinden  ,  sind  verg  eblich. 
Der  Unfall  fördert  die  allzu  schnelle  Enthindung  von  Bertram'a 
Gattin ,  die  ihrer  zweiten  Niederkunft  nahe  ist.  Der  Frie- 
densrichter wird  zugleich  Vater  einer  Tochter  und  Wittwer. 

Diese  Vorgänge  füllen  die  zehen  ersten  Kapitel  des  ersten 
Theiles,  und  sind  gleichsam  das  Vorspiel  des  Ganzen,  aus 
dem  sich  der  scharfsinnige  Leser  nun  seihst  die  Verkettung 
des  Folgenden  bildet,  wie  der  Knabe  mit  Mannering's  Gattin 
in  Berührung  treten,  und  das  ganze  Stück  mit  dessen  Wieder* 
erscheinen  sich  beschäftigen  werde. 

So  sehen  wir  denn  nach  einem  Zeiträume  von  siebenzehn 
Jahren  den  reisenden  Studenten  abermals  in  dem  Dorfe  Kip- 
pletringain ,  aber  nun  als  den  indessen  in  Indien  berühmt  ge- 
wordenen reichen  Obristen  Guy  Mannering,  er- 
scheinen; und  zwar  au  eben  der  Zeit,  da  die  Herrschaft  von 
Ellangowan  den  Händen  ihres  herangekommenen  Besitzers 
durch  öffentliche  Versteigerung  entnommen  werden  soll.  Noch 
ist  in  dem  Obristen  die  Erinnerung  an  jenes  nächtliche  Ereig- 
xiifs  und  die  Theilnahme  für  die  unglückliche  Familie  leben« 
dig,  und  er  beschliefst,  mit  Hülfe  des  Untersheriffs  der  Graf« 
schaft,  des  redlichen  Mac  Morlan,  das  Gut  zu  retten.  Er 
wird  Zeuge  des  Todes  des  beklagenswerthen  Lairds  und  des 
würdigen  Verhaltens  seiner  Tochter  Lucio.  Hierdurch  zwar 
wird  die  Auction  aufgeschoben ,  aber  die  Herrschaft  Ellan- 
gowan  kommt  zuletzt  doch  in  die  Hände  des  schändlichen 
Glos  sin,  des  Schreibers  des  Edelmannes,  der  am  meisten 
zu  dem  Ruine  des  Verstorbenen ,  seines  Wohltbäters,  beige- 
tragen ,  und  zwar  durch  die  Schuld  des  Boten  ,  der  die  Briefe 
und  Vollmachten  des  Obristen  nicht  zeitig  genug  an  den  SherilF 
tiberbrachte. 

JVIannering  nämlich  sieht  sich  durch  seine  eigenen 
Familienangelegenheiten  zu  einer  schnellen  Reise  nach  Mer- 
vyn-Hall  in  Westmoreland  veranlafst ,  wo  er  in  dem  Hause, 
seines  Freundes  Arthur  Mervyn  seine  Tochter  Julie,  welche 
ihm  aus  Indien  gefolgt  war,  zurückgelassen.  Schon  sein  eige- 
ner Brief  an  diesen  Freund  gibt  uns  von  seinen  Schicksalen  in 
dem  fernen  Erdtheile  Kunde,  wie  hier  ein  junger  Officier» 
Brown,  seine  Eifersucht  erregt,  und  dieser,  in  dem  Zwei- 
kampfe von  ihm  verwundet,  darauf  durch  den  Ueberfall  einer 
räuberischen  Horde  seinen  Blicken  entzogen  worden.  Seine 
Gattin,  die  ihm  besorgt  folgte,  war  in  derselben  Zeit  in  Ge- 


34a 


Romane  von  Walter  Scott. 


fahrf  in  die  Gewalt  einer  andern  Bande  zu  geratben,  und 
durch  diese  Vorgänge  erschüttert,  acht  Monate  darauf  gestor- 
ben. (  Die  Briefe  Julien»  enthüllen  uns  dann  ,  wie  die  Ohristin 
selbst  keine  Verbindung  mit  Brown  gehabt,  sondern  diese 
nur  zwischen  dem  jungen  Manne  und  ihrer  Tochter  geför- 
dert, und  lieber,  als  dafs  sie  ihrem  Gemahle  das  Geheimnifa 
entdeckt,  dessen  eifersüchtigen  Argwohn  auf  sich  habe  ruhen 
lassen.  Brown  bat  sich  nun  aber  auch  in  Mervyn-Hall  ge- 
zeigt, und  wir  vernehmen  vorerst  soviel  von  ihm,  wie  er 
selbst  in  Hinsicht  seiner  Abkunft  blofs  weils,  dals  er  aus 
Schottland  stamme,  und,  in  Holland  indem  Hause  eines  Kauf- 
mannes erzogen,  von  da  nach  Indien  gegangen,  wo  er,  ob- 
gleich für  den  Kaufmannsstand  gebildet,  Militärdienste  genom- 
men. Diese  Erscheinung  des  nächtlichen  Flötenspielers  aber, 
die  dem  Obristen  durch  seinen  Freund  gemeldet  worden,  ist 
die  Ursache  von  seiner  schnellen  Reise  nach  Mervyn-Hall.  Er 
bezieht  hierauf  mit  seiner  Tochter  seinen  Landsitz  W ood- 
])  o  u  r  n  e  ,  den  Mac  Morlan  in  der  Nähe  von  Ellango wan  für 
ihn  mifthetö.  Die  verlassene  Lucie  Bertram  findet  eine 
Freistätte  in  seinem  Hause,  eine  Gesellschafterin  in  seiner 
Tochter.  Sampson,  der  sich  von  Luden  nicht  trennen 
kann,  wird  Aufseher  der  Bibliothek. 

Doch  auch  Brown  bleibt  nicht  unthätig.  Sich  keiner 
Verbindung  mit  der  Gattin  des  Obristen  bewufst,  weifs  er 
um  dessen  Eifersucht  gar  nicht,  und  erblickt  blos  in  seinem 
Verhalten  die  Mifsgunst  eines  aristokratischen  Unterdrückers, 
gegen  den  er  sich  durch  keine  Rücksicht  gebunden  glaubt, 
lim  so  höher  achtet  er  seine  Geliebte,  und,  selbst  edel  und 
muthig,  will  er  sie,  ohne  Gewalt  oder  Ueberredung ,  allein 
nur  durch  ihren  eigenen  freien  Entschlufs  besitzen. 

Er  tritt  zu  Fufs  seine  Wanderung  nach  Schottland  an. 
In  Cumberland  trifft  er  mitMegMerrilies  zusammen,  die 
durch  den  rächt er  Dinmont  von  dem  Falle  des  Hauses 
Ellangowan  hört  und  mit  dem  Tode  iles  Laird  alle  Schuld  ge- 
tilgt achtet.  Brown  wird  sogleich  von  ihr  erkannt,  so  wie 
ihre  Erscheinung  frühere  Erinnerungen  in  ihm  weckt.  Den 
Pachter  rettet  er  aus  den  Händen  der  Räuber  und  gewinnt 
sich  die  Liebe  des  treuen  Mannes,  auf  dessen  Gute  er  mehrere 
Tage  verweilt.  Bei  Fortsetzung  seiner  ^eise  geiäth  er  zur 
Nachtzeit  in  die  Mörderhöble,  den  Thurm  von  Derncleugh , 
wo  er  Zeuge  ist  von  dem  Tode  des  sterbenden  RäuLerhauptes, 
und  durch  die  Meg  vor  den  nächtlich  zechenden  Männern  ge- 
schirmt wird.  Bei  dem  Abschiede  reicht  sie  ihm  den  Beutel 
mit  d-n  Goldstücken  und  Kleinodien,  den  Schatz  der  Horde, 


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> 

Roman«  von  Walter  Scott.  343 

und  gewinnt  ihm  das  Versprechen  ab  »  ihr  auf  ihren  Ruf,  wo 
er  eich  auch  befinden  möge,  zu  folge». 

Die  Familie  in  Woodbourne  war  indessen  durch  einen 
Anfall  der  Schleichhändler  erschreckt  worden.  Diese  waren 
in  Verfolgung  einiger  Zollbeamten  bis  zu  dem  Wohnsitze  des 
Ohristen  selbst  gelangt,  und  da  die  Flüchtlinge  hier  Schutz 
fanden,  so  hatten  sie  auf  die  Wohnung  selbst  einen  Angriff 
gemacht,  wobei  durch  den  Obristen  und  den  jungen  reichen 
Hu  zlewoöd,  der  um  Luciens  Liebe  wirbt,  der  Führer  der 
Bande  und  ein  anderer  tödtlich  verwundet  worden  waren. 
Hierdurch  siebt  sich  der  junge  Hausfreund,  da  er  an  dem  fol- 
genden schönen  Wintertage  die  beiden  Fräulein  nach  einem 
nahen  gefrorenen  See  begleitet,  zu  der  Vorsicht  veranlalst, 
sich  sein  Gewehr  nachtragen  zu  lassen.  Auf  dieser  kleinen 
Wanderung  erscheint  plötzlich  der  colossale  Brown  in  seiner 
Heisetracht  vor  ihnen.  Julie  schreit  in  der  Ueberraschung 
laut  auf.  Ihr  Begleiter  vermUthet  ein  Glied  aus  der  gefähr* 
liehen  Genossenschaft  vor  sich  und  gebietet  dem  Ungekannten 
schnelle  Entfernung.  Da  dieser  nicht  gehorcht,  so  legt  er 
st  in  Gewehr  auf  ihn  an.  Sie  ringen  mit  einander.  Und  bei 
der  gegenseitigen  Anstrengung  geht  die  Waffe  los;  Hazlewood 

wird  in  die  Schulter  verwundet. 

*  *  *  •      <  ■  ■ 

Man  ist  nun  auf  das  eifrigste  bemüht,  die  Spur  seines 
flüchtig  gewordenen  Gegners  aufzufinden.  Besonders  bietet 
der  unedle  Glossin  alles  auf ,  sich  der  Person  des  Flüchtlin- 
ges  zu  bemächtigen,  um  so  das  ihm  noch  fehlende  Ansehen 
,uh.I  vorzüglich  die  Gunst  des  reichen  Vaters  des  Verwundeten 
Z4j  gewinnen.  Ks  gelingt  ihm,  der  Wirtliin  zu  Kippletrin« 
gaio,  bis  wohin  Brown  gelangt  war,  das  Geheimnils  ihres 
Oaites  zu  entlocken  ;  und  da  ihm  jetzt  ein  Gefangener  einge- 
bracht wird,  sowähnter,  den  Gegenstand  seiner  Nachstellung 
in  seinen  Händen  zu  sehen;  aber  er  erkennt  zu  seinem  Schrecken 
DirkHatteraik  in  demselben.  Er  mufs  diesen  zwar  gefangen 
nehmen,  aber  er  läfst  den  alten  Schleichhändler  in  der  Nascht 
aus  seinem  Gewahrsame  entfliehen,  und  da  er  darauf  mit  ihm 
iti  der  geheimen  Höhle  zusammen  trifft,  so  enthüllt  sich  aus 
ihrer  Unterredung,  wie  der  Schändliche  früher  mit  den  Schleich« 
händlern  in  Verbindung  gestanden  und  selbst  zu  der  Entfer* 
imng  des  Knaben  mitgewirkt  hatte,  der  von  dem  Lieutenant 
Brown  (eben  jenem  bei  Woodbourne  erschossenen  Führer 
der  Bande)  seinem  Vater  in  dem  Hause  Vanbeest  und  Van- 
hruggen  war  übergeben  und  von  diesem  erzogen  und  liebge- 
wonnen worden.    Zugleich  erhalt  er  durch  Dirk  die*  Gewiis- 


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344  Romane  von  Walter  Scott. 

heit,  dafs  Brown  noch  an  dem  Leben  und  in  dem  Lande  aeye, 

und  er  verabredet  mit  ihm  den  PJan,  wie  er  aich  dea  einzigen 
münnlichen  Erben  vonEUangowan,  der  ihm  aeinen  Besitz  strei- 
tig machen  könnte,  zu  entledigen  gedenkt. 

Unterdessen  langt  ein  Brief  an  ,  welcher  den  Tod  des 
Fräuleins  Margaretha  Bertram  von  Singleside  mel- 
det und  die  Erben  des  verstorbenen  Lairds  auffordert ,  einen 
Bevollmächtigten  zu  Eröffnung  des  Testaments  der  Verstorbe- 
nen nach  Edinburgh  zu  senden.  Der  Qbrist  beschliefst,  selbst 
sich  in  dieser  Angelegenheit  dahin  zu  begeben.  Mit  ihm 
trifft  der  redliche  Dinmont,  als  Beschützer  einer  armen  Ver- 
wandtin des  Fräuleins,  einf  und  wir  lernen  nun  eine  neu« 
Person  kennen,  den  lebensbehaglichen ,  jovialen,  gelehrten, 
biedern  Rechtsmann  Pau  1  P  1  ey d e  11 ,  an  den  Mannering  ge- 
wiesen ist  und  den  er  in  dem  lustigen  Kreise  bei  dem  Spiele 
High  Jinks  trifft.  In  Beiseyn  aller  wird  das  Testament  eröff- 
net, aber  auch  zu  Täuschung  der  Erwartung  aller  zeigt  sich, 
dafs  die  Ve  rstorbene  über  das  Gut  Singleside  zu  Gunsten  des 
Testamentsei oiFners  selbst,  Peter  Protocol,  verfügt  hat,  je- 
doch unter  der  Bedingung,  dafs  derselbe  das  Gut  an  Hein- 
rich Bertram,  Sohn  und  Erben  des  Gottfried  Bertrain,  von 
welchem  die  Erblasserin  versichert  sey,  dafs  er  sich  noch  am 
Lehen  befinde,  nach  dessen  Rückkehr  in  seine  Heimath  z« 
übergeben  habe.  Und  durch  die  Dienerin  der  Verstorbenen 
weils  Pleydell  zu  erfahren,  dafs  sich  diese  ihre  Gewifsheit  von 
dem  noch  Vorhandenseyn  ihres  Verwandten  auf  die  Aussagen 
einer  Zigeunerin  gründe,  die  der  Beschreibung  nach  keine 
andre,  als  Meg  Merrilies  seyn  konnte.  Hierdurch  wird 
von  neuem  des  Obristen  Aufmerksamkeit  auf  den  Verachwun« 
denen  gewendet. 

Dieser  —  Brown  —  war  den  gegen  ihn  gerichteten  Nach- 
forschungen dadurch  entgangen,  dafs  er  zu  guter  Stunde  ein 
Fahrzeug  an  dem  Ufer  vörfand,  das  ihn  nach  dem  kleinen 
Hafenorte  Allonby  in  Cumbeiland  hinüber  gebracht  hatte. 
Von  hier  gelang  es  ihm,  Julien  einen  Brief  au  übersenden, 
und  ihre  Antwort  bestimmte  ihn,  seihst  während  des  Obristen 
Entfernung  sich  wieder  herüberschiffen  isu  lassen.  Er  landet 
bei  dem  alten  Schlosse  von  Ellango wan,  und  unkundig  und 
fremd,  in  einer  bedrängten  Lage,  ohne  Freund  und  eines 
schweren  Verbrechens  angeschuldigt,  tritt  er  in  die  Räume 
ein,  in  denen  seine  Väter  mächtig' geherrscht  hatten.  Wäh- 
rend frflhe  Jiigendorinnerungen  immer  mehr  in  ihm  Gewalt 
gewinnen^,  gesellt  sich  der  schlechte  Glossin  *u  ihm,  der  ihn 
sogleich  erkennt   und  au  Sir  Rqber/t   Hazlowood  von 


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Komane  von  Walter  Scott.  345 

4 

6  WO  od  ,  dem  Vater  des  durch  ihn  Verwundeten,  brin- 
gen läfst,  der,  als  Friedensrichter,  auf  Glossins  Antrieb,  den 
Verhaftsbefehl  ausfertigt,  worauf  er  einstweilen ,  da  er  sich 
auf  den  Obristen  Mannering  beruft,  der  noch  nicht  zurückge- 
kehrt ist,  nach  dem  Zuchtbause  von  Portanferry  gebracht 
wird.  Nun  scheint  er  ohne  Rettung  verloren.  Doch  helfend 
waltet  in  dem  Verborgenen  Meg  Merrilies.  Auf  ihren  Antrieb 
eilt  der  getreue  Dinmont  in  den  Kerker  zu  ihm;  durch  den  in 
den  Thurm  von  Derncleugh  verirrten  Sampson  übersendet  sie 
dem  Obristen  den  Brief,  welcher  diesen  bestimmt ,  den  Wa- 
gen abzuschicken  ;  auch  dein  jungen  Hazlewood  erscheint  sie , 
und  veranlagst  ihn,  die  Dragoner,  die  sein  Vater,  auf  des 
schlauen  Glossin  Einflüsterung,  aus  Besorgnifs  eines  ihm  von 
den  Schleichhändlern  drohenden  Angritfes  von  dem  Zollhause 
zu  Portanferry  zu  seiner  eigenen  Vertheidigung  herbei  gerufen 
hatte,,  dahin  zurückzusenden.  In  der  Nacht  klärt  sich  dann 
Glossins  Plan  auf,  der  kein  anderer  war,  als  sich  mit  Hülfe 
der  Schleichhändler  des  Erben  von  EHangowan  zu  bemächti- 
gen. Denn  nach  Entfernung  der  Wachen  brechen  diese  nun 
gewaltsam  in  das  Zollhaus  ein,  legen  Feuer  an  und  führen  den 
Gefangenen  aus  dem  Kerker.  Doch  von  der  wilden  Rotte 
selbst  ist  durch  die  Meg  einer  für  ihn  gewonnen,  mit  dessen 
Hülfe  er  sich  losmacht  und  von  dem  durch  den  Obristen  abge- 
sandten Wagen  aufgenommen  wird. 

In  Woodbourne  ist  unterdessen  der  treffliche  PleydeH 
eingetroffen,  mit  dem  sich  der  Obrist  beredet,  und  dem  er 
den  Brief  der  Meg  zeigt,  welcher  mit  den  Worten  schliefst  2 

Was  dunkel  ist,  soll  Licht,  >  . 

,    Und  Unrecht  werden  Recht, 

Und  Bertrams  Recht  und  Bertrama  Macht 
Auf  Ellangowan's  Burg  erwacht. 

Die  ungeduldig  Harrenden  sehen  endlich  den  Wagen  anlangen, 
und  grofs  ist  aller  Erstaunen,  da  die  beiden,  Bertram- 
Brown  und  Dinmont,  eintreten.  Bertram  erkennt  den 
Obristen,  und  Manne  ring  erblickt  den  Mann  vorsieh,  den 
er  wähnt  in  Indien  getödtet  au  haben;  Julie  sieht  den  Ge- 
liebten in  einer  sehr  gefährlichen  Lage,  und  Lucie  erkennt 
den  Fremden,  der  auf  Hazlewood  geschossen  hatte;  Pley- 
deH entdeckt  in  ihm  das  leihhafte  Ebenbild  von  EHangowan, 
aber  vor  allen  ist  Sampson's  Freude  grofs,  der  in  dem  sechs 
Fufs  hohen  Kriegsmauue  seinen  kleinen  Heiniich  wieder  er- 
kennt. Alles  enthüllt  sich.  Bertram  erzählt  seine  Jugend- 
eriuuerungen;  der  Erbe  von  EHangowan       wieder  genahet, 


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3 16  Romane  Ton  Walter  Scott. 

,  -  • 

Xiiicie  hat  den  Bruder  gefunden,  des  Astrologen  Verkündigun- 
gen  aind  alle  wahr  geworden. 

Doch  Bertram,  auf  den  die  Gerichte  noch ,  ala  auf  einen 
entsprungenen  Gefangenen,  Anspruch  haben ,  mufs  vorerst  sui 
juris  werden.  In  dieser  Absicht  begibt  man  sich  nach  dem 
Schlosse  Hazlewood,  wo  die  Freunde  für  ihn  Bürgschaft  stel- 
len, und  der  Entlassungsbefehl  ausgefertigt  wird.  Nur  noch 
on  den  klaren  Beweisen  in  Hinsicht  seiner  Person  fehlt  es. 
Auch  hier  erscheint  die  Meg  helfend.  Seinem  gegebenen 
Worte  gemäfs  folgt  Bertram  ihrem  Rufe  in  Begleitung  dea 
treuen  Dinmont.  Sie  leitet  sie  nach  dem  Thurme  von  Dem- 
cleugb,  nach  dein  Warroch-  Walde  ,  in  die  geheime  Höhle  an 
dem  Strande,  wo  sie  sich  mit  Hülfe  des  jungen  Hazlewood, 
der  ihnen  gefolgt  war,  Hatteraik's  bemächtigen ,  der  rächend 
sein  Piatol  auf  die  Meg  abdrückt.  Dals  es  so  kommen  werde, 
bat  sie  vorher  gewufst,  und  läfst  sich  nach  dem  Thurme  von 
Derncleugh  bringen ,  wo  nur  die  Seele  frei  werden  kann  von 
3  dem  Leibe.  Hier  thut  sie  ihre  Aussagen  und  stirbt.  Hatte- 
raik  bekennt  vor  Gericht  nicht;  aber  gegen  Glossin  finden 
sich  alle  Beweise  vor,  und  er  wird  von  jenem  in  dem  Gefäng- 
nisse erwürgt.  Bertram  tritt  nun  ungestört  in  den  Besitz 
seiner  Väter  ein;  seiner  Schwester  bestimmt  er  das  Gut  Sin- 
gleside; der  Verbindung  beider  Geschwister  steht  keine  Hin- 
derung mehr  im  Wege.  Der  Obrist  entwirf  t  den  Plan  zu  einem 
grofsen  und  glänzenden  Hause,  das  unweit  des  neuen  Schlosses 
in  einem  der  Pracht  der  benachbarten  alten  Trümmer  angemes- 
senen Style  erbaut  werden  soll,  und  wo  auch  dem  treuen 
Sampson  sein  Gemach  neben  der  Bibliothek  bezeichnet  ist, 
der,  hierüber  entzückt,  dreimal  sein  „Wundersam!«  wie- 
derholt. — 

So  übt  der  Dichter  an  dem  Schlüsse  volle  Gerechtigkeit, 
und  gleicht  alles  zu  der  angenehmsten  Befriedigung  der  Leser 
aus.  Und  einen  grofsen  Eindruck  kann  dieses  Stück  auf  den 
Geist  und  die  Phantasie  des  Lesers  nicht  verfehlen ,  da  es  sich 
in  seinen  einzelnen  Theilen  und  seiner  ganzen  Entfaltung 
durchaus  klar  und  von  einer  aufserordentlichen  Frischbeit 
zeigt,  und  zugleich  in  seiner  Verschlingung  dunkel  und  ge- 
beimnifsvoll  von  dem  Anfange  an  fast  bis  zu  dein  Ende  bleibt. 
Denn  nach  dem  Leben  sind  alle  handelnde  Personen  gemalt; 
mehr,  als  in  vielen  andern  Stücken,  waltet  ein  gemüthliches 
Hegen  durch  das  Ganze,  und  wie  überaus  herrlich  sind  viele 
einzelne  Scenen  durch  grofsartige  Zeichnung  oder  launige 
Schilderung;  als  der  Abzug  der  Zigeuner ,  Glossins  Besuch  in 
Woodbourne,  wie  alle  dem  Verachteten  den  Rücken  kehren, 


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Romane  von  Walter  Scott.  347 

das  Spiel  High  Jinks  mit  feinem  Könige  in  Edinburgh,  das 
Auftauchen  feiner  Jugenderinnerungen  in  Bertrain,  da  er  die 
Burg  seiner  Väter  betritt  u.  8,  w.  Dagegen  die,  welche  in 
dieser  so  wahr  gehaltenen  und  so  klar  und  bestimmt  hervor* 
tretenden  Wirklichkeit  in  wunderlichem  Contraste  mitten  inne 
steht,  ist  ein  seltsam  phantastisches  Gebilde  das  Zigeuner* 
weib  Meg  Merriliea.  Sie  spricht  voraus  das  Schicksal 
des  Erben  von  Ellango wan  aus,  und  veranlalst  Mannering  zu 
Ausübung  seiner  astrologischen  Kunst,  Mic  treuer  Liebe 
hängt  sie  an  dem  alten  Geschlechte ,  bei  dem  ihre  Gemeinde 
so  lange  eine  Zuflucht  gefunden;  sie  spricht  den  Fluch  über 
den  Verdränger  derselben;  aber  dem  Knaben  bleibt  ihr  Hera 
gewogen.  Da  war  sie  ein  irrender  Geist,  alf  Dirk  Hatteraik 
ihn  in  dem  Walde  von  Warroch  wegnahm  und  den  Zöllner 
mordete.  Sie  rettet  des  Kindes  Lieben ,  doch  schwört  sie,  bis 
su  seinem  ein  und  zwanzigsten  Jahre  das  Gebeimnifa  nicht  zu 
verrathen  ,  und  sie  weifs,  dafs  er  bis  zu  dem  ihm  bestimmten 
Tage  sein  Schicksal  tragen  mufs.  Sie  hält  ihren  Eid ,  aber 
auch  noch  einen  andern  hat  sie  geschworen,  da£s  sie  ihn  wie- 
der in  seines  Vaters  Gut  einsetzen  will,  wenn  sie  den  Tag 
seiner  Rückkehr  erleben  wird,  und  sollte  jeder  Schritt  über 
einen  Todten  gehen.  Auch  diesem  Schwüre  bleibt  sie  treu; 
sie  selbst  ist  der  erste  Schritt,  Hatteraik  der  zweite,  Glossin 
der  dritte.    In  ihrem  Spruche  aus  dem  alten  Liede: 

„Was  dunkel  ist,  soll  Licht«  u.  s.  w. 

ist  der  Inhalt  des  ganzen  Stuckes  angedeutet.  So  steht  sie  als 
geheime,  dunkle  Macht  in  dem  Mittelpunkte  des  klaren  Lie- 
nens, das  sie  leitet,  und  alle  die  verständigen  Personen  ge- 
horchen dem  Worte  und  Antriebe  der  Phantastin.  Wie  sie 
dein  jungen  Hazlewood  entgegentritt  und  den  Zügel  seines 
Kosses  f'afst ;  eine  hohe  weibliche  Gestalt,  die  ein  groTses 
Tuch  um  den  Kopf  gebunden  hat,  aus  welchem  wild  graue 
Haare  herabiliefsen,  gehüllt  in  einen  langen  rothen  Mantel 
und  in  der  Hand  einen  Stab  mit  einer  Art  von  Lanzenapitze 
tragend;  so  erscheint  sie  durchaus  seltsam  und  Grauen  er- 
weckend, voll  Drohen,  aber  nicht  ohne  Liebe  in  dem  hinter 
einem  so  baroken  Aeuisern-  verhorgenen  Innern,  und  es  ist 
von  dem  Dichter  mit  preiswürdiger  Kunst  in  dem  Dunkel  ge- 
lassen ,  ob  mehr  Betrug  oder  Selbsttäuschung,  mehr  Wahnsinn 
oder  Divinationsgabe  und  ein  Sehergeist  in  ihr  walte. 

Als  eine  desto  edler  gehaltene,  klarere  Gestalt  steht  der 
O brist  Guy  Mannering  dem  Zigeuner-  und  Zauberweibe 
gegenüber,  der  selbst  einmal  in  jugendlichem  üebermuthe  sieb, 


«  » 


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348  Romane  vou  Walter  Scott« 


verleiten  läfstt  in  dem  gastlichen  Hause  der  Ellangowan  die 
Rolle  des  Astrologen  zu  spielen,  und  nun  in  inniger  Theil- 
nabme  sieb  an  das  Schicksal  des  Hauses  gefesselt  sieht.  An 
ihn  schliefst  sich  zunächst  der  ansehnliche  Krieger  und  edle 
junge  Kämpfer  Brown  —  Heinrich  Bertram  an,  mit 
•einer  gleich  edeln  Schwester  Lucie,  die  beiden  kräftigen, 
geistigen  Kinder  eines  geistesarmen  Vaters,  Gottfried  Ber- 
trams,  aus  dessen  Wesen  nur  Ein  Zug,  der  seiner  grofsen 
Gutmüthigkeit ,  anspricht.  Als  ein  seltsam  launenhaftes  We- 
sen, wie  eine  Blume  aus  einem  glühendem,  üppigem  Him- 
melsstriche herüber  verpflanzt,  erscheint  J  u  1  i  e  Mannering 
in  ihrem  Verhältnisse  zu  Brown.  Anziehende  vermittelnde 
Personen  sind  Mac  Morlan  und  Pleydell,  die  redlichen 
und  geschickten  Rechtsmänner,  zu  welchen  den  Gegensatz 
Lüdet  der  tückische  Verrüther  Gilbert  Glossin,  der  un- 
dankbar den  Untergang  des  alten  Geschlechtes  herbeizuführen 
strebt;  so  wie  dem  gleich  schlechten,  aber  gewaltigen  Dirk 
Hatteraik  der  redliche  Dinmont  gegenüber  steht.  Als 
ein  besonderes  Gebilde  des  genialen  Erfindungsgeistes  des  , 
Dichters  aber  glänzet  in  dem  vollen  Flimmern  seines  glück- 
lichen Humors  der  arme  Magister  Abel  Sampton,  die  lange, 
magere,  ungeschlachte  Gestalt,  der  Knochenmann  mit  seiner 
Ungeschicklichkeit  und  seinen  Grimassen,  aber  dem  treuen 
Herzen  und  Gemüthe  und  seiner  grofsen  Gelehrsamkeit  lind 
Brauchbarkeit  für  den,  welcher,  wie  der  Obrist,  ihn  zu  ach- 
ten und  sich  seiner  zu  bedienen  weifs. 

So  fehlt  es  nicht  an  einer  Fülle  des  Anziehenden  und  Er- 
götzlichen in  diesem  Stücke,  an  dem  nur  das  getadelt  werden 
mufs,  dafs  es  eigentlich  aus  zweien  Stücken  besteht,  aus  dem 
Vorspiele  und  dem  Romane  selbst ,  der  nach  einem  leeren 
Zwischenräume  von  siebenzehn  Jahren  beginnt.  Auch  zwei- 
felt der  Leser  sogleich  nicht,  dafs  dieser  Spröfsling  von  Ellan- 
gowan  in  ein  besonderes  Verhältnifs  mit  Mannering  treten, 
und  zwar,  so  wie  wir  von  einer  Tochter  des  Obristen  hören, 
dafs  er  durch  diese  ihm  werde  verbunden  werden  ;  so  wie  der 
entschwundene  Heinrich  Bertram  in  Brown  sogleich  erkannt 
wird.  Dessen  unerachtet  weifs  der  Dichter  das  Interesse  bis 
an  das  Ende  des  Stückes  lege  zu  erhalten.  Aber  es  ist  auch 
hier  minder  eine  grofse  Idee  —  die  nur  wie  zufällig  in  dem 
Spruche  der  Zigeunerin  herauftönt  — -  was  anzieht  und  fest- 
hält und  dann  einen  bleibenden  Nachklang  in  dem  Gemüthe 
aurückliefse ;  es  ist  der  Reiz  einer  anmuthigen  Verschlingung, 
«in  dunkles  Geheimnifs,  ein  geistreiches  Rätbsel ,  was  bis  zu 
aoiner  Lösung  fesselt  und  beschäftigt,  dann  aber,  so  wie  dies« 


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§ 

t 


r 


Romane  von  Walter  Scott*  349 


gefunden  ist,  seine  Bedeutung  verloren  hat.  Und  hieraus  er- 
klärt sich  denn  eben  so  wohl  die  geringe  Wirkung,  welche 
diese  Stücke  auf  das  Gemüth  hervorbringen,  als  das  grofse 
Interesse,  das  sie  dennoch  erwecken,  und  warum  selbst  die, 
in  denen  das  ideale  Regen  untergegangen,  und  die  schon  ans 
der  Feen  weit  der  Poesie  in  alle*  Nüchternheit  eines  prosaischen 
Geschäftlebens  eingegangen  sind,  die  fast  jeden  Dichter  flie- 
hen, die  selbst  Shakespeare  nicht  mehr  anspricht,  doch  be- 
gierig nach  Walter  Scott'*  Romanen  greifen  :  es  ist  das  Solide, 
die  Macht  einer  grofsen  Wirklichkeit,  mit  Phantasie  und 
räthselhafter  Verscblingung  durchwebt,  was  sie  ansieht,  und 
ohne  sie  unbequem  anzuregen,  angenehm  beschäftigt« 
,  .         .  . 

XVII. 

Wir  treten  von  dem  Astrologen  vor  zwei  grofse  geschicht- 
liche Gemälde,  die  neuesten  Schöpfungen  unseres  Meisters. 
Ein  jedes  derselben  umfafst  auf  zwei  mit  zahlreichen  Figuren 
belebten  Bildern,  die  als  Gegenstücke  neben  einander  aufge- 
stellt sind,  einen  besondern  Kreis  von  Ereignissen.  Erzäh- 
lungen von  den  Kreuzfahrern  sind  beide  überschrie- 
ben, obgleich  das  eine  —  näher  alsdieVerlobten  bezeich- 
net —  nur  eine  fernere  Beziehung  auf  den  groisen  geschicht- 
lichen Vorgang  hat,  während  das  andere  uns  geradehin  mitten 
in  das  Lager  des  berühmtesten  unter  allen  Fürsten  versetzt, 
-welche  das  Schwert  zu  Eroberung  des  heiligen  Grabes  geführt 
baben,  der  aber  in  dem  erstem  Stücke  nur  einmal  als  kühner, 
kampflustiger  Jüngling  erscheint  und  im  Sturme  die  Burg 
nimmt,  welche  den  Mittelpunkt  der  Ereignisse  desselben 
ausmacht. 

Es  ist  dieses  das  Schlofs  Garde  Doloureuse,  von  wo 
der  Normannische  Ritter  Sir  Raymond  Ber  enger  die 
Gränze  von  Wales  schirmt,  und  eben  das  Leben  dieser  Nor- 
mannischen Gränzlorde  in  ihrem  Kampfe  und  Gegensatze  mit 
den  Waliser  Häuptlingen  ist  es ,  was  der  Dichter  sich  haupt- 
sächlich zu  dem  Gegenstande  seiner  Darstellung  erwählt  hat. 
Es  ist  um  das  Jahr  lid7.  Der  Erzbiscbof  Balduin  von 
Ca  n  te  rbury  hat  den  Kreuzzug  verkündet,  und  der  gemein- 
same Eifer  für  das  heilige  Unternehmen  zwischen  die  Kämpfe 
der  Waliser  und  Gränzlorde  eine  kurze  Ruhe  gebracht»  Ja 
freundlich  sehen  wir  die  beiden  alten  Feinde,  Sir  Raymond 
Berenger  und  den  kühnen  Waliser  Häuptling  Gwenwyn 
pder  Gwenwynwen  von  Powys,  die  Brandfackel  von 
l1  eng  wem,  auch  der  Wolf  von  Plinliuimon  genannt, 


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350  Romane  von  Walter  Scott. 


sich  auf  ihren  Burgen  bewirtben.  Noch  mehr  hofft  der  letz- 
tere  den  Frieden  durch  eine  Verbindung  mit  der  Tochter  des 
IV itters,  der  schönen  siebzehnjährigen  Eveline  Berenger, 
xu  befestigen.  An  dem  Osterfeste,  da  er  seine  Barden,  dar- 
unter den  hochgesinnten  Cadwallon,  und  seine  Helden  um 
sich  versammelt,  sendet  er  werbend  den  Boten  ab.  Der  Rit- 
ter  antwortet  ablehnend,  aber  versöhnend,  weil  die  Hand  des 
Fräuleins  schon  Hugo  von  Lacy,  dem  edeln Constabler  von 
Chester,  zugesagt  sey.  Aber  in  wildem  Feuer  lodert  der  ab- 
gewiesene Häuptling  mit  seinen  Britten  auf.  Krieg  und  Hache 
wird  bei  dem  Feste  beschlossen. 

Bei  den  früheren  Festen  war  vor  dem  Ritter  darauf  hin- 
gedeutet worden,  wie  er  sich  nur  in  dem  Schutze  seiner  un- 
überwindlichen Burg  zu  behaupten  vermocht.  Da  hat  er  das 
kühne  Wort  fallen  lassen  2  Gwenwyn  solle  ihn,  wenn  er  wie- 
der bei  der  nahen  Brücke  sein  Banner  aufpflanzen  werde,  aus- 
sen treffen.  Durch  dieses  rasche  Wort  halt  er  sich  nun  ge- 
bunden, und  tritt  mit  seiner  kleinen  Schaar  dem  ttbermüthi- 
gen  Feinde  auf  offenem  Felde  entgegen.  Er  fällt  in  gewaltigem 
Kampfe  mit  seinem  treuen  Knappen  Dennis  M or oft,  Sei- 
ner Tochter  und  seiner  Veste  hat  er  in  dem  ruhig  festen  Fla- 
mänder  Wilkin  FJammok  einen  sichern  Beschützer  zurück- 
gelassen, dessen  List  es  nicht  nur  gelingt,  seine  fetten  Kühe 
in  die  zu  einer  Belagerung  wenig  vorbereitete  Burg  zu  brin- 

§en  ,  sondern  dessen  Tapferkeit  auch  die  heftigen  Stürme  der 
einde  abwehrt,  bis  Hugo  von  Lacy  zu  rechter  Zeit  er- 
scheint, und  an  den  Walisern,  deren  Fürsten  Gwenwyn  er 
mit  eigener  Hand  erlegt,  blutige  Hache  nimmt.  Seinen  Nef- 
fen ,  den  edeln  jungen  Damian  Lacy,  sendet  er  mit  der 
Nachricht  von  ihrer  Errettung  an  Eveltne,  und  da  er  selbst 
sich  zu  dem  Kreuzzuge  verpflichtet  und  gelobt  hat,  unter  kein 
Dach  mehr  zu  treten,  so  ladet  er  sie,  nach  der  feierlichen  Be- 
stattung ihres  Vaters  ,  zu  einer  Zusammenkunft  in  seinem  präch- 
tigen Zelte  ein. 

Eveline  hat  indessen  in  aller  Noth  und  Bedrängnifs 
sich  als  die  grofsartige  Tochter  eines  ritterlichen  Vaters  be- 
währt. Vor  der  heiligen  Jungfrau  ,  der  besondern  Beschütze- 
rin ihrer  Burg,  ist  sie  in  banger  Stunde  niedergesunken  ,  und 
hat  der  Dame  von  Garde  Doloureuse  gelobt,  wenn  sie 
Befreiung  schenken  werde  ,  ihrem  Retter  alles,  was  er  verlan- 
gen und  was  nur  ihre  Ehre  gestatten  würde,  und  sey  es  der 
Besitz  ihrer  eigenen  Person,  zu  gewähren.  Und  Hugo  von 
Lacy  bringt  nun  die  frühern  Unterhandlungen  mit  ihrem  Va- 
ter in  Anregung;  er,  der  ältliche  Oheim,  der  berühmte  Rit- 


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I 


Romane  von  Walter  Scott.  351 

ter,  aber  nichts  weniger  als  schöne  Mann,  tritt  hervor,  der 
junge,  liebenswürdige  Damian  de  La cy  weicht  in  den  Hin- 
tergrund zurück.  £ veline  hat  beschlossen,  ohne  vorerst 
dem  Ritter  eine  bestimmte  Erklärung  su  geben,  sich  in  die 
Huth  ihrer  Tante,  der  Aebtissin  in  dem  Kloster  der  Bene- 
dictiner innen  zu  GJocester  ,  zurückzuziehen.  Auf  der  Reist* 
dahin  wird  sie  von  einer  andern  Verwandten,  Ermen gard 
von  Baldringham,  eingeladen,  die  Nacht  bei  ihr  zuzu- 
bringen, und  durch  die  alte  Dame  genöthigt,  übernachtet  sie, 
nach  der  Sitte  der  Frauen  von  Baldringham,  in  dem  Zimmer 
des  ruthen  Fingers.  Ihr  nächtlicher  Schrecken  ist  grofs, 
und  sie  wird  nur  durch  ihre  treue  Rosa  Flammok  gerettet, 
die  den  normannischen  Krieger  von  ihrer  Schutz  wache  herbei- 
ruft, welcher  das  bebende  Mädchen  in  seinen  Armen  aus  dem 
verschlossenen  Gemache  trägt.  Auf  der  Reise  vernimmt  dar- 
auf Rosa  die  Erzflhlung  von  der  unglücklichen  Van  da  von 
Baldringham,  und  wie  der  ßahrgeisi.  über  den  Abkömm- 
lingen ihres  Mörders  drohend  die  blutige  Hand  emporzuheben 
pflege.  Auch  theilt  sie  den  geheimnisvollen  Spruch  mit,  der 
ihr  in  der  Erinnerung  geblieben: 

Jungfräulich  Weib,  als  Witwe  Gattin! 
Verlobt,  verrathen  und  VerriUheiin  ! 

4  \ 

Aber  der  Einflufs  ihrer  Getreuen  vermag  nicht  so  viel,  als  der 
der  Aebtissin,  bei  welcher  sie  anlangt  und  dem  edeln  Hugo 
ihre  Hand  in  dem  Kloster  zusagt.  Der  Tag  ihrer  Verlobung 
wird  bestimmt.  Damian  zeigt  sich  indessen  krank  und  in 
einem  seltsam  verworrenen  Zustande.  Ein  anderer,  älterer 
Verwandter,  der  unwürdige  Randal  de  Lacy,  erlangt 
durch  Evelinens  Fürsprache  Verzeihung  und  das  Versprechen; 
bei  der  Verlobung  als  Zeuge  zugegen  seyn  zu  dürfen. 

Mit  der  zweiten  Abtheilung  sehen  wir  nun  wirklich  in 
dem  Kloster  der  Aebtissin  zu  Olocester  die  Verlobung  der 
schönen  Eveline  und  des  edeln  Hugo  von  Lacy,  aber 
unter  schlimmen  Vorbedeutungen  ,  vorgehen.  Damian  er- 
scheint, Evelinen  nochmals  zu  sehen,  aufsen  ,  krank  und  fast 
in  dem  Zustande  der  Geistesverwirrung.  Beide  Verlobte  eilen 
bestürzt  zu  ihm  hinaus.  Der  Arzt  hat  ihm  an  dem  Morgen 
eine  Ader  geöffnet;  die  Binde  hat  sich  verschoben,  und  da 
beide  sich  zu  dem  Ohnmächtigen  helfend  hinabneigen,  so  tra- 
gen sie  die  Zeichen  seines  Blutes  in  das  Verlobungsgemach 
zurück.  Da  erscheint  auch  der  mönchische  Bote  des  stolzen 
Bischofs  Balduin,  der  in  der  Stadt  angelangt  ist.  Hugo 
hatte  gehofft,  seine  Vermählung  vorerst  vollziehen  und  die 


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352 


Romane  von  Walter  Scott. 


Erfüllung  seines  Gelübdes  um  einige  Jahre  verzögern  tu  kön- 
nen. Diesem  setzt  sieb  der  Bischof  beharrlich  entgegen  j  und 
durch  sein  Wort  gebunden ,  tritt  der  Ritter  den  Zug  nach 
dem  gelobten  Lande  an,  zu  welchem  er  sich  auf  drei  Jahre 
verpflichtet. 

Damian  ,  der  für  seinen  Oheim  die  bewaffneten  Scbaaren 
hatte  nach  Palästina  führen  sollen  ,  wird  nun  die  Huth  der 
Verlobten  vertraut,  die  sich  nach  ihrem  Stammschlosse  begibt, 
daselbst  die  Rückkehr  Hugo's  zu  erwarten.  In  ihrer  Nähe 
weilt  der  junge  Ritter,  wie  ein  unsichtbarer  Hüter  jeden 
Augenblick  zu  ihrer  Hülfe  bereit.  Denn  mit  zarter  Gewis- 
senhaftigkeit meidet  er  es,  vor  der  auch  nur  zu  erscheinen  , 
der  er  mit  abgöttischer  Verehrung  sich  zum  Dienste  geweibet 
bat,  und  die  er  doch  nicht  besitzen  kann.  So  lebt  die  Ver- 
lobte in  ihrer  Losgeschiedenheit ,  „ein  jungfräulich  Weib, 
als  Witwe  Gattin •*;  und  dafs  auch  der  andere  Theil  des  Spru- 
ches,  den  der  Bahrgeist  in  ihre  Seele  geflüstert  hat,  in  Erfül- 
lung gehe,  waltet  der  tückische  Ran  dal  de  Lacy,  als  un. 
heilbringende  Macht,  in  dem  Verborgenen  zu  dem  Verderben 
der  beiden  Ungewahrten.  Es  gelingt  ihm,  die,  nach  welcher 
Beine  Lüsternheit  erwacht,  unter  der  Hülle  des  Kaufmannes, 
der  die  Falken  feil  bietet,  von  ihrer  sichern  Burg  zu  locken, 
und  sie  Dawsyd,  dem  Einäugigen,  und  der  ihm  verschwo- 
renen Bande  in  die  Hände  zu  führen.  In  Edri's  Grabgewölbe 
wie  in  ihre  eigene  Gruft  lebend  eingeschlossen  ,  ist  darauf 
Eveline  unsichtbare  Zeugin  des  Kampfes  ihres  edlen  Ritters, 
den  sie,  endlich  aus  ihrer  Todeshöhle  gerettet,  mit  Blut  und 
Wunden  auf  dem  Wahlplatze  wiederfindet. 

Damian  hatte  sich  in  der  Frühe  des  Morgens  mit  seinen 
Reitern  zu  Befreiung  eines  durch  die  Schaaren  aufrührerischer 
Bauern  schwer  bedrängten  Gränzlordes  aufgemacht,  als  er 
noch  zeitig  von  Evelinens  Gefahr  Nachricht  erhielt,  und, 
das  andere  Unternehmen  aufgebend,  zu  ihrer  Rettung  herbei 
eilte.  Ohne  gehörig  bewaffnet  zu  seyn,  hat  er  sich  unvor- 
sichtig unter  die  Feinde  gestürzt,  unter  deren  Streichen  er 
niedergesunken. 

(Der  Besehlufs  folgt.*) 


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N.  23.  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Romane  von  Walter  Scott. 

(Beschlufs.) 

Eveline  aber  setzt  nun,  wo  es  die  Erhaltung  des  Lehens 
ihres  Retters  gilt,  in  dem  Bewufstseyn  ihrer  Unschuld  alle 
beengende  Rücksichten  auf  die  Seite.  Gegen  den  Rath  ihrer 
treuen  Rosa  läfst  sie  den  todtwunden  Ritter  nach  ihrem 
Schlossebringen,  und  da  nun  der  Normannische  Lord,  dein 
er  hatte  zu  Hülfe  eilen  wollen,  von  den  Bauern  getödtet  und 
dessen  Schlofs  genommen  wird,  so  weifs  Randal  de  Lacy 
durch  diesen  Umstand  seinen  dunkeln  Anschuldigungen  um  so 
mehr  Glauben  zu  verschaffen:  als  oh  Damian  nicht  nur  mit  der 
seiner  Huth* Vertrauten  in  einem  heimlichen  Liebesverständ- 
nisaelebe,  sondern  auch  insgeheim  den  Empörern  sich  ver- 
bunden habe.  Der  königliche  Herold  erscheint  vor  Evelinens 
Burg,  und  fordert  sie  auf,  die  Thore  zu  öffnen  und  den  Ver- 
räther  den  Händen  der  Gerechtigkeit  zu  tibergeben.  Da  sie 
beides  verweigert,  wird  sie  selbst  zur  „  Verrätherin«  erklärt, 
König  Heinrich  erscheint  in  eigener  Person  mit  seinen 
beiden  Söhnen  Richard  und  Johann,  und  beginnt  die  Be- 
lagerung der  widerspenstigen  Veste,  deren  Noth  noch  durch 
Uneinigkeit  und  Meuterei  der  Besatzung  erhöhet  wird;  und 
dafs  Eveline  auch  „Verrathene«  seye,  begibt  sich  der 
treue  Flamänder  Wilkin  Flammok  heimlich  in  das  Lager 
des  Königs,  diesem  gegen  günstige  Bedingungen  die  Burg  in 
die  Hände  zu  liefern.  Aber  eben  diesen  Augenblick  ersieht 
der  kühne  Königssobn  Richard,  dasselbe  schneller  durch  un- 
erwarteten Sturm  zu  erreichen.  Damian  wird,  als  Schwei  er 
Verbrecher,  in  den  Kerker  geworfen;  auch  Eveline  harret, 
aller  väterlichen  Güter  beraubt,  ihres  Gerichtes,  während  der 
verrätherische  Randal,  der  das  Gerücht  von  Hugo's  Tode 
verbreitet,  mit  dessen  Besitzungen  belehnt,  glänzend  aus  sei- 
nem ehrlosen  Dunkel  hervortritt. 

XIX.  Jahrg.    4.  Heft.  23 


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354  Romane  von  Walter  Scott, 

Die  drei  Jahre  sind  indessen  verlaufen,  find  in  dieser 
Zeit  der  Noth  und  "Verwirrung  erscheint  nun,  nachdem  er 
seine  Krieger  und  Schütze  eingebüfst,  der  für  todt  geachtete 
Ritter  als  rückkehrender  Pilger.  Nur  zwei  einzige  Begleiter 
folgen  ihm,  sein  treuer  Knappe  Guarine  und  sein  Ministrel 
Henault  Vidal.  Auf  Kundschaft  ausgesandt,  berichtet  der 
letztere,  der  wie  ein  böser  Geist  begierig  des  Todesschmerzes 
und  der  Verzweifelung  seines  unglücklichen  Herrn  harret, 
alles  das  Unheilvolle  :  Evelinens  Untreue  und  Damian'*  Ehr- 
losigkeit. 

Damit  nahet  alles  einer  neuen  Katastrophe,  und  dafs 
diese  sich  endlich  zur  Rettung  und  Verherrlichung  der  Un- 
schuldigen gestalten  werde,  daran  zweireit  niemand  ,  wer  mit 
der  Weise  unseres  Dichters  vertraut  ist  und  weifs,  wie  dem-  , 
selben,  wo  sonst  die  Mittel  der  Losung  fehlen,  selbst  noch 
Schwert  oder  Dolch  zu  Gebote  stehen  ,  den  fest  geknüpften 
Knoten  zu  entwirren.  Und  so  sehen  wir  denn  auch  jetzt 
de  Lacy,  der  zu  dem  Könige  in  die  Burg  getreten ,  vor  Garde 
Doloureuse  in  feierlichem  Aufzuge  erscheinen,  um  den  FJa- 
mändern  ihren  Freiheitsbrief  zu  übergeben.  Denn  dafs  der 
festlich  geschmückte  Reiter ,  den  er  nur  von  hinten  sieht,  die- 
ser sey,  vernimmt  der  Ministrel  von  einigen  Landleuten  ;  und 
wie  ein  blutgieriges  Wild  schleicht  er  herbei;  schnell  hat  er 
hinter  dem  Ritter  sich  auf  das  Rofs  geschwungen,  und  der 
von  seinem  Dolche  rücklings  Getroifene  sinkt  auf  die  Erde 
nieder.  Der  Mörder  wird  ergriffen  und  vor  den  König  in  das 
Schlofs  gebracht.  Da  tritt  ihm  der  lebend  entgegen,  welchen 
er  wähnt  gemordet  zu  haben.  Es  ist  ein  Lacy  gewesen, 
aber  Ran  dal  de  Lacy,  den  die  Rache  mitten  in  seinem 
Siegesjubel  ereüte.  Der  Mörder  verflucht  seinen  Irrthum, 
denn  der  Ministrel  enthüllt  sich  nun  als  Gadwallon,  den 
Barden  Gwenwyn's,  des  Fürsten  von  Powys,  und  dessen 
Rächer.  Schon  aber  ist  von  Hugo  de  Lacy  die  Unschuld 
der  schwer  Angeklagten  aufgedeckt.  Damian  besteht  die 
Probe,  welcher  er  ihn  unter  der  Hülle  des  Pilgers  in  dem  Ker- 
ker unterwirft ,  und  wird  grofsmüthig  eingeladen,  nun  des 
Oheims  Stelle  bei  dem  Verm2hlung«feste  zu  vertreten.  Ein 
neuer  Traum  verkündet  Evelinen  in  dem  Kloster  der  Bene- 
dictinerinnen,  wo  sie  eingeschlossen  worden,  ihr  nahes  Glück, 
und  der  versöhnte  Geist  lafst  sich  jetzt  also  vernehmen: 

Jungfräulich  Weib,  als  Witwe  Gattin!  , 
Verlobt,  verrathen  und  Venätherin! 


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•   

Romane  von  Waller  Scott.  355 

Nun  ist  erfüllt  der  ganze  Sinn, 
Wanda's  Leiden  sind  geroeben 
Und  Versöhnung  dir  gesprochen ! 

Auch  Rosa  wird  belohnt  durch  die  Hand  Amelot's,  des 
Pagen  Damian's,  die  beide,  gleich  treu,  'ihrem  Gebieter  und 
ihrer  Gebieterin  in  aller  Noth  und  Prüfung  zur  Seite  ge- 
standen. 

So  schliefst  denn  auch  dieser  Roman  mit  einer  Doppel« 
beirath.  Wie  ein  grofsgebaltenes  Vorspiel  eröffnet  das  Ganze 
der  Kampf  des  Ritters  von  der  Schmerzenswache  (Garde  Do- 
loureuse)  und  des  Wolfes  von  Plinlimmon  und  der  Tod  beider 
Kämpfer ,  wovon  der  des  Letztern  sich  erst  an  dem  Schlüsse 
recht  folgereich  zeigt  in  dem  rächenden  ,  obgleich  das  unbeab- 
sichtigte Opfer  treffenden  Stahle  des  Barden  Cadwallon.  In 
einer  steten  Folge  in  einander  greifender  Ereignisse  bewegt 
sich  die  Geschichte  in  dieser  ersten  Hälfte  fort,  und  es  fehlt 
nicht  an  ergreifenden  Parthien,  wie  diese  z.  B.  die  Scenen 
bei  der  Belagerung  und  dann  besonders  Evelinens  Uebernach- 
ten  in  dem  Zimmer  des  rothen  Fingers  darbieten»    Und  die 

fanze  Erscheinung  tritt  so  hervor,  dafs  es  in  dem  Dunkel 
leibt,  ob  wirklich  der  alten  Familienüberlieferung  gemäfs 
der  Bahrgeist  sich  gezeigt,  oder  nur  Evelinens  geängstigte 
Phantasie  das  schauerliche  Traumbild  geschaffen  habe,  ob* 
gleich  der  Dichter  auf  das  Letztere  hindeutet,  indem  er  sie 
in  die  Erscheinung  auch  als  das  Bild  ihres  rettenden  Schutz« 
engels  das  des  schönen  jungen  Helden  Damian  verweben  läfstf 
der  in  seinen  Armen  die  Geliebte  aus  dem  Gemache  des  Ent- 
setzens fortgetragen. 

Bei  dem  zweiten  Theile  tritt  die  grofse  Schwierigkeit 
ein  ,  die  überall  sich  in  der  Dichtung  darbietet,  wenn  weite 
Zeiträume,  in  denen  die  eigentliche  Geschichte  stille  steht, 
doch  durch  eine  Reihe  und  einen  Wechsel  von  Ereignissen 
ausgefüllt  und  belebt  werden  sollen.  Man  fühlt  auf  eine  un- 
angenehme Weise  dieses  Stillestehen  und  die  Leere  in  den 
drei  Jahren  der  Entfernung  Hugo's.  Nur  wenig  hängen  die 
Vorgänge  unter  sich  zusammen,  und  das  Interesse  wird  da- 
durch geschwächt,  dafs  der  verständige  Leser  ,  der  schon  sei- 
nen Schriftsteller  kennt,  auch  nicht  einen  Augenblick  an  dem 
endlichen  Erfolge  zweifelt  und  voraus  überzeugt  ist,  dafs  der 
Neffe  die  Braut  des  Oheims  zum  Altare  führen  werde.  Auch 
da»  wird  immer  fühlbarer,  wie  der  Dichter  nun  schon  gewisse 
Typen,  wie  feststehende  Formen,  gefunden  hat,  in  welche 
er  aeine  Gebilde  preist ,  und  wie  viel  in  dieser  Darstellung 

23  * 


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356  Rumäne  von  Walter  Scott. 

•  < 

des  Normannischen  Adels  vor  der  Zeit  der  Kreuzzüge  Wahr* 
heit,  wie  viel  Dichtung  sey,  vermag  der  freilich  nicht  zu  ent- 
scheiden 9  der  nicht  genau  die  Geschichte  jener  Jahrhunderte 
und  besonders  die  specielle  jener  Landschaften  studirt  hat. 
Uebrigens  stehet  jenes  Ritterthum  in  sehr  scharf  gezeichneten 
Umrissen  und  frisch  colorirten  Bildern  da,  mit  seinem  Adel, 
seiner  Tapferkeit,  seinem  Festhalten  an  der  Ehre,   dem  cere- 
moniösen  ,  fast  abgöttischen  Dienste  der  Frauen  ,  mit  seiner 
starren  Fracht  und  daneben  der  Beimischung  von  Barbarei, 
Ueppigkeit  und  dumpfer ,  religiöser  Bornirtheit»    Als  Meister 
zeigt  sich  der  Dichter  in  der  Haltung  und  genauen  Zeichnung 
der  drei  so  verschiedenen  Lacy ,  des  ritterlich  edeln  Hugo, 
des  zart  jugendlichen  ,  ehrliebenden  Damian  und  des  herab- 
gewürdigten Wollüstlings  Ran  dal,  wie  jeder  seinen  eigen- 
tümlichen ,  und  zugleich  alle  den  gemeinsamen  Charakter  des 
Ritterthums  behaupten.    Ein  anmuthiges  Bild  stellt  die  junge, 
edle,  schöne ,  von  dem  Geiste  eines  ritterlichen  Vaters  frühe 
beseelte  Evel ine  mit  ihrer  reinen  Liebe  und  der  Treue  dar, 
die  sie  ihrer  Dame  von  Garde  Doloureuse  wahrt.     Den  Ge- 
gensatz zu  den  Rittern  bildet  dann  der  nicht  minder  tapfere, 
aber  ganz  von  dem  ruhigen  Sinne  kaufmännischer  Berechnung 
geleitete  Flamänder  W ilkin  Flammok,  gleichsam  der  nüch- 
terne, klare  Geschäftsverstand  dem  phantastischen  Treiben 
gegenüber,  und  wir  möchten  seine  ganze  Darstellung,  so  wie 
die  seiner  Tochter,  als  die  anziehendste  und  gelungenste  int 
dem  reichen  Gemälde  betrachten.     Wie  kräftig  ist  sogleich 
seine  erste  Erscheinung,  wie  köstlich  die  Art,  wie  er  den 
schlauen  Waliser  berückt  und  seine  fetten  Kühe  für  die  be- 
drängte Veste  zu  gewinnen  weifs;  wie  er  dann  den  Täter  Al- 
drovand,  den  Mönch  ,  in  welchem  noch  sein  früherer  Krie- 
gergeist sich  regt,  rächend  zum  Besten  hat,  und  überall  den 
Rittern  mit  seiner  sichern  Besonnenheit  entgegentritt.  Und 
als  eine  wie  innige,  zarte,  jungfräulich  weiche,  gemüthliche, 
und  doch  in  all  ihrer  Weiblichkeit  feste  und  starke,  eben  so 
wenig  in  das  Phantastische  verwirrte,  als  durch  die  Habsucht 
ihres  Vaters  berückte  Seele  erscheint  Rosa* 

So  ist  dieses  Stück  reich  an  den  herrlichsten  Einzelnhei- 
ten ,  aber  doch  mangelt  demselben  etwas,  dals  es  eine  volle 
Befriedigung  nicht  gewährt,  dal  höhere  Ideale,  die  Eine 
grofse  Idee,  der  alle  Einzelnheiten  nur  dienen,  in  denen  allen 
ste  nur  wiederscheint,  als  die  helle  Morgensonne  in  den  tau- 
send Perlen  des  Tbaues  sich  spiegelt.  Von  grolser  Breite  und 
wenig  zusammengehalten,  sind  die  einzelnen  Scenen  und 
Schilderungen  nur  lose  unter  einander  verbunden.     Auch  das 


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Romane  von  Waltet  Scott. 


Grauenvolle,  das  in  den  Sprüchen  des  Bahrgeistes,  wie  die 
leitende  Stimme  des  Schicksals  selbst ,  das  wir  nicht  verste- 
hen, durch  das  Ganze  tönt,  kann  den  Mangel  dieses  hdhern 
Poetischen  nicht  ersetzen,  und  der  allzu  grellen  Zeichnungen 
und  fast  verzeichneten  Parthien,  wie  diese  z.B.  in  einigen 
Nebenfiguren ,  der  scharlachstrümpfigen  DameGillian,  indem 
bäurischen  Scharfrichter,  der  den  Kopf:  des  erschlagenen  Kit- 
ters Wild  Wenlock  aus  seinem  Beutel  hervolholt,  oder  auch 
in  der  rohen  Scene  im  Gefängnisse  hervortreten,  wo  Oheim 
und  Neffe  ihre  Athletenkünste  gegen  einander  versuchen,  wol- 
len wir  gar  nicht  gedenken. 

XVIII. 

So  wenden  wir  uns  denn  zu  dem  zweiten  Gemälde,  das 
uns  nach  einem  ganz  andern  Himmelsstriche,  nach  jener  Feme 
versetzt  ,  nach  der  Ritter  Hugo  von  Lacy  gezogen,  die  aber 
in  dem  ersten  Bilde  noch  verhüllt  bleibt,  um  in  dem  zweiten 
in  allem  Farbenschimmer  hervorzutreten. 

In  dem  Thale  des  todten  Meeres  sehen  wir  in  seiner  vol- 
len Rüstung  den  schwer  bewaffneten  Ritter  von  dem  liegenden 
Leoparden  erscheinen.  Erschöpft  will  er  zu  der  Quelle  bei 
den  Palmen,  dem  Diamanten  der  Wüste,  nahen,  als 
ihm  von  hier  ein  Sarazenischer  Reiter  entgegen  kommt.  Beide 
kämpfen  erst  eine  W*ile ,  bis  darauf  der  Franke  an  den  ge- 
schlossenen Waffenstillstand  erinnert  wird  und  selbst  seinen 
Pafs  von  Saladin  vorzeigt.  Schnell  ist  Friede  und  Versöhnung 
unter  den  Kämpfern  hergestellt.  &eide  erquicken  sich  und 
ihre  müden  Thiere  an  der  Quelle.  Der  Christ  gibt  sich  als 
den  Schottischen  Ritter  Kenneth  vom  Leoparden,  der 
Sarazene  als  den  Emir  Sheerkoff,  den  Löwen  des  Gebirges 
aus  Kurdistan,  zu  erkennen,  und  da  er  von  des  Schotten 
Heiseplane  vernimmt,*  so  bietet  er  sich  ihm  zum  Führer  nach 
dem  Aufenthalte  des  Eremiten  T  h  eod  or  i  ch  von  Engaddi 
dar,  der,  von  den  Christen  geehrt,  als  Hamaku  oder  Blöd- 
sinniger von  den  Mabomedanern  gleich  unverletzlich  geachtet 
wird.  In  dem  scheinbaren  Anfalle  seines  Wahnsinnes  zeigt 
sich  dieser  den  heiden  Reisenden  zuerst  zwischen  den  Felsen» 
der  Wüste,  „und  Löwe  und  Leopard  kehren  bei  dem  Bocke 
ein«.  In  der  Nacht  weckt  er  seinen  christlichen  Gast  und 
leitet  ihn  in  die  geheime  Jfcupelle,  wo  Kervneth  Zeuge  der  aus- 
serordentlichen  Verehrung  ist,  welche  der  heiligen  Reliquie, 
Veracrux,  durch  den  Umgang  der  Nonnen  und  der  mit  Rosen 
Gekränzten  Frauen  zu  Theile  wird.     Er  erkennt  unter  den 


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I 


368  Romane  von  Walter  Scott. 

letzteren  die  Dame  seines  Herzens  ,  die  er  nur  angeschaut ,  mit 
der  er  aber  noch  kein  Wort  gewechselt  hat,  und  die,  alt  Ver- 
wandte Richards,  hoch  über  ihm  steht.  Die  drei  abgepflück- 
ten Rosen  fallen  vor  ibm  nieder,  und  er  sieh  et,  gleich  zweien 
Spukgestalten ,  die  beiden  Zwerge  aus  dem  Boden  heraufstei- 
gen ;  bis  zuletzt  der  Eremite  ihn  zu  seinem  schlafenden  Ge- 
führten zurückruft. 

Hier  läTst  ihn  der  Dichter  und  versetzt  uns  in  das  Zelt 
des  an  gefährlichem  Fieber  erkrankten  Richard,  und  wir 
hören  den  unmuthigen  König  sich  mit  seinem  Wärter,  Sir 
Thomas  de  Multon,  Lord  von  Gilsland   in  Cum- 
3)  e  r  1  a  n  d  ,  bei  den  NormSnnern  nur  Lord  de  Vaux  genannt, 
unterhalten.    Da  verkündet  eine  fremde  Musik  die  Ankunft 
eines  Sarazenischen  Trupps.     Es  ist  der  Ritter  Kenneth  und 
mit  ihm  der  Arzt  cjes  Sultans  Saladin ,  £l  Hakim,  den  dieser 
dem  christlichen  Könige  sendet.    Richard  läfst  zuerst  den  Rit- 
ter vor  sich  bescheiden,   von  welchem  er  den  Zweck  seiner 
Sendung  vernimmt,   wie  er  von  der  Rathsversammlung  der 
christlichen  Fürsten  abgesandt  worden,  um  durch  den  Einsied- 
ler mit  dem  Sultane  wegen  des  Friedens  zu  unterhandeln, 
Nachdem  hierauf  De  Vaux  sich  in  das  Quartier  des  armen 
Schottischen  Ritters  begeben,   und  sich  hier  von  der  Hülfe, 
die  der  Mohrische  Arzt  dessen  allein  noch  von  seiner  Beglei- 
tung übrigem  treuen  Knappen  geleistet,   überzeugt  hat,  so 
bringt  er  auch  El  Hakim  in  das  Zelt  des  Monarchen.  Vergeb- 
lich warnen  Giles  Amaury,  der  Priester- Soldat,  Grofs- 
meister  der  Templer,  und  Marquis  Conrad  von  Mont- 
serrat  (statt  des  Markgrafen  von  Monferrat !  )  vor  feindlicher 
List.     Vertrauend  trinkt  der  königliche  Kranke  den  Trank, 
in  welchen  der  fremde  Arzt  seinen  wunderthätigen  Talisman 
getaucht,  und  fühlt  schnelle  Befreiung  von  dem  Fieber.  Jene 
beiden  enthüllen  indessen  in  geheimer  Unterredung  ihre  arge 
Tücke,  wie  sie,  nur  um  ihre  eigene  Macht  besorgt,  mitVer- 
drtils  dem  Siege  des  christlichen  Heeres  entgegensehen,  und 
der  Templer  Heutet  auf  Plane  gegen  das  Leben  des  Königs 
seihst.     Der  listige  Montserrat  weifs  den  Herzog  von  Oester- 
reich anzureizen,  dafs  dieser  in  stolzer  Eifersucht  erst  die  hoch 
in  dem  Lager  aufgepflanzte  Fahne  des  kranken  Führers  herab- 
zureissen  droht,   dann  die  seinige  daneben  aufsteckt.  Dem 
Kranken  aber  flüstert  der  Tückische  zu,  als  ob  jenes. wirklich 
geschehen,  und  in  heftiger  Entrüstung  stürzt  sich  Richard  mit 
enthlöTstem  Schwerte  nach  dem  Orte  hin,  wo  er  in  dem  Ange- 
sichte Leopold's  dessen  Banner  niederwirft  und  mit  Föfsen 
tritt.     Nur  Kenneth  und  De  Vaux  sind  in  der  Eile  ge- 


Romane  von  Walter  Scott.  359 

folgt,  und  nachdem  Philipp  von  Frankreich  vermittelnd 
zwischen  die  zürnenden  Fürsten  getreten ,  übergibt  Richard 
dem  Leopardenritter  die  Bewachung  seiner  Fahne  bis  zu  dem 
kommenden  Morgen. 

Die  Nacht  waltet  mit  ihrem  Schweigen  über  dem  Lager. 
Allein  mit  seinem  treuen,  trefflichen  Hunde  hält  Kenneth 
die  Wache,  Da  erscheint  der  Zwerg  und  überreicht  zum 
Zeichen  s»  iner  Sendung  den  Karfunkelring,  durch  welchen  die 
Dame  seines  Herzens  ihn  zu  sich  bescheidet.  Er  kämpft  eine 
Weile  in  sich;  endlich  folgt  er,  in  der  Absiebt,  schntll  wie- 
der zurückzukehren,  dem  Zwerge,  der  ihn  geradehin  nach 
dem  Zelte  der  Königin  leitet.  Er  tritt  ein,  und  hinter  einer 
Decke  verborgen,  vernimmt  er  den  Trug,  den  die  Fürstin 
sich  mit  dem  Ringe  .der  edeln  Editha  erlaubt,  und  wie  sie 
ihn,  blos  ihre  Behauptung  zu  bewähren,  dafs  der  Ritter  die 
Probe  nicht  bestehen  werde,  wirklich  vermittelst  des  Kleino- 
des von  seiner  Wache  hierher  gelockt.  Editha  selbst  wird 
herbeigerufen  und  bezeigt  ihren  Unmuth  über  das  dem  Ritter 
Widerfahrene  und  die  Verletzung  ihrer  eigenen  Ehre;  uud  da 
sie  durch  den  Zwerg  vernimmt,  wie  der  Ritter  selbst  verbor- 
gener Zeuge  des  ganzen  Vorganges  seye,  so  zieht  sie  die  Decke 
zurück,  und  mahnt  ihn,  seihst  sich  entschuldigend,  zu  schnel- 
ler Flucht.  Er  will  ihr  Kleinod  zurück  geben;  sie  heifst  es 
ihn  behalten.  In  Verwirrung  eilt  er  nach  der  Fahne  zurück. 
Von  fern  hört  er  den  Schrei  des  Todeskampfes  seines  treuen 
Thieres,  das  er  bei  derselben  gelassen.  Er  ersteigt  den  künst- 
lichen Wall;  der  hervortretende  Mond  zeigt  ihm,  dafs  die 
Standarte  Englands  verschwunden  ist.  Zerbrochen  liegt  der 
Speer,  an  dem  sie  ge wehet,  auf  dem  Boden;  daneben  windet 
sich  sein  treuer  Roswal  in  den  Zuckungen  des  Todes. 

Das  Entsetzlichste  ist  somit  geschehen ;  der  unglückliche 
Leopardenritter  sieht  seine  Ehre  zernichtet,  sein  Leben  ver- 
wirkt, sein  treues  Thier  zum  Tode  verwundet.  In  dieser 
tiefen  Noth  nahet  ihm  Adonbek  el  IIa  kirn,  der  Mohrische 
Arzt  ,  und  ermuntert  ihn  zur  Flucht,  Er  verheilst  Sicherheit 
bei  Saladin  und  deutet  daraufhin,  wie  kein  Abschwören  des 
Glaubens  verlangt  werde,  sondern  dem  Sultane  ein  Mann,  der 
mit  den  Europäischen  Gebräuchen  vertraut  wäre,  eben  jetzt 
sehr  willkommen  seyn  würde,  da  man  darüber  unterhandle, 
dafs  ihm,  zu  Vermittlung  des  Friedens  zwischen  dem  Mor- 
gen- und  Abendlande,  eine  nahe  Verwandte  Richards  ^  die 
junge  Lady  Editha  Plantagenet,  vermählt  werde.  Das. 
aber  eben  ist  die  von  dem  Ritter  angebetete  Dame,  und  er 
fühlt  sich  tief  durch  den  Gedanken  entrüstet,  dafs  die  schöne 


* 


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360  Romane  von  Walter  Scott. 

Jungfrau  von  Anjou  gar  einem  Ungläubigen  solle  zu  Tbeile 
werden.  Auch  die  Liebe  zum  Leben  vermag  jetzt  nichts  über 
ihn.  Kaum  achtet  er  es  für  möglich,  dafs  der  ritterliche  Ri- 
chard in  solche  Plane  eingehen  solle.  Vor  allem  glaubt  er  ihn 
unterrichten  zu  müssen,  und  tritt  in  der  Frühe  des  Morgens 
zu  dem  Fürsten  ,  der  nun  durch  den  Talisman  des  Arztes  ganz 
hergestellt  ist. 

Des  Königs  Entrüstung  über  die  seinem  Panier  widerfah- 
rene Schmach  ist  ohne  Gränzen.  Erfolglos  verwendet  sich 
De  Vaux  für  den  unglücklichen  Ritter;  vergeblich  bitten  für 
ihn  die  schöne  Königin  Berengaria  und  die  hochherzige 
Ed  i t ha;  umsonst  erscheint  der  Einsiedler  von  Engaddi 
und  läfst  warnend  den  König  in  das  schauerliche  Gsheimnifs 
seines  Daseyns  blicken,  indem  er  sich  als  den  berühmten 
Ritter  Alberich  Mortem  ar  enthüllt.  Nur  erst  dem  Moh- 
rischen Arzte  schenkt  Richard,  um  gegen  seinen  Retter  nicht 
undankbar  zu  erscheinen,  den  zu  dem  Tode  Verurtheilten  zu 
seinem  Sclaven,  wodurch  er  zugleich  von  dem  hierdurch  ehr- 
los gewordenen  Ritter  Editha's  Liebe  auf  immer  abzuleiten 
gedenket* 

Richard  vernimmt  hierauf  durch  den  Erzbischof  von  Ty- 
rus,  der  als  Abgeordneter  der  Fürsten  zu  ihm  naht,  wie  diese 
wirklich,  zu  der  Rückkehr  entschlossen,  den  Frieden  mit  Sa- 
ladin  durch  ein  Ehebündnifs  zu  vermitteln  gedächten;  wie 
selbst  der  beilige  Mann  von  Engaddi  mit  einverstanden  seye, 
und  man  an  des  Pabstes  Genehmigung  nicht  zweifle,  ja  die 
Hoffnung  hege,  Saladin  selbst  hierdurch  für  das  Cbristenthum 
gewinnen  zu  können.     Auch  der  König  zeigt  sich  in  dieser 
Hoffnung  nicht  abgeneigt,  nur  von  der  Rückkehr  will  er 
nichts  wissen,  und  durch  seine  Erscheinung  in  dem  Rathe  der 
christlichen  Häupter  gelingt  es  ihm ,  augenblicklich  die  krie- 
gerische Begeisterung  wieder  anzuregen.     Um  so  mehr  sinnen 
im  Geheimen  der  Grofsmeister  der  Templer  und  der  Marquis 
Conrad  auf  neue  Tücke,  und  in  ihrer  Unterredung  enthüllt  es 
sich,  wie  der  letztere  es  gewesen,  der,  neuen  Streit  zu  ent- 
zünden, in  der  Nacht  die  Fahne  zerrissen  und  entwendet  hat. 
Es  war  nun  der  vierte  Tag,  seit  Sir  K^nneth  das  Lager  in  dem 
Gefolge  des  Mohrischen  Arztes  verlassen,  durch  welchen  letz- 
tern der  König  zugleich  seine  beiden  Zwerge,  Fürst  Nectaba- 
nus  und  Frau  Genevra,  SaJadin  zum  Geschenke  sandte.  Da- 
für schickt  ihm  sein  edler  Feind  einen  Nubischen  Sclaven, 
der,   seihst  von  ansehnlicher  Gestalt,   mit  einem  schönen, 
grofsen  Jagdhunde  erscheint,  und  obgleich  stumm,  doch  als 
geschickt  gepriesen  wird,  dem  Könige  gute  Dienste  zu  leisten. 


Romane  von  Waltet  Scott.  36 1  . 

* 

Auch  verräth  der  Stumme  sogleich  grofse  geistige  Fähigkeit 
und  Fertigkeit  in  Behandlung  der  Waffen  ;  und  während  nun 
der  König  in  seinem  Zelte  heschäftigt  ist,  eben  aus  England 
angelangte  Depeschen  zu  lesen  ,  der  Nubier  weiter  innen  ,  einen 
grofsen  blanken  Schild  zu  putzen,  erscheint  aufsen  ein  Mara- 
bout,  mit  dem  die  Wachen  eine  Zeit  lang  ihr  muthwilliges 
Spiel  treiben ,  bis  zuletzt  ihre  Aufmerksamkeit  von  dem  schein- 
bar Trunkenen  sich  abwendet,  und  dieser  den  Augenblick  er- 
sieht, mit  seinem  Dolche  über  den  König  herzufallen.  Aber 
alles,  was  aufsen  vorgefallen,  zeigte  sich  dem  Nubier  in  sei- 
nem leuchtenden  Schilde  ,  wie  in  einem  Spiegel ;  schnell  genug 
eilt  er  herbei,  und  unter  seiner  Hand  sinkt  der  Mörder,  der 
Assasine,  den  der  Templer  gesandt  hat.  Da  er  eine  leichte 
Wunde  empfangen,  so  saugt  der  dankbare  König  selbst  ihm 
diese  aus,  und  erkennt  hierbei  den  Kitter  Kenneth  in  dem 
Verhüllten. 

Dieser  war  indessen  mit  dem  Arzte  nach  Saladins  Lager 
gelangt,  wo  sein  freundlicher  Herr  sich  ihm  als  seinen  Gegner 
bei  dem  Diamanten  der  Wüste,   Uder  im,   den  Löwen 
des  Gebirges,  zu  erkennen  gegeben,   und  ihm  zugleich 
die  Aussicht  eröffnet  hatte,  vermittelst  des  Instinctes  seines 
Hundes  ,   der  durch  den  Talisman  des  Arztes  eine  schnelle 
Heilung  gewonnen,    unter  den  Fürsten  denjenigen  zu  ent- 
decken, welcher  dem  Banner  die  Schmach  angethan  und  das 
edle  Thier  verwundet  hatte,  und  hierdurch  seine  eigene  Ehre 
wieder  zu  gewinnen.    Und  wirklich,  als  hierauf  die  Fürsten, 
dem  Führer  ihre  Ehrfurcht  zu  erweisen  ,  der  Reihe  nach  zu 
der  neu  aufgerichteten  Fahne  nahen  ,  verräth  der  sichere  Trieb 
des  Thieres  den  schuldigen  Marquis  von  Montserrat.  Zu 
Entscheidung  des  Streites ,  der  sich  entspinnt,  wird  auf  den 
fünften  Tag  ein  Zweikampf  bestimmt,  so  dafs  König  Richard, 
als  der  Ankläger,  für  sich  einen  Kämpfer  stellen,  Conrad, 
Marquis  von  Montserrat  aber,  als  der  Angeklagte,  in  eigener 
Person  erscheinen  soll.     Den  Sultan  Saladin  beschliefst  man 
um  einen  Ort  aufserhalb  des  Lagers  zu  dem  Kampfplatze  zu 
bitten.    Kenneth,  als  Nubischer  Sclave ,  übergibt  an  Editha 
des  Sultans  Briefe ,   und  behauptet,  obgleich  von  de*  Gelieb- 
ten erkannt,  diesmal  treu  das  gelobte  Schweigen.    Noch  ist  er 
Zeuge,   wie  Blondel  von  Nesle  das  Lied  von  dem  Blut- 
ge wände  singt,  und  kehrt  dann  mit  des  Königs  Botschaft  zu 
Öuladin  zurück. 

Dieser  bestimmt  den  christlichen  Kämpfern  den  Diaman- 
ten der  Wüste  zu  dem  Kampffelde.  Dahin  begibt  sich  Ri- 
chard mit  den  Damen  ,  so  wie  der  Marquis  Conrad,  beide  mit 


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362  Romane  von  Walter  Scott. 

0 

dem  verabredeten  Gefolge,  und  des  Königs  Arzt  tritt  nun  in 
dritter  Enthüllung  als  Sultan  Saladin  selbst  hervor.  Beide 
ritterliche  Fürsten  geben  Proben  ihrer  Stärke  und  Gewandt- 
heit im  Gebrauche  der  Waffen.  Darauf  gehet  der  Kampf  vor, 
worin  Sir  Kenneth,  von  dem  Sarazenischen  Fürsten  gewapp- 
net, als  Aichaids  Kämpfer  erscheint  und  seinen  Gegner  so- 
gleich bei  dem  ersten  Zusammentreffen  niederwirft.  Der  Be- 
siegte bekennet  seine  Schuld  und  wird  in  den  Gewahrsam 
seiner  beiden  Bürgen,  des  Herzogs  von  Oesterreich  und  des 
Templers,  gegeben.  Der  Sieger  wird  in  das  Zelt  der  Damen 
geführt,  die  ihm  die  Waffenstücke  abnehmen,  und  vor  denen 
der  Ritter  des  Leoparden  sich  nun  in  neuer  Enthüllung  von 
seinen  Knien  als  David  Graf  von  Huntingdon,  kö- 
niglicher Prinz  von  Schottland,  erhebt,  als  den  ihn 
Richard  schon  zuvor  erkannt  hatte.  Länger  stehet  nun  keine 
Scheidewand  zwischen  ihm  und  Editha,  und  auch  der  Ein- 
siedler thut  kund,  wie  die  himmlischen  Schaaren,  die  ihm 
den  Traum  gegeben  ,  nichts  als  Wahrheit  in  ihren  leuchten- 
den Urkunden  schreiben.  Denn  Editha's  Vermälung  soll  Ri- 
chard aussöhnen  mit  einem  seiner  mächtigsten  Feinde  und  ihr 
Gemahl  ein  Christ  seyn. 

Nachdem  aber  der  Dichter  die  Liebenden  glücklich  ver- 
eint hat,  und  jede  neue  Enthüllung  einer  der  verschleierten 
Personen  auch  zu  der  neuen  Lösung  eines  der  verschlungenen 
Knoten  geworden  ,  so  bleibt  ihm  nur  noch  übrig,  das  Werk 
der  Rache  zu  vollbringen,  das  er  diesmal  einer  gar  hohen 
Hand  anvertraut.  Denn  indessen  der  Sultan  seine  christlichen 
Gäste  in  seinem  Zelte  bewirthet,  klingt  aus  seinem  Munde 
das  gräfsliche :  Accipehocl  dem  Templer  entgegen,  und  von 
seiner  Hand  und  seinem  Schwerte  rollt  des  Verläthers  Haupt 
vor  den  zechenden  Fürsten  auf  den  Boden  nieder.  Mit  jenen 
Worten  nämlich  hatte  —  wie  als  unbemerkter  Zeuge  der 
Zwerg  dieses  belauschte  —  der  Grofsmeister  der  Templer 
den  unglücklichen  Martjuis  von- Montserrat  erdolcht,  damit 
dieser  seine  geheimen  Verbrechen  nicht  verrathen  möge.  Der 
anze  Vorgang  bringt  indessen  kaum  eine  Störung  des  Festes 
ervor.  Das  Blut  wird  weggewischt  und  die  Gesellschaft  setzt 
das  Mahl  fort. 

An  dem  folgenden  Tage  kehren  die  christlichen  Fürsten 
nach  ihrem  Lager  zurück.  Bald  darauf  wird  der  junge  Graf 
von  Huntingdon  mit  Editha  Plantagenet  vermählt. 
Der  Sultan  schickt  uls  Hochzeitsgeschenk  den  berühmten 
Talisman.  — 


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Romane  von  Walter  Scotf.  363 

Recht  anschaulich  wird  uns  aber  in  diesen  Bildern,  die 
nun  ganz  historisch  sind,  die  Methode,  wonach  der  Dichter 
seine  Schöpfungen  zu  Stande  bringt.  Es  ist  nicht  Eine  Idee , 
von  der  ergriffen  er  seinen  Plan  entwirft;  die  sichtbar  in  das 
Leben  zu  führen,  er  Ort,  Zeit  und  Personen  wählt,  und  sei- 
nen Knoten  schürzend  und  lösend,  neue  Verscblingungen  her- 
vorbringt, so  dafs  wir  zuletzt,  nachdem  das  bunte  Spiel  an 
uns  vorüber  gegangen,  in  dem  Besitze  seiner  besten,  blei- 
benden Gabe,  von  seiner  Idee  gehoben  und  beruhigt,  von 
ihm  scheiden.  Sein  Streben  vielmehr  beschränkt  sich  darauf, 
irgend  ein  geschichtliches  Ereignifs,  eine  Zeit,  Personen  aus 
derselben  darzustellen.  Hiernach  ordnet  er  seinen  Entwurf» 
Die  Scene  wird  geschildert,  mit  unermüdlicher  Beharrlichkeit 
weilt  der  Zeichner  dann  bei  seinen  Personen,  fafst  sie  in  die« 
sei  und  dann  wieder  in  einer  andern  Situation  auf,  und  läfst 
sie  nicht  eher  los,  bis  er  sie  in  voller  Verständlichkeit  vor 
den  Beschauer  hingestellt  hat.  Damit  gewinnen  seine  Gemälde 
allerdings  eine  groise  Anschaulichkeit,  aber  auch  eine  gleich 
groise  Breite;  er  schaffet  mehr  einen  Kranz  anmuthig  wech- 
selnder Schilderungen,  Zeichnungen,  Malereien,  als  Ein  gros- 
ses, in  allen  seinen  Theilen  fest  verbundenes  und  gleichmäfsig 
ausgeführtes  Ganze;  der  augenblickliche  Effect  ist  gewaltig, 
und  doch  das  Resultat  und  der  letzte  Nachklang  gering  Und 
was  dann  den  aus  der  Geschichte  entlehnten  Gegenstand  an- 
gebt, so  unterhält  uns  unser  Dichter  hier  nicht,  wie  in  vie- 
len andern  Stücken,  mit  dem  Leben  und  den  Ereignissen  einer 
fernen,  ungekannten  Welt,  mit  einer  Reihe  von  Sagen,  wie 
diese  in  dem  engen  Kreise  eines  abgetrennt  lebenden  Völkchens 
eingeschlossen  sind,  das  wir  durch  ihn  erat  kennen  lernen; 
er  führet  uns  auf  ein  allgemein  gekanntes  Gebiet,  auf  den  hell 
leuchtenden  Schauplatz  der  grofsen  Weltereignisse  seihst. 
Wir  müssen  ihm  dabei  das  Zeugnifs  geben  :  in  ihrem  geschicht- 
lichen Charakter  stehen  im  Allgemeinen  Zeit  ,  Ort  und  Per- 
sonen da,  aber  zugleich  entgeh  es  uns  nicht,  welchen  Zwang 
er  daneben  der  Geschichte  anthut,  wie  sie  in  die  Schranken 
seines  Dichterwerkes  sich  fügen  mufs,  wie  er  nur  so  viel  von 
ihr  aufnimmt,  als  mit  seinem  Plane  sich  verträgt,  und  dieses 
wieder  zu  seinem  Zwecke  gestaltet,  dehnt  oder  verkürzt, 
ändert  und  ausschmückt,  und  seltsam  mit  den  grofsen  Perso- 
nen historischer  Wirklichkeit  die  Gebilde  seiner  eigenen 
Schöpferkraft  verkehren  läfst,  als  ob  sie  zugleich  mit  jenen 
geboren  worden,  gelebt  und  gewirkt  hätten  und  gestorben 
seyen,  da  e,s  uns  vielmehr  oft  vorkam,  als  ob  wir  in  denselben 
nur    flüchtig   biuschitnmernde  Irrlichter,  und  Spukgestalten 


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361  Romane  von  Walter  Scott. 

zwischen  dm  testen  ,  in  unvergänglichem  Erze  aufgestellten 
Bildern  der  Historie  hingaukeln  sähen.  Auch  sind  die  letz- 
tern, um  sie  recht  stark  in  ihren  Charakterzügen  auftreten 
zu  lassen,  mehrmals  bis  zu  dem  Carricaturartigen  grell  ge- 
zeichnet, und  wir  gestehen  ollen,  wie  wir  durch  diese  Be- 
handlung der  Geschichte  x\ns  wenig  befriedigt  gefühlt  haben, 
und  dem  letzten  Werke  unseres  Dichters  nicht  eben  die  erste 
Stelle  unter  seinen  Schöpfungen  einräumen  möchten. 

Um  aber  dieses  allgemeine  Urtheil  durch  Einzelnheiten 
aus  dem  Stücke  selbst  zu  bewähren  und  zu  erörtern,  so  be- 
ruhet die  Verschlingung  und  Lösung  in  diesem  romantischen 
Gemälde  wörtlich  auf  einer  Verkleidung  und  Entklei- 
d  ung  einer  der  Hauptpersonen  aus  demselben.  Sa  1  ad  in  er- 
scheint erst  als  der  .Löwe  Ilderim  von  Kurdistan,  legt 
darauf  die  Verhüllung  des  Arztes  El  Hakim  um,  steht 
dann  wieder  als  Ilderim  vor  Kenneth ,  und  zeigt  sich  zuletzt 
.  erst  in  seiner  wahren  Gestalt,  als  den  gewaltigen  Sul- 
tan selbst,  vor  dem  Ritter  und  dem  christlichen  Könige.  In 
dem  Ganzen  erscheint  er  mehr  als  ein  abendländischer  Aben- 
theurer,  denn  als  orientalischer  Monarch ,  und  wir  zweifeln 
sehr,  ob  diese  seine  Beweglichkeit  je  mit  dem  starren  Ernste 
des  Morgenlandes  sich  einen  werde.  Besonders  ist  die  letzte 
Scene,  wo  er  mit  eigener  Hand  das  Scharfrichteramt  übt  und 
vor  den  bei  dem  Mahle  versammelten  Fürsten  dem  Templer 
den  Kopf  abmäht,  grell  genug  gezeichnet,  und  es  ist  eine 
grofse  Anforderung  an  den  Leser,  einen  solchen  Vorgang  als 
in  dem  Charakter  der  Geschichte  gegründet  zu  achten.  Ganz 
in  dem  Sinne,  wie  neuere  Geschieb  tforscher  die  Templer  wie* 
der  auffassen,  istGilesAmaury,  der  Priester- Soldat  und 
Groismeister  des  Templerordens,  gezeichnet,  als  das  Haupt 
eines  durch  geheime  Gräuel  entweiheten  Bundes,  der  keinen 
andern  Zweck  hat  (  als  den  Tempel  seiner  eigenen  Gröise  ,  und 
sey  es  eben  so  auf  den  Trümmern  der  christlichen,  als  der  sa- 
razenischen Macht,  aufzuführ*  .  Sein  Verbündeter  erscheint 
als  ein  Marquis  von  Montierrat,  und  damit  sein  Name 
nicht  zweifelhaft  seye,  auch  mit  dem  sägeförmig  gezackten 
Berge  auf  seinem  Schilde,  statt  des  geschichtlichen  Mark- 
grafen Conrad  von  Montferrat,  der,  gegen  die  An- 
sprüche des  gefangenen  und  von  Saladiu  frei  gegebenen  Königs 
Guido  von  Jerusalem,  das  von  ihm  eroberte  Tyrua  zu  behaup- 
ten sucht,  und  hier  durch  den  Dolch  eines  Assassinen  endet, 
statt  dais  unser  Dichter  ihn  erst  durch  die  Lanze  Kenneth s 
sinken  und  dann  unter  dem  Dolche  des  Templers  verbluten 
läist.  —    Herrlich  ist  der  Ritter  Kenneth,  als  freies  Ge- 


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Romane  von  Walter  Scotr.  365 

bilde  der  schöpferischen  Kraft  des  Dichters  ,   dargestellt,  in 
seinem  Adel,  in  seiner  Armuth  und  seinem  Stolze,  in  seiner 
Liebe  su  seinem  Diener  nnd  Hunde,  und  in  dem  Dienste  sei- 
ner Dame  ,   wie  er  in  diesem  seine  ritterliche  Ehre  verletzt/, 
aber  auch  wieder  herstellt,  und  hierdurch  die  Liebe  Editha's 
zu  ihm  sich  enthüllt.     Es  ist  dieses  das  gelungenste  Bild  von 
allen  ,   so  wie  die  Lösung  da  gegeben  wird  ,  wo  er  als  Schot- 
tischer Königsprinz,  David  Graf  von  Huntingdon  her- 
vortritt.   Als  ein  hochgehaltenes  Gebilde  steht  dann  die  schöne 
Jungfrau  von  Anjou,   Editha  Plantagenet,    zu  seiner 
Seite,   und  wir  betrachten  jene  Scene  als  die  anziehendste, 
wo  Kenneth  und  Editha  zusammen  auftreten,  so  wie  die  er- 
sten Erzählungen  als  die  Blütbe  des  Ganzen.     Wie  herrlich 
sind  jene  nächtlichen   Vorgänge  in  dem   Carmeliterkloster ; 
dann  die  nächtliche  Wache  bei  der  Standarte  Englands  und  die 
Verlockung  des  Wächters  in  das  Zelt  der  Königin  durch  den 
Zwerg,  der  doch  den  fremden  Ritter  zu  weit  führt,  so  dafs 
die  königliche  Herrin  durch  ihre  übermüthige  Laune  sich  in 
Verlegenheit  und  zuletzt  in  grofse  Trauer  und  Beängstigung 
gesetzt  fühlt.     Hier  ist  hohe  Poesie.     Auch  die  Unterhaltung 
des  ungeduldigen  Königs  mit  seinem  treuen  De  Vaux  ,  dem 
Seht  Englischen  Charakter,  ist  vortrefflich.     Darauf  aber  zer- 
fällt das  Ganze  und  dehnt  sich  ungebührlich  in  die  Breite,  und 
die  geschichtlichen  Züge  werden  vielfach  entstellt,  indem  nun 
gar  Saladin  ,  der  Sultan,  in  dem  christlichen  Lager  als  Arzt 
erscheint,  und,  phantastisch  genug ,  seinen  ritterlichen  Feind 
mit  seinem  Talismane  heilt.     Und  werfen  wir  zuletzt  einen 
Blick  auf  den  Helden  selbst,  der  dem  Stücke  den  Namen  gibt, 
so  ist  König  Richard  ganz  so  gehalten  ,  wie  ihn  einer  un- 
serer gründlichen  Historiker  schildert:   als  der,  „in  dessen 
Charakter  sich  dieselbe  Mischung   entgegengesetzter  Eigen- 
schaften zeigte,  welche  der  ganzen  ritterlichen  Sängerzunft 
jener  Zeiten  und  Gegenden  eigentbümlich  war,  der  er  ange- 
hörte: Heldenmuth,  Durst  nach  Thaten,  lebendiges  religiö- 
ses Gefühl  ,  welches  abwechselnd  mit  Rohheit,  Grausamkeit, 
Habsucht,  Jähzorn  und  Wollust  in  ihm  wirkte,  und  ihn  bald 
zu  dem  Höchsten,  bald  zu  dem  Niedrigsten  fähig  machte.« 
Und  in  wie  ganz  anderer  Persönlichkeit  erscheint  er  hier,  als 
in  einigen  deutschen  Romanen ,   wo  er  allein  nur  von  Seiten 
seiner  Ritterlichkeit ,   seines  Frauendienstes  und  seines  Edel- 
muthes  srufgefafst  wird.      Ueberhaupt  bemühet  sich  unser. 
Dichter  eben  so  wenig  das  Harte,  Hohe  und  die  ganze  grelle 
Barbarei  jener  Zeit  zu  verdecken  und  zu  beschönigen,  als  er 
von  der  andern  Seite  mit  inniger  Liebe  die  Züge  wahrer  Gröfse 


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366  Romane  von  Walter  Scott. 

und  einea  gewaltigem  Lebens  -  und  Glaubensgefühles ,  als  die 
unsrige  es  besitzt,  hervorhebt.  Nur  in  Zeit,  Ort  und,  wia 
schon  angedeutet  worden,  in  den  Personen  ist  mit  erofser 
Willkühr  alles  umgestaltet,  und  das,  was  Effect  hervorbringt, 
ao  gehäuft,  dafs  jene  glänzenden  Züge  aus  einem  weitern,  ge- 
schichtlichen Gebiete  in  den  engen  Kaum  dieser  Vorgänge  zu- 
sammengedrängt sind. 

So  war  wirklich  der  Plan  einer  Versöhnung  durch  Heirath 
zwischen  den  christlichen  und  sarazenischen  Fürsten  vorban- 
den ,  aber  nicht  zwischen  Saladin  selbst  und  dieser  Ediths 
Plantagenet,  sondern  zwischen  El  Adel,  dem  Bruder  des 
Sultans,  und  Richards  Schwester,  der  Witwe  Wilhelms  II. 
von  Sicilien.  Auch  ist  der  ganze  Vorgang  mit  der  Fahne  ein 
anderer.  Nicht  hier  in  dem  .Lager  trug  sich  das  Ereignifs  zu, 
und  nicht  der  Herzog  Leopold  von  Oesterreich  war  der  zuerst 
Beleidigende,  sondern  Richard  war  es,  der  in  Acre,  als  er 
das  Panier  des  Herzogs  aut  einem  der  von  den  Seinigen  be- 
haupteten T Lünne  aufgepflanzt  sah,  es  herabrifs  und  he- 
schimpfte,  wodurch  sich  der  später  für  Richard  so  schädliche 
Zwist  zwischen  beiden  Fürsten  entspann.  Eben  so  war  es 
nicht  jener  poetisch  erfundene  Büfser  von  Engaddi,  der  Ri- 
chard seine  Töchter  vorrückte,  sondern  es  ist  auch  hier  nur 
ein  früheres  Ereignifs  benutzt.  Denn  der  Pfarrer  Fulco  von 
TM  t  uill  y  war  es,  der  Richard  gewarnt  hatte,  nicht  eher  auf 
den  Kreuzzug  zu  gehen,  bis  er  seine  drei  Tochter:  Stolz, 
Wollust  und  Habsucht,  würde  verheirathet  haben ;  worauf 
ihm  denn  freilich  Richard  zu  dienen  vr  niste,  indem  er  nach 
andern  einleitenden  Worten  entgegnete:  »Do  igitur  super- 
biam  meam  superbis  templariis,  et  cupiditatem  meam  monachis 
de  ordine  Cisterciensi  et  luxuriam  meam  praelatis  ecclesiarum" 
Schlossers  Weltgesch.  Th.  III,  II,  1.  S.  10. 

We  nn  man  nun  diese  Willkührlichkeit  ansieht,  mit  wel- 
cher der  Dichter  die  Geschichte  benutzt,  und  was  in  anderer 
Zeit  und  von  andern  Personen  geschehen,  den  seinigen  in  den 
Mund  legt,  so  wird  man  um  so  mehr  bedenklich  in  den  an- 
dern Romanen  desselben,  wu  wir  ihm  nicht  Schritt  für  Schritt 
folgen  können,  weil  nur  er  mit  den  Quellen  seiner  Erzählung 
vertraut  ist,  und  wir  überhaupt  nicht  wissen,  wie  weit  wir 
auf  dem  festen  Boden  der  Geschichte  uns  bewegen.  Und  so 
ist  es  nicht  dieses,  was  wir  ihm  vorrücken  wollen  :  er  ver- 
wirre die  Begrilfe  durch  seine  Mischung  von  Dichtung  und 
Wahrheit,  sondern  der  innere  Widerstreit  in  seiner  ganzen 
Methode,  die  von  der  einen  Seite  auf  grofsartige,  lebendige 
Nachbildung  der  Wirklichkeit  binstiebt,   und  von  der  andern 


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Simon  über  venerische  Krankheiten, 


367 


diese  Wirklichkeit  mit  aller  Willkühr  in  seine  Dichtung  hinein- 
zieht, sie  mit  dieser  mischt  und  nach  dem  Bedürfnisse  dersel- 
ben schmückt  und  umgestaltet. 


Ueber  die  Zeichen  der  venerischen  Krankheit  und  deren  Bedeutung  £ 
über  die  Notwendigkeit  einer  energischen  Behandlung  der  allge- 
meinen Lustseuche  und  über  das  wahre  Wesen  der  vermeinten  und 
sogenannten  Merkurialkrankheit ,  zu  ernster  Belehrung  und  drin- 
gender Warnung  Jür  alle  gebildete  Laien  von  Dr.  Friedrich 
Alexander  Simon,  jun.r  praktischem  Arzte  in  Hamburg. 
Mit  dem  Motto  :  nil  humani  a  me  alienum  esse  puto.  Leipzig , 
1825.  bei  Steinacker  und  Hartknoch.  Hamburg  9  beim  Verfasser. 
Xmi  und  236  S.  8.  1  Thlr.  8  Gr. 

Eine  gründliche  Anleitung  für  den  Nichtarzt  zur  Aufklä- 
rung üher  die  wahre  Natur  der  venerischen  Krankheit,  eine 
von  einem  redlichen  und  zugleich  kenntnifsvollen  und  erfah- 
rungsreichen Arzte  verfafste  Darstellung  desjenigen,  was  zu 
thun  oder  zu  lassen  sey,  um,  einmal  befallen  von  dieser  bös- 
artigen Seuche,  vor  ihren  weitern  zerstörenden  Folgen  ge- 
sichert zu  seyn,  ist  in  Wahrheit  kein  unverdienstliches  Un- 
ternehmen l  Was  wir  zur  öffentlichen  Belehrung  über  dieses 
so  vielfach  verbreitete,  in  so  mannigfachen  Gestalten  einher- 
ziehende, so  tief  in  das  körperliche  und  moralische  Wohl  der 
Menschen  eingreifende  Uehel  für  den  Laien  bis  jetzt  besitzen, 
ist,  mit  nur  wenigen  Ausnahmen,  entweder  das  schale  Er- 
zeugnifs  literarischer  Speculation  und  Gewinnsucht,  dem  alles 
Andere  theuer  ist,  nur  nicht  das  wahre  Wohl  der  leidenden 
Menschheit,  obwohl  solche  Schriften  letzteres  als  den  Zweck 
ihrer  Erscheinung  gewöhnlich  in  den  Schild  hängen,  oder  sie 
geben  Anleitung  zu  jenen  unseligen  Selbstkuren,  die  den  im 
Gebiete  ärztlicher  Beurtheilung  fremden  Kranken  nicht  selten 
im  Innersten  zerstört  und  an  aller  Hülfe  verzweifelnd,  zuletzt 
doch  noch  dem  Arzte  zuführen;  oder  sie  enthalten  geradezu 
von  vorn  herein  theoretische  Sülze  und  Kurregeln,  die  eben 
sowohl  der  wahren  Natur  des  Uebels,  als  einer  gesunden  The- 
rapie zuwider  laufen,  und  den  Kranken,  werden  sie  realisirt, 
frfliier  oder  spater  in  ein  unvermeidliches  Siechthum  stürzen. 
—  Nicht  minder  aber  ist  es  wahr,  dafs  sich  Vieles  von  dieser 
bösartigen  ,  im  Finstern  schleichenden  Seuche  unter  den  Men- 
schen durch  die  Unwissenheit  der  letztern  von  der  Bedeutung 
derselben  verbreitet;  Vielen,  die  früher  Hülfe  gesucht  und 


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368 

gefunden  hätten,  ist  es  unbekannt  geblieben,  dafs  sie,  wie 
es  dem  Ref.  schon  oft  auf  die  auffallendste  Weise  vorgekom- 
men, das  Gift  der  Krankheit  bereits  schon  Jahre  lang  mit  sich 
herum  schleppen,  und  dasjenige,  woran  sie  lange  schon  die 
qualvollsten  Stunden  verseufzt,  venerischer  Abkunft  sey; 
nicht  weniger  halten  auch  wieder  Andere,  die  den  Ursprung 
ihres  Leidens  zwar  kennen ,  dasselbe  aber  wegen  seiner 
Schuierzlosigkeit ,  seines  langsamen  Umsichgreifens,  weil  sie 
dasselbe  oft  lange  nicht  an  ihren  Gewohnheiten,  ihren  Genüs- 
sen und  Berufsverhältnissen  hindert,  und  ein  solches  zuweilen 
auch  längere  Zeit  verborgen  halten  können,  doch  nur  für  eine 
Kleinigkeit,  spötteln  wohl  gar  darüber,  machen  sich  lustig 
über  ihre  Galanterieen ,  wie  sie  die  Folgen  ihrer  Vergehen 
allzu  gelinde  benennen  ,  und  tbun  sich  wohl  noch  etwas  dar« 
auf  zu  Gute,  in  diesem  unreinen  Gebiete  sich  wacker  herum* 
getummelt  zu  haben ;  noch  Andere  aber  endlich  werden  nicht 
blos  durch  eigene  Unwissenheit,  durch  Vorurtheil  oder  seihst 
verschuldete  Nachlässigkeit,  sondern  leider  nicht  selten  durch 
die  irrigen  Ansichten  ihrer  Aerzte,  durch  die  Lauigkeit  und 
Gleichgültigkeit,  mit  welcher  letztere  ihr  Uebel  ansehen  und 
behandeln,  durch  das  kraftlose  Verfahren  derselben  gegen  die 
Krankheit,  die  Beute  einer  schnellern  oder  langsamem  Vergif- 
tung. —  Vorliegende  Schrift  nun  entspricht  nach  des  Ref.  Er- 
messen vollkommen  denjenigen  Forderungen,  welche  man  an 
einen  populären  Unterricht  über  den  in  Frage  stehenden  wich- 
tigen Gegenstand  zu  machen  berechtigt  ist,  und  von  ganzem 
Herzen  wünscht  er,  dafs  ihr  so  viele  Leser  zu  Theil  werden 
möchten ,  als  sie  es  verdiente.  Der  Verf.  bat  sich  strenge  an 
die  Befugnifs  des  ächten,  populär  schreibenden  Arztes  gehal- 
ten, nämlich  dem  Laien  keine  eigentlichen  Arzneivorschriften 
zu  ertheilen ,  sondern  denselben  lediglich  auf  eine  klare  und 
bündige  Weise  mit  dem  Wesen  und  der  Form  des  abzuhan- 
delnden Gegenstandes  bekannt  zu  machen;  herrschende  Vor- 
urtheile'über  denselben  gründlich  zu  beseitigen,  verständige 
Vorschriften  und  dringende  Warnungen  in  der  Diät  und  Le- 
bensordnung des  Kranken  überhaupt  zu  ertheilen,  und  aufser- 
dem  auf  die  menschenfreundliche  und  kenntnifsvolle  Berathung 
und  Hülfe  durch  den  Arzt  hinzuweisen. 

(D#r  Beschluf s  folgt.) 


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N.  24  ■    •  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Simon,  über  die  Zeichen  der  venerischen  Krankheit 

und  deren  Bedeutung. 

(Beschlu  j s.) 

Hauptsächlich  aher  ist  es  dem  Verf.  darum  zu  thun ,  zum 
Tröste  und  zur  Belehrung  des  Nichtarztes  zu  zeigen  ,  dafs 
das  venerische  Uebel  bei  weitem  in  den  meisten  Fällen  gründ- 
lich und  ohne  weitern  und  spätem  Schaden  für  die  Gesundheit 
wieder  geheilt  werden  könne,   wenn  nur  die  Bedingungen  eu 
einer  solchen  Heilung  von  Seiten  des  Arztes  sowohl  als  des 
Kranken  pünktlich  erfüllt  werden  ;  dafs  aber  nur  allein  das 
Quecksilber  und  seine  zweckmäfsige  und  kräftige  Anwendung, 
nicht  aber  der  unverständige  und  unvollkommene  Gebrauch 
dieses  Medikaments,  oder  die  blos  äufserliche  oder  örtliche 
Behandlung  des  venerischen  Lokalübels,   und  eben  so  wenig 
der  Gebrauch  des  Guajaks,  der  Sassaparille,  der  Säuren  oder 
der  Schwefelbäder  diejenigen  Heilmittel  seyen  ,  durch  welche 
das  venerische  Gift  gründlich  getilgt  werden  könne ;  dafs  die 
sogenannte  Merkurialkrankheit   im  gewöhnlichen  Sinne  des 
Worts  ein  Unding  und  nichts  weiter  sey,  als  eine  Complica- 
tion  der  noch  nicht  gänzlich  getilgten  syphilitischen  Krankheit 
mit  dem,  durch  den  oft  wiederholten  oder  unzweckmäfsigen 
Quecksilbergebrauch  im  Körper  hervorgebrachten  Schwäche  - 
und  Auflösungszustande ,  und  dafs  es  von  Vorurtheilen  oder 
einem  Mangel  an  oft  wiederholter  unparteiischer  und  gründ- 
licher Beobachtung  zeuge,  wenn  von  der  Schädlichkeit  des 
gegen  die  Syphilis  verständig  angewandten  Merkurs  für  die 
übrige  Gesundheit,    oder  gar  von  der  Ueberflüssigkeit  und 
Nutzlosigkeit  dieses  Metalls  gegen  jene  Krankheit  die  Sprache 
sey.  —  lief,  findet  die  hier  aufgestellten  Ansichten  und  Grund- 
sätze des  Verf. ,   der  Hauptsache  nach  ,  mit  seinen  eigenen 
Über  diesen  Gegenstand  vollkommen  übereinstimmend ;  schon 
längst  verdankt  er  der  Befolgung  derselben  die  glückliche  Wie- 
derherstellung mancher  an  dieser  Seuche  Leidenden,  die  längst 

XIX.  Jahrg.   4.  Heft.  24 


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370  Siwim  über  venerische  Krankheiten. 

• .        *.  #  •  • 

schon  alle  Hoffnung  zu  ihrer  Genesung  aufgegeben  hatten,  und 
er  hegt  die  volle  Ueberzetigung ,  dafs  die  allgemeinere  Berück- 
sichtigung jener  Grundsätze  für  Kranke  und  Aerzte  von  gleich 
segensvoHen  Folgen  seyn  würde.  '*,-. 

Nach  dieser  allgemeinen  Darstellung  des  wesentlichen  In— 
Lahes  der  Schrift  wendet  sich  Ref.  nun  mit  Kurzem  zu  der 
besondern  Anzeige  ihrer  einzelnen  Theile.  .Sie  besteht  auf 
sieben  Kapiteln,  von  denen  das  erste  (S.  i  —  24.)  eine 
„historische  Skizze  der  Lustseuche  und  ihrer  Behandlung  seit 
Erscheinung  derselben  bis  auf  unsere  Zeiten  «  enthält,  die 
nicht  nur  der  Laie,  sondern  auch  der^Arzt  mit  Interesse  und 
Nutzen  lesen  wird.  Zu  S.  22.  gedenkt  Ref.  in  Bezug  auf  die 
Trüglichkeit  der  sogenannten  gelinden  Montpellier'schen  Ku- 
ren durch  Sublimat  ohne  Salivation  und  des  warmen  Klima's 
jener  'Geg e'nVl*  eines  Marines  mit  einer  syphilitischen  Auftrei- 
bung des  Brustheins ,  den  er  vor  wenigen  Jahren  an  seinem 
gegenwartigen  Wohnorte  behandelte,  welcher  zuvor  in1  Tou- 
louse und  Montpellier  gegen  seine  consecutive  Lues  auf  jene 
Weise  fruchtlos  behandelt  worden  war,  und  eben  so  daselbst 
auch  eine  Menge  Schwefelbäder,  zuletzt  aber  die  Pyrenäen- 
bäder von  Bareges  ohne  eine  gründliche  Heilung  seines  Uebela 
gebraucht  hatte.  —  Das  zweite  Kapitel  (S.  25  —  42.) 
ist  der  Belehrung  „über  die  venerische  Ansteckung*«,  d.  i.  der 
Art  und  Weise,  wie  das  venerische  Gift  mitgetheilt  wird, 
und  auf  welchen  verschiedenen  Wegen  die  Ansteckung  durch 
dasselbe  geschehen  kann  ,  gewidmet,  Ref.  vermifst  hier  eine 
kurze  Belehrung  für  den  Nichtarzt,  was  von  der  durch  den 
gemeinschaftlichen  Gebrauch  eines  Abttittcs  angeblich  gesche- 
henen venerischen  Ansteckung  zu  halten  sey;  da  gerade  die 
Meinung,  dafs  sich  auf  diesem  Wege  das  syphilitische  Gift 
leicht  mittheile,  unter  den  Laien  häufiger  verbreitet  ist,  als 
sich  mit  der  Wahrheit  vorträgt,  dieselbe  aber  unter  gewissen 
Bedingungen  und  in  seltnen  Fällen  allerdings  auch  Statt  finden 
kann.  Desgleichen  hätte  auch  die  häufig  von  Laien  "ehö'rte 
Meinung:  dafs  durch  den  Beischlaf  mit  einer  Frauensperson f 
welche  die  monatliche  Reini^im?  habe,  auch  wenn  sie  sonst 
rein  sey,  eine  Ansteckung  geschehen  könne,  Erwähnung  und 
Berichtigung  verdient.  —  In  Betracht  der  wichtigen  Streit- 
frage über  die  Fortpflanzung  des  venerischen  Giftes  durch  die 
Zeugung  bemerkt  Ref.  zu  Gunsten  der  erstem,  dafs  auch  ium 
mehrere  unbestreitbare  Fälle  einer  solchen  Fortpflanzung  vor- 
gekommen Seyen,  die  sich  aber  zum  Theil  nicht  gleich  nach 
der  Geburt  oder  in  den  ersten  Lebensjahren,  sondern  erst 
nach  Verflufs  mehrerer  Jahre  bei  den  Kindern  offenbarten.  — 


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Simon  über  vcneriichc  Krankheiten.  371 

Ohne  im  Sinne  älterer  Schriftsteller  eine  actio  in  diatans  dea 
venerischen  Giftea  anzunehmen,  so  hält  Ref.  doch  eine  Mit- 
theilung desselben  durch  die  Atmosphäre,  den. Athens,  den 
Schweifs  unter  gewissen  Umstünden  und  bei  gün- 
stiger Disposition  des.  Körpers  nicht  für.  unmöglich  , 
eben  so  wie  sich  auch  die  JLungensucbt  unter  gewissen  Bedin- 
gungen ansteckend  zeigt  j  und  er  macht  hiebei  insbesondere 
auch  auf  das  aufmerksam,  was  neuerlich  J.  H.  Kopp  (in  seU 
nen  ärztl.  Bemerk,  auf  einer  Reise  in  Deutschland  und  Fraujt- 
reiqb  ,  Frankf.  a.  M.  1825.  S.  127  lf.)  über  Mittheilungen  der 
Syphilis- auf  diesen  Wegen  beobachtet  hat.  —  Im  dritten 
Kapitel  (S.  42  —  58.)  handelt  der  Verf.  „von  den  verschie- 
denen Vorbauungsmitteln  der  Ansteckung*  ,  .bei  deren  Auf- 
isählung  und  Würdigung  die  vor  mehreren  Jahren  von  Eich- 
rodt als  Schutzmittel  gegen  die  venerische  Ansteckung  äufserr 
lieh  zu  gebrauchende  oxydirte  Salzsäure  auch  eine  Stelle  ,ver#- 
dient  hätte,  um  so  eher,  als  die  Wirksamkeit  jenes  Mittel« 
gegen  Ansteckungsstoffe  ȟberhaupt  vielen  gebildeten  Laien 
ohnedies  längst  schon  bekannt  ist.  —  ■  Dbs  vierte  Kap  i  t ej 
(S.  59  —  l3u.)  ist  der  Beschreibung  der  „  ursprünglichen  oder 
sogenannten  örtlichen  venerischen  Üehel,  dem  Tripper  ,  Schau- 
ker und  den  Leistenheulen  ct  gewidmet.  Dieses  vortielflkhe 
Kapitel  enthält  für  Laien ,  so  wie  auch  selbst  für  Aerzte,.  l>e- 
herzignngswerthe,  inhaltscbwere  Worte,  die  dem  Ref.  aus 
der  Seele  geschrieben  sind.  Ref.  erlaubt  aich  dabei  blos  die 
Bemerkung,  dafs  es  dem  Verf.  hätte  gefallen  mögen,  bei  den 
diätetischen  Vorschriften  gegen  jene  Uebel,  und  namentlich 
gegen  den  Tripper,  specialer  zu  seyn,  indem  der  Nichtarzt 
eine  nähere  Belehrung,  hierüber  durch  eine  bessere  medici- 
nisch  -  populäre  Schrift  um  so  mehr  fordern  kann,  je  weniger 
in  einer  solchen-  die  Rede  vom  Selbstgehrauch  von  Arznei- 
mitteln seyn  soll.  Ref.  weifs  aus  täglicher  Erfahrung  -auch 
in  andern  Krankheiten,  dafs  e*  nicht  genug  ist,  blos  im  All- 
gemeinen zu  bestimmen:  der  Laie  aoll  eine  strenge,  milde 
1  Hat  halten,  den  Genufs  schwerer,  unverdaulicher,  blähen- 
der Speisen  vermeiden,  sondern  es  müssen  ihm  auf  positive 
Weise  diejenigen  Speisen  .und  Getränke  namentlich  benannt 
Verden,  welche  er  während  seiner  Krankheit  zu  genielseii 
oder  zu  vermeiden  hat,  damit  ihm  weniger  Zweifel  in  seiner 
eigenen  Wahl  unter  denselben  übrig  bleiben,  und  ihm  die  Be- 
folgung diätetischer  Vorschriften  ,  worauf  ja  im  Heilungs- 
processe  so  vieles  ankommt,  um  so  bequemer,  und  dann  auch 
um  so  sicherer  gemacht  wird.  —  Beim  Gehrauch  eines  Suspen- 
soriums im  Tripper  vennifst  Ref.  den  Rath,  dasselbe  nicht 

24  * 


372  Sfooa  über  venerische  Krankheiten. 

nur  gleich  im  Anfange  dieser  Krankheit  in  Anwendung  zu 
bringen,  sondejn  es  auch  noch  zu  tragen,  wenn  der  Tripper 
bereits  schon  gänzlich  im  Abnehmen  ist,  indem  nach  des  Ref; 
Beobachtung  die  gonorrhöischen  Hodenanschwellungen  im 
zweiten  Zeiträume  des  Trippers,  wo  der  Kranke  sich  schon 
wieder  mehr  Uebertretungen  in  den  ärztlichen  Vorschriften 
erlauben  zu  dürfen  glaubt,  häufiger  vorkommen ,  als  im  ersten 
entzündlichen  Stadium  desselben,  ein  passend  verfertigter, 
nicht  zu  weiter  oder  zu  enger  Tragbeutel  aber  zu  deren  Ver- 
hütung vieles  beiträgt.  Außerdem  räth  Ref.  seinen  Tripper- 
kranken  auch  noch,  um  die  Reibung  an  der  empfindlichen 
Harnröhrenmündnng  bei  den  Bewegungen  des  Körpers,  im 
Gehen  u.  s.  w. ,  so  wie  um  das  Ankleben  des  männlichen  Glie- 
des am  Hemde  oder  den  Beinkleidern  ,  und  das  ekelhafte  und 
-Obel  riechende  Beschmutzen  jener  Kleidungsstücke  zu  verhü- 
ten, das  gleichzeitige  Traden  eines  nicht  zu  engen,  mit  Lein« 
Wandläppchen  oder  Cbarpie  zum  Tbeil  angefüllten  Suspenso- 
riums oder  Futterals  für  das  männliche  Glied  selbst,  dessen 
theilweise  beschmutzter  Inhalt  von  Zeit  zu  Zeit  leicht  ent- 
fernt werden  kann ,  während  das  gereizte  und  etwas  geschwol- 
lene Glied  in  der  nach  seiner  Form  gefertigten  Hülle  eine 
wohlthätige  Unterstützung  findet.  Für  wesentlich  hätte  Ref. 
ferner  den  Rath  für  Tripperkranke  gehalten,  das  nur  allzu- 
häufig  bei  ihnen  vorkommende  schädliche  Betasten  und  Drük- 
ken  des  Gliedes,  wozu  sie  theils  an  sich  schon  durch  den  ge- 
reizten Zustand  desselben ,  theils  durch  die  beständige  Neu- 
gierde, den  lästigen  Ausfluß  bald  vermindert  und  entfernt  zu 
sehen,  aufgelegt  sind,  zu  vermeiden,  und  insbesondere  im 
ersten  Zeiträume  der  Krankheit  das  männliche  Glied  als  in 
einein  entzündeten  Zustande  befindlich  zu  betrachten,  wobei 
das  häufige  Betasten  und  Drücken  fast  so  nachtbeilig  ist,  als 
bei  einem  entzündeten  Auge.  Aus  diesem  Grunde  hält  Ref. 
auch  das  vom  Verf.  um  der  Reinlichkeit  willen  angerathene 
öftere  Entfernen  des  ausfließenden  Tripperschleimes  nicht  für 
ganz  zweckmäßig  ,  insbesondere  da  der  Laie  Maafs  und  Ziel 
zu  halten,  in  den  meisten  Fällen  so  wenig  geeignet  ist.  — — 
Nicht  ganz  sachgemäß  findet  es  Ref.,  wenn  der  gelehrte  Vf. 
das  gewöhnlich  sogenannte  zweite  oder  reizlosere  Stadium 
der  Gonorrhoe  Nacbtripper  nennt,  da  nicht  dieser  Zeitraum 
des  Schleimflusses,  sondern  erst  die  ungewöhnliche  oder  wi- 
dernatürliche Verlängerung  desselben,  oder  eine  abermalige 
Schleimabsonderung,  nachdem  die  erstere  bereits  schon  auf 
gewöhnliche  Weise  aufgehört  hatte,  gleichsam  eine  dritte  Pe- 
riode des  Tripptrs,  mit  Recht  Nachtripper  genannt  werden 


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Simon  über  veneritche  Krankheiten.  373 

I 

kann.  —  Unter  die  auf  sogenannte  gestopfte  Tripper  auwei. 
Jen  erst  später  noch  folgende  Uebe),    welche  der  Nichtarat 
kennen  soll,  gehören  auch  noch  die  Mastdarm-,  Mittelfleisch  - 
und  Harnröhrenfisteln,  die  sich  dann  in  gewissen  Jahren  um 
so  leichter  bilden ,  je  mehr  sich  zugleich  Hämorrhoidalumst&ndo 
damit  verbinden.    Eben  so  wäre  es  auch  nicht  überflüssig  ge- 
wesen für  den  Laien  su  bemerken,   dafs  der  Augenschleim- 
flufs  neugeborener  Kinder,  durch  welchen  au  weilen  in  gana 
kurzer  Zeit  die  Augen  zerstört  werden  und  das  Kind  für  im. 
mer  erblindet,  nicht  selten  in  einer  von  den  angesteckten  Ael- 
tern  aus  mittelbar  oder  unmittelbar  durch  die  Zeugung  gesebe- 
bener  Uebertragung  des  Trippergiftes  auf  das  Kind  hervorge- 
bracht werde.  —  ZUr  Verhütung  und  Mild  erung  der  schmerz- 
haften nächtlichen  Erectionen  bei'm  Tripper  würde  Ref.  dem 
Laien  vorzüglich  auch  die  Vermeidung  der  llückenlage  im 
Bette  und  frühes  Aufstehen  empfohlen  haben.   —  Die  S.  80. 
gegen  diesen  lästigen  Zufall  vom  Verf.  empfohlenen  lauen  Bä- 
hungen des  männlichen  Gliedes  (woraus  diese  bestehen  sollen, 
ist  für  den  Laien  nicht  gesagt)   findet  Ref.  deswegen  nicht 
gut  anwendbar,  weil  ihre  Bereitung  für  den  Tripperkrauken 
gewöhnlich  zu  umständlich  ist  ,  er  in  deren  Anwendung  zum 
Schaden  leicht  zu  viel  oder  zu  wenig  tbut,  und  sein  Uebel  bei 
ihrem  Gebrauche  auch  eher  verrathen  wird.    Leichter  für  den 
Laien  ausführbar  sind  gegen  den  genannten  Zufall  das  öftere 
sanfte  Baden  des  männlichen  Gliedes  in  lauer  Milch,  sorgfäl- 
tige, nicht  drückende  Einhüllung  desselben  nachher  in  Lein- 
wand, vorzüglich  aber  strenge  Vermeidung  aller  geistigen  und 
körperlichen  Reize  für  die  Geschlechtstbeile,  als  Nachtessen, 
blos  eine  leichte  Suppe  und  Seitenlage  im  Bette.  —  Im  Punkt 
der  Einspritzung  gestattet  der  Verf.  ganz  milde  Injectionen 
von  lauer  Milch  und  Habergrütze  nicht  nur  als  unschädlich  in 
der  ersten  Periode  des  Trippers,  sondern  auch  als  nützlich 
gegen  den  heftigen  Schmerz.    Ref.  wider räth  Einspritzungen 
im  Tripper  ganz  und  gar,  sey  es  im  ersten  Zeiträume  dessel- 
ben mit  lauer  Milch,  oder  bei'm  eigentlichen  Nachtripper  mit 
adstringirenden  und  narkotischen  Substanzen  ;   denn  erstete 
schaden  durch  den  mechanischen  Reiz  an  der  entzündeten  Mün« 
dung  der  Harnröhre,  ohne  dafs  die  besänftigende  Elttssigkeit 
tief  in  letztere  eindränge  und  Nutzen  schaffte ,  bei  letzterem, 
aber  hat  Ref.  durch  Unterdrückung  des  Tripperausflusses  nicht 
nur  die  bekannten  nachtheiligen  folgen,  sondern  statt  dersel- 
ben sehr  oft  auch  den  Tripperausflufs  neuerdings  wieder,  stär-^ 
ber  ,  als  er  zuvor  war,  werden  sehen.   —    lieber  die  wahre 
Bedeutung  der  von  Laien  (und  vielen  Aeczten)  gar  häufig  zu. 


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374  Simon  über  venerische  Krankheiten. 

leicht  genommenen,  nicht  gelten  blos  oberflächlich  und  mibe« 
deutend  scheinenden  Excoriationen  an  der  Vorhaut  oder  der 
Eichel,  deren  der  Verf.  S.  116  und  118  erwähnt,  hat  eich  auch 
Ref.  kürzlich  in  diesen  Jahrbüchern  hei  Gelegenheit  der  An- 
zeige von  J.  H.  Kopp'«  ärztlichen  Bemerkungen  auf  einer 
Reise  u.  s.  w.  atisgesprochen,  und  es  wäre  ihm  leicht,  das 
dort  Gesagte  mit  einer  nicht  geringen  Anzahl  eigener  Beob- 
achtungennoch  weiterhin  zu  belegen.   —    Im  fünften  Ka- 
.  pitel  (S.  130  —  201.)  unterrichtet  der- Verf.  über  die  „vene- 
Tischen  Folgeübel  oder  die  sogenannte  allgemeine  Lustseuche«. 
Unter  diesen  sind  nach  des  Ref.  Erfahrung  geschwürige  Nägel 
an  Händen  und  Füfsen  gar  nicht  so  selten,  und  er  hatte  oha- 
längst Gelegenheit,  ein  Auswachsen  der  Nagel  an  den  Fingern 
bei  einem  halbjährigen  Säuglinge  zu  beobachten ,  der  von  einer 
verdächtigen  Mutter  geboren  war.     Desgleichen  sah  er  auch 
schon  mehrere  Male  Condylomata  an  der  inneren  Flüche  der 
Oberschenkol  und  selbst  zwischen  den  Fufszehen.  Andrer- 
seits sind  aber  Feigwarzen  in  der  Mundhöhle  nicht  immer  die 
Zeugen  einer  tief  eingewurzelten  und  verjährten  Lustseuche, 
denn  Ref.  sah  sie  schon  in  einer  erst  wenige  Monate  eher  be- 
stehenden Lustseuche  neben  andern   gleichzeitigen  Zufällen 
consecutiver  Lues  auftreten.  —  Zu  den  S.  189.  vom  Verf.  er- 
wähnten, zuweilen  auch  nach  kräftig  behandelten  venerischen 
Halsgeschwüren  noch  auftretenden  Knochenanschwellungen, 
die  „mehr  ängstigend  als  wichtig  Seyen«,  zählt  Ref.  auch  die 
nach  jenen  gründlich  geheilten  Geschwüren  zuweilen  nachher 
noch  übrig  bleibende  Disposition  zu  katarrhalischen  Halsent- 
zündungen bei  Personen,    die  zuvor  nie  oder  nur  selten  an 
letztern   gelitten   hatten ,    einem    diaphoretischen  Verfahren 
weichen,  kein  Quecksilber  mehr  erfordern,  jedoch  mit  den 
eigentlichen  syphilitischen  Halsentzündungen    oder  mit  den 
durch  unvollkommenen  Quecksilhergebrauch  nur  gedämpften, 
aber  nicht  getilgten  Halsentzündungen  dieser  Art  ja  nicht  ver- 
wechselt werden  dürfen.     Die  Heiserkeit  und  der  würgende 
Husten  aus  venerischer  Ursache  ist  oft  nicht  leicht  zu  erken- 
nen,  Nebenumstünde  müssen,  nach  des  Ref.  Erfahrung,  hier 
oft  in  der  Diagnose  leiten;   ist  aber  die  Ursache  erkannt,  so 
vermag  den  Kranken  nur  der  verständige  Gebrauch  des  Queck- 
silbers in  dem  frühem  Zeiträume  der  Krankheit  vor  dem  mar- 
tervollen Tode  der  Kehlkopf-  oder  Luftröhren  Schwindsucht 
zu  retten.  —    Sechstes  Kapitel.    Von  der  sogenannten 
und  vetlarvten  venerischen  Krankheit  (S.  202  —  212.).  ^er 
Verf.  gibt  nicht  zu,  dals  es  eine  verborgene  oder  verlarvte  ve- 
nerische Krankheit  gebe,  allein  in  dem  gewöhnlichen  Sinne 


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V 

Simon  über  venerische  Krankheilen.  375 

des  Worts  und  nach  der  Analogie  anderer  Krankheiiszustifnd«> 
wie  z.  B.  der  Wechselfieber,  gibt  es  allerdings  eine  solche* 
so  ferne  man  darunter  entweder  eine  Gomplication  dea  vene- 
rischen Gifts  mit  einem  andern  Uebel  versteht,  wobei  das  er- 
stere  schwer  zu  erkennen  ist,  oder  aber  die  meistens  erst  spät 
eintretenden  consecutiven  Zufälle  der  Lues  unter  einer  unge- 
wöhnlichen und  mit  andern  liebeln  leicht  au  verwechselnden 
Form  auftreten;  es  gibt  aber  keine,  so  ferne  von  der  Kennt- 
nifs  und  dem  Scharfsinne  des  Arztes  zu  erwarten  steht,  dafa 
er  die  Complication  der' Lustseuche  mit  andern  Zuständen,, 
oder  die  feinern  und  ungewöhnlichem  Nuancen  derselben  in 
den  meisten  Füllen  ihrer  wahren  Natur  nach  erkennen  werde* 
Dafs  das  venerische  Gift  zwanzig  bis  dreifsig  und  noch  meh- 
rerejahre,  ohne  auszubrechen ,  im  Körper  schlummern  könne^ 
^bezweifelt  »auch  Ref.  eben  so  ,  wie  er  in  die  Fälle  von  nach  so 
langer  Zeit  erst  ausgebrochener  Wasserscheu  nach  dem  tollen 
Hund&bisse  auch  ein  grolses  Milstrauen  setzt.  Doch  ist  ihm 
ein  Fall  vorgekommen ,  wo  bei  einer,  allen  3 ufsern  Zeichen 
nach  venerischen,  durch  Merkur  und  Speichelfiufs  getilgten 
Flechte  im  Gesichte,  keine  andere  Ursache,  als  ein  siebzehn 
Jahre  zuvor  gehabtes  venerisches  Geschwür  an  den  Geschlechts« 
theilen,  gegen  welches  dazumal  das  Quecksilber  nicht  kräftig 
genug  angewandt  worden  zu  seyn  schien,  ausgemittelt  wer- 
den konnte.  —  Siebentes  Kapitel»  \on  dem  wahren 
Wesen  der  sogenannten  und  vermeinten  Merkurialkrankheit 
(S.  21 3  —  236*).  lief,  findet  in  seinem  Wirkungskreise  unter 
Laien  nicht  so  viele  Vorurtheile  gegen  das  Quecksilber,  als  es 
in  dem  des  gelehrten  Verf.  der  Fall  zu  seyn  scheint;  er  wun- 
dert sich  aber,  dafs  der  Verf.  nicht  an  die  metallische  lle- 
duetion  desselben  im  lebenden  Körper  glaubt,  und  dafs  er  es 
laugnet,  dafs  man  im  Blute  der  mit  Quecksilber  eingeriebenen 
Thiere  solches  ie  wieder  gefunden  habe.  Sind  denn  dem  Vf. 
in  letzterer  Beziehung  Zeller's  Versuche  unbekannt,  zu  Folge 
welcher  aus  dem  Blute  der  Thiere,  denen  dieses  Metall  ein- 
gerieben worden  war,  laufendes  Quecksilber  entschieden  dar- 
gestellt wurde,  und  sollten  die  mehrfachen  Beobachtungen  von 
metallischer  Ausscheidung  des  Merkurs  in  die  Knochen,  so 
wie  durch  den  Eiter,  den  Schweifs  und  den  Urin,  worüber 
uns  unter  Andern  neuerlich  Otto,  Engelhard,  Biett  undCantu 
merkwürdige  Beobachtungen  und  Erfahrungen  geliefert  haben, 
und  wir  uns  auch  durch  den  Augenschein  in  mehreren  anato- 
misch -  pathologischen  Sammlungen  überzeugen  können,  in 
den  Augen  des  Vei  f.  keinen  Glauben  verdienen?  —  Gar  nicht 
für  überllüssig  hätte  lief,  in  diesem  Kapitel,  wo  von  den  ge- 


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376  Simon  über  venerische  Krankheiten. 

i 

wöhnlicheii  Wirkungen  des  Quecksilber«  auf  den  Körper  und 
insbesondere  auf  die  Mundhöhle  die  Rede  ist,  die  Bemerkung 
für  den  Laien  gehalten,  dafs  Geduld  eines  der  vorzüglichsten 
Hülfsmittel  bei  dem  gewöhnlichen  Speichelflusse  sey,  dafs  Hie 
Örtliche  Anwendung  von  Arznei-  und  andern  vermeinten  Er- 
leichterungsmitteln für  den  durch  das  Quecksilber  verletzten 
Mund  in  der  Regel  mehr  lästig  und  schädlich  als  nützlich 
werde,  und  dafs  er  meistens  am  besten  sich  selbst  überlassen 
werde,  indem  das  Quecksilber,  je  nach  den  Umständen,  ent- 
weder ganz  ausgesetzt,  oder  die  Anwendung  desselben  we- 
nigstens vermindert  und  seltner  gemacht  wird.  Ferner  hätte 
Ref.  für  Salivirende  den  Rath  für  unerläfslich  gehalten,  sich 
während  des  Quecksilbergebraucbs  vor  jeder  Erkältung  und 
Durchnässung  aufs  sorgfältigste  zu  hüten,  da  von  der  Ver- 
nachlässigung dieser  Punkte  oft  die  schlimmsten  Folgen  ent- 
stehen, ja  nicht  selten  der  gute  Erfolg  der  Behandlung  dadurch 
vereitelt  wird,  und  eben  so  auch  in  Hinsicht  auf  das  Verhal- 
ten eines  solchen  Kranken  im  Essen  und  Trinken  die  pünkt- 
lichsten Angaben  nicht  aufser  Acht  gelassen  werden  dürfen. 
In  Fällen  hartnäckiger  Syphilis  hält  Ref.  das  Tragen  eines 
Leibchens  von  sogenanntem  Gesundheitsflanell  auf  dem  blos- 
sen Leibe  und  wollenen  Strümpfen  oder  Halbstrümpfen  wäh- 
rend und  nach  der  Kur  für  wesentlich,  und  er  bedauert,  dafs 
unser  geehrter  Verf.  in  diesen  Funkten  den  Layen  nicht  grös- 
sere Vorsicht  anempfohlen  hat. 

Zum  Schlüsse  bemerkt  Ref.  ,  dafs,  da,  seiner  Ueberzeu- 
gung  nach,  durch  die  Aerzte  selbst  am  meisten  zur  Verhütung 
und  Verminderung  des  Schadens,  den  das  syphilitische  Uebel 
unter  den  Menschen  anrichtet,  durch  Wort  und  That  gesche- 
hen kann,  es  sehr  zu  wünschen  wäre,  dafs  angehende  Aerzte 
auf  Akademieen  über  einen  so  wichtigen,  ihnen  späterbin  s6 
oft  zur  Berathung  kommenden  Gegenstand  einen  ernsthaftem 
und  speciellern  theoretischen  und  praktischen  Unterricht  er- 
halten möchten,  als  es  gewöhnlich  geschieht.  Zweitens  aber 
sieht  es  Ref.  noch  als  einen  grofsen  Nachtheil  an,  dafs  die 
Behandlung  dieser  Krankheit  sich  so  häufig  in  den  Händen  ge- 
wöhnlicher Wundärzte  befindet,  von  welchen  kaum  eine  rich- 
tige Einsicht  in  die  Natur  und  Bedeutung,  und  also  auch 
kein  zweckmäfsiges  Heilverfahren  gegen  dieselbe  erwartet 
werden  kann 

Indem  Ref.  den  würdigen  Verf.  auffordert,  uns  auch 
künftighin  mit  den  Resultaten  seiner  Forschungen  am  Kran- 
kenbette zu  beschenken  ,  ersucht  er  ihn  zugleich ,  sich  durch 
die  Begegnisse  mit  anders  Denkenden  nicht  abhalten  zu  lassen^ 


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Jurenalis  Satirae  ex  rec.  Weber.  >  377 


unerschrocken  und,  wo  es  gilt,  der  Wahrheit  und  der  Wis- 
senschaft und  somit  der  Menschheit  zu  dienen  ,  und  diese 
Bahn  um  so  eifriger  zu  verfolgen,  je  öfter  es  in  unsern  Tagen 
geschieht,  dafs  Autorität  und  einseitiges  Nachbeten  höher 
gestellt  werden,  als  die  Freiheit  einer  redlichen  und  kennt- 
nilsvollen  Selbstanschauung  der  Natur  im  gesunden  und  kran- 
ken Zustande. 


D.  Junii  Juvenalis  Aquinatis  Satirae  XVh  Recensuit  et 
annotalionibus  instruxit  Ernestus  Guilielmus  fVeber9  PAi- 
losoph.  Dr.  et  Professor  Gymnasii  PVimariensis.  fVimariaef  in 
novo  Bibliopolio ,  vulgo  Landesindustriecomptoir.  MDCCCXXV. 
X  und  580  S.  in  gr.  8.  1  Thlr. 

Dafs  ungeachtet  der  Ausgaben  von  Achaintre  und  Ruperts 
eine  neue  Ausgabe  des  J  u  v  e  n  a]  i  s,  sowohl  in  Absicht  auf 
Wiederherstellung  des  Textes ,  als  Erklärung  unzähliger  schwie- 
riger Stellen  ,  ein  keineswegs  überflössiges  Unternehmen  sey, 
wird  Jeder  gern  zugeben,  der  nur  eintgermafsen  mit  diesem 
Dichter  sich  bekannt  gemacht  hat.     Aus  diesem  Grunde  nahm 
Ree.  auch  vorliegende  Bearbeitung  des  Hrn.  Weber,  der  be- 
reits vor  sechs  Jahren  in  seinen  Animadversiones  in  Juvenalis  £a- 
tiras  sich  ruhmlichst  der  gelehrten  Welt  empfohlen,  mit  Ver- 
gnügen in  die  Hand.     Zwar  hätte  er  lieber  gewünscht,  eine 
vollständige  neue  Bearbeitung  zu  erhalten,  wie  der  Herausge- 
ber S.  Vlfl  der  Vorrede  solche  charakterisirt ;  er  bedauert  die 
vielfachen  Hindernisse,  welche  der  Ausführung  dieses  Unter- 
nehmens von  Seiten  des  Hrn.  Weber  im  Wege  gestanden  und 
es  ihm  unmöglich  gemacht  haben,  eine  sorgfältige  Prüfung  und 
Sichtung  der  kritischen  Hülfsmittel  und  des  ganzen  Vorratlies 
der  varia  lectio  vorzunehmen,  wie  sie  doch  bei  einer  vollstän- 
digen Ausgabe  erforderlich  ist,   wo  eine  neue  Recension  des 
Textes  geliefert  und  begründet  werden  soll.    Da  nun  dies  aus 
den  bemerkten  Gründen  nicht  in  dem  Plane  des  Hrn.  Weber 
lag,  da  ihm  ferner  neue,  unbenutzte  kritische  Hülfsmittel 
nicht  zu  Gebote  standen,  so  beschränkte  er  sich  nach  den  bis- 
her gekannten  Handschriften  und  nach  Ruperti's  Ausgabe  den 
Text  zu  liefern  ,  jedoch  mit  manchen  Veränderungen  ,  welche 
tbeils  durch  frühere   vermeintliche   Verbesserungen  ,  theils 
durch  genauere  Kenntnifs  des  Sprachgebrauchs  des  Juvenalis 
veranlagst  worden  sind«      Conjecturen  fanden  mit  Recht  nur 
selten  eine  Stelle;  desto  öfterer  aber  hoifte  der  Herausgeber 


378  Juvenalis  Sarirae  ex  reo.  Weber. 

tlurcli  gebesserte  Interpunction  dunkele  und  schwierige  Stellen 
erläutert,  angefochtene  und  verdächtige  Stellen  aber  verthei- 
digt  ru  haben. 

Was  die  Erklärung  des  Juvenals  betrifft,  die  für  den  Be- 
arbeiter dieses  Dichters  gewifs  nicht  minder  grofse  Schwieiig- 
keiten  darbietet,  als  die  Kritik  des  Textes,  und  ein  weites 
noch  nicht  hinreichend  bebautes  Feld  ihm  eröffnet,  so  hat  der 
Herausgeber  die  Wichtigkeit  dieses  Umstandes  keineswegs 
verkannt  oder  übersehen,  im  Gegentheil  hat  er  darauf  mit 
Hecht  ein  Hauptaugenmerk  gerichtet;  da  er  jedoch  bei  seiner 
Ausgabe  nicht  jene  Vollständigkeit  berücksichtigte,  so  wird 
man  hier  nicljt  über  alle  dunkein  und  schwierigen  Stellen  Auf- 
klarung finden  ,    obgleich  die  Bemerkungen  ,    die  der  Verf. 

tiebt,  meistens  nur  schwierige,  vielfach  angefochtene  und 
estrittene  oder  sehr  verschieden  erklürte  Stellen  betreffen  , 
und  darum  ein  höchst  schätzbarer  Beitrag  zu  der  Erklärung 
des  schwierigen  und  dunklen  Dichters  zu  nennen  sind.  Auf 
die  Bemerkungen  eines  Jenaer  Kecensenten  der  Donner'schen 
Uebersetzung  des  Juvenal  (l822.  No.  80.  seqq.)  ward  Rück- 
sicht genommen,  und  einige  handschriftliche  Bemerkungen 
von  R  a  i  n  e  s  i  u  s  und  II  e  i  n  d  o  r  f  benutzt.  Nach  der  Vorrede 
folgt  unmittelbar  der  rein  correcte  Abdruck  des  Textes.  Wir 
hätten  gewünscht ,  dals  zur  Erleichterung  des.  kritischen  Ge- 
brauchs der  Herausgeber  unter  dem  Texte  die  Abweichungen, 
die  er  sich  von  der  Kuperti'schen  Ausgabe  erlaubt  hat,  be- 
merkt hätte.  Mit  S.  131.  beginnen  die  Atmotationes  in  D.  Junii 
Juvenalis  S atiras ,  welche  den  Kest  des  Buches  füllen  und  dem- 
nächst Gegenstand  unserer  Beurtheilung  seyn  müssen, 

SaJ.  1,  27  —  29.  Zuerst  behandelt  der  Verf.  die  schwie- 
rige Stelle  :  —  Tyrias  humero  revocante  lacertias  ,  welche  derselbe 
also  erklärt:  „Incedebat  ut  equites  illius  temporibus,  pur- 
pura  lacerna  indutus,  sed  ut  veri  equitis  speciem  haberet, 
eorum  quoque  negligentiam  inter  eundiun  diligentem,  quum 
lacernam  delapsam  mox  attraheret,  mox  attractam  humeri 
motu  dejiceret  ,  atfectabat.«  Er  nimmt  also  revocare,  wie  der 
Jenaer  Recensent,  in  dem  gewifs  richtigen  Sinne  von  attrahere^ 
mifsbilligt  aber  dessen  Erklärung  im  Ganzen.  Allein  nach 
des  Ree.  Ermessen  wäre  der  Hauptgedanke,  auf  den  das  zu- 
nächst Vorhergehende,  wie  das  zunächst  Folgende  führe,  der 
eines  stolzen,  aufgeblasenen  und  überraüthigen  Parvenü*«, 
der  aber  sich  in  seine  Lage  noch  nicht  recht  zu  schicken  weifs 
und  solches  in  seinem  Aeufsern  unwillkührlich  veriäth.  Da- 
mit aber  scheint  Hrn.  Webers  Erklärung  nickt  ganz  überein- 
zustimmen, so  dals  ltec.  entweder  die  ült<  re  Erklärung  dts 


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1 


Javcnali«  Satirae  ex  rec.  Weber.  379 

Gronovia«  (Observv.  II,*l9.)t  wornach  man  an  die  an  der 

Schulter  befestigte,  aber,  weil  Crispin  sie  noch  nicht  zu  tra- 
gen versteht,  stets  nach  hinten  zurückfallende,  und  von  ihm 
stets  wieder  angezogene  Lacerna  zu  denken  habe  —  wodurch 
der  Stolz  des  reichen  Emporkömmlings  eben  so  sehr  wie  seine 
Gemeinheit  kenntlich  gemacht  wird  —  vorziehen  würde, 
oder  die  des  Jenaer  Kecensenten  ,  nach  welcher  man  sich  den 
Crispin  zu  denken  hat,  wie  er  die  nur  lose  befestigte  Lacerna, 
die  bei  jeder  Bewegung  herabzufallen  droht,  durch  eine  Bewe- 
gung der  Schulter  herauf  zu  ziehen  und  fest  zu  halten  sucht; 
welche  Nachliissigkeit  und  Verletzung  des  Austandes  bei  einein 
Manne  wie  Crispinus  von  dem  grölsten  Stolze  zeige.  (Jeher 
das  Tyriiis  hat  der  Verf.  einige  Stellen  aus  Martialis  beigelügt. 
Am  ausführlichsten  hat  unsers  Wissens  darüber  gehandelt  mit 
.Zusammenstellung  der  hierher  gehörigen  Stellen  Obharius  zu 
Horat.  Epist.  I,  10.  vs.  26.  pag.  50.  (Helmstadt  1824.).  Im 
nächstfolgenden  Verse:  ventilet  aestivum  digitis  sudantibus  aarum9 
erklärt  sich  der  Verf.  mit  Hecht  penen  die  unpassende  Verbin- 
dung  des  aestivum  (als  Adverbium)  mit  sudantibus,  wie  jener 
Jenaer  Recens.  vorgeschlagen,  mit  der  Uebersetzung  :  wäh- 
rend die  Finger  vor  Sommerhitze  schwitzen.  Der 
Verf.  verbindet  richtiger,  aestivum  mitaurum,  und  versteht 
darunter  einen  goldenen,  mit  einer  grofsen  Gemme,  deren 
Farben  auf  den  Sommer  passen ,  geschmückten  King ,  mit  Ver- 
weisung auf  Böttiger  Sabina  p.  4l2.  (soll  wohl  heilsen  IL  Tb, 
p.  133.  nach  der  neuen  Ausgabe).  Der  Widerspruch,  den 
man  darin  finden  könnte,  dafs  Crispinus  im  Sommer  doch 
einen  Ring  mit  so  schwerer  Gemme  trage,  wird  sich  wohl  be- 
aeitigen  lassen,  wenn  man  bedenkt,  dafs  hier  ein  Mensch 
dargestellt  wird,  der,  von  gemeiner  Herkunft ,  jetzt,  da  er 
zu  Reichthum  und  Ansehen  gelangt  ist,  dies  djirch  äufsere 
Pracht  zu  zeigen  sich  bemüht. 

Sat.  I,  32.  causidiei  nova  quum  veniat  lectica  Mathonis  plena 
ipsa?  giebt  der  Verf.  eine  scharfsinnige  Erklärung,  die  wir 
der  von  Ruperti  gegebenen  vorziehen  müssen.  Da  nämlich 
in  Sat.  VII,  129  ff.  Matho  als  ein  armer  Advocat  bezeichnet 
Wird,  der  durch  Lärmen  und  den  Schein  eines  gröfseren  Ver- 
mögens sich  durchbringt,  da  ferner  das  FahTen  in  einer  lectica 
nur  reichen  und  angesehenen  Personen  zukomme,  so  werde 
hier  Matho  dargestellt,  wie  er,  um  reich  zu  scheinen,  eine 
Sänfte  miethet,  und  zwar,  um  desto  mehr  zu  glänzen,  eine 
neue  ,  d.  h.  eine  vorher  noch  nicht  gebrauchtet  Dazu  passen 
auch  die  Worte  plena  ipsay  welche  der  Ver£  nicht  mit  Ruperti 
auf  die  Dicke  dieses  Advocaten  bezieht,  da  er  nach  Sat.  VIL 


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380 


Juvenalis  Satirae  ex  rec.  Wober. 


ein  magerer  Mann  war,  also  eher  dessen  Dicktbuer  ei  (man 
erlaube  Rec.  diesen  Ausdruck)  hier  bezeichnet  wird.  „Ad 
ejus  vanitatem  refero,  sagt  der  Ver£  ,  cjui  nimirum  in  lectica 
sedens  tanto  fastu  se  extendit  et  jactat,  ut  totam  quasi  ex- 
pleat,  nec  satis  spatii  in  ea  habere  videatur.«  Wie  sehr  diese 
Erklärung  dein  satirischen  Geiste  des  Dichters  und  der  ganzen 
Art  seiner  Darstellung  angemessen  ist,  wird  Niemand  läutg- 
neu  wollen. 

Sat.  I.  vs.  58  —  62.  streiten  sich  die  Ausleger,  auf  wen 
diese  Stelle  zu  bezieben  ist,  ob  auf  den  Cornelius  Fuscus  oder 
Sophonius  Tigellinus.    Der  Verfc  zeigt,  dals  die  erstere  An- 
nahme unstatthaft  sey,    indem  das,  was  Tacitus  und  Sueton 
von  diesem  Fuscus  berichten,  mit  dem,  was  Juvenal  hier  er- 
zähle ,  durchaus  nicht  vereinbar  sey.     Für  den  letzteren  da- 
gegen spreche  Alles.     Auf  seine  gemeine  dürftige  Herkunft 
bezieht  der  Verf.  die  Worte:  carot  omni  majorum  censu  vs.  59 
und  60;  durch  eine  Erbschaft  —  er  soll  ja  auch  ein  heredipeta 
gewesen  seyn  —  in  den  Besitz  eines  Vermögens  gelangt,  er- 
kaufte er  sich  damit  Triften  in  Appnlien  und  Calabrien,  auf 
denen  er  seine  Pferde  weiden  liefs  (daher  auch  praesepia  nicht 
für  lupanaria  genommen  werden  darf  )9  und  so  führte  er,  als 
er  mit  Nero  bekannt  geworden,  und  höhere  Würden  beab- 
sichtigte, wie  die  eines  praefectus  praetorio,  den  in  den  Um- 
armungen des  Si  lorus  schwelgenden  Nero  in  den  Strafsen  von 
Rom  herum.     Daher  interpungirt  der  Verf.  anders  als  Ru- 
perti, indem  er  das  Semicolon,  was  gewöhnlich  nach  FJami- 
niam  steht,  hinter  puer  Automedon  setzt,  und  also  diese  bei- 
den Worte  noch  zu  dem  Satze  dum  pervolat  etc.  hinzunimmt, 
weil  man  nun  gleich  ersehen  könne,  ob  Tigellinus  aus  eigenem 
Vergnügen,  wie  andere  Vornehme  Roms ,  nach  dem  Beispiel 
des  Cäsar  ,   oder  blos  als  Fuhrmann  des  Nero  die  Flaminische 
Strafse  durcheile.     Deshalb  unmittelbar  darauf  der  Zusatz  : 
nam  lora  tenebat  etc.     Die  lacernata  amxca  bezieht  der  Verf.  mit 
früheren  Erklärern  auf  den  entmannten  Sporus,  mit  welchem 
Nero  unnatürliche  Laster  trieb,  und  das  verschieden  erklärte 
jactare  vs.  62.  nimmt  er  in  dem  Sinne  von:  gloriari  so  apud  a/i— 
quem,  grofs  thun.     Die  Beziehung  des  puer  Automedon  auf  Ti- 

tellinus,  mit  Vergleichung  von  11.  XVI,  145,  wird  man  nicht 
estreiten  können,  sie  ist  auch  von  Andern  nachgewiesen. 

Sat.  I,  66  IF.  vertheidigt  der  Verf.  mit  Recht  die  gewöhn- 
liche Verbindung  signator  /also,  welche  Ruperti  verändert» 
indem  er  falso  zu  dem  nächstfolgenden  Sa'ze  qui  se  lautum  atque 
beatum  exiguis  tabulis  et  gemma  faceret  uda  hinzieht,  wobei  aber 
das  falso  wegen  des  folgenden  exiguis  tabulis  schon  alle  Kraft 


Juvenalu  Satire  ex  rec.  Weber. 


381 


verliert.  An  der  Härte  dea  Ausdrucks  signator  falao  dürfte 
man  wohl  kaum  Anatofa  nehmen ,  denn  ein  Substantiv  falsum 
lafst  sich  hinreichend  aus  dem  Sprachgebrauch  jenea  Zeitalter« 
erweisen  ,  kommt  auch  beaondera  in  den  Rechtaurkunden  un- 
zähligemal  vor,  s.  B.  crimen  faltig  poena  falsi  u.  dergl.  Veral. 
nur  in  der  Kürze:  Ph.  Villa t  Vocab.  Jur.  utriusq.  Tom,  II. 
p.  8  «ujq.  und  über  signator  ibid.  Tom.  III.  p.  386  sq.  Uebri- 
gena  glaubt  der  Verf.  hier  eine  Anspielung  auf  den  Advocaten 
M.  Regulua  zu  entdecken,  denselben,  von  dem  auch  Pliniua 
Epist.  II,  20.  spreche. 

Sat.  I.  vs.  81— 88.  Die  Umstellung,  die  der  Jenaer 
Recenaent  in  Anordnung  und  Folge  der  einzelnen  Stellen  vor- 
nahm, wird  als  durchaua  unnöthig  erwieaen.  Auch  hier 
mufa  Rec.  dem  Verf.  vollkommen  beiatimmen.  Zu  der  Erklä- 
rung der  Worte  va.  90.  posita  sed  luditur  arca  führt  der  Verf. 
Wunderliche  Bemerkung  zum  Tibullua  I,  3,  85.  an,  wor- 
nach  Ruperti'a  Erklärung  von  ponere  aufs  Spiel  setzen  völlig  ver- 
fehlt aey,  sondern  ponere  so  viel  hier  sey  als  apponere;  welche 
Bedeutung  unser  Verf.  weiter  aus  andern  Stellen  zu  begründen 
sucht.  Juvenal  wolle  blos  sagen,  die  Römer  hatten  ihre  ganze 
arca  mit  zum  Spiel  gebracht,  um  das  erforderliche  Geld 
stets  zur  Hand  zu  haben.  Allein  dies  erscheint  als  Gegen, 
•atz  oder  Steigerung  des  comitantibus  loculis  vs.  89.  matt  und 
«chwach,  während  dagegen  die  andere  Erklärung  stark  und 
der  hyperbolischen  Ausdrucksweise  des  Dichters  angemessener 
erscheint.  Gleich  darauf  vs.  91  if.  freuen  wir  uns  Ueberein» 
Stimmung  mit  dem  Verf.  gefunden  zu  haben ,  wenn  auch  er  in 
dieaer  Stelle  nicht  sowohl  an  einen  Kampf  der  Spieler  unter 
einander  oder  dea  apielenden  Herrn  mit  aeinem  Dispensator 
denkt,  sondern  eine  Vergleicbung  des  Würfelspiels  mit  einem 
Gefecht  oder  eine  Bataille,  wo  die  Spielenden  die  Kämpfenden 
sind,  annimmt.  Das  non  reddere  tunicam  servo  vs.  93,  wo 
reddere  von  Einigen  in  dem  Sinne  von  restituere,  von  Andern, 
einfach  für  dare  genommen  worden ,  erklärt  der  Verf.  mit  Bei- 
behaltung der  Grundbedeutung  des  Wortes  auf  folgende  Weise: 
nonne  inaudita  insania  est,  centum  sestertiis  amissis,  servum 
redeunte  hieme,  t/uum  frigore  horret,  non  denua  veatire  ?  — 
Bei  den  schwierigen  Versen  155.  156.  157.  ist  der  Verf.  im 
Texte  völlig  Ruperti  gefolgt,  dessen  Erklärung  der  beiden  er- 
ateren  Verse  er  auch  billigt  und  nur  die  des  dritten  Verses 
bezweifelt.  Man  bezieht  nämlich  dies  auf  den  Haken  (uncus) , 
welcher  Missethätern  eingeschlagen  ,  und  womit  sie  über  den 
Sand  geschleppt  worden,  tiefe  Furchen  im  Sande  auf  di<  se 
W eise  hinterlassend«    Da  aber  aulcus ,  nach  dea  Ree.  Ermes- 


\ 


382 


Juvenalis  Satirae  ex  ree.  Weber. 


sen  ,  hier  richtiger  von  der  Grube  verstanden  wird,  in  welcher 
jene  Un glücklichen. gleich  Piählen  eingerammelt  werden,  so 
wird  man  des  Verf.. Erklärung  nicht  unpässend  finden,  wenn 
er  diesen  Vers  nicht,  auf  eine  besondere  Strafe  deutet,  son- 
dern auf  die  Furcht  und  Angst  des  Verdammten .,  welche  er, 
während  er,  an  den  Pfahl  angeschlagen  und  mit  dem  Pech« 
kleid  angethan ,  angezündet  wird  *  durch  Bewegung  der  Füfse 
und  Zertheilen  des  Sarides  (pedes  volvendo  arenamque  divi- 
dendo)  äufsert.  Man  könnte  höchstens  dem  Verf.  entgegnen  , 
dafs  man  doch  wohl  jene  Unglücklichen  nicht  blos  am  Halse 
an  den  Pfahl  befestigt  ,  sondern  .  auch  mit  den  Füfsen 
angebunden,  was  jedoch  keineswegs  damit  streitet, 
cus  als  Graben  zu  nehmen  ,  worin  der  Pfahl  eingerammelt 
und  der  Unglückliche  eingestellt  wurde.  Gegen  die  gewöhn- 
liche/ Erklärung  bemerkt  der  Verf.  nicht' ohne  Grund,  dafs 
dann  dieser.  Vers  157  vor  den  Vers  155  gestellt  werden  müsse^ 
indem  ein  so  entstehendes  Hysteron  proteron  doch  kaum  zu* 
lässig  sey.  Heindorfs  Verbesserung:  aut latus  media  stdcus  te 
ducet  arcna,.  mit  Bezug  «auf  die  hiatus  pegmatis  (man  8.  die 
weitere.  Au&legUng. des.' Veoif.),  möchte  schwerlich  Beifall  fin- 
den ,  da  sie  einen -igan*  aadern  Gedanken  enthält,  als  der  un- 
mittelbar! vorhergehende;.  .  »j  *.  |  \ 
l  .i  Sat.  III,  12  —  I7.f  folgt  der  Verf.  ganz  der  Interpunction, 
Welche  Kuperti  in  der  zweiten,  Ausgabe  angenommen  hat* 
ohne  weiter  in  den  Annotationen  in  diese  Stell*  einzugehen), 
deren  Schwierigkeiten  neulich  Prof.  Wagner  in  einem  eigenen 
Programm  (  De  Egeriae  fönte  et  specu  ejusque  9itu  Coramen«* 
tatio,  Marburgi  1824.)  näher  beleuchtet- hat ,  auch  mit  Ku- 
perti im  Ganzen  übereinstimmt,  nur  dafs  er  stattdes  MeARSvifl) 
ein  hinc  setzen  will ,  so  dafs  man  verbinde  :  ^suhstitit  primum  ad 
portam  Capenam  et  Ämc,  iförtasse  postcruam  Juvenalis  ad  eura 
accesserat,  descendbt  ab  eo  comitatus  in-  vallem  Egeriam«  etC; 
(S«.  17/  not.). .  Hic  au  belassen  ,  gehe  nicht  an,  weil  man  sonst 
annehmen  .müsse ,  die.Nyinphe  Egeria  sey  aus  dem  von  ihr  be- 
wohnten Thale  an  /las  jCapenische  Thdr  gekommen,  um  hier 
sen  Nuroaieu  treffen*,; ♦  und  dann  widerspreche  JLivius  I,  2t, 
welcher. an  eine  und  dieselbe  Stelle  den  (^uell  der  Egeria  und 
den  .Harn  .der  Musen,  int  welchem  Nriraa  seine  Zusammen- 
künfte mit  der  Egeria  gehalten,  verlegt.  Indessen  kann  viel- 
leicht'/«'« stehen  bleiben,  wenn  man  eine  Verwechslung  dieses 
Adverbiums  loci  tür  hino  annimmt ,  dergleichen  Verwechslun- 
gen im  Griechischen  wie  im  Lateinischem«  angetroffen  werden, 
oder  das  hic  nach  der  Analogie  ähnlicher  Falle,  wo  auf  hic 
ein  ubi  oder  ein  cum  oder  eine  ähnliche  Partikel  folgt,  erklären 


Juveiialis  Satirae  ex  ree.  Weber, 


383 


(«in  verg).  nur  Tursellin.  de  Tart-icc;  s*  v,  Gap.  92.  III.),  nri 
Vers  18.  vertbeidigt  der  Verf.  mit  schlagenden  Gründen  die 
Lesart  praestantius ,  und  erörtert  dabei  auch,  den  Ausdruck  nu- 
mcn  aqua*  für  gleichbedeutend  mit  divinusfont.  a  .  n»,     .,  . 

Sat.  III,  30  ff.  Hier  spreche  Juvenal  nicht  im  Allgemei- 
nen von  Bauten  oder  Zöllen  (Gegenständen,  die  an  mvl.ftlR 
sich  nicht  schimpflich  seyen),  sondern  von  gemeinen  Men- 
schen, die  sich  nicht  schämen,  durch  die  schmutzigsten  Ge- 
schäfte Reichthümer  zu  sammeln,  die  deshalb  die  Reinigung 
von  Gebäuden,  Flüssen,  Häfen  und  Cloaken  eisteiaern^ ;  «b-f 
wohl  sie  selber  das  Geschäft  nicht  verrichten  ,  sondern  durch 
Andere  verrichten  lassen  und  daraus  ihren  Voitheil  ziehen. 
Dafs  conducere  hier  so  viel  ist  als  entrepreniren ,  die  Ausfüh- 
rung  um  einen  bestimmten  Preis  übernehmen,  ist  richtig, 
auch  mit  einigen.  Stellen  vom  Verf.  bewiesen  ;  allein  welcher 
Grund  berechtigt  uns,  aedem  conducere ,  Was  einfach  heilst: 
den  Aufbau  eines  Tempels  übernehmen  in  der  bestimmter; 
Weise,  zu  erklären  durch:  die  Reinigung  eines  Tempels 
tibernehmen;  aus  dem  sicoandam  eluviem  vs.  32.  zu  aedes ,  flu- 
mina  und  portus  ein  purgandos  herauszunehmen,  möchte  doch 
etwas  zu  gewagt  und  willkührlich  erscheinen.  Darum  möchte 
Ree.  vorerst  hier  bei  der  gewöhnlichen  Erklärung  bleiben^  -7-. 
Vers  33.  et  praebere  caput  domina  venale  sub  hasta  konnte  sich 
Ree.  nie  mit  der  Erklärung  von  Ruperti  befreunden,  derqn 
Unrichtigkeit  auch  Cramer  nachgewiesen*  als  hätte  man  hier 
an  den  Zoll  .zu  denken,  welchen  August  und  die  folgenden 
Kaiser  auf  jeden  Kauf  und  Verkauf  voivSclaven  gelegt  ,  wel- 
cher Zoll  dann,  wie  jeder  andere  Zoll  r  verpachtet  gewesen, 
Allein  wie  diese  Erklärung  ohne  gewaltsame  DeutungenTden 
Worten  des  Dichteis  angepafst  werden  könne,  weils  Ree. 
nicht  abzusehen.  :Er  ergreift  daher  die  Erklärung  von  X>a-? 
mer,  welcher  es  von  einem  Präco  versteht,  der  Sclaven ,.  etwa 
Staatssclaven ,  zum  Verkauf:öfFentlich  feilbietet  —  ein  gewils, 
gemeines  und  entehrendes  Geschäft.  Hr.  Weber  ist  wohl  auch 
dieser  Ansicht,  wenn  er  die  Stelle  erklärt:  „praecones,,  con* 
temtum  hominum  genus.,  venales  servos,  auetione  constitut.i  , 
plurimum  licitantibus  addicentes  intelliguntur. c<  Den  At*H 
druck  hasta  domina  erklärt  der  Verf.  mit  Verweisung  auf  Grär 
vius-und  Hotomann  zu  Cicero  pro  Quinct.  Ö.  15:  „cfuiaihoQ 
signo  posito  is,  (fui  bona  eine re t ,  anetori tat em  ,  seu  jus  do- 
minii  in  ea  sibi  comparavit.«  Die  hasta  nämlich,  diese  älteste 
Auszeichnung  und  Insignie  der  Herrscberwürde ,  ist  Symbol 
der  auetoritas  publica ,  daher  ist  unter  der  hasta  erstandenes 
oder  zugesprochenes  Gut  auetoritate  publica  erworben  und  im 


I 


384    '.  Juvenilis  Satirae  ex  reo.  Weber. 

Quiriteneigenthume  des  Erwerber«  ,  deshalb  auch  nennt  Juve- 
nal  die  hasta  domina,  weil  sie  zum  dominus  macht,  weil  sie  ju* 
stum  dominium  verleiht*  Vergl.  die  schöne  Auseinandersetzung 
(auch  mit  Berücksichtigung  dieser  Stelle  des  Juvenal)  in  Bai  U 
ho  r  n -  Kosen  Juristisch -Philologischen  Studien  I.  über  Do- 
minium p.  293  — -  295.  |üeber  foricae  vs.  38.  haben  wir  be- 
kanntlich von  Craraer  (Schol.  Juven.  p.  76.)  eine  ausführlichere 
Erörterung  erhalten;  unser  Verf.  versteht  es  nicht  sowohl  von 
dem  Pacht  der  Reinigung  der  öffentlichen  Abtritte,  welche 
bereits  oben  vs.  32.  angedeutet,  sondern  von  der  Pachtung  der 
.  öffentlichen  Abtritte  selber,  welche  dafür  gegen  Entrichtung 
einer  kleinen  Summe  an  den  Pächter  von  den  Vorübergehenden 
benutzt  werden  können.  Wie  man  sonst  dem  Volke  Spiele 
gab,  um  dadurch  zu  höheren  Ehren  und  Würden  zu  gelangen, 
so  wiederholen  dies  diese  gemeinen  Menschen,  um  die  schmut- 
zigsten Geschäfte  betreiben  zu  können.  —  Vs.  56.  ponenda 
praemia  schien  dem  Ree.  die  Erklärung :  praemia  (deponenda 
i.  e.)  recusanda,  detestanda,  non  sumenda  die  annehmbarste, 
zumal  da  sie  auch  durch  Horaz  Od.  III,  2,  19  :  nec  sumit  autpo- 
vit  secures  gewisserraalsen  bestätigt  wird.  Hr.  Weber  erklärt 
mit  Achaintre  und  hält  diese  Erklärung  für  starker  und  kräfti- 
ger: Unoli  praemia  suraere,  quae  serius  ociusve  reddere  et  re- 
linquere  cogeris,  quaeque  insuper  tibi  animi  sollicitudinem 
et  metum  afferent;  adeoque  insidias  et  ipsam  mortem  para- 
Bant."  Dies  liegt  aber  wohi  schon  in  deponenda,  oder  könnte 
als  weitere  Exposition  des  in  deponenda  liegenden  Sinnes  be- 
trachtet werden.  —  Vs.  65.  ad  Circum  jussas  prostate  puellas  be- 
sieht der  Verf.  bestimmt  auf  die  berüchtigten  Syrischen  Ambu- 
bajen  (wir  vergleichen  über  diese  Syrischen  Bajaderen  Hein- 
dorf ad  Hör.  Sat.  I,  2.  vs.  l.  p.  29,  der  schon  dort  auf  Juve- 
nalis  hinweist  und  wohl  eine  ähnliche  Beziehung  ahnete)» 
Allerdings  führt  darauf  der  ganze  Zusammenhang  der  Stelle; 
d*r  Syrus  Orontes  vs.  62,  die  Pauken  und  das  Saitenspiel 
vs,  63  und  64»  endlich  vs.  66  die  lupa  Barbara  (welches  letztere 
Wort  auch  auf  Syrische  zu  beziehen)  mit  der  mitra  picta 
(worüber  jetzt  zu  vergleichen  Bai  er  zu  Cicer.  Orat.  in  P„ 
Clodium  et  Curionem  Fragmm.  pag.  34.  Lips.  1825.).  Auch 
geht  aus  den  von  Heindorf  a.  a.  Ö.  und  auch  vom  Verf.  ange- 
führten Stellen  hervor,  dafs  diese  Bajaderen  besonders  im 
Circus  sich  herumtrieben. 

• 

(Der  Besehlufs  folg**) 

#  *  4 


uiguiz 


N.  25.  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 

■ 

D.  Junii  Juvenalis  Satirae  ed.  Weber. 

(Besch  lufs.) 

Sat.  III,  72.  viscera  magnarum  domuum  dominlque  futuri. 
Hier  hat  bekanntlich  das  Wort  viscera  verschiedene  Erklärun- 
gen sich  gefallen  lassen  müssen.  Auch  der  Verf.  versuchte 
sich  an  dieser  Stelle.  Zuletzt  erklürte  er  sich  für  die  Erklärung 
von  Heinecke,  da  viscera,  wie  im  Griechischen  c-xhly/ya ,  hei 
Dichtern  wie  bei  Prosaikern  von  Kindern  Freunden,  kurz 
von  Allem,  was  uns  theuer  und  werth  ist,  gesagt  werde. 
Diesen  Sprachgebrauch  hat  der  Verf.  mit  einigen  treffenden 
Beispielen  belegt;  es  war  auch  dies,  nach  des  Ree.  Ermessen, 
die  einzig  richtige,  mit  dem  Wortsinn,  wie  mit  dem  Zu- 
sammenhang verträgliche  Erklärung,  die  von  dieser  Stelle  ge- 
geben werden  konnte. 

Sat.  III,  74*  sermo  promtus  et  Uaeo  torrentior  erklärt 
der  Verf.  richtig  für  Isaei  sermone  ,  was  Ruperti  nicht  hätte  ver- 
kennen sollen,  deutet  es  aber  nicht  auf  den  Attischen  Redner 
dieses  Namens,,  den  Schüler  des  Isokrates  und  Lehrer  des  De- 
mosthenes  (vergl.  Fabric.  Biblioth,  Graec.  II.  p.  808.) ,  son- 
dern auf  einen  zu  Hadrians  Zeiten  lebenden  Redner  gleichen 
Namens,  welcher  Juvenal  der  Zeit  nach  näher  stehe,  und 
auch  von  Plinius .  Epist.  III,  2.  mit  gleichem  Lohe  erwähnt 
werde.  Ueber  die  für  die  Erklärung  schwierige  Stelle  vs.90. 
91  J  miratur  vocem  angustam ,  qua  deterius  nec  Ille  sonat, 
quo  mordetur  gallina  marito,  hätten  wir  allerdings  gern  ge- 
wünscht, den  Verf.  zu  hören;  er  hat  sich  über  diese  Stelle 
nicht  näher  verbreitet,  ist  aber  im  Texte  der  gewöhnlichen 
Ruperti'schen  Lesart  gefolgt.  Dagegen  vs.  98.  nec  tarnen  An- 
tiochus  etc.  sucht  er  mit  Recht  das  tarnen  zu  vertheidigen , 
durch  Annahme  eines  dem  Sinne  nach  vorausgegangenen,  in 
der  Rede  selbst  aber  weggelassenen  ,  mit  quamquam  oder  etsi 
beginnenden  Satzes.  Wenn  er  aber  illic  erklärt  in  arte  fallend^ 
so  möchte  Ree.  ihm  nicht  beistimmen,  der  dieses  Adverbium 

XIX.  Jahrg.    4.  Heft.  25 


386    .  Juvcnalis  Satijrae  ex  rec.  Weber.  * 

A  V.     •  ' 

lieber  in  rein  localem  Sinne  auffafst ,  dort,  d.  i.  in  Griechen- 
land (wo  jene  Meister  in  der  Verstellungskunst  kein  Aufsehen 
machen  würden,  weil  Jedermann  darin  geschickt  ist  und  sich 
darauf  versteht),  im  Gegensatz  gegen  Rom,  wo  diese  Män- 
ner  solches  Aufsehen  erregen.  —  Vs.  100.  erklärt  sich  der 
Verf.  mit  vollem  Recht  gegen  die  unnötbige  Aufnahme  der 
Lesart  meliore  cachinno  für  majore  (was  alle  Handschriften  mit 
Ausnahme  einer  einzigen  bringen)  durch  Ruperti.  —  Vs«  108» 
si  trulla  inverso  crepitum  dedit  aurea  fundo;  eine  schwierige, 
vieldeutige  Stelle,  worüber  man  bisher  durchaus  nicht  auf« 
Reine  gekommen  war.  Die  ältere  Erklärung,  welche  trulla 
für  ein  tieferes  Trinkgeschirr  oder  für  einen  Becher  nimmt, 
den  der  vornehme  Herr  bis  auf  den  Grund  ausgeleert  und  so 
den  Grund  umgekehrt,  oder  den  er  au  f  die  Erde  habe  fallen 
lassen,  nachdem  er  ihn  ausgeleert,  diese  und  ähnliche  Erklä- 
rungen wollten  Rec.  nie  genügen,  zumal  da  sie  nicht  gut  zu 
dem  Inhalt  des  zunächst  vorhergehenden  Verses  zu  passen 
scheinen«,  welcher  etwas  dem  ructare  und  mingere  Aehnüches 
erwarten  liefs,  ferner  dieErklärung  des Scboliums  :  si  pepedarit] 
(man  vergl.  die  von  Ruperti  passend  angeführte  Stelle  des 
Diodor  von  Sinope  bei  Athenäus  VI,  9.  s.  36.)  damit  nicht 
übereinstimmte.  Diese  Gründe  machten  ihn  schon  früher  ge- 
neigt, hier  trulla  für  einen  N  a  chts  t  uhl  zu  nehmen,  und  er. 
freut  sich,  auch  hier  Uebereinstimmung  mit  dem  Verf.  gefun- 
den zu  haben,  der,  nachdem  er  auch  die  Nichtigkeit  der  an- 
dern Erklärungen  berührt,  in  folgender  Weise  die  immerhin 
etwas  dunkle  Stelle  erklärt:  „ad  laudandum  paratus  est,  si 
tanto  ventris  onere  lasanum  implet,  ut  fundus  ejus  invertatur 
et  sonitus  et  murmur  exi-no  reddatur,  w  Auch  Donner  scheint, 
dieser  Ansicht  zu  seyn  ,  wenn  er  (obgleich  auch  etwas  dunkel 
und  unverständlich)  übersetzt: 

„Oder  aus  goldnem  Gestühl  ein  anderes  Omen 

h  era  uf scboll.5* 
Hier  scheint  freilich  das  schwierige  inverso  fundo  umgangen.  — 
Vs.  187.  plena  clomus  \ih\s  genialibus.  Diese  Lesart  nennt  der 
Verf.  languidissima ,  und  erklärt  sie  für  eine  Ausgeburt  der  Ab- 
schreiber; venalibus  allein  sey  das  richtige;  die  Clienten  näm- 
lich müssen  an  Festtagen  ihren  Patronen  Kuchen  als  Tribut- 
senden  ,  die  aber  dann  nur  von  den  Sclaven ,  die  bei  den  Her- 
ren in  Gunst  stehen,  verkauft  werden,  von  denen  also  blos 
die  Sclaven  den  Profit  haben.  Allein  Rec.  möchte  eher  fol- 
ende  Erklärung  dem  Ganzen  für  angemessener  halten.  Um- 
ricius  klagt,  wie  man  selbst  die  Sclaven  mit  Geld  bestechen 
müsse,  um  durch  sie  Zutritt  zum  vornehmen  Herrn  zu.erhal- 


I 

Jnrenalis  Satirae  er  rec.  Weber.  387 

ten,  oder  nur  den  Anblick  desselben  zu  gewinnen.  So  müsse 
man  nicht  Llos  (wie  es  Sitte  und  Ordnung  sey)  an  dem  Fette 
der  Herren  mit  Kuchen  aufwarten ,  sondern  selbst  den  Scla- 
ven, wenn  sie  ähnliche  Feste  feiern,  auf  gleiche  Weise- mit 
ähnlichen  Präsenten  dienen,  um  durch  sie  den  Zutritt  und  die 
Gunst  des  vornehmen  Herrn  sich  zu  erhalten.  Also  nicht  JjIos, 
wenn  der  Herr  das  Fest  seines  genius  feiert,  sondern  auch 
wenn  seine  Bedienten  ihren  Geburts-  oder  Namenstag  oder 
andere  Feste  der  Art  (wie  sie  vs.  86.  angedeutet  sind)  begehen, 
müssen  die  Clienten  mit  libis  aufwarten.  Sonach  beziehen  wir 
ille,  wie  hic  vs..  i£6,  nicht  auf  Herren,  welche  Sclaven  ,  die 
sie  liebgewonnen  haben,  zu  Gefallen  diese  Feste  feiern,  son- 
dern auf  Sclaven,  *die  unter  einander  dies  thun.  Au«  diesem 
Grunde  möchten  wir  auch  das  genialibas  vs.  187.  nicht  verwer- 
fen ,  wofür  uns  im  Gegentheil  venalibus  matter  und  minder 
bezeichnend  erscheint.  Denn  wir  denken  dabei  an  liba,  welche 
an  dem  Feste  des  genius  (welches,  die  Sitte  des  Herrn  nach- 
ahmend, auch  der  Bediente  feiert)  zum  Geschenke  dargebracht 
werden.  Man  vergl.  übrigens  über  die  liba  Obbarius zuHoraz 
Epist.  I,  10,  vs.  10.  p.  21.  und  in  so  fern  sie  dem  genius  bei 
der  Feier  des  Geburtstages  dargebracht  werden:  Ovid.  Trist. 

III,  13,  18.  TibulLI,  8.  54.  II,  2»  5  .und  8.  9.  —  Vs.  192. 
bei  den  Worten  simplicibus  Gabiis  wollen  wir  bei  dieser  Gele- 
genheit erinnern  an  Iforat.  Epist.  I,  11,  7:  Lebedus  Gabiis  de- 
sert'wr  atque  Fi denis  vicus,  vergl.  mit  Propert.  Eleg.  IV ,  1 , 
34,  Mi»  Donners,  nach  unserm  Ermessen  richtige,  lieber- 
Setzung:  öde. (.d.i.  wenig  besuchte)  zu  rechtfertigen. 
Das  alte  Scholium  erklärt  simplicibus  durch  non  ornatis.  — 
Vs.  194  ff.  vertheidigt  der  Verf.  die  Vulgate  gegen  Iluperti, 
der  in  der  Verbindung  der  Verba  obstat  —  eontexit —  jubet  an- 
stiels;  man  denke  sich  nur  ein  si  bei  dem  mittleren  Satze  aus« 
gelassen ,  so  lallt  die  Schwierigkeit  weg.  Villicus  versteht  auch 
Hr.  Weber  mit  Anführung  einiger  Parallelstellen  vom  praefectus 
urbi.  —  Vs.  219.  biclibros  dabit  et  forulos  mediamque  Minervam 
sucht  der  Verf.  zU beweisen,  dafs  unter  der  media  Minerva  nur 
eine  Hermathene,  und  nichts  anderes  zu  verstehen  sey.  Sonst 
dachten  wir  auch  wohl  mit  Andern  an  .  ein  in  der  Mitte 
der  Bücherschränke  oder  der  Bibliothek  aufzustellendes  Bild 
der  Minerva.  . 

Sat.  III.  vs.  231.  (sollte  wohl  im  Druck  der  Bemerkung 
tiber  die  folgenden  Verse  236  ff.  vorgestellt  seyn)  :  unius  sese 
dominum  fecisse  lacertae.  Da  man  hier  an  dem  Worte  lacerta 
Anstofs  nahm,  so  versuchte  man  sich  an  demselben  mit  allen 
möglichen  Conjecturen,  denen  Ruperti's  tabema  die  Krone  auf- 

25  * 


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388 


Juvenilis  Satirao  ex  rec.  Weber. 


s  Ute.  Aber  schon  eine  oberflächliche  Einsicht  in  diese  Stelle 
konnte  überzeugen,  wie  wenig  alle  diese  Conjecturen  dem 
vermeintlichen  Uebel  in  dieser  Stelle  abhelfen,  und  Ree.  folgte 
daher  noch  immer  der  älteren  Erklärung  der  Scholien,  so  wie 
des  Farnabius,  die  lacerta  für  agellus  oder  hortulus  nehmen, 
ein  Garten,  so  klein,  so  winzig,  der  kaum  so  viel  Raum  ent- 
fallt, dafs  eine  Eidechse  darauf  herumlaufen  kann.  Das  Hy- 
perbolische in  dieser,  wie  es  scheint,  sprichwörtlichen  Re- 
densart durfte  bei  einem  Juvenalis  am  wenigsten  auffallen. 
Aber  es  darf  noch  weniger,  wenn  man  die  ähnlichen  Stellen 
und  Redensarten  vergleicht,  welche  unser  Verf.  für  diese  Er- 
klärung, die  als  die  einzig  zulässige  und  richtige  betrachtet 
werden  mufs,  aus  Martialis,  aus  der  Lateinischen  Anthologie 
u.  s,  w.  anführt.  Ganz  richtig  macht  er  auf  die  dem  Juvenal 
eigene  Brevilotjuenz ,  sowie  auf  das  Hyperbolische  des  Aus- 
drucks aufmerksam,  und  erklärt  ganz  richtig:  „ magni  pretii 
est,  (juocuiHjue  te  reeeperis ,  hortum  possidere  cruamvis  ex.i- 
g'ium,  ut  una  tantum  perrepat  ipsum  lacerta.« 

Sat.  III,  236  —  238.  Rhedarum  trausitus  areto  Vicorum 
inflexu  et  stantis  convicia  mandrae  Eripient  somnum  Druso 
vitulisffue  marinis.  Hier  vertheidigt  der  Verf.  die  Lesart 
corum  wflexu  mit  Recht,  und  giebt  bei  dieser  Gelegenheit  eine 
ausführlichere  Erörterung  über  die  Ellipse  der  Präposition  Iis 
vor  dem  Ablativ  da,  wo  das  Verhältnifs  der  Ruhe,  des  Ver- 
weilens an  einem  Orte  bezeichnet  werden  soll ;  die  convicia 
stantis  mandrae  erklärt  derselbe:  „ea,  cruae  agitatores  instan- 
tem, cunetantem,  non  progredientem  mandram  h.  e.  longarn 
mulorum  Seriem  jaciunt«,  hauptsächlich  nach  Martial.  Epigr. 
V,  23.  (vixerue  datur  longas  mulorum  vincere  mundras)  und 
Seneca  de  Ira  III,  6.  Allein  bei  Martialis  steht  eben  um  die 
lange  Reihe  zu  bezeichnen  das  longas  dabei,  was  in  der  Stelle 
des  Juvenalis  fehlt.  Wir  würden  daher  immer  noch  mandra 
für  Gespann,  Wagen  sammt  Thieren  nehmen,  es  sey  im  wirk- 
lichen Singular  oder  als  ein  collectiviscber  Singular.  —  Vs.  238. 
erklärt  sich  der  Verf.  mit  Recht  gegen  die  unnöthigen  Verbes- 
serungen, welche  man  hier  hat  machen  wollen.  Ohne  Zwei- 
fel ist  dieselbe  auch  zu  belassen ,  und  eben  so  wenig  Druso  als 
vitulisque  marinis  zu  ändern,  da  gerade  durch  die  Zusammen- 
stellung der  lange  schlafenden  Seekälber  mit  dem  scblafoüchti- 
gen  Drusus  der  Vers  recht  witzig  wird.  Man  vergl.  die  rich- 
tige Auseinandersetzung  eines  Ungenannten  in  der  von  Zim- 
mermann und  Dilthey  herausgegebenen  Schulzeitung,  Darm- 
stadt,  Jahrg.  i824-  No.  97.  Decemb.  p.  839. 

Sat.  III,  296.  ede  ubiconsistas:  in  qua  terjuaeroproseucha. 


Juvenalis  Satirae  ex  rec.  Weber.  389 

Dieser  Vers,  so  wie  auch  Einiges  zunächst  vorhergehende  und 
darauf  Bezügliche  wird  erklärt,  wie  z.  ß.  ace.'um,  concfie^  und 
insbesondere  proseucha  nicht  von  einem  Bethause  oder  einer 
Kapelle,  kurz  einem  heiligen  Orte  verstanden,  sondern  als 
Judenher  berge,  Judenkneipe  bezeichnet. 

Sat.  IV,  2  —  4.  monstruui  nulla  virtute  redemtum  a  vi- 
tiis,  aeger,  solaque  libidine  fortis:  delicias  viduae  tautuin 
aspernatur  adulter.  So  schreibt  Hr.  Weber  nach  Rupert!,  wo 
wir  indefs  das  spernatur,  das  die  Handschriften  geben ,  beibe- 
halten  möchten ,  als  eine  ältere  Grundform  [spernari) ,  woraus 
nachher  aspernari.  Gröfsere  Schwierigkeiten  aber  macht  die 
Erklärung  der  letzteren  Worte,  bei  denen  Hr.  Weber  mit 
Recht  verweilt.  Die  gewöhnliche  Erklärung,  wornach  Ct  is- 
pin us  blos  verheiratheten  Weibern  nachgehe ,  nicht  aber  reichen 
Wittwen,  weil  man  sonst  glauben  könnte,  er  thue  dies  aus 
Gewinnsucht,  und  nicht  aus  bl  oft  er  Wollust,  findet  der  Vf. 
darum  nicht  zulässig,  weil  man  dann  nicht  einsehe,  wo  in 
das  sola  libidine  fortis  drs  Crispinus  bestehe.  Allein  diese  Schwie- 
rigkeit hebt  sich  wohl,  wenn  man  dem  sola  libidine  fortis ,  seil, 
in.vitiis,  ein  non  lucri  causa  fortis,  invitiis  scilicet,  ut  plerum- 
que  fit,  entgegensetzt.  Dafs  aber  auch  noch  mehr  in  dem 
fortis  liege,  hat  der  Verf.  richtig  mit  Bezug  auf  das  folgende 
adulter  erkannt.  Es  verschmäht  Crispiniis  die  Wittwen  des- 
halb, weil  man  zu  ihnen  leicht,  ohne  Hindernisse  gelangen 
kann,  dies  in  so  fern  weder  angenehm  noch  rühmlich  ist; 
Crispinus  dagegen  ''Schwierigkeiten  und  Gefahren  sucht,  um 
hier  seine  Geschicklichkeit  und  Ausdauer  zu  zeigen,  womit  er 
die  Gatten  täusche  und  ihre  Weiber  verführe.  Rec.  verband 
stets  das  tan  tum  mit  adulter  in  dem  Sinne,  als  nähere  Ausfüh- 
rung des  vorausgegangenen  sola  libidine  fortis,  Crispinus 
seigt  seine  libidinosa  fortitudo  eben  darin,  dafs  er  nicht,  wie 
Andere,  um  des  Gewinns  willen,  mit  alten  Wittwen  sündigt, 
sondern,  indem  er  diese  verschmäht,  blos  als  Ehebrecher  in 
der  Verführung  von  verheiratbeten  Frauen  und  Täuschung 
ihrer  Gatten  ,  also  im  höchsten  Grade  des  Lasters,  sich  be- 
merklich macht.  Die  Verbindung  von  tantum  adulter  möchte 
durch  ähnliche  Verbindungsarten,  wie  z.  B.  plane  orator  bei 
Cic.  B  rut.  10,  admodum  puella  Liv.  XXXIX,  12.  und  dergl. 
(vergl.  Ruddimann.  Institut.  Gramm.  II,  p.  304»)  »ich  recht- 
fertigen lassen. 

S3t.  IV,  32.  jam  prineeps  equitum,  magna  qui  voce  sole- 
bat Vendere  munieipes  fracta  de  merce  siluros.     So  schreibt 
Hr.  Weber.     Was  zuvörderst  das  prineeps  equitum  betri  fFt* 

so  erklärt  Ruperti :  qui  inter  equites  insrgirem  obtinuit  locum* 

t 

•>.         •  •  • 

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I 


590  Juveualis  Saurae  ex  rec.  Weber. 

oder  einer,  der  zu  den  e<juites  illustres  kam,  nach  Tacit.  Ann. 
'    II,  59.  XI,  4»  mit  den  Auslegern.    Aber  Rec.  möchte  es  eher 
von  dein  sogenannten  Princeps  Juventutis  verstehen  (vgl.  Schwara 
Observatt.  ad  Nieupoort  p.  110.  Span  heim  de  usu  et  praestantw 
numismm.  Diss.  VII.  p.  664  S<I<J>)>   weil  dann  der  Gegensatz 
nachdrücklicher  erscheint.    Hr.  Weber  verweilt  bei  dem  viel- 
besprochenen fracta  de  merce ,    wofür  Ruperti  nach  Manso  in 
den  Text  nahm:  fricta  de  merce,  der  andern  zahlreichen  Con- 
jecturen  und  Emendationen  nicht  zu  gedenken.     Hr.  Weber 
erklärt  sich  durchaus  für  die  ältere,  von  den  meisten  Hand. 
Schriften  bestätigte  Lesart  fracta  de  merce,  weil  sie  am  besten 
dazu  diene,  das  gemeine  Betragen  des  Crispinus  zu  schildern, 
„qnod  viles  siluros  ,   eosque  per  viam  mutilatos  atqjue  a  ceta- 
riis  ipsi  venumdatos  rursus  aliis  venderet.     Sic  Crispinus  ut 
humillimus  inter  viles  piscitim  mercatores  designatur.«  Auch 
Rec.  hat  sich  nie  von  der  Richtigkeit  des  gesuchten  und  ge- 
künstelten fricta  de  merce  überzeugen  können  ,  und  ibm  selbst 
das  pacta  mercede  von  Grävius  und  Henninius  als  bezeichnender 
und  charakteristischer  vorgezogen  ;  doch  verweilt  auch  er  lie- 
ber bei  der  Lesart  der  Handschriften  fracta  de  merce,  wie 
denn  öfters  ,da,  wo  unzählige  mehr  oder  minder  unpassende 
Und  unnöthige  Conjecluren  ausgesponnen  worden  ,  die  Les- 
art der  Handschriften  doch  immer  die  wahre  bleiht,  an  deren 
richtigen  Erklärung  der  Interpret  seinen  Scharfsinn  zu  üben 
hat ,  was  freilich  schwerer  und  mühevoller  ist,  als  durch  eine 
Conjectur  einen  beliebigen  Sinn  in  die  Stelle  hineinzutragen. 
In  den  nächstfolgenden  Versen:  incipe  Calliope,  licet  et  con- 
sidere;  non  est  Canrandum,  res  vera  agitur,   schliefst  sich, 
auch  der  Verf.  in  Absicht  auf  die  Erklärung  des  considere  (ge- 
wöhnlich für  hac  in  re  immorari^  consistere  genommen}  dem  alten 
Scholiasten  an,  und  erklärt  diese  Worte:  Mnon  opus  est  Bür- 
gere f  non  opus  instinctu  inflatucrue  divino ,  licet  ut  in  aliorurn 
poetarum  carminibus,  etiam  hie  humi  serpere,  et  summisse 
dicere.  Nam  nihil  fingendum  est,  sed  res  vera  narranda.«  Aber 
mit  dieser  Erklärung  des  licet  considere  weifs  Rec.  eben  nicht 
das  folgende  non  est  cantandum,   res  vera  agitur  in  Einklang  zu 
bringen,  womit  das  Wichtige  des  Gegenstandes  bezeichnet 
werden  soll;  was  wiederum  für  die  Ansicht  derjenigen  spricht, 
Welche  bei  dem  considere  an  Richter  und  ähnliche  denken  9 
die  sich  niederlassen,  um  über  Dinge,  welche  sorgfältige, 
langwierige  Berathung  erfordern,  sich  zu  besprechen.  Damit 
ist  freilich  der  Scholiast  in  directem  Widerspruch,  wenn  er 
considere  erklärt  durch:   aut  summisse  dicere  aut  proprio  res 
(enues.    Diese  res  tenues  könnten  doch  hier  auf  nichts  anders 


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Jnrenalis  Satirac  ex  rec.  Weber.  391 

geben  ,  als  auf  die  res  ven,  die  der.  Dichter  erzählen  will, 
und  als  wichtig  darstellt,  eben  deshalb  höher  stellt  a!s  cantaro 
(dem  eigentliche!  Geschäfte  der  Musen).  —  Vs.  36.  prosit 
mihi  vos  dixisse  puellas,  erinnern  die  Atisieger  wohl  nicht  mit 
Unrecht  an  den  Seitenblick  ,  den  hier  der  Dichter  auf  die  in 
seinen  Tagen  so  selten  gewordene  Keuschheit  unter  den  Jung- 
frauen werfe;  es  durfte  aber  auch  zugleich  dieBemerkting  nicht 
Übergangen  werden,  dafs  man  im  Alterthum  die  Götter  mit 
dem  Namen  anruft,  der  ihnen  am  liebsten  ist,  den  sie  am  lieb- 
sten vtrnehmen  ,  besonders  wenn  man  sie  um  etwas  bittet 
und  sie  zur  Gewährung  dieser  Bitte  dadurch  geneigter  machen 
will.  Vergl.  Blomfield  Glossar,  zu  Aeschyl.  Agimemn.  156. 
(a).  168  )  und  Heindorf  zu  Horat.  JI,  6,  20.  p.  385.  Daher 
dieser  Zusatz  hier:  prosit  mihi  cos  dixisse  puellas. 

Sat.  IV,  48.*  dispersi  protimis  algae  imjuisitores  ogerent 
cum  remige  nudo  vertheidigt  der  Verf.  gegen  Ruperti  das  agere 
cum  remige  in  dem  Sinne  von  in  jus  cocare'f^illum  in  judicio  conve» 
nire9  accusare ;  eben  so  vs.  64.  exclusi  (i.  e.  a  foribus  conclavis 
imperatoris)  sppetant  admissä  ohsonia  Patres;  richtig  be- 
merkt er:  „(juibus  adittis  ad  alitjuem  prohibetur,  ii  cxdudi 
vulgo,  quibns  contra  patet ,  admitti  dicuntur«;  was  dann 
durch  einige  Beispiele  weiter  bewiesen  wird.  . 

Sat.  IV,  69  ff.  Ipse  capi  voluit.  Quid  apertius?  Et  tarnen 
illi  Surgebant  cristae  ;  nihil  est,  quod  credeie  de  se  etc.  etc. 
kann  Rec.  dem  Verf.  nicht  beipflichten.  Rec.  nämlich  erklärt 
die  Stelle  so,  dafs  er  die  Worte  ipse  capi  voluit  als  Worte  des 
Fischers  nimmt,  welche  den  höchsten  Grad  von  Schmeichelei 
enthalten;  die  nächstfolgenden  Worte  quid  apertius,  wenn 
man  sie  nicht  als  Fortsetzung  der  Rede  des  Fischers  betrach- 
ten will,  wären  dann  ein  ironischer  Ausruf  des  Dichters  selber 
in  dem  Sinne:  ja,  was  kann  offenbarer,  klarer  seyn  ,  was 
kann  mehr  am  Tage  liegen,  als  dies?  (dafs  nämlich  der  Fisch 
selber  habe  wollen  gefangen  werden.)  Mit  den  Worten:  et 
tarnen  illi  (pisci)  surgebant  cristae  wäre  dann  der  Unwille  des 
Fisches  über  die  lügenhafte  Schmeichelei  des  Fischers  gegen 
den  Kaiser  ausgedrückt :  und  doch  (gleichsam  als  wolle  er  da- 
mit Lügen  strafen  die  Rede  des  schmeichlerischen  Fischers) 
standen  ihm  (vor  Unwillen)  die  Flolsfedern  in  die  Höhe.  Aber, 
fährt  der  Dichter  fort,  der  Kaiser  glaubt  doch  dem  Fischer 
mehr,  er  glaubt  Alles ,  wenn  seine  göttliche  Macht  dabei  ge- 
priesen wird:  nihil  est,  quod  credere  de  se  nön  possit,v 
qunm  laudatur  diis  aequa  potestas.  Hr.  Weber  aber  bezieht 
das  illi  vs.  69.  auf  den  über  das  eitle  Lob  und  die  Schmeiche- 
lei unwilligen  Kaiser,  also  wohl  indem  Sinne:   und  dock 

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392  Juvenaiii  Satirae  ex  rec.  Weber. 

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(ungeachtet  dieser  Lobreden  und  Scbmeicbeleien)  schwoll  ihm 
der  Kamm  an  (vor  Unwillen  darüber).  Oder  nach  dem  Scho- 
liasten  erklärt  der  Verf.:  »et  tarnen  ille  inaguifice  se  ifleo 
jactat,  tanquam  gallus  gallinaceus,  cristis  erectis  Ingrediens, 
quin»  sibi  nomine  dei  arrogato  etiam  divinam  potestatem  indi- 
tam  putet?  AHein  bezieht  man  illi  auf  den  Imperator  Dorai- 
tianus,  dann  weils  Rec.  durchaus  nicht,  was  die  folgenden 
Worte  nihil  est  —  aequa  potestas  bedeuten  sollen ,  die  mit 
dem  Unwillen  des  Kaisers  über  ]ene  Schmeichelei,  wodurch 
er  einem  Gotte  ja  gleichgesetzt  wird  ,  dem  sich  der  Fisch  sel- 
ber als  Huldigung  habe  darbringen  wollen,  in  geradem  Wi- 
derspruch zu  stehen  scheinen,  da  sie  selber  doch  nichts  anders 
bezeichnen,  als  dafs  der  Kaiser  jene  Schmeichelei  angenommen 
habe  (ungeachtet  der  Aeufserungen  des  Unwillens,  die  der 
Fisch  von  sich  gab),  wie  er  denn  Alles  der  Art  glaube,  wo 
seine  göttergleiche  Allmacht  gepriesen  werde. 

Sat.  IV  ,  98.  onde  fit ,  ut  malim  fraterculus  esse  gigantis. 
Der  Verf.  vertheidigf  mit  Recht  die  Vulgata  g^gen  Aenderun- 
gen  wie  nolim  oder  wie  gigantum.  Da  Domitian  besonders  ge- 
gen die  Reichen  und  Vornehmen  wüthete,  'so  ist  es  ganz  na- 
türlich, wenn  der  Dichter  hier  den  Wunsch  äufsert,  lieber, 
statt  reich  und  angesehen,  ein  ganz  armer,  gemeiner  Erden« 
'  söhn  zu  seyn.  Dieser  Sinn  des  fraterculus  gigas  kann  nach 
dem,  was  die  Ausleger  beigebracht,  gar  keinem  Zweifel  un- 
terliegen ;  und  mit  Recht  führte  schon  Erasmus  in  seinen 
Adagien  unter  dem  Worte  Terrae  fd'ms  (I»  8 ,  86.)  auch  unsere 
Stelle  an. 

Sat.  IV,  104—  106*  Rubrius,  ofFensae  veteris  reus 
atque  tacendae  Et  tarnen  improbior  satiram  scribente  cinaedo, 
bezieht  Hr.  Weber,  da  andere  Nachrichten  uns  abgeben,  nach 
dem  Scboliasten ,  die  offen  sa  vetus  atque  tacenda  auf  die  Ver- 
führung  irgend  einer  Jungfrau  aus  vornehmem  Gescblechte, 
oder  "auf  den  mit  des  Domitianus  Weibe  begangenen  Ehe- 
bruch. Für  letzteres  spricht  der  Scholiast  und  alle  Wahr- 
scheinlichkeit. Die  Worte:  satiram  scribente  cinaedo  bezieht 
Hr.  Weber  auf  den  Nero,  der,  selber  CinSde,  auf  andere, 
die  ähnlichen  Lastern  huldigten  ,  Satiren  geschrieben  ;  was 
der  Hr.  Verf.  durch  einige  Stellen  weiter  zu  erhärten  sucht« 

Sat.  IV,  115  ff.  Caecus  adulator  dirusque  a  ponte  sa- 
telles  dignus  Aricinos  qui  mendicaret  ad  axes  etc.  Nach  dem 
Verf.  sind  es  hauptsächlich  zwei  Laster  des  Catulus,  welche 
hier  bemerklich  gemacht  werden  9  seine  Schmeichelei  und  seine 
Grausamkeit,  In  Bezug  auf  die  erstere  heifse  er,  obgleich 
in  der  That  kein  Bettler  ,  xioeb"  vergleichungsweise  a  ponte 


uiguizeo  d 


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Jureualit  Satirae  ex  rcc.  Weber. 


393 


satelles ,  weil  er  den  Imperator  mit  niedrigen  Schmeicheleien 
verfolgte,  eben  so  wie  Bettler  die  Vorübei fahrenden ;  mit 
Bezug  auf  die  letztere  heifse  er  dirnr  satelles ,  der  nie  von  des 
Kaisers  Seite  weichend,  ihn  stets  zu  grausamen  Thaten  auf- 
fordere und  darin  unterstütze.  Durch  den  Ausdruck  a  ponte 
werde  der  gemeine,  niedrige  Charakter  dieses  Menschen  be- 
zeichnet; die  Redensart  selber  aber  sey  analog  der  bekannten 
Red  ensart  a  rationibus ,  ab  epistolis,  wofür  nur  selten  ad 
Stehe  (jedoch  scheinen  die  vom  Verf  angeführten  Stellen  des 
ad  nicht  ganz  für  diesen  Fall  zu  passen  und  eine  Gleichheit 
beider  Redensarten  nicht  zu  begründen) ;  eher  dg.  Der  nächste 
Vers  dignus  Aricinos  etc.  enthalte  die  nähere  Ausführung  des 
a  ponte ,  denn  wie  an  Brücken,  so  auch  hei  Aricia,  wo  viel 
Volks  immer  zusammenströmte  wegen  des  Mains  der  Diana, 
pflegten  Bettler  sich  an  bestimmten  Plätzen  oder  Stationen 
aufzuhalten,  die  Hände  um  die  Wette  ausstreckend  nach  den 
vorbeifahrenden  Wagen,  oder  auch  mit  niedriger  Schmeichelei 
Handküsse  den  Vorbeieilenden  zuwerfend  (über  letzteres  v^l. 
man  Böttigers  Sabina  II.  p.  51.).  So  kommt  nach  Hrn.  We- 
ber folgender  Sinn  heraus:  „Catullus,  grande  monstrum,  cae- 
cus  adulter,  crudelis  Domitiani  satelles  ingenio  servili  et  tan« 
topere  adulandi  artem  callens,  ut  quovis  tempore  mendicorum 
in  via  ad  Ariciam  versantium  turbae  adscribi  queat."  Man 
wird  gegen  diese  Erklärung  wohl  schwerlich  etwas  Gegründe- 
tes einwenden  können ,  nur  möchte  Ree.  das  a  ponte  nicht 
nach  der  oben  bemerkten  Analogie  erklären,  weil  er  dieselbe 
auf  diesen  Fall  für  nicht  anwendbar  hält ;  er  würde  lieber  a 
ponte  wörtlich  nehmen:  ein  Trabant  des  Kaisers  von  der 
Brücke  her,  d.  h.  einer,  der  gleichsam  von  der  Brücke  (wo 
er  als  gemeiner  Bettler  stand)  nun  bis  zum  Trabanten  des 
Kaisers  es  gebracht  bat,  einer,  der  eben  so  niedrig  und  ge- 
mein sich  beträgt,  wie  die  Bettler  auf  der  Landstralse  bei 
Aricia. 

Sat.  Vt  10,  Tarn  jejuna  fames,  quum  possit  honestius 
illic  Et  tremere  etc.  So  schreibt  Hr.  Weber,  zumal  da  auch 
die  meisten  Codd.  possit  liefern,  zu  dem  man  ein  ausgelassenes 
aliquis  als  Subject  hinzudenken  dürfe 9  wie  solches  bei  inquit, 
ait  so  oft  hinzuzudenken  sey.  Allein  die  vom  Verf.  deshalb 
angeführten  Stellen  (s.  auch  Heindorf  zu  Horaz  Satir.  I,  4» 
79.  und  Creuzer  zu  Cicero  de  Nat.  Deor.  pag.  164.)  beziehen 
sich  blos  auf  eine  solche  Ellipse  bei  inquit  und  ait,  was  doch 
keineswegs  als  analog  mit  vorliegendem  Fall  wird  aufgestellt 
werden  können  ,  im  Gegentbeil  diese  Wendungen  ganz  ande- 
rer Art  sind  ,    und  der  Sprachgebrauch  sich  bestimmt  hier 


394  Juvenalis  Satirae  ex  rcc.  Weber. 

flxirt  bat.  Ref.  wünscht,  dafs  durch  Auffindung  anderer  pas- 
senderer Stellen  diese  Ellipse  bestätigt  und  somit  auch  possit 
in  vorliegender  Stelle  vertheidigt  werden  könne ,  was  sonst 
grammatisch  unsicher  bleiht,  wenn  auch  gleich  kritische  Grün- 
de dafür  sprechen,  und  die  zahlreichen  Conjecturen,  die  man 
hier  versucht  hat,  insbesondere  Ruperti's  jüngstes  quum  po/- 
sit  für  quum  possit  (das  auch  Hr.  Weber  mit  vollem  Recht  ver- 
worfen) sämmtlich  abzuweisen  sind. 

.  Sat.  V,  39.  liest  der  Verf.  Heliadum  crustas  et  inaequales 
beryllos  (gewöhnlich  beryllo),  welche  Lesart  zuerst  Achaintre 
aufgenommen,  aber  nach  des  Verf.  Urtheil  nicht  genügend  er- 
klärt hat.  Mau  soll  nämlich  hier  nach  dem  Vf.  au  sogenannte 
pocula  grmmata  denken  (hÜQv.'Mvra  -rcr^öia)  j  mit  goldenem  Bo- 
den ,  aber  ringsherum  mit  Gemmen  besetzt,  deren  Menge  und 
Glanz  seihst  das  Gold  verdunkelte  und  den  Schein  erregte,  als 
ob  das  Ganze  aus  lauter  Beryll  zusammengesetzt  sey.  Allein 
Ree.  gesteht,  dafs  er  doch  die  Vulgate  beryllo  für  einfacher 
hält ,  als  beryllos. 

Sat.  IV,  72.  schreibt  der  Verf.  mit  Ruferti  :  salva  sie 
artocopi  reverentia ,  und  vertheidigt  dies  gegen  die  Lesart 
artoptae  oder  artocoptae ,  was  beides  unrichtig  sey;  artocopos 
übrigens  sey  hier  nicht  einer,  der  das  Brod  zerschneide,  son- 
dern: „(jui  panem  subigendo  elaborat  eumque  ita  molliorem 
et  delicatiorem  perficit«,  wobei  er  sich  auf  Follux  VII,  21. 
stützt.  Allein  Ree.  meint9  dafs  das  Wort  in  der  ersteren  Be- 
deutung zu  nehmen,  hier  viel  passender  in  den  ganzen  Zu- 
sammenhang der  Stelle  sey,  sowohl  des  unmittelbar  vorher- 
gehenden, wie  des  zunächst  folgenden  willen,  worin  doch 
die  Andeutung  liegt,  dafs  der  arme  Client  einen  Versuch 
mache,  sich  selber  von  dem  besseren  Brod  ein  Stück  abzu- 
schneiden, was  doch  das  Geschäft  des  dafür  angestellten  Scla- 
ven,  des  artocopus  ist,  welchem  deshalb  der  Client  den  gehöri- 
gen Respect  bezeugen  soll. 

Sat.  V,  83.    Sed  tibi  dimidio  constrictus  commarus  ovo 
nimmt  der  Verf.  constrictus  in  dem  Sinne  von  conclusus,  und 
midio  für  dimidiato, 

Sat.  V,  92.  schreibt  der  Verf.  mullus  erit  domini,  nicht, 
wie  Ruperti  und  Achaintre:  domino.  Bei  vs.  99.  quod  capta- 
tor  emat  Lentis,  Aurelia  vendat,  bemerkt  der  Verf. ,  dafs  beides 
erdichtete  Namen  seyen,  jener,  ein  Erbschaftsschleicher,  a 
leniendo,  Aurelia  aber,  eine  reiche,  aber  geizige  Wittwe,  bei 
deren  Namen  ad  auri  ejus  molem  angespielt  werde.  Letztere 
Beziehung  aber  möchte  doch  zu  gesucht  seyn  ,  da  die  Bezie- 
hung aurden  bekannten  Römischen  Gentilnamen  so  naheliegt. 


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Juvenilis  Satirae  ei  rtc.  Weber.  395 

Sonst  giebt  der  Verf.  noch  mehrere  Beispiele  aus  Juvenal,  wo 
ähnliche  fingirte  Namen  vorkommen;  ob  aber  z.  B.  vs.  141*. 
bei  der  Mycale  gerade  an  eine  inic  Sternseherei  und  Sterndeu- 
terei  sich  abgebende  Frau  zu  denken  sey,  und  warum  di^se 
Beziehung  hier  anzunehmen  sey  f  will  lief,  noch  dahin  ge- 
stellt seyn  lassen. 

Sat.  V,  115  und  116.  vertheidi^t  der  Verf.  mit  vollem 
Recht  das  flavi  dignus  ferro  Meleagri  g^gen  Heinsiiis  unnOthi- 
ges  gnavi  oder  validi,  so  wie  im  nächstfolgenden  Verse  :  post 
hunc  raduntur  tubera,  wo  Iluperti  so  wie  auch  Achaintre  tra* 
dentür  mit  Andern  lesen.  In  der  That  mufs  die  Lesart  raduntur 
Aufmerksamkeit  erregen,  da  man  leichter  einsieht,  wie  aus 
raduntur  von  den  Abschreibern  ein  trodentur  gemacht  woideh,- 
als  umgekehrt.  Indessen  macht  die  Erklärung  dieses  Wortes 
Schwierigkeiten,  da  hier,  wie  auch  Andere  richtig  bemerkt, 
nicht  von  Zubereitung  der  Speisen,  sondern  vom  Auftragen 
der  zubereiteten  die  Hede  ist,  da  ferner  sich  wieder  aus  kri- 
tischen Gründen  das  Wegfallen  des  Anfangsbuchstabens  leicht 
erklären  läfst.  Wenn  aber  der  Dichter  hier  eine  Handlurg, 
die  man  als  schon  geschehen  erwarte,  so  darstelle,  als  ob  sie 
jetzt  geschähe ,  so  sey  der  Grund  davon  blos  in  der  Lebhaftig- 
keit der  Darstellung,  so  wie  in  dem  Umstände  zu  suchen»' 
dafs  der  Dichter  angeben  wolle,  in  welcher  Art  und  Weise 
die  tubera  Seyen  aufgetragen  worden.  Aber  damit  ist  nach  de» 
Ree.  Ermessen  die  Schwierigkeit  und  Härte,  die  in  dieser 
Art  von  Hysteron  Proteron  liegt,  nicht  gehoben;  weshalb  et 
noch  immer  bei  dem  tradentnr  verbleiben  will. 

Sat.  V,  133.  verbindet  unser  Verf.  mit  den  älteren  Aus- 
gaben: aut  similis  dis  et  melior  fatis  donaret  homuncio ,  Welches 
letztere  Wort  die  neueren  Herausgeber  mit  den  folgenden 
Worten  verbanden.  Der  Verf.  sucht  seine  Verbindung  durch 
die  Sitte  des  Juvenals,  der  das  Entgegengesetzte  gern  mit  ein- 
ander verbinde,  so  wie  durch  einige  andere  Stellen  zu  recht- 
fertigen ,  wo  eine  ähnliche  Verbindung  oder  Entgegensetzung 
von  deus  mit  homuncio  statt  finde.  Allein  ,  selbst  abgesehen' 
davon,  dafs  homuncio  zu  dem  melior  fatis  nicht  recht  zu  pas- 
sen scheint ,  dafs  ferner  selbst  die  vom  Verf.  angezogenen 
Stellen  wohl  einen  Gegensatz  und  eine  Entgegenstellung  von 
deus  und  homuncio,  nicht  aber  eine  Verbindung,  wie  die  in 
vorliegendem  Falle  wäre  ,  begründen  ,  dafs  gerade  diese  Stel- 
len den  Gegensatz  begründen,  der  in  unserer  Stelle  liegt, 
wenn  wir  homuncio  von  fatis  donaret  trennen,  und  so  auf- 
fassen: du,  vorher  ein  gemeiner,  verächtlicher  Mensch  (ho- 
muncio), was  würdest  du  nun  werden,  wie  weit  würdest  du 


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396  Juvenalis  Satirae  ex  rcc.  Weber. 

nun  emporsteigen,  du  würdest  selber ,  obgleich  vorher  ho- 
muncio  ,  nun  auch  ein  sirailis  dis  werden«  — -  Die  dunkle, 
sehr  verschieden  erklärte  Stelle  vs.  l4l  —  145.  hat  der  Verf. 

Glücklicher  erklärt,  so  wie  die  gänzliche  Unhaltbarkt-it  der 
lanso'schen  Erklärung  dargethan.     Allerdings  kommt  es  hier 
viel  auf  die  richtige  Erklärung  des  nunc  vs.  141.  «n  »Jetzt, 
wenn  du  reich  geworden  und  dadurch  aus  einem  homuncio  ein 
dominus  und  Freund  des  Virro  geworden,   wird  selbst  eine 
zahlreiche  Nachkommenschaft  von  Kindern  dir  nicht  die  Freund- 
schaft desselben  entziehen,  deine  Frau  mag  von  drei  Kindern 
auf  einmal  entbunden  werden,  Virro  wird  selber  an  den  Klei« 
nen  seine  Freude  haben,  er  wtrd  ihnen,  wenn  er  bei  dir 
speist,    Kleidungsstücke,    Nüsse  und  dergl.  zum  Geschenk 
bringen.«     Nach  dieser  Erklärung  mufs  also  Ipse  vs.  i42.  auf 
den  Virro  bezogen  werden.    Ree.  wttfste  nicht,  was  er  gegen 
diese  Erklärung  einzuwenden  hätte;    mit  der  Erklärung  der 
Stelle,  wieManso  sie  gegeben,  konnte  er  sich  nie  befreunden« 
—  Auch  die  Stelle  vs.  146  —  148.  vertheidigt  der  Verf.  gut 
gegen  Heinecke  und  Schurzfleisch.    Zu  den  S.  209.  gesammel- 
ten Stellen  bemerkt  Ree.  noch  Aeschylus  Agamemn.  696.  nach 
Blomfteld  und  dessen  Glossar  (al.  720.),  nebst  Plutarch  Alex, 
cap.  2.  —  In  der  vieldeutigen  Stelle  vs.  154»  discit  ab  birsuta 
jaculum  torquere  capella  versteht  auch  der  Verf.  unter  der  bir- 
suta capella  einen  Centurionen,  der  die  Rekruten  exercirt  und 
mit  Bezug  auf  sein  Gesicht  spöttisch  capella  genannt  wird. 
Auch  Ree.  fand  diese  Erklärung  unter  den  verschiedenen  an 
dieser  Stelle  versuchten  noch  immer  für  die  dem  Zusammen- 
hange entsprechendste,  er  findet  es  jetzt  um  so  mehr,  als  der 
Verf.  zwei  merkwürdige  Stellen  aus  Ammianus  IVEarcellinus 
(XVII,  12.  und  XXIV,  8.)  anführt,  wo  das  Wort  capella  in 
ähnlichen  Beziehungen  als  Spottname  vorkommt.     A**er  ver- 
steht der  Verf.  richtig  von  dem  agger  praetorianorum  castro- 
rum  ,  in  dessen  Nähe  nach  einer  Inschrift  bei  Gruter  (p.  651. 
nr.  11.)  ein  pomarium  lag;  ßagella  ist  dann  der  Stab  des  Cen- 
turionen.    Es  sollte  uns  freuen,  wenn  durch  diese  Angaben 
des  Verf.  nun  die  Zweifel  über  die  Erklärung  dieser  dunkeln 
Stelle  verschwinden  könnten.     Ueber  das  für  die  Erklärung 
schwierige  stricto  pane  vs.  169.  hätten  wir  gern  die  Ansicht  des 
scharfsinnigen  Verf.  zu  erfahren  gewünscht«    Ree.  erklärt  die 
Stelle  so:  „Am  Ende  haltet  ihr  doch  Alle  das  Maul,  wenn  ihr 
das  euch  zugeschnittene,  für  euch  in  Bereitschalt  hingestellte 
(harte,  geineine)  Brod  habt  unversehrt  da  stehen  lassen ,  und 
so  hungrig  von  der  Tafel  aufsteht,  ohne  von  den  guten  Bissen, 
wie  ihrgehoift,  etwas  erhalten  zu  haben.  * 


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Juvenaüs  Satirae  ex  ree.  Weber. 


397 


Sat.  VII,  8  ff.  gieht  der  Verf.  den  Sinn  de«  Ganzen  rieh- 
tig  an  9  und  knüpft  daran  noch  einige  Bemerkungen  Aber  ein- 
zelne Wörter,  so  über  den  Gebrauch  von  umbra  vs.  8,  wie 
solche*  besonders  den  Dichtern  zugeschrieben  werde;  ferner 
beweist  er,  dafs  Machaera  hier  anginer  Name  eines  Parasiten 
sey,  was  trefflich  in  den  ganzen  Zusammenhang  der  Stelle 
palst. 

Sat.  VII,  13.  verbindet  der  Verf.  mit  Heindorf:  faciant 
equites  Asiani  Quam  quam,  et  Cappadoces  faciant  equitesque 
Bitbyni.  —  Vs.  40.  Mactäonus  commodat  aedes.  Diese  ältere 
Lesart  der  Codd. ,  woraus  ein  Maxulonis  entstanden  ,  und  Hein- 
rich ein  maculosas  herausconjectirte  (was  selbst  Ruperti  auf» 
nahm),  ist  mit  Recht  hier  wieder  hervorgezogen  worden;  sie 
ist  sicher  bezeichnender  und  stärker,  und  schliefst  überdies 
noch  den  Begriff  des  maculosus  in  sich,  war  also  in  keinem  Fall 
zu  verändern. 

Sat.  VII,  79.  Contentus  fama  jaceat  Lucanus  in  hortig 
marmoreis  wird  gegen  Gronov's  Aenderungen  gewifs  mit 
Recht  vertheidigt,  und  erklärt.  Horti  marinorei  sind  zwei- 
felsohne Gärten,  mit  zahlreichen  marmornen  Statuen  ausce- 
schmückt;  jacere  aber  passend  gebraucht  von  einem  ruhig  le- 
benden ,  blos  dem  Studium  oder  der  Poesie  hingegebenen. 

Sat,  VII,  104.  quantum  daret  acta  legenti,  freuen  wir 
uns ,  dafs  nun  endlich  einmal  die  Stelle  richtig  erklärt  worden 
ist.  An  die  acta  senatus  zu  denken,  ist  durchaus  unpassend 
und  unstatthaft;  man  kann  nur  an  die  acta  diurna  oder  acta  po~ 
■puli,  auch  oft  schlechtweg  acta  genannt,  hier  denken;  s.  Lip- 
sius  Excurs.  ad  Tacit,  Annal.  V,  4.  —  Vs.  109  ff.  sed  tunc, 
cum  creditor  audit,  praeeipue  vel  si  tetigit  latus  acrior  illo , 
qui  venit  etc.  erklärt  der  Verf.  im  Ganzen  nach  Britta nnicuS 
und  Cramer.  Auch  Ree.  konnte  sich  nie  überzeugen,  dafs  ille 
qui  etc.  von  einem  andern  ,  als  dem  Schuldner  zu  verstehen 
sey,  indem  es  durchaus  nicht  pafst,  ille  auf  einen  andern, 
zweiten  Gläubiger  zu  beziehen.  Darin  aber  kann  Ree.  Hrn. 
Weher  nicht  beistimmen,  wenn  er  unter  codex  nicht  ein  Buch 
der  Einnahmen  und  Ausgaben,  ein  Rechnungsbuch  versteht, 
sondern  ein  mit  allerlei  Schriften  angefülltes  Buch,  welches 
wichtige  Gründe  bei  der  Entscheidung  der  Sache  zum  Nach- 
theile des  Gegners  oder  des  Anklägers  enthalten.  Allein  warum 
soll  man  die  Erklärung,  die  zunächst  liegt,  die  durch  das  da* 
hitum  nomen  noch  mehr  bestätigt  wird,  durchaus  abweisen, 
und  unter  codex  hier,  wo  doch  von  einem  Schuldprocefs  die 
Rede  ist,  kein  R ech  n  u  ngs b  u ch  verstehen? 

Sat.  VII,  124.  schreibt  der  Verf.  Aemilio  dabitur,  quan- 


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398'  Juvenalts  Satlrae  ex  rec.  Weber. 

tum  wie  denn  auch  Rec.  diese  Lesart  dem  petit,  wie 

insbesondere  dem  licet  oder  dem  von  Rupertj  aufgenommenen 
übet   unbedingt  vorziehen  würde  ,    weil  sie  viel  Stärker  und 
nachdrücklicher  ,  so  wie  dem  Zusammenhang  des  Ganzen  ,  wo 
von,  den  vornehmen  Advocaten  die  Rede  ist,   die,  wenn  sie. 
auch  nicht  so  gut,  als  die  armen  ,  geringeren ,  plädiren  ,  doch 
mehr  Geld  dafür  bekommen  9  ja  so  viel,  als  sie  nur  fordern  9 
angemessener  erscheint.     In  den  folgenden  Worten  et  melius 
nos.egimus  erklärt  Hr.  Weber  das  et  ganz  richtig  durch  ettta- 
men,.  seJ  tarnen.     Verwandt  ist  damit  der  hei, Cicero  so  oft 
vorkommende  Sprachgebrauch,  wo  nach  negativen  Sätzen_ öf- 
ters et  statt  des  erwarteten  sed  folgt.    Vergli  Görenz  zu  Qjcer. 
de  Legg.  U.  21.  §.  53.  vergl.  zu  de  Legg.  pag.  71.  124,.  161. 
253.  390.     At  oder  ut  wäre  hier  durchaus  unpassend,  und  so  , 
jede  andere  Partikel,,   die  man  hineincorrigiren  oder  .hinzu- . 
denken  wollte     Das  enim  im  nächstfolgenden  Satze  Iii  Ist  sich 
dann  gut  durch  unser  freilich  wiedergeben.     Die  Wprse  et 
statua  meditatur  proelia  lusca  vs.  123.  bezieht  der  ^erf,  scharfsin- 
nig auf  das  ernste  Nachdenken  des  zu  Kämpfen  auf  dem.  Fo-| 
rum  sich  rüstenden  Advocaten ,  und  erklärt,  luscus  nach  dem  . 
Schöliasten   (cujus  oculus  introrsus  cadit)   durch  ho-hläu- 
gig,  blödsüchtig,   wie  denn  überhaupt  durch  diesen  Zu- 
satz die  ernste,  in  tiefes  Nachdenken  über  seinen  Procefs  ver- 
sunkene Miene  des  Advocaten  bezeichnet  werden  solle.  In. 
dem  folgenden  vs.  12^.  nahm  man  Pedo  und  Mathofür  arme 
Advocaten,  die,  indem  sieden  äufseren  Glanz  des  reicheren. 
Advocaten  nachmachen  wollen,  dadurch  sich  in  Schuldenlast 
,  stürzen.     Hr.  Weber  versteht  dagegen  unter  Pedo  einen  der  ' 
reicheren  Advocaten,  welcher  durch  den  Uufseren  Prunk,  den 
er  mache,  die  andern  ärmeren  Advocaten  zu  gleichem  veran- 
lasse und  dadurch  ihr  Vermögen  in  zerrüttete  Umstände  bringe. 
Wenn  man  also  bisher  ergänzte  conturbat  >ua*  rationes  oder, 
rem  familiärem  y  so  roufs  man  nach  dieser  Erklärung  suppli-  \ 
ren:  conturbat  rationes  aliorum.     lndefs,  auch  abgesehen  da*  . 
von,  dafs  die  Ergänzung  conturbat  suas  rationes  natürlicher  • 
ist,  als  rationes  aliorum  9  scheint  selbst  das  sie,  welches  die 
ganze  Reihe  der  nun  aufgezählten,  in  gleicher  Kategorie  ste- 
henden Advocaten  beginnt,  als  Resultat  und  Folge  des,  vor* 
hergesagten,  lerner  ein  gewisser  Numerus  dagegen  zu  spre- 
chen.    Denn  da  Tigellinus  auch  ein  armer  Advocat  ist,  so 
hätte  man  ihm  gegenüber  dann  eben  so  einen  reicheren  ge» 
stellt  erwartet,   wie  vorher  dem  Matho  diesen  Pedo.  Aus 
diesen  Gründen  möchte  Ree.  lieber  alle  drei,  Pedo,  Matho  und 
Tigellinus,  als  drei  arme  Advocaten  nehmen,  deren  Gleichheit 
auch  das  vorangestellte  sie  beurkundet. 

r 


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I 


Juvenalis  Sarirae  ex  rec.  Weber, 


599 


Sat.  VIT,  134.  Spondet  enimTyrio  Stlataria  purpura  filo. 
Hier  verwirft  der  Verf.  wegen  des  dabei  stehenden  Tyrio  filo 
die  Erklärung ,  welche  in  stlataria  ein  über  das  Meer  zu  Schiffe 
herbeigeführtes  l'urpu rkleid ,   nach  Festus,  wo  stlata  als  eine 
Art  von  breitem  Schiff  angegeben  wird,  erkennt.     Die  Er- 
klärung des  Scholiasten  :  illecebrosa  führe  eher  darauf ,  stlataria 
hier  von  einem  breiten,  weiten  Purpurgewand  zu  verstehen, 
welches  demjenigen,  der  mit  diesem  kostbaren  und  glänzen- 
den Kleide  vor  dem  Publicum  erscheine,   das  Ansehen  eines 
deichen  gebe,  der  im  Stande  sey,   das  Theuerste  zu  kaufen, 
und  so  die  Verkäufer  täusche;  dazu  passe  auch  sehr  gut  das 
Verhum  spondet,    Dafs  diese  Erklärung  in  den  Zusammenbang 
der  Stelle  am  besten  passe ,  dafs  ferner  mit  dem  Worte  stlataria 
auch  gewifs  eine  ausländische,  fremde  Art  von  Kleidungs, 
stück  bezeichnet  werde,   davon  war  Rec.  immer  schon  über« 
zeugt.     Allein  wie  dies  in  dem  Worte  selber  liege ,  was  die 
eigentliche  Bedeutung  des  Wortes  sey,   konnte  ihm  bisher 
eben  so  wenig  gelingen,  auszumitteln ,  als  Hrn.  Weber,  in- 
dem dann  erst  nur  jene  Bedeutung  als  gerechtfertigt  und  be- 
gründet wird  angesehen  werden  können.    —    Zu  vs.  152  und 
153  I  Nam  quaecunque  sedens  modo  legerat,  haec  eadem  stans 
proferet  etc.  bemerkt  der  Verf.  richtig,  dafs  man  diese  Worte 
nicht  von  dem  Lehrer,  sondern  von  dem  Schüler  verstehen 
müsse,  und  macht  zugleich  auf  den  Gegensatz  zwischen  legerat 
und  proferet  (nicht  perferet)  aufmerksam. 

Sat.  V,  156.  schreibt  Ruperti  mit  andern  Aelteren:  cruae 
veniant  diversae  forte  sagittae;  weil  aber  dieseStellung  des  forte 
unpassend  und  unrichtig  sey,  so  schreibt  der  Verf.  mit  Hein- 
dorf :  diversa  a  parte ,  zumal  da  auch  Handschriften  bemerken: 
diversa  parte ,  das  a  aber  leicht  ausfallen  konnte.  —  Ys.  177. 
freut  sich  Ree.  nun  eine  richtige  Erklärung  der  Worte:  artem 
scindens  Theodori  gefunden  zu  haben.  Da  die  Citharöden  zu 
jener  Zeit  in  so  hoher  Achtung  standen,  dafs  alle  übrigen 
Künste,  selbst  die  Redekunst  in  Verachtung  und  Geringschaz- 
zung  kam,  so  ist  der  Sinn  von  scindens  1  »zn  nichte  ma- 
chend, zu  Schanden  machend  selbst  die  Kunst  eines 
(so  berühmten  und  ausgezeichneten)  Theodorus«  gewifs  sehr 
passend.  —  Vs.  2i8.  schreibt  der  Verf.  mit  Ruperti  Acocno- 
noetus  ,  und  zieht  dies  selbst  der  andern  hauptsächlich  hier  in 
Betracht  kommenden  Lesart  Acoenonetus  vor. 

Sat.  VIII 9  7.  schreibt  der  Verf.  mit  den  meisten  Codd.: 
et  posthac  multa  deducere  virga  etc.  (denn  die  in  einigen  Hand- 
schriften vorkommende  Lesart  continsere  möchte  wohl  als  Er- 
klärung  des  deducere  erscheinen),  und  spricht  zugleich  für  die 
Beibehaltung  dieses  in  einigen  Codd.  fehlenden  Verses. 


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Kolb  kleine  Schriften. 


Doch  Ree.  fürchtet  fast,  allzu  ausführlich  gewesen  zu 
seyn  und  die  ihm  gesteckten  Gränzen  überschritten  zu  haben. 
Er  will  daher  seine  Bemerkungen  nicht  weiter  fortsetzen  9  da 
das  von  ihm  Mi tget heilte  wohl  hinreichend  ist,  um  dem  Her- 
ausgeber die  Aufmerksamkeit  zu  beweisen,  der  wir  allerdings 
seine  Ausgabe  für  würdig  erachtet  haben  ,  so  wie  dem  gelehr- 
ten Publicum  zu  zeigen ,  was  in  dieser  Ausgabe  des  Juvenalis 
für  die  Erklärung  des  so  dunklen  und  schwierigen  Dichters 
geleistet  worden  ist.  Möge  der  Herausgeber  fortfahren,  uns 
mit  erfreulichen  Beiträgen  dieser  Art  zu  beschenken! 


Kleine  Schriften  politischen  und  geschichtlichen  Inhalts ,  von  G.  R  Kolb, 
Speier,  1826.  bei  J.  C.  Kolb.    400  S.  in  8.  1  fl.  48  kr. 

Lesens  werthe  gröfsere  und  kleinere  Sammlungen  statistischer 
und  historischer  Data  für  freisinnige  Resultate.  Die  bedeutend- 
sten Aufsätze  sind :  Ueber  die  Schulden  und  Einkünfte  der  euro- 
päischen Staaten  (wo  besonders  die  Nachweisung  der  Gewährs- 
männer für  die  einzelne,  bestimmte  Angaben  erwünscht  wäre). 
Rufslands  steigende  Macht.  Ueber  Veranlassung  einiger  Revo- 
lutionen der  neuesten  Zeit,  zu  vergleichen  mit  der  S.  364»  ge- 
lieferten Aufzählung,  durch  wen  die  135  Regenten,  welche 
seit  der  christlichen  Zeitrechnung  den  Thron  verloren,  diese 
Gewalt  erlitten  haben.  Nur  zweimal  fällt  dieTbat  auf  Volksrevo- 
lutionen, 47  mal  auf  Heere,  40  mal  auf  Rivalen  der  Macht ,  17 
mal  auf  Magnaten,  14  mal  auf  Päbste  und  Geistlichkeit.  Der 
Aufsatz  verdiente,  durch  das  nöthige  Detail  bestätigt  zu  werden. 
Zur  (unpartheiischen)  Charakteristik  der  drei  grofsgepriesenen, 
Carls,  Peters  und  Napoleons.  Die  Entvölkerung  Spaniens  durch 
die  Inquisition.  Zur  Probe  zeichnen  wir  von  S.  248.  Eine  Be- 
merkung aus:  Man  behauptet,  Frankreich  entrichte  jetzt  bei 
weitem  mehr  Steuern,  als  im  J.  1789.  Freilich  kamen  damals 
in  die  Staats casse  nur  585  Mill.,  jetzt  fast  900.  Dagegen 
aber  sind  Zehnten  und  Lehnsgefälle  aufgehoben  ,  die  Steuerfrei- 
heiten abgeschafft,  die  jetzigen  Steuern  auf  alles  Einkommen 
vertheilt,  die  Willkühr  der  Intendanten  u.s.  w.,  die  vielleicht 
allein  für  sich  1000  Mill.  erprefsten,  ist  nicht  mehr.  Die  arbei- 
tenden Gassen  sind  aufserordentlich  vermehrt  und  haben  weit 
weniger  abzugeben.  Necker  schätzte  die  Einkünfte  der  Geist- 
lichkeit auf  130 Mill.  und  da»  Verhältnis  ihrer  Güter  zü  denen 
der  weltlichen  Grundbesitzer  wie  1  zu  5  3/4.  Sie  entrichtete 
nur  drei  und  1/2  Mill.  Li v res.    S.  247. 

27.  Dec.  1825.  Dr.  Paulus. 


f 

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N.  26,  1826. 


I  I 

Heidelberger 

•  i  ■  ,|*  4 

Jahrbücher  der  Literatur. 


•  l  •     ':   '.  *  !  -,'1 

Anecdota  Hemsterhutiana*  Ex  schedis  MSS.$  in  BiblwtUcd 
Lugduno  -  Batavd  servatis ,  collegit  et  edidit  Jacohus  Geel. 
Pars  I.  btgduni  Batavorum^  apud  &  et  J.  Lucktmans,  Aca- 
demiae  typogrmphos.  MDCCCXXr.  Pagg.  XXVlll  und 
pp.  522.  «.  ,         2  ThhvöGr, 


So  gerne  wir  auch  zugeben,  dafs  die  Klagen  über  di* 
allzu  «rofse  Anzahl  neuer ,  zum  Tb/eil  gehaltloser  Bücher  und 
Ausgaben  ,  womit  wir  im  Fache  der  alten  Literatur  mit  jedem 
Jahre  überströmt  werden  ,  im  Ganzen  nicht  ungegründet  sind* 
ao  sind  wir  doch  der  Ueberzeugung  ,  dafs  das  gegenwärtig  all- 
gemein rege  Strehen,  alle  zur  Erklärung  und  Verbesserung 
der  klassischen  Schriftsteller  dienenden  Hülfsmittel  durch  den 
Druck  bekannt  und  auf  diese  Weise  Jedermann  zugänglich  zu. 
machen,  nicht  nur  keinen  Tadel  verdiene,  sondern  mit  zu  den 
Vorzügen  unserer  Zeit  gehöre.    , Unter  diesen  Hülfsmittelnv 
verdienen  nicht  hlos  Collationen  von  Handschriften,  Scholia- 
aten  und  altere  Grammatiker,  sondern  auch,  Und  oft  selbst 
in  einem  noch  höhern  Grade,  die  uhgedrucüten  Arbeiten  neue, 
rer  Kritiker  die  Aufmerksamkeit  eines  jeden  Philologen,  wel- 
chem es  um  die  höchst  mögliche  Vervollkommnung  seiner ^Wis- 
senschaft aufrichtig  zu  thun  ist.    Die  Mittheilung  von  Einen- 
dationen,    Erklärungen    und   Bemerkungen  ausgezeichneter 
Gelehrten,  gehörten  dieselben  auch  nicht  gerade  au  den  Lite- 
ratoren  vom  ersten  Range,  ist  oft  schon  insofern  mit  Dank 
anzuerkennen,  als  sie  uns  mit  dem  Studiengange  und  der  lite- 
rarischen Thätigkeit  unserer  Facbgeno^sen  vertrauter,  macht  i 
und  mufs  uns  dann  vorzüglich  willkommen  seyn*  wenn  diö 
Literatur  selbst  dadurch  eine  wesentliche  Bereicherung  erhält. 
Dies  ist  nud  ganz  besonders  der  Fall  mit  den  vorliegenden 
Anecdotis  Henuterhusißnis ,  durch  deren  Bekanntmachung  Sich  der 
in  jeder  Hinsicht  achtungswerthe  und  verdienstvolle  Hr.  Bi- 
Lliothekar  GeeJ  alle  wahren  Freunde  und  Verehrer  der  klas- 
sischen Literatur  zix  vorzüglichem  Danke  verpflichtet.  Wem* 
sollte  nicht  schon  der  Name  des  grofsen.  Holländers ,  mit  dem 

XIX.  Jahrg,   4.  Heft.  Zf 


uigmzed 


402*  :  Anecdota  üemsterhusiana  ed.  Geel. 

■ 

man,  gleich  mit  dem  eines  Aristarchus ,   jeden  feinen  und 
scharfsinnigen  Kritiker  zu  bezeichnen  pflegt,   Achtung  und 
Ehrfurcht  einflöfsen,  und  wem  drängt  sich  bei'm  Gebrauche 
von  dessen  Schriften  nicht  der  sehnliche  Wunsch  auf^  Alles  zu 
besitzen,   was  dieser  gelehrte,  geistvolle  und  tiefdenkende 
Mann  je  niedergeschrieben  ?     Indessen  waren  die  Berichte 
üher  dessen  literarischen  Nachlais,  welche  Ruhnkenins  (Elog. 
Hemsterh.  p.  281.  Opusc.  T.  I.)  mitgetheilt,  sehr  unbestimmt 
und  unzulänglich ;  und  Wyttenbach's  Aeufserung  (Vit.  llu lin- 
ken. |>.  204.  vergl.  p.  132.)  :  „Invcnta  sunt  (juidem  (Hemater- 
husii  adversaria),  sed  spe  pauciora:  libri ,  ejus  manu  notati, 
comphires  subjecti  sunt  cum  relhjnis  auctioni ,  sed  emtione 
vindicati  bihliothecae  Lugdunobatavae«  hatte  dem  gelehrten 
Publikum  beinahe  alle  Hoffnung  benommen,  je  etwas  bedeu- 
tendes aus  jenem  von  Hemstei  huis  hinterlassenen  Schatze  zu 
Gesicht  zu  bekommen.     So  war  man  denn  auch  während  der 
letzten  vier  und  zwanzig  Jahre  über  diese  Sache  im  Ungewis- 
sen ,  bis  endlich  Hr.  Geel,  bei'm  Sichten  und  Ordnen  der  auf 
der  Leydner  Bibliothek  bewahrten  bandschriftlichen  Schätze,, 
dem  Hemsterhuis'schen  Apparate  seine  besondere  Aufmerk« 
samkeit  widmete,  und  Alles,  was  sich  von  demselben  vor- 
fand, mit  Mühe  und  Fleifs  zusammenbrachte.    Wann  und  auf 
welche  Weise  derselbe  der  Leydner  Bibliothek  einverleibt 
worden  ,  darüber  weifs  Hr.  Geel  selbst  keine  sichere  Auskunft 
zll  geben;  gewifs  ist  indefs,  dafs  ein  Theü  das  Hemsterhuis'- 
schen Bdchei  nachlasse«  schon  im  Jahre  1791  theils  der  Biblio- 
thek geschenkt,  theils  für  dieselbe  angekauft  wurde;  und 
wahrscheinlich,  dafs  Knhnkenius  als  Bibliothekar  noch  wäh- 
rend seiner  letzten  Lebensjahre  die  Bibliothek  auch  mit  den 
in  zwei  Fascikeln  enthaltenen  Papieren  bereicherte  (Praefat. 
pag.  17«).     Dafs  Wyttenbach  in  seiner  Vita  Ruhnkenii  keine 
genaueren  Nachrichten  über  diesen  Gegenstand  gegeben ,  kann 
ihm  um  so  weniger  verargt  werden,  da  er  zu  jener  Zeit,  als 
neuer  Ankömmling  in  Leyden,  mit  dem  so  reichen  und  über- 
dies damals  noch  nicht  geordneten  handschriftlichen  Vorrathe 
der  Bibliothek  unmöglich  ganz  vertraut  seyn  konnte.  Das 
Hauptsächlichste  von  dem,  was  uns  Hr.  Geel  in  seiner  bündig 
und  schön  geschriebenen  Vorrede  ,  in  welcher  unter  andern 
auch  Über  die  von  Hemsterhuis  geschaffene  Analogie  einige  le- 
senswerthe  Bemerkungen  gemacht  werden,  hierüber  berichtet , 
ist  ungefähr  Folgendes.    Da  Hemsterhuis,  streng  genommen, 
sich  nie  ausschließlich  mit  Einem  Schriftsteller  beschäftigte , 
sondern  alle  Auetoren  d*s  klassischen  Alterthums  beinahe  mit 
gleicher  Sorgfalt  behandelte;   so  behielt  er  während  seines 


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I 


Aneodota  Hemsterhutiaoa  ed.  Gcel.  403 

* 

ganzen  Lebens  die  schon  in  früheren  Jahren  angenommene  Ge- 
wohnheit bei ,  die  wesentlichsten  seiner  Verbesserungen  und 
Erklärungen  auf  den  Rändern  der  Ausgaben  zu  bemerken. 
Auf  diese  Weise  gewann  er  allmählig  für  die  meisten  Auetoren 
einen  so  bedeutenden  Apparat,  dafa  er  ohne  lange  Vorberei- 
tung von  jedem  einzelnen  ohne  Unterschied  eine  neue  kriti- 
sche Bearbeitung  zu  liefern  im  Stande  gewesen  wäre.  Aber 
nur  selten  und  ungerne  unterzog  er  sich  dem  Geschäfte  des 
Sichtens  ,  Ordnens  und  Redigirens  seiner  frühem  Bemerkun- 
gen; wovon  wohl  dessen  ,  man  möchte  sagen  ,  allzugrofses 
Streben  nach  Vollkommenheit  die  Hauptursache  gewesen  seyrt 
mag.     Indessen  fanden  sich  aufser  den  durch  den  Druck  be- 
kannt gemachten  Arbeiten  des  Mannes  und  den  noch  unedirten 
Noten  zu  Lucian  unter  dessen  Papieren  noch  folgende  bereits 
redigirte  Anmerkungen  vor:  1}  Notae  in  Juliani  Caesares%   2)  in 
Apollonium  Rhodium  j    Z)  ein  grofser  Theil  der  Commentatii  am* 
pliores  in  Aristophanis  Plutum  (worüber  Hemsterhuis,  nachdem 
er  hin  und  wieder  in  seinen  gedruckten  Anmerkungen  auf  die. 
selben  verwiesen  hatte,  sich  in  der  Vorrede  p.  XaIII.  scj.  ed. 
Bat.  auf  folgende  Weise  erklärt:   „Principio  statueram  ube- 
riores  adnotationes  Pluto  ad  finem  dedueto  subjungere,  <jua- 
rum  ea  foret  ratio,   ut  tum  locutiones  Atticas  virtutemrjue 
Comicae  venustatis,  tum  res  et  historias  ab  Aristophane  tan- 
tum  digito  demonatratas  tironibus  explanarent  i  postea,  quum 
Plutus,  spectabili  satis  Notarum  satellitio  stipatus*  justi  vo- 
luininis  modum  videretur  impleturus,  consilium  illud  priuS 
deserui,  vel  Certe  tantisper  seposui,   dum  occasio  cfuaedam 
ejus  exse<Juendi  opportunior  oriatur.«),  und  endlich  4)  da* 
Schediasma  de  Verhorum  Jormis  Doticii ,  Ldconicis  aus,  Welchem 

schon  Ruhnkenius  Epist.  Crit.  IL  pv  301.  und  Alherti  ad  He- 
sych.  T<  IL  p.  1294.  Auszüge  mitgetheilt  haben,  t>ie  übri- 
gen nöch  vorhandenen  Aufsätze,  z.  B.  De  Ehgäntiis  Ctdtci  Sir* 
tnonis  *  Commentatio  in  höcratis  Or»  ad  Demonicnm,  Ohiervdtiones  in 
Homerurtif  iri  Heliodori  Aethiopicai  in  Volyaentxm%  in  Athenagoränt 
u.  a.,  sind  Jugendarbeiten  und  mehr  zur  eignen  Uebung  (wahr-*  , 
Scheinlich  noch  vor  der  Bearbeitung  des  Pollux)  niedergeschrien 
ben,  als  zur  Herausgabe  bestimmt;  weswegen  denn  auch  Hr. 
Geel  aus  denselben  nur  das  Wenige  zu  excerpireri  gedenkt« 
was  für*  die  Erklärung  der  behandelten  Auetoren  von  einiger" 
Wichtigkeit  zu  seyn  scheint  (pag,  XXX  —  XXIIL),  %\x  dert 
Vollendeten  Arbeiten  gehört  auch  der  ausführliche  Cbmmehtar' 
zum  Pollux  f  worüber  Ruhnkenius  im  Jahre  1756  in  einem 
Briefe  an  Ernesti  schrieb:  „Hemsterhusius  parura  contentus 
juvenüibus  in  Pollucem  curis ,  ingentem  in  hunc  Gfammätk .an» 


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404  Anecdota  Hemsterhusiana  ed.  Geel. 

sciipsit  Coramentarium,  separatim  edendum,  in  quem  omnes 
eruditionis  suae  thesauros  profudit.  Cui  etsi  nihil  ad  per- 
fectionem  absolutionemque  deest,  tarnen  is  manum  de  tabuR 
tollere  nescit«  (Opusc.  T.  II.  pag.  844-  «ff).  Hr.  Geel  läfst- 
diesen  Commentar  in  seiner  Vorrede  gänzlich  unerwähnt; 
woraus  wir  nothwendig  folgern  müssen,  dafs  sich  derselbe  bis 
jetzt  noch  rficht  hat  auffinden  lassen.  Denn  die  in  gegenwär- 
tiger Sammlung  p.  164—220.  mitgetheilten  Noten  zu  diesem 
Grammatiker  scheinen  gröfstentheils  Randbemerkungen  zu 
seyn,  welche  Ruhnkenius  bei  jener  Aeufserung  unmöglich 
konnte  gemeint  haben.  Ein  sehr  bedeutender  Tbeil  der  noch 
ungedruckten  Emendationen  und  Bemerkungen  von  Hemster- 
husius  findet  sich  aber  auf  den  Rändern  der  von  ihm  gebrauch, 
ten  Ausgaben  zerstreut,  welche  nach  Hrn.  Geel's  Urtheil  mit 
zu  den  kostbarsten  Schützen  der  Leydner  Bibliothek  gehören. 
Auf  derselben  befinden  sich  gegenwärtig  aufser  den  schon  von 
Ruhnkenius  (Elog.  Hemsterh.  pag.  281.  Opusc.  T.  I.)  aufge- 
zählten Auetoren,  nämlich  Aristophanes,  Theocritus,  Apol- 
lonias JAhodius ,  Harpocration  ,  den  Attischen  Rednern  ,  Pro- 
pertius,  Manilius,  Valerius  Flaccus ,  noch  viele  andere  mit 
einer  Menge  handschriftlicher  Bemerkungen  versehene  Exem- 
plare klassischer  Auetoren  aus  der  Hemsterhuis'schen  Biblio- 
thek ;  unter  welchen  Hr.  Geel  das  der  Arcerschen  Ausgabe  von 
Jamblichi  Protrepticus  auszeichnet,  und  uns  dabei  die  angenehme 
Nachricht  ertbeilt,  dafs  er  auch  den  in  einem  zweiten  Exem- 
plare enthaltenen  Apparat  von  Jo.  A.  Fabricius  zu  diesem 
Buche  aufgefunden,  welcher  bekanntlich  in  den  Besitz  von 
Hemsterhuis  gekommen  war  (s.  H.  S.  Reimärus  De  Vit!  et 
Scriptis  J.  A.  Fabricii  pag.  56.).  Beide  Exemplare  befinden 
sich  gegenwärtig  in  den  Händen  des  Hrn.  Koppeyne  van  de 
Coppello  ini  Haag,  eines  der  ausgezeichnetsten  Philologen  aus 
der  Wyttenbach'schen  Schule;  von  welchem  wir  entweder 
eine  neue  Bearbeitung  des  Protrepticus  oder  wenigstens  öln 
Supplement  zu  der  Kiefsling'schen  Ausgabe  zu  erwarten  haben 
(p.  VII  sqq.)  *).  Aufserdem  aber  hielt  sich  Hemsterhuis  (an- 
ders als  Wyttenbacb  Vit.  Ruhnken.  p.  132.  berichtet)  für  ein- 


f 


*)  Beide  Gelehrte  haben  diese  Anmerkungen  dem  Unterzeichneten 
gutigst  mitgetheilt ,  der  in  seiner  angekündigten  Ausgabe  der 
Werke  dieses  Plnlosophen  gewissenhaft  und  dankbar  davon  Ge- 
brauch machen  wird. 

Creuzer. 


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Anecdota  Hemsterlnmana  cd.  Geol.  405 

leine  Fächer,  als  für  die  Geschichte»  Mythologie,  Geogra- 
phie, Literaturgeschichte,  für  die  Antiquitäten  u.  a.  w.  be- 
sondere Adversarienbttcher ,  deren  sich  drei  ganz  und  andere 
theil weise  noch  vorlinden  (p.  XX.  *<{.  vergl,  p.  246.  und 
p.  30Q.  not.). 

lieber  die  Art  und  Weise,  wie  Hr.  Geel  diese  verschieden. 
artigen  Subsidien  zum  Behuf  seiner  Herausgabe  der  Anecdota 
benutzte;  *welche  der  mitgetheilten  einzelnen  Anmerkungen 
sich  auf  den  Händern  fanden ,  welche  in  den  Adversarien  ;  ob 
und  in  wie  fern  die  Randbemerkungen  durch  die  Adversarien 
ünd  umgekehrt  diese  durch  jene  ergänzt  worden;  darüber 
gibt  die  Vorrede  keine  befriedigende  Aufklärung,  Bios  in  An« 
•ehung  der  Animadversionen  zu  Lucian,  welche  schon  im  vo- 
rigen  Jahre  (1Ö24.)  unter  dem  Titel  Tib.  Hemsterhusii  Animad- 
vcrsionum  in  Lucianum  Appendix  $  als  Supplement  der  Rei tauschen 
Ausgabe  abgesondert,  und  zwar  in  Quartformat  erschienen, 
ersehen  wir  aus  der  denselben  beigefügten  kurzen  Vorrede 
und  aus  den  in  Parenthese  hinzugesetzten  Erinnerungen,  dafs 
aie  theils  aus  Fragmenten  unedirter  Briefe ,  tbeils  aus  andern 
Papieren  und  theils  von  den  Rändern  des  ersten  Baudes  der 
Benedict'schen  Ausgabe  entnommen  sind.  In  der  Vorrede  zu 
diesen  Anecdotis  (p.  XXI  —  XXIV.)  bemerkt  Hr.  Geel  über 
seine  Verfahrungs weise  nur  so  viel  im  Allgemeinen,  dafs  er 
Alles  weggelassen,  was  Hemsterhuis  noch  in  früher  Jugend 
oder  allein  zum  Privatgehrauche  niedergeschrieben  zu  haben 
schien  ,  und  dafs  er  ferner  ,  bei  seinem  Bestreben  nur  Neues 
zu  geben,  auch  diejenigen  Bemerkungen  hier  unterdrücke 
habe,  welche  Hemsterhuis  selbst  schon  anderswo  gelegentlich 
mitgetbeüt  hatte.  Nur  wo  diese  Mittbeilung  blos  theilweise 
geschehen  war,  wie  dies  z.  B.  mit  der  kurzen  Note  zu  den 
Worten  AvoywuJvia;  ad  Luciani  Somn,  cap.  6.,  mit  welcher  die 
ausführliche  von  p.  2  —  10.  hier  abgedruckte  Anmerkung  be- 
schlossen wird  ,  der  Fall  ist ,  da  hat  Hr.  Geel  des  Zusammen« 
banges  wegen  mit  Recht  die  vollständigen  Bemerkungen  gege« 
ben  ,  ohne  das  bereits  Excerpirte  auszumerzen*  * 

Die  in  diesem  ersten  Bande  enthaltenen  Anecdota  sind 
1)  die,  wie  wir  so  eben  bemerkt,  schon  früher  besonders  ab- 
gedruckten Animadversiones  in  Lucianum,  von  p.  1  -~ .163»  unter 
welchen  sich  mehrere  acht  bis  zehn  Seiten  lange  vollständige 
Abhandlungen  finden  ;  2)  theils  kürzere,  theils  längere  AninA 
adversionet  in  Pollucem*  von  pvl64 —  220.  und  3)  in  Uarpo- 
crationem,  deren  mehrere  sich  auch  blos  auf  die  Noten  von» 
Vajeaius  bezieheu,  von  p«  ZZi  ~  4)  Ad  Jmlißni.  Caesar  es. 


406  AuecdbU  Hemsterlmaiana  ed.  Geel.  N 

Notae  breves  et  Emendationes »  welche  sich  jedoch  nur  auf  einen 
«ehr  kleinen  Thei]  dieser  Schrift,  von  p.  1  —  8.  Heu«,  (p.306 
—  3l3.  Spanh.)  erstrecken,  aber  der  Üeberscbrift  ungeachtet 
mehrere  vollständig  ausgearbeitete  Anmerkungen  enthalten  , 
von  p.  269  —  286.  und  endlich  5)  von  p#  287  —  322.  Animad- 
vtrs'wnes  iß  Jpollonium  Rhodium.  Die  beiden  letztern  Stücke  sind, 
wiewohl  dies  nirgends  ausdrücklich  bemerkt  wird,  vermuthlich 
dieselben,  welche  Hr.  Greel  in  der  Vorrede  p.  XXII,  unter  den 
Jicreits  von  Hemsterhuis  selbst  redigirten  Arbeiten  aufzählt» 

Diese  einzelnen  Bestapdtheile  nun  beurtheilend  durchzu- 
gehen und  verbessern  oder  vervollständigen  zu  wollen,  wäre 
eben  so  unbescheiden ,  als  vertraute  Mittheilungen  eines  edlen 
Freundes  zu  dessen  Tadel  zu  mii'sb  rauchen.  Sollten  sich  hin 
und  wieder  auch  Bemerkungen  finden,  welche  entweder  an 
und  für  sich  für  einen  Fremden  kein  besonderes  Interesse  ha- 
ben oder  durch  die  Forschungen  und  Bemühungen  anderer 
Gelehrten  während  der  letzten  sechzig  Jahre  überflüssig  ge- 
worden sind;  so  bleibt  es  für  uns  immerhin  sehr  erfreulich, 
den  gr  nisten  aller  Kritiker,  welcher  nie  etwas  anders  als  höchst 
vollendet  Von  sich  an's  Liebt  treten  liefs ,  auch  gewissermafsen 
in  seinen  Privatstudien  zu  verfolgen.  Dafs  aber  Hemsterhuis 
alles  hier  Mitgetheilte  zu  seinem  blofsen  Privatgebrauche , 
grofsentheils  zu  verschiedenen  Zeiten  ,  niedergeschrieben 
hatte,  ergiebt  sich  hinlänglich  aus  der  Zusammenstellung 
mancher  Citate,  so  wie  überhaupt  aus  der  Vergleichung  dieser 
Inedita  mit  den  übrigen  Arbeiten  des  Mannes,  in  welchen 
letztern  man  überall  mit  einer  Fülle  von  Gelehrsamkeit  die 
strengste  Ordnung,  Bündigkeit  und  Kürze  vereinigt  findet. 
Selbst  die  scheinbar  zur  Herausgabe  vollendeten  längeren  An- 
merkungen würde  Hemsterhuis,  hätte  er  sie  selbst  bekannt 
gemacht,  noch  mannigfaltig  verändert  haben,  wie  sich  schon 
aus  der  schwierigen  Erörterungen  beigesetzten  Erinnerung, 
cogitandum  uherius  u.  dergl,  und  aus  den  häufigen  Anführungen 
von  Stellen  mit  Vorsetzung  eines  examina,  -perlende ,  considera 
abnehmen  Jüfst.  Indessen  glauben  wir  nach  einem  nicht  ober- 
flächlichen Studium  eines  grofsen  Theiles  dieser  Anecdota  un- 
sere Leser  versichern  zu  können,  dafs  die  philologische  Lite- 
ratur durch  sie  eine  äufserst  schätzbare  Bereicherung  erhalten. 
Hemsterhuis  hatte,  wie  bekanntlich  bei  allen  seinen  Arbeiten, 
so  auch  bei  dieser  die  Pflicht  eines  guten  Kritikers  und  Inter- 
preten stets  in  ihrem  ganzen  Umfange  vor  Augen.  Textes- 
vetbessef ungert ,  Erklärungen  exquisiter  und  dunkler  Worte, 
Redensarten  üna  ConStructionen,  Erläuterungen  schwieriger 
~^kte  aas  den  Antiquitäten  f  der  Geographie  und  Geschichte, 


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Anecdota  Hemsterhusiana  ed.  Gee!#  407 

• 

drängen  aich  wechselseitig  und  sind  beinahe  immer  auf  die 
ausgesuchtesten  Belege  aus  den  Alten  selbst  gegründet.  Von 
gana  vorzüglicher  Wichtigkeit  scheinen  uns  aber  die  in  rei- 
chem  Maafse  mitgetheilten  £mendationen  sowohl  der  absicht- 
lich hier  behandelten  ,  als^ieler  anderen  im  Vorbeigehen  an- 
geführten Schriftsteller.  Als  Probe  derselben  mögen  hier 
einige  wenigen  aus  den  sieben  ersten  Seiten  der  Animad Versio- 
nen zum  Harpocration  gewählten  genügen, 

T.  223.  1.  23.  werden  in  'ABt*tev  die  Worte  diroT/vwra/  31 
reu™  jhrAeSv  aus  dem  Etymol.  Magn.  s.  v.  in  anor-  93  ro  tZ/uuj^j 
cJitXojv  verändert.  — 'Ibid.  1.  28.  in  \a,  /  wird  statt  d 


baren  «v  rw  ^oot^  fäaro  richtig  ay^varo  verbessert,  —  P.  225. 
J.  2.  in  *ÄXi£av$?Qi  «vird  bei  Plutarcb.  Ne  Suav.  Quid.  V.  P. 
See.  Ep.  Decr.  p.  1093.  C.  das  später  durch  Manuscripte  be- 
atätigte  Qißvfi  für  das  gewöhnliche  0eV/fyc  oder  0;<r/%  herge- 


atellt  und  die  Richtigkeit  dieser  Verbesserung  mit  den  gehöri« 
gen  Belegen  bewiesen.  —  Ib.  1.  14.  in  'A\*tßia$tjs  wird  aus 


Tie  verdorbene  Stelle  auf  die  einzig  richtige  Weise  also  ver- 
bessert :    'J<TZ~0S   iv    TW   TfQS    AlOKX^a  *     3ifi<A«KTCM   IT«?!  ' 'AfAC^OV/OU 

„>^x.T.Ji.  —  P.  227.  22.  in 'AitoMttwv  wird  für  &yefi 
die  Lesart  der  Aldiner  Ausgabe  »o«  zurückgerufen,  und  gele- 
gentlich in  den  Worten  des  Athenäus?  tov  %£vov  tov  Biaro^oZvra 
rh  rwv  xa^oy,  p.  298.  D.  &0U6  für  yvov«  vorgeschlagen, 

welches  letztere  Schweighäuser  gegen  Coray's  Conjectur  (tAou$) 
nur  durch  Annahme  einer  sehr  gezwungenen  Ellipse  zu  retten 
suchte.  —  P.  228.  15.  in  'Airfo'tcwv  wird  das  sinnlose  tfffxtp 
»AA>j£y/^wv  nach  dem  Etymol.  Ma^n.  verändert  in  cus*-«^!  Ag*r<vv. 

!         J».  229.  6.    in  'A?yv$t o9>j  *>j»   Ka?TVf*a  in  k<*i  &'Sufau  — 

T.  230.  12.  in  'A<nra<r<a  d»«  gänzlich  verdorbenen  Worte  3,«- 
InLwi  twmlfridvt  'Aeroer/a  in  *5  (*c.  Aeschinis  Socratici)  a,a- 
A*™  frewftmm  W»'«.  —  D^h  wir  wollen  hier  abbrechen 
und  nur  die  allgemeine  Erinnerung  beifügen,  dafs  sieb  nicht 
leicht  eine  Seite  in  diesem  ganzen  Buche  findet,  auf  welcher 
nicht  eine  oder  mehrere  ähnliche  und  zum  Theil  noch  wichti- 
gere Verbesserungen  vorkämen. 

Um  endlich  auf  den  Herausgeber  zu  kommen,  so  müssen 
wir  sein  Verfahren  bei  dieser  eben  ao  mühsamen  als  ver- 
dienstvollen Arbeit  vorzüglich  billigen.  Nur  hin  und  wieder 
hat  derselbe,  besonders  da,  wo  es  der  Zusammenhang  und 
die  Deutlichkeit  erheischte,  kleine  Zusätze,  Erklärungen  oder 


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40ß  Anecdota  Hemsterhmiana  cd.  Geel. 

Nachweisungen  in  Parenthesen  beigefügt,  im  Übrigen  aber 
Alles  als  bloisen  Apparat  zu  künftigen  Bearbeitungen  getreu 
abdrucken  lassen,  so  wie  es  sich  im  Mspt,  vorfand.  Wir 
würden  es  Hrn.  Geel  .  selbst  nicht  zu  einem  sehr  hohen  Ver- 
dienste angerechnet  haben,  wenn  er  siph  die  Mühe  gegeben, 
alle  neueren  Commentare  und  kritischen  Abhandlungen  sorg- 
fältig durchzugehen  und  auf  dieselben  zu  verweisen,  so  oft 
deren  Vergleicbung  mit  diesen  Ineditis  für  einen  künftigen 
Herausgeber  der  in  denselben  behandelten  Schriftsteller  uner- 
läfslich  ist.    Denn  die  Hauptarbeiten  über  die  einzelnen  Aueto- 
ren sind  Jedermann  hinlänglich  bekannt,  um  das  hierher  gehö- 
rige yon  selbst  ohne  grofse  Mühe  auffinden  zu  können,  und 
deren   jedesmalige  Erwähnung  will  de  das  Buch  unnöthiger 
Weise  vergröfsert  haben;    die  Angabe  der  in  verschiedenen 
Commentaren  zerstreuten  Bemerkungen  aber  wäre  ohne  Rück- 
sicht auf  jene  Hauptarbeiten  nur  lückenhaft ;  auch  mufs,  wer 
sich  mit  Einem  jener  Schriftsteller  ausschliefslich  beschäftigt, 
dieselben  doch  mit  mehr  Sorgfalt  zusammensuchen,   als  dies 
von  Hrn.  Geel  hätte  geschehen  können.     Ganz  verschieden 
würden  wir  über  diesen,  auch  in  der  Vorrede  (p.XXIV.  sqq.) 
berührten,  Punkt  urtheilen,    wenn   zwischen  Hemsterhuis 
Tode  und  der  Herausgabe  seiner  Adversarien  nur  wenige  Jahre 
verflossen  wären,  oder  wenn  Hr,  Geel  z.  B.  von  Apollonius 
Khodius  und  Harpocration  eine  neue  Ausgabe  mit  den  hier  ab- 
gedruckten Hemsterhuis'schen  Anmerkungen  besorgt  hätte. 
Nur  Eine  L»ast  hätten  wir  dem  Herausgeber,  so  dankbar  wir 
seine  verdienstlichen  Bemühungen  auerkennen,    gerne  noch 
aufgebürdet,  nämlich  die  Veränderung  mehrerer  Citate  nach 
neueren  oder  gebräuchlicheren  Ausgaben  und  in  den  Anmer- 
kungen zu  JLucian  auch  die  Beifügung  der  Seitenzahlen  nach 
dem  Zweibrücker  Abdrucke.     Denn  die  Reitz'sche  Ausgabe, 
an  welche  diese  Anmerkungen  sich  anschliefsen ,  besitzen  aus- 
ser Holland  nur  wenige  Gelehrte,  und  das  jedesmalige  Nach- 
suchen der  betreffenden  Stellen  in  der  Zweibrücker  ist  müh- 
sam und  zeitraubend.    JNoch  mühsamer  aber  ist  das  Vergleichen»' 
von  Stellen  ausXenophon,  welche  nach  den  Seitenzahlen  der 
Stephanischen  Ausgabe,  und  aus  Plato,  welche  nach  der  Lyo- 
ner'(ap.  Laemarium)  angeführt  sind.     Schon  die  erstere  ist 
selten,  und  die  letztere  haben  viele  Gelehrte  in  Frankreich 
und  Deutschland  noch  nie  zu  Gesicht  bekommen ,  wiewohl 
auch  Kuhnkenius  u.  A.  nach  ihr  zu  citiren  pflegten. 

Die  gelehrten  Zusätze  von  Hrn.  Geel ,  welche,  hierund 
da  als  Anmerkungen  beigefügt,  zusammengedruckt  wohl  einige 
Bogen  anfüllen  Würden,  hätten  allerdings  einer  Erwähnung 


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Horatü  opera  ed.  Döring.  409 

auf  dem  Titel  verdient;  obschon  sie  ihr  Verfasser  selbst  die* 
ser  Ehre  nicht  würdig  geachtet,  und  sieb  gewissermalsen  ent- 
schuldigt, Anmerkungen  zu  Anmerkungen  geschrieben  zu  ba- 
llen. So  sehr  wir  übrigens  den  reinen  Abdruck  der  hier  ge- 
sammelten Materialien  billigen,  ohne  uns  nach  einer  beigefüg- 
ten Anhäufung  von  Citaten  und  Nachweisungen  zu  sehnen,  so 
sehr  sind  wir  von  der  andern  Seite  überzeugt,  dafs  sich  Hr. 
Geel  bei  keinem  sachkundigen  Beurtheiler  den  mindestein  Ta- 
del würde  zugezogen  haben,  wenn  er  seine  Anecdota  Hem- 
sterhusiana  auch  mit  einer  noch  viel' grösseren  Menge  eben  so 
gründlicher  und  gediegener  Anmerkungen  bereichert  hätte. 

Der  zweite  Band  wird  den  noch  übrigen  Theil  des  schritt- 
lichen Nachlasses  von  Hemsterhuis,  mitbin  auch  die  oben  er- 
wähnten Commentarii  uberiores  in  Aristophanis  Plutum ,  enthalten 
und  mit  den  gehörigen  Registern  versehen  werden.  Wir 
sehen  demselben  mit  grofsem  Verlangen  entgegen,  und  wün- 
schen dem  würdigen  Herausgeber ,  welcher  sich  auch  in  seinen 
Beziehungen  als  Bibliothekar  durch  eine  seltene  Humanität  und 
Dienstfertigkeit  gegen  auswärtige  Gelehrte  auszeichnet,  von 
Herzen  die  erforderliche  Mufse  und  Ausdauer  zur  Vollendung 
dieser  Unternehmung,  so  wie  zu  seiner  neuen  Bearbeitung  des 
Dio  Ghrysostornus  ,  mit  welcher  er  sich  bereits  seit  mehreren 
Jahren  beschäftigt. 

G.  J.  Bekker. 


Q.  Horatii  Flaeci  Opera  omnia  rec§nsuit  et  illustraoit  Frideri- 
cus  Guil.  D Oering.  Edith  ter tia  auetior  et  emendatior,  To- 
müs  primus.  Lipsiaet  sumt.  librariae  Hahmanae.  MDCCCXXIV. 
XXXXund  485  S. 

Vor  kurzem  haben  wir  den  ganz  neuen  zweiten  Theil  die- 
ser verdienstlichen  Ausgabe  angezeigt,  und  tragen  nun  die 
Anzeige  der  dritten  Ausgabe  des  ersten  Theils  nach.  Den 
Zweck  der  Döring'schen  Bearbeitung  dürfen  wir  als  bekannt 
voraussetzen,  so  wie,  da  jetzt  eine  dritte  Auflage  erscheint, 
diese  wiederholten  Ausgaben  wohl  ftinigermafsen  beweisen 
mögen,  dafs  das  Bedürtnifs  einer  solchen  Ausgabe  gefühlt, 
und  durch  diese  wo  liicht  vollkommen  ,  doch  gröfstentheils 
befriedigt  worden  sey.  Studirende  insbesondere  hatte  der 
Herausgeber  vor  Augen,  nicht  Philologen  von  Profession. 
Jenen  soll  die  Ausgabe  bei'm,  Selbststudium  dienen,  und  sie, 
ohne  die  Kritik  ganz  bei  Seite  zu  lassen,  vorzüglich  in  den 


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410 


Uoratii  opera  cd.  Döring. 


Sinn  des  Dichters  einführen  ,  wobei  er  absichtlich  eigentlich 
gelehrte  Erörterungen  vermied,  „  u  tili  tat  is  magis  ,  quam  glo- 
riae  Studiosus*1.     l)afs  die  Arbeit  des  Herausgebers  ihrem 
Zwecke  wirklich  entspricht,  und  dafs  bei  weitem  die  meisten 
Stellen  hinlänglich  und  richtig  erklärt  sind,  auch  im  Ganzen 
die  Wahl  der  Lesarten  zu  billigen  ist,  können  wir  nach  an- 
gestellter sorgfaltiger  Vergleichung  einer  grofsen  Anzahl  von 
Oden  versichern ,  auch  das ,  dafs  Hr.  D.  das  Neueste  über  den 
Hpratius  nicht  unbeachtet  gelassen  bat.      Weniger  Billigen 
können  wir  es  indefs,  dafs  er  auf  öffentliche  Beurtheilungen 
nicht  gehörige  Rücksicht  genommen,   und  z.B.  die  manche 
wahre  und  nicht  zu  verschmähende  Bemerkung  und  Bericht!« 
tigung  enthaltende  Recension  in  den  Ergänzungsblättern  der 
A.L.  Z.  l8i7.  No.  19.  20.  übersehen  hat.    Es  ist  wahr,  jene 
Anzeige  ist  eben  nicht  sehr  freundlich;  und  vielleicht  hat  man 
dem  Herausgeber,  wiewohl  mit  Unrecht,  sie  zu  lesen  wider- 
rathen»     Es  kann  Fälle  geben,   wo  der  Herausgeber  eines 
selbstständigen  Werkes  wohl  daran  thut,  wenn  er  sich  die 
Mühe  und  den  Verdrufs  ersparen  will,  Kritiken  darüber  in 
öifentlichen  Blättern  zu  lesen,  von  denen  er  im  voraus  weifs, 
dafs  sie  von  ihm  persönlich  übel  wollenden  Menschen  oder, 
Such  von  Leuten  herrühren,  deren  Stimmfäbigkeit  im  Gebiete 
derjenigen  Wissenschaft,  die  er  bearbeitet  bat,  er  gar  nicht 
anerkennen  kann.      Aber  ein  Herausgeber  eines  Klassikers, 
ein  Verfasser  eines  aus  tausend  einzelnen  Bemerkungen  beste» 
benden  Commentars,  darf  öffentliche  mit  Bemerkungen  beglei- 
tete  Beurtheilungen  nicht  unbeachtet  lassen,  und  sollte  ihm 
auch  ihr  Ton  mifs  fallen,  ja  sollte  auch  der  Beurtheiler  ihm 
wenig  Neues  und  Besseres  bieten.     Wollte  z.  B.  Hr.  D.  von 
jener  ganzen  Recension  gar  nichts  annehmen  ,   so  konnte  sie 
ihn  doch  vor  dem  Fehler  bewahren,  nun  schon  in  die  dritte 
Auflage  einen  Druck-  oder  Schreibfehler  übergehen  zu  lassen, 
der  zwar  nicht  den  Sinn,  aber  das  Metrum  gänzlich  zerstört, 
nämlich  in  der  Sapphischen  Zeile  I.  32.   15.   dulce  levnmen 
mihi  cunojue  salve,  für  lenimen,  wie  er  offenbar  lesen  wollte, 
da  er  in  der  Note  o  lab.  dulc,  len.  schreibt.    Doch  wir  kehren 
au  unserm  Werke  zurück.     Voraus  geht  auf  achtzehn  Seiten 
eine  Abhandlung  Metra  Horatii  fyrica  betitelt,  als  deren  Vf. 
Hr.  D,  in  der  Vorrede  zur  ersten  Auflage  einen  Herrn  Sparr 
nennt.    Man  kann  mit  dieser  Abhandlung  im  Allgemeinen  zu- 
frieden seyn,  da  sie  absichtlich  höhere  wissenschaftliche  For- 
derungen ablehnt,  und  den  tiefer  eindringen  wollenden  auf 
Hermanns  Handbuch  der  Metrik  (Leipzig  1799.)  verweist, 
[Wir  denken,  Studirende  wären  jetzt  eher  auf  dessen  Epitome 


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I 


J 

Horatii  opera  ed.  Döring.  411 

doctrinae  metricae,  Lips.  1818.  tu  verweisen.]     Bei  dieser 
Abhandlung  ist  uns  vorzüglich  eins  aufgefallen  ,  nämlich  wie 
der  Verf.  einen  so  auffallenden  Verstofs  bei  dem  ersten  Me« 
trum  machen,  und  seit  so  vielen  Jahren  un verbessert  lassen 
konnte.    Da  heilst  es  nämlich  :  a.  Versus  Jambici.   1.  Versus 
Ityphallicus  [schreibe  Ithypballicus]   qui  e6t  dimeter  (Jambi- 
cus)  brachycatalectus  :  o  —  o  —  u       cf.  n.  19.     Man  wun- 
dert sich,  diesen  Vers  einen  jambischen  genannt  zu  sehen, 
von  dem  doch  Jedermann  weifs,  was  geschrieben  steht  ^Her- 
mann  Elem.  doctr.  metr.  p.  94.):   Versus  ithyphallicus  —  ex 
tribus  trochaeis  constat ;  vevgl.  Hermanns  Handb.  der  Metrik 
§.  120.  p.  59  s<j.    Man  sucht  n.  19.  und  findet  bei  dem  Vor- 
aus Archilochius  major:  Solvitur  acris  hiems  grata  vice   \  veris 
et  Favoni  richtig  bezeichnet  -—  o  —  u  —  u,  dagegen  nur  ein 
einziges  trocbäisches  Metrum  unter  n.  5j  nämlich  den  trochai- 
cus  dimeter  catalectus  —  u  —  u  —  u  ~  truditur  dies  die.  Eine 
neue  Auflage,  die  wir  dem  Werke  wünschen,  wird  hoffent- 
lich diese  Verwirrung  verbessern. 

In  der  ersten  Öde  de»  ersten  Buches  billigen  wir  die 
Gründe,  warum  Hr.  D.  WakefieJda  von  Wolf  vertheidigtes 
nnd  neuerdings  viel  besprochenes  Te  doctarum  hederae  prae- 
mia  frontium  (für  Me)  nicht  aufnimmt,  ganz.  Eichstädts 
Verdächtigung  des  35sten  Verses  derselben  Ode:  Quodsi  me 
lyricis  vatibus  inseris  ignorirt  er:  wir  mifsbilligen  sie.  I.  3. 
18.  ist  Bentleys  rectis  oculis  für  siccis  oculis  aufgenommen,  und 
Cunninghams  fixis  ignorirt.  Uns  gefällt  zwar  siccis  trotz  der 
Verteidigung  des  Hallischen  Kecensenten  nicht  sonderlich: 
aber  wir  können  uns  nicht  überreden,  dafs,  wenn  Horas 
rectis  schrieb,  durch  Zufall  oder  Absicht  siccis  so  allgemein 
in  den  Text  gekommen  ist.  Bei  firmis  liefse  sich  eher  ein 
Versehen  bei'm  Abschreiben,  so  wie  bei  fixis  eher  ein  Ver- 
hören bei'lO  Dictiren  denken.  I.  4.  17.  wird  nach  den  neue- 
sten Erörterungen  domus  exilis  Flutonia  doch  wohl  von  dem 
Grabe  zu  verstehen  seyn  müssen,  wie  es  auch  Grävius  in 
seinen  Scholien  (s.  die  Fea -Bothe'sche  Ausgabe)  verstanden 
bat.  I.  6.  2.  nimmt  Hr.  D.  mit  Fasserat«  Lambin,  Baxter, 
Mitscherlich ,  Fea  aliti  für  alite.  Wir  nehmen  Vario  für  den 
Ablativ,  statt  a  Vario,  und  alite  für  dessen  Apposition.  Auch 
verdient  über  die  Stelle  nachgelesen  zu  werden  Henr.  Stephani 
Diatrib.  de  suae  editionis  Horatianae  accuratione  pag.  89  s(j. 
Ed.  Horat.  II.  1588,  ob  wir  gleich  nicht  mit  ihm  alite  für 
volatu  nehmen  möchten.  L  7.  7.  Nicht  Erasmus  hat  zuerst 
undicjue  in  den  Text  aufgenommen,  wie  auch  Bothe  zur  Fea*- 
schen  Ausgabe  auf  des  Glareanua  ^eugnifs  hin  angiebt ;  es 


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4 15  Horatii  opera  ed.  Döring* 

• 

stellt  schon  in  der  Ausgabe  von  Venedig  14Ö3.  mit  dem  Com- 
uientar  des  Landinus,  die  lief,  vor  sich  bat;  um  diese  Zeit 
konnte  Erasmus  noch  nicht  an  Verbesserung,  des  Horatius 
denken.  I.  24.  \  3.  bat  Hr.  D.  mit  Hecht  Ouod  si  beibehal- 
ten, ungeachtet  eine  gewisse  Autorität,  die  nie  Unrecht  bat,  * 
quid  ?  si  zu  lesen  gebietet.  I.  32.  1.  ist  zwar  mit  Recht  ge- 
gen Bentleis  Poscitnus  das  alte  poscimur  beibehalten,  aber  in 
der  Erklärung  möchten  wir  uns  doch  eher  an  Mi  t  scher]  ich ,  als 
an  den  Herausgeber ,  halten.  II.  17.  14«  wird  wohl  in  einer 
jieuen  Auflage  Gyan  aufzunehmen  seyn  für  Gygen.  S.  Her- 
mann de  Mytiiologia  Graecorum  antiquissima  p.  IX.  Endlich 
müssen  wir  uns  noch  über  die  Versabtbeilung  der  vielbespro- 
chenen ,  aus  lauter  Jonicis  a  minore  bestehenden  Ode  IU.  12. 
Miserarum  est  erklären.  Hr.  D.  läfst  sie  abdrucken ,  wie  die 
^weibrücker,  wie  JV|it scher! ich  und  F*.>a,  so  dafs  sie  zehen 
ganz  gleiche  aus  vier  Jonikern  bestehende  Verse  bildet,  im 
Grunde  nur  e i  n e  n  Vers  ,  der  nur,  weil  das  Papier  nicht  breit 
genug  ist,  in  zehen  gleiche  Stücke  zerbrochen  ist,  aber  unaus- 
stehlich eintönig  fortläuft.  Wahrhaftig  nicht  viel  besser 9  als 
Vanderbourg,  der  jeden  Fufs  eine  eigene  Zeile  seyn  läßt, 
und  absetzt  : 

miserarum  est 

necjue  amori 

dare  ludum 

nerrue  dulci  etc. 
Dafs  die  Ode  in  vier  Strophen  oder  Systeme  abzutheilen  ist, 
bat  man  schon  längst  gesehen,  auch  sind  die  Rubepunkte  hei 
linguae,  Hebri  (wo Hr.  D.  nicht  einmal  interpungirt)  und  bei 
victus  nicht  zu  verkennen;  nur  bat  man  nicht  richtig  abgebro- 
chen, wenn  man,  wie  Cunningham,  die  Strophen  absetzte 
nach  4,  3,  3  Jonikern,  oder,  wie Lambin  und Heinsius,  nach 
3,3,4  Jonikern.  Das  Rechte  bat  längst  Bentley  gesehen  und 
gegeben,  und  neuerlich  Bothe  in  den  Anmerkungen  zum  Fe*'« 
«eben  Hör.  und  in  der  Baxterschen  Ausg.  vgl.  Hermann  Elem. 
Doctr«Metr.  p.  472.  —  Wegen  des  von  Hrn.  D.  aus  Conjectur 
aufgenommenen  stipendia  für  incendia  bitten  wir  ihn  wenig- 
stens Fea,  und  Bothe  zur  Baxterschen  Ausg.  nachzusehen; 
vielleicht  entschliefst  er  sich  incendia  zu  begnadigen.  —  Doch 
wir  schliefsen  mit  dem  Wunsche,  dafs  diese  auch  im  Aeufsern 
von  der  Verlagshandlung  treiFlicb  ausgestattete  Ausgabe  bei 
denen,  für  die  sie  bestimmt  ist,  und  ältern  gebildeten  Freun- 
den des  Altertbums  die  verdiente  gute  Aufnahme  wieder  finden 
möge. 


uigmzea  Dy  vjUU 


Euripidis  AIcestis  ed.  G.  Hermann.  41  $ 

« 

turipidis  A  lee  s  Li  s  ,  cum  delictis  adnotationibus  ,  potusimum  /.  H. 
MONK1I.  Accedunt  emendationes  GODOFREDI HERMJNNL 
Lipsiae,  sumtibus  J.  C.  Hinrichm.  MDCQGXXIV*  IV  und 
126  £.  tn  gr.  8. 

Ein  neuer  Abdruck  der  veralteten  Auagabe  dieaea  Trauer- 
spiels von  Künöl,  wobei  der  Verleger  mit  rühmlicher  Vor- 
aicht  Hrn.  Hermann  zu  Rathe  zog.  Ia  ei  auctor  fuit,  aagt 
daa  Vorwort,  ut  pleraaque  Monkii,  paucaa  Wüstemanni, 
aliorumcrue,  animadversiones  recipiendas  curaret,  (juod  genus 
quoniam  fere  verborum  formulia  explicandia,  locorumcrue  aimi- 
lium  comparatione ,  contineretur,  non  infructuoaum  fore  iis, 
qui  aermonem  Tragicorum  vellent  cognoacere;  monendos  ta- 
rnen magistria  esse  tironea,  ne  itnitarentur  *  <juae  in  il Ii s  ob- 
aervationibua  vel  parum  latine  essen t  ,  vel  non  eleganter 
tcripta.  Ipae  impertiit  emendationea  et  explicationes,  ijuas  , 
quum  in  acholia  Academicia  Alceatin  tractaret9  in  chartaa  con- 
jecerat;  quibus  addidit  disaertationem  de  illa  Euripidis  tra- 
goedia.  Ad  hujus  igitur  Judicium  textua  refictua  est,  nume- 
ria  verauum  editionia  Monkianae  ,  aeu  Wüstemannianae, 
aimul  adscriptis,  ne  numeros  in  horum  adnotationibus  mutart 
necease  esset.  So  entstand  diese  Ausgabe,  zu  deren  Empfeh- 
lung  Her  manne  Name  hinreichen  würde,  an  der  aber  auch 
Monk  und  Wü  ste  m  an  n  schätzbaren  Antbeil  haben,  indem 
aua  „Euripidia  Alceatia,  cum  integris  Monkii  suisifue  adno- 
tationibus«, von  3;Dr.  Ern.  Fr  id.  Wüste  mann,  Prof.  in 
Gymn.  Gothano,  Gothae,  sumtibus  Ettingeri,  1823.  gf.  8. 
XVI  und  235  S.  (mit  Buchanana  Ueberaetzung  in  lateini- 
sche Verse)«,  daa  Beste  hier  auagezogen  iat. 

%  ■  ■  •  *  * 

* 

Herrn  an  na  Abhandlung,  fünfzehn  Seiten  atark,  enthält 
manchea  Anziehende  und  Wiaaenawerthe  über  die  Oekonomie 
des  Stücks,  über  deasen  Werth  und  Unwerth,  über  die  Zeit 
der  ersten  Aufführung  zu  Athen,  und  über  andere  Bearbei- 
tungen desselben  Stoffs  unter  Griechen  sowohl  als  Lateinern. 
Besonders  nützlich  aber  sind  seine  Berichtigungen  und  Zu- 
sätze zu  den  Adnotationes  der  Vorgänger;  und  zwar  vornehm- 
lich da,  wo  die  Rede  blos  von  Erklärung  der  sogenanntem 
Sachen  und  der  Sprache  ist  (zwei  Hauptpunkte  für  die  Mehr- 
zahl der  Leser);  weniger,  wo  es  auf  Wortbesserung  oder 
Anordnung  der  Verse  ankommt:  denn  hier  kann  man  nicht 
immer  der  Meinung  des  geschätzten  Herausgebers  seyn.  So 
heifst  es  z,  B.  V.  448.  in  den  gewöhnlichen  Ausgaben: 


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EuripWis  Alcestis  ed.  G.  Ilermaarr. 


t 
f. 


tu  ITsA/ou  SCyarsc-i 

ya/jpouo*c2  /*ci  «*y  'A/5<a  houioitn 

tow  avaAiov  o?kcv  oiKStsvotq,  — 

ToXAa  er«  (ircAA^  o*«}  fxoxicotoAoi 
^tr'Auv,  tv  r*  a'AuPC<$  »tAa<'ovTi$  ujuvo<S> 

Hr.  Hermann  schreibt  dafür  ao: 

g>ouo*a  jjici  «i'v  'AT5üc  *  * 

*  t3v  dvdktov  olvtov  oiatravoti* 


nroXkci  es  ftovcoicokoi  /xt'A- 

yfyovffi  vaS*  ixrarovov  r  ov£»tm 

ay  yikw,       T*  ukv^ot;  kAs/cvt«;  v/xy«;. 

■*  , 
Und  hierzu  Folgendes:  Libri  in  tribus  verbis  variant,  €V  et 

ifrt  'AT5a  et  'AlJao ,  fc'p«*»  et  a0%0f<;  praebentes.  pai  syliahas  ri- 
nuinfar,  iis  satisraciat  a/y  'Aida  &op.oifiv%  servato  in  antistropba 
vulgato  tftfa»  «Sco*  «  cui  cognitum  est  hoc  genus  Dorici  numeri,  is 
perverti  eum  namerum  sendet  isto  3cf*c«r/v ,  quod  vocabulum  nee  si  to~ 
tum  f  nee  si  duae  tantum  priores  syllabae  huic  versui  adjiciantur ,  con- 
venit*  Contra  aliquot  codicum  scriptura  in  versa  ajitistrophico  cu pt/ov s 
quae  just  um  usitatumque  in  hoc  metri  genere  trochaeum  semantwn  prae- 
bet9  non  potest  duhitari  quin  vera  sit.  Quare  eertissimum  esse  aTbi- 
tror,  vel  omissam,  vel  obscuratam  in  lacero  codice  vocem  male 
a  metricii  ex  Homero  (Iliad.  4/,  179.  p^c'i  cJ  Harpe k As  » 
»ai  tlv  'Albao  5ofxai<rt)  esse  suppletam,  Euripidem  autem  aliud 
vocabulum,  fortasse  H«uS/uuuc7v 9  posuisse.  Sed  id  quum  repo- 
nere  non  anderem,  satis  habui,  quod  eum  non  scripsisse  aper  tum 
esset 9  ejicere.  Armes  d//io/er^  allem  Anschein  nach  schrieb 
dich  Euripides;  aber  unare  Metriker  wollen  dich  nicht  leiden, 
wie  du  dich  auch  anstellst  und  fügst 9  weil  du  nicht  zu  dem 
dorischen  trochäus  semantus  passest,  sollten  sie  auch  deshalb 
in  sechs  Versen  drei  Wortbrechungen  annehmen 9  und  eine 
Stelle,  deren  Sinn  völlig  klar  ist,  als  lückenhaft ,  bekreuzen 
müssen!  Im  116*  Verse  las  man  'Aup-Mviuba;  %a$f  und  in  der 
Antistropbe  "Aßa  r»  irvAaf.  Hr.  Hermann  hält  dieses  für  ver- 
derbt, und  setzt  «ruAcuva;.  »  Metri  indicia  scripsi  *vX<uva;»m  In 
der  Strophe  schreibt  er  'AjuuMuy/fa;.  Wie  willkührlich  dieses 
sey,  fällt  in  die  Augen.     Ebenda  gefällt  ihm  Botbe's  Ver« 


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von  Bothe.  4 15 

muthung  o0Krf/  *x».  „Solet  eniu*  vwium f  qualisestis,  t|ui 
sequitur,  praecedere  dochmicus.  Sed  non  favet  ei  conjecturae 
antistrophicus.  Die  Conjectur ,  die  Bothe  in  der  eriten  Aus- 
gabe seiner  Verdeutschung  vortrug,  ist  unnötbig,  und  er  sei- 
her setzt  dafür  in  der  neuen  Ausgabe,  die  bereits  um  Ostern 
1823.  an  haben  war,  richtig  0ur  S'x"  W  rival  aber  ©Gk^t  «x« 
Vi  T/va  einmal  angenommen,  entsprechen  sich  ja 

cuk^t*  Ig«  Vi  t/v« 
und  vüv  &  riv   tri  ßiou* 

(die  Lesart  der  Kopenhagener  Handschrift),  oder,  wie  Her- 
mann lieset,  vuv  3i?  t/v  *ri  0/ov,  als  zwei  regelrechte  dochraü , 
und  überdies  war  es  offenbar  besser,  je  zwei  dieser  Verse  in 
eine,  den  Tragikern  höchst  geläufige ,  Zusammensetzung,  den 
dochmiacus  bypercatalecticus,  au  vereinigen  : 

ouk  *xoo  exf  rfva  juwjAcSurav  *o%iv9w* 
vuv  ii  t/v*  Fr#  /3/ou  ikxitct  xqo^iyoiimi  \ 

Da  wir  alle  Menschen  sind,  so  würde  auch  wohl  ein 
weniger  absprechender  Ton,  als  der  ist,  den  man  hier  häufig 
findet,  dieser  Wissenschaft  der  humaniora  gemülser  seyn, 
und  Aeufserungen,  wie  Quid  ad  Euripidem  ,  quid  velit  aut 
nolit  Monkiuai  wären,  unserem  Gefühle  nach,  gänzlich  au 
vermeiden. 


Xe  nophons  Feldzug  nach  Oberasien,  verbessert  $  und  mit 
Inhaltsanzeigen  und  einem  Wortregister  versehen ,  von  Dr.  F.  H. 
Bothe»  Vierte  umgearbeitete  Auflage,  Leipzig ,  1825,  J.  C. 
Hinrichssche  kuchhandl.     IV  und  252  S.  gr.  8.  21  Gr. 

Aus  C.  A.  Deutrichs  geschmackvoller  Officin. 

»  # 

Bei  dieser  Schulausgabe ,  deren  Einrichtung  dem  jugend- 
lichen Charakter  zusagt,  und  die  daher,  besonders  in  Nord- 
deutschland, weit  verbreitet  ist,  liegt  Schneiders  Text 
(ohne  Zweifel  der  im  Ganzen  vorzüglichste)  zum  Grunde, 
üeber  die  Abweichungen  davon  liest  man  am  Schlüsse  de» 
Werke«  Folgendes ,  was  einen  Begriff  von  Art  und  Richtung 
desselben  giebt:  »Der  beschränkte  Raum  gestattete  dem  Her- 
ausgeber nicht,  seine  Abweichungen  von  Schneiders  Texte 
auch  da  au  beweisen,  wo  der  Beweis  aus  der  blofsen ,  unbe- 
fangenen Uebersicht  der  bekannten  Lesarten  und  Verbesse- 
rungen hervorzugehen  schien.  Vornehmlich  ist  dies  der  Fall 
bei  Stellen,  wo  die  Handschriften  nicht  übereinstimmen ,  und 


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416  Xenophons  Feldtug  von  Bothe. 

jeder  Kundige  das  Recht  hat,  seine  eigen«  Wahl  «u  treffen. 
Ebenso  kann  man  sich  meistentheÜs  begnügen,  die  Namen 
der  Verbesserer  zu  nennen,  da  ihre  Schriften  Jedem  zugäng- 
lich sind.  Nur  bei  den  meisten  eigenen  Aenderungen  war 
eine  gewisse  Ausführlichkeit  nötbig,  um  diese  Aenderungen 
in  ihr  gehöriges  Licht  zu  setzen,  und  die  Leser  von  den  dabei 
befolgten  Gründen,  entweder  der  .Spräche,  oder  des  Zusam- 
menhangs ,  zu  überzeugen.  Wo  ganze  Wörter  verändert 
sind  (was  selten  geschab),  da  bat  man  sie  durch  die  Schrift 
unterschieden.  Die  ziemlich  häufigen  Klammern  bezeichnen 
anscheinende  Zusätze  von  fremder  Hand,  woran  es  auch  in 
diesem  Schriftsteller  nicht  fehlt,  dessen  ungeschmöckter  Styl 
den  Abschreibern  Gelegenheit  genug  gab ,  Gewähltem  All- 
tägliches unterzuschieben,  und  klare  Gedanken  durch  verwor- 
renes Mifsverständnifs,  attische  Einfalt,  die  ohne  Eleganz 
undenkbar  ist,  durch  geschmacklose  Redseligkeit ,  zu  ver- 
brämen.« 

Wenn  die  häufigen  Textabschnitte  dieser  Ausgabe  die 
Aufmerksamkeit  junger  Leser  rege  erhalten,  so  scheinen  auch 
deutsche  Wortregister,  wie  das  hier  beigefügte  ist,  keines- 
wegs so  verwerflich,  als  es  Manchem  scheint ;  wenigstens  so 
lange  nicht,  als  Weder  allgemeine  Wörterbücher  eben  söge- 
naue  Rücksicht  auf  einzelne  Schriftsteller  nehmen,  noch  Un- 
begüterte im  Stande  sind  ,  nur  einigermaisen  brauchbare 
Werke  dieser  Art  anzuschaffen.  Hoffentlich  wird  daher  das 
anspruchlose  Buch,  in  seiner  durchaus  verbesserten  Gestalt, 
des  Beifalls  der  Kundigen  auch  fernerhin  nicht  unwürdig  be- 
funden werden  ,  und  seinen  Weg  durch  die  Schulen  Deutsch- 
lands» fortsetzen. 


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N.  27.  '  1826. 


1 1  «■ 


Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


*  ✓  .■ 


Die  Nationalen  schichte  der  Deutschen  von  U.  C.  Freiherrn  von  Ga- 
'"  gern.     Zioeiter  Theil:    Die  grojsen  Wanderungen,  .    Von  der 
Störung  des  Gothenreiches  an  der  Donau  bis  zum  Frankenreich. 
Frankfurt  a.        bei  Fr.  Wilmots.  1,826.  X  n.  861  Sf  8.      5  fl* 

Die  Art  der  Geschieh tschreibung  des  Herrn  Verfassers  ist 
aus  dem  ersten  Bande  seines  Werkes  bekannt.     Wenn  er  von 
der  Manier  des  ersten  Bandes  in  diesem  zweiten  abweicht,  sd 
ist  es  zum  Vortheii  des  Werkes  geschehen.     Die,  lebendige 
Darstellung  ist  weniger  als  in  der  frühern  Geschichte  durch 
Empfindungen  ,  Einfällef  Hin-  und  Herreden  und  Blicke  auf 
jetzige  Zeit  und  ihre  Verhaltnisse  unterbrochen,  und  hat  da- 
heY  mehr  innern  Zusammenhang,      Es.  kann  nirgends   nie  hu 
mit  Meinungen  und  Hypothesen  ein  für  die  Geschichte  schäd- 
liches Spiel  getrieben  werden,  als  bei  dem  Entstehen  neuer 
Reiche,  weil  der  Ursprung  der  Reiche  und  Völker  in  Zeiten 
hinausgeht,  wo  man  ganz  andere  Dinge  zu  überliefern  suchte^ 
ati  Staatsgeschichie j  und  das  Späterbestebende  oft  selbst  den  * 
Zeitgenossen  unbemerkt  sich  ausbildete.     Es  gibt  daher  kei- 
nen schwierigem  Theil  in  der  deutschen  Geschichte,  als  grade* 
die  Zeit  der  Völkerwanderung.     Die*  Werke  der  Alten  j  die*  . 
von  den  deutschen  Verhältnissen  schlecht  unterrichtet  waren  , 
hören  nach  und  nach  auf,  magere  und  geistlose  Chronikschrei* 
her ,  schwulstige  Kirchenväter,  geschraubte  Dichter  werden 
Führer.     Wir  befinden  Uns  auf  keinem  festen  Boden :  vom 
Osten  Europa's  bis  zu  den  Fluthen  des 'mittelländischen  und 
atlantischen  Meeres  müssen  wir  die  wandernden  Völker  be- 
gleiten, und  erfahren  mehr  die  Folgen  dieser  Züge,  als  inrö 
Veranlassung.    Es  ist  deshalb  nichts  leichtes,  diese  dunklen 
und  schwankenden  Geschichten  zu  beleuchten  und  festzustel- 
len.    Nach  den  magern  und  sparsamen  Quellen  ist  dieses  oft  f 
nicht  möglich;    sehr  gewagt  und  unsicher  ist  es,  durch^ 
selbst  geschaffene  Meinungen ,  woran  es  einem  geistreicheri 
Manne  nie  gebricht,  das  Fehlende  zu  ergänzen,  das  ein  Äp*\ 
derer  nieder  anders  ergänzt.     Da  die  Geschichte  aber  ein«'' 

XIX.  Jahrg.   5.  Heft;  V 


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4i3  ?•  Gagera  Nationalgeschichte  der  Deutschen. 

« 

objective  Seite  hat,  worin  das  Individuum ,  das  einzelne 
Factum  verschwindet,  die  Entwicklung  der  Menschheit  und 
des  Begriffes  des  Staatslebens  sich  als  eine  nothwendige  Folge 
des  Geschehenen  darttmt,  und  es  sich  da  nicht  um  Wahr- 
scheinlichkeit ,  sondern  um  Wahrheit  handelt,  so  wird  dem 
Blicke ,  der  das  Ganze  umfafst,  und  daher  die  Theile  durch- 
schaut,  auch  da  Aufscblufs  werden ,  wo  die  sonst  so  not- 
wendigen Quellen  mangeln  ,  oder  Entstelltes  und  Falsches  be- 
richten. Um  aber  diese  objective  Seite  der  Historie,  die  frei- 
lich ohne  Kenntnifs  der  Thatsachen  ein  Träumen  wäre,  recht 
zu  ergreifen,  ist  es  durchaus  erforderlich,  dafs  des  Histori- 
kers Individualität  verschwinde.  Er  kann  dessen  ungeachtet 
mit  Wärme  und  Theilnahme  schreiben,  das  Grofse  bewun- 
dern, das  Schlechte  verabscheuen  u.  s.  w. ,  ohne  sich  doch 
von  dem  leiten  zu  lassen,  was  Fartheilichkeit  und  Meinungen 
erregt.  Wir  wollen  sehen,  wie  sich  der  Verfasser  seinen 
Weg  bahnt,  und  dabei  andeuten,  wie  er  die  erwähnte  Forde- 
rung befriedigt  hat. 

Was  die  Anordnung  des  Buches  betrifft ,   so  ist  dieser 
zweite  Band  wie  der  erste  in  zwölf  Abschnitte  getheilt,  wo- 
von die  drei  ersten  theils  noch  zur  frühem  Geschichte  gehören, 
theils  als  einleitend  zur  eigentlichen  Völkerwanderung  zu  be- 
trachten sind.      Es  stellt  nämlich  der  dreizehnte  Abschnitt 
(S.  1  —  4L)  die  Germanen  während  der  liegierungen  der 
Söhne  Constantins  dar;  der  vierzehnte  (bis  S.  77.)  beschreibt 
Julians  Kriege  mit  den  Alemannen,  Franken  und  Sachsen;  der 
fünfzehnte  (bis  S.  120.)  handelt  vom  Verhältnils  der  christ- 
lichen Religion  zum  Heidenthum,  von  den  Römischen  Grenz* 
befestigungswerken ,    und   von  Valentinians  Anstrengungen 
gegen  Alemannen  und  andere  Germanische  Völkerschaften. 
Mit  dem  sechszehnten  Abschnitte  (von  S.  120  —  145.)  wird 
eigentlich  die  Geschichte  des  ersten  Bandes  fortgeführt,  wie 
Hermanrichs  grofses  Gothenreich  den  einwandernden  Hunnen 
unterliegt,  die  Gothen,  innerhalb  der  Grenzen  des  Römer- 
reiches  aufgenommen,  die  Waffen  gegen  den  Kaiser  Valens 
richten,  und  Thracien  nebst  den  benachbarten  Provinzen  ver- 
heerend durchziehen;   der  siebzehnte  (bis  S.  176.)  enthält, 
wie  Theodosius  durch  Benutzung  der  Umstände  das  sinkende 
Reich  rettet,  und  ihm  durch  Aufnahme  Germanischer  Völker 
im  Heere  neue  Stärke  zu  geben  sucht.    Des  Gainas  Schicksale, 
des  Alarich  und  Rhadagais  Züge  beschreibt  der  achtzehnte  Ab- 
schnitt (bis  S.  235.)»   "nri  der  neunzehnte  (bis  S.  270.)L  der 
Deutschen  Niederlassungen  im  Römerreiche.    Der  zwanzigste 
(von'  S:  270  —  309  )  ist  den  Vändalen  in  Afrika  unter  Gaiserich, 


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Gagettt  Nationalgescluchte  der  Deutschen.  4l9 

und  der  ein  und  zwanzigste  (bis  S*  352.)  Attila  und  seiner 
Zeit  gewidmet.  Der  zwei  und  zwanzigste  {bis  S.  394.)  er- 
zählt die  Geschichte  der  Völker,  die  nach  der  Auflösung  des 
Hunnenreiches  wieder  selbstständig  geworden,  bis  auf  den 
Untergang  des  Weströmischen  Reiches ;  der  drei  und  zwanzig- 
ste (bis  S.  428.)  führt  zu  den  Niederlassungen  der  Sachsen  in 
Britannien  4  und  der  letzte  Abschnitt  (bis  S.  511.)  beschliefst 
den  Band  mit  der  Geschichte  der  Burgunder,  Westgotben  und 
Franken  bis  auf  den  Tod  Clodwigs. 

Dafs  der  Hr.  Verfasser  bei  der  Bearbeitung  seines  Werkes 
die  Quellen  selbst  studirte,  und  sie  mit  kritischem  Forschungs- 
sinn  zu  gebtauchen  strebte,  zeigen  die  Noten  von  S.  5il  bis 
861,  wo  nicht  nur  die  Stellen  aus  den  Quellschriftstellern 
zahlreich  und  oft  in  extenso  angegeben  sind,  sondern  auch  die 
abweichenden  oder  bestätigenden  Ansichten  neuerer  Geschicht- 
schreiber angeführt  werden.  Zu  wünschen  wäre  es  freilich 
gewesen,  da  die  Noten  doch  nur  für  den  Gelehrten  sind  ,  dafs 
die  Citate  aus  Griechischen  Schriftstellern  nicht  in  der  lateini- 
schen Uebersetzung  ,  sondern  in  der  Originalsprache  mitge- 
theilt  worden  wären. 

So  sehr  Ref.  dieses  Werk  im  Ganzen  loben  und  empfeh- 
len mufs ,  so  stimmt  er  doch  manchmal  mit  den  Ansichten  des 
Hrn.  Vf.  gar  nicht  überein.  Nicht  um  an  einem  guten  Buch« 
auch  etwas  auszusetzen,  sondern  Punkte  der  deutschen  Ge- 
schichte, die  noch  einer  Erörterung  oder  Aufhellung  bedürfen, 
zur  Sprache  zu  bringen,  werden  folgende  Stellen  zur  nähern 
Beurtbeilung  herausgehoben, 

S.  93.  im  fünfzehnten  Abschnitte  :  ttDie  Alemannen  hat- 
ten sich  aus  den  Ebenen  der  Bergstrafse  zurückgezogen  und 
auf  einem  Berge  am  Neckar  Halt  gemacht.     Als  die  Römer  an 
einen  Ort  kamen ,  den  sie  Soliconium  oder  Solicinium  nennen, 
höchst  wahrscheinlich  kein  anderer  als  Schwetzingen,  wurden 
sie  der  Feinde  gewahr.     Alsobald  machte  Valentiniart  die  An- 
stalten zur  Schlacht«  u.  s.  w.    Was  auch  der  Hr.  Verf.  in  Hei* 
Note  34.  gesagt  hat,  um  zu  beweisen,  dafs  Ammiah  'Marceil  in 
(XXVII,  10.)  hier  mit  Solicinium  Schwetzingen  (Suezzin- 
gium)  bezeichnet  habe,   hält  Ref.  flßr  unstatthaft,  Und  die 
früher  aufgestellte  und  noch  jetzt  gewöhnliche  Annahme,  So- 
licinium in  Sulz  am  Neckar  in  der  Nähe  von  Tübingen  zu  fin- 
den, möchte  gewils  mehr  für  sich  haben.     Nach  des  Dichters 
Ausonius  Mosella  vs.  421  scrq.  wäre  es  wahrscheinlich  zu  ma- 
chen, dafs,  während  der  Kaiser  von  Westen  her  über  den 
Rhein  ging,  und  *lie  Alemannen  über  den  Neckar  und  Lupo- 
dunum  (Ladenburg)  hinaustrieb,  der  Sohn  vom  Süden  herauf 

27  *  ' 


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420  t.  Gagern  Nationalgeschichte  der  Deutschen, 


über  den  Rhein  ins  Breisgau  einrückte ,  und  die  Alemannen  auf 
das  linke  Donauufer  zurückdrängte.    Vater  und  Sohn  konnten 
dann  in  der  Gegend  der  Quellen  des  Neckars  und  der  Donau 
zusammentreffen,  wovon  nicht  sehr  entfernt  Sulz,  der  vom 
Ammian  erwähnte  Schlachtort  Solicinium,    zu    suchen  ist. 
Diese  Ansicht,  dafs  die  Römer  den  Deutschen  von  entgegen- 
gesetzten Seiten  zusetzten ,  begründen  nicht  nur  Ausons  Worte: 
Spectavit  junctos  Natique  Fatrisque  triumphos, 
Hostibus  exactis  Nicrum  super  et  .Lupodunum 
Et  fontem  Latus  ignotum  annalihus  Histri ; 
sondern  auch  Ammians  umständliche  Beschreibung  ,  die  dem 
Hrn.  Verf.  Schwierigkeit  macht,  da  er  das  Schlachtfeld  in  die 
unrechte  Gegend  verlegt.     Die  Worte  :  Qui  (Alemanni)  nul- 

lam  ad  tuendam  salutem  viam  süperesse  cementes  mon- 

tem  occupavere  praecelsum  etc.  zeigen  deutlich,  dafs  sie  auf 
mehreren  Seiten  bedroht  wurden. 

In  dem  neulich  erschienenen  Werke:  „Schwaben  unter 
den  Römern«  behauptet  dessen  Verfasser,  der  verdienstvolle 
und  gelehrte  Archivrath  Leichtlen  S.  65:  Ammian  und  Auson 
sprächen  von  verschiedenen  Feldzügen ,  und  dos  Solicinium  des 
erstem  wäre  im  Breisgau  zu  suchen  ,  weil  der  Feldzug  gegen 
die  Breisgauer  Alemannen  gerichtet  war,  deren  Fürsten  der 
Kaiser  vorher  durch  Meuchelmord  aus  dem  Wege  geräumt 
hatte.  Diese  Behauptung  bedürfte  freilich  noch  näherer  Belege, 
und  es  wäre  zu  wünschen,  dafs  sie  der  gelehrte  Forscher  deut« 
scher  Geschichte  und  Alterthumskunde  ausführlich  gäbe. 

S.  i46.  im  siebzehnten  Abschnitt:  „ Die  Geschichtiger det 
nächsten  Jahrhunderte —  bestätigen  auf  das  neue,  als  völlig 
angenommen  zu  ihrer  Zeit,  die  alte  Identität  der  Gothen  und 
Geten.ef    Schon  im  ersten  Band  im  zweiten  Abschnitte  hat  der 
Hr.  Verf.  diese  Behauptung  aufgestellt,  und  sie durchzuführen 
gesucht.     Allein  Ref.  kann  mit  dieser  Ansicht  aus  vielfachen 
Gründen  nicht  übereinstimmen.  Denn  nicht  nur  widerstreiten 
ihr  die  geschichtlichen  Nachrichten  ,   die  wir  von  den  Gothen 
und  Geten  haben,  sondern  eine  selbst  unvollkommene  Ver- 
gleichung  beider  Völker  mit  einander  in  Hinsicht  der  Sprache 
und  Sitten  zeigt  schon  zür^fenüge,  dafs  beide  ganz  verschie- 
den sind;  ja  es  möchte  noch  sehr  zweifelhaft  seyn,  ob  nur  die 
Geten  oder  Dacier  (Plin.  Hist.  Nat.  IV.  12.  Getae  Daci  Ro- 
inanis  dicti)  für  ein  Germanisches  Volk  zu  betrachten  sin<L 
Dafs  nach  der  Vertilgung  der  Getischen  Nation   die  in  ihr 
I*an<j  eingewanderten  Gothen  von  Römischen  und  Griechischen 
Schriftstellern,  besonders  von  den  spätem ,   mit  dem  Namen 
Geten  benannt  worden  sind,  beweist  nicht«,   da  der  Fall  in 


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Gagern  Nationalgeschichte  der  Deutschen*  •  41 1 

(Irr  Geschichte  nichts  seltenes  ist,  dafs  eingewanderte  Völker 
den  Namen  der  Nation  annehmen,  welche  früher  das  Land  be- 
sessen hat.  •  • 

Wenn  der  Hr.  Verf.-  aber  Procop  anführt,'  um  aus  ihm 
die  alte  Identität  der  Gothen  und  Geten  zu  beweisen ,  so  ist 
dieses  ein  sehr  schlechter  Gewährsmann.     Denn  es  ist  be- 
kannt,  dafs  l'rocop,  aufser  den  Vorfällen,   die  er  seihst  er« 
lebte,  und  zwar  in  «einer  Nähe  erlebte,   sehr  oft  in  dem  Be- 
richte über  frühere  Begebenheiten  und  entfernte  Völker  nicht 
nur  mit  grofser  Behutsamkeit  zu  gebrauchen  ist  ,  sondern  oft 
solche  Ivrthümer  und  ganz  Unrichtiges  mittheilt',  träfe  man 
gar  keine  Rücksicht  auf  ihn  nehmen  darf.     Selbst  in  der  vom 
Hrn.  Verf.  angeführten  Steile  begeht  der  in  der  frühern  deut- 
schen Geschiente  schlecht  unterrichtete  Grieche  mehr  als  einen 
Irrthum,   wenn  er  die  Gepiden  ,    die  wahrscheinlich  zum  Gü- 
thischen   Stamme  gehörten ,    für  Sarmaten  erklärt  ,    und  die 
Vandalen  zu  den  Gothen  rechnet,  da  sie  nach  den  ausdrück- 
lichen Nachrichten  früherer  und  besserer  Schriftsteller  einen 
ganz  davon  verschiedenen  Volksstamm  ausmachten,  der  eher 
dem  «Suevischen  beizuzählen  ist.     Was  hauptsächlich  den  Irr- 
thum veranlafste,  die  Vandalen,  Alanen,  Seinen  und  andere 
Völker  als  zum  Gothischen  Stamme  gehörig  zu  betrachten,  ist 
die  Ausdehnung  der  Gothischen  Macht  unter  dem  alten  Könige 
Hermanricb,  der  von  den  Ufern  der  Ostsee  bis  zum  schwar- 
zen Meere  verschiedene  Völker  beherrschte  ;    alle  diese  für 
Gatbiscbe  zu  halten,  wäre  eben  so  irrig,  als  alle  Nationen, 
die  Attila  beherrschte,  Hunnen  zu  nennen. 

Was  S.  312-  im  ein  und  zwanzigsten  Abschnitt  von  der 
»sSelbigkeit  der.  Sprache  der  Daker  und  der  Gothen«  gesagt 
wird,  mufs  noch  nachgewiesen  werden,  bis  jetzt  ist  es  noch 
keinem  Gelehrten  gelungen  ,  auch  nicht  dem  verdienstvollen 
Ihre  in  seinem  Glossarium  Sui -Gothicum. 

Im  achtzehnten  Abschnitt  S.  203  8.  scheint  dem  lief,  über 
den  ersten  Einfall  AlarichV  in  Italien  zu  kurz  gehandelt,  und 
zu  wenig  die  Schwierigkeiten  in  den  gewöhnlichen  Angaben 
dargetban.  Des  Griechen  Zosimus  Schweigen  über  diesen 
wichtigen  Theil  von  Alarichs  Geschichte  ist  auffallend  und  er- 
regt die  Vermuthung,  dafs  in  seinem  Werke  eine  Lücke  ist, 
da  er  doch  über  die  übrigen  Begebenheiten  dieses  Westgothi- 
schen  Königs  sehr  ausführlich  berichtet.  Da  er  früher  den 
Eunapius  benutzt,  der  mit  dem  Jahre  404  aufhört,  und  nach 
diesem  den  Olympiodor,  der  mit  407  anfängt,  zum  Führer 
wählt,  so  hätte  er  immer  von  400  —  403  ausführlich  handeln 
können.     Die  kurzen  und  z  im  Theil  unrichtigen  Notizen  in 


\ 


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423 ;  V.  Gagern  NaÜonalgescUiebte  der  Deutzen. 


Prospers  iip<}  jCaiaiodors  Chroniken,  und  die  mehr  wortspie- 
lenden  als  genauen  Andeutungen,  de«  Orosw*  zwingen  uns, 
den  Dichter  Claudian  (de  bello  Getico)  und  den  oft  unsichern 
Jornandes  (de  re}>«$  Geticis  c.  29*)  als  einiige  Föhrer  zu  neh- 
men.. -  Nach  dem  leute.rh;  drang  Altrich  unter  Stilicho'*  und 
AjuxpliÄns,Confulat,  dt:i.  ioi  JaUca  400,  upd  zvyar  im  Winter 
am  Ende  des  Jahres,  wie  CJaudian  sagt,  in  Italien  ein.  Allein 
da  wir  erst  40  3  von  berJeuten4en,  kriegerischen  Vorfällen  spre- 
chen huren,  so  war  man  in  grofser  Verlegenheit  womit  man 
die  Zwischenzeit  ,au#föU^n  aolke.  Wahrscheinlich  ist  es, 
dals  Alanen  bei  seinem  ersten  Erscheinen  in  Italien  nicht  sehr 
schnelle  Fortschritte  machte,  und  er  in  der  für  die  Römer  un- 
glücklichen Schlacht  am  Timavus  *)  ,  nich t  w ei t  von  Aquileja ,  < 
auch  bedeutend  geschwächt  wurde ,  so  dafs  ex  «ich- wieder  mit 
neuen  Truppen  verstärkte,  und  eist  im  Jahre  402  nach  Mai- 
land« der  damaligen  kaiserlichen  Residenz,  vorrückte«  Der 
Kaiser  ergrüF  die  Flucht ,  und  wurde  bis  in  die  Nähe  von 
Kavenna  verfolgt ;  allein  Stilicho,  der  von  Norden  ein  Heer 
zur  Rettung  Italiens  herbeiführte,  nöthigte  Alarich ,  dahin 
seinen  .Marsch  zu  richten,  und  den  Kaiser  im  stark  befestig- 
ten Kavenna  zu  lassen.  Des  Hrn.  Verf.  Worte  S.  205.  lassen 
sich  daher  gar  nicht  aus  den  Quellen  rechtfertigen:  „Alarich 
hatte  indessen  den  Hofaus  Mailand  vertrieben ,  auf  der  Flucht 
nach  Lyon,  oder  Arles  in  JLigurien  oder  dem  l'iemontesischen 
erreicht  und  nach  Asti  am  Tanavo  geworfen«  —  obwohl  auch 
Gibbon  **J  nach  seiner  Art  die  Flucht  des  Honorius  nach  Arles 


*)  Die  einsige  Nachricht  davon  gibt  Claudian  de  bello  Ger.  v,  575  s^cr., 
wo  Stilicho,  seine  Truppen  vqr  der  Schlacht  bei  Pollentia  ermun* 
ternd ,  sagt  ; 

Nunc,  nunc,  osocii,  temeratae  sumite  tandem 

Italiae  poenas.    Obscssi  prineipis  armis 

Excusate  nefas,     Deplorqtumqu?  TmavQ 

VulnuS)  et  Albinum  gladiis  abolete  pudorem. 

**)  Biatorj  of  the  decline  and  fall  of  the  Rom»  Emp,  Chapt.  30. 
T.  V.  pag.  163»  cd,  Lips.  Honorius,  aecompanied  bj  a  feeble 
train  of  statesmen  and  eunuchs,  hnstly  retreated  towards  the 
Alps,,  with  a  design  of  securing  his  person  in  the  citj  of  Arles, 
which  had  often  been  the  royal  residence  of  Iiis  predecessors.  But 
Honorius  had  scarcely  passed  the  Po  9  before  he  was  overtaken  by 
the  speed  of  the  Gothic  cavalry ;  sioce  the  urgency  of  the  danger 
compelled  him  to  seek  a  temporary  shelter  within  the  fortification 
of  Asta  etc. 


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v.  Gager n  Nationalgescluchte  der  Deutschen*'  423 

— > 

•  •  •  »-.»I  .  »  *  99* 

und  dessen  Einschliefsung  in  Asti  ausmalt,    Dafs  aber  diese 
Anwesenheit  des  Kaisers  in  Ligurien  statt  fand,  können  wir 
aus  dem  Codex  beweisen,  woraus  wir  sehen,  dafs  der  Kaiser 
402  und  -I o3  beständig  in  Ravenna,  seiner  nunmehrigen  Re- 
sidenz, zugegen  war.     Aus  mehrfachen  Gründen  rückte  Ala- 
rich  nicht  weiter  gegen  Ravenna  und  Rom  vor,  «ondern  rich- 
tete seinen  Marsch  nach  Ligurien  ;  jene  stark  befestigten  Städte 
zu  belagern,  durfte  er  nicht  wagen,  so  lange  ihm  Stilicbo, 
der  mit  allen  Legjonen  von  Norden  herannahte,   im  Rücken 
war  :   leicht  konnte  er  von  den  Verstärkungen  aus  Illyiien 
und  von  der  Donau  her  abgeschnitten,  und  in  einem  unglück- 
lichen Falle  ihm  sogar  der  Rückzug  versperrt  werden.  t)ie 
Hülfe  der  deutschen  Völker,  die  sich  um  diese  Zeit  an  RhU- 
tiena  Grenze  gegen  die  Römer  erhoben,  war  ihm  desto  ge- 
wisser, wenn  er  sich  in  Qberitaliea  hielt.    Daher  »ein  Zug 
nach  Ligurien,  *  r  *  • 

S.  230*  »Den  Mar  ich  ernannte  er  (Attalus)  zum  Römi- 
schen Feldherrn,  Athaulf  zum  General  der  Reiterei.«*  In  der 
Note  293.  ist  dazu  Zosimus  L.  VI.  c.  7.  citirt.  Hier  findet 
sich  zwar  die  Erhebung  Alaricha  zum  Feldberrn,  aber  nicht 
die  Ernennung  Atbaulis  zum  Reitergeneral.  Gewöhnlich 
nimmt  man  an,  dafs  Sigonius ,  der  sagt,  dafs  Ataulf  comes 
domeaticorum  geworden,  ein  vollständigeres  Manuscript  vom 
Zosimus  besessen  habe,  als  wir  jetzt  kennen.  Da  aber  Sigo- 
nius  sonst  ganz  mit  dem  jetzigen  Text  übereinstimmt,  so  ist 
sehr  wahrscheinlich ,  dafs  er  diesen  Zusatz  aus  sich  dazu  ge- 
macht bähe ,  und  die  Stelle  des  Sozomenus  L,  VII,  8.  vor  sich 
hatte ,  wo  von  Athauüs  Erhebung  die  Rede  ist. 

S.  233,  wo  vom  Tode  Alarichs  gesprochen  wird,  wel- 
chen der  Hr.  Verf.  Note  322.  unpassend  »vielleicht  dem  Gra- 
me«« zuschreibt,  heifst  es:  »Um  seine  Grabstatte  zu  sichern, 
bestattete  das  Gothische  Heer  den  unsterblichen  Helden  und 
König  im  Beet  (Bett)  des  Barentin ,  den  sie  deswegen  ab- 
leiteten. In  der  Note  (323)  dazu  wird  Jornand.  c.  30.  ange- 
führt:  Quem  nimia  dilectione  lugentes,  Barentinum  amnem 
juxta  Consentinam  civitatem  de  alveo  suo  derivant.  Ref.  weifs 
nicht,  warum  die  Lesart  Barentinum  amnem  vorgezogen  ist; 
die  gewöhnliche  ist  Busentum  amnem  oder  Basentum  amnem, 
welche  auch  mit  dem  jetzigen  Namen  des  Flusses  Baseno  (wie 
Muratori  angibt)  am  meisten  überein  kommt.  Auch  der  vor- 
treffliche CoJex  Palatinus  Heidelbergensis  nennt  den  Flufs 
nicht  Barentin us,  sondern  Basentus,  und  kommt  daher  am 
meisten  mit  dem  jetzigen  Baseno  überein.    Ueberhaupt  ist  zu 


424  v»  Gagern  Natfonalgeschichte  d«  Deutschen. 

bemerken |  dafs  Jornandes  oft  in  den  Namen  in  seiner  jetzigen 
Gestalt  fast  nicht  gebraucht  werden  kann  ,  und  daher  zu  den 
gröfsten  Bedürfnissen  bei  der  Bearbeitung  der  alten  deutschen 
Geschichte  ,  besonders  der  Gothischen,  es  gehört,  eine  nach 
den  besten  Handschriften  verglichene  Ausgabe  des  Jornandes 
su  besitzen.  * 

~  Im  neunzehnten  Abschnitt  8.  258»  wo  von  dem  West« 
gothenkönig  Athaulf  erzahlt  wird  ,  dafs  er  mehrere  Städte  des 
südlichen  Frankreichs,  Valence,  Narbohne ,  Toulouse,  Bor- 
deaux eroberte,  fährt  der  Hr.  Verf.  so' fort:  wEr  sah  sie  als 
sein  beschied enes  Erbtheil  an,  das  Muth  und  Schwert  ihm 
gab,  wählte  sich  die  Residenz,  die  Villen  und  den  königlichen 
Park,  der  viele  Jahrhunderte  nach  ihm  in  Urkunden  noch  la 
Selva  Gothesca  hiefs«  u,  s.  w.  Der  gelehrte  Maskov  in  der  . 
Geschichte  derTeutschen  (B.  VIII.  gT  36.)  behauptet  nach  Go~  " 
dofredus  Viterbiensis  (in  Pantheo  P.  Xyi.  p.  402.)  und  Otto 
Frisingensis  (Chronicon  L.  IV,  c.  21.)  *  dafs  Heraclea  an  der 
Rhone,  das  nachherige  St.  Gilles,  der  Wohnsitz  Ataulfs  gewe- 
sen, da,  wie.  die  angeführten  Schriftsteller  bewiesen,  der  Ort 
lange  Palatium  Gothorum  und  das  nahe  dabei  gelegene  Gehölz 
Ta  Selva  Gothesca  (nach  Urkunden  bei  Catel  Me'moires  de  PhU 
stoire  de  Languedoc  p.  4530  geheifsen  habe.  Diese  Behaup- 
tung, welche  durch  eine  bei  St.  Gilles  aufgefundene  Inschrift 
bestätigt  zu  werden  schien,  widerruft  aber  Maskov  im  zwei- 
ten Bande,  Anmerk.  XII,  nachdem  ihm  die  gründliche  und 
gelehrte  Widerlegung  des  Benedictiners  Vaisette  in  der  histoire 
de  Languedoc  T.  I.  Not.  XLVI.  p.  643.  zu  Gesicht  gekom- 
men war.  Dafs  jene  Inschrift,  welche  Ataulf  zu  Ehren  bei 
Heraclea  gesetzt  seyn  sollte,  falsch  ist,  zeigt  Vaisette  aus 
Gründen  der  Sprache  und  Geschichte.  Dessen  ungeachtet 
scheint  Freiherr  von  Gagern,  durch  D* An ville's  Unentschie- 
denbeit  verleitet,  geneigt  zu  seyn,  sie  für  ächt  zu  halten. 
Was  aber  die  Angabe  des  Gottfried  von  Viterba  und  Otto  von 
Freisingen  von  einem  Palatium  Gothorum  und  dem  N  amen, 
eines  Waldes  bei  St.  Gilles,  la  Selva  Gothesca,  betrifft,  so 
sa^t  auch  schon  die  angeführte  Note  Vaisette's  pag.  645«  'das 
beste,  was  darüber  gesagt  werden  kann  r  Ces  autorite's  prou- 
vent  tout  au  plus,  que  quelqu'un  des  rois  Visigots,  qui  reg- 
nerent  dans  les  Gaules ,  fit  construire  un  palais  a  St.  Gilles,  ou 
aux  environs,  ce  que  nous  ne  disputons  pas  ;  mais  ce  dtit  &tre 
posterieurement  a  la  mort  de  l'empereur  Majorien,  puisqua 
c'est  seulement  depuis  ce  tems-la,  que  ces  peuples  e'tendirent 
leur  domination  josqu'au  Hhdne.  Ferner  wird  sehr  gut  be- 
wiesen, dafs  das  alte  Heraclea  schon  einige  hundert  Jahre  vor 


« 


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4 

'  '     V,  Gagern  Nationalgesclnchte  der  Deutschen.  425 

Ataulf  «erstört  und  in  der  Zwischenzeit  nicht  wieder  aufge- 
baut worden,  und  dafs  dieser  König  wohl  nicht  im  Territo- 
rium seines  heftigsten  Feindes  Constantius,  im  Gebiete  der 
Stadt  Arles,  seinen  Wohnsitz  aufgeschlagen  habe. 

S.  267.    »Toulouse  wurde  die  Hauptstadt  dieses  neuen 
anerkannten  Westgothischen  Reiches ,  welches  sich  jenseits 
der  Pyrenäen  in  die  Tarraconensis  ausdehnte,  das  heifst,  in 
das  heutige  Catalonien"  u.  s.  w.    Maskov  (Gesch.  d.  Teutsch. 
B.  Vllh  §.  42.)  und  Guthrie  und  Gray  (Th.  V.  Bd.  2.  p.  346 
der  deutschen  Bearbeitung )  stellen  dieselbe  Behauptung  auf, 
dafs  den  Gothen  aufser  den  Districten  in  Gallien  noch  Catalo- 
nien in  Spanien  zu. Wohnsitzen  angewiesen  worden.  Allein 
sie  wird  weder  von  des  Idatius  noch  Prospers  Chronik  unter- 
stützt, und  diese  beiden  sind  einzige  Quellen  Aber  die  Grün- 
'  dung  des  Tolosanischen  Reiches.     Was  Isidoras  Hispalensis 
im  Cbronicon  Visigothorum  darüber  sagt,  ist  aus  Idatius  auf- 
genommen.   Allein  nicht  nur  schweigen  die  Quellen  von  die- 
ser Abtretung  des  Spanischen  Landes  an  die  Gothen  ,  sondern 
der  Verlauf  der  Geschichte  zeigt  auch,  dafs  der  Umfang  des 
Tolosanischen  Reiches  ,    wie  er  von  den  Römern  anerkannt 
wurde,  nur  Arjuitania  secun  da  und  Toulouse  mit  seinem  Ge- 
biete begriff,   und  den  Namen  Septimania  erhielt.  Theodo- 
rich I,  suchte  die  Grenzen  seines  Reiches  zu  erweitern;  dea 
Aerius  tapferer  Arm  hinderte  ihn  ,  seinen  Vorsatz  auszufüh- 
ren.    Thorismund,  sein  Sohn,  regierte  zu  kurz  und  hatte  mit 
iimern  Streitigkeiten  zu  kämpfen,  als  dafs  er  an  Vergrölserung 
des  Reiches  denken  konnte.     Erst  sein  Bruder  Theoderich  11» 
überschritt  mit  Glück  als  Eroberer  die  Grenzen  Septimaniens  , 
nacbdem  er  zuvor  als  treuer  Bundesgenosse  des  Kaisers,  den 
er  auf  den  Thron  gehoben ,  in  Spanien  gegen  die  Sueven  ge- 
stritten hatte.     Er  oder  doch  gewifs  sein  Bruder  Eurich,  der 
sich  zuerst  ganz  Spanien  mit  Ausnahme  von  Gallicien  unter- 
warf, nahm  Catalonien  in  Besitz.    Daher  sagt  auch  der  Dich- 
ter Sidonius  Apollinaris  (ad  Avitum  L.  III.  epist.  1.)  :  Ve) 
Gothis  credite ,    qui  saepe  numero  etiam  Septiraaniam  suam 
fastidiunt,   woraus  zu  ersehen,   dafs  die  Römer  den  Gothen 
nur  Land  in  Gallien  abgetreten  hatten. 

Im  ein  und  zwanzigsten  Abschnitt,  wö  S.  334«  nach  Si- 
donius Apollinaris  Cann.  VII.  v.  3i9  sqrr.  die  Völker,  welche 
Attila  folgten,  aufgezählt  werden,  machen  die  Worte  v.  324» 
Schwierigkeit :  .  / 

—    ulvosa  vel  rjuem  Nicer  abluit  unda, 
"  Proruinpit  Prancus. 


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426  v.  Gagetä  Nationalgeschichte  der  Deutschen. 

■ 

Um  dieselbe  zu  beben,  sagt  der  Hr.  Verf.  S;  335:  „—  es  ist 
wobl  möglich,  dafs  damals  schon  die  Franken  in  wenig  be- 
setzte tmd  wenig  vertheidigte  Gegenden  über  Sieg  und  Lahn 
wnd  Main  vorgedrungen  waren,  und  dafs  des  Neckars  rohrige 
Wellen  sie  bespülten.  Denn  dieser  Neckartiufs  flofs  vermutb- 
lich noch  gegen  Lampertheim  und  Trebur  bin  ,  Landschaften, 
«Jenen  Sumpt  und  Kohr  eigentümlicher  ist,  als  denen  um 
Heidelberg,  Seckenheim  und  Mannheim.«  Wenn  behauptet 
wird,  dals  der  Neckar  früher  einen  andern' Lauf  als  den  jetzi- 
gen hatte,  wofür  nicht  nur  Wahrscheinlichkeit  der  Spuren  des 
alten  Flufsbettes,  sondern  auch  die  geschichtliche  Ueberliefe- 
rung  des  Auimian  Marcellin  (XVIH,  2.)  sprechen,  so  mufs 
dieses  vor  Valentinian  angenommen  werden,  wie  auch  der 
Hr.  Verfc  im  fünfzehnten  Abschnitt  thut.  Denn  S.  110,  sagt 
derselbe:  „der  Kriegsschauplatz  damals,  die  römischen  Lager 
und  festen  Standpunkte  waren  augenscheinlich  gegen  den  Aus- 
Hufs  des  Neckars,  welchen  schönen  Strom  Valentinian  mit 
grofser  Anstrengung  und  Beharrlichkeit  der  Legionen  ganz 
anders  leitete,  als  damals  seiue  Rinne  war*  u.  s.  w.  Wenn 
man  nun  nicht  annimmt,  dafs  nach  Valentinian's  Entfernung 
vom»  Neckar  derselbe  wieder  in  sein  altes  Bett  flofs ,  so  steht 
die  eben  angegebene  Stelle  mit  der  obigen  im  offenbaren  Wi- 
derspruche. Die  Stelle  des  Sidonius  bleiht  freilich  schwierig, 
wenn  man  den  Gordischen  Knoten  nicht  durchschneiden  und 
annehmen  will,  der  Dichter,  nicht  ganz  genau  bekannt  mit 
de;r  Lage  der  Wohnsitze  deutscher  Völker,  hat  hier  einen  poe- 
tischen Schmuck  angebracht,  der  nicht  mit  der  Wahrheit  der 
Geschichte  übereinkommt. 

S.  339,  werden  die  Bundesvölker  der  Römer  gegen  Attila, 
wie  sie  Jornandes  (cap.  36.)  angibt,  aufgezählt.  Da  wegen 
der  Namen  Schwierigkeiten  herrschen ,  so  hätte  die  Stelle  in 
der  historia  miscella  (bei  Muratori  T.  I.  p.  97.),  wie  sie  aus 
denn  Codex  Ambros.  vervollständigt  ist,  und  das,  was  Pagi 
darüber  sagt,  verglichen  werden  sollen.  Dort  werden  anstatt 
der  Ibriones  (Breones  oder  Olibriones)  des  Jornandes  die  Ba- 
liories,  und  anstatt  der  Litiani  die  Luteciani  angegeben.  Je- 
doch hat  auch  der  alte  Codex  Palatinos  Heidelbergensis  von 
Jornandes  Liticiani ,  was  mit  der  bistoria  miscella  ziemlich 
übereinkommt.  Es  möchte  sehr  zu  bezweifeln  seyn ,  dafs  die 
Liticiani,  wie  der  Hr.  Verf.  sagt,  unsere  Leten  sind,  Ihre 
Wohnsitze  verlegt  Pagi  in  den  Hennegau. 

S.  348.  gebt  Attila  zum  zweitenmal  über  deu  Rhein  und 
wird  abermals  in  einer  grofsen  Schlacht  von  den  Westgothen 
überwunden.    Diese  Nachricht,  die  uns  allein  Jornandes  auf- 


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Gagern  Nationalgeschichte  der  Deutschen.  427 


bewahrt  hat,  hätte  der  Hr.  Verf.  nicht  ohne  Zweifel  aufneh- 
men sollen.  Note  163.  p.  75v.  »Und  doch  iit  daran,  nach  so 
umständlichem  Bericht ,  obgleich  alle  andere  Annalen  von  einer 
so  merkwürdigen  Thatsache  schweigen,  nicht  zu  zweifeln." 
x£s  lUfst  «ich  nicht  denken  ,  dafs  eine  s o  wichtige  Begebenheit 
von  den  andern  Schriftstellern  wäre  mit  Stillschweigen  über- 
gangen: worden;  was  etwa  Wahres  an  diesem  Zuge  ist,  und 
Joruandes  zu  dem  Irrthum  verleitet  hat,  ist  der  Krieg  des 
Westgothischen  Königs  Xborismund  mit  den  Alanen  an  der 
Loire,  die  vielleicht  durch  Hunnische  Hulfsvölker  unterstützt 
wurden«  Gregor  von  Tours  LfJI, 'c.7,  erwähnt  dieser  Kriege, 
ohne  jedoch  dabei  der  Hunnen  zu  gedenken, 

Da  der  11  r.  Verf.  schon  früher  den  Arianismus  zum  Ka- 
tholicismus  im  Verhältnils  des  Protestantismus  '  zu  demselben^ 
(wie  dem  Ref.  scheint,  nicht  passend)  dargestellt  hat,  so  hat 
auch  folgende  Stelle  im  zwei  und  zwanzigsten  Abschnitt  S.  372.  ' 
darauf  Bezug  :  Eine  der  angesehenen  Kirchen  Roms  verdankt 
ihm  (Ricimer)  die  Entstehung,  wenigstens  die  Dotirung  —  1 
Diese  Kirche  bestimmte  er  zum  Gottesdienste  und  Begräbnifs- 
ort  der  Arianer  seiner  Kriegsgefährten ,  zum  grofsen  Aerger- 
nifs  des  Cardinal  Baronius.  Pabst  Gregor  der  Groise  gab  sie 
hernach  den  Rechtgläubigen  zurück,  liels  die  Gebeine  der  hei« 
ligen  Agathe  dahin  bringen  ,  und  einer  der  Cardinäle  führt 
noch  als  Diacon  davon  den  Titel,  Wenn  irgend  so  entfernte 
Nationalstiftungen  und  Erinnerungen  noch  einige  Gültigkeit 
haben  könnten,  sollte  namentlich  diese  Pfründe  stets  einem 
unsrer  Landsleute  verliehen  werden  \  Und  es  geht  daraus  fer- 
ner hervor,  dafs  der  protestantische  Gottesdienst  in 
eigener  Kirche  zu  Rom  selbst  nicht  neu  sey. 

Im  letzten  Abschnitte  S.  477.  folgt  der  Hr.  Verf.  in  der 
Darstellung  des  Krieges,  den  Clodwig  gegen  den  Burgundi- 
schen König  Gundobald  (im  J.  500.)  führte,  dem  Procop,  der 
ganz  gegen  Gregor  von  Tours  und  die  andern  Fränkischen 
Schriftsteller  den  Ostgothtscben  König  Theodorich  Theil  an 
diesem  Kriege  nehmen  läfst,  was  ganz  und  gar  dessen  Grund- 
sätzen von  der  Erhaltung  des  Friedens  unter  den  deutschen 
Fürsten  widerspricht.  Mit  Recht  verwirft  daher  nach  der 
Einsicht  des  Ref.  der  gelehrte  Maskov  den  in  der  Fränkischen 
Geschichte  s-ehr  schlecht  unterrichteten  Procop;  und  es  möchte 
nicht  zu  loben  seyn  ,  dafs  der  Hr.  Verf.  den  Ansichten  von 
Gibbon  und  Du  hos  (in  der  histoire  critique  de  1*  e'tablissement 
de  la  Monarchie  franc;ai$e  dans  les  Gaules)  folgt,  wovon  jener 
gern  Widersprechendes  verbindet  und  daher  Neues  zu  geben 
liebt,  der  andere  aber,  obwohl  ein  sehr  geistreicher  Mann, 


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I 


428  v.  Gagern  National  geschieh  te  der  Deutschen. 

doch  allen  Quellen  entgegen  Behauptungen  aufstellt ;  die  ein 
Geachichtkundiger,  wie  der  Hr.  Verf.,  nicht  adoptiren  sollte. 
Dahin  rechnet  lief,  besonders  auch  die  Worte  S.  4&0:  „Es. 
wird  nicht  so  ausdrücklich  gesagt,  aber  es  gebt  aus  den  fol- 
genden Verhältnissen  hervor,  dafs  Theodorich  gegen  die  Ab- 
tretung von  Marseille  mit  ansehnlicher  Umgebung  seinen  Frie- 
den scnlofs"  —  welche,  wie  in  der  Note  152.  S.  844.  be- 
merkt ist,  sich  auf  des  Dubos  Bemerkung  IV.  6.  stützen: 
Queis  furent  les  pays  dont  Theodoric  se  mit  alors  en  posses- 
sion?  Ce  fut  la  ville  de  Marseille  et.  la  province  Marseilloise 

Srises  sur  les  Visigoths  par  les  Bourguignons  apres  la  raort 
u  Roi  Euric.  —  Dieses  kann  nicht  nur  nirgends  nachgewie- 
sen werden,  sondern  es  liegt  das  Unrichtige  der  Behauptung 
aucb  in  der  Sache  selbst.  Das  Tolosaniscbe  Reich  besala  eine 
bedeutend  gröfsere  Macht  als  das  Burgundische,  und  Eurich, 
der  mächtigste  König  seiner  Zeit,  hat,  wenn  wir  auch  des 
Jornandes  Worte  (Burgundiones  subegit)  nicht  buchstäblich 
nehmen  wollen,  die  Burgunder  gewifs  in  den  letzten  Jahren 
seiner  Regierung f  als  er  ihr  Grenznachbar  geworden,  in  meh- 
reren Treffen  überwunden.  Dafs  zwischen  Alaricb ,  Euricbs 
Nachfolger,  und  Gundobald  irgend  ein  Krieg  ausgebrochen, 
davon  geschieht  bei  keinem  Schriftsteller  Erwähnung;  im  Ge- 
gentbeil  haben  wir  Nachrichten ,  dafs  zwischen  beiden  Köni- 
gen bis  zum  Jahre  500  ein  gutes  Einverständnis  herrschte, 
und  es  können  sogar  Beweise  geführt  werden,  dafs  der  West- 
gothische  König  den  Burgundiscben  heimlich  gegen  Clodwig 
unterstützte.  yon  diesem  allen  abgesehen  ,  zeigt  aber  auch 
schon  die  folgende  Zeit,  dafs  Theodorich  der  Grofse  nicht 
früher  in  den  Besitz  von  Marseille  kam,  als  nach  Alarichs  un- 
glücklichem Tode  in  der  Schlacht  bei  Vongle.  Denn  dann 
schickte  er  zuerst  ein  Heer  unter  dem  General  Ibbas  nach  der 
Provence,  und  als  Arles  von  der  Belagerung  der  Franken  be- 
freit war  (508),  wurden  die  Ostgothen  Herren  von  Marseille. 

S.  491.  „Drei  fs  ig  Jahre  lang  herrschte  über  diese 
Sueven  (in  Spanien),  in  so  tumultuarischer  Zeit,  Herman- 
rich,  der  sie  hinüber  geführt  hatte.«  Maskov  (Gesch.  der 
Teutsch.  B.  IX.  §•  20.)  mag  diese  irrige  Angabe  veranlafst 
haben,  wenn  er  sagt:  „Ihr  (der  Sueven)  König  Hermanaricus, 
der  die  Nation  nach  Spanien  geführet,  und  über  dreifsig  Jahre 
sein  Reich  gegen  die  Römer  und  Gothen  mit  so  vieler  Tapfer- 
keit behauptet  hatte,  sah  sich  durch  langwierige  Leihes- 
achwachheit  genöthigt,  die  Regierung  seinem  Sohne  Rechilae 
zu  überJassen.«  Hier  findet  aber  offenbar  eine  Namenaver- 
wechslung  statt,  und  um  dieses  einzusehen,  braucht  man  nur 


1 


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v.  Gagern  Naüonalgeschiohte  der  Deutschen.  4  - f) 

eine  Stelle  aus  des  Idatius  Chronicon  ad  a.  V.  Valentin ian. , 
wo  von  Gaiserich's  Abzug  aus  Spanien  nach  Afrika  die  Rede 
ist,  anzuführen.  Darnach  wird  ganz  richtig  erzählt  S.  2&3* 
»jGai seriell  war  bereits  dem  Spanischen  Ufer  mit  dem  Heeres« 
zuge  nahe,  als  er  vernahm  9  dafs  die  eifersüchtigen  und  zu  gte^ 
rigen  Sueven  den  Ziehenden  schon  auf  dem  FuFs  folgten.  £r 
wendete  sich  daher  schnell ,  griff  den  Feind  bei  Merida  leb» 
baft  an  9  und  zersprengte  ihn  dermafsen  ,  dafs  Hermigar, 
ihr  König,  der  verum th lieh  die  wohlausgestatteten  Kirchen 
geplündert  oder  sonst  entweiht  hatte,  in  der  Guadiana  er- 
trank. Da  der  Vandalenkönig  im  Mai  429  in  Afrika  ankam, 
so  mag  Ilennigars  Tod  noch  in  das  Jahr  42Ö  fallen.  Sein  Nach* 
folger  jfiermerich  öder  Hermanrich  ,  der  im  Jahre  436*  seinem 
Sohne  Rechila  aus  .LeibessCb wachheit  die  Regierung  abtrat, 
lebte  nach  dem  ausdrücklichen  Zeugnisse  des  Idatius  noch  drei 
Jahre,  also  bis  44  I  oder  Anfangs  442,  in  welcher  Zeit  er  im- 
mer noch  sein  königliches  Ansehen  behauptete.  Damit  stimmt 
denn  fast  ganz  genau  überein  Isidor  von  Sevilla  ,  wenn  er  in 
der  historia  Suevorum  ( Hispania  illustrat.  T.  Hf,  pag.  852.) 
sagt:  Wandalis  autem  transeuntihus  Africam  Galliciam  soli 
Suevi  sortiti  sunt  :  quibus  praefuit  Emericus  annis  quatuor- 
deeim,  . 

S.  493.  „Kurich  fand  Anlafs,  durch  Beschickungen  und 
Verträge  zwischen  den  Sueven  oder  Remismund  und  dem  Kai» 
ser  aufmerksam  geworden,  in  JLusitanien  einzufallen  (46Ö), 
sofort  auf  der  Rückkehr  die  provincia  Tarraconensis  —  die 
Reste  der  Kornau ie  im  nördlichen  Spanien,  Pampeion. >,  Sarra- 
gossa  Gothisch  werden  zu  lassen.  Wieder  nach  Gallien  zu* 
rückgekebrt,  nahm  er  Arles  und  Marseille,  begünstigt  durch 
Einverständnisse,  und  belagerte  Augustonemetum  oder  Oer« 
mont,  die  Hauptstadt  von  Auvergne.**  S.  4-94.  >»Arles  und 
Marseille  wurden  zurückgegeben,  aber  die  Landschaft  Anvergne 
blieb  in  Eurichs  Händen«,  und  S.  495.  „Eurich  nahm  aber- 
mals Arles  und  Marseille. «  Hier  ist  in  der  Reihenfolge  der 
Begebenheiten  nicht  nur  gegen. die  Chronologie  gefehlt,  son- 
dern die  Abtretung  der  zwei  genannten  Städte  ,  nach  der  ersten 
Eroberung,  die  nicht  stattfand,  entbehrt  der  historischen 
Beweise.  Wie  der  Hr.  Verf.  die  Sache  dargestellt  hat,  so  ist 
sie. fast  allgemein  bei  den  Historikern  angenommen,  zu  wi- 
ehern Irrthum  nicht  bjos  Jornandes,  der  bekanntlich  oft  Ver- 
stöfse  gegen  die  Chronologie  begeht  und  frühere  Thatsachen 
später  geschehenen  nachsetzt,  Veranlassung  gegeben  hat,  son- 
dern auch  der  Appendix  zu  Vicrors  Chronik  und  die  bei  Vielen 
so  bedeutende  Auctorität  des  höchst  verdienstvollen  Chrono* 


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430  Gogeru  Nationalgesehichte  der  Deutschen. 

logen  Pagi,  Da  im  Buche  über  diesen  Theil  von  Eurichs  Ge- 
schichte, der  zu  den  schwierigsten  gehört,  mit  Leichtigkeit 
,  hinausgegangen  wurde  ,  so  hält  Ref.  für  nothwendig ,  etwas 
ausführlicher  darüber  zu  sprechen  ,  um  zugleich  auch  die  Be- 
weise der  obigen  Behauptung  beizubringen.  — -  Aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  machte  Kurich  die  FeldzÜge  in  Spanien 
gegen  Römer  und  Sueven  in  den  Jahren  468  — 469»  welche 
Jdatius  am  Ende  seiner  Chronik  berichtet,  nicht  in  Person 
mit,  da  er  in  Gallien  zu  thun  hatte,  wo  er  470  die  Britten 
unter  ihrem  Fürsten  Riothimus  schlug.  Die  Anstrengungen, 
das  fast  mitten  im  Tolosaniscben  Reiche  gelegene  Land  Au- 
vergne  zu  erhalten,  wurden  durch  die  Tapferkeit  des  Römers 
Ekdicius  vereitelt.  Erst  durch  einen  Vertrag  im  Jahre  474 
oder  Anfangs  475  wurde  dieses  Land,  da  es  doch  nicht  länger 
behauptet  werden  konnte,  vom  Kaiser  Nepos  den  Westgothen 
überlassen.  Dafs  dagegen  Eurich  Arles  und  Marseille ,  wie 
Pagi  (Annal.  ad  a.  474«  N.  XI.)  angibt,  herausgegeben  habe, 
wird  eben  so  wenig  von  einem  alten  Schriftsteller  gesagt,  als 
dafs  er  diese  Stüdte.  vor  seinem  Zuge  nach  Spanien,  wodurch 
er  sich  die  Provincia Tarraconensis  unterwarf,  eroberte.  Auch 
zeugt  die  Gesandtschaft  der  Bischöfe  aus  eben  diesen  Städten, 
welche  Nepos  474  an  den  Westgothenkönig  schickte,  schon 
dagegen.  Die  Eroberung  Spaniens  füllt  aber  weder  in  das 
Jahr  467  (wie  Guthrie  und  Gray  wollen),  noch  in  das  Jahr 
469  (wie  die  meisten  annehmen),  sondern  sie  geschah  477. 
Durch  die  Abtretung  von  Auvergne  hatte  Eurich  mit  dem  Rö- 
mischen Kaiserreich  einen  Frieden  eingegangen,  den  er  auch 
bis  zum  Sturze  dei  Romulus  Augustinus  hielt  (476).  Mit 
der  Auflösung  des  Weströmischen  Reiches  glaubte  Eurich, 
schon  im  Besitze  grofser  Länderstricbe  in  Spanien,  berechtigt 
zuseyn,  sich  dasselbe  ganz  zuzueignen.  Wahrscheinlich  in 
Begleitung  des  Ostgothischen  Fürsten  Widimer,  der  seit  473 
ihm  in  Gallien  bei  seinen  Eroberungen  bis  an  die  Rhone  und 
Loire  grofse  Dienste  leistete,  zog  er  (477)  über  die  Pyrenäen, 
und  unterwarf  sich  anfser  dem  nordwestlichen  Winkel,  Galli- 
oien,  das  er  den  Sueven  liefs,  die  ganze  Halbinsel.  Folgen 
wir  nun  dem  Isidor  von  Sevilla,  so  ging  Eurich  gleich  nach 
der  Rückkehr  aus  Spanien  (478)  über  dieRbone,  und  eroberte 
Arles  und  Marseille,  oder  weil  wir  Nachrichten  haben  ,  dafs 
die  Provence  dem  Exkaiser  Nepos  bis  an  seinen  Tod  treu 
blieb  ,  so  könnte  diese  Ei  oberung  auch  vielleicht  480  zu  setzen 
seyn.  Freilich  sagt  der  Appendix  zur  Chronik  des  Victor 
Tunnunensis  (ed.  Scaliger.  ;  in  andern  Ausgaben  ,  auch  in  der 
Hispan>  illustr.  T.  IV.  fehlt  die  Stelle},  dafs  unter  dem  Con- 

• 

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r.  Gagera  Nation»Ige«chichUi  der  Deutschen.  43 1 

sulat  des  Johannes  und  Severus,  d.  i.  470,  Eurtch  über  die 
Rhone  gegangen;  allein  in  diesem  Appendix  kommen  mehrere 
Beispiele  vor,  dafs  von  den  Copisten  diese  Randbemerkungen 
an  unrechte  Stellen  geschrieben  wurden. 

S.  496.     „Besonders  besserte  und  mehrte  er  (Alanen  II.) 
die  Sammlung  der  Gesetze ,    um  welche  sich  schon  der  Vater 
und  Grofsvater  Mühe  gegeben  hatten.«     Isidors  Worte, 
die  ausdrücklich  dem  Ellrich  das  Verdienst  zueignen  ,  zuerst 
den  Westgothen  geschriebene  Gesetze  gegeben  zu  hahen  ,  be- 
weisen mehr  als  eine  mit  Worten  spielende  Stelle  bei  Sidonius 
Apollinaris  L.  II.  epist.  1,   wo  er  üher  den  Verriither  Sexo- 
iiatus,   der  mit  den  Gothen  Einverständnisse  unterhielt,  ibl- 
gendermafsen  loszieht:   Exultans  Gothus  insultansq  ue  Ron  la- 
nis,  illudens  praefectis  colludensrrue  numerariis :    leges  Th<;o- 
dosianas  calcar.s  Theodoricianasrrue  proponens,  veteres  culpas, 
nova  tributa  perrruirit.     Hier  setzt  Sidonius,  das  Spiel  der 
Worte  vollständig  zu  machen  ,   offenbar,  blos  um  die  le^es 
Tbeodosianas  mit  einem  Gegensatz  zu  versehen  ,  Theodoricta- 
nas#     Aus  diesen  Worten  aber  schliefsen  zu  wollen,  dafs 
Theodorich  (ungewifs  ob  der  Vater  oder  Bruder  Eurichs)  den 
Westgothen  schriftliche  Verfügungen  gegeben  habe,  halt  Ref. 
für  zu  gewagt.     Da  Isidor  sagt:    Gothi  antea  (ante  Euricumj 
tantum  moribus  et  consuetudine  tenebantur,  so  lSfst  sich  die- 
sen bestimmten  Worten  jenes  Spiel  des  Sidonius  nicht  ent- 
gegensetzen. 

Hier  durchzugehen,  an  wie  vielen  Orten  der  Hr.  .Verf. 
über  bisher  zum  Theil  oder  ganz  dunkle  Punkte  in  der  deut- 
schen Geschichte  Licht  verbreitet,  wie  manche  Begebenheit 
er  neu  und  wahr  entwickelt,  und  überhaupt,  wie  viel  durch 
ihn  die  Geschichte  unseres  Vaterlandes  gewonnen  hat,  möchte 
bei  weitem  die  Grenzen  einer  Recension  überschreiten.  JEiri 
jeder»  der  mit  der  Geschichte  vertraut  ist,  wird  bei'm  Durch- 
lesen des  Buches  gewifs  diese  Ansicht  mit  dem  Ref.  theilen. 


Oer  Unterzeichnete ,  dem  so  eben  auch  eine.  Anzeige  von 
Ludens  deutscher  Geschichte  von  einem  andern  jungen  Ge- 
lehrten zukommt,  würde  eine  Beurtheilung  der  v.  Gagernschen 
Nationalgesch iebte  der  Deutschen  wahrscheinlich  anders  ab« 
fassen;  er  erklärt  daher ,  dafs  diese  Recension  einen  gelehrten 
und  fleifsigen  Mann,  den  Professor  Dr.  Aschbach  in  Frank- 
furt am  Main ,  zum  Verfasser  hat,  Hr.  Aschbach  ist  dem 
Unterzeichneten  durch  mehrere  gelehrte  Arbeiten,  besonders 


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432  Juvenalis  Satirae  ed.  Cramer. 

durch  «ine  schon  ganz  ausgearbeitete  Geschichte  Spaniens  unter 
den  Westgothen,  vortbeilhaft  bekannt,  und  er  hofft,  dafs 
die  Beurtbeilung  selbst  die  Gründlichkeit  ihres  Verfassers  be- 
weisen wird» 

Schlosser* 


In  D.  Junii  Juvenalis  Satiras  C  ommo  ntarii  vetastt. 
Post  F.  Pithoei  curas  aux'u  ,  virorum  doctorum  suisque  notis  in- 
struxit  D.  A*  G,  Cramer9  J.  C.  et  Antecessor.  Hamburgi, 
apud  Perthes  et  Besser.  MDCCCXXIII.  656  Seiten  in  grofs 
Octav.   .  3  Thlr.  18  Gr. 


w       '  ■ 

Wenn  man  in  neueren  Zeiten  mehr  Bemühung  und 
Sorgfajt  auf  die  Erklärung  des  Juvenalis  verwandt  hat,  so 
znulste  man  es  um  so  mehr  beklagen,  dafs  auch  nicht  ein  Theil 
dieser  Bemühungen  dem  alten  Erklärer  des  Satyrikers  zuge- 
wendet wurde,  dafs  man  im  Gegentheil  mit  Verachtung  auf 
die  schwachen  Von  ihm  binterlassenen  Ueberreste  hinblickte, 
oder  sie  keines  Studiums  für  würdig  erachtete.  Gründliche 
Forscher,  vertraut  mit  dem  Dichter  selber,  wie  mit  dessen 
alten  Erklärer,  urtheilten  freilich  nicht  so;  ihnen  konnte  es 
nicht  verborgen  bleiben,  welchen  Schatz  von  wichtigen  Nach« 
richten  und  Angaben  aller  Art,  höchst  wichtig  im  Allgemeinen 
für  die  Kenntnifs  des  Alterthums,  wie  im  Besondern  für  die 
Erklärung  des  Juvenalis,  welche  zahlreiche  Fragmente  verlo- 
ren gegangener  Dichter  und  dergl.  mehr  diese  freilich  mangel* 
haft,  verstümmelt  und  verdorben  auf  uns  gekommenen  Ueber- 
reste alter  Erklärer  des  Juvenalis  enthalten.  Und  so  fand  es 
selbst  ein  Cramer  Wohl  der  Mühe  werth  ,  die  alten  Scholien 
des  Satyrikers  zum  Gegenstande  einer  neuen  Bearbeitung  zu 
machen,  der  wir  nicht  blos  die  vollständige,  verbesserte 
Sammlung  alles  dessen  verdanken,  was  davon  aus  dem  Alter« 
thum  auf  uns  gekommen,  sondern  vielfache  Berichtigungen 
und  Erklärungen  des  Dichters  selber,  ausgezeichnet  eben  so 
sehr  durch  Scharfsinn,  wie  durch  allumfassende  Gelehr- 
samkeit. 


,  (Der  Beschlufs  folgt.) 


.  *  .  ,  »  •         •  •  •  • 


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N.  28.  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur* 


In  D.  Junii  Juvcnalis  Satiras  Commentarii  vetusti. 


(Betchlufs.) 

Bekanntlich  ist  das,  was  wir  unter  dem  Namen  der 
Scholien  des  Juvenalis  gewöhnlich  hegreifen ,  zurrst 
von  Fithöus  aus  einer  anpe  blich  Of  ner  Handschrift,  von  der 
man  freilich  seitdem  nichts  in  Erfahrung  mehr  hat  bringen 
können ,  edirt  worden  y  indem  die  Bruchstücke,  die  früher 
Valla  daraus  bekannt  gemacht  ,  hier  nicht  in  Anschlag  ge- 
bracht werden  können.  Aus  der  Ausgabe  von  Fahrnis  (1585) 
sind  diese  Scholien  mehrmals  in  der  Folge  mit  mehr  oder  We- 
niger Genauigkeit  abgedruckt  worden,  .zu  Heidelberg  1590, 
zweimal  zu  Fat is ,  1602,  1613,  und  von  Schre  v e  1  i u  s  1648, 
dessen  Bemühungen  um  die  Wiederherstellung  und  Verbesse- 
rung der  aus  jener  Ofner  Handschrift  in  höchst  verdorbener  9 
von  Fehlern  aller  Art  wimmelnden  Gestalt  durch  Fithöus  her» 
ausgegebenen  Fragmente  freilich  von  keinem  sonderlichen  Er- 
folg begleitet  waren.  Ihm  folgte  Henninius,  der,  indem 
er  seiner  Ausgabe  des  Juvenal  einen  Abdruck  dieser  alten  Scho- 
lien beifügte,  auch  zugleich  in  einem  Spicilegium  Animadver» 
sionum  seine  eigenen  Verbesserungsvorschläge ,  wie  die  an- 
derer Gelehrten ,  niederlegte.  Seitdem  ist  eigentlich  nichts 
für  die  alten  Scholien  des  Juvenal  geschehen;  und  auf  das, 
Was  wir  angeführt  haben  ,  beschränkt  sich  Alles.  Die  Schwie- 
rigkeit, ohne  handschriftliche  Mittel  bedeutende  Verbesse- 
rungen mit  Glück  anzuwenden,  die  oberflächlichen  ,  ungün- 
stigen Urtheile  Anderer  waren  allerdings  Hindernisse,  welch» 
Manchen  zurückschrecken  mochten,  nur  nicht  Hrn.  Gramer, 
der  bereits  in  einem  Programm  vom  Jahr  1Ö20  die  Scholien  zu 
den  beiden  ersten  Satiren  herausgab,  und  dadurch  Hoffnungen 
in  uns  erregen  liefs,  welche  jetzt  glücklicher  Weise-  in  Erfül- 
lung g**gan£en 

sind.  Der  Zufall  ff.&t«  es  nämlich,  dafs  Hr. 
Gramer  auf  einer  gelehrten  Reise  in  der  an  handschriftliche» 
Schützen  so  reichen  Bibliothek  zu  St.  Gallen  eine  »ehr  alte 

XJX.  Jahrg.   5.  Heft.  28 


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434     .»  Jurenalis  Satlrac  ed.  Craxner.  . 

Handschrift  entdeckte,  welche  die  Scholien  des  Juvenal  (je- 
doch ohne  den  Text  des  Dichter*  selber)  enthielt,  und  jvovon 
sich  Hr.  Gramer,  der  in  ganz  St.  Gallen  kein  Exemplar  der 
von  Pithöus  herausgegebenen  Scholien  fand»,  mit  dem  er  selber 
die  Vergleicbung  hätte  vornehmen  können,  ein  höchst  getreues 
Fac  simile  machen  liefs,  welches  ihm  auf  diese  Weise  den  Be- 
sitz der  Handschrift  selber  und  die  eigene  Vergleichung  er- 
setzen konnte.     Der  Codex  selber,  im  Catalog  der  Bibliothek 
mit  No.  476.  bezeichnet,  und  in  das  zehnte  Jahrhundert  ge- 
wiesen, möchte  wohl  mit  mehr  Hecht  in  das  eilfte  Jahrhun- 
dert gehören.     Er  ist  in  Quartformat  auf  glattem  Pergament, 
mit  sehr  zierlichen  Buchstaben  beschrieben,  ohne  zahlreiche 
oder  schwer  zu  verstehende  Abbreviaturen,   kurz  mit  allen 
Anzeigen  einer  sehr  alten  ,  schönen  Schrift.     Er  enthält  im 
Ganzen  mehr,  als  der  von  Fitböus  herausgegebene  Scholiast, 
er  giebt  an  vielen  Stellen  bessere  Lesarten ,  woraus  der  alte 
Scholiast  kann  berichtigt  werden,  obgleich  doch  wahrschein- 
licher Weise  beide  Handschriften  aus  Einer  Quelle  geflossen 
sind.     Ueber  die  Beschaffenheit  der  Scholien  selber  äufsert 
sich  Hr.  Gramer  (S.  3.)  folgendermafsen :    „Quorum  omniiun 
fere  hacc  facies  est,  ut  fundamenti  loco  sit  antiquus  aliquis 
Grammaticus ,  doctus  hercle,  verumque  quae  tractavit,  quo 
propior  aberat  ab  illo  quem  illustravit  scriptore,  tanto  etiam 
peritior,  ad  quem  vero  deinceps  alii  mediae  aetatis  magistelii, 
monachi,  scholares,   Suas  nugas  suaqne  aegri  somnia  allinere 
instituerunt,  neque  in  his  sordibus  substitere,  sed  quae  proba 
recta,  ea  detrahendo,  interpolando ,  mutando  ita  in  pejus  re- 
formarunt,  ut  pristini  auctoris  facies  passim  aut  plane  oblitte- 
raretur  ,  aut  sui  prorsus  dissimilis  evaderet.«     Die  Zeit,  in 
welcher  dieser  alte.  Erklärer  gelebt,  bestimmt  Hr.  Cramer  da- 
hin, dafs  er  aus  mehreren  Stellen  den  richtigen  Schlufs  zieht, 
der  Verfasser  dieser  Scholien  sey  ein  Heide  gewesen,  noch 
vor  der  Zeit,  als  unter  Constantin  dem  Grofsen  die  christliche 
Religion  Ansehen  und  Bedeutung  gewonnen;    er  zeigt  viele 
Kenntnifs  der  Geschichte,  Antiquitäten  und  Mythen,  Bele- 
senheit in  vielen  Schriftstellern,  unter  denen  manche  sich  be- 
finden, von  denen  wir  nur  durch  ihn  Kenntnifs  erhalten  haben. 
Aber  leider  kleben  ihm  nur  zu  sehr  Makel  und  Verderlmils 
späterer  Zeit  an',  was  um  so  mehr  zu  beklagen,  da  wir  nicht 
eine  Reihe  von  Handschriften,  wie  in  andern  Fallen  ,  besitzen, 
aus  der  wir  nach  und  nach  mit  leichterer  Mühe  diese  Scholien 
berichtigen  und  ergänzen  könnten. 

Nach  diesen  allgemeinen  Bemerkungen  bleibt  uns  übrig, 
von  dem  zu  reden,  was  Hr.  Gramer  in  dieser  neuen  Bearbei- 


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JuvcnalU  Salirae  ©a.  Cramer. 


435 


tung  der  Scholien  geleistet  hat.  Er  legte  allerdings  »einem 
Abdruck  der  Scholien  den  des  Pitbtfus  zu  Grunde,  fügte  dann 
die  in  der  St.  Gallener  Handschritt  allein  enthaltenen  Stücke 

fehörigen  Ortes  ein,  jedoch  unterschieden  durch  Sternchen, 
eder  Stelle  sind  mit  kleinerer  Schrift  unten  heigedruckt  die 
abweichenden   Lesarten,    dann  etwaige  Bemerkungen  ,  von 
Schrevelius  und  Henninius,  so  wie  von  Schurxfleisch  aus  des- 
sen selten  gewordenem  Spicilegium  animadversionum  in  D. 
Junii  Juvenalis  Satyras  XVI,  Viennae  1717,  Alles  gehörigen 
Ortes  eingeschaltet.     Daran  schliefsen  sich  die  reichhaltigen 
Zusätze  und  Bemerkungen  des  Herausgebers  selber  an,  die 
auf  gleiche  Weise  vielfaches  Licht  über  den  alten  Scholiasten 
sowohl,  wie  über  den  Juvenal  selber  verbreiten,   und  zu« 
gleich  alle  übrigen  anderwärts  und  gelegentlich  von  Andern 
gemachten    Berichtigungen    und    Erläuterungen  nachtragen. 
Wie  umfassend  dieselben  sind ,  kann  schon  aus  der  Seitenzahl 
hervorgehen,  denn  S.  19  his  564  füllt  der  Abdruck  der  alten 
Scholien  ,  nebst  den  jedem  einzelnen  Scholion  untergesetzten 
Noten  und  Erläuterungen.     Wie  manch«  Stellen  des  Dichters 
sind  hier  erklärt,  wie  manche  schwierige,  seltnere  Ausdrücke 
des  Scholiasten  verständlich  gemacht  und  durch  die  seltene  Ge- 
lehrsamkeit und  Belesenheit  des  Herausgebers  nicht  Mos  da, 
wo  die  Sache  in  das  Gebiet  der  Jurisprudenz  einschlägt,  son- 
dern auch  in  andern  Gegenständen,   deren  Behandlung  wohl 
Wenigen  obliegt,  erklärt.    So  z.  B.  V,  143.  p.  182.  armilau- 
sia.     V,   165.  p.  186.  corrigia.    VI,  310.  p.  224«  siphon.  VII, 
165-   pi'g-  298.  prorroga.    IV,  35.  p.  360.  Diptycha.    JX ,  145. 
p.  376.    anaglypharii.     XIII,  73.  p.  485,  commendare.    I,  106. 
p.  60.  fiber,  biber.    III,  38.  p.  76  *(f^.  foricarii  etc.    HI,  136» 

fi.  92.  sellariae.  III,  150.  p.  94.  sutriballus.  III,  204»  p.  SO!« 
V,  24»  Pag»  122.  chartapolae ,  chartoprata,  chartarii.  IV,  tOO* 
p.  139.  lusoria  XIV,  61.  p.  509.  camara.  XIV,  222.  p.  527. 
offocare.  XIV,  305.  p.  535.  SparteolU  und  unzähliges  Andere 
der  Art,  wovon  wir  noch  im  Verfolg  Manches  anführen 
werden. 

Snt.  II,  142.  p.  66.  erklärt  der  Herausgeber  solium  rich- 
tig durch  aloeus  lavandi  causa  institutus ,  %\j.ßavi$t  und  beruft  sich 
dabei  auf  die  Autorität  de*  Festus.  Wir  fögen  noch  Sueton. 
Vit.  August.  82.  und  Plinius  H.  N.  XXXIII,  12.  bei.  —  Sat. 
III,  10.  p.  71.  72.  billigen  wir  vollkommen  die  Erklärung  des 
Herausgebers,  wo  er  die  Worte  des  SchoKasten  :  „primum 
enim  ibidem  fuerunt  portae,  quae  porta  Capena  vocahaturcc  so 
Versteht,  dafs  jener  Atruäduct,  von  >dem  hier  die  Rede  ist, 
»ich  erstreckt  bis  au  das  Thor,  da«  jetzt  die  Benennung  de« 

28  * 


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\ 

436  Juvenali«  Saline  ed.  Cramer. 

• 

Capeniicben  fahrt.  Denn  dies  ist  gewifs  die  einzlg^mögliche 
Erklärungsweise.  Schwieriger  sind  die  folgenden  Worte  des 
Scholiasten:  „Capenam.  Per  correptivom ,  id  est,  Capena«!, 
und  Wir  unterschreiben  hier  gerne  die  Worte  des  Herausge- 
bers:  „  Haeo  quid  significent  9  dicant  doctiores.**  Auch  Ree.  weil« 
nicht,  was  er  mit  Correptivum  anfangen  soll,  das  er  in  jedem 
Falle  für  verdorben  hält,  obgleich  er  eine  Ahnung  dessen  zu 
haben  glaubt  ,  was  vielleicht  der  Scholiast  angedeutet  haben 
könnte.  Bekanntlich  macht  das  vs.  12.  folgende  hic  Schwierig- 
keit, wenn  man  nicht  mit  Wagner  dafür  hina  lesen  oder  das 
hic  in  dem  Sinne  von  hino  nehmen  will;  sollte  nur  nicht  der 
Scholiast,  fragt  Ree. ,  eben  darauf  sieb  beziehen,  dafs  mau  aus 
Capenam  für  das  folgende  ein  Capona  (das  also  darin  liege)  im 
Ablativ  herausnehme  und  für  das  folgende  hinzuzudenken  seyt 
etwa  in  dem  Sinne:  hier  oder  von  hier  (nämlich  von  dem 
Capenischen  Thore  aus)  stiegen  wir  in  das  Thal  der  Egeria ; 
wie  denn  der  Zusammenhang  von  vs.  19.  mit  vs.  17.  in  vallem 
Egeriae  descendimus  bereits  von  Wagner  nachgewiesen  wor- 
den. Dies  ist  die  einzige  Art,  wieB.ec.  sich  einigermafsen 
die  sonst  unverständliche«  Worte  des  Scholiasten  zu  erklären 
weifs.  —  Sat.  III,  32.  pag.  74.  „siccandam  eluviem  ut  publici 
fani  eloacam«  kann  man  die  Vermuthung  des  Hrn.  Cramer, 
dafs  hier  zu  lesen  «t  pubiieani  cloacawi ,  eine  gewifs  glückliche 
und  gelungene  Verbesserung  nennen;  wobei  wir  zugleich  einige 
Erörterungen  über  die  Sache  selber  erhalten.  Ibid.  vs.  32.  bei 
den  von  Ruperti  als  inept  verworfenen  Worten  des  Scholiasten 
zu  dem  Texte  des  Juvenal :  Met  praebere  caput  domina  venale 
8ub  basta"  gieht  uns  Hr.  Cramer  zugleich  seine  eigene  An- 
sicht von  dieser  für  die  Erklärung  so  schwierigen  Stelle,  und 
zeigt  die  Unrichtigkeit  der  von  Rupert!  gegebenen  Erklärung. 
Unter  caput  venale  versteht  Hr.  Cramer  ganz  richtig  öffent- 
liche d.  h.  Staatssclaven  ,  welche  von  einem  Präco  auf  Geheif« 
des  Censor  zum  Verkauf  öffentlich  ausgeboten  werden  —  eine 
Erklärung,  die  gewifs  eben  so  in  de«  Sinn  des  Ganzen  pafst, 
als  sie  mit  den  einzelnen  Worten  selber  vereinbar  ist.  Aus- 
führlichere Bemerkungen  werden  d*n  Worten  des  Scholiasten 
zu  III,  38.  inde  reversi  oonducunt/orrcaj  beigefügt.  Bekannt- 
lich finden  sich  zu  dieser  Stelle  in  den  Scholien  mehrere  Erklä- 
rungen. Die  meisten  Interpreten  denken  hier  an  einen  auf 
die  öffentlichen  Abtritte  gelegten  Zoll  oder  Pacht,  den  diese 
Leute  an  sich  steigern  und  dafür  vom  Publikum,  welches  die 
Abtritte  benutzte,  sich  etwas  bezahlen  lassen.  Dann  leitet 
man  forka  ab  von  forire  \.  e.  deenerare  ventrem^  was  jedoch  blos 
bei  Glossographen  vorkontmt.     Andere,  das  Wort  forica  ab- 


» 


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Jurenali*|Satirae  ed.  Cramcr.  43? 


leitend  von  formm,  denken  an  die  Pachtung  öffentlicher  dem 
ftfcus  angehörigen  Buden  in  der  Nähe  de»  Markte».  Andere 
endlich  denken  gar  an  einen  Weinzoll,  wai  aber,  wie  Crarner 
bewiesen,  in  der  Stelle  des  Jtrvenal  unstatthaft  ist.  Verschie- 
dene Erklärungen  finden  »ich  auch  in  einer  andern  Glosse, 
welche  Hr.  Crarner  am  Scblu»»e  »einer  gelehrten  Bemerkung 
luittheik.  III,  237.  et  aranti»  convicia  mandrae  erklärt  der 
Herauageber  ganz  richtig:  convicia  ejaculata  in  mandras  siant§s. 
Denn  Weber  » ,  neue»te  Erklärung,  wornach  mandra  ao  viel 
aeyn  «oll  als  longa  muiorum  series,  und  convieia  S4antis  mandrae  also 
Schimpf  Worte  bedeuten,  welche  die  Fuhrleute  gegen  die  »te- 
ilende, zögernde,  nicht  voranschreitend*  Reihe  von  Maul- 
thieren  ausstoßen,  können  wir  durchaus. nicht  in  den  Worten 
selber  begründet  finden.  —  Sat.  V,  14t.  p.  ldl.  bestätigt 
auch  die  St.  Gallensche  Handschrift  die  Schreibart  und  Erklä- 
rung des  Wortes  Mygale^  als  ein  erdichtetes  Wort,  abgeleitet 
von  dem  Verbum  p/y^.  Vergl.  jetzt  Weber'»  Bemerkung 
über  diesen  und  ähnliche  ßngirte  eigene  Namen,  die  bei  Ju- 
venalis  vorkommen,  pjg.  198.  199.  Ob  aber  mit  Weber  auch 
im  Text  Migale  zu  schreiben*,  ist  eine  andere  Sache.  —  Sat. 
VI,  486.  pag.  2)5,  wo  das  Scholium  des"  PUaleria,  Tyrannen 
von  Agrigent,  erwähnt,  und  dabei  aus  Cicero  eine  Stelle  an- 
führt, bemerkt  der  Herausgeber,  dafs  bei  Cicero  wohl  mehr- 
fach dieses  Tyrannen  gedacht  werde,  nirgends  jedoch  die  vO*n 
Scboliasten  angeführten  Worte  sich  fanden,  und  deshalb  wohl 
aus  einer  verloren  gegangenen  Schrift  entlehnt  Seyen,  glauben 
wir,  dafs  dieses  Fragment  in  die  Bücher  de  republica  gehöre, 
und  zwar  in  die  Lücke,  welche  zwischen  cap.  XXX  und  XXXI 
de»  dritten  Buch»  »ich  findet ,  wo  schon  Majo  die  Verinutpung 
äufsert,  dafs  hier  Scipio  von  des  Phalaris  Tyrannei  geredet; 
vergl.  p.  261.  ed.  prineip.  —  Sat.  VII,  1JQ.  p.  289.  giebt  Hr. 
Cramer  einige  Beitrage  suder  schwierigen,  vielfach  behan- 
delten und  erklärten  Stelle  des  Juvenalis  selber  t  „vel  »i  teti- 
git  latus  acrior  illo,  Qui  venit  ad  dubium  grandi  cum  codice 
nomen.«  Er  bemerkt  ganz  richtig,  dafs  im  letxtern  Verse 
man  nicht  an  einen  Gläubiger  und  Klager,  sondern  an  einen 
Schuldner  und  Angeklagten  zu  denken  habe  ,  und  illo  auf  den 
Gläubiger  beziehen  müsse,  da  venire  ad  nomen  nur  auf  den 
Schuldner  und  Angeklagten  gehen  könne.  Diese  Bemerkung 
pafst  eben  »o  sehr  in  den  Zusammenhang  und  Sinn  der  Steile, 
wie  sie  aus  den  einzelneu  Worten  ohne  Anstofs  ausgemittelt 
werden  kann.  —  Sat.  VII,  il8.  pag.  292.  bei  Erklärung  de» 
Wortes  scalae  fallen  uns  ein  die  beiden  Parallelstellen  bei  Ci- 
cero pro  Milon.  15.  Philipp.  II ,  9.  —  Sat.  VIII,  63.  p.  315. 


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> 


438  Juvenalis  Salirae  ed.  Cramer. 

• 

werden  genau  unterschieden  Hirpini  und  HirpU,  Leides  Völker- 
«cbaften  Italiens.  Ibid.  66.  p.  3l6.  schätzbure  Erläuterungen 
zu  Epirrhedia;-  ibid.  138.  p.  324-  Ober  die  Schreibart  von  ob- 
tunsus  und' obtusus  \  ibid.  155.  p.  329.  über  das  alte  Wort  robus, 
was  der  Herausgeber  in  den  Text  des  Juvenal  setzen  will : 
robumqutr  juvencum  rür  torvumque  juvencum,  wie  jetzt  in  den  Aus- 
gaben steht.  Die  Bedeutung  und  Ableitung  dieses  Wortes 
(«fX«x<»5  *ür  rufas)  «ucht  der  Verf.  aus  seltenen  Quellen  zu  er- 
weisen. —  Sat.  X,  24.  p.  380.  über  die  Area  Senatus ;  ibid. 
136.  p.  396.  über  Jplustra;  X,  362,  wo  bei  Sardanapal  das 
Scholion  eine  Stelle  aus  Cicero  de  Republica  anführt;  s.  jetzt 
III,  36.  p.  268',  wo  jedoch  anders  als  hier  geschrieben  steht 
Sardanapallus  mit  doppeltem  1,  wie  auch  Schweighäuser  aus 
Handschriften  jetzt  am  Athenäus  hat  setzen  lassen  (s.  XII,  7. 

S.  528.  F.  und  dazu  die  Annotatt.  Tom.  VI.  p  4 1*6.  und  zu 
uch  VIII.  p.  335.  F.),  während  Diodor  und  Herodot  das  ein- 
fache 1  haben;  vergl.  Wesseling  zu  Herodot  II,  150.  —  Er- 
örterungen von  bedeutenderem  Umfang  folgen:   Sat.  XI,  138. 
p.  440.  über  Pyrgamus;  XI,  141.  p.  444.  über  ulmea;  XI,  195. 
p.  454.  Über  hordearii.  —   Zu  XIV,  97.  p.  5l4-  werden  meh- 
rere Nachweisungen  für  die  Erklärung  des  Verses  angeführt. 
Zu  Sat.  XV,  112.  pag.  549.  giebt  der  Herausgeber  besonders 
nach  den  Rechtsquellen  den  Unterschied  und  die  verschiedene 
Bedeutung  von  Orator,  Rhetor  9  Sophista  an;    Orator  kommt  in 
doppeltem  Sinne  vor:  1)  von  einem  Advocaten  oder,  wie  man 
sie  früher  nannte,  patronus  causarum  ;  2)  von  einem  Lehrer  der 
Beredsamkeit  in  den  Schulen,  welche  man  in  den  gröfseren 
Städten  errichtet  hatte,   um  das  Studium  der  für  den  gericht- 
lichen Gebrauch   notwendigen  Beredsamkeit   zu  erhalten. 
Das  Wort  Rhetor  kommt  zwar  in  den  Griechisch  geschriebenen 
Constitutionen  auch  in  der  Bedeutung  von  advocatus  oder  patro- 
nus causarum  vor ,  in  den  Lateinischen  Schriftstellern  aber  nicht; 
hier  bedeutet  es  stets  einen  Lehrer  der  Beredsamkeit ,  der  auch 
wohl  Redner  selber  ist.     Das  Wort  Sophista  hat  im  Ganzen 
dieselbe  Bedeutung  wie  Rhetor,  und  läfst  sich  der  von  Eini- 
gen gemachte  Unterschied  zwischen  Rhetores  und   Sophistae  9 
wornach  jene  die  Römische,  diese  die  Griechische  Beredsam- 
keit lehren ,  durchaus  nicht  begründen ,   zumal  aus  Rechts- 
quellen,   —   Gelegentlich  erhalten  wir  auch  bei  Sat.  VII,  4- 
p.  278.  eine  Berichtigung  der  Etymologie  des  Wortes  mediasti- 
nusf  da*  man  bald  von  stare ,  bald  von  2<rru  und  andern  Wör- 
tern hat  ableiten  wollen.     Hr.  Cramer  dagegen  rindet  es  weit 
wahrscheinlicher,  dafs,  wie  in  clandestinus  und  ähnlichen  ,  stinus 
nichts  weiter  sey  als  eine  Verlängerung  des  Wortstamms  ;  tiua 


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Juveualis  Satirae  ed.  Gramer.  439 

• 

Erklärung,  die  so  einfach  und  natürlich  sie  ist,  uns  vieler  ge- 
zwungenen Etymologien  bei  diesem  Worte  gänzlich  überhebt. 
Daher  ist  auch  die  einigemal  vorkommende  Liesart  mtdiastrinus 
unrichtig,  und  die  ältere  mediastinus  unbedingt  vorzuziehen. 
Sonst  werden  vielfach  höchst  schutzbare  Bemerkungen  aus  dem 
Römischen  Recht  mitgetheilt  (z.  B.  aufser  dem  üben  bereits 
gelegentlich  angeführten,  zu  I,  56.  p.  28.)  ,  dergleichen  man 
freilich  bei  so  vielen  Philologen  unserer  Tage  vergeblich  suchen 
wird,  die  es  entweder  nicbt  zu  erkennen  vermögen ,  oder 
nicht  erkennen  wollen,  wie  gründliche  Kenntnils  der  Rö- 
mischen Sprache  und  der  Römischen  Welt  überhaupt  ohne 
Kenntnils  der  Römischen  Rechtsquellen  nicht  möglich  ist, 
die  sich  nicht  entblöden  zu  behaupten,  Kenntnifs  der  Römi- 
schen Antiquitäten  sey  etwas  dem  Philologen  minder  Not- 
wendiges, oder  gar  Ueberflüssiges.  Solche  mögen  bei  Hrn. 
Cramer  in  die  Sctiule  gehen  und  aus  seinen  Bemerkungen  1er-  . 
nen,  worauf  sie  ihr  Augenmerk  zu  richten  haben. 

S.  565  —  616.  folgt  eine  Mantissa  scholiorum  antiquorum  e 
variis  in  Juvenalem  Commentariu  MSS.  collect*  Hier  sind  alle 
Glossen  zusammengestellt  und  nach  der  Folge  der  einzelnen 
Satiren  und  Verse  geordnet,  welche  in  den  verschiedenen 
zahlreichen  Handschriften  des  Juvenal  theils  zwischen  den  Li- 
nien, theils  am  Rande  sich  beigeschrieben  finden,  verschieden 
von  dem  eigentlichen  ,  durch  rithöus  herausgegebenen  Scho- 
Ji  isten.  Oergleichen  Glossen  waren  von  den  frühes en  Heraus- 
gebern und  Erklärern  des  Juvenalis  wohl  benutzt  "worden,  erst 
später  aber  mit  mehr  Sorgfalt  aus  Handschriften  hervorgezo- 

ten.  Dahin  gehören  drei  von  Caspar  Barth,  eine  von  Schura- 
eisch ,  eine  von  Burmann  dem  Jüngeren  verglichene,  Hand- 
schriften; dahin  gehört  ferner ,  was  aus  einer  Handschrift  im 
Classical  Journal  i8l0.  Vol.  II.  p.  456.  bekannt  gemacht  wor- 
den. Einiges  fügte  der  Herausgeber  aus  einer  wahrscheinlich 
zu  Ende  des  dreizehnten  Jahrhunderts  geschriebenen  Koppen- 
hagener Handschrift,  Anderes  aus  einer  Münchner  und  Wiener 
bei.  In  jedem  Falle  sind  wir  dem  Herausgeber  für  diese  Zu- 
sammenstellung, Sichtung  und  Ordnung  vielen  Dank  schuldig, 
zumal  da  er  nicht  versäumt  hat,  bei  jeder  einzelnen  Glosse  die 
Quelle  genau  anzugeben,  aus  der  sie  genommen  ist. 

S.  616  bis  636  folgen  Addenda  et  Corrigcnda ,  wo  am 
Schlufs  die  für  die  Geschichte  des  Scholiasten  so  wichtigen 
Scblufsworte  des  Pithöus  bei  seiner  Ausgabe  desselben  beige- 
fügt sind,  so  dafs  also  der  Leser  nichts  vermifst,  uud  den 
ganzen  Apparat  des  Pithöus  vollständig  mit  erhält.  Ein  drei- 
facher Index  beschliefst  das  Ganze,  und"  zwar  I)  lade*  Scripto- 


440  Lätiemann  Bibliotheca  Romao«  CUssica. 

rvm,  qui  in  schal  iis  citantur  ,  II)  Index  Script  omm  ,  qui  in  notis  i//«- 
strantur9  emendantur  ,•  reprehenduntur  aut  vindicantur ,  III)  Index 
Herum  et  Verborum  in  Glossis  et  Notis. 

Möge  das  Beispiel  des  gelehrten  Herausgebers  Nachah- 
mung Anden,  und  in  ähnlicher  Weise  ähnliche  Bearbeitungen 
des  Donatus ,  Servius ,  Asconius  und  Anderer  hervorrufen  i. 


Bibliotheca  Romana  Clas  sica,  probatissimos  utriusque  oratio* 
nis  scriptores  Latinos  eachibens.  Ad  optimarum  editionum  fidem 
scholarum4n  usum  adornavit  G.  H.  Lünemann ,  Philot,  Dr.  aa 
Gymn.  Gotting.  Rector.     T.  VUh 

mit  dem  Nebentitel: 

Thardri  Augasti  IXberti  Fabulae  A es  opiae.  Accedunt  Julii 
Phaedri  et  Aviani  Fabulae ,  Pubiii  Syri  Sententiae  et 
D  iony  sii  Catonis  Disticha.  Ad  optimarum  etc.  Gottingae  9 
4  823.  Sumtibus  Rud.  Deuerlich.     VlU  und  177  $.  8.  6  grv 

I 

Bibliotheca  Romana  Clatsica  etc.     T.  JX. 

mit  dem  Nebentitel: 

C,  Valerii  Flacci  Setini  Balbi  Ar  go  nauticon  Libri  VIII. 
Ad  optimarum  etc.  curavit  G.  H.  Lünemann,  Gotting.  ibid. 
eod.    IV  und  190  S.  9  gr. 

Nach  einiger  Unterbrechung  erhalten  wir  die  Fortsetzung 
*iner  Autorenfolge,  die,  ungeachtet  so  mancher  ähnlicher  Un- 
ternehmungen, dennoch  durch  einen  eigentümlichen  Werth 
•ich  den  Weg  in  das  Publicum  gebahnt  hat,  und   auch  mit 
dazu  beitragt,  nach  und  nach  aus  den  Händen  der  Studirenden 
die  alten  elenden  Texte  und  die  noch  elendein  Noten  so  vieler 
•©genannten  Schulausgaben  des  vorigen  Jahrhunderts  zu  ver- 
diängen,  eine  Wohltbat,  welche  nur  der  Schulmann  ganz  zu 
schätzen  weif»,   der  oft  in  Händen  unbemittelter  Schüler  die 
erbärmlichsten  Ausgaben  dulden  mufste,    weil   die  bessern, 
die  er  hätte  empfehlen  können  ,  zu  theuer  waren.     Oer  Titel 
dieser  Ausgaben  verspricht  zwar  weiter  nichts,  als  einen  nach 
den  besten  Ausgaben  berichtigten  Text.     Indessen  sucht  sieb 
Hr.  Lünemann  doch  immer  noch  selbst  einiges  Verdienst  um 
die  Autoren  su  erwerben,   wie  er  denn  dem  achten  Bande 
neun  Seiten,  und  dem  neunten  Bande  acht  Seiten  kurze  kriti- 
sche Anmerkungen  beigegeben  hat,   worin  er  Rechenschaft 


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Lüaemaiin  Hibliotlieca  Romana  Classica.  4*1 

/ 

von  dtr  Aufnahrae  gewisser  Lesarten  giebt,  in  denen  er  von 

dem  übrigens  angenommenen  Texte  abweicht.  So  wenig  nun 
diese  Ausgaben  den  Zweck  haben,  eine  eigene  Kecension  der 
Texte  aufstellen  zu  wollen  :  so  wenig  erfordern  sie  auch  eine 
ausführliche  Kritik  von  unserer  Seite,  und  es  könnte  im  All- 
gemeinen das  gerechte  Urtheil  genügen  ,  dafs  sie  Empfehlung 
verdienen  theils  wegen  Correctheit  des  Textes,  theils  wegen 
des  wohlfeilen  Preises,  dafs  der  Druck  gut  in's  Auge  fällt, 
und  das  Papier  so  ist,  dafs  man  es  bei  diesem  Preise  ohne  Un- 
gerechtigkeit nicht  besser  verlangen  kann.  indessen  wollen 
wir  uns  doch  noch  in  der  Kürze  über  diese  beiden  Ausgaben 
(denen,  dem  Vernehmen  nach,  schon  der  Silius ltalicus  als  Xr 
Theil  gefolgt  ist)  auslassen. 

Den  Phädrus  giebt  uns  Hr.  L.  nach  der  Schwabischen 
Ausgabe  (zwei  Thle.  Braunschweig  )806).  Die  in  Italien 
neu  aufgefundenen  Fabeln  nach  Cassitti's  zweiter  Ausgabe  (von 
l8ll.  Neap.  1  Bogen  in  Folio,  mit  gespaltenen  Columnen), 
mit  Zuziehung  von  F.  H.  Bothe's  schätzbarer  Ausgabe  dieses 
Fundes  (Heidelberg  und  Speier,  1822.  12.  bei  Oswald) ,  und 
mit  Angabe  der  Abweichungen  von  Cassini.     Den  Avianu» 

fiebt  er  nach  Nodells  Ausgabe  (Amst.  1787.  8.).  Den  Pu- 
lius  Syrus  erhalten  wir  nach  der  Ausgabe  von  Ortlli; 
doch  konnten  Bothe's  Recension  in  diesen  Jahrbb.  und  Orel- 
Ji's  Nachtrag  zu  seiner  Ausgabe  dem  Herausgeber  noch  nicht 
bekannt  seyn.  Der  Dionysius  Cato  endlich  wird  nach 
der  Arntzenius'schen  von  Tzschucke  wiederholten  Ausgabe 
gegeben,  da  die  Bernhold'sche  (von  1784)  Hrn.  L.  au  spät 
»ukara.  Im  Phädrus  müssen  wir  die  Wahl  der  aufgenomme- 
nen Lesarten,  so  weit  wir  ihn  verglichen  haben*  gröfsten*- 
theils  bill  igen.  Weggelassen  hätte  werden  sollen  das  unnö- 
thige  Comma  in  I.  23.  repente  liberalis,  stultia  gratus  est: 
Welches  Billerbeck  in  seiner  Ausgabe  (8-  Hannover,  HaUn,. 
1824.)  lichtig  wegläfst.  Bei  dem  letzten  Verse  des  erste» 
Buches  dagegen  Tunc  de  reliquiis  una:  merito  plectimur  ge- 
fällt uns  diese  Wortstellung  ,  als  der  prosaischen  Betonung 
näher,  besser,  als  die  bei  BilJerbeck :  De  reliejuis  tunc  una  etc. 
Bei  den  von  Cassitti  neu  aufgefundenen  Fabeln  werden  mit 
Hecht  Bothe's  Lesarten  den  Lesarten  des  Cassitti  vorgezogen. 
Fab.  II.  v.  4.  bat  Cassitti:  Quaecunque  indulgens  Fortuna  ani- 
mali  dedit;  Bothe :  Quotquot  Fortuna  indulgens  animali  dedit; 
Billerbeck:  Quaecunque  Fortuna  animali  indulgens  dedit.  Hr. 
L.  hält  es  mit  Bothe,  und  daran  thut  er  Recht;  auch  ist  die 
Handschrift  für  diese  Wortstellung.  IV.  20.  giebt  Cassitti , 
dessen  Ausg.  von  l8ll.  wir  vor  uns  haben  (V.  20.)  :    .    .  . 


1 


443  Lunemann  Blbliotbeea  Romana  Classica. 

Tanc  falsa  Imago,  atque  operis  furtivus  labor  ■ 

Mendacium  adpellatum  est:  quod  ne  cogites 

Pedes  habere,  /utile  ipse  conspicis. 
Bothe  giebt  Hinc  für  tun«  und  so  auch  ilr.  L.  und  Billerbeck, 
Aber  im  zweiten  und  dritten  Verse  giebt  Botbe :  quod  se  j>rae- 
dicans  Pedes  habere,  mendax  ipsum  corruit,  und  sa»t,  der 
Codex  gebe  blos:  Mendacium  appellatum  est  quod  .  .  .  Pedes 
habere,  m  .  .  ipse  ;  allein  bei  Cassitti  sieht  man,  dals  der 
Codex  bat:  quod -na  und  dann:  pedes  habere ,  / .  .  .  le  ipse 
c  .  .  .  tu  .  .  .  Und  gerade  so  giebt  vorsichtig  Hr.  L.  Dage- 
gen hat  Billerbeck  Cassitti's  Lesart  oder  Ergänzung  aufgenom- 
men, vermuthet  aber  in  einer  Anmerkung  fusile,  das  Ge- 
Lüde,  für  futile.  Wir  können  keine  der  gegebenen  Ergän- 
zungen für  sicher  halten ,  und  loben  Hrn.  Ls.  Vorsicht,  Nur 
«och  eine  Bemerkung  zum  Publius  Syrus.  Nach  v.  233  :  For- 
luna  plus  homini  quam  consilium  valet,  wo  eigentlich  vor  und 
nach  quam  cousilium  ein  Comma  stehen  mufs,  folgt  nach  zwei 
Versen:  Fortuna  nulli  plus  quam  consilium  valet.  Beide  Verse 
stehen  in  der  Gruterschen  Ausgabe  (Lugd.  Batav.  1708  )»  die 
wir  vor  uns  haben,  als  v.  226.  und  22*.  und  auch  Orelli  hat 
«ie.  Nun  giebt  aber  Gruter  an,  der  zweite  dieser  Verse  scy 
längst  im  Besitze  seiner  Stelle;  den  ersten  haben  die  Codd. 
Palatt.  und  der  Cod.  Frising  geliefert.  Hr.  L.  hat  den  zwei- 
ten herausgeworfen  „quum  ex  mero  (?)  librariorum  errore 
natus  videatur«.  Wir  glauben,  er  mufs  blos  ernendiit  werden: 

Fortuna  multis  plus,  quam  consilium,  valet: 
dann  können  wir  die  halbwahre  Variation  desselben: 

Fortuna  plus  homini,  quam  consilium,  valet, 
die  erst  seit  Gruter  in  den  Text  gekommen  ist,  entbehren. 

Dem  Verrius  Fl  accus  weist  Hr.  L.  mit  Recht  einen 
der  ersten  Plätze  unter  den  Nachahmern  des  Virgil  ein. 
sein  Text  durch  Abschreiber  und  Correctoren  sehr  verdorben 
ist,  so  ist  auch  nach  Wagners  Ausgabe  (Gotting.  |805.)>  ^e 
Hr.  L.  zum  Grunde  gelegt  hat,  noch  Manches  für  ihn riu  thun. 
Er  hat  zu  dem  Ende  die  Burmannische  Ausgabe  (Leid.  1724. 
4.)  und  die  unter  manchem  Guten  auch  grobe  Verstöfse  dar- 
bietende Ausgabe  von  Dureau  de  La  malle  (T.  III.  Paris.  l8ll. 
8.)  betgezogen,  auch  Weicherts  Epist.  Critica  de  Val.  Fl.  Ar- 
gonauticis  (Lips.  1Ö12.  8.)  und  dessen  Ausgabe  des  achten  Bu- 
ches des  V.  F.  (Misn.  l8l8.  8.)«     Eigene  Veibesserungen  bat 
Hr.  L.  nicht  versucht,  aber,  wie  uns  scheint,  dennoch  einen 
bessern  Text  als  alle  bisherigen  Herausgeber  geliefert;  manche 
gute  Lesart,  die  hier  und  da  in  LileraturzeitungCn  empfohlen 
war,    zuerst  aufgenommen,   auch  einigen  gelungenen  Con- 


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Rosenmüller  Anolecta  arab.  I.  II.  443 


jccturen  Anderer  im  Texte  Raum  gegeben.  Und  von  dem 
Allem  giebt  er  in  den  angehängten  kurzen  Anmerkungen  Re- 
chenschaft. Doch  es  mag  genug  seyn,  auch  die  Philologen 
aufmerksam  gemacht  zu  halten,  dafs  sich  hier  nicht  Mos  ein 
unveränderter  Abdruck  eines  schon' bekannten  Textes,  son- 
dern ein  Text  finde,  der  seinen  Platz  auch  in  der  Bibliothek 
des  Gelehrten,  nicht  nur  des  Studirenden  einnehmen  kann. 
Die  Enge  des  Raumes,  den  wir  uns  für  diese  Anzeige  heraus- 
nehmen zu  dürten  glaubten,  erlaubt  uns  nicht,  Proben  zu 
gehen  und  in's  Einzelne  zu  gehen  ,  sondern  nur,  den  Heraus- 
geber und  die  Verlagshandlujig  zur  Fortsetzung  dieses  Unter- 
nehmens aufzumuntern. 


— 


Analecla  arahica  edidit,  vertir  et  illustravit  Ern,  Fr  id.  Cur. 
Rosenmüller,  Th.  Dr.  et  Litt,  Or.  in  Acad.  Lips.  P.  P.  N. 
Pars  I.  25  S.  arabischen  Textes ,  XII  Vorrede  9  44  üebersetznng, 
Anmerkungen  und  Glossarium  latino  -  arabicum.  1825.  Pars  II. 
39  S.  arabischen  Textes,  Vül  Vorrede,  55  Uebersetzung  mit 
Noten  und  arabisch' lateinischem  Glossar.  Leipzig  ,  bei  Ambras. 
Barth.  Pars  prima      l  Thlr.  —  — 

—  secunda   l  Thlr.  12  Gr. 

Schon  der  äufserst  niedliche  Druck  (litteris  Guil.  Haak, 
Lipsiae)  rnufs  zum  Lesen  dieser  Texte  anlocken.  Eben  so 
sehr  die  entgegenkommende  Erleichterungen,  durch  die  latei- 
nische Uebersetzung  mit  gelehrten  Noten  und  das  gerade  zu 
dem  gegebenen  Texte  passende  kleine  Wörterbuch,  wo  bei 
jedem  Wort  der  Text  nachgewiesen  ist,  so  dafs  der  Schüler 
sicher  weifs,  ob  er  die  wahre  Form  getroffen  habe. 

Die  Wahl  des  ersten  Textes  ist  zeitgemäTs,     Deswegen  j 
bat  auch  der  f.  Theil  seinen  eigenen  Titel : 

Institutiones  Juris  Mohammedani  circa  bellum  contra  eos ,  qui  ab 
Islamo  sunt  alieni,  E  duohus  Al'Codurii  Codicibus  (Dres- 
densibus)  nunc  primum  arabice  edidit,  latine  vertit,  Glos- 
sar, adjecit .  .  Rosenmüller. 

Nach  Abulfeda  Annal.  T.  III.  p.  92.  ed.  Reisk.  Adler,  starb 
Abul  Hosein  Achmed,  der  Koduri  ( bei  Herhelot :  Caduri) 
genannt,  um's  Jahr  Chr.  1036.  Heg.  428.  Der  Inhalt  betrifft 
Kriegsgesetze  der  Araber,  welche  statt  fanden ,  wiihrend  sie 
selbst  auch,  nach  Nro.  XXI.  p.  5.  mit  den  Türken  Kriege 
hatten.     Nach  I.  soll  der  Moslem  die  Ungläubigen  bekriegen, 


444  Soiemnfiller  Aoaiecta  arab.  I.  II 

auch  wenn  sie  nicht  angreifen.  Doch  soll  man  nach  III.  sia 
erst  einmal,  zweimal,  au  Annahme  des  Islam  einladen,  oder 
wenigsten«  Tribut  au  zahlen.  Alsdann  sollen  sie  so  sicher 
aeyn,  als  der  Moslem,  und  nur  was  dieser  leistet,  auch  lei- 
sten. Nach  VIII.  soll  der  Araber  nicht  fideui  fallere, 
auch  nicht  Kranke,  Weiher,  Greise  u.  s.  w.  morden.  Wie 
viel  milder  waren  noch  die  Arabischen  Sitten,  als  die  der 
Türken!  Nro.  XIV.  ist  übersetzt:  Non  licet  ab  hostibus  arraa 
cofcinere.  Warum  sollte  der  Moslem  dies  nicht  dürfen?  So 
verlören  die  Feinde  doch  von  ihrem  Kriegsapparat.  Man 
sieht,  der  Sinn  mufs  anders  gefafst  werden.  Und  so  ist  ts 
tuch.  Der  Text  verbietet,  von  den  Leuten  des.  Krieg* 
Waffen  zu  kaufen.     Ohne  Zweifel  heifst  dies:  dem  Krie- 

fer  soll  niemand  Waffen  abkaufen.  Er  soll  sie  nicht  ver- 
aufen  können. 

Angehängt  sind  e  Libro,  tjui  inscribitur  Thesaurus  il^om, 
auct.  Seid  Ali  Hamadensi,  conditiones,  qua*  Omarus  in  Consti- 
tutione sua  de  Jura  Tributariorum  ipsis  scripsit.  Neue  Tempel 
oder  Synagogen  bauen,  wird  ihnen  verboten,  die  verfallenen 
sollen  sie  nicht  wiederherstellen  (Moslemische  Toleranz  1  tines 
Oman  würdig).  Wo  ein  Moslem  sitzen  will,  müssen  sie  auf- 
stehen. Sie  dürfen  sich  nicht  wie  die  Mosleme  kleiden,  nicbt 
Sigillringe  mit  Wappen  tragen,  nicht  gesattelte  und  gezäumte 
Pferde  reiten  u.  s.  w.  Wer  diese  Vorschriften  verletzt,  den 
darf  der  Moslem  todt  machen,  ohne  daft  er, Blutgeld  ver- 
schuldet. 

Der  Inhalt  de»  II.  Bandchens  ergiebt  »ich  auch  aus  einem 
hesondern  Titel : 

Zohairi  Carmen  Almoallakah.  Cum  Schaliis  Zuzenii  integri» 
et  Nachast  selectis.  E  Codicibut  Manuscr.  arabice  edidit 
•  .  .  Rosenmüller. 

Der  seel.  Rink  hatte  dem  Vf.  1792.  diese Moallakah  aus  einem 
Leydener  Ms.  zur  Herausgabe  anvertraut.  Jetzt  giebt  es  Hr.R. 
Jonge  emendatius  et  Zuzenii  Commentario  auctum  e  Cod.  Paris. 
Sabbaghiano  No.  1416.  (Sabbagh  ist  !8l8.  au  Paris  gestorben.) 
Das  Gedicht  besteht,  wie  die  andern  Moallakat,  aus  drei  ver- 
achiedenen  Theilen  :  Zuerst  Andenken  an  eine  Geliebte  (hier 
Om-Aupha,  Mutter  des  Schönsten  oder  Trefflichsten ,  genannt) 
Alsdann,  von  Vs.  16  an  bis  33,  folgt  der  heroische  Theil. 
Hier  Preis  zweier  Edlen,  welche  hundert  Kameele  Blutgela 
bezahlten,  um  der  verderblichen  Blutrache  zwischen  zweien 
Stämmen  ein  Ende  zu  machen.  Von  Vs.  34  —  46.  friß* 
Preis  eines  andern  Heroismus.     Ein  Hosein  führt  eine  kühne 


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RosenmSUer  Analen a  artib.  I.  II.  445 

i 

Fehde  aus,  deren  Umstände  aber  dunkler  angedeutet  sind. 
Zum  vorhergebenden  ist  dieser  Päan  nicht  zu  rechnen.  — 
Zum  Schlufs  spricht  der  Dichter  von  sich  selbst  und  von  eini- 
gen Sentenzen  (Maschais),  die  ihm  seine  Lebenserfahrung  ein- 
gegeben.   Er  beginnt: 

47.  Ich  bin  überdrüssig  der  Mühen  des  Lebens ,  und  wer 
durchgelebt  hat  achtzig  Jahre,  mag  (du  kannst's  *)  nicht 
weigern!)  überdrüssig  seyn. 

49.  Oft  sah  ich  den  Tod,  wie  wenn  ein  blindes  Kamee]  aus- 
schlagt; wen  es  erreicht,  den  tödtet  es.  Wen's  verfehlt, 
lebt  und  mag  alt  werden. 

(Sinn  :  Mich  hat  der  Tod  lange  nicht  getroffen.  Etwa 
jenem  ähnlich  von  Fontenelle:  Still'  wenn  er  uns  ver- 
gessen hat.) 

54.  Wer  furchtsam  flieht  die  Anläufe  des  Schicksals  ,  ihn 
werden  sie  erreichen,  und  wenn  er  bestiege  die  Zugänge 
des  Himmels  auf  einer  Leiter. 

57.  Wer  nicht  wegtreibt  von  seiner  Cisterne  mit  seinen  Waf- 
fen ,  dem  wird  sie  zerworfen.  Wer  die  Leute  nicht 
wegdrängt,  wird  weggedrängt. 

59.  Wer  nicht  aufhört,  zu  machen,  dafs  die  Leute  ihm  den 

Kameelssattel  auflasten, 
und  nicht  frei  macht  seine  Seele  bei  Zeiten  von  der  Ernie- 
drigung, den  wird's  reuen. 

60.  Was  irgend  von  GemüthsbeschafFenheit  bei  den  Männern 

seyn  mag , 

und  wenn  sie  ihren  Zustand  verdeckt  vor  den  Leuten,  sie 
wird  doch  gewußt. 
62.    Die -Zunge  des  Jünglings  (nicht:  des  Mannes  über- 
haupt) ist  (seine)  Eine  Hälfte,  und  die  andere  Hälfte 
seine  Brust ; 

Und  nichts  ist  (sonst)  übrig,  aufser  die  Gestalt  von  Fleisch 
und  Blut.    (fr$p2  fehlt  im  Glossar.) 

*  

*)  Der  Text  hat:  s 

Dies  wird  im  Glossar  übersem:  Non  est  pater  tihi!  mit  der  Be- 
merkung *.  Qoae  proprie  conviciandi  fommla  nonnuncruaiii  asscve- 
rat  et  ad  attentiooem  excitai:  projecto,  sane.  Dies,  dünkt 
mich  ,  wäre  doch  gar  zu  sonderbar.  als  nomeQ  actionis  be- 

deutet auch  recusare,  fastidire  alicjuid.  Cnstcll.  fol.  Ii.  Also: 
non  est  recmsatio  tibi  («o  auditor!  lectorJ  ),  id  est,  ne  nolis. 

1 

1 


Uigitiz 


446  .  Rosemnüller  Analecia  arab.  !.  1K 

63.  Auf  die  Unverständigkeit  des  Greis  kommt,  nicht  noch 

Verstand  hinteunach ; 
Aber  der  Jüngling  kann,  nach  seiner  Unverständigkeit, 

noch  verständig  seyn. 
Das  letzte  ist: 

64.  Wir  baten  und  Ihr  gewährtet;  und  wir  wiederholten  (zu 

bitten)  und  Ihr  wiederholtet  (zu  gewähren). 
Wer  aber  vervielfältigt  das  Bitten,  eines  Tags  mag  ihm 
(auch  wohl)  versagt  werden. 

Fast  scheint  es,  in  der  letzten  Sentenz  wende  sich  der 
Dichter  um  Beifall,  um  Gewährung  des  Preises,  an  die  Hö- 
rer; wenn  man  es  sich  so  örtlich  denken  darf,  an  die  Zuhörer 
beider  Caaba.  Bescheiden  erkennt  er,  schon  einigemale  ihr  Lob 
gewonnen  zu  haben.  Je  bescheidener  er  für  möglich  hält  ,  es 
einmal  zu  verfehlen,  desto  weniger  wird  es  ihm  auch  dieses- 
mal  versagt  (Oberem)  geworden  seyn. 

Die  Orientalisch  eigentümliche  Anlage  dieser  Gedichte 
ist,  dafs  immer  dreierlei  Inhalt  auf  einander  folgt,  nur  durch 
das  Einerlei  des  Metrum  verbunden.  Denn  da  der  Inhalt  von 
drei  verschiedenen  Gegenständen  bandelt,  und  nicht  das  Eine 
Gedicht  anf  das  Gebiet  der  andern  wenigstens  hinführt,  so 
kann  man  doch  nicht  eigentlich  sagen,  es  sey  E  i  n  Gedicht , 
aber  aus  dreierlei  verschiedenartigem  Stoff  componirt.  Es 
mufs  nur  Sitte  gewesen  oder  den  Hörern  angenehm  geachtet 
worden  seyn,  wenn  ein  Dichter  sich  in  ebenderselben  Versart 
über  dreierlei  Materien  ,  eine  leichtere,  eine  ernstere  und  end- 
lich sententiös  hören  liefs.  — 

Eben  so  ist  zusammengefügt  die  an  poetischem  Schwung 
vorzüglichere  Bürde,  das  .Lobgedicht  auf  Mohammed, 
welches  unter  dem  Titel  : 

Funkelnde  Wandelsterne  zum  Lobe  des  Be- 
sten der  Geschöpfe  (nämlich Mohammeds)  von  Bus- 
siri,  übersetzt  und  erläutert  von  Vincenz  Edlem 
von  Rosenzweig.  Wien",  1824.  bei  Anton  Schmid. 
26  S.  in  Fol. 

erschien.  Bis  zum  Vs.  XXXIV.  singt  der  Dichter  reuige  Er- 
innerungen an  seine  Liebschaften.  Der  Vs.  XXXV.  beginnt, 
ohne  Uebergang,  einen  oft  wahrhaft  erhabenen  Lobgesang  auf 
den  Propheten.  Statt  der  Sprüche  am  Ende  von  Vs.  CLXVI. 
scbliefsen  fromme  Anreden  an  die  Seele  des  Dichters. 

Die  Betrachtung  dieser  Orientalischen  Geisteserrengnisse 
erinnert  den  J\ec.  au  die  offenbar  ähnliche  Compositiou  der 


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I 


Rosenmüller  Aualecia  arab.  I.  II.  447 

Rede  Jesu  vom  Berge.  Die  Seeligpreisungen  gehen  den  an- 
ziehendsten Eingang.  Alsdann  folgt  der  Ernst  der  Ermahnun- 
gen  gegen  Pharisäische  scheinbare  Werkheiligkeit,  gegen 
sitteuverderhliche  Gesetzauslegungen  u.  s.  w.  Den  Schluis 
machen  S  i  n  n  s  p  r  ü  ch  e,  ohne  näheren  Zusammenhang.  Ge- 
rade dies  hleiht  bei  jener  geordneten  Hede  für  den  Abendländer 
das  auffallende.  Die  Nachweisung,  wie  eben  dieses  Orienta- 
lische Sitte  sey,  macht  diese  Eigenheit  der  Composition  er- 
klärbarer. 

Erwünscht  ist  es  dem  Ree.  immer  zeigen  zu  können, 
wie  jedes  genauere  Bekanntwerden  mit  dem  west-  und  süd- 
semitischen Orientalismus.  mit  Art  und  Kunst  der  abrahami- 
dischen  Stammverwandten  in  Palästina,  Arabien  und  Arum, 
auch  in  das  Bibelstudium  allerlei  Licht  bringt;  weit  mehr  als 
das  schon  viel  fremdartigere  Zoroastrische  Licht,  das 
selbst  ohne  den  Gegensatz  der  ahrimanischen  Finsternils  (die- 
ses der  Bibelreligion  vor  der  Wegführung  nach  Babel  noch 
ganz  unbekannten  Versuchs,  das  Böse  und  Uebel  erklärbar  zu 
linden)  nicht  mehr  so  recht  als  Licht  erscheinen  zu  können 
wähnte;  und  noch  weit  mehr  als  die  indische,  nie  einige, 
ja  gegen  sich  selbst  kämpfende,  Trimurti  (  Drei -fachheit ) 
mit  all  ihren  pantbeistischen  Verwandlungen  und  Incarna- 
tionen. 

Eben  deswegen,  weil  der  bessere  Theil  des  Orientalis- 
mus,  der  semitische,  immer  mit  unserm  christlichen  Eindrin- 
gen in  den  Bibelsinn  in  so  naher  Verbindung  steht  und  von 
Mischung  des  Christenthums  mit  der  allzu  occidentalischeu 
Patristik  und  Scholastik  abhält ,  hat  Ree.  in  sich  auch  oft  bei 
den  Glossarien  des  Vfs.  gewünscht,  dais  Winke  von  Benutzung 
der  arabischen  Wortbedeutungen  für  das  hebräische,  wie  Er 
sie  gar  oft  hätte  geben  können,  eingestreut  seyn  möchten, 
um  das  alte  ,  nie  abzureissende  Band  zwischen  beiden  Studien 
bei  jeder  Gelegenheit  neu  anzuknüpfen. 


Wir  verbinden  mit  dieser  Anzeige  mit  Vergnügen  noch 
mehrere  neue  Beweise  von  dem  unermüdeten  Fleil's  und  Keniit- 
nifsunifang  des  Vfs.  Eine  für  das  ganze  biblisch  -  orientalische 
Studium  bedeutende  Unternehmung  ist  begonnen,  unter  der 
Aufschrift: 


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446        Dr.  Rosenmullers  Handb.  d.  bibl.  Alterthumskunde. 

Handbuch  der  Biblischen  Alter  thumskunde.  Von  £.  Fr. 
C.  Rosenmllller,  der  Theol.  Dr.  und  der  morgenländ.  Litte* 
ratur  Ord.  Prof.  zu  Leipzig.  Erster  Band.  Biblische  Erd  -  und 
Länderkunde.  I.  Th.  385  S.  IL  Th.  346  S.  mit  filnf  (er- 
wünschten)  Registern  Uber  beide  Theile.  Leipzig,  bei  Baum- 
gärtner. 1825  und  1825.  L  Bd.    1.  Th.  2  Thlr.  12  Gr. 

2.  Th.  2  Thlr. 

■ 

Die  Einleitung  giebt  den  Umfang  des  Begriffs  :  Alter- 
thnmskunde.  Der  Boden ,  die  Menschen  nach  ihren  Anlagen 
lind  Sitten,  die  geschichtliche  Begebenheiten,  immer  auch  das 
darauf  sich  beziehende  Auswärtige  mit  einbegriffen,  sind  die 
drei  Hauptgegenstände.  Bis  S.  130.  wird  eine  beurtheilende 
Aufzählung  der  Quellen,  aus  denen  die  nöthige  Menge  von 
Notizen  zu  vereinigen  ist,  vorangeschickt.  Das  erste  Haupt« 
stück,  die  eigentliche  Geographie,  zeigt,  dafs  auch  die  He- 
bräer sich  eine  runde ,  vom  Ocean  umströmte  Erdscheibe, 
über  welcher  der  Himmel  wie  eine  Zeltdecke  aufgestülpt  seyy 
eingebildet  haben.  Hierin  also  nichts  von  berichtigender  Of- 
fenbarung; nichts  von  einem  Zuvorkommen  vor  den  viel  spä- 
teren  Entdeckungen  der  menschlichen  Beobachtungskraft.  Das 
Bild,  welches  sich  die  Psalmen  und  Propheten  machten,  hätte 
aber  auch  nie  von  Uebertreibern  der  Offenbarungslehre  zur 
Hinderung  der  späteren,  jetzt  endlich  doch  unläugbar  gewor- 
denen, geographischen  und  astronomischen  Entdeckungeil  ge» 
milsbraucht  werden  sollen.  Ree.  wundert  sich,  dafs  der  viel« 
belesene  Verf.  nicht  vollständiger  bei  Note  4«  S.  135.  die  Be- 
merkung gemacht  bat,  wie  V  o  f  s  der  erste  war,  welcher  im 
Griechischen  Alterrhum  nachwies ,  dafs  man  sich  gar  lange 
die  Teil  US  nicht  als  eine  im  Lufträume  schwimmende  Kugel ,  son- 
dern im  Ganzen  eben  so,  wie  wir  es  auch  in  den  althebräischen 
Schriften  finden,  vorgebildet  hatte.  Damit  aber  hängt  denn 
auch,  was  noch  immer  viel  zu  wenig  bemerkt  wird,  die  wei- 
tere Folge  zusammen,  dals  man  in  den  früheren  Zeitaltern 
zur  Belehrung  über  die  damals  bekannte  Geographie  und  Cboro- 
graphie  nicht  die  uns  jetzt  bekannte  Erdscheibe  und  die  jetzt 
bekannten  Uiergi  änzei*  und  Gestalten  der  Länder  zur  Grund- 
lage annehmen  darf,  um  nur  die  altbekannten  Inseln,  Flüsse, 
Gebirge,  Distanzen  darauf  hinzuzeichneu 


(Der  Beschlufs  folgt.') 


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/ 


N.  29,  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Dr.  Roscnmüllers  Handbuch  der  biblischen 

Alter  thumskun  de. 

•     (  B  e  s  c  h  l  n/s.) 

Die  Kundigsten  hatten  bei  weitem  nicht  das  in  der  Natur 
vorhandene  Bild  des  Ganzen  und  seines  Inhalts  in  ihrer  Vor- 
stellung. Ihre  Uferschifffahrten  gaben  ihnen  nicht  leicht  die 
wahren  Distanzen,  die  Verhältnisse  der  Lagen  der  Orte  gegen 
einander.  Sie  füllten  sich  in  ihrer  ohne  Messungen  entstande- 
nen Einhildungscharte  die  viel  kleiner  angenommenen  Räume 
mit  muthmafslichem  Stoff  aus.  Nur  aus  der  Odyssee  selbst 
kann  man  finden,  wie  sich  die  Homerische  Zeit  und  Gegend 
—  Adria,  Trinakria,  die  Kalypso  -  Insel  u.  s.  w.  gestaltet  und 
wohin  sie,  in  unrichtigen  Zwischenräumen ,  das  wenige  ge~ 
legt  haben,  wovon  sie  Sage  hatten.  . 

Eben  diese  Grundbegriffe  müssenr  auch  uns  Orientalisten 
bei  Genes.  X.  und  ähnlichen  Stellen  ein  Leitstern  werden,  wo 
etwa  das,  was  zu  Salomo's  ,  zu  Assa's  Zeit  (2Cbron.  16,  9.) 
von  der  Handels-Chorograpbie  der  solchen  Fund  kaufmännisch  ' 
verheimlichenden  l'hönicier  dem  Hebräer  zur  Kunde  gekom- 
men war,  aufgenommen  seyn  mag,  da  der  nichthandelnde  He-  , 
bräer  für  sich  keine  Kunde  von  Seeländern  haben  konnte,  die 
Thorah  aber  überhaupt  vor  Jeroheams  Zeit  nicht  publicirt  ge- 
wesen seyn  kann.  -  Gerne  nahm  dann  jede  Priesterschaft  ihren 
Tempelort  zum  Mittelpunkt.  Die  Hebräer  haben  KenntniCs 
vom  Euphrat  und  Tigris,  wie  Homer  sie  noch  nicht  hatte-, 
wahrscheinlich  weil  die  l'hönicier  und  dann  auch  David  und 
Salomo  schon  das  Landschiff,  das  Kameel,  in  Karavanen  be- 
nutzten, um  dann  bis  gegen  den  persischen  Meerbusen  hinab 
auf  den  greisen  Hussen  YVaaren  zu  senden  und  zu  erhalten. 

.  Alle  Schriften,  welche  diese  altertbtimlich  noch  unrich- 
tigen Bf  griffe  nicht,  sondern  schon  das  mehr  berichtigte  ha« 
ben  4  oder  darauf  anspielen ,  beweisen  eben  dadurch  ihre  Un- 
ächtbeit  und  verratbesi  den  späteren  Zeitraum  ihrer  Erdich- 

XIX.  Jahrg.    5.  Heft.  29 


t 


450      Dr.  Rosenmüllers  Handb.  der  bibl.  Alterthumskunde. 

tung.  Deswegen  ist  die  Entdeckung  der  ältesten  Vorstellungen 
-von  Erd-  und  Länderkunde  ein  so  wichtiger  Schlüssel,  um 
-der  Neuheit  der  mystischen  Verschönerungen  und  Umdeutun- 
gen  handgreiflicher  gewifs  zu  Werden.  Ebendahin  gehört  auch 
die  unterirdische  Geographie  ,  niimlich  -  das  subtelluriscb 
Todtengeb^et  der  Hebräer.  Anerkannt  ist  endlich,  dafs  der 
Seheol  der  Hebräer  sowohl,  wie  der  griechische  Hades,  noch 
nicht  ein  Himmel  der  Seeligen  und  eine  Hülle,  noch  nicht  ein- 
mal  ein  in  Tartarus  und  Paradies  gesondertes ,  sondern  noch 
hei  Jesäiab,  wie  in  Hiob,  ein  allen  Todtenseelen  gemein- 
schaftliches  Todtengebiet  ist.  Diese  unterirdische  Geo- 
graphie ist  im  höhern  Alterthum  eben  so  sehr  eine  andere, 
einfachcie,  aber  nicht  feststehende  und  nicht  infallibel  gege- 
bene ,  sondern  eine  perfectible,  wie  die  von  der  Oberwelt 
perfectibel  war,  allmählich  perficirt  wurde  und  noch  immer 
unter  dem  Schut«  ihrer  vorausgesetzten  Perfectibilität  per- 
ficirt: wird»  Wer.  vermag 's ,  die  Gehenna  des  Neuen  Testa- 
ments in  der  lalttes tarnen tlichen  Theologie  nachzuweisen? 
•Wer  sieht  nicht  sogar,  dafs  selbst  das.neutestamentliche  Para- 
dies, wo  Abraham,  Lazarus,  auch  Jesu  Seele  bis  zur  Wieder- 
helebu»g  hin  Versetzt  waten,  vom  Himmel  der  Seeligen,  wie 
ihn  der  spätere  Kirchen  glaube  statu  Irte «ehr  verschieden  ge- 
dacht isti  -Wie  sickdie  sinnliche  £nd-  und  Länderkunde  erwei- 
terte ,  so  auch  die  übersinnliche ,  unter  »  und  überirdische. 

IL  Hauptstück.  Aeiteste  Erdkunde  vor  der  Flut. 
Indisches  Pjtra.äieft;-  Dafs  die  davon  aufbewahrte  Lehr- 
«erzäldung  den  Phra^lden  Chidekel  U.  i.  ,w.  auch  über  die di- 
luvische  Erdrevolutian/ hinaus,  in  die  jenseitige 

telluriscbe 

Periode,  versetzen,  ist  unstreitig  Beweises  genug,  dafs  die 
Chorographie  dieses  Abschnitts  postdilu vische  Vorstellungen 
zur  Grundlage  hat.     Ist  es  wahrscheinlich ,  dafs  diese 

beiden 

•Sbürne  «in  Paar  tausend  Jahre  vor  der  Noachischen  lieber- 
schwemmung  von  .Hochasien  (Sems- Laad )  so  waren,  wie 
nach  dieser  t     Welche  Veränderungen  mufs  nicht  eine  solche 
«Flut  Aind  die  [ihr  vorausgehende  Uraafche  hervorgebracht  bä- 
hen.    Dennoch  geht  die  Lehrerzählung;  Genes.  IL  HL  *on 
tdw  Voraussetzung  aus,  Pbtät  and  Tigris  waren  zweitaasend 
Jahre  «vor  N.oah  %  w.ie  Jfiach  der  JMoacbiscben  NatorrevQluiion. 
Ihr  alter  Verfasser  Scheint  das  CasrjUcbe  Meejr  als  den  Rau" 
des  irdischen   verlornen  Paradieses  angenommen  zu  hshen; 
»den»  «nur  von  dorther  können  die  vier^awj^lircHrie  (welche 
~Hr.*R.  S,  192.  richtiger  als  gewöhnlich  bezeichnet)  als  aus- 
-gehend  gedacht  wöüien  seyiu ,  Die  Muthmafsung  konnte  ge- 
ralle*,  das  uralte  Paradies,  sty.  jetzt,  wie  die  Gegend  von  So- 


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Dr.  Rosenmüllers  Handb.  der  bihl.  Aherthumskuncle  451 

dorn,  aus  einem  Garten  Gottes  in  einen  See  umgewandelt  und 
für  Menschen  »ein  Gherem.  Von  (Jen  Avier  Strömen  sagt;  der 
Text  nicht,  dafs  sie  d  o  r  t  f  in  <jem  Eden  selbst,  «ich  getheirt 
hätten.  Er  sagt:  Und  von  dort  weg,  das  ist  wohl;  In 
einer  gewissen  Entfernung  von  <Jein  Umfang  des  Lustgarten*,. 
Man  scheint  sich  gedacht  zu  haben,  dafs  vier  Ströme  Quellen 
hätten  einen  unterirdischen  Zusammenhang  mit  dem  aus  dem 
Eden  entstandenen  Caspiscben.  Landsee,  in  welchen  sich  ein 
Hauptstrom,  die  Wolga,  vom  Norden  herab  ergiefst.  Bei 
Pischon  an  den  Phasis  zudenken,  ist,  weil  der  Name. P-äsch 
(S.  1^3.)  noch  fortdauert,  sehr  bequem.  Wenn  Gen,  2,  Ii- 
nur  statt  ft^ft  etwa  J"I^^n  zu  lesen  wäre,  um  das  alte,  Güjd- 

jand,  Kolchis,  zu  haben.  Bei  GicUon  an  den  Oxus  (S.  J95.) 
zu  denken,  scheint  nicht  passend,  weil  dieser  Strom  nicht 
wie  der  Euphrat,  Tigris,  Fhasis  von  der  Gegend  Edens  weg- 
fliefst,  sondern  dahin.  Auf  der  beigefügten  Charte  von  Mit« 
telasien  hat  der  Flufs  Kara  Su9  der  Flufs,  an  welchem  Susa 
lag,  die  passende  Richtung  und  strömt  durch  Cbusistaj? ,  wel- 
ches aber  (vergl.  S.  308.)  arabisch  ftn»  nicht  geschrieben 
erscheint.  Ist  es  etwa  doch,  nach  dem  Gehör  geschrieben, 
das  Cusch  Vs.  13  ?    Vergl.  auch  Eatb.  1,1.  :  ,  . 

S.213.  bemerkt  die  Schwierigkeit*  dafs  der  Chicjekel  nech  Vf. 
j4.  ostwärts  vonAssur  flielse.  Wie  hätte  ein  Hebräer  dies 
schreiben  oder  geschrieben  lassen  können ,  da  das  ihm,  leider! 
gekannt  gewordeneÄssur  Östlich  voniTigris  liegt.  Wir  zweifeln, 
ob  TWp  ostwärts  bedeutet  Die  drei  andern  Stellen,  wo  das 
-Wort  vorkommt,  beweisen  dies  nicht.  j— Hft  Kodam  i*tf 

was  vorwärts  liegt,  ehe  man  zu  dem,  was  darauf  genannt 
Wird,  kommt.  Dem  Hebräer  war  der  Tigris  vorwärts 
Assu  r.  Kedem  bedeutet  nur  in  so  fern  den  Osten,  w«il 
•  diese  Erdgegend  vorwärts,  vordem  Gesicht  des  Beob- 
achter»  lag,  der  rechts  Süden,  links iNorden  hatte.  — 

All  diese  Erklärungsversuche,  aber,  bezieht  Ree,  nur  auf 
das  ,  was  postdiluvianisch  und  hebräisch  über  den  ersten  Wohn- 
ort der  Menschen  vermuthet  war»  ■•  «JLben  deswegen  sucht  er 
nirgends  ein  Land  N  o  d  oder  des  Unstätseyns ,  da  au.cl}  Habel 
den  Hirtenstand  überhaupt  und  Kain  den  Stand  der  Hand- 
arbeiter bedeutet  £s.  auch  im  Glossar  (le^r  arab,  Analecten  : 
Kain  )  und  die  Geschichte  dieser  Brüder  rwohl  nicht  den  in- 
dividuellen Gräuel  eines  mörderischen  Bru^erhasses  zwischen 
den  ersten  Söhnen  Adams  ,  sondern  eher  .das  Verhältnifs  d^er 
mühsam  arbeitenden  (Ackerleute,  Bauleute  u.  s.  w,J  •  zu  den 
von  Gott  mit  Ruhe/begünstigten  Hilten  schildert. 

29  * 


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452      Dr.  Rosenmüllers.Haadb.  der  bibl.  Altertumskunde. 

\ 

III.  Hauptstück.  Die  genealogisch  -  ethnogra- 
phische Tafel  im  zehnten  Kapitel  der  Genesis. 
Der  Verf.  denkt,  Stammväter  und  Stamm  Völker  zugleich  in 
den  meisten  der  dortigen  Namen  annehmen  tu  können  ,  wie 
Juda  Stammvater  und  Volk  bedeute.  Aber  die  ersten  Namen 
JNoach  (Ruhe) ,  Sem  (Hochland),  Cham  (Heifsland) ,  Japhet 
(das  hin  und  her  sich  ausbreitende)  sind  doch  erst  aus  der 
Sache  gebildet?  Wer  könnte  annehmen ,  jeder  von  den  drei 
leiblichen  Söhnen  des  nach  der  Flut  zur  Hube  gekommenen 
Vaters  sey  einem  eigenen  Welttheil,  um  ihn  zu  bevölkern, 
zugewandert? 

IV.  Der  Biblische  Norden.  —  '  Dafs  Askenas  der 
A*fvo;  irsvro;  der  Alten  ist,  vermuthete  Hasse  S.  239.  sehr  wahr- 
scheinlich. Alsdann  wäre  die  Tafel  aus  einer  Zeit,  wo  den 
Hellenen  das  schwarze  Meer  noch  un-gast freundlich,  den 
Schiffenden  sehr  gefährlich  ,  war?  und  Hebräer  hätten  schon 
die  griechische  Benennung  empfangen?  eine  Benennung  ,  die 
doch,  aus  Zeiten,  wo  nicht  mehr  PhÖnicier  allein,  sondern 
schon  auch"Jonier  sich  bis  dorthin  wagten,  aber  andere  ab- 
schlucken  wollten,  herkommen  mttlste?  «*-  Das  Zweifelhafte 
im  Uralten  giebt  wenigstens  Anlafs  ,  dafs  der  Fleifs  des  Vft. 
manche  neuere  Nachrichten  über  die  Kaukasischen  Gegenden 

■  u.  $.  w.  zusammenstellt.  / 

Die  folgenden  Hauptstücke:  V.Medien,  V*.  Elam, 
VII.  Persien,  führen  nun  in  Gegenden,  die  den  Hebräern 
allmählich  bekannter  wurden.    Bei  Persien  Verbindet  der  Verf. 
»  die  Geschichte  von  Coresch  an,  mit  der  Geographie.  Ebenso 
bei  den  folgenden  Iiauptstücken, 

Als  schön  gestochene  Charte  ist  beigegeben  Mittel- 
asien, ferner  lithographisch  der  Berg  Ararat,  ein  Paar  Mo- 
numente von  Persepoiis  und  ein  Königshof  von  Ispahan.  Der 
zweite  Theil  hat  den  Plan  der  Ruinen  von  Babel  und  von  Birs 
Nimroc).  —  —  Oefters  war  Ree.  zu  dem  Wunsch  bewogen, 
dafs  die  reichen  Anmerkungen  erläuternd  unter  dem  Text  ste- 
hen möchten;  wenigstens  alle  die  kleineren. 

1         Der  zweite  Theil  des  ersten  Bandes  beleuchtet  VIII.  Ba- 

•  bylonien  und  Chaldäa,  IX.  Assyrien,  X.  Mesopota- 
mien, XI.  Kleinasisn,  XII.  Syrien.     Wir  können  nur 

'noch  wenige  Berief  kungln  uns  erlauben.  Bei  S.  H.  Dafs  der 
Babylonische  Bei  derTlanet  Jupiter  war,  zweifelt  Ree.  sehr, 
"Weil  2  Kön.  23,  6.  ausdrücklich  der  Sonnengott  und  der 

lt  McVriii  neben  einander  stehen ,  und  der  erstere  mit  dem  Artikel 
v  >ri.'«gs weise  d et  Baa  l  «tuuuac  ist.    Denn  wäre  da*  Wort 


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Dr.  Ro*cumülfers  Haudfc»  der  bUbl.  Altertliumskuude.  453 
von  <Jem  ttfttttfr  zn  trennen,  40  würde  yor  letzterem,  wie 

»  -  —  v  v  — 

vor  den  folgenden  ein  stehen.  Auch  wäre  nicht  wahrschein- 
lich ,  dals  der  Planet  Jupiter  vor  dem  Sonnengott  genannt 
würde.  Sollten  wohl,  möchten  wir  den  mit  Recht  hier 
&  56.  als  verehrten  Gewährsmann  citirten  Commentator  des 
Jesaiah  fragen  können,  die  chaldäischen  Astrologen  und'Ge-* 
stii  n;m I »eter  den  Planeten  Jupiter  mehr  als  den  Sonnenpläneten 


des  Wege 

£en  fahrend  dargestellt  werde.  2  K3n.  23,  5.  11.  ZendaveSta 
II.  S.  264.  Pi*'8  ist  auch  an  sich  richtig.  Aher  n  ich  t  Lö- 
wen, sondern  Rosse  sind  2  Kön.  23,  11.  mit  d  e  n  Sonnen- 
wagen (JVQ5*T2  imPlural),  auf  denen,  als  Pracht  wagen  ,  des 
Sonnengottes  Symbole  bei  Feierlichkeiten  umhergefahren  wor- 
den zu  seyn  scheinen  ,  in  Verbindung  gesetzt.  Auch  würde 
sich  wieder,  dünkt  mich,  die  Frage  aufdringen:  Ist's  wahr« 
scheinlich,  dafs  der  Sonnengott  bei  Gestirndienern  nur  im 
Tempel  eine»  Planeten  ,  nur  als Nebengottheit,  als  o-uwao;,  auf- 
gestellt wäre?  Kann  es  einen  Gestirndienst  gegeben  haben, 
worin  nicht  der  Sol  die  Hauptgottheit  gewesen  wäre?  Ist 
demnach  jene  wegen  der  Löwen  leicht  mit  „Rhea«  vergleich- 
bare Gottheit  schwerlich  die  Sonne,  so  würde  dann,  wenn 
nicht  Baal  der  Sonnengott  der  Cbaldäer  gewesen  wäre,  gerade 
dieses  Hauptgestirn  nicht  unter  den  chaldäischen  Gottheiten 
vorkommen  ;  was  doch  wieder  sehr  unwahrscheinlich  seyn 
müiste.  Uebrigens  bleibt  immer,  wenn  auch  Ha -Baal ,  mit 
dem  auszeichnenden  Artikel,  der  Sonnengott  war,  richtig* 
dafs  das  Wort  Baal,  Beel,  auch  als  Appellativ,  Herr,  be- 
deutet und  den  Beinamen  eines  andern  Gottes  oder  vielleicht 
eines  Gotteshauses  (z.  B.  Baal  Gad.  Josua  11,  17.  12,  7.)  ma- 
chen kann,  dafs  daher  die  Zabier  (Gesen.  Jes.  11,  355.)  auch 
den  Planeten  Jupiter  einen         ZZZ  nennen  mochten. 

Ueberhaupt  mochte  sich  Ree,  ehe  er  den  Cbaldäern  den  Pla- 
neten Jupiter  als  Hauptgatt  zuzuschreiben  wagte,  die  Frav 
gen  beantworten  können:  Wie  bald  wurde  der  Planet,  den 
»wir  Jupiter  nennen,  so  benannt?  Nannten  die  Griechen  r 
vor  dem  Römerthum,  denselben  Planeten  Zw{*  u.  dg),  m. 

Auch  ob  bei  den  J-fi^ft  ~  ffl^a  Massaloth  schon 

v  -  i  - 


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454-      Ezechiels  et  Jcremiae  Vaticraia  ed.  Dr.  Rosentnuller. 

2Ktfn.  23»  5.  an  den  Th  ierfcr  eis  gedacht  werden  dürfe,  oder 
eher  noch  an  die  fünf  Planeten  ,  möchte  ich  einer  gründlichen 
Geschichte  der  uralten  Astronomie  und  Astrologie  erst  abira- 
gen können.  Das  Wort  bedeutet :  descendere  Jacientes  (daher 
auch  den  Ort,  crui  descendere  facit,  der  zum  Herabsteigen  ein- 
ladet, mansio).  Man  dachte  sich  die  Planeten,  weil  sie  laufen 
und  am  Himmel  abwärts  zu  gehen  scheinen,  als  II  er  a  lösen- 
der und  Ueberhringer  der  Schicksale.  Wegen  des  Thierkrei- 
ses  w3re  zuvörderst  wohl  zu  bedenken  der  Wink  von  Vofs 
in  der  Antisymbolik  I,  78.  „Doch  wohl  hiebt  früher 
(könne-  auf  die  Thiere  im  Zodiacus  Anspielung  gedacht  werden) 
als  nachdem  der  Thierkreis  in  den  sechsziger  Olym- 
piaden mit  Thieren  besetzt  worden  war?  und,  wo  die 
VVaage  sich  blicken  läfst,  noch  etwas  später,  um  vier  Jahr- 
hunderte.« —  —  So  wird  die  ächte  historische  Alterthums- 
kunde überall  her  in  einander  eingreifend,  und  veranlafst  be- 
stimmtere Wort-  und  Sachkenntnisse  ,  wenn  man  die  Zeitalter 
genau  zu  unterscheiden  sich  zum  ersten  Gesetz  macht. 

•  •  • 


Wahrend  der  unermüdete  Vf#  durch  diese  mit  Vergnügen 
angezeigten  neuen  Arbeiten  und  Untersuchungen  seine 
dienste  um  die  uns  am  meisten  nützliche  orientalische  Gelehr« 
ssmkeit  vermehrt,  zeigt  sich  die  Anerkennung  derselben  und 
iure*  allgemeine  Nutzbarkeit  durch  eine  neue  Ausgabe  seines 
wichtigsten  Werks,  der  Scholien  über  das  alte  Testament, 
durch  welche  der  würdige  Sohn  den  Kec.  zugleich  an  die  zu 
ihrer  2eit  für  achtere,  grotianische  Schriftstudien  so  wirk- 
same neu  testamentliche  Scholien  des  Vaters  erinnert,  nie  aller- 
dings auch  jetzt  noch  nicht  Vergessenheit  oder  das  Zurück- 
stellen-, vielmehr  eine  gleichartige  Vervollständigung  und  er» 
heuernde  Bearbeitung  verdienen.  Wer  mit  Bedauern  siebt, 
wie?  rrrrgünstig,  die  Zeit  gegen  gelehrt  durchgeführte,  beson- 
der» lateinische  Werke  ist,  den  erfreut  es  um  so  mehr,  dafs 
äeit  die  ar»  gelehrten  Materialien  und  deren  Anwendung 

scr  reichen  Kosenmullerischen  Scholien  über  die  Psal- 
J*e-n  irr  drei  Blinden  in.  einer  secunda  Editio,  emendatior  et 
imetior,  der  Pentateucb  seit  1Ö21*  sooar  in  einer  dritten- 
Mitgehe  9,  sie  ab  auetore  recognita  ,  emendata  et  aueta,  ut  no» 
von»  plane-  opus*  v*rderl  possit,  hervorgegangen  sind,  ibi* 
AVjrksamkeit  fortsetzen  und  den  erwünschte«.  Beweis  gebe»» 
dais  dss- orientalische-  tiefere  Sprachstudium,  ohne  welches  die 
TBeologi«  wieder  patriotisch'  und  Scholas  tiseti  werdten  zu  müssen« 


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EzetiücÜ4T«t.3tfTt)2iiae  Vaticioi*  ediiDr.RoienmüUer.  4&5 

in' Gefabr  küme,   in  seiner  Unentbehrlichkeit  nicht  verkannt 
wird.    Wer  nicht  aus.  dir  ganzen  Reibe  der  alttestamen fliehe n 
BieligionsüberHeferuhgeii  anschaulich  überzeugt  iit,>  was  die- 
Nation ,  unter  welcher  Jesus  Christus  daa  nationale  zum  allge- 
mein geistigen  in  der  Gottandächtigkeit  erhob ,  unter  den  ur- 
alten Begritfen  von  Königreich  Gottes,  vom  David  ischeh  Mea- 
siasgeschlecht ,  von  den  Gottessöhnen  ,  das  ist,  GoU  als  Vater 
und  Öberkönig  nachahmenden  Unterregenten  des  Gottesreiqhs 
u.'dgl.  m.  zu  denken  längst  und  ununterbrochen  gewohnt  war,» 
der  weilt  alsdann  freilich  auch  nicht,  in  welchem  Sinn  der  jti.fi 
iHsche  Oherpriester  Kaiphas  feierlichst  fragen  könnt«  :  Bis*/ 
Du  der  Gottgesalbte,   des  lebendigen  Gottes  .  Sohn  j  Matthe 
26,  63.  Nur  dem  Nrcbtoi  ientalisten  ist  et  möglich,  das  orien-I 
talisch  gefragte- occi  dentalisch  umzudeuten  und  entweder  dia- 
lektisch, oder  tpeculativ-ideaJistiscb  auszulegen.         .      r;  t 

Die  neueste  Vervollständigung   det  alttestt^eptlicban: 


Scholienweiks  giebt  n 

Ez  echte  Iis  raiicinia.      Latin«  vertit  et  ännotathrt* p*rpewd> 
"     illustravit  Em.  Erid.  Car.  Rosenmiltler.  .  .  .  /    Ei.  #Jb 
auetior  et  enutndatior:  Volumen  jtriviunt,  602.  S.  in' 8.  JÜtph 
bei  Barth.    1*16.  •  '■  '»       •        2  Thlr.  l6*Jtt 

/  ...Per  Verf,  bat  hier,  den  Text  ganz  in  lateinischer  Ueoer« 
Setzung  den  Scholien  vorangestellt.  Die  Prolegomena  zeigen^ 
vornehmlich  dies,  dafs,  diese  Orakel  mehr  nach  Materien  alt 
nach  der  Zeitfolge  (also  wahrscheinlich;  nicht  schon  von  Jqcjies- 
kiel  selbst!)  zusammengetragen  sind.  Was  beiläufig  die  &> 
kläruog  des  Ntwne,ns  (S.  3.)  betrifft,  so  scheint  doch  eher  aus. 
der  Alexandriniscben  Version  ,  als  aus  der  Matorethitchen 
Punctation,  ersichtlich .  zu  seyn,  wie  der  Name  geklungen, 
habe,  nämlich  J«^k^  ;  folglich  wäre  aus  validus  est  V.  sit 

entstanden  •»Jp'rj-p  und  daher  {^rtiT  (»»*r  fteV  Gott  stark!> 

nicht  ^p^h  (stark  tey  Gott).  '  Sehr  gut  giebt  S.  15  2&- 

einen  vollständigen  Ueberblickoder  Conspectus  (der Vf.  nenntet» 
Synopsis)  det  Inhalts  der  Orakel.  Wir  wundern  uns  nur,  da. 
wir  das  Vol.  II.  noch  nicht  nachschlagen  können,  zum  voraus^ 
dafs  Caput  34.  de  ci  vi  täte  per  Messiam  inttituenda,  Cap.  36,  des- 
civitatis  a  Messia  restaurandae  prosperitate  bandeln« toll.. >  Der 
Text  spricht  von  einem  (neuen)  David,  ohne  auch  nur  die 
Benennung  Messias,  noch,  weniger  eine  Idee  davon,  nach« 
welchem  Umfang  und  in  wie  fern  er  Volksregent  sey ,  be» 
ttimmter  anzugeben.     Unstreitig  log  die  altdavidkcbe ,  durch 


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456      Eiechielii  el  Jeremiao  Vatfoiaia  ed.  Pr.  RosenmüHer. 


Nathan  «  Sam.  7.  ausgesprochene  Hoffnung :  Durch  Nachkom- 
men  Davids,  als  Gottessöhne,  als  Jehovabs  Untergebene,; 
wird  die  Nation  Seegen  haben!  zum  Grunde.  Aber  während 
der  Gefangenschaft  das  Wie?  der  künftigen  Einwirkung  Da- 
vid* und  seines  Hauses  auf  Wiederherstellung  des  National- 
wohls bestimmt  bezeichnen  zu  wollen,  gerade  dies  hätte  leicht 
der  Ausführung  selbst  hinderlich  werden  können.  Es  raufste 
frei  bleiben,  dafs  Davididen  alsdann,  nach  Zeitumständen, 
das  mögliche  thaten,  wie  Serubabel  mehr  nicht,  als  ein  Statt- 
balter,  also  freilich  nur  einer  der  schwächeren  Messiase  su 
werden  vermochte.  Ohnehin  haben  nachher  die  Makkabäi- 
•eben  Regenten,  geborne  Leviten,  das  auf  Juda' s  Stamm  und 
Davids  Geschlecht  gebaute  Königthum  ganz  unterbrochen,  das 
See  pt er  von  Juda  (Genes.  49.)  eigentlich  weichen  gemacht. 
Endlich,  da  sie  selbst  des  Scepters  und  auch  der  Ordnerswürde 
(des  Mechokekats)  sich  so  unwürdig  zeigten,  dafs  durch  die 
Römische  Einmischung  und  Uebermacht  alles  sogar  an  den 
Proselyten  aus  Edom  kam,  kehrte  der  Volksglaube,  antihero- 
dianisch  und  durch  die  antiherodische  Pharisäer  und  Anhänger 
des  Judas  aus  Galiläa  »  aufgeweckt  wieder  zum  Blicken  auf  Da- 
vidische  Nachkommenschaft  zurück;  und  ein  mancher  wurde 
um  so  geneigter,  auf  den,  in  welchem  sich  zwei  Zweige  des 
Davjdbauses ,  der  des  Josephs  und  der  der  Maria  ver- 
einigt zeigten,  desto  eher  als  auf  den  rettenden  Davidssobn 
zu  achten. 

*\  '  Ree.  erlaubt  sich,  auch  über  einiges  Einzelne  noch  etwas 
beizutragen.  Sogleich  der  Anfang  Ezechiels:  „Und  es  war 
im  dretfsigsten  Jahre«  ist  ein  chronologischer  Knoten, 
Weil  der  Anfangspunkt  dieser  dreifsig  Jahre  dem  Muthmafsen 
Öberlassen  ist.  S.  52.  nimmt  mit  Pradus  (vergl.  S.  29.)  zur 
Ergänzung  :  anno  trigesimo ,  subaudi :  Imperii  Nabopolats***» 
Allein,  nach  Usser.  Annales  ad  ann.  ante  Chr.  626  und  605. 
regieite  Nabopolassar  nur  ein  und  zwanzig  Jahre.  I'c 
es  wahrscheinlich,  dafs  unter  dem  Nachfolger  eine  besondere 
aera  Nabopolassaris  angenommen  war  und  fortdauerte,  da, 
wenn  man  eine  all g e m e i  n e  aera  wollte,  schon  eine  solche, 
nämlich  die  länger  gebrauchte  aera  Nabonassaris  (seit  ann.  ante 
Chr.  747.  s.  Usser.  p.  50.)  da  war,  sonst  aber,  wie  auch 
•enmtiller  im  Nächstfolgenden  richtig  bemerkt,  nach  den  R*- 
gierur/gs jähren  des  jedesmaligen  Königs  gezählt  wurde. 
Dazu  kommt:  Nach  Usher  starb  Nabopolassar  ann.  ante  Cbr. 
605.  Jechonias  wurde  weggeschleppt  als  Gefangener  599- 
Das  fünfte  Jahr  seiner  Gefangenschaft,  welches  dann  doch  dem 
dreifsigsten  der  angeblichen  aera  Nabopolassaris  gleich  seyn 


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Ezeehielts  et  Jeremiac  Vaticiuia  ed.  Dr.  Roienmülier.  457 

müfste  (nach  Ezecb.  1*2.),  wäre  594.     Dieses  aber  wHre 

nicht  das  dreifsigste,  sondern  erst  das  acht  und  zwanzigste 
Jahr  seit  dem  Anfang  des  Imperii  Nabopolassaris  s  a.  ante 
Chr.  626.  —  *—  Der  Sinn  der  ganzen  Stelle  scheint  zu  seyn : 
Jecheskiel  begann  durch  seine  erste,  offenbar  nach  chaldüischer 
Sinnbildlichkeit  sebr  künstlich  ausgebildete  Vision  seine  Pro« 
phetenschaft,  sobald  er  der  Sitte  gemäfs  konnte,  nämlich  im 
dreißigsten  Lebensjahr.  Weil  aber  seine  Lebenszeit 
nicht  eine  allgemein  bekannte  Epoche  seyn  konnte,  so  ist  im 
Ys.  2.  hinzugesetzt,  dafs  eben  das  dreißigste  Jahr  Jecheskiels 
gleich  war  dem  fünften  der  Gefangenschaft  des  Jechoniah.  So 
war  jene  Epoche  des  Privatmanns  bestimmter  bezeichnet  durch 
das  öffentlichere  Datum. 

Unstreitig  sind  die  Verse  2.  3.  eine  erklärende,  erst 
aufs  er  dem  Text  gestandene,  Glosse.  Deswegnn  sind  die 
Worte  des  Vs.  \ .  £j-jnb  FltfJ/Jfiil  im  fünften  Monat  repe- 
tirt,  ungeachtet  sich  die  Glosse  nicht  auf  sie  zunächst,  sou-, 
dern  auf  die  ganze  erste  Zeile  des  ersten  Verses  bezieht. 
Nicht  dieser  fünfte  Monat  soll  erklärt  werden,  sondern  das 
Jahr  selbst,  dals  nämlich  das  im  Vs.  1.  gedachte  dreifsigste 
Jahr  und  das  fünfte  der  Gefangenschaft  des  Jechoniah  einerlei 
Zeit  sey.  Ein  drtiter,  der  in  der  dritten  Person  diese  seine 
Glosse  macht,  suchte  den  in  der  ersten  Person  schreibenden 
Propheten  wohl  nicht  mitten  im  Texte  zu  unterbrechen.  Seine 
Glosse  mufs  also  vorerst  neben  oder  unter  dem  Texte  gestan- 
den seyn.  Der  erste  Vers  hat  seine  Fortsetzung,  von  jeches- 
kiel selbst,  im  vierten  Vers. 

Wohl  der  Mühe  werth  ist  es,  sich  den  wunderbaren 
Herrscherwagen  deutlich  vorzustellen,  durchweichen  der  Pro- 
phet chaldiiisch  die  Idee  vei  sinnlicht :  Mich  begeistert  der 
Herr  der  Natur,  der  Gott  des  Festlandes,  auf  welchem 
das  Schicksal  der  Judaer  und  ihrer  Bedränger  entschieden  wer- 
den mufste.  Vs.  7.  sagt  :  die  vier  (wa  hatten,  wie  überhaupt 
IVIenschenfigur,  so  auch  gerade  Füfse,  das  heilst,  nicht 
thierartig  gekrümmte.  Nur  neben  dem  Einen  Men- 
•  eben  köpf  hatte  jedes  auch  einen  Kopf  des  Löwen  ,  des  Stiers 
und  des  Adlers.  Die  Gestalt  des  Leibes  aber  war  menschlich, 
eben  so  die  der  Füfse.  Nur  statt  der  menschlichen  Ferse  war 
die  Klaue  von  einem  Kalbsfufs.  (Wahrscheinlich  deutend  auf 
Reinheit.  Gespaltene  Klauen  waren  bei  Mose  unter  den  Cha- 
rakteren der  reinen  Thiere.) 

Dies  alles  ist  nun  dem  charakteristischen  der  Babyloni-% 
sehen  Bildnerei  ge mä ls ,   welche,    ohne  olle  lUicksicht  auf 
Schönheit  der  Gestalt,:  nur  Begriffe  durch  sonderbar  zusam- 


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458       r*echi«lis  et  Jeremiae  Valiciaia  ed.  Df.  ftoientDÜller. 

niengesetzte  Naturgegenstände  als  zusammengefügt  oder  'zu-1 
gleich  denkbar  ausdrücken  wollte'.  —  Jeder  dieser  ChertuV 
^wie  sie  10,  14,  genannt  sind)  vereinigt  in  Sich  die  Beziehung 
auf  das  vierlache  der  auf  der  Erde  sicntÜaren  Naturen, 
Menschheit,  w  ilde,  Thierheit ,  zahme  Erdthieve  ,  GeVögel. 
'  (Das'Reich  der  \  Vasserthiere  fällt  nicht  in  die  Äugen.  Auch 
hatte  das  Meer  auf  Israel  und  Juda  keinen  Einflufs  ,  da  diene 
Völker  nicht  seehandelnd  wurden.  ÖeswegenJ  dünkt  mich, 
ühergeht  die  prophetische  Poesie  das  Reich  der  Fische.) 

Vs.  U.  Die  viererlei  Kopfe  waren  —  nicht  wie  ait  ein- 
ander  "gewachsen,  sondern  jeder  stund  auf  einet  der  vier  Seiten 
auf  der  Figur  eines  Menschenleibs  als 'abgesondert  von  dem 
andern.  Daher  gehörten  auch  für  .jeden  Kopf;  Oder  für  jede 
der  vier  Seiten  des  Cherubs  vier  Flügel,  zwei;  zum  Fliegen, 
zwei  um  sich  auf  dieser  seiner  Seite  zu  decken  ,  wo  er  auch 
zwei  Hände  hatte.  Der  ganze  Cherub  mufs  alsd  wohl  mit  acht 
Händeh  .und  acht  Füfsen  gedacht  werden,  so  dafs  von  jeder 
Seite  angeschaut,  eine  ordentliche  Menschengestalt  mit  Ihren 
zwei  Händen,  zwei  deckenden  und  zwei  zum  Fliegen  ausge- 
streckten Flügeln,  auf  zwei  gerade  stehenden  Füfsen  zu  er- 
blicken war.  Ohne  sich  zu  wenden,  konnte  der  ganz« 
Cherub  nach  jeder  der  vier  Seiten  fliegen  oder  gehen.  Daran, 
dafs  der  Begriff  der  schnellsten  Beweglichkeit  und  Dienst- 
bereitwilligkeit anschaulich  gemacht  Wäre,  lag  dem  Sinnbild-, 
ner  viel.  Deswegen  wiederholt  er  diese  JBeahsichtigung 
mehrmals. 

Vs.  l£—  17.  Unter  jedem  der  vier  Cherube  oder  {o>a 
(Lebewesen)  war,  so  dafs  er  darauf  schwebte ,  ein  Rad,  abep 
ein  sehr  sonderbares,  nämlich  ein  Rad  mitten  im  Rade; 
wie  es  auch  Hr.  R.  recht  genau  beschreibt.  Weil  der  Cherub 
schleunigst,  ohne  sich  zuwenden,  nach  jede*  der  vier  Seiten 
hinaus  sich  zu  bewegen  bereit  seyn  sollte,  so  mufste  auch  das 
Rad,  worauf  die  zwei  Füfae  jeder  Seite  schwebten ,  ein  .Ol- 
ches  seyn,  das,  ohne  gewendet  zu  werden,  überall  hin  nach 
den  vier  Richtungen  sich  drehen  konnte.  Die  prophetische 
Phantasie  dichtet  sieb  biezu  ein  Rad  im  Rade,  das  heilst, 
zwei  Räder  sind  so  (in  der  Mitte)  in  einander  g  efügt,  dafs 
sie  zusammen  vier  Viertheile  (quadrantes ,  machen 

und  so  nach  vier  Seiten  rollen  können,  wie  der  Geist  sie  treibt 
und  bewegt.  Deswegen  beifsen  sie  au  ch  Doppelräder, 
Ophnaium  im  Dual.  —  Wie  alle  hephästische  Kunstarbeiten 
sich  selbst  zu  bewegen,  eine  geistige  Kraft  hatten»  sonach 
Vs.,20.  auch  diese  Räder  ,  deren  vier,  nacL  allen  vier  Seiten 


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I 


/  Ezechiel  is  ft  Jeremiae  Vaticiniir  ett.  Dr;  Rosrnmüller.    :  459 

sogleich  wälzbar,  unter  jedem  Cherub  seyn  mufsten ,  weil 
dieser  selbst  vierseitig  war,  gegeu  jede  Seite  bin  einen  (Men- 
schen- oder  Thiers-)  Kopf,  iflenschenleib f  vier  Flügel«  und 
zwei  Menschen!  CÜse  mit  Kalbs  klauen  hatte«  Welch  wuqder- 
sames  Spiel  der  babylonisch  •  chaldäischen  ßinnbildnerei !«  — 
Augen  haben  selbst  die  «Räder  überall,  auch  an  ibren  Heilen 
(Gabbim);  denn  sie  giengen  nicht  auf  der  Erde.  Sie  schweb- 
ten in  der  Luft,  Ober  der  Erde,  nur  bald  niederer  bald  höher, 
ohne  sich  auf  dem  Bodden  zu  reiben.  Die  Luft  trug  sie,  wie 
nach  der  alten  Bewegungsart  der  homerischen  Götter  diesen^ 
die  Luft  noch  materiell  genug  war  ,  um  mit  weitgestreckten 
Schritten  darauf  aufzutreten.  'J 

■  *  "  !.••■«... 

Von  den  vier  Cheruben  getragen!,  also  über  ihnen  ausge- 
breitet, war  ein  Rakia,  das,  worauf  der  Thron  der  Gottheit 
stund.     Iiier  also  mufs  Kakia  nicht  die  Himmelsdecke  seyn, 
die  sich  auch  der  Hebräer  als  ein  um  die  Luft  und  den  Aether/ 
ausgespanntes  stahlblaues  Firmament  f  crh%  sw^a ,  dachte,  son-^ 
dem  nur  ein  ausgedehnter  Wa^enboden,  auf  welchem  der  Kö-, 
nigsstuhl  feststehen  konnte.    Sie  tragen  ihn  oder  er  schwebt f| 
indem  unter  ihm  von  jeder  Seite  jedes  Cherubs  zwei  Flügel 
gerade  ausgestreckt,    alsp  fliegend  sind.     Sie  selbst  schweben, 
über  den  Rädern.     Mit  Recht  verweist  der  Verf,  bei  Vs.  22»' 
wegen  des  llakra  des  Himmels  auf  Vofs  ad  Georg.  III,  261.  /  , 


seh» 
sen 

zu  seinem  Propheten.  Erschrocken  war  dieser  und  zusam- 
mengesunken. Aber  aufrecht  stehend  II,'  2.  soll  er  nun  Gott 
hören  und  in  seiner  Gottheit  Namen  sprechen. 

•  •  •  :    .      .  . 

—    Ii*  eben  diesem  Jahre  1826.  ist  auch  das- 


Volumen  Frimum  Je  r  e  m  iae  ,  Valicinid  et  Threni 

auf  gleiche  Weise  schon  erschienen.     Ohhe  Zweifel  folgen  die' 
zwei  weitere  Volumina  von  den  beiden  Propheten  ununter- 
brochen nach.      Ree.  fügt  indefs    noch  eine  kurze  Anzeige 
zweier  weiteren  Beweise  des  ilosenmüllerischen  Fleifsea  bei» 

,        .  ....  ...  »»<•! 


uiuiiizeu  uy  Vjijei 


gle 


0 


460    BibUsch-extjefc  Repettotium  l.  II.  vqü  Dr.  RosenmüJler. 

Biblisch»  exegetische  Repertorium  oder  die  neuesten 
Fortsehritte  in  Erklärung  der  heiligen.  Sihrift  ,  herausgegeben  von 
Dr.  Ernst  F  riedr.  Carl  Rosenmüll  er  .  .  .  und  J\f. 
G  e.  Hi  eron.  Ro  s  e  nmül  l  e  r  , "  Prediger  zu  Oelzschau  bei  Leip- 
»«  *ig.  I.  Bd.  1822.  199  «y.  IL  Bd.  1824  806  tf.  bei  Baum» 
~ •'■    gärtner.  IT  Bd.  18  Gr. 

2r  Bd.  i  Thlr.    4  Gr. 

erklärte,  wie  auf  dem  Tire] ,  so  in  der  Vorrede,  die  Absicht, 
dem  theologischen  Publicum  die  neuesten  Entdeckun- 

fen  im  Felde  der  biblischen  Exegese  (und  Kritik)  möglichst 
urz  und  vollständig  darzulegen.  Dennoch  wurden  dtr  hieza 
Röthigen  Auszüge  nur  wenige  gegeben,  meist  aber  selbststän- 
dige Aufsätze,  Vielleicht  würde  die  Fortsetzung  schleuniger 
möglich  geworden  seyn  ,  wenn  jene  Absicht  als  eigentümlich 
z\im  Hauptzweck  gemacht  wäre.  Die  Quintessenz  des  Zu- 
wachses,  den  ein  solches  theologisches  Fach  enthält,  möchte 
wohl  mancher  gerne  erhalten;  besonders  von  den  kleineren 
Schriften  ,  die  nicht  in  den  Buchhandel  kommen.  Uebrigens 
hatte  besonders  der  erste  Band  so  interessante  Abhandlungen, 
dafs  auch  dadurch  eine  ununterbrochene  Fortsetzung  gut  vor- 
bereitet war.  Bleek  über  Entstehung  des  Pentateuch  rjnd 
Aber  "einige  Psalmstellen,  auch, von  Bohl  ens  und  Gesenius 
PaialMen  aus  orientalischen  Schriften  zum  N.  T.  dürfen  von 
Forschern  nicht  übersehen  werden.  Die  Anzeigen  aber, 
dünkt  mich,  müfsten  ge  drängt  er  e  A  uszü  ge  geben,  wenn 
sie  die  Absicht  erfüllen  sollen. 

Wegen  des  Pentateuchs  wird  es  schwerlich  möglich 
seyn,  in's  Klare  zu  kommen,  wenn  man  nicht  daran  festhält, 
dafs  das  Deuteronomium  mit  den  vier  andern,  unter  sich  mehr 
zusammenhängenden  Büchern  nicht  zusammenhängt,  also  für 
sich  entstanden  seyn  kann,  deswegen  sogar  im  Decalogus  Ab« 
weichungen  hat,  überhaupt  aber  mehr  als  einmal  den  Mose 
dem  Volke  vorsagen  läfst ,  was  nach  den  vier  ersten  Büchern 
und  nach  der  Natur  der  - Sache  anders  geschehen  war.  Die 
Publication  der  vier  ersten  Bücher  meint  Kec.  2  Chron. 
17,  7.  ff.  au  finden.  Wären  sie  früher  in  der  Nation  bekannt 
gewesen,  so  häl te  Jerobeam  als  neuer  König  nicht  Stiersym- 
}>ole,  nicht  der  Leviten  Absetzung  vom  Opferdienst  unterneh- 
men und  durchsetzen  können.  Das  ,  was  er  deswegen  mög- 
lich fand,  in  niste  erst  die  Priester  bei'm  Tempel  zu  Jerusalem 
aufmerksam  inachen«  wie  nöthip  ein  nationales  Bekannt* 
machen  ihrer  auf  Mose  zurückgehenden  Ueberlieferungen 


« 


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Comnientationes  theo!,  ed.  Rotenmülter ,  FulJaer  et  Maarer.  461 

t 

wäre.  So  nahmen  sie  manches  auf ,  was  sie  altes  hatten.  Oft 
scheint  der  Gesichtspunkt,  antijeroheamisches  in's  Licht  zu 
stellen  ,  unverkennbar.  Aufser  den  Kapiteln,  welche  so  stark 
für  die  Leviten  und  gegen  die  Stierhilder  sprechen  ,  ist  auch 
das  Hervorziehen  alles  dessen,  was  für  Juda  und  was  dagegen 
gegen  Ephraim,  Rüben  u,  s.  w.  seyn  konnte,  auffallend. 


Von  den 

Comnientationes  Theolozicae.  Ediderunt  Em.  Frid.  C. 
Rosen  muller,  Gottlob  IL  Faidner  ,  Gymnas.  Rintelicnsis 
Conrector ,  et  Jos,  Vol.  Dominic.  Maurer  ,  Phil.  Dr.  Ups. 
bei  Reclam.  1825.     555  $.  in  8.  1  Thlr.  8  Gr. 

hat  Ree.  nur  Tomi  J.  pars  prima  vor  sich.  Schade,  wenn  die 
nützliche  Sammlung  nicht  fortgesetzt  würde.  Das  Gesaminelte 
ist  der  Aufbewahrung  sehr  Werth.  Aber  alle  vom  Fach,  wel- 
che dies  anerkennen  und  wünschen,  sollten  zugleich ,  wenn 
sie  kaufen  können,  sich  sagen,  dafs  dergleichen  Sammlungen 
}>ald  durch  das  Ankaufen,  wenigstens  in  allen  theologischen 
Lesegesellscbaften  unterstützt  werden  müssen,  wenn  sie  nicht 
allzu  frühe  stocken  sollen.  Das  Gegebene  würde  sich  an  die 
«ehr  nutzbaren  Collectionen  von  Veithusen  und  Pott  würdig 
anreihen.  Zu  Erleichterung  des  Gebrauchs  wünschte  Ree.  auf 
jeder  Columne  den  Titel  der  gelieferten  Abhandlung  und  am 
Ende  ein  kurzes,  aber  vollständiges  Register  zu  sehen,  wel- 
ches nur  die  erläuterten  Hauptworte  und  die  Pagina  anzu- 
ben  hätte. 

20.  April  1826.  Dr.  Paulus. 


Einige  Bemerkungen  zu  den  von  Hrn.  Prof.  Dr.  Ullmann  und  mir  auf- 
gestellten Ansichten  über  den  Ursprung  und  den  Character  der 
Hypsistarier.  Nebst  einem  Anhange  oon  dem  Lic.  Böhmer. 
Hamburg ,  bei  Fr.  Perthes.  1826.     75  S.  8.  8  Gr. 

Nachdem  der  Unterzeichnete  seine  Commentatio  de  Hypsi- 
stariis  ,  Heidelb.  l823.  herausgegeben,  erschien  von  Herrn 
Lic.  Böhmer  (jetzt  Professor  der  Theologie  in  GreifsWalrie) 
eine  lateinische  Abhandlung  über  denselben  Gegenstand  Ber- 
lin 1824  t  worin  dieser  mit  vielem  Scharfsinn  und  Gelehrsam- 
keit eine  andere  Ansicht  über  die  dunkle  Secte  der  Hypsista- 
'  rier  und  die  ihr  ähnlichen  oder  mit  ihr  verwandten  Partheieu 
der  Messalianer  und  Theosebeis  aufstellt ,   und  die  von  dem 


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462     , . .    Böhmers  Bemerkungen  über  die  Hjpsistaricr. 


m  ■ 


« -> 


*)   Auf  das  Einzelne  eiozugehen9  wurde  nun,  wie  mir  scheint  i  die 
Sache  nicht  mehr  weiter  fördern.     Nur  eine  specie  lle  Bemerkung 
sey  mir  noch  vergönnt.     Hr.  Prof.  Böhmer  beschuldigt  mich  u> 
der  Anmerkung  S.  18,   »in  der  No.  47.  der  Jahrbücher  enthal- 
tenen Anzeige  seiner  und  meiner  Schrift  überhaupt  eine  ganz  an- 
dere  Sprache  zu  reden  ,    als  in  meiner  Commentatio  de  Hypsi*ta* 
riis",    und  führt  zum  Beweis  dieser  Behauptung  Folgendes  an: 
m  Von  der  gröfsesten  Wahrscheinlichkeit  in  Ansehung  seiner  An* 
sieht  über  die  H ypsistarier  ,  oder  davon  9  dafs  er  dieselbe  blos  ah 
Vermuthung  vortrage,   wie  er  sie  in  seiner  kritischen  Anzeige  der 
beiden  Schriften  nennt,   hat  Prof.  Ullmann'in  seiner  Schrift  ae 
'  Hypsistariis  nichts  gesagt.    -  Hier  stellt  er  seine  sententia  so  auf, 
als  wären  die  Hypshtnrirr  wirklich  das  gewesen,  wofür  er«« 
'hält.  "'  '  Hierauf  habe  ich  zu  entgegnen  :  *1)  Auch  in  meiner  Com- 
mentatio de  Hypsistariij  glaube  ich  nicht  mit  allzu  grofser  Ent- 
schiedenheit gesprochen  zu  haben.     Das  Wort  sententia  sollte 
nicht  einen  Kichterspruch ,   sondern  blos  Meinung»  Ansicht  be* 
zeichnen.      Allerdings  glaubte  ich,   die  Hypsistarier  seyen  das 
wirklich  gewesen,   wofür  ich  sie  hielt.     Allein  darin  ist  nicht! 
Verwerfliches.     Sagte  ich  doch  auf  derselben  Seite :   —  denno 
fateamur  necesse  est,  non  omnibus  numeris  absolutam  esse.,  quam 
m\         dedimus,  sectae  nostrae  descriptionem  ,   sed  multis  partibus  man- 
.  ciam  etc.       Also  delatorisch  wollte  ich  nichts  behaupten.  — 
2)    Wenn  ich  in  der  Anzeige  manches  mehr  problematisch  ge- 
stellt habe ,   als  in  der  Commentatio  selbst ,  so  hat  dies  Hr.  Prof. 
Böhmer  der  Kraft   seiner  widerlegenden  Gründe  zuzuschreiben, 
I    und  es  kann  auch  das  niety  als  taddnswerth  angesehen  werden, 
,  M    j  da£s  ich ,  durch  scharfsinnigen  Widerspruch  aufmerksam  gemacht, 
manches  beschränkte  und  modificirte. 


Referenten  mirgetheilte  Hypothese  bestreitet,  jedoch  mit 
vielem  persönlichen  Wohlwollen,    Beide  Commentationen  hat 
Referent  zum  Gegenstand  einer  kritischen  Anzeige  in  diesen 
Jahrbüchern  (Jahrgang  1824-   No.  47.)  gemacht,  wobei  er 
seinerseits  wieder  versuchte ,  die  Bühmeriscbe  Ansicht  zu  wi- 
derlegen, und  das  in  möglichster  Bestimmtheit  auszusprechen, 
was  sich  für  seine  eigene  frühere  Vermuthung   sagen  lief«. 
Hierdurch  ist  nun  Hr.  Böhmer  zu  vorliegender  Schrift  veran- 
lafst  worden,  wodurch  er  aufs  Neue  seine  Ueberzeugung  ver- 
theidigt  und  die  des  Referenten  bestreitet.     Auch  diese  letzte 
Schrift  des  freundschaftlichen  Gegners  ist  dem  Referenten 
willkommen  gewesen,  weil  sie  nur  zur  vollkommneren  Auf- 
teilung des  fraglichen  Gegenstandes  dienen  kann  *).  Beide 


* 

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I 


.  Zell  Ferienschrifien  und  leg.  XII  tabb.  463 

Ansichten  sind  nun  in  aller  Bestimmtheit  und  Schärfe  einan- 
der gegenüber  gestellt,  und  es  ist  des  Referenten  herzlicher 
Wunsch,  worin  ohne  Zweifel  auch  sein  Widersacher  mit 
ihm  übereinstimmen  wird,  dafs  sachkundige  Männer  ein  prü- 
fendes Ürtbeil  aussprechen,  oder,  falls  sie  keine  der  lnitge- 
theilten  Ansichten  billigen  können  ,  eine  noch  treffendere  V*r- 
muthung  über  Character  und  Ursprung  der  von  uns  behandej- 
ten  ReUgionspartheien  aufstellen  möchten.  Von  seinem 
Gegner  aber  scheidet  Ref.  mit  der  Gesinnung  aufrichtiger  Hoch- 
achtung und  Zuneigung. 

Der  Anhang  bandelt  sehr  gut  von  der  Hypothese  eines 
Recensenten  in  der  Jenaer  Lit.  Zeitung,  welcher  die  Hypsi- 
atarier  mit  den  Essiiern  und  Therapeuten  in  näheren  Zusam- 
menhang su  bringen  geneigt  ist, 

9  * 

C.     Uli  mann.  ,. 


1.  Ferienschriften  von  Karl  Zell,    Professor  der  alten  Lite- 

ratur zu  Freiburg.  Erste  Sammlung*  Freiburg  9  bei  Friedr, 
Wagner,  1825.  8.*  i  11.  12  kr. 

2.  Legum  XII  tubulär  um  fragmenta  cum  variarnm  lectionum  delectuf 

paraplirasi  et  indicatis  singulorum  fragmentorum  fotitibus ,  prae- 
lect'iQnum  \n  usum  edidit  C.  Zell,  Friburgi  Brisgoviaey  in  of~ 
ßcina  Frid.  Wagner. 1825.  4, 

Nach  den  Gesetzen  dieser  literarischen  Jahrbücher  über- 
nimmt es   der  Verfasser  der  beiden  hier  genannten  kleinen  ' 
Schriften,    als  inländischer  Schriftsteller,    den  Inhalt  uod 
Zweck  derselben  mit   wenigen  Watten  in  diesen  Bietern 
selbst  anzuzeigen. 

Die  erste  Schrift  enthält  eine  Sammlung  von  Aufsätzen 
über  Gegenstände  aus  dem  Kreise  des  griechischen  und  römi- 
schen Alterthums.  Die  Wahl  und  Behandlung  sollte  nach 
dem  Plane  des  Verfassers  in  der  Art  seyn#  dafs  diese  Aufsätze 
nicht  blos  I^eser  von  allgemeiner  Bildung,  sondern  auch  Ge- 
lehrte vom  Fache  ,  als  Excurse  über  einzelne  weniger  beach- 
tete Punkte  aus  diesem  Gebiete,  interessiren  könnten.  In 
dieser  Absicht  sind  die  Nachweisungen  und  Beweisstellen  in 
abgesonderten  Anmerkungen  gegeben.  Die  Aufschriften  der 
einzelnen  Aufsätze  jiud  folgende :  JJeber  die  Wirths- 
häuser  der  Alten.      Liener  xlie  Volkslieder  der 


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464  -    Zell  Ferienschriften  und  legg.  XII  tabb. 


alten  Griechen.  Ueber  die  Sprttch  Wörter  der  af. 
ten  Griechen.  ß  a  i  a  e ,  ein  römischer  Badeort. 
Catull's  Liebe.  Aristoteles,  als  Lehrer  Alexan- 
ders. Ueber  das  Sittliche  in  der  griechischen 
Volksreligion. 

Der  Abdruck  der  Fragmente  der  XII  Tafeln  wurde  durch 
Vorlesungen  veranlafst ,  welche  der  Herausgeber  über  diese 
Fragmente  hielt,  die  man,  so  viel  bekannt  ist,  bis  jetzt  sonst 
noch  nicht  in  eigenen  Vorlesungen  erläutert  bat.  Die  Erfah- 
rung hat  ihm  nun  schon  die  Gewifsheit  verschafft,  dafs  ein 
solches  Collegium  für  Lehrer  und  Lernende  interessant  und 
nützlich  ist;  doch  wird  auch  aufser  dem  Gebrauche  bei  Vor- 
lesungen, wegen  des  Mangels  einer  passenden  Handausgabe, 
dieser  Abdruck  nicht  unwillkommen  erscheinen.  Die  darin 
befolgte  Einrichtung  ist  diese:  vier  auf  zwei  Seiten  neben 
einander  stehende  Columnen  enthalten  den  Text,  die  An- 
gabe der  Quellen,  eine  Auswahl  der  wichtigsten  verschiede- 
nen Lesarten  ,  und  zuletzt  eine  erklärende  Paraphrase;  jede 
Columne  ist  mit  verschiedenen  Lettern  gedruckt.  Am  Schluls 
folgt  ein  Verzeicbniis  der  in  der  varietas  lectionis  nur  kurz 
bezeichneten  verschiedenen  Ausgaben  und  Commentare.  In 
der  Anordnung  der  Fragmente  ist  der  Herausgeber  Dirk- 
sen  gefolgt ,  so  wie  auch  darin,  dafs  die  noch  übrigen  Tex- 
tesworte von  den  Relationen  der  Schriftsteller  genau  geschie- 
nen worden  sind.  Die  nothwendig  gewordene  Eile  des 
Druckes  trägt  die  Schuld  von  mehreren  Druckfehlern,  welche 
die  sonst  sauber  gedruckte  Schrift  entstellen.  Es  wird  ein 
Druckfehlerverzeichnifs  nachgeliefert  werden.  Ich  benutze 
diese  Gelegenheit,  um  vorläufig  folgende  Berichtigungen  im 
Texte  zu  geben.  S.  8.  fragm.  2.  Z.  4.  1.  iudicer  st.  indicei. 
S.  36-  fragm.  4.  Z.  4.  ist  nach  tabulao  einzuschieben:  usuca- 
pionem.    6.  38.  fragm,  9,  Z.  6.  lxpraedio  st.  praedis. 


»  *  \  ... 


• 


Zell. 


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N.  30, 


1826, 


Heidelberger 


Jahrbücher  der  Literatur. 


Beschriftung  des  auf  der  Sternwarte  der  Kaiserlichen  Universität  fei 
Dorpat  befindlichen  grofsen  Refractors  von  Frauenhofer.  Heraus- 
gegeben von  F.  G.  W.  Struve,  Director  der  Sternwarte.  Dor- 
pat 1825.    22  S.  Royal-Folio  mit  4  Tafeln* 

Ree.  glaubt  allen  liesern  dieser  Zeitschrift  einen  Gefallen 
*u  erzeigen,  wenn  er  sich  beeilt,  von  diesem  ihm  so  ehert 
au  gekommenen  Werke  einige  Nachriebt  mitzutheileri.  Der 
Inhalt  desselben,  die  genaue  Beschreibung  des  gröfstert  und 
vollendetsten,  bis  jetzt  zu  Stande  gekommenen,  Refractors 
kann  nßmlich  nicht  bios  dem  Astronomen  lind  Optiker  Wichtig 
seyn,  sondern  mufs  einen  jeden  interessiren  ,  welcher  auf  eine 
der  jetzigen  Zeit    angemessene»  geistige   Bildung  Ansprüche 
macht.     Wenn  man  berücksichtigt,  was  für  allgemeines  In- 
teresse HerschePs  Riesenteleskop  zu  seiner  Zeit  erregte j 
Wenn  man  überlegt,  wie  oft  und  in  wie  vielen  Werken,  so- 
gar in  Jugendschriften,   dasselbe  abgebildet  und  beschrieben! 
ist ,  sp  darf  man  mit  Recht  fragen  ,   warum  dieses  neue  Mei- 
sterwerk j  durch  den  Scharfsinn  eines  Deutschen  erfundenxtind 
durch  deutschen  Kunstfleifs  vollendet,  nicht  noch  mehr  beach- 
tet und  geschätzt  wird.     Allerdings  entdeckte  Her  schel  mit 
seinem  RefraCtor  bald  nach  der  Vollendung  desselben  einen 
neuen  Planeten ,  Welches  die  Theilnahme  des  ganzen  wissen- 
schaftlichen Publicums  erregte,   und  aufserdem  sind  in  den 
neuesten  Zeiten  so  viele  wichtige  Entdeckungen  gemacht^ 
dafs  eine  einzige  sich  leicht  unter  der  Menge  verlieren  kann; 
endlich*  aber  gehört  der  Künstler,   welcher  das  in  Rede  ste- 
hende Meisterwerk  vollendete,  unter  die  Seltenen  Männer, 
deren  Bescheidenheit  nicht  mindere  Bewunderung  verdient, 
als  ihr  Scharfsinn  Hochachtung  gebietet.    Her  schel 's  Name 
ist  unsterblich;  allein  wenn  man  überlegt,  dafs  sein  Reflector 
hauptsächlich  durch  einen  kühuen  Entschlufs  und  eine  seltene 
Beharrlichkeit  in  der  Ueberwindung  mannigfaltiger  Schwie- 
rigkeiten in's Daseyn  gerufen  wurde,  Frauenhofer'»  Re- 
fractor  aber  mit  allen  seinen  Theilen  nur  durch  eine  Menge 


XIX.  Jahrg.   5.  Heft 


30 


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466  *  Struve  Beschreibung  des  greisen Refractorj. 

von  Comhinationen,  viele  wissenschaftliche  Forschungen, 
zahllose  Versuche  und  die  ausdauerndste  Anstrengung  in  der 
Erfindung  und  Ausführung  der  schwierigsten  technischen  und 
mechanischen  Probleme  zu  Stande  kommen  konnte,  so  darr' 
Deutschland  auf  Frauenhof  er  unbedenklich  eben  so  stoli 
aeyn,  als  es  sich  freuet,  Hörschel  den  seinigen  nennen  su 
können. 

Wer  das  in  dem  vorliegenden  Buche  beschriebene  Meister- 
werk genau  kennen  will,  mufs  die  interessante  Schrift  gani 
lesen.  Ref.  hatte  das  Vergnügen  ,  das  in  Rede  stehende  sel- 
tene Kunstproduct  kurz  vor  seiner  Vollendung  zu  sehen,  und 
wird  sich  daher  bemühen ,  aus  der  eben  so  deutlichen  als  ge- 
nauen Beschreibung  desselben  soviel  herauszuheben,  als  ohne 
Zeichnungen  hinreicht,  eine  Vorstellung  von  dem  Refractor 
sowohl  als  auch  von  dem  eines  so  kostbaren  Instrumentes 
würdigen  Gebäude  zu  erhalten,  worin  dasselbe  aufgestellt  ist. 
Das  Gewicht  des  ganzen  Instrumentes  wird  von  Hrn. 


iglichen 

mittelst  feiner  Libellen  zeigte  das  parallactisch  montirte  Fern- 
rohr die  Declinationen  der  beobachteten  Sterne  mit  vollkom- 
mener Schärfe,  woraus  allein  schon  die  seltene  Genauigkeit 
der  ganzen  Arbeit  genügend  hervorgeht.  Auf  dem  Stativ  ruhet 
die  bewegliche  Axe  des  Rohrs  parallel  mit  der  Weltaxe,  und 
wird  durch  ein  Uhrwerk  mit  einem  horizontal  liegenden  Cen- 
trifugalpendel  mit  einer  der  Bewegung  des  Himmelsgewölbes 

tleichen  Geschwindigkeit  umgetrieben.  Sehr  sinnreich  ist 
ierbei  die  Friction  der  ganzen  Last  durch  ein  besonderes  Ge- 
wicht aufgehoben  ,  welches  22  Pfund  betragend  ,  und  mitnicht 
mehr  als  5  Pfund  Kraft  gegen  die  Peripherie  des  zu  drehen- 
den Rades  wirkend,  den  Reibungswiderstand  der  ganzen  Un- 
geheuern Last  aufhebt,  so  dafs  das  Fernrohr  ohne  Schwan- 
kung und  Intermittirung  dem  beobachteten  Sterne  in  sanfter 
.^Bewegung  durch  das  feine  Uhrwerk  folgt.  An  dieser  Stun- 
denaxe  ist  ein  13  zölliger  getheilter  Kreis,  welcher  durch  die 
Verniere  4  Zeitsecunden ,  durch  Schätzung  1/2  Zeitsecunde 
giebt.  Auf  dieser  Axe  ruhet  genau  rechtwinklig  eine  zweite 
Axe,  an  deren  einen  Seite  das  Lager  des  Fernrohrs,  an  der 
andern  ein  Declinationskreis  von  20  Zoll  Durchmesser  befind- 


*)  Das  russische  Pfund  betragt  27,34  oder  nahe  27i/3  Loth  Ber- 
liner Gewicht  und  ist  also  etwas  über  i/ß  leichter  als  jenes. 


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Struve  Beschreibung  des gtofsen  Rcfractors.  467 

lieh  ist  ^  dessen  Vernier  10  SeCuhdett  giebt.  Beide  Kreise 
sind  nur  dazu  bestimmt,  die  zu  beobachtenden  Sterne  aufzu- 
finden, einige  angestellte  Versuche  aber  haben  ergeben,  dafs 
ihre  Genauigkeit  allerdings  verstattet,  das  Instrument  auch 
sur  Bestimmung  des  absoluten  Ortes  eines  Himmelskörpers  zu 
gebrauchen,  welches  bei  sehr  lichtschwachen  Kometen  von 
grofsem  Nutzen  seyn  kann. 

Die  Länge  des  ganzen  Fernrohrs  betrügt  13  F#  7  Z.  Der 
Körper  desselben  ist  von  Tannenholz  mit  Mahagoni -Furni- 
rung,  deren  Farbe,  eben  wie  bei'm  Stativ,  der  des  polirten 
Kupfers  gleicht.    Das  Holz  gewährt  nicht  blos  den  Vortheil 
der  gröfseren  Leichtigkeit*  sondern  auch  einer  sehr  geringen 
Ausdehnung  durch  die  Temperatur.     An  dem  oberen  ,  etwas 
weiteren,  binde  dieses  Rohres  ist  die  messingene  Fassung  der 
Objectivlinse  hinlänglich  befestigt,  und  dabei  sorgsam  Bedacht 
genommen,  dafs  durch  die  ungleiche  Ausdehnung  des  Metalles 
und  des  Glases  die  Centrirung  des  Objectivs  nicht  leidet,  wel- 
ches aus  zwei  Linsen  bestehend  9  Zoll  freie  OefFnung  und  160 
Zoll  Brennweite  hat.    Das  Rohr  ist  mit  allen  seinen  Theilen ' 
auf  das  genaueste  durch  Gegengewichte  balancirt*  wodurch 
theils  das  Uebergewicht  des  schwereren  urtd längeren  Objectiv- 
theiles  compensirt,  theils  einer  Biegung  des  langen  Rohrs  be- 
gegnet wird.     Hierbei  ist  sogar  auch  dafür  gesorgt,  dafs  die 
Gewichtsvermehrung  an  dem  Ocularende  ,  welche  durch  das 
Einsetzen  schwerere^  Oculäre  entsteht ,  durch  Wegnahme  an- 
gemessener Bleistücke  eine  Compensation  erhält.    Ohne  dieses 
genaue  Gleichgewicht  aller  einzelnen  Theile  dieses  Instruments 
in  jeder  möglichen  Lage  desselben  wäre  es  unmöglich,  seine 
ungeheure  Last  durch  eine  so  geringe  Kraft*  als  oben  angege- 
ben ist,  vermittelst  eines  Uhrwerkes  so  leicht  und  sanft  zu 
bewegen*  als  dieses  wirklich  geschieht.     Die  Uhr  und  das 
Frictionsgewicht  gehen  nur  etwas  über  eine  Stunde*  allein 
beide  können  wieder  aufgezogen  werden  >  ohne  den  Fortgang 
im  mindesten  zu  stören,    wonach  also  die  Beobachtung  su  % 
lange  fortgesetzt  werden  kann  ,  als  man  wünscht.  Densinn- 
reichen Mechanismus  *  wodurch  bewerkstelligt  wird ,  dafs 
hei*m  Aufziehen  der  Gewichte  das  Uhrwerk  sich  ungestört  be- 
wegt, hat  Ref.  mit  Vergnügen  an  seiner  astronomischen  Uhr 
von  Liebherr  kennen  gelernt. 

Ueber  die  dem  Instrumente  beigegebenen  herrlichen  Mi- 
krometer etwas  zu  sagen,  unterläfst  Ref.  der  Kürze  wegen, 
und  eben  so  über  die  sinnreich  ausgedachteri  Mittel  zur  Be- 
richtigung der  Centrirung  des  Fernrohrs  ,  der  balancirenden 
Gewichte  j  des  Standes  des  ganzen  Instruments  und  des  Uhr- 

28  * 


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46»  Su u?B  Beschreibung  des  großen  Refractors. 


werks.  Die  genaue  Beschreibung  aller  dieser  einzelnen  Tlieile 
durch  Hm,  Struve  zeigt  genugsam,  mit  welchem  Eifer  die- 
ser fleifsige  Astronom  sich  mit  den  Eigenthümlichkeiten  «H^ses 
seltenen  Kunstwerkes  bekannt  gemacht  habe,  und  dafs  das- 
selbe  in  seinen  Händen  nicht  als  nutzloses  Schaustück  ruliig 
stehen,  sondern  der  Wissenschaft  einen  dem  größten  Auf- 
wände angemessenen  Nutzen  bringen  wird.  Es  läfst  sich  in 
dieser  Hinsicht  um  so  mehr  erwarten,  wenn  man  berücksich- 
tigt, wie  viel  schon  während  der  vorläufigen  Aufstellung  des 
Instrumentes  geschehen  ist  ,  un  d  Ref.  erlaubt  sich  hierüber 
noch  einiges  mitzutheilen  ,  weil  dadurch  die  Leser  in  den  Stand 
gesetzt  werden ,  eine  mindestens  ohngefübre  Vergleichung  zwi- 
schen den  Leistungen  dieses  Refractors  und  den  bisher  ge- 
brauchten riesenmäisigen  Rt-flectoren  anzustellen. 

Ein  grofser  Vorttieil  fällt  im  Allgemeinen  auf  die  Seite 
der  dioptrischen  Fernröhre  dadurch,  dufs  sie  ungleich  länger 
vollkommen  brauchbar  bleiben,  als  die  katoptrischen.  D»e 
Objectivlinsen  jener  können  nämlich  bei  sorgfältiger  Behand- 
lung durch  das  Reinigen  mit  etwas  Alkohol  und  Abreihen  nut 
feinen  leinenen ,   in  Kalkwasser  getränkten  und  getrockneten 
Läppchen  unbestimmbar  lange  unversehrt  erhalten  werden» 
statt  dafs  die  Spiegel  allmählig  verblinden,   «ine  neue  kost- 
spielige Polirung  erfordern,   hierdurch  aber  stets  verlieren, 
und  nur  zu  bald  ganz  unbrauchbar  werden.      Wirklich  sind 
ebendaher  auch  Herscuel's   40fQfsige\  und  Schröter  « 
25füfsiges  Teleskop  schon  seit  geraumer  Zeit  aufser  Gehrauchj 
und  eine  nähere  Vergleichung  werden  daher  Struve  und  der 
jüngere  Hörschel  mit  dem  beschriebenen  Refractor  und  dem 
2t)fufsigen  Reflector  des  letzteren  anstellen.      Hr.  Struve 
giebt  den  Refractoren  den  Vorzug  der  gröfseren  Lichtstärke. 
Hierin  ist  Ref.  anderer  Meinung,  und  glaubt,  dafs  durch  die 
])isher   wirklich  verfertigten,   bewunderungswürdig  grofs"' 
Spiegel  von  der  vollendetsten  Politur  allerdings  mehr  Licht 
^erhalten  werde*  könne,  als  selbst  das  bis  zum  Unbegreiflichen 
klare  Glas  Frauenhofens  durchläfst,  welches  der  jüng*** 
Hörschel  auch  durch  Beispiele  darzuthun  gesucht  hat.  Al* 
lein  mit  der  blofsen  Lichtstärke  ist  es  nicht  gethan,  wenn  es 
auf  Deutlichkeit  und  Schärfe  der  Bilder  ankommt,   und  dafs 
in  letzterer  Hinsicht  F  r  a  u e  n  b  ofe r*  s  Meisterwerke  alle  Er- 
wartung übertreffen  ,  geht  aufser  theoretischen  ,  hier  nicht  zu 
erörternden  Gründen  schon  aus  den  Leistungen  des  beschrie- 
benen Refractors  genugsam  hervor.     Unter  andern  erkannte 
Schröter  mit    seinem   25f«fsigen    Teleskope   den   Stern  t 
üriouis  als  zwölffach,  Struve  aber  denselben  als  sechsehn- 


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Struve  Beschreibung  des  grofsen  Refracton.  469 

i 

fach.  Von  den  Resultaten  der  Weiteren  Beobachtungen  des 
fleifsigen  Struve  werden  die  Astronomen  weitere  Kunde  er- 
halten; vorläufig  aber  kann  hier  rnitgetheilt  werden,  dafs  an 
demjenigen  T  heile  des  Himmels,  an  welchem  Her  sc  hei  68 
Doppel sterne  der  vier  ersten  Classen  entdeckte,  Struve  334 
neue  aufgefunden  hat,  und  unter  diesen  111  solche  der  ersten 
Classe,  deren  Distanz  kleiner  als  4  See.  ist.  und  deren  Her* 
8 che)  unter  seinen  £8  nur  14  zahlte. 

Mit  Uebergehung  einiger  absichtlich  deshalb  angestellten 
Beobachtungen,  aus  denen  die  unglaubliche  Schärfe  der  Bilder 
hervorgeht,  welche  der  unvergleichliche  Kefractor  giebt,  wen- 
den wir  uns  endlich  noch  zu  einer  Vergleichung  des  Mecha- 
nismus der  Bewegung  dieses  und  der  früheren  Instrumente. 
Wenn  man  die  Art  betrachtet,  wie  der  unsterbliche  Herschel 
sein  Riesenteleskop  montirte  und  sur  Beobachtung  becruem 
^einrichtete,  so  mufs  man  der  sinnreichen  Ausführung  die  ge- 
bührende Bewunderung  zollen;  genau  genommen  aber  haben 
die  zahllosen  Seile,  Hullen,  Flaschenzüge,  Hebel  und  derg), 
etwas  Schwerfälliges,  und  bleiben  hinter  der  sanften,  gleich- 
sam automatischen,  Bewegung  des  grofsen.  Refractors  und  der 
bewundernswürdigen  mechanischen  Kunst,  wodurch -sie  er- 
zeugt wird  ,  weit  zurück.  Rücksichtlich  der  absoluten  Ver- 
größerungen, welche  Herschel's  Teleskop  ertrug,  und  de- 
nen, welche  von  Struve  angegeben  sind,  deren  stärkste  nur 
ßOOfach  ist,  bleibt  der  Refractor  allerdings  weit  zurück,  und 
manche  werden  hierin  einen  wesentlichen  Abstand  des  letz-'  • 
teren  von  jenem  linden.  Ref.  weifs  nicht,  ob  die  angegebene 
Vergrölserung  die  stärkste  ist,  welche  Frauenhofens  In- 
strument verträgt,  Kenner  aber  werden  darin  einverstanden 
seyn,  dafs  durch  blofse  Vermehrung  der  Vergrölserung  nur 
wenig  gewonnen  wird,  wenn  man  dagegen  die  Deutlichkeit 
und  Schärfe  der  Bilder  aufopfert,  wobei  inzwischen  nicht  zu 
bestreiten  ist,  dafs  2  bis  nahe  4  Fuis  im  Durchmesser  haltende 
Spiegel  im  Allgemeinen  stärkere  Vergröfserungen  zulassen, 
als  ein  9zÖlliges  Objectiv. 

Eine  kurze  Erwähnung  verdient  vor  allen  Dingen  noch 
das  sinnreich  construirte  Gebäude,  worin  das  beschriebene, 
einzig  in  seiner  Art  vortreffliche  Kunstwerk  aufgestellt  ist, 
und  rief,  freuet  sich ,  hierbei  aus  gütigst  mitgetheilten  Nach- 
richten einiges  ergänzen  zu  können,  was  das  vorliegende 
Werk  nicht  enthält,  weil  es  vor  der  Vollendung  des  beweg- 
lichen Thurms  gedruckt  wurde.  Es  verstand  sich  nämlich  von 
selbst,  dafs  ein  so  vollendetes  Meisterwerk  auch  ein  ange- 
messenes Locale  zur  Aufstellung  erforderte,   und  dieses  ist 


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Struve  Beschreibung  aes  großen  Rerractew, 

ihm  auch  durch  die  Liberalität  eines  Gouvernements  gewor» 
den,  welches  keinen  Aufwand  scheuet ,  sobald  es  die  Förde« 
rung  der  Wissenschaften  gilt.  Hr.  Struye  beschreibt  daa- 
selbe  ausführlich,  zum  Theil  noch  vor  der  wirklichen  Vollen- 
dung nach  dem  entworfenen  Plane ,  und  unterlägst nicht,  seinem 
Col  legen  ,  dem  als  Physiker  berühmten  Staatsrath  und  Professor 
Parrot  für  den  Entwurf  und  die  thätige  Hülfe  bei  der  Aus« 
führung  den  gebührenden  Dank  zu  zollen«  Mit  was  für  un- 
säglichen Schwierigkeiten  die  letztere  an  einem  Orte,  wie 
Dorpat  ist,  verbunden  gewesen  sey,  wird  jeder  Sacbverstän« 
dige  leicht  begreifen;  aber  um  so  erfreulicher  ist  es  zu  bemer- 
ken, da  Ts  Mau  nur  von  Kraft  und  eiserner  Beharrlichkeit  ihre 
wohldurchdachten  Plane  dennoch  durchzusetzen  vermögen, 
Nach  der  Angabe  der  vorliegenden  Schrift  und 'der  brieflich 
mitgetheilten  Ergänzungen  besteht  das  Gebäude  des  Refractors 
aus  einem  zwölfeckigen  Thurme,  welcher  so  hoch  über  den 
übrigen  Gebäuden  der  Stadt  liegt,  dafs  er  nach  allen  Seiten 
einen  freien  Horizont  gewährt.  Das  Fundament  des  beweg- 
lichen Theiles  ist  ein  alter  massiver  Thurm,  er  selbst  aber 
gesteht  aus  zwölf  Riegelwänden ,  deren  vier  mit  Fenstern  ver- 
sehen sind  ,  zwei  einen  Durchschnitt  bilden ,  und  sechs  aUo 
ausgemauerte  Wände  bleiben.  Das  Ganze  ruhet  auf  zwölt 
eisernen  Rollen,  welche  mit  ihren  Einschnitten  auf  der  con- 
vexen  Kante  einer  genau  waagerecht  gelegten  kreisförmige11 
'  Eisenbahn  laufen.  Auf  solche  Weise  besteht  also  durch  den 
Einschnitt  das  Ganze  aus  zwei  Theilen,  welche  unten  zwar 
leicht  verbunden  werden  konnten,  schwieriger  jedoch  war 
dieses  am  oberen,  Theile  unter  dem  Dache,  wenn  nicht  zu- 
gleich ein  undurchsichtiger  Anker  an  irgend  einer  Stelle  in  das 
Gesichtsfeld  kommen  sollte.  Diese  Schwierigkeit  ist  glücklich 
überwunden  durch  einen  rectanguläreu  eiseinen  Rahmen, 
dessen  schmale  Seiten  auf  zwei  starken  eisernen  Bolzen  an  den 
Seiten  der  Einschnitte  drehbar  befestigt  sind,  so  dafs  die 
Fläche  dieses  Rahmens  entweder  vertical  oder  horizontal  ge- 
stellt werden  kann;  und  da  sein  halber  Durchmesser  größer 
als  die  Oeffnung  des  Fernrohrs  ist,  so  bietet  derselbe  in  einer 
der  genannten  Richtungen  allezeit  eine  freie  Aussicht  dar. 
Ein  flaches  Dach  von  Brettern  mit  Segeltuch  überzogen  und 
von  einer  durchbrochenen  Gallerie  umgeben,  desgleichen  eine 
unter  dem  drehbaren  Theile  befindliche,  ganz  herumlaufende 
Gallerie  geben  dem  Ganzen  ein  gefälliges  Ansehen,  und  die 
letztere  verstattet  noch  aufserdem,  dais  man  allerorten  um  den 
beweglichen  Thurm  herumgehen ,  und  die  Theile  nachsehen 
kann.     Die  Eise/ibahn  ist  geschliffen,  die  Rollen,  welche 


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Snmve  Beschreibung  des  großen  Rcfracton.  471 

zwölf  Zoll  im  Durchmesser  halten  und  zwei  Zoll  über  die  Ei- 
senbahn von  conischem  Durchschnitte  übergreifen ,  sind  von 
polit'tem  Gufseisen  und  laufen  mit  ihren  stählernen  ,  nur  sechs 
Linien  starken  ,  Axen  in  Büchsen  von  Glockenspeise.  Ref. 
hat  sich  ungemein  gefreuet ,  hierbei  zu  linden,  dafs  der  sach- 
kundige Farrot,  gestützt  auf  eine  durch  die  Erfahrung  wohl« 
begründete  Theorie,  diese  Axen  nicht  stärker  gewählt,  und 
dadurch  hinlängliche  Stärke  mit  sehr  geringer  Reibung'  verei- 
nigt hat,  da  sonst  gewöhnlich  sokhe  Theile  von  blofsen  Em- 
pirikern nnverhältnifsmäfsig  stark  und  massiv  gemacht  zu 
werden  pflegen.    Der  freie  Kaum  zwischen  den  Rollen  ist  ge- 

fen  eindringenden  Regen  und  Schneegestöber  durch  einen  am 
eweglichen  Theile  des  Thurmes  befindlichen  blechenen  Man- 
tel geschützt ,  welcher  über  einen  am  unbeweglichen  Tbeile 
angebrachten  Ring  von  Brettern  so  gebogen  ist,  dafs  er,  ohne 
irgendwo  zu  berühren,  frei  mit  umgedrehet  wird,  und  doch 
das  Eindringen  des  Schnees  auch  bei  heftigem  Winde  verhütet« 
Endlich  versteht  es  sich  von  selbst,  dals  die  Einschnitte  des 
Thurms  mit  genau  schliefsenden  Klappen  versehen  sind,  in- 
defs  h.it  man  diesen  zugleich  eine  solche  Richtung  gegeben, 
dafs  sie  geöffnet  den  Einflufs  des  Windes  auf  das  Instrument 
abzuhalten  dienen, 

Farrot  berechnete  das  Gewicht  des  beweglichen  Theiles 
des  Thurmes  zu  17000  Pf.  und  die  zu  überwindende  Reibung 
nach  dem  Verhältnils  der  Durchmesser  der  Rollen  und  deren 
Axen  mit  einem  Frictionscoöfficienten  s  j/s  zu  212,5  Pf.  'Ein 
vorläufiger  Versuch  vor  der  gänzlichen  Vollendung  ergab,  d  fa 
nur  180  Ff.  erforderlich  waren,  die  ganze  Last  des  Thurmes 
zu  überwinden..  Zur  Drehung  ist  indels  eine  Kurbel  von 
14  Z.  Radius  mit  einem  Getriebe  von  4  Z.  Durchmesser  ange- 
bracht, um  die  Drehung  zu  bewerkstelligen,  indem  das  Ge- 
triebe in  ein  Rad  von  17  Z.  Durchmesser  mit  einer  Welle  von  ' 
6  Z.  Durchmesser  eingreift,  um  welche  das  am  Kranze  be- 
festigte 0,5  Z.  dicke  Seil  geschlungen  ist.  Diese  Maschine 
befindet  sich  zwischen  zwei  eisernen,  am  Umfange  der  Mauer 
befestigten,  Stangen,  und  der  Berechnung  nach  sollten  10  Pf. 
Kraft  zur  Drehung  erforderlich  seyn.  Weiter  als  bis  zu  den 
hier  mitgetheilten  Angaben  reicht  die  Schrift  nicht,  und  es  ist 
daher  interessant  gegenwärtig  au  erfahren,  dafs  die  erhalte- 
nen Resultate  die  erwarteten  noch  übertrofFen  ha^on.  Da« 
Totalgewicht  des  beweglichen  Theiles  des  Thurmes  ist  näm- 
lich 30000  Pf.  und  dennoch  werden  zur  Drehung  desselben  an 


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47$  fittu?e  Beschreibung  des  grofsen  Refracto«.' 

4er  Kurbel  von  14  Z.  Radius  *)  für  den  Fall  der  vortheilhafte- 
#ten  Wirkung  nur  7  Pf. ,  für  den  der  un vo i theilhaf'testen  aber 
9  r£>  erfordert.  Um  das  Gebäude  durch  einen  Raum  von  4 
zu  bewegen •  welches  die  Gröfse  des  Ausschnittes  ist,  sind 
nicht  mehr  als  zwölf  Secunden  erforderlich,  und  wenn  man 
noch  eben  so  viel  hin  zunimmt,  um  das  Seil  aus-  und  einzuha- 
ken ,  so  ergiebt  sich,  wie  wenig  der  Beobachter  verliert  y 
wenn  er  ohne  Gehülfen  die  Drehung  selbst  vornehmen  muis. 
Das  Gebäude  bat  bereits  einen  Winter  ausgehalten  ,  in  wel- 
chem die  Kälte  bis  23°  R.  gestiegen  ist,  und  nicht  blos  dieser« 
sondern  auch  dem  Thauwetter9  dem  Schneegestöber  und  den 
Sturmwinden  des  Novembers  glücklich  widerstanden.  Letz* 
tere  waren  wohl  am  meisten  zu  berücksichtigen.  Farrot 
hatte  berechnet,  dafs  die  Last  des  Gebäudes  2,5  mal  so  grofs 
sey  als  die  Kraft,  welche  der  Druck  eines  Windes  von  150  F« 
Geschwindigkeit  in  einer  Secunde  gegen  die  dargeboteneFläche 
auszuüben  vermögte.  Indem  aber  das  Gewicht  des  Gebäudes 
im  Verhültnifs  von  20: 17  vermehrt  ist,  die  angenommene  Ge- 
schwindigkeit des  Windes  von  150  F.  aber  vielleicht  schon 
über  das  Maximum  der  Wirklichkeit  hinausgeht,  so  läfstsich 
von  dieser  Seite  nichts  fürchten,  jedoch  wird  auf  jeden  Fall 
der  bewegliche  Theil  des  Thurmes  an  der  unbeweglichen 
Mauer  durch  Ilaken  befestigt.  Der  ganze  Ausschnitt  bat  acht 
Klappen,  zwei  vertjcale  auf  jeder  Seite  und  vier  auf  dem 
Dache.  Geöifnet  lehnen  6ie  sich  gegen  eiserne  Streben,  welche 
stark  genug  sind,  dem  Sturmwinde  zu  widerstehen.  Für  die 
Genauigkeit  der  Arbeit  zeugt  insbesondere  der  Umstand,  dafs 
nicht  blos  das,  Schneegestöber  hinlänglich  abgehalten  wird, 
sondern  selb«t  der  Wind  nirgend  an  der  Flamme  einer  ^Vachs- 
Jcerze  bemerklich  ist. 

Ref.  kann  diese  Anzeige  nicht  scbliefsen  ,  ohne  vorher 
noch  einigen  Betrachtungen  Raum  zu  geben,  welche  sich  man- 
chem Leser,  gleich  wie  ihm  selbst,  vielleicht  aufdringen  wer* 
4en.  —  Wo  befindet  sich  denn  dieses  gröfste  und  schönste 
jetzt  existirende  Werkzeug  für  die  beobachtende  Astronomie? 
—  Auf  einer  Lehranstalt,  welche,  eine  der  jüngsten  unter 
ih ren  Schwestern,  schon  manche  an  wissenschaftlichem  Stre- 
ben und  an  den  hierzu  behülilichen  Schätzen  überflügelt  hat. 
£>en  Beweis  liefern  eben  dieser  Apparat  mit  seinem  zweck- 
mässigen Gebäude,  ein  nhysiealisebes  Gabinet 9  welches  an 


*)   Die  Angabe  von  16  Z.  in  der  {Schrift  i*t  eja  Druckfehler»  flerca 
übrigens  lief.' keine  gefunden  hat. 


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I 


Struvo  BeichreibuDg  des  grofsen  Refractor*?  473 

Vollständigkeit,  Güte  und  Schönheit  seiner  Apparate  von  we- 
nigen übertroffen,  von  den  meisten  nicht  erreicht  wird,  und 
ohne  Zweifel  noch  manche  andere  literarische  Hülfsmittel, 
deren  genauere  Kenntnifs  dem  Ref.  abgeht.     So  war  es  stets 
der  Fall  und  wird  es  auch  künftig  seyn,  dafs  die  Musen  ihre 
früher  begünstigten  Wohnsitze  verliefsen  ,   wenn  man  sie 
nicht  mit  inniger  Liehe  pflegte  und  mit  hoher  Achtung  begün- 
stigte;  sie  wählten  sich  neue  Tempel  an  andern  Orten,  und 
an  den  verlassenen  nahm  Stille  und  Dürftigkeit  Platz.  Viele 
der  Sternwarten,  welche  vor  etwa  einem  Jahrhunderte  zu  den 
Zeiten  der  Cassini' s  berühmt  waren,  kennt  man  jetzt  nicht 
mehr  ,  aber  statt  ihrer  sind  neue  mit  vermehrtem  Glänze  her» 
vorgegangen,  und  erfreulich  ist  es  dabei  für  den  ruhigen  Be- 
obachter der  wissenschaftlichen  Cultur,  wahrzunehmen,  wie 
weit  die  jüngeren  jene  älteren  hinter  sich  lassen ,  wovon  der 
vorliegende  Bericht  unter  andern  einen  sprechenden  Beweis 
liefert.    Inzwischen  ist  es  nicht  blos  die  Astronomie,  welche 
in  Rufsland  so  ausgezeichneten  Schutz  und  hohe  Beförderung 
findet,  sondern  dieser  grofse  Staat  versäumt  überhaupt  nicht, 
die  ihm  zu  Gebote  stehenden  ausgezeichneten  Hülfsmittel  zur 
Erweiterung  der  Wissenschaften  durch  grofsartige  Unterneh- 
mungen zu  verwenden.      Ref.  erwähnt  in  dieser  Hinsicht 
nur  das  ihm  zunächst  Bekannte  und  für  ihn  besonders  Interes- 
sante, unter  andern  die  gegenwärtig  gleichzeitig  stattfindende 
dritte  Entdeckungsreise,  die  mühsamen  und  kostspieligen  Un- 
tersuchungen der  Küsten  des  sibirischen  Polarmeeres ,  die 
wissenschaftlichen  Reisen  in  denCaucasus,  und  vieles  anderes. 
Die  gelehrte  Welt  darf  von  allen  diesen  Unternehmungen  viele 
und  mancherlei  interessante  und  wichtige  Aufklärungen  er* 
warten,  worauf  Ref.  sich  schon  im  Voraus  freuet,  und  wo- 
von er  seiner  Zeit  gern  dem  Publicum  nähere  Nachricht  mit- 
sutheilen  hofft,  so  bald  und  so  weit  er  selbst  zur  Kenntnifs 
derselben  zu  gelangen  das  Glück  haben  wird. 

•  - 

M  u  n  c  k  e. 


474  Rudhart ,  über  de»  Zustand  des  K.  Baiern. 


Cfe&sr  den  Zustand  des  Königreichs  Bitten»  nach  amtlichen  Quellen  von 
D.  Ignatz  Rudhart  ,  K.  B.  Regie  rungsdirector  (jetzt  zu  fie- 
gensburg)  n.  s,  u>.  Erster  Band.  Stuttgart  und  Tübingen,  bei 
Cotta.  1826.  XII  und  233  S.  nebst  104  S.  Beilagen  und  einer 
Cliarte.  3  fl. 

-     '  \- 

»Die  Materialien  dieses  Buches»,  sagt  die  Vorrede, 
«waren  bestimmt,  nach  und  nach  in  der  Bayerischen  Wochen- 
schrift bekannt  gemacht  zu  werden;  als  aber  diese  nicht  mehr 
fortgesetzt  wurde,  schien  es  am  nützlichsten,  sie  zu  einem 
Bucue  zu  verwenden,  durch  welches  das  Publicum  und  beson* 
dera  Staatsmänner,   statt  einzelner  Bruchstücke,  gleichsam 
aus  einem  Gusse,  ein  vollständiges  Bild  von  dem  Zustande 
des  Königreichs  Baiern  erhalten  können. «    Der  hochverdiente 
Verf.,  der  in  der  vorjährigen  Ständeversammlung  zu  München 
als  der  erste  Redner  glänzte,  giebt  in  dieser  Schrift  mehr,  als 
man  aus  obiger  Aeuiserung  erwarten  dürfte;   er  theilt  nicht 
allein  eine  Menge  der  schätzbarsten  Materialien  mit,  welche, 
Weil  er  sie  auf  amtlichem  Wege  erhielt,  so  grofse  Glaubwür- 
digkeit haben  ,  als  sie  ihrer  Natur  nach  überhaupt  haben  kön- 
nen, sondern  er  knüpft  daran  viele  allgemeine  Betrachtungen, 
bald,  um  den  jetzigen  Zustand  zu  beleuchten,  bald,  um  Wün- 
sche zu  Verbesserungen  darzulegen.      Der  Leser  erhält  also 
zunächst  Theile  einer  reflectirenden  Statistik,  sodann  einge- 
schaltete Untersuchungen  staatswissenschaftlicher  Gegenstände. 
Kec.  kann  nicht  in  Abrede  stellen,  dafs  durch  diese  Verschmel- 
zung statistischer  und  politischer  Sätze  das  Werk  an  Einheit 
und  Gleichförmigkeit  verloren  hat,  aber  dafür  ist  es  gewifs  in- 
teressanter und  nützlicher  geworden.      Der  Statistiker  be- 
schränkt sich  auf  die  Schilderung  des  Bestehenden,  so  weites 
«ich  durch  sichere  Thatsachen  kund  giebt;  er  strebt,  wie  der 
Geschicbtschreiber,  ein  Bild  zu  entwerfen,  über  welchem  man 
den  Bildner  vergifst,  und  welches,  wenn  es  nur  mit  Fleifs 
und  Treue  gearbeitet  ist,  Jedem,  welcher  Gesinnung  er  auch 
Seyn  möge,  Nutzen  und  Vergnügen  gewähren  muls.  Der 
politische  Schriftsteller  dagegen  kann  nicht  umhin,  von  ge- 
wissen Grundsätzen  auszugehen,   gewisse  Hauptzwecke  im 
Auge  zu  behalten,  über  welche  die  Vorstellungen  der  Men- 
schen vielleicht  noch  eben  so  lange  von  einander  abweichen 
werden  ,  als  sie  es  schon  gethan  haben.     Hier  mufs  die  Indi- 
vidualität des  Schriftstellers  lebendig  hervortreten,  seine  Aus- 
sprüche können  nicht  Allen  behagen,  und  in  so  ferne  sie  die 
Gebrechen,  die  Bedürfnisse  einer  bestimmten  Zeit  berühren, 
in  der  unaufhörlich  anschwellenden  Fluth  der  Literatur  auf 


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Hudhart  9  über  den  Zustand  des  K.  Baiern.  475 

kein  dauerndes  Interesse  rechnen ,  dafür  aber  vermögen  sie 
desto  kräftiger  in  die  Gegenwart  einzugreifen.  Die  vorlie- 
gende Schritt  bat  nun  von  politischer  Seite  den  Vorzug,  dal« 
sie  keine  in  die  Wolken  gebauten,  sondern  nur  solche  Schlufs- 
folgen  enthält,  die  sich  aus  bestimmten  Erfahrungen  entwik- 
kein  lassen,  ferner  dafs  sie  von  Frincipien  ausgeht,  die  dem 
Ree.  die  einzig  wahren  und  gedeihlichen  zu  seyn  scheinen; 
von  statistischer  Seite  wird  sie  dadurch  fruchtbar,  (bis  sie 
das  einzelne  Material  belebt  und  in  das  Ganze  verwebt  zeigt, 
unähnlich  jenen  gedankenlos  zusammengeschriebenen  Büchern, 
die  man  nicht  selten  mit  dem  Titel  Statistik  erscheinen 
sieht.  Die  Schönheit  und  Wärme  des  Styls  wird  auch  solche 
L*eser  anziehen,  für  welche  sonst  der  Gegenstand  zu  trocken 
seyn  würde. 

Der  vorliegende  erste  Band  enthält  nur  einen  Theil  des- 
sen ,  was  die  Staatenkunde  umfafst,  er  handelt  nämlich  von 
der  Gröfse  und  den  Glänzen  des  Landes,  von  der  Bevölke- 
rung, den  Religionsverhältnissen  und  Bildungsanstalten  und 
von  der  Landwirthschaft.  Die  41  Beilagen  bestehen  blos  aus 
Statistischen  Tabellen.  Ree.  ist  nicht  gesonnen,  einen  regel- 
mäfaigen  Auszug  aus  diesem  an  tiefen  Gedanken,  erhabenen 
Empfindungen  und  merkwürdigen  Thatsachen  reichen  Buche 
zu  liefern,  welches  ohnehin  in  die  Hände  aller  derer  kommen 
wild,  für  die  ein  Auszug  Interesse  »hätte :  er  beschränkt  sich 
auf  eine  Andeutung  des  Inhaltes  und  auf  einiges  Besondere. 

I.  Gränzen.  Zu  diesem  Abschnitte  gehört  die  schöne 
litbographirte  Gränzcharte,  welche  zugleich'  die  Amtssitze 
und  das  Quadratnetz  der  Steuervermessung  angiebt.  Der 
Flächenrauin  berechnet  sich  auf  1382  Geviertmeilen.  Die 
Nachtheile,  welche  die  abgesonderte  Lage  des  Rheinkreises 
mit  sich  bringt,  werden  nicht  verschwiegen,  doch,  sey  der 
Besitz  dieses  Kreises  für  Baiern  und  vielleicht  selbst  für  ganz 
Deutschland  wichtig,  er  „hält  uns  stets  die  geläuterten  Grund- 
sätze der  Einrichtung  und  Verwaltung  der  bürgerlichen  Ge» 
Seilschaft  vor*. 

II.  Bevölkerung.  Die  Volksmenge  ist  nicht  genau 
bekannt,  was  nur  denen  auffallen  kann,  welche  die  Schwie- 
rigkeiten einer  Volkszählung  nicht  zu  beurtheilen  wissen. 
Die  neueste  Angabe  von  1822  ist  3,743,000.  Verbindet  man 
hiermit  diejenige  Zahl  der  Familien,  welche  der  Verf.  für  die 
richtigste  hält,  nämlich  787,8l8,  so  ergiebt  sich,  dais  hier 
nicht  4*/2»  wie  man  gewöhnlich  annimmt,  sondern  4 3/4 Köpfe 
auf  die  Familie  kommen.  Der  Verf.  rechnet  nur  41/2,  und 
schliefst  so  auf  eine  Volksmenge  von  3,545,000  Menschen, 


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476  Rudhart,  aber  den  Zustand  des  K.  Baiern. 


wobei  die  Bevölkerung  auf  einer  Quadratmeile  614  Familien 
oder  2763  Menschen  beträgt;  dafs  sie  nicht  doppelt  so  grofs 
aey,  wird  aus  verschiedenen  politischen  Einrichtungen  er- 
klärt. Ree  will  den  Einflufs  aller  dieser  Ursachen  nicht  be- 
streiten, es  scheint  ihm  aber,  dais  sich  über  die  Sache  nicht 
mit  Entschiedenheit  urtheilen  lasse  ,  weil  wir  die  Stärke  des 
jährlichen  Zuwachses  der.  Volksmenge  nicht  kennen,  und  dafs 
der  Zustand  des  Gewerbfleifses ,  vor  Allem  das  noch  unvoll- 
kommene Fahi  ik wesen  ,  die  Hauptursache  dar  im  Verhältnils 
zu  den  Nachbarstaaten  schwächeren  Bevölkerung  bilde.  Der 
Cälibat  der  Geistlichen  und  vieler  Staatsdiener  und  die  Kriege 
würden  von  dieser  Seite  wenig  schaden ,  wenn  die  Production 
mit  besserem  Erfolge  betrieben  und  das  Nationalcapical  stär- 
ker vermehrt  würde.  Die  fehlerhaften  Gesetze,  welche  das 
Ansässigmachen  zu  sehr  erschweren  ,  werden  mit  Wärme  ge- 
tadelt ,  und  als  eine  Ursache  der  zahlreichen  unehelichen  Ge- 
burten dargestellt.  Bekanntlich  ist  diesem  Uebelstande  indes- 
sen durch  ein  neues  Gesetz  abgeholfen  worden.  Beherzigens* 
Werth  ist  der  Rath,  die  Annen  Versorgung  nicht  ganz  der 
Gemeinde  zu  überlassen,  sondern  sie  auf  ganze  Kreise  auszu- 
dehnen, weil  sonst  die  Last  für  einzelne  Gemeinden  unerträg« 
lieh  werden  kann ;  vergl.  auch  S.  39. 

III.  Sterblichkeit.  Die  Mortalität  von  Nürnberg, 
wie  sie  aus  den  S.  34.  mitgetheilten  Zahlen  folgt,  ist  nicht 
1/42 »  sondern  i/4o,  und  dies  kann  nach  den  neueren  Erfahrun- 
gen in  England  und  Frankreich  nicht  für  eine  ausgezeichnet 
geringe  Sterblichheit  gehalten  werden,  indefs  läfst  sich  auch 
von  einem  einzigen  Jahre  kein  sicherer  Schlufs  ziehen.  Wenn 
wirklich  die  Mortalität  im  Isarkreise  1/29,  im  Obermainkreise 
aber  1/58  ist  (es  bleibt  zweifelhaft  wegen  des  Mangels  einer 
zuverlässigen  Volkszählung) ,  so  beweist  dies  viel  für  die 
Medicinalanstalten  im  letzteren  Kreise  und  gegen  die  Nütz- 
lichkeit der  grofsen  Landgüter,  wie  man  dieses  auch  kürzlich 
von  Frankreich  dargethan  hat.  —  Medicinalwesen  ,  Unzuläng- 
lichkeit der  bestehenden  Irrenhäuser  u.  s.  w. 

IV.  Vertheüune  der  Bevölkerung.  Blickaufdas 
Gemeindewesen.  VerhäUniftt wischen  Stadt  und  Land.  Nimmt 
man  nur  die  Städte  von  mehr  als  600  Familien  in  Betracht, 
bo  zeigt  sich,  dafs  in  ihnen  ungefähr  1/7  der  Volksmenge 
wohnt ,  die  anderen  6/7  bewohnen  das  platte  Land  und  die 
kleineren  Städte.  Werden  auch  die  Städte  unter  500  Familien 
und  die  Marktflecken  eingerechnet,  so  belaufen  sich  die  Stadt» 
bewohner  auf  io/47.  Dieses  Verhältnifs  ist,  wie  bekannt,  »" 
Beziehung  auf  den  vorherrschenden  Charakter  der  Gewerl)«' 


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Rudhart ,  über  den  Zustand  des  K.  Beiern.  477 

» 

tbätigkeit  bedeutend,  indem  Ge  werke  und  Handel  desto  star- 
ker betrieben  zu  werden  pflegen,  je  gröfser  der  in  den  Städten 
wohnendeTheilder  Volksmenge  ist.    Jn  Norwegen  ist  es  kaum 
i/n,    in  Ungarn  i/i9,  in  England  aber  über  die  Hälfte.  Ge- 
wöhnlich ist  die  Zahl  der  Städter  in  solchen  Gegenden  am 
gröfsten  ,  wo  auch  die  Bevölkerung  im  Allgemeinen  die  stärk- 
ste ist ;  doch  trifft  dies  in  Baiern  nach  den  hier  mitgetheilten 
Tabellen  nicht  genau  zu  ,  denn  der  Oberdonaukreis  ist  schwa- 
cher bevölkert  (610  Familien  auf  der  Quadratmeile),  als  der 
Ober-  upd  Unter -Mainkreis  (643  und  692  Familien),  hat 
aber  etwas  mehr  Bewohner  gröfserer  Städte  (15  3/5  Proc.)  als 
beide  (i3i/5  und  iii/ü  Proc.).     Der  Isarkreis  ohne  die  Haupt- 
stadt hat  die  niedrigste  Bevölkerung  (337  Familien)  und  die 
wenigsten  Stadtbewohner  (6  Proc).  —  Zahl  und  versicherter 
Werth  der  Gebäude  im  Königreiche.   —   Fast  nirgends  findet 
man  die  verschiedenen  Arten  von  Gebäuden  so  unterschieden, 
wie  es  zu  wünschen  ist,  wenn  man  daraus  Schlüsse,  z.  B.  in 
Ansehung  des  landwirtschaftlichen    und  Gewerkscapitales, 
machen  will.  —  Der  Verf.  tadelt  den,  in  der  Ständeversamm- 
lung von  1822  gemachten  Vorschlag  ,  die  Brandversicherungs- 
anstalt in  Kreisvereine  aufzulösen,  mit  Recht,  äufsert  aber 
zugleich,   es  sey  billig,  die  Aufnahme  leicht  verbrennbarer 
Häuser  durch  höhere  Beitragsquoten  zu  bedingen.     Ree.  hat 
auf  diese  Verbesserung  der  bisherigen  wechselseitigen  Asse- 
curanzen kürzlich  in  einer  anderen  Zeitschrift  aufmerksam  ge- 
macht.   Dafs  ein  Kreis  mehr  Brandschäden  hat  als  der  andere, 
mufs,  wenn  es  fortdauernd  ist,  der  verschiedenen  Bauart  zu- 
geschrieben werden ,  und  deshalb  kann  man  es  den  Abgeord- 
neten des  Untermainkreises  nicht  verargen,  dafs  sie  in  Bezie- 
hung auf  ihre  Gegend  die  Einrichtungen  der  Anstalt  für  man- 
gelhaft erklärten,  nur  wäre  die  Auflösung  des  Gesammtver- 
eines  das  unrechte  Mittel.      Die  Prümienassecuranzen  geben 
das  Beispiel,  wie  man  nach  Maafsgabe  der  Bauart  den  jähr- 
lichen Beitrag  ungleich  ansetzen  kann.     Dagegen  ist  das  Aus- 
Icunftsmittel,  welches  die'erneuerte  Assecuranz -Ordnung  für 
Bremen  und  Verden,  vom  23.December  1825,  ergreift,  Häu- 
ser mit  Schindeldächern  nur  zu  zwei  Drittheil  des  Werthes 
aufzunehmen,  unzureichend,  weil  dabei  auch  der  Beitrag  ge- 
ringer wird  und  für  die  gröfsere  Gefahr  keine  verbältnifsmäfsigö 
Vergütung  Statt  findet. 

V.  Unterscheidung  der  Bevölkerung  nach 
Ständen.  Der  Adel  begreift  1384  Familien,  mit  945  ade- 
lichen Gütern,  die  Besitzungen  der  33  erblichen  Reich<näthe 
nicht  eingerechnet.    Man  kann  also  wohl  450  — *  500  adelicbe 


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478  Rudhart,  Ober  den  Zustand  des  K.  Baiern. 


Familien  ohne  Grundbesitz  annehmen,  denn  wenn  auch  bis- 
weilen mehrere  Familien  an  einem  Gute  Theil  haben,  so  trifft 
es  sich  doch  weit  öfter,  dafs  eine  Familie  mehrere  Güter  be- 
sitzt. Ree.  findet  durch  Vergleichung  der  Kreise,  dafs,  mit 
einziger  Ausnahme  des  Oberma Inkreises ,  die  Bevölkerung  je- 
des .Landestheiles  um  so  höher  ist,  ja  wenigere  adeliche  Güter 
er  enthält.  Das  Zusammentreffen  ist  merkwürdig  genug  ,  um 
hier  nachgewiesen  zu  werden. 


Ad eliche  Güter. 

Familien 

- 

auf  1  QM. 

Rheinkreis 

0 

809 

Retzatkreis 

64 

781 

Untermainkreis 

77 

622 

Oberdonaukreis 

78^ 

610 

Unterdonaukreia 

l63 

499 

Regenkreis 

179 

444 

Isai  kreis 

227 

377 

Ree.  hat  sich  schon  früher  (Allg  Encyklop.  Von  Kr  sc  Ii  und 
G  ruber,  Art.  Adel)  für  die  Nützlichkeit  des  Adels  in  Eih- 
monarchieen  erklärt,  er  mufs  aber  mit  unserem  Verl.  indem 
Urtheile  über  das  Unzweckinilfsige  der  Vorrechte,  die  d<  t 
Adel  in  Baiern  geniefst,  übereinstimmen.  Ueber  die  Patri- 
monialgerichtsbarkeit ist  kaumnöthig,  etwas  zu  sagen;  die 
Siegelmäfsigkeit  befreit  den  Adelicheit  von  verschiedenen  Ge- 
richtstaxen ,  „und  ist  so  vortheilhaft  für  den  Privilegirten, 
dafs  ein  einziger  Taxenfall  den  Betrag  der  Taxe  für  das  Adels- 
diplom  übersteigen  kann."  Dieser  Umstand  und  die  Ein- 
künfte der  gutsherrlichen  Gerichtsbarkeit  (welche  indefs  nach 
der  Verfassung  auf  die  früheren  Rittergüter  beschränkt  ist)  er- 
klären die  vielen  Gesuche  um  die  Ertheilung  des  Adels  gegen 
Entrichtung  der  Taxe. 

VI.  Unterscheidung  der  Bevölkerung  nach 
der  Religion.  Der  Verf.,  welcher  selbst  der  katholischen 
Confession  angehört,  spricht  einen  grofsen  Theil  seiner  Glau« 
hensgenossen  von  Aberglauben,  Lippen-  und  Bilderdienst 
nicht  frei,  wahrend  viele  andere,  und  ein  grofser  Theil  der 
Protestanten,  aus  Mangel  an  Nachdenken  oder  Frivolität  in 
Unglauben  verfallen;  selbst  bei  der  katholischen  Geistlichkeit 
sey  die  Aufklärung  über  das  wahre  Wesen  der  christlichen  und 
katholischen  Religion  selten.  „Das  Wesen  des  Katholicismus 
„ist  kein  anderes  als  jenes  der  Religion.  Wie  er  iu  verschie- 
denen Zeiten  begriffen  und  verdorben  "worden  ist,  entsche- 
idet nicht.    Wer  in  die  eisten  Zeiten  an  die  Quelle  zurück- 


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Rudhart ,  übet  den  Zustand  des  K.  Baiern.  479 

„geht,  lernt  sie  ungetrübt  als  eine  evangelische  Lehre  kennen. 
„Diese  Lehre  ist  freilich  unwandelbar  und  ewig,  nicht  aber 
„die  Streits2tze  der  theologischen  Schulen.  Dogmen  hat  der 
„Protestant  wie  der  Katholik;  beiden  müssen  sie  etwas,  aber 
„etwas  lintergeordnetes  seyn.  Nicht  blinder,  sondern  thäti- 
„ger  und  lebendiger  Glaube  ist  noth wendig,  den  Katholiken 
„wie  den  Protestanten,  und  dafs  die  Formen  der  Kirchenver- 
„fassung  veränderlich  und  verbesserlich  seyen,  lehrt  die  Kir- 
„chengeschichte,  welche  durch  di«  Concilien  au  Kostnitz  und 
„Basel  zeigt,  welche  Gränze  die  Gewalt  des  Pabstes  und  der 
„Kirche  hat.  Allein  die  unbeschiänkte  Gewalt  jenes  hat  «ich 
„durch  ähnliche  Mittel  erhalten,  deren  sich  die  Könige  be- 
dienten, welche  nach  absoluter  Gewalt  strebten;  sie  ver- 
säumten, die  Concilien,  wie  die  englischen  Könige  die  Par- 
lamente einzuberufen.« 

VII.  Ueber  die  Verhältnisse  der  Juden.  Die- 
ser 27  Seiten  starke  Abschnitt  inufs  jedem  Leser  gegen  die 
edle  Menschlichkeit,  mit  welcher  der  Verf.  einem  unterdrück- 
ten S|sjmme  das  Wort  redet,  die  höchste  Achtung  einflössen. 
Die  Entartung  der  Juden  wird  zum  Theile  dem  Grade  von  re- 
ligiöser Bildung  der  meisten  unter  fhnen  ,  gröfatentheils  aber 
den  politischen  Einrichtungen  und  der  unchristlichen  Behand- 
lung von  Seite  der  Christen  Schuld  gegeben.  Gewifs  wird  der 
Jude  im  Ganzen  besser  werden  ,  nützlichere  Beschäftigungen 
ergreifen,  und  ein  theilnehmenderer  Bürger  seyn  ,  wenn 
man  alles  Demüthigende  von  ihm  nimmt,  und  ihm  den  Zutritt 
zu  mehreren  Gewerben  gestattet ;  er  wird  sich  und  seine  Glau- 
bensgenossen weniger  schroff  der  übrigen  Gesellschaft  entge- 
genstellen ,  wenn  man. aufhört,  ihm  mit,  Härte  zu  begegnen. 
Gleichwohl  möchte,  wie  Ree.  glaubt,  die  Ertheilung  des 
vollen  Staatsbürgerrechtes,  in  so  ferne  darin  auch  die  Wähl- 
barkeit zur  Ständeversammlung,  die  Befugnifs  zur  Bekleidung 
von  otaatsämtern ,  zu  dem  Besitze  von  Gütern  mit  Gerichts- 
barkeit und  Patronatsrecht  liegt,  noch  zu  frühzeitig  seyn; 
erst  müssen  die  Bildungsanstalten  krättig  gewirkt  haben ,  es 
mufs  eist  der  vorherrschende  Wuchergeist  vertilgt  seyn,  der, 
Wenn  auch  grofsentheiJs  durch  den  Druck  von  Seite  der  Chri- 
ste/i  verschuldet,  doch  nun  einmal  da  ist,  bis  auch  jene  Schei- 
dewand ohne  Gefahr  aufgehoben  werden  kann.  Die  aufgeklär- 
ten ,  aber  zugleich  frommen  Juden  (beides  war  bisher  sonst 
nie  verbunden)  werden  von  selbst  zum  Christenthume  üher- 
treten,  sie  müssendes  aber  zuvor  in  der  Handlungsweise  seiner 
Bekenner  achten  gelernt  haben.  Der  Verf.  urthei.lt  unbefangen 
und  gerecht  über  die  Intoleranz  der  Christen.     „Sie  tadeln, 


480  Rudhatt,  über  den  Zustand  des  K.  Baiern. 

„dafs  Moses  Religion  zum  lächerlichen  Ceremoniendienste 
herabgesunken  sey,  und  rergesSen,  wie  viele  Christen  die 
„Cereiuonien  werther  als  das  Wesen  der  lleligion  halten.  — 
„Sie  rügen,  dafs  der  Gottesdienst  in  einer  Sprache  gehalten 
„Werde,  welche  die  meisten  nicht  verstehen,  und  ist  es  denn 
„leider  hei  uns  Christen  anders?« 

VIII.  Unterricht,  Erziehung  und  Bildung. 

IX.  Landescultur.  Dieser  Abschnitt  wird  durch  zahl- 
reiche höchst  lehrreiche  Tabellen  erläutert.  Der  Wald  be- 
tragt 29  Proc.  der  Flüche  und  es  kommen  auf  die  Familie  acht 
Morgen,  was  bei  guter  Wirthschaft  das  Bedürfnifs  über- 
steigt. Der  Verf.  glaubt,  dafs  niedrige  Holzpreise  im  Inlands 
nützlich  seyen,  weil  sie  das  Uebergewicht  «her  die  Gewerbe 
des  Auslandes  gewinnen  helfen.  Dies  ist  in  Beziehung  auf 
einzelne  Gewerbszweige,  zumal  auf  das  Hüttenwesen,  rich- 
tig, aber  wird  nicht  da*  wo  ein  Theil  des  Waldgrundes  U 
anderer  Benutzung  fähig  ist,  gerade  durch  deri  niedrigen  Preis 
die  Holzsparung  verhindert,  die  Forstwirtschaft  in  ihrem 
mangelhaften  Zustande  erhalten,  und  so  die  bessere  Benutzung 
des  Bodens  verzögert?  Man  soll  zwar  keinen  unerschwing- 
lich hohen  Holzpreis  für  unschädlich  halten  ,  aber  auch  nicht 
einen  so  niedrigen  als  nützlich  ansehen,  der  dem  Waldeigen, 
thümer  keinen  Antrieb  gewährt,  sich  um  gute 

Holazucht  tu 

bemühen. 

X.  Saarn  enerträgnifs.  Getreidepreise.  Die  jetzige 
Wohlfeilheit  des  Getreides  bei  hoch  gebliebenen  Preisen  an- 
derer Dinge  mache  die  Fruchtbarkeit  zum  Fluche,  sie  wird 
S.  124.  (vergl.  159.  und  Vor:.  VI.)  ein  gotteslästerliches  V«*- 
hältnifs  genannt,  welches  nur  aus  menschlicher  Verkehrtheit 
entspringen  könne.  Zwar  hat  der  Verf.  S.  125.  mit  wenigen 
gehaltschweren  Worten  die  Ursachen  von  der  Noth  des  Land- 
manns  geschildert ,  aber  es  darfauch  die  in  der  Natur  des  Land- 
baus gegründete  Verschiedenheit  der  Ernten  nicht  ünerseheö 
werden.  Ein  wichtiges  Gut ,  vön  dem  man  bald  viel  mehri 
bald  merklich  weniger  gewinnt,  als  man  braucht,  mufs  not- 
wendig einen  sehr  verschiedenen  Preis  haben,  und  die  anderen 
Ursachen,  welche  die  Preisveränderungen  gröfser  oder  kleiner 
machen,  sind  nur  accessorisch, 

XI.  Gewerbs-  und  Handelsgewächse. 

(Der  Beschlufs  folgt.? 


I 


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N.  3t  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Rudhart,  über  den  Zustand  des  Königreichs  Raiern. 

ihetchlnfs.) 

Xtl.  Viehzucht.  Der  Zahl  nach  sollte  man  die  Rind* 
Vieh-  und  Scbaafzucht  flir  gut  halten,  da  auf  fünf  Morgen 
Acker  ein  Stück  Rindvieh  und  auf  acht  Morgen  ein  Schaar! 
trifft.  Aber  unter  den  Schäafen  sind  nur  wenige  Merinos» 
und  däs  Rindvieh  ist  von  schlechtem  Schlage,  woran  Unwis* 
Senhett  viele  Schuld  hat.  —  Statt  ärztliche  Hülfe  zu  gebraut 
dien  j  gind  1820  gegen  18Ö0Ö  und  1821  dogär  30000  Menscherl 
mit  k ran  kein  Viehö  nach  Griesbach  gevvallrahrtet. 

XIII.  Pferde  zucht.  Es  kommen  hier  die  in  Baiern 
vielfach  besprochenen  Angelegenheiten  des  Militärgestütes 
zur  Sprache*  Der  Verf.  erklärt  Sich  für  die  Erhaltung  des- 
selben, 

XIV.  Vertheiluhg  des  GruhdbeS  i  tzes.  Wären 
die  auf  der  41*  Tabelle  verzeichneten  Thatsachen  früher  be- 
kannt gewesen  ,  so  hätte  man  daS  Wahlgesetz  zweckmässiger 
einrichten  und  den  Ue beistand  vermeiden  können,  dafs  1 1  Land- 
gerichte gar  keinen  wählbaren  Grundeigentümer  haben* 

XV.  Ueber  die  Ursachen  des  gegenwärtigen 
Zustandes  der  Land  wi  r  t  bsthaft  und  die  Mittel 
zür  Verbesserung  desselben.  Wichtig  und  lehr- 
reich. 

XVI.  Dieser  vier  Bogen  starke  Abschnitt  enthält  den, 
der  Ständeversammlung  von  1822  vorgelegten ,  aber  nicht  zur 
Abstimmung  gekommenen  Entwurf  eines  neuen  CultUrgesetzes 
mit  Abänderungen  und  Erläuterungen  unseres  Vfs.  Obgleich 
wenige  Leser  in  einer  Darstellung  des  Zustandes  von  Baiern 
diesen  Excurs  Über  einen  speciellen  Verwaltungsgegenstand 
zu  finden  erwarten  möchten  ,  so  tnufs  doch  die  Gabe  ihres 
Gehaltes  willen  mit  Dank  angenommen  werden.  Wir  wollen 
nur  bei  einigen  Sätzen  verweilen.  Die  Bestimmungen ,  welche 
die  Cultur  öder  Weideplätze  begünstigen  sollen,  kann  Ree. 

XIX.  Jahrg.    5.  Heft.  3t 


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48fc  Rudhart,  über  den  Zustand  des  K.  Baiern. 

nicht  ganz  billigen,  weil  es  ihm  ein  Eingriff  in  das  Privat- 
eigenthum scheint,  wenn  Jeder  ein  als  Weide  liegen  geblie- 
benes Grundstück  in  Anspruch  nehmen  darf,  um  es  anzubauen. 
Die  bisherigen  Culturgesetze  in  Baiern  sind  oft  genug  als  zu 
ungestüme  Antriebe  zur  Urbarmachung  getadelt  worden  ,  es 
ist  also  kein  eigentlicher  Rückschritt;  wenn  man  den  natür- 
lichen Gang  der  Dinge  mehr  als  bisher  walten  läfst.     Der  "Vf. 
nimmt  zwar  im  §.  3.  künstliche  Weiden  aus,  aber  hierunter 
pflegt  man  blos  angesäete  au  verstehen ,  es  könnte  also  nach 
dem  Entwürfe  der  Eigenthümer  einer  Weidekoppel,  die  er 
zur  Viehmästung,  zur  Pferde-  oder  Schaarzucht  u,  s.  w.  vor- 
trefflich brauchen  kann,  gezwungen  werden,  sie  abzugeben 
oder  selbst  unter  den  Pflug  zu  nehmen.    Natürlich  wird  jeder 
Eigenthümer,  wenn  das  Grundstück  nicht  ganz  schlecht  ist, 
den  eigenen  Anbau  vorziehen,  man  weifs  aber,  dafs  die  Aul- 
dehnung der  urbaren  Fläche  in  vielen  Fällen  weniger  nützlich 
ist ,  als  eine  bessere  intensive  Cultur.     Wie  manche  W eiden 
giebt  es  an  Abhängen,  die  zum  Umbrüche  nicht  geeignet  sind, 
die  aber  ein  Culturlustiger ,  der  dabei  nichts  zu  verlieren  hat, 
wenigstens  des  Versuches  willen  in  Anspruch  nehmen  wird. 
Gemeindegrundstücke  mögen  andere  Behandlung  zulassen,  bei 
den  öden  Ländereien  Einzelner  aber  würden  die  vorgeschla- 
genen Bestimmungen  noch  mancher  Einschränkungen  bedür- 
fen ,  z.  B.  dafs  sie  nur  von  Plätzen  gelten,   die  nicht  einmal 
beweidet  werden.     Sollte  man  nicht  ruhig  erwarten  dürfen, 
dafs  bei'm  Zunehmen  der  Bevölkerung  ,  des  Capitales  und  der 
Betriebsamkeit  die  Grundrente  steigt 9  und  der  Eigenthümer 
seines  Vortheiles  willen  diejenige  Benutzung  wählt,  die  dem 
allgemeinen  Bedürfnisse  entspricht?    Eben  so  viel  läfst  sieb 
gegen  den  Satz  einwenden,  den  auch  schon  die  bisherigen 
Culturgesetze  haben,  dafs  die  Weide  der  Cultur  ohne  Ent- 
schädigung weichen  inuls.  —   Empfehlenswerth  ist  es,  dafs 
die  Laudemien  und  andere  gutsherrliche   Prästationen  nach 
dem  bisherigen  Werthe  des  öden  Grundstückes  fixirt  werden 
sollen.    Die  gänzliche  Freigebung  der  Privatforstwirthschaft, 
selbst  der  Rodungen ,  riebt  Besorgnissen  Raum  ,  deren  Ent- 
wicklung hier  zu  weit  führen  würde;  wie  sehr  man  auch  dem 
lästigen  Einmengen  des  Staates  in  die  Forstwirthschaft  der 
Bürger  abgeneigt  seyn  mag,*  so  raufs  man  doch,  schon  aus 
klimatischen  Rücksichten  ,  Beschränkungen  des  Ausrodens  von 
Waldungen,  welches  in  Gebirgsgegenden  die  gröfsten  Nach- 
theile verursachen  kann,  für  nöthig  halten.     Das  fünfte  Ca- 
pitel,  von  den  Lasten  der  Grundeigentümer ,  hat  der  Verf. 
neu  hinzugefügt.    Es  war  von  seinem  hellen  Blicke  zu  erwar- 


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Pankowukj's  Geschichte  slavischer  Volker.  4"83 

- 

ten,  dafs  er  auf  die  Milderung  und  Ablösung  der  bäuerlichen 
Lasten  Bedacht  nehmen  würde,  und  man  wird  bei  seinen  Vor- 
schlägen wenig  zu  bedenken  finden ,  aufs  er  etwa ,  dafs  der 
§.  36»  Moderation  der  Lasten  wegen  bisheriger  Ueberjastung 
betreffend,  nähere  Bestimmung,  wie  der  Reinertrag  auszu- 
xnitteln  sey ,  erforderte,  und  dafs  die  Umwandlung  des  Frucht- 
zehnten in  eine  jährliche  Fruchtgilt  in  theuren  Jahren  eine 
unerschwingliche  Last  hervorbringen  würde. 

Mit  Verlangen  sieht  Ree.  dem  Erscheinen  eines  zweiten 
Sandes  entgegen. 

K.    H.    R  a  u. 


Gregor  Dankowszky 's  Fragmente  zur  Geschichte  'der  Völker  un~ 
garischer  und  slawischer  Znnge  ,  nach  den  griechischen  Quellen 
bearbeite^*  Pj*«/f&firg,  1825,  Erstes  Heft,  Urgeschichte  der 
Völker  slawischer  Zunge.     52  S.  8.  12  Gr. 

Ks  gibt  in  dem  Alterthume  wohl  wenige  Völker»  welche 
in  die  Geschichte  so  thätig  eingreifen  ,  und  dennoch  eigent- 
lich so  wenig  gekannt  werden,  als  die  Skythen.  Unbesiegbar 
durch  die  Natur  des  Bodens,  auf  dem  sie  nomadisirten ,  und 
durch  die  Lebensart,  welche  nothwendig  bedingt  war  durch 
die  Beschaffenheit  ihres  Landes,  bewohnten  sie  friedlich  die 
ungeheueren  Steppen,  welche  das  südöstliche  Europa  und  die 
Hochebenen  Mittelasiens  einnehmen,  und  nur  ein  äufserer 
Anstois  bewog  sie  zu  der  Ueberzügelung,  womit  sie  zur  Zeit 
des  Kyaxares  Vorderasien  überschwemmten.  Da  aber  diese 
Eroberung  von  kurzer  Dauer  war  und  sie  nach  acht  und  zwan- 
zigjähriger Herrschaft  wieder  in  ihre  Steppen  zurückgewor- 
fen wurden,  so  li^gt  uns  ihre  Geschichte,  bei  der  übrigen 
Abgeschiedenheit  des  Volkes,  sehr  im  Dunkel,  und  wir  sind 
beschränkt  auf  wenige  unzusammenhängende  Begebenheiten« 
Denn  alle  einheimische  Quellen,  die  etwa  vorhanden  gewesen 
seyn  dürften,  sind  verloren.  Eben  so  auch  die  Persischen 
Nachrichten.  Die  Griechen  aber  standen  nie  mit  den  Skythen 
in  genauerer  Berührung,  denn  es  fehlten  die  beiden  nie  tische  n - 
verknüpfenden  Wege,  Krieg  und  Handel.  Die  Feldzüge 
Alexanders  des  Groisen  streiFten  nur  an  das  Gebiet;  und  der 
Handel  konnte  seinen  wohltbiitigen  Einflufs  auf  Erweiterung 
der  Kenntnisse  hier  nur  in  unbedeutendem  Grade  ausüben  ,  da 
die  wenigen  griechischen  Kolonien  an  der  Nordküste  des  Pon- 
tusEuxinus,  als  Pflanzstädte  von  Pfiatizstädten  ,  nur  in  losem 

31  * 


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484  Dankowsik/s  Gebuchte  slawischer  Völker* 

Verbände  mit  den  griechischen  Mutterstaaten  standen.  Di© 
genaueren  Nachrichten  über  den  merkwürdigen  Erdstrich,  an 
dessen  Saume  sie  wohnten ,  und  das  Volk,  mit  dem  sie  ver- 
kehrten ,  Waren  also  wohl  schon  für  die  Griechen  verloren; 
für  uns  sind  sie  es  gewifs,   und  wir  sind  beschränkt  auf  die 
Nachrichten,  welche  einzelne  Griechen  zufällig  oder  mit  Ab- 
sicht in  den  PflanzstUdten  an  der  Skythischen  Küste  einzogen, 
und  deren  Zuverlässigkeit,  nur  durch  die  Glaubwürdigkeit 
des  Erzählers  bedingt  s  durch  Mangel  an  Kenntnifs  der  Sprache, 
Sitten  u.  s.  W.  der  Skythen,   und  dadurch  Sühr  getrübt  wird, 
dafs  bei  den  meisten  eigene  Ansicht  fehlte,   die  durch  Hören- 
sagen nicht  ersetzt  wird.    Dadurch  ging  natürlich  alle  ethno- 
graphische Genauigkeit  nothwendig  verloren  ,  und  die  Grie- 
chen befafsten  unter  den»  gemeinschaftlichen  Skythennamen 
alle  die  Völker,  von  denen  sie  erfuhren,  dafs  sie  in  den  Euro- 
päischen oder  Asiatischen  Steppen  nomadisirten.  Gleichheit 
der  Lebensart  verleitete  sie  zu  dem  Schlüsse  auf  Gleichheit 
des  Stammes,  und  so  finden  wir  Skythen  an  der  Donau  und 
Skythen  als  Nachbarn  der  friedfertigen  Seren.     Zu  einer  be- 
stimmtet! klaren  Einsicht  über  dieses  Volk  haben  es  die  Grie- 
chen wohl  eben  so  weriig  gebracht ,   als  sie  z.  B.  mit  den  Kel- 
ten und  JVethiopen  in's  Beine  gekommen  sind,     Im  Gegen- 
theile  War  sicherlich  jene  weitschichtige  Benennung  die  ziem- 
lich allgemein  herrschende,  wenn  auch  einzelne  Forscher  das 
Unrichtige  und  Unbestimmte  derselben  einsahen  und,  indem 
sie  die  Völker  absonderten  s  die  nicht  zusammen  gehörten,  den 
Umfang  des  Skythenvolkes  in  engere  Gränzen  wiesen.  Daher 
die  Streitigkeiten,  ob  dieses  oder  jenes  Volk  Skythisch  sey 
oder  nicht.    Der  Beispiele  könnte  eineLegion  aufgeführt  wer- 
den; hier  nur  einige  der  zunächst  liegenden!    Herodot  (I, 
20 i.)  hält  die  Massageten  für.  ein  eigenes  Volk;  jedoch  mit 
dem  Zusätze!   sifft  5«  olnvs;  na)  <rxu3mov  Xdyovtri  toüto  ro  t'9vo;  g»va/. 
— »   Diodor.  Sic.  II.  pag.  128.  Bipont.,   Stephan.  Byz.  u  A, 
nennen  sie  geradezu  «5v«5  r>tuStüv.  —  Dielssedonen  unterschei- 
det Herodot  (z.  B.  IV,  27*)  von  den  Skythen;  Hekatäus  bei 
Steph.  Byz*  nennt  sie  ein  Skythisches  Volk*     Derselbe  Fall 
ist  bei  den  Taurern,  Sauromaten  u*  a.    Wer  demnach  Unter- 
suchungen anstellen  will  über  die  Skythen,  mufs  vorerst  eine 
sorgfältige  Sichtung  der  verschiedenen  Vorstellungen  und  An- 
gaben vornehmen,  und  den  Begriff,  Umfang  und  die.  Begren- 
zung des  Volkes  genau  feststellen  ;   er  muls  erst  den  Grund 
reinigen,  auf  dem  er  bauen  will.     Nur  so  kann  die  Unter- 
suchung zu  einem  sicheren  Ziele  führen.     Aber  gerade  diese 
Grundlegung  ist  es,  die  Ref.  an  dem  anzuzeigenden  Werke 

■ 


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I 


Dankowsiky's  Geschichte  sla wischet  Völker,  485 

gänzlich  vermifst.  Der  Hr.  Verf.  erklärt  «ich  Ober  die  Sky, 
then  im  Allgemeinen  durchaus  nicht,  sondern  hUlt  sich 
ausschliefsend  an  die  Beschreibung  Herodots,  ohne  auf  etwas, 
anderes  ilücksieht  zu  nehmen,  und  leitet  dann  vqn  diesen  He- 
rodotischen Skythen  die  Slawen  abi  ein  wo  möglich  ebeu  sq 
Weitschichtiger  Begriff, 

Der  Hr.  Verf,  sticht  seine  Meinung,  die  übrigens  keines* 
Wegs  neu  ist,  Ruf  etymologischem  oder  linguistischem  Wege 
begründen,  So  gewifs  es  auch  ist,  dafs  5urachahnlichkeitf 
wenn  sie  au  andern,  historischen  beweisen  kommt,  von 
grofsem  Gewicht  ist,  eben  so  gewifs  ist  es  auch,  dafs  man 
auf  eine  solche  Aehnlichkeit  allein  keine  sicheren  Forschung 
gen  begründen  kann,  wenn  von  der  einen  Sprache  nur  ein- 
zelne wenige  Wörter  übrig  sind,  deren  Bedeutung  uns 
«och  dazw  nieist  unbekannt  ist.  Um  eine  zu  Folge- 
rungen berechtigende  Vergleichung  anstellen  zu  können,  ist 
unumgänglich  uothwendig ,  dafs  vqn  beiden  Sprachen  wenn 
nicht  zusammenhängende  ,  doch  wenigstens  der  Bedeutung 
nach  fest  bestimmte  Ueberreste  vorhanden  seyen..  Di«  Anaahl 
der  Wörter  aber,  die  uns  pebst  ihrer  Bedeutung  von 
^er  Skythischen  Sprache  übrig  sind,  ist  so  unbedeutend,  dafs 
man  darauf  wühl  keine  geschichtliche  Behauptung  begründen 
kann,  zumal  da  der  Hr.  Verf.  gerade  bei  den  meisten  dieser 
Art  die  Nachweisung  schuldig  geblieben  ist.  Es  la'l'st  sich 
nicht  lUugnen,  dafs  Hr.  Dankowszky  zu  vielen  Skythischen 
Namen  recht  scharfsinnig  Anklänge  und  Bedeutungen  in  den 
Slawischen  Sprachen  gefunden  hat ;  aber  wer  bürgt  uns  da* 
für,  dafs  diese  Wftrter  im  Skythischen  wirklich  diese  Bedeu- 
tung hatten?  Das  Unsichere  und  Schwankende  dieser  Ver- 
fahrungsart  wird  dadurch  ersichtlich,  dafs  z,  B.  Theod.  Siegfr, 
Bayer  in  seiner  Abhandlung  de  angine  Scytharum ,  in  den 
Cumment,  Acad.  I'etrop.  Tum.  I  p.  379.  in  denselben  Wör* 
tern  den  Finnischen  Sprachstamm  erkennt,  und  ohne  Mühe 
kö  nnen  wir  auch  Deutsche  Wurzeln  darin  finden.  Wozu 
aber  «ein  solches  Hepumtappen  imFinstern,  wo  uns  jeder  Leit* 
•tern  fehlt?  Ks  ist  wahr,  dies  und  das  Wort  konnte  diese 
und  jene  Bedeutung  haben.  Aliein  hatte  es  dieselbe  auch? 
Die  Namen  der  Skythischen  Gottheiten  erklärt  der  Verf.  auf 
folgende  Art;  fqfari,  Siaw.  ta  byti  d,i,  Göttin  der  Wohnung 
(Gut.)  —  'A*/*,  &tew,  Aupiga,  d,  i,  die  nach  un4  nach  triiv» 
ken.de.  (Minder  gelungen,)  —  Oa/^W&ii*  Sla.w<  tmawy  «*a, 
«ad,  d.  i.  er  hat  einen  finstera  Sita.  (Gelungen)  — •  ^t^tcw^ 
vom  §law.  Anrak,  Bezauberung,  undpas,  Gürtel,  d,  i-  die 
mit  dem  bezaubernde«  Qttrteh    Der  Qitqwpi  h&\  Herqd.  IV, 


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486 


Dankowszk/s  Geschichte  slawischer  Völker. 


59.  bleibt  unerklärt.  Die  Erklärung  mehrerer  Namen  «ollen 
in  der  Ordnung  angeführt  werden,  in  welcher  sie  im  Buche 
vorkommen. 

Der  Verf.  beginnt  mit  der  Erörterung  der  Sagen,  die  wir 
Lei  Herodot  IV,  5  —  11.  finden.     Nach  der  ersten  Sage  ist 
der  Stammvater  des  Skytbenvolkes  Targitaos,   des  Zeus  und 
der  Tochter  des  Borysthenes  Sohn.      Dieses  Targitaos  soll 
Slawisch  gewesen  seyn  und  dem  jetzigen  Stary  tata  oder  Sta- 
ry  ta  entsprechen,  d.  h.  Altvater.    So  sollen  sie  ihren  Stamm- 
vater genannt  haben,   da  sie  durch  die  Länge  der  Zeit  seinen 
wahren  Namen  vergessen  hatten  und  „da  das  beseligende  Licht 
„der  Offenbarung  noch  nicht  zu  ihnen  gedrungen,   oder  viel» 
„mehr  nach  der  Zeit  wieder  aus  ihrem  Gedächtnisse  ver- 
schwunden war.«     (Ref.  gesteht ,   nicht  recht  einzusehen , 
was  hier  das  beseligende  Licht  der  Offenbarung  soll.)  Durch 
Einwirkung  griechischer  Religionsbegriffe  hätten  die  Skythen 
ihren  Stary  ta  zum  Sohn  des  rapaios  und  der  Tochter  des  Bo- 
rysthenes gemacht.     Aber  Ref.  sieht  nicht  ein  |  warum  die 
Skythen  nicht  eben  so  gut  s el  b s  t s  tä  n d  x g  ihr  Geschlecht  auf 
eine  ihrer  Gottheiten  und  die  Tochter  eines  ihrer  Haupt- 
ströme zurückführen  konnten,   als  die  Griechen.  Warum 
denn  sogleich  Einwirkung  Griechischer  Religionsbegriffe  an- 
nehmen V     Die  Namen  der  drei  Söhne  des  Targitaos  sollen 
nach  Hrn.  D.  ursprünglich  gewesen  seyn:  Lipockai  (ck  ausge- 
sprochen zk)  d.  i.  von  der  Linde;   Arpockai  (statt  Hrpockai) 
d.  i,  von  der  Kornblume;   und  Kolackäi,  d.  i.  vom  Rade. 
Von  Lipockai  stammten  die  Auebaten  (Vcbaty,  spr.  Uchaty, 
~  Grofsohrig,  die  späteren  Uzen);  von  Hrpockai  die  Katia- 

u 

ren  und  Traspier  (Kazar,  Slaw.  Zuchtmeister;  Trapic,  spr. 
Trapitsch,  Slaw.  Plagegeister);  von  dem  jüngsten,  der  König 
ward,  die  Paralaten  (prawalud,  oderlid,  Slaw.  Leute  des 
Rechts).  Mehrere  dieser  Erklärungen  sind  ohne  Zweifel  sehr 
gelungen,  und  würden  in  Verbindung  mit  historischen 
Beweisen  von  grofser  Wichtigkeit  seyn  ;  allein  so  lange  sie 
vereinzelt  dastehen,  kann  man  sie  doch  wohl  nur  als  sinnreich 
anerkennen,  mit  Anwendung  des  bekannten  ben  trovato  ma 
non  vero. 

Ref.  erlaubt  sich  hierbei  einige  Bemerkungen  über  diese 
Sage.  Der  Name  Targitaos  scheint  in  diesen  Gegenden  nicht 
ungewöhnlich  zu  seyn.  Wenigstens  finden  wir  ihn  aufser 
Herodot  als  königlichen  Namen  in  der  vom  Verf.  angeführ- 
ten Stelle  Theophylact.l  I,  6.  (Ta^V/o;  nZ  rwv  'A^cov  <J)uAu> 
QtßAsirro;)  und  als  Name  einer  Königin  der  Mäoten  bei  Polyän. 


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Dankowizky's  Geschichte  slawischer  Volker*  487 

VIII.  C.  55.  (TifYarauJ  Maiwri;  iyjfJLaro  'Enata/a*  ßafftXat  27vrcui>,  c7 
vipovrott  fj.tv.<jGv  avw  ßoffropou"). 

Die  drei  Söhne  des  Targitaos  Leipoxa'is,  Arpoxai*  und 
Kolaxa'is  können  nach  Herodots  eigener  Erzählung  nicht  wohl 
als  Gründer  ihrer  Stämme  betrachtet  werden  ,  sondern  nur 
als  Repräsentanten  derselben.  Denn  es  heilst  ja  gleich 
anfangs  IV ,  5.  ain  toutwv  agy^cvraiv  x.  t.  A.  und  rovj  ir%e(TßvTk'{ov$ 
a$*A(J>*ou$  tijv  ßaviXvfi^v  traerav  vafO&oZvcu  rZ  vfieuraTw.  Ueber  wen 
sollen  sie  denn  geherrscht  haben?  Ueber  sich  selbst?  Und 
die  Regierung  über  wen?  überliefsen  sie  denn  ihrem  jüngeren 
Bruder?  Es  scheint  daraus  zu  erhellen ,  dafs  man  diese  drei 
Brüder  als  Vertreter  ihrer  Stämme  betrachten  müsse,  ßetrach- 
ten  wir  ferner  diese  Eintheilung  genauer,  so  liefse  es  sich 
wohl  wahrscheinlich  machen  ,  dafs  sie  auf  keiner  politischen 
Verschiedenheit  beruhe ,  sondern  vielmehr  castenartig  sey. 
Schon  die  Art,  wie  Herodot  sieb  ausdrückt,  scheint  darauf 
hinzudeuten,  rovrov;  reuv  EKuSfc'uuv,  ol  Axiy^arat ,  yivof  naXiovrai' 
—  oi  Kor/afeY  t«  xai  T^amtf  xaXf'ovra/.  Bei  dem  dritten  Bruder 
findet  eine  Verschiedenheit  der  Lesart  statt:  einige  lesen  näm- 
lich dtro  hi  tqv  vsmvarov  avHtuv  rou;  ßaff/Avjas,  andere"  Tou  ßum 
9i\$q<;.  Wäre  es  dem  Ref.  erlaubt,  so  möchte  er  econjectura 
eine  dritte  aufstellen,  rot;  /3<arfA>jious.  Wir  hätten  demnach 
vier  Casten,  die  Faralaten  ,  Auchaten,  Katiarer  und  Traspier. 
Die  vornehmste,  eine  Adels  -  und  Krieger-Caste,  sind  die  Pa- 
ralaten,  die  ZxuSai  ßavtXyjlot,  ol  Spfftoi  t«  x«i  TAt7<rrei »  xai  tou;  ÄtX« 
Aou;  vofxtiovrss  Exu&a;  ocvAcuj  <r(J)6T^ou,  shat ,  wie  Herodot  IV,  20. 
In  besonderer  Beziehung  auf  diese  Stelle  scheint  zu  stehen  He- 
rod.  II,  167,  wo  er  von  der  Aegyptischen  Priestercaste  (die 
Casten  nennt  er  dort  auch  yivsa)  redet  und  ihrer  Verachtung 
der  Handwerker,  und  nicht  zu  entscheiden  wagt,  ob  die  Grie- 
chen dies  von  den  Aegyptiern  gelernt  hätten,  ooiwv  xai  O^t^i 

 >  "C     »t\   »  J   -      *%%   »  J  ~  .  ^ 


ysvvato 
Ae/*ov  dvufxivove*  ' 

Diese  Caste  der  Paralaten  nennt  Herodot  IV,  110.  2*tea; 
fttu&om*;  denn  die  Stadt  Kremnoi,  welche  hier  im  Lande  der 
freien  Skythen  liegt,  wird  cap.  20.  in  das  Land  der  könig- 
lichen Skythen  verlegt.  Das  Uebergewicht  der  Paralatencaste 
scheint  auf  religiösen  Vorstellungen  zu  beruhen,  wenigstens 
wird  es  begründet  durch  ein  Zeichen  vom  Himmel.  Kolaxais 
theilte  das  Land  unter  seine  drei  Söbue  und  bildete  so  drei 
Königreiche,  von  denen  das  eine  bedeutend  Pröfser  war,  als 
die  andern,  in  dem  der  heilige  Tflug  u.  s.  w  aufbewahrt  wurde. 


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488  Danko^sikv**  Geichiclito  slawischer  Völker. 

Auch  hatte  dieses  wahrscheinlich  eine  gewisse  Oberherrschaft 
über  die  *wei  übrigen.  Bei  dem  Einfalle  des  Darius  stellte  das 
gröfsere  Königreich  Ein  Heer,  die  zwei  kleineren  zusammen 
ebenfalls  Eins;  s.  Herpd.  IV,  120. 

Uebrigens  dürfte  diese  Sage  wohl  nicht  zu  den  ürsagen 
des  Skythischeu  Volkes  gehören  ^  da  das  L<and  um  den  Bory- 
•thenes  sicherlich  nicbt  Ursjtz  der  Skythen  ist.     Da  s\e  aber 
ganz  besonders  auf  dem  Borysthenes  heruhtf  sq  mufs  sie  in 
eine  Zeit  gehören,  wo  sie  schon  langer  an  diesem  Flusse  ge- 
wohnt hatten  und  theilweise  zum  Ackerbau  überzugehen  be- 
gannen*     Denn  dje  Nachricht  von   ursprünglich  ackere 
bauenden  Skythen,  die  erst  von  den  Thraziern  bedrängt  zur 
nomadischen  Lebensart  übergegangen  «eyen ,  wie  sie  uns  Eu- 
jtatb,  ad  Pionys.  ^erieget.  551.  p.  80.  und  $65.  p.  91.  ed.  U. 
Stephan,  1577.  giebt,   hält  lief;  für  eine  Verwechslung  de? 
Namen,  und  halt  diese  Skythen  für  ein  ganz  anderes  Volk, 
Welchesj Stephan.  $yz.  anführt  £xtea,,  «>o5  0^*,cv  ,  und  Eu- 
aUth.  ad  Dionys.  Perieg.  728.  n.  97.  jcrav  K  Inte«,  x«i  0?«kiC» 
#vo;,  o} \  mi  Ne/*a<a,  «X^ovro;  Wo  schon  aus  der  Ar*  des  Aus- 
drucks hervorgeht,   dals  Eustathius  diese  Skythen  von  den 
andern;  unterscheiden  wi«.    Doch  a^iese  Untersuchung  würde 
*^  weit  abführen.,  '  '  * 

-  .  Be\  «^weiten  Sage,  welche  Herodot  IV,  8  -  10.  aus- 
führt, ist  die  griechische  Form  unverkennbar;  aber  eben  so 
gewils  darf  man  auch  wohl  annehmen,  dafs  Skythische  Ele- 
mente zun,  Grunde  liegen,  die  pur  von  den  kriechen  nach 
ihrer  Ar*  behandelt  wurden.     Auffallend  ist  in  dieser  £rzäh. 

tr&M  r~L*hnU*Z  d-  5chlangenmädchenst'  mit  dem  Hera- 
kles drei  Sohne  zeugte.    Schon  Humboldt  in  seinen  Vues  de 
fconfcll^rei  et .  monu.nens  des  neuples  indigene«  de  l/Ämerique, 
Paris  1816.  hat  auf  die  häu./fge  Übereinstimmung  aufmerk- 
sau,  gedacht,  Welche  zwischen  den  Sagen  der  Mexikaner  und 
denen  oVr  Völker  Hpchasjens  statt  findet.     Ljen  angeführten 
Beispielen  «ey  es  erlaubt  dieses,  beizufügen.     Dieser  grofse 
^rsqher  sagt  «.  a,.  O.  S,  ?35  £ :  U  grpupe  no,  Ü.  reprlsente 
a  celöbrefemmeauseruent,  CihuacAatl ,  appelee  auls«  Out. 
latslj  pu  Tqnacph.ua, /fernrne  de  nQtre  chairf  -    Les  Mexi- 


......  .«Mfa  P m  QiYinites  rl'^nahuacj  on  la  voit  toujour* 

renresentee^  rapport  ayec  uq  graod  serpent/    tes  plus  an- 
Cannes  traditiqns  des  peup|es  remqntent  £  un  e^at  des  choses , 
QU  la  terre  cquyerte  de  marais  etait  habite'e  par  des  couleuvres 
et  d  autres  auiu^aux  k  taille  gigantest|ue;  l'astre  bienfaisant  en 


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DankowKk/i  Geschichte  slawischer  Völker.  4Ö9 

desseebant  ]e  sol  delivra  la  terre  de  ces  monstres  aquatirjues, 
—  Uebrigens  spielt  sowohl  in  dieser  Erzählung  ,  als  auch  in 
der  ersten  die  tyixq  eine  Rolle;  eine  genauere  Erklärung  ge- 
hört nicht  hieher. 

Gehen  wir  nun  iu  der  dritten  Sage  über,  die  Herodot  IV, 
11  ♦  erzählt  (denn  Diodor.  Sic  i|.  acheint  nur  eine  Verschmel- 
zung der  beiden  ersten  Sagen  Herodo ts  zu  feyn,  wenn  auch 
die  Genealogie  bei  ihm  wesentlich,  abweicht).     Herodot  gibt 
ihr  den  meisten  Beifall  und  mit  Recht,  obgleich  sie  mit  den 
beiden  ersten  nicht  in  Widerspruch  steht.    Ohne  Zweifel  hat 
sieden  meisten  hi  stör  i  sehen  Grund  und  greift  passend  in 
die  uns  bekannte  Geschichte  ein.    Doch  müssen  wir  erst  einige 
Schwierigkeiten  beseitigen,   bevor  diese  Nachricht  für  uns 
volle  Brauchbarkeit  erhält.    Die  Frage  nämlich  :  wo  ist  das 
ursprüngliche  Vaterland  der  Skythen?  ist  abhängig  von 
der:  welcher  Strom,  ist  unter  dem  A  nix  es  Herodots  und  Ande*. 
rer  hier  zu  verstehen  ?    Unser  Hr.  Verf.  scheint  keine  Schwie- 
rigkeit zu  ahnen,  und  erkennt  dafür  ohne  weiteres  (wozu  ihn 
freilich  der  wörtliche  Sinn  der  Herodoteischen  Erzählung 
berechtigt)  den  Armenischen  Aras ,  der  sich  jetzt  in  den  Kur 
(Cyrus)  ergiefst,  ehemals  aber  unmittelbar  in  das  Kaspische 
Meer  einmündete;    *.  Ritters  Erdkunde  ?I.  S.  8l8  f.  Oer 
Hr.  Verf.  gibt  uns  hier  zu  bedenken,  dafs  der  Araxes  auf  dem 
Ararat  entspringe  ,  und  ermahnt  uns    die  Geschichte  der  Noa- 
ebischen  Fluth  zu  beherzigen.    Das  ist  jehon  recht  gut ;  aber 
es  ist  zu  bedauern,  dafs  der  übrigens  sehr  ehrwürdige  Noa- 
chische  Kasten  bei  vielen  bedeutend  an  Beweiskraft  verloren 
hat,   und  bei  einer  solchen  Untersuchung,  wie  die  unsrige, 
mu(s  ni an  doch  auch  die  Hartgläubigen  berücksichtigen.  Auch 
bedürfen  wir  dieser  Beherzigung  kaum,  da  uns  der  Kaukasus 
ohnehin  als  der  grofse  Völfcersteg  zwischen  Europa  und  Asien 
bekannt  ist;  Wenn  uns  nur  nicht  andere  Schwierigkeiten  in 
den  Weg  träten.    Wir  brauchen  nämlich  nur  mit  einiger  Auf- 
merksamkeit Herod,  IV ,  11,  und  I,  201.  zu  lesen,  um  einzu- 
sehen, dafs  man  hier  durchaus  nicht  an  den  Armenischen  Ära« 
xes  denken  könne.     Die  Skythen  sollen  nämlich  ursprünglich 
auf  dem  rechten  Ufer  dss  Araxes  gewohnt  haben*  neben  ihnen 
die  Massageten ,  die  Nachbarn  der  Issedoneu.  Von 
diesen  bedrängt  gingen  sie  über  den  Arar.es  nach  Europa  über 
(denn  vorher  hatten  sie  in  Asien  gewohnt),  vertrieben  die 
Kimmerier,  die  im  nachmaligen  Skythien  wohnten ,   aus  ihren 
Wohnplätzen ,  verfehlten  sie  aber  bei  der  ferneren  Verfolgung, 
indem  die  KiuiHierier  längs  dem  Pontus  Euxinus  flohen,  die 
Skythen  aber  längs  dem  Kaukasus  zogen,  so  dafs  sie  das  Ge- 


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490 


Daokowszky*  Geschichte  slawischer  Volker. 


birg  zur  Hechten  hatten.  Dieser  Weg  mufste  sie  nothwendig 
zum  Araxes  führen ,  und  ihren  Feinden  9  den  Massageten  (ge- 
setzt nämlich,  sie  hätten  am  Araxes  gewohnt),  gerade  in  die 
Hände.  Aber  sie  gingen  ohne  Hindernifs,  über  den  Strom 
(also  in  ihr  altes  Vaterland?)  und  fielen  in  Medien  ein.  Wer 
möchte  dieses  zusammen  reimen?  Man  ist  auch  so  ziemlich 
einig  in  der  Meinung,  dafs  Herodot  hier  geirrt  haben  müsse; 
um  so  mehr  ist  es  zu  verwundern  ,  dafs  unser  Hr.  Verf.  ganz 
arglos  bei  dem  Armenischen  Araxes  stehen  bleibt,  fast  möchte 
man  glauben,  aus  besonderer  Vorliebe  für  den  Ararat  und  die 
Arche  Noahs,  denn  darauf  wird  zweimal,  S.  9  und  17,  ange- 
spielt. Nur  entsteht  noch  die  Frage,  mit  welchem  andern 
FJusse  verwechselt  Herodot  und  Diodor  (denn  auch  er  ver- 
legt den  Ursitz  jenseits  des  Araxes;  diesen  Armenischen 
Strom  ? 

Die  Namen  Araxes,  Tanais,  Jaxartes  sind  eigentlich  Ap- 
pellativnamen und  in  den  Gegenden  am  Fontus,  dem  Kaspi- 
scben  Meere  und  Aralsee  sehr  gewöhnlich  ;  s.  Ritters  Erdkunde 
II.  S.  658.  Den  Araxes  rinden  wir  sogar  im  alten  Namen  des 
Feneus  wieder,  und  die  Etymologie  des  Steph.Byz.  s.  v.  'Af#j{ 
dürfte  schwerlich  grofsen  Beifall  finden.  —  Durch  diesen  Um- 
stand wurde  schon  in  den  ältesten  Zeiten  Verwirrung  in  die 
Geographie  gebracht,  und  mannigfache  Verwechslung  veran- 
lafst.  Zwar  glaubt  Ritter  (Erdk.  II.  658.)  alle  Fälle  durch 
blofse  Namens  Verwechslung  erklären  oder  entschuldigen  tu 
können,  indem  Herodot  faktisch  Sihon,  Araa  und  Wolga 
unterscheide.  Aber  in  unserm  vorliegenden  Falle  ist  doch 
wohl  kaum  zu  bezweifeln,  dafs  Herodot  durch  eine  Namens- 
gleichheit zu  einer  faktischen  Verwechslung  verleitet  wor- 
den ist.  Denn  I,  202.  beschreibt  er  ganz  bestimmt  den  Ar- 
menischen Araxes ,  und  doch  mufs  er  eben  so  gewifs  einen 
andern  Flufs  meinen. 

Schon  Tb.  Siegfr.  Bayer  in  seiner  Abhandlung  de  origh* 
Scyth.  in  den  Commentt.  Acad.  Petrop.  Tom,  I.  p.  395. 
die  Vermuthung  auf,  unter  dem  Araxes  Herodots  dürfte  die 
Wolga  zu  verstehen  seyn;  und  in  der  That  läfst  sich  für  diese 
Ansicht  so  viel  sagen,  dafs  Ref.  nicht  ansteht,  ihr  beizutre- 
ten. Er  will  daher  die  Gründe  angeben,  die  ihn  zu  dieser 
Meinung  bestimmen.  Per  Araxes  ist  Gränzflufs  zwischen  Eu- 
ropa und  Asien   (S^'Sa;  oUicvra$  iv      'Aar  3  o\'f&Su  **■ 

ßavra;  xora/xov  'A%a*ea  «Vi  yZjv  tjJv  Ktjut^ngv  ,  r»v  mmm  vvv  vipovrat  Xu»*- 

&at  Herodot.  IV,  11.   Mit  dem  Uebergang  des  Araxes 

übertraten  sie  also  die  Gränzscheide  der  beiden  Erdtheile.)» 
und  zwar  so,  dafs  er  Asien  gegen  Osten  hat,  Europa  gf&ea 


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DankowsskyV  Geschichte  slawischer  VSHcer.  491 

Westen;  denn  die  Massageten ,  die  unmittelbaren  Nachbarn 
der  Skythen  in  ihren  Ursitzen,  wohnen  nach  Herod.  I,  201. 

yjw  ra  Kai  5jX/cu  dwuTokdi  »  ir^v  tcu  9Afd$sw  xora^ou ;  ferner  be- 
sitzen sie  (Herod.  I,  204«)  einen  bedeutendan  Theil  der  unab- 
sehbaren Ebene  im  Osten  vom  Kaspischen  Meere  (also  wob! 
bis  etwa  an  den  Ochus,  oder  »wo  wir  sonst  die  Gränzscbeide' 
annehmen  wollen  ;  zu  dieser  Untersuchung  gehört  es  nicht« 
Vom  Aralsee  hatte  Herodpt  sicher  keine  Kenntnifs.);  auch  sagt 
Dionys.  Perieg.  739.  —  —  dvroh'ijvh  vs^v  K«Xa$ovro;  'AfaSfit» 
M-Cunraytrat  vatov<rt9  Sctuv  Qvt^s;  oivrwv.  Der  Strom  mufs  sich 
also  von  Norden  nach  Süden  in  das  Kaspiscbe  Meer  ergossen 
haben. 

Doch  nun  legt  uns  abermals  Namensgleichheit  und  die 
Unkunde  der  .Griechen  fast  unbesiegbare  Schwierigkeiten  in 
den  Weg,  gleichsam  als  ob  die  Wassersysteme  des  Aral  und  ' 
Kaspischen  Meeres  von  jeher  bestimmt  gewesen  wären ,  den 
Geographen  ein  Kathsel  zu  seyn.  Wir  sehen  uns  nämlich  ge- 
nöthigt,  noch  eine  Verwechslung  des  Namens  des  Araxes;  mit 
dem  Tanais,  und  zwar  nicht  dem,  der  sich  in  das  Mäotische 
Meer  ergießt,  anzunehmen;  denn  so  gewifs  der  Name  Araxes 
mehreren  Flüssen  zukommt,  eben  so  gewifs  ist  auch  die  Be- 
nennung Tanais  ursprünglich  hur  appellativisch.  Wir  haben 
oben  den  Araxes  kennen  gelernt  als  Gränzflufs  zwischen  Eu- 
ropa und  Asien;  jetzt  müssen  wir  den  Tanais  als  solchen  be- 
trachten, und  Ref.  wird  sieb  bemühen,  Gründe  aufzustellen, 
aus  denen  sich  die  Einerleiheit  dieses  Araxes  und  Tanais  und 
der  Wolga  ergeben  dürfte. 

Aristoteles  in  Meteor.  I,  13.  erzählt,,  $H  Ha$va<ro\)  (über 
diesen  Parnasus,  den  Parapamisus,  s.  Eustath.  ad  Dionys. 
Perieg.  737.)  fliefse  der  Choaspes.  und  Araxes  ;  toutou  3J  o  Ta- 
va»5  dtoaviifiTat  /utepos  cuv  tj)v  Mawirtv  Xi/uiv>jv.  Vortrefflich  palst 
zyr  Erklärung  dieser  Nachricht  die  Notiz  des  Ftolemäus :  fori 
y.a\  ird%a  tou  *Pgc  -xora^oZ  £k/3oX>)  ,  x\ytct3i$ovaa  ryj  toG  TavaT5o$»  WO 
Vossius  ad  Melam  wohl  mit  Unrecht  «V/otgc^jJ  vorschlug  ,  weil 
ihm  vermuthlich  die  Meinung  unbekannt  war,  welche  den  Ta- 
nais (Don)  nur  als  den  einen  Arm  eines  andern  Stromes  be- 
trachtete. Beider  angeführten  Stellen  bedient  sich  schon  Bayer 
a.a.O.  und  zwar  mit  Recht;  ob  dagegen  die  von  ihm  benutzte 
Stelle  des  Onomacritus  (Orph.  Argonaut.  752.)  in  dieser  Un- 
tersuchung von  einigem  Belang  sey ,  ist  sehr  zweifelhait; 
denn  mit  welchem  Gewissen  soll  man  einer  Stelle  Beweiskraft 
zugestehen,  in  welcher  der  Tbermodon,  Phasis  und  Tanais 
für  Ausflüsse  Eines  Stromes,  des  Araxes,  ausgegeben  werden? 
Mit  mehr  Bescheidenheit  läfst  Apollon.  Rhod.  IV,  i32  f.  den 


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492  DankowszVy's  Geschichte  slawischer  Völker 

Araxes  und  Phasis  durch  den  Lykos',  einen  Arm  des  ersteren, 
in  Verbindung  stehen.  Doch  ist  hier  auf  jeden  Fall  vom  Ar- 
menischen Araxes  die  Rede.  Eher  kann  man  eine  Stelle  aus 
dem  Jtinerar.  Alexandra  M.  c.  79,  welches  Ang.  Mai  1Ö17.  in 
Mailand  zuerst  herausgegeben  hat,  hieher  sieben.  Der  Verf. 
dieses  mittelmäfsigen  VVerkes  hat  freilich  im  Allgemeinen  we- 
nig Gewicht;  in  der  angeführten  Stelle  gibt  er  sich  sogar  eine 
lächerJicheBlöfse,  indem  er  eine  Meinung  noch  anfuhrt,  deren 
Unrichtigkeit  «u  seiner  Zeit  schon  allgemein  bekannt  war. 
Für  uns  aber  ist  er  eben  dadurch  nur  um  so  wichtiger,  weil 
wir  daraus  sehen,  dafs  er  alte  Quellen  vor  Augen  hatte  und 
sie,  wenn  auch  ohne  alle  Kritik,  benutzte.  Seine  Worte  sind 
folgende:  Tanaim.  (contendit),  qui  suhortus  e  Caucaso  in- 
gressurustjue  hyrcanum  tnare  Asiam  Europaintfue  dispertir. 
Ejus  pars  fertur  Tanaidos  humo  Asia  paludibus  Maeotis  emer- 
gere  denuo,  causasque  Euxino  dare ,  ut  Curau  quo  volvitur 
tirgeatur.  Weit  wichtiger  ist  uns  indefs  die  Erzählung  Poly- 
Jclets,  die  uns  Strabo  ,  obgleich  verwerfend,  mitgetheilt  hat, 
XI.  p.  465  —  468.  ed.  Tzsch.,  der  Tanais  ergieise  sich  in  das 
Kaspische  Meer,  bis  zu  ihm,  d  em  Gränzflusse  zwischen  Eu- 
ropa und  Asien ,  habe  Alexander  das  Land  erobert.  Strabo 
wirft  den  Lobrednern  des  Macedonischen  Eroberers  vor,  sia 
hätten  aus  Schmeichelei  Verfälschungen  in  der  Geographie 
vorgenommen.     Um  nämlich  den  Alexander  als  Besieger  von 

fana  Asien  darzustellen,  hätten  sie  den  Jaxartes,  bis  zu  dem 
ie  Macedonier  kamen,  und  den  Tanais  (in  Strabo's  Sinne 
den  Don)  verwechselt,  und  alsdann  das  Mäotische  und  Kas- 
pische Meer  in  Eins  zusammengezogen,  weil  der  Tanais  sich 
in  das  erstere  ergiefse  ,  a>r  andere  Flufs  aber,  bis  au  welchem 
«ich  Alexanders  Eroberungen  erstreckten,  in  das  Kaspische 
Meer,  für  welchen  Zusammenhang  sie  sogar  Beweise  vor- 
brächten* Aber  hier  dürfte  doch  wohl  Strabo  dem  Polyklet 
Unrecht  thun,  der  in  diesen  Gegenden  vielleicht  bewanderter 
war,  als  sein  Tadler;  wenigstens  mochte  es  einige  Schwierig- 
keiten haben,  den  Jaxartes  qhne  Umwege  in  das  Kaspische 
I\Ieer  zu  führen  mit  Umgehung  des  Arals.  Strabo,  so  wie 
auch  PK  nius  VJ,  l8,  mifs  verstanden  den  Polyklet  und  die 
Seiner  Meinung  waren,  wenn  sie  sich  unter  dem  von  ihnen 
erwähnten  Tanais  den  Don  dachten.  Dieser  war  den  Griechen 
bei  seiner  Mündung  schon  viel  au  bekannt,  als  dafs  man  bei 
den  Geographen  Alexanders  des  Gräften  eine  solche  Unkunde 
oder  Unverschämtheit  annehmen  könnte.  Der  Tanais,  dessen 
ndung  Polyklet  in  das  Kaspische  Meer  angibt,  ist  di* 
Wolga,  deren  Bifluenz  man,  nach  dem  Obigen ,  annahm.  Als 


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» 


Danko\v.,Ek/a  Geschichte  sljwlscher  Vtflker.  493 

■ 

Beweis  führt  Polyklet  an,  fyfs  jenseits  dieses  Flusses  (vom 
Standpunkte  des  Macedonischen  Heeres  aus)  die  Skythen 
wohnten,  welche  sich  solcher  Pfeile  bedienten,  die  von  Tan- 
nenholz waren;  Asien  aber  (njv  a%iv  *a)  rJjb  tr^s  Ttu  )  brachte 
keine  Tannen  hervor;  folglich  sey  das  jenseitige  Ufer  des  Flus- 
ses Europäisch,  der  Strom  die  Gränzscheide  Europa's  und 
Asiens,  so  wie  er  auch  genau  die  Gränze  des  Nadelholzes  an- 
gibt»  So  erklärt  Ref.  die  Stelle  Strabo's;  ganz  etwas  andere« 
hndet  Ritter  darin,  Erdk.  II.  S.  658  f.  Er  nimmt  den  Tanaia 
Folyklets  für  den  Jaxartes  (Sihon),  und  bedient  sich  dennoch 
der  Bemerkung,  „dafs  in  dein  Lande  am  Tanais,  welches  den 
Europäischen  Skythen  (d,  h,  im  Norden  des  Sihon)  zustehe* 
nur  allein  Nadelbolz  wachse;  in  Asien,  d.h.  im  Süden  vom 
Sihon,  aber  nicht.«  Eine  weitläufigere  Prüfung  dieser 
Meinung  würde  uns  zu  weit  führen;  nur  ist  auffallend,  wia 
Polyklet  in  Be  zug  auf  den  Sihon  sagen  konnte  rjv'Aff/aii 
<n}v  ccvcw  vMt  rtjy  Tpoc  so*;  auch  möchte  schwer  au  beweisen 
seyn,  dais  man  je  den  Jaxartes  als  Gränzflufs  zwischen  Eu- 
ropa und  Asien  angenommen  habe.  —  Von  demselben  Tanaia 
erzählt  Arrian.  Exped.  Alex.  III.  pag.  147.  «d.  Gronov.  L.  B. 
1704»  er  entspringe  auf  dem  Kaukasus  und  ergiefse  sich  in 
das  Kaspische  Meer.  Ausdrücklich  unterscheidet  er  ihn  von 
dem  gleichnamigen  Strome,  den  Herodot  unter  den  Sky tau- 
schen Flüssen  aulzählt.  Auch  dieses  weiset  uns  auf  die  Wol- 
ga; denn  es  lüfst  sich  darlegen,  dafs  sich  die  Griechen  den 
Ural  und  die  Werchoturje  als  Fortsetzung  des  Kaukasus  dach- 
ten, und  wenn  auch  die  eigentliche  Wolga  nicht  auf  die- 
sem Gebirge  entspringt,  so  empfängt  sie  doch  Hauptzuströma 
von  da.  Aristobul  erzählt  (Arrian.  a.  a.  O.),  dieser  Tanais 
heifse  bei  den  Eingebornen  Orxantes,  ein  Beweis  für  die  oben 
aufgestellte  Meinung,  Herodots  Araxes  sey  die  Wolga;  denn 
gewifs  ist  Araxes  und  Orxantes  dasselbe  Wort ,  nur  im  Mundo 
der  Griechen  verschiedenartig  gestaltet.  Ritter  (Erdk*  II. 
S.  517«)  meint,  dieser  Orxantes  sey  unstreitig  der  Parteii- 
sche Och us  oder  Tedjen.  Sonderbar;  und  es  ist  doch  der- 
selbe Strom,  welcher  bei  Strabo  der  Jaxartes  oder  Sihon  seyn 
sollte. 

Wie  schwankend  in  dieser  Gegend  für  uns  alle  Namen 
sind ,  ist  auch  noch  aus  folgender  Vergleichung  ersichtlich« 
Plin.  H.  N,  VI,  10.  sagt:  includente  flumine  Jaxarte,  quod 
Scythae  Silin  vocant ;  Alexander  militesque  ejus  Tanain  puta- 
vere  esse.  Eifstathius  ad  Dionys.  Perieg.  pag.  10.  ed.  Steph. 
dagegen  behauptet,  der  Tanais  (Don)  werde  so  genannt,  Uriov 
8k  ort  o  *otafA9i  eure;,  hia  to  T«ra^*vu>s  f«7v  Tava'i;  iAA>jv«rri  naAov/Ji«- 


/ 


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494  Dankowszky's  Geschichte  slawischer  Völker. 

v 

vo;t  27A/$,  tu?  tyaai  tivs;,  wa^a  to7$  itegoixourt  tuvspat+att  Dürfte 
man  vielleicht  bei  diesem  Silis  ah  den  Kisil  Darja  (s.  Ritter'« 
Erdk.  II.  S.  660  ff.)  denken,  oder  an  den  Namen  Syr  Darja, 
den  allgemein  gebräuchlichen  für  den  Sibon  an  dessen  unterem 
Laufe  i  s.  Ritter  a.  a.  O.  S.  655  und  660.  Denn  Kisil  sowohl 
als  Syr  bedeutet  „rothCT,  und  der  Jaxartes  *und  Kisil  Darja 
führten  diesen  Namen  von  der  rothen  Farbe  des  Wassers, 
welche  von  dem  Laufe  durch  die  rothe  Wüste  entsteht.  — 
Was  übrigens  die  Hellenisirung  der  Namen  Tanais  ,  Neilos, 
Thermodon,  Araxes  angeht,  die  Eustathius  a.  a.  O.  bebaup» 
tet ,  und  Steph.  Byz.  s.  v.  Tuvai;  auf  Auctorität  des  Nikanor 
ebenfalls  anführt  (er  hatte  nämlich  erzählt,  dafs  auch  der  Ja- 
xartes und  Akesines  von  einigen  Tanais  genannt  werde),  w 
können  wir  dieselbe  dahingestellt  seyn  lassen. 

Späterhin  nahm  man  allgemein  den  Don  als  Gränzflufs 
zwischen  Europa  und  Asien  an,  und  für  die  Wolga  ward  der 
Name  Rha  herrschend.  S.  Strabo  XI.  p.  465.  ed.  Tzsch.  Dio- 
nys.  Perieg.  et  Eust.  in  comment.  p.  10.  ed.  H.  Steph.  Dio- 
nys, v.  660.  und  viele  andere  Stellen. 

Schliesslich  legt  Ref.  noch  seine  Meinung  vor,  wie  ihm 
der  Irrthum  Herodots  in  Bezug  auf  den  Araxes  entstanden 
scheint.  Vermuthlich  hatte  er  die  Beschreibung  des  unteren 
Araxes  (d.  h.  der  Wolga)  von  Oriechischen  oder  Skythiscben 
Kaufleuten  gehört ,  und  sie  pafst  auch  gut  auf  die  Wolga. 
Durch  den  Nam^n  verführt,  fügte  er  aus  anderen  Nachrichten 
die  Quellen  des  Armenischen  Araxes  hinzu,  und  daraus  ent- 
stand die  Verwirrung.  Die  erwähnten  Inseln  sind  die  durch 
das  Stromdelta  gebildeten;  denn  Ref.  glaubt  nicht,  dafs  He- 
rodot  I,  202.  so  zu  erklären  sey,  als  ob  sich  neun  und  dreifug 
Arme  des  Stromes  in  Sümpfen  verlören  und  nur  Einer  das  Kai- 
pisebe  Meer  erreiche;  sondern  ihm  scheint  Herodot  zu  sage": 
alle  Arme  ergiefsen  sich  in  das  Kaspische  Meer,  aber  neun 
und  dreifsig  derselben  sind  seicht  und  versumpft  vor  ihrer 
Mündung;  nur  Einer  geht  rein,  offen  in  das  Meer;  nlp*1 
i^sCysrat  rsava^ovrat  Ttuv  rd  iravra,  -xhjv  svo;  ,  s;  sXsd  tb  K«i  rm' 
y$a  i*dt&o7'  to  Bs  tv  twv  cTOfxdrwv  toj  'Agticgsai  $tet  3<a  naBa^ou  im* 
Kaf<>v  Bo'Xuceav. 

Doch  es  ist  Zeit,  dafs  wir  zu  unserm  Verf.  zurückkehren, 
Die  Namen  der  Skythen  erklärt  er  so,  dafs  Skoloti  oder  rich- 
tiger Zkolotti  so  viel  seyf  als  „vom  (im  Slaw.  z  ~  von)  Ko- 
lackai;  Zkyty  —  der  von  der  Hüfte  abstammende.  Erstmüf*te 
aber  doch  erwiesen  werden ,  dafs  „S  k  y  t  he  n  «  überhaupt  ein 
Skythisches  Wort  sey.  Herodot  sagt  ausdrücklich  IV,  6, 
der  Name  sey  Griechisch.    Bayer  a.  a.  O.  S.  379.  behauptet» 


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Dankowsskv's  Geschichte  slawischer  Volker.  495 

es  bedeute  einen  Bogenschützen.  Die  Perser  nannten  sie 
Saken.  Herodot.  VII,  64.  Eustath,  ad  Dionys.  Perieg.  750. 
p.  99.  «Unter  den  Stämmen  dieses  Volkes«,  sagt  der  Ver£f 
„zeichnet  sich  besonders  derjenige  aus ,  welcher  am  Dnepr 
blieb, 'und  dem  Könige  Skythi  gehorchte;  in  ihrer  eigenen 
Sprache  nennen  sie  sieb  Zhlawy,  d.  h,  die  vom  Haupte  ab« 
stammenden,  welches  Herodot  durch  königliche  Skythen 
ausdrückt.  «*  Eine  gewagte  Vermuthung,  wohl  eines  Beweises 
bedürftig !  Wahrend  also  der  König  Skythi  nur  von  der  Hüfte 
stammt ,  soll  sein  Volk  vom  Haupte  stammen?  Auch  glaubt 
Ref.  nicht,  dafs  Herodot  bedeutungsvolle  Namen  ohne  wei- 
tere Angabe  ti  be  rset  z  t.  Schwer  einzusehen  ist  ferner ,  wie 
die  Griechen  Mvon  dem  Namen  Skythi  Veranlassung  genom- 
men haben  sollen,  ihn  von  einer  Jungfrau  abzuleiten,  deren 
Oberleib  bis  an  die  Hüfte  Mensch,  übrigens  aber  Schlange 
war. « 

Von  S.  19.  an  bandelt  der  Hr.  Verf.  von  den  Sitzen  der 
Völker  Slawischer  Zunge,  ausschliesslich  nach  Herodot.  Wenn 
5.20.  g**a£t  wird:  „der  volkreichste  Stamm  Slawischer  Zunge 
war  der  ökythische«,  so  erstaunt  man,  wie  dieses  zu  ver- 
stehen sey;  indem  daduicb  Stammeinheit  der  Slawen  aufgeho- 
ben würde.  Von  welchen  andern  Völkern  stammen  denn 
die  Slawen  also  sonst  noch  ?  Auch  ist  es  unrichtig,  dafs  die  „ 
Skythen  zu  Herodots  Zeiten  ihre  Ursitze  noch  inne  gehabt 
hätten«  Diese  waren  ja  jenseits  des  Araxes,  Dann  geht  der 
Verf.  die  Flüsse  Skythiens  durch.  Der  Istros  soll  seinen  Na- 
ssen haben  vom  slaw.  Ostrow,  ursprünglich  Istro,  d.h.  Insel, 
„folglich  53  der  inselreiche  Flufs".  Die  Ableitung  Job.  Thun- 
rnanns  von  ist,  niedrig,  und  tir,  Land,  wird  gänzlich  ver- 
worfen, denn  „wer  hätte  wohl  einen  Flufs  Land  genannt*? 
Richtig^  aber  darf  man  nicht  auch  fragen:  wer  hat  je  einen 
Flufs  Insel  genannt?     Denn  wenn  auch  Istro  die  Insel  heifst, 

so  folgt  daraus  doch  wohl  nicht,  dafs  Istros  ein  inselreicher 

o 

Flufs  heifst?!  Danubios  soll  das  slaw.  Dan  hubi  seyn ,  d.  b. 
er  verwüstet  die  Gaben.  Der  Vf.  freut  sich  unendlich,  diese 
Ableitung  durch  ein  historisches  Zeugnifs  bestätigt  zu  finden, 
indem  Stephanus  von  Byzanz  und  Eustathius  bezeugten,  dafs 
die- Skythen  den  Flufs  deswegen  Danubios  genannt  hätten, 
weil  er  ihnen  vielen  Schaden  anrichtete.  Ref.  bedauert  sehr, 
dem  Verf.  seine  Freude  stören  zu  müssen ;  aber  hat  er  denn 
auch  wirklich  den  Stephanus  von  Byzanz  und  Eustathius  nach- 

felesen?  Steph.  Byz.  s.  v.  Auvwßi  «agt :  anfänglich  habe  der 
lufs  Matous  geheüsen,  welches  auf  griechisch  bedeute  uViv>)$ 


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406  Dankowsiky's  Geschfehte  slawischer  Volker* 

(so  lasen  Tanaq.  Faber  und  Salmasius  statt  des  handschrift. 
liehen  ,xctc;f  wie  auch  Eustathius  hat,  weshalb aViugf  wöhl  noch 
nicht  fest  begründet  ist);  denn  die  Skythen  seyeh  oft  ohne 
Unfall  hinüber  und  herüber  gegangen;  einmal  aber  sey  ihnen 
keim  Uebergauge  ein  Unglück  Widerfahren  ,  und  von  der  Zeit 
an  hätten  sie  ihn  Üanubis  genannt,  <2$*s?  rcD  «W™*  *XCÖV  + 
aitt'av.  Enstath.  ad  Dionys.  Ferteg.  299.  pag.  42.  wiederholt 
dieselbe  Erzählung  und  Namensei  klärung  fast  mit  denselben 
Worten.  Wo  liegt  in  diesen  Worten  der  Verwüster  der  Ga. 
fcen?  Wo  finden  wir  die  häutigen  Ueberschwemmungen ? 
Warum  weiset  uns  der  Verf.  nicht  auch  die  Bedeutung  von 
Matoaa  im  Slawischen  nach?  Lassen  wir  aber  die  Erklärung 
dieses  Nairiens  aus  dem  Skythischen  dahingestellt  seyn.  £>er 
Strom  führte  diesen  Namen  in  seinem  oberen  Laufe  ;  an  die- 
sem aber  wohnten  Germanen  ,  folglich  werden  wir  wohl  da« 
Danubios  den  Germanen  lassen  müssen,  ist  auch  aus  dieser 
Sprache  schon  genügend  erklärt.  Unter  den  Skythischen  Zu- 
£üssen  der  Donau  ist  der  Torata  oder  Tyretos  der  Pruth  (il. 
yo,  durch;  rata*  Feld).  Der  Tiarant  (sl.  bleichroth,  rötb- 
Jich)  ist  der  heutige  Sireth;  nach  Bayer  a.  a.  O.  S.  408.  die 
Aluta.  Dor  Arar  z=  Kalmascbi  (bei  Bayer  »  Sireth);  Naparis 
«S  Jalomitza;  Oredessos  —  Ardysh.  Naparis  s  sl.  Naparjse, 
d.  h.  er  blähet  sich  auf!  Ordefs  -  sl.  Hrdj  se,  d.  b.  er  ist 
»tolz*  Sonderbar  ist  hier  eine  Spracbbemerkung  des  Verfs., 
die  sieb  schwerlich  grofsen  Beifalls  erfreuen  wird.  Herodot. 
IV,  48.  sagt:  cT  |i|J  *KmU 

piaov  (nicht  ^«Vcv,  wie  im  Buche  zweimal  steht)  towtmv  lltoi* 
i*ßa\kovtrt  es  rev'twrpv»  Hier  will  nun  Hr.  D.  ^Veu  tövtcbv 
iVvrs;  erklären:  »in  einer  mittelmäfsigen Entfernung  von  diesen 

sogar  den  deutschen  Uebei  setzer  J.  F. 
Degen,  der  es  durch  „zwischen«  übersetzt.  Heifst  also  He* 
rodot,  I,  104.  rJ  hu  fxtoiu  :£&«•$  vielleicht  „das  mittelmäßig« 
Volk"?! 

,  ■ .       ■  ■ 

(Üer  BetcUuJs  folgt.) 


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N.  32.  .  18m 

Heidelberger. 

Jahrbücher  der  Literatur, 


Gregor  Dankowszky's  Fragmente  zur  Geschichte  der 
Völker  ungarischer  utld  slawischer  Zunge» 

XBeschtufs.) 

Der  Tyras  soll  genannt  seyn  vom  s1.  Tyra  oder  Teyra, 
o,  Ii,  der  Plagende;   der  spatere  Name  Danastris  zz  sl.  Gde  na 
öströ ,  d.  h,  er  geht  scharr".     Hypanis  zz  sl.  cbod  Pane,  d.  h. 
der  Gang  des  Herrn;  später  Bog,  d.  h.  Gott.     Der  Exampäos 
ist  der  sal&ige  Ingul  zz  sl.  hezky  hampeys,  d.  i.  die  schöne 
Bahn.    Borysthenes  zz  sl.  borj  steny,  d.h.  er  reifst  die  Wände 
ein.     Der  spätere  Name  Danapris  zz  sl.  Gde  na  prabi ,  d.  h. 
er  geht  Über  Schwellen  oder  er  bat  Wasserfälle.  Pantikapes 
zz  sl.  Pant  wykapi,  d.  b.  er  träufelt  bie  und  da  aus;  heute 
Tschernaja, Dolina,  d.h.  das  schwarze  Thal.    Hypakyris  zz  sb 
Wypachorj'se,  d.  h.  er  gebt  dick  aus.    Hierbei  abermals  eine 
merkwürdige  Sprachbemerkung.     Der  Verf.  glaubt  nämlich, 
Herodot  hätte  IV,  55.  ganz  gewifs  geschrieben:  S$  l^lrai 
jxi-j  sir*  XtfJL\>vi;  statt  6*  Xt'fjtvvj,^  denn  da  Herodot  selbst  dort  gewe- 
sen sey,  so  könne  man  ihm  unmöglich  zumuthen,  dafs  er  nicht 
bemerkt  laben  sollte,  dafs  der  Flufs  nicht  aus  einem  See  ent- 
stehe, sondern  in  einem  See  endige;  daher  sage  er  t  „er  geht 
auf  einen  See  los  und  endigt  in  demselben  bei  det  Stadt 
Karkinitis.«     Hätte  er  dies  nicht  so  gemeint 9  so  würde  er; 
wie  gewöhnlich  dessen  anderweitige  Mündung  angegeben  ha* 
bert.    Also  st  kf^i  soll  Herodot  geschrieben  haben!  Hätte* 
er  aber  duch  so  geschrieben ,  so  fehlte  dennoch  die  Angabe  der 
Mündung;  denn  das  „in  demselben«  ist  blofser,  ZuSatz  des 
Hrn.  Vfs.,  dem  es  .auch  Schwer  werden  dürfte,  nachzuweisen* 
dafs  Herodot  an  der  Quelle  des  Hypakyris  gewesen  sey.  Warum 
soll  endlich  Herodot  gerade  bei  diesem  Flusse  die  Quelle: 
ausgelassen  haben?     Der  Gerrhos  soll  der  heutige  Konskid 
Wodi  uud  Berda  seyn,  ö  sl.  Gde  rozf  d.  h.  er  geht  auä  ein* 
ander,  nach  der  näher  beschriebenen  Natur  des  Flusses;  Taa 

XIX,>brg,  5, Heft,  33 


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498  Dankowsxky's  Geschichte  slawischer  Völker. 

nais-  sl.Tana*  o\  h,  stfllea  Wasser.  KygrU  (heute  Donet«) 
ps  ij.  Hyrj,  d.  K.  der  schwelgende. 

Dann  folgt  hei  dem  Verf  ein  Abschnitt  „Skythiens  ßr- 

gänzung«,  gahä  nach  Herodot;  darauf handelt  er  von  dem 
ebiet  der  königlichen  Skythen  oder  eigen'tfichen  Slawen. 
Neue  Aufschlüsse  wjrd  man  wenig  finden;  denn  wir  erhalten 
nichts  als  eine  dürftige  Schilderung  dtfs  Landes,  mit  einigen 
auffallenden  Unrichtigkeiten.  So  werden  z.  B.  die  Taureti 
ein  SkytbischeS  Volk  genannt,  mit  Berufung  auf  Herodot.  IV, 
20.  99.  Iiv  der  ersten  Stelle  steht,  dafs  in  Taurien  Skythen 
gewohnt  hätten 4  Welches  allgemein  bekannt  ist.  In  der  zwei- 
ten erklärt  doch  Herodot  deutlich  genug,  dafs  die  Tanlen  — 
keine  Skythen  Seyen.  fiuth  gehörte  ja  der  König  der  Tauren 
zu  den  Fremden,  mit  welchen  die  Skythen  wegen  der  Hülfe 

fegen  den  Darius  unterhandelten.  Herodot.  IV,  102.  1! 9.  — 
line  andere  eigene  Meinung  stellt  der  Verf.  auf  in  Bezug  auf 
das  von  Herodot  erwähnte  Kremnoi.  Dieses  soll  sl.  einen 
Mastviehmarkt  bedeuten,  und  das  griechische  Bosporus  ejne 
blofse  Uebei  Setzung  davon  seyn.  Freilich  «  ine  ganz  sonder- 
bare tjehersetzung]  Gründliche  Kentitnifs  des  Slawischen 
hätte  der  Uebersetzer  Wenigstens  nicht  an  den  Tag  gelegt. 
Andere  Erklärungen  des  Namens,  freilich  aus  keiner  fremden 
Sprache >  bieten  uns  die  Griechen  selbst,  z.  B.  Aeschyl.  Pro« 
metb.  V.  732  ff.  Orph,  Argon.  1059.  Eustath.  an  Dionys.  Pc- 
rieg.  p.  24-  «d.  H.  Stepb.  —  Auch  die  Krimm  soll  von  ihren 
Viehheerden  den  Namen  haben.  Mit  der  Beschreibung  des 
Übrigen  Skytbiens  schliefst  das  erste  Heft« 

Bei  den  zu  erwartenden  Fortsetzungen  ist  zu  wünschen, 
dafs  sich  der  Verf,  mehr  an  das  Bestimmte  oder  doch  Be- 
atimmbare  halten,  und  Sich  nicht  allzu  tief  in  Behatiptun- 
gen  einlassen  möge,  die  nur  auf  Wortäbnlichkeiten  beruhen, 
aber  ohne  historische  Stütze  nur  höchst  schwankend  seyn  kön- 
nen. Verdienstlicher  wäre  es  wohl  und  förderlicher  für  Seine 
Meinung,  wenn  der  Verf.  alle  Wörter  sammelte,  diefürSky- 
tbtsch  ausgegeben  werden,  und  deren  Bedeutung  bekannt  ist, 
und  diese  gehörig  nachwiese,  als  wenn  er  für  die  FJufsnamen, 
die  wir  doch  nur  der  Wahrscheinlichkeit  nach  für  Skythisch 
halten  können,  Slawische  Wurzeln  sucht,  die,  trenn  auch  oft 
gelungen,  jedoch  bisweilen  sehr  gezwungen  sind.'  Ja  man 
möchte  bei  dem  gänzlichen  Mangel  geschichtlicher  Nachwei- 
sung die  auffallendsten  Wortäbnlichkeiten  hör  für  ein  Spiel 
des  Zufalls  halten,  da  es  fast  unmöglich  ist,  anzunehmen, 
dafs  ein  Volk  }bei^  gänzlicher  Veränderung  seiner  Lebensart , 
nach  weitet  Entfernung  von  seinem  alten  Vaterlande,  in  man- 


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Sicking  Sclmlatlas.  499 

higfacher  BerOhritng  mit  vieler!  andern  Völkern ,  seine  Sprache 
durch  deH  Stürm  von  zwei  und  einem  halben  Jahrtausende  fast 
unverändert  gerettet  haben  sollte:  Fenier  wäre  zu  wünschen  f 
dafs  sich  der  Verf.  uiit  den  neueren  Forschungen  mehr  bekannt 
machte  4  und  seihe  Untersuchungen  aüf  ein  umfassende- 
res Studium  der  alten  Schriftsteller  gründete*.  Nur  dadurch 
wird  er  Licht  in  die  Urgeschichte  des  so  merkwürdiger»  Skyi 
thenvolket  bringen« 


Politisch  -  historischer  Schulatlas  der  oft  in  Geographie!     Nach  einer  er* 
leichter  ich  Methode,    in  s&chszthii  Uthographirten  Blättern  , 
titlnirti     Vön  Dr.  F.  C  L.  Sichler      Erste  Lieferung,   i)  tfii- 
pdniai  2)  Gdllia,  S)  BriUnniät  4)  Gerriiania.     Cassel  t  Verlag 
von  J.  J.  Bohne.  1825.  *  fl-  48  kr; 

Laut  der  Vörterle  sollte  dem  von  Dr.  F.  C.  L.  Si  ekler 
1824.  erschienenen  Händbuche  der  alten  Geographie 
für  Gymnasien  und  zum  Selbstunterrichte  ein 
Scbiilatlas  zur  Seite  gesehen  Werden*  der  nach  einer 
das  Studium  det  alten  Geographie  «ehr  erleich- 
terten Methode  gearbeitet  wäre» 

Das  Handbuch  selbst  ist  seit  seiner  Erscheinung  fast  täg-i 
Ücti  in  meinen,  Händen  h  und  ob  ich  gleich  weder  Zeit  noch 
Lust  bdböi  dasselbe  zu  beuitheilenj  sö  will  ich  dbfch  äl«  Re- 
sultat meiner  Beobachtungen  angeben,  daf«  dattelbe*  was  die 
B-stimmung  der  Gränzen  Und  der  Lage  einzelner  Völker  be- 
trifft ä  meistens  ausführlich  genug  und  ziemlich  präciÄ  ist  ^  je- 
doch iri  der  Behandlung  der  Topographie  zu  kurz  und  unsyste- 
matisch <  und  die  lateinischen  Klassiker  «irid  durchweg  in  den 
Schatten  gestellt.     Wie  viel  hätte  der  Verf.  thun  können , 
wenn  er<   dessen  Handbuch  doch  da*  Studiuni  der  Altert  er- 
leichtern will*  seine  Topographie  ari  den  Fäderi  der  Geschieht«* 
nekhüpft  hätte  1     Gerne  Wurde  ihm  der  Lehrer  dei  Herodot; 
Thucjrdides,  Xertophön,  de.  CiCerO^  Cäsar  ,  LiviuS  und  Ta- 
citug  seine  Etymolögieeri  erlassen  haben,  die  ohnehin  j  wie 
.ehr  aich  der  Verf.  darin  gefällt,   in  elri  solches  rfandbuch 
nicht  gehören  j  er  würde  ihm  ferner  den  gdnzert  gelehrten  nu- 
,ni.ma!iscben  Raridapparat  erlaben  ,  fände  er  nur  ^aUje^eri 
hie  und  da  eine  gemeine  Note,  öb  der  öder  jener  Ort  südlich 
oder  nördlich  *  östlich  öder  westlich  liege,  öder  wie .weit  von 
Siele*  und  jenem.     Hat  der  Verf.  nalh  Seinem  »ch. 
dirf  Geographie  gelehrt*  .ö  wird  «ich  ihm  dierfe  Bemerkung 
•  30  * 


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500  Sickler'«  Schulatlas. 


wohl  schon  Selbst  aufgedrängt  haben.  —  Doch  meine  Sache 
ist  nur  die  Beurtheilung  des  erschienenen  Stückes  von  seinem 
Schulatlasse,  die  ich  um  deswillen  jetzt  schon  einschicke,  da- 
mit der  Verf.  bei  dem  Uehrigen  sich  vor  Schaden  hüte.  Die 
Charten  führen  den  Titel:  politisch  -  historischer  Schulatlas, 
und  darnach  sollen  sie  auch  geprüft  werden. 

Hier  entsteht  die  Frage:   worin  unterscheidet  sich  ein 
Schulatlas,  besonders  ein  historischer,  von  einem  alles  Mög- 
liche umfassenden ,  ausführlichen  Atlas  der  alten  Welt?  Eine 
Charte  der  alten  Welt,  als  Resultat  der  untersuch  enden  und 
vergleichenden  Geographie,  ist  ein  Versuch,  das  antikeLand, 
das  sie  darstellt,  in  Allem,  was  es  geographisch  und  topogra- 
phisch Bestimmbares  davon  gibt,   sey  es  merkwürdig  oder 
nicht,  unserm  Auge  darzulegen.    Die  Grundlage  zu  solchem 
Gebäude  geben  die  früheren  Griechischen  Geographen,  die 
noch  selbst  zu  den  Klassikern  gehören,  dann  aber  hauptsäch- 
lich die  Itinerarien ,   die  Feutingersche  Tafel  und  PtoleraÄu«. 
Durch  sie  stellt  sich  der  gelehrte  Geograph  die  sichersten 
Punkte  fest,    durch  sie  spinnt  sich  ein  Netz  über  das  ganze 
Land;  und  erst  von  diesen  Positionen  aus  sieht  er  sich  nach 
dem  geographischen  Inhalt  der  Geschichtscbreiher ,  Dichter 
n.  s.w.  um,  und  sucht  diesen  nach  jenen  zu  bestimmen,  auch 
wohl  jene  aus  diesen  zu  berichtigen.     Die  einzelnen  bei  je- 
nen vorkommenden  Oerter  sind  gleichsam  Glieder  eines  syste- 
matischen Ganzen,   und  der  forschende  Geograph  .ist  an  die 
genaue  Verzeichnung  derselben,  so  weit  nur  möglich,  ße- 
bunden.     Denn  das  geographische  Ganze  ist  ihm  der  Zweck 
seiner  Charte.    So  wie  er  sich  aber  zunächst  und  hauptsäch- 
lich an  die  alten  Geographen  selbst  hält,  so  mufs  er  auch  seine 
Länder  nach  ihnen  eintheilen,  seine  Völker  placiren.  Nun 
aber  sind  die  besten  geographischen  Materialien  aus  einer  Zeit, 
die  wen.ger  oder  mehr  aufgehört  bat,  eigentlich  klassisch  zu 
seyn     aus  einer  Zeit    wo  Namen  und  L^gen  der  Völker  sich 
oft  schon  verändert  hatten,  und  -  wo  man  auch  sehr  viel 
Oerter  mehr  kannte,   als  früherhin,    wenigstens  Namen  der 

^Zf  ri    ^Yn\d'U  ^  8rätern'  auGh  ^ie  frühern, 
welches  alles  dieses  deutlich  macht,  führe  ich  an  ReU 
£oJr.pu"  '  61,1  Mei8te"tück  ^r  wissenschaftlichen 

zu  miLThll^  Schulcharte 
r&St  de  ?ine  Wahre  Kleinigkeit.  Denn 
man  braucht  sie  ,a  nur  zu  verkleinern,  und.verhaltnifsmäfsigf 

r*   '  "  '  •  7  ;  ' 


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Sicklei'«  Sehulatlas.  501 

Namen  wegzulassen.  Nichts  ist  irriger  und  der  Natur  der 
Sache  unangemessene r ,  als  diese  Ansicht.  Denn  eine  Schul- 
charte  der  alten  Welt  ist  ja  nur  eine  Charte  far  Schulen,  worin 
theils  die  alte  Geschichte  gelehrt  wird,  theils  die  alten  Klas- 
siker erklürt  werden.  Die  Itinerarien  abe; ,  die  Peutingersche 
Tafel  und  rtolemüus  enthalten  weder  lauter  geschichtliche 
IMamen,  nöch  werden  sie  für  wahre  Klassiker  gehalten,  noch 
in  <len  Schulen  gelesen.  Liest  man  doch  sogar  fast  nirgends 
auf  Schulen  den  Polybius,  Strahn-,  Diodorus  von  Sicilien  oder 
Dio  Cassius,  so  wenig  als  einen  Plinitis  den  älteren  und  Mela, 
obgleich  diese  natürlich  bei  Errichtung  einer  Schulcharte  der 
Geschichte  wegen  befragt  und  verglichen  werden  müssen.  - — 
Ein  Scbulatlas  der  alten  Welt  ist  demnach  ein  Atlas,  der  die 
Summe  der  Geographie,  welche  in  den  Klassikern  vorkommt, 
mithält,  und  da  dieser  geographische  Inhalt  samt  und  sonders 
für  uns  Spälerlebende  historisch  geworden  ist,  so  ist  er  somit 
eo  ipso  ein  historischer,  •  wenn's  auch  der  Titel  nicht  sagte; 
politisch  aber  wird  er  dadurch,  dafs  in  ihm  die  politischen 
Eintheilungen ,  Einrichtungen  und  Veränderungen  durch  ge- 
wisse Zeichen  bemerklich  gemacht  sind;  enthält  aber  ein 
Land  nur  eine  politische  Emtheilung  und  Einrichtung,  nur 
einen  Status,  so  verdient  eine  solche  Charte  den  Namen 
einer  politischen  nicht,  nämlich  was  die  alte  Welt  betrifft. 
Ich  möchte  doch  einmal  in  der  letztern  Beziehung  eine  nicht 
historische,  nicht  politische  (also  nach  natürlichen  Gzänzea 
bestimmte)  Charte  der  alten  Welt  sehen  I 

*  .  * 

Aus  der  Natur  des  Schulatlasses  der  alten  Welt»  als  eines 
hlos  der  Geschichte  und  der  Erklärung  der  alten  Klassiker  die- 
nenden, geht  schon  hervor,  dafs  nichthistorische  Namen  auch 
nicht  in  ihn  gehören,  wie  kann  dem  Schüler  sonst  die  Summe 
der  klassischen  Geographie  sich  herausstellen  ?  Was  küm- 
mern ihn  die  Oerter  ad  Times,  ad  Tricesimum,  ad  Herculem 
u.  s.  w,  ?  was  nützt  ihm  die  Wissenschaft  von  einem  Byza- 
dum,  einer  Zeugitana  i  Der  yerfasser  eines  ausführlichen 
und  der  Verfasser  eines  Schulatlasses  haben  zwar  ein  und  das- 
selbe Geschäft  (und  sollten  auch  eine  und  dieselbe  Person 
seyn),  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  dafs  jener  seine  müh- 
selige'Arbeit  vollständig  dtMn  Auge  darstellt,  dieser  hingegeh 
nicht  so  viel  —  und  bei  weitem  nicht  so  viel  —  aufgewandten 
Fleifses  blicken  lassen  darf;  wovon  nachher«.  Insbesondere 
aber  ist  es  das  Geschäft  des  Letztern,  dafs  er 

i)  sämmtliche  Klassiker  selbst  gelesen,  verglichen  und  aus- 
gezogen habe ; 


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60? 


SicU^'s  SclmlatWi- 


2)  dafs  er  «Ich  ein  nqn  plus  ultra  der  Kjassicität  annehme, 
Leicht  lassen  sich  ja  durch  £eiphen  diejenigen  Oerler  te« 
merken ,  welche  erst  unter  den  Kaisern  bis  weiter  hinab 
an  das  lYJittelmeer  vorkommen,  so  wie  auch  die  spätem 
(aber  auch  nur  die  geschichtlichen}  Eintheilungeu  ißtä> 
ein  Paar  Randbemerkungep  $ 

3)  dafs  er  auf  diejenigen  Autoren  hauptsächlich  reflectire, 
i    'welche  in  den  Schulen  gelesen  werden,  also  auf  Herodot, 

Tbucydiojes,  Xenophon,  Cicero,  Cäsar,  SajW,  Liviui, 
Tacitüs,  Cornelius,,  tarnt  den  Dichtern  u.  s.w.,  \n  IQ, 
fern  sie  nicht  der  mythischen  Geographie  angehören [ 

4)  dafs  er  nun  auf  feine  Charten,  diejenigen  Eintbeilungcn 
Und  Qerter  trage,  we(che  sich  aus  den  Autoren  heraus 
ergeben  haben.«  VVer  z.  Spanien  recht  politisch  ein- 
theilen  will,  der  theile  es,  am  £bro  hin  in  zwei  Theile, 
nämlich  in  Hisnania  Citerior  und  UJteripr  vor  d«ni  zmi* 
ten  punUchen  Kriege;  das  ganze  Land  in  Hispaniae  oder 
Hispanjae  duae  (nach  Cäsar,  Liviu*  und  Pliniu»).  Dann 
nach  dem  zweiten  punischen  Krieg«  nQci|  einmal  in  flis* 
papiae,  und  die  einzelnen  Theile  ujtei  ior  d.  i.  Lusitania, 
Vettque«  und  Baetica  bis;  nach  Neukartbagp,  das,  (ihrige 
—  citerior,  wie  dies  Alles  kein  geographisches  Geheim- 
nifs  ist ,  war  um  den  TarraQonenais  '(  \  das  Plinius  nur 
einmal  nennt,   dagegen  citerior  mehr   als  fünfzig- 

•     ma|,     Iri  Gallien  kam,  man  ebenfalls  recht  politisch  yef 
fdhrep»  man  giebt  Cäsars  Ejntheiltuig   und  die  dei  A> 

fus,tus  suiamuien ,  wenn  man  wegen  Atjuitania  ein« 
leine  Randbemerkung  gemacht  bat ,  man  j;(st  Qe\tfa% 
#elgica  und  frpvinqa  stehen.  Denn  was  thut  der  I*** 
des  Cas.ar  mit  einem,  Lugdupepajs  upd  £farbpnensis,  das, 
fcann  man  ihm  an  den  Rapd  setzen.  Ip  QberitaHen  theile 
man  eip  in  Citer^pr  oder  Cisajpini,  aber  picht  en  Ciapa- 
dana,  höcbsteps  noch  Transpadanj.  JV(ati  Jasse  rpare  w> 
ternum  weg,  biß  man  es.  in  eipem  rö>is,chen  Klassiker 
findet,  und  setze  lieber  nach  den  Griechen  auf  die  Weit- 
hälft*  Sardoum  mare,  wenn  man  das  arrogante  römi|cbe 
nostrum  haty  M»  s.  w>  ~ 

Pazq  kqmmt  danp  poch ,  als,  einet  ebep  so  wichtig« 
Sache,  eip  möglichst  vollständiges  Verzeichnifs;  der  in  deQ 
Klassikern  wirklich  vorkommenden  Berge..  Flüsse  und  Oerter. 
JVJit  der  Graphik  vertraut,  ipuft  der  Autor  eine* Scb"M«Me* 
je^ep  einzelnen  Schriftsteller  in  geograpbiseber  ^ücksieb^  )«• 
sen,   den  jedesmaligen  Beschreitungen  und  vorkpipmende" 

■ 


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e 


Sicller'a  Sclmlatlas,  503 

JUisen  und  Heereszügen  genau  nachgehen,  und  durch  Hülfe 
**Htrr  Mittel  die  1'usiUuneu  bestimmen.  Die  oben  erwähnten 
Geographen  und  Itin^raritn  samt  den  nicht  erwähnten  sind  das 
Geitiste,  mit  dem  man  den  Bau  aulführt;  sind  alle  Klassiker 
durchgelesen,  durchgedacht  und  verglichest  ist  das  Bestimm- 
bare eingetragen,  su  nimmt  man  üjs  Gerüste  wieder  weg, 
und  die  Charte  ist  fertig.  —  Hierbei -geschieht  Freilich  nicht 
aalten,  dafs  uns  ein  Volk,  ein  Ort  genannt  wird,  den  die 
Geographie  nicht  genau  zu  bestimmen  weifs,  wenn  wir  aber 
nur  4111114+ r  uutmei Ksam  auf  den  Zusammenhang  sind  ,  so  lüUt 
»ich  Uer  wall  räch  ei  n  liehe  PlatA  doch  angeben,  und  als- 
dann muU  es  in  einem  Scliulatlul  auch  eilaubt  seyn,  ihn  zu 
J»ezeithneu,  denn  wir  wollen  ja  das  A«»ge  des  Schülers  nur  auf 
den  wahrscheinlichsten  Tunkt  lixireii,  damit  er  z.  Q«  das  L*iv4- 
sehe  Mund  i  nicht  für  da»  Cäsariache  halte. 

Natu  dieseu  Betrachtungen  ,  die  alle  auf  die  hier  zu  ver- 
handelnde Sache  genauen  Bezug  haben,  nehme  ich  nun  die  erste 
JUieienMig  der  Sickler'scheii  Charten  zur  Hand,  und  zwar  die 
eiste  Charte  — -  I(i*]>.i<iU, 

Der  Verf.  hat  Wort  gehalten,  er  hat  die  Charte  nach 
einer  der  besten  vorangegangenen  Arbeiten  dieser  Art  gege- 
ben ,  es  ist  nämlich,  ganz,  bis  auf  einige  unbedeutende 
(darf  ich  eigentlich  nicht  sagen)  A«?nderun^en  die  Charte  — * 
Uckerts. 

Das  ist  für  die  Charte  etwas  sehr  Empfehlendes,  denn 
Uckerts  Ilispania,  vornehmlich  mit  Uckerts  Buch  dazu,  da* 
ist  (bis  auf  einige  Mangel  in  der  Zeichnung)  ein  unnahbarer 
geharnischter  Hilter  auf  einem  geharnischten  Hosse.  Hütte 
iiur  der  Verf.  bei  seinem  Cupiren  dieser  Qbarte  zweierlei  nicht 
versäumt!  Er  hätte  erstens  Uckerts  Charte  zuvor  genau  un- 
tersuchen ,  und  sowohl  mit  dessen  Beschreibung  als  auch  mit 
einer  guten  neueren  Charte  zusammenhalten;  zweitens %  er 
hätte  seine  eigene  abgezeichnete  Charte  noch  einmal  mit  der 
Uckertseifen  vergleichen  sollen.  Den  Schaden  der  Unterlas. 
sung  werden  wir  nachher  kennen  lernen.  Verschieden  von 
dieser  ist  seine  Charte  nur  darin,  dafs  auf  derselben  die  Oer- 
ter  ,  worin  sich  Amtssitze  befanden  ,  welche  Colon ien,.  Mu* 
meipien  waren t  wo  Schlachten  vorgefallen.,  und  sonst  noch 
einige  Sachen  mit  Zeichen  versehen  sind^  welches,  alles  aber 
dein  Gescbichtlernenden,  und  dem.  Leser  der  Klassiker  nicht 
viel  4iAtzt,  wenn  er  nur  den  Ort  auf  der  Charte  findet;  das 
Nöthige  sagt  ihm  der  Ges.chichtleluer  oder  sein  Buch  ,  in  dem 
er  den  Ort  liest.  Und  dann  sind  diese  Sachen  doch  auch  nicht 
vollständig  im  Buche,  auch  nicht  ausführlich  genug.  Hätte 


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504  Sicklct**  Sclmladas, 

,  doch  der  Verf.  statt  all  dieses  Schmuckes  sich  die  Mühe  gege- 
ben ,  die  Oerter  aus  Cäsar ,  Livius»  Flinius  u.  A.  möglichst 
vollständig  einzutragen}  da  doch  die  gelehrte  Geographie  durch 
seine  Charte  nicht  um  ein  Jota  bereichert  wird,  —  Dafs  meh- 
rere Positionen  anders  sind,  als  sie  bisher  angenommen  wor- 
den, daran  mag  der  Steinzeichner  den  gröfsten  Antheii  haben; 
sollte  aber  der  Verf.  die  eine  oder  die  andere  in  Schutz  neh- 
men wollen,  so  hat  er  die  Beweise  noch  zu  liefern  in  dem 
Handbuche  wäre  der  schicklichste  Platz  dazu  gewesen.  Und 
so  fehlen  denn  auf  der  Charte  z.  B,  aus  Cäsar  und  was 
dazu  gehört:  Bursavolenses,  A.  Bell,  Hisp.  22.  Bursaotien- 
ses ,  Fiin.  III,  4«  Bursao,  jetzt  Burgos,  oder  Borja ,  fehlt 
auch  im  Handbuch,  Aspavia  A.  B.  H.  24.  fünf  Millien  von 
Ucubis  ,  jetzt  Esptfja.  Ungefähr  in  der  Mitte  kann  Soricaria 
(im  Handbuch  wohl  nur  verdruckt  Sorilaria)  ihd.  gelegen  ha- 
ben ,  dies  ist  auch  das  Soritia  c.  27.  Seine  Ansicht  von  dem 
Flufs  Silicense  und  der  Stadt  Segovia  (Hirt.  AI.  57.)  hat  der 
Verl,  nicht  in  dem  Hundhuch  gegeben,  wo  sie  doch  der  Er« 
klärer  des  Alexandrinischen  Krieges  sucht.  Denn  nur  wenige 
Lehrer  des  Griechischen  und  Lateinischen  besitzen  die  aus- 
führlichem geographischen  Werke,  sie  kaufen  sich,  um  Alles 
beisammen  zuhaben,  ein  Handbuch,  und  Sickler's  Handbuch 
wäre  doch  zu  so  etwas  dick  genug. 

Wollte  der  Verf.  in  seinem  Handbuch  auch  etwas  von 
dem  Hirt.  AI.  48.  vorkommenden  Medobrega  sagen,  so  hätte 
er  vor  allen  Dingen  die  Lage  festsetzen  sollen.     Da  er  dies 
nicht  gethan,  so  mufs  man  annehmen,  er  sey  darin  mit  Uckert 
einverstanden.     Aber  wie  seitsam!     Der  Ort,  der  ihm  im 
Handhuch  Medobriga  und  JVJedubriga  beifst,  heilst  auf  der 
Charte  Mundobriga.    Warum  ?    Weil  die  aus  Uckert  copirte 
Charte  mit  dem  Handbuch  nicht  verglichen  ist,  welches 
sich  bei  diesem  Ort  nach  Mannert  richtet,  der  dabei  keines 
Mundabi  iga's  erwähnt,    Uckert  dagegen  hält  das  Mundobriga 
des  It.  Ant.  für  eben  jenes  Med ohrega.     Es  ist  auch  nach  dem 
Handbuch  das  Mirobriga  des  Ftolemäus,  nämlich  7°;38°,26'. 
Das  Handbuch  hat  nach  Medobriga  noch  folgendes:  ,  In  der 
Nähe  von  Portalegre  mehrere  Meribriga."    So?    w7e  viele- 
denn?    Es  giebt  nur  eines,  nämlich  das  Meribriga  des  Ptole- 
in 3 us,  6°.3o':  39°.  4o'.    Das  andere  des  Ptolemäus,  von  dem 
obigen  verschieden,   heilst  in  meiner  Ausgabe  Mirobriga, 
5°.  20  :  39°.  45'.  6 

Der  Irrthum  des  Verf.  röhrt  daher,  dafs  er  folgende  Stelle 
inMannert  I,  345.  hat  abkürzen  wollen.  Dort  heilst  es  : 
«Meribriga  und  Mirobriga  gab  es  mehrere  in  der  Nach- 


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» 

fr»» 

Sickler*«  Schulatlas.  605 

harschaft ct ,  nämlich  von  Portalegre.  — '  Das  aber  ist  noch 
nicht  das  Schlimmste.  Hat  der  Verf.  sein  Mundobriga  auf  der 
Charte  für 'Portalegre  gehalten,  so  gehört  es  Südwest wärts 
von  Ammaea  gestellt,  und  zwar  schon  etwas  vom  Ursprung 
des  heutigen  Sever-Flüfschens  weg;  hat  er  es  mit  Uckert  für 
Marvao  gehalten,  so  gehört  es  nicht  an  die  Stelle»  wo  Mun- 
dobriga steht,  sondern  vor  Ammaea  auf  seiner  Charte,  denn 
dort  Hegt  Marvao.  Saejus-Flufs  (A.  B.  H.  c.  7.)  ist  der  Gua- 
dajoz,  etwas  südwestlich  von  Corduba  auf  der  Südseite  in  den 
Baetis  fliefsend,  nordwärts  liegt  Attegua  bei  S.  Cruz,  süd- 
wärts Ucubist  bei  S.  Pedro.  Beide  Oerter  konnte  man  von 
Castra  Postuuiiana  ihd.  8.  erblicken.  Salsus  und  Castra  Post, 
fehlen  auch  im  Handbuch. 

Den  mons  Herminiut  bat  der  Verf.  auf  der  Charte  und 
im  Handbuch , '  er  hält  ihn  mit  den  angesehensten  Geographen 
>  für  die  Sierra  de  Estrella  nördlich  vom  Tajo.  Dio  Cassius 
Und  Sueton  möchten  nicht  viel  dagegen  einzuwenden  haben, 
desto  mehr  Hirtias  Bell.  Alexandr.  c,  48,  welche  Stelle  der 
Verf.  im  Handbuch  gerade  ausgelassen  hat.  Wenn  die  ver- 
folgten Einwohner  von  Medobrega  sich  flüchtig  machen  mufs- 
ten,  werden  sie  wohl  in  der  Gescu windigkeit  über  den  Tagus 
gegangen  seyn?  Mit  nichten.  Sie  wufsten  Zufluchtsörter 
genug  in  ihren  eigenen  Gebirgen,  westlich  und  südlich  von 
der  Stadt.     Diese  sind  des  Hirtius  mons  Herminius,  also  die 

e   heutigen  M.  S.  Mamel  und  S.  Pedro.'    Warum  lül'st  man  denn 
dem  gründlichen  Mannert  in  diesem  Punkt  nicht  Gerechtigkeit 

,  widerfahren?  Bei  dieser  Gelegenheit  will  ich  doch  auch  et- 
was über  den  saltus  Castulonensis  sagen.    Uckert  hält  ihn  für 

•  ein  zwischen  Sisapon  und  Castulo  nordöstlich  vom  Bätis  hin- 
laufendes Gebirg  (für  einen  Theil  der  Sierra  Morena)  ,  wel- 
ches das  Land  zwischen  dem  Anas  und  Bätis  ungefähr  in  der 
Mitte  durchschneidet.  Nach  Cäsar  Bell.  Ctv.  I,  38.  stand  Pe- 
trejus  vom  Anas  bis  zum  Castulonensis  saltus  ,  Varro  in  Lusi- 
tanien  und  bei  den  Vettonen.  Nun  sollte  Petrejus  zum  Afra- 
nius  in  Herda  «tolsen,  und  Varro  Hispaniatulterior  nicht  nur 
decken,  sondern  auch  im  Zuum  halten.  Wer  nun  Hispania 
ulterior  bis  nach  Carthago  nova  ausdehnt,  der  mufs  die  Ge- 
birgskette von  Cazlona  an  bis  nach  Cartagena  für  den  saltus 
Castulonensis  erklären;  wer  von  den  Quellen  o'es  Bätis  eine 
«üdöstliche  Linie  ans  Meer  zieht ,  mufs  die  in  diese  Linie  fal- 
lenden Berge  dafür  halten,  und  so  werden  wir  nicht  viel  feh- 
len, wenn  wir  die  Berge  von  Cazorle  als  saltus  Castulonensis 
annehmen,  'wenn  auch  schon  Castulo  in  Cazlona  gefunden 
würde. 


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506,  SicW^i 

Dtf  im  Bell.Xiv.  vorkommende  Gctogeaa  (im  Handbuch; 
verschrieben  Octosegra)  mufs  hart,  an  den  JHufs  Sicoris ,  uwl, 
wie  die  Charte  hat»  auf  die  linke  Seite,  der  Cinga  aber  fällt 
nicht  überhalb  Herda  in  de»  Sicoris ,  denn  er  ist  nicht 
der  heutige  Riba&ortana.  Octocesa  laß  entweder  rechts 


*.-u<^   Ulm  x  ompejaner  untersucht.     Uiese  hatten  eine 
Herd*,  verbundene  Biflrke  gher  den  Sicgris,  G.  I,  4<> , 
wolle«  den  Krirg  nacu  Cejtiberien  spielen  ,  C,  61  ,    und  lasseu 
tu  dem  Ende  eine  Menge  Schiffe  nach  Qctogesa  bringen,  ibid. 
Dadurch  ist  die  Jq«|tion  am  Sicoris  bewiese«. 
Aber  wie  wollen,  sie  nuUda.hin  ?    Sie  gehen  über  den  Sicoris, 
rechts  am  Flusse  h'«rupter,  und  werden  dann  abgeschnitten, 
ilso  Jag  Octogesa  rechts.     Ferner  nach  C.  4».  hatten  die  Casa- 
laner  ihr  t»*ger  zwischen  dem  Sicoris  und  Qnga  t  in  dieser 
Stellung  sehen  sie  aich  genQthigt,  Alles  anzuwenden,  damit 
diese  nur  nicht  auf  des  Scpris  rechte  Seite  kommen;  dies  be- 
weist, dafs  die  Casarian«r  Kufe»,  am  Flusse  Cinga  herunter, 
staodeu,  und  dal's  jene  also  Unk«  schon  vom  EImq  abgeschnit- 
ten waren,     Ware  der  Flufr  ftibagortana  der  Cinga  gewesen, 
so  bitten  die  Pqmpe^aner  bei  ihrem  intentirtep  Kückzuge 
kejne  Noth  gehabt,  denn  die  Feinde  wären  ja  durch  den  Cinjja 
von  jbnen  getrennt  gewesen.    Sie,  die  Pompejaner,  brauch- 
ten  alsdann  picht  über  d«p  Sicoris  au  setzen,  sondern  unge- 
liiMdert  südlich,  fort  Übe*  <ie«  heutigen  Cinca  und  dann  Ober 
<ien  Ehra,     Aber  das  ware*eb«n,  Casar  stand  schon  links 
südlicher  als  sie,  »wischendem  heutigen  Qnca  upd  dem  Sicoris, 
dieser  heutige  QU«a,  ist  also  Casars  Cinga. 

•  Von  Casar  ge^en  wir  411  Livius  über.  Olcades,  Liv. 
XXIt  6,  mit  ihrer  Hauptstadt  Carteja.  Die  Sitze  der  Qlca- 
des,  werden  schon  durch,  die  £üg«  ibid.  bestimmt  »wischen  Sa- 
guntum  und  Carthago.  Carieja  ist  nach  Ileichard  Carcelen^. 
lolftlich  wären  die  Olcadee  so  ziemlich  sicher  zu  setzen ,  sie 
fehlen;  aber  auf  der  Charte  samt  üwrer  Hauptstadt.  Im  Händ- 
hueb  stehen  sie,  dort  stehen  auch  p.  23.  unter  No.  2.  die  Car- 
petani,  östlich  neben  den  Keltiberern  ,  westlich  neben 
dem  Lusitanern.  Das  möchte  wohl. unmöglich  seyu,  wofern 
nicht  die  Carpetani  <Jne  Fischnatiir  halten. 

Schwerer  freilich  sind  die  Städte  Hermandica  und  A^°* 
cala,  die  Livius  a.  a.  O,  Cartejorum  urbes  nennt,  zu  bestim- 
men. Es  ist  im  Vorhergehenden  vqn  den,  Vaccaei  die  Rede; 
dann  hei fs t  es  :   Hermandica  et  Arbocala,  Cartejorum  urbes» 


5ickier*s  Schularten  60V 

vi  captae,  Wenn'a  denn  nur  noch  Carpetanorttm  hiefse,  so 
lieft e  sich  etwa»  tagen.  Dürfte  man  anttatt  Cartejorum  leten 
eorum,  dann  wären  heida  —  Städte  der  Vaccäer,  und  man 
könnte,  wie  man  auch  tchon  gethan  hat,  Hermandica  für  Sa- 
lamanca.  Arbpcala  für  det  lt,  Am,  A|buce}la  und  ajto  für  Villa 
Fatila  halten. 

fehlen;  die  Bargutii ,  Liv,  XXI,  19,  23,  östlich  von 
den  Ilergetet.  Raum  wäre  noch;  Ibis  ,  XXVlII,  21,  jetzt 
lbi  ,  südlich  von  Murviedro.  Bei  Hlici  hätte  im  Handbuch 
angegeben  werden  müssen ,  dafs  östlich  davon  wahrscheinlich 
da?  Akra  keufce  des  Diqdorus,  vielleicht  des  Livius  Castrum 
Album,  XXIV,  41,  gelegen  habe  \  auch  hätte  die  ungefähre 
Lage  auf  der  Charte  wohl  bezeichnet  werden  dürfen,  denn  ein 
Qrt  ,  „insignia  caede  magni  Hamtfcaria«,  ibid.,  gehört  doch 
wohl  in  einen  politisch  •  historischen  Schulatlas,  der  alten  Welt. 
Es  fehlt  Lapides  atri  zwischen  Mentissa  und  Hliturgis,  Liv. 
XXVI,  17,  im  Handbuch  und  auf  der  Charte,  eben  so  Tyre- 
naei  Promontorium,  jetzt  Cap  Creux,  Liv.  XXVI,  19.  Bae- 
cula,  XXVII,  18.  etc.  nach  Reicbard  Baylen  fehlt  auf  der 
Charte,  steht  im  Handbuch  ohne  alle  Erklärung.  Die  Bergi- 
ftaniV  XXXIV,  16,  17,  gehören  als  ein  Völkchen  aufgeführt 
Um  das  jetzige  Berga,  denn  dies  ist  des  Livius  Vergium  Ca- 
strum ,  XXXIV,  24,  Im  Handbuch  fehlt  der  Qrt,  auf  der 
Chart«  Volk  und  Ort.  * 

Ergavia,  Liv.XL,  30,  Ergavicenaee f  Plin.IU,  4»  »tellt 
Ückert  in  seiner  Geographie  Äan  den  Einflufe  der  Gua- 
diel  a  in  den  Tajo,  wo  grofse  Ruinen  sind,  welche  Santaver 
Keifen.«  Purch  'ein  Versehen  aber  steht  Ergavica  aut  seiner 
Charte  ungefähr  zw^achen  den  Quellen  dieeer  beiden  Flüsse; 
die«  steht  denn  getreulich  auf  der  Sickfer'acuen 
Charte  auch  so.  Im  Handbuch  steht  von  der  Position 
nichts,  er  nennt  daselbst  Ergavia  und  dann  noch  ein  Erga- 
vica. Der  Beweis  möchte  schwer  «erft  \  Die  Loge  des  ten- 
■  lenden  Contrebia,  XL  ,  33,  ach wer  zu  bezt{i*men,  Uckert 
jedoch  bat  sie  bestimmt |  so  wie  Reichard  die  Lage  von 
Munda,  XL,  47?  in  IVJu'nnoz,  und;  von  Q«rti>a,  ebend.,  in 

PVortNoiga,  Kpff**  Strab.  III»  465,  aagt  der  Verf.,  der 
Ort  aey  vielleicht  Saftender,  und  stellt  <bn  doch  i3  deutsche 

Meilen  davon  weg  l 

fr  fehlt  aut  der  Charte  Folgendes;  Cbalybs,  Justin. 
XLIV,  jt.  und  Silbiiis,  ibid.,  tfebenflüaae  des  Miniue,  je- 
n«r  ist  der  Cabe,  dieser  der  Bibei  .  die  in  den  SU  fallen.  Lae- 
rbn-Flufs,  Mel.III,  1,  79,  nördlich  vom  Mini« ,  jetatLe- 


I 


508  Sickler*«  Sclmlallas. 

i 

rea.  Sanda-Flufs,  "Plin.  IV,  34  ,  entweder  Miera,  ein  Arm 
des  Deve,  oder  Saja,  ein  Arm  des  Besaja  oder  Suances.  Ma- 
grada-Flufs,  Mel.  III,  n6}  jetzt  Urumea.  Olintigi  , 
Mel.  III,  1,  48,  jetzt  Palos.  Ebora,  Mel.  III,  1,  36. 
'E/joufra  i  Strab.  III,  3?5,  am  Ausflufs  des  Biitis,  jetzt  SanLu« 
car  de  Barrameda.  Sehunbiua,  PJin.  III,  3,  jetzt  Salabrenna. 
Lastigi,  Plin.  lIl/3,  jetzt  Zahara.  Aurinx,  Liv.  l^XIV, 
42.  Ürin*,  ibid.  XXVIII,  2.  '  Oringis,  Plin.  ibid.  Urso 
oder  Uisj  kommt  bei  Strabö,  Appian,  im  Bell.  Hisp.  und  bei 
Plinius  vor,  jetzt  Ubrique  oder  Orsunna.  'Astigi  Julienses, 
Plin.  a.  a.  O.,  jetzt  Albaum.  Jlipula  laus,  ibid.,  jetzt  Loxa. 
Astigi  vetus,  ibid.,  jetzt  Alameda.  Nertöbriga,  ibid.,  jetzt 
Valera  la  Vieja.  Contributa  Julia,  ibid. ,  jetzt  Medina  de  los 
Tones,  am  Ursprung  des  Ardila  -  Flusses.,  der  bei  Moura  in 
die  Guadiana  füllt.  Der  Medullus  Möns  des  Florus,  jetzt 
Sierra  de  Mamea,  der  Möns  Sacer  des  Justin*  jetzt  Puerto  de 
llabanon,  der  Caunug  M.  des  Livius,  jttzt  Moncayo.  — 
Der  Verf.  s.jge  nicht,  er  habe  für  diese  Oerter  keinen  Kaum 
gehabt,  ich  wollte  ihm  eine  ganze  Liste  von  Namen  hersetzen, 
die  auf  der  Charte  wirklich  stehen,  und  die  dem  Schüler  zu 
nichts,  su  gar  nichts  nütze  sind  ! 

Aus  noch  Vielem  hebe  ich  Folgendes  heraus,  um  nur  mit 
der  Charte  zum  Schlufs  zu  kommen.     Bilbüis.  giebt  der  Verf. 
selbst  für  Calatayud  ,  und  doch  liegt  es  auf  der  Charte  mehrere 
Meilen  südlicher.     Mit  Saetabis  ist's  nicht  besser.     Da  das 
Prom.  Junonis  das  C.  Trafalgar  ist,   so  mufs  Baesippo,  Mel. 
It,  6,  88  und  89,  südöstlich  davon  stehen,  es  ist  Barbato, 
auf  der  linken  Seite  des  Baibateflusses,  folglich  ist  die  Po- 
sition auf  der  Charte  falsch,   da  sie  nördlich  über  dem  C.  Tra- 
falgar angenommen  ist.    Wie  postirt  der  Verf.  die  drei  Öerter 
Ipagrum  It.  Ant.  (er  hätte  es  weglassen  können),  Aegäbrum  , 
Plin.  III,  3,    und'psimbrum,   ibid.?      Erstens  steht  von 
allen  dreien  keine  Sylbe  im  Handbuch,  sodann  ist  Ipngrum 
entweder  eins  mit' Aegabrum  ,  oder  nicht,  in  diesem  Falle  ist 
es  Aguilar,  am  Flusse  Cabra.    Dieser  llio  Cabra  oder  Mon- 
tuiqjue  fliefst  rechts  in  den  Xenil,    und  fast  fünf  spanische 
Meilen  rückwärts  vom  Einflufs  liegt  Aguilar  de  la  Frontera. 
Nach  Sickler's  Charte  Hegt  es  aber  eine  gute  Strecke  nord- 
westlich vom  Einflüsse,   dicht  am  Xenil!      ückert,  der  den 
Ort  p.  368.  genau  bestimmt ,  bat  ihn  eben  so  genau  auf  seiner 
Charte.'   Ungefähr  zwei  spanische  Meilen  südöstlich  davon, 
am  Ursprung  des  Cabra  ,  liegt  das  jetzige  Cabra,  dies  ist  Ae- 
gabrum, bei  Sickler  liegt  es  südlich  vom  Cabra  am  Xenil. 
Südlich  von  Cabra,  zwischen  Lucena  und  Rute,  liegt  Torre 


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I 


SUkicr'«  ScliulallaJ.  *  50 

deZambra,  dies  ist  Cisimbrum ,  immer  noch  zwei  [spanische 
Meilen  von  Xenil ,  bei  Sickler  hart  daran. 

Wir  wollen  nun  hier  von  Spanien  abbrechen,  um  noch 
einige  Blicke  in  des  Verfassers  Gallia  zu  werfen.  Ich  kann 
mir  eine  Beurtheilung  desselben  schon  um  deswillen  nicht 
versagen,  weil  der  Verf.  meiner  Schulcharte  v.on  Gallia  ,  nach 
Reichard  ,  verbunden  mit  Mannerts  Beschreibung,  bearbeitet, 
die  Ehre  erwiesen  hat,  sie  der  seinigen  zu  Grunde  zu  legen. 
Der  Verf.  soll  sehen,  dals  ich  gegen  ihn  nicht  strenger  bin, 
als  gegen  mich  selbst.  —  Das  Kind  sieht  der  Mutter  ähnlich, 
wie  ein  Ei  dem  andern,  bis  auf  wenige  Ausstattungen  und 
Zusätze,  es  bat  aber  auch  die  Gebrechen  der  Mutter  geerbt. 

.  Mein  Steinzeichner  hat  mir  damals  ,  weil  er  keinen  Platz  mehr 
auf  dem  linken  Rheinufer  fand,    die  Vangiones  neben  an  auf 

'  das  rechte  geschrieben,  diesen  Platz  haben  sie  auf  der  Sickler'- 
schen  Charte  behalten.  Wie  viele  solcher  Positionen  mögen 
wir  wo  hl  schon  den  Kupfersteebern  und  Steinzeichnern  zu 
verdanken  haben  !  Sodann  steht  auf  meiner  Charte  statt  des 
antiken  Arduenna  silva  das  moderne  Ai dennengebirge ,  bei 
Sickler  aber  auch.  Casar  hat  mich  inzwischen  eines  bessern 
belehrt:  pertinet  per  medios  fines  Trevirorum  a  fl limine  Rhe- 
no  ad  initium  Remorum,  G.  V,  3.  patet  ab  ripio  Rheni  ad 
Nervios  ,  milibus  amplius  D.  in  longitudinem  (das  ist  frei- 
lich etwas  aufgeschnitten)  VI,  29.  —  Laut  Casars  Bericht 
liegen  die  Städte  Lutetia  und  Melodunum  auf  Inseln  der  Seine 
—  „Melodunum  pervenit.  Id  est  oppidum  Senonum,  in  in- 
sula  Sequanae  positum,  nt  paulo  ante  Lutetiam  diximus,  VII, 
58.«  Das  kann  ihnen,  wenigstens  was  Melodunum  betrifft , 
auf  unsern  Charten  kein  Mensch  ansehen,  so  we^ig  als  dafs 
Vesontio  überall,  nur  nicht  auf  einer  Seite,  vom  Du  bis  um- 

f eben  ist,  I,  38.  Ich  habe  den  so  wichtigen  Flufs  Sabio  ,  ,  , 
I,  16»  18,  vergessen,  der  Verf.  auch,  ich  (J#n  eben  s,9 
■wichtigen  Elaver,  VII,  34»  nicht  benannt,  der  Verf.  auch 
nicht.  Hätten  wir  statt  dieser  Auslassungen  nicht  d/ie  vielen 
kleinen  Flüfschen  unterdrücken  können,  welche  nördlich  in 
die  Mosel  fallen?  Wir  haben  nicht  die  Namen  Civitates 
Armoricae,  V,  53.  VII,  75.  VIII,  31  ,  nicht  das  Belgium, 
V,  24.  VIII,  46.  Die  Bituriges  — *  Gubi  hat  mein  Stein- 
zeichner  für  zwei  verschiedene  Hieroglyphen  angesehen,  und 
daher  dem  Namen  Bit«  riges  eine  nordöstliche,  dem  Namen 
Cubi  eine  horizontale  Richtung  gegeben,  er  liefs  aber  hinter 
Biturig««—  den  Anhängestrich  stehen,  so  dafs  man  allenfalls 
noeb  errathen  kann,  dqfs  das  Wort  zu  etwas  gehört,  zu  wa9? 
das  kann  nur  der  wissen,  der  es  vorher  schon  weifs;  da  nun 
Wickler*«  Steinzeichner  die  Richtung  beibehalten,   deu  Strich 


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510  Sickler  's  Schul  alias. 

aber  weggelassen  hat,  sd  bal>en  wir  fein  neues,  berlitbogra- 
phirtes  Volk  weiter  in  Gallia.  Dafs  Sickler'a  Charte  keine 
Nervii  als  Volk  kennt,  dafür  katin  ich  nicht  ,  ich  habe  sie  auf 
der  meinigen,  fes  fehlen  folgende  Namen  *  die  alle  in  Cüsar 
vorkommen  J  Gergovia,  jetzt  Järgeau ,  G.  VII 4  4i  9,  34t 
36,  und  um  dieses  Gergovia  hat  «ich  doch  lleichard  'ein  gros- 
ses Verdienst  erworben;  BranndVios,  VII,  76\  jetzt  üran- 
ge;  Ambivareti,  ibid.,  jetzt  AuberienJ  Uxellodunum,  VIII, 
32,  40,  43,  jetzt  CapdenacJ  Boja,*VIIi  l4i  J«***'  Autry; 
Stbuzate»,  III,  27,  jetzt  Sobusse;  Sostrates  und  Sotiatum 
oppidum,  III,  20,  31,  jetzt  SösJ  Preciani,  III,  27,  jetzt 
Bresac;  TaruSateS,  III,  23,  27,  jetzt  Jartas, 

Wenn  der  Verf.  die  Charte  Von  Oberitalieri  zeichnet,  sd 
vergesse  er  nicht,  folgende  noch  nachiuhdlen  3  Centrones, 
Veragri4  Octodurum,  Seduni,  Sartlnetes  j  sie  kommen  auch 
im  Casar  vor,  und  mussert  auf  einer  Charte  von  Gallien,  sd 
wie  auch  Ocelum  und  Gfajoceji  nachgesehen  werden.  Das 
leere  Stück  von  Deutschland  nordöstlich  hatte  da4u  benutzt 
werden  können,  die  Paar  Völker  zu  bezeichnen,  Welche  auf 
dem  Zuge  Casars  zu  den  Deutschen  Vorkommen  J  dje  Ubii 
wenigstens  gehörten  hierher,  da  sie  auf  der  Charte  von  Ger- 
manien schon  auf  dem  linken  Rheinufer  stehen. 

•  Möchte  nun  der  Verf*  die  UeberZeugung  gewinnen  $  wie" 
toothwendig  die  Römer  auf  einem  Schulatlasse  sind.  Könnte 
er  die  Charten  von  Italien 4  Griechenland  und  dem  westlichen 
Kleinasien  sehen*  die  ich  allein  nach  Livius  Zu  einem 
besonderen  Zweck  errichtete,  et  würde  bemerken^  dafs  sie 
schon  dadurch  beinahe  ganz  Vollständig  sind.  Sollte  er  es 
aber  Obel  nehmen,  dafa  ich  die  Blöisen  seiner  Charten  aufge- 
deckt habe,  so  möge  er  sich  damit  trösten,  dafs  durch  die 
oben  aufgestellten  Grundsätze  aucb  mancher  Charte  aus  mei- 
nem Schulatlasse  der  Stab  gebrochen  i?t. 

karl  Härener. 


* — - — i  


Jahrbücher  eter  Ländwifthiphdft  iri  .ßaierm  Heraus *e- 
geben  von  G.  Freiherrn  von  Ar  et  in  urid  M.  S  ch'önl  Sri  tne>  n 
Zweiter  Jahrgang.  Zwei  Hefte.  Landihati  bei  KrüJl  1325. 
506  S\  8.  i  fl,  48  kr. 

In  No.  13.  dieser  Jahrbücher  fort  1Ö2Ä.  haben  wir  den 
ersten  Jahrgang  obiger  Zeitschrift  angekündigt*  und  zeigen 
den  zweiten  hier  blos  deswegen  an*  Weif  wir  in  diesem  unser 


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Areliu  u.  Schünlcutner  Jahrmicticr  4er  Landwirthtcliaft.  511 


dortiges  Urtheil  ganz  gerechtfertigt  finden.  Die  Zahl  d*r 
Aufsätze  ist  auch  in  diesem  «Weiten  Jahrgänge  nicht  so  grol>§ 
daf*  wir  sie  nicht«  ohne  Kanin  zu  verschwenden,  hier  alle 
namhaft  machen  könnten,  was  unsere  Behauptung  am  besten 
bestätigen  wird. 

I.  Dringende  Bitte  an  die  Regierung  um  Herstellung  einer 
guten  Feldpolizei  von  G.  A.     Der  Verf.  klagt  öher  den  söge* 
nannten  wilden  Hirtenstah  und  das  einzelne  Hdten  mit 
Kindvieh,  Schweinen  u.  a.  w,t  so  wie  Über  das  Ausgrasender 
Felder  auch  auf  fremdem  Eigenthum.     Er  findet  darin  nicht 
blos  eine  directe  Beschädigung  der  verwüsteten  Felder,  son- 
dern auch  ein  Hindernifs  des  Klee  -  und  andern  Futterbaues, 
und  dadurch  des  landwirtschaftlichen  Betriebes  überhaupt. 
Es  ist  traurig,  solche  Klagen  aus  einem  Lande  zu  hören,  wo 
die  Verordnungen  über  Ljndwirthscbaftspolizei  nicht  zu  den 
schlechten  gehören.    II.  Bemerkungen  Über  die  Bewirtschaf- 
tung der  adeligen  Güter  in  Bdiern,  von  JYt.  S.     Der  Grund, 
warum  sie  weniger  eintragen ,  soll  meistens  in  der  unrich« 
tigen  Darstellung  der  VVirthschaftserfolge  liegen.     Die  Herr« 
Schaft  bezieht  zu  ihrem  LuxuS,  Hausbedarf,  für  Pferde,  Die« 
nerachaft»  Gerichts-  und  Kircbenpersonale  aus  der  Landwirth* 
tchaft  verschiedene  Naturalien,   welche  dieser  nicht  zu  gut 
gerechnet  werden.     Indem  der  Verf*  dieses  tadelt,   giebt  er 
Vorschriften  zu  einer  richtigen  Verrechnung  und  einer  ange- 
messenen Direction,  die  natürlich  nur  von  den  Regeln  dea 
landwirtschaftlichen  Haushaltes  ausgehen  kann.     III.  üeber 
einige  Hindernisse  der  Landeskultur  in  Baiern,    von  einem 
Oekonomen  im  Unterdonatikreise.     Als  solche  Hindernisse 
werden  angegeben  der  Mangel  an  Menschen,  eine  schlechte 
Feldpolizei,  besonders  Beschädigungen  durch  Thiere,  selbst 
durch  das  Geflügel,  z.B.  Tauben,  schlechte  Benutzung  der 
vorhandenen  Arbeitskräfte  (es  wird  eine  Gegend  angeführt, 
wo  man  in  einem  Jahre  204  Feier  -  und  Ruhetage  und  nur  16 1 
Arbeitstage  zahlte!  dabei  ist  die  tägliche  Arbeitszeit  sehr  kürz) 
und  die  Gebundenheit  der  Güter.    IV.  Beleuchtung  der  C, 
Sprengel'schen  Schrift  Über  Hofwyl  (Celle  l8l9  ),  von  S  —  r. 
Es  wird  hier  eine  Ehrenrettung  der  v.  Fellenberg'schen  Wirth- 
sebaft  und  seiher  Unterrichtsanstatten  gegen  die  Behauptungen 
von  Sprengel  versucht.    Diese  wir  auch  nicht  schwer«  da  die 
letzteren  jedem  Leser  als  oberflächlich  erscheinen  müssen  «  und 
bei  der  billigsten  Annahme  in  dem  kurzen  Aufenthalte  des  H. 
Sprengel  zu  Hofwyl  ihren  Grund  gefunden  haben  müssen. 
V.  Ein  Wort  an  meine  Mitarbeiter ,  gehalten  «m  Erntefeste 
zu  Scbleifsheim  l823.  von  M.  S,    Alle«  recht  schön  und  gut. 


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Ol  2       Aretin  u.  Schönleutner  Jahrbücher  der  Landwirtschaft. 

Nor  Schade,  dafs  man  auf  den  sterilsten  Boden  des  Königreichs  ßaiern 
so  viel  Geld  und  Arbeit  verwendet«      IV.  Auszag  aus  einem  Briefe 
eines  reisenden  Baiern  aus  England.     Der  Verf.  glaubt  ,    in  dreißig 
Jahren  sey  "der  sächsische  Wollenhandel  niedergelegt  durch  die  Wolle 
Von  Is  cuholland  und  Vau  Diemensland*      Daran  mochte  aber  billig  zu 
zweifeln  seyn,  und»  der  Verf.  würde  sieh  diesen  Ausspruch  nicht  erlaubt 
haben  ,  wenn  er  mit  dem  Wesen  der  norddeutschen  hochfeinen  Schüfe« 
reien  9   und  mit  den  Anstrengungen «  durch  welche  sie  gebildet  und  er- 
halten  werden  ,  genau  bekannt  gewesen  wäre.      VlI.  Anzeige  einiger? 
landwirtschaftlicher  Werke  und  einiger  Schriften  des  Hi'n.  Hofratli 
Harl  in  Erlangen ,  die  nicht  hierher  gehören.     VIII.   Das  Zunftwesen 
im  Vefhältnifs  zur  Landwirthschaft,  von  G.  A.    Treffende  Bemerken* 
gen  über  das  Unnöthige  und  Schädliche  der  Zünfte.     Sie  sind  den  For- 
derungen der  "Landwirthschaft  geradezu  entgegengesetzt.      IX.  Nach- 
richten über  den  im  Monat  Mai  1823.  in  Leipzig  bestandenen  (1)  Schaf* 
züchter  Convent  von  M.  S.     Der  Verf.  hat  in  Auftrag  des  Kon.  Baier. 
Staatsministeriums,  der  Finanzen  diesem  Convente  beigewohnt  ,  undf 
giebt  hier  die' Resultate  desselben  ,  die  aber  ausführlicher  in  den  Möge* 
liner  Annalen  und  auch  in  anderen  landwirtschaftlichen  Zeitschriften 
dargestellt  sind.     Merkwürdig  ist  es  ,  hier  zu  erfahren  ,  daf»  Se.  MaJ. 
der  König  von  Baiern  iu  demselben  Jahre  eine  kleine  Electorriheerdd 
aus  der  K.  Sachs,  Schäferei  zu  Lohmen  uud  aus  der  FürstL  Reufs.  zu  Klipp- 
hausen  angekauft  hat,    welche  zur  Veredlung  der  Baierischen  Schafe-' 
reien  wesentlich  beitragen  kann,  wenu  anders  mit  der  nöthigen  Sorgfalt 
und  Sachkenutnifs  die  Zuchtthiere  ausgewühlt  werden  ,  und  in  der  Ver- 
edlung ein  Prinzip  constant  verfolgt  wird.     X    üeber  die  fahrbare  Fut- 
terraufe des  Frh'rri.  v.  Hafenbrädel.     Das  Futter  wird  auf  dem  Felde 
in  die  Raufe  eingeladen,   diese  nach  Hause  geführt,   in  den  Stall  ge- 
schoben ,  und  vom  Vieh  selbst  leer  gemacht,      XI.  Vermischte  Nach- 
richten ,  zum  Theile  commerclellen  Inhaltes,    eine  nicht  vollständige 
landwirtschaftliche  Literatur  von  1823  und  l824>  der  Versuch  eines 
Beweises;    dafs  die  Lehre  von  der  Wechselw.irthschaft  in  Deutschland 
zuerst  von  Baiern  ausgegangen  sey  u.  s.  w. 

Im  Ganzen  müssen  wir  bedauern,  d  ,f<  die  Verf.  der  angeführten 
Aufsätze  —  auch  bei  allgemeinen  Behauptungen^  —  immer  nur  ihre 
nächsten  Umgebungen  vor  Augen  haben,  und  manches  generalisireri , 
was  nur  für  jene  Kreise  von  Baiern  pafst ,  Ui  welchen  sie  leben.  Auer* 
sieht  man  leicht,  dafs  der  rechte  Ernst  und  das  Leben,  welche  ander© 
ökonomische  Zeitschriften  charakterisiren ,  der  hier  angezeigten  fehlen* 


j.  • 


* 


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N.  33.  •   ■<  •  1826. 

„  Heidelberger  , 

Jahrbücher  der  Literatur. 


t.l    *!    I*.    «   •  '  .  «r  '» 


Ueper  einb  Kretische  Kolonie  in  Tlelcn,  die  Gdttin  Europa  und  Kad* 
mos  den  König.  Von  F.  G.  fVelcker)  Professor  in  Bonn. 
Bonn,  bei  A.  Marius,  t824.  64-kr. 

Diese  Abhandlung  hat  der  Verf.  ursprünglich  für  den  der 
Aescbylischen  Trilugie  Prometheus  über  die  Irreh  der  Jo  bei- 
gegebenen Excurs  bestimmt,  spiker  aber  von  demselben  ge- 
trennt (vergl.  Aeschyl.  Trilog.  S.  596.)  und  nun  besonders 
herausgegeben. 

r  ,  Der  Verf.  geht  von  dem  Dienste  der  Europa  in  der  älte- 
sten Kretischen  Hauptstadt  Gortyn  aus,  wo  Europa  mit  dem 
Namen  Hellotis  nach  der  Ansicht  des  Verf.  als  Monds^öttin 
Verehrt  wurde.  Aus  Kreta  zieht  uns  Europa  nach  Böotien 
hinüber,  wo  in  Teumessos  bei  Theben  ihre  Brautböhle  war. 
5L  £i.  Dieses  uralte  Heiligthum  in  Teumessos  ist,  wie  S„22. 
iemerkt  wird,  wichtig,  weil  in  Theben  an  diesen  Dienst  die 
Sagen  von  Kadmos  und  demnächst  ,von  einer  Phönizischen 
Kolonie  sich  angeschlossen  f  und  von  ihm  der  Welttheil  den 
Namen  empfangen  hat.  Kadmos  ist  nichts  als  der  alte  Königs- 
»ame,  von  *aim%  xa^«f  eigentlich  der  Fürst  als  Heerführer, 
hooT^tcu?  Aaa-v.  vS.  23.  Von  diesem  historischen  .Idealnamen 
jKadnos  scheidet  der  Verf.  S.  31.  streng  das  kosmogonische 
Symbol,  denn  auch  im  theologischen  Natursystem  habe  die 
Idee  des  Kc<r/*o;,  in  der  Schule  der  Philosophen  seit  Pytbagoras 
behandelt,  sich  vordem  eine  Person  angebildet,  und  dieser 
Xadmos  werde  als  Hermes  gedeutet  und  den  Tyrrhenern  bei- 

felegt.  Die  Vermuthung  Sey  einfach,  behauptet  nun  der  Vf. 
.,'43,  dafs.  zwischen  dem  Thebischen  und  dem  Kretischen 
Dienste  der  Europa  Verbindung  Statt  gefunden  und  der  Krei 
tische  oder  der. ursprüngliche  gegolten  habe,  oder  vielmehr  es 
.*uch  wirklich  gewesen  sey.  Schon  ehe  denn  Priester  aus  dem 
Minotschen  Knossos  in  Dorischer  Zeit  nach  Krissa  zogen  und 
pol  Ions  Heiligthum  gründeten,  müsse  sich  eine  Knossische 
paar  eine  Gortyn iscbe  Kolonie  gen  Theben  gewandt  haben.  — 
Wenn  man  r.un  im  Thebischen  «inen  im  höhern  Alterthum 

XIX.  Jahrgj.   6.  Heft.  33 


I 


514  Welckorubcr  eine  Kretische  Kolonie.  )  {  # 

s 

berühmten  Cultus  der  Europa  anerkenne,  so  falle  von  selbst 
in  die  Augen ,  w(e  <fer  gebgraphische  Gebranch  des  Namens 
Europa  entstehen  konnte,  5.  4tf.  —  Denke  man  a^ich,  dafs 
Gorcyna,  nachdem  alten  Gebrauch ,  den  Stedten  hieratische 
Zunamen  zu  geben,  seihst  Hellotis  hiefs,  so  sey  sehr  hätur- 
Iich,  dafs  die  Kreter  auch  ihre  Kolonie  in  Theben  Europa 

nannten,  S.  50.  ->*v" 

Bleiben  wir  hier  vorerst  stehen,  so  mufs  uns  sogleich 
auffallen,  mit  welcher  Zufälligkeit  der  Verf.  den  Namen  Eu- 
ropa die  allgemeine  Benennung  des  Welttheils  werden  täfst. 
Der  Verf.  lindet  dies  jedoch  so  wenig  bedenklich,   dafs  wir 
S.  50.  sogar  die  Behauptung  lesen:  ÄWiire  Pytbo  vor  Thebe 
gewesen,  so  würde  der  Welttheil  jetzt  vermuthlich  nach  Py- 
tho  oder  Delphi  benannt  seyn  ,  wie  er  Athenaa  beilsen  würde, 
hätte  Athen  ein  Kretisches  Heiligthurn  gehabt,  oder  wäre  ea 
für  die  Kreter  zu  der  Zeit,  als  sie  das  verbreitetste  und  am 
Meisten  geltende  Griechische  Volk  waren,  der  Hauptort  des 
jetzt  sogenannten  eigentlichen  Hellas  gewesen.«     Eine  solche 
Erklärung  könnte  nur  dann  einige  Wahrscheinlichkeit  haben, 
wenn  sich  kein  inneres  Verhültnifs  zwischen  dem  Namen  und 
dem  mit  demselben  bezeichneten  (gegenständ  nachweisen  Heise. 
Dies  ist  aber,  wie  wir  glauben,  keineswegs  der  Fall.  Der 
Verf.  betrachtet  mit  Unrecht  die  in  Kreta  und  in  Thebü  verz- 
ehrte Europa  nun  als  Mondsgöttin  ,  da  ja,  wie  S.  26.  zwai: 
nicht  unbemerkt  geblieben,  aber  nicht  weiter  beachtet  vvor- 
den  ist,  Demeter  in  der  ebenfalls  Böotischen  Stadt  Lebadea 
mit  dem  Beinamen  Europa  verehrt  wurde.    Sie  sollte  daselbst 
Erzieherin  des  Trophonios  seyn.   Pausan.  IX.  39.     Da  nun 
Demeter  ihrem  Hauptbegriff  nach  die  Erdgffttin  ist  ,  so  mtffsre 
in  der  That  ein  sonderbares  Spiel  des  Zuralls  sich  eingemischt 
haben,  wenn  nicht  der  auf  den  Welttbei^  übergetragene  Narrie 
damit  in  Zusammenhang  stünde.     Als  Erdgöttin  heifst  Demen- 
ter ganz  natürlich  Europa^  d.h.  die  Weithinschauende,  Weit- 
ausgedehnte, oder  auch,  wenn 'wir  «0^01*0;  in  der  Bedeutung 
von  ffxorstvo;  nehmen,  vergl.  S.  26 ,   die1  in  das  Dunhel  der 
Ferne  sich  Verlierende,  in  die  Schatten  der  Unterwelt.  CJebe>r- 
gebende.     Es  ist  wahrscheinlich  ,  dafs  diese  Benennung  "nur 
von  einem  bestimmten  Standpunkte  aiis  entatfftrdeh  ist.  Dar- 
auf leitet  aber  auch  sogleich  die  Natur  der  Sache  von  «c^IBit» 
Demeter  kann  nur  eine  weirauspedehnteV tlur^ch'"  keintf  2TtoHf- 
schen- Meere  unterbrochene  Erdrßlche  genannt  worden  $eyrt, 
welche  ursprünglich  noch  ohne  besondern  Lokalr/amerV  nt/r  irAc 
•iner  unbestimmten  und  allgemeinen  Beri^nnu /töf  bezeichnet: 
und  dadurch  zugleich  einer  bereits  b*siimmteii,kuritf  g^WöVifi- 


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VWIckjr  .  uber  eine  Kretische  Kolonie.  515 

» 

liehen  entgegengesetzt  wurde.  Was  das  Letztere  betrifft,  so 
bemerkt  der  Verf.  selbst  S.  53,  dafs  die  Gegeneinanderstellung 
von  Asien  mit  Europa  nach  der  von  ihm  gegebenen  Erklärung 
des  ersten  geographischen  Gebrauchs  des  Namens  Europa  dun- 
kel bleibe,  weil  zwischen  beiden  Tunkten  kein  Verhültnifs 
bekannt  sey,  kein  Krieg,  noch  auch  ein  bedeutender  Verkehr 
Diese  Schwierigkeit  kann  nur  dadurch  gehoben  werden,  dals 
der  Standpunkt  für  die  erste  Entstehung  des  geographischen 
Namens  Europa  in  diejenige  bedeutende  Lokalität  gesetzt 
wird,  welche  als  der  Europa  entgegengesetzte  bereits  ihre 
eigenthümliche  geographische  Benennung  erhalten  hatte.  Da 

•hihi  diese  keine  andere  als  Asien  seyn  kann,  so  ist  gewifs 
auch  aus  der  ursprünglichen  geographischen  Bedeutung  des 
Namens  Asien  der  ursprünglich  geographische  Gebrauch  des 
Namens  Europa  zu  bestimmen.  Das  älteste  Asien  ist  nach 
Horner  die  Lydische  Landschaft  am  Kayster.  Doch  scheint 
dqr  Name  Asien  schon  in  der  ältesten  Zeit  eine  giöfsere  Län- 
der*Einheit  umfafst  zu  haben.  In  den  Pontischen  und  Kauka- 
sischen Ländern  kommen  so  viele  Spuren  desselben  Namens 
vßf  (man  vergl.  besonders  eine  Hauptstelle  bei  Aesch.  Prom* 

.  41  i;:  .o*oeot  iiroty.o'j  dyvai  Aova;  aSc?  ve'xovrat  i  vom  Prometbeischen 

.  Kaukasus  gesagt) ,  dafs  offenbar  von  diesen  Ländern  aus  der 
ganze  Welttheil  seinen  allgemeinen  Namen  erhalten  hat.  JVtan 
yergh  hierüber  HeyH  Etymologische  Versuche,  Tübing,  1Ö23. 
S.  125.  f.  Die  in  der  genannten  Schrift  ausgeführten  geogra- 
phischen und  historischen  Gründe  machen  uns,  wenn  wir  da- 
mit f>4>ch  die  obige  Bemerkung  verbinden,  dafs  Eutojia  Bei- 

,  na^ne  der  Erdgöttin  Demeter  ist,  den  in  derselben  aufgestell- 
ten Hauptsatz  sehr  wahrscheinlich,  dafs  der  Name  Europa 
durch  die  örtliche  Beschaffenheit  der  vom  Tanais  und  Pontuft 
Eu^inus  nördlich,  nordwestlich  und  westlich  gelegenen  Län- 
der  veranlagst  worden  ist,  da  jene  Länder  sich  in  einer  un- 
übersehbaren Ebene  hinstrecken,  und  eben  dadurch  einen  Ge- 
gensatz geg^n  die  vom  Kaukasus  ausgehenden  bilden,  Welche 
entweder  selbst  bergigt  sind,  ode*  an  einem  Bergabhang  sich 
befinden.  .  Auf  dies<i  Lokalität,  wo  der  Gegensatz  zweier 
, Erdfesten  durch  Meeref  Flüsse  und  Gebirgszüge  so  stark  he* 
zeichnet  ist,  mufs  sich  auch  der  Name  Europa  ursprünglich 
bezogen  haben.  Dafs,  wie  der  Verf.  S.  50«  bemerkt  y  in  dem 
Homerischen  Hymnus  auf  Apollon,  wo  Europa  zum  ersten* 
-mal  deutlich  geographisch  vorkommt,  v.  251«  Europa  .an  def 
Stelle  von  Hellas  dem  Peloponnes  und  den  Inseln  entgegen- 
gesetzt wird,  scheint  uns  kein  Beweis  gegen  die  Annahme 
eines  nördlicheren  Ursprungs  des  Namens  Europa,  da  ja  der 

33  * 


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5!6  Welckcr  über  eiiie  Kretische '"Kolonie 

Verfasser  des  Hymnus  Hellas  nie*  auch  als  Theil  eines  weithin 
nach  Norden  sich  erstreckenden  Continents  dem  Peloponnes 
und  den  Inseln  entgegenstellen  konnte.     In  jedem  Fall  möch- 
ten in  dieser  Stelle  unter  Europa  namentlich  die  v.  216.  sij. 
genannten  nordgriechischen  Landschaften  zu  verstehen  seyn. 
Ehen  so  möchte  auch  die  von  Europos ,  Makedons  Sohn,  ge- 
stiftete Stadt  Europos  in  Makedonien  wenigstens  in  so  fern 
hier  in  Betracht  kommen,   so  fern  sie  ehenfalls  als  ein  Beweis 
dafür  gelten  kann ,  dafs  der  Name  Europa  vorzuglich  im  Nord- 
osten des  Welttheils  zu  Hause  war.     Der  Verf.  glauht  zwar 
S.  55,  dafs  erst  nach  der  Zeit  der  Makedonischen  Gewalt  üher 
Asien  etwa  ein  Schriftsteller  aus  dem  Lande  von  der  Stadt 
Europos  Anlals  nahm  ,   einen  König  Europos  als  Stammvater 
des  VVelttheils  zu  dichten,  in  welchem  jetzo  Makedonien  als 
das  Hauptland  erschien«    Aber  hemerkenswerth  ist  doch,  dafs 
der  Name  Gortynia,  der  in  Kreta  mit  dem  Namen  Europa  ver- 
bunden ist 9  auch  als  Name  einer  Makedonischen  Stadt  ange- 
geben wird  ,  hei  Steph.  Byz.     Die  Behauptung  des  nordöst- 
lichen Ursprungs  des  Namens  Europa  glauben  wir  hier  auch 
noch  durch  eine  andere  Bemerkung  bestätigen  zu  können. 
Europa  hiefs  die  Demeter  in  Lebadea,   wo  sie  die  Amme  des 
unterirdischen  Trophonios  seyn  sollte.     Ebendaselbst  finden 
wir  eine  E^nuva,  die  zwar  eine  Gespielin  der  Kora  ,  der  Toch- 
ter der  Demeter,  genannt  wird  ,  ohne  Zweifel  aber  eigentlich 
nur  eine  andere  Gestalt  der  Demeter- PerSephone  ist.  Als 
Erdgöttin  bezeichnen  die  Herkyna  nehen  Trophonios  die  mit 
Schlangen  umwundenen  Stäbe  der  aufrecht  stehenden  Bildnisse 
in  der  Höhle,   aus  welcher  die  Quellen  des  Flusses  Herkyna 
entspringen.'     Fausanias  sagt  IX.  3i.  von  diesen  ayaXfxara  J 
stsv  5*  ov  TfotpcLwc;  neu  EfKuva.     Ist  es  nun  wohl  hlos  zufällig  , 
dafs  dieser  Name  Herkyna  so  ganz  gleichlautend  mit  dem  Na- 
men des  bekannten,   durch  ganz  Mittel -Europa  Östlich  und 
nördlich  sich  hindurchziehenden  Hercynischen  Waldes  zusam- 
mentrifft ?    Wir  können  in  der  That  nicht  umbin  zu  glauben, 
dafs  der  Name  des  Hercynischen  Waldes  oder  des  Harzwaldes 
den  Namen  und  den  Begriff  der  Erde  enthält,  d.  h.  der  Deme- 
ter,   ^yie  Demeter  Europa  hiefs  in  Hinsicht  des  in  die  dunkle 
Ferne  sich  hinziehenden  Europäischen  Erdstrichs,  so  konnte 
ihr  auch  der  ohne  Zweifel  auch  mit  dem  Lateinischen  orcus  *) 


*)  Dos  Griechische  $^0;  ist  dasselbe  Wort,  Well  der  Schwor  bei 
der  Unterwelt  der  heiligste.  J  Epyu»,  cfxcu»  wovon  man  o£ko{  ge- 
wöhülich  ableitet,  weil  der  Eid  eine  Schranke  sej,  gehört  «war 


Googl 


/ 


Weloker  über  eine  Kretische  Kolpnic  517 

verwandte  und  an  das  Dunkel  der  Unterwelt  erinnernde  Name 
Herkyna  beigelegt  werden.  In  dem  düstern  t)unkel  der  in'i 
Unermeßliche 

ausgedehnten  Wälder  stellte  sieb  auf  dem  Stand« 
punkte  der  von  Osten  nach  Westen  blickenden  Völker  in  einer 
ganz  besonders  grofsariigen  Anschauung  die  gewaltige  Erd- 
göttin dar.  Daher  gieng  der  Name  der  Erde  (altdeutsch  Art, 
Artjr)  aul  die  Harz  Wühler  Ober;  daher  derselbe  Name  in  Ger- 
manien und  Griechenland  ,  ohne  dai's  wir  den  einen  von  dem 
andern  abzuleiten  berechtigt  sind.  Auf  gleiche  Weise  verhält 
es  lieb  mit  dem  Namen  Hermiune,  Demeter  und  Fersepbon? 
heilsen  selbst  so;  s.  Creuzer  Symb.  und  Mytb.  Bd. IV.  S.40. 
Vorzüglich  aber  ist  der  Name  bekannt  als  Name  der  Argeiseben 
Stadl y  in  welcher  Demeter  als'Chthonia 9  als  Güttin  der  Un- 
terwelt, besonders  verehrt  wurde.  Diese  uralte  Stadt  Her« 
inione  sollte  von  Hermion,  einem  Sohne  des  Europs ,  ihren 
tarnen  haben.  Paus.  II.  34-  Also  wiederum  der  Name  Europs 
in  Beziehung  auf  die  Dmeter«  Da  nun  der  Name  und  Cultua 
des  Hermes  im  alten  Germanien  ganz  einheimisch  ist,  da  wir 
dort  einen  Hauptstamm  mit  dem  Namen  Hermionen  finden  j 
,  Tac.  Germ.  C  2,  da  schon  der  Orphische  Argonaut  1136*  eine 
1  Stadt  Hermioneia  im  Sufsersten  Westen  erwähnt 9  welche  die 
gerechtesten  Männer  bewohnen  ,  dem  Hades  eben  so  ver- 
wandt, wie  die  Argeische  Hermione  ,  s.  Creuzer  a.  a.  O,,  so 
ist  wohl  der  Name  der  Demeter  Hermione  eben  so  mit  Ger- 
manien in  Zusammenhang  zu  setzen,  wie  der  Name  der  De* 
jneter  Europa  sich  auf  die  westlichen  Länder  bezieht,  die  vom 
Politischen  Norden  ans  sieb  darstellten.  Es  scheinen  uns  mit 
Einem  Worte  auch  diese  Sagen  und  Namen,  wie  so  vieles  an- 
dere, einer  Zeit  und  Lokalität  anzugehören,  wo  einst  noch, 
,wie  Kitter  (Vorhalle. Europ.  Völkeigescb.  1824«  S,4*9.)  sagt, 
Teutonia  und  Jonia  gesellig  weilten, 

Zusammenstellungen  dieser  Art  werden  in  dem  Grade 
•wahrscheinlicher,  in  welchem  sie  sich  auf  eine  übereinstim- 
mende Weise  auch  weiterhin  verfolgen  lassen.  In  dieser  Hin« 
.sieht  scheint  uns  der  Name  der  alten  Kretischen  Stadt  Gortyn, 
wo  Europa  ihren  Sitz  hatte  ,  noch  besonders  heaebtenswertb. 
X)ai's  auch  in  Makedonien  die  beiden  Namen  Gortynia  und  Eu- 
ropos als  Stüdtenamen  neben  einander  vorkommen,  ist  schon 
bemerkt  wurden.    Aber  auch  in  Arkadien,  dessen  uralter  und 


auch  hierher,  aber  zugleich  in  ciue  andere  Combination  von  Be- 
griffen. Eben  so  ist  auch  das  Ilebr,  yjflg  von  dem  Object  des 
Schwörens  benannt. 


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518 


Wclcker  Ober  eine  Kretische  Kolonie. 


eigentümlicher  Demetercultus  mit  dem  Böotischen  am  iriei- 
»ten  übereinstimmt,  finden  wir  denselben;  Namen.  Nicht  fern 
von  Megalopolis  war  ein  Ort  Gortys,  welcher,  wie  das  be- 
nachbarte Teutbis,  einst  «ine  Stadt  war;  der  Flufs,  der  dureb. 
den  Ort  flofs,  ausgezeichnet  durch  die  Kalte  seines  Wässert 
hiefs  an  seineu  Quellen  Lusios  von  dem  Bart  des  neugeborene! 
Zeus,  ferner  davon  aber  nach  dem  Orte  Gortynios.  /Ä««e» 
pios,  der  mit  Trophonios  so  manches  gemein  hat,  hatte  da- 
selbst einen  Tempel;  und  wahrscheinlich  von  dem  Orte  den 
Beinamen  Gortynios.  Fausan.  VIII.  20.  II.  11.  Am  heröbm- 
testen  ist  das  Fhrygische  Gordium,  und  auch  hier  bleibt  die 
Beziehung  auf  die  Demeter  nicht  aus,  da  Gordius»  d'er  Stifter 
der  Stadt,  in  der  Sage  und  durch  seijien  Wägen  ganzes]« 
Ackermann  bezeichnet  ist.  Noch  unmittelbarer  'sehen  wrr 
dieselbe  Beziehung  inGordys,  dem  Sohne  des  Triptoiemos, 
Welcher  die  Io  aufsuchen  halt',  und  der  Armenischen,  von  Ver- 
zweigungen des  Taurusgebirgs  durchschnittenen  Landschaft 
Gordyäa  (dem  Lande  der  Kurden)  den  Namen  gab';  s,  Stepb. 
Byz,  So  weit  ist  der  Name  verbreitet;  was  aber  die  Verbin- 
dung desselben  mit  der  Demeter  Europa  betrifft',  so  mochten 
wir  ihm  dieselbe  Bedeutung  geben,  welche  in  dem  ältesten 
Asien  das  beilige  Asgard  bat.  Gortys  ist  wie  Gard  das  Orieri- 
talische  Kerta  (die  so  oh  vorkommende  StÜdtebezeicbnung)» 
das  Deutsche  Garten  (hortus),  und  wohl  aueb  mit  dem  Wort 
Erde  selbst  verwandt,  in  Beziehung  auf  die  Erdgöttin  Deme- 
ter Oberall  die  heilige  Statte,  wo  ihr  Cultus  einen  festen  Sitz 
erhalten  hatte.  Jede  Stadt  ist  als  ein  für  sich  abgerundetes 
Ganze  eine  Erde  im  Kleinen,  daher  Gard,  Gordys  Stadt, 
Stätte.  Selbst  der  Gordische  Knoten  in  der  Stadt  des 
Gordius  erhält  dadurch  seine  bestimmtere  Bedeutung,  indem 
ja  die  Erde  aueb  Schicksals-  und  Orakelgottheit  ist,  t|,»to^ 

Dafs  die  geographische  Bedeutung  das  Namens  Europtf 
obgleich  uralten  Ursprungs,  doch  erst  in  beträchtlich  sp^r 
Zeit  in  Gebrauch  kam,  bat  nichts  Befremdliches,  wenn  man 
bedenkt,  dafs  es  sich  mit.  so  vielen  andern  Namen  ganz  aut 
dieselbe  Weise  verbalt.  Der  Name  ist  lange  Zeit  vorbanden, 
ehe  sich  der  bestimmtere  Sprachgebrauch  desselben  fixi^ 
Dieselbe  Erscheinung  zeigt  sich  uns  bei  dem  Namen  As»*1*» 
lind  bei  dem  Namen  Europa  war  die  geographische  Bedeu- 
tung ursprünglich  zu  sehr  mit  der  religiösen  verschmolz» 
als  dafs  jene  sieb  unabhängig  von  dieser  geltend  machen 
konnte.  Der  Sache  nach  aber  stimmt  die  ursprüngliche  Be- 
deutung der  beiden  Namen  Asien  und  Europa  ganz  zusanmie»1 

; 


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Welcker  über  eiup  Kretische  Kglouie.  519 
tafX  fer  gjjwöbnlich^n  Homerischen  Welteintheilung.  t 

,-Pie  Jiier  gemachten  Bemerkungen  beziehen  sich  sehr  ge- 
nau mii  die  Behauptung  des  , Verf. ,  rlafs  die  ii.  Teumessos  Lei 
T Ii eliii  verehrte  Europa  von  einer  alten  Kolonie  -  Verhindung 
zwischen  Kreta  und  Thehä  herzuleiten  sey.  Der  Hauptgrund , 
ä -i t  vv l  leiten  der  Verl',  diese  Behauptung  stützt,  ist  neben  der 
Identität  der  Gottheit  eigentlich  nur  die  Leichtigkeit,  mit 
Vfelcher  unter  dieser  Voraussetzung  die  Entstehung  des  geo- 
graphischen Gebrauchs  des  Namens  Europa  erklärt  werden  zu 
können  scheint.  Da  nun  aber  diese  vielmehr  in  eine  andere 
Lokalität  führt ,  und  keineswegs  nothwendig  von  der  in  Boo» 
tien  v.erehrten  Europa  ursprünglich  herzuleiten  ist^  so  mufs 
nun- auch  dje  Frage,  ol>  die  Böotiscbe  Europa  aus  einer  zwi- 
schen Kreta  und  Thebü bestehenden  Kolonie  -  Verbindung  ab- 
stammt, von  der  Untersuchung  über  den  Ursprung  des  geo- 
graphischen Namens  Europa  ganz  getrennt  werden.  Damit 


Grunde  auch  den  Drallen  Böotiscben  Cultus  der  Demeter  über- 
haupt von  Kreta  herleiten,    wahrend  dagegen  nichts  natür- 
licher seyn  kann,   als  die  in  mehreren  Spuren  und  der  Natur 
der  Sache  nach  nach  Nordgriechenland  hinweisende  Europa  - 
Demeter  auch  unmittelbar  aus  dieser  Lokalität  nach  Böotien 
kommen  zu  lassen.'    Aufsehern  drängt  sieb  uns  dabey,  wenn 
wir  die.  Kretische  Europa  als  die  ursprüngliche  setzen  wollen  , 
die  Frage,  woher  denn  die  Kretische  Europa  selbst  abzuleiten 
Sey ,  so  noth wendig  auf,  däfs  wir  unmöglich  in  Kreta,  einem 
z\it  Voraussetzung  eines  primitiven  Cultus  so  gar  nicht  geeig- 
neten Eilande,  festen  Fufs  fassen  können.     Eben  so  wenig 
aber  ist  nach  unserer  Ansicht  die  Kretische  Europa- Demeter 
auf  die  Böotische  zurückzuführen  ,  vielmehr  gehört  wohl  die 
Identitüt  des  Cultus  der  Europa- Demeter  in  Kreta  und  Böo- 
tien und  andern  Orten  überhaupt  derjenigen  Periode  an,  in 
Welche  die  älteste  Ausbreitung  des  Griechischen  Volksstammes 
zu  setzen  ist.    Ist  diese,  wie  nach  Allem  wahrscheinlich  wird, 
von  Norden  aus  geschehen,  so  ist  Kreta  zwar  allerdings  einer 
der  entferntesten  Tunkte,  aher  demungeachtet  zugleich  einer 
derjenigen,   in  welchen  die  Nation  unter  mancherlei  Uufseren 
Begünstigungen  frühzeitig  sich  zu  einem  bedeutenderen  Grade 
der  religiösen  und  politischen  Culttir  erhoben  hat,  als  anders- 
wo und  namentlich  auf  dem  Griechischen  Continent.     Es  ist 
dieselbe  Erscheinung,  die  uns  Delos  in  Hins  cht  des  Cultus 


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520  W<rlckcr  Über  eine  Kretische  Kolonie. 

*  *  •  ♦  ■ 

des  ApoDon  zeigt,  obgleich  gerade  der  Delische  Apollon  der 
Hyperboreifche  heilst.  Solche  äufserste  Funkte  eiber  grofsen 
Völkerbewegung  treten  in  der  ältesten  Zeit  nur  in  einem  be- 
sonders hellen  Lichte  hervor,  ohne  dal's  wir  deswegen'  jene 
Bewegung  von  ihnen  selbst  ausgehen  zu  lassen  berechtigt  sind. 
Sehr  ha*uüg  ist,  was  man  gewöhnlich  nur  als  eine  Folge  spä* 
terer  Kolonien  -  Aussendung  betrachtet  (wie  z.  B.  in  Hinsicht 
Kreta'*  zur  Zeit  der  sogenannten  Minoi sehen  Thalassokratie)  , 
eine  aus  der  Zeit  der  ältesten  Völkerwanderung  herstammende 
Identität  der  Sitte  und  des  Cultüs,  ja  die  Späteren  Kolonien 
selbst  scheinen,  nach  mehreren  Beispielen  zu  schliefsen ,  so 
oft  nur  die  durch  die  ältesten  Züge  bereits  vorgezeichnete 
Bahn  auf's  neue  verfolgt  zu  haben»  Nicht  ohne  solchen  Grund 
scheint  z.  B.  Kreta  in  einem  besonders  lebhaften  Verkehr  mit 
den  Kleinasiatischen  Küstenländern  gestanden  zu  seyn ,  Ko- 
rinth  seine  Kolonien  vorzüglich  in  den  Westen  Griechenlands 
gesendet  zu  haben. 

In  den  Zusammenhang  dieser  Sätze  möchte  wohl  auch  der 
Beiname  Hellotis  gehören  ,  welchen  die  Europa  in  dem  Kri- 
tischen Gortyn  eben  so  hatte,  wie  die  Athene  in  Korinth. 
Der  Verf.  stellt  S.  11.  den  Namen  mit  den  Formen".**,, 
'EXXij  zusammen,  und  ist  geneigt,  ihn  als  Bezeichnung  einer 
Lichtgqttheit  zu  erklären,  glaubt  dann  aber  doch ,  ihn  wegen 
der  Form  'Ekkwrts,  die  sich  derselben  Allleitung  nicht  füge, 
eher  von  fiXw,  «  At«,  gAAcu  ableiten  zu  müssen.,  Schon  diese 
Ambiguität  empfiehlt  keine  der  beiden  Erklärungen.  Wir 
glauben  den  Namen  vielmehr,  mit  Rücksicht  auf  die  DodonHi- 
sehe  Hellopia  (vergl.  S.  29  )  ,  und  das  hohe  Alterthum  der 
,  Orte,  in  welchen  der  Name  vorkommt,  als  Bezeichnung  der 
ältesten. Hellenensitz«  nehmen  zu  müssen.  Ist  Europa -I>e- 
meter  die  in  die  weite  Ferne  ausgedehnte  Erdgöttin  des  Welt- 
theils,  so  ist  die  Europa-Demeter  mit  dem  Beinamen  Hellotis 
die  in  einer  bestimmten  Lokalität  fixirte  Hellenische  Europa* 
Demeter. 

'  Der  Mythus  von  der  Europa  hängt  mit  dem  Mythüs  von 
Kadmos  zusammen.  Wie  der  Verf.  den  Kadraos  historisch 
und  kosmogonisch  nimmt,  ist  schon  bemerkt  worden,  per 
kosmogonische  Kadmos  hat  in  Samothrake  auch  ein  Weib 
gleichen  Begriffes  an  sich,  herangezogen  ,  Harmonia.  8.  35. 
Harmonia  aber  finden  wir  aber  auch  dem  Thebischen  Kadmos 
vermählt.  S.  37.  Darüber  bemerkt  nun  der  Vf.  S.  38.  »Wenn 
man  nicht  anstehn  wird,  den  Thebischen  Kadmos  früher  als 
den  Samothiakischen,  oder  den  historisch  -  mythischen  für  die 
Veranlassung  zu  dem  theologisch -  symbolischen  zu  halteri,  so 


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f  r  vMAil    wZ^w»    WHv   iMBUfBlll  Äwwn^*«a 


521 


folgt  daraus  mk  aller  Wahrscheinlichkeit,  dafs  auch  Harmonia 

*äetttds  weltliche  Ordnung  sey  gefäist'urid  nach  Samothrak* 
übergetragen  worden,  dafc,  Harmonia ,  die  Tochter  dee  Tbe» 
tischten  Are«,  früher  eeyvals  Harmonie*  der  Elektra  Tochter, 
ihSamothrake,  wo  man  ,  wie  Dtodor  48.)  «agt,  der  Hei*, 
fetten  Mythologie  i  die  ihr  Area  «um  Vater  gebe,  nicht  au* 
Die  Contequehz  dieser  Behauptung  ist  H  der  That 
Glicht  zu  begreifen ,  wenn  man  nicht  im  Allgemeinen  dieEu* 
hemeristische  Ansicht,;  nach  welcher  zu  dem  ursprünglich 
Menschlichen  das  Göttliche  erst  mit  der  Zeit  hinzttgehommen 
ist,  für  die  Uberall  richtige  hält.  Denn  dafs  das  Wort 
<«v,  J^crr««  auch  das  Geschäft  eines  bürgerlichen  Kosmos, 
.  wekbea  dem  König  mit  zukommt,  ausdrückt  ,  dafs  eben  daher 
auch  der  Amtsname  der  Harmosten  kommt,  beweist  an  sich 
eben  so  Wenig,  ah  der  Amtsname  der  Kosmbi  in  Ere^a  in 
Bearehöng aufden  Kadmos,  und  die  Annahme,  daf*  die  Poesie 
von  Kadmos  die  Philosophen  auf  die  erhabene  Idee  desKosinoe 
im  Weltall  geleitet,  nicht  anders,  wie  sie  das  Bild  eine* 
Weltheerdes  aus  der  häuslichen  Wohnung«  entlehnt  haben, 
S.  39,  läfst  völlig  unerklärt  *  wie  man  gerade  dazu  k,am,  den 
Kadmos,  als  Hermes  gedeutet,  den  Tyrrhertern  beizulegen, 
5.  3it  und  wie  schon  der  alte  Dichter  Pisander  aus  Kbodoe 
-um  die  32.  Ol.  diesen  Hermes  -  Kadmos  bezeugen  kann.  Wie 
Ideen,  die  zuerst  von  Philosophen  aufgestellt  wurden,  in  den 
mythischen  Volksglanben  sollen  tibergegangen  seyn,  ist  an  sich 
undenkbar,  und  im  Einzelnen  nirgends  bestimmt  nachzuwei> 
sen',  dagegen  eine  nothwendige  Annahme,  dafs  der  eigent* 
liehen  Philosophie  eine  Philosophie  des  Mythus  von  nicht 
thinder  hoher  Bedeutung  vorausgegangen  ist.  Ein  Beispiel 
hiervon  ist  der  Mythus  von  Kadmos,  in  welchen,  als  Ganzen 
betrachtet,  nur  dann  Einheit  und  Zusammenhang  kommt* 
wenn  wir  der  Deutung  desselben  nicht  eine  historische  ThaU 
sache,  sondern  eine  philosophische  Idee  zu  Grunde  legen. 
Kadmos  und  Harmonia  bezeichnen  den  Weltseist  als  zeugen- 
des Princip  (welches  der  eigentliche  und  älteste  Begriff  den 
Hermes  ,  und  zwar  nicht  blos  bei  den  Griechen  ist),  dem  ge- 
wordenen harmonisch  gestalteten  Weltganzen  gegenüber. 
Nach  der  Samothrakischen  Lehre  ist  Harmonia  die  Tochter  de» 
.Zeus  und  der  Elektra,  welches  Paar  nur  eine  Modification  dea 
zuerst  genannten  Paares  ist.  Zeus  als  der  höchste  Gott  ist 
auch  der  Erzeuger  der  Welt.  Elektra  ,  wie  der  Verf.  S.  36. 
deutet,  die  immer  Wache,  nicht  zu  Bett  gehende,  durch  die 
Nacht  wan  deliule,  oder  vielleicht  richtiger  die  Glänzende, 
nach  der  Bedeutung  von  ^akt^v'  und  der  Benennung  der  Sonne 


62$  Welokqr .  01**  eitfe  Kret*Kfce  Kotohle. 

i 

me  auch  (ü<j(,Giän»«bd9tl>tKl)e»|t<n)^k,i*i^l<skh,  •a^Im^!' 
A¥*kg<i|tiiT,  aU  Üyln^»cWn*öi  *4l*m,i>u«M:  4^  Na<*|iM'l 

In*Tneba  sollte. di^lb«  a«ife4Wii>tK>#  d^mOii^U^öP»^ 
Tdcbte«wd*a  ArejA^b^idcr  M«".i*it:d*firApb*ml;m  «eraeugt^ 
4tecbfttr  •<*«••  A*»i*/  s«öt  id«r  tV.«f fc  6ä  4£>*, ,  » 
Apoaiont{  (Vi)  .<de*  tc«t^4tonrHe  feaü  (/i^fciJSidicUÄrflöinw»*^ 
%md  «ler  Erdmi)  (U.bi  /JHi»J  wwpbribrtfatt  $tß\n«^  >mi*  ^ 
tier  WVphrödila*  di#..tfbeogtortie-.$0nU;$7i*)  *rg*ir  W1..*1 
( i  ö  l  t ,  n  4o iif  As Im!»*  /Mticl  K,Ui  ort i  Irfiv  ei  m». &  Ile^ori e, de *  Scböa- 
feeit  U.nd  4er  l^ebt?  y2»fiVJM>d<rlt,l5f»v.«o^ro  T.brak*sbsa 
Welcbe  fite  i*w*er.  fe*  GOtb*C!Y^r/einril^a{X)ly«ip#  <g*>« 

Maeboiujtfto  uoidi  i^UfptiUe  >J4iA,WI|if^hft0den  Wden ,  und 
©iobter,  W  <w-a*cb.  allein;  Reiche  ..die.  Tlfoan}aMu»6 

gegeben,  -<i*fs  in -Tbeben/  so,'*«« JJarinönia  .  (des,K*d«uö*) 
Göttin  &ena»ftt%  «o>  ibr^r  Mm ter;i Aphrodite  Vereisung  S*" 
s*ei]M,.war,  h  VMar.u.fi  solide  Zufall  und  VyLll^übr  au- 

genommen  W^flft^^iÄÜlhi e^UnjMreilija^^jue^Uanä  mcht 

Aphrodite 

sehen  Sinti  ,    „,iv.  ..1Uk  <ltJLn  ^'^111.11^  -   ' 

weibliche*  We*en$  tÄt  Are«  ;imm  deivG^t  4*s  «f*6«  f d 
der  Schlachten  ?  Mao  erwäge  doch*  uW.vor  deun  Serbischen 
*Arks.  Herod.  I;V/.  62  ..ide<n  AltiömiSchen  Mar*,,  mcb«  werter 
feu;täg«n<,  /nur  tlen  bedeutungsvollen .,  Hojtifj-isfhen  tylyibM» 
Odyss.  VIII^26ß.  .von  der  geheimen  kiebe de*.***  uwd  der 
Aphrodite«  ündrdio  uozwe>felbafte  Etyinplogie  de*  Naiaeni 
AT^$.»elb»t.  Wi«  die  genaanten>Pa*r^ 
rtia^-Zeu*  und  Ekktra  das' 25e^nde;  \YeU|nii<cip;,  und  diftfl** 
W.rdene,  schön  georrdn«tef;  wirklich*  Weit  darstellei^  pd^j 
ungemeiner  ausdrückt  ,>  Geist- undNutu*,  das  Ideöje  und 
das  Reale  ,  sso  ist  es  wiederum  nur;  eine,  andere  Modifikation, 
wen«  nun  dieselben  Begriffe' in  Ares  und  Apu.rQdite^s  miino- 
Irche*  und  weiblicl»es,l>rincipJaH%efaCs^  werden.  Dil»  W 
'kann  dem  Idealen- ge-gen  üb  er  nur  das  Untergeordneter  >  Ablw"- 
gige  -seyn  ,  die  Natur  als  -Gewordenes  im  Verhältnils  z,l,n 
Geist  als  Princip  der  Tbiitigkeit. .  Es  ist  derselbe  ..dureb  d* 
«rythische  fcHd  der  Eue  d.argf*telh«.  dynamische  oder  k6$m* 
g<£niscbe  Gegensatz.,  der  auf  dieselbe*  Weise  Ufrter  verschiede- 
ii«u- Formen  sowobLin  der  Master  »enlehre  ,  ,al*  in -dcr-Mfc?1 


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WelcVer  fiöer  eine  Km  tische  ftifeiii*  623 

.**  •  ■ 

YOti  «teil  Kabiren  wiederkehrt  ,  u  nd  wi  e  m Olsten  den  Geiat d*r 

eben  ?in solcher  Mannigfaltigkeit  der- Bilder  und  Formen  sich 
gefallenden  alten  Symbolik  und  Mythologie  ganz  i  verkenr/eni^ 
Wehn' Wir  sogleich  als  eine  reelle  Ditferenz  an  sehen  WO üt«J& 
wate  sich  sd  leicht  auf:  die  natürlichen  Modiiicaüonen  eines  aU? 
geixwVihen7B\>gri'Ö8  zurüjckhsingeir  lii&t«  •  • -fu  '  »'  c  »Vi' 

JVfit-dies  n  V  oraussetzungen- lassen  «ich  auch  Jiöiübrigtn 
den  KadiiH.is  fretreiff-nde  n  Mythen  in  eititrfeso  iwigezwungene 
Uebereinstimmung  bringen  ,  -  data  sie  «tl^ft  dadurch  ötfvaö 
mehr  bestätigt  werden.  Da«  Bekannteste f.  wi< >de*: <;ewühu- 
liehe  Mythus  Von  Kadmos  erfühlt,  ist,  dals  er  aiigEgesapdf: 
worden  sey  ,  die  J;.uiüp,i  von  i^  nid  7,u  Lüm1  au  suchen.  Der 
Verfi  Weilt  S.  67;  ein  gleiches  Suchen»  als^einen  imtdesr.  JaU»  , 
res  rasten  mehrerer  Göttinnen  vei  im  nde  neu  G  ehr  au  cht  Jiach  , 
und  hemei  Ja  dabei  eben  so  ti  eilend  8.  h'J  :  „  Da  r; ur die  heilige 
JEhe der -in  denNatur  zeugenden  Gottheit;  Sonst  die  wukücheii 
Hochzeitgel)i äuthe  in  aller  Einfalt  übergetragen  sind  , .  soi  i*t  > 
EÜm  weiteren  Verständnifs1  noch  dieses  zu^wiss^ii/  'dafs  jier 
scheinbare  Kaub  der  Braut  ein  wirklicher  alter  Hjeirat-hage** 
J  i.üh'i  war  (in  Sparta  ,  Kreta  ,  ^owii^  Was  aber  d*n;  16**r 
•Ämmerthang  dieses  Mythus  mit  KadiWä^toetriiFt ,  so  istdut Mjb^r 
die  Meinung  des  Verf.  S.  70-,  folgende*:  „  Wenn  an  der  Jfcbres- 
hoebzeit  der  Europa  die  vei -schwundtme  Braut  gesucht  würdig» 
so  giengen  wahrscheinlich  der  König  uücl  die  Peinigen  voraus 
und  man  konnte  die  Ceremonie-  in  der  Sage  leich*  durch  «nVji.  'f 
Ausdruck  bezeichnen  ,  •  der  Kadmos  sucht  h^rerEuropa.  AI*er 
mit  diesem  Zug  der  Tbebi  sehen  Sage  hat  sieb,  wi4  es  scheint, 
eine  andere  an  sioh  bestehende,  unter  allerlei  Gestakdn  .Vvia- 
derkehrer.de  VolksmUhre,  die  Stadt  steht  da,  wo  die  Kuh  den 
ersten  König  hingeleitet  hat,  verschlungen ,  und  so  jen*^«- 
kannte  ErSäblung  sich  gestaltet.«  Als  besonders  be<b*utsflfcn> 
Züge  stellen  sich  nach  unserer  Ansicht  vor  AHerti;  folge  njgp 
dar  :  1)  An  die  Stelle  der  Europa  tritt"dfe  Kuh,  wfrlcber>aU 
Fahrerin  Kadmos  ebenso  folgt,  wie  er  zuvor  der .Sp*trad*r 
'EuropaY  na'chgieng.  2)  Es  scheint  nichts  natürlicher  zu  s*yn, 
als  diese  Kuh,  welcher  Kadmos  folgt ,  mit  dar ^  Stierge>täje 
zusammen  zu  stellen,  in  welcher  £eus  die  Europa  entführt.  ... 

Die  Entführung  der  Europa  bat  der  Sache  nach  .dieselft«  , 
Bedeutung,'  wie  wenn  Kadmos  die  Europa  sucht.  >Waa  d£r 
Mythus  als  historisclie  Folge  darstellt,  ist  neben  einander  be- 
stehende Verschiedenheit  des  symbolischen  Ausdrucks.  Hal- 
ten wir  zuerst  dies  letztere  fest,  so  lülst  sich  der  Meinung 
des  Verf.,  Kadmos  suche  nur  darum  die  Europa,  weil  au  dein 
jährlichen  Festgehrauch  der  König,  welchen  der  Idealname 

0 

I 


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I 


Kadmos  bezeichnet,  voraugiang *niin  bedenk  lieb  die  Behaup- 
tung entgegenstellen,  das  Verhältnis  des  Zeus  zu  Europa  sey 
gao*  dasselbe  mit  dem  Verbal  tnift  de«  Kadmos  zu  Europa. 
Aadmos  ist  mi  die  Stelle  des  Zeus  gesetzt,  weil  Kad mos  nach 
»icheren  Zeugnissen  alt  Hermes  der  z  engende  Naturgott  ist, 
i-uropa  ist  mit  Kadmos  verbunden,  wie  ihm  nicht  blea  die 


>nia,  sondern  auch  die  Elektra  oder  aucb  die  Telepbae, 
^Telephassa  nur  Gattin « gegeben  wird.  S.  41.  Es  ist  dasselbe 
Verhflltnifs  der  Begritfe,  wie  das  zuvor  angegebene,  nur  mit 
einer  Modifikation,  durch  welche  nun,  wenn  wir  den  obiges 
Satz ,  dais  Europa  eigentlich  Demeter  ist,  noch  bi  an  u  nehmen, 
die  Samothrafciscbe  und  Thebäiscbe  JLefare  dem  Mysterien- 
tlogma  ton  der  Ehe  de«  Zeus  mit  Demeter  -  Pereephone  naher 
gebracht  wird.  )  Der  Verf.  erinnert  selbst  an  die  ältestefynv 
Jjohk j   nach  welcher  die  Demeter  des  Kofsposeidon  Pier4a. 

Leto  mit  dem  Zeus  O^ug  Wachtelgestalt  bat.  S„72. 
Auf  dieselbe  Weise  nun,  glauben  wir,  .ist  der  Demeter -Eu- 
ropa in  Kubgeataln  der  raubende  Stiergott  Zeus  beigesellt.  <Da- 
iier  sodann  aucb  die  übrige  Uebereinstimmnng  der  Sage,  wia 
-Sil.  B  von  der  Täuschiliig  durch  duftende  Blumen,  wie  bei'* 
.Kaub«  der  Kora  ;  verge^S.  3.     Um  so  mehr  müssen  wir  uns 
-wundern ,  d»fa  dem  Verf.  S.  72.  die  Führ  er  in  des  Kadmes  nicht 
«ursprünglich  au  ihm  und  zu  der  gesachten  Europa  zu  geba- 
ren, sondern  erst  mit  dem  Namen  der  später  eingewanderten 
IBöotier  gekommen  und  dann,  mit  dem  üebrigen  verschmolzen 
•worden  zu  seyn  ach  eint.    Es  gebe  nämlich  eine  Art  pheneti- 
«Jcher  Symbole  der  Städte  und  Gebiete,  wonach  ein  mit  ibnsn 
gleichlautendes  Thier  oder  Pflanze  gleichsam  ihr  Wappen  sb- 
gibt,  wie  man  z.B.  um  A«A$oi  zu  deuten  ♦  »agte,  in  Gestalt 
eines  ««A^  habe  Apollon  die  Kreter  nach  Pytho  geführt.  Al- 
lein Wehe  sogenannte  phonetische  Symbole  sind  wohl  seilen 
M*  blos  phonetische  und  so  zufällig  entstanden  ,  als  es  bei'm 
ersten  Anblick  scheinen  könnte,  und  in  keinem  Fall  da  ansu- 
jiehmen,  wo  uns  andere  Gründe  einen  ganz  andern  Zuaam- 
jnenhang  aeigen ,  als  den  zufälligen  des  Lauts.     Selbst  d-«n 
Jüelphm,  dessen  Gestalt  Apollon  annimmt,  möchten  wir  niefat 
<Ue Deutung  geben,-  die  der  Verf.  ihm  gibt,  sondern  in  engere 
Beziehung  zu  de  m  dem  Poseidon  auch  sonst  verwandten  ipol- 
Jon  setzen  *).    ,Eben  so  beruht  es  auf  einem  eigentbümlicheo 

•  ......  9 

■  ■  .  ■  .  "       1  ■i- 

*>  Apollon  ist  d  er  Delphiniselie ,  wie  Poseidon  Nepiunus  ist  (von 
nepos,  vsTolefr,   d.  h.,der  GoU  der  Sprößlinge,   alles  dessen 
was  lebt  und  si  ch  regt.    Eben  so  5SA$,;  verwandt  itrft  *«• 


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Nuturkegriff,  wenn  Zeus  als  Wachtel  die  Lttoiden  sjeugt. 

Vgl.  dt»  Unterzeichneten  Symbv  und  MyJthol.  ©der  die  Natur - 
relig.  det  Altertb.  Th.  IL  AUbfciJ.  J.  S.  21Ö.  Daher  Rauben 
wir  nun  auch,  dafs. die Kub:,  welcher  Kadmos  folgt,  nicht  blo» 
dem  Namen  der  Böotier  ihr  Daseym  verdankt,  sondern  von 
Anfang  an  da«  Symbol  der  Europa  *  Demeter  war.  Eine  Be- 
stätigung dafür  scheint  uns  auch  dies  zu  seyn,  dafs  der  My- 
thus diese  Kuh  nach  der  Gründung,  der  Kadmeia  der  Athene 
geopfert  werden  läfst^  Diese  Athene  ist,  wie  in  andern  dpr 
ältesten  Mythen,  so  auch  in  diesem  ohne  Zweifel  der  Demeter 
sehr  nahe  verwandt.  In  den  Orakelversen  des  alten  Diebtort 
bei  Schol.  Eurip.  Tboen.  64t»  wird  statt  der  Athene  die  Güt- 
tin, welcher  die  Kuh  geopfert  werden  soll,  die« Erde  genannt; 
vergl.  S.  7/d  Es  ist  jene  Athene,  welche  in  Atli.-n  eben  rfo 
den  Kid  -  und  Ackermann  Erecbtbeus  aus  ihrem  Tempel  her- 
vorgehen läTst,  Iliad.  II,  547  ,  wie  Demeter-Europa  in  Leba- 
dea  die  Amme  des  Trophonios  ist,  oder  jene  Athene,  die  in 
Korintb  denselben  Beinamen  Hellotis  gehabt  haben  soll,  wel- 
chen in  Gortyh  die  Europa  hatte,  ein  neuer  Beweis,  wie  da» 
Getrennte  und  Auseinanderliegende  immer  auch  auf  Merkmal*» 
der  ursprünglichen  Identität  zurückführt. 

Einer  der  wichtigsten  Züge  der  Kadmossage  ist  die  Satt 
der  Drachenzähne.  Nach  der  Meinung  des  Verf.  sind  di«  fünf 
erdgebor enen  Drachen subue  Urgeschlechter ,  Eupatjriden,  wel- 
che sich  gewöhnlich  für  Autochthonen  ausgaben,  wahrschein- 
lich fünf  bevorrechtete  Familien,  welche  durch  die  Abstam- 
mung von  dem  Erddrachen  ihre  unbestrittene  Legitimität^ 
durch  die  Zähne  desselben  ihre  eigene  Wahrhaftigkeit  aus- 
drückten« Und  dies  scheine  das  Einzige,  was  sich  bei  dieser 
Saat  im  Sinne  einer  rohen  Tropensprache  mit  Wahrscheinlich i- 
keit  denken  lasse,  Männer  wie  Drachenzähne,  darum  erwacli- 
ten  aus  Drachen zähnen,  weswegen  auch  ihrer  zuerst  viele  ge- 
wesen seyn  sollen.  S.  78«  -  Wir  geben  gerne  zu,  dafs  die  fünf 
Drachen  zahne  fünf  Autochthonen  -  Familien  bezeichnen,  daj.1l 
aber  ihre  Herkunft  von  den  gesäeten  Zähnen  des  Drachen  nur 
•in  symbolischer  Ausdruck  für  ihre  Wahrhaftigkeit  seyn  soll I, 
können  wir  nimmermehr  glauben ,  weil  dabei  eine  gar  zu  vag  e 
Beziehung  »wischen  Bild  und  Sache  angenommen  werden 


Barmutter)  und  elfj  die  Wurzel  so  vieler  Tlnernsmen  ,  auch  des 
Wortes  a&tkfyo;*     So,  wenig  scheint  uns  des  Verf.  Ableitung  des 
i  Namem  AsAJpoi  Ton  TyXztyosf  TiA<J>s*wi  u.  s.  w.  S.46<  die  ein- 
zig titlttige  su  seyn« 

\ 

i 


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Weleker  über  eine  Kretische  Xolome. 


• 

Atlfiee;  wte  sie  von  dem  symbolischen  Sinne  de* AHertnums 
nicht  zu  erwarten  ist.     Und  in  der  That  iöonen  wir  auch 
flb*r  die  Bedeutung  des  bildlichen  Ausdrucks  nicht  lange  zwei, 
fethaft  seyn.     Festzuhalten  isr dabei  nur,  was  keinen  Zwei- 
fel'zdäfst,  dafs  Kadmos  Hermes  ist,  d.  h.  das  zeugende. Welt, 
und  Erdprinctp-,   von  welchem  daher  auch  alles  Naturleben, 
idle  Fruchtbarkeit,  aller  Jabresseegen  kommt ,  daber  ist  Eu- 
ropa mit  ihm  verbunden,    wie  mit  unbedeutenden  Modifica- 
tionen  in  Lebadea  Demeter  mit  Trophonios.     Ares  (welchen 
der  Verf.  S.  ^6/  ohne  Grund  von  Karischen  Urbewohnern  her- 
leitet), der  Vater  des  Drachen,   ist  auch  hier  nicht  der  Gott 
des  Kriegs  im  gewöhnlichen  Sinn,  sondern  wie  Kadmos-Her- 
mr>9,   dem  Obigen  zufolge ,  das  männliche  Erdprincip;  die 
Mutter  des  Drachen  Telephassa  oder  Tilphosa  (nach  dem  Verf. 
*e;ine  andere  Form  der  Europa)   mit  dem  Beinamen  Erinnys 
trifft  sicher  nicht  blos  zufallig.,  wie  der  Verf.  S.  79. 
5 VlOiler  Orchom.  S.  122.  behauptet,  mit' der  Arkadischen  De- 
ineter-Erinnys,  die  dem  Poseidon  zörnt  in  Thelpusa  oder  Til- 
jphosa,  zusammen.     Der  Begriff  der  Demeter,  die  bald  die 
Naturgöttin  überhaupt  ist,  bald  die  Göttin  der  finstern  Tiefe, 
gleicht  diese  zuinende,  furchtbare  Göttin  mit  der  Aphrodite 
aus ,   die  nach  einer  andern  Sage  gerade  in  Tbebä  mit  Ares 
verbunden  ist.     Der  die  Quelle  des  Ares  hütende  Drache  ist, 
wi^  eben  aus  diesem  Zuge  zu  sehen  ist,  eben  so  wie  der  Del. 
phische*;  welcher  Pytho  bewacht  ,  oder  wie  jener  in  den  Gäs- 
ten der  Hesperiden,  ein  Symbol  der  Localität ,  auf  welche 
sich  diese  uralten' Sagen  beziehen,  dann  aber  wohl  auch  als 
iSobn  des  Ares  und  der  Telephassa  die  Erde  überhaupt.  Was 
nun  aber  die  Saat  der  Drachenzähne  selbst  betrifft,  so  scheinen 
s/.ie  uns,  wenn  wir  die  Bedeutung  aller  damit  zusammenhän- 
spenden  Wesen  und.  den  ganzen  Hergang- der  seltsamen  Kriegs« 
■  s  cene  bedenken  ,    und  be£  onders  auch  die  bedeutsamen  Aus- 
drucke damit  zusammenhalten/  welcher  sich  Euripides  in 
x  nehreren  Stellen  bedient,    in  denen  er  von  diesen  Exoire  re- 
^  lej  ,  wenn  er«  sie  bald  ytfV70Vl^*fc  endt^i  '  ^ald  yyyws;  St^o;  u.  s. 
^T.  nennt  (Pbo«n.  937.  BaccU.  245.  976.  1267.),  von  nichts 
Minderem  verstanden  werd«  n  zu  können,  als  von  den  Halmen 
der  Fruchtfelder,  welche,  wie  auch  die  Zähne,  aus  welchen 
s.ie  hervorwnchsen ,    in  P.ei'je  und  Glied  einem  Krieg9heere 
gl  eich  im  Felde  stehen,  u  nd  wie  sie  aufwachsen  und  erstehen, 
<eben  so  auch  niedergemä  ht  und  gefällt  werden-,  ein  Bild  des 
JVlenscheri leben s ,  in  welchem .  ein  Geschlecht  auf  das  andere 
folgt,  das  eine  das  ande.e  gleichsam  feindlich  verdrängt,  ohne 
dais  jedoch  die  stete  Sw  ;cession  je  ein  Ende  nimmt ,  weswegen 


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» 

Wf Icker  über  eine  KwNw  Kolonie.  627 

* 

eben  VC** -den  sich  gegenseitig  aufre  ibeftde  n  Ge wa&nitmty  «Uh 

Ybtytttf  wenigsten^  ei ni^gB'ttbri-g 'bleiben  müssen.     Das  Natur- 
Itiierv  im  Grollen,  das  agrarische  im  Verlauf  jedes  Jahres ,  und 
das* Menschenleben  sind  hier  r  wie  auch  sonst ,  namentlich  in 
dein   Eleusinischen   Mythus   von   der   Demeter  ,     die   Ideen , 
welch«  so  innig  in  einander  eingreifen  ,    dais  das  eine  immer 
entweder  das  Vorbild  oder  das  Abbild  des  andern  ist,   wie  es 
überhaupt  das  organische-  lieben  des  Mythus  mit  sich  bringt , 
»ich  vo^n^BiM  zU  üild  zu  reftectiren. J  >       '  n  ti%.      , biOlA  vA 
Auf  die  Erlegung  des  Drachen  läfst  die  Sage  das'  grosse 
Dienstjahr  folgen  ,  welches  Kadmos  dem«  wegen  der  Todtung 
des  Drachen  ,  Seines  Sohnes  ,  erzürnten  Ares  dient  ,   wie  nacu, 
der  Delphischen  Sage  Apöllon  nach  der  Erlegung  des  Drachen 
ei«  grofses  Jahr  bei  Admetos  dienen  mufsi     Der,  Verfe»)£i%$ 
hierüber  keine  bestimmtere  Erklärung?.  >»Er nimmt  81  i?^;^ An* 
merk.  176.  da«  grofse  Dienstjahf  "des  Kadmos  arW'Bufisa »Ufr 
Sühnung  der  Blutschuld,  welche  er  durch  Ausrc*tftt»n£  der^aur 
zen  Einwohnerschaft  auf-sich  geladen,  glaubt  d^nn-aber^ allein 
das  JüngUngsopfer ,  iWekhes 1  in  der  Sage  von  den  Ziehen/  ge- 
gen Thebä  der  alte  Drache  heischt,  verrathe  uns ,  cfafs  aus  der 
Kadmossage  nur  die  Legende  oder  m^thi»che>  Her  leiten  g  für 
einen  furchtbaren  Gebrauch,    die  Versöhnung-  des  'Difa'clÄu  im 
Heiligthum-,  welcher  bei  öffentlicher  Notk  ab  deren  TJrbebik 
betrachtet  wurde  j  hergenommen  war-,  und  dal«  Ghc*da*l~>i«nsfc. 
jähr  des  Kadmos  auch  eine  ganz  andere  Beziehung  gehabt  ha- 
ben könne.    Die  Uebereinstirnrnän/r  der  Thebüischen  uft(/  Del- 
phischen Sage  über  die-Tödturig  des  Drachen  rst»föf  d^e  Dets- 
tung  dieses  iVTytbus  höebst  wichtig,  und ■* vor  Allem  be* «chteni- 
werth  das  ewige  Jahr,  welches  Kadmos -dienen  mufsttt ,  <wi» 
Apollodor.  III.  4.  1.  ausdrücklich  sagt!  Kd^o;  fo\x*nr*>\ 
dttto»  svtayrov  '  «9qrsvsy  A?sc*'  »jv  8s  o  svtavrof  rofe  oxtco  ery.   f  Oiestfs 
achtjährige  Jahr  ist  die  Pythische  Enneateris  ,  aufweiche  iieue- 
stens-  K.  Ö.  Möller  Gesch.  der  Dorier  (Tb;  I^Svsfltf.  '  2315- 
242.  437.  und  a.  a.  St.)  besonders  aufmerksam  gemach*  '  hat 

Sromit  nun  auch  die  Prölegomena  zu  eine*  Wissenschaf tfc  'iVIy- 
olofr  1825.  S.  304  f.  zw  vergleichen  srnd)',  eine  Zeit' ^Vtfh 
acut Jahren  und  drei  Sehaltmonaten^y  welche -afrUt*  dem  A  ^ol- 
lon  geheiligte  Periode  in  mehreren  Mythen  desselben  vor- 
kommt, den  Cyclus  der  grofsen  Feste  des  Gottes  in  Del  ph/, 
Kreta  und  Thebä  bildet«,  und  auch  Jie  ^ejt  des  Exils  unc  l  der 
Dienstbarkeit  Blutbefleckter  war.  Namentlich  mufste  Ap<  )llou 
selbst  wii»  Kadmos  gerade  acht  Jahre  dem  Admetos.  in  P  herä. 
dienen,  und  nach  dieser  Periode  erst  kehrte  er  gereinigt  wie- 
der in  sein  Heiligthum  zurück.    Enneaterisch  war  auet  t  der 


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j-u  tv  oiow»  iwcr  eine  xvrciucu«  rvuiuMif. 


die  Wanderung  des  Gottes  darstellende  Zug  de*  Delphischen 
Knaben  nach  Teinpet  wobei  die  Hauptbegebenheit  die  Knecht-*, 
schalt  bei  Admetos  war  ;  tv  Müller  Prolegom.  a.  a.  O,  Dorier 
Th.  1.  S.  320.  Diesem  zufolge  könnte  es  nun  scheinen,  dais  , 
wie  Müller  sagt,  nur  die  Idee  ,  aus  welcher  die  Notwendig- 
keit* der  Mords  üb  ne  hervorgieng,  auch:  den  Mythus,  von  der 
Diensth^rkeit  der  acht  Jahre  erzeugte.  Gleichwohl  könne» 
wir  dabei  hoch  nicht  stehen  bleiben,  schon  darum  a  weil  ja 
der  Mord,  dessen  Schuld  gesühnt  und  durch  Diensthat keit 
gehülst  werden  soll,  ganz  eigener  Art  ist,  und  nur  symbo- 
lisch  verstanden  werden  kann  ,  und  dann  auch  deswegen  ,  weil 
auch  die  Enneateris  in  Beziehung  auf  Apollon  selbst  eine  Be- 
deutung zu  haben  scheint,  die  nicht  Llos  aus  seinem  Fest- 
cycius  nn  gewöhnlichen  Begriffe  zu  erklaren  ist.  Was»  das 
erltere  betrifft ,  so  kann  die  Tddtung  des  Drachen ,  wenn  der 
Drache  leihst  entweder  eine' bestimmte  Lokalität,  o<Jer  die 
Erde  im  Ganzen  bezeichnet,  nichts  anders  .bedeuten,  als  die 
Aufschliefsung  der  Erde  in  jedem  neuen  Frühjahr  zu  jähr- 
licher Fruchtbarkeit  ;  aus  ihrem  Blute  gleichsam  iliefst  der 
Seegen  des  Jahres  hervor.  Er  heifst  der  Drache  des  Ares  , 
weil  Ares  selbst  der  Eröffner  der  Erde  ist,  Vergl.  Symbol, 
und  Mytbol.  oder  die  Naturrelig.  des  Altertb.  Tb.  ff.  Abth.  I. 
6.  121 1*  Damit  aber  werden  wir  sogleich  in  eine Ideensphäf  * 
versetzt ,  in  welcher  das  Agrarische  sich  zum  Kosmogonischen  , 
die  Jahresperiode  sich  zum  grofsen  Welt  jähr  erweitert.  Der 
Drache,  aus  dessen  Blute  die  Saat  der  Felder  und  Menschen» 
ersteht  f  ist  mit  Einem  Worte  ganz  analog  dem  Weltstiere  der 
Persischen  Schöpfungslehre,  der  den  Saamen  aller  Geschöpf« 
•und  Gewächse  enthält,  oder  dem  Opferstiere,  welchen  Mi- 
thras  erwürgt.  Wie  in  Beziehung  auf  die  Jahresperiode  die 
Erlegung  des  Drachen  die  Eröffnung  des  geschlossenen  Leibes 
-der  Erde  ist,  ohne  welche  der  Saamen  der  Gewächse  aus  ihrem. 
Scboofse  nicht  hervorgehen  kann,  so  bedeutet  dasselbe  Sym- 
l)ol  in  kosmogoni scher  Hinsicht  die  mit  der  einmal  gesetzten 
realen  Welt  noth wendig  verbundene  Dahingebung  in  die  End- 
lichkeit des  Seyns  ,  vermöge  welcher  der  Tod  allein  die  Bedin- 
gung jeder  neuem  Lebensentwicklung  ist. 

*  "t  ..'       . .  «*:  i  .  ' .  '  i  •'  '     •  « 

1     (Der  Btschlufs  folgt.) 

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Jahrbücher  der  Literatur. 


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Welckeiy  über  eine  Kretische  Kolonie  in  Theben, 
die  G$m Europa  und  Haimos  den  König. 

Der  Tod  ist  das  wahres te  Symbol  der  Endlichkeit.  Daher 
mufs  der  Drache  als  .  Symbol,. der  Endlichkeit  sterben  f  und 
alles  ,  was  aus  der  Saat  des  Drachen  kommt»  ist  dem  gleichen 
Gesetze  der  Endlichkeit  und  des  Todes  unterworfen,  wie  Ku- 
Tipi^de*  gans  im  Sinne  unserer  Deutung  von  dem  Drachen  des 

Kad  mOS   Sagt!         ysvov;  be  3si  Savs/v  roud   c;  <5^«kcvts;  *y£vjc;  tKT«<))vlta 

Tfl(,- ,  eine  Wahrheit,  die  der  .Mythus  durch  den  verhängnila- 
vollen  Untergang  des  Thehäischen  Königshauses  recht  anschau- 
lich darstellt  *).  Der  Gott,  der  den  Drachen  erlegt,  stellt 
«war  als  Sieger  des  Drachen  . und;  als  Frincip  der  göttlichen 
weltschöpferisch en  Thätigkeit  die  Idee  des  Unendlichen  im 
Gegensau  des  Endlichen  dar;  da  er  aber  selbst  auch  nicht  als 
reiner  Gott  an  sich ,  sondern  als  Gott  der  geschaffenen  realen 
Welt  gedacht  werden  mufs,  so  kann  das  Unendliche  in  ihm 

■4f       ■  t-  r— • 

Nicht  ohne  Interesse  ist  die  Vergleiehung  der  Griechischen  Drachen* 
y    .  sagen  mit  den  Alt teutseheof  nach  welchen  furchtbare  Linttrachen 
von  starken  Rittern  erschlagen  werden.     Obgleich  in  diesen  das 
Kosmogonische  heroisch  -  ritterlich  gewendet  ist,  so  fehlt  es  doch 
nicht  an  Andeutungen  eines  inneren  mythischen  Zusammenhangs 
mit  der  oben  entwickelten  Idee  wenigstens  in  dar  Sage  des  Nibe- 
lungenlieds v*  409.  3609.    Dem  heifsen  Blute  des  erlegten  Lint- 
t rächen  verdankt  swar  der  hürnene  Sigfrid  »eine  Unverwundbar« 
leeit,   aber  das  zwischen  die  Schultern  gefallene  Lindenblatt  läfst 
dem  Tode  der  Endlichkeit  einen  verhängnisvollen  Fleck  offen. 
Dieselbe  ethische  Wendung  der  Sagen  von  solchen  Kämpfen  ist 
auch  sonst  In  des  Orientalischen   und  Griechischen  Mythologie 
wahrzunehmen.  f 

XIX.  Jahrg.   6.  Heft.  U 


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530    \f  Wtloker  über  eine  Kretische  Kolonie.  $ 

nur  in  seiner  Beziehung  zum  Endlichen  erscheinen,  und  es 
mufs  seihst  auch  von  dem  Loose  alles  Endlichen  berührt  wer« 
den.  Daher  ist  es  auch  dem  Gotte  bestimmt,  sich  irdischer 
Dienstbarkeit  zu  unter  werfen  ,  und  er  selbst  bedarf  der  Bufse 
und  Reinigung.  Auch  in  andern  Mythen  bezeichnet  die  ge- 
wissen  Gottheiten  zugeschriebene  irdische  Dienstbarkeit  den 
in  der  Idee  d.er  mythischen  Gottheit  ausgedrückten  Gegensatz 
des  Unendlichen  und  Endlichen.  Mehrere  Gottheiten  dieser 
Art  werden  in  den  Versen  zusammengestellt  9  die  aus  der  He- 
raklee des  Panyasis  bei  Clem.  Alex.  Cohort.  p.  56,  ed.  Wirceb. 
aufbewahrt  sind,  Ueber  die  Modificationen ,  mit  welchen 
diese  Idee  in  andern  Mythen  wiederkehrt,  vergl.  man  Symb. 
und  Myth.  oder  die  Naturrelig.  des  Alterth.  Th.  II.  Abth.  II. 
S.  370.  Was  wird  nun  aber  nach  diesen  Voraussetzungen  die 
Bufse  und  Reinigung  bedeuten ,  welche  mit  dem  Ende  der 
Dienstbarkeit  erfolgte?  Die  Antwort  hierauf  liegt  in  der  be- 
merkenswerthen  Angabe,  dafs  die  Dienstharkeit  sowohl  bei 
Apollon  als  bei  Kadmos  gerade  einen  Zeitraum  von  neun  Jab- 
ren  dauerte.  Die  Enneateris  war  nach  Müller  Dorier  I.  Th. 
S.  330.  ein  Cyclus ,  welcher  Monden-  und  Sonnenjahre  in 
Uebereinstiinmung  bringen  sollte,  indem  immer  nach  neun 
und  neunzig  Mondenmonaten  der  Frühaufgang  der  Pleiaden 
ziemlich  genau  mit  derselhen  Phase  des  Mondes  coincidirte; 
sie  bildete  demnach  eine  astronomisch  in  sich  geschlossene 

tröfsere  Periode ,  in  welcher  das  Ende  zum  Anfang  zurück- 
ehrte.   Nun  ist  aber  nicht  blos  im  Begriffe  des  Apollon  die 
Idee  der  Seelen  Wanderung   ein  sehr  wesentliches  Merkmal, 
sondern  es  kommt  auch  die  Zahl  neun  auf  eine  solche  Weise 
vor,   dafs  wir  an  ihrer  Beziehung  auf  die  Lehre  der  Seelen- 
wanderung nicht  wohl  zweifeln  können.     So  finden  wir  sie 
bei  Piaton  Pliädrus  p.  45.  coli.  60.  ed.  Bekk. ,  vielleicht  auch 
bei  Pindar  Ol.  II.  123-  coli.  Ilerodot.  II.  148. ,   am  deutlich- 
sten abt-r  in  der  merkwürdigen  Sage,   welche  Plinius  H.  N. 
VIII.  34.  aus  dem  Griechischen  Schrittsteller  Evanthes  zwar, 
wie  er  meint,  nur  als  ein  Beispiel  der  graeca  credulitas  ,  je- 
doch mit  solchen  Zügen  anführt,  dafs  sich  uns  ihr  wahrer 
Sinn  und  Inhalt  nicht  wohl  verbergen  kann.      So  ist  demnach, 
dies  ergibt  sich  uns  als  Hauptsinn  des  ganzen  Mythus,  die 
Enneateris  der  auf  die  Tüdtung  des  Drachen  folgenden  Dienst- 
barkeit  ein  Bild  des  grofsen  Weltjahrs,  in  dessen  Verlauf  der 
in  die  reale  Welt  eingetretene  Gott  oder  Mensch  in  die  ganze 
Tiefe  der  Endlichkeit  hinabsteigen  mufs,  bis  er  endlich,  nach- 
dem er  die  der  Endlichkeit  anhängende  Schuld  abgebüfst  bat, 
gelüutert  und  gereinigt  zu  dem  reinen  Anfang,  von  welchem 


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Wetßktt  über  eine  Krehsrhe  Kolonie  53l 

efcausgierfg,  wieder  zurückkehl  t.     Dies  verainnlicht  der  ent 
dffatferische  Zug  de«  den  Äpollon  darstellenden  Delphis  eben 
Knaben  nach  Tempe,  dies  bezeichnet  die  Sage  von  dein,  zwi« 
Sebent  ^Delpbr  Und«  dein  Hyperboreerlun<le  getheilten  Aufent- 
Mterdes  Gottes  selbst.     Vergl.  Müller  Dorier  Tb.  I.  S.  269. 
^29. u-  Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  können  wir  erst  deut- 
ÜlÄer  begreife» f  war  um  wir  in  den  Sagen ,  die  von  der  Dienst- 
4Wl*keit  im  Hause  des  Admetos  handeln«  oder  von  der  Moti- 
#4furig  derselben ,    Vorstellungen  über  Leben  Und  Tod  einen 
Wesentlichen  Beatandtbeil  ausmachen ,  wie  s.  B.  in  der  Sage, 
ilafs  ^Alcestts  aus  der  Unterw e  t  durch  Apojlon  und  Herakles 
*r*sJtikt?  Worden oder  *dals  Zeus  des  Apollon  Sohn  Asklepios 
erschlagen  habe,    weil  er  Todte  iu's  Leben  zurückgerufen* 
dUtaietos , ?nn  dessen  (lause  Apollon  ist,  ist,  wie  auch  Müller 
*l>ttrieT'  I.  Vh.  S>  330*  ijemeckt,  Hades  selbst,  und  der  GoU 
(des  Lebens  Inn is  dein  . Gölte,  des  Todes  und  der  Unterwelt  an. 
«bei  ^fallen. »  Die  Tfer  de, -welche  Apollon  bei  Admetos  weidet, 
sind"  wähl  dieselben,  Von  welchen  Pluton  als  Entführer  der 
Kors/ecbon  bei  Homer  xAo^ira-Ac;  beifst.     Man  vergl.  hierüber 

-feriier»|  was  Mürllet  Proleg.  S.  306  £  Weiter  hemerht  hat.  Die 
*Be«iikin*u«g  desselben  Forschers,  Dorier  Tb.  I.  S.  235» 
t#  nur  als  eine  dichterische  Uebertragung  zu  betrachten  sejr, 
dals  Kachnos  nach  der  Tödtung  des  Diachen  acht  Jahre  als 
Knecht  dienen  inufs,  denn  ursprünglich  haben  Kadmos  und 
Af»oWön  nichts  Entsprechendes  ,  würde  nur  dann  einige  Wahr- 
scheinlichkeit haben,    wenn  Kadmos  wirklich  so  zu  nehmen 

•Wu*re,  wie  ihn  Unser  Verf.  deuten  will.     Fehlt  es  aber  dieser 

'Deutung i  auch  abgesehen  von  den  Mythen  ,  welche  den  Kad- 
nto*  in  nahe  Berührung  mit  Apollon  bringen ,  an  gehöriger 
Begründung,  so  sind  offenbar  diese  Mythen  ein  neuer  Beweis 
dafür,  dafs  Kadmos  einen  höheren  mit  Apöllon  gemeinschaft- 
lnihen  Begriff  enthalten  mufs,     Er  ist  wi*«Apoilou  der  Gott 

•der  realen  Welt  überhaupt ,  dessen  mythische  Geschichte  den 
ganzen  Cyclus  darsttdit,  welchen  jedes  in  die  reale  Welt  ein- 

,  betretene  Wesen  durchlaufen  mufs. 

Was  in  der  heiligen  Sage  der  Parser  Ormuzd  und  Ahri- 

f  man  als  Gegensatz  und  als  Einheit,  was  in  untergeordneter 
Beziehung  und  minder  scharfer  Entgegensetzung  des  Guten 

-und  Bösen  oder  des  Unendlichen  und  Endlichen  Mithras  der 

-  Stierschlächter  und  der  von  ihm  (nach  der  eigentlichen  Zend- 
»age  aber  von  Ahriman)  erschlagene  Stier  bezeichnen  ,  als  Sym- 
bol einer  an  eine  bestimmte  Periode  geknüpften,  auf  das  Ver- 

»bältnüs  der  Gottheit  zur  Welt  oder  des  Idealen  zum  Realen 
»ich  beziehende  Entwicklung,   dasselbe  liegt  auch  in  dem 

34* 


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5)2  Welekcr  über  eine  Kretische  Kolonie. 


Drachenkampf  und  dem  Drachensieg  des  Apollon  und  des  Kad- 
mai.  Nicht  zufällig  ist  es  wohl  ,  dafs  derselbe  Drachenkampt 
und  die  ganze  seltsame  Kriegsscene  sich  auch  in  der  Sage  von 
Jason  und  den  Argonauten  in  der  Kolchiscben  Aea  wiederholt, 
einer  Landschaft,  in  welcher  Fersische  Einflüsse  nicht  su  ver- 
kennen sind.  Dafs  Ahriraan,  die  personificirte  Endlichkeit, 
auch  in  der  Persischen  Sage  als  Schlange  erscheint,  wollen 
wir  nicht  einmal  geltend  machen,  da  wir  diese  Ideen  und 
Symbole,  die  in  der  alten  Religion  unter  so  vielen  Gestalten 
sich  finden,  wenn  sie  auch  gleich  in  der  Persischen  Religion 
sich  uns  am  unzweideutigsten  darstellen,  doch  nicht  gerade 
im  Einzelnen  zu  bestimmt  von  einem  einzelnen  System  abhän- 
gig inachen  dürfen. 

Wie  wir  aus  Euripides  Phoen.  931.  sehen,  wurde  auch 
noch  im  Kampfe  der  Sieben  gegen  Thebä  wegen  des  Drachen- 
mords  ein  blutiges  Opfer  geheischt.     Aar  tcv5«  (rauha)  SakapWi 

Kahuov  -Kokaiwv  A^e;  «*  ^vz/xara-v  etc.  Dieses  Opfer  scheint  su 
den  Sühngehräuchen  der  Apollinischen  Religion  zu  gehören, 
zu  deren  Erläuterung  Müller  Dorier  Th.  I.  S.  23l;  326.  neb- 
leres  beigebracht  hat.  Am  auffallendsten  aber  stimmt  diese» 
Theb3ische  Opfer  mit  dem  Opfer  zusammen  ,  welches  die  Athe- 
ner nach  der  bekannten  Sage  dem  Minotauros  in  Kreta  dar- 
bringen muhten.  Der  Antheil,  welchen  Apollon  an  de©  Kre- 
tischen und  ThebSischen  Opfer  hatte,  erhellt  füVs  erste  dar- 
aus,  dafs  beide  in  Folge  eines  Orakelspruchs  geschehen. 
Charakteristisch  ist  dann  aber  besonders,  dafs  es  ein  Jüng- 
lingsopfer  seyn  mufste.  In  Thebä  war  es  der  unverheiratete 
Sohn  des  Kreon  Mencikeus,  vgl.  Eurip.  Phoen.  945,  in  Athen 
waren  es  sieben  Jünglinge  und  sieben  Jungfrauen  (diß  ^e,n 
Apollon  in  Beziehung  auf  die  Wochentage  heilige  Siehenzahl)» 
welche  nach  Kreta  gesandt  werden  mulsten  ,  weil  Mino*  ^n 
Athenern  die  Ermordung  «eines  Sohnes  Androgeos  Schuld  gab. 
Dieser  Androgeos  nimmt  in  diesem  Mythus  dieselbe  Stell'* 
ein,  welche  in  dem  Thebäischen  der  erdgehorene  Drache  hat, 
und  in  der  That  ist  er  auch  nach  der  Bedeutung  seines  Name'1» 
ein  Erdensohn.  Wie  der  Drache  wird  auch  dieser  getödtet, 
und  der  Tod  beider  ist  ein  Symbol  der  allen  in  das  zeitliche 
Lieben  eingetretenen  Wesen  anhaftenden,  der  Söhne  und  Ha* 
nignng  bedürfenden  Endlichkeit.  Daher  denn  auch  ,  wa>  »*• 
sonders  bedeutsam  ist,  dieselbe  Zahl  der  Jahre  der  Bufie» 
welche  die  Schuld  des  Mordes  erforderte.  Kadmos  rauf***  e,n 
ewiges  Jahr  dienstbar  seyn,  d.  h.  eine  Enneateris  nach  der 
andern,  weil  es  eine  im  endlichen  Leben  immer  wieder  sich 


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633 

erneuernde  Schuld  ist,  von  weicher  der  Mensch  alt  endliche! 
Wesen  nie  frei  wird.    So  müssen  nun  auch  die  Athener  sieben 
Paare  dem  Minotauros  Jahr  für  Jahr  schicken,  wie  Apoliodor. 
III.  15.  9.  sagt,  v.iru  froj.    Schon  dieser  Ausdruck  würde  be- 
rechtigen ,  das  achtjährige  Jahr  zu  verstehen,  wenn  wir  auch 
nicht  wirklich  bei  Plut.  Thes.  c.  15.  und  Diodor.  IV.  61.  die 
bestimmte  Angabe  fänden,  dafs  je  nach  neun  Jahren  ein  Sühn* 
Opfer  gebracht  werden  mufste.     Etoi^ävtc  <rjv$vjxa;  ,  wti  t^ti» 
3<  fivvaa  arcev  S'zrucv,   ijTC»9V5  tVra  xa*  Ta^S^voü;  rsffaura;«  c/txoAo•ycuo,*^^ 
ol  TXitffTci  rwv  cjyy^uQawv*  Plut.a.  a.  O.     Die  Uebereinstimmung 
heider  Mythen  geht  ferner  aus  der  Varietät  der  Sage  hervor, 
dals  die  Jünglinge  nicht  wirklich  geopfert  wurden«  sondern 
nur  tttr  die  Dienstbarkeit  des  Gottes  bestimmt  waren  (A^/tto- 
-iA-^  —  9*jXq;  &tiv  o'j  vöfAtfav  avcufsivBat  tovj  xcuia;  yiro  reuM/vw,  akka 
fyrmnvTui  iv  ry  K^rjy  xaT<ryijpawK«v.    Plut.  c.  2  6.).      Nach  dieser 
Combination  ergibt  »ich  nun  die  Deutung  der  übrigen  wich- 
tigeren Züge  des  Mythus  von  selbst.     In  das  Labyrinth  wer« 
den  die  sieben  Paare  geschickt,   weil  das  Labyrinth,  wie  in 
Aegypten,  so  auch  in  Kreta  das  Symbol  der  vom  Leben  zum 
Tdde  und  vom  Tode  zum  Leben  innerhalb  einer  astronomisch 
bestimmten  Periode  hindurchführenden  Bahn  ist,  welche  alle 
endliche  Wesen  zu  durchlaufen  haben.     Diese  Periode  des 
Kreislaufes  ist  in  Kreta  an  das  Stiersymbol  des  Minotauros  ge- 
knüpft,  wie  in  Kreta  die  enneaterische  Dienstbarkeit  sich  auf 
das  Symbol  des  Drachen  bezieht,  zur  Bestätigung  der  obigen 
Behauptung,  dafs  das  eigentliche  Vorbild  auch  des  Drachen« 
symbols  der  Persische  Mithrasstier  oder  Weltstier  ist,  das 
Symbol  des  innerhalb  einer  bestimmten  Periode  sich  entwik- 
kelnden  Weltlaufes,  der  durch  Kampf  und  Leiden  hindurch« 
gehenden  Endlichkeit  des  realen  Seyns.    (Die  Idee  des  Kampfes 
wird  auch  in  Androgeos  durch  die  Sagen  bei  Apollod.  III.  15. 
7.  hervorgehoben,  so  wie  in  ihm  auch  die  Sage  der  Wieder- 
erweckung durch  Asklepios  wiederkehrt,  wenigstens  bei  Pro« 
pert.  II.  1.  63.).     Theseus  ist  der  glückliche  Held  ,  welcher 
den  durch  die  Irrgänge  des  Labyrinths  führenden  Faden  fest- 
hält |  und  zwar  gelang  ihm  die  Errettung,  wie  ebenfalls  nicht 
ohne  Bedeutung  gesagt  wird,  als  der  verhängnifsvolle  Tribut 
zum  drittenmal  entrichtet  werden  sollte;    Plutarcb.  Thes.  17. 
Denn  drei  und  neun  sind  die  immer  wiederkehrenden  heiligen 
Zahlen,  nach  welchen  die  Periode  dieser  Wanderung  bestimmt 
wird  ;  vergl.  die  obigen  Stellen.     Nach  glücklich  vollbrachter 
Kettung  schüft  Theseus  mit  dein  heiligen  Schiffe  nach  Delos 
zum  Heiligthum  des  Apollon  ,  wie  Apollon  selbst ,   wenn  er 
»ich  gereinigt  bat  von  der  Befleckung  des  Drachemnords,  nach 


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534 


Welckei  über  eine  Krerische 


Delphi  zurückkehrt.  Dann  ist  die  Period*  der  Bufre,  Reini- 
gung und  Wanderung  vorüber,  aus  der  Verdunkelung  des  end- 
lichen Seyns  ist  die  Rückkehr  zum  idealen  Anfangspunkte  ge- 
funden; alter  immer  auf's  neue  Wiederholt  sich  derselbe  Cycl 
Apollon  reinigt  sich  immer  aufs  neu«  in  Tempe,  und  das 
seische  Theorenschiff  der  Athener  vollbringt  Jahr  für  -J 
seine  Fahrt  von  Athen  nach  Delos.  Historisch  müssen 
hieraus  auf  einen  in  uralte  Zeit  zurückgehenden  religiösen  Zu- 
sammenhang zwischen  Athen ,  Kreta  und  üelos  schlidsen.  . 

Unwillkübrlicb  werden  wir  in  diesem  Zusammenhang 
auch  an  die  Tbebäische  Sphinx  erinnert-,,  die  in  dn  Geschiebte 
des  Oedipus  den  verhängnisvollen  Knoten  knüpft.  Di« 
neueren  mythologischen  Untersuchungen  haben  sie  noch  virenig 
beachtet  9  um  so  mehr  glauben  wir  sie  hier  nicht  gana^ä^St# 
gehen  zu  dürfen.  Sie  ist  ohne  Zweifel  nur  eine 
des  Drachensymbols,  von  welchem  wir  hier  reden,  tinfith0* 
steht,  die  sowohl  durch  die  isolirte  Stellang  ,  die  sie  in  dem 
Thebaischen  Mytbenkreise  hat,  begünstigt,  als  auch  4urcb 
mehrere  einzelne  historische  Züge  wahrscheinlich  gemacht 
wird.  Als  Erzeugnis  der  Echidna  und  des  Typhon,  wie  sie 
bei  Hesiod.  Theog.  3 19.  und  bei  Apollod.  III.  5.  8.  genannt 
wird  (Euripid.  Fhoen.  1019.  ya;  Ao^tu/ua)  9  ist  sie  ein  Wesen 
gleicher  Art,  wie  der  erdgeborene  Drache,  mit  welchem  sie 
auch  in  ihrer  Gestalt  wenigstens  einiges  gemein  hatte.  Nach 
Pisander  bei  dem  Schol.  ad  Eurip.  Fhoen.  1728.  hatte  sie  den 
Schwanz  eines  Drachen.  Sie  sollte  von  der  Here  gesandt 
•eyn,  nach  einer  andern  Angabe  aber  von  Ares,  Weiler  den 
Tbebaern  zürnte,  dafs  Kadmos  seinen  Sohn,  den  Dracben, 
getödtet  hatte;  s.  Argum.  ad  Eurip.  Fhoen.  e  cod.  Guelpb. 
Merkwürdig  ist  die  Versetzung  der  Sphinx  vermittelst  der 
Echidna  und  des  Typhon  nach  Arima  (Hesiod.  Theog.  299-)» 
da  auch  unser  Verf.  Aeschyl.  Trilog.  From.  S.  3 19.  in  diesem 
Narnen,  gewifs  mit  Hecht,  eine  Bezeichnung  des  Arimans. 
gefildes  erkennt.  Die  Vermischung  der  Sphinx  mit  den  Ae- 
cyptischen  Sphinxen  hat  ihren  Grund  tbeils  in  der  gleichen 
Bestimmung  dieser  symbolischen  Wesen,  eine  1j eilige Localität 
*u  bewahren,  theils  in  der  Voraussetzung,  Kadmos  sey  ein 
Fböniziscber  oder  Aegyptiscber  Ankömmling  gewesen.  Die 
gröfste  Aehnlichkeit  mit  dem  Drachen  gibt  jedoch  der  Spinn* 
die  blutige  Gier,  mit  welcher  sie  ein  immer  neues  Opfer 
heischt.  Wie  der  Drache  alle  tödtete,  die  Kadmos  aussandte, 
so  verschlang  die  Sphinx  alle,  die  ihr  Räthsel  nicht  lösen 
konnten.  Und  dieses  Räthsel  selbst,  was  hat  es  ander!  z«'n 
Gegenstand,  als  den  Menschen  in  der  Wanderung  durch  das 


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W«Uk*  ü*er  eim  Kretin  Kol«** 


gliche  Le**nt  welche  «*,der  auf  den  Dr«cbenmor4  l 
cUx>^eim«atf|i4phea  l'eriode  zu  vollenden  ist?  Daher  die  räth-i 
selbüftt:  Bezeichnung  dei  Menschen  nach  der  verschiedenen- 
ZM  feiner  in  den  Ygrjchied*nen  Perioden,  die  er  tu 

4e*«nUttt*it  Jia&.  Die  in  4epi  Mythus  enthaltene  Idee  kann 
4wiuach  >«r  fplgtn^^yn:  Endlichkeit : und  Tod  ist  das  all« 
gereifte* |M}4  abwendige  Schicksal  in  der  einmal  gewordeneu 
V\{«JÄfc,»ur.W^r.d*«Äätlj$elt  deseen  lösendes  Wort  der  Mensch 
Wfr  W  fe^,  wieQedipu»,  d.  h.  weif  in  der  Verdun- 
klung de^itdiseken  Seyna/tfcs  WaWhaft  menschliche  Bewufst- 
aeyn  in  sich  lebendig  zu  erhalten,  vermag  (oder  auch  wer  wie 
Tüet#uf  .4e^  du^cb  die  Irrgäuge  des  Labyrinth*  leitenden  Fa-» 
den  "nicht  Meliert,,  wer  nicht  wie  Nisos  durch  seine  Tochter 
Sc§iIla,da#rpejlpurM-e7iaart  an  welchem  das  Lehen  hängt,  vqtfi. 
Haupte  weh  n^e^lafst,  Apollod.  III,  15.  8,  werwieOdys.* 
seus  mit  Mawieskraft  der  Zauhergewalt  der  Kirkt»  widersteht, 
Od.  X,  294»  wer  wie  Alexander  den  lahyrinthisch  verschlun» 
genen  Gordischen  Knoten,  s.  oben,  Jöst) ,  nur  ein  solcher  ist 
ton  Stande¥~dent  Schlünde  des  Verderbens,  der  alles  Endliche 
zu  veracblingfcn  droht,  au  entgehen  und  wieder  aufzuatbmenf 
vom  Drangsal,  mag  er  auch  wie  Oedipus  durch  alle"  Dunkel 
und  Irrpiadö  des  irdischen  Lebens  hindurchgpführt  werden. 
Darum  stürzt  »ich  das  verderbende  Ungeheuer ,  nachdem  ihr 
Rätbsel  gelöst  ist,  selbst  von  der  Höhe  der  Burg  herab.  Der 
Mensch  überwindet  den  Tod  der  Endlichkeit,  wenn  er  sein 
eigenes  Wesen  erkennt,  die  Kraft  seines  Selbstbewufstseyna 
ist  das  leuchtende  Licht  durch  die  Irren  des  Lebens.  Räthsel- 
«elgeberin  ist  demnach  die  Sphinx  nur  darum,  weil  der  mit  ihr 
identische  Drache  eine  symbolische  Bedeutung  hat,  wofür  der 
eigentliche  Ausdruck  der  alten  Sprache  acjnr&Saa,  (vvtypa  ia*. 
In  demselben  Sinn  heifst  sie  auch  Muse  und  Sängerin,  Soph. 
Oed,  Tyr«  3D9.  Eur,  Phoen.  1728,  wodurch  sich  übrigens  zu- 

§leich  ihr  Begriff,  dem  der  Sirenen  nähert  ,  welche  wie  sie  als 
ymbole  der  materiellen  Welt  und  als  Wesen  verderblicher 
Art  geschildert  werden  (xoAv$  3'  a/Ap*  caracdpiv  St;  ayfywv  irvBof*evwv. 
Od.  XII.  45.  m  Man  vgl.  damit  auch  die  Scylla  ,  die  bei  Apol- 
lodor  a.  a.O.  in  dem  der  Sache  nach  Übereinstimmenden  Mythus, 
von  Androgeos  genannt  ist. 

i.j-Je  mehr  nach  diesen  Erörterungen,  die  wir  für  uofcbwen- 
dig  hielten,  um  die  vom  Verf.  berührten  Gegenstände  richtig 
zu  durchschauen ,  der  ganze  Mythenkreis  des.  Kadmos  ideellen 
Gehaltes  zu  seyn  scheint,  desto  zweifelhafter  m.ufs  das  Histo- 
rische werden ,  das  mm  etwa  in  diesen  Sagen  finden  mag. 
Der  Verf.  vermutbet  S.  00,  der  König  sey  in  Tbebü  gehalten 


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536  Wecker  Ober  ein«'  Ktetisehe  Kekmie. 

gewesen,  aus  einem  der  fünf  Au tochthonen- Geschlechter  su 
heirathen,  wie  den  Polydoros ,  des  Kadmos  Sohn  ,  eine  Ba- 
ke] in  des  Chthonios  beirathet.      Aber  eben  der  Name  des 
Sohnes,  Polydoros,  ganz  gleichlautend  mit  dem  Pluto's,  wel- 
eben  Demeter  mit  Jasios  in  Kreta  erzeugt,  Hes.  Theog.  962, 
weist  zugleich  mit  den  Namen  Chthonios  und  Nykterinos, 
Apollod,  III.  5.  4,  unverkennbar  auf  den  obigen  kosmiic*. 
tellurischen  oder  agrarischen  Sinn  der  Sage  zurück.    Das  an. 
gedeutete  Verhältnis  der  Sparten ,  fährt  der  Verf.  fort,  da* 
einzige  Erhebliche,  was  von  der  Kadmeiscben  Verfassung  sich 
verrathe,   scheine  auch  die  vielen  Vormundschaften  in  der 
Thebäischen  Königssage  zu  erklären.     Nach  Kreon  sey  es  su 
gewaltsamen  Herrscbaftswecliseln  gekommen,   und  das  Haus 
Chthonios  habe,  indem  es  Kadmos  stürzte,  eine  Diarchie  ein- 
geführt,   eine  Form  die  Obergewalt  zu  theilen  und  zu  be- 
schränken, welche  hier  und  dort  vorkomme,  und  durchaui 
noch  nicht  mit  der  Aufmerksamkeit  betrachtet  worden  sey, 
welche  ibr  gebühre.     Wie  viel  Historisches  werden  wir  ab« 
voraussetzen  dürfen,  wenn  wir  auch  nur  die  Nariien  der  Brö- 
derpaare  der  Thebäischen  Diarchie  betrachten,  Nykteus  und 
Lykos  (Nacht  und  Tag),  Amphion  (der  Umlaufende)  und  Ze- 
thos  (m  anderer  Form  Zetes  und  Kaiais,  Söhne  des  Bbresi 
und  der  Oreithyia,  vielleicht  irgend  ein  Gegensatz  der  W*U- 
gegenden  oder  der  Winde,  Zetes  vielleicht  verwandt  mit  Z* 
phyros,  von  <fi£»  d.  i.  ^  ?     Die  Diarchie  kommt  allerdings 
auf  eine  auffallende  Weise  als  älteste  Staatenform  wiederholt 
vor    in  dem  alten  Achaia  sind  es  Kastor  und  Pollux,  dieBrü- 
der  der  Helena,  oder  Agamemnon  und  Menelaos,  die  beide» 
Horte  und  Hirten  der  Völker,  in  Rom  Romulus  und  Remui. 
Und  doch  ist  in  allen  diesen  Brüdtrpaaren ,  deren  Name,  Ge- 
nealogie und  Geschichte  durchaus  mythisch  ist,   immer  nur 
die  Idee  der  Dioskuren  ausgedrückt,  und  sie  haben  eine  so 
ideelle  Bedeutung,  dafs  wir  auf  keinen  festen  Grund  und  Bo- 
hlen kommen  können.     Das  Wesentliche  ist  dabei  nur  dies: 
Die  kosmischen  Wesen,  die  Söhne  des  Zeus,  die  Kräfte,  de 
ren  gegenseitiges  Verhältnifs  die  Weltschöpfung  und  Welt- 
ordnung bedingt ,   sind  auch  die  Potenzen,  durch  welche  der 
^taat,  als  eine  Welt  im  Kleinen,  gegründet  und  erhalten  wird, 
die  Senaten  im  höchsten  Sinne  sind  auch  die  Penaten  des  Staa- 
tenlebens.    Und  wirklich  werden  auch  die  Thebäischen  Zwti- 

ganz  besonders  die  Gründer  der 
siebenthorigen  Stadt,  die  Erbauer  der  starken  Mauern  genannt. 
Uie»  ist  das  Eigentümliche  der  alten  Naturansicht,  dafs  sieb 
«ör  die  einmal  aufgefafste  Idee  immer  wieder  in  einem  neuen 


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Reflexe  darstellt,  ali  höhere  und  untergeordnete  Einheit.  So 

h/t  Staat  und  Stadt1  äÜcB^ern  *Ccuo<;,  so  ist  da»  Vorbild  der  Ehe 
in  der  Einheit  und  deaa  'Gegensatz  der  in  der  Natur  sengenden 
Götter.  Es  ist  irnttiet' ttW  «ine  andere  Modi fication  derselben 
Weef  -werde  sie  kosmisch  ,  oder  teUurisch  und  agrarisch  ,  oder 
politisch  und  etbrself  gewendet.  Iat  et  nun  an  »ich  schon  na- 
tflrfidir,  auf  diea*m: Standpunkt  das  Höhere  auch  für  daa  Ur- 
sprüngliche an  hatten,  so  kann  un»  eben  die  Erscheinung  der 
Diarchie  als  eigentlicher  Staat enfonn  einen  auffallenden  Be* 
wfeis  der  Notwendigkeit  dieser  Ansicht  geben.  Den»  was 
könnte  wohl  die  Veranlassung  gewesen  Seyrt  ,  an  die  Spitze 
der  ältesten  Staaten  ein  Brflderitf  lai  7Ai  setzen  ,  wenn  nicht  der 
Staat  sogleich  als  ein  Abbild  des  eigentlichen  kc<t,uc$  betrachtet 
worden  ist,  dessen  Entstehung  und  Weaen  nur  dynamisch 
aus  einem  Gegensatze  verbundener  Kräfte  begriffen  werden 
kann  *)  ?  So  ist  denn  auch  in  dem  Dorischen  Sparta  f  in  wel- 
chem die  Diarchie  in  historischer  Zeit  als  herrschende  Staaten« 
form  erscheint ,  diese  dann  erst  eingeführt  worden  ,  nachdem 
sie  längst  als  kosmische  und  religiöse  Idee  vorbanden  war. 

Merkwürdig  ist  in  'den  Sagen  von  den  Söhnen  der  An« 
tiope  ,  Amphion  und  Zethos  ,  die  Einmischung  der  Lydischen 
Niobe.  Denn  Niobe  ist  mit  Amphion  vermählt.  Der  Verf. 
denkt  dabei  nur  an  die  in  der  iiitesten  Kunstgeschichte  Grie- 
chenlands wichtige  Thatsache,  dafs  das  Geschlecht  von  Sän- 
gern, welche  die  Söhne  der  Antiope  verherrlichten,  lieh  der 
Lydischen  Laute  bedient  habe ;  S.  84.  Die  Laute  des  Amphion 
hat  jedoch  sicher  eine  symbolische  Bedeutung.  Als  historische 
Thataache  aber  glauben  wir  einen  Zusammenbang  des  alten 
Böotiens  mit  Lydien  oder  Vorderasien  annehmen  zu  dürfen, 
sowohl ,  weil  Niobe  (deren  sieben  von  Apollon  getödtete  Kin- 
der nur  die  Unterordnung  der  sieben  Einheiten  anter  die  Ein« 
heit  der  Siehenzahl  bedeuten,  deren  Vorsteher  Apollon  als 
ißtcfActysTtf  ist,  wie  so  oft  das  Negative  einem  Positiven  ge- 
genüber mythisch  durch  ein  Tödten,  Verbergen  u.  s.  w.  aus- 
gedrückt wird)  wie  in  Lydien  ao  auch  in  Thebä  einheimisch 
ist ,  weil  eben  so  auch  der  in  Thebä  geborene  Dionysos  gerade 
von  Lydien  der  Sage  nach  hei  überwandert,   und  weil  daa 

*)  Ein  dynamisches  Verlilhnifs  enthält  immer  einen  Gegensatz  und 
eine  Einheit.  Daher  das  Brüderpaar  bald  durch  feindliehen  Hafs 
getrennt,  bald  durch  idealische  Eintracht  verbunden,  gerade  so 
wie  derErwürger  des  Stiers  das  einemal  der  böst  Ahriman  ist, 
das  andcremal  der  gute  Mithras. 


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e 


53d  W eicker  über  eint  Kre  tische  Kolonie- 

Dioak  urenpaar,  wie  überall ,  so  arch  in  Tbebä  historisch  doch 
nur  auf das  Samothraciscb  -  Troische  zurückzuführen  ist,  als 
aucb  besonders  deswegen,  weil  uei  selbe  Zusammenhang  gerad 
bei  denjenigen  Ländern  consequent  eben  so  sieb  zu  erkennen 
gibt,  welcbe  aucb  mit  Böotien  in  alter  Verbindung  stehen. 
Es  sind  die  Lünder  des  Pelops,  Eii*  nameutlkh,  woneben 
Pelops  der  Lydiscbe  Endymior.  einheimisch  wird  (dessen  my- 
thische Liebe  zu  Selene  n3cb  Böckh's  treffender  Deutung,  ad 
Pindar.  Explic.  pig.  j3ü\  mit  dem  Mythus  von  Apollon  und 
Niobe  sehr  gut  zusammenstimmt ) ,  wie  in  Argos  -wube,  ab 
Tochter  des  Tboroneiis,  S.  84 ,  und  (las  alte  Acbaia,  dessen 
Hauptstadt  Sparta  eben  so  eine  Stadt  der  ixa^ror  war,  wie  das 
Böotisch«Tbehä\  Vollkommen  begründet  ist  aber  dieses  histo- 
rische Völkerveihaltnifs  nur  dann,  wenn  wir  die  Völker  der 
genannten  Länder  als  Zweige  des  von  den  Küsten  Vorderasiens 
eingewanderten  Pelasgischen  Stammes  betrachten. 

Durch  das  Bisherige  ist  die  Beantwortung  der  Frage, 
welche  der  Verf.  in  der  Ileibe  seiner  Untersuchungen  eben- 
falls in  besondere  Erwägung  zieht  (S.  67  —  66) ,  wir  ah« 
absichtlich  hier  erst  berühren  wollten,  ob  nämlich  Kadmos 
Führer  einer  Phönizischen  Kolonie  gewesen  sey,  hinlänghcb 
eingeleitet.  Der  Verf.  führt,  um  zu  entwickeln,  wie  sich  die 
Vorstellung  von  einer  Phöniziscbexi  Kolonie  in  Theben  »ui 
Alterthum  habe  bilden  können,  die  Tbebäische  Europa  auf 
die  Kretische  als  die  ältere  zurück,  und  behauptet  sodann, 
dals  in  den  ältesten  Dicbtersagen  Europa  des  Phönix  Tochter 
sey,  müsse  entweder  seinen  Grund  darin  haben,  dafs  tu  der 
Zeit  die  Vorstellung  herrschte,  es  sey  der  Dienst  der  Europa 
von  den  Phöniziern  eingeführt  worden,  oder  in  der,  dais  vor 
dem  Volke  des  Minos  Phöuiker  im  Lande  gewohnt  hättet;. 
Keine  von  beiden  Vorstellungen  sey  au  sich  unglauhhaU,  die 
erstare,  weil  der  l  ehlscblufs  sehr  leicht  gemacht  werden  konntr, 
wo  zwei  Götter  Hauptbedeutungen  und  Symbole  in  dem  Grade 
gemein  haben ,  wie  die  Sidonische  Astarte  und  die  Kretisch* 
Jluropa,  da  ist  eine  die  andere,  und  das  gröfsere  oder  gebil- 
detere Volk  bat  sie  dem  andern  zugeführt;  das  andere  habt 
eben  so  wenig  etwas  gegen  sich,  dajs  irgend  ein  Gebieter  von 
Gortyn,  oder  ein  Kretischer  Minos  Pböniker  aus  den  Wohn- 
sitzen verjagt  habe,  nur  sey  hieraus  für  die  Griechische  Be* 
völkerung  wenig  zu  schliefsen  ,  und  um  Phönizischen  Einftuls 
wahrscheinlich  zu  machen,  nur  dies  von  einiger  Bedeutung 
dafs  in  Vorhomei  ischer  Zeit  die  PhönizUche  Aphrodite  unter 
die  Olympier  aufgenommen  worden.  Bedeute  aber  tür  Kiel1 
selbst  der  ethnographische  Vater  der  Göttin  Europa  so  wenigi 


»y  CooqIe 
Sä 


eine  Kretische  Kolonie»  *i  539 

so  folge,  notwendig,, dafs  die  Sage  nacb  Kreta  verpflanzt 

l.g  leer  und  gleichgüj^^^^^  wir  die  Anhebt  de«  Verf. 
über  di.e  £u/qpa  und  den  Zusammenhang  Kreta's  mit  Tbebä 
nicht  tbeilen  können,    so  können  wir  auch  dieser  ohnedies 
«ehr  schwankenden  Erklärung  nicht  Leistimmen  ,  IO  sehr  wir 
auch  die  vorgebliche  PhÖniziscbe  Kolonie  des  Kadmos  für  un- 
btfttoriath  halten*-     Unsere  Meinung  ist Jiierübex  folgend«: 
Ofied»eokad  käarilsesne  älteste  Bevölkerung  .^r wäus.;  dem 
ÖeiÄntef  halten  haben.     Dies  bringt  die  allgemtine  historische 
Ansicht  ffO*  selbst  mit/S  ich,  davon  zeugen  so  viele  Spuren, 
die  uns  an  die  Küstenländer  Vorderasiens  unnVtdie  Pontischen 
Gestade  zurückführen  (wie  namentlich  in  Beziehung  auf  Kreta 
auch  dHüh-Hök's  Untersuchungen  bestätigt  wii  d).     Pie  älte- 
ste Sage  erhielt  das  Andenken  hieran.    Alt  aber  später  die  Grie- 
chischen. Volker  mil»  Aegypten  und  Pboniwen  in  Berührung 
kamen,  and <siclutheils  über  manche  Züge  gegenseitiger  Yer^ 
wandtschaft,   theils  über  ihre  eigene  1 i<  :  .unlt  Rechenschaft 
geben  wollten,  wurde  die  allgemeine  Erinnerung  an  den  Orient, 
anjdaanlchstliegende  bekannte  und  berühmte  angeknüpft.  %M* 
fällige  Umstände  gaben  die  Veranlassung,  bald  Pbönizien  bald 
Aegypten  den  Vorzug  zu  geben;   in  Athen  war  dieses  gesebe. 
ben  ,  in  Theb    jenes,  vielleicht  auch  deswegen  ,  weil  alte  An- 
siedlutigen  der  Phönizier  auf  den  benachbarten  Küiten  und  In- 
aein ,  wie*«.<B.  Thasos,  historisch  bekannt  waren.    Die  Sage 
in  dieser  Gestalt  ist  zwar  allerdings  täuschend  ,  auf  der.9nde.ru 
Seite  aber  doch  auch  der  .Wahrheit  nicht  so,  fern  f  wie  es 
scheint,  t  Die  gemeinsame  Herkunft  aus  dem  höhern  Orient 
knüpft  auch  so  zwischen  den  Phöniziern  und  Aegyptiern  auf 
der  einen  und  den  Griechen, auf  der  andern  Seite,  wenn  gleich 
nichreiw  unmittelbares  jdqch wenigstens  ein  mittelbares  Band, 
dessen Realität  aum  Theib  schon  durch  die  Sprache,  vorzüglich 
abet»  durch  die  Uebereinstimmung  der  ältesten  Religionsbe- 
grifcV  hinlänglich  heurkundet  wird.     Nur  unter  dieser  Vor* 
flirssettung  löfst  sie*  die  Wichtigkeit,  welche  diese  Sagen  bei 
so*  inanchem  Widerstreitenden  dennoch  für  das  Griechische 
Ve4k  hatten,»  begreifen«     Denn  defs  Hermes,  wie  der  Verf. 
S.  &f.  meint ,  durchaus,  keine  Beziehung  »um  Orient  habe, 
dafs  die  vermeinten  Männer  Kedems  auch  nicht  ein  einziges 
anderes  Wort  ihrer  Sprache  in   irgend  einer  Kadmeischen 
Sprache  zurückgelassen  haben,  ist  eine  Behauptung,  welche 
di.s  Studium  der  Orientalischen  Sprachen  und  Religionen  so- 
gleich hinlänglich  widerlegt.     Dafs  aber  aus  der.  in  Kadmos 
aits^edruckte«  Idee  ein  Kolonienführer  mit  allem ,  was  an  ihm 
hängt,  geworden  ist,  davon  ist  der  einfache  Schlüssel  die 


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I 

54 0  Dt  Hypcrboreis  fcrtpsft'$a  H.^lnV  Schob ar f. 


natu »liehe  und  gewöhnliche  Verwechslung  einer  mythischen 
rörsoniheation  mit  einer  wirklichen  gj^isf  »*%^ffotv  ™ 

"  -  w«<  ■    '     .jt;»;.ifi'  -  ».Vi  Ul  g'<ftv  "•>--** 

De  Uyperbor  eis  Commentatio  inaugurtdis,  quam,  contentients  am- 
■plissimo  -philo sophor um  ordine  Academiae  Marbmr%et*i$}  mtmdito* 
mm  examim  subjicit  Jo.  Henricus  Gktistums  S  e  h  u  b  a  r  t ,  Mar- 
burg ensis.  Marburgi ,  typis  J,  Chr.  Kriegeri  academicis.  >  t« 25. 
60  S.  in  Octav,  /  ♦  "    \»\   •»!*.  US  3*ltf*ei!i 

'      1  *  *•■  »Air  Ii  P      I      •  '.l  iJOU 

Diele  Monographie  über  die  Hyperboreer  lerfällt  in 
zwei  Hauptabschnitte,  wovon  der  erslere  die  früheren  Mei- 
nungen verschiedener  Gelehrten  Uber  diesen  Gegenstand  durch- 
geht und  Widerlegung  oder  Zweifel  daran  knüpft  ,  der  andere 
aber  die  eigenen  Ansichten  des  Verf.  enthalt ,  und  «war  wieder 
in  ewei  UnterabtheiKingen  v  worin  er  die  Fragen  sn  beantwoi« 
ten  sucht,  was  denn  die  Hyperboreer  eigentlich  für  ein  Volk 
gewesen,  und  wie  es  sich  mit  den  im  Alter thum  öfters  vor- 
kommenden Gesandtschaften  derselben  verhalte;  So  wird  also 
der  Gegenstand  bios  von  der  geographischen  und  historischen 
Seite  beleuchtet,  das  Mythische  glaubte  der  Vf.  ausschliefsen  au 
können,  „baec  enim  pars,  sagt  er  S.  7,  luculenter  admodum  ab 
aliis  est  exposita",  und  S.  31.  jMythologica  enim  hujasfabu- 
lae  pars  egregie  a  Creusero  Q.  aliisque  est  tractata.  «*  Ob  sich 
aber  beides  so  getrennt  bebandeln  lasse,  ist  eine  andre  Frage, 
die  wir  dem  Verf.  vorlegen  wollen,  zumal  da  derselbe  Oberall 
auf  eine  lobens wer r he  Weise  bemüht  ist,  in  die  verworrenen 
und  widersprechenden  Nachrichten,  welche  aus  den  verschie- 
densten Schriften  des  Alterthums  auf  uns  gekommen  sind  ,  eini- 
ges Licht  su  bringen  und  die  Dunkelheit,  welche  durch  manche 
Heuere  Gelehrte  eher  vermehrt  als  vermindert  worden,  einiger« 
mafsen  aufzuhellen ,  obgleich  der  Gegenstand  von  des  Art  ist, 
„in  qua  quid  non  sit ,  quam  quid  sit ,  facilius  est  definitu."  Wir 
t heilen  daher  eine  Ueber  sieht  der  in  dieser  Schrift  enthaltenen 
Forschungen  nebst  den  Resultaten  derselben  mit,  und  erlauben 
uns  einig«  weitere  Bemerkungen  daran  su  knüpfen. 

Von  S.  7  an  bis  S.  26  führt  der  Verf.  die  Meinungen  frü- 
herer Gelehrten  Ober  die  Hyperboreer  auf.  Zuvörderst 
die  Behauptung  einiger  nordischen  Gelehrten,  welche  dieSiue 
der  Hyperboreer  in  Scaudinavien  suchen,  und  dabei  besonders 
auf  eine  Stelle  des  Diodor  XI,  47.  sich  berufen,  deren  riebti- 
geren Sinn  jedoch  der  Verf.  sur  Genüge  entwickelt  und  so  die 


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Dt  BjprrbtMtfs  texip  si  t  J.  H.  Chf;  Schubart.  644 

Nichtigkeit  jener  Behauptung  erhärtet.    Z weite ni  die  Mei- 
nung des  gelehrten  Bayer,  der  selbst  Wesseling  in  gewisser 
Hinsicht  beitrat.    Er  meinte,  Hyperboreer  seyen  die  Griechen, 
welche  lieh  nach  dem  Trojanischen  Kriege  in  Thracien  und  in 
der  ganzen  Landstrecke  bis  «um  Pontus  Euxinus  und  dem  nörd- 
lichen Theile  des  Adriatiscben  Meeres  Wohnsitze  gesucht. 
Solche  aber  seyen  die  Hyllen  im  Liburnerland,  eine  Colonie, 
von  Hyllos,  dem  Sohne  des  Herakles,  dahin  gerührt;  von 
ihnen  ,  im  Norden  und  Nordwesten  Thraciens  ,  seyen  die  be- 
kannten Hyperboreischen  Gesandtschaften  gekommen.  Aber 
die  Gegengiünde  des  Verf.  entkräften  diese  Annahme  vollkom- 
men.    VVie  sollen  die  von  Herakles  abstammenden  Hyllen  Hy- 
perboreer seyn  ,  zu  welchen  Herakles  selber  zog  und  zwar  lange 
vor  dem  Trojanischen  Kriege,  während  die  Hyllen  erst  nach 
demselben  dahin  gezogen  seyn  sollen!    Dann  ist  auch  die  Grie- 
chische Abkunft  der  Hyllen  selber  zweifelhaft,  für  welche  blos 
die  schwache  Autorität  des  Scymnus  Chius  spricht,  Andere 
aber,  ja  die  Meisten ,  jenes  Volk  für  illyrisch,  celtiscb  ,  kurz 
hür  barbarisebeu  (im  Griechischen  Sinne  des  Worts)  Ursprungs 
erklüren.    An  diese  Meinung  Bayer's  schliefst  sich  drittens 
die  von  Fre'ret  in  den  Me'moires  de  l  Academie  des  Inscript. 
aufgestellte  und  von  Des-Brosses  angenommene  Behaup- 
tung, dafs  unter  dem  Volke  der  Hyperboreer  die  jenseits  des 
Berges  Bora  in  Macedonien   wohnenden  Völkerschaften  zu 
verstehen  seyen,   welche  dann  nach  und  nach  immer  weiter 
selbst  bis  an  den  Nordpol  hinaufgerückt  seyen.    Aber  die  ein- 
zige Stelle,  in  welcher  ein  Berg  dieses  Namens  vorkommt, 
bei  Livius  XLV,  29.  30.  ist  keineswegs  ohne  gegründeten 
Verdacht,  und  kömmt  bei  Griechischen  Schriftstellern  dieser 
Berg  unter  dem  Namen  Bcfve;  und  Bttass*  vor.  Vorsichtiger 
gieng  der  Abbe'  Gedoyn  zu  Werke.     Er  unterschied  über- 
haupt im  Hellenischen  Alterthura  eine  doppelte  Zeit,  die  äl- 
tere, wo  die  ungebildeten,  aller  Kenntnil*  der  Physik  und 
Geographie  ermangelnden  Hellenen  die  Hyperboreer  sich  als 
ein  Volk  dachten,  das  unter  dem  Nordpol  selber  wohne,  un- 
ausgesetzt dem  Hauche  des  Boreas ,   und  eine  spätere  Zeit, 
wo  die  Griechen  bei  fortgeschrittener  Kenntnifs  und  Cultur 
unter  den  Hyperboreern  sich  Volksstämme  dachten,  welche  im 
hoben  Norden  von  Griechenland  wohnten,  in  dem  Lande  zwi- 
schen der  Talus  Maeotica  und  dem  Pontus  Euxinus;  die  Opfer 
bringenden  Scythen  aber  Seyen  keine  andere,  als  die  Bewoh- 
ner der  durch  Mithridates  unterjochten  scythischen  Chersones. 
Diese  Behauptung  ,  gestützt  auf  die  allerdings  nothwendige 
Unterscheidung  der  Zeiten  ( —  Ausscheidung  der  mythischen 


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512  Be  Hrperbüreis  scripslt  frfl/fefcr;  Seft»bs*ft 

* 

Zeit  von  der  historischen  — -),  hat  aber  hlos  die  Autorität  des 
Pausanias  für  sich,  ohne  den  Herodotus  und  alle  andern  Ul- 
teren  Quellen  zu  berücksichtigen  oder  mit  rhner  im  Einklang 
zu  seyn.  Banier,  der  ebenfalls  diesen  Gegenstand  behan- 
delte ,  äufserte  sich  widersprechend.  Ihm  sind  die  Hyperbo- 
reer die  über  dem  nach  Meinung  der  Hellenen  von  Thracien 
her  kommenden  Boreas  wohnenden  Völker,  also  die  Bewohner 
des  Nordens  oberhalb  Thracien;  dann  aber  läfst  er  dasselbe 
Volk  wieder  in  Kolchis  am  Phasis  wohnen. 

In  neueren  Zeiten  hat  man  diesen  Gegenstand  wiederholt 
zu  behandeln  gesucht.  Man  hat  die  Hyperboreer  in  die  ans« 
serste  Westwelt  verlegt ,  wo  sie  die  nachmaligen  lberier  und 
Kelten  umfaßten,  bis  sie  in  Skythien  sich  verloren  und  immer 
weiter  hinaufgedrängt  endlich  art  den  äufsersten  Nordrand  des 
Okeanos  versetzt  worden.  So  Seyen  die  Hyperboreer,  ein 
anfangs  westliches  Volk,  Aber  des  Böreas  Erreichung  hinweg 
ein  Volk  jenseits  der  nördlichen  Rhipüenkette ,  der  Heiniath 
des  Boreas,  geworden;  an  diesen  nordwestlichen  Rhipäen  — 
die  nur  dunkel  gekannten  Pyrenäen  oder  Alpert  —  um  des  He- 
rakles Süulen  hätten  die  Hyperboreer  gewohnt ,  dort,  wo  auch 
Oelbiiiune  hatten  fortkommen  können.  Das  sind  die  Haupt- 
züge ,  deren  nähere  Entwicklung  man  hier  nicht  erwarten 
wird.  Vernehmen  wir,  was  der  Vf.  dagegen  erinnert.^  Wenn 
hier,  um  die  Hyperboreer  in  die  Westwelt  zu' verlegen  und 
mit  den  Khipü»m  u.  s.  w.  in  Verbindung  zu  brirrgen,  die  Er- 
zählungen des  Herodot  von  den  SehifFfabrten  der  Phocäer  u.  s.  w. 
herbeigezogen  werden,  so  ist  immer  zu  bemerken,  dals  Hero- 
dot nicht  die  Hyperboreer  ,  sondern  Tartels,  Adria  ,•  das  Tyr- 
rhenische  Meer  u.  s.  w.  nennt,  dafs  er  aber  hier  der  Hyperbo- 
reer eben  so  wenig  als  der  Khipäen  und  Arimaspen  auch  nur 
mit  einer  Sylbe  gedenkt.  Wenn  zwar  bei  späteren  Schrift- 
stellern die  Hyperboreer  in  dieser  Verbindung  mit  den  Rhi- 
päen  u.  s.  w.  vorkommen,  so  müssen  doch,  nach  den  Grund- 
sätzen historischer  Kritik ,  eben  diese  späteren  Nachrichten 
von  den  älteren  eines  Herodotus  sorgfältig  geschieden  wer- 
den. Herodot  beschreibt  zwar  beide,  aber  an  völlig  verschie- 
denen Orten  und  ohne  auf  irgend  eine  Verbindung  zwischen 
beiden  zu  führen.  Ferner  der  Name  dieses  Volkes  ,  der  doch 
natürlicher  Weise  nach  seiner  Zusammensetzung  nur  die  über 
«lein  Boreas  Wohnenden  bezeichnen  kann,  also  nicht  auf  ein 
Volk  des  VVe  s  t  lande»  f  sondern  des  Nordlandes  passen  kann. 
Auf  die  unsichere  Stelle  des  Aeschylus  im  Prometheus  790  tf. 
wird  man  keine  sichere  Behauptung  zu  gründen  vermögend 
seyn.     Zwar  verlegt  Pindar  die  Hyperboreer  an  die  Quellen 


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I 


des  Isther ;  aber  dachte  sich  Pindar  die  letzteren  an  derselben 
Steife,  wo  Herodot  sie  hinsetzt,  nämlich  in  öjen  äufsersten 
Westen  ?     Dann  ,   tilgt  Ree.  hinzu  ,   werden  eben  bei  Pindar 
Isthin.  Vr,  31.  den  Ouellen  des  Nil  (im  äufsersten  Süden)  die 
Hyperboreer  entgegengestellt.     Durch  diese  und  andere  Stel- 
len gewinnen  die  von  unserm  Verf.,  wie  es  scheint,  nicht  ge- 
kannten Ansichten  von  Hug  (Untersuchungen  über  den  My- 
thus S.  57.)  und  Tafel  (Explicatt.  Pindarr,  zu  Olymp.  III, 
56.  pag.  144  ff.)  neue  Stütze,  und  wie  wären  genöthigt,  bei 
den  Hyperboreern  nur  an  den  Norden  zu  denken.     Auch  die 
ausführlichere  Untersuchung,  welche  neuerdings  K.  O.  Mül- 
ler in  den  Dorern  I.  Abth.  S.  267  ff.  273  ff.  über  diesen  Ge- 
genstand angestellt,  scheint  dem  Verf.  nicht  bekannt  gewesen 
zu  ieyn.     üewifs  mit  Recht  weist  Müller  dem  Volke  der 
Hyperboreer  den  Norden  als  ursprüngliche*  Lokal  an,  indem 
hierauf  der  Name  desselben  eben  so  führt  ,  wie  der  von  Nor- 
den herabkommende  Dienst  des  Apollo.     Wenn  aber  Müller 
an  die  Gegend  von  Tempe  denkt,    was  der  alten,  einfachen 
Beschi  änktheit  der  Sage  am  angemessensten  wäre,  oder,  wenn 
man  kühnere  Vermutbung  gestatte,  an  die  Illyrischen  Hylleer, 
so  will  Ree.  solches  dahingestellt  seyn  lassen,  da  er  nähere  Be- 
werber1 dafür,  die  nicht  aus  der  Luft  gegriffen  sind,  nicht  auf- 
zubringen weifs;  er  ist  aber  auch  der  Meinung,  dafs  man  bei 
dt«-    Untersuchung  nach  den  wirklichen  Wohnsitzen  dieses 
Volkes  zugleich  ein  ideelles  Volk,   ein  mythisches  Volk  vor 
Aügen  haben  müsse,  welchem  spatere  Dichter  und  Geographen 
ein  bestimmtes  Lokal  auszumitteln  gesucht  in  den  verschiede- 
nen, Hellas  minder  bekannten  nördlichen  Landstrichen,  wo- 
mit jedoch  die  Existenz  eines  wirklichen  Volkes  nicht  ge- 
längnet  wird. 

Vernehmen  wir  endlich,  wie  sich  unser  Verf.  die  von  den 
von  ihm  früher  aufgezählten  Gelehrten  ungenügend  beantwor- 
tete Frage  nach  den  Wohnsitzen  der  Hyperboreer,  deren 
Existenz  als  die  eines  wirklichen  Volkes  ungezweifelt  ist ,  zu 
beantworten  sucht.  Wie  verwickelt  dieser  Gegenstand,  wie 
schwierig  dadurch  die  Beantwortung  desselben  geworden  ist, 
werden  die.  Leser  schon  aus  dem  früher  Bemerkten  ersehen 
haben.  Bei  der,  freilich  in  die  vorhistorische  Periode  fallen- 
den Verbindung  zwischen  den  Völkern  des  östlichen  Asiens 
und  dem  Bergrücken  des  Caucasus  zwischen  dem  Caspischeu 
IMeere  und  dem  Pontus  Euxinus,  glaubt  der  Verf.  die  Ver- 
mutbung wagen  zu  dürfen,  dafs  die  Hyperboreer  kein  eigener 
Volksstamm  gewesen,  sondern  Colonisten,  aus  dein  Orient 
abstammend,   welche,  vielleicht  unter  Anführung  von  Prie- 


644  Pü  Hyperboreis  mipiit  X  ö.  Chr.  SchuUrt. 


•tem  t  eine  Reihe  von  Colonie»  in  den  Ländern,  welche  den 
l'ontus  Euxinus  umgeben,  in  nördlicher  und  östlicher  Rieh« 
tuug  gegründet.  Verschmolzen  aber  mit  den  hier  lebenden 
Volksstäramen,  gieng  ihr  eigentlicher  Name  unter  und  verlor 
»ich  in  den  Namen  des  Volkes,  mit  dem  sie  sich  verbanden, 
woraus  es  sich  dann  erklären  lälst,  wie  unter  dem  Namen 
verschiedener  Scythischer  Völkerschaften,  als  Ariraaspen,  Ar- 
ippäer,  Arymphäer,  die  Hyperboreer  verborgen  sind.  Ins- 
esondere  ist  nun  der  Verfasser  S.  34  tf.  bemüht,  in  mehreren 
Punkten  die  Aehnlichkeiten  in  Sitten  u.  dergl.  zwischen  den 
Hyperboreern  und  den  Scythischen  Argippäern  zusammen- 
zustellen. 

Die  zweite  Frage,  deren  Beantwortung  sich  der  Verf. 
»um  Gegenstände  gemacht  hatte,  betraf  die  G  e  s  a  n  d  ts  ch  ar- 
tende r  Hyperboreer  nach  Delus ,   und  zwar  unter  fünf 
Funkten.    Im  ersteren  sucht  er  nach  Herodot  die  Art  und 
Weise  auszumitteln ,  in  welcher  die  Hyperboreer  ihre  Opfer 
überbracht;  dann  im  zweiten  den  Weg  auszumitteln,  auf 
welchem  dieselben  überbracht  worden;  worin  freilich  Hero- 
dotus  (IV,  33.)  und  Pausanias  (I,  3l,  2.)  sich  widersprechen, 
des  ersteren  Autorität  aber  wohl  überwiegend  seyn  düifte. 
Man  vergleiche,  wie  sich  der  Vf.  S.  46.  dies  erklärt.  Drity 
tens,  welche  Geschenke  und  Opfer  die  Hyperboreer  nach  De- 
los  gesendet;  wobei  der  Verf.  auf  Salmasius  Exercitt.  Plin. 
sich  mit  Recht  beziehen  und  dabei  beruhigen  mufste ,  indem 
wohl  nichts  Neues  darüber  sich  bemerken  läfst.  Viertens 
zählt  der  Verf.  die  verschiedenen  Gesandtschaften,   von  denen 
wir  aus  dem  Alterthum  einige  Kunde  erhalten  haben,  aufj 
Vuid  endlich  fünftens  macht  er  auf  die  Ehrenbezeugungen 
aufmerksam,   welche  den  Hyperboreern  auf  Delos  erwiesen 
worden.     Einige  Bemerkungen  über  den  Homerischen  Hym- 
nus auf  Apollo  vs.  146  —  164,  der  auf  Hyperboreische  Reli- 
gionen sich  nach  des  Verf.  Ansicht  bezieht,  beschließen  die 
fleiisig  gearbeitete  Schritt. 

•  ,     '  '  '  '  •.  >  . 

.  j  |  * 


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< 


N.  35.  1826. 

■  4 

Heidelberger 

.  "  s 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Breslau ,  hei  J.  Max  u.  Komp.  Das  alte  Magdehurgische  und  Hallt* 
sehe  Recht.  Ein  Beitrag  zur  deutschen  Rechts geschieht e 4  Dort 
Dr.  £.  Th.  Gaupp,  Professor  der  Rechte  %u  Breslau,  1820* 
Vorrede  S,  X     S.  354. 

Es  kann  für  die  Bearbeitung  des  deutschen  Privatrcclits 
keine  bessere  Vorarbeit  geliefert  werden,  als  wenn  alte  llechts- 
cju eilen  aus  ihrem  Dunkel  hervorgezogen,  verständig  erläutert 
und  wenn  vorzüglich  die  Mutterrechte  der  deutschen  Stadtf  echte- 
nach  ihrer  Entstehung ,  ihrem  Zusammenhange  und  nach  der 
Fortbildung  in  den  von  ihnen  abstammenden  Hechten  erläutert 
werden»    Noch  liegen  in  den  verschiedenen  Archiven  Deutsch* 
Jands  die  herrlichsten  Rechtscruellen  unbenutzt;   so  ist  z.  B/ 
für   die  Geschichte  der  niederrheinischen  Stadtrechte  noch 
nichts  geschehen,  während  doch  das  Stadtrecht  von  Zütpben 
und  das  darauf  gebaute  Recht  der  Stadt  Emerich  ein  schon  am 
Ende  des  dreizehnten  oder  sicher  am  Anfange  des  vierzehnten 
Jahrhunderts  gesammeltes  sehr  vollständiges  Stadtrecht  enthält, 
das  die  wichtigsten  Aufschlüsse  über  die  Natur  des  fränkischen 
Hecbts  giebt,  und  z.  B.  in  der  Lehre  von  der  Vormundschaft 
Verhältnisse  des  deutschen  Rechts  erläutert.  Über  Welche  in 
anderen  Stadtrechten  nichts  oder  nur  sehr  wenig  vorkömmt. 
So  hat  die  Stadt  Cleve  ein  sehr  vollständiges  (218  Titel  ent- 
haltendes) Stadrecht  aus  dem  Anfang  des  fünfzehnten  Jahrhun« 
derts.     Vorzüglich  aber  verdienen  noch  die  Sammlungen  der 
Gewohnheiten  einzelner  Länder ,  die  durch  ihre  politischen 
Verhältnisse  sich  selbstständig  erhalten  9  und  das  germanische 
Hecht  rein  bewahrt  haben  f  eine  genauere  Erforschung,  Ree« 
macht  in  dieser  Hinsicht  auf  einige  Statute  aufmerksam  9  die 
noch  ungedruckt  sind ,  und  höchst  reichhaltige  Ausbeute  für 
deutsches  Recht  geben.  Dahin  gehören  die  Gewohnheitsrechte 
der  einzelnen  tyrolischen  Thäler  ;  fast  jedes  Thal  bat  seine  be- 
sondere Sammlung,  in  welcher 9  vorzüglich  in  Deutschtyrol, 
keine  Spur  vom  römischen  Recht  «ich  zeigt.    Für  das  deutsche 
Erbrecht  findet  sich  darin  vorzüglich  Vieles.     Sehr  merkwür« 

.XIX.  Jahrg.   6.  Heft.  35 


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646  Gaupp,  das  Mag 'i  burgische  und  UaTtischc  Recht 


dig  sind  auch  die  westphäli  sehen  Sandwellerrechtssprflche,  die 
in  einer  sehr  vollständigen  Sammlung  Schönnens  prüche  de* 
obersten  Schöffengerichts  au  Saiidwelle  enthalten.  Zu  Sand- 
Welle  befand  sieb  nämlich  das  höchste  Gogericht,  an  welches 
von  den  anderen  Gogerichten  der  Recbtszug  ging  ;  s."Urkimdcn 
in  Kindling-r  Mönsterische  Beitr.  II.  Th.  S.  346.  und  IM, 
von  1491  »n  Niesert  Münsteriscbes  Uikundenbuch  H.  Th. 
S.  l3l.  Nicbt  weniger  verdiente  das  Landrecht  der  Land- 
schaft  Delbrück  in  Westphalen  einer  Bekanntmachung,  <fa 
darin  (dies  Landrecht  galt  bis  zur  neuesten  Zeit)  alrgermani- 
schea  Recht  vorkömmt,  und  das  Sehr  weitläufige  Landrecbt 
nur  aus  SchöfFeusprficben  hervorging. 

Unter  den  deutschen  durch  den  Druck  verbreiteten  Mut- 
terrechten  ragt  insbesondere  das  Magdeburg! sehe  Recht  hervor. 
Es  ergab  sich  aus  einer  Reihe  von  Stadtstatuten,  dafs  sie  nur 
auf  Magdeburgisches  Recht  gebaut  waren,  und  sehr  viele  Städte 
ihren  Rechtszug  an  den  Obeihof  von  Magdeburg  hatten;  ver- 
geblich aber  bemühte  man  sich,  einen  Codex  des  in  Magde- 
bürg  selbst  in  Uebung  gewesenen  und  für  Magdeburg  gesam- 
melten Rechts  zu  erhalten;  es  blieb  daher  nichts  übrig,  als  au« 
den  bekannten  Stadtrechten  jener  Städte,  welche  ihr  Hecht 
von  Magdeburg  unmittelbar  oder  mittelbar  eibalten  hatten, 
z.B.  aus  den  Rechten  von  Görlitz,  Brieg,  Neumarkt  in  Schle- 
sien,  auf  das  Magdeburgische  Recht  zui  ückzuscbliefsen, 
wichtiger  Gegenstand  der  Forschung  blieb  dabei  das  soge- 
nannte Magdeburgische  oder  sächsische,  von  Ludovici  u.  A. 
herausgegebene  Weichbiblrecht.  oollte  für  die  Geschichte 
dieses  höchst  interessanten  Mutterrechts  etwaa  Gründliches 
geleistet  werden,  so  miifste  der  innere  Zusammenhang  der 
Stadtrechte,  welche  auf  das  Magdeburgische  Recht  gebaut 
waren,  hergestellt,  und  insbesondere  der  Ursprung  des  sach- 
sischen Weichbildfechts  Und  das  Verhältnifs  desselben  zu  den 
abgeleiteten  Stadtrechten  erforscht  werden.  Aus  den  bei  Böh- 
me in  seinen  Beitr.  zum  schlesischen  Rechte  gegebenen  Nach- 
richten  zeigte  sich  leiebt,  dafs  in  den  Archiven  der  schlesiscben 
Städte  noch  unbenüt2te, reichhaltige  Schätze  von.Rechtscptllen 
vorhanden  seyn  müfsten;  und  die  im  vorliegenden  Buche  von 
dem  Verf.  mitgetheilten  Urkunden  zeigen,  dals  die  /Vermu- 
ttiung  wohl  gegründet  war.  Uebrigens  sind  die  vom  Verl. 
benützten  Uckunden  nicht  die  einzigen,  nach  deren  Mittei- 
lung der  Rechtshistoriker  sich  sehnt;  denn  noch  existiren  Viele 
Stadtrechte  in  .Schlesien ,  die  ein  hohes  Älter  haben,  und  von 
deren  Daseyn  bisher  die  Germanisten  nichts  wufsten  ;  so .  fc.B« 
führt  Homeyer   in  seiner  Uebersetgung   von  Rosenving«5 


i 


e 


Gaupp,  das  Magdoburglsche  uud  Hallische  Recht.  647 

*  .  • 

Grundrifs  der  dänischen  Rechtsgeschichte  S.  97.  einen  Auszug 
aui  einem  noch  unedirten  Stadtrecht  von  Löwenberg  iu  Schle- 
sien aus  dem  Ende  des  dreizehnten  Jahrhunderts  an,  wovon 
der  Verf.  der  vorliegenden  Schrift  nichts  erwähnt ;  aus  einet 
Note  S.  46.  der  gegenwärtigen  Schrift  erfährt  man  noch,  dafs 
die  schlesischen  Städte  nicht  hlos  mit  dem  Magdeburgischen 
Rechte  hewidraet  waren,  sondern  auch  einige  Städte  mit  flä- 
mischem Rechte  bewidmet  sind.  Der  Verf.  scheint  zwar  an* 
Zunehmen,  dafs  dies  flämische  Recht  nur  auf  irgend  ein  ein. 
seines  Rcchtsverhältnifs  sich  bezogen  habe;  Ree.  aber  kann 
diesem  nicht  beistimmen ,  da  nach  den  Notizen  ,  welche  Ver- 
aebe  in  seinem  bekannten  Werke  übet  die  Verbreitung  der 
niederländischen  Colonleen  gegeben  hat,  nicht  zu  bestreiten 
istt  dafs  auch  in  Schlesien  solche  flämische  Colonieen  vorka- 
men, —  Der  Verfasser,  als  ein  gründlicher  und  geistvoller 
Germanist  hinreichend  durch  die  Herausgabe  seiner  Schrift : 
über  deutsche  Städtegründung,  dein  Publikum  bekannt,  hat 
durch  die  Bearbeitung  der  für  deutsches  Recht  so  interessanten 
Geschichte  der  Fortbildung  des  Magdeburgischen  Rechts  in 
den  schlesischen  Städten  ein  grofses  Verdienst  sich  erworben, 
Und  durch  die  Bekanntmachung  mancher  bisher  unbenutzten 
Urkunden  jedem  Germanisten  ein  sehr  willkommenes  Geschenk 
gemacht.  Der  Verf.  handelt  S.  19.  zuerst  von  den  seit  Mitte 
des  vorigen  Jahrhunderts  neu  entdeckten  Quellen  des  älteren 
Magdeburgischen  Rechts,  und  verweilt  dann  S.  24-  genauer 
bei  dem  der  Stadt  Görlitz  1304  mitgetheilten  Codex  des  Mag- 
deburgischen Rechts.  Urkunden,  wodurch  Brieg  1327  das 
Breslauische  Recht  erhielt,  hatte  bereits  Bühnte  in  seinen  Bei- 
trägen mitgetbeilt,  und  dies  Briegische  Recht  war  im  Wesent- 
lichen Magdeburgerrecht ;  dies  wies  darauf  zurück,  dafs  Bres- 
lau schon  früher  Magdeburgerrecht  erhalten  haben  müfste ;  wie 
.  und  wann  aber  dies  Statt  gefunden,  lag  im  Dunkeln,  auch 
war  es  auffallend,  Warum  Brieg  ursprünglich  Auf  deutsches 
oder  Magdeburgisches  Recht  gegründet  wurde  (i350)<  und 
später  sein  Recht  von  Breslau  holte;  nicht  unwahrscheinlich 
ist  die  S.  43  —  47.  geäufserte  Meinung  des  Verf.,  dafs  Bres- 
lau, welches  bald  emporblühte,  und  seit  der  zweiten  Hälft« 
des  dreizehnten  Jahrhunderts  das  Magdeburgische  Recht  in 
einer  viel  ausführlicheren  Urkunde  besafs*  als  sie  bis  dahin 
.  in  Schlesien  vorhanden  war,  allmäblig  als  diejenige  Stadt  be- 
trachtet wurde,  von  welcher  man  lieber  das  Recht  für  die  be- 
nachbarten Städte  holte,  als  dafs  man  an  das  entfernte  Magde- 
burg sich  wendete;  am  wichtigsten  wurde  es  unter  diesen 
Umständen,  das  Breslauische  Recht  selbst  genauer  Rennen  zu 

35  * 


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648  Caupp,  das  &.»2<!tLiurgt:;che  und  Ualü.-ciu  Recht. 

lernen,  und  in  Bezug  darauf  hat  der  Vf.  ganz  neue  Aufschlüsse 
mitg^Üicilt,  die  ß ich  auf  die  im  Breslauer  Archive  neu  aufge. 
fundenen  Urkunden  gründen;   es  ergiebt  sich,  dafs  1261  zu- 
erst das  Magdeburgische  Hecht  nach  Bresiuu  gesendet  wurde. 
Auf  der  Rückseite  der  Originalurkunde  sind  alier  (S. 5 1.)  Zu- 
sätze, die  erst  später  beigefügt  seyn  müssen,  beigeschrieben 
(der  Verf.  hat  diese  Zusätze  S.  244  —  49.  in  dem  vorliegenden 
Buche  abdrucken  lassen);   Breslau  besitzt  dann  noch  eine  Ur- 
kunde von  1283»  die  die  frühere  Rechtsbelehritng  von  1261, 
die  Zusätze  und  die  Bestätigung  beider  Stücke  durch  Herzog 
Heinrich  IV.  enthält,  zugleich  Befindet  sich  noch  (S.  53.)  in 
Breslau  eine  spätere  Urkunde.     Auffallend  ist  es  nun  ,  dafs  in 
der  Urkunde  von  1283  der  Herzog  seinen  Unwillen  ausspricht, 
dafs  die  J^reslauer  eigenmächtig  an  die  Urkunde  von  1261  Zu- 
sätze geschrieben  hätten»  und  von  der  negligentia  au t  ig riavia 
carinii,  qui  pro  tempore  fuerant,  spricht;  der  Verf.  (i>.  59|.) 
sucht  die«  so  zu  erklären,  dafs  die  Bürger,  um  den  Unwillen 
des  Herzogs  über  ihr  eigenmächtiges  Verfahren  zu  beschwich- 
tigen,  die  Trägheit  oder  Nachlässigkeit  der  Aussteller  der 
Urkunde  von  1261,  Wodurch  nothvvendige. Artikel  ausgelassen 
worden  wären,  anführten,  indem  die  Bürger  dadurch  zu  den 
Zusätzen  veranlafst  worden  wärm;  auch  meint  der  Vf.  S.  60, 
dafs  die  Magdeburnischen  Schöffen  in  der  Urkunde  von  1 26t 
wortlich  oft  den  Sachsenspiegel  abschrieben  ,    aber  manches 
Wichtige  ausliefsen,   und  dafs  dann  die  Breslauer,  in  deren 
Hände  der  Sachsenspiegel  gekommen,   die  Lücke  bemerkt, 
und  nun  das  Fehlende  ans  dem  Sachsenspiegel  abgeschrieben, 
und  vielleicht  noch  aus  einer  Glosse  des  Sachsenspiegels  etwas 
entlehnt  hätten.     Allerdings  ist  diese  Conjectur  sehr  wahr* 
scheinlich,   obwohl  in  Bezug  auf  das  Abschreiben  aus  dein 
Sachsenspiegel  manche  Bedenklichkeiten  bleiben ;  man  mufs 
nur  erwägen,  dafs  die  in  der  Hauptsache  zusammentreffende 
Aebnlichkeit  einer  Stelle  in  einem  Rechtsbuche  mit  einem  Ar» 
tikel  des  Sachsenspiegels  keinen  Beweis  giebt,  dafs  die  Erste 
aus  dem  Zweiten  genommen  sey,  weil  im  Mittelalter  der  Sach- 
senspiegel und  die  Land-  und  Stadtrechte  aus  einer  gemein- 
schaftlichen Quelle,  nämlich  aus  dem  gemeinen,   im  Volks 
lebenden,  den  Schöffen  vorschwebenden  Rechte  schöpften, 
und  insbesondere  war  dies  bei  den  Bestimmungen  der  Fall» 
die  sich  auf  die  Form  des  Verfahrens  bezogen.  —  Der  Verf. 
giebt  nun  S.  69.  von  einem  neu  aufgefundenen  Codex  von 
Breslau,  nämlich  einer  von  Magdeburg  1295  den  Breslauern 
ertheilten  llechtsbelehrüng  Nachricht.  v    In  Ansehung  dieser 
Urkunde  ergeben  sich  zwar  manche  Bedenklichkeiten,  z.B. 


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Gaupp,  das  Mogdeburgische  uqd  Hallisclic  Recht.  549 

• 

warum  di<i  Breslauer,  die  sieb  doch  in  der  Zwischenzeit  selbst 
geholfen  batteVi,   1295  wieder  nach  Magdeburg  sich  wende- 
ten; es  lafst  sieji  aber  auch  aus  der  Geschichte  anderer  Stadt« 
nachweisen,   dats  siu  oft  in  sehr  schwierigen  Füllon,  über 
welche  die  bisherige  Rechtsübung  schwieg,    wieder  an  die 
Mutterstadt  recurrirten.     Es  ist  sehr  zu  beklagen,  dafs  der 
Verf.  nicht  mehr  den  Inhalt  dieser  einzelnen  Urkunden  ent- 
wickelt, und  daf*  er  nur  an  die  üufsere  Geschichte  sich  gehal- 
ten hat.   —  'Zu  den  merkwürdigsten  scblesischen  Urkunden, 
aus  welchen  Magdeburgisches  Recht  erkannt  werden  kann, 
gehört  der  Schöttenbriet  von  1235,    welchen  Neumai  kt  von 
Halle  erhielt.     Böhme,  StÖckel  und  spater  von  Kamptz  hatten 
die  Urkunde  bekannt  gemacht;  der  Verf.  hat  nun  auf  der  Bres- 
lauer  Bibliothek  den  Codex  ,  welchen  Stockei  benützte, '  aufge- 
funden, und  theilt  darübet  S.  75  —  00.  Nachrichten  mit.  Bis- 
her hatte  man  diesen  Brief  von  1235  als  die  älteste  Sammlung/ 
woraus  das  Magdeburgische  Recht  (wenigstens  mittelbar)  er- 
kannt werden  konnte ,  betrachtet;  i$24  aber  hat  Worbs  im 
neuen  Archiv  für  die  Geschichte  Schlesien!  zwei  andere  Mag-  : 
debur£ische  Urkunden  bekannt  gemacht,   eine  Urkunde  von 
1211  und  eine  etwas  spätere,   jedoch  bald  darauf  erfolgende 
Urkunde  für  die  Stadt  Goldberg.     De«  Verf.  des  vorliegenden 
Schrift  hat  sich  den  Dank  der  Germanisten  verdient  ,  dafs  er 
diese  Urkunde  sur  allgemeineren  Kenntuifs  gebracht,  und  zur 
Entstehungsgeschichte  dieser  Urkunden  interessante  Materia- 
lien (S.  80  —  8'/.)  geliefert  bat.    Die  erste  Urkunde  von  1211 
ist  ein  Privilegium  des  Erabischofs  Wichmann  1188  den  Mag- 
deburgern verliehen ,   und  1211  den  Bürgern  von  Goldberg 
mitgetheilt ;  die  aweite  Urkunde  (ohne  Datum,  jedoch  wahr- 
scheinlich bald  nach  171))  enthält  eine  Rechtsbelehrung  für 
Goldberg.     Interessante  Bemerkungen  über  das  Verbältnifs 
dieser  verschiedenen  Rechtsbelehrungen  stellt  der  Verf.  S.  87. 
auf;  es  ist  ganz  richtig  (&91.),  dafs  kein  Satz,  der  in  solchen 
Sammlungen  von  Rechtsbelebrungen  stand,  deswegen  als  prak- 
tisches Recht  galt,  weil  er  in  des  Sammlung  Platz  gefunden 
hatte,   dafs  er  vielmehr  nur  deswegen  in  die  Sammlung  aufge- 
nommen worden,  weil  er  schon  vorher  als  praktisches  Recht 
galt.     Ueberall  zeigt  sich  die  Idee,  dafs  man  im  Mittelalter 
.ui  ein  gemeines  Recht  sich  hielt,  welches  allen  Schöffen  vor- 
schwebte, und  woraus  die  Sammlungen  genommen  wurden, 
weil  gleichsam  der  Sammler  nur  aus  der  Fülle  des  lebendigen 
Hechts  schupfte,  und  als  Garantie  für  die  praktische  Natur 
iieses  Rechtskauf  das  Zeugnifs  des  ganzen  Volkes  sich  berufen 
konnte;  überall  aber  in  u  taten  die  Sammler  sich  auch  an  das  in 

• 


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-  .  . 

550         Gaupp ,  das  Magdeburglsche  und  Hallische  Recht, 

dem  speciellen  Kreise,  für  den  die  Sammlung  bestimmt  war, 
in  Rechtsflbung  befindliche  Hecht   halten,    welches  in  den 
Grundideen  gemeines  Recht  war,  in  dem  Detail  aber  nach  der 
Verschiedenheit  der  Elemente t    die  auf  die  Fortbildung  an 
einem  gewissen  Orte  wirkten  ,  als  partikulares  Recht  betrach- 
tet werden  konnte.     Ree.  will  in  dieser  Beziehung  auf  ein« 
höchst  interessante  Stelle  (in  Wigands  Archiv  für  Geschieht« 
und  Alterthumskunde  Westphalens,  Hamm  1825.  I.Hft.  S.98.) 
in  den  Höxterischen  Statuten  (zwischen  1223  -7-  57.)  aufmerj^, 
sam  machen 9  wo  es- heilst;  arbitrio  sive  conauetudine,  qued 
vulgariter  Wilkore  dicitur,  truod  tarnen  non  est  jus  commune. 
—   Durch  die  Sammlungen  des  Rechts  gewann  freilich, die 
Recbtsübung  einen  festen  Boden  ,  allein  es  ist  wahrscheinlich, 
dafs  jeder  Sammler  unvei  merkt  an  dem  bisherigen  Rechte  etwas 
niodificirte  und  von  seinen  Ansichten  bimuthat,  so  dais  all— 
mahl  ig  doch  dies  gesammelte  Recht  in  die  Praxis  überging.; 
daher  erklärt  es  sich  auch  ,  warum  jede  Rechtssammlung  r  wenn 
sie  auch  auf  das  Recht  der  nämlichen  Stadt  sich  bezieht,  von 
der  anderen  abweicht ,  die  vielleicht  nur  ein  Paar  Jahre  später 
entstand;  nirgends  zeigt  sich  dies  deutlicher ,  als  bei  der  Be- 
trachtung der  verschiedenen  Codices  des  Lübischen  Rechts.  — 
Wie  schnell  der  Sachsenspiegel  auf  die  neuen  Rechtssammlun- 
gen  Ein  Hufs  hatte,  ergiebt  sich  ,   wenq  man  bemerkt,  data 
wörtlich  Stellen  daraus  in  die  Rechtsbelehrungen  von  Magde- 
burg für  Breslau  ,  Görlitz  u.  a.  übergingen  (S.  107.). 
befriedigend  ist  die  Untersuchung  des  Verf,  (S.  119.)  überlas 
sogenannte  sächsische  oder  Magdeburgische  Weichbild.  Das 
Resultat  der,Fof*chuftig  des  Verf.  ist:  dafs  dies  Weichbild  aus 
zwei  Xheileu  besteht ,  wovon  der  eine  (vom  Art.  42  an  bis 
stim  Ende)  aus  einer  Handschrift  irgend  einer  R.ecbtsbelehru«g 
des  Magdeburgischen  Rechts  genommen  ist ,   und  am  meisten 
mit  der  Breslauischen  Urkunde  von  1261  übereinstimmt,  wäh- 
rend die  ersten  27  Artikel  ein  kleines  von  einem  Privatinanne 
bearbeitetes  Rechtsbuch  enthalten;   es  scheint  auch,   da(s  das 
jetzige  sächsische  Weichbild  nicht  ein  von  einem  einzigen 
Verfasser  frei  ausgearbeitetes  Rechtsbuch  ist,  daher  au  cb  Wie- 
derholungen vorkommen.    Der  Verf.  meint  (S.  l34*)>  dafs  der 
erste  Theil  (27  ersten  Artikel)  vor  1294  abgefafst  seyn  müsse, 
der  iweite  Theil  wohl  erst  von  1261,  1295  an  in  Abschritten 
verbreitet  seyn  kann.     Den  Beweis  des  ersten  Tbeils  seiner 
Behauptung  gründet  der  Verf.  darauf,  dafs  in  djn 

Gerichts- 

Verhältnissen  Magdeburgs  1294  VerÖnderungen&Vorgingen, 
und  dafs  die  in  dun  ersten  27  Artikeln  vorkommenden:  Stellen 
nur  mit  den  vor  1394  Statt  gefundeneu  Verhältnissen  vereinbar 

•*  ...  . 


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Verzeichnlf«  einer  philologischen  Handbibliothek-  $5| 

«    •       '*»**"       **  *'         -  .  « 

sind  (Sf  144.).     Zu  glauben  ist,  dafs  durch  die  Verbreitung 
des  sächsisch. -n   Weichbilds  die  unmittelbaren  Einholungen 
von  Sammlungen  des  Magdehurgischen  Hechts  seltener  gewor- 
den sind,   und  nur  auf  die  Einholung  von  Hechtsbelehruugen 
über  einzelne  schwierige  Falle  sich   beschrankten,    —  Auf- 
merksamkeit verdient  auch,  was  S.  122.  »•>  der  Note  der  Verf. 
über  das  Verhältnils  des  alten  culmiachen  Hechts  zum  Mägde« 
Jnjrgischen  Hechte  sagt ;  es  ist  sehr  glaublich,  dafs  das  entmi- 
sch* Hecht  aus  Schlesien  und  zwar  aus  Breslau  stammt;  und 
Wenn  man  erwägt,  wie  vollständige  HechtsbeUhrtingen  bald 
nach  einander  1261, 1295  in  Breslau  sich  fanden,  so  gewinnt 
die  schon  von  Hartknoch   geiiufserte  Meinung   sehr  grofso 
Wahrscheinlichkeit.     Der  Verf.  (S#  156.)  berichtigt  noen,  die 
Meinung  vieler  Schriftsteller  von  den  fünf  Arten  des  Magde- 
hurgischen Hechts,'  und  spricht  (S.  166  — »  206.)  von  den 
Magdeburgischen  SchülFen urtheilen  ;    die  gegebenen  ,  häufig 
aus  neuen,  bisher  unbenutzten  Urkunden  geschöpften  Notizen 
beziehen  sich  grölstentheüs  nur  auf  die  ftufsere  Geschichte 
dieser  Schöffensprüche;    auffallend  ist  es,  dafs  der  Verf.  auf 
ein  höchst  wichtiges  und  vollständiges  Mannscript  des  Mag« 
deburgischen  Schöffen,  woraus  z.  B,  auch  Faetz  Comm.  jucc. 
uuiv.  per  pactum  promiss,  Goetting.  1801.    einige  Auszüge 
gab,  keine  Rücksicht  genommen  bat,   —   Eine  sehr  willkom- 
mene Zugabe*  hat  der  Verf.  dadurch  geliefert,  dafs  er  S.  215 
—  354.  alle  Urkunden,  auf  welche  seine  Untersuchung  sich 
l>dzog,  bat  abdrucken  lassen.     Wer  es  weifs,  wie  zerstreut 
diese  alten  Rechts rju eilen  in  verschiedenen  oft  sehr  seltenen 
Büchern  aufgesucht  werden  müssen,  mufs  dem  Verf.  für  die 
Wieder  holte  Sammlung  danken ,  die  dadurch  an  Werth  gewinnt, 
dafs  der  Abdruck  nach  den  vom  Verf.  sorgfäJtig|  verglichenen 
Originalurkunden,  veranstaltet  worden  ist, 

Mittermaißr* 


Verzeichnifs  einer  philologischen  Handbibliothek  für  die-  oberen  Klasse  1 
•   deutscher  Gymnasien  und  Lyceen  zum  öffentlichen  und  Privatge- 
brauche.    Braunschweig ,  bei  L*  Lucius.  1825.    52  S.  8.     3  Gr. 

j      .      .  .  . 

'^mm  Mit  voller  Ueberzeugung  kann  jHef.j  die  eben  angezeigte 
Schrift  empfehlen,  deren  Brauchbarkeit  und  Nützlichkeit  in 
die' Augen  fällt.  Veranlafst  ward  sie,  wie  der  ungenannte 
Herausgeber  in  einer  beherzigensvvetthen  Vorerinnerung  be- 


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651  Veneicljrufi  einer  philologischen  Handbibliothek. 

,  „  .         •  .  .  •       .        •  *     I      t     •  .  •       •    ,  *  *  1  '    •  * 

/ 

merkt,  durch  die  unerfreuliche  Erfahrung,  dafs  ein  grofier 
Tb  eil  der  Studireuden  Jugend  Deutschlands  aus  Sorglosigkeit, 
Unkunde  und  dergl.  mehr  sich  mit  den  schlechtesten  Büchern 
hehilft  und  hei  der  Wahl  seiner  Bücher  MifsgrifTe  thut,  deren 
traurige  Folgen  oft  auf  das  ganze  Leben  ihren  nachtheiligen 
Einflufs  äufsern.  Jedoch  darf  man  nicht  in  dieser  Handbibuo-. 
thek  ein  ausführliches  Verzeichnis  Alles  im  Druck  erschiene- 
nen, aller  und  jedei  Ausgabe  erwarten,  da  solches  der  Zweck 
dieser  Schrift  keineswegs  erforderte  ,  sondern  nur  eine  sorg- 
fältige Auswahl  des  Brauchbaren  zur  Weckung  und  Beschäfti-, 
gung  der  Selbsttätigkeit,  welche  Ziel  alles  Unterrichts,  na- 
mentlich der  ersten  Gyinnasialclassen  seyn  soll.  Deshalb  sind 
(S.  VI.)  nicht  alle  kostbaren  und  grösseren  Werke  aufgenom- 
men ,  sondern  nur  die  wohlfeilsten  und  bewährtesten  Hand« 
büchtr,  nicht  all«  alten  Autoren,  sondern  nur  Jugendschrift- 
steller, nicht  alle  ihre  Schriften  ?  sondern  nur  solche,  welche 
man  wegen  ihres  Bild  Hilfsstoffes  gewöhnlich  zu  öffentlichen 
Lectionen  braucht ,  nicht  alle  Ausgaben,  sondern  nur  die, 
welch«  durch  fruchtbare  Commentare  für  Frimaner  sich  aus- 
zeichnen, «q  wie  dagegen  auch  alle  die  ausgeschlossen  wurden,  . 
welche  unter  diesem  Standpunkte  sind  ;  es  wird  aber  mit  . 
Grund  vorausgesetzt,  dafs  selbst  Auggezeichnetere  sich  bei 
den  angefahrten  Schriften  begnügen  können.  Wo  das  Ver- 
zeichnii*  mehrere  Schriften  neben  einander  nennt ,  sind  ent- 
weder ihre  besonderen  Eigenschaften  angegeben,  oder  man 
soll  die  zueilt  genannte  als  die  vorzüglichste  betrachten 
(S.  VII.).  Unvollständige  Schriften,  oder  solche,'  deren  bal-  ; 
diges  Erscheinen  «icbt  durch  besondere  Umstände  verbürgt 
war,  sind  ganz  übergangen  worden  (S.  VIII/).  Endlich  sind 
die  Ladenpreise  überall  mit  der  möglichsten  Genauigkeit  an« 
gegeben. 

Nach  diesen  Grundsätzen,  deren  Zweckmässigkeit  Nie- 
mand in  Abrede  stellen  wird,  und  deren  zweckmäfsige  An- 
wendung wir  mit  Dank  und  Beifall  anerkennen  müssen,  folgt 
zuerst  das  Verseichnifsdei  allgemeinen  unentbehrlichen  Hülfs- 
mittel,  als  Lexica,  Grammatiken,  Griechische  wie  Lateini- 
sche, ferner  Hülfsmittel  für  den  Lateinischen  Styl  und  dessen 
Bildung  durch  schriftliche  Uebu;igen  (hier  hätte  neben  Zu  mpt  \ 
auch  die  früher  vonCreuzer,  zuletzt  1825-  von  Hefs  be. 
sorgte  Chrestomathie  eine  Erwähnung  verdient;  das  neu  er- 
schienene Uebtingsbuch  von  Weber,  Frankfurt  1825»  wird 
der  Verf.,  wenn  er  es  für  nöthig  erachtet,  bei  einer  zweiten 
Auflage  nachtragen,  da  dasselbe  nicht,  wie  die  beiden  ge.nann.  » 
Iten  Bücher,  deavSchiiler  die  Selbstverbesserung  durch  eigens 


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<  > 


Verzeichnis  eher  philologischen  Handbibliothek.  553 

•  •  •  . 

•  ■ 

• 

ausgewählte  Muster  der  neueren  Latinisten  möglich  macht), 
oder  durch  Leetüre  der  besten  Neu-Lateiner  ,  wie  Muretut, 
Kuhnken  und  Andere  (sind  wohl  hier  auch  die  Collocruia  Eras- 
ini  anzuführen?);  dann  Handbücher  für  Prosodie  und  Metrik, 
für  Kenntnifs  der  Literatur,  Antiquitäten,  Mythologie,  Ar- 
chäologie, alte  Geschiebte  und  Geographie.  -   Wir  hatten  hier 
auch  Krebs  Handbuch  der  philologischen  Bücberkunde  (zwei 
Theile,  Bremen  1822.)  erwähnt  gewünscht.     Darauf  folgen 
nun  die  einzelnen  Ausgaben  der  Griechischen  und  Komischen 
classischeu  Autoren  in  alphabetischer  Ordnung  kurzweg  mit 
jedesmaliger  Angabe  des  Ladenpreises  aufgeführt,  und  ausge- 
wählt nach  den  oben  bemerkten  Grundsätzen.     Ref.  hält  die 
Auswahl  des  Fassenden  und  für  diesen  Zweck  Geeignetem  für 
kein  so  leichtes  Unternehmen,  als  es  auf  den  ersten  Anblick 
scheinen  möchte,  im  Gegentheil  hält  er  es  für  schwierig,  in-  . 
allen  Fällen  das  Rechte  auszuwählen,   nichts  zu  übersehen, 
was  jenem  Zwecke  entspricht,  nichts  aber  auch  anzuführen, 
was  demselben  widerspricht.     So  hätte  Ree.  z.  B,  gleich  bei 
Aelian,   von  dessen  Varia*  Historie  Mos  die  Taucbnitziscba 
Ausgabe  angeführt  ist  ,  es  sind  nämlich  bei  allen  Autoren  die 
Ausgaben  von  Tauchnitz,  Weigel  und  Teubner  angegeben), 
auch  die  Ausgabe  von  Kühn  mit  dem  Commentar  des  Perl«' 
zoniui  (Lipsiae  1780.  2  Tomi.  2  Tblr.  8  Gr.)  aufgeführt, 
da  dieser  Commentar  für  das  Selbststudium  höchst  fruchtbar 
ist,  und  immer  noch  besonders  jungep  Studirenden  als  Anlei- 
tung, die  alten  Autoren  zu  behandeln,  empfohlen  werden  kann. 
Dagegen  sind  z.B.  bei  A  es  cbylus  die  Ausgaben  von  Schwenk 
billigerweise  übergangen;  dafs  die  Schützische  Ausgabe  eben- 
falls übergangen,  kann  Ref.  wenigstens  nicht  tadeln.  Bei 
Demosthenes  vermifste  Recl  die  Ausgabe  der  Leptinea  von 
F.  A.  Wolf,  Hai.  1789.  1  Thlr.  8  Gr.    Bei  Euripides  sind 
auch  die  trefflichen  Bearbeitungen  einzelner  Stucke  vonMonk,  • 
Elmsley ,  Hermann,  Seidler  u.  A.  angeführt,  was  wir  in  jeder 
Hinsicht  billigen  müssen,  nur  glauben  wfc,  dafs  Valcke- 
naers  Ausgaben  der  Phoenissen  und  des  Hippolytus,  viel- 
leicht auch  Mo  n  ks  Hippolytus  eine  Erwähnung  verdient  hät- 
ten,  zumal  wir  jetzt  statt  der  selteneren  und  theueren  Origi- 
nalausgaben wohlfeilere  und  genaue  Abdrücke  von  Leipzig 
erhalten  haben.     Die  neue  Ausgabe  »in  usum  scholarum"  von 
Bothe  (Leipzig,  bei  Hahn,  1Ö25.)»   von  der  vier  Stücke 
(Hecuba,  Orestes,  Phoenissae ,  Medea) ,  jedes  besonders,  erschie- 
nen sind  als  integrirende  Theile  der  Poetae  scenici  Graecorutri, 
wovon  der  erste  Band,  die  neun  ersten  Dramen  des  Euripides 
enthaltend,  bereits  erschienen  ist,  wird  der  Verf,  bei  der 


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554  VeTielchnifs  einer  philologischen  Handbibliothek. 

I    *  -  - 

%  weiten  Ausgabe  nachtragen ,  da  er  bei  dieser  Ausgabe  schwer- 
lich davon  bereits  Keniitnü*  erhalten  haben  konnte.  Bei  He. 
rodian  würde  Ree  auch  F.  A.  Wolfs  Ausgabe  (Hai.  1792. 
16  Gr.)  angerührt  haben.  Dagegen  würde  tr  S.  2u<  Menandri 
et  PhUemonis  Reliquiao  ed.  Meiueke  weggelassen  haben,  zumal 
da  auch  alle  andere  und  ähnliche  Fragmentensammlungen  weg; 

auch  Ree.  mit  dem  Verf.  aar 


worden  sind,  worüber  auch  Ree.  mit  dem  Verfw  g! 
nicht- rechten  will;  er  würde  lieber  bei  den  OtpfdcU  die  Aus- 
gabe von  Hermann  (Lips.  1805.)  und  eben  so  früher  desselben 
Ausgabe  der  Homerischen  Hymnen  (Lips.  1806.)  oder 
auch  die  Ausgabe  des  Hymnus  in  Cererem  cum  notis  Ruhnkenii 
et  Mttschfrlichii  (Lugd.  Bat.  1808.)  angeführt  haben.  Dafs 
bei  1/lutarch  nicht  die  Schulausgabe  einiger  Vitae  von  Bre- 
dow angeführt  ist,  darüber  kann  wenigstens  Ree.  dem  Verf. 
durchaus  keinen  Vorwurf  machen  ;  auch  die  zwei  Bände  ein* 
seiner  Vitae  von  Leopold  (Lips.  1789,  und  1795.)  konnten  in 
gewisser  Hinsicht  weggelassen  werden,  da  diese  Ausgabe 
minder  eine  Schulausgabe  genannt  werden  kann.  Eher  viel- 
leicht könnte  die  Ausgabe  des  Agesilaus  in  Verbindung  mit 
dem  XenQphonteischen  Encomium  Agesilai  von  Baum  gar- 
ten-Cr  usius  (Lips.  l8l2.)  in  das  Verzeichnis  aufgenommen 
werden.  Von  der  Hutten'schen  Ausgabe  des  Demosthenes 
und  Cicero,  die  hier  nach  der  Ausgabe  von  1796  Tubingae  an- 
geführt wird,  ist,  wenn  Ree.  nicht  sehr  irrt,  eine  neue  Ausi 
gäbe  1Ö20  zu  Stuttgart  erschienen.  —  Bei  Horaz  würde  Ree. 
die  Ausgabe  der  Ars  Foetica  von  Paula  von  Hocheder  wegge- 
lassen haben,  da  er  den  Gebrauch  derselben  nicht  für  sonder* 
lieb  nützlich  halten  kann,  es  sey  auf  Schulen  oder  zum  Selbst» 
Stadium.  Ob  bei  Livius  die  Chrestomathieen  von  Bauer 
und  Kayser  anzuführen  sind,  wird  immer  noch  erwogen  wer- 
den müssen.  —  Bei  Terenz  sind  auch  die  Dictata  Rubnke« 
nii  in  Terentium  ed.  Schopen  angeführt,  was  Ree.  sehr  bil- 
ligt; er  würde  aber  auch  die  ältere  Ausgabe  des  Terentius  von 
Brun«  (Hai.  l8ll.  2  Tom.),  worin  diese  Dictata,  freilich 
nicht  mit  der  Genauigkeit,  wie  bei  Schopen,  bereits  abge- 
druckt sind,  anführen.  —  Möge  der  Verf.  in  diesen  ihm  vor- 
gelegten Bemerkungen  nur  einen  Beweis  der  Th  ei  Inahme  er- 
kennen, mit  welcher  Ree.  seine  verdienstliche  Schrift  durch- 
gangen hat,  und  möge  er  darauf  bei  einer  weiteren  Ausgabe 
die  geeiguete  Rücksicht  nebmen  wolleu  \ 


> 

• 


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I         .  ... 

Heya  etymologisch«  Vorsuolie.  655 

fyymologhchö  Versuche  für  MterthumtwUsenschaft  und  Spruchkunde  * 
pon  Ludwig  Friedrich  Üeyd,  Stadlpfarrer  in  Markgrö- 
ningen.    Tübingen,  1824,    148$.  in  5. 

-  ■   .  % 

Diese  unter  dem  bescheidenen  Titel  Versuche  sich  an- 
kündende  Schrift  verdient  Beachtung,  und  nicht  umsonst 4ioflt 
der  Verfasser,  entweder  Ergänzungen  gegeben,  oder  auf  i>«uo 
Funkte  aufmerksam  gemacht  und  Lexikographie  ttod.GraoMna- 
t/k  nicht  unbereichert  gelassen  zu  haben  ,  auch  wejUer«  und 
strengere  Prüfung  des  Bodens,  auf  welchem  Urgeschichte, 
Mythologie  und  Geographie  ruhen,  zu  veranlassen.  Di<  ge- 
genwärtige Beurtheilung  richtet  übrigens  ihr  Augenmerk 
hauptsächlich  auf  das  Etymologische,  und  fiberläfst  dasjenige, 
was  auf  Älterthumskunde  ,  namentlich  auf  Mythologie  Bezug 
hat,  solchen,  die  sich  ein  Recht  erworben  haben,  darüber  zu 
sprechen.  Ree  darf  die  Versicherung  vorausschicken,  dafs 
die  Ergebnisse,  die  der  Verf»  durch  seine  Forschungen  gewon- 
nen hat,  mit  den  sein  igen  häufig  übereinstimmen,  wird  aber 
auch  Olfen  gestehen,  wo  er  Behauptungen  für  zu  wenig  be- 
gründet, oder  die  Anwendung  des  aufgestellten  Grundes  für 
gewagt  halt. 

<  Nach  vorausgeschickter  Grundlegung,  worin  aus  einander 
gesetzt  wird,  dafs  die  Selhstlauter  ein  Allgemeines,  Uobe- 
stimmtes  ausdrücken  und  erst  durch  Mitlauter  zu  einem  Beson- 
dern, Bestimmten  werden,  dafs  s,  als  Halbvocal  den  Selbst- 
lautem  am  nächsten  stehend,  ihnen  ihren  allgemeinen  Cha- 
rakter lasse,  folglich  geeignet  sey,  das  Allgemeine  zu  einem 
Individuellen  zu  bilden,  und  somit  ein  Es,  ein  Etwas  in  der 
Weitesten  Bedeutung  zu  bezeichnen,  geht  der  Verf.  zur  An- 
wendung über  und  weist  den  Sylbenlaut  as,  es,*  ia  u.  s.  w. 
zuerst  in  dem  Fürwort,  dem  Artikel,  der  Zahl  Eins  und  dem 
Zeitwort  Seyn  »als  in  Wörtern  nach,  die  das  Allgemeine  in 
seiner  erkennbaren  Einzelnheit  ausdrücken.  Sodann  sucht  er 
den  S-Laut  auch  in  solchen  Wörtern  nachzuweisen,  die,  ob- 

§leich  einen  mehr  zusammengesetzte»  Begriff  ausdrückend  * 
och  immer  den  Hauptbegriff  einer  in  die  Augen  fallende«  . 
GrÖfse  Und  eines  als  Einzelnbeit  hervortretenden  Ganzen  in 
sich  tragen,  und  eben  deswegen  Benennungen  für  Gegenstände 
sind,  welche  vorzugsweise  ein  Es  genannt  werden  können, 
und  sich  entweder  durch  ihre  grofse  Ausdehnung  und  abgeson- 
derte Stellung,  z.  B,  Berge,  Thiere,  Pflanzen,  Sonne,  Gott 
und  Göttliches,  Priester,  Herr  u.  8.  w,f  auch  ausgedehnte, 
hervorragende  Theile  lebendiger  Körper  und  andere  hervor- 
stehende Größen  ,    oder  durch  ihre  .  theilweise  Zusammen- 

« 


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556  HeyJ  elymologbchc  Versuche. 


setzung  zu  einem  Ganzen  der  Anschauung  kenntlich  machen. 
Nach  diesen  Grundsätzen  sind  S.  29  —  38.  viele  Bergnaineff 
aufgezählt  ,  am  reichsten  ist  die  Anzahl  der  Benennungen  für 
Gott  und  Göttliches ,  Priester  und  Herr,  S.  43 —  95.  'Auf 
diesem  Wege  wird  an  einer  Menge  von  Wörtern  der  ihnen 
durch  jene  Ursylbe  aufgeprägte,  jedoch  durch  Hinzugekom- 
menes genauer  bestimmte  und  individualisirte  Allgemeinbegriff, 
und  somit  der  Grund  ,  warum  sie  als  Benennungen  der  bezeich- 
neten Gegenstände  gebraucht  wurden,  nachgewiesen,  —  Nun 
leidet  es  allerdings  keinen  Zweifel,   dafs  öune  Annahme  von 
Vorlauten  und  Stammsylben,  vermittelst  deren  ein  Allgemein- 
begriff  bezeichnet  wird,  sich  keine  Wortforschung  anstellen 
Ififst,  lind  dafs  sie  aufzusuchen  und  durch  Absonderung  der 
dem  ausgebildeten  Worte  angewachsenen  Anlaute  herauszu- 
stellen für  Sprachkunde  wie  für  Alterthumskunde  eben  so 
uoth wendig  ist,  als  die  Begründung  einer  Sprachlehre  noth- 
w endig  macht,  Sätze  in  Wörter,  Wörter  in  Sylben,  Sylben 
in  Buchstaben  aufzulösen.     Auch  treten  solche  (ideell-,  nicht 
historisch«)  primitive  Laute  oft  so  klar  hervor  und  lassen  sich 
vom  Ganzen  eines  Worts  als  etwas  Selbstständiges  oft  so  leicht 
ablösen,  dafs  ihr  Vorhaodenseyn  und  ihre  Bedeutung  nicht 
geleugnet  werden  kann,  wie  z.B.  ak  das  Spitzige,  Scharfe, 
Stechende  9   Schneidende  ,    d  a  ,  du,   das  Untere,  Tiefe,  Ver« 
borgene,  Finstere,   mu,         das  Heimliche,  Innere,  \  er- 
schlossene,  Dunkle,  ad,  das  Umschliefsende,  ar,  das  in  die 
Höhe  Ragende  bezeichnet.     Und  so  gieht  wohl  jeder  Sprach« 
forscher  dem  Verf.  gerne  zu  ,  dafs  in  dem  Urlaut  as,  es  u.s.vr. 
«  in  AllgemeinbegrifF  liegt.     Dennoch  hat  die  Sache  ihre  Be- 
denklichkeit ,  und  in  ihrer  Anwendung  nicht  geringe  Schwie- 
rigkeiten.    Erstlich  gerüth  man  leicht  in  Gefahr,  den  AK- 
gemeinbegri£P,  den  man  in  vielen  mit  einem  solchen  Laute 
versehenen  Wörtern  durch  Induction  gefunden  hat,  überhaupt 
Wörtern,  die  diesen  Laut  haben,  auf  zu  zw  irtgrn,  wenn  er 
gleich  in  ihnen  nicht  enthalten  ist:  denn  solche  .Laute  können 
Wörtern  aus  einem  zwar  in  dem  menschlichen  Sprachbildungs- 
vermögen  liegenden,  aber  nicht  immer  erforschbaren  Grunde, 
oder  zufolge  einer  nationellen  Gestaltung  der  Sprach  Werkzeugs, 
oder  wegen  vermeintlichen  Wohllauts,   oder  aus  Mifsbören 
de»  aus  der  Fremde  Hergekommenen  eingewoben  worden  seyn, 
oder  sie  bezeichnen  auch  noch  einen  andern  Allgemeinbegritt, 
der  sich  mit  dem  angenommenen  nicht  unter  Eine  Klasse  brin- 
gen lüfst.    So  ist  namentlich  as ,  es,  is,  os,  us  eine  so  bau» 
hge  und  unter  so  mancherlei  Bedeutungen  vorkommende  ety* 
mologische  Anbildung ,  dafs  es  schwer  halten  möchte,  diese 


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0 


« 


Hoya*  i  t^niologiichc  Versuche.  557 

•  .«.••■•'.•  « 

Laute  alle  oder  den  gröfseren  Theil  derselben  in  die  von  dem 
.  Verf.  aufgestellten  Classen  einzureiben.  Die  Ursylbe  ar 
driiekt  das  Hervorragen  aus,  aber  gleich  häutig  bezeichnet, sie 
auch  das  Umfassen,  Einschliefsen.  W ollte  man  nun  allen  oder 
den  meisten  Wörtern,  die  einen  solchen  Urlaut  haben,  über- 
all den  in  demselben  wahrgenommenen  Allgemeinbegriff  bei- 
legen,  so  würde  der  Zwang  in  die  Augen  fallen.  Bemühte 
man  sich  aber,  um  diesen  Stein  des  Anstofses  aus  dem  Wege 
zu  schaffen,  mehrere  Ällgemeinbegriffe ,  die  man  durch  einen 
und  denselben  Urlaut  ausgedrückt  glaubt,  unter  einen  noch 
höheren  zusammen  zufassen,  so  möchte  ein  zweites  Uebei 
entstehen:  der  noch  höber  stehende  Allgemein  begriff  würde 
nämlich  einen  Umfang  haben,  in  den  sich  zuletzt  alles  stellen 
lieise,  was  am  Ende  so  viel  wäre,  als  nichts  Bestimmtes  sa~ 
gen.  So  hat  Lennep  in  den  meisten  griechischen  Wörtern 
Urlaute  gefunden,  die  eine  Bewegung  anzeigen.  Da  nun  die 
lebendige  und  leblose  Schöpfung  in  unaufhörlicher  Bewegung 
ist,  to  läfit  sieb  freilich  am  Ende  in  jedes  Wort,  welches 
etwas  bezeichnet,  das  getban  wird  oder  geschieht,  ein  Ur- 
laut, der  den  Allgemeinbegriff  Bewegung  ausdrückt,  hin- 
eindichten. Aber  was  für  ein  llesultat  tritt  am  Ende  hervor? 
Kein  anderes,  als  dafs  die  Natur  in  steter  Bewegung  ist,  und 
dafs  wir,  um  zur  Bezeichnung  unserer  Vorstellungen  und  Bei 
griffe  Wörter  zu  bekommen,  Buchstaben  nöthig  haben.  So 
hat  auch  der  Verf.,  ohne  sich  übrigens  so  weit  in  das  Allge- 
meine zu  verlieren ,  sein  as  und  überhaupt  die  Grundlegung 
zu  hoch  gefafst:  denn  was  ist  am  Ende  nicht  ein  Etwas  im 
Allgemeinen  oder  im  Besondern,  in  der  Einzelnheit  oder  in 
der  Zusammensetzung?  In  dieser  alles  verschwemmenden 
Allgemeinheit  verlor  sich  Lennep,  wenn  er  alle  Zeitwör- 
ter auf  au;  >  £«,  iwi  oto»  dyoif  tywi  iyw  n.  S.  W,  ,  a5«>  ,  «So»,  iBvj 
ü.  s.  w.t  ßdynt  ßtym,  ß'y»  w.  zurückführte.  Vor  einer 
noch  weiter  führenden  Verirrung  hat  sich  der  Verf.  dadurch 
sieber  gestellt,  dafs  er  die  mit  s  analogen  und  nachweisbar 
häufig  mit  ihnen  ausgewechselten  Buchstaben  dt  t,  r,  und  in. 
Folge  des  letzteren  auch  1,  nicht  in  seine  Erörterungen  gezo- 

f;eti  hat,  obgleich  die  Aufforderung  dazu  so  nahe  lag.  End- 
ich zeigt  sich  auch  darin  eine  Bedenklichkeit,  dafs,  wenn 
jene  Laute,  dergleichen  as  einer  ist,  das  sind,  wofür  wir 
sie,  halten,  Grund  -  oder  Urlaute,  welche  einen  Allgemein- 
begriff in  sich  schliefsen ,  sie  in  dem  sprachbildenden  Geiste 
des  Menschen  liegen  müssen,  folglich  in  allen  Sprachen  sollten 
nachgewiesen  werden  können.  Der  Verf.  hält  sich  an  das 
Griechische,  Lateinische  und  Deutsche,  weil  uns  nur  von 

■ 


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553  Hey* 


diesen  Völkern  die  Kruft  und  Bedeutung 
bekannt  iey,  doch  geht  er  nicht  selten  auf  Wörter  Aber,  die 
offenbar  orientalischen  Ursprungs  sind.     Nun  entstellt 
lieh  und  notbwendig  die  Frage:  lÄfst  sich  in  andern  Sp 
—  der  grolsen  Katbarina  Slo  war  möfste  Antwort  geben  kön- 
nen —  Jafst  sich  namentlich  in  den  slawi*chen  ,  ostasiatischen 
und  amerikanischen  dieser  Laut  mit  dieser  Bedeutung  nach- 
weisen ?  —    Durch  Anführung  aller  dieser  BedenJrficbkeiten 
und  Schwierigkeiten  »oll  der  Grundsatz  ,  däfs  e»  ürlaute  gehe, 
denen  bestimmte  Allgemeinbegriffe  in  wohnen,  keineswegs  an« 
gegriffen,  sondern  nur  die  Klippen  gezeigt  werden  j  auf  die 
der  Etymolog  zu  stofsen  Gefahr  läuft,  zumal  wenn  er  aufser 
der  reinen  Sprachforschung  noch  einen  auf  einzelne  Wissen- 
schaften gerichteten  Zweck  —  hier  z.B.  auf  Mythologie  — 
vor  Augen  hat.    Vor  manchen  Abschweiftingen  und  Verirrun- 
gen  kann  man  sich  in  vielen  Fällen  htiten  ,  wen«  man  von  Wör- 
tern, in  denen  man  einen  primitiven  Laut  mit  einem  Allge- 
meinbegriff  wahrzunehmen  glaubt,   die  Vprlaute  absondert, 
diese  aber  vorher  gehörig,  etwa  auf  folgende  Weise,  classi- 
ficirt :  b  ,  ch ,  k  ,  q ,  j ,  g ;  v ,  $ ,  f ;  w ,  b ,  p ,  m  ;   s ,  sch  ; 
IT,  d,  t  (n,  in,  d,  t  gehören  zu  den  seltenern).  EinBeispiel 
mag  dies  erläutern.    Ad  ist  im  Germanischen  und  seinen  nähe- 
ren und  nächsten  Verwandten  und  selbst  im  Hebräischen  ein 
Elementarlaut,  der  den  Begriff  des  Einschliefsen*  in  sich  ent- 
hält, wie  die -folgende,  aus  einem  zahlreichen,  nach  der  so 
eben  angegebenen  Buchstabeneintheilung  gemachten  Verzeich- 
nis in's  Kurze  gezozene  Induction    klar  erweisen  wird: 
1)  ohne  Vorlaut i  Ader,  ädere,  Eingeweide,  rythm.  de  S. 
Ann.  atter,  Markung,  S.  Skinnet,  aedes  ,  Ette  r ,  eder,  eodor, 
.Zaun,  Ang.S.  Euter,  %to$>  Herz,  ida,  Adel,  Gl.  Möns,  idr, 
Eingeweide,  Isl.  c3«fo$»  Bauch,  uter,  Uterus,  Euter;   2}  h, 
ch,  k,  q,  j,  g:    Haut,  Hode,   Hütte,  beed,  verbergen, 
Engl,  cader,  Einzäunung,  Wall,  cadre ,  Sahmen ,  cadus,cood, 
codde,  Beute],  AS.  citte,  Bauch,  AS.  ewith,  vulva,  AS.  cu- 
tis, gatten,  gata,  verwahren,  Schwed.  Gaden,  Gatter, 
*ysVr«?>  Bauch,  mit  eingeschobenem  Nasenlaut  Dotter,  Kothe, 
Kutte,  Quält,  Quätten,  Bauch,  Schwb/quitbrs,  dassel- 
be, Ulf.  quoden,  interior  pars  coxae,  S.  Nyer.  Symb.  206. 
*m,  ftt«  iZÜf  einschließen,  das  Innere;  3)  v,$,f: 

veuter,  mit  eingeschobenem  Nasenlaut,  wobei  aus  dem  obi- 
gen »ytvT#p  erhellt,  dafs  weder  u  noch  y  zu  der  Wurzel  des  Worts 
gehört;  4)  w,b,p,in:  Wat,  Einge- weide,  ßaita^  ßa/nj, 
Fell,  Hirtenkleid,  Beutel,  Bude;  5)  s,6ch;  Schädel, 


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Iloyd  etymologische  Verbuche. 


559 


Schade,  Schotte;  6)  Nater,  Citter,  a.  Fulda  Idiot.  So 
tritt  der  durch  ad,  ed  u.  s.  w.  ausgedrückte  Allgemeinbegriff 
in  allen  diesen  Wörtern  klar  hervor  ,  Und  der  Verf.  hätte  hei 
einer  solchen  Verfahrungsart,  auch  mit  Beibehaltung  seiner 
sonstigen  Einteilung,  ohne  Zweifel  sicherere  Schritte  ge- 
than.  Diese  Weise  wird  iwar  Manchen  allzu  nüchtern  vor- 
kommen; mögen  sie  auf  ihre  Gefahr  hin  einer  bodenlosen  Spe- 


.  x* in  uieae  allgemein eii  £>einerituiigan  mugirn  nun  anuu  ein- 
zelne über  Einzelnes  folgen.  S.  10.  1*  r-es  soll  durch  die  En- 
dung das  Etwas  ausgedrückt  seyn;  auch  in  sp-es,  qui-es , 
di-es,  lim-es,  vat-es ,  heb-es?  Ebend.  Anm.  0.  esse,  Seyn, 
und  esse,  Essen,  hängt  bei  dem  Menschen,  dem  civilisirten 
wie  dem  Naturmenschen,  zu  genau  zusammen,  als  dafs  es 
eines  so  weit  hergeholten  Grundes  der  Wortübereinstimmung 
beider  Begriffe  bedürfte;  daher  auch  beide  Begriffe  nicht  nur 
in  esse,  sondern  noch  in  mehreren  Wörtern  durch  gleichen^ 
Wortlaut  ausgedrückt  werden :  uti,  geniefsen,  essen,  und  ge- 
wohnt seyn ,  seyn;  vesci,  Lat.  vesa#  Isl.  vastag,  dick,  Ung. 
Waiden,  und  wisen,  &*fn;  wara  ,  essen  und  seyn,  Schwd. ; 
fahren  in  der  Bedeutung  von  leben,  und  Fuhr,  Nahrung; 
Leib,  und  Leben.  S.  13.  Anm.  l5.  D  als  500  erklährt  sich 
am  natürlichsten  aus  der  Form  M,  welche  so  gestaltet  war: 
CO,  die  Hälfte  dieser  Figur  ist  D,  und  L,  50,  durerrdie 
alte  Figur  des  C,  nSinlich  L ,  wovon  es  gleichfalls  die  Hälfte 
ausmacht;  V,  5*  ist  die  Hälfte  der  Figur  X,  wsrum  aber^ 
diese  10  bedeutet,  möge  von  Andern  entziffert  werden;  V* 
durch  die  ausgestreckten  Finger  zu  erklären,  scheint  auf  jeden1 

TT»    11  O       .  *        M  3      _      •    .      1   •  -     .  _  


Jura    (Wie  OWeil,    U.ngl.  weilen,    iwiej,    die  Festung, 
Wiel,  Weil,  Wyl).     In  zwanzig  ist  statt  des  vorlautendeit 
Zahnhuchstahen  ein  Zischer  vorangesetzt,  in  viginri  (biginti)' 
aber  drückt  die  erste  Sylbe,  trotz  G.  J.  Vossens  Widerspruch ^ 
bi,  bis  aus,  welches  zwei  bedeutet,  wie  /  ,  ;5  eins.     S.  J5. 
Anm,  19.  it,  unus?  Sollte  nicht  in  dem  als  Gewährsmann  an- 

fefübrten  Fulda  ein  Druckfehler  seyn,  und  es,  wie  aus  den 
enachbarten  Wörtern  zu  schliefsen  ist,  vanus  heifsen  müs- 
sen? Daraus  Heise  sich  das  schwabische  itt,  itta,  nicht, 
erklären,  und  es  träte  eine  Verwandtschaft  mit  wicht, 
nichtsbeMeutend  ,  an's  Licht,  In  diese  Anmerkung  gehört  auch 
JSfö;,  pro|>riiis,  privus,  und  das  etrurische  iduare,  theilen, 
trennen,  wovon  viduus,  viduare,  Witwe,  abzuleiten  st. 


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560  HcyJ  etymologische  Versuche. 

v} 


S.  15.  Hier  hatte  auch  A  eis,  das  Eins  im  Würfel,  wieofy* 
und  Seeovp  3ue  fwv  crSriZv,  Etymol.  M.  Lips.  143.  Sylb.  158» 
ferner  B'asch,  P'aar,  b'is  angeführt  werden  können;  sie 
bedeuten  alle  Eins  und  Eins.  Merkwürdig  und  auf  eine JJe* 
griflsähnlicbkeit  deutend  scheint  auch  ,  dals  atrcovro  >yW<  M 
(£.M.  142.) 9  und  Tyyia  eins  bedeutet:  also  eng»  d.  i.  in  Eins 
geprefst.  Ebend.  assus  möchte  bei  mehreren  Wörtern,  in 
deren  Verbindung  der  Verf.  es  anführt,  statt  assatuf  stehen, 
und  die  im  Italienischen  häufig  vorkommende,  aber  auch,  wie 
orbus9  privus  statt  orbatus,  privatus  beweist,  im  Lateini- 
schen nicht  ungewöhnliche  Form  des  Fassivparticips  seyn, 
braten  aber  läfst  sich  nur  zwangsweise  mit  Eins  unter  Einen 
Begriff  bringen;  assare  scheint  vielmehr  mit  esse,  essen,  in 
derselben  Verwandtschaft  zu  stehen,  wie  Brot  mit  braten. 
S.  20.  oinus  statt  uuus  kommt  auch  in  den  Zwölf  Tafeln  vor. 
S.  21.  Zvojxa  aus  unns?  beifsen  aus  eins,  ,|{?  S.  0. 
Ann.  39.  Die  Infinitivendigung  Ä/v  dürfte  das  abgekürzte  #&» 
und  die  lateinische  are»  ere,  ii  e  durch  Umtausch  des  s  mit  r 
das  abgekürzte  esse  seyn.  S.  30.  In  Parnassus  möchte 
Paa  (Bor,  empor,  Berg,  Fergamus)  den  Begriff  eines  Berges 
aufdrücken  ,  doch  könnte  auch  die  andere  Hälfte  des  Wort! 
denselben  Begriff  in  sich  enthalten,  gleichwie  viele  Flufi« 
namen  aus  zwei,  Flufs  oder  Bach  bedeutenden,  Namen  zu- 
sammengestellt sind  :  Louter-ach  ,  Ei-ach  ,  Bi  ber-hach  ,  Biber- 
ach ,  Brig-ach,  Breg-ens  u.  s.  w.  S.  32.  'AS^vo/  fast  wie  A«* 
De;  so  lautet  noch  jetzt  bei  den  Griechen  das  0  wie  das  go- 
rdische, angelsächsische  und  neuenglische  th,  bald  mehr  dem 
f,  bald  dem  s  sich  nähernd.'  S.  36.  Unter  Deutschlsnds  Ber- 
gen wäre  hier  auch  der  schwäbische  Bussen  an auführen  ge- 
wesen. S.  39.  Zu  E  i  ch  e  sey  folgende  in  der  Geschichte  der 
Menschheit  gegründete  Bemerkung  erlaubt:  Vor  Versllgc* 
sneinerung  des  Getreidebaues  nährten  sich  die  Menschen  von 
wildwachsenden  Beeren  und  Baumfrüchten ,  besonders  W« 
die  Eichel  ein  Nahrungsmittel : 


.* 


Glandiferas  inter  curabant  corpora  quercus/  Lueret 

'  fr  Tellus 

pingui  glandem  mutavit  arista.  Virg. 

•      •    .  »  /■  ! 

-  V.*-' 

(Der  Beichlujs  folgt.)  .  *l 


uiginzeo 


N.  36. 


1826. 


Heidelberger 


Jahrbücher  der  Literatur. 


Heyd*  etymologische  Versuche  für  Alterthumswissen- 
schaft und  Sprkchkunde. 

.    ,  .       .<  >•.••    .i  • .      ,"*".'  .*  , 

(Bttchlnfs.) 


>  .  > 


So  ist  es  natürlich,  dafs  Beere  und  Bäflme  mit  Speisey 
Essen  durch  Benennungen  gleiches  Stammes  bezeichnet  wur-1 
den:  Eiche,  B -u  che,  ^  ;  f.agus ,  $-<*'y* ;  Aesche,  aes- 
culus: esca,  wie  schon  Servius  bemerkt*  In  der  Edda  wer- 
den die  Menschen  Askur  genannt*  Worunter  wenigstens  eben 
so  wahrscheinlich  Essende  als  Göttersöhne  verstanden  werden 
können)  mefs,  Eiche],  Altbrit.  mtrrou*  Kastanie!  IVlafs, 
Speise,  davon  mafsleidigf  Mafs^.ng;  B  eere,  bere,  AS*  Ger- 
ate (daher  Bier),  ^ ,    Getreide,  »J^,  dasselbe»  Bim*  pi- 

suni|  Veesen;  atan,  aten,  AS.  öat,  Engl.  Häher  :  edere, 
etan,  essen,  AS.     Hängt  vielleicht  auch  essen*  mit 

Apfel,  akran,  Traube,  Obat*  Ulf*  etymologisch  zusammen? 
S.  57.  iat  noch  anzuführen  'A^ou?*  ^arfo  M  ^o/Wkcuv,  Et*M« 
1 ,  141.  S.  61.  Aua  dem  Et.  M.  konnte  noch  angeführt  Wer- 
den ,  dafs  die  Aegyptier  die  Aphrodite  1  asJ, ?  nannten,  8.  62* 
Aua  a1<rä  causa,  Weil  die  Götter  die  Ursache  Von  Allem  sind! 
Und  inLooi  die  Äylbe  os,  Gott,  Göttliche«*  vön  Gott  be- 
stimmt? Ebend.  sacer ,  ausgesprochen  sager ,  enthält  schwer- 
lich den  Grundlaut  as,  eher  ac,  an,  das  hoch,  erhaben 
andeutet.  S.  63.  Da  die  VögeldeUter  sich  bei  ihrer  heiligen 
Verrichtung  nach  Norden  Wendeten,  so  *eigt  tesrjüüs  sowohl 
dasjenige,  Was  *ut  priesterlicben  Beobachtung  des  Vogel  flugs 
dienlich  ist,  als  auch  die  Unfruchtbarkeit  der  Gegend  an*  wo- 
hin das  Angesicht  des  Priesters  gerichtet  war,  Haiden ,  Step- 
pen ttnd  dergl.*  und  dal  Wort  vön  as*  göttlich*  abzuleiten, 
möchte  gewagt  seyn,  S.  65.  taceo  ist  doch  wohl  eher  aus 
dem  Grundlaut  tak ,  teg,  tuk  tougert.  heimlich*  altd.  — 
Gedeckt,  verborgen«  heimlich*  als  von  aV«  herzuleiten*  iu- 
a  1  wenn  man  Buttmarins  Ableitung  des  letzteren  Wörti  v o ri 

XIX.  Jahrg.  6.  Bcft  M 


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562  H*yd  etymologische  Versuche. 

%&*$  x&tmt  beitritt;  Ebend.  castus  bedeutet  eigentlich  aus« 
erlesen,  und  geht  dann  erat  in  dieJBedeutung' rein  ,  unbefleckt, 
keusch  über  9  quaerere,  küren,  kiesen,  carus  sind  seine  Stamms- 
verwandten. S.  66  ff.  Also  Sarmaten,  Amazonen,  Pelasger, 
Hellenen,  Ausonier,  Thusker  u.  s.  w.  lauter  aus  Namen  von 
Göttern  und  Götterdienern  entstandene  Benennungen  für  Völ- 
kerschaften. Ree.  hütte  nicht  Muth,  so  weit  zu  gehen.  — 
S.  75.  fascinare  leitet  Festus  mit  vielem  Rechte  von  fari  ab. 
Zauberei  wurde  nämlich  vermittelst  heimlicher  Worte  oder 
Gesänge,  welche  Seegen  oder  Fluch  enthielten,  ausgeübt; 
achon  in  den  Zwölf  Tafeln  heifst  es  ,  VII,  3.  Quei  fruges 
excantasit,  und  14.  Quei  malom  Carmen  incantasit;  Tib.  I, 
2,  41*  Fluminis  haec  rapidi  Carmen  rapit  iter ,  vergl.  VIII, 
i7  —  24.  und  Psalm  LVIII,  5  6.  Daher  dieNameu  für  die- 
aelbe  meistens  von  Wörtern  hergenommen  sind,  welche  Rede, 
Geschrei,  Gesang  bedeuten :  mit  naA«iv,  gallus,  Hahn,  to  call} 
gala,  kalda,  galer,  altfranz.,  singen,  rufen,  schreien,  ^p, 

jttj,  Gal,  Hall,  Schall,  calm ,  galm,  Gesang,  Ruf,  Ge* 
schrei ,  ^uXthwv,  helundo,  Schwalbe,  Skalde,  Sänger,  steht 
in  nfiherer  und  entfernterer  Verwandtschaft  x^Xtiv,  bezaubern, 

fdan,  AS.  galdra,  Isl.  dasselbe,  calstrare,  mathematici,  d.  i. 
auberer,  Notker,  galendt- ,  Zauberer,   Gl.  Lips.  Skal- 
de, Zauber,  Schwd. ,  ferner  Efrt?»  uiussitare  und  incantare; 

carminare;  to  spei),  buebstahiren ,  lesen,  bezaubern;  impre- 
cari;  ßeschreien;  besprechen«  trollen,  ein  widriges  1 
Geschrei  erheben  (Adelung)  und  trolla  r  behexen,  Schwed. 
B-ratti] ;  t  o  beshre  w  ,  to  wish  a  cursa  to  Sheridan.  So  möchte 
Fcstus  Ableitung  vollkommen  gerechtfertigt  seyn.  S.  76. 
Anm.  224»  Für  Hexe  läfst  sich  in  hag,  Hexe,  Skinne,  bug',' 
Verstand,  Klugheit,  hagur,  klug,  Isl.  sagus,  sagi,  nach 
Coto  bei  den  Thuskern  pontifices  et  sacri  expiatores,  sagax, 
sagire  statt  sapere  (s.  Cic.  Divih.  1,  3i.)  eine  ungezwungene, 
nahe  liegende  Ableitung  finden.  S.  78.  hatte  bei  oWa'o/  auch 
die  von  Rubnken.  in  Tim.  Lex.. Hat.  zu  ?rra  angezogene  Stelle 
aus  Suidas:  %rra%  v.al  "cca ,  <P>//jwj,  /xavTs/a,  angeführt  werden 
können.  S.  öl.  rex  kann  nicht  wohl  refs  gelautet  haben  ,  son- 
dern regs,  reges,  d.i.  Reger,  mit  der  Wurzelsylbe,  die 
auch  in  ragen,  regen,  Recke,  Ruck  (Berg,  Hundsruck,  d.i. 
Jagd-  oder  Hind-ßerg),  roc,  rocher,  rogus, p££ 

u.  s.  w.  vorhanden  ist.  S.  85.  Ran,  Herr,  Slaw.,  wie  ßt£ 
va;  ßcurtXst;..  Zu  S.  84.  Anm.  250.  ist. noch  anzumerken*  dais 
Näs  der  Name  mehrerer  Vorgebirge  im  nördlichen  Europa  ist. 
S.96.  auris  lautete  nicht  nur  vi  el  leicht  wie  ausia,  sondern, 


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Hejd  etymologische  Versuche.  663 

wie  dftis  auscultare  (ausiculitare)  erhellt ,  wirklieb  so,  S.  97« 
pvi  gehört  dem  Stammlaut  mau,  meu,  mo,  mu  an,  welcher 
Verborgenheit  bezeichnet.  Von  S.  104.  am  erscheinen  die  Zu* 
Rückführungen  auf  den  Grundlaut  a  s  gröTstentheils  zu  gewagt 
und  unsicher ,  und  das  Zusammenfassen  von  solchen  Gau. 
zen,  aus  deren  Wesen  sichtbar  ist,  da  Ts  sie  aus 
Mehreren  eine  in  die  Augen  fallende  Einheit  ge- 
worden sind,  ist  so  uubegrünzt  und  weit,  dafs  es  zum 
willkübrlicbsten  und  schrankenlosesten  Umherschweifen  An* 
Jafs  giebt.  S.  109.  In  Eisen,  ayas,  Sanskr.  nach  Schlegel, 
liegt  nicht  Mos  der  Begriff  des  zusammengeschmolzen 
neu  Metalls,  sondern  des  Metalls ,  ja  der  unorganischen  Eid- 
stoffe überhaupt,  wie  aus  den  diese  Gegenstände  bezeichnen- 
den und  den  Stammlaut  as  oder  ar  enthaltenden  Wörtern  er« 
hellt:  aes,  eer,  Kupfer ,  altd.  ore,  Erz,  "iron,  Eisen,  ar, 
AS.  und  Schwed.  aur-um,  ferr-um,  ar-gentum ,  aur,  Koth9 
Gries,  Ist.  ar-ena,  Sand  ,  ar-gilla,  Lehm,  H-or,  Koth, 
Er-de,  Er-z,  arziz,  Zinn,  Pers.,  vielleichtauch  y^* 

ccs  ~  x~€Zmvff°S'  *n  ähnlicher  Verwandtschaft  stehen  Kupfer, 
*)32»   Staub,   und  JfpjgjJ,  Blei.    Ebend.  Anm.  326.  In  *\%$of 

T  T 

und  plenus  die  Wurzel  as  oqer  aes  und  unus  zu  finden,  dürfte 
schwer  halten ;  folgende  Deduction  möchte  zu  einer  klareren 
und  vermuthlich  auch  richtigeren  Ansicht  führen:  all,  cXo;* 
beel,  Heil,  viel,  voll,  iwAvj,  ->r(o)k^Bo;  ,  p(o)lenus,  aus 
pleus,  plus,  pleo  ,  mit  eingeschobenem  Nasenton.  S.  hj, 
Fafs  kommt  von  fasen  her,  wovon  fassen  die  Augmentan 
tivform  ist,  wie  rjuasso  von  quatio.  Die  Hegel  kann  also 
allgemeiner  gefaßt  werden:  as,  als  ist  eine  Verstürkungs- 
forrti.  Sickler  hat  daher  im  Cadmus  auch  die  Masculinendung 
c*5  hieraus  erklärt ,  sicherer  dürfte  osus  hieher  zu  reebnen  seyn : 
gloriosus,  -onerosus,  famosus,  furiosus,  ehriosns  u.  s,  w« 
8.  136.  Buttmann  hat  in  seiner  akademischen  Abhandlung  über 
die  mythische«  Verbindungen  von  Griechenland  mit  Asien  aus 
der  Mythe  von  Kadmus  und  Europa  dargethan  ,  dafs  der  friU 
here  Gegensatz  nicht  Asien  und  Europa,  sondern  E~*Tp  Mor- 
genland, und  <2*y  Abendland,  Europa ,  war.  —  Bec.  hat  sich 

hei  dieser  Schrill  nur  darum  so  lange  verweilt,  Weil  er  die  ge- 
lehrten Forschungen  des  Vf.  nach  Verdienst  schützt,  und  den 
Gewinn,  den  sie  der  Alterthumskunde  gewahren,  anerkennr. 
Möchte  ihm  seine  Lag*  verwandte  Forschungen  gestatten  J 

S  c  h  m  id. 


» 


36* 


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564  Luden  Geschichte  des  teuucheu  Volkes, 


Geschieht*  des  t  einsehen  Volkes  t  von  Heinrieh  Luden,  GotUt 
•  bei  Justus  Perthes.  1825.     Erster  Bd.  792  S.  ffr.  8.    4  A.  30  kr. 

Jedem  nur  einigermafsen  gebildeten  Minne |  welcher  an 
den  vor  ihm  vorübergehenden  Erscheinungen  Tbeil  nimmt, 
darf  die  Geschichte  seines  Landes  nicht  gleichgültig  seyn; 
einem  Volke,  das  von  seinen  Vorfahren  und  ihren  Tbaten, 
von  den  Einrichtungen  seines  Vaterlandes  und  ihrer  Fortent- 
wicklung nichts  weifs,  fehlt  es  gewifs  an  dem  Gefühle  der 
Nationalität  und  an  der  Liebe,  zum  Vaterlande  ,  wenn  nicht 
andere  Ursachen  die  mangelhafte  Kenntnifs  herbeigeführt  ha- 
ben. In  den  Freistaaten  begünstigt  das  offen t liehe  Leben, 
)  die  Theilnahme  aller  Mitglieder  des  gemeinen  Wesens  an4em 
Schicksale  ihrer  Vater  und  die  stete  Zurückbeziehung  auf  Ein- 
richtungen urffi  Anordnungen  der  Vorfahren  die  Geschicht- 
beschreibung; Herodot  trat,  wieesheifst,  zu  Olympia  vor 
der  allgemeinen  Versammlung  von  Hellas  mit  seiner  Geschichte 
auf,  worin  er  den  grofsen  und  siegreichen  Kampf  der  Hellenen 

Segen  die  Barharen  in  seinen  ersten  Ursachen  erforscht  und 
argestellt  hatte ,  und  der  Beifall  der  anwesenden  Völker 
klatschte  einem  Unternehmen  Lob,  welches  die  von  ihnen 
ausgeführten  Thaten  dem  Gedachfnifs  der  Nachwelt  erhielt. 
Ehen  so  war  bei  den  Römern  eine  Geschichte  ihres  Staates 
«ine  Sache  des  Volkes ,  und  nicht  blos  der  Gelehrten ;  ihre 
Redner  beziehen  sich  so  oft  auf  Beispiele  vergangener  Jahr- 
hunderte, dafs  man  sieht,  sie  setzen  hei  ihren  Zuhörern  eine 
Kenntnifs  derselben  voraus.  Dieselbe  Erscheinung  hat  sich 
in  den  italienischen  Freistaaten  wiederholt,  Welchen  Italien 
die  gröfsten  Geschichtschreiher  der  neueren  Zeit  verdankt. 
In  England  erhält  der  Geist  des  öffentlichen  Lebens  (the  pu- 
blic spirit)  die  Theilnahme  an  den  Ereignissen  der  Gegenwart 
wie  der  Vergangenheit  selbst  bei  den  niedrigsten  Volksklassen, 
und  nirgends,  als  hier,  das  Beispiel  von  Aescbylus  Persern 
etwa  ausgenommen ,  hat  man  eine  Reihe  historischer  Ge- 
mälde in  dramatischer  Form  auf  dem  Theater  gesehen  und 
bewundert. 

Anders  in  Deutschland.  Leuten,  die  in  den  Geschichten 
der  Nachbarländer  sehr  gut  bewandert  waren  ,  blieb  die  Ge- 
schichte ihres  Vaterlandes  in  den  mittleren  Zeiten  ein  unbe- 
kanntes Feld ;  kaum  dafs  eine  oder  die  andere  ausgezeichnete 
Begebenheit  nothdürftig  zu  ihrer  Kenntnifs  gekommen  war. 
Die  Ursache  davon  lag  zum  Theil  an  dem  Mangel  eines  ausge- 
zeichneten Werkes,  das  auch  für  einen  andern  Kreis  von  Le- 
aern berechnet  war,  als  für  Gelehrte ,  zum  Theil  aber  auch  in 


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Luden  Geschieht«  des  teutscheo  Volkes.  565 

einem  wirklichen  Mangel  de»  Nationalgefubls  bei  dem  deut- 
»chen  Volke.  Wäre  dieses  Gefühl  stark  gewesen  ,  so  würde 
das  fiedfirfnifs  einer  Nationalgescbichte  früher  erkannt,  und 
zur  Erfüllung  desselben  ein  Versuch  gemacht  worden  seyn. 
Die  grobe  Begebenheit  unserer  Zeit  aber,  wo  alle  deutsche 
Völker  sich  gegen  den  gemeinschaftlichen  Feind  erhoben,  und 
die  Einigkeit  ihrer  Warfen  Deutschland  von  dem  Drucke  der 
Auslander  befreite,  weckte,  wie  mit  einem  Schlage  der  Zau- 
berruthe, das  bisher  schlummernde  Nationalgefühl,  und  die 
Folge  davon  war  statt  des  bisherigen  Kaltsiuns  ein  feuriger 
Enthusiasmus  für  Alles,  was  deutsch  war,  bis  zur  Ausschwei- 
fung. Dies  hatte  natürlich  auf  die  Geschichte  den  gröfsten 
Einllufsf  die  Helden  unseres  Volkes  wurden  besungen,  ihre 
Thaten  in  Volksbüchern  beschrieben,  —  kurz,  es  schien  eine 
neue  Zeit  aufzugehen  für  die  deutsche  Nation.  Dafs  dieser 
Rausch  der  Begeisterung  bald  wieder  verllog,  lag  in  der  Natur 
der  Dinge,  allein  seine  wohlthätigen  Wirkungen  sind  nicht 
mit  ihm  erloschen,  und  jetzt  wird  gewifs  eine  Geschichte 
des  teutschen  Volkes  von  allen  Gebildeten  desselben  mit 
wärmerer  Liebe  aufgenommen  werden  ,  als  vor  einem  halben 
Jahrhundert.  Allein  jetzt  werden  auch  gröfsere  Ansprüche 
gemacht,  als  in  der  Zeit  der  Begeisterung;  das  schöne  Gefühl, 
die  Thaten  einer  grofsen  Nation  ihren  Enkeln  zum  dankbaren 
Andenken  und  zur  Belehrung  zu  überliefern,  mufs  mit  gründ. 
lieber  Forschung  und  gleicher  Abwägung  der  Gerechtigkeit, 
verbunden  seyn,  und  darf  nie  das  Urtheil  bestechen. 

Nach  einer  zwanzigjährigen  Forschung  (Vorwort  S.  XI.) 
übergibt  nun  Hr.  Luden  dem  deutschen  Volke  seine  Ge- 
schiebte,  mit  dem  vollen  Bewufstseyn  der  Anforderungen  des  . 
Augenblicks  und  mit  dem  Bestreben ,  dieselben  zu  befriedi- 
gen, Von  diesem  Werke  zeigen  wir  hier  den  ersten  Band  an. 
Er  umfafst  die  Zeit  vom  Eintritt  der  Deutschen  in  die  Ge- 
schichte bis  an  das  Ende  des  ersten  Jahrhunderts  nach  Christi 
Geburt  ,  und  zwar  in  drei  Büchern :  das  erste  Buch  S.  1  — 
156*  stellt  die  Geschichte  dar  bis  auf  die  Unterwerfung  von 
ganz  Gallien  durch  Julius  Cäsar  und  die  Ausdehnung  des  Rö- 
mischen Reichs  bis  an  den  Rheinstrom;  das  zweite  Buch  S.  159 
—  424*  bebandelt  die  Versuche  der  Romer,  Deutschland  selbst 
zu  unterjochen,  und  die  Geschichte  der  deutschen  Völker  in 
ihren  gegenseitigen  Reibungen  nach  jenem  mifslungenen  Ver- 
such, so  wie  in  ihren  Verhältnissen  zu  den  Römern;  das 
dritte  Buch  endlich  S.  427  —  586.  entwickelt  Deutschlands 
inneren  Zustand,  also  alle  Verhältnisse,  auf  welche  sich  die 
Einriebtungen  der  Folgezeit  gründen.     Von  S,  589»  bis  an  s 


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566  Luden  Geschichte  des  teutsclien  Volkes. 

Ende  folgen  die  Anmerkungen  als  Beweise  und  Rechtferti- 
gung aufgestellter  Ansichten  oder  zur  Erläuterung  einzelner 

tunkte. 

Die  klare  Ordnung,  in  der  die  Begebenheiten  dargestellt 
sind ,  die  würdevolle  ernste  Sprache  und  der  schöne  edle  Sinn, 
mit  welchem  der  Hr.  Verf.  seinen  Landsleuten  ihre  Geschichte 
erzählt,  müssen  hei  unserem  Volke  den  verdienten  Beifall  und 
Anerkennung  finden,  auch  wen«  alle  Theilnabme  an  der  Ge- 
schichte des  Vaterlandes  erstickt  wäre.  Ja,  wäre  dies  der 
Fall,  so  müfste  dieses  Werk  sie  wecken,  und  Ref.  wünscht, 
dafs  es  einen  recht  grofsen  Kreis  von  Lesern  finden  möchte, 
so  wie  er  überzeugt  ist,  dafs  es  seineWirkung  nicht  verfeh- 
len wird,  den  Leser  zu  belehren  und  zu  erheben.  Was  lief, 
vor  den  Richterstuhl  der  historischen  Kritik  zieht,  geht  die 
Wissenschaft  als  solche  an ,  und  wenn  er  hier  von  dem  Hrn. 
Verf.  abweicht,  so  geschieht  dies  immer  mit  der  gehörigen 
Anerkennung  des  Scharfsinnes,  der  Verdienste  und  des  Wer- 
thes,  den  seine  Untersuchtingen  und  die  daf&us  hervorgegan- 
genen Ansichten  für  die  deutsebe  Geschichte  haben. 

Die  mageren  Quellen  für  die  ganze  Geschichte,  welche 
in  diesem  ersten  Bande  abgehandelt  wird  ,  entspringen  in  den 
Werken  Römischer  und  Griechischer  Geschicbtschreiber,  also 
der  Feinde  des  deutschen  Volkes,  und  auch  hei  der  gröfsten 
Wahrheitsliebe  konnten  diese  sich  nicht  leicht  von  ihren  Vor- 
urtheilen  losreissen.  Daher  hat  der  Hr.  Verf.  diese  Quellen 
mit  grofsem  Mifstrauen  und  Argwohn  benutzt,  und  einen 
andern  Quell  geöffnet,  „der  in  des  Menschen  Geist  und  Em- 
pfindung entspringt,  und  den  Nichts  zu  trüben  vermag" 
(S..102.).  Ref.  mufs  diesem  Verfahren  da  seinen  Beifall  ge- 
ben, wo  man  den  Grund  eines  gerechten  Argwohns  nachwei- 
sen, und  aus  den  vorhandenen  Spuren  die  Wahrheit  oder.we- 
nigstens  eine  Annäherung  an  die  Wahrheit  überzeugend 
herausfinden  kann.  „Die  Geschiebte  kann  aber  nicht  über 
ihre  Quellen  hinaus«;  Wo  also  die  Erzählung,  deren  Resultat 
wir  doch  nie  ändern  können,  in  ihren  einzelnen  Tbeilen  mit 
sieb  selbst  und  mit  der  Natur  der  Dinge  übereinstimmt,  mufs 
sie  stehen  bleiben,  als  historisches  Factum.  Dafs  aber  ein  zu. 
grofses  Mifstrauen  den  Hrn.  Verf.  zu  einem  wärmeren  Ver- 
cheidiger  der  Deutschen  gemacht  hat,  als  sich  mit  der  Historie 
verträgt,  glaubt  Ref.  an  einigen  Beispielen  zeigen  zu  können, 
wo  eine  unverkennbare  Parteilichkeit  Hrn.  Luden  bewogen 
bat,  den  Feind  in  einem  trüben  Lichte  zu  zeigen,  und  den 
Freund  dagegen  von  allen  an  ihm  haftenden  Beschuldigungen 
zu  reinigen.     In  dieser  Beziehung  kann  uns  zuerst  die  üe* 


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Lliden  Geschichte  des  teutschen  Volkes.  567 

sch  chte  der  Usipeten  (Usipier)  und  Tenchterer  S.  104  ff.  du- 
nen.    Nach  Cäsar  kamen  diese  deutschen  Völkerschaften  von 
den  Sueven  gedrängt  an  den  Hb  ein  da,  wo  die  Menapier  an 
beiden  Seiten  des  Stromes  wohnten.     Diese  gingen  Bei  der 
Ankunft  so  zahlreicher  Mannschaft  auf  das  linke  Rbeinufer, 
um  ihnen  den  Uebergang  zu  wehren;  die  Tenchterer  und  Usi- 
peten zogen,  um  die  Feinde  sicher  zu  machen,  zum  Scheine 
ab;   wandten  sich  aber  nach  der  Rückkehr  derselben  in  ihre 
Wohnungen  plötzlich  um,   und  überfielen  sie  so  unerwartet, 
dafs  sie  sich  der  Schiffe  der  Menapier  bemächtigten,  und  mit 
diesen  auch  das  Land  derselben  am  linken  Rheinufer  unter« 
•warfen.    Die  Erscheinung  dieser  Deutschen  auf  der  Gallischen  . 
Rheinseite  veranlafste  Bewegungen  unter  den  Galliern  und 
Unterbandlungen,  sodafsCüsar  schnell  herbeieilte,  und  durch 
eine  schandliche  Treulosigkeit-  die  er  mit  schauderhafter  Kälte 
erzählt,  die  Feinde  vernichtete. 

Hr.  Luden  berichtet  uns  dagegen,  die  Tenchterer  und 
Usipeten  seyen  von  den  Menapiern  zu  Hülfe  gerufen  worden, 
und  zu  ihrem  Beistände  erschienen.  Wie  aber?  Wir  wollen 
einmal  zugeben  ,  dies  wäre  der  Fall  gewesen,  so  bleibt  es 
doch  immer  eben  so  unerklärlich,  warum  diese  beiden  Völ- 
kerschaften mit  allen  den  Ihrigen  (cum  omnibns  suis  domo 
excesserant,  Rhenumrjue  transierant.  Caes,  lib.  IV.  cap.  14.) 
herangezogen  kamen,  als  warum  sie  mit  den  Menapiern  in 
Streit  geriethen.  Das  Erstere  lfifst  Hr.  Luden  unberücksich« 
tigt,  xflr  das  Zweite  steht  uns  die  Wahl  zwischen  zwei  Er- 
ilärungsarten  frei»  99Sey  es  nun«,  beifst  es  S.  106,  »dafs 
die  Menapier  nach  der  Unterwerfung  aller  Gallischen  Stämme 
an  ihrer  Sache  verzweifelnd  gewünscht  haben  ,  den  Bund  wie- 
der aufzulösen,  um  den  Krieg  zu  vermeiden,  und  dafs  sie  . 
wegen  dieses  Verlangens  mit  den  Usipetern  und  Tenchterern, 
die  schon  gerüstet  unter  den  Waffen  waren,  wirklich  in  einen 
Zwist  geriethen;  sey  es,  was  wahrscheinlicher  ist,  dafs  sie 
nur  einen  Zwist  mit  diesen  Bundesgenossen  verabredet  ba- 
ten ,  um  unter  dem  Vorwande  eines  Zwanges  den  Krieg  wider 
die  Römer  im  Fall  eines  Unglücks  entschuldigen  zu  können: 
die  Usipeten  und  Tenchterer  gingen  im  Winter  über  den  Rhein 
und  vereinigten  (!)  sich  mit  den  Menapiern."  Ref.  denkt, 
statt  dafs  wir  uns  auf  ein  so  unbestimmtes  und  willkührliches 
»Sey  es»  einlassen,  bleiben  wir  bei  der  bestimmten  Angabe 
Cäsar s,  dafs  die  Usipeten  und  ihre  Verbündete  das  Land  der 
Menapier  mit  Gewalt  besetzt  haben;  denn  dafs  die  Menapier 
hernach  wieder  als  Feinde  der  Römer  auftreten,  beweist  nicht 
das  Gegentbeil,  weil  sie  nach  dem  Untergänge  der  Usipeten 


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-  •  » 

urid  Tenchttrer  das  Joch  der  Römer  eben  so  wenig  auf  sich 
-nehmen  wollten  ,   ah  sie  sieb  ungern  der  Waffengewalt  jener 
gefügt  hatten.  • 

Die  folgenden  Begebenheiten  dieses  Kriegs  stellt  der  Hr. 
.Verf.  ganz  nach  Cäsars  Bericht  dar,  und  weicht  blos  einmal 
ab,  indem  er  die  Römer  die  deutseben  Heiter  necken  und 
•reisen  Hilst,  woraus  denn  ein  Reitergefecbt  entsteht,  wüh- 
lend Cäsar  (IV,  12.)  die  deutschen  Reiter  des  Anfangens  der 
Feindseligkeiten  beschuldigt.    Hr. .Luden  mag  Recht  haben  ; 
schon  Caisius  Dio  B.  39.  Kap.  47.  konnte  sich  diese  Bege- 
benheit nach  Cäsars  Ezäblung  so  wenig  erklären,  dafs  er  den 
•Römern  wenige  Reiter»  und  den  Feinden  die  üebermaebt  gibt. 
In  den  Anmerkungen  aber  findet  man  stets  die  Hinweisung« 
dafs  alle  Anstalten  und  Befehle  Cäsars  darauf  abgesehen  gewe- 
sen wären  «  die  Gelegenheit  zur  'Treulosigkeit  herbeizufüh- 
ren, die  nach  des  Reh  Ansiebt  der  Zufall  dem  Cäsar  in  die 
Hände  spielte,  und  in  dem  Text  S.  110.  den  ungegründeten 
Verdacht «   dafs  die  gefangenen  A ehesten  der  Deutschen  „in 
sittlicher  Hinsicht  noch  schrecklicher  untergegangen  seyen, 
als  ihr  Volk«.     Cäsar  IV,  15.  sagt,  sie  Seyen  freiwillig  bei 
ihm  zurückgeblieben  ;    hätte  er  sie  umgebracht«  so  wurde  er 
es  wohl  nicht  verschwiegen«  und  auf  keinen  Fall, die  Unver- 
schämtheit  gehabt  haben  ,  bei  noch  so  vielen  lebenden  Zeugen 
dieser  Begebenheiten  geradezu  das  Gegentbeil  zu  berich- 
ten.    Hr.  Luden  mag  auch  noch  so  hart  über  Casars  Ge- 
schichte urt heilen,  so  sind  doch  offenbare  Unwahrheiten  oder 
absichtliche  Angaben  des. Gegentheils  nicht  denkbar«  und  Ca- 
sar hätte  gewüs  statt  des  Glaubens  und  Zutrauens  bei  den 
Späteren  eine  Widerlegung  gefunden.    fio  sehr  »her  der  Hr. 
Verf.  Cäsars  Treulosigkeit  noch  schändlicher«   als  sie  schon 
an  und  für  sich  erscheint«  hinzustellen  sucht«  eben  so  sehr 
bemüht  er  sich«   den  Ambiorix  von  der  Beschuldigung  der 
Treulosigkeit  au  reinigen.     Die  Eburonen  unter  Ambiorix 
und  Kativolk  empörten  sich  «  und  griffen  das  Lager  der  Römi- 
schen Legaten  Cotta  und  Sabinus  in  ihrem  Lande. an;  allein 
als  ihr  Sturm  mifslang«  kam  es  zu  einer  Unterhandlung«  die« 
wie  Hr.  Luden  sagt  S;  119,  von  den  Römern  gesucht 
ward;  nach  Cäsar  Üb,  V.  cap.  26.  aber,  wurden  die  Römer 
von  den  Eburonen  (suo  more)  eingeladen,  Gesandte  su  schik- 
ken.     Den  Gesandten  gab  Ambiorix  aus  Dankbarkeit  gegen 
Cäsar«  wie  er  sagte,  das  Versprechen,  dafs  er  seinem  Gast* 
freunde  Sabinus  und  den  Römern  freien  Abzug  erlauben«  und 
ihn  in  «einem  Lande  nicht  hindern  wolle.     Im  Vertrauen  auf 
dieses  Versprechen  bewog  Sabinus,  troU  <Jeqi  Widerspruche 


* 


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Luden  Geschichte  des  tsutleben  Volkes-  569 


Cotta'«,  die  Legionen  tum  Aufbruche,  ohne  einen  weiteren 
Vertrag  abzuscbliefsen,  JNach  Cäsar  1.  c.  cap.  32«  »»erwartet« 
nun  Ambiorix  in  einem  Hinterhalte  die  sicher  geraachten  Rö- 
mer (collocatie  insidiig  —  —  Komanorum  adventum  exspecta- 
bant);  Hr.  Luden  aber  weifs  S.  121  §  dafs  die  Eburonen 
diese  Stellung  nur  aus  Vorsicht  nahmen,  weil  bei  der  Bewe- 
gung im  Römischen  Lager  es  ihnen  unbekannt  war»  ob  die 
-Körner  angreifen  oder  abziehen  wollten.  Die  Römer  zogen 
ab,  ohne  Feindseligkeiten  im  Sinne  su  haben  oder  zu  erwar- 
ten; allein  trotz  seineingegebenen  Versprechen  liejs  Ambio- 
rix sie  angreifen ,  und  selbst  nicht  seinen  Gastfreund  Sabinua 
schonen,  Vergl.  Dio  Cass.  Üb.  40.  cap.  6.  Nichtsdestowe- 
niger siebt  Hr.  Luden  S.  626.  keine  Treulosigkeit  indem 
Benehmen  des  Ambiorix;  er  sieht  nur  Unverstand  bei  den 
Römern  und  im  Besondern  bei  Titurius  Sabinus.  Wenn  wir 
solche  Künste  gebrauchen  zur  Rechtfertigung,  so  könnte  Ref. 
auch  die  Treulosigkeit  Cäsars  gegen  die  Aeltesten  der  Usip«- 
ten  und  Tenchterer  hinwegreinigen»  indem  er  denselben  den 
Unverstand  vorwürfe,  sich  in  Cäsars  Lager  zu  begehen  ohn« 
«inen  vorher  gemachten  Vertrag,  da  sie  doch  wulsten»  dafs 
durch  das  vorgefallene  Gefecht  der  Waffenstillstand  gebrochen 
worden  war.  Allein  das  sey  ferne  von  ihm  J  Reh  erkennt 
in  dem  einen  Falle  wie  in  dem  andern  eine  schändliche  Treu- 
losigkeit, und  sein  Gefühl  für  strenge  bb torische  Wahrheit 
erlaubt  ihm  nicht,  gerechte  Beschuldigungen  dem  Landsmann« 
Abzunehmen,  und  sie  in  desto  grü fser ein  Maafse  auf  das  Haupt 
des  verhafsten  Feindes  susammenzubäufen.  • 

Cäsar  bot  das  Land  der  Eburonen  den  benachbarten  Völ- 
kern zur  Plünderung.  Auf  seinen  Ruf  strömte  „ allerlei  Ge- 
sindel« zusammen.  Nun  aber  berichtet  Cäsar  VI,  35»  ej 
Seyen  auch  zweitausend  igambrische  Reiter  zu  diesem  Raub« 
über  den  Rhein  gekommen.  Hr.  Luden  übergebt  diese  Nach- 
richt ganz  mit  der  Wendung,  S.  141  x  „Zweitausend  Sieam- 
brische  Reiter  Seyen  über  den  Rhein  gegangen,  sey  es»  dafs 
sie  Kundschaft  über  die  Lage  der  Ding«  einzie- 
hen, oder  dafs  sie  den  Eburonen  Hülfe  bringen 
sollten."  In  der  Note  dagegen  erfahren  wir  dafür  einen 
Grund,  die  Zahl  der  Tage  soll  beweisen»  dafs  Cäsars  Erzäh- 
lung ofenbar  falsch  und  unnatürlich  ist,  .und  dafs  in  fünf  Ta- 
gen nicht  alles  geschehen  seyn  kann,  was  Cäsar  anführt.  Di« 
Sigambern  wohnten  von  der  Lipps  an  den  Rhein  hinab  ,  und 
Cäsar  mochte  sehr  gut  wissen ,  wie  rasch  die  Sigambrischen 
Pferde  ihre  Reiter  trugen.  Der  Ruf ,  nicht  ein  Rote,  wie  He. 
I*ud*n  sagt,  der  Ruf  kommt, zu  den  Sigambern,  jenseits 


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610  LuHen.  Geschichte  des  tentscnen  Volkes. 

•  ••     '*•»••..  ... 

des  Aheinet  gäbe  es  Beute.  Ist  kein  Krieg,  so  erwirbt  sich 
der  Deutsche  Stoff  zu*  Freigebigkeit  durch  Raub  (materia 
-fwirsincentiae  per  bella  et  raptus.  Tac.  Genn.  cap.  14.)-  Aleo 
machen  sich  zweitausend  eben-  so  kriegs  -  als  beutelustiger 
junger  Leute  auf',  und  kommen  in  das  La"nd  der  Eburonen, 
wo  dann  das  erfolgte,  was  Cäsar  Hb.  VI.  cap.  35  s<j<J.  und  Hr. 
Luden  S.  141  ff.  erzählt  hat. 

M  Als  ein  viertes  Beispiel  will  Ref.  die  Befreiung  Deutsch- 
lands durch  Armin  betrachten.  Diese  Begebenheit  hat  Hr. 
Luden  in  ihre  ganze  Bedeutsamkeit  gestellt;  denn  ohne  sie 
wäre  es  vielleicht  den  Römern  gelungen,  die  Germanische  Ei- 

fenthümlichkeit  zu  unterdrücken ,  und  den  Deutschen  dasselbe 
och,  wie  den  Galliern  aufzubürden.  Die  Art  und  Weise 
«dieser  Befreiung  aber  stellt  Hr.  Luden  ganz  anders,  als  die 
Alten  und  Neuen  dar,  und  spricht  sich  darübnr  in  einer  An- 
merkung folgendermaßen  aus,  S.  665  :  —  »Wer  die  Angaben 
der  Römischen  Schriftsteller  glaublich  findet,  wer  annimmt, 
dafs  Armin  mit  der  Miene  der  Treue,  dia  Verschwörung  in 
der  Seele,  sich  zu  des  Varus  Mahle  gesetzt,  dafs  er  Eifer  für 
den  Römischen  Dienst  heuchelnd  immer  den  Varus  um- 

gebend primo  paueos,  mox  plurea  in  societatem  consilii  auf- 
genommen, und  alle  Künste  arglistiges  Betrugs  angewandt 
babe,  ihn  zu,  umstricken,  ihn  in's  Verderben  zuführen,  — . 
wer  das  annimmt,  der  mufs  mir  verzeihen,  dafs  ich  ihm  eiv 
kläre  :  ich  freue  mich  über  die  Befreiung  des  Vaterlandes, 
♦aber  über  die  Art,  wie  sie  bewirkt  worden, 
kann  ich  mich  nicht  freuen,  und  seinen  Helden 
iann  ich  wohl  bewundern,  aber  mich  nicht  mit 
•ihm  befreunden.«  Man  sieht,  Hr.  Luden  hat  bei  der 
•Darstellung  dieser  Begebenheit  Armin  als  das  Ideal  eines  Hel- 
den im  Auge  gehabt ,  und  da  ihn  die -Geschichte  anders  zeigte, 
-aus  Unwillen,,  dafs  das  schöne  Bild  von  der  grausamen  Wirk- 
lichkeit einen. Schatten  erhalten  sollte,  allen  Scharfsinn  auf« 
•geboten,  um  seinen  Helden  so  hinzustellen ,  dafs  er  sich  mit 
ihm  befreunden  kann.  Auch  scheint  es  dem  Ref. ,  dafs  die 
Befreiung  Deutschlands  in  der  neuesten  Zeit  auf  die  Darstel- 
lung des  Hrn.  Luden  keinen  geringen  Einflufs  gehabt  habe. 
Die  gewöhnliche  Erzählung  dieses  grofsen  Ereignisses  ist  be- 
kanntlich in  Kurzein  folgende:  Die  Römer  und  ihr  Einflufs 
herrschten  schon  bis  an  die  Weser  und  über  den  Flufs  hinaus, 
als  Quinctilius  Varus  Statthalter  wurde,  und  dieselben  Künste 
der  Bedrückung  und  des  Despotismus,  welche  er  in  Syrien  zu 
seiner  Bereicherung  geübt,  auch  hier  gebrauchte.  Dies  em- 
pörte die  deutschen  Männer,  und  Einer  ihrer  Fürsten,  .der 


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I 

Luden  Geschichte  des  teutichen  Volkel.  571 

.  '■ 

Cherusker  Armin,  der  Rom  und  Römischen  Dienst  ans  Erfah- 
rung .kannte,  war  unermüdlich  ihätig,  unter  den  Fürsten  der 
Deutschen  einen  Bund  gegen  Rom  zur  Befreiung  des  Vaterlan- 
des zusammen  zu  bringen,  i  Je  mehr  die  Gemütber  tfmpört 
Ovaren,  um  desto  leichter  gelang  ihm  seine  Absicht;  als  alres 
reif  war,  mufste  ein  deutsches  Volk  die  Waffen  ergreifen,  um 
Varus  von  der  Weser,  wo  er  sein  Standlager  hatte,  hinweg 
zu  locken;  auch  dies  gelang.  Auf  dem  Zuge  trennte  sich  Ar- 
min von  ihm  (Liv.  lib.  56.  cap.  i9.)>  und  in  dem  Teutoburger 
Walde  fand  Varus  mit  seinen  Legionen  den  Untergang. 

Hr.  Luden  erzählt  diese  Begebenheit  S,  233  iF.  anders: 
*>ein  entferntes  teutsches  Volk  habe  sich  zu  einem  Aufstände 
erhoben,  die  Römischen  Dränger  in  seiner  Mitte  erschlagen, 
und  das  Netz  der  Arglist  und  Gewaltthat,  in  welchem  es  sich 
gefangen  sab  ,  zerrissen  ;  gegen  dieses  Volk  sey  Varus  aufge- 
brochen, und  habe  die  teutscben  Fürsten  (unter  ihnen  also 
auch  Armin)  mit  ihren  Hülfsschaaren  folgen  lassen.-  Sobald 
*ber  die  teut sehen  Völker  in  der  Nähe  den  Abzug  des  Römi- 
schen Heeres  gesehen,  und  in  der  Ferne  von  demselben  ge- 
•hört,  da  sey  der  lang  verhaltene  Ingrimm  hervorg<tstürmt,  — 
das  ganze  teutsche  Volk,  so  weit  die  Kunde  erscholl,  habe 
.sich  erhoben,  wie  ein  einiger  Mann.  Zwischen  den  Teut- 
schen  im  Römischen  Heere  und  den  Römern  sey  es  schon  zu 
blutigen  Auftritten  gekommen ;  in  dem  Gefühle  seiner  schwie- 
rigen Lage  habe  Varus  seinem  Zuge  eine,  veränderte  Richtung 
gegeben,  um  Aliso  zu  erreichen  und  die  Stralse  nach  dem 
Rhein;  er. sey  aber  bald  in  die  Schluchten  und  Engpässe  des 
Teutoburger  .Waldes  gerathen.  Unter  diesen  Umständen  sey 
Armin  hervorgetreten  mit  seinen  Cheruskern  (so  lange  war  er 
also  dem  Varus  gefolgt)  ,  urtd  sey  Feldherr  und  Herzog  der 
Teutschen  aus  Ost  und  West  geworden cc  u.  s,  w. 

Für  diese  Ansicht  zeujit  keiner  von  den  Schriftstellern« 
aus  denen  wir  die  Nachrichten  von  dieser  Begebenheit  schö- 
pfen ;  alle,  seihst  Tacitus,  wissen,  dals  der  Aufstand  der 
Deutschen  durch  Armin  vorbereitet  war.  Hr.  Luden  glaubt 
zwar  in  der  Stelle  des  Tacitus  Annj  lib.  I.  cap.  9, 4  wo- er  den 
Armin  sagen  läfst:  non  enim  se  proditione  (neqjue  adversus 
feminas  gravidas  —  warum  läfst  Hr.  Luden  diese  für  den 
Gegensatz  unentbehrlichen  Worte  weg?  — ),  sedpalam,  ad- 
versus armatos  bellum  tractare,  —  das  Urtheil  des  Tacitus 
für  sich  zu  haben ,  allein  dies  bedarf  keiner  Widerlegung. 
Armin  spricht  im  Unwillen  über  die  hinterlistige  Entführung 
seiner  Gattin  ,  und  der  Geschichtschreiber  gibt  ihm  blos  Ge- 
gensätze, wie  sie  die  Leidenschaft  liebt,  in  den  Mund ,  die 


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durchaus  für  ein  historisches  Zeugnifs  nicht  die  geringste  Be- 
rücktichtigung  verdienen.  Tacitue  nennt  die  Deutschen, 
Germ.  cap.  22 :  gena  non  astuta ,  nec  callida  —  und  dazu  be- 
merkt Hr.  Luden  S.  726:  „So  ist  ea,  und  eben  deswegen 
iat  ea  nicht  wahr,  dal«  ea  der  Hinterliat,  dem  Verratb 
und  einer  geheimen  Bündelei  aeine  Kettung  verdanket.«  — 
Dieae  allgemeine  Charakteristik  kann  wiederum  für  diesen  be- 
sonderen Fall  kein  Zeugnifs  geben.     Also  hat  Hr.  Luden  für 

»  -  e  .i  %        .       *  ■       *  . .  i  *  •         t>  . .        •  s 


Gescnichtschreiber  eine  innere  ünwahracheinlichkeit  lieg«. 
Äef.  mufs  gestehen,  dafs  er  dieae  eher  in  dea  Hrn.  Verf.  Dar- 
Stellung  findet,  und  dafs  Armin  bei  ihm  in  einem  kleineren 
Lichte  erscheint,  ala  bei  den  Römern  selbst.  Armin. sieht  die 
Grausamkeiten  und  den  Druck  dea  Varus  geduldig  mit  an,  st 
sieht  mit  dem  habsuchtigen  Statthalter  aus,  er  folgt  ihm  noch, 
eis  die  Deutschen  schon  unter  Waffen  stehen,  und  erat  da  Va- 
fua  kein  Rettungsmittel  mehr  weif«,  als  den  Rückzug  nach 
dem  Rhein  ,  tritt  Armin  mit  seinen  Cheruskern  hervor.  Bringt 
ihm  daa  Ehre  ?  Ref.  sweifelt.  Allein  ea  handelt  sich  hier 
nicht  um  die  Ehre  oder  Schande  einea  Mannes,  sondern  um 
die  Sache  selbst,  wie  aie  sich  zugetragen  bat  nach  den  Zeug- 
nissen, die  allein  die  Geschichte  begründen  können,  und  nicht, 
wie  aie  aich  zugetragen  haben  kann.  Nichts  ist  natürlicher, 
ala  dafs  Armin ,  ein  Mann  von  grofsen  Fähigkeiten  und  gebil- 
detem Verstände  ,  mit  Römern  und  Römischen  Sitten  bekannt, 
sobald  er  aus  Unwillen  über  die  Unterdrückung  der  Freiheit 
seines  Vaterlandes  den  Entschlufs  fafste,  das  Joch  der  Aus- 
länder au  zerbrachen,  sich  darüber  andern  Fürsten  und  Anfüh- 
rern des  deutschen  Volkes  mittheilte,  und  mit  ihnen  den  Plan 
verabredete  9  den  er  so  glücklich  und  zum  Heile  der  spätestes 
Nachwelt  ausgeführt  hat.  Hätten  wir  des  Tacitus  Erzählung 
über  dieses  Ereignifs  ,  so  würden  wir  nicht  mehr  zweifeln, 
dafs  dieser  Aufstand  eben  so  gut  die  Folge  einer  Verschwö- 
rung oder  Verabredung,  als  der  des  Bataviseben  Volkes  unter 
Civilis,  war.  Den  Armin  allein  nennt  Tacitua  Ann.  I,  5t 
turbatorem  Germania«,  insignem  perfidia  in  noa,  —.und 
darum  stand  such  Armin  allein  sn  der  Spitze  des  ganzen  Un- 
ternehmens. Ref.  begreift  nicht ,  warum  nach  Hrn.  L  u  daa1 
Darstellung  die  Deutschen  gerade  ihn  zu  ihrem  Anführer  wählen 
sollten,  da  er  erst  die  Römer  verlieft,  ala  sie  beinahe  verlo- 
ren waren.  Nein,  Armin  ist  es,  der  die  deutschen  Völker- 
schaften zu  vereinigen  wuiste  gegen  den  gemeinschaftlichen 
Feind,  und  diesem  nach  der  bewirkten  Vereinigung  die  Stiio 
otfen  und  frei  bot.    Auch  war  Armin  ein  im  Römischen  Dienst« 


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Luden  Geschichte  dei  teutschen  Volkes.  573 


gebildeter  Kriegsmann  ,  der  sehr  gut  wufite,  wie  viel  List 
ind  Klugheit  vor  dem  ungebändigten  Ungestüm  des  rohen 
Natursohnes  voraus  habe;  s.  Tacit.  Ann.  Hb.  I.  c.  68.  Also 
iuch  abgesehen  von  den  Betheuerungen  des  Verräthers  Segeetes 
[  ibid.  cap.  58.)  9  so  hat  die  Erzählung  der  Römer  durchaus 
keine  inilere  Un  Wahrscheinlichkeit  i  und  der  Sieg  in  Folge 
einer  von  den  Umständen  noth wendig  gemachten  Verabredung 
tat  Wenigstens  nach  des  Ref.  Ansicht  nicht  weniger  ehrenvoll  9 
ala  wenn  der  Aufstand ,  wie  Hr.  L  iwlen  will,  durch  „die  Ge- 
walt des  Geistes «  herbeigeführt  worden  ist. 

Dies  hält  Ref.  für  hinreichend  sum  Beweise,  dafs  ein  zu 
grofses  und  oft  un  gegründetes  Mi  Ts  trauen  den  Hrn.  Verf.  zu 
einem  der  Historie  nichts  weniger  als  zuträglichen  Verfahren 
rerleitet  habe.  Man  findet  hier  viele  ganz  von  der  gewöhn- 
lichen Darstellung  abweichende  Ansichten ,  und  wenige  Bege- 
benheiten ,  die  nicht  in  einem  neuen  Lichte  dastehen.  Diese 
zu  prüfen,  bleibt  dem  überlassen,  der  es  nach  Hrn.  Luden 
übernehmen  wird ,  die  Geschichte  der  Deutschen  von  neuem 
tu  bearbeiten;  da  sich  diese  Ansichten  gröfstentheils  auf  die 
Erklärung  der  Quellen  gründen,  so  werden  des  Hrn.  Verf.  Be- 
mühungen um  die  deutsche  Geschichte  atets  mit  gerechtem 
Danke  anerkannt  werden.  So  ist  z.  B.  des  Hrn.  Verf.  Ansicht 
von  dem  Zuge  der  Cimhern  und  Teutonen  ganz  neu.  Dieser 
.Zug  ist  keine  Wanderung  ,  er  ist  eine  „Fahrt"  deutscher 
Männer  zur  Eroberung*  .  Die  Cimbern  bilden  keinen  von  den 
Teutonen  verschiedenen  Völkerstamm ,  und  der  Zweck  dea 
Zuges  ist  nicht  die  Erwerbung  neuer  Sitze»  sondern  ein  Er* 
oberungsplan  in  Gallien;  der  Krieg  mit  den  Römern  ward  von 
den  Deutschen  mehr  vermieden,  als  gesucht,  und  eher  wurden 
sie  nicht  der  angreifende  Theil ,  als  bis  die  Römer  sie  oft  be- 
unruhigt hatten,  und  ihnen  nie  den  ungeatörten  Besitz  von 
Gallien  einräumen  wollten;  denn  darauf  bezieht  Hr.  Luden 
die  von  Jen  Alten  erwähnte  Forderung  der  Deutschen  um 
Land«  Fordern  sie  z.  B.  bei  Flutarcb  ^'^v  xai  voXti;  /nava* . 
„vo/Kfl'y,  — »  «o  fragt  Hr.  Luden  S.  607.  ganz  richtig  :  M  Konnte 
es  ihnen die  ganz  Gallien  inne  gehabt  hatten  (Caes.  de  bell. 
Gall«  I,  33«) t  an  Wohnsitzen  fehlen?  Sie  forderten,  Rom 
sollte  Städte  und  Land  abtreten.  Und  wo  ?  In  Italien  ? 
Wahrscheinlich  sollte  Gallien  geräumt  werden.«  Dem  Ref.. 
genügt  die  Anführung  dieser  Ansicht ,  die  mit  Scharfsinn  auf 
äufsere  Beweise  gestützt  nicht  ohne  starke  innere  Wahrschein- 
lichkeit dasteht,  und  so  manches  sich  auch  dagegen  sagen 
läfst,  doch  nach  dea  Ref.  Ansicht  nicht  leicht  urazustoTsen 
seyn  wird.      .  t 


5  liti^l^ö    esc) i icli t c  (3 es  t^ut  selben  \^olk CS ■ 

*  ■ 

-  Dal  dritte  £ucb  behandelt,  wie  schon  oben  bemerkt 
den,  „Teutschlands  inneren  Zustand«.  Die  bekannte  Stelle 
Casars  im  sechsten  Buch  seiner  Geschiebte  der  in  Gallien  ge. 
führten  Kriege  und  die  Germania  des  Tacitus  sind  Quellen, 
und  spätere  Einrichtungen  dienen  zur  Erklärung  und  AuifDh. 
rung.  Bei  dieser  Gelegenheit  spricht  Hr.  Luden  S.  699 £ 
eeine  Ansicht  über  die  Germania  des  grofsen  Römischen  G  ■ 
achichtsebreibers  aus.  Sie  ist:  die  Germania  bestehe  in  hin- 
ge worft/nen  Bemerkungen,  Studien  für  einen  spateren  Ge« 
'  -  .brauch  in  den  Annalen  und  Historien,  die  für  Freunde  in 
einen  «othdilrftigen  Zusammenhang  gebracht  und  so  bekannt 
worden  Seyen;  auch  habe  Tacitus  wirklich  Gebrauch  davon 
gemacht,  z.  B.  Germ.  cap.  29.  mit  Hist.  (Anh.  ist  ein  Druck- 
fehler) IV,  12.  Diese  beiden  Stellen  enthalten  aber  eine 
nothwe  n,d  i g  e  Wiederholung.  Was  das  zweite  Beispiel  an- 
geht —  Germ.  cap.  3l.  mit  Ann.  IV,  6l.  —  so  mufs  das  wobl 
heLTsen,  Germ.  cap.  8.  mit  Hist.  IV,  61,  wo  aber  wieder 
eine  Wiederholung  der  Sache  nothwendig  ist;  auch  sind  «Iis 
.  Worte  an  beiden  Stellen  ganz  verschieden.  Diese  Ansicht 
wird  schwerlich  Beifall  finden;  ihr  steht  der  ausgearbeitete 
Styl,  der  gewifs  nicht  den  Stempel  flüchtig  hingeworfener 
Bemerkungen  an  sich  tragt,  entgegen.  Wenn  einzelne  Sätze 
an  Verse  von  Dichtern  erinnern :  z.B.  cap.  37:  veterisque 
famae  lata  vestigia  manent,  so  möchte  Ref.  fragen,  ob  es 
vielleicht  Tacitus  anders  ergangen  ist,  als  Hrn.  Luden,  des« 

sen  Worte  gleich  im  Anfange:  „  Dieses  Land  gehört sQ 

den  schönsten  Ländern,  welche  die  Sonne  besrüfset  in  ihrem 
ewigen  Laufe  — '«.  an  das  Lob  erinnern,  das  die  Jungfrau  von 
Orleans  bei  Schiller  ihrem  Vaterlande  gibt.  Tacitus  lieht 
einen  gewichtigen  Rhythmus;  so  ist  ja  seihst  die  erste  Zeile 
in  seinen  Annalen  ein  Hexameter,  —  und  verschmähte  auch 
giewifs  den  poetischen  Ausdruck,  wo  er  seiner  Rede  Kraft 
gab,  oft  eben  so  wenig,  als  Hr.  Luden,  der  S.  265  •  j^'e 

trausamen  Würger  hatten  nur  den  Schlaf  gemordet«  — 
iesen  Shakespearischen  von  Schiller  ebenfalls  nachgeahmte 
Ausdruck,  aufgenommen  hat.  Alle  ^Andeutungen«,  die  Hr. 
Luden  zur  Begründung  seiner  Ansicht  vorbringt,  durch*«» 
gehen,  würde  den  Ref.  zu  weit  führen;  er  wenigstens  kann 
sich  nicht  zu  dieser  Ansicht  hekennen.  Ihm  scheint  es,  «*■ 
Tacitus  das,  was  er  von  den  Germanen  wufste,  zusammen- 
gestellt hat,  mix  der  Nebenabsicht,  den  Römern  zu  zeige«1' 
wie  eines  t  ig«-ndhafterif  unverdorbenen  Volkes  Sitten  mit <kD 
Lastern,  we  che  am  Römischen  Leben  zehrten,  einen  grell«" 
Contrast  hilr  en.    Wozu  hätte  Tacitus,  wenn  er  blos  Notisen 


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'    Luden  Geschichte  des  Putschen  Volk«.  575 

für  sich  seihst  geschrieben ,  So  bittere  Blicke  auf  das  Römische 

Leben  geworfen  ?  — 

Das  Gemälde  aber,  welches  Hr.  Luden  von  dem  deut- 
schen Leben  in  allen  seinen  Beziehungen  aus  den  Stellen  -der« 
Alten  entwickelt  ,   ist  vortrefflich,   und  nicht  ohne  neue  An- 
sichten.    Hievon  will  Ref.  eine  ausheben  über  die  bei  Cäsar-, 
und  Tacitus  erwähnte  Sitte  der  Sueven,  jährlich  ihre  Felder 
zu  wechseln,  S.  483  ff.     Hr.  Luden  erklärt  dies  so:  der' 
grofse  .Grundeigentümer  behielt  einen  Theil  seiner.  Besitzun- 
gen für  sich,  und  übergab  die  andern  Theile  Andern  zur  Be«. 
nutzung,  wofür  er  als  Grundherr  einen  Theil  des  Ertrags  ein* 
püng.     Dies  waren  die  Hintersassen  ,   und  unter  diese  bat 
wohl  der  Grundherr  nach  einer  billigen  Schätzung  durch  kun- 
dige und  erkohrene  Männer  (magisiratus  et  principe»)  jähr« 
lieh  die  Besitzung  neu  vertheilt,  um  dadurch. die  Einheit  und 
Gleichheit  zu  erhalten.  <— -  Der  Haupthof  mit  seinen  Gliedern 
(Lili)  oder  Hintersassen  und  die  kleinen  Besitzungen  der 
Männer,  die  keine  Hintersassen  hatten,   bildeten  die  Ge- 
meinden,  und  mehrere  derselben  eine  Markgenossen- 
schaft.     Die  Verbindung   sämmtlicher    Grundeigentümer  • 
einer  Gegend  machten  einen  Gau  aus  (S.  492.)»  und  alle  Mit- 
glieder desselben  vereinigten  sich  zu  einer  Volksgemeinde, 
welche  über  die  den  ganzen  Gau  betreffenden  Angelegenhei- 
ten gemeinschaftlich  berathschlagte.      Den  Vorsitz  führte  der 
Graf,  zuerst  der  äl  teste  Mann,  der  Graun,  bernach  der 
Würdigste,  der  aber  die  hergebrachte  Benennung  des  Gra- 
fen beibehielt,  auch  wenn  er  das  Alter  noch  nicht  hatte,  das 
ihn  zu  diesem  ehrwürdigen  Namen  berechtigte.     Der  Gau  f 
heilst  es  S.  503.  weiter,  war  wieder  in  Kreise  eingetheilt, 
von  welchen  ein  jeder  hundert  Grundeigentümer  umschlofs , 
und  die  daher  Hunderte  Helsen.     Diesen  stand  der  Cent« 
graf  vor.     Die  Hunderte  zerfielen  wieder  in  Zehenten, 
welche   einen  Zehnt  graf  en   an  der  Spitze  hatten.  Die 
Gauen  selbst  aber  waren  nur  Theile  eines  Staats.    Eine  solche 
Verbindung  mehrerer  Gaue  zu  einem  Staate  nennt  Hr.  Lu- 
den Mannei  (S.  507.)»  z.B.  Mark-Mannei,  Alle-Mannei, 
Ger  -  Alan  n  ei.    Ref.  wünschte  übrigens,  dafs  Hr.  Luden  zum 
Belege  für  diese  A  nsicht  nicht  Tacit,  Hist.  XV,  64*  angeführt, 
wo  die  Gesandten  der  Tenchterer  den  Agrippinensern  oder 
Ubiern,  die  dem  Civilis  beitraten,  danken-  dafs  sie  zurück- 
gekehrt seyen  in  corpus  nomentjue  Germaniae,  was  Hr.  Lu- 
den übersetzt:  „zu  dem  Namen  und  zu  dem  Leihe 
einer -Germania",  und  hinzufügt:  „diese  Germania,  was 
konnte  sie  anders  seyn,  als  der  Bund  der  Bataver  mit  den 


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Völkern  auf  dem  rechten  Rhein  ukr Jeder  Unbefangene 
wird  einsehen ,  daff  Germania  an  der  Stelle  des  Tacitus  nicht» 
heifst,  alt  Deutschland  ;  die  Tenchterer  freuen  sich  ,  dafa  sich 
die  Ubier  von  den  Rötnern  losgerissen ,  und  wiederum  an  ihr« 
Brüder  und  Landsleute,  die  Deutschen ,  angeschlossen  haben« 
So  hätten  z.  B.  die  Deutschen  im  Jähre  18 14.  hei  ihrer  An- 
kunft auf  dem  linken  Rhein ufer  au  ihren  deutschen  Brüdern 
daselbst ,  welche  sie  als  Befreier  vom  Joche  der  Fransosen  mit 
offenen  Armen  aufnahmen,  die  Worte  des  Tacitus  sagen  kön- 
nen :  rediisse  vos  in  corpus  nomepque  Germaniae  communibus 
Diis  grates  agimus.  • —  Eine  solche  Verbindung  von  Gauen 
sttr  gemeinschaftlichen  Verteidigung  oder  Wehrmannei  hatte 
•inen  Heriog  an  der  Spitze,  Was  bei  den  Alten  von  Köni- 
gen in  Deutschland  selbst  vorkommt,  ist  verworren  und  voll 
Widersprüche  ;  »»Tacitus  gab  wieder ,  was  er  wufste  und  er* 
fuhr,  und  liefe  uns  Spätem  die  Aufgabe  zurück  zu  versuchen, 
was  ihm  unmöglich  gewesen.« 

Ref.  ist  dieser  Untersuchung  in  ihren  Hauptpunkten  ge*  - 
folgt.  Schön  und  gründlich  entwickeln  die  folgenden  Kapitel, 
das  sechste  die  Kriegs  Verfassung  ,  das  siebente  Gewerbe ,  Han- 
del,  Kunst  und  Wissenschaft  —  Ref.  vermifste  hier  ungern 
•ine  Bemerkung  über  die  unleugbar  aus  vorrämiscber -Zeit 
herrührenden  Bauwerke  der  Trierer,  —  das  achte  Religion 
und  Gottesdienst,  und  das  neunte  das  häusliche  und  gesellige  1 
Lieben. 

Ref.  schliefst  diese  Anzeige  mit  dem  Wunsche,  dafs  die- 
ses Werk  recht  viele  Liebe  zum  Studium  der  deutschen  Ge- 
schichte wecken  möge.  Der  Verleger  hat  Druck  und  Papier 
«ingerichtet,  wie  es  das  Werk  verdient,  und  dem  Ref.  ist, 
aulser  den  oben  angeführten.  Versehen  im  Drucke ,  nur  eis 
atörender  Druckfehler  aufgefallen  ,  S.  393*  Naas,  wofür  man 
Nahe  lesen  mufs. 


I. 


(D#r  Beseht  u/s  folgt.) 


K 


* 


♦ 


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N.  37.        '  "       '  1826/ 

Heidelberger 

*  •  * 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Luden  Geschichte  des  teutschen  Volkes. 

.  •  •     .     •  •  -.  . 

♦  CBescklufs.) 


v 


Bei  einem  so  wichtigen  Werke,  als  das  hier  angezeigte 
ist,  glaubt  der  Untengenannte  einer  anonymen  Recension 
einige  Worte  in  seinem  Namen  beifügen  zu  müssen.  Er 
kann  weder  dem  Recensenten,  wenn  er  diese  ganze  Art  Ge-, 
schichte  zu  schreiben  zu  tadeln  scheint,  beitreten,  noch  Hm, 
Luden  gegen  ihn  in  Schutz  nehmen  wollen,  da  seine  drin- 
genden Geschärte  ihm  bisher  noch  nicht  erlaubt  haben,  Hrn. 
Ludens  .Werk  aufmerksam  zu  lesen.  Da  ihm  indessen  der 
Verfasser  der  Recension  als  ein  milder,  gelehrter,  keiner 
Fartbei  angehöriger  junger  Geschichtforscher  bekannt  ist, 
der  sich  Hrn.  Luden  auch  nicht  in  dei  Entfernung  gleich 
oder  gar  .über  ihn  stellen  will,  so  bat  er  dem  Publicum  und 
Hrn.  Luden  selbst  mit  der  Bekanntmachung  der  abwei- 
chenden, Ansichten  über  Art  und  Methode  einen  Dienst 
zu  thun  geglaubt,  weil  gewifs  Hr.  Luden  über  die  klein- 
liche Eitelkeit  erhaben  ist,  dals  er  nur  pomphaftes  Lob  für 
Anerkennung  des  Verdienstes  halt.  Unerwähnt  darf  es  Un- 
terzeichneter dabei  nicht  lassen  ,  dafs  der  Verf.  einer  der  be- 
sten, wenn  nicht  der  beste,  seiner  ehemaligen  Zuhörer  und 
derer  ist,  die  seiner  speciellen  Leitung  genossen  haben,  da 
er  aber  weder  eine  Schule  hat,  noch  haben  will ,  so  wird  dies 
hoffentlich  keinen  Unterschied  machen.  Er  würde  sich  die 
ganze  Bemerkung  erspart  haben,  wenn  man  nicht  gewohnt 
wäre,  seinen  geringen  Antheil  an  diesen  Blättern  über  die  Ge- 
bühr auszudehnen,  und  jeden  Tadel  ihm  oder  seiner  Veran- 
staltung zuzuschreiben.  Er  theilt  mit,  was  ihm  zugeschickt 
wird,  wenn  es  nicht  schlecht  oder  partheiisch  ist,  das  ist  Al- 
les ;  dem  Publicum  eine  Meinung  aufzudringen  oder  gar  durch 
Kreaturen  einschwärzen  zu  lassen,  das  wird  ihm  keiner  zu- 
trauen ,  der  ihn  kennt. 

Schlosser. 


. .  .  -  i  .. 


XIX.  Jahrg.    6.  Hoff. 


37 


578  Sclmlxe t  über  die  WirlhachafisWissenscuafjen. 

Ufte*  Westn  Und  Studium  der  PVirthschafts  •  oder  Catne raiwissen. 
Schäften  *  vorzüglich  Ober  wissenschaftliche  Btgrüridung  der  Land- 
wirthschfftslehre  .  .  .  Von  Fr.  C  Schulze,  Professor  in  Jena. 
Jena,  Frotnann.     1826.     126*5.  ß.  .  .10  Gr, 

Der  Verf.  ist  dem  Publicum  schon  durch  seine  Disierta. 
tion  de  aratro  Romano*  und  durch  die*  auf  die  Weimar i sehen 
landständischen  Verhandlungen  sich  beziehende  Schrift:  tther 
Papiergeld*  äuf  das  Vorteilhafteste  bekannt.  Er  glaubt  in 
d«-r  bisherigen  Behandlung  der  Gewerbswissenschaften  *  he- 
sonders  der  Landwirthschaftslebre*  Mähgel  zu  erkennen,  de- 
ren  Hebung  ihm  nur  dadurch  möglich  scheint*  dafs  man  die 
Volkswirtschaftslehre  als  eine  Grundlehre  dieser  Wissen- 
Schäften  benutze*  Jene  Mangel  sind  auch  in  der  Tbat  nicht 
zu  verkennen  ^  und  zwar  zeigen  sie  sich  hauptsächlich  in  dem 
einen  flattpttheile,  den  sowohl  die  Land wirtuschaftslehre,  al« 
die  Technologie  ,  Bergbaukünde  u.  s.  W.  enthalten  muf*  ,  und 
den  man  den  allgemeinen,  oder  tnercant  i  Tisch  eti  Theil, 
Hie  landvvirtbschaftliche  und  technologische  Gewerbslehre, 
im  Gegensätze  des  technischen  Thetls  oder  der  Kumt- 
lehre,  genannt  hat.  Erst  seit  Kurzem  hat  man  diesem  Theile 
gröfsere  Aufmerksamkeit  gewidmet*  und  er  ist  auch  nach  dem, 
was  Tbaer  und  von  Crud  für  die  landwirtschaftliche , 
Geyer  für  die  technologische  Gejverbslehre  geleistet  haben, 
noch  Weit  von  derjenigen  Ausbildung  entfernt,  welche  der 
technische  Thtil  unter  dem  Einflösse  der  Naturwissenschaften 
erlangt  hat.  Unser  Verf.  nennt  die  GeSammtheit  der  auf  das 
Mercantilische  in  der  Landwirtschaft  gerichteten  Lehren  den 
Volks  wirtschaftswissenschaftlichen  Theil  *  wel- 
chem er  den  naturwissenschaftlichen  gegenüberstellt. 
Ffir  jede  GeWerbswissehschaft  gebe  es  nämlich,  da  sie  einen 
Kampf  des  Menschen  mit  der  äufseren  Natur  darzustellen 
habe,  eine  naturwissenschaftliche  und  eine  anthropologische 
Grundlebre*  und  die  letztere  sey  die  Volkswirtschaftslehre* 
die  aus  einer  Anwendung  der  Anthropologie  auf  das  wirt- 
schaftliche Leben  entspringe*  indem  sie  die  Erscheinungen 
des  letzteren  aus  Gesetzen  der  Menschenlehre  zu  erklären  be- 
StiOimt  Sey.  Um  dies  Verhältnifs  der  Volkswirtschaftslehre 
zu  den  Ge.wetbswisSenschafteu  darzuthun*  werden  die  Schrif- 
ten Beck  man  n  S  *  vonSeutters*  Thaers  u.  A.  beleuch- 
tet, es  Werden  unrichtige  oder  doch  unklare  Satze  aus  ihnen 
hervorgehoben,  die  aus  dem  Standpuncte  der  Völkswirtb^ 
schaftslehre  besser  gefafst  Werden  können.  Tbaer  wflrHe 
seine  Erklärung  des  umlaufenden  Capitales*  ob  sie  schon  n  ebt 


• 


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Schutze,  Uber  die  Wirthschaffi Wissenschaft cu.  5"^ 

die  deutlichste  ist,  gegen  die  ßemerkungen  Unsere«  Vf.  S.  49. 
zu  vertheidigen  im  Stande  seyh.  Letzterer  sagt :  „ich  seh* 
z.  K.  nicht  ein,  wie  man  von  dem  Holze,  aus  welchem  der 
Pflug  bereitet  ist,  nicht  eben  so  gut  sagen  könne,  dafs  es  in 
seinein  Produ'cte  (sein  Fröduct  hat  wohl  Thaer  schreiben 
wollen)  verwandelt  werde  *  als  von  dem  Brennholze,  womit 
der  Landwirth  das  Futter  für  sein  Rindvieh  brüht?  und  doch 
rechnet  man  den  Pflug  zum  stehenden,  und  das  Brennholz  zum 
umlaufenden  Capitale«.  Hiehei  ist  aber  zu  erinnern*  dais 
das  Holz,  aus  welchem  der  Pflug  Verfertiget  wird,  in  der 
That  in  das  umlaufende  Capital  des  Wagners  gehört,  und  erst 
der  fertige  Pflug  als  Werkzeug  iich  dem  stehenden  Capitale 
des  Landmannes  anreihet;  —  (Jeher  das  ganze  Verhältnis 
kann  Ree  ,  um  nicht  das  anderswo  Gesagte  zu  wiederholen  , 
nur  Folgendes  bemerken.  In  der  Ansicht  von  dem  Wesen  der  -  , 
Volkswirtschaftslehre  stimmt  er  dem  Verf.  völlig  bei;  aber 
als  Grundlehre  der  Landwirthscbaftslehre  kann  er  sie  darurtt 
nicht  betrachten,  weil  sie  Selbst  ohne  die  Hülfe  von  dieser * 
ohne  einzelne  Ahstractionen  aus  ihr,  nicht  möglich  ist.  Wie 
könnte  die  Theorie  der  Grundrente  genügend  dargestellt  wer* 
den,  Wönn  man  nicht  die  Ergebnisse  der  Landwirthschafts- 
lehre  dabei  zu  benutzen  im  Stande  wäre  ?  wie  die  Lehre  vom 
Maschinenwesen  oder  von  der  Arbeitsteilung  4  ohne  den  Bei* 
stand  der  Technologie?  In  der  methodischen  Entwicklung 
der  wirtschaftlichen  Lehren  mufs  man  eher  die  Grundsätze, 
des  landwirtschaftlichen  Gewerbes  vortragen,  als  man  das 
Nahrungswöseri  ganzer  Völker  nach  seinen  natürlichen  Ge- 
setzen erforscht.  Auch  ist  das  Princip  der  Landwirtschaft 
ein  Wesentlich  anderes  *  der  Gewinn  für  deri  Einzelnen,  der. 
zwar  oft  mit  dem  Vortheile  für  die  Gesellschaft  zusammen* 
trifft,  oft  aber  auch  von  demselben  abweicht*  Die  Volks- 
wirtschaftslehre kennt  kein  einzelnes  Interesse,  sondern  über* 
schaut  alle*  aus  ihr  kann  also  nicht  der  Zweck  abgeleitet 
werden ,  nach  Welchem  der  Landwirth,  Forstwirt  u;  s.  w, 
sein  Verfahren  einrichten  soll.  Auf  den  Einwand ,  dafs  ohne 
Begriffe  *  z.  Ei  von  Capital ,  au*  der  Volkswirtschaftslehre 
herüber  zu  nehmen,  das  OekonÖmiscbe  der  Land Wirtschaft 
nicht  gut  abgehandelt  werden  könne  ^  läfst  sich  erwiedern  :  es 
giebt  allgemein  wirtschaftliche  Begriffe  und  Grundsätze;  die, 
aus  dem  Verbältnisse  des  Menschen  zu  den  Gütern  entsprin- 
gend, allen  besondere«  Regeln  über  wirtschaftliche  Artgele* 
!•  enbfiiten  zu  Grunde  gelegt  werden  müssen  ,  und  deshalb  nicht 
.sowohl  in  die  Volkswirtschaftslehre,  als  vielmehr  an  die 
Spitze  des  ganzen  wirtschaftlichen  Lehrgebäudes  gestellt 

■ 

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580  Schuhe,  über  die  Wirtschaftswissenschaften. 

werden  sollten.  Ferner  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache,  dafs 
der  Umfang  des  Capilals  in  der  Privatökonomie  anders  bestimmt 
werde,  als  in  der  politischen  Oekonoraie,  oder,  dafs  das  Pri- 
vatcapital  von  dem  volkswirtschaftlichen  Capitale  abweiche. 
Der  gemeinschaftliche  Begriff  ist:  bewegliches  Vermögen, 
welches  sur  Erlangung  neuer  Vermögenstheile  behülflich  ist. 
Nun  erwirbt  der  Einzelne  eben  so  gut  von  anderen  Menschen, 
als  von  der  Natur,  und  die  Drehorgel ,  die  wandernde  JYlena- 
gecie,  der  Circus  eines  Fianconi  u.  s.  w.  fallen  eben  so  wohl 
in  den  Begriff  des  Frivatcapitales ,  als  der  Pflug,  der  Porsel- 
lanthon  und  die  Kohlen  des  Schmiedes.  Erst  wenn  man  sich 
zur  Betrachtung  der  Vermögensverbältnisse  eines  ganzen  Vol- 
kes erhebt,  scheiden  sich  die  produetiven  Beschäftigungen, 
welche  das  volkswirtschaftliche  Capital  zu  Hülfe  nehmen, 
vön  denen,  welche  auf  persönliche  Dienste  abzielen.  —  In- 
defs  ist  unsere  Wissenschaft  noch  zu  jung,  um  schon  feste 
Formen  und  Abtheilungen  zu  besitzen;  jede  Meinung  verdient 
Beachtung,  wenn  sie  mit  so  viel  Talent  und  Kenntnifs,  wie 
von  dem  Verf.  geschehen,  verteidiget  wird,  und  so  viel  we- 
nigstens wird  ihm  Jeder  zugestehen  müssen,  dafs  es  durchaus 
Bedürfnifs  für  jeden  denkenden  Gewerbsmann  sey,  sich  uai 
die  ganze  Volkswirtschaft  zu  bekümmern.  Sollten  die,  vor 
deren  Hause  eine  Quelle  fliefst,  nicht  begierig  seyn,  den 
Strom  kennen  zu  lernen,  zu  welchem  jene  ihre  Flu then  sendet? 
Auch  ist  es  nicht  blos  speculative  Kenntnifs,  welche  die  gebil- 
deteren Landwirte,  Fabricanten  und  Kaufleute  aus  der  Volks- 
wirtschaftslehre gewinnen  können,  sondern  die  höhere  An- 
sicht ihres  Geschäftes  im  ganzen  Organismus  der  Betriebsam- 
keit mufs  ihnen  in  vielen  Hinsichten  fruchtbar  werden,  indem 
aus  dem  unaufhaltsamen  Gange  des  Nahrungswesens  im  Grofsen 
auch  nützliche  Verhaltungsregeln  für  jede  einzelne  Privatwirt- 
schaft abgeleitet  werden  können. 

Der  Verf.  verbindet  mit  der  bisher  besprochenen  Abhand- 
lung die  Ankündigung  einer  landwirtschaftlichen  Lehranstalt, 
die  er  zu  Jena  zu  eröffnen  Willens  ist.  Sie  wird  mit  der  Uni- 
versität in  genauem  Zusammenhange  stehen,  so  dafs  auch  die 
Studirenden  Kameralisten  und  Juristen  an  den  meisten  JLebr- 
stunden  des  Instituts  Theil  nehmen ,  und  wiederum  die  abge- 
henden Landwirthe  auch  andere  Vorlesungen  benutzen  kön- 
nen. Hec.  bedauert,  dafs  die  zum  Staatsdienste  sich  vorberei- 
tenden jungen  Männer  nicht  Gelegenheit  haben  werden,  von 
dem  Verf.  mit  der  Land wirthschaftslehre  bekannt  gemacht  zu 
werden,  indem  sie  wohl  nicht  zu  den  vier  Gollegieu  über  die- 
selbe, welche  einen  zweijährigen  Cursus  bilden,  hinreichende 


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Hö'rtcr,  der  rhcinländische  Weinbau.  68 1 

- 

Zeit  finden  können.  Sonst  ist  der  Nutzen,  den  diese  Anstalt 
unter  der  Leitung  des  acbtungswttrdigen  Verf.  und  bei  der 
sorgfältigen  Benutzung  aller  Hülfsmitte),  (wovon  die  Schrift 
Zeugniis  ablegt)  zur  Bildung  tüchtiger  Landwirt  he  haben 
kann  ,  nicht  zu  bezweifeln,  und  man  wird  es,  da  wir  nur  zu 
viele  kenntnifsarme  Praktiker  haben,  nicht  zu  beklagen  ha- 
ben, dafs  die  Erlernung  beim  Mangel  eines  unmittelbar  für 
das  Institut  bestimmten  gröfseren  Landgutes  vorherrschend 
theoretisch  werden  wird. 

Ree.  wird  durch  die  vorliegende  Abhandlung  erinnert  ,  die 
Anzeige  der  kleinen  Schrift: 

Ueber  die  Kameralwissenschaft.  Entwicklung  ihres  We- 
sens und  ihrer  Theile  von  K.  H.  Kau.  .Heidelberg,  bei 
Winter.  1825.    VI  und  90  S.  ö. 

welche  zur  Erläuterung  seines  1823  erschienenen  Grundrisses 
der  Kameralwissenschaft  bestimmt  ist  und  in  diesen  Jahrbüchern 
noch  keine  Erwähnung  gefunden  hat,  kürzlich  nachzuholen. 

K.    tf.    R  a  u. 


Der  rheinländische  We  inbau  ,  nach  theoretisch  -  praktischen 
Grundsätzen  für  denkende  Oekonomen,  Von  J.  Härter,  prak- 
tischem W einpflanzer  am  Rhein.  Erster  Theil.  Cohlenz  ,  in  der 
neuen  gelehrten  Buchhandlung.  1822.  8.  S.  VI  und  128.  Zwei- 
ter Theil.  Trier ,  bei  F.  A.  Galt.  1824.  S.  VIII  und  208.  mit 
vier  lithographirten  Tafeln.  Beide  Theile  3  fl.  45  kr. 

Tn  der  Vorrede  bemerkt  der  Verf.  mit  Hecht,  dafs  man 
den  Weinstock  noch  zu  häufig  auf  Gründen  cultivire,  wo  er 
als  exotische  Pflanze  in  Deutschland  nicht  gedeihen,  oder  doch 
nur  in  seltenen  Jahren  eine  ergiebige  Ernte  liefern,  also  nicht 
mit  Gewinn  angebauet  werden  könne.  Diesen  Schlendrian 
und  noch  manchen  anderen,  der  bis  jetzt  noch  im  deutschen 
Weinhau  vorkommt,  näher  zu  beleuchten,  die  blos  empiri- 
sche Behandlung  des  Weinstocks  zu  entfernen,  und  zur  Auf- 
fassung und  Anwendung  rationeller  Pegeln  zu  ermuntern,  ist 
der  Zweck  des  Verf.,  der  durch  vieljährige  eigene  Beobachtung 
und  durch  Umgang  mit  aufgeklärten  Weinbauern  sich  dazu  be- 
rufen fühlt. 

Der  erste  Theil  enthält  iil  sieben  Capiteln  eine  voll- 
ständige Anleitung  zum  Weinbau,  so  dafs  er  als  ein  für  6ich 


533  Holtet,  der  rhemläüdibcUe  Weinbau,. 


bestehendes  Ganses  betrachtet  werden  kann.  Pas  erste  Capi- 
tel  —  von  der  Geschichte  des  VVejnbaues  —  enthält  mehrere 
interessante  Notisen:  dem  zweiten  aber,  über  die  Anatomie 
und  Physiologie  des  \Veinstocks,  mangelt  es  au  der  oötbigen 
l'rgcision;  auch  dürfte  sich  gegen  einzelne  Behauptungen  man- 
ches erinnern  lassen,  s.  B.  g^gen  jene,  dafs  schleimiger  Saft, 
Zuckerstpff,  Sauerstoff  und  Meblsubstans  sich  in  den 
verschiedenen  Abthei]ungen  des  Beerenmarkes  befinden,  aus 
dem  der  JY|oqt  oder  Wein  zum  Vorschein  ItQinrue.  Im  dritten 
Gapite)  eifert  der  Verf.  mit  guten  Qründen  gegen  die  Anlegung 
ypn  Weingärten  auf  der  Ebene,  und  indem  er  die  beste  ur- 
sprüngliche Mischung  des  Bodens  und  die  zweckmäßigsten 
Verbesserung*-  und  Düngmittel  angieht,  yertheidigt  er  den 
Gebrauch  des  animalischen  Düngers  gegen  die  Behauptung 
älterer  und  neuerer  Oenologen ,  unter  andern  des  Grafeu  Chap- 
fal.  |m  vierten  Capite)  lehrt  er  die  Beuflanzung  der  Wein, 
berge  s«hr  deutlich  und  bestimmt,  und  zUblt  dabei  die.  be- 
kanntesten Hebensorten  auf.  Im  fünften  beschreibt  er,  sum 
The.l  kritisch,  die  jährlichen  WeinbergsarbeiUn,  wobei  aber 
lief,  bemerken  mufs,  dafs  das  hier  angeführte  Ausbrechen 
überflüssiger  Triebe  l^urz  vor  der  Blttthe  in  vielen  Weinge- 
genden Deutschlands  nicht  üblich  ist.  Das  sechste  CapUel 
enthält  eine  Utbersictit  f\her  die  Krankheiten ,  Beschädigun- 
gen und  Feinde  des  Weinstocks  und  die  llettuugsmittel.  Der 
Verf.  erwähnt  dabei  der  Frühlingsfröste  und  des  Haucheins 
als  Voibeugungsmittel,  und  rühmt  die  Verdienste  des,  iVIedi. 
cinalrat|is  Pickel,  der  diese  Methpde  in  der  Gegend  von 
\Vürsburg  eingeführt  und  verbreitet  habe.  lief,  kaiia  nicht 
unerwähnt  lassen,  dafs  man  in  der  genannten  Gegend,  so  wie 
auch  in  andern,  seit  mehreren  Jahren  das  Ua>ct>ern  wieder 
unterlagen  habe,  und  swar  aus  rein  wirtschaftlichen  Grün- 
den, nämlich  wegen  des  zu  grofsen  Aufwandes  an  2*it,  Ar- 
beit und  Biennmateriale,   der  um  so  grofser  wird^  wenn  mau 

.auch  bei  der  noch  mehr  entfernten  Gefahr  schon  räuchern  will, 
wie  es  der  Verf.  verlangt,  der  bei  einem  Thermometer Staude 
von  f6  — 7^  H.  die  Notwendigkeit  dieser  Ope  ration  schuu 
angezeigt  findet.  Das  siebente  Capitel  enthält  polizeiliche 
Bestimmungen  über  die  Weinlese. 

Der  s  wei  te  Tb  eil  ist  eigentlich  nur  ein  Supplement  des 
ersten  ,   und  führt  in  eilf  Capiteln  einzelne  IVlaterieu  weiter 

aus,  welche  im  ersten  blos  angedeutet  waren.  Wir  wollen 
hier  nur  diejenigen  nenn«*,  welche  mehr  Interesse  haben  und 
welche  wir  mit  einigen  Bemerkungen  begl- tten  können.  Jim 

zweiten  Cipitel  ist  die  Hede  von  dem  Oedeliegeu  alter  wieder 


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flqrter,  der  thcioI^aMclie  Weinbau,  383 

anaturqttender  Weinberge,     Schon  die  Römer  hielten  dieses 
Itfr   noth  wendig,   wie  man  aus  Colurnella  sieht.     Per  Verf, 
.sucht  ea  auch  au  yertheidigen ,  zum  Tneile  aus,  theoretischen 
'.«rüiiden,  die  aber  schwerlich  Stich  halten  werden,     Sa  leitet 
er  z.B.  die  Unfruchtbarkeit  des  Bodens  in  solchen  Weinbergen 
von  einer  Uebersättigung  desselben  mit  Sauerstoff  ab,  was 
schwer  zn  beweisen  seyn  möchte.     Auch  ist  nicht  «U  verges^ 
aen  ,    dafs  man  dieses  Qedeliegen  in  manchen  Gegenden  nicht 
kennt,    und  dafs  manche  Weinberge,  zum  Tueil.e  dje  besten, 
Jahrhunderte  lang  nichts  als  Weinstöcke  getragen  haben,  phne. 
üi  der  Zwischenzeit  öde  gelegen  oder  eine  andere  Ernte  an 
Klee  u.  s.  w.  geliefert  zu  haben,      In  diesen  Gegenden  wird 
jeder  alte,  unfruchtbare  Weinstock  immer  durch  einen  jungen 
ersetzt.    —    Das  vierte  Capitel  handelt  von  den  Hebschulen, 
deren  Anlage  und  Fflanzung,  einem  Gegenstände,  der  bisher 
meistens  vernachlässigt  wurde,   aber  die  gröfste  Beachtung 
Verdient.    Denn  die  Verpflanzung  he  wurzelt  er  Reben  aus  den 
Heb  schulen  hat  mehrere  unbestreitbare  Vortheile;   a)  die  auf 
diese  Weise  angelegten  Weinberge  werden  eher  traghar,  und 
man  gewinnt  vielleicht  die  Ernte  eines  guten  Jahres*  di«  njan 
nach   der  gewöhnlichen  Methode  aufgeben  müfste,    um  die 
Stöcke  erstarken  zu  lassen  ;   b>  die  Rebschulen  dienen  zur  Bil- 
dung neuer  Rebensorten  aus  Saainen*    c)  sie  tragen  zur  Ver- 
mehrung und  Verbreitung  der  edelsten  Rebensorten,  bei,  und 
d)  l^onnten  anch  benutzt  werden,  die  unter  verschiedenen  Na* 
men  iin  In-»  «nd  Auslande  vorkommenden  I\ebepsorten  zu  un, 
tersuchen,  zu  vergleichen,  und  endlich  eine  sichere  Termino- 
logie herzustellen  B  woran  es  in  der  Oenologie  noch  so  sehr 
fehlt.     Dieser  JV^angel  ist  auch  im  fünften  Capit*},  wo  der 
Verf.  das  vierte  des  ersten  Theiles  in  der  Aufs^blung  von  46 
Heben sortt  u  weiter  ausführt,  noch  sehr  fohlbar  ,  und  es  w^ra 
doch  nicht  SQ  schwer,  hier  nach  und  nach  in'*  Rein«  au  kom.* 
men,  wenn  n\an  nur  in  mehreren  Gegenden  das  bekannte  R>in 
spiel  des  Ritters  v.  Heintl  in  Oesterreich  nachahmte,  — *  Ca* 
achte  Capitel,  von  der  Benutzung  der  Bestaudtheile  dea  Wein* 
Stocks  und  dessen  Educte,  ist  eines  der  vollständigsten %  un<l 
J\*:f.  will  blos  auf  einige  Stellen  aufmerksam  machen,  welche 
eiuer  Berichtigung  bed(\rfen.     So  sagt  der  Verf.,  dafs  aus  der 
zerriebenen  Kohle  der  verbrannten  Weinstock wurzel-die  Tun-, 
eher  eine  blaue  Farbe  zum  inneren  und  $u(W«tt  AnftUUh  der 
Gebäude  bereiten,     Ref.  hat  immer  nur  von  einer  achwar* 
zen  Farbe  gehört,      Ferner  soll  d.U  TranfceuaAü^<iYade%  V\ 

Wasser  aufgehst »  ein  lieblich  ber ansehende*  Gejr$nk  g*-» 
ben,  gleich  dem  IY?alagaweiii.    Doch  wohl  eist  «ach  tttattttn« 


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5ö4  Hölter,  der  rheinländische  Weinbau. 

den  er  Qährung?     Endlich  heilst  es  S.  I23f  die  Weinbefen 
(Extractivstofie)  liefern  in  der  Destillation  den  Hefenbrannt« 
wein.    Aber  nicht  die  Hefe  als  solche,  sondern  der  vergobrene 
Most  oder  Wein ,  in  dem  die  Hefe  mechanisch  enthalten  ist 
liefert  den  Branntwein.     Auch  hätte  noch  angeführt  werden» 
sollen,  dafs  die  ausgepreiste  Hefe  durch  Ausglühen  in  ver- 
schlossenen Gefälsen  eine  gute  schwarze  Farbe  liefere.  —  Im 
neunten  Capitel ,  von  den  Keltern  oder  Traubenpressen ,  er» 
klärt  sich  ,der  Verf.  zum  Tbeile  ironisch  gegen  das  bekannte 
K  r  8  me r *scbe  Traubensieb,  eine  Maschine,  welche  die  Ku- 
fen und  Keltern  ersetzen  ,  und  die  gänzliche  Abschaffung  der« 
seihen  herbeiführen  soll.     Die  Beschreibung  dieses  Siebes  ist 
nicht  sehr  deutlich  gegeben,  aber  so  viel  scheint  gewifs  zu 
seyn,  dafs  es  das  Keltern  nicht  entbehrlich  macht,  und  mit 
vielen  andern  Verlusten  und  Unbequemlichkeiten  verbunden 
ist,  welche  letztere  der  Verf.  richtig  aufzählt.     Im  zehnten 
Oapitel,   welches  wir  zuletzt  anführen,  wird  die  Bereitung 
und  Veredlung  des  Weines  in  der  Gährungsperiode  gelehrt. 
Der  Verf.  verwirft  mit  Recht  die  Wei n Verfälschung ,  und  1 
meint,  dafs  diese  an  dem  Rhein,  der  Mosel,  Aar,  Nabe  und 
Saar  nicht  zu  Hause  sey  (?).    Er  billigt  es  aber,  bei  gering*" 
ren  Herbsten  der  Natur  durch  die  Kunst  zu  Hülfe  zu  kommen, 
wobei  aber  nur  die  Traube  selbst,  und  was  ihr  angehört,  an- 
gewendet werden  soll.     Er  beruft  sich  auf  die  Alten,  welche 
schon  dem  Moste  Zusätze  gegeben  haben,   besonders  wieder 
den  Most  von  gekochten  Traubenbeeren,  was  auch  später  die 
Franzosen  thaten.     Zugleich  berührter  S.  155.  das  sonst  am 
Rheine  übliche  Feuern  des  Mostes,  wodurch  die  Weine  sehr 
veredelt  worden  seyn  sollen.    Er  empfiehlt,  die  verschiedenen 
Trauhensorten  bei  der  Lese  schon  zu  trennen,  und  dann  die 
verschiedenen  Moste  zweckmäfsig  zu  mischen,  .wogegen  kein 
vernünftiger  Weinpflanzer  etwas  einzuwenden  haben  wird,  £r 
will  aber  auch  einen  Tbeil  des  Mostes  kochen  und  heifs  mit 
dem  übrigen  mischen,  und  selbst  eine  Entsäuerung  desMoiM 
durch  Kalk  und  Kreide  scheint  er  zu  billigen,  wogegen  sieb 
zwar  theoretisch  nichts  sagen  h'ifst,   was  aber  die  Jligoristen 
in  der  Gewinnung  reiner  Weine  nicht  mit  ganz  gleichgültig*0 
Augen  ansehen  werden.     Zu  wünschen  wäre  es  gewesen,  <Ja[J 
es  der  Verf.  unterlassen  hätte,  sein  Verfahren  mit  der  chemi- 
schen Theorie  zu  beleuchten,  was  ihm  hier,  wie  früher,  nur 
halb  gelungen  ist.    —    In  jeder  Hinsicht  zweckmäfsig  aber 
erscheint  ein  vom  Verf.  angeführter  Trichter,  der  den  Fässern 
beim  Transporte  von  Most,  welcher  noch  nicht  vergohren  ist, 
aufgesetzt  weiden,  und  die  Entweiclmng  von  Alcohol  mit  dem 


♦ 


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Sulla  Iscrixioue  etrusea ,  da  VeiuiigUoli*  685 

m 

kohlensauren  Gase  hindern  soll.  Auch  dürften  die  anderen 
hier  angeführten  und  mit  Zeichnungen  versinnlichten  Vorrich- 
tungen, diesen  AJcohol Verlust  in  Oer  Gäbrung  zu  vermeiden» 
Nachahmung  verdienen.  Denn  nach  früheren  und  neueren 
Versuchen  ist  es  gewifs,  dafs  der  Zutritt  der  atmosphärischen 
Luft  zu  den  in  geistiger  Gährung  sich  befindenden  Flüssig* 
keiten  schädlich  ist,  und  dafs  Vorrichtungen  zweckmäfsig  sind, 
welche  diese  abhalten,  und  doch  das  Entweichen  des  sich  ent- 
bindenden kohlensauren  Gases  zulassen,  jedoch  die  zugleich 
entweichenden  Alcoholrlämpfe  auffangen.  Von  dieser  Art  sind 
die  vom  Verf.  angegebenen,  deren  Herstellung  noch  überdies 
wenig  kostspielig  scheint.  —  Die  Behandlung  des  rothen 
Weines  in  der  Gährung  hat  der  Verf.  von  jener  des  weifse» 
unterschieden,  aber  auch  bei  jenem  die  Gährung  in  bedeckten 
Gefäfsen  mit  Schutztrichtern  empfohlen.  Die  Kegeln,  die  er 
giebt,  sind  praktisch  und  können  mit  Vortheil  angew*»det 
Werden,  allein  die  Theorie,  die  er  auch  hier  mit  einmischt, 
ist  theils  unrichtig,  theils  unvollständig.  So  nennt  er  S.  193L 
das  kohlensaure  Gas  „Kohlenstoffgas«,  und  sagt,  dieses  Gas 
tödte  Menschen  und  Thiere,  weil  ihm  der  Sauerstoff,  das 
Oxygene,  das  Lehensprincip  gänzlich  abgehe  (!),  und  S.  201. 
sagt  er,  die  Gährung  durchlaufe  zwei  verschiedene  Perioden, 
die  zuckerige  (stürmische)  Vorgährung,  und  die  weinige, 
stille  Nachgährung. 

.  Dieser  theoretischen  Rügen  ungeachtet  können  wir  das 
Buch  seines  praktischen  Werthes  wegen  als  lesenswerth  em- 
pfehlen. Die  Darstellung  ist  deutlich  und  populär,  und  die 
neuesten  Vorschläge  zur  Verbesserung  des  Weinbaues  und  der 
Weinbereitung  sind  in  demselben  berührt.  Dem  praktischen 
Weinpflanzer  und  dem  denkenden  Ökonomen,  für  welchen 
der  Verf.  dasselbe  bestimmt  hat,  wird  es  Stoff  zu  nützlichen 
Betrachtungen  gewähren  ,  und  vielleicht  selbst  Versuche  ver- 
anlassen ,  Welche  den  Weinbau  fördern. 


Saggio  di  Congetture  sulla  grande  Jscrizione  etrusea  scoperta  nelV  anno 
1822.  e  riposta  nel  gabinetto  de*  Monumenti  antichi  delta  Univer- 
sita di  Perugia,  semplicemente  proposto  da  Gio.  B'attista 
Vermigliolu     Perugia  1824.  4.  96$. 

> 

Einer  der  gründlichsten  Kenner  alt  -  italischer  IPaläogra- 
phie  macht  hier  eine  grofse  etruskische  Inschrift  auf  einem  in 
der  Umgegend  von  Perugia  ausgegrabenen  Marmor  bekannt, 


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« 


586  Sulla  Iserizioac  etrusca,  da  VermigUoii. 

welcher  vor  vielen  dergleichen  Denkmalen  den  schätzbaren 
Vorzug  hat,  dafs  die  Buchstaben  fleifsig  und  genau  geschrie- 
ben, und  dabei  gut.  erhalten  sind.  Das  Resultat  der  Entziffe- 
rung  aber  ist,  wie  es  der  bescheidene  Verf.  in  dein  Motto  aus- 
drückt: et  voluisse  sat  est.  Seine  Untersuchungen  beschrank- 
ten sich  darauf,  mehrere  Eigennamen  durch  Vergleichung 
etruskischer  zum  Tbeil  uned}rter  Grabschriften  von  Perugia 
nachzuweisen,  und  die  Wöiter  abzutheih-n ,  was  der  Srbrift- 
g  raber  wohl  hie  und  da,  aber  nicht  regelmässig  du  ich  Punkte 
angedeutet  bat.  Beiderlei  Forschungen  aber,  so  wenig  sie 
auch  gewagt  scheinen t  so  anspruchslos  sie  auch  sind,  haben 
gleicbwohr  noch  viel  Unsicheres  und  Schwankendes.  Denn 
manche  Wörter  von  bestimmter  Bedeutung  können  Eigen- 
namen ahnlich  lauten,  ohne  es  doch  zu  seyn;  und  das  Wort- 
abtheilen  ist  ein  ungewisses  und  unfruchtbares  Buchstaben - 
Verlesen,  so  lange  man  die  sprachliche  Bedeutung  nicht  k*»nnt. 
Nur  sehr  selten  wagte  es  aber  Hr.  V. ,  einzelne  Wörter  aus 
dem  Lateinischen  und  Griechischen  zu  erklären.  Allein  auch 
dieses  führt  zu  nichts.  Denn  wer  bürgt  dafür,  dafs  jene 
Wörter  im  Munde  eines  Volkes,  auf  welches  der  Norden  und 
der  Qrient  auf*  er  Latium  und  Hellas  einen  anerkannten  Einflufs 
behauptete  ,  nicht  mit  andern  Sprachelementen  verwandt 
seyeu,  als  mit  lateinischen  und  griechischen?  Die  Wortver- 
kuüpfung  wäre  der  einstige  Bürge,  dafs  man  richtig  verglichen 
habe  und  verstehe,  und  der  Zusammenbang  könnte  allein  die 
wahre  Bedeutung  der  einzelnen  Wörter  dieser  ausgestorbenen 
Sprache  ins  Licht  setzen.  Hievon  aber  ahstrahirt  flr.  V.  Die 
ersten  Versuche  dürfte*»  freilich  raifslingen  {  aber  ohne  zu  wa- 
ßen,  ist  gar  kein  Fortschreiten  abzuseheu. 

Ref.  will  die  schüchterne  Aengst] ichkeit,  womit  man  die 
Sache  am  wenigsten  fördert ,  bei  Seite  setzen ,  und  weil  es 
JIrn.  V.  nicht  gelingen  wollte,  auf  occulentalischem  Boden 
irgend  einen  Sinn  auszumitteln ,  den  orientalischen  Weg  ein- 
schlagen ,  mehr  um  <»ie*en,  welchen:  der  V*rfc  p.  4-  verscblies. 
sen  möchte,  wenigstens  offen  zu  behalten  und  erfahrneren 
Orientalisten  anzuzeigen,  als  auf  irjin  zur  Zeit  etwas  Sicheres 
finden  ZU  wollen.  Wir  beschränken  uns  auf  den  ersten  Ab« 
«atz  der  Vorderseite ,  von  der  Wartabtbeilung  des  Verf.  bin 
und  wieder  abweichend,  und  T  bajd  u  bald  o  lesend t  weil  die 
Etrusker  für  beide  Vocale  nur  Ein  Zeichen  hatten. 

Eulat.  Tanna.  Larexul.  Statt  Tanna  kommt  Tha,na  häufig 
als  Frauenname  auf  etruskischen  Grabschriften  vor  %  es  ist  das 
hebräische  j-j-,—  ,  "Avva,  und  Jas  lateinische  Annia.    Larexul  ist 


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Sulla  Etrusca  Iscrixione,  da  Vermißlioli.  587 

viel  a)s  Laresiae  (filia).  Der  Verf.  halt  p.  12.  diesen  Ei- 
tennamen  für  zusammengesetzt  aus  Lars  und  Kexu  ,  welche» 
letztere  ein  in  mehreren  Grabschriften  befindlicher  Familien- 
name in  Perugia  war.    Ref.  vergleicht  (Jen  Namen  "ppi  i»<U»M 

clie  Etrusker  in  Ermangelung  des  I  iq  ihrem  Alphabet  hegreif- 
licher Weise  das  x  wühlten.  Die  Endung  1  bezeichnet ,  wie 
bekannt,  den  Genitiv  weihlicher  Wörter.'  Der"  Hebräer  setzt 
^  am  Anfang  der  im  Genitiv  un<J  Dativ  stehenden  Wörter. 

i  )at\s  aber  die  Etrusker  die  Eigennamen  durch  die  Nennung 
fler  Mütter  näher  zu  bestimmen  pflegten ,  bedarf  keiner  £r- 
yvubnung.  —  Amefachr  Lau  tu.  Felthinas.  Der  auch  in  an- 
dern Deukinalen  von  J'erugia  vorkommende  (pag.  15»)  Eigen* 
nauie  Lautn  entspricht  dem  hebräischen  ;  denn  p  und  au 

gehen  in  einander  (iber  (ulaustrum  und  plpstrum).  Felthinas 
l*t  so  viel  als  Velthinii  (hlius).  Dieser  Name  war  auch  sonst 
in  Etrurien  gebräuchlich  (p.  19.),  und  scheint  aus  dem  hebräi- 
schen Eigennamen  *J)Vö  entsprungen,  welcher  2  Samuel.  3,  15. 

auch  ^fc^t3^3  lautet.    Anstatt  des       Mengen  di«  Etrusker  na- 

lürlich  den  Namen  ihres  obersten  Gottes  Tina  an:  woher  ver- 
mittelst einer  Zusammeuziehung Felthina ,  statt  Felthiel.  Die 
^uduiig  s,  gewöhnlich  den.  Genitiv  männlicher  Wörter  be- 
zeichnend, erkläitsich  ursprünglich  aus  p',  das  der  Hebräer 

den  Wörtern  im  Genitiv  vorsetzte.  Die  beiden  noch  nicht 
erklärten  Wörtef  Eulaf  und  Amefachr  scheinen  in  dieser  Ver- 
bindung der  epigräphischen  Analogie  gemafs  Würden  zürn  Be- 
huf* der  Zeitbestimmung  zu  bedeuten,  und  zwar  das  erste 
eine  Obei -p riesterill  (vergl.  mit  ffyxf  Opfer),  da  auch  ander- 
wärts nach  Oheipriesteiinnen  die  Jahrs  gezahlt  wurden  (s. 
Creuzer  Mytliol.  IV.  S.  4Ö#.)>  und  das  zvveite  die  oberste 
bürgerliche  Magistratspecsou    (von  f— Volk  und  "TG  er- 

Wählen^,  *  * 

*  •  • 

Es  tla  Apluinas  sleUtb,  ledaute*  Beute ;  somit  mag 

man  übersetzen  :  aus  (t-s  von  jjs,  uud  von  jenem  unser  aus)  der  (das 
1  in  tla  nehme  mau  für  das  Reichen  ''es  casus  oblU[.  des.  weiblichen 
Artikels)  Apuaner  Beute.  Die  Apuaner,  waten  nördliche  Gränz- 
ii ach ham  der  Etrusker,  Das  ph  aber  findet  sich  öfter  Statt  des 
p  wegen  des  Aeolicisuius  dieser  Sprache  (p.  25.).  Carotexan 
ist  mit  der  griechischen  Aoristflexion  (x  und  s  werden  häufig 
verwechselt;  p.  28.)  uud  mjt  der  hebräischen  Wurzel  y^p? 


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58a  Sulla  Iscrixione  etrusca,  da  Vermiglioli. 

ausbauen,  zu  vergleichen.    Fhoaleri  tesna;  tugL  {{||  ein 

ausgebauenes  Bildnils,  tesns,  diese:  sey  es  nun,  dafa  darun- 
ter der  behauene  Stein  selbst,  oder  in  der  Mehrzahl  Götter« 
bilder,  die  oben  auf  dem  viereckigen  Marmor  gestanden  aeyn 
mögen,  zu  verstehen  seyen.  Teis  Rasnes,  die  Fürsten  (wird 
wiederholt  Z.  220»  von  fl^j,  Fürat  "(vergl.  Möllera  allgeml 

Geach.  I.  S.  51.)-  Dcr  etruskische  Artikel  tSu  rd  ist  auch  aonat 
anerkannt.  Ipa,  das  auf  der  Nebenaeite  Z.  3.  noch  einmal 
mit  einem  Punkt  vor  und  nach  vorkommt,  und  also  gevvifs 
ein  Wort  für  aich  ist,  vergleicht  der  Verf.  mit  uitcmuxo/,  Ref. 
aber  mit  einem  etruakischen  Spiegel  bei  Inghirami  Mon.  Etr. 
S.  II.  T.  54,  wo  zwischen  den  Namen  von  Kastor  und  Pollux 
pa  geschrieben  steht,  somit  aus  dem  Zusammenhang  aich  alz 
die  Verbindungipartikel  und  erklärt,  verwandt  mit  f.  Ama- 

hen,  ihr  Volk,  ihre  Leute,  von  rra  und  Ama  kommt 

auf  der  Nebenseite  Z.  15.  und  hen  als  Suffix  auf  der  Vorder- 
aeite  Z.  23  f.  in  der  Verbindung  enahen  noch  einmal  vor. 
Naper  XII.  Felthina  Thuraa.  Der  Verf.  vergleicht  p.  39.  die 
fünfte  eugubinische  Tafel  für  das  Zahlzeichen  XII.  In  Thu- 
raa aber,  das  Z.  20.  wiederkehrt,  findet  Ref.  den  National- 
namen Tu  rasener,  woraus  die  Römer  und  Griechen  Tusci, 
Etrusci  und  Tyrrheni  machten ;  der  Verf.  dagegen  erklärt  es 
mit  to  cfo; ,  und  hält  das  Ganze  vorzüglich  deswegen  für  einen 
Gränzstein,  während  wir  nach  unserer  Auslegung  ein  Denk- 
mal für  einen  erfochtenen  Sieg  darin  aehen.  Ref.  leitet  den 
Namen  ab  von  *\y\]}>  chaldaisch  ^yfai»  Stier,  Es  war  ein  Stier-  • 
volk,  welches  nach  Antiochus  von  Syrakus  vorlängst  ganz  Ita- 
lien Apennine  (von  Apis)  oder'  Taurina  und  die  Alpen  (d.  i. 
Stiergebirge)  benannte  (vergl.  nach  Kanne  im  Pantheon  Baur 
Symbol  I.  S.  179.).  Setzen  wir  die  Zwölfzahl  und  die  Tura- 
ßener  in  Verbindung,  so  mag  man  unter  Felthina,  welche« 
Wort  eilfmal  vorkommt  und  gewifs  nicht  immer  als  Eigenname 
zu  nehmen  ist,  Stämme  verstehen,  und  *Ag  (Bezirk)  verglei- 

chen,  naper  aber  von  diro  ableiten.  Aras  peras  nehmen  wir 
mit  dem  Verf.  p.  45.  für  brennenden  Altar:  peras,  xufoc/;,  wie 
auf  den  eugubinischen  Tafeln  pir  von  tüp.     Cemolml  escol: 

bbtöN  bedeutet  Weintraube ,  wornach  das  erste  Wort,  mit 

:  v 

unserm  zermalmen  und  molere  verwandt,  das  Ausgepreiste  be- 
deuten mag.    Xuci  (von  Wjjj,  giefsen)  enesci  :   beide  Wörter 

kommen  auch  auf  der  Nebenseite  Z.  2  f.  und  Z.  11  £  vor,  be- 
leben sich  daher  wohl  auf  einander,   wie  ein  zusanunenge- 


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Th.  Ausonioli  Opuseules  Arche  ographiques. N  589 

aetztes  Zeitwort,  etwa:  ausgiefsen.  Eplto  Laru:  da«  e  des 
ersten  Wortes  nehme  man  als  Präfix  statt  ^*  das  aucb  wegen 

V 

bedeutet;  ftt^D  aber  heifst  die  Rettung;  so  hätten  wir:  we- 

gen  des  Beistandes  der  Laren. 

Den  ersten  Absatz  könnten  wir  somit  ubertragen:  Als 
Tanna,  Tochter  der.  Larexu,  Oberpriester  in  ,  Lau  tan  ,  Sohn 
des  Velthina,  Volksoberster  war,  haben  aus  der  Beute  der 
Apuaner  die  Fürsten  und  ihre  Leute  von  den  zwölf  Stämmen 
der  Turasen  diese  Götterbilder  bauen  lassen ,  auf  den  bren- 
nenden Altar  wegen  des  Beistandes  der  Laren  Traubensaft  aus« 

fiefsend.  Doch  legen  wir  auf  diese  Deutung  vor  der  Hand 
ein  Gewicht,  so  lange  nicht  die  nämlichen  Wörter  auf  andern 
Denkmalen  sich  in  der  angegebenen  Bedeutung  rechtfertigen 
lassen.  Immerhin  aber  mufs  man  sich  mit  Versuchen  heraus* 
wagen  ,  ehe  durch  weitere  Vergleichung  die  Bedeutung  siehe« 
rer  gestellt  werden  kann. 


O  p  u  S  c  ule  s  Ar  cJi  eO  gr  aphique  s.  Par  TA,  Ausoniolt.  Prem 
miete  livraison*  A  Paris ,  chez  P,  Dufart ,  libraire  ,  Quai  VoU 
taire  No.  19.  MDCCCXXlV,  Juillet.  De  Vinprimerie  de  Cra- 
pelet,  ruede  Vaurigard  No.  9.  Mit  dem  Motto  :  rlv  e>ov  xsVAcv 
s  ovhsii  ircü  aVgKa'Am^v ,  und  dem  besonderen  Titel:  Premiere  part. 
Analyse  de  la  Theorie  de  M,  Champollion  le  Jeune,  Sur  les  hiero- 
glyphes  des  anciens  Egyptiens  *).    58  $.  in  gr.  4. 

Der  Hauptzweck  dieser  Schrift  ist,  die  äufseren  und  in- 
neren Widersprüche,  welche  das  von  Hrn.  Champollion  zur 
Lesung  der  Hieroglyphen  aufgestellte  System  darbietet,  nach- 
zuweisen, und. So  die  völlige  Unbaltbarkeit  desselben  klar 
und  deutlich  zu  zeigen.  Sie  zerfällt  demnach  in  zwei  Hanpt- 
tbeilev  obschon  sieder  bequemeren  und  leichteren  Uebersicht 
wegen  in  drei  Abschnitte  getheilt  ist;  der  erste  betrifft  die 
Übereinstimmung  des  Champollion*schen  Systems  mit  der 
Hauptstelle  des  Clemens  von  Alexandrien  über  die  verschie- 

i  .  . 

*)  Pre'cis  du  Systeme  hieroglyphique  des  anciens  Egyptiens  9  ou  Rc- 

,       oherches  sur  les  t'Uraens  preiniers  de  cette  Venture  saoree»   sur  les 
,  diverses  combinaisons  et  sur  les  rapportx  de  ce  Systeme,  arec  les 
au  t  res  methodes  graphiques  t'gyptienne«  ,  par  M.  Champollion 
Le  Jeune.    Aree  un  volum«  de  planches.    Paris  1824»  Haupt- 
sächlich das  neuute  nnd  sehnte  Capitel  sind  hier  berücksichtigt. 


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590  Th.  Ausonioli  Opuscnles  Areheographi^ues. 

dene  Schrift  der  Aegyptier  ,  Stromat.  V.  p.  657.  Tom. JI.  ed. 
l'otter.,  worauf  sich  Ersterer  um  so  mehr  stützt  und  stützen 
mufa-,  ala  nach  seiner  eignen  Versicherung  „Clement  d'Alexan*  > 
drie  S  est,  lui  seu],  occasionneJUment  attachJ  a  en  dorm  er  ane 
g  sdJe  cldire ,  et  que  ce  philosophe  chre'tien  etait  bien  plus  que 
*  tout  autre  en  position  d*en  e*tre  hien  instruit*  (pag.  327.)f 
und  Ebenderselbe  „de'veloppe  l'ensemMe  et  las  detail*  de  tout 
le  sjrsteme  grapbique  des  Egjyptielis  sous  te  meme  point  de  vue 
que  Jes  monumeni,  ses  seuls  guides,  ont  dd  le  lui  o-ffrir ;  et 
que  Tanalyae  que  Clement  presente,  en  particulier,  des  e\i** 
mens  de  l'e'criture  hieroglyphique,  est  entierement  Cdriform* 
st  celle  qui  est  re'sultee  de  ses  rechercbes«  (pag;  332.)  —  eine 
Uebereinatimmungf  in  der  Hr.  Cbampollion  ein  neues  Gewicht: 
für  die  Richtigkeit  seines  Systems  erblicken  will.  ^  Der 
zweite  Theil  der  Schrift  bebandelt  die  inneren  Widersprüche 
der  Theorie  des  Hrrt.  Cbampollion  mit  sich  selber  in  ihren  ge- 
genseitigen Beziehungen  auf  einander.     Dieser  Bestimmung 
und  Einteilung  gemdfs  enthält  die  erste  Section.'   Analyse  de 
1a  traduction  du  text  de  Clement  *  donne'e  par  M.  Letronne,   et  des 
point  s  pnnctpaax  de  ses  deax  commentaireS.     Hier  giebt  der  Verf. 
zuerst  den  Griechischen  Originaltext  der  angeführten  Stelle 
des  Clemens  mit  gegenüberstehender   Französischer  Ueber- 
setzung,  dann  die  Lateinische  Uebersetzung  des  Textes  mit 
der  gegenüberstehenden  Französischen   des  Hrri.  Letronne, 
welche  letztere  der  Verf.  doch  mindestens  nicht  so  wörtlich 
findet,  als  die  von  Letronne,  ob  zwar  bie  und  da  vielleicht 
nicht  mit  Unrecht  getadelte  Lateinische  Uebersetzung.  So 
sucht  der  Verf.  hauptsächlich  die  Unrichtigkeit  der  Ueber- 
setzung Letronne's  in  den  Worten  des  Clemens:  f  pft  (nAmlich 

u  +wv  Tftt'r»ii  crroi  ^  «/ai  v  nvßiokoyiKt}  nächzu» 
weisen.  Diese  hier  bedeutsamen  Worte t  d ji.de r  Verf.  über* 
setzt;  „kyriologique,  au  moytn  des  Gemens  toftaux*  ,  hatte 
Hr.  Letronne  tibersetzt!  „/•«»  (gerne),  exprimant  au  propra 
hs  objets  par  Iis  Lettres;  denn  <rt<>iXü<i  sey  das  eigentliche 
Wort  im  Griechischen!  um  alphabetische  Charaktere 
(Jes  characterea  alphabetiques«)  zu  beliehnen,  so  dafs  die 
wörtliche  Uebersetzung  der  Stelle  keine  ander»  seyrt  würde, 
Als.-  „servant  h  exprimer  au  pröpte  les  objets  par  hs  characteres 
alphabetiques«.  Dagegen  bemerkt  der  Verf.  und  wohl  nicht 
mit  Unrecht,  dafs  VrotXüa  eine  allgemeine  Bedeutung  hebe  von 
einer  jeden  Art  Elemente;  dafs  es  demnach  im  Texte  nur  nles 
Clements  de  la  paroh*  bedeuten  könne,  indem  das  eigentlich« 
Wort  im  Griechischen  zur  Bezeichnung  alphabetischer  Charak- 
tere y^dujiara  «ey.  —  Die  zweite  Section  giebt  nun  l  „  Examen 


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f 


Th.  Au»ouioIi  Opuicuiei  Archeographimiei.,  69 1 

de  la  concordanee  du  Systeme  de  JVt.  Champollion ,    civec  le  texte  de 
Clement  d'  Ale xan drie«  ,    Weshalb  eben  in  dei  ersten  Section  der 
Originaltext  mit  den  verschiedene rt  Uebersetzungen  vorausge- 
schickt worden  war.    Nach  jener  Steile  des  Clemens  muis  man 
offenbar  ein  dreifaches  Schriftsyst'em  annehmen  i    l)  die  epi- 
stolo  graphische  oder  de  mo  tische  Schrift,    zum  Öe- 
brauche  im  geraeinen  .Leben,    2)  die  hieratische,  für  die 
Priester,  und  3)  die  h  i  e  r  o  gl  y  p  h  i  ich  e  ,  gebildet  aus  Bil- 
dern  verschiedener  materieller  Gegenstände,    berechnet  auf 
mehr  oder  weniger  geheime  Ansichten  ;  sie  zerfällt  dann  wie- 
der auf  zweifache  Weiset    i)  wenn  das  Bild  eines  materiellen 
Gegenstandes  angewendet  wirdj  in  der  Absicht,  auf  eine  ge* 
hei  tue  oder  verborgene  Art  den  Anfangsbuchstaben  (Ele'ment 
initial)  des  Namens  dieses  Bildes  anzuzeigen  —  die  kyrio- 
logische  Schrift;    2)  Wenn  dieselben  Bilder  angewendet 
werden,  aber  auf  eine  emblematische  Weise,  um  durch  mehr 
oder  minder  feine  Anspielungen  an  dasjenige,  dessen  Anden- 
ken man  erhalten  wollte,  &u  erinnern  —  die  symbolische 
Schrift.     Dagegen  behauptet  nun  Hr.  Champollion,   dafs  es 
durchaus  gar  keine  durch  Llofse  Zeichen  darstellende  Schrift 
(e'criture  egyptienrte  tönte  representätive)  gegeben,  eben  sö  we- 
nig,   wie  auf  den  Aegyptiscben  Denkmalen  eine  regflmüfsige, 
durchaus  ideographische,  d.  h.  eine  solche,  die  sich  blos 
der  Verbindung  figürlicher  und  symbolischer  Charaktere  be- 
dient (pag*  326  s<{.).     Sonach  nimmt  derselbe  natürlich  auch 
.eine  dreifache  Schrift  nach  Clemens,   obwohl  in  umgekehrter 
9    Ordnung  an,  und  theilt  dann  die  erste,  die  hieroglyphische 
öder  heilige ,   in  dreifacher  Weise  ein  nach  der  Anwendung 
1)  fi  g  ü  r  1  ic  b  e  r  Charaktere^  die  den  Gegenstand  selber,  den 
sie  ausdrücken  sollen,  darstellen;    2)  symbolischer,  tro- 
pischer odet  %nigma  t  i  scher  Charaktere,   die  eine  Idee 
durch  das  Bild  eines  physischen  Gegenstandes  ausdrücken, 
Welcher  mit  der  auszudrückenden  Idee  irgend  eine  Analogie 
bat,  es  Sey  dieselbe  wahr  oder  falsch  ,  direct  oder  indirect, 
näher  oder  entfernter  liegend;    3)  ph  o  n  et  i  s  eher  Charak- 
tere, welche  die  Töne  mittelst  Bilder  von  physischen  Gegen- 
ständen ausdrücken.     Aufserdem  nimmt  aber  Hr.  Champollion 
?och  eine  besondere  Gattung  an,  die  nicht  zur  hieroglyphi- 
schen Schrift  gehöre  j   bezeichnet  von  den  Alten  mit  dem 
Worte  Anaglyphen,   Bilder  physischer  Gegenstände,  be. 
sonders  mönstruöser  Figuren«  die  in  Beziehung  mit  einander 
gesetzt  sind,  als  rein  allegorische  oder  symbolische  Darstel- 
lungen.    Doch  f'flgt  Hr.  Champollion  hinzu  ,  eine  Anzahl  von 
Bildern  war  der  hieroglyphischen  Schrift  gemeinsam, 


\ 

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592  Th.  Ausonioli  Opuscules  Archeographlques. 

oder  wenn  man  will,  derjenigen  Schrift,  welche  die  Anagly- 
phen  hervorbrachte;  letztere  sollen  nur  den  Priestern  oder 
Ein ge weiheten  bekannt  gewesen  seyn  9  da  die  eigentliche  Hie- 
roglyphenschrift nie  geheim  gewesen,  und  Alle,  die  In, 
Aegypten  einer  Erziehung  genossen,  dieselbe  verstanden. 
Aus  dieser  Schrift  aber  bildete  sich  mit  der  Zeit,  um  die 
Kunst  des  Schreibens  schneller  zu  verbreiten  und  allgemeiner 
su machen,  vorerst  die  hieratische  oder  Priesterschrift, 


eine  blofse  Tachygraphie  jener  heiligen  Schrift,  und  dann  aus 

hriftart  unmittelbar  die  dritte,  die  demo- 


sweiten Sc 

tische.  Dafs  dieses  in  der  gedachten  Art  von  C hampoll ion 
aufgestellte  System  nun  nicht  so  völlig,  wie  dieser  vorgiebt, 
mit  Clemens  übereinstimmt,  fällt  aus  der  gegebenen  Darstel- 
lung in  die  Augen;  es  wird  es  noch  mehr,  wenn  man  das. 
selbe  in  tabellarischen  Formen  einander  gegenüber  stellt, 
wie  solches  hier'pag.  i4  srjrr.  geschehen.  Iii  die  Umstellung 
der  Ordnung  der  drei  Schriftarten  wird  man  diese  Verschie- 
denheit zwar  riicht  wohl  setzen  dürfen,  als  vielmehr  in  die 
Unterabtheilungen  der  hieroglypbischen  Schrift.  Hier  unter« 
scheidet  Clemens  i)  die  eigentlich  k  y  r  i  o  1  o  g  i  sch  e  und  2)  die 
symbolische,  welche  dann  wieder  a)  in  die  kyriologi- 
sehe  Kttra  ptfAyiTtv,  b)  in  die  tropische,  und  c)  in  die 
allegorische,  änigmatische  zerfällt.  Hr.  Champollion 
unterscheidet  ebenfalls  zwei  Gattungen  der  heiligen  oder  hie- 
roglyphischen Schrift:  1)  figtirl  i  che  Charakter  e  (Cha- 
racteres  figuratifs  —  darstellend  das  Bild  physischer  Gegen- 
stande, an  welche  sie  erinnern  sollen)  oder  reine  Hierogly- 
phen/ 2)  symbolische,  tropische  oder  änigmati- 
«c he' Charaktere.  Von  der  ersten  Gattung  der  reinen  Hiero- 
glyphen sind  abgeleitet  die'Caracteres  ph>one  tiques, 
und  von  diesen  a)  die  hieratische  oder  priestetiiehe  Schrift, 
und  b)  zunächst  weiter  von  der  letztgenannten,  deren  Ver- 
einfachung sie  ist,  abgeleitet,  die  demotische  Schrift. 

•  .'  ■  *         '*  ■  • 

,  (D"  Bes.hUJ,  folgt.) 

« 

,  •    ,       >  •  •  *  -    '      i*  * 


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N.  38..  •  ;      ;  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


Th.  Aus oni oli  Opuscules  Archeographiques. 

Wir  haben  die  in  dieser  Schrift  ausführlicher  behandelten 
Gegenstände  hier  nur  in  kurzer  üebersicht  mitgetheilt,  um 
die  Leser  zum  weiteren  Studium  dieser  interessanten  For- 
schungen aufzufordern  ,  um  so  mehr,   als  Hr.  Champollion, 
wie  wir  oben  gesehen,  eine  vollkommene  Uebereinstiinmung 
seines  Systems  mit  Clemens  von  Alexandrien  vorgiebt;  wir 
bemerken  nur  noch  ,  dafs  der  Verf. ,  nachdem  er  noch  einige 
Widersprüche  in  der  Lehre  von  den  Anaglyphen  nachzuweisen 
bemüht  gewesen,  diesen  ersten  Abschnitt  mit  der  freilich  we- 
nig tröstlichen  Ueberzeugung  schliefst:  „que  sous  le  titre: 
Pre'cis  da  Systeme  hieroglyphique  des  anciens  Egypt  iens ,  M. 
Champollion  n*  a  donne,  serieusement  parlant,  que  son  propre 
Systeme."    Gehen  wir  zum  zweiten Theile  über,  oder  der  drit- 
ten Section  :   Analyse  de  la  thebrie  de  M.  Champollion  ,  consideree 
dans  ses  rapports  intrinseques  (pag.  21  ff.).    Hier  sucht  der  Verf., 
wie  wir  bereits  bemerkt,  die  inneren  Widersprüche  in  der 
gedachten  Theorie  aufzudecken ,  und  so  ihre  Unnahbarkeit 
darzuthun.     Er  glaubt  sie  mit  hauptsächlich  in  Folgendein  zu 
entdecken.     Nach  Hrn.  Champollion's  System  ist  das  Princip 
der  Sprachen,   wie  das  der  wahrhaft  ideographischen 
Schritten,  ein  und  dasselbe,   nämlich  die  Nachahmung; 
und  dieses  von  der  Natur  selber  gegebene  Frincip  ist  denn  auf 
eine  mehr  oder  minder  directe  Art  in  den  Sprachen,  die  gere- 
det werden,  ebenso  wie  in  den  id  eograph  i  s  ch  e  n  Schrif- 
ten angewandt.     Aber  Sprache  und  ideographische  Schrift  er- 
schöpft bald  die  Reihe  der  Gegenstände,   welche  es  ihnen 
möglich  ist  auszudrücken ,  jene  durch  directe  Nachahmung  • 
der  Töne,  diese  durch  d i  recte  Nachahmung  der  Formen;  so 
gehen  beide  nun  weiter  zu  einer  indirecten  Nachahmung 
über.    Die  ideographische  Schrift ,  da  sie  nicht  mehr  d«a 
Zeichen  gewisser  Gegenstände  die  Formen  selber  dieser  Ge« 

XIX.  Jahrg.  6.  Heft.  38 


594  Tiu  Amonioli  Üpusculca  Archcographl^ues. 

uenatände  geben  kann,  bemüht  sich  daher,  sie  durch  das  Bild 
anderer  physischer  Gegenstand«,  in  Wekhem  man  dein  auszu- 
drückenden Gegenstande  analoge  Eigenschaften  zu  finden  glaubt, 
darzustellender*);  diese  Charaktere  haben  dann  den  Nato« 
der  symbolischen,  Symbole  erhalten:  Wörter,  die  eine 
Vergleichung  oder  ein  Aehnlicbmacben  ausdrücken.  Auf  diese 
symbolische  oder  comparative  Methode,  führt  Hr.  Champol- 
lion  fort ,  mufsten  die  Aegyptier  in  dem  rein  ideographi- 
schen Theil  ihrer,  heiligen  Schrift  zurückkommen,  sie  suchten 
«unnatürlich  die  Ideen  von  rein  inteliectuellen  Gegenständen 
ohne  sinnliche  Formen  durch  körperliche  Gegenstände  auszu- 
drücken, die  in  mehr  oder  minder  reeller  Beziehung,  mehr 
oder  minder  entfernt  von  dem  Gegenstand  der  Idee  stehen, 
welche  bemerklich  gemacht  werden  soll.  Die  umgeschaffenen 
Zeichen  bereicherten  die  hieroglyphische  Schrift  mit  einer 
neuen  Gattung  von  Charakteren,  den  symbolischen  oder 
•tTopischen,  Hieraus  nun  läfst  sich  freilich  nicht  ohne 
Grund  folgern,  dafs  in  des  Hrn.  Cbampollion  Theorie  die 
wa hrhaf  t  (ve'ritablement)  ideo  graphische  Methode,  die 
nachahmende,  die  rein  (purement)  ideographische 
aber  die  vergleichende  ist.  Mittelst  der  symbolischen 
Methode,  heilst  es  weiter,  war  der  Aegyptier  vielleicht  schon 
seit  langer  Zeit  (!)  gewöhnt,  indirect  die  Ideen,  deren  Ge- 
genstände keine  Form  haben,  durch  das  Bild  physischer  Ge- 
genstände darzustellen,  welche  gewisse  wahre  oder  falsche 
Beziehungen  mit  den  Gegenständen  rein  abstracter  Form  ha- 
ben, wovon  diese  physischen  Gegenstände  eben  dadurch  in« 
directe  Zeichen  wurden.  So  konnte  man  es  eben  so  leicht 
und  selbst  natürlich  finden,  diesen  oder  jenen  Ton  durch  das 
Bild  eines  physischen  Gegenstandes  auszudrücken,  wobei  der 
zur  Darstellung  gewählte  Ton  sich  vielmehr  auf' jeden  andern 
der  gesprochenen  Sprache  bezog ;  so  hatte  man  nun  den  Zweck 
erreicht,  seit  man  die  Möglichkeit  erkannt,  indirect  darzustel- 
len oder  vielmehr  ins  Gedächtnifs  zurückzurufen  jeden  Ton 
feiner  Sprache  durch  das  Bild  materieller  Gegenstände,  wo- 
von das  Wort,  das  sie  in  der  Aegyptischen Sprache  ausdrückte, 
in  erster  Linie  den  Ton  enthielt,  dessen  Darstellung  be- 
absichtigt war.  Die  eigenen  Formen  dieser  phonetischen 
Zeichen  aber,  Bilder  natürlicher  Gegenstände,  zeigen,  dals 
der  Aegyptier  sich  hiebei  ganz  einfach  durch  ein  Princip 
der  Analogie  führen  liefs,  das  bereits  in  dem  System  der 
Schrift,  das  er  zu  vervollkommnen  bemüht  war,  angewendet 
worden.  Wenn  hier,,  bemerkt  dagegen  der  Verf.,  der  Ur- 
sprung der  phonetischen  alphabetischen  Schrift  ganz  einfach 


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Th.  Ausonioli  Opuscules  Archcogtaplncpiei.  595 

von  Statten  geht»  so  liest  man  bald  darauf ,  dafs  die  Losung 
eines  solchen  Problems  eine  au  fser  ordentliche  Sch  wie« 
rigkeit  darbot  u.  s.  \v\  Eben  so  läfst  es  sich  nicht  begrei- 
fen,'  wie  der  Aegyptier,  der  nach  Hrn.  Champollion  noch 
nicht  die  geringste  Jdee  einer  isolirten  Existent  der  Buchata« 
})en  („existence  isole*e  des  elemens  de  la  parolete)  hat»  es 
leicht,  convenabel  und  Selbst  natürlich  rinden  konnte,  in  sei* 
nem  Geist  den  Anfangsbuchstaben  des  Namens  eines  jeden  ma- 
teriellen Bildes  zu  trennen  und  sich  zu  dieser  Operation  ganz 
einfach  hinführen  liefs  durch  das  bereits  in  dem  System  der 
symbolischen  Schrift  angewandte  Princip  der  Analogie.  '  Wie 
kann  man  denken,  dafs  z.  B.  die  Gewohnheit ,  durch  das  Bild 
eines  Löwen  die  Stärke  und  den  Muth  zu  bezeichnen,  et 
gleich  leicht ,  passend  und  natürlich  machen  konnte,  aus  dem 
Namen  dieses  Tbieres  den  Anfangsbuchstaben  L  herauszuhe- 
ben ?  Ferner:  das  von  Hrn.  Champollion  angewandte  Princip 
der  Analogie  besteht  in  der  indirecten  Anwendung  eines  Zei- 
chens an  einem  und  dem  andern  Theile.  Aber  haben  denn 
wirklich  zwei  indirecte  Verfahrungsarten  (deux  proce'des  indi- 
rects)  dadurch  allein,  dafs  sie,  das  eine,  wie  das  andere,  in- 
direct  sind,  eine  Analogie  unter  einander  ?  Welche  Analogie 
z.  Ö.  findet  statt  zwischen  der  Anwendung  des  Bildes  eines 
Löwen,  um  die  Stärke  und  den  Muth  zu  bezeichnen,  und  der 
Anwendung  desselben  Bildes,  um  den  Buchstaben  L  zu  be- 
zeichnen? Kehren  wir  zu  Hrn.  Champollion  zurück.  Er  be- 
hauptet ferner  noch,  dafs  der  Ton  der  Vocale  so  flüchtig  und 
die  Art,  sie  in  einem  und  demselben  Worte  auszusprechen, 
so  mannigfach,  selbst  in  den  einzeihen  Individuen  sey,  dafs 
e*s  natürlich  war,  bei  der  Bildung  des  Aegyptischen ,  Hebräi- 
schen u.  s.  w.  Alphabets  dem  Ausdruck  der  Vocale  eine  nur 
untergeordnete  Wichtigkeit  zu  leihen.  Aber,  wendet  der 
lief,  ein',  wie  konnte  der  Aegyptier  diese  so  wandelbaren  Vo- 
cale  von  einander  unterscheiden,  sie  von  den  Consonanten 
trennen,  und  die  einen  wie  die  andern  aus  dem  Anfangstone 
der  hieroglyphischen  Namen  ausziehen!  Folgt  daraus,  dafs 
die  phonetischen  Hieroglyphen  seit  dem  neunzehnten 
Jahrhundert  vor  der  christlichen  Zeitrechnung  auf  den  Monu- 
menten Aegyptens  existiten,  auch,  d/«fs  die  alphabetische 
Schrift  denselben  ihren  Ursprung  verdanke?  dafs  der,  der  Buch- 
staben noch  nicht  kundige  (ilie'ttre')  Erfinder  der  phonetischen 
Hieroglyphen  auch  konnte  und  wufste  die  Anfangssylben  zu 
trennen  und  die  Vocale  von  den  Consonanten  zu  unterschei- 
den? Aber,  sagt  Hr. Champollion ,  es  mufsten  die  Aegyptier 
früh  das  Bedürfnifs  eines  leichteren  (plus  expedi.tif)  Schreib- 

>         •  > 


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» 


596  Tii.  Ausouioli  Opuscules  Arclieographiquet. 

# 

Systems  fühlen  ,  man  kam  deshalb  darauf,  die  reinen  hierogl y- 
phischen  Charaktere  abzukürzen,  und  verwandelte  sie  in  eine 
leicht  zu  begreifende  Art  »de  Caricatures  ou  charges«;  man  gierig 
weiter  und  kam  so  nach  und  nach  unvermerklich  auf  eine  neue 
Schrift,  die  hieratische  oder  priesterliche.  Man  zog  natürlich 
diesen  Gang  vor,  als  eine  von  der  bereits  erfundenen,  durch 
die  Religion  bestimmt  in  den  Augen  der  ganzen  Nation  gehei- 
ligten gänzlich  verschiedene  Schrift  aufzufinden.  So  muiste 
also  auch  die  Kenntnifs  der  bitroglyphiscben  Schrift  allgemein 
unter  allen  Güsten  Aegyptens  seit  ihrer  Erfindung  selber  ver- 
breitet gewesen  seyn. 

Manches  allerdings  Auffallende  in  diesen  Sätzen  wird  kaum 
der  Aufmerksamkeit  unserer  Leser   entgangen  seyn  9  zumal 
wenn  man  dieselben,  wie  in  vorliegender  Schrift  geschehen, 
scharf  nebeneinander  stellt,  auch  weist  der  Verf.  bestimmt 
daraufhin.     Wenn,  bemerkt  derselbe,  dies  Wunder  der  Er- 
findung der  phonetischen  Hieroglyphen  allen  Casten  der  Aegyp- 
tisebeu  Nation  familiär  war,  ist  es  denn  natürlich,  dafs  unter 
der  Masse  der  Eingeweiheten  sich  auch  nicht  ein  Einziger  ge- 
funden haben  sollte,  den  diese  Methode  der  Priester  zurück- 
geschreckt, die  ein  und  dasselbe  (im  seul  et  mime  elemeni)  dur?h 
einen  Haufen  gänzlich  verschiedener  phonetischen  Caricaturen 
darstellte;  ist  es  natürlich,  dafs  Niemand  daran  gedacht,  die« 
sem  Chaos  nur  eine  Zwölfzahl  bequemerer  Zeichen  für  die 
dringendsten  täglichen  Lebensbedürfnisse    zu   Substituten ; 
und  dafs  die  Aegyptischen  Casten  den  kommenden  Jahrhunder- 
ten die  Sorge  überfassen,  diese  Hieroglyphen  zu  decomponiren 
und    unvermerkt  auf   demotische  Zeichen  zurückzuführen. 
Auch  müfste  man,  wollte  man  dieser  Theorie  noch  einigen 
Schein  lassen,  entweder  annehmen  ,  dafs  die  Aegyptischen  Ge- 
nerationen  in  einer  völligen  Stupidität  befangen,  oder,  wollte 
man  dies  nicht  gelten  lassen,  doch  behaupten,  dafs  die  Schrei- 
bfkunst  ein  ausscbliefsendes  Eigenthum   de*  Priesterstandes 
gewesen  bis  auf  die  Epoche  der  demotischen  Schrift,  oder  end- 
lich zu  der  Hypothese  seine  Zuflucht  nehmen,  dafs  ein  Gesetz 
der  Pharaonen  den  des  Schreibens  kundigen  Casten  untersagt, 
sich  einer  andern  Schrift  zu  bedienen,  als  der  durch  die  Prie- 
ster erfundenen.     Nicht  minder  auffallend  findet  der  Verf  die 
Ansicht  des  Hrn.  Chawpollion ,  dafs  diese  phonetischen  Cha- 
raktere einem  wahrhaft,  alpha  betischen  System  ange- 
hörten, wie  die  der  andern  Völker  Asiens,  der  Araber,  He- 
bräer, Syrer  und  Phönicier,  dafs  man  sie  also  in  keiner  Hin- 
sicht als  syllabische  Zeichen  im  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes  nehmen  dürfe.      Auch  diese  Ansicht  bestreitet  der 


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« 


Xenophons  MemorabiUen  von  Froböse,  597 

Verf.,  als  to  «ich  und  in  ihrer  Anwendung  widersprechend 
mit  «ich  selber.  Der  Rest  der  Schrift  betrifft  das  Verhältnif«, 
in  welchem  zwei  Englische  Gelehrte,  die  sich  vor  Hrn.  Cham- 
pollion  mit  Entzifferung  der  Hieroglyphen  und  Auffindung 
eines  hiezu  erforderlichen  Princips  oder  Systems  beschäftigt, 
Youn5  und  Warb  u  r  ton,  zu  dem  Erstgenannten  stehen; 
das  Resultat  ist  auch  hier  wieder  (p.  37.),  dai«  Hrn.  Champof- 
Hon»  Theorie  nur  *>un  abrege  fidele«  der  Theorie  von  Warbur- 
ton ,  und  eben  so  Hrn.  Champolliön«  Entdeckung  njur  eiue  Ver- 
vollkommnung der  Entdeckung  von  Young  aey. 

Noch  drei  Theile  sollen  diesem  Werk,  dessen  ersten  Theil 
Wir  hier  angezeigt  haben ,  folgen ;  der  zweite  unter  der  Presse 
befindliche  soll  enthalten:  un  Coup  d*oeil  sur  les  Mphabett  anciens 
et  sur  les  elemens  primitifs  ;  der  dritte  soll  die  Anwendung  dieser 
e'le'mens  primitifs  und  ihrer  Zeichen  auf  hieroglyphische  Cha- 
raktere enthalten  ;  der  vierte  Einige«  Aber  die  Chinesische 
Schrift,  dann  Ober  die  Fersepolitanische  Keilschrift,  und  end- 
lich: U  motif  de  sept  vogelles  grecques  consacrees  aux  sept  planet  es 
hebdomaires.  Auch  sollen  diesen  Theilen  lithograpbirte  Ta- 
fein  beigefügt  werden. 


Xenophons  Nachrichten  über  Sokrates  Reden  und  Thaten.  üebersetzt 
von  Dr.  J  oh.  Chr.  Wtlh.  Fr  ob  Öse,  Rector  in  Hameln.  Ö. 
Göttingen ,  bei  R.Deuerlich.  4324.    Vllu.  176  3.    1  fl.  12  kr, 

Hr.  Fr.  ist  ein  rüstiger  Uebersetzer ;    hat  er  uns  doch  in 
einem  und  demselben  Jahre  auch  mit  einer  Uebersetzung  der 
Catilinariscben  Reden  des  Cicero  beschenkt.     Ob  er  wohl  mit 
Grund  glauben  kann,   durch  dergleichen  Arbeiten  eine  Lücke 
in  der  Literatur  auszufüllen,  einem  Bedürfnisse  abzuhelfen, 
oder  überhaupt  nur  etwas  Verdienstliches  und  Dankenswerthes 
geliefert  zu  haben?     Wir  können  es  kaum  glaube».  Eine 
neue  Uebersetzung  eines  schon  oft  übersetzten  Buches  kann 
«ich  nur  dadurch  rechtfertigen,  dafs  sie  die  früheren  alle  über- 
trifft, wo  nicht  in  jeder,  doch  wenigstens  in  einer  Hin- 
sicht.    Diese  eine  Hinsicht  giebt  er  gleich  zu  Anfang  der 
Vorrede  in  einer  wenigstens  keine  Eleganz  versprechenden  Pe- 
riode zu  erkennen:    „Ob  wir  gleich,   sagt  er,  schon  mehre 
n  Uebersetzungen  von  Xenophons  Nachrichten  über  $okrates 
„Reden  und  Thaten  besitzen,  so  entsebrofs  ich  mich  doch, 
„diese  Arbeit,   wegen  der  von  mir  beabsichtigten 
»Treue  mit  der  Urschrift«  [welches  Deutsch,'  und  dann 


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t 


V 


$98  Xcaopbons  Menjorabilien  von  Frobüse. 

entschuldigt  nur  die  err  eichte,  nicht  die  beabsichtigte, 
Treue  einen  sonst  so  überflüssigen  Entschlufs]   „ —  der 
„freilich  zuweilen  Rundung  und  Wohlklang  der  Sätze  wei- 
wchen  mufsten  —  erscheinen  zu  lassen.**    Also  mit  der  gegen- 
wärtig nicht  unbilligen  Forderung  an  einen  Uebersetzer ,  Treue 
mit  Rundung  und  Wohlklang  der  Satz»  zu  vereinigen,  wäre 
die  Kritik,  so  wie  das  Publicum,  ein  für  allemal  rund  abge- 
wiesen.   Aber  wie  sieht  es  mit  der  Entschädigung  dafür,  der 
beabsichtigten  Treue  mit  der  Urschrift,  aus?  Es 
ist  überhaupt  um  das  Uebersetzen  der  Alten  eine  undankbare 
Sache,  wenn  man  nicht  Meisterwerke  liefert,  wie  z.B.  Ja- 
kobs ,  Wolf  und  Schleiermacher.    Fast  Jeder ,  der  eine  Ueber- 
«etzung  genau  ansieht,  sieht  sie  mit  kritischem  Auge  an.  Was 
getroffen  und  richtig  ist,   dabei  verweilt  er  niebt  :   das  er- 
scheint als  Pflicht  des  Uebersetzers  ,  die  kein  besonderes  Lob 
verdient.  —Fehlt  etwas,  ist  ein  Ausdruck  schief  oder  falsch., 
dann  gfcht  es  an  ein  Tadeln  und  Zurechtweisen,  und,  da  es  so 
leicht  ist,  Anderer  Fehler  zu  entdecken,  und  Einzelnes  besser 
zu  machen,  so  ist  gleich  ein  ungünstiges  Urtheil  gefällt,  und 
der  Fleifs  des  Verfassers  mit  Undank  belohnt.      Und  so  wird 
auch  Hr.  Fr.,  oder  wem  sorgst  seine  Uebersetzung  gefällt,  Jt>ei 
unserm  Urtheil  denken,  wenn  wir,  mit  aller  Achtung  vor  den 
übrigen  Verdiensten  des  Mannes,  erklären ,  difs  wir -seiner 
Uebersetzung  das  von  ihr  aliein  erstrebte  Prädicat  der  Treue 
nicht  geben  können,  und  sie  für  eine  Arbeit  erklären  müssen, 
die  zu  machen  der  Verf.  vielleicht  Gründe  haben  mochte,  aber 
die  drucken  zu  lassen  eben  nicht,  nöthig  war.     Wir  wollen 
übrigens  nicht  läugnen ,   dafs  ein  Studirender,  welcher  diese 
(  Schrift  Xenophons,  ohne  die  Leitung  eines  Lehrers  geniefsen 
zu  können,  lesen  will,  bei  gehörigem  vorhergegangenem  ei- 
genem Fleifse ,  mit  dieser  Uebersetzung  zur  Hand  den  Sinn 
meistens  nicht  verfehlen  werde;  allein  Aehnliches,  oder  Glei- 
ches vielmehr,  leisten  auch  andere,  und  zwar  eher  mit  weni- 
gem, als  mit  mehr  Müsgriffen.     Wir  müssen  zu  unserer 
Rechtfertigung  unser  Urtheil  mit  Beweisen  belegen  ,  und  wäh- 
len da»"  zwei  Stellen,  wo  sieb  die  Uebersetzer  in  der  Regel 
am  meisten  anzustrengen  pflegen,  das  erste  Capitel  des  ersten 
Buches  und  aus  dem  zweiten  Buche  den  Herakles  am  Scheide- 
wege.    I.  l.  i.  <£;  £ztc;  {fy  Savdrov  r #  xaAs< :   dafs  er  gegen 
den  Staat  den  Tod  verdient  habe.         2.  .Süwv  ^af 
ve?ofi  |vS  denn  ein  Opferer  war  e.r.    AiaT&pMtrq  'y*j: 
denn  jeder  wei  f  s.     &q*&ttv  aJrh  airUvacSat :  iahen  it« 
Beschuldigungen  gegründet.    1..3.  'O  S^^V  xa/v^cv 
reu  «  u  AAwv  ;  £  r  führte  aber  sowol  nichts  Neues  ein 


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I 


♦  • 

< 

XcßopUoos  Momorabilien  von  Frobose  599 

■ 

als    Andere.     >mt*»}/ v*/A/fcvrt; :    We  issaguugsmi  ttel, 
glaubend.     1.  5*  «$a<'v*ro  :  gefunden  würe,     wrauwv  33 
S-soi«:   glaubt«  er  aber  Götter.     1.  8.  tuJ  hoXw;  oiVoy, 
ciKoao/x^^'vcp:  der  ein  Hau»  baute.     &!  evuWe**  ff+garq- 
yslvi   ob  rf  ihm  glücklich  aufschlagen  werde,  j. 
9.    u  rotg  .dvöouSvots  *&w*av  öS  $to\  j*aSau<r<  ha*$tvetvl   was  die 
Götter  den  unterrichtet  en  M  e  n  s  c  h  en  zurBeurthei- 
lung  überlassen  hatten,    fampsi»»  wo/Bspy»  —  5  f*|  lir#- 
erraV«^1    einen   geschickten  Steuermann   oder  einen 
ungeschickten.     &  /tx«v  pu$cvra$  *oi«7v  edwxav  c/S«eivwa* 
die  Götter  sunt  Lernen  gegeben  hätten.    1,  10.  j**äv 
Ao<:  er  hoffte.     1.  lt.  J  XaAoi5ptiis«  —  Ko<r^o5^das  so- 
genannte schöne  Weltall.     I.  12.  ^  t<5  uiv  *tymwwrmß*A 
rt;,  tu  icup-.vta  5s  av  oirouvra*  *  »Jvouvrai  ra  -r?  ojj/xovto.  wfarr^y  :  oder 
ob  sie  es  für  ihre  Pflicht  hielten,  m i t  Ve r n achl äs- 
sigung  des  Irdischen,  tich   um  himmlische  jin^ele* 
genheiten  zu  bekümmern.      1.  14.   höi  to7;         ovfjk  *X*<P> 
aov.fiTv  a/ffxpo  v  *?vai  A^«/v  5  iroiwv  owoCy  :   Einige  meinten, 
dtifs  es  selbst  vor  dem  Volke  nicht  erlaubt  sey,  ftU. 
leS  Mögliche  zu  sagen   und  zu  tbun.    0u5sv  av  tots' 
ttivjjSijvai:   es  iawif^tf  sich  gar  nichts.     oyr'.av  Ysvt- 
o^a*  iröTt  ©u'3Iv,  our«a*o  As'er9ci :  es  entstehe  und  vergehe' 
niemals  Etwas,      i.   15.  «tfvffMta :  gemeinnützige 
Künste.     Ii  16.  W  «rtuCpfeevwj ,  ri         :   w  a  s  Y  e  r  n  an  f  t,, 
was  Unsinn.     xaAcu;  xai  dyaQe^:  gute  Menschen.  «\\ 
dga™acu'sef$  av  3r*a7a>*  xsxAijeScM  :•  &k 1 a v e n s ee le n  beifsen. 
1.  18.   tViSu^'öuvTas  tou  &JjfAo\>  —  aroxTsTvai  xavros :    U  n  d  vom 
Volke  —  alle  zum  Tode  verurtheilt  werden  soll^ 
ten.     QnxZzcuTBat  rovi  d*si Xouvraq*   sich  vor  den  Drohun- 
gen  sicher  zu  stellen.     1.  20.  &rt£fc:  Frevelhaftes 
und  Schlechtes.      claTte.uV  M.ai  Xtywv  na)  *QUTra>v  si'yj  t  * 
x  a  I  vo\x($oito  vJa&ßteTaro;  5    Wie   man  sich   nur  immer  «er. 
haitun  kann9  um  für  den  frommsten  Mann  zu  gel- 
ten.      Diese  und  noch  mehrere  übergangene  Stellen  habe» 
Wir  uns  blos  aus  dem  ersten  Kapitel  des  ersten  Buches  ange- 
strichen.   Wir  lassen  jetzt  nur  noch  wenige  Proben  aus  dem 
ersten  Kapitel  des  zweiten  Buches  folgen.     Zuerst  die  schöne 
Stelle  aus  Epicharmus :    II.  1.  20.  tiüv  xjvtuv  iruiXaZcnv  Jjuh 
Tuvrot  TuyaS1  et  Buit  Die  Götter  verkaufen  uns  alU 
Güter  für  unsere  Mühseligkeiten.     II.  1.  27*  <r$Ztf  a» 
ce  tiüv  yaXcu»       •*o,*/,jw>cü*  ^y<AT^v  dyaS&v.  yBVk7$ait    dufs   du  in 
ed'eln  u  Ii  d«  wü  r  di  gen  Handlungen  soh-r  thätig  seyn 
werdest.    1 .  -2$.  Sav/xa^saSai :  v  e  r  e  h  r  t  Werden.     r)v  yZjv 
^st'jffcii  dtfis  das  Land  trage.  oYetfalv:  gedenkst  du. 


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600  Wiesbaden  und  seine  Heil<raelle»  ?on  Rullmann. 

o^-:  lehnst  du  dich.    tyOnt    unter  Beschwerden. 

1.  29.  i*t  rai;  eCtyoirvwic  yjyvvj  <rot  aZry  BtyjysTrat  l  S  i  e  d  i  cb  fahrt 
(alle»  Uebrige  fehlt),    l.  30.  dvayna^tc:  erzeugst  du. 

biit  Behülflicb.    1.  SU.  ar/^:  fehlt,  «aurfc:  sein 
eigenes.     T«$«a<7ai :  siehst  <1  U;     dircvwc  /uuv  krra?ot  hu  v^'t^c; 
$*J;jtv9ti    die  arheislos  und  glänzend   ihre  Jugend 
durchlaufen.     1.33.   IfAvoCfAsvoti  in  Lobreden.  ^Ka^*- 
erzrxTV  tliaifxovictv  :  die  herrlichste  Glückseligkeit.  1. 
34-  *V<  fA9ya\itcr1;.ot;  fafsamv  5   noch  mehr  mit  schöneren 
Worten.    <to\  3*  o  t  v  a£tov ,  d  i  r  g  e  z  i  em  t.  —    Dies  möchte 
wohl  mehr  als  hinreichend  seyn,  unser  obiges  Urtheil  zu  be-< 
stätigen.     Einer  Correctur  dieser  Stellen  haben  wir  uns  eben 
so  sehr  aus  Achtung  vor  unsern  Lesern  (den  Verf.  mit  einge- 
schlossen ,  als  aus  Köcksicht  auf  den  tu.  schonenden  Raum 
enthalten.     Aber  wenn  das  Buch  nun  durchgehends  so  ist, 
wie  wir  aus  der  Vergleichung  mehrerer  Stellen  gesehen  ha- 
ben;   wenn  Auslassungen,   ungehörige  Zusätze ,  ungenaue 
Gonstrnctionen  ,  oberflächliche  Uehersetzung  einzelner  Worte, 

tänzlicbe  Entstellung  des  Sinnes  in  manchen  Stellen,  so  gar 
Sufig  sind;  wo  bleibt  dann  der  Werth  einer  Arbeit,  die 
„als  treue  Uehersetzung  in  der  Hand  der  reifere«  fleifsigen 
„Jugend,  bei  nöthiger  Gewandtheit  und  Umsicht  des  Leh- 
rers, nur  Gutes  wirkenr  und  die  Schüler  recht  bald  rn  dem 
„Gebiete  der  classischen  Literatur  kundig  und  einheimisch 
„'machen«  will  ?  An  solcher  Wirkung ,  wenn  überhaupt  ge- 
druckte Uebersetzungen  so  was  leisten,  wird  bei  dieser  Ue- 
bersetsung  jeder  Unbefangene  mit  uns  zweifeln  müssen. 

 1  !  

* 

Wiesbaden  und  seine  Heilquellen.  Für  Kurgäste  beschrie- 
ben von  Dr.  G.  C.  W.  Rull  mann  %  Medicinalrath  des  Amts 
Wiesbaden.  Wiesbaden,  1825.  bei  Ludw.  Schfillenberg,  Hof- 
bucMiändler  und  Hofbuchdrucker.  288  8.  Mit  einem  Kupfer-  , 
Stiche ,  den  Kochbrunnen  in  Wiesbaden  vorstellend ,  und  einer 
Titel  -  Vignette ,    welche    den    Kursaal    von   der  Südostseite 

1  fl.  48  kr. 

•  ■ 

Allgemein  bekannt  ist  es,  dafs  Wiesbaden  mit  zu' den 
besuchtesten  und  hülfereichsten  Heilquellen  Deutschlands  ge- 
hört,  und  dennoch  ist  über  dessen  berühmten  Heilbrunnen 
weit  weniger  geschrieben  worden,  als  her  so  manchen  an- 
dern geringeren  Badeort.  Seitdem  Lehr  und  Ritter  vor 
mehr  als  zwanzig  Jahren  ihre  bekannten  Schriften  über  Wies- 


i 

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* 

a  • 

Wiesbaden  nnd  «eine  Heilquellen  von  Rullmann.  601 

baden  herausgaben,  tat  von  den  dortigen  Aerzten  bit  jetzt 
nicht«  weiter  erschienen  :  wir  müssen  es  daher  dem  Hrn.  Vf. 
de«  vorliegenden  Werkes  Dank  wissen  ,  dafs  er  uns  durch  das- 
selbe mit  allen  neuen  Einrichtungen,  Verbesserungen  und  An- 
stalten, die  seitdem  in  Wiesbaden  vorgenommen  wurden, 
bekannt  macht,  und  auch  aus  seiner  mehrjährigen  Praxis  da- 
selbst über  die  Anwendung  des  Heilbrannens  Notizen  mit- 
theilt, die  den  deutschen  Aerzten  nicht  gleichgültig  seyn  kön- 
nen.   Wir  geben  eine  kurze  üebersicht  des  Inhalts. 

I.    Lage,  Beschreibung  und  Geschichte  Wies- 
badens. 

f 

Die  Ueberschrift  dieses  ersten  Kapitels  zeigt  hinreichend, 
was  man  hier  zu  erwarten  hat.  Jedem,  der  Wiesbaden  be- 
sucht, wird  dasselbe  interessant  seyn. 

II.  Bade-  und  Speiaehä.u  erer ,  Medicinal  Ver- 
fassung und  andere  für  die  Kurgäste  be- 
rechnete Einrichtungen. 

Der  Hr.  Verf.  beschreibt  hier  ausführlich  die  Einrichtung 
der  Badehäuaer,  die  Zubereitungsart  de  Bäder  u.  s.  w. ,  wo- 
bei wir  bedauern  müssen,   dafs  derselbe  alles  das,  was  Hr. 
Medicinalrath  Wetzl  er  in  seinem  vortrefflichen  Werke  über 
Gesundbrunnen  und  Heilbäder  (Mainz  l8i9.)  von  den  Bade- 
einrichtungen in  Wiesbaden  bemerkt,  durchaus  nicht  berück- 
sichtigt.    Wetzl  er  behauptet,  dafs  die  Anstalten  zum  Duscb- 
bade  schlecht  seyen;  dagegen  versichert  nun  Hr.  Medicinal- 
rath Rullmann,  dafs  sie  schon  einen  ziemlichen  Grad 
(  von  Vollkommenheit  erreicht  hätten ,  und  selbst  in  den  klein- 
sten Badebäusern  Anstalten  dazu  getroffen  worden  wären. 
Für  Dampfbäder,   sagt  Hr.  Wetzl  er  ferner,  ist  meistens  , 
gar  nicht  gesorgt,  und  auch  unser  Hr.  Verf.  bekennt  S.  37, 
dafs  erst  in  einigen  Badehäusern  und  zwar  noch  unvollkom- 
mene Vorrichtungen  dazu  sich  vorfänden.     Ueber  den  Man- 
gel an  Reservoirs  klagt  Wetzler  ebenfalls,  und,  wie  dem 
Ree.  scheint,  mit  Recht;   noch,  immer  läfst  man,  wie  aus 
8.  34.  erhellt,  das  Xhermalwasser  in  den  Badewannen  selbst 
abkühlen,  ja  Hr.  Dr.  Rullmann  hält  dies  Verfahren  selbst 
für  vortheilhafter  ,  besonders  darum ,  weil  Kastner  in  einem 
bis  zur  Badewärme  erkalteten  Thermalwasser  etwas  weniger 
atmosphärische  Luft  fand,  als  in  einem  Wasser,  welches  zu 
gleichen  Theilen  aus  zuvor  gänzlich  erkaltetem  Wasser  und 
natürlich  heifsem  zur  Badetemperatur  gebracht  worden  war. 
Wenn  man  aber  den  Schaden,  welchen  ein  gar  kleiner  Antheil 


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602       .  Wiesbaden  unS  seine  Heilquellen  Von  Rulfcnann. 

atmosphärischer  Luft  in  einem  Badewasser  hervorbringt ,  mit 
dem  Umstände  vergleicht,  dofs  ohne  Reservoir  die  Badewan- 
nen weit  seltener  gebraucht  werden  können  ,  und  somit  eine 
höchst  kostbare  Zeit  verloren  j>eht,  die  zum  Baden  verwendet 
werden  konnte,  so  kann  man  keinen  Augenblick1  mehr  an  dem 
Nutzen  der  Reservoirs  zweifeln,  deren  Mangel  in  Wiesbaden 
wir  mit  dem  Hrn.  Wetz  ler  nach  wie  vor  rür  sehr  riachthei- 
Ü£,  und  baldige  Abhülfe  für  wünschenswert"  halten.  —  Von 
Wiesbadens Medicinal Verfassung  ist  nur  ganzk:trz  gesprochen; 
es  befindet  sich  daselbst  ein  eigener  Badearzt,  gegenwärtig 
der  erste  Herzogl.  Nassauische  Leibarzt,  Geh,  Rath  Lebr, 
Oheim  des  Um.  Verf.,  ferner  ein  ärztliches  Mitglied  der  Lan- 
desregierung, dermalen  Hr.  Oberiuedicinalrath  Döring,  und 
mehrere  andere  Aerzte.  Fremden  anerkaunten  Aerzten  ist  die 
Behandlung  der  Kurgäste  ohne  Anstand  gestattet. 

III.    Umgebungen  und  Belustigungsorte  Wies- 
Ladens. 

Der  Beschreibung  der  Fracht  des  Kursaales  mit  allen  sei- 
nen Herrlichkeiten  ist  hier  ungefähr  ein  halber  Bogen  gewid- 
met; von  seiner  wundervollen  Schönheit  spricht  unser  Hr. 
"Verf.  ganz  enthusiastisch,  leider  aber  erinnert  sich  hier  Ree. 
der  gewichtvollen  Worte  Wetzlar'*  (Seite  462  der  oben 
angeführten  Schrift)  :  „Mit  einem  Ungeheuern  Kostenaufwand 
bat  man  den  Kursaal  erbaut;  indessen  die  Badeanstalten  zum 
Theil  im  erbärmlichsten  Zustande  blieben. *  Möchte  man 
dies  nie  vergessen!  Sonst  ist  hier  der  Weg  nach  Sonneit- 
berg ,  Geisberg,  Eltville  u. 's.  w.  angegeben-,  Und  überhaupt 
findet  hier  der,  Fremde  eine  zweckmässige  Anleitung y  die  in- 
teressantesten Funkte  in  der  Nühe  von  Wiesbaden  zu  be- 
suchen. 

IV.  Geognostisches  Verhalten  der  umgeben- 
den Gebirge  und  Andeutungen  über  die 
Entstehung  unseres  Mineralwassers, 

Ein  vorzüglich  wichtiger,  und  für  alle  verständige  Kur- 
gaste, welche  zugleich  Naturfreunde  sind,  ohne  Zweifel 
höchst  interessanter  Abschnitt,  dessen  Bearbeitung  hIus  Buch 
einem  bewährten  Mineralogen,  dem  Herrn  Bergt  athe  Stifft,- 
verdankt.  Die  geognostisebe  Umgebung  Wiesbadens' hatte  , 
in  neuerer  Zeit,  die  sehr  flüchtigen,  und  mitunter  un- 
richtigen, Bemerkungen  des  Hrn.  Steininger  abgerechnet , 
keinen  Beschreiber  gefunden  ;  um  desto  erfreulicher  war -uns 
diese  Mittheilung,  ein  Resultat  gründlicher  und  sorgfältiger 


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I 


Wiesbaden  und  seine  Heilquellen  Tön  Rullmauu.  603 

*  •  ,  •    *  •  i 

Beobachtung,     Das  Gebirge,  aus  welchem  die  Heilquellen 

hervortreten,  gehört  ziir  Schiefer-Formation.  Abhang  und 
Fuls  der  Schieferberge,  vorzüglich  im  Mainthale  ,  sieht  man 
überdeckt  mit  Kiesel  -  Kongloment ,  mit  Lagern  von  Tbonf 
Sand-Morgel  und  jüngstem  Flözkalk.  Dafs  die,  in  letzterem 
sehr  gehäuft  vorkommenden,  Versteinerungen  als  Ueberreste 
von  Bewohnt- n  süfser  Wasser  und  des  Landes  angegeben 
Werden  ,  scheint  uns  ein  Versehen,  denn  die  lleste  von  Mee- 
res-Geschöpfen  dürf  ten  bei  weitem  die  häufigsten  seyn.  In- 
teressant ist  das  Auftreten  basaltischer  Gebilde,  so  wie  jenes 
der  mächtigen  Braunkohlen -Niederlagen  auf  dem  hohen  Wt- 
sterwalde.  Die  versuchte  Ei  klärungsweise  des  Entstehens 
der  Mineralquellen  zeugt  von  Scharfsinn  und  verdient  alle  Be- 
achtung; allein  der  beschränkte  Kaum  verstattet  hier  keine 
ausführliche  Mittheilung  derselben. 

V.    Physische  Eigenheiten  und  chemische  Be- 
schaffenheit der  hiesigen  Mineral  quell  en, 

Bereits  vor  zwanzig  Jahren  hatte  Herr  Hofrath  Ritter 
chemische  Untersuchungen  der  Mineralquellen  zu  Wiesbaden 
vorgenommen,   die  jedoch  keineswegs  vollständig  und  genü- 
gend waren.  "  Es  sah  sich  daher  die  Nassauische  Landesregie- 
rung veranlaßt,  eine  neue  sorgfältige  Prüfung  veranstalten  zu 
lassen  ,  die  sie  dem  Hrn.  Hofrath  Kastner  in  Erlangen  auf- 
trug, welcher  im  Beiseyn  und  mit  Hülfe  des  Hofapothekers 
Lade  in  Wiesbaden,  der  sich  früher  schon  damit  beschäftigt 
hatte,  zwei  Jahre  lang  die  Untersuchung  betrieb ,  und  darüber 
späterhin  eigenen  Bericht  erstatten  wird.    Die  Hauptresukate 
theilt  uns  der  Hr.  Verf.  vorläufig  hier  mit,    wovon  wir  das 
Wesentlichste  ausziehen  wollen.    Lade  fand  die  Temperatur 
der  heifsesten  Quelle  56°  R.  9  die  der  mindest  heifsen  38i/2° 
II.  an  ihrem  Ausflusse  aus  dem  Berge.      Ueber  das,  sonst 
auch  bei  andern  heifsen  Mineralquellen  vorkommende  lang- 
same Erkalten  des  Wiesbadener  Wassers  stellte  Hr.  Kästner 
besondere  Versuche  an,  deren  Resultat  der  Hr.  Verf.  in  fol- 
gende zwei  Sätze  zusammenfafst,  wovon  besonders  der  letz- 
tere hätte  deutlicher  ausgedrückt  werden  können  : 

1)  Das  Wasser  unserer  Quelle  erkaltet,  unter  übrigens 
genau  gleichen  Bedingungen  ,  bedeutend  langsamer,  als  reines 
VVasser  und  als  Salzwasser  von  demselben  Eigengewichte. 

2)  Die  Erkältungsdauer  ist  gröfser  als  sie  seyn  sollte, 
wenn  sie,  wie  bei  einer  künstlichen  Salzlösung,  im  zusam- 
mengesetzten verkehrten  Verhältnils  der  Wärmeieitung  und 
Wärmestrahlung,  und  im  zusammengesetzten  geraden  der  Zä- 

» 

» 


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Wiesbaden  und  seine  Heilquellen  von  Rullmann. 


bigkeit  (CobSsion)  und  der  chemischen  Anziehung  (Bindungs- 
stärke) zwischen  dem  Wasser  und  den  darin  gelösten  Substan- 
zen fände. 

Aus  jenem  Phänomene  wird  ferner  geschlossen,  dafs  das 
Thermal wasser  mehr  gebundene  Wärme  als  reines  Wasser, 
oder  ein  ähnliches  Kunstgemisch  enthalte,  und  auch  dem 
menschlichen  Körper  zuführe;  damit  soll  auch  die  eigene  Wir- 
kung auf  die  Magnetnadel  zusammenhängen,  und  überhaupt 
das  Wasser  reicher  an  Mischungs-Electricität  seyn  ;  endlich 
wird  noch  der  langsamen  WärmeentUssung  jene  bekannte  Er- 
scheinung zugeschrieben  ,  dafs  man  nämlich  das  70  C.  heifse 
Kochbrunnenwasser  in  den  Mund  nehmen  kann,  ohne  sich  im 
mindesten  zu  verletzen  (S.  142.)-  Zehn  Cubikzoll  des  Koch- 
brunnens von  70°  C.  mit  gehöriger  Vorsicht  geschöpft,  geben 
2,15  C.  Z.  kohlensaures  Gas  und  fast  0,03  C.  Z.  Stickgas. 
Ein  Pfund  desselben  Wassers  gab  überhaupt  7,6869  C.Z.  gas- 
förmige Kohlensäure,  sonst  nach  Gewicht  bestimmt  enthielt 
ein  Pfund  des  Kochbrunnens  » 


Sä  uren, 

Gran. 

Kohlensäure    .  3,977970 


Salzbasen. 


Schwefelsäure 
Salzsäure    .  . 
Kieselsäure 
Wasser  •  • 


0,638834 
24,2501615 

0,19026 
7619,494888 


Kalk  .  . 
Talkerde 
Natron  , 
Kali  .  . 
Eisenoxyd 
Thonerde 


3,897848 
0,67849 
23,8902295 
0,75912 
0,042 
0,40974- 


Organisches  Eytract  1,75 
Wiesbaden  besitzt  noch  einige  sogenannte  kühle  Mineralquel- 
len,  wovon  der  sogenannte  Faulbrunnen  9i/2°  R.  Temperatur 
bat,  und  selbst  einige  kalte  salzhaltige  Quellen. 

*  . 

VI.  Wirkungen  des  hiesigen  Mineralwassers 
auf  den  menschlichen  Organismus  im  All- 
gemeinen und  dessen  Anwendung  in  ein- 
zelnen Kraukheisformen. 

Unstreitig  ist  für  den  praktischen  Arzt  gerade  dieser  Ab- 
schnitt der  wichtigste,  auch  bat  ihn  der  Hr.  Verf.  ziemlich 
ausgedehnt  bearbeitet,  obgleich  wir  weitere  Aufschlüsse  vom 
Hrn.  geh. Rath  Lehr  selbst  zu  erwarten  haben.  —  Wir  über- 
gehen alles  das,  was  Hr.  Dr.  Rull  mann  bloS  theoretisch 
von  der  Wirkung  des  Wiesbadener  Wassers  rücksichtlich  sei- 
ner  Be.standtheile  beibringt,  wohl  wissend,  dafs  bei  weitem 
nicht  alles,  was  auf  den  menschlichen  Körper  wirkt,  sich 
durch  chemische  Reagentien  entdecken  lasse.  —    Als  Bad  au- 


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Wiesbaden  und  seine  Heilquellen  von  Rullmann.  606 

gewendet  zeigen  nach  unserem  Hrn.  Verf.  die  Mineralquellen 
zu  Wiesbaden  folgende  Hauptwirkungen  9  die  wir  mit  dessen 
eignen  Worten  aufzeichnen  :  ' 

1)  Gleichförmige  Bethätigung  oder  Regulirung  der  Haut- 
function. 

2)  Bethätigung  des  Lymphsystems. 

3)  Auf  das  Gefäfssystem  wirkt  Wiesbaden  meistens  erre-  . 
gend,   seine  Thätigkeit  erhöhend,  vorzüglich  wenn  es 
in  irgend  einem  hohen  Wärmegrad  angewandt  wird. 

4)  Auf  das  Nervensystem  wirken  die  Bäder  zu  Wiesbaden 
besänftigend,  calmirend. 

6)  Auf  das  Muskel-  und  Knochensystem ,  sowie  auf  die 
Ernährung  haben  sie  wenig  directen  Einflufs. 

6)  Auf  das  Uterinsystem  äulsern  aie  eine  fast  specifische 
Wirkung,  sie  bethätigen  dessen  Functionen,  vorzüg- 
lieh  die  seines  Kreislaufs  und  der  ihm  natürlichen  Se- 
cretionen. 

Die  einzelnen  Krankheiten,  gegen  welche  die  Bäder 
in  Wiesbaden  ausgezeichnete  Wirkung  besitzen,  sind  nun 
folgende:  Gicht  und  Rheumatismus  fast  in  allen  Formen 9 
ausgenommen  im  acuten  Zustande.  Fast  alle  Hautkrankhei- 
ten ;  der  Hr.  Verf.  nennt  Finnen ,  Kupferausschlag ,  Leber  - 
und  Sommerflecken  (!  ),  Flechten ,  Krätze;  ferner  gegen  Mer. 
kurialkrankheit j  Hypochondrie  und  Hysterie,  Stein-,  und 
Griesbeschwerden,  Blasenkatarrhe,  Schleimflüsse  aus  den  Ge- 
nitalien ,  skrophulöse  ,  rbachitische  Uebel ,  m  rheumatische 
Wassersucht,  Kücken  mark  Wassersucht ,  Lähmungen,  Ii  eber- 
lose Entwickelungskrankheiten,  unregelmäfsige  Menstruation, 
Unfruchtbarkeit  u.  s.  w. 

Von  dem  innern  Gebrauche  des  Wiesbadener  Wassers  er* 
wartet  der  Hr.  Verf.  im  Ganzen  dieselbe  Wirkung,  wie  von 
dem  Bade  ,  mit  einigen  sich  von  selbst  ergebenden  Unter« 
schieden;  doch  rühmt  er  ihn  besonders  bei  Stockungen  im 
Unterleibe,  Würmern,  Obstructionen ,  Plethora  abdominalis, 
Hämorrhoiden  u.  s,  w. 

...  : 

VH.    Bestimmung  der  Fälle,  in  denen  der  äus-  , 
sere  und  innere  Gebrauch  unsers  Was- 
sers schadet,  Unwirksam  ist,  oder  doch 
nur  wenige  Linderung  verschafft. 

Dieser  Abschnitt  ist  verhältnifsmäfsig  äufserst  klein, 
da  er  doch  gerade  eine  ganz  besonders  ausführliche  Erörte- 
rung verdient  hätte,  damit  der  Arzt  nicht  Kranke  nach  Wies- 
baden gehen  heilst,  um  dort  ihre  Leiden  noch  verschlimmern 


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606  Wiesbaden  und  seine  Heilquellen  von  Rullmann, 


zu  lassen  ,  oder  doch  trostlos  und  ohne  Erleichterung  sie  heim« 
kehren  sehen  zu  müssen.  Mehrere  Contra  -  Indicationen  des 
Wiesbadener  Wassers,  von  denen  der  Hr.  Verf.  spricht,  ver- 
stehen sich  im  Grunde  von  selbst.  Jedermann  wird  einschen, 
daTs  an  sich  unheilbare  Uebel  auch  in  Wiesbaden  nicht  werden 
gebeilt  werden;  kein  Arzt  wird  einen  an  einem  acuten  Fieber, 
an  einer  heftigen  Entzündung,  an  einem  übermässigen ,  bald 
Gefahr  drohenden  Blutflufs  Leidenden  in  irgend  einen  Bade- 
ort senden  wollen ,  und  doch  ist  dies  alles  hier  ziemlich  wort« 
reich  erörtert;  dagegen  ist  aber  auch  nicht  zu  verschweigen, 
dafs  manche  nützliche  Bemerkung  hier  vorkommt  ;  so  wird 
z.  B,  erinnert,  dafs  Epileptischen ,  so  wie  am  Scorbute  und 
Krebse  Leidenden  das  Wiesbadener  Wasser  selten  bekommt; 
wir  müsseh  daher  dieses  Kapitel,  so  kurz  es  auch  ist,  den 
Aerzten  doch  zu  besonderer  Beachtung  empfehlen. 

VIII.  Von  der  Vorbereitung  zum  hiesigen  Bade 

und  Brunnenkur,  und  der  Nachkür. 

Hier  werden  allgemeine,  so  ziemlich  für  jedes  Heilbad 
geltende  Regeln  gegeben,  die  nichts  Eigenes  oder  Neues 
enthalten. 

ß  * 

IX.  Anleitung  zum  zweckmässigen  Gebrauche 

des  Wiesbadener  Mineralwassers« 

Nur  einiges  Wenige  wollen  wir  aus  des  Hrn.  Verf.  Vor* 
schritten  mittheilen.  Die  ersten  Bäder  soll  man  weder  zu 
lange  noch  zu  warm  nehmen;  eine  Viertel  -  bis  eine  halbe 
Stunde  soll  den  Anfang  machen;  eben  so  empfiehlt  er  in  der 
ersten  Zeit  nicht  zweimal  des  Tages  zu  baden.  Das  Wasser 
soll  man  besonders  Morgens  nüchtern  frisch  aus  der  Quelle 
trinken,  mit  zwei  bis  drei  GlSsern  anfangen,  und  bis  zu  einer 
bis  zwei  Bonteillen  steigen.  In  der  Hegel  werde  es  ziemlich 
warm  getrunken  ,  und  meistens  ohne  Milch  oder  aridere  Zn- 
sätze, als  durch  welche  der  Geschmack  eher  verschlimmert 
werde;  das  reine  Mineralwasser  für  sich  schmecke  fast  wie 
stark  gesalzene  Fleischbrühe. 

X.  Von  der  DiUt  der  Kurgäste.  * 

Vieles  Gute,  Nützliche  und  wohl  zu  Beherzigende,  wenn 
auch  gleich  zur  Genüge  Bekannte,  ist  hier  zusammengetragen ; 
besonders  müssen  wir  die  Wärme,  loben,  mit  welcher  der 
Hr.  Verf.  gegen  das  Hazardspielen  in  Bädern  spricht ,  eine 
verderbliche  Sitte,  die  langst  schon  hiltte  abgeschafft  werden 
können  und  sollen. 


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I 


Don  Ramiro  von  Hotho.  607 

Wenn  wir  nicht  irren ,  so  ist  das  vorliegende,  wie  au« 
dev  gegebenen  Uebersicht  erhellt ,  sehr  braachbare  Buch  das 
erste  oder  doch  eines  der  ersten  literarischen  Froducte  des 
Hrn.  Verfassers.  ;  Wir  sind  überzeugt,  dafs,  wenn  es  dem- 
selben gefallen  sollte,  noch  mehrere  Gegenstände  zu  bearbei- 
ten ,  es  ihm  bald  gelingen  wird  ,  sich  gröfsere  Gewandtheit 
in  der  Auswahl  mancher  Aasdrücke  und  der  Schreibart  über- 
haupt zu  eigen  zu  machen. 


Don  21  am  ir  o ,    Trauerspiel  in  drei  Aufzügen^  von  H.  G.  Hot  ho. 
Berlin,  1825.  Maurersclie  Buchh.     8.     152  «?.     ,     i  fl.  12  kr. 

*  ■ 

Als  Uraca,  die  Gemahlin  Alfonso's  des  Ersten,  Königs 
von  Aragon,  sich  Mutter  fühlte,  verkündete  ihr  Maria,  dafs 
sie  einen  Sohn  gebären  und  dieser  das  maurische  Zaragoza 
zum  Christenthume  bekehren  würde.  Der  am  Kreuze  schwe- 
bende Christus  verkündete  ihr  ein  Aehnliches.  Ramiro  wurde 
geboren,  und  „das  Zeichen  der  Bewährung«:  auf  dem  rech- 
ten Arm  ein  Kreuz  gleich  einem  Schwerte  und  ein  Schwert 
gleich  Christus  Kreuze,  liefs  Arragon  laut  jubeln: 

Ein  Infant  ist  uns  geboren, 
Christi  und  Maria's  Streiter, 

Solches  Alles  geschah  ,aber  vor  dem  Beginn  unseres  Trauer- 
spiels, und  Ramiro  erzählt  es  lediglich  sieben  Seiten  hin- 
durch (S.  20  —  27.)  und  in  wohlgefügten  Trochäen.  Das 
Trauerspiel  selbst  eröffqet  sich  im  Paljast-  Garten  zu  Zara- 
goza, und  Mirza,  die  maurische  Prinzessin ,  unterhält  sich 
mit  ihren  Dienerinnen  vom  Einzüge  Ramiro's,  welcher  auf 
sie  Alle  den  lebhaftesten  Eindruck  gemacht  hat.  Ramiro  tritt 
hinzu.  Schon  ist  Mirza  Willens,  auf  sein  Ersuchen  ,  ihren 
Schleier  zurück  zu  schlagen,  als  Ahuhazalen,  der  Vater  Mir- 
za's  und  König  Zaragoza's,  und  sein  NefFe  Omar  hinzutreten. 
Ramiro  erzählt,  was  bereits  oben  erwähnt  worden,  und 
schliefst  dann  folgendermafsen : 

Ahuhazalen!  Steig*  nieder  t 

Von  dem  heil'gen  Christenthrone, 

Den  du  frevelhaft  entweihst. 

Alle  Kirchen  stelle  her. 

Die  du  mit  gottlosem  Eifer 

In  Moskeen  hast  verwandelt, 

Und  mit  deinem  ganzen  Volke 


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60B  Doü  Ramiro  ?on  Hotho. 

Knie1  vor  Gottes  Altar  nieder  y  / 

Bet*  ein  reuig  Miserere, 

Dafs  sich  euer  Gott  erbarme, 

Und  sein  heil'ger  Geist  erleuchtend  1 

Und  besel'gend  niedersteige : 

Denn  nur  der  dreiein'ge  Gott 

Ist  der  ew'ge  Gott  der  Wahrheit. 

Die  anwesenden  Mauren  rufen:  Rache!  Allah,  Rache!  und 
der  König  spricht  sich  aufs  Heftigste  gegen  solche  Anmutbung 
aus*    Da  droht  Ilamira  : 

—    eh*  dieser  Sonne  Strahl , 
Die  dort  scheidend  niedersinkt, 
Dreimal  wieder  euch  begrufste. 
Schwör'  ich  euch,  soll  diese  Stadt, 
Sollen  der  Moskeen  Thürme, 
Und  ihr  selbst,  vor  Christi  Kreuz 
Gott  als  Herrn  und  Sieger  preisen. 

Mirza  und  Ramiro  verrathen  vor  der  Versammlung  ihren  leb- 
haften Antheil  an  einander.  Der  König  schwört,  selbst  sei- 
nes eignen  Kindes  nicht  zu  schonen,  wenn  es  vom  Mahoro 
abfiele.    Er  schliefst: 

Dies,  Infant,  sagt  euerm  König, 
Und  eh'  noch  des  Mondes  Scheibe 
Ueber  unserm  Haupte  glänzt, 
RSumet  Zaragoza's  Mauern, 
Sonst  mit  euerm  längern  Weilen 
Ruft  ihr  euern  Tod  herbei! 


:  .» 


(Der  Beschlufs  folgt.) 


N.  39.  1826. 

Heidelberger 

Jahrbücher  der  Literatur. 


.1.  ; 

Don  Ramiro,  Trauerspiel  in  drei  Aufzügen, 

von  H.  G.  Hotho. 

•  -     •        ■  . 

■  * 

CBeichlufs.) 

•  •• 

Der  zweite  Akt  findet  Ramiro  noch  in  Zaragoza.  Seine 
Liebe  zu  Mirza,  derer  völlig  inne  geworden,  hält  ihn  zu- 
rück. Omar  trifft  ihn  und  bald  entspinnt  sich  ein  lebhafter? 
Wortwechsel.  Mirza  unterbricht  ihr  Gelecht  und  heifst 
Omarn  gehen.  Er  gehorcht,  Die  nun  folgende  Scene  ist  eine 
der  gelungensten»  Ramiro  und  Mirza  erklären  sich  ihre  Liebe. 
Mirza  wird  Christin.    Eine  Stelle  als  Beleg  jener  Behauptung  t 

Mirza. 

Ramiro!  — *  — 
Ich  athme  nur,  mich  dir  dahin  zu  gehen! 

Ramiro. 

Ich  lebe  nur,  mein  Leben  dir  zu  weih'n! 

Mirza. 

So  schenkst  du  mir  mit  dir  ein  doppelt  Leben? 

Ramiro. 

So  werd'  ich  mir  in  dir  nun  zwiefach  mein? 

Mirza» 

Hegt  denn  die  Erde  solche  Himmelstriebe? 

Kam  i  ro. 

Die  Erde  nicht,  nur  Gottes  ist  die  Liebe!  — 


M  i  r  z  a.V  * -  ^  ^ 


O  könnte  dieser  Gott  mir  niedersteigen! 

Ramiro. 

Sucht  ihn  dein  Blick  ? 

Mirzd. 

^  Er  hat  umsonst  gespäht! 
Ramiro, 

Im  tiefsten  Innern  wird  er  dir  sich  zeigen ! 

Mirza. 

Er  zeigt  sich  nicht ,  was  auch  mein  Mund  gefleht ! 
XIX.  Jahrg.   6«  Heft*  39 


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510  E°Q  Rainico  von  Hot  ho. 

9 

llamiro,  .  , 

*        J  I  Ä  ■ 

Erzeuge  ihn,  so  wird  er  von  «ich  zeugen: 

Mirza. 

Neigt  er  sich  mir  ? 

Ramiro. 
Wenn  du  dich  ihm  erhöht! 

Mirza.  •  • 

O  könntest  du  mir  seinen  Namen  nennen. 

Ramiro« 

Erkenne  dich,  und  du  wirst  ihn  erkennen! 

Don  Juan,  ein  Freund  Ramiro*« ,  tritt  auf  und  räth  zur 
Flucht.  Endlich  entschliefst  sich  hierzu  Ramiro.  Omar  trifft 
Mirzan  betend  —  zu  Christus.  Omar  will  ihr  das  Kreuz  ent* 
reifsen.  Der  König  kommt  hinzu.  Er  ist  ausser  sich.  Er 
verkündiget  Mirzan  ,  sie  müsse  sterben.  Omar  bietet  sich  ibr 
als  Retter  an.  Sie  weist  es  von  sich,  zeigt  ihm,  dafs  sie  ei 
müsse. 

Der  dritte  Akt  findet  uns  im  christlichen  Lager  vor  Zara- 
goza,  im  inneren  Theile  des  königlichen  Gezeltet.  König 
Alfonso  von  Arragon  erzählt  seinem  Sohne  den  Tod  Uraca's, 
seiner  Mutter.     Sie  starb  wehe  rufend,  dafs  Ramiro,  der 


göttlichen  Sendung  Vergessend,  in  Liebe  zu  einer  Sarazenin 
erglüht  sey.  Don  Juan  unterbricht  die  hierauf  folgenden  Er* 
örterungen  mit  der  Nachricht  von  Mirza's  Tode.  Sie  hatte 
eine  christliche  Kirche,  unfern  Zaragoza  unter  Schutt  Und 
Trümmern  aufgebaut,  heimlich  besucht  (von  Ranvro  war  ihr 
deren  Daseyn  verrathen  worden),  aber  die  Mauren  erkunden 
den  Ort,  Fackeln  werden  bineingeschleudert,  und  die  heilige 
Stätte,  zusammenstürzend,  begräbt  ihre  frommen  Beter.  Mit 
ihnen  ;  Mirzan.  Alfonso  beschließt  den  Sturm  auf  Zaragoza. 
Ramiro  schwört  den  Seinen  : 

Dafs  die  Sonne,  die  dort  aufglüht, 
Lebend  uns  in  Zaragoza 
Wiederfindet ,  oder  weinend 
Vor  den  unerstürmten  Mauern 
Von  den  Todten  scheiden  soll. 
Jenes  geschieht.    Ramiro,  als  der  Erste,  pflanzt  die  cbritt« 
liehe  Standarte  auf  die  Zinnen  der  Stadt.    Auch  Ramiro  stirbt. 
Woran  ?  scheint  zweifelhaft.    Nach  Juan  verblutet  er  sieb. 
Ramiro  sagt : 

—    der  Erdenrose  Dornen, 
Und  der  Mutter  sterbend  Wehe 
Trösten  mich  — 


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Don  Ramiro  von  Hotho. 


611 


Alfonso  bietet  Abuhazalen  seinen  Thron  wieder  an  und  —  das 
Kreuz.    Abuhazalen  zieht  vor,  nach  Osten  zurückzukehren. 

Dies  die  Fabel  des  Stücks ,  welches ,  wie  die  Proben  geben, 
meist  in  vierfüfsigen  Trochäen ,  fünffüfsigtn  Jamben,  mit  unter- 
mischten Heimen  ,  geschrieben  ist.    Auch  eingestreute  Sonette 
kommen  vor  (S,  12.  13.  H-  95-  96.) ,  und  die  Sprache  ist  blü- 
hend und  edel.     Den  Streit  zwischen  Muhamedanismus  und 
Christenthum  und  den  früheren,  friedvollen  Sieg  des  letzte« 
ren  über  das  erstere  in  der  Liebe ,  den  späteren,  blutigen  im 
Waffenspiele  darzustellen ,  war  unstreitig  ein  poetischer  Ge- 
danke.    Aber,  dramatisch  bebandelt,  raufste  er  seiner  Be- 
handlung selbst,   die  Handlung  und  weniger  Reden  fordert, 
noth wendig  schädlich  werden.     Dieses  scheint  dem  Ree.  na- 
mentlich hier  der  Fall.     Indessen  ist  auch  der  Verfasser  nicht 
ohne  Schuld.     Wozu  die  häufig  sich  wiederholenden  Expo- 
sitionen über  Christenthuin  und  Aluhammeds  Lehre ,  nament- 
lich die  vielen  Spezialitäten  ?     Wozu  der  oft  lyrisch  gewor- 
dene Gang  der  Rede?   Wozu  die  Menge  historischer  und  geo- 
graphischer Notizen ,  e.  B..  S.  29  —  32  ?     „Trauerspiel«  hat 
der  Verf.  seinem  Buche  vorgesetzt.    Er  deute  nicht  übel ,  dafs 
wir  nach  selbst  aufgestecktem  Maafse  es  beurtheilen  ,  dafs 
^wir  insbesondere  auch  meinen,  seine  Personen  seyen  sich  an 
Gefühl  und  Sinnesart  ähnlicher,  weniger  individualisirt,  als 
das  Interesse  und  die  Wahrscheinlichkeit  es  erlauben.  Man- 
che werden  Anstand  nehmen ,  dafs  Ramiro  Mirzan  auf  dem 
Theater  taufe  (S.  61.)»    Uns  dünkt  auffallender,  dafs  plötz- 
lich Mirsa  so  erstaunlich  viel  vom  Christenthume  weifs,  was 
doch  nicht  möglich  ist,  sogar  Sprüche  anführt  (S.  98.),  und 
namentlich  so  christlich-  katholi  sch  ist  (••  B.  S.  97.).  Es 
war  rweckmäfsig,  den  damals  ohnehin  herrschenden  Katholi- 
zismus dem  Aluhammedan ismug  entgegen  zu  setzen,  aber  diese 
offenbare  Vorliebe  sagt  uns  nicht  zu.     Schöne  Momente, 
Seht- poetischer  Schmuck  finden  sich  häufig.     Möchten  der 
spanisch -romantischen  Spielereien  weniger  seyn  (z.  B.  S.  39. 
40.  47.  48.).     Di«  letzte  Oelung  (S.  115)  durfte  Mirzan 
nicht  gegeben  werden  (Wiese,  Kirchenrecht  II.  S.  58l.).  — 
Wir  erlauben  uns,  zum  Schlüsse  dem  talent  -  und  geistvollen 
Verf.  das  Studium  Shakespeares  zu  empfehlen. 


39 * 


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612  Horas  eme  Epistel  von  Schmid. 


Des  Quintus  Horatius  Flaccus  Erste  Epistel  das  ersten 
Buchs ,  erklärt  von  Theodor  Schmid,  Oberlehrer  am  Gyn* 
nasium  zu  Halberstadt.     Halberstadt,  bei  C.  Brüggemann.  1824. 

33  S.  in  gr.  8.  6  Gr. 

•  *  ■  r  •  • 

Wir  müssen  es  mit  dem  Hrn.  Verf.  beklsgen,  dafs,  so 
sehr  auch  in  neueren  Zeiten  die  lyrischen  Dichtungen  des  Ho- 
ratius  bearbeitet  worden  sind,  dagegen  die  Episteln  —  doch 
unstreitig  das  vorzüglichste,  was  uns  der  Dichter  hinterlas- 
sen —  desto  weniger  Bearbeiter  gefunden  haben.  Um  so  er- 
wünschter aber  mufs  uns  jeder  Beitrag  seyn,  wenn  er  auch 
nur  die  Bearbeitung  einer  einzelnen  Epistel  enthält,  indem  da- 
durch am  besten  eine  vollständige,  dem  jetzigen  Standpunkte 
der  Wissenschaft  entsprechende  Bearbeitung  sämmtlicher  Epi- 
steln möglich  gemacht  und  vorbereitet  wird.  Bis  jetzt  sind 
wir  aber  im  Ganzen  von  nur  wenig  Episteln  so  glücklich  ge-, 
Wesen,  einzelne  Bearbeitungen  zu  erhalten.  Unter  ihnen 
nehmen  jedoch  unstreitig  die  gelehrten  und  umfassenden  Bear- 
beitung der  ersten  und  sehnten  Epistel  des  ersten  Buchs  von 
Obbarius  die  erste  Stelle  ein.  Nach  dem  von  Heindorf  in 
den  Satiren  des  HoratiuB  gelieferten  Muster  hat  in  gleicher 
Weise  Zell  eine  Bearbeitung  der  ersten  Epistel  des  ersten 
Buchs  (Heidelberg,  bei  Oswald.  1819.)  geliefert*  Unser 
Verf.  bedauert  in  einer  Nachschrift»  dafs  er  zu  spät,  erst 
als  seine  Arbeit  schon  vollendet  war,  durch  die  Vorrede  von 
Obbarius  zur  Ausgabe  der  zehnten  Epistel,  Kenntnifs  von 
Ebendesselben  Bearbeitung  deT  ersten  Epistel  erhalten  *> 
Indessen  sind  die  Bearbeitungen  der  Horazischen  Briefe  durch 
Obbarius  (deren  Fortsetzung  wir  freilich  nicht  genug  wün- 
schen können)  von  der  unsers  Verf.  in  Anlage  eben  so  wie  in 
Zweck  und  Bestimmung  verschieden  ,  da  man  sie  mit  Recht 
gelehrte,  vollständig  Alles  enthaltende  Ausgaben  nennen 
dürfte.  Der  Verf.  vorliegender  Bearbeitung  verbindet  damit 
aber  einen  ganz  anderen  Zweck ,  und  hat  dabei  ganz  andere 
Absichten.  Eben  so  wenig  für  gelehrte  Philologen 
wollte  er  schreiben,  als  andererseits  eine  eigentliche 
Schulausgabe  liefern.  Jünglinge  vielmehr  t  und  Freunde 
des  Horatius,  Welche  sich  diese  Dichtungen  zum  Gegenstands 
des  Privatfleilses  wählen  und  denen  es  an  den  besseren  ,  be- 
sonders älteren  Hülfsmitteln  fehle,,  diese  sind  es,  für  welche 


*)  Auch  Ree.  kennt  diese  Bearbeitung  bis  jetit  ntrr  ans  Ankündi- 
gungen. 


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,       Horas  erste  Epistel  von  SchuaiJ.  61 3 

diese  Aufgabe  bestimmt  ist.  Deshalb  bat  auch  der  Verf.  die 
älteren  Commentare  des  Larabin,  Cruquius,  Bentley  U.  A., 
so  wie  die  alten  Scholien,  die  immerhin  manches  Schätzbare 
enthalten,  sorgfältig  benutzt»  hie  und  da  auch  ihre  Bemer- 
kungen wörtlich  mitgetheilt.  Die  Aufmerksamkeit,  die  wir 
dieser  neuen  Bearbeitung  einer  Ilorazischen  Epistel,  der  der 
Verf.  in  ähnlicher  Weise  die  Bearbeitung  anderer  Episteln  fol- 
gen lassen  will,  widmen  zu  müssen  glaubten,  veranlafst  uns, 
näher  in  das  Einzelne  einzugehen. 

Gleich  vs.  2.  bei  Erklärung  des  donatüm  Jam  rüde  sind 
keine  Beweisstellen  weiter  für  rudis  angeführt,  und  nur  ver- 
gleichungswei&e  Juvenal.  Sat.  VI,  113.  VII,  171.  genannt, 
während  bei  Abrami  zu  Cicer.  Philipp.  II,  29.  pag.  266-  ed. 
Wernsdorf.,  Lipsius  Saturn.  I,  |5.  u.  a.  w/  sich  reichliche 
Beweisstellen  und  gute  Erörterungen  finden.  —  Vs.  5>  Wenn 
Vejanius,  der  ausgediente  Fechter  ,  seine  WaiFen  dem  Her- 
kules, der  Sitte  gemäfs.,  weiht,  so  gieht  der  Verf.  davon 
den  Grund  an  mit  den  Worten  des  Lipsius  Saturn.  II*  23,  in 
so  fern  nämlich  dieser  Gott  Muster  und  Vorbild  der  Athleten 
ist.  Diese  Idee  ist  gewifs  nicht  unrichtig,  allein  der  Grund 
davon  liegt  wohl  tiefer.  Schon  in  Griechenland  sind  Hermes 
.und  Herakles  Vorsteher  der  Gymnasien,  wie  aller  gymnasti- 
schen Uebungen,  letzterer  insbesondere  als  Vorsteher  der 
Stärke,  welche  zu  diesen  Uebungen  erforderlich  ist.  Eusta- 
sius zu  Odyss.  VIII,  266  *qu\  pag,  309.  Basil.  sagt:  5«  *a< 
tut  Yy/AV5t<r/afEf/^3  xai  'ffyavtAfiT  outov  auv/fyuov»  «tjJ  u*v  Xfyou*  tw  B'  aX* 

H>jf  X^QSTrCUTI  ,    OiV  fAtyf-VZWV   tyXfa  KCU  ^UQ.VOia  ytWUT(ZU  — •     \s.  6.  ne 

populuin  extrema  toties  expret  arena,  wird  man  wobl  sich 
nicht  begnügen  können  mit  des  Verf.  Erklärung,  der  hier  an 
eine  Bitte  des  Fechters  an  das  Volk  um  Entlassung  (wohl, 
von  seinem  Fechterdienste)  denkt,  während  wir  an  den  von 
«einem  Gegner  an  den  äufsersten  Theil  —  in  die  Ecke  der 
Arena  getriebenen  und  überwundenen  Gladiator  denken >  der 
in  dieser  Lage  das  Volk  bitten  rauft,  ihm  das  Leben,  das  er 
verwirkt,  zu  schenken;  worauf  das  Volk  durch  das  bekannte 
pollicem  premere  oder  pollicem  vertere  antwortete  (vergl.  Ju- 
venal. Sat.  III,  36.  und  daselbst  die  Ausleger>  —  Vs.  11. 
Uta  ducere  ist  dem  Verfc,  keuchen.  Wir  würden  lieber  sagen: 
die  Lenden  (keuchend  ).  fortschleppen.  —  Vs.  15.  «t 
die  Bedeutung  von  addictus,.  so  wie  die  Construction  dessel- 
ben nebst  den  übrigen,  Wörtern  richtig  angegeben.  —  Vs-17. 
bei  Erklärung  der  Worte  *t  mersor  c'wiübui undis  r  würde»  wir  die 
Parallelsteile  Epist.  IL,  2*  85.  bic  ego  reriun  fluctibus  in  tue- 
diia  et  tempestatibus  urbis ,   nicht  übergangen  babtn.  — 


614 


Horas  erste  Epistel  von  Schmid. 


Ys.  28,  schreibt  der  Verf.  mit  Fea  und  Döring :   non  possis 
oculo  contendere  Quantum  Lynceus;  was  gewils  hier  die  ein- 
zig richtige  Lesart  ist,  die  nur  unwissende  Schreiber  in  ein 
vcuIüs  contendere  verwandeln  konnten;  oculo  contendere  erklärt 
auch  unser  Verf.  durch:  oculorum  acie  valere,  praestare  ;  s. 
Fea,  der  ausführlicher  den  Unterschied  erörtert,     üeber  die 
Ellipse  des  ji  vor  possis  vergl.  Heindorf  zu  den  Satiren  des 
HoratiuS  If  lj  45.  p.  Ii.  —  Vs.  12.  Est  quodam  prodire  te- 
nus,  si  non  datur  ultra.     So  schreibt  der  Verf.  im  Texte, 
führt  dann  in  den  Noten  die  ältere  von  Lambin  ohne  hand- 
schriftliche Autorität,  dann  aber  von  Cruq;  und  Bentley  nach 
Handschriften  und  grammatischen  Grundsätzen  veränderte  Les- 
art quodam,   und  darauf  Fea's  unpassendes  quoddam  auf,  ent- 
scheidet sich  aber  mit  Recht  für  die  von  Lambin ,  Cru(j,  Fea 
und  jetzt  auch  von  Döring  aufgenommene  Lesart,  die  schon 
in  der  Analogie  der  ähnlichen  Adverbien  ,  wie  solches  Bentlvy 
nachgewiesen  ,  hinreichende  Bestätigung  erlangt  hat.  Eben 
so  wird  die  Erklärung  von  vs.  34i  3&        und  vs.       ter  pure 
lecto  gewifs  befriedigen.  —  Auch  vs.  44.  schreibt  der  Verf. 
mit  Bentley  (und  Döring);    quanto  devites  animi  capitisque 
dolore,  Statt  des  minder  passenden  und  concinneu  animo.  — - 
Ys.  46.    per  mare  pauperiem  fugiens,  per  saxa,  per  ignes, 
hält  der  Vf.  es  für  richtiger,  mit  Lambin  die  letzteren  Worte 
per  ignes  in  allgemeinerem  Sinne  für  per  gravissima  pericula  zu 
nehmen,  mit  Anwendung  des  Griechischen  Spruch worts;  £,a' 
wvbos  ßa&litv  (vgl,  Er  asm.  Adagg.  III,  10,  94»).    Allein  dieser 
allgemeine  Sinn  Hegt  dem  ganzen  Verse  zum  Grunde,  und 
eben  deshalb  müssen  die  einzelnen  Worte,  aus  denen  zusam- 
men dieser  allgemeine  Begriff  hervorgeht,  in  bestimmterer  Be- 
ziehung und  Bedeutung  genommen  Werden,   daher  wie  per 
mare  die  Gefahren  des  auf  offener  weiter  See,  per  saxa  die  des 
an  Untiefen,  unwirtbbaren  Gestaden  und  Klippen  bermnschif- 
fenden  gewinnsuchtigen  Kaufmanns  bezeichnet,    so  bezieht 
sich  per  ignes  auf  die  Länder  der  beifsen  Zone,  die  der  Kömer 
nur  als  schrecklieb  und  fürchterlich  kennt,  vor  denen  aber  die 
Gewinnsucht  des  habsüchtigen  Händlers  sich  nicht  zurück« 
schrecken  läfst.    Vergl.  Od.  III,  3j  Ö5j  was  für  unsere  Stelle 

fewifs  entscheidend  ist.  —  Das  mirare  vs,  47.  konnte  hier 
urz  durch  die  Bemerkung  erörtert  werden,,  dafs  es  hier  so 
viel  sey,  als  sectari,  magui  facere ,  mit  Verweisung  auf  Od.  III, 
29 ylj.  und  Epist.  1^  10,  2_L  vergl.  mit  Li  *L*  L*  wo  admirari 
in  ähnlichem  Sinn  vorkommt.  —  Vs.  5&  bat  der  Verf.  die  al- 
tere Schreibart  condicio  für  das  gewöhnliche  conditio  wieder 
eingvtiinrr.   —    \s.  £4.  über  Janas  mmmus  gb  Imo  prodocet  giebt 


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Horas  erste  Epistel  von  Schmie!. 


615 


der  Verf.  ausführliche  Erläuterung,  so  wie  auch  vs.  Über 
das  laevo  suspensiv  locuJos  tabulamque  lacerto,   und  vs.  SJL 
püeri  ludentes  etc.  —  Vs.  öl.  bei  esto  erinnert  der  Ve,rf.  recht 
gut  an  das  Griechische  J4v,   das  wohl  Horatius  hier  ausge- 
drückt hat.  Vergl.  Larabin  zu  Horat.  Epist.  L,  Iß*  vs.  ££.  — 
Vs.  94-  schreibt  der  Verf.  mit  Fea  und  Döring:  si  curatus  in- 
aequali  tontore  capillos  statt :  si  curtatus  inaequali  tonsore  ca- 
pillos  ,   indem  curtatus  unstreitig  nur  (?)  eine  Erklärung  des 
curatus  sey,  wie  denn  curare  von  der  Sorge  f  ür  die  Haare  sehr 
gewöhnlich  sey,  was  auch  Fea  erwiesen.     Allein  das  curtatus 
scheint  fast  stärker  und  schärfer  bezeichnend  zu  seyn,  als  der 
matte,    in  jedem  Fall  allgemeinere  Ausdruck  curtatus.  Auch 
im  folgenden  Vers  schreibt  der  Verf.  wie  Fea  und  Döring 
occurro  ,  statt  dts  früheren  oeeurri,  —   Vs.  96.  vel  si  toga  dis- 
sidet  impar  macht  der  Verf.  mit  Recht  aufmerksam  auf  den 
hohen  Werth,  welchen  die  Römer  auf  das  kunstvolle  Umwer- 
fen der  Toga  gelegt ,  und  führt  Einiges  darüber  au.  Bezeich« 
rvend  ist  auch  die  Stelle  bei  Ovid  Amor.  I,  51ü ;  Sit  bene  con- 
veniens  et  sine  labe  toga,  —  Vs,  104.  et  prave  sectum  stomache- 
ris  ob  unguem  war  gewifs  Bottiger  (nicht  Böttcher,  wie 
der  Verf.  S.  34*  bei  einer  andern  Gelegenheit  schreibt])  in  der 
Sabina  L  p.  297.  320.  II.  62  ff.  anzuführen.  —   Vs.  105.  — 
de  te  pendentis ,  te  respicientis  amici  scheint,  der  Verf.  die  Hein* 
sius'sche  Conjectur  Suspicientis ,  welche  doch  nur  auf  Schein« 
gründe    gestützt  ist ,    vertheidigen  au  wollen  9    indefa  am 
Ende  bemerkt  er,  der  Sinn  des  Wortes  respicere  könne  nicht 
zweideutig  erscheinen,  da  es  als  Synonimum  (mufs  wohl  heis- 
•en  Synonym  um)  von  de  te  pendentis  zu  betrachten  ist,  und 
auch  sonst  in  der  Bedeutung  vorkommt  :  sein  Vertrauen  ,  seine 
Hoffnung  auf  Etwas  setzen.    Und  in  der  That  hätte  schon 
eben  das  zunächst  vorhergehende  von  jeder  Aendrrung  abmah- 
nen sollen,  da  respicere  offenbar  ein  Zurückblicken  auf  jemand 
bedeutet,  in  der  Erwartung,  bei  ihm  Schutz,  Unterstützung 
ynd  Hülfe  zu  finden  ,    oder  überhaupt  ratiouem  habere  ali- 
cujus,  wie  der  Verf.  richtig  bemerkt.    Vergl.  z.  B.  Ter.  Andr. 
U,  5j  fi.  —   An  einigen  Stellen  hatten  die  Citate  etwas  ge- 
nauer gegeben  werden  können,  wie  z.  B.  S.  $3.  Z.  3*  von  un-, 
ten,  statt  des  allgemeinen  Citats  ^Cic.  fin,      extr.«  bess'er  : 
Cic.  de  Fin.  III,  20.  §.  6Ä.  eben  so  wie  S.  £2.  Z.  3.  von  un- 
ten, „Cic,  fin.  3*extr.«  statt  Cic.  de  Fin.  III,  22m  §.  2h.  — 
S.  22m  Z.        von  unten:  „Fausan.  in  Eliac.  pag.  186.  ed.  Syl- 
hurg.«  statt  Eliac.  II.  (VI.)  %U  §•      p-  47d.  —  S.  2<L  Z.  4. 
von  unten  zu  vs.  76.  bellua  multorum  es  capitum  verweist  der 
Verf.  auf  llato's  1*^1;  ToXv*bfyi\as  (soll  heifsen  h^uo;  T©)ux*\i>aAos) . 


616      De  origine,  causis  et«,  tribunorum  jcrips.  A-  F.  SoUan. 

«  •  * 

jedoch  ohne  die  Stelle  zu  citiren9  Wir  verweisen  auf  Plat. 
de  Rep.  IX,  $2.  und  daselbst  Ast  p.  6Q6.  Greuter  ad  Olymp. 
Comment.  in  Alcib.  primum  p.  244» 


De  origine  ,  causis  et  primo  tribunorum  ptebis  numero. 
Commentatio ,  quam  auctorifate  amplissimi  philosophorum  ordinu 
etc.  etc.  tcriptit  Augustus  F er  dinartdus  Soldan,  Gyruna- 
siiUanoviensis  Collega  quartus.  Hanoviae  ,  formis  Orpkanotropkei 
Campianu  132$.    44  S.  in  gr.  8. 

Commentatio  inauguralis  de  Tribunicia  Tote  s  täte  ,  qüalis  fuerit 
in  de  a  Sultäe  dictatura  usque  ad  primum  consulatum  Pompeji, 
quam  consentiente  atnplissimo  philosophorum  ordine  Acad.  Jüan' 
bürg,  eruditomm  examini  subjicit  Joseph  us  Rubino,  philoso- 
phiae  doctor.  Cassellis%  MbCCCXXr.  apud  Ja.  Chr.  Krieger* 
$4  S.  in  gr.  8, 

Wir  verbinden  beide  Abhandlungen  mit  einander ,  da  sie 
im  Ganzen  nur  verschiedene  Theile  eines  und  desselben  Ge- 
genstandes behandeln,  und  beide  von  Seiten  einer  fteifsigen 
und  gründlichen  Behandlung  gleiches  Lob  verdienen.  Die  er- 
Stere  Abhandlung  hat,  wie  schon  der  Titel  andeutet,  sich  zu- 
nächst auf  drei  Funkte  beschränkt,  diese  aber  mit  Ausführ- 
lichkeit behandelt :  l)  Woher  d.  h.  aus  welcher  Ciasse  des 
Römischen  Volkes  wurden  die  Tribunen  gewählt  ?  f)  Welche 
Gründe  und  Ursachen  gaben  die  Veranlassung  zur  Errichtung 
des  Tribunats  ?  3)  Welches  war  ursprünglich  und  anfänglich 
die  Zahl  der  Tribunen  ?  Wenn  auch  gleich  der  beschränkte 
Raum  dieser  Blätter  es  uns  nicht  verstattet*  ausführlich  den 
Untersuchungen  des  Verfassers  Schritt  für  Schritt  zu  folgen, 
ao  wollen  wir  es  doch  nicht  unterlassen,  die  Haupt  res  ultate 
derselben  in  möglichster  Bestimmtheit  und  Kürze  darzulegen. 
Um  die-Beantwortung  der  ersten  Frage  zu  erreichen ,  und  den 
Ursprung  der  Tribunen  näher  au&zumitteln ,  geht  der  Verf.  in 
die  Geschichte  der  Verfassung  des  Römischen  Staats,  nament- 
lich der  Verhältnisse  der  Tribus  unter  den  ersten  Römischen 
Königen  zurück,  und  glaubt  hierin  die  Annahme  als.  ziemlich 
begründet  zu  finden,  cfafs  die  Tribunen  hervorgegangen,  aus 
den  Vorstehern  derLand-tribua^  keineswegs  aber,  wie  Wachs- 
muth  und  Andere  meinen,  aus  den  Kriegstribunen  oder  mili- 
tärischen Vorgesetzten  —  »Ex  iis,  qui  tribubus  erant  prae- 
yositi  rusticis,;  non  e  Tribun is  rei  iniljtam,  priraorum  Tri-. 


» 

.   .  Digitized  by  Google 


De  origine,  causis  etc.  tribunorum  scripsit  A.  F.  Soldan.  617 

hunorum  plebfs  effloruisse  potestatem,  justissimis  mihi  fir- 
missimiscjue  videtur  conti  r  mar  i  posse  argumentis«  (pag.  21.)* 
Man  sieht  also,  dafs  der  Verf.  im  Ganzen  der  Niebuhr'scbeti 
Ansicht  über  Begründung  und  Ursprung  der  tribuniciscben 
Macht  gefolgt  ist. 

Mit  vieler  Ausführlichkeit  verbreitet  sich  der  Veit  Ober 
den  zweiten  Punkt,  nämlich  über  die  Veranlassungen,  wel- 
che die  Begründung  dieser  Behörde  herbeigeführt,  in  der 
Schuldenlast  der  Aermeren,  in  der  Harte  und  Grausamkeit, 
welche  die  reichen  Patricier  gegen  ihre  plebejischen  Schuldner 
sieb  erlaubten  ,  findet  der  Verf.  die  Notwendigkeit,  für  die 
Plebejer  sich  eine  Schutzbehörde  gegen  die  Willkühr  der  Pa- 
tricier au  schaffen.  In  welcher  Zeit  diese  Schuldenlast,  unter 
der  das  Volk  so  sehr  seufzte,  entstanden,  wann  zunächst  der 
Grund'dazu  gelegt  worden,  lasse  sich  jedoch  nicht  bestimmen. 
Zwar  sey  wohl  schon  unter  Tullus  Hostilius  durch  dessen  be- 
ständige Kriege  ein  Anfang  gemacht  worden,  welcher  unter 
Tarquinius  dem  Aelteren,  und  besonders  unter  Tarqjuinius 
Superbus  vermehrt  worden,  obsebon  Servius  TulJius  der  be- 
drückten Volksmenge  aufzuhelfen  bemüht  gewesen.  Indem 
der  Verf.  Einiges  über  das  den  Patriciern  in  dieser  Hinsicht 
gegen  die  plebejischen  Schuldner  zustehende  (Recht  einschal- 
tet, geht  er  dann  auf  die  weiteren  Vorfälle  über  vor  dem  Vols- 
cischen  Kriege  u.  s.  w.  und  auf  die  Auswanderung  der  Plebe- 
jer, welche  als  nächste  Veranlassung  zur  Gründung  der  Tri- 
bunen berichtet  wird.  Hier  wird  nun  von  neuem  die  Frage, 
oh  die  Plebejer  auf  den  Möns  sacer  oder  auf  den  Möns 
Aventinüs  ausgewandert,  einer  genauen  Untersuchung  un« 
terworfen,  mit  Zuziehung  sämmtlicher  Stellen  der  Alten« 
Letztere  sprechen  meistens  für  die  erstere  Angabe,  die  schon 
Li  vi  us  als  die  allgemeiner  verbreitete  anführt.  Der  Verf. 
scheint  einen  Mittelweg  einschlagen  zu  wollen,  wenn  er  S.  37. 
bemerkt  und  im  Verfolg  weiter  darzulegen  sich  bemüht:  — 
fcfc*  tarnen,  quod  Cicero  et  Sallustius  tradunl%  fiebern  primum  $acrum 
mortem,  deinde  Jventinum  insedisse,  haud  difficile  erit  ad  existiman- 
dum.**  Dies  liefe  also  auf  die  in  Crsuzer*  Abrifs  der  Römi- 
schen Antiquitäten  S.  t$U  Not.  angedeutete  Ansicht  hinaus. 
Will  man  diese  vermittelnde  Ansicht  nicht  annehmen  und  die 
Angabe  des  Li  vi  us  als  die  richtige  erkennen,  so  mufs  man  die 
Angabe  des  Annalisten  Piso  betrachten  als  eine  Verwechslung 
dieser  ersten  Auswanderung  mit  der  spateren  um  Abschaffung 
des  Decemvirats ,  305  a.  u.  c. 

In  Ansehung  des  dritten  Punktes  endlich,  betreffend 
dl«  ursprüngliche  Zahl  der  Tribunen ,  schliefst  sich  der  Verf. 


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6 13  De  tribunicia  poteitate  scrips.  J.  Rubiuo. 

• 

auch  wieder  an  die  Behauptung  des  Liviut  und  Niebubr  an, 
wornach  die  Zahl  der  Tribunen  der  Zahl  der  Tribus  vollkom- 
men gleich  kam,  also  die  Fünfzabl  war.  Er  schliefst  seine 
Untersuchung  5.  42.  mit  den  Worten:  Quamobrem  quo  tem- 
pore facta  secessio  est,  eodem  duobus  Tribunis  accessi&se  tres, 
pro  certo  posse  compertoque  haberi  videtur. 

,  Gehen  wir  auf  die  zweite  Abhandlung  über ,  so  Iii  ist 
es  sich  nicht  läugnen  ,  dafs  sie  einen  der  interessantesten 
Tunkte  aus  der  Geschichte  des  Römischen  Tribunats  behan« 
delt ,  wir  meinen  die  Gescbicbte  desselben  während  der  Zeit 
der  Sullanischen  Dictatur  bis  auf  die  Erhebung  des  Pompejus 
»um  Consulat  —  eine  Periode,  die  als  aristokratische  Gegen- 
revolution in  der  Geschiebte  der  Römischen  Republik  Über- 
haupt einen  Wendepunkt  bildet.  Welchen  Einflufa  derselbe 
auf  das  Tribunat ,  als  eine  der  mächtigsten  Stützen  der  Römi- 
schen Volksfreiheit  geäufsert,  läfst  sich  aus  dieser  Abhandlung 
zur  Genüge  ersehen.  Die  Uebersicht  des  Ganzen  zu  erleich- 
tern und  den  Gang  der  Untersuchung  selber  zu  befördern»  hat 
der  Verf.  seine  Schrift  in  zwei  Abschnitte  getbeilt,  wovon 
der  erste  die  Geschichte  des  Tribunats  in  dem  genann- 
ten Zeiträume  erzählt,  der  zweite  von  dem  Rechte  der 
Tribunen  während  dieser  Periode  handelt.  Vor  Allem  hebt 
hier  der  Verf.  das  Gesetz  des  Sulla  hervor,  das  er  nach  be- 
gründeten Angaben  in  das  Jahr  674  a.  u.  c.  verlegt.  Es  be- 
schränkte nicht  blos  die  Macht  der  Tribunen,  ja  es  vernichtete 
im  eigentlichen  Sinn  das  Wesen  der  Tribunicischen  Macht, 
die  nun  zu  einem  blofsen  Schatten  herabsank,  während  dage- 
gen die  Macht  des  Senats  ins  Unermefsliche  stieg.  Darauf 
verfolgt  der  Verf.  die  weiteren  Schicksale  desTribunats.  Wir 
wollen  nur  der  Hauptversuche  gedenken»  welche  einzelne  Tri- 
bunen gemacht,  die  Würde  und  das  Ansehen  dieser  Macht 
herzustellen,  bis  endlich  Pompejus  im  Jah*  der  Stadt  684» 
als  er  zum  Consulat  gelangt  war,  zwar  mit  heftiger  Wider« 
aetzlichkeit  des  Adels ,  aber  mit  Unterstützung  des  Cäsar  und 
Grassus,  unter  grofser  Zustimmung  der  Plebejer  und  derEqui- 
tes  die  Tribunicische  Würde  in  ihrer  alten  Macht  und  in  ih- 
rem früheren  Ansehen  wieder  herstellte,  nachdem  schon  seit 
längerer  Zeit  die  den  Senatoren  zurückgegebenen  Gerichte  das 
Volk  gegen  den  Senat  aufgereizt  hatten.  Unter  den  verschie- 
denen früher  gemachten,  aber  mißlungenen  Versuchen,  die 
Tribunicische  Gewalt  wiederherzustellen,  führen  wir  an  den 
noch  zu  Lebzeiten  des  Sulla,  nur  zwei  Jahr«  nach  Einführung 
jenes  Gesetzes  gemachten  Versuch  des  Coi  isu]  Lepidus ,  ferner 
den  eben  so  vergeblichen  des  Tribunen  Sücinius  678,  »o  wie 


V 


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De  tribunicia  potestate  icrips.  J.  Rabiao.  619 

ein  Jahr  später  679  hei  Gelegenheit  der  durch  Tbeuerung  de» 
Getreides  und  Mangel  an  Lebensmitteln  entstandenen  Unruhen 
gegen  den  Senat ,  wo  zwar  der  Consul  Cotta  den  Versuch 
machte,  den  Tribunen  einen  Theil ,  wo  nicht  der  verlorenen 
Macht9  so  doch  der  früheren  Würde  zurückzugeben,  aber 
grolsen  und  heftigen  Widerstand  fand.  Ehen  so  vergeblich 
waren  die  Bemühungen  des  Tribunen  Quinctius  im  nächstfol- 
genden Jahre;  er  ward  durch  die  Drohungen  des  Consul  Lu- 
cullus  zurückgeschreckt,  und  gleiche»  Schicksal  hatten  die  Be- 
mühungen des  Tribunen  Licinius  Macer  68t  beim  Ausbruch 
des  Mithridatiscben  Krieges,  so  wie  die  heftigen  Angriffe  des 
Lollius  Palicanus  682,  die  nur  durch  das  Versprechen  des  Pom« 
pejus,  bei  seiner  Rückkehr  nach  Rom  die  Gemütber  zufrieden 
zu  stellen  ,  von  weiteren  Folgen  abgewendet  werden  konnten 
—  ein  Versprechen ,  welches  dann  auch  wirklich  684  Pompe* 
,  jus  erfüllte. 

Schwieriger  ist  die  Untersuchung  über  das  Recht  der 
Tribunen  während  jener  Periode  zufolge  des  von  Sulla  gege- 
heuen  Gesetzes,  da  das  letztere  nicht  mehr  auf  uns  gekommen 
ist,  indem  die  Werke  des  Sallustius  wiedesLivius  (Buch  89.)» 
worin  wahrscheinlich  ausführlicher  davon  gehandelt  wu  rdef 
untergegangen  sind.     Aus  den  einzelnen  Nachrichten  und  Au« 
deutungen,  die  sich  erhalten  haben,   sucht  der  Verf.  die  Be- 
standteile des  Gesetzes  auszumitteln  und  sonach  das  Wesen 
desselben  zu  bestimmen,   über  welches  sich  allgemeine  An- 
deutungen der  Alten  vorfinden,  wie  z.  B.  des  Vedlejus  Pater« 
culus:   »Sulla  imaginem  sine  re  reliquerat"  —  eine  Behauptung  * 
die  im  Wesentlichen  durch  die  Untersuchungen  des  Verf.  be- 
stätiget wird.    Zuvörderst  das  den  Tribunen  zustehende  jus 
cum  populo  ogendi9  welches  ihnen  durch  Sulla  entrissen  ward« 
Ferner  2)  das  jus  intercedendu    Es  wurde  beschränkt  auf  die 
Entscheidungen  der  Magistrat«  in  gerichtlichen  Sachen  ,  also 
auf  ein  blofses  Appellationsrecht  reducirt ,  während  die  Inter- 
cession  gegen  Staatsbescblüsse  und  Gesetze  gänzlich  aufhörte. 
3)  "Das  jus  concionum,  wobei  sich  freilich  ein  dreifaches  Recht 
unterscheiden  läist,  zuvörderst  das  allen  Magistraten,  insbe- 
sondere aber  den  Tribunen  zustehende  Recht,  das  Volk  durch 
den  Präco  zu  einer  Versammlung  berufen  zu  lassen,  und  an 
dasselbe  einen  Vortrag  zu  halten  über  den  Gegenstand  oder 
das  wichtige  Ereignifs,  welches  die  JZusaramenherufung  einer 
solchen  Versammlung  veranlafst  (jus  concionem  habendi).  Die- 
ses Vorrecht  nahm  ihnen  Sulla  allerdings,  aber  der  Consul 
Cotta |  der  das  Gefährliche  der  dadurch  veranlafsten  unordent- 
lichen Zusammenkünfte  und  Aufläufe  einsah,  verschaffte  den 


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620 


De  tribunicia  potestate  scrips.  J.  Rubino, 


Tribunen  wieder  das  Recht ,  von  der  Rostra  herab  Vorträge 
und  Reden  an  das  ordentlicher  Weise  versammelte  Volk  zu 
halten.  Das  weitere  Recht  —  jus  concionem  dandi  —  stand  den- 
selben Magistraten  zu ,  die  das  erstere  Vorrecht  batton,  und 
bestand  in  der  B  fugnils,  einem  Privaten  zu  verstatten,  vor 
dem  Volke  zu  reden.  Auch  dieses  Recht  haben  die  Tribunen 
mit  dem  ersteren  verloren  und  wieder  erhalten.  Das  dritte 
den  Tribunen  allein  zustehende  Recht  —  jus  in  concionem  produ» 
cendi,  wornach  sie  jedweden  Magistrat  oder  Privaten  vor  ihre 
Schranken  rufen  konnten ,  um  vor  dem  versammelten  Volke 
Rede  zu  stehen  |  ein  nicht  sowohl  in  der  Macht  der  Tribunen, 
als  vielmehr  in  der  Majestät  des  Volkes  begründetes  Recht, 
acheint  nicht  einmal  während  jener  Periode  in  Abnahme  ge- 
kommen zu  seyn.  4)  Das  Recht  der  Tribunen  in  Bezug  auf 
den  Senat  —  senatorium  tribunorum  jus.  Es  hatten  es  die  Tribu- 
nen durch  wiederholte  Anstrengungen  dahin  gebracht ,  dafs 
auf  ihre  Aufforderung  der  Consul  den  Senat  zusammenberufen 
mufste,  ja  dafs  sie  selber  im  Senat  sich  erklären  durften,  und 
ihre  Sitze  neben  denen  der  Consuln  und  Prätoren  standen. 
In  wie  weit  nun  Sulla  die  Tribunen  im  Besitz  dieser  Rechte 
gelassen  oder  sie  ihnen  entrissen  9  darüber  schweigen  die  Al- 
ten gänzlich |  kaum  aber  ist  es  glaublich ,  dafs  Sulla,  nachdem 
er  die  übrigen  Rechte  des  Tribunats  so  sehr  geschmälert , 
diese  Rechte  ihnen  belassen  haben  sollte.  Wenn  aber  Andere , 
besonders  Lipsius  Electt.  II,  i3,  behaupten  wollen,  dafs 
durch  das  Sullanische  Gesetz  auch  die  fernere  Wahl  der  Tri- 
bunen aus  den  Senatoren  sey  bestimmt  worden ,  so  mufs  nach 
den  Erörterungen  unsers  Verfassers  diese  Annahme  als  unbe- 
gründet und  unstatthaft  erscheinen  und  den  Absichten  des  Sulla 
geradezu  widersprechend. 

Wir  schliefsen  unsere  Anzeige  mit  dem  Wunsche ,  dafs 
der  Verf,  seine  interessanten  Forschungen  fortsetzen  möge. 
Wir  werden  auf  diese  Weise  zu  einer  sicheren ,  gründlichen 
Kenntnifs  des  Römischen  Tribunats  gelangen,  und  dann  nur 
im  Stande  seyn,  in  das  ganze  Wesen  und  den  inneren  Gang 
der  Römischen  Staatsverwaltung  tiefere  Blicke  zu  werfen. 


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Volcker  üW  die  Bedeutung  ? ou         und  «ßwAov  im  Homer.  621 

Ucber  die  Bedeutung  von  ¥üx>/  und  EifouAov  in  der  Rias  nnd  Odyssee , 
als  Beitrag  zu  der  Homer'ubhen  Psychologie,  von  Dr.  Carl 
Heinrich  Wilhelm  V dicker.'  Einladungsschrift  etc.  etc. 
Gie/sen ,  in  Comm.  bei  G.  F.  Heyer.  1825.  24  S.  4.        18  kr, 

■  • 

Einige  (allerdings  wesentliche)  Theile  Homerischer  Psy- 
chologie näher  zu  bestimmen,  und  die  bisherigen  keineswegs 
befriedigenden  Angaben  darüber  zu  berichtigen  oder  zu  er- 
gänzen, giebt  der  Verf.  bescheiden  als  Zweck  dieser  Blätter 
an.  Er  hat  dazu  eine  neue  Auseinandersetzung  des  Begriffs 
und  der  Bedeutung  der  Wörter  ^u/»/  und  sl'Bwkov  in  den  Home- 
rischen Gedichten  gewählt,  und  damit  einen  höchst  schätzba- 
ren  Beitrag  zur  Homerischen  Psychologie  geliefert,  die  über- 
haupt, selbst  ganz  im  Allgemeinen  von  Seiten  der  Entwicke- 
lungsstufen  menschlicher  Erkenntnifs  betrachtet,  von  unge- 
meiner Wichtigkeit  ist.  Eine  Menge  Stellen  des  Homer  werden 
nun  erst  in  ihrem  wahren  Sinn  aufgefafst  und  gewürdigt  wer- 
den können.  Dabei  hat  der  Vf.  seinen  Gegenstand  mit  einer, 
leider  in  unsern  Tagen  immer  seltner  werdenden  Klarheit  und 
Gründlichkeit  behandelt,  welche  uns  wünschen  läfst,  von 
dem  Verf.  in  der  Folge  noch  mit  ahnlichen  Gaben  beschenkt 
zu  werden. 

Es  geht  der  Verf.  hier  vo#  dem  allerdings  richtigen  Satze 
aus,  dafs^u^'bei  Homer  nur  den  Ätbem  und  das  JL  eben, 
nie  aber,   wie  der  Sprachgebrauch  späterer  Zeit  solches  be- 
stimmte, Seele  oder  Geist,  bedeutet,  dafs  ferner  ,)$<>;,  otJj- 
So;,  Kfa3i»j  Sitze  von  Leibeskräften   im  Körper  bezeichnen, 
woran  das  Geistige  sich  anknüpft,  die  aber  eben  deswegen 
nicht  in  den  Hades  wandern  können,  indem  das  Körperliche, 
sichtbar- Materielle  auf  Erden  zurückbleibt.     Da  nun  Su/x0's, 
vcJs,  fjulvo;  nicht  örtlich  sind,  und  im  Tode  den  Leichnam  ver- 
lassen ,  jedoch  ohne  in  den  Hades  zu  gehen ,  also  ihr  Seyn  mit 
dem  des  Körpers  aufhört,  so  ergiebt  sich  das  Resultat,  „dafs 
nicht  die  Seele  oder  der  Geist  es  sind,  die  nach 
dem  Glauben  des  Homerischen   Zeitalters  nacti 
dem  Tode  fortdauern«  (S.  5.).    Es  ist  merkwürdig,  dafs 
bei  Homer  nirgends  der  Geist  als  etwas  Selbstständiges,  Ab- 
•tractes  ,  dem  Körper  Entgegengesetztes  oder  von  ihm  Unab- 
hä  ngiges  vorkommt,  dafs  im  Gegentheil  der  Gebrauch  geisti- 
ger Kräfte  gänzlich  vom  Körper  abhängt,  und  selbst  der  Glaube 
an  eine  Fortdauer  der  S«ele  an  rein  sinnliche  Wahrnehmungen 
noch  geknüpft  ist.     Denn  eben  diese  fy»^  in  ihrer  ursprüng- 
lichen Bedeutung  als  Athen*  und  somit  als  Lebensprincip  er- 
icheint der  sinnlichen  Anschauung  als  Ursache  alles  Lebens 


V 


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622    V31cker  über  die  Bedeutung  von  ty^y  und  «JfceAov  im  Homer. 

und  alles  Sterbens;  entweicht  der  Atbem,  so  bleiben  die  an- 
dern Theile  des  Körpers  tu  rück ,  der  Athem  selber  aber»  wel- 
cher entwichen  ist,  kann  nirgends  anderswobin  entweichen  als 
in  den  Hades,  und  da  er  Grund  des  Lebens  ist,  wird  er  auch 
dort  fortdauern  und  fortleben.  Dieses  Fortleben  der  Psyche 
wird  bezeichnet  mit  dem  Worte  %\'bmXw$  welches  mit  \^ux>/  völ- 
lig gleichbedeutend,  oder  vielmehr  die  Erklärung  des  letztern 
ist.  Auch  Carus  in  seiner  Geschichte  der  Psychologie  S.  104. 
hatte  bereits  diese  Verbindung  bemerkt.  Ausgehend,  wie 
unser  Verf. ,  vom  Grundbegriffe  des  Wortes  ^x>t  «1*  Atbem, 
woraus  die  zweite  Bedeutung  von  Leben,  lebendiger, 
reger  Kraft  hervorgeht,  jedoch  so,  dafs  dieses  Leben  schon 
als  ein  inneres ,  am  Körper  durch  dessen  gelenksame  Beweglich« 
keit  sichtbares  erscheint,  nimmt  er  als  die  nächste  dritte  Be- 
deutung, wo  dieses  Innere  noch  mehr  vom  Körper  sich  isolirt, 
«in  Art  von  Analogon  des  Lebens,  ein  einst  lebender  Mensch, 
ein  Abbild  eines  lebendigen  Individuums,  ein  durch  de.i  Tod 
den  Sinnen  entnommenes  Traumbild  des  Verstorbenen  ,  ein  ab- 
geschiedenes  Dunstbild.  Darin,  sagt  Carus,  sah  man  ein  Ath- 
mendes  und  Lebendiges  zugleich,  und  verband  es  daher  mit 
dem  Neutrum  sfötuAov,  einem  oeweglichen  Schattenwesen  ;  der 
Athem  bildet  eben  dieses  sftcuAov,  diese  Traumgestalt  der  Tod- 
ten,  die  sich  zwar  sehen,  aber  nicht  greifen  läist.  Dafs  hierin 
schon  der  erste  verfeinerte  Substanzbegriff,  oder  wenigstens 
ein  Uebergang  dazu  erkennbar  ist,  wird  sich  nicht  läugnen  las- 
sen. Doch  wir  kehren  zu  unserm  Verf.  zurück  ,  der  nun  die 
Beschaffenheit  jenes  Fortlebens  der  \|/u^  als  «föuAov  aus  den  drei 
Grundbedeutungen  der  Wurzel  dieses  Wortes  «!3cu,  si&of*at  ab- 
leitet, nämlich  1)  das  Erscheinen,  2)  das  Scheinen,  3)  das 
Gleichen  oder  Aehnlichseyn.  Es  ist  hiernach  die  y^vjtf  Erschei- 
nung, wie  sie  z.  B.  aus  dem  Hades  heraufschwebt,  oder  im 
Traume  sich  zeigt,  aber  es  ist  dies  kein  wirkliches  Bild  ,  son- 
dern nur  ein  Schein-  und  Trugbild,  o bschon  dem  Original  in 
Allem  vollkommen  gleich  und  ähnlich*  Luftiger  Art  und  Natur 
ist  ihr  Wesen  ,  sie  verdampfet  daher  gleich  Hauch  und  erhält 
manche  Epitheta,  welche  auf  dies  luftige  Seyn  dieses  Wesens 
sich  bezieben.  Ref.  erinnert  hiebei  an  ähnliche  philosophische 
Ansichten  späterer  Zeit,  auf  den  Volksglauben  —  denn  so  er- 
scheint der  Homerische  —  gegründet;  vgl.  Plat.  Phaed.  p.  70 
A.  80  D.  und  Wyttenbachs  Erörterung  zu  Plutarch  de  S.  N.  V. 
p.  80.  und  zu  Plato's  Fhäd.  p.  1?4*  Es  haben  daher  auch  diese 
Wesen  keine  Besinnung,  kein  Bewufstseyn,  bevor  sie  Blut 
getrunken,  indem  an  letzteres,  als  Hauptbedingung  des  Lebens 
ntt  dem  Athem,  der  Begriff  und  die  Möglichkeit  die- 


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Döderlein  de  voeabulo  r*j\vyt>ro;>  623 

•er  geistigen  Fähigkeiten  ,  so  wie  aller  geistigen  Tätigkeit 
^gefcriüpft  ist.  Daher  auch  die  Theile  des  Körper«,  worin 
Athem  und  Blut  ihren  Sitz  haben ,  <rr^Bo;%  vjvoo  und  ^alifjt  als 
Sitze  der  geistigen  Thätigkeit  gedacht  werden  ,  wohin  auch 
ganz  richtig  der  Ausdruck  $p  ftac  bezogen  wird.  Uebrigens  Iflfst 
es  sich  auch  aus  dem  oben  bemerkten  BegriiFe  des  Wortes  rf- 
Swkcv  erklären,  warum  die  Todten  ganz  die  äufsere  Form  und 
Gestalt  des  wirklichen  Menschen  in  den  Aides  mitnehmen. 
Denn  das  iftwAov  im  Aides  ist  immer  Abbild  des  wahren  Men- 
schen ,  so  wie  er  zur  Zeit  seines  Sterbens  war;  selbst  die 
Seelenzustände  sind  mit  ihm  in  den  Aides  übergegangen.  Als 
Grund  dieser  Ansicht  erkennen  auch  wir  mit  dem  Ver£  die 
sinnliche  Vorstellung,  die  eine  Fortsetzung  des  Lebens  nicht 
anders  denken  kann,  als  eine  Fortsetzung  aller  gegenwärtigen 
.Zustände",  und  ein  Leben  ohne  Raum  nicht  zu  fassen  vermag, 
also  auch  die  Unterwelt  nur  als  ein  Abbild  der  oberen  Erde 
betrachten  kann.  Zum  Scblufs  erklärt  der  Verf.  noch  die 
Homerische  Stelle  Odyss.  XI,  600.  vom  Herakles,  dessen  «i&u- 
Xov  —  sein  blofses  Scheinbild  —  in  der  Unterwelt  ist,  wie 
das  aller  andern  Todten,  während  er  selber,  aurif  —  der 
wahre,  leibhaftige  Herakles  oben  im  OJympos  unter  den  Göt- 
tern wohnt. 

Ref.  benutzt  diese  Gelegenheit,  um  die  Leser  auf  eine 
andere  Schrift  aufmerksam  zu  machen ,  deren  Inhalt  sich  gleich« 
falls  auf  Homer  bezieht: 

.  .  . 

Actus  solemnes  in  Gymnasio  \regio  Erlangensi  D.  VII  Septemb. 
MDCCCXXV.  rite  habendos  indicit  L.  Döderlein,  antt.  litt. 
P.  P.  O.  et  Gymnasii  rector.  Inest  Commentatio  de  vocabulo 
"njAitysTOS.     Erlangae,  typis  Jungeanis.     16  S.  in  gr.  4. 

Der  Verf.  führt  zuerst  die  acht  Stellen  auf,  in  welchen  das 
Wort  TqXvysTos  in  verschiedenem  Sinne  bei  Homer  vorkommt, 
läfst  dann  die  Erklärungen  der  alten  Grammatiker  folgen, 
und  dann,  da  sie  ungenügend  erscheinen ,  seine  eigene 
Erklärungsart  gegründet  auf  eine  andere  Ableitung  dieses 
Wortes.  Die  alten  Grammatiker  nämlich  leiten  das  Wort 
ab  von  r>jXs  und  yat»  i.  e.  yiyvQjxai ,  und  geben  ihm  die 
Bedeutung:  fern  vom  Vater  oder  vom  Vaterlande 
geboren.  Da  dies  aber  auf  die  Homerischen  Stellen  nicht 
pafste,  so  bezogen  sie  das  Wort  nicht  auf  den  Ort,  sondern 
auf  die  Zeit,  also  indem  Sinn  von  o^i'yovo;»  Da  aber  auch 
dies  nicht  auf  alle  Stellen  pafste,  so  ging  man  weiter,  und 
nahm  das  Wort  ganz  allgemein:  senis  patrisjilii  quandocunque  pro* 


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Inhalt  des  dritten  Heftes. 


Seite 


1)  Schultlptyf',  neue  Jüdische  Briefe  oder  Darstellun- 
gen aus  dem  Leben  Jesu.    Von  Paulus  

2)  TredgöLTs,  Th.,  Grundsätze  der  Dampfheilung,  a. 
d.  Engl,  übers,  von  O.  B.  Kühn.     Von  Muncke.  . 

3)  Sammlung  Griechischer  und  Römischer  Autoren  bei 
Teubner  in  Leipzig    .     .    •     •  :  *    *  * 

4)  Stein,   K* ,    Chronologische!  Handbuch  der  neuesten 
Geschichte  .     .   ä**J  •  *7  *     *  *     *     "  * 

5)  Geschichte  der  Beichtväter  von  Kaisem ,  Königen  nnd 
:,  {  andern  Fürsten.   Au*  dem  Französ.  des  Bischofs  Gre- 

goire.    Von  Paulus  •    •     •  • 

6)  Gemeiner,    C.  TA.,   der  Regensburgischen  Chronik 
dritter  und  vierter  Band 

7)  Hüllmann,  K.  D.,  Städtewesen  des  Mittelalters  . 

8)  Hassel ,  G.9  Genealogisch  historisch  statistischer  Al- 
manach.     Dritter  Jahrg.  für  1826  • 

9)  Tölken ,  £.  H.  ,  Erklärung  der  Bildwerke  am  Tempel 
des  Jupiter  Ammon  zu  Siwah.    Von  Rinckt  •  . 

JO)  Ellendt,  F.,  M.  Tullii  Ciceronii  de  Claris  Oratori- 
bus Hb  er ,  cjui  dicitur  Brutus      .    •    •  • 

Ii)  Degen,  J.  F.,  M.  T.  Ciceronis  de  offieüs  libri  tres. 

J2)  Schweighäuser,  J.  G. ,  Erklärung  des  neuaufgenom- 
menen topographischen  Plans  der  die  Umgebungen  det 
Odilienbergs  cinschliefsenden  Heidenmauer     .    •  . 

13)  Stier,  R.,  christliche  Gedichte«    Von  Paulus    .  . 

14)  Reinwald,  J.  G*,  Kultur  und  Barbarei,  oder  An- 
deutungen aus  und  zu  der  Geschichte  der  Menschheit 

15)  Barnemann,  J.  G. ,  Gelehrten- Almanaoh ,  oder  Ga- 
lerie der  vorzüglichsten  Gelehrten  älterer  und  neuerer 
Zeit.    Von  Paulus.  .,.«••.••• 


209 
212 
225 
242 


■— ■  it  i 


—24 


246- 


251 
254 


—25 


264 
267 

276 
283 

287 
297 


—2 


—2 


-3 


305— 


Intelligenzblatt  No.  HL 


der  Jahrgang  1821  mit  6 fi.  30kr.  rhein.  oder  3rtb.  l8ggr.  sächt» 
die  Jahrgänge  1822  bis  1Ö25,  jeder  eu  7  fl.  12  kr.  rbein.  oder 

4  Ith.  6  ggr.  tächt. 
daf  ErgSnisungsheft  zu  l  fl.  30  kr.  rhein.  oder  22  ggr.  «ficht. 

Auf  einzelne  Hefte  kann  jedoch  dieie  Ermttisigung  nicht 
autgedehnt  w«i'det^mw^l|  i^w^r'- 


Lehrbuch 
Schul-  und  Selbstunterricht 

|UATrnfcssor  xap  Ljceiiai  xn  Ra*tatt.V  '-^£^«8HB 
ZvwSrhcilc.    48  eingedruckte  Bogen  in  8.    Mit  16  grofsen  Ta- 
^  4     •  \  fein  Abbildungen  in  einem  bf  sondern  Hefte^^f^^j« 
fc  -SF^*^  '^den^r.,  3,  Thlr,  £  gGr.  sä'ehs.   5.  ij.  a4  kr.  rhein. 

BBKr  Von  der  frühesten  Kindheit  an  empfangen  wir  die  bedciitendsten  und 
«ugleich  die  angenehmsten  Eindrücke  aus  den  Erscheinungen  der  Natur. 
Auf  dem  Anne  der  Mutter  reicht  das  aufkeimende  Kind  nach  Blumen, 
nach  deu  Hausthierent  äufsert  leine  Freude  über  vorbeigehende  Pferde, 
Hunde  etc.,  und,  weiter  herangewachsen ,  können  besonders  dem  Knaben 
Messen  und  andere  Ausstellungen  nichts  Interessanteres  bieten,  als  die  Buden 
mit  fremden  Thieren  und  Vögeln  ,  oder  die  Kasten  mit  Meermuschcln  und 
Mineralien.  Keine  Erzählung  fesselt  die  Kleinen  mehr,  als,  wo  die  Perso- 
nen aus  dem  Thierreich  gewählt  sind ,  und  ihre  Abbildungen  werden  sicher 
iu  Bilderbüchern  am  ersten  aufgesucht  und  am  längsten  besehatt^^^V^^^ 

BKaMPiibest  reit  bar  seigt  also  dieser  Trieb  ,  dafs  im  Sehofse  der  Natur  die 
erste  und  wichtigst*  Quelle  für  die  Ausbildung  des  Menschen  liegt,  und  dafs 
ihre  Keuntnifs  und  Erforschung  der  unerschöpflichste  Gegenstand  seines  Stre- 
ben» bleibt.  Je  mehr  er  mit  derselben  sich  vertraut  gemacht ,  um  so  sicherer 
ergreift  und  erlangt  er  auch  die  Erfordernisse  des  Lebens,  um  soreiner  be- 
wahrt er  seine  Gefühle,  um  so  weniger  weicht  er  von  seiner  bürgerlichen 
und  sittlichen  Bestimmung  ab.  Warum  sollte  es  also  nicht  eine  dringende 
Augelegen  heitseyn,  bei  der  Erziehung  der  Jugend  und  bei  der  eigenen  Aus- 
bildung zunächst  sich  di.-  besten  Mittel  anzueignen,  welche  zur  richtigen  und 
gründlichen  Kenntnifs  der  Natur,  ihrer  Elemente  und  verschiedenen  Erschei- 

,iuingen  führen  können,  und  wie  wichtig  ist  es,  ßei  deu  grofsen  Fortschritten 

l3er  Naturwissenschaften  das  Neueste  zu  wählen  ,  was  bewährte  Männer  uns 
Helen.    Der  Herr  Verfasser  dieses  Buches  hat  sich  als  soleher  schon  vollstän- 
ig  beurkundet  durch  seine  Leh  rb  ü  ch  e  r  der  Na  turl  ehre  und  der  Ge- 
•  rbskunde,  welche  von  der  Kritik  und  in  der  Anwendung  bei  LemV* 
i,   Erziehungsanstalten  die  ungetheilteste  Anerkennung  gefunden  haben, 
und  wir  glauben  daher  um  so  zuversichtlicher  zu  leiner  vorzugsweisen  An- 

^^afFung  ermuntern  zu  dürfen ,  da  bei  seiner  bedeutenden  Ausdehnung  mit 

.dem  sparsamsten  Druck,  bei  den  meisterhaft  gezeichneten  und  ausgeführten 
Abbildungen  auch  der  wohlfeile  Preis  eine  seiner  vorzüglicheren  Eigenschaf- 
ten ist^?=*Tt^M^er  crsl*  Theil    von  25  Bogen  und  die   Abbildungen  sind 

bereits  fertig ;  und  der  zweite  Theil  wird  nach  seiner  baldigen  Vollen« 
duu£  ohne  wettere  Vergütung  nach  gel  iefffjjjjk*^^ 

August  Osswald's  Buchhandlung  in  Heidelberg  und  Speyer. 


Inhalt  des  fünften  Heftes. 


jj  Gagern  ,  H.  C  Freih,  v,  »  Nationalgcichichte  der  Dent- 

leben.    Zweiter  Theil.     ,    •   >    .    .    .     .    .  .417 


— 


2)  Cramer,  A.  G.9   in  D.  JudÜ  Juvenalis  SatiraJ  Com* 
tnentarü  vetusti     .   43 

3)  Lünemann »  Q.  H.f  Bibliothcca  Romaoa  Clanioa.     .  44 

4)  RosenmUlter »  E.  F.  C. ,  Analecta  arabica- 


5)  Handbuch  der  biblischen  Altertbtunsknnde  /  £ 

6)  ■—  —  Erechielis  ei  Jeremiae  Vaticinia 


* 


0«  44* 


7)  —  — -  Biblisch  ■»  exegetisches  Repertorjum     .  « 

8)  —  —  Commeotationes  theologicae  , 


9)  Böhmer  ,  Bemerkungen  über  die  Bjpsi3Uricr,  Von 

Ullmann*    .     .     .     .     .     .     .     ~    .     .     .     .    ;  46t 


10)  Zelly  C.f  Ferieoschriften         .    ,    •    .    #  .v 

 '■  r  ' — ■ — •>>  >-k.^l-''r?>,  i   • — ■  ~  ■  • 

11)  —       Legum  XII  tabularum  Fragmenta    ♦    .  . 


463— 


12)  Struve  t  F.  G,  W*  y  Beschreibung  des  auf  d.  Sternwarte 

tu  Dorpat  befindl.  grofsen  Refractors.    Von  Muncke,  465 

1 3)  Rudhart  |  J.  |  über  den  Zustand  des  Königreichs  Baiera.  - 
Von  K.  H.  Hau.  .   474 

14)  pankowszkfi  O. ,  Fragmente  zur  Geschichte  der  Völ- 

ker  ungariieher  und  slawischer  Zunge  433 

15)  Sickler,  F»  C.  JL.  t  politisch  -  historischer  Schulatlas 

der  alten  Geographie  .    «  «»»499 

16)  Schönievtner  9  M>,  Jahrbucher  der  Landwirtbtehaft 

io  Baiecq  51Q« 


InteUigensblatt  Ho,  V. 


t  Jahrgang  1821  mit  6  fl.  30 kr.  rhein.  oder  3  rtb.  l6  ggr.  aächs. 
fcjahr£aiipe  1Ö22  bii  1825,  jeder  zu  7  fl.  12  kr.  rbein.  oder 
D  4  rth.  6  ggr.  süchs. 

Ii  Ergänzungsheft ^^P*ä^^rheil,•  odeI  22  ößr-  sUchs' 
f  •  Auf  einzelne  Helte  kafi|faoch.'^^  nicht 
fl£«debnt  werden. 


Pliamiaceuten,  Acrzte  und  Droguisten. 


Die  zweite  Auflage  von 
bctr  ef  feutL 

I  Kaum  isLein  Jahr  abgelaufen,  seit  die  erste  Auflage  dieses  unvergleich- 
*n  Handbuches  ins  Publicum  gekommen;  noch  hat  der  fleifsige  und  ge- 
isenhafle  Herr  Verfasser  nicht  die  Zeit  finden  können,  den  im.  Ent. 
rfe  fertigen  zweiten  Theil  völlig  zu  vollenden,  und  schon  sind  die 
emplare  des  ersten  Theila  ganzlich  vergriffen,  und  eine  neue^ Auflage 
,zend  nöthig,  um  die  vielseitigen  Anfragen  zu  befriedigen.  Ware  nicht 
allen  Seiten  Anerkennung  und  Empfehlung  dem  Werke,  sozusagen, 
irauseeeanzen,  so  würde  dieser  beispiellos  rasche  Erfolg  schon  die  trii- 
jg,te  Empfehlung  seyn,  und  er  bestätigt  auf  jeden  Fall  am  gründlichsten 
Ue  die  günstigen  Voraussetzungen. 

Um  dieselben  nun  auch  von  unserer  Seite  zu  fdrdern  und  die  resp.  In- 
press*nten  möglichst  zu  erleichtern,  wurde  für  die  bereits  begon- 
tene  neue  Auflag  des  ersten  Theils  saramt  dem  damit 
;le  ichlaufenden  zweiten  Theil  eine  Pränumeration  bis 
u  Pfingsten  1826  dergestalt  eröffnet,  dafs  wer  bis  zu  diesem  Ter- 
aiu  ZwölfGulden  rhein.  oder  6  Thlr.  48  egT.  säclis.  für  das  Exexn- 
llar  bezahlt  hat ,  dafür  die  beiden  Theile  nach  der  Vollendung  ohne  wei- 
ere  Zurechnung  erhSU. "  üeberdies  wurde  für  die  Sammler  auf  l2  Exem- 
•lare  Ein  Freiexemplar,  auf  6  Exemplare  die  Hälfte  des  Prei- 
'«  s  auf  3  Exemplare  der  vierte  Tlreil  desselben  als  Vergütung  aus- 
setzt. —  Der  nach  diesem  Termine  eintjjjpp  n  de  La  d  en  prei  s 
rird  wenigstens  auf  16  bis  18.  fl.  rheinisch  oder  9  bis  10  Thaler  sach- 
iscli  kommen,  ffij  Stfw^*'- 
Heidelberg  im  Junius  1324&4 

August  O 9s wal d' s 
Universitäts-Buch  handlang. 


Inhalt  des  sechsten  Heftes. 


1)  WeUker,  F.  d..  Aber  eine Kretitehe Kolonie  in TLei  ^. 
ben,  die  Göttin  Europa  und  Kidmos  den  König  .    .  513 

2)  Schulart,  J.II.Ch.,  de Hjperboreia  Comment.  inaug.  54p — & 

3)  Gaupp,  E.Th.j    da»  alte  Magdebürgische  und  Halli« 

ache  Recht.     Von  JVlitiermaier   545— 5 

4)  Verxeichnifs  einer  philologischen  Handbibliothek   »     .  55t—  51 


6)  HeyJf  L.  F.  f  etymologische  Versuche  für  Altcrthams» 


Wissenschaft  und  Sprachkundc 


•     •     •  « 


6)  Luden,  H.»  Geschichte  des  teotschen  Volkes  .    .    .  564— .5^ 

7)  Schulze,  F.  G«,  über  die  Wirtschaft«*  oder  Came- 
ra! Wissenschaften.    Von  JE.  //.  Hau     ,     ,     .     .     .  578  ,51 

8)  Härter  ,  J. ,  der  rhcinländische  Weinbau    ....  58l — 5t 

9)  VcrTniglioliy  G.B*9  Saggio  di  Congetture-  mlla  grau  Je 
Iscriiione  Etrusca  ...........  534  5j 

10)  Ausonicli ,  TA.  y  Opuscules  Arehöographiques  .    .    .  589 — 59 

11)  Xenophons  Nachrichten  über  Socrates  Leben  und  Tha* 
ten,  übersetzt  von  J.  C.  J47>  Froböso  .     .  597 

12)  üu//mo«rt,  G.  C.  fV.  ,  Wiesbaden  u.  seine  Heilquellen  600—/ 

13)  Hofio,  //.  G. ,  Don  Ramiro  ,  Tjauersp.  in  3  Aufzogen  607—1 

14)  Schmidt  Th.,  des  Q,  Horath»  Flaocus  erste  Epistel  .  612—61 

15)  Soldan  ,  A.  F.,  de  origine»   causit  et  primo  trihu» 
norum  plebis  numero     •     •    #    •    .    *    *    .  « 

 ~  !  i  UiU' 


16)  Bt<oi/»o>  J0  Comm.  inaug.  de  Tribnnicia  potestaie  , 

17)  V dicker,  C .  H.        t  über  die  Bedeutung  von  fo^ty  und 

iISmAoT  in  der  Ilias  und  Odjrtsec    .    .    .     .     t  621- 

Intelligeniblatt  No.  VI. 


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