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Full text of "Paul de Lagarde; Erinnerungen aus seinem Leben für die freunde Zusammengestellt"

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Paul de 
Lagarde 




Anna de Lagarde 




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Paul de Lagarde 

ErinneruiigeD aus seinem Leben 

für die Freiinde zusammengestellt 



▼on 



Anna de Lagarde 



Als Handschrift gedruckt 



Güttillgen 1894 
Brack der Uniy.-Biiclidraekerei von WFrRaestner. 



UNIVERSITY 
LIBRARY 

JAN 21 1944 





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Sehr bald nach meines ManneB Tode lat mir von yenchie- 
denen Sdten lier der Wuiacli aiugesproehen mwl apHteiliiii idel- 
fSush dringend iHederliolt worden, dmreli mich noch Ifitthdiungcn 
aus seinem Leben, ztiniichst ans der letzten Leidens- und Sterbens- 
zeit zu erhalten. Da Niemand im Kreise der Freunde, Scliüler 
und Anhänger die leiseste Ahnung von einer Erkrankung gehabt 
hatte, mußte die plötzliche Todesnachricht um so besttirzender 
wirken: Alle yerlangten danach, Näheres zu erfahren. Die in 
diesem Verlangen sich kund gebende Liebe und Theilnahmc ist 
mir rtthrend und tröstlich gewesen, und ich habe recht oft nicht 
nnr den Wunsch, sondern auch das Gefifhl einer lieben Vefpflich- 
tang empfunden, jenem Verlangen nadi Eriiten nachzukommen. 

Aber die Kräfte! die wollten sich nidit finden. An sich 
sebon schwach genug flir eine solche Aufgabe, kam noch über- 
reichlich viel dazu, sie weiter zu schwächen. Auch erkannte ich, 
fast möchte ich sagen von Tag zu Tage deutlicher, welche Schwie- 
rigkeiten fiir mich zu überwinden sein Avürden: und so ist — im 
Schwanken zwischen Wünschen und Wollen und bangem Verzagen 
— die Zeit unaufhaltsam hingegangen, und ist nun bald das 
zwdte Jahr seit dem schmerzvollen Dezember 1891 abgelaufen, 
ehe ich meine Arbeit zu beginnen wage. 

Daft ich k^ litteiarisches Kunstweik liefern kann, wdft ich 
▼on Yom herein, und etwaigen Tadel daraber darf ich nicht 
scheuen: ich bin keine Schriftstellerin: und die Freunde, für die 
m^e Mittheilungen bestimmt sind, weiden um des Inhalts willen 
an der Form Nachsicht üben. 

Dagegen fällt für meine ursprünglich ganz imselbststandige 
und sehr zaghafte Natur schwer ins Grewicht, daß ich bei der 

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AxuswM clflfl Hltsaiheilflfifleii lediglich auf micii sellMt angewiesen 

bleiben muß. So gern ich vermeiden möchte , irgend Jemanden 
— er sei mir bekannt oder fremd — irgendwie unangenehm zu 
berühren , so liegt mir doch die Besorgnis nahe , daß dies völlig 
zu erreichen kaum möglich sein werde. Die aus unvermeidlichen 
Austölien erwachsenden Unannehmlichkeiten sollen nur mich allein 
treffen: daher mnft ich aof die Erleichteraqg veniehten, Freunde 
und Sachverständige za Bathe m siehen. 

Idi habe lange, und hart, gekämpft, ob ieb reden oder 
schweigen solle: viele anf imd ab wogende Ueberlegungen haben 
mich, neben der feststehenden ErkenntniB mdner Lu^eschicktheit, 
gequält: doch hin ich schließlich zu der Ueberzeugung gelangt, 
daß ich zum Schweigen nicht das Recht habe. 

Ich will reden „Niemandem zu Liebe und Niemandem zu 
Leide", nur der Wahrheit die Ehre zu geben. Gott schenke mir 
Kraft nnd Einaidtt, nnd lasse mich die rechten Worte finden. 

2. November 1893. 




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Nacbrnfe sind mir in folgenden Blätteni zugekommen: 
Kieler Zeitung II Nr. 14GG9 (30. 12. 1801). IJ. 

I Nr. 1527? (22. 12. 1892). B. 
Deutsches Wochenblatt, Berlin, IV Nr. 53 (31. 12. 91). PaulCauer. 
Deutsche R^ichspost, Nr. 302 u. 303 1891, Nr. 2 u. 3 1892. E. N. 
Kölnische Volkszeitung, XXXII Nr. 356 (739). (29. 12. 1891). 
Tägliche Bimdedbaa, Uoteriialtimgsbeilage, Berlin. Nr. 804 (29. 

12. 91), Nr. 8 (10. 1. 92)» Nr. 12 (15. 1. 92). 
Voeeisdie Zeitniig, SoimtagsbeÜage. Nr. 5 (81. 1. 92), Nr. 6 

(7. 2. 92). Gustav Boetlie. 
Nener evaagetischer Gem^debote, Berlin Xym Nr. 1 (2. 1. 1892). 
Deutsch-soziale Blätter = Antisemiti-scho Correapondenz, VII Nr. 

177 (3.1.1892), Nr. 179 (17. 1.92), Nr. 195 (8. 5.92). 
The ludependent and Noncoutormist, Vol. III Nr. 68 (8. 1. 92). 

Ä. Duff. 

Akademische Blätter, Berlin. VI Nr. 20 (16. 1. 92). Dr. Rud. Hdnae. 
Der Knnstwart. V, Stück 8 (Januar II 1892). S.S. 
Fkotestantieehe Eiidienaeitimg, Nr. 6 (10. 2. 92). G. SUgfided. 
Beilage Nr. 89 der AUgemdnen Zeitung Nr. 47. Mfinchea (16. 

2. 92). Paul Henml. 
The Andover Beview, Februar 1892. George F. Sltoore. 
Deateehe Blitter fdr Erziehung und Unteniehti XIX Nr. 6. 1892. 

Dr. E. von Sallwürk. 
Hlustrirte Zeitung (J. J. Weber), Leipzig-Berlin. Band 98. Nr. 2543. 

(26.3.92). Lic. Dr. Friedrich Kirchner. 
Bayxeuther Blätter. Heft 6, 1892. Ludwig Schemann. Adolf 

Wahrmund. 

Deatsche Schriften filr nationales Leben (Engen Wolff). II Heft 4. 
1892. 

1* 



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Deatsche Worte (Engelbert Pemerstoirer). Wien, XII Heft 12 
(Deaember) 1892. Dr. L. Techen. 

Die Göttinger Zeitung Tom 31. Jannar 1892 (XXIX, 8800) 
brachte eine knrze zustiirnnende Bespreebting der von ETemi Pro- 
fessor von Wilamowitz-Möllendorft' am 8urge gelialtcnen Rede, das- 
sclV)e Blatt vom 2. Februar (8802) eine längere in entgegeiij^-e- 
setztem Sinne, mit einer erbitterten Venu theiUmg des Todten selbst 
(beide aus der Magdeburger Zeitung abgedruckt). In der GUit- 
tinger Zeitung vom 4. Februar (8804) wurde in würdigem Tone, 
mit einem Hinweise anf QaA HiUebrand, in Küne der awdte 
Artikel surfickgewiesen : dnrcb wen, habe ich nicht in Erfehmng 
bringen können. 

In ungewöhnlich kraftvoller, mir änfterst wohlthnender Wdse 
trat noch Herr Hans Leuss (Hannoversche Post vom G. Februar, 
14 Nr. 31) als Vertheidiger des Ge.schmiihten auf, sich zugleich 
ausdrücklich als dessen Gegner in den kirchlichen Fragen be- 
kennend. 

Ohne auf Einzelnheiten einzugehn will ich zunächst hier den 
Veifiissem dieser Artikel wiederholen, was ich ihnen, wwtii tie 
mir erreichbar waren, seiner ZAt direkt, wenn anch nnr in KOise, 
ausgesprochen habe: die dem Verstorbenen gewidmete Anerkennung 
und liiebe hat mir wohl gethan und Trost gen^rt 

Daß die öffentliclien Blätter, die sofort bereitwillig ihre Spalten 
der Klage um den Todten öftneten, kein Wort für den Lebenden 
gehabt haben, durch das vielleicht er und seine Werke zu einer 
Wirkung gekommen sein würden, gab ein schmerzliches Nebenge- 
fühl: aber ich wußte und weiß, daß ich damit nur ein allbe- 
kanntes Geschick aus eigener Erfahrung kennen lemte. . 

Jn jenen Nachrufen sind so viele und durehsohnitüicfa genaue 
Angaben Aber Lagardes Lebensgang enthalten, daft ich mich fest 
scheue, nochmals mit Nachrichten hervonsntreten. Bides, so Pö- 
lich der Gedanke ist. Manchen vielleicht durch überflüssige Wie- 
derholungen zu langweilen, so wird er doch durch die gleichfalls 
berechtigte Erwägung bekämpft, daß möglicher Weise eben so 
Viele jene Blätter, also auch jene Nachrichten, gar nicht zu Ge- 
nchte bekommen haben. 

Auch will es mir als för mich selbst notkwendtg erecheinen, 



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dnrdh (Be Erwihnung bestfamiiter Daten und Thatsacben gemiaam- 
maßen den Faden zu schaffen, auf den ich meine Mittheilungen 
reihen kann. 

Die äußeren Verhältnisse jedes Menschen sind nur so weit 
von Bedeutung und Interesse, als sie die Entwickelung und Aus- 
Ipeataltung seines inneren Lehens heeinflussen oder gar hedingen. 
La^^arde hat sein ganzes Lehen hindurch unter der Fügung ge> 
litten, daß er kein glückliches Eltemhaoe gehabt hat, daft er der 
ersten Htimatli nicht, wie es der Natnr entqnieht, firah nnd dankbar, 
in den Stfinnen der Welt als eines Bnheponktes, gedenken konnte, 
▼ielniehr die fl wifttfi g e iiilwi iSyii^n^if^j jm jedesmal rasch zu yev* 
scheuchen sndien mnfite. Anfhngs habe ich wohl nach Diesem 
und Jenem gefragt : dann wehrte er in einer ganz eigenen Art^ 
und wie in körperlicliem Sclimerze, mit beiden Händen die wie 
greifbare Gestalten vor ihn tretenden Bilder der N'ergangenheit 
von sich ab, nur erwidernd : „ach, das war Alles so bodenlos trau- 
rig, daß du gar nicht im Stande sein würdest es zu fassen und 
za begreiüan.'^ Ich ftihlte, daß da eine vielleicht nie verheilende 
Wnnde war, die Niemand, aooh ich nicht, berühren sollte. Noch 
gar mandies Mal, in späteren Jahren noch bünfiger, habe ich 
diese GebKrde angstvollen Abwehrens pltttaÜdi beobachtet, wann 
wir schweigend bei einander saßen. Bd Tage kehrte er mdst 
rasch aufspringend zur Aibdt smrfiek, Abends dnrfte ich ihm 
wohl still die Hand auf den Kopf legen , oder es glückte mir, 
seine Gedanken sogleich auf irgend etwas ihn Interessierendes zu 
lenken. 

Von der zur Zeit unserer Verheirathung in Berlin lebenden 
Schwester seiner Stiefmutter, der <^«r»<tl« seit lange verwitweten 
Professorin Wigand — einer ebenso wannhendgen und wohlwol- 
lenden wie IjJarbliekenden nnd eneiig^sdi empfindenden Fran, an 
der mein Kann mit BebeToUer Verehmng hieng, nnd an die ich 
ndch in gleiofaer Weise sehr bald anschloB, eibielt ich noch Mit^ 
tbdlnngen, aus denen ich nür ein im Groden nnd Gänsen wohl 
zu^ffendes Bild habe ausmalen können, nnd das dunkel genng 

Es erscheint mir unzulässig, auf eine mehrfach wiederholte 
Mofi# J^9hiau|^tui)g Weites %u. bauen : daher enUchUei&e ic^ mich, 



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wenn auch mit äußerstem Widerstreben, dazu, endlich, auch mit 
Anführung cinip^cr weniger Beispiele | einen wenigstens ctwa8 tie- 
feren Einblick in jenes £ltemhau8 zu geben. Es geschieht wahr- 
lich nicht um anzoklagen — ich kann nur den Vater in gkichem 
Maße bedaaem wie den Sohn: der Sohn hat scUieftlich in allem 
Kampfe und Sdunene dn beneidenswerth reiches Leben gelebt, 
der Vater dn unsagbar annee — : es gesehiehti um Lagardea Kla- 
gen SU begrflnden und sn rechtfertigen. 

Der Oberlehrer am Friedrich- Wikheltns-Gymnafflum zu Berlin 
Professor Dr. "Wilhelm E«'>tticher verlor am 11. November 1827, 
zwölf Tage nach der Geburt .»^cine.s Sohnes Paul Anton, seine noch 
nicht voll neunzehnjährij2;e Frau , Luise geb. Klebe. Er verfiel 
einem tiefen und leidenschaftlichen Schmerze und hat vielleicht 
das unschuldige Kind zunächst eher gehaßt als geliebt. Die Pfl^^ 
des Kleinen überließ er zwei älteren Tanten: einer Schwester von 
Pauls Großvater, Eräuldn Eleonore Klebe, und einer Schwester 
seiner Großmutter, Fr&uldn Emeetine de Lagaide, seiner naeh- 
maUgen Adoptivmutter. Beide haben den Pfl^lii^; in soigsamst^ 
Obhut gehalten, Ins er in andere Hände fibergieng: der Knabe wie 
der Mann hat ihnen treue Baakbaikdt gewidmet. 

Im Jahre 1831 verheirathete sich der Witwer Bötticher mit 
Pauline Seegert, der Tochter eines damals angesehenen Arztes in 
Berlin, dem Lagarde in den 1867 für seinen Bruder Haus zu- 
sammengestellten „Nachrichten über einige Familien des Namens 
Bötticher", Seite 57, einen kurzen Nachruf gewidmet hat. Da 
jene Familien-Nachrichten zwar an Bibliotheken verschenkt, aber 
nie in den Buchhandel gegeben worden sind, will ich den Schluft- 
satz dieses Kadnufes hier einschalten. 

Der Schrdber- dieser Blätter hat dieser anima Candida um 
so mehr ein Denkmal sa setsen rieh gedrungen geftihlt, als 
er es der ihrem Vater in vielem so ähnlichen zweiten Toditer 
Seegerts nicht setzen kann: aus deren an Begebenheiten ar- 
mem , an Leiden und innerem schmerzlichen Wachsen und 
Entsagen reichem Leben sich das Wesentliche nicht erzählen 
läßt. Ich denke mit Rühnuig des Greisen, der schweigsam 
und freundlich, aber selten heiter, auch mir Freude bereitet, 
wo er gekonnt: wie ich das Bild seiner Tochter Paidine mit 



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inmgstem Danke in mir trage » die mir soigsame Muttar ge- 
wesen, und deren milde Beinheit, die Schlechtes ger nie Dir 
mOglidi hielt, in Auren letiten Leben^ahien, naehdem ein 
schwerer Druck von ihr genommen war, wieder in ihrer gan- 
xen Liiebenawtlidigkflit hervwtrat. 

Diese Worte bewriacn, daß die Stiefmutter eine gute, treu 
sorgende Mutter gewesen ist. Indessen hat sie , wie ich glauben 
muß, das reich begabte, lebhafte, allen Dingen auf den Grund 
gehn wollende, von Natnr sorglos kecke aber einersdits verschüch- 
terte, andererseits — von den beiden alten Tanten — vielleicht 
aneh veraogene Kind kaom so xedit verstanden: dann gehörte ihr 
Hera nachher wohl überwiegend den eigenen Kindern, nnd sehBeB- 
lieh vnterlag ne ohne Zweifel seihat dem sieh «her das Haas la- 
gernden Dmcke nnd lebte bald nnr ndt gelidunter Kraft. 

Seine Wiederverheirathnng zeigt, daß Wilhelm Bötticher sich 
aufgerafft und dem Tvcben wieder zugewendet hatte — an Pflicht- 
treue im Benife wird er es sicherlich nie haben fehlen laat^en — : 
aber überwunden war der erlittene Stoft nicht Wie weit ein zeitig 
auftretendes, allmählich anwachsendes schweres Leberleiden auf 
Geist und Gemflth eingewirkt haben mag, wird nicht genau su 
berechnen aein. 

Ursprünglich war er nicht nur eine grundtHditige, aufe Ewige 
gerichtete, sondern auch eine frische, allem SdiOnen und Edlen 

zugängliche Natm*. Mit Staunen hat sich mein Mann von meiner 
seligen Mutter aus seines Vaters mit der Ihrigen zusammen fal- 
lenden Jugendzeit erzählen lassen : wie dieser als jun<?er Lehrer 
am Pädagoginm in Halle mit Begeisteraug Musik getrieben, Goethe 
und Shakespeare gelesen hat Das waren so iSremde Vorstellungen fUr 
den Sohn, daft er sich in sie gar nicht an finden vermochte, denn 
aU deri^chen war, so weit er surttckdenken konnte, ans dem vftter- 
Heben Hause verbannt gewesen. Der Sohn bat vom Vater neben 
der UnbesteeUidikeit des Charakters den Sinn ftbr ReBg^on mit- 
bekommen, aber dieser bei Beiden die Grundlage fürs Leben bil- 
dende Sinn für Keligion hat sich bei Beiden in gerade entgegenge- 
setzter Weise ausgebildet: traurig krankhaft, Alles um sich herum 
verkümmenid bei dem Vater, kräftig gesund und Fracht tragend 
bei dem Sohne. 



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Jene stetig ninelimeiide ttogesaiide fieUgioeitit verdmikelte 
das Haas mehr und mehr: dem Hausherrn gieog nach und nach 
der Zusammenhang nüt dem praktischen Leben yttlUg Terloreo, 
vaaA auf die ganie Femflie legte sich ein Druck « der jede freie 
Bewegung hemmte, jede unbefimgen frohe Begung erstiekte. In 
solcher Atmosphäre gedeiht kein Mensch : Lagarde bezeichnet sich 
selbst als einen in ilir krumm gewachsenen Baum, an dem keine 
Freude zu haben sei. Wie oft habe ich gedacht , wie manchmal 
auch tröstend zu ihm gesagt: wenn doch an derartigen krumm 
gewachsenen Bäumen Dentschland nur recht viele hätte, dos wäre 
ein herrlicher Wald: knorrige Stämme wohl, aber festwursdnde^ 
dem Sturme Stand haltende, und schwächere Pflansen sttttaende: 
recht eine IVeude iBüe unseni Hengott. 

Von Lagardes Mutter wdB ich nur, daft sie eine auffidlend 
und lehrend schlfne Erscheinung, daft üe woU aufr Einste ge- 
lichtet, aber ihrer Jugend entsprechend lebensfroh gewesen ist 
Ifiemand ▼ermOehte su sagen, in welcher Wtise sie säch weiter 
entwickelt und etwa günstig auf das häusliche Leben eingewirkt 
haben würde. Nie hat der Vater von ihr mit dem Sohne ge- 
sprochen , obwohl schwerlich ihr Andenken in seinem Herzen er- 
loschen gewesen ist. Ein Vorwurf ist ihm aus diesem Schweigen 
kaum zu machen : aber Beide haben dadurch verbien: das Sprechen 
würde ein Bindemittel geworden sein. 

Den Verlust der Mutter hat Lagarde nie yerachment — 
O Mutter, selbst ein Kind als du gebarst, 
warum bliebst du nur als GkspieSn nicht? 
Ich konnte ja nicht wachsen, denn mit wem? 
so klagt er, in den Süandliedeni, noch im Jahre 1887. Es wtee 
anders gewesen, wenn er wenigstens den Vater wirklich gehabt 
hätte. In dieses Leben mit einem Liebebedürfnis eingetreten, wie 
es in so hohem Maße selten der Fall sein mag — geliebt zu 
werden : selbst lieben und verehren zu können , war , ich möchte 
sagen Lebensbedingung fiir ihn — , mußte gerade £r durch diese 
Verhältnisse wirklich an der Wurzel geknickt werden. 

In einem Briefe an meine Schwester (Sommer 1858 ans Lon- 
don) heiftt es: 

Die Welt ist abeeheolich kalt und henlos: ich Imneha eine 



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AtmoepUbre von liebe flir die Eiirt«« meiuBB Qeiales, wie 
idi meine Exieteos dem Ldbe naeh nicht ohne eine Atme- 

i^bäre von Luft haben kann. Ich (reue mich so auf Haus 
und Heimat, und möchte fast sagen auf den Kirchhof freue 
ich mich: dann wlircn die vielen haßliclien harten Züge aus 
meinem Bilde von Eurem Gedächtnisse hinweggewischt, und 
andl in Wirklichkeit in meiner Seele aupgelöscht. Ich lebte 
dann nnr noch als leieee Wort zwischen £aeh, nnd der harte 
Acoent mit dem ich gesparochen Inn wibre ftr ewig TerUnngen. 
Den bdden, im Februar 1881 nnd im Jnli 1833 geboienen, 
Halbhrfidem gegenüber machte sich, neben einer sehr verschiedenen 
Artong, der Altersunterschied geltend. Zu dem älteren der Beiden 
bat Lagarde nie ein Verhältnis frchabt, während zwischen dem 
jüngeren und ihm eine hrtiderliche Anhänglichkeit bestand , die 
sich in späteren Jaliren zu einer auch mich mit einschließenden 
warmen Freundschaft entwickelte. Dieser Bruder starb, an den 
Folgen einer bei Königgräta erhaltenen Verwundung, als Migor 
im InTalidenhanse su Berlin, am d. Angost 1885. 

Beiiend und nnermfidlieh, unendlich gUtcklich, hat der Knabe 
mit äner kleinen Halbschwester, Anna, gesj^dt, aber auch diese 
sirdich geliebte Gkspielin schnell — 1888, etwa drdjährig — 
wieder verloren. 

Die Festtage der Kindheits- und Schulzeit waren die der 
alljährlich mehrmals unternommenen Fahrten nach Blumberg, wo 
der jüngste Bruder des Yatere als Pfarrer mit seiner Familie lebte, 
und der selteneren, in den Ferien ab und zu stattfindenden Am- 
flilge nach Maxdorf bei Köthen, einer henoglichen Domlne, die 
ein anderer Bmder des Vaters viele Jahre hinduth in Pacht 
hstte. Die Fieihdt und Stille des Landlebens, die unbeschrliakte 
Oastfreondschaft im Pfivr- wie im Amtahaose, der Veikehr mit 
Vettern und Basen, das Alles war so wohlthuend und aufmunternd : 
auch die reichlich und liebevoll gebotenen Spargel, "Weintrauben 
und gebratenen jungen Hasen, wie alle sonstigen guten Gaben die- 
ser Art waren nicht zu verachten. So standen Blumberg und 
Maxdorf noch dem alten Manne in dankbarster Erinneroqg, als 
die Lichtpunkte sttner Kindheit 

In der Sdmle war Paul Alten Toraii; Jedennami erwartete, 




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— 10 — 



schon damals, Großes von ihm, und es hat sich wohl hier und da 
eSxk gewisser "Vaterstolz in Wilhelm Bötticher geregt. Doch hat 
er^ ohne Zweifel in bester Absicht, ängstlich jedes Wort der An- 
erkemmng, der Aufinnnternqg Termieden: so auch später. iSn 
solches würde diesem Sohne nidit geschadet haben, Tiehnehr Ton 
gutem Einflüsse gewesen sein. 

Während wie nach der Studienzeit mnBte Lagarde rieh mehr 
Einschränkungen unterwerfen, als die Verhältnisse verlangt hätten, 
weil dem Vater eben der Blick ftlr die äußeren Anforderungen des 
Lebens abhanden gokonunoii wur. Die beiden Großtanten, die 
Pfloj^orinuen seiner orstoii TjelxMisjahrp, unterstützten und 1 icsclieukten 
ihn, ebenso wird liier und da die Stiefmutter geholfen liaben, die 
persönlich Vermögen besaß: doch blieb nicht nur die äußerste 
Sparsamkeit geboten, sondern es war auch Gelderwerb nöthig, den 
et sich durch Lesen von Goixekturen verschaffte. Nothweodige 
Bfich» schrieb er sich, um sie nicht kau^ sn mflssen, ab; um 
Papier zu sparen auf so en^en Limen und mit so winzigen Buch- 
staben, daß es mich schmerzte, die Blätter nur anzusehen, zumal 
bd dem Gtedanken, daß dies Alles mit den armen Augen hatte 
geschehen müssen , deren Schwäche z. B. den Militärdienst aus- 
schloß. 

Unterstützungen und Stipendien , die als Anerkennung und 
zur Aufnuniterung seines Fleißes dem Jünglinge zufielen, nahm 
ohne Weiteres der Vater an sich, um sie diesem oder jenem from- 
men Hause oder Mensdien zuzuwenden. Zweifellos geschah auch 
dies in guter Absicht: er diente Gott in seiner Weise, in der 
Uebeizeugung, so auch seinen Kindern am ridiersten zu dienen. 

Nach Ablauf der Studienzeit wurde — stillschweigend, als 
etwas dn&ch Selbstverständlidies — erwartet, daB der unfertige, 
gänzfich weltfremde junge Mensch auf eigenen Füßen stehe. Er 
empfieng ein mäßiges Taschengeld, und behielt den täglichen lüt- 
tagstisch im elterlichen Hause : im Uebrigen fristete er sich durch, 
kümmerlich genug, aber ohne sich zu beklagen, und nicht ohne 
Humor. Die Kleidung wurde nach Kräften geschont , die unan- 
sehnlich werdenden Nahtstreifcu , sowie die abgegriffenen Seiten 
des Hutes wurden gelegentlich mit Tinte aufgefrischt. Die einzige 
Erholung war, möglichst täglich in einer Abendstande, während 



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— Il- 



des Yatera Abwesenheit vom Haine, auf dem Klaviere su sielen, 
das flieh, schon la den hSiislichen Andachten, dort erhalten hatte. 
Lagarde war in hohem Mafle mnsikafiflch begabt, and Hebte Musik 

über Alles (Bach, Händel, Gluck, Haydn, Moiart, Beethoven, 
Weber*): nur hat or es nie verschmerzt, nicht ein Streicliinstrumeiit 
gelernt zu haben. Sein unvergeßlicher größter Genuß waren die 
Berliner SjTuphonic-Konzerte gewesen , zu denen ilim seine 1'ante 
Lagarde den Zutritt ermöglicht haben wird. Für mich gab es 
nichts Ergreifenderes und sogleicli Beruhigenderes, als ihn phan- 
lasieren zn hören. Es war ein bitterer Kummer, als späterhin 
die Zeit hierfilr, sehr bald das Instmment selbst bei uns ftldte. 
Wie manchmal hat Lagarde sich und mich ilber diesen Verlast 
mit den Worten getHtstet: „Warte nnr: im ffimniel werde ich 
Kapelhndster und spiele den ganaen Tag." 

Die materiellen Ndthe nnd Entbehmngen während seiner Ju- 
gendjahre hat Lagarde nicht an sich schwer getragen: sind sie 
doch liänti^' das Loos junger Leute, und bekommen sie docli mei- 
stens diesen best'er, als Andern der UebcrHuß und das Genießen 
bekommt. Er empfand sie, vollkommen allerdings ei*8t im Rück- 
blicke, nur als bedauerliche Hemmnisse für sein Liemen nnd Fort- 
arbeiten, und er wilrde sie überwunden haben, nachdem sie tiber- 
standen waren. 

Unfiberwindlich dagegen wurden in ihrer Tinrknqg die in- 
neren Gegensfttae, die, rieh mehr nnd mehr TersehJIribnd imd mn 
yemieidlich snr Sprache kommend, endlich hier nnd da m offnem 
Widenpmche führen mnftten. 

Der Vater war ein tüchtiger Kenner de« Griechischen und 
Lateinischen, ein angesehener Lehrer beider Sprachen in den oberen 
Gymnasialklassen: aber er war nicht zu bewegen, wo es sich um 
Feststellung einer falschen TJebersetzuiig bei TiUther, oder sonst 
um einen Streitpunkt über biblische Bücher handelte, die Ver- 
gleichung mit dem griechischen Texte auch nur zu versuclien. 
Das begriff der Sohn nicht: zu einer soldien Beschränktheit des 
Blidcee hatte in sdnen Angen der Vater mit seinem Wissen nnd 

♦) Hier in Güttingen haben junge Freunde sich lebhaft bemüht, 
ihn für Wagner zu erwärmen: doch fehlte jede Gelegenheit, dessen 
Werke zu hüren. 



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Kimiieu kciu lit'cht: während umgekehrt der Vater im Sohne nur 
ein ungehörig^es Pochen auf sein Wilsen und Können, einen gänz- 
lichen Mangel an Ehrerbietung und Demuth sah. 

Jahre hindurcli ward an den Sonnta^benden oiTenes Haus 
gehalten. Der Vater sah mit Befriedigung auf die sich um ihn 
▼emwuiimeliwien frommen Seelen: wührend nicht nnr der Mlteete^ 
sondern sogar sehen der noch reeht jngendlldhe und harmloia 
jttngste Sohn sn bemerken glaubten, Vlden dieeer AndMehtigen 
Me die Seele im Magen, nnd an den — beMmüten und nidbe- 
wnftten — Heuchlern Aergemis nahmen. Der Vater durchschaute 
in seiner eigenen Reinheit solche Heuchelei und Liebedienerei 
nicht , sie mochte noch so augenfällig sein : jeder Hinweis auf 
dergleichen reizte ilm, und bewies ihm von Neuem den Hoclimuth 
des Sohnes, zu dem auch der Jüngste mit verführt werden sollte. 

Die schwerste Zeit kam mit der Bewegung von 1848. Als 
emstdenkender rechtschaffener Mann hielt Wilhehn Böttioher sich 
für veipfliehtet, ölEentlieh fUr sdne Ueberaeugung eingetreten und 
SU wirken. NatttiBch konnte er das nnr in seiner Weise ihun: 
kireUieh-^etistisdi, poUtiseh-konsenratiT, was Er konservativ nannte 
— was Viele neben ihm so nannten, und Viele nach ihm noeh 
Immer so nennen mögen. Dem Sohne, der gldch&lls streng reli- 
giöse nnd monarchische Gesinnmig bewahrte, ward in den Zeit- 
umständen der Blick geklärt und geschärft: er erkannte und an- 
erkannte Recht und Unrecht, richtige und FehlGriffe bei allen 
Parteien. Es bildete sich bei ihm in den damaligen Wirren die 
unumstößliche Einsicht aus, daß allein das echte reine Evangelium 
dem Vaterlande helfen könne, und sugleich der Begriff des Kon- 
servadvismufl, wie er ihn in einem ISoS gehaltenen Vortrage und, 
ausgeführter, 1884 in seinem „Fkogiamn für die konservative 
Partei PreuSens** dargelegt hat*). In einem Biiefo ans 1860 finde 
ieh einen Uerher gehörenden BOckbliek In folgenden SätMn: 
Der Wend^rankt mdner potitisehoi (und religiösen) Arieehau- 
ungen Ist die an Waldeck verübte Ungerechtigkeit gewesen. 
Der Verstand hat mich nicht geändert, aber er hat mir den 
sündigen Willen bei meinen damaligen Freunden gezeigt 

Deutsche Schriften, die Nummern 1 und 14. 



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13 



ttnd In wenigMi Tagen war ich mit Leidenschaft ein anderer 
Xensch. 

Genaue Angaben über die ThKtigkeit de» Vaters kann ich 
iiiclit machen , denn eingeliende Fragen wagte ich nicht , da 
vor diesen Erinnerungen mein Mann geradezu ein Grauen em- 
püänd, und selbstständigen Nachforschungen würde ich nicht ge« 
wachsen sein. Ich matt annehmen, daß der Vater in BerathungB- 
mid Wahlversammlnngen in mündlicher, in Zeitlingeartikeln in 
acbrifUicher Bede in einer Art itfiSantlieh aa%etieten ist, die, an 
Aek dem Sohne schon peinliefa genng, diesem dadnrefa geradem 
anr Qnal werden mnftte, daA er rieh seihst hier und da hinein- 
gezogen fimd: als Zenge an^esteUt ftlr irgend eine Anachammg, 
oder etwa für eine Uebersetzung nnd Anslegung aus irgend einer 
fremden Sprache: der Zwanzigjährige, thatsächlich Unfertige, der 
aucli vom Vater sonst vollauf als Unfertiger angesehen und be- 
liandelt ward! 

Wie reizbar ist die Jugend, wie empiindlich gegen Spott: 
wie leidet sie unter diesem, oft ^el mehr als unter scharfem Ta- 
dell Lagarde fühlte sich als Gespött aller Welt, er hätte rieh in 
den änßeisten Winkel einer Wtiste verkriechen mDgen, wann ihm 
diese Zeitnngsartikel vor Augen kamen: aber es war nicibt m0g^ 
Hdi an errriehen, dall er selbst wenigstens aas dem Spiele ge- 
lassen wurde. Die Worte „Hein Sohn Paur' (sagt mir, oder er- 
klärt dies) hatten sich förmlich in seine Seele eingebrannt Viel- 
leicht in einer, der Jugend nahe liegenden und recht entschuld- 
baren Uftbertreibung : ich bin, wie gesagt, nicht im Stande, die 
Einzelnlieiten aufzuzählen. 

Aber wer vermfichte rieh nicht deutlich zu vergegenwärtigen, 
wie die Kluft immer wdter und tiefer werden mnfite, wie schlieft- 
lieh hei dem gMaaBchen Mangel an gegensritigem Verstündnisse 
gar keine Vereinigung mehr mOgiidi sein konnte? 

^Am 6. April 1850, fan 58. Lehensjahre, schloft Wilhelm Büt- 
tidier nach langem, schwerem Lriden die Augen: der Sohn stand 
am Sterbebette, mit dem grausamen Schmerze, über diesen Tod 
nicht trauern zu können. — 

Bei der Jugend darf man ein Verständnis für das Alter nicht 
<eiWaiUak Uns Aken ist das ^ die Jagend abauveriangen, den 



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14 



wir irind selbst jung gewesen : wir kSmien, imd dämm sollen wir 
lernen, uns in ihre Anseliamingen nnd Empfindungen zurtteksn- 
TOTsetzen, wodurch wir dann auch lernen, ihnen, so weit es ge- 
stattet ist, llcclmimg zu trsig'cn. 

Lagarde hat sich unablässig gemüht, sich, unter Berücksich- 
tigung auch des Körperleidens, das "Wesen des Vaters zurecht zu 
legen: das konnte aber nur aihnählich, bei reifender liObenserfah- 
nmg, gelingen. Und während dies wohl gelang, gelang es nicht 
sugleicli, die Tliatsaebe des EinflniMWW jenes Wesens — sowoU 
anf die eigene Entwiekelnng, wie b.B. aneh, in gana anderer Art, 
auf die der jUngeren BrUder — ansBolSschen , mid wenigstens 
naehtrÜgUdi ein, so gebotenes wie enebntes, Gefiilil Ton Kindes- 
liebe zu gewinnen. - Darfiber liat Lagarde ndt sieh gekimpft nnd 
gehadert bis an sein Ende. Wäre er, wie man so oft meint, harten 
und schroffen Sinnes gewesen, so würde er alle diese Erinnerungen 
mit samt der fehlenden Kindesliebe von sich abzuschütteln ver- 
mocht haben : daß er sie sein Leben lang hat an sich zeliren 
lassen, scheint mir ausreichend, die — ursprüngliche and dauernde 
— Weichheit seines Gemüthes zu beweisen. 

Im Frühjahr 1850 begann ein neuer Lebensabechnitt filr 
Lagarde. Die Stadt Berlin hatte ihm das, am 2. November 1849 
ftlr awei Jahre m Tesgebende, EvangeUsche Sidcular- Stipendium 
Ton jahilieh 300 Thalem yerliehen. IKeses Stipendium ennög- 
lichte ihm, nach Halle an gehn, am sieh an der TJniTeirität m 
habilitieren. Dort haben er und ich uns damals kennen gelernt. 
Mein Vater war, nachdem ein Fußleiden ihn genöthigt hatte, den 
Abschied aus dem Militärdienste zu nehmen, im Herbst 1849 mit 
seiner Familie nach Halle gezogen: nach der Heimath meiner 
Mutter, wo 1827 der gemeinsanie Hausstand gegründet worden 
war. Da meine Eltern und der Vater Bötticher als junge Leute 
sich gekannt hatten und auAerdem Beaiehungen durch beLderseitige 
Verwandte bestanden — dne Schwester mdnor Mutter war die 
Frau des erwithnten Blumbeiger Püarrherm — , so besuchte der 
junge G'dehrte uns, und es ergab sieh dann bald ein ungeawun.- 
gener Verkehr in unserem zwar geistig angeregten, aber idehts 
weniger als gelehrten and sehr stillen, Hanse ftir ihn. Er war 
groA und mager, hielt sich etwas Yorgebeagt wie es Kurzsichtige 



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16 — 



l^cht thun, blassen bartlosen G^e«^cllts. Man merkte ihm die 
Spuren der eben überatandenen langen Leidenszeit im Vaterliause 
an, doch zoglelch auch die eines AututhineiLH nach Abwerfung; einer 
lange getragenen schweren Last. Er war unbeschreiblich an- 
spruchslos, überallhin im Uebermaße gefUllig, und dankbar tiir 
jede Fieundlichkeit üub war der Vetter sehr bald das „leben- 
dige L6zic(m**, da er eigenftHdi auf alle Fragen sogleich Antwort 
hatte, oder sie doch m beschaffen wußte, und sie stets an& Be- 
reitwilligate erdieate. Er arbeitete iieiBig, hatte Ziih(trer, m 
▼iel ieh mieh erinneie, einen regen fienndsduiUiehen Vetkehr mit 
seinen jungen Kollegen, der ihm nach dem bisherigen Einriedler- 
lebeu besonders wohl that. 

Was er sonst au Geselligkeit gehabt haben mag, weiß ich 
um so weniger, als wir selbst wegen KrUnklielikeit beider Eltern 
völlig zurückgezogen lebten: viel wird es nicht gewesen sein. Er 
tanzte nicht, kannte weder Karten- noch andere Gesellschafisspiele, 
besaft aneh die Gewandtheit und Leichtigkeit der Bewegong nichti 
wie man sie in gttt0eren, ftrmlieheren Kreisen verlangt: so wird 
er Im Garnen seitab gestanden haben. Nor kann ich mir sehr 
wohl denken» was auch mit meinen Erinnenmgen snsammenstimmt» 
nnd wie ich es später im Znsammenleben stets beobachtet habe: 
Alle, die im Stande gewesen sind, durch ein etwas ongeschicktes 
äußeres Auftreten hindurch den imieren Werth zu erkennen, wer- 
den ihn nicht nur gern gesehen , sondern lieb gewonnen haben. 
Er faßte leicht Zutrauen, wo ihm Jemand irgend freundlich ent- 
gegenkam : dazu machte sich die bis dahin zurückgedrängte große 
Lebendigkeit unwillkürlich gern Luft: die Weltklugheit, die erst 
abwägt wie weit m gehn, die Einsicht, daft nicht überall. ohne 
Weiteres das Hers anf der Zunge zu tragen sei, fehlte ihm gäna- 
Heh. Wo sollte sie herkommen? da er soeben erst ins Leben 
und in den Vedcehr nut Menschen eintrat So lieB er sieb leidit 
aUm offianhenig, anoh wohl m wenig die Foimen achtend, ans. 
Er beobachtete scharf, das heiBt ohne darauf auszugehn sah und 
hörte und wußte er Alles, was vorgieng. Danmter gab es selbst- 
verständlich allerhand, das — nicht ihn speziell, sondern junge 
Leute überhaupt -~ zum Spott und aur Lachlust reizte: deigleicben 



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— 16 — 

« 

▼entand er sebr vergnüglich sn entiilen und vomistetteB, ab« Ib 
durchaus nnvoletsender, hannloier Weise. 

Die Vorlesungen als Privatdocent muß er erst mit dem Win- 
tevsemester 1850/51 begonnen haben: denn in den Sommer, von 
Mitte Juli bis Mitte September, fällt eine Reise nach dem Rheine 
imd der Schweiz (mit seiner Großtaute Lagarde und auf deren 
Kosten), die mit einer Kurzeit in Kissingen abschloß. 

Diese Beise war gewissennaBen sein erster Blick in die Welt: 
mit offiBnem Ange und Hersen nahm er das viele Nene nnd GroBe, 
das sieh ihm in Natur nnd Kunst bot, in deh anf. EBer will ieh 
ans ganz flttchtig hingeworfenen eiligen Kiefen aas dieser Beise- 
seit nnd den folgenden Jahren einige Notiaen Anschalten*). Nor 
beadite man ja, da0 ieh ansgesprodiene TTrtheile — sei es über 
Ktinst oder sonst irgend etwas — durchaus nicht als solche hier 
anführe, sondern alle^s nur zum Beweise dafiir, wie schon damab 
in ihm jede Betrachtung und Empfindung auf die beiden Haupt- 
punkte hinauslief: Religion und Deutschland. 
Im Römersaale zu Frankfurt: 

Der letzte Kaiser Franz hängt in der letzten Nische des 
Saales. Sollen wir keinen Kaiser mehr haben? 
Beim AnbUeiL des GSlner Domee: 

Mein Gott, m^ GU>tt, weleh* ein Gebindel wie ein Urwald 
des Cäuistentums, und so gans nau nnd klar ans einem und 
demselben Geiste herrorgcsprossen — gaai deBselhe Stil, 
nieht Tersdhiedene Arbeit auch in versdiiedenem Gesefamadc 
ausgeführt, wie bei den meisten alten großen Kirchen. 0 
gäbe mir Gott ihn zu sehen, wann er fertig ist und Deutsch- 
lands Einheit dazu. 
(Doch stieß ihn ab, was er an katholischem Gottesdienste dort 
sah). 

Laß uns nur immer wahr sein, damit wir uns nie überrGdea 
etwas sehSm an €nden was uns im Hecaen hmgweilt, laß uns 
aber auch die Augen stets offen behalten, nnd das JBLeca be- 
reit, anauerkennen, wo in der Geschickte und im Eiaafillflbfln 
etwas ansoerkeimen ist Ieh ertappe mieh danmf die ktA»- 

*) Alle gesperrt gesetzten Worte sind im Originale unterstrichen« 



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— 17 



Babhe Kirche nur aas Fbnlheit geUebt m haben: es lal lo 
hefnem, die Wahiheit Mg TonofindeB imd Ab Mi In den 
Sehei sehfitten m laaaen: aUehi anehDer hat die Wahihelt 
der sie ancht — denn die Wahrheit ist aach nie fertig, ao 
wenig als wir — , denn, hat die Weltgeschichte dn Ziel, so 
ist nicht gleich an ihrem Anfau<re die volle Wahrheit, sonst 
wäre alle Bewegung ein Unsiiiu, weil sie uns nur von dem 
Vollkommenen ontternte — , ist also Gott mit seiner weltge- 
achichtlicheu Wahrheit nicht fertig, so kann es für den Mcn- 
schen nicht möglich sein, für sich allein die fertige vollstän- 
dige Wahrheit zu haben. Ist ja doch der Mensch eine lüeine 
Welt, mid moB alle Epochen der WehgeaeUehCe, Heidentnm 
Jndentnm und dirietentnm in aieh dorddelMD. Ewigkeit ist 
lang, und ToIIkonunener Baum in ihr, an lernen md an worden. 

Ana Bonn aoll ieh didi von einem nenen Freonde grUEen, 
Tom alten Emst Moritz Arndt. Denke ihn dir als einen 
großen knochigen Mann, dessen edeltrotzigera frischem Gesicht 
mit den nicht großen blitzend graublauen Augen man die 
achtzig Jahre nicht ansieht, \¥clchc es in die Welt schaut. 
Er gieng in Schuhen und blauem Fuhrmannskittel, das Hemd 
mit deutschem Bande zugenestelt. Wir wurden in den an- 
derthalb Stunden welche ich bei ihm war die allerbesten 
fVeonde, ich achien ihm aehr sniOBagen, und mir gieog daa 
ganae Heri aof , ihn ao jngendlidi hegeiatert nnd doeh ao 
greieeohaft besonnen und verrtindig reden m hOien. Du 
hitteat die Stimme hüven aoUen, ala er von nnaeim Klhug 
aagte: aflrnen kann er nicht, er grümt nnd Mrgert sich, aber 
zürnen kann er nicht. Hätte er nicht wegen Schleswig in 
eine Sitzung gemußt, so wäre ich den ganzen Abend bei ihm 
geblieben. Wir nannten uns nur lieber Doctor und lieber 
Professor, und er külMe mich zum Abschied. 

Mitunter geht mir der Aufruf nach Schleswig in die 
Reihen der dortigen £Lttmpfer durch die Seele — ieh nutae 
meiner Eurz8ichti|^t wegen im Felde wohl niehta. 

In Koblenz heanehte er Haz Ton Schenkendorfo Gfah. 

Freihmg im Breiigaa: 

Ich janchsle gleich ana meinem Eenatar dem Mtlnatartanne 

2 



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ent^en, der groA über die HäuMr hinüber schaute. Der 
Schwarzwald rings mn nns, mit seinem unaussprechlichen 
Duft, der mieh sciioii am Tage voAae auf der EisenbahnfiAlirt 
erquickt hatte. Die. Vogesen debt man auf der Fdirt oaeh 
SVeibmg eine gute Strecke weit, und die Sonne gieng hinter 
ihnen unter. Der Sehwanwald ist wundergrün, und 'Wiesen 
md rader sehr üppig: man baut schon ^IHanf, tttridsdMB 
Wdien und Tahack. Dem Münster hatte ich natürlich schon 
in frühster Frühe einen Besuch ahgefJtattet. Der Turm mit 
seiner durchbrochenen Arbeit wird gewis ein Meisterwerk 
sein, auf mich macht er aber nicht den Eindruck von Archi- 
tectur, sondem Eisengußwerk, tmd das sOkt mich. Das 
Schiff der Kfadie ist sehr lang, nnd achOn von AnBen: 
foühe Sandstein, der hier überall gebrochen nnd an den Ge- 
bunden Terwendet iHrd, macht sieh sehr gut (der Basder 
Münster ist Ton rosenrothem Sandstein). Ltwendig acht 
der Freibnrger Münster aus wie die mit ihm gidchalteitge 
Klosterkirche in Berlin oder wie St. Ulrich in Halle. 
Ans Basel: 

Der Münsterplatz ist wimderv oll einsam, ein Plateau am 
Bhein mit dunklen großen Linden dicht bepflanzt: aber 80 dn- 
aB^^ daft wirklich Giaa iwischen den Steinen des Pflasten wichst, 
ftr die Kinder der an ihm Wehnenden der reiaendste, die 
anmntigsten Erimkerongen nnd Poeden in der jnngen Seele 
weckende nnd mraeklassende Spielplats. IMeht dabei wohnt 
Fran Ryhiner *), auf deren Rheinterrasse wir Abendbrot aßen. 

Kurz vor Basel stehn wundervolle hohe Pappeln, die 
"Wiese, aus Hebels allemannischen Gedichten bekannt, geht 
über den Weg. Du kannst dir von dem frischen saftigen 
Grttn der Matten nnd Bfiume keine Vorstellung machen. Auch 
nach St. Jacob an der Bin fahr nns Fttn Byhiner, nm mi^ 
daa Schlachtfeld m leigen nach dem ich iF«ilaqgte. Sie hat 
ndflii eingeladen, wenn ich künftig nach Basel käme bei ihr 
an wohnen, in efaier reiaeoden Beettiong am Eherne. 

*) Frau Kyhiner Streckeisen, de Weties Schwägerin, eine Bade« 
bokaniitsehftft der Tante Lagarde. 



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— — 



Beten ist nichts Anderes als ein Atemschöpfen in gött- 
licher Luft, ein sich bewußt Werden daß die Atmosphäre der 
Menadieiueele der ewige heilige Geeist ist So maß der 
MoDBch gestärkt werden weDD er beteti denn er tiberlegt nnd 
föhlt ee dann, daB er mir ein Glied an einem gioBen Leibe 
ist, velehen Niemand ra schAdigen vermag midi welcher sein 
Btat dnreh alle leSne Tefle heflw&rtig flieften Ulseet Die 
Idee des Lebens und des Organismus (was dasselbe ist) ist 
eine imendlich tröstliche auch in betreff unsrer Fortdauer nach 
dem Tode. 

. Jeder thue das Seine au seinem Teile, so wird alles got 
werden — 

Wenn die Eoee selbst sich schmückt, 
Sehmflekt de anch den Gktrten. (Bttekert) 
In die sweite Hälfte des Angost 1851 fiel ein etwa sebn- 
titgiger AnfSenthalt in-Neoseft bd Bttekert 

Ich werde denn wohl spätestens Anfang September wieder 
in Halle sein: doch will ich durch das Schwarzathal zurück imd 
in Jena vorsprechen. Rückert erzahlt mir, daß meine Be- 
rufung nach Jena als ausgemachte Sache gegolten habe, und 
darüber will ich Klarheit haben. 

Mit meinem Wirte habe ich treffliche Unteriudtong nnd 
merke überall daft er mich des höchsten wert hSlt Ber 
Anfentiialt bat mir aneh in reÜgiSeer Beaiehuig innigst wohl 
gethan: es ist eine schOne Wärme des freiesten Glanbens in 
dem alten Manne. 

Arb^ten habe ich so wunderschöne vor, es läßt sich gar 
nicht sagen. Was ich vornehmen wiU, habe ich mit Rückert 
alles besprochen, was immerhin gut und lehrreich war. 
Die Berufung nach Jena war ausgeblieben. Dagegen erhielt 
Lagarde durch die Vermittelung Bunsens, des damaligen preußischen 
Gesandten in London, vom ESSmg Friedrich WOhelm dem Vierten 
ein Beisestipendinm von tausend Thalem. Er verlieft Halle Ende 
September 1852, besuehte die Philologen- nnd OrientalistenVer- 
aamnlnng In Gdtiingen — die dnzige, an der er in s^em Leben 
Theil genommm hat — , um die Fachj^enossen etwas kennen zu 
lernen und sich ihnen etwas bekannt zu machen, und begab sich 




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dann nach London, zur Arbeit im britischen Museum. Dort blieb 
er, mit einer Unterbrechung von etwa Mitte Januar bis Ende Fe- 
bruar fiir Arbeiten in Paris, ui^^hr ein Jahr. 

Ans Gtöttii^n schreibt er, am 1. October 18&L: 

DaftBemhardj mit mir fahr, wird dir Otto enXhlt haben: 
in Caaeel afien wir nuammen Abendbrot, wobei er aehr lie- 
benawfirdig und fremidlicli war, mid ftthren nm 10 Uhr (dwr 
hannoversch Münden nach Göttingen, legten nns um 4 TTIir 
(da das Büreau des Congresses versammelt war uns zu em- 
pfangen und Wohnimgen anzuweisen), noch einige Stunden 
ins Bett, und um 9 TJlir gieng der eigentliche Schwindel los. 
Bhiu wohnt in derselben Stube mit mir, wir schlafen auch 
in demselben Zimmer — bdm Buchhändler Sehlemmer am 
Weender Thote: hOchst elegant imd bequem: iwel Haaehen 
Wein und Confeet atehn ateta auf unaenn S^egdtiaehe. Unier 
Piilaident H. von Ewald, Einer der aieben Gdttinger — die 
alte Ganrete, in der er von hier floh, lebt nodi — , ist rin 
vergrößerter imd veredelter Hallescher Franz, voll salopper 
Ruhe, zugeknöpft bis oben hin, und der Meinung, daß sitt- 
lich und Ewaldianer sein dasselbe ist. Die Versammlung ist 
übrigens glänzend: da sind hier aus Berlin der Fürst der 
Philologen August Boeckh, die Archäologen Eduard Gerhardt 
nnd Eraat Oortiiia, der ftine Hegdfi^d TrendeLenboig, die 
mich aDe frenndlieh begrOAten: voii OrientaHaten H. Heiaeher 
aoa Ldpzig, Jnatna Olahanaen, einer der EiderVertiiebeiMn} 
der alte SchnlTath Grotefend ans Haimover, der vor nun ge> 
rade 50 Jaliren die ersten Schritte zur Entzifferung derKeSl- 
inschriften Persiens that, Hofrath Holtzmaun mit seinem fei- 
nen wohlwollenden Gesicht, mit dem ich sehr gut Freund 
geworden bin. Die Göttinger Profeaaoren sind sehr fleißig. 

Gleich den eiaten Nachmittag war ich bei Theodor Beu- 
fey mm Kaffee, den Abend bei Ewald, den fügenden Abend 
(gestern) wieder su Ben&y eingeladeii, nnd beute Abend bat 
mich Eraat Berihean, der Schwiegersohn dea Abt Lttcke, ge- 
beten. Ueberau werde ich mit großem Wohlwollen ange- 
nommen , und was mir das liebste ist, alle Kenner des per- 
sischen AUerthoms wollen von Spiegel nichts wissen. Benfey 




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21 — 



stellte sich mir gleich mit einem auf meine Entgegnung be- 
züglichen Scherze vor: wird tibrigens meine Arica und Wur- 
zelforschungen ausfuhrlich recensieren, die Bücher „des schwar* 
aen Husaren unter den jungen Orientalisten!" Zu Blau sagte 
er, seine Arbeiten sden so sefattn alt, d.h. ventHndig, das 
Gegenteil Yon denen des sehwanen kUbnen Hnsaven. 
• Gkstem Nachmittag war von der Stadt Güttingen ftr 
800 Thaler dne Spasier&hrt nach dem in Trttmmem lie- 
genden Stammschlosse der Familie Hardenberg Teranstahet 
Die Ruine ist bedeutend und man hat eine schöne Aussicht. 
Während der Hin- und Rückfahrt regnete es, so daß die ganze 
Gegend grau war: dort hatten wir Musik, die uns auch auf 
die Euine b^leitete und vor deren Tönen die Wolken flohen. 

Ich sehne mich übrigens heralich in London anzukom- 
men, nnd eingerichtet an sdn — in yerhliltnismftftige Bube. 
In dner Nachschrift ans EoUenB vom 5. Oktober beiSt es 
dami noch: 

Des Trebens in Qdttingen war icb in wemgen 

Stunden herzlich müde und blieb eigentlich nur um Briefe 
abzuwarten. Das war mir bei der Versammlung am wider- 
wärtigsten, daß mir der Gestank der Zunft überall ontgegcn- 
quoll: geistiges Proletariat, das im Schweiße seines Ange- 
sichts seine Artikel fertig macht wie sie verlangt werden, 
das von der Wissensehaft, die ja frei macht, und selig, nichts 
weift — Das war entschieden am stSrksten vertreten. .... 

Ewald habe ich noch niher kennen gelernt, er lad mich 
einmal all^ ein, wo ich swd Stmiden sehr Tertranlich mit 
ihm plaudern konnte und sah, daß er große Stücke auf mich 
hHlt, Meine Apostelgeschichte hat er auch in seinem neusten 
Jahrbuche, das er mir schenkte, flüchtig angezeigt, und zwar 
mit einem sehr ehrenvollen Ausdrucke £är mich. Aber ein 
gnmdwunderlicher Heiliger ist er doch. 
Die Ankunft in London wird am 6. Oktober erfolgt sein: 
Tcm 8. Oktober datierte der erste Brief von dort 

Der Anfenihalt im Auslände, der Verkehr mit vielen Men- 
sehen der verschiedensten Art und LebenssteUnng, das Anschanen 
groBer Verhlltniase in fbghmd (nm so grOfter e w di tf nend im 



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— M — 



Vergleiche zn den damals so engen des Vaterlandes), das Alles 
rnnlke fär emen geweckten jungen Qeist von hohem Interesse und 
hl maimieh&distor WeSse förderlich s^ Bas Qefilh], sich in der 
Fremde sn hefinden, yerlieB ihn freilich nie, trotKUm er anft dank- 
barste SB sehtttaen woAte, was er an Beweisen von FreondBchkeit 
und mensehlicher Thdlnahme von yerhJfltnismäßig vielen Seiten 
erfiihr. Es hat mich oft gewundert, daß der in gesellschaftlichen 
Fennen ungelenke, durchaus unmodische, für Phrasen absolut un- 
fähige junge Maim in vornehme Kreise nicht allein gezogen, son- 
dern in ihnen sogar mit großer Vertraulichkeit behandelt worden 
ist: ich kann daraus nur auf einen hohen geistigen Standpunkt 
jener Kreise der damaKircn Zeit schließen. Das yermuthlich ganz 
ungewohnt urwüchsige Wesen wird den Leuten snm Theil SpaA 
gemacht und so» hier und da- an genaueiem £ßnblicke yeranlaSt 
hahen: an nSheiem TT^rmSAhiyn aber hat unbedingt nur das Er- 
kennen der inneren Persönlichkeit fthren kSnnen. Es feUte ihm 
bald nie an Einladungen , sogar weit hin auf die Landsitze m 
längerem Aufenthalte, nur leider immer am Gelde, die gebotene 
Gastfreundschaft anzunehmen : abgesehen davon, daß der Arbeit die 
Zeit nicht entzogen werden diurfte. 

Zu meinem lebhaften Bedauern fiihle ich mich genöthigt, die 
wichtigsten der aus der Correspondenz dieses ersten Londoner und 
Pariser Au£mthaltes noch vorhandenen Notizen flir jetzt bei Seite 
SU lassen: gerade die, die ganz besonders getignet BsSnk wfirdeiiy 
die Erlebnisse jener Zeit, mit ihrer Einwirkong auf die Lebeoa- 
anschauuBgen, an beleuchten. Bie mGssen für später, für dne 
wiikBche Biographie, aufgehoben bleiben. Ich will mir nur Mit- 
iheilungen fest nebeniAehlicher Natur gestatten, und ich gebe diese 
nicht in einem Zusammeuhaiigc dem Inhalte nach, sondern einfach 
in ihrer Reihenfolge. Zugleich wiederhole ich den schon früher 
gemachten Vorbehalt: es handelt sich hier überall keineswegs um 
unbedingt dauernde Urthcilc Lagardes (denen man aus seinen 
Schriften etwa anders lautende entgegenstellen möchte). Es han- 
delt sich um meist eilig hingeworfene Wiedeigabe angenblicklicher 
ISndrttGke, um charakteristische Irebeqs- pnd Qefiihlsftuftemngen, 
die allen Denen von Interesse sdn werden, die ilberhai^ sa dar 
PenfinUehkelt Antheil nehmen wollen. Man wird, wie veh glaube, 



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— SS ~ 

immer denselben Menschen wieder finden: in dem damalB gaos 
im Anfange des Werdens Stehenden schon den aplter, Immir noefa 
werdenden, GlervrordeneD. 

IMe enten drei, in etira» g rt S g wm Umfioge mHrotiwÜepden 
Briefe iind aa die iltore meiner be&den Bdnresteni getklileli die^ 
anr «eiüge Ja]ire jünger als ieh, von Sindliiit anf aaf^eiek meine 
liebste Freondin wer, und die bald aaeh ihm gana irie eine «igm 
Schwester nahe stand: die anderen, mehr hmohstfickweise , ztmi 
Theil nur in einzebien SKIaen folgenden Auszüge sind den au 
mich selbst gerichteten Briefen entnommen. 

liOndon 29.10.52. Zu meiner innigsten Freude sehe ich, daß 
Du unser schriftliches Gespräch fortsetzen willst, und kann 
Dir gleich mit dem Geständnis entg^enkommen, daft ich 
dasselbe, was Da an meinen Gedanken über ein sweites Le- 
ben aasBQStoUen gefonden, bei weiterem Nachdenken Ifber die 
Sache andi gesehen, so daS nnsre Gedanken msammenge- 
tra£bn rind. Id& flberiigte mir nimlicli, dat die duisdidie 
Kirche, deren Gedanken immer wahr wenn auch oft TmUeidet 
sind, die Taufe eine Taufe in C9aisli Ted nennt, nadi dem 
Vorgange des Apostels Panlus. Und darin fend ich eben 
den Gedanken , daß schon auf dieser Erde die Keime des 
ewigen Lebens sich entwickeln sollen , so entwickeln sollen, 
daß beim Tode des Leibes die Knos2)e jenes göttlichen Le- 
bens vor dem warmen Sonnenstrahl der Ewigkeit aufspringen 
kann. Taufe ist Tod und Beginn des Lebens sogleich« 

Habe ich Dir einmal enählt, wie ich zu mdnem Namen 
Panl gekommen? Jonas lum nach dem Tode meiner Matter 
tim mioh in tanfen besondem ans der TTleiimiit nadk Berlin, 
nnd er schrieb damals gerade fiir Felix Mendelssohn den Text 
wo. dessen Oratorium Paolos: das war der Grand mdnes Na- 
mens: das apostolische CShristsnlnm ond die heilige Kmist 
haben so bei mir Gevatter gestanden, wenige Tage nach je- 
ner denkwürdigen Schlacht von Navarin, die dem neuen 
Griechenland seine Freiheit sicherte *). Das Alles sind Mah- 

*) Frther hatte er in seiner Arbdtsstnbe^ wlhrsed der Jahre Um 
in saiaem Hanse stets iber seinem Betu drd Büdsr haafM: die ven 
Xflfelgni gmmUen PeHfits Minar UrgvoAmitter Lagpide mA toHl 



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— 24 — 

nungen au mich jenen hohen Idealen nachzustreben 

Aber dem Glauben an ein persönliches Wiedersehen kann 
ich nicht entaagen , so schwankend ich auch lange Zeit ge- 
wesen bin. Nur versteht sich, daß wer sich im Geiste wie- 
dersehen soll, sich überhaupt erst im Geiste gesehen haben 
mxtSL Ohne Sehen kein Wiedenehen. Es ist jetzt allgemeiii 
ging und gttbe em TJogiraben an das PenOnliche (das docb 
das höchste irt), welchen ich mir nur danms eiUXran kann, 
daft die scharf und bedeutend anigeprfigten PenSnHehkeiteii 
In misrer Zdt so selten geworden sind. Die Pentolichkdt 
ist Etwas, das noch Uber das allgemdn GKitdiehe im Men- 
schen hinaus geht, also noch weit dauernder sein mnß, wenn 
ich so reden darf, als dieses Ewige, Göttliche selbst. Der 
Hauch des Höchsten in unsrer Brust ist eben so allen Men- 
schen gemeinsam wie der Körper Aller aus der gleichen 
Masse besteht. Ohne die Persönlichkeit wäre also gar kein 
Unterschied im Menschengeschlechte, und ohne Unterschied ist 
keine Liebe denkbar: iwd Angen desselben Leibes lieben 
sidi naßkt Ist also die liebe etwas schlediihin Qdttlichee 
nnd Ewiges — und wir wissen, daB sie es ist — , so mnft 
aneh ihre Bedingung, die PersSnHcfakdt, göttlich nnd ewig 
sein. Laß uns war das festhalten: Jeder Mensch ist ein be- 
sondrer Gedanke Gottes, nicht blos im Allgemeinen die Mensch- 
heit eine Idee Gottes — darin liegt Alles, der Glaube an 
Gottes Fürsorge für uns liienieden und der Glaube an ein 
ewiges persönliches Fortleben droben. Klage nicht, daß Du 
nicht erreichst was Du willst, weder mit Thaten Dein Ideal 
noch mit Worten den vollkommenen Ausdruck Deiner Seele 
nnd Deiner Gedanken. Es ist etwas Anonymes beim Men- 
sehen, wie Goethe sagt, ein gana nnaosspreohbaies Etwas, 
nnd das ist eben jene PersönBehkeit', die ITiemand — aneh 
der beste liebste Frennd nicht — zergliedern kann, wdl sie 
götdidi Ist Und Das wird eben die Frenndschaft nnd die 

Tochter, seiner Adoptirmutter : zwischen diesen beiden, in einer vor- 
zöglichen Lithographie, das des einen der griechischen Heerführer von 
1827, des Noti-Botzaris. Dieses Bild war die letzte Freude seiner für 
jenen Kampf begeisterten Matter in ihrem karsen £rdeaiebeu gewesen. 



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— 26 — 



Liebe Man: ebunal gUmbea aa daBDueni dnes Bdehen gStt- 
Eeliai Gastes im Geliebten, und dann ehren das Benehmen 
imd die fiStten dieses Fremdlings ans der andern Welt, der 

oft unsre Erdcnspracbe nur radebrecht. 

Lebe wohl für heute mid schreibe bald wieder Deinem 
treuen Bruder Paul. 
17. 12. 52. . . . Wer hätte vorige Weihnachten von uns gedacht, 
daß das Jahr, welches nun bald verflossen ist, so wichtige 

Vertfnderangen bringen wtbde? , mir die sehweie 

l^ramrang voii Euch. Doch hoffb ich ja, daft naeh dieser 
Tremimig die Buhe kommen wird. Die Zelt ist swar ui* 
glttekHeh genug, den IGttelpmikt aller Bnhe, Gott, yollatitodig 
verloren m haben, so daft ee auch dem Einielnen, der Ghtt 
sucht, schwer genug wird, in aller Unruhe der Welt den Frie- 
den von oben zu genießen. Aber wir haben ja die Wahr- 
heit schon , wenn wir sie nur erst suchen , und so werden 
wir auch den Frieden haben, wenn wir nach ihm ernstlich 
▼eriangen. Auch hier in England unter einem Volke, das 
man für das religiöseste der £rde hält, bricht sieh die Un- 
beftiedigtfidt immer breiteore Bahn: der beste Beir^ daltlr 
sind die neusten engliedien Dichter, namentlich Alfred Ten- 
nyeon. Man fthlt ee Überall durch, daft ihre Hoffidmig 
Phrase, und nm* die Yenwdflung und die Besignation Wahihdt 
ist. Wohin soll das am Ende führen? Ich denke zunächst 
dahin, wozu jeder Banquerout führt, zum Concurs. Von den 
Gläubigem der Menschheit wird jeder nehmen, was er eben 
bekommen kann : die Kirche beansprucht Glauben und Aber- 
glauben, der Staat unbedingte Unterwerfung und Veinichtimg 
jeder persönlichen Begong, die Wissenschaft Veraohtimg der 
Praxis gegen die Idee, die Pteie die Erenuägimg des 6^ 
danlrenw. Was danadi kommen wird weift nur Gott, vaaA 
ein demlühiges Stndiun Shnlidier Epochen in der Welt- 
geaddehte wird ee ahnen lassen. Das aber ist sicher, daft 
die Oesehichte nicht am Ende ist: wir haben die große 
Verzweiflung der alten heidnischen Welt gesehen, auf welche 
das Christentum folgte: wir wissen, mit welchen bitteren 
Schmerzen die Menschheit am Ende des Mittelalters zu ringen 



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— 26 — 



hatte: Gott sei es geklagt, daß damals nichts Besseres herans- 
kam, als die schäbige Reformation des sechszehnten Jahr- 
hunderts. Auf jeden Fall ist zu erwarten, daß wir vielen 
alten l^lunder bald auf immer los werden. Interessant ist es 
zu beobachten, wie alte Männer, z. B. Bunsen , deren Dasein 
mit der alten Zeit innigst verwachsen ist, doch, ohne es zu 
wissen, den Resultaten der neusten TRssenschaft stets ein 
Hinterpförtchen offen halten. Bansen vertheidigt die Edit- 
heit des Jehannes-Evangeliiinis (Aber die ich noeh kerne ent- 
schiedene Mdnmig habe*) gegen die Ttthinger Sebnle, aber 
die Wunder sind ihm zum giOAesten Teile iSstig, und da> 
mm hat er rieh dne kritisehe Ifiztnr sosammengebraut, 
welche alle diese unreinen Wunderstofife als unjohonneisch 
ans dem Körper des Evangeliums entfernt. Solche Erschei- 
nungen zeigen doch, daß die Zeit auf die Dauer der Wahr- 
heit sich nicht wird entziehen können. Mein sehnlichster 
Wunsch ist, eben um womöglich über das Ende dieser bangen 
gegenwärtigen Zeit mich und Andere zu belehren, wann ich 
wieder in Deutschland bin die Gesuchte des römischen 
Eaisenrriehs ordentlich yonranehmen, natdrlich ma bis auf 
Constanlin, denn mit dem Jahre 825 ist das Schieksal des 
Ohiistentams entsehieden, und Einsichtige konnten damals 
schon wissen, daft seine Stande geschlagen. Der &iscbe 
Hauch über dem Strome der neuen Beligion h9rt eigentBch 
ßclion 70 Jahre vor CoiLstantin auf, die Verfolgungen unter 
Kaiser Dccius sind das letzte Ereignis was das echte alte 
Christentum erlebte. Wir haben heidnische jüdische und 
christliche Litteratur aus den Zeiten des Kaiserreichs genug, 
um den großen Kampf bis in die kleinsten Verhältnisse hinab 
schildern zu können, und noch hat es Niemand versucht. 
Der Eine schreibt nur Kaiser-, der Andere nnr Kirchen- 
gesehichte, und es ist doeh ISSn Gewebe, dessen Fäden ein- 
zeln nichts Werth dnd. Ich sammle jetst aus den ayiischen 
Handschriften im Museum alle Fragmente von Kirchenvätern 
dieser interessanten Zeit. 

*) Nach seiner später gewonnenen Ueberzeugung hielt er das Evaa- 
geliam so gut wie die Briefe des Johaimes iur unbcciiagt eckL 



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— 27 — 



Beeilt henlich hat es mich gefreut, daft Ihr am Shakes- 
peare jetzt groAen Gefidlea findet loh habe grofteLiut Dir 
einen fiunily fibekeepeane mitiabringen. Doeh wann wirst 
Du Zeit nm Lesen hthm? Ei iet wiilclich gründlich be- 
trabt, daS das Leben Einem so das Leben stieblt Nicht 
bloe die Selbeddlduug miä nnmSgBeh gemacht, sondern auch 
ein geistiges Znsamimenleben mit den nächsten Angehörigen. 
Wie vieles kann trennen, und wie weniges bringt die Menschen 
einander näher. In froiieren Augenblicken glaube ich , daß 
wir beide uns nalie steLu, aber die sind selten, sehr selten. 
Der Glaube an mich selbst fehlt mir meistens so sehr. . . . 

• • • • • 

17. 8. 53 Ich sdme mich doch unsäglich nach Euch 

Allen, nnd nach Annen nnd Eneh swei Schwestern am mei* 
sten. Es thnt mir nichts weher, als von fittmden üfonsdien 
Erenndlichkeiten nnd nnr hslb Terhtlllto WoUthaten annehmen 
WBL mflssen: ich fiihle mich dann so gedrückt, daft anch das 
wenige Angenehme, das meine aparte PersOnliehkeit etwa sb 
Dank zu bieten vermöchte, sich scheu znrÜcklSehl Ach daß 
man wahr sein dürfte durch und durch, und es könnte ! Wir 
sollen doch, denke ich, vorwärts und das Leben zwingt uns 
lauter Eücksichten zu nehmen. K.ommt es daher, daß wir, 
wie die Blume aus der Wurzel, aus unsrer Vergangenheit 
Nahrung und Lebenssaft ziehen? Aber wenn dem so ist, 
Heber Gott, gib uns Menschenblnmen, Bosen so gut wie Di- 
stein, aoefa etwas Sonnenschein und blaue Luft von oben und 
ans der Znkonft zu trinken. Doch Gott weift das, und Son- 
nenschein und Idars waime Lüfte werden nicht aasbleiben. 
Für ndeh seid Ihr Beben HXdehen das. Herzenskinder, bleibt 
mir nur etwas — nein, etwas sehr gut, und haltet es mir zu 
gute, daß meine Philosophie die Laune hat, wahre und treue 
Ausbildung der eignen Eigenthümlichkeit und Persönlichkeit 
als die einzige Pflicht des Menschen anzusehen. Dann soll 
mir auch das Gemeinwohl am besten fahren. Es ist dafür 
gesorgt, daft, wenn der Mensch nicht künstelt, kein Ast durch 
den andern durchanwachaBn b^gehft: jeder lieht seine eigne 
9<3nfta sUeiweg dem Liebte enigegen» imd wem das Glück 



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— 28 — 



gut ist, BcUingt sieh eine Wflin- oder Ephemaiike «in ihi, 
von ilun getragen andi dem Liebte entgegenzugehn. In 

Christi Gebot, den Nächsten zu lieben wie uns selbst, liegt 
deutlich die Berechtigung der Selbstliebe ausgesprochen, nicht 
Der freilich, die selbst die Sahne will imd Andern mit schee- 
lem Gesichte die Molken läßt, sondern Der, die da sagt: Mein 
Kecht ist in meiner Existenz, Platz da für einen ureignen 
Gedanken Gottes, und hier ftir diesen andern Gedanken Got- 
tes, der in des Höchsten HimscliAle neben mir anfblitste» 
ebenfialls Plats! Die Bereclitigang inr Selbstliebe BegC in 
nnseim Stammbanme, darin, daB wir des AUerbOebsten Kinder 
sind. Aber die Kinder misrer Ztit balten nichts anf Stamm- 
biome. 

Einfältig und innig abgeschieden begehrt das alte Kir- 
chenlied zu werden, das ist ganz dasselbe. Wie der Reiher 
hoch auf den Lüften schwimmt, so schaukelt sich jedes Ich 
auf einem endlosen uferlosen ÄIcere des nichtich, und in je- 
dem Thautropfen spiegelt sich die ganze Sonne, vnc in jedem 
leb der ganze Gott. Zerschlagt die Welt, ans Einem Men- 
schen will ich sie wiederbauen. 

Nim habe ich Dir einmal wieder in meiner Spraehe ge- 
sprochen, die nicbt Englisch nnd nicht Deutsch, sondern Ter- 
rttckt ist Bficke de Dir snreeht nnd schreibe mir ja bald 
wieder. Dein treuer Bmder PanL 



Wir finden das jetzt recht oft, daß Talente glänzend 
anfangen und sich glänzend erschöpfen, und darum bin ich 
froh, daß ich nicht glänzend angefangen habe, sondern der 
ganze Schweiß der mühsamsten Arbeit meinen ersten Weik- 
chen anf der Stime steht 



Gestern war icb im Boyal Fkincess Theater, ftr 2 Schil- 
ling im Fit nnter der nüserabelsten Gesellsdiaft der Welt 
Die Anfilflirung der Kerry wives of WIndsor war nnr liem- 

lich gut, aber der Glanz des Shakespeareschen Genius wnrde 
selbst durch diese nicht geniale Aufführung gehoben. Es war 
das erste Lustspiel, das ich von ihm sah, und der Eindruck 



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war ein dem Dichter yollkommen güntöger. Alle Rohheiten, 
das sieht mau bei der Auffiihruiig erst, sind uothwendig zur 
Charakteristik. 



Hente habe ich angefongen dea Seyenu Ton Antiochkn 
absoBehretbeii: der Mann Ist henrlich beredt, obwohl eSn 
Ketier, aber aeine Werke ftllen etwa 2000 FoHospelten. 
. . . . Ifit Jnstinian, unter dem Severus lebte, hört die Kir- 

chengeschiclite für mehrere Jahrhunderte auf interessant zu 
sein, die ganze Zeit ist eine Zeit der Zersetzung und an- 
gehender Fäohiis, die es denn auch dem hereinbrechenden 
Muhammedanismus so leicht machte, alles umzustürzen. Die 
Geschichte dieses Jahrhunderts za studieren, ist fUr das Ver- 
atSndnis des murigen lehtreieh genug. Gktt weift, wo der 
Hnhammedanisniiis in der Wiege liegt, der unsre ianlen 
Zustände über den Haufen wirft. 



Heut habe ich den Kardinal Wisemau predigen hören, 
sehr geschickt. Er leugnete jeden Rückschritt in der Welt- 
geschichte und protestierte feierlich dagegen, als ob die ka- 
tholische Kirche das Zdtalter der Märtyrer oder der Kitter 
wieder heraufiUhren wolle. Jedes Jahrhundert habe seine 
eigene Mission, und in jedem Jahibundert habe die Kirche 
eine neue Pflicht zu erfUlen. Jetzt sei die Zeit, in der sie 
duzeh stille Werke der Liebe ihre Feinde besiegen mttne. 
Darin hat er Töllig Becht 

An Diepenbrock habe ich um eine Empfehlung an Kar- 
dinal Wlseman geschrieben. Mich interessiert diese neu- 
backene katholische Kirche Englands an sich selbst sehr we- 
nig, aber die Art und Weise, wie sie sich Terrain erkämpft, 
gar sehr — des Beispiels halber. Aus demselben Grunde 
studiere ich die Geschichte der ttltesten christlichen Kirche. 
Sehmadi Aber den Mann, der gelehrte Untersuchungen (Über 
die Natur des Feuers anstellt, wenn sdnes Nachbem Haus 
brennt, statt zu Ittsehen. Beine Theorie taugt den Teufel: 
die Zustände sind grundächluclit und unsittlich: sie zu bes- 



80 — 



sern, muß unser letztes Augenmerk bei allem unserm Leben 
und Arbeiteu seia Und fangen wir da bei uns an. 

Ueberau nur persönliches Leben I Alle Snxrogate der 
PenBnliehkeit und der Penon werden mir immer veilialker. 
Sdbit ist der ICaon. Politisdi werde ich der dentscheilie, 
d. h. der individnellsto Mensch den es gibt. SjBtematiäerte 
Anarchie ist des Bäthseb UUmmg^ und die Anarchie, ih 
tan Zustand, in dem Jeder über sich selbst herrscht, kann 
nur systematisiert werden durch die Kirche: dadurch, daß 
Jeder Religion hat und Gott als sein Gesetz anerkennt. Das 
ist freilich ein so hohes Ideal, daß wenige Menschen es über- 
haupt nur sehen, aber darum mfissen wir Sehenden doch es 
TO realisieren socken. Ueberhanpt nur nie an etwas rmnir 
fthi: aneh Tropfen höhlen Sttine ans, nur dnxeh regebniBigtt 
Fallen, ohne Gewalt Aber das ist der Dentschen Fehkr, 
ans dem SBmmel gldch in die Hölle zu marachieren, und 
umgekehrt. 'Bs liegt eine Erde zwischen beiden von 5400 
Meilen Umfang, auf der sich auch noch ganz artige Ding« 
auarichten lassen. 



Die ganze Nacht fast habe ich schlaflos gelegen, ich 
dachte an Deutschlands und an unsre Zukunft. Und dann 
kam der stille wintertrttbe Moigen, die Luft hingt ToUSchneei 
wie es m W^haaditsgeit sidi gehört Da kam denn alle 
Bethnsacfat Aber mich, die ich je in mdnem Leben gefliUt, 
und das ist sehr viel: mir war so still au Berxen, so stSL 
Traurig iat es hier in der Fremde. 

Warte nur, bald kommt der Abend schön, 
durch den stillen Wald die Quellen gehn , 
die Mutter Gottes wacht, mit ihrem Stemenkleid 
bedecket sie dich sacht in der Waldemsamkeit 
Wir können doch die Bomaatik nicht los werdenl Immer 
wieder ^okt so ein alter KoYaÜs-Amim-EichendorffiNsheryen^ 
der den 17jälirigen tinst bewegt Der weite gioBe Bimmel 
ist ja blau über uns, warum sollten wir uns da nidit TOweOen 
die Freiheit nehmen, etwas ins Blaue auszuschreiten ? 




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81 



WcflniMlitai und PfingaCai bleiben dem Deatachm doch die 
Hanptfeeto. DaB das ewige Wort, die ewige Vemmift imd 
Weisheit Qottee selbst Flcosch imd Mensch geworden, und 

daß der heilig Geist, in dem diese Vennmft einst mhte, 
selbst die versprühenden Funken der göttlichen Flamme, die 
wir Menschen nennen , zu der Einheit eines großen Bruder- 
Tind Schwesterbundes zusammenzufassen bereit \»t, das ist uns 
die Hauptsache, lieber den Tod sagen wir: Es mag was 
iviU und kann gesohehn. Und im Grande läßt sich an ein 
Ostern andi erst nach Pfingsten glauben. Der Greist ist es 
ja, der anch die Todten m ISnem Kianie snsammenwindet 

Du sagst, iflfa sei jetrt weit orthodoxer ais firtiher. DaA 
leh MA wilte. Es scheint dir nnr so, weil ieh hier keine 

ä^ireicbe Beaction mit innerer Mission und nnwissensehaft- 

licher verlogener Theologie mir gegenüber habe. Der Gegen- 
satz fällt weg, und mit ihm die Bitterkeit und Schärfe, die 
eine Opposition gegen unsre Lumpentheologie notlnvendig Iier- 
vorrufen moAte. Ich schämte mich, Etwas allen Ernstes be- 
kämpfen m mfissen, das Balaams Eselin als dumm evkennen 
konnte. 



Gestern war ich hier wieder einmal aar Kirahoi. Aoh 
daft doeh ttberaU Phrasen von den Kanaeln fliefien, nach Be- 
cepten, die die dende Theokgie der Zdt verschrieben. Ist 
es denn so schwer, von Dem mit Begeisterung sa spredien, 

den jedes Menschenherz lieben muß, wenn es ihn gesehen? 
Aber es scheint, ab habe ihn niemand gesehen. Vorsichtige 
Gemüther haben nach Zeiten großer religiöser Erregimg und 
Begeisterung das sprudelnde Quellwasser, aus dem lebendigen 
Felsen springend, in Flaschen gefüllt, und nun ist es im Lauf 
der Jahrhunderte in den Flaschen achaal und faul geworden, 
nnd doch sollen wir es trinken. Hätten sie nichts enigefimgen 
und nichts angehoben, nnd Heften uns nur som Bimde des 
Bnmnensl Unwahr ist Alles, und ich ftrehte, in Europa 
rnnft die CäTiUsation mit Stumpf und Stiele untergehn. Sie 
hat nur Eine Bettung — wahr zu werden. Sagt wies Euch 



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— 82 — 



ums Herz ist, und beugt nicht die Knie vor dem Götsen, 

geheißen fait accompli! 

Zu Anfang des Jahres 1853 meldet Lagarde mit froher Zu- 
versieht sdne sicheren Aussichten auf eine Professur. Der Mi- 
nister von Banmer war in Ei<glimd gewesen — , wahrseheinlioh nir 
Zeit Ton Lagardes Abwesenbdt Ton dort, denn er schreiht: 

Der Minister hat Bnnsen ersKhlt, er habe sich nach mir gans 
genau, besonden soigfiAtig, ednindigt und habe aneh nidit 
Eine Sümme gehört, die nicht mdnes Lobes toU gewesen 
wäre. Bunseu erzählte mir das gestern früh. 
Mit dem 13. Januai- 1853 beginnt der erwähnte Aufenthalt 
in Paris. Um sein Geld möglichst zusammen zu halten, verlebte er 
die Zeit dort in der größten Einschränkung: in einer elenden 
Wohnung, um und um arbeitend bei unzureichender Ernährung: 
dennoch, wie msa sehen wird, nicht ohne Humor, immer nifiieden 
nnr seine Studien zu fördern. 

Anf der töbBoih^ne impMtle bin ich anigeaekhnet 
freondlidi angenommen worden; meine Axuigabe der haj^ 
tischen Briefe hat nüch Her, wie ee scheint, nemlich in An* 
seihen gebracht Unschfttshar ist, daft ich friedlich und tttch* 
tig zu Hause arbeiten kann, da bringt man etwas vor idchf 
die Bibliothek ist uur fünf Stunden auf. Ehe ich officiell 
Handschriften leihen kann, borgt sie Einer der Bibliothekare, 
Emst Renan, für mich. 

Das Wetter ist erbärmlich, es regnet in Strömen und der 
Schmutz ist zum Versinken auf den Strafien : aber die Schätze, 
die ich heute auf der Bibliothek gesehen, entschädigen für 
Alles. Paris hat an der Sdne große schttne Pitttee, ist aber 
fiheraU, auch in seinen Prachtgebttoden, s.B. dem Hotel des 
Invalides, so schmntalg, da8 man wirklich DrEck zurBeBdch- 
nuDg zu Hülfe holen mufi. 

Wie würdest du jetzt Über mich lachen; ich habe nür 
am Kamin Suppe zum zweiten Frühstück gekocht und esse 
sie jetzt aus dem Topfe. Es ist ein Mehlpräparat, blos mit 
Salz, schmeckt aber sehr gut und ist gesund. 

Mein Lebtag hab ich noch nicht so viel weiße Bohnen 
gegessen als jetst, alle Tagel sonst ist die KiOdie leidlich. 



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_ 88 — 



Spiegel ist von Benfey sciittf leeendert woidäi, und 
Hiang wird ihn auch nSehstenB kXnimen. Denke nnr, nXdi- 

stens erscheint im Journal des savans, dem ältesten und an- 
gesehensten kritischen Journal , eine Recension über meine 
Arbeiten von einem der ersten Orientalisten Frankreichs, dem 
alten Qnatrem^re, einem wegen seiner Unliebenswürdigkeit 
Tenchrieenen alten Manne, der nuch aber nieht mit franatt- 
daciier, sondern mit benBclier HOfiiehkdt an^i^enomnien liat 
Auch im Jonmal aaiatiqiie wird jetrt eine Beoendon, nnd 
Bwar, wie ich {^nbe, eine sehr günstige gedmekt Die im 
Jonmal des sayans ist nnbeiaUbar, da das Journal nur Sachen 
von großer Wichtigkeit überhaupt recensiert. Der Redacteur 
ist der Großsiegelbewahrer von Frankreich: die Redaction 
ist stets mit dieser Würde verbmiden. 



Im Augenblick wo der Kaiser gestern Mittag nach Notre 
Dmne fahr, habe ieh meine Absefarifien beendigt, und habe 
mm sehr interessante Arbeit lu machen und einmal eine 
WdleBohe yom Abedneiben. JH» Tramnunfelerliehkeit war 
sehr Uetrig und von Volk keine Bede, nnr Pöbel sah zu, 
ich habe Alles abpatrouilliert. Wann der Kaiser ausfahrt, 
habe ich stets dieselbe Claque gesehen, die Vive l'empereur 
ruft. Sie scheinen expreß aufgestellt zu sein : man nennt 
das Volk. Die Beleuchtung am Abend beschränkte sich fast 
gani auf die öffentlichen Gebäude. Prächtig sah die hohe 
Eiq^ der Geneviiive an dem Nadithimmel «n. Volk war 
nur TOT dem Hotel de ViUe imd in einem TtSHb der nie 
BiToli, sonst Alles öde. 

Eben habe ieh mir meinen gman d*av(rine mm Abend- 
brot gekocht: jetzt marschiert mein Suppeutopf vom Feuer 
auf den Balcon um in freier Luft rascher abzukühlen, und 
dann wird mit dem Rührlöffel gegessen oder aas dem Topfe 
getnmken. 

Vor einigen Tagen redete mich ein sicilianischer Priester, 
Professor der Einshengeschidbte in Palenno, anf der Sirafto 
als Spanier an, fimd Ge&llen an mir nnd lud mich ein, 
midi von ihm sdnem berOhmten jetit hier im Exil lebenden 



8 




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OlMiBy 4m FMht l^iMlniB| ivnfeBfln n Imbobi in di6f 

fa« «Ml «Qok BefdiMv Bw KoMtoa goiwi ist 

mni ^vn di68Mi lioiCdiiiiten MmiOf lutbo 
Birar tot (km «ttlidben Charakter und der wahrhaft reli- 
giösen Wfirme desselben alle Achtung bekommen, aber wäh- 
rend unarer anderthalbstündigen Unterhaltung, in der er sich 
sehr offen aussprach, Gott gedankt, daß ich ein Deutscher 
und tan Protestant bin. Aber beradt mnft der Kam seiii, 
wann tr aaf der Kuuel ipriflbt 

Abechiniflrep und Vttn^rfcten usr uieliit wiMiludMi* MSeino 
AnateUnng in Halle wird eieh leider wolil erst August oder 
Sopteuibcr mtsdMden. Mir Ist so als wHrds iA bestimmt 

in Halle ganz und gar bleiben , weil es mir vorkommt als 
sei ich zum Propagandamachea beatimmt, and das kann ich 
niigends so gut wie in Halle. 

Die eine Becension über mich im Journal asiatiqne habe 
ich gelesen, anch nioiht Ein taddnd Wörtoken, lauter Lob. 
i^^ach der andern, die wokl noch mthi ao bald ewdioinon 
Wied, werfe udi uäA lifaihBteBi ttkHußsnä. 

Keine fitdbe rieht eehnnRig mmt ia icBin Feaeler und 
keine TbOr in zmm ftaflknidi Soüdl imt. wnd mir «Sehte 
'ecSiXdMnr 4st ds Zug, sitie ieh eeit -einSsen Tagen in «inem 

Zimmer, dessen Offenherzigkeiten mit «ken Bicken Bwnklei- 
dem Kopfkissen Wischtüchern pp verstopft sind. Von einem 
tüditigen Gliederreißen, das ich mir durch dies lange Sitzen 
im Zuge geholt, hin ich geheilt nnd nur noch verschnupft. 
Gat, daß ich meine JBLkideiparade abgehängt hatte^ 4ds nen- 
lieh Herr Reinand membre de Tlnstitat — liBm, «an mir 
^eaiQ Vamtb zn nwelNn -«uL sidh oaeb «inigen eyxiachen 
ififtelmn ti edbMl%eD« Sr Int vääk tnmh 'inp fleiwrtfy ein* 
tBiladta. 



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— 35 — 

Sonntag Nachmittag besuchte mich noch Herr Henau, 
nachdem ich Vormittags mehrere Stxmden mit einem vortreff- 
Kehen orientalisch-mathematischen Landsmann , Dr. Woepcke, 
Docenteu in Bonn, sehr angenehm yenckw^M hatte. Um 
5 ^eng ich zn Tische zu Qimtron^, wo denn Chodzko 
md de LaVal die BaiaeajMoieaflr in PoniNni, TigBQPgdai 
yuw Dji t M B iid w 6ii8 TOftragoiy vn^i wß vi QiBifMiii inicprteii 
3eihag<a aacfa die kttrperliohen GffrilaBe aabr unpelmiU^b iracen« 
EmGlflck daß meine Leibgeriebte liüliger Hetar abd, in 
lialie ich mitBhnBenlreH and veiBeiiBolmeD.abgf«ref3i8elt 

Montag um 2 Uhr war ich in dem langweiligen 

Havre, wo vor dem Museum die beiden Havraner Dichter 
Bemardin de St Pierre und Casimir de la Vigne in Erz ge- 
gossen da sitzen, letzterer begeistert die Augen im Zickzack 
zmn HinuneL emporrichtend, aber nüt Sprungriemen an den 
Beinkleidern, welche letzteren in Folge davon höchst sti^amme 
inmliimiBelto iVdten wefftnt Da kb ab Oenrfer jraiBfce, 
mväaa, meine Sueben In Sontbempfton eo gut vie gar nieht 
viaiert, nnd nach aadflrtHalbattndjgcitt Bmm ßtä dm Zug 
gieog ee flndHdi fort md im SVi var li^ in London, am 
1. MMn. 

Und nun rath eimnal, von wo ich dir heute schreibe? 
Aus dem preußischen Gesandtschaftspalast. Bunsen hat mich 
wirklich bei sich, ganz allerliebst, einquartiert: im obersten 
Stock der Front. Morgens Schlag 9 Uhr und Abends Schlag 
7Va nehme ich mit Bunsens Familie den Thee. AuBer mir 
baoBt noch der alte Neukomm hier, ein langjähriger Bekannter 
äfit fWnilie and ein aagenehi^ieir ffktnii^ ^Mipn. ISs Ut 
4in ^bdichir O^Toler der alten (epgenti|eh ^alj^pger), 
$i gibl nur etiraf Untep^icfit im ()igeli||i|ieL: ee iBi|id mi 
Oigeb im Qaaae. 

Am näclisten Somitag hoffe ich endlich in der deutschen 
Savoy church zum Abendmahl zu gehn , das ist jetzt unbe- 
dingt nöthige Medizin der Seele. Ich denke mir freilich An- 
äpf^ füa di^ cUN^ M>e ^ ^ Sm4P ▼oU, 

8* 



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— «« — 

daE ieh lumm mif die Worte hOno wwde. Dttike diT&im 
(vm 1 Ulir) in «Jkr Stille an Hddi. 

BmiBeii aeheiiit meine Befifrdemng jetst wiiklieh in die 
Hand nehmen zu wollen. Meine syrischen und arahischen 

Abschriften haben durch ihren Umfang und ihre Sauberkeit 
seine und seiner Familie ganze Bewunderung erregt, und nun 
soll Cureton, sowie er von seiner Reise zurückkommt, ein 
officielles Gutachten über mich einreichen, das natürlich nicht 
nnvorteilhafk ausfallen inrd — an eontraire — , nnd dies 
geht dann mit den betrelliBnden Antrügen an König und Mi- 
Bieter. So wenigateiiB hat ee mir Bnnien eben beim FxHibr 
ftüek angedeutet. 

leb kann dir kanm sagen, ^e mich der BeaBsmne md.« 
nee eyriBehen AekerbanbndieB anrieht nnd befriedigt. Ee 

kommt wahrhaftig mehr dabei herans zu wissen, wann man 
in Mesopotamien düngt und die Erbsen und Bohnen legt, als 
bei all den luftigen dogmatischen Speculationen und religiösen 
Declamationen, die ich bisher abgeschrieben habe. Das Buch 
ist aber furchtbar schwer zu verstehn, und ich wundere mich 
daft ee mir ao gelingt, b^ eiaten Anianfe gleich. 

Bei der Hanaandacht liest Bnneen E^sfceL nnd Erange- 
Ihnn des Stmntaga, ^en Psalm nnd eine Tanlenche Fke- 
digt, die doeh oft recht nngeideBbar mittelalteriich ist Doch 
bleibt Tanler immer ein tiefiar Qeist 



Gründonnerstag 1853. Cureton besuchte mich vorgestern 
und ich legte ihm meine Arbeit vor. Ich bin sicher, daß er 
bei Bansen tüchtig für mich reden wird, denn er sagte, es 
sei ein moet eapital thing, was ich da gemacht 

Yomdunes Leben hindert doch dae volle Answachsen 
des Heiaens leicht, wie manche Bänme nnd Bhunen, die 
Boae X. B., in TÖller Sonnenghilih nnter der Linie nicht leben 
' kdnnn. Ainraäi vnd Bgiffbt^ii*" gib mir nicht, laft mir aber 



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S7 — 



mein bescheiden Teil zukommen, betet Salomo der weise 
König. 

Bei Rtickert ist ewiger Sonntag: die Sonne scheint so 
warm, und die Tauben gurren auf dem Dache, unten aber 
wandelt anter Glockenlänten ein firehemster Menech. 



Wiedergeburt ist das giofie Wort des Obristentoms: 
nSebt der natOilicbe Henscb, scmdeni ein ans dem Geiste ge- 
borener Kenaeh gilt vor Qott, nnd jedes Mtempaar kann 
diese Gebmt ans dem Gdste sdnen Kindeni wesendieh er- 

leicliteni, wenn es selbst im Geiste liebt, im Geiste lebt und 
im Geiste erzieht. Paulus schreibt: die Kinder der Christen 
seien heilig, blos weil sie von Christen geboren seien. 

Lagarde hat im Bunsenschen Hause yieü Freundlichkeit er- 
fithren. Doch waren die beiden Männer zu grundverschiedenen 
Gesstes, als daft sieh eine Harmonie swisehen ihnoi hätte bilden 
können: es bat an großen Schwierigkeiten ftr Lagaide nieht ge- 
fthlt Mit besag anf sdne Stellnng im Hanse meldet er ^nmal: 
KUdisten Freitag ist Staatsdiner, Hassimo d^Aieglio an 
Ehren: ich drdekte mich am Bebsten dämm, da leb idcfat 
weiß, ob ich nicht Bunsens eine Last bin. Zu meiner Freude 
sagte mir Neukomm neulich — er selbst ein feiner, Jahre 
lang an Höfen Brasiliens Portugals etc. gewiegter Mann, und 
hier wohl von Bunsens beauftragt mir dies zu sagen — , daß 
ieb „mit sehr geschicktem Takte meine Stellung hier genom- 
men", ich könnte mich nicht „geschickter nnd feiner" be- 
nehmen. Daft Idi darttber sehr firob bin, kannst da dir 
denken. Ich scUiefie mich jetst sehr an nnsem Legetions- 
eekretSr, den Gra^ Flemming an, nnd er kann mir überall 
TOftrefflich BaÜh nnd Ansknnft geben. AnAerdem erfreut 
mich sem Violoncell des Abends nicht selten, da er es vor- 
trefiäich spielt. 

Gestern hatte mich Neukomm nach Rohampton bei Rich- 
mond eingeladen, und ich fuhr mit Flemming hin, durch die 
grüne Gegend mit den vielen blühende Bäumen darin. Es 
. wv benrlich, und am Abend, ehe wir mit der Eisenbahn 



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— 38 — 



zurückkamen (hin im Wagen), hatten wir ein Stück m Foft 
zu gelm, zwischen den hohen liauuicu des Parks, die im 
Mondschein träumten. Alle Leute laden mich gleich ein, so 
gestern ein reicher Kaufmann nach seinem Landgute auf der 
Insel Auglesey, an Menay Street, den Wallisischen Gebirgea 
gegenüber ins Meer hinein gebaut Vielleicht gehe ich im 
Jimi mit Frennd Ftonmdi^ nminmen Ibk, und auch nach 
DaUln auf aeht Tage: Demming snefat mir wci aUe 
Ftende m machen. Am letiten Freitag aien wir neaumen 
bei YeiTej nnd giengen dami in ein gtttilleh scbltaeaKoiisert 
FSr die ersten Oktoberwoehen bat midi Lady Hall of Lla* 
nover nach ihrem Gute in Wales eingeladen, um dem großen 
Bardenfeste beizuwohnen. Am nächsten Freitag soll ich mit 
ihr den Macbeth sehen: du magst also dann an mich denken 

Mein Ideal ist ein kleinerer oder gifflerar Landbesiti 
Im Qebiige, der an Natofalien mindestens so viel tiigt^ ab 
som TJnteriialt der Fandlle effSorderiieh ist: dabei die Käider 
selbst erziehen in Gottes ftiseher freier Natnr anr Frische 
mid Fieibdi Der Mensch kommt in der Begel gut ansge- 
stattet auf die Welt, nur "BSm bringt er nieht mit: PietXt 
oder ReBgion, mid diese kann er nur erhalten, wenn er, ge- 
zwungen durch llireu inneren Werth, die Eltern von fiüh an 
verehrungswürdig findet. Es ist das höchste Glück des Men- 
schen, anzubeten, oder, müder gesagt, andre Menschen über 
ach anzuerkennen, die er liebt und die ihn lieben. Das soll- 
ten alle Eltern ihren Kindern geben. Ach daft die Deutschen 
eingeben möchten, nie politisches lieber sor ans der Familie 
kommt, mid daft ein Yatei^d mmiOgVeh ist, wo es keine 
Vtter gibt! 

Ikiein äen lednt nach Alpenlnft tmd Waldeinsamkeit 

Je ttstyrUngl Sttftfer der Menseh, desto bernnr, nor gebe man 

Jedem dazu ein möglichst klares Bewußtsein Über das was 
er leisten kann, und über das was ihm gebricht, and Alles 
wird fith tmübeMtefflii^ nnd angenehm gesteiteo. 

Ich bane sdnili dft» biote Wort Übend) weil ieh 



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— 89 — 

noch nicht oinen Einadgen Liberalen kennen ^lemt habe, 
dat nifiht der inconaegnaateBte Mensch von der Welt gewesen 
niN^ «nd jeder Tyrannei das Wort zu reden fUlüg, Torans- 
gvaetet, daft Er der Tyman, ist üeberiMmpt MA m air je 
Uhiger immer tneäoeer in der Welt sa% miA aekwevUeli wird 
«twie AnkKM tfbrig Ueiben» ab ia eicb aelWl die FineSii- 
Hehktft ao mllehtig, rein mid Mar hewmeratadBa ah maglieh. 
Mag dann an dieeer Fackel aein Licht aozfiodeii wer wiU. 

Im Museum ist mir gestern noch ein großer Schatz in die 
Hände gefallen, eine Sammlung ägyptischer Papyrusorkunden 
mit zom Tdl sehr wichtigen, auf jeden Fall uralten grie« 
chischen nnd koptischen Doeamentea. Im Allgemeinen aber 
aitKBaii^ ich meine fleamilimMii ab imd meelm mich an die 
OoUatioin daa Abgeeehrfebcumi 

Es ist doeh wiiUieb ein GUek, ab Edelmann geboren 

zu werden und sich zu i'ülüen: sich 2U iuliii^n, ist die sprin- 
gende Feder des Lebens. 

Ich bin so in der Hast, g^agt und gehetzt, daü ich 
eigentlich gar keine Zeit habe mich auf mleh an besinnen, 
and naehradenkcn waa idk eigentlich bin nnd aoU. £in 
tMlnd Gefidd mnft an die SlaUe der UaM EWcht. nicht 
inaav aber deeh eft» tieCeii» nnd ich ftrehte^ iek haha mein 
Sd idr an heeh gesteckt Ba hängt die WeÜwie^Blei- 
gewicht an den Füden, und die Noth und die Soigel — 



Ans Paris erhalte ich eben eine sehr günstige Heeension 
Wßämst kogptiaehen Sachen. JL»a6tivitä de ce jenne savant et 
aia rnnnalwiimirn ätendues nous assnrent d^aYanee fn'ü per- 
tarn dana et tntvail eoin el rhaihilitö fal dtotingweüt aes 
anfacea juMifiwttftM" 

IGfe dem GOoehttMolIage lOltenaeht • JuK^ liao gerade 

als unser Verlobnu^ag anlwach, kam ich aua dem Faust, 
der hier deutach awtgeeeifihnet gut gegeben waid, und daa 



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— 40 — 



Brausen dieees OoeaiiB vm PtMeie hat am ganzen' 7* m^ne 

Seele gefiÜlt. — Am Sonnabend war ich in Shakespeares 
Taming of tlie shrew, deutsch durch Devrient gegeben. Ich 
konnte das Stück früher nicht leiden , habe mir aber doch 
vorgenommen künftig mit meinem Urteile zu warten bis ich 
die Stücke gesehen. Sae bedürfen der AnaLegni^ doreh 
den Schauspieler m sehr. 

Gestern Abend war ich bei BeDasis mit Cardinal Wia»- 
maa msammen, expreB auf Ihn tingeladen. Er seidmete 
midi sehr ans tmd ist ein gesehenter, gelehrter Hann, mehr 

kann ich dir nicht sagen. Am Mittwoch Abend bin ich 
beim Cardinal selbst. 

Du fragst, ob Emst und Leichtsinn in demselben Herzen 
vereinigt sein könne. Kennst du mich nicht ? 

Man hat einen ganzen Bündel Seelen in sich ausgebildet, 
nnd sie wachsen wie der Spargel immer nach. Jede Sprache 
die der Mensch spricht nnd'schrabt, ist one neue Seele in 
IhoL leh weifi ideht wie viele Seelen ich habe, aber wie 
die Glieder des Ettipen Einen Ifittelpunkt haben In der irt- 
talen Kraft, so haben aneh all diese Seelen Eise Gentxalfleele^ 
und die heiBt Uehe. 



Die Prosa des Lebens und seine unbeschreibliche Hast 
überschreien oft die Fähigkeit zu empfinden , in mir wenig- 
stens scheinbar, und dann bin ich zum Tode unglücklich und 
betrübt. Menschenherzen, mid die Liebe der Menschenherzen, 
wie jedes Wort das sie spricht, müssen im lachte der Ehng- 
keit angesehen nnd gehSrt werden, mit jener Feiertagaatini^ 
mnqg, die man aof den Alpenseen oder dem Meeie hat, wem 
der Gloekenton dnrch cUe gioBe Nainr wdit wie die Seele 
dnrdi den Ltib. AOes Gute fordert Andacht, nnd im Wer- 
keltagstr^ben, wo ist da Andacht möglich? 

Denke dir, daß auf dem Musetun so gut wie AUes fertig 
ist, d.h. meine Manuscripte sind mit den Originalen wenig- 
' stens dem gröfies^ Tejle nach verglichen. Zu thun findet 



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41 



ikh finiBeh anf dem HiiMiim humer, aber jetet Ist et doch 
ireoigsteiis kein Weik de longne bakine mehr, Isnter Klei- 
nigkeiten. Ich erschrecke ordentlich über daa was ich vor 
mich gebracht habe, es ist rasond viel. Nun werden auch 
schon die Anstalten zum Druck getrofteu, der sehr hübsch 
aasfallen wird, wenn mir der König tlilr 250 Thaler neue 
syrische Tjrpen schenkt, so daß ich in Halle drucken kann. 
Sind die Typen in Halle, so ist das ein großer Grund mich 
ganz in Halle ansnsteUen. Mehr ala Ein dentaeher Gelehrter 
hat mich schon wegen der Profeaanr beglfidcwfinscht Gehe 
Gotti daft aie bald komme. 

Qeafcem Abend war ich im Fieaco (dentadi) nnd habe 
aehr gfoBen GemtS davon gehabt Daa Stllek zeigt den aonat 
so viel mit hohlen Phrasen arbeitenden Schiller als Kenner 
menschlichen Herzens und unmenschlich-menschlicher l*ülitik. 

Einen Abtnid war ich mit Lady Macferlane in Byrons 
Sardanapal, wozu die Kostüme treu von den neu entdeckten 
Denkmälern in Ninive kopiert waren. Diese Scenierung hat 
mich interessiert, Byrons Stück ist sehr schwach und dilet- 
tantisch. Hamlet hat neulich einen sehr nnbefiriedigenden 
Eindnick auf mich gemacht: die Tragödie iat auf die Un- 
fthigkeit dea Helden tnf^ach sn aein gebant, and daa MA 
ftat wie ein Lnata^el ana, ao eniat ea gemeint war. 

LaB dir von B. Bericht erstatten über die Bedeutung 
des jetzt von mir geschriebenen Buches : da ich ihm die Ein- 
leitung geschickt, kann er es. Ich grüße jetzt schon in Ge- 
danken all die Volker und Helden, mit denen ich in den 
nächsten Jahren vertraulich omgchn werde. Alle meine Stu- 
dien sind nur Vorarbeiten an meiner Geschichte des römischen 
Kaiserreichs von Caesar bis auf Constantin, in der ich die 
drei Religionen kämpfend sdgen, und den Ursadien des Ver- 
fidla einer jeden naobpflren wiD. "Wir leben ja in einem 
timliehen Herbste jetit: wir mfisaen die GesetM dea Yei^ 
gehens studieren, und den Keim Machen Lebens schon sehen, 
wann er noeh unter der Erde schwillt, und nur erst der Bo- 
den üb^ ihm sich hebt und birst. So ho&e ich soll diese 



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42 



Arbeit eine weltbcfr^eode, weltgeschichtliche sein. Doch ist 
viel vorher zu lernen und durchzuarbeiten nöthig, und ich 
nuß mir mindestens zehn Jahre bedingen. Dm HiidiSntum 
veifiel erst als das Christentum schon da war, und so ist 
Uofte Umalaiid cUft cUa Oirifteiitiini TorfUlt nir ochon 
Beireiaet geong, daB die BeUgimi to Geiil«» floboa «uddieh 
▼<m einor kleinen onterdritckten Oeneindo bektnnl wird. leh 
hsMe es, waa mir fo oft begegnet, daft man aidi alt dem 
Qfliit VDd demGdatodehen abgefunden sa liaben adnt, wenn 
man ihn in flüchtiger Anerkennung bei diesem Namen nennt 
Der Geist ist nur dazu da, einen Körper zu beherrschen und 
zu beleben. Fühlt Ihr Geist, so schließt Euch an : der Geist 
Undet und organisiert, will aber nicht blos zu Papier ge- 
bracht und, von weißen Handaebnhen ange&ßt, zum Beschauen 
in der guten GkeeUachaft herom gereiebt werden. Ich bin 
keot iatA ToU Philoeopliie» nnd w wiid ellgemadi Zeit, daft 
der Kadwdtti^ kommt nad ick mSWWiB SohUF*) die grobe 
Ketroaenkoet m eaaen bekomme: ein wenig JkAkA ibnt 
dem Hemebea aehen Schaden! idi witnedm mir oft einige 
Barbarei, die doh doch fassen läßt, während die Uebeifein^ 
rong in Dunst verschwimmt wie Iziona Wolke. 

Da schwankt schon der Muth, ob hinaus im Großen 

unbefriedigt zu wirken sei, oder ob bescheideu die eigene 
Seele nnd ihre nächste Heimai sn schmücken sich gezieme 
^ großer Seelen Heimat iit gieß, die Sehnecke habe ihr 
engee Hans. Da aebeint e» genehm die «elige Ifitteietraße 
TO gebn, idobt ein aolcbea jnate ndüen, dae nur faa Kein^ 
Segen sn swei gegneiiacken Nein Leben bat, aodbni ein 
eolehee, dae naeb reebla nnd Unka ün eignen Ja daa Leqg^ 
sen nnd das Behaupten kraftvoll und selbstgewis und Mm 
zeugend beseitigt. Hilf mir zunächst mich selbst zu Klden, 
zu einem ganzen Menschen : verbinde mir die tieften schweren 
Wunden» deien Dasein \a meinem Iteiaen ich dir weder v<v- 

*) Die preulitehe Oonrette »Itanng«, die in DepHbrd GflMhftttt 
an Bord nakni, nnd an deren jengea Offiiierea «eitt aireiter Bnider ge- 
MMeb te ihm Mhr lieb war. 



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— 43 — 

heimBeBcn mag noch darf^ rie auf nwftthmtithwn ScMaeht» 

feld rühmlich erworben. Ich hatte die Zinnen der fiwigen 
Stadt früh von ferne gesehen und wollte mir den Weg hinauf 
schon erfechten, als meine Altersgenossen noch auf Stecken- 
pferden ritten. Jene Kinder die ich spielen sah, aber mit 
denen ich nicht spielte, sind alt geworden, aber sie haben 
Ihr Spdseog nnr geweehaolt Mir liegen die Uanen Beige 
im Sbme, die ewigen Alpen der Genfeenrelt» von denenFrei- 
hdt hernieder weht Jede Wolke kami eie meera Blicken 
yerhlillen, aber kehi G<ytt kann de niedenetBen. Ach, vanÜ 
sie mitten aus dem Moraste sehen zu müssen, wie weh thvt dae! 

Gestern hab ich bitterlich geweint und mich geschämt, 
als idi Beethovens Leben las. Da muß sich misereins doch 
demütigen imd tief achSmen. Was bin ich g^gen Beethoven, 
der den Sebleier der Gktttin yfm Saia wenn nidit gelflftet, eo 
doeh hat xanachen httren. Er ein mprünglicher lichtreiner 
Strahl der göttlichen Kraft, imd Ton l^teiandem geliebt, nur 
benutzt von aller Welt, und einsam gestorben, von aller Welt 
vergessen, weil Kosnini Mode war! Alle Gelehrsamkeit er- 
forscht doch nur das Vorhandene, aber die MuBik schafit es 
neu — was sind also selbst Grimm mid Savigny gegen 
Beethoven und Bach? 



Ab nnd sa denke ich doch milder van den MeDechen: 
Gott, aie sind ja so gltleklleh miglfleklicsh in ihrem Tnnm« 
leben: mieerlei Henen lehien sich aof, Beaeer aber eine 
lodernde Fackel hinaosleuchtend in die Nacht mid schnell 

gefiressen Tom Fener, als ein langsames Talglicht am Euranken' 

bette der Menschheit. Rasch leben und rasch sterben ist 
mein Wahlspruch. Sorgen, daft Alles dabei und danach g;at 
gehe, ist meine Pflicht. 



Schmerzliche Liebenseriahnmgen treten in einiehienStttaen «is 
SeUilComspondeiis dieaes Jahne (185B) in Tage: 

Bfan wer nooh, was mUk bedenloe InnBig madite «nd 
Mth MMift, 4te gDeuaonloee fleBbihmdit 4Ur MwidMa 



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— 44 — 



Einer Regung des Herzens folgt all dies Volk nie, sie 
spielen nur mitunter Coeur, wenn es das Spiel fordert. Ich 
hatte allen Lebensmutli verloren. 

Gott verhüte, daß du den Egoismus der Welt so kennen 
lernest, wie ich ihn kennen gelernt — das schnürt das Herz 
zusammen nnd erdäk mit Ekel: ich bringe einen goten Sack 
Uenschenbeohachtongen mit nach Hanse. 

leh lau im Gnmde yOUig unverlindert, nur ToU Idttven 
HohneB nncL Spottes Uber ao viel Log den ieh gesellen, nnd 
ohne Illnsionen. Ich gebe ansnahmdoB jedem Dinge den 
Namen, den ich ihm gebührend erachte, sentimentalisiere gar 
nicht, will es wenigstens nicht thun: hoffe, nicht viel zu 
sprechen, nicht viel Menschen zu sehen, in der Stille zu ar- 
beiten, mich so unabhängig wie möglich zu machen. 

Schwerlich würde Lagarde bei Annahme des Beisestipendinms 
sich Weiteres haben aasbedingen können. Da seine 
mit Ablanf des Berliner Stipendiums eraehfipft wszen, und da er- 
iahrene Mkmier, wie Htfnridi Leo, Benhardy nnd Andere, es als 
vtülig sweiföUos bestichneten, daß sich an diese Tergttnstignng 
alles Wdtere ganz von selbst anknfipfen werde, nahm er sie ge- 
trosten Muthes an. Er hielt eine Anstellung, die ihm die Möglich- 
keit der Verwerthung des zu sammelnden Arbeitsmaterials schaffen 
würde, für sicher, sofern er es nur nicht an sich selber fehlen ließe. 

Allmählich wurde freilich diese Hoffiiung oft genug vom 
Zweifel abgelöst; denn die tieferen Einblicke in das Treiben der 
Welt belehrten nur zu gründlich über die Unberechenbarkeit aller 
Vecspiedrangeii nnd aller noch so snverlässig scheinenden Aus- 
sichten. In der Thai erfüllte ddi denn aneh keine seiner 
Hoffinmgea, nnd tdedergesehlagen kehrte er nun Wintenemesler 
1858/54 nur 'VHederaufimbrne seiner Vorlesm^geii naeh Halle 
zurück. 

Es scheint mir klar, daß man Lagarde die Mittel zu jenem 
Aufenthalte im Auslande erst zugebilligt hat , nachdem man sich 
überzeugt hatte, er würde ihn zu nutzen verstchn: auch leuchtet 
mir ein, daß es keinen Sinn hat, Jemanden Arbeitsmaterial sam- 
meln in lassen, dem man rr^'^hW die Möglichkeit es zu. verwerthen 



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— 46 — 

mcbt gewähren will. Sollten die Abschriffcen nngenatzt im Kasten 
liegen, so war das Geld für ihre Herstellung weggeworfen. Im- 
merbin würde der Umstand, daß damals die gehofifte Anstellung 
versagt wurde, verschmerzt worden sein — wie oft glückt etwas 
nicht gleich beim ersten Anlaufe I — , wttre sie nicht in der un- 
billigsten Weise dauernd versagt geblieben. 

Mehr ans dem Verlangen nach Arbeitamhej als ans dem nach 
persönlicher Annehmlichkeit richtete sich nnn Lagardee Sehnen 
nach dem Frieden einer eigenen, wenn andi noch so beschrSnkten 
Hänslichkdt iSne ProfSessnr meinte er nach den damaligen Er- 
&hmngen sicher fOr Jahre nicht erwarten sn dtirfen, nnd so ent- 
schloß er sich, ohne weiteren Aufschub sich um ein Schulamt zu 
bemühen. Gleichzeitig drängte die Großtante Lagarde zu unserer 
Verheiratbung, mit der Bitte, uns zunächst ilirem Hausbalte ein- 
zufügen, um ihr das einsame Alter zu erleichtern und zu erheitern. 
Dieser Vorschlag bot äußerlich, als Gegengewicht gegen wohl zu 
erwägende innerliche Schwierigkeiten, erhebliche Vortheile: mit 
gutem Mathe nnd bestem Willen nahmen wir ihn an. 

Im Herbste gieng Lagarde com Besnch seiner schwer leidenden 
Stiefinntter ftlr einige Tage nach Berlin: er hatte die letzte, sehr 
liehevolle nnd wohlthnende Aussprache mit ihr: im Januar 1854 
rief Gott me sn deh. 

Während dieser kurzen Anwesenheit in Berlin wurde münd- 
lich mit der Tante alles Nähere besprochen und unsere Verei- 
nigung, zu Dreien, fiir das kommende Frühjahr festgesetzt. Am 
27. März 1854 sind wir getraut worden: noch unter des Bräu- 
tigams altem Namen, da sich der Abschluß der Adoptionsangele- 
genheit bis zum Herbste des Jahres hinaögerte. 

Der Namenswechsel ist meinem Manne vielfach verdacht nnd 
ihm geradezu zum Vorwurfe gemacht worden — weniger in der 
Familie, als von Fremden — : man solle seines Vaters Namen in 
Ehren halten, hieB es. Das ist Ja richtig: besondere Verhidtnisse 
aber können es rechtfertigen, wenn dem Namen der mütterlichen 
Familie der Vorzug gegeben wird. Da dieser Zweig der Familie 
Lagarde am Aussterben war , ist schon frühzeitig der Gedanke 
aufgetaucht, den Namen auf diesen Sohn des letzten jüngeren 
wdblicheu Mitgliedes zu übertragen: so viel ich weiA anter Za- 



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— 46 — 

gjfiiBMiny VMMi aOMdlogt ni 6iiiar ZMti An mtth ItiSo. fml^ 
Vhok varitff. So var ü&Uf Q^wtkb tAifM dm ymhtn vadnutfi 
ia. fir Intto tdaAii Siui iCinen £raiis htwfindiiffin Beil. IKa 

treu zu bleiben, Haus und Ilof verlassen: sie waren, zum Tbeil 
unter Mühsalen und Gefahren , aus der Heimatli in die Fremde 
geflüchtet, aus Wohlhabenheit und gesicherter Lebensstellung der 
Armuth and einer ui^wissen Zukunft entgegenziehiaiid. Ist 4m 
nkkt Werth, in Shrtii und im Andflnken gehalten za weardfin? 

Dm kam fpätar >llerdingi noch, dift dja Innerlidi wmäß, 
mit der YergutgeBohsat hadwnde und xingenda Seele audi toi dkm» 
Yergimgeiiihtit eo voVIkmmm wie mOglidi m befreien etveUe; ii 
eoUten nkht nnr p^nroUe Erinnernngen, es aoUte (^iumtimeiinniiH 
das eigene Selbst, der alte Mensch, abgeschüttelt, es sollte eis 
neuer, besserer Anfang gemacht werden. Gar manchmal habe ich 
Anlaß gehabt, Paul Bötticher kräftig gegen Paul de Lagarde zu 
vertheidigen : und Viele werden mein Eintreten ftir ilm gerecht- 
fertigt finden. Gilten doch auch diesem Paul Bötticher die Worte 
Enediieh Siifikerte Yom 31. Oktober 1846: Gott behflt Sne auf 
Jkm ediSiMii W^ , y o rwert s und enfwerte! 

Bei jMeh eeine entan wieaenediaftBdbett Venuehe der Bendh 
tong nnd Förderung wertb gewesen mnd, daAr mltabte ieh Uir 
Zeugnisse von Eugene Burnouf vorlegen , dessen Charakter so we- 
nig wie seine Competenz einem Zweifel imterliegen kann. Diesem 
großen Gelehrten übersandte 1847 der noch nicht voll zwanzig- 
jährige Verfasser sein Werk eben Horac Axauudcae, imd 1849 
seine Eudimenta: jedenfalls mit der Bitta um .ebi ürtbeil 
eeine Arbeiten. Bomonf aebreibt: . 

Paiif , ee 4 novenibn 1S47. 

Jh 'fStam de reoevoir le pedt Tolnme qne rem m*eivei fidt 

ühonneur de m'adresser, avec la lettre, en date du 1" sep- 
iombre, qui Vaccompagnait. Je me suis hät^ de lire ce 
jnoire avec d'autant plus d'empressement que FAssyrie, par 
jwlte des nouvelles d^nvertes faites k Khorsabad par notre 
MMDl U. Botta, attue .ySpApakiaeit Tattei^ d«i gamlßr 



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— 47 — 

BiM. J% m iois mitakmMA pas jqg« in plw giand 

nombre des idiraies qne mm appelw en t^moigna^ cie vos 

rapprochements ; cependant il me parait quß votre m^thode 
est aüre, en meme temps qua votre savoir est fort ^tendu. 
J'ai remarqu^ particuli^rement ce que vous dites des trans- 
formations qu^ont aubies las uoms de Khordad et d^Amerdad. 
Cela est neuf , iiig^nienx et pai&itement condaant Ii y a 
encore d'antres rapprochements qai pronvent les empnmta 
ftits per vne des bronches les pius puiasaatee de la fiynille 
sämitiqiie aox idiomes mdo-peraans, et je croie ^ne votie 
fh^ est Inattaqnable dans aa g^ndnüit^ II reste toigoim, 
dans oes toites de recherehes, des points de detail snr les- 
quels il est inövitable que des divergences se produisent. Je 
ne Riippose pas qu'il j en ait beaucoup qui restent douteux 
apres vos recherches, et voiis devez avoir la juste esp^rance 
de lea voir acctieillies avec faveur par toua les amis des te- 
dee gnKves. 

Le joor de Päques, 8 avril ld49. 
. « « . « Vos Radimenta sont certainement plus noonls et tuif 
Uß «veo vne enti^ne plns ti&vhn en bien des points ^ne Yotve 
pranier traitd. TL me aemMe qne les x^snltats ei^poa^ 4i«ns 
vetie S 6 sent & Pabri de tonte dUSxgaB, Je Toodiais dtse 
pbs yend dans les langnes sdmitiqnes ponr qne non juge- 
ment eAt plns de poids; mais, antant que j'en puls juger, il 
y a certainement une sörie de points oü il est possible, grace 
k vos rechercbes, de constater d'incontestables empruuts faits 
par les littdratures ou les pliilosophies des peuples s^mitiques 
aux langues et aux idees des peuples ario-iudiens. Je vous 
remercie particulierement de vos «nalogies bebraiques Qotre 
lea Siddhas et Amereiftt ; c^est nn trait de lumi^ jetd inv 
denz mots Uen obeenzs. 

Vbns dttrei^ Memsenr, ^pronver le besoln de ponnndwe 

ees cnrieoses et interessantes redierches. Elles n'cmt pas sen- 

lement de l'int^ret pour ceux qui s'occupent particulierement 
des anciennes langues de TAsie, elles meiritent encore Tatten- 
^km ide i'idatQri0& et <d» pinlMOfbe ^'eUea wettfiut Mir U 



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48 



oaUi^, entie les andens peupleB de rOiiait 

Crojes Uen, IComfenr, que je sidTni Unjmm sree le 

plus grand Int^rdt la marche de vos recherches, et recevez 
rassurauce sinc^ dea sentiments d'estime 

Paria, 18 novembre 1850. 

J'ajouteni qiie j*ai In ayec im vnd plalrir et nn 

grand fruit ponr miA yotre diasertation aar Panalogie dea 
lettrea ann^eimea avee le sanscrit. Yous ^es, k mon avte 

du moiiis, daiKH la bomie voie; je dirai mume daua la seulo 

qui puisse conduire k des r«58ultats sürs 

Recevez, Monsieur, rassorance de ma siuc^ estime. 
Yotre tout dÖTOu^ £. BumouE 

Ohne jede Schwierigkeit war von der zuständigen Behörde 
sofort — ohne die übliche Prüfung — die facultas für alle Lehr- 
fächer und für alle Klassen ertheilt worden: eine Auszeichnung, 
die sich später als sehr verhängnisvoll erwiea, da in ihrer Folge 
Lagarde bald „Mädchen für Alles", wie er es nannte, wurde. 
Er hat in der That — anBer In Mathematik und Rechnen, Im 
Schieiben und Zeichnoa — In allen Lehigegenatinden nnteniohten 
rnftaaen: mir der mit adnem eigenen Stndinm eng zuaammen- 
hangende üntenicht in der hebriiiaehen Sprache blieb Ihm danemd 
Tfneiithftlten. 

Das Probejahr wurde nach den Oaterferien 1854 am Frie- 
drich- Werdersclien Gymnasium , unter dem tüchtigen und wohl- 
wollenden Direktor Bonnell, angetreten. Als es absolviert war, 
erfolgte die feste Anstellung an der Luisenstädtischen Bealschule: 
mit 400 Thalem Gehalt bei 24 wöchentlichen Lehrstunden. Zu 
dieaer Zeit trennten wir nna in JBVieden nnd Freundschaft von der 
AdopÜTmutter: daa Znaammenleben wXre anf die Daner nnhaltbar 
geweaen: wir lebten ihr 'viel an emai 

IMe Schnlmeiateneit hat Im Gänsen swdlf Jahre gewSltrt, 
▼on Ostern 1854 bia Oatem 1866: nnd awar hat rie aich, wenn 
anch unter Oheraufisicht der königlichen Behörden, ganz im Dienste 
der Stadt Berlin abgespielt : nach dem Probejalir am Werderschen 
Qynmasium ein halbes Jahr an der Luisenstädtischeu Bealschnle: 



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— 4» — 

von Michaelis 1855 bis Ostern 1858 am Eölluiflchen BealGym- 
Oinam, danach Ins saletzt wieder am Wender. 

In den, mir -von Herrn MagistrataBoreaaTonteher Beeker in 
Bedm freundUch nutgeüieüten AasiQgen ans den Personalakten 

„Anf seinen dringenden Wonach wurde der mefaifiMsh 
genannte vom I.April 1858 ab als 11^ ordentlieher Lehrer 

au das Friedrich-Werdersche Gymnasium mit 550 Thlr. Jalires- 
gehalt berufen. Er war auch von dem Direktor dieser An- 
stalt, Prof. Dr. Bonneil, wegen seiner umfassenden und viel- 
seitigeu äprachkenntnisse , seiner theologischen Bildung und 
pädagogischen Tüchtigkeit vorzugsweise fOr eine dort erledigte 
Stelle empfohlen nnd gewilnscht worden. 

Bas Gehalt wurde erhöht vom 1. Januar 1859 ab auf 
650 Thlr., vom 1. Oktober 1859 ab auf 700 Thlr., yom 
1. Januar 1864 ab auf 750 TUr.*^ 

Lagarde hat jene Versetzung damals betrieben — obwohl die 

Aussicht auf rasches Vorwärtskommen am Kölln besser als am 
Werder war, und obwohl ihm das Aufgeben ganz besonders gfln- 
stiger WitwenkassenverhUltnisse schwer fiel — , nur um die Kon- 
aentrierung seines Unterrichtes durchzusetzen. 

Das Glück und der Beichthum dieser Zeit war die liebe 
«wischen Lehrer und Schülern , war das schrankenlose Vertrauen, 
das nicht nur die Knaben selbst, sondern auch ihre Mtem dem 
Lehrer bewiesen: er ist IHelen, Vielen ehi treuer Seelsorger und 
guter Berather gewesen. Sein Herz war von jeher für die Kinder- 
weit Yon unbegrenzter Liebe erftdlt: da er sie eigenen Kindern 
sieht widmen konnte, trug er sie, vielleicht um so mehr, allen 
anderen entgegen, die irgend in sein Bereich kamen, und darin litt 
er gerade als Lehrer keinen Mangel. Er hielt streng auf Ord- 
nung und fast militärische Disciplin, gestattete aber doch freie 
Bewegung: als Erzieher ließ er sich zumeist angelegen sein, die 
Knaben nnd Jünglinge an stete unerschrockene Wahrhaftigkeit zu 
gewShnen, demnächst in ihnen Lust zur Arbeit, und Erende aa 
ihr, zu wecken. Feste waren, für Lehrer und Schüler, die groBen 
S^atferglDge, mit allerhand Spielen im Freien, die Lagardo gem 
und so oft wie m8flich unternahm. Da tummelte er sieh mit 

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— 69 

— *«*^ iiehttl Jwunaf^m miükft mit ^fam« wie tAnt» flwaa /SüstmMtam 

md blieb doch wa^ßäik Immer der aotgende Vater fttr Alle bip 
eemneQ imd für jeden ^nzelnen. Jetzt nnd, wenn ich iddit 

irre, solche Ausflüge ausdjücklich in den Scimiplan aufgeuommen : 
damals waren sie etwas ganz Außergewöhiillclie.s, Freiwilliges, und 
ich glaube nicht, daß außer Lagarde ein anderer Berliner Lehrer 
j^mal« derartiges veranstaltet hat. Die Briefe vieler äcJiüler geben 
\hm in Lagardes letzte Lebenstage hinein Zeugnis von der Fort- 
daner ihrer liebe: sie war vom Dauer, weil me aof der Erkenntnis 
bembU, Gutes empfangen zu beben, und auf dem BewuAtsdn, daB 
«ach enf der anderen Seite liebe md Tbeünabme nie sieh min- 
iUm^konnten. Die Wehl des BerafSas, die HtllftmittcJ zum Sta- 
dium wurden berathen: denn berichtete der Eine ttber den Gkuig 
aeintf Studien, ein Anderer, als angehender Geschäftsmann, wie er 
sich Sonntags stets an seinem Homer erquicke : zur Zeit des Feld- 
zugs von 1870/71 kamen in froh-stolzen Worten die Mittheilungen 
über die Theilnahme „am Kampfe fdr Elsaß-Lothringen", fiir den 
das wanne deutsche Herz einst schon die Knabenseelen begttstert 
hatte, allmählich mehr und mehr euch die Meldung^ von der 
Begründung dee eigenen Hausstandes: ellesi wie man ee liebenden 
Mtem berichtet: nnd wie soldie beben wir, voll Denkes, AUee 
«nfk^nemmen, müemplimden md nutduiehlebt. 

Bei pertSnHchsn, oft gans mnreraradieten Begegnungm ^ 
•sf Bsiesn, im Auslände — bensehte ein Jabel Uber das Wieder- 
sehen nnd Wiedererkennen , der, wo ich ihn miterlebte, nickt nur 
mieh sondern Alle zufällig Anwesenden ergrifiF und rühite. 

Das war der nie zu vergessende Reichthum, das nie zu ver- 
gessende Glück jener sonst vielfach schweren zwölf Jahre. Das 
Gefaelt war so gering — von den ersten 400 ganz langsam bie 
enf zuletzt 9e0 Tbaler steigend — , daft es selbst fUr nnsere, 
jUkrheeebeidensten, Bedürfiiisse niobt ansreiehen, gescfaw^ge denn 
noch Dniehhoeten dedcen konnte. Und fortgeaibdAet sollte doeh 
wevden. PenidonSre, die ich, als leichter £lr ihn, Torschlng, nnd 
die ihm togestiOmt sein wfiiden, lehnte Lagarde mit aller Enfr- 
eshiedeiihdt sb: in e^ien engen vier Ffiäilen woUte er sidi nn- 
gestörte Buhe bewahren. So mußte ich bis 1860 betrübten Her- 
■ens die vielen £iLtrßstundea, an verschiedenen Mädobenschvilen 



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— 51 — 

wd ftr MmticMsr, mit wuAßai <imm mMA tmk «in« lip- 

Idchteran^ ein, indem er sf&am Ax^M von dem NaeUssse der 
im 28. Dezember 1857 verstorbenen Adoptivmutter erhielt 

Jede freie Stunde und Minute \\nirde den galten geliebten 
Studien gewidmet: um iluer selbst willen, aber auch in der Ein- 
sicht, daß nur die stete Vorlage neuer Arbeiten die HöglioULeit 
teBliekkelir snrUmverntätbot. All dies ntttkiee Aibeiten, iBtar 
SodMlinmi^ aller Art, betrieb er olme ütunm. Moigene und 
AIndSb aft er wohlgenmdi aein troekenea WeiBbiod, bia naeh Jalneii 
Bntter, später Klse «derFkiidi dam geseliait werden 
konnte. Glücklicherweise fehlte auch die Erfahrung noch, wie 
wichtig die Art der Ernährung fiir die scharf mit dem Kopfe ar- 
beitenden Menschen ist : so hatten wir nur miser Vergnügen daran, 
daß bei meiner ängstlichen Eintheilung dos Wirtschaftsgeldes alle- 
aal die Mahlzeiten der letzten Monatstage ein wenig reicher ans- 
fiekn, als die yorbergehenden. Bei waehaender Eifiüiniqg baben 
irirGett nur immer mehr gedankt, daft er den Geistesgaben ancb 
eine so migew^lmliiche KiOrperiaaft beigesdH baite: lob erinnere 
nieb nodi jetst ibier Leistungen mit Stannen. Wenn ieb einen 
üblen Ausgang der Kraftproben besorgte, z. B. als er einmal awei 
riesengroße Schränke ganz allein von einer Wand nach der anderen 
umstellte, dann fertigte er mich, ganz unangestrepgt, damit ab, 
man müsse nur den Schwerpunkt treffen. 

Die einzige Klage, die sich aUerdings nicht selten ancb 
in einem Stottsen^Mr Luft machte, war die: dai seine AtMt 
hd der Sdude „hundert Andere ebenso gut oder besser" tbnn 
klhuteu, wHbxend ftbr sdne gelehrte Axbeit kein Anderer da eei 
Und wir grollien den BebVrdea, die dies gleicb&Ua bittai ein- 
sehen sollen. 

So sehr Lagarde um seiner fortlaufenden wissenschaftlichen 
Dracke willen oft mit der Zeit geizen mußte, so arbeitete er doch 
so intensiv, und darum so unglaublich schnell viel schaffend, daß 
ihm seit Aufgabe der Nebeostunden Zeit fiir Geselligkeit blieb : 
eine Zeit lang bat er vielen, som Tbeil sehr interessanten Veikebr 
gehabt mid dnrcb diesen seinen Blick ttber altgemeine, anob poU- 
tiadie Yeriilltnisee er weitem imd scbSifen kSnnen. Augen nnd 
Obren waren stets fär Alles mit regstem lafemsse Imbegierig 

4* 



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— 52 — 



«ftn: und AOes haftete auch, obwoU ar baaCiüt, daa, was man 

Qedlehtiiis nenne, zu besitzen. 

Unser lieber alter Freund, der General von Brandt, nahm ihn 
öfters in seinen Klub mit, wo sich liuherc Beamte und Offiziere 
vereinigten : in einem anderen Kreise traf er den G eneral von Pfuel, 
Vamhagen, den Maler Hensel, Johanna Wagner und andere der- 
artig verschiedene Menschen. Wo ich mit zugegen war, kennte 
ich stets mit Freoden beobachten, wie man ihn schätste nnd gern 
hatte. Ich wurde, hochgeehrt und sehr lu meiner G^ugthnung, 
an dem Tisch der Alten gesetzt: ich hatte von jeher unter diesen 
meine betten Freunde gehabt: während mein Mann, stets lebhaft 
und waim bewillkommnet, seinen Platz unter der jüngeren Welt 
erhielt Es gleng dann meist am jungen Tische so munter her, 
daß gelegentlich meine Alten neidisch hinüberblickten, einer und 
der andere besonders Interessierte auch wohl scherzend rief, er 
woUe auch an den jungen Tisch. 

Der Verkehr mit den Schulkollegen beschränkte sich im Gän- 
sen auf die «wanglosen Zusammenkünfte in einfachen Bier- oder 
Weinstuben nach Schluß der üblichen Schulkon£uenzen, und auf 
den gelegentlichen Besuch der seltener stattfindenden Versamm- 
lungen der allgemeinen GymnaaiallehrerGeiellschaft. Heiterer und 
angeregter Abende im Hause des Professors Barentin yon der 
Gkweibeschule erinnere ich mich gern: besonders der kldnen Kreise 
mit seinen beiden Kollegen von derselben Anstalt, David Müller 
und Georg Büchmann, und deren Frauen. 

Ein freundliches Verhältnis hatte Lagarde mit einer großen 
Anzahl, ich glaube sagen zu dürfen mit der Mehrzahl seiner nä- 
heren Kollegen*). Immer ist es das Gleiche gewesen, sowohl zu 
Jener ZAt als auch frfiher und apiter: alle Männer, die das Leben 
ernst , und ihre Lebensanfjgaben gewissenhaft nahmen, die das Gute, 
.und die ihr dtgenes iraeres Waehsihiun erstrebten, alle diese 
waren gut Freund mit ihm, wie er mit ihnen. Unsere alte Ger- 
tenften hier, mit der er in den eisten Jahren des eigenen Bceities 

*) Sie nannten ihn — ■ scherzend, aber auch scheltend — den Frennd 
der JttdsD, Katholiken und Taugenichtse: er wollte Keinen yon diesen 
/ TOD vom herein verworfen wissen: er war derFieond eines JedeSt der 
leioe 3ftriiind>f.haft nicht fericherste. - ' 



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58 



in firobfim Eiftr so manehe Stunde gegraben und gepflamt, gomdat 
und wieder gepflanst bat, die noeh jetit die GartaDarbeit besorgt, 
ftrügte enuBal ein paar finde ICtaibeiter, die kmiweg Tcvab- 
Bchiedet worden und deb darttber bcUagten, ab: aeh waa, der 

Aroftenr ist mit Allen gat die wae taagen, wird aneb Jeder gnt 

fertig mit ihm der wae taugt. Und damit bat sie wahrlich den 
Nagel auf den Kopf getroflen. Unerschöpfliche Geduld konnte er 
beweisen: „Arbeitern", Schülern, großen und kleinen Leuten : nur 
emstlich und ehrlich guten Willen mußte er sehen, und dies^ 
fireUicb forderte er tmnacbsichtlich. In einem Briefe an meine 
Schwester aus dem Jahre 1856 sagt er im y ollen Jugendeifer: 
^Wo icb keinen guten Willen aebe, kapfe nnd häagt leb a^ 
Bebeten gleieb.** 

ISnige der von Legarde an meine Eltern geriebteten Briefe 
ans der BeiBner Lebreraeh mögen Uer Zeqgnis ftr eeina 

müthsverfassung ablegen. 

Berlin 3. November 1855. 

Erat jetzt finde ich Muße für zwei liebe Briefe zu dan- 
ken .... Ich kann nicht ohne Privatstunden bestehn, und 
die kosten am meisten Zeit. Ich kann mir aber sagen, 
gen sehr große üindemiase, ohne Protection, männlich ange- 
kämpft zu haben, nnd wenn leb aneb nntar mir widerstre- 
benden VerbMltniBiien lebe, wird es doeb dmeb gebn. lOr 
ist ee lieb, das pvenEisebe Unterricbtswesen so grOndBeb 
kennen in lenMn: bo£fontUeb komme leb noeh in die Lage, 
dies Fundament miares politischen Lebens etwas mit b essern 
zu helfen: denn nicht blos die Ideale, sondern auch sehr 
praktische nüchterne trockne Philister, wie ich jetzt Einer 
bin, weinen, wenn sie denken, wie die Jugend verhunzt wird, 
zom Teil aus Geiz, zum Teil aus Eitelkeit 

Inzwischen behaltet Ihr mich Heb, und bittet Gott, mir 
meine xwei Beine an erhalten, dianf ÜBst an stebn, wie ee 
Häunem siemt* 

Keqjafar 1856. 

.... BfiekbÜdL anf daa viele Gnte das das Jahr 55 nna 
gebneht bat: ich bin ein Mar Mann gewwden nnd habe, 



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wmBi mmIi Im BebwoiBe mfiiiei rti^^nrirlitn, do^ mtm d* 
•horas Brot sa eMon, nnd cBs Aussicht i sn dm Brste aiL 

der Zeit andi Fleisdi und Wein Irinm m bekommen: Inn 

nicht unmittelbar von der Re^erung abhingig, und, was ich 
sehr hoch anschlage, kann gcwis sein, daß meine liebe Frau 
nach meinem Tode auständig zu leben haben wird. Ich habe 
sie nämlich zu Weihnachten in eine zweite Witwenkasse ein- 
gekanft. fiie thut mir nicht selten leid, daß sie solch ein 
Begpster von verschiedenen Lesarten und lexikalischen Be- 
meikangea gdbeifathet hat. Von dem gehoStea llnaktceibea 
kami keine Bede edn: meine Stodieimaedikie wilnHirrt nnd 
liaepeH den ganien Tag. 

4. November 1857. 
Heisliehen Dank für Em« Glflckwllnflehe: da idi eine 

gute Anzahl Wünsche hege, kann ich gute Wünsdie und 
brave Hilfe Anderer herzhaft brauchen. Meistens muß es 
mm im Leben so beim Wünschen bleiben, und wenn ich nur 
die BLraft und den Mutli behalte, auf eignen Füßen weiter 
zu gehn, wird Gott schon helfen, und wir werden das Wün- 
sehen ■eKliftflliAh abschaffen können. Freilich bleibt das Ver- 
langen, den engeieii Knie, den man sich gebildet, oder in 
den man kineingealeitt worden ist, als den Zanberkseie nn- 
lerstSrt m behalten, von dem man seine Formeln smr WeU- 
nnd Teofilsbeairingang spricht und eeane Netee niift. Und 
80 erhake wsr Gott Endi mid mekie Fnni, dnrek dfie ich 
mit Euch verknüpft bin: die Weh ist kalt, und es liegt ihr 
an den Wunden und an den Kränzen des Einzelnen gar 
nichts. 

15. Dezember 1859. 
Henliche Grüße und Wünsche zu Deinem neuen Lebens- 
jahrei .mein guter Vater. Möchte Deine Gesundheit sich bes- 
eem mid Du an mu Allen Freude erleben 1 Am Vaterlande 
Freude an csleben, hoffiit Da wohl sohon. lange ebensowenig 

ivie ieh: Imwieehen trdbt mini eo aeine Arbeit 

weiter,, rnüfeppb Weite uid Bibelstellen ans Ehrdienviiteni 
als flMke- Ar künftige Basten lusammen, näd lebt, obwohl 
in tfigUcbeB' Veikehr mit vdek» Menschen, so einem wie 



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— 65 — 

der Hamster. Li AffBoflidieii Lokalen, s.B. der Singakad»- 
wo dio Kunst fbxB IwwuDknclMiw Bfttck6 tibeir den Ab* 
grand sehlagt, der uns ▼cnn ^Idenen JemeiCs tittinffi Gkrtt, 
wie wenig ist da sa holen. 

Anna hat Dir schon Ton m^er 
gesprochen, ich bin nicht eingefroren wenn ich vor einer Ex- 
cellenz stehe, und er hat meine Grobheiten sogar dankbar 
hingenommen. In der That ist auch nicht schwer einza- 
8^1611, daft unser ganzes jetziges Erziehungssystem nichts 
taugt, wenn aber die MiniBter sich fUrchten Hand anznlegfei^ 
was soU man da sagen? Sie ftrehten sieh eiben Alle 
der sogenannten öffisniBehett Meinung, da ja die wahre Frei- 
heit hfinfig genng nnr dnxeh eine Beaetton, doieh einen 'SMt' 
grW an^ die ersten einftchen Begriffe von Steafc md nienseli* 
lieber Gesellschaft wird gegründet werden können. Ich möchte 
wohl einmal Zeit Gelegenheit und Math haben, meine Ge- 
danken weiter auszuführen: Praxis wenigstens habe ich genug. 

81. 18. 64. 

Ich kann leider nnr ein paar Worte sa Annas Briefe 

hinzufügen, imd bitte Euch, liebe Eltern und Geschwister, 
mich fi^undlich zu entschuldigen. Es gibt Tage an denen 
Einem Alles über den Kopf kommt. Ich habe keine ruhige 
Minnte gehabt, und soll nun Abends noch in Gesellschaft 
gehn. Möchte Euch Allen das neue Jahr ein frohes sein: 
das alte bat nns des Schweren ^el gebrachti es hat uns aber 
Ihieh, Bebe Eltern, nnd nnsem guten Willi erhalten^. Da- 
fiir können wir nidit genug danken. lOr ist es ja aoeb 
besser gegangen. leb kann nicht sagen, daft ich tAer kleine 
Freundlichkeiten die große Ungerechtigkeit verschmerze — 
aber man muß doch zufricdeu sein, daß man zu leben hat 
und im Grunde doch ein unabhängiger Mann ist. Annas 
Gesundheit erhält sich Gott Lob und Dank gut: das Alles 
mOge nns der liebe Gott erhalten. 

*) Wir hatten Krankheit nnd Tod in der F^unUie gehafit: nein 
Amte Willi war im Seegefecht bei Jasmund am IT.Birs sehr schwer 
Mmmiilet* wocdte* 



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Nun feUt noch, daft nix Scbkswig-Holatein annedieren. 
Das wäre ein erster Schritt, dem andere folgen mfiftten. Da- 
von Ist mir das Hen ta yoll: so irae es ist, kann es doch 
niebt Ueiben. Wer wei6 was Brandt heute Abend erslUt: 
denn etwas wird er In der Tasche haben. 

Gott befohlen allesammt Behaltet lieb Euren Sohn und 
Bruder Paul. 



Die großen Schulferien benutzte Lagarde zu Reisen, theils 
zur Arbeit, theils snir Erholung, während ich diese Zeit in Halle, 
im Eltemhaose, verlebte. Ich lasse hier noch einige chaxakte- 
listiscfae SKtoe ans Biiefen a& mieh folgen. Ans FranMosbad, Im 
JnU 1857: 

Den gaasen Nadunlttag habe Ich ndt dem BabbSner 
Sachs ans Berlin sagebracht Ich setse etwas ^dar^ ihn wol 

ehren: da die Juden hier so zahlreich und eklig sind, den 
Unterschied der Einzelnen zu beachten. 

Sehr leutselig verkehrt der alte Feldzeugmeister Heß 
mit mir. Vormittags fliehe ich eigentlich die Menschen und 
athme still und beschaulich ftir mich allein im Aether der 
Ewigkeit. Unser Beider Stimmung scheint der Auffordenag 
des Psalmisten in entsprechen: freuet euch mit Zittern. Wfar 
erwarten Gates, d.h. Angenehmes hinter dem YoKhang» tmd 
wir werden das Beste finden, d.h. das fttr uns Gute. Ir- 
dlsehes Leben kommt mir so kms vor, daft ich weit hinans- 
lunge mit meinen Gedanken, nnd das Bewußtsein der Ewig- 
keit eben durch den Gegensatz sich mir schärft und vertieft. 
So komme ich auch über das Schlimme leichter hinweg: es 
sind Unannehmlichkeiten im Wirtshaus, auf der Eeise: der 
Wagoi roUt wohl einmal weiter, und wir kommen zu Bee* 
serem, wenn das Bessere nicht an tms kommt 

Die Arbeitslosigkdt ist so gar groft idcbt: die Arbeit 
geht In der linken Hand wäter, nnr die ledite pansiert Der 
Park ist mdne WeikstStte nnd ich bin unangenehm bertflirt, 

wenn mir Jemand meine stillen Morgenstunden stört. Diese 
Morgen mit ihrer Einsamkeit sind mir unschätabar, da lebe 



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- 67 



f ich einfältig vor mich hin. Waldesrauschen und Wolken und 
ISomieDsehein , das klingt und leuchtet und trauert um mich 
80 wrmderbar: mich wunderts oft, daß die alte Romantik noch 
nicht tot ist, und lie kann freilich in dem nicht sterben, der 
lebt und liebt Die Anftntelmng alles Lebens wird mir ein 
inuMT wiehtSgefes md tidittlehewi Dofinft. 

liieh nnt meine Arbeit am Utas TonBostn nicht: der 
Ufsprang des BSeen nnd sein Werth bleiben die Problem» 
der FfaüoBopliie. 

Grestem Mittag komme ich zu Tische, und who should 
Ät next to me but Johannes Schulze. Er war außerordent- 
lich artig nnd offenherzig. Heut hab ich ihm Visite gemacht 
und wieder bei Tische neben ihm gesessen. Ob das etwas 
helfen wird, weift ich nicht: ich glanb es kamn. Ich werd« 
mit Absicht nichts tfann ihn vor den Kopf sa stoBen, aber 
wie du mich kennst aneh nicht schlddien nnd kriedien. Qe- 
fitUe Ich ihm, so ist damit immer noch nidit alles gewonnen, 
da «r mir bedingt mllchtig ist. Er Ist ndt s^nen 72 Jahren 
sehr rOstig und lebhaft. 

Schulze sitzt noch neben mir. " Er scheint eine bessere 
Meinung von mir zu bekommen: thun wird er Nichts fllr 
mich, dazu bin ich an selbstständig. 

Schnlae forderte mich dann mletst noch auf, mich in 
Berlin in der theoL Faknltit an habiüiierttnl Was ssgst da 
dam? Er seheint also doch etwas tiefisr berflhrt zn sein. 
Ob die Sache fhnnlich sein wird, ist dne andere Frage: der 
Magistrat dnldet laut Vocatlon kein Nebenamt 

Habilitieren werde ich mich in Berlin auf keinen Fall: 
a) ist es wider meine Vocation und h) läßt mich Hengsten- 
beig nicht heran, das habe ich schriitlich von ihm. 

Coburg 6. August 57. 
Wie mich die pUttalisfae Nachricht von FranBückerts 



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— 58 — 

Tode erschüttert hat, kann ich dir nicht sagen. Karl begeg- 
nete mir bei meiner Ankunft auf dem Markte, es war sein 
erstes Wort: die Mutter ist tot. Der Alte hat ganz heimlich, 
jetzt einige Zeilen so in Bruchstücken auf seine Luise ge- 
dichtet: Marie gab m» mit wa lesen als nix auf ihrer Stabe 
allein waren. Der alte Mann mit seiner Tersofawiegenen 
Traner ist mir wahrhaft ehrwürdig: kein Laut des Sefamenee, 
nnr in den Ifienen der Seele, möchte ich sagen, sein 
Kammer. 

In seinem Henen ntze ich warm , und das ist eine 

Freude : zu Spiegel Weber und Pertz hat er gesagt : Er wirda 
£uch schon noch weisen. 

Norderney 27. 7. 60. 
Ich habe es oft geföhlt, daß die Schmerzen des Men- 

seilen sein Adelsbrief sind, die Seelenschmerzen meine ich. 
Selig sind die Leidtragenden ist ein echtes Wort aus Jesu 
Munde: keine Kjitik kann die Bergpredigt anzweifeln. 

Ein westfälischer Vicar Meyer ist meine ganze Liebe. 
Der Mann ist so krank, daß der Schmerz ihn oft bei Tische 
zusammenschtttteU, so sehr er sich sosammennimmt. Aber 
die Seele, die ans den braimen Angen hervorsieht, ist so tren 
und sanft und firomm, daß idi alle seine Schmeraen nehmen 
weihe, wenn meine Seele so von Ewigkdt nnd liebe getrinkt 
und gesättigt wäre wie die seine. Seine Bekannten schwiir- 
men fttr ihn. Er war Erzieher dnes Grafen Merode. Leider 
geht er weg, da ich ihn kaum kennen gelernt habe. Er fes- 
selte mich schon lange aus der Feme, mit seinem mageren 
elenden Aussehen und den frommen Augen. 

Borries ist hier, ißt oft beim König. Seine Grafenkrone 
ist mir schon recht, nur mehr in dem Stil, das hilft uns 
weiter. Tüchtiges Gewitter. Eben ein Blitz in die 

See. Das war schön! 

Aus Berlin an mich nach Pyrmont und Halle, 1861: 

In der Schule hab ich Freude, die Tertianer sind aller- 
Uebst, ich mit ihnflii aUflEdiqgar aneh. Am Donnentag Naeb- 



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— 59 — 



mittag nm 5 Ulir kommen mdne Kinder um den Geueral- 
anazog zu raachen. Da gibt es Kaffee und Kuchen. 

Für Sonnabend Abend hatte ich mir B. und V. auf Eier- 
kuchen und öalat geladen. Wir schwatzten, und ich finde 
daß mich die Jünglinge nicht mehr brauchen. Der Weg ist 
ihnen gewiesen, aie haben angefiEmgen ihn za gehn: mögen 
sie fidlen nnd tanmehi, wenn ee nur auf ihm ist 



Hein ganaee Wesen wird etüler nnd eEgebener. leh 
hebe meine Augen anf in den Bergen von denen mir Wfy 

kommt. Das ist mir sehr klar, daß ich in diese Zeit und 
auf diese W^elt nicht gehöre. Mein Vaterland muß größer sein. 



Ich danke meinem Gott, daß ich das Symptom des Le- 
bens, den Schmerz der Sehnsucht, fühle. Ich habe noch am 
Dienstag Christum bekannt*), ich glaube daß er mich auch 
bekennen wird. leh nUieiite so gen, daft der Widerschein 
ewjgfln Liefats auf meiner Sturn nnd In meinem ganien Wesen 
Uige. 

VieUeioht geht mein Vortrag Uber die Kegulative, nüt 
m^en Gedanken ttber den Unglauben zusamm^, in den 

Druck. Doch weißt du, daß ich mich zum MUrtyrerthum 
fiir die Wahrheit für viel zu gering halte. Andererseits mag 
ich dieLorbeeru nicht, die der Pöbel Jedem gibt, der gegen 
die Regierung loslegt, gleichviel aas welchen Gründen. £s 
gibt kanm Einen, der so durchaus undemokratisch wäre wie 
ich — eben weil ich Freiheit will, die gaue gOtl^e. 

liebe setst immer HaB TOiaas» Der erste Giad der 
Skmeigung ist Abneigung von den Gegensütsep de s s e n , an 
dem man rieh neigt. Alles Edle ist Ergebnis eines Kampfes, 
ist ein Sieg über uns und den Koth, der dch beim Wandern 
au unsre Sohlen heftet. 



*) In eüiem von einigen Ilteren Oynoasiasten erbetenen Vortrage 
Iber die BsgnlitiTe. 



60 



Sentimental heiftt mir Jeder der einem Gefühl nAchhängt. 
Wenn ich mieh ▼«rbrannt habe, suche ich dm Sohmfin hal^ 
digit loB sa werden, imd nach der angenehmsten Speise ist 
es gat dim Mnnd ansmsplilen. Gefilhl bewdst nur Berfih* 
rang, lebendige Mensehen stoften das Unangenehme von rieh, 
nur die Leiche leidet den Dolch in der Wunde. Ein Gefiihl 
ruft stets eine Reaction hervor, also eine Thätigkeit — wenn 
es gesund ist. Folgt diese Thätigkeit nicht, so ist aus dem 
Gefühl Sentimentalität geworden. Der Mensch lebt nur, wenn 
er handelt, weil der Wille srine Grandkraft ist, oder eigent- 
Hch er selbst. 



Im Veiianfi» der iwölf SchnQshre ist einige Haie Hoffiraog*) 
anf eine DniTenitätoprofessur an%etancht: nnr awtf FXDe — 

Halle nnd Gießen — sind von eingreifender mid nachhaltiger 
Bedeutung gewesen. 

In Bezug auf Kiel hieß es, der Lagarde Vorgezogene „hätte 
sonst umsatteln müssen" — recht naiv einem Manne gegenüber, 
der doch auch hatte „umsatteln müssen", der mehr als acht Jahre 
Siter war als der Andere, und der mit eisernem Reifte, unter 
großen Opfern, alljührHch neue gelehrte Arbeiten vorlegte. 

Harbnig ist mir erst bei Dnrchsidit der Notiien ans Biieftn 
wieder in die Brinnerang gekommen. Ich finde folgenden Aassiig 

*) Eine durch Bunsen im Jahre 1859 angeregte Aussiclit darf ich 
nicht unter die zerstörten Hoffnungen zälilen , da Lagardes Gewissen- 
haftigkeit ihm von vorne herem verbot, sich an der Durchführung des 
betreffenden Planes zu betheiligen. Er selbst spricht sich darüber, im 
zweiten Bande der Symmicta S. 140, aas: 

Die nene Aera brachte BonBcn nach Berlin , welcher dem Be- 
genten nnd der Begierang einen Plan an einer bibUa tetraglotta 
vorlegte: ich sollte als Leiter dieses WetlnB eine Professor der 
Theologie mit 1000 Tbslem Gehalt bekommeD. Der Entwurf, von 
einem Schreiber Abekens kopiert, ist noch in metnem Besitse. Die 
Ansfühnmg dieses Planes habe idi selbst hintertrieben: den Com- 
missaren des Unterrichts- nnd des Finanzministerinms, welche mit 
mir verhandelten, habe ich geseigt, daß das von Emsen beabsich- 
tigte Werk unausführbar, nnd wenn ansführbtr, mniftts sei. So 
blieb ich Collaborator, 



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61 — 



ans täMm BMb neinM Mmuim aa mich, ras LoiMkni vom 15. 
JqU 1860: 

Binliegend Antwort ant Marbar^. Krehl venteht lo 
viel Sanskrit wie fUr die Katze vom Teller zusammengekratzt 
wird, Gosche nicht viel mehr, und Arnold, dem sie die Stelle 
doch auch schon geben wollen , gar nichts. Das sind also 
Phrasen. Ich bin froh daS die Geschichte ein Ende hat. 
Unsre FrofeMoren verlangen andre Leute als mich, ich ver- 
stehe nur wenig Dinge gut und die will Niemand gelehrt 
haben. Ifaa vamB Allee wiaieBf un Ptofeeior m aein. Na- 
Miilieh kommen nur IfittelmMaigkeiten in die Stellen. ISn 
oidentlieher Keil wird sieh nickt unterwinden, die iwei 
eekweiBten Spracken, Sanskrit nnd Arakiflch, zugleick lehren 
m wollen. £Be aoUten nur glelek noeh OrieeUadi dasn Ter- 
langen, dann hätten sie das Kleeblatt fertig. 

Im August 1860 erfuhr ich in Halle die Berufung des Professors 
Bödiger nach Berlin, und theilte dies selbstverständlich sogleich 
meinem Manne mit, der sich, nach längerem Arbeiten in London, 
zur Erholung noch in Norderney aufhielt. Das Briefchen, auf 
das er sich im Eingange aeiner Antwort bezieht, hatte mich in 
der That niekt wenig ttbenaeeht nnd eifirent: es knteto gani kms 
(19.8.60): 

WiDet dv ndt mir m Bfiekort? wir treffen nna InESae- 
naek, keeeken die Wartkoig, fikkren naekCokoig, kleiken da 
kis com 81., gekn flker Hof naek Leipiig, wo ick Tealmer 
sehe, bleiben dann noek einen Tag in Helle mid kommen 

zusammeu nach Berlin. 

Telegraphiere. Aber es kommt kein Nein, nicht wahr? 
Ich hatte erst eine andre UeberrasckuDg fUr dich, aber die 
ist besser. 

Und, am das hier eimiuekalten: ick sagte niekt Nein, sondern 
nakm die Anfibrdemng ndt Bank an: ick war sehr gUtddidi, 
BOekert noek kennen m lernen nnd ward, als die Fran melnee 
Haimfle, mit der liekenswOrdigaten Güte von ikm angenommen, 
so eekr er rfek sonst damals ron den Menscken nrQeksog. Am 
29. August berichtete ich den Eltern: „Gleich nach Tische wan- 



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— 6Ä — 



dertea wir nach Neuseß hinaus, wo wir den alten Rttckert in firi- 
Beher geistiger lud köiperlicher G«8imdheit und in alter Hienlidir 
keit fimden. £e war mir titie redite Hemnafinode, Paul toat 
aeSnem alten Freund« und Lehrer Eaeanmien an aeben: beide so 
sichÜHch in dnander dngelebt vnd innerlieh vertraut*' 

Meines Mannes Antwort anf meine Meldung über Professor 
Rüdigers bevorstehenden Weggang von Halle folg^ jenem erfreu- 
lichen Vorschlage auf dem Fuße: 

Dein Brief hat mich ebenso überrascht und erfreut, wie 
dich morgen früh einer von mir überraschen und erfreuen 
wird. Du kennst mich, du kannst alles ohne Auftrag thun, 
was dn ibr gnt und flOr recht hJÜtst Ehe du an Pemiee*) 
gehst, sprich ndt Leo. Ich halte Halle ftr möglich« nnd 
ÜBr ätiBerst wttnschenswerth: Bemhiudj Leo Blaae Heyne 
Burmdster Eiselen denke ich fOr mich an halben. Arnold ist 
kanm hinderlich. Willst du zu Ködiger gehn, so thue es. 

Ich werde mich vielleicht geradezu bei Bethniann um 
die Stelle bewerben. Eine so einflußreiche bietet sich nicht 
wieder, ich werde alles daransetaen sie zu bekommen, ich 
kann sie auch ansfüllen. 

Die Yevliandhnigen fiber die Wiederbeaetsong dieser Stelle 
sogen sich anftevoidentiich lange hin: mdner Erinnerang nach hat 
Richard Qosche, der schließlidi Erwühlte, de erst Ostem 1868 
angetreten. Einen EinbHek in Lagardes Anschauungen nnd Em- 
pfindungen während der bis daliin waltenden Schwankungen kann 
ich zu meinem Bedauern fast nur aus meinen eigenen , an meine 
Eltern gerichteten Mittheilungen geben, die sich erhalten haben: 
selten hat er selbst .sich mit einem Zwischen- oder Nachsatze be- 
theüigt Auf mein Gedächtnis dürfte ich mich, nach Ablauf dreier 
Jahnehnte, nicht veriassen: ftir die genaue Wiedevgabe jener alten 
HStiheilmigen kann ich dnstehn. Selbstrerstandlich nicht zqgldch 
fax die TPtillige Bichtigkeit aller mit einflieflenden ihattfchlichen 
Angaben: ich habe damals die Für nnd Wider nach Haose be- 
richtet, die meinem Manne von maßgebender Seite gesagt worden 
waren, ohne daß er bei jeder Einzelnheit hätte feststellen können, 

■ 

*) Den Gorator. 



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— «$ -r 

ob sie stimiBte. £• handelt sich hier ja nur darum, eiana £»- 
dmck davon m gevisiieii, wia lidiliagaide iniMrlich an dflr gwumi 
.Angd^geohflit gestellt und wie rie a«f Um gewiikt liat 

14. 9. 1860 Sollte allerdings der Konsul Wetzstein 

gerade den Wunsch haben in Halle angestellt zu werden, so ist 
keine Enge, dalS er Vorhand hat Das sagte Paul mir gleiih 
als er liSrte^ Wetiatein wflneehe eine UniversitätastoUe in Preuften. 
Ich denke, TieQdeht debt er Braden oder Gfeifrweld vor, wo 
die GehaltsverhXltniMe besser sind. 

19. 9. Ich will Euch nur gleich wieder schreiben, und zwnr, 
daft die Aussichten gleich Noll sind, also ja nicht weiter in Hoff- 
inmgeii einlebenl Olehensen ist noch so schwach, nnd Ton den 
C^esehiften frei sn halten, daB es schon dne giofte IVeondfichkeit 
TOD Ihm war, Psnl Tomilassen. Er hat sieh gans in alter Weise, 
hersBeh thelhidmiend nnd in Jeder Weise gttnstig nrtheüend, ans- 
gesprochen. Er würde sidi frenen, Panl solle noch zum Minister 
gehn, usw. nsw. Die Facta sind aber so: Greifswald fiillt gleich 
fort, da die Entscheidung über die Besetzung der Professur we- 
sentlich vom Oberkirchenrathe abhängt, von dem Paul niclits 
zu erwarten hat. Die Brcslaucr Stelle soll wegen nothwendiger 
Crspamisse eingehn: für Halle ist Wetzstein da. Dieser hat näm- 
lich seit elf Jahren, so lange er als Konsul in Damascns ist, kein 
anderes Gehalt beaogen, als die Versprechung der zuerst an einer 
prenfiischen Universitilt frei werdenden oiientalistischen Profrssor. 
Nim ist es aUeidings wohl Zeit, nach elf Jahren dies Gehalt dem 
Manne haar ansmahlett. Natürlich versteht er Türkisch nnd Am- 
hiedi, nadidem er so lange dort gelebt, nnd swar in einer Stel- 
lung die ihm Zeit genug zum Btndieren ließ, ausgezeichnet. 

Mir bleibt nur immer noch der schwache Schimmer einer 
Hofihung, daß man die Wichtigkeit der theologischen Seite filr 
Halle berücksichtigen, und vielleicht deshalb für Wetzstein etwa 
die Breslauer Stelle erhalten werde. Diese könnte ja dann mit i h m 
•nssterben, wenn es sein maß. Der Professor Gosche hat auch 
noch gestern sn Paul gesagt, daß er, Paul, der Einzige sei der 
nneh Halle passe und gehOre. Und Gosehe ist nicht etwa ein 
didBBT md Minder Fmmd. 



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_ 64 — 

Nachachrift von Lagarde: Meine theuren Eltern und du, lieber 
Sonnenschein*), solltet Ihr in hoffentlich ferner Zeit ans 
• Anaziehen denken, so empfdile ich meinen jetst ganz neaea 
giOAeaten und alle froheren Körbe mm Trenaporte. SXmmt- 
Ueh gerihmig und daneiliaft. leh komponiere jetat Ich hab 
nuine Sech auf ITichta geatoUt nnd mir gehört die ganae 
Welt, womit nur Anna noch nicht gana einrerttanden iat 

17. 10. 60. Die VonclilMge der SUnltXt auid ja aehr atMn^ 
ee iat efaremToU fttr Panl in ao gater GeaeUaehaft yoigeacUagen sa 
aän. GKldemeiater Terwerfen aowoU der tfiniater irie Olahanaen 
aofort (wie Paul gleich gedacht), man nimmt ihn nicht gleich wie- 
der von Bonn weg. Mit Dillmann werde es nichts sein, meint 
Olshausen, „die dänischen Gehälter seien so viel besser als alle 
preußischen". Dagegen deutet jetzt Olshausen auf „die vielen 
Mitbewerber" hin, und ganz in einer Weise, als ob er Einen 
schon bestimmt ins Auge gefaßt habe. Vielleicht thnt die jiTakoltät 
noch etwas, ihren Vorschlag zu vertheidigen mid zu verfechten. 
VieUdoht Gtobnnden iat ja der Miniator nicht an die Vorachläge. 

8. 1. 61. Die Entscheidung über die Ködigersche Stelle 
scheint noch ganz in der Fenic zu liegen. Unsere Hoffnungen be- 
trachte ich nicht als abgeschoittcDi aber als sehr unsicher. Bitte, 
thnt üir daa auch. 

Nachachrift von Lagarde: 

Manehmal iat mir der Gedanke &st peinlich, ana meinem 
stillen häoalichen Glücke heranageriasen nnd anf die wdte 
zugige Bfihne der Welt gestellt zu werden. Die Schule wäre 

ich freilich gerne los. Mit den Kollegen ist nicht zu leben: 
wenigstens nur mit Einzelnen , nicht mit ihnen als Kolle- 
gium, wie es sein sollte. Und dann die elenden Einrich- 
tungen, in denen alle Arbeit eine Tcrgebliche bleibt 1 

13. 4. 61. Ihr könnt schon aus unser Beider Stellung zu 
den Bchülern — über die Alle miteinander wir die Hände breiten 

*) Mtine jüngste Schweaker, die — noch Schulkind als ich mich 
Terheirathete — damala alleifl von ona Geachwiateni an Haaie war. 



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— 66 — 



mSehten, irio tibttr f&lgeM Kinder — wteo, däft'wir tdelit ver- 

zageD werden, falls es mit der Universität niehts wlrd; 

25. 1. 62. Paul leidet viel weniger durch das Arbeiten, als 
durch innerliches Kümmern und Sorgen : daß dazu ftir einen Mann 
heatsatage Ursache genug im Leben vorhanden ist, wisaen wir 
AUe. Es kann Sun aneh nicht gleichgflltig sein, daft er in Be- 
mg auf seinen ^gentlichen Lebensbemf so gXnilieh nnberfick- 
dehtigt bkibi Bd der Halleaehen Stelle ist AUes geschehen; 
wiren Olshansens tiidlnahmevolle nnd aneilcennende Worte immer 
ernst gemeint gewesen, so hätte er es sicherlich bei dieser Gele- 
genheit in Händen gehabt etwas zu thrni. Man will eben nicht. 
So bescheiden Paul wirklich über sich denkt, so ist er sich doch 
bewußt, er könnte leisten was viele Andere leisten, und mehr, 
als eine große Anzahl Anderer. Ich kann, ohne blind nnd par« 
taBeeh an sein (was nichi in meiner Nator liegt) nnr sagen: ea 
wild flieh selten dn Hann finden, der mit solcher Uneigennütsig- 
keit, mit ao pdnlieher Genanigkeit nnd Pünktlichkeit, gewissenhaft 
im klraisten Pnnkte, arbdtet Das kann ich jetst erst in vollem 
Maße übersehen und beurtheilen, wo ich durch das g-emeinsame 
Arbeiten die Sache erst verstehn lerne. Wenn wir uns zum 
Tröste sagen sollen, es gehe Vielen so, und gerade den Besten, 
so ist das kein Trost, denn dann steht es ums Ganze noch viel 
aehlimmer, nnd man hat noch mehr Uraach aur Kiedeigeechlagenheit 

Wider Erwarten nahm — doch weift ich nicht mehr, in 
welchem Termine — Professor Dillmami die Bemfang nach Halle 
ao, nnd würe ea dabei geblieben, ao hittle Lagarde aieh nidit be- 
klagt: dann wire ja allea nach Beeht nnd BiHigkdt gegangen. 
lEfben so wider Erwarten 80g Dilhnann seine Zusage zurück 
— das wird im Sommer 1862 geschehen sein — , wodurch von 
Neuem fiir uns Hoffhungen angeregt wurden, über die sich in- 
dessen Lagarde selbst (20. 7. 62) äußert: 

.... Ich bin der Stellengeschichte bis zum Ueberdruß satt: 
mir wird es eine Wohlthat sein von der ganaen Sache gar 
niehts mehr m httren. Ich werde weiter arbeiten. Ea ist 
meinem gansen Sinne weit Beber, die Leute fragen warom 
iah iddit Pkefeaaer bin, ala daft rie fragen wanun ieh ea bin. 

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— 66 — 

Die Entscheidung fiel Anfangs November 1862, am fünften 
schreibe ich nach Hanse: Vorhin hat Paul auf der Bibliothek 
(Rosche gesprochen, der ihm nnn selbst von seinem Antritt der 
Haileschen Stelle zu Ostern gesagt hat, anedieinend selbst etwas 
vtnAegm und beeehimt, mmel als er erfohr, daft Biebm noch 
Pads ZMm g c w o e c n. Goecfae ist ein Btadieogenosie toh Paul, 
mit dem er sich noch dntat: Paul erklirt ihn för einen sehr be- 
fkliigten Hann, kann nur nicht angeben, daft Gosche ihm gerade 
bei dieser Gelegenheit mit Recht vorgezogen worden sei. Jetst 
wird, wie ich es mir schon dachte , das Mährchen verbreitet, als 
seien ausdrückliche Wünsche des Älinisters zu Wrücksichtigen ge- 
wesen. Wir wissen, daß der Minister von vom herein fiir Keinen 
eingenommen und interessiert gewesen, und darum gerade Paulen 
geneigt worden ist durch den Facultätsvorschlag. Er hat aber, 
mit vollem Rechte, gesagt, gerade in diesem Falle müsse er sich 
nach den VonchlMgen seines vortragenden Bathes riehten, da der- 
selbe speneUer Fachmann sei Entaehnldigt, daft ieh Eneh noeli 
ehinal von der gamen GesdiiGhte spradie, aber dies wellte ich 
doch nicht ungesagt lassen. 

Als letztes und schwerstes Erlebnis dieser Art folgte dann 
das mit Gießen-Halle. Da nunmehr dreißig Jahre über die Sache 
hingegangen, außer dem damals Betroffenen sicherlich auch Viele 
der damals Handelnden aus diesem Leben geschieden sind, wird 
es erianbt sein, Näheres mitzutheilen. 

Am 1. Juni 1868 wandte sich Lagarde mit der Bitte um 
Auikaatt nach Gieftsn, ob eine Bewenbang um das dnreh Fio- 
ftssoff Knobels Tod eriidigte Qidinariat dnige Aussiebt nd Efw 
ft>]g haben kflnne: nach Empfiuig einer wohlwollenden nnd nicht 
ahwoieeaden Antwort von dort seUckte er am 18. Jnni sein Oe- 
saeh ab. Ich theile, ans einem €himde, der sieh hemadh von 
selbst ergeben wird, den Hauptinhalt dieses Gesuches hier mit: 

Euer Hochwürden wollen mir erlauben, mich Ihnen als 
Kandidaten fiir die durch D. Knobels Tod erledigte Professur 
der altte^AmentUchen Exegese vorzustellen. £s wird Ihnen 
wünsehenswiKth sein, meinen Lebenegeng km keimen m 
lernen 



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67 — 



Im Oktober 1860 schlug mich die philosophische Fa- 
kultät zu Halle tertio loco (nach Gildemeister und Dillmaxm) 
zu Rödigers Nachfolger vor : ich sollte hauptsächlich A. T. 
lesen. Das Ministerium hat Gosche nach Halle geschickt. 

Ich muß ausdrücklich erklären, daß ich das unbedingte 
Beeilt der fre&eo Fofiefauog ftr Buch in Aiypraeh nehme, 
die Ihr Comtdv eftets an den etiiieefaen IVndenmgen haben 
wird, welehe ieh mir m stellen gewohnt bin. leh bin pbi- 
lologiaeh genugsam geschalt, mn nfar auch ideht einen Dent 
meiner nflchtemen Grammatik dnreh mystisch -dogmatiaahe 
Ftansen nehmen su lassen. 

Die Union erkenne ich als zu Recht bestehend an, da 
die beiden nicht-katholischen religiösen Gemeinschaften in 
Deutschland mir in der Form von Staatskirchen existierten 
mid als solche den Verordnungen ihrer summi epiacopi unter- 
worfen waren. Ich bin aber der Ueberzeugnng, daß das 
Staatskirchenthnm schon an nnd ftr rieh, besonders aber in 
wiiididi oder scheinbar konstitotioneUen Staaten, eine Ano- 
malie ist, die im Ltteresse des Staats wie der Kirehe so bald 
ab mfigfich beseitigt werden mnft, die inDeotseUand darum 
sogar noch ganz besonders geftlnlich ist, weil rie die Beli- 
gion In den über kurz oder lang nnvermeidlichen Fall der 
jetzigen politischen Ordnung hineinziehen, und das ewig Blei- 
bende zum Verderben des Volkes an das unaufhörlich Wech- 
selnde gekettet erscheinen lassen muß. In der nach dem 
Falle der Staatskirchen eintretenden neuen Ordnung der Dinge 
wfinsche ich durchweg anf die ersten Quellen des Christen- 
tums »iriiekg«griffiBn, und habe als Hanuisgeber mit vollem 
ausgesprochenem Bewnfttsein daftr geaibeitet, diese QMlen 
kiehter und richerer ngingüch in machen: ich kann mir 
dann eine nadi reformierter Weise Ton Oott nnd eine nach 
hrtherischer Weise yom Menagen anagebende dogmatische 
BetraehtnngBweise als neben einander mSgUch denken, bin 
aber der üeberzengung , daß dann das Christentum als refn 
ethische Religion nnd die Dogmatik als Unterbau der Schule 
für diese Ethik angesehen werden, der Unterschied der beiden 
Confesrionen also dann an Bedeutung ;Bebr mloren haben 

6» 



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— «8 — 

ivifd: und kann aodi nidit veriiehkn, daft mir filr den MflO" 
sehen der An&og yom Menaetcn der natflrliche sdieint, m- 
mal da der Beginn to& oben in einem GOtiendienete mit 
der Hbd ftllneB rnnB, der mir in dem vefonnierten England 
stets unbeschreiblich widrig gewesen ist. Ich vermag die 
heilige Schrift niclit als einen codex iuris divini, sondern nur 
als eine neben den ältesten Vätern und der reinen (wissen- 
schaftlich festzustellenden) Tradition geltende Urkunde der 
Geschichte amuaehen: mein christliches Leben kommt nicht 
ans ihr. 

Sollte ich, was ich sehr lebhaft wtlnache, nach Gieften 
bemfen werden, so wtirde ich sehr gern anch Aber das N.T. 
lesen und den Studenten bei der Lektüre der Xltesten VSter 

zur Hand gehn. Die philologische Seite dieser Disciplinen 
ist mir sehr geläufig: ich glaube sagen zu dürfen, geläufiger 
als irgend einem jetzt lebenden Theologen. Ich sehe mich 
aber durchaus nur als einen, filr mich und mit meinen Schü- 
lern, Suchenden an: hier in Berlin habe ich als Lehrer in 
den ▼erschiedensten Kreisen nach meiner li^nng nur dnich 
dies ünfertlge gewirkt nnd nür viel Liebe und Dank er- 
worben. Das odx l/oiLz^ pivoosav icdXtv gilt nicht nur dem 
Christen, sondern dem Theologen, der sich den Zweifial an 
sdnem Wissen immer offen halten muß. Zunächst fireilich 
würde mich das A. T. allein wahrscheinlich ganz in Anspruch 
nehmen. Später dächte ich, hier gehaltene Vorlesungen oder 
besser Reden über das Verhältnis der deutschen klassischen 
Litteratur zum Christentume wieder aufzunehmen. 

Sein Sie mhr nicht böse über den langen Brie( den ich 
mir rasch vom Halse schaffen moAte, weil der Quartalsehini 
dem Schulmann viel Arbeit bringt, die üm an allem andern 
hindert Thohiek hat mich dmnal yor 17 Jahren dne anima 
naturaliter pantheistica genannt: wofiir Sie mich halten wer- 
den, weiß ich nicht: auf jeden Fall können Sie mich als 
^en offenherzigen Menschen ansehen. 

Mit auMchtiger üochachtung Euer Hochwürden «... 

Die Bewerbung wtiide woldwollend angenommen » die aqge- 

I 

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— 69 — 

•lallten Erkimdigiingen mfimi gflnalig «ugvAilIfln sein: mlMl 
fillirte ProfoaBor Bttdiger in Berlin dieVeilMiidlungen mit meinm 
Manne mllndlieh: sehr bald sah er cSnen guten Ausgang ftir ge- 
achert an und beglückwfinschte Lagarde : zahlreiche weitere Glfldc- 

wünsche folgten. Wir selbst hatten nirj^ends etwas von der Sache 
verlauten lassen, weil wir nach unseren Erfalirungen durchaus Nichts 
als sicher betrachten wollten, bis wir es schwarz auf weiß in 
H&nden hätten: dieee mindestens verfrühten Glückwünsche waren 
uns also peinlich, so sehr ms anch die in ihnen sieh änftemde 
wanne TheUnahme erfreuen mnAte. Niehtadestoweoiger stand das 
Ganae damab doeh so, daS Lagarde seHist meinte, nur noeh dem 
effiiidlen Bofe entgegenansehen ca haben. Statt dessen lief plM»- 
lieh tSn vom 8. September datiertes kones Sdirdben des Inhaltea 
ein, Lagarde werde wohl — was nicht der FsH war — selioa 
gerflchtweise erfahren haben, daß die Stelle anderwdtig reichen 
worden sei, gute Wünsche für die Zukunft anschließend. Unzwei- 
felhaft hatte man in Gießen das Recht, zu wählen wen man wählen 
wollte : dagegen ließ sich nichts einwenden. Niu* die Art des Ab- 
bruches war nach allem Vorangegangenen aufifallig und befremdlich, 
aber auch sie mußte natürlich stillschweigend hingenommen werden. 

Als dann im Sommer 1864 Jemand Anlaft frmd, meinem 
ICanne brieflich seine „Mttre Stinummg** TmnwerliBn, entg^gnato 
dieser: ob er sidi etwa Uber die Art besondeas bXtte frenen sotten, 
mit der die GieBener Yerhandlnngen abgebrochen worden seien. 
Auf diese AenBenmg hIeB es sonichst, mit Beriebmig anf die 
mehrmaligen Fehlschlage: „Immer sind Leute tmter den Votanten, 
die von Berlin oder sonst woher über Sie dieß oder das gehört 
haben, was ihnen nicht geföllt", was Lagarde dahin beantwortete: 
„Dies und Jenes, was den Votanten nicht gefällt" — 
nehmen Sie es mir nicht übel, das ist gar nichts gesagt. 
Wer hat über mich geklagt? Wa.s hat ihn gestört? Soll 
ich mich ändern, soll ich mich vertheidigen, in beiden Fällen 
nmft ich klar wissen, was msn mir vorwiift* 
Danach — im Frühling 1865, also hak iwei Jahre nachdem 
die Sache vorgeftllen — hat man eich bewogen geffanden, ihm 
„an sehier Anfldirong" mitentheilen, daA er der XJnglanbwfir^ 
digkeit besehnldigt gewesen seL länHi^lied der theologisehsn 



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Fdraliifc in Hille liabe es ftlr olne fiOBefa« Abgabe «UMrt, daft 

Lagarde in Halle voi^eschlagen gewesen sd. Dessen Sehreiben 
sei allerdings in einem so augenscheinlich übelwollendeu Tone 
gehalten gewesen, daß ein Gießener Professor in Halle, und zwar 
bei einem Mitgliede der philosophischen Fakultät, nochmals nach- 
gefragt habe: auch von dieser Seite sei der Bescheid gekammeii, 
Lagudes Angabe sei falsch. 

Lagarda nabm die in freondlichater Weiaei uisweiMuift andi 
hl ficeundlielistor Absidit, mitgeüieate MAnfkUnqg" moht gldch- 
mttti% liin, wie es der MlttheiUwide erwart et an haben echeint: 
er Terhuiigte, nun eeSneneits ftr Anfklirong aoigen m dflifbn. 
Die Bitte, ihm die Namen der betreffenden Korrespondenten in 
"HsXLe und Gießen zu nennen, wurde — begreiüicherweise — ab- 
geschlagen, da es sich um Privatbriefe gehandelt hätte. Aber auch 
das Verlangen, eine vom Dekan der philosupliischeu Fakultät in 
Halle bereitwillig ertheilte amtliche Bescheinigung der Richtigkeit 
sdner Aassage bei elmmtlichen Mitgliedern des Senates in GieBen 
nmlaofen zu lassen und sie dann zu den Akten an nehmen, ist 
nicht erföUt werden: mir einadnen der Heiren aeheint das Akten- 
stück vorgelegt worden an sein. Lagaide hatte wieder einmal 
„aoiner Beaibarkett in yiel nachgegeben^, und eSnen »exliemen*^ 
Sefaiitt gethaa. Der Gieftener Kollege hatte sich eines Braefas 
des Amtsgeheimnisses schuldig gemacht, indem er von der Sache 
gesprochen: er durfte nicht bloßgestellt werden. 

Sollte es wirklich einen Menschen geben, der eine derartige^ 
ihn ungerechter Weise treflfende Beschuldigung leicht nälune, so 
thäte er mir leid : gäbe es ihrer gar Mehrere, oder Viele, so thäte 
mir mehr noch der Kreis, oder das Volk, leid, dem sie angehören. 
Ich beaweifele aber, daft es solche Keuschen gibt Leider fragt 
steh nur lücht leidit XSner, wie ihm selbst eine Sache ibnn wttrde, 
die er einem Anderen anfliim sieht : im Allgemeinen b^ügt sieh 
Jeder damit, daß eben nicht er selbst der Geschld^gte ist La- 
garde empfand und bekämpfte das Unrecht an dch: iddit, 
es ihn persönlich traf: er trat überall wo er Gelegenheit dazu 
&nd mit derselben Energie für jeden Anderen ein, fiir fremde, 
gleichgültige, sogar fiir ihm unsympathische Personen. Er litt 
danmter, daß er zumeist Anlaß hatte, fiir sich selbst in die Schian- 



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— 71 — 



keil za treten, weil das stets nur «Is penönliches Intareass «Q%t» 

faßt zu werden pflegt. 

Das oben mitgetheilte Schreiben zeigt, mit welcher rückhalt- 
losen Ehrlichkeit Lagarde der theologischen Fakultät, bei derB^» 
Werbung um einen Platz iu ihrer Mitte, seinen theologischen ^aiuU 
pankt bekannt hat Es lag nicht eben nahe, dafi derselbe lisim 
Sick gleichzeitig einer UnwahrluiflkigkeU soüto sehnldig fsniMihl 
haben. In 4er Tbat ist damals in Gieta eneh die Ansclwwwi^ 
vertraten gewesen, es bandele sidi TieDeidit nnr vm eineB&xtibnii 
das Wort Lflge sei nicht ansgesproehen worden. Der CUenbe an 
den Begriff Lfige moA doch, und swar ausschlaggebend, w- 
handen gewesen sein, da eben anf diesen Vorwurf hin der yotn 
der theologisclicn Fakultät beiUrwortete Name im Senat von der 
Kandidatenliste gestrichen worden ist. 

Nach meinem Geföhl — heute, wie damals — war das ein- 
fach Gebotene dies: 

Entweder man hielt Lagarde Übt einen bewnAten Lügner und 
verwarf ihn ~ es geschah ihm dann nur sein Recht: ein nnwahiv 
haftiger Hann soUte am allerweiiigsCen in dner sw Leitung der 
Jugend bemftnen Köiperschaft iigendwo geduldet werden — : 
aber dann sagte man ihm aueh offion den Grund seiner Verwes 
fhng. Oder man glaubte, er wXre in einem Irrärame befimgen: 
dann hatte man ihm die Mittheilung dieses Irrthums zu gönnen: 
schon zur Warnung, damit er sich bei einer anderen Gelegenheit 
nicht wiederum dadurch schaden möchte. 

Hätte man ihm, anstatt nach fast zwei Jahren, sogleich jene 
„Aufklärung" zu Theil werden lassen, so hätte er, ganz wie es 
denn nach uwei Jahren geschehen bt, sogleich das erforderliehe 
Zeugnis aus den Akten in Halle erbeten, und es wSre dann so- 
gleich erwi es en gewesen, anf welcher Mte der „bithnm** lag. 

Der erste der beiden Halleschen Berichterstatter, dessen Käme 
damals genannt werden ist, hat übrigens meiner ftsten üebenen- 
gung nach*) ideht In menschlichem Irren s^e ftlsehe Aussage 
gemacht, äonderu mit Willen wider besseres Wissen. Sein eigenes 

*) Mir diese Ueberzeagang aueh nur an ersdiAtteni, wird durch* 
«Ii niemMd in «Stande jhd. 



i_.iyu,^uu Ly Google 



I 



72 — 

Lehrfach grenste so dicht an da^ um das es sich seiner Zeit ftbr 

Lagai-de gehandelt hatte, die Verhandlungen über die Besetzung 
dieser Stelle haben sich so lange hingezogen und sind so viel be- 
sprochen worden, dali ich ea einfach für unmöglich halte, daß 
gerade dieser Professor sich nicht aufs Genaueste um alle Einzelu- 
heiten gekümmert haben sollte. Im Interesse der Universität war 
er verpflicbtet, im eigenen Interesse berechtigt, es ni fhnn. Der 
andere. fwiffflrikWifih befitwrte Hallesche Beriehteratatter mur in 
gutem Glauben sein Urtiheil abgegeben liaben: aber es scheint 
mir, daB dies Urtheil — das tber zwei sidi entgegenstehende 
tbatsKcUiehe Aussagen entselieiden sollte — ansseUiefilidi auf 
die Akten hätte gegründet werden müssen: dann war jeder Irr* 
thum unmöglicL 

Nach Empfang des Schreibens aus Gießen, das die ander- 
weitige Besetzung der dortigen Professur anzeigte, hatte Lagarde 
die Hoffnung auf Rückkehr zur Universität so ziemhch aufge- 
geben. Dies geschah mit etwas leichterem Herzen, als sich nach 
Jahr imd Tag bessere Aussichten ftir das Schulamt eröffioeten. 
IHe Stadt Berlin gründete iwei neue Gymnasien, das Luiaen- 
stsdtisclie und das SopMenGymnasimn, und bei dem Anaehein, das 
Lagaide als Leihrer genoft, durfte er wenigstens bei dieser Qele- 
genhdt mit BestimmÜtdt BerÜekaichtigung erwarten: sei es, daB 
man üm mit ehiem IKrektorate betraute, sd es, daß man ihn da- 
mit beauftragte, in den oberen Klassen die alten Sprachen zu 
lehren. Er wäre dann zufrieden gewesen in dem Bewußtsein auf 
festem Boden zu stehn, und etw^as ausrichten zu können: daß er 
dies in den überfüllten mittleren und unteren Klassen, bei ihm 
femer liegenden Lehrgegenständen, nadi seinen Anforderungen an 
aidi selbst, anch beim besten Willen auf die Dauer nicht ver- 
moehte, war ja sdn stets wacbaender Kummer. Schon im Som- 
mer 1857, als er am KQUnisehen Bealgymnamum diente^ schrieb 
er mir tinmal ans IVanaensbad: 

Auch in meinen Studien ist so viel Unwahrheit: ich 

habe zu lehren angefangen, ehe ich gelernt hatte. VielfiEwih 
trage ich fremder Leute Sünden, indessen die trägt man nie 
ohne eigne Schuld. Wemgsteos dem Direktor und der Schule 



— 73 



gegenüber werde ich mich - ener^ch gegen weiteres Lügen 
wehren: Lateinisch, Griechisch und Theologie*) — so will 
ich ihm schreiben — lerne ich täglich, will ich weiter lernen 
und daher auch gern lehren. So hebräisch. Alles Andere 
muß ich verbitten and ilun die Schuld geben, wenn ieh nichts 
Tauglichee leiete. 

Ihr laftt den Armen schuldig werden, 

dann Uberlaftt ihr ihn der Pdn. 

Ein Antrag beim Ministerium, ihm die facultas zu beschrän- 
ken, wurde zurückgewiesen : man könne nach wie vor seine Be- 
fähigung nicht anders beurtheilen. Sollte dieser Bescheid schmei- 
chelluift sein, so war er doch sehr hart, und — wie mich dünkt 
— unter diesen ümstünden wenig tinmchlig. Das blofie Sidi- 
Wehien half gar nidits. Nur mSchte ich in dankbarer Anerken- 
nung hier erwähnen, daß der Direktor Bonnell am Werderschen 
Gynrnasiuni auch in dieser Hinsicht auf Lagarde Bttcksicht nahm 
80 weit er es yermochte. 

Begreiflicherweise sahen wir mit der höchsten Spannung der 
Entscheidung über die Besetzung der neuen Gpnnasien entgegen. 
Der damals seit dem 1. April 1864 im Amte stehende Stadt- 
schulrath war vorher zwanzig Jahre hindurch Lehrer am Berli- 
nischen Gymnasium zum grauen Kloster gewesen, muftte also — so 
meinten wir ~ über die Berliner Schulverhältnisse, sowie ttber 
die in Betracht kommenden Persttnlichkeiten genau Besdieid wissen 
und somit in der Lage sein, die passendsten WaUen an trefien. 
Idi erinnere mich sehr deutlidi, welche Misstimmung dann kenaehte, 
und wie viele bittere SSagen laut wurden, als jene Entscheidung 
erfolgte. Nach dem zu urtheilen, was meinem Manne geboten 
worden , war jene Misstimmung nur allzu ]>erechtigt. Ihm war 
die erste Oberlehrerstelle an der zu Ostern neu zu errichtenden 
zweiten Gewerbeschule (der jetzigen Luisenstädtischen Oberreal- 
schule) zugedacht: einer Bealschule aweiter Ordnung, die 
vorläufig nur bis Quarta gehn sollte : an der natürlich von Latein 
und Griechisch, geschweige denn von Hehrilisch, überhaupt nie die 

*) Später ward ihm gerade der BeUgionsunterricht von Jahr in 
S^sbre schwerer and peioUcher. 



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— 74 — 

Rede sein konnte: eine Stelle mit aUeidii^ 1000 Thalem Ge- 
halt, aber mit dem Unterricht in Geschichte, Deutsch, Religion, 
Englisch, Französisch in Sexta, Quinta, Quarta. Und zwar wur- 
den noch ausdrückliche „I3ewerbuiig8^^Vi«iten bei dem Curatohum, 
d.h. bei einer Anzahl von Stadtverordneten, verlangt. 

Wenn auch yieUdcht dies „Anerbieten'' nicht als Hohn ge- 
melot gewesen ist, so wiid doch Niemand, der ^ch die vor- 
liegenden VerliiUtaiMe ye i g^g en würtlgt, ndr yeidenken, dai es mir 
wie Hohn evacbien und noeh hente erseheant Man veigene nidit, 
daB thatsSchlieh filr zwei neue Gymnasien die ganzen Lehrkräfte 
gebraucht wurden, und daft Lagarde als eine Kraft ersten Ranges 
sich wahrlieh — anerkanntcrinalJen — bewährt hatte. Auch das 
ihm zugedachte Gehalt von tausend Thalem wird — weil für 
die Realschule ausgeworfen — gegen die den GymnasialOber- 
lehrem bewilligten Gehälter ohne Zweifel erheblich snrUckgestanden 
haben. 

Mein Mann hat, wie mir der nachher mitsatheilende Brief in 
die ISrinnemng roft, in der ersten Ueberraschung das angenscbein- 
Ueh mündlich gemachte Anerbieten angenommen. Die Erbtthnng 
der Jahresonnahme um ISO Thaler war sehr wichtig. Aach war 
ihm sofort klar, daß, iklls er ablehnte, ihn nnfohlbar der in sol- 
chen Fällen übliche Vorwurf der „hochmüthigcn Prätension" tref- 
fen, uud daß in Zukunft bei jedem Gesuche um Verbesserung auf 
diese Ablehnung venviesen werden würde. Das scheute er: und 
doch mußte vr sich zur Ablehnung entschließen, sowie er zur 
Ueberlegung kam. Wir hatten die Luisenstädtasche Beabchule er- 
lebt: die guten lieben willigen Jungen, die uns gans eben so lieb 
gewesen waren, wie die anderen Alle: die, um auch von ihver 
Seite Anhänglichkeit sn beweisen, nns Blnmen brachten, so viele 
die kleinen Hände an fiissen Termocbten, sowie es mir Blnmen 
gab: denen aber jeder Hoviiont f^te. Bd den deutschen, na- 
tfirlich allereinfiichsten, Auftätsen der 72 Qdntaner b. B. lerbrach 
man sich oftmals den Kopf vergeblich darüber, was die Kinder 
etwa gemeint haben könnten. 

Ich weiß , daß ich bei der Mittheilung zunächst völlig ver- 
stummte, aber doch sogleich ftihlte, daß imter diesen Umständen 

ktine Wahl blieb, datt wm Mann ohne jede firleipfaterong am 



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— 76 — 



IVMer Uiiben nüm. Er aokneb «i dcBuellMii T^ig» nodi 
nnd er hat w mit einer Mäßigung und H5fikhkeit gtünn, die 
Ick Iwwiittdiere 

Geehrter Herr Behuhratb 
ich habe Ihiieu heute gesa^^t , daß ich uothigeu Falls auch 
den Herren vom Curatorium meine Aufwartung^ machen wünle. 
Ich muß die8 "Wort nach reiflicher Ueberlef^ung zurücknehmen. 
Ich bin auf Ihr Anerbieten eingegangen, einmal weil ich ein 
höheres Grehalt dorchaue blanche und den vielen jungen hoch 
besoldeten Lehrern gegenflber auch beanaprucheu kann : zwei- 
tem weil ich mir nieht nachlegen lanen wül, dai ich eine 
mir angabotena beeaere Dotierang ana „HoehmnÜi" an^ge- 
aehlegen habe. Wünechenewerth ist mir eine Sleilnng wie 
die mir sqgedachte dorehana nicht, da ieh in sehr Pliflologe 
bin, nm andern Unterricht ak den in den drei alten Sprachen 
anders als im alleräuliersteii Nothfalle zu geben: ich kann 
also auch nicht ohne zu lügen den Herren vom Curutorio 
mich als Bewerber vorstellen, sondern höchstens annelmien 
was man mir gibt, wenn man eine Stelle an einem Gymna- 
einm mir entweder nicht geben kann oder nicht geben will. 

Nehmen Sie mir nicht übel, daß ich das so o£fen heraus- 
sage. Ich kam mir eelbet gans schlecht vor, bia ich es aofii 
Papier gelnadit hätte. Einen Fteanä. um seine Meinnng 
fragen kann ich mcht, da ich Schweigen veEflprochen habe. 
Tn sdmldiger Bhierbietnng 

Berlin 1. 8. 65. Lagaxde. 
Ich bezweifele keinen Augenblick, daß auch in imd nach 
diesem Falle gar mancherlei „Dies und Das'' von „Diesem und 
Jenem" gegen Lagarde gesagt worden sein wird, das dann „ver- 
traulich" weiter gewirkt hat, vielleicht nocii wirkt. 

Nach diesem Erlebnisse lag die Einsicht nahe, daß auch bei 
der Schule auf jede wünschenswerthe Beförderung zu verzichten 
sei, und ana dieser Einsicht erwuchs Lagardes Entschluß, sich um 
Hülfe direkt an den £5nig, unsera nachmaligen Kaiser Wilhelm, 
an wenden. IHe betreffende Eingabe datiert vom 3. Apiü 1865 
und ist dueh die Venwittelnng Unsens alten Freundes, des am 
28. Jaimnr 1868 fentorbenen Geneiala Heiniieh von Brandt, 



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Seiner MajestKt zu Händen gekommen. Sie lautet, unter Wegfall 
der vorgeschriebenen Eingangs- und Schlußformeln, wie folgt: 

Eurer konii^-lichen Majestät in Gott ruhender Herr Bmder 
haben mir im Jahre 1852 auf den Vorschlag des Freiherm 
von Bunsen aus Allerhöchstihrer Privatchatoulle ein Reise- 
■tipendiam verliehen, um xa London und Paris in den dort 
nea angekanften Haadflohriftai Studien für die biblische Tezi» 
kritik und die titeete Kirehengesehichte la maehoL Eure 
Ifajettät aelbst genditen im Sommer 1860 ebenfidls hidd- 
voUit, meine Arbeiten dmreli Gewihrung der Mittel sn einem 
abermaligen längeren Aufentbalte in England zu unterstützen. 
Ich darf hoffen, mich dieser Allerhöchsten Auszeichnungen 
w ürdig gezeigt zu haben , und gestatte mir, allerunterthänigst 
in der Anlage einen Auszug aus den Urtheilen kompetenter 
Bichter über mich und meine Leistung^ vorzulegen. 

Aber nachdem ich die Materialien sum größesten Theile ' 
veröffentlieht habe, welche ee mir auf meinen Beasen gelmigen 
war sn sammeln, md indem ich mm daran gefan wiU, die- 
selben an verarbeiten nnd dgentlich ent lecht nntsbar wa 
machen, Icann ich mir nicht verhehlen, daft ieh daaa in meiner 
jetaigen Lage als Lehrer an einem Gymnasinm nicht die n5- 
thige Mu6e finden werde, uud daß meine Kräfte zu dem 
doppelten Leben, welches ich bisher geführt habe, nicht mehr 
ausreichen. 

Es ist etwas Anderes, gewissenhafte Ausgaben alter Ur- 
kunden geben, und diese so ssu bearbeiten nnd zu erlttutem, 
daß der Gteschichtsforacher von ihnen Nutien sieben icann. 
Jene eiste An%abe konnte ieh aneh in eimeben, meinem 
Amte saerst mit Mtlhe abgesparten, nachher reicblieher ge- 
messenen MnBestanden eiAiUen: geschidtdiche nnd eigendich 
kritisdie Studien ündern, wenn lae gedeihen sollen, den gan- 
zen Menschen. Und selbst wenn ich das bisher gefiibrte 
Doppelleben fortsetzen wollte, wtirde ich es nicht können. 
Ich habe, was ich geleistet habe, zu Stande gebracht bei einer 
erst in den letzten Jahren durch eine günstige Fügung er- 
mäßigten Last von meist 29 wöchentlichen öffentlichen Lec- 
tionen, sa denen noch die Schuikonrektoren, Frivatanteixicht 



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— 77 — 



imd IBo VovboNitiiiigoii auf 6ui€n Vortrag kamen, dessen Ge- 
genstände mir zimi Theü von HauBe aus sehr fem lagen: 
Jahr und Tag habe ich in der Woche sogar vierzig Stunden 
unterrichtet. Dabei mußte ich den sehr theuren Druck meiner 
Bücher imd die für dieselben nöthigen Reisen zum größesten 
Theil aus meiner Tasche beiahlen. Ein solches Leben lebt 
«neh der StSikete nicht nngettraft : £01« Majestitt worden mir 
glanben, daS ich ein auch nur annihemd ühnBches weiter 
sa Aihren endHch durchaus anAer Stande hin. 

Aber ich wage zu hoffen, daft meine Arbeitan ftr die 
'Wissenschaft einigen Werth haben nnd weiB, daß, wenn ich 
als Gymnasiallehrer leicht ersetzt werden kann, so leicht Nie- 
mand die Studien wieder maclieii wird, durch welche ich mich 
zur Ausfuhrung von Arbeiten über die biblische Textkritik 
und die älteste Kirchengeschichte zu befähigen bemüht ge- 
wesen bin. Ich glaube die nicht eben leicht au erlernenden 
Sprachen, welche an diesen Untersachnngen nöttdg sind, so 
wdt zu verstehn, daA ich sicher mit den in ihnen geschrie- 
benen Texten operieren kann, nnd denke auch der Methode 
der Forschung hinlänglich Herr an sein. Den Gedanken 
kann ich nicht f^sen, daß Alles, was ich durch zwanzig- 
jährige mit Konsequenz auf Ein Ziel gerichtete Arbeit, und 
durch den Verzicht auf Alles Das mir erworben habe, was 
Menschen Lebenagenutt nennen, — ich kann es nicht fassen, 
daß ich das Alles nmsonst erworben haben, daft Allee für die 
WiflsenBehaft keinen Nntsen bringen sollte^ mar weil ich dicht 
vor dem ZSiele aogekonunen die UnterBtfitsang nicht filnde, 
die mich in den Stand setste, das Ziel wirklich an erreichen. 
Im Gretriebe des Staates ist für mich und meine Arbeiten 
vielleicht keine Stelle, aber Eure königliche Majestät werden, 
ich wage es zu hoffen, Mittel und "Wege finden, mir wenig- 
stens auf einige Zeit die Muße zu geben, ohne die ich nicht 
weiter arbeiten kann und umsonst gearbeitet habe. 

Ich flehe Eure Majestät an, mir Lebensmath mid Ijebens- 
frendigkeit wiedenogeben, indem Allerhöchst Sie nur anf if^ 
gend eine Weise die Mdgliehkeit gewähren, unter Angabe 
meines Schnlamtes der Ansföhrung meiner so lange und mit 



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— 78 — 

80 vieler Mtilie vorbereiteton Pläne zu leben. leb babe mcm 
Vorbaben schon lange auf eine kritische Ausgabe der grie- 
chischen Uebenetzung des alten Testaments und die Bear- 
beitiing der patriatiaehen Texte beBehrKiikt, welehe ieh durch 
die InddToUe UntenUltiaig sweier FMafUBchcr Könige ge- 
sammelt habe. 

Eure königliche Hajestat wollsu sUergnldigst gerahen^ 
den gehefanen Beg^erangsrafh Dr. Olahsnseii imd meiMn ver- 
ehrten Lehrer, den Oberkonsistorialrath tmd Professor Dr. 

Twesten über die Wichtigkeit, ja Nothwendigkeit dieser Ar- 
beiten, und über meine Befähigung zur AnsfÜhnmg derselben 
sni vernehmen. 

General von Brandt war tan kluger Mami mit ehiem waimen 

Herzen: er besaß selbstverständlich kein Urtheil über den Gelehrten, 
wohl aber ein sehr sicheres über die imbediiigte Zuverlässigkeit 
des Mensclien Lagarde , und hatte sich deshalb ohne Zögern zur 
Vermittcluiig bereit erklärt. Durch ihn liaben wir erfahren , daß 
bei den Berathungen über den vom König eingeforderten Bericht 
sich nicht Eine Stimme auch nur mit £inrai Worte gegen Lagarde 
erhoben hat: alle über ihn Befragten sden seines Lobes voll ge- 
wesen*). So ward denn nach Abschluß dieser Beratirangen das 
Gesuch von den Hinistem des Cultus und der Finanzen brfÜr- 
wortet, und am 19. August 1865 konnte ich naeh Hanse melden: 
„ . . . . IKesmal also ists kein Irrthum: heut ist der amtliehe 
Bescheid vom Ministerium eingegangen. Schwarz auf weiß die 
Zusicherung der jetzigen Einnahme — 850 Thaler — auf drei 
Jahre, falls »Dmen nicht schon früher ein akademisches Lehramt 
übertragen werden sollte.« Es ist der Anfang eines neuen Lebens, 
und Gott weiß, daß wir es dankbar empfinden. Sauer genug 
hat Paul sichs werden lassen, und wahrhaftig diese Muße erst 
recht zum Arbeiten erbeten. Der Austritt aus dem städtischen 
Amte idid, füiehte ich, vor nächsten Ostern nieht mOgUdi sein. 
Sowie er diesen Austritt dem Ministerium anaeigt, tritt die Ordre 
in Kraft.** 

*) Yielleicht fingt hier unwOlkOrlich, gleidi mir, mancher Leser, 
woher demi nun pldtsliek die %elrei6Biiden Herren Beedidd wulten. 



Et#B8 siifticlmivifeiid will Ich noch hflrfditra, übM Tdif^tst^ 

durch die letzte Erfahrung im Scliulamte, an die sich die Gießener 
„Aufklärungs"epoche unmittelbar anschloß, recht angegriffen und 
einer Erholung dringend bedürftig war. Er gieug mit Beginn der 
Schulferien nach Bad Landeck in Schlesien, während ich wieder 
meine gewöhnliche liebe Zuflucht im Eltemhause hatte. Nach 
Miner Anordmuig verlieA ich Berlin einen Tag früher ala er selbet, 
weü 68 ftr Um noch alleihand wbl be a o iyn gab. Vor seiner Ab- 
reise kmmte er, n n verboflft, mir nodi telegrapIliBch nütthellen, daft 
die schwebende Frage sn seinen Gimsten entschieden sei. Sein 
ttster Brief aus Landeck, vom 10. Juli, brachte mir dann Näheres: 
Ich komme noch gar nicht recht zum Empfinden des 
Glücks. Am Sonnabend war ich natürlich viel ans, so hatte 
Brandt schon zweimal vergeblich geschickt : endlich kam mir 
der Zettel an, der mich zn ihm beschied. Ich kam erst um 
6 nachHanse^ stOnte bin, fiund ihn nicht, aber den für mich 
zurflekgelassenen Brief des ünterstaatssekietin. Die Sadie 
geht mm mit der monatHchen G^esndisliste nach Karisbad 
und wird natfirlleh genehmigt, da die beiden Ifinitter dafilr 
^d. Expediert an mich wird die Geschichte schwerlich vor 
AnfSang August. 

Meine Giebelstube hat eine prächtige Aussicht nach 
Glatz zu. Unter dem Fenster rauscht die Biele: daneben 
em Schindeldach, auf das es gestern sehr regnete. Ich dachte 
an Leo, dem das stets Kindheitserinnerangen weckte. 

FlXne habe ich Bocb gar niehl, nnr die rein Htterarischen 
ftfar die LXX, demi an deren Henuugabe wird mir die Bohe 
ja gegeben. 

Ich bin noch gar nicht recht im Stadimn der Freude, 

sondern in dem des allergrüudlichsteu Abgespamitaeins. 

Ein paar weitere firiefonsrilge mögen den Blick in seine da- 
malige Seelenstimmnng vertiefen. 

18. Juli: IMe Landstraften rind alle blendend weift, also 
nichts ftlr meine armen Augen: ich Inn yiel im Walde, wo 
ich, dank Mathildens Stuhl*), überall sitzen kann. Wald 



*) Eb Klappstuhl, den meine Schwester ihm während eines gemefai- 



~ 80 — 

ist viel da, meist Nadelholz, oft schöne Fernsichten. Der 
Biiek von der Berge Spitzen, über die grüne Waldgegend 
weg, m feroen blaaen Beigen, kt doch etwas einzig Schänes. 
Briqge ieh es einmal dasn meinem Volke etwas m edn, ao 
mllftt ihr miefa auf dem Beige oben, fiber den lanaebenden 
gifinen Wipföln b^gniben. Aber ob ee dies Volk beim lieben 
Gott idcbt sdion Tencbflttet bat? Heut fieng ieh wieder an 
zu glanben, als dn Sjähriger Knabe sein Gelobt sei Jesns 
Christ mir so treuherzig zurief, mitten im Walde, und sein 
Mützchen dazu zog. Es weht jüdischer Wind durch die 
Welt: unsere Knak und Mühler werden ihn nicht bezwingen. 

Ich denke doch bald an die Universität zu kommen. 
Es gölte den Versuch, was man noch bauen kann. Uebii- 
gens wollte ich sehnlich, ich hätte die Ordre, miteraeichnet» 
in mänen Händen. Mistianiaeh Inn ich doch geworden: in 
diesem Falle wohl ohne XTisach dasn. 

Die Politik maflht mir ylelSoige. "Wir rind nur durch 
ein gewaltsames Zeihsnen des Knotens su befrden. Will 
man sich dasn nicht entsdiHeften (was man kann nnd soll), 
80 kommt Olmtitz in neuer Auflage. 



S8. Juli: Der Begen hat mich ins Hans getrieben. 
Schwer ist mhrs immer, ans diesem tiefen Frieden des Waldes 
sn scheiden, der mich ins tie&te Hen hindn still nnd ge- 
trost macht Ich saft da auf meinem Stuhle, da kam ein 
altes Banemweib, hager, mit bloBen wdBgewaschenenFfiften: 
mit ihr zwei weißköpfigc Enkel. ESns schreitet nach dem 
Andern, mit dem festen geruhigen Tritt der Gebirgsländer. 
Die Alte ist erschöpft und setzt 8ich nicht weit von mir: 
die Jungen zehn Schritt vorauf Natürlich spreche ich. Die 
Frau ist dicht an 70 und bat noch vier Stunden zurück nach 
Hause: sie ist heut aus Neu Wilmsdorf in Oestcrreichiseh 
Schlesien hergekommen „nach Ladecke**. Das Gesicht war 
so scharf geschnitten, nnd hatte dditlich viel bOee Tage ge- 

Samen Aufenthaltes in Margate geschenkt hatte, und der ihm seitdem 
auf vielen Belsen gute Dienste that und ihm sehr Üeli war. 



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81 — 



' adMal „Ja, mtlde Ifln ich, dk Jahra md dkl^oth> Aber 
«Be "FtaxL bettelte nieht, noch nie Imt mieh liier Jemand an- 
gebettelt. Endlich fragte icb sie, fast verschämt einer so 
vornehmen Natur etwas anzubieten, ob sie wohl 5 Groschen 
von mir annehmen wollte. Da hättest du sie sehen sollen. 
Ach du großer Gott: auf war sie wie ein Blitz, küßte mir 
die Hand ehe ichs hindern konnte. Ich moclite wohl ana 
großer Sorge ftir den Augenbück geholfian haben. Ich sagte 
Unr, aie aoUe ein Vateninaer ftr micli beten. „Ach ja, nnd 
Idi habe auch den Boeoikrani bei ndr.** Daianf hin ni 
den Knaben, diaa Geldatflek in der ofBanen Hand, dentet aie 
anf nüch. Die Jungen sagen ihr Lohne Gott ans der Feme, 
nnd der Zug geht weiter, nut den bloBenFflßen so geräusch- 
los weiter, als verschlänge sie der Wald. Mir war es lieb 
daß sie weg waren, mir stürzten die Thränen aus den Augen. 
Mit solcher Lumperei so viel Freude machen zu können, und 
oft wie sehr unzufrieden mit dem großen Gut, das ich habe. 
Und mir trat Jesu Wort vor die Seele Was ihr dem Qe* 
ifaigaten nnter meinen Brüdern gethan, das habt ihr mir ge- 
fhan. Daa sagt kein andrer Beligionastifter. 

Ala kih an den Ausgang dea Waldea kam, begegneten 
ndlr diei etwa 8 Jahr alte Jnngen ans Beigerdtoif : ob ieh 
ihnen den Weg nach der Bnine Kaipenst^ sagen kUnne, 
sie seien eboi anf dem Scbollenstein gewesen nnd wollten 
nun auch Karpenstein sehen. Treuherzige gute Gesichter. 
Ich brachte sie ein Eckchen, bis sie nicht mehr fehl gehn 
konnten , und freute mich , daß mir der Herr Jesus nun so 
bald schon wieder begegnete. 

81. Juli: An Hansens*) Geburtstag vorgestern habe ich 
wohl gedacht. Ich erinnere mich deutlich, wie es an dem 
Tage 1888 war. Welche Zeit daswisehenl Und wie andern 
ADee damals aU jetst Die If O^dikeit, viel besser m sein, 
jetat lllr ISmdne: in WiikHchkeit die Masse weit schlechter 
jetat ala damals. 

*) Seiaes Bruders. 

6 



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Wla wir wwtttot liattan, wir der Austritt aw toi Sdnil- 
amte ftr Lagude ent la Oitem 1866 mSglieh. Bie AklMi to 
BeiliiMr Msf^ftrato meUen darüber: ^lam 1. April 1866 eriiialt 
er auf eigenen Antrag dnen ehmToUen AVsehied** Und weiter: 

„Dr. de Lagarde war nach Ansspmcli dea Birekton 
Bonnell ein sehr kenntnißreicher und anregender Lehrer, der 
es verstand, gleiche Lust für die Wissenschaft auch in seinen 
Schülern zu erwecken. Trotzdem er Jahre hindurch bestän- 
dig über 60 Schüler zu unterrichten und zu leiten hatte (in 
der nngetheilten Untertertia) und obgleich er sich beständig 
mit den emstesten wiBsenschaftliclifln Arbeiten beschäftigte, 
ist Lagarde doeb aeinen Sebiüem aneh aafier dar Zeit der 

Sebnle aehr lagSiigHch gewesen. Er bing aelir aa 

aeinen Sebfilem wie rie an Ibm und er wollte gern aeintn 
Einfloß ttof Ibra Entwickelmig bebalten nnd avsdben. Seine 
wissensebaftliebett Arbeiten waren bekannt nnd anericaont, 
brachten ihm aber keine pekuniären Vortheile. Seine Werke 
mnßte er auf eigene Kosten drucken lassen. Auch seine 
Leistungen als Lehrer landen allgemeine Anerkennung, nur 
blieben auch hier die verdienten pekuniären Vortheile (Gehalts- 
erhöhungen pp) wegen der damaligen beschränkten Etats- 
mittel aus. Wenige Jahre später bitte Lagarde sicher auch 
hierin sehr bedeotende Fortscbritte gemacht Untenn 11. 
KoTember 1864 sefarieb der Magiatrat an ibn, dal lor Zeit 
eine Erbttbnng sdnes Qebalts nieht angSngig aei, daB der 
Hagistrat aber aeine wisaenschafUichen nnd pädagogisdien 
Leistongen wobl an schitMii wisse nnd dafür Sorge tragen 
werde, daß ihm möglichst bald eine angemessene Stel- 
lung an einer andern höheren Lehranstalt verschafft werde." 
In welcher ^ycisG der Herr Stadt.schulrath diesem Versprechen 
des Magistrats nachgekommen ist, habe ich berichtet. 

So unschätzbar die gewonnene Freiheit ihm fiir aeine groBen 
Arbeitspläne war, so schmendidi blieb die Trennung von seinen 
Schüleni. In einem Briefe an meine Eltem aSud in meinen Wor- 
ten seine eigensten Empfindungen mit ansgespEoehen: JDi» xak- 
yerlOscbliche liebe an allen den lieben gnten treuen Jungen, die 
bleibt als Trost und als Liebtstrabl — aber aebmersToUe liebe 



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— 83 — 



üi aoloiliea ZatMiidea, und soigeiiTolle. Gott habe iaiM Hand 
Aber aDen den jungen Seelen/' 

Als einen ruhigen Arbeitsplatz hatte mein Mann sich das 
überaus freundlich gelegene Städtchen Schleusing:en zum Aufent- 
halte gewählt: wir siedelten um Ostern 1866 dorthin über, und 
kehrten erst zu Michaelis 1868 nadi Berlin aurttck. Ueber diese 
drittehalb Jahie ist nicht viel au sagen: sie waien — mit knnen 
Xlaterlirechnngen an dringend nothwendiger Eihofaing — scharfer 
tnd mUhsdiger Aiheit gewidmet üm ekk dann noeh eldger- 
naSen an krliftigen, gieng er Anfimg Mai anr Knr naeh Pyr- 
mont: etwas genützt hat diese ihm wohl, und das Gleiche thaten 
die in Schleusingen selbst ziemlich regelmäßig zwischen der Arbeit 
durchgeführten Berg- imd Waldspaziergänge. Doch litt er viel 
an Schlaflosigkeit und quälte sich mit schweren Gedanken über 
Vergangenheit und Zukunft. Schon ans Pyrmont, wo ihm nnanf- 
hSiiioli seine eben ersehienenen „G^eMmmelten Abhandinngen" im 
flimie lagen, Uagte er mir dsrttber. So am 9. Mai; 

Ich 1^ dir eum Brief roa S. bei: lieb ist mir, was 
er über die Vonede sagt DaS meine MotiTiemng „poetiseh** 
ist, habe ich nicht gewnBi Wie manchmal habe ich mich 
jetzt schon wieder um das Buch geängstigt ! Du kennst das 
ja: du allein verstehst mich. Ich bin ein Fremdling in die- 
ser Welt. 

12. Mai: Ich bin gespannt was du zn S.*8 Briefe gesagt 
haben wirst : ich möchte seinem Urtheile traura. Das infiame 
fioeh hat mieh diese Naeht wieder recht geqnKit: ob ee anch 
goft ist Es mag mit tob der Anfiegong sein, die man mit 
allen Poren einathmet 

18. Mai : Ich kflmmere mich sehr ttber alle Bnmmhtiten, 
die ich in meinem Leben gemacht und alles Gute das ich 
nicht gethan habe. Das wirklich gute letzte Buch wird diu-ch 
die Schärfe des Tadels an Einfluß verlieren, und das thut 
mir wehe. Wer wäre gUioklicher als ich, wenn es nicht an 
tadeln gäbel 
GkicbfoUs ans i^^imont schrieb er am 15. Mai: 

Wae den Krieg anlangt, so weifit dn, wie mir nnsre 
persönlichen VeriUiltnisBe ihn nichts weniger als wünschens- 

6* 



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I 



— 84 — 

werih enehäntt IflseoL AImt er niiii dodi änngeftw hte e 

werden Die Weltgescbicbte ist mit Preußen. 

..... Die Zeitungen melden Grenzverletzung: deren werden 
wohl mehr kommen und vielleicht den Anlaß zu Weiterem 
geben. Daß der sclilesiache Adel JEtegimenter ausrüsten will, 
freat mich mehr als ich sagen kann. Dann haben wir 
doch also noch ^en Adel, und gende in Schlesien. 

21. 5: Von Pnntan braneht mir Bfai r whtfhdfe p« 
Si^ «rfoditen in Warden, und guis Koiddentocihlaad ftUt 
ihm so. Die Landlente lüer haken mich ihr einen prenBi- 
Behen Offner in GIyU nnd reden mieh bei jeder Gelegenheit 
auf Krieg und Frieden an: dnmal Heften rie den König von 
Preußen geradezu leben. Aeußere Veranla^äungen sind ja 
zu solchen Kundgebungen nicht: es muß von Herzen gehn. 

Wider Erwarten blieben wir in Schleusingen nicht ganz y<m 
den KriegBunruhen verschont: Ende Juni wurden Stadt nnd Um- 
gegend stark mit bayerischen Truppen belegt, indessen nor ftbr 
knne Zeit Yfvt haben damals von den bd nns einqnartierten 
Offiseren und Mannschaften die angenehmsten ?2ndfWeke gehabt, 
nnd nnr darfiber Schmeis emplnnden, datt wir sie als Feinde bei 
vns s6hen mußten: sie, die dentseh daehten nnd empfimden und 
wünschten, wie wir. „Man bekommt doch wieder Glauben an 
seine Nation", rief Lagarde wobl in frohem Hoffen in jener Zeit 
aus, besonders als dann die glänzenden Siege der preußischen 
Armee bekannt wurden. In der zweiten Hälfte des Septembers 
jreiste er auf eine Johanniterkarte nach Böhmen, um seinen «^^^»f1f 
noch in Horsitz liegenden Terwundetm Bruder ni lidlen: mit 
. diesem geleitete er einen gamen Transport von mehr oder minder 
schwer Verwundeten nnd Kranken nach Dresden. 

Ein Brief zum Geburtstage der Schwiijgoimuttei ^ Yom 15« 
November 1866, lautet: 

Einen kleinen benlidien Gruft aneh von mir, liebe 
Mutter, aus allem alten Testamente heraus. Möge Dir die 
Gesundheit bleiben alles Gute recht zu genießen, was uns 
Allen der liebe Gott ja so reichlich gegeben hat. Ich bin 
nun, was die ioßeren Gleschicke anlangt, das Ascheijtoödel 



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J 



— 85 — 

der Familie, imd will wttnicli«!, daß icb Eaeh lieben Elteni 
. . ancli eDdlicli Freude maehe. Jetzt ist gar sdion ein Sehffler 

Tom Gymnasium her, Dr. Gusserow, ordentlicher Universitäta- 
professor geworden, neben meinem Universitiitsscliiiler Kiebm: 
es wird nachgerade Zeit, daß ich in das rechte Fahrwasser 
komme. 

Ein arabisclier Kommentar zum Pentateucli beschäfU§^ 
mich angenehm: die Christen finden sieh so gat es geht mit 
dem alten Zeoge ab, imd legen imter md ein, da, was rie 
andegend fiinden, ilmen nieht behagt Aneh einen Haufen 
syrisclhanliiaefaer Handaehiitai wird der Ifljuiater wohl näch- 
stens seliieken — Arbeit ^-Meuge, aber nicht so tödtend 
langweilig wie die bisherige. 

Mein Kommentar erzalilt, als Adam gesündigt, 

habe er die Engel plötzlich nicht mehr sehen können, deren 
Gremtinschaft im Paradiese ihn früher erfreut. Wie viele 
Engel mußt Du sehen kutanen, liebste Mutter, die Da ein so 
.leidiea lieben voll Soige und Liebe für die Deinigen hinter, 
imd hoflfontlich aueh noeh vor Dir hast 
Eine IfittfieQimg von mir an die Eltem (wahncheinlieh ans 
dem Januar 1867) mag zeigen, daß es troti der wirklich mflhse- 
Bgen Arbeit — es handelte sich um die Vergleichung der Ge- 
nesis, griechisch, mit einer Anzahl von Handschriften : jeder Bogen 
war zwei Mal peinlich genau mit jeder Handschrift, und dann 
noch reichlich oft ebenso genau um der Korrektoren willen zu 
lesen — gelegentlich ganz vergnügt bei uns hergieng: „Bei un- 
serer Arbeit sind wir fieißig; heut sind noeh Mtlnchener Hand- 
schriften eingegangen, lateinische, so daft etwas Abwechselnng in 
das ewige ISnerlei kommt Kilniich fehlten einmal in ober der 
griechisehen mehrere ganie Kaj^tel der Generis, so daft wir gleich 
einen schönen Bnck vorwSrts kamen: ich mnft Euch sagen, es 
gab ein fbrmlicheü ,} ubelgeschrei. Paul schenkte Wein ein, und 
wir wünschten mit Gläserklang demjenigen, der die Blätter aus- 
gefetzt hat, einen frohen Augenblick , mochte er sich nun noch 
in diesem oder schon in jenem Leben befinden. Jetzt haben wir 
xm auch Bier angeschafi^: das hiesige ist erbärmlich, und Paulen 
tbiit ein eiduflidiea, ataikee nodk Er yencbrieb ako ans Er- 



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langen «in Fat, und liat dann bSehtteigenhändig abgezog«o und 

gepfropft: Ihr könnt Euch denken, daß er mit Kraft und Eifer 
hämmerte — ,,G8 kommt beim Bier alles auf ^tes Pfropfen an" 
~ und werdet Euch wundern zu hören, daß er nur Einer Flasche 
den Hals abgeschlagen hat. Geschicklichkeit ist doch bei ihm 
noch größer als die Kraft — „man muft nur den Schweiponkt 
treffen!" *) 

Baa Bier iat gnl, md eine wirUiehe QMang bei vneerer 
Arbeiterei. Eine SehUttenfolurt haben -wir uns dann aneh noeli 
gegönnt, nlmfieh, daa Nfltxlidie mit dem Angenehmen Yerbindend, 
das leere EaB eelbet nach Themar mr Bahn gefahien.** 

Im Jim! 1868 enteehloB rieh Lagarde, die Arbeit ftir einige 
Wochen zu unterbrechen, und sich eine Erholung in Bad Kreuth 
zu gönnen. In München, daa er damals zum ersten Molo sah, 
unterbrach er die Keise und schrieb mir (IS. Juni): 
Unbeschreiblich ehrlicher Menschenschlag. 
Gregen die Bibliothek hier nraß sich die Berliner gans 
venteeken. Gegen das G^bände, und die JE^niichtang. 
NaehniittagB Tanffklrdien**) aii%;eiaeht: er begleitete mich 
bis wa Döllingers Hans. Der war freimdUch, offen, lad mich 
an heut an Tische ein. 

Die Straßen entbehren auch Abends, so weit ieh ge- 
sehen, der Unsittlichkeit der großen Städte. Ich hörte auch 
Musik, Artillerie und Clievauxlegers : ich lief mit Was mir 
die gefehlt hat und noch fehlt. 

Man wandert und wandert, bis zum letzten Bette. 
Ich gehe, die süße Mttdigfc^t des Lebens 
BfQB anfliQmhtt| 

die Lnet, den Gram dee Lebens nnn anamdieilen 
im Bonnensehein. 

*) Da ich ihm diese Geschiddichkeit nicht immer gönnte, schrieb 
er mir domtl ans Pyrmont (5. 5. 66) : „Warn dn ebsn hier gewesen 
wirest, würdest dn dich recht gefrent haben: ieh nahm mit Mammen 
Fingern das nasse (Has ans der Tasche des Ueberdeher«, and es fiel 
hin und serbiadi. Häßlich war es sebr, aber dn hattest doch [1860] 
darans getnmkan, darom misse ich es ODgem". 

**) Qraf TanfFUichen war in ScUensuigen bei ons einqoutiert ge- 
wesen. 



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— 87 — 



Wenn ich ihn nur haben werde in Kreuth, das sehr 
rauh sein soll, und voller Regen. 

Drüben polkt, wohl ein Backfiwhi auf einem ^tcn Kla- 
\-ier. M^ne Seele ist fgum Melodie, mid ich muft auf dem 
Tische trommehL 



Bad Kreuth, 17. 6. Hannloaee Volk hier, Essen elend 
ebne Saft und Kraft. Die Gegend ist dagegen wie ftr mich 
geschaffen. Laabwald, bequeme Wege, viele BSnke. Kur 
leider Begen, Begen, Regen! Die Langeweile musterhaft 



Bonnabend, 20. 6. Gestera früh um 7 Uhr fuhr ich im 
Coup^ des Stellwagens nach der Scholastica am Achenscc in 
Tyrol. Gegen 11 war icli am See. So etwas Großartiges 
und Schönes läßt sich gar nicht denken: ich wußte nicht, 
ob ich weinen oder laut schreien sollte vor Freude. Ich 
nahm einen Kahn und ließ mich, eine Stunde lang, nach 
Partisan UbeifllhTen. Dort Hlttag: Ftotenspeisen, daFrätag 
war, alles gut ZnrQck Uber den See, noch mit neuer Be- 
leuchtang durch etwas Begen — sum Schluß eine Prellerei 
Um 7 war ich aoittck, todtmllde, so daft ich gleich an Bett 
gieng. 

Freitag, 36. 6.*) Zar Fder des Tages hin ich auf die 
Gais- und auf die Königsalpe gegangen. Um 7^/4 rückte 
ich aus. Es war heiße Arbeit, diese 1200 Fuß zu klimmen, 
aber es lohnte. 

Am Mittwoch war ich schon 19 Jahre Doctor. Was 
versprach ich mir damals von der Welt Freilich die Frau 
Welt hält nie was sie verspricht Schickt das Hene . da 
hinein, wo ihr ewig wünscht an s^ 

Die Bede unares Königs in Hannover hatte Hand und 
Fuß: ich bin begieiig Nüheres an hSren. Hier gibts sehr 
wenig Zeitongen, norddeutsche &8t gar Icrane. Später, in der 
höhn Saison, kommt mehr her. 



f) MauMr Schwester Qebutstag. 



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8Ö — 



29. 6. Ich komme von einer Fahrt nach Tegernsee 
zurück. Ich besah das Schloß, fiiiher Abtei, wo Abt Werner 
das süezer rosevarwer munt aufgesclirieben (freilich mag das 
jetzige Gebäude, in dem Prinz Karl wohnt, erst um 1680 
gebaut sein), trank dann im Stiftsbräuhaus im Kloster selbst 
in gewölbter Halle xwei Seidel vortrefflichen Bieres, ließ mich 
dir 12 Kienier eine halbe Stande auf dem nnbeachrtiblich 
lieblichen See umhenadeni, und find dann den Ant m. 
Hause. Er ist das Orakel der ganaen Gegend und dohtlich 
eben ao intelligent als Hebensirfirdig. 

Zu Michaelis 1868 kehrteu wir nach Berlin zurück. Aussicht 
auf eine Profes.sur gab es damals nicht : wir glaubten, die „Warte"- 
stelle zur Arbeit würde verlängert werden. Doch kam dann 
Göttingen auf, Ewalds Stelle, war aber keineswegs von vom herein 
flir Lagarde ncher. Erst am 2, Mlürz 1869 theilto der geheime 
Bath Olshausen uns die Ernennung mit, am 6. Mün folgte das 
Patent In den letiten Tegen des Ifonata Uaten wir nnserea 
Hanahalt in Berlin auf und giengen Über Halle nach Güttingen, 
wo wir nrnSchat das kleine Haas Untere MaachatraBe No. 80 
(jetat SU Gebhardts Hotel gehörig) bewohnten. Mdnea Hannes 
Sehnsucht war von jeher auf den Beeits ^es eigenen Hauses ge- 
richtet gewesen : oft zeichnete er auf den Rand seiner Arbeits- 
blätter und Korrekturbogen, während eine Seite trocknete oder 
auch ganz mechanisch während irgend einer Ueberlegung, Bau- 
pläne (übrigens oft auch Köpfe). Vollends der großen Wohnungs- 
noth gegenüber, die in Göttingen zu jener Zeit herrschte, ent- 
schloß er sich daher sehr schnell zum Hausbau. Nach wenigen 
Wochen worde dieser in Angriff genommen, und m Johanni 1870 
komiten wir das eigene Hans beaiehen (Friedlinder Weg 19, jetst 11). 

Unser Anfimg in GSttingen war nidit leidit, obwohl wir in 
^igen Fanüfien recht ftenndlieh willkommen gehdBen wurden. 
Die Weifischen Interessen waren noch staik vertreten nnd ftr die 
„Altpreußen" — auch wenn diese, wie es bei Lagarde ganz klar 
der Fall war, ausgesprochenermaßen viel mehr deutsch als ex- 
klusiv preußisch empfanden — oft unerfreulich zu spüren. Die 
Yerhältiusse der Menschen sa einander waEe&..geefaoiit.mid.peiii- 



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— 69 — 

lidk: Jlt CkiellMliaft wuM In TendMen«, ridi meidfliiitt Sxiitt': 

der Zusclmitt der (Tesellschaften war keineswegs beschdden, 80 doft 
wir mit unseren einfachen Berliner G^ewohnheiten auffielen und uns 
bald ausgeschlossen ftihlten. Ein mehr freundschaftlicher Verkehr 
mit Einzelnen hätte sich nur, vielleicht, aus der Betheiligung aa 
der großen Geselligkeit herausbilden könneiif in die wir Beide in 
keiner Weise paßten, flir die auch weder Zeit noch Mittel m« 
reiohten. Mein Mann hatte 1200 Thaler Gehalt, aber aeine koet- 
s^flfigen winauHshaftfiehen Dnicke .Hefen iinagogooot»t fivt: nnd 
leineZeit war dinob. sehr genaue YoilMteitinigsa den Vorleainigen, 
in die er rfeh einarbeiten mnite, mehr dam je beaetst 

iSne sehr scbmendiebe Enttttoaehung erlitten wir gleieh m 
Anfang. Wir waren gerade nach Göttingen mit besouders gutem 
Muth und Zutrauen gegangen: einmal glaubte raein Mann, durch 
die günstigen Besprechungen mehrerer seiner Werke, die der in 
allgemeinem Ansehen stehende Professor Ewald in den Göttinger 
gelehrten Anzeigen yeröffentlicht batte, bier aufs Beste eingeflihit 
na sein: Bodann vertrauten wir, er werde mit dem nicht minder 
angesehenen Professor der Theokgie Bitscbl Hand in Hand gebn 
xaad dadm«b sdmell eine "Wb^samkeit geiwimien IcSnnen. Al- 
farecbt Bitsdbl batte nna in Berlin SAers besucbt, stets In der 
firenndscbaftBcbsten , oiFenhenigsten Weise. Idi erinnerte mieb 
dieser Besuche stets sehr gern , denn es war so anregend wie 
erfreulich, die beiden lebhaften Männer über theolopsche und 
andere geistige Interessen reden zu hören. Sie verständigten sich 
immer gut mit einander, und somit war nichta Anderes zu er- 
warten, als daft sie nun im gemeinsamen Wirken an derselben 
Lehrstätte sich nur noch enger an einander anscbließen wttrden, 
£Sner daa Anderen Hälfe nnd Stfitae. Dagegen eifgab sidi 
nächst, daß Lagarde mit seinen Arbeiten, trotz den QStdnger ge- 
lehrten Anzeigen, sogar im Kreise der Fachgenossen fest unbe- 
kannt geblieben war, Ewald selbBt, der wobl nicht erwartet beben 
mochte, daA ihm bei Lebeeiten ein Nachfolger gegeben werden 
würde, den es daher sehr verdroß, als dies — durch sein eigenes 
Verschulden — dennoch geschah, stellte sich feindich. Bei 
seinem Antrittsbesuche führte sich mein Mann mit dem Danke 
£är das ..ihn^ stets bewiesene Wohlwollen ein: docb erkl&rte fivald 



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90 



danuif, ohne ihm aneh nur einen Stahl «maliSetai, er könne ait 
Legazde „nicht eher etwas sa thim haben**, ak bis dleeet »- 
geitebe, itA die preoBieehe Bagienmg ihn, Ewald, „gasa a^te« 
haUaeh" behandelt habe, umL daft „der Kihdg von Fkenften ein 
T^iaan** ad. Bieaem Teriangen konnte adbstventlndlieh Lagarde 
i^cht williUnran: er bemtthte ridi ohne Erfolg, den alten Herrn 
TOn dem unerquicklichen Thema der Politik abzuziehen, und 
mußte sich nach wenigen Minuten, mit dem Bedauern, eine freund- 
liche AnnHhenmg vergeblich versucht zu haben, wieder empfehlen. 
Ewald hatte noch im 8. Stück der GGA. vom 24. Februar 1869, 
also wenige Wochen vor Lagardes Ernennung zum Professor in 
Gö(tingen, dessen Ausgabe der Genesis besprochen, durchaus mit 
dem Wohlwollen und der Anerkennung, die er bei früheren Gele- 
genheiten gezeigt hatte: nun sprach er tiberall abschätzig, und er 
hatte seinen Einfluß damit. Als ihn dennoch einmal einer der 
lUteran Kollegen, den Lagarde auf Ewalde Becensionen verwieeen 
hatte, darauf anümerksam an machen gewagt, daft er doch froher 
ndenaelben Haan Qlfentilieh aehr gdobt** habe^ hat er geaatwertat, 
daa thne ihm ' aneh leid genug. 

Sodann wurde auch die auf unsere alte Bekamitaehaft mit 
BitaeU ge a etat e Hoffiiung sehr schnell an nidite. Bitachl hatte 
knn snvor aeine Fran Terloim und litt aefawer unter dieeem Ver- 
luste, den wir von Henen ndt ihm und für ihn empfimden. Daa 
Wiedersehen war dem entsprechend von beiden Sdten »ehr be- 
wegt Aber dies blieb der einzige Nachklang des früheren Ver- 
hältnisses: es bildete sich nicht ein Mit-, sondern nur ein ganz 
loses Neben-einander-Gehn , äußerlich ganz freundlich, aber ohne 
inneres Band. 3flir war sogleich klar, wie viel schwerer mein 
Hann würde festen Fuß fassen können, da er gegen Ewalds Ab- 
*^^C""C S^^^ Ritschis liangel an Zuneigung zu kämpfen hatte. 

Leider beaitae ich ana dem Jahre 1870 keine schriftlichen 
AeuAerongen mdnes Hannes: ein von mir an die Eltern gerich- 
teter Brief vom 15. Juli gibt indeaaen mii meiim Empfindungen 
80 anadrlteUieh die adnigen ana einon bedeutnqgayoUMi Momenlia 
wieder, daft ich mieh in aeiner Hitthenuiig eotaohUeSe: «"Wir 
Inben gaatem eine wahriwft eriiebende Irrende gehabt, däa iah 
Soeh Allen mit gewttnaeht hätte. £a wurde bekannt, daft Haeh- 



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— 91 — 

mittvgi swkehen 2 und 4 dar KttnSg, too Ens nadi Bflriin g«- 
iMod, Uar dindiNiMn wdide. HsÜzKch wann wir g^€idi oidi 
2 auf dem Balmlio^ aber kh batte mdrt gehofi ao gut aehan m 
kSimen, wie nachher der Fall war. Ea waren dbemaehend viele 
ÜBnaehm dvanSoi , viel jonge Iiaote — - Stadenten , aber aneh 
Sandwericer — und som ersten Male ist der K9mg hier mit 
nicht zu beschwichtigenden Hochs nnd Harrabs begrüßt worden. 
So »oll es auf jedem Bahnhofe von Kms an gewesen sein, hat er 
selbst zu eleu an den Wagen getretenen Herren gesagl , po daft 
ihm das Geschrei angreifend war. Gefreut wird es ihn doch 
haben. 

Der König sah ganz vortrefflich ans: die ruhige sichere wtbr^ 
dige Haltung war mir wirklich arhebend, nnd der gaaae Angao* 
blick tief ergreifend: wie schwer es dem aHfln Herrn ist, sein 
Volk aeboB wieder in alles Elend des Kriegea Terwickelt zu sehen, 
daa Idhmen wir ADe naobftblen. Er soll gesagt haben : wir gehn 
wieder schweren Zeiten entgegen, aber leb hoffe mit diesem Na- 
poleon schneller fertig wa werden, als wir ea mit dem ersten Na- 
poleon geworden rind. 

Und den guten Olanben wollen aneh wir iMiallen. Gott 
wird aneb die Brttder in aeinen Sebnin nehmen, mid Eoeb Kraft 
geben, zu tragen was er beseMeden bat Wer in diesem Kamplb 
fällt, fällt ftir eine gute Sache — und so Gott will nicht umsonst 
Schwer bleibt das Ganze freilich. 

Hier müssen freilich Augen und Ohren offen gehalten werden 
(und das macht ftir uns Altpreußen die Sache hier so scliwer und 
schmerzlich): es gibt noch genug Wahnsinnige — anders kann 
man sie doch kaum nennen — , die sagen, lieber solle Alles un- 
tergehn, als daß das TeriiaAte Preußen siege. Im Allgemeinen ist 
aber doch die Stimmung zum Guten verändert, unTericannbar: daa 
hat der Franzose, sehr wider Wmiach mnd WiUan, woU an vielen 
Stellen Dentaablanda bewiikt** 

.Unser Hans lag nach den damaligen Veriiiltnissen weit ab 
von der Stadt, gewieeennaBen noeb wie im iireien Felde: alle die 
bebauten Straften vor dem AUMadÜbore, die. jetrt den Eindrook 
langen BeMmm medmi, wem nicht voihandens- in nnaerer 



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92 — 



"^iM^^ilmeiihv^. gA:99 nar wenige .vonüneite Wam^ 

Honst flbertill QSTtan imi Feld. ¥^ Iiitleii oidit gecUcbt, daft 
in Terhältnismäßig so kurzer Zeit ein so ansehnlicher Stadttheil 
hier draußen würde erstehn können. 

Nachrichten drangen nicht zu uns: weder alltägliche, wie sie 
der öffentliche Ausrufer vermittelte — der die Aufmerksamkeit für 
seine Rede nicht, wie jetzt, durch die Glocke, sondern durch ein 
mächtiges HoUa ans seiner Kehle weckte — , noch Depeschen 
vom KriegMchanplatse. So oft wir nnn anch nach der Stadt lie- 

um Neues zu erkunden, so. gpentlgte dies der ungednldigeii 
Spamnuig doch nie, und ich erinnere mich dankbar dann,. wie 
miene damak Iiier anwesenden Jungen Freunde une. unerwOdlioli, 
hei wie hei Nacht, Berichte sutnig«!* 

Wie oft hahe ich meines Mannes Augm dann yoU llulaen 
gesehen: ThrXnen der RWhwing und der frohen Eriiebnng und 
Hoffnung » ich glaube, er wlre glflckfieh gewesen, hätte er einen 
Sohn mit ins Feld stellen können — , und nicht allein über die 
glänzenden Waffenthaten der deutschen Armee, sondern zugleich 
über 80 vieles Gute und Große, das überall in Deutschland, in 
allen Schichten des Volkes zu Tage trat. Freilich auch Thränen 
bitterer Empörung über unbegreifliches Niedrige, wie z. B. vielfach 
das Gebahren der deutschen Frauenwelt — nicht des sogenannten 
Volkes, sondon der sogenannten getnldeten Stände — den fran- 
zösischen Verwundeten und Gefimgenen gegenüber, an das icli, 
als Frau, immer nur mit schmenÜefaster Beschämung zurückdenke. 
Hehr als Einmal hahe idi damals Ton lUeien lebenseiftdupeoen 
Offimeren den grandgen Ausspruch gehfirt: „den nMehsten Kxl^ 
mit Frankreich haben die deutschen Frauen auf dem Gewissen, 
denn durch ihre Sehuld kehrt dies Volk mit recht eigenthOmBohen 
ZSndrflcken nach Hause nuttck.'* 

Im August 1871 gieng mein Mann zum ersten Male nach 
Wildungen, wo er später noch öfters gern Erholung gesucht und 
gefunden hat. Sein erster Brief (8. 8.71) gibt Kunde, wie rasch 
seine Hoffnung auf eine lebensvolle glückliche Neubildung des 
Vaterlandes verflogen war. Es heißt darin: 

Die Fahrt gestern war sehr beschwerlich. In Cassel 

trieb ich »ick bis .gegea 6. umher.; . 4)9 dtadt . eivuiert an 



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— w — 



Upiig, md-lid Baaiditigiiiig Bes' WeiiibagiwQgi mit 
■einen neuen MhOmn Hinum, deren Balkone die pfiehtigste 
Amiichft anf Gebiig ned Thal, Flui imd Wald halien, fiel 
vdr ein, wie gut dn naeh nelnini IVidt da kben kUnnteat 
Der ndr bo mangenelmie Bnnnkolikngeniflih dringt kann 
Ub dahin, nnd man könnte da in die Ferae sehanen, in die 
Veigangenheit und Zukunft, immer stiller werden, bis man 
mletzt ganz stille wtirde. 

In Wabern wieder Aufenthalt von 6 bis halb 9. Ich 
besah das alte Schloß mit Garten, so verzopft und altväte- 
risch, als müsse Lottes Vater aus dem Amtmannshause treten, 
und in euMai Winkel Hänsgen Baff mit Goethe tfber Nacht- 
jaekenseog yor die Frauenainimer sich unterhalten. Die 
Linden yerkifippelt, die BKrtam in finmöeischer Art ver- 
■ehnitCeD. ITnd doeh weiU Dentaehlaad damala dentadier ala 
jetsL In Oaaeel waren aaf dem Bahnhofe drei alte hemisclie 
Btneriunen, wetlerbiinn, von Giam nnd Arbelt geranietit: 
ala hatten aieh niehta m eraihlen als Elend und Kammer, 
wd aahen mir aua wie anf der Anawaodennig Yor ^eeoD 
neuen Deutschland, das so liberal, mächtig, nnd so gänzlich 
nndentsch ist. Wir beten fremde Götter an: das ist unser 
Unglück. Die Uhr sdilug in AVabem so wie ich es liebe: 
ich behaupte immer, diese Uhren seien aus dem elften Jahr- 
hundert. Sie sind es ja sicher nicht, allein mir klingen sie 
immer wie Klage um den liereinbreehenden Yer&dl, der unter 
Heimieh IV anhnb. 



14.8. mt der LeiehÜeUgfceit wird ea aieh wohl halten 
laiBfln. Wir aollen Fkemdlinge aein in der Welt, je Ite 
deato mehr: dandt itt Heimweh nnd Unbehagen nothwendig 
Terbonden. Ich trage das ganze Leben wie ieh das Bade- 
leben hier trage, alanotbwendigea, eriiehendeai nlilalicbealTebeL 

Dann ibigte noch auf die Nachricht vom Tode unserer alten 
Beriiner Köchin, mit der wir acht Jahre, bis zu unserer Ueber- 
aedelung nach Schleusingen, treu zusammen gehalten hatten, die 
charakteriatiache Aeuftemog (16.8): 



LeooMM Tod kann !eh niebft beklagte, so W er mir 
thnt Wae wire ibr Looe im Alter seweeen. ICr gnmt hd 
dem Qedaaken an alle diese Lente» die Ar ikrai Lebensabend 
nieht sorgen kttuien, und die wir sa erbaltep doeb TOlHg 
aiiler Stmide sind. 



Wenn nun auch im Ganzen nnser Anfang in Göttingen wenig 
erfreulich und emiuthigend war, und wenn auch mein Mann viel- 
fach bekümmerten Herzens dadurch blieb, daß er die Entwickelung 
der vaterländischen Verhältnisse nicht freudigen Muthes anzusehen 
yennochte, so hatten doch wir Beide die Bemhigung, miBer Le- 
bensschiff endlich, an so mancher Klippe vorbei, in den Hafen 
eingelaufen zu ^len. Er lebte, voll froben Dankes (tir den Segs» 
des eigenen bescheidenen Besitase, gans seinem Bssnfe und seinen 
Arbelten: icb, toU Dankes g^cb Ihm, dem Bemfiben, ihm die 
Stttrangen vnd kleinen YeidiielHdikeüen des Alliagdebens naeh 
Klüften absowehren. 

Aber aocb Jelat noch BoUte ims der Friede nidit nngeetSit 
bleiben, und swar eriltt er einen ledit nngesbnten nnd leeht 
schweren Stoß. Im Frfibjahr 1872 erschien Bordiers Bneb L'AI- 
l^agne aux Tiuleries: in ihm ein Brief, den mein Mann imter 
dem 2. Januar 1851 an den damaligen Präsidenten Napoleon ge- 
richtet hatte. Das Buch an sich würde uns kaum sehr betroffrai 
haben : es ist, wie mir scheint — obwohl ich freilich nicht weiß, 
ob . mit Kecht so schont — , selbst damals viel weniger beachtet 
worden, als der Herausgeber erwartet haben mag. Aber es fand 
sich, worüber ich mich nach den Lebenserfahrungen bis da bin 
nbdit wondem darf, so£urt Jemand, der aeben einigen wenigen 
anderen anefa dlessn Brief In die OelbntBeUceit asirte, md Ihn 
In eine ihm, dieeem nnbekaimten Jemand, wfinsehwwwerLhe Be- 
lenebtuf setate. 

Die Leiprigelr denlsohe allgeoMbie Zrttong Tmn 8. Aprü 
Nachmittags brachte efaien Airtikel fiber „deatsebe Bettelbriefe nnd 
Servilität", der dann in die Weserzeitung vom 8. nnd 4. April 
tibergegangen ist. Erst am 6. April, dem Todestage von Lagardes 
Vater, kam uns, durch die Vorsorge eines unserer jungen Freunde 
hier, jeuer Artikel au Gesichte. 



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96 



Der Brief adbit lautet, nach Bordte» Buch« S«ite 36/87 Nr. 
U6, wie folgt: 

M.QtUKifpumt f le pibidpe hantement prononc^ et suivi 
üN^onn par le gouveniement de V. A. J. qne la religioo aeole 
' pnlMe maintenhr et r^g^nte et U aoeiM nodenM^ me 
dqone nne eq^ de dnit k tob» t dnmm m owmge ^ 
Je Ticne de Kvrer aa pobBe: Hjimia oC tte [dd] cadiolie 
chiidi of Wigand. Je cnis lim digne dlnlMt de sedier- 
eher lee tneeii mftme lee nhw f^ffl l ff . Qne T^dUee eaitholioiie 
a laiaite dana VAngletaRe pioleataiile, <ik k pnawt eile 
aemble gagner de noayeUea foroea. Mala e*eat ontre eda bb 
BOitiment de gratitnde qoi m'engage 4 votu fidre hommage 
de mou IUtc. J'ai , par l'iiitercession du rainistre des af- 
faires ^trangeres , obtenu la permissiou de fuire usage des 
manuscrits coptes de la bibliotheque nationale de Paris, trans^ 
mise k moi avec la liberalitc si propre k la France et sana 
laqnelle il m'aurait ^te impossible d'achever mon öditiou cri- 
tique des ^pitres du Nouveau Testament en langae. copte. 
Yous Stes leprtaentant du peuple fran9aiB et je vons 
prie, Monae^pMor, comme tel de Tooloir bien accepter la d«^ 
dieaoe du ptottier ynbaa» de inon owfege • la pezfeetioii 
dn^eel lea maimacrita de la biUlotlift^pie Pfltilffiwte dejünnee 
enl ai ▼aiHamnwiit ttKMhnk 

Mak, MonBdgiieiir, J*ai «ne demaade k hin kY.A, 
que le nevea du Qrand NapeUoD — j*eii aoia preaque f(lr 
— ne me lefbaera paa. Le baron Theodor de Neohof, kA 
de le Gorse, est bm« giead-ooele; j*eD peaz fidre prange: et 
je Toiia supplie, Monseigneur, comme rons deves avoir pour 
cette ile un int^lt particulier et en etes k präsent le ma- 
gistrat supreme, de me domicr la j)errai8sion formelle de porter 
les insignes de rordre de la liberation fondd par mon grand- 
oncle et h^reditaire en sa famille. Votre A. J. conQoit qu'est 
ce que c'est que d'avoir un parent illustre : mon oncle a dö- 
veloppö un hdrolsme et une Energie digne d^un mcillenr sort 
et le minisüre anglaaa Walpole a dit de Ini, ^that his claima 
to tfae kingdom were ea great as any monarch'a in medial 
&ffepe." fiü fiuie se pent» Je prie V.A.J. de ne tetepea 



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cette affaire en public. l^n attendant avec impatience sHl 
plaira k V.A. J. de me donner une r^pouBe- &vorabl6,' j*« 
lliomieiir d'jgtie, eto. (Halle, 2. 1. 1851). 

jenem Zdtongaschreiber doeh nieht die An- 
'adummgeiii und Yteiitttnime Von 1872 ftr die vbHag onderan Yon 
1851 maBgebelid edn. Der FrSddent Napoleon galt ftlr dn 
„Better der Ofdnmig" imd stand in dordiaxu gutem Ansehen: 
für die Wiasenschaft hatte er dn anfriehtigeree Interesse, als sehr 
viele geborene Fttrsten ea hatten nnd haben: Felndediaft swiaehea 
den bdden Völkern war nicht vorhandeHi leh finde ih dem, mir 
sonst recht öde und langweilig erscheinenden Bordierscheu Buche 
ein paar interessante Briefe von namhaften deutschen Gelehrten, 
die sogar noch fiir die sechziger Jahre diesen Untersdiied der 
2<eiten bestätigen. 

Professor Rudolf Wagner spricht (1863) den dringenden 
Wunsch aus, daß die beiden großen Nationen, die franiäeische 
und die deutsche, zum GlUcke Beider, in friedlichen Beraehongen 
bleiben mfigen. „L'nn des moyena de Testime löciproqne aeront 
totjoQis lee acjencaa." 

Theodor Mommaen (1866) nnd Hdmieh von Sjbel (1867) 
danken filr Begünstigung ihrer Arbeiten in IhnUcher Wdse ^ 
es 1851, im ersten Thdle seines SishieibenSi der nodi Vmbekamite 
Hallesche PlriTatdoeent gethaa hatte: Frofessor Mommsen mit1TelM^ 
sendnng seiner neuesten An^be der Fsadeeten, P r ofa sso r m 
Sybel, indem er dnen, in dnem der famiBrieehen Ardilve aii%e- 
fondenen, alten Brief des Generals Bonaparte fiberr^eht. Professor 
Mommsen betont sehr schön den internationalen, das Menschen- 
geschlecht fördernden Charakter der Wissenschaft, „cette belle in- 
temationalittJ, qui n'^galise pas les nations, mais qui leur enseigne 
de se comprendre, c'est-Ardire de se respecter et de s'aimer *' 

Lagarde konnte seine, dem Danke fUr die ihm geliehenen 
Pariaer Handschriften beigefügten, Bücher nicht, vne Professor 
Honunsen die seinigen, Napoleon als ^em Sachverständigen über- 
senden: er fiberreichte sie ihm als „dem en^lten Vertreter" des 
frannSrischen Volkes. lüenBaiid wird, denke idi, beairaiftbi, dal 
et In betoeff der dasiaQgea flramgrisehen Be^eröng^giinidsHae, 



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— 97 

sowie in betreff der Liberalität, mit der ibra die koptiscben 
Handscbriften geliehen worden waren, nichts Anderes ausgesprochen 
hat, als was seine Meinung war. lieber das kleine Buch „Hynms 
of the old catholic clmrch nf England** (so der vollständige Titel) 
■ehrieb Eückert, 5. 2. 51 : „Ihr nemtet nettes Büchelchen hat mich 
in neues Erstaimen vvnetrt darUber, was all Air Sprachgeister in 
Ihrem Kopf nmunen, oibie ihn taumeln m madhen. Alter aneh 
der Inhalt, oder vielmehr die Fona war mir inteceesant; diese 
g ri etBchen Deder sind viel weniger holperig und holiig als die 
murigen; man merkt, daft Speneer und Shakespear Toraiis sind." 

Der andere Theü des von Bordier Teröffentlichten alten Briefes 
ist eine ToOeiidet dittiichte Kinderei — groBe Geister machen, so 
sdieints, anch Une Dmmnheiteii und Knahenstr^che in groflem 
Stil ! Uebrigens wohl Jedem , der nichta Emstlicheres zu be- 
klagen und zu bereuen bat , als einen tbüricbten Knabenstreich : 
ich wenigstens finde einen jeden solchen Menschen beneidenswerth 
glücklich. — 

Die Mutter des Großvatei-s Klebe war eine geborene Nculiof : 
an sie knüpfte die von der ganzen Familie, auch vom Vater Böt- 
ticher fest g^laubte Sage von der Verwandtschaft mit jenem Ba* 
ran Theodor an, der nachmals wohl allgemein flir einen Aben- 
teurer erklärt worc^en ist: meine Geschichtskenntnisäe reichen zu 
einem eigenen Urthtile nicht ans, nnd s. B. auch Vamhageiis Auf- 
satn Uber Theodor von Neohof ist mir nieht Uar erinnerlieh. Vor 
vielen Jahren hat mdn Mann einmal (wahrsefaeinlich antiquaiisch) 
ein altes gedroektes Spottgedicht, nebst einer AbbOdnng, Aber diese 
eonische KOnigswaU erworben, das bei den an&abewahrenden 
Akten liegt 

Zn seiner Jngendthoiheit hat der In ihm gam migewShnHdi 
staik ausgeprägte Fanulienann, verbnnden ndt einer damals etwas 

kränklichen Romantik, ihn verleitet — nicht einmal jugendliche 

Eitelkeit, denn eitel war er nicht, weil er, fiwt mehr als Recht 
war, meinte, gar keine Ursache dazu zu haben: und über Orden 
und Ordens verleihimgen urtheilte sclion der junge Mann so klar, 
wie später der alte. Uebrigens würde er jedenfalls auch diesen 
Familien orden, auf den er ein Anrecht eu besitzen glaubte, höch- 
stens ein einziges Mal getragen haben: wir Alle hätten so nnbann- 

7 



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- 



herrig gespottet, daß das Kleinod sidioriieh sogleich nnd für iitt- 
mdr in die Tiefe eines Raritätenkasfcens verschwunden wärOi wO 6s 
dann mit jenem sptter dam kommenden Spottgedichte »uammta 
bitte ndien können. 

Hitte Jemand diesen Brief In gutem Hnmor ana Lidit ge- 
sogen, nnd die Eindevd ala Kinderei behandelt und veriilJbnt, so 
bitte aieb dartiber Niemand wundem dttrfen: unter dieBnbiik der 
aenrüen Bettelbriefe würde ibn aehwierlich ein einriehtiger Menadi 
geeeCit baben, der — ^e ee Ach warn üitbdlen, und vollends 
Bum Verurtbeilen gehOrt — die ganaen Umstitnde erwogen bitte. 
Die Berechtigtinp , an den bösen Willen des Berichterstatters za 
glauben, liabon mir zu jener Zeit denn auch sehr arg- imd barm- 
lose Leute ohne Weiteres ziig:egcben. Ich vermag keine Servilität 
zu entdecken: im Gegentheil finde ich einen fast staunenswerthen 
Mangel an Welterfahruno: in der Naivetät, mit der hier die beiden 
Neffen imd die beiden Oheime gewissennaßen in Parallele gestellt 
werden : da doeh der große Napoleon auch, wie der kleine Theo» 
dor, nicht auf dem Throne, sondern im Exil geendet hatte ! EÜnd- 
lieh naiv ist aneh der sichere Glaube an die Beweismittel — j'en 
peux &ire preuve — : der erst nachmals, am 8. Deaember 185S, 
▼erstorbene Groftvater wird aUerdinga wolü Papiere beaeseeii ba^ 
ben, die aber acbweriicfa ftr einen derartigen Nachweis anareiGhend 
beftmden worden wiren. Aua seinem Nachlasse ist nidits auf den 
Enkel ttbeigegangen, doch hatte er diesem sdion firOher drei Kld- 
uigkeiten, die anverlissig direkt vmi dem König Theodor her- 
ttammen sollten, als kostbare Andenken geschenkt Es war ^ee 
än kleines uxkseheinberes Dneal, dessen idi mich noch sehr iirM. 
erinnere, das aber im Sturme der Zeiten li^endwie yerloreti ge- 
gangen sein muß: eine Papierscheere : und ein gut geschnittenes 
Wappenpetschaft, das noch jetzt — zur Auf hewahning , mit sei- 
nem eigenen zusammen, bestimmt — vorhanden ist. Wie diese 
Reliquien — mit samt dem daran hano;enden Aberglauben in die 
Familie gekommen sind , das mag der Himmel wissen. 

Hätte nun 1872 alle Welt die Thatsachen genau gewußt und 
richtig beurtheilt, so wire eine Weile gelacht worden, und Wilr 
hUtten mit lachen können: wie es aber in der Welt zugeht, so 
stand durch Jenen Zeitungsartikel die Sacka Vdkk vome hei^ 



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H — 



tAkti m Wtt und Uieb ftr die (Mfanllielikili m Du roriiaa- 
dflft, fkii, alt Anderen, auch Ligaide rieh dazoh eiaen „Mmlen 

damals gern TÖlHg in den 
flbnib gezogenen „Kaiser** Napoleon» den eo eben geedlagenen 
„ErbMnd^S „kompnmhfiert** liatle. Und ewsr IM die Game 
noeh in die denkbar nngflnstigsten speziellen Verliiütnime. Wir 
waren unaerer ganzen Umgebung noch völlig fremd: im Hanno- 
verschen bestanden thatsächlich eine ^fenge vaterlandsfeindlicher 
Verbindungen mit Frankreich: was Wunder, daß es uns nicht 
zum Lachen, wozu uns Viele der Freunde aufforderten, zu Muthe 
sein konnte. Mein Mann machte sich klar, daß er auf die Ke- 
giening wie auf seine Korporation Rücksicht za nehmen habe, und 
Mtdite, unter Angabe der Grründe, sein Entlassongsgesnch ein, 
Wae mir auch heute noch das einzig Richtige scheint. Wir woll- 
ten nach England flbeniedeln und Beide dort Unterricht geben, 
wiliTend rieh Lagaide waglsätik bd Dr. Zabel, dem CMBedactenr 
der KationalMitong, um den Anfing ftlr die KoRespondens ans 
Xüigland bemOhte, ffie Tide Jalue bindnrch Lothar Bneher be- 
eofgt hatte. 

Weder die Edlegen noeh die Begierung fimden Lagardee 
BlAtiitt avf diesen Gmnd hin geholen, nnd so iet er anf aeinem 
Flatae gehfiehen: annlehst nidit einmal nüt dem Gefthle der Er- 
leichterung. So bitter es uns sein mußte, wieder von vorne be- 
ginnen zu müssen , so hatten wir uns innerlich doch schnell mit 
dieser Nothwendigkeit vertraut gemacht: hier, unter den frem- 
den Menschen, von denen Einzelne ims zwar Freundlichkeiten er- 
wiesen , eine große Anzahl dagegen uns mit scheelen und mis- 
trauischen Blicken betraclitete , fiililten wir uns bedrückt. Wir 
grämten uns unaossprechlich darüber, daß er mit diesem thörichten 
Briefe selbst einen Haken eingeschlagen hatte, an den nunmehr 
heqneni jeder UebelwoUende seine ungerechten Beschuldigungen 
hingen kennte. VtM es an solchen Uebelwolienden nieht gefehlt 
hat, ist in weites Kieieen bekannt Ln Jahre 1882 sah sich 
Lagarde in tarn» ^AontHdien Abwehr genOthigt: in einem Anhange 
itt seiner „Ankindignng einer nenen Auqgabe der grieehisdien 
Ü <ib et8 e tou ng des ahen Testaments** (S. 60/61) helftt es: 

leh hin Uhr heieita, als anf diesen Brief die Ant- 

7» 



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— 100 — 

f 

wort des Herrn Mocquard eingieng, darüber klar geworden, 
daß ich mit ihm einen dummen Streich gemacht: ich war 
im Januar 1851 ein unerzogener, das Leben nicht kennender 
Romantiker, der noch jetzt die Folgen seiner nie geleiteten 
JngendtdUime zu tragen hat Ks int aber beispiellos gemein, 
im Jahre 1881 eineii Mann Ton 58 Jahna für das ▼«rant- 
worUkh «1 maehen, was er im Alter toü 28 Jahren, in 
einem gaas von den heutigm Anacbamnigen abweichenden, 
Ten ihm nicht fireiwiUig giewSUten, aoodem ihm ttbedieferten 
Ideenkieise stehend, in gotem Glauben an die Berichte aeiner 
niehsten Bhitsverwandten gelhan hat leh habe 1851 sehr 
viele üebefseugungen mit mir heramgetngen, welche ich habe 
anheben mHaeen: Niemand darf behanpten, daB ich je dne 
Hürnig um eines äußerlichen Vorteils willen gehegt oder 
geändert habe: im Gegenteile, ich habe zum Schaden meines 
Fortkommens auch der Macht gegenüber stets nur das be- 
kannt, was ich nach dem Stande meiner Einsicht für recht 
und walu: hielt. Meine Lebensschickaale und die beiden 
Bände meiner deutschen Schriften sind dafür Beweis genug. 

Man vergleiche übrigens das in jeder deutschen Univer- 
sitätsbibliothek zu findende — wie ich ausdrücklich hervor- 
hebe, im Jahre 1867 veröffentlichte — Schriftchen „Nach- 
richten Uber einige Eemilien des Namens Boetticher'* 49. 

Als Bordiere Buch erschienen war, habe idi, inmitten 
riner damals FkenSen feindlichen Umgebung lebend, nm dem 
Staate PreaBen Unannehmlichkeiten nnd schiefe Gerichter sn 
sparen, indem ieh ansdrCicklieh behauptete, sogar die mir 
vordem unterrichteten Tertianer nnd Seemdaner leicht davon 
flberseagen sn können, daft man mir ans jenem Briefe einen 
Vorwurf mit Grund nicht machen könne, eine mühsam er^ 
kämpfte Existenz preisgebend, am 12. April 1872 den Mi- 
nister Falk mn meine Entlassung aus dem preußischen Staats- 
dienste ersucht, auch noch heute aufzuzeigende Schritte ge- 
than, meinen Lebensunterhalt mir auf neuen Bahnen zu er- 
werben. Der Minister hat dies mein Gesuch meinen Amts- 
genossen voi^elegt, und auf Gnmd des von diesen gefällten 
Verdikts sind am 23. April 1872 der Curator und der Pro- 



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— 101 — 



nktor der G«oigia-AiigiiBta — di« Henen Ay Wanutedt und 
EBertheoa an mir gekommen, mn mir m erklSren, daft sn 
einem Schritte, vie ieh ihn gethan, nMh der üeberzcu^ug 
meiner Gollegen ein Gmnd nicht vorliege, tmd daß man mich 

bitte, mein Entlassungsgesuch zurückzuzielien : die Worte 
des Herrn Curators lauteten sogar so freundlich, daß ich An- 
stand nehme sie anzuführen. Darauf hin bin ich in meiner 
Stelle geblieben, und bin des Glaubens, daß durch mein nach- 
weisbar sehr ernst gemeintes Entlassungsgesuch, und durch 
das Urteil meiner Collegen wad Vorgesetzten schlechterdings 
Jedem die Berechdgang entrogen ist, die Bomautik des eben 
in das Leben eintretenden Jünglings dem vielgeprüften und 

reSeUieh liewtiirten Hanne TorBaweifen 

Ja, ee hat rieh sogar — allerdings anseheinend hanptsMdi- 
lieh ans Aeiger Über die Anerkennung, die der Brorector der 
Universitilt, Professor von Wilamowita-Moellendoil^ in seiner Grab* 
rede dem Todten gezollt — Jemand bereit geftmden, diesem noch 
einmal, neben anderen Anklagen, auch diese alte BriefGeschichte 
als frische Kränkung und Sclimähung nachzusagen. Vergleiche, 
Seite 4, die Liste der Nachrufe. 

Es finden sich in den mitgetheilten Briefen einzelne Stellen, 
die beweisen, daß Lagarde, sobald ihm seine Beobacbtmigeu und 
£rfahrangen anf don Gebiete des Schulwesens ausreichend er- 
schienen, sie anch m verwerthen, das heiftt sich öffentlich über 
sie SU änAeni wünschte: aber eben so viele Stellen beweisen, daft 
er nicht leidit Mnih fiiAte, vielmehr rieh scheute, in die Oe£GBnt> 
lichkeit sn treten. „Da weiftt, ich bin mir nicht gut genug**, 
wie oft habe ich auch mündlich das Wort geh?Srt, bis endlich die 
stete, in riner der Vorreden auch aom Ansdm^e gekommene 
Entgegnung durchschlug: wenn nur der Vollkommene reden dürfte, 
so müftte allgemeines Schweigen licrrschen. 

Als der schwere, ihn wuLrliaft beängstigende Sturm des so- 
genannten Culturkampfes heraufzog, entschloß er aich zur Heraus- 
gabe seiner ersten politiscli-theologischen Schrift „Ueber das Ver- 
hältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion" : 

in dem Bewufitsein, daß es in so ernsten und entschei- 



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— 103 — 



dendfti ZfiiÜUliifteii wie die mwIfeD, Pfliidit-iit, lia» Jdar Er- 
ksonte und laoge Zeit Idndiirdi GteprOfte Andflfen auch In 
demFaUe mitsoUiiileB, daS rie nicht übeiBengt, aondem nur 
angeregt, ja aellMt in dem, daB de dadurch in ihrer biaiie* 
Ilgen Andcbt beetSikt werden. 

Diesem Au&atze folgten dann nach und nach die anderen, 
aus denen sich zunächst liand Eins und Zwei, dann, 1886, die 
Gesammtausgabe der deutschen Schriften zusammengesetzt hat. 

Es ist Lagarde zum Vorwurfe gemacht worden, daß er „sich 
zu vornehm godüiikt'', sicli persönlich um die Verbreitung dieser 
Schriften zu bemühen : aber er hat — sehr mit Ueberwindung — 
die erste vielfach verschickt, an Abgeordnete und an Männer der 
Pi-esse (wenn ich mich recht erinnere in einigen sechzig Exem- 
plaren), mit der ausdrücklichen Bitte, um der Sache willen Kennt- 
nis nnd, wenn mSj^ich, Öffentlich Notis dayon «i ffflihmffn. Da 
dieae Selhefcttherwindnng durehana niehta genütst hatte, aoch da 
nicht, wo man ea ndt völliger £Keheiheit hlltte aollen erwarten 
d&ftn, hat er sie sich, mit Becht, danach nidit wieder an£Brleg:t. 
Er redete nicht um sdner Person willen — er würde ohne Neop 
nnng seinea Namens geschrieben haben, „wSre der Yormuf der 
Feigheit nicht zu fürchten gewesen" — , er redete, gerade mit 
Hintansetzung soiuer Person, im uligemeinen Interesse: um zu än- 
dern, um zu bessern. Das Weitere hat nicht Er zu verantworten : 
er konnte die den Verhältnissen nach zum Hören imd Pftn^ftlp 
Berufenen nicht zwingen, zu hören und zu handeln. 

Die Gesammtausgabe von 1886 hat er am 6. April des Jah- 
rea an den Prinaen Wilhelm, des jetaigen Kaisers Majestät, und 
an den FfirsUn Biamaiok gesandt: eine Absohrüt der Befleiß 
adneibfln m diesen beiden Binden lasae ich hier Iblgen. 

gnSdigster Prins und Henr, 

Eue Ettmgliehe Hoheit Htte ich nnterüiibiig, die bei^ 
gescUossenen Btteher hnldreioh Minehmqn, .und dea Lesena 
Werth halten zu wollen. 

Unsere Verfassung gestattet jedem Preußen, seine Mei- 
nungen frei zu äußern. Von diesem Hechte Gebrauch zu 
machen, haben dem Alles (dDerwucbemdeo Piurteiwesen gegen- 



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— lOS — 



Uber g«Ride mwlbhUwrt^ Ififimer Vqpwlaawing* die 
Sachen li^en, dürßeik diese Unabfa&igigen nicht tfnmal den 
Vorwqzf der in einer TJeibenendong eigener Schiiften Iddit 
sa findenden tJnbetcheadenheit echenen: denn die Kritik 
macht hei uns nur anf die Arheitm der Parteigenoseen des 
Kritikers anfmerksam, so daß der keinw Partei Angehörige 
nothgedruugeu selbst um Gebor bitten muß, falls er gehört 
zu werden wünscht. 

Eure K<)nigliclie Hoheit ist der geborene Führer der 
jetzigen Jufj^end, und wird als solcher leicht ermessen, ob 
sich die mir zum Beispiel in der deutscheu Studentenieitoog 
des vorigen Jahres wann ausgesprochene Zustimmung der 
Jagend m dem von mir gegen unser höheres üntenrichts- 
wesen Gesagten erklMien läAt, eine Zustimmung, der sich 
auch iei& UXnner — ich nemie mir bekannte Namen — 
wie Heinrich yon Treitschke, Karl SBUebiand, Friediidi 
Panlsen angeschlossen haben. 

Kldn- Deutschland darf — das ist das andere Haupt- 
thema meinee Buchs — nur als eine, vielleicht unumgäng- 
liche, idelleicht nothwendige Etappe auf dem lausche nach 
Groß - Deutschland gelten, wie der norddeutsche Bund eine 
Etappe für das jetzige deutsche licich war. Des Kaisers 
Majestät hat vor Jahr und Tag die Führer des Wiener 
Sängerbundes bei sich empfangen imd ausgezeichnet, hat die 
Wiener Sänger selbst gehört: der kritischste und zugleich 
warmberagste Theil der Bevölkerung Preußens, die Berliner, 
haben jene Sänger auf Händen getragen, und dem sie ehren- 
den Ijandesvater zugejauchzt: ich wage daher lu hoffen, daß 
Eure Kttnigliche Hoheit dem entschlossenen Herolde des 
vieUeicht von Euter Königlichen Hoheit seihst mit pnsu- 
bahnenden unlösbaren Bündnisses zwischen Deutschland und 
Oestecreieh vecgünnen werde, sdne auf dies Bfindnis sich 
heiiflhendm AenBerungen yersologen. 

Zur ZAt ist unmöglich, daft dn Patriot tlber öffisnüliehe 
Angelegenheiten in einem anderen als einem sehr lebhaften 
Tone rede. Daß dieser Ton bei mir aus einem weichen 
)md wannen Herzen kommt, wollen £uie Königliche Hoheit 



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I 



— 104 — 

aus dem bcigeLgg t cn Hefte Gfedichte tu eneben die Gnade 
haben. 

In tie&ter Ehifbrcht Euer EJMIglklMa Hohflii imtaEo 
thäuiger ProfeaBor Paul de Lagarde. 

DtureUanchtiger Fdnt 

Hochgebietender Herr Reichskanzlerf 
Eurer Durchlaucht bekannte Geneigtheit, die verschie- 
densten Ansichten zu priifen, würde mich nicht berechtigten, 
die Gesainintuusgaljc meiner in grundsätzlicher Gegnerschaft 
gegen das Geltende verCeißten deutschen Schriften selbst vor> 
Bolegen: den Muth, meinen Band zu überreichen, gibt mir 
nur der Umstand, daß die am 26. März gehaltene Bede 
Eurer Dorchlaucht in fundamentalem Einklänge wenigstens 
mit dem gerade rar Zeit jener Bede, und vor dem Bekannt- 
werden derselben, im Satie fertig gestellten leisten halben 
Bogen meiner Selüiiftabhandliuig steht 

E^er Partei angehörend, vielmehr aDe Parteien xatA 
das Parteiweaen seihst bekümpfend, Un ich im Laufs der 
Zeit in meinen Anschauungen nur befestigt worden, indem 
die Geschichte mir in mehr als einem Punkte bereits Recht 
gegeben hat , und ich daraus die Zuversicht schöpfen darf, 
auch meine noch nicht bewahrheiteten Urtheile durch die 
Thatsachen irgend wann einmal bestätigt zu finden. 

Die Noth des Vaterlandes ist nach allen Eichtungen hin 
so gewachsen, daß jeder Patriot das dringende Verlangen 
fühlen muß, für die Vorschläge, Ton deren Annahme er Hülfe 
hoft, b^ dem Manne Gehttr sa snehen, der in Deutschland 
rar Zeit allein im Stande ist, Gedanken in Theten thena- 
fthren. 

Anf jene letste Bede Eurer Darddaneht hin wage ich 
wa glauben, daft geneigt sein werden, über .alle G^gen- 
sfttse hinweg mhidestens dnige mdner Ansehannngen mid 

Bestrebungen anzuerkennen. Jedenfalls dürfte der Schritt, 
meine durch und durch oppositionelle Schrift Eurer Durch- 
laucht selbst zu überreichen, eine Hochachtung und einen 
Glauben an Eurer Durchlaucht Person seitens eines poiiti- 



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— 105 — 



mÜMk Oflgnen bekinideii, wie de der imbedi^gteite Anhloger 
iddit lebhafter aiuiadrllekflii TennSehte. 

Wenn ich auch Eurer Durchlaucht Aufinerksamkeit zu- 
nSehst t\ir die in den früheren Stücken meiner Sammlung 
längst vorbereiteten Vorschläge meines letzten Aufsatzes er- 
bitte, so gestatte ich mir doch auch auf Alles, was ich über 
unser höheres Unterrichtswesen vorf^etragen habe, hinzuweisen. 
Ich spreche mit Schmerz aus, daß unser früher hochge- 
schätztes Unterrichtswesen jetzt sich in einer Verfassung be- 
findet , die zum Himmel schreit Alle wirklich auf diesem 
Gebiete eiiuiohtigeii Hlnner habe ieh iMogst für die lieber- 
WBogUDg gewonneii, daft hier eaneBeoiganiBation genau ebenso 
Ton Kddieii ist, wie sie es seiner Ztit ftlr das Heer war: je 
weiter diese Beorganisation hinausgeschoben wird, desto firag- 
Bcher wird ihre HögHchkdi 

Ich diene bd dner andern Wafib als Eure Dorehlaneht, 
aber demselben irdischen und himmlischen Könige wie Sie, 
und will fiir Dasselbe kämpfen und nöthigenfalls sterben wie 
Sie, für die wahre, das heißt die ewige Ehre des deutschen 
Vaterlandes. Wir haben von Moltke gelernt, daß man ^g- 
treunt marschieren muß, um vereint zu siegen. Gestatten 
mir Eure Durchlaaclit das Erste und die Hofinung auf das 
Andere. 

Das Heft Gedichte, welches ich mir die Freihdt nehme, 
ehrihrcfatSToU mdnem Bande bdanlegen, soll Eurer Durch-* 
laucht den Menschen Yorstellen, der ftr die unumgtngliche 
Schärfe des Kritikers Ventändnis erbitten möchte. 

Ih anftiehtigeryerehmng Eurer Durehlaaolit gehorsamer 

Brafoesor Paul de Lagaide. 

Unter dem 10. April hat Fttnt Bsmarck, unter dem 24. Juni 
hat Prins Wnhehn den Dank ftr die „erwiesene Aufinerksamkcit** 
aussprechen lassen. 

Gleichfalls am G. April 1886 gieng je ein Exemplar der Deut- 
schen Schriften und des 1883 erschienenen Werkes Librorum V.T. 
canonicorum pars prior graece an den damaligen Fürsten Alexander 
TOD Bulgarien ab. Es scheint mir gerathen, auch die Begleit- 



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106 



anliy^fam diHw bfidfln BfiGlmF Umt pfi itBatlifiilfin IM puf D^ mftUi* 
gen BekAimtwerden dar Tkaisadie d^eter Eonespondm gfgmttber 
nttehte iudi leteht wieder ^Jiimst oder Jener*^ IhideD, der „ver- 
, tranfieh** fOr ihre V e rwe rthm iy naeli Axt der Terweräumg jenee 

alten französischen Briefes Sorge trüge. 

Lagarde sah die Eutwickeluiig jener fernen Donauländer für 
eine Deutschland «ehr nalic angehende Sache an : er begrüßte es 
mit lebliaftester Freude, als, wie fiüher in Rumänien, so auch in 
Bulgarien ein deutscher Prinz an die Spitze trat, und er trug 
dem Fürsten Alexander dieselbe warme und vertrauensvolle Sym- 
pathie entgegen, die er dem König Karl widmete. Die erwähnten 
Begleitschreiben deo lauten, jedee mit derselben Anrede nnfil Un- 
tencfaiift: 

Dniehlaiiehtiigster FHrBt, gnXdIgater Fttist imd Herr, 
Eore Hoheit bitte ich die Oesammtaiiagabe meiner deai- 
eehen Scfatifteii uid meine Gedichte hiddToIl tntisBgBimr 
nehmen« 

Es ist mir BedfiifiiiiB, irgendivie der Verehrung und Thell- 
nähme Ausdruck zu verleihen, welche ich für Eure Hoheit 
als Feldlierrn und Staatsmann empfinde. Meine Empfindunp^en 
theilcn alle mir bekannten urtlieilsflihigen Deutschen. Mög"e 
die Gewisheit über diese Thatsaehe Eure Hoheit, die noch 
mit schwerer Bcdrän<;uis zu ringen hat, auf dem Wege zam 
gewissen Siege stärken. 

Die deutechen Sohnfien kXmpfen gegen den im preuAi- 
sehen Schulwesen gemachten, so unglücklich abgelaufenen 
Venadb, den Deutschen eine ihnen nrfiemde Kultur auf dea 
Iieib in nntenichten. Eure Hoheit ist ein viel in ehudeh- 
tiger Politiker, Ihren Bulgaren eine der deutschen sogenannten 
Bildung analege BQdung luamnnthen: Tielldeht ist es aber 
nioht ohne Ltteresse, ans meinen — ttfarigens bereits erfolg^- 
reichen — Schriften gegen die fremden GWter Deotsdilanda 
SU sehen, wie s^ldlieh ftr ein Volk Alles wirkt, was iddit 
aus ihm selbst erwächst, oder aber — was noch besser ist — • 
allmählich dm'ch einen wirklichen Herrscher aus ihm heraus 
entwickelt wird. 

« • 
♦ 



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— 107 — 



JSm Hoheit bitte idi dem Gelelirten zu veneiben, wenn 
er einen Band seiner Ausgabe der griecbuchen Uebersetzung 
das alten Testaments ebrcrbietigöt iiberreicbt| und ao die 
Ueberreicbung eine Bitte knüpft. 

Die Herstellung der urnprüngliclien Gestalt jener Ueber- 
setzunpr ist meines Lebens Aut'g;abe, der weitaus die meisten 
am Ende des von mir vorgelegten Bandes verzeichneten Werke 
gedient haben. Diese Uebersetzung läuft in drei Gestalten um : 
der in Alex and ria, der in Caesarea und Jenualon, der in 
Antipchia und Konstantinopel amltich ftnoA«mntfWi 

Ich habe «MGifindeD, die «laeinaudfinmietei aidit in- 
taNMieren kann, die an letaler Stelle genannte sient benaa- 
gOgeben. Ea iat sicher, daE Ulfilas, deasen Gothen einst in 
Mgaiim geaüsen, Diese dbenelst hat: wahnehsialich ist, 
dai die alte bulgarisbhe Uabartragung ebenbUa anf Ihr ruht 

HKtte Eure Hoheit die Gnade, dwdi einen Sachverstän- 
digen meinen Band daranfhin prttfen lu lassen, ob In der 
Tbat die alten Bulgaren nicht den zuerst in Rom 1586, zu- 
letzt von Tischcndorf gedruckten, nicht den von England aus 
vertriebenen Text des alten Testaments, sondern die \ (>ii mir 
aas den Handschriften antiochenischen und koustautiuopolita- 
nischen lierkominens hergestellte Gestalt desselben gelesen 
haben, so würden Sie der Wissenschaft einen wescntUchcn 
Dienst leisten, der auch Ihrem jungen fieichß in geiwisaer 
Weise zu gute käme. 

Bulgarien hat jetst Wichtigeras sn thnn, als Kritik dea 
Bibelfeextes au tieihan, doch mag es auch jetat in ihm (be- 
lehrte geben, die eine Untennchnng, wie die Ton nur eHte* 
tene, sn Ähren die Buhe und die Geduld heAaen. 

In tieftr Ebrfiueht Proftaior Panl de Lagaide. 

Der «tte dieeer Briefi» nmhnt «n das Gedieht Boeseok, wo 
der weit sieh «ntreokende mitteboroptiselM Staatsnband dentsehar 

Artung im Gdste geschaut wird, im Besonderen an die Worte: 

Die Fürsten vorauf dem Volke in Zucht und Denken, 
das Volk folgend Dem, der Vorbild lebt und vorwärts geht 



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108 — 



Zwei MXnner haben es nch angelegen sein laasen, nachdrück- 
lieh mid aadaniflnid auf die deateehen SchrifteD himaweSsen: Henr 
Theodor Fritschf der Herausgeber der Dentacfa-eonalen BlXtter in 
Ldjpsigf und der Yeiftner dee Bnehes Bembnoidt aU Enieher. 
Dieeen Beiden ist es sa danken, daft im Frühjahr 1891 die Aus- 
gabe Ton 1886 so weit ahgesetrt war, daft es mSgÜch enehtfnen 
konnte, eine andere in Ansdoht sa nehmen. Zar AnsAihrang ent- 
schloß sich mein Hann erst nach vielem Ueberlegen und Schwan- 
ken: dann wurde, neben gelehrten Arbeiten, der Druck rasch ins 
Werk g-esctzt und im Herbste fertig gestellt. 

Einen Erfolg hat nach Gottes Kathschluß der Verfasser nicht 
erleben sollen. 



Ucber die Zeit des allmählichen Erscheinens dieser Aufsätze 
— 1873 bis 1886 — kann ich rasch hinweg gehn: denn in jenen 
Au&ktaen tritt die ganze Persönlichkeit des Verfassers iür jedoi 
Leser, der sehen kann und will, so klar und lebendig zu Tage, 
daft ich nicht wflAte, was ich daneben iigend soIHe beibriQgen 
können, das Bild noch sa verdeatliehen. Wichtige B^benheiten 
aas dem infieren Leben sind nieht sa melden: obwohl sieh swei 
Beisen &st als solche beseiefanep lassen, die er nicht als Privat- 
person, sondern als Abgesandter gemacht hat Im Herbst des 
Jahres 1875 wohnte er als Deputierter der Geoigia-Angnsta der 
Grfindungsfeier der Universitit Osemowits bei, die für sein Ge- 
mUth eine edite wahre Festfieier war. Wer rieh cgnnnert, — oder 
es, Abschnitt 5 des „Berichts", naehksen will — , wie er über 
Oesterreich dachte und empfand , der wird nachfühlen , was die 
Gründung gerade dieser deutschen Hoclischule seiner Seele sein 
mußte. Er hielt eine Stärkunjr des deutschen Elementes in Oe- 
sterreich für dringend nothwcndig : er sah in einer festen organi- 
schen Verbindung Deutschlands mit einem so germanisierten Oe- 
steneich die einzige, aber auch die völlig sichere Gewähr eines 
dauernden Friedens, der dann in dem gansen großen mittelenro- 
pttischen StaatenVerbande die wttnschenswerthen Arbeiten des Frie- 
deos endlich ermöglichen würd& Lagarde gedachte der in Oaer- 
nowiti verlebten Tage stets mit angetrabter Fieade. Die von 
ihm bei Uebemichang der Göttinger Adresse gespioclNiie Bede 



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109 — 



gibt, wie mir sclieint, seine Empfindungen klar zu erkennen, so 
dafi es mich freut, sie hier mitzutlieilen. Zuerst gesteht er, daß ihm 
nicht sehr bequem zu Mathe war, da die Vorredner alles 
Erdenkbare bereits vorweggenommeii batten, und die im Ne- 
benzimmer an%e&hrene Batterie Ton Stenographen, weldie 
jedes klftimrfft Versehen aofort niederzoschreiben nnd in die 
Welt la Beoden diehten, aiieh niebt aonderlidi snr Behag«- 

liehkflit beiAmg. leb wurde ab cnttr Deuticber, 

der aii%eni£Bn wurde, mit Bravo mtd Klatoehm begrilit und 
sagte Fdlgettdee: 

Der Senat der Georgia-AugaBta wa Güttingen bat mieb 
beanftragt, der neu gegründeten Erancisco-Joeepbina die bera- 
Hdien OlflekwOneebe, welebe er in diesem Scbrdben nieder- 
gelegt hat, auch persönlich nnd mündlich ansznsprechen. 

Wenn eine deutaclie Lniversität von Glück spricht, so 
spricht sie von Arbeit. Göttingen wünscht aus warmem Her- 
zen ihrer jungen Schwester das höchste Glück, das sie selbst 
kennt, das yoUkräfUge Eintreten in die wisseuschafüiche 
Arbeit 

Wir erinnern uns, daß der Mensch für nichts so danlL- 
bar ist, wie iUr die Förderung seines geistigen Lebens. Die 
Zeit ist auch jetzt noch nicht da, in der der Mf^Mp^b Tom 
Brote allein lebte: er lebt von dem Worte Gottes, wie es 
dorch alle vier FaknltÜ»! einer UniTeiaität Terkflbidigt wiid, 
nnd dankt ftr die MtttheQung dieses Brotes ndt der vollen 
liebe deren er filbjg ist M5ge die jo^ge Univenitttt fifr 
die Wabrbsit, weldie sie TeriLflndigt, fttr die geistige Zudit, 
welche sie ttbt, flir dieBefreinng, weldie sie dnreb iUe Arbeit 
nnd die Etgebnisse der Arbnt gewährt, dn leicbes Maft an 
liebe ihrer Schüler eintauschen. 

Als drittes wünschen wir der jungen Schwester, daß sie 
recht augenfällig dem grüßen Staate dankbar sein könne, der 
sie ins Leben gerufen hat: dankbar sein zu können, ist ja 
für edle Naturen ein erstes Bedürfnis. Wir wünschen, daß 
sie die Schüler , welche sie sich gewonnen , für Oesterreich 
gewinne: daß sie Oesterreichs ihr anvertraute Kinder von 
Stufe an Stufe anfwärts und vorwttrts fUbien möge. 



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Es ist hier m FretradlidiM iSbtst die dentsdie 'Wk' 
semohftft geaprodiea worden, dat es ttir woU gest a ttet seift 
wircl, noeh eiiüge Worte m dem Tod ttdr Oerisgteil liitt Be- 
itng snf diese Aberkemniiig liinsostifligtti. 

Die Torselniiig — wer woUie es tottgneii? — liai dem 
Deutschen den Drang naeh Walniidt tmd WlssenSdiaft in 
die "Wiege goloj^t. DentecMand steht ilrit der Wissenschaft 
Ton Hanse aus, und indem es von allen Fremden lernt, in 
näherer Beziehung als andere LUndcr. Darum hat Dentsch- 
land überall da Freunde, wo die Wissenschaft Freunde hat. 
Wir hoffen, daß es sie auch in OzernowibB haben und be- 
halten werde, und versprechen dafür ron unserer Seite für 
Liebe wieder Liebe. 

Bei seiner Aengstlichkeit in allen derartigen Fälkii diente 
ihm zur Beruhigung, daß sowohl der Minister als der Bector 
in ihren Tischreden seiner Anspradie gedachten, „was Hdr wenig- 
stens die Gewisheit gali, nieht sngestoften m hftbeü**. 

tm Sonimer 1888 überbraehte er delr Univ«jdtll Bologna 
snr Feier ihres aehthnnderQlhiigen Bestehens die GliükWlbisehe 
deif kOnigUehenGeseUsehaft der Wlssensehaften M GOtängen: auch 
die Theihudme sa diesem Feste blieb ihm eine iat cie s sitei e und 
fireiludliehe Bthmettnig. 

Im üebrigen spannen sich die Tage zn 'Hmm eitrftM^g in 
stotet Arb^t ab, und die Ferien wurden fast stets sm Arbeits- 
ftSsen verwendet, die einige Erholung von selbst mit sich brachten: 
leinmal durch den Wechsel, durch das Herauskommen an sich, und 
dann auch, weil überall die Benutzung der öffentlichen Bibliotheken 
auf bestimmte Stunden beschränkt ist. Im Anschlüsse an diese 
Reisen, oder auch unabhängig von ihnen, besuchte er aber auch 
Bade- imd Luftkurorte, weil Or sdbst einsah, daß die Kräfte snr 
Durchftihmng seiner an s tr eng e n den Stadien unbedingt ab und zu 
der fiahe und eliier AnflHsdrang bednrftta. Wädmgen habe ich 
echon erwihnt: 1886 that ihm ein drei Wochen langer Anfent- 
halt in Qaiti^ ioftit einer knnen If hehknr in WUdnngen, antter- 
iMrd«tt1ilc]i gist, iM Angnst 1890 fSa Soleher anf fl|ylt ftehy wohL 
Tbhn^stelBe Beb War ihin der 8diw a» » a ld, AlleKdings gieng 
ihm die Mb «eil finistaihlBit, die «r 1818 in Tyrol — iKnsnh, 



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Bentte, LennoM — kflunen lernte, nöeli dearllber, doch konnte er 
sieh cfpKter lücht in einer Wlederholnng dieses ADsflnges ent- 
KhHeBen, weil er tfeh sn abgeschnitten von Nachiiditen, and 
deshalb leicht tun Zn-Hanse geängstigt, föhlte. lin Sommer 1872 

waren -wir zusammeu vierzelm Tage in Oberstdorf im bayerischen 
Gebirge : bei dieser Gelegenheit zeigte er mir Basel, den Bodensee 
mit Lindau, Konstanz, Bregenz, vom Gebhardsberge bei Bregenz 
aus die Alpenkette. In Konstanz war damals soeben das Insel- 
hotel eröfl&iet worden, und wir beklagten zusammen mit großem 
Schmerze, daß in dem herrlich am See gelegenen alten Kloster 
nicht statt des GUsthanses eine Erziehungsanstalt eingerichtet wor- 
den wllre, woza es nns wie geschaHen erschien. Ach, werB^eh- 
ihmn und Macht hXtte, — so dachten wir mit Senfini. 

hl Wildungen nnd im Sehwanwalde hin ich mehimsls mit 
ihm gewesen, im Angnst 1888 aneh in Gastein, wo er diemal 
leider (wohl dnieh unbewnfltes Versehen im Gehranehe dar BMder) 
niefat die wondeiheie Krttftigung fand, wie das erste HaL Wt 
kostete es indessen stets einen Entschluß, ihn auf grBftere Belsen 
zu begleiten: schon der vermehrten Ausgaben wegen, da ich, in 
unserm Garten uiits Beste versorgt, einer Erholung nicht bedurfte, 
mich auch oft der Besuche von Mutter und .Schwestern erfreute. 
Hauptsächlich aber deshalb : wenn mein Mann mich bei sich hatte, 
so verlangte er (an sich sehr glücklich für mich) nach keiner 
anderen Gesellschaft, und dann blieb er in dem gewohnten Ge- 
danken-, d. h. meist Sorgenkreise haften: während er, ohne mich, 
sieh leieht mit Menschen allerverschiedenster Art nnd Interessen 
nsammenaufinden pflegte, wodurch er aus dem ESnerki heraas- 
gevissen und viel gründlicher erfrischt wurde. 

Im Jahre 1891 wurden die heiden ganaen Monate Itttu und 
April der Arbeit in Born gewidmet und ancb die HerbstÜBrieh dir 
Ailwiten, an Tersduedenen Orten, in Aussicht genommen. Da- 
iwisdien hatte er, meinen ^tten nachgebend, für die bdden enten 
Augnstwochen einen Besuch Wildungens geplant, doch sah er sich 
fast im letzten Augenblicke zu einer Acnderung genöthigt, und 
entschied sich für das sehr schön gelegene Brückenau, in der 
Kähe von Kissingen. 

Daß er diesmal darauf bestanden hat, mich mitzunehmen, 



— 112 — 

ist «in Glllck, fiir das ich niebt -gaiiig danken kann: denn diese 
Tienehn Tage dnd mein lelites sorgloees Zosamnunsein ndt 
ilun gewesen. Es war kalt, die sehBne Gegend oft dnrdi Begen 
TeneUeiert, aneh blieb sonst wobl allerband m wllnscben: aber 
dennoeh waren es ruhige, glfiekliebe Tiencbn Tage. Ln Knr- 
banse fimd sieb ^ gntes Piaidno, so dafi leb, unter den Fenstern 
des Saales sitzend, ihn dort sogar, zn stillen menschenleeren Ta- 
geszeiten, noch habe spielen hören. Er unternahm, trotz dem 
Regen, in gewohnter Küstigkeit weite Spaziergänge, am liebsten, 
•wie von je her, nach den Höhepunkten, und wir freuten uns, daß 
auch meine Kräfte für Alles ausreichten. Da konnte er denn, 
während ich über einer Handarbeit oder einem Boche saß. Stunden 
lang aof einer Bank liegen : in wachem Sinnen und Träumen, 
oder anch schlafend: und eines solchen Schlafes in freier Luit 
war ich stets froh für ihn, denn er war ihm die fühlbarste Er- 
qniciknng. Diese bat er sieb viele Jabre bindnreb aneb sn Hanse 
Bwiseben der Aibeit gegttnnt, anf einer Gartenbenk unter den 
Fenstern senier Stndicntnbe, spXter oben auf seinem Balkon: 
meist nur ftr Minuten, aber immer mit bester Wirkung. 

Am F^itag den 14. August kebrten wir von BrOekenan beim, 
am Montage darauf trat mein Mann allein, mit vielem Arbeits- 
material im frisch gepackten Kofifer, die andere Reise an, deren 
niichstes Ziel, für etwa vierzehn Tage, London war. Von dort 
giei^ er, nach kiurzem Aufenthalte in Paris, wieder nach Italien : 
diesmal nicht nur nach Rom, sondern vorher auch nach Turin, 
Fenrara, Lucca: in den letzten Septembertagen traf er in Rom 
ein, um die Arbeit bei Wiedereröffnung der Vaticana, am 1. Ok- 
tober, unverzüglich beginnen zu können. 

Es bandelte sieb| im Frttl||ahr wie im Herbste, banptaKeblieh 
nm Veigleicbnng syiisdier Handsdniften ftr tine geplante TBSb- 
liotbeea syriaea, die Lagarde sebr am Henen lag nnd deren erster 
Band sieb schon im Drucke befimd. Vor allem war seine Seele 
gans erfiillt von dner Ausgabe der Evaqgellen, die in diesem 
eisten (nun einzigen) Bande jener Bibliotbeea ersebienen ist Viele 
seiner Briefe, denen man mehr als anderen die Eile und Unruhe 
des Arbeitens anmerkt, enthalten Aeußerungen gerade in Bezug 
auf dies epiache Evangeliar. 



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— 118 — 



(21. 8.) IMk Budi Hb« akBvaofilkii wiebt in ate 

Kakwflidige KloMt TiriMitot rfsh mir Uber dfo 
Evangelien. leli halte ea fllr PlBdit, de aneh dem Volke 

mitztitheilen (Die Eyangelien, geordnet fibersetzt nnd erklärt). 
Dann sind deutsche Schriften und Evangelien iu demselben 
Verlage, imter meinen Augen gedruckt Laß dir das ein 
Geschenk für unsem Tag sein. 
(Diesen Brief erhielt ich an anserem Hochaeitatage). 

Mein i^yiiacbea Evangeliar enthält die achttniten uralten 

Lesarten. 

(Mündlich hat er mir geaagt, es sei in dem Dialekte g«- 
aefariehen, den Jeaoa aelhet geaptoeh« haben niMaie). 

Die Evangelien beaehlftig« ndoh aehr ad frerdan aldi 
auch aehieihen laaeen. Ich hoff» viel Segen ftrVleti davon. 

M eine dentaehan XvangeBen vratden weld groften Siuni 
erregen. Idi Un meiner flneke aber elcker, dnl die Oe- 
aeUehte so verlattün iat, wie ich de ana den Qnellen heran»- 

scbHlen werde. Ich lasse kein Wort aus, setae kein Wort zu, 
sondern ordne nur neu. Gotte.«' Hand leitet mich sichtlich, 
so steinig, domig und steil die Wege sind, die ich gehn moft. 

» 

Den ersten Thcil der Kirchengeschichte habe ich selbst 
zn lesen Lust, da ich jetzt über die Evangelien gana festes 
Wiaaen nnd damit das Fundameot habe. 

« 

(29. 9.) Mein Evangelienbach wächst in der Stille. Orie- 
diiicher Text und danach deotsehcr. AUeaGeMirte in dem 
entan, nm im deoftaehen Wetke ndt Verweimngen anam- 
konmen. Dae Volk bedarf dieaer TerwelBUigen nieht: ea 
will |M>en. Abmr idi mtni de enAg^ieheB, dmm idi bin 
em ueteniMr. 

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— 114 — 



Vielleicht dient die MittheOiiiig dieser Aeußerungen dazu. 
Andere auf diese Aii%sbe luniuweiien. IVeifieh wird adi ' nielit 
M teielit wieder in Einem Kenseheogeiate alles Das Tereinigt 
finden, iras in Huer LSsui^ nodiwedttg ist: die «iqgeMIdetBte 
BpnthmkmafyäB leieht dam vkSbA hin. 

Dieae Belsen waren mn der AiMten willen unbedingt noth- 
wendig, and wir dankten Gott, als sie mSglieli wurden. Daft 

englische Freunde ihm mehrmals die lOtlel daan wmthtM oder 

doch erhöht haben, hat er selbst mit Dank öffentlich ansge- 
sprechen. Indessen fielen uns Beiden mit den vorrückenden Jah- 
ren die langen Trennungen immer schwerer. Ich besonders wußte 
genau, wie ihm in der Fremde jede Behaglichkeit fehlte, wie ver- 
lassen er sich — auch wo er freundlichen Verkehr mit Menschen 
fand — fühlte, wie nachtheilig die verschiedenartige Gasthofskost 
auf sein Befinden wirkte, während er zu Hause zwar sehr einfach, 
aber kräftig und seinen Bedfiifidssen angemessen, versorgt 'nnurde. 
Und wie nahe lag die Soi^, es könne Krankheit und Tod dea 
einen Theil hier, den anderen dort befallen. So war denn das 
fiUtek der Hehnkeihr nnd des WiedenMbens jedes Jlal groB nnd 
wurde Qott anfr Innigste gedankt 

Ton dieser kliten Beise kebrl» er ^am 17. Oktol»er lollckt 
flberglfieklieh, wieder sn Brase in sein, befriedigt von den 
gebidssen der Aibsit, nahm er seine Thltiig^t mm bier wieder 
mit dem gewohnten EÜtnr an£ Er sah — obwohl sebmal und 
etwas abgemagert, wie jedeamal nadi einem Anftnthalte in Rom ~^ 
:sehr gut ans nnd nraßte Allen, die ihn nnr vortibergehend sahen, 
völlig als der Alte erscheinen : angeregt und für alles interessiert, 
für alles voll Tlieilnahme, ganz wie sonst. Nur ich selbst und 
unser treues Madchen, das schon über zehn Jahre mit uns gelebt 
hatte und seine Art ganz gut kannte, wir bemerkten hier und da 
eine Veränderung, ohne uns aber zunächst irgend eine Sorge da- 
rüber zu machen. Während seinen Augen und Ohren sonst nichts 
sn entgehn pflegte, war er jetzt achtlos mid gieng vielfach still 
;v!Or sich hin: doch lebte und webte er so in den mannichfachsten 
Arbeitsplänen, daß ich mir jene Achtlosigkeit und gelegentliche 
Versnnkenhelt leioht dadurch «rkliirta Ab nnd sn klagte er wohl; 



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— 116 



flUto >ieh swar luinmmgß krank, aber nnibehagliob, und blieb, 
troll allen mueren Bemtdnmgen, appeüiloe. leb glaube, In ftat 
allen meinen Briefen an Verwandte und Fraonde ans jener ZAt 
wild aieh die Klage finden, daS er irfebt ao ftiaeh ad wie aonit: 
doch schien mir eine Abspannimg nach dem anhaltenden und 
baatilgen Aibäten nnr in begreiflieh, und ich belfte anf aeine kiKf' 
tige Natur, wenn er nnr erst wieder in seine gewohnte Ordnung 
eingelebt sein würde. Und so sah auch er die Sache an, bis er 
sich dann doch, am 30. November, entschloß, wegen bestimmter 
Beschwerden den Arzt zu Käthe zu ziehen. Auf etwas Ernst- 
liches waren wir in keiner Weise vorbereitet. 

Professor Bosenbach selbst, der uns seit vielen Jahren treu- 
lich beratheu hatte, war wohl gleich nach der ersten Untersuchung 
im Klaren, doch hat er den Kranken eist allmählich mit allem 
vertraut gemacht. Nur ich erfuhr schon am 2. Dezember, wie 
die Sache etlnde: Daimkreba, mit der Anaikbt anf qnabrollstea 
Leiden imd Sterben, felis nicht eine (Dr. Bosenbachs geschickter 
HMid in mebreien FUton gegUidEte) Operation gewagt würde. 
Da blieb keine Wahl Am 7. Deiember ward iwieeben den bei- 
den Ifibmem das HUiere Terabiedet nnd die Operation anf den 
Anfang der WeifanachtaMen {iBetgeeetst. ungewOhnHeh kraft- 
volle Konstitotion mdnee Mannee gab Hbffirang auf guten Aus- 
gang: der Arrt sorgte unermüdlich für die nothwendigen Vor- 
bereitungen wie ftir die Erhaltung des Kräftezustandes. Zugleich 
ermuthigte er den Kranken in der geschickten Weise, die aus 
wahrer Empfindung erwächst: und so glückte es, ihn selbst mit 
Hoffnung zu erfiillen, wenn diese Hoffnung auch oft genug in der 
Stille nicht vorgehalten haben wird. Wir beide Tvußten , daß es 
jetzt galt zu beweisen, daß wir in Wahrheit zu beten ge- 
wohnt waren „Dein Wille geschehe": und daß wir einander das 
Schwere nicht etachweran, aondem nach Kriften in erl^chtem 
aodien sollten. 

Viel Troet und Stftrkong ist uns m Thdl geworden, indem, 
•ackoii aeit dem Oktober, mehr denn je firenndHehe Sendungen und 
Zuschriften an ihn einliefen. Beweise von VentMndnia und Liebe: 
gleich als ob Qottea Gnade die Heraen noeh reeht lenkte, ihnen 
• adbet unbewult dem, den de liebten, EnnnChigung — nun Leben 



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116 — 

wie sum Steibeii — m Isingen, vod iiiiNMSedaigaiis iBitl)iHi& 

Die Tide AiMt, die iiocii in «iledigen war, half mit, die Ge- 
danken abzuziehen und zu ftessehL Mein Mann brauchte die we- 
nigen noch sicher vor ihm liegenden Wochen dringend, um seine 
Druckarbeiten so weit zu fördern und ausreichend mit Anweisun- 
gen zu versehen, daß nöthigenf'alls ein Anderer im Stande wäre, 
sie zum Abschlüsse zu bringen, wie es bekanntlich sein Schüler Dr. 
Baiüfi aufs Beste gethan hat. Ich hatte das Namen- und Bibel- 
eteUemegiBter für die Septuagintastudien zu machen. So saß er 
in aeineii Zuamem oben, ich unten, Jedes an seiner Arbeit, mid 
wir waren weniger beisammen, als sonst Wann es der Fall war, 
so ordnete er mOndliiji nodi dies oder jenes an nnd htrinA mieh 
aber die Ehucichtang meines Lebens, im Grotten hatte es sein 
Hans lingst bestellt 

Zum Sterben borait, felis es Gottes Wille wkre, war es ihm 
doch nicht leicht: er ftthlte ridi noch zu sehr in Lebens- d. h. in 
Arbeits- und Schaffenskraft. Besonders that es ihm um sein 
Evaugelienbuch wehe, das auch ich nicht verschmerzen kann. 
Aber Gottes Segen war mit uns : es glückte mir , während des 
Beisammenseins dauernd Standhaftigkeit zu bewahren, und durch 
den Schein festen Glaubens an seine Genesung in ihm den Glau- 
ben selbst zu stärken. Wie sehr mir in Wahrheit aller Mnth 
fehlte, das fiihlte ich in jedem Augenblicke des Alleinseins. 

Bgendwo tpiidit Lagarde ans, der Mensch lerne Alles ans 
Erfiihmng. leh habe in Jener Zdt begreifen gelernt, wie man 
sn der Anmfeng der Heiligen gekommen sein mag: wie mandi- 
mal habe ich tot dem kleinen ttlde säner Mntter, dem einigen, 
das in der Stndieistabe Meng, mit dem stammen Anmfe gestan- 
den': Bitte für deinen Sohn, hilf dehiem Sdmef 

Ihm lag viel daran, nichts von seiner Krankheit verlauten 
zu lassen — Niemandem sollte die Weilmach tsstimmung gestört 
werden: nach dem Feste, so raeinte er, würde sich ja heraus- 
stellen , welche Wendung es mit ihm nehme — : auch mir war 
dies eiue Erleichterung ^luth und Kraft waren mir dringend 
nöthig, und jeder theilnahmvolle Blick, oder gar ein warmes Wort 
ton Freunden hätte mich ersohflttert: das weaA ich. Selbst unser 



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— 117 — 

Mädchen bat erst im letzten Augenblicke die volle Wahrheit er- 
fahren. 

So giengen die Tage hin, bis zuletzt in unermüdlicher Ar- 
beit — in Hoffen und Zagen — . Am Sonntag den 6. Dezember 
hatte er zum letzten Male, mit tiefer !Rülirimg, Freude an Musik: 
Vormittags durch die Güte de.i Herrn Professor Voigt bei einer 
Gedächtnisfeier für Mozart, Abends bei mueren lieben Bechtels. 
Den Abend des Sechszehnten brachte er noch — um alles Auf- 
fiülige sn venneiden — bei Profeflaor Leo im Eieiee von Kolle- 
gen KU, die sich während des Wintors an jedem eweiten Hittwoeh 
SU einem Vortrage nnd frenndschaftlicher Unteriialtiiiig sosammen 
finden. Der Kemuehate, fionnabaidf war mr Opefatien bestimmt: 
anf Ein JJht war er naeh Bfariahilf, dem Krankflnhaime, beateUt: 
er gieng sa Foft hin, auf ataam WmiMh aUein. Es war ein 
knner AbsoMed: er sagte nnr, ea at& schwerer Oang, dn 
sdiwerer Gang" und ich antwortete „Ja, aber du gehst mit Gott, 
tind ich bleibe mit Gott, und du kommst wieder". Daim bat er 
noch, ich sollte nicht ans Fenster treten, was ich auch nicht ver- 
mocht hätte: nur von ferne, ihm uubemerkbar , sah ich ihn um 
die Ecke verschwinden. Das Mädchen hat gesehen, wie er noch 
einen Blick Über das ganze Hans geworfen hat — einen Ab- 
schiedsblick. 

Die Operation dauerte drei Stunden : erst am f&nf Uhr hörte 
ich, vom Wartezimmer aus, ihn in sein Bett tragen. Gleich da- 
fanf kam Professor Bosenbach henmter, aqgeDseheiaUch erschöpft^ 
aber ToUer SVende nnd guten Mnthes. 

Keinen Hann konnte ich erst am folgenden Morgen sehen. 
Er hatte keiun Sdilaf gehabt, aneh nichts genieAen kSnnen— -nur 
schlnckte er fortwiluend kleine Stticke ISa — j das wunderte mich 
nldit, ich wmiderte mich yishnefar, ihn nicht angegriffiener m 
finden, vnd ieh AÜilte meinen Mnth sogleich gehoben. Er sprach 
in kurzen Sätzen, aber deutlicli und oime merkliche Schwäche: 

Ich bin sein" froh, die Operation war unbedingt nöthig. 
Du glaubst nicht, wie gut Roseubach iat, wie gut die Schwe- 
stern sind. J ctzt fiihle ich mich freilich als ein schwer Kran- 
ker. Die Vorlesungen zu Ende zu führen, daran ist kein Ge- 
dankt, lad den jongen Leuten daa Honoiar SDitickgeben. 



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— 118 — 

Ich verde woU läqgere Zeit iiir Brholiiiig bcaiidien, ieh Un 
eigenttieb sduni entediloflaen, für den Sommer TJrkiib wa 
nelHBeH| mn ent wieder gsns sa Kitfteii in kommen* 
Nach etwa einer Viertelstande: Kon geh wieder. 

Nadumttags mußte ich ihm seine Uhr zmn Aufidehen reidien, 
von Hause und von meiner Arbeit erzählen. Mit anscheinend 
kräfti^,^er Hand nahm er selbst vom Ncbentiscbe das Glas mit 
den Eisstücken, die ihm wohl tliaten. Wieder nach 15 oder 20 
Minuten winkte er mir zu gelin. Doch gieng ich beruhigt und 
getrost : ich hatte seiuea Zostaud nicht annähernd so gut ssa hoffen 
gewagt. 

Am Montag früh fand ich ihn etwas tmruhig, aber in keiner 
Weise besorglieb. Ieh mnftte von meiner Arbeit and den Post- 
sadben beriehten: es war dn langer erfreoUeher Brief eingegangen, 
nnd das Heft Kr. 51 der Woehenschrift „Die Gegenwart** mit 
einer von Gomellns Gorlitt gesehriebenen Besprecbmig der deai- 
scben Sdmften, die mich sehr gefireat hatte: er schalt gotmttthig, 
daB idi bddes xdcht som Vorlesen mitgebracht, was ich dann 
Naehmittagg zn thmi Terspiadi. So daft ieh Gott gar nicht ge- 
nug danken konnte, wie gut es g^ieug. Nachmittags war er schon 
wieder ruhiger: er zog wieder selbst seine Uhr auf und ließ sich 
dann wirklich die Recensiou, etwa bis zur Hälfte, vorlesen, mehr 
konnte er nicht hören. „Nun nicht mehr, jetzt geh wieder nach 
Hause". 

Da es aber so wunderbar gut gieng, die Pflege einer Schwester 
gar nicht immer nöthig, sondern meine Anwesenheit ausreichend 
war, 80 verabredeten wir, zu meinem größten Glücke, daft ich die 
folgenden Tage gans dort bleiben nnd still bei ihm sitien sollte: 
mein Begister konnte ich anch in den Abendstonden fertig "»y^hwi 
Dankbanten, ficohesten Sinnes f^eng idi also fint nnd am Diensti^ 
Morgen wieder hin. Es war schon dn Bote geschiekt wenden, 
der nüch aber nicht mdir sn Hanse traf: mm em p fieng mich die 
Oberin mit der Nachricht, es sei dne seUimme Wendung einge- 
treten, nnd ne selbst färchte emen traurigen Ausgang. Als ich 
schnell — ich glaube ganz wortlos — hinauf kam, fand ich den 
Kranken in großer Unruhe imd Ungeduld, halb in Phantasieen. 
£r kannte mich, ich sollte ihm helfen au^EUstehn, er müsse sair 



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— 119 — 

Ailwit, fte vOm 11» KoU^. Angmudwantich war er sehr ge- 
qiiilt — 

IMe Lebendigkeit und Bewec^idikelt des Geistes hatte über 
die Kräfte des Körpers getänsdit: /de sanken, gegen alles Ver- 

mutlien, rasch, und als gegen zwd Uhr Professor Rosenbach wie- 
der kam, bestätigte er mir, dali nichts mehr zu thun mid zu 
lioffen sei. Er sprach kräftig und ermuthigeud dem Ivrankcn zu: 
dann wurde eine Einspritzung in einen Arm gemacht) die zu 
meinem Tröste beruliigend wirkte. 

IHe einzigen Worte, die er noch gesprochen hat, waren; Sot, 
mm will icb aehlafea. 

leb maAte, hier wie außerhalb, meine Geschwister und die 
nleheten Fieauä» benachrichtigeii: dami gieng ich wieder an. ibm, 
doch bat er nichts mehr v<m mir bemerkt Abends kniete — mit 
den guten Scbwestem von 

v«>tftiiiif — meine Sdiwester Mathilde 
mit mir am Sterbebette: bald nach sieben Uhr durfte ich Gott 
danken, daft er seinem treuen Diener ein sanftes, kampfloses Ende 
geschenkt hatte. 

Ja, In allem bitteren Sdimerae wußte ich, und weift ieh, daft 
ich nur Gott zn danken habe. Meinem Manne war «an arbeit- 
und opferv'oUes, aber dn ftr ihn und für mich, und für Viele 
mit uns, reichgesegnetes Leben beschieden: die Schwächen des 
Alters, vor denen er sich mitunter fürchtete, blieben ihm erspart: 
die letzte Prüfungs- imd Leidenszeit war kurz zugemessen, eben 
hinlänglich zum Abschlüsse der irdischen Angelegenheiten. Seine 
Seele hat nach den vielen Kämpfen dieses Lebens die oft ersehnte 
Bnbe, aie bat die vielgeliebte Heimat gefunden — 

das Bdch, nach dem die Sehnsucht stand, 
das Beleb, in dem die Sehnsacht schweigt: 
das wahre, ewge Vaterland. 

In dem vollen Ernste des Todes, ersichtlich dem Loschen 
entrückt, und doch wie ein friedlich Schlafepder lag er da, bis 
der Sarg geschlossen wurde. 

Seine leirtft vollendete ArbeSt war ^e Abbandlnng über das 
Weihuachtsftst, anf die er hoben Werth legte: am ersten Weih- 
nachtstage, bei klarem, wenn auch winterlich mattem, Scheine der 



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— 120 — 

HaohiolttagiBoiiM, üai unter giote Thdlnabme dis Beerdigimg 
atatt. Des Ferttages wegen kmmten deh andi Viele* nneeier 

Freunde ans dem Volke daran betheiligen. Arbeiter, die ihm 
seit vielen Jahren bekannt waren, ftlr die er ein Herz gehabt, 
wie sie es für ihn hatten — Drucker und Setzer der Dieterich- 
sehen Buchdruckerei, unser Buchbinder, Schuhmacher, Tischler — 
trugen ihn zu seiner letzten Ruhestätte. 

Die Gegenwart von Geschwistern und lieben Freunden hier, 
iowie die einiger nahe befreundeter ehemaliger Schtiler, die auf 
die unerwartete Nadiricht hin die Beise so schnell hatten ermög- 
lichen können, war mir Stärkung und Trost, und die Grabrede 
des Prorectors von Wilamowitz-MoeUendorff gewährte in anderer 
Weise beides, indem sie ndeh sa der Hoffimag enuothigte, dsft 
aueh in Us dahin fem stehenden Kreisen die Bestrebungen und 
Leistungen des Verstoirbenen bekannt und anerkannt werden würden. 

So hatte ich auch ftlr mich QM und Mensciien sa danken, 
und loh habe fortwährend sa danken, da von allen Seiten Freond- 
sehaft und Theihahme fortdmiert, als ob alle die dem EotscUft- 
fenen gewIdiMto liebe auf ndeh llbertragen worden wMie. 

Auf dem M und schSn gelegenen CSentnlFriedhofe ist för 
den Verstorbenen Alles nach seinem Wunsche und seiner Anord- i 
nnng bergoiehtet worden. -Sein Qxab sor mit Epbeu aus unserem 
Garten belegt : auf dem elnfiBiclien Grabettine nur der Name und * 
die Daten der Gebart und des Todes: daneben meine ebenso sa 
behandelnde Grabstelle. Zu Häupten swfseben beiden ein schlich- 
tes Kreuz von Syenit mit dem Spniclie Via cnicis est via salutis. 
Das Ganze mit einem schmiedeeisernen Gitter umschlossen. 

12. Febroar 1894. 



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Es sind meinem Manne schwere sittliche Fehler nachgesagt 
worden: er sei in seinen Urtheileu oft hai-t und ungerecht, er sei 
▼oller Selbstüberhebung gewesen: er habe d&i Streit gesucht, 
er habe gehaßt und verfolgt: endlich, er sei verbittert worden 
dmeh den Mangel an Sifolg, wälireiid doch seine Vonchläge 
— an die £r glaubte — unpraktisch und imdmrchftihTbar ge- 
wesen idflD. 

Laganle war woit entfont davon, sieh ftr yollkoimnen m 
baüten: er veribhr mit aich streiiger, als mit Anderen. Er hatte 
ScbwKehen, wie wir Alle sie haben, aber aelbet diese SchwSehen 
cr wu c ha en bei ihm ans dem guten innersten Kerne seines We- 
sens, Er war eine so durchaus einheitliche Natui-, dali es bei 
ihm vielleicht mehr als bei irgend einem Anderen gilt, den gan- 
zen Menschen zu erfassen, nicht an Einzelnheiten zu haften: eine 
Fordenmg , die er selbst für die Üeurtheilung eines jeden Ein- 
zelnen stellt. Der Schlußsatz der Vorrede zu seinem Buche „Aua 
dem deutschen Gelehrtenleben'' spricht jene Fordenmg mit kuner 
Begründung aus: 

Nichts ist dem eogenaanten Gebüdeten schwerer, als 
ein Gaues in Terstebn. Der liberale murer Tage haftet 
stets am Einaehien. Keine Yergangenbeit gilt ihm, keine 
Zukunft, nur Gegenwart Keinen Blick wirft er xOekwärts, 
keinen vorwirts, keinen ins Weite, immer siebt er nur was 
mmiittalbar vor Aqgen ist, vaA wVre dies tarn, einwilner Bats 
oder gar ein einzelnes Wort Ich verwahre mich dagegen, 
daß Einzehiheiten irgend welchen Lebens und irgend welcher 
Arbeiten als Einzelnheiten vor Gericht gezogen werden. Wer 
nicht Alles in Einem sehen will, der bleibe wenigstens mir 
. jnit seinem Urteile vom Halse. . . . 



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— 122 — 

ScUlefttieli pflegt ja in Allen Dingen die Wahrheit an den 
Tag zu kommen: auch die Urtheilo über Menschen berichtigen 
sich nach und nach, im Lobe wie im Tadel, und pflegen sich 
schließlich im Großen und Ganzen zu klären: leider fast immer 
zu spät für die Gclobton und Getadelten selbst, doch immer zum 
Nutzen und Frommen der Gesammtheit. 

Jeder aufmerksame Leser wird in Lagardes — gelehrten 
vie nicht^gelehrten — Schriften Aussprüche finden, die mit den 
ihm naehgeaagten Fehlem nicht sa vereinigen wSren; ans den 
Ton mir im Toiigen Abechnitte ndtgethdlten Briefen, diesen aller- 
intamaten, Tertranteeten Heiaeneftufterungett, wird man Um, wie 
ich sarereichtlieh hoffe, noch viel idOier nnd beaeer kemien ge- 
lernt haben. Kon wül ich ^ertlichen, noch dnigea weitere Ma- 
terial aar BekXmpfbng der gegen ihn eihobenen Vorwüifii heraii- 
znziehen: Ich möchte Alles thnn, was in mdnen KrSften steht, 
wenigstens dem Todten die Genugthuung einer gerechteren Beur- 
tlieilung zu verschaffen, weil ich weiß, wie schwer der Lebende 
darunter gelitten hat, sich vielfach verkannt zu wissen. 

Wohl darf ich mir nicht verhehlen, daß gerade meine Aus- 
sagen bei Vielen gerechtfertigtem Mistrauen begegnen werden: 
man wird das Urtbeil der Frau, und voUenda das der Ehe&au 
nicht gelten lassen wollen. Es kennen mich nur sehr wenige 
Menschen, und diese Wenigen haben kaum Gelegenheit gehabt, 
meaae Unparteilichkeit an erproben. Ich kann zu mdnen Gunsten 
nnr das anfähien, daft ich nie das Wort habe b^gnifen kSnnen, 
die liebe mache Uind: ich habe an mir erfahren, wie sehr sie 
vielmehr den BBdc sehXiflb: je lieber Einem ein Mensch ist, desto 
freier möchte man ihn auch von dem leisesten ünthltchen haben, 
nnd daran sieht man aneh das aHerieisesteb Diese Anssage von 
mir selbst ttber mleh sdbst bldbt fllr Andere ehie blole Behaup- 
tung. Wenn ich aber auch ^irchten muß, daß nur hier und 
da mein Zeugnis zur Geltung kommen werde, so habe ich doch 
Zeugnis abgelegt. 

Lagarde spricht seine Ueberzengung überall — sowohl wann 
er tadelt, als wann er fordert — mit voller Sicherheit und Ent- 
schiedenheit aus : das thun aber Gott sei Dank doch auch sehr 
viele Andere: warum mnß es bei ihm ein Beweis von Ueber- 



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hsliu^ md SellMtüberschiteaQg Min? Es wiid Niemand einen 
nurttarai Ton auoMhlagen TemBnai, dar von 6tr Biekti^coit 
Miner üebeneogiing mtd ron dem GefttUe der Yerpüeliteng, iie 
warn Besten seiner Mitmeneehen oneh an miej i r eehen, ganz und 
ger dmdidraQgtti leti 

leh wiU ein paar Sitie ans den deoteeben Schriften hentvs- 
greifin. Man uUMile oelbet, ob VeberiMbang ane ilinen apreehe. 
Ea ist mir aDcmal aebr aefawer geworden, einen meiner 

iheologiach - politischen Traktate in die OeffiBntlichkdt m 

schicken. Aucii heute noch bin ich mit diesen Arbeiten 

nicht zufrieden, 

(Vonrede zur Gesauuntaoqgabe). 



Als ieh nm Weihnaehten 1872 meine Schrift üeber daa 
VeihSltnia des dentsehen Staates m Theologie, Kirche nnd 

Religion in die Oeffentlichkcit treten va lassen mich ent- 
schloß, hegte icli die Iloffmnig, durch sie auf die Berathung 
der Gesetze Einfluß zu üben , welche damals allgemein als 
Antwort des Staates auf die Angriffe der Kurie erwartet 
wurden. Der , um Weihnachten 1875 erschienene Be- 
richt über die gegenwärtige Lage des deutschen Reichs be- 
absichtigte schon nicht mehr, als theoretische Aufklärung. 

Gegenwärtig Inn ieh so weit, mich nur noch an die 

Freunde zu wenden, welche mir jene beiden Schriftchen 
in für mich ttberraschender nnd beschämender 
Weiae*) gewonnen haben. 
(Vonede 2). 



Ich habe, wie die mir nahe Stehenden wissen, den leb- 
haften Wunsch gehegt , daß statt meiner ein besser als ich 
befähigter und bereclitigtor Mann die Auseinandersetzungen 
machen mödite, welche ich vorgetragen: da rund um mich 
her alles schwieg, mußte ich mich schon, weil die Lage der 
DiAge geUeterisch daa Ablegen einw Zengninsea verlangCe, 

*) Ten mir gMperrt 



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«ntieUiflBaii. dai Wort mnwt n nnihmiii Tfrilnhnn idi tö 



Es ist manchem Jahr her, seit ich mit meiner Klasso 
einen lieben Schüler zur Gruft geleitete, und von des Knaben 
Vater, der die Dienstleistung eines Geistliclien abgelehnt 
hatte, erst am Tliore des Gottesackers gebeten wurde, am 
Grabe einige Worte des Trostes ^u sprechen. Ich habe da 
nichts ScfalediteB gedacht und gesagt, und doch die Scham 
über Alles was ich dachte uod sagte, in ineiDe Seele braunen 
fbhlen : wer war ich, vor emem tiefen Schmene^ imlcr Gottes 
Tfhninftl, m den dlmmemden, nodi heil)en FrOhBng Hnein, 
mir clas Wort Uber ewige Dinge anznmaften? So wie da- 
mals, ja noch weit ernster nnd franiiger, ist mir jedes ICai 
WH Mnthe, wann ich über vaterltodische Angelegenheiten 
midi sa änSem unternehme. Damals fiel jeder Laut auf 
guten Boden: möchte es jetzt eben so geschehen. Wer sollte 
je den Mund über Heiliges aufzuthun wagen, wenn nur der 
Vollkommene über Heiliges reden dürfte? 
(Schluß der Vorrede 3). 



Es wird Niemand in Abrede stellen, daß jede Art von Ueber- 
legenheit sich ganz von selbst, auch ohne die Absicht, ja gegen 
den Wunsch und Willen ihres Trägers, fiihlbar macht, nnd daß 
in diesem Erdenleben jede Ueberlegenheit des Geistes, zumal wo 
sie mit absoluter Unabhängigkeit nnd Unbestechlichkeit des Gha- 
rakters gepaart ist, Anstoft au enegen, nnd der nXheren oder 
weiteren Umgebung unbequem su sein pflogt Naeh dieser gewis 
mcht Bu bestreitenden allgemeinen Eifthmiig mufite sich Lagaxdes 
Schicksal von An&qg an nach einer bestinunten Bichtung hin wa 
seinen Ungunsten entsehdden. Er mochte thun und laasen, was 
er woUte: immer wtfrde alles geschehen sein, ihn nieder in halten. 
Mit Wissen und Willen handeln in derartigen Fällen stets nur 
Einzelne: die Menge spricht und thut diesen Einzelnen nach: 
das Ergebnis ist „die öffentliche iVIeimmg", diese oft ganz und 
gar nicht ihrem wirklichen Werthe entsprechende Macht, di^ wir 



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— 126 — 

AUe -tagÜgtioIi in dm venolitodeDflteii BMtimgm und VerhJllt- 
idasen wirken sehen, nnd die so schwer sn berichtigen oder gar 
m MfigOB ist 

leb erinnere mich sehr wohl iUle, wo Fremde, 

B.B. euch V o r ges ctot e, naeh eingehenden Qesprttehen nnwiUkfiriich 
aanie&n: „Hein Qott, Sie sind ja ein gans nmgänglieher Mensch, 
ich erwartete einen mtfnisohen vergnitterten Greis an finden**. So 
erfolgreich hatte die {)ffeniliehe Meinung gearbeitet. 

In Wahrheit besaii Lagarde nicht zu viel, suudem zu wenig 
Selbstbewußtsein. Wäre ihm das richtige Mali davon beschieden 
gewesen, so würde er in manclien Fallen kühler und ruhiger ge- 
blieben, in anderen rascher und nachhaltiger entschlossen gewesen 
sein. Diese Behauptung wird zunächst Vielen wunderbar erschei- 
nen, doch hat sie, mündlich aoi^iesprochen, mehreren feinfühligen 
und lebeDserfeihrenen Männern sehr bald eingeleochtet Wo es 
sieh nur, xmd in nicht ehrenrtthriger Weise, um seine Person 
allein handelte, wo es also nicht galt, in seinem dgenea iigendwie 
ein htthens Int erc es o su Terfeehten, da lieft er, nm des Friedens 
willen, md nm seinen Arbeiten nicht Zeit nnd Kraft wa ent- 
liehen, gar Mianches ohne Wdteres laofen, wo es liele Andere 
nacht gethan haben würden, nnd wo es sogar meiner schwach* 
mftthigen Seele nicht gans recht war. Es gttbe wohl Zeugen für 
diese Aussage: ich seihst kann leider keine Beispiele zu ihrer 
Bekräftigung aiifiiliren. 

Daß Lagarde streng und scharf geurtheilt hat, weiß ich: 
aber ich habe durch mehr als sechs und dreißig Jalire beobachtet, 
wie peinlich genau er prüfte, ehe er endgültig urtheilte, wie er 
sich zermarterte, um Unbilligkeit und Ungerechtigkeit zu meiden : 
ich bin Zeugin aller der Unruhe gewesen, die ihn scharfe Urtheile 
bei Tag und hei Nacht kosteten, es mochte sich um eine Boktor- 
diraertation, um irgend ein Gutachten, um die Besprechung eines - 
Bnches handeln. Weil ich während^einer so langen Zeit all diese 
Unrahe nnd Sorge des Abwügens in jedem rinaelnwi Falle mit 
dnidileibt habe, vermag ich aa angerechte SehSife nicht an 
glanhen: die Ungeveehtigkeit mttflte mir klar bewiesen werden. 
Gelänge dies, so müfite ich In tie&ter Seele tnmem, denn ich 
wtüke ganz genau, wie seine eigene Seele darüber empfinden 



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würde. Er Iwt Uber den Terstorbeneii Frofedeoir Boediger imge- 
redit genrtheilt: über diesen Fall sprielit er aicih seUwt, in dem 
anf Seile 99 Mshcn einmal enrkhnten Anhange an der „Ankttn- 
digung dner nenen Ausgabe der grieehiedien Uebersetzung des 
alten Testaments'' (S. 58/59), in dieser Weise ans: 

Erklärung. 

Des am 16. Juni 1874 zu Berlin verstorbenen Pro- 
fessora Emil Roediger Sohn Johaniiea , zur Zeit 01>erbiblio- 
tliekar zu Königsberg in Preußen, schrieb mir imter dem 
21. Oktober 1881, daß nach dem ihm vorliegenden Origi- 
nale das im Jahre 1853 der philosophischen Fakultät zu 
Halle von seinem Vater tiber mich erstattete Gutachten nichts 
Ton dem enthalte, was ich in meiner Sehrlft Ans dem deufc- 
sehen Gtelehrtenleben 8. 74 als den Inhalt desselben angeibe: 
er sprach die Erwartung ans, daft ich in Felge dieeer Hit- 
teUnng meine am angeAlhrten Orte fiber seinen Vater ge- 
machten AenSenmgen nrtteknehmen werde. 

Idi habe in Erwiderung seines Sehrelbens Herrn Jo- 
hannes Roediger nnter dem 34. Oktober des Jahres m^e 
Bereitwilligkeit erklärt, was ich gesagt öfiientlich zu \Wder- 
rufen oder zu modificicren , sowie ich mich von dessen Un- 
haltbarkeit überzeugt haben würde, und ich habe Herrn Roe- 
diger zu gleicher Zeit Abschrift des amtliclicn — ich bitte, 
dieses Eigenschaftswort nicht zu tibersehen — Aktenstücks 
sugehn lassen, aus welchem ich geschöpft hatte. Herr Roe- 
diger hat sich überzeugen müssen, daß die in meinem Buche 
als Quintessenz des tiber mich geföllten Urteils der Faknltttt 
an Halie angefahrten Ansdrüeke wArtUch in diesem — amt- 
Hehen — Aktenstttcke stehn: mdne Bereehtignng kann nicht 
angeaweiftlt werden, ans dem Urtefle der philosophisehen 
Fakultitt ea Halle anf das Urteil desm an sehlieBen, der 
als das dmige saehveiständige Ißtglied dieser Fakoltiit in 
dem Torliegenden Fslle allein befiigt war de an beraten, 
nnd der, wie mir ausdrücklich gesagt — nicht: geschrieben 
worden ist, ein Gutachten abgefaßt hatte. 

Herr Johannes lloediger hat auf meine Antwort um- 
gehend erwidert, daß in der ganzen Art seines Vorgehns 



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127 — 



dentlieli genng' amgesprodien sei , daB er an meinem guten 
Glauben nidit geswdfUt habe» und mich — womm ich Ilm 
gebeten ^ rasdztteklich ennlcfattgt, diee in mdner la er^ 
wartenden Barichtigaog zu erwXhnen. 

Zugleich hat er mir Abecfarift jenea QnlachtenB mitgeteflt 

Ich stehe nicht an an erklilren, daft dies Gutachten zu 
dem am angeführten Orte von mir Gesagten nicht die min- 
deste Veranlassung gibt, dali es wohlwollend und völlig 
sachgemäß gehalten ist, und von mir selbst nicht anders 
gesehrieben worden sein würde. 

Damm nehme ich alles was ich dort gegen den ver- 
storbenen Emil Boediger gesagt , ausdrücklich zurück, and 
gehe meinem Schmerze darüber Ausdruck, ihm — wenn 
anch ohne meine Schuld — Unrecht gethan zu haben. Ich 
habe seihet am schwersten durch das — mittelst eines amt- 
lichen AktensWckee — in micfa gepflanate Mistranen gelitten. 

Henr Johannes Boediger wuAte den Widerspmdli des 
Gutachtens seines verstodbenen Vate» mit dem Fitknltlits- 
Gutaehlen nieht in deuten. Ich wuftte es um so weniger, 
als mir bekannt war, daft die FakultSt in ihrer damaUgen 
Zosammensetzung mir wohl wollte, und dafi sie ohne dne 
zwingende Aeußerung ihres — einzigen — Technikers sich 
über mich nicht ungünstig würde haben vernehmen lassen: 
hat doch dieselbe Fakultät nur fünf und ein halbes Jahr 
später mich als ßoedigers Nachfolger berufen zu sehen ge- 
wünscht. 

Ich habe gehörigen Orts unter Einsendung meiner Vor- 
lagen um Aufklänmg gebeten, indem ich — was, weil selbst- 
Terständlich , nicht einmal nöthig geweeen wXre — zugleich 
ausdrücklich hervorhob, daß ich von dem mir werdenden 
Bescheide Gabtauch für die Oeffientlichkeit zu machen haben 
werde. 

"Hmt Staatsminister yon Goftler sehrieb mir darauf un- 
ter dem 15. Norember 1881, Aktennummer 2696 UI wdrt- 
lich wie folgt: 

Ew. Hochwttrden erwidere ich auf die Anfrage Tom 

28. Mts., daß der Erlaß des Heim Staatsministers 



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128 — 





von Raumer an Sie vom 1. Febraar 1854 — TJ 102 — 
ergangen ist, nachdem ein Gutachten der philosophischen 
Fakultät zu Halle von dem damaligen Kurator der 
Universität Halle in Abschrift vorgelegt worden war. 
Ich habe in einem Bache den verstorbenen Eoediger 
— in gutem Glauben, und auf Gnmd einer aaatlicben Ur- 
kunde — angegriffen: ich mußte ihm anch in einem Buche, 
nicht in einer Zeitsehnft, ^ne EbrenefkUnuig gdben. leh 
mnftte als genüflmaii diese Bitilnuig so bald irie mBgUch 
geben: daram steht sie auf diesem Blatte, auf irdefaea iie 
an sieh nicht gehfirt 

Göttingen, 25. November 1881. Paul de Lagarde. 

So lange ich siebt In zwingender Wdse efaiee Anderen be- 
lehrt werde, so lange werde ich, gestützt auf meine vieljährige 
Erfahrung:, unerschütterlich an der Ueberzeufi^ung festhalten, daß 
jede von meinem Manne öffentlich ausgesprochene Rüge ihre Be- 
rechtigung gehabt hat. Er hat wohl bei mündlichen Unter- 
redungen hier und da ein rasches Wort gesprochen, wie es alle 
lebhaften Menschen thun, und ich selbst bin in der Lage ge- 
wesen, sogar m Gegenwart Anderer, gegen ihn Partei zu nehmen. 
Aber sicherlich nie hat er ein rasches Wort als ein maß- 
gebendes Urtheil ausgesprochen: wie oft habe ich ihn auf ans- 
drttekliehe Eragen — Aber einen Mensehen, ein Buch, eine Arbeit, 
oder sonst irgend dne Sadie — antworten httren: n^^ttüber weift 
ich noch nieht gen%6nd Bescheid". Er hat sieh nie gescheut, 
▼orkonunenden Falles sehen seinen Jnngen In der Schnle sa 
sagen, er wisse dies oder jenes — selbstTeratitaidlieh nSeht etwas 
an seinem Untenichte Qehtfrendes — nicht sof^eh wa beant- 
wurten, er wolle nadisdien; angeregte Ejnder rind ja imersehSpf- 
lieh im Fragen nnd gehn vom Hundertsten ins Tausendste. Die 
Kollegen habeu allerdings diese Ehrliclikeit oft scharf getadelt: 
es sei unpädagogisch, wenn sich der Lehrer „solche Blößen" 
gebe. Als ob Kinder sich weis machen ließen, daß der Lehrer 
Alles wisse! Als ob Kinder nicht gerade dem Ehrlichod Glan- 
ben schenkten! 

VieUeiGht mag Lagarde in öffentUehen Urthokii aber 



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— 189 — 

• • • » • • 

ddifli^ch auch dks niclit „oft", mnäm IMu/tena in wnSmeltaa 

iitSka — in der B^grfliidmig tiner Büge geint haben: ich meinem 

Dae sei YieiUeiclit nicht nnmöglicfa, daft er in diesen verehiseltn 

FKUen äeh Uber die Ursache des gerügten Fehlen getinsebt 

hat Ich wflrde anch solches Irren sehr beklagen, indessen witide 

dnreh einen derartigeii Intham die Bäge seihet noch nicht eine 

nngerechte. 

So scharf er das „Messen mit zweierlei Maß, je nach per- 
sönlicher Neigung und Abneigung", bekämpfte, so unbedingt galt 
es ihm für geboten, bei allon Urtheilen in richtiger Weise 
den Umständen Bechnung zu tragen, zum Beispiel auf Anfänger 
Rücksicht zu nehmen. Er war innerlich so bemüht, dies zu thun, 
daß ich es für £ut unmöglich halte, daft dies Bemühen nicht 
auch deutlich snm Ausdruck gekommen sein sollte. Er lobte 
gen, er freute sich Aber jede gnte Arbeit, er erkannte an, was 
irgend anmedrannen war. Kie kam er Ycrgnfigter ans der Vor- 
lemqg nach Hanse, als wann er mir earsflhlen konnte, daft einer 
der ZnhUrer eine geecheidte Bemeikmig, ihm selbst einen ge- 
acfaickten ISnwnif gemacht -habe. Er firente sieh ttber jedes Zd- 
cihsn selbststSndigen Denkens, anf das er ja andi fnrtwXfarend 
a]s etwas ganz Koihwendiges himriee. „Nnr kein hlofles Nach« 
sipechen'' ! 

Mehr als Einmal ist ihm nahe gelegt, auch wohl direkt ab- 
verlangt worden, er solle „nun auch mal eine lobende Recension'* 
schreiben. „Dazu", sagte er, „habe ich keine Zeit. Ein gutes 
Buch ist da und lobt sich selbst. Ein schlechtes tadele ich ja 
nicht, um zu tadeln: ich thue es, wo und wann ich glaube ui* 
gm zu können, wie die Sache besser an machen sei". Ich meine, 
er habe da anoh anerkanntennaBen gsr menehen goten Wtg ge- 
^riflssn. 

Oft wurde ihm gesagt, er dürfe nicht seine Leistongen tqh 
Anderen erwarten, nnd in diese Beden habe Uttk An&ngs einge* 
atimmt Sie Terdrossen ihn, nnd mit ToUem Beehte, wie ieh bald 
einsehen mnBte: denn er hatte me das Heft der ibbeit^ sondern 
immer eCiUsehe Fordemngen im Ange. Er pflegte m antworten, 
indem er gelcgenllieh vorweg schickte, das sei „dnmmse Zeog", 
waa Er könne, das könne auch jeder Andere: 

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— 180 — 

Ab junge Leute venaebm wir, und taiten oft viol 
vndMr: FeUer maehea auch wir Alten noch: ee mnB ebea 
aueh m Um Fehlem gelernt werden. UneriftBUeh aber 
nnd Emst und GewisBenliafti^it aoch bei der geringsten 
Arbeit: rechter Emst und strenge (Jewissenhaflagkeit Uhren 
stets den Measehen die Grenzen sdner BefUhigung erkennen, 
80 daß er Aufgaben bei Seite legen wird, denen er nicht 
wenigstens bis zu einem gewissen Grade gewachsen ist. Un- 
erläßlich sind Opferwiiligkeit , Wahrhaftigkeit, Charakter- 
festigkeit : ich möchte wissen, weshalb Die sich nicht Jeder- 
mann sollte aneignen können. 

Anch diese Worte klingen nieht nach Selbstüberhebai^. 

Wen hat Lagarde gehaBt und Terlblgt? QehaAt md be- 
kämpft hat er das Böse, das Schlechte, das Unrecht — in Ein- 
richtungen , in Anordnungen , unvermeidlich auch in Menschen. 
Aber wo der Kampf sich gegen Mensclien richten mußte, ist es, 
wie ich meine, doch zu durchschauen, daß es ihm nie und nirgends 
um die Person, daß es ihm überall ausschließlich um die Sache zu 
thnn war: daß er mit Schmerz tadelte, nnd daß er ungern stritt. 

Wer wäre glücklicher als ieh, wenn es nicht an tadeln 

gäbe (S. 83). 

Und in derVonede m dem An&atae „Die nXehsten Pflichten 
deutscher Politik*': 

lOr liegt an der Ehre meiner ISn^eht gar niehta, der 
ich am Uebeten ganz geschwiegen, der ich, wilre der Vor- 
warf der Feigheit nicht an fliehten gewesen, ohne Nennung 
meines Namens geschrieben, der ich um mein Leben gern 
in meinem Vaterlande nichts Tadelnswerthes und Besoi^- 
liches erblickt hätte. 

Der AnfiEotg der Btterarisehen Fehden spricht sich in der 
Bwtiten Strq^ des Gedichtes „Helfe Qott mir** ans: 
Wenn mich üble Feinde plagen, 
ungedenk des Richters droben 
wider kleine Fehler toben, 
herbe Tüchtigkeit nicht loben — 
seht mich an: ich kann es tragen. 



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Das Schlnftwort Hldet den G«fennli n dem der letxtea 
Strophe, die In dieim ZiMWinmunhang nicht gehSit: an aidi war 
ilim die Bache nieht ao leicht ni tragen. 

Jeden gerechten Tadel, von wirklieh Sachverstän- 
digen ertheilt, würde er eingesehen und ruhig, ja mit Dank, 
hingenommen haben. Mit welcher Schärfe rügt er selbst seine 
Fehler: man blicke nur in seine Armenischen Stadien. Aber es 
kam unbilliger Tadel — wie er in den Versen oben gekenn- 
aeichnet ist — , und er kam von Männern, die richtig sehen ent- 
weder nicht konnten oder nicht wollten, l^emand trat für den 
Getadelten ein. Ilätte er selbst aich nicht gewehrt, ao würde er 
anacheinend den Tadel ala begriindet anakamit, vnd wllide er 
die Behilrden Ina Beefat geaetat haben, die Um nadi jenem Tadel 
bebandelten. Da er sich wehrte, war er der Sfaeitattchtigel 

TTie iat mir ana der Seele geaproehen, waa BMin Mann nüt 
Bedehmig auf ach aelbat „ans des seligen SamneL Prideanx Tre- 
gelles acconnt ci the printed tezt of the greek new testament 
(1854: Seite 116 und II?)"* in der Vorrede m dem Boche 
„Aufi dem deutschen Gelehrtenleben'' abgedruckt hat: 

Some haven taken oflFence at Lachmann's „tone and 
manner" ; no doubt he did speak strongly of mistakes and 
ignorance on the part of those wbose pretentions were high; 
some of his expressions might be ratber rongh ; but he 
spoke of his own mistakes in terms quite as severe; thus, 
if he made a mere oversight, he did not speak <tf it as nn- 
important; it waa podenda negligentia: and if anj think it 
lemarkahle that he shoold have sometimea qpoken ef Ida 
eenaen in streng tenns, let such aupend their eipimiona 
of eondenmation nntQ thej have lead and well eonaidered 
tbe miastatemenfa, the pervevae aignmenta, the nneoartioaa 
and lepioaehfitl bnguage employed by {he cenaora themp 
aehrea. T own that I have bat fitüe patienee with iheae 
who direct their attention exclusively to the manner in 
which an assailed person repela an attack, and have their 
cyes whoUy blind as to the attack itself, and the tone and 
manner in which it is made. True faimess would lead us 
to aay that eyen if there be something leprehenaihle in the 

9* 



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— 182 — 

mod«' of defence, yet the aiHndt ittelf nidrftB fiur inore sixoii^ 

condenmation. Bentley^s olMervations on a similar snbject 
in the preface to bis dissertation on Phalaris are well wor- 
thy of remembrance : „I will bere crave tbe readers leave 
to make one j^eneral apology for anytbing eitber in my 
dissertation or my defencc of it, tbat may seem too severe. 
I dfisire bat this favour or justice ratber, tbat be would 
•nppose my case to be bis own: and then if he will saj 
flinoerely that he shonld haye answered so numy calnmiiies 
with fewer maiks of leeeninient, I am oontent to He mider 
his eemrare. Bat it*8 a diffienlt ihii^, for a penon imcoii- 
eemed, and oat of the nach of haim, to be a &ar ail^ 
trator heie. He will be apt to thihk the injnred party too 
aogry beeavM he caanot have as great a passion in eeeing 

the ül nsage, as the other has in feeÜng it T 

was an excellent saying of Solon's and worthy of the wisest 
of tbe famous Seven; wbo wben bc was askcd Ild»; f^xiora 
do'.xoiEv o( av&pwroi. Wbat would rid tbe world of in- 
juries ? Tf tbe by-standers, says be , would bave tbe same 
reaentmeut with those tbat suffer the wroug. T ouGtoog 
S.j(%ovno ToT; dSixoojxsvoi; oi |X7) <iSixou)&fiVOU If the reader 
wfll bat foUow that gieat man's advicc, and haye an eqnal 
sense of nj iü-osage as if it had fidlen npon himself , I 
dare Ihen chaHenge him to Üdnk, if he eaa, that I have 
nsed too mach seyeiily**. (Dyoe's edition, I» p. XLVm) 

Es wideratiebt mir, hier Namen m nemnen, and Einiehiheilen 
m wiederholen, die mein Kann selbst ansreiehend and UbeEsichi- 
lioh vorgetragen hat Die nadistehend genannten Btteher bieten 

Jedem das MatiBria], der sich tiber die betreffenden Vorkommnisse 
und Persbulichkeiten näber zu unterricbten wünscbt: die beiden 
Bände der SjTiimicta, z. B. im zweiten Bande der Aufsatz „Zwei 
Proben moderner Kritik". Aus dem deutseben Gelebrtenlebcn. 
Ankündigung einer neuen Ausgabe tkr griecbiscben Uebersetzung 
des alten Testaments, nebst dem dazu gebörigen Anhange. Ar- 
taenische Studien. Die vier Bände der Mittbeilungen. 

Der snr Hohe gegangene Kämpfer hat sich trota allen An- 



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183 — 



feindungeu — neben vieler ihn beglückenden Liebe — aucli ein 
reiches Maß von Anerkennung erworben. Vor allem : es ist ihm 
mit Gottes Hülfe gelangen, die Schwierigkeiten und Hindemisse 
seines Lebensv^es zu übenvin'len, ohne je an s^er Seele 
Schaden gelitten zn haben. Wit dem besten Gewissen, fest und 
neher datf ich dieses Zeugnis dem harten, auch fiir yorttber- 
gehende Augenblicke nicht lutreffenden gegenttbentellen, das er 
selbst, in dem eracbfitteniden Gteclichte „Bilekblick*^ Aber sieh 
ausspricht 

' Als er mir um Ostem 1881 dies Gedieht ans Born sddckte, 
schrieb er dazu: 

Erschriek nicht ftber das eine G(edichi Erüftige Men- 
schen müssen solche Stimmungen plastisch darstellen, um 

sie los zu werden. Es kommt Einem so. 

Wer ihn gekränkt und beleidigt hat, wer mit Wissen und 
Willen , oder gar wider besseres Wissen ihm hinrlcrnd in den 
Weg getreten ist, der hat dies nicht vor uns, die wir d^^durch 
gelitten haben, zu verantworten, sondern vor Gott allein. — > 

Was die Frage nach der ]\I(>glichkeit oder Unmöglichkeit 
betrifft, Lagardes Vorschlüge durchsuf&hren, so steht es mir in 
'keiner Weise sn, über diese Frage hier selbststlndige Ansichten 
SU tuBera. Wenn aber gesagt verden konnte, seine VorschlXge 
seien &st alle undurchführbar, ireil sie auf der Yoraussefarong 
beruhen, ^daft es gelingen k$nne, alle die Individuen, welche in 
Staat und Gesellschaft snsanunenwirken, su dnrichtigen, kraft- 
vollen und aufrichtigen Menschen su machen**, so seheint mir 
damit geradezu das Todesurtheil für unser Volk ausgesprochen 
zu sein, und an die Berechtigung zu diesem Todesurtheilc ver- 
'mag ich — mit Lagarde — noch nicht zu glauben. „Noch 
sind die Wurzeln seiner Kraft lebendig" sagt er von diesem 
Volke. Nur, heißt es freilich an anderer Stelle: 

Macht Ernst mit Euren schönen Worten, so wird das 
Paradies auf Erden sein : fahrt fort Worte zu machen ohne 
Emst, so werden wir Alle bald in Nichts versinken*). 

«) Deut^phiSdiriften, 188jl.Q. .1891/98 8. 282. 



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— 184 — 

Bei der Beepreehmig der Nothwendigkeit mid der Möglich- 
keit, jedem eiiwelinn Hemelien die ftlr ihn peesende MBildniig** 
la Tenoheffen, gibt Lagarde selbst eine EinsehrSnkang m, aber 
doeh nnr eine theilweiee, eine sieh dueh die NaefasKtie wieder 
mfliebende Einadixinkiuig: 

IXese Aneehanmig der Sache eetrt fbrtdanemde geistige 
Arbeit yoians, und danmi hat sie keine Anerieht anf wdtere 
Verbieitaiig. Aber Nationen bestehn nicht — die entgegen- 
gesetzte Ansiebt ist freilich die herrschende — aus Millio- 
nen: sie bestehn aus den Menschen, welche sich der Auf- 
gabe der Natioii bewuISt und darum im Stande sind, vor 
die Nullen zu treten und sie zur wirkenden Zahl zu macheu: 
aus diesem Grunde genügt es, wenn die Besten des deutschen 
Volkes die eben ausgesprochene Ansicht von der Bildung 
haben, und wenn der Staat, der doch nur in den Händea 
der Besten sein soll, sie zur Bichtechnnr seiner Einxidi» 
tongen ninunt*). 

Jeder, der irgendwo und irgendwie zu befehlen und zu 
lehren gehabt hat, weiß, daß — sdne eigene Tüchtigkeit 
Tovaugesetzt — die Jugend and der sogenannte gemeine 
l£axm zu Allem zu bringen sind, tmd daß Jagend and ge- 
BMuier Hann eich dann am woUsten fthlen, wann a» tfiehtig 
hocan mllesen**). 

Ich habe von recht vielen ernsten und einsichtigen Männern es 
lebhaft beklagen hören, daß ganz besonders Lagardes VoreddMge 
ftr aneer Schal- und EirehenWesen nicht beherngfc worden. IMe 
Art der Abstoftang der Schalen anter einander: die üntenchd- 
dang swisehen den Aa%aben der Akadesden and der XJniTer- 
dtltten: der Vondilag, die Yerwaltang der ünivendtllten den be- 
treffenden Brovinaen an tibertragen, am ein spezieOeree Interesse 
für die eimeben Hochsdmlen an wecken, and am zugleich die 
verhängnisvolle CJentraBsation aller Geschäfte in Berlin abzu- 
schneiden — das Alles hat, wenn auch vielleicht nicht in allen 

•) Peakiehe Schriften, 1886 8. 92/98. 1881/92 8. 78. 
**) Dentiehe Sohiiften, 1886 8* 868. 1881/98 & 881. 



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— 135 — 

Elnaelxilielten, so doch im Ganzen, Vielen als ebenso heilsam wie 
praktisch eingeleuchtet. Darum haben sich Viele gewundert, als 
Lagardc nicht einmal zu den Berathangen über die Schulreform 
im Jahre 1800 zugezogen ward. 

Die Trennung der Kirche vom Staate ist meines Wissens 
mehrfach von Anderen — neben, vermuthlich auch vor und nach 
Lagarde — in Wort und Schrift gefordert worden. Lagardes 
sehr kräftige tmd eindringliche BegrOndang dieses Verlangens 
liest maa in den deotadieii Sdunften — 1886 8. 580, 1891/92 
a 4U 

IKe Entstaadidiimg der xdeht4ntho]»dL-cliri8(iBelieiiBe- 
ligionsfonnen edialEfc die doch eigenllich in ein IxraDbsiifl, 
nicht in moderne Staatsweeen liineisgehSiige Eigenthflndich- 
keit ah, daS die nichücaiholisehen Kirchen deutscher Zunge 
in einige drdßig, fast von Semester za Semester eich als 
Polonius betragende und dadm^ noch mehr multiplicierende 
Konventikel zerfallen , und so fUr die Pflege irgendwelches 
religiösen Lebens völlig ungeeignet werden: hat doch dies 
Leben zum Wesen die Uuveränderlichkeit .seiner Grundsätze, 
welche vor Ministem wie vor Theologastem sicher gestellt 
sein müssen. 

Die Fragestellung: Welcher der vier nichtkatholischen 
Kirchen gehlirst Du an? genaner: welcher von ihnen TOr- 
tnnut Dn das Deiner ewigen Seele an? swiiigt die 
Menschen, mit dem Ernstesten Emst m machen, Farbe sn 
bekennen, ^en Fahneneid in leisten. In dem Ma0e, in 
wdchem ehi Besiti werthToU ist, in demselben Malle sinkt 
der Mensch, wemi er mit ihm nnr spielt Die HerateQnng 
konkreter, bestimmt bekennender und bestimmt yerfaßter 
Kirchen schafft den Geraeingeist , aus welchem allein die 
jetet nicht vorhandene Liebe zur Kirche erwachsen kann. 
Das plastisch hervortretende Nebeneinander der vier Kir- 
chen ruft den Wettkampf hervor, welche der Viere die Beste 
ist, das heißt, welche am Demüthigsten dient, am Librün- 
stigsten betet und anbetet, am Siegesgewiasesten hofft, allem 
Schlechten am Mathigsten widersteht. 
In Besiehang anf andere von Lagarde gemachte Vorschläge 



will ich hier nur eine Stelle aus den deutschen Schriften (Vor- 
lede 2) anfuhren: 

Dem raschen Vergessen unsrer Zeit gegenüber bin ich 
mir schuldig, darauf aufinerksam zu machen, daß eine Reihe 
Toa Urtheilen, welche, als ich sie zuerst drucken ließ, für 
Symptome meiner äußersten Unfähigkeit galten, gegenwärtig 
bereits Gemeingut der Nation sind, lieber die in Dentsch- 
land regierende Diktator, die Nothwendigkeit wenigstens 
Posen germanieeh wa. kolonfeiBren, die dentsdie Industrie, 
die pwnfiische Ejichenpolitik, den A Itkatliolicbrnm , den 
fisteReichiscfaen DiutlSsnins, die Ungam, und Bnftland mSdite 
man jetst doeh wohl siemHöh allgerndn nngeflflir so denken, 
wie ieh sa einer Zeit gedacht, als die o£Bfiiellen Köpfe und 
die G^eralpSehter des Patriotismus noch ganz anders dach« 
ten : danach scheint mir die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, 
daß auch iu Punkten, welche meinen Lesern jetzt noch nicht 
einleuchten, die Zukunft mir Jßecht geben werde. 
Ich glaube, unter die schon zur Geltmig gekommenen An- 
schauungen hätte er damals auch die über den Parlamentarismus 
rechnen dürfen, und ich erlaube mir jetzt, noch auf seinen Vor- 
schlag des Geldmonopols ausdrücklich aufmerksam zu machen, 
von dem er sich eine große materielle wie moralische Wirkung 
versprach, und der inzwischen m e h r fiach, auch öffentlich, entschie- 
denen Beilall gefunden hat 

Das kurze Von^^ort zum „Verhältnis" (1872) schließt mit 
dem Satze: Er — der Verfasser — 

bittet um Gottes willen , von seiner Person und allen an- 
deren Nebenpunkten völlig abzusehen , imd nur die Sache 
auf Ja oder Nein ins Auge zu fassen, und stellt alles Wei- 
tere Dem snheim, in dessen Dienste er gearheitet hat und 
weiterhin m arbeiten gedenkt 

In den „Vorbemerkungen zu meiner Ausgabe der Öeptua- 
ipmta" (Symmicta II, 1880, S. 138) heißt es: 

Der Jugend ist es gestattet, ihre Kraft zu überschätzen. 
Und doch darf ich es nicht Jugendthorheit schelten, daß ick 
194^ und in den nächst folgenden Jahren deyoü t^tonito, 



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r- 137 — 

die Bibel beider Testamente mit einem Apparate vorzulegen, 
der so knapp und klar wäre, wie mich Lachmanns Apparat 
zum Wolfram zu sein dauchte. Hätte ich den Weg wei- 
sende Freunde, hätte ich Hülfe gefunden, und nicht so viele 
Jalire mit Abarbeiten unerwünschter Beiaeeebittie und dem 
Kampfe mn mein tUgliches Brot hinbnqgen mflasen, wire 
nicht noch fl^lter ao viel widerwltotige Hindenu^ mir in 
den Weg geworfen worden, ee wiie mebr aohon jetet fertig 
geBteOt, als ieh mm «berhanpt in yoltenden hoffen dai£ 
Freilich der freie Mann wire ich ohne jene harte Schale 
nicht, der ich Inn, und Frdheit — innere Unabhängigkeit 
▼on der Welt, imd Zuwendung zu Gott — gilt mir mehr 
als jede wissenschaftliche Leistung. So soll, was mich selbst 
angeht, die harte Schule gebenedeit sein, wenn auch mein 
Tagewerk um ihretwillen nicht zum Jbiude gelangt, also das 
Ganze einen Schaden erleidet. 

In den deutschen Schriften, Vonede 8 (1886 und 1891) 
liest man: 

Ich sehrtibe, wie gesagt, jelst nnr für die, wie mich 
der Erfolg gelehrt hat, recht sahlr^chen HenMhen, denen 
Wahrhdt nnd Vaterland flher der Partei stehn, und will in 
Geduld abwarten, ob die Goneinde sidi bilden werde, welche 

meine Gedanken zur praktischen Greltuug zu bringen berufen 
sein wird. 

In allen diesen Sätien spricht Lagarde die Empfindung ans, 
die ihn s^ ganaes Leben hindurch beherrseht hat: wer ihn rieh 
v c riM i t te rten Gemttthes denkt, der weiß ganz und gar meht Be- 
scheid. Man verwechselt Erbitterung ndt YerUttenuig. Zur Er- 
bitterung hatte er oft genug Anlaß, und er hat ihr in offenherzig- 
ster Weise überall Ausdruck gegeben, wo sich die Gelegenheit 
bot. Zur Verbitterung hätte es wahrlich gleichfalls an Ursachen 
nicht gefehlt, doch ist sie seinem Herzen Gott sei Dank fem ge- 
blieben. Ein verbitterter Mensch findet sich der Noth und Sorge 
Anderer gegenüber leicht und schneU damit ab : „Mir ist das 
Leben sauer gemacht worden, mag es Anderen auch sauer sein". 
Wer bfttto ihn — mit welchem Anliegen und in weicher Be- 



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— 188 



drängnis er zu ihm kommen mochte — nicht stets offenen Ohres 
lind zur Hülfe bereit geftmden ? Wer hätte den Schmerz nicht 
gespürt, der ihn quälte, wenn er nicht zxk xathen und zu helfen 
Termochte? £s kam vohl vor, daß er von Einzelnea so oft in 
Anspruch genommen ward, und nach deren Mittheilongen so lange 
erschüttert blieb, daA ich — in der Soige um ihn selbst — die 
Gedold mit jenen atmen Beichtkindern verlor und sie gekgentlidi 
achonend abwdsen m dfiilen wflnachte: dann sagte er: „dn wdllt 
eben nicht, was den annen Menaeken bediliiskt, mid wie woU 
ihm schon die Ansspracfae {hnt, sonst wfbrdest da anders reden**. 

Noch am Tage vor der Operation, auf dem Heimwege von 
sänem letaten Gange nach der Bmckerei, kam er mit tinem 
Manne ans dem Volke die Strafte herauf, der ihn um Unter- 
stützung für einen nächste Ostern die Schule verla^-sciiden Enkel 
angesprochen hatte, und sein erstes Wort zu Hause war: „Schreib 
dir doch den Namen auf und die Wohnung. Sowie ich wieder 
gesund bin, will icli mich erkundigen, was an der Sache ist und 
was sich thun läßt. Sonst thu du es". Und an demselben Tage 
schrieb er in der lebhaftesten Freude seine Glückwünsche zur 
Geburt eines heiß ersehnten Sohnes an eine befreundete Familie. 

Meine Mutter pflegte zn sagen: „Kinder, an anderer Men- 
sehen Trauer Theü an nehmen, ist nicht schwer: ihr mttftt euch 
mit ihnen freuen kOmien, gana wie an eigeoer IVende**. 

Lagaide hat bddes in voUem Matte gekonnt und geüian: 
Viele haben seän warmes Mitftthlen in Freude und Leid an aoh 
und den Ihrigen erfrhren, und Viele haben es ihm anch bis so- 
lebst gedankt 

Wer ihn der Yeribitternng anklagt, der hXtte ihn nur Ein- 
mal inmitten der Kinderschaar sehen sollen, die sich um ihn 
drängte, wo er sich blicken ließ, und aus der jedes Einzelne eine 
Hand, oder wenigstens einen Finger zu erhaschen strebte. Wer 
dies mit angesehen hätte, -tWirde rasch seine Anklage zurückziehen. 
Dieses Freundschaftsverhältnis zwischen ihm und allen Kindern 
ist hier in Göttingen stadtbekannt, wie es seiner Zeit in Schlea- 
aingtti stadtbekannt war, und wie die Kunde davon schon in 
dorn großen Berlin durch die Eamilien der Schüler in wdte Kimae 
getragen worden i^t 



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— 139 — 

Ein mteres Mlldeheii, das uns mehrere Jfthre treu gedient 
hat und jetzt fiir sich lebt, hat unsere Photographien auf ihrem 
Tische stehn. Als neulich zwei kleine Sohne eines ilirer Ver- 
wandten sie besuchten und Lagardes Bild bemerkten, riefen sie: 
„das ist ja unser Kiiiclervater". Und auf näheres Befragen hieß 
et: „Ja, das ist unser Jbondervater. Als wir noch am Wilhelms- 
plais wohnten, da kam er oft vorbei, und da waren wir Alle 
immer un ihn 'nun". Seinen Namen haben Tennnthlidi Viele 
von ihnen niemals gewnftt 

Knaben nnd Mädchen, groft nnd klein, vornehm nnd gering, 
— trotz seiner £ast pedantisehen Sauberkeit auch gewaschen und 
ungewaschen, Alle galten ihm gleich. Ja, die ärmsten und un- 
gewaschensten hatten noch etwas voraus in seinem Heroen. Wie 
oft kam er mit dem Klagerufe nach Hanse: „Wenn man nur 
alle die Kinder in seine Arme nehmen, sie hegen und pflegen 
und hüten könnte ! Was wird das Leben aus ihnen machen ?" 
Ihnen wollte er eine leichtere und lichtere Zukunft bereiten 
helfen : darum hat er sich tiber die Erfolglosigkeit seiner Schriften 
gegrämt und gekümmert allerdings: gleichgültig konnte 
und durfte sie ihm nicht sein. 

So bequem wie heute, wo uns alle Lebensbedür&isse ins 
Haus gebracht werden, haben wir es Anfimgs, und Jahre hin- 
durch, nicht gehabt Leute, die in jener Zeit schon so weit her- 
angewachsen waren, daft 816 T<m den Bltenk auf Besoigongen ans- 
gesehickt werden konnten, weiden sieh erinnern, wi0 der „Onkel 
Professor" stets unaufgefordert sur Hfllfe bereit war. Hier trag 
er ein schweres Brot eine Strecke weit, dort fiJte er einen Korb 
voll sauber gescMeliteter Wäsche mit an, der zwar leicht genug, 
aber für kleine Hände schwierig zu halten war: wo ein Kinder- 
oder Arbeitswagen auf ansteigendem Wege nicht vorwärts kam, 
gesellte er sich ohne Besinnen vom zu den Ziehenden, oder er 
schob hinten nach, bis zur nächsten ebenen Stelle, oder bis es 
seine Zeit durchaus nicht weiter zuließ. 

Besonders rührend war es, wie auch die gans kleinen Gre- 
schöpfe auf dem Arme der Mutter gleich hei der ersten Beg^- 
mmg ihm ihre Aermohen entgegenstreckten, oft selbst das MM- 
dNQ sum Knise boten: ao ftUlw moA Urnen soint liehe m 



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den Angw entgegen geleuchtet haben. Dieie matten kmzrieh- 
tigen Angen eahen, weil eben clas Heis sie lenkte, wnnderhar 
aeharf: wo iigend ein Mangel war — eine Bchwiehe der Knochen, 
ein nnsieherer Bliclc, oder sonat etwas Fehleriiaftea — ^ er erkannte 

ihn sofort, wies die Eltern nach der in dem einaelnen XVJk in 

Betracht kommenden Klinik, dokterte gelegentlich auch selbst, 
und erzielte glückliche Erfolge durch Malz und Leberthran. 

Wer fiber Veibltterong aehelten will, der flberlege La- 
gardes Lebeneediiekeale nnd frage sich, waa woU seine Em:- 
pfindmig sein wtirde, wenn ihn diese Schicksale bet r offen hätten. 
Ich glaube fast, es wird gar mancher Seele eigehn, wie es der 

meinigen ergangen ist: 

Sie weint, wann crastlicli sie einmal 
durchdenkt, wie dieser Mensch gelebt 



Es bleibt ndr noch Ehu an erwihuen: Legaides Steihmg 
BOT Jndenfrage. Sie ist ihm idcht nnr Ton Midlicher, sondern 

gelegentlich auch von anderer Seite verdacht worden, imd za 
meinem Sclimcrzc erfahre icli, daß durch sie sogar einzelne seiner 
ehemaligen Schüler an ihm irre geworden sind, an deren Treue 
er bis zidetzt geglaubt, wie er ihnen bis zuletzt die Treue ge- 
halten hat. 

Er hat das Jadenthum bekämpft, von jeher und bis 
ans Ende: er wäre nicht der echte Deutsche und der echte 
Anhänger des Evangeliums gewesen, der er an sein strebte, wenn 
er es nicht gethan htttte. 

Daß er unter den einaelnen — getauften wie ungetanften — 
Juden nahe und liebe, treue Freonde besaB, beweist ndr, daS er 
diesen Kampf in der richtigen Weise geftthrt hat. 8^ Tadel 
und seine Mahnungen richten rieh im Ghnnde viel mehr an uns 
Deutsdie und Christen, als an die Juden. 

Jeder Jude ist ein Beweis für die Unkräftigkeit unseres 
nationalen Lebens mid die Wertlilosigkeit dessen, was wir 
christliche Religion nennen. Wäre vor allem letztere das, 
was sie nach unseren Bücheni ist, es müßten ihr alle Herzen 
aufliegen. Ich bm sehr davon dun^idroiiigen, daß^wir eii^e 



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Nation itf der Nation nicht dulden können, aber eben darum 
bin ich davon durclidruugeu, daß wir eine lieligiou brauchen, 
welche diese Nation wegzuschmelzeu , mit uns zusammenzu- 
schmelzen vermöchte. 

(Ueber die g^enwärtigen Aa%abeQ der deutschen Politik. 
1858.) 

• ■ « 

Es kommt nicht gans selten Tor, daB Menschen von 
einem so nnflberwindlichen Zorne ttber die Zostünde, aus 
denen sie henr<ngegangen sind, erfiillt werden, daft sie der 
gansen Vergangenhdit, ihrer Famifie, dem Vaterlande den 
Bfieken venden. Begriffen werden diese Annen nie, denn 
sie schwagen Aber die Gründe ihres Handdns: ^flcklich 
werden iao aneh nicht, denn was gewesen ist, hSngt Ihnen 
trotz ihrer Absage nach: sogar geradezu unglücklich sind 
sie, denn sie lernen mit der Zeit erkennen, daß als Erb- 
schaft der Schuld der Ahnen entschuldbar war was sie liaßtcn, 
daß es in gewissem Sinne sogar eine Berechtigung hatte. 

Fast wie diesen Menschen muß denjenigen Nachkommen 
Israels zu Muthe sein, welche ttber die Lage der jüdischen 
Angelegenheiten sich klar geworden, oder doch im Begriffe 
sind, sieh ttber sie klar sa werden. Hinter sich haben sie 
dne Geschichte, die ideht Geschichte ist, ParasitentfaQm oder 
den KleinTertnieb der yon andern Vftlkem erworbenen Gftter, 
den Haft des MeDsehengeschleGhts, ein Bas^ ohne Ziel nnd 
Inhalt: Tor sieh haben sie Abneigung und Hohn. Jedem 
Empfindenden wird das Hers hinten, wenn er an solche 
Juden denkt. 

Wenn den oben gczelclinctcn Personen niemals Mitleid 
und Liebe zu Theil wird , Israel müßte — vorausgesetzt, 
daß es ohne Hoclimuth die Hände zu uns herüberstreckte — 
auf Mitleid und Liebo rechnen dürfen, denn der Juden Schick- 
sal liegt offen vor den Augen Aller, und Jeder müßte ihre 
Flncht aus der nie Vergehenden Yergaogenheit, ans dem 

uuntttterlichen Mutterhause begreifen 

• Jemand Teimag aifoh dem Einflnsae einee in ▼(iDigem 
SSraste von allen Seiten auf ihn eindringenden Lebens an 



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^ 148 ^ 

eotsiehfiiL Sbid die Juden in DentsoUand znr Zeit noeh 
ein fremder Körper, so beweist dieser ümekand, daB das 
lieben BentBcbbuids iddit energisch imd nicht ernst gentig 
ist: dann hat aber die Nation die Pflicht, diesem sehr er- 
heblichen Mangel abzuhelfen. Jeder uns lästige Jude ist 
ein schwerer Vorwurf gegen die Echtheit und Wahrhaftigkeit 
unseres Deutschthums. 
(Die graue Internationale. 1881.) 

* 

Ana dem Gesagten folgt, daS die Juden als Juden 

in jedem europäischen Volke ein schweres UnglüdL sind. 
Es folgt filr DentBchland, daft die Jnden ans Deutschland 
entweder answandem, oder in ihm Dentseke werden mfiaeen. 
TMtt nicht die eine oder die andere dieser Alteraaüm ein, 
so vejjndet DeotseUand, wosn ee sdioii nieht Uoft anf dem 
Wege ist Denn die Verwesung schrotet schneller vorwärts, 
als das Wachsthum des Lebens, namentlich schneller als das 
Wachsthum eines edlen Lehens. 

Lediglicli durch Individualität werden wir uns auch 

der Juden erwehren. Je schärfer wir unseren Charakter als 
Nation und die Charaktere aller in unserer Mitte duldbaren 
Einzelwesen ausbilden, deeto weniger Plata bleibt in Deutsch- 
land fUr die Juden. 

Deutschland muB voll deutscher Menschen und dent» 

scher Art werden, so yeU von sieh wie ein Ei: dorn ist filr 
Palaeetina kein Bamn in ibm. 

So hingt was in der Jndenfrege n Ünm ist, anf das 
Innigste gerade mit dem sosammen, was die koDSorvallvo 
Partei als ihre An%abe erkannt bat: Krttfte sn erhalten. 

Die Jnden sind, wie Ümen ihre Propheten oft gesagt 
haben, ein halsstarriges Volk. Willen besitzen sie. Aber 
das Evangelium sucht die Erlösung nicht im Willen, sondern 
im Brechen des Willens, im Ej-euze, das den Juden eine 
Thorheit und den Heiden ein Aergemis ist. Wenn jede 
Nation Europas den Willen der Juden kreuzt, werden die 
Juden von sich, und dadurch, nur dadurch wir von den 
Joden erlöst werden. 



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X43 — 



Sdion jetzt steht fest, daß alle Jaden, welclie mit Ernst 
machendem Leben der Indogerniaueu iu Berührung kommen, 
demselben unterliegen. Bisher ist nocli kein Jude, der grie- 
chische Philosophie, deutsche Geschichte, deutsche Musik 
von Herzen studiert hat, Jude geblieben, und keiner der 
so dem Judenthume Entfremdeten darf behaupten, daß ihm 
flicht alle wirklich deutsche llerzen freudig und dauernd 
warm entgogeofeaGhlageii hätten: aelbst dann schlugen sie 
ihm enlg^gaii, wenn er als eine andere Ck>rdeUa das tob 
einem neuen Lear gefoidete Wort, allerdiqgi ma seinem 
inSenn Tode, nieht spradL Jodenknaben entwiekeln sieh 
in einer deotsehen Sehnle, Ms ihnen tin de Hebender dent- 
seher Lehrer gi^genflbersteht, nnd die Klasse Ton deutschen 
Kindern einiger Begabang md einiger Sonnenhaftigfceit be- 
sucht ist, allemal — sogar in ihrer iofieren Erscheinung — 
Tom Jndenthome weg, das in ihnen erst dann wieder die 
Oberhand gewinnt, wann sie als Erwerbende in den Kreis 
ihrer Nation zurücktreten, oder in reiferen Jahren von ihnen 
fremden Dentsclicu zuriickgcstoUen werden. Mischehen lie- 
fern deutsche Nachkommenschaft, sowie der deutsche Theil 
der Ehe mehr als preußische Durchschnittswaare , uud der 
jüdische irgend einem niclit spezitisch jüdischen Lebensin- 
halte zugewandt ist, so deutsche Nachkommenschaft, daß die 
nicht Wissenden gar nicht daran denken, in diesen Misch- 
lingen nicht rein deutsche Kinder vor sich an haben. 

"Siekt jeder Jade ist begabt genug, mit indogermani- 
scher Wissenschaft und Kunst auf Du nnd Da an kommen : 
und maneher, der begabt genug daftr wire» kommt mit jenen 
gar nieht in BerOhrung. Aber mit elnaeben Deutsdien 
kommt jeder Jude in Berührung. Sind wir so leuchtend 
wahrhaftig, so warmer Liebe toU, so ruhi^ besonnen, so 
emporathmend au der grofien Heomath droben, wie wir sein 
können, tragen wir das Herz in den Augen — es wäre 
nicht gut, wenn unter dem tauben Gesteine, unter dem ver- 
schüttet die Judenseele ächzt, sie uns nicht spüren, von sich 
selbst nicht frei, nicht imser werden sollte. Es ist da.s Glück 
guter Menschen, daß sie durch ihr bloftes Dasein einen Tem- 



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^ 144 ^ 

pel um sieh iMUien, in dem to Stampfette andlehtig, der 
Hibrtette weleb wird. Hdnt ilir wiikfieb, daA, wemi DentBek- 
land tolclier Henaehen voll würe, nickt aneh lanel anbeten, 
nicht seinen Adonai, der nns ein QVtM ist, sondern nnaem 

Gott anbeten würde? 

Deutschland ist nun einmal das Herz Europas. Kön- 
nen die Konservativen Preußens in der angegebenen Weise 
die Aufgabe, das Judenthum zu zerstören, flir Preußen lösen, 
80 ist sie für Europa gelöst. Und gelöst muß sie werden, 
sonst wird Europa zu einem Totenfelde. 

In dem Maße, in wekbem wir Wir weiden, werden 

die Juden aufhören Juden su sein 

(Pngramm für die konservaÜTe Partd Flreaftens. 1884.) 

27. M«n 1894. 



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IKe Grofttante und Adoptivmntter meiiies Mannes, Snsanne 
Antoinettc Ernestine de Lagarde, geboreu am 2. Oktober 1783, 
gestorben am 28. Dezember 1857*), ist in sehr bequemen, fast 
glfiuzeutlen VerbUltnissen aufgewachsen, doch vei-fiel noch während 
ihrer Jugendzeit, in betrübender Weise durch die Schuld des 
Vaters, der Wohlstand der Familie. Das junge Mädchen gründete 
(oder übernahm) in Berlin ein Tapissoriegeschäft, das bald zu den 
angesehensten der Stadt gehörte, und erwarb durch rastlosen Fleift 
mid grofte Spanamkeit ein YeimSgen, dessen Zinsen ihr im Alter 
eine behagliche LebensweSse gestatteten. Den dritten Theil dieses 
YermUgens erhielt lant testamentarischer Bestimmung nach ihrem 
Tode der Adoptivsohn. IKe Erbschaft ermöglichte ihm zunächst 
(Tom Frühjahre 1860 an)» den Nebenerwerb — den Untenieht 
an der Luisenstiftnng — aufzugeben: dw geringere Theil des 
Kapitals ist nach und nach fiir Druckkosten verbraucht, der 
größere auf den Hausbau liier in (4öttingen verwendet worden. 

Nach meines Mannes Wunsche sollte das mit vieler Arbeit 
und Entsa^uii}^ erworbene und bewahrte Geld nach seinem eigenen 
Tode dazu dienen, den Familiennamen, da er durch Kinder nicht 
erhalten werden konnte, durch irgend eine der Gesammthat ge- 
widmete Stiftung auf die Nachwelt zu bringen. 

Für Wohlthädgkeitsanstalten aller Art, fUr Armen«, Kranken- 
nnd Waisenhäuser, gesehieht viel, weil ihr Nntsen nnd Segen 
unmittelbar, ftlr alle Welt ttbersichtHch und verstHndlich, wirkt 
Dagegen fehlt flbr wissenschaftliche Zwecke das allgemeine In- 
teresse, nnd daher auch die ihnen nothwendige materielle Unter- 



*) Nicht 1868, wie irrthttmlich in den Naehriehten über die 
vilie Bosttieher aogsf eben ist. 

10 



146 — 

Stützung bei uns noch sehr. Diese Erkenntnis und die Einsicht, 
wie wichtig fiir das ganze Volkslehon die in seinem — und vieler 
Anderer — Sinne autgefaßte und betriebene Wissenschaft ist, 
haben Lagarde bewogen, seine Stiftung zu Gunsten Wissenschaft^ 
lieber Arbeit, in weitem Ilmfange, einzurichten. 

Das letzte, endgültige, Testament stammt aus dem Sommer 
1886. Ein Nachtrag ans dem Jabie 1889 bat nichts geändert, 
sopdem nur einen einzelnen Punkt etwas genauer gefaßt, naefadem 
das Testament seines Kollegen, noseies alten Freundes Emst von 
Lentseh, nicht aur VoUsiehimg gekommen war. Ein letster 
Kaehtrag, am 15.' Desember 1891 im Aogesichte der Operadop 
gescbiieben, gab nur noch Anweisangen flber den AbseUnft der 
laufenden Arbeiten und über alles was damit znsammenhieng. 

Zufolge der Art, wie mein Mann über seinen Besits — Druck- 
werke, Haus und Bibliothek — verfügt hat, erforderte die Re- 
gelmig der ganzen Verhältnisse sehr viel mehr Zeit, als er hatte 
ahnen können. Die an erster Stelle zur Erbin eingesetzte könig- 
liche Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen hatte mit den 
angebotenen Rechten ganz bestimmte Pflichten zu übernehmen : 
sie hatte diese Rechte imd Pflichten nicht für den Augenblick, 
sondern fUr eine weite Zukunft zu übernehmen, sie hatte sich also 
nicht nur in ihrem derzeitigen Bestände, sondern auch in ihren 
Nachfolgern zu binden. £s leuchtet ein, daß Annahme oder Ab- 
lehnung reiflich erwogen werden mußte. 

In der Sitsung vom 5. Mün 1892 ward die AmmiiinA be- 
schloflsen: an einem der ersten Tage des August gieng erfinc;- 
derlidie köni^che Genehmigung des Beschluflses dn: danach erst 
durften die Us dahin a1]!geschlossenen Zimmer meines Mannes mir 
wieder geSffiiet, und konnten die weiteren HaOnahmen ernstlich 
ins Auge gefaßt werden. 

IMe Verwaltung der Dmckweike hatte ich schon jedes Mal 

während der Abwesenheit meines Mannes zu seiner Zufriedenheit 
besorgt : testamentarisch ward sie mir ausdrücklich bis zur Er- 
ledigung der laiifcnrien Arbeiten sowie der letzten Zahlungen 
übertragen. Erst mit dem Juli 1893, nach der Abrechnung von 
Seiten der Verlags-^uchhandlung iui: das Jahr 1892, kam ich in 



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147 



die Läge , diese Vevwaltun«^ , nebst meiner cig:enen Abrecliniiiig 
und den emgegangenen UeberachÜMen, an die Erbin absogeben. 

-Der Verkauf des Hanses hittte w«gen der uDgOnsligen Zeit- 
mnsfSnde nnr mit erheblichem Sehaden geaehehen kUmien. Die 
Erbin hat einen Ausiweg gefonden, der nnter Jenen XJmstlnden 
ihr selbst den sichersten Vortheii bot, md der sngldch mir in 
effienlieherW«^ an g^nte gekommen ist: sie hat mir anf Lebens- 
zeit unter angemessenen Bedingiin«^en das Hans vermiethet. Frei- 
lich war mir die Annahme des Anerbietens nur dadurch möglich, 
daß mir g-estattet ward, einige uniständliclie und kostspielige Ver- 
änderungen an der inneren Einrichtung des Hauses durchzuführen, 
durch die sich zwei von einander unabhängige Familienwohnungen 
herstellen ließen. Alle Sachverständigen vereinigten sich in der 
Ansicht, daß diese Veränderungen den Werth des Hauses steigern 
und seine Verkäuflichkeit erleichtem würden : so diu^e ich denn 
das für meine Verhältnisse immerhin große Unternehmen in der 
Znyersieht wagen, keineslUls dadurch die Erbin, also meines 
Haonee Stiftong, an schädigen. Die nothwendigen Arbeiten sind 
während der Monate Angnat nnd September von dem bewährten 
Ifantermdster Rathkamp (der schon 1869/70 den Bau, 1888 
einen Ausbau des Hanses geleitet hatte), nnter Znriehnng anderer, 
gleich heiriüirter Meister, mit aller Sorgsamkeit ausgeführt worden. 
Sdt dem 1. Oktober 1892 bewohne ich mit meiner unverhei- 
ratheten Schwester und unserem alten treuen Mädchen die Wohn- 
ung oben : ich persönlich habe die letzten Arbeitszimmer meines 
Mannes inne. Aus seinen Fenstern blicke ich auf die von ihm 
gepflanzten imd geliebten — in dem Gediclite „der Einsiedler" 
zu raschem Wachsen angerufenen — Bäume: auf dem Balkon, wo 
er so glücklich mit seiner Arbeit gesessen hat, sitze ich jetzt mit 
der meinigen, mid denke still der Vergangenheit und der Zukunft*), 

Die Parterrewohmmg habe ich an eine ruhige Familie ver- 
miethet, die mit nns den Frieden des Hanses wahrt. 

*) Fast zwanzig Jahre vor seinem Tode, als wir in Güttingen noch 
gar niclil Wurzel gefußt, hatte er au eine Uebersiedeluug seiner Witwe 
nach Cassel gedacht (S. 98). 

10* 



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148 — 



Auch der Verkauf der Btbliodiek war ideht Ideht und iddit 

sehnell zu voUziebeii. Zunächst Btellte sich die Anfertigimg eines 
Elatalogs als nothwendig heraus, zu der Liigarde selbst nie die 
Muße gefunden hatte. Diese Aiboit hat viel Zeit gekostet: erst 
in den letzten Nüvenihertagen konnten die gedruckten Exemplare 
des Katalogs zur Versendung kommen, danach erst die Vorliand- 
lungen über den Verkaut' der Bücher beginnen. Begreiflicherweise 
lag mir diese Angelegenheit sehr am Herzen: ich verfolgte ihren 
Verlauf wohl sicherlich mit größerer Bpannmig und Soi^, als 
irgend ein anderer Meneeh. £s war ein Snfterst schmerBÜcher 
Gedanke, die unter ao Tiden Opfern, mit so vieler Liefae 
saimnengetragene Sommlnng Tiell^cht auseinander gerissen und 
naeh allen Sdten verstreut an sehen: auch war, um der Stiftung 
willen, eine angemessene Zahlung höchst wttnsdienswertib. Der 
Vemüttelung des Professors Paul Haupt in Baltimore ist es su 
danken, daft die Vniver^t der Stadt New-Tork die BiblioOiek 
im Ganzen, für 30000 Mark, angekauft hat. Am 16. Marz 1898 
wurden die letzten der, wahrend dreier Tage hier im Hause ge- 
packten , 43 großen Kisten zur Bahn geschafft. Die mehr als 
fünf tausend Bände sind unversehrt liiiiiibcr ;i;ekommen: sie sind 
mit wohlthuender Pietät empfangen worden, und haben, zu meiner 
lebhaften Freude, die volle Befriedigung der neuen Besitzer erregt 

Viele der Freunde haben es bitter und schmerzlich beklagt, 
daft diese Bibliothek nicht im Vaterlaade hat bleiben können: * 
aber man durfte es von vom herein kaum anders erwarten. La- 
gaide selbst hat schon in sdnem Testamente auf Amerika hinge- 
wiesen, und ich habe — nicht offiaieller, aber erlaubter Welse — 
meine Wfinsehe und BemXthungen sogleich dorthin gerichtet Jene 
Freunde werden, sowie sie das Nähere eifidiren, gleich mir den 
trDstlichen Eindruck gewinnen, daft die Bücher nicht in die 
Fremde, sondern in eine neue Ileimath gekommen sind: sie wer- 
den gleich mir die feste Hoffnung fassen , dali sie in Khren ge- 
halten und im Dienste der Wissenschaft, also der Menschlieit, 
benutzt werden worden. 

Man liat micli aufgefordert, und ich bin dieser Aufforderung 
natürlich gern gefolgt, eines der einfachen Arbeitspulte meines 
Mannes und semen ebenso einfiE^hen Schemel in die Bibliotbek 



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^ 149 — 

zu stiften: auch i?t für f>ic ein Portriit J^a-rarvles aii^c^chatTt wor- 
den, eine von Ilirrn Karl Homnn-l in Frankfurt um Main aus- 
geführte lebensvolle Zoichnunp: (Hrusthild in Leben.sj^röße). 

Am Abend des 29. April I8II0 hat in feierlicher Weise die 
EröÖ'ming der Lagarde-Bibliothek in Xew-York stattgefunden. 

Professor George F. Moore (Andovcr) hat mir bereitwillij^^ 
erlaubt, seine bei jener Gel^enbeit über Lagarde gehaltene Kede 
Uer mi^thdleii: sie ist am besten geebnet, uns Über die Tren- 
nung Tom aeinem wevthvoUaten SckatM wa benhigen. Die enten 
Abeehnitte der Beda ftbeigehe ich, da sie die meinen LeMm 
Bclion bekannten Kachriditen ühtr den äoieron LebeneUnif ent- 
halten. Naeh Mittheilnng dieser Nachriehten fithrt der Bedner fort: 
When we diink of Lagarde as a echolar, what gtiikee 
ns first 18 the inunenae ränge of hia leaming. Aa a boy, 
becanae he was aahamed to read tranalationB, he taught 
himself out of books borrowed or bought with his scanty 
spendincr money whatever lan^'ua^es came in his way. As 
a mau, to the kuuwlud<;e of the classic ton^ues and the lan- 
guages of modern Europe he added all the 8emitic langii- 
ages except Assyrian : and ber^idcs, Coptic, Armenian, Aucient 
and Modern Pert.ian. IIc puhlislud books in no less than 
teu languagcs. As die Prorector of the Uuiversity said at 
his funcral , probubly no one of bis colleagues could spell 
out the alphabcts qf all the langoagea in wfaich Lagarde had 
edited texta. And it waa not the langoagea only that he 
knew; it waa the Uteratnre, the hiatoiy, the chazacter of 
the peoplea who apoke them. When we come to know hia 
woika, the extent of hia leaining ezcitea kaa wonder than 
ita profondity^ and ita ezactneaa. And more amamng than 
either ia hia complete mastery of it; he haa it all at hia 
eommand all ihe time. 

Iiagaide*8 fiiat yonthM TentmeB were in the field of 
Oriental philol<^. His maturer contributions to theee ata- 
dies — apart from the publication of a number of important 
texts — were chiefly special invostl-rations, such as thosc ou 
the Semitic names of tho hg free and the fig, <»n the chest- 
nut and the olive tree> and the series of studies ou the word 



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cl (God) ; or specimen fru^neuts of larger works, sucli as tlio 
"Prolegomcna to a Comparative Grammar of Tlebrew, Arabic 
and Aramaic", and cspecially tlie volume "Ou the J'onnation 
of Nouns in Aramaic, Arubie and Hcbrew". For such com- 
parative studies as those last namod be was peculiarly fitted, 
not only by bis thorough knowledge of the languages but by 
wbat, for the lack of a morc suitable tenn, I must call Ins 
phüosophical tum of mind. He was not content to deal with 
Üie phenomena of langoage as a eongerles of inmäonal &cts. 
I^eedi belongs not to the sdenee of natnre bnt to the seienoe 
of mind, and ia not to be treated by the methods of che- 
mistry or botany. Foims and Snfleetions, as well as con* 
stnietions and syntax, demand a rational explanation; it is 
the bmdness of the philologist to diseorer the idea which has 
crcated the exprcssion. Only thus can language be really 
undorstood. In tbis age of pbonetics and statistics, tbi.s pro- 
test agaiust une sided cmpiricism is not uncalled for; and La- 
garde well illustrates tbc combination of exact knowledge of 
tbe plienomcna witb pbiloäO])bie iusight and comprcheiisiou 
which he requircs of tbe grammarian. 

Lagarde's cbief work, bowever, was done in otber fields. 
ludced, dioiigh he filled tbe cbair of the Oriental languages 
in Göttingen, and though bis knowledge of them was hardly 
ezcelled by any eontemporary, he always stont^ xefiised to 
be called an Orientalist He cnltiTated the langnages of the 
East, not in the spirit of the philologist, Ibr their own sake 
or ihat of their literatnre, bat becanse a knowledge of them 
was indispensable to the greater task he had set ldm8el£ 
Ss attention was early drawn to the text of the Bible. Even 
as a stadent he plauned an edition of the Old and New 
Testament with succinct and clear apparatus likc tbat of 
Lacbmanns "Wolfram". In 1857 he printed a scbool Pro- 
gramme, "de Novo Tcstameuto ad versionum orientaliimi 
fidem edeudo". To tbis branch of New Testament criticism 
ho contributed editions of the Acts and of the Epistles in 
Coptic, tbe Coptic catenas on the GospeU, the Gospels in 
Arabic, the Jerusalem Lectionaiy in Syriac^ and othsr woiks. 



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^ 151 — 

The great work of ISa life, however, was devoted io 
ibe Gheek Old Testament Of this I mnst speak at eome- 
what greater length. 

The Hebrew text of the Old Testament has come down 
to US since tlic secoiul Century of cur era alraost without 
Variation. All extant mannscripts — the oldest of wliich dates 
from the bcgimiing of the tcnth Century — aro more or less 
accurate transcripts of a singlc archetj^e, which cannot be 
miich old er than the time of Christ The Aramaic, SjriaC| 
and Latin (Vulgate) versions, ae well as the Greek tnou- 
lations of Aquila, Symmachna, and Theodotion, wero made 
from the Hehrew Standard text, gubstantially as we he>Te it; 
and where the latter is eormpt theso versions seldom gWe 
ns anj hdp toward a restoration of the troe zeadSng. Bnt 
the older Greek translators, from the third to Ühe first Cen- 
tury B. C, had before them Hebrew manoBcripts which often 
had a different, and not infrequcntly a better text than those 
from which the Palestinian canonical recension was derived. 
If WC posscssed thcsc Greek trunslations , which wc arc ac- 
custumed to call collectivcly, "Septuagint'\ intact and un- 
niixed, we should have for the whuic Old Testament virtnally 
the testimouy of one or more Hebrew mannscripts a thou- 
sand years older than the most aucient extant Hebrew codex, 
and probably at Icast a Century or two older than the ar- 
chetype of all our Hebrew cojdes. Moreover, the Septnagint 
embodiee the earliest Jewish exegelical tradition; upon its 
importaoee in this aspect I need not dilate. 

To the Student of the Old Testament» therefore» critical 
editions of the Qieek Bible are indispensable. Withont their 
aid he mnst in hnndreds of passages sixnply grope and stomble 
in the dark. It would natnrally be snpposed tibat, next to 
accurate editions of the Massoretic Hebrew text, the first 
task to which Old Testament scholarship would address itself 
would be to providc itself with critical editions of the Sep- 
toagint I am ashamed to say that it is not so. We have, 
indeed, the chaos of various readings brought together by 
the diligenee of Holmes and Fanons, (179^—1825)} we 



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hm tbe ftagments of Qrigen't Heupia colkoted by Mont- 
fiiBoon and Field; bat even Üiew are little lued, too many 

scholars being content to operate with the most couvcuicnt 
reprint of the Koman edition of 1586, witliout any further 
concem about tlie sources of that toxt. 

Lagarde »et himself, therefore, to make a critical ctlition 
of the Septuagint. The ta.sk is not only the most urgent 
in the whole field of Biblical scienoe; it is also, for reasons 
which I cannot here explain, the most difRctilt in all criti- 
cism. In the vast eztent and variety of the materials and 
the bewildering oomplexity of the problema they present, the 
nndertakhig ia beyond the powen of any man, even with 
Lagarde*8 emonnons leannng and adamantine endnranee; it 
ean be aecompliBhed only by the coneerted laboia of a ge- 
neration of acholan, ropported by aeademies or nnimdties. 
There is something tragie In the spectaele of this solitary 
man, unaided, sometimes ojipo.sed, pntting forth superhumaji 
efiforts to accomplisli the impossible. 

Jiut his labor was not in vain. lle compelled attention 
to the actual State of the tcxt and the neces.^itv of a cri- 
tical edition of the Septuagint; he showed the uature of the 
Problems which the text prcscuts, the magnitude and diffi» 
colty of the task; he mustered and arrayed the resonrces at 
onr command, and by editions of a number of impoitant texts 
gieatly added to these resooices; lie Udd down the meihod 
by which the problein is to be woiked out, and ezemplified 
ite appfieatioii with masterly roranesB; and by mcire than one 
work of definitilTe valne he bronght ns a etep nearer the 
goaL When we cooaider the circomstanoes imder which all 
dds was aocomplished, we can almost believe that, had he 
been bom imder a happier star, lic might even have achie- 
ved the impossible and tinished hia task. 

His first contribution to the criticism of the Greek Bible 
was his "Anmerkungen zur griecbisclien Uebersetzung der 
Proverbien" (1863), in which he brilliantly demonstrates how 
fruitful the study of the Septuagint \h for the Ilebrew Old 
Testament, and lays down justly and dearly the prindpleB 



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— 15S — 

t^n wlnek it niut be med. In 1868, as tiie fint frniis 
of Iiis Solikiiaiigeii leimre, appeared bis Gmteti» ffroecB, an 
adition of Üke Roman text with a small apparatns and weighty 
Fh>legomena , and with it Jerome's Quaestionm "hehraicae in 
libfum Geneseos; then in 1870 onc of tlic niost imjwrtant 
auxiliarics to Scptuapnt critici^m , thc Onomastica sacra of 
Eusebius, Jerome, and othcrs (2d ed. 1887). The Avar of 
1870 — 1871 iuterniptcd the work by clcsiiif^ foreif^n libra- 
riea, and compelled Lagarde to tum bis band to otber things, 
amonp^ which I sball mcntion only bis editioiis of tbe Targum 
of tbe Prophets £rom the Codex Reucblinianus in CarlBrube, 
and of the Hagiographa reprinted firom the edition Felix 
PiateniDS (1618), with the additlon of GhionicleB from mann- 
aciiptK. 

At le&gth, in 1888, he was enabled to biing out the 
fint ludf of the Qfeek Old Testament (Pentateach and Hi- 
atorieal Books) in a reoenslon whieh, after Field and others, 
he identified with that of Lucian, Bishop of Antioch (f 311). 

Tbis was but one parallel in tbe regulär sieg:e wbicb bc bad 
planned. Tbe complction of Lucian was to be followed by 
corresponding editions of tbe Egyptian recension of Hesycbius, 
and tbe Palestinian of Grippen as edited by Eusebius and 
Pamphilus. Wlien these fourth Century recensions bad Ix^on 
reconstructed, the next atep would be to tiy, by the heip of 
the hexaplar appaiatns, to recover the pre-Origcnistic text 
of the Septoagint, and thna aacend to the time of Philo. 

Of all ihia nothing appeared ezoept Üie fint Tolmne of 
Lneian. He fbond no eneoongement to proeeed; onr age 
bad not patience for theae aloir, methodieal appioachea, and 
Lagarde was foroed to i^to np the plan. Bat be did not 
1^ np tbe work. Tbe last books wbieb be jninted— pu- 
blished after bis death— were the "Septuaginta Studien", rieb 
aud varied contributions to tbe bistory of tbe Version ; tbe 
first part of a projected BiUiotlicm Syriam, containing tbe 
Hexaplar-Syriac version , one of tbe most important of tbe 
aUbsidia ofäeptuagint critici.''m; and the Pi(a2;mi ^rom gum- 
yio y eiMi fHma, tbe fint fifty Psalms in wbat may properly 



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^ IM 

be caUed a definitive editier with apparatns, a £ragment 
which may well aenre M a model for a iaUue edition of 
the Greek Bible. 

Hig work upon the. Gioek Bible led Lagarde not onlj 
into ihe fidd of Greek pairistks bot into the study of the 
wbole arraj of traoslatioiis made from ihe Septoagint — Old 
Latin, Goptic, Bjnac, Aimeoian—and of the literatnre of theae 
chnnsheB; and we are indebted to hSm for a long .eeriee of 
editionB and of special reeearehee In all parte of this wide 
field. The history of xeligion ie represented by the essay 
on Pinini, and above all by the exhaustive study of the 
origin and history of Christmas, which may well servc, as 
its writer mcant, as a monument of Iiis mctliod of invcsti- 
gafioii and as a modcl for future investigatDis. These shorter 
Avritings he brought togethcr from timc to timc iu volumcs 
uuder varioiis titles — Synimictu, bcmitica, Orientalia, Mitthei- 
lungen. A glance into the coutents of these volumes shows 
better tban anything I can say, the ränge and variety of 
hie etndies ; doser examination reveals everywhere, in things 
gieat and small, the eame embairaasing affiaence of leaming, 
the eame uicrediUe painetaldng, the eame grasp of piinc^lesi 
the eame diacoyerer^s ^ft of comilnnatieii. 

Lagarde atood in the firat rank of acholara; bot he waa 
more than a great aeholar. He had the keeneat intafeat in. 
all poblic questiona, and took an aelive part In their dia- 
coaaion. Qf late yean hia German wiitinga have made him 
widely known among claaaee whom the fione of hia leaming 
had never reacbed, and have doubtleaa ezerted a greater in- 
fluence tlian he knew. 

A considerable nuinber of these writings are of a po- 
litical character. Soon after his retum frora England, in 
1853, he delivered two addresses, one in answer to the 
question whether, if the opportunity came, he would cnter 
poUtical life as a representative of the Frossian conservatives; 
the oiher on the Present Tasks of Grerman Statesmaoship. 
They show tbat he had both observed and thougbt; tbey 
contain In inchoate form the diatinetiTe political and aoeial 



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■ . ideas wJbieh äie deveiloped Sa bit Uter .writings on The pre- 
sent ritiiafioii of the Gennan Empire (1875), Tfae reorga' 

nization of the Nobility (1881), Tho financial policy of Ger- 
many (1881), The International (1881), Prog^ramme for the 
Conservative Party of Prupsia (1884), The next duties of 
German Statesmansliip (188G). La^ardes ideal was a greator 
Germany, a German Empire induding all the Germans in 
central Eiiiope, and exclnaively German ; in which tho genius 
of tlie race ahoold find its free and füll developmeat Much 
that in 1858 miist have seemed the dream of an enthn- 
mast, Lagaide liyed to see aoeompliahed by ihe events 
and the men of 1866 and 1870; wa« it bot the eameat of 
a greater fblfifanent? On hla adiemea for the closer nnion 
of Pnuaia and Anatria, for ihe eoloniiation of ihe eastem 
and aontbeaatem border lands, for the reoiganisation of the 
nobility and gentry, for state monopoly of baoking and mo» 
ney-lendin^, and the like, I cannot dwell. 

Of more interest to us than the political cssays arc thoso 
which deal with the subjcct of cdiication. Lagarde had tuught 
for ten *) years in various Gymnosia and Realschulen in Ber- 
lin, and for many yeara moro in a University ; ho had amplo 
eaperience of the sliortcomings of the wholc systcm of edtt- 
cation in Prussia; he had thooght deeply aboot the cause 
of theae evila and the remedy; and he wrote "aa one having 
anihortty". The reeent agitation of aehool zefonn in Ger- 
many haa directed new attention to Lagarde^s writii^; the 
commendation of the anthor of **Bembiandt als Emeher** 
donbtleaa bronght iheiu to ihe notice of many who had nerer 
heaid of them before. 

The root of evfla in the existing system is the false 
ideal of "general culture" which was implanted by the Hc- 
gelian pliilnsophy. Tlie mischievous error that culture con- 
sists in having "sometime er other heard of everything con- 
ceivable" must be whoUy eradicated. Genuine culture is the 
training of an individoal for a particolar Station and calling 

J) twelve. . , ^ . . . 



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— 156 



In Äe nation. "A man is educated, according to my notion, 
wlien ho knows Iiis own country and tlie important facta of 
its naturo and liistoiy so far iis it is requisite for him in 
his Station to kuow them". Lagarde's coniprehensive plan 
of refonn extcud» £rom the lowest schools npward to tbe 
Universities and leamed Academics. I wisli that what he 
bas writton on these subjeets miglit be better known in tbis 
eonntiy, not merdj as a ooneetiye finr tbe aomewbat India- 
eriminate admiiation and Imitation of evttytblng German In 
bfgber edneation wbicb we aometimes aee, bnt becanae tbe 
prineiplea be laya down aie no leaa a{iplicsb]e to onr own 
edoeational pioblema. la not tbia ciitidam aa tnie of our 
adioola aa on tbe otber aide of tbeAtlantie? — ^^Tbe root of 
fhe evil lies primarily in the fact that too nracb is demanded 
of our schools, and too much at once; and that thereforc 
thcy do not accomplish Avhat must unqualifiedly be accom- 
plished. Indeed, loaded down by the mass of raw material, 
and too often, unfortunately, having a whoUy false estimate 
of the value of tbia material, Üuej do not even attempt to 
aceompUsh it*'. 

Tbis sketch would he incomplete without a reference 
to Lagaide'a tbeol<^cal poaition. I bave already aaid ao- 
metbbg of tbe leligiona inflnencea nnder n^cb be giew np. 
In bis yootb, in qneat of trntb and godlineea, be made wbafe 
be caiUa bu O dyaao y trongb tbe ebnxebea,— tbe atate dmrcb 
after tbe pattem of SeUdlennadier, <^Henlmer, ofHengaten- 
berg ; Goaaner, Old Lutberaniam, Catboliciam — be tvied tbem 
all for Idmaelf, and fonnd aatiafoeHon In none of tbem. «Fn- 
daism, Catholicism, Protestantism in all its varieties are 
dead; it only remains to bury them out of .'^ight, for while 
they linger they are a hindrance to true religion. He de- 
manded , tirst of all , the complete 8e])aration of these reli- 
gions bodies from tlie state, and the rcmoval of all religious 
instruction from the public schools. These obstacles removed, 
tbe religion of the gospel, vith ita central idea of tbe King- 
dom of God, would rc\'ivc, and a new evangelical church of 
ihe Gennas people be bom. Tbeology la tbe knowkd^ eC 



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— 157 — 

ihe Elngdom ot God, especially at it Is wentkA. in bistoiy — 
the hatltoij <^ all nBgkma. The task of theology, die qiieen 
of ihft adeoecs, 3a to find the waj fiur die leBgion of the 
fiitore. Gennaa dieology mut do dua tat die German xeli- 
gion ; tot aa Gemiaaa have other Tirtoea, odier ftiUqga, other 
taika firom the peoplea hefore diem or beeide diem, ao their 
leHgion, if real, will be mi generis. 

llere, iia in Iiis politicul and cducational writings, tlie 
niliiifj^ idea ia (iernian unity; Iiis antagonism to tbe existin;^ 
fhurches, bis unimosity toward Jiulaisni, spring froni llio 
feeling that tlioy divide and weakcn (Tormany, that they 
make impossiblc the füll developnient ot' tlio national clia- 
racter and the achieTment of the miasiou and destiuy of tUe 
German people. 

Lagaide held these principles, not aa traths by which 
men may be enÜghtenedf but as the things they muat do to 
he aaved. For opiniona he had no reepeet; he demanded 
orennaaCeiing eonvictuma and the eoange to he troe to 
dieni. He had hia own; and he prodaimed them not with 
the **8weet reaeonahleneea" of a phfloeophie teacher, bot with 
the impentive of a piophet, **whether men wotdd hear or 
whelher they woold forbear'*. Hie waa not a toleiant man, 
became nodiing was indifferent to him. He did not apolo- 
gize for intoleranoe; he defended it upon principle — to to- 
leratc evil is to be accesBory to it, and to be sileut wbeu 
au untintb is uttcred is to be false. 

It was in tbis ligbt tbat Lagarde rcgarded tbe critics 
fanetion. Carelesa and bungling work , es])ccially wbcn ac- 
companied, as it oftcn ia, by great preteusions, was a sin 
against trutb wbicb was to be punisbcd witb lasb and pilloiy ; 
and he castigated the offender with the pitilessness of con- 
sdence. He applied to the work of others the Standard of 
peifeetion wbich was bis own ideal, and made too little al- 
lowaace Ibr the ahortGomingB of common men; he waa tbns 
often nndiüy aevsre, thongh never, I bdieve, intentionally 
mynat 

He waa mneh engaged ia wmixvvmy) he uost acoie- 



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times liäve eohoed plaint of ibe prophet äiat' lib motlier 
hsd bom Um man cf oo&tenüoii to ihd wliole earili**. 
A man of strong ftelings aa well aa of Sntense eonTietiooa, 
he waa a hard fighter; He conld hate aa weil ae love eor- 
dially. We regrct the time and strength whSch Went Into 
this strife, and above all the personal cliaracter it often had. 
He himself l'elt tliat it wa.« u tra<ric l'atc wliicli forced it on 
him from the beginnin^^; he bore itä cruel scars in Iiis own 
spirit. Yet, like raany another wlio to the world is a man 
of war, he was a gcntle soul, and in personal converse he 
had a rare and subtle charm whose spell few Gonld resist; 
he was in the highest senae of the word, a genial man. 

The end of his lifo was worthy of him. Kno^^ing that 
he had a mortal diseaae, and ihat the probability of sorgical 
xelief waa very alight, he went with vnaltered toaea ahont 
hia daily work tili the end of the teim ; then ha^ing anlanged 
evwrything wiih hia noble wife, he went, wifhont a word even 
to hia moat intimate acquiuntance, to the hospital from whieh 
he nevev letnmed aÜTe. 

He left hia booka to ihe Royal So^ty of Bdencea in 
Göttingen to establish a fund to a.s8i8t in the pnblication of 
booka in the branches of study wliicli were embraecd in the 
Wide circle of his own intcrosts, and tlms to make easier for 
Coming scholars the way he himsolf liad found so liard. The 
library that we open this evening was brought together by 
iucredible labours and sacrifices; it ia not only precions for 
its intrinsic wealth, Init aa a monnment of a life of heroic 
devotion. Let it inspire na to "apend and be apent" like 
him for the tnith. 



Wie m^ Hann von jeher alle aeine peraOnBehen Apge- 
legenhdten mit mir an beapiechen pflegte, so hat er mir aäner 
Zeit anch seinen lotsten Willen milgetheilt Mir enchien aller- 
dinga die Erhaltang dea Namena damals dm^h Lagardea Weike 

ftir eine gute Weile ausreichend gesichert: aber ich freute mich 

seiner Vcrtüj^ung von Herzen, nicht nur, weil sie von Neuem 
seinen auf hohe Zwecke gerichteten Sinn bezeugte, sondern auch 




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— 159 — 



IUI Heises Zwecke« sellMt willen. Um so peinlicher und sdmien- 
lieber Ante es mich daher herfihren.— ich darf hierfther nieht 
mit Stülsehwelgen hinweg gehn daB aieh nür naeh Pnblisie- 
nmg des Testamoites anf Sduitt uid Tritt der Eindraek aof- 
drttngte, als s^ ndt der' Annahme dee VeimMchtBisses gewisser- 
maBen dn Opfeat wa hringcn , dem man sieh nur nicht wohl ent- 
ziehen könne, und daß dieser Eindmck anch später sich nicht 
verwischen konnte. Fehlt es doch noch heute nicht au Nacli- 
klängen der Art. 

Da ich indessen seiner Zeit, wiederholt und nachdrücklidi, 
gebeten habe, die Entscliließung ganz ohne Kücksicht auf meines 
Mannes und meine Wünsche zu fassen — das heißt, jedes Be- 
denken zu Worte nnd ca seinem JKechte kommen zu lassen, und 
die Erbschaft nur anzunehmen, wenn man überzeugt sei, mit ihr 
dnenVortheil in erwerben — , so stehe ich dieser EntBchlicßung, 
sowie ihren Vei^ imd Nachklingen, wenn anch natOiHch nicht 
gkichgfiltig, so doch in ahsolnter Geisteifireiheit gegenflher. 



Die Stiftong kann erst nach mdnem Tode yoU ins Leben 
treten: denn nnr die Zinsen des Kapitals dürfen verwendet wer- 
den, nnd den größten Thdl dieser 2Snsen besiehe ich jetst als 

Rente. So sehr mich danach verlangt, auf diese Rente so weit 
verzicliten zu können, daß für die vorgeselienen Arbeiten nicht 
auf meinen Tod gewartet zu w^erden braucht, so fürchte ich doch, 
daß die Erfüllung dieses Verlangens niclit möglich sein werde : 
es sei denn, daß (lott mir noch ein besonders langes Leben Itc- 
schieden hätte. Vermögen besitze ich nicht: meine nächste Auf- 
gabe ist, aus meinen Jahresännahmen die erhebliche, für die Ein- 
richtungen im Hause verausgabte Summe wieder einzubringen, und 
die Kosten für meine Beerdigung zu sichern. Außerdem habe ich 
mir klar gemacht: einmal, datt ich an meinem Manne Unrecht 
ihnn würde, wenn ich mir Weeentliches von dem versagte, was 
er für meine LebensfÜhmng gewünscht oder ausdrücklich ange- 
ordnet hat: lum anderen, daft ich, stillschweigend, bestimmte mir 
Hebe Yeipfliehtangen von ihm überkommen habe. 

Ich hoffe fest anf Gottes Segen für die Stiftung, möge sie 
ins Leben treten, wann es Ihm gefallt, und icli vertraue mit Zu- 



« 




— 160 ^ 

verncht auch darauf, daß es nach dem Beginne ihrer WirkBam- 
keit ihren Verwaltom meht an Befriedigaiig, ilireni Stifter Mtt 
an Dank fehlen werde. 



IKe nlteen Erennde baben sieh in dem WuiBehe veieinigfi, 
Loi^arde ein Denkmal so aetien, vdA aie haben aicb in meiner 
lebhaften Freude bestimmen lassen, dies Denkmal in einer Ast 
m gestalten, die mir ftlr ihn die einzig denkbare in EtSn schont 

Sie wollen der Lagarde-Stiftung eine Stiftung der Freunde La- 
gardes anschließen, die, falls sie in einigem Umfange zu Stande 
käme, jene sehr wirksam org:!inzon und ihren Nutzen beträclitlieli 
erhöhen würde. Schon haben sich Viele in erfreulicher und sehr 
rührender Weise — Mancher gewis nicht ohne Opfer — an die- 
sem Plane betheiUgt Ihnen Allen sei hier mein warmer Dank 
ausgesprochen. 

"Was irgend zu thun in meinen Kräften stebn wird, das 
werde ich fiir diese Stiftang der Freunde thmii an der mein Hers 
hfingt, nachdem sdne eigene gesichert ist 

ZmiSohst soll Hein Doikmal fiir den Entschlafenen dies 
Buch sein. 

• 

IXe Wochenschrift „Die Zukunft'* (H. Harden) Inrachte im 
Bweiten Hefte dieses Jahres einen Artikel von Dr. G. Wentael, 
der mit warmem Eifer für jene Zweigstiftung Theilnabme zu 

wecken und zu stärken strebt. Ich fürchte nur, daß die dort 
gestellte sehr hohe Forderung eher abschrecken, als zur Betheili- 
gung ermuthigcn werde. Die Leute, die mit Leichtigkeit große 
Suramen fiir allgemeine Zwecke verwenden können, von denen 
allein also Beiträge in gi-oßem Umfange zu erwarten wären, haben 
durchschnittlich nälicr liegende Interessen, als die der Wissen- 
schaft, so daß es mehr als zweifelhaft ist, ob von ihnen der Eine 
und der Andere fiir diese Sache zu gewinnen sein werde. Ge- 
länge dies in wirklich hohem Maße, so könnte allerdings em 
segensreiches Werk geschahen werden, ein Werk, das wenigstens 
in XSner Bichtong das erftUte, was Lagarde ersehnt, nnd was «r 
durch s^ Vennächtnis anzubahnen gehofft hat 



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— 161 — 



£b ist) wie ich weiB, in eiig;eran KrtiMH sehon mehi&di 
— in venebiedener Weise — davon die Bede gevrasen, daft mein 
Hann tine Beoiganiaation der königlichen Geaelbehaft derWinen- 
aehaften ftlr nothwendig erachtet habe: in dem erwihnten Artikel 
des Heim Dr. Wentsel iet non die Ansicht auch in die Oeffen(> 
liehkeit getreten, daE „mit der vor Knnem erfolgten Nenotgani« 
saüon dn von Lagaide seit Jahren gehegter mid oft auBge- 
sprochener Wunsch endlich in Erfiillting gegangen" sei. 

Mir fehlt belbstverstiindlicli jeder Einblick in die Verhält- 
nisse. Da indessen thatsächlicb eine Neuorganisation stattgefunden 
hat, und da thatsächlich Lagardes Name mit ihr in Verbindung 
gebracht worden ist, so wird kein Hindernis vorliegen, seine An- 
schauung von der Sache hier mitzutheilen. Viele werden gern 
seine Gedanken und Wünsche keimen lernen: ihm selbst bin ich 
schuldig, über diese Gedanken und Wünsche keinerlei Irrthum 
entstehn nnd bestehn zu lassen. Auch wüßte ich meinen Auf- 
seidunmgen ktinen werthToUeren AbschloA an geben, als den der 
Ißttheilnng seiner PlXne nnd YoEBchlSge anf diesem Gebiete. 

Die Ansfllhnmg des imwtehend abgedruckten Gutachtens er- 
schien eine Zeit lang völlig gedchert: daft sie dann dennoch 
mterblieb, ist der tinschneidendste Schmers in den filteren 
Lebensjahren meines Mannes gewesen. Diesen Schmers wird Je> 
der begrdfbii, der jenen Plan in seiner Ausführung und in seinen 
zu hoffenden Folgen Im Geiste zu schauen vermag. 

Es folgt diesem Aufsätze der eng mit Lagardes Reformvop- 
schlägen zusammenhangende Entwurf zu einer großen Arbeit, 
nebst dem zur Einleitung dienenden Begleitschreiben. Daß dieser 
Entwurf damals sogleich im Namen des Herrn ]VIinistei8 formu- 
liert ward, ist auf ausdrücklichen Befehl geschehen, 

7. Jnli 1894. 



11 



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Die königliche Gesellsdiaft der Wissenschaften 

in Göttingen betreffend. 

Ein Gutachten. 

Als ich im MHrz 1885 von dem Heran geheimen Regienuigs- 
rath AlthoiF zu einer Rücksprache Über meine Ausgabe der Sep- 
faaginta naeh Berlin bemfen worde, nahm ich mir Tor, wenn sich 
die Gelegenheit dam biete, auch über die aUgemdne Lage der 
Georgia- Angnsta nnd über die königliche GeaeHschaft der 'Vossen- 
Schäften mich sn XnBem. Als ich in Folge jener Anffordenmg 
nach mdner Bückkehr ans Italien im Mai 1885 mich im ünter- 
richtsministerinm wirUieh vorstellto, konnte was ich mir voige- 
nommen hatte, nicht in dem too mir in das Auge gefaßten Um- 
fieinge ansgefiihrt werden. Ich hole nunmehr nach , was mir da- 
mals versagt geblieben ist: denn die fiir den 7. Au^rust 188 7 an- 
gesetzte Feier des liundertfiinfzif^Jährigen Bestehns unsrer hohen 
Schule kann an mußg-ebender Stolle , wo mau diese Feier nicht 
mit dem Herzen eines Jubelnden , sondern mit den Angen des 
Torauaschauenden und sorgenden Staatsmannes ansehen muß, leicht 
als eine Yeranlassong gelten, meinen Vorschlägeu Beachtung la 
schenken. 

Es unterliegt keinem Zweifel, daft die Geoi^a-Angosta, so 
tttchtige Ifänner an ihr lehren, und so viel durch PreuBen fttr sie 
geüum worden ist, langsam, aber stetig rllckwibts geht 

Im Bfidkgaoge dnd fireilich alle unsre Univenitlten. 

IMes liegt an swd ITrsaehen. 

Einmal sollen die ünimsitSteii Kenntnisse mitthdlen. Dies 
SU thun wild immer sckwerer, je umftogBcher, also unfibeisidiA- 
licher die Wissenschaften, welche wir vertreten, je schlechter die 

nicht mehr Nachdenken und Auffassen lehrenden Schulen geworden 
sind, von denen wir unsre Studenten beziehen: je dringender die 
Familien in der allgemeinen Noth nach Existenzmitteln, in dem 



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168 



aOgenniaen Seheinen naeh iem Qebalt vwaehateden SehsbM 
«hier Lditang Huer Söhne, nicbt nadh «iner LdrtnagrtÜiigkeAt 
dindli6ii) vBid j6 dringoDclMr flie anScMleni nBoh SnAeran €Hbum 
tnditen: je sehniaelitiger in der aOgememeii BeUgioiBlosigkeit 
— sogar ihrer dgmii Angabe nach InUherisehe Lehrer der Dog- 
matik g^hen nieht mehr an die penOnlidie UnsterUichkeit — 
alle Welt nach Gemiß als einem — natürlich wirkliches Erkennen 
unmügHcli machenden — Narcoticiim strebt. 

Zweitens sollen die Universitäten Geistliche, Richter, Beamte, 
Aerzte und T^ehrer für das praktische Leben zurichten. Aber 
miser praktisclies Leben ist durch und durch schwankend , unbe- 
rechenbar , krank. Der Protestantismus zehrt von den letzten 
Resten seiner Kraft: meine alte These, daß derselbe nur eine 
Episode der Gkechichte, keine Epoche ist, wird von Einsichtigen 
jetat kaum nodi bestritten, von den Interessierten sehen nickt 
nMhr reiköhnt, sondern to^esehwiegen. Das dentale Boich ist 
nur ein Frovisorinm: diese meine andere, im Jalue 1875 äxirA 
Belei£giingen aller Art hekltanpfte Bebai^tiui^ gesteht jetit ihat> 
slc^Iiek aOe Welt su: denn alle Weh veriaqgt, daft Oesterreieh 
nMbar mit uns verlranden, daA es gegen Bnftland so gescbfitst 
irerde, als s^en in ihm von Btafiknd wir unmittelbar angegriffen: 
alte Welt, so friedfertig bei tmsrer Wehrverfaasmig alle Welt ist, 
verlangt den allergrttndlichstcn Kriege mit zwei Fronten, weil der 
bewaffnete Friede auf die Dauer unertragbar geworden ist, weil 
er uns dahin bringen muß, dem doch einmal kommenden Kriege 
nicht gewachsen zu sein : alle Welt ist des Parlamentspielens, 
der Unverantwortlichkeit unsrer Beamten, der verschiedenen Rep- 
tiHenpressen, der Judenherrschaft bis zum Ekel satt. Wir leben 
in einem Wartesaale, ohne Aussicht, die Abfahrt des Zuges, der 
uns weiter bringen soll, zu beschleunigen: eine Bedingung aber 
des Gedeihens der Bemfethätigkeit ist das HeimathsgefÜhL Wir 
leben in einem gesehifkagen, lidi selbst in bevuAter Ll|ge als 
BddeoihBftigkeit «id Kraft lobenden Marasmnis: eine Bedingung 
aber des Gedeiheos der Bemfetfaätigkeit ist der Glanbe, daS die 
ThMIgkeit einem lebendigen, des Lebens werüfaen Oiganismns dient, 
«mL aüe, oft recht sattem, Mühen des Tages einem solchen Or- 
ptSmam m gute kommen. Unser Leben Ist mfroh mdbr als sich 

11* 



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^ 164 ^ 

«gen läßt: danim können die TOisagsweise dem frohsten Altto 
das es gibt, der Jugend, gewidmeten UniTemtäten nichta leisten: 
sie aieehen Un-sn der f^eodeloeigkeit vnarer Tage: ihie jimgen 
BOiger weidflii duidi die gierig aii%erafilten Snnogate der IVende 
gelegentlich Iiis unter dn Vieh hinahgewaidigt 

Bei Gottiqgen wirken noch besondere Umstlnde ndt, seine 
Blißhe m hindern. 

Die Stadt bietet jungen llünnem niebts vtm dem, was diese 
TOriangen sollten. Idi glaube nicht an den sogenannten Bildungs- 
trieb unsres Volkes. Die Nation langweilt sich: darum vertreiben 
sich die Individuen durch Kauchen, Lesen, Theater^ehn, Kueipen- 
besuch, Kannengießerei und Witzblätter das Bewußtsein, daß es 
nicht wohlgethan ist, mit Nichtsen vie sie selbst sind, eine irgend 
meßbare Zeit allein zu bleiben. Gibt es ftir sie neben den Thea- 
tern lind Knei}»en noch Museen, neben den Zeitungen noch Kund- 
schauen, Monatshefte und dergleichen mehr, so ist der Schein besser 
gewahrt: nur um den Schein zu wahren, suchen weitaus die Mei- 
sten die sogenannte Bildung. Die Klage, daß Güttingen für die 
allgemeine Bildung nichts biete, yenchlfigt mir in Folge meiner eben 
ausgesprochenen Ansicht nichts, wenn sie aus dem Hunde junger 
Münner kommt, die nicht enistiiaft arbeiten. Alldn ich glaube, 
daB Väter, die Aber £e Natur ihrer Söhne, ttber die Art nnsrer 
Schulen, £e TrftbseUgkeit unsres geistigen Lebens klar sind, .immer 
noch lieber sehen werden, daA ihre Söhne die bewegte Luft Ber* 
lins dnaihmen, daft sie in Berlin, Leipzig, M<inchen Theater, Oon- 
certe, Museen besuchen, oder doch den Besuch von Theatern, Con- 
certen, Museen in die PerspectiTO ihres Daseins stellen, als daD 
sie in Gröttingen auf der Weender Straße spazieren schlendern, 
an den Mittwochen des Sommers in ^lariaspring tanzen , und in 
Blasen, Vereinen, Verbindungen fragwürdiges Bier trinken. Ob- 
wohl ich selbst gerne in Göttingen lebe, das mir, einem einsamen, 
traurigen und vielbeschäffjgten Gelehrten , große Vortheile bietet, 
wtirde ich doch ablehnen, einen Sohn in dieser Atmosphäre stu- 
dieren zu heißen. 

Dran auch der Umgang mit jungen Männern, ein Hauptbil« 
duDgsmittel ftir die Jugend, ist in Göttingen nicht in der Art 
möglich und üblich wie Noth thut, wenn jener Umgang nutsen 



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8oE GKHtiiig«! ist die UniTenitiU; der NiederSachsen, eines tüch- 
tigen, aber nüchternen, phantasie- und anscheinend sogar gemtith« 
losen Stammes , der noch nie einen bahnbreclienden Mann aus 
seiner Mitte hat geboren werden selien : von Ausländern verkehren 
bei uns in einer in das Gewicht fallenden Anzalil nur Amerikaner,- 
ernsthaft mit ilu-en chemischen oder medicinischen »Studien, dem 
Zweirade und dem Cricket beschäftigt, aber ungewillt und unver- 
mögend, eine Verbindung mit den Söhnen der Provinz einzugehn^ 
und überdem wohl keine Legierung fUr das wie sie selbst , sähe 
Metall der sdiwer scbmehsenden Hannoveraner. 

Ans dem Gesagten folgt mir, dafi die Geot^giarAngnsta anff 
hSren mnA, Frovinx-UiäversitSt zu sein, nnd wieder das m weiden 
hat, was sie m Zeit ihier Blttibe war, Universitllt fär Eoiopa, 
wenn man will, fltr noch mehr als Europa. Wird sie das, so 
werden die Hannoveraner ein sehr nlltzlieher Bestandthäl ihrer 
Bürgerschaft sein, das Knochengerüst, das dem Körper Festigkeit 
gibt, das aber den Körper nicht ausmacht. 

Die Verliältnissc der Stadt, das Naturell der NiederSachsen 
umzugestalten ist keine Kegierung im Stande : die allgemeine Lage 
des Vaterlandes würde, wemi sie sich besserte, auf Göttingeu 
keinen nennenswerthen Einfluß ausüben, da geistige Freude zu- 
nMdbst nichts für uns ist: der NiederSachse ist unfähig sich zu 
fteoen. Eine Neogestaltung der Universität ist unmöglich, da sie 
nur stückweise — nadi dem Ableben oder dem Wegsage dnieber 
Lehrer — erfolgen würde, ihre Zeit also nicht vom Willen eines 
Ifinisten abhienge: da die nea eintretenden Mitglieder auch nicht 
immer — wenn nnsre Sehuleii nicht reoigai^ert werden, in nicht 
nie mehr in wünsehenswerther Gflte gefonden 
werden k8mien. Jeder in eine TTniversifilt nen Eintretende wird 
als Einzelner einer ihm gegenüber einigen Masse gegenüberstehn, 
und darum, falls er umgestalten möchte, uiclits Wesentliches aus- 
richten : in Göttingen , wo die Art der Provinz über die Art 
auch provinzfremder Professoren den Sieg davon getragen hat, 
noch weniger als anderswo, weil das Beharrungsvennögen hier 
unglaublich groß ist. 

Die Neugestaltnqg Göttingens kann nur von der Gesellschaft 
der Wissenschaften amgehn. Da moA das Fenster geöffiiet wex!- 



den, um friadie Luft in das dumpfe Hans hiwrininliiiiaMi. Nur da 
iit kflin ins qnaesitam von Bdaog abmUlsen: irar da Uli sloh in 
irariiallnismHftig freiem Banme oiganisieien. 

Zur Zeit bedeutet allerdings diese GeseUschaft nidit unge- 
wttlmlich yiel, aber sie ist doch ein schon vorbaadenes Gefäß, 
dem sich ein Inhalt geben läßt. 

Wir leben Alle von Pflichten. Auch Institute leben von 
Pflichten. Gebe man der Gesellschaft der "Wissenschafteu, die beim 
Jubiläum eine Akademie werden muß, Aufgaben — ich werde 
nachher sagen , welche Aii%aben Ich als die wünschenswertben 
betrachte — , setze man einen Willm an ihre noch nicht vorhan- 
dene Sptae, oder vielmehr, stelle man die Präsidentschaft wieder 
her, die rechtlich an ihrer Spitae steht, einen Willen, der ohne viel 
an reden, die Dorchffihmng dieser Aufgaben in die Hand m neh- 
men rtün, tinsiehtig und thatkriftig genug ist, und der dabei Geld 
genug in der Kasse hat, um seine Arbeiter in eihalten, so wird 
durch die Akademie die TJniTerBitSt wieder etwas werden. Jetst 
ist letetere das Gc gcutheO der ans der MaÜiematOc bekannten 
Sammlungen unendlich kleiner Werthe, die etwas sind: sie ist 
eine Sammlung nicht unerheblich großer Werthe, die nichts ist. 
Göttingen muß anfangen etwas zu sein , was nur Göttingen ist, 
oder es muß gar iiiclit. sein. Es verschlüge jetzt der Nation trotz 
aller in dieser Universiüit vorhandenen Tüchtigkeit nichts, wenn 
die Geoigia-Augusta aufhörte zu existieren: die Provinz würde 
Werth nur auf die Erhaltung ihrer Kliniken legen. Göttingttn 
muft ein Idittelpunkt, mdit bloß für Kranke und die Leichen von 
Selbstmördern, sondern f&r ideales Leben eines beherreohbaren 
Kreises sein. 

Medieiner und Juristen (Cigaeins, €h>(iho&edus und Savlgnj 
sind tot) allhlen als Ardsten in einem eigenen Conto: die erste 
FAnltiit, auf den Eiertans swisehen den Koosistorien, den Lind- 
cbenkircben, der Wissenschaft, den Besten alten Gkuheus und den 

raäch wechselnden Strömungen der Politik angewiesen, ist allemal 
eine negative Größe : die Zahl ihrer Grade zeigt, wie tief die Na- 
tion miter dem Gefrierpunkte steht: so bleiben für die Akademie 
nur die .sogenaimten Philosophen, denen unter Umständen gewisse 
Theologen, Juristen, Medicincr augesellt werden weiden. 



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— 167 — 

Die Zabl der Ifitglieder der Akademie darf unter kdnen 
Unutänden die Ton des KOnige Majestät festgesetste, und nur von 
S^er MiijeBtftt sa ändernde Zahl ttbersdirdten. 

IMe vienrig ordentlichen Mitglieder werden nicht hloß ans 

den in Göttingen wohnhaften Gelehrten, sondern anch ans den 
Gelehrten der Pro%nnzen Hunnovor, Ilesscn-Niissau, Schleswig-Hol- 
stein, Westfalen, Klieitiland, und wenn die unten vorzusclilagpiiden 
Verhand Inneren zu gutem Ende fiiliren, aus den Gclclirton ^leck- 
lenburgs, Oldenburgs, Braunschwcigs, Lippes, Waldeck.«, Hesscu- 
Darmstadts gewählt, und zwar mit der Maßgabe, daß es Göttin- 
ger Mitglieder soviele gibt wie nicht-Göttinger: daß es nicht nnr 
frei steht, sondern als geboten gilt, Stellen nnbcsetst zu lassen, 
fiiUa ein itlr sie geeigneter Gelehrter nicht an finden ist, daB es 
aher niemals erlaubt ist, die Zahl der Einen Ahfheilnng darum 
an erhöhen, weil die andere — nieht^ttingisehe oder Gtfttin- 
gisehe — > Abtheilung die erlaubte Ansahl von Ifitgliedem cur 
Zeit nicht hat 

Die ersten IßtgBcder der aus der königlichen Gesellschaft 

der Wissenschaften hervorzubildenden Akademie werden von der 
preußischen Kcgicrung ernannt. Die Ernennung derselben , die 
Wahl aller ihrer Nachfolger bedarf der Bestätigung des Könige. 
Die j)reußisclie Regierung hat das l^eclit , auch in Zukunft für 
eine frei werdende Stelle ein Mitglied zu berufen, wenn sie Zu- 
gloch dem Berufenen, nach Vereinbarung mit der Akademie aus 
deren Einkünften, oder aus der Staatskasse, ein Gehalt aus-wirft, 
und derselbe innerhalb des Bereiches der Akademie seinen Wohn- 
tfts nimmt : Üfaut er dies- in einer der mit der Akademie in Ver- 
Undung stehenden Universitätsstädte Göttingen, Bonn, Kiel, Mün- 
ster, Maiburg, Bestock, Gieflen, so hat er die Befbgins, an dieser 
UniTenität m lehren, ohne daft er sn lehren veipfliehtet wäre. 

Den Präsidenten der Akademie ernennt ftr alle Zdten des 
Ktaigs Majestät 

Die Akademie wird sich nicht aus abgelebten Bertihmth^ten, 
nicht aus (.5 reisen zusararaensetzon, die etwas gewesen sind, oder 
gewesen zu sein geschienen haben, sondern aus Männem, die noch 
etwas sein werden, nicht aus dem Herbste, der eben die Schliis.sel 
seiner vollen Scheuem in die Tasche gesteckt hat, und sich zum 



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— 168 

WlnteneUafe lehickt» sondern aw dem zum Sommer reifen Früh- 
linge, der bei dem Einen aUerdings länger währt ak bei d6m 
Andern: Gkieilie aehrieb die Wahlverwandtachaften , ala er 60, 
Jacob Grimm die Geaehiehte der dentacben Spraehe, ala er 62 
Jahre alt war. Wer wird in Botengängen mid Bergmannaarbeit, 
wer zum Ackern, wer zum Schneiden des Kornes müde Todes- 
kandidaten dingen, die nach dem Rollstuhle und der Ofenbank 
seufzen? Die Regierung möge überzeugt sein, daß sie die rich- 
tigen Männer gefunden hat, wenn sie Männer findet, qui malunt 
desinere quam deficere, die von selbst wissen, wann sie der eigenen 
Thätigkeit als Veteranm entsagen müssen. Dem Unverstände der 
sich vor dem VetcranmihimBe Scheuenden wird freilich durch ein 
Geaeta nnd durch dessen ernste Haadhabong nachzohelfen sein. 
Daa dte-toi qne je m'y mette ist gewia nicht schSn, aber daft alte 
Leute, die nichta mehr leisten, juigen Arbeitern den Fiats weg- 
aitien, iat es ebenftlla nicht 

Die nicht in Göttingen wohnhaften IGtglieder haben anf den 
Staatseisenbahnen freie Fahrt m den sehn Sitsongen des Jahres, 
und, falls sie bei den Sitzmigen anwesend sind, für je drdi Tage 
die Tagegelder der Landboten : bei dem Stiftmigsfeste der Aka- 
demie als dem Hauptgeschäftstage derselben müssen sämmtliehe 
Mitglieder anwesend sein, falls sie nicht ausdrücklich auf triftige 
Gründe hin vom Präsidenten Urlaub erhalten haben. 

Die vorstehenden Vorschläge sind von dem Bestreben einge- 
geben, die Akademie so reich als möglich an wirklichen Kräilen 
zu machen: denn wenn Eine Universität allein die arbeitenden 
Mitglieder der Akademie ateUen mnfi, ist die Auswahl natOrlich 
beaefaiänkt, nnd damit die Wabwidiefinliehkeit vorhanden, daft nicht 
immer nur Männer ersten Banges in diese doch nur für erste Kräfte 
bestimmte Körperschaft hindngelangen werden. Weiter von dem 
Bestreben, Part^dikeit nnd Göttinger NatiTismns tlraiiUdut 
hintan zu halten. Drittens von dem Wunsche, den Ve r tre t e r n 
deijenigen Theile der Wissenschaften, die an Universitäten nicht 
ftiglich eine Stelle finden , einen Platz zu schaffen , an dem sie 
gegen Mangel geschützt , und um die Veröfientlichung ihrer Ar- 
beiten nicht verlegen, arbeiten, und, falls es Noth thut, lehren 
können; ich denke mi^ die Ass^riolo^e, das Chinesische, die. 



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— 160 — 

Idttentor des cbristlickeu Mittelalters, die Geschichte der Musik 
EofOpM in der Gröttinger Akademie, nicht an einer Univenität 
untergebraeht ^TlerteoB von dem Verlaqgen, GKittiiigen an eSaum 
Ißttelpankte su machen. 

Die Beatttignog der Wahlen der IQt^eder, die Emennmig 
des Pritoidenten dnrefa den König aehe ich dnmal ab eine Ehre 
fifr die Akademie an, deren Genossen höher stehn, wenn sie be- 
stätigt werden mllssen, als wenn die Re^eruiig und die Krone rie 
fiir 80 wenig bedeutend erachten, daß beide sich um sie gar nicht 
kümmern: ich sehe in ihr, und in der der Regierung gebotenen 
Möglichkeit, unter Umständen freigewordene Stellen aus eigenem 
Antriebe zu besetzen, eine Bürgschaft gegen den Einfluß derjeni- 
gen Gelehrten, die in Folge ihnen günstiger Conjuncturen, in Folge 
eines au der Zeit, in welcher Sie zu haben waren, vorhandenen 
M^ncftlff an wirklich tauglichen Vertretern ihres Fachs, in Folge 
eines Misgrififs der wählenden Fakultäten, oder dee zur Berufung 
dem Könige zathenden Ministeie an Universitäten angekommen 
and, und von diesen aus bessere Männer m hindern und zurück- 
suhalten vennögeut 

Ick maehe darauf aufanerksam, daft der iSaenacher Kirchentag, 
daft die histoiisehe Kommistion su Hflnehen, datt die Ldpiiger 
GeseUadiaft der Wiasenachaften ebenialla nicht ans ISSnßs Ortes 
ISnwohneni besteht, und da8 das Eisenbahnmonopol des Staats 
doch nicht bloß den Landboten, sondern auch den Männern der 
Wissenschaft durch eine in engen Grenzen gehaltene Ge^^Hluuug 
freier Fahrt dienen kann : die mit der HeranschatTung der Aka- 
demiker betrauten Züge werden nicht mehr kosten, wenn sie außer 
ihren zahlenden Fahrgästen zehn mal im Jahre 20 nach und von 
Göttingen reisende Akademiker kostenfrei befördern, als wenn 
sie dies nicht thun. 

Als Aufgaben, deren Behandlung und Erledigung der Götr 
tinger Akademie an übertragen ist, sehe Ich folgende an: 

1. die iiystematisehe DazateUung und die Geschichte des deut- 
sehen Bechts, dnschtiefllich der AgrarAlterthflmer, der 
Sammlung, Erklärung, ^stematiflcken Bearbeitung der deut* 
sehen Namen, sowohl der Orts- ala der Menschennamen: 
die Qeedaebte der dfiuttok» FanäHeii; 



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— 170 — 

2. die Litteraturgeschichte des mittelalterlichen Europa: 
8. die Ausgabe aller griechischen Theologen von Glemeiui voa 
Rom bis auf Bessarion: 

4. die Ausj^abe der Hauptwerke der aemitischen Völker, das 
heifiti der Aesyrer, Amber, SyrtBet auch die Litteratnr der 
Juden, deren Talmud noch Vieles lehren kann, wfirde m 
nennen aein, wenn die iB^giening eine Geiwjflir dafilr böte, 
daft niobt, nm/ dieselbe in bearbeiten, die Landdente der 
jfldiacben Autoren als aokhe deh in die Akademie ein» 
diSogcu, das beiftt nach der Er&hrongf sie ni einer jttdi« 
sehen oder doch jüdelnden Akademie machen: denn diese 
jüdischen Chauvinisten bleiben nie einzeln : leben ihrer 
mehrere auf Einem Flecke, so reißen sie stets mit allen 
Mitteln die ITerrachatl über die andern an diesem Flecke 
lebenden ^fcnsclien an sich, und machen die Gesellschaft, 
in der sie sich befinden, unanständig und plebej: 

5. die Herausgabe und Bearbeitung der neuägyptischen und 
persischen Litteratnr: nicht der armenischen, da flttr diese 
die Armenier, ein schwer rdches Volk, selbst sorgen kSnnen: 

6. die HenteUnng des Urtestes der Bibel beider Teetamente; 

7. die Gesdiicbte der Ifnsik, vor allem der Musik des lOttel- 
alters nnd der ersten zwei Jahihnnderte nach dem Gon- 
dle von Tiient: 

8. die verglddiende Grammatik der germanischen, helleni- 
schen, italiedien, eranisehen (auch aimenisehen) Sprachen 
nnd IKalekte. 

Was auf dem Gebiete der Mathematik nnd der Naturwissen- 
schaften zu thuu ist, entzieht sich meiner Benrthcilung. Für die 
Mathematik würden wohl Berliner Professoren rathen künnen : wen 
man in Betreff der Naturwissenschaften fragen soU, weiß ich nicht 
anzugeben. 

Je nachdem in der Mitte der Akademie Männer sich finden, 
um den Angriffsplan fiir die einzelnen ihrer Gesellschaft zugewie- 
senen Feldzttge auszuarbeiten, und den Angriff zu organisieren 
und zu leiten, wird bald an der Einen, bald an der anderen Auf- 
gabe gearbeitet werden. Dadnreb wird dne groBe Anaabl jtln- 
gerar Gddiiten lohnende, bdebrande, enidieiide Beodrilftigan^ 



I 

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— 171 — 



Mn, «id je nadi don 'UanUlikdiiL fitr iigend wetolie Stellimg 
im Ltben, das bdlt im Diensle der Nation, lienuiMiftn. IHe 
Akademie all Gainea aber wird rieh sagen dflrftn, daft ti», indem 
de die Beste der Vergangenheit anfitfbdtet, der Znknnft die Bahn 
frei macht : denn nicht auf die Vergangenheit kommt es an, son- 
dern auf die aus treu geliebter und klar verstandener Vergangen- 
heit imd der eigenen Gabe erwachsene Kraft zur Zukunft. 

Durch die Akademie würde die Oeorgia-Augiista gehoben 
werden : denn ihre Lehrer würden Erhebliclies zu leisten suchen, 
um in die Akademie gewählt werden zu dürfen: denn ihren Stu- 
denten würden Arbeiten in Aussicht gestellt werden, die sie ver- 
antfrortlioh, die sie in engem Umgänge mit Meistern m studieren 
swingen: denn die Werk» der Alcademie wflrden nnsre Kennt- 
idase lüeht durch gel^gendiefae Abhandlungen bereiebem, sonderai 
m liebtlger Methode ystsmatiach fottflihren, mid ganae Theile 
der "Wlasensebaft endgültig {iBstnistelleii beatvebt edn: denn die 
regelmäßig mit der Akademie Terhefarenden nichtCrÖttingischen 
Ifitglieder der Akademie, wie die aUerwürts her aor Arbdt der 
Akademie strömenden, nicht in Kneipen und Bestimmungsmen- 
ßuren verrohenden Studenten würden den steifleinenen Nativismus 
der niedersächsischen 6tadt zerstören, die mit anderen Stämmen 
als ein Mittelpunkt ftir diese in Verbindung träte, und darum wie 
sie gäbe, auch nähme. Jede der in der (iöttinger Akademie 
vertretenen Universitäten würde in der Angehörigkeit einzelner 
ihrer Professoren an one mit großen Angaben beschäftigte, von 
hohen Gesichtspfonkten aus die Sachen ansehende Akademie eine 
gewia s e Siehemng g^gen das Ueberwnehem der kindischen Eiüar- 
sflchteleien, der alteqjuqgftrhafien Bechtbabereien, der grtiaea- 
ndUKgen Eitelkeiten gewimmn, mit denen die doch ateta die Mehr- 
heit bildenden Leute aweiten und dritten Bangee unter den Ge- 
lehrten Qunöthlger nnd ftir anattndige Mlmier sehr listiger Weise 
eriilrCen, dai sie seihet Snbaltene sind, nnd aeitiebeoa bleiben 
werden. Die Göttinger Akademie muß so Tomehmen Charakter 
tragen, daß die ihr Angehiirendcn sich in ihr von dem Umgange 
mit der hochmüthigen und unreinen AUtagswaare wie auf einer 
Hocbalpc erholen können : sie werden frisch in die Tiefen zurück- 
kehren, und ihre Arbeit fröhlich und inÜoöhung thun, wenn sie 



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172 



einige Male im Jahre mit einem Theile des Adels dar Nation 
zusammen finden können. Jetzt fHhrt man an Göttingen vorbei: 
duxeh die Akademie wird Götlangai eine Stadt werden, ni der 
beste ifMinMw waUfiihrten. 

Wer SVankroich kennt, weift, wie giftig die Oentralieatioii 
wirkt Wir sind in Dentsehland trots den FkovinsialveEfiusangea 
nnd der BnndesBiaaterei anf dem Wege snr sefalimmsten Cenfara- 
liaation, nnd mit ihr werden wir trots nnarem Individaalianiis in 
dnem Jahrkvnderte sn framBeiflehen 2Saitinden gelangen. Jetst 
ist In GM(t(jngen, in Leipzig, in Tübingen, in Bonn, in Kiel 
ein griechisches, arabisches, aegyptisches Buch zu bearbeiten, zu 
drucken , zu beurtheilen , mit Schülern zu lesen möglich , das in 
Frankreich nur in Paris bearbeitet und hergestellt werden kann. 
Gehn wir weiter: geben wir den Städten der Provinz die ^löc^- 
lichkeit, ^littelpunktc zu sein , der einen in diesem , der andern 
in jenem Gebiete. Wir tragen alle einmal des Königs Kock, und 
haben den unvergeßlichen Fahneneid geeeliwortti: unberechtigte 
Sonderinteressen werden in dem Maße schwinden, in dem berech« 
tigte Sonderinteressen anerkannt nnd organioert werden. Preußen 
mnft das wiasensehaftliohe Leben seiner Unterthanen mindestens 
als EKBpee ndt iwri Brennpunkten, nieht ala Kreis mit Einem 
Ifittelpnnkte behandeln. 

Die Beriiner Akademie ist durch ihre fienschaft, ihre Hei- 
nnng von sich, und ihr Monopol l&ngst nnansstehlich, nm so nn- 
ansstehUeher, als dnrchans nicht nur erste MHnner in ihr sitMn. 
Heben ihr sehaffe man eine Oöttinger Akademie, welche sn nn* 
terstützenden Gelehrten gegenüber die YerantwortHchkdt und die 
KaÄSC der Regierung; auch ihrerseits entlastet, und das Monopol 
der Berliner Partciliäupter bricht. 

Die Bearbeitung nicht weniger der von mir gestellten Auf- 
gaben kommt der herkömmlich Theologie, von mir Kenntnis der 
Geschichte des Reiches Gottes genannten Wissenschaft zu gute. 

Unumgänglich wird sein, falls der Akademie ein Auftrag für 
die Pflege dieser Theologie ertheilt wird, die Kenntnis des alten 
Testaments, die des neuen Testaments, die der hebräischen Sprache 
mid die der Patristik als eigene Fäeher ftir die Pkomotionspffi' 
fingen der vierten Faknltät der Geergia^Aogosta aasoerkemun. 



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^ 178 — 

Den Ldttttn ttnarer Sehulen wie notrar Universitäten fehlt 
WMime des hmeieii LebenB, feUt Einriebt in die Geschiehte der 
Bdigion. Ißenumd UeU da« ideht, mit dem er aidi emitliaft be- 
echSftigt An den Monnmenta Genneidae» an der Sammlung der 
griecbiechen und lateinisehen Lucbriften, an der Beniner Aus- 
gabe des Ariatoteles Ist ^ne Saat von Begeisterung und racbatem 
Eifer an^ewaehsen, die in den genannten Sebriften enlblten Tbat- 
sachen zu sammeln und zu verstebn: was uns in der Politik ge- 
lungen, ist mit aus den Dokumenten der Monumcnta (Jcrmaniae 
ersprosseu : unsre Erkenntnis der alten Geschichte, der Philosophie, 
der Sprache wäre ohne Boeckh, Bekker, Kirchhoff, Mommsen un- 
möglich gewesen: sie kam wie von selbst, als jene arbeiteten. Eine 
Ausgabe des Origenes, der verschiedenen Parallela sacra, des Cyrill 
yon Jerusalem, des Makarius und der Väter der Wüste, dergroften 
Scholastiker würde auf die Religion wirken, wie jene Monnmenta 
anf den Patriotismus, wie der Berliner Aristoteles, wie jene Cor- 
pora auf die Pbilologie der alten Sprachen gewirkt beben. 

ProteitantSaebe GeiatUche werden an diesen Studien sich nicht 
betheOigen dlirfsn: denn sie müssen die Binde yor den Augen be- 
halten, um den M^jer und Hsgel, den Luthardt und Uhlhoin, oder 
aber den Webskj und jenen Brotestantenverdnlein Qentige an 
ihun, die wenn sie in predigen haben, ihren Freunden klagen, 
sie giengen auf das Trapes: der Instinkt sagt diesen Leuten, was 
mir meine Einsicht in die Sachen sagt, daß die Ergebnisse des 
Studiums der Keligionsgescbicbte noch weit melir anti protestantisch 
als antikatholisch sind. Uns liegen in der Gescbicbte Verbin- 
dungen der Religionen vor, niemals die Religionen selbst. Kirchen 
sollten wie Engel durcl) die "Welt ziehen : in die Ersclicinung tre- 
tend, um einen bestimmten Auftrag Gottes auszurichten, und dann 
stiU aurücktaucbend, mn den Trägem anderer Aufträge Platz zu 
machen. Aber so sind die Kirchen nicht geartet. Das lebt, und 
lebt weiter, nachdem es alle Veranlassung zu leben verloren hat. 

Hingegen in den Schulen tritt sieht eine auf Herkommen 
und Geaeta beruhende, flberaltete Institutien, sondern treten Indi- 
viduen oder viehnehr Charaktere, treten Stofib, tritt die Pflicht, 
Fertigkeiten zu erwerben, als Fürderer des Lebens auf. Darum 
werden die dereinstigen Lehrer der höheren Schulen sich in den 



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Dienst unerer Akademie begeben, in ihm still, ernst und des Le- 
bens voll werden, Charaktere, Kenner der Thatsacben, gfßHat m 
allen nöthigen Fertigkeiten, und sie werden, nachdem sie uns TW- 
lassen haben, ihre liebe nad ihr Leben ttber die jimgen Ihnen 
anvertnutten Seelen leuchten lassen kttnnen. Von solchen Lefafem 
ertheilt, wiid der TJnteirieht in der Bdigionswissnmwhnft den Sehtt- 
lem etwas werth sdn*, der jetit rine der sehÜnmMtin LOgen in 
nnsram an Lllgai ttbeneiehen Yateilande istr ohne Unlefseiiied 
jeder Unteirieht solcher Lehrer wird die Wtaie des Lebens bc^ 
sttM vnd darum andi verbrei ten . 

IKe Einnahmen der Akademie Göttiugen denke ich mir be- 
stehend 

1. aus der bisher durch den Staatsbaushalt vorgesehenen 
Smnme Ton 10308 Mark, die womöglich zu erhöben sein 
wird: 

2. ans dem Geldwertbc der in Tausch für die Arbeiten der 
jetsngen Gesellschaft der Wissenschaften bei ^eser einge- 
henden und Von ihr der Universitätsbibliothek überwiesenen 
DmekschrifteD, in der dnreh den OberbibKotheknr Dsiatako 
leliAi aiffennftSig festenstellendm HiShe: 

S, ans den Ton den Stinden der Pkofinsen HjannomF, Hhcin* 
laod, Westfiilen, HoasonKassan, SddeswigHoktein anficn- 
btSngeBden $0000 Maik: 

4. ans 4iea Beiträgen der Bnndesslaatsn Qldenhiirg, Meeklen- 
bnrg, Hessen, Bramiscbweig, Lippe, Waldeek, der Hanse- 
städte, im Betrage von zusammen 40000 Mark : fiir einige 
dieser Staaten ist Göttingen Landesuniversität , was sich 
ganz gewis mit Erfolg geltend machen läßt: 

5. aus dem "Reinertrage der von der Akademie veröfi'entlichten 
Schriften, von denen Freiexemplare an Privatpersonen nur 
in geringer Zahl und in genau zu bestimmender Weise 
we^egeben werden dürfen. 

SelbsIvetstättdtiGh wird aber die unter B nnd 4 genaanttti 
Posten TCO der Staatsreg i eruBg cnC in veihsDdeb sein. 

Ich erwarte mit BMnuntfaeit, dall der Akademie, sowie sie 
ehiflfal energisdies Leben geaeigt haben wird, Vermicfatnisse nieiit 
naihedentendett Umfiu^geB m&Men weiden. 



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— 176 — 



Die Ausgaben würden beatehn aus 

1. Der Entschädigung des Präsidenten für die gegen die ein- 
hamischen und vor allem gegen die auswärtigen Mitglieder 
SU Abende Gastfirenndschaft, die natürlich niemals in die 
Bur Zeit in Güttingen übliche Schlemmerei ausarten darf 
(lÖOO Mark): 

2. den Honoraren fllr die Ver&sser der von Ifitgliedem der 
Akademie ftr die Akademie gednickten Anft&tae und Ab- 
handlungen, wobei bemeikt wird, daß diese Honorare nur 

den Sinn haben, Arbeitsanslagen ( Anschaffung Yon Büchern 

und dergleichen mehr) zu ersetzen: 

3. den Zahlungen für den Druck ihrer Schriften, soweit dieser 
nicht in der jetzt üblichen Weise einem Verleger über- 
tragen werden kann : 

4. den Gehältern der nicht als Professoren besoldeten Aka- 
demiker : 

5. den Unterhaltungs- und Reisekosten der für bestimmte 
Arbeiten angestellten Mitarbeiter. 

Die Akademie ist verpflichtet, jedes Jahr einen kleineren 
oder größeren Theil ihrer Einnahme au kapitalisieren. 

Allee driingt uns, die wir nicht regieren, aber die ZnstSnde 
ganas aus der Nähe sehen, und nicht voinehm und mächtig goüug 
rind, um belogen m werden, die auf nahen Tod wdsenden Züge 
im Gerichte des Yaterlandes sehr enist sn nehmen. Mit kleinen 
Mitteln ist nicht mehr an helfbn. 

Ein sehr tüchtiger Gelehrter, jung genug um mein Sohn zu 
sein, von Xatur frohgemuth, durch keine üblen Erfahrungen cnt- 
mnthigt, schrieb mir inilängst — man wird merken, daß die 
Worte rasch hingeworfen sind — : 

AVäre man niclit selbst an dem allen mit Leib und Seele 
betheiligt, so wäre es interessant zu sehen, ob und wie ein 
Volk sich aus diesem geistigen Sumpfe herausarbeitet. Ich 
male mir oft nach Analogien ans, wie es wohl weitei- gehn 
könnte, und komme immer zu dem bösen Gedanken, daß es 
in Europa su einem langsamen, materiellen und geistigen^ 
Tode kommen wird, dnem allmShlichen Abst^en, dem dann 
irgend dne äußere Katastrophe dn Ende madit Es kann 



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— 176 — 

ja aueli anders komnuo, und daidi eine sdiwtte Krise kann 

allee Ungesunde ao^gesehieden werden. 

Die Grttndtmg einer Akademie wird die Gesammtlage Deatscli- 
lands allerdings nicht ändern, aber sie wird einem trotz den ern- 
sten JJedcnkeu, denen viele von ihnen unterliegen, nicht zu unter- 
schätzenden Theile der Deutschen, DcutHchlands Gek-lirten, den 
Glauben wiedergeben , daß es noch möglich ist , ein Neues ent- 
stehu zu heißen, und mit diesem Glauben den andern an die 
Denkbarkeit einer Erneuerung — einer neuen Geburt — der 
Nation. 

Außerdem wird zu erwägen sein, ob nicht auch die niedere 
Politik räthlich erscheinen läßt» im Welfenlande einen Mittelpunkt 
sehr deutlich niehtwelfisehen Ursprungs, nichtwelfisehor Art bu 
schaffen, der, weil auch nichtwelfisdie Lande fiberhenscbend, das 
Welfenthmn lahm legen würde. Vielleicht könnten die zur Grtin- 
dong dieser Akademie nothwendigen Mittel sogar den Gtwag dem 
Fünften angebilligten und nun doch wohl endlich yerfidlenen Millio- 
nen, oder dodi deren Zinsen entnommen werden: der Ertrag zwder 
Jabre würde da fast genügen, um die Gbttinger Akademie in 
das Leben zu rufen. 

Wenn aber etwa nicht allein die höhere, im Sinne der Ge- 
sammtgeschichte arheiteude, sondern auch die niedere, nur die 
staatlichen Verhältnisse des Vaterlandes in das Auge fassende Po- 
litik den zur Zelt maßgebenden Männern ferne liegen sollte, oder 
sie den Forderung^ derselben nachzuleben nicht im Stande oder 
nicht Willens wftr^ so vnrd. doch kein seine Sache verstehmder 
Unterrichtsminister, als höchster Techniker des Unterrichtswesens, 
ve^ennen, daft Lehrer nur an organisiertem, das heißt, grollen 
Zielen mittelst der Kräfte Vieler methodisch zustrebendem Stu- 
dium reif wachsen können, nicht als fianctireurs, welche nach 
ihrem eigenen Gutdünken, oder naeh ihrer selbst nicht grolle Ge- 
danken denkenden Fh)fessoren Idebhaberden, kämpfen: er wird 
nicht verkennen, daß, wenn wir nicht gehörig geschulte Lehrer 
heranbilden, wir niemanden haben, der unsre Schulen bedient und 
unsre Jugend für die Zukunft erzieht: er wird nicht verkennen, 
daß nur eine Aktuiemie, die klare Arbeitspläne, geschickte Gene- 
ralstabs- und mnthige und umsichtige iTront^Ofüsiere hat, Ke- 



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177 



kniton des GelebiMStaiidw n branehbaien Soldaten ansramr- 
deren vermag. Im Kriege und im Frieden ist tmare Jugend vo»- 
wo de Ernst aidit imd Fflhrer findet: wie wiU man es 
vor Gott verantworten, ilir den Emst ideht sn M%ett, Hu* die 
Fiflirer lücht m geben? 

• 

Vorstehendes ist in allem Wesentlielien , so wie es jetit ge- 

drnckt ist, Ostern 1885 auf Capri niedcr^schrielien worden: es 

ließ sich im Mai 188') in Berlin iiiclit anbringen, woliiu Ich den 
Aufsatz in Handsehritt mitgenommen hatte. Ich erwähne dies, 
um zu erweisen, daß mein Vorschlag sich auch längerer Früi'ung 
gewachsen geaeigt hat 

85. Jamur 1887. Ftad de Lagaide. 



IS 



r 

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Güttingen, 7. Juli 1887. 

HochgeUeteiidflr Heir HBnister 

Tm AnBeUiuBe an die yon mir im Januar 1887 an Eure 

Excelleiiz gerichtete Eingabe gestatte ich mir, Folgendes yorzu- 

trugen. 

Falls CS aus irgend einem Grunde überliaupt oder zur Zeit 
noch niclit tlmnlicli oder rathsam erscheint, die in G(')ttingen be- 
stehende köriiglielie Gesellschaft der Wissenschaften in der von 
mir vorgeschlagenen Weise in eine Akademie umzuwandeln, so 
wird es sich doch vielleicht ermöglichen lassen, dieser Gesellschaft 
zu dem bevorstehenden Jubiläum eine bestimmte Aufgabe zu stellen, 
und die zur Lörauf^ dieser Au%abe noüiwendigeii Mittel ÜÜaag 
SU machen, damit wenigstens in kleinerem als dem toh mir in 
das Auge gefaBten TTm&nge in Göttingen tine Arbeit in Gang 
konmie, weldie junge Mlbmer an unare hohe Schule als an tinen 
Mittelpunkt gdstigen Lebens weist und der alternden UnSmsitXt 
frisches Leben zufiUhren kann. 

Ich schlage vor, gedachte Gesellschaft zu beauftragen, inner- 
halb der nächsten dreizehn Jahre 

eine Geschichte des bekanntlich am 13. April 1180 zer- 
schlagenen alten llerzogthums »Sachsen 
in dem auf anliegendem Blatte im Namen Em-er Excellenz skiz- 
zierten Uilitange licriiustellen, und ihr zu diesem Behufe eine jähr- 
liche Unterstützung von sechstausend Mark zu zahlen. Die Zah- 
lungen würden mit dem ersten April 1888 anzuheben, und Ina 
zum letzten März 1900 zu laufen haben. 

Unter Au&icht der Staatsregienmg wiren Yon dieser Summe 
zu bestreiten 

die Stipendien der filr die Ausfiflinmg Jenee Auftrages in 
die Dienste der Gesellschaft tretenden jungen Grdehrten, 



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— 179 — 



dlo Kosten der von diesen QelelurtoD etwa so unterneh- 
menden Ileisen, 
die fiir etwa nothwendio: werdende selbststladige Drucke 

erlordorlichen AusguLen, 
die Honorare tur dio in der nnten vorfj^esclilajjenen Art 
in die Schriften ^^ed;iclitor Gesellschaft aufzunehmenden 
Abhandhuifjen von Niclitniitfrliederu. 

Ersparnisse Kines Jahres müßten auf die Ausgaben folgender 
Jahre verrechnet werden dürfen. 

Gedachte Gesellscliaft hat in den Herren Frensdorff und Wei- 
land Männer zu Mitgliedern, die der Leitung der so erwachsenden 
Stndi^ Ihre Kräfte gewis g^e widmen würden. Formell ver- 
antwortlich mfiftto der ständige Sekretär der Gesellschaft sein. 

Ich habe nicht ftir klug erachtet, gedachten Herren Mitthei- 
lung von dieser Eingabe zu machen, Ich bitte also, 

ohne Nennung meines Namens, oder unter ausdrücklicher Hinwd- 
sung auf das Dienstgeheimnis, den Herren von Sybel, Weizsäcker, 
Max Lehmann in Berlin die PrOfung meines Rathes zu Übertragen, 

Dazu merke ich an, daß ich mit Sauppe, Wüstenfeld, Wie- 
seler und Hunsscu den Vorstund der Wedekindstiftuii^r Itilde, daß 
diese Stiftung in der in nnscrn Nucliriclitcn vom lautenden Jahre 
Seite 71 gedruckten Fonnuliennig eine Geschklite des Herzog- 
thiuns Schwaben verlangt hat , und daß die geilnickte Formu- 
lierung aus der Feder Wcilands stammt, den wir mit Frensdortt", 
Kluckhohn und Steindorff zu unscm Berathungen zugezogen hatten. 
Ich habe den Einen Abschnitt des beiliegenden Entwurf» thun- 
lichst der Fassung jenes Ausschreibens verähulicht, und kann mir 
nicht denken, daft nnsre SBstoriker, was ich — allerdings weiter 
greifend als sie — für Sachsen gethan verlange, misbilHgen sollten, 
nachdem ue selbst es ftir Schwaben ssn verlangen gebilligt haben. 

In schuldiger Ehrerbietung Eurer Excellenz gehorsamer 

Faul de Lagaide. 

« 



12* 

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Entwurf. 

In der TTebeneiigiiiig, daB die grölleste Elm, die einer K8r- 
pereehaft «neigt werden kann, in dem Zutrauen liege, daft sie 
eine schwere imd Nütien bringende Arbeit iibemebmen und zu 

gutem Ende führen werde , und in dem Glauben , daß wie der 
einzelne Mensch, so auch ein Institut nur von Pflichtcu lebe, be- 
auftrage ich die königliclie Gesellscluirt [Akademie] der Wissen- 
schaften zu Göttingen, bis zum ersten April des Jahres 1900 

eine Gescliichte des alten, am 13. April 1180 zerschla- 
genen Henogthoms Sachsen 
hersoBtellen. 

Es wird sieh dabei um die Lösimg einer langen Reihe von 
flinaehien An%aben handeb, die ich in stetem Hinblicke auf die 
Hanptsaehe angestrebt sn sehen wttnsche. 

Zunächst ist die Entstehung des Stammes der Sachsen ans 
den Quellen dannlegen, wobd das Verhmtnis des sHdirisehcn 
Dialekts zu den näher oder feaeosae mit ihm verwandten anderen 
gennanischen IMalekten au ergründen, und für die Gesciiiclite in 
verwerthen sein wird. 

Die politische Geschichte des alten Sachsen ist ohne Kennt- 
nis der Reichsf^estliichte nicht zu sclireibon. Es wird die Auf- 
gabe des die Gescliichte Sachsens schreibenden Gelehrten sein, sie 
so vorsichtig aus der Reichsgeschichte herauszuarbeiten, daß der 
Leser den Eindruck erhalte, von einem selbstständigen Gebilde zu 
vernehmen : von dem au aeigen ist, wie es durch sein Verhältnis 
snm Reiche einersdts gefördert, andererseits beeinträchtigt wurde. 

Die Yer&ssungsgeflchiGhte wird das Veriilltnis des Henog- 
tirams cum KOnigthume, wie su den gerade in Sachsen so sahl- 
reidien und mächtigen DynastenBechten und -Ansprachen dar- 
legen. Die sächsischen Bisthtimer haben einen andern Werth, als 
die fränkischen, schwälüSvBclien und baierisehen: der UnteneMed 
dieser von jenen muß soigföltig beobachtet, und auf aeine Gründe 
zurückgeruhrt werden. 



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— X81 — 



Die Familieogeechichte der Dynastenbäuser wird vollständig 
m behandeln sein: es sind Geschlechtsta^Bln der Dynasten&milien 
anfisnstellea tmd zu. erweisen. 

An diese Familiengescliiehte wird sich tSa sSehrisches, ans 
den Urkunden, den Gmbstdnen und den Schriftatellem gesam- 
meltes Namenlmdi annisdilieBen haben, das £e Menschen- nnd 
die Ortsnamen gesondert, aber unter steten Verweisangen, behan- 
delt Die TOibandenen Flnrkarten mUssen alle gcographiseheii 
Kamen anch kleinster Theile des Landes in dies Namenbneh ab- 
geben. Ausdrücklich müssen die Lehren gezogen werden, welche 
sich aus diesem Namenbuche für die Reliprion und die Verfassung 
der noch nicht chrit^tlichcn Sachsen, wie flir die Grammatik und 
die Lexikographie des sächsischeu Dialekts und der deutschen 
Sprache ergeben. 

Nothwendig ist, die Geschichte der Kirchen und der Klöster 
besonders ssu geben, wobei die Heiligen zu verzeichnen sind, denen 
die Kirchen und die Klöster gewidmet oder anbefohlen waren. Es 
■wird sich dabei viel füx die Mythologie und die Theologie Wich- 
tiges feststellen lassen , das nur ans dner nicht tiberhasteten In- 
dnction aUer dnieihien Fülle festgestellt werden darf. 

Eng mit der Geschichte der Dynastenüunilien mid der der 
Kirchen tmd Klitoter verbunden ist die Geschichte der s&chnschen 
Kunst, sowobl die der Banknnst, als die der Malerei tmd in sehr 
seltenen Fidlen die der Bculptur. Eine tbonBehst vollstlndige 
liste aller alten Baulichkeiten des Sachsenlandes mnfi zeigen, wann 
diese Baulichkeiten aufgeführt, in welchem Stile sie gehalten, in 
welchem andern Stile sie etwa umgeändert worden sind. 

Ich erwarte weiter eine Geschichte der aus Sachsen in die 
ostlich von Sachsen liegenden Slavenländer gegangenen Kolonien 
zu erhalten. Für dieselbe wird das "Wandern sächsischer Orts- 
namen von größester Bedeutung sein. Ich empfehle, stets zu cr- 
wilgen, ob die rechts der Elbe muihmaßlich von ausgewanderten 
Sachsen angelegten Ortschaften so liegen, daß sie ihre Haupt- 
▼ertheidigungslinie nach Osten kehren, und zu ermitteln, ob die 
Lagenmg der Hänser nnd BüiSd gegen einander in den Marken, 
in Mecklenlraig nnd Pommern den Gewohnhdten der alten Sachsen 
entspricht oder nicht 



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— 182 — 



Eine vollständige Sammlung der attdiaiaGhen Münzen wird 

m sicheren Nachbilduiif^cu vorzulegen und zu erläutern sein. 

llej^osd'ii dos lli;rz();jjtliiiius Sachsen, seiner Dymisteiifumilien, 
seiuer Bischöfe luul Achte haben die von mir anbefohlene Arbeit 
abzuschließen. 

Ich hcaut'truge die königliche (jiescllschaft [Akademie] der 
Wissenschaften, bis zum ersten December 1887 in ihren Nach- 
richten der gelehrten Welt Kenntnis von dieser meiner For- 
derung zu geben , imd sehe ihren Vorschlägen und Berichten, 
welche letztere alle Jahre mindestens Einmal zu erstatten sind, 
entgegen. 

Zu gleicher Zdt ermächtige ich die königliche Gesellschaft 
[Akademie] der Wissensdiaften, alle auf die von mir ihr aa%e^ 
tragenen Arheiten bezüglichen Abhandlungen auch solcher Yer- 
{Seuwcar, die ihr als Mitglieder oder Korrespondenten nicht angehören, 
unter Zahlung des üblichen Honorars in ihre Abhandlungen auf' 
zunehmen, und das Honorar selbst auf die von mir ftir die Ge- 
schichte des Herzogthums Sachsen bewilligten Summen anzuweisen. 



Ich gUiubc nicht verschweigen zu dürfen , daß ein zweites 
Gutachten im November 1888 von Seiten des königlichen Cultus- 
roinisteriums gefordert und zu Anfang des Jahres 1889 von La* 
garde ausgearbeitet worden ist 

Die Mittheilung dieses anderen Gutachtens und seines Ge- 
schicks eignet sich nicht für diese Stelle. Es finden sich jedoch 
in ihm einzelne Abschmtto von allgmtinerem Jbiteresse, die zu- 
gleich gewissermaliten die früher gemachten Vorschläge ergänzen, 
und ich möchte es xböx nicht versagen, diese wenigen Absdmitte 
luer noch zur Kenntnis zn bringen. Ich darf mit Sicherhdt vor- 
aussetzen, damit den Wünschen der Freunde zu entsprechen, ob- 
wohl rfe mit mir bedanmi werden, daß nun meine Aufzeichnungen 
nicht mit einem Ganzen, sondern mit Bruchstücken abschließen. 



1 

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Die königliche Gfesellschaft der Wissenschaflien 

in Göttiiigeu betreffend. 

Ein zweites und letztes Gutachten. 

Die königliche Gksellscliaft oder (wie äe aofilogHeh hiefl) 
Sodeült der Wisaeiifldiaften zu Göttingen ist auf 9ioß Yon den 
Oberappellationnatlie Günther von Biinau in Celle gegebene An« 
regung Tom Könige Geoig dem Zweiten von England ab Kur- 
fürsten von HannoTer am 33. Febmar 1751 gestiftet worden. Es 
gesdiah dies durch dne von GAyMtinchhauaen als Mitgliede des 
gehehnen Batbs gezdchnete Oabinetsordre : was sich an diesen 
Ursprung;;' der Gesell.schat't tiir Rcclitelulgeu knüpfen, vcnuag ich 
ab NichtJurist niclit /u iilicrsdicii. 

AVelche Absicliten niun bei Gründunp^ der ^edaclitcu CJesell- 
scliaft liog(c, wird von einem lierulnnten I.olirer des Staatsrechts, 
JohStephPütter, in seinem Versuche einer academi.schen Gelehrten- 
Geschichte von der Georg -Augustus- Uni vcrsitut zu Göttiugen 
1765 1 250 ff. folgeodennafien snaammeDgeliAftt: 

Da der Hauptzweck einer Universität nicht sowohl auf neue Er- 
findungen, als auf einen vollständigen und gründlichen Unterricht 
in allen Theilen der Gelehrsamkeit gerichtet ist; so sind andere 
gelehrte Gesellschaften, die hinwiederum nicht den Unterricht, 
sondern die Rereiiiieruni,' der Wissenschaften mit neu entdeckten 
Wahrheiten zum Gegenstaude haheu , an sich davon sehr unter- 
schieden; und an ^eser letzteren Gattung gehören die in neueren 
Zeiten hauptsächlich an Icöaiglichen Höfen errichtete sogenannte 
Societftten der Wissenschaften, die sich insonderheit die Erweite- 
rung derer Kenntnisse, welche auler der Religion und Rechts- 
gelehrsamkeit in Ansehung des ganzen mmschlichcn Geschlechts 
von allgemeinem Nutzen sind, zur vereinigten Beschäfftigung gc- 
wehlt haben. Wenn inzwischen eine Universität mit einer solchen 
Anzahl Lehrer besetzt ist, daß ein jeder sich nur auf einzelne 
Theile der Gelehrsamkeit einschränken darf, und daß er außer 
denen Stunden, die er zum Unterrichte anwenden muß, noch Zeit 



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— 184 — 

enpftrai kann, in deaeDjeuigen WimenicluftoD, die er «iiderB vor* 
mtragen k«t, sefaie eigene Eintiditeii sa erweiteni; so Icönnen 
mit einer tolclien üniveraität gtr füglich mehrere gelehrte Ge- 
sellschaften, die noch weiter, als anf dm Unterricht der Jugend 

gehen, verbanden werden. In solcher Bctrnchtung ist von weyland 
König Georg dem Zweiten unterm 23 Februar 1751 die König- 
liche Socictät der Wissenschaften zn Güttingen gestiftet worden. 

ICr sditint in meinem Zosammenhange wenig auf die klei- 
neren und größereu Schwankungen anzukommen, denen die (Je- 
seUschaft unterworfen gewesen ist 

Zur Zdt wird die Gesellschaft nicht mehr von einem Prft- 
sidenten (der erste Prämdent war Albrecht von Haller), sondern 
von einem ständigen SecretSr geldtet, der von der Begiemng er- 
nannt wird. 



Ich habe 18S5. (und im Januar 1887) Niemanden in Zwdfel 

darüber gelassen, daß Enväf^mgen der Politik es gewesen sind, 
die mich zu meinem Antrage auf Reorganisation der Göttinger 
Gesellschaft der Wissenscliaften bewogen ]ia})en : ich wandte mich 
mit diesem Antrage an den „vorausschuuenden und sorgenden 
Staatsmann". Wenn nicht die Presse aller Pai-teien ausdrücklich 
angewiesen worden wäre, raeine deutschen Schriften tot zu schwei- 
gen, so würde aus der Gesammtausgabe dieser Schriften 355 fif. 
haben 188G bekannt werden können, was in einem ^ten Drucke 
schon im Februar 1881 vorgelegt worden ist 

Die Provinz Hannover ist innerlich dem preußischen Staate 
und dem deutsdien Beiche noch nicht gewonnen, da allerdings 
dnerseits diigenigen, denen Preußen Geldverdienst gebracht hat, 
andereneits alle Liberalen den neuen Zuständen anhangen, hin- 
gegen der — überwiegend kldne und arme, und gerade darum 
gefährliche — Adel, wie die Geistlichkeit unsicher ist, das Volk 
nur der Macht folgt: die Söhne des hannoverischen Adels werden 
noch nicht, oder doch nur selten, Offiziere. Die theologische Fa- 
kultät in Göttingen leitet die Geistlichkeit, die in der Provinz 
Hannover noch immer eine Fülirerin des platten Landes ist, nicht 



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— 185 — 



kl das Lager der Wissenschaft, der Kirche und des Vaterlandes, 
sondern in die Gemeinschaft eines Liberalismus, der sieh gesta tt e t , 
die IStnigischeii JToniielii der Kirche — man sollte äe als Ge- 
fkfie ftr neues Leben verwenden — im Sinne der aeitweilSgen 
Wortttihrer jener FakidtSt, d. h. im ^iaaa» der lor Zeit im Ab- 
sterben begrilfenen Epgoneuphiloaopbie, ansnüegen. Es emplbbl 
vid empfiehlt sieh daher, die Provinz, in der das WeHSmhans 
stark abgefibrbt hat, in «nge Bedehuig m andern ProTinsen sn 
bringen. Dies ^schähe meines Erachtens am besten dadurch, 
daß, wie man in ihre Hauptstadt eine Klriegs- und eine Reit- 
schule, ein sehr correct im Weltbnschlosse untergebrachtes Poly- 
teclmicum und sonstige Anstalten gelegt hat, so in ilire Univer- 
sität ein Institut legte, das mit nicht-hannoverischen Landschaften 
in der Verbindung geistiger Arbeit vereinigt, durch diese Ver- 
bindung die zu dereinstigen Leitern des Volkes berufenen besten, 
und als solche in ihrer engeren Heimath zum Führen bestimmten 
Söhne dar FroYins allgemach Über das Vorhandensein und dm 
Btichthmn nicht-weift-gelber Seelen belehrte. In Göttingen mnft 
Zuglnft gemacht werden. 

Bas Königreich Breoften Ulnft Gefofar, einer Centralisation 
m Tei&Ilen, die nm so gefidulieher ist, als Berlin dnreh seine 
ftberans günstige Iiage «nf der Krensong der swischen London, 
Paris, Born dner- vnd Peterslmig, Kopenhagen, Stockholm ande* 
reraeits laufenden Straftenzüge anch ftr nicht materiell gesinnte 
Menschen verlockend wirken muß, als sicher die Wünsche aller 
Streber, aller verdienen und genießen Wollenden sich mehr und 
mehr nach Berlin richten werden. Es empfahl und empfiehlt sich, 
Preußen aus einem Kreise zu einer Ellipse zu machen, in der 
es nicht Einen Älittelpunkt, sondern zwei Brennpunkte, und zwar 
mindestens Einen Brennpunkt streng idealen, der Herrschsucht 
uid der Selbstbespiegelung der Berliner Gelehrten entg^en wie- 
genden Lebens gibt. Ereilich muß es wirkliches Leben, nicht 
der Schein eines Lebens, es mnft eine Htimatfa, nicht ein goldener 
Kiffig sein, ans dem die in üm geeetsten Vögel gerne ab und sn 
Sur ^holnqg anf die nXdisfeen Dftcher fliegen. Ein Washington 
neben NewToik. 

Die Bedlner Akademie und IMveKsitilt sind gani nngesncht 



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— 186 



zu Beratherinnen der Begiening in allen irgendwie mit der Wia- 
senschaft zusammenTiangenden Angelegenheiten geworden. Da ntm 
aber Berlin durchaus nicht nur erste Kräfte, und dnidwos nicht 
nur rdne Willen in seinen Manem lählt, ist die von Beriiner 
Gelehrten berathene. Regierung häufiger als sie denkt, zu fidscher 
Werthung von Personen, vnd ni unrichtiger Behandlung vom 6e- 
8ch8fien veranlaftt worden. Es schien und scheint mir geboten, 
^e mit der Berliner Akademie — ich sage nidit: TJniveiriült — 
gldchwerthige und gleichgewerthete Akademie in der Provin« zu 
haben, deren Gutachten neben dem der Schwester gehört werden 
kann — und muß — , damit „aus zweier Zeugen Munde die 
Wahrheit kund werde". 

Für mich war und ist daj? Maßfrehendc : Eine Akademie in 
den alt-Preußischen, Eine in den ucu-Preußischcn Landen, denen 
alle kleinen nordwestdeutschen Staaten, wie auch Mecklenbuig, 
angeschlossen werden, also Eiue Akademie in NordOst-, eine an- 
dere in NordWestDeutschland: die neue Akademie in Göttingen 
eine solche, die schwere Arbdt Ihut, und an der Arbeit ihre 
Hitglieder, wie die Sdhne der ihr als Beru&feld zugewiesenen Pro- 
vinzen, mit Idebe ftr die Yeigangenhdt, mit Kraft und Yeratlndnis 
für die Zukunft erfüllt, die ndthin schult^ ersieht, einigi 

Fflr mich könnte diese neue Akademie an sich liegen wo 
sie wollte: da Güttingen und die Provinz Hannover vor anderen 
Orten und Provinzen der Hülfe zum Leben bedarf da Güttingen 
eine Gesellschaft der Wissenschaften besitzt, die nur er\s'eitert zu 
werden braucht, da Güttingen so h'idlich im Mittelpunkte zwischen 
Rostock, Kiel, Bonn, Marburir, Giclien, Münster liegt, so lege ich 
die neue Akademie nach Göttingen. 

Für mich war und ist Göttingen so wenig die Krone der 
Universitäten, daß ich vielmehr dadurch, daß ich seine besten 
Männer mit den besten Mänuem anderer nordwestdeutschen Uni- 
versitäten und Bildungsstätten in Verbindung brachte, Göttingen 
von sidi selbst befreien wollte. 

HGr galt es nicht, das blind gewordene Juwel der Weifen- 
krone au£Bupolieren (Männer brauchen keine Juwelen), sondern 
ein wann schlagendes Herz in der Provinz Hannover zu schaffen, 
das in alle Adern dieser Pro\dnz kräftiges Blut hineintriebe, und 



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es aus ihnen wieder znrückniUiine, d. h. es galt f&nm Lebens- 
nüttelpaiikt fiir die zum Fohren, Eniehen, Berathen bestimmten 
Elemente der Provinz Hannorer herzustellen. Ich wollte der 
Akademie wdtaussehendei an Alteresse und Hflhe rticfae Arbdten, 
überwiegend gescbiehtiicbe Arbeiten der Art zuwdsen, wdehe die 
Akademiker zwänge, Pfarrer, Studenten, alle Welt in der Pro^nz 
Hannover zu MitarLeitern zu nehmen. Wer liiufurt an Güttingen 
daclite, sollte nicht an ]^i(_rkön5greichc, Kalerfrülistückc und Dumme- 
Jungenstreiche, .sondern an eine Sonue denken, die seiner Seele 
Licht und Wärme gespendet habe. 

Ich wollte das erreichen, indem ich der Uuiverntät Göttingen 
lebendige Mcn.schen zuführte, so unllannovcrische , so unGöttin- 
gjsche Menschen wie möglich, da die Hannoverischen, Göttingi- 
schen Menschen bewirkt haben, daß die einst berühmte Greoigia- 
Aug^ta au%etroduiet ist, wie Hoos an der Sonne. 

Ich wollte das erreichen, indem ich Göttingen mit anderen 
Univerätftten zur Arbdt, zu ganz großer, idealer Arbdt verband. 

Idi hatte mir gedacht, die Hegierung solle die philosophi' 
sehen Fakultäten aller preußischen TTniverBitäten , Münster und 
Braunsberg eingeschlos.sen , beauftragen , Sectionenweise — jede 
Section für sich, uutur sti*engster Verschwiegenheit über ihre Be- 
schlüsse — ilir diejenigen Gelehrten XordAVcstDcutschlauds zu 
nennen, die ihr auf den von der Scction bearbeiteten AVissen- 
schatbgebietea die gescliicktesten, fleißigsten, bahnbrechendsten 
Arbeiter scheinen. 

Ich hatte nn'r gedacht (denn die Jugend hat noch Ideale, 
und ihr gehört die Zukunft), die Extraordinarien und Privatdo- 
centen dieser Fakultäten sollten » eben£Uls unter strengster Ver- 
schwiegenheit über die Besdiltisse ihrer Sectionen — ebenso vo- 
tieren. Biet war das Amtqgehdnmis noch dichter zu verwahren, 
damit ja nicht die jungen Männer aus Feigheit und Wellklugheit 
die Ordinarien ihrer Fakultäten zu nennen sich bewogen filnden, 
falls — nach ihrem UriJieile — diese Ordinarien xdcht viiklich 
taugten. 

Aus den so gewonnenen Listen würde der Minister höchstens 
fünfzehn Göttinger (die den IVlittelpimkt fiir die Abwickelung der 
Geschäfte abgeben müßten) und höchstens 25 KichtGöttinger (Nord- 



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— 188 



WestDeutache, SchleswigHolstdner, Mecklenburger) wählen, die in 
die neue Akademie zu berufen wären. Der Minister wäre, g-laube 
ich, durch die erwähnten Abstimmungen — vorau^gesetst, daA die- 
selben in tiefster Verschwiegenheit, und mit höchstem Ernste aiis- 
gefiihrt worden wSren — gegen Fehlgiiffis leidlich' gasditttst gewesen. 

Welchem Fache die Akademiker angehörten, htttte mir gleich- 
gültig geschienen, wenn es nnr ein Fach wäre, das grofte Ar- 
heiten, ganz grolle Studien snBefte, nnd womSgUeh aar Zeit fin^ 
derte. Allgemach hatte dann die Akademie durch die in ihren 
Hunden liegenden Nachwahlen rieh regelrecht erglbuBen kSnnen: 
heste Männer wären so ihre ersten Mitglieder geworden, und das 
Weitere wiüde sich aus reinsten Ucrzen und hellsten Köpfen her- 
aus entwickelt haben. 

Unter drei Beclingungcu hätte es das gethan. So oft es sich 
um eine Rcor^'^aiiisution handelt, kommt es erstens auf einen ener- 
gischen, unbedingt selbstlosen und zuverlässigen Willen eines nie- 
mals käuflichen Mannes an, der die Reorganisation durchfuhrt: 
zweitens auf einen klaren Plan fiir die Arbeiten, der in diesem 
Falle erst nach den Wahlen hätte gefaßt werden dfirfen: drittens 
auf ein reichliches, leicht m beschaffendes Arbeitsmaterial, an 
dem der sur Weiteif&hmng der begonnenen Werke brandibaie 
Nachwuchs von Arbeitern erzenen werden kann. 



Eine Akademie, die mit der Berliner Akademie in Wettbe- 
werb träte, müßte Arbeiten vornehmen, wie ich sie 1885 skizziert 
habe: unsere Gesellschaft kann vor 1900 nichts Anderes betrei- 
ben, als die Geschichtsclireibun^z: des alten Sachsenlandes, dessen 
dritte Dynastie die Universitäten Helmstedt und Göttingen ge- 
gründet hat. Ich gebe unten den Entwurf, den ich am 7. Juli 
1887 dem Herrn Minister vorgelegt habe, unverändert wieder. 

Jeder Geistliche, jeder Bauer- und Büigemieister, jeder Feld- 
messer, jeder Förster, jeder Gnmdbnchrichter wSre Hitarbeiter an 
diesem Werke. Ich wfirde auch in der Ordnuiig finden, geschicto 



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— 189 — 

* 

Reisende chnch das Land sieben zu heiften, weldie rieh etkmidi- 
gen, welche TheÜnahme weeken, welche anüaiiem — wenn es 
dasa hianchbara Mtuner gibe — : ich wflide die Saperintendenten 
und Dekane, die Direktoren der Gerldhtef die Fhotographen nnd 

die Fürster interessieren, und Alles thun, die Geschichte Sachsens 
dem Volke ans Herz zu legen. 

Mir genügen 6000 Mark im Jalire zur Bestreitung der Kosten, 
welche die Bearbeitung der von mir vorgesclilagenen Preisaufgabe 
bis zum Jahre 1900 mit sich fuhren wird: besondere Bewilli- 
gangen können ja immer noch erbeten werden, falls sie nothwendig 
s^ sollton. Qtam besonders Gelehrten gegenüber ist der Sprach 
xue sa yeigeasen: 

Ifit Vielein konuat man ans, 
mit Wenigem bUt man Hans. 

Ptoftasor Wdland wUrde meines Erachtens der Hann sein, dieses 
Weii^ m otgaidderen. Dasselbe wSre allerdings in dem Augen- 
blicke tot, in welchem seine Hitarbdter als politische Agenten 
anftrXten : I4ebe snr Geschichte des alten Sachsenlandes, das allein 
ist es, wotanf es ankommt 



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■pnniiiii 

3 2044 019 012 327 . 



This book should be teturned to 
the Library on or before the last date 
stamped below. 

A flne of flve cents a day is incurred 
by retaining it beyond the specifled 
time. 

Flease return promptly. 




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