DEUTSCHE
GEOGRAPHISCHE
BLÄTTER
Digitized by Google
Deutsehe
Henubjjvgulien von der
Geograpliiiclteii Gesellscliaft la Brefflei
dorch Dr. M . Lmdeman.
Baad VIL
Meie Folge der Mitteilnngeii des froheren Vereins für die
deutsche Nordpolarfahrt.
BRBMBN.
Komnii&Mons - Verlag von G. A. v. Haleui.
1884*
Digitized by Google
Grössere Aufsätze: s«tte
1. EThi)ulo;:i>rhe Beitni^c: :i. Zur EotwickelongBgescbichte der Familie.
Von Dr. Al»> Herrn. Post 1'
2. Die Erforschung <U-s Yukon-Gcbiet.s (S(unin( r 1SS:5 . Von F. s. huatka.
1. Von der Chilkoot-Bncht bis Fort .Selkirk. Mit Originul-Huutenkarte
nnd einem Lichtdruckbild. Vorwort von Dr. A. Rranse 16"
5. Ein Besach in den portugiesichen Kolonien Südwestafrikas (Sommer
1883). Von Dr. A. von Danckelman. 1. Reisen in MoftB&medes.
2. Hompatah nnd der Zng der Boers ans Transvaal dahin. Mit
Rontenskizze Sl**
4. Aus 8üdanierika: Der Indianerstnmm der Chiriguanos, NachA. Thouar 62'
ä. Mitteilung von der russischen Polarstatioii an der Lena-Mündung ... 74
6. Politisrlif, .soziale un<l wirtsi haftliche Zustände in der Negerrepublik
Liberia Nach J. Büttikofer 81
7. Die Insel Süd-Georgien. Mitteilungen vun der deutschen i'ular.station
daselbst 1882^ 113—161
1. Reise nach Sftd-Qeorgien. Von E.- MosthafiT 118
2. Das Exknisioni^biet der dentschen Pohurstation anf Süd-
Georgien, in geographischer, floristischer nnd fiinnistischer Be-
ziehung. Von Dr. Hermann Will IKJ
.'{. Leben und Arbeiten in der Station. Von K. Mosthaff 144
4. Besteigung dos grofsen Gletschers in der Royal -Bai. Von
E. Mosthaff. (.Mit einem LichtdruckbildJ 147
ö. Kückreise. Von deni.selben 150
8. Die Käste Labradors und ihre Bewohner. Von Dr. K. R. Roch löl'
9. Die Erforsehong des Tnkon-Gebiets (Sommer 1883). Von F. Schwatka.
2. Von Fort Selkirk bis xnm alten Fort Ynkon. Mit Original-Ronten-
karte 163
10. Die fi :(ii/r>si.schc Polarstation bei Kap Horn. Vorlftnfig^ Berichte von
Dr liyades und Dr. Unlin 170
11. Vom vi<'rten deut.sdx n Geographeutage in München. Bemerkongen
und Eindrücke. Von Dr. A. Oppel 183
12. Nf^H'^te Nachrichten vom f'ongo. (Mit einer lithographischen Ab-
bildung) im
13. Patagonien nnd seine Besiedlnng. Von A. Yon Seelstrang 221''
14. Eine Expedition aar Angara 1883» nebst 2 Karten. Von R. Haneberg S62 '
15. Reise nach dem Orofsen See (Tai-hn) bei Sn-chon. Von Dr. F. Hirth. 276
16. Die russische Polarstation an der Lena-Milndang. Von Dr. A. Bnnge,
mit Siinationsplan der Station 287
17. Volksi^tämmc am Congo. Eine sociologische Stodie Ton R. C. Phillips
in Ponto de Lenha 313-^
18. I)ie l ferlandschaften des argentinischen Chaco. Von A. v. Seelsirang
in Cordoba 361
ly. Die deutsche P'orschungs reise durch Südamerika 1884. Auszüge aus
Tsgebachem von MitgUedem der Expedition 381
SD. Niederl&ndische und deutsche Plantagen an der Ostkftste von
Snmatim. Nach niederlftndischen Quellen von R. A L 804^
^ y i^Lo l y Google
Kleinere Mitteilungen:
1. Auh dor giuplnsc hon Gesellschaft in Breiueii. 88, 19*?. 2i>5. 41B,
2. Handel uud Wandel in NiedeilänUisch-Iudien. 88. 3. Deut&che Uaiidels-
h&nser an der WeatkOste von ADrik«. 90. Die Henrietta-Insfll, 90. 5. Ana
Chiafty 98. 6. Di« ScHiiMbÜtteii der Eskimos, 96. 7. Binnenla&dsmndemngeii
auf der Süd-Insel von Nowaja-Semlja, 96. 8. K&ngani'Jfagden in Victoria, 101.
9. Vom Congo, 102. 10. Anierikanische Eisenhahnen. 10.3. 11 Die briti-
schen Niederlassungen in der ^'t^a^se von Malakka. 103. 12. Die Entwickelung
der Kartographie im Norden Kuropas, 1(>4. 18. Aufsuchung I.entnant
Oreelys, iDf). 14. Professor Iloinrich Berjihaus v. Iilfi 15. Stejnegers
Foi-schun;ien in Kamtschatka und den r'omniander-Iubeln. KMi. U). Geof^ra-
phisclie Litteratur, K«, 3Ü7, 421. 17. Dr. Behm j, 18. U^jauda.. 198.
19. Das afrikanische Binnenmeer, 2(X). 20. Liberia, 20B. 21. Nene Kaiten
▼on Afrika. 2M. 22. Die Deutschen in den Vereinigten Staaten, 205. 23.
Montevideo, 207. 24. Formosa, 209. 26. Hongkong, 212. 26. Polarregionen,
213, 2f)7, 27. Lcunis SynopsLs, 217. 28. Diorcke?^ Schulatlas, 218. 29. Von
der Qoldküste, mi :)() Eishöhion und Eislöcher, 3(M. Hl. Neue Nachrichten
^ von den Bonin-liiscln. ;j<>2. '.\2. Die Ruinen von Grofs-Friedrichsbur';. •
,38. Deuts( Iii' Foisrhungsrcise in Brasilien, 8üö. 84. Knpferbergbau in Klcin-
'Namatjualand. 8."). Die Ba.stlor Mission an der Goldküsfc, 418. 8ti. West-
afrikanischer Handel. 419. 37. Auk Argentinien, 42t). 88. Ethnologische
Reisen, 420.
Anlagen :
1. Vll. Jahresberic lit des Vorstandes der Geographibchen Gesellst italt in
Bremen, erstattet im^ärz 1884.
2. Katalog der argentiniscWi Anaatellung, veranstaltet von der Qeograpliischen
OesellBchaft in Bremen im Tivolisaale. Mai-Juni 1864. {BO B.) Mit einer
Uebersiehtskarte von Argentinien.
Karten, Plan und Ansichten:
Tafel I: Original-Rontonkarte einer Militäroxpedition im Jahre IS^? unter
Kommandant Frcmierlpuf nant F. >Sch\\atka: Ton ( hilkoof - lidcf in
Alaska bis Fort St-ikuk, von ('. A. Homann Matsstah 1 : 1 IT.ölKH).
^ jC, Tafel II: Routeuskizze des Dr. v. Itanckeluian in Mussämedes und des
Wandenrogn der Boers vom Transvaal nach dem Cunene-Gebiet
Tafel m : Teil II der Original-Boatenkarte einer Milit&rexpedition im Jahre 1883
nntar dem Kommando des Premierleutnants F. Schwatka: von Fort
Selkirk, B. C, bis Fort Yukon, Alaska, von C. A. Homann. MaTs-
Stab 1 : 1 175000.
V Tafel IV: Das Jenissej-Oebict. Mafsstnb 1 : 1(> (KK)()(K).
Tafel V: Der Angara-Fluls in Sibirien von Bratski Ostrog bis lUra. Mals-
stab 1:475 (XX); mit 2 Kartons: Pochmelm-i'orog. Mafsstab IrKi.VX)
und: Paduuski Porog, MaHsstab 1:31000. Von K. Huncberg, nach
seinen Aufnahmen 1883.
Sitoationiplan der nuaischen Polarstation an dar Lena-Mfladong im Text S. 289
•-^ Idchtdrockbfld naeh Photographie, Miles Gallon, obeiar Tnkon, Alaska, m S. 28
y Licibtdnickbild nach Originalaeichnnng des Ingenieurs Mosthaff: Grober
Gletscher in der Royal-Bai, Süd-Georgien tu S. 148
Der Kongodampfer Stanley, Transport und Fahrt in S. 194
Digitized by Google
Digitized by Google
Deutsche
< GeograpMsclie ßlätter.
Herausgegeben von der
Geographisohea Gesellschaft in Bremen.
Blitfflga vnd sonstige Sendungen an die Redaktion werden nnttir dc" 'JiAtftU^»
Dt. M. Lindeinau, Bremen, Mendestrasse S, erbeten/
Der Abdrack der Original -Aufsatze dieser Zeitschrift jst uuu.jiach..
Verständigung mit der Redaktion gestattete*. -.•".'*,:'
Zur EntwtokiungsgeschiGhte der Familie.
Von Dr. Alb. üerm. Fust.
Die mAtriarebaliMhe Familie als Urfamilie. Uebergang derselben zur patri«
•MhallMhien. Fraaenranb nnd Brantkauf. Kreazheiraten and Exogamie. Entwicklungrt-
geschieht« der Rechtesabjektiviut der Weiber. Entwicklungsgeschichte der Muud-
Schaft. Desgleicben des Yerm&genarechts. Die Familie der Uneit als Friedena-
gtWMMiiMluift. Di« BlntnwlM vad ihr allmIhlidiMr Untercnf. AaHBrang dar
OwtMtctUrvwftimiog im Stttta^
Unsere heutige Familie ist der letzte Rest einer Organisation,
wddie dereinst das ganse soziale Leben der Menschheit umfafste.
Es hat einmal eine Zeit gegeben, in welcher die Menschheit ein
staatliches Leben überhaupt nicht kannte, in welcher die Staats-
verfassung durch eine Geschlechterverfasbung ersetzt wurde; und
noch heutzutage sind es nur die höher kultivierten Völker, welche
eine staatliche Orpanisationsform entwickelt haben, während die so-
genannten Naturvölker in gröfserer oder geringerer Reinheit die
ursprüngliche Verfassung bewahrt haben. Die Entwicklungsgeschichte
jedes höher kultivierten Volkes setzt sich im wesentlichen zusammen
ans dem Zerfall der urspranglichen Geschlechterverfassung und dem
allmfthlichen Anfbau einer gaugenossenschaftlichen und staatlichen
Organisation.
Reste der Geschlechterverfassung waren schon seit langer Zeit
aneh bei den KnltunrOlkefn Europas bekannt Aber diese Reste
waren so unbedeutend, dafs man sich ein klares Bild der Gesamt-
organisatiou, welcher sie dereinst anjjehört hatten, nicht machen
konnte. Sie blieben unverstandene und unverständliche Kuriositäten.
Durch die ethnologischen Forschungen, welche die Geschlechter-
Verfassungen der Naturvölker zu ihrem Ge<^enstande j^eniacht haben,
i.st es jetzt jedoch gelungen, helles Licht auf jene Bildungen zu
werfen, welche bislang im Schatten grauer Vorzeit ein gespenstiges
Dasein fahrten. £s ist durch die ethnologische Erforschung des
uiyiiizüd by Google
Familienlebens tief stehender Völkerschaften mdglich geworden, eine
Entwicklungsgeschichte der Familie, des Geschlechts und seiner Ver-
fassung, wenigstens in einigen Grunilzügen zu erschliefsen, und diese
Entwicklungsgeschichte ist eine so seltsame und überraschende, dals
es wohl gerechtfertigt erscheint, aucli die Blicke weiterer Kieibe
auf dieselbe hinzuleiten.
Bisher glaubte man in iiiuer Familie, welclu' iniserer heutigen
• jn deji.-^YQSQjillfchsten Grundzügen ziemlich ahnlich sah, in der soge-
' nauAten piitrmrchalischeu Familie, die soziale rrluldung sehen zu
jl^k^B; :ai^.';wercher sich allmählich der Staat entwickelt habe,
biese sog'enannte patriarchalische Familie war die ursprünglichste
Form, welche man bei den arischen Völkern auf historischem Wege
nachweisen konnte, und selbst die indogermanische Sprachforschung
gelangte nicht Uber dieselbe hinaus. Zudem bot die Familien-
organisation aller höheren Kulturvölker vollständige Analogien. Die
semitischen und mongolisch-tatarischen Völker, die Chinesen, viele
malaische Völker, selbst Afrikaner, wie die Hottentotten und Kaffern,
zeigten ahnliche Organisationsformeu. Es war daher nichts natür-
licher als die Annahme, dals die patriarchalische Familie die ursprüng-
liche Form des menschlichen Familienlebens und die letzte btamiu-
mutter unserer heutigen Familie sei.
Diese Annahme kann jetzt als vollständig beseitigt angesehen
werden. Die Familie der Urzeit, aus welcher unsere heutige Familie
entstanden ist, war ein vollständig anderes Gebilde wie unsere
heutige, und auch ein vollständig anderes Gebilde wie die patriarcha-
lische Familie.
Dies soll jetzt nach den einzelnen Seiten des Familienlebens
naher dargelegt und zugleich nachgewiesen werden, wie die Ent-
wicklung der Familie sich im einzelnen gestaltet hat.
Unsere heutige Familie beruht auf der Annahme einer Ver-
wandtschaft des Kindes sowohl mit seinem Vater als aui-h mit seiner
Mutter. Die biologische Thatsache, dal's das Kind ein Proilukt zweier
Individuen verschiedeneu Geschlechts ist, hndet auch nach der sozialen
Seite hin ihre .Vnerkennung. Die patriarchalische Familie, aus
welcher sicli ül>erall unsere heutige Familie unnultelbar entwickelt
hat, kennt dagegen nur eine Verwandtschaft des Kindes mit seinem
Vater und den v&terlichen Verwandten, während das Kind mit seiner
Mutter und seinen mütterlichen Verwandten überall nicht als ver-
wandt gilt.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist aber auch dieses Verwandt-
schaftssystem nirgendwo auf der Erde das ursprüngliche, sondern es
geht ihm überall ein anderes voraus, nach welchem das Kind ledig-
Digitized by Google
_ 3 —
lieh mit seiner Mutter und seinen mütterlicheu Verwandten, nicht
aber rmi seinem Vater und seinen väterlichen Verwandten als ver-
wandt gilt. Und selbst diese matriarchalische Familie scheint nicht
die primitive Bildung zu sein, sondern es geht ihr yielleicht eine
noch nrtflmlichere voraus, nämlich eine Form des Familienlebens,
bei welcher die Geschlechter endogen und ohne individnelle Ehe
leben and die Kinder lediglich als Hordenkinder angesehen werden,
eine Form, bei welcher es irgend ein Verwandtschaftssystem über-
haupt nicht giebt, sondern die Verwandtschaft zusammenfällt mit
der Cieschlechtsansrehöri<j:keit. Es ist bekannt, dafs Beschreibungen
derartii^er Zustände l)ei tiefstehenden Stämmen sich bei manchen
Schrift>telleru des klassischen Altertums finden^) und auch heutzutage
ist ein Familienleben dieser Art noch nicht etwas unerhörtes. Von
den Orang Sakei in den Binnenlanden von Malakka, von den Be-
wohnern der Poggi-Inseln westlich von Sumatra, von den Lubus in
der Residentschaft Tapanuli auf Sumatra, von dem Dajakstamme
der Olo Ot auf Bomeo und andern DajatetAmmen, von den Berg-
bewohnern der Insel Peling östlich von Celebes liegen Nachrichten
vor, welche mit den von den Schriftstellern der Alten Uberlieferten
dnrchans korrespondieren*).
Die Frage, ob derartige Zustande ttberall auf der Erde der
matriarchalischen Familie vorausgegangen sind, soll hier nicht weiter
erörtert werden; es mag nur darauf hingewie>en werden, dafs sich
die matriarchalische Fainilic ans solchen Vorstadien auf die natür-
lichste Weise entwickeln konnte, da die Beziehungen des Kindes zur
Mutter bei einem endogenen ehelosen Leben die einzig sicheren
waren und ein Verwandtschaftssystem sich daher nur auf die Mutter-
schaft stützen konnte. So findet man denn auch in der That bei
völlig ehelos lebenden Völkerschaften bereits die Anschanung, dafs
die Kinder der Mutter gehören.
Sparen des Systems der Mutterverwandtschaft waren schon
lange bekannt; man wufste, dafs bei diesen und jenen Völkerschaften
nicht die Söhne, sondern die Schwestersöhne erbten und dafs Namen
nnd Stand nicht vom Vater, sondern von der Mutter auf das Kind
übergingen. Man betrachtete jedoch diese Krsiheinungeu als
Abnormitäten und erst langsam drang die Kiknintnis durch, dafs es
sich hier um ein urtümliches System handle, dessen Reste überall
auf der Erde anzutreüen seien.
0 fiaehofen, Du Motieneeht 1861. p. 10 sqq
") 0. A. Wükflii, Over de Terwanticbap en het hnwelqks'eii erfirecht bij
de volkeo van den indischen Archipel, Leiden. (Brill, 1883. p." 6).
1*
uiyiiiziüd by Google
liachofeii war der erste, welclier in sciiuMu l)orülimte!i lynche
-Das Miitterreclit'' ^) die liehaiiptintir aufstellte, es eine Periode
in der Menschheit ge;^eheii halte, in weichei' I-.niul der Verwandt-
schaft lediglich durch Weiber vermittelt sei. Seine I ntersnehnngen
beschrankten sich im wesentlichea auf Material, welches den Schrift-
stellern des khissischen Altertums entnommen war, und erst neuer-
dings in seinen antiquarischen Briefen*) hat er seine Forschungen
auf weitere Gebiete ausgedehnt und namentlich die merkwUrdi^e
auf MutterYerwandtschaft gegründete Familienorganisation der Najer
oder Nairs an der Malabarkfiste ausführlich bearbeitet Inzwischen
hatte die Ethnologie ein umfangreiches Material aber das Mutter-
recht herbelgeschaflft*) und in jüngster Zeit hat sich auch die engere
rechtshistorische Forschung dieses Stoffes bemächtigt.®)
Trotz dieses umfangreichen Materials war es doch nur ge-
lungen, einzelne Seiten des Mutterrechtsystems aufzuklaren, wahrend
die matriarchalische Gesannntoi ;iaiiisation immer noch in manchen
Beziehungen dunkel geblieben war. Auch dieser Mangel ist jedoch
in jüngster Zeit gehoben. Es ist die matriarchalische Familie in
ihrer vollen ursprünglichen Seltsamkeit gleichzeitig auf verschiedenen
Punkten der Erde aufgefunden, und wir habt n jetzt eine Bildung
lebendig vor Augen, welche bei den arischen Völkern in die graneste
Vorzeit zmUckzuverlegen ist
Die matriarchalische Familie ist nicht aberall gleichartig ent-
wickelt, aber sie hat charakteristische Eigentümlichkeiten, welche
sie von unserer heutigen und der patriarchalischen streng unter-
scheiden.
*) Dm Mntterrecht Eine Uniersachang ftber die Gyn&koknttie der alten
Welt naeh ihm religiösen nnd rechtUchen Natar. Stnttgiart 1861. Eine knne
Bearbeitung dieaee Werks lieferte A. Girand-Tenlon fils in seiner Schrift: la
mftie chez certains penples de Tantiquite. Paris— Leipaig 1867. Bachofen fQbrte
eetne Gedanken weiter aas in der Schrift: Die Sage von Tanaqnil. Eine Unter-
snchnng über den Oricntalismus in Rom und Italipn. Heidelberg 1870.
AntiquarisclH> Bi iofe vornehmlich zur Kenntnis der ältesten Verwandt-
schaftsbegi-iffe. Strassburg 1880.
*) Vor Allem sind hier zu nennen: Mc. Lennan. primitive uiarriage
(Edinbnrg 1865), neu abgedruckt in desselben Verfassers studies in ancient
hiatory London 1876, Girand-Tenlon, lee origines de la famille. QaestiottS anr
lea anttc^nta dea aoei^tte patriareales. QenAve— Faria 1874. Lewis H. Morgan,
Systems of consangninity and affinity in the hnman famfly (Smithson. con«
tribntions vol. XVII. "Washington 1871).
Dargun, Mutterrcclit nnd Raubehe und ilire Reste im goim. Recht und
Leben f Untersuch, zur deut.scheu Staats- und Rechtsgesrh., herausgeg. von
Gierk.' .\Vi ). Breslau 188^i. »J. A. Wilken, het matriarchaat by de onde Ara-
bit;rt;u. Amsterdam (de Bussy) 1884.
4
Digitized by Google
— 5 —
Hin paar Beispiele werden dies sofort klar maclien.
Bei den soy:enannten Meiianukabawschen Malaien in tWn Tadiing-
si hen ( )lterl;niden in Sumatra besteht die niatriarchalisdie Faniilien-
organisation noch heutzuta;4e, fast in vollstilndi^rer ürsprünglichkeit.
Der en^'ste Familienkreis, das sogenannte Sa-Maudei, besteht hier
lediglich aus ilcr Mutter mit ihren Kindern; der Vater gehört Dicht
dazu. Auch nach der Ehe bleibt der Mann in seiner Familie und
die Frau in der ihrigen. Das Haus, in welchem der Mann mit
^nen Br&dem und Schwestern lebt, ist auch nach dev Ehe seine
eigentliche Heimat, and die Fraa bleibt auch nach der Ehe in ihrer
Familie mit ihren Brttdem und Schwestern zusammen, und in diese
äre Familie fallen auch die in der Ehe mit ihrem Mann erzeugten
Kinder. Die Ehe hat also bei dieser Organisation ein dauerndes
Zusammenleben der Ehegatten nicht zur Folge, sondern nur Be-
suche des Mannes bei seiner Frau. Im Uehrigen bleibt der Mann
in der Familie, der er durch die Geburt angehört; dieser schuldet*
er vor Allem seinen Beistand ; dieser fällt auch sein Nachlafs zu.
Das Haupt der malaischen Familie ist in der Uegel der älteste
Bruder von der Mutterseite her, der Mamak, wie er genannt wird.
Dieser ist nach Rechten und Pdichten der eigentliche Vater der
Schwesterlunder. Der Mann hat für den Unterhalt von Frau und
Kindern nicht zu sorgen, sondern dafflr sorgt das Sa-Mandei, zu
dem die Mutter gehört Es dienen dazu die Gflter der Mutter-
familie, welche ein unTerftüfserliches Gesamteigentnm derselben
bilden.^) Es fehlt also bei dieser Organ^tion eine Vaterschaft in
unserem heutigen Sinne vollständig.
Ein anderes Beispiel einer matriurchaliscben Organisation bietet
«ler Indianerstamm der Wyandots.®) Die Stämme der Wyandots
zerfallen in Geschlechterverbände, Geschlechter und Familien. Die
Familien bewohnen ein gemeinsames Haus, und jede steht unter
einem weiblichen Oberhaupte. In jedem Geschlechte besteht ein
Rat, welcher sich aus vier Weibern zusammensetzt. Diese vier
Weiber wählen einen Häuptling des Geschlechts aus dessen männ-
lichen Mitgliedern, welcher alsdann dem Rat präsidiert. Die vier
Ratsweiber werden yon den Wmbem gewählt, die den einzelnen
Häusern vorstehen. In der Organisation der GeschlechterTerbftnde
treten bereits patriarchalische Momente zu Tage.
Charakteristisch filr jede matriarchalische Familienorganisation
^ Wilkcn, Over de Tmrantschap en bei hnwelijks- en erfir«dit bq d«
Volkan van het raaleische ras. Anisferdam (de Baesy) 1883. p. 24 sqq.
**) Powell, fint annaal report to the Bureau of Ethnology. WaahingtoB
im. p. 59 «qq.
Digitized by Google
ist, dafs die Kinder stets der Familie der Mutter, nicht der des
Vaters aiigehoren. Namen, Stand, Würde. Vermögen vererben sich
lediglich nach dem System der Muttervorwandtschaft.
Die Fol^e ist, dals iler Mann mit seinen Schwestern und dereu
Kindern im enusten Zusammenhange steht, wahrend sein Verhältnis
zu seiner Frau ein loses ist, und ein Verhältnis za seinen leiblichen
Kindern eigentlich gar nicht existiert.
Nachkl&nge dieser uralten Anschauung erhalten sich noch lange,
selbst dann -noch, wenn die matriarchalische Organisation schon voll-
ständig untergegangen ist Bei vielen Völkern findet ein dauerndes
Zusammenleben der Eheleute nicht statt In Kaffa kommen die Ehe-
leute nur Nachts zusammen» am Tage nicht Die Frau darf ihren
Mann nicht essen nnl trinken sehen, und der Mann darf seine Frau
nie sehen.®) In Hawai und Tahiti nehmen die Ehegatten getreimt
ihr Mahl ein.'°) Auf den Fidji-Iiiseln galt es für unanständig, wenn
*der Mann Nachts im Hause blieb. Die ehelichen Zusammenkünfte
wurden im tiefsten Walde abgehalten. Nach einer Geburt trennten
sich die Gatten auf drei bis vier Jahre. Selbst in China, wo kaum
irgend welche Spuren einer matriarchalischen Organisationsforin auf-
zufinden ist, hat sich noch die Trennung der Geschlechter als Grund-
satz für das Verhältnis zwischen Mann und Fran erhalteu. Das
chlnesiche Haus ist in zwei Abteilungen geteilt Der Mann bewohnt
die ftulsere, die Frau dic^ innere. Die Thür ist in der Mitte sorg-
fiUtig zu yerschliefsen. Mann ond Frau sollen nicht einmal eine
gemeinsame Stange zum Anfh&ngen der Kleider haben.^
Weitverhreitet sind auch Bräuche, nach denen ein dauerndes
eheliches Zusammenleben erst nach einer bestimmten Zeit seit dem
Abschlüsse der Ehe eintritt.
Auch das innige Verhältnis des Mannes zu seinen Schwestern
erhält sich noch in Zeiten hinein, welche schon die i>atriarchalische
Familienorganisation haben. Sowohl in den klassischen ^Sagen, als
in der serbischen Volksdichtung und der Chriemhildsage der Nibelun-
gen und der Edda ist das Verhiiltnis zwischen Bruder und Schwester
noch das innigste Familienverhältnis.^^)
Die matriarchalische Familie zeigt fiberall auf der £rde die
Tendenz, in die patriarchalische fiberzugehen, w&hrend kein Beispiel
•) Xii^, Beitoi in Oitalkäii. 1868 1. S. 88.
>«) Wuts-Gerland, Anthropol. VI. S. 121.
»») Seemann, Viti. Cambridge 1862. P. 190. 191.
Piath, Uebcr die hänslichen Verhältnisse der alten ChinMen. München
1863. S. 2 ff. (Sit2.-Ber. d. k. b. Ak. d. W. 1882. Band IL)
Bachofen, Antiquarische Briefe. S. 168—188.
Digitized by Google
— 7 —
bekannt ist, rlafs eiue i)atiiarchali?«clio Familienoifzanisation in eine
niatiiarchalische übcrgf gangen \\i\VQ. So zeigt sich die niatriarcha-
li&cliP Familie überall als die ältere F(»rni.
rebergaiigsfonnen von <ler einen Organij^ation zur anderen
la.««sen sich nach den vcrschieilensten Kichtun'jen nachweisen. Ks
biideii j^ich Erbfolgeordnungen, bei denen Kinder und Schwesterkinder
konkurrieren; die HAuiitlingsw ilrde vererbt sich noch auf den
Schwestersohn, w&hrend das Yermdgen bereits auf den Sohn über-
geht; der Vater mvda seinen Konsens zar Ehe der Tochter geben,
der matterliche Onkel aber erhält den fttr sie gezahlten Brantpreis;
der Vater kann durch Zahlung bestimmter Summen seine Kinder
ans der Familie der Mutter loskaufen ; der Sohn erhalt zwei Namen,
einen nach dem Vater, einen nach der Mutter u. s. w.'*) Man findet
auch Teilungen der Kinder zwischen der vaterh'chen und mütterlichen
Faniiiic. /. B. im niakassari<cheu und buginesischen Rechte: das älteste
Kind fallt der Mutter zu, das zweite dem Vater, das dritte der
Mutter. da> vierte dem Vater u. s. w. Hei einer uniileichen Anzahl
treliört das jüngste Kind beiden Kitern, jefliK'h liat die Mutter das
üecht, es sich gegen Zahlung einer bestimmten Summe zuzueignen.")
Die Ursachen des Uebergangs von der matriarchalischen zur
patriarchalischen Familie scheinen, abgesehen von der Rezeption eines
fremden Rechts, hauptsächlich in folgenden Umstanden zu liegen.
Die primitiven Geschlechter bilden kleine isolirte Gemeinwesen,
welche mit den benachbarten Geschlechtern im fortwährenden Kriege
begriffen sind. Die Beatezüge, welche sie gegeneinander ontemehmen,
sind vor allem auch auf die Erbeutung von Weibern gerichtet, welche
in der Urzeit als wertvollste Vermögensstücke angesehen wurden. Ein
solcher Frauenruub ist in der Urzeit etwas so aufserordentlich ge-
wöhnliches, dafs überall als iilteste nachvveisl)are Kheform die Ilaub-
ehe erscheint. Es triebt kaum ein Volk der Erde, bei dem sich nicht
•ler Frauenraub, sei es als wirklicher Kaul). sei es als synd)olische
Form oder Hochzeitsspiel nachweisen liefse/*^) und die aufserordent-
liche Verbreitung, welche der Frauenraub als Hochzeitsspiel anch
überall in Europa noch heutzutage hat, läfst darauf schliefsen, eine
wie festgewurzelte Sitte derselbe in weit entlegenen Perioden einmal
gewesen sein mnl&
Ein realer Franenranb, wie er z. B. nodi heutzutage bei den
Eingeborenen Australiens üblich ist,^^) ist an sich ein Kriegsfall
") Dargun a. a. 0. S. 17 ft
Wilken 1. c. p. 60.
'"^.Kidischcrin d. Zeitschr f. Ethnol. 1878. S. llilJfT. Dargiin a. a O. S. 78-140.
"} K. Brongh Smyth, Th« aborigiues of Victoria. 1878 1. p. 79 »qq.
zwischen den beteiligten Geschlechtern und die entstehende Blutfehde
kann sich nur durch einen Friedensschliifs zwischen denselben er-
ledifjen. Wo jedoch die Raubehe eine entwickelte Institution ist,
kommt es nicht in allen Fallen zum wirklichen Kampfe. Es ent-
stehen minder harte Ausgleichsfonnen; so wird z. B. in Australien
unter Umstünden der Franennlnber mit einem Schilde versehen und
diejenige Person, unter deren Mundacbaft das geraubte Weib stand,
irirft aas einer bestimmten Entfernung Speere oder sonstige Waffen
gegen ihn. Gelingt es ihm, dieselben abzuwehren, so behalt er das
Weib; wird er kampfunfähig, so geht das Weib an seinen Herrn
zurflek. Scbwftcht sich diese Ansginchsform noch mehr ab« so ent-
steht daraus eines jener Scheingefechte, wie sie bei leichteren Rechts-
brüchen bei unzähligen Völkern der Erde vorkommen und endlich
bleibt nur noch das reine Hochzeitsspiel flbrig.
Diese Entwicklung vollzieht sich unter Einwirkung der Sitte,
dafs die Blutrache unter befreulideten Geschlechtern allmählich stthn-
bar wird. Das geschädigte Geschlecht erhält eine Bufse, welche dem
Werte des geraubten Weibes gleichkommt und das geraubte Weib
bleibt bei seinem Räuber. Auf diese Weise entsteht aus dem Frauen-
raube das ebenfalls über die ganze Erde verbreitete Institut des
Brautkaufs. Der Brautpreis ist ursprünglich die Komposition für den
Frauenraub, das Sühngeld, welches das Geschlecht des B&ubm an
das Geschlecht der Geraubten zahlt, um die Blutrache abzuwenden.
Die Weitmntwicklung des Brautkan&instituts aber bringt es
mit sieh, daüs die matriarchalische Familie allmählich in die patriar-
chalische übergeht Das Weib scheidet durch die Zahlung des Braut-
prdses ans seiner Familie ans und geht in die Familie des Mannes
Aber, welcher durch den Brautkauf die Rechte des Geschlechtsober-
hauptes der Frauenfamilie über die Frau erwirbt. Damit fallen dann
auch die in der Ehe erzeugten Kinder in die Vaterfamilie und nicht
mehr in die Mutterfamilie.
Der Uebergang ist jedoch ein ganz allmählicher. Noch lange
giebt die Fraueofamilie ihre Rechte an der Frau nicht vollständig
auf; noch lange erhebt sie gewisse Anspräche auf die Kinder. Der
Mann erwirbt durch Zahlung verschiedener Summen verschiedene
Hechte an der Frau; er mufs, wenn er sie verkaufen will, sie ihrer
Familie zum Vorkauf anbieten; das erste Kind aus der £he fUlt
wohl noch zur Kompletierung des Brautpreises an die Familie der
Mutter, oder der Vater mub Oberhaupt seine Kinder noch durch
Zahlung bestimmter Summen aus der Mutterfamilie ausKteen. Auf
der Höhe der Entwicklung der patriarchalischen FamilienorganisatiOD
verschwinden diese Rechte der Mutterfamilie allmählich ganz.
Digitized by Google
— 9 —
Die 80 ZOT Entstehanif kommende patriarcbalische Familie ist
die vollständige Umkehning der matriarehalisclien. Da die Mutter
dorch den Brautkanf aus ihrer Familie gänzlich ausscheidet, so gelten
die Kinder jetzt als ausschliefelich mit ihrem Vater und dessen durch
den Mannsstamm vermittelten Vorfahren verwandt, während es eine
Verwandtschaft durch den Mutterstamni nicht mehr giebt. Die Frau
wird durch den Brautkauf im wesentlichen ein reines Vermögens-
stflck des Mannes.
Aus dieser patriarchalischen Familie entsteht unsere heutige
alsdann dadurch, dafs sich langsam staatliche Institutionen über die
Geschlechtenrerfassung legen. Wahrend der patriarchalische Haus-
vater anf der Höhe der patriarchalischen Entwicklung oft eine rein
despotische Gewalt flher Frau und Kinder ausflbt, gewinnen letztere
aOiDfthlicii durch die Staatsgewalt einen Schutz filr ihre Person
gegenüber der WDlkftr des Hausvaters. So steigt die Ehefrau ans
einer reinen Sklavin, einem Vermögensstdck, langsam zur gleich-
berechtigten Lebensgefährtin und zu einem selbständigen Rechts-
subjekte auf und auch die Kinder werden als Staatsbürger in ihrer
Individualität geschützt.
Erst damit wird das kognatische Verwandtschaftssystem moizlich,
welches wir heutziitaue kennen; erst damit entsteht unsere heutige,
aus Vater, Mutter und Kindern zusammengesetzte Familie.
Etwas ahnliches, wie unser heutiges Verwandtschaftssystem, tiudet
sich oft schon auf den Uebergangsstufen von der matriarchalischen
zur patriarchalischen Familie. Auch hier wirkt schon sowohl die
M nttertoilie, wie die Vaterfamilie ein. Aber die Entwicklung bleibt
hier nldit anf diesem Mittelstadium stehen; sie Oberstflrzt sich und
gelangt zum einseitig patriarchalischen System, nm dann endlich,
nachdem auch dieses sich vollständig ausgelebt hat, anf jene Mitte
zmUckzukehren, in welcher sie in einem firOheren Entwicklungsätadium
noch nicht zur Ruhe kommen konnte.
Frauenraub und Brautkauf sind aurserordeutlich eintlufsreiche
Momente in den Ge^ilil echter verfassnngon. Sie vermitteln niclit blos
flen Uebergang der Mutterfamilie zur Vaterfamilie, sondern ^ic sind
auch für den tranzen Aufbau des Geschlechterstaats bestimmend.
Die Blutfehden der Geschlechter enden durch einen Friedenssehl ui's,
und dieser bahnt regelmäfsig ein freundschaftliches Verhältnis
zwischen den betheiligten Geschlechtern an, nach Art der völkerrecht-
ficben Beziehungen der heutigen Staaten unter einander. Dies findet
▼or alleD auch darin seinen Ausdruck, dafs die Geschlechter unter
einander heiraten. Die Kreuzheiraten unter bestimmten Geachlechtem
werden zu einem sozialen Bande, welches die Kraft der beteiligten
Digitized by Google
Geschlechter verstärkt, und diese soziale Bedeutung der Kreuz-
heirat^n wird von denselben so wohl erkannt, dafs eine aufserordent-
lich weit verbreitete Sitte es den Gescblecbtsgenossen verbietet, im
eigenen Geschlechte zn heiraten und es ihnen znr Pflicht macht,
Fnnen aus einem anderen Geschlechte, oft aus einem ganz be-
stimmten anderen Geschlechte zu nehmen. Diese exogamische Sitte
ist für den Aufbau der einzelnen Geschlechterverfassungen von
h(ichster Bedeutung.
Man ündet Gesrhlocliterverbäude oder Staninie. welche auf
dieser Basis unter einander heiraten, neben einander angesiedelt. So
ist z. B. bei den Batuk auf Sumatra jeder Landdistrikt (kuria) durch
zwei luargas bewohnt, den namora-mora und den bajo-bajo. Der
namora-mora ist der ursprün;;lich in der kuria wohnhafte niar^ja,
während der bajo-bajo (d. i. Fremder, Gast) der erst später ange-
siedelte ist. Diese beiden margas sind unlöslich mit einander ver-
bunden und habeu unter einander das jus connubii. Durch diese
Wechaelheiraten sind zwei ursprünglich an einander grenzende margas
allmählich zu ehiem Doppelmarga geworden. Es ist femer jeder
marga in einem Bistrikt namora-mora und in einem andern bajo-bigo.
So ist z. B. der Batakstamm Harahap in den knrias der Landschaft
Sipirok, wo der Stamm Siregar namora-mora ist, bajo-bajo, wogegen
umgekehrt der Staiiiin Siregar in der Landschaft Angkola-Djulu
bajo-bajo ist, waluend hier der Stamm Harahap namora-mora ist'^».
So sind auch die Bewohner des König Georg-Siinilcs in Australien in
zwei Kbissen. Erniung und Tem (Taamancr) i^ctoilt. die stets unter
einander heiraten, so dafs jedes Ehepaar des Stammes aii>< Individuen
der einen und der andern Klasse bestehen mufs *^). Dieselbe Bildung
findet sich auch sonst in Australien, z. B. bei den Aboriginern von
Port Lincoln, wo die Klassen Matten und Karraru nur unter
einander heiraten^).
Wo die Exogamie in Blüte steht, ist die Heirat im eigenen
Geschlechte mit schweren Strafen bedroht. Löst sich die Geschlechter-
ver&ssung allmählich in eine Gauverfaasung auf, so beschränkt sich
dieses Ehehindemis immer mehr.
In der Entwicklungsgeschichte des Brautkanfes spiegelt sich
auch das allmähliche Aufrücken des Weibes aus einem Vermögens-
stücke zu einem Rechtssubjekte und schliefslich zur gleichberechtigten
Lebensgefährtin ab.
Wilken, L c. p. 9 sqq.
^ Klemm, Knltnr-GesclL L S. 819.
**) R. Broogh Smyth, the Mwrigfaiet of Yictorift. 1S78. 1. p. 88 aqq.
üiyiiizea by Google
— 11 —
Trotzdem die Priraitivfamilie im Weibe ihren Stützpunkt hat,
ist doch die Stellaog der Weiher in derselben durchgängig eine
ganz antergeordnete; nur bei ganz vereinzelten Völkerschaften sind
sie besser sitnirt Im allgemeinen steht das Weib der Primitiv-
familie aufserhalb allen Rechtsverbandes. Es ist dorcbans ver-
mögenslos, hat daher auch kein Erbrecht; im Gegenteil, es gilt als
ein Stück Vennögen und wird als solches vererbt. Es kann nicht
vor GeiiLhi erscheineu, kein Zeugnis, keinen Eid ablegen, keine
Bürgschaft tibernohmen. Es kann auch wegen keiner Missetat vor
Gericht gezogen werden — es ist durchaus strafunfähig. Für die
Missethat eines Weibes haftet das Geschlechtsoberhaui^t und zwar iu
derselben Weise, wie es für einen Schaden haftet, der durch Sklaven,
Tiere oder leblose Gegenstände angerichtet wird, welche dem Ge-
Bcblechte gehören. In allen diesen Richtungen gewinnt das Weib
erst ganz langsam immer mehr Bechtssubjektivitftt. So wird ihm
z. B. zuerst ein i^brecbt eingerftumt, wenn der ganze Mannsstamm
eines Geschlechts ausstirbt. Noch lange schliefsen Manner, wenn sie
mit Weibern von gleicher Gradesn&he konkurrieren, diese von der
&bschaft ans. Sehr oft erhalten Weiber eine geringere Erhportion,
wie die Manner. Im Immobiliarvermögen gehen noch lange die
Männer den Weibern vor, wenn das Mobiliarvermögen bereits gleich-
niaf-ig geteilt wird. Erst wenn das Weib durch den Schutz der
staatlichen Gewalten volle Rechtssnbjektivität erworben hat, erwirbt
es» auch gleiches Erbrecht mit den Mnnnern.
Noch merkwürdiger ist es, dafs das Weih erst allmählich stratUUiig
wird. Wenn der Gedanke auftritt, dafü das Weib für seine lland-
Itmgen persönlich verantwortlich sei, so wird doch zunächst noch
angenommen, dais für dieselbe Missethat das Weib nicht so schwer
za hestrafen sei, wie der Mann. Beispielsweise zahlt das Weib für
eine Missethat, durch welche ein Mann friedlos wird, nur eine Bufse.
Beschr&nknngen der Weiber sich zn verbürgen, haben sich bekannt-
lidi noch bis in nnsere Tage erhalten.
Dieses allmähliche Aufsteigen des Weibes zu einem Rechts-
subjekt spiegelt sich nun auch in der Entwicklungsgeschichte des
Brautkiiufs ab. Ursprünglich ist der Braut kauf ein Eriedensschlufs
zwischen zwei Gescldechtem und der IJrautpreis eine i]ui>e für einen
verübten Franenraub. Bilden sich Kreuzheiraten zwischen befreun-
deten Geschlechtern aus, so wird das Weib zu einem Handelsartikel.
Das Weib wird von seinem Geschlechte für eine bestimmte Summe
ao das befreundete Geschlecht verhandelt. Oft findet sich auch ein
Aostaiiseh von Weibern. Wo sich ein Geschlechtshauptling starker
cntwid^elt and zugleieh die Vermdgensgemeinschaft, in welcher die
uiyiiiziüd by Google
— 12 —
ursprünglichen Geschlechter überall leben, in Verfall gerät, wird der
Braatkauf zu eiueui Vertrage zwischen «liefern Geschlechtshäuptlinge
(dem Muudwalde der Braut) und dem Freier. Auch in diesem Stadittin
der Entvickhing gilt das Weib noch als i eines Vermögensstflck. Ka
wird um seine Zustimmung nicht gefragt, und oft genug durch brutale
Gewalt gezwungen, den Kftufer zu ehelichen. Gewinnt das Weib
allmählich an der staatlichen Gewalt einen Schutz gegen die Omni-
potenz des Geschlechtsliftuptllngs, so kann es zu einer Heirat wider
seinen Willen nicht mehr gezwungen werden, und der reale Kauf
wird zu einem Scheinkauf, zu einer symbolischen Handlung, während
der Kaufpreis selbst au das Weib fällt und ein Teil des ehelichen
Vermögens oder ein weibliches Sondergut wird. Tritt das Weib all-
mählich aus der lebenslänglichen Vormundschaft heraus, unter welcher
es wegen seiner ursprünglichen Rechtsuufähigkeit steht, und wird es
zu einem selbständigen Rechtssubjekt, so tritt es endlich selbst als
kontrahierender Teil auf, und es entsteht aus dem Brautkauf die
Verlobung, wie wir sie heutzutage kennen. Auch diese ist also ein
Produkt einer unendlich langen und sehr seltsamen Entwicklung.
In unserer heutigen Familie flben die Eltern eine beschr&nkte
Znchtgewalt Aber die Kinder aus und haben beschränkte Rechte am
Vermögen der Kinder. Auch dieses Verhältnis der Eltern zu den
Kindern ist erst das Produkt einer langen Entwicklung. Die Vater-
schaft hat ihre letzte Quelle im Geschlechtshäuptlinsrstuui, welches
zugleich auch die Keimbilduug für das spätere Köiiit^^tum ist. Das
^Geschlechtshäuptliugstum ist ursprünglich ein rein that>ächlicher auf
persönliche IJeberlegenheit gestützter Zustand. Unter dem Einflufs
ftufserer Bedingungen, namentlich kriegerischer Verwicklungen,
steigert sich die Gewalt des Geschlechtshäuptlings jedoch oft bis zu
einer rein despotischen Gewalt Man findet sowohl matriarchalische
als patriarchalische Häuptlinge, welche Aber Leib und Leben der
ihrigen frei verfiigen, sie straflos töten, Terstttmmeln und züchtigen,
sie verkaufen und verpftnden und sie nach Willkttr verheiraten,
während sie andererseitig vollständig für den Unterhalt der ihrigen
sorgen, sie nach aufoen vertreten und für sie Blutrache flben und
ihre Schulden bezahlen. Hier liegt alsdann die ßreie Verwaltung des
Familienvermögens meistens in der Hand des Häuptlings und hat
derselbe aus diesem Vermögen alle Bedürfnisse der ganzen Familie
zu bestreiten.
Alle diese Rechte und Pliichten beschrilukeu sich mehr und
mehr mit der Erstarkung der staatlichen Gewalteu, an denen die
Geschlechtsgenos<en einen Schutz gegen die Despotie des Geschlechts-
häuptlings gewinnen. Zunächst garantiert der Staat den Weibern
Digitized by Google
— 13 —
und Kindern ihr Leben ; er bindet die Familienjustiz des Hausvaters
in bestimmte Form und entzieht sie ihm «illmählicli cranz. Das
Zill htiirunirsreeht des Hausvaters wird el)eiifalls iininer iiielir be-
>chrunkt uud erlischt der Khefrau ^re^j^enüber vollst andi'j, wenn diese
zur Lrleirbberecbtiiiteu Lebensgefährtin aufgestiegen ist. Den Kindern
gegenüber bleibt ein mäfsiges Zu(^htrecht besteben und dies wird
alsdann auch der Mutter zugestanden. Das Verkaufs- und Ver-
pfandoDgsrecht beschränkt sich zunächst auf Notfälle und erlischt
alsdann ToUstäodig. Das Recht des Hausvaters, die Seinigen zur
Heirat zn zwingen, erlischt zunftchst gegenüber den Söhnen, dann
auch gegeuftber den Tlk^tem : es sinkt zn einem Konsensrechte zur
Heirat zusammen, welches alsdann auch der Mutter zugestanden
wird«
Was die Vermögensverwaltung des Hausvaters anlangt, so zer-
fallen in dieser Beziehung die Rechte und Pflichten desselben all-
mählich mit der Antlösung des Geschleclitsvermö;;ens. Wahrend
ursprünglich das ganze (ip^chlecht in Vermögensgemeinschaft lebte,
in welche jefler Genosse seinen Erwerb einzuwerfen hat. entstehen
unter der Einwirkung der staatlichen Organisation Sondergüter der
einzelnen Geschlechtsgenossen; sie behalten bestinmite Erwcrbsgegen-
»tände filr sich. Damit beschränken sich die Vermögensrechte des
Hansvalers und gleichzeitig auch seine vermögensrechtlichen Ver-
piichtungen. Die Pflicht, fttr den Unterhalt der Seinigen zu sorgen,
wird zu einer subsidiären Alimentationspflicht; Schulden der Seinigeu
braucht er nur noch zu bezahlen,- wenn sie im Interesse der Familie
eingegangen sind. Von der ursprflnglichen Pflicht der Kinder, allen
Erwerb ins Familienvermögen einzuwerfen, bleibt nur noch eine
subfiidiAre Alimentation.spflicht den Eltern gegenüber übrig.
Schliefslich bleibt noch eine Seite in der Entwicklung-sgeschichte
der Familie zu betrachten.
Unsere heutige Famili(; dient im wesentlichen der Erhaltung
der Rasse. Ein gesundes Familienleben ist zwar auch heutzutage
eine wesentliche Basis für die Ek'haltuug des Staats; aber eine
eigentlich politische Bedeutung hat unsere heutige Familie nicht mehr.
Unser heutiger Staat setzt sich nicht aus Geschlechtern, sondern
ans Individuen zusammen. Ganz anders ist dies in der Urzeit.
Die Familie der Urzeit ist nach allen Seiten hin eine unserem
heutigen Staate analoge Bildung; nur eine noch viel allseitigere,
wie dieser. Die Familie der Urzeit bildet einen Schutz- und Trutz-
verband, in welchem sich die Genossen gegenseitig Leib und Leben
garantieren, und welcher nach allen Seiten hin eine vollständige
Lebeiisgeuieiuscbaft darstellt.
— 14 —
Dies kommt zunächst darin zum Ausdruck, daCs diese kleiDen
Gemeinwesen sich ebenso ^esjenüber stehen, wie hentzntage zwei
Staaten. So lan^^e sich über ilmen ein höheres soziales Band nicht
bildet, ist daher zwischen ihnen der Kriej? der regelmafsige Zu-
stand. Dieser Ueschlechterkri(v^ erscheint in Ot'stalt der Bbitrache.
Charakteristisch ist dabei, dafs die Gosclilecliter in vollstiliidi'^er
Lebens- und Vermögensgemeinschaft stehen. Es gilt daher jede
Missetbat des Genossen eines Geschlechts, welche gegen den Genossen
eines anderen Geschlecht«; verübt wird, als von Geschlecht gegen
Geschlecht verabt. Nach individueller Verschuldung wird dabei so
wenig gefragt, wie heutzutage im Kriege zwischen zwei Staaten.
Jeder Blutsfreund ist fflr die That jedes Blutsfreundes ebenso ver-
antwortlich, als wenn er sie selbst begangen hätte. Wird die Blut-
rache, wie dies überall der Fall ist, wo die Geschlechter mit ein-
ander durch ein höheres sociales Band verknüpft werden, sflhobar,
so wird daher aucli die Bnl'se von Geschlecht an Geschlecht gezahlt,
und löst sich die ursprüngliche Lebensgemeinschaft der Geschlechter
allmählich auf, so bezielien immer engere {Tni]»pen von Verwandten
den Blutpreis und sind immer engere Gru])p*'n von \ erwandten ver-
ptiichtet zu demselben beizutragen, bis endlich um* noch der Fried-
brecher selbst dem Bliiträcher gegenüber steht.
Die Blutfehden der Geschlechter unter einander werden durch
die entstehenden staatlichen Gewalten langsam immer mehr beschrankt
und schliefslich ganz unterdrückt. Aber es vergehen stets lange
Zeitr&ume, bis es dem Staatsrecht gelingt, das alte seit Urzeiten
festgewurzelte Geschlechterrecht auszurotten. Während es, so lange
die Geschlechter noch nicht unter einem höheren sozialen Drucke
stehen, stets im freien Willen derselben liegt, ob sie sich durch eine
Bufse versöhnen lassen oder zur Rache schreiten wollen, wird jetzt
versucht, die Annahme der Bufse zu erzwingen *und die Verweigerung
der Annahme derselben wird als ein Kcditsbruch ^jegen die staat-
liche Ordnung nnfirefafst. Mau sucht auch (hirch Schiedsgerichte auf
alle mögliche Weise eijien Friedensschliifs zwischen den streitenden
Geschlechtern herbeizuführen; man gewahrt den Mördern gegen die
Hache suchenden Blutsfreunde Asyle. Aber noch lange sind die staat-
lichen Gewalten gezwungen, mit dem Geschlechterrechte zu paktieren.
Es gelingt ilmen oft nur, die Blutrache an bestimmten Zeiten und
Orten auszuschliefsen und sie einigermafsen zu kontrolieren, während
sie noch selbst gezwungen sind, MOrder den Bluträcfaem zur Be-
strafung auszuliefern.
Erst mit der vollständigen Auflösung der Geschlediterverfassung,
der Auflösung des Blutsfreundes in den Staatsbürger, erlischt auch
Digitized by Google
— 16 —
die Blatrache. Der Geschlechterkrieg wird jetzt von den höheren
socialen Organismen, den Staaten, fortgesetzt, bis es dereinst gelingen
wird, auch diese doreh ein höheres soziales Band zu verknüpfen und
damit dem Kriege ein fOr alle mal ein Ende zu bereiten, und die
lUrhe im Staate seihst wird von der Staatsgewalt ausgeübt, indem
jetzt ein öft'entliches Strafrecht sich aushildet.
Wie so den Geschlechtern das Krieirsrecht durch di-n St<\at
entzoiren wird. s(» \i\<en >'n\\ aiicli zahh'eiche sonstige liechte und
Ftiichten der Bhitsfremide, weh'he sich aus der ursprünglichen Lebens-
gemeinschaft der (Geschlechter ergahen. von diesen ah und gehen
zum Teil auf den Staat, zum Teil auf andere soziale Neuhihlungen
über. Auch hier ist die Entwicklung eine ganz allmähliche. .Vas
der geschlechtsgenossenschaftUchen Lebensgemein.schaft ergiebt sich
zum Beispiel die Pflicht^ arme und kranke Blutsfreunde zu unter-
tttatzen, angegriffene zu verteidigen, gefangene auszulosen, für das
Begräbnis von Genossen zn sorgen und der Leiche zu folgen, sowie
eine umfangreiche Haltung für Vergehen und Schulden der Bluts-
freunde. In allen diesen Beziehungen löst siirh die ursprüngliche
Lebensgemeinschaft der Geschlechter immer mehr auf. Auch die
Verpflichtung der lUutsfreinide, iliren Blutsfreiuiden mit Zeugnis und
Lid beizustehen. z<Mgt denselhen Entwicklungsgang. Nacli dem Rechte
der Menangkaluiwsclien MnlMien konunt nocli bei wichtigen Sachen
ein Schwur mit der ganzen l- am die vor. welche dann auch für ilie
Folgen des Eides verantwortlich ist. Dieser Solidaritätseid hudet
?ich auch bei den Ke4jangs nnd Bataks.^M Eine L'ebergangsbildung
zeigt sich bereits in dem germanischen Ilechtsinstitut der PMdeshelfer,
von welchen sich eine getreue Kopie auf Bali findef ) £in letzter
Rest des Geschlechterrechts findet sich noch im heutigen Rechte,
wenn es Blutsverwandten gestattet ist, ihr Zeugnis zu ver-
weigern*
Die im Obigen angedeutete Kntwicklungsgesehiehte der Familie
wii'derholt sich im wesentlichen gleichartig bei allen Völkern der
Krde. Nur die höchstentwickelten Kulturvölker durchlaufen jedoch
alle Madien derselben: tiefer stehende Völker erreichen nur (lie>e
.xjer jene niedrijiere Stufe und bleiben auf die>er stehen, und so
tin b II -i< h denn auch noch heutzutage, wenn man alle Völker der
Erde überbiickL, alle Stufen dieser Entwicklung neben einander
vor.
■*) G. A. Wilkt'U, llet strufrtH lit bij de volkea van bet lualuibcbe uribipel.
'i HrnTeiibage (Nijhoin 1883. p. 51.
•*) WUkeo 1. c. p. 56.
Digitized by Google
— 16 —
So ist denn unsere heutige Familie, welche uns als eine so
natOrliche Bildung erscheint, dafs vir geneigt sind, anzunehmen, sie
habe so lange bestanden, wie die Menschheit ttberbaupt, nach allen
Seiten hin das langsam gereifte Produkt einer Jahrtausende um-
fassenden Entwicklung.
Die Erforschung des Yukon - Gebiets (Sommer 1883)
von F. Sehwatkt,
Premier-Leutnuit In d«r VerelnigtMi Stfcatu Armvt.
Vorwort toh Dr, A. Kraue.
Der hier folgende Bericht des rtthmlichst bekannten Polar-
reisenden Schwatka, Ehrenmitgliedes unserer Gesellschaft, giebt
einen wesentlichen Beitrag zur Kenntnis des Oberlaufes des Yukon,
eines Stromes, der nnsere Donau um 540 km an Länge übertriflft
und noch sehr unvollkommen bekannt ist. — Eine ausführliche
kritische Entdeckungsgeschichte des Yukon giebt Dali in seinen»
vortrefflichen Werke: Alaska and its Resources. — Der ani längsten
bekannte und wahrscheinlich auch der gröfste seiner Quelltiüsse ist
der von Osten her erreichte Pelly-Fiuis ; an der Vereinigung desselben
mit einem von Sildeu herkommenden grofseu Strome, der meisten-
teils als Lewis river bezeichnet wurde, gründeten die Leute der
HudsoDsbaikompagnie in den vierziger Jahren das Fort Selkirk.
In den folgenden Jahren wurde dann die Zugehörigkeit des Pelly-
Flusses zum Yukon und dessen Identität mit dem im Kortonsound
mflndenden Quichpack der Russen erkannt — Der Lauf des Lewis-
Flusses blieb bis in die neueste Zeit noch ganz unbestimmt Man
wu&te nur, dafs von der Koste her zwei Uebergänge zu seinem
Gebiet hinüberführten, erstens vom Chilkatgebiet (wobei die beiden
vom Dejäh-Flufs zum Liiideman-See und von Chilkat-Flufs zum west-
li«hen Kussooa oder dem Tahkheena Schwatkas zusammengeworfen
wurden) und zweitens vom Taku-Flufs zum Tahko-See. Letzteren
Uebergang lernten die Forscher der Ueberland-Telegraphen-Korapag-
nie zuerst kemien : wt ^M ii ünvollkommenheit der ihm übergebenea
Karten zog Dali in jseiuem augeführten Werke den oberen Lauf des
Küstenflusses TakTi zum Lewis-Flusse und trotz der von ihm im Text
beigefügten Berichtigung ist diese falsche Darstellung in die neuesten
deutschen Karten übergegangen. Goldsucher haben diesen lebsteren Weg,
wie auch den im Jahre 1882 von mir bis zum Iiindeman*See verfolgten
Digitizdd by Google
— 17 —
und fon Scbwatka nun vollständig erforschten Übergang in den
letzten Jahren mehrfach gemacht; der Übergang yom Ghilkat-Flufe
zum westlichen Kussooä wurde zuerst im Sommer 1882 Ton mir
bewerkstelligt. Es ist das groCse Verdienst der Schwatkaschen
FApedition, durch vollständige Festlegung wenigstens eines Strom-
laufes zuerst Klarheit in die verwickelten Verhältnisse ^a'bracht zu
haben. Jetzt wAre vor allen Dingen eine weitere Erforschung des
Takheenn und des Tahko, die beide ebenfalls leicht von der Küste
2a erreichen sind, wünschenswert.
Von der (hilkoot-Bncht bis Fort Selkirk.»)
Hiem TaffI I.: OrigiMl-Konte&karto einer Militäroxpeditlon Im Jahre 1883 antor KoiaiiiMldaat
Praater-LeiilBAnt F. Sehwitdn; Ton Chllkoot-Inltt In AlHka bis Fort SelMik, toh O. A. IIobmmi.
MafasUb 1 : 1 175 000.
F«?Mr Ucbtdrnekbnd umth Pliotognphie: MU«i Cftium.
Zwecke und Personal der Expedition. Geplante Art und Weise des Vorgebens.
Mannrelhafle Karten. Aufbrach den Dejäh hinauf. Tragstelto. Schwieriges Steigen
im i^hne«. Auf der Iluhe des Perrier • Passes. Schneetriften. Der Lindeman-See.
Ein Plo's erT)aiit. Fahrt auf dem See. I'ie ersten Stromsohnellen. Ver«tjlrkung des
Flosse«. Wie Szenerie am Beiu>ett*See. Falsche Berichte. Indianic^che Rauch-äignale. Der
Tab-k^V-See. I>er N«n1i-Se«. Mfles Caton. Der Klnk-tas-sL Di« Bink-Stromaebiidleii.
Die niilitilrisclie Uekognoszierun^^sreise in Alaska 1883 wurde
auf den Wunscli des OhorbefchKshabcrs de.s Militar-„Departeinents",
zu wt kheni Ala,-ka jzeluirt. unternommen; diesem, dem Brevet Major-
General Nelson Milos. — dessen Hauptquartier Vancouver im
Territorium Washington ist, — lag e> daran, Informationen
militärischen Charakters einzuziehen in Betreff der wilden Indianer
in jenem abgelegenen Teil seines Militärbezirks, um so mehr, als
gegenwärtig eine rasche Besiedlung einiger Gegenden Alaskas
dnrch WeiGse stattfindet, die dahin teils durch Berichte Ober
die Auffindung edler Metalle, «teils durch die Kunde ergiebiger
Fischereien, teils durch andere Interessen gelockt werden. Der
Oberbefehl über diese Bekognoszierungsreise wurde dem Ver-
fasser dieser Mitteilungen, Adjutanten des Oberbefehlshabers, über-
tragen, und bestand das Kommando aus nur zwei Otliziereu und
vier Soldaten; dazu ^Yurdeu unterwegs von Zeit zu Zeit noch ver-
schiedene Leute, teils Weifse, teils Iniliuuer in Dienst geiionnuen.
Jene vier Soldaten waren für die Reise eigens ausgesuchte, intelligente
Anmerkung; der Liedaktioii. Bald nach Empfang dieses für die
Geographie Nord-Anu i ikas wichtigen Aufsatzes erhielten wir von dem geehrten
Verfasser dcsselbon einen Brief, in welchem er bedauert, erst nachträglich von
den früher in dieser Zeltsciirift verüfTenilichten Arbeiten der Herren Drs. Krause,
di« sich auf die üebergüugc zum Tokon besiehen, Kenntnis bekominen sn haben.
Oeogr. aiitl«r. BrMMm 1884. 2
Digitized by Google
— 18 —
Leute; einer derselben gehörte, als Topograph, dem Ingenienrcorps
an, ein anderer, Sergeant Gloster, war ein tüchtiger Zeichner. Auch
ein photo graphischer Apparat wurde mitgenommen. Dafe eine solche
Expedition in ein so wenig bekanntes Gehiet, als welches Alaska Im
allgemeinen gelten kann, neben Verfolgnni; ilircs Hauptzwecks aurh
Ergebnisse für die geographische Wissensdiatt lieleru werde, war
von vorn herein anzunehmen und die nachfolgenden Mitteilungen
werden einige difser Ergebnisse darlegen.
Die Expedition bestand aus dem Verfasser dieses, Dr. Wilson,
Herrn Homann, Sergeant Gloster, Korporal Shirclitf, Soldat Roth
von der V. St. Armee und einem Herrn Mcintoslu Wir verliefsen
Vanconver am 21. Mai 1883 auf einem der monatlich nach den
kleinen H&fen. des südlichen Flutwasserstreifens von Alaska fahren-
den Dampfer; am 2. Jnni erfolgte die Ankunft und Ausschiffung in
Ghilkat Die ganze Gegend ist den Lesern dieser Zeitschrift aus
den Reiseberichten der Gebrüder Dr. Krause wohlbekannt
In Chilkat und Ghilkoot wurden 65 Indianer angenommen, um
dtvs Gepäck über die Tragstelle in den Borgen zu bringen, welche,
nach Angabe der Eingeborenen auf 40 niilcs IJreite die fjordartigen
riuchteu von den Bergseon im Iiniern trennen. Diese letztoren liegen
im oberen Gebiet des urofsen Yukon-Flnsses, dessen schittbarer Teil
nach verschiedenen Tragstellen um gefahrliche Caüon>^ und Strom-
schnellen herum zu erreichen sein sollte. Auch Miuer waren, wie
ich in Chilkat ennittelte, den Weg schon früher gezogen; jedoch hat
die Geographie ans ihren ReiscMi eben so wenig Gewinn ziehen können,
wie aus den Wanderungen der Indianer. Einzelne dieser Leute machten
die phantastischsten Beschreihnngen von den Schwierigkeiten, auf
welche das Unternehmen stofsen würde und verhöhnten den Plan, ihrer
mittelst eines Flosses Herr zu werden; mit einem solchen gedachte
ich nun aber gerade den Wasserweg bis dahin zurückzulegen, wo
Kanoes in genügender Zahl und Gröfse von den die Ufer bewohnen-
den Indianern beschafft werden konnten. Von diesen Seen nud
Wasserzügen existirten freilich Karten, gezeichnet von pliantasie-
reichen Erforschern, darunter selbst Blätter, die unter der Autoritnt
des U. S. Coast Snrvey und des Census Büreaus berau>,ucu('ben
wurden, allein diese Karten konnten eben nur .so lange eine Aut(nität
beanspruchen, bis die wirkliche Erforschung ergab, dafs sie noch
mangelhafter waren, als von manchen Seiten schon angenommen
wurde.
Am 7. Juni verliefs die Expedition Glülkat und Ghilkoot und
fuhr die Ghilkoot-Bucht und eine ihrer gröfseren Abzweigungen, den
Dejfth-Fjord, bis zur Mündung des gleichnamigen Flusses hinauf.
Digitized by Google
— 19
Der Dejfth-Fjord hat den gleichen Charakter wie alle Meeresarme
in diesem Teile Alaskas; ein schmaler flufsfthnlicher Wasserzog
zwischen hohen Bergen, die mit Kiefern nnd Tannen his zum Gipfel
bedeckt sind nnd nackte Granitkappen tragen, deren Schluchten mit *
Schnee und Gletschern ausgefüllt waren, welche zahllose prächtige
WasserfUle speisten. Hier und da stand Gras von so guter Be-
schaffenheit, dafs es Heu liefern konnte, die Halme waren 4-^ Fufs
hoch, aber es war nicht genug, um die Mflhe des Schneidens zu
lohnen. Die Ufer des Dejäh-Flnsf^es, an denen unsere Gesellschaft
beinahe his zur Quelle hinaufstieg, waren dicht mit Pappeln nnd
Weiden bewaldet, (Ue Berge hatten dasselbe steile und schroffe
Aussehen wie an dem Inlet. Vom Fufs der Bergo auf der eineu
bis'zutn Bergfuss auf der anderen Seite, in einer Hieite von bis
1 miles, besteht das Dejnli-FIurshett aus niächtijren Bilnkeu iiraniti-
scben Gerölls, Sand und ^Jiroben Kieses, stellenweise dureh ansehnliche
Waldungen der oben erwähnten liaunie unterbroehen. Es wurde nun
am 9. Juni das Ende der Kanoo-Srhitfahrt erreicht und passiert; von
hier niufste das i/c^^amte (leiȊck auf die Uiicken der bocrleitenden
Indianer «?ei>ackt werden. l)ie Chilkats haiieii v«tr Jahren diesen
Pfad durch die Herge getreten, um mit den Indianern des Innern
zu haiifk'ln. und das ist allen mit den \'erhaltnisseu des Landes
Vertrauten bekannt : es erscheint daher seltsam, dafs der von mir jetzt
ani^eiiümmene lieiseidan, den Vukon zu erforschen, nicht schon hingst
zur Ausführung gebracht ist, statt dafs man stromatifwarts von der
Mündung her vordrang. Vielleicht kam dies daher, dafs den
Berichten der Indianer, welche es liehen, Schwierigkeiten zu über-
treiben, von Seiten derjenigen, welche mit diesem Gharakterzug der
Eingeborenen nicht vertraut sind, zu viel Glauben geschenkt wurde.
Die erwachsenen Chilkat-Indianer tra^ren jeder 100 bis U¥) Pfund, doch
wollen sie in der Regel m'cht mehr wie 100 Pfund sich aufladen und
nur hyperboraische Herkulesse versuchen es mit dem letzteren Ge-
wicht. Der Lake Water-Flufs (Cut-la-cook-ah, der von Westen her
gerade unterhalb Lager No. 4 mflndet,') ist der bedeutendste Zuflufs,
sowohl durch seine Wossermeuge als durch seine Breite, doch es ist
die kleinere, von der Gesellschaft verfolgte Abzweigung, welche den
Namen Dejah bebalt Bei der Gabelung der beiden Flasse erheben
sich hohe mit Gletschern bedec!kte Berge, von denen wir Photo-
graphien nahmen.
Nach der Karte inüiulet von Westen der Noursr-Fhifs iinterliall) des
Lagei-s Nr. 4, ein I^ke Wattr lliver ist dort aufscrdeiu nicht verzeichnet. iJer
Nourse-Flulä iat der Katlukm hra dcü Dr. Krause.
2*
Digitized by Google
20
Am 10. Jnni begann die schwere Arbeit des Pafsabergangs;
obwohl nur 10 miles gemacht und nur der Oberlauf des Dejäh-
Fliisses erreicht wurde, so war dies doch schon viel, da man es für
40 — o() niiles zurückgelegten gewöhnlichen Weges rechnen konnte.
Dazu brauchten wir 12 Stunden, (mii-( hliefslich der wegen der Be-
schwerlichkeit der Reise sehr oft gesonnten Kuheiiausen. Bevor das
Lager erreicht war, hatten wir viele Schneehänke von 3 bis viel-
leicht 15 oder 20 Fufs Mächtigkeit zu passieren gehabt; 2 bis
3000 Fufs hohe Felsen waren in Schnee förmlich eingebettet, nur
hier und da ragte ein Stück Gestein oder Grat hervor. Ein kleiner
Vorfall zeigt am besten die zähe Ausdauer Unserer indianischen
Gepäckträger. An der nördlichen 2—2500 Fnfe hohen and mit
tiefem Schnee bedeckten Höhenkette sahen wir eine Bergziege. So-
fort brach einer unserer Gepäckträger zur Jagd auf das Tier auf.
Nachdem er schon einen Weg zurückgelegt hatte. - auf dem ein
Maultier wahrscheinlich nicht hatte vorwärts kommen können, stieg
er dem Wilde nach, jagte es ins Thal hinab und noch die steile
uugefilhr ebenso hohe südliche Beriikette hinauf.
Am Morgen des 11. Juni brachen wir frühzeitig auf und er-
reichten die Pafshöhe auf der von den C hilkat-Indianern Kotusk
genannten Bergkette^) gegen 10 Tlir Vormittags; der eine der Passe
war 4240 Fufs, der andere 4100 Fufs lioch. Leider konnten wir,
wegen des hier auf den Höhen, wie es scheint, stets herrschenden
Nebels und Dunstes, keinen guten Umblick über die Umgebung
gewinnen. Eines schien wunderbar, wie diese selbst im Durchschnitt '
kaum viel mehr als 135 Pfund wiegenden Indianer ein Gewicht von
100 Pfund steile Berghänge hinauf, mitunter über hartgefromen
Schnee und verräterisch bedeckte Klüfte tragen konnten! Sie
passirten mit gröfster Sicherheit Stellen, wo ein falscher Tritt sie
unfehlbar in Tiefen von 4-^500 Fufs gestürzt haben würde. Einer
unserer Trüger, der wohl noch nicht einmal K).') Ptiiiid wog, trug ein
Gewicht von 127 Pfund. An manchen Stellen war der Aufstieg so
steil, dafä es den meisten von uus schon ein saures Stück Arbeit war.
*) Nach Dr. Krause durfte die Annahme einer eigenen indianiBchen Benennang
Kotusk f&r diese Berge, die auch keine eigentliche Kette bUden. iirig sein. Nach
den früher in dieser Zeitschrift verüfTentUchten Pioiseberichten de.<$ Dr. Arthur Krause
bodeutf'f Kotafs odor Kotaska: banmfreies Terrain btum Febergang aus einen
Thal ins andere. Schahsehekih. wie auf der ersten dnich diese Zeitschrift ver-
ofTeutlicliten Kartonskizze des Dr. Krausi- als indianischer Nainc dieses Fa.sses
zu lesen, bedeutet soviel als: oben auf dem Berge. Dr. Krau.se schützte die Höhe
des Passes nach der gemessenen Höhe seines letzten Halteplatzes zu unget'ahr
1200 m.
Digitized by Go ^»^.^
21 —
mit ei nein gei liigt ii Handgepäck von 20- 30 Pfund liinaufzuklimmen.
Da niufsten alle, Wcifse und Indianer, auch die Hände gebrauchen, und
sk'b an den hier und da aus den I eisrissen hervorragenden Wurzeln
vl^l\ Fieliten und Wachholder festhalten. Der lange Zug der Wanderer,
wie sie an den weifsen Scluieeabstürzen gleichsam hängend und mit
den Händen sich stützend hinaufkiommen, gew&brte einen wunder-
baren Anblick. Der Schnee war gerade eben noch nachgiebig genug,
da& die voranschreitenden Tr&ger feste Fufsspnren treten konnten,
m denen man mit einiger Sicherheit folgen konnte. Beim Eintreten
wurden die Fufsspitzeu nach nnten gesenkt, so dafs die Fufstapfen
vom am tiefsten eingedradct waren, was das Gehen allerdings
mflhsamer machte, aber mehr Sicherheit gewährte. Die meisten
Indianer trugen kräftige Alpenstöcke, manche hatten aber keine
solche Stütze. Der erreichte Pafs wurde von mir Perrier-Pafs, nach
Ober>t J. Perrier, dem Vizepräsidenten der geographischen Gesell-
schaft und Institutsntitgiiede in Paris, genannt. Bald nachdem man
den Perrier-Pafs hinter sich hat. ist der Abstieg auf einige hundert
Fufs sehr schrotf und zwar nach einem kleinen, etwa 100 Acres
Flächeninhalt messenden See, der noch mit dickem Eä& überfroren
nnd mit Schnee bedeckt war. Irgend welche W aldungen oder Ge-
hölze waren nirgends zu entdecken und die Ode Winterkindschaft mit
ihrem lückenlosen Schneemantel trug einen entschieden arktischen
Charakter. Nur eine Pfuhlschnepfe (Numenius Hndsonicus) und ein
paar Schwalben (Cotyle riparia) belebten die sonst YOllig erstarrte
Natur. Lftngs dem Thale, durch welches das Wasser dieses kleinen
arktischen Sees abfliefst, führt der Pfad auf der Strecke von 4 — 5 miles
über hohe Schneetriften. Die.se bildeten Drücken über die Wasser-
zflge, deren Rieseln zuweilen unter der Schneedecke hervorklang.
Später wurden die Wasserzüge kräftiger, die Schneebrücken
waren eingestürzt und zeigten an diesen Stellen sich 10 bis 25 Fufs
mächtig, hier war die Passage beschwerlich, ja gefährlich. Erst
um 7 Uhr abends, nachdem wir, auf einem weit schlechteren W^ege
als Tags vorher, 14 miles gemacht hatten, wurde das Lager auf-
geschlagen. Dieses Lager (Nr. 6) war am Ostufer eines grofsen
Sees; bis hierher hatten sich die indianischen Gepftcktrftger ver-
piliehtet zu gehen; einige von ihnen yerlangten noch an demselben
Abend ihren Lohn und gingen in der That sofort, nachdem sie den-
selben empfangen, wieder über den Perrier-Pafs zum Dejäh-Flufs
zurück. Die astronomische Lage unseres Lagers wurde bestimmt,
und der See, nach Dr. Lindeman von der Geographischen Gesellschaft
in Bremen. Lindeman -See genannt. Hier blieben wir zwei Tage;
zunächst dachten wir daran, das etwa 7 bis 8 miles eutiernte Ende
— 22 —
des Sees in zwei Kanoes zu erreichen — der See ist 10 miles lang
und 1 bis 2 miles breit — , eintretendes stfirmisches Wetter liefs
uns jedoch yon diesem Vorhaben abstehen und auf unseren ursprflng-
liehen Plan, ein Flofs zu bauen, zurückkonunen. Nach zwei Tajzeii
war das Flof^, in der Lilniie von 30 und in der Breite von 15 Fnls,
fertig; leider waren die Balken, aus denen es bestand, nur diiun,
stärkere waren aber nicht zu erlangen. Bei einem Versuche zeigte
sich denn auch, dafs das Fahrzeug seiner Anfjxabe kaum irewachsen war;
als es, am 15. Juni, ab^qng, trug es nm* drei von unserer Gesellschaft
und die Hälfte des Gepäcks. Der Best des lezteren sollte von vier
Indianern, sobald als es das Wetter erlaubte, nachiiebraclit werden.
Das Land um den Lindeman-See ist bergig und ziemlich gut mit
Waldungen niedriger gekrümmter Kiefern und Fichten bestanden.
Mdven und einige Enten zeigten sich auf dem See, aber im all-
gemeinen war Wild, besonders grösseres, hier spärlich. Das graue
Haselhuhn (tetrao obscums) war in ansehnlichen Mengen in den W&ldem,
allein alle Vögel waren in der Bnitzeit, und darum zur Nahrnn^
nicht geeignet. Die Fahrt mit dem Flofs auf dem Lindoman -See
war über alle Mafsen stürmisch, es wehte heftig ans dem Süden,
ein Wind, der um diese Jahreszeit hier der vorherrschende ist.
Das Flofs hob und senkte sich mit den Wellen, die beständig darüber
wegspritzten, wie ein Schiff in der See; dennoch war die Ladung
in gutem Zustande, als wir das Ende des Sees erreichten. Der Rest
der Gesellschaft nahm, wie bemerkt, den Weg über Land, wobei die
12 bis 15 miles ungefähr ebensoviel Stunden erforderten, weil das
Terrain das denkbar schlechteste zum marschieren war. An dem
unteren (ndrdlidien) Ende des Lindeman-Sees fliefst ein kleiner etwa
20 bis 30 Yards breiter Flufs aus demselben. Derselbe ist */4 miles
lang und ergtefst sich in einen zweiten See. Dieser kleine Flufs
ist voll Stromschnellen; besonders bös fQr die Passage ist eine
Biegung an einem grofsen Felsen, der gerade in die Mitte des
Gewässers vorspringt und so eine Art Kaskade erzeugt, die sehr
bedenklich für die Sicherheit des Flosses schien, das hier hinab-
gleiten sollte. Diese ersten Stromschnellen des Yukon wurden von
unserem Flofs am 16. Juni passifu't und obwohl es hie und da in den
Kaskaden festgeriet, kam es doch mit dem Verlust der Seitenbalken
und einer allgemeinen Durchschütterung davon. Die Tragstelle zwischen
den beiden Seen wurde nach Leutnant Julius Payer, einem der ( liofs der
berühmten Tegetthoff-Fahrt, Payer Portage genannt. Den 17. und 18.
brachten wir damit zu, unser Flofs auf 16zu42Fufs zuvergrdfsern und
starke Verzimmerungen anzubringen, damit es sich leichter hebe.
Nun zeigten sich Moskitos in Schw&rmen, eine Pest, die uns auf
uiyiiiziüd by Google
— 23 —
unserer ferneren Beise in der empfindlichsten Weise peinigen sollte.
Wir trafen hier vier Tah-Eeesh-Indianer; einige dieser Indianer kommen
h\< hierher, um mit den Chilkats, die früher auf diesen Pfaden ein
ihjdoiitoiKles Geschäft machten, zu handeln. Jetzt durften die Tah-
Iveesh nicht über den Perrier- I*afs nacli der jiacifischen Küste
koiiinicn. die machti^^eren Chilkats, welche sie \vie Sklaven behandelten,
und den eintriVirlichen Handel zu monopolisieren wünschten, hatten
es ihnen verboten. Neuerer Zeit sind jedoch alle diese Beschränkungen
he^itigt, die Sklaverei ist faktisch aufgehoben und ich hatte einige
Tah-Kecsh-Indianer (von den Chilkats und den meisten Händlern
Stidc- Indianer genannt) unter meinen Gepftcktrftgem. Früher
konnten die Chilkats nur vom Ende des Chilkat-Flusses nach dem
Tah-keena handeln, die Chilkoots monopolisierten den Weg vom
Dejih zum Lindeman-See und diese beiden Pfade, welche von ver-
schiedenen Flüssen nach verschiedenen Punkten des Tukon gehen,
sind von Leuten, welche Karten von diesem Teile Nordamerikas zu
machen hatten, in der bedauerlichsten Weise durcheinander geworfen
wurden ; sie schöpften eben ihre Informationen aus an sich konfusen
und noch dazu mangelhaft verstandenen und interpretierten Indianer-
berichten und waren zu eifrig in der Ausfüllung ihrer Karten.*)
Die Cliilkoots erlauben jetzt den Chilkats die Benutzung ihres alten
Püades nach dem Lindeman-See un(i der andere ist thatsächlich auf-
gegeben, da er wenigstens vier oder fünf mal so weit ist.^) Früh
am Morgen des 19. war das Flofs vollständig wieder hergestellt
und wurde »the Resolute** getauft (freilich nicht oft so genannt) ; es
wurde beladen und um 9 Uhr vormittags in Fahrt gesetzt Es hatte
nun ein Vorder- und ein Hinterdeck, welche so hoch waren, dass die
darauf verladenen Effekten, noch dazu unter dem Schutz getheerter
Leinwand, trocken blieben; ein Segel, dafs ans einem grofsen
.Soldatenzelt gemacht war, war so angebracht, da Ts die ganze Fläche
sich dem ^Vindc darbot. Der neue See, welchen wir jetzt befuhren,
wurde von mir Bennett-Sce, nach James Gordon Bennett von New-
york, jenem berühmten Landsmann und Förde ler geographischer
Forschung, genannt AuJEser dem Flufe, welchej den Lindeman-See
«) Ganz in gleichem Sinne bemerkt Dr. Kianse: ,Die Yeiwechselnng der
beiden Wege hat in der That grofee Terwirrang herbeigeführt; Indianerberichte
nnd sehr uasitverUeng; wir selbst haben sieben verschiedene „Indianerkarten'';
nur eine derselben Btimmt schematisch mit dem jetzt bekannten wahren
Sachverhalt Diejenige, der ich vorläufin; den Vorzug gab, giebt dem See
Klok-tas-si, hei mir Khiktassajc, eine fulsclie Lafje."
Nach Di- Krauso's Mittoilung i.sf diese dem Verfasser gewordene Aus-
kunft nicht zutreffend: noch jetzt komme die Hauptmasse des PelzweriKfi
»ui diesem aUerdingH weiteren, aber bequemeren Wege zur Küste.
Digitized by Google
— 24 —
entwässert, hat der Bennett-See noch einen anderen Znflufs von älml icher
Stärke an seinem oberen Ende; dersel))e kommt von Westen dnrch
ein scharf markiertes Thal. Der Bennett-See ist 39V/2 miles hing nntl
1 — 3 miles breit. Beide Seen iilineln sehr einiiien der engen oceanischen
Biuneni)assagen im Fliitwasserstreifen von Alaska. Die sich am rechteii
östlichen Ufer anftürmenden Berge waren hier und da oben mit matt-
roteu Felsen bedeckt; Bruchstücke dieses Gesteins am Seeufer zeigteu
sich eisenhaltig und wurden diese Berge darum ^the Iren capped
niountaius" genannt. Ungefähr in der Mitte der Länge des Sees
erhob sich am Ostofer ein nach beiden Seiten weithin sichtbarer
Felsen, der den Namen »Richards Rock" nach dem Viceadmiral
Richards von der britischen Kriegsmarine erhielt. Am 19., als
der Sturm aus Südwesten sich steigerte, zeigte sich das Flofs
unsicher. So wurde es denn am folgenden Tage wiederum einer
Reparatur unterzogen: wir setzten einige weitere starke Balken in
der ganzen Länge des Fiosses ein und schlugen so viel Nägel ein als
möglich.
Am 21. ging die .^Resolute" bei heftigem Sturme wieder in
Fahrt und setzte Segel ; obwohl die Wellen mächtig schlugen wie in der
See, so segelte das Flofs tlott und erreichte gegen 5 Uhr naclnnittags
das Ende des Bennett-Sees. Ungefnhr gegenülier von Richards Rock
scheint ein Flufs, dessen Mündung über 100 Yards breit ist, einzu-
flielsen, wahrscheinlich sieht man aber nur einen Arm des Sees,
während das Thal des Flusses selbst sehr wohl markirt ist
Seeschwalben und Möven wurden längs dieser Seen öfter ge-
sehen, das Vogelleben wurde bei der Weiterfahrt immer reicher,
dagegen konnte, trotz eifrigsten Angelus mit Kdder und künst-
licher Fliege, kein Fisch gefangen werden. Das Land am nörd-
lichen (unteren) Ende des Sees war autfallend oHen, es zeigten sich
viele flache, ebene Stellen, besonders in der Gestalt scharf aus-
geprägter Terrassen längs den steilen Berirseiten : vermutlich haben
in früheren geologisclien Perioden die Seen höhere Niveaus gehabt.
Die Berge waren weniger geneigt, der Schnee war von ihren Spitzen
verschwunden, Rosen waren in Blüte, wilde Zwiebeln dienten uns zur
Nahrung, überhaupt zeigte die Pflanzenwelt sich vorteilhaft verändert.
Der Bennett-See wird durch einen nur 2 miles langen und etwa
150—200 Yards breiten Flufs, dessen Strömungsgeschwindigkeit etwa
3 miles in der Stunde ist, entwässert Trotz dieser kurzen Erstreckung
ist das Flüfschen auf V« seiner Länge seeartig erweitert. Die Indianer
nennen ihn Te-nahk-hee-na (hee-na-Fluls) oder den Fluls, wo d^
Caribon kreuzt Die Stelle ist auf der Karte mit „Caribou-Crossing*'
bezeichnet. Haselhühner verschiedener Varietäten sind hier in Menge
üiyiiizea by Google
— 25 —
Torhanden. Einige wenige Tah-keesh-Indianer wurden an dem FluTs
angetroffen; in einer Nacht verschwanden sie und zwar mit dem
Boot^ welches wir am Strande unweit vom Lager Nr.- 10 an dem
Ueioen See zurückgelassen hatten.
Während bisher das unausgesetzt betiiebene Fischen mit der
Angel völlig erfolglos gebliehen war, wurde die Fischerei von jetzt
au besser. Am 23. Juni kam unsere Expedition in den dritten See
(abgesehen von dem kleinen eben erwähnten), der von den Indianern
Tah-ko ?iGnannt wurde. Dies war, dem Namen zufolge, der Tah-ko-See,
von well hem andere Reisende berichtet haben, obwohl nur die Aehn-
lichkeit des Namens, nicht aber die Beschreibung, geographische
L^ige und die Stellung zu anderen Seen den Anhalt boten, ihn zu
identifizieren.^ Der See ist 39Va miles lang, erweitert sich etwas
mehr als die vorerwähnten Seen und ist eiuigermafsen ausgebuchtet
Der vorherrschende Südwind war nicht immmr zum Segeln mit dem
Floiä gflnstig, da ein solches nur vor dem Winde laufen kann. Man
kann sich kaum die Httlflosigkeit eines Flosses auf einer ge^
wnndenen Strecke stillen Wassers vorstellen, wenn es höchstens ein
paar miles in der Stunde segeln nnd mittelst des kräftigsten Röderns
nur zum höchsten eine mile, im Durchschnitt aber nur um die
Hälfte dieses Wegemafses vorwärts gebracht werden kann. Die beste
Al)weichung, welche imsere „Resolute" von der Windlichtung macheu
konnte, war etwa 2Va Striche des Kompasses.
Vom 23. bis 26. Juni wurden wir durch widrige Winde oder
Stuten aufgehalten, so dafs wir iu dieser Zeit nur die Länge des
Sees zurücklegen konnten. Der See nimmt zwei Zuflüsse, vom Süden
und vom Osten, auf, einer dei*selben ist wahrscheinlilsh der Flufs,
dessen Quelle in der Nahe des Kflstenflusses Tah-koo zu suchen ist,
welcher letztere (im Taku-Inlet) in den pacifischen Ozean einmündet
Das Wort Tah-k6 ist in seiner Bedeutung von den Indianern streng
auf den See beschrankt und wird niemals auf den Flnfo angewendet;
jeder Teil des Flusses zwischen den verschiedenen Seen hat seinen
besonderen Namen. Eine der früher erwähnten „Autoritäten" hatte
uns ;^lauli«»n lassen, dafs die Indianer „in ihren leichten Birkenriiiden-
Kanoes kaum 1^ 2 Tag" mit der Fahrt bis nach Fort Selkirk, au der
Vereinigung des Pelly mit dem Ynkon, zubrächten ; dagegen erklärten
uns die Indianer, dafs sie dazu 12 Tage Kanoefahrt brauchten und
da(s wir mit unserem Flofä wohl 20 Tage, wenn uicbt melir, darauf
°) Nach den vun ihm bei Indiuuern und Goldsuchern eingebogenen Kr-
kundigungen Utt Dr. Krause es noch nicitt für fliisgeiiiacht, dals es wirklich
der oft erwihnte Tahko-See sei Uebrigens wiederholen sich Namen der Ein*
geborenen eehr hlnfig.
üiyiiizea by Google
— 26
zubringen würden ! Diese Indianer haben keine Birkenrinden-Kauoes
(ihre Kanoes sind aus Pappelholz) ; weun sie damit schnell liiessende
(jewftsser hinabfaliren, rudern sie nur um sich im Strom zu halten;
sie reisen auf diese Weise 8 bis höchstens 10 Stunden den Tag; da
unser Flofs 10, 12 selbst 14 Stunden in Fahrt war, konnten wir
ungefthr eben so schnell reisen, wenn man von dem Aufenthalt an
den Seen absieht Von dem oberen Ende des Tah-kö-Sees nach Fort
Selkirk ist es 433 miles« auf einem vielfach gewundenen FluCs; die
Strömung ist so stark, dafs die Indianer ihre Kanoes aufwärts nicht
rudern, sondern mittelst eines Taues, am Lande jrehend, ziehen.
Dies möge als ein Beispiel dafür dienen, welehes PhanUisiebild
manche Beschreibungen von dieser Gegend geliefert haben. Ein
anderes Beispiel. Eine (iesellschaft Miner wai ungefähr bis zu der
Oertlichkeit , wo wir uns jetzt liefanden. vorgedrungen; aus ver-
schiedenen (Jründen, auch weil die Karten unzuverlässig waren,
wollten sie umkehren. Indessen erklärte einer der Miner, mit einem
Boot die Reise fortsetzen zu wollen, um eine schon vorausgegangene
Gesellschaft zu erreichen ; bei diesem Vorhaben stützte er sich haupt^ «
sachlich auf die Karte des Coast Survey, welche weiter vorw&rts am
Flusse zwei Indianerdörfer verzeichnete; von diesem Umstand ver-
sprach er sich eine Erleichterung der Ausführung seines Vorhabens.
Endlich entschlofs sich die ganze Gesellschaft, die Reise fortzusetzen,
aber es kam ihnen weder ein Indianerdorf, noch auch nur ein
Indianer zu Gesicht! Auch wir fanden nur wenige Indianer an diesem
Teil des oberen Yukon. Dieses System des „Kartenniachens" kann
nicht entschieden genug verurteilt werden. Es ist schlimmer, als
wenn es gar keine Karte der ])etreft'enden GeL^end gilbe. Gern kann
man glauben, dafs diese Kartenmacher, indem sie die weissen Stellen
der Karte ausfüllen, nichts Übles beabsichtigen, aber nur Der, welcher
jemals durch ein solches Labyrinth der Phantasie eines Kartographen
gereist ist, kann beurteilen, wie sehr sich dadurch die Schwierig-
keiten des Forschens und überhaupt des Reisens steigern. Wenn
jener Miner seine Beise weiter fortgesetzt hätte, so w&re er ent-
weder den Hungertod gestorben, oder er hätte wenigstens schwere
Leiden und Entbehrungen ertragen müssen. Selbstverständlich zielt
mein Tadel nicht auf roh konstruierte, jedoch auf zuverlässige Daten
gestützte Karten, er gilt nur den gänzlich auf Phantasie beruhen-
den Karten.
Am Tha-kö-See wurde 8—10 miles voraus aufsteigender Ivauch
gesehen. Unsere Indianer zümleten. zur Antwort, ebenfalls ein Feuer
an, in der Vermutung, dafs jener ferne Uaiieh durch ein tags zuvor
von uns angezündetes 1^'euer hervorgerufen sei. Dieses System des
*
Digitized by Google
— 21 —
gegenseitigen Signalisicrens durch Rauch ist unter den Tah-keesh-
Indianern und den Handlern vom Stamme der Chilkats ganz
gewöhnlifl).
Am 2(). \\i\v (las Endo dos Sees erreicht, aus welchem ein
4 — 500 Yurils breiter Flufs abtiicfst; letzterer ist indessen sehr
seicht; in den ersten und letzton paar Ilmulorton von Yards seiner
etwa 10 iiiiles betrajionden LjIii^c Huden sicli in dem Fbifsbett
zahlreiche ^ofahrliche Fölsen. Am ()<tuter des Flussos, nahe dem
vierten See, steht oin wohlgebautes Tah-keesh-llans: dieses und
eine Hütte an diesem See sind die oinzi^'on damTiidi n Anzeichen der
Anweseidioit von Indianern lilnirs dos umh/a n Flus>es bis nach Fort
äelkirk. Beide Wohnun j-on waren jetzt verlas^on. " i
Der vierte See ist 2ü miles lanu' und breiter als der Tah-kö,
aber bedeutend seichtor. besonders in der Nahe der Ufer; hier
fanden sich nniditiu'e Al)laiierungen von Gletschorbdim. eine feine
weifse Masse, die durcli Gletscheraktiou im Queligebiet des Stromes
entstanden ist; unser Flofs, das doch nur zwei Fufs Tiefgang
hatto. konnte dem T'tVr oft nicht naher als 50—60 Yards kommen.
Gleichwohl war das l fer sehr bor^qg und man h&tte annehmen
können, dafs der Abfall sich am l'fer noch fortsetzte. An solchen
Stellen wateten wir in Wasserstiefeln ans Land, indem wir alles zur
Errichtung des Lagers Erforderliche mitnahmen. Naeh den ver-
öffentlichten Beachreihungen von dieser Gegend dachten wir, es sei
der Lebarge-See oder der letzte an dem sogenannten Tah-kö-FIufs,
allein unsere indiamschen Ftthrer sagten, dafs noch ein weiterer See
ungefl&hr von derselben Gröfse sich finden werde, ehe wir Fort
Selkirk erreichten. Da nun der Lebarge-See der letzte ist, so
mnfste es eben dieser letztere und nicht der jetzt erreichte sein.
Am Ostnfer des Sees, den ich nach Professor Marsh den Marsh-See
nannte, zeigten sich viele flache Stellen, bedeckt mit üppigem Gras
vom vorigen Jahr; diese erschienen uns im langsamen Vorbeisegeln
wie Hafer- oder Weizen-Stoppelfelder. Die Bäume am Seeufer hatten
immernoch, wie stets, seitdem wir den Porrier-Pafs hinter uns hatten,
eine Neiuiinj^ nach Norden, ein Beweis des Vorherrschens starker
Südwinde. Auch längs des Marsh-Sees zeigte sich das Lan<l abge-
stuft, ai)er nicht in so ausgeprägter Weise als am Bennett-See. Die
Richtung und Starke der Winde war jetzt so veränderlich, dafs wir
sie st«'ts, ohne Ilücksicht auf die Tageszeit, hcimt/on mufsten, so-
bald sie nui* günstig für unsere Fahit waren. Diese setzte sich des-
*) Dies ist der Fiats bei mir Taglach — , tm dem die Chilkats mit den
Stick-Indianern zum Handel znsammenkommeil. Das Hans gehört einein der
letsteren, der durch Heirat mit den Chilkats vmehwi^ert ist Dr* K,
Digitized by Google
— 28 —
halb zttweik'ii bis in die Nacht hinein fort; in unserer Breite war
indessen um Mitternacht nocli innner Dämmerlicht. Um Mitternacht
des 28./29. Juni, während wir Uber den See segelten, war allein
Venus sichtbar, erst viele Nächte später sahen wir auch andere
Sterne. Am 29. verliefs unser Flofs den Marsh-See and glitt den
Fiufs 6 — 7 miles hinab, bis wir unseren Lagerplatz anfischlugen.
Hier waren die Ufer mit dichtem Weidengebüsch besetzt, so dafs es
einigermafscn schwierig war, einen Lagerplatz ausfindig zu machen.
Am n«3rclliclicn Ende des Marsh-Scos fliefst ein breiter FliUs, der
nach Sir Leopold McClintock, von der britischen Kricgsmai'ine, ge-
nannt wurde, ein.
Am l. Jiili orreit htcn wir das bedeutendste Stromhindernis des
Yukon, ein - 3 miles lanues Cafioii, dem auf 4 miles Lange starke
Stromschnellen folgten. Die Uferseiten des Gafion bestanden aus
Bai>altfelsen, deren 50 --60 Fufs hohe Säulen so regelniäfsig waren,
wie die der Fingalshöhle. Das Canon war etwa 100 Fufs breit; der
schäumend und sprudelnd hindarchschiefsende Strom Terengte sich
hier anf Vs bis Vio seiner bisherigen Breite. Dieses Gafion wurde
nach dem Departement -Commander, General Miles, von der Ver-
einigten Staaten-Arinee, welcher, wie bemerkt, die Expedition ins
Leben gerufen hatte, benannt. Am 2. Juli schofs unser Flofs durch
das Caflon und erlitt dabei durch Anstofsen an die Felsen einigen
Schaden. 23 miles weiter abwärts kommt von Westen der Tahk-
hecn-a herein, der sehr trübes Wasser führt und etwa oder * 3 so
breit ist als der Yukon. Ein etwa 4000 Fufs hoher Berg, welcher
zwischen jenem Flufs und dem Yukon sich erhebt, wurde nach
l'rofessor Ilaeckel in Jena genannt. Der nächste auf der Karte
verzeichnete See führt bei den Indianern den Namen Kluk-tas-si,
diese Benennung wurde beibehalten. Eine malerisch am westlichen
Ufer hervortretende Gruppe roter Felsen wurde nach Professor
Freihenm Ton Richthofen in Leipzig benannt Nach der Aussage
einiger unserer Indianer sollte hier ein Flufs einmflnden, allein wir
konnten es nicht ermitteln. Das Ostufer besteht aus hohen, rund-
lichen, grauen Kalkfelsen. Maunoir-Butte tauften wir eine scharf
hervortretende steile Erhebung am östlichen Ufer, indem wir auf
diese Weise den Namen des Sekretärs der Pariser geographischen
Gesellschaft verewigten. Red Butte erhielt seinen Namen von der
Menge rotblühender Blumen, die es schon aus der Ferne rot gefärbt
erscheinen liefsen.
Bei Uri/xly-Bear-Bluff zeigte sich ein grofser brauner Bär. Etwa
40 miles jenseits des Kluk-tas-si mündet der 120 — 130 Yards breite
Newberry-Fluls in den Yukon; sein Wasser, das aus Tondra-Land
üiyiiizea by Google
Digitized by Google
.
•••• • •
..•e ••••
••••
•••
• • • -
••••
• •»
••••
••••
— 29 —
abflieCst, hatte eine tiefechwarze Farbe. Nach weiteren 40 iniles
stromabwärts mündet der von uns nach dem Mitgliede des französischen
Instituts, TTorrn D'Abbadie, genannte Flufs. Noch ein zweiter und
dl ittor Flufs münden von Osten ; der dritte, welcher dem D'Abbadieund
dem Newberry-Fhifs sehr ähnelt, wurde nach dem Präsidenten der
amerikanischen geographischen GreseUschaft in Newyork, Charles
P. Daly, genannt Etwa 50 miles weiter abwärts mflndet von Osten
her ein von uns Nordenslgöld-Flufo getauftes Gewftsser. Das Land
zwischen den FlOssen ist bald eben, bald wellig und selbst bergig.
Kurz Yor dem D'Abbadie-Fluis steigt das Ufer zu dem von uns
Semenow Mountains genannten Bergen auf. Nahe dem Nordens^jöld-
Flufs windet sich der Yukon in engen Krümmungen; mufste d5ch
unser Flofs an sieben verschiedenen Stellen des Stromes immer
wieder seine Richtung auf Tantalus- Butte hin nehmen. Am 12.
schössen wir die letzte bedeutende Stromschnelle hinab, welche
ihren Namen nach dem dänischen GrOnlandsforscher und langjährigem
Inspektor von West-Grönlanfl, Dr. Rink, erhielt. Der Yukon ver-
engt sich hier auf die Hälfte seiner 6 — 700 Yards betragenden
Breite; Inseln aus Trapp-Felsen teilen hier den Strom. Wir fuhren
durch den Kiuiul zur lUuhtfn der Inseln, und obwohl die Wellen
drei Fnfs hoch gingen, blieb unser Flofs doch unbeschädigt. Die ^
Szenerie war sehr malerisch. Nach meiner Meinung könnte ein
tlach gehender Dampfer mit kraftiger Maschine den Stroniarm zur
Rechten der Inseln aufwärts fahren. Krweist sich dies als richtig,
so ist der Yukon auf 1866 miles, n.lmlich bis Miles Caflon, s( liitlbar.
Nun folgte bei einer Strombreite von mehr als V« miles noch eine
Gruppe von Inseln, an deren oberem Ende m&chtige Haufen von
Treibholz aufgesdiiilitrt waren.
Am 12. lagerten wir am Westufer, au dem Ausgang eines
weiten malerischen Thals, durch das ein kleines Gewüssei flofs.
Nach Graf Wilczek, dem generösen Förderer der Tegetthort-
Expedition, erhielt es den Namen von Wilczelc-ThaU Am 13. Juli
kamen wir nach Fort Selkirk, dessen geographische Lage zu
62'^ 45' 30" n. Br. und 137^ 22' 45" w. L. Gr. bestimmt wurde.
Bis hierher nahm i( Ii l astronomische Beobachtungen und 2 für
Kompafsvariationen, Herr Homann hatte 425 Bestimmungen mit dem
prismatischen Kompafs gemacht. Die Entfernung vom alten Fort
Selkirk nach dem alten Fort Yukon war 501 miles; diese Reise
stand uns nun zunächst bevor; sodann die vom Fort Yukon bis zur
Aphoon-Mflndung.
Digitized by Google
— 80
Itinerar m Tafel L . ,8tm**^'i;?'im
Von Chilkoot Mission nach der Mfindnng des Dejfth 16. 1
Weiter bis zum Beginn der Kanoe-Schinahrt auf dem Dej&h i). ^)
, ^ zur Mündnn^ dos Noiirse-Flusses (West) 2. Ü
, , zum i*errier-Pars in den Kotusk-Bergen (41(X) Fuls) 11.—
n n 9 Krstei^ee (Beginn des Tokon) 0. (>
n » 9 I'BgÄr ani Lindeman-Soo 12. 1
Länge des Lindeman-Sees 10.1
Kap Koldewey ( liindeman-See) 3. 7
9 9 9 Nordende des Lindeman-Sees 6. 8
9 9 9 Sfidondo des Bennett-Sees oder T4"in<!e von Payer-Trap-
siello i^hier mündet der Homann-Fluis von Westen^.. 1. 2
, „ zu Przewalski's Point (Mündnng des Watson^Flnsses, Westseite) 18. 1
9 „ Kii lianls Kock Ostseite) 1. 2
, , zum Nordeude des Beuuett-Sees (das von zwei Flüssen dorcli-
^ strömte Watson-Thal mündet hier von Westen) 10.—
Lfinge des Bennett-Sees 29. H
9 9 9 Westende des Nares-Sees (durch den Caribou-Crossing-
Flufs) 1. 7
9 9» Ostende des Nares-Sees (oder Länge des Sees) 3. 8
„• j, , Perthes Point (oder Lfinj^'e des Bnvc-Si'os mit Bai und
vielleicht einem von Süden komniendcu Flufs) 8. 8
»ZOT Mündung des Tah-kd-Flnsses (Süd) 7. 8
, , zam Nordende des Tah-k6-Sees 10. 3
Tifmfrp des 1 uli-k('»-Sees IS.l
f, r 9 Südende des iMuish-Sees (oder Liinge des v* rljuideuden
Flusses) 9. 1
9 9 9 Nordenilo dos M;usli-Spf s ndi r Liin«:c dieses Seos (der
Mc Clintuck-Fluls mündet von Osten) 28. 8
9 9 9 oberen Ende von Miles CaSon am Ynkon 60. 9
L&nge von Miles Canon und Strömst Ii nellm
(Beginn der S( liifflj.ukeit des Yukon) 4.G
, j, zur Miuiduii^ des Tahk-l»een-ali-i lusses (West) 2;$. 1
g , zum Nordende des Khik-tas-si-Sees (vielleicht Lake Lebai^) 17. 8
„ „ zu llichthofeii Rucks (und vielUit lit Flnfs» Westseite) 14. 4
, „ zulu Nordende des Jüuk-tas-si-Sces 22. I
L&nge des Klnk-tas-si-Sees S6.ö
, ff zu Maunoir Butte (Ostl Ijß. 2
„ ^ „ Ked Butte (West) .: 3. 2
j, , j, (irizzly Bär-Ufer (West) 9. 4
, » zur Mündung des Newberry-Flusses (Ost) 8. 9
, , , , n D'Abbadie-Flusscs (Ost) ,'58. —
, , , - „ Daly-Flusses (Ost) 41. Ü
, . zn Adlers Nest Bntte (Ost) 10, 7
p , „ Nordeuskiöld-Flufs (West) 39. 1
j > . Miiiks Stroinscliuellen im Yukon 25. 4
, , ^ liuot-chc-kuo Bluff (Ost) 25. 8
„ , ^ von Wikzek's Thal (Ost) 17.—
„ >. r Fori Selkirk (dmrli die Iiij^ersoll-In-ilii, Wi'.st) 21.'.'?
Uesanuntlünge des auf dieser Heise durchforschten Gebiets 538. 8
„ der Reise mit dem Flofo vom I.;iger am Lindeman<See
bis nach Fort Selkirk 486. 8
f, der ganzen Beise mit dem Floi's auf dem Yukon, von
Lindeman-See bis nach Nuklakayet 1303. 2
, des Yukon 2043. d
Digitized by Google
— 31 —
E« Besuch in den portugiesischen Kolonien Südwest-
afrikas (Sommer I883j.
Von Dr. A. v. BanekelMi.
Hiena Tafel 2: Bontenskisse des YerfuMf» und des Wandenag^ der Bosrs
vom TransTaal nach dem Conene-Gebiet.
1. Reise ii det ProTins Mossteedes.
Fischreiehtnm der KHstengewIsser SUdwestafrikas. (ieringe Ausbeutung derselben.
Niedrige Preise der Fi.sche. Die portui^iesiachen Zollgesetze. Der Hafen von LoMid«.
Koloniale Mif^wirtschaft. Dampferfahrt nach Henguj'lla. Die Stadt Henguella und ihre
Bewohner. MossMimedes. Die Welwitohia. Das Keinen in Südafrika. Wagen, Zug-
wmä Keitttere. »GeMlaene« Pferde. Anfbnioh nach Hnil* Der VlntB Bero. OemOse-
nnd Pl.intageiiliau in demselben. In der Wüste. Der Ochsentreiber. Im Rio Oiraul.
Nachtlager. Kuaststrafse. Vegetation. Pedra Major. Pedra Ornndt». Wasserbecken.
Lafter!«cheinnDg. Ittischland. Das erste fliefdende Wasser. Bibalia. Portugieäidche
Pflanzung daselbst. Einiges über die ArbeiterrerhlltniaBe in dan portngieiiMhen
KokmieB Hüdwestafrikaa. Daa Cballagabirg«.
Die Sadwestküste Afrikas ist seit der Zeit ihrer Entdeckung
bekannt wegen des enormen Reichtnmes an Fischen und anderen
Seetieren, die hier in ganz unglaublichen Mengen auftreten, worauf
schon geographische Bezeichnungen, wie : grofse und kleine Fisc)i-Bai,
Walfisch-Bai, Robben-Bai u. A. hinweisen. Die Reichtümer der Natur
werden hier inde.s noch laiiLre nicht in vollem Umfange ansgebeutet;
armj^elig ausgoriLstete, in drückenden Verhaltnissen lebende Fischer,
die aus der portngiesischen Provinz Algarve ansgewandert sind,
betreiben hier längs den Küsten der Provinz Angola nnd Mossaniedes
den Fang der gewöhnlichen Fische; deu allerdings spärlicher ge-
worilenen Walen steilen nordameriiouiische Waler nach, die in diesem
üast immer rnhigcn und nur äusserst selten durch einen Sturm
aafgeregten Teile des sttdatlantiscben Ooeans oft 3—4 Jahre lang
ununterbrochen kreuzen; den zum Leben nötigen Unterhalt kaufen
sie Ton vorbeikommenden Postdampfem oder in St. Helena; hier
iagem sie auch die Ausheute ihres Fanges, die sp&ter nach den
Hanptmftrkteu fttr Thran und Fischbein abgesandt werden. Von der
Menge der gewöhnlichen Fische an diesen Küsten macht man sich
nur sdiwer eine Vorstellung. Als ich eimnal in der Bai von Benguella
früh morgens nni 3 Uhr bei völliger Dunkelheit in einem Boot vom
Pobtdampfer ans Land fuhr, leuclitete die ganze Bucht, soweit man
sehen konnte, von den dichtgednlngten Fischscharen, zwischen deren
in hellem Pliosphorglanz strahlenden Massen gröfsere Raubfische
blitzartig herumfuhren und die kleineren zu lebhaften Sprüngen aus
dem Wasser veranlassten. Die Preise der Fische sind denn auch
sehr billige. Für eine Aroba oder 16 kg getrockneten Fisch zahlte
ich in Moflsämedes bei einem Kaufe, noch nicht einmal aus erster
Digitized by Google
— 32 —
Hand, nur 500 Reis fortes oder etwa 2 Mark 20 Pfennige. Mit den
Transportkosten, die sich auf etwa 200 Reis für die Aroba stellen,
kostet diese <iuantitat Fiscli am Congo etwa 700 Reis oder 3 Mark
10 Pfennige und genügt dieselbe zur opulenten Nahrung fQr etwa
60 Neger auf einen Tag, wenn man denselben dann noch je 1 Pfund
Reis bewilligt. Der frische Fisch schmeckt ausgezeichnet, namentlich
eine Sorte, die unserem Steinbutt gleicht
Die Stadt St. Paul de Loanda ist so oft beschrieben und nament-
lich in den Keiseberichten unserer deutschen Afrikareisenden: Pogs^e,
Wifsmann. Schütt u. A. so oft erwähnt wonlcii, dufs ich auf eine
Beschreibung derselben hier füjrlich wohl verzichten kann.
Auf allen portn^nesisclieu Kolonien lastet drückend und Unheil
erzeni?end tler Fluch einer Reihe drakonischer Zolluesetze und der
Abschliefsunii; des Landes durch eine hohe chinesische Zollnmuer,")
sowie der Müüsregierung durch schlechtbesoldete und jeder Bestechung
*) W ir Inssen hier einen Auszug aus dem für die Zollhäuser von LoaudOi
Bengnella und Mofis;imede<5 gültigen Zolhegleuient fulgt'U.
Es kosten danach Eingangs/.oü (225 Reis = 1 Mark):
Hohe ungefärbte Baum-
wollengewebe kg lüOUeis
GeflrMa Banmwollenge-
webe aller Art , 400 ,
Ben , 16 ,
BafBnioHer Zucker ^ 40 ,
Olifenöl oder anderes Oel
7nm Kssgebraurh 1(11 äOO ,
Branntwein oder andere
gewöhnliche ähnliche
alkoholische Getränke . „ 1000 ,
Wehl, Essig n. Bier in Fl. , 800
Liquenre „ 1800
Champagner , 2000
Tliee kg 500
Steinschlorsflinten Stack KKK)
Andere Arten „ !J(XX)
Wollene Stoffe kg 700
Weizenmehl 20
Leinwandstoffe je nach der
Verarbeitung kg .iö-SM Reis
Bntter ^ 160
Petroleum , . 20
Palver , 900
Seife 30
Salz 101 80 ,
Seidenwaren kg l(X)0-2500 ,
Kerzen kg 70 .
Diverse Gcgenstünde, als: Nadeln, Nürn-
berger Spielwaren, Bindfaden, Stiefeln,
Spiegel, Steinzeog» Porzellan, ParfÜ-
merien, StreichliOLBer, Glasscheiben,
Httte, Kunwaren aller Art n. A.
25 •/o ad valorem
Met.iUe: Kupfer kg 300Bei8
Gufs- u. Schmiedeeisen , 6 »
Zink, Blei, Stahl - 10 .
Edelnu talle lO^' o ad valorem
Zollfrei sind: Fafsdauben, aus den Knlrmion stammendes Salz, Zuckerund
Branntwein, ferner rohe Baumwollengarnt' zum Wehen, Wagen und Ackerbaugeräte,
Steinkohlen, fremde Uold- und Silbermünzen, Böte, Netze, Gemiise und Maniok-
mehl, Bücher, Fisser, Sicks nnd Msachinen ffir indnstrieUen nnd landwirt-
schaftlichen Betrieb.
Landesprodakte, als: Fischöl, vegetabilische Oele, Hols, Wachs, Palmkerne,
KafTo . Ft lle, Kautschuk, getrocknete und gesalzene Fische, ölhaltige Samen,
Tabak u A . nach portugiesischen Bestiinmnngshäfen eiportiert, sahlen S^/o ad
valorem, nach fremden Häfen ö^/o an AnsguigSKöUen.
Digiii^eu by Cookie
S3
zuiraii.uliclie. auf Krpressungen geradezu angewiesene Beamte. Der
Preis aller lunl jeder europiUschen Artikel ist daher denn auch in
Loanila ein ganz ungelienorlicher, die Auswahl ist dabei sehr gering
und bildet daher dieser Platz einen sehr ungoei«ineten Punkt für
die Ausiüstung von Expeditionen oder für die Kompletierung von
Scbiffi^bedarf. Der vortreftliche Hafen von Loanda ist in Folge dessen
sehr wenig besucht; au£ser den englischen Postdanipfern, welche die
fieiae bis dahin von Liverpool in etwa 40—50 Tagen machen und
den portugiesischen, welche von Lissabon etwa 28 — 30 Tage bis
dahin brauchen, sieht man nur selten Schiffe daselbst, am meisten
noch amerikanische Segelschiffe, die dahin Proviant, Schmalz u. A.
ond dann besonders gesägte und zugehobelte Bretter und Balken
för Hänserbau aus dem den Angriffen der weifsen Ameise allein
widersteheniK n Pitchpine-flolz bringen und dafür Kaffee, Wachs u. A.
wieder au>füliren.
Charakteristisch für den in der Kolonie herrschenden unglaub-
lichen Schlendrian ist die Tatsache, dafs man die Stralsen in dem
unteren Teile der Stadt so weit hat versanden lassen, dafs man jetzt
das Strafsenphaster alter, i&ngst vergangener Zeiten, als Loanda
noch ein blühender Sklavenausfuhrort war, aus einer Tiefe von
etwa einem Meter wieder in einzelnen Strafsen ausgräbt; ich glaubte
mich zuweilen in die Strafeen von Pompeji versetzt, als ich diese
Ausgrabongsarbeiten' sah: so unglaublich ist die Gleichgültigkeit,
dafs man Jahrzehnte und aber Jahrzehnte ruhig zusah, wie der
Hegen und Wind den Sand von den Abhängen, auf denen die obere
Stadt erbaut ist, herabwusch und die Strafsen allmählich höher und
liuher bedeckte, so dafs man nur noch mühsam in dem Sandmeer
der unteren Stadt sich fortbewegen kann und meist vorzieht, sich
in dem, Maxilla genannten, Tragestuhl durch sie von zwei Schwarzen
tragen zu lassen, denn das Waten in dem feinen Sand ist gar zu müh-
sam. Eine regelmäfsige Stral'senreinigung hätte mit weingen Kosten
und Mühe eine solche langgetragene Kaiamitat verhindert. Den
Niedergang der Stadt lehren zahlreiche leer stehende Häuser, die
zum Teil schon dachlose Buinen sind, auch einzelne Kirchen, sehen
sehr abel aus, denn wenn auch an hohen Festtagen den ganzen Tag
die Kirchenglocken erschallen und unendlich viele Raketen, Schwärmer
und anderes Feuerwerk bei hellem lichtem Sonnenscheine von der
Mulatten- und Negerbevdlkerung zur Feier und zu Ehren dieses
oder jenes Heiligen abgebrannt werden, so ist der Portugiese doch
durchau> nicht fanatisch katholisch und man überlafst die Kiichea
ruhig ihrem Schicksal.
Für die übele ^Virtschaft iu der Kolonie spricht ternei- der
ttfOKT. Blfttt«r. Breraea, 18b4. 3
uiyiiized by Google
— 34 —
Umstand, daTs die erste und einzige Telegraphenlinie, welche von
TiOando über Laiid nach Caliniiho am Quauza und höher diesen
Fhils hinauf führt, nach einjährigem lietriehe .schon seit l.umerei-
Zeit nicht melir benutzbar ist. Dieselbe erwies sich als von grol'seui
Nutzen für den Handel und seine Konjekturen auf dem Quanza,
allein die Salale, die weil'se Amoi<(', kam in die Telegraphenstangen,
dieselben tielen um und anstatt dieselben durch eiserne zu ersetzen,
liess mau das ganze Werk zu Grunde gehen. In Ambriz, nördlich
von Loanda, das von den Portugiesen erst Mitte der fünfziger Jalire
besetzt wurde, sah ich an dem Strand eine grofse eiserne Landunga-
brflcke fUr die BOte, die gewifis eine bedeutende Summe gekostet
haben mufs, in einem so verrosteten und zerfallenen Zustande, da£s
man sidi kaum getraute, auf diese kaum zwei Dezennien alte Bracke,
deren desolaten Zustand schon Serpa Pinto in seinem Beisewerke
beklagt, den Fuss zu setzen. Ein- oder zweimaliger Anstrich im
Jahr wftre genügend gewesen, dieses Bauwerk auf lange Jahre
hinaus in gutem Zustand zu erhalten.
Was kann man aber aucii von einer Regierung erwarten, deren
erste und vielfach einzig hervortretende Thätigkeit in der Errichtung
von Zollhausern mit all den Chikanen und Vexationeu, die solchen
Institutionen anhaften, besteht; deren Beamte und Soldaten bis in
den Oftiziersstand hinein ein elend bezahltes Proletariat bilden! Die
wenigen einsichtsvollen Gouverneure, welche die Kolonie gehabt hat,
haben stets als einziges Mittel zur üebung der Verhaltnisse einer
Aofbesserang der Beamtengehalte und emer Verminderung der Ein-
fuhrzölle in Lissabon das Wort geredet, aber eine kurzsichtige
Politik der Begierung und eine Koterie interessierter portugiesischer
Kaufleute in Lissabon hat immer die Einftlhrung durchgreifender und
daoemder Reformen verhindert.
Einzelne lobenswerte Xeueruugeu und Hes>erungen in einzelnen
Punkten sind leider von nicht langer Dauer. Ein tüchtiger Gouverneur
interessiert sich vielleicht für die eine oder andere Frage, es werden
in der betrettenden Richtung Schritte gethan, allein nacii 8 Jahren
tritt er von seinem Amte ab und sein Nachfolg<'r Iii Ist die Sache
gewöhnlich fallen. So existiert z. B. seit 1879 in der oberen Stadt
von Loanda ein recht gutes meteorologisches und magnetisches
Observatorium ; es ist in dem inflssig hohen Turm einer alten Kirche
ganz vorzOglich installiert und für den Zweck sehr günstig gelegen;
man hat auch bereits einen umfangreichen Band mit den Beobach-
tungen von 1879—1881 publiziert Der sich warm für die Meteoro-
logie interessierende Geueralgouverneur ist aber seit einem Jahre
tot, der sehr eifrige Direktor, Hafenkapitan aller Hafen Angolas,
Digitized by Google
— 35 —
ist soeben auch nach Europa zurückgekehrt und nun ist absolut
keine Garantie vorhanden, dal's das schöne Unternehmen in gleicher
zuTerlässiger Weise fortgesetzt wird.
Doch Jienug von Loanda. Zu der Fahrt weiter nach Süden
benutzen wir einen schönen, etwa 2000 Tonnen grofsen, ganz neuen
portngiesiachen Postdampfer. Die Kajüten und Salons sind reinlich
ud reidi ausgestattet, die Tafel reichlich und gnt, wenn natürlich
auch etwas ^ezifisch portugiesisch, an welche Zubereitungsweise
aan bei längerem Aufenthalt an der Südwestkflste schon gewöhnt
irt. Angenehm Ist es, dafo der gewöhnliche portugiesische rote
Landwein bei Tisdi ohne Beschrankung den Passagieren zu (Gebote steht
Bengaella, das man von Loanda mit dem Dampfer in etwa
27stündiger Fahrt erreicht, hat den Ruf, der Friedhof der portu-
giesischen Kolonien au der Westküste zu sein. Die ziemlich j^rofse
Stadt liegt etwas vom Strande ab, so dafs man vom Schiff aus nicht
Tiel von ihr sieht, am Strand liegt nur ein zerfallenes Fort und
natOriich — das Zollhaus. Die Stadt, deren erste Häuser man etwa
nach 5 Minuten Gehens auf einem gut unterhaltenen, mit Sycomoren
bepflanzten Wege erreicht, hat weite baumbeschattete StraCsen und
gnlae wOste Platte, auf denen sich des Nachts die Hyänen herum-
tniben, sidi mn die gefundenen Abfftlle streitend. Auch Löwen sind
in unmittelbarer Nihe der Stadt hanfig. Die Hauser sind klein und
uedrig, man sieht dema in manchen Strafen nicht viele, da sie im
Innern Ton meist wüst daliegenden Garten versteckt sind, die ringsum,
besonders nach den Strafsen zu, 3 — 4 m hohe Lehmmauern um-
schlielsen, so dafs man häufig links und rechts nichts als solche
Lehniraauern hat, was dem Ort ein sehr monotones Ansehen giebt.
Die Platze und Garten sind mit Unrat und Abfallen aller Art bedeckt,
ein wflster Anblick. Die Stadt ist stolz auf eine Art öffentlichen
Garten, der mit einem Kisenstacket umgeben ist, in dem ich aber
nicht ^iel mehr als einige akazienartige Baume und auf den Beeten
einige Strohblumen und hohe, schön blühende Oleander entdecken
konnte. Ein gemauertes Bassin für eine Fontäne sollte als besonderer
Schmuck dienen, obwohl es sicher ebenso wie das in dem öffentlichen
Garten in der oberen Stadt von Loanda noch nie einen Ttopfen
Wasser, ausser etwaigem spärlichen Begenwasser, enthalten hat
Die Bewohner europaischer Abkunft haben alle eine auflbllend
gelbe, kränkliche Farbe; der Grund aber, weshalb Benguella so un-
gesund, ist schwer anzugeben. Sümiifc fehlen in der Umgebung während
der Trockenzeit ganz, der Boden besteht aus Sand; vielleicht ist
die grofäe Unreinlichkeit in den Häusern und in den verwilderten
Garten und Höfen daran mit schuld.
3*
Digitized by Google
— 36 —
Die Stadl treibt einen ziemlich bedeutenden Handel mit Kaft'ee,
der im Inneren wild wachst, Bienenwin hs, Gunnni, Tabak und dann
besonders mit kleinen körnerfressenden \'ügclu, wie Orangebftckeheu,
ßeisvöijeln u. A., die in grofsen Massen exportiert werden.
In 20^tündiü:er Fahrt jrelanizt man von Bon^irnclla nach Mossä-
medes. Die Küste wird von Loanda an immer wüsteuartiger und
öder, und die Stadt Mossilmedes selbst liegt volUt&udig mitten in
der gelblich - weifsen Sandwüste, wo das Auge auch nicht die
geriagste Spar von Grttn entdecken kann. Nichtsdestoweniger ist
der Anblick des kleinen Städtchens vom Schiff aus, wenn man in die
weite, schöne Bai, die sogenannte kleine Fisch-Bai, einfilhrt, mit
seinen weifs oder hellbnnt angemalten Häusern und flachen Dftcbem,
kein hftfelicher. Die Provinz Mossimedes ist, abgesehen von der
1856 erfolgten Besitznahme von Ambriz, die jünsjste portugiesische
Kolonie. Die Stadt selbst wurde IB-iÜ gegründet, liat etwa 800 weifse
Bewohner und macht einen ganz angenehmen Eindruck. Eine neue
eiserne Brücke erleichtert das Landen, am Strand zieht sich eine
Promenade hin, auf der einige Kokospalmen ein kümmerliches Dasein
fristen, immerhin aber sind sie als das einzige Grüne, welclies das
Auge erblickt, bemerkenswert. Das Zollgebände ist natürlich auch
hier das hervorragendste Bauwerk. In der Nachbarschaft befindet
sich ein kleiner, sehr linnlicher, öffentlicher Garten, in dem man
aufiser Oleandern und Orangen nichts orblidEt; an einer Stelle in
der Mitte des Gartens fristen je ein Exemplar der bekannten Wel-
witchia mirabilis und emer anderen sehr merkwürdigen Pflanze, des
Sesamocarpns angolensis, ein kflmmerliches Dasein; weiter im Inneren,
in den Wflsteneien, habe ich diese Pflanze dfters angetroffen; Er-
kundigungen zufolge soll sie auch weiter im Süden, im Damara- und
llererolande, sehr häutig vorkommen, wo sie vou den Elefanten ihres
\Va.ssersehaltes wciren gefressen wird. Sie bildet niedrige, umfang-
reiche, knollige Gewächse, die an solchen Orten, wo man kein Gras-
hälmchen erblicken kann, am besten zu gedeihen sclieinen. Die
Wurzeln dringen tief in den Erdboden ein, der unförmliche, knollige
Pflanzenkörper i uht dicht auf dem Boden. Aus dem Hauptkörper
strecken sich dicke, gedrungene Auswüchse hervor, an denen die
Bl&tter sitzen, die jedoch zur Zeit, als ich die Pflanzen sah, nur noch
in kflmmerlichen, vertrockneten Exemplaren vorhanden waren.
Dieses Gew&chs kommt gesellig an einzelnen Stellen in grober An-
zahl Tor, die grölseren Exemplare erreichen etwa 5 dem Höhe und
1 — 2 m Umfang ; sie sind von einer gelblichgrttnen Haut umkleidet
und sehen in ihrer Unfdrmlichkeit, um einen etwas unschönen,
aber treffenden Vergleich zu gebrauchen, aus, wie der axdge-
Digitized by Google
— 87 —
sch wollene Leib eines Hundes, der mehrere Wochen im Wasser ge-
legen liat.
Die Welwitcliia mirabilis, genannt nach dem deutschet! Botaniker
Wolwitch, der in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre die
portugiesischen Kolonien bereiste und dieselben eigentlich zuerst in
botanischer Hinsicht bekannt machte, Wtachst etwa zwei Stunden
südlich von Mossämedes in voUst&ndig wüstem, steinigen Gebiete.
Ich iiDternahm eine kleine Exkursion eigens zu dem Zweck, um
diese ftberaus seltene Pflanze zu sehen und womöglich einige Exemplare
mir zu verschaffen. Aocb sie wachst gruppenweise zusammen; ich
sah nur wenige grofse Exemplare, die meisten waren klein und
unansebnlicb. Exemplare von einem Meter Durchmesser sind schon
selten. Sie gleicht am meisten einer grofsen Becherkoralle&kolonie,
die Substanz fühlt sich korkartig an; selbst bei den gröfsten
Exemplaren erhebt sich der trichterartige Itand des mehr oder
weniger runden Pflanzenkörpers noch nicht ^/-i m über den Erdboden;
nach unten zu Ifluft derselbe in eine oder mehrere sehr tief dringende
Wurzeln aus, so duss es mir bei unzureichenden Hülfsmitteln und
dem äufserst harten Boden nicht gelang, vollständig unverletzte
Exemplare mit ganzer Wurzel auszugraben. Die langen, leder-
artigen Blatter sehen meist sehr mitgenommen und zerfasert aus,
sie werden nie abgeworfen. Alles deutet darauf hin, da(s die
Welwitchia nur sehr langsam wachst und dals wir in den grofsen
Exemplaren, die 50 kg und mehr wiegen, sehr alte Gesellen vor
ans haben. Ein in Mossämedes lebender alter portugiesischer Arzt,
der auf die bizarre und malerische Ausschmflckung seiner Wohnung
viel Mühe verwendet, hat eine grofse Zahl der ältesten Pflanzen in
seinem (iarten als niedrige Sessel aufgestellt, wozu sie sich, abge-
sehen vor ihrer rauhen Aussenseite, ihrer (iestalt nach auch ganz
gut eignen. Die Pflanze scheint einen sehr engen Verbreitungsbezirk
m haben und nur noch in vcrlialtnifsmafsig geringer Anzahl zu
existieren. Auf einer Flüche von etwa 4 qkm sah ich nur etwa
150 Pflanzen. Die Blüte gleicht winzig kleinen Tannenzapfen, die
auf einem kleinen Stiel am Rande der Pflanze hervorbrechen; die
Bldtenperiode stand bei meinem Besuch, Juli 18d3, gerade bevor.
Von den Produkten der vorangegangenen Periode -waren nur noch
kammerliche Reste vorhanden, so dafe leider keine gut erhaltenen
BMten, namentlich auch kein Samen zu sammeln war. An den
Stellen, wo die Welwitchia wächst, gedeihen nur noch grofse, ziemlich
^.'leichfOrniig über das Gebiet verstreute, mit furchtbaren Stacheln
hewaflfnete, iregliedcrte Euphorbiaceeu. die hin un^esttirt so alt
werden, dass ihre abgestorbeueu grauen Keste sich noch lange Zeit
ftofrechtstehend erhalten.
^ kj i^Lo Ly Google
88
Trinkbares Wasser findet sieb, obwohl es in MossÄmedes so zo
sagen nie regnet (nur in längeren Intervallen fällt in einem besonders
gtinsti'zen Jahre einmal ein Regenschauer), immer wenige Fufs unter
der Erdoberfläche, selbst in unmittelbarer Nähe des Meeresstrandes.
In den Höfeu der Hauser findet man daher auch nicht ^elteu kleine
Gärtchen, wo Kohlarten, Gurken. Kartoffeln, ja selbst Wein gut
gedeihen. Seinen eigentlichen Bedarf an Gemüsen deckt Mossdmedes
jedoch aus den wenigen Plantagen, die in dem nahezu immer trockenen
Flufsbett des Bero liegen, der etwa ^/t Stunde nördlich Ton der
Stadt mttndet und unterirdisch genug Waaser enthalt, um selbst
BaumwoHen- und Zuckerrohranpflanzungen zu ermöglichen. Das fttr
die Kegerbevdlkemng nnentbehrliche Maniokmehl wird meist von
Benguella her eingefOhrt
In Moss&medes machte leb die Bekanntschaft eines gut englisch
sprechenden, in seiner Art recht gebildeten Boers aus dem Transvaal,
der augenblicklich in der neuen Boernkolonie Humpatah im Innern
der Provinz Mossämedes lebte und den Geschäfte lieraV» nach Mossämedes
geführt hatten, wohin er auch seine Frau und Kinder mitgenommen
hatte, um ihnen das Meer, das sie noch nie gesehen hatten, zu zeigen.
Da er für den nächsten portugiesischen Dampfer abermals nach
MossÄmedes Geschäfte halber herabzukoninien gedachte, so bot sich
mir eine vorzügliche Gelegenheit, einen Ausflug in das Innere der
Provinz Mosstoiedes zu machen und dabei audi die neugegrandete
Kolonie Humpatah kennen zu lernen.
Das Rdsen in Südafrika ist ungemein teuer, da dasselbe nur
mit Ochsenwagen geschehen kann. Solch ein Ochsenwagen, der ja
aus vielen Beschreibungen hinreichend bekannt ist, kostet in der
Kapstadt je nach der Ausstattung 95—150 £, ein jeder der 16
Ochsen, die zum Ziehen desselben nötig sind, etwa 5 — 8 £; bei den
Boers von Humpatah kann man einen solchen Wagen, der dann
nicht einmal mehr neu ist, sondern schon recht viel mitgemacht
hat, komplet mit dem nötigen Gespann Ochsen nicht gut unter
250 £ haben, wobei man freilich in Betracht ziehen niufs, dafs mau
beim Wiederverkauf gewöhnlich ziemlich denselben Preis zurück-
bekömmt, wenn man mit den Ochsen kein Unglück gehabt hat. Zu
diesen Kosten mnfs man noch 3—4 £ monatlich rechnen für den
Ochsentreiber und 1 für den Ochse^jungen, der gewöhnlich den
ersten Odisen voransehreitet und sie namenttich bei schwierigen
Stellen leitet. Beide Personen erhalten dann aufserdem noch freie
Beköstigung. Bei kürzeren Reisen empfiehlt es sich mehr, einen
kompleten Wagen zu mieten, was man in Humpatah um etwa 1 £
für den Tag habeu kauu; der Vermieter stellt dann auch noch
. Kj i L y Google
— 39
Traber und Jangen. £s ist wünschenswert, auch noch einige Ein-
geborene zur Aushflife zu engagieren; dieselben erhalten 2 — 5 sk.
pro Monat nnd zwar in Waren, das heifst in leichten Manchester Bauni-
wollenwareu und Decken und aufserdeni nocli die Abfälle des Essens.
Der BesitJ^ eines Pferdes ist, abgesehen von seiner Notwendig-
kf^it bei der Jagd, auf alle Fälle selir zwcrkmälsig. Bekanntlich aber
sind die i'ferde in Südafrika vielen Krankheiten nnterworfen und
sterben sehr leicht auf Reisen. Ein Pferd also, welches alle diese
Krankheiten glttcklich überstanden und daher gegen dieselben mehr
oder weniger unempfänglich wurde, ist sehr teuer; der Preis eines
solchen stellt sich auf 100— löO Ein derartiges Pferd nennt
man ein gesalzenes, salted faorse, während ein ungesalzenes in Süd-
afrika, namentlich in Transvaal, nnr 5—6 £ kostet. Freilich unter-
liegen gewöhnlich von einem Dutzend junger Pferde 11 der Krank-
heit. Die Miete eines solchen Pferdes kostet bei den Boers in
Humpatah mindestens 10 — 12 sä. pro Tag.
Da ich den Umständen entsprechend nur wenige Wochen auf
diese Reise verwenden konnte und auf diesell)c in keiner Weise
vorbereitet war, so war ich natürlich genötigt mich den Veihältnissen,
anzupassen. Mein Boer, ein Mr. Bower, war bereit mich für 10 £
nach Huila und zurück zu bringen, mich während dieser Zeit in
landesüblicher Weise zu verpflegen und mir auch, an Ort und Stelle
angelangt, bei Gelegenheit zu Ausflügen in die Umgebung ein Pferd
zu leiben. Als weitere Bedingung wurde von seiner Seite noch
geltend gemacht^ daüs ich mich jeder Einmischung in Bezug auf den
tftglich zurückzulegenden Weg enthalten solle und dalk ich ferner
auf der Hinreise aufserhalb des Wagens schlafen müsse, da das
Innere desselben durch die Frau und Kinder in Beschlag genommen
war. Mit einem kräftigen Händedruck in die grofse schwielige Faust
des erfahrenen Jägers wurden diese Abmachungen besiegelt und
die Reise am 11. Juni angetreten. Eine halbe Stunde nördlich von
Mossdniedes mündet das erwähnte kleine Marschen, der Bero,
der indessen meist trocken ist; der Boden ist inimerhiii fast das
ganze Jahr hindurch durch das Grundwasser feucht genug, um die
Anlage einiger Gärten und Baumwolle] il an tagen zu gestatten. Das
ein wenig brackische Wasser tiudot sich hier wie auch in der Stadt
Mossimedes selbst nur wenige Fufs unter der Erdoberfläche und
lasnen sich deshalb mit Hfllfe künstlicher Bewässerung allerhand
europäische Gemüse, Melonen, Gurken, Kohlarten, Kartoffeln, ja
selbst Wein ziehen.
Hat man diese Anlagen passiert, so wendet sich der Weg scharf
gegen Osten und führt derselbe, in einem leeren Flulsbett langsam
Digitized by Google
— 40 —
ansteigend, ins Innere. Links und rechts henacht die vollkommene
kahle, nackte Stein- imd SandwQste, in der sich die Wagen, einer
hinter dem anderen, langsam und schwerfällig fortbewegen.
Die Sonne brennt heife vom wolkenlosen Himmel herab und
fern im Westen sieht man über dein Meer die für diese Küste
so charakteristische Nebel- und Diinstbank. Nacli eiristündiger Falirt
senkt sich der Weg etwas, die Aussicht auf die See verschwindet.
Die Stille der Wüste wird nur durcli das Knallen der hingen Peit-
schen aus Giratienhaut und das zeitweise Zurufen der Treiber unter-
brochen , welche jeden ihrer Ochsen durch Anrufen seines Namens
zu kräftigerem Anziehen aufzumuntern suchen. Unser Treiber ist
ein untersetzter KatTer aus dem Basutolande, der tliessend holländisch
und englisch redet, daneben noch den Dolmetscher mit den Einge-
borenen macht und aufserdem bereits etwas portugiesisch sprechen
kann. Er ist seinem Herrn, der ihn nahezu wie einen seines gleichen
behandelt, sehr ergehen und folgte ihm auf allen seinen Jagdzftgen
vom Limpopo bis Ober den Zambesi hinaus und von Natal bis nach
dem Damaraland. 0er Mann behauptet steif und fest, dafs jeder
Ochse seinen Namen kennt und wir lassen ihn gern bei diesem, fÄr
die Intelligenz seiner ungeschlachten Schutzbefohleuen sehr schmeichel-
haften Glauben.
Nach sechsstündiger Fahrt steigen wir durch ein Seitenthal in
das trockene Sandbett des Rio Giraul hinab, wo sich ebenfalls einige
Baumwollplantagen betiiiden. Hier wird gerastet, den ausgespannten
Ochsen bleibt überlassen, an den wenigen dürren Dornstr&iichern zu
nagen oder die müden Glieder auf dem Sand auszuruhen. Mittler-
weile ist es Nacht geworden, die starke Ausstrahlung des Wüsten-
bodens gegen den Üaren Himmel macht sich geltend, so dafe das
aus mitgefOhrtem Holze angemachte Feuer sehr angenehm empfunden
wird. Ein in der Eile gekochter sachsischer Blamcfaenkaffee in
homöopathischer Verdünnung und einige Stücke steinharten alten
Brotes bilden die Abendmahlzeit. Dann wickelt man sich in die
Decke und streckt sich zur kurzen Rast auf den Erdboden; aber
die niedrige Nachttemperatur, die meinem, durch die Tropeuwärme
der Congogegend verwöhnten Körper emptiudlich war und einige
Moskitos, die sich trotz der .Vbwesenheit alles Wrissers alsbald ein-
stellten, liefsen mich keine Ruhe finden, so dafs ich froh war, als
gegen Mitternacht die Ochsen wieder geschirrt und die Heise fort-
gesetzt wurde.
Kurz nachdem der Rio Giraul ttberscliritton ist, biegt der Weg
in ein nach NO. laufendes Seitenthal eiu; hier befindet sich die
einzige Stelle des ganzen Weges bis zu dem Fufse der Chellaberge,
— 41 —
die maa als Kunststr if e bezeichnen kann. Der Weg fuhrt nftmlich
von ein«: Seite des Thaies nach der anderen über, um in einem
steil ansteigenden Bogen an einem Berge sich emporznvinden, wobei
tiefe Einschnitte in die Felswände und die Errichtung einiger kurzer,
aber boher Viadukte sich nötig machten. Ist diese bedeutende Höhe
erklommen, so fUhrt der Weg zieroHeh horizontal in östlicher
Hichtun^^ weiter durch ein Gebiet, das vielleicht nocli steiniger und
trostloser ist als das bisher durchschrittene. Um 5 Uhr Morgens
hAlt i'Iötzlich der Zug der Wagen, einer unserer Ochsen, der schon
bcit Stunden gestöhnt und uur durch häuhges Autreiben mit der
Peitsche im Gehen zu halten war, ist gefallen. Man überzeugt sieh
bald, da(iä er ein Todeskandidat ist; er und sein Jochgenosse werden
ausgespannt, das liegende, im Sterben befindliche Tier zur Seite
gezogen nnd den Aasvögeln und Raubtieren zur willkommenen
Beute überlassen. Der andere, ledige Ochse schreitet neben dem
sich wieder in Beweguug setzenden Wagenzuge frei einher. Bei
Tagesanbruch wird an einer Stelle, wo einige dOrltige Dornbüsche
stdien, abermals gerastet nnd ein frugales, aus etwas geschmortem
Antilopenfleische, dem unvermeidlichen Kaffee nnd dem trockenen*
Brote bestehendes Frühstück eingenommen. Gegen 10 Uhr, also in
etwa 25 miles von der Küste (man rechnet bei nicht zu schlechten
Wegen und mäfsig beladenen Wagen etwa 2 miles auf die Stunde) wendet
sich der Weg mehr nach NC, gleichzeitig wird er schlechter und
schlechter, indem grofse Felsen und Steine niilten in demselben
liegen, fiber die der Wagen unter eutaetzlichen Stöfsen und Rütteln
hinwegfährt oder die man umgehen muss. Es scheint als ob die
Kraft der portugiesischen Wegebauer schon hier, nach Konstruktion
jenes Bergüberganges, vollständig erlahmt sei. Zwei Stunden weiter
nnd die Szenerie Ändert sich vollständig: Vegetation zeigt sich, .
zuerst die bereits erwähnten merkwürdigen klumpigen Pflanzen-
gehflde, dann einzelne Mopani-Domsträucher, Mimosenarten, die ganz
allrofthlich, je weiter man vorrückt, häufiger und gröfser werden.
Bei Pedra Major, einem grofsen Haufen uiigelieurer Felsblöckc,
ändert sich auch der geologische und landschaftliche Charakter des
Landes. Bewegte mau sich bisiier auf Quarzsaiulsteingebiete, in den
weiten Betten ehemaliger Was<erliiufe, die durch sanft ansteigende
Höhenzüge beiderseitig begrenzt werden, so erblickt nntn von Pedra
Major aus, wo sich der Weg etwas absenkt, auf eine weite sich iu
blauer Feme in Bergzügen verlierende Ebene, die mit steil abfallen-
den ganz isoliert stehenden, hohen Granit-Felsinseln besetzt ist, die
Landschaft trügt somit einen ganz anderen, eigentümlichen Charakter.
Häufiger werden jetzt die Pausen, die man dem gequälten und in
Digitized by Google
— 42 —
eiuer tStaubwolke daherzieheiKioii /u^^vieli fzewalueii imifs. Niedrige,
ganz einzeln steheude Grashalme treten nun auf und bieten den
Ochsen eine dürftige Nahrung, die sie raUhsam zusammensuchen
müssen und des Dorstes wegen auch kaum berühren. Wasser,
Wasser ist jetzt die Losung! Die Sonne neigt sich schon zum
Untergange, da endlieh langen wir in Pedra Grande, dem lang-
ersehnten Rastplatze an. Die weite Ebene ist mit grobem Granit-
grus bedeckt, und aus ihr ragen, gleich Inseln ans einem Meere,
nnvermittelt emporsteigend, meist nnbesteigbar steil 100—150 m
hohe schroffe Granitfelsen empor.
Ein solcher, wenn auch nur etwa 50 m hoher und etwas
weniger steil abfallender Fels ist der höchst eijrentümliche Pedr.i
grande oder ,.£rrosse Stein". Seine Oberfläche ist ziemlich glatt,
durchaus humusfrei und sehr stark verwittert, so dass die obersten
Schichten sich stellenweise abheben las.sen und leicht in Grus zer-
fallen. In der Mitte, etwa in 20 — 30 m Höhe, befinde sich nun
drei grosse 3 — 6 m tiefe und etwa 5—8 m im Durchmesser haltende
Aushöhlongen von mehr oder weniger rundem Durchschnitte, deren
Ränder flberhingea and deren W&nde völlig glatt ausgescheuert
und poliert sind. Auch auf der Spitze dieses Hfigels finden sicli
mehrere flache Aushöhlungen, die in Verbindung mit einer in einer
solchen aufgefundenen runden, etwa V« m im Durchmesser haltenden
Granitkugel es mir durchaus glaubhaft machen, dafs wir es hier
mit einer Art durcli die Gewalt des strömendeu Wassers geformten
und gebildeten lliescntöpfen zu thun haben.
Welche enormen klimatischen Veränderungen müssen aber hier
vor sich gegangen sein, um jene mächtigen Flüsse, über deren
Thatigkeit uns so mächtige Kessel berichten und deren öde, jetzt
durstige und wasserleere Betten wir durchziehen, verschwinden zu
machen?! In Anbetracht der Wichtigkeit dieser Lokalitat für den
Verkehr auf dieser Strafse hat die portugiesische Regierung rings
um diesen Hügel eine niedrige zementierte Mauer ziehen lassen, so
dafs alles auf diesen kahlen Felsen auffallende Regenwasser not*
wendiger Weise in die Kessel fliessen muCs, und somit höchst er-
wünschte natOrliche Wasserreservoire gebildet werdra, die Mötsch
und Vieh einen hei£s ersehnten Labetrunk liefern. Leider ist der
Regenfall gerade an dieser Stelle noch ein äufserst unregelmäfsiger,
meist sehr geringer. ist ja bekannt, dafs es an der Küste in
der Naelibarschaft von Mossdmedes so gut wie gar nicht regnet, in
manchen Jahren fallt kein einziger mefsbarer Niederschlag: nur
langsam und allmählich nimmt die Regenmenixe nach Osten hin
zum Fusäe der Chellaberge zu und Pedra Grande li^t gerade noch
Digitized by Google
— 43 —
80, da£5 es nicht regeluiäfsig jedes Jahr in die Zone stärkerer Re-
geD, die nach den Chellabergen hin auftritt, einbegriffen wird. Daher
fluten nch diese Kessel auch nur selten und es war seit 7 Jahren 188S
xum eniten Male wieder, dafs dieselben einen erheblichen Wasservorrat
enthielten. Leider hat echt portugiesische Kachlässigkeit diese Ke-
senroira bedeutend verunreinigen und sich mit Wasserpflanzen (einer
Art Wasserlinsen) bedecken lassen, so dafs das Wasser wohl mit
Recht für nicht gesund gehalten wird. Ungeduldig brüllend uud
mit hängender Zunge drängen sich die Ochsen, die seit dreifsig
Stünden keinen Tropfen Wasser erhalten haben, zu dem steinernen
Tränktroge, es werden immer nur drei hinzngelassen, um in langen
ZQgen das erquickende Nafs zu saufen. Ein Jäger bringt, nachdem
er kaum eine Stunde ausgeblieben, einen feisten Springbock, eine
kleine Antilopenart mit gclbgrauem Fell und kleinen liraförmig ge-
bogenen Hörnern. Das Fleisch wird unter die 6 Wagen getheilt
und die heranbrechende Nacht findet uns um das Feuer sitzend,
Aber dem ein saftiges Lendensttlek am Spioise rdstet Die tem-
perator ist wiederum ganx empfindlich kalt während der Nacht, so
dafs nur dicke wollene Decken das Schlafen im Freien unter dem
Wagen ermöglichen. Die Ochsen lagern, behaglich wiederkäuend,
mit Lederriemen an der Deichsel nnd dem langen Zugseil aus Leder
oder Stahldraht festgebunden, um die Wagen, und ein mächtiges,
die ganze Nacht unterhaltenes Feuer, um das sich die Treiber uud
die ab Begleiter dieneuden nahezu nackten Eingeborenen herum-
gelagert haben, dient dazu, etwaige Angrifi'e von Löwen, die hier
schon nicht ganz selten sind, abzuschrecken. Früh beim er.sten
Morgengrauen weckten mich die ernsten Klänge eines Cborales, den
die Boers absangen. Ein dichter, feuchter Nebel lag fiber der Ge-
gend, nur die obersten Spitzen der Granitkuppen schauten daraus
heiTor. Bei aufgehender Sonne bildete sich ein ganz eigentfimliches
Phaenomen, wie ich dasselbe zuvor noch nie beobaditet hatte. Gerade
in Westen, der des in den untersten Schichten der Atmosphäre herr-
schenden Nebels wegen natürlich nicht sichtbaren Sonne gegenüber,
bildete sich plötzlich ein heller Bogen in den Nebelmassen, dti mit
unten breiteren Enden scheinbar auf dem Erdboden aufnihte; die
einem Regenbogen ohne Farben gleichende Erscheinung war in
ihrem Scheitel etwa 15" hoch, hob sich auch in ihren oberen Teilen
gegen das Graublau des kaum sichtbaren Himmels hell ab, blieb
ziemlich lange, etwa von 7 bis halb 8 Uhr sichtbar und verschwand
erst mit den sich zerteilenden Nebeln.
Waren kurz vor Tagesanbruch 8® gewesen, so waren es uui
9 Uhr im Schatten bereits 18« C. Zu meiner nicht geringen Ueber-
uiyiiiziüd by Google
— 44 —
rasrhiing wui'de Mittags das aus mit Speck ;jje(lain|>flem Springbock-
tteisch und etwas Reis bestehende Essen in derselben Zinuschüssel
servirt, aus dem sich des Morgens die ganze Familie und auch ich
mich gewaschen hatten, doch stdrte dieses unsern Appetit nicht im
mindesten!
Um 1 Uhr nachmittags ging es endlich weiter durch eine Ge-
gend mit ähnlichem Charakter wie hei Pedra Grande: Domhüsche
und dfinnes, niedriges, gelhes Gras, das von Wild nnd Ochsen gern
verzehrt wird, sandiges Terrain nnd flache trockene nach SW. wei-
sende Wasserlänfe. Gegen Abend wurde das Gebüsch immer höher
und dichter, Laubbäume fanden sich ein, so dass sich stellenweise
richtiger Buschwald bildete. In der Ferne wurde ein steilabfallendes
hohes Gebirge sichtbar: die Ch ellaberge mit einer besonders
hohen und augenscheinlicli senkrecht abfalleuden. oben tiarheii, min-
destens 6000 Fufs hohen Erhebung in der Mitte des Bildes.
In dieser Gegend teilt sich die Stiaise, rechts mehr nach 0.
führt der Weg nach Capangombe und über das Gebirge nach
Humpatah: derselbe ist jedoch für Wagen nicht praktikabel und
wenn auch etwas kürzer, doch sehr beschwerlich und wird daher
selten benutzt
Wir setzen in der Nacht mit wiederholten Ruhepausen die
Fahrt auf dem mehr nach ONO. Ehrenden Wege fort, wobei wir
abermals einen Ochsen yerloren, nm bei Mnnhino, ^ner von einem
Portugiesen eingerichteten grofsen Mais- und Katfeeplantage, am
andern Morgen nm 8 Uhr das erste fliefsende Wasser zu erreichen.
Bis zu diesem Punkte, der bei sehr aiitrestrengteni Marsche in zwei
Tagen zu erreichen ist, findet sich, wenn die natürlichen Reservoire
in Pedra Grande ausgetrocknet sind, in der Trockenzeit meist kein
Tropfen Wasser von Mossamedes an und müssen dann die Ochsen
diese ganze Strecke ohne Wasser bleiben. Wahrhaftig, nur wer
eine Wüstenreise gemacht hat, vermag den Wert des Wassers erst
völlig zu schätzen.
Von Mnnhino an wird die Gegend weniger eintdnig, der Weg
fahrt durch offenen, zuweilen parkahnlich sich gestaltenden Busch-
wald, in dem sich mitunter schon ziemlich hohe Baume zeigen.
Wenige Stunden Fahrt bedarf es zu den Verbergen des Chella-
gebirges, dessen gigantisch steiler, westlicher Absturz jetzt deutlich
sichtbar wird; man passiert wiederholt kleine Wasserläufe, die zum
Oberlauf des weiter unten vertrocknenden Bio Giranl gehören und einen
erfrischenden Trunk j^ewähren, endlich, nach etwa vierzehnstündiger
ununterbroclHMicr I'ahrt, erreicht man Biballa, da^ unmittelbar am
Fufs des Cheiiagebirges liegt Hier befindet sich eine grofse Mais-,
. Kj L y Google
— 46 —
Kaffee- und Zuckerplantage. Der Besitzer, ein Senbor de Campos,
ein anfserordentlich liebenswürdige Mann, nimmt uns mit echt
portagiesischer Oastfirelheit anf. Länger denn 20 Jabre bewohnt er
(Uesen abgelej^eiieii Erdwinkel, sein Gehöft ist von einer j?rossen
Mauer forturtig uuirjchlossen, allein ein solcher Schutz ist heute
kaum noch nötig, da der Besitzer mit den Kingeborenen, deren
Sprache er völlig versteht, auf bestem Fnise lebt. Ein grolsei-
Garten entliiilt eine Zahl der schönsten Orangenbilume» deren herr-
liche süfse Früchte, in den Morgenstunden frisch gepflückt, eine
angenehme Erfrischung bieten.
Das hier reichlich vorhandene Wasser treibt eine kleine
Qnetschmflhle für Zuckerrohr, denn man brennt hier den bei den
Eingeborenen allbeliebten Rum selbst Es dürfte hier am Platsse
sein, ein Wort über die ArbeiterTerhältnisse in den portugiesischen
Kolonien an der SüdwestkOste Afrikas zu sagen. Es sind gerade
in letzter Zeit wiederholt heftige Angriffe gegen die portugiesische
Regierung wegen Autrechthaltung der durch das Dekret vom
9. April 1879 otHziell abgeschafften Sklaverei in den i>ürtugiesisch«'u
Kolonien gerichtet worden. Der heftigste und von l nkenntnis afrika-
nischer Dini^e strot/e?i(lsto wai- der von Jacob Bright am H. April
1883 im englischen Parlamente. Ks ist wahr, die Hpjzierung blf^t
die Sklaverei, oder besser Zwangsarbeit auf bestimmte Zelt fort-
bestehen, man sehe aber in welcher Weise! Will jemand einen aus
dem Innern gebrachten oder bereits im Dienste eines andern Herrn
stehenden Arbeiter kaufen, so haben sich samtliche bei dem
Gesdiftft interessierte Parteien vor die mafsgebende Behörde, den
sogenannten Kuratore zu begeben und hier mufs der anzukaufende
Sklave in Gegenwart zweier Zeugen deutlich gefragt werden, ob er
dem und dem dienen will. Bejaht er diese Frage, so wird darüber
Protokoll aufgenommen und das betreffende Individuum ist ver-
pflichtet :i Jahre seinem nunmehri^^on Herrn zu dienen, wenn
er für u'ewülniliche Arbeiten verwendet winl. 5 Jahre jedoch,
wenn es sich nötig macht, dal's er sich l)esouder(' mechanische
Perti'^keiten erwerben muls, bevor er seinem Herrn nützlich wird,
wenn er also z. B. in einem technischen Betrieb, in einer Fabrik
verwendet wird. Er erhalt aufser freier Beköstigung und Bekleidung
monatlich etwa 2 sh. Lohn. Dem Gesetze nach soll dieses Geld ihm
eigentlich bar nnd nicht in Waren oder Getränken, wie Rum und
Ähnlichem, ausgezahlt werden. Nun ist aber der Mangel an barem
Gelde die gröfste Kalamität in den Kolonien. Aufser den gewöhnlichen
Kupfer^heidemünzen von 5, 10, 20, 30 und 40 Reis existiert nur noch
aufserhalb der Kolonie völlig wertloses, Papiergeld. Gold und Silber
Digitized by Google
— 46 —
bekommt man nie zu sehen, auTser allenfalls höchstens englisches
Geld. Die Pflanzer drau&en in den entlegenen Teilen der Kolonie
sind daher gar nicht im Stande mit barem Gelde za zahlen, und so
wird es ihnen denn nachgesehen, wenn sie in solchen Fällen ihre
Leute mit leicliten MaiR'hesterbaumwollenwaren und selbst i^'eln'anntem
Rum ablohnen; was schlieislich ja auch auf dasselbe herauskommt,
da ja spezielle Kaufladen im Innern nicht existieren und jeder
Farmer im Innern schon des Verkehres mit den Eingeborenen wegen
genötigt ist, sich einen kleinen Laden mit den nötigsten Handels-
artikeln zu halten. Verweigert ein Sklave vor den Behörden einem
bestimmten Herrn, der ihn gekauft hat oder kaufen will, zu dienen,
so ist er frei und der etwa bereits erlegte Kaufpreis ist verloren.
Bei Besitzwechsel werden alle Sklaven ^i, nur bei direkter Ver-
erbung auf den Sohn nicht Es ist dies eine grolse Kalamität, die
sicher dazu beitragen wird, diese in sich ja völlig unhaltbaxe
Institution mit der Zeit zu beseitigen, was ja im Grunde auch
wflnschenswert ist, denn befriedigend suid die jetzigen Zustände
keineswegs. Die unmittelbare Folge dieser Bestimmung ist die, dafs
Farmen und technische Betriebe nahezu unverki^utlii'h sind. Ein
Besitztum, in das vielleicht 50 000 A gesteckt sind, ist später kaum
für den vierten Teil des Preises an den Mann zu brinijeu, da ja
beim Verkauf alle Sklaven frei werden und der neue Besitzer solche
erst mit grofseii Kosten und Mühe neu erstehen mufs. Hat sich
jemand einmal in den Kolonien niedergelassen und sein Geld in
derartigen Unternehmungen angelegt, so befindet er sich wie in einer
Mausefalle, es ist ihm eben unmöglich, das Land ohne Verlust seines
Vermögens zu verlassen, er ist selbst eine Art Sklave geworden.
£in aus der Erfohrung gegriffenes Beii^iel wird diese unhaltbaren
Verhältnisse, die ihre Eridärung nur in der ungemeinen Geldarmut
des Landes finden, noch deutlicher machen. Ich kenne üi Mossämedes
einen wflrdigen alten Herrn, einen Elsasser, der vor mehr als
20 Jahren dahin ausgewandert ist. Mit I nterstützung der Regierung,
die Zollfreiheit auf die aus Kngland bezogenen Baumwollengarne
bewilligte, richtete er vor längerer Zeit eine mechanische Weberei
ein, in der er bunte Kappen und Decken für die Neger anfertigt.
Da der Zoll auf derartige aus Kuropa eingeführte fertige Sachen
ein sehr hoher ist, gewährt ihm die Differenz der Preise der von
ihm hergestellten und von Europa eingeführten, durch den Zoll sehr
verteuerten Waren die Mittel zur FAistenz. £r hat in seiner Fabrik
natürlich eine ganze Reihe Sklaven, hauptsächlich weiblichen
Geschlechtes, die er und seine Frau mit ungemeiner Mflhe zu der An-
fertigung dieser Webereien angelernt haben. Man vergegenwärtige sich
— 47 —
Biir, welch' enonne Geduld dazu gehdrmi mufe, solch ein widerhaariges
wildes MeiuchenkiDd, das vielleicht noch vor wenigen Monaten viele
Meilen im Innern von Afrika ein trftges, faules Lehen führte, und
nun vor eine moderne eiserne Strick- und Wehmaschine gestellt
wird, m einer solchen ^'änzlidi fremden Arheit ahzurichten ! Natür-
lich ktinn der Ai'heitgeber nur bestehen, wenn ihm seine Arbeiter
tAjzlich ein ^^ewisses Pensum von Arbeit fertigstellen; in unserem
r,ilie also etwa ein Gros der ungemein billigen bunten Kappen oiler
ein halbes Dutzend Decken. Bei uns wirft man einen fanlen Ar-
beiter hinaus, wo er dann dem Elend und der N()t ausgesetzt ist,
einen solchen Sklaven aber wegen P'aulheit hinauswerfen, würde
nicht nur heifsen, den dafür bezahlten Kaufpreis verlieren, sondern
ihm seinen Willen thon und ihn dem ersehnten Faulenzen zurück-
geben ; denn der ärmste der Neger in Afrika ist ja in der Regel
materiell tausendmal glOcklicher daran als liljllionen und Aher-
millionen unserer Arbeiter in Europa. Er braucht nicht f Qr. Kleidung
und Mietzins zu arbeiten, ebensowenig fOr Heizung und Staats-
Stenern, das Wenige, was er zu seinem Lebensunterhalt braucht,
wächst ihm ziemlich überall von selbst oder mit ganz geringer Ar-
beit, die er noch dazu meist den Frauen überlaist, in den Mund,
wobei man dann allerdings als Kehrseite des Bildes nicht vergessen
darf, dafs liei Mifswachs und Ausbleiben von Regen Hunderte und
Taufende einlach verhungern. So fiel es also auch den bei unsrem
Klsässer beschäftigten Sklaven eines schönen Tages ein, nur die
Hälfte ihres täglichen Pensums fertig zu stellen, eine Quantität von
Arbeit, die nicht einmal zur Unterhaltung der zahlreichen Arbeiter
und der Amorti^ening der Maschinenkosten ausreichte. Körperliche
Zikcbtigung der Sklaven ist verboten; in, diesem Falle aber ge-
stattete der einsichtsvolle Gouverneur eine Ausnahme und mit Hülfe
dieses sehr einfachen und wenig kostspieligen Mittels ward nach
wenigen Tagen, als ob nichts vorgefallen sei, das frühere Pensum
wieder abgearbeitet. Ein anderes Mal waren Diebstähle und Unteu-
schhigungen von Waren entdeckt wonlcu, in die so ziemlich
das gesamte Personal der Fabrik verwicki^lt war. Der Gouverneur
wollte die ganze ( io.sellschaft ins Gefängnis stecken lassen, aber der
Fabrikbesitzer bat mit Ilecht, dann auch nur gleich ihn und seine
gesamte Familie mit einzus))erren, da ihm ja mit der Einschliefsuug
seiner Arbeiter die Möglichkeit, sich und seine Familie ernähren zu
kftnnen, benommen sei. Dies leuchtete denn auch den Behörden
em und die GeflUignisstrafe wurde wiederum ausnahmsweise in einen
empfindlichen körperlichen Beweis da^r, dais Diebstahl ein straf-
bares Verbrechen ist, umgewandelt. Man hat gut auf eine äugen-
Digiii^eu by Google
— 48
blickliche gftDzliehe Abschaffung des Sklavenwesens iu Angola zu
dringen, durch dieselbe würden die Anfänge einer sich entwickelnden
einheimischen Industrie sowie zahlreiche Plantagen tSttich getroffen
und die ganze Kolonie vollständig ruiniert werden.
Man darf eben nicht vergessen, dafs dieselbe zu arm ist, um teure
Arbeitskräfte, etwa (•hiuesen oder Krooiieger einzuführen; im ganzen
ist man iu clor Kolonie von der Unhaltbarkuit des Sklavenwesens
auch in .seiner jetzigen, ungemein milden Form, durchaus selbst
überzeugt, ja* man wünscht das giinzliche Aiifliören desselben
herbei, wenn man nur Mittel und ^Vege wüfste, billige freie Arbeit^^-
kräfte in das Land zu ziehen, da mit der freien einheimischen
Bevölkerung sich absolut nichts erreichen läfst.
Einem wahren Kenner afrikanischer Verhältnisse wird es nie
einfallen, sich aber derartige mehr oder weniger erzwungene Arbeit
besonders aufzoregen. Die thatsächlichen Verhältnisse in Afrika
sind eben ein wenig anders als unsere Stubenphilantropen, die Aber
die Not und das Elend von Millionen ihrer weiCsen Mitmenschen
gewöhnlich hinwegsehen, sich in ihrer durch grtlBdUch fiilsche Vor-
stellungen berOckten Phantasie gemeinlieh vorstellen.
Doch nun zuriu k iiaeli IJiballa. Von diesem Punkt führt die
soeben von der Regierung fertiggestellte Fahrstrafse nach Huila iu
weitem Bogen nach Norden, längs des Fufses des C'hellagebirges,
um dasselbe heruuK bis zu einem Punkte, wo es möglich war,
allerdings mit sehr starken Steigungen, den Weg auf das Berg-
plateau zu führen; man braucht zur /urücklegung dieser Strecke
von Bibalia bis Huila noch 6 — 7 Tage ; dabei ist der Weg ungemein
schwierig und die Wagen stürzen nicht selten um und zerschmettern.
Wir zogen daher vor, da ohnehin unser Wagen in einigen Wochen
wieder zur Kflste zurückkehren sollte, denselben in Bibalia zu lassen,
die Ladung desselben durch einheimische Tr&ger auf dem steilen
Fulsp&de, der von Bibalia direkt nach Uumpatah ftthrt, zu befördern
und selbst auf diesem Wege unser Ziel zu erreichett. Wie eine
senkrechte Mauer steht hier das Chellagebirge vor uns, der lot-
rechte Abfall ist mindestens 12(X) m hoch, an diesen schliefsen sich
noch 3 — 40U m hohe Schutthalden und Vorber^e, ilie mit tropischer
Vegetation besetzt sind. Sechsstündiges Steigen bringt uns auf die
Höhe, man folgt auf stellenweise ungemein beschwerlichem Pfa le im
/iekzack einem sich rasch verengenden Thale, iu dem ein kleiner
Bach in Kaskaden herabstürzt. Die Schwüle des tropischen Bibalia
venuindert sich bald, die Luft wird wesentlich kiihler und frischer,
die Vegetation nimmt einen ( iiarakter an, der den gem&Tsigten
Klünaten entspricht, oben auf der Höhe angekommen, verschwindet
Digitized by Google
49
auch der Wald und wir betreten eine kahle, mit niedrigen
uach SO. streichenden Höhenzügen besetzte Hochebene, die nach
SO. langsam sich abdacht und mit niedrigem Grase bedeckt ist.
Zwibcheu deu Höhenzügen lieLreu die Quellbiulie des Cocakivar, des
prßfsteii Nebentius>t's des Cuneiie, in .suniptigenj, moorigen Grunde.
l>ie Szenerie erinnerte mich lebliaft au die Hochmoore des Habichts-
Waides bei Kassel oder der JKhöu.
2. flupatah und der Zog der Boers ans Transvaal dahin.
Litge von Humpatali. Uaunbau und Bewilsseriing. Auszug der Trekboers aus
Traiüivanl 1874. Ankunft am Limpopo. Zug durch die Wüste bi» Qbanse und nacli
Ei«ttuQtain. Botschaft nacli Gnbabies. Weiterer Nachschub aus Transvaal 1975.
A^tüm in der WUate. In Meer und Sibbitons Drift. Hülfe von Kietfontain. Neue
Vtrln-'tf ^<>^l Meiiselieii und Vieli in I>ebra. Die Tsetse-Flief^|■. Hiwon-Pnii lilick-
kebr einet> Teiiä uach Transvaal. Nach den Ktosa SaUpfanueu. Das Koakoveldt.
Qiftise i^eUen. HUIfe ron der Kapkolonie ria Walflseh-Bai. Ansiedlniig auf porttH
giesisclieni Gebiet am Cunene. Ungiin.stii?e Aussichten für «11« RotM-Kolonie: konti-
ii*-nri«lH Lage, l'nergiebi^keit des« Bodens, keine l'ferdezueht möglich, Schwierigkeiten
des 'i'ran.sports »um Halen, geringe Jagd. Dur alte HolKtuyze. Die AuHödung der
K^onie vielleieht bevorstehend. Das alte Testament das einzige Buch der Boerx.
Honderbare Sitten. If (»ihercii ti mit «Irn Kingi-boremMt. Vorteilhafte Charaktet/.iige der
Boera. Körperbe&ckatleuheit. Schule und Uottcädieuiit. OrtsbehÖrdo. Portugiesische
:So1d»ten. Diebstähle. Die Eingeborenen. Maläfelder nnd Viehherden. HaiUi. Die
Station der frans3ai«dien MbsionagesellBehaft des Saerö Coenr. Frtthere deuteche
Kolonie in liuila.
Nach dreistündiger Fahrt auf dein Ochsenwagen, der uns oben
auf der Pafshöhe erwartet und abgeholt hatte, gelangen wir endlich
nach Humpatah, der neuen Boer-Kolonie. Der Ort liegt auf einer
wetten, nach SO. sich abdachenden Ebene, einige regelmftfeige,
breite, sich meist senkrecht durchschneidende Stralsen, natflrlieh ohne
Pflaster nnd mit Gras bedeckt, sind angelegt, an denen die ganz
wie iü Transvaal einzeln stehenden Häuser, umgeben von grofsen
Feiderfladien, liegen. In jeder Strafse Hielst ein kleiner Bach
mit krvstallklarem Wasser, das von den Roers in einem 4 niiles
hiii^^en Kanal hergeleitet ist. Die llüuser sind niedrig, die Mauern
aus dicken ungebrannten Backsteinen aufgefOhrt und mit Stroh gedeckt;
das Innere ist in mehrere Stuben geteilt, deren Wände mit an Ort
und Stelle gefundenem iSüIswasserkalk und Eisenoker weil's und unten
bis zu einer gewissen Höbe gelb getüncht sind. Der Fufsboden
besteht aus einer aufserordentlich hart werdenden Lage mit Lehm
zQsammengekncteten KuhdQngers. Die kleinen niedrigen Fenster
sind mit einem Stack weifeen Baumwollenzeug anstatt der Glas-
scheiben geschlossen.
Da während der Monate Mai bis November kein Regen fallt,
sind die Boers gezwungen, zu kflnstlicher Bewässerung der Felder
ihre Zuflucht zu nehmen, zu weichem Zwecke die die Strafsen durch-
zicUendeu Bai lic bei Bt'(türi*nis in die i'elder abgeleitet werden.
ii«o|^. lilätt«r. Bremen, IBOi. 4
— so-
wie nim aber diese Boen anf ihrer weiten Wanderung aus
dem Transvaal bis in diese Gegend gekommen sind, daraber will ich
hier teils auf Gmnd der Mitteilungen eines weiter unten noch näher
zu erwähnenden englisdien Hilndlers Namens William Jonlau, teils
gestützt anf mündliche au Ort uud Stelle erhaltene Auskunft
näheren Bericht ^'eben.
Unter den Boers im Transvaal hat es von jelier Leute gegeben,
die jeder Unterordnung unter Vorseliriften und Gesetze, jeder irgend-
wie gearteten Einschränkung ihrer individuellen Freiheit durch die
notwendige Rücksichtnahme auf andere, wie sie unausbleiblich bei
engerem Zusammenwohnen von selbst eintreten mufs, abhold, es vor-
zogen, lieber alle Entbehrungen eines Wander-, Kolonisten- und
Jagdlebens in den Einöden SfldafHkas zu ertragen, als sich im Hei-
matland unwillkommenen Beschränkungen zu unterwerfen. Solche
Leute waren es, welche nach lange vorher schon gepflogenen
Beratungen Anfang 1874 sieh entschlossen, zu „treken'* (zu ziehen),
und zwar in einer nordwestlichen Richtung, in welcher sie nach ihrer
Annahme ein passendes, für ihre Wünstlie besser geignetes Land
finden würden. Sie verliefsen ihre im südlichen Transvaal gelegenen
bisherigen Wolniplätze am 27. Mai 1874 und verweilten längere Zeit
in der Umgegend von Rustenburg: es waren die Familien Alberts,
Olhuisen senior und junior. Im Februar und Marz 1875 kamen noch
zehn Familien Jiinzu; man zog nur langsam vorwärts uud erroichte
Ende April den Limpopo, nicht ohne unterwegs schon durch Durst
gelitten und wertvolle gesalzene Pferde durdi Löwen verloren zu
haben. Am Limpopo fand man ausgezeichnete Jagdgebiete, besonders
Rhinozeros, Bflffsl, Gira£fen und FluÜBpferde; obgleich nun auch die
Gegend sehr sch6n und malerisch war, so bot sich doch kein passendes
Gebiet fOr Viehzucht Nach Auswechslung von Geschenken und
Verhandlungen mit dem sehr reichen und mächtigen Betschuanen-
fürsten Khama von Bamangwato gestattete dieser nicht nur den
Durchzug (birch sein Gebiet, sondern er erlaubte den Huers aucii
einen Aufenthalt in demselben, um sich und ihr Vieh auszuruhen.
Von hier aus zog es eine Familie vor, mit vier Wagen wieder nach
dem Transvaal zurückzukehren. Die übrigen mufsten nun die Kala-
hari durchschreiten. Sie erreichten einen Tlatz Matotse, von wo sie
drei Tage nordwärts marschieren mulj^ten, ehe sie für ihr Vieh
Wasser finden koimtcii. Von hier zogen sie vier Tage mit ihrem
losen Rindvieh, das sich auf 1400 U&upter belief, nach Westen durch
die Waste, ohne einen Tropfen Wasser zu finden, und litten natür**
lieh sehr. Ihr Ziel war ein Platz, Meer genannt, der am Okavango
liegt. Endlich rochen die Tiere das Wasser aus der Ferne uud
Digitized by Google
— 51 —
stürzten in wfitendero Lanf nach dem Flusse los, so dafo eine grotse
ZaM in den sumpfigen Ufern stecken blieb und von den nach-
drangenden Scharen erdrückt wurde.
Nach einigen Tagen Siichens wurden die zerstreuten Tiere
wieder zusammengebracht, aucli diejenigen, wehhc von den um-
wohnenden Betschuanen wejjgefangen waren, diesen wieder abge-
iioiinnen, eine Anzahl mit grofser Mühe aus den Sümpfen, in denen
sie stecken geblieben waren, herausgeholt; darauf ging die Reise
weiter nach dem N:iami-See, der Ende Juni erreicht wurde. Hier
wurde ein Danksagungstag für die irlückliche Errettung aus den
Gefahren der Wüste abj^ehalten. Der Betschuanen-Iläuptling Morey ni
erhob nun aber Sclnvieri-^keiten, sie durch sein Gebiet ziehen zu
lassen und es droliteu sdion kriegerische Verwicklungen, bis es dem
Herrn Alherts 'jelang. den Häuptling von den friedlichen Absichten
der Boers zu überzeugen, so dafs der Trek ohne tStörung fortgesetzt
werden konnte. Sie wandten sich nun südwestwiirts und erreichten
einen Platz namens Ghanse, den mit Bewilligung des Häuptlings
Moreyni ein Boer namens Van Zyl schon früher in Besitz genommen
hatte und über welche Gegend er ein Monopol ausübte, indem er
diesen wichtigen Platz, der auf der Koute von Damaralaud nach
dem Nganii-See liegt, gegen vorbeikommende Handler und auf Jagd
ausziehende Boers abzuscbliefsen suchte nnd so in der wasserarmen
Gegehd diesen Leuten grofse Belästigungen und Viehverluste ver-
ursachte. Dieser ttbermfitige Wfistenpatriarch ist später, vor einigen
Jahren, auf der Jagd aus Rache von einem Betschnanen, den er
mifshandelt hatte, erschossen worden.
Am 6. Januar 1876 verliefsen sie Ghanse und erreichten ohne
Verluste, aber unter grofsen Leiden in Folge Wassermangels ehien
Ort, Rietfontain, wo es ihnen gefiel und wo sie daher einige
Zeit zu bleiben beschlossen. Sie sandten deshalb von hier eine
Deputation nach Gobabies inmitten der KalahariwOste, um mit
dem Hottentottenchef Andries Lambert Aber die Erlaubnis zu
einer zeitweiligen Niederlas.sung in Rietfontain zu verhandeln. Andries
Lambert gab seine Zustimmung zum zeitweiligen Bewohnen dieser
iliiii gehörigen i,|ucllengegend und so blieb denn diese Abteilung der
Trekboer> an dieser Stelle bis Anfang des Jahres 1878. Diese Zeit
benutzten sie, um durch einzelne Trupps das Land nach Nortlen,
nach dem Okavango zu, erforschen zu lassen. Die zurückgebrachten
Berichte lauteten aber alle ungünstig, das Land wurde wasserlos
und sehr uniresund gefunden.
Mittlerweile waren nun durch die politischen Vorgänge im
Transvaal, durch die Invasion von Seiten der KngliUider und die
4*
Digitized by Google
— 52 —
zeitweise Annexion des Landes, Udch eine weit grössere Zalil der
Boers, von unüberwindlicher Abnei^un^ ge^^en England getrieben,
veraolafst worden, ebeufallä zum Wanderstab zu greifen und den
Spuren des ersten Zuges zu folgen. Am 29. April 1875 setzten' sich
die ersten 14 Wagen dieses Zuges in Bewegung, am 15. Mai schlössen
sich ihnen weitere 83 und so fort an, so dafs bis zom August ins-
gesammt 128 Wagen mit 1958 Zugochsen und 480 Menschen an den
Ufern des Limpopo beisammen waren. Mau sah ein, dafs ohne
Führer und bestimmte Gesetze eine solche Menschenmenge nicht in
Ordnung zu halten war und so wurden denn Regulative für die
Dauer des Treks festgesetzt, die auf alle Vorkommnisse des gew(>bu-
licben Lebens, aul' Bestrafung von Verbrechen, auf KIu m lilielsiuuen,
auf Vej'lialten zu den Kingeborenen u. A. Hezug hatten. Zum
Koniuiandanten des Zuges wurde ein Herr Kreling. zum Feldkornet,
eine Art liichter, ein Herr Du i'lessis, gewaldt. Zwei Jahre vei'loren
sie hier an den Ufern des Limpopo, wahrend welcher Zeit zahlreiche
Todesfälle an Fieber vorkamen und viel Vieh durch Löwen und
Diebstähle von Seiten der Fiugeborenen eingebüfst wurde. Der
Betschuanenchef Khama von Baniangwato, der zuerst seine Erlaubnis
gegeben hatte, sein Land zu durchziehen, zog dieselbe später, als
man um Führer durch die Kalahari bat, wieder zurück, indem er
antwortete, dafs sie nach seiner Ansicht bei dem Versuch, die Wüste
mit solch einer Menge von Menschen und Vieh zu durchziehen,
sicher alle sterheu würden und er für eine solche Katastrophe nicht
verantwortlich sein wolle. Auch die Missionare Rev. Hebbes und
Cacbel, welche die IJoers hier von Zeit zu Zeit besuchten, um
Gottesdienst zu halten und 1 aulen und l'heschliel'sungen vorznnelnnen,
suchten, indes verue1)lieh. die Doers von ihrem Vorhaben, das Dnrst-
feld zu durchziehen, abzubringen. Der Zug bewegte sich nordwärts
bis zur Mündung des Motlotse in den Limpopo. Von hier beschlo.ssen
sie ihr s&mtliches loses Vieh durch die Wüste nach dem Ngami-See
vorauszuschicken. Sie hatten nach einer Zahlung zu diesem Zeit-
punkt 7536 Ochsen und Kühe, 483 Pferde, 1034 Schafe und Böcke,
32 Esel, 213 Hunde, 486 Hühner, G&nse und Enten. Sie teilten
sich nun in 3 Haufen und es wurde ausgemacht, dafs eine Partie
nach der andern in Zwischenräumen von 3 Tagen den Zug durch
die Wüste antreten solle. Zur grdfsten Enttäuschung fand man die
erste Quelle an einem Orte Namens Inkavan, • nach dreitägigem
Marsche, vertrocknet. Das Vieh war jetzt 3 Tage und Nächte ohne
einen Tropfen Wasser gewe.^en und man verlor jede Herrschaft über
dasselbe. Das Gebrüll der Ochsen und die verschiedenen Stinnneii
uuderer Haustiere sollen nach den Bericbteu geradezu erschreoklieh
Digitized by Google
— 53 —
•;<'wt'MMi spiii. Dir Zugochsen veniiischtcn sicli mit dem übrigen
Ilornvioli und alle Tiere zor-t reuten bicli ii;u )i Wasser su( lieiid, über
die iianzo (leLTiMnl, Nur 320 w irden augenblirklich wieder einucfangen,
spater nnch HIN) wieder erlangt, die in die Hände von Kuropäern
gefallen waren. Vom Rest hat man nie wieder etwas trehört. Bei
einem Versiuhe, die Quellen zu vertiefen, erlanu'te man nur so viel
Wasser, dafs jedem 4 KlslötVel voll gegeben werden konnten.
l'm das Unglück voll zu machen, trafen nun durch ein Mifs-
verstAntlnis auch die zwei übrigen zurückgebliebenen Partien ein,
welche schoa unterwegs viel auszuhalteu gehabt hatten und welche,
um die Wagen iii dem tiefen Sande zu erleichtern, genötigt gewesen
waren, Hausgeräte, allerlei Güter und selbst Provisionen fortzuwerfen.
Nach einigen Stunden Rast wurde die Reise fortgesetzt und
so zog man denn abermals drei Tage und drei Nächte, ohne Wasser
zu finden, weiter. Man war genötigt das warme Blut eines jeden
gefallenen Tieres zu trinken, dessen man habhaft werden konnte,
selbst der feuchte Inhalt des Magens wurde efslolfelvoll verteilt
nnd gab Anlafs zu Streit Keine Feder ist im Stande die schreck-
lichen Szenen zu beschreiben, die sich während dieser Zeit abspielten.
Das Gebrttll der verschmachtenden Tiere zn hören war entsetzlich.
Trotz aller dieser Schreckensszenen liefeen die Boers den Mnt nicht
sinken und blieben entschlossen, alle Hindernisse zu fiberwinden. Der
gröfote Teil der Männer zog zn Fufs nach Klackani, beladen mit
allen Arten von Utensil»n zum Wassertragen. Man fand an dieser
Stelle auch wirklich Wasser und kehrte alsbald mit Wasservorraten
zu den Wagen zurück, wo Frauen und Kinder halbverdurstet die
Kückkehrendeu mit gröfster Freude emptingen. Nacli einem öffent-
lichen Dankgebet zu dem Allmächtigen brachte man mit vieler
Mühe und Ausdauer die Waiden nach Klackani, doch starben dabei
gai' manche Ochsen im Joche.
Das lose N'ieli wurde nun von hier mit zwei Och^enwagen, die
Wa.sser entgegenbringen sollten, voraus nach Meer geschickt. Die
Tiere waren TVa Tage ohne einen Tropfen Wasser und 150 von
ihnen starben zwi-chen diesen beiden Punkten. Ein Teil der in
Klackani zurückgeVdiebenen Frauen und Kinder machte sich, von
Durst getrieben, auf die Suche nach Wasser und geriet in der
Dunkelheit in einen von einer nahezu ausgetrockneten Wasserpfanne
gebildeten Sumpf. So grofs war ihr Durst, dafs sie, nur um die
Qual einigermafsen zu stillen, gierig den Schlamm in den Mund
führten.
Nach 2Vämonatlicher schwerer Arbeit hatten sie endlich ihre
Wagen mit Ausnahme von acht durch das Durstfeld gebracht, diese
Digitized by Google
— 54 —
mufsten sie zurOcklassen. Die Güter, welche zur £rleichteniiig der
Wagen in der Wflste zurückgelassen worden waren, waren zum
gröfoten Teil von den Eingeborenen gestohlen und erlangte man nur
sehr wenige wieder. Ein kleiner Teil des zerstreuten Viehes, etwa
1000 Stttek, wurde in Bamani<:wato und an den Grenzen Ton Trans-
vaal aufgefangen und durch zurückgesandte Leute wieder eingebracht.
Von Meer zogen die Boers nun längs des Okavango- und
N'gami-Sees bis zu einem Punkt namens Sibbitoiis Drift. Eine
hier abgehaltene Zahhmg ergab, dafs bis dahin unterwegs 37 Leute
am Fieber und Durst gestorben waren. Von hier aus sandten sie
Briefe an die in Kietfontain wohnhafte Partie der Boers, welche
schon 1874 ihren Zug begonnen hatten und baten um Hülfe durch
Zusendung von Zugochsen. Diese sandten alsbald 183 Stück, rieten
aher entschieden von einem Zug längs der Ufer des Okavango ab.
Halsstarrig aber wie nun einmal die Boers sind, hörten sie nicht
auf diesen guten Rat, sondern zogen in der einmal eingeschlagenen
Richtung weiter. Die Periode der Leiden und des Unglücks setzte
sich in Folge dessen für diese Abteilung weiter fort, man zog
zweck- und sinnlos umher und teilte sich am Ende in verschiedene
kleinere Abteilungen, deren Leidensgeschichten ich hier iu ihren
Einzelheiten nicht weiter vci-folgen kann.
Die erste Abteilung, welche nun inzwischen (Anfanu: 1S7S)
Kietfontain vorlassen hatte, war weiter nach NW. uezouen uiul
lag längere Zeit an einem Ort Namens Debra. Iiier traten sie
auf einen Teil der zweiten Abteilung, der sich iui gröfsten Elend
befand. Manner, Frauen und Kinder waren am Fieber erkrankt,
das Vieh lag haufenweise tot umher und da die M&nner zu schwach
waren, um auf Jagd zu gehen, mufete man sich von dem verfaulten
Fleische der gefallenen Tiere nähren. Sie waren unter vielen
Verlusten an Menschen durch Fieber und an Vieh durch die Tsetse-
fliege erst Iftngs des Okavango und nordwestwftrts gezogen, hatten
sich dann von dem Rest getrennt und waren Aber die New Years
Pan, Rooiboklaagte. Vogelspan nach D e b r a gehingt, wo sie
sich nach längeren Verhandlungen im Februar 1878 mit dem Zug
von Herrn Alberts vereinigten. Von ihnen starben allein 19 in
Debra. Von hier zogen sie langsam n<)rdwest\värts und waren
wiederholt genötigt, den verschiedenen kleinen Taitieii. die sicli von
der ursprünglich zweiten Abteilung abgelöst hatten, und die längs
des Okavango hin- und herzogen, Hülfe zu bringen, da dieselbe in
diesen höchst ungesunden Niederungen nicht nur viele Menschen-
leben, sondern durch die Tsetse auch einen grolsen Teil ihrer Zog-
ochsen verloren, so dafs sie ohne Hülfe die Wagen nicht von der
. Kj L y Google
— 65 —
Stelle bringen konnten. Sic waren oft jrenötigt rohe Wurzeln zu
essen, da ihnen selbst die Kraft ein Feuer anzuzünden fehlte; von
einem Zuge starben allein 43 Vrauen, Kinder und Männer. Im Juli
1878 wurde an einem Orte, Löwen Pan genannt, ein neuer Chef
in Gestalt des erfahrenen Jägers liotlia gewählt und kehrten von
hier aus 18 Familien, welche an einer glücklicheu Duixhführung des
Zuges verzweifelten, nach dem Transvaal zurück. Einige Zeit später
entfernte sich der ehemalige Kommandant Kreling unter dem Yor-
gebea einen Jagdzug zu machen, ebenfalls mit vier Familien, kehrte
aber nie wieder zurück; er soll, wie man sp&ter gehört hat, sich in
Rietfontain angesiedelt haben.
Nachdem der Weg zuvor durch Kundschafter erforscht war,
wendete man sich zunftchst wieder mehr dem Okavango zu und hatte
durch liegen und Sümpfe, durch Fieber und Feindseligkeit der Ein-
geborenen, welche mehrere der einzeln auf die Jagd gehenden Roers
in grausamster Weise ermordeten, und dann auch wieder durch
Wasse rmangel vielen Aufenthalt und Verluste an Menschen und Vieh.
Später .s^-hlug man wieder eine südwestliche Route, nach dem Damara-
lande ein, und kam schliefslich Anfang 1879 in die Nahe der Etosa-
salzpC&nnen. Von hier aus ging eine Erforschungsexpedition zuerst
wieder nordwestlich nach dem Ovambolande ; da aber das Land nicht
gfinsiig erschien, wurde ein südwestlicher Kurs eingeschlagen und das
ganze Koakoveldt im Süden des Cunene bis zum Meere hin erforscht.
Der zurftckgebrachte Berich^ lautete durchaus nicht günstig. Das
Land wurde gebirgig und steinig, schlecht mit Wasser versorgt und
die wenigen Quellen vielfach mit giftigen Substanzen gemengt gefunden.
Man beobachtete, dal's Vögel, die von einer Quelle tranken, nach
wenigen Flügelschlägen tot hinfielen. Der bekannte Jäger und
Elfenbeinhändler Erikson verlor, nebenbei gesagt, an derselben Stelle
wenige Zeit später auf diese Weise 19 wertvolle Pferde. Auf dem
Rückwege hatte diese Erforschungsexpedition wenige Tage südlich
vom Cunene einen Fleck gefunden, der die Möglichkeit eines längeren
Aufenthaltes bot Hierhin brach nun die ganze Expedition auf und
war £nde Juni an diesem Rastplätze versammelt
Mittlerwette hatte sich durdi herumziehende J&ger und Händler
die Kunde von dem namenlosen Elend und dem furchtbaren Unglück,
das über die Trekboers auf ihrem langjährigen Zuge hereingebrochen
war, in der Kapkolonie und dem TVansvaal verbreitet und man
beeilte sich, ihnen Hülfe zu schicken; 7(XX) £ waren im Nu gesammelt
und eine Hülfsexpedition unter einem Mr. Hagbittie brachte von
der Kapstadt via Walfisch-Bai eine ^n'ofse Sendung von Provisionen,
Kleidern und Medizin, die gerade uocli rechtzeitig kam, um die Boers
Digitized by Google
— 56
vor gänzlicher Vernichtuni: zti schützen, d(Miii fast alle l.mcii krank
am Fieber und Entbehrungen. Zugleich hatte diese Expedition den
geheimen Auftrag, die Roers zu einer Rückkehr nnt Schiff nach dem
Transvaal oder zu einer Niederlassung an der Südwestküste im
Bereiche englischen Eintiusses zu bewegen. Glciclizeitig liatte aber
auch die poitugiesische Kegieruug ein Augenmerk auf die Boei*s
geworfen, denn man war sich in Mossamedes nnd Loanda sehr wohl
bewufst, dafs die Boers ein vortreffliches Mittel zur Ausdehnung der
portugiesischen Herrschaft und Niederwerfung der Eingeborenen
abgeben würden. Man stand mit ihnen durch die Vermittlung des
bereits oben erwähnten englischen Händlers, William Jordan, in
Unterhandlung. Ffir eine Niederlassung im Damara- oder Namaqua-
lande, die ihnen ihres Hauptberufes als Viehzüchter wegen vielleicht
noch am besten gepafst hätte, waren ihre Kräfte zu sehr geschwächt
und wäre es ihnen unmöglich gewesen, sich inniittou oiiur feind-
lichen, mit besten Hinterladern bewaftnetiMi und in Schiefsfertigkeit
ihnen selbst nicht naclistehenden Bcsulkciung zu halten. Die
Versprcchnngen des portugiesischen Gouvornenients in Vcrhindnng
mit der tiefeingewurzelten Abneigung gegen die Englnnder liefsen
endlich die Boers nach längeren Verhandlungen die Anerbietungen
Portugals annehmen, die haui)tsächlich auf Gewährung freien Landes
im Betrage von 1 Hektar für den Kopf, in kostenfreier Vermessung
dieses Landes und in Gewfthrung von Steuerfreiheit auf 10 Jahre
bestanden. ^
Im Oktober 1880 traten die Boers in portugiesisches Terrain
bei Humbe auf das rechte Ufer des Gunene über und zwar in der
Starke von 57 Familien mit 270 Seelen nnd 50 mit ihnen ans dem
Transvaal gekommenem schwarzem Gesinde. Sie hatten 61 Wagen
mit 840 Zugochsen, 21G0 Häupter Rindvieh, 120 Pferde und HOOO Schafe
nnd Ziegen nnd siedelten sich an der bereits beschriebenen Hochebene
von Humpatah etwa 5 Stunden westnordwestlich von Huila an.
Die Lage der Kolonie ist aber durchaus keine glAnzende und
hat den auf sie gesetzten Erwartungen durchaus nicht entsprochen.
Das Klima ist zwar gesund, indem etwa bis 10 miles westlich,
20 miles nordöstlich nnd 120 miles südlich das Fieber nicht vor-
kommt, in letzterer Richtung auf dem Wege nach Humbe die Gegend
von Gambos ausgenommen, allein es ist sehr kontinental, heifse Tage
und bitterkalte Nächte, in denen sich im Juli und August nicht
selten Eis auf den Wasserflächen bildet; auch ist der Boden durchaus
nicht reich und das Gras sehr mager und schlecht ; die Boers können
daher ihr Rindvieh nicht in der Nahe der Niederlassung halten,
sondern müssen es 1 — 2 Tage weit zu besseren Weideplätzen bringen;
— 67 —
sehr viel Vieh ist ihnen nachträglich gestorben, so dafs jetzt ein
Besitztum von 100 Häuptern Vieh schon etwas seltenes ist. Den
Pferden paist das Klima ganz und gar nicht und gerade das Pferd
ist das Lebenselement des Boers. In der ganzen Kolonie ist kein
Dutzend brauchbarer Pferde mehr zu treffen. Die wenigen noch
bnuichbareii Exemplare werden durch Stallfütterunji oder auf der
Koppel, wo sie auf einem boschrilukteu llaume ihnen zutr;l*rliche
Nahnini: finden, tauglich und am Leben erhalten. In Bezu^ auf den
Anhan von Mais können die Boers mit den viel hilliger produzierenden
Kiimeborenen. die grosse Maisfelder haben, nicht konkurrieren und
(ier Weg nach Mossamedes ist viel zu lang und beschwerlich, um
einen Export von Ackerbauerzcngnissen zu ermöglichen. Man braucht
zur Hin- ui^d Herfahrt mit den uötigeu Hasttagen mindestens 24 Tage,
verliert dabei fast regelm&fsig einige, wenn nicht gar die UäÜte
oder mehr der Zugochsen und riskiert fortwährend, den Wagen auf
den schlechten Wegen zu zerschellen. Da mau mit einer Fahrt von
oder noch Mossämedes nur 25 £ verdient, so genügt der Verlust
von 4 resp. 8 Ochsen unterwep:s, einen jeden Verdienst abzuschneiden.
Bei meiner Ileisc nach Humpatah verloren wir unterwegs im Ganzen
drei Ochsen. In Mossamedes ist für diese Tiere kein oder h<>chstens
nur für sehr viel Geld Futter zu finden, so dals nuin den aus dem
Inneren kommenden Ochsen keine Ruhe geben kann, was sie natürlich
sehr schwächt. Die Schwierigkeit des Transportes schliefst jeden
nutzbringenden Export von Feldfrüchteu aus der Kolonie von Seiten
der Boers aas.
Ein Zentner Kartoffeln, der in Plumpatah sich etwa auf 7 Jk
stellte, kostete 20 Jk Transport nach Mossamedes 1 Ein nicht geringer
Teil der Boers liebt fiberhaupt viel zu sehr das unstäte Jagd- und
Wanderleben, um f&r eine solche, dodi wesentlich Ackerbaukolonie,
zu passen. Manche der Familien haben bis Jetzt noch wenig oder
ffar nichts von dem ihnen flberwiesenen Lande angebaut. Einen
^rossen Teil des Jahres, etwa von Oktober bis Mai, sind sie über-
haupt gleichsam wie auf einer Insel eingeschlossen, das Tiefland nach
Mo>Siiinedes ist dann so ungesund, dass man nur höchst ungern in
dif-pr Jahreszeit hinabtahrt, zumal aucii dann die Ochsen noch weit
kiuti'-^er sterben. .Mle europäischen .\rtikel, deren die Boers bedürfen.
sin<l wegen der grofseu Zölle, die auf ihnen lasten, nur um sehr
hohe Preise zu haben. Der Wildstand rings um Humpatah ist in
den wenigen Jahren rasch dezimiert worden und liefert nur noch
schwache Ausbeute für die Küche.
Alle diese Umstftnde wirken zusammen, um die Fortexistenz
der Kolonie dnrehans fraglich erscheinen zu lassen, und in der That
uiyiiiziüd by Google
58 —
diskutierte man bei nieinom Besuche die Frage eines abennaligeii
Trekes schon sehr lebhaft Nur wenige waren fest entschlossen, ihr
einmal gegrOndetes Heim nicht mehr zu verlassen, darunter der alte
ehrwttrdige Rudolph Holstuyze, der eigentliche Anstifter der ganzen
Bewegung. Von einer grofsen Yiehschar sind ihm nur noch 60 Stflck
geblieben, sein letztes Pferd hat ihm ein L9we noch in der Nähe
von Hiunpatah jjefresseii. Dabei füttert aber der brave Mann aufser
«einen eigenen no< Ii mehrere fi ( niile Kinder mit durch, deren Eltern
draufsen in den Wüsteneien dem Fieber und den Entbehrun^;en er-
legen sind. Drei Familien standen im Bei^riff, weiter nach Norden
in die (iegend von Benguella zu wandern, wo sie wohl sieher kfiiieii
besseren Platz, sondern wahrseheinlieh den Untergang finden werden.
Ein nicht unbeträchtlicher Teil wünschte sich nach dem Transvaal
zurück, liat aber keine Mittel mehr, nun einen abermaligen Zuj:
durch die Wüsteneien Südafrikas auszuhalten und könnte deshalb
nur auf dem Seewege seinen Wunsch verwirklichen ; dazu fehlen aber
die Mittel zur Zeit noch. Wieder andere spekulieren auf den Aus-
gang des noch immer fortdauernden Krieges zwischen den Damara
und Naniaqua, um sich später etwa in diesen Gegenden anzusiedeln.
Jedenfalls steht eine Entscheidung über diese Dinge in baldiger Aussicht.
Die Boers sind meistens Kalvinisten ; ihre sämtlichen recht-
lichen nnd moralischen Anschauungen und Institutionen gründen sich
auf das alte Testament. Da sie auch versclimahen, irgend ein anderes
Buch als die Bibel zu lesen, so läfst es sich leicht denken, dafs sie
auf einer selir niedrigen Stufe der geistigen Entwicklung stehen.
Hauptsächlich ihrer gänzlichen geographischen Unkenntnis und dem
Mangel eines umsichtigen Führers ist es zuzuschreiben, dafs sie zu
dem Wege vom Transvaal nach der Provinz Mossämedes, den man
gemJlchlich in ehiem Jahre zurücklegen kann, so lange Zeit brauchten.
Trugen doch viele am Ende ihrer Wanderfahrt kdnen Zweifel, dafs
sie wohl nun bald bei Jerusalem anUingeii müfsten! In manchen
Dingen sind sie von einer wahrhaft unglaublichen Dreistigkeit Gar
mancher von ihnen wird ohne weiteres bei einem Farmer, in dessen
Nahe es ihm gerade zu rasten beliebt, eintreten, sich mir nichts dir
nichts mit an den Tisch setzen, sich Essen und Trinken wolschmecken
lassen, dann womr»glich noch ein Bett fordern nnd ohne besonders
zu danken, sicli, wenn es ihm beliebt, wieder entfernen. Für die
äufserst gastfreien portugiesischen Katfeefarmer, die das l'nglück
haben, längs der Uoute von Mos-samedes nach Huiupatah zu wohnen,
. sind sie geradezu ein Schrecken geworden, und hat man sich genötigt
gesehen, die Gastfreundschaft ihnen gegenüber einzuschränken. Sehr
zu bedauern ist es, dafs sich die Boers Ton Humpatah zu Schergen
Digitized by Google
— Ö9 —
imtl Henker» der portugiesischen Chefs von Iluila herabgewürdigt
haben. Vor der Ankunft der Buers spielten die Portugiesen auf dem
Plateau von Huila und in Uumba am Gunene eine sehr tranrige
Bolle, etwa wie heute noch in Malange, weiter Im Norden. Sie
waren bei den Eingeborenen wohl oder übel geduldete Fremdlinge.
Jetzt hat sich das Bhitt mit Hfllfe der stets schufsbereiten Boers
ganzlich gewendet.
Bei den Reibereien zwi?<('heu den iMugeboreuen und den Portu-
giesen, die bei dem bekannten Ki piessungssystciu der iJortuLiiesischon
Chefs nicht ausbleiben konnten, wenn ja auch jene iiatürliih keine
Enirol sind, haben nun die Boers auf Anstiften der portugiesischen
Machthaber mit eingegriffen, bei zwei verschiedenen Razzias im
Anfang dieses Jahres etwa 70 Eingeborene erschossen und ver-
schiedene Dörfer verbrannt. Dafür haben sie dann als Entgelt aus
der gemachten Beute an Vieh für den Mann vier oder acht Ochsen
sich geben lassen, je nachdem ein Mann zu Pferd oder zu Fufs an
der Trdbjagd teilnahm. Dies und ganz beträchtliche Diebereien
und Unredlichkeiten, die ein Teil von ihnen gerade zur Zeit meiner
Anwesenheit gegen einen der Jagd halber im Lande reisenden Belgier
ansflbten, mufsten wesentlich dazu beitragen, die Sympathien, welche
irh diesen Leuten zuerst entgegen))i achte, abzuscliwäclien. Auf der
anderen Seite mufs man allerdings vor ihrer, durch nichts zu beugenden
Energie und Ausdauer im Ertragen von Strapazen, vor ihrer unge-
meinen Findii^keit in unwegsamen Gegenden, ihrer aulserordentlichen
Erfalirung und Sicherheit in der Jagd und einer gewissen Biederkeit
und Gutmütigkeit grofse Achtung luibeu. Die Sittlichkeit der Frauen
ist bekannt, dach ist dieselbe nicht so ganz ausnahmslos, wie man
gewöhnlich meint Die Männer sind meist breite, bartige, zuweilen
untersetzte Gestalten; die Frauen erscheinen hftfslich wegen ihrer
Kopfbedeckung und der grofsen Zahl von Röcken, die sie tragen;
es giebt ihnen das ein eckiges, unbeholfenes Aussehen. Unter den
Mädchen und Kindern, von denen seit Gründung der Kolonie bis
Mitte 1883 nahezu hundert geboren sind, sieht man recht viele frische
rosige, blonde Gesichter, lu einem besondoreu Gebäude, das gleich-
zeitig als Schule dient, wird Sonntags Gottesdienst gehalten. In
Ernianu'elung eines Geistlichen, der trotz mehrfacher Bemühungen
sich noch nicht hat findcü lassen. |>redigen einzelne der älteren
Genieindemitglieder; Lesen und Schreiben lernen die Kinder durch
ein junges Mädchen, das als Lehrerin angestellt ist Thats&chlich
sind die Boers jet/.t portugiesische Uuterthanen, wenn auch zur Zeit
noch mit einzehien Privilegien ausgestattet und noch auf Jahre von
dirdcten Steuern befreit Der Ortsvorstand ist ein Portugiese,
Digitized by Google
Senhor Paiva, der mitder Tocliterdes angeschensten pjocrs, dcsMr. liotha,
verheiratet ist ; er residiert in einem elenden, kleinen, halb fertigen
Fort, das mitten im Orte liegt und in dem einige schwarze und
weifse Soldaten zum „Schutze*' der Niederlassung liegen. Die weiTsen
Soldaten sind „Degradados**, d. h. aus Portugal deportierte Verbrecher,
und der ^Schutz*, den diese Herren der Gegend angedeihen lassen,
besteht darin, dafs sie nächtlicher Weile in der Umgegend Einbrüche
verüben; gerade bei meiner Anwesenheit in Humpatah hatten sich
diese Herren sogar erlaubt, bei ihrem Chef, Senhor Paiva, einen solchen
Kosnc'h abzustatten und ihm eine Uhr uud verschiedene Nahrungs-
mittel zu stehlen!
Um Zinn Sclilusso noch ein Wort über die Eingeborenen des
Landes zu sa.uen, so sind die lUnvolmpr der Uniueirend der Stadt
Mossdiuedes uüd der (icluctc bis zum Futse dos Cliellagebirges
Mundonibes. Es ist meinen Erfahruntren nach ein weit weniger
geistig fortgeschrittener Stamm als z. B. die Neger am unteren
Congo ; indefs sind sie im allgemeinen sehr gutmütig und sieht mau
einzelne recht wohl gewachsene Gestalten und nicht übele Gesichts^
Züge. Die Bekleidung ist eine auTserst geringe, vielfach werden
nur zwei Felle um die Lenden getragen, die an einer um den Leib
gebundenen Schnur vom und hinten herabhängen. Ein um die
Schultern geworfenes Stück dünnen Zeugs der ordinärsten Manchester-
fabrikatton dient in der Nacht bei der so bedeutenden Temperatur-
erniedrigung meist als einziges Schutzmittel. Nicht alle haben
bauinwollorie Decken und man begreift uianchnial kaum, wie diese
Leute, wenn sie während solcher bitter kalten Nftchte um ein Feuer
lagern, in solch ärmlicher l]ekleidung der Kalte ohne Schaden für
ihre Gesundheit Widerstand leisten könnon. Die Frauen sind durch-
schnittlich wesentlich kleiner als die Männer, sie tragen ausser-
ordentlich grofse, mit Lederwerk durchsetzte Frisuren nnf dem
Kopfe, während die Milnner nicht selten kleine durch eingetioL-iiteue
Pflanzenfasern und Tierhaare verstärkte Zöpfchen haben. Mit der
Reinlichkeit sieht es bei diesen Leuten sehr übel aus-; manche sind
förmlich graa am Körper von der Holzasche der Feuer, au denen
sie die Nädite zubringen. Ich habe nie den Negergeruch, — den
man übrigens am Congo bei den sich meist sehr reinlich haltenden
Cabindas fast gar nicht verspürt, — so widerwärtig und zuweilen
wirklich unaussteldich gefunden als bei diesem Stamme. Meine von
ihnen den Chellai)afs heraufgetrageneu Sachen rociieu noch mehrere
Tage danach.
Die Mundombos besitzen Viehherden, sie stellen auch die
Träger, welche von Mossamedes Aber das Chellagebirge bis nach
Digitized by Google
— 61
Hurobe gehen, yiaii begej<net auf dieser Strafse oft Karawanen von
50 Mann, die Sulz. Lretrockneten FiM'h. Manchesterwaren u. A. ins
Innere schaffen und auf der HUckkebr ruhen, einheimischen Tabak,
in etwa faustgroHsen Kugein geballt, von denen etwa eine in Moss4-
medes 1 Pence » 8 wert ist, herabbriugen.
Ihre Bewaffnung besteht wenn möglich aus Steinschlofsgewehren,
sonst oder daneben aus Assegais und Kuobkerries oder Keulenstocken.
Oben auf dem Plateau der Ghellaberge, um Huila und mehrere
Tagereisen weiter östlich, wohnen die Munhanecas und Qui-
pongos, welche den Mundo mbos in vielem fthneln. Sie sind
indefo der Lage ihres Wohnortes ent<tprechend mehr Ackerbauer
und haben grolse Maisfetder, die, wie es scheint, gemeinschaftlich
bestellt werden, denn man sieht nie besondere Abteilungen in den
angebauten Landstreckeu. Aufserdem haben sie aber auch stattliche
Viehherden, die wie bereits erwähnt, mehrfach den Neid und die
Habsucht der Trekboers erweckt haben. Uire Ilfltteu aus Schilf
haben eine runde Form mit s]>itzem Dach und sind ebensowohl wie
sie seihst nichts weni^^cr als reinlich.
Vf)n den» Orte Ilnila darf man sich ührif^ens keine besonders
liolien Vorstellnn^'en niai licn. Jls ist ein kleiner, unbedeutender
Ort voll etwa AO HilUNern. der an den Hftui^eu einer in ihrem Grunde
etwas sumpfigen l lialuiulde Heut. Die Iluuser sind ebenso schmutzig
wie die Stnddiütten der Kingeborenen und man empfindet eine
unüberwindliche Abscheu in dem Hau.se eines solchen Portugiesen,
der meist ein Depurtierler ist, etwas zu geniefseu. Die etwa eine
Viertelstunde in westlicher Richtung' ablieuemie franzti.sische Mi.ssious-
station der Gesellschaft des Sacre-C'oeur ist in ihrer Reinlichkeit und
Sauberkeit, in der Zweckmafsigkeit ihrer Anla^^e eine wahre Oase
in dieser Wüste von Schnmtz und l'nreinlichkeit.
Huila und seine Umgebung war vor Jahren eine deutsche
Kolonie gewesen. Im Jahre 1855 lief nämlich ein nach Brasilien
l>estinimtes Schifi" mit deutschen Aaswanderern in Lissabon im not-
leidenden Zustande ein und man wufste dort die Leute zu bereden,
statt nach lirasilieu lieber nach der Provinz MosB&medes auszu-
wandern. Dieselben Hindernisse aber, die heute, wenn auch in
etwas vermindertem Mafse das Aufblühen der Trekboerkolouie zurück-
halten: schlechte Kommunikationen des Innern mit der KOste,
drückende Zölle u. A. Hessen schon diesen Versuch durchaus klaglich
enden. Ein guter Teil der Kolonisten starb im Elend und Ent-
behrungen, ein anderer fand noch die Mittel, das Land wieder zu
verlassen, und nur ganz wenigen gelang es, sich eine Position zu
gründen; unter ihnen ein gewisser Adams, der, ein Baumwolleu-
Digitized by Google
62 —
plantagenbesitzer, als letztes Mitglied der Kolonie in der Nahe von
Mossdmedes erst vor 2 Jahren gestorhen ist Sein Sohn ist so voll-
ständig Portugiese geworden, dafs er kein deutsches Wort versteht
und einige Bände der ^Gartenlaube", die sein Vater be«;essen hatte, für
oitje Alt Lexik<jii hielt, ihis er mir verkaufeu wollte.
Aus Südamerika.
Der Indianerstamm des Chirignanes.
Nach den Berichten des französiedieii Reisenden A. Th^ur.
Bekanntlich wurden der französische Reisende Dr. Crevani
und seine Geföhrten im April 1882 am mittleren Pilcomayo in der
Nahe einer Missionsstation von Indianern ermordet. Um den That-
hostend zu ermitteln, das etwa von den Indianern erbeutete Eii];entum
des Heisenden zu retton und die Schuldigen wo niüdich zu bestrafen,
wurden sowohl von der bolivianischen, wie von der aruentiuischen
l{e^:jierung hewatfnete FApeditioneu iiusgesandt. Zu weleiien Erjjeb-
nissen die letztere, welche unter der Leitung des bekannten argen-
tinischen ( Jeographen Oberstleutnant Fontaua stand, gelangte, darüber
ist bisher nichts Näheres bekannt geworden. An der von Bolivien, Tarija,
ausgesandten, nahm der Franzose A. Thouar Teil: dieselbe hat,
soweit OS möglich war, ihre Autgabe unter grofsen Schwierigkeiten
und Gefahren gelöst und zugleich eiue Entdeckungsreise von grofser
Bedeutung vollbracht. Im November v. J. kam sie in Asuncion am
Paraguay an, von wo ans Herr Thouar eine Mitteilung an die Pariser
geographische Gesellschaft richtete, die wir hier nach den gedruckten
Protokollen dieser Gesellschaft (1884 S. 86 u. 87) wiedergeben.
„Asuncion, 17. November 1883. Ich habe die Ehre Ihnen
meine glückliche Ankunft in Asuncion anzuzeij^en, nachdem ich eine
Heise von 68 Tagen duicli den nördlichen grofsen Gliaco zurück-
gelegt habe. Nachdem ich am 10. Sei)teml)er die Kolonie Crevaux
am Rio Pilcomayo. ungefähr auf 21° 55' 14" s. Br. und 64 8'
56" 0. L., verlassen hatte, erreichte ich ungefähr 15 Lieues nördlich
von Asuncion die Ufer des Paraguay bei dem kleinen See Naro,
nachdem ich sorgfältig alle unbekannten Strecken des Pilcomayo,
des Confttso und dos Uio Verde erforscht hatte. Trotz aller meinw
Anstrengungen blieben meine Nachforschungen zur Auffindung der
Gefangenen und der sterblichen Reste des Dr. Crevaux bei den
Indianern ohne Erfolg. Haurat und der Argentiner Blanco sind
— 63 —
ii«eh fdnÜDonatlicher Gefangenschaft unter gr&fslichen Leiden erlegen»
An der Stelle, wo Dr. Grevanx fiel, habe ich zwei sich kreuzende
Stabe errichten lassen. Der Marsch der Ezpeditionskolonne durch
die uns umschwärmenden Indianer, welche sicher 60—70000 Mann
zählten, war der schwierigste. Am 3. Oktober griffen uns 7^800
Tapietis an. Der Kampf dauerte drei Stunden. Sie schlugen sich
hartiiatkiLT. Von unserer Seite wurden vier verwundet, zwei schwer;
mich verletzte ein l'leil leicht an der rechten Seite. Am fol<renden
Tage hatten wir wieder zwei kleine Scharmützel. Die Indianer
versuchten darauf, uns in die Sümpfe, welche den 1 liifs auf 24^
4ü' s. Br. begrenzen, zu dr&ngeu und uns in den hohen Wucher-
pflanzen zu verbrennen. Unsere Lebensmittel und sonstige Vor-
rate begannen uns am dreiOugsten Tage auszugehen. Wir mufsten
unsere Maultiere schlachten und uns nebenbei mit Pahnblättem und
Wurzeln -ernähren. Bei Annäherung an die mesopotamischen
Regionen, ungefähr 15 Lieues vom Paraguayflula, konnten wir nur
unter den grdÜBten Schwierigkeiten vorwärts kommen. Eine Lieue,
anderthalb Lieue war das Maximum unseres Marsches. Unsere
Reiter waren zurückgebliehen; die Tiere, ermattet, blieben zum
gri)sseu Teil im Suiiipl stecken. Ein Sturm verursachte uns
mit einem Schlage den Verlust von 15 Tieren. Wir waren ge-
zwungen, unsere Mundvorrilte und unser Gepäck im Stiche zu
lassen. Die Indianer, welche uns wie Geier verfolgten, bemächtigten
sicli eiues meiner Maultiere, das zurückgeblieben war, zerrissen die
Petaea, welche meine Sammlungen enthielt und stahlen mein „stoke
board'' und mein Zelt. Nur mit gröfster M(^e konnte ich meine
Papiere und die Instrumente retten. So erreichten wir am Sonnabend,
den 10. November, zu Fufs den Bio Paraguay durch die SOmpfe,
bis zum Gfirtel im Wasser, allen Unbilden der Jahreszeit ausgesetzt
ohne Obdach und zerstochen von den Mosquitos-Schwärmen, Blutegeln
und Garapatas (HolzbOcken). Der Zweifel und die Entmutigung einiger
furchtsamer und feiger Seelen zwangen midi zu fortgesetzten An-
stren^unj^en , um in den Herzen dieser Unglücklichen noch einen
letzten }lottiitinii;s>chiuimer er^^länzen zu lassen, — (U'rtii Kleider
in Fetzen Inngen, die unter den Anstrenuunixen zusanimenbrecheuil,
vom Fieber geschüttelt, vor Hunj^er verschnuichtettMi und von tlenen
ein Elender mich anklagte, der Urheber aller dieser Qualen zu sein
und heimlich ein Komplot zu meiner Ermordung anzettelte. — Aus
allen meinen Beobachtungen ergiebt sich: 1) dafs der Pilcomayo
schüfbar ist; 2) da£s» ein Verbindungsweg zu Lande dui'ch die reichen
Gegenden des Innern leicht herzustellen ist; 3) dafs die Jndianer
kein Hindemifo lür die Kolonisation sind. — Der Wert des Yer-
^ 64 —
kehrs auf diesem Verbindungsweg könute 17 bis 18 Millionen Piast er
erreicheD. Von allen Seiten lebhaft bestürmt und gedrangt, Auf-
zeichnungen, welche ich noch nicht geordnet habe, zu verüfifeut-
Ikhen, werde ich jede Mitteilung yon Belang über diese Frage
zurückhalten, bis ich von den Regierungen Paraguays und Bolivias
sichere Garantien zu Gunsten des französischen Handels, für wel-
chen ich spezielle Privile,i,'ien beanspruche, erhalten habe. — Das
ist der Preis, den ic)i für die Mitteilung im iiier Aufzeiclumugeu
bedini(e. Sobald diese Frage gelöst ist, werde ich auf uieine Rück-
kehr nach Frankreich bedacht sein".
Thouars lUickkehr iiacli Frankreich ist inzwi.sclicii erfolgt.
Bereits im November IHHH verötl'eatiiclitc die Pariser gcom ajdiische
Gesellschaft in ihren Protokollen eine ausCawa im August v. J. datierte
ausführliche Mitteilung Thouars Uber seine etlmologischen Studien
des Indianerstaniines der C.'hiriguanos, mit welchen er schon, ehe er
die jetzt glücklich zu Knde geführte Kxpedition unternahm, in
Berührung kam. Ein Freund unserer Zeitschrift hat uns eine Ueber-
tragong dieses Berichtes gesendet, die wir hier mit dem Bemerken
folgen lassen, dafs sie vor dem fiintreflTen der Nachricht von der
wohlbehaltenen Ankunft Thouars in Asuncion verfafst wurde.
Ch. N. Zu den dunkeln Ph'dteilen, welche noch auf einen
Stanley warten, gehört da> Fhifsgebiut dos IMlconiayo, dessen
Erforschung auf seiner ganzen Länge, wie unirlaublich es auch
scheinen mag, noch keinem iieiseiiden geliuigen i.-t.
Das, was man über den Pih^omayo weifs, verdankt man haupt-
sächlich den Berichten des Leutnants Vau Nivel (1844) und des
Missionärs Padre Jose (Üanelli (18ti3>, welche beide aber nidit
einmal ein Drittel seines Laufes, von seiner Vereinigung mit dem
Rio Pilaya aus, flufsabwarts verfolgt haben. Ja, selbst vor kurzem
war man noch im Unklaren über den Ort seiner Kiumündung in
den Paraguay.
Kin sehr grofees Hindernis bietet, dies ist festgestellt und durch
den unheilvollen Ausgang der Expedition des Dr. Crevaux aufs
neue bestätigt, die feindselige Haltung der an seinen Ufern an-
gesiedelten ladianerstamme. Die bekanntesten derselben sind 'die
im Osten des bidivianischeu Departements Chuquisaca ansäfsigen
Chiri.muiiiüs, welche in ziemlich hautigem Verkehr mit der Haupt-
stadt Sucre (Chu(iiiis;ica) stehen, ohne indefs unterworfen zu sein,
noch ihren unzuverläfsigen Charakter verloren zu haben. Zurück-
haltender und weniger bekannt sind die Stämme, die sich im Zentrum
und im Süden der „Gran Chaco'' genanuteu Kegion aufhalten und
vorzugsweise in dem zwischen dem Pilcomayo und Bermejo liegenden
Digitized by Google
— 65
grofseo Landstrich anzutreffen sind. Unter ihnen dflrften die Tohas,
wekhe Crevaux und seine Genossen umbrachten, und die Matacos
die bedeutendsten sein; ferner sind am Pilcoina3() noch die Miicbicuis
und Knimagas. Die Chorotis, Chunupies und Vilelas haben ihre
Wohnsitze mehr auf der dem Paraguay zugekehrten Seite des
Uran Chaco,
Der französische Reisende A. Thouar, der sich die Aufgabe
gestelit hat, den Resten der Expedition des Dr. Crevaux nach-
zoforschen, übermittelte von Ca'iza ans im August v. J. der Socii^^te
de g^graphie ein Memorandum, in welchem er seine bei den Chiri-
goanos gemachten Beobachtungen mitteilt. Neueren Ermittelungen zu-
folge zählt dieser Stamm noch ungefähr 7 — 8000 Seelen, die dem Höhen-
zug von Machureti entlang zwischen dem 19. und 22. Grad s. Br.
wohnen. Die Gestalt der Männer ist klein und Überschreitet nidit
1.50 bis 1,60 m; kleine schief geschlitzte Augen, schwacher Bart,
diu t u L;:e Wimpern, ziendich platte Nasen mit breiten, weit geöffneten
Na-eii luchern, kein iibünnalsig grofser Mund, hinge pechschwarze
Haare, die, um den Kopf gewunden, von einem Tuch zusaninien-
_'ehalten werden, kleine Hfinde und Füfse, hervorspringiiide Backeu-
knoi hen, welche sie mit Onoto, Achote oder Curusu zu fiUbea pHegen,
i^enuzeichneu diese Indiuner. Die Unterlii)pe ist mit der Tembeta
geziert. Sie gehen nackt, blos ein kleiner Leder- oder BaumwoU-
schurz hangt von den Hüften herab. Die Hautfarbe ist bronziert.
Das Aussehen der Frauen unterscheidet sich nicht viel von deu^jenigen
der Manner, sie tragen eine Art blauen Baumwollhemdes, das sie
um die HQften knöpfen oder vermittelst zweier langer Kaktusstacheln
über den Schultern zusammenheften. Beinahe alle fiLrben sich die
Wangen, Wimpern und die Stime mit Achote, dem in der Frucht-
hiille des Ruknbauroes enthaltenen Farbstoff; sie tragen keine andere
Zierrat als ein Halsband, das aus Muschelfragmenteu gemacht ist,
die sie am Pilcomayo finden. Die Hütten bedecken gewöhnlich eine
Oberfläche von 15 m. Die niedrigen ans Rohrgeflecht hergestellten
Wände sind mit rötlicher Mergelerde überworfen : auf dem ebenfalls
aus Kohr bestehenden Dacli ist eine Lage trockener Blätter oder
Kräuter ausgebreitet. Hinter der Hütte befindet sich eiu auf vier
Pfählen ruhender Kohrkäfig, etwa 1 m über dem Boden, in welchem
sie ihre Maiskolben aufbewahren. Der Kingang der Hütte ist niedrig,
schmal, und wird mit einem Rohrgeflecht oder einer Kuhhaut ver-
schlossen. Das Innere, das nicht abgeteilt ist, beherbergt die ganze
Familie, aber auch Hunde, Hühner n. A. Die Hausgeräte bestehen
aus einem groben Hamak (Hängematte) und einem die Bettstelle
vertretenden Rohrgeflecht. Oberall an den Wänden sind Maiskolben
fhwsr. Blittw. Bmbmb, 1884. 5
üiyiiizea by Google
— 66 —
anfgehftngt, ein die Mitte des Ramnee einnehmender 1 m hoher
Rohrkafig, die pirbua, dient ebenfalls als Maisbehftlter. Drei Steine
in einer Ecke bilden den Herd; als Oeförse besitzen sie totumas
(Kalebassen) von jeder üröfsc und ungeheure Yambui o<ler Urnen
aus rötlichem am Feuer gebranntem Thon, welche elx iisowobl zur
Bereitung der Chicha, einem uns ge:4orenem Mais hergestellten
Getränke, als zur Bestattung ihrer Toten benutzt werilen. Die
Frauen überstehen, wie bei allen Naturvölkern, die Geburtswehen
mit der gröl'steu Leichtigkeit. Sobald sie entbunden siud, schnürt
man ihnen den Unterleib stark mit einem Streifen Baumwollzeug
und legt sie, mit dem Mund nach unten, auf eine an der Erde
gebreitete Lage Sand. Der Vater und die Kinder legen sich sofort
ins Bett und beobachten strenges Fasten, das ftlr den Vater Q-r-lO Tage,
fOr die Kinder 2—3 Tage dauert. Während dieser Zeit darf der
Vater weder Ghicha trinken, noch Festlichkeiten beiwohnen, noch
Holz herbeiholen, denn sie sagen, dafs im Übertretnngsfalle der
Neugeborene sterben wQrde. Die Frau geht nach 7—8 Tagen ihren
gewöhnlichen Beschäftigungen nach. Hin mifsgestaltetes Kind wird
bei der Geburt entweder getötet oder lebendig begraben; l)ei Mehr-
geburten läfst man blos einem Kind das Leben, falls nicht die Mutter
sich dagegen wehrt, was selten vorkonnnt. Weifs der Vater den
Tiger zu erlegen, so glaubt man, dal's seine milunliche Nachkomnieu-
schaft sich durch Starke auszeichnen wenle. Schou den kleinsten
Knaben geben die Eltern als Si)ie1zeng Pfeil und Bogen, mit welchen
sie sich von Morgens bis Abends üben. Sie eignen sich daher bald
eine erstaunliche Geschicklichkeit darin an und nicht selten sieht
man Knaben von 7 — 8 Jahren, welche Kolibris im Bluge schiefsen
und Orangen auf eine Entfernung von 8 m genau in der Mitte
durchbohren. Den Madchen f&Ut die Aufgabe zu, den Mais mit
dem Palo, einem beinahe zwei Meter hingen HolzstOfsel zu mahlen,
die Chicha zn bereiten, den Poncho zu wirken u. A. Die Be-
schaftigung iler Männer ist Holz herbeizuschalTeu, zu süeu und zu
fechten. Um nichts in der Welt würden sie sich dazu verstehen,
eine Arbeit zu verrichten, welche den \Veil»or!i zuköniuit, Wasser
herbeizuholen z. B. ; seiner Ansicht nach würde sich eiu Mann
in seinen eigenen und in den Augen seines iStauimes dadurcli her-
absetzen. Die Tembeta ist eine Zierrat — bei anderen Stännneu
nennt man sie auch barbote — . mit der im Alter von 6 — 7 Jahren
die Unterlippe geschmückt wird. Sie ist gewöhnlich aus I'>lei. von
der (höfse eines 50 Centimesstttckes bis zu derjenigen eines Fünf-
frankenthalers. Wenn die Knaben das vorgeschriebene Alter erreicht
haben, so werden sie durch mehijähriges Fa^^ten auf die Operation
Digiii^eu by Cookie
— 67 —
vorbereitet. DerBriijo, ( Doktor, eigentlicli Hexeuineister) legt das Kind
auf den Kücken und niifst mit einem Faden, den er vom Hinterkopf
über die Stirne und die Nase an die Unterlippe zieht, die Stelle ab,
wo das Loch anzubringen ist. ^Komm'*, sagt er, „es ist Zeit, dafs
du ein Mann wirst. Du hast genug gespielt , und tou iot/,t an
molst du arbeiten, fechten und deine Feinde besiegen. Du wirst
nicht weinen, denn du würdest mir beweisen, dafs du noch keiu
Mann blat, auch mufst du nicht mehr wie die gua^guas (kleine
Kinder): hnm, hum, sondern wie wir: tä&, tü, sagen." Nach dieser
Ermnnterung durchbohrt er ihm die Li))pe mit einem scharf
zugespitzten Ziegenhorn ; der Knabe sagt nichts und macht auch keine
Bewegung. Dann steckt man einen kurzen Strohhalm in die Wunde,
damit sie sich nicht schliefse und dreht ihn täglich darin herum.
Wenu die Oeflfmmg vernarbt ist, vergröfsert man nach und nach
den Cyliiiiler, der sie erweitert, bis zur obenerwähnten Dimension
tler Tembeta; meistens geht sie aber nicht über diejenige eines
1-Frankenstückes hinaus.
Die Tembeta ist ein Zeichen der Männlichkeit und Nationalitüt;
sie trennen sich um keinen Preis davon. Ein anderes Zeichen dieser
beiden Eigenschaften besteht darin, die Haare lang zu tragen. Unter
keinen Umständen wird sich ein Ghiriguano die Haare abschneiden
lassen. Die Haare reichen Ober die Stirn bis zu den Augenbrauen.
Wenn die Indianerin mannbar geworden ist, so wird sie von den
Eltern in eine Hängematte gebettet, die nniglichst hoch in der Hfltte
angebracht wird. Dort lälst man sie ohne eine andere Nahrung als
ein wenig abgesottenen Mais (uiote), den sie jeden Ta.ij gegen vier
riir erhält, drei Tai^e und drei NAclite. Bios die Mutter oder die
i^rolVinutter dürfen n)it ihr umgehen oder mit ihr sj)rechen, und
wenn sie aus irgend einer Ursache ihr Lager zu verlassen hat, so
wird die gröiste Vorsiclit angewendet, dafs sie ja nicht auf den boyrusu
trete, die grofse Schlange, welche sie verschlingen würde, noch auf
Exkremente von Hunden oder Hühnern, was ihr Geschwüre am Busen
verorsachen würde. Am dritten Tag verl&fst sie die Hängematte
und setzt sich in eine Ecke der Hätte, die mit Rohrgeflecht abge-
schlossen wird. Dann schneidet man ihr. das Haar so kurz als
möglich ab, und, den Kopf der Ecke zugewendet, darf sie ein Jahr
lang nicht sprechen. Nur einmal des Jahres erhält sie ein wenig
mote, aber nie Fisch noch Fleisch. Erst in den letzten Monaten
lassen die Eltern von ihrur »Strenge etwas nach. Sie mul's in ihrer
Ecke siiinnen. um den Stammesgenossen den Beweis zu geben, dafs
sie im Stande ist. den Poncho des zukünftigen Mannes zu spiniK ii
uuii zu weben. Viele sterben iu Folge dieses barbarischen Gebruuclies
6*
Digitized by Google
— 68 —
oder werden von diesem langen Fasten krank und abgemagert.
Nach Beendigung dieser Prüfunjj: kann sich die Indianerin
verheiraten. Derjenige, welcher Absicliten auf sie hat, sdiickt
einen seiner Freunde zu den Eltern, wo sich folgende Unterredung
entspinnt: „Hast Du Tabak?** sagt der Kommende. „Ja**, erwidert
der .andere. ^^Dann gieb mir davon**, und gegen Mitternacht begiebt
er sieb in die Hütte, setzt sich auf den Rand des Rohrgestells,
auf dem der Vater ruht, und raucht, ohne mit jemand ein Wort zu
wechseln, während einer oder zwei Stunden; dann zieht er sich
zurück. Nachdem er zwei oder drei solcher nächtlicher Besuche
abgestattet hat. redet ihn (k^r Vater barsch an, was er zu dieser
ungewolinten Stunde in seiner Hütte zu suchen habe. Der auilere
giebt ihn» darübci- Aut'klilriingen ; die l-llterii bespreclien die Sache
und geben ihre Zu^tininumg untor der Bedingung, dafs der Herr
Scliwiegersohn ein tapferer Krieger st'i, dals er seine IVau niclit
töten werde u. A. — Dem aufsen harrenden Lieblmber giebt man'
ein Zeichen, er tritt ein, begiel)t sich sogleich mit seiner Braut zur
Ruhe und die Heirat ist ohiu> weitere Zeremonien unauflöslich
geschlossen. Der Schwiegersohn lebt mit den Schwiegereltern; er
hilft Holz herbeischaffen, das Feld bearbeiten n. s. w.; Aussteuer
oder Morgengabe kennt man nicht; Schwiegersohn und Schwieger-
vater verkehren mit einander unter Beobachtung des höchsten
Respekts, und der geringste Vorwurf würde als ein Verbreebeu
angeselien werden. Jede Heirat, welcher nicht diese Formalitaten
vorausuegaiigen sind, ist von kurzer Dauer. Ein Mann kann drei
oder vier l'rauen haben, der ersten gehört der Vortritt.
Die Chiriguauos nehmen an, dals es zwei geistige Mächte giebt,
den Geist des Guten und ilen Geist des Bösen, die im Brujo ihren
Sitz haben. Sie sclueiben daher den Brujos alles zu : das Unheil,
das über sie kommt, ihre Gebrechen, den Regen, das schöne Wetter.
Sie haben sich alle gegenseitig in Verdacht, Brujos und im Stande zu
sein, das Wetter zu ändern und Gebrechen zu heilen. Alle Vorkomm-
nisse des materiellen und intellektuellen Lebens erklären sie durch die
Briyeria, die Zauberei. Sie rufen einen Zauberer, um die auf ihnen
lastende Brujeria zu beschwören; wenn dieser nun keinen Erfolg hat,
so beschuldigen sie den ihnen feindlichen Zauberer, Ursache dieser Hart-
nackigkeit zu sein. Fällt ihr Verdacht auf einen ihrer Nachbarn, so
verfolgen sie ihn und verbrennen ihn lebendig, wenn er in ihre Hände
fällt. laitMliliiptt er ihnen aber, so wappnen sie stdl)st eine Brujeria
gegen ihn, die ihre Uebel ihm zuführen soll. Winm sie krank sind,
rufen sie einen Brujo, um sie von der Hnijeria zu befreien und
ihnen eine andere zu geben, die ^ut wäre; haben sie Schmerzen,
Digitized by Google
so biftft der Brujo auf den kranken Thefl nnd sangt ibn während
einiger Augenblicke an, bis er die Brujeria herausgesogen hat,
welche er dann dem Kranken zeigt. In der Regel ist es ein
Stiu-krlicn Holz, welches bc,u'reiHicher Weise schon im Mund des
Hnijo versteckt Nvar. Stirbt der Kranke, so entschul diij^t sich der
lleilkünstler damit, dafs er zugiebt, sein Antagonist sei mächtiger
gewesen, als er.
Mit dem Worte Tumpa, im weiteren Sinne, drücken diese
Indianer Staunen, Bewunderung, kurz eine geistisre Aufregung aus,
sei es über Sachen, Personen oder ihnen imerkhirliche Vorgange;
im engeren Sinne genommen zeigen sie dadurch eine sehr ver-
schwommene Idee von einem höheren Wesen an, anf das sie, sich
gegen Osten wendend, mit dem Finger hinweisen.
Wenn sie in Krieg ziehen, wenden sie sich an die Sonne nm
Beistand, ohne sie aber anzubeten. Sie begnügen sich, sie mit den
Worten anznreden: ^Dn bist immer juni;, täglich whrst du geboren
und stirbst du. aher um immer wieder jung zu erstehen : mache,
(lass es mit mir ebenso sei." Sie glauben, dafs sie, wenn sie sterben,
in ein anderes Leben eintreten, dafs sie an eiiien Ort kommen,
der Iiruihoca oiler Iboca genannt wird, was in Chiriiruano „(iarten
der I-'.rdo" heifsen will. Dieser Ort Ignihoca ist pittoresk in
der Schlucht von Ingre am Pilcomayo gelegen. Dort führen sie
nach ihrer Vorstellnnc: ein glückseliges Leben mit Ueberflnfs an
Frauen nnd Chicha. Die Tage von Iguihoca sind die Nächte auf
der Erde. Nach mehreren Jahren dieser Existenz verwandeln sie
sich in Füchse, Tiger oder andere Tiere. Um des Lebens von
Igniboea teilhaftig zu "werden, mufs man die Eigenschaften eines
guten Kriegers besessen oder viele Franen gehabt haben, oder
endlieh im Kriege nmgekoromen sein. Der Verstorbene wird als-
dann verehrt und gefeiert; war er ein Feigling, so geht er der
Vorteile von iLiuihoca verlustig. Li hohem Ansehen steht bei den
Chiriguanos der Fuchs: sie verfolgen ihn nicht, weil sie ihn als
den Träger der Geister ilirer verstorbenen Verwandten ansehen.
Nach dem Bellen eines sich ihrer Hütte näherndeTi Fuchses glaui)en sie
voraussagen zu können, ob Frauen oder Männer oder beide zugleich
sterben.
Anch Erscheinungen sind ihnen nicht unbekannt; die Vision, die
sie zu erblicken sich einbilden, führt den Namen „Mba£^.^) Wenn
sie ihn gesehen haben, so sind -sie überzeugt, dafs ihr letztes
^) Sollte dies nicht im Zusainmenhang mit dem frühor mächtigen Stamm
der Mbajas stehen, der den Chaco zwischen dem 20. und 22. ' s. Br. zu Anfang
des 17. JahrhnnderU bewohnte?
Digitized by Google
— 70 —
StOndlein geschlagen bat Es giebt Brujos, welche den Mbal zitieren
und yerschwinden lassen können. Wenn ein MbaT sich in einer
Niederlassnng gezeigt hat, schliefsen die erschrockenen Chirigiuinos
ihre Hütten, die M<1dchen und Weiber singen mul tanzen um die
Wohnungen, um den Mbai" abzuhalten. Dieser tilaube ij>t boi iluion
so tief eingewurzelt, dals, wenn sie glauben, dieseu Geist geseheu
zu haben, nicht selten der Schreck sie tötet.
Sie besitzen eine Men^^e Traditionen über verschiedene Tiere.
Ueber den Pfert'erlresser z. B. erzähleu sie, dals der Tuchs
sich viel Chicha gebraut hatte und dafs er einem schönen Kind, das
sich ihm näherte, davon in einem iassi genannten länglichen Gefass
zum trinken anbot; das Kind nahm es, und w&hrend es trank,
schlug der Fuchs mit seiner Tatze auf den iassi, der dem Kinde nun
auf die Nase in der Gestalt des bekannten riesigen Tukanschnabels
anwuchs. Bei allen Festlichkeiten und Zeremonien ist der Verbrauch
von Chicha sehr bedeutend. Wer fremde Httlfe nötig hat, ruft seine
Freunde zusammen und bezahlt sie mit Chicha.
Sie zahlen die Zeit nach Monden. Ein Mond ist ein Monat
und zwölf Monde oder zwölf Monate machen ein Jahr; sie zillilen
das Jahr auch nach der Zeit, die zwischen zwei Aussaaten der
gleichen Frucht verfliefst. Ihr Alter zählen sie nach den Feldern,
die sie bearbeitet haben, ohne es aber je genau zu kennen. Die
von den Chiriguanos kultivierten Früchte sind: Zapallos (efsbare
Kürbisse), mani (Erdmandeln), yuca, porotos und frijoles (Bohnen),
aji (spanischer Pfeifer), camotes (sflfse Kartoffeln). Wenn sie
Schmerzen in den Beinen spüren oder von einem anhaltenden
liarsch ermüdet sind, machen sie sich mit einem Glasplitter lange
aber nicht tiefe Euischnitte am Knie. Mit einem kleinen Instrument
pflegen sie sich die Barthaare auszuraufen.
Ihre Tanze und Gesänge sind einförmig und bieten wenig Ab-
wechslung. Die Männer versammeln sich im Kreise um eine grofse
mit Chicha gefüllte Urne und singen. Die Weiber geben sich die
liilnde und begleiten den Gesang der Milnuer, wiihrcnd sie sich
gleichzeitig langsam um sie drehen. Der Ball endigt mit einem
ausschweifenden Trinkgelage, bei welchem die tierische Natur in
Worten uml Geberdeu die Oberhand gewinnt.
Für die kriegerischen Unternehmungen haben sie eiuen Haupt-
anführer, der die Kapitäne der einzelnen Ortschaften znsammen-
bernfen l&fet Ihr Kostüm besteht in einem solchen Fall aus einer
Art ledernem Brustpanzer, einer Mütze aus Tigerfell und bewaffnet
smd sie mit Pfeilen und Bogen. Nur der erste H&uptling hat eine
Lanze. Nie nehmen sie mehr als 15 Pfeile mit sich, wovon sie fünf
Digitized by Google
— 71 —
iü der Ilan«! und zehn auf dem Rücken im Bandelier tragen; das
rechte Handgelenk ist mit einem Lederring geschützt. Bevor
sie abziehen, harungiert der KajMtfln seine Leute: ;,Seid nicht
feiu'. seid mutig und wisset eure Weilar und Kinder zu verteidigen.*
I>auii stürzen die Weiber aus den Hütten liervor, nehmen sich
zu füufea oder secbsen an die Haud und beginnen sofort einen
besonderen Taoz, dessen Takt in einer Beugung des linken Kniees
mit einer Bewegung nach vom und hinten besteht, wobei sie foit-
wi^end ^yiia, ha, he, he** rufen. Die Krieger ihrerseits leiten ein
Scheingefecht ein, dessen wilde Aufregung durch die sie anfeuernden
Weiber vermehrt wird. Haben sich die Weiber ausserhalb des
Dorfes von den Männern verabschiedet, so kehren erstere, immer
sinkend und tanzend, zu ihren Jlfitten zurück, wo sie nun grofse
Quantitäten Chicha zubereiten. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang
wiederholen sie den gleichen Tanz und Gesang. Wenn sie ghiuben,
dafs die Rückkehr der Krieger nahe bevorstehe, so ziehen sie
den^^elbeu in Masse entgegen. Waren jene siegreich, so ist alles ein
Sinixen und Tanzen, kommen sie als Besiegte zurück, so ertönen
Wehklagen. Die Sieger schneiden den Feinden die Köpfe ab, nehmen
die Tembetaan sich und bringen diese Trophtaen ihren Weibern, welche
sich darum balgen und sich die Köpfe der besiegten Feinde die
ganze Lange des Dorfes hindurch zuwerfen, damit Ball spielen,
darauf spucken und sie in aller erdenklichen Weise veruuglimpfen.
Die Gefongenen sind das Eigentum de^enigen, der sie mit-
gebracht hat; sie sind seine Sklaven, über deren Leben oder
Tod er gebietet; seinem Weib fällt die Aufeicht über sie zu.
W^enn in einem Gefecht ein Augenblick der Gefahr eintritt,
wo das Zünglein der Wage sicli scliwankend hin und herbewegt,
so rufen die Weiber, die anwesend sind, die Sonne um Hülfe an:
„Chem Cuarasi, orembori. oreparareco.^ (Mein Vater hilf uns, be-
günstige uns.) Wenn das Gefecht verloren scheint, so führen sie
im letzten Augenblick alle jungfräulichen Indianerinnen herbei, welche
sich, in der rechten Hand eine totuma (Kalebasse) haltend, im
Ilnl!>kreis aufstellen. Das mit Sand gefüllte Gefäfs wird über dem
Kopf im Kreis geschwungen, und indem sie unter dem linken Bein
damit durchfahren, schleudern sie den Sand mit aller Gewalt gegen
die Sonne. Diese Handlung bedeutet, dafs der Guarasi ihre Feinde
zerstreuen whrd, wie der Wmd den Sand zerstreut hat
Ist der Ghiriguano dem Tode nahe, so versammeln sich seine
Verwandten und Freunde in seiner Hütte; sie bedecken den Ster-
benden mit Liebkosungen, fahren ihm mit der Hand iiber die Augen,
die Wangen und das Kinn, und wenn er den letzten Seufzer aus-
Digitized by Google
— 72 —
gehaucht hat. stöfst das Weib rinrn ^rofson Schrei aus. AUes wphVlas:!.
Der Tote wird ijcwasclien. irckäninit und eingekleidet. Dann bricht
man ihm das Rückgrat und schnürt die Beine an den in kauernde
Stelhing gebrachten Körper; in dieser Positur setzen sie ihn in die
Mitte des Raumes. Die Witwe bricht in endlose Klagen aus:
„Warum hast dn mich verlassen, mein Sohn, mein Freund, Vater
meiner Kinder? Wer wird jetzt Holz herbeischaiTen, den Mais an-
pflanzen?'' n. s. V. Grewdhnlich dauert die Leichenklage drei Tage
und drei Nachte; wahrend dieser Zeit fasten die Hinterbliebenen.
Hat der Verstorbene einen gewissen Bang, z. B. denjenigen eines
Kapitäns bekleidet, so dauert die Lefchenklage. an welcher sich
stets auch die Verwandten und Hekannten beteiligen, noch weit
länger und das Fasten wird mit viel peinlicherer Strenge durch-
geführt. So lange der Tote nicht bestattet ist. haben die Kinder
ihren Platz auf den Rohrl)cttstpllen und dürfen weder c<scn noch
trinken. Vieruudzwanzig Stuinlcu nach Kiutritt des Todes fangt der
nächste Verwandte an, die Grube auszuwerfen, die in der Hütte
selbst neben einer Wand 4—6 ni tief gegraben wird: je mehr
man dem Verstorbenen Ehrfurcht erweisen will, desto tiefer
wird das Grab angelegt. Während dieser Zeit spaltet die
Witwe eine jener grofsen, Yambui genannten, zur Ghicha-
bereitung dienenden Urnen in zwei Hälften. Diese bauchigen
Thongeftlke sind etwa 80 cm hoch und die Breite der Oeffnnng
mag einen Durchmesser von 30 cm haben. Zuerst wird eine Hälfte
des Yambni ins Grab gelassen, dann senken die Verwandten den
Leichnam unter den durchdringenden Lamentationen der Witwe in
die Erde und ))edecken ihn mit der anderen Hälfte de< Yambui.
Ein scheufsliches Heulkonzert, an welchem alle Anwesenden Teil
nehmen, erbebt sich; die grilfslichsten \ erwünsclumgen gegen den
Brnjo, den Urheber des Todes, werden ausgestofseu. Ist das Grab
zugeworfen, die Erde eingestampft, so springt alles, Verwandte,
Kinder und Freunde zum Flufs, wo sie sich baden und das, was
dem Verstorbenen angehörte, einer Wäsche unterwerfen.
In die Hätte zuräckg^ehrt, setzen sie sich um das Grab
hemm, schneiden der Witwe das Haar so kurz als möglich ab und
werfen es auf das Grab. Die Witwe kniet vor dem Grabe, weint
und spuckt bis die Oberfläche der frisch umgewflhiten Erde mit
ihren Thränen und Speichel benetzt ist; gleichzeitig klo]>ft sie, den
Verstorbenen rufend, mit einem Stein, so st^rk sie es vermag, auf
den Boden. Dann bedeckt sie sich zum Zeichen ihrer Trauer den
K(>i)f mit alten Lumpen. Ein Jahr wenigstens mufs sie in Znrück-
gezogenheit leben, sich weder an Festlichkeiten noch anderen Versamm-
Digitized by Google
— 73 —
hingen beteilijren. Jeden Tag während dieser Zeit weint sie anf
dem Grab ^^e,i:en acht Vhr morgens, Mittags, um vier Uhr, um
acht Ulir abends und von Mitternacht bis zwei Uhr morgens. Die
Verwandtrn und Freunde sind vpr])tbc]itet. zu dieser niitterntlchtigen
Stunde in ihren Hütten ebenfalls das Abscheiden des Verstorbenen
zu beweinen. Wenn die Frau sich vor AbUiuf des Trauerjahres
wieder verheiratet, was selten vorkommt, denn die Bewerber sind
rar, so wird sie von jedermann verachtet Ist das Traueijahr am,
so kann sie sich wieder verheiraten; ihre Enahen gieht sie dann
aber ihren Eltern, weil <ler neue Ehemann sie nicht emfthren will.
Hat sie Mädchen, so heiratet sie ihr Zukünftiger oft nur in der
Hofihung, auch die Tochter zu seiner fVau zu machen, und es
kommt vor, dafs er sich am gleichen Tage mit der Mutter und der
Tochter verheiratet. Eine Witwe, die verheiratete Kinder iuit,
geht keine neue Ehe ein.
Oer Stamm der Chiriguanos i<t auf folgende Missionen ver-
teilt, deren geographische ]/,\'j:v iioiierdinL!;s, grofetenteiU vom euglischeu
Ingenieur Minchin, l)estimmt worden ist;
Mission von Machareti, 1869 gegründet; s.Br. 20^ 49' Einwohner
58'', Länge 64^ 35' 59" W. von Paris ; Höhe Chiiigoano«.
771 m über dem Meer 3154
Mission Tiguipa, 1872 gegründet; s. 6r. 20^ 55' 16",
Länge 64« 34' 58" 726
Mission Tarairi, 1854 gegründet; s. Br. 21'' 05' 5C)",
Lange 04*^ 37' U", Höhe 6()2 ni üher dem Meer
Mission San Francisco, 1863 ^^e^^Tündet; s. Br. 21° 16'
15", Länge (U" 40' 17" 954
Miss^ion A'juairenda, 1852 gegiiindet; s.Br.2P42' 10",
Hüiic über dem Meer 778 m 695
Mission Chimeo. 1849 gegründet 144
Mission Itau, 1791—1845 gegründet 207
Total 7279
Die ZahUmg wurde vom Padre Prafekten der Missionen am
20. OJitober 1881 veranstoltet.
Digitized by Google
— 74 —
Mitteilung von der russischen Polarstation an der
^ Lena-Mündung.
Die erste ausführliche Nacluicht von der russisclien Tolar-
Station an der Lena-^lttndung finden wir in einem Sclireiben, weldies
der Arzt der Station, Dr. Alexander Bunure. an den Akademiker
L. von Schrem'k in St. Petersburg gerichtet hat und das in dem
„Bulletin de TAcademie des sciences de St. Peteisbonrg Band XI.**
veröffentlicht wurde. Es enthält manche interessante naturwissen-
schaftliche Mitteilungen aus dem wenig bekannten Lena-Delta und
wir geben daher in nachstehendem einen Auszog daraus. Wir
schicken voraus, dafs das Personal für die Station, deren Einrichtung
nnd Leitung dem Stabskapitftu vom Steuermannsoorps der kaiser-
lich rassischen Marine, Herrn Jttrgens, Übertragen war, bereits am
28. Dezember 1881 St Petersburg znr Reise nach Sibirien verliefs.
In Irkntsk und Jakutsk wurde die Ausrüstung vervollstjlndigt und
Anfang August die Heise, die Lena abwärts, angetreten. Drei
Schiffe, beladen mit dem Material der lv\i>editiou, wurden von einem
Dampfer geschleppt. Im unteren Lena-(lebiet, bei Tas-Arv unter-
halb Bulun, strandete eines der Fahrzeuge und die an Bord behnd-
lichen Instrumente wurden durch Feuchtigkeit bescbiidigt. Noch im
August wurde die Insel Sagastyr, wo die Station errichtet werden
sollte, erreicht, man ging an die Errichtung der Gebäude, die
meteorologischen Beobachtungen konnten rechtzeitig beginnen,
wahrend die magnetischen Beobachtungen erst nach dem dafür
in Aussicht -genommenen Termin ihren Anfang nehmen konnten.
Die Schwierigkeiten der ersten Einrichtung waren nicht gering.
Dr. Bunge, dessen Brief vom 15. (27.) Dezember 1882 aus Sagastyr,
73« 22' 47" n. Br. und 126« 36' ö. L. Gr. datiert, schreibt darüber:
„Der späte Beginn der magnetischen Beobachtungen war für
unseren Chef eine Quelle bitterer Sorgen. Bei seiner Gewissenhaftig-
keit nahm er sich jede neue Verzögerung sehr zu Herzen. Er
braucht sich aber walirhaftig keine Vorwürfe zu machen, denn er
hat Tag und Nacht an der .\ufstellung der Instrumente gearbeitet.
Unsere verspätete Ankunft, die Menge der Arbeit, sowie das Wesen
derselben, waren die Haui)tursachen. Man nmfs selbst Mechaniker,
Tischler, Maurer sein, und die nngeübte Hand erfordert mehr Zeit.
Die meteorologischen Beobachtungen fingen rechtzeitig an, nachdem
wir uns mit vereinten Kräften an die Arbeit gemacht und diese auch
w&hrend der damals noch hellen Nächte an der Aufstellung der
Instrumente sowie iec dazu gehörigen Baulichkeiten fortgesetzt hatten.
Digitized by Google
— 75 —
Es gehört hier zu den grOfsten Schwierigkeiten, ein etwas tieferes
Loch in die Erde zu graben. Der gefrorne Sand, auf welchen wir im
Herbst in etwa einer Arschin (71 cm) Tiefe stiefsen (genaue Messungen an
Terschiedenen Stellen mnfsten bis zum nächsten Jahre aufgeschoben
werden), ist ein Material, das jedem Werkzeug trotzt ; nur mit der
Hacke gelingt es, kleine Stücke, die einen muscheligen Bruch zeigen,
abzuschlagen. Dazu kommt, dafs wir fast nur auf unsere Leute und
uns selbst 'angewiesen waren, denn die hiesigen Jakuten sind zu
jäüiinerliche Arbeiter. Sie verstellen in ihren kleinen Ixitcii pfeil-
schnell ilahiuzufahren, Netze zu stellen, eine Gans mit ihrem primi-
tiven Bogen zu schiefscn, auch ein schwimmendes Rentier abzustechen;
aber jeder etwas schwereren Arbeit sind sie nicht gewachsen. Hatten
sie, bisweilen sechs Mann hoch, einen Balken von den Barken bis
sn den Ort seiner Bestimmung getragen, so setzten sie sich gleich
am ein Feuer, um Thee zu trinken und zu schwatzen, und wurden
«le von hier vertrieben, so saüs gleich die ganze Gesellschaft am
Ufer und besprach offenbar unser sonderbares Treiben. Sie sehen
den Zweck der Arbeit gar nicht ein; weshalb man LOcher in die
Erde grub, war ihnen vollkommen unverstftTidlicli, und dafs man noch
'^'ar Eile hat bei einer solchen LJeschaftigung, blieb ihnen vollständig
unklar.
hiis Wohnhaus der Station ist auf trocknem Sandboden aus
tiockneui, abgelagerten Holz eriiaut, für genügende Ventilation sorgen
zwei Oefen und ein jakutischer Kamin. Die Luft ist so trocken,
dafs z. B. ein Kastchen mit Tabak in einem bis zwei lagen so
trocken wurde, dafs der Raucher das Kraut erst anfeuchtete, ehe er
es io die Pfeife stopfte. Die Temperatur im Hause ist warm genug,
bisweilen steigt sie auf +24° C, nur bei starken Sttdwinden fallt
sie auf +10^ C, wo sich dann hier und da im Zimmer ein bald
wieder verschwindender Keif zeigt. Geheizt wird meist nur einmal
täglich und zwar mit Treibholz, tüchtigen Birkenstämmen, die ver-
mutlich aus grosser Entfernung, von der oberen Lena, herangeführt
und von den Jakuten zur Stelle gebracht wurden. Das Winter-
leben im Hause ist natürlich ein höchst einförmiges, <ler Beobachtungs-
dienst nimmt alle KrAfte in Anspruch. Dabei ist aber die Stimnmng
allgemein eine vortreffliche. Inimer hört man lachen und scherzen,
bisweilen Musik, bei den Leuten Harmonika und Flöte, l)ei uns ein
Harmonium, das die Reise glücklich überstanden hat und namentlich
Sonntags malträtiert wird. Den Weihnachtsabend verbanden wir
mit dem Sylvesterabend und verbrachten ihn sehr heiter und froh.
Wir machten den Leuten kleine Geschenke und nachher wurden
Nefgahrsscherze getrieben. Das Wetter war damals ziemlich warm,
Digitizdd by Google
die Themionieter stiegen sogar bis in die zwanziger Grade; ;il)Pr
ein milder Süd von 6—10 m in der Sekunde verleidete einem doch
den Aufenthalt draursen. Die niedrigste bis jetzt heobachtete Tem-
peratur ist — 48® F. In der letzten Zeit ist es vrieder etwas kflhler
geworden, die Thermometer zeigen Temperaturen um —40® herum.*'
Als Sammler erklärt Dr. Bunge vermutlich nur wenig leisten
zu können, . dies bedinge der Hauptzweck der Expedition, sowie die
Oeitlicakeit, an welcher die längste Zeit verbracht wenh-n luüssc.
Jener nehme die meiste Zeit in Ansprnch, die Oertliclikeit Vtiete iin
ganzen wenig Interessantes d.ir. ^Ich hatte viel vom Meere geliotl't,
sah niicli aber bitter getilnscht. Wir haben die Station niclit einmal
am Strande errichten können, wenn anch südlich von uns znr Zeit
der Flut das Wasser salzig ist und wir eigentlich auf einer Insel
leben. Die Küste ist ganz flach, das Land geht allmiihlich in
Meeresboden über, wird bald von der Flut überspült, bald liegt es
trocken da. Von einer Meeres-Fauna und Flora kann gar nicht die
Rede sein ; die spezifisch arktische Vogelfauna fehlt vollständig; fast
alle Tiere, die ich hier gesehen, kann man an einem Binnensee
selbst im Sommer finden.''
Unter den vorkommenden Saugetieren wird zuerst der Eisbar
erwähnt, den alljährlich die Bewohner von Tumat, eines Jakuten-
dorfs, welches der Station gegenüber liegt und das auch Ketacli
genannt wird, in einigen Kxeniplaren erlegen. Am 28. Oktober
töteten die Jakuten ein junges MAnnchrn. Der Wolf soll als Be-
gleiter sowohl der wilden, als auch der zahmen Rentiere in einem
Theil des Delta vorkommen. Der Fuchs (cauis vuli)es) kommt bis-
weilen vom Festlande her ins Delta, hat aber seinen Bau nicht in
demselben. Das rote Fell desselben wird von den Jakuten besonders
geschätzt. Der Eisfuchs ist sehr hantig; die Bewohner von Tumat
fangen, wie sie angeben,* in ihren Fallen ungeföhr 300 im Jahre.
Bis zum Datum des Abgangs seines Briefe hatte Dr. Bunge bereits
10—80 Schftdel des Eisfuchses von den Jakuten erhalten. Auf der
Fahrt durch das Delta sah Dr. Bunge mehrmals in grosser Entr
femung EisfQchse, meist von Mdven watend verfolgt. Vom Hermelin
erhielt Dr. Bunge eine Anzahl Felle aus verschiedenen Jahreszeiten.
Ueber das Rentier sagt Dr. Runge:
Das Rentier (Cervus tarandus) kommt alljilhrlich im Frühling
ins Delta und zieht im Herbst wieder fort in die Waldregion. Uber
die .\rt und die Richtung des Zuges habe ich bis jetzt noch nicht
ins Klare kommen können. Die Leute scheinen selbst nicht zu
wissen, welche Richtung es einschlagt; einige versicherten micli, dafs
es während des ganzen Winters auf dem Changalachskij Ghrebet
Digitized by Google
77 —
bleibe, und mit ihm der Wolf. Beim Abzüge im Herbst erlegen die
Jakuten die Tiere wahrend sie die Stromanne durchschwimmen. Die
erbeuteten Tiere sind Gemeingut und werden vom Starosta (Ältesten),
der sich knjas oder kinjas nennen Iftfst, verteilt. Rentiere zu
»chiefsen ist den Deltabewohnem von der Giemeinde verboten, haupt-
sachlich wohl, weil die Tiere durch Schüsse scheu gemacht werden.
In diesem Jahre fiel die Rentierjagd sehr unglücklich ans.
Di. I ltisse bedeckten sich vor dem Abzüge der Tiere mit Kis, und
SM^vohl die liiesigen llewohner, als auch die Amerikaner und wir
Kamen in eine sehr schlinmie Lage, da wir keine Winterkleider
erhalten konnten. Ich fuhr damals (Ende Sept. a. St.) mit Kapitän
Harber auf Anraten der Jakuten auf den Changalachskij Chreljet*),
um selbst das Nötige zu scliieisen. Wir hielten uns während der
Zeit bei einem mit Rentierheerden dort nomadisierenden Tungusen-
stamme auf, der si( h bereits selbst auf dem ßttckzuge in die Wald-
region am Olenek befand. Mir war es .eine sehr angenehme Ab-
wechselung. Wir schössen leider nur zwei, da die Tiere sehr scheu
waren und wir nur auf *SI0O bis 500 Schritt zu Schufs kamen. Durch
Kauf konnten wir aber von den Tungusen so viel Felle erhalten,
dafs wenigstens die Amerikaner fttr ihre Rquipirung genug hatten;
wir selbst haben uns spater vom Omoloj Folie konnnen lassen.
Die Brunstzeit des wilden Rentiers fallt aul lüide Oktolier bis
Anfang November a. St., diejenige des zahmen gerade in die Zeit
un.seres Aufenthaltes bei tlen Tungusen" (28. !)is 2<). Sept. a. St.)
Vom Bergseliaf sali Dr. Bunge vom Scliiti, da wo es das Lena-
thal verliefs und id>er eine etwa 20 Werst breite Wasseiüü(!he dem
Delta sich näherte, der Insel Stolbowoj gegenüber, auf dem hohen
rechten Ufer der Lena, 6 £xemplare; die neugierigen Tiere liefen
eine Strecke mit und verschwanden nach einem auf sie abgefeuerten
Schufs nur auf kurze Zeit Sie sollen in jener Cregend, namentlich
gegenüber Kumaksur, häufig sein. Anis der Entfernung gesehen
erschienen sie gleichm&ssig hellgrau gefärbt, hatten starke HArner
und etwa 4 Fnfs Rackenhöhe. Das Vorkommen von Lemmingen
iu) Delta koimte hisher nicht festgestellt werden. Auf einer kleinen
Insel nalie der Küste, 00 Werst von der Station, hatte ein Jakut
zwei männliche Wal rosse ei'legt, die Schädel wurden dem Dr. Bunge
gehr.n ht und dürften einen Beitrau: zu der Frage der circumpolaren
Verbreitung det» Wuiroäses lieferu. Ueber au der Küste vorkommeade
*) Nach der Anjoa*8e1ieii Karte, Dr. B. bemerkt dam: Diese Bezeichnung
ist den hiesigen Jakuten ganz unbekannt nnd auch nicht ganz richtig; ein Ort
auf dieser Insel heilst Kaigalach oder Chaigalach. Die bis etwa 60 Fofs sich
erhebenden Torf hügel einen xChrebet* (Gebirge) zn nennen, ei-scheint etwas kübn.
Digitized by Google
— 78 —
Seehunde konnte bis dahin nichts Bestimmtes ennittelt werden.
Delphine sollen im Herbst, ehe der Flufs sich mit Eis bedeckt, aus
dem Meere in den Strom kommen, doch gerade im Herbst 1882
blieben die Delphine aus.
Von Y(>iieln n'whi Dr. Bimire ein lanires Verzeichnis der von
ihm auch auf der Reise durch Sibirien beobachteten; dasselbe zählt
101 Nuinineni.
Aus der Klasse der Reptilien wurde auf der gauzeu Reise kein
Vertreter angetroffen.
Anders ist es mit den Fischen. Die auch aus dem Ob und
JtMii^sej bekannten fünf Korregoni den -Arten: Njelma, Mnlvsiin,
Tschir, Omul, Seldj bilden wahrend des Winters fast aiisschUesslich
die Nahrung der Deltabewohner. Sie sind von vorztiglichem Ge-
schmack. Der Herbstfaug für die Station fiel reichlich aas; so
wurden an einem Morgen in drei kleinen Stelinetsen aus Pferdehaar
drei Njelmas und 35 Mnksuns und Omnls, ssusammen ungefähr
öVf Piid fl Pud = 16V8 kg) wiegend, gefangen. „Der Fischreichtum
ist wohl ein ganz kolossaler." Von Salmoniden wurdeu drei Arten
gefangen. Lota vulgaris kam im Herbst häufig. Cvprinoiden sollen
im Delta gar nicht vorkounnen. Von Ganoiden wurden drei Arten
gesehen.
Die Sammlung an wirbellosen Tieren wird als kaum der Er-
wähnung wert bezeu-hiH't.
Ein kleines etwa iKX) Arten umfassendes Herbarium wurde
zusammengebraclit.
Die Erkundigungen über Manunntfunde im Gebiet der unteren
Lena hatten bis dahin kein positives Resultat; nach der Meinung
des Schreibers in Bulun sollen vor etwa zwei Jahren in der That
in der Tundra Mammntreste mit zum Teil erhaltenen Weichteilen
von den Tungusen gefunden sein, allein dergleichen wird von ihnen
trotz des von der Petersburger Akademie ausgesetzten Preises ver-
heimlicht und zwar wegen der Umstände des Transports und des
Zusammentreffens mit den Beamten, Ein auf der Insel Arv ge-
fuiKlemr Mammut -Unterkiefer und Schädel, in welchem jedoch die
St(>>szahne fehlten, wurde dem Dr. Uiiii'-re ausgeliefert, und hei Mit-
teiluim dieses Fundes macht Dr. Bunge folgende Bemerkungen über
die Bodenbildnng im Delta:
„Die Bodenbeschaffenheit in Arv ist nach Aussage der Jakuten
ganz dieselbe wie hier: richtige Deltabildung. Die Entstehung des
Torfes lalst sich auch jetzt sehr gut verfolgen. Die Grundlage
bilden die durch die Lena angeschwemmten Sandmassen, die im
stillen Wasser zu Boden sinken. Der Sand ist meist ziemlich grob-
. Kj L y Google
— 79 —
tornig. Sieine, gidfiser als eine Erbse oder Bohne, kommen nicht
vor. Es ist sehr charakteristisch für die hiesige Gegend, dafs ein
Jakute, der gehört hatte, dafs ich Naturalien (^Seltenheiten")
sammele, mir einen Kieselstein von der GrOfse einer Kartoffel
bniehte; er erzählte, er habe ihn in einem Gänsenest
gefunden, derselbe sei ganz wann gewesen u. A. Kin Stein von
solcher Gröfse war ihm aufgefallen! Auf einer solchen Sandbank
nun. die bei besonders hohem Wasserstande sich gebildet hat und
nirlit nielir alljährlich überschwemmt wird, stellt sich bald einige
Vegetation ein, Poa, Myosotis und bald auch einige Moose. Ich habe
hier Sphagnum in reinem Sande wachsen sehen; die Stelle war nicht
etwa obertlAchlich versandet, sondern der ganze Boden bestand, so
weit wir gruben, aus reinem Sande, der keine Spuren von Pflanzen-
fiberresten enthielt Mit den Moosen ist der Beginn znr Torf bildung
gelegt, die ganz kolossale Dimensionen erreicht; an einzelnen Stellen
der Tumatskaja protoka war die Torfschieht am Ufer wohl 25-^ '
stark. Nimmt man hierzu noch die Hebung des Bodens, die ja fflr
die nordsibirische Kttste angenommen wird (bei den hiesigen „ältesten
[.eilten*" konnte ich in dieser Beziehung nichts durch Fragen
herausbckuiinucii I. so kann man sich die Kntstehung der als
j,ChangalachskiJ Ciirebet" bezeichneten Hügel vollständig erklären.
l>ie im Delta vorh.andenen groiseren, zum Teil sehr fischreichen
Seen sind Ueberreste früherer Sti-omarme, die durch neue ersetzt
wurden, wie das jetzt noch alljährlich geschieht. Dafür spricht
anch das Vorkommen von Trcibholzstämmen an den Seen, die jetzt
unmöglich mehr hinkommen können. Auch die allmähliche Aus-
bildung, Abrundung der Seen läfst sich noch jetzt weiter verfolgen.
Die kleineren Seen oder Torfteiche sind ihrer Bildung nach identisch
mit ebensolchen in. unseren Moosmorftsten. Aus dem hier Gesagten
gebt znr Genfige hervor, dafs im Delta aufser Arereinzelten Knochen
keine weiteren Ueberreste gefunden werden können. Adams hat ja
sein Mammuth auch nicht hier, sonderu sttdlicb vom Kap Bykot)', am
Fciitlande gefunden."
^Nirgends machte sich der Mangel an Zeit mehr fühlbar, als
bei der Untersuchung der geologischen Profile. Dazu kam noch
bei mir der Mangel au Keimtnis^eu auf diesem Gebiete, der mich
binderte einen schnellen l eberblick über das vorliegende zu ge-
winnen. Ich glaube aber, dafs gerade auf dem Gebiete der Geologie
am unteren Lauf der Lena viel geleistet werden könnte. Ich hatte
leider in Petersburg zu wenig Zeit, um mich mit einigen geologischen
Kenntnissen zu versehen. Ich glaube, dafs man selten so schöne
geologische Profile, eine solche Mannigfaltigkeit der Schiohteu an-
Digiii^eu by Co<^le
— 80 —
treften kauii wie hier. Wenn ich vou der Barke aus in der Entfernung
ein »olches Profil bemerkte, so traf ich, falls wir nicht zu weit
vorüberfuhren, gleich Vorbereitungen, um dort zu landen, nahm meinen
photograpliischen Apparat und meinen geologischen Hammer in ein
kleines .Boot und fuhr voraus hin. Je näher man der Felswand
kommt, desto mehr sieht man die Unmöglichkeit, in kurzer Zeit
etwas thun zu können, ein, und ist man endlich am Ufer, so steht
man da, wie — nun, man darf auch gegen sich selbst nicht zu grob -
werden. Aber man ist wirklich in einer schlimmen Lage:
erhebt sich die Felswand, senkrecht oder überhangend, eine un-
geheure Aii/.ahl der verschiedensten Sihichten präsentierend; nur
mit Mülie erreicht man die untersten, vom Geröll nicht bedeckten
Schichten, alles was drül)er ist, bleibt unerreichbar."
„Im allgemeinen steigen die Schichten, wie bereits C/okanowski
mitgeteilt hat, von Süden nach Norden an; seltener senken sie sich
nach Norden hin; noch seltener sind sie ans ihrer horizontalen Lage
in eine fast oder ganz senkrechte umgestürzt (etwas unterhalb tiulun).
Am deutlichsten kaun man das allmähliche Ansteigen an den ober-
halb Shigaask beginnenden Kohleuschtchten verfolgen. Man sieht
sie dicht über dem Wasserspiegel beginnen und einige Werst unter-
halb an der Oberfläche verschwinden; unterdes^^en sind aber wieder
darunter liegende, nene aufgetreten, so dafs man bisweilen an einer
Stelle des Profils 3 — 4 Kohlenschichten sieht, jede von der anderen
durch eine gröfsere Anzahl Thon-, Schiefer- oder Kalksteinschichten
getrennt. Die Kohlenschichten sind meist von geringer Mächtigkeit,
bis 8 Fufs. Kin griifseri^s Lairer betindet sich nicht weit von
Jakutsk. etwa 50 Werst luiteilialb; es ist zum Teil ausgebrannt.
Hier erreichen die Kohlenschichten eine Dicke von mehreren Metern;
über denselben liegt eine mibe an 100 Fuls starke Sandschicht, unter
denselben die auch ,bei Irkutsk vorkommenden, stark saiidhaltigon
pflanzenführenden Juraschichten. Die Kohle ist meist gut und fest;
ich habe von verschiedenen Stellen Proben mitgenommen. Melville
soll in der N&he von Bulun ein gröfseres Kohlenlager entdeckt
Imben; für die Gröfse desselben spricht der Umstand, dafs er Bennett
proponiert hat, sich das Recht der Exploitierung desselben zu ver-
schaffen. Fossile Pflanzenreste fanden sich flherall, nirgends aber in
einem solchen Zustande der Erhaltung, dafs sich die Aufbewahrung
gelohnt hätte; einige Proben habe ich selbstverstilndlich mitgenommen."
„Zum Schlufs will ich noch erwähnen, dafs es mir geliiniien ist,
atu'h einiges anthropologisches Material zu erhalten, dank dem
friiheren Brauch der Deltahewohner, ihre Toten zu bestatten. Neuer-
dings vergraben sie dieselben, ofi'eubar vou der üeibtlichkeit dazu
Digiii^eu by Cookie
81
Angehalten (der Priester yon Bulun kommt jährlich etwa zwei Mal
Irierher), in die Erde. Frflher wurden sie in einem ganz primitiven
Sarge = — vier Bretter und zwei Brettchen oder ein ausgehöhlter
Baumf^tamm mit einem Deckel — auf einem Gestell, zum Schutze
gejien die P^isfüchse, in der Tundra ausgestellt. Derartige
Särge finden sich allenthalbon zerstreut in der Umgebung unserer
Station. Im nächsten Frilhlinsr will ich von einigen derselben
Photographien aufnehmen. Aus einigen habe ich die Schädel bereits
berausgenommeD und denlce diese Kollektion im Laufe des Sommers
zu vervollständigen. Ausser den mit Lumpen oder Fellstücken bedeckten
Skeletten war in den Särgen nichts Bemerkenswertes ; nnr in einem
Itnd ich einen Stock. Diese Särge sind anch insofern interessant,
als sie meist sehr alt sind und einen vortrefflichen Boden fGlr eine
grolse Anzahl von Flechten und Moosen abgeben, die bei dem
Mangel an Steinen auf ihnen in gedrAngter Mannigfaltigkeit Platz
genommen haben.
Bekanntlich werden die Beobachtungen an der Lena -Station
noch ein zweites Jahr fortgesetzt und die Station wird also erst im
August 1884 aufgehoben. Nach den weiteren Nachrichten befindet
sich das Personal in bestem Gesundheitszustand, namentlich wurde
der Winter J882;83 wohl bestanden. Schon im Januar 1883 fiel das
Thermometer öfter unter — 40 Die gröfste Kalte hatte man —
wie dies bekanntlich in der Regel der Fall ist — im Februar; am
9. Februar fiel es unter —62^0. Selbst im M&rz war es am Tage
noch — 19^ bei Nacht — 40« C.
Zustände in der NegerrepuUik Liberia.
Nach J. Büttikofer.
Unter dem Titel: „xMeflelingen over Liberia" werden in dem
kürzlich erschienenen Beiheft No. 12 der Zeitschrift der geogra-
phischen Gesellschaft zu Amsterdam die Hauptergebnisse einer in
den Jahren 1880 bis 1882 unternommenen geographischen und
naturwisseoscbaftlichen Bereisung des Gebiets der Negerrepublik
Liberia in zasammenhängender Darstellung und von einer Karte
begleitet'), veröffentlicht Der eigentliche Zweck dieser Heise, deren
Die Karte stellt das westliche Liberia im Mafsstab von 1 : 300,000 dar.
Herr Bütlikofer bemerkt dazu: .A«f meinen vielen Streifzügen habe i( )i stets raein
Bp^jtt's j^f'than, um. in F.rimiii^elimg dor nötigen Instrumente, für die Orts-
bcstuaitiungen mit Hülfe von Kompaispeiluugen und durch möglichst genaues
G«o^. Blgttwr. BrtBMi, 18|i. S
uiyiü^uü Oy Google
Kosten von dem verdienstvollen Direktor des naturwissenschaft-
lichen Reichsmuseums, dem jetzt leider verstorbenen Professor Dr.
H. Schlegel, bestritten, deren AusfBhmng dem Assistenteii dieses
Museums, dem Schweizer J. Büttikofer und C. F. Sala ttbertrasren
wurde, waren zoolojjjiscbe Samralungeu. Wenn nun auch in dieser
Kichtung die Rei.>e zwar nicht durch Vollständigkeit abschliefsende,
aber jedeufall^ reiche llesnltate gehabt hat, so tritt doch in den
uns vorliegenden „Mitteiluniren" der Standpunkt des Zoologen in
keiner Weise einseitig hervor, vielmehr lehrt uns ein Blick in den
der eigentlichen Reiseerz&hlung voraugestellteu allgemeinen Teil,
dars Battikofer und Sala — letzterer starb leider w&brend der
Heise unter den Einwirkungen des Klimas — ihr Augenmerk anf
alle Erscheinungen, Verhaltnisse und Thatsachen von Bedeutung
richteten. Das ISO Quartseiten umfueende Heft enthalt nach
einem noch von der Hand Professor Schlegels geschriebenen Vor-
wort und einer Einleitung im ersten Hauptstttck Mitteilungen aber
das Land und seine Erzeugnisse. Darin werden Orographie, Hydro-
graphie, Jahreszeiten. Klima und Gesundheitszustand, Bodenbeschaflfen-
heit und geologische Eigentümlichkeiten, Ptianzenwuchs und Tier-
welt behandelt. Das zweite Hauptstück ist der Bevölkerung von
Liberia gewidmet und zwar wird hier zunächst die politische und
soziale Geschichte der Republik abgehandelt und sodann ein Bild
der physischen, wirtschaftlichen und sittlichen Zustände der ver-
schiedenen vorzugsweise das Innere des Gebiets der Republik be-
wohnenden Negerst&mme (die wohl von den Liberianern, den ans
Amerika eingewanderten Farbigen und ihren Nachkommen zu unter-
scheiden) gegeben. Das dritte »Skizzen aus unserem Leben in Liberia'^
flbersehriebene Hanptstück enthält den Bericht Ober die verachie-
dehen Reisen Bftttikofers und seines Begleiters, des J&gers Sala,
an der Küste und im Innern. Am 15. November 1879 gingen sie
mit dem Schiff „Libra", Kapt. Bakker, von Rotterdam in See. Die
„Libra", Eigentum des Handelshauses Hendrik Müller & Co. in Rot-
terdam, das in Monrovia eine Faktorei besitzt, kam am 8. Januar
1880 auf def Rhede dieser Hauptstadt der Negerrepublik an. Nach
ScliStEen der Abstäude ein richtiges Bild der dorcbniiten Strecken geben zu
können. Als Stützpunkte für das Anlegen meiner Karte dienten die mathematisch
bestimmten Punkte Monroria und Qrand Kap Mount. sowie die Mündung des
Little Kap Mount-Flussea. Die Ortsbestimmungen de»* Hherianisrheii Reisenden
Andersen in dem Bericht über seine Reise nach liugoro und Mussarda sind,
ebenso wie die ganze beigefügte Karte, in hohem Mafse ungenau. Unhcr»-
wichtigsten Jagd- und Reisetouren sind mit einer roten Linie verzeichnet. Viele
dieser Toareo habe ich mehrmals gemacht und mich dann immer bemflbt, die
früheren Anfseichnnngeu so berichtigen und sn TerroUatfindigen u. s. ir.**
I
— 83 —
aeantftgigein Aufenthalt wurde die Heise mit Boot Ins Innere an«
getreten. Durch den Stockton Kreek errreichte man den nahe
mnet Mündung etwa 1000 Schritt breiten St. Paul-Flufs und auf
fiesem die amerikanische (früher Baseler) lüssionsstation Mflhlen-
bnrg. Nach kurzem Aufenthalt zogen Bdttikofer und Sala mit
einer grölseren Anzahl Tragern noch eine Strecke stromaufwärts
am rechten Ufer des St. Paul und errichteten hier nach einander
mehrere Saramel- und Jagdstationen inmitten einer aufserordentlich
reichen Tier- und Pflanzenwelt, lieber diesen Arbeiten, die durch
Klima, Fieber und die von den diebischen Eingeborenen bereiteten
Schwierigkeiten oft genug gestört und unterbrochen wurden, ver-
ging der Sommer. Ende Oktober erfoli^te die Rückkehr nach Mon-
rovia, von wo nun die gemachten Sammlungen nach den Nieder-
landen geschickt wurden. Am 15. November 1880 fuhren die Rei-
senden nach dem 45 miles nordwestlich von Monrovia belegenen
Kflstenplatz Robertsport bei Kap Mount. Am Nordufer des mit
der See in Verbindung stehenden Fisherman Lake wurden neue
Jagdstationen errichtet, nachdem der schwarze König des Gebiets,
welches den etwa 12 miles langen und 4^ miles breiten See be-
grenzt, seine Zustimmung gegeben hatte. Die Erforschung des
Sees und seines Ufergebiets , ferner des südlich davon gelegenen
isolierten Kap Mount-Gebirges, Reisen am Marfa-Flufs und Japaca
Kreek hinauf, eine neue Fahrt nach Monrovia und zurück, endlich
eine Folge zum Teil tief in den Urwald hinein fortgesetzter Jagd-
touren füllten das Jahr 1880/81. Im.Juni starb leider Sala unter den
Einwirkungen des Klimas; auch die im April 1882 erfolgte Rück-
kehr Büttikofers nach den Niederlanden wurde durch Gesundheits-
rflcksichten veranlafst. Der lange Aufenthalt Büttikofers in Liberia,
sem vielseitiger Verkehr mit den Liberianern sowohl wie mit den
Eingeborenen, den europftischen Handelsagenten und den Missionaren,
Tor allem die ruhige, objektive Darstellung verleihen auch dem Teil
seine» Berichts, welcher sich auf den Entwicklungsgang der Republik,
ihre politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zustände bezieht, einen
bedeutenden Wert und diesem Abschnitt entnehmen wir die nach-
stehenden Mitteilungen.
Die „Pfefferküste", das jetzige Gebiet Liberia, lieferte zur Zeit
der Blüte des Sklavenhandels einen bedeutenden Teil des nach
Amerika ausgeführten .F'.benholzes". Die früheren Sklavenfaktoreii'U
sind jetzt verfallen, doch im Binnenlande blüht die Sklaverei noch
immer. Im Jahre 1816, als noch der Sklavenhaii'iel in vollem Gange
war, errichteten edle Menschenfreunde in den Vereinigten Staaten
die „Nordamerikanische Kolonisationsgeseilschaft^, welche sich die
Digitized by Google
— u ^
Aufgabe stellte, den freii^ewordenen nnd ohn% Beschaftigiinf; sich
in den Vereinigten Staaten nniliertreibenden Negern Gelegenheit zur
Rückkehr nach Afrika zu geben und dort durch sie eine Kolonie
gilinden zu helfen. Von ilieser ^cliristlichen Negerkoionie" versprach
man sich soirar einen günsfigeu EinHufs auf die Zivilisation Afrikas
überhaupt. Das in den Vereinigten Staaten gebildete Komitee sandte
zuerst, von der Vereinigteu Staaten llegierung kräftig unterstützt.
Kommissare nach Sierra Leone und diese erkoren die etwa
100 miles südöstlich von Sierra Leone gelegene Insel Sherbro als
erstes Terrain der Ansiedlung, weldie im Jahre 1820 begann. Die
Wahl war indessen keine glückliche ; ausbrechende Krankheiten and
in Folge derselben groCse Sterblichkeit unter den 88 Kolonisten
veranlalsten die Verlegung der Kolonie nach einem am Festlande
der Ffefferküste, nahe Kap Messnrado, angekauften Gebiet, das nun
den Namen Liberia erhielt; auf dem Racken jenes Vorgebirges
wurde eine Stadt gegründet und nach Monroe, dem ehemaligen
Präsidenten der Vereinigten Staaten, Monrovia genannt Trotz
mancher Schwierigkeiten entwickelte sich die junge Kolonie zusehends.
Jeder aus Amerika einwandernde freie Kolonist empfing kostenlos
ein Holzhaus, ein Stück Land und Unterhalt für den ersten Monat.
Mehr und mehr wurden längs des St. Pauls- und des Messurado-Flusses
Zucker- und Katfeeplantagen anirelegt. die wohl gediehen. Das
Gebiet der jungen Republik wurde unter der vortreft'liclien amerika-
nischen Leitung weiter ausgedehnt und umfafste schlielslich die
ganze Küste östlich von der Insel Sherbro bis nach Kap Palmas.
Die Verträge mit den eingeborenen Fürsten über Abtretung Ton
Iiand beliefsen dieselben als Kegenten ihrer Stämme, machten sie
aber dafür Terantwortlich, dais ihre Unterthanen keine Unruhen
stifteten und liberianischen Kolonisten keinen Schaden zufügten.
Als Preis für das Land wurde leider immer Branntwein geboten und
angenommen. Jene Kontraktsbedinguugen sind jetzt hei den ein-
geborenen Forsten schon langst vergessen ; diese führen fortwährend
Krieg mit einander, nnd machen und halten Sklaven, bei ihnen
steht die liberianische Regierung nicht im gering>ten Respekt, wovon
sich unsere Reisenden bei ihrem Verkehr mit den im Innern <les
Landes wohneuden Eingeborenen zu überzeugen vielfach Gelegenheit
hatten.
Im Jahre 1847 erklärte sich die Kolonie selbständig und von
den Vereinigten Staaten unabhängig ; die europäischen Staaten,
zuletzt, 1857, auch die Vereinigten Staaten von Amerika, erkannten
sie an. Die Staatsverfassung war nach amerikanischem Muster
geschaffen; an der Spitze steht ein Präsideut, der die aut^führende
Digitized by Google
— 85 —
Gewalt hat : die gesetzjrebemle Vprsnniinlun.-i bilden ein Senat und
ein Reprft>;entantenhaus. Sitz der Kejjrieninir ist Monrovia, die
nmtliche Sprarlio ist die enirlisclio ; die Verfassung sichert den
BürL'ern volle (Tlaubens-. Rede- und Pri^fsfreiheit zu, eine besondere
Bestimmung ist die, (iafs Weifse in Liberia keinen (Grundbesitz haben,
anch kein Staatsamt bekleiden dürfen. Dieselbe stammt aus jener
ersten Zeit, wo die Sklaverei an der Küste in voller Blttte war
und an den verscliiedenen Kflstenplätzen angesessene Sklavenhändler
die Eingeborenen fortwährend zn Feindseligkeiten gegen die jnnge
Kolonie anreizten. Die letztere gedieh nnter ihrem ersten Präsidenten
Boberts nnd seinem Nachfolger Benson. Die Einwanderung ans
Amerika nahm zn; bedeutende Lftndereien wnrden angekauft und
am Fofs des Grand Kap Mount-Gebirges, an der Ausmündnng des
jEnrofsen und schönen Fishennan - Sees , die Kolonie Robertsport
ireiiründet. deren La-zo an der Münduni; mehrerer, ziemlich weit
ins Innere hinein srhit^'barer Flüsse wie die schöne Rhede dem
Handel grofse Vorteile bieten.
Im östlichen Teile (b^r Republik entstanden die Niederlassungen
von Grand Bassa (Tulina und Buchanan) an der Mündung des
St. Johns River, weiter südöstlich. Sinoe und Harper bei Kap
Palmas. Nachdem die 1884 auf ähnlichen Grundlagen errichtete
Negerrepublik Maryland mit Liberia vereinigt worden, nmfafste das
liberianische Staatsgebiet die ganze Küste von der Insel Sherbro bis
etwas Qber Kap Palmas hinaus nnd wurde politisch in vier Gounties
oder Provinzen: Montserrado (Grand Kap Monnt eingeschlossen),
Grand Bassa, SInoe und Kap Palmas (mit Maryland) eingeteilt.
Indessen darf man sich nicht vorstellen, dafs die ganze KQste mit
liberianischen Kolonisten besetzt sei, letztere wohnen vielmehr fast
ausschliefslich an den Hafenplätzen und hlnjis der Lnoisen Flüsse.
Im l'briijen sind die Urwaldregionen des Inneren, wie selbst noch
bedeutende Strecken lanors der Küste von Eingeborenen bewohnt,
eine Thatsache. die i;eIeL(cntlich die rrsache politischer Verwicklnu'/en
wurde. Die Republik ist. weni,2:stens in ihrem jetzigen Zustünde,
noch Z I schwach, um nötigenfalls gegen die Eingeborenen kraftig
aaf treten zu können.
Leider hat nnn die seit den ersten Jahren nach der rnab-
hdngigkeitserklftrung eingetretene engherzige nnd kurzsichtige Politik
der liberianischen Regierung einen Kückgansr aller Verhältnisse
bewirkt. Statt die Weifsen anszuschliefsen, hätte man sie mit ihrem
Unternehmungsgeist und Kapital anlocken nnd fesseln sollen. Statt
ihnen zu gestatten an allen Kttstenplätzen der Bepublik Handel zu
treiben, beschränkt man sie auf sechs : Grand Kap Mount, Monrovia,
Digitized by Google
— 86 —
Bassa, Gestos, Sinoe, Kap Palmas. Der Aufsenhandel Liberias liegt
haaptsAchlich in den ßftnden von drei Handelshäusern: Hendrik
Mttller & Co. in Rotterdam, £. Woermann in Hamburg und Yates
& Porterfield in Newyork. Die beiden erstgenannten haben je fftnf
Faktoreien an der Küste, wShrend die Schiffe der amerikanischen
Finna überall lanu's der Küste vermittelst der liberianischen Klein-
händler iiire Geschäfte treiben. In jeder Woche leat einer der
profsen Dampfer der African Steam Ship Company und der West
African Steam Navigation Company an. Neuerer Zeit hat auch das
Haus Woermann eine Dampferlinie errichtet. Die wichti^jsten Aus-
fuhrartikel sind: Palmöl und Palmnüsse, Kautschuk, Rotholz, Kattee.
brauner Zucker, Ingwer, Erdnüsse und etwas Elfenbein; eingeführt
werden: Lebensmittel, besonders Reis, Spirituosen, Manufaktur- und
Galanteriewaaren, Feuerwaffen. — Bedeutende Strecken des Landes,
besonders die teils ebnen, teils hflgeligen Gefilde zwischen dem
sumpfigen Kflst^isaum und der Gebirgsregion, eignen sich vortreff-
lich znm Plantagenbau in grofsem Styl. Allein solche Unter*
nehmnngen könnten mit Aussicht auf Erfolg nur von Weifsen in
Angriff genommen werden und bis jetzt hat sieh die liberianische
Kegierung stets entschieden fireweigert, gröfsere Strecken auf längere
Zeit zu dem Zweck an Weifse in Pacht zu geben. Der Europäer
oder vielmehr Weifse darf im Binnenland keine Faktoreien anlegen.
So erlahmte der Ausfuhrbandel mehr und mehr und dadurch ver-
minderten sich die Staatseinnahmen, welche hauptsächlich in Zollen
und in Gebühren für die I'.rteilung von Patentrechten bestehen.
Störend wirken auch die ewiu'en Guerilla-Kriege unter den ver-
schiedenen St&mmen der Eingeborenen; diesen steten Rauflmndeln ist
es denn auch zu danken, dafs der Handel mit der reichen Mandingo-
Hochebene aufgehört hat. Eine dunkle Seite der liberianischen
Zustande bieten die Staatsfinanzen. Im Jahre 1871 nahm die
liberianische Regierung in England eine Anleihe zum Nominal-
betrag von Vt Millionen Dollars oder 100,000 M zu 7*/o Zinsen auf;
die Summe wurde teils in Waren, teils in Geld bezahlt, die Rück-
zahlung soll im Jahre 1886 erfolgen. Der Zweck der Aufnahme
dieser Anleihe war die Beschaffung von Mitteln zur AnfRchliefsnng
der reichen Hflifsquellen des Landes. Diesem Zweck diente nun aber
that>;ichlich nur der mindeste Teil der Summe, das meiste wurde
geraubt oder verschleudert. Seit längerer Zeit sind weder Zinsen
bezahlt, noch Tilgnngrsquoten ab'.'etragen worden, es erklärt sich
dies zur Genüge daraus, duis die jahrliclien Einnahmen des Staat-«,
noch dazu in halb wertlosem Papiergeld, nur 85,000 Dollars gegen
120,000 Doikrs Ausgaben betragen.
Digitized by Google
— 87 —
Ein \^ eiterer dunkler Punkt sind die Grenzstreitigkeitea mit
der gro^britanniscben Regierung wegen eines s. Z. Ton der Republik
dem Stamme der GalUnas abgekauften Etlstengebiets von der Insel
Sherbro bis zum Manna-Flufs. Nach der von Büttikofer gegebenen
Darstellting steht das Recht auf Seite der liberianischen Regierung,
gleichwohl Ist das fragliche Gebiet jetzt von der englischen Regierung
in Besitz genommen. Die Machtlosigkeit der liberianischen Regierung
gegenüber den Stammen der Eingeborenen bewies der Fall der Be-
raubung des im Jahre 1880 au der liberianischen Küste gestrandeten
deutschen Schiffes „Carlos". Die Entschädigung freilich wurde der
vor Monrovia erschienenen deutschen Kriegskorvette „Victoria"
bezahlt, allein die von der „Victoria" gefangen genommenen und
an die Regierung zur Bestrafung ausgelieferten Ötrandräuber wurden
sehr bald wieder freigelassen, da man einen Konflikt mit den Stämmen
f&rchtete. Von den sozialen Zuständen entwirft Büttikofer ein
merfreoliches Bild. Die Liberianer werden von den eingeborenen
Stämmen aufe tiefete gehalst; mit dem ^genannten freien Volks-
anterricht Ist es schlecht bestellt und wenn man auch den redlichen
Bemikhungen der In zahlreichen Stationen überall im Liberianischen
Gebiet wurkenden amerikanischen Missionare alle Gerechtigkeit
widerfahren lassen raufs, so ist ihr Erfolg doch gegenüber der im
Lande stets fortschreitenden Ausbreitung des Islams ein geringer.
Die Sklaverei ist gesetzlich verboten ; statt Sklaven hält man nun
,boys", Burschen, ältere oder jüngere Negor aus dem Binnenlande,
»lie man von den Fürsten direkt kauft — der Preis eines ^boy" ist
15 — 20 Dollar — oder so tief in die Schuld bringt, dafs man sie,
solange sie zur Arbeit tauglich, nicht los lafst. Die Beziehungen
zwischen den Farmern und den Faktoreien sind durch ein faules
lüreditsystem verwirrt und verdorben.
Digitized by GpdJIe
— 88 —
Kleinere Mitteilungen.
4
§ Ans der geographisciten Gesellschaft in Bremen. Der Jahresberiohi
des Vorstandes, welcher als Anlage diesem Heft beigegeben ist, enth< aoft-
führliche Auskunft über alle Verhältnisse der Gesellschaft. Wir gedenken hier
noch mit einigen Worten des Vortrags, welchen Herr Dr, med. A. Fir, k ans
Würzburg, gegenwärtig in Richmond in der Kapkolonie ansässip. am 4, Februar
d. J. vor einem zahlreichen Zuhörerkreise von Damen und Herren über die
Eingeborenen Sttdkfrikfte hielt Der Redner besprach xanaokst eingebend
die sfidafriluuuschen Völkeipnippen nach ibr^ körperlichen nnd geistigen An-
lagen, ihre Beechfiftigungen und Sitten, die Beaehnngen der einzelnen Gmppen
zu einander, das Verhältnis zn den Weissen, endlieh die kolonisatorische nnd
zivilisierende Thätigkeit Englands in Südafrika. Sodann trat der Redner wann
für die Anlage deutscher Kulturkolonien m transatlantischen Ländern ein und
hob die Bedeutung hervor, welche ein solches Vorgehen für Deutschland und
insbesondere die Auswanderung haben würde. Er verbreitete sich auch über
das Wo? und Wie? ohne indefs, der beschränkten Zeit halber, auf diese wichtigen
Fragen niher eingehen ni können. Ale ein von der gnten dentechen Hansestadt
Bremen ausgegangenes hocherfrenüehes Unternehmen begrüfirte er die Erriehtong
einer HandeUkolonie an der S^westkfiste AIHkas (AngraPeqnella) dnroh Herrn
F. A. E. Lüderitz. Der Vortrag, welcher lebhaften Beifall fand, wird seinem
Wortlaut nach in der Zeitschrift »Export" (No. 9 u. fif.) abgedruckt.
An literarischen Arbeiten von Mitgliedern unserer rtosellschaft ver-
zeichnen wir: 1) eine Mitteilung des Herrn Dr. Arthur Krauf^e über quartäre
Ablagerungen an der Beringsstrasse, abgedruckt in dem Sitzungsbericht der
Gesellschaft natarforscbender Freunde zu Berlin vom ö. Janaar 18^. 2) Anthropo-
logische Ergebnisse einer Beise in der SAdsee nnd dem malajischen Archipel in
den Jahren 1879^82. Beschreibender Katalog der anf dieser Beise gesammelten
Oesichtsmasken und Völkertypen, heranagegeben mit Unterstfitsang der Berliner
anthropologischen Gesellschaft von Dr. 0. Fi nach mit einem Vorwort von Prof.
Rud. Virchow. Mit 26 phy.siognomischrn .\ufniihmen anf B lithographischen Tafeln,
18 Umrissen von Fülsen und Händen und 61) Körpermessungen. Berlin,
A. Ascher & Co., 1884 (78 S.). 8) Landschaftskunde und Versuch einer Physiog-
nomik der gesamten Erdoberfläche in Skizzen, Charakteristiken und Schil-
derungen, zugleich als erläuternder Text zum landschaftlichen Theile (11.) von
F. Births geographischen Bildertafeln Ter&(st von Dr. Alwin OppeL Breslan,
F. Hirti 1884. Erste Liefenmg (74 8.). Das Werk ist anf 9—10 Liefemngen
berechnet. 4) Schalatlas Aber alle Teüe der Erde, nim geographischen Unter-
richt in höheren Lehranstalten. Herausgegeben und bearbeitet von C. Diercke
nnd E. Gaebler. 54 Haupt- und 138 Nebenkarten. Braunschweig, G. Wester»
mann. 5) Streifzng durch den Nordwesten Amerikas. Festfahrt zur Northern-
Pacific-Bahn 1883 von Nikolaus Mohr. Berlin, H. Oppenheimer, 1884 (25 Bogen).
Handel and Wandel in Niederläadisch-Indien. In den recht inhaltsreichen
gllitteilangen des Vereins Ar Erdkunde sn Halle, 1883-, giebt Jnlins Bademacher
in einem ,die Amsterdamer Ansstellnng und den dentschen Export nach
Niederlindiseh-Indien'' besprechenden AnÜBata auf 0mnd eigener Ansdmanng
und Erfahrung folgende Darstellung des Handels lind Verkehrs in Niedcrländisch-
Indien: .Die Regierang giebt bereitwillig jedem Erlaubnis ein Geschäft zu eröffnen.
Die Nationalit&t macht dabei keinen Unterschied, nnr sind die Holländer inso-
Digitized by Google
— 89 —
fern im Vorteil, als Waren, ans hoUfiadischen Hafenplätzen abgesandt, erheblich
weniger Eingangszoll bp/ahlpti als ans anderen, und Waren mit „certificaat van
oorspron;^'* versehen ^^worin also die Ortsbehörde der bctrcfFcnden liolländischen
Stadt besclieiuigt, dafs die Waren da fabriziert sind) tfilwoiso gänzlicli von Zoll
befreit sind. Grofsberzig, wie die Engländer, können sie nun einmal nicht
sein, und ohne einen Yortdl tiiiui ea die mynheen nicht. In den Rfinmen des
Importears liegen anf langen Tafeln die Muster der Gegenstände ans, weldie er
auf Lager hat. Kftofer sind die Besitser enropftischer toko^ sodann aber hanpi-
sächlich die Inhaber chinesischer Geschäfte. Prüfend gehen diese Chinesen die
Tische entlang, das Neuangekommene aufmerksam betrachtend. Anscheinend
gleichgi'iUig fragen sif hier nnd da narh dem Preise, finden .'ille.s noch viel zu
tener, halten erst einmal bei der Konkurrenz ümschan, smd aber bald wieder
da, um die Sachen, welche ihnen gefallen, zu behandeln. Ist ein Artikel gerade
.gefragt", so nimmt der Chinese gern das ganze vorriitige Quantum, um darin
die Preise beherrschen zu können. Wie viel ist von diesem Stoff an Lager?
fragt Lie Tjau Kin^. Sieh einmal nach! sagt Sariman, der Verkäufer, zn dem
ersten malayischen Bedienten. Dieser bringt Bescheid: 2 Kisten. Gnt, es ist
zwar teuer, aber ich nehm« alles. Am nächsten Tage findet er dasselbe Muster
anfliegen. Haben Sie 'denn noch etwas davon? fragt er. Ach ja, Sariman hatte
sich geirrt, es sind noch zwei Kisten da. Der Chinese bedenkt ."^it h, po viel
hatte er nicht kaufen wollen, indessen er möchte eben die Waare für die nächste
Zeit allein haben und nimmt iinch diese zwei Kisten. Als aber am nächsten Tage
Fich abermals zwei Kisten angefunden haben, ärgert er sich, wird unangenehm
und will nichts mehr. Das schadet nicht, sagt der Verkäufer, Yap Tun Hai
.war soeben hier, dem gefiel die Ware audi sehr. Der Chinese sieht ein, dafs
er ftberlistet ist, seinem verhabten Konkurrenten kann er die Ware unmö^ch
ftberlassen, und nachdem er sich volle Gewifsheit ▼erschaflFt hat, dafs nicht
abermals zwei Kisten zum Vorschein kommen können, nimmt er auch diese nOCh
und lacht schlierslie.h über die Geschichte mit. Nicht allein Europa, auch
Nordamerika. China. Japan senden ihre Erzeugnisse. Da i«:t ein Schiff mit
Pfprden ans den Molnkkcn angekommen, kloine. feurige, struppige Tiere. Auf
eiru'in grolsen Platze ist die Auktion. In sausendem Galopp wird jedes Tier
auf und ab geritten und das Gebot beginnt: dua pulu, tiga pulu. ampat pulu
rupia, vierzig Gulden! fort! Bald ist alles verkauft In der Nähe des Seestrandcs
ttt inxwischen eine andere Menschenmenge versammelt. Ein Schiff wird rer*
kauft, aber es sitst dort im Meer auf den Klippen fest. Prüfend beschauen die
Kauflustigen den Hiturael, die grollende See, rasch mufs das Geschäft gemacht
werden, denn in jedem Augenblick mögen die Wogen wohl mehr davon ab-
schlagen. Wer wagt's! Für 40() Gulden wird es endlich einem mutigen Araber
zugeschlagen, er mag min sehen, wie er zureeht konuiit. Die öffentlichen
Auktionen, venduties, sjtiel« n überhaupt die grof.ste Rdlle. ?\inii1i«'n ziehen fort,
andere kommen an ; Häuser, ganze Einrichtungen werden fast täglich verauktioniert.
Hat man Waren zu lange, so schickt man sie ebenfalls zur Auktion, und der
Preis ist fsst immer noch erträglieh. Bei dem ganzen geschäftlichen Verkehr
ist die malayische Sprache die Vermittlerin swischen so vielen värschiedenen
Hationen, denn wir sollten es z. B. wohl lassen, so ohne weiteres Chinesisch zu
lernen. Für Kleidung und Srhnmt k des europäischen Elemenla giebt auch hier
Paris die Mode an; die Goldsachen. dio vielfach aus Dents( bland kommen,
werden auch darnn'h L'ffertigt. Die inländisrhe l'evölkernng hat ihren eiu'onon
Geschmack. Und so geringwertig die baumwolleneu Stoße sind, die von dieser
Digitized by Google
— 90 —
getragen werden, die kai'n pandjangs sarongs a. A.^ so eigentümlich ist es, wie
sehr gerade hier die Mode henscht. Da mitfi der enropäMche Importeur sich
genaa nnd vielfach erknndigeii, in welcher Farbenaisamnenelelliing die Stoffb
fftr die n&chste Zeit beliebt sind, um den Webereien in HoUand and namentlich
in der Schwri/ prnnn anfgeben zu können: 6 Faden rot, 4 Faden blau, 8 Faden
gelb u. s. w. Für Stoffe derselben Qualität, deren Streifen aber nicht Mode sind, ist
bei weitem nicht der Preis zu erzielen, als für die beliebten Pachen. Herrscht so
im allgemeinen Verkehr mehr Leichtigkeit und fehlt vollständig die Pfennig-
wirtschaft, wie V>ei nns, wo der Magdeburger Reisende dem Kunden etwas mit
8*'/« offeriert, um es schliefslich mit zu lassen, so sind doch die Kredit-
TerhiltnitM im aQgemeinen gesnad und das Yertraaen in der Haadelsmlt hat
gröber als bei nns.* ^
Deiteche Handelshäuser an der Westkfiste tob Afrika. Die „Hambnrgische
Börsenhalle" brachte kürzlich unter Berichtigung einer Berliner Mitteilung eine
Übersicht über die zur Zeit an der Westküste von Afrika bestehenden Hamburger
Handelshäuser. Diese verteilen sich darnach auf folgende Plätze : Sierra Leone 1,
Liberia (Monrovia, Grand Bassa, Sinoe, Kap Palmas) 1, der Goldküste, Akkra 1,
Wydah 1, Little und Grand Popo 2, Porto Novo, Lagos 4, ^Cameruns bis Corisco
.Bai 8, Gabon nnd Umgegend 3, Ambriz nnd Kinaembo 1. In dem Artikel
heilst es weiter: ,Es sind im Gänsen 14 verschiedene Firmen, welche wohl
mehr als 60 Etablissements haben. Anlserdem befinden sich in jenem Gcbieto
mehrere grofsere Bremer Firmen; die Niederlassung der Firma Lüderitz in
Pequei5a ist in den Zeitungen wiederholt besprochen worden, sie ist aber aller-
dings so neuen Datums, dafs ihre Übergehung in dem Berliner Berichte kaum
auffallen kann. Die hervorragende Stellung, welche Deutschland, speciell Hamburg, *
im westafnkanischen Handel einnimmt, dürfte am deutlichsten daraus hervor-
gehen, dafs zwei regelmäfsige Dampfschiffslinien, eine hiesige und eine englische,
nnd swar jede in monatlichen Fahrten, die Verbindung unseres Piaties mit
jenem Gebiete aofrechtorhaHen, nnd daft Hamburg in dieser Besiehung nur Ton
U?erpool ftbertroffen wird, wfthrend weder von Holland, noch von Belgien, noch
auch von Frankreich, obgleich letzteres mehrere Kolonien daselbst besitst^
regelmäfsige Linien nach West-Afrika gehen." Dem fugen wir die Bremer
Handelshäuser hinzu: in Akkra die Baseler Missions-Handelsgescllschaft ver-
treten durch G. Bagelraann, Bremen ; in Keta, Danoe. Bai Beach, Bagida und
Little Popo Friedr. M. Vietor Söhne, Bremen; femer in Keta J. D. Lerbs,
Bremen; in Lagos A. Lflderitz, Bremen; in Angra PeqaeSa F. A. E. Lüderitz,
Bremen; in Adda am Volta besteht ferner das Hans Fr. Chevalier ft Co.,
Stuttgart.
Die Henrietta-Insel. Bereits im 4. Helt des vorigjährlgcn Bandes dieser
Zeitschrift wurde der als Aktenstück des amerikanischen Kongresses gedruckten
Verhandluiifron des I'ntersuchuiigskomitees in Sachen der Jeannette-Expeditinn,
nnd ferner tles von der Witwe des Kapitäns De Long herausgegebenen Werkes
über die Reise der , Jeannette'' gedacht. Letzteres liegt uns nun vor. Indem
wir uns anf das früher Gesagte beziehen, müssen wir besonders die treffliche
fische nnd innstratire Ausstattung dee im Verlag von Kegan Faul in London
erschienenen Werks rühmend anerkennen. Iietsteres ersdieint als Mn dem Ge-
dftchtnis des braven De Long und seiner Q^SUurten errichtetes liteiarisches Denk-
mal nnd wir sweifeln um so weniger, dab es aalUreiohe Leser auch in Deutsch*
Digitized by Google
— 91 —
land finden werde, als es sich ja erst bei Gelegenheit der Ueberführung der
sterblichen Uebeireste jener Opfer durch Doutfichland gezeigt hat, wie allgemein
well heute die Teilnahme an dem tragischen OesehiclE De Longs nnd seiner
Leidenagenossen ist Aosffthrlicher als bisher, finden vir in den Veihandlnngen
des UnteraachnngskomiteeB, nach einem Berichte des Ingenieurs Melville, die
Oeseliichte der Entdeckung der Henrietta- Insel wieder erzählt, und dieses
Dokument schien uns daher wert, hier dem Hauptinhalte nach wiedergegeben
sa werden. Die aus dem Genannten, dem Eislootscn Danbar, den "Matrospu
Nindermann und Eriksen, den Feuerlcufen Rartlett und Pharvell liestelurule
Gesellschaft verliefs am 31. Mai 1881 früh das Schiff. Wir führten, so berichtet
Melville weiter, mit uns: 16 Hände, Provisionen fnr sieben Tage, 10 Oallonen
Wasser, 9 GaUooen Alkohol (zun Kochen), ein Boot, einen Schlitten, ein Zelt,
biatnuiiente nnd eine Medirinkiste. Der Weg ging bald fiber Scholien, *bald
durchs Wasser, vier Mal benntsten wir das Boot, vier Hai den Schlitten, wobei
das jedesmalige Umpacken viel Zeit und Umstände kosteten. Endlich sehlngMl
wir um 7 Uhr abends, nur etwa 4 miles vom Schiffe entfernt, ein T/ager auf.
T<^mp*»iatur — 20" — Mittwoch, den 1. Juni. An diesem Tage waren wir um
6 l hr morgens auf nnd um 7 ühr unterwegs. Wir peilten das Schiff und auch
die Insel. Ueber eine völlig unebene Fläche bahnten wir uns den Weg und
legten Brücken au ; gröfsere flache Eisstücke sahen wir gar nicht ^ das Eis bestand
vielmehr ans lauter morschen Hänfen nnd SQsammengeklemmten Massen, es
war ftberall in Bewegong. Wir sogen den von N.-O. nach S.-W. laufenden
Wasserstrafeoi entlang; dieselben waren aber nicht breit genng, nm ein Boot
darin zn handhaben. Wir arbeiteten hente 12 Standen 60 Minuten und kamen
etwa 4 miles vorwärts. Um Mittag kamen wir über eine grofse Glefschereismasse ;
dies Eis war süfs und schmeckte angenehm; von den umgebenden .Sabswasser-
eismassen war es durch Aussehen und die zusammenhängende Struktur ganz
Terschieden. Aus seiner Lage, N. 43'-', W. mag , von Jeannette-Insel. schlofs ich,
dals es von einem Gletscher dieser Insel stammte und die gewöhnliche nord-
westliche Riditang des Packeises genommen hatte, üm 4 Uhr nachmittags ver-
loren wir das Schiff ans Sicht Dm 7 Uhr abends waren die Umde so mftde,
dals wir sie nicht mehr wach halten konnten, einige von ihnen bargen sich nnter
den Schlitten. Ich erzwang die Zurücklopmi: rli< ser Entfernung und die Extra-
arbeit, um eine Eisflarde zu treffen, auf der wir lagern konnten. Wir waren 80
ermattet, dafs weder Leute noch Hunde ihre ganze Abendmahlzeit einnahmen.
Wir lagerten um 8 Uhr 5() Minuten und loteten 35 Faden Wasser; es war
leichte S -W. -Trift. ~- Donnerstag, den 2. Juni. Heute Morgen waren wir um
5 Uhr hoch und um 6 Uhr unterwegs. Anfangs hatten wir einige Schwierigkeiten
im Wegbabnen nnd Br^ckenlegen, trafen dann aber eine gnte Eisfiaxde nnd
battcn nm 7 Uhr nach unserer Berechnung gnt Vit miles znrAckgelegt Das
Land seigte sich steil nnd Uar, nnd wir merkten alle, dafs wir nahe daran
waren ; wir stiefsen jedoch gleich darnach auf eine grofse hügelige Eisflarde voller
Windwehen und von tiefem, schweren Gang; der Schlitten sank dnrch bis an
die Qncrhölzer und stak auf allen Seiten fest. Wir arbeiteten uns mühsam
Gleiter bis 10 Uhr 3Ü Minuten, al.s ich an den anderen sah und in meinen eigenen
Knochen fühlte, dafs unsere Arbeit vorgeblich war. Ich entlud tneinen Schlitten
nnd setzte meinen Weg so bi.s 11 Uhr fort; dann setzte ich mein Boot ab und
lief» das Oerit hwbeibringen, am 12 Uhr 30 Minuten das Boot und Geschirr
wieder aufladen nnd afs etwas warme Suppe. Ich ging mit Boot nnd Schlitten
Ms 1 Uhr 80 Minuten weiter, fuid dann aber, dab das Packeis swischen uns
. Kj i.uo Ly Google
tind der Insel so aufgehro< hen war. dafs es unmöglich schien, mit Bool und
Gerät weiter zu kommen, und dafs ich, wenn ich überhaupt ans Land gelangen
wollte, mein Boot, den Proviant und den gröfsten Teil des Geräts an einem mög-
lichst sicheren Flatse in dem in Bewegung befindlichen Fackeis unterbringen
mnfste. Ich aetaste daher mein Boot in dem Mittelpunkt einer groCsen Eisflarde
ab und steckte anf dem höchsten in der Nähe befindlichen Eishügel eine Signal-
stange auf. Ich nahm dann den Schlitten, die Hunde, das Lagergerät, Tnstrn-
Tuentenkasten, Waffen und Proviant auf einen Tag für Leute und Hunde mit.
Wir schätzten die Insel 2 miles entfernt. Um 2 Uhr nachmittags brachen wir
auf und gelangten 4 — (5 inil« s weit durch g<'l)ro( l»cnes und in schneller Bewegung
befindliches Packeis, durch welches wir nimmermehr unser Boot unbeschädigt
hätten holen können. Wir landeten am 5 Uhr 30 Minuten nachmittags. Den
Instmktionen gem&b sollte ich snerst landen. Ich rief dann meine Genossen
ans Land, entlUtete in ihrer Gegenwart nnsere Flagge, erkULrte das Land im
Namen des Groben Jehovah und des PrSsidenten der Vereinigten Staaten als
einen Teil dos Oi biets der letzteren und bi nannte es gemäfs unseren Instruktionen
„Henrietta-Island". Wir waren sehr müde und fingen früh zur Ruhe. - Freitag,
den 3. Juni. "Wir standen um 4 Uhr auf und hatten gut geschlafen, doch
schmerzten die Knochen und Muskeln. Ich begann eine flüchtige Aufnahme des
Nordwestrandes der Insel (das Südostende ist fast unzugänglich). Die Entfernung
and Ungewifsheit über die Lage meines Bootes und des Proviants beschleunigten
meine Bewegungen und yermehrten meine Besorgnis. Ich fand, dafe die Insel
aus einem kahlen Felsen bestand, der durch die Zeit und die Einwirkung von
Hitie und Kilte gespalten und zerklöftet war. Das steile, dunkle Vorgebirge
nach N.-O. zu ist ohne Zweifel vulkanisch. Die Bodenerhebnng läuft von 0.
nach W., die Äbfallslinien und Trennungslagen laufen nach W. in einem Winkel
von 3()". Die Obernäclic des steilen Vorlandes ist schwarz, gesprenkelt durch
grofsc Flecken von Eisen u\u\ scbwaiiiniige Massen von schwarzem und rotem
(iestein, ähnlich den Schlacken cim-s Schmelzofens. Die Insel wird von zwei
Gebirgsrücken durchzogen, die in nordöstlicher und südwestlicher Richtung ver^
laufen. Der höchste derselben, gleichsam das Bflckgrat der Insel, beginnt mit
einem schwarzen 1200 Ftifo hohen Vorlande und Terliert sich unter der die
guut» Insel überlagernden Eisdecke. Der niedrigere Bficken föngt mit einer
Hügelspitie auf der nordwestlichen Fläche an und steigt nach einer leichten
Absenkung zu einer beträchtlichen Höhe im S.-W\, wo er in einer Entfernung
von 8 iniles verschwindet. An der nordöstlichen Seite der Insel sind fünf steile
Vorgebirge. Zunächst d;«*; stfile, schwarze i2lH> F'ufs hohe K;i|>. in dessen Nähe
wir landeten; dann Cairn Point, (XX) Fuls hoch, auf dem der Cairn errichtet, die
Urkunde niedergelegt und der Pikenschaft aufgeptiauzt wurden; ferner die äufserste
Nordspitze, welche ein zwischen der jenseitigen Küste und dem Centralgebirgs-
rücken liegendes Thal einschlielst, endlich das grofse DoppeWorgebirge im S.-W.,
jenseits des Thaies. Auch zwischen Cairn Point und dem Gebirgsrückgrat ist
eine leichte Absenkung, die von dem Doppel Vorgebirge zurücktritt. Dieser ganze
Teil der Insel ist leichtgeHirbter Trapp, Schiefer und Schieferthmi. Die ganze
Insel ist mit einer perjnancnten, auf dem Hauptrücken etwa "^öO — .>»Ki Fufs hohen
Eiskappe bedeckt, und die grofse Ueffuung, die wir an Bord für eine Bui an der
N -0. -Seite der Insel hielten, ist ein bestimdig abtliefsender Gletscher; in der
That löst sich von der ganzen N.-O.-Seite anunterbrochen Eis. £Unige der
Platten oder Stücke, die von der Kante der Eiskappe auf die Fhtrde gefallen
waren, ergaben, als sie in die See gefiillen waren, gemessen, eine Stirke des
Digitized by Google
93
Kij?es von 48 Fnfs Eis niui 4 Fufs Schnee. Wie viel mehr sie geme<5sen haben
iiui^en, bevor sie herabfielen, kann ich natürlich nicht sagen. Fünf kleine
« ili r-i lirr ergici'üen sich zwisclu;n den Vorgebirgen uxif diesor Seite der Küste,"
a'iigt svheu von den liings der ganzen oberen Kante der Insel von dem Haupt-
gcbirgsrücken herabgleitenden Tefle. Zwischen deu Grcmdfläche der Insel nnd
der Flarde ia^ ein hoher Rftcken gebrochenen Gletschereises; hier ist das Flar-
deneis beatiodig mit den abstüraenden Qletscherteilen im Kampfe. Ich Ter-
mnthe, dafe diese Seite der Insel keinen betändij^en Eiaftilis hat, da das atSadig
entlang schleifende Packeis alle TOn der Insel kommenden Glet<;chorabstürze
fortführt. Ich fand den Oletscher noch 2,5 nriles weit N.-O. von der In.sel. In
den Felsrissen war eine dünne Decke von Moos oder schwarzer Dainmerdo.
Alles, was wir davon sammelten, wurde ans den kleinen Rissen mit einer Feder-
spitze und Messerklinge herausgestochen. Es fanden sich keine Fossilien oder
Tierreäte irgend welcher Art. Es gab auch keine Absätze, auf denen Treibholz
sich h&tte ablagern können, folglich fimden wir keine. Wir sahen keine Spurra
von Bären, F&chaen, Hasen oder Lemmingen, anch keine Vögel, anfeer Teisten,
welche in den FelskUppen waren. — Von der Spitxe der Insel ans waren die
Eisfelder viele mfles weit nach N.-W. sichtbar; nahe am Ufer war hier ein
grofHer Zwischenraum von offenem Wasser, der sich bis unter den Rand der
Klippen erstreckte und da versichwaud. Das Packeis war vielfach t/ebrochen und
von Strafsen offenen Wassers gegen N.-O. durclizogen. soweit man selten konnte.
Das ganze von hier aus nach allen lliciitungen sichtbare Packeis war eine einzige
zusammengeworfene Masse, fortwährend in Bewegung, wobei die Ocffuungeu
fortwährend wechseln. Robben, Walroese oder sonstiges Wild sahen wir während
unserer Abwesenheit vom Schiff nicht; acht Teiste waren das ganze Ergebnis
unserer Jagd. Am Morgen beschäftigte ich mich mit Ab&ssnng des Berichts, er^
richtete dsn Steinhaufen und Pikenschaft anf Caim Point, nalim Peilungen von
allen hervorragenden Vorgebir^'cn und Bergspitzen, und n\achte Skizzen für die
den Bericlit Itegleitende Karte der Insel und des Landprofils. Das Schiff war
von iler Sjiitzc des <'airn Point aus deutlich sichtbar. Meine Besorgnis wegen
(Iis iiootes, des Proviants und des Geräts, das wir auf dem Eise znrück»elassen
hatten, und wovon von der Bergspitzc aus nichts zu sehen war, beschleunigte
meine Bewegungen, nnd am 8 Uhr morgens war ich unterwegs, nach dem Sdiiff
anhaltend nnd nach nnserm Pikenschaftsignal ansblickend. Wir konnten unserer
IMheren Spnr nicht folgen, weil sie whr nnterbrochen nnd Terschoben war.
Wir bekamen unser Signal um 10 Uhr BO Minutm vormittags in Sicht und
fanden unser Boot um l Uhr 30 Minuten nachmittags. Wir lagerten tun auszu-
ruhen und waren froh, dafs wir unser Boot und (»erat unversehrt fanden.
Sonnabend, den 4. Juni, gingi n wir um 12 Uhr HO Minuten an die Arbeit, setzten
unser Boot auf, stauten unser Gerät und waren um 2 l'hr ;iO Minuten nach-
mittags unterwegs. — Nach vielen iSchwierigkeiten erreichte die Gesellschaft am
Sonntag, den & Joni, morgens 10 Uhr, wieder das Scbifif.
Ans China. (Errichtung einer astronomischen nnd meteorologischen Station
in Hongkong. Die Teifune. UmfiEMsende Verkiesserang des WetterbeobachtnngS'
dienstes an den ostasiatischen Küsten.) — Von unserem z. Z. in Hongkong lebenden
verehrten Vorstandsmitglicde Ilerni Hermann Melchers erhielten wir in dieser
AugelcKenheit folgende Zuschrift:
Die Errichtung einer astronomischen und meteorologischen Stati<jn in
tiuugkong auf der der .Stadt gegenüber liegenden Halbiuitl Kaulun wird gewilj»
Digitized by Google
— 94
im Intoreate d«r Winanschrnffc nnd der SchU&hrt mit Firenden. begrflM weiden,
da du Resultat der ßeobaclitnngen nicht nur die eigentümlichen Natur«
erscheinnngen der chinesischen See wissenschaftlich zu beleachten verspricht,
sondern auch der Schiffahrt bei dem so grofsen Verkehr im hiesigen Hafen,
einen direkten praktischen Vorteil bietet. Mit Ausnalime der Observatorien
in Manila und in Zikawei (Shanghai) bestünden bisher keine nennenswerten
Beobachtangsstationen in diesen Gewässern, da die verschiedenen meteorologischen
Beobachtungen, welche von der kaiserlich chinesischen Zollbehörde in einzelnen
HftfBU oder auf Lenchttflrmen an der chinesischen KfMe vorgenommen wurden,
teils durch die Mangelhaftigkeit der meist verwahrlosten, nnkonigierten Instramente,
teils dnrcb die ungenauen, unregelmäfsigen Ablesungen einen wissonschaftlichen
Wert vollständifi entbehrten. Sir Robert Hart, der Inspektor der kaiserlich
chinesischen Zollbehörde, niufste wohl schon xov rtwa 10 Jahren die ernstliche
Absicht gehabt haben, cnn ii auf wissenschaftln lu r Hu.sis fulsenden meteorologischen
Beobachtungsdienst in uen ZoUstatiouen der durch Vertrag geöffneten chinesischen
BSIen einsufGLhren, doch ist es anscheinend beim guten Willen geblieben, da
die mit vielen Kosten in England erworbenen Ibstramente in den Lagerhftosem
von Shanghai und Amoy nnbenutst verpackt blieben. Die astronomischen und
besonders di^ meteorologischen Beobachtungen blieben also allein auf Manila
und Zikawei beschränkt, in welchen Stationen allerdings seit Jahren ein wichtiges
wissenschaftliches Material gesammelt worden sein soll. Während Zikawei
unter Leitung des rühmlichst bekannten Jesuitenpriesters Dechevrens und durch
dessen Werke über Teifune (The Typhoons of the Chinese Seas in tbe yeara
1880 and 1881j mit Rücksicht auf genaue Beobachtungen und neue Theorien
fiber DrehstArme einen wissenschaftlichen Bnf wlangt hat, war das Obsovatorinm
in Uanila durch die telegraphischen Wetterberichte f&r den Hafen von Hongkong
gans speziell von entschiedenem praktischen Wert, da jede Anniherung dnes
Teifans und dessen Richtung Tage lang vorher telegraphisch hierher gemeldet
wurde und zum Nutzen der Schiffahrt allgemein bekannt gemacht werden konnte.
Wenn man bedenkt, dass die Wiege dieser furchtbaren Stürme im stillen
Ozean, östlich von den Phihppinen in der Ausdehnung von 5" — 20"^ nördl. Br.
und 120'^ — lö(1 ' üstl. L. liegt, und dieselben auf ihrem Wege nach der chinesischen
Küste über die genannte Inselgruppe ziehen oder deren Küste berühren müssen,
wie dieses mit wenigen Ausnahmen bisher konstatiert ist, so ergiebt sich von
selbst der grobe prakttsehe Nutxen der telegraphischen Wetterberichte, welche
seit der Einrichtung der Telegraphenleitung swischen Hongkong und Manil» auf
Grund einer Vereinbarung der hiesigen und spanischen Kolonialregierung dem
hiesigen Hafenamte zagelien. Da also fast jeder Teifxm in der chinesischen See
durch in Manila angestellte Beobachtungen vorher von dort angemeldet werden
dürfte, da die Bahn nnd Schnelligkeit seiner Fortbewegung sicher ermittelt
werden kann, so sind diese telegrapluschen Wetterberichte für die hiesige
Schiffahrt von ganz aufscrordentlichem Wert, indem die im Hafen verankerten
Schiffe genflgende Vorkehrungen sur Begcgnnm^ des Sturmes treffen werden,
oder etwa auslaufende Schiffe rechtseitig gewarnt werden können.
Wie furchtbar und verbeerend solche Teifane zuweilen sind, hat Hongkong
am 22. September 1874 erfahren, als 38 Schiffe, darunter 5 Dampfer und
2 Kanonenböte, im hiesigen Hafen sanken, strandeten oder entmastet wurden.
640 chinesische Dschunken erlitten das gleiche Schicksal und '1er Verlust an
Meiischeulebeu hier, in Macao und im Cautoniiusse soll viele Tauseude betragen
haben.
Digitized by Google
— 95 —
Im Jahre 1881 traf Tonkin ein ähnliches Schicksal und am 21. Oktober 1882
wütete in dem schon durch die furchtbaren Erdbeben und die Choleraepidemie
so arg heimgesuchten Manila ein Orkan, dessen Gewalt jeder Beschreibung
gespottet hat. Die damuhgeu Beobachtungen zeigten euie (jeschwiudigkeit des
Windes von 114, i Meilen per Stunde, worauf der Anemometer brach, ao dafs die
höchste Gewalt des Sturmes nicht weiter beobachtet werden konnte.
Es ist ein groto Glftck, dftfo diese gefüiehteten Teifone (Drehstünne)
nicht immer mit gleich Terheerender Gemlt die chinesische Kflste heimsuchen,
doch bleiben sie der Schilbhrt immer gefthrlich and je mehr ihr Wesen doreh
genaue Beobachtungen erkannt wird, je mehr sich die Theorien durch die
gewonnenen Erfahrungen vervollkommnen lassen, desto weniger Gefahren und
ÜuglücksfiUen wird der Schifisverhehr in den chinesischen Gewässern ausgesetzt
bleiben.
Bisher angestellte Beobachtungen sollen eiL'eben haben, dafs die Zahl der
Teifone mit der Zunahme der Sounenlleckeu und der damit verbundenen erhöhten
Wiarmestnhlnng der Sonne steigt
Im Jahre 18R0 sind 14 und in 1881 90 Teiftine beobachtet worden, welche
neh anf die einaelnen Monate wie folgt verteilten:
in 1880: 2 Teifone anf den Monat Jnli
3 » , , „ Angnst
4 n > « B September
3 9 » » » Oktober
2 „ » » » November
Der Durchschnitt ergiebt nach dem Datum der ersten und letzten Teifune:
einen anf 9 Tage mit einer Dnrchschnittsdaner von 5 Tagen, vom beobachteten
Anfange bis nun Ende eines jeden Teifnns. •
Im Jahre 1881 entfielen
1 Teiftm auf den Monat Mai
1 , , , , Juni
3 Teifone . , « Jnli
* . » » » August
6 , , , „ September
8 , - - n Oktober
2 , , „ „ November
1 Teiftm „ , . Dezember
und ergiebt diese Anzahl fftr die eigmtliche Teiftinsaison vom Jnni bis Novemberi
wobei frühere nnd spätere CyUonen nnberlicksichtigt blieben, einen Durchschnitt
▼on: einem Teifun in 8,«: Tkgen mit einer 7tägigen Dauer für jeden Sturm.
Der Monat September kann mit Recht als der gefahrlichste für die chinesischen
Gewässer gelten, während in Hongkong im allgemeinen die Monate Juli, August
und ^r^eptember, sowie die erste Hälfte des Monats^ Oktober, als die eigentliche
Teifunzeit augeaehen wird. Frühere oder spättiL- Drehstüitue sind seltener,
erstere ziehen meist nach dem Süden, letztere nach Norden, und können sich
diese nur schwer dorch den mächtigen Nordost-Monsnn ihre Bahn nach der
chinesischen Ktkste brechen.
Durch obige flfichtige Andeutungen habe ich nnr die der chinesischen See
eigentümlichste Erscheinung hervorgeboben, um im allgemeinen anf die Wichtig-
keit der meteorologischen Beobachtungen aufmerksam SJi machen, welche nicht
nur vom \vih>» ns( liaftlicheu Standpunkte aus. sondern auch ganz besonders für
die Sicherheit der hiesigen ."^chiffahi't von allerhöchster Bedeutung sind.
Digitized by Google
— 96 —
Es unterliegt daher keiueiu Zweifel, dals durch die jetzigen genauen und
systematisch durchgeführten Aufzeichnuuj^en über den Verlauf der Teii'uue an
der chinesischeii Kfiste die jetzt bestehenden Theorien über Drehstürme bedeutend
modificaert werden könnten, und mdchte ich bei dieser Gelegenheit s. B. auf die
Thatsacbe hinweisen, dafo elektrische Erscheinnngen und magnetische Stfimngen
während eines Teifuns. wie ich selbst solche ssn beobachten Gelegenheit hatte,
noch keine genügende Erklärung gefunden hüben.
Herr \V. Dobrcck, der gegenwärtige Leiter des hiosigoii Obs*'! vatoriums,
hat vor Antritt seines Amtes eine Reise nach den verschiedenen chinesischen
Küstenhäfen unternommen und sich die anerkennenswerthe Mühe gegeben, die
verwahrlosten Instrumente der chinesischen Zollbehörde in Stand zu setzen, auch
hat derselbe beantragt, einen einheitlichen meteorologischen Beobachtungsdienst
in folgenden Stationen an der chinesischen Küste einzuführen, welcher Plan
gewib die Zustimmung und Unterstützung des General^ZolIinspektors Sir B. Hart
erlangen wird: Kiung-tsehau. Pakhoi, Canton, Swatau, Breaker Point, Lamock
Island, Amoy. Chapel Island, Fu-tschau, Ocksen-Island, Turnabout Island, Middle
Dop Island, Fisher Island (Pescadores), Südkap von Formosa. Tamsui, Kilung,
Wen-tschau, Ningpo. Shanghai, Steep Island. North Saddle Island, Gützlaft
Island, Shaweishan Island, Tschin-kiang, Kiu-kiang. Wuhu, Uan-kau, Itschang,
Tscbi-fa, S. E. Shautung Promontory, Uauki, Tien-tsin, Niu-tschuang.
Die Berichte dieser 33 Stationen sollen, nach Korrektur und Zusammen-
stellung, in Shanghai im Druck erscheinen und stets mit einem resümierenden '
Vorwort über die Beobachtungen und mit graphischen Darstellungen durch den
bereits genannten Herrn Dobreck versehen werden.
Da sich Manila und Zikawei, sowie Singapore, Japan und russisch Asien
an diesen Beobachtungen beteiligen wollen und ausserdem die hiesigen Telegraphen-
Kompugnien erklärt haben, nu tcurulogischr D^'^i •^^( lien zwischen Hongkong,
Mauila, Amoy, Fu-tschau, Shaugliui, Nagasaki und Wladiwostock unentgeltlich
zu befördern, so erscheint das neue Unternehmen für ein grofses Gebiet gründlich
gesichert und dürfte dasselbe deshalb auch in wissensdiafilichen Kreisen eine
Erwihnung verdienen.
Hongkong, Januar 1884. Hermann Melohers.
C. Die Schneehütten der Eskimos. Nach den Erfolgen, welche Schwatka
und neuerdinfjs Xordenskjöld in arkiisclieii T,aiidreisen erzielten, ist es wohl
anzunehmen, dafs auf künftigen arktischen Expeditionen die Zurücklegung
grüfserer Strecken zu Lande mit in erster Linie ins Auge gefaCst werden wird, wobei
man sich, ganz wie es Schwatka that, uut da^ Engste au die Gewohnheiten der
Eskimos wird anzuschlie&en haben. Gerade in dieser BichtuAg sind nun einige
AufiB&tze, welche Leutnant Schwatka kürzlich in der amerikanischen Zeitschrift
„Science" Teröllentlichte, und die den Bau der Ig^us (Sehneehütten) betreffen,
wie sie bei den Innuits, in der Gegend des magnetischen Pols, gebräuchlich sind,
von besonderem Interesse. Wir gehen über die in der Einleitung ausgesprochenen
etwas kühnen Voraussetzungen hinweg, wonach jene Eskimos notwendig die
Abkömmlinge di r oiiistigcn Höhlenbewohner seien und dafs der Toi gröfster
Kälte in einiger Verbindung mit dem magnetischen Pole stehe, und wenden uns
ZU der klaren Darlegung der Art und \Veise, wie die Eis- und Schneehütten
gebaut werden. Der Verfasser ist hier so recht auf eigenem Grund und Boden
und jede Seite ist wei^ des Studiums seitens allw derjenigen, welche sich mit
dem Problem der Bewohnbarkeit jener unwirtlichen Gegenden beschäftigen.
Digitized by Google
97
Schon frülizoitig im Winter wenicii Hütten aus EiswiUlen orbaut, oft schon bevor
Scliuee in Uiureichender Menge gefällten mt, um daraus liebausungeu herzustellen;
aas der Eisdecke eines SüftwassoneeB werden etw» 6 Zoll dicke Tafeln iu der
Oröfise Ton 3 zu 4—6 Fafo geschnitten. In jede Tafel wird ein Loch gemacht»
um sie besser handhaben an können, die Fogen awischen den einiebien Tafeln
werden mit nassem Schnee ausgefüllt. Das Dach besteht anfinglieh aus Fellen,
raweilen, aber nur selten, ans Schnee; die HansRur wird festgetreten nnd daranf
ans Steinen eine T.aporstclle errichtet. Ehe der Hauch der Knrlu nlanipc diese
Hüaser gfs< li\väi/r hat, sind sie durchsichtig wie Glas; dann hat der Anblick
dieser von den Sieinkimiien durchleuchteten Eishütten der Eskimodorfer einen
eigenen jthantastisclien Heiz, besonders im Gegensatz zu der amgebendeii
traurigt^n Oede. Festgepackter Schnee ist nun aber ein weit schlechterer Wilrme-
leiter, er eignet sidi daher weit besser als Eis an einer guten Eskimo-Winter-
wohiinng. Mittelst eines Drahtes oder dünnen Knochens wird die BeschatEenheit
des Schnees geprüft Zum Schneiden des Schnees bedient man sich eines zwei-
schneidigen Schneemessers, das, früher aus Knochen, jetzt aus Eisen oder Kapfer
besteht; die Klinge ist bis 1 Fufs lang, der Griff, an dem sie befestigt ist, hat
iingeffihr die gleiche Länge. Beim Gebrauch dieses Messers legt man eigens zu
dem Zweck verfertigte Handschuhe an, die bis zur halben Länge des Armes
hinaufreichen. Nun schreitet man an der Vertiefung eines steilen Bergubhangs
zum Ausschneiden der Schneeblöcke, die mit gröDster Vorsicht, um Brüche
m Termsiden, in einen Kreis gelegt werden, so dafo die durch das Ausschneiden
des Schnees entstehende Vertiefong die Herstellung eines niedrigen, spSter zu
uberwölbenden Eingangs gestattet. Ein sehr beachtenswerter, von Schwatka
unscrs Wissens zntn ersten Mal herrorgehobener Umstand besteht darin, dafo
die Ulücke nicht in geraden Reihen, sondern in Spiralform gelegt werden, so
dals jeder block um den folgenden verstärkt wird. Der Hiiticiieibauer belindet
j-irh an der inneren Seite und jzehraucht fortwährend sein Schtieemesser an den
Fugen, damit die einzelnen Blocke gehörig an einander anschUelsen. Da die
Blöcke nach innen geneigt gestellt werden, so giebt mau ihnen die Form eines
Trapezes, efentnell eines Dreiecks. Darauf werden die Fugen der einzelnen
BlAcke, sowohl deijenigen, welche das Dach, als der anderen, welche die Seiten-
maoern bilden, gehörig mit Eisslücken und Schnee geschlossen, eine Arbeit, die
gewöhnlich Knaben verrichten, obwohl das Dach eines gutgebauten Iglu leicht
zwei F!rwachsene tra^ien kann. "Während dieser Arbeiten schaufeln die Frauen
so viel als mOglich losen Schnee zum Schulz des Iglu heran; die kurzstieligen
Scbneeschaufeln der Netschilliks sind aus Zedern-, Wallnufs- oder Mahagoni-
holz, das von den FranklinschifTen stammt, gemacht. Die scharfe Kante dieser
Schaufeln besteht aus einem schmalen Streifen Rentierhonies, das mittelst
eines aus den Eingeweiden des Bens verfertigten, durch Löcher in der Schaufel
gesogenen Riemens daran befestigt ist Bei Nacht ist der niedrige, tiefer als der
Boden der Hütte liegende Eingang ToUstindig Tersehlossen. der Schnee ist porös
genng; um die nötige Ventilation au gestatten, ja es geht durch denselben ein
so starker Luftzug, dafs die Flamme der Lampe um .M) — .iö (trail von der Senk-
rechten abgelenkt wird. La Laute einiger Wochen wird imiiU, durdi die Ver-
dichtung <Ks Atems und den steten Wechsel der Temperatur, der St t diuxh-
sichtiger, aber weniger porös und der Aufentlialt für die Bewohner wird in
gleichem Mabo unbehaglicher, besonders bei denjenigen Stfanmen, welche haupt^
sftchlich von Fischen und Rentieren leben und daher nicht Thran genug haben,
um fortwfthrend Lieht anbrennen. — ScblieJsUch werden manche bemerkenswerte
CHMgr. BIKttar. Branm, 10SI. 7
Digitized by Google
— 98
Allgab«!! darftber gemacht, wie sich die Eskuno-Familieii in üireii Iglnt eiaricbten
und welche Venehiedenheiten die Iglns bei den Tenchiedenen Eakimo-Stfimiren
Beigen. Fftr den arktiachen Reiaenden hat es einen besonderen Beis, bald in
diesem, bald in jenem ^n sich anbnhalten.
* Binnenlandswanderungen auf der Sii(l-lust>l von Nowaja-SeHlja. Wir
haben bereits (Band VI. Seite ilTöi kurz erwähnt, dafs im vorij!;en Frühjahr ein
Mitglied der nissischen Polarblutiou an der Bai von K.armakuli (Nowaja-Semlja\
der Arzt Dr. (iriuewetzky, eine Wanderung in das Innere der Süd-Insel unter-
nahm« Nnn liegt der Berieht, Weichau Dr. G. der kaiaerlich rassiachen geogra-
phischen. Gesellschaft ftber diese Wanderang am 14. Notember t. J. entattet
hat» an! 87 Seiten gedruckt vor nnd wir entnehmen demaelben einen knnen
Ansang. Dr. 0. hat darnach zum ersten Mal die Süd-Insel von einem Ufer zum
anderen durchkreuzt. Den ersten YerKuch in dieser Richtung unternahm schon
im Jahr 18.^9 der Leutnant Moisejew, indem derselbe voraussetzte, Nowaja-
Semlja bestehe auf; 3 Inseln; auf alten Karten ist Nowaja-Seralja auch so ge-
zeichnet, indem man annahm, dals die Krcstowaja-Bucht eine Meerenge sei,
deren Ausgunge die Buchten Nesnaemii and Medwjeschy bildeten. Am 3. April
ging Moisejew mit einem Gehilfen nnd 9 ICatrosen ana» nach sechssehntägigem
Suchen konnten sie das entgegengeseiste Ende nicht erreichen nnd wagen ein*
tretender Schneeblindheit mnssten sie den Bückweg antreten. Die Forschung
eigab aber das Resultat, dab eine Meerenge nicht existiere, wie es früher ange*
nommcn worden ist. Die zweite bis jetzt noch ni( ht bekaimte Reise von Westen
nach dem Osten der Insel wurde von Kapitän Tjagin 1H77 unternommen, als
dcr.selbe auf Nowaja-Semlja überwinterte. Der Zweck dei Iieise war, zu ver-
suchen, ob man das Gebirge, welches Nowaja-Semlja von Nord nach Süd durch-
zieht, zu überscbreiten vermöge nnd ob sich am östlichen Ufer Stellen finden
liefiMu, wo sich behu& üeberwintenmg Eisb&re nnd Walroaae anaammeln. Kapi-
tSn Tjagin trat seine Reise am 12. AprU» in Bag^eitnng von awei Mann, jeder
mit zwei Schlitten and 10 Händen, an. Der eine Schlitten war mit Fetter fftr
die Hunde beladen, auf dem anderen waren Proviant nnd die Instramente. Daa
Gebirge direkt zu überschreiten war nicht möglich, man fuhr also nach Süden,
längs des Gebirgskammes, bis man au den Flufs Karmakulka kam. Die Rich-
tunt^ des Flusses ist OSO., er hat sehr steile Ufer, die aus schwarzem Schiefer
bestellen. Nachdem die Reisendon 20 Werst zurückgelegt hatten, mossten sie
vor einem hohen Berge Halt machen, wo der Flnüi sich in awei Teile teilte,
der eine Arm ging nach NNO. nnd der andere nach SSO. Nachdem die
Beisenden 11 Stunden gebraudit hatten, um den Beig au ersteigen, sahen sie
sich anf einem Plateau, das noch durch höhere steil aufsteigende und deshalb
nicht zu erklimmende Berge begrenzt war. Bei einer Wendung des Schlittena
glitten sie einen sehr steilen Abhang hinunter, so dafs die Instrumente aus dem
Schlitten gesclilcudert wurden und das Chronometer S< haden litt. Am 15. April
versuchte Tjagin die Berge von der linken Seite zu umgehen und er kam an
einen kleinen Flufs, den er für den Ursprung des Karmakulka hielt Die beideu
Seiten des Ufers bestanden aus Gletschern nnd kleinen Blittem dnnkeln Eises.
Am 16. April erreichte Tjagin das öetliehe Flatean und konnte eine grcÜBe Thal-
oiederung übersehen, wo der Lanf von verschiedenen Flüfschen sich scharf ab-
zeiclmete. Die flachen Abhänge liefscn ihn vermuthen, dafs er auf der Höhe den
Gebirges angelaiiiit war. Ein plötzlich ausbrechender Schneesturm liefs ein Vor-
dringen nicht ratsam erscheinen nnd da man auch keine Rentiere antraf, so rnnüste
Digitized by Google
— 99 —
man d«ii Proviuit «ob Afiobeisto ichoiMiL Die Haade kunen aelir von Kiiften,
so dab die Samojeden sich weigerten, weiter sa gehen. Nachdem die Beisenden
noch eine Höhe erklommen hatten, beschlossen sie den RAckweg. Auf diesem
Platz wurde eine Stoinpyraiiiide errichtet Das Resultat seiner Forschung fasst
Tjagin in folgenden Punkten HUHunmen: 1) mit guten Hunden und genügenden
Vorräten ist das Durchkreuzen von Nowaja-Semlja von Mitte März bis Mitte
Mai leidit ausführbar. Die Heise mufs auf Flüssen und durch Thüler vor sich
gehen, ein direktes Uebersteigen des Gebirgkaninu'S ist nicht ausführbar; 2) das
Gebirge der Insel bestellt aus schwarzem, mit Quarz durchsetztem ►Schieier, m
FlnfiBthilem sind Ablagerungen von schwarzem Thon nnd Sand: 8) der Teil Yon
Nowaja-Sem^a swischen 72* 9' nnd 72* 61' besteht ans einer Niedening, die Beige
Pnehowiga nnd Gnsünnja vereinigen sich in ihrem westlichen Teil mit dem Ge-
hirgszug Moller nnd bilden eine Hufeisenform. — Der dritte Versuch Nowaja-Sen^ja
an durchkreuzen, wurde nun von Dr. Grinewetzky und dem Studenten Krivoschei
am ö. August (a. St.) 1882 unternommen. Sie benutzten die Zeit, während welcher
die verschiedenen Gebäude für die Station aufgeführt wurden. Die Reise wurde
zu Fufs in Begleitung eines Samojeden gemacht und richtete man den Weg
direkt nach 0., um wo möglich au die Bucht Lütke zu kommen. Das Wetter war
prachtvoll: -f - C. AU die Beisenden den ersten Berg erstiegen, sahen sie noch
mehrere Oehixgskfimme hintereinander sich hinaiehen. Am Abend Snderte sich
das Wetter, es fiel Schnee nnd am anderen Morgen beschlofs der Stndent snrück-
sokehren; Dr. Grinewetzky wanderte mit dem Samojeden weiter, nach fünftägi-
gem Irren mossten auch sie zurückkehren in der Ueberzengung, dafs im
Sommer Nowaja-Semlja niclit durchwandert werden kann. Der vierte Versuch
durch Nowaja-Semlja zu dringen, war mit Erfolg gekrönt, er wurde am 21. April
des Jahres 1883 unternommen. Die Veranlassung bot die Ankunft eines Samo-
jeden vom östlichen Ufer des Kara-Meercs, von der Mündung des Flusses
Sawin, der nach Kamakol anf die Station kam, um Pulver einzutauschen. Der
Samojede sagte, sie wiren mit swei Familien im Dschnm nnd m&fsten ▼erhungern,
denn das SchieCipnlTer wftre ihnen ausgegangen, obwohl in ihier NShe sehr viele
Rentiere wären. Er habe zn seinen Frennden gesagt, dafo man nach der Station
gehen solle nnd ihn habe das Los getroffen. Der Samojede hatte einen mit zwei
Hunden bespannten Schiitton und brachte als Geschenk zwei kleine Eisbären.
Er hatte seinen Dschnm am 14. April verlassen und zwar in der Kiclitung nach
NNW.; am fünften Tage war er bereits matt, da traf er am Berge (Jusinei in
einem Dschum einen anderen Samojeden, der ihm den Weg nach Klein -Kar-
makali zeigte. In zwei Tagen nach Ankunft des Samojeden liatte ich, so be-
richtet Dr. G., meine Vorbereitungen beendet und verlieCiB in Begleitung von
swei Samojeden, vier Schlitten und 22 Hunden die Station am 24. April lOVt Dhr
nbends. Ffir mich und die Samojeden wurde Proriant auf drei Wochen mit-
genommen; das Futter für die Hunde wollten wir im Dschum an der Gntinaja
Gora vervollständigen, da auf der Station keiji genügender Vorrat vorhanden
war. Nach 14stündiger Wan<lerung auf dorn Eiae längs des Ufers kamen wir
nach dem Dschnn» an der Gutinaja. Hier erhielt ich nur sehr wenig Vorrat
für die Hunde und wurde auf die Kentierc vertröstet, die ich bald treffen
würde. Ich TerlleliB den Dschnm am 27. April um 12 Uhr mittags und nahm
«ine sUd-tetliche Sichtung, nach etwa einer Stunde kam ich snr Mttndung des
Koretki. Die Fahrt war bei schönem Wetter rasch, es giog den Flnfs aufwirts
seht Werst an hohen Bergen des üfers hin. Etwa 20 Werst Ton der Mündnng
wendet sich der Flub nach NO , da wir aber nach SO. wollten, so mulsten wir
7*
Digitized by Google
— 100 —
den Flüfs verlassen und nns in die Berge wenden. Wir fanden nun auch Spuren
vou Reutiert'ii und du die tiamojedeii sagten, dals wir bald sehr viele treffen würden,
Bo gab ich den ganMn FleischYomt auf einmal doi Hmiden, in der Hoffnung, sie
bald mit Rentierfleisch f&ttern za können. Am 28. April morgens kamen wir
in eine FlnÜBniedernng nnd verfolgten dieselbe bis sie eich nach N. wand, wir
erkletterten dann einen Berg, wozu wir über 6*/i Stiui Uii hrauchten. Nach
einer Stunde Fuhrt auf der Höhe kamen wir in Thal des Flusses Bjelusehi;
der Eins( hnitt des Flufsthals war sehr schroff und tief, es war das die tiefste
Niederung auf der ganzen Heise. Der Flufs fliefst erst nach SO., dann wendet
er sich nach SW. Nachdem wir etwa lü Werst in der Niederung zurückgelegt,
ward wieder das Thal su eng, dafs wir das Ufer abermals erklettern mufsten und
die Hnnde wurden ganz matt, da wir kein Fntter hatten. Die Kftlte war — 20 ^'C.
Am 29. April ging es weiter. Die Hnnde hatten schon seit 86 Stunden kein Futter
nnd konnten kaum von der Stelle kommen. Um 3 Uhr erreichten wir eine
Niederung mit einem See, aus welchem der Flufs Belusclii seinen Anfang nimmt.
Ich glaube, dals tler .S»e t-twa 2(K) Fufs über den» Meeresspiegel liegt. Fünf
Werst weiter traf ich norli t iucn See in derselben Niederung. Ich konnte einen
Bcrgkegel sehen. Der banmjt ih- sagte, dufs dioset KryA sich fast am Kari^rlien
Meere befände. Von den Seen fuhr ich in der ilK-iitung nach SSO. und konnte
bemerken, dafs der Schnee loser wurde. Der Weg wurde ebener, aber durch
den tiefen Schnee beschwerlicher. Die Hnnde fielen vor Entkräftnng hin und
konnten nur durch SchlSge weiter gebracht werden. Zu Abend kamen wir an
ein Flüfschen, welches seinen liauf nach SSO. nahm, der Samojede sagte, dab
dies der Flufs Savin sei, an dem der Dschum stände. Am 30. April gingen wir
weiter, die Temperatur sank auf — 25" C und es fing Schneein iben an. Zum
Glück eiljlit kten wir vier Hentiere; wir s< lilirlM n uns heran und erlegten drei
Stück, wudurcli der Not abgeludfen war. Wir konnten im Flnfsthnl des Savin
nicht weiter vordringen; letzterer wandte sich nach S. , wir klommen die Ufer
hinanf und gingen nach dem KompaCs SSO., trafen aber wieder nur einen Flofii;
ich mufste mich leider überseu^n, dafs der Samojede den Weg verloren hatte.
Nach meiner Berechnung h&tte der Dschum schon gestern erreicht werden
müssen; ich beschlofs nun am folgenden Tage den Rückweg anzutreten. Am
Morgen, als wir noch schliefen, weckte uns das Qebell der Hunde, wir sahen
einen Pamojeden, den Besitzer des Dschum, den wir suchten. Derselhf war auf
dem Wege nach seinem Fleisehvorrat , den er früher Ider versteckt hatte, als
noch viel Bentiere in der l'mgegend waren. Der Samojede bra< hte die Reisenden
nach dem vier Werst entfernten Dschum. Am 4. Mai bestieg ich einen Berg
und konnte die weite Fl&che des Karischen Meeres sehen , dann trat ich die
Rflckreise an. Am 8. Mai abends kam ich wieder in dem Dschum von Guaimi
an. Ich wollte zwei Tage Rast halten, aber nach den Wolken an urteilen, stand
ein Sturm bevor und daher machte ich, dafs ich schneller nach Hause kam. Am
9. Mai um fünf Uhr war ich wieder auf der Station und um nenn Uhr erhob
sich ein starker Sturm, der die Wände des Hauses erzittern machte Das Gebirge
«Inrchzielit die südliche Insel Nowuja-Scmlju in der Mitte, am Ende beginnt es
mit kleinen Erhebungen und steigt bis zu Matotschkin -Scharr in einer Höhe
von 4000 Fufs. Nach dem Charakter der Oberfläche kann man die südliche
Insel in drei Teile teilen; der höchste (Sagt bei Matotschkin -Scharr an und
dehnt sich bis eum Flufo Pnchowoi. Es sind meistens einzelne^ ohne bestimmte
Richtung zerstreut liegende Berge. Der zweite Teil liegt zwischen den Tlial-
niederungen des Pnchowoi im Norden und den Thftlem des Korelki nnd Belnschi
Digitized by Google
— 101 —
im Süden tind zeigt woiiitre hohe Borgr ; fünf Gebirgskammo^ dup'bziehen paralM
laufend die Insel von Süd nach Nord. Der dritte Teil wird ifi-Noi^CH Ton dx^ti
Thalniedrningen des Korelki und Roltischi bepronzt . .m' erstreckt sk'h \äa j.n
die karisclie Pforte und an das Eisim ei-. Es ist dies i iu Jl(>(?l\[d:itea*i vo.i .otw'a
4.">4l Fiifs Hölic. Nach (Jriiievvetzki's Meinung ist es höchst \vahi*scheinlicli. dafs
zwei Yarietiitcu von Rentieren auf Nowaja-Heinlja leben, wenigstcuH behaupten
dies die rassischen JSger. Nach ihrer Aussage wäre das Rentier der Nord-Insel
identisch mit dem Rentier Spitsbei^gens. Man vermutet sogar ein winterliches
Wandern der Rentiere zwischen Spitzbevgen und Nowaja-Semlja und zwar üher
Franz Josefs-Land, dessen östliche Foi-tsetzung hier wieder als Konjektur auftritt,
wie in dem Plane Ilovgiiards. Leider war es letzterem durch die Eisverhältnisse
verwehrt nach Kap Tscheljuskin zu kommen, von wo er. nördlich vordi'ingend,
das Problem der Ansdehnung Franz Josefe -Lands nach Osten hin zu lösen
beabsichtigte.
§ Kftigini-Jaj[;dei in Victoria. Vor einigen Jahren publizierte H. B. Smyth in
Melbourne, Sekretin der Kolonial-Behörde f&r den Schutz der Urbevölicerung, ein
grobes zweibSndiges Werk aber die Aboriginer von Victoria (the Aborigines of
Victoria with Notes relating tothehabits of tho natives of other parte of Anstralia
and Tasmania); es war dies die durch Beiträge vieler Mitarbeiter bereicherte
Frucht langjähriger .Studien, und der Verfasser hat darin eine erstannli« he Menge
von ethnologi.s( hem Material wohlgeordnet niedergcle»;!. Ein eignes Kapitel von
70 Seiten Umfang ist darin der Ernährnng gewidmet, tind in diesem nimmt
wiederum die Jagd einen breiten Raum ein. Die nachfolgenden Zeilen sind
diesem Abschnitt entnommen. In der Känguru- Jagd zeigen die Eingeborenen
von Victoria grosse Geschicklichkeit, eine voUstindige Kenntnife der Gewohn-
heiten des Tieres und grofse Ausdauer. Die Kängurus sind jetzt in Tielen Teilen
Victorias weit zahlreicher, als zu dw Zeit, wo das Land im Besitz der Ein-
geborenen war, und wenn es auch jetzt dem Waldbewohncr scheinen mag,
als ob ein .schwarzer Brndor" sich leicht genug dieses Wild verschaffen
könnte, so war es doch anders zu der Zeit, wo das Tiei- regehnäfsig gejagt
wnrde. wo es die Beute des wilden Hundes war und wo die Wilden das Känguru-
flcis< )t als einen wesentlichen Teil ihrer täglichen Nahrung betrachten mufsten. —
Ks wurden mehrere Fangarten angewandt. Wenn ein Eingeborener mit seiner
Familie in einem Distrikt lebte, wo K&ngurus leicht aufzufinden waren, pflegte
er gewöhnlich morgens mit seiner Familie aufeubrechen und einen Weid^latz
anfimsochen. Die in einiger Entfernung folgenden Familienai^horigen gaben
ihm, sobald sie Wild zu Gesicht bekamen, durch einen VogelpfiflT oder auf andere
Weise ein Zeichen. Der Jäger hafte schai-fe Speere, eine Wurfstange und seinen
^waddy" eine Art Keule) zur Hand. Sein über die Schulter gehängter Korb
enthielt nehen der Wurfstang«; vielleicht noeh ein Messer. (Jeräus' hlos durch
den Busch gehend, ptlegte er die Kängurus schliefslid» an einer etwas offenen,
mit reichlichem Graswuchs versehenen Stelle zu finden. Er näherte sich vor-
sichtig, ohne den Körper zu bewegen, von der dem Wind abgekehrten Seite den
K&ngurus und wartete, üslls sie etwa Unruhe zeigten, bis sie wieder zu weiden
begannen. So kam er, Tom Wald geschfitzt, bis auf Wurfweite nahe und schleu-
derte dann seinen Speer, der selten fehlte. War die dem Wind entgegengesetzte
Seite ohne bergenden Schntz, so zog er sich an einen Platz zurück, wo er aus
Zweigen einen Schirm herstellte und näherte sich vor demselben der Beute.
Zuweilen verbanden sich Zwei zu dieser Jagdart; der Eine zog dann die Auf-
Digitized by Google
— 102 —
* * * morksamkeit des- üäficurus durch ein leichtes (ieräusch, vielleicht das Abbrechen
eines Zweiges^: a«f steh, während der Andere sich mit dem .Speer von der ent-
. . . pogongpstiEten ^c'iie verstohlen näherte. Häufig werden die Kängurus hu ihren
•***. . TrjLukpläizel):ge^ig^n.. . Iiier erwartet der Eingeborene unter einem vorhandenen
oder »u Zweigen hergestellten Schutidach die sam Waseer kommenden Kin-
gorof. Eine andere Faagmetliode iat die der Faroo* Leute. Sie machen nahe
dem Wasser eine Gmbe und schliefen mit zwei znsammenlanfenden Bnscb-
sinnen einen Kanm ein. Jeder Zaun hat 8—400 Yards Länge. Wenn nun ein
K&ngnm sich nähert, wird es in den Raum zwischen den Zäunen und dann in
die Grube gejagt. Auch Netze fro])raurht man zum l'unpen des Kän}:nrus. Bei
besonderen Gelegenheiten versaininclt sich eine grof.se Zaiil Eingeborener zu
einer Jagdpartie. Letztere wird immer von erfahrenen Männern geleitet, die den
Jägern die Plätze anweisen. Eine Flache von etwa einer halben mile wird nmstellt
nnd eine Treibjagd begonnen. Diese Jagdart findet sowohl in buschigem Walde,
wie auch anf offenem Terrain statt Witt man eine grobe Anzahl Tieie erlegen,
so benutzt man bisweilen Fener. Die Jäger bilden dann einen Kreis, setzen das
Gesträuch in Brand nnd töten so eine Menge Kängnms and anderes Wild. Im
Port Lincoln-Distrikt l)enutzen Männer und Knaben eine .wirra'' frot)annte Kctile,
mit der sie die durch den brennenden Wald enttliehenden Känpurus. Kun;:nrn-
Ratten und andere Thicre tödten. Wie die Eingeborenen von Coopeis ( reck
wenden diejenigen von Port Lincoln mit groisem Vorteil eine Zeichen -Jager-
sprache an : das Ausstrecken eines Fingers bedeutet, dass ein Känguru nahe ist,
drei ausgestreckte Finger, deren «weiter etwas niedriger gehalten wird, sind
das Zeichen für einen Emn n. s. w. Zur KSngnm<-Jagd gehören besondere Er-
fahrungen, denn wilde Hunde können dem Jäger die Heute wegraffen oder feind-
liche Schwane ihm selbst- nachstellen. Oft mnfs der Jäger ein Kängnrn mehrere
Tage lang verfolgen, ehe er es erlegen kann ; er zündet sich dann auf der Spur
desselben nachts sein Feuer an. Alte grofse Kängurus nehmen aiu h wohl den
Jäger an, wenn sie gestellt werden. Das Känguru sucht stets eine Wasserfläche
zu erreichen and durchschwimmt unter Umständen emcn Flufs. Einige Tiere
haben ein Gewicht mm 160 Pf^md. Derjenige, welcher ein anagewachsenea Kin-
gnra mit dem Speer erlegt hat, bekommt ehien Pieia. Die Schwanisehnen der
Kfingnms werden sorgflUtig anfbewahrt, nm einen Stab, eine Waffe oder Kugel
gewickelt, damit sie sich gestreckt erhalten und f&r späteren Gebranch geeignet
sind. Das Bereiten des Kängurus geschah auf einfache Weise. Man sengte das
Haar, schabte es ab, entfernte die Eingeweide nnd briet dann das Tier. Tm
Paroo-Distrikt wird es vorzugsweise in einer Art Ofen gebacken. Man gräbt em
Loch in die Erde, legt das Känguru mit heifsen Steinen hinein und überdeckt
das Ganze mit heiiser Asche. Das Fell läfst man daian, um den Saft zu er-
halten; die Eingeweide werden 'gewQhnlicli erst entfernt, nachdem das Fleisch
gnt dnrchhitat isi Das Bhit wird in einem EingeweidetheU gesammelt nnd eine
Art Bhitwnnt daraus gemacht Die Aelteren behalten natfirlich die Leckerbissen,
SU denen namentlich das Blnt gerechnet wird, fikr sich.
§ Vom CongO. Kürzlich ist die Stanley-Pufil «genannte seeartige Erweiterung
des t'ongo von dem bekannten Missionar ( inniger zum ersten Mal umfahren
worden, und Herr Comber teilt im Fi bniarlicft der ^Proceedings" der Londoner
geographischen Gesellschaft Näheres hierüber mit. Comber hat den Stanley-Pool
93 mfles breit und ungefähr eben so lang gefiinden, demnach ist w bei wmtem
grölser ala Stanley annahm, nftmlich SSO Qnadratnüles, statt etwa 66. Stanley
Digitized by Google
— 103 —
Pool ist von vielen gröfsoron und kleineren Inseln durchsetzt, die hauptsächlich
aas Saiid bestehen; die grüfäte, die Elefanteu-Iuscl, birgt zahlreiches Wild,
aamentlieli Elefuiteii« Bflffel jl A. Enten nnd ein groÜBer Fische fressender
?ogel sind sehr akblreicb, ebenso Hippopotanrasse nnd Krokodile. Die etwa
9Q0 Fnb hohen Dover «Clilb bestehen nicht ans Kalk oder Thon, sondern ans
silberglänzend weifsem Sand. Die Ufer des Pools bestehen aus waldigem, bis so
500 FaCs hohem Hügelland. An dem Abhang des etwa 200 Fafs hohen Berges
Kintanu). auf etwa 50 Fafs Höhe vom Flusse, erheben sich die Oebäudo der
internationalen Association (Leopoldsvillc) ; näher nach dom Ort Kintamo liegt
die Danipfcrstation der T-ivingstone Inland Mission. Endlu h ist anf der Spitze
eines Berges daü Haus der Baptisten-Missionsgesellschaft errichtet. Dieser ersten
nnd vorlftnfigen Untersnchnngsretse will Herr Comber spftter eine weitere folgen
basen; snr Zeit, wo er diese Mitteihing Tom Congo machte, Anfiuig Oktober 1888,
waren die 800 Trag-Ladnngen, welche die Bestandteile eines von der Bi^vtisien-
MissionsgescUschaft anf dem Congo sa benutzenden Stahldampfers, JPeace*,
bilden, schon beinahe vollsfimdig zur Stelle und mit Hülfe dieses Dampfers
sollen die Ufer am Stanley -Pool genauer exploriert werden. Auffallend war
Herrn Comber, wie schwach die Ufer bevölkert waren. ■ Wir teilen hierbei mit,
dafs das KoniittM' tler Brüsseler Association kürzlich eine Kartenskizze vom
Congo-ücbiet herausgegeben hat, auf welcher die verschiedenen ätationeu ver-
leichiiet sind; ein Exemplar liegt ans dnrch die Gftte des Herrn Stranoh,
Generalsekretilxs der Oesellschafty vor. Diese Karte, im Maftstab von 1 : 1,300,000,
fär welche die Ortsbestinunnngen von den wissenschalUiehen Beisenden der
Gesellschaft mit Hülfe des Taschenkompasses gemacht sind, zeigt verschiedene
erhebliche Abweichungen gegen die bisherigen; so verkür/.t sich die P^ntfernnng
zwischen Stanley -Pool und Manyanga um die Hälfte und der erstere liegt um
einen Grad weiter westlich. Die Lage des Mohumba- und des Leopold IL-Öees wird
in einer Note nur als annähernd riclitig bezeichnet. Die nördlichste der
21 »Stationen, die Aoquatur - Ölatiou, liegt nahezu anter dem Ac^uatur. In die
Kart« ist aaeh das Niadt-Kwiln-Thal avijgenommen. Immerhin wird das gua»
Qebiet bei genauerer Kartienmg sich noch vieUiEMh anders darstellen.
§ Inerikanisehe Eisenbahien. Dem kürzlich erschienenen 4. Bande der
Censns-Bei-ichte von 1880 entnehmen wir, dafs in diesem Jahre die Gesamtlänge
der in den Vereinigten Staaten in Betrieb befindlichen Ei.><enbahnen H7,7H1 mile«?
betrug; dieselben hatten ein Buukapital von 4112V3 Millionen Dollars crtordert
und gehörten HHl Kompagnien. Der Personenverkehr anf diesen Eisenbahnen
beziffert sich auf Iii zurückgelegte miles auf jeden Kopf der Bevölkerung der
Vereinigten Staaten.
§ IHa Iritiiehei NiederlMsugen ii der Strafiie m Malakka. Der ans
vorliegende Katalog der gegenwSrt^ in Calcntta stattfindenden internationalen
Aasstellung enthält einige statistische Angaben von Interesse über die Straits
Settlements. Die Stadt Singapore auf der gleichnamigen 25 miles langen nnd
14 miles breiten Insel zählt etwa 12(1,000 Einwohner; die Bevölkening von
Penaug oder Princc of Wales-ln.sel l)eträgt 75,000, der gegenüber am Fesllanti
gelegene 45 miles lauge Küstenstreifen: Provinz Wellesley. hat eben so viel Ein-
wohner. Malakka, 8 — 24'/< miles breit und 42 miles lang, hat 80,000 Einwohner,
darunter 56^000 Malayen nnd 18,500 Chinesen. Femer stehen nnter britischem
Scbnts die swischen Penang nnd Malakka gelegenen drei Malayenstaaten Pezak
Digitized by GSogle
104
mit UHMKX), Sclangor mit 50,000 und Siingei Ujoiig mit SiHK) Einwohnern, wobei
man annimmt, dass 30 "/o dieser Hevölkornnjron Chimsen sind. Die Einnahme
von Perak wird auf 181,000, die von Selangor auf 00,000, die von .Sungei Ujong
KoS 31(800 PfcL Sterl. jShilich gesehilst Der wichtigste Aufifohrartikel dieser drei
malayischen Staaten ist Zinn, doch sind neuerer Zeit mit gutem Erfolg Versuche
mit Anbau von Kaffee, Thee und Chinarinde gemacht worden. Die höchsten
Berge erheben sich bis auf 8—9000 FnüB t. If. Das Land ist Yon schiffbaren
WasserstraXsen dnrchsogen.
Die Entwicklang: der Kartographie im Norden Europas, lieber dieses
Thema machte Herr Dr. Arthur Breasing, Direktor der Bremer Navigationsschule,
in einer Versammlung der Bremer historischen Gesellschaft am 1. März d. J.
unter Vorlage einer grofiwn Aniahl Kartenwerke Hitteihingen, über welche wir
nach der „Weser-Zeitung" wie folgt berichten. Einleitend bemerkte der Vor-
tragende, dab die ilteeten gedruckten Karten (Weltkarten) in dem Budimentum
novitiomm, d. h. einer Encyklopadie für Klostemomen 1475 in Lübeck sich
finden. Das Buch, heute eine hochgeschätzte typographische Seltenheit, hat für
die Kartographie nur eine untergeordnete Bedeutung. Kiii Jalu- später ver-
öffentlichte Nikolaus Denis, Mönch des Klosters lleirhcnbach hii lie^'ensbnrg,
zum ersten Male den Ptolemüus, jedoch ohne Karlen. Eine Ausgabe desselben
Werkes mit Karten erschien zuerst 1482 zu Uhu*), ebenda eine ueue Ausgabe
1486, welche den PtolemÜschen Karten noch f&nf tabniae modemae, yon
Nikolaus Donis selbst g^ichnet» beifügte. Diese letxtere Ausgabe konnte Herr
Dr. Brensing Yorlegen, da sie sich im Besitse der hiesigen Navigationsschule
befindet. Woher die dem Ptolcmäus zugeschriebeneu Karten stammen, bedarf
noch einer wissenschaftlichen Untersuchung, da die in alten Manuskripten des
Ptolemäischen Werkes vorhandenen Karten vielfach von einander abweichen.
Die Karten sind be/Aiplich der Orientierung und der Umr^ronzung der Länder
Europas noch sehr inaii.L^clhaft, so erstreckt sich z. B. Italien fast genau von
West nach Ost. Es mufs dies um so mehr Wunder nehmen, als die Italiener,
wie eine spätere Vorlage zeigte, schon viel früher aulaerordentlich gute Karten
des Hittdmeers handschriftlich besalsen. Die tabulae modemae des Denis
zeichnen sich durch Darstellung einer neuen» noch in unserer Zeit gelegentlich
vriederholten Theorie ans, welcher es nur notig erschien, die Flufslfiufc zu
kennen, nm die Gebirgszüge mit Sicherheit eintragen zu können. Hiemach hat
die neue Karte Ifalioiis ein sehr kompliziertes Gebirgssystcm erhalf <'n, \v;ihrei)d
die ältere Karle des Ptolcmäus sich auf Angabe des Hauptgebirgszugis dts
Appenin und weniger Ausläufer desselben beschränkte. In diesem Atlas tiiuU n
sich nun auch die ältesten Karten Nordenropas; wie mangelhaft sie sind, zeigt
die West-Ost verlaufende Gestaltung Nordschottlands und die DarsteHung
Schonens als eine Insel Wir haben, von Adam von Bremen abgesehen, noch
Muen alteren Schriftsteller Aber die Geographie des Nordens, Aeneas Sylvins,
den sp&teren Papst Pius IT., doch sind die Karten, welche der Ausgabe seines
Werkes von 1551 beigefügt sind, offenbar nach dem Atlas des Donis gezeichnet.
In vieler Beziehung richtiger stellt sich Nordenropa auf den Karten des üamanisten
*) Wir «rittnem daran, dafs in Vordenskjdtds Vega-Reinewerk, Band T, die
Karte des nördlichen Europa nach l)onis Ausgabe von I'tnlcniüus Lim 148*2, die
Karte des Nordens nach Jakob Ziegicrs Sehondia .'^trarsbur;; iruVJ nml die Karte
des nördliclien Kuropa von Olau» Magnus nach der Uaüelcr Aufgabe reproduziert
sind. D. Bcd.
Digitized by Google
— 105 —
Jakob Ziegler dar, von welchen die Bremer Stadtbibliothek die älteste Strafsburger
▼OB 1Ö3S beutst Ziegler hatte der Eroberong Borns durch Karl V.
beigewohnt und dann in Rom die Bekanntschaft des gelehrten Bischöfe von
Dpeala Ohms Magnus gemachti dessen Hitteilnngen ihn befittiigten, sowohl eine
ziemlich richtige DavstoUnng Ton Falfistina als anch eine wesentlich verbesserte
Anschannn^ des Nordens zu geben. "Wenige Jahre später, 1536, veröfiFentliehfe
Olans Magnus selbst in Venedig eine Karte des Nordens mit deutschem Texte.
Es lag von seinem Werke, welches zugleich die Geschichte und Geogniphie
des Nordens nmfafst, eine lateinische Baseler Ausgabe von 1567 vor. Wie
verkehrt aach jetzt noch in vieler Hinsicht die nicht anf Yermessungcn
benihcnden Anschannngen waren, zeigt s. B. die DarsteUnng des finnischen
Heerbosens, welcher dem bottnischen fest parallel von 8fid nach Nord
streicht — Das niederlindische Speculum orbis tertamm von 1593, im
Resitze des Vortragenden, dessen einzelne Karten aber 20 bis 2ö Jahre ftltor
sind, als die vorliegende Gesamtausgabe, weist bezüglich Skandinaviens wieder
einen bedputondcn Fortschritt auf; doch bleibt z. D. die Lage des tinnischen
Busens noch so v» rk< lirt, wip oben angegeben. Hier findet sich auch die erste
Spezialkartc Ostfrieslands von der Weser bis zum Dollart, 1576 von Laurentius
Michael ab Hagenkarken (Hohenkirchen) gezeichnet. Einen ganz aofserordeni-
lichen Fortsehritt gegen die bisherigen Darstellangen zeigen uns die Karten des
ersten wissenschaftlich gsbUdeten Geographen Gerhard BfercatorSi welche
siemlich gleichseitig mit den eben genannten einzeln erschienen und nach dem ^
Tode ihres Urhebers von seinen Erben 1585 gesammelt herausgegeben wurden.
Es ist fast unbegreitlich. wie es dem einzelnen Manne gelang, von fast allen
Teilen der alten und neuen Welt verhältnifsmärsig so wichtige Ortsbestimmungen
zu erhalten, wie seine Karten sie veranschaulichen. Übrigens ist keine der
Karten des vorliegenden Atlas in der von Mercutor entdeckten Projektion der
Kugel anf die Fläche gezeichnet Die von Hen'n Dr. Breusing ferner vorgelegten
Kairten des IG. nnd 17. Jahrhunderts ergeben teilweise einen Rftckschritt gegen
Mercator. 8o i. B. der ftlteste (niederttndische) Seeatlas von Job. Lucas Wagenaer,
welcher zoerst 1684 nnd in zweiter, hier vorliegender, Ausgabe 1688 ersehien.
Von dem sehr interessanten Scespiegel von Blaeuw besitzt unsere Seefahrts-
schnle die älteste Aasgabe von 1623, während selbst in den Niederlanden nur
die spätere Edition von 1627 noch vorhanden ist. Von einem späteren nieder-
ländischen Werke, De Zee-Atlas of de Water Wcreld, Amsterdam 1675, ist ein
aufserordenilich schönes Exemplar im Besitze des Herrn Dr. Breusing. Es ist
mit der verschwenderischen Pracht ausgestattet, wie sie nur die reichen Nieder-
lande in ihrer ruhmvoUstea Zeit zu bieten Termochten. Besfi^ich der harto-
graphisehen Barstellnng aber finden sich selbst hier noch Unrichtigkeiten,
welehe bereits ein Jahrhundert friiher lon Mercator erkannt und Torbessert
worden waren und anch hier ist noch heine Karte in Mercatois Projektion
dargestellt worden.
AsfsachaDg Leutnant (irc^lys. Nachdem im vorigen Jahro die Abholung
der amerikanischen l'ularstation des Leutnant Greely und seiiur Gefährten
miisglückt, sollen in diesem Sommer drei Dampfer zu dem Zweck au.sgesandt
werden und hat der Kongrels der Vereinigten Staaten-Begjerung ohne ziffermäfsige
BescbrSnknng die erforderlichen Uittel bereitwillig zur VerfSgang gestellt
uiyiii^uü Oy Google
— 106 —
PrtfMitr HeilM B«lgiaif f. In Stettin starb am 17. Febraar d. J.
Professor Heinticb BeighaiiSi der Nestor der deatechen Geognpben, bekannt
dnreh saldreiche Sciirifiten und Kartenwerke. Der Verstorbene erteicliie das
hohe Alter von nahezu 87 Jahren. Berghaus war einer der B^[ründer der
Berliner Gesellschaft für Erdkunde; im Jahre 1839 errichtete er in Potsdam
eine «geographische Kanstechiüe*, in welcher Angost Petermaiin einer der ersten
Schaler war.
Stejnegers Foisohangei ii KamtHchatka und dea Coiumaader- Inseln
1882 ud 1888* Der gcgenwirtig in Washington lebende norwegische Natur-
forscher L. Stejneger hat die Güte gehabt, nni in einem ans 'Washington, den
23. Januar d. J. datierten Brief nähere Auskunft über den Verlauf seiner in
den Jahren 1882 nnd 1888 ansgef&hrten Reisen, sowie über Art und Umfang
seiner Sammlungen sn geben; bereits früher, in Band VI. S. 92 und 9.'i dieser
Zeitschrift, wurde dieser Reisen in einer Mitteilung jukch der norwegischen Zeit-
schrift .Natureir gedacht Die Red.
ü e b e r b I i (' k über meine Reise nach Kamtschatka und den
Commander-Inseln (1882 und 1883). Von Leonhard Stejneger. Von
den Autorititen der Smithsonian -Institution, U. 8. Nataonal-Mnseam und des
U. 8. Signsl- Service wurde mir im Frühjahr 1888 die ehrenvolle Aufgsbe
gestellt, eine Erfoischungsreise naoh Kamtschatka und den Commander- Inseln
zn nnteniehmen, um dort meteorologische Stetionen zu etablieren, natnr-
historische Sammlungen anzulegen und die gesamte Natnr^csrhif lifo der ge-
nannten Inseln zu studieren. Wegen der knappen Zeit wurden meine Yor-
beieitungen und Ausrüstungen sehr mangelhaft, was leicht zu begreifen ist,
wenn ich erzähle, dass ich Washington verlieCs sochsundfünfzig Stunden nach-
dem die Reise zum ersten Male erwähnt wurde. Am 20. März wurde mir der
Vorschlag gemacht, am 22. reiste ich ab ; irier lange Tage mulBte ich in Nevada
anbringen, weil die Eisenbahnlinie auf einer Strecke von 30 englischen Meilen
durch eine Üebersohwemmung fortgerissen war; und am & April verliefe ich
.San Franzisco am Bord des rassischen Dampfers .Alexander U.", Kapitän
J. Sandmann. Während der langen Seereise ^sTirden drei bis viermal täglich
nieteorologi-sche Beobachtungen angestellt und Temporaturon der Meeresober-
fläche gornosf^cn. Im Uebrigen war die Reise nur wegen der anhaltenden und
stürmischen westlichen Winde bemerkenswert, die uns ziemlich weit nach
Osten versetzten, so dals wir einmal kaum f&nfhundert Meilen von Sitka
respektive von Kodiak entfernt waren (145* w. L. nnd 60* 86' n. Br.) Am
7. Mai landete ich endlieh an der Beringe -Insel, wo ich mein Hauptquartier
nahm, und wo ich eine meteorologische Station «rstor Klasse einriohtete» mit
Observationen dreimal täglich alle acht Stunden, nämlich 7 Uhr vorm., 3 Uhr
nachm. und 11 Uhr abends Washingtoner Zeit (resp. 11 Uhr 12 Min. abends,
7 Uhr 12 Min. vorm. und 3 Uhr 12 Min. nachm. lokaler Zeit). Die Observationen
umfassen Luftdruck, Temperatur (trock., nass., max. und min. Therm.), relative
Feuchtigkeit (durch trock. und nass. Therm, bestimmt), Windrichtung und
Schnelligkeit (Robertsons Therm.), Bewölkung und Niederschlag. Von der
Berings- Insel ans besnohte ich diesen Sommer Mednij Ostrof (die Kupfer-Insel)
nnd Fetropaulski auf Kamtschatka und er6ffiiete an der letaten Stelle eine
meteorologische Station sweiter Xlasse. Die Observationen wurden von
Dr. E. Feodoroff in gewissenhafter und intelligenter Weise ausgeführt, und nm-
tessen Barometeri Lufttemperatur, Windrichtung nnd Stärke, Bewölkung nnd
uiyiiiziüd by Google
107 —
Niederschlag zweimal täglich, um 3 Uhr nachm. und 11 Uhr abends, Washing-
toner Zeit. Von speziellem geographischen und topographisehmi InteMSM war
meiiie Umsegelung der Berings-Insel in offtaem Bote swiacben dem 21. August
und dem 1. September; wat dieser Beisei sowie auf fielen kleineren, wesentiieb
im Handeschlitten oder sa Fnrs nnteniommenen Expeditionen, habe icb ein
ansehnliches Material für eine detaillierte Karte der beiden Insefal zusammen-
gebracht. Sorgfiiltige Höhenraessnnpon. sowohl von Bergspifzen wie von den
Pässen wurden genommen. Die Unisegelung hai mic Ii in den Stand gesetzt, die
meisten von den in Stellers klasbischer Beschreibung gegebenen Namen zu
iiidentifizieren, eine Keihe von Skizzen der interessanteren Punkte findet sich
in meiner Mappe. Ancb worde die Stelle besaeltt, wo Bering mit seinen Leuten
stfuidete, wo er selbst starbi nnd wo die Ueberlebenden ibit Steiler den Vinter
rabra^bten. IMe Boinen der Wobmugen worden so sorgSItig mitenmcbt, als
«■ die nngftnstigen Umstände, die üppige Vegetation nnd das abschenliobe
Wetter erlaubten; Ausgrabongen worden vorgenommen in der Wohnung und
speziell an iler Stelle, wo da.«i neue Schiff gebaut und die von dem
Wni< k geretteten Sachen aufgestapelt wurden; die wenigen so aufgefundenen
Reliquien von der ersten Expedition, die Amerika von dieser Seite entdeckte,
habe ich in dem hiesigen National-Museum depomert. Die zoologische Ausbeute
bestand hauptsächlich in sablreicben Resten der scbon ttngst ausgestorbenen
Seeknb (Rytina gigas oder Stelleri), während die ormtbologiscbe Sammlung
siemlicb mager ausfiel und swar teils wegen des nassen und stürmisoben Wetters,
teils wegen der verhältnismärsigen Armut des südlichen Teiles der Insel an
Vögelarten. Einige interessante Beobachtungen nnd Sammlungen von Lagopus,
Rissa brevirostris und SimorhynchnsPygmaeus wurden doch gejuacht.
Als uns der Dampfer im Herbst verliefs. konnte ich , als Erjielmis der ersten
4*/2 Monate, schon eine hübsche Sammlung nach Wnshington schukcn. Es wird
genügen die zwölf Schädel und vier Serien von Wirbeln mit Armknochen,
Scbulterblättem u« A. von der Rytina, Bälge von etwa achtzig Vögelarten nnd
ScbSdel Yon swei neuen Deuüceten su nennen. Diese Iststeren liefern einen sebr
wichtigen BeitiagsurTbiergeogmpbie. Zipboiden waren bisher als Bewobner des
StiUea Ossons nördlioh vom Aequator gsr nicht bekannt Die swei von mir be-
schriebenen Arten Berardius Bairdii und Ziphius Grebnitzkii gehö-
ren zwei verschiedenen Genera derselben Familie an, und im Jahr 188.'^ saninielte
ich noch eine dritte wahrscheinlich neue Spezies aus der Gattung; M e s o p 1 o d o n ,
wodurch meine Reise diesen Teil des Weltmeeres mit einer Familie und drei
Genera vennehrie. Die schöne Reihe von Ryti na-Schädelu setzte mich ferner
in den Stand, eine erhebliche Differenz in dem männlichen and dem weiblichen
Cruiium su besehreiben und mit Tabellen genauerer Messungitt lu iUustrierenj
auch die VOgelsammlung enthielt einige neue Arten. Hein vorliniiger in vielen
Punkten ziemlich detaillierter Berieht über diese erste Saison ist im vorigen
Jahre in den „Proceedings of the U. S. National Museum 1888* pg. 58—96 po^
blisiert unter dem Titel: „ Contributions to the History of the Com-
mander Islands. No. 1. — Notes on Natural History. including
Descriptions of Cetaceans". Den Winter brachte uh auf der Berings-
Insel zu, der folgende Sommer aber fand mich meistenteils auf der Kupfer-Insel
mit Studien über Topographie und das Leben und Treiben der Seebären oder Pelz-
robben besehäftigt, welche letztere, wie bekannt,- auf diesen Inseln im Sommer
zu Millionen anlang«n, um hier ihre Jungen fottsubringeii* Genaue Karten und
Slussen der «Brutplätse* derselben wurden aufgenommen und Uebersohlige der
^ ij i^uo Ly Google
— 108 —
Ansah! berechnet DaXs die anderen Seiten der Naturgeschichte nicht ▼ersanmt
wurden, ist selbstverständlich, nnd mehr als ein halbes Dutzend neue Rytina-
schädel, eine noch zahlreichere Kolli ktion von Walfische ranien, 26 Hftntc von
Spolöwen, Seebaren, Seehunden und deren Schädel, gegen 700 Vogelbälge, zwei Kisten
Fische und niedere Tiere in Spiritus, Pflanzen und Ver^tpinernngen zeugen davon.
Am 13. Oktober 188^J verliefs ich Kamtschatka mit dem amerikanischen Dampfer
,St Faul'', KapitüJi Erskine, meteorologische Instrduieute und gewissenhafte
Obserratoren hinterlassend and am 28. November langte ich in Washington
an, nach ein paar kunen AnfSanthalten unterwegs. Die nfichste Zukunft wird mich
hier mit der Bearbeitnng meines reichen Materials beschftftigt finden, und in
erster Reihe wird der geographische Teil kommen. Doch habe ich noch nicht
entschieden, wie nnd wo ich meine geographische Monographie veröffentlichen
werde. Die norwegische Zeitschrift ^Naturen* wird in den ersten Nummern
dieses Jahres eine Reihe von Reisebriefen bringen, die einige vorläufige
Resultate enthalten werden. Bevor ich dieses kurze Resümee schliefse, wünsche
ich noch ein paar Bemerkungen hinzuzufügen: nämlich dafs es bei einer
Beurteilung meiner Beanltate billig ist, dab man die Eile in Erwägung ziehe,
mit welcher die Vorbereitnngen getroffen wurden. Zweitens habe ich mit
Hank die HfiUs m erwihnen, womit ich von allen Seiten unterstOtat wurde.
So bin ich dem Herrn Dr. Emil Bessels zum besonderen Dank verpflichtet för
seine freundliche, speziell litteräre Assistenze, sowohl während der Untersuchungen
als auch später. Ferner wurden mir alle möglichen Erleichterungen zu Teil
seitens der dortigen Ilandelskompagnie und deren Agenten, von welchen ich
speziell dem Herrn Ü. Cheruick auf Herings - Insel meine Yerhiiidlichkeit aus-
sprechen möchte, für die gewissenhafte Weise, womit er mir als meteorologischer
Observator aniatierte, so oft ich von der Station abwesend war« Trota aUedem
würden die Resultate doch viel spftrlicher ausgefollen sein, wenn ich nicht von
dem dortigaiBeprfisentanten der russischen Regierung, Herrn Hofkat N. Orebnitski,
auf die uneigonnfitaigste Weise unterstützt worden wäre, hier Öffentllich ana^
sprechen zu können mir eine grofse Freude bereitet
Smithsonian Institution, den 23. Januar 1884. L. Stejneger.
Literatur.
IMnkschrift über Herstellung einer vertieften Wasser st rafse zwischen
Königsberg in Fr. und Pillau. Königsberg 1883. Diese vom Stadtbani-at Frühling
im Auftrage des ostpienfiritchen Provinsial-Tereins lur Hebni^ d«r Flafs- und
Kanalachifbhrt herausgegebene Schrift seigt, dab man auch in Königsberg
wie in manchen anderen nicht unmittelbar am Meeresufer gelegenen See-
bandelsstädten daran denkt, die zur See führende Wasserstrafse zu regulieren
und zu vertiefen. Die Wasserverbindung zwischen Königsberg uud Pillan ver-
mittelt auf 8 km der 6 m und darüber tiefe Pregel, dagegen hat der durch
das Frische HafF führende Teil des Wasserweges trotz aller Raggerungen nur eine
ungenügende Tiefe. Es werden die zur Vertiefung aufgestellten Projekte unter
Beifügung von zwei Tatein näher dargelegt; die meisten Aussichten auf Ver-
wirklichung seheint das Projekt eines Dammkanals am Nordufer des Haffs mit
einer Tiefe von 6 m unter Niedrigwaaser und einem Kostenbetrage von 5 Millionen
Mark an haben. Die Kiinigsberger Kaufmannschaft erwartet die Ausführung
dieses Projekts von der Staatsregierung.
Beiträge zur physischen tTeogr^hie der Ostsee von Dr. Carl Ackermann,
mit einer liefenkarte in 7 Abstufungen und 6 Tafeln (Profile der Zogiuigstiefen
Digiii.ceu by Cookie
— lod —
und Temperataren} Hamburg 1883, Meissner. Das als eine tleifsige, wohlgeordnete
Ztuammentragung and Venktbeitang des ▼orhandenen reicheu Materials n be-
xeiclmende Werk behandelt den Stoff in folgenden Abschnitten : 1) Morphologisches :
Grenzai,Zng|sng9tiefen, westliche und östliche Ostsee; 2) Geologisches: Wirknngen
der Wellen ^Serst5rung der Steilküsten, anschwemmende Thätigkeit, Zerstömng
der vom Me(>rc goschafTenen Bildongeni Einwirkung der Kanstbanten der Menschen
auf djp Kunstthütigkeit), Wirkungen der säkularen Hebungen und Senkungen;
rV Physikulisclies : Siiöinuiigs- und Windverhältnisse un*l ihre Wirkungen,
Temiitiatni vcrhfiltnishe ; 4) Biolügischos : die in der Ostsee Icbenilen iier- und
l'tiaiizenurganisnicn: einige aufserhulb Uci Ü^tsee lebende, iiber durch dies Meer
beeln6n&tA Orgfuikmen. Zur Orientierung in dem gegen 400 Seiten starken
Boche dient ein Namensregister.
Von Hermann Wagners Neubearbeitung des Gotheschen Lehrbuchs
der Geographie (vcrgl. Band VI. Seite l)f> dieser Zeitschrift.) ist der zweite Band
ersrhiencn und das Work damit vollendet. Dieser über 8ü0 Seiten starke Band
lifhruiih'lf Europa in 11 Kapiteln, von denen das erste: Allgemeine Uebersiohten
iiuil diejenigen, welche die südenropSischen Länder betreffen, die bedeutendste
Umgestaltung erfahren haben. Die schon im ersten Bande so willkommenen
„litterarischen Wegweiser^ finden wir auch in diesem Bande; überall ist auf die
wirtschaftlichen VerUUtnisse gebfthreode Btteksicht genommen; besonders wert-
¥oQ sind endlich die Tabellen rar Geschichte der Geographie, sowie sahireiche
andere Tabellen, welche Höhenvergleichungen, Schneegrenzen der Gebirge, grObte
Flüsse, Bevölkerung, auswärtige Besitsung^n europäischer Staaten, Handelsflotten
tl, A. betreffen,
Gilder (William H.). In Eis nnd Schnee. Die AufsuL'hunc; der .Jeannette"-
Kxpedition und eine Schliitenfahrt durch Sibirien Autorisierte deutsche Ausgabe.
Mit 4ü Abbildungen in Holzschnitt und '\ K:irten. Leipzig. F. H. Brockhaus.
1884. 8. 384 S. lu lebhafter Erinnerung ist uns noch allen die furchtbare
Katastrophe, welcher ein Teil der Mannschaft der „Jeannetto", des von Gordon
Bennett su einer Nordpol-Expedition ausgerüsteten Schiffes, an der Lenamfindung
erlag. Zur Au&uchung der Vermibton war im Jahre 1881 von der Regierung
der Vereinigten Staaten das Schiff .Rodgers'' unter dem Kommando von Kapt.
Berry in das Eismeer gesandt worden, und Gilder, der Korrespondent des „New-
york Herald*, derselbe, welcher Schwatka auf seiner bekannten Reise nach King
William Land zur Aufsuchung der Franklin-Reste begleitet hatte, nahm auch
an dieser Fahrt teil. Nachdem der ,R()il|j;i'is- das Problem des Wrangel-Landes
durch emu vollständige Aufnahme der Insel gelöst huttu, wurde er iii der
Lorens-Bai, woselbst er flberwinterte, das Opfer eines schnell um sich greifenden
Feoers, und OfBsiere und Mannschaft konnten kaum mehr als das nackte Lebon
rotton. Qilder, der sich zu der Zeit des Brandes in einer Station auf der Insel
Idlidlja in der Nähe des Winterquartiers der «Vega' befand, erhielt nun den Auftrag,
die Rückreise durch Sibirien anzutreten. Er begiebt sich deshalb liagy der
Eismeerküste nach der Kolyma, woselbst er die erste dunkle Kunde von dem
Schicksal der .Jeannetie* erhält. In Werchojansk crlührt er Näheres und, schnell
entschlossen, eilt er n.n h der I-enumündung. um an der von Melville geleiteten
Aufsuchuugs-Expeditiou teil zu uelimen. Die nun folgenden Kapitel, welche die
Auffindung der Leichen durch HdriDe nnd die Schicksale der «Jeannette*-
Expediüon nach De Longa Tagebuch und nach mtindlicher Mitteilung der
beiden aus De Longs Abteilung geretteten Matrosen, Nindermann und Noroa,
Bchildetn, entrollen ein dftstores Gemälde, das sich grell you dem mit leichtem
Dlgitized by Google
110
Humor geachriebtMii Gildenchen Beiaebericbt ftbliebt Gilden Bach- ist kmn
wissenscbafUiehes Werk, wie auch in der Vorrede hcrvorgcluibcn wird. Es ist
eino /nsaiBineiiBtellimg von Reieebriefen, die unter dem frischen Eindrucke des
(ioschelicnen niedergeschrieben sind nnd nur die Uiitcrhalttinj^ des Lesers
bezwecken. Diesen Zweck eriullcn si»> , wie jedi.T zugestclu'n wird; und wenn
auch im einzehien manclio IntiiiiuT und Tlngcnauigkeiten gerügt werden
küuuteu, SU geben sie ducU im ganzen ein zuUetYeudes Bild vuu den durchreisten,
Sloeli weii% bekamitMi Lfiadergei^eten. Imanetfain iet es aber m bedanem, dab
die Gelegenbeit, welche der Aufenthalt der «Bodgers*- Expedition auf der
TiBchnktschen-Halbiasel darbot, nicht aach sa eingehenden wiaaenschaltliehen
Studien, namentlich in ethnologischer Hinsicht, benutzt werden konnte, da
in diesem hochinteieannten Gebiete noch maneher dunJüe Punkt der Auf-
kl&mng bedarf A. K.
Vega- Expedit ionens Veten.skapliga Jaktagelscr bearbeiade af deltagere i
resan och andra forskare, ntgifna af A. K Nordenskjöld. Tredje bandet (med
44 tailor). Stockhuim, Bcrjers förlag, 18tS:^. Der eben erschienene dritte Band
der wissettsehafHichen Arbeiten der Tega-Bxpedition enthilt vier Aufbitie
botanischen und soologischen Inhalts. — Der erste ist eine gröÜBere Arbeit von
F. B. Klellman Uber die «Algenflora des nördlichen Eismeeres* (schwe-
disch); dieselbe beschrankt sich, wie schon der Titel seigt, nicht nur auf die
Ergebnisse der Vega - Expedition, sondern beruht im wesentlichen auf eigenen
Beobachtungen und Sammhingen des Verfassers, welche derselbe in dorn letzten
Jahrzelint un der norwegischen Nordküste, bei Spitzbergen, Novaja-.Semlja und
der Rüste dos nördlichen Sibiriens gemacht hat; aufserdem stand demselben eine
reichhaltige, dem Kopenhagener Botanischen Museum gehörige Algensaiumluug
von der grönländischen Westküste snr Verfügung, so dals er mit Beoutsung der
einschUgigen Literatur eine mS^chst ToUständige üebersicht der Alg^nwelt der
cironmpolaren Meere geben konnte. — Das nördliche Eismeer ist nach dem
Verfasser pflanzengeographisch abzugrenzen und daher wird auch das sftdliche
Grönland noch dazu gerechnet ; dagegen wird das Berings-Meer, aus welchem
die r'Vega" reiches Material mitbrachte, nicht berücksii litigt. — Die reichste
Algenvegetution findet sich an Norwegens Nord- und an Orönlands Westküste;
aufserordentlich arm zeigt sich die ganze ausgedehnte sibirihieliü Küste, auf
welche nur 87 von den 259 für das gesamte nördliche Eismeer angeführten
Arten kommen. Nur im nördlichen Norwegen und an der Westkfiste Grönlands
ist die lilorale Flora swisohen höchstem und tiebtem Wasserstand einigennafsen
reichhaltig; in den Abtigen Teilen des nördlichen Eismeeres ist sie äufiserst
dürftig. Die Hauptmaase der Algen wächst in der sublitoralen Tiefe (bis n
20 Faden), während sie noch tiefer (in der elitoraleu Zone) fast vollständig felden.
Mehrere Tabellen geben ein ausführliches Bild der drei angenommenen Provinzen,
der spitzhergensclien, der sibirischen und amerikanischen, so wie ihrer Be-
ziehungen zum Atluutiäclien und Stillen üceau. Sehr interessant ist ein Kapitel
über die Lebenserseheinungen der arktischen Meeresalgen, in denen wir Qew&chse
kennen lernen, die, lange Zeit in Eis geschlossen, den höchsten K<egraden
trotsen können und bei einer Temperatur von — 1« bis ^ 2* C. sogitr in der
langen Nacht des polaren Winters eine Wachstnmsenergie bethitigen, die uns in
Erstaunen setzen mufs. Den giöfsten Teil des Aufsatses bildet eine ToUstAndige
systematische Aufzählung der einzelnen Arten der Eismeer-Flora, von denen viele
als iJiMi beschrieben werden, mit Angabe der Ali und Weise ihres Vorkommens,
ihrer Verbreitung lu anderen Meeren u. A.; zu diesem Text gehören 31 vor-
Digitized by Google
III —
trefflich aasgeführte Tafeln. — Der zweite Aufsatz (schwedisch) von W. Leche
giebt ab eisten Te3 eine «Uebenieht ftber die Ton der .Yoga"- Expedition ein-
geaammelten MeeresmoHoaken*, die LBmeUilmodhiaten. — An 60 Tenduedcinen
Fundorten, Ton der lUrochen Pforte bie snr Berings-Iniel eind einseUiefalicb
der Varietäten nur 4'i verschiedene Formen dersdben gOsammclt worden; von
diesen gehören 7 aasschliefslich dem Berings-Meer an, so dafs für das sibirische
Eismeer nur 35 Formen übri? hloilten. was auf grofse Arteiiarmut desselben hin-
zudeuten scheint. Dagegen ist dio i-nuna tlcs Berings-Meeres entschieden reicher,
als man nach den wenigen daraus initgi])ra( litcn Arten (18) vermuten möchte.
Drei Tafeln mit ausgezeichneten Abbildungen illu.strieren die neuen oder kritischen
Formen. P. T. Cleve giebt (in engliseliw Spmebe) eine Anftfthlnng der während
der »Teg^'-Expedition Ton KjeUnum gesammeltea I)iatomeen, nnd tmat snenfc der
arktischen, wobei der Verflaessr mit Benntsnng seiner eigenen fröheren Arbeiten
und der von Gmnow ein Vemeichnis der bis jetzt mit Sicherheit aus dem
gesamten nördliche Eismeer bekannten Arten giebt £s folgt dann eine Auf-
zählung von Süfswasserdiatomeen von Japan und mariner Diatomeen von drei
verschiedenen Punkten des Indischen Oceans. Auf 4 Tafeln sind die neuen oder
souüt bemerkenswerten Arten abgebildet. — Der vierte Aufsatz von P. Kramer
und C. J. Neuman beliaudelt in deutscher Sprache die während der „Vega"-
Expedition eingesammelten Acariden, von dsasa der gr&fiMre Teil sich als neae
Arten erwies. Hieisn 6 TafsbL A. K.
Dr. OskarSchneider. NatnrwissenschafUiche Beiträge rar Geographie
und Kulturgesclüehte. Dresden, v. Bleyl - Kaemmerer 1883. Saxa loquunturl
Die Steine verkünden uns entweder das Walten der Naturkräfte und dann
sprechen sie 7.n dem Naturhistoriker, und vor allen die Geologen lauschen auf
diese Sprache, oder aber sie erzählen uns von dem Wirken de.s Menschen und
dann sind es die Kulturhistoriker in erster Linie, welche sich bemühen, die
abgebrochenen Zeichen, Worte und Sätze zu deuten. Das vorliegende Werk
bietet beiden, den NatoT: nnd Knltarhistorikem Material, und dab auch die
Geographen nicht leer ausgehen, dafür ist gesorgt nnd wäre es nnr dnreh die
von Schweinfarth gegebene kartographische Darstellnng des Porphyigebietes
aaf Tafel 13, nebet der Bundschau vom Chresimofr-Berge (Tafel 14). Es finden
sich aber auch sonst noch eine Menge von geographischen DetailSi unter den
der Haupt.Hache nach wohl kulturgeschichtlichen Mitteilungen. Der erste der
^Beiträge'' handelt über Ansrbwcininnn^'on von antikem Arbeitsinaterial an der
Alexandriner Kü.ste. Es werden ni< lit weniger als 86 verschiedene Minerale und
Gesteine besprochen und ihre Herkunft erörtert Smaragd von Gebel Sabara
(Koseir S.), Chrysolith von Esne in Ober-Aegypten, T&rkia um der sinaitisehen Halb-
insel n. s. w. Das Torkommen yon weiUier gebrachten Mineralien: Sapphir,
Lasurstein u. A. weist auf die alten Handebwege hin. Eminent kulturgeschichtlich
ist der sweite Aufsats über die Schwefelminen von Bas el Gimse und den Prozefo
der Societö „conMre d'Egypte*^. Von den mit grofser Ausführlichkeit be-
handelten Darlegungen ,tlber den roten Porphyr der Alten'' nehmen besonders
die Kapitel 1 und 2 unser Interesse in Anspruch. Sie handeln von den
petrographischen Eig<'nhchatten des roten Porphyrs der Alten und von der
Herkunft desselben. Zu dem letzten Abschnitt gehören die schon erwähnten
beiden Beibgen, welchen noch Originalmitteilnngen Dr. Schweinfarths beigefügt
sind. Die Übrigen Kapitel sind wieder vornehmlich von kulturhistorischem
Interesse. Der vierte Beitrag beschiftigt sich mit «der Bemsteinfhige , ins-
besondere mit sicilischem Bernstein und dem Lynknrion der Alten", nnd bildet
Digitized by Google
112
eine intgroManto Monographie dieoM mcrkwftrdigeii sfldliolieii M moval-Vori^omm^iiSy
das durch seine schönen Farbennöanceu und die lebliafte Fluoresceuz berühmt
ist. Ein ganz besonderes luteretse nimmt sckUerslicIi die letzte Abhandlung:
püber die kaukasische Naphtaproduktion* in Anspruch. Mit gi-uf^er Sojgfalt
werden alle Angaben über die, sowohl auf der Nortl- als auch auf der Südseite
des Kaukasus und in der Fortsetzung des Zuges an der Ostseite des Kaspa-8e»^s,
südlich vom Kara-Bugas auftreteudeu Erdöl und Erdwachs lührendeu Formationen
beBpiochen, wosu der Aator durch seine Reisen gans besonders berufen erscheint.
NeG»n den geograi^kischen Angaben, — welche, sowie auch die fröheren Anfe&tse
durch Kartenbeilagen wesentlieh unterrtütrt werden — finden wieder koltur- |
historische und handelspolitische Auseinandersetzungen und Vergleiche der
kaukusischeu Oelreviere mit den galizischen und amerikanischen Petroleumgebieten. '
In Bezug auf die dabei beiuit/.tc Literatur ist uns aufgefallen, dafs die neuere
Publikation Aljitlis (über die l'roduktivitüt und die geotektonischon Verhältnisse
der kaspischen >kaphtaregiou (Jalirbuch der k. k. Ueichsanstalt ISTü S. IGö) '
nicht citiert wird; freilich beschäftigt sich dieselbe der Uauptsut lie nach mit i|
hypothetischen Spekohitionen Aber die nnorganiscdie Natur des Petroleums. 1
Frans Toula. 1
mmw N«ehrl«M. Wir ennehei hierdireh die Herren auwirtIgeB
Milglieder, den Jahreeheitrag für 1884 vit Jk 16 gefiUligal ai die Adresse
des Herrn ii. Albrecht in Bremen, Langenstrafse 44, senden in wallen.
Bretten, im Mftrs 1884
Der Voiskud der geographisclieu tiesellsckaft
In. Bremen.
Urvck vwa Carl ÜcliOttviaMia. hnmttu.
Digitized by Google
r
Digitized by Google
Ha-ntl Tn Tafel 2
Digitized by Google
^ Deutsche »"* ™-
GeograpMsclie Blätter.
HemiBgagalMii fon der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beitrüge und «onatige Senduiigeu an di« Htiaktioa iwdaii imter d«r Adresaa:
Dr. X. IdaitBaB, Bremen, Memdettraeee 8, arbatan.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und lUnetraüonen dieser Zeit.schrift ist nur nach Verst&iidiguiig mit
der Redaktion gestattet.
Die liml SOd- Georgien«
MiiUilu|;eii von der Dentsehen Polarstatiou daselbst 1882/83.
Von B. MvBthair und Dr. H. WilL
(Mit «ioem Lichtdrackbild.)
1. Die Rei»e von Montevideo nach äiid-Georgien, von E. Moäthaff. 2. Du Ezkursiona«
fa%lat dar Dantaaban Polarstation anf BHd-QaorflaB in geognostifldier, Horlstisehar vnd
fAiuiistischer Rezieliung, von I>r. Hermann Will. 3. Leben und .Arbeiten in <l<'r Stiitluu,
von £. Moetbaff. 4. Beatatsung des grofsea Olatsobera in dar Kojral-Bai| von 1:1.. Mostbaff.
S. Die BSdcraiM, Toa B. MosthalT.
Nachdem wir bereits in Heft 4. liand VI. dieser Zeitüchrift
einige vorläufij?e Nachrichten über die Deutsche rolar.^tution auf
Süd-Georgien hatten veröffentlichen können, verdanken wir nunmehr
den Herren von der Station sowie dem Kntf^ei^enkonimen der Deut-
schen Polar -Kommission die nachstehenden, von einer Iliustration
begleiteten Mitteilungen.
1. Die Beise voi loiieTidM wiek Sfld-Oeorgien.
Von E. NMthaf.
Die letzten Tage unseres Aufenthaltes in Montevideo hraciiten
wir noch mit Anschaffung mancher Ansrüstungsgegenstände zu; es
wurden, um Abwechslung in den konservierten Proviant zu bringen,
S Ochsen, 20 Hammel und 6 Zielen, sowie Futter für V/.» Jahr an^'e-
kauft. Auch das Helcnchtungsinaterial, 40(X) 1 Petroleum, wurde aii'^n>
schafft und alles auf der Korvette verladen; dieselbe sah mehr einem
Kauffahrteischiffe als einem Kriegsschifie gleich. Kndlich war alles
fertig und nach einem schönen Abschiedsfeste im Deutschen Klub
lichteten wir am 23. Juli 1882 die Anker; bei herrlichem klaren Wetter
und ruhiger See dampften wir aus dem Hafen. Eine Stunde lang
begleitete uns ein kleiner Dampfer mit unserem Konsul und Herreu
des Klubs, dauu kehrten sie unter dreifachem hurra um und wir
Ctaagr. BUtiar. Blanal^ UM. g
Digitized by Google
— 114 —
fuhren unserer immerhin noch ctwiis un^iewisst'u Zukunft eiitj^egcn.
Der Aufenthalt an Bord di's Ivrit'gssi hiti'es bot uns viel Neues und
Interessantes. Konnnaudaut und Otfiziertorps kanu'n uns in lieheu.-.-
würdigster Weise entgegen. Die ^Moltke~ ist eine ,i;ederkte
Korvette, ein grofses stolzes Sdiiff mit 4(K) Mann, einem Kapitän
zur See, einem Korvettenkapitän, 16 Offizieren, 2 Aerzten und
Beamten, führt 20 24 cm resp. 15 cm Geschütze, eine Maschine
mit 6 Kesseln und 24 Feuern. Die Stürme machten sich haid
recht bemerkbar nnd hatten dieselben eine ungewöhnliche Stärke.
Am 4. August z. B. ging alles darunter und darüber, es hielt
kein angeschraubter Tisch mehr, Ofen und Ofenschirme, Gläser,
Teller fielen durcheinander und wir eben Skat spielende Herren
fanden uns plötzlich m dreien auf dem Boden sitzend, ein Ensemble,
welches zu ungeheurer lU'iterkeit Anlafs gal).
Den 9. August kam der erste Kisbeig in Sicht; als wir uns
auf 4 — 500 m Entfermiug genähert hatten, konnte man die kolossalen
Dimensionen eiM t rmessen. Laut allgemeinem Tagebuch hatte er
eine Länw von etwa 200U m, 800 m Breite und 85 — 10 ni Höhe.
Die im Süden vorkonimendon Eisberge haben meist rechteckigen
Querschnitt und zeigen selten die längeren zackigen l'ormen der im
Norden vorkommenden. — Wir haben im April welche von
mehr als 200 m über Wasser gesehen.
Nun folgten einige Ta^e Nebel und starke Stürme. Am
12. August erscholl Mittag 1 Uhr der Ruf: „Land in Sicht!" Die
ersten nebelhaften Umrisse grofser mit Schnee und Eis bedeckter
Berge gehörten unserer zukünftigen Heimat Süd-Georgien an. Schnell
dampften wir naher und segelten bei herrlichem Wetter unter pracht-
voller Beleuchtung der rosigen Firnen die Nordwestküste der Insel an.
Abends mufsten wir dann wieder auf hohe See. Darauf kamen wieder
einige kräftige Stürme, wie sie überhaujtt dort an der Tagesordnung
sind, Eisberge sahen wir jeden Tag melnere und eine Landung war
immer noch nicht möglich, da wir keiiu ii günstigen Hafen oder
Ducht entdecken konnten und nur aus grofser Höhe steil ins
Meer abfallende Gletscher und scbwar/e schroffe, oft senkrechte
Felswände sahen. Endlich am Ki. früh morgens bemerkten wir
eine Bucht: mit grofser Vorsicht wurde hineingefahren und Anker
geworfen. Es war nach der Klutschakschen Karte die Cumberland-
Bai. Das Wetter war empfindlich kalt, doch gut. Die oft aus ganz ver-
schiedenen Bichtungen sich einstellenden starken Böen sind recht unan-
genehm, da sie meist eine Unmasse von kleinen Eisteilen mit sich führen,
welche das Sehen verhindern und die Landschaft verdunkeln. Wir
blieben, nachdem Lotungen und eine Ortsbestimmung an Land an-
Digitized by Google
— IIB —
gestellt worden, die Nacht über liegen. Am Endo der liai ragt ein
machtiger an der Stirne wohl 4ü ni hoher blaugrauer Gietbcher in
das VV'asser hinein.
Am Tage darauf wurde eine Expedition mit 2 Kuttern zur
Aiiftiudung eines günstigen Stationsplatzes unternommen. Die Insel
wurde auf ^stürmischer oft gefahrlicher Fahrt erreicht und fest i^o teilt,
dafe hier kein ganstiger Stationsplatz zn finden sei. Glücklicher-
weise kamen alle wohlbehalten wieder an Bord. Nun blieben wir
wieder auf hoher See, hatten öfters Sturm und dann wieder Nebel,
kamen auch manchmal nahe an Land und fuhren der Nordostkfiste
der Insel entlang. Es wurde bereits emstlich unter den Offizieren
die Frage erörtert, ob wir unsere Station nicht besser auf den
Falklands-Inseln errichten sollten, da auch der Kohlenvorrat der
Korvette sehr geschwunden war. Zum Glück wurde bei güii^tiLrem
Wetter Sonntag, deu 20. August nachmittags, noch eine JUuht, die
Royal-Bai, angesegelt. Wir fuhren hinein, ankerten und fanden
günstiges Terrain für die Station. Ani Tage darauf wurde mit dem
Löschen der Häuserteiie, des Proviants, der Instrumente und
schliefslich auch des Viehs begonnen. Der Bau der Holzhäuser, des
Yiehstalles und der eisernen Drehkui)pel ging rasch von Statten, da
wir meist über 100 Mann an Land hatten, welche den oft m
tiefen Schnee wegschaufelten, das darunter befindliche Eis weg->
pickelten, Entwftsserungsgr&hen zogen und Steine und Sand vom
Strande zur Fundierung der 22 Instrumentenpfeiler holten. Am
3. September war alles soweit fertig, dafs die «^Moltke'' ihre Aufgabe .
als gelöst betrachten konnte; sie zauderte auch nicht lange aus der
nicht gerade beliebten Bai we«^zukommen, da erst in den letzten
Nächten häutig bei starken Böen die Anker losgerissen waren. Nacli
einem solennen Absciiiedsessen am 2. September erliielten wir an
Land den Abschiedsliesuch des Ivapitäns und des Oftizierscorps; das
Bild Seiner Majestät des Kaisers wurde im Salon aufgeliängt und nach
einem herzlidien Lebewolil fuliren die Herren im Hord ; uegen 5 Uhr
mittags wurden die Anker gelichtet und die l^orvette dampfte langsam
aus der Bai in die offene See hinaus. Wir bestiegen noch schnell
eine beuachbarte Anhöhe mit weiter Aussicht auf die See. Die Ge-
danken mögen wohl ziemlich die gleichen gewesen sein, welche uns
alle bewegten, als die Kor?ette allmAhUch immer kleiner erschien
und zuletzt am fernen Horizonte versehwand.
Nnn waren wir wenigstens sicher fOr 1 Jahr von aller Welt
abgeschnitten und es galt die Arbeit rasch und kräftig zu fördern,
was ja auch das beste Mittel gegen Heimatsgedanken war. Und
Arbeit gabs die Halle und Falle!
8*
Digitized by Google
116 —
2. Das Exkursions^ebiet der Dentscheu Polarstation
auf .Süd-(ieorgieu
in geognostischer, floristischer und faunisUscher Beziehung.
Von Dr. Herman Will.
Lage, Physiognomie und Gliederung der Insel. TerrainverhältnisM dea Exkursiuns-
gebiets. Petrographische Verhältniase. Zurückgehen der Oletscher. Vegetationsbild.
Fauna: der Seeelefaut, der äeeleopard; Finche, Pinguine, Sturmvögel, Seeschwalben,
KomonuM, EiitMi; LuidTOCol, Singvosel; di« niedere Tierir«lt Vermutete Verwandt'
aclwll der Flora and F«ina von Sttd-Qeor|^en mit derjenigen der FelUende-Ineeln.
Die Insel Sfld-Georgien liegt zwischen dem 54 und 55.*^ s. Br.
und erstreckt sich in leicht gekrOmmtem Bogen von SO. nach NW.
zwischen dem 36. und 38. L&ngengrad westlich von Greenwicfa gleich
einem schmalen Wall, der unvermittelt aus dem Ocean aufsteigt.
Das in seinen höchsten Erhebungen mit ewigein Schnee und Eis
bedeckte Gebirge macht den Kiiulnick eines mit seinen Gipfeln ülier
das Meeresniveau hervorragenden unterseeischen Kettengebirges, das
iu der Richtung von SO. nach NW. streicht.
Die Existenz eines solchen Gebirusziiges, durch welchen Süd-
Georgien und die Kalklands-Inseln mit dem südamerikanischen Kou-
tinent und Feuerland verbunden würden, ist zur Zeit noch nicht
konstatiert, da die zur Beweisführung nötige gröfsere Zahl von
Tiefseelotungen in dieser Gegend des Oceans fehlt; gleichwohl i>t
ein Schlufs auf diesen Zusammenhang durch das Vorkommen gleich-
artiger oder sehr nahe verwandter Formen der Tier- und Pflanzen-
welt an diesen weit von einander entfernten Punkten wohl berechtigt.
Inwieweit die geognostischen Verhältnisse einen Fmgerzeig in dieser
Richtung geben, l&fet sich nach den kurzen Notizen, welche mir im
Augenblick vorliegen, nicht beurteilen, doch scheinen sowohl die
Falklands-Inseln wie Feuerland den ftltesten geologischen Formationen
anzugehören.
Das Gebirge ist, soweit sich dies bei der Fahrt längs der Nord-
und Nordostküste konstatieren liefs, ein Kammgebirge, dessen scharfe,
vielgezackte Grate infolge ihres geognostischen Baues oft zerfallenem
Mauerwerk nicht unähnlich sind. Im Inneren der Insel, im südwest-
lichen Teil, wurden bei klarem Wetter von verschiedenen liergen in
der Nähe der Station aus allerdings auch einzelne scheinbar kuppeii-
f&rmige Berge gesehen ; doch ist es Icaum zweifelhaft, dafs sich auch
diese Formen bei einer Ansicht von verschiedenen Punkten als lang-
gezogene Grate darstellen werden.
Ueber die Höhe des Gebirges lassen sich exakte Angaben nach
Messungen nicht machen, doch dflrften die im Westen der Station
Digitized by Google
— 117 —
Dar ftadBtirst selten bei klarem Wetter gesehenen höchsten Erhebungen
gewüs die Hdhe von etwa 2000 m erreichen.
Das Gebirge steigt auf der Nordost- und Nordkfiste, soweit
dieselbe von der Station in der Royal-Bai zugänglich war, fast überall
ohne irgend welches breitere Vorland unmittelbar unter steilem
Winkel/ oft In senkrechten Abstürzen, von der See auf und macht
Im Verein mit grofsen Gletschern, deren Stirne von der See bespült
wird, ein Vordringen längs der Küste auf gröfsere Strecken un-
möglich.
Schmale Thaler mit schrorten Wänden werden von den lang-
frcdelmton Berggraten eingeschlossen; sie münden in grofser Zahl
an der Küste in den Buchten, während sie in ihrem oberen Verlauf
in Hochthäler übergehen, deren Gletscher im Verein mit anderen
Schwierigkeiten das Exkursionsgebiet nach dem Innern der Insel
beschranken. Wilde Gebirgsbache durchziehen, hier durch eine Fels-
spalte eingeengt, dort in vielverzweigtem Laufe, die Sohle der
Thftler und führen, nie versiegend, das Schmelzwasser des Schnees
der See zu. In breiteren Thillem bewegen sich die imposanten Ets-
massen grofser Gletscher, deren oft Über 100 m hohe, wild zer-
klüftete Stirnen von der See umbrandet werden.*
Die Küste der Insel ist durch eine grofse Anzahl fjordartiger
Buchten eingeschnitten, die besonders an dem Nordende von beiden
Seiten so tief in das Innere vordringen, dafs sie nur noch ein
schmaler Streifen Landes trennt.
"Nach diesen Bemerkungen über Lage, Physiognomie und Glie-
derung der Insel will ich die TerrainverhAltnisse des
Exkursionsgebietes selbst kurz beschreiben.
Die Royal-Bai, in welcher die Station auf 54® 31' s. Br. und
36^ 5' w. L. Gr. errichtet war, liegt auf der Nordostseite der Insel
nahe dem Sfldende derselben; ihre im ganzen Verlauf von NO. nach
SW. ziemlich glelchbldbende Breite betrftgt etwa 7 km bei einer
Lange von etwa 15 km.^)
Das Sadufer der Bai wird durch einen zackigen Gebirgszug
gebildet, dessen Ostspitze den Namen Kap Charlotte führt und der
sich, vielfach gegliedert, nach dem Innern der Insel fortsetzt, wo
auf der Südwestseite der Bai ein jäh abfallender, hoher Gebirgs-
kamui sich bis zum Westufer der Insel hinzieht.
Auf dieser Seite der Roynl-Bai münden zwei Tliäler an der
Kflste aus, von welchen das eine, etwa in der Mitte des Gebirgs-
1) Uuk vdig^eiche hierbei Talel 3: Skizie der Bojal-Bacht in Heft I.
11. Jalugug der von dem hydrographischen Amte der K. Admiralität hennie-
gigebeneo ,Aniuileii der Hydrographie''.
Digitized by Google
— 118 —
zuges geloiieiio. einen grolseii Glelscher dem Meere zuführt ; das
andere ist ein Ilochthal, vom iStrand ixm durch tief eiiigcächDilt^ue
Bachlanfe erreichbar.
Der Strand erreicht liier nur an einigen Stellen eine Breite
von über 6 ni. Seine Entstehung ist jedenfalls nur auf die von den
steil (bis zu 60*^) abfallenden Bergen sicli ablösenden Schuttmassen
zurQckzufübren, und ist das grobe GeröUe des Strandes mit wirr
durcheinander liegenden grofsen Felsblöcken bedeckt. Senkrecht zur
See abfallende Felswände, welche nur auf grofeen Umwegen um-
gangen werden können, machen den Strand auch hier auf gröfsere
Strecke unpassirbar und erschweren eine systematische Untersuchung
des Oberall die schönsten Auftchlttsse bietenden Gebirges in hohem
Grade.
In der Nahe des (jletschors befinden sich in einer Felswand
drei gröfsere Höhlen, deren Eingang noch innerhalb der Fintgrenze
liegt. Bei einer derselben betrügt die Höhe des Eingangs etwa 8
ihre Tiefe etwa 25 in; die Wäude sind oben mit einer lü cm dickeu
Kalkspatschicht überzogen.
Die Südwestecke der Bai wird durch einen jener imposanten
Gletscher eingenommen, deren Firngebiet sich im Hochgebirge aus-
breitet und deren unteres Ende die See erreicht Die Breite der
durch unzählige Spalten zerklüfteten und in einer senkrechten Wand
von etwa 150 m Höhe abfallenden Gletscberstime beträgt nahezu 2 km.
Das Thal, in welchem sich der Gletscher bewegt, wird im
SW. durch den oben erwähnten schroffen Gebirgskamm begi'enzt und
verläuft in der Richtung von SO. nach NW.; es dürfte sehr wahr-
scheinlich sein, dals dieses Thal, welches fast in seiner ganzen Aus-
dehnung von den Eismassen des Gletschers erfOllt ist, die Ostkflste
der Insel mit der Westküste verbindet. Da wo dasselbe in die Royal-
Bai einmündet, verbreitert es sich, ohne in seiner ganzen Ausdehnung
jetzt noch von dem (iletscher eingenonmien zu werden.
Im Westen der Bai fehlt ein Strand überhaupt, und erhebt sich
hier ein Gebirgszug bis zu einer Höhe von etwa 500 m mit einer
Abdachung von 35 — 40°, während im NW. ein nahezu km
langes Thal die Möglichkeit bietet, eine Reihe westwärts liegender
Berge, sowie einige nach der Nordküste, nach Little-Hafen, ver-
laufende ThRler zu erreichen.
Auf dem Nordufer wiederholen sich, soweit dasselbe von einem
von 0. nach W. sich hinziehenden Bergrücken begrenzt wird, die-
selben Verhältnisse wie auf dem Südufer. An diesen Höhenzug
schliefst sich ein etwa 100 m hohes Hochplateau an, welches nach
0. sanft abfallend in eine schmale etwa ö km lange Landzunge
Digitized by Google
— 119 —
verläuft; von dieser ist durch einen klippenreichen Kanal eine kleine
Insel getrennt. Auf der Südseite des Hochplateaus wird der flache
Strand breiter und bildet an der Stelle, wo die Station errichtet,
war, mehrere Terrassen, während das Plateau auf der Ost- und Noid-
seite in senkrechten WAnden zur See abfallt, deren Wellen üich hier
au den zahlreichen Klipi)eii brechen.
Ueber die geologisclie lieschatlenheit sowie über die l^'lora
der Insel war aufser den kurzen Bemerkungen von Cook') und
Weddell'^), von welchen insbesondere der Erstere von einem sehr
eisenreicbeu Gestein, sowie dem Vorkommen des Tonssock-(irases und
einer der wil len Biberuelle ahnlicheu Pilanze berichtet, bis jetzt
kaum eine Nachricht zu uns gedrungen, während wir Uber die Fauna,
welche mehr praktisches Interesse bot und den Hauptanziehungs-
punkt fi&r die Robbenschläger bildete, besser unterrichtet ge-
wesen sind.
Die petrographischen Verhältnisse des Exkursions-
gebiets durften, soweit sich das gesammelte Material bis jetzt über-
sehen lüfst, ziendich einfacher Natur sein. Ks sind ausschlierslich
Sedimentilrgesteine, und zwar versciiiedene Varietilten von Thon-
schiefer («jujirzreiciieie und (luarzilrniere), welche in wechselnder
Mächli-^keit sicli an dem Aufbau (b s (lebirgcs beteiligen. Auf dem
Nordufer der Iloyal-Bai, in dem Gebirgsstock, der sich bis Littlc-
liateu längs der Nordküste hinzieht, ist ein lichtgrauer, von
mächtigen Quarzadern durclizogeuer Thonschiefer überwiegend,
dessen Verwitterungsprodukt, ein mehr oder weniger feinge-
schlemmter Thon, die Hänge des Gebirges, sowie das Hochplateau
bedeckt, wo es als wasserundurchlässige Schicht auf ebenem Terrain
Veranlassung zur Sumpfbildung giebt. Eine schwarze, sehr eisen-
reiche und ausgezeichnet schiefrige Varietät tritt nur untergeordnet
auf. Nur an einigen Stellen regelmäfsig zeigen die Schichten fast
durchaus in diesem Gebirgsstock starke Faltungen und bis ins
kleinste gehende Faltelungen, die wahrscheinlich rein lokaler Natur,
in ihrem Verlauf auf weite Strecken verfolgbar sind.
Der unu'leiche Widerstand, welchen die verschiedenen Thon-
schiefervarietnten dem EinHuls der AtniosphiUilien und dem Wasser
entgegensetzen, steht wohl in erster Linie in genetischer Beziehung
zu der für das Nordufer der Iloyal-Bai, sowie auch für die Nord-
küste der Insel überhaupt, soweit sie von der Station aus zugänglich
war, charakteristischen Erscheinung der zahlreich, besonders am Rande
*) Cook, Toyage round the world S. 187.
^ J. WeddeU, Toyage towacds fhe South Pole S. 60.
Digitized by Google
— 120 —
des Hochplateaus in die See Torspringenden Felsen, welche gleich
dicken, hohen Mauern, von SO. nach NW. streichend, eine grofise
Zahl kleinerer Einbuchtungen begrenzen. Sie bestehen fikst immer
aus einem Thonschiefer, der so mannigfache Faltungen zeigt, dafs
es unmöglich ist, ein klares Bild von dem Verlauf der letzteren zu
bekommen. Mit Zunahme dieser Faltungen nimmt auch der Quarz
zu, der denselben zuletzt in breiten Adern folgt. Auch die so
häutig am Strand und über die Klippen hprvorrugeiuleii isolierten,
öäulenartigen Felsen bestehen aus demselbeu quarzreichen Schiefer.
Die Fläujre, welche diese kleinen Einbuchtungen nach rückwärts
begränzen, lassen, soweit dieselben aufgeschlossen sind, iiiinier ein
sehr leicbt verwitterndes Gestein erkennen, das regehnäfsig ge-
schichtet und ausgezeichnet schiefrig immer frei von Quarzadern ist.
Die leichte Yerwitterbarkeit des schwarzen Thonschiefers zeigt sich
besonders an solchen Orten, wo durch die Brandung oder, wie im
Gebirge, nur durch Witterun gseinflufs, grottenartige Vertiefungen
und Hiyhlen in dem Anstehenden erzeugt wurden, deren Wände mit
den pr&chUgsten Kalkspatdrnsen und Eisensalzen Aberzogen sind.
Die Schichtenfaltungen, welche den Eindruck hervorrufen, als
ob sie durch einen in der Richtung von NO. nach SW. wirkenden
Druck erzeugt seien, durften wohl einem Versuch zur Erklärung
ihrer Entstehung grofse Schwierigkeiten bereiten.
In völlig anderer Weise gestalten sich die petrographischen
und architektonischen Verhältnisse in dem vom Kap Charlotte nach
dem Inneren der Insel auf der Südseite der Royal-Bai verlaufenden
Gebirgszug. Die Küste zieht sich hier in einer fast ununterbrochenen
Linie von OSO. nach W., da die Berge nur selten über den
Strand vorspringen. Auch dieser (iebirgsstotk baut sich aus
mehreren Thonschiefervarietuten auf, welche aber verschieden von
denen des Nordufers der Bai sind; eine grünlich graue, von grofser
Zähigkeit, ist in Schichten bis zu 1 m Mächtigkeit, abwechselnd mit
einer schwarzen, deren Mächtigkeit zwischen 1 und 30 cm beträgt,
gelagert; auch fehlen breite Quarzadem nicht.
Interessant ist hier das Vorkommen eines Gesteines, welches
Graphitschiefer nicht unähnlich ist; das brOckliche, tiefechwarze,
glänzende Verwitterungsprodukt, welches massenhaft an den Schutt-
halden liegt, gleicht in seinem Aussehen Kohlengrus, doch bedarf
diese Gtesteinsprobe noch einer näheren Untersuchung.
Die Schiclileu sind in diesem Gebirgsstock mehr oder weniger
nach NO. aufgerichtet; Faltungen derselben, wie auf dem Nordufer,
konnten auf dem Exkursionsgebiet nicht beobachtet werden.
Auch im Inneren der Insel, westlich der ßoyai-Bai, dürfte, so-
Digitized by Google
— 121 —
weit dies nicht durch an Ort und Stelle entnommene Handstücke
direkt bestätigt wird, die geognostische Beschaffenheit des Gebirges
nicht abweichend von derjenigen der Umgebung der Royal-Bai sein.
Die Form der Berge bietet im allgemeinen keine Verschiedenheit
von denen, welche direkt untersucht werden konnten; vielfoch tritt
auch eine regelmA&ige Schichtung mit ihren LagernngsTerhftItnissen,
die sich übereinstimmend mit denen der nächsten Umgebung zeigen
(die gleiche Fallrichtung nach SW.), deutlich sichtbar hervor.
Aufserdem lassen die in den Eisblöcken, welche von dem grofsen
Gletscher im SW. der Bai al)brachen und in die Nähe der Station
getrieben wurden, sowie einzelne der Mittclniorflne desselben Glet-
schers entnommene Gesteinsfragmente l)is zu einem gewissen Grade
eine Schlufsfolgerung auf den geognostischen Charakter des Gebirges
im Inneren zu: niemals wurden andere Gresteinsarten als auf dem
£xkursionsgebiet gefunden.
Mineralien, Erze, wurden mit Ausnahme des als Verwitterungs-
Produkt auftretenden Kalkspates und schöner, grofser Schwefelkies-
krystaUe nicht gefunden. Obwohl gerade in der Formation, welcher
das Gebirge wahrscheinlich zuzuteilen ist, Erze h&tten erwartet
werden dflrta.
Der vollständige Mangel an Petrefaicten in den Thonschiefem,
welche oft und an den verschiedensten Lokalitäten einer eingehenden
Untersuchung unterworfen wurden, sowie der i)elrograplnsclie
Charakter lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dafs das Gebirgs-
land der Insel einer der ältesten geologischen Eormationen, dem
Urt honschiefer, zuzurechnen ist. Jüngere Ablagerungen sowie
Ge>t(Mne (Basalte u. A.\ welche auf vulkanische Eruptionen in
jüngeren Perioden, etwa in der Terti&rzeit hinweisen, sind nicht
vorhanden.
Klutschai(^) bemerkt in einem Aufsatz über Süd -Georgien:
«Huren Höhenverhältnissen nach ist die Insel ein Gebirgsland von
4—6000 Fufs Hdhe, eine Reihe einst machtiger, jetzt toter
Vulkane, die nur noch in den spitzen Kegelformen und den
groben Lavabetten ihre einstige Th&tigkeit bekunden." Hiemach
mflisten überalt, in dem ganzen Gebirgszug, der die Insel bildet,
diese erloschenen Vulkane, deren Vorhandensein die Hebung der
Insel in früheren geologischen Perioden leicht erklären würde, an-
zutreffen sein; dies ist aber nicht der Fall. Schon oben wurde
erwähnt, dafs allerdings westlich und nordwestlich der Uoyal-Bai,
sowie in der Kichtung nach Cumberlaud-Bai, im Inneren der Insel
*) Deutsche Rnndachaa für Oeog^ftphie und Stativtik. UL Jahrgvig.
U. Heft. S. aä7.
Digitized by Google
— 122 —
einzelne scheinbar kegeltöruiiye Berge sichlbur gewe^^eu sind, die
sich aber teilweise bei einer Ansicht von verschiedenen Seiten in
langgedehnte Grate autiösten und nur aus deutlich fjeschichtetem
Gestein sich aufbfiuten. Auf der der Küste zugeweudeten iSeite Jäh
abfallend machen diese gleichsam nur im Querschnitt sichtbaren
Berggrate oft den Eindruck von spitzen Kegeln, es dürfte aber
keiner von diesen als erloschener Vulkan anzusehen sein. Lava-
betten waren auf dem fixkursionsgebiet der Station nirgends anzu-
treffen. Es ist natürlich liicht ausgeschlossen, dafs in anderen
Gegenden der Insel Anzeichen einer firüheren vulkanischen Thltig-
keit sich vorfinden, doch müssen dieselben für die ITnijzebnnir der
Uoyal-ljiii entschieden in Abrede f^estellt werden, l'-rwilhnt uiiv^
übrigens Irier werden, dals J. Wedtlell,'') uaclidcni er in der
Adventure-Bai (am Westende der Insel) vor Anker geganj^en, auf
einem der nAchstt^^elegenen Berge mit künstlichom Quecksilber-
Horizont Beoltat lituiigen anzustellen versuchte, jedoch durch die
fortwährend zitternde Bewegung des Quecksilbers bei vülliij stiller
Luft (wie er wenigstens angieht) daran verhindert wurde.
Das Hochgel)irge der Insel ist völlig vergletschert und sendet
jene imposanten Eismassen zur See, welche mit ihren senkrecht
abfallenden und zerklüfteten Wänden den eigenartigen Charakter
der Landschaft bedingen. Auch die der Küste zunächst liegenden
Berge bis zu etwa 800 m üöhe, welche im Sommer völlig von
Schnee entblöfst sind, werden an einzelnen Stellen, die entweder auf
der der Hauptwindrichtung (W) abgewendeten Seite oder an den
weniger insolierten Südhängen liegen, von kleinereu Gletschern bedeckt.
Von grofsem Interesse ist nun die Thatsache, dafs fast sämt-
liche von der Station erreichbare Gletscher im Rückgang heg ritten
sind. Jene mächtigen im SW. der Royal- Bai einmündenden Eis-
massen müssen frilher an ihrem unteren Ende eine viel gnifsero
Breitenausdehuuug gehabt haben. In einer Entfermmg von etwa
200 m vou der jetzt vorlKuidenen linken Seiteninoräne des Gletschers
zieht sich vom Strande des hier sich erweiternden Thaies ein 3 bis
4 m liolier Steinwall von 0. nach W., indem er am Westende nach
dem in seinem oberen Verlauf das ganze Thal ausfüllenden Gletscher
umbiegt. Dieser Wall, meist aus scharfkantigen Gesteinstrümmern
autgebaut, ist auf seiner Nordseite scharf begrenzt, verflacht sich
aber allm&hlich auf der dem Gletscher zugewendeten Seite; die den
Boden bedeckenden Felsentrümmer werden spärlicher und ist in der
Nahe des Gletschers der Grund nur noch mit feinem Thonschlamm
bedeckt. Es wird sich kaum eiu Einwand dagegen erheben lassen,
^} ». a. 0.
123 —
diesen Steinwall als eine alte Seitennioräne des Gletschers zu
betrachten. Das Zurückgehen mufs aber nicht allinälilich statt-
gefuDdea haben, sondern plötzlich: im ersterea Fall müfste eine
grdlsere Anzahl von Moränen, welche die jeweilige Grenze des
allmählich zurückgehenden Gletschers markieren würden, • nachzu-
weisra sein, wie dies bei einem kleinen Gletscher auf der Ostseite
eines Berges in der Nfthe der Station der Fall ist Hier zeigen
sechs alte Endmorftnen die frühere Ausdehnung der Eismassen an,
die zur Zeit die Thalsohle nicht mehr erreichen. Auch ein dritter
Gletscher, welcher sich in einem Hochthale bewegt und in eines der
nacli dem Little-Hafen sich öffnenden Thäler einmündet, ohne bis
zur See vorzudringen, läl'st in seinen alten Endmoränen ein Zurück-
gehen konstatieren. In ähnlicher Weise Iflfst sich auch bei ver-
schiedenen anderen Gletschern ein liückgang nachweisen.
£ine eigentümliche Erscheinung, für welche eine Erklärung
schwer zu geben sein dürfte, die aber möglicherweise auch mit dem
Zurückgehen der Gletscher in Verbindung steht, mag hier Er-
wAhnong finden. Auf der Westseite des Hochplateaus öffnet sich
ein Thal, in dessen Hintergrund jener oben erwähnte Berg mit dem
kleinen Gletscher sich befindet. Der Ausgang dieses von Westen
nach Osten verlaufenden Thaies ist dnrch einen hohen, ans eckigen
und kantigen grofsen Gesteinstrflmmem aufgebauten Damm ab-
geschlossen, der einer Morftne völlig gleicht. Wollte man nun an-
nehmen, dal's dieses lange Thal früher durch einen Gletscher aus-
gefüllt gewesen sei, so mülsten ganz gewaltige Kismassen plötzlich
verschwunden sein, ohne eine Spur ihrer Existenz in der Thalsohle
zurückzulassen. Und gleichwohl bietet die Anhäufung dieser scliarf-
kantigen Felstrümmer auf anderem Wege als durch einen Gletscher
unüberwindliche Schwierigkeiten. Gletscherschlitfe lassen sich an
den wenigen über die Thalsohle hervorragenden Felsen nicht mit
Sicherheit nachweisen; der fast völlig vegetationslose Boden selbst
ist mehrere Centimeter hoch mit feinem Thon und haselnufsgrolsen
Gesteinsfragmenten bedeckt.
Die Flora von Süd-Georgien ist in hohem Grade einförmig
und viel ftrmer als die der nahe gelegenen Falklands-Inseln, welche
etwa 150 Gef&fspflanzen aufweist. Unter den etwa 50 Arten von
Landpflanzen sind die Laubmoose mit etwa 20 Arten überwiegend,
während die BlütenpHanzen nur mit 12 Arten, darunter 4 Arten
Graser, vertreten sind. Die vollige IJaundosigkeit der Insel erhobt
in hohem Grade die Monotonie der Landschaft, welcher ein dichter
Hasen von Dactylis fcaespitosa), dem Tous^ockgras, jliinlich wie auf
den Jb'alklaudö-laäelu, den Charaktei' verleiht. Dslh Graö bildet biä
Digitized by Google
124 —
zu 1''2 in hohe Garben von ^iedran;j;tt'iii, scliiltiUinlichem Wuchs,
welches auf kleinen von einander völlig getrennten Hügeln von
etwa 50 bis 60 cm Höhe und wechselndem Durchmesser wächst.
Aeufserlich durch die steifen und infolge ihres anatomischen Baues
in hohem Grade gegen den YlmA widerstandsfähigen Bl&tter ver-
deckt, sind dieselben aus den vermoderten und vertorften BUttem
und Wurzeln der Pflanze erzengt. In den meisten Fallen wird ein
solcher Grashflgel nur von einer oder nur wenigen Pflanzen ge-
bildet worden sein. Verfolgt man nämlich eines der Bhizome
(Wurzeln), so findet man sehliefslich die auf einem derartigen Rasen-
hügel wachsenden Blatter verschiedenen Zweigen desselben Rhizonies
entsprossen.
Von den tibrigen Gräsern bildet nur eine Aira mit zarten,
saftig grünen Blättern an sumiJtiuen Standorten Rasen, wahrend
die übrigen, eine Festuca. welche in kleinen Büscheln an mehr
trockneren Standorten wachst, sowie ein Phleum immer nur ver-
einzelt angetroffen werden.
Zwischen dem Toussockgras bedeckt ein niedriger Strauch,
Acaena (ascendens), dessen am Boden liegende Zweige zwischen dem
Moos ein dichtes Fiechtwerk bilden und den stttrmischen Bewegungen
der Atmosphftre ausgiebigen Widerstand leisten, grOfeere Flächen.
Interessant und fttr die Verbreitung dieser Acaena, welche sich auch
in Süd -Amerika findet, wichtig ist eine Beobachtung, welche zu
wiederholten Malen gemacht wurde. Die reifen FrQchte dieser
Pflanze besitzen vier mit kleinen Widerhilkchen besetzte Stacheln,
womit sich dieselben, ähnlich wie die Kletten, an alle Gegenstände,
mit welchen sie in Berührung kommen, festhuften. Die Sturmvögel
(Procellaria gigantea) nun, welche am Lande sitzend vom Fluge
«ausruhen und mit der Acaena in Berührung kommen, sind im
Herbste auf der Brust oft völlig bedeckt von deren Früchten.
Wenn man einerseits erwägt, welche Mühe es unseren Haustieren,
den Ziegen und unserem Hunde, kostete, sich nur einigermaisen
von diesen lästigen Anhängen zu befreien, und andererseits die
Thatsache in Betracht zieht, dais die Sturmvögel weite Strecken
durchfliegen, so mufs jedenfalls die Möglichkeit einer Verbreitung
der Acaena durch die Sturmvögel zugestanden werden.
Mit Ausnahme einer Juncacee, welche die weitausgedehnten
Sflmpfe bedeckt, kommen die tibrigen Blfltenpflanzen, eine zweite
Art von Acaena (laevigata) mit kleinen glänzend grünen Blftttem,
ein Ranunculus, Sagina, Callitriche, weil meist klein und zwischen
Moos oder den Grashügeln, zwischen welchen sich viel Feuchtigkeit
ansammelt, wachsend, nicht zui' Geltung.
Digitized by Google
— 125 —
Die Blütezeit begann anfangs November, wo an geschützteren
Lagen des Hochplateaus zuerst Toiissockgras gefunden wurde; diesem
folgte dann Acacna (ascendens), bei welchem die Blütenentwickeluug
dea BlÄttem voraneilt, wahrend mit Ausnahme von zwei Gras-
arten (Aira und Phleum), welche erst im Februar blühten, sämt-
liche flbngen höheren Pflamsen meist schon Ende Februar die
FrQehte zu entwickeln begannen. Doch ist die Blütezeit sehr durch
Lage des Standortes und die Schneebedeckung des Bodens beeiu-
flnfet, so zwar, dab noch im M&rz, kurze Zeit bevor der Boden
wieder Yon grOfseren Sehneemassen bededct wurde, in einem höher
gelegenen Thale Acaeua (ascendens) noch mit jungen Blflten ge-
funden wurde.
Pflanzen mit lebhaft gefärbten Blüten, welche eine Abwechs-
lung in die Färbung des Landschaftsbildes bringen würden, fehlen
fast vollständig. Die intensiv violett «gefärbten Blütenköpfchen von
Acaena (ascendens), deren Durchmesser 15 mm erreicht, sowie die
iu gleicher Weise aber schwächer gefärbten Ähren der verschie-
denen Grasarten, welche bei Dactylis massig entwickelt bis zu 30
auf einem Hügel stehen, kommen nicht zur Geltung; ebensowenig
natQrlich die kleinen unscheinbaren, zwischen dem moosähnlichen
Laub Tersteckten wei&en Bldtehen von Sagina. Nur die kleine
Ranuncnlacee entwickelt eine citronengelbe Blüte; doch findet man
die Pflanze meist nur sehr vereinzelt zwischen Moos. Allerdings
ums&nmt dieselbe an einigen Orten in grofser Menge, dicht gedrängt
die Rftnder kleiner Wasserläufe, doch blühten gerade diese vegetativ
sehr entwickelten l*flanzen in gleicher Weise wie die Callitriche niemals.
Und gleichwohl fehlt eine gewisse Nuancieruug in dem Vege-
tttionsbild nicht. Zunächst ist es eine tief orangegelbe Flechte,
eine Lecanora, welche, allgemein verbreitet, besonders am Strand
die Felsen vollständig überzieht und weithin siclitbar zwischen den
grünen Matten der Nordhänge ist Besonders aber im Frühjahr,
im November, wenn der Schnee iu den tieferen Regionen weg-
geschmolzen ist, und die Vegetation unter dem Einflufs <ler höher
steigenden Sonne wieder aufzuleben beginnt, färben sich die fahlen
Blätter des Toussockgrases, sowie die mannigfachsten Moosarten
mit ihren hellgrQnen in dichten Polstern weite Strecken des Bodens
bedeckenden Repräsentanten, welchen dunkler gefärbte den Platz
streitig machen, lebhafter und verliert die in ihren Firmen und
ihrer Gliederung grofsartige, iu ihren fiberwiegend grauen Tönen tote
Landschaft, bis zu einem gewissen Grade den trostlos öden und ein-
samen Charakter.
Die Vegetation, dringt nirgends tief in das Innere der iu^el
Digitized by Google
— 126 —
ein. Bis zu einer Höhe von liurchschnittlicli ni l)0(l(Mkt das
üia> von der Flutgrcaze die zur See abfallenden lläiiiie des Ge-
bir^'es und der nach dem Meere sich ötinenden kurzeu Thäler, deren
bohle nieist mit einer üppigen Moosdecke bekleidet ist. Jenseits
dieser Grenze tindeu sich nur vereinzelt kleine Moospolster in den
feuchten Felsspalten, wahrend eine Bariflechte, wahrscheinlich Usnea
melaxantha, je höher man an den Bergen »flehst der See aufsteigt,
um so dichter mit ihrem schwefelgelben bis zu 10 cm langem Laub
und ihren flachen, schwarzen Früchten die Felsen bedeckt und wahre
Flechtenwalder bildet Die Verbreitung der Vegetation ist durch
die Steilheit des Terrains und durch die durch dieselbe bedingte
Stabilität des Bodens, sowie dessen Feuchtigkeitsgrad, durch die
Krwarmnng des Bodens nach seiner Lage gegen die Sonne und die
Exposition gegen die vorherr>( heiule Windrichtung beeintlufst.
Auf dem Südufer der Iioyal-Bai erscheinen die östlichsten nach
Kaj) Charlotte alliniihiich abfallenden Berge, soweit sie noch inner-
halb der Vegetationsgrenze liegen, ununterbrochen von dem hoch-
wüchsigen TonssückLiras bedeckt, dessen gleirhinf\fsig dichter Rasen
nur selten von kleinen WasserliUifen, welche von Moosen begleitet
werden, unterbrochen wird. Acaena (ascendens), sowie die oben
erwähnten Griiser linden sich seltener vor. Westwärts ziehen sich
diese Matten in gleichbleibender Hohe bis in die Nähe des grofseii
Gletschers im Südwesten der Bai, wo die steilen Hange, deren
Schuttkegel sich sichtbar fortwahrend vergrOfsem, und die mit er-
höhter Kraft wirkenden Luftströmungen, welche durch das Thal, in
welchem der Gletscher sich bewegt, gepreCst werden, einer Pflanzen-
ansiedtuug ungünstig sind.
Jenseits des Gletschers, in der Thalerweiterung, in welcher
si<'h die grolse, alte Seitenmoiilne betiudet, sind es nur die terrassen-
lönnigen Westhange, welclu; wm dem Toussockgras bewachsen sind,
willirond der Nordhan- ein völlig vegetation>loses, odes Schuttfeld
zeigt. i)ie sumptige Thubohie ist mit Moos und der Juncacee spär-
lich bedeckt.
.Auch auf der Westseite der Bai können nur an wenigen Stellen
auf der Höhe der über den Strand vorspringenden Felswände, sowie
an lind unter Kelsen der steil von der See aufsteigenden Hänge
Pflanzen gedeihen.
Um so üppiger gestaltet sich das Pflanzenleben an den Kord-
hangen des unteren Teiles eines Thaies, welches sich im NW. nach
der Bai öffnet und dessen breiter, mit feinem Kies bedeckter Strand,
der glatt wie eine Tenne, einen wohlthuenden Kontrast zu dem mit
grobem GerOll und Felsblöcken bedeckten Strand der Nord- und
Digitized by Google
127 —
Südseite der Bai bildet. Saftige Matten von Toussockgras, Ix'lelit
durch einen Wa>serfall, der sich ans ewm' Hölie von etwa 3U) ni
beral>stiirzt, bedecken Ider das nackte Gestein der luirdlichen Thal-
wand und die höher gelegenen Teile der Thalsohle, welche im
ilbrigen durch einen Hach mit seinen unz&hligen Ziitiassen snmpfig
von zahlreichen Moosarten Aberzogen ist, zwischen denen sich auf
weite Flächen die Acaena (ascendens) mit ihren dicht verflochtenen
Zweigen ausbreitet In zahlreichen Bodenvertiefungen sammelt sich
Wasser an und bilden diese kleinen Tümpel eine wahre Fundgrube
von Sflfswasseralgen, Spirogyra u. A. und Wassertieren. Auch sonst
hat sich gerade dieses Thal als Fundort einer der drei gesammelten
Arten von Farnkräutern, von welchen eine Hymenophyllnmart
sich in ^^roisen Mengen findet, als sehr dankbares Exkuisionsziel
erwiesen.
In schroffem Gegensatz zu diesem das Auge einigermafsen
befriedigenden Vegetationsbilde stellen die kalden, öden Schnttfelder
dp< Berg<;rates, welcher dieses Tlial nacli Norden und Nordost
begrenzt und erst in der Nahe der Station, da wo das Hochplateau
terrassenförmig ansteigt, endigt. Hohe Schneeweben, welche sich auf
den dem West- und Südwestwind ausgesetzten Hängen des Grates
ansammeln, und, nur wenige Stunden des Tages von der Sonne
direkt beschienen, erst spät im Sommer wegschmelzen, sowie die
geringe Elrwftrmung des Bodens lassen eine Vegetation überhaupt
nicht, oder höchstens an kleinen Wasserrinnen nur etwas Moos und
Flechten aufkommen.
Erst die wenig geneigten Hange des Hochplateaus zeigen, nnd
zwar sowohl auf der Süd- wie auf der Nordseite, wieder einen
üppigen Hasen von Toussockgras, der aber in Folge des terrasscn-
förniigeti Anstieges öfter durch sumpfige, mit der Jiincacee und
Moo 1 11 {«'(leckte Kh'lcbt'U unterl»rochen wird; diese erzeugten in der
tiugebung der Station eine 20—30 cm n»i\chtige Torfscbicht.
Der Unterschied in (U>r Verbreitung und insbesondere im
Wachstuni der Vegetation, je nach der Exposition gegen die Sonne,
tritt bestmders am Hochplateau und dem an letzteres sich an-
schiiefäeuden Gebirgszug hervor. Sind zwar im übrigen die
Bedingungen für das volle Gedeihen des Toussockgrases, Hftnge,
deren Böschungswinkel so grofs ist, dafs das in den Thonboden nicht
tief eindringende Wasser leicht abfliefsen kann und die Grashügel
nicht allzusehr durchfeuchtet, sowie die Nflhe der See sowohl auf
der Süll- wie auf der Nordseite vorhanden, so fehlt doch, wie oben
erwilhnt, auf den Südhftngen die Vegetation fast voUstftndig, während
auf den Nonlhängen, iusbeson«lere in den nach der Nordküste (nach
Digitized by Google
— 128 —
Litüe-Hafen) sich dfinenden Th&lern, das Toussockgras die Tludw&nde
▼ollständig im üppigsten Wüchse bekleidet und eine Lftnge erreicht,
welche die des Grases auf dem Südhang des Hochplateaus noch
übertrifft; während es hier höchstens 1 ni hoch wird, zeigen dort
die schilfähnlichen Blätter desselben in der Regel eine Länge von IV2 m.
Auch die übrigen Blütenpflanzen, speciell die Aeaena (ascendeusj,
gedeiht auf den Nordhängen viel ü])piger als auf den Südhäugen.
Über den Rand des Hochplateaus breitet sich das Toussock-
•^ras nur in einem schmalen Streifen aus. An diesen schliefst sich
sumphges Terrain an, welches eine dichte Moosdecke trägt, zwischen
welcher die Juncacee (vielleicht Kostkovia) in grofsen Mengen sich
findet. Hier wurde auch ein kleiner Hutpilz zwischen dem Moos
gefunden. Jenseits dieses Sumpflandes folgen weitausgedehnte, mit
einer oft fuHsdicken, dichtverfihsten Moosdecke bekleidete tundren-
fthnliche Flachen, welche an vielen Stellen in eigentAmlicher Weise
blasenartig aufgetrieben sind. Hier ist der Ftmdort einer grofsen (bis
SU 20 cm) Laubfleehtenart (Sticta), welche nut ihrem Unterseite
hellgelben, oberseits blafsgrünen Laube in grofsen Mengen das Moos
bedeckt, sowie anderer Flechtenarten (Cladonien). Das Toussockgras
fehlt /war hier nicht vollständig; doch ist es immer klein und
kümmerlich entwickelt.
In den am höchsten j^elegeuen Teilen trocknet das Hochplateau
während des Sommers an der Oberääche völlig aus, und findet man
nur in den vielen Kissen des thonigen Bodens etwas Moos und die
Juncacee.
Um das Bild, welches ich von der Vegetation Süd-Georgiens
zu gehen versucht habe, zu vervollständigen, mufs ich noch einige
Repräsentanten der in zahhreichen Arten sidi vorfindenden Meeres-
flora, die zum Charakter des Bildes wesentlich beitragen, erwähnen.
Der für den antarktischen Ocean charakteristische Riesentang
(Macrocystis) umsäumt auch hier in breitem (xflrtel die Kflste. Diese
mächtige, hochdifferenzierte Alge wurzelt in einer Tiefe, die niemals
Ober 20 m beträgt, auf dem felsigen Meeresgrund mit einem bis zu
m breiten, dicht verzweigten Wurzelstock, aus dem die schwachen
Stämme in gröfserer Anzahl sich bis an die Obertiache der See
erheben und hier in einer Länge von — öO m durch ihre mit
Schwimmblasen versehenen Blätter, welche bis zu VU m lan^
werden, auf der Oberfläche flottieren und aiuli stärkerer Brandung
Trotz bieten. Heltigeren Stürnien jedoch, wekiie sie weitab von
Land auf die hohe ISee treiben, vermögen sie nicht völlig zu.
widerstehen und werden dann, zu unentwirrbaren Knäueln ver-
schlungen, in grofsen Mengen^i^jm den Strand ausgeworfen.
Digitized by Google
— 129 —
An seichteren Stellen wächst auf den Klippen ein zweiter
Riesentang, die D'Urvillea, mit ihrem dicken, im Innern wabenartigen
Stamm, der oft eine Liinjje von 5 — 6 m erreicht; diesem gesellen
sich noch andere lederartifj^e, breite Laminarien zu.
In der Fan na von Süd-Georgien sind die Vogel dominierend;
von Sängetieren wurden nur zwei ßobbenarton, die Rüsselrobbe oder
der Seeelefant (Macrorhinus proboscideu<) und der Seeleopard (Phoca
Weddellii?) augetroffen, welche znr Zeit der Wiederentdeckung der
Insel durch Cook und bei dem späteren Besuch derselben durch
Weddell in grofsen Schaaren den Strand bevölkerten. Durch die
KachBtelInngen der Bobbenschläger hat ihre Zahl bedeutend abge-
nommen. Zahlreiche Oberreste, vollständige Skelette, Schädel-
knochen u. A. zwischen und unter dem Gras sind die Zeugen von
dem Vernichtungskrieg, welcher seit Jahren gegen die wehrlosen
Tiere ^^etührt wurde.
Die Pelzrobbe, welche nach übereinstimmenden Nachrichten
früher ziemlich zahlreich auf Süd-Georgien gewesen sein soll, dürfte
wohl fast vollständig ausgerottet sein.
Alte männliche Tiere des Seeelefanten, welcher seinen Namen
der stark entwickelten Nase verdankt, die besonders dann zu einem
knrzen Rüssel verlängert wird, wenn das Tier erregt ist, erreichen
die ansehnliche Lange von über 5 m. Das kiu/.haai ige Fell ist auf
dem Rücken meist liehtbrauu gefärbt, auf der Bauchseite etwas
heller, doch sahen wir auch einzelne Tiere von löwengelber Farbe.
Die Sperklage unter der Haut liefert einen sehr guten, helleu Thran
nnd ist auf dein Kücken oft über 20 cni stark. In Folge dieses
Fettgehaltes zittert der Körper des Tieres, wenn es sich schwer-
fällig mittelst der Vorderflossen, welche tiach aufgesetzt werden, auf
dem Boden fortbewegt, wie ein Gallertklumpen.
Behaglich und sorglos liegen die Tiere am Strande nnd
zwischen dem Grase schlafend auf der Seite, die Hinterwössen aus-
•,'o>treckt und znsanmiengelegt, die Yorderttossen an den Leib ange-
drückt, wenn sie nicht eben das Bedürfnis füliU n, sich das Fell zu
scheuern, wobei die VorderHosse in der drolligsten Weise nach den
verschiedenen Körperteilen geführt wird, und lassen sich bei einer
Annäherung kaum in ihrer Kuhe stören. Krst d:...n, wenn sie
gereizt und angegriften werden, erheben sie sich, uen Hachen mit
den spitzen Eckzähnen weit aufgesperrt nnd knurrende Töne aus-
stofsend, die Nase stark aufgeblasen, auf den Vorderflossen. Die
Schwerfälligkeit ihrer Bewegungen v(>rh Inder t sie an einem Angriff;
meist bleiben sie lange Zeit auf derselben Stelle liegen, nach allen
Oeogr. Mittar. Bn]d«b, UM. 9
Digitized by Go ^»^.^
— 130 —
Richtungen sich drehend und wendend, und rutschen erst nach
langein Besinnen bedächtig der See zu.
Während wir sonst die Tiere nur selten in grOfserer Zahl am
Strande schlafend fanden, hatten wir im Dezember in der Nfthe des
grodsen Gletschers im SW. der Bai das interessante Schauspiel einer
Heerde von zehn StQck Seeelefanten, die zum grdfsten Teil aus
Männchen bestand. Es waren, mit Ausnahme eines einzigen alten
Männchens, jüngere Tiere, vielleicht ein- bis zweijährige, von durch-
schnittlich 2 ni Länge, die eben im Haarwechsel begriffen waren.
Die Lebhiiftigkt'it, iiiiL welcher die Tiere nmherrutschten, das
interessante Spiel der Milnnchon mit den Weibihen, sowie weitere
Beobachtungen niaditen es wahrscheinlich, dal's der Paaruugstrieb
die Tiere versammelt hatte.
Die Weibchen sind immer kleiner als die Milunchen, 2 — 3 m
lang; auch ist bei denselben die Nase nicht so stark entwickelt.
Häufiger als die RUsselrobbe wurde der Seeleopard angetroffen,
doch fanden wir niemals eine grölisere Anzahl dieser Tiere bei-
sammen; immer lagen dieselben nur vereinzelt am Strande oder
verfolgten, zwischen dem Riesentang sich tummelnd, neugierig
das Boot.
Bei einer Länge von etwas Aber 2 m ist der ROrper des
Tieres schlanker als beim Seeelefanten. Der Kopf ist klein,
der Hals lang; die Backenzähne des Kiefers tragen drei scharfe
Spitzen, von welchen die mittlere die seitlichen überragt. Das Fell
ist auf der Kückenseite grau gefleckt, aut der Uiiuchseite gelblich-
weifs. Das Haar ist weich, seideiiglanzend und steht dünn. Die
Specklage unter der Haut ist beim Seelcopardea zu jeder Jahreszeit
schwach und nur 5 — 6 cni hoch.
Am Lande bewegt sich das Tier ver]ialtiii>iiiiir^iLr rasch,
indem es die VorderÜossen mit den Rändern aufsetzt und den
Körper in schlangenartigen Bewegungen nachzieht. Angegriffen er-
heben sie den Vorderkörper, der lange Hals wird zurückgezogen,
während der weit aufgesperrte Rachen die spitzigen Zähne zeigt. Im
ttbrigen ist der Seeleopard ebenso wehrlos wie die Rflsselrobbe.
Die grofse Leber des Leoparden sowie die Zunge sind eisbar;
erstere giebt nach verschiedener Art zubereitet ein schmackhaftes
Gericht, während das Fleisch der Zunge immer weich und etwas
schleimig ist. Das grobfaserige tief dunkelrote Mnskelfleisch ist nur
nach längerem Liegen im Wasser und mit scharfen Gewürzen
geniefsbar, dürfte überliaupt aber wohl nur im Notfalle Lieb-
haber finden.
Die Hauptnahrung beider Kobbeuarten besteht in Fischen,
Digitized by Google
— 131 —
welche, wie ich gleich hier beinorkeu will, in inohreren Arten (viel-
leicht 3) die l^uchtea der Insel bevölkern. Um von dem Fischreichtuni
der Bai ein Bild zu geben, will ich eine Thatsache anführen, welche
denselben am besten illustrieren dürfte. Es war Ende Dezember bei
nebligem Wetter, nachdem es Yorber geregnet hatte, als wir unter-
halb der Station zwischen den Klippen innerhalb zwei Stunden mit
zwei Angeln mehr als 70 Bische von dturchschnittlich 30 em Länge
fingen, wfthrend an einer anderen Stelle mit demselben Erfolg,
geäugelt wmrde. Obwohl gegen Ende dieses Fischzugcs nur noch
ein winzig kleines Stückchen Köder (Speck) die Spitze der Angel
verbarg, drängten sich die l istlie doch förmlich uu den Speck heran.
Allerdings war die Ausheute später niemals mehr so bedeutend,
immerhin konnte aber während des Sommers, bis Ende März, bei
ruhiger See stets auf einen Erfolg beim Angeln gerechnet werden.
Sowohl gesotten als gebacken haben die Fische eine angenehme
Abwechslung in unseren Speisezettel gebracht.
Unter den Vögeln, welche das Exkursionsgebiet bevölkerten,
müssen zunächst diejenigen unterschieden werden, welche beständig
auf der Insel sich aufhalten, und diejenigen, welche nur w&hrend
des Sommera die südlich gelegene Insel aufsuchen, um dort dem
Bnttgeschäft obzuliegen.
Das grO&te Kontingent an Individuenzahl stellen zu den
ersteren die Pinguine, die überall zur Strandstaffage gehören.
Von dem Schopfpinguin (P^ndyptes chrysocoma) haben wir während
unseres Aufenthaltes nur zwei lebende Exemplare zu Gesicht be-
kommen, während von einem dritten die noch frischen Ueberreste,
besonders der wohlerhaltene Kopf auf dem Nordufer der Landzunge
gefunden wurde. Die beiden ersteren befanden sich allerdings eben
in der Mauser, doch war der goldgell)e Federl)us<'h zu beiden Seiten
des Hinterkopfes noch vorhanden und liefs im Verein mit dem rost-
braunen geraden und sehr starken Schnabel die Art sehr gut
erkennen.
Ebenso brüteten noch zwei Pärchen des Steinbrecherpinguins
(Aptenodytes demersa) an den steilen Klippen in der Nähe der
Station.
Dieses spärliche Vorkommen dieser beiden Pinguinarten auf
dem Ezkursionsgebiet giebt natürlich keinen Mafsstab für die Ver-
breitung dieser Vdgel auf der Insel überhaupt. Fanden wir doch
den Konigspinguin (Aptenodytes iiatagonicu) anfänglich innner nur
in einzelnen Exemplaren oder höchstens zwei Pärchen beisammen.
Erst gegen Ende unseres Aufenthaltes atif der Insel, im Juni, ent-
deckten wir sowohl im Littte-llaieu als auch auf dem Südufer der
9»
Digitized by Google
— 132
Royal-Bai gr()rs(M<' Kolonien mit jungen Tieren, von welchen die
letztere einige hundert Stück zahlte.
Leider entgingen uns auf diese Weise JBeobachtungen über
Nestbau und Brutzeit. Die jungen Tiere waren schon sehr heran-
gewachsen und sahen ungemein wohlgenährt aus. Das dunkelbraune
dichte Flaumkleid wird wahrscheinlich erst spät gewechselt. Noch
im September, nachdem die jungen Tiere der beiden anderen
Pinguinarten, welche auf dem Exkursionsgebiet bratet^, bereits zu '
Wasser gingen, trugen die jungen Königspinguine das Flaumkleid.
Die alten Thiere sind eine sehr stattliclie luscheinung. Der
auf den kurzen Hrincii aufrcclitstehende iviirper. welcher durch den
Schwanz gestützt wird, inilst ungefähr einen Meter; das Körper-
gewicht heträgt durch:)Chuittlicli 17 kg.
Auf der Brust seidenglänzend weifs sind die dicht übereinander
liegenden Federn, deren Schaft plattgedrückt ist, auf dem Rücken
und Hals schiefergrau. Die Seiten des grünschillernden Kopfes
zieren goldgelbe Federn, die sich bis an den Hals hinunterziehen.
Der spitze, im Oberkiefer leicht gekrümmte Schnabel zeigt am
Unterkiefer seitlich einen rötlich gefärbten Wulst, der nach vorne
von einem nitramarinblauen Streifen eingefafst ist.
Der (Jang ist ernst und gravitätisch; der Körper betiiidct sich
inf(dge der Kürze der Beine in fortwährend dreliender Bewegung,
wobei die rudimentären Flügel das Gleichgewicht herzustellen suchen.
Bei weitem possierlicher als der wild dreinblickende Steinbrecher
und der gravitätische Königspinguin ist der dem ersteren an Gröfse
(etwa 70 cm) gleichkommende Eselspinguin.
Sechs Kolonien auf dem Exkursionsgebiet, eine mit Tausenden
von Pinguinen besetzt, sowie der häufige Besuch dieser Tiere am
Strand unterhalb der Station gaben uns Gelegenheit das Treiben
dieser sonderbaren, dem Leben im ^Vasser auf das engste augepafsteu
Vügel in allen Situationen kennen zu h rnen.
In der Färbung des Gefieders auf der Unter- und Uüikenscite
weichen sie von den anderen Arten nicht ab; den Hinterkoi)f zieren
zwei weifse Flecken, welche sich nach oben vereinigen; der Schnabel
und die Fülse sind rotgelb bis gelb.
Anfangs Oktober waren die Pinguine fast immer nur am Strand
zu finden, wo sie dicht gedrängt teils stehend teils liegend, den
Kopf unter einem der Flügel gesteckt, der Ruhe nach reichlich ge-
nossener Mahlzeit pflegten. Bald wurden sie jedoch lebhafter und
suchten in langen Heihen über die Schne<']i:ing(* watschelud die
uUeii Brut])lätze auf dem lioch{)latt'au uitd den h«>her gelegeneu
Digitized by Google
— 133 —
Teilen der in die Bai einmündenden Thaler auf, deren mit Gras
bedeckter flacher Boden ihnen am meisten zuzusagen scheint
Eine Pfnguinkolonie bietet znr Zeit des Nestbaues sehr viel
Interessantes dar. Die Brutplatze sind meist vollständig rasiert, das
Gra> zum Nesthau abgerissen, so dafs überall zwischen den regellos
(lurrheinander liegenden Nestern der IJoden, der durch Re^en und
die I-.xkreniente der Tiere in einen übelriechenden Snm])f verwandelt
i^t. hervortritt. Die Nester sind kunstlos gebaut, einzelne mit Hc-
nutzung eines Grashügels, na<'li(bMn die Blatter abgerissen; andere
bestehen nur aus seichten Löchern, welche in den Boden getreten
und mit kleinen Steinchen und hauptsächlich Graswurzeln und Moos
umlegt sind, welche die Tiere mit dem Schnabel ausreifsen.
Beim Nestbau geht es ohne erbitterte Kämpfe nicht ab. Jede
Gelegenheit wird benutzt, um von unbewachten Nestern (gewöhnlich
sitzt der eine Ehegatte im Nest, während der andere Baumaterial
herbeischleppt) Moos und Gras ifür das eigene zu stehlen; mit
Flfigelschlägen und Schnabelhieben werden die Bäuber verfolgt,
welche ihre Diebereien nicht blofs auf die eigene Kolonie beschränken.
Ende Oktober fanden wir die ersten Eier, von welchen unter
gewöhnlichen Umständen nur zwei gelejjt werden ; nimmt man jedoch
dieselben weg, oder werden .sie durch die Raubmöven (Lcstris
antarctica) gestohlen, s<» k;mn (\n< Weibchen nochmals zwei Eier legen,
die dann aber immer kleiner smd. Die Eier variiren in der Grölse
sehr, von 7 -9 cm Lftngsdurchmesser. Das Eiweil's ist bläulich
schillernd, der Dotter rotgelb, die Schale sehr dick. Wenn der
Geschmack auch etwas rauh ist, so haben die Eier doch bei der
groüsen Menge, welche innerhalb kurzer Zeit ohne Mtthe gesammelt
werden kdnnen, eine grofse praktische Bedeutung.
Das Brutgeschäft, welches durchschnittlich sechs Wochen dauert,
'Wird von Männchen und Weibchen abwechselnd besorgt. Die Tiere
liegen dabei, wie andere Vögel, auf den Eiern und können nur mit
Gewalt vom Neste verdrängt werden. Das Benehmen derselben ist
dabei ein änfsert drolliges. Sie wehren sich blasend wie die Ganse
den Schnabel weit aufsperrend und nach der Hand hackend, welche
sich einen Eingritf erlauben will, indem sie sich nur wenijx dabei
erheben. Drängt man das Tier vom Neste weg, so entfernt es
sich schreiend eillL^en Schrittes, kehrt jedoch bald wieder, hüpft mit
beiden Füfsen zugleich in das Nest und macht ein dumm verwun-
dertes Gesicht, dasselbe leer zu finden; es späht nach allen Seiten
herum, sucht aufserhalb des Nestes, bis es schliel'slich zu der Ueber-
zengung kommt, dafs es beraubt ist. Der Pinguin erhebt dann den
Kopf, um in einem kläglichen, mifstönenden Geschrei seinem Schmerz
Digitized by Google
— 134 —
Luft zu machen. Man glaubt sich auf einen Gänseweideplatz ver-
setzt, wenn man das Schreien der beraubten Vögel hört.
Die Jungen werden mit grofeer Sorgfalt gebtttet und auf-
gefuttert; es ist ein immerwahrendes Gehen und Kommen von und
nach der See in den breit ausgetretenen Pfaden, um Futter herbei-
zuschaffeu. Die Alten füttern aus dem Kropf; das junge Tier
frifst aus dem Schnnbol der Alten.
Gegen das Hude der Brutperiode, anfangs Marz, sind die alten
Pinguine sehr stark abgemagert, sehen überhaupt bei der kur/e
Zeit nach dem Kederwechsel der mit grauem Flaume bekleideleu
jungen Tiere eintretenden Mauser ungemein erbärmlich aus. Ge-
wöbnlicb verlassen sie mit den Jungen um diese Zeit die Kolonie,
um an einem geschützten Ort, womöglich in der Nahe eines Baches,
den Federwechsel abzuwarten.
Auf dem Lande bewegen sich die Pinguine nur langsam und
schwerfilllig fort, so lange sie nicht angegriffen werden ; bei ruhiger
Annäherung bleiben sie stehen, betrachten den Ankommenden neu*
gierig und lassen sich wie eine Heerde Ganse stundenlang treiben.
Angegriffen jedoch verteidigen sie sich durch heftiges Schlagen mit
den Flögeln und ergreifen schlierslieh die Flucht, indem sie sich auf
den Bauch legen und mittelst der Flügel, welche sie wie beim
Schwimmen bewegen, und der Füfsc weitei rutschen. Die Schnellig-
keit ihrer Bewegungen ist besonders auf Schneetiächeu so grofs, dafs
der Verfolger sie kaum einholoii kann. Ich habe wiederholt die
Entfernung der Flüüclriiidrücke im Schnee gemcöseu und durch-
schnittlich 70 cm gefunden.
Ihr eigentliches Element ist das Wasser, dem der ganze
Körperbau und die glatte schuppenartige Befiederung angepafst ist
Geschickt benutzen sie, am Strande stehend, eine herankommende
Welle, um sich ins Wasser zu stürzen und pfeilschnell unter deir
Oberfläche dahinzuschiefsen, wobei sie nur die Flügel benutzen. Die
Schnelligkeit und die Kraft, mit welcher das Tier sich bewegt,
können sehr gut wahrgenommen werden, wenn man einen Pinguin
an eine lange Leine anbindet und denselben dann zu Wasser IftCst.
Der Stöfs, welchen man erhalt, wenn die Leine abgelaufen ist, ist
ein ziemlich bedeutender. In einiger Entfernung vom Land kommt
er wieder au die Obertiache, um Luft zu schnappen und dann in
gleicher Weise unter dem Wasser seinen W'eg fortzusetzen.
Tagsüber befinden sie sich zum weitaus grölsten Teil auf der
See, deren Fauna gefrafsigen Vögeln überreichliches Futter
bietet. Vor anbrechender Dunkelheit kehren sie zum Strande
zurück. Öfter sieht man Scharen von Pinguinen in kurzen Bdgen
Digitized by Google
— 136 —
aber das Wasser springend und wieder eiotauchend, dem Strande
zueilen. Wird die Aufmerksamkeit eines soldien Zuges durch irgend
einen Gegenstand, z. B. ein Boot, erregt, so bleibt die ganze Gesell-
sdiaft einen Augenbliek ruhig auf dem Wasser liegen, die Hälse
weit ausgestreckt, um sofort, wie auf Kommando, springend und
tauchend eine andere Richtung einzuschlagen. I>och scheinen diese
Ausflüge in gröfserer Gesellschaft nicht die Regel zu sein; gewöhn-
lich kehren sie vereinzelt odei lu kleinerer Anzahl gleichzeitig zu
ihrem Standort zurück. •
Ich mufs mir vei-sagen, noch Ausführlicheres über diese inter-
essanten Vögel zu berichten, deren ganze Erscheinung mehr an
Formen einer frülieren Schöpfungsperiode erinnert. Nur auf den
weitab vom menschlichen Verkehr gelegenen Inseln können sie sich
noch in solchen Scharen erhalten.
Von den sieben Sturmvogelarten, welche wir auf Süd-Georgien
beobachteten, besucht zunächst die Procellaria gigantea, der Riesen-
sturmvogel, auch während des Winters die Insel, um vom Fluge
auszuruhen. Wir fanden sie zu jeder Zeit in grofsen Mengen auf
dem Hochplateau und der Landzunge.
Die jungen, einjährigen Tiere sind dunkelbraun, ältere hell-
grau, während sehr alte Vögel fast völlig weifs sind ; in das dichte
weifse Gefieder sind nur einige schwarze Federn eingestreut.
Mit ihren schmalen Flügeln von 3 ni Spannweite kämpfen sie
als ausgezeichnete Flieger auch gegen heftigere Luftströmungen an,
während sie sich auf dem Lande sehr ungeschickt bewegen und,
um sich in die Luft zu erheben immer eines gröfseren Anlaufes
bedürfen, ein Umstand, durch welchen die Vögel am Lande leicht
überrascht werden können. Kaubgierig und gefräfsig sind dieselben
neben der Raubmöve die gröfeten Feinde der Pinguinkolonien, deren
unbewachte Junge sie wegschleppen. Einen ans Land gespülten
Kadaver, eue erlegte Robbe, scheinen sie weithin zu wittern,
und findet man die gierigen Tiere nach kurzer Zeit in Scharen
beim Schmaus so eifrig beschfiftigt, dafs sie sich kaum durch die
Annäherung eines Menschen, den sie sonst als Feind sehr gut kennen,
stören lassen. Ihre Frefsgier ist sehr grofs; ich habe öfter um den
Kadaver einer Robbe eine Anzahl Sturmvögel gesehen, welche
sich nach genossener Mahlzeit sofort wieder ihres Mageninhaltes
entleerten.
Die Brtitezeit Ix^ann anfangs November; das Nest, in welches
das eine grofse Ei gelegt wird, ist kunstlos und nur aus Moos und
Gras in ähnlicher Weise wie das der Pinguine gebaut. Gewöhnlich
brüten die Vögel in grOfserer Gesellschaft. Fast ausschliefslich
Digitized by Google
— 136 —
fanden wir sie nur auf dem Hochplateau und der Landzunf^e
zwischen dein Toussockgras, während sie in der N&he des Strandes
seltener brüteten. Anfangs April waren die Jungen flflgge. Eier
und Junge werden mit greiser Hartnftckigkeit verteidigt, wobei der
starke, vorne spitze und gekrümmte Schnabel als Waffe dient; man
mufs Gewalt anwenden, uro den Vogel vom Nest zu entfernen. Der
Ärger und die Aufregung erzeugen scheinbar bei dem Tiere immer
Brechreiz, denn knurrend und hapi)end speien sie gewöhnlich bei
fort.Lresetztem Angriff eine thranige übelriechende Flüssigkeit, meist
mit h;ilbverdautem Futter uutermischt, aus, die aber wohl kaum als
Warte dienen kann.
Die Kaptaube (Daption capeuse) zeigte sich auch wahrend des
\Vinters wiederholt in der Nahe des Landes: vielleicht brütete sie
auf der Insel, doch haben wir sie niemals aui dem Exkursiouä-
gebiet angetroffen.
Eine dritte Sturmvogelart nistete auf den Bergen in der Nahe
der See in schwer zugänglichen Felsspalten. Von der Gröfse einer
Taube mit schwarzem Schnabel ist der Vogel schneeweifs. Es wurden
zwar einige gefrorene Eier gefunden, doch haben wir Aber Brutzeit
und LebensweiBe des harmlosen Vogels, der sich ruhig mit der Hand
fangen liels, nichts in Erfahrung gebracht
Die flbrigen Sturmvogelarten (Procellaria aequinoctialis), der
EntenstOrmer (Prion) sowie zwei kleinere Arten besuchen die Insel
nur, um dem Bratgeschäft obzuliegen.
Anfangs Oktober traf Procellaria uequinoctialis ein und nahm
wieder Besitz von ihren Nestlöchern, mit welchen überall an den
mit Toussockgras bewachsenen Hangen der Boden unterminiert ist.
Der Kiiv^'anir zu diesen Löcliern, welche etwa 1 m tief horizontal in
den Boden geuiabeu sind, befindet sich gewöhnlich in einem Gras-
hügel, dessen Wurzel werk und Torf die Vögel abbeifsen; mit Hülfe
der scharfen Krallen graben sie das Loch in den Boden.
Um die Weibchen scheint ein erbitterter Kampf stattzufinden;
sehr häufig fanden wir vor dem Eingang zu einem Nestloch zwei
oder mehrere Mannchen um das im Neste sitzende Weibchen werbend
sich heftig bekämpfen. Während dieser Periode hissen sich die
Vdgel, welche bei einer Annäherung kaum Miene machen sich zu
erheben, leicht mit der Hand fangen. Doch ist einige Vorsicht
dabei geboten, da sie sich mit den scharfen Krallen und dem
Schnabel wütend wehren und eine rote, thranige Flüssigkeit aus-
speien. Das kreischende, eiixentümliclie Geschrei, welches die Vögel,
vor dem Neste sitzend, ausstofsen, ertönt besonders stark in der
Nacht und erinnert in seinem Gesamteffekt in der Ferne etwas au
Digitized by Google
137 —
das Quaken einer Heerde Frösche an schönen Sommerabenden.
Ende November wurden die Vögel wieder nihiger und fanden wir
bald darauf, nachdem das Schreien gams aufgehört hatte, die
ersten Eier auf wenigen Grasbl&ttern im hintersten Teil der Nest-
löcher U^en.
Am Tage war die Procellaria aequtnoctlalis , nachdem die
Nester mit Eiern belejxt waren, nur aufserst selten zu sehen: bei
einbrechender Dunkelheit jedoch und während der Naeht unjHo<;pn
sie in profsen Scharen die Brutpliltze. Kude April waren die
Jiiii;j;en noch iu(ht rtüg^:e; wiedorholter Schneefall im März und
April hatte den Eingang zu den Nestern völlig bedeckt, doch gruben
bich die Vögel durch den Schnee durch.
Anfangs Mai lieisen sie n(»clunals ihr Geschrei wahrend der
Na( lit ertönen, doch sah man nur mehr vereinzelte Exemplare. Daü
Ujos der Vögel war wohl schon fortgezogen.
Fast um die gleiche Zeit wie die Procellaria ae(piinoctialis
hörten wir das Gurren des Enten^^türmers. <ler in gleicher Weise
sein Nest in tiefe Löcher baut, die mannigfach gewunden und ver-
zweigt öfter mehrere Ausgänge besitzen. Wo Procellaria aequinoc-
tialis noch Platz gelassen, hat sich der niedliche, auf der Überseite
bläulich aschgraue, auf der Unterseite weifse Vogel, der unermüdlich
sein gurrendes Geschrei, das ahnlich dem der Turteltaube klingt,
erschallen lafst, angesiedelt Selbst das wenige Gras auf den Felsen
und Klippen ist nach allen Richtungen von den Nestlöchern der
munteren Tiere durchzogen. Von der Massenhaftigkeit, in welcher
der kleine Vogel auf der Insel brQtet, erhftlt man eine Vorstellung,
wenn man dieselben in mondhellen NAchten lautlos in ungezählten
Scharen herumfliegen sieht Am Tage zeigen sie sich nnr selten
und werden dann gewöhnlich die sichere Beute der Raubmöven,
welche ihre ärgsten Feinde sind.
Über die Bmtdauer liefsen sich genaue Beobachtungen nicht
anstellen; die ersten Eier (von der Gröfse eines Taubeneies) haben
wir Ende November gefunden. Ende April waren die Jungen, je
eins in einem Nest, noch nicht flügge und mag wohl ein Teil der-
selben bei dem im M&rz und April eingetretenen hohen Schneefall,
der die Eingänge zn den Löchern verdeckte, zu Grunde gegangen
sein. Wie sie gekommen, waren sie anfangs Mai, wahrscheinlich
während der Nacht, wieder verschwunden, nachdem sie kurze Zeit
vorher noch m grofsen Schwänneii walirend der Nacht herum-
geflogen und einige halbflügge Junge aus den Nesteru gekrochen
waren.
Nachtvögel wie die beiden vurhergebeudeu Arten, wenigstens
Digitized by Google
— 138 —
wahrend der Brutzeit, sind zwei kleine Scliwalbensturmvogelarten,
deren Nester sich ebenfalls in meist halbkreistönuigeu Flrdlöchern
befinden. Mit Vorliebe wählen sie die völlig vegetationslosen ^Schutt-
felder der Berghänge zu ihren Brutplätzen, wo sich dann ein Nest-
loch neben dem anderen behndet. Am Tage verlassen sie kaum das
Nest, in welchem das kleine weifse Ei liegt, aber bei einbrecliender
Dunkelheit sieht man sie öfter in langen Zügen über die Oberfläche
des Wassers hinfliegen. Auch sie hatten mit ihren Jungen Ende
April die Insel wieder verlassen.
Am 16. Oktober kündeten mehrere P&rchen von Diomedea
fuliginosa durch ihren eigentümlichen Ruf, der dem Geschrei des
Esels sehr Ahnlich ist, ihre Ankunft an. Das Gefieder ist am Kopf
dunkel und nach dem Hals und dem Rumpf in ein zartes grau
abgetönt. Sehr aniCallend sind die weifsen Halbringe an dem
hinteren Rand der Angen. Unermüdlich und noch leichter als der
Riesenstuniivügel durchschneidet dieser Albatrofs die Luft, dessen
ganze Erscheinung ungemein elegant ist.
Ihre Nistplatze hatten sie zumeist an unzuj^änglichen Fels-
wänden gewählt, wo sie ihr einziges Junge mit grolser Liebe und
. Sorgfalt aufzogen.
Von einer zweiten Albatroisurt, wenn riditiL^ bestimmt, Dio-
medea chlororhynchos, haben wir bei einer Bootsfahrt zwei Exemplare
geschossen; am Land haben wir dieselben nicht gesehen.
Die Möven sind durch drei Arten vertreten.
Die Raubmöve (Ijestris antarctica) halt sich meist in Paaren
zusammen. Sie bewegt sich auf dem Lande ebenso sicher wie auf
dem Wasser. Z&nkischf neidisch und habgierig lebt sie in fort-
währendem Unfrieden mit ihresgleichen und läfst ein widerliches
Geschrei ertOnen, sobald ihr ein Bissen streitig gemacht wird, um
welchen sie sich mit grofser Wut balgen. Als wir im Dezember,
wie oben erwähnt, die vielen Fische fingen, warfen wir einige der-
selben den stets in unserer Nähe sich aufhaltenden Möven hin.
Nach hartem Kam})f trug eine derselben den Sieg davon und ver-
schluckte den etwa 50 cm langen Fisch samt dem Kopf ohne grolse
Beschwerden; momentan allerdings stand sie mit steifem Hals und
aufgerichteten Federn drückend und würgend da, erholte sich jedoch
sehr bald wieder, nachdem sie grofse Mengen Wasser gesoffen hatte.
Eine Schnecke, eine Art Patella, scheint sie samt dem flachen
Gehäuse zn verschlucken, letzteres aber wieder auszuspeien. Sehr
hAufig fanden wir auf dem Hochplateau an Orten, wo sich die Bauh-
mdve aufhielt,' 6—8 Schalen auf einem Häufchen beisammen liegen.
Mit Vorliebe geht sie an das Aas erschlagener Robben, doch ver-
Digitized by Google
— 139 —
schmäht sie -auch den ekelhaltesteu Biäseu uiclit, welchen die Öee
auspült.
Auf Felsen sitzend sp&ht sie mit gierigem Bück nach I^euto
oder zieht in sicherem Fhige in der Luft ihre Kreise. Sie ist der
Haaptfeind der kleineu Schwalhensturmvögel und des Entenstürmers,
welchen sie stuudeulang vor den Nestern auflauert Wagt sich
einer der kleinen Vögel ans Tageslicht, so erhascht ihn die Rauh- •
mdve im Flug. Mit Vorliehe tragen sie ihre Beute in die Nähe
kleiner Wassertümpel, deren Umgehung mit Skelettteilen der kleinen
Vögel förmlich besftet ist, da sie nach genossener Mahlzeit das
Bedürfnis fühlen reichlich zu saufen.
Auch die Pinguinkolonien sind fortwährend von den Tieren
umlagert, aus deren unbewachten Nestern sie die Eier fortschleppen.
Ihre Frechheit tind Unverschämtheit kennt keine Grenzen; wir haben
wiederholt gesehen, dafs neben uns von den Ranbniöven Pinguin -
nester geplündert wurden. Sie wagen sich sogar an die Eier der
Sturmvögel, welche sie im weitaufgesperrteu Schnabel davontragen.
Durch einen Schufs, der auf sie abgefeuert wird, lassen sich die
zndringiichen Tiere kaum erschrecken; sie erheben sich zwar, stürzen
aber sofort aal den gefallenen Grenossen.
Die Brutperiode dauerte Ton Ende November bis Anfang März.
Das Nest ist kunstlos und liegen die zwei branngrflnen, dunkel-
geflekten Eier meist auf Moos, von welchem sie in der Fftrbnng auf
grö&ere Entfernung schwer zu unterscheiden sind. Durch ein
hdseres Schrien verraten die bratenden Vögel die Nähe des Nestes,
welches sie ebenso wie die Jungen wQtend verteidigen, indem sie
durch tlie Luft sausend auf den Angreifer stolscn, der sich ihrer
nur durch Stockschläge erwehren kann. Meist fallen sie dabei ilirer
blinden Wut zum Opfer. Nimmt man das Junge weg, so verlolgen
sie den Räuber hw^a Zeit.
Die Mantelmöve (Larus doniinicanus) hillt sich immer in der
Nähe des Strandes auf, wo sie phlegmatisch auf den Klippen sitzend
ihr klagendes Geschrei ertönen läfst. Bei erregter See sammeln sie
sich in Scharen auf dem Sandstrande, um bald auf festem Boden
stehend, bald von den einherroUenden Wellen gehoben, nach Beute
zu haschen. Sie ist ungemein scheu und vorsichtig; schon in
grofser Entfernung ergreift sie die Flucht, und gelingt es nur durch
Zufall, eines der Tiere zu erlegen.
Zur Brtttezeit geht sie etwas tiefer in das Land, wo sie ihr
einfaches Nest mit zwei Eiern belegt, die sich von denen der Raub-
möve kaum unterscheiden lassen. Die jungen Tiere sind grau und
weifs gefleckt, wahrend das Gefieder der alten am Rumpfe wcifs
Digitized by Google
— 140 —
und an den FlOgelo schwarz ist Auch in der Färbung«des Schnabels
and der Beine differieren die mehrjährigen Vögel von den jungen:
bei ersteren sind dieselben jrelb, bei letzteren schwarz.
Walirend Mitte März die Mantelniöve iliren Jungen bereits
Unterricht im Fliejren erteilte, wo])ei sieh das piepsende Gesclirei
der letzteren und das bald klagende, bald wie ein heiseres Lachen
klingende Geschrei der Alten vernehmen liels, salscn die jungen Raub-
möven noch immer in der Nahe des Nestes und liefsen sich, ol)\vuhl
sie s( hon das vollständige dunkelbraune Gelieder hatteu, vun den
Alten noch füttern.
Der zierlichste Vogel Süd-Georgiens ist eine Seesclnvalbe (Sterna).
Das silbergraue Gefieder, die schwarze Kopfplatte sowie der korallen-
rote Schnabel und die ebenso geftrbten niedlichen SchwimmfttliBchen
verleihen dem lebhaften Vogel etwas ungemein Kokettes, wenn er,
den langen Gabelschwanz ausgebreitet, bald mit langsamerem, bald
mit schnellerem Flügelschlag geschickt und ausdanemd Aber die
Oberflache des Wassers sto&tanchend fliegt Er liebt die Nfthe des
Strandes, wo er Tag und Nacht geschwatzig sein „Trr, Trr, Kriah"
ertiiuen läfst. Doch fanden wir die Sterna auch auf den Sumpf-
flächen des Hochplateaus in grofser Menge, wo sie mit dem spitzen
Schnabel Nahrung (IiegenwürmerV) suchend zwischen das Moos stach.
Sie lebt immer in grofser Gesellschaft beisammen; ihre gemein-
schaftlichen Brutplätze finden sich an höher gelegenen Orten auf mit
Moos bedecktem Boden, auf welchem das grünliche, dunkelgefleckte
Ei durch seine Färbung so geschützt ist, dafs man oft lani^o
Zeit suchen kann, bis man dasselbe findet, obgleich es in n&cik»ter
Nahe liegt.
Betritt man einen Brutplatz, so lockt der Ruf eines Vogels
bald die ganze Gesellschaft herbei, die den Feind mit lautem „Terek,
Terek, Kri&h*' verfolgt und wfltend mit dem spitzen Schnabel auf
den Gegner stoüsend umfliegt Selbst vor der RaubmOve fQrchten
sich die kleinen mutigen Tierchen nicht. Mit lautem, zornigen
Geschrei nmschwirren sie den Raubvogel, sobald er sich ihrem
Brutplatz nähert. Die Möve wagt nicht sich an ihnen zu vergreifen
und sucht schleunigst das Weite.
Die Brütezeit begann im Januar; im März zogen die grau und
weils izcHeckten jungen Tiere, deren Schnabel und Küfschen schwarz
sind, nacli der See. wo sie, noch ungescliickt tliegeud, ängstlich von
den Altern unter lautem Geschrei bewacht wurden.
Ab und zu zeigten sich einzelne Kormorane, welche in unzu-
gänglichen Felswauden im Innern der Bai nisteten. Wir bemerkten
die Brutplätze erst im Februar, nachdem die Jungen bereits sehr
Digitized by Google
— 141 —
berangewachsen waren. Mit kurzem Flnp:els(*hlag begrüfston sie
ans schon im September bei der Eiiifalut in Cumberland-Bui und
umflogen neugierig, die langen steifen Hülse bald nach rechts, bald
nach links wendend, die Böte so nahe, dafs sie mit dem Bootshaken
erreicht werden konnten. Auf der Brust weifs mit wenigen braunen
Federn, glänzt die Rfickenseite des Gefieders, besonders im Hoch-
zeitskleid, in stahlgrfln schillernden Farben. Zur Zeit der Paarung
sind die fleischigen Auswflchse in der Nasengegend lebhaft blau und
gelb gefärbt.
Von einigem Wert für unsere Küche war noch eine Entenart,
welche der auf Kerguelen vorkummenden Querquedula Eatoni ähnlich
ist. Meist fanden wir sie in grolseu Flügen (oft 20 — 30 Stück) in
der Nalie des Strandes (sowohl in der Iloyal-Bai wie in Little-Hafen)
zwischen den Grashügelu, welche ihnen ein sicheres Versteck bieten.
Verfolgt laufen sie auf weite Strecken zwischen den Hügeln hin und ent-
ziehen sich so ihrem Verfolger. Obgleich sie weite Ausflüge unter-
nehmen und mit Vorliebe die Klippen aufsuchen, an welchen sie
grüudelnd reichliches Futter in Krebsen, Holothurien u. A. finden,
fallen sie jeden Abend immer wieder an demselben Ort ein. Nur
selten haben wir sie auf dem sumpfigen Hochplateau angetroffen.
Das kunstlose Nest, welches sie mit wenig Flaum auspolstert,
baut m immer sehr versteckt zwischen die Grashttgel. Nur durch
Zufall habe ich anfangs Dezember ein Nest mit 4 braungelben
Eiern gefunden, von welchen ich eines zertreten hatte; der junge
Vogel war schon sehr weit entwickelt und völlig befiedert. Aufserdem
gelaug es niemals, obwohl wir einzelne BrtitplUt/.e genau kannten,
Nester aufzufinden. AnfauLjs Marz hatten wir jedoch öfter (leleuMMiheit
die mit gelblichem Flaum bekleideten uiediiclieu .Jungen, von den
Altern angeführt, au kleinen Wasserläufen zwischen den Gras-
hügeln zu sehen.
Im Winter setzen die Enten zicndich viel Fett an; das Fleisch
ist dann nur nach sorgfaltiger Entfernung desselben geniefsbar
und giebt ein schmackhaftes Gericht
Von Landvdgeln findet sich auf Süd-Georgien eine Chionis, ein
schneewei&er Vogel von Taubengröfse. Der gelbliche, an der Wurzel
grünlich angehauchte, sehr starke und kurze Schnabel trägt auf
der Oberseite an der Wurzel eine eigentümliche Kuppe, wahrend
die Zügel mit blafsrdtlichen Hautauswüchsen bedeckt sind. Die
langen plumpen Beine und Füfse sind grau. Das Mannchen ist etwas
gröfser als das Weibchen. Sie leben in Gesellschaft, doch halten sich
Männchen und Weibchen immer zusammen.
Neugierig und furchtlos trippelt die Ciiionis an Jeden ihr fremdeu
Digitized by Google
— 142 —
Gegenstand heran, und liefs sich anfangs fast mit ilon Händen greifen.
Sie leht vorzugsweise am Strand, wo sie eifrig das aufliest, wa.s
die Flut ausgespült hat. Da wir die Tiere sehr sclionten, hielten
sie sich dicht bei der Station auf, wo sie besonders am frühen
Morgen die Küchenabfalle durchsuchten.
Gegen Ende Oktober verliefsen sie die Station und fanden wir
sie unweit auf den Klippen versammelt Kurze Zeit hernach trugen
sie dOrres Gras zu Neste. Ihre Brutplfttze wählen sie immer in
engen Felsspalten, oft hoch oben an völlig unzug&nglichen Wänden,
so dafs wir niemals Gelegenheit hatten, sie im BnitgeschAft zu
beobachten. Wahrscheinlich legen sie nur ein Ei, denn nachdem sie
wieder zur Station zurückgekehrt waren, schien es, als ob immer
nur ein junges Tier zu den beiden alten sich hielte. Das Fleisch
ist geniefsbar und schmeckt kaum thranig.
Inmitten der unmusikalischen Lantd der Möven und Pinguine
schmettert an schönen Sommertageu ein kleiner Singvogel (vielleicht
eine Aiithus-Art) unermüdlich sein Lied, das dem unserer Lerche
so ähnlich ist, dafs man auf Momente vergifst, weit entfernt von
der deutschen Heimat zu sein. Ungefähr von der Gröfse einer
Lerche ist das Benehmen des gelb und braun gefleckten S&ngers,
dessen Hinterzehe einen grofsen Sporn tragt, wenn er fast gerade
in die Lüfte steigt und flatternd sich hoch oben an einer Stelle
hftlt, genau so wie das unserer Fetdlerche.
Wahrend des Sommers sucht er meist das Gras nach Insekten,
Kafem und Fliegen ab, wahrend im Winter, wenn ihm der Schnee
diese Futterquelle fast unzug<anglich macht, da die Küfer nur selten
aus ihren Verstecken hervorkommen und über den Schnee kriechen,
das harmlose zutrauliche Tierchen eifrig am Strande beschäftigt ist,
mit dem spitzen, vorn leicht übergebogenen Schnabel die ausge-
worfenen Tangwurzeln abzusuchen. Es UU-st sich in seinem Sammel-
eifer kaum durch eine AnnRlierung stören.
Leichten Flugs entfernt er sich ziemlich weit vom Land und
haben wir ihn bei einer Bootsfahrt inmitten der Bai, etwa 3 km
vom Land entfernt, auf den Blattern des von den Wellen geschaukelten
Kiesentangs ei&ig nach Futter suchend sitzen gesehen. Während des
Winters kam er furchtlos an die Station, sogar bis in das Wohnhaus.
Das kleine Nestchen flicht das Thier versteckt zwischen dem
Toussockgras lose aus Blattern zusammen; doch haben wir nur ein
einziges Nest mit einem Jungen und, wenn anders ich mich recht
erinnere, einem unansgeschlüpften Ei von grünlicher Farbe mit
dunkleren Flecken gefunden.
Auch die niedere Tierwelt ist in der Fauna von Sttd-Georgien
Digitized by Google
143 —
durch einicre Uepnisentnnteu vertreten. Die kleinen Wassertümpel
bevölkern zahllose Meuueii von zwei kleinen Crn>taceenartt'n, deren eine
vielleicht ein liranchiopus (Kiemenfuls) ist; die andere gleicht mit
ihren zwei roten Eiersftckchen einem Cvclops. Zwischen dem feuchten
Moos linden sich hilutij^ Uej;enwürmer.
Von Insekten loben zwei ttügeUose K;\feraiten hauptsächlich
zwischen dem (iras. dessen saftige Blattscheiden sie anfressen.
Wahrend des Winters sammeln sie sich unter Steinen. Die eine
dieser Arten (vielleicht wird eine genauere Untersuch nni? als bis
jetzt möglich gewesen ist, noch einige Speeles ergeben) gehört zur
Familie der Telephoriden, deren übrige Arten meist sehr gute
Flieger sind. Eine Schwimmkftferart aus der Familie der Dytisciden
(Agabas) wurde in grofsen Mengen in dem Schlamm eines ab-
gelassenen kleinen Teiches gefangen. Von sämtlichen Arten er- •
hielten wir die Larven und teilweise auch die Pappen.
Mit Beginn der w&rmeren Witternng verlielsen auch grofse
Fliegen ihren Schlupfwinkel unter Steinen und belftstigten uns zeit-
weilig sehr durch Ihr massenhaftes Auftreten in den Wohnrllttmen.
Anfserdem finden sich vielleicht noch zwei .Spinnenarten vor.
Ks würde mich zu weit führen, wenn ich die Meeresfanna der
Koyal-Bai, von der ich schon gele'jjentlii'h einiges berichtet habe,
ausführlicher behandeln wollte. Ich will also nur erwähnen^ dafs
unter den niederen Seetieren, wenn auch die Artenzahl gering zu
sein scheint, sämtliche Typen vertreten sind: Die Coelenteraten
durch verschiedene Arten von Schwammen, Korallentieren (Actinien)
und Quallen; di(; Kchinodermen (Stachelhäuter) durch die zahllos
zwischen den Klippen herumkriechenden lebendgebarenden Seesteme
(Asterideu und Ophiuriden), durch eine Art Seeigel und mehrere
Arten von Uolothurien ; die Würmer durch Bryozoen und zahlreiche
Anneliden. Von Grustaceen sind drei kleinere Arten sehr gemein,
wahrend zwei grdlisere nur selten gefunden wurden. Von Mollusken
(Tunicaten, einige Gastropoden und wenige Lamellibranchiaten) bedeckt
eine Patella-Art die Klippen in grofsen Mengen.
In dieser kurzen Aufzählung sind nur die am häutigsten und
durch ihre Ciröfse unmittelbar bemerkbaren Formen genannt; über
die zahlreichen kleinen, die sich oft nnr durch ein AuÜeuchten beim
Kint4\uchen des Kaders zwischen dem lang bemerkbar machen, wiid
der spätere ausführliche zoologische Bericht Aufschlufs geben.
Die Dredgeergebnisse waren meist gering : die grölste Beute
lieferte der Fan-j: bei tiefer Ebbe zwischen den Klippen, besonders
nach offener See m und der durch Sturm ausgeworfene Hiesentaug,
biyitizeü by Google
— 144 —
dessen mit Sclilick durchsetzte Wurzelstöcke eine wahre Fundgrube
von Seetieren bildete.
Die Artenzahl der Tier- und Pflanzenwelt ist also uiit Süd-
Georgien eine ungemein gerin^'e. Wenn sich vielleicht bei einer
Durchforschung der ganzen Insel die Flora noch um einige Species
vemehrt, so wird sie doch immer weit hinter der von den benach-
barten Falklands-Inseln, welche, wie ich schon oben erwähnte, noch
150 Geföfspflanzen aufzuweisen hat, zurückbleiben.
In der Fauna der Falklands-Inseln, welche schon ärmer als die-
jenige des Feuerlandes ist, sind immer noch ein Säugetier, ein wolf-
artiger Fuchs, Baubvögel, eine Eule, Drosseln, Sperlinge und eine
Eidergans neben den über den ganzen antarktischen Ocean ver-
breiteten Sturmvögeln und Robbenarten vertreten. Mit der gröfseren
Entfernung vom Festlaudc nimmt auch die Zahl der Tier- und
Pflanzenarten rasch ab.
Inwieweit die Formen Süd-Georgiens identisch oder nahe ver-
wandt mit denen der Flora und Fauna der Falklands-Inseln und des
südamerikanischen Kontinents sind, lilfst sich natürlich erst nach
einer eingehenden Untersuchung und Vergleichung des gesammelten
Materials entscheiden, doch dürften sich, soweit sich dasselbe schon
jetzt übersehen läfst, sicher derartige Beziehungen ergeben.
3. Leben nnd Arbeiten in der Station*
Von £. Mosthair.
Die Rundsicht von der Station aus über die ultramarinblaue,
meist bewegte See hinüber nach den ersten Yorbergen bei Kap
Charlotte, am kleinen Gletscher vorbei, zu den höheren oft mit
blauen horizontalen Fisplateaus gekrönten Firnen, den riesigen
Gletscherabstürzen und besonders dem in der Silhouette reizenden
Pic hinter dem Moltke-IIafen und der Bergstralse, gestaltet sich zu
der grofsartigsten Hochalpenscenerie , welche es überhaupt geben
kann. Allerdings ist der allgonieine Charakter des seltenen I.and-
schaftsbildes ein melancholischer; verlassenste Einsamkeit tritt uns
überall eotgegen. Aber dabeibist die Natur doch so grofsarüg, dafs
man lange Zeit immer von neuem mit Staunen diese Gebirgsmassen
in der verschiedensten Beleuchtung bewundert.
Was nun die Arbeiten betrifft, welche wie allen 16 inter-
nationalen Expeditionen am Nord- und Süd-Pol, auch uns oblagen,
so war bekanntlich zunächst die Erforschung der physikalischen •
Verhältnisse überhaupt, speciell der meteorologischen und magne-
tischen Erscheinungen auf den Polar -Gebieten nach einem gemein
Digitized by Google
— 146
samen, ilurch internationale Uebereinkuuft festgesetzten Plane in8
Auge gefafst. Zu diesem Behafe wurden eia Jahr lang alle Stauden,
Tag und Nacht, die samtliefaen 6 magnetischen Instrumente —
Deklination, Vertikal-, Horizontal-Intensität — abgelesen, ebenso die
Meteorologica: Thermometer, Barometer, Psychrometer, Bewölkung,
Windstirke und Windrichtung, Wolkenzug und Hydrometeore,
beobachtet Aufserdem fanden am 1. und 15. jeden Monats, den
sogenannten Termintagen, versch«arfte Beobachtungen statt, an welchen
von Mitternacht bis Mitternacht siuutliche magnetisclien Instru-
mente alle 5 Minuten, sowie eine Stunde lang alle 20 Sekunden
abgelesen wurden. Kbenso wurde bei magnetischen Störungen ver-
fahren. Es sei hiebei gleich bemerkt, dafs während der Dauer der
Polar-P^xpeditionen auch die samtlichen magnetischen und meteoro-
logischeu Stationen der Welt und ebenso die Handels- und Kriegs-
marine der verschiedenen Nationen durch sorgf<ige Beobachtungen
atmosphärischer und magnetischer Erscheinungen die Thätigkeit der
PoUir- Expeditionen hauptsftchlicb während der Termintage vervoll-
ständigten. Die Beobachtungen geschahen auf allen Stationen nach
GotUnger Zeit Aufserdem wurden noch Feuchtigkeitsbestimmungen
vorgenommen, Maxima und Minima disr Lufttemperatur beobachtet,
Bodenthermometer in verschiedener Tiefe abgelesen, sowie einmal
im Tage die Temperatur und der Salzgehalt des Meerwassers ge-
messen Ferner hatten wir aucli vier selbstregistriercnde Iiistnunent»'
aufgestellt, wie den Sprungschen Barograi)hen , den Hipi>schen
Thermographen, den Osnaghischen Aneniograi>iieu und dtn Kbbc-
Flutmesser, von welchen abwechselnd jedes einem der Herrn zugeteilt
war uud abgelesen wurde. Sehr interessant war, dal's wir am registrieren-
den Ebbe-Flutmesser die Kurve der durch den Ausbruch des Vulkans
Krakataua an der Sundastrafse erzeugten Wasserwelle vollkommen deut-
lich verfolgen konnten, ebenso am Barographen (von Sprung) die Luft-
welle. In gewissen Zwischenräumen wurden absolute magnetische Mes-
sungen und Beobachtungen mit dem Erd-Induktor vorgenommen. Was
den astronomischen Teil der Beobachtungen betrifft, zn welchem Zwecke
in der Sternwarte ein Passage- und ein Universalinstrument sowie
in der eisernen Drehkuppel das Hamburger Heliometer sowie der
Kefraktor und ein Frauenhofer aufgestellt waren, so worden die ein-
schlägigen Zeitbestimmungen augestellt, Monddistauzen uud Sonnen-
durchmesser gemessen.
Eine langwierige Arbeit war für uns auch die Bestimmung
der Teilungsfehler des Hamburger Heliometers.
Besonders günstig verlief die Beobachtung des Voiuisdurcli-
ganges am {'). Dezember 1882, die trotz beftigeii Stui'me.s^ welcher
0«ogr. BiAuer. Bremen. 1W4. Ifv
Digiii^eu by Cookie
— 146 —
die Drehkuppel so in Gefahr brachte, dufs dieselbe von drei und vier
Mann an Seilen gehalten werdeii mufste, doch ein ganz günstiges
Resultat lieferte, indem das Wetter den ganzen Tag über hell und
die Sonne unbedeckt blieb.
Bezüglich der naturwissenschaftlichen Beobachtungen und Samm-
lungen hat Herr Dr. Will das Nfthere mitgeteilt
Die Temperatur auf der Insel ist eine mittlere; sie bewegt
sich zwischen — 14" und +19,7**. Im Sommer, Januar, Februar
und Marz beträgt sie im Mittel etwa +6—8°. Nur bei Schnee-
sturm und Südwest -Wind , welcher sich durchschnittlich alle drei
Tage einstellt, war der Aufenthall im FYeien unuitiglich, und wurden
dann Otter Dücher abgedeckt, der Viehstall umgeworfen, wie über-
haupt die Stüiinc eine oft nicht mehr mefsbare Kraft eutwickelteu ;
iu 290 l agen hatten wir \K) Stürme.
Nun noch in Kürze etwas über unsere Lebensweise auf der
Insel. Wir waren bekanntlich sieben wissenschaftliche Arbeiter und
vier Bedienungsmannschaften (Koch, Zimmermann, Segel mac her und
Matrose), nicht zu vergessen unseren famosen Polarhuud Banquo,
ein Prachtexemplar eines schwarzen Neufundländers. Aufser den
Wachen, welche auf jeden von nns sieben gleichmafsig verteilt
waren, so dafs jeden alle 2Vs Tage zwölf Stunden (sechs bei Tage,
sechs bei Nacht), an Termintagen sieben bis acht Stunden, trafen,
hatte der einzelne seine bestimmte, meist fakultative Thfttigkeit
Unser Arzt z. B., welcher in seinem Berufe so gut wie nie in An-
si)ruch genomineu wurde, da unser Gesundheitszustand dir (l( iil\i);ir
günstigste war, konnte si( Ii ganz der Zoologie widmen, der Astronom
seinen Ueohachtungen, dit' Mathematikci- und Physiker ebenfalls;
aufserdem wurden Torrainaufnahmen, (^uerproüle und Nivellements
gemacht; der Mechaniker war meist iu seiner Werkstatt zu treffen.
(Alle Sonnabende war Badetag.)
ITnser tagliches Leben war nach einem gemeinschaftlichen Plane
geregelt. Wir hatten einen Proviantnieister, welchem die Buchführung
über den Proviantverbrauch, die Bestimmung der Mahlzeiten sowie
die Anweisung des Kochs zufiel, dann einen Weinvorstand, welcher
alle Getränke, die jeder einzelne dem pro Monat vorgesehenen
Quantum zu entnehmen berechtigt war, verbuchte. Diese
beiden Ämter wurden alle vier Monate durch Wahl neu besetzt.
Aufserdem erwähne ich noch eine mir obliegende Beschäftigung: die
BuchfOhrunj? über das gesamte Inventar, Küchengeschirr, Mobiliar,
Instrumente. Werkzeuge, Taue, Holz. Petroleum, Lampen und
Cyliuder u. A. — Die Mahlzeiten IxNtaudrn aus eiiK-m -ulcii i"rüh-
stück mit KaiVee oder Thee, Lachs, Haring oder Scliinken, sowie
Digitized by Google
— 147 —
Butter iiiul Brot. Aufser dem luitf^enonuneneii Hartbrot hatte der
Koch wöchentlich zweimal schwarzes und weilses Brot zu backen.
Um 12 Uhr kam das zweite Frühstück mit einer ausgiebigen,
schmackhaften Speise, dann Kaffee. Abends um 7 resp. 6 Uiir
folgte das Mittagessen, welches aus Suppe, zweierlei Fleischspeisen,
öfter auch noch einer Mehlspeise und darauf folgendem Thee bestand.
Unser Koch war ein Meister in seiner Kunst Gute Weine und
Getränke, z. B. siebenerlei Bier, fehlten nicht; wenngleich letzteres
auch nur in homöopathischen Dosen genossen werden konnte, so
war unsere Yerptiegung, welche auf 16 Monate berechnet war,
(loch eine vorzügliche zu nennen. Wir brachten noch Proviant und
Getnänke nach Hamburg zurück.
Aufserdeni hatten wir eine etwa 150 Baude zahlende wisscu-
schaftlidic Bibliotliek und (Dank der Güte so vieler Freunde aus
Nah uud Fern) eine noch zahlreichere belletristische. Die Hanpt-
abwechselung brachten immer erstens die Exkursionen zu Wasser
und zu Land, und zweitens die Geburts- und Feiertage. Für die
Wasserfahrten stand uns ein in Hamburg gebautes vortreftliches
Walfischfangcrboot zur Verfügung. Eine der Landexkursionen wird
nachfolgend geschildert.
Ich möchte hier speciell noch des Weihnachtsabends gedenken,
an welchem wur einen sehr schönen Baum aus Holz, Draht, Moos
und Baumwolle fertigten, und, nachdem wir uns alle beschenkt
hatten, auf einmal gemeldet wurde, dafs auf den Klippen am Strande
eine grofsc Kiste stehe. Dieselbe enthielt nun für jeden Geschenke
und liriefe von den Au.i^'eliörigen in der fernen Heimat. Wir werden
diese feinfühlende Aufmerksamkeit unseres verehrten Professor Neu-
meyer, dem Vorsitzenden der Polarkt)mmissioii, ii«nvifs nicld vergessen.
Er hatte zu dem Zwecke selbst an alle Angehörigen geschrieben nnd
die ihm überuiittelten Geschenke unserem Chef heimlich mitgegeben,
so dafs die Überraschung eine vollständige war. — S») verlief all-
mählich die Zeit unseres Aufenthalts auf der Insel.
4. Besteigung des grofsen Cfletsehers in der Royal-Bai.
Von K. Mosthaff.
Wohl die interessanteste unserer zahlreichen Exkursionen zu
Lande (im Ganzen 40) war die Tour auf den grofsen Gletscher
im SW. der Bai, welche wir am 7. Februar zu dreien antraten.
Der Weg ül»er die Iluck nach der Gletscherstiriie ist ein ziemlich
beschwerlich(M' und fühi l einige Male (huTh Hfiche und Seewasser.
Gegen Abend kamen wir an der Stirne an, bestiegen noch den Glet-
10*
Digitized by Google
— 148 —
scher wegen Messungen über dessen Fortschreiten und schliefen die
erste Nacht am Fufse desselben.
Es war etwas kalt, da wir nnr je eine wollene Decke mit
hatten und morgens von Schnee bedeckt erwachten. Am Morgen
bestiegen wir den Gletscher und gelangten etwa IVt Stunden weit
an der Seite aufwärts bis zu einem Seitenstrome, als der bereits
reclit unangenehme Wind eine solche Stärke annahm, dal^ das
Yorwürtskoiniuen nidit iiit hi" niö«jlich war. Wir klommen zu einer
seitlichen Felswand empor, wo wir im Schnee einer hinter dem
amiern sitzend etwa IV» Stunden vci ^ieblich auf ein Nachlassen des
Schneesturmes warteten, dann den lifu kweir zum I.agerplatz antraten.
Am nächsten Morgen 4 Dir wurde wieder aufgebrochen, das
Wetter war j^nstig, Wind tlau. Auf dem Gletscher angekommen,
seilten wir uns an, überschritten den Nebenarm, uns möglichst liocU
haltend, ohne Gefahr; dann erreichten wir, auf guter Schneedecke
weiter schreitend, einen in der Mitte des grofsen Gletschers liegenden
dominierenden Punkt, woselbstMittagsrast gehalten wurde; wir genossen
Fleisch, Schinkenspeck, Chokolade, Gognak mit Schnee. Die Rund-
sicht ist dort ftufserst imposant. Die grofsen sich vereinigenden
Gletscherströme, welche von den steilen eisbedeckten Bergen herab-
kommen und die starren oft vertikalen dunklen Felswände gehen bei
der feierlichen, nur durch Lawinengetöse nnterbrochenen Ruhe ein grofs-
artiges Bild. Vor uns lag das vor allem ins Auge genommene Gletscher-
joch, von wo man sicher einen r»li( k nacli der südwestlichen Inselseite
hätte thun können. Daliin l)ra( lieii wir um 1 Uhr wieder auf. In-
zwischen hatten wir einen Kampf der Winde in der Höhe beobachtet
und das Wetter war entscliieden sclilecliter geworden. Im Vorwärts-
gehen sanken wir in den nun ziemlich weichen Schnee wiederholt
ein, auch in bedeckte Gletscherspalten. Allmahli('h hatte der Süd-
westwind den Sieg errungen und hellgraue Sehneewolken waren im
Anzug. Was dort zu Lande Südwestwind heilet, hatten wir schon zur
Genüge kenn«! gelernt, und von einem Südweststurme, welcher manch-
mal über zwei Tage dauert, mitten auf dem Gletscher überrascht zu
werden, mufste wohl äufserst gefilhrlich sein. — Es blieb uns also
keine andere Wahl, als so rasch wie möglich umzukehren. Wir
gingen wieder abwftrts den alten Fufsspnren nach und gelangten auf
den bereits erwähnten Gletscherarm; er kam uns aber bald sehr
fremd vor, denn wir liatten unsere Fulssiiuren verloren, eine Spalte
war gröfser als die andere uu<l niclit mehr zu iibei<]jringeii, wir
waren zu tief gerathen, drei mal kehrten wir vergebens bis zu der
Stelle zuiück. wo wir die alten Spuren noch Lreseheii hatten, doch
waren sie verweht worden. Dana versuchten wir die ^roistu
Digitized by Google
• •••
••••
v%
« •••
•••
♦ •
•••
• < • •
•••• ••••
••••
••••
Digitized by Google
— 149 —
Spalten der Lange nach auf- und abwärts zu umgehen, wobei wir
Aber sehr hübsche Gletscherbrucken kamen nnd in mächtige an-
scheinend unergründliche blaue Tiefen hinabsahen, doch auch dies
half nichts, wir mufsten entschieden so hoch als möglich hinauf-
gehen, wo noch Schnee lag, und dann auf gut Glück quer über alles
wegschreiten. Dies thaten wir denn auch. Unser Vortleriiuinn brach
manchmal bis unter die Arme in schneebedeckte Spalten ein, doch
dadurch, dals er sich ruhig hielt, und die Oeft'nung nicht erweiterte,
zogen wir beiden andern ihn am Stricke immer glücklicli wieder
heraus. Es ist natürlich, nebenbei bemerkt, eines der unbehaglichsten
Gefühle, wenn man in eine solche Schneedecke, die meistens nicht
sehr hoch ist, einbricht, und dabei zugleich gewahr wird, daf^s die
Füfse und Beine unten bereits wieder in einem leeren Räume sich
befinden. Auf einmal aber ward der Schnee wieder fester und nach
einer halben Stunde hatten wir den schneefreien Teil des Gletschers
mit kleinen Spalten betreten. Von da an gings rasch vorwärts und
gegen 6 Uhr abends kamen wir wieder zu den Steinpyramiden, welche
zur Beobachtung des Fortschreitens des Gletschers errichtet waren.
Nachdem hier wie auf dem ganzen \N ege Luft- und Sehneetempera-
turen beobachtet, das Aneroid abgelesen und wir mit dem Prismen-
kreis und Peilkompals gearbeitet hatten, stiegen wir wieder zum
alten Lagerplatz hiiial), hielten kurze Hast und machten uns um
7 Uhr auf den Rückweg, nachdem wir unsere Rucksäcke, die für
sieben Tage Brod, Fleisch, Butter, Kaffee, Thee enthielten und n)it
den Instrumenten sowie der Decke 40 Pfund wogen, etwas durch
Deponieren von Proviant erleichtert hatten. An einem Kiemen
hatte Jeder BlechgefitCse hängen mit Portwein und Cognak.
Wir hatten nun wieder den Bach zu durchwaten, dann den
steilen Pimerberg über der Huck bis löO m H6he zu ersteigen und
darauf hinab zum Strande zu klettern. Inzwischen war es vollkommen
Nacht geworden. Beim Klettern um die Klippen herum muOste man
oft bis über die Kniee im Salzwasser stehend Welle auf Welle ab-*
warten, um einen Sprang auf den nächsten Felsen zn thun. Endlich
erreichten wir die Whaler-Bai, passierten den Whaler-Bach und
^in;:>'n in einer Höhe von 21") ni über den dortigen Hucks nach der
Station. Den letzten Teil des Wegs sah ich beinahe gar nichts mehr;
wir hatten Alle Lichterscheinungen und Flimmern vor den Augen,
ich selbst war schneeblind und hatte noch einige Tage in der Dunkel-
kammer zuzubringen. Auf der Station langten wir nachts 12 Uhr
an und liefseu es uns gehörig schmecken. Waren wir doch volle
17 Stunden auf den Beinen gewesen!
Digitized by Google
— 150 —
5. Die Rttckreise.
Von E. Mosthaff.
Am 1. September 1883 safsen gerade unser Chef, der Mechanikas
and ich abends 4Vs Uhr im Salon beisammen mit der Uebergabe
der Weinvorrftte an mich, den neuerwahlteu Weiusteward, beschäftigt,
als ersterer plötzlich aufsprang und mit dem Rufe j, Donnerwetter,
ein Schiff, ein Schiff!^ hinaus ins Freie stürmte. In grofser innerer
Aufregung und mit Fernrohr und Operngucker bewaffnet, eilten alle
hinaus, selbst unser Hund bemerkte sofort die flott iu die Bai
dampfende Korvette, und gab seinen Empfindungen durch lautes
Bellen kund. Nur die — es war ja Termintajj: — im Haus C vor
den Instrumenten sitzenden beiden Herren mufsten sich noch etwas
jjedulden, wurden aber aiicli baldi^'st ab^^elöst, um die Einfuhrt
unserer Korvette ..Marie'' mit ansehen zu können. Abends noch
kam ein Boot an Land und einer der Offiziere brachte uns die ersten
Nachriclitcn von der Heimut, {xanze Packete von Krieien und
Zeitunu^en. Kr machte uns aber auch f^leichzeitifi mit dem Wuusclie
des Küumiandeurs, Kapitän z. See Krokisius, bekannt, dafs derselbe
so bald wie irwiid möglich diese ungastlichen Gestade wieder zu
verbissen wünsclu' und uns daher nur 4 — 5 Tage Zeit gewähren
könne. Die „Marie • liatte nämlich auf der Herreise bedeutend von
Stürnipu zu leiden gehabt, und sogar Havarie gelitten, indem ihre
Steuerbords«'ite beiiuihe rasiert war und sie die beiden daselbst be-
beündlichen Uettungs- und Landungsböte verloren hatte; die eiserneu
Davits, au denen sie hingen, hatte der Sturm zerbrochen.
Diese letzten Tage unseres Aufenthaltes bestanden aus Arbeit
Tag und Nacht. Wenn man bedenkt, dafs vom 2. September morgens
angefangen, alle Instrumente demontiert, eingepackt und die Zink-
kisten verlötet, der noch übrige Proviant, Wein, Kuni, Bier, djis
Mobiliar an Decken, Matratzen, Bettzeug, nachts oft bis 3 — 4 Uhr
morgens unsere Privatsachen gepackt «wurden und am Abend des
4. September alles — 207 Kisten — an Bord der Korvette verstaut
war, dann wird wol jedermann die Arbeitsleistung, welche in dieser
Zeit jedem oblag, verstehen.
Am 5. September, mittags 2 Uhr, bei herrlichem Wetter und
Sonnenschein wurden die Anker gelichtet, die deutsche Kriegsflagge
gehifst, und unter den Klangen der deutschen Nationalhymne
dampften wir langsam aus unserer Bai hinaus dem Vaterlande zu.
Ein eigentümliches Geftthl bewegte wohl die meisten, als wir die
nun verlassenen Hütten der Station allmflhlich verschwinden sahen,
wo wir ein Jahr zugebracht, und trotz der Freude über das Zurück-
üigiiizeü by Google
— löl —
kehren in die civilisierte Welt konnte auch ein etwas wehmütiges
Gefühl des Scheidens von dem Orte seinen Platz finden. Die herrlichen
Gletscher und Firnen blieben noch lange sichtbar; gegen Abend war
auch der letzte Streif unserer Insel verschwunden und bald wird es
auch dort in der Einsamkeit heifsen: „Ihre Dficher sind zerfallen**.
Die Heimreise war vielfach von widrigen Winden begleitet;
i;\ek\\ am ersten Tage bekamen wir einen ^^ehörigen Sturm, dann
[ulgtc vm sechs Tage wilbreiider, hvi welchem die Korvette öfters
in einem Winkel Vi)n 3^1:" (nach dem Pentiel) von Ba(k])ord nach
Steuerbord big. Wir wurden weit nacli Osten abgetrieben und
erreichten so einen grofsen Bogen beschreibend am 25. Sejttember
mittags Montevideo, wo wir sogleich vom Konsul und eiuigeu Herren
des deutschen Klubs auf das Herzlichste bewillkommnet wurden.
Die Küste Labradors und ihre Bewohner.
Von Dr. K. R. Koeli.
Einleitunif. (Vder Anblick der LabrndorkUsto bei Hoffenthal. Eftkimos
M Bord, riiarakter der Tiandsch.ift : W-iM« !-, Seen, Berge, Gestein. Hochebene de»
lamren. W»«8er»clMid«. UrOfsere Erhebung dee J^dee naoh Norden. Bergland.
Inieln und Klippen. Umbliek ▼<» einem Berge bei'Rama. Sparen der Yergleteebernnf.
(■cstein.<*trUinmer Thal bei Nain. Sccnbildunf? durch Flüsse. Oeologi.-<ches. Die
WiildiT. !>it' Somracrriora. Gltrteii. Tierleben und Wanderungen der Tiere. Die
Jagd aiit Kiiitiere, Seehunde u. A. FiKcherei auf Kabljau, Lachsfurelleu und Salm.
l>ie Bewolmor von Labrador. Die Settier. Rttekgan^ der Rsklmobevölkerang. Groflie
Sterbliohkcit. I »as Lrbcn der Kskimos im Sommer und Winter. Die Missionare der
Brüdergemeinde, üuterrivht. Das Bekchrungs- und Civilisierungswerk. MusikalUches
Talent der KakimoK. Abschied.
Als im Jahre 1882 der Plan, die beiden Pole der Erde mit
wissenschaftlichen Beobachtungsstationen zu imigeben, sich ver-
wirklichte, zeigte sich die Notwendigkeit, auch die Küste Labradors
mit meteorologischen Stationen zu besetzen, um die Lücke zwischen
Grönland und Canada, die noch in dem den nördlichen atlantischen
Ocean umgebenden Netze der Beobachtungsstationeu vorhanden
war, auszufüllen. Dem Schreiber dieses wurde der Auftrag, an der
Küste Labradors unter den dort mit den Eskimos lebenden
Missionaren der l^riidergenicinde Beobcu hter, vorlaiitig nur für die Zeit
der internationalen rolarforschung, zu gewinnen und wenn inö^ilich
auf den sechs Missionspliltzen ebensoviele nieteorolouiselie Stationen
einzurichten, selbst dann auf irgend einer Station /n ül)erwintern
und meteorologische und verschiedene andere J^eobachtungen an-
zu>tellen. ich kann hier uicht weiter auf die Resultate der Be-
obachtungen eingehen, — an anderer Stelle wird dies zu geschehen
Digitized by Google
— 162 —
haben — will mich vielmehr bemühen, in kurzen Zügen ein Bild
von der öden, felsigen Ettste zu geben, die jedoch vielleicht gerade
dieser Eigenschaften wegen mit dem brausenden Meere zusammen
einen grofsartigen, ttherw<igenden Eindruck auf den Beschauer
macht.
Nach langer und langweiliger Seefahrt, im Segelschiff, wie
solche ja sattsam bekannt und oft genug beschrieben sind, im
Kani])f mit Nobel und Kisbergeu, tauchten am 10. Auixnst des
Juliios IKHl' fiie (M'stLMi. uubestininiten Umrisse eines Landes vor uns
auf: seit Dniiblioruug des Kap Farvel hatten wir keine astronomische
Ortsbestimmung mehr machen können und waren auf gegifste Länge
und Breite angewiesen; erst am 0. August abends gelang es mir,
unter schwierigen Umständen eine Breiten- und Langenbestimmung
zu machen, aus der wir sahen, dafs wir am nächsten Morgen die
Küste würden in Sicht bekommen. Scharen von Mr)ven, verschie-
denen Tauchern und Enten zeigten aufserdem die N&he der Küste
an. Schon um Mittag des folgenden Tages befanden wir uns in
schlichtem Wasser in der Einfahrt nach Hoffenthai zwischen den
zahllosen Inseln und Riffen, die bisher, wie die ganze Küste über-
haupt, noch auf keiner Karte verzeichnet sind, und nur die genaue
Ortskenntnifs des Kapitäns, der bereits 26 Mal diese Reise gemacht
hat, vermag sich in diesem Labyrinthe zurechtzufinden. Der erste
Killdruck, den ich v<m diesen Inseln erhielt, war ein trostlos öder.
Nach fünf- bis sechswöchentlicher Seefahrt i)tlegt nuin sonst wohl
im allgeiui'ijH'n nicht gerade unspnu li>volI zu sein und das Auge
ruht mit Entzücken auf jedem gi üuen IMatzchen, aber die Einfahrt
nach Hotfenthal ist weder grofsartig noch lieblich; niedrige, abgerun-
dete Felseninseln, erinnernd an auf dem Wasser schwiniuiende Kohl-
köpfe, (dine Vegetation, nur hier und da in einer Felsspalte grau-
grünes Moos und Flechten bilden den Anfang; erst allmählich werden
die Inseln gröfser und höher, alle aber behalten die vollkommen
abgerundete, halbkugelförmige Form der Spitzen, als Zeichen der
früheren, vollständigen Yergletscherung des ganzen Landes. Plötzlich
ertönen von einer Insel herüber Flintenschüsse und hinter einem
Felsvorsprung rudert ein Boot hervor; der Steuermann unseres
Schiffes belehrte mich, es wftren ;,Huskies^, der englische (Spitz?-)
Name für Eskimos. Bald war das Boot längsseit und da bot sich
ein sonderbarer Anblitk dar: iu einem einzigen Segelboote wohnten
zwei Eskimofamilien sammt Zelten, Hausrat, zehn Hunden und
Kindern: ein Säugling von vielleiclit ^ 4 Jahren hat als Schnuller ein
Stück Seebundsspeck im Maulcben. ein durchdringender (Jernch nach
Thran und Fischen breitet sich über das ganze SchiÜ aus, als die
Digitized by Google
— 1Ö3 —
Insassen an Deck kommen und freudestrahlend den alten Kapitän
begrüfsen. Menschliche Schdne bedrückte sie alle nicht; dicke, platte,
breite Gesichter, straffe, zum Teil bewohnte Haare, mongolische
Gesichtszage mit dicken, vorstehenden Backenknochen, als Anzug
von Fett und Schmutz starrende europäische Fetzen — denn Kleider
konnte man das nicht nennen — dies waren die zuerst in die
Angen springenden Eigentflmlichkeiten der Bewohner dieser KOste.
Aber sonderbar wirkt dorh die Macht der Gewohidieit; hei meinem
Wegfiange nach 13 Monaten bemerkte ich dies alle> uiclit mehr .
sonderlich, ja ich uiitrrHchied sehr wolil hübsclie und wenijrer
hübsche (Gesichter, namentlich unter dem schöneren (ieschleclite. Aus
diesem T'nischlage in der Beurteilung^ erhellt, dal's wir später noch
diesem Bilde, wie es sich dem civilisierten Kurojuler zuerst zeigt,
der Gerechtigkeit wegen einige Lichttöne wi ivlon einfimen müssen,
da man kein Recht hat, an ein Naturvolk, das tagtäglich den harten
Kampf nms Dasein führen nmfs, den Mafsstab europäischer Civi-
lisation und europäischen Komforts und Luxus zu legen.
Wir wenden uns zurück zur Beschreibung der Landsdiaft und
ihrem topographischen Charakter. Im allgemeinen sind nur die
äufseren Inseln so abschreckend kahl und öde, im Inneren der
Buchten ziehen sich auf den Thalsohlen schöne Tannen- und Lerchen-
waldnngen hin, die tiefdnnkle ruhige spiegelnde Seen nmschliefsen ;
erst ^'cgen die Berge hin lichtet sich der Wahl und num sieht dort
an den vielen Bainnleichen den Kampf desselben geiren die Stürme
des Winters \md die oft unzureichende Wilrnie manclier Sommer.
Das Oestein, welches die t'elsiuen Inseln, ja die ganze Küste bildet,
ist zum grofsen Teil Gneifs der Laurent ischen Periode, der nach
der SUtion Nain zu (56" 3B' N., 61^ 41' W. L.) den bekannten
Labradorit und Paulit enthalt; in Rania (58 53' N., 63" 14' W. L.)
kommt ancli eine Art Schiefer \ny mit Eisenkryst allen auf den
Spaltungsflächen besetzt; doch wir sehen von der Aufzählung der
einzelnen Gesteiiissorten ab, deren Klassifikation und geographische
Verteilung einem spater die KQste besuchenden Fachmanne über>
lassen bleiben müssen und wenden uns zur Topographie der KQste
und den Spuren, die frühere Perioden der Erdentwickelung auf ihr
zurückgelassen oder yerzeichnet haben. Reist man im Frühjahr, um
Rentiere zu jagen, von Nain aus ins Innere, so erreicht man nach
etwa vier bis fünf Tagereisen (a 30 engl, miles) im Hundeschlitten
durch die fjordartigen liialer hindurch eine hinter dem durch B«Mi:e
und Thaler zerklüfteten und koupierten Terrain liegende Hociu'luMie
und macht man ein bis zwei weitere Tagereisen, so komuit man au
die Wasserscheide, von der aus die Gewässer westlich Üiefsen resp.
Digitized by Google
— 154 —
zum FInfsgebiet des sich In die l'n^Mva-Bai erjriefsenden Koaksoak
und Kangerdlualuksoak ^iolniien. Diese Wasserscheitle nähert sich,
je weiter nrirdliilu um so iiielir der Küste, so dafs man sie l>ei Uania
schon in einem Taue erreichen kann, bis sie in den lUitton Islands,
Kap Chndley (Killinek der Eskimos) als Yor{,'ebir|j;e endet. Hand
in Hand damit ueht eine gröfserc Erhebnng des Lamh'«^, je Nveiter
man nach Norden kommt. Wahrend bei Hotienthal die Ber^e
(wenigstens soweit ich UndeinwArts gekommen bin bczw. habe sehen
und erfahren können) einige hundert Fufs nicht übersteigen, er-
reichen bei Nain die Berge in nnniittelbarer Nähe des Meeres schon
eine Höhe von 800 bis 1200 B'ufs, in den Kigkpald) d. h. Sftgezähne,
(zwischen Okak und Nain) erbeben sich die Spitzen auf mehrere
tausend Fuis; dieselbe Höhe erreichen die südlich von Hebron ge-
legenen Kaumajat (auf deutsch: die Glänzenden). Von hier ab
nimmt die Gegend einen alpinen Charakter an; zwar finden sich,
wenigstens soweit ich selber gekommen bin, keine ausgedehnteu
Firnfelder und glänzenden Schneespitzen, höchstens in den hoch-
gelegenen Bergkesseln zeigen sich Schneelelder und Miniaturgletscher,
aber die Berge steigen in schroiren Hängen fast senkrecht aus dem
Meere auf, oft olme Vorland und Strand; tiefe, enge Fjorde (Sor-
viluck, Nullatarkok, Nachvak) Mlineidcii ins Land ein, (dme durch
vorliegende Inseln *'or der hier oft enormen Dünung geschützt zu
sein. Während von Hebron an südlich zahlreiche Inseln vor den
Buchten zerstreut liegen, beginnen erst von der Bucht Komaktorvik
(Ort, wo man Läuse ifst) au wieder Inseln und für die Schitl'abrt
äufserst gefeüirliche Klippen, die Naviarutsit und Nuvurutsit, die Küste zu
nmsftumen, die sich heraufziehen bis zum Ikkerasak Torksuk, d. h. der
grofsen stradelreichen Durchfahrt der Eskimos zur Ungava-Bai. Ich
bestieg in der Nahe von Bama einen Berg von 2600 Fufs Hdhe (leider
war die Zeit meines Aufenthaltes zu kurz bemessen, um einen weiteren
AusHug zu untern^men). Das Bild, das sich mir von dort aus bot,
war wohl das grofsartigste, das ich je gesehen; zu meinen Füfsen
der tiefdunkelblau grünt; Fjord, umrahnii von steil abfallenden
mauerngleichen Felsen, oben mit Kräutern bedeckt, die von den
ersten Nachtfrösten (es w'ar im September) rutli gefärbt waren,
zur Linken der tiefblaue Ocean mit seinen grünweifsen Eisbergen,
gegenüber und nach West zu steile, zackige Eelsgrate. enge Thüler
gleich riesigen Klüfteu, in deren Tiefe ein dunkler Bergsee mit
einem Wasser, schwarz wMe Tinte, die sc hrotfeu Zacken wiederspiegelte;
landeinwärts höhere und immer höhere Berge mit frischem Schnee
bedeckt, die sich, soweit das Auge reichte, nach Nord und Süd
zu einem imposanten Berglande aufbauten! Die höchsten Spitzen
Digitized by Goo<?le
— 155 —
dieses Berglandes betinden sich jj:efienüber der Insel Aulazivik
und mögen wohl an die 8(KX) bis *.KXK) Fufs erreichen. Doch
da ich dieselben nnr aus gröfserer Entfernung gesehen habe, so
kann ich kein hestininites Urteil über ihre Höhe angeben. Willirond
alle Berge, die niedriger wie IThH) — 2(A)üFiiis sind, deutlich die bi)uren
der ehemaligen Vergletscherung tragen, sind die höheren Berge
davon aui^geuommeu. Jene hüben abgerundete, oft gleichsaiu polierte
Koppen und sind bedeckt mit zahllosen Trümmern anderer Gesteine
von den verschiedensten Gröfbeu, nicht in Moränen angeordnet,
sondern Aber Berg und Thal zerstreut und sehr oft in den aben-
teuerlichsten Positionen ; die höheren Berge dagegen zeigen schroffe,
durch den Frost oftmals in enormer Weise zerklüftete Zacken;
diese Zersprengung durch den Fro.st folgt natürlich den gegebenen
Spaltungsflächen uud so kommt es je nach der verschiedenen Lage
derselben, dafs man bald senkrechte Spalten findet von oft sehr
bedeuteuder Tiefe oder aber man wandert über ein Bergplatcau,
das in lauter Scherben zersj)littert ist, weil immlich die Spaltuugs-
richtung schief zur OberHüclie liegt.
Steigen wir jetzt von den Bergen in eines der Thäler hinai)
und wählen wir das in der Nähe von Nain liegende Thal des bei der
Kauk (die Stirn) mündenden Kaubkouga (d. h. Flufs des Kaub).
Von der Mündung ausgehend treftcu wir nach einem geschlängelteu,
durch Stromschnellen oft unterbrochenen Laufe einen Wasserfall von
eioigen 40 Fufs Höbe, der direkt aus einem See, dem Ekkalulik (d. h.
dem Orte, wo Forellen sind), kommt, in welchen zwei Flüsse münden,
der Kaubkouga und der Jordan. Beide kommen in Stromschnellen,
jeder aus einem anderen See, der Jordan aus dem Tessialuk (Hosen-
beinteich der Missionare), der Kaubkouga aus dem Tachardlek (Stern-
teich der Missionare, so genannt wegen seiner Form); anf diesen
folijeu noch vier weitere Seen, nur unterbrochen durch aus Katarakten
und StronischiR'llfn bestehende kurze Fhifsstrecken, die sich bis
dicht an die Kairtoksouk^, auf denen der Flufs seinen Ursprung
nimmt, heranziehen; der Kaubkouga ist nur ein verhaltnismafsig
kleiner Flufs, aber auch er zeigt die in allen Flufsläufen Labradors
charakteristische Seeiibildung. Alle Flüsse, soweit ich habe in
Krfahrung bringen können^ wenigstens alle diejenigen, welche sich
in den atlantischen Ocean ergiefsen, liaben diese Eigentümlichkeit;
ulTenbar hatdie erodierende Wirkungdes Wassers in den kurzen Sommern
seit dem Wegschmelzen der Gletscherdecke noch nicht hingereicht, um
einen kontinuierlichen FluGslauf zu schaffen. Andere wichtige geo-
logische Daten, die über den früheren Zustand des Landes Auskunft
geben, findet man in einigen Buchten; man sieht dort nümlich in
Digitized by Google
I
— 156 —
einijjer Hölie (von 10— 3<1 ni nacli meinen Beobaclituiitipn) alte
Strandlinien, die zei^reii. da Ts die Küste eine seknlAre Ilf'l)uug er-
fahren hat: lasM'ii wir alle diese Thatsaehen zusammen, so «glaube
ich, dafs man in Rezu^' auf die Urgeschichte Labradors zu folgenden
Schlüssen kommen mufs. Da ohne Ausnahme alle Kuppen von
Bergen und Inseln bis heraus zu den rnilsersten im Meere gelegeneu
jene nur durch Vergletscherung erklärbaren Abrundungen zeigen
und jene erratischen Blöcke auf ihnen gefunden werden, »o mufs
zur Zeit der Vergletschcrung die Küste mehr erhoben gewesen sein
als jetztf darauf scheint ein Sinken unter das jetzige Niveau ein-
getreten ZQ sein, bewiesen durch die alten Strandlinien, auf welches
in neuerer Zeit wieder eine langsame Erhebung gefolgt ist
Wie schon oben angefahrt, sind die Sohlen, der südlichen Thaler
mit Tannenwaldungen bedeckt; das nördlichste Thal, in dem noch
Tannen wachsen, mündet in die Nappartok-Bwcht (Napi)artok heifst
die Tanne), nördlich davon finden sich. wenigstiMis diesseits der schon
erwilhnten Wasserscheide, nur zwer^ltu uiige Weiden- und Birken-
gestränche; Moose und Flechten bilden die IIaui»t))e(lecknng des
Bodens. Im Süden, in der NAhe der Küste, sind die Wälder durch
rücksichtsloses Abholzen zum Teil zerstört und an dem verödeten
Charakter des Hotfenthaler Landes ist grol'senteils jene Vertilgung
der Wälder von Seiten der Eskimos und der die Küste des Fischens
wegen besuchenden Fischer Schuld. Da alles natürlich der kurzen
Sommer wegen nur sehr langsam wächst, so sind die Stamme der
Tannen sehr starker Torsion unterworfen, die so bedeutend ist, dafs
abgestorbene Stamme, welche die Rinde verloren haben, vollkommen
wie Propfenzieher gedreht erscheinen. Hiermit Hand in Hand geht
eine starke Veijüngung der Dicke der Stamme nach oben; beides
macht natürlich dieses Holz für die Bearbeitung, wenn auch nicht
unbrauchbar, so doch unbequem. Während des kurzen Frühjahrs
bedeckt sicli das Land, wie es auch von anderen arktischen (legenden
bekannt ist. mit einem zwar au Arten armen, aber an Individuen-
zahl reichen Bluiuenlior; die Flora erinnert im allgemeinen an die
der Alpen resp. an die Norwegens; nutzluir sind von diesen jedoch
aul'ser den Heidelbeeren und Preifselbeeron nur eine Sorte Löft'el-
kraut und die Multbeere (auf eskimoisch Akbik), letztere nament-
lich von den Eskimos bei Skorbutanfällen gebraucht und deshalb
sehr geschätzt und gesammelt In Folge dessen sind viele Orte nach
derselben benannt, z. B. Akbikse, Akbiktok u. A., d. h. auf deutsch:
Orte, an denen Akbik sind. Aufserdem ziehen die Missionare in
ihren Garten noch Kartoffeln und Kohl; aber nicht nur ist die Be-
stellung selbst mit vielen Mühseligkeiten verbunden — die Garten
Digitized by Google
— 157 —
müssen Im FrOlyahr aus dem Schnee ausgegraben werden — sondern
auch wfthrenrl des Sommers müssen sie beinahe allnächtlich wegen
der NaelittV(K>;te mit Matten bedeckt werden.
Niclit leicht ist es Uber den Ticireichtiini res]», die Tierarmnt
zu richtigen Vorstellungen zu koiunien. Gesetzt, jemand käme im
Sommer an die Küste, um Rentiere zu jagen, so würde er wohl im
allgemeinen sehr viele Mosquiten und SandHiegeu sehen und selber
von diesen gejagt werden, von Rentieren aber würde er höchstens
Spnien linden und deshalb behaupten, es g&be nur wenig oder gar
keine Rentiere; wäre er dagegen einige Monate vorher, ehe voll-
ständiges Tbauwetter eintrat, also etwa im April, an denselben Orten
gewesen, so wflrde er Heerden von Hunderten an den Bergh&ngen
ftsend gesehen haben. Ähnlich verhalt es sich mit den Seehunden,
Schneehflhnem, Enten, G&nsen, Möven, Forellen, Kabljaus u. A.,
Tiere, die für den Lebensunterhalt dort von Aufserster Wichtigkeit
sind. £s liegt dieses zeitweilige vollkommene Fehlen und dieses zu
anderen Zeiten stattfindende Auftreten der betreffenden Tiersorten
in Massen an dem bej^tiindigen Wandern derselhen. Soijald die kalte
Jahreszeit vorüber ist, begeben sicli beispielsweise die Rentiere ans
Wandern und ziehen nach ihren nördlichen riiltzen, um im Anfang
des Winters wieder nach Süden zurückzukehren. Zu dieser Zeit
des Wanderns trifft man dann auf jenem schon vorher erwAhnten
Hochplateau, ja auch oftmals in grölserer N&he der Küste zahlreiche
Heerden, während man im Hochsommer oder im Winter vollkommen
vergeblich dort nach ihnen suchen wflrde; so hat man l)eis])ielsweise
hie und da, wenn der Seehundsfang mifisraten, schon in einer früheren
Jahreszeit wie gewöhnlich die Jagdzüge ins Innere unternommen,
oft ohne auch nur Sparen von Rentieren zu entdecken, wahrend
vierzehn Tage später an derselben Stelle die Rentiere nach Hunderten
zählten. Die Jagd auf Rentiere gehört namentlich im Spatjahre
zu den grdfsten Strapazen; denn sie stellt Anforderungen von Aus-
dauer und Zähigkeit im nuirschieren und nach günstiger Jagd im
tragen schwerer Lasten unter unaufhörlichen Tormentationen seitens
dei- zahllosen Mosciuitcu und Sandtliegen an den Jäger, dafs derselbe
meistens \ ollkommen erschöpft nach Hause zurückkehrt; aufserdem
sind die Tier«' zu dieser Jahreszeit auch äufserst scheu, so dals auch
die Geschicklichkeit, um sich au dieselben heranziipürschen, keine
geringe sein darf. Im Früi^jahr ist die Jagd in sofern leichter, als
die Tiere, weil in grossen Heerden beisammen, vertrauter sind, und
weil man im Schlitten von Hunden gezogen auf die Jagd f&hrt, bis
man in die Nahe einer gröfseren Heerde kommt; alsdann verlassen
die Jäger den Schlitten und suchen sich unter dem Winde auf Schnee-
Digitized by Google
— 158 —
schuhen, wenn der Schnee nicht trä^^t, unzupürschen ; geh'nj^t dies,
so kami iiunt meist von der Heerde so viele töten wie man will,
weil die i ieie, wenn sie nur den Scliützeii nicht sehen, ratlos hin
und her laufen, nicht wissend, woher die (iefahr kommt und wohin
sie sich wenden sollen. Die weiteral» weidenden Tiere bekümmern
sich meist wenitr oder gar nicht um die ab'jiegcbenen Schüsse.
Strapaziös wird diese Jagd jedoch sehr, wenn die Jagdgesellschaft
von einem der in dieser Jahreszeit sehr häutig eintretenden heftigen
Schneefälle überrascht wird; wenn nicht durch darauf folgenden
Sturm, verbunden mit strenger K<e, der Schnee wieder festgeblasen
und hart wird, so sinkt man oft, trotz der Schneeschuhe, flher
knietief in den Schnee ein, die Hunde allein sind dann nicht mehr
im Stande, den Schütten von der Stelle zu bringen, und zn einer
Tagereise, wie man sie hei guter Bahn macht, gebraucht man drei
oder vier Tage.
In ähnlicher Weise verhält es sich mit den Seehunden, auch
diese ziehen im Herbste nach Süden und halten sich dabei in un-
mittelbarer Nahe der Küste auf. Hier werden sie dann von den
Eskimos im Kajak gejagt, oder aber, wie es in neuester Zeit häutig
geschieht, in j^rofsen Netzen gefanireu. Da die Anzahl der Seehunde,
wahrscheinlich deswegen, weil '(lenseli)en in neuerer Zeil so aufser-
ordentlich nachgestellt wird, bedeutend abgenommen hat, so sind
viele Kskimos nicht im Staude, einfach mit Hinte und Harpune eine
solche Anzahl von Seehunden im Spiit jähre zu erlegen, dafs es für
sie und ihre Hunde zur Nahrung den Winter hindurch genügt; in
den grofsen, dem Handeishause der Mission gehörigen Netzen werden
dagegen immer eine gröfsere Anzahl gefangen; die Eskimos, welche
die Netze unter ihrer Obhut haben, erhalten dann einen bestimmten
Anteil am Gewinn. Sehr erwünscht ist es, wenn das Zufrieren der
Buchten und Strafsen zwischen den Inseln pldtzlich eintritt, weil
dann die Seehunde von dem Eise eingeschlossen werden und ge-
zwungen sind, dort zu überwintern, dieselben halten sich im Eise
Löcher (aglut) offen, an denen sie von Zeit zu Zeit erscheinen, um
Luft zu schöjjfen; oder aber sie suchen die einer starken Ebbe- und
Flutstntniung wegen ni<'ht zufrierenden Stellen auf. wo sie dann
eine \\vu\v der dort lauernden Kskimos werden. Die im Herbste und
Winter erlegten Seehunde bleiben in der Kegel au der Stelle, an
welcher sie erlegt sind, sei es auf dem Kise oder am Strande, uiil>e-
schützt liegen, um erst im Laute des Winters bei Gelegenheit ab*
geholt zu werden. Hei der strengen Kalte gefrieren sie sehr bald so^
dafs sie selbst für die Zähne der Füchse ein Nolimetangere bilden.
Sobald die wärmere Jahreszeit kommt, wandern die Seehunde wieder
Digitized by Google
— 159
nach Norden /urück. abor da die Küste dann bis weit in die See
hinein mit Eis besetzt ist. s() ziehen sie irnifstenteils an dieser
äufseren Eiskante bin und eutgelieu so grofsenteils den Eskimos;
allerdings jiehen die Eskimos, iiachdem sie von der Frühjahrsrentier-
jn^d zurückgekommen sind, auf die äufseren Inseln, um an der
Treibeiskante (sinnä) zn jagen, aber die Jagd ist sehr gefahrlich
und dabei wenig ertraglich; die Gefahr, vom Winde mit dem Eise
in den Ocean entfährt zn werden, ist sehr grofs, und oftmals sind
auf diese Weise schon Eskimos zn Grunde gegangen oder nur wie
dorch ein Wunder dem Untergang entronnen. Die Seehunde werden
entweder in den Spalten zwischen den Eisfeldern geschossen und
dann harpuniert, oder man wartet, gekauert hinter einigen
Eisblöcken, bis sie auf das Eis kommen, um sich zu sonnen. Die
Eskimos verstehen auch, die sich sonnenden Seehunde anzuschleichen,
indem sie durch tauschende NachahmuniJ der Rewegnn^en des See-
hundes sich alliniihlicli in die Nähe des Seeliundes Willzen. Man
sieht im Winter liaiitig die Buben auf dem Eise diese Hebungen
machen. Der Seehund ist für den Eskimo entschieden das wichtigste
Tier. Das Fell ist nnentbelu'lich für Winterkleider und wasserdichte
Stiefel, für Kajaks und Zelte, der Speck wird an den HandelshAusern
der Mission eingetauscht für Pulver, Blei, Brot, Syrup u. A. Das
Fleisch ist unentbehrlich als Futter für die Hunde und als Speise
fQr die Eskimos; es gilt deshalb auch der für den reichsten Mann,
welcher der geschickteste Seehundiu'ager ist
Auiser den Rentieren und Seehunden findet man noch Schnee-
hühner und Waldhühner. Hasen, Füchse, Hermeline, Vielfrafse, Wölfe.
Ottern. Bären u. A., Je nach den verschiedenen Jahren zaliheiclier
und weniLTer zahlreich; diese sind zum Teil als direkte Nalunn.Lrs-
niitt^l wichtig oder ihre wertvollen Pelze dienen als 'rausch-
oijjekte, inn vom Missionshandelshaus andere für den Lel>ensunterhalt
wicbtiire Dinge einzutaus( lien : an Wichtigkeit stehen sie jedocli den
Rentieren und Seehunden nach; dagegen sind drei Fischsorte«,
Kabljau, Lachsforellen und Salm für den Eskimo von grofser Wichtig-
keit: auch für diese sind es nur bestimmte Zeiten, zu welchen sie
die Küste besuchen und gefangen werden können. Der Salm kommt
nur in den sfldlichen Buchten vor, etwa bis zur Kangerdlualuk (süd-
lich von Zoar), in den nördlichen Buchten tritt er nicht mehr oder
doch nur selten und vereinzelt auf; dagegen wird er wieder in
groben Mengen in den Flufsmflndungen der Ungava-Bai gefangen.
Die Lachsforellen dagegen, an der ganzen Küste verbreitet, erscheinen
bahl nach Fortgang des Eises au den Flufsmündungen, oft in grofser
Anzahl und werden entweder mit einem von den Eskimos hierfür
Digitized by Google
— 160 —
konstruierten, sehr ingeniösen Stecher gestochen oder man ftngt sie
in Netzen. Der Ertrag ist oft sehr bedeutend, zumal wenn die Forellen,
wie im letzten Jahre, in hohem Preise stehen. Der Kabijan erscheint
meist gerade so plötzlich wie die Forellen, nicht etwa zuerst ver-
einzelt, sondern gleiih in ungeheurer Menge; j^i tangen wird derselbe
gröitenteils mit einer Spinnangel, die man ruckweise hebt und senkt,
oder aber mit Ködertischen, zu denen man die ebenfalls die Küste
in grolsen Mengen besuchenden Capelin- (Mallotus arcticus, die Lodde
der norwegischen Kablj aufischer) verwendet. Auf den nach Tausenden
zählenden Newfoundlander Fischerschunern bedient man sich aufser-
dem der Netze; aber selbst mit der blofsen Angel fängt man im
Verlaufe von einer Stunde schon an die Hundert. Der Fischfang
selbst an der dortigen Küste ist Monopol der Engländer.
Betrachten wir zum Schlüsse noch die Bewohner dieses öden
Küstenstriches, die im harten Kampf mit Hunger und K<e beinahe
unter bestandiger Lebensgefahr ihren Unterhalt sich erwerben mflssen.
Sonderbar ist es, dafs diese verzweifelte Lebenslage durchaus nicht
etwa haushälterische Menschen schafft, sondern im Gegenteil, die
Leute leben, ohne zu sparen, im Ueberflufs, wenn das Jagdglück
günstig ist, um nach vielleicht einigen Tagen oder Wochen dem
bittersten Mangel wiederuni preisgegeben zu sein. Die Küste winl
bewohnt von Eskimos und im Süden aufser den Eskimos von sogenannten
Settiers, d. h. Engländern oder Canadiern, die sich an der Küste nieder-
gelassen haben und in ihrer Tracht, Charakter und Wesen nur wenig
von den Eskimos abweichen. Die Zahl der l'.skimos wird 12ÜÜ nickt
übersteigen; der Vidksstamm ist im aussterben begriffen, wie es
vielen anderen Völkerschaften ebenfalls gegangen ist . sobald sie in
Berührung mit Europäern kommen. W^ahrend die Ehen der Eskimos
oft kinderlos sind und der grölste Teil der Kinder frühzeitig stirbt,
sind .die Familien der Settier meist sehr stark, die Kinder gesund
und kr&ftig, die Sterblichkeit gering; die Zahl der Settier nimmt
deshalb von Jahr zu Jahr zu und dieselben rücken dabei immer
weiter nach Korden vor. Treten nun aufser diesem allgemein
konstatierten Rückgänge der Eskimobevölkerung noch Epidemien
auf, die meist durch den Verkehr mit den Fi>cherschoiiern einge-
schlei)i)t werden, so stirbt ein ganz anfserordeutlich grolser Piozent-
satz (leisell)en. Heisjjjelsweise wurden durch auftretende Maseru
vor etwa 3 Jahren gegen 2() Prozent hinweLM:eratt't.
Das Leben der Ivskiuios gestaltet sich fot^ciKiei inalsen. Wahreu»!
des Sommers und Uberhaupt während der Jagdzeit, d. h. vom Mai
bis Dezember, leben die Eskimos zerstreut, nur hie und da zu
mehreren Familien auf ihren verschiedeneo Fangplätzen vereinigt.
Digitized by Google
— 161
Nachdem die Männer im Hai von der Rentieijagd zurackgekommen,
ziehen sie mit ihrer ganzen Familie anf die ftufseren dem Meere
nahe gelegenen Inseln, um Seehunde zu jagen. Wie schon erwähnt,
ftilgL'ii die Seehunde bei ihrer lUickkehr in die nördlichen Gewässer
der äulseren Treibeiskante nnd die Jilger müssen oft weit lieraus
im Humlcbclilitten fahren, um in die Zngstralse der Seehunde zu
kommen; sie verweilen mit Fran und Kindern auf deu ilufsereu
Inseln so lange, bis das Küsteneis die Buchten und Strafsen zwischen
den Inseln verlassen hat — dies geschieht gegen Ende Juni — als-
(Uun eilen sie in ihren Kajaks zurück auf die Stationen, auf denen
sie die Wintermonate hindurch verweilt haben, um ihre grofsen,
meist von Newfoundländer Fischern gekauften Segelböte in Ordnung
zu bringen; mit diesen holen sie ihre Familien, die inzwischen auf
dem Frflhlingsfangplatze geblieben sind, ab, und gehen zum Forellen-
fange in die Buchten an die Flufsyiufe. Nach drei bis vier Wochen
folgt dann die Zeit des Kab^jaufanges. Wie schon erwähnt, tritt der
Kabljau (engl. Codfish) in so enormen Mengen auf, dafs es fQr die
Kskimos ein leichtes wäre, für den Winter für sich und ihre Hunde
genügende Vorräte zu sanmieln ; aber die «lern Eskimo angeborene
natürliche Sorglosigkeit liifst ihn, sobald er im Handelshause mit
den erlM-'Uteten Fischen den IJest seiner im letzten Winter kontrahierten
Schulden getilgt hat, er also wiederum Kredit genielst, sofort von
dem weiteren Fang abstehen, deu er sehr wolil noch bis zum Ende
des Septembers fortsetzen konnte. Die Ilerbstzeit ist dann wiederum
die Zeit der Rentierjagd, worauf vom November bis zur Weihnachts-
zeit die Kskimos zum herbstlichen Seehundsfang ausziehen, indem
sie im Kajak und vom dünnen Eise aus dieselben zu erlegen
oder in Netzen zu fangen suchen. Diese Jagd ist ftufserst mühselig
nnd gefahrvoll. Die Temperatur der Luft ist meist schon tief unter
dem Gefrierpunkte, schwankt zwischen 10—20^ Kälte und liegt im
Dezember selten über — 20^ Bei dieser Teniiicratur sitzt der
Eskimo dann stundenlang festgebannt im Kajak, indem er in den
Buchten und Strafsen auf- und abfahrend nach Seehunden ausspäht,
durclinälst vom eisigen Spritzwasser der Wellen, dessen Tropfen
sofort gefrieren; vom Sturme oder der Nacht überrascht, mufs er
ZuHiiclit an irgend einer Stolle der Küste suchen, um dort die Nacht
zu verbringen oder das Authören des Sturmes abzuwarten. In ähn-
licher Weise müssen diejenigen arbeiten, welche die Netze ausgestellt
haben ; sehr oft fallen die Seehunde beim Heben des Netzes aus den
Maschen heraus und müssen mit vieler Mühe vom Grunde aus mit
Haken aufgetischt werden. Das Heben des Netzes selbst aus dem
Wasser ist bei den tiefen Temperaturen ebenfalls eine unangenehme
QMgr. Blitter. BrraWD 18SA. ^1
Digitized by Google
— 162 —
Arbeit; das Herausnehmen der Seehunde geschieht morgens und
abends und in der Zwischenzeit sitzen sie entweder am Ufer
yerborgen, um nach dem einen oder anderen Seehund zu schiefsen
oder sie fahren im Kajak auf der Buclit zu dem gleiclien Zwecke ;
denn alle mit iler Tlinte erlebten Seehunde i^ehöreu kDiitraktlicli
dem Schützen. Snlcild sich dann liucliten und Stralsen mit Kis
belegt haben, liOrt natürlicli der Seehundstaiig, so weit er mit Netzen
hetrie]>en wird, auf und die Kskimos f;ehen, um die vom läse in den
liucliten einuesHdofsenen Seehunde zu jagen. Diese Ja.ml ist, da
man sicli oft über sehr unsichere Stellen auf der noch dünnen bieg-
samen Eisdecke zu bewegen hat, sehr häutijj: mit unfreiwilli^ren kalten
Badem verknüpft, denen namentlich der Europäer aus Unkenntnis
öfter ausgesetzt ist. Um die Weihnachtszeit herum versammehi sich
dann alle Eskimos mit ihren Familien wieder in iliren Winterh&usem,
das heifst sie kehren nach den üfissionsstationen, auf denen sie an-
gesiedelt sind, zurflck. Jetzt kommt die Zeit des Unterrichtes und
Lernens fOr die Jugend, und die Zeit des 'Ausruhens und der kirch-
liehen Feste fär die Erwachsenen. Seit mehr denn einem Jahrhundert
sind Missionare der Brüdergemeinde an der dortigen Küste thäti^'
und ihrem Kiter ist es zuzuschreiben, dafs fast alle Eskimos ( l»is auf
einige Eamilien, die ganz im Norden bei Killinek woluieni l)ekehrt
sind. Aber nicht allein christianisierend haben sie gewirkt, sondern
auch — civilisierend. Ich glaube, es giebt an der ganzen Küste
keinen l']skimo. der nicht lesen, schreiben imd leclmen kann, wenn-
gleicli sie allerdings für letzteres sonderbarerweise nicht besonders
begabt sind ; dagegen haben sie ein aufserordentliches Gedüchtnis
und ich glaube, sie können die gebräuchlicheren Kirchenlieder wohl
zumeist auswendig. Durch näheren persönlichen Verkehr mit den
Missionaren suchen sie sich aufserdem über die verschiedenartigsten
europäischen Verhältnisse zu orientieren. Jeden Sonntag Nachmittag
ist es ihnen erlaubt, in das Missionshans zu kommen, wo ihnen hier
illustrierte Zeitschriften, die als Geschenke dorthin gekommen sind,
gezeigt und erklärt werden, dort ist vielleicht eine kleine Elektrisier-
maschine aufgestellt und ihnen wird die Wirkung auch dieser Natur-
kraft, soweit die beschrünkten Mittel es erlauben, erklärt: am meisten
von allen werden sie jedoch von Musik aimfzouen: wer ilnien etwas
vorspielt, tindet immer ein dankltares Piililikum. Und sie sind niclit
Hörer allein, sondern sie spielen aucli selber. So wird die Orgel
oder das llanuonium zum Kirchengesange von l'skiuKts ui spielt, im
Winter bei Anwesenheit der ganzen (iemeinde, immer Im j leitet durch
ein kleines ebenfalls aus Eskimos zusammengesetztes Orchester. Die
Missionare selber, abgeschieden von der ttbrigeu Welt und dem
Digitized by Google
— 163 —
Leben und Treiben darin, nur einmal im Jahre durch das die Küste
besuchende Missionsschiff in Verbindung mit Europa, leben mit ihren
Frauen ein friedliches, wenn auch entsagungsreiches Leben unter
ihren Eskimos, ja sie vflrden sich, wie mir geschienen hat, voll-
kommen glücklich fühlen, wenn nicht die viel&che Undankbarkeit
der Eskimos ihnen manchen Kummer bereitete; denn im allgemeinen
sind die Eskimos nichts als wie grofse und oft recht ungezogene
Kiiulor. Trotzdem sind alle Missionare, wie mir schien, gerne dort,
leben mit Freudigkeit ihrem Berufe und sehnen sich, wenn in
Knrn])a. zurück nacli ihrer kalten, iinwirtliclien aber weit ab vom
Getriebe der Welt uele^enen zweiten Heimat. Und mir sell)st wurde
ebenfalls nach einem 13 monatlichen Aufenthalte, der manchem civili-
sierten Menschen durchaus nicht verlockend erscheinen mag, eigen-
tümlich ums Herz, als die unwirtliche Küste im September vorigen
Jahres langsatn am westlichen Horizonte meinen Blicken entschwand.
Am 6. Oktober 1883 betrat ich nach einer Abwesenheit von IH Monaten
wohlbehalten wieder die Londoner Docks, erstaunt und bedrückt zu-
gleich durch die Menschenmenge auf den Strafsen, den Komfort
und den Luxus der ungeheuren Stadt
Die Erforschung des Yukon - Gebiets (Sommer 1883).
Von K. Sehwatka,
rri'iuiüi-Leultidui in der Vi-roiiii>;teu iSUuiU-u-Aniiue.
2. Vom Fort Selkirk bis zum alten Fort Inkoi
Bterzn T*M 8: T«n II. d«r OrigUtAl-RootenkMrl* «bwr VlUlirexpeditlm In Jahre 1888 initer
KoninuuuUiat Prendtr-Lenmant F. 8«hwatka: von Tort 8«lklrfc. B. C, bis Fort Tnkon, Aladca,
von CL A. HoBaon. llabiMb: 1:1176000.
Fahrt bis zum Indianordorf Ayan. Die Iixlirtncr. Beschaffenheit der Yiikon-UfL'r. I>('r
äelwjrn-Flufa. Die Mündung des White- Kiver. Schlammiges Wa&üer. Der i>tewart-
Siver. Indianer. Der Moose>ekin-Moant«{n. Fort ReKance. Das Indienerdorf Nnelaeo.
Der Cone-Hill-River. Braune Büren. Der Uoquette-Felsen. Der Höhlen-Felsen. Johnnys
VHIhko. Luolisfang. Honiidaiy - Butte. t'ppit^cr Boden. Cliarlics N'illagc. Die Sf
Michac'ls-Bank. luscln über Inseln. Flache L'fer. Die Katzel-Bergkette. Ankuiilt in
Port Yokon. Die StvOnranc det Yukon.
Wir verliefsen das ehemalige Fort Selkirk am 15. Juli 1883
und tiiliicn an tliesem Tage nur 12 miles bis zu dem iudiaiiischeu
Doiio Ayan. Am rechten Ufer des Flusses zeigte sich ein senkrecht
ah.stürzender, ungefAhr H)0 Fufs holier TraiJpfelsen. Er erstreckt
sich von der Vereinigung des Pelly (und diesen Strom aufwärts, so
weit wir ihn — auf 3—4 miles — erfoiächteu) mit dem Yukon bis
♦} Den Boricht über den 1. Teil der Reise: von der Chilkoot-Bucht bis
Fort Selkirk, n«b«t Karte, brachten wir in Heft 1 Seite 16 n. ff. Die Bed.
11*
Digitized by Google
— 164 —
gegenüber dein Dorfe AyaD, wo die hohen Berge des Hinterlaudes
in den Vordergrund treten und ihn verschwinden lassen. Nur an
zwei oder drei Stellen der ganzen Länge kann man vom Yukon aus
die Höhe ersteigen und auf das flache Tafelland dahinter gelangen;
an anderen mttfste man in Spalten senkrecht in die Höhe klettern.
Das indianische Dorf Ayan ist aus Zweigen erbaut; es sind Be-
hausungen, die nur vorübergehend zur Zeit des Lachszuges, im Juli
und August, benutzt werden; die übrige Zeit des Jahres leben die
Indianer vom 1 Um sc b des Kiens, Iveutiers, des Bilreii und von
Wurzeln, hauittsachlich aber von (k'ui ersteren. Ibre Zahl betnlgt
etwa 2(X); ilir Iläuiitlini: ist ein bejalirter Mann mit Namen Kow-it'l :
duri'hscbnittlieb seben sie sebr intelligent aus. bi-somlers im Vergleii b
zu den Tabk-heesh weiter aufwärts am Yukon. Sie vcrfertiueii die
scbönsten und kleinsten liirkenrindenkanocs am Yukon; die anderen
Gerätschaften sind von geringem Wert. Zu der Moskitoplage, gegen
welche Netze keinen Scliutz gewabrteu, kamen nocb kleine Fliegen.
Am Tage batten wir Gewitterschauer.' Am 16. Juli trieb unser
Fiofe 47 miles den Strom hinab, der noch immer von zahlreichen
Inseln erfOllt war. Die meisten dieser Inseln waren jlicht mit Nadel-
holz bewaldet und sahen in dem tief eingeschnittenen Flufsthal,
dessen Abhänge völlig kahl waren, recht malerisch aus. Auf den
Bergen am rechten Ufer zeigten sich ein grofser schwarzer Bär und
drei Bergziegen, es gelang uns aber nicht, eines dieser Tiere zu
erlegen. Noi b immer gab es Gewitterschauer, denen sengende Hitze
folgte, liegen Mittag i)assierun wii- die Miuulung eines von Süden
her einströmenden betriiditlicben IJergllusses, den wir naeb rrofes.sor
A. Ii. C. Selwyn von Canada, Selws n-Fluls nannteu. Am linken
Ufer erblickten wir eine Ueilie von Ayan-Onlbern.
Am 17. Juli trieb unser Flofs 40 miles. Der Tag war nebelig,
wie es häutig der Fall ist in dieser Jabreszeit, wenn die warmen
sttdlicben Sonimerwiude vom Pacific über die vergletscherten Küsten-
berge Alaskas wehen. Gegen 1 Ubr 30 Minuten nacbniittags pa^^sier-
ten wir die Mttuduug des White -Kiver (wie ihn die iiudson-Bai-
Kompagnie nennt), welcher mit starker Strömung von SQdwesten
hier einmündet und fast flüssigen Schlamm führt. Von hier aus bis
zu seiner nahezu 1400 mUes entfernten Müudung ist der Yukon
äufserst schlammig und trübe und klares Wasser sieht man nur an
den Mündungen der Nebenflüsse. Die Fischerei wird nur noch mit
Netzen betrieben. Der indianische Name des White-River ist Yukokon-
Heeiiah oder Yukokon-Iiiver. Die Cbilkats nannten ibn Sand-River,
wegen der vielen Sandbänke, webbc sieb lilngs seines Laufes linden.
Ehemals mochten diejenigen, welche bis hierher iiaudel trieben, auf
Digitized by Google
— 165 —
«It'Hi \Vliitc-Ui\t'r /urii( kl<( lireii, da er einen kürzeren We«: zu dem
rhilkat-I.ande ,i:(>\v;dirte. Srine Quelle soll sieh in einem mit (ilet-
scliern Itedeekten, ber^'i^en Lande betindm. l'ni 4 Llir nachmittags
fuhren wir au der Mündung des Stewurt-Uiver vorüber, die vielfach
jrespalten ist und dureli zahlreiche Inseln verborgen wird, so dafs der
Fluiis, ^venn nicht seia in die Augen fallendes, in die hohen Berge
eingeschnittenes Thal gewesen wäre, nicht bemerkt worden wäre.
Die Sandbänke des Flusses sind reich an feinem Golde und weiter
aufwärts wahrscheinlich gute Goldwäschen.
Am 18. trieb das Flofs 47Vs geographische Meilen bis zum
Lagerplatz 32 der Karte. Der Lauf des Flusses auf dieser Tage-
reise war beinahe gerade nach Norden gerichtet, mit nur wenigen
bedeutenden Krümmungen. Kurz nach Mittag trafen wir am Ufer
r.i^tend eine Anzahl Indianer, welche sieh Tahk-ong nannten und wahr-
S'.lieinlich aut einem Handelsznii begriffen waren. F's hatte jeder sein
eigenes Kanne (zusammen waren es lOi; Frauen waren nicht darunter.
Ks waren dies viel reinlicher und besser aussehende Indianer, als
ich sie irgend früiier getroffen hatte. Es sind nur einige kleine, von
rechts und links einmündende Fliisse vorhanden, aber mit Ausnahme
des Stewart- und White-River konnten keine auf der ganzen Strecke,
von Fort Selkirk bis Fort Yukon, nach den vorhandenen Karten
festgestellt werden. Wir lagerten um 9 Uhr 40 Minuten abends
(Nr. 32) an der Mftndung eines von rechts kommenden^ ziemlich
beträchtlichen Flusses, welcher früher von den die Handelsstation
Fort Reliance besetzenden Händlern Deer-River genannt wurde. Der
Yukon-Flufs verengt sich hier bis zn einer Breite von 200 bis
250 Yards, eine ungewöhnliche Kincntxung auf viele miles oberhalb
und unterhalb; und da seine Strömung nicht wesentlich schneller zu
werden scheint, mufs die Tiefe eine sehr grofse sein. Von hiei- aus
bc'iiieikt man einen auffälligen Hügel auf demselben Ufer, welcher
von den Indianern Moose-skin-Mountain geminnt wird, weil ein Erd-
rutsch an seiner südlichen Seite den braunen okerhaltigen Boden
blofsgelegt hat, welcher durch den Kontrast mit dem grünen Rasen
einer ausgespannten gegerbten Elentierhaut gleicht
Am 19. brachen wir spät auf (11 Uhr 10 Minuten vormittags);
schlechtes Wetter verhinderte astronomische Beobachtungen und kurz
vor 1 Uhr nachmittags passierten wur Fort Reliance, eine verlassene
Handelsstation der Alaska-Handelsgesellschaft, aus drei gebrechlichen
Blockhäusern bestehend. Sie war ein Jahr vorher aufgegeben worden,
da die Indianer unruhig wurden. Gerade gegenüber liegt das
Indianerdorf Noo-klahk-ö oder Nudaco, welches wahrscheinlich
150 Seelen zählt. Die Gesellschaft wiude mit 60 bis 75 blinden
Digitized by Google
— 166 —
Schüssen begrüfst. Die Indianer sind, wie alle an dem Fhisse auf
der Karte verzeichneten, mit alten Steinschlols II udsoii-Hai-Mnsketen
und düi>pelläufigen Schrottlinten von kleinem Kalibor bcwatl'not, aus
denen aber, wenn erforderlich, auch mit Kugoln i^^osihossen weidou
kann. Nuclaco hat im allgemeinen dasselbe Ausselien wio das Dorf
Ayan und seine Bewohner, Talik-ongs mit vielen TaiuiMa-rx'suchern,
leben ganz wie die Bewohner Ayans. Um 6 Uhr 20 Minuten nach-
mittogs blieben wir mit dem Flofs auf einer Sandbank sitzen und
mufsten unsere Sa( hon ans Ufer bringen, um abzukommen, was uns
Öfter passierte. Wir hatten weniger als 30 miles zurückgelegt; es
war ein unangenehmer Tag mit schweren Begengüssen und keinerlei
Schutz dagegen auf dem FI0&. Die Gegend ist immer noch sehr
bergig.
Am 20. Juli brachen wir um 8 Uhr morgens auf, passierten
sodann um 11 Uhr 90 Minuten einen Flufs, welcher von links ein-
mündete und als Cone-Hill-River bezeichnet wurde, nach einem weit-
hin sichtbaren kegelförmigen Hügel im Thale nahe der Mündung.
Etwas weiter an derselben Seite sah ich vier oder fünf schwarze
und braune Bären in einem Trupp auf der Ilrdio der Thal wand.
18 miles über den Cone-IIill-River hinauf betindot >\c\\ der Roquoltc-
Felsen (so genannt nacli Monsieur A. de la Roiiuotte, von der Geo-
graphischen Gesellschaft zu Paris), ein au fser ordentlich auflVillt iidor
und pittoresk überhängender Felsen, welcher sich aus einer tiachen
Ebene bis zu einer Höhe von ungefähr 200 bis 300 iMifs erhebt.
Er gleicht genau dem Castle Kock am Columbia, aber er ist
nicht ganz so hoch. Die am 20. Juli zurückgelegte Strecke betrug
45 geographische Meilen. Bevor wir unser Lager Nr. 34 auf-
schlugen, kam am rechten Ufer des Flusses ein hoher Kalk- oder
Sandsteinfelsen in Sicht, auffallend von kleinen Höhlungen durch-
setzt, welcher auf der Karte mit Gave Rock (Höhlenfelsen) bezeichnet
ist. Der Flufs war während dieser Tagfahrt vielfach gewunden und
das Land wurde merklich offener. Kurz nach Mittag trafen wir nach
einer Fahrt von 14 miles am linken Ufer ein kleines indianisches
Dorf von sechs Häusern, deren Seitenwjlnde aus Holzbalken und
deren Dächer aus Tannenrinde gefertigt waren. Der indianische
Name desselben ist ;,Klat-ol-klin, aber es ist auf den Karten ge-
wöhnlich als Johnnys -Village eingetragen und wird sogar von den
Indianern meistens so genannt, da dies der amerikanische Name des
Häuptlings ist; sie selbst nennen sich Talk-onij. Ihr Dorf wird von
ungeffthr 80 bis 100 Menschen bewohnt (es ist dies der erste immer
bewohnte Ort am Yukon, von seiner Quelle an). Die Bewohner
leben hauptsftchlich von Lachsen, und sie sind die ersten von uns
Digitized by Google
— 167 —
angetroffenen Indianer, welche diesen Fisch sowohl zu ihrem eigenen
Gehrauche als auch zum Futter für ihre zahlreichen Hunde dörren.
Die letzteren verwenden sie als Schlitteugespjinne, zum Gepäcktrageu
und zur Ju<id. Sie fan^'eu die Luchse alle mit Handnetzen nnd sind
in ileroii Cieliraiicli uurserordentlicli gL'.schickt. Von liier bis zur
Mündung: würde wohl bei den jetzigen Preisen mit gutem Krfolg
eine Lachslischerei. mit Anstalten zum Versenden des Fisches in
lUicliseu, angelegt wenlcn können. Eine nüle tiursiil)warts von dem
Indianerdorfe ist auf demselben Flnfsufcr eine verlassene Ilandels-
station (sie wurde im Jahre V(n-her aufgegeben), welche von den
Indianern Mercers, von den Handelsleuten aber Belle-Isle genannt
wird. Die Station besteht aus zwei oder drei stattlichen Block-
häusern; in dem hier mündenden Thale wachst Gras in üppiger Fülle.
Ein bemerkenswerter Hügel, genau, nördlich von Belle-Isle, von den
Indianern Ta-tot'-lee genannt, wurde von uns mit dem Namen
Boundary butte belegt, da er nahe dem Grenzmeridian (141^ westl.
von Greenwich) gelegen ist.
Am 22. Juli trieben wir S5 miles nnd kamen an mehreren
toten Kcinigslachsen vorüber, welche, den Bauch nach oben, dahin-
schwannnen. Der ganze Boden des Landes schien mit einem
elastischen Moos oder einer sumj)figen Torfsehicht sechs bis zwölf
Zoll lioch l)e(le( kt zu sein und ist so zilhe, dafs wenn das Ufer auch
nnterwascbeu wiid. es nicht herabstürzt, sondern die steile Ufer-
bö.srlmng mit einer herabhängenden Decke bekleidet. Zum ersten
Male scheint der Boden fett und schwarz zu sein und der auch
sonst gute Graswuchs wird jetzt üppig. Als wir am 22. die Grenze
überschritten, hatten wir 783 miles auf dem Yukon in Britisch
Amerika zurückgelegt und hatten noch 1260 miles in AUska
zurückzulegen. Das Land öffnet sich noch immer merklich. Wir
fanden am Lagerplatz Nr. 36 Hagebutten, welche grofs und süüs
genug zum Essen waren und die auch nicht zu viele Haare hatten.
In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli stieg der Flufs 10 bis 12 Zoll,
in Folge andauernder, vor kurzem gefallener Hegengüsse.
Den 23. fuhren wir 37 miles und an vielen Flüssen, welche
von beiden Seiten einmündeten, vorüber; gegen 5 Uhr nachmittags
wuKle in der Nähe des Charlies \ ilhige genannten Ortes das Lager
aufgeschlagen; der Ort sell)st ist ein genaues Seitenstück zn Johnnys
Villaiie. Das Land wird noch oti'ener und die höchsten Hügelketten
treten weit von den Flulsufern zurück. •
Am 24. fidiren wir 43 miles bis zur St. Michael-Insel oder
Bnnk. welche nach dem auf ihr gestramleten und jetzt dort 10 Fufs
hoch auf dem Trockenen sitzenden HandelsfluCsdampfer »St. Michael^
Digitized by Google
— 168 —
genannt wird. Das Land zeigte sich jetzt ganz offen, hohe Hügel
in der Entfernung waren hier und da mit Schneeflecken bedeckt
An demselben Tage trafen wir einen m&chtigen Elentierbock im
Fluöse schwimmend.
Am 25. Juli wurden 36 miles zurückgelegt bis zum Lager
Nr. 3\l Wenn man St. Michaels Bar im Kücken hat, verHacht sich
das Land sehr schnell und wird wenige miles weiter ganz eben, so
"weit das Auge reicht. Der Fluls spaltet sich in unzahlige Kanäle,
breitet sich viele miles weit aus und wird überall durch kleine
Inseln unterbrochen, so d&b es fast unmöglich ist, die wahren Ufer
desselben zu erkennen. Dieses charakteristische Aussehen behalt er
bis zum Fort Yukon, fast 100 miles weiter, innerhalb Teil 2, und
noch weitere 200 miles innerhalb Teil 3; es sind also zusammen
900 miles ganz ebenen Landes von kaum 8 bis 10 Fufs Höhe ttber
dem Spiegel des Flusses; auf demselben wachsen Fichten,
Pappeln und andere Bäume, doch erreichen sie alle nur eine
geringe Höhe. Ungefähr von St Michaels Bar an fehlen auf dem
rechten Ufer die Hügel ganz, während sie auf dem linken westwärts
zurücktreten und in einer Reihe von sanft ansteigenden isolierten
Bergköpfen verschwinden, welche andeuten, dafs der Boden früher
nach Norden geneigt war und dals spätere Ablagerungen die Hügel-
ketten bedeckten. Diese Berge wurden Ratzel-Bange oder Ratzel-
Peaks genannt zu Ehren des Münchener Professors Fr. Ratzel, eines
eifrigen Freundes arktischer Forschung. Die Hügel, von denen die
Ratzel-Peaks eine Reihe von Ausläufern bilden, sind auf der Karte
nicht angegeben. Viele der Wasserläufe in dem ilachen Laude
zerspalten sich wiederum in so enge Kanäle, dafs das ungestörte
Befahren derselben mit dem grofsen Flosse unmöglich wurde; ge-
langten wir in solche enge Stellen, so verorsachte dies häufig grofsen
Aufenthalt Manche der entfernten Hügelketten konnten bei klarem
Wetter durch bankförmige oder Cumulus-Wolken, welche sich längs
des Horizontes Ober denselben hinzogen, erkannt werden. An
sonnigen Tagen herrschte in diesem flachen Lande auf dem Flosse
eine unerträgliche Hitze.
Am 26. machten wir 33 miles, blieben mehrmals auf Sandbänken
sitzen und lebten in steter Besorguii>, Fort Yukon zu jmssiereu,
ohne es wegen des Gewirres der vielen Inseln zu bemerken.
Den 27. Juli mulsten wir uns mit grolser Mühe nach dem
richtigen Kanal hin durcharbeiten und gelaugten dann gegen Mittag
zum Fort Yukon.
Damit hatten wir nahezu eine Strecke von 1000 miles (richtiger
989 miles) in Abteilung iL durch eigene Aufnahme festgelegt und
Digitized by Google
— 169 —
somit (lio Verbindung; mit Kapitiiu Uaynionds sehr ^euuiion Aiif-
naimien von 1869 hergestellt, wodurch der Flufs in seiuer ganzen
Länge erforscht ist. Von hier aus wurden nun unsere eigenen
Aufnahmen bis zur Aphoon-Mündang fortgesetzt.
Daä alte Fort Yukon, ursprflnglich durch die Hudson- Bai-
Kompagnie erbaut, nach Kapitän Raymonds Aufnahme jedoch ver-
lassen, wurde spater durch die Alaska -Gommercial- Company besetzt,
aber vor vier oder fünf Jahren, als zn wenig gewinnbringend, auch
von dieser wieder geräumt; augenblicklich befinden sich nur sehr
wenige Indianer an diesem Orte. Der Flufs ist hier gegen sieben
niiles breit; nach früher im alten Fort Yukon sefsliaften Händlern,
welche die Flufsbreite an anderen Stelleu dieses tiachcu Landes von
Ufer zu Ufer, quer über Kanäle und Eilande hinweg, niafsen, hätte
er die doppelte Breite.
Merkwürdigerweise verliert der Flufs, auch nachdem er sich
auf eiue so grofse Fläche ausgedehnt hat, uur wenig an Schnellig-
keit der Strömung, ein Zeichen sowohl für seinen bedeutenden Wasser-
reichtum als auch für die grofse mittlere Tiefe, welche er vorher
besessen haben mufs. Die Ghilkat-Indianer, welche die Gesellschaft
von 8t. Michaels Bar an begleiteten, glaubten, sie kämen in die
offene See, als sie das weite ebene Land vor sich sahen.
Itinerar zu Tafel 2.
IB*. IB. s 1,61 Kill
Von Fort Selkirk bis zur Mümlung dos Sclwyn River 33.fi
Weiter bis zur Muiulung des White River 62.1
, , „ , , Stewart Rivor 9.7
» » n 9 I>e« ßiv« : 66.6
a I mm Fort Relianoe 6.5
, g zur Mändimg des Chaudiiuhi River 12.0
n , 9 r n Cone HiU River 27 .5
, , znm Pioqnetto Felsen 13.0
, j, zu Johnnys Vilhige 33.0
„ , zur Belle Isle Station 1,1
, , , Grenzlinie 141" W 20.3
, „ zur Mündung des Totondu River lü.O
n » w n n Tahkaiidik River 22.4
. ^ zu Charlies YiUage 29.0
, , , 8i Hiehaele bland 47.4
, „ Fort Yukon 97.0
Gesamtlänge des auf dieser Heise durchforschten Gebiets 490.2
Der später mitzuteilende Abschnitt 3 nmfaTst die Reise von
Fort Yukon nach der Aphoon-MOndung; diese Strecke wurde von
Ghisunoff, Malakoff, Zaroskin, Kennicott und Strachau Jones erforscht
und von Kapitän Raymond von der Yereinigten-Staaten-Annee auf-
genommen.
Digitized by Google
— 170 —
Die franzttsische Polarstation bei Kap Horn.
Vorläufige Berichte.
Penional der Station. T4i8e der letsteren. Hydrographie. Klima. Beriobt des Natur-
forschers l>r. Ilyades von der OraiiKe-nai : («oologi^clies. Flora. See- uml I.aiul-
Fauna. Die Eiiigeboreueii. Bericht des Dr. Huhu iibt;r die naturwi>.'<ea8ch«ftUchcu
Ergcbniaee während dvr Kreuzen der .Kowanche*.
Über die Arbeiten der französischen Polarstation in der Orange-
Bai bei Kap Horn wurden von der französischen Akademie der
Wissenschaften unter dem Titel: Mission scieutitiiiuc du Cuj) Horn
1882—88. Rapports preliuiiiiaires, Paris. Gautliier-Villors 1884, eine
Reilio, vorlj\uti<;er Mitteilungen verötfontliclit. wiUlie die erste
zusannuenhiingcndc Kunde von dieser Station biettMi. Dom alluo-
luoinen Bericht des Chefs der jjanzen E\i)eilition. Frejratten-ivapitan
Martial, entnehmen wir die sdion bekannten That.sachen, dafs Frank-
reich in dem System der internationalen Beobachtuugfistationen
1882 83 die Besetzung der Station hei Kap Horn übernommen hatte,
dafs einer Kommission der franz()siscben Akademie der Wissensdiaften
die Leitung des Ganzen, die Abfassung der Instruktion u. A. über-
tragen war und dals ein französisches Kriegsschiff, die nRomancbe'^,
den Befehl erhielt, die Expedition auszufahren. Das Personal der
Expedition bestand aus folgenden Herren : Chef der ganzen Expedition
F. Martial, Fregatten- Kapitän, Kommandant der Kriegs -Dampf-
fregatte „Romanche". 1. Abtheilung« Landexpedition: Courcelle-
Senenil, Scliift'sleutnant, Clief; Payen und Lejdiay, Schiflsleutnants ;
Le Cannelier, Seekadett; Hyades, Marinearzt 1. Klasse. 2. Abtheilnng,
an Bord der „rvoinanche'' : Doze, Schift'sleutnaut, zweiter Oflizier;
De Lajarte, Rene de Carfort, Schiffsleutnants; De la Mouneraye,
Scekadett; Hahn, Marinearzt 2. Klasse: Keart, Verwaltungsbeamter.
Der Landexpedition waren als Naturforscher beigegeben: Lebrun,
ITariot. Sauvinet, Präparatoren am Museum. — Die „Romanche" ver-
lieüi Cherbourg am 17. Juli 1882 und traf am 0. September in der
Orange-Bai der Insel Hoste, ein, wo die Beobacbtungsstation (zu-
gleich für die Beobachtung des Venus- Yorttberganges am 6. Dezem-
ber 1882) errichtet wurde. Die «Romanche'* kreuzte sodann in den
Gewässern des ganzen Magellan-Archipels bis zu den Falklands-, der
Staten-Insel und Diego Ramirez, zum Zweck natnrwissenschaftlicher
und hydrographischer Forschungen, wobei an einer Reihe von Punkten
gelandet wurde; am 3. September 1883 wurde das Personal der
Station in der Orange-Bai wieder autj^euommüu und nach Frankreich
gebracht.
Digitized by Google
— 171 —
Die BeobachtUDgsstation in der Orange- Bai wurde am Ende
einer kleinen Bttcht dieser Bai, am daUichen Ufer der zur Insel
Hoste gehörenden Halbinsel Hardy, 3 Meilen vom pacifischen Ocean
und 35 Meilen von Kap Horn, errichtet Neben den Beobachtungen in der
Station selbst, welche vom 26. September 1882 bis 1. September 1883
wahrten, fanden in der englischen Missionsstation Uschuwia (ßea.!zle-
Kanal) mittelst von den Franzosen herjj:eliehener Instrumente in der
Zeit vom Dezember 1882 bis Aujrust 1883 drei Mal täglich meteoro-
logische Beobachtungen statt. Die geographische Lage des Fulscs
des Anemometers der Station in der Orange-Bai wurde zu 55^
31' 24" s. Br. und 70^ 25' 12" ö. L. Gr. ermittelt.
Die „vorläufigen Mitteilungen" umfassen neben dem erwähnten
ailgenioinen Bericht elf Specialberichte, welche astronomische, erd-
magnetische, meteorologische, hydrographische und verschiedene
naturwissenschaftliche Keol)achtungen betrett'en.
Als Ergebnis der hydrographischm Arbeiten wird die in meh-
reren Beziehungen erreichte Vervollständigung und Berichtigung der
hauptsächlich auf Fitzroy^s Untersuchungen gestatzten englischen See-
karten der Gewässer des Magellan-Archipels, der Malouinen und der
Staten-Insel bezeichnet. Von besonderem Interesse sind natürlich
die Berichte über die meteorologischen Beobachtungen und das Klima
in dem Beol)achtungsgebiet. Letzteres unterscheidet sich in dieser Be-
ziehung in zwei Regionen. Die eine umfalst den nordöstlichen Teil
des Feuerlandes und das Ufer des Beagle - Kanals im Osten der
Murray - Meerenge. Nach den Beobachtungen und Ermittelungen
der Missionare in Uschuwia — der englischen Missionsstation, w elclie
beinahe an der w estlichen Grenze der Kegion liegt, — ist das Kliiua
hier weniger beständig, die Atmosphäre weniger feucht als in der
anderen Region, welche die Insel Hoste, die Nassau r)ai, den Kap llorn-
Archipel, sowie die westliche Kflste und Inseln des Feuerhindes in
sich begreift und durch ein im höchsten Grade maritimes und neutrales
Klima ohne scharf geschiedene Jahreszeiten charakterisiert wird.
Sonnige Tage sind äufeerst selten; meist läfst in den Stilten,
welche den Stttrmen vorhergehen, oder ihnen folgen, ein wölken grauer
Himmel das Sonnenlicht nur gelegentlich fahl durchschimmern; ob
AVinter oder Sommer, fast immer regnet, schneit oder hagelt es;
in jedem Monat gab es durchschnittlich 25 Regentage und an sieben
oder acht dieser Tage schneite oder graupelte es. Die Temperatur ist
fast beständig die Oktober- und November-Temperatur der Meere
von Schottland und Norwegen; fast das ganze Jahr hindurch
wehen die Westwinde, d. h. Winde, welche sich aus Richtungen
zwischen West-Nord-West und Sttd-West bewegen.
Digitized by Google
172 —
Dem Bericht des Naturforschers Dr. Ilyadcs entaehmen wir
folgendes über die naturwissenschaftlichen Ergehnisse.
Wir müssen uns, sagt Dr. Hyades, auf eine kurze Darlegung
der Beobachtungen der Geologie, der Flora und Fauna und die Be-
wohner der im Süden des feuerlandischen Archipels und im Gebiet
der Station bescbränken. «
Dieses Land bietet wirklich, um den Ausdruck Darwins zu ge-
brauchen, den Anblick eines zum teil unter Wasser ^^esetzten Berg-
lundes. Zwischen den Hüiicln. welche sich bis zu QOO m Hohe
erheben, erstrecken sich schmale Mecresarnie, oder vielmehr Thiller
von Seen und Sümpfen üborsat, mit einer einf(hnii.!j:en und ver-
küminerteu Vegetation. Das vorhenxhende Gc>tein ist Schiefer
und (iranit. Überall, wo der Felsen vegetationslos, ist er durch
die klimatischen Einwirkuniren j^anzlich verAudert, dereu £iuflu£s die
Spitzen der Berge abgeschleift und zur Bildung dieser Steinnieere
beigetragen hat. Die Vegetation hiiit bei 40() m Höhe für die
antarktische Buche auf, welche fast überall in der Region, die uns
beschfiitigt, in zwerghaltem Znstande wftchst. Etwas weiter unten,
ungefiihr 300 m über dem Meeresspiegel, erscheint Fagus betuloides.
Diese bildet vereinzelte Gebüsche und erreicht nur an der Küste
oder in sehr geringer Höhe eine vollständige Entwickelung. Hier
macht sie mit Drvniis und Berberis einen Strich von Wäldern aus,
deren immer feuchter, au Ptianzenerde armer Boden mit Moosen,
Farrnkrautern und einer ziemlich grofsen Mannigfaltigkeit von Pflanzen
kleiner Art bedeckt ist. Die Walder befinden sich nur an Stellen,
die vor Westwinden geschützt sind; die Iliigel dienen als Wall gegen
dieses zerstörende Element, welches die Wipfel der Bäume, die an
den dem Ostwind ausgesetzten Abhängen wachsen, genau in gleicher
Höhe mit den bergigen Hocliebenen halt.
Von allen Gattungen ist der Drimys am empfindlichsten g^en
die Wirkung des Westwindes, welcher die Blfttter und die Rinde
desselben rasch ausdörrt. Die Seeflora ist reich an Algen jeder Art;
die gewöhnlichste iät die Macrocystis pyrifera. Diese Algen gewahren
zahlreichen lebenden Wesen eine Zuflucht: Zoophyten, Anneliden,
Mollusken, Crastaceen und Fischen. Diese in acht oder zehn Arten ver-
tretenen Fische hjilten sich nicht wahrend des ganzen Jahres in den Algen
auf; sie erscheinen im Dezember und verschwinden im MArz wieder.
Dagegen sind die kleinen Fische, welche unter deui (H>lein leben
und die man zur Zeit der Ebbe leicht greifen kann, zu allen Jahres-
zeiten vorhanden und bilden drei hier einheimische Gattungen. Diese
dienen nicht als Nahrungsmittel, während die wandernden Fische ein
i< ieisch besitzen, das selbst von den Europäern geschätzt wird. Man
Digitized by Google
— 173 —
findet auch kleinere Arten von Süfewasserfischen, aber in beschränkter
Anzahl. Die Muscheln sind an den meisten Gestaden in Fülle vor-
handen. Mytilus, Oscabrionen und Patellen sind die vorherrschenden
Gattungen. Alle die grofsen Arten sind efsbar. In gleicher Weise
bilden die Seeigel eine schätzbare Quelle des Unterhalts, besonders
während der Monate Juli und August, ileiii Ende des Winters ent-
sprecliend. Die niederen Krnsteiitiere sind sehr fjjewüliulicli und
einige Avtvn iui ('berflur> vorliauden, aber sie sind niclit efsluir.
Dagegen sind die höheren Cnisliic eeu (z. B. einige Arten der Litlinden)
efsbar: diese findet mau hauptsächlich iu den uördlicheu Gegendeu
der Orange-Bai.
Vu\ diesen kurzgefalVten Überblick der Sccfanna zu bescbliefsen,
wollen wir nocli die Walfische, die Seehunde und die Pinguine an-
führen. Die Kx[»edition bringt zwei Walftschskelette mit: das eine
rQhrt von einem Tiere her, welches man am New-Years Sound ge-
strandet fand und dessen Knochen an Bord der „Romanche" mit
grofser Sorgfalt präpariert wurden. Das andere, weniger vollständige,
fand man an einer flachen Küste. Alle Knochen, welche der Komman-
dant Martial hat sammeln lassen können, sind aufbewahrt worden
und glücklicherweise enthalten sie die charakteristischsten Teile. Die
Otarien oder ()hronroi)hen sind im Feuerlande durcli zwei Arten ver-
treten; der Telz der einen wird sehr gesucht, die andere mit gröberem
Haar ist im Pel/liandel ohne Wert und wird daher von den Waltisch-
iangeru unbeachtet gelassen. Der Sceeleiant ist fast ganz, aus-
gerottet.
Mehrere Arten der Pinguine kommen häufig au die Küsten,
doch haben wir ihre Fortptianznngskolonien oder rookeries an der
Orangebucht nicht gesehen. Alle diejeuigeo, welche wir getötet
haben, schwammen in geringer Entfernung von der Küste; wir haben
sie selten am Lande und immer nur in kleiner Anzahl gesehen.
Die Walfische nnd Seehunde werden als Nahrungsmittel von
den Eingeborenen sehr geschützt, selbst wenn sie gestrandet und
verendet an der Küste entdeckt werden.
Die LamJfaima ist weniger reich als die Seetauna ; indessen
z;\hltsie immerhin noch zahlreiche Keiirasentanteii. Unter den niederen
Tieren sind die KeLrenwürmer vorlicrrsehend : man tiiület sie gewr»hn-
lich in der N;ihe des Ufers, aber auch in einer Höhe von M) — 450 in.
Die Molhiskeu siud sehi' selten und beschränken sich auf drei bis
vier Arten.
Die (jrup})e der Gliedertiere ist hauptsächlich durch Arach-
noiden und Dipteren vertreten, von denen man gewisse Gattungen
während des ganzen Jahres findet. Die Coleopteren und Lepidopteren
Digitized by Google
sind ziemlich zablroicli, aber wenig verschieden and im allgemeinen
von wenig glänzenden Farben.
Reptilien ond froschartige Tiere existieren nicht im Süden des
feueiiäiulisclien Arcliipel.
Die Vöjifol, welche aii>s(liliefslic]i das Ivanil Ix'WolmiMi, sind in
ungefähr vierzig Arten vorli.tiidcn , unter wehliou die Sperlinge
vorheri'schen ; von Uaubvögcln z&hlt man vier oder fünf Arten,
zwei davon sind Nachtraubvögel.
Was der Fanna einen besonderen Charakter verleiht, ist das
Übergewicht von Palmipeden. Die Gänse, die Enten mit kurzen
Flügeln und die Seeraben sind sehr allgemein und bleiben wahrend
des ganzen Jahres am Struiidt*. Die Longipcdi u dageuen. wie z. Ii.
die Seemöven, die Seeschwalben und die Schwalben ziehen zu An-
famr des Winters hinweg. Die Arten, welclie die Eingeborenen
haiiptsäehlicli zum Zweck iiirer Krnahrung aufsuchen, sind die See-
raben, die Nonnengilnse und die Knten. Die Sflugetiere sind nur
durch eine Gattung Füchse, zwei Nagetiere und eine Gattung von
Fischottern vertreten, welche die Küste des Meeres bewohnen und
sich von Seefischen nähren. Wir müssen auch noch den Haushund
erwähnen, welcher ungeachtet seines ziemlich mifsgestalteten Äufseren,
schatzbare Naturanlagen besitzt, wie Schnelligkeit im Laufen, Geschick-
lichkeit auf der Jagd nach Fischottern, Füclisen und Vögeln. Dieser
Hund bildet auf dem Fcuerlande ein Glied der Familie, für welche
er grofse Anhäuglichkeit besitzt und welche er Überall hin begleitet,
sei es in der Hütte oder im Boot. Die Expedition hat ein Paar
dieser an der Orange -Hai geboreneu Hunde mitgebracht und diese
werden einen interessanten Gegenstand des Stndiuujs bilden köimen.
Früliei-en lieliauptuugen entgeueu treiben die Feuerlander keine
Zuchtwahl mit ihren Huudeu. Die Hundswut ist im Feuerlande
unbekannt.
In den Vorschriften, welche die Akademie der Wissenschaften
der Expedition gegeben hat, ist der ethnologischen Studien nicht
Erwähnung gethan. Wir denken, dafs dies^ Lücke dem Mangel an
Nachrichten über die Existenz von Eingeborenen an den Orten, wo
die Expedition sich niederlassen sollte, zuzuschreiben ist, und haben
keinerlei anthropologische und ethnographische Nachforschungen in
Bezug auf die Feuerlünder, die wir an der Orange-Hai beobachten
konnten, unterhissen. Auf den F'orschungsreiseu der „Uomanche"
zwischen den Inseln iles Fouerlandes hat Kommandant Martial
^einerseits keine Gelegenheit versäumt, ethnologische Xachweise
über die Kiugeborenen, welche er antraf, zu sammeln. Ein englisch
Digitized by Go
sprechender Feuerläuder, der sich mehrere Monat«' nii Bord aufhielt,
bat diese Art der Nachforschungen wesentlich erleichtert
Die (lesamtzalil (lerjeui^^Lii Klngchorenen beiderlei Geschledits,
weKhe sich lautrere otlor kürzere Zeit während der Anwesenheit
der Kxpcditiidi an der ()raii;re-l^ai aufhielten, kann man uimefnln*
auf 120 oder 130 schätzen. Einige dieser Feuerländer hatten sich
scholl an diesem Orte nieilerj^elassea als wir ankamen ; andere, die
aus der Unifjegend im Umkreise von 40 bis ÖU km herzukamen,
gesellten sicli nach und nach in Gruppen von zwei oder drei Familien
zu der Expedition und verbrachten mehrere Tage, zuweilen mehrere
Wochen in unserer Nahe. Sehr oft haben wir frühere Besucher nach
I&ngerer oder kürzerer Abwesenheit wiederkehren sehen, die sie
der Fischotter- und Seevögeljagd, dem Fischfang oder der Ver-
folgung der Seehunde gewidmet hatten. Alle diese Individuen ge-
h<»ren zu dem Stamme Teheenika von Fitz-Kov, von den jetzigen
en'-ili-clu'n Missionaren Valigane L'enannt. Sie si)rechen eine agdu-
tinicrcndi' Sprache, welclio von der Mitte des Beaixle-Kanals his zu
den südlichen Inseln di'- Kap Horn dieselbe ist. Wir haben ungefähr
1000 der gebräuchlichsten Wörter und viele einfache Itedens-
arten -/e^ainmelt, nachdem wir mehrmals unter den günstigsten
Umstiluden die Aussprache und den genauen Sinn bestätigt gefunden
hatten. Wir sind nicht genötigt gewesen, ein besonderes Schrift-
system anzunehmen, denn alle Laute der yahganischen Sprache
stimmen völlig mit den Vokalen und Konsonanten der französischen
Sprache ttberein, ausgenommen einen nicht sehr häufigen etwas
gutturalen Laut, der sich dem deutschen ch sehr nähert, welchen
wir durch die Buchstaben kh bezeichnet haben. Wir haben bis
jetzt noch nicht feststellen können, ob diese Sprache sich mit einem
bekannten Idiiun in Verbindmi^j: setzen lAfst. Sie hat gar keinen
Dialekt und trotz der gintzlichen Abwesenheit iritend welcher Schrift-
zeichen scheint sie sich nicht schnell zu verändern. Ks giebt einige
Wörter, um allgemeine IJc^qiti'e auszudrücken, solche wie IV\unie.
lilunien, Fische und Muscheln. Das Zahh-n erstreckt sich nur bis
drei: über diese Zahl hinaus sagt man: mehrere oder viele. ludcsseu
zählen die Eingeborenen auch an den Fingern.
Wir haben mehr als handelt vollständige anthropometrische
Ueobacbtunuen gemacht und sie nach den An«;aben (Us anthropo-
loLTischen Laboratoriums des Museum.> in die HeobaibtunüsbliUter
ein^zeschrieben. Die üeobacldungen siiul in verschiedeiu' i\la.s>eu
geteilt: über erwachsene Milnncr und Frauen, über Knaben und
Mädchen unter zwüü «fahren, über beide Geschlechter zur Zeit ilcr
— 176 —
Mannbarkeit und über beide Geschlechter im Alter von funfzig Jahren
und darüber. Mit Ausnahme der letzten hat man aus jeder Kategorie
Personen ausgewählt, diese nach Verlauf eines längeren oder kürzeren
Zeitraums wieder beobachtet und geprüft, um die Entwickeliuig und
das Fortschreiten des Wachstums zu studieran. Dann hat man auch
noch Notizen über zwei A1ikhoolip-(Alakaloufs-)Frauen zusammen-
f^estollt, die mit eiiiein aii der Orange-Bai lebenden Eingeborenen
verheiratet waren ; diese beitkii l raueii gehören zu der feiior-
laudiMluii liasse, welche 1881 in Paris ausfjestellt wonU'n ist.
Anlserdeiii hat man ein Vci /t iclmis der Familien nacli den Individuen
gemacht, welches zu dem Sciilnls geführt hat, dal> <lcr Stamm nicht
so schnell erloschen wird, wie man e.s nach der kleinen Zahl der
be<d>achteten Familien annelunen könnte. Wir haben auch Üeleu'on-
hcit ;i;ehabt, einer Eutbindung beizuwohnen und Beobachtungen über
den Neugeborenen zu machen.
Bei 22 Personen beiderlei Geschlechts und verschiedenen Altei's
haben wir Hematimetrie veranlafst, um die Vermischung des Bluts
in Bezug auf die Zahl der Blutkörperchen zu studieren. Die Zalil
dieser Elemente scheint ein wenig geringer zu sein, als bei den
Europaern. Endlich haben wir sehr zahlreiche Beobachtungen über
die Temperatur und tlen Puls angestellt.
Wir haben gnte Photographien von sehr vielen l"euerl;in<lern
erlialten, und diese nebst zahlreichen Al)iAüsseu von allen Koiiirr-
teilen \v«'r<len in Paris das Studium des huerlrmdischen Tvjms am
Kap Horn ci niuLilichcn. Wir müssen erwähnen, wie leicht sich die
Ein^^eboreucn der Notwendi.ukeit des Modellsitzeus fügten, sowohl zu
den Photographien wie zu den Abgüssen.
Dieses ganze Material wird uäclistens den Gegenstand grilnd-
liclicr Studien bilden, ebenso die ethnographischen Proben, die voll-
ständigen Skelette, und sämtliche in Alkohol konservierte Gegenstände,
welche in den Sammlungen der Expedition enthalten sind.
Schon jetzt aber können wir einige Züge der haupteächlichston
menschlichen Th&tigkeiten bei den Feuerländern angeben. Sie er-
nähren sich ausschliefslich von Tieren: die Nahrung besteht aus
Walfisch- und Seehandsfleisch, Seevögeln und am häufigsten aus
Fischen, Seeigeln und Schaltieren : diese letzteren bilden fast während
des ganzen .lahres die ihmpiii.ilu uuusmittel. Die Speisen werden
vorzugsweise gekocht und halbireröstct gegessen. Man sammelt
keinerlei Vorräte für die Zukunft, und der (lebrauch aller be-
rauschenden, betäubenden und aufregenden Substanzen ist unbekannt.
Süfsem (leschmack wird der \ orzug gegeben; das Seesalz als W'ürze
ist ihnen unbekannt und wird nicht gescliätzt. Der Geruchssinn ist
Digitized by Go ^»^.^
177
ziemlich entwickelt, ebenso die Sinne des Gehörs und Gesichts, doch
wurde kein groiser Unterschied p^egen die Europäer bemerkt. Die
rote Farbe ist die beliebteste; die andern Farben werden oft
verwechselt. Der Schmuck beschränkt sich auf das Bemalen mit
weifser und roter Farbe, welche man auf dem Gesicht und auf den
Ilaaren anbringt. Das Tiittowieren ist nicht p^ebränchlirh. .\ls
Geschmeide kennt man nur Miisclieln und Yogeleier, welche auf-
j;ereiht werden und Halsbänder bilden, ferner schmale Kiemen von
Haut, welche als Spangen für das Handgelenk und die Fufsknöchel
dienen. Diesen Zierrat tragen die Frauen.
Es giebt keine Verunstaltungen oder ethnische Verstümmelungen.
Die Kleidung, mit welcher sich nur eine Idee des Schutzes ver-
bindet, besteht aus einem Seehunds- oder Fischotterfell, welches über
die Schultern gelegt und um den Hals befestigt Ist. Nur die Frauen
tragen aufserdem noch ein anderes Kleidungsstück; dies ist ein drei-
eckiges Stück Zeug ans L^mafell, welches mit einer Sehnnr um die
Hütten befestigt ist. Der Tanz existiert nicht; es iiiebt keine
Musikinstrumente, aber man kennt einige wehmütige Weisen, deren
Worte keinen bestinnnten Sinn haben, und die besonders von den
Kindern und den jungen Mädchen gesungen werden. Man findet
auch keine Spur irgend einer graphischen oder plastischen Kunst.
Über die Äusserungen <les inneren Lebens sei folgendes bemerkt:
der Charakter ist munter, lustig und beweglich, aber sehr wenig
mitteilsam; die Kinder und Frauen weinen leicht. Die Feuerländer
haben ein Wort, um die Freundschaft zu bezeichnen, aber dieses
Gefühl ist nicht sehr stark bei ihnen. Das Gefühl des Mitleids ist
noch schwächer. Die Kranken werden indessen nicht vernachlftssigt
und die Schwachen werden unterstfitsst.
Es giebt keine Traditionen der Menschenfresserei. Die Eltern
lieben ihre Kinder und beschäftigen sich mit ihnen. Die erwachsenen
Kinder haben Kespekt vor ihren Kitern und die Alten werden niemals
mifshandelt. Die Frau ist ihrem Manne unterwürfig, aber wenn sie
treu ist, mifshandelt er sie nicht. Die Arbeiten, welche den Frauen
besonders zufallen, sind: der Fischfang, das Einsammeln der Muscheln
zur Zeit der Ebbe, die Verfertigung von Binsenkörben und von
Schnüren aus den Fasern der Eingeweide oder Sehnen des Walfisches.
Bei den Leichenbegängnissen der Feuerländer giebt es keine
besonderen Geremonien. Sie begraben ihre Toten in einer kleinen
Vertiefung unter der Erde in der N&he der Küste, und man sagt,
dafs sie die Gewohnheit haben, die Gebeine spftter zu verbrennen.
Wir haben niemals Zeichen irgend welcher Gottesverehmng
gesehen; auch haben wir uns nicht Tdllig darüber vergewissern
Q^Ofit, BllttM*« Brtnmii 18M> -«o
können, ob ein Glaube an ein künftiges Treben lienscht. Ks sei
aber angedeutet, dais diese neiiativen Zeidien keinen ausdrih kliclion
Beweis der Abweseiilii'it jeglichen religiösen (iefühls liefern. Das
sittliche Leben bescbrilnkt sich auf die Familie; die Verwandtscliafts-
grade werden durch besondere Wörter bezeichnet, in direkter Linie
und in Seitenlinien, aber der Name jedes einzelnen Individunms ist
einfach der Name des Ortes, wo er geboren ist Das Schamgefahl
ist bei beiden Geschlechtern vorhanden, aber bei den Frauen ist es
mehr entwickelt und fahrt einen besonderen Namen.
Die Heirat ist p^ewöhnlich auf gegenseitige Neigunj; bcgrandet
und wird ohne Cerenionien vollzogen; es giebt zuweilen Entführungs-
heiraten; die Vielweiberei, welche die Sitte gut heifsl, scheint indessen
zu den Ausnahmen zu gehören. Die .lungfiauschaft der jungen
Mädclicn wird nicht geachtet. Der Ehebruch der Frau wird mit
Schlägen bestraft, die jedoch nicht der Art sind, dals sie den Tod
zur Folge haben könnten Falls der Mann von seiner Frau verlassen
wird, bleiben die Kinder bei dem Manne.
Das Eigentumsrecht ist individuell: es giebt kein Oberhaupt,
keine Ordnung der Stände, keine Sklaven. Die Erwerbsthatigkeit
besteht aus dem Fischfang und der Jagd in kleinen Fahrzeugen an
den Küsten. Die Werkzeuge, deren man sich hauptsächlich zur
Jagd bedient, sind die Harpunen, aus Knochen gemacht, mit einem
Einschnitt oder mit mehreren Zacken an einem Holzstiel von 4 — 5 m
Lange so befestigt, dafs sie beweglich bleiben, oder dafs sie voll-
ständig daran festsitzen, /um Fangen der Vögel gehraucht man
auch Schlingen von Waltischliarten. Zur Fischotterjagd haben die
Eingeborenen den Hund, welcher dazu ein unentbehrliches liulfs-
mittel ist. Der Fischfang wird von den Frauen ohne Angelhaken
betrieben, mit einer Schnur, an welcher ein Köder befestigt ist.
Das Feuer wird durch das Aneinauderreibeu zweier Feuersteine
hervorgebracht. Den Ackerbau, die Tüpferkuust uud die Metallurgie
kennt man nicht.
Die Waffen sind die Harpune aus Knochen, die Schleuder,
selten der Pfeil. Es giebt keine vergifteten Waffen und auch keine
Verteidigungswaffen.
Die Fahrzeuge sind Böte aus Baumrinde (Fagus betuloides).
Die gewöhnlich an den Kttsten gelegenen und von den Männern
gebauten Behausungen sind einfache, sehr temporäre Zufluchtsstätten
aus Zweigen oder Baumstämmen. Die FeuerUliider kennen keine
bearbeiteten Steine aufser etwa für die Pfeilspitzen; das einzige
einheimische Werkzeug ist eine grofse Muschel vt»n Mvtilus, /u-
geschuitteu uud scharf gemacht, mit einem Kiemen von iSeehundsfell
— 179 —
an einem steinernen Stiel befestigt, der in der freien Hand gehalten
werden soll.
Soweit die vorlänfigen Mitteilungen des Dr. Hyades ttber die
Yahgane. Dieselben vervollständigen in manchen Punkten die Berichte
BoYe% welche wir auszugsweise in Band VI, S. 158 u. ff. dieser
Zeitschrift mitteilten; in anderen weichen sie von diesen ab. Einen
weiteren l^eitratr zur Etliiin^rapliie der P'euerlilnder lieferte Dr. Hyades
in «lor Sitzunu' der authropoloiiischen (iesellschaft zu Paris am
21. Februar d. ,1. Diese AbhandInnLj lieü:t uns durch die Güte des
llemi J)r. iiyades iiednukr vor: es sind darin eine ganze Reihe
von wertvollen cthuolo^ischeu Beobachtuugeu des Missionars Bridges
aufgenommen.
In dem kurzen Bericht des Dr. ffnlm über die von der
nllomanche'' angestellten naturgeschichtlichen Untersuchungen heifst
es: WAhrend die Expedition zu Lande die Orange -Bai auskund-
schaftete und Herr Dr. Hyades die Elemente zu einem tieferen
Studium dieses Teiles des Feuerlandes zusammenstellte, indem er
beträchtliche Sammlungen bildete und seine Aufmerksamkeit auf die
benachbarte feuerländische Bevölkerung richtete, welche die Station
besuchte, durchlief die llnnuinche^* die Kanäle des Arcliipels und
dehnte ihre l'ntersuchuniren nach der einen Seite bis zu den Ma-
louinen, nach der andern bis 10 Seemeilen südlich von Diego Kamirez
n\is. In der Kiirenschnft eines S( lütlsarztes war ich von der Kom-
mission beauftruLit worden, niclits zu versftnnien, um die Natur-
produkte der versclüedeuen Lander, welche die „Koiuaiiche'^ berührte,
zu erkunden.
Nachdem wir die Orange-Bai verlassen, um uaeh Norden zu
fahren, besuchten wir die Insel Packsaddle, welche durch ihre Basalt-
Kolonnen nnd durch ihre Orotten und Klippenreihen, auf denen
wahrend eines Teils des Jahres die Otarien leben, berühmt ist;
darauf kamen wir in den Beagle-Kanal, indem wir die Murray-Meer-
enge kreuzten. An beiden Ufern des Kanals ist die äiifsere Er-
scheinung der Vegetation eine andere, als weiter südlich : der Fagus
betuloides ist in den Waldern durch Fagus antarctica ersetzt, Drymis
und lierberis ilicifolia werden später seltener, wilhrend die Berberis
buccifolia und enipetrifolia vorherrschen. Diese Veränderungen, so
scheint es, sind dem Schutze, welchen die Darwinkette diesen
Regionen bietet und der geologischen Beschati'enlieit zuzuschreiben,
welclie von einer granitischen zu einer schieferigen übergangen ist.
Diese Gegend hat uns ein ziemlich vollständiges Herbarium geliefert,
das auch einige Pflanzen enthält, die dem Botaniker Hooker ent-
gangen waren.
Digitized by Go ^»^.^
— 180 —
Auch die Fama Ist hier reicher: sie enthfilt alle Arten des
Archipels und eine grofse Anzahl von denen der Magellan-Strafse.
Wir haben dort einen Silbertaucher, ein Wasserhuhn, einen Papagei,
eine Seeschwalbe, eine Nachteule und eini«?e andere kleine Arten von
Vögeln gefunden, welche auf den Inseln des Südens ganzlich fremd
sind. Der Seelöwe ist hier nicht selten, hesonders an der Küste der
Picton-Insel, wo man auch eine zur Zeit verlassene Brutstätte der
Pinguine findet. Fischottern dageuen findet man nicht; ihr Fell,
das im Süden mit dem der Robhen der Falklands die einzige Klei-
dung der Feuerlftnder liefert, ist hier durch das Fell des (iuanako,
welches an beiden Ufern des Beagle in grofser Anzahl zu treffen ist,
vorteilhaft ersetzt Den Churi von Darwin, der in den grotsen
Ebenen von Patagonien so allgemein ist und das Lama flberallhin
begleitet^ trifft man im Feuerlande nicht an. Die Bevölkerung ist
hier zahlreicher und dichter, als im Sttden; sie gehört der Yahgan-
Familie an, deren Mittelpunkt in Yahga, in der Murray-Meerenge ist.
Dieser Zweig der Tekeenika ist bei weitem der wichtigste;
er wird durch etwa 800 Menschen vertreten und bevölkert, aufser
dem Teile östlich vom Bcagle-Kanal, den westlichen Strich bis jenseits
der Teilung, die Insel Navarin und den Ponsonby-Suud.
Der Reichtum der Fauna gestattet den Einwohnern ein weniger
dürftiges Leben; der Yagaluier lebt nicht ganz in seinem Boot.
Als guter Fufsgünger jagt er auch auf dem Festlande und, währeiul
er sich der Harpune für den Seehund und die Fische, der
Schleuder für die Vögel bedient, beginnt er jetzt mit Geschicklich-
keit Pfeil und Bogen zu handhaben, die von seinen Brüdern im
Sflden ganz bei Seite gelegt sind. Er bedeckt sich mehr, sein
Mantel ist weiter und er legt vorsorglich Sandalen an seine Fflfse,
um das Guanako im Walde zu jagen. Er scheint uns aufgeweckter,
intelligenter und mitteilsamer; er hat von der Sintflut gehört, kennt
Legenden von einem Mann aus Stein und von einem Helden, der in
Siouna durch seine Geschicklichkeit und seinen Mut das Land von
einem ricsenliaften Seelöwen befreit hat, welcher tiiglich eine Anzalil
von Böten mit ihren Insassen vernichtete. Die Yahganen feiern ein
Fest, welchem die Frauen nicht beiwohnen. Dieses Fest, Kina ge-
nannt, ist eine Erinnerung an die Empörung der Manner gegen die
Frauen, welche vordem die Autorität in der Familie hatten und die
Zaubergeheimnisse besaiten. Sie maskieren sich bei dieser Gelegen-
heit, schreien und tanzen, so viel es ihre Kräfte erlauben. An den
Einwohnern dieses Teils des Feuerlandes haben wir die meisten
anthropometrisohen Beobachttmgen gemacht und den vollständigsten
Wörterschatz gesammelt. Sie haben uns auch die fänf Indivi-
Digitized by Google
— 181 —
dueii gestellt, welche die „liomauche'' mitgcbrurht hat; ihre Sitten
und ilire Sprache sind wenig verschieden von denen der Feuerländer
des Südens.
Ihre Nachbarn im ftufsersten Osten des Beagle-Kanals sind die
Üna (Yokana-Kuuy von Fitz-Roy, Thökrrh' der Patagonier), die Be-
wohner der grofsea Insel des Feuerlandes, bei welchen sie sich Bogen
und Pfeil mit Glasspitzen, die sie nicht zu schneiden verstehen, ver-
schaffen. Die beiden St&mme halten eine jährliche Zusammenkunft
und leben in gutem Einvernehmen. Die Ona von der Slogettbucht
verheiraten sich zuweilen mit yaganischen Frauen. Trotz unseres 1eb>
haften Wnnsches, sie genaner kennen zu lernen, haben wir sie nicht in der
Xähe sehen kiinnen. Siesiinl viel scheuer als die Yagahner, unter denen
die englischen Missionare leben, uud Hohen immer vor uns. Unseren
Nachrichten zufolge müssen wir annehmen, dafs ihr Wuchs sehr
hoch ist, vielleicht höher als der der Patagonier. und nach einigen
Worten, die wir aufgefangen haben, mufs ihre Sprache viel Ver-
wan<ltschaft mit der der letzteren haben. Ihre Hütten, die wir an
der Good-Success-Bncht und an der Slogett-Bucht besuchten, gleichen
denen der Yagahner. Der Haufen eüsbarer Muscheln und Patellen vor
den Wohnungen beweist, dafs ihre Lebensweise am Meeresufer die-
selbe wie die der letzteren ist Ein Korb, den wir in einer der Hfltten
fanden, war von derselben Form und demselben Material wie die-
jenigen der Yagahner. Sie haben keine B9te. Ihre Hunde sind starker,
als die am Archipel; sie jagen ausgezeichnet und arbeiten oft aus
eigenem Antriebe. Die „Romanche" hat einen solchen Hund mit-
gebracht.
Im westlichen Teil des Beagle-Kanals bei den Ausläufern des
Darwinberges gewinnt die Vegetation wieder das Ansehen des Südens
bis dahin, wo mau nach Kreuzung der Deäoiate-Bai au der westlichen
Küste anlangt Von da an sieht man nur noch nackte Felseninseln.
In diesen exponierten Gegenden sind die Bewohner selten;
indessen kommen Alikoolips und Tekeenikas dorthin, um die Fisch-
otter in der guten Jahreszeit zu jagen. Hier haben wir zum ersten
Mal den kleinen Pinguin (Microdyptes Serresiana) gefunden, eine
sehr seltene Gattung, weldie Herr Oustalet karzlich beschrieb und
von der nur ein einziges Exemplar im Museum vorhanden war.
An derselben Küste, mehr im Süden, befindet sich der New-
Year-Sound, der Mittelpunkt der Wohupliitze der Atdouallims, eines
anderen Zweigs der Tekeenikas, welcher aus ungefähr 200 Menschen
besteht.
Im New-Year-Sound ist der westliche Teil granitisch, der östliche
schieferig. Die Vegetation ist dieselbe wie an der Orange-Bai. Der
Digitized by Google
— 182 —
Walfisch ist im Moual April sehr lu'cwöhnlich infolge der reichliclicn
Nahrung, die er zu dieser Zeit dort findet. In windstillen Ta-jen
ist das Meer zuweilen von den Larven einer Galatea, der Muuitiii
subrugosa, rot gefärbt. In dieser Bucht haben wir den Waltiseh
gefunden, dessen Skelett die ^Komanche" mitgebracht hat; die Au-
Wesenheit dieser grofsen Cetacee war uns drei Tage zuvor von dem
an Bord .befindlichen Feuerländer angezeigt worden; er hatte sie
erraten, da er eine grofse Anzahl riesenhafter Sturmvögel in der
Luft kreisen sah.
Mehrere Reisen nach den Inseln WoUaston und Hermite haben
uns eine sdiöne Ernte von Pflanzen und geologischen Probestücken
dieser Gegend gewährt Der sfldliche Teil dieser Inselgrui)i)e zAhlt
50 Einwohner; kühne Jftger wagen sich an die Verfolgung der
Otarien und Fischottern bis zu deu iUd'sersten lelseurilien iu der
Umgebung vom Kap Horn.
Wir erwähnen noch eine Reise nach der Stateu-lnsel, von wo
die „Komanche" ein Walüschskelett mitgebracht liiit. das von dem
vom New-Years-Sound verschieden ist, und wo unser Herbarium
um mehrere PÜanzeu bereichert wurde, die es im Feuerlaude nicht
giebt. Auch unternahmen wir eine Expedition nach deu Malouiuen,
wo wir im westlichen Teil, an der Edwards-Bucht, eine reiche Ernte
von Seehunden jedes Alters und von Pinguinen machen konnten
und diese verschiedenen Tierö zu Lande beobachteten.
Auf allen diesen Reisen hat der Kommandant Martial nut dem
Scbanmetz fischen lassen und zwar in Tiefen, welche zwischen
20 m und 250 m wechselten, aufser bei der Slogett-Bucht, wo eine
1 icfe von beinahe 700 m erreicht wurde. Iu dieser Weise sind nttt^sliche
Untersuchungen gemacht worden, obgleicli die Fauna nur wenige
verschiedene Arten hat; indessen sind die Individuen zahlreich, und
wir haben versucht, möglichst vollständige Serien zusammen-
zustellen, die alle Formen repräsentieren, weh hc dieselbe Art iu
verschiedenem Alter und in verschiedenem Zustande auschaulicii
machen können.
Der Bericht spricht sich noch weiter über die naturwissen-
schaftliche Ausbeute an kleineren Seetieren aus und schliefst mit
dem Ausdruck der Hoffnung, dafs für die Naturgeschichte der
Magellanischen Gegend die Expedition der j^Bomanche'* nützliche
Resultate erzielt haben werde.
Digitized by Google
— 183 —
Vom vierten deutschen Geographentage zu München.
Bemerkungen nnd Eindrfteke.
Von Dr. A. Oppel.
In den Tagen vom 17. bis 19. April fand in München der
vierte deutsche (ieographentiiij: statt, zu dem sich Teiinehiuer aus
allen Geiroiulon des deutschen Si»rachirebiets eiu^^cstellt liatteu ; nicht
nur das Keich, >ondei'n aucli Oesteneich-Un^rarn, die Scliweiz und die
Niedeiiaude waren vertreten. So jung aiu h ilic>o VersannnhmirtMi sind,
— die erste faml in Herlin im Jahre 1881 statt — , haben sie sich
bereits als eine udückliche Schöpfung, ja als eine Notwendigkeit
gezeigt und für die Weiterentwickelung der geügra[)]iischen Wissen-
schaft in recht fruchtbringender Weise gewirkt. Ihr Kintinfs dürfte
hauptsächlich in vier Richtungen zu betrachten sein : diese sind der
persönliche Verkehr der Fachgenossen, die Förderung der
Stellung und der Würdigung der Geographie, zumal in dem Ver-
sammlungsorte und dessen näherer und weiterer Umgebung, die An-
regung und Belehrung durch Vortrage, Diskussionen und Aus-
stellnngen nnd schliefslich die Ausführung sei bständigerlitterarischer
Unternehmungen, welche ihrer Natur nach die /nsainnienwirkun^^
einer gnü'seren Zahl Mitarbeiter erfordern. Im folgenden wollen
wir den ersten drei (icsichtspunkten eine kurze Betrachtung widmen.
Der persönliche Verkehr von Fachgenossen, resp. ein
gegenseitiges Bekanntwerden ist für jede wissenschaftliche Disciplin
als gut und fördernd erkannt worden, denn abgesehen von dem Reiz
der persönlichen Bekanntschaft, welche den jungen und aufstrebenden
Mann mit dem gereiften, erprobten, vielleicht berühmten Vertreter
seines Faches und umgekehrt zusammenführt, vermag auch der münd-
liche Austausch über Fragen und Probleme der Wissenschaft, sei es
anch nur in der Form einer ungezwungenen Plauderei, den Gegen-
stand zu klaren, manche neue Anregung zu geben und den Einzelnen
in Verbindung mit dem (ianzen zu bringen. Für die Geographie
ist aber das, was für andere Wissenschaften nur förderlich und an-
genehm erscheint, geradezu eine Notwendigkeit; denn in ihr liegt
die Neigung zur Decentralisatiou, zur Zer.-^plitterung, dem eigensten
Wesen nacli, verborgen: die gewaltige Ausdehnung des zu um-
fassenden Gebietes, die zahllosen Gesichtspunkte, die vielfach ganz
oder teilweise unbestimmten Grenzen gegenüber anderen Wissen-
schaften, das oft unbemerkbare Zusammeufliefsen mit ihnen, die rege
Thätigkeit und der aufserordentliche Scliaffensdrang in ihr selbst,
alles dies sind Dinge, welche der Beschäftigung mit der Geographie
Digitized by Google
— 184 —
zwar einen ungewöhnlichen Kei/ verleihen, andererseits aber auch
die Gefahr, die Verbindung mit dem Ganzen aufzugeben oder bich
zu selir nach der Peripherie hin zu verliei"en, in solteneni Mafse
erhöhen. * Jeder Einzelne vermag bei noch so tüchtigem Streben doch
nur einen Bruchteil des Ganzen in sich aufzunehmen und als freies
Eigentum zu beherrschen, das Andere mufs er Anderen überlassen,
mit ihnen aber stets in enger Berührung bleiben. Dazu kommt noch
der fast einzig für die Greographie vorhandene Umstand, dafo die
litterarische Betreibung der Lander- und Völkerkunde und die tech-
nische Kunst der Herstellung der unentbehrlichen Anschauungsmittel,
in erster Linie der Karten, nur selten sich in einer Person ver-
einigen, ferner dafs der forschende Gelehrte und der erforschende
Reisende in der Regel zwei verscliiedene Personen sind, endlich dafs
die einzelnen Vertreter solcher Specialfächer sicli nicht inuner an
einem Orte zusammen finden. Und doch nuifs, soll etwas Ersjiriefs-
liches erreicht und nicht viel Arbeit resultatlos gemacht werden,
Einer auf des Anderen Wünsche Rücksicht nehmen. Die Gefahren
einer solchen doppelten Zersplitterung, die teils in dem Wesen des
Gegenstandes, teils in der Art seiner Betreibung — der notwendigen
Arbeitsteilung — begründet ist, wenn nicht auf einmal zu beseitigen,
so doch nach und nach herabzumindern, dazu sind die Geographen-
tage berufen und daCs der MQnchener den ihm zufallenden Teil dieser
Aufgabe gelöst hat, beweist das Verzeichnis der anwesenden Teil-
nehmer. Darin findet man den Fachmann neben dem Freund der
Erdkunde, den Universitatsprofessor neben dem Schuhnann, den
Reisenden neben dem Kartographen, den Schriftsteller neben dem
Verleger.
Nicht minder wichtig ist die Förderung der Stellung
und der Würdigung der Geograj)hie. welche die Anwesen-
heit der fachmiifsigen Vertreter der so weitverzweigten Wissenschaft
für den Versammlungsort und seine Umgebung mit sich bringt. In
Deutschland gab es bekanntlich eine Zeit, wo das Interesse an der
Geographie gleich Null war, und wenn auch gern anerkannt werden
soll, dais in diesem Jahrhundert und namentlich in den letzten Jahr-
zehnten in der verschiedensten Weise, von einzelnen Männern und
von Gesellschaften, auf das rüstigste gearbeitet und das Interesse
an der Sache in immer weitere Kreise getragen worden ist, so bleibt
doch immer noch viel, sehr viel zu thun übrig. Es ist wahr, dafs ganze
Gesellschaftskreise, die nicht zu den ungebildetsten gehören, der
Geograi)hie fern stehen und wir könnten den Beweis führen, dafs
diese Gleichgültigkeit manche Mifsstände socialer und wirtschaftlicher
Art herbeiführte — und ist ferner wahr, dafs die Geographie
Digitized by Google
— 185 —
bei dem grofseu Publikum noch nicht dasjenige Ansehen ^'cniefst,
das ihr nach ihrem inneren Werte unbedingt gebührt. Giebt es doch
noch eine ganze Anzahl wissenschaftlich gebildeter M&nner, welche
die Ansicht hegen, dafs die Geographie keine oder wenigstens keine
den anderen Disciplinen ebenbürtige Wissenschaft sei und mufs
mancher, der aus innerster Überzeugung und nicht znrückzudammender
Begeisterung zu ihr überging, ausgesprochen oder nicht ausgesprochen
den Tadel erfahren, dafs er eine minderwertige Sache betreibe. 80
unbegründet und falsch derartige Anschamnigeu auch sein inö^eii,
so sind sie thatsachlich doch vorhanden ; sie sind Faktoren, die eiiist-
^veilen mit in Rechnung gestellt, möglichst balil aber beseitigt
werden müssen. Dafs auch nach dieser Richtung der (ieograplientag
einen Beruf hat, unterliegt keinem Zweifel. Er gewährt nicht nur
den ortsangesesseuen Freunden der Sache neue Nahrung und
kräftigende Ausdauer, sondern er vermag auch die Gleichgültigen
in seui Bereich zu ziehen und Andersdenkende von ihrem Irrtum
za überfahren. Denn wer will, kann sich von der Fülle des Geist
und Gemüt anregenden Stoffes, den die Geographie enthält, überzeugen ;
er wird erkennen, in welchem Grade die Kenntaus dieser Wissenschaft
für alle Zweige des menschlichen Lebens wichtig und fördernd ist;
und er wird sich der Wahrnehmung nicht verschliefsen können, dafs
auf diesem Gebiete mit freudigernster Strebsamkeit und zielbewulster
Methode gearbeitet wird. Solche Vorstellungen zu erwecken waren
die in München bereiteten Veranstaltungen, sowohl die Vortrage
als die Ausstellungen, durchaus im stände, und dals die Münchener sich
dem Gebotenen nicht entzogen, bezeugt einerseits die rege Teil-
nahme bei der Einzeichnung in die Mitgliederliste — von 401 waren
über 230 Münchener — and bei dem Besuch der Vortrage, anderer
seits die starke Frequenz der Ausstellungen, indem bis zum 19. April
Mittag 500 Karten für Nichtmitglieder ausgegeben waren ; wie stark
der Besuch an den beiden folgenden Tagen war, ist uns unbekannt,
aber dafs eine so erfreuliche Beteiligimg seitens der Einheimischen
nicht ohne nachhaltige Wirkung bleiben kann, des sind wir überzeugt.
Das bisher Besprochene war mehr ideeller, in gewisser Beziehung
moralischer Art; konmien wir nun zu dem materiell Gebotenen,
zunächst zu den Vorträgen, so wird niemand, zumal wenn es
sich um noch schwebende Fragen handelt, ein fertiges Resultat oder
eine endgültige Beantwortung mit nach Hause nehmen zu krumen
erwarten ; dazu sind eben wissenschaftliche Aufgaben nicht angethau,
sondern man wird sich damit begnügen müssen, wenn der augen-
blickliche Stand der Sache klar dargelegt wird und wenn, was Wis
sehr wichtig erscheint, die vorhandenen Lücken gebürlich hervor-
Digitized by Google
— 186 —
gehoben werden. Der wissenschaftliche Vortrag ist kein i)o]mlftrer
Vortrag, das ist festzuhalten ; es handelt sich hier nicht nm ^'cfiillijre
Abrunduii.Lj des Stoffes, sondern schonunirslose Klarstellung' des
'l'hatbcstandes ist vonnöten; es dürfte niism-s Krachtens dem V<»r-
trageuden nirlit danini zu thun sein, die schadhaften Stellen einer
Thetu'ie mit ulaii/i uiUn Worten, mit wenn auch i:ei>lieit'lK'n Phrasen
oder blendciidfu ll\ potlu'^cii zudecken zu wollen: sondern je freier und
unumwundener er vorhandene >hlnj^el aufdeckt und klarlegt, desto besser
crlüllt er die ihm zufallende Aufgabe, solche Fachgenossen, die aus
irgend einem eirunde der beregteu Angelegenheit fern geblieben
waren, mv Mitarbeit heranzuziehen, dadurch, dafs er ihnen Probleme
nahelegt und sie zu ihrer Lösung anreizt ; nimmermehr wird er aber
ein solches Ziel erreichen, wenn er den Gegenstand in einer fQr den
Augenblick befriedigenden Weise als abgethan darstellt und ihn
dadurch desjenigen Reizes entkleidet, den nun einmal das Unbekannte
für den menschlichen Geist hat.
Diese Forderung nur andeutend, nicht untersuchend, ob die
Vortragenden des vierten Deutschen (ieograj)hentages sie auch er-
füllten, bemerken wir, dafs es vier liauplfragen waren, zu deieu.
Beleuchtung das L<d<alk(iiuitee unter dem Vorsitz des Herrn Professor
liatzel mehrere Specialforscher aufgefordert hatte. Wenn wir diesen
Gegenstanden, dem einheitlichen Meridian, der Herstellung von
8chulwandkarten, der Eiszeit und der Polarfrage im folgenden etwas
näher ti'eten, so geschieht es mit dem ausdrücklichen Bemerken, dafs
weder ein specielles Iteferat, noch eine ausgefQbrte Kritik in unserer
Absicht liegt, sondern dass nur einige gelegentliche Bemerkungen
an das damals Gehörte geknüpft werden sollen.
Was den einheitlichen Meridian anbetrifft, so hatte sich
bekanntlich die siebente Generalkonferenz der Europaischen Grad-
messuii,^ zu Koni 18S3 aus wohlerwogenen (iriiuden für den Meridian
der ISternwartc zu Green wich entschieden. Dafs, nachdem diese aus
den berufensten Fachmännern, Astronomen und (leodilton, die zu-
gleich Kegierungsvertreter waren, bestehende Konindssion ihre Stimme
abgegeben hat, die Geographie ihr folgen mufs, ist absolut selbst-
v(M-standlich. Koma locuta est, das paf-t hier zufallig. Für die
Zukunft kann es sich nur darum handeln, dafs die Praxis diesen
Beschlufs möglich bald zur Durchführung bringt, und da zeigen sich
gewisse, nicht eben einfache Schwierigkeiten, denn das vorhandene
Kartenmaterial, sich zusammensetzend aus topographischen und
Generalstabskarten, aus Hand- und Schulkarten, ist nur zum kleinen
Teil nach Greenwich orientiert, und eine Umarbeitung dieses unge-
heuren, zum Teil sehr kostspieligen Materials lediglich wegen des
Digitized by Google
— 187 —
Greenwicher Meridians ist eine Forderung, die kein Verstftndiger
an&tellen wird. Wohl aber kann man dem Hauptreferenten über
diese Sache, dem Prof. H. Wagner, in dem Verlaufen beistimmen,
dafs von mm an bei allen neuen und thimlichst bei allen in Neudruck
erscheinendpu Blattei u der Meridian von Greenwich als der einzijje
in Verwcudunu i:e)tr;irht werde und dafs seitens der Schule schon
jetzt die ( )rieutiernn:j: möglichst nach Greeuwich erfolgen ni't.ue.
Daf- es ein Unrecht wilre, die bchiüer, die doch für die Zukuntt
lernen sollen, nicht für die Vergangenheit, mit etwas Veraltetem
aii>zurüsten, ist voll und ganz unsere Meinung, wenngleich die
jbeuierkuug nicht unterdrückt werden kann, dafs z. B. für Schul-
zwecke der Greenwicher Meiidian entschieden weniger geeignet ist
als der von Ferix); denn bei letzterem liegt die gröfste Festlands-
masse, die sogenannte alte Welt, ganz auf der östlichen Seite, wahrend
der Greenwicher Meridian dieselbe in zwei ungleiche Hälften zerlegt;
so zer^lt auch Europa in einen östlichen Teil mit niedrigen Grad-
zahlen und in einen westlichen mit hoher Zahl, eine Vorstellung, in
die sicli nicht Jeder IcicliL hineinfinden wird.
Die Scluile wird also die meiste praktisclie Schwierigkeil von
dem Greenwicher Meridian hahcn: doch mnfs sie die ihr gestellte
Aufu^ahe lösen, mögen nur die \ ert reter der Geographie aulserlialh
der S( hiile ihr diese und andere erleichtern helfen. Dafs dazu der
vierte Geographentag sein Teil durch die Besprechung der Ii er-
ste ünng von Schul Wandkarten beizutragen suche, soll gern
anerkannt werden. Wie für alle Zweige wissenschaftlicher und
künstlerischer Th&tigkeit eine rechte und feste Grundlage nur in
der Schule — wir meinen sie im Sinne einer sachlich angeordneten,
mit zweckentsprechenden Hülfsmitteln versehenen und konsequent
durchgefOhrten, die geistigen Kräfte in rechter Weise Übenden und
anregenden Unterweisung — gelejs^ werden kann, so ist es auch bei
der Geo^iraphie der Fall, ja hier ist der planmäfsige Uiilerricht eine
erhöhte Notwendigkeit, weil der Gegenstand wegen seines üherroichen
Materials und seiner oft nicht geuttgend erkannten Decentralisation
leiclit auf Abwege führen kann. Leider hat aber gerade der
geographische Unterricht lange Zeit sehr im argeu gelegen
und obschon jetzt im Aufschwung begriffen, ist er in vielen
Beziehungen noch äufeerst verbesserungsbedürftig. Es fehlte,
um es kurz zu sagen, an Verständnis für das Wesen und die Be-
deutung des geographischen Unterrichts bei den meisten Scbulbehorden
und Vorstehern, es fehlte an kenntnisreichen und methodisch geschulten
Lehrern, es fehlte an zweckmalsigen Unterrichtsmitteln. Zn den
wichtigsten Requisiten gehören aber gute Schulwandkarten. Der
— 188 —
eigeutlidie Sc'höi)fpr ilerselben ist K. v. Sydow, ilesseu Leistungen
unbetitritteii für seine Zeit epocliemacheutl waren. Leider aber hatten
weder die sonst so vortreffliche und uns sympathische Anstalt voa
J. Perthes noch die anderen Hersteiler von Schulwandkarten — eine
Zeit lang wenigstens — auf dem von jenem verdienstvollen Manne
gelegten Grunde, weiter gebaut, besonders war es Sitte geworden,
die Karten mit Namen, auch den selbstverständlichsten und unnötigsten,
zu überUiden, ein Mifsstand, den wir stets auf das schärfste empfunden
haben. Es gereichte uns daher zu grosser Freude, den Referenten
Aber diesen Punkt, Herrn Haardt aus Wien, sich dahin iufsem zu
hören, dafs auf den sogenannten i)hysikalischen Karten snccessive die
Schrift wegzulassen, ferner dafs die Generalisierung des Terrains
nicht zu weit zu treiben, jedenfalls nicht, zur Erreichung eines ein-
fachen und über>iclitlichcü Kartenbildes, gewisse vorhandene Boden-
erhebungen zu ignorieren seien und dafs man sich zumal in Bezug
auf das Flufsnetz nicht auf das in den Lehrbüchern Angegebeue
beschränken dürfe. Bemerkend, dafs hinsichtlich der Darstelluugs-
manier des Terrains und namentlich der Hohen ein endgültiger Vor-
schlag nichfc gemacht wurde, stimmen wir mit den allgemeinen
Gesichtspunkten des Herrn Haardt nicht nur Oberein, sondern
stellen die kategorische Forderung auf, dafs die stunmien Karten
ausschliefslich für die Schule «zu verwenden sind; denn die Namen
verdecken nicht nur oft die Zeichnung gänzlich und zerstören demnach
das, was der Kartograph hat darstellen wollen, sondern sie sind in
pädagogischer Beziehung geradezu schädlich, indem sie dem Schüler
die Übung seines Gedächtnisses und seiner Aiischauungskraft erschweren
und ihm als Eselsbrücke dienen. Eine Karte mit Nameu ist nichts
anderes als ein Scluiftsteller mit Interlinearversion.
l^s erübrigt noch, die beiden letzten Vortragsgegenstände, die
r 0 1 a r f r a g e und die Eiszeit einer kurzen Betrachtung zu unter-
ziehen; beide stehen in einem unläugbaren inneren Zusammenhange,
denn was die eine für die Gegenwart ist, stellt die andere für
die Vergangenheit dar. Die Wichtigkeit der glacialgeologischen
FoitHdiungen — wie der terminus technicus lautet — für die Geo-
graphie liegt in dem Umstände begrändet, dafs zu einer gewissen
Zeit ein Sechstel, vielleicht auch ein Fanftel der gesamten Erde mit
Eis, beziehungsweise mit Gletschern Qberzogen war, dafs dieselben
zur Bildung gerade der obersten Bodenschicht viel heigetragen haben,
und dafs speciell in Deutschland sowohl ein Teil der Tiefebene als
die höhereu Mittelgebirge vergletsclierL gewesen sein müssen. Der
Haupt referent, Herr Dr. A. Benck, zeigte, teils auf eigne teils auf
fremde üuteröuchuugeu lulseud, unter anderem, dafs die i'iinregion.
Digitized by Google
— 189 —
wenn auch örtlich schvankend, überall erheblich tiefer gelegen habe
als gegenwärtig, so in den Alpen bei 12—1300 ni, in den Pyrenäen
bei 1700 m, im Böhmerwalde bei 1900 m, im Erzgebirge bei 1000 m,
im Har^s bei 700 m, in Wale«« bei 6 — 700 m, das will sagen, dafs
man in diesen Höhen noch Spuren einer Firnre«;ion gefunden hat.
Zur Erzeugung solcher Zustünde bedurfte es nicht nur einer ver-
minderten Jaliresuiitteltemperatur von -f C, sondern auch einer
nicht unbetrachtliclieu Änderung der Niederschlagsverhaltnisse. Welcher
Art diese Veränderung gewesen sei, dafür, sollte man meinen, müfsteu
die meteorologischen Vorgänge in den Alpen, insonderheit auch die
Niveauscli wankungen der modernen Gletscher, Anhaltspunkte zu geben
im Stande sein. Aber gerade dies ist ein ftufserst wunder Punkt.
Mau stellt ja heutssutage im Alpengebiete wohl meteorologische
Beobachtungen an, ans begreiflichen Gründen aber fast nur in den
Thftlem, nicht auf den in die Fimregion sich erhebenden Bergen,
hinsichtlich deren man keine zusammenhängenden Beobachtongsreihen
besitzt Das aber wäre vonnöten, um die periodischen Niveau-
Schwankungen der modernen Gletscher in ausreichender Weise erklären
zu kimnen. Fehlt es also für diese Verhaltnisse an einer positiven
Unterlage — die theoretischen Erklärungsversuche berühren wir
hier nicht — so ist das gegenüber der Vergangenheit erst recht
der Kall. Ob eine Krhohung der Temperatur, ob eine Veränderung
der Niederschlagsvorhältnisse, ob beide zusammen und wie jene Eis-
zeit aufgelöst haben, das ist ebenso noch als ein L'roblcm zu be-
trachten wie das periodische Schwanken der Gletscherniveaus.
Ungelöst ist auch die Frage von der Entstehung derjenigen
Seebecken, welche sich am Rande der Alpen befinden. Herr Peuck
ist offenbar der Meinung, dafs wenigstens ein Teil dieser Randseen
von den Gletschern der Eiszeit geschaffen sei, wie er überhaupt der
Bodenerosion der Gletscher eine groüse Kraft zntrant Der Korreferent,
Herr Professor E. Richter, stellte dem gegenüber den Erfshrungs-
satz auf, dafs bisher an den modernen Gletschern eine beckenbildende
Thätiukeit nicht beobachtet sei, woraus sich der Schlufs von selbst
ergiebt, (h\U man den (üetsehern der Vergangenheit nicht eine Kraft
zuschreiben dürfe, die sie in der Gegenwart nicht zeigen. Unseres
Erachtens ist weder die moderne Gletscherkunde zu einem Abschlufs
gediehen, noch sind die lleliefverhnltnisse der Krdoberlläche vor und
zu der Eiszeit genügend aufgeklart, um mit Sicherheit das eine oder
das andere als allgemein gültig hinstellen zu können. Die allgemeine
Möglichkeit, dafs ein Gletscher, z. B. durch Veränderung seines
Niveaus ein Seebecken bilden könne, ist wohl vorhanden; das theoretisch
Mögliche ist aber noch lange nicht das wurklich Geschehene oder braucht
Digitized by Go ^»^.^
— 190 —
es wenii^stens in dem einzoliion Falle nicht zu sein: ehe aber eine
allgemeine Lehre über die Kutstehmifr der Seen aufLrestollt werden
kann, mttfste man wenigstens die wichtigsten, d. h. solche, die man
als Vertreter einer bestimmten Speeles ansehen will, einer genanen
Untcrsnchnng ihrer Lokalverhaltnissc unterwerfen; davon aber sind
wir noch weit entfernt.
Wenn die Diskussion der Eiszeit eine Sache vorwi^end aka-
demischer Natur war, so fahrte die Besprechung der Polarfragc
auf da« praktische Gebiet der Entdeckungen und wissenschaftlichen
Bcobachtunj^en. Der dazu bestellte llauptreferent, Geh. Adinii ilitäts-
rat Neuniayer, verbreitete sich ülier die Schicksale und Lei.^tuni^en
der internationalen r<dar>tat Ionen. l)es;)ndors der de.it sehen, von
denen in diesen Uliittern an anderer Stidle toil^ berichtet wird, teils
berichtet worden i>t und plaidierte mit besonderer Lebbaitiuckeit für
die Wiederaufnahme der antarktischen ForschuuLien. für welche der
Heduer, wie er besonders iiervorhob, schon Tor dreilsig Jahren das
Interesse zu wecken bemüht '.rewesen war. Der (Seoirraplieutag
fafste eine dahingehende Kcsolution. Ohne Zweifel i:it die Unter-
suchung der Sttdpolargegeuden eine an sich sehr annehmbare Sache,
znmal da seit J. Cl. Rofs denkwürdiger Reise, 1839—43, etwas
Nennenswertes fttr dieses Gebiet nicht geleistet worden ist, aber für
den Fall, dafs in der nftclisten Zukunft eine Polarunternehnmng
stAttfindcn sollte, so müfsten wir vom Stand p unkte der Geo«;rai)hie
aus wünschen, dafs sie in den KoL^ioneii arbeite, in denen vieles an-
jcrefani^en. weni^^ beendet ist. Im Noiilpolar.iKdjiet harrt eine Anzahl
von Problemen, wie die Krniittel nni,' der Festlands^renzon von (Iron-
laiid. die ilrfor^dinni; des Inlandseiics u. A. der Lösun.i;, die uns für
die (ieo^rajuiie für den Augenblick wenigstens dringlicher erscheinen,
als die antarktischen l'orscluuigen. d<Men Schweriuuikt doch wohl iu
der Nautik und Meteorologie liegt. In diesem Sinne, d. h. die
Nordpolarforschnng betonend, hatten sich auch die beiden Kor-
referenten, die Herren Prof. Bürgen und Kapiteln Koldewey, gcäufsert.
Neueste Nachrichten vom Congo.
Mit einer litographisclieu Abbildung: der Congo-D;iiin»tor „.Stanley''.
0. Der grofse Strom des Äquatorialen Afrika, von H. Stanley
entdeckt und man möchte sagen, bearbeitet, verdient die allgemeine
Aufmerksamkeit ans mehreren fJründen. In ])olitischer lieziehung
haben die zwischen den KeuMerungen Portugals und Knglands verein-
bui'teu \ ertrage wichtige völkerrechtliche Fragen und Erörtei'ungeu
Digiii^eu by Cookie
— 191 —
anf?eregt: auch für den Handel s])ielt das Congo gebiet eine gewisse
UoUe, was daraus liervorgelit, dals der Präsident der Handelskammer
zu Manchester den Wert des letztjäliriLren Umsatzes englischer Kautieute
in diesen Uegioiien auf 500,000 Pfd. Sterl. veranschlagt. Im Vordergrund
den Interesses steht allerdin}^ die Arbeit, welche II. Stanley im Auftrag
nnd anf Kosten der internationalen afrikanischen Gesellschaft, alias
des Königs ' der Belgier geleistet hat und zu leisten fortföhrt.
27 Stationen waren bis zum EintreiTen der neuesten Nachrichten auf
der Strecke vom unteren Congo bis mm Äquator errichtet, teils dem
Hauptstrom entlang, teils an dem Niadi-Kwilu, einer nördlich vom
unteren Congo gelegenen Wasserstrafse, welche «lie Gesellschaft auf-
zusuchen für gut fand, weil sie infol'je der Besitznahme des Congo-
luüudungslandes seitens (Ut Porlugie<eu den leichten Zugang zu
ihren inneren Stationen bedroht sah. Die Leistuimen nnd das ganze
Gebahren der Gesellschaft sowie Stanley.s erfahren die verschiedensten
Beurteilungen; neben begeisterter Anerkennung findet sich die herbste
Verurteilung. Das Äufserste letzter Art lasen wir in einem Artikel
der „Fall Mall Gazette^, herrührend von einem Engländer Namens
Phillips aus Punta de Lenha, der zwölf Jahre am unteren Congo
lebte und demnach die ausgiebigste Gelegenheit hatte, die dortigen
Verhftitnisse kennen zu lernen. Anknüpfend an das kürzlich anonym
erschienene Buch: ^The White Line across the Dark Gontinent**
nnterzieht Phillips die vier Pro*iramnm Ummern der afrikanischen
Gesellschaft — 1) die wissensi liattliche Erforschung der noch unhe-
kaniiten Gegenden Afrikas, 2) die Eröffnung von Givilisationswegen,
;Vi die Aufsuchung eines Mittels, um die allmiihlii^e Vernichtung des
Sklavenhandels zu bewirken, 4) ein technisches rnternehmen, um
den oberen mit dem unteren Congo zu verbinden, — einer kurzen,
aber scharfen Kritik, wobei er zu dem Ergebnis kommt, dafs von
diesen vier Aufgaben nur die letzte gelöst sei. dafs aber diese Leistung
eine absolut nutzlose sei uud dafs, sobald der König der Belgier
seine Unterstützung dem Unternehmen entziehen werde, der Zusammen-
bruch unvermeidlich sei; grofse Opfer an Menschenleben und Kapitalien
seien zweck- und resultatlos gebracht
Wie viel Wahrheit nnd wie viel Irrtum in diesem geradezu
vernichtenden Urteil liegt und ob Mr. Phillips es ganz sine ira et
studio niedersciiriel), können und wollen wir nicht untersuchen;
ebensowem'g soll hier eine Prüfung der von anderer Seite aufge'>tellten
r»ehauptung unternommen werden, dals die internationale afrikaui^clK^
(ieseli^chaft unter dem Vorwande wissenschaftlicher und humanitärer
Bestrebungen llaudelsgesclKifte betreibe und tliese unter ihrer Flagge
zu moaopolittiereu beabsichtige, sondern an das als tbatsaebüch
Digitized by Go^^v,.-
Bekannte uns haltend möchten wir darauf hinweisen, dafs es von
einem wahrhaft grofsen und neuen Gedanken zeugt, cineu Jahrhunderte
lang verschlossen gebliebenen Strom auf konseijueate und systematische
Welse dem Verkehre zu eröffnen. Man wird bei dem gegenwärti*^
in den verschiedenen Staaten so kraftig aufgei-attelten Interesse an
wirtschaftlichen Fragen und kolonialen Üntemehnmngen nicht ohne
weiteres anneinnen dürfen, dafs die -oniachten Aufwendungen schleclit-
hln nutzlos sind; aber selbst in dem IVille, dals die internationale.
afriUaniselie Gesellschaft zu lirunde geht, winl die uns kleinlich und
kriinu 1 hatt erscheinende Beurteilung des Mr. Phillips nicht am Platze
sein, sonth'ni man wird sagen dürfen : In niaguis volnisse sat est.
Dieses vorausschickend haben wir nun zu bemerken, dals
H, Stanley in der letzten Zeit keineswegs unthätig gewesen ist,
sondern nach den zu Clebote stehenden Berichten eine Kxpeilition
nach dem oberen Coniro unternommen hat, dereu Ergebnisse im
folgenden kurz mitgeteilt werden sollen.
Am 24. August 1883 verliefs H. Stanley Leopoldville am
Stanley Pdol auf dem kleinen Raddamj»fer „En avant^, traf bei der
Stat ion Msuata mit dem Wallischfanger „Eclairenr" und den Schrauben-
dampfcni „Hoyal'' und „Association internationale africaine'' zusammen
und hmgte mit diesen am 27. August an der neuen Station Kuamouth
an, welclie der schwedische Leutnant Pageis an der Mündung des
Kuango angelegt hatte. Von da vorrückend fand er die ältere
StAtimi Holobo durch die Bayanzi eingeäschert; nach Regelung der
Streitigkeiten, welche zwischen dem Befehlshaber der Station und
den Bayanzi ausgebrochen waren, begab er sich nach der Äquator-
station, dem iiufsersten der bisher festgelegten Punkte. Hier ver-
weilte er 14 Tage, mit der Ausrüstung der nun zu beginnenden
Expedition beschäftigt.
Am 17. Oktober fuhren die vier Schiffe, welche aufser Stanley
den Belgier Roger, drei Maschinisten und 68 Afrikaner, Zanzibar-
und Haussaleute, an Bord hatten, stromaufwärts. Wahrend der Fahrt
wurde mehrere Male Halt gemacht, um mit den Hftuptlingen der
Uferbewohner Frenndschaftsvertrftge zu schliefsen und von ihnen
Landabtretungen zu erlangen, so beim Dorfe Uranga, hei den
Bangala, zu Bubuga und Yambinga. Überall wurde Stanley freundlich
aufgenommen, weshalb er den Kapitän Hassens beauftragte, unter
diesen Stämmen Stationen zu errichten. Nicht ohne Bangen näherte
er sich der Mündung des Aruhwirai, wo er im Jahre 1877 so heftige
Kampfe zu bestehen gehabt hatte. Auch jetzt schien es. als sollte
es zu ilen WatTen kommen. Aber das geschickte Manöver des Ueisenden,
der seine Schill'e au dem mit Eingeboreuen gefüllten Ufer auf- und
193 —
abdampfen liels, imi»onit'iti' den Leuten derniar>en, dafs sie jedes
leindliilie Vor^udien aut^^ehend Friede und Freundsehatt schlössen.
Am IS. Nove!nf»er be^Mnii die FxpedilitMi auf dem Aruhwinii
•^tromaufwiirts zu faluen und damit in eine Terra incoi^nita ein-
/ iidriniren. Die Ufer des Flufses fand man stark bewohnt; überall
ürül>e Dörfer, reicl» an Elfenbein und afrikanischen Produkten: die
Hanart j^anz anders als an den Ufern desConu'.»: die Hänser halten
das Aussehen grofser Lösddiütchen (eteit^noirs). Die Bevölkerung,
wild und furchtsam, zeijite sich nirjiemls feindlich: zum ersten Male
drangen Weifse in diese Ke;;ion vor: begreiflich dafs das Erstaunen
der Schwarzen» zumal über die Dampfer, ungeheuer war. Nach
/urückiegun«? einer Fahrt vou etwa 315 km auf dem breiten
Strome, welcher Laolse Wiadungen beschreiht, fjelangte die Flottille
au das Dorf Yaiubuga, wo sich Strumschnellen befinden, .lenseita
der^lben, weiter stromaufwärts, beschreibt der Aruhwimi eine grofse
Kurve und heifst dort Bi -\ cre-Uerre. Die vou Stanley erreichte
Stelle liegt unter 2*' 13' n. Br.
Das wissenschaftliche Ergebnis der Beise auf dein Aruhwimi
ist nicht zu unterschfttzen, denn gerade an dieser Stelle war ein
Problem zu lösen, das des Uelle. Über den Verlauf dieses, nur in
seinem Oberläufe bekannten Flofses, bestehen bekanntlich zwei sehr
abweichende Meinungen. G. Schweinfurth, der im Mftrz 1870 an
dem Uelle war, stellte die Behauptung auf, der Uelle sei der Ober-
lauf des In den Tsailsee mandenden Schari, dessen Unterlauf be-
kanntlich von H. Barth und G. Nachtigal festgestellt ist, und Leute
wie Dr. Jimker, Duveyrier und Hatchtnson sprachen sich in gleichem
Sinne aus. Demgegenüber nahm Stanley au, dafii der Uelle der
Oberlauf eines der nördlichen ZuflOsse des Congo sei, eine Meinung,
von deren Richtigkeit der bekannte Afrikagelehrte und jetzt auch
Afrikareisende, J. Chavanne, so nberzeu^^t war, dafs er auf seiner
hydrographischen Ueberätchtskarte vou Afrika den Uelle unter dem
Namen Ukere mttnden läfst, während er den Aruhwimi als einen
Abtlufs des Muta Nzi;;e darstellt. Nun behauptet ein griechischer
Arzt NameiH Potagos, unter anderen ziendich dunklen und der Auf-
klärung bedürftigen Mitteilungen, er habe im .labre lH7t) unter dem
3" n. Br. das Dorf Ingima besucht, welches an dem nach Südwest
laufenden Flusse Bere liege. Wenn nun die Angabe des Dr. Potagos
richtig ist, wenn es ferner richtig ist. was Stanley augiebt, dafs das
Wort Bi-yere nur eine andere 1 orm für Bere ist, wenn endlich der Bere
des Dr. Potagos »ler Uelle ScliweintuitlK ist, so mufs, da Potagos
bis n. Br. gekommen sein will und Stanley bis 2^ 17' gelangte und
die Uichtungen beider Flüsse übereiustiimiieu, der Uelle mit dem
0«OfT. BUttw. Brem«», 1884.
— 194
Aruhwimi einen Flufslaiif darstellen, der in den Congo mündet. Der
uns vorliegende P.ci iclit von Wauters in iler Zeitschrift „le Mouvement
Geri'iraidiifjiU'" sajt : „Le doiite n'e>t i)as pos^ihle. rAroubonimi est
roiudir de Srliwfiiitiirtli." Wir sind nicht so külm. diej:e Schlufs-
folgeruag un< zu eij^en zu machen, da doch noch manche fragliche
Punkte zu erlediu^on sind, ^feben aber gern zu, dafs iu der Uelle-
frage durch Stanley ein Scliritt vorwärts gethan ist.
Durch die oben erwähnten, beim Dorfe Yambuga befindlichen
Stromschnellen an weiterem Vordringen gehindert, fuhr Stanley
zurück und bog am 24 November in den Congo ein. Hier begegnete
er einer Flotte von mindestens 1000 Kflhnen, deren Insassen sich
als MenschenrAuber heraasstellten. Sie hatten die ganze Gegend
verwüstet, die Dörfer verbrannt, zahlreiche Schwarze getötet und
mehr als 1300 Gefangene gemacht. Stanley konnte nicht daran
denken, die Unglücklichen zu befreien und fuhr weiter.
Am 1. Dezember langte er V(»r der zweiten Sti unihemmuug
des ('onuo, den sogenannten 8 tan 1 ey fällen , an, die sich etwa
l*' s. lir. befinden und sieben an Zahl eine Strecke von 90 km ein-
nehmen. Nacli der neu gemachten Aufnahme liegen sie aber ein
5 gut Stück ost Heiler als die zu iStanlevs grofsem Heisewerke geliörige
Karte angiebt.
Nach einoTu langen Palaver mit den sehr freundlichen Einge-
borenen wurde das Lager in der Nahe des ersten Kataraktes aufge-
schlagen, die l^mgegend in Bezug auf Salubrität und Vorbandensein
von Lebensmitteln untersucht und eine Stelle für die hier anzulegende
Station ausgesucht. Man wählte für «diesen vorgeschobenen Posten
der Civilisation'^ eine mitten im Strome gelegene Insel, Namens
Uaua-Rusani. Dieselbe, an 2000 m lang, 700 m breit und 4 km
oberhalb des ersten Katarakts gelegen, ist leicht zugänglich, gesund,
fruchtbar uiid stark bevölkert. Die Einwohner, ungefähr 1500 an
Zahl, wohnen in regelmafsig angelegten Dörfern, gehören zum* Stamm
der Vuenya, sind gewerbthätig und treiben Ackerbau. Elfenbein ist
in der ganzen Umgebung massenhaft vorhanden.
Iiis zum 10. Dezember hielt sich Stanley hier auf; er schlofs
Vertrage mit dvn Häuptlingen, baute ein Haus für die Station und
hifste die Flagge seiner Gesellschaft auf ^über den GewA^sern des
Congo, in gleicher Kntfernung von Ijeiden Oceanen, in der That im
Herzen von Afrika.'' Kigentlich hatte der Belgier Hoger die Leitung
der Station übernehmen sollen; al)er da seine Gesundheit sehr ange-
gritlcn war. <o trat der Maschinist des Royal, der Kngl.'lnder Bennie
an seine Stelle, um ausgerüstet mit Lebensmitteln für ein Jahr und
ui^ui-L-j cy Google
Digitized by Google
- 196 —
anterstatzt von 10 Zanzibar- und 20 Haussaleuten, die äofserste
Position Uaua-Rusani zu behaupten.
Am 10. Dezember reiste Stanley ab und nachdem er auf der
Rackfahrt manche Angelegenheiten geordnet, deren Mitteilung uns
zu weit fahren wQrde, langte er am 20. Januar t884 in Lipoid-
ville an, wo er alles iu bester Ordnung fand.
Die beistehende Abbildung wurde vor Kurzem im vierten
ileft des aeJiten Bandes der Zeitschrift der kdnigl. geographischen
Gesellschaft zu Antwerpen veröffentlicht; dem Entgegenkommen des
Vorstandes dieser Gesellschaft verdanken wir es, dafs wir dieselbe
auch unsern Lesern vorführen können. Der neue Dampfer „Stanley"
wurde von Jurrow Co. in London erbaut: nach den letzten Nach-
ricliten war der Seetransport desselben in ein/einen Theilen nach
lianana, an der Mümliing des Conf?o. lilücklich bewerkstelligt worden
und man war damit beschäftigt, ihn für die Fahrt nach Yivi zu-
saninienzußtelleii; von dort aus soll er in der Weise, wie die zweite
Abbildung es darstellt, zu Lande nach Stanley Pool gebracht werden.
Der genannten Zeitschrift entnehmen wir nachfolgende Angaben.
Der Dampfer «Stanley* ist aus Stahl, 70 Fufs lang, 18 Fufs breit
und 4 Fürs tief im Räume. Die Form des Schiffskörpers ist zu '/4 recht-
winklig, mit abgerundeten Ecken; Vorder- und Hinterteil sindlöffel&hn-
lieh gestaltet. Bei 15 Personen an Bord und einem Brennmaterial von
1000 kg Gewicht, hat er nur HV« Zoll Tiefgang und entwickelt
bei einem Kohlenverlirauch von 175 kg eine Falirscbnelligkeit von
Knoten in der Stunde, bemerkenswert ist die Art und Weise
der Aufstellun«!: der lokomotivartigeii Kc-^sel und die Anbringung
des treibenden Kads am Hinterteil des Scluties; auf diese Weise
hat das Had den besten Schut/ gegen im Flul's treibende Baum-
stämme u. (i<;l. Die Manövirfilhigkeit des Schifl's ist selir bedeutend,
Ro-Uafs, gelenkt dnrch zwei Steuerruder, es sich in sehr kleinem Kreise
um sich seli)st drehen kann. Der Rumpf des Schilfes läfst sich in
kurzer Zeit in acht Teile zerlegen und letztere können ebenso
schnell wieder zusammengefügt werden. Andere Einzelheiten ergiebt
die Abbildung. D. Red.
13»
Digitized by Google
— 196 —
Kleinere Mitteilungen.
§ Abs der Geoffrapliisrhen (iesellscbiifl in Bremen. Zunächst verzeichnen
wir die seit dem Krsr hciiien des V()ri<_'tMi Hefti^s dieser Zeitschrift in deu Ver-
samudungen unserer UeseUhchutt gehuheuen Vorträge. Es sprachen Herr Professor
Sachau aus Berlin am 10. M&ns über: Palmyr» und die Bedainen der syriseh-aim-
bischen Wflste, und %m 12. Mftn Uber: Herr and Hent; Herr Professor Fisch er ras
Marburg »m IT.Mftrs Aber: Norwegen, ein geograpblsobes Chankterbild. Am
38. Mftit hielt die Oesellschaft in ihrem Lokal, Rutenhof^ ihre JahresTersamm-
I u ng unter dem Vorsitz des Präsidenten der Gesellschaft, Herrn George Albrecht. Zu-
nächst wurden der (als Anlage zu Heft 1 der Zeitschrift versandte i Jahresbericht,
sowie die Rechnung für 188H vorgelegt. Die fiinnahmen beliefen sich auf 5175
die Ausgaben betrugen 4234 »<t 2 somit ergab sich ein Überschufs von
940 Jd. irf, welcher sich durch Abschreibungen auf 544 M. 53 ^ reduciert.
Die liechuung war bereits von zwei Mitgliedern revidiert und für richtig befunden
worden. — Der sweite Qeganstaiid betraf die Emennnng eines Ehrenmitgliedes ;
so solchem wnrde der bekannte Orfinlandsforseher nnd laqgifth^ge Oberinspektor
der dänischen Kolonien in WesIgrOnland, Herr Jnstisrath Dr. Heinrich Bink in
Christiania, erwählt. Dr. Bink hat bekanntlich mehrere bedeutende Werke über
Grönland, die Eskimostamme und verwandte Themata verfafst, die auch in andere
Sprachen übersetzt worden sind Zu korrespondit reiiden Mitgliedern wurden der
Geologe Dr. Albrecht Feuck in München nnd Adjunkt Adam Paulsen in Kopenhagen,
Chef der vorigjührigcn dänischen Polarstation in Oodthaab, erwählt. — Zum
dritten Gegenstande der Tagesordnung : verschiedene Mitteilungen, wurde zu-
nächst die Einladung zu dem in München vom 17. bis 19. April stattfindenden
dentschenOeographentag vorgelegt. Die Qesellschaft beschlob einen Delegierten
snm Geographentag nach Mfinehen an senden nnd ersnchte Dr. Lindeman diesen
▲nftrag za übernehmen. In Folge Verhindemng des Dr. L. eilcUrte sieh auf
Ersuchen des Vorstandes Herr Dr. Oppel bereit, die Gesellschaft in München
zu vertreten und hat derselbe dem Geographentag als Delegierter der Bremer
Gesellschaft beigewohnt, auch einen Bericht erstattet, der in dieser Nummer
der Zeits( hrift i s. o.; aufjjenommen wnrde. Aufser Herrn Dr. Oppel nahmen
' von unserer (lesellschaft noch die Herren Dr. Finsch nnd Kapitän Dalimann
am Geographentage Teil. — Weiter wurde von dem Vorsitzer mitgeteilt, dafs
ein junger deutscher Naturforscher, Stndiosns Belck ans Danzig, sich in 6e-
gleitnng des Dr. Höpfner for mehrere Jahre nach Ovamboland in Westafrika
und weiter nach dem Inneren an begeben beabsichtige nnd daÜB demselben anf
seinen Wunsch von einem Mitgliede die Mittel inr AnschafTung guter astro-
nomischer Beobachtungsinstmmente gewährt worden sind, wogten sich
der Reisende verpHii htet hat, seine karto^rraphischen Aufnahmen der
Gesellschaft zu überweisen nn<l ihr auch von Zeit zu Zeit Berichte über seine
Reisen zugehen zu lassen. Dieses Vorgehen eines Mit^diedes wurde fiendig be-
grülst und demselben der Dank der Gesellschaft ausgesprochen. Es konnte
aber noch über ein zweites Reiseanternehmen berichtet werden, welches von
der Gesellschaft demnftchst veranstaltet werden soll, ohne dafo sie deshalb
finanziell in Ansprach genommen werden wird. Es handelt sich nm eine geo-
graphische und naturwissenschaftliche Erforschung der südlich von Japan
gelegenen und jetzt zu diesem Reiche gehdrenden Bon in-In sein Ein Mitglied
der Qesellschuft lenkte nämlich vor einiger Zeit die Aufmerksamkeit auf diese
Digiii.ceu by Cookie
197 —
▼nlkanischen Inseln, wdche ach besonders zum Ziele einer naiarwi&sen-
schsftUchen Suninelreiae eigneten, da sie nnr einmal, vor 56 Jahren, von
dem dentschen Naturforscher Freiherrn Friedrich von Kittlita, auf knrse Zeit
besacht müden nnd sich nach den Resultaten ilioser Heise eine reiche, viel-
st'ifig interessante Ausbcaie erwarten lasse. Der Vorstand ging bereitwillig auf
den Gedanken ein nnd eine mit Freunden der (icscllschuft in Japan gepflogene
KorrepfK'ndonz or^ah, dafs ein tüchtii.'('r tlcutschcr N:itiirforsrli*M- und Docent
der Universität Kiel, der seit einigen .lalircn in Ja[>;Ln wi'ili mK- (ipolo^r Dr.
Gottsche, sich bereit erklärte, die Aufgabe zu überiuliinen. Eü isi, nach der
mit diesem Herrn brieüich und telegraphisch getroffenen Vereinbui unj^ , die
Absicht, daTs Herr Dr. Gottsche sieh im Herbst d. J. mit einem tftchtigen
Präparator von Yokohama auf einem Schoner nach Port Llojd auf Boninsima
begiebt, nm von dort ans die Inseln zn durchforschen und Sammlungen, sowie
Beobachtungen aller Art zu machen. Die Kosten der gansen Reise dürften vor-
Iftafig durch Vorschufs und Oarantiezeichnung einiger Mitglieder aufgebracht
werden. <la durcli die tinanzielle Verwertung der Sammlungen eine tnindostens
teilweise Drckun^ in Aus.^ii ht stellt. — Endlich wurden uocii Briefe von Mit-
;:lie(lern \ind Freunden der (lesellscludi verlu&en, wonach die im .lalircslx lidit
als in Aussicht stehend bezeichnete, von der Gesellschaft imt HuliV der urgen-
tinbrhen Regierung und Bdi5rdea zu veranstattende Aasstella ng argen-
tinischer Produkte gesichert erschien. — Seit jener Generalversammlung
ist die Sache ihrer Yerwirklichung nahe; im April trafen Herr Professor von
Sedstxang als Kommissar, sp&terHerr Dr. Lopez als Delegierter der argentinischen
R^lierong hier ein. Eine grofse Anzahl Kisten mit Ausstellungsgegenständen
kamen mit den letzten Lloyd-Danijtfcrn hier an und indem wir dieses Heft ab-
sc!iliefsf>n, sind die Vorboroitungen für die Ausstellung in dem zu dein Zwecke
;;emieleten Tivolisaule in vollem Gange. Die Eröffnung der Ausstellung, welche
etwa 3 Wochen jedermann zugänglich sein wird, soll am 25, Mai stattfinden.
Ein Katalog ist im Druck und wird entweder gleichzeitig mit diesem Heft oder
bald nach dem Erscheinen, als Anlage zu demselben versandt werden. Ober
die Ausstellung selbst gedenken wir im nfichsten Heft Näheres zu berichten.
§ Ernst Behni f. Am lö. März d. J. verschied in Gotha nach langen Leiden
Dr. Ernst Behm, Redakteur von „PeteroMUlllS Mitteilungen", jener berAhmten
Zeitschrift, deren eigentlicher Leiter er schon zu Peterraanns Lebzeiten gewesen
war; nefjründer ferner des ireojzraphischen Jidubuclis und Hearbeiter des
^t:iti.s(isehen Teiles des Gothaer Hufkalenders. In Beinn verliert diu Geographie
eine bedeutende Kraft; reiche Kenntnisse, ein selten sich irrendes Urteil, ein
stets bis zum innersten Kern der Wahrheit biudurchdiingouder kritischer bciiurf-
blick, ein nie ruhender Fleils bei geschmackvoller Schreibweise lieCien stets das,
was aas Behms Feder verülfentlicht wurde, anziehend und bedeutend erscheinen.
Leider war durch allzuviel Arbeit Behms Gesundheit schon l&ngere Zeit er-
schüttert, ein starker Geist wohnte in einem schwächlichen Körper. Wäi-e die
auf.'ierordcntliche Arbeitskraft des Verewigten nicht durch ein Nervenleiden, dem
er schliefKli( h erlag, beinttäclitipt und verkürzt worden, so würde er sicher
nof h Hedeutendes ;ieleistet haben. Inmieihln bildet Das, was Behni in '.27 Jahren,
welche er der l'ertliej^schen Anstalt angehorte, in stiller .selbstioi.er iiingebunp
gewirkt und geschaffen, einen höcht wertvollen Teil in der Entwickelunji der geo-
graphischen Wissenschaft, die gewifs femer gedeihen wird, weua bicit liirem
IMenzt auch in Zukunft gleich treue und bemieiiA Jflnger widmen.
Digitized by Google
— 198 —
US^ldft. Dguida und der ägyptische Sudan Ton Rev. C. F. WUmmi and
R. W, Fellun, 8 Bde. Stuttgart, Cotta. 1883. Dies ist der Titel der deatschen
Ansgabp des englischen Originalwerkes der beiden Veifa-sser. Die gegenwärtig
die Aufjnorksainkeit jianz Ftiropas auf si(-h ziehenden Vorgänge im fifryptisohon
Smlan verleihen dem Buche ein aktncllcs Interesse, obwohl die eigentliche
Bedt'uinng desselben in der im orslon Bande gop-bciien reirblialf i;j<'ii Hcschroihnni:
von Uganda liegt, seines \<)lk<'!>, seiner politischen Kinnclitungoii . in dov
Schilderung von Sitten und Gebräuchen des central-afrikanischen Reiches.
Durch einen Knef Stanleys vom Mftrz 1875, geschrieben in der Residenz Mtesas,
des dnrch Speke nnd Grant in Enropa bekannt gewordenen fierrsehere tod
Uganda, warde die chnrch miadonary society vezanhirst swei Expeditionen anl-
insenden, um die von Stanlf^y angeregte Bekehrung Mtesas luid der Waganda
ZU vollziehen. Die eine der Expeditionen, welcher Rev. ('. F. Wilson angehörte,
reiste über Zanzibar nach ihrem Bestimm nngsorte. Im ersten Rande beschreibt
Wilson diese H< iso. vv giobt uns ein in wenige Seiten zusammengcfafstes Bild
des vielbescliriebcütii Zanzibar; in den nächsten Kapiteln führt er den Leser
nach Mpwapwa, einer weiten Ebene mit zahlreichen Dörfern im i^ande Ugogo,
dann dnrch Ugogo nach Ng*nm, naeh Kagei am Ukerewe-See, woselbirt Wilson
nach einer sechamonatlichen Reise Ton Ba^unoyo ans ankommt. In dem, von
England mitgebrachten Schiife, der »Daisy", wird der Ükerewe-See befehren nnd
der Weg nach Uganda eingeschlagen. Rev. Wilson blieb mit einigen Unter-
brechungen, welche durch Reisen nach Kagei veninlafst wurden, vom Juli 1877
bis Mai 1879 in Fganda. der erste Europäer, welcher durch einen solchen Zeit-
raum das schöne Land und seine Bevölkerung bcoliachtcii konnte. Unterstützt
von der Kenntnifs der Landesspraclie des Kiganda, war es Mr. Wilson vor-
behalten, eine eingehende Darstellung des vor ihm von Speke, Stanley. Linant
de Bellefond, Kolonel Long und Emin-Bey besuchten Landes zu geben. Diese
Dustellnng beruht anf wohlwollendar, aber yon aller SchOnmalerei, wie sie nns
s. B. Stanley gab, freier Beobachtnng. Da Mr. Wilson mit der Aufgabe ans-
gesandt war, Uganda zn chrktianisieren, ist es von Interesse zn lesen, was er
darftber si^: ,Was das Christenthnm betrifft, so glaube ich, dafs es sich bei
den unteren Klassen leicht verbreiten wird ; aber die meisten Häuptlinge, eine
der hochmütigsten Menschenklasson übcrhanpf. werden, wie ich fürchte, seiner
Einführung in das Land hartnäckigen \S iderstund entgegensetzen. " In Mr. Wilsons
Bericht wird übrigens die Missionsthätigkeit nur gelegentlich erwähnt, er schildert
uns, was er als Reisender gesehen, beobachtet und erlebt hat, und dies in einer
gefälligen, unbefangenen Sprache, welche sich freilich in der englischen Original-»
ausgäbe besser liest, als in der etwas ängstlich geschriebenen deutschen Ueber^
Setzung, welche ab nnd zn allzu wörtlich genommen wnrde, wie z. B. wenn die
Stelle: he (Mtcsa) is his own secretary for war, statt mit Kriegsminister, über-
set:;t wird: ^Er ist sein eigener Sekretär im Krieg*. Mr. Wilson fafst seine
Beobachtungen über das Volk von Uganda in folgenden Zeilen zusammen: .Ans
alle dem ist zu entnehmen, dafs die Waganda dnrt li;ius nicht gering begabt
sind und ein viel versprechendes Feld für weitere Ansljildiing geben. Zudem
hat man nicht zu fürchten, sie könnten vom Erdboden wegverleinert werden,
wie es vielen anderen wilden Stämmen ergangen ist. Sie haben alle Laster und
die meisten Krankheiten Europas nnd mfissen, wie die Negerrassen überhaupt,
eine nngehenre Lebenskraft besitzen, um den f&rchterlichen Verlust an Menschen
dureh ununterbrochene Kriege zu überdauern. Das Volk von Ugftnda hat eioe
grolse Zukunft und die physischen VorsOge und die centrale Lage des
Digitized by Google
Landet befiUugen es, das CiviUsationscentram für die benachbarten Völker ra
bilden.' Mr. Wilaon verlieb Uganda, am im Verein mit Mr. Felkin, welcher in
Gesellschaft einer sweiten Minionsexpedition über Charthum. Lado und Mrali za
Mtesa gekommen, eine von diesem Könige nach England best immte Oesandschaft
von mehreren Wagandahänptlingen zu begleiten und bei der Königin Victoria
vorzustellen. Diese Reise, welche durch die Äi|ii;itorialprovinzcn nacli dorn
bachr Ghazitl und von da, weil die Kommunikation mi Was.ser mit ( bailhum
durch Verlegung des bachr el gebci und des weilsen Nils mit rilanzenbiiiien
unterbrochen war, an Land von Dem Soleiman ans über Darfar und Kordofau
nach Chaztham ging, wird im aweiten Bande des Werkes von Mr. B. W. Felkin
beaebriebea. Mit Vergnl^n wird man die geovdneten VerhiUtnlsse der von dem
beigablen deutschen Gonvemear Emin Bey (Dr. Schnltder) geleiteten Äqoatorlal-
I»rovinsen dea igyptischen Sudan aar Kenntnirs nehmen; mit liebevoller Auf-
merksamkeit sorgt Emin Rey für die materielle Wohlfahrt der armen, früher
von den Sklavenhändlern gehet7,ten, geplünderten und dcimiovlon Neger
und zeigt uns die Möglichkeil, den Nutzen der HegierentUn mit der
Besserung der Lebensbedingungen der Regierten auch in diesen Laiukrii zu
vereinen. Mr. Felkius Erzählung seiner bezüglichen Beobachtungen und Er-
iahrangen sengt von seiner sympathischen Anteilnahme an diesen BMtrdbungao.
Von geagiiq^bischem Interesse ist die Bsise von Lado durch das Madi-Land nach
Ajaok am Flosse Bohl, eine wenig begangene nnd nnsers Wissens noch weniger
beaehriebene Route, welche durch sorgfiltlge Kompafsaufnahmcn niedergelegt
wnrde und ebenso, wie die bislang nie aufgenommene Route von Dem Sulciman
im Dar Fertit über den bachr el Arab nach Dara in Darfiir in der, dt r englischen
Ausgabe beigegebenen Karte piibli/aert wird; ungern vermissen wir bei der
deutschen Ausgabe jegliche Karte, ein, wenn auch nur in kleinem Mafssfab
ausgeführtes Übersu htskaitchen wäre ebenso dnngejid geboten gewesen, als ein
Inbalttverseiebnirs, welebes den beiden deutschen Bändcbcn fehlt Die Ankunft
der englischen Missionare mit der Gesandtschaft Mtesa's im Gebiete der von
Qessi-Fascha verwalteten bachr Ghasal Provinz fiel in die Zeit kurz nach der
Bewältigung des von Soliman, dem Sohne Sibehrs geleiteten Anfetandes der
Sklavenjäger und Händler, der uns schon dOTCh Schweinfort bekannten gcUaba's,
durch Ges^i. Felkins Darstellung des von Gcssi vollzogenen llachewerkes ist
von seiner Freundschaft zu dem Italiener becinflufsf. den man nicht von dem
Vorwurfe freisprechen kann, in der Wahl seiner Mittel über das Ziel hinaus-
gegangen zu sein. Die Erbitterung, welche sich durcli Gcssis drakonische
MaHsrcgeln der Nubier bemächtigte, hat iiuen guten Anteil an der heuligeu
Bewegung des Sudan. Felkin ftu&ert sich über die, jedem der den Sndan
bereiat, sich anfdrSngende Sklavenfrage: ,Ich bin fest überzeugt, es wäre am
besten, nichts zu tbnn, um daa Einführen von Sklaven nach Ägypten za ver^
biadmn, bis der Moment zum entscheidenden Handeln gekommen und die totale
Ausrottung dieses unmenschlichen Handels eine beschlossene ^ache ist." Im
Dezember passierten die Reisenden den bachr el Arab, nicht nur die politische
Grenze der bachr Ghazal Provinz nach Norden, sondern au*]i, wie Felkin
berichtet, der Tsetse Fliege; er war von dem Flusse enttauscht, in dem breiten
Bett üols ein kaum 4 Fuis tiefer schmaler Wasserstreifen, doch ist dieser Flufs
in der B^ganzeit sehr wasserreich und soll der einzige sein, welcher von hier
an in d«n Lindem von Darfar nnd Kordofan bis nach Charthum das ganze Jahr
Wasser führt MH der Oberschreitong des Flusses SnJcrt bioh auch der
Ghankter der Gegend: weit und breit nor vereinzelte Akazien, Palmen und
Digitized by Go
— 200 —
Donig^bflBche; die Neger machen Ambem PUts. FAr die WaesenrmQt des
Landes sengt anch der Branch, Melonensaft statt des Wassers zum kochen und
TN'nschen sn ▼erweoden. Mit der Ankunft in Kalaka sind die Reisenden ira
Dar Fnr angekommen. In den Irtzton K;ipit<^ln des zweiton Bandes wird die
Reise durch dieses Land über Dara nach Kl ()hv]i\ in Kordofan un<l von da
weiter nach Chart hum geschildert. bef;leitet von Heinerknnpen über die Bewohner,
ihre Hänser, ihre Gebräuche, ihre bittli( hen Kipen.schaften, ihren Handel und
ihre Indasthe. Wenn diese Aafzcichnungcn auch nicht vollständig sein konnten,
da der Aufenthalt ein nnr knner war, so sind sie schitsbar als Ergänzangen
und Emeoenuigen nmfsngreicherer Uterer Reisebesehreibnngen. Im ganaen
genommen bieten uns die beiden Bftnde eine sehr willkommene BereicheroDg
der Kenntni.«:. zwar schon mehr oder minder bereister, aber doch noch wenig
gekannter Länder in einer von aller <>rmridcnden T.iängo vollkommen freien
Form, welche in der dentschen Ansgabe fast allzu knapp geworden ist.
Richard Biichla.
Du afrikanische Binnenmeer. Ueber diese neuerdings wiederum viel
erörterte Angelegenheit hielt Herr Baninspektor dansen in der am 7. April d. J.
stattgehabten Sitsnng des Architekten- nnd Ingenienrrereins sra Bremen einen
Vortrag, dessen Inhalt in dem nachstehenden Referate wiedergegeben wird. Dem
langgehegten Plane, einen Teil der ungeheuren Wfistenflächen Afrikas in einen
See an verwandeln und dadurch diese Gegenden dem Verkehr und der Kultur
zu erschliefscn. ist bekanntlich in iienfror Zeit der frnnzösiscl^o Konnnandant
Roudaire nähergetreten und dürfte es interessieren, über dusos grofsartige Pro-
jekt einige nähere Angaben, die in verschiedenen Zeitschritten, insbesondere
in der Zeitschrift für ,, Transportwesen und Strafsenbau". veröffentlicht sind,
mitzuteilen. Zwischen der in Algier anf einer frachtbaren Oase gelegenen Stadt
Biskra, anch von den Bewohnern mit Stola das «Paris der Sahara* genannt»
nnd der in Tonis gehörigen mitteUindischen Küstenstadt Gabes, die in gerader
Linie etwa 460 km von einander entfernt liegen, befinden sich drei von einander
getrennte, grofse wassor^ nnd Tegetationslose. mit dünnen oder dickeren Salz-
schichten bedeckte Ebenen, sog. Schotts, sie führen die Namen Mel H'ir mit
6900 qkm Fläche, dann kommt Schott Rharsa mit 1H0<) (|km und zuletzt hoi
Gabo.s Schott Djerid .)tKK) ({kui grofs. Diese Schotts wurden schon in iilten-r
Zeit von den Äfrikareisenden als ausgetr()( km te Hmnenmeere angeschen, ohne
dafs überzeugende Beweise beigebracht werden konnten. Erst im Jahre 1872
ist dnrch den schon erwMinten Kommandanten Roodaire mittelst genauer
NiTcllementa festgestellt, dafs die Sohle des Schotts Ifel R*ir 25 — 90 m nnd die
des Schotts Rhaxsa etwa 90 m unter dem Stiegel des liittelmeers li^t» wfthrend
Schott Djerid eine höhere Lage ak das Meer hat. Es ist also die Möglichkeit
vorhanden, die beiden erstgenannten Schotts in ein Binnenmeer mit einem
Flächeninhalt von 82tX) qkm (d. i. reichlich gröfser als das (Jrofsherzogtum
Oldenburg) zu vemandcln. Das von Hondaire zu diesem Ende anfgcstellto Pro-
jekt stützt sich anf nrnfangreiclie sm L'fältige Messungen Hodenuntcrsuchunger»
u. 8. w. Der Boden in der genau geradlinigen Kaualsohle ist durchweg sandig,
mit Mergel Termischt und Übt sich anoDahmsweise leicht abgraben, nnr bei
Oabes ist eine Kreideschicht an durchstechen. Ein sehr wichtiger Faktor bei
der gansen Frage ist die Feststdlnng der Terdunstnngshöhe; hierftber liegen
nun Terwendbare, genaue Beobachtungen von Lavally vor, welche dieser bei den
Bittersoen, die erst bei der Erbaunag des Sueckanals gef&Ut wurden nnd bis
Digitized by Google
201
dahin ganz trocken waren, angestelli hat. Es sind nänili( h die Gröfsen- nnd
Ti^fenverhältnisse der Bitterseen franz ähnliche, wii- hti den hier in Frage
stehenden Bodeneinsenknngen, ferner ist die geographische Breite und endlich
aach die darchschnittliche Jahrestemperatur (21 C.) dieselbe, so dab man
die bei diMtn Seen in den Mc»naton April bis Septmuber beobachtete durch-
■ehmtdiche Terdmistinigdidhe ^on 3^ mm |nro Tag auch ohne weiteree für das
kMliga Binnenmeer annehmen darf. 3^ mm pro Tag ergiebt m pro Jahr,
wnvnn zunächst 0,n m als beobachtete dnrcblduittliche jährliche Begenwasser-
höhc in der Gegend des Schotts und sodann nochmals mindestens O,-?: m für
die von den Qnellen nnd Flüssen kommende Wassermenge abzuziehen sind, so
dafs also als wirkliche jährliche Senkung durch Verdunstung 74 cm bleiben,
was eine durch den Zuleitungskanal zu ersetzende Wassermenge von sechs
Milliarden cbm pro Jahr oder 187 cbm pro Sekunde ergiebt Ein Kanal von
. 20 m Sohlanbnlte, 11 m WaneztielB, IVtftehen BftBchmigeB nnd 11 mm
pro km QefBUe wftrde im Stande seia, diese WaaiennAnge sn liefeni; jedoch
hat Boodaire, mit Rftekncht fenf die anf 10 Jahr» angenommene F&llnngBBelt
des Binnenmeeres einen erheblich gröfseren Querschnitt, nämlich 30 m Sohlen-
breite, 14 m Wassertiefe, 1> 2 fache Bdsohung nnd 3ö mm QefftUe pro km in
VorKchla^ gebracht, welcher UM cbm pro Sekunde zu liefern vermag Die
Länge des Kanals betrügt rund 2(X) km (der SuozkaiKil ist lf>0 kin lang), wovon
180 km auf die Strecke von Gabes bis zum Schott Kharsa nnd 20 km anf den
Verbindnngskanal des letzteren mit dem Schott Mel R'ir entfallen und ist zur
Ansbebong desselben die Beseitigung einer Bodenmasse von Ö60 Millionen cbm
erforderlich. Nach dem Ffame nm Boadain soU mm bei Bewältigung dieser
vagshenren Bodenmame die Krall des einströmenden FftUnngswassers in ans»
giebigster Weise nittebai' gemacht werden* Zu diesem Zwecke wird vor-
geschlagen, vom Meere bis zur Rodenerhöhung von Gabes, da wo sich die
Kreideschicht befindet, das volle Profil auszuheben, alsdann jedoch nur einen
Graben von IH ra Sohlcnbreite, 3 ra Tiefe (im Anfang), einfacher Böschung
und starkem Oefälle, nämlich fiO cm pro km, derartig, dafs bei der Einmündung
in Schott Rhin Sil die normale Tiefe von 14 m erreirht ist, herzustellen. Für
diesen Graben ist eine Bodenbeweguug von 2öÜ Millionen cbm erforderlich, die
in Jahren bewerkstelligt werden soll» indem gO Bnsger mit je einer täg-
lichen Leistnngsfthigfcejt von 9600 cbm, oder einer jihiiicheo Leistung, bei
300 Arbeiistagen, von */i Millionen cbm eingestellt werden, welche das pro lahr
erforderliche Quantum von ßO Millionen cbm Boden bewältigen können. Die
dann noch verbleibende Rodenroasse von 800 Millionen cbm soll dnrch das ein-
strömende Wasser, welches eine Geschwindigkeit zwischen (?<) cm und 1 m
haben wird, und dessen Wirkung durch grofse Rechenapparate, die den Boden
auflockern, zu unterstützen ist, foi-tgerissen und im S(;hott Rharsa in unschäd-
licher Weise abgelagert werden. Hierbei ist angenommen, unter Bezugnahme auf
die in der Dimbowitza bei Bukarest gemachten Erfahrungen, dafs der Wasserstrora
seiner Masse an erdigen Teilen mit sich reifirt, mithin jene 900 Millionen cbm
dnrch 16 MilUavden cbm einstriHnenden Wassers in einer Frist von ca. 2*lt Jahren
beeeitigt werden. Alsdann sind lüber nicht weniger denn 10 Jahre nötig, nm die
Becken der Sohotts, welche einen Inhalt von 172 Milliarden cbm haben, EU
fallen, indem Torexst noch 10,« 60 Milliarden cbm Wasser als Yerdunstungs-
und Versickemngsmenge während der Fülhings/.eit hinzukommt und, unter Ab-
zug der in der Bauzeit eingeströmten Wasserinenge, noch etwa 220 Milliarden,
oder pro Jahr 22 Milliarden cbm erforderlich sind, eine Masse, welche das oben
üiyiiizea by Google
— 202 —
erwähnte Querprofil bei 704 cbm sekundlichem Zuflufs liefert. (Die Weser bei
Bremen führt diese Wassermenge bei einem Stande von ungefähr -\- 2,»o m.i Die
Kosten sind von Roudaire auf 160 MÜUonen Franks veranschlagt Durch das
kftnftige Biimeiimeer wfiide d«r jetst mf lUrftwaiieii angwnMene V«ffcelur
swiaehen d«r mitteUiiidiaeheii Kttate und den im Bfameoteiide gekfeneo HaadAlf-
niederhMiiiigtii, den Oaaen der Wfkste Sahan n. A. eine eehr bedeoinide Er^
leichternng erfahren und den Anlall sor Eröffnung neuer wichtiger Handelswege
jiphf-n Für die französische Regierung kommt die politische Rücksicht in Be-
tracht, dafs die Südgrenze von Algier und Tunis durch das Meer eine orhehüch
gesichertere und leichter zu überwachende sein wird, so dafs mit wesentlich
geringeren Streitkräften den räuberischen Überfällen der Araber, wekhen die
algierische Wüste jetzt einen gesicherten Zufluchtsort bei Verfolgungen gewährt,
begegnet weiden kann. Ancli wfirden die Anfrtftade im Anree- nnd Ailasgebirge
▼QUig voSkfym^ weil solche Ton dem dum durch KricigwchiAe sngfinglichen .
Biskn nns aolort n nntardrücken eind. Weiter ist hervotnüieben, dnb dne
bereits erwähnte Scdiott Djerid höher als der Meeresspiegel lir^t und so eine
5000 qkm grofse versumpfte Fläche mit fruchtbarem Boden der Kultur, durch
die dann ermöglichte Entwässerung dieses Sumpfes, übergeben werden kann.
Auch der aus dem Fischereibetriebe auf dem künftigen Binnensee zu erzielende
Gewinn ßllt ins Gewicht ; es ist in dieser Beziehung auf den See Mensaleh (in
Unteregypten) zu verweisen, der bei einer Gröfse von 2600 qkm eine jährliche
Facht Yon 2 Millionen Franks ergiehL Endlich sind noch nis besonders grofee
Vorteile die voianasiehtlich eintretenden Andemngen der klimatischen Ver*
hiltnisse an erwähnen. Das Verdnnstnngsmafs Ton 8^ mm pro Tag ergiebt
fllr die anl 8800 qkm berechnete Wfteserfläche eine tägliche Verdunstungs-
masse von 28 Millionen cbm Wasser, welche enorme Menge Wasserdonst die
fast ausnahmslos herrschenden SfHwinde nach Norden treiben; hier werden
diese Wasserdünste durch die mit Schnee bedeckten Gebirgsmassen des Atlas
und Aures abgekühlt, verdichten sich zu Wolken und fallen als Regen auf
die weiten, wüsten Länderstrecken zwischen dem Schott Mel K'ii- und den
Aaresgebirgen nieder, die nor dieses Wolkcnsegens bedürfen, um in frucht-
baxe Aeeker Terwandelt an werden. Ebenso wird die mit Waeserdttnsten erfüllte
Lnft wihrend des Tkges den Durchgang der WftrmestraUen der Sonne, sowie
wihrend der Nacht die Wirmeaassttahhing des Bodens erschweren und so
dazu beitragen, die staifceni die Gesundheit der Bewohner nnd die KnKnr^
fähigkeit des Bodens so sehr schädigenden Kontrdstc zwischen Tageshitze und
Nachtkälte zu mildern. (Im Dezember 1874 ist an den Ufern des Mel R'ir am
Tage eine Hitze von 20"^ C. und in der darauf folgenden Nacht eine Kälte von
— 7" C, also eine Differenz von 27** konstatiert worden.) Was nun noch die Aus-
sichten auf Ausführung des Projekts anbetrifit, so ist in dieser Beziehung zu
bemericen, dab von der firansfisiaehen Regtemng eine Kommission aar Frfllfung
der Bondaireechen VorschUge niedergesetst ist nnd diese die MdgjUehkeit der
AnsfUming, sowie die Qenanigkeit der Vermeasongen in Wlem Habe anerkannt
hat. Nur bezüglich der Kosten gehen die Ansichten weit auseinander; zunächst
glaubte die Kommission diese auf 450 Mill. Franks gegenüber der von Roudaire
berechneten Summe von 160 Mill. Franks veranschlagen zu müssen, sodann
wurden aber auch in einer der letzten Sitzungen der Kommission die An-
sichten Roudaires hinsichtlich der , unter Voraussetzung einer zehnjährigen
FiUlungsperiode erforderlichen ^Erdbewegung bestritten, vielmehr behauptet,
dafs etwa 194ft Millionen cbm. Boden an beseitigen wiren nnd dement-
uiyiiiziüd by Google
— 203 ^
sprpf hrnd die Kosten auf 1 Milliurfle Franks zu veranschlagen seien. Damit
war hIm r auch das ri ojckt in der Kommission gefallen, indem von der An-
nahme ansgepanpen wurde, dafs alsdann die zu erwartenden Vorteile doch
jiu ht geniigen könnten, um die Aufwendung üo erheblicher Geldmittel zu recht-
fezfigeii. In neuerer 2Mt haben rieh die Ämsiehten jedoeh erheblich gebesserti
indem das Projekt in dem in solchen Anlagen kompetentesten Ingenieur der
Gegenwart, Herrn Ton Lesseps nftmlich, einen warmen Beffirworter gefanden
bat Derselbe bat vor Jahresfrist, im April 188:^, bereits im 78. Lebensjahre
stehend, nnigeben von einem Stabe von Ingeniearen nnd Orofsuniernehmem,
die ganze Strecke unter den mannigfachsten Strapazen und Entbehrungen be-
reist. Das Resultat dieser Bereisnng ist in einem Protokoll niedergelegt, worin
das Projekt warm empfohlen un<l die l'berzeugung ausgesprochen wird, dafs
sich dasselbe für 150 Millionen f ranks verwirklichen liefse. Möge es denn dem
Einflüsse dieses berühmten Diplomaten und Ingonieurs, dessen Geschicklichkeit
in beiden Berufen es gelangen ist, die Ansfahrang des Sneakanals und der im
Ban begriffenen Dorchstechnng des Isthmns von Panama zn erwirken, auch
vergönnt sein, die Heisteihing dieses dritten groben, internationalen Wasser-
weges za sichern!
Ans der Hepublik Liberia. Dem in lieft l, s. Sl u. fT. dieser Zeitschrift
besprocheneu Bericht des Naturforschers J. Hütt ikotei- nhw seine Ueisen in
Westafrika 188i) IHHi entnclituen wii- noch die nachstehende Mitteilung über
die Wohuverhältni.sse der Koloni.sten ni Liberia. Mit wenigen Ausnahmen sind
die Wobnhäoscr nach einem and demselben Plane ans Holz gebaut and mit
Kalk angestrichen, wodnrch das Hobswerk sowohl gegen den Einflnfs der
Wittemng, als auch gegen die brennenden Sonnenstrahlen geschfitzt wird. Nor
in den Bevdlkoningscentren, besonders in Monrovia, wie anek auf einigen der
vielen blühenden Kaffee- und Zuckeridantagen am St. Paul, die als die vor-
trefTlichsten Liberias bekannt sind, findet man massive Häuser, die mit Ziegeln,
oft auch mit Zink gedeckt sind; jedoch f<hlt aii<h an diesen so wenig, als au
den hölzernen Häusern der Farmer die unvermeidliche piazzu. Die erste Eigen-
tümlichkeit, welclie bei diesen Holzhäusern uufflillt. ist die. dafs sie nicht un-
mittelbar auf dem Gruntle oder auf durchgehenden Fundamenten, sondern auf
nngcfähr 8—6 Fols hohen Pföhlen, oder wo das Material beqaan zn haben ist,
aof steinernen Pfeilern rohen. Vom sanitären Standpunkte aas ist diese prak-
tische Malsregel nicht zn unterschätzen; denn da nnn der Wind anter den
Wohnungen freien Durchzug hat, kann er den Einflnfs der schädlichen Miasmen
sehr verringern. Indefs ist diese Art der Fundamentierang schon deshalb not-
wendig, um die Häuser während der langen Regenzeit von unten trocken zn
b;ilt«-n und sie besser gegen die zerstörenden Atigrifft- dor Tennitm schützen zu
können. Um letzteren Zwerk noch sicherer zu crr» i< lien, werden die l'fiihle,
welche als Fundament dienen, mit Thecr getränkt. f)bendrein — und dies ist
vielleicht der Hauptgrund, weshalb man diese Bauart wählt — ist sie viel ein-
facher und billiger, als eine Fandamentieruug mit Steinen. Aof 8 — 10 solcher
Pfthlen resp. Steinpfeilern rnht das ganze Hobsgebftude, dessen Parterre gewöhn«
lieh dorch eine hölzerne Wand in eine Art von Wohn- und Empfangszimmer
(parlor) nnd eine etwas kleinere Schlafkammer geteilt wird. Hinter diesen
beiden Kanmen, in der Länge des (iebäudes, befindet si' h zu ebener Erde unter
einer Verlängerung des Dache.s ein Hinterzimmer (backshade), das ebenfalls von
hölzernen Wänden eingeschlossen ist, als Vorratskammer und als Lagerraum
. Kj L y Google
— 204 —
;!ohi:iU' ht wirrl für allos. das in Hpii beiden Woliiuminicrn und auf der Boden-
kammer, die HUt li iils Schlafrauiu dient. ni< ht Platz finden kann. An der
Vorderseite, in der Länge des Gtebäades, ist, gleichfalls unter einem vor-
springenden Dach, die etwa 3 m breite piaua angelegt, za welcher ▼om Vor-
garten oder von der Strafse aus eine Treppe von Hols oder von anfeinander
l^elegten Steinen Zngang gew&hrt. Auf dieser beschatteten piazBa, dem Lieblings-
platze der Haasgenossen, sowohl bei brennender Tageshitse, als in kdhlen
Abendstunden, stehen einige rohe, aus Stroh oder Binsen gcflochtnie Sessel,
nnd die in Liberia unentbehrlicho Hängematte ladet zum Ruhen ein. A\is einer
Hinterthür in der backshade fülir< ii einige Stufen nacli der Küche, die meislens
in einer kleinen Entfernung hinter dem Hause liegt. Dieselbe ist nichts weiter
als ein Schuppen mit Wänden von Palmblattrippen und einem Dache von
Palmblattem. Der Heid zu ebener Erde wird gebildet darch einige Steine oder
Holsblftcke, die das Feaer nuammenhalten und ragleich als Stütae dienen fBr
den eisernen Topf, in weichem das Essen gekocht wird. Der ganse zum Hanse
gehörende Platz, der sogenannte Garten (yard), ist oft von einem /aun nm-
geben. Die VTSnde der Hän^< r 1h ft hen aus ungehobelten Brettern, welche anf
dem Balkengerüst festgcnat/elt sind un<l sebuppcnartig anfeinander liegen; das
Dach besteht aus hölzernen Dachspänen. In den oft schiefstelionden Thür- nnd
Fensteröffnungen hängen schwere, grob gearbeitete Thüren und l enslerladcn
Von Fensterscheiben ist, einzelne öffentliche und private Gebäude ausgenommen,
keine Spar zxx finden. Aach werden die Wohnzimmer in einfachen Farmen in-
wendig selten mit Brettern belq^t, da es gesunder nnd kühler ist, wenn der
\nnd durch die Ritzen der AnWnw&nde dringen kann, und man fiberdies
weniger von Batten und Schlangen za leiden hat, die sich gern in Hftnsern mit
Doppelwftnden aafhalten. Die Ansstattung der Wohunngen ist mit geringen
Ausnahmen sehr einfach. Einige der schon beschriebenen Stühle, ein un-
behobelter Tisch, einige Kisten und Koffer, einige sehr breite Bettstellen mit
harten Betten — weiche Betten sind zu wann und, wenn ir;: nd mögli -h.
ein Schankelstuhl (rocking-chair) für die Frau des Hauses, machen das ganze
Meublement aus, wenn man nicht einen kleincu, halbmatten Spiegel und einige
Bilder k la Genoveva} mit. oder ohne Rahmen daza rechnen will. Eine Haasahr
ist in einer Famerwohnong oder in einem einfachen BÜrgerhaase selten za
finden. In einem Lande, wo das bekannte «time ts money* nicht za Hanse ist,
wo die Sonne beinahe das ganze Jahr hindurch regelmäfsig um 6 Uhr auf- und
untergeht und am Mittage ihre Strahlen senkrecht hernieder sendet, ist eine
Uhr ein leicht zu entbehrender Luxusnrf ikel. Man ist es dort gewohnt, die Zeit
nach dem Stande der Sonne zu bestimmen nnd irrt si. Ii selten auch mir um
eine Viertelstunde. Vor Sonnenaufgang ri< htet man sk h na« Ii dem Krähen des
Hahns, das oben so gut, wie das Gerassel einer Weckuhr, zum Aufstehen mahnt.
Dafs in Monrovia, wo ts viele wohlhabende Familien giebt, weit gröfsere An-
sprflche an das Leben gestellt werden, bedarf wohl kaum der Erwähnung.
§ Karten von Afrika. Die geographische Anstalt von Velhagen A Klasing
in Leipzig veröffentlichte kürzlich: Karte von Afrika, von Ti. Andree und
A. Scobel, im Mafsstab 1 : 10000000, Januar 1884. Der stetig fortschreitenden
Aufsehliefsung der unbekannten Teile Afrikas folgt mit grofspv rüUu ijjkeit die
Kartographie ;^lei< hsam auf dem l''nrse. wir erinnern nur an <lie neuen Karten
von Afrika von Cliavanne, Kiejterl, Havent;tein das östliche Äquatorial - Afrika,
25 Blatt), Johnstou, Stanfords Library maj>, die Karte in der neuen Ausgabe
— 205 —
»
TOD Stielers Atlas n. A. Die vorli^j^nde Karte, gröfser wie die letztgenannte,
bietet in der That das Neueste; so enthält sie die Reiserouten Junkers, der
Mitglieder der deutschen afrikanischen Gesellschaft (die astronomischen Orts-
bestimmungen Dr. Biu'hiiers und Wissmanns wurden schon benutzt), sowohl
östlich vom Tangaiijika-See, wie an den südlichen Unterflüssen des Congo, ferner
die neuen Aufnahmen der Franzosen in den Hinterländern von Seuegambien;
di« iMaesteii Anfiiahnien Stovartt Tora NjMMipSee, endlieh A. A. Andeiaons
Tor kiinem im Joamal der Londoner geographiscbrai Geselladiftfl verGffenfliehte
Karte des Inneren von Süd •Afrika. Die Oebirgaseichniing kOnnte immerhin
etwas schärfer liervortreten. — Im Verlag von S. Schropp in Berlin erschien
eine Karte von Süd>Afrika, in englischer Sprache, von dem bekannten Missions-
Inspektov Merensky. im Malsstab von l:2ö(K)00(); dabei wurde eine Menge
w^TtvolIen schwer zugänglichen Materials, namentlich bezüglich der Transvaal-
Republik, benutzt, doch enthält die Kaiie, wie im Monatsbericht des Aj)ril-Hefts
von i^eternianus Mitteilungen näher nachgewiesen wurde, auch verscitiedene
kleine Irrtümer. Das Gebiet der neuen dentschen, jetzt anter das Protektorat
des deutschen Reichs gestellten Kolonien in Orors-Namaqoaiand (Angra Peqneila),
welches sich an der Küste tou der Mündnng des Oranje-Fhisses' bis znm
96. Gfade südlicher Breite erstreckt, ist schon auf der Karte beswichnei End-
lich ist noch einer Publikation des bekannten Geographen James Stevenson an
gedenken, welche ursprünglich in den Verhandlungen der Glasgower philosophischen
Gesellschaft und jetzt in besonderem Abdruck erschienen ist. Sie betrifft die
Wasserst nilsen I iinei-Afrikas und wird durch kleine Karten bereichert, welche
die bezüglit heu Verhidtnisse, ferner die Richtung der Sklavt nhändlerzüge und
die Gebiete, wo die Händler ihren Menschenraub betreiben, in Farben verau-
schanlichen.
Dio Dratwliei Im itm Vereiiigtei Staatei. Der frühere Staatssekretär
für die Reichslande Elsafs-Lothringen, Herr C. Herzog, hat in den Jahren 1881
und 1882 die Vereinigten Staaten von Florida bis nach Oregon, ferner Theile
von Mexiko, Westindien. Chile und Argentinien bereist und kürzlich als Ergeb-
nisse dieser Reisen ein zweibändiges Werk : „Aus Amerika" venifFciit licht, das so
reich an interessanten Beobachtungen und lebensvollen Sclnlderungeii ist, dafs
es nicht Wunder nehmen kann, wenn gemeldet wird, die 1. Auflage sei bereits
vergriffen. Indem wir hiermit Herzogs Reisebriefe als eine wahrhaft anziehende
und belehrende Ijektüre empfehlen, iheilen wir in nachfolgendem eine Stelle mit,
die sich anf die Dentschen in Amerika besieht Sie trifft mit der darin aus-
gesprochenen got dentschen Gesinnung und der ruhigen gerechten Abwignng
aller Verhältnisse, wie uns auf Grund unserer eignen Beobachtungen und Er-
fahrungen scheinen will, in jeder Beziehung das Richtige. Herzog spricht von
G. Körnei-s trefni( hem Btich über die Entwickelung und den Einflufs des
Deutschen Elements in den Vereinigten «Staaten in der Zeit von 1818—1848 und
sagt da u. A. :
„Von den Anstrengungen der Deutschen, um der Rechtsschmäleruug der
Einwanderer entgegenznarbciten, welche die Partei der American Natives in den
Voijahren sich zur Aufgabe gestellt hatte, giebt das Buch eine sehr anschanliche
Darstellung, nicht minder, wie sie im Bereich des ünterrichtswesens und der
Kunst, Tornehmllch der Ifusik bahnbrechend und anregend gewirkt und wie sie
dadurch auf das sociale Leben des Volks bestimmenden Einflufs geübt haben.
Ich nannte dies tröstlich insofern, als es dicT oft gehörte Behauptung widerlegt,
Digitized by Google
— 2üü —
dals die D<»utsrlien in dt'ii \ <M «'iiii;:i('ii Sfautoii widerstuiidsloN mit ihrer Nationalität
aucl» deut.selu' Art ;mt";.H'beii und in dt in tMijilisidj - aint'i liviuux hoii Wesen «ich
auflösen, fcsicherlich ust dies in gewihj»eai üintange der Fall, insbesondere bei
den Aaswsnderem, welche ohne höhere SehnHuldung und ohne Kenntnis der
engUschen Sprache in Unigebnngen kommen, wo sie inmitten von Änglo-
Amerikanern leben und sich eine Stellang schaffen müssen. Das geistige nnd
politiache Uebergewiclit zwingt sie zur Anpassung in Sprache und Sitte nnd der
materielle Vorteil, der damit verbanden i.st. marht diese Anbcqnemnng begehrens-
wert. Aber an( Ii besser Gebildete unterliegen dein Kinttnfs. und wenn nicht
sie sell)st, so doch ilire Kinder und weiteren Narbkoniineii. 7.unäch.st ers< lieint
er in der Sprache. Englisch ist in den Vereini;j)('n Staaten liie Sprai iie des
Gesetzes, des Amtes, des Handels und Verkehrs, wohl uulIi der Schule, wo die
Dentschen nicht ao dicht wohnen, dafs sie eigene Schulen mit deutscher Unter*
richtaaprache erhalten können. Seibat dann treibt der Umgang der Kinder mit
Kindern englischer Zunge, an welchem die Nachbarschaft anwiUkflrlich fOhrt,
und noch mehr die tägliche Ber&hrong mit Arbeitern und Dienstboten englischer
Abstammung dazu, die Sprache zu lernen und mit Vorliebe zu gebrauchen;
noch stärker macht sich dies gcdtend im Verkehr der jungen licute. bei welchem
die T.iebe ins Spiel kommt. Wahrscheinlich ist der Untergang der deutsche«
Sprache, wenn die Khe (latten verschiedener Natiiuialitat vereinigt, be.somlers
dann, wenn der Mann Deutscher ist. Aus Rücksicht und Zärtlichkeit gegen die
Frau bedient er sich zunächt der Sprache, in welcher er um sie geworben hat
und welche sie ohne MAhe versteht Vielleicht macht ate den Versuch, auch
seine Sprache an erlernen, doch nur ausnahmsweise mit Auadauer und mit
Erfolg. Der Einflufo der Verwandten, auch der Dienstboten, welche sie sweck-
niäfsig ar, <1i neu wählt, welche sie verstehen, bewirkt, dafs sie in ihren Be-
mühungen bahi nachläfst. Dafs die Mntf^r dann mit ihren Kindern zunächst in
ihrer Mutfcrsprai lie rede, wird man nur natüilich finden. Selir selten gelingt
es einem energisthen deutsehen Manne, dessen l-'iau nicht seinem Volke an^je-
hört . die deutsche Si)rache als Haxis- uutl Familieiisprache durclizuset /m :
mancher wird dazu einen Anlaut nehmen, aber dem fortj^esetzteu unwilikvuUciien
Widerstande gegenüber allmihlich ermatten. Noch eher vermag eine deutaehe
Frau mit Liebe und Geduld ihre Muttersprache im Hanse zur Geltung zu bringen,
wenigatona ao hmge als die Kinder nicht die Schule besuchen, wo sich dann das
Englische allmählich einachleicht; aber auch diese F&lle sind selten.
Kine tJestätigung dieser Erfahrungen tand ich in BelU'vdle im Hanse
)nejnes (iastfri undes. kerndeutsche Eltern, die mit einander und mit den Kindern
deutsch spru<'lien ; <lie lef/.tei en aber unter einander und mit ilnen FreuJiden
zogen es vor. entzlist li zn spi ecbeii . so entschieden . dals dei- englisrhe Accent
sich bereits in der Aussprache des Deutschen geltend machte. In einem anderen
Hause war daa Familienhaupt der Sohn deutscher Eltern, wenn auch in Amerika
geboren, seine Frau Amerikanerin; von den sechs Kindern sprach keines auch
nur ein deutsches Wort Und in Belleville ist ein Drittel der Bevölkerung
deutschen Ursprungs; wie viel schwerer mag es sein, wo die Deutschen isoliert
leben I In diesen Dingen muFs man sich hüten zu verurteilen ohne genaue
Kenntnis der Verhältnisse, die mächtiger sind als der Wille und Wunsch
des Einzelnen, andererseits aber um so mehr alle Bestrebungen anerkeniUMi.
die darauf gerichiei sind , der Sprache in Fnterri< ht ujid Presse Geltung zu
schaffen und zu erhalten, inu wenigstens in der LiUeratur den geistigen Zusam-
menhang hersosteUen. Ueber Eines übrigens dflrfen wir beruhigt sein. Der
%
Digitized by Google
207 —
Qmod, Mis welchem Mher wohl d«r Deatsehe in Amerika seine Nationalitit
nicht wahrte oder gar verlengnetei die Schwache und Zerriasenheit seines Yater-
Uodes, an dem er keinen Bflehhslt hatte nnd das ihm keinen Schate gewShrfce,
dieeer Ghrnnd besteht nicht mehr. Seit dem Jahre 1870 hat der deutsche Name
einen anderen Klang nnd die Deutschen im Auslände, welche das Deutsche Reich
hinter sich wissen . bekennen sich mit mehr Selbstgefühl zu demselben, als es
vielfach in der Heimat geschieht. Zfiher als die Sprache erhalt sich im allge-
meinen die Sitte and Gewohnheit im Hause und im Familienleben. Vieles selbst
davon ist in die englische, an sich ansschliefsende and Fremdes abweisende,
Lebenshaltang übergegangen; der dentsche Tannenbaum am Weihnachtsabend
I. B. wird keineswegs nnr in dmtschen Hftnsem angesOndet.
Das Richtige wird wohl sein Geben nnd Nehmen. Die deutschen Ein-
wanderer, die amerikanische Staatsbürger geworden sind, können und dürfen
nicht daran denken, sich als Deutsche von ihren amerikanischen Mitbürgern za
trennen und eine Besonderheit aufrecht halten zn wollen , die sie zu einem
Staat im Staate machte. Politisch und social ist dies weder möglich noch wäre
es ratsam. Aber was sie thun können und sollen , das ist die Erhaltung dank-
barer and treuer Gesinnung gegen das alte Vaterland, das ist Wahrung der
Spnche, damit ihnen daa zugänglich bleibe, was die gentige Arbeit in Beatsoh-
laad hervorbringt, nnd dadurch die geistige Gemeinschaft, die am festesten ver-
biadet, sieh erhalte, das ist Fleifo, Emst und Rechtachaflenheit in Qeachillen,
das ist uneigennützige und selbstlose Thätigkeit in Angelegenheiten des Gemein-
wesens, das ist Ehrbarkeit nnd Treue im Familienleben, das ist endlich die
Freude am Schönen in Natur und Kunst, welche das Leben dem blos materiellen
(tciiussc tMithebt. Nicht als ob alle diese Strebungen und Dinge ein ausschliels-
licher I3esitz des deutschen Stammts wären, aber em gewisses Vorwalten der
idealen Richtung riiumt man ihm über den Erdball hin ein, und es will mir
scheinen, dafs es wohlgethan wäre, wenn Deutsche überall wo sie leben, diesem
Bofe gerecht su werden suchten.*
Haitavidet. Herrn Ingenieur Mosthaff, Mitglied der Deutschen SAd-
polarexpedition, verdanken wir die nachstehende Schilderung seines Aufent-
halts in Montevideo im Sommer 1882: Wir kamen am 4. Juli 1882 in Montevideo
an, wo die dentsche Panzerkorvefte ,Moltke=', Kapitän z. See Pirner, von der
amerikanischen Westküste kommend, bereites eingetroffen war, um unsere Ex-
pedition nach der Insel Süd-(«eorgieu zu überführen. Am f). Juli wurde der
erste Besuch an Bord der „Moltke'* abgestattet. Vom 4. bis 23. Juli blieben
wir in dem hftbachen, gastlichen Monterideo. Am Ausflüsse des riesigen La Plata
gelegen, bietet Montevideo mit seinem Hafen, welcher nach Südwest Tom Cerro,
einem spitsen befestigten Berge von etwa 149 m Höhe, nach Slkdost su von der
Stadt selbst begrenzt wird, mit seinen flachen Dächern, den an italienische
Banart erinnernden, sich übereinander aufbauenden weilsen Häusermanern, der
Silhouette seiner Kathedrale, den reizenden Villen im licllen Sonnenschein
einen sehr schönen Anblick. Für uns wird die Stadt noch mehr der liebens-
würdigen (tastfreundschaft seiner Bewohner halber, und zwar nicht nar der
Deutschen, sondern auch der einheimischeu Spanier, stets eine der schönsten
ErinDerangen bleiben. Montevideo hat eine ganz bedeutende, za der jetzt gerade
foihiltnismäfsig geringen Einwohnersahl (90000) in umgekehrtem VeihlHnis
stohende Ausdehnung. Die Fronten der Hioser sind durchschnittlich sehr einÜMh
gehalten, doch herrscht im Innern meist ein bedeutender Luxus. Die Häuser
. Kj L y Google
— 208 —
rind im allgemeinen gut ^'ebuut, ilio Grundrisse ziemlich ähnlich, WAnig Ver-
wendung von Einen, schmale Front, jedoch gröfscre Lüngenausdehmig nach rück-
wärts, stets mit einem oft zwei Lichthüfen, mit Mnrmorplatten saaber belegt,
wie überliaupt der Marmor in seiner Veiwenduii;.' zu Fliefsou, Porticis, Treppen
ein sehr verbreitetes Banmutorial ist, das bestuulers in dein sciiönen Kirrhhofe
mit seinen Kapellen und üuLsersf reichen Monumenten zur Wirkung kommt.
In den LichthdfNi der Hfinser prangen wnnderrolle Blumen, Palmen, Citronen,
Orangen, sowie heioaden hohe und piftehtige Kamelien. Anf den flachen
Dichern iat meist noch ein BeWedere vorhanden, von welchem man eine pvfich-
tige Aassicht aaf Stadt und Meer, den Hafen und gegenüberliegende Citadelle
genieist. Drei grofse hübsche Plätze, verbunden durch eine recht elegante breite
Strafse und mit Bäumen bepflanzt, sind hervorzuheben. An die Stadt sich an-
nnd den Hafen beinah»' iiinst hliefsend reihen sich die den hiesigen Kautieuten
aller Nationen gehörigen \illfn (C^uintas pcnunnfi an. zum gröfsten Teil mit
bedeutendem Luxus, hier uiu Ii im Aufseren, in allen mügli<'hen. oft uumöglicheu
Stilarten gebaut. Dieselben liegen meist 30—40 m von der Strafee entfernt
inmitten schönet angelegter Parka; hier erheben aich Statnen und Spring-
bmnnen nnd es wachsen nnd bifthen meist tropische Gewftchae und Bftnme,
wie Arancarien, Wellingtouien, Orangen, Citronen, Eucalypten nnd Palmen aller
Art. Der Verkehr swiachen den Villen und der Stadt, sowie dem Cono und
den Leuchtthürmen wird dnrch eine Menge Tramwaylinien vermittelt. Es exi-
stierten damals allein 7 sich Konkurrenz in.K-liende Kompagnien. Die Wagen der-
.selben, wie auch die Waggons der Kisenbalm. werden meist von Newyork. in
letzter Zeit auch von Buenos-Aires bezogen. Reparaturwerkstätten besitzen die
Kompagnien hier selbst. Es giebt im Lande eigentlich sehr wenige Fabriken,
aber da eben alles vom Aaslande bexogen wird, grofiae Uandlungsh&user. Der
Zoll auf Import und Konsum ist ein kolossaler, da alle Staalsausgaben, besonders
die Militfirlasten — und durch MiliU&r hSlt sich die fiegierung allein — durch
denselben gedeckt werden niüssen. Z. B. : Ein Liter Bier vom Hafen in die
.Stadt 1 M., daher kostet derselbe 2.<(. 64 vV Cigurron. unter 10 cent = 40,45
sind nicht zu rauchen. Mehrere gröfsere öt^t utliche Uebäudc und Anlagen sind
bemerkenswert, z. !^ : die hübst In- Kuthedrale. das grofse Gouvernements-
gebäude auf der Plaza de la ( onsfifucion. sowie in der Nähe delselben das
Muuicipalgebäude mit dem Saale für ilie Kammersitzungen, ferner das im
grofaen Stile gebaute 880O Personen umfeasende Teairo Solia. I>ttrch die
Freundlichkeit des Herrn Senator Farini, an welchen wir empfohlen waren, stand
uns dessen grofse Proeceniumsloge stets aur VerfOgnng. Die italienische Truppe
war recht gut. Der Staat besitzt - die Mittel entstammen einem bedeutenden
Legate — eine Knnstgewerbeschule, in welcher etwa 400 14 — 18jährige junge
Leute in allen möglichen Branchen unterrichtet werden. Schusterei, Schnitzerei,
Schreinerei. Dreherei, Lithographie, Photographie, Färberei, Giefserei. Gewehr-
nnd Patronenfabrikation und auch Musik werden daselbst l)ef rieben. Ks würde
zu weit führen, die interessanten Details dieser Anstalt mitzuteilen. Aulserhalb
der Stadt befindet sich der bereits erwähnte schöne Kirchhof, sowie die iu
groben Dimensionen angelegte Staats-Irrenanstalt. Eine grobe in englischem
Stile angeh^ Parkanlage» der Prado, ist troti ihrer jetsigen Verwilderung sehr
sehenswert. Den Stock der Bevölkerung bildet die spanische Rasse, man sieht
jedoch vielfache Mischlinge aus Indianern und Negern; Mulatten nnd Nigger
mit Cylindern auf dem Kopfe und den Händen in den Hosenta^sclien begegnen
uns oft Der Wuchs der einheiwischeu Bevölkerung ist von mittlerer Uröbe,
. Kj L y Google
ja eher kloiu zu nuuijeu, tUe Männer sind schlank, rait kleineu Uäuden uiul
FüTtien. Von dem durt bei weitein bchöncreii schönen Geschlecht kann ich
nur sagen, dafii ich noch nie eine Stadt oder Land gesehen habe, wo, wie in
MonteTideo, beinahe alle Damen von 10—20 Jahren — mit 18 bis U Jahren
heiraten dieselben schon — mindestens hübsch, oft aber auch schön genannt
werden niüf^« 11. Von Mittolgröfse. sind sie dnrch.schniHHch voll und sehr elegant
gewachsen, haben aul'serst kleine FüXse niul HfuHle. ganz, hellen Teint und dunkle
Augen, oft einen AnHug von Schnurrhart. Die Kleidiin;; auch der nuttlereu
Stände ist sehr reit h. ohne aut^aUend zu sein, und mit vielem , Schick" wird
die rei/ende MantiHa getragen. Wie S( hun I)einerkt. wart-n wir in .Montevideo
mit einer Gahtfreuudiichkeit von allen Seiten auigeuummun, die ihrey gleichen
sacht. Ich mofs hierbei betonen, dals Deatschland von allen fremden Nationen
die erste Stelle einnimmt, wie ja anch der Importhandel zn 70 ^'o in Händen
der Uentschen ist Ebenso ist der deutsche Marineoffizier der bestangesehenste.
Es wurden Bälle, Diners, Ausfahrten nud Ausritte in die Umgegend veranstaltet.
Sehr interessant war auch eine uns gebotene ln.s[)ektion sweier Ka.senien, des
Chasseur- und 1. Artilh riere^iments. In der Geschüt/remise des h4zteren war
irli ^A\r erstaunt, unter Krupp'schen VitM- und Secli>]»tundern zwei unserer
fnihercH bayeri.scheu Kugelspritzen zu tindeu, darunter daii Geschütz, welches
ich selbst im Jahre 1870 koniniandirt habe.
Voraim. Unter der Oberschrift: ^Was ich auf Formosa sah und hörte",
verSlfentlicht Gustav Pauli in Heft 2 und 8 der »Mitteilungen der geographischen
Qesellsebaft in Läbeck-* Reisebriefe ftber seinen Besuch auf Formosa im
Winter 1882.8^1 Auf einem kleinen, dem Hause Douglas in Honjikong gehörenden
Dampfer von 77 Tons Tragfähigkeit nnd einer Maschine von 6U PSerdekraft, der
,Hailung". verliefe Pauli am 22. Dezember 1882 den Hafen von Amoy und landete
nach einer tuiangenelnnen Fahrt durch den Kanal von FtJrnuisa in Tau Schui an
der Nordkuste. Freundlich liegen am rechten, von alten Bäumen eingesäumten
Ufer eines breiten Flusses und auf der Höhe der grünen Hügel die Häuser der
wenigen Kurupuer, des englischen Konsuls (zugleich Vertreters Deutschlands),
der Zollbeamten und Missionare einer kanadischen Oeselisehaft. Im Rücken
t&rmen sieh Bexge, deren höchste (auf der Karte mit417öFnfs H5he bezeichnete)
Spitze deutlich eine Kraterbildnng zeigt. Gen Sftden .blickend zeigen sich blos
kahle grüne Hügel, die nur kurze Zeit der Küste folgen, WO sie dann in ein
sich mehr und mehr ausbreitendes Flachland abfallen, aus denen ein höheres
bewaldetes Gebirge aufsteigt, das von hieraus in 2!)() englisidieu Meilen Länge
den ganzen Osten der In.sel bis ans Sutikap luiuib bedeckt. Ich find.- »It-n
Flächeninhalt der Insel lair ;i8,.S(Mt (^kni an;j;egeben. und schätze, dals von dicbciu
Kuuiiie etwa ' » aut diis Gebirge, '/a auf die Ebene kommen. Diese haben die
(Chinesen inne, jene bewohnen noch unbezwungeue f^ie Stämme. An die
Häuser der Europäer schlieÜBt sich stromaufwärts ein chinesischer Ort, wo ein von
der chinesischen Zollverwaltung angestellter deutscher Arzt wohnte, von welchem
der Reisende manche wertvolle Auskunft erlangte. Die meisten der europäischen
Kaufleute wohnen übrigens nicht in Tamsui (Tau Schui), sondern 11 Meilen
stromaafwärts in Iwa-ta-tui, wo sie dem Distrikte näher sind, der die Ausfuhr-
artikel Tille. Zucker. Indigo nml Kampfer liefert. Aber die unternehmenden
Chinesen eiitwimlen den fremden Händen mehr und mehr da.s (leschäft, so daf.s
z, B. die juhrliclie Frotluktion von etwa IJi.lKK) Pfd. Thee scliun zum grulstt-n
Teile von ihnen gekauft wird und seinen Weg nach Nordamerika nimmt. Für
ÜMgr. BiStUnr. Bnumi, 18BI. . .
die verarhiedenen Knltnren reicht die vorhanden«» Ail>oitskraft nicht ans. so
dals lausende von fistländifichen Arbeitern jährlich kommen und gehen. Mit
ctor Oewinnuig des Kämpfen hat es ▼on Jfthr sa Jahr mehr Schwieiigketten.
Die auf dem Tenain der Chinesen durch versänrnte Nachpfianning immer
seltener gewordenen Kampferbinme mflsaen jetzt aaf dem Gebiete der freien Stftmme
gesncht werden. Da aber bei dem beständigen Kriegssnstande kein rnhiges Qe-
sch&ft mdglich ist, von den Chinesen auch vielfach gar nicht versacht wird, ist die
Gewinnung des Kampfers ein Geschäft auf Leben und Tod »oworden. Das alles
erfuhr ich in Iwa-ta-tui, wohin ich uüch begeben hatte, um einciii sclion lange
hier ansässigen Engländer meinen Besucli zu machen. Schon nach wenigen
Meilen tritt, während am rechten südlichen Ufer die Berge nahe bleiben, von
Norden her aus einer weiten Ebene der Kelung in den To-ka-ham, der, vom
Sflden her ans dem Gebirge kommend, die bei weitem grftlaere Wassermasse
liefert. Der Kelnng entwindet sich jenen grünen nnbewaldeten Hfigeln, die im
NO. der Ebene aofrtngen. Fflr kleine Fahrzeuge ist derselbe so weit hinanf
schiffbar, dafs man nur einen Hügelrücken zu übersteigen bat» nm in die Ebene
an der Ostseifc zn gelangen, wo der Hafenort Kelung gelegen ist. Kelung ist
ebenfalls den Kaufleuten der Vertragsmfichtc offen, und ihnen namentlich zur
Zeit des SW. Monsuns wertvoll, wenn Tamsui fast unnahbar wird. Dr. Pauli
verzichtete der Kürze der Zeit wegen auf den Besuch von Kelung, machte
noch einen Ausflug nach einer Schwefelquelle am Fnfs des erwähnten Vulkans
und ftihr mit der »Hailnng* nach dem im sfldlichen Teil der Westküste
gelegenen Halui Thai-wan (Taiwaa-fn). Schon nach einer Beise ton 80 Stunden
wurde die Barre dieses Hafens erreicht Znr Ansschillteng der Passagiere bot
sich hier ein seltsames Fahrzeug, das sogenannte Katamaran. Etwa 20 Fufs lange
Bambusstabe, gewöhnlich sind es 13, sind durch Rotang mit einer leichten
Höhlung zu einem Flosse verbunden, das ein langes Ruder steuert. Hinter dem
Mäste mit Mattenspgel steht ein weites Fafs. in welchem Her Fahrgast mit
seinem Gepäcke untergebracht wird. Kr sieht sicli in deni>cllHMi, soliald das
Fahrzeug sich lu Bewegung setzt, vom Wasser umplätschert, das durch die
nngedichteton HlHser frnen Zntritt hat Sobald das Segel gesetzt worden,
schiebt der Schiffer ein Biettchen von etwa 2 Fufs Breite und Lftnge in der
Mitte des Flosses nach nnten dnrch ; ich kann nicht leugnen, ich sah es mit
grofser Befriedigung. Die Barre markierte sich scharf dnrch eine schaum-
gekröute Wellenbank, über die wir in einem Satze uns schwangen. Bei dem
herrschenden NO. bietet die Barre selten ein grofses Hindernifv. obwohl sie
auch jetzt in den ersten Nnchmittagsstnnden wohl rasch bis zu 18 Fufs auf-
schäumen kann und dann natürlich für den Kataniara nur mit grofser Gefahr
zu passieren ist. Aber wenn der 8W. Monsun auf die Küste steht, i.st der
Uafeu fast blockiert Ein deutsches Schiff brauchte im vorigen Sommer die
Zeit vom 20. Jnli bis 10. September, nm seine Ladung einzunehmen; zweimal
mnlste es in dieser Zeit hinttber in den Schutz der Peseadores-Inseln. Die
Stadt Taiwanfn sieht man jenseits einer unfruchtbaren Strandebene in der Ent-
fernung einer Stunde etwa liegen, aber den kleinen Ort Amping, wo die Zoll-
behörde und einige europäische Kaufleutc ein trauriges, entbehrungsreiches
Dnsein führen, hat man bald erreicht. Iiier ist Zuckor fast ilcr alleinige Aus-
fuhrartikel und zw:ii- sin<l es Firmen von Swfttau und Huiij,'kong, die hier im
nahen Takau ihre /weit.'t;escliat'f i' h;Uicn. I)cr Wej-t <les aus den beulen siid-
lichen iiät'eu im Jahn- 1S81 ausgeführten Zuckers betrug 4^ .• Millioiieu Taels
(~ 27 MiU. A). Derjenige von Takau geht fast anSschliefslich nach Japan;
Digitized by Go
211 —
der von hier, dem man übrigens eiiieu salzigen Beigeschmack nachsagt, geht
in di« ehioesisehen Hifen. Als mein Flors ans Ufer stiefst erhielt ich auf eine
nn einen bei der LandonpbrAcke stehenden Herrn gerichtete englische Frage
eine dentsche Antwort; es war der junge Vertreter der Firmft Dirks A Co. in
Swatau. Ihr Name ist kärxlich häufig in den Blättern genannt wegen eines
vchiieulipMi Eingreifens unserer Marine, zu dem sie die Vfiaiilassiing bot. V>nh
von der Bcsutzung der ^P'lisabeth* gesäuberte und dann besetzte Tt'nam ist
ei>!entiich nicht direktes Kigetituni der Finna Dirks, sondern des chinosis« hen soge-
nannte Coinpra^lors derselben. Jedes fremde Haiidlungshans in China und auch
in Japan hat einen soldu^n Mann an der üaad, der gegen Prozente die üeschäfte
mit den Eingeborenen Ternuttelt. Bei grolsen H&asem namentlich wird aus
einem solchen, dessen Qrspr&ngliehe Bestimmung nur die eines Dolmetschers
gewesen, selbst ein vermöglicher Mann, der dann auch eigone Geschifte macht
und zwar anter dem Schntse dorjenigoii Macht steht, der seine Firma angehört
Die ^Elisabeth' trat also gar nicht direkt für deutsche Interessen ein. — Ein
ganz analoger Fall gab tlanti Imld darauf -Sfnsch- Gelegenheit zu energischem
Handeln. Inmitten des Ortes Ami»ing ziehen sich über einen kleinen Sand-
hugel die noch einzigen Zeugen holländischer Herrschaft und zugleich der
Denkätciu tapferer Ausdauer hin, die Mauerreste des Forts „Lelandia*. Früher
gingen die vom Festlaude kommenden Dampfer auch nach dem 2ö engl. Meilen
südlicher gelegenen Takan. Da aber die dortige Rhode nnsicherov nooh als die
hiesigo, und der Eintritt in den Hafen oft schwierig ist, so Yermittelt jetst ein
kleiner Dampfer den Personen- und Postrerkehr. Als es dunkelte, fahren wir
durch das enge Felscnthor in den Hafen. Von Norden her folgt eine schmale
Kalkstein-Hügelkette, schroff ans Meer herantretend, auf wenige Meilen der
Küste. Nun haben die zahlreichen Wasser einer weiter dahinter sich breitenden
Ebene, statt nach !SW. hinaus lias Meer zu gewinnen, in der von Süden kommenden
Strömung und dem SW. Monsun vereint einen solchen Gegner gefunden dafs
sie, allmählich dort ganz ilurch eine Düne abgesperrt, ilen Ausweg durch die
xerUftfteten Felsen suchen mnbten. So bildet jetot ein abgerissener FelspfBiler
mit dem Leuchtfeuer darauf den rechten sfidliehen Thorpfeiler. Da lag nun,
ab wir die Felsen im RAcken hatten, der kleine unbedeutende Ort su beiden
Seiten des Flusses. Zur Linken, unterhalb des englischen Konsalates auf der
Höhe des Felsens, die Wohnungen der Zollbeamten und diejenigen einiger
Nemden KatiHeute, wo au< h ich in dem Hause der Firma Dirks Ä Co. ein
Unterkommen fand, wählend drüben, zu Füfsen des Leuchtturmhügcls uiul im
Rücken der Düne, diu chinesische Stadt sich hinzog. Ks muls eine recht .stille
Abgeschiedenheit hier sein, in die nur die Verschiffung des Zuckers, die gerade
begonnen, einiges I.*eben bringt. Nach Westen hinaus steigt in einer Ent-
fernung ▼on 25 bis äO Heilen das Gebirge aus der Ebene auf, sich nach Norden
hin höber und höher aufbAnmend. Der Plan Dr. Paulis, von hier aus su den
St&mmen der Eingeborenen im Gebirge vorsndringen, stellte sich aus ver-
schie4enen Gründen als unausführbar heraus, doch wollte der Zufall dem
FUi-^rndca insofern wohl, als gerade dreifsig Angehörige eines Qebirgsstammes
herabgekonimen waren, um ärztliche Hülfe bei dem englischen Arzt der Zoll-
verwaltung im Lazareth zu sm hen. Mit Hülfe von zwei Dolniet^rhern. welche
die I nterluiltung mit dem Führer der Eingeborenen vermittelten, zog nun Dr.
Pauli über die jetzt aul den gebirgigen Teil der Insel be.schräiikle ürbevolkerung
?0D Formosa, ihre Sprache, Sitten, Kechtsgewohnheiieu, Kultus, umfassende
Erkundigungen «in, die er mitteilt Dr. Pauli reiste sodonn teils lu Fluls, teils
Digitized by Google
— 212 —
in dev Tragbiiiilte nach Taiwau-fu, der volkreichen Uaaptfttadt der In^el. am
darauf von Aniping mit einem anderen Dampfer des Hauses Dooglas nach
Amoy snr&cksnkefareii. _
§ Hoi^ktt^. Den jetst in einer ShilUng-AuBgabe besonders veröffentlichten
Reisrbriofen. welclie Art hibald Col(jnhoun, der bekannte Pionier der pmipktiri-ten
Hanflelsstrafse ans Hirnia nach der chinesischen Provinz Yünnan, in rler .Times*
iiher Tnnkiii voröffoiitlU hf . ciitnolnnon wir ii:u hstebend einige Anjrabcn über <lir
Entwi<'k<'Iiin^' und Kcdt utunj: Av> britisclun Hafens Honpkcni;; im ostasia^isclMMi
"Weltverkehr. Vor itwa 4<l Jahren. j«agt f .. war Hongkong eine öde von einem
Häuflein Fischern und Piraten bewohnte Insel. In den vier Jahrzehnten hat sich
hier ein gewaltiger Handel entwickelt, denn die Tragfähigkeit der jfthrlich im
Hafen von Hongkong einlaufenden Schilfe betragt ftber 2 Millionen Tons. Daneben
besteht von hier ans noch eine bedeutende Kflstenschiffihrt chinesischer Fahr»
zcuj/f mit China, Toiikin. Annam. Cochinchina, 8iam und der Malakka-Strafse ;
es laufen hier vorHchicdene Po.vtdanipferlinien rnsainmen. ferner giebt es Lokal-
linien nach »lern südlii l^ n « }iii>;i Australien. ,lap;m d n Philippinen. Tonkin.
Annam. S;ii;.'on. f^iam. Sm}_M[K»ic und Indien: für die djoi letzttM-wiilnitrn Kich-
tungcu \\urdin noch kin/li< li eine gröfsere Zahl neuer Dampfer in den Dien?;!
gestellt. Zwischen Cautong. Hongkong und Shanghai laufen direkt, ohne Zwischen-
hftfen SU besuchen, wenigeten zehn Dampfer; daneben besteht ein regelmftbiger
Dampferverketir swischen Hongkong, Swatau, Amoy, Fn-tschau und der Insel
Formosa. Aufser den xwei monatlichen Opiumdampfem von Calcutta, die auch
Salpeter, Baumwolle u. A. fi'u- San Francisco geladen haben, kommt noch, neben
dem gewöhnlichen Postdampfer in jedem Monat, ein P. und 0,-Dampfer von
Hnrnhay. In <len regelnKifsigen Dampferverkehr mit Tonkin, Hainan und Pakhoi
hal)en flie französischen Kriegsoperationen eine StörnnL' gebracht Nachdem ('.
die I'rsachen der vor einem Jahre in Hongkon«: staftgehaiiten Depression dos
Handels von Hongkong untersucht, kommt er auf die sanitären Verhältnisse
zu sprechen, welche zwar sehr verbessert worden, aber noch viel zn wänschen
fibrig lassen. Die Zahl der Sommerwohnungen auf dem gesunden luftigen Peak
nimmt j&hrlich au, neben .Mountain Lodge*, der Wohnung des Gouverneurs,
zählt man dort bereits dO Hftuser; eine Telephon- und eine Telegrapheiistation.
sowie ein Polizeibnreau sind angelegt, die Strafsen verbessert Die Bevölkerung
von Hongkonik' beträgt jetzt über löü,(XM) Einwohner, von diesen sind 80(K) Europäer,
20(K) Indier. Unter jenen überwiegen die Engländer, auch die Zahl der Amerikaner
und I>eutschen ist nicht gering. Franzosen gieht es nur wenige. 2(i.(XX> soll
die Zahl der < hineson betragen, die in Fahrzeugen ini Hafen wohneir Bekannt
ist der Unternehmungsgeist und die Energie, welclie die Chinesen im Handel
entwickeln. Die chinesischen Kaufleute von Hongkong haben Zweiggeschäfte
oder Agenturen in allen indo-chincsischen Häfen von Rangun bis nach Japan.
Sie haben Dampfschiffahrts-, Yersichemngs- und Handels^Oesellschafben gebildet;
chinesische Advokaten treten als Sachführer an den Qerichtahöfen auf. Gegen-
wärtig ist eine Gesellschaft «ur Ausl^entung der KupferUiger in Yünnan in der
Bildung begriffen. Thinesen haben die erste Telegraphenlinie Öüd-Chinas ins
Leben gerufen , sie wird zwisr hen Cantong und Hongkong ei richtet ; eiwe Tele-
graphenlmie von Hougkong nacli Tonking wird naclifolgen. Die Erhebung der
Opitim-Steuer ist kürzlich <len Ortsbehörden überwiesen und hat sich dadurch
die Einnahme aus dieser Steuer bedeutend gesteigert. — Remerkenswert ist die
rasche Entwickelang und Verbreitung der chinesischen Zeitungspresse, die vor
Digitized by Google
213 —
14 Jahrrn mit Her prsten chinosisrlion /ciliing. Shun-Pao. in Shanghai begann —
Die Finanzen von Hnnjrkonj; sind bofriedigpnd, sie liefern jährlich Übeitichttsse
und anfserdcm existiorr ein Reservefond von 1 Million Dollar Nachdem Col-
quhoan noch andere Lichtseiten des henfigen Hongkong, dieses kommerziellen
Centmins des chinesischen Meeres hervorgehoben, beklagt er die nngenägenden
YeTtheidigungsmittel ittr den FaU des Kri^ und cKiert den Ausspruch eines
Reti^Ahrten ans Chile, der ihm erUirt habe : Hongtcong nnd Sin^pore wftren
piiehAif(e HÜsn. allein^ wenn sie DMitsehland gehörten, würden die Vertetdignngs-
anstalten auf einem gu» anderen Fnfse sein. Ea war, ao sagt Colqnhonn, eine
bittere Wahrheit
§ Polarreffionen. Bereits im Somuur 1S,S1 wm-de die amerikanische
Polarstation an der Lady-Franklin-Hai dnrch Leutnant (treely errichtet. Durch
auftiergewöhnliche Eibverhiiltnisse begünstigt, erreichte der S( hraubendunipfer
.Piotena*, welcher das Personal der Station an Bord hatte (26 Weibe, an denen
spiler noch 2 Eekimoa hinankamen), Hut ohne Schwierigkeit sein Ziel. Am
6. Jnli verlieb das SchilF 6t Johns, Nea-Fnndland, am 13. und 14. Angnst er*
folgte die Landung. Nach drei Tagen waren die f&r 3, resp. 4*/i Jahr berech-
neten Proviantvorrate dnrch eine sehr erfolgreiche Jagd auf Moschnsochsen mit
frischem Fleisch ergänzt , das auf 3 Monate für die ganze Besatzung dnr Fort
Conger {zenannton Station jjeiiüwte. Der ^Proteu'^'' kf^hrte zurück. Tm folfiouden
Sommer 1H,'^2 konnte der zürn Ersatz von Mannschaften ausgesandte Dampfer
.Neptun"' die La<iy-Fianklin-Bai nicht erreichen und mufste unverrichtetersache
umkehren, im vorigen Sommer 1883 ging sogar, wie wir wissen, der ausgesandtc
Dampfer ..Proteus* im Eis des Smifh-Snndes verloren nnd die Mannschaft
mnlste sich in Bdton nach den dftnischen Ansiedlnngen an der Westkftste von
Grönland retten. Nnn erwachten Besorgnisse in den Vereinigten Staaten, und wenn
bei der vorigjährigen Expedition, wie die 5ffentlichen Debatten zeigen, vielfach sorg-
los nnd anbedacht an Werke gegangen ist, so bat man den Fehler jetzt endlich
wipder jmt zu machen gesucht. Jm Januar d. .1. trat ein von der Regierung
ernanntes Komit^o zur Entwerfnup eines Planes für die diesjährige Rettungs-
expedition zusammen, die bedeutendsten arktischen Autoritäten Englands boten
Rat und Hülfe jeder Art. die englische Regierung stellte den Dampfer ,.Alert'*. das
Expeditionsschiff von Nares, zur Verfügung, und so gehen jetzt drei Dampfer,
, Alert*, ,.Bear* nnd ..Thetis*, rar Anfsnehnng von Qreely nnd seiner Gef&hrten aus.
Der uns vorliegende gegen 200 Seiten starke Bericht jenes in Washington tagenden
nantiscben Komitees zeigt, dafs man in der That sorgföltig alle Eventnalititen
ins Auge gefafst nnd die Operationen der Schiffe darnach eingerichtet hat Der
.Bear" unter dem Oberbefehl des T,eutinints Emory, verliefs Newyork am
24. April. Die .Thefis*. Kommaudem 8chley . sollte in 10 Tagen folgen und
Dampfer .Alert" unter fh ui nhcibelVIil des Kommandeur Coffin, zuletzt aus-
gehen, da es als Doiiots« liift dienen soll, iioftentlich gelingt die Kettung Greelys
and seiner Getahrten vollständig.
Das Personal der amerikanischen Polarstation in Point Barrow, Leut-
nant Raji^kehrte im Herbst v. J. wohlbehalten nach San Francisco znräck. In
der amerikanischen Zeitschrift Science vom 18. April giebt Leutnant Ray einen
vorllnfigen Bericht Am 1. Oktober 1888 waren die Stationsgeb&nde hergestellt,
am 17. Oktober konnten die meteorologischen, am 1. Dezember die magnetischen
Beobachtnngen beginnen. Am 29. August 188.S worden <lie Arbeiten der Station
beendigt In der Zeit vom September bis Mai war fast in jeder wolken-
— 214 —
losen Nacht Nordlicht zu sehen. Der Ebbe- und Fluimesser zeigto. daXs der
arktische Ooean bei Point Barrow so gnt wie pur keine Ebbe und Plnt b&t ;
dafs von der japanesischen Strömung kein warmes Wasser einfliefst, eigab die
gleich mäfsige Temperatur des Seewassers in allen Tiefen, während der Zeit to m
Oktobor bis Juni. Die Erde war bis zu einer bedeutenden Tie£s gefroron. Nach
Ablauf des Monafs November verschwand alles tierisriic Loben am I^aiide, ganz
vereinzelt zeigte »irh ein Hcnfier oder Polarfuchs; Kabijaus und Scohnnde i l'hoci*
phoetida) wurden den ;.'an7.cn Winter über in der .See gefangen, l'ol war Ii« zeigt
sich das Meer mit Trümmereis bedeckt. Die Mächtigkeit des Eises über ruhigem
Wasser wurde zu 7 Fufs ermittelt; Stürme und Strömungen türmten das Eis
im Meere bis lu 60 und 100 Fufs aufl Der Zug der Eideienle begam im Ilai
und swar in Nordost-Richtung» nach Prins Patricks-Land au. Niemals kamen
oder gingen VogelzAge aus oder nach Nord.
Die letaten Nachrichten von der russischen Polarstation an der
Lenamnndnng stammen \om 18. 2ö. November v.J. Leutnant Jürgens teilt
zunächst mit. dafs er statt im Winter die Rückreise anzutreten. wel< b«'s vielo Um-
stände wegen ficscbüffung demütigen Hunde. Srhlitt«n und V üluet uein;n lit haben
würde, es vui/iche, bis zum Frühjahr mit der Rückkehr zu wiutcii und die
Beobachtungen noch den ganzen Winter hindurch forti&usetzen. Miilc Juni 1884
gedenkt er mit den anderen Hmen die Sti^on zu ▼eriassen« um Mitte Angust
in Jakutsk einsutreffen. Im Sommer 188ä sind drei Expeditionen sur Er-
forschung des Lenadejta gemacht worden. Leutnant J&rgens und Herr Eigner
nahmen swei FlufMrme in der Länge von 180 Werst auf. Eine dieser Auf»
nahn< M Hegann an der Landungsstelle de Longs; hier wurde eine hölzerne 8 na
hohe l yramide errichtet und mit zwei In.schrifteji. einei dout.schen und einer
russischen verscheu. Dr. Tlunge nahm das Terram m der Hi' htuii;.' uacli Kap
Bykoff auf. Der Bericht spri( ht sich dann not h jiidu r ul)er die mittelst tler
verschiedenen Instrumente gemachten Beobtichtuiigen \inonatlich 4r)<M)i aus. Am
19. September v. J. be<teckteu sich die FluCsarme zum ersten Male wieder mit
Eis und der Sommer war lu Ende. Die mitÜero Lufttemperatur in den drei
Sommermonaten war 3»»* C. Der Himmel war fast immer bewölkt, bei
Nebel und scharfem Winde. Nur vier Mal in der ganaen Zeit kam die Sonne
genftgend zum Vorschein, um die Prüfung der Chronometer vornehmen zu können.
Gütiger brieflicher Nachricht, die, datiert Lena-Mündung 14. Januar 1884,
beim .^bse,hlufs dieses Heftes uup zukam, enfnehmen wir folgende hochinteressante
llhersicht der an der Leiia-Staf i<mi initt. ltcn Durchschnitts-Temperatorcn in
den Monaten September 18S2 bis Dezember 188.i
September -f 0" 06'
Oktober 16« 06'
November — 27» 9*
Dezember - 38« ö'
Januar — 37« 15'
Fcbrnar — 41 " :V
März — 81 ' h'
April — 21)" T
Mai — 8" V
Juni -f O " 89*
Juli H- 6« 07'
August 4- 3« 79*
1882 s;^.
1883'Ö4.
+ 0«67'
— U» V
— 25» ?•
— 33« 3'
üiyiiizea by Google
— 215 —
Yoti grofBom Intfre.ss»^ und Bedeutung fiiv zukunftifre arktische Laiul-
reiseii auf »Schnee- und Eistiaciien, wo mit ^Schneeschuhen fortKukumnien ist,
scheint das von Nordenskjöldim vorigen Winter bei La) eft veranstaltete W e 1 1 •
laufen mit 8 ebne «schuhen. Die gedmckten Protokolle der Pariser
geographisohen * Oesellscbaft, sowie No. 71 von Woldts wissenschaftlicher
Korrespondens teilen nftheres darüber mit. Es beteiligten sich sehn geübte
Lftnfsr, der von der vorigjährigen Reise Nordenskjölds auf dem grönländischen
Biiineneise bekannfo Lappe Lars Tnorda als Sieger hervor; er legte
eine Strecke von km in 21 Stunden 22 Minuten /urück ; worm nuu
auch das Terrain wühl ein besonders günstiges war. so blei))t dies docli eino he-
dentende Ijeistung. Man verspricht sich namentlich bei einem abermaligen
Besuch von Franz-Joseph-Land bedeutende Entdeckungen von der Verwendung
von Scbneesehnhlftnfem.
K. Cntise of tbe Retenne-Steamer «Corwin* in Alaska and the North«
West-Aretie Oeean in 1881. Note« and Memoranda : Medieal ; Anthropologtcal ; Bo-
tanical ; Ornithological. Washington, Government Printing Office, 1883. Der
V. St. Dumpfer «Corwin* wnrde bekanntlich im Jahre 1888 durch die Berings-
Strafse in das Eismeer gesandt, um nach den vermifstcn SchiflFen, der .Jeanette"
und zwei Waitisclifungeni. zu forschen. Das vorliegende Werk enthält nnn die
von (t. Hofse. dorn Arzte der F-xpcflition, während dieser Reise gemachten
raedicnii.schen und authropologischeu Beobachtungen, ferner einen kurzen Be-
richt über die Flora der berührten Gegenden von John Muir, dem Natur-
forscher der Expedition, dann eine Arbeit über die Vügel der Berings-See nnd
dea arktischen Oceans von E. W. Nelson, dem durch seine Beisen nnd Samm-
lungen im nördlichen Alaska bekannten Omitbolog^n, endlich eine Liste von
Flechen im F.ismoer nördlicli von der Bcringstrafse von Tarleton H. ßean.
Rosse spricht zunächst über den Gesundheitszustand der Mannschaft. Einen
mäfsigen Gebrauch von alkoholischen Getranken hält er in den arktischen Ge-
genden für vortheilhaft; auch spricht er sich gegen das absolute Verbot des
Verkaufs von Spirituosen an die Eingeborenen aus, da dieselben docIi. Jiur in
viel schlechterer Qualität^ durch einen aasgebreiteten iSchniuggol eingeführt
werden, und die Eingeborenen anch gelernt haben, ans Mehl nnd Zneker ein
befanschendee Getrftnk m bereiten. Die grobe Sterblichkeit auf der Lorens-
Insel, auf wekher in den drei letsten Jahren gegen 1000 Menschen gestorben
sein sollen» schreibt er der vereinten Wirkung von Unmäfoigkeit, Krankheit
nnd Hunger zu. Unter den Eingeborenen fand Rosse viele Angenkranke,
aber nur zwei Fälle totaler Blindheit. Kr glaubt, dals weniger der Baach
in der Hütte, als die Blendung durch den Schnee das Übel erzeuge. — An
mehreren Stellen traf man Eskimos itn Besitze von Keriigläsern und Krinnn-
stediern; einer der.selben erklärte den Nutzen des Instruments bei der Auf-
suchung von Kentiereil. — Ein in der Lorenz-Bai aufgenommener Eingeborener
geriet durch die Bewegungen des Schiffes, das beständige Qeitusch der
Dampfmaschine an Bord und durch die Neckereien der Matrosen in einen so
erregten Zustand, daCB er nch mit dem Messer in die Brust stach und über
Bofd sprang. Er wurde jedoch wieder au(|gefischt, und trotzdem die Wunde
lebensgefährlich war, heilte dieselbe doch so schnell, dals schon nai^b wenigen
Tagen der Patient in der Plover-Bai ans Land gesetzt \\< rden konnte, von wo
ADS er sofort den 16() engl. Meilen weiten We<,' üi)er die Berge in seine Heimat
antrat. Diese rasche Heilun«: gefährlicher Winuieu schreibt Bosse dem grul-en
OzuiiMehalte der Luft und der Abwesunlieit von kiunkheitskeimeu und organisch em
Digitized by Google
— 216 —
Staube za. — Krüppel hat Rosse unter den Eingeborenen niemals gesehen, nur
ein Mädchen mit einem überzähligen Finger. Hautkrankheiten sind anfser-
ordcntlich liäufig, aber nof einmal traf vr t'inen Kahlkopf. LUer die pym-
nastischfu Fähigkeiten der Eskiirm-^ wird kein günsti;ies Urteil gefallt, lui
.Steinwei-fen niid WcttlaiitVii l»i siegte lio.sse dieselben, sdlist im Ltin/.enwerfen.
Nur auf der LcuLiiz-In.sol lund er eine bessere Entwickelung der Muskeln, auch
hatten hier die Kingeboreueu einen eigenen Platz für körperliche Cbungeu be-
stimmt. Rosse widerspricht femer der allgemeinen Aimalime, dafs die Eskimos
übermafsig^ Esser sind, er hat eher das Gegenteil beobachtet. Die weiteren
Bemerkungen aber die Sprache sind wertlos» da swincben der der Tschuktscliea
und E.skinio.s niclit unterschieden wird; aus »len Ausfuhrungeii über die Schätlel-
form ist nur hervorzuheben, dafs anfserordentliche Verschiedenheiten in den
Dimensionen unter dem reichen meist auf der Loreu/.-Insel gesammelten Material
beobachtet wuriliii. lllier die gei.stigen Fähigkeiten der Kskimos urteilt Hos.se
»günstig; namentlich hebt er die I<eichtigkeit hervor, mit welcher sie sicli die
englische i>prache aneignen, wie auch ihre Vorliebe und ticschicklichkeit tur
den Handel. Die kurze botanisclie Abhandlung von Muir enthftlt nur eine Auf*
Zählung der an verschiedenen Kostenpunkten gesammelten Pflansen. Von der
Uerald-lnsel werden 16, von der Wrai^U-Insel 27 Species Phanerogamea auf-
geführt. Nelson, der in St. Michaelsk an Rord des .rm-win- ging, giebt dagegen,
mit Benutzung der I.itteratur, eine möglichst vollständige Übersicht der Vogel-
Tanna an den Küsten de^ I!i rin<.'s-Meeres und des arktischen Oceans. die im
wesentlichen auf seinen WiUuend eines vierjährigen .\tifeiitlialts in ^^t. .Michaelsk
gemachten Heoba( lituugen basiert. Aus der ^sertvulk n Abhandlung lieben wir
nur hervor, dals im gaii/.eu 1U2 iSpecies aus diesem Uebiel bekannt sind. iJie
Ijiste der von Bean ans dem arktischen Ocean angeführten Fische enthält
nur 21 Speeles. Sie ist von dem Autor für den Kapitän des «Corwin*, Uooper,
nach dem im U. 8. National-Museum vorhandenen Material zusammengestellt
und giebt von der wirklich vorhandenen Fauna offenbar nur einen unvoll«
kommenen l'egrifT.
Neue Karte von Alaska. U. 8. Coast and Ueodetic Survey. J. E.
Hilgard. Supt. Alaska and adjoining Territory 1884. Compiled by W. H. Dali.
Durch /ithlreiche, in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten atisgeiui.rte
Fürs( huiigsreisen ist die geographi>che Kenntnis des früheren russis( Ken .Xnienkas
das heutige Territoriums Alaska, nicht unerheblich erweitert worden. Wir er-
innern hier nor an die auch in dieser Zeitschrift beschriebene Expedition
Schwatkas, durch welche der Oberlauf des Yukon festgelegt wurde, so däfo jetzt
wenigstens der Uanptstrom in seiner ganzen Länge, von der Quelle bis zur
Mflndnng, bekannt ist. Durch diese und andere Expeditionen sind auch viel-
fach ninichtige Angaben älterer Karten, namentlich in Bezug auf Flufsläufe
nud Bergketten, berichtigt worden. Hei der steigeiulen Hedetitnng des Ciebiete»
infolge der Auttindung von Mineralschätzen, ist dalier die Herausgabe einer
neuen Kaite ein liuiikenswertf's rnternehmen. und ditf> thtli' i das vorhandene
Material guwis.^eiihatt und kritiscli benutzt worden ist, dalur spricht der Name
des Herausgebers, der sich schon seit vielen Jahren um die Erforschung Alaskas
verdient gemacht hat. — Ein fertiges Bild des Landes giebt freilich auch diese
Karte nicht Viel Hypothetisches hat aufgenommen werden müssen, und weite
Strecken sind noch völlig unerforscht, was bei dem verhältnismäfsig grofiien
Eafshtab der Karte, 1 : .{O^MVUM), besonders .leutlich hervortritt. Die Karte
umfafst das ganze Üebiet de8 Territoriums Alaska nebst der MViungeil-hisel,
Digitized by Google
— 217 —
bei welcher die btsher Abliebe luirichtige Schreibweise mit einem I korrigiert
worden ist, (die olentisehen Inseln, welche anf der Hanptharte nicht Platz haben,
sind auf einer Nebenlcarte Terzeichnet), ferner die angrenzenden Teile des
britischen Nordamerika und die Tschaktschen-HalbinseL Ä. K.
Leanis, Synopsis der Tierkunde. Dritte Auflage von Hubert Ludwig,
Professor in ^nesson. I. Haikl. Hannover. Ilulmsclic Buchhandlung, 1883. Die
/(•itcii bind vuiüber. in denen ein Kandidat de.s Lehranifs an liöheren Srliulen
mit dem , alten Leuiiis* ein Examen cum laude ablegen konnte. Seit dem Er-
scheinen der zweiten Auflage vor nunmehr 2-1 Jahren ist der Stoff iu der Zoo-
logie nnramelslich angewachsen, wozu einesteils der von Darwin gegebene Impnls,
andemteils die geographischen Enideckongen, Tiefiseeforschongen nnd zoolo-
gischen Stationen hauptsächlich beigetragen haben. Das nnsichtbar im Staube
beginnende oder die Tiefen des Oceans erfüllende Tierleben ist jetzt ungleich
mehr Gegenstand der Forschung geworden, als die höher entwickelten Geschöpfe.
Namentlich aber wird das Studium der Entwickelnngsgesrhichto der Tiere mit
einem Eifer betriebeii. von dem man selbst noch zu Leunis Lebzeiren keine
Ahnung hatte. Diese Dereicheruug unserer Kenntnisse hatte denn auch eine
völlige Umänderung in der Auslegung zur Folge. Während also der Inhalt der
Synopsis nach dem neuesten Standpunkte der Wissenschaft g&nzllch umzu-
gwtsüen war, sind die Vorzüge des alten Werks in Bezug auf Form nnd Methode
dieselben geblieben, da sie in langjähriger Praxis sieh bewährt hatten. Diese
neue Bearbeitung konnte daher auch nur von einem Manne geleistet werden,
der, wie Professor I.udwip, ;ianz der Zoologie lebt nnd selbst Bausteine wenig-
stens für einzelne Zweige des Faches herbeigeschafff hat. Bei allem Anschwellen
des Stuftes ist abei' in der Begrenzung weises Mals gehalten, um die Übersicht
bei der Orientiei luiy. sowie die Handli( hkeit nicht einzubufsen. Vorzugsweise
wnrde die einheiiuix he Fauna berücksichtigt, weshalb man die gosamte Tier-
welt Deutschlands mit Ausnahme der weniger wichtigen Bewohner der Kord-
und Ostsee hier beschrieben findet. So ist denn nach der zweiten Auflage, die
nur einen Band von 64 Bogen umMste, eine dritte entstanden, welche vollendet
etwa das doppelte Volum haben dtlrfte, da schon der vorliegende erste Band
allein 69 Bogen füllt. Derselbe umfabt aufser der allgemeinen Zoologie den
Kreis der Wirbeltiere, di- Fitnicaten und die fünf Klassen der Mollu^ken. schliefst
also, um nur eine der bekanntesten Muscheln hervorzuheben, mit der Auster.
Jeder Klasse oder f^'i öfseren Abteihing der Tierwelt ist ein bis zur jüngsten
Zeit fortgeführtes i>itteiaturverzeiciims vorangestellt. Das Verzeichnis der Schriften
über die Weichtiere z. B. beginnt mit dem grofscn Conchylienwerk von Martini
und Chemnitz, erwähnt neben den Hauptwerken der Engländer, Franzosen und
Dentschen auch die wichtigsten malakozoologischen Zeitschriften und schliefst
mit Clessin, E. v. Martens und KobeÜ Aufser den wissenschaftlichen Blättern
ist auch die Litteratur für den praktischen Gebrauch nicht vergessen, wie z. B.
bei der Fischzm lit und Fischerei unter anderen die Schriften des Herrn v. dem
Borne, des Prof. Benecke und die Cirkulare des deutschen Fischerei-Vireins
genannt werden ; ebenso findet sir^li b( i den Bhittkiemern Möbius Schrift über
<lie Austern und die Austenuvirtschaft angegeben. Unter den Hülfsmitteln
beim Studium der Tiere ist aufserdem ein drei Seiten langes Verzeichnis der
zoologischen Litteratur im allgemeinen zusammengestellt; sodann werden hier
auch die zoologischen Gärten, Menagerien und Aquarien, die zoologischen Sta»
tionen, Sammlungen und Museen aufg^f&hrt Der kurze Abschnitt über die
G«ogr. Blfttter. Brnom, 1884. 15
Digitized by Google
218 —
geographische Verbreitung der Tiore ist hauptsü( lilii h dem Werke %'oii Wallace
eninommeit, dessen Eiuteilung des Festlandes in sechs Regionen und 24 Sub-
regionen neuerdings am meisten Anklang gefanden hat. Daneben ist aach noch
die filtere Einteflong Schmardas angegeben, der bekanntlich die Tierwelt des
Festlandes in 21, die des Meeres in 10 geographische Reiche einteilte. Ein
zusammenfassendes Büd über die TertiknU Vorbreitnng der Meeres^Organismen
ist noch niclit mitgeteilt; wir dürfen dasselbe aucli erst demnächst erwarten,
wenn die Hesoltate der neuesten und umfassenden Tiefseeforschungen abge*
scIUossen sind.
Wie ausgiebig auch die rinlVcideut^« lie Fauna in der neuen Auflage berück-
sichtigt wurde, davon ein Beispiel. Bei mehreren hier m Bremen wiederholt
geiuuuiten Reptilien und Fischen lief» uns das ältere HKTerk im Stich, w&hrend
das neue dagegen eine befriedigende Auskunft gewährte. Von diesen Arten seien
hier nur angeführt: Heloderma horridum, die giftige Eidechse der westlichen
Cordillere Mexikos, von dem das hiesige Museum unlängst drei Exemphare
erhielt; Hatteria^ punctata, eine merkwürdige, nur auf Neuseeland vorkommende
Eidechsenform, und Tjubra Crameri, der in den ungarisclien Seen lebende Hunds-
fisch, den der deutsche Fischerei-Verein in einer Anzahl Exemplare dem Museuni
ZU Washington übersandte. — Die Oö,") m<^ist neu angefertigten Holzschnitte
wurden, soweit sie nicht Originale sind, den hervorragendsten Werken ent-
nommen. Zahlreiche Abbildungen sind dem anatomischen Bau der charak-
teristischen Organe gewidmet, und es ist ein Vergnügen, bei vielen derselben
den Fortschritt der Technik zu konstatieren. Wie verschieden ist x. B. das
menschliche Skelett beider Auflagui ausgeführt und wie zierlich und gefällig ist
dasselbe bei dem neuen Werke in den ümrifs des Körpers hineingczoichnet !
Derselbe Unterschied macht sich auch bei den Abbildungen der Backenzähne
des nsiatisi-hen. af i ikaoischen und Mammut-Elefanten geltend, die sich kaum
mehr ähnlich seiicn.
Durch langjiilirigen (iebrauch des .alten Leunis" verwr)hnt. hätten wir
einzelnes gern anders gestaltet oder beibehalten gesehen, wie z. B. den Tier-
kalender. Im Interesse des Buches wäre es auch wohl vorteilhafter gewesen«
wenn die neue Orthographie berücksichtigt worden wäre — aber diese kleinen
Aufeerlichkeiten kommen neben den grofsen inneren Vorzügen des Vferkes, dessen
zweiter Band hoffentlich bald nachfolgt, kaum in Betracht. Möge denn auch
diese dritte Auflage in gleichem Mafse, wie die ])eiden ersten zu ihrer Zeit, bei
allen Männern der Praxis, die sich wissonschaftlich mit Zoologie beschäftigen,
die Liebe und das Interesse für die Natur wecken! Dr. Uäpke.
Sehul- Atlas ül)er alle Teile der Erde. Zum geographischen Unterricht
in hüheren Lehranstalten. Herausgegeben und bearbeitet von C. Diercke ui^
E. Oaebler. 64 Haupt- und 138 Nebenkarten. Braunschweig. Druck und
Verlag von George Westermann. Preis 6 M.
Ein mit den methodischen Grunds&tzen der heutigen Scluil-G( ographie
wohlbekannter Schulmann und ein tüchtiger Kartograph haben sich zur
Herausgabe des vorliegenden Schulatlas vereinigt, der zu den besten Arbeiten
dei" deutschen Schnlkartographie v.n zählen ist. Der Atlas umfafst 23 grof^e
beiderseits bedruckte Blätter. Seite 1 enthält eine Anzahl instruktiver Dar-
stellungen zur Einführung in da.s Verständnis geographischer Karten, S. 2 und 3
bringen Erläuterungen zur mathematischen Geographie, Seite 4 und 6 enthalten
verschiedene Planigloben, welche zugleich zur Veranschaulichung der durch die
. Kj L y Google
— 219 —
Tenchiecieiiartigen Projektioiif ii Ijodingten verschiedenarti^on Ciradc der Verzt rniiii^
«Im Bildea und anderer physikalischer Verhältnisse dienen. Die nächsten vier
Seiteil 5 — 9 sind der allgemeinen Geographie gewidmet und enthalten zahl-
yeiehe kartogfaphiache Dantellnngen ans der physischen nnd Knltnr^Qec^graphie.
Die übrigen Karten, Seite 10—46, behandeln die spedelle Linderkunde. Die
Auswahl der Karten ist eine sehr zweckentsprechende; nur die Karte von
Palästina erscheint mir in einer für den geographischen Unterrirlit b(>stimmten
Kartensaminlung als ein unorganischer Bestandteil, sio frolntrt in den liistorisc hon
Atlas. Die pädagogisch so überaus wiclitigc Einheitlichkeit der Malsstäbc und
der Meridianzählung (nach Greenwich) ist hier in befriedif»eiider Weise dnreli-
geführt. Bei den Länderkarten ist die physikalische Besehaftenheit der Erdober-
fliche, die Plastik des Erdbodens, in den Yordergrand der Darstellung gebracht,
dagegen sind die wandelbaren politischen Gestaltungen, wie richtig, in xweite
Beihe gerückt Fflr die Terraindantellung ist eine dreifhche Farbenabtönnng,
für die Oebirgsdarstellang aufserdem Schraifimng gewählt; das Meer seigt
ein blaues Kolorit. Alle Karten machen einen überaus sauberen und gefälligen
Eindruck, so dafs selbst der Geographie Fernstehende den Atlas mit Genufs
durciiblätfern. wie leb d;v.s mehrfach erfahren habe. Die Auswahl der auf^re-
nommenen und der benannten Objekte verdient in den meisten Fidlen als eine
geschickte (für Oberklassen höherer Lehranstalten) bezeichnet zu werden. Der
Längenmafsstab wird überall in deutschen geogr. Meilen und Kilometern ange-
geben. An kleinen Ungenauigkeiten merke an : S. 82 Karpath«! statt Karpaten,
S. 23 Barinas statt Yarinas, S. 40 und 44 Wasgenwald statt Wasgan.
Zwei Eigenschaften charakterisieren den vorliegenden Atlas noch insbe-
sondere und unterscheiden denselben von fast allen übrigen Schul-Atlantcn;
es ist das sein Format und die aafsergewöhnlich reiche Zugabe an kleinen
Nebeiiknrtcii. Das Format ist ein aufscrgcw'öhnlich .^rofses, einschlieTslich
Rahmen betrugt die Hohe IMVIi und die Breite 30 cm. Infolge dieses Kürniats
ist der Mafsstab der «inzelnen Hauptkarten ein möglichst grolser und stehen
alle Karten aufrecht, so dafs ein Drehen des Altas beim Gebrauch durchweg ver-
mieden wird, gewifs swei animerkennendo Vorzüge. An anderer Stelle ist aber
schon darauf hingewiesen, dafs dieses grofse Format für den Gebrauch in der
Klasse seine Bedenken habe, da der Atlas mit seinen ungebrochenen Karten
aufgeschlagen eine Flache von 25,« qdcm einnimmt, während z, B. der „kleine
Stieler* nur den dritten Teil hiervon nötig hat. Noch wichtiger aber als diese
Raurafrage scheint mir die Frage: auf welche Weise sollen die Schüler resp.
Schülerinnen den Atlas zur Schule schaffen? In eine Büchertasche oder einen
Tornister pafst das grolse Format des Atlas nicht hinein, den Atlas aber in
freier Hand zu tragen und zwar bei weitt!icn Schulwegen von 10 bis 25 Minuten,
wie diese doch in jeder gröfseren Stadt ganz gewöhnlich bind, bringt dem
Schüler eine so grofse Unbequemlichkeit nnd ist Inr die Haltbarkeit des Atlas
80 nachteilig, dafo ich, so sehr ich die Yorzfige eines groDsen Formats theo-
letiseh anerkenne, aus praktischen Grilnden mich entschieden dagegen erkUiren
mnCi. Als dem vorliegenden Atlas von Diercke und Gaebler eigentümlich sind
dann weiter die Fälle der in zahlreichen Nelienkartcn gegebenen Einzel-
dar.stellnngen zu bezeichnen. In diesen V)S Nebenkarten sind nicht allein die
Hanptstäilte der europäischen Länder sowie die wichtigsten Häfen und Städte
der übrigen Erdteile dargestellt, sondern es sind auch in tretflicher Au.swahl
gewisse typische Gegenden, z. B. ein Industriebezirk, eine Marsch- und Gcest-
landsdhaft, eine westfälische Landschaft, die Elbmüudung, Dcltabildungen u. dergl.
220 —
individualisiert. Ganz gewifs bilden diese Nebenkarten einen anCserst lehrreichen
Schmuck des Atlas und der Schüler kann ganx 1h sonders aus ihnen ersehen»
was alles in einer grofseron Karte verborgen liegt uml was er alles hinzuzudenken
hat Do( h vom .Stundpunkt des praktischen Si huhnanns aus nuils ich ge^'eiiiilun"
(lies< n zahlreichen Nebeiiknrteii die l'rag»- stellen: Werden dii' «'in/i hu-n
Kartenblätter durch vier oder fünf beigegebene Nebenkurten nicht reit hli Ii
bunt und hat nicht auch in dieser Beziehung, und vielleicht gerade in dieser,
das bekannte Wort: .Nor leer seheinende Karten prägen sich dem Qed&chnisse
ein' seine Geltung? ünd weiter: woher soll die Zeit genommen werden, den hier
gebotenen Stoff zu bewältigen? Doch es ist hier nicht der Ort, diese prinzipiellen
Fragen weiter zu diskutieren, sie angedeutet sn haben, mag genügen.
Entsiu i< ht der vorliegende Atlas nach meiner Meinung also noch nicht allen
Anfordci un<_'(ii, die man an einen Schul-Atla.s /u stellen liat. so verdient
ilerscilje do* Ii im übrigen bezüglich des wissenst hati liciieii (.iehalts und der
technischen Ausführung volle Anerkennung und ich empfehle den Lehern dieser
Zeitschrift denselben angelegentlichst. Dr. W. Wolken hau er.
Druck von Carl Srli1liieaui&&. Üromeii.
Digiiizüü by Google
^ i^uo Ly Google
I
)igiti2eci by Google
*" Deutsohe »"* ™-
Geographische Blätter.
HennigegvbeB tob der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge nnd sonstige Sendungen au die Kedsktion werden unter der Adresse:
Dr. M. Limdema, Bremen, Mendettmete 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und lUiistralioiieii dieser Zeitaclirih Ist nur nach Terst&ndigung mit
der Bedaktion gestattet.
Patagonien und seine Beeiedelung.
Von A. vou Seelstr&ng.
Inhalt: Grund der VernaclUiiMigung Patagouiens. Eutdeckungsgeschichte.
Lag«, Orenien and Gr5A«. G«sta1taiig d«r Kttsten. Yertikale Koiifigimti(»ii. Geo-
goostische Beschaffenheit. rivflrog^raphisehe Vf rhültiiissr. Klim;i. Flon. Fftniia.
Eingeborene Bevölkerung. Niederla-saungen. Künftige Kolonisation.
Dreihundertiiudviernndsechzig Jahre sind verflossen, seit der
Fufs des ersten Europäers den patagonischen Strand betrat. In
grofeartigem Ma£s8tabe haben Schiffiihrt nnd Handel zugenommen,
riesenhafte Lftndemtrecken sind, einzig im Interesse der Wissen-
sehaft, erforscht worden und wohl hondert Miltionen Menschen
europAischer Abstammung bevölkern jetzt zu jener Zeit noch völlig
unbekannte Gebiete ; doch fast anberflbrt liegt die Südspitze Amerikas,
vergessen von der Wissenschaft, dem Handel und der Kolonisation.
Die Gründe dieser auliälligen Vernachlassif,Min}? sind selir
mannigfacher Natur, doch wollen wir nur die Hauptfaktoren dci^elben :
aufser der uiij^astlichen Beschaffenheit der Küsten selbst vorzüglich
den Charakter der spanischen Kolonien, sowie die politische Ent-
Wickelung Südamerikas ins Auge fassen.
Einförmig und wie ein niedriger Wall steigt die Ostküste
Patagoniens aus einem seichten, stürmischen Meere empor, welches
durch heftige Strömungen nnd Wirbel noch geffthrlicher wird.
Wenige und nicht leicht zu findende Hftfen bietet sie der Schifihhrt,
und auch von diesen wenigen sind manche nicht sicher wegen des
steinigen Ankergrnndes und der aufsergewöhnlich hohen Flutwellen,
welche sich bis zu 10 und 15 m erheben. Und wenn es dann ge-
lungen, den Fufs ans Land zu setzen, so breitet eine dürre, steinige
Ebene sich vor dem Eindringling aus, bestreut mit Kies uiul Muschel-
schalen und dünn bestanden mit hartem Gras und niedrigem Doru-
üüQtir. Blätter. Br«m«u, lübi. ' lg
Digitized by Go
— 222 —
gebflsch. Sp&rlich sickert in grolsen Abstanden ein Quell trinkbaren
Wassers durch den porösen Boden, und greise Strecken der Küste
sind durch Salinen und salzhaltige Sünii)fe charakterisiert.
In andrer Weise abschreckend zeigt sicli die Westseite. l)(trt
ist die chilenische Küsten-Kordillere ins Meer versunken, so dafs
nur das wilde Felsengewirr ihrer Gipfel, über die Gewässer hervor-
ragend, eine langgestreckte Keihe von Inselgruppen und Klii)pen
gebildet hat, die, von Chiloe anfangend, sich bis zum Kap Horn
hinzieht. Fast unaufhörlicher Begen wäscht ihre nackten Felsen-
rippen und wütende Weststürme peitschen das Meer gegen sie an.
Nur in den gegen diese geschützten Kanälen öffnen sich gute Hafen,
und die feuchte, fruchtbare Erde deckt sich mit üppigem, undurch-
dringlich verschlungenem Baumwuchs. Das eigentliche Rückgrat
aber des Kontinentes erhebt sich steil aus dem tiefen Ocean, wenige
fruchtbare Flachen an seinen Seiten bietend; rauschende Bftche
stürmen Ton den felsigen Höhen und nidit selten badet ein Gletscher
den eisigen Fufs im Weltmeer.
Die Magalhaensstralse endlich teilt im grofseu ganzen ileu
Charakter der eben beschriebenen Küsten, das heifst sie ist felsig
imd zerrissen in ihrem westlichen Teile, im östlichen aber flach und
öde. Nur die Halbinsel Brauiischweig macht hiervon eine Ausnahme,
denn, durch ihre uord-südiiche Kichtung gegen die vorherrschenden
WeststUmie geschützt, vereinigt sie das mildere Klima Ost-Pata-
goniens mit dem kräftigen Wald, dem fruchtbaren Ackerboden und
den guten Häfen der pacifischen Kanäle. Freilich ist auch hier die
Schifiiahrt beschwerlich, besonders für Fahrzeuge, welche nach dem
stillen Ocean bestimmt, gegen die heftigen Winde ankämpfen müssen;
doch ist jedenfalls diese Halbinsel der einzige Punkt der ganzen
patagonischen Küste, der von vornherein zur Ansiedlung einladet.
Diesen wenig gastlichen Eindruck hat Patagonien im Laufe
der Jahrhunderte reichlich bewährt; denn seine Geschichte bildet
fast eine einzige Kette von Schiffbrüchen und IvatastiupluMi aller
Art, die von Magalhaens beginnend bis zur denkwürdigen Kxpedition
des »lieagle" und der ^Adventurc" unter Kitzrov in diesem Jahr-
hundert heraufreicht. Der portugiesische Weltumsegler verlor eine
seiner Garavelen auf den Klippen südlich des Rio Santa Cruz (1521)
und eine zweite durch Meuterei der ob so vieler Leiden entmutigten
Bemannung. Loaisa, sein Nachfolger, büfste gleichfalls sein bestes
Schiff in der Mündung der Magalhaensstrafse ein (ln20), während
gar zwei seiner Fahrzeuge sich den Beschwerden der Fahrt durch
die Flucht entzogen. Spater sehen wir dort Simon de Alcazaba
unter den Streichen seiner Moi*der erliegen (1535); und selbst der
Digiii^eu by Cookie
— 223
kühue Drake murste eine Verschwörung iui Halen von San Julian
mit blutiger Hand unterdrücken (1578), demselben, wo schon Magal-
haens mit genauer Not der Meuterei seiner Kapitäne entronnen
war. Als endlich der yerdienstvoUe Sarmiento de Gamboa die erste
KoloDie in der MagalhaensstraTse anlegte (Don Felipe, 1581), war
deren Schicksal so schrecklich, dais man jenen Ort noch jetzt als
den Hungerhafen (Port fomine) bezeichnet, denn von 880 Ansiedlern
worden nnr zwei durch yorbelfahrende Sdiiffe gerettet
In derselben Weise zieht sich eine Reihe von Unfällen bis anf
unsere Zeit, und es ist somit nicht zu verwundern, dafs die Spanier,
schlechte Kolonisatoren und wenig j^^ewandte Seeleute, vor einem
Lande zurückschreckten, dessen Klima ihnen fnrchtbar rauh erschien,
und welches keine Schätze an edlen Metallen autzuweisen hatte.
Nur einmal noch fand die Krone Castilien es erforderlich, ihre
Aufmerksamkeit den patagonischen Küsten zuzuwenden, als nämlich
der englische Jesuit Falinier (1774) seine Landsleute auf die Schiff-
barkeit des Kio Negro und damit auf die Möglichkeit hinwies, diesen
FMb zur leichteren VOTbindung mit der Südsee zu benutzen. Da
hiefe es denn, der Einmischung einer fremden Nation in die Ver-
hältnisse der südamerikanischen Kolonien um jeden Preis zuvor-
kommen; und wohl nur aus diesem Grunde wurden in den Jahren
1778 — 82 mehrere Entdeckungsreisen unter Leitung des Kapitäns
Antonio de Viedma die Küste entlang und ins Innere unter-
nommen, auch einige Kolonien gemundet. Leider waren die meisten
derselben nicht jjut gewählt; so vernachlässigte man z, B. den
wichtigen Hafen Santa Cruz, und Eifersüchteleien mit dem Vice-
könig Yertiz des Rio de la Plata, sowie die zunehmende Schwache
des spanischen Staates führten bald zum Entschlüsse, die kaum
begonnenen Niederlassungen wieder aufzugeben. Nur das am Kio
Negro gegründete Carmen de Patagones wurde festgehalten, um
den Engländern die Benutzung dieses Wasserweges, dessen Fahr-
barkeit bis zum Fufse der Kordilleren der Kapitän ViUarino 1782
dargethan hatte, abzuschneiden.
Auch die Aufnahme der Küsten, welche in den Jahren 1826—34
auf Befehl der englischen Admiralität erfolgte, war nicht im stände,
das Vorurteil zu zerstreuen, welches sich über jene Gegenden ge-
bildet hatte. Im Gegenteil hob sie nur noch die Tuwirtbarkeit der
IJferstriche liervor; und weini der liericlit Fitzroys auch einzelne
Punkte als gut gelegen und für den Ackerbau tauglich bezeichnet,
so mufste ihre Zahl doch unter den vielfachen Schilderungen des
ungastlichen Strandes und seiner heftigen Stürme verschwinden.
Aber die Forschungen erstreckten sich eben nur auf das Mecresufer,
16*
Digitized by Google
— 224 —
und die einzige Expedition, welche Fitzroy den Rio Santa Cruz
hinauf unternahm, drang zwar 140 siu iu.s Land hinein und bewies
die Schiffbarkeit dieses Fhisses, war aber durch Mangel au Lebens-
mitteln gezwungen, wieder unizukehren, gerade als sie zu dem
wirklich interessanten und wichtigen Teile des Innern gelangt war.
Die argentinische Republik selbst endlich war bis vor wenigen
Jahren zu sehr von inneren Fragen in Anspruch genommen, um ilire
Auünerksamkeit dem fernliegenden Patagonien zuwenden zu können,
und so blieb der dichte Schleier ungelüftet, welcher Jahrhunderte
lang das Land umhallte, bis es dem kühnen Britten Musters ge-
lang (1869), das gebeimnisvoUe Innere von Sttden nach Norden, in
Begleitung einer wandernden Indianerhorde, der er sich angeschlossen
hatte, zu durchziehen. Seine interessanten und höchst glaubwOidigen
Schilderangen sind es, welche zuerst ehi neues Licht auf jene ver-
rufenen Gegenden warfen und die Möglichkeit darthaten, auch dieses
Land der Kultur und di,'ui Handel zu offnen.*)
Spätere Forschungen haben die Ansichten dieses Reisenden nur
bestätigt und zugleich die Kenntnis des Innern bedeutend erweitert.
So stellte im Jahre 1877 der artrentinische Gelehrte Moreno ein
System von alpinen Seen als Wiege des Santa Cruz fest, und im
folgenden Jahre durchzog der Leutnant Rodger von der chilenischen
Marine die Region zwischen dem Skyring Water und jenen Gewässern.
Die argentinischen Forsclier Lista und Moyano verfolgten den Bio
Ghico, einen Kebenflufe des Santa Gruz, bis zu seinen Quellen (1878),
und letzterer unternahm zwei Jahre spater die gefährliche Reise von
dort ans zum Rio Sengner und diesem folgend bis zur Kolonie Ghubut am
Flusse gleichen Namens, zum Teil der Route des englischen Botanikers
Dumford folgend, welcher diesen Strom schon vorher aufwärts bis zu
den Seen (Jolhue und Musters bereist hatte. Wenn wir nun noch
die h.vdn);;iui)hischen Arbeiten hinzufügen, welche die chilenische
Miiiiiu; au der Westküste ausgeführt hat, sowie die Resultate der
vt'iscliiedenen militärischen FApeditionen betonen, welche infolge der
Besetzung des Rio Ncgro durch die argentinisclie Armee <l<us (iebiet
des sagenhaften Nahuel-Huapi durchstreiften, so lafst sich mit gutem
Rechte behaui)ten, dafs wir augenblicklich uns nicht nur einen klaren
Begriff von Patagonien bilden, sondern auch mit Sicherheit diejenigen
Punkte bezeichnen können, welche die meisten Vorteile für die Aus-
beutung seiner nicht geringen llttlfsquellen im Interesse des Welt*
Verkehrs bieten.
*) At home witb the Pataguiiiaus by George ChatUworlli Miistci^i. London
1871. Detitftch 187S.
Digitized by Google
— 225 —
rnter dem Namen Patagoiiien begreift man den südlicheu Teil
des amerikanischen Kontinentes zwischen dem Kio Negro im Norden,
dem atlaDtischen Ocean im Osten, der Sttdsee im Westen und der
Ma^'alhaensstrafse im Sfiden. Freilich gehören dazu, nach Boden-
bescbaffenheit und Klima, auch die anz&hligen gröfaeren und kleineren
Inseln der Westkflste, sowie das Feoerland selbst; doch wollen wir
hier gänzlich von diesen abstrahieren, da ihr Inneres noch völlig
unerforscht und es somit nicht ratsam ist, Uber deren einstige
Verwertung fOr die Weltdkonomie Pläne zu schmieden. Der
Flächeninhalt dieses Territoriums beträgt zwischen 16000 und
17 000 Quadratmeilen j und erstreckt sich dasselbe von 39** 50' südl.
Breite (Vereinigung des Limay und Neuquen zum Rio Negro) bis
zu 55" 34' (Kap Froward) und von 42 45' westl. I/änge von
Greenwich (Mündung des Rio Ne?ro) bis 78 25' (Vorgebirge Tres
Montes auf der Halbinsel Taitao). Seine liorizontalc Gestaltung ist
die eines mit der Spitze nach Süden gekehrtcTi Dreieckes, dessen
ost-westliche Ausdehnung jedoch auf der Breite des Rio Gallegos
(51® 40') geringer ist, als an der Magalhaensstrafse. Von diesem
Gebiete steht unter chilenischer Oberhoheit der westliche Abhang der
Kordillere und das Nordufer der Meerenge, während der Vertrag
von 1881 den Rest der argentinischen Bepnblik zuweist
DU Gestaltung der KusU ist an den bddmi Oceanen sehr
verschieden und imtert^chefdet sich scharf (istlich und westlich von
Kap Froward, welches man als den virtuellen Ausläufer der Andes
ansehen darf, wenn«;leic]i geognostische Gründe denselben weiter nach
Westen verlegen. In weitgeschwungenem Bogen zieht sich die Ost-
küste von der Mündung des Kio Negro ab nach Südwesten, nur
unterbroclien durch die stark vorspringende Halbinsel Valdez und
das zerklttftete Ufer bei der Bahia de los Ganierones, sowie dem
tafelförmigen Vorsprang südlich von Kap de las tres Puntas. Sie
wird durdi den Abfall einer aus tertiären Schichten bestehenden
Terrasse gebildet, welche dch meistens 30 — 80 m aber den Meeres-
spiegel erhebt, mehrfach aber auch bis zu diesem herabsinkt Der
Meeresboden flacht sich sehr allmählich bis weit in die See hinein
ab, und besteht mehrere Meilen weit aus Grand und Grus. Die
Häfen sind, von Norden beginnend, der Puerto de San Antonio und
der von Sau Jos^; beides ziemlich gute Ankerplätze, aber ohne
frisches Wasser und wegen der heftigen Flutwellen schwer zu er-
reichen. Südlich von letzterem, und nur durch eine Landzunge von
ihm tretrennt, gewährt der Golfo Nucvo Wasser, Holz und guten
Ankergrund. Die Mündung des Cbubut bietet leider keinen Hafen,
*) Es ist alio IVs mal so grofi «Is Deutschland.
Digitized by Google
— 226 —
da sie, durch eine Barre verstopft, selbst bei Hochwasser nur Schiffen
von 7—12 F. Tiefgang den Zutritt gestattet; dagegen ist der weiter
südlich gelegene Puerto de S. Elena als sichere Aidcerstelle bekannt,
er bietet ;iu( h Holz und Krfrischimgen in ausreichender Menge. Der
hieraut tolgcude (iolf von S. Jorge ist wenig bekannt und ohne jeden
nennenswerten Hafen; doch tiuden sich weiter siidlicli die trefi'lichen
Baien des Rio Deseado und von S. Julian, bekannt durch die Ent-
deckungsreisen von Drake und Magalhaens, endlich der Fjord des
Bio Santa Cruz, welcher, tief ins Land einschneidend, sicheren Anker-
grund, Wasser, Holz und Wild in Fülle darbietet.
Die Magalhaensstr&fse selbst ist durch ihre schönen und ge-
sicherten Hafen ausgezeichnet, welche bei dem launischen Wetter
jener Breiten besonders für Segelschiffe unschätzbar werden. Hier
mögen nur Erwähnung finden: die Royal Read zwischen dem Fest-
lande und der Elisabeth-Insel, die chilenische Strafkolonie Punta
Arenas, der traurig bekannte Puerto Hambre, Woods^Bai, Fortescue-
Bai und andere, so der ausgezeichnete Puerto de la Misericordia auf
der {Südseite des Kanals, nahe an seiner Mündung in den stillen
Ocean. Leider machen die plötzlichen und sehr heftigen Stürme
sowie die starke Strömung die Passage der Strafse gerade für
grüisere Segelschiffe höchst beschwerlich, da dieselben nicht so leicht,
wie Fahrzeuge geringeren Tiefganges in einem der unzilhligen kleinen
Häfen Schutz suchen können; so dafs eigentlich nur diese und Dampf-
schiffe den Kanal der Urasegelung des Kap Horn vorziehen. Holz,
Wasser und Fische sind im Überflufs vorhanden; auch liefert Punta
Arenas Kohlen, freilich nur geringer Qualität
Völlig verschieden ist der Charakter der WestkOste, und tritt
derselbe schon von Eap Froward aus sehr deutlich hervor. Das
Meer dringt hier bis an die Basis der Andeskette selbst heran und
bildet, durch die Verzweigung ihrer Schluchten bedingt, zahlreiche
Inseln und Halbinseln, Kanäle, Golfe und Sunde; so dafs auf dieser
Seite das Festland völlig mit einer Jieihe von grofseu Inselgruppen
umzogen ist, unter denen als die hervorragendsten zu nennen sind:
der Arcliipel der Königin Adelaide und jener der Madre de Dios,
sowie di(> Insehi Hannover, Wellington und Chiloe, nebst der Halb-
insel Taitao. Die felsige, ewig von Stürmen umwütete Küste wird
gewöhnlich von den Schiti'en sorgfältig gemieden, und ist uns eigent-
lich erst durch die Aufnalimcn des Admirals Fitzroy und durch ein-
zelne Arbeiten der chilenischen Marine näher bekannt geworden. Sie
bietet viele und gute Hftfen dar, wie der ausgezeichnete Puerto Bneno
Sarmientos auf dem Festlande selbst, Port Henry auf der Insel Madre
de Dios, Eden-Harbour, Puerto Santa BÄrbara auf Gampana, Kelly-
Digitized by Google
— 227 —
Ilarbuur und die beuachbarte Bai vou San Qnintin im Golf von
öan Eötevan, Port Otway auf Taitao und schliefslich die Bai von
Ancnd auf Chiloe. Freilich sind alle diese mit Holz und frischem
Wasser ausgestatteten Häfen, mit Ausnahme des letzten, bis jetact
▼on geringem Wert fOr den Weltverkehr, da die unbewohnte Kflste,
höchstens von Walfischfängem besacht, noch keine Anziehung auf
die Handelsmarine ausflben kann; doch hat man in den letzten Jahren
begonnen, die dichten Wälder, welche die geschützten Abhänge dieser
Inselwelt bedecken, auf Nutzholz hin auszubeuten, und schon werden
bedeutende Menjien Eisenbahnschwellen von dort nach Chile aus-
geführt. Auch ziehen einige pacifische Dampfer, z. B. die der Ham-
burger Kosmos-Linie, die gesicherte Fahrt durch den Messier- und
Smyth-Kanal der Umsegeluno: der >vestlichen Inseln vor.
Von derartigen Küsten he^iionzt, wachst nun das pata^jjonisclie
Festland stufenweise aus dem atlantischen Oceau hervor, indem es
sich aus einer Reihe von übereinandergelagerten Ebenen aufbaut, deren
unterste oft nur 30— 8() m über dem Meeresspiegel liegt» während
die oberste sich an die Kette der Anden anlehnt, welche unmittelbar
an der Sftdsee den hohen Westrand des Landes bildet, jedoch hier
selten mehr als 1000 m Kammhöhe zu haben scheint. Die Ober-
flftche der eimselnen Ebenen und Terrassen ist flach oder leicht
wellig, dagegen sind ihre Abfälle zu den tieferen meist steil, zer-
rissen, das Bild einer alten Klippenküste darbietend, welche lange
von den Wogen des Meeres bespült und ausgewaschen worden, wie
dies noch heute mit dem Rande der untersten Terrasse, der See-
küste selbst, gesciiieht. Daher erscheinen diese Abfalle, von der
unteren Ebene aus gesehen, oft als von NNO. nach SSW. streichende
Bergzüge, welcher Richtung auch die verschiedenen im Innern
vorkommenden Hügelketten zu folgen scheinen. An der Ostküste
findet sich nur ein bedeutenderer Höhenzug, die Sien*a de Valcheta,
welche von der Südseite des Rio Negro her sich bis zum Ghubnt
hinzieht und ihre letzten Auslaufer bis zum Nordrande des Golfes
von S. Jorge zu entsenden scheint Sie erhebt sich an- einzelnen
Stellen bis zu 300 m. Ausserdem berichtet der Kapitän Moyano
aber eine Bergkette, welche sfldlich vom Rio Deseado sich in west-
östlicher Richtung hinzieht; doch hat er dieselbe nicht erforscht
Die Einförmigkeit der vertikalfii Konfiguration des Landes
findet ihr Gegenstück in seint^r geognostischen Brschaffeti/u'it. CJanz
l'atagonien besteht aus einer tertiären Formation, welche auf Porphyr
und metamorphischeii üesteinen zu ruhen scheint, und welche gröfsten-
teils von Diluvial- und Schuttmassen bedeckt ist, wie solche sich
auf dem Grunde des Meeres zu bilden pflegen. Die Ebenen sind,
Digitized by Google
— 228 —
zumal in der N&he dei' Ostküsten, mit abgermideten Kieseln, grofaen
Geschieben, Kies und Sand bedeekt, vennischt mit Musdielii von
noch jetzt im benachbarten Meere lebenden Arten, und bieten
somit ein höchst trauriges Ansehen. Diese Schuttablagemngen sind
yon grofser M&chtigkeit und bedecken, wenigstens im Sttden, fost
die Hfllfte der Entfernung zwischen dem Meere und der KordiUere,
welche letztere wohl groDsenteils das Material dazu gelidert hat
Die Tertiärformation besteht aus ganz horizontal gelagerten thonigen
und sandigen Schichten, welche durch ein kalkiges Bindemittel zu
nur wenig festem Gestein verbunden sind. Dieselben können der
Gewalt der Wogen nicht widerstehen, und so wird das Meeresufer
meist zu einer steilen, nackten aber nicht hohen Klippenkfiste. Im
nordöstlichen Teile, zwischen dem Rio Negro und dem Hafen
S. Antonio, ersclieint diese Formation als ein Sandsteinplateau,
welclics sich etwa 100 m hoch bis an die Sierra de Valcheta er-
streckt.
Nur an verbältuisinüfbig wenigen Stelleu ist bis jetzt das
Hervoltauchen der dieser Formation untergelagerten Gesteine kon-
statiert (Quarz- und Tlion-Porphyre). Darwin fand dieselben an
der Küste zwischen Union-point (44**j und dem Hafen S. Julian;
wahreud neuerdings ihr Vorkommen in grofser Mächtigkeit weiter
landeinwärts und fast in derselben Breite von Herrn Dumford be-
richtet wird, nach welchem Porphyre die Ufer der Seen Mustei*s
und Collme, sowie des Rio Senguer bilden. Auch Moreno traf diese
Felsarten am Kio Chubut, da, wo derselbe die Sierra de Valcheta
durchbricht.
Basalte und basaltische Laven linden sich ebenfalls und zwar
in groÜBer Ausdehnung im Thale des Santa Cruz, sowie in den
Ebenen um den Kio Gallegos bis hinab fast zur Magalhaensstrafse,
so dafs wir auf grodsartige vulkanische Ausbrüche der Andes
schliefsen dürfen, wenn auch augenblicklich kein thätiger Vulkan in
deren südlichem Teile bekannt ist. Freilich erklärt Moreno den
unter 49^ gelegenen Monte Fitzroy für einen solchen; aber der-
selbe scheint nach den neuesten Berichten ebenfalls erloschen.
Andere Formationen und auch nutzbare Minmlien sind bis
jetzt auf der Ostseite der Kordillere nicht gefunden worden; doch
werden Kohlengruben in Punta Arenas und am Skyring Water be-
arbeitet, auch fanden Moreno sowohl als Lista Anzeichen von der-
artigen Lagern am Lage Argentino und den Quellen des Rio Chico.
Die kleinen Flüsse der Halbinsel Braunschweig führen Gold.
Auf der Westseite bestehen die Insehi Yorherrschend aus
Glimmer- und Thonschiefer mit untergeordneten Graniten, ganz
— 229 —
ähnlich wie iu der Küstenketto des nördliclieu Chile, deren
Foitsetzung sie auch in gcographisdier Beziehung bilden. Die
geoguostische Beschaffenheit der Andes auf dem Festhiude ist noch
gänzlich unbekannt. Dieselben scheinen übrigens nicht eine fort-
laufende Kette zu bilden. Zum wenigsten konstatierte der chilenische
Kapitän Simpson eine bedeutende Depression zwischen dem 45. und
46. Breitengrade, indem er, die flösse Aisön und Huämules bis zu
ihren Quellen verfolgend, die theoretische Kordillere um ungef&hr
IVf Längengrade hinter sich liefs, ohne auf nennenswerte Höhenzüge
gestoben zu sein. An Vulkanen sind bekannt der Motalit, Gorcovado
mid MinehlnniMda, welehe sich sämtlich auf dem Westabhang der
Kordillere zwischen 42 und 45** südl. Breite befinden.
Die Btivässeriing Patagoniens ist anscheinend eine kärgliche;
denn von gröfseren Flüssen finden sich au der ganzen Küste des
atlantischen Oceans aufser dem Rio Negro, welcher die Grenze im
Norden bildet, nur noch der Chubut und der Santa Cruz, was füg-
lich auffallen mufs, wenn man die grofse Ausdehnung der Region
zwischen jenem Strome und der Magalhaensstrafse in Betracht zieht,
welche die vom Ostabhange der schneebedeckten Andeskette herab-
flieüsenden Gewässer und aufserdem, im Innern wenigstens, bedeu-
tende atmosphärische Niederschläge empfängt Der Grund dieser
Erscheinung ist wohl meistenteils in der porösen Beschaffenheit des
Bodens, sowie in dem Fehlen anderer Gehirgssysteme zu suchen,
welehe den aus der Kordillere hervorbrechenden Strdmen frische
Nahrung zuführen hönnten. So versiegen denn nach und nach die
starken Wasserquellen des Hauptgebirges wiilucnd ihres Laufes
durch die geschilderten Hochebenen, und nur wenige erreichen das
Weltmeer, meistenteils begünstigt durch ein System von natürliclien
Sammelbecken, welches den übergrofsen Zuiiufs zurückhält und den
AbfluTs reguliert.
Der Rio Negro wird unter 38° 5()' südl. Breite durch den
ZusammenfiuCs des Ncuquen und des Limay gebildet, welche zwischen
sich ond der Kordillere das seiner Fruchtbarkeit wegen berühmte
Land der Manzaneros einschlieCsen. Und wenn auch der erstgenannte
zeitweise ungeheure Wassermassen zu Thale wälzt, — die Ursache
der plötzlichen Anschwellungen des Negro — so ist es doch der
Limay, welcher, aus dem berflhmten See Nahuel-Huapi entspringend,
den gleichmafsigen Stand des Hauptstroraes aufrecht erhält. Vom
Punkte der Vereinigung beider Strunic an empfängt der Rio Negro
keine weiteren Zuflüsse und verfolgt seinen I^auf nach OSO., ein-
geschlossen zwischen hohen Tferwänden, deren obere Fläche, mit
Gestrüpp und grobem Grase bedeckt, sich eiutOnig dahinzieht,
Digitized by Google
— 230 —
wahrend das von ihm gebildete Thal, sich nach und nach bis zu
15 und 20 km erweiternd, hOchst frnchtbären Boden und Wald
in Menge darbietet Dasselbe ist- allerdings im November und
Mai periodischen Überschwemmungen aiisi^resetst; doch dQrfte es
nicht schwierig? sein, diesen durch zweckmälsi^e Ke.Lriilierun^ des
Bettes eine Grenze zu setzen. Die untere Hälfte des Stromes ist
durch vielfache "Windungen und Inseln charakterisiert, von denen
die o])erste, ChoiMe-choel, mit dem gegenüber gelegenen Fort l^elgrano
die bedeutendste ist. Seine Breite wechselt zwischen 80 und 2(X) m,
und wird derselbe selbst zur Zeit des Niederwassers mit Dampfern
von 6 F. Tiefgang befahren, w&hrend Seeschifle bis zu 12 F. noch
zur Stadt Carmen de Patagones gelangen, welche 18 sm von
der Mündung entfernt liegt So wird denn dieser FluTs zweifellos
binnen kurzem die Yoraussagung des Pater Falkner bestätigen, dafs
er zur Verkehrsader eines vollcreichen Territoriums bestimmt sei, und
zur kurzen und gefahrlosen Verbindung mit dem stillen Ocean dienen
werde. Ist doch eine aigentinische Dampfischaluiiiie schon den
Limay hinauf bis zum Nahuel-Huapf vorgedrungen, und dieser See
liegt nur 65 sm vom Golfe von Reloncavi entfernt. Auch diese
kurze Strecke ist leicht zurückzulegen, sei es durch den Pafs von
Rosales (15UÖ m ü. M. und 920 über dem Spiegel des Sees) oder
mittels des Passes von Barilot lie, welchen unser Landsmann, der
Hauptmann libode, von der argentinischen Aimee, soeben von neuem
entdeckt hat.
Der Rio Valcheta, welcher aus dem Gebirge gleichen Namens
dem Golfe von S. Matias zuströmt, ist insofern von Interesse, als
er die Bewohnbarkeit des ganzen Ostabhanges jenes Gebirges garantiert,
wenn auch seine Gewässer zuweilen eben so wenig das Meer er-
reichen, als die zahhreichen anderen Bergbache, welche dort ihren
Ursprung nehmen.
Der Rio Ckubut wird durch zwei Flflsse gebildet, welche, die
ganze Breite des Festlandes durchschneidend, sich erst einige
30 geogr. Meilen vor seiner Mündun-jj vereinigen, dort, wo derselbe
die Sierra de Valcheta durchbricht. In diesem seinem unteren Laufe
hat er 30 — 50 ni Breite, wahrend die hohen Uferbänke, 8 — 10 km
von einander entfernt, ein fruchtbares Thal einschliel'sen. Dort liegt
die welsclie Kolonie gleichen Namens etwa 20 km von der See ent-
fernt; doch verstattet die der Mündung vorgelagerte Barre nur
Schifien von 7 F. Tiefgang den Zutritt, wahrend der Flufs selbst,
wegen seiner vielen Krümmungen und des wechselnden Stromlaufes
halber nur mit Böten zu befahren ist. Die Quellen des Chubut, sowie
der Lauf seiner beiden Hauptarme sind zur Zeit noch sehr ungenügend
— m —
bekannt. Erstere sind am Ostabbange der Andes zu suchen und
umfafst ihr Gebiet wahrscheinlicli die ganze Strecke vom 41. bis •
zum 46. Breiteuparallel. Nur der Kapitän Musters hat dieselben
sämtlich überscliritteii : er schildert die von ihnen bcwilssorten
Kegionen als ausnehmend fruchtbar und reich mit Wald und Wild
ausgestattet. Der nördliche Arm ist noch völlig unerforscht, wenn
auch schon 1535 der unerschrockene Rodrigo de Isla an ihm ent-
lang weit ins Innere vordrang. Auch vom südlichen Arme, dem
Sengaer, wissen wir durch die Reise Durnfords und die spätere
Moyanos nur, dafis er ungefähr in 4&<> da Breite und 68^ 30" Lftnge
die Gewässer eines gro&en Sees (des Lago Musters) in sich auf-
nimmt, dann etwas östlicber ein weites, flaches Becken bildet (den
Lago Golhu^), welches seinen Wasserstand reguliert, und schliefslicb
in Nordostriehtnng fast parallel mit der Seekflste, und nur 100 km
davon entfernt, seiner Vereinigung mit dem nördlichen Arme zueilt.
Die Existenz des J\io de San Jorge, welchen die Karten als
in die Bai gleichen Namens mündend angeben, ist noch zweifelhaft.
. Jedenfalls dürfte derselbe nichts weiter als ein kleiner Ktiistentlufs
sein, da sein Gebiet sich nur bis zur Wasserscheide dos uahen Öeuguer
erstrecken kann.
Auch der Rio Deseado, welcher in den i^jord-ähulicheu Ein-
schnitt desselben Namens mündet, hat au dieser Stelle nur etwa
1 m Tiefe und ist, obgleich er zu gewissen Jahreszeiten eine be-
deutende Menge Wasser ergieiisen mag, doch kaum mehr als ein
Bach zu nennen. Der Flufs wurde von Kapitftn Moyano nahe an
seinen Quellen unter 7P Lftnge und 46* 35' sadL Breite überschritten,
doch ist es noch zweifelhaft, ob derselbe mit dem in jener Region
gelegenen Lago de Buenos-Aires und dann wahrscheinlich mit einer
ganzen Kette mutmafslicher Alpenseen in Verbindung steht, deren
Abtiufs er in diesem Falle bilden würde. Der vorzügliche Hafen,
in welchen er sich ergiefst, bewog die Si)anier, dort (1780) eine
Niederlassung anzulegen; doch wurde dieselbe leider bald, aus poli-
tischen Gründen, zurückgezogen. Noch existieren die Ruinen des
alten Forts und die damals gepflaozteu Obstbäume (Äpfel, Kirschen
und Quitten).
Der Rio Santa Cruz dagegen, welcher in den bekannten, tief
einsdmeidenden Fjord mflndet, fliefet das ganze Jahr hindurch in
vollem, 'starkem Strome dahin. Er bildet den Ausflufs eines ganzen
Systems von zum nundesten vier gro&en Bergseen, welche, den
Felis der schneebedeckten Kordillere badend, sich zwischen 48® und
60^ dO' sfldlicher Breite hinziehen. Noch sind nicht alle diese Seen
bekannt, geschweige denn erforscht ; doch sind die Keiseuden Moreuo,
Digitized by Google
— 232 —
Bodger und Moyano, welche sie in den letzten Jahren besuchten,
einstimmig in der Bewunderung der grofsartigen Alpenscen^e, die
sich an ihren Ufern entfaltet, des migestatischen Waldes, welcher
die Flanken der Andes bis hinauf zur Schneegrenze bedeckt, und
der lieblichen wenn auch enj?en Thäler, die auf die Seen ausmünden.
Freilich fanden diese Herren das Klima selbst tür den Sommer etwas
zu ranh ; doch niui's mau dies ihrer Gewöhnung au wärmere Uegiouen
zuschreiben.
Der Santa Cruz entströmt dem Lago Art^entino in einer liifite
vou 200 ni und dehnt sich weiter abwärts bis auf 8 — 44)0 m aus.
Seine Tiefe beträgt durchgehend 16 - 17 F. Leider ist die Strömung
sehr stark, so dafs die Schiffahrt auf ihm nur mit Dampfern von
grofser Kraft möglich sein dOrfte. So legte z. B. Fitzroy dieselbe
Strecke flufeabwärts in 3 Tagen zurflck, zu welcher er airfwftrts 21
gebraucht hatte, und Moreno, welcher den Strom zur Zeit des Hoch-
wassers befahr, schleppte sein Boot 30 Tage lang bis zum Lago
Argentino, um die Bfldcfahrt in 24 Stunden zu machen. Das Flufs*
thal selbst ist eigentlich nichts weiter als eine tief in den Fels .
gerissene Spalte, welche sich nur an wenigen Stellen zum Anbau
eignen dürfte. Doch bietet das Südufer des Hafens Santa Cruz
selbst sehr gut dazu passende IMinktc, während der in dasselbe
Ästuar von Nordwest her mündende Rio Ckico, sowie sein Neben-
tiufs, der Scheuen, weite und fruchtbare Thäler durchströmen.
In den tiefen Einschnitt von Coy Met mündet ein kurzer, dem
Hochplateau südlich vou Lago Argentino entströmender Bach. Kbenso
ist der Rio Gallegos nur ein kleiner Flufs, obgleich er sich in ein
grofses Becken ergiefst. Doch erweckt er die Aufmerksamkeit des
Geographen durch den Umstand, dafs seine Quellen sich nicht mehr
in der Kordillere befinden, welche sich dort schon auf der Halbinsel
Sarmiento hinzieht, sondern in einem hochgelegenen Sumpfe wenige
Meilen östlich vom Sound of last Hope, welcher ebenfalls einen Ab-
flufs desselben empfängt.
In die Magalhaensstrafee münden keine irgendwie bedeutenden
Flüfsc ; doch sendet besonders die Ber^^kette auf der Halbinsel Brauu-
scliweij,' vielfache wasserreiche Bäche ins Meer. Bemerkenswert
ist unter ihnen der 15 km weit schili'bare Rio San Juan^ welcher
sich in den Puerto ilambre ci-'iiofst.
An der Westküste Pataiionitus finden sich, wegen der nahen
Wasserscheide, nur kurze aber starke Ströme, die vielfach in tief
eingeschnittene, schmale, flufsähnliche Kanäle oder Fjorde münden.
Hier seien nur erwähnt der Rio Petrohue, welcher sich in den 50 km
langen Meeresarm der Boca de Reloncavi ergiefst; der Rio Boho-
Digitized by Google
— 233 —
dahue, dessen Gewässer ebenfalls einem schmalen Fjord desselben
Namens zueilen: der Rio Cbrcovado am Fiifse des bekannten Vulkans,
bei dessen Quellen Musters wahrscheinlich die Pafshöhe der Andes
erreichte, und endlich die Flflsse Aisiu und Ihihmdes^ deren schon
vorher E^fthnong geschah.
Landseen scheinen am Ostabhange der Kordillere in grofsem
Mafiastabe vorzukommen, und bilden dieselben, wie schon gezeigt,
die natürlichen Sammelbecken fast sämtlicher patagonischen Flüsse.
Auch in den Ebenen der Küste linden sich mehrfach Wasseransamm-
lungen, doch sind dieselben fast ausschliefslich Salzseen, von denen
die um den Hafen S. Julian ein sehr gutes Kochsalz liefern.
Das Klima von Patagonien ist nicht so unwirtlich, wie man
frilher nach Schilderungen von Reisenden annahm, welche direkt aus
der tropischen Hitze in diese südlichen Breiten versetzt, zwar den
Wärmeunterschied deutlich genug empfanden, doch nicht Zeit hatten,
sich daran zu gewöhnen, noch auch die mittlere Temperatur festzu-
stellen. Bis jetzt haben wir nur sehr wenig meteorologische
Beobachtungen, und diese beschranken sich fast ausschliefslich auf
die Küste. Damach ergiebt sich ein grofser Kontrast zwischen der
Ost- und Westseite der Andes, welcher offenbar durch die vertikale
Konfiguration des Landes bedingt Ist.
Auf der ersteren ist bis zum 50. Breitenparallel das Klima ein
mildes und die mittlere Jahreswarme nicht viel tiefer als die im
südlichen Teile der Trovinz Buenos-Aires, was der geringeren Menge
der jährlich fallenden Regen zuzuschreiben ist. Für den unteren
\:\\\{ des Rio Negro mag hier das Resultat 20jiUuiL^t'r IJeobaclitnniie?!
gelten, welche Herr Caronti soeben über Bahia Bianca veröffentlicht
bat, da diese Stadt auf derselben Breite mit dem Zusammenflusse
des Limay und Neuquen, und nur 2® nördlicher als Carmen de
Fatagones liegt.
mttlere Temperatur von Bahia Bianca 1859—1879
(in Gentigraden).
Sommer Herbst Winter FrQhling
Maximum 38,6 • 33,t« 22,« • 34,7«
Minimum 8,i<» 0,o*» S,!« 0,5 »
Mittel 23,0» 15,5 8,«« 15,7°
Ks stellt sicli also die mittlere Jahrestemperatur auf -[- lö,?»" C,
mithin ähnlicli wie in der Kapstadt.
Das aul'serste Maximum wurde mit 40,6" und das äufserste
Minimum mit — 5,5** beobachtet.
Die mittlere Regenmenge betrug während dieser Zeit: im
Sommer 134,i mm, im Herbst 146,s mm, hu Winter 62,s mm und
Digitized by Google
— 234 —
im Frühling 141, ••. iniu. Drei von diesen 2() Jahren waren sehr
trocken, und fünf hatten nnr wenijj ]{i'uen. l>as Mittel von — 64
ist 367,4 mm, das von 18ÖU — 69 ergiebt 415 nnn, das von 1860 — 74
445 mm und das von 1860—70 ist sogar 484.4 mm. Wahrend der
ganzen Zeit fiel dreimal Schnee; doch schmolz derselbe nach wenigen
Stunden.
Ober das Klima des Rio Chnbnt sagt der Beisende Moreno,
welcher die dortige Kolonie im November und Dezember 1876, also
im Frdhling, besuchte, daTs die mittlere Temperatur wahrend dieser
Zeit sich auf 11 ^ G. stellte, sowie dafs häufige, aber kurse Regen
schauer oft in einer halben Stunde ein Sinken des Thermometm
von 15 auf 10^ bewirkten. Audi dort fallt selten Schnee im Winter,
und am Mittage herrscht stets eine Irühlingsteniperatur, wenn nicht
etwa der Himmel bewölkt ist. Ks rennet weni^'er als in Bahia
Bianca. Das Klima wird im allgemeinen mit dem von Tatagones
verglichen.
Von Chubut südlich verringert sich die an der Küste fallende
Regenmenge mehr und mehr, erreicht ihr Mininmm zwischen dem
47. und 48. Grade, also um dem Puerto Deseado herum, und nimmt
dann stetig nach Sttden hin zu. Schon in Santa Cruz, wo die Breite
des Festlandes sich ansehnlich vermindert, regnet es häufig, wenn-
gleich in kurzen Schauem. Ober das dortige Klima liegen nur
vereinzelte und höchst unvollkommene Beobachtungen vor. Eine
derselben ist wahrend der Monate Juli und August 1879 aof der
dortigen Marinestation ausgeführt und liefert folgendes Resultat:
Maximum Minimum Mittel
Juli ll,oO — 8,5 •
August IIV»"* — 14,5» +4,oO
Wir haben also für diese beiden kältesten Monate eine mittlere
Temperatur von 4" i^,« " ^^
Auch Musters, welcher von Apnl bis Juli 1869 auf der in diesem
Flusse gelegenen Insel Pavon verweilte, giebt den tiefsten Thermo-
meterstand in letzterem Monate auf — 8^ an; w&brend Moreno auf
seiner Reise nach den Quellen des Santa Cruz von Januar bis Mftrz
1877 eine mittlere Sommertemperatur von 11 ® C. beobachtete. Wir
wurden also ein Jahresmittel von +7^^ erhalten, wenn es anders
statthaft erscheinen dürfte, Schlüsse aus so lückenhaften Daten zu
ziehen; es wäre das ungefähr die Temperatur von Kopenhagen.
SQdlich von Santa Cruz, oder vom 50. Grade an, wo die sich
verflachende Konlillere nidii mehr im Stande i.st, die be.stftndig
wehenden feuchten Westwinde abzuhalten, wflchst der Wassergehalt
des Atmosj)hare in hohem Cirade, so dafs man diese ganze schmale
Digitized by Google
235 —
Spitze des Kontinentes in ihrem Klima völlig dem der Magalhaens-
strafse gleichstellen darf. Moreno vergleicht letzteres, freilich etwas
in Bausch und Bogen, mit demjenigen von Grofsbritanien „zwischen
dem Kanal nnd dem Norden Schattlands'*, und giebt die mittlere
Temperatur von Punta Arenas im Winter auf C. an. Eher
scheint es erlaubt, das Klima dieser Gegend mit dem der Falklands-
Inseln zu vergleichen, ttber welche vollständige Beobachtungen vor-
liegen, wonach sich ihre mittlere Jähreswftrme auf 8,5 ^ also ahnlich
der von Lübeck und Swinemünde stellt.
Das Klima der Westküste Patagoniens ist sehr feucht und
stürmisch; nach Fitzroy giebt es dort vielleicht kaum 10 Tage im
Jahre, an welchen kein Regen fallt, und nicht dreiüdg ohne heftigen
Wind. Das Land ist stets von Regen getrankt, der nie verdunstet,
bevor neue Schauer fallen. Dabei ist die Luft jedoch nicht kalt und
die Temperatur das ganze Jahr hindurch auffallend gleichraftfsig.
Das Thermometer sinkt selten unter -f- 4,:. " C. In Tort Otway, auf
46'' 50' Breite, beobachtete die Expedition des ^Beagle" während
19 Tagen des kältesten Monats (Juni) als Maximum -|- 10/.'^ und als
Mininuim — 2,r. ° C. Weiter nach Norden bessert sich das Klima
schnell, so dafs die Insel Chilot*, wenn aut'li noch immer häutigen
Stürmen ausgesetzt, sich doch schon * einer sehr angenehmen
Tem)>eratur erfreut und einer rüstigen und arbeitsamen Bevölkerung
zur Wohnstätte dient.
Vom Klima des Innern endliih besitzen wir zwei Scliiklerungen;
zuvörderst den interessanten Bericht des Kapitäns Musters. Freilich
konntt^ (lersel])e keine Instrumente, aulser einem Taschenk()iii])!iss. bei
sich führen, um nicht den abergläubischen Verdacht tler Indianer zu
erregen : doch ist ein Umstand vidlig genügend für den Nordeuropfter,
um sich daraus ein Urteil über die Temperatur jener Gegenden
bilden zu können. Wenige Wochen nach seinem Aufbruche von
Santa Cruz im strengsten Winter (Ende Juli) und nach einigen
schweren Schneestürmen zog der kühne Reisende es vor, die Lebens-
weise seiner Begleiter selbst in der Kleidung nachzuahmen, um seinen
einzigen europftischen Anzn^ zu schonen, und ritt demzufolge einfach
nackt, nur mit einem losen Fellmantel (quillango) bekleidet. Die
Witterung ist also jedenfalls eine milde. Es regnet häufig ani l ulse
der Kordillere, an dem entlang sein \Veg führte; doch notiert er
auch zwei Schneestürme, am 27. November und 28. Februar, welche,
aus den Schluchten des riebirijes hervorltrechend, seine Haut für
kurze Stunden höchst unangenehm berührten. Gleiches kommt aller-
dings auch im Süden der Provinz Buenos-Aires vor.
Digitized by Google
— 236 —
Aufiserdem wurden im Fort Junin, am Fnfise der Anden, unter
70*^ 50* W. L. Gr. und 39*> 54' S. Br. und auf 850 m fl. M. folgende
Temperaturen beobachtet:
Maximum
17.-31. Ifftrz 1883 20<» G.
April „ 26 •
Mai „ 16«
Mithin ist auch der Spätherbst auf anselmlicher Meereshühe
und am Ful'se der schueebedeckteu Kordillere noch duichaus
erträglich.
Tafel 2um Vergleicli der mittleren Temperaturen,
in Centigraden.
Minimum
0* C.
— 6»
— 8»
MHtel
9,9» C.
5,08«
,
Orte
bU
Wkrm
Afra
bin
Juni
1
bis
September
Dezember
1 Mlttl^TO
JahrM-
temp«r»tur
Bio de Janeiro
96»6
23,6
213
24,4
1 +24.«
Montevideo
26^0
16,6 '
14,9
21,8
' 4- 19,3
Buenos-Airee
23,0
13,9
12.0
20,0
+ 17,2
Kapstadt
Vd^
14,9
14,1
17,0
1 + 16»0
Bahia Bianca aud
Carmm dt Palagiitus
23,0
15,5
8,9
15,7 1
+ IÖ3
Berlin
,1,76
13,0
17,0
43
Bremen
l,2ö
12,6
16,6
+ »3
Swinemündc
— 1,26
10,0
17,6
53
+ 83
Futrte Junin
9,6
runia Arenas, ahulich den
Falklands-luäeln
12,0
8,0
4,8
9,0
Lftbei^
0,6
11,8
16,0
4,5
+ 83
Edinburgh
3,60
10,0
133
6^6
+ 73
Kopenhi^n
- 0,4
10,6
15,9
43
4- 73
SoM/a Crm
11,0
3.6
+ 7,3
Dnnng
- l,ß
11,0
16,0
4,0
+ 7.1
Königsberg
— 0.4
10,1
15.1
2,0
+ ß.'^
i:?tückholm
- 3,1
8,7
14,7
2,4
+ ö.ti
Glirwliaiua
— 3,5
9,8
153
0,8
+ M
Petersborg
- 7,6
8^6
IM
- 1,3
-f 83
Die Flora und Fauna Patagoniens sind nicht reich, was teils
der mangelhaften Bewässerung, teils der geognostischen Beschaffen-
heit zuzuschreiben ist.
Auch in der VegeteHm zeigt sich ein grofser Kontrast zwischen
dem dttrren Osten, dem gemäfsigtcn Innern und der regenreichen
Westkflste. Letztere, bis hinab zur Halbinsel Braunschwei^, ist fast
überall dicht bewaldet und bietet wertvolles Bauholz. Im Norden
finden sich bis zur Halbinsel Taitao kostbare Nadelhölzer, als: die
l'itzroyia patagouica, Libocedrus tetragona, Araucarien und anilere,
Digitized by Google
237 —
welche schon jetzt von den Chiloten ausgebeutet werden. Weiter
nach Süden treten zwei Duchenarten auf, deren eine die Blätter
uiclit ab\Yirft, und der Winterrindenbauni, eine ebenfalls immergrüne
Baumart. Auch an der Nordkü.^to der Magalhaensstrafse finden wir
eine Cedernart (Tiiuya Tetragona Hooker), jedoch nur zwischen Kap
Froward und Port Gallant. Diese Bäume erreichen sehr bedeutende
Dimensionen; Stämme der immergrünen Buchen von 3 F. Durch-
messer sind gewöhnlich, selbst solche von 4 F. häufig, und an der
MagälhaensstraCse wurde einer von Kapit&n King gemessen, der bis
17 F. über den Wurzeln 7 F. im Durchmesser hatte. Auch in Port
Otwaj, wo der Wald bis zum Wasserrande hinabsteigt, konnte
Kapitftn Stokes einen Balken von 30 F. über 13" zum Ausbessem
des nBeagle' schneiden lassen. Das Holz dieser Bäume ist sehr
jj;ut zum Schiffbau zu verwenden, die Kolonie Punta Areuas ist fast
ganzlich damit eriiclitct, und schon 17G4 holte Bougainville von
hier das Material für die Häuser meiner Niederlassung auf den
Falklands-Iuseln.
Natürlicli wirken an den weniger geschützten Stellen der West-
küste die schweren Stürme auch auf den Baumwuchs ein, indem sie
denselben verkrüppeln und ihn zwingen, sich mit tausend Armen
dicht über dem Boden hinzuziehen. Da aufserdem ein dichtes Busch-
werk seine Zweige in die Äste der Buchen hineinschlingt, so ent-
stehen oft völlige Plattformen, über welche man hinwegkriechen
mufs, um vorwärts zu kommen. Schon Sarmiento erwähnt diesen
Umstand in seiner Beise von 1580 und erzählt, dafs er oft nicht
durch, sondern über den Wald gegangen sei.
Das Unterholz pflegt sehr dicht zu sein und wird von einer
Menge verschiedener Piianzen gebiUlet. unter welchen zwei Berberis-
arten fcalafate). ein Arbutus, eine Johannisbeere und Fuchsien die
gewohnlichsten sind. Eine kriechende Myrtusart, unserer Heide
ahnlich, überzieht den Boden zwischen anderen Pflanzen und bietet
rote sehr fleischige Beeren von angenehmem Geschmack. Auch der
Calafate und jene Johannisbeeren haben vortreffliche Früchte. Wilde
Sellerie und verschiedene antiskorbutische PHanzen finden sich in
groDser Menge an der ganzen Süd- und Westküste, und von Kultur*
pflanzen gedeihen in Punta Arenas: Hafer, Gerste, Roggen und
Kartoffeln, femer, und zwar in grofser Üppigkeit, an Gemüsen: Kohl,
Blumenkohl, Kopfsalat, Mohrrüben, Radieschen, rote und welfise
Rüben und Sellerie.
Das Innere des Landes zeigt auch am östlichen Abhänge der
Andes die kräftige Vej^etatiou der Westküste. Moreno fand die
beiden vorerwähnten Biichenarteu in dichten Wäldern vereinigt,
(ieogr. Blätter. Bromeo 1884. 17
Digitized by Google
— 238
sowie anch Exemplare von Libocednis tetragona an den Westufern
der Qnellseen des Santa Cruz, er spriebt mit Bewunderung von den
prächtigen Fuchsias und Farrn, welche dieselben schmücken. Ebenso
entzückt ist Musters über die majestätischen Wahlungeii von Buchen
und Araukarien, die er auf seiner Exkursion von Weckel aus (43
südl. Breite) zur Wasserscheide der Kord illere hinauf antraf. Grofse
Felder von Erdbeeren bedeckten den lUtden und ein üppiger Rasen-
teppich zo'j, sich unter den hundertjährigen Stämmen dahin. Audi
schildert er eine Art wilder, sehr schmackhafter, unseru Bataten ähn-
licher Kartoffeln. Die £benen am Fufse des Gebirges sind mit dichtem
Grase bedeckt und malerische Gruppen von Weiden bezeichnen den
Lauf der Flüsse. Besonders hervorsuheben ist der stattliche Baum-
wnchs, welcher die Höhen um den See Nahuel-Huapi herum schmückt
Dort finden sich ausgedehnte Wftlder von Araukarien und Cypresseo,
wahrend die wahrscheinlich von den Jesuiten eingeführten Apfel-
baume völlige Forsten bilden. Selbst weit östlich dieser privilegierten
Zone fand Musters in Mackinchau, Treneta und anderen Stationen
seiner Reise, bis zur Sierra de Valcheta hin, ausgedehnte gut be-
wässerte Ebenen, welche den Indianern zu last ständigem Aufenthalt
dienen. Ein sicheres Zeichen für die Fruchtbarkeit der Gegend; was
übrigens auch Moreno bestätigt.
Die riachen, mit Trümmern hesäeten Repfionen der Ostküste
freilich gewähren einen dürren, trostlosen Anblick; sie ernähren
tiberall dieselben verkrüppelten, zwerghaften Bflanzen und domigen
Gebüsche. Unter letzteren ist besonders der Calafate vorherrschend
und ein dem Balsam->bog der FalUands-Inseln ahnlicher Strauch, der
Incienso, welcher das hauptsachlichste Brennmaterial liefert Der
Ghubut und zumal der Rio Negro besitzen schöne Wiesen und
letzterer auch ausgedehnten Bestand von Weiden und Melles. Ebenso
erzeugen die übrigen Flüsse und periodischen Wasserl&ufe in ihrem
Oberschwemmnngsgebiet gute Weidefiachen; doch die Ebene selbst
ist meistens mit dem groben Basto Buna der Bampas bestanden,
welches übrigens auch in Argentinien als treffliches Futter gesdiätzt
wird und hier jedenfalls trotz seines ärmlichen Aussehens Tausende
von (Uianakos zu ernähren im Stande ist. Südlicli von Santa Cruz,
wo der Einriul's der feuchten Westwinde schnell fühll»ar wird und
häuliger Regen den Boden netzt, gestaltet sich auch die Grasnarbe
dichter und üppiger und zahlreiche Bäche bewässern den Boden, so
dafs besonders vom Rio Gallego ab die ganze Südspitze des Konti-
nentes als sehr wohl zur Viehzucht geeignet anzusehen ist Dies
bezeugen nicht wenige Bindvieh-Estanzien, welche von den Chilenen
dort angelegt, sich eines ersichtlichen Gedeihens erfreuen.
Digitized by Google
^ 239 —
Die Produkte des Ackerbaues sind in Viedma und Carmen
de Patagones dieselben wie in der Provinz Buenos-Aires. Weizen
and Wein sowie alle Gartengewächse gedeihen ausgezeichnet, und die
Yorzüglichkeit der Früchte, besonders der Äpfel, Pfirsiche und
Kirschen wird gerflhmt
Am Ghnbut wird Terh<nismftfoig wenig Weizen gebaut; doch
produziert der Boden alle FeldMchte des nördlichen Deutschlands,
als Koggen und Hafer, Mais, Kartoffeln, Bohnen, Erbsen, Luzerne
und die ganze Reihe der Gartengewachse.
Schon flüher wurde der verwilderten Kirsch- und Quittenbäume
in Puerto Deseado gedacht. Und wenn auch auf der Insel Pavon
(Santa Cruz) der Ackerbau nur als Nebensache getrieben wird,
nämlich um den Tisch der dortigen llandelsstation mit frischem
Gemüse zu versehen, so beweist dieser Umstand doch zur Genüge,
dafs Kartoffeln, Mais und sämtliche Gartenprodukte leicht und
sicher zu erzielen sind, während das Beispiel von Punta Arenas die
Gewifsheit eines vorteilhaften Anbaues auch der dort gedeihenden
Gerealien liefert.
Die Fama Patagoniens trftgt durchaus den Charakter eines
gem&fsigten Klimas. Das eigentflmlichste und wichtigste Säugetier
ist das Gnanako, dessen abenteuerliche Gestalt schon die Aufmerk*
samkeit Pigafettas erregte, jenes Chronisten der ersten Welt-
umsegelung. Dies interessante Tier, „halb Kamel und halb Schaf"
vertritt hier die Antiloi)enhcrden der alten Welt und findet sich
durch das ganze Territorium, ja selbst über das Feuerland hin ver-
breitet. Gewöhnlich lebt es in kleinen Hudeln von 10 bis 30 Stück,
doch sieht man auch Herden bis zu 500. Sein Fleisch bildet das
wichtigste Nahrungsmittel der Eingeborenen und seine Haut das
Material für ihre Zelte und Kleidung. — Ebenso nützlich, aber schwerer
SU erlegen ist der Hu^mul oder chilenische Hirsch, welcher die
Gebirge der Andes bewohnt, wahrend der EQrsch der argentinischen
Pampa nur im Norden am Rio Negro entlang angetroffen wird. —
Charakteristisch für die sterile Kastenzone sind femer der patagonische
Hase und eine Art Meerschweinchen, sowie eine grofse Anzahl ver-
schiedener Nagetiere, deren eines, der tucutuco, den Boden derartig
unterwühlt, dafs ein Pferd oft kaum im Tiab, geschweige denn im
Galopp darüber hinzuführen ist.
Von Raubtieren sind am bemerkenswertesten der Puma oder
amerikanische Löwe, der besonders dem Guanako nachstellt, die
kleine Pampa-Katze und ein kleiner zierlicher Fuchs. Musters fand
eine sehr groise Otternart in den Gewässern des Innern, welche
Ton den Indianern Wassertiger genannt, ihm einmal sogar ein
Digitized by Google
— 240 —
ganzes Guanako ins Wasser zog uiiii verzehrte. — Der von ilon
Indianern viel gehaltene Hund stammt ortV'nl)ar von dvin ämrh die
Spanier eingeführten europäisclien al): docli findet .sich auch die nackte,
amerikanisch*' Sj^ecies. — Vcrwikierte Kinder und Pferde lialtcn
sich in ganzen Herden an den Abhängen der Kordillere anf: auch
ein wihlea Schwein, welches am Rio Ncgio vorkommt, ist wahr-
scheinlich enrop ii<chen ürspmnixs. — Die Indianer besitzen ziemlich
Tiel zahme Pferde, die unansehnlich und noch kleiner als die argen-
tinischen, trotzdem wegen ihrer groben Ausdaner berühmt sind.
Schafe und zahmes Rindvieh werden mit gutem £rfolg in allen
Niederlassungen von Rio Negro bis zur Magalhaensstrafse gezüchtet
Unter den Vögeln haben wir besonders den ainerikanischeu
Straufe oder Nandu hervorzuheben, welcher neben dem (Juanako das
fast ausschlieDsliche Nahrungsmittel der Eingeborenen bildet. Es
kommen eine grdfsere uud eine kleinere Art vor, jene bevölkert den
Norden, diese den Süden des Landes in grofsen Schaaren. Oft sieht
man sie mit den Guanakos untermischt weiden. — Von Raubvögeln
findet sich der Kondor über das ganze Gebiet verbreitet, er nistet
selbst anf den Felsen der Küste; auch sind mehrere Falkenarten
beobachtet worden. — ~ Verschiedene si)erlingsartige Vögel, Finken,
Zaunkönige und aiu h eino singende Drossel sind niclit selten. Papa-
geien beleben in giol-ün I iiigen die Wnldor de^ fiebirges. wo am Ii
Spechte und andere Klettcrvögel angctroti'en werden, selijst Kolibris
sind durchaus nicht selten bis hinab zur Magalhaensstrafse. —
Wasser- und Sumpfvögel sind natürlich im trockenen Osten nicht
häufig; doch finden sich an den salzigeii Seen scharenweise der
feuerrote Flamingo, die rosenfarbige Löfi'elgans, sowie Regenpfeifer
imd Wasserlaufer; während der amerikanische Storch, Schwftne,
Gänse, Enten, Wasserhühner und Kibitze die Seen und Flüsse des
Innern beleben. — Die Klippen der Küste sind von Pinguinen und
anderem Meergevögel dicht bevölkert, so dafs schon manche Ladung
Guano von dort ausgeführt wurde, und die Reisenden früherer Jahr-
hunderte oft ihre Schifte an einem einzigen Tage für Monate ver-
proviantieren konnten.
Süfswasserfische bietet die Mündung des Santa Cruz in an-
sehnlicher Menge; doch fand Moreno deren wenige in seinem obern
Laufe und in den Qnellseen, da die reifsende Strömung des ersteren
und das eisige Gletscherwasser dieser ihnen nicht zuzusagen scheinen.
Dagegen spricht Musters mehrmals von vielen und grofsen Fischen,
welche die Gebirgsströme beleben, und deren Fanj? und Genufs er
den Indianern lehrte. Auch der Rio Xegro ist reich an Fischen.
— 241 —
Reptilien sind sehr selten; doch fand Darwin 9 verschiedene
Speeles von Eidechsen.
Die SeekOste war früher Überreich an Robben, namentlich an
Ohrenrobben, welche hier zuerst von Pigafetta gesehen und be-
schrieben wurden; doch haben dieselben wegen der eifrigen Nach-
stellungen ziemlich abgenommen und sich auch an der Westseite in
die innersten, schwer zugänglichen Kanäle und Fjorde zurückgezogen.
Im Sir George Eyre-Sound fand die Expedition der „Adventure"
mehrere grol'se Lagerplätze, sogenannte Rookcries, von Robben, wo
dieselben sich zu vielen Tausenden versammeln, um ihre Jungen zu
werfen; dergleichen Stellen ^ind unzweifelhaft noch in vielen jener
einsamen Gewässer vorhanden. Auch die Walfische haben in den
benachbarten ^leeren etwas abgenommen. Trotzdem beschäftigt sich
noch eine ziemliche Anzahl von Schiffen mit Robbenschlag und Wal-
fischfang. Genaueres ist darüber nicht festgestellt, da die argen-
tinische wie die chilenische Begiernng bis jetzt nur eine nominelle
Aufsicht über jene Gew&sser führen.
Die Bevdlkmmg des Gebietes besteht, mit Ausnahme der spater
anzufahrenden Kolonien, aus unabhängigen Indianern, deren hervor-
ragendste Häuptlinge oft sowohl von der chilenischen, als von der
argentiniselieu Regierung Subsidieu beziehen, je nachde^i sie sich
in der einen oder anderen Niederlassung zum Eintausch europäischer
Artikel einfinden.
Den Namen Pataponier gab ihnen schon Magalhaens, der sie
zuerst (1520J im Hafen San Julian kennen lernte, wegen der un-
förmlichen Gestalt ihrer Füfse, welche sie mit einer Art von Schuhen
ans Guanakofcllen bekleideten. Die Fabeln der ersten Seefahrer
über ihre riesige Gestalt sind längst geschwunden; doch sind die
Patagonier wirklich durchgängig von grofser Statur, so dafs Fitzroy
bemerkt, er habe zwischen 2 — 300 Männern kaum ein halbes Dutzend
unter 5' 9"— 10" englisch (1,75—1,78 m) gefunden; auch die Weiber
seien im selben Verfaältttisse grofs, und er habe nirgend anderswo eine
Versammlnng von Personen beider Geschlechter getroffen, deren durch-
schnittliche Gröfse derjenigen der Patagonier nahe j^ekommen wftre.
Auch d Orbigny, der eine grofse Zahl derselben genie^sen, giebt das
Mafs des gröfsten auf 1,92 ni und den Dnrehschnitt auf 1,73 m;
ebenso wie Moreno, der von vier Individuen das Mittel vou 1,66 m
zog und den gröfsten derselben 1,86 m hoch fand.
So sind denn die Patagonier jedenfalls eine grofse und
herkulische Menschenrasse: ihr Körper ist kolossal, Kopf und
Gesichtszüge breit, Hände und Füfse jedoch verhältnismässig klein.
Ihre Farbe ist ein helles Bothbraun, das Kopfhaar, welches sie un-
Digitized by Google
— 242 —
bedeckt und nur mit einem Bande zusammengehalten tragen, ist
schwarz, grob und schlicht; im Gesiebt und am Körper sind sie
wenig behaart Der Bart and oft auch die Augenbrauen werden
mit einer Pinzette entfernt; wenn sie auch Lippen und Nase nidit
durchbohren, so entstellen sie doch ihr Gesicht nicht wenig durch
groteskes Bemalen in Form Yon Kreisen um die Augen oder von
breiten Streifen über dasselbe in rot, schwarz nnd weifs. Ihre
Tracht besteht in einem weiten Mantel aus zusammengenähten
FelleD, der lose von den Schultern bis zu den Fersen herabhängt,
und dea auch in Argentinien gebräuchlichen Botas de Potro, aus dem
Kniegelenk einer rohen Pferdehaut gefertigten Stiefeln. Um die HttfLen
tragen sie dfters den Ghiripa, das helfet eine grobe Decke, welche
zwischen den Schenkeln hindurchgehend, vom and hinten durch einen
Ottrtel befestigt wird. Die Mftntel (([uillangos) werden aus den zarten
Fellen der jungen Guanakos zusammengesetzt und mit den Haaren
mich aufsen getragen, wahrend die innere Seite roh bemalt ist. Die
Frauen sind ebenso wie die Männer gekleidet, nur dafs sie noch
einen kurzen Unterrock tragen, dessen Material ebenfalls weiche
Felle oder auch eine grobe Decke eurüiJiiischer oder chilenischer
Manufaktur bilden. Sie ordnen ihr Haar in zwei glatte Flechten,
welche zu beiden Seiten des Kopfes auf die Schultern herabhängen.
Schmuck aus Glasperlen oder Silber wird hochgeschätzt.
Die Waffen dieser eigentlichen Patagonier, welche im Laufe
der Zeit zu einem Reitervolke geworden sind, bestehen in langen,
eisengespitzten Lanzen aus dem chilenischen Coligue-Rohr mid den
bekannten boleadoras; doch besitzen auch viele von ihnen Sübel.
sowie Feuerwaffen, besonders Revolver, welche sie in den Nieder-
lassungen der Küste einhandeln.
Auf höchst einfachen Satteln aus Holz und Fellen, mit Steig-
bügeln und Sporen von Holz und oft nur mit einem Hautstreifen
als Gebifs und Zügel, dirigieren sie ihre kleinen, ausdauernden Pferde
. mit grofser Sicherheit in den täglichen Jagden auf Guanakos und
Straufse. Ks sind dies stets Kesseltreiben, welche einen beträcht-
lichen Kreis des Distriktes umfassend, das Wild mit Hülfe der Hunde
auf einen Punkt zusammenfühien, wo dann die Tiere mit den bolas
niedergeworfen und mit dem Messer abgefangen werden. Löwen
ondFttchse, die fast nie in einem solchen „Gerco" fehlen, sind stets
willkommene Beute und das Fleisch der ersteren ist hoch gesch&tzt
Wahrend so die Jäger für den t&glichen Nahrungsbedarf sorgen,
haben die Weiber schon m aller Frohe das Lager abgebrochen, die
Zelte und wenigen Gerfttschaften auf die Lasttiere verhiden, und den
Marsch zum nächsten Halteplatze angetretra, welcher vom Häupt-
Digitized by Google
— 243 —
ling vor dem Aufbruche bezeichnet wurde, und dessen Auswahl durch
die Erfordernisse an Wasser, Weide und Wild bedingt ist. Hier
werden iu kurzer Zeit die Zeltstaugen aufgepflanzt, Querstabe daran
gebunden und eine grofe aus Guanakofellen zusammengenähte Decke
darüber gezogen. Diese „Cau's" sind ziemlich ger&nmig, da sie wohl
1,70 m Höhe am vordem Eingang haben, der stets nach Osten
gerichtet ist, und sich bei einer Länge von 4,50 bis auf 1,00 m
Höhe der Hinterwand zum Boden hinabziehen. Die Breite ist ver-
schieden; doch gehören gewöhnlich 40-^ groüse Felle za einer
einzigen Bedachung. Inwendig ist das Zelt dorch Vorhänge von
Häuten in mehrere Schlafräunie geteilt; einige Decken und Polster
bilden das ganze Mobiliar.
Nach beendigter, mehr oder weniger erfolgreicher Jagd laugen
auch die Männer mit ihrer Beute an, und die Mahlzeit mit darauf
folgender Pfeife Tabak, sowie an festlichen Gelegenheiten ein
solenner Tanz mit allgemeinem Trinkgelage beschliefsen den Tag.
Der folgende Morgen aber bringt stets dieselbe Jagd und gewöhnlich
den gleichen Marsch, da nur an besonders guten Stellen längere Zeit
hindurdi gelagert wird, um den Pferden Ruhe zn geben.
So ziehen die Stämme der südlichen Patagonier von Ponta
Arenas nach Santa Cruz; firtther erstreckten sich ihre Wanderungen
auch bis zum Lande der Manzaneros, hoch im Nordwesten, zwischen
dem Lima und Nenquen, um den Erfolg ihrer Jagd gegen enropftische
Erzeugnisse, besonders Decken, Waffen, Tabak und Branntwein ein-
zutauschen, welchen letzteren sie oft in einem einzigen, tagelang
andauernden Gelage konsumieren. Die nördlichen Indianer besuchen
vorherrschend Chubut und Carmen de Patagones; doch zogen sie
ebenfalls zum Lande der Manzaneros, welches uiclit blos Äpfel und
eisbare Tannenzapfen, sondern auch grobe Decken produzierte, und
wohin die chilenischen Händler mit Branntwein oft ihren Weg über
die Gebirgsi)ässe fanden.
Der Besitzstand der Patagonier bezi£fert sich hanptsAcldich nach
den Pferden; doch eignen selbst die Reichsten kamn mehr als 40 bis
60 Stttck teils Zucht-, teils Reittiere. Trotzdem whrd keine feierliche
Gelegenheit ohne Tötung mehrerer Stuten begangen, deren Fleisch
als höchster Leckerbissen gilt, so dafs hieraus wohl der verhftHnis-
mäfsige Mangel dieser Tiere zu erklaren ist. Nur die Manzaneros
besafsen einige Heerden von Schafen und Ziegen, wie sie denn auch
überhaupt auf höherer Kulturstufe standen.
Von Natur friedfertig, offen uml ehrlich, befinden sich die wenig
zahlreichen Horden dieser Kingeborenen schon seit langem in freund-
{»chafüichen Beziehungen mit den spanischen Niederlassungen; und
Digitized by Google
— 244 —
auch unter ihnen selbst entstehen -fiten anders Zwist iL^keiten. als
im Zustande der höchsten Tnmkenlicit, wenn die vorsichtigen Häupt-
linge nicht etwa sämtliche Watfeu verborgen haben, oder im
Falle einer Blutrache, die, oft jahrelang unterdrückt, bei passender
Gelegenheit zum Austrage kommt.
Die Yotkszalil der Patagonier ist gerin;^. Fitzroy nimmt die
sämtlichen Bewohner des Gebietes vom 40. Grade südlich, mit
Einschlufs des Feuerlandes und zu beiden Seiten der Kordillere auf
etwa 4000 Erwachsene an, so dafs auf die eigentlichen Tehuelchen,
• wie sie sich selbst nennen, vielleicht 2500 Erwachsene und im ganzen
etwa 5 — 6000 Seelen kämen. Dagegen führt Musters, der sicherlich
am besten unterrichtet war, sogar nur 1400 Seelen als die äufserste
Zahl der Patagonier an. Wenn man nun in Rechnung zieht, dafs
Fitzroy mir die Küsten des Landes besuchte, also leicht irren konnte,
und dafs in den 46 Jahren, welche seitdem verflossen, die zwei
Hauptfeinde aller Indianerstamme, Blattern und Branntwein, nach-
weislich sehr stark unter ihnen aufgeräumt haben, so gewinnt die
letzte Schätzung einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit.
Diese höchst geringe Zahl ist in der letzten Zeit noch etwas
durch Zuzüge von Maiizancros und Pampas -Indianern vormehrt
worden; doch ist es bis jet/t nicht möglich, dieselbe auch nur
annähernd zu bestimmen. Als nämlich die argentinische Kegierung
in den Jahren 1878/79 die Südgrenze bis zum Rio Negro vorschob,
wurde das ganze ungeheure Territorium der Pampa von Indianern
gesäubert Viele derselbe erlagen in den häufigen und hartnäckigen
Gefechten den besseren Wa£fen der disziplinierten Truppen, und der
Rest, etwa 5000 Seelen, zog sich teils nach Westen zu den stamm-
verwandten Araukaniem, teilweise aber auch nach Sflden in das
Gebiet von Patagonien.
Später, im Jahre 1883, wurde auch das Land der Manzaneros
von den argentinischen Truppen besetzt, und seine kriegerischen
Bewohner unter ihrem grofseu Häuptling Shaihueque nach Süden
gedrängt. Auch dorthin von fliegenden Kolonnen verfolgt, erlitten
die vereinigten Manzaneros und Pampa -Indianer mehrere schwere
Schläge; gegenwärtig unterhandeln sie wegen ihrer völligen Unter-
werfung mit dem Kommandanten der Militärgrenze. Vorläufig sind
wir natOrlich aber ihre Anzahl im Dunkeln.
An der Küste des Stillen Oceans endlich, von Chiloe bis zur
Magalhaensstrafse, hauscMi wenige zerstreute Horden, welche Chonos
genannt werden und aiTj-f^nhlicklich nur ^'egen 400 Erwachsene zählen
dürften. Sie leben auäschlieislich vom Fisclifang.
— 246 —
Vier Niederlassungen civilisierter Nationen existieren zur Zeit in
PataL^onien, deren drei auf argentinischem und eine auf chilenischem
Boden gelegen sind.
Viedma, die Hauptstadt des Torritoiio de hi Patagonia, liegt
am ISüdufer des Rio Kegro, gegenüber von Carmen de Patagones,
als dessen Vorstadt es unter dem Namen La Merced bekannt war.
Als nun Tor vier Jahren eine eigene Begiemng für Patagonien
geschaffen warde, trennte man das Stadtchen von seinem früheren
Mnnicipalvertiande und erhob es zum Sitze des Gouverneurs, welcher
seine Wtlrde allerdings noch sehr In partibus infidelium verwaltet.
Die neue Hauptstadt wurde schon 1780 von Antonio de Viedma
gegründet, doch sehr bald wegen einer grofsen Überschwemmung
verlassen und auf das hoho nördliche I'fer verlegt, wo sich die
weniiren spanischen Ansiedler unter loitwilhrcuden Gefahren und
Entbehrungen ein Jahrluindei t lang gehalten haben, bis endlich jetzt
sich ihnen eine schönere Zukunft eröffnet. Viedma hat vielleicht
1000 und Carmen nach der letzten Volkszählung von Buenos- Aires
1843 Einwohner. Die Städte liegen 30 km von der Mündung des
Flusses, dessen Barre von Schiffen bis zu 12 F. Tiefgang passiert
wird. Regierungsdampfer tmterhalten eine monatliche Verbindung
mit der Hauptstadt der Bepublik und der Telegraph vermittelt den
schnellen Verkehr nicht nur zwischen diesen Städten, sondern auch
den Bio Negro hinauf bis zur eben gegrflndeten Stadt Boca, unter-
halb des Zusammenflusses des Limay und Neuquen. So entwickelt
sich denn jetzt ein geschäftiges Treiben in jenen so lange ver-
gessenen Städten. Es ist nicht mehr der geringe Tauschhandel mit
den Eingeborenen, welche Felle, Straufsenfedern und Mäntel zu
Markte bringen: sondern Viehzucht und Ackerbau machen rasche
Fortschritte und die Ver{)roviantierung der ausgedehnten I^inie von
MilitArstationen bis zum Ful'se der Kordillere selbst nimmt zahlreiche
Kräfte an Geld und Menschen in Anspruch. Schon jetzt gehen
Transporte von Schlachtvieh nach Chile über die Anden, und in nicht
zu ferner Zeit dürfte auch der Transithandel über den Nahuel-Huapi
zur Thatsache werden.
Das Fort S. Antonio, nahe an der Mttndung des Bio Valcheta,
in der Bai von S. Matias gelegen, wurde Anfang dieses Jahrhunderts
von den Indianern zerstört- und nicht wieder aufgebaut. Dagegen
haben sich in den letzten Jahren mehrere englische Scha£züchter
auf der Halbinsel Valdez niedergelassen, welche Wasser und feines
Gras in Genüge für diese Industrie bietet.
Die ivelscJte Kolonie, an den Ufern des Chubut. besteht aus
zwei Dörfern, Ire Rawsou und Gaimau, mit zusammen 700 Ein-
Digitized by Google
— 246 —
wohnern. Sie wunle 1865 gegründet und hat ungefähr 15000 ha
bebautes Land zu beiden Seiten des Flusses; der Viehstand besteht
ans etwa 1500 Stück Rindvieh, 500 Pferden und einigen Schafen.
Da die Einfahrt in den Flufs schwierig und nur für Schiffe von
7 F. Tiefgang mdglich ist, so bat man versucht, einen Hafen (den
Puerto Roca) im Golfe Nuevo anzulegen, wohin der Weg nur
70 km weit über ebeues, festes Land führen würde; doch ist es bis
jetzt noch nicht gelungen, dort trinkbares Wasser, selbst auf 80 m
Tiefe, zu erlangen. Sämtliche in Patagones angebaute Früchte
werden hier kultiviert, mit Ausnahme etwa des Weinstockes; doch
liilngt der Ertrag des Ackerbaues zum giofsen Teil von der Be-
rieselung der Felder und äOiUiit von der geschickten Ausnutzung des
Flusses ab.
Die alten spanischen Niederlassungen am Rio Deseado und
Hafen S. Julian (1780) wurden auf Befehl der Kolonialregierung
schon nach wenigen Jahren verlassen. Und wenn auch ersterer Punkt
die Möglichkeit einer erfolgreichen Besiedelung nicht aussehliefst
(seit kurzem befindet sich dort eine argentinische Marinestation), so
ist es doch zu verwundern, wie dem Scharn)licko eines Viedma die
grofsen Vorteile der Bucht von Sanüi Cruz entgingen, und wie es
müglicli war, dals derselbe den zwar sicheren aber von öden Salz-
steppeu umgebenen Hafen iS. Julian dieser letzteren vorzog.
Die Bucht von Santa Cruz gewahrt einen ausgezeichneten
Ankerplatz und ist verhaltnismälsig leicht zug&ngUcb, da auf der
vorliegenden Barre selbst zur Zeit der Ebbe noch 16 Fufs Wasser
bleiben. Sie besitzt Holz, Wasser und Verproviantierungsmittel (Gänse,
Enten und andere Wasservögel, sowie Fische) in Menge, und aulserdem
die Eigenschaften eines natürlidiou Trockendocks, das schon viele
Schitie mit Vorteil benutzt haben seit den Zeiten des Komthur
Loaisa, der hier seine Capitana kalfaterte (152ü) bis auf Fitzroy
undStokes, welche in ihr den^Beagle'' einer i;rüii(llichen Ausbesserung
unterzogen (1834). Der Unterschied nämlich zwischen Ebbe und
Flut ist so bedeutend (42 Fufs), dafs an den geeigneten Stellen die
Fahrzeuge völlig auf dem Trocknen bleiben und solchergestalt leicht
repariert werden können. Noch im Jahre 1867 wurde hier das
nordamerikanische Vollschifif »Greyhoond*' in wenigen Tagen durch
die eigene Mannschaft ausgebessert, während das Trockendock in
Rio de Janeiro für dieselbe Arbeit 2000 £ gefordert hatte.
Im Hintergrunde der Bucht, dort wo der Santa Cruz sieh in
dieselbe ergiefst, befindet sich auf der Insel Pavon die Nietler-
lassuug des allen wissenschaftlichen Reisenden jeuer Regionen bekannten
Digitized by Google
— 247
Kapitftns Piedrabuena,'^) welche einen ansehnlichen Nutzen aus dem
Robbenschlag und dem Tauschhandel mit den Indianern zieht
Weiter nach Osten, in der Bucht der Missionare, Hegt die Station
der argentiriijjcheu Hafenbehörde an demselben Platze, avo sich noch
vor kurzem das für Robbcn-schlag, Fischfang und Tlirangewinnung
eingerichtete l'tablissement des Herrn Roucaud (U'hob. Während
der Grenzstreitigkeiten z\vi<che!i den Nachbarrepubliken hatte letzterer
sicli mit Erlaubnis der argentinischen Ilegierung dort niedergelassen.
Doch ein chilenisches Kriegsscbiti' zerstörte die Baulichkeiten uud
führte den Eigner gefangen nach Valparaiso, v, .) er schliefslich seine
Freiheit, aber nicht sein Vermögen zurück erhielt.
Im weiten und grasreichen Thale des Rio Chico endlich hat
die Regierung einige Kolonisten angesiedelt und dieselben mit
Rindvieh, Pferden und etlichen Schafen ausgestattet, um auf diese
Weise einen Acclimatisationsversuch zu machen. Die Nachrichten
darCtber lauten sehr gttnstii?: es scheint nur darauf anzukommen,
den l'ieren während des Winters Schutz gegen die starken Sütlwest-
winde, sei es durch steinerne Pferche, oder durch vollständige
Schuppen und Ställe, zu verschalfen.**)
Punta Arenas, die südlichste Kolonie Patagoniens, bietet udü
einen schönen Beweis für die TreHlicbkeit seines Klimas und Bodens.
Ausschlielsiich zum Aufenthalt von Str&flingen bestimmt» wurde die-
selbe von der chilenischen Regierung zuerst in dem berüchtigten
Hungerhafen angelegt (1843), jedoch spater nach Punta Arenas
fibergefohrt Noch jetzt dient der Ort zur Deportation von Ver-
brechern und wird somit auch von militftrischen Gouverneuren ver-
waltet. Wenn nun auch eine derartige Administration selten
nennenswerte Resultate erzielt, so prosperiert das Städtchen dennoch
und hat etwa 300 Häuser mit 15(K) Einwohnern aufzuweisen.
Letztere leben grolsenteils vom Handel mit den die Meerenge
passierenden Schilfen und den nomadisclieii Horden der Eingeborenen.
Drei Sagemühlen verarbeiten die Stumme der antarktischen Buche
und eine Kohlenmine liefert reichliches, wenn auch mittelniäfsiges
Material. Die kleine Schweizerkolonie, Agna Fresca, 25 km süd-
lich vom Stadteben, treibt vorteilhaften Ackerbau, und mehrere
Etablissements für Rindviehzucht gedeihen vortrefflich am malerischen
Cabo Negro und nördlich der Landenge, welche die Halbinsel Braun-
sehweig mit dem Kontinent vereinigt.
♦) Er starb vor wenigen Monaten.
*♦) Nach einem amtlichen Bericht befanden sich dort im Mai diescb
Jähret 963 Stück Bindvieh, 331 Pferde, 825 Schafe and 130 Ziegen.
Digitized by Google
— 248 —
Schliefslich sei noch der Niederlassung gedacht, welche die
chilenische Regier nng seit einiger Zeit auf den Guaitecas- Inseln,
an der Westseite Patagoniens unter dem 44. Grade südlicher Breite
angelegt hat Bei der Oberaus gerin j:<'n geistigen Verbindung,
welche zwischen den Nachbarstaaten herrsclU, ist mir nur der Name
des dortium rrilfekten Hen n Wrstliort im Halen von Melinca hekamii.
Ist es doch als ob nicht die aü P;i<stMi reiche Kordillere, sondern
eine cliincsische ^^aue^ die Scheiic bildete zwischen den beiden
luäcbtigbteü und civilisiertebleu iiepubiikeu büdamerikas!
Dies ist in kurzen Umrissen das gelieinmisvolle und so viel
':c-<hmähte Patagonien, dessen unwirtliche Küsten während dreier
Jahrhunderte die grofsen Nationen der Erde von der Besitznahme
abgeschreckt haben, und welche nichts destoweniger ein der höchsten
Beachtung wertes Innere unischliefsen. Freilich war es Wenigen bis
jetzt vergönnt, einen Blick in dasselbe zu werfen; doch geht aus
sämtlichen Berichten klar hervor, dass am Ostabhange der Kor-
dillere sich ein prächtiger Streif fruchtbaren Landes mit ge-
mässigtem Klima hinzieht, dessen Breite auf niclit weniger als
150 — 2(K) km an/uiiehujen ist, wiihrenil seine Lilnize vom 8ee Nabuel-
Huapi zu (b*m <,|uellsystem des iSanta Cruz U Breitengrade, also
etwa KXX) km betrügt. Und nehmen wir hierzu noch die mehr
oder wenlLTcr breiten Flufsthaler des Rio Negro, Valcheta, Chubut
mit seinen zwei Hauptarmen, den unerforschten Deseado. sowie die
Nebentiüsse des Santa Cruz, Chice und Shehuen, so dürfen wir
dreist behaupten, dafs mindestens 212 000 qkm, gleich 3770 Geviert-
meilen, ackerbaufahige Flache vorhanden sind, ohne die ausgedehnten
Weideländer im Süden des Santa Cruz und die an der ganzen Ost-
kflste zerstreuten Oasen in Betracht zu ziehen, die jedenfalls auch
noch 1000 Quadratmeilen betragen. Freilich bildet dieses ansehn-
liche Gebiet (4700 Quadratmeilen) nur etwa den dritten Teil des
gesaraten Flächeninhaltes: doch dürfte sich schwerlich ein besseres
Verhältnis bei Veri^ku liung der kulturfilhi.uen uiul iler .^u rilcn Teile
Australiens und Südafrikas lierausstellen. Trotzdem ziehen dieselben
in so hohem (irade die Aiifiii*'rks;imkeit der Ati>wauderuniz auf sich,
während Patiij/onic^n mit >einem ;;emafsigten Klinui und mannig-
fachen Produkten bei den Kulturvölkern Kuropas unbeachtet bleibt.
Möchten denn diese Mitteilungen den ersten Anstofs geben zui'
besseren Würdigung' des Landes!
Zum Schluis überschauen wir noch einmal die Hülfsquellen,
mit welchen die künftige Bevölkerung rechnen kann.
Digiii^eu by Cookie
— 249 —
An der Küste sind das Thal des Rio Nei^ro, die Halbinsel
Valdez. der Chubut und das Nordafer der Magalliaensstrafse jeden-
falls für den Ackerbau geeignet, wenn derselbe auch schwerlich,
aufser an ersterem Flusse, in grofsem Mafsstabe betrieben werden
könnte. Dagegen finden sich in dieser Region viele Punkte, welche,
der Viehzucht günstig, reiche Weidegründe und auch genügend
Wasser darbieten. Das ganze Thal des Bio Valcheta, sowie die
westlich des gleichnamigen Gebirges gelej?eiien Lagerplatze der
Indianer in Trciieta und Mackinchau sind oluie alle Frage den besten
Terrains in Biicnos-Aires Lrleichzustellen, sowohl an Nahrhaftigkeit
und Übertluls der (iraser als an reichen '\VassLn(iuelh'n. Die Halb-
insel Valdez ist augenblicklicli schon hesiodelt, und der Küstenstrich
von dort zum Chubnt bedarf nur einiger Brunnen und Cistcrnen,
um ebenfalls völlig bewohnbar zu werden. Weiter nach Süden ist
die Bucht uiul das Flufsgebiet des Rio Descado unzweifelhaft für
Viehzucht geeignet, wie schon die alte spanische Niederlassang dar-
thut; und die tiefen Thftler, welche von Süden her in das Ästuar
des Santa Cruz münden, sind ganz besonders reich an Weide und
Wasser, ebenso wie die Niederungen, welche von den Flüssen Ghico
und Sheu4n durchströmt werden. Was endlich die ganze Südspitze
des Kontinents von Rio (jallegos ab betrifft, so darf man dieselbe
mit vollem Rechte als gutes Weideland bezeichnen.
Gerade diese Küste bietet aber auch anderweitige ergiebige
llülfsquellen für ein arbeitsames und einfaches Volk. Die Salzseen
um den Hafen von S. Julian, welche sich von dort bis zum Golf
von S. Jorge hinziehen, liefern ausgezeichnet reines Küchensalz
in groüser Menge, und besonders die in der Nahe des ersteren ge-
legenen sind höchst bequem zur VerschiÜiing dieses Artikels, welcher
eigentOmlicherweise bis jetzt noch aus Cadix nach Buenos-Äires ge-
bracht wird. — Guano wird in bedeutender Menge auf den Klippen
und Felsen gesammelt, welche die Buchten von Santa Elena und
Camerones, sowie den Puerto Deseado umgeben, und seine Aus-
beutung auf dem Monte Leon, südlich vom Santa Cruz, führte noch
vor wenigen Jahren zu einem geffthrlichen Konflikt mit Chile. —
Kobbenselüag und Walfischfang werden ebenfalls einen nahrhaften
Erwerhszweig für die Küstonbewohner bihlen. sobald nur erst ver-
nünftige Schonzeiten für diese Tiere eingeführt sind und ihr Fang durch
fremde Schifte verhindert wird. Besonders für Hohben bieten auch
die verscldungeneu Kanüle der Westküste treff'liche Jagduriinde,
ohne liier weiter das ausgedehnte Inselgewirr des Feuerhmdes er-
wähnen zu wollen. — Der Beichtum an Fischen in der Bucht von
Santa Cruz ist so groHs, dals Musters allen Ernstes die Ausfuhr
Digitized by Google
— 260 —
von gesalzenen und geräucherten Fischen nach Rio de Janeiro an-
empfiehlt
Dieser selbe Punkt ei^niet sich aufserdem, wie wir geseheu
haben, vorzüiilich zur Schiffswerft c, wozu ihm auch die leiclit zu er-
langenden Hölzer der Alpenseen zu Statten kommen. Puuta Arenas,
sowie die i^anze Westküste werden noch für lange Zeit eine be-
deutende Ausfuhr von Breiiuliolz und Eisenbahnschwellen betreiben.
Auch scheint es, dafs die Kohlengruben bei diesem Städtchen und
jene am Skyring Water in der Tiefe besseres Produkt liefern als
an der Oberflache. Schiiefslich unterliegt es keinem Zweifel, dafs,
im Falle einer erfolgreirl^en T'e iedelung der fruchtbaren Striche
des Innern, die vorzüglichen Hafen von Santa Cruz und Pnnta
Areuas, sowie irgend ein gut gelegener Punkt der Westküste, z. B.
Port Otway, zu groCser Bedeutung als Handelsplätze und Dampfer-
stationen gelangen müssen.
Dringen wir nun weiter in das Land ein, dessen Sterilität mit
jeder Meile mehr abnimmt und dessen Kern am Fufse der Gebirge uns
Musters als einen lachenden Garten Eden schildert, so dürfen wir, aller-
dings nur im allgemeinen, aber doch mit genügender Sicherheit be-
haupten, dafs dort sämtliche nordeuropäischen Kulturgewächse mit
bestem Erfolge gezogen werden können, und dafs somit diese innere
Zone die Kornkammer Patagoniens werden nuifs. Auch die zu ihr
führenden Strafsen, das heifst die Flufsläufe, werden in der NiUie der
Küste wenigstens zur Viehzuclit geeignet sein, bis sie bei weiterer
Annäherung an das Gebirge ebenfalls in Ackerland übergehen. Im
übrigen ist es nicht meine Absicht, ein lockendes Pliantasiegenialde
von jenem fruchtbaren Sti'ich Laiules zu entwerfen; somit verweise
ich einfach auf den vielerwähnteu Bericht des Kapitäns Musters,
überzeugt, dafs dieser dem Leser einen khireren Begrifif von jenen
Regionen gewähren wird, als jede Schilderung von meiner Seite,
die mich aufserdem noch in den Verdacht eines heimlichen Aus-
wanderungsagenten bringen könnte. Genüge also hier die Bemerkung,
dafs wo Tausende von Guanakos und« Straufsen sich tummeln,
Herden von wilden Rindern und Pferden weiden und die Gewässer
von Fischen wimmeln, dafs in solchem Lande für die ersten Jahre
des Ansiedlers weder i)ersönliche Not noch Mangel an Nalirmig für
seine Haustiere zu fürchten steht, bis es ilmi gedungen ist, dem
Boden mit fleifsiger Hand reichlichere Gaben abzuringen. Der
prachtige Buclien- und Cedernwald aber an den Hangen des Gelürges
sichert schönes und billiges Baumaterial, sowie überflüssiges Breun-
holz fUr die kurzen Wintennonate.
Digitized by Google
~- 261 —
Diese ausgedehnten Waldungen werden sich noch za einer
anderen Quelle des Wohlstandes für die künftigen Bewohner ge-
stalten, zum mindesten an den Orten, velche nahe genug an den
Quellseen des Rio Negro und des Santa Cruz liegen, oder doch den
Transport dorthin auf irgend einem Gebirgsbache ermdglichen; denn
es unterliegt nicht der geringsten Schwierigkeit, von jenen grodsen
Wasserbecken ans die wertvollen Stftmme der Araukarien, Gypiessen
und Buchen zum Meere zu flöfsen.
Die mineralischen Erzeu^niisse des Innern sind, mit Ausnahme
etwa der von Moreno und Lista festgestellteu Kohlenlager am Lage
Argentino und an den Quellen des Bio Chico, noch völlig unbekannt.
Kiebi fem von dort traf Musters Eisenstein, und er berichtet, dieses
Metall weiter nordwftrts in grofsen Massen gefunden zu haben.
Gold wird schon jetzt in den Bftchen der Halbinsel Braunschweig
gewaschen, und wenn auch die Ausbeutung edler Metalle, zumal im
spanischen Amerika, nicht besonders zum allgemeinen Wohlstande
beigetragen hat, so ist doch von wissenschaftlichem Standpunkte aus
die Wahrscheinlichkeit ihres Vorkommens nicht in Zweifel zu ziehen,
da die geognostische Formation der Anden bis hinab zur Halbinsel
Sarmiento die gleiche bleibt. Nun sind aber die südlichen Provinzen
von Chile bekannt wegen ihres Reichtums au Gold, und noch die
neuesten Forschungen haben nachgewiesen, dafs der Cerro Pay6n,
welcher unter 36 ° 30' Breite östlich der Kordillere liegt, völlig von
reichhaltigen Silber- und Kupferadem durchzogen ist
Dies sind die natürlichen Hülfsquellen, welche Patagonien dem
Ansiedler bietet. Manchem werden dieselben gering vorkommen und
es der ^lülie nicht wert erscheinen, die rauhe Schale zu öffnen,
wol( he solchen Kwn umschliefst. Freilich, wer den Übertiul's der
Produkte und den spielenden Lebenserwerb als Mafsstab gebraucht
für di»' Kolonisierbarkeit und künftige Entwicklung eines Landes, der
handelt nur logisch, wenn er dieses hier als völlig unbrauchbar für
Ansiedlung und Handel bei Seite schiebt. Wer aber im Gegenteil
darauf ausgeht, eine neue Heimat zu suchen für diejenigen seiner
Stammesgenossen, welche, hinausgetrieben durch Übervölkerung, des
Vaterlandes und die eigene Unternehmungslust, sich einen Herd
granden wollen imter ähnlichen Verhältnissen und nach der
vaterländischen Sitte, der möge nicht unterlassen, auch diesen ver-
gessenen Winkel Südamerikas in Betracht zu ziehen.
Wenn hinter den Schiiren Norwegens und an den stürmischen
Küsten Schottlands ein kühnes, ausdauerndes Volk seit Jahrtausenden
frei und glücklich haust, warum sollten selbst die Klippen des meer«
Digitized by Google
— m —
ttmbrandeten Feoerlandes, geschweige denn die lachenden Tb&ler nnd
Ebenen am Fnfse der schneepfekrönten Kordillere noch länger der
Ansiedelung: inutiu,cr Männer cnf u'i'Ih'ü V So untoiiiegt es denn
keinem Zweit'i'l. dass auch in Fatagonien sich eine tiiclitige Bevölkerung
bilden niuls, die in stt^ttnn Ringen mit der nicht zu verschwenderi>clien
Xatur erstarkend, als freies und thatkräftiges Volk eingreifen wird
iu das üetriebe des Weltverkelirs.
Eine Expedition zur Angara (1883).
Von R. Rmber^.
Hienu Tafel 4: Übersichtskarte eines Teils des Sibirischen Fhibsystems und
Tafel 5: Kartons der Angara-FfiUe nach der Aufnahme von R. Rnneberg.
Dampferfahrt auf der Wulga. .ScUwierigkeiteu der WolgaschiAabrt. Büliges Kes^el-
heisnwterial. Bisenbahnliilirt von Perm lueli Jektterinbnrg. TorbereitnB|r«n rar
sibirischen Larulmi^p Tarantal'-i. Der „Bolschoi-Trnkt". Sibirlsrho Dürfer. Mücken-
plsge. Rasche Fahrt. Aaktnift in Irkutak. Di« Borjäten. Auariistung für die Ängara-
Fabrt Die aibirisclien TS'egekoittiiiiin{1(«tion«ti nnd ihre zakUoftige Entwicklung.
Aassiebt, spiter TOn Petersburg mit Dampf dank Sibirien bis xum stillen Ocean
gelangen zu fei'>nnon. Dio Kataraktpn d< r Angara. Der Verkehr auf dem Jenissej.
Bchönheit der Angara- L'ftir. Fiachreichtum de.«« Flusses. Primitive Fischfangweise. Ilydro-
teohnieebe Bemerlningeii. Bnteki-Oetrog und dte Eisenwerk des Herrn Botin. Menget
an tUchtii^fn Arbeitern in Sibirien. Die Pochnu liii-Fiille. Felsen im Strom. Fahrt
dnroh den Katarakt Die Padun-FlUe. Die Umgthuug derselben durch einen Kanal
leiekt ansflbrbnr. Tansebhandel mit den Eingeborenen. Gefkhrliche Passage des
Scbamaaakl-Katarakts. Der letzte der FüUo, Strelkoffskie. glücklich passiert Hydro-
graphische Mitteilangen ttl>er die Angara. Heimkehr.
Den 12./24. Jnni y. J. verliefs ich Petersburg, um im Auftrage
des Herrn A. Sibiriakoflf den Flufs Angara behufs Untersuchung der
Schiffbarkeit desselben zu besuchen.
Die Fahrt nach Nischni-Nowgorod geschieht auf doi Eisenbahn,
in Nischni stiegen wir sofort an Bord des Dain})fers „Perm", um auf
der Wolga und Kama nach Perm weiter befördert zu werden. Ob-
gleich dieses Schift' nicht mit besonderem Luxus ausgestattet ist, so
findet derjenige, der sich nach Sibirien bcgiebt. doch seine Bequem-
lichkeit. Man l)ekömmt einen ganz guten Di van, — Bettwäsche mufs
man sich selbst besorgen — und man sieht der viertägigen Reise
mit einiger Ruhe entgegen. Das erste war, dafs wir ein Frühstück
bestellten, welches aus Kaviar und Sterletsuppe bestand; wir befinden
uns in den Gegenden, wo diese Delikatessen ans erster Hand zu
haben sind. Die Reise nach Sibirien scheint zu guterletzt gar keine
Strafe zu sein: die Restauration an Bord ist vortrefflich.
Anfangs wollen wir dem Lauf der Wolga folgen und einige
Eigentümlichkeiten der Schiffahrt auf diesem wichtigsten fluvialen
Handelsweg RoJislands näher betrachten.
Der Warentransport wird beinahe ansschliefslich vermittelst
Barken besorgt, welche dnrch starke Bngsierdampfer geschleppt
werden. Hier findet man Barken, deren Lastfüugkeit vi^ig-,
sechszig-, achtzig- und sogar hunderttausend Pud, oder etwa 1660 t
beträgt. Die iUigsierschiffe sind ausschliefslich Raddampfer mit starken
Maschinen von 100 bis 180 nominellen Pferdekraften, die Dampfer
gehen SVt bis 4 Fui's tief. Für daü Wolgasystem rechnet man
etwa 500 Dampfer, von denen die meisten im I/ande selbst gebaut
sind, der gröfste Teil dieser Schiffe sind Bugsierdanipfer. Im Früh-
jahr, bei höchstem Wasserstande, ist die Schiffahrt enorm, später im
Sommer fällt das Wasser so bedeutend, da£s Fahrzeuge, die tiefer
als SV* bis 4 Fufs gehen, nicht mehr fortkommen. Im vorigen Jahre
war der Wasserstiuid so niedrig, wie man es sich lange nicht mehr
erinnerte, Fahrzeuge von drei Fds Tiefgang konnten nicht vorwftrts;
dieses Ereigniis konnte beinahe als ein Landesunglfick für Rufsland
angesehen werden, da keine Waren nach Nischni-Kowgorod zur Messe
transportiert werden konnten.
Übrigens ist die Navigation auf der Wolga mit bedeutenden
Schwierigkeiten verbunden. Das Hulsbett besteht nämlich aus sehr
feinem Sande, welcher, durch das Wasser aufgeschlämnit, mit dem
Strome auf längere oder kürzere Strecken fortgebracht und in der
Form von Bänken auf verschiedenen St/allen des Flusses abgelagert
wird. Die nnndeste Störung der Stärke oder Richtung des Stromes
verursacht sofort eine Übersiedelung der Sandbänke von einer Stelle
zur anderen, und eine neue Bank bildet sich oft dort, wo unlängst
das Wasser tief war und Fahrzeuge unbehelligt fortkamen. 'Viele
Touristen haben sieh lustig gemacht (Iber die primitive Art und
Weise der SchiflUirt auf der Wolga. Ein Matrose steht nämlich auf
dem Vorderdeck mit einer langen Stange und prüft immerwfthrend
die Tiefe mit derselben, die eihaltene Fu£sanzahl wird mit lauter
Stimme Jedesmal aufgerufen. IMe Ursache dieser Mafsregel ist in-
dessen die grofse Anzahl beweglicher Sandbänke ; es hiefse von dem
Lutten zu viel fordern, wollte man erwarten, dafs er die Lage der-
selben immer kenne. Eine andere Eigentümlichkeit der Wolga-
s( liiff;ilut liegt in dem Umstand, dafs es nicht ein für alle Mal
bestimmt ist, von welcher Seite ein begegnender Dampfer luissiereu
soll, vielmehr wird jedes Mal darüber besonders unterhandelt. —
Ein Dampfer, welcher stromaufwärts geht, giebt ein Signal mit der
Damp^feife, wenn ein entgegenkommender iu Sicht ist, und ein
Omgr. Bllltar. Branra, 1B8A. 18
— 264 —
Matrose winkt mit einer Flagge am Tage oder mit einer Ijateme in
der Nacht von der Seite, auf welcher es wünschenswert wäre, daCs der
Dampfer voraberführe. — Von dem begegnenden Dauipfer wird ebenso
geantwortet, wenn es dem Schiffer recht ist, wenn aber Ursache
vorhanden ist die andere Seite zu wählen, dann wird zweimal ^e-
ptiffen und mit der i laggc oder Laterne von der entgegengesetzteu
beite signalisiert.
Als Heizmaterial wird auf dem oberen Teile der Wolga haupt-
sachlich Holz verwendet, das Krdöl fängt aber allmählich an höher
zu lücken und man kann behaupten, dafs die Grenze zwischen
Holz und Erdöl sich durch Nischni-Nowgorod zieht. Ein russischeiv
Faden (7' x 7' x 2' 4") Brennholz wird in diesen Gegenden mit
4V2 Rubel bezahlt, das Pud Erdöl kostet ungefähr 27 K()i)eken. Ein
Faden Holz hat dieselbe Heizkraft als 20 Pud ErdöL Wie ersicht-
lich ist« stellt fflch das Holz hier etwas billiger, andererseits aber
vermindert sich die Anzahl der Heizer und Helfer bei der Erdöl-
heizung bedeutend; daher werden wohl die Totalkosten wahrscheinlich
nngeftbr gleich sein. Auf den Knrbatofbchen Dampfern, welche
gleichfalls die Verbindung zwischen Perm und Nischni unterhalten,
ist die Erdölheizung in der That eiugetuhit worden. Jemehr man
nach dem Süden herunterrückt, desto billiger stellt sich die Naphta-
heizung. In Baku sell)st ist der Preis des Erdöls nur drei Kopeken
das Pud mit Lieferung an Bord des Sc] litVes. Das Heizmaterial,
welches überhaupt eine wichtige Holle im Budiijet eines Dampfers
spielt, ist im Kaspischen Meere erstaunlich wohlfeil.
Eine kleine Strecke unterhalb Kasan nimmt die Wolga einen
Nebendufs mit noch schlammigerem Wasser in ihren Schofs auf,
man kann die beiden Flttsse eine geraume Strecke zusammenfliefsen
sehen, ohne dafe sich die Wasser derselben vermischen. Wir stehen
an der Mttndnng der gewaltigen Kama, welche der Wolga eine gleich
grofse Wassermasse znfOhrt, als dieselbe vor der Vereinigung besitzt
Bis hierher sind wir stromabwärts gefahren, die Strömung hat
uns dabei drei Werst, an einigen Stellen sogar vier Werst geholfen.
Von hier aus müssen wir sliomaufwärts gehen, und da die Kama
die Geschwindigkeit von drei Werst die Stunde besitzt, so werden
wir uns von jetzt an mit (i— 7 Werst in der stunde weniger als
bi.sher auf der Wolga begnügen müssen.
Nach vier Tagen langten wir in Perm an und reisten an dem-
selben Abend wieder auf der Eisenbahn nach Jekaterinburg ab. Die
Kntfernung betragt nur 468 Werst, die Geschwindigkeit des Zuga?
ist aber so i^ering, dafs zur Zurücklegung dieser Strecke 20V* Stunden
nötig siud. Biese Langsamkeit hängt teilweise von den langen Auf-
Digitized by Google
— 255 —
enthalten ab, dieselben betragen in allem 4V« Stunden oder 20%
der ganzen Fahrzeit In der Nacht passierten wir die Station
Europeiskaja nnd kehrten somit Europa den Rttcken, bald daranf
fahren' wir dorch Uralskaja, nnd die erste Station auf der anderen
Seite der Grenze Asiatskaja meldete, dafs wir nns in Asien befänden,
auf dessen endlosen Flächen uns eine Reise bis Ostsibirien bevor-
stand. Die Grenzgegend zwischen beiden Weltteilen ist öde und
düster; zwischen den durch Waldbränden heimgesucliten Hügeln des
Uralgebirges windet sich die Eisenbahn hindurch, die Todesstille
dieser Strecken scheint nur durch das GekrAchz der Haben und das
Geheul der Wölfe gestört zu werden.
Bei der Ankunft in Jekaterinburg war die erste Sorge einen
Tarantafs zu kaufen. Nach einigem Suchen gelang es uns zwei solche
Fuhrwerke aufzuspüren. Ein Wagen wurde für unsere Sachen be-
stimmt, er kostete nur 50 Rubel, f&r uns selbst hatten wir ein statt-
liches Fuhrwerk gewählt, dessen bessere Tage freilich langst vor-
über waren. Der Kauf wurde nach langem Hin- und Widerreden
endlich für 120 Bubel abgeschlossen. Ein neuer Tarantafs wird
mit ungefähr 300 Rubel bezahlt, daher schwur der Verkaufer bei
allem, was ihm heilig war, dafs wir unser Fuhrwerk geschenkt be-
kommen hätten. Nachdem Kissen angeschafft waren, welche unum-
gänglich notwendig bei einer Tarantafsreise sind, wurde zur Ver-
packung der Sachen geschritten ; dieselbe erfordert grol'se Übung,
erst als 3000 Werst zurückgelegt waren, konnten wir uns einiger
Geschicklichkeit in dieser Arbeit rühmen.
Gleich nach Mittemacht wurde die Reise angetreten. Dafs wir
den Postdampfer in Tjumen versäumt hatten, wurde bald klar, es
war aber noch eine schwache Hofihung übrig einen Dampfer zuf&llig
anzutreffen, im ungünstigen Falle erwartete uns die beschwerliche
Reise von 3367 Werst im Tarantafs. Den nftchsten Postdampfer
abzuwarten widersprach meinen Plftnen. Um eine Tarantafsreise
auf schlechtem Wege zu machen, darf man wahrlich nicht verweich-
licht sein. Die Wege waren in furchtbarem Zustande, bald stiels
mau au den Ueisekameraden, hiüd an Seiten nnd Decke des Fuhr-
werks, und das alles mit einer verstiunnendeu Heftigkeit. Die erste
Nacht ist an Schlafen gar nicht zu denken, im Laufe der zweiten
fängt man schon an von Zeit zu Zeit zu sclilnmmera, und zuletzt
gewöhnt man sich in beliebiger Lage zu schlafen.
Nach Ankunft in der alten Stadt Tjiimen fand es sich bald,
dafs das Abwarten eines Dampfers zu zeitraubend werden würde,
daher wurde der Beschlufs gefafst, die Reise ohne Aufenthalt durch
die Barabinschen-Steppen fortzusetzen.
18*
Digitized by Google
— 256
Der Wep anlseihulb der Stadt war in eiiiciii grär>li( liiii Zustand,
die Püffe und da^ Zusamuienschütteln spotten jeder Beschreibung:.
In der kurzen Zeit vou 9 Tagen hatten wir den Weg von Peters-
burg bis Tjunien zurückgelegt und alles war ohne besondere
Anstrengung gegangen. Ks war schwer eine gewisse Unruhe zu
bekämpfen, welche sich unserer bei dem bloi'seu Gedanken au die
zurückzulegenden 3000 Werst bemächtigte. Die Beise erforderte
14 Tage ohne Aufenthalt, unter den peinlichsten Unannehmlichkeiten.
Am ersten Tage wurden 233 Werst jsurdckgelegt, die einzige
Erinnerung an die Existenz einer dvüisierten Welt war der Tele*
graphendraht längs dem Wege.
Der Gedanke an den brdten Weg der Verbannten dr&ngt sich
unwillkflrlieh beim Anblick des sibirischmi grofsen Landweges oder
des „Bolschoi Trakt**, wie derselbe genannt wird, auf. Die Fuhi*-
leute lieben aber nicht sich auf dem Wege zu halten, sondern fahren
immer pariillel demselben, daher führen durch die weiten Steppen
eine Menge Wege, längs dem Hauptweg. Zwischen Tjumen und
Tomsk ist der Verkehi' im Sommer gering, weil zu dieser Zeit die
meisten Waren und Passagiere mit Dampfern transportiert werden,
hinter Tomsk aber ist er sehr grols. Längs dem Wege trifi't
man oft Dörfer an, auch durch kleinere Städte konunt
man von Zeit zu Zeit, z. B. Jalutorowsk, Ischim, Tjukaiiusk,
Kainsk u. a. Beim Eintritt in die Hatte eines sibirischen Bauern
findet man gewöhnlich ein Zimmer, dessen Dielen mit Matten bedeckt
sind. Aufser einigen Holzstfihlen stehen noch einige bunt angestridiene
Kisten mit Blech- oder Messingbeschlag da, dieselben sind gewöhn-
lich mit Pferdedecken belegt. Die Wftnde werden jedenfalls, auch
bei ilrmeren Leuten, mit schlecht gemachten Farbendruckbihlern
})ehangen ; hauptsachlich sind es Portraits des Kaisers, der Kaiserin
und verschiedener Mitglieder des Kaiserhauses. Darauf folgt (ieneral
Gurko mit Schlachtscenerien, sodann auf einem Blatte „die Kegenteu
Europas", unter welchen auch der persische Schah scmderbarerweise
einen hervorragenden Platz einnimmt. Sehr verbreitet sind die Bilder;
„Die Folgen der Trunksucht", „Die Hölle mit ihren Qualen" u. a.
Je näher man dem Osten Sibiriens rückt, desto mehr merkt man
die Nejgung der Bevölkerung die Fenster mit Blumen zu schmOcken ;
in Lrkutsk gelangt man zum Kulminationspunkt dieses Gebrauches,
die Bewohner dieser Stadt füllen ihre Fenster g&nzlich mit Blumen-
töpfen aus. Graspl&tze findet- man hier in HttUe und Fülle, daher
unterhält die Bevölkerung ungeheuere Herden von Pferden, Kühen
und Schafen ; aufserdem trifft man in allen Häusern Gftnse, Hähner,
Uuude mid Samovai'e (russische Theekesselj in beträchtlicher Anzahl.
Digitized by Google
— 267 —
Milch und £ier kann man beinahe überall bekommen, das Übrt^
mufs man mit sich fähren.
Sibirien ist nicht nnr der Verbannungsort des Auswurfe der
Menschheit, sondern sogar die meisten lebendigen Oef^chöpfe gehören
zu den ungeselligsten Vertretern des Tierreichs. liaubvügel, Schlangen, •
Wespen, Fliegen, Mttcken u. a. trifft man hier in grofser Menge.
Um die Pferde vor Mücken zu schützen, werden Feuer angezündet,
die Tiere stellen sich selbst mitten in den schützenden Rauch. In
vielen Gegenden ist diese Landplage so fürchterlich, dafs. wenn ein
Pferd nur eine Nacht im Felde oluie Feuer vergessen wird, man
das arme Tier unfehlbar am anderen Morgen verendet findet. Das
Pferd galoppiert erst herum, um den Verfolgern zu entgehen, die-
selben verÖeren aber ihr Opfer nicht und bald steht das ermattete
Tier still, sein Schicksal ist dann entschieden. Schwftrme von
MUlionen Mücken werfen sich auf das Opfer und in kurzer Zeit hat
das Oift und der Blutverlust den Plagen des armen Tieres ein Ende
gemacht. Unsere Tarantasse wurden oft von wolkenartigen Mücken-
schwärmen verfolgt. Die sibirischen Mücken sind etwas gröfser als
ihre europäischen Anverwandten, von hellgelber Farbe, ihre Stiche
sind schmerzlicher. Übrigens gleichen sich beide Arten in der voll-
kommenen Todesverachtung.
Die Entfernungen zwischen den Stationen sind grofs, 20 bis 30
Werst, dennoch gelang es uns oft Pferde für zwei Stationen auf ein
Mal zu bekommen. Vorwärts ging die rasche Fahrt. Als ich einst
die Zeit beobachtete, ergab es sich, dafs mit demselben Pferde
45 Werst in 3 Stunden zurückgelegt wurden! Die Wege sind hier
schon besser. Als die ersten Folgen der Unbequemlichkeit unserer
Fahrt vorüber waren, fingen wir an die .Reise mit Tarantab ganz
gemütUdi zu finden, Gesundheit, Appetit und Sinnesstimmung wurden
wieder gnt.
Den 6./18. Juli am Abend langten wir glücklich in Irkutsk an,
nachdem wir mit Tarantals 8367 Werst*) in 16'/4 Tagen, d. h. unge-
fähr 200 Werst jeden Tag, zurückgelegt hatten. Bei dieser Berech-
nnnj? sind die Aufenthalte in Tjumen und Tomsk mit eingeschlossen.
Die Reise von Petersburg bis hieher hatte 24 Tage in Anspruch
genommen.
Die Bevölkerung in der Gegend von Irkutsk, am Baikalsee und
bis zur mongolischen Grenze besteht meistens aus Buij&ten. Der
grOfste Teil dieses Volkes bekennt sich dem Namen nach zum
Christentum, sie haben aber viele ihrer heidnischen Gebrauche bis
♦) 1 Werbt = 1,07 Km.
Digitized by Coo^e
— 258 —
/Ulli heutigen Tage nicht abgelegt, unter anderem war ich z. B.
Zeuge einer sehr originellen Ceremouie. Einige „Brüderchen", wie
die Rurjüteu von den Russen genannt werden, waren in einer mit
Fisch (Omni, einer Forellenart) aus dem Baikalsee beladenen Jacht
nach Irkutsk gekommen. Die Mannschaft war eben beschäftigt das
P'ahrzcug zu belegen und in Ordnung zu bringen, als einer der
„Brüderchen", eine Flasche Branntwein in der Uaad, langsam und
feierlich zum Vorderteil des Schiffes schritt, einige Tropfen in eia
Gläschen träufelte und dasselbe vor sich haltend mit emster Miene
einige Beschwörungsfonneln zu mormehi anfing. Der Inhalt des
Glases wurde ins Wasser geschüttet Dieselbe Procedur wurde noch
einmal wiederholt, die Wassergdtter hatten somit ihren Tribut er-
halten. Das Glas wurde wieder gefüllt, eine längere Beschwerung
folgte und das Fahrzeug erhielt seinen Teil. Noch zwei Mal wurde
dasselbe mit kleinen Quantitäten Branntwein begossen, wobei kürzere
Gebete verrichtet wurden. Unser Burjät schenkt aber iioclinial ein
und benetzt das Tau gleichfalls. Zuletzt wird das Glas ln> au den
Uand gefüllt, einige Worte gemurmelt und der Inhalt in die ei^^one
Gurgel expediert. Alles dieses gescliah, während die Mannschaft be-
schäftigt war und augenscheinlich von der Existenz der Flasche
Branntwein keine Notiz nahm. Die Belohnung für die Geduld war
fürstlich, die Flasche ging im Kreise herum und jeder nahm einen
Schluck zu sich, ohne weitere Umst&nde, die Ceremouie war von
dem Beschwörer allein abgemacht worden.
Die Bttijaten verfertigen abrigens selbst berauschende Getr&nke
aus Kuh- und Stutenmilch. Nachdem die Milch sauer geworden und
in Gftrung übergegangen ist, schreitet man zur Destillation des
Alkoholes; das erhaltene Getränk wird „Tarasnm" genannt und
entspricht dem „Airan" der Tartaren und ^Jrigut" der Jakuten.
Die Bereituug von iarasum ist gesetzlich verboten, wird aber doch
stark betrieben.
Die Burjäten beschäftigen sich hau])tsächlich mit Vieh/mht,
Aclccrbau und Fischfang werden aber auch betrieben. Diese Nomaden
kommen oft mehrere hundert Werst von der mongolischen Grenze
nach Irkutsk, grofse Herden mit sich führend, um Viehhandel in der
leztgenannten Stadt zu treiben.
Behufs Ausrüstung unserer Expedition blieben wir in Irkutsk
10 Tage und waren den 16./28. Juli fertig, uns an Bord des ge-
mieteten Schiffi^ zu begeben. In dieser unter der Wasserlinie schlecht
gedichteten, oberhalb derselben und am Deck mit Ritzen versehenen
luftigen Arche hatten wir im Achterteil eine provisorische Kajate
eingerichtet. Die Möblierung unserer Kajüte war folgende : vier Ilolz-
— 269 —
Pritschen, welche mit den darauf ruhenden lleusäcken unsere Schlaf-
statte bildeten« eiu dürftig zusammengefügter Tisch und drei oder vier
Holzsessel; einige Bretter an den Wanden, um Sachen darauf zu legen,
und Nägel für unsere Kleider gehörten gleichfalls zu der Einrichtung.
Wir waren immer gezwungen, die Starke unserer Schädel an einem
Deckbalken zu prüfen ; wenn dieser Balken noch mitgerechnet wird,
so habe ich dem Leser vollständig unsere anspruchlose Wohnung
beschrieben. Man gelangte in die durch winzige Fensterchen er-
leuchtete Kajüte mit Hülfe einer Treppe, die unter einer Luke stand.
Den Mittelteil des Schiffes hatte der Eigentümer mit unserer Er-
laubnis mit Theeballen beladen. Dem Vorderteile näher waren
Schlafstütten für die Mannschaft (10 Mann) eingerichtet und ganz
vorne war die Küche. Der Ofen bestand aus einer mit Sand ge-
füllten Brettkiste, auf derselben wurde ein offenes Feuer angezündet
und der Kessel über demselben plaziert. Das Fahrzeug war 77 Fu£s
lang, 20 Fnfs breit und bis zum Tiefgang von 3 Fuüs belastet. Es
war mit einem 16 FuCs langen Steuerruder versehen; zwei Paar
Ruder an den Seiten und ein Ruder vorne vervollständigten die
Ausrüstung. Das letztgenannte Ruder sollte das Steuern erleichtem.
Alle Ruder waren aus Balken mit der Axt znrechtgehauen und hatten
daher ein ungeschlachtes Aussehen. Zur Führung jedes Ruders ge-
hörten fünf Mann.
Ben 17./29. Juli um 3^4 ühr morgens wurden die Taue unseres
Fahrzeuges vom Irkutsker Kai gelöst. Die Wolken färbten
sich purpurrot, als wir mit dem Strome treibend auf dem krystall-
hellen Spiegel der schönen Angara hinabglitten, allm&hlich ver-
goldete die aufgehende Sonne die Gipfel der Anhöhen längs den
Ufern des Flusses, und die Versuchung der Meinung Glauben zu
schenken, dafs die Angara zu den schönsten Flüssen der Erde
gehöre, siegte beinahe.
Vor der Fortsetzung unserer Heise wird es wohl am Platze
sein, das Ziel derselben näher zu beleuchten und näheres über einige
der wichtigsten Kommunikationswege Sibiriens zu sagen.
Eine freiwillige Reise von Europa nach dem früher so übel-
berüchtigten nnd jetzt vielleicht überschätzten Sibirien kann, nach
Umständen, auf folgenden vier Wegen gemacht werden :
1) mit Daiiipfschiff von Odessa durch den öuezkaual nach
Wladiwostok im Amurgebiete;
2) auf dem von Nordenslgöld entdeckten Wege durch das nörd-
liche Eismeer. Eine regelrechte Kommunikation existiert in dieser
Richtung zur Zeit noch nicht; Herr Sibiriakoff arbeitet aber mit
^ Kj .i^ud by Goögle
— 260 —
liewunderungswürdigem Kifer au der liealisation oiner permauentea
YerbiudttQg zwischen Europa und der Mündung des Jenissej;
3) über Orenburg zu Lande auf der grofeen StraTse, die sich
bei Orsk teilt; ein Zweig zieht sich in nördlicher Richtung Iftngs
dem Flusse Ural, biegt hernach nach Osten ab und vereinigt sich
dort mit der grofsen chinesischen Landstrafse; der andere Zweig
führt von Orsk, den Aralsee berührend, nach Turkestan;
4) der am meisten benutzte Weg fangt mit der Eisenbahn von
Perm nach Jekaterinburg an; mit diesem letzten Wege werden wir
uns eingehend beschäftigen. Von Jekaterinburg muss man gegen-
wärtig bis Tjumen mit Pferden 907 Werst reisen; jedoch ist eine
Eisenbahn, welche diese Städte vereinigen wird, im Bau begriffen.
Tjumen kann indessen nicht als richtiger Endpunkt der Bahn ange-
sehen werden; der Flufs Tura, — dem Obsystem gehörend, — an
welchem die Stadt Tjumen' liegt, ist zu gewissen Zeiten des Jahres
so seicht, dufs Fahrzeuge von 2—3 Fiifs Tiefgang nicht gut vorwärts
kommen; die Bahn mufs daher wohl bis Tobolsk, am Zusammen-
tiusse des Tobol und Irtisch, verlängert werden.
Wie oben berichtet, mulsten wir die Landstrafse von Tjumeu
nach Tomsk wählen (1500 West), der gewöhnliche Sommerverkehrs-
weg aber wird mit Dampfboot auf dem Obsystem: auf den Flüssen
Tura, Tobol, Irtisch und Ob, sammt dem Nebenflüsse des letzteren,
dem Tom (2700 Werst) zurückgelegt. Die Postdampfer, welche jede
Woche eine Reise machen, brauchen 8 — ^9 Tage, um diesen Weg
zurückzulegen, dabei wird aber eine Arrestantenbarke bugsiert. Diese
Dampfer sind in Tjumen erbaut (die Maschine ist aus Kischni-Now-
gorodj und sie bieten viele Bequendichkeiten für die Passagiere.
Der Tisch ist gut. Das Obsystem wird schon von 50 Dampfern
befahren; diese Postdampfer gehen 37^ Fufs tief und können nur
im Sommer bis Tjumen heraufkommen. Kurz vor dem Eintritt iu
den Tobol begiebt man sich auf ein weniger tiefgehendes Dampfboot.
Aber auch dieses Fahrzeug konnte, zur Zeit unserer Rückkehr, nicht
höher als bis Jewlevaja kommen. Von dem letztgenannten Orte
hatten wir das besondere Vergnügen, mit Tarantals IBO Werst nach
Tjumen zu fahren.
Von Tomsk aus giebt es keinen anderen Weg nach Osten, als
die Landstrafse Marijnsk, Krasnojarsk, Kansk, Nischny-Udinsk und
Irkutsk, eine Strecke von 1560 Werst.
Der Wassertraii^i)ort «ieschieht ebenlalls von Tjumen bis Tomsk
und iu umgekehrter Kichtiing des Sommers meistenteils mit Dampfboot
auf dem Ob^stem, zwischen Tomsk undirkutsk aber mit Pferden. l<>üher
Digiii^eu by Cookie
— 261 —
wurden auch Kamele .uehiaucht, gegenwärtig' trifft man aber diese
Lastthiere auf diesem Wege nicht mehr. Die Kamele können näm-
lich Dicht im Winter verwendet werden und stellen sich daher kost-
spieliger als die Pferde, welche hier im Lande fabelhaft billig sind.
Die enormen Strecken yerteuem indessen den Transport in hohem
Blalise. Die Transportkosten einer Theefiihre von 22—24 Pud
zwischen Irkntsk nnd Tomsk betragen mindestens 90 Rubel, d. h.
1,35 Rubel für das Pud. Eine Karawane besteht aus 30 — 40 Fuhren,
auf jedes fftnfte oder sechste Pferd kommt ein Fuhrmann, die Kerle
aber schlafen meistens, mit dem Gesicht nach unten, auf der Fuhre.
Das Pferd geht indessen ruhig weiter, und zur Nacht versammelt
sich alles um das Wachtfeuer. Die Fuhrwerke für den Waren-
transport, Tjelege genannt, sind vierrädrig, Eisenteile hat eine solche
Tjelege beinahe gar nicht, sogar die Achsen sind aus Holz. In ab-
gelegenen Gegenden tindet man nur Tjelegen vor; wir wurden auch
manchmal mit diesem angenehmen Fuhrwerke bedient. Anfangs ist
man unruhig, da man Zweifel an der Vortrefflichkeit der Holzachsen
nicht zu unterdrücken vermag, besonders bei rascher mit starken
Stdfsen yerhundener Fahrt. Die Achsen bew&hren sich aber aus-
gezeichnet» sogar bei der wildesten Fahrt. Von Zeit zu Zeit quillt
Rauch aus der Radbttehse hervor, dann mufs still gehalten werden,
um den Lagern Zeit zu geben sich abzukOhlen, im schlimmsten Falle
werden sie mit etwas Birkentheer geschmiert und vorwärts gehts
wieder munter auf holprigem Wege.
Oben war angedeutet worden, dafs in der nächsten Zeit die
Flüfse Wolga und Kama durch einen Schienenweg mit dem unge-
heueren Flul'sgebiete des Ob verbunden werden sollen. Sobald näm-
lich Jekaterinburg mit Tjumen durch einen Schienenstrang vereinigt
sein wird, ist der Verkelir zwischen Perm an der Kama und dem
ünternebenflufs des Ob, Tura, eröffnet. Schon längst ist die Wichtig-
keit einer Kanalverbindung zwischen Ob und Jeniasej eingesehen
worden. Es sind alternative Vorschläge gemacht worden, die Neben-
flüsse des Ob, Tym oder Ketj mit den betreffenden Nebenflüssen des
Jenissej, Sym oder Kern zu verbinden. Spätere Untersuchungen
haben es aber klar gelegt, dafs das zweckmälsigste Kanalsystem mit
dem Ausgangspunkte von der Oseniaja, einem kleinen Nebenflüsse
des Ketj, nach dem kleinen und grofsen Kais, welcher letztere
240 Werst unter der Stadt Jenisseisk in den Jenissej sich ergiefst,
geführt werden niül'ste. Die Flüsse 0>ernaia und Kafs entspringen
aus Seen, die von einandei" höclistens 4 Werst entfernt sind und
. beinahe ein gleiches Wasserniveau haben. Dieser Umstand ist sehr
bemerkenswert. Die wichtige Yerbiudung ist schon in Arbeit, die-
Digitized by Google
— 262 —
selbe \>\ im voi i-oii Soiiiiuer uiitci" Uer Aufsicht des Baruii B. Aviuoff
iu Angrill genoimnen worden. *)
Würde uocli ein Dainpfschitisveikehr uuf der Anf^uni in (iang
konnnen, so könnte man bis Irkutsk gelangen, nach dem etwa
ÖOOO Werst von Tjumen mit Dampfer zuröckgelegt worden. Die
Ajigara entspringt bekauntlicli aus dem Baikalsee, in welchen der
Flufe Selenga mündet. Dieser Flnfs hat die L&nge von 1000 Werst,
ist segelbar bis jenseits der mongolischen Grenze, und einige seiner
Nebenflüsse kommen den QneUarmen des Amurs ganz nahe. Das
dazwischen liegende Land bildet ein Hochplateau, so daTs Kanal-
bauten hier wohl schwerlich ausgeführt werden können. Früher oder
spater werden aber die Wassersysteme der Selenga und des Amurs
durch einen Schienenstrang verbunden; dann wird es möglich sein
mit Dampf von Petersburg durch Sibirien bis zum Stillen Ocean
zu gelangen.
Herr Sibiriakoff hat mir vorgeschlagen dem obenangedeuteten
Ziele nach Kräften durch nähere Forschungon zuzusteuern. Ich sollte
nämlich durch näheres Studium die Frage lösen, auf welche Weise
ein Dampfschiflfverkehr auf der Strecke von der Mündung <ler .\u-
gara iu den Jenissej bis kkutsk (1700 Werst) ermöglicht werden
könnte.
E, Reclus teilt in seiner „Geo^zraphie universelle" ül>er die
gefahrlichen Katarakte der Angara fol^etide^ mit: „Les noms (|u"ils
ont ret.Mi des riverains, temoignent de Tetlroi qu ils insjiiraient. Mais
les bateaux ä vapeur franchissent ces rai)ides sans danger et Ic
luouvement, le bruit des flots entrechoques ne donnent aux voyageurä
quune emotion passagere."
Zur Zeit der Ausgabe der „Geographie** von lleclus hatte nun
freilich noch kein Dampfer die Katarakte der Angara passiert, weder
stromabwärts noch stromaufwärts. Im letzten Sommer ist ein kleiner
Deckdampfer stromabwärts durch die Katarakte gegangen, die Kraft
seiner Maschine (8 Pferdekrafte) war aber so gering, dafs an eine
Stromauffahrt durch die Katarakte oder Wasserfälle mit eigenen
Kräften gar nicht gedacht werden konnte. Dieses Ereignis veran-
lafste grofsen Jubel in Irkutsk, man meinte, die Angarakatarakte
wären von nun an als Verkehrshindernis verschwunden, da eui
Dampfer durch dieselben gegangen war. DaÜB weniger vollkommene
Fahrzeuge jedes Jahr durch die Fälle heruntergehen, und dafs anderer-
*^ Dieses Projekt nn*] die Anstalten zur Vci wirklicluin;; ilossolbcii wunlon
uielirfach iu dieser Zeit.s' hritt hespioclien, die letzte Mitteilung betiudet kicIi
in Band VI. ^. 1U2. D. Ked.
Digitized by Google
— 263 —
seit» die gröfste Schwierigkeit, stroiuaufwärts zu gehen, noch nicht
überwunden war, wurde dabei gänzlich übersehen. Die Angaben
Reclus über die furchtbaren und feierlichen Namen der Fälle kann
ich auch nicht bestätigen. Der erste Katarakt heifst Pochnielui,
was gleich bedeutend mit „Katzenjammer" ist. Der zweite wird
Pjany, d. h. der „Betrunkene", genannt. Der dritte und schwerste
Fall auf dem gauzen Flusse heifst Padim, was „Fall'' bedeutet. ,
Etwas besonders erschütterndes wird man wohl schwerlich in diesen
Namen finden, das einzige Bemerkenswerte ist, dafs die F&lle nicht
in der natflriicben Folge ihrer Namen nach einander kommen. Die
Namen der übrigen FftUe bedeuten auch keinerlei Furcht, z. B. Dolgi
(der Lange), Tolstoi (der Dicke), Kossoi (der Schiefe), Strelka (der
Pfeil) n. a. Vielleicht kann der Katarakt Schamansky (Beschwörer,
Zauberer,) einen mystischen Eindruck durch diesen seinen Namen
hervorbringen.
Schon vor einigen Jahren wurde auf Kosten der Regierung
eine allgemeine Untersuchung der Angara, unter Leitung des Barons
B. Avinoff, und eines russischen Marineini^oiiicurs TschelajeÜ gemacht;
die Resultate dieser Untersuchungen haben in hohem Mafse unsere
Arbeiten unterstützt.
Der Jenissej wird gegenwärtig von einigen zehn und das Flufs-
gebiet der Lena annähernd von derselben Anzahl Dampfern befahren.
Dieser Verkehr ist, im Verhältnis zur Gröfoe der sibirischen Flttsse,
g&nzlidi unbedeutend. Die grOlsten Flflsse Europas: der Rhein, die
Rhone, die Donau und die Wolga bilden zusammen kaum einen
Ob, Jenissej oder eine Lena. Die L&nge der Selenga-Angara-NTenissg-
linie betragt 5000 km, das Flufsgebiet des Jenissej wird von Reclus
auf etwa 3(XX) km angegeben. Der neue Kanal und die Eröffnung
eines Danijifbootverkehrs auf der Angara werden das Thor für die
Einfuhr und Ausfuhr des gröfsten Teils von Sibirien aufschliefsen
und einen zweckmafsigen Verkelirsweg für den bedeutenden Handel
ßttCslands mit China zu Stande bringen.
Wie schon gesagt worden ist, wird die Angara zu den schönsten
Flüssen der Welt gerechnet. Eine kleine Ül)ertreibuug liegt wohl
in dieser Behauptung, schön ist aber doch die „Mutter Angara" mit
ihrer wilden Natur. Aus dem bergumschlungenen Scho£se des Baikals
ist sie geboren klar und tief, wie die Qebftrerin selbst, genannt
Dalai-Nor oder das heilige Meer. Bei Irkutsk kann man noch Steine,
die m^rere Faden tief auf dem Boden des Flusses liegen, gut unter-
scheiden, eine kleine Strecke abwärts wird die Strömung schon
durch das Wasser der Nebenflüsse getrübt, noch etwas den Strom herab
und das Wasser der Angara wird fälschlich klai* genannt, im Au-
Digitized by Google
264 —
fauge ihres Laufes lliefst die Angara in nordDonlwestlicher und teil-
weise Y611ig nf^rdlicher Richtung ; beim 56.^ n. 6r. wendet sie sich
plötzlich nach Westen, als hatte sie jetzt schon die Absicht sich in
die Arme des Jenis.sej zu werfen, bald darauf iiiiunit die Angara den
grofsen Nebenflufs Oka auf, welcher aus Süden kommt und wie es
scheint dem Mutterflusse seine Mission ins liedachtnis ruft, sodann
fliefsen die beiden Flüsse beisammen in nördlicher und sogar eine
kurze Strecke in östlicher KichtuuLi, sich über eine Reihe von
KaUrakte stürzend. Nachdem der Nebenflufs Ilim aufgenommen worden,
beruhigt sich die Angara und biegt, unter dem 59.® n. Br., nach
Westen ab, dieses Mal um die Vereinigung mit dem Jenissej wirklich
2u vollbringen. Die Angara bringt dem Hauptflusse eine gröfsere
Wassermasse, als derselbe vor der Vereinigung hatte. Da wo die
Angara oder Tunguska, wie oft der niedere Lauf genannt wird, in
einer einfachen Furche fliefst, betrftgt die Breite an Vi bis Vit (auch
mehr) Werst, da aber, wo der Flufs Inseln umschlangelt, kann die
Breite sich oft bis zu zehn Werst erweitern.
Zwischen Irkutsk und Bratski-Ostrog (die Burjatenburg) kur-
sieren schon Dampfer. Die Tiefe betragt auf vielen Stellen nicht
volle 4 Fufs bei niedrigem Wasserstande, dennoch trifft man hier
keine Katarakte und der Fhifs tiielst im allgemeinen regelmafsig
mit einer Geschwindigkeit von 9 Werst die Stunde; bei Irkutsk, auf
der Strecke von dieser Stadt bis Bratski-Ostrog (5ÜU Werst), ver-
mindert sich die Geschwindigkeit allmählich, bei Bratski-Ostrog beträgt
sie ungefähr 5 Werst die Stunde.
Dieser Theil des Weges bot nichts Interessantes für unsere
Expedition. Wenn das Wetter schlecht und regnerisch war, ver-
brachten wir die Zeit in der Kijate studierend oder schreibend, oder
weideten uns auf dem Deck an dem Anblick des Steuermannes, der
eingehüllt in eine Bastmatte dOsteren Wesens die Natur der Dinge
ergrflnden zu wollen schien, wahrend unser Fahrzeug seitwärts den
Strom hiuabtrieb. Bei heiterem Wetter erfreuten uns die bezaubern-
den Landschaften uiul die wilde Schönheit der Inseln und Ufer. Die
von ^lenschenhauden unberührte Natur otVenbart sich hier in grotesken
Felsen, Urwaldern und Dickichten, von Zeit zu Zeit ruht das Auge
aber mit Wohlbehagen auf bearbeiteten Feldern und lächelnden
Auen. Die Uferbewohner sind teils Russen, teils BurjÄten; die
letzteren siedein im Sommer an das Ufer über, um hier ihr Vieh
grasen zu lassen und ihren Gittern zu opfern. Die Buij&tenopfer
bestehen aus Tierhäuten, die auf Pfähle ausgespannt werden; fOr
diese kleine Aufmerksamkeit erwarten die Gläubigen Zuwachs ihrer
Herden und gute Grasplätze.
Digitized by Google
m -
Währeud der ersten Tagereise aas Irkutsk fährt man an vor*
scbiedenen industriellen Etablissements, 2. B. an einer Branntwein-
brennerei, Gerberei, Saline, Tuchfabrik, Glashütte u. a. vorüber.
IMe Ufer sind hier stark bevölkert und der Fluls ist so dicht mit
Inseln besftet, dafe das Wasser nur ausnahmsweise in einem insel-
freien Bett Iftuft; da, wo dieses geschieht, schwankt die Breite des
Flusses zwischen ^'4 und Vs Werst. Einige Inseln sind meliiere
Werst breit und einige 10 Werst lang. Das rechte Ufer ist meisten-
teils hoch, das linke tlach, die allgemeine Regel der Flüsse der
nördlichen Halbkugel, so weit sie nach Norden hinfliefsen.
Fische werden selten im obern Lanf der Angara angetroffen,
weiter unten aber ist der Flufs reich bevölkert. Wir hatten einige
moderne Fischereigeräte mitgenommen, es zeigte sich aber bald,
dafo die Fische kein Verständnis für die Früchte der höheren Bildung
hatten, sondern leichter durch Fangmittel höchst primitiver Natur
angelockt worden. Man denke sich einen Strick, der mittelst
Gewiehte in den Fln& versenkt worden ist Lftngs desselben sind
an kleineren Stricken ungeschlachte Eisenhaken befestigt. Damit
diese Haken im Fluls treibend erhalten werden, sind Baumrinde-
pfropfen an denselben mittelst Bindfäden befestigt. An den im
Wasser spielenden Haken streicht der Stur oder Sterlet vorbei und
bleibt mit der Haut daran hängen. Da der Fisch nicht mit Itesonderer
Intelligenz begabt ist, so folgt er willig bis zur OberÜäche des
Wassers, wo er alsbald mit einem Sarknetz ins Boot geschleudert
wird. Dieses sehr verbreitete Fischgerat wird „Samolon", d. h.
Selbstfischer, genannt. Mit dem Netz wird hier auch gefischt, aber
Netzzüge habe ich nicht auf der Angara unterhalt) Irkutsk gesehen.
Man unterscheidet Bot- und Weilsfisch; diese Einteilung scheint aber
nicht von der Farbe des Fisches abzuhängen, sondern vielmehr von
dem Benomm6 der verschiedenen Fischarten als Leckerbissen. Der
Stör und der Sterlet werden natürlich zu den Rotfischen gerechnet;
Njelma, der schmackhafteste Fisch, gehört, obgleich sein Fleisch ehm
so weifs wie das des Sanders ist, gleichfalls zu den Rotfischen. Zu
den Weifsfischen werden der Hecht, der Barsch, der Omul ji. a.
gerechnet.
Wer jemals sich in einem Boote stromabwrirts treiben liefs,
der bat gewil's die eigentümliche Thatsaclie bemerkt, dafs kleinere
degenstande, welche oben auf dem Wasser schwimmen, sich nicht
mit derselben Geschwindigkeit bewegen, als das Boot. Ein jeder
Schiffer wird ohne Bedenken erzählen, dafs das Fahrzeiiir -^ich
schneller als das Wasser bewegt, dafs ein beladenes Schilf schneller
als ein solches ohne Last hinunterschwimmt, dafs ein kleines Boot
— 266 —
langsiuiiei* al> fiii ^jröfseres fälirt u. s. w. Im erstoii Au;,'eiiblick
kommt es ciiieiii unfilaublicli vor, uml ich (hu hto wie viele andere,
(ials (las (jaiize auf notdürftigen Beobachtungen beruht, die Sache
ist dennoch richtig und die I'>kläning liegt nahe auf der üand,
obgleich dieselbe, wie ich glaube, wenig bekannt ist. Ein Fahnseug
befindet sich auf einem flusse wie auf einer schiefen Ebene und
die eine Komponente des Gewichtes bedingt eine Bewegung, die
relativ deijenigen des Wassers ist. Von mir angestellte Yer-
SQche führten in dieser Hinsicht zu flberraschenden Resnitatea.
Anf der Stelle, wo die absolute Oesehwindigkeit des Wassers
l,oso m war, erwies sich die relative (ieschwindigkeit des Fahr-
zeuges 0,»a m, mit anderen Worten: die (ieschwindigkeit des
Fahrzeuges überstieg die des Walsers um 21 ® <i. Wcim die Neiirung
des Wasserspiegels 0.5 auf lOOC) und (la> Deidacement des Schiffes
zu 70000 kg angenommeu werden, so ergiebt sich eine Kraft
(komponente) von 35 kg, welche das Fahrzeug vorwärts durchs
Wasser zieht Diese genügt, um eine relative Bewegung von
O^t m in der Sekunde hervorzurufen. An einer andern Stelle,
wo die Geschwindigkeit des Wassers 1,6 m war, wurde die relative
Geschwindigkeit zu 0,s m oder etwa 12 Wo berechnet. Dabei mufis
bemerkt werden, dafs, je grdfeer die absolute Gesdiwindigkeit ist,
desto energischer sich der Widerstand der Luft zeigt. Als allge-
meinen Satz finden wir also, dafs
1) jeder Gegenstand, welcher auf einem fliefsenden Wasser
schwimmt und schwerer als ein Molekül Wasser ist, sich ^geschwinder
als das Wasser bewegen mufs, unter der Voraussetzung, dafoaufsere
Einwirkungen keine Störungen bedingen.
Die Ergebnisse der Untersuchungen von Mr. Frond, des be-
rühmten englischen Ingenieurs, beweisen, dals Fahrzeuge verschiedener
Gröfse, die nach demselben Modell erbaut sind, einen Widerstand
erfahren, der in Kubikproi)()itinn zu den Dimensionsverhaltnissen
steht, unter der Voi-aussetzuug, dals die Geschwindigkeiten propor-
tional den Quatlratwurzeln aus denselben DiniensionsverliiUtuisseu sind.
Das Deplacement steht aber gleichfalls, also im vorliegenden Falle
auch die treibende Kraft in Kubikproportion zu den Dimensious-
Verhältnissen; also ergiebt sich das einfache Gesetz, dafs
2) die relativen Geschwindigkeiten gleichförmiger Körper, welche
auf fliefsendenl Wasser schwimmen, proportional den Quadratwurzeln
aus den Verhältnissen der lincuieii Dimensionen sind. Mit andern
Worten, wenn man ein Modell mit viennnl kleinern linearen Dinien-
siuneu als unser Fahrzeug hatte, in welchem 1 alle das Deplacement
Digitized by Google
— 267 —
sicli natüiiii'li H4 Mal (4-') veniiindern würde, so witrc dio relative
Gebclnvindijikeit diesf'> Modells gerade iiin dio llültte (i 4) kloiner,
als die unseres iSchiffes. Je kleiner (respektive leichter) der
schwimmende Gegenstand ist, desto weniger wird die Geschwindigkeit
desselben sich von der des Wassers nntersclieiden und die relative
Geschwindigkeit wird gleich Null, wenn der Gegenstand so Idein ist,
daÜB derselbe nur ein Molekai Wasser verdrängt
Die gröfeere Geschwindigkeit des Fahrzeuges im Vergleich mit
der des Wassers bedingt die Möglichkeit, ein stromabwärts treibendes
Schiff zu steuern. Vier und einen halben Tag nach der Abreise von
Irkutsk langten wir in Bratski-Ostrog an. Hier wurde halt gemacht,
um die Ausrüstung zu vervollständigen. Der wichtigste Teil des
Weges stand bevor. In einer Entfernung von 20 Werst von hier
befindet sich das gröfste Eisenwerk Ostsibiriens, dasselbe gehört dem
Herrn Butin, steht aber gegenwärtig unter Administration. Da es für
uns von Interesse war, dieses Etablissement zu sehen und einige
Eisenger&te für unsere Expedition dort zu erlangen waren, so be«
stellten wir Bauempferde und traten die Reise dahin in einer
einfachen Tjelega an. Wir fanden zwar bei unserer Ankunft den
Direktor nicht vor, aber sein Stellvertreter, ein Engl&nder, war
sichtlich erfreut mit jemandem aus Europa plaudern zu können; er
erzahlte, dafo der Umgangskreis an diesem Orte sehr klein wftre,
da die Bevölkerung von 2600 Personen beinahe ausschliefslich aus
Verbrechern und deren Familien bestehe. In seinem Hause dienten
ein Mann und ein W^ib, die beide wegen Vergiftung nach Sibirien
verbannt worden waren. Im Laufe des letzten Jahres wurden hier
3 Weiber, 2 Kinder und 1 Mann ermordet.
In Anbetracht der 1 hatsache, dafs das Werk mit einer solchen
auserlesenen Sippschaft von Hnubern und Sclnirken betrieben wird,
kann es niemanden verwundern, dafs die Arbeit mit der schlechtesten
in Europa keinen Vergleich aushalt. Die Ausbeutung der Schätze
Sibiriens und jede Industrie wird eben hauptsachlich durch den
Mangel an tauglichen Arbeitern erschwert. Ein industrielles Unter-
nehmen, so splendide Resultate es auch ergeben mag, scheitert oft
an dem Mangel oder der Untauglichkett der Arbeitshande. In dieser
Gegend ist ausgezeichnetes Eisenerz gefunden worden, Steinkohlen
liegen beinahe zu 1 age, immense unangetastete Wftlder, alles nahe
bei einander I Nadi Irkutsk führt ein Wa.sserweg, keine Konkurrenz
ist vorhanden. Die irewöhnlichen Eisensorten werden in lrkiit>-k mit
4 Kiibel das Tud bezalili, die einfacli>ten Sachen aus Schmiedeeisen
kosten <) - 10 IJnbel da< l*ud. Wer könnte der Vei'suchnnL: wider-
äleheii, hier ein Get^chält zu betreiben! Wie gestalten sich nun aber
Digitized by Google
— 268 —
die Dinge in der Wirklichkeit? Vor 90 Jahren wurde das Eisen-
werk anf Kosten der Krone gebaut und Hatte Ntkol^jewsk genannt.
Was dieses Werk der Krone f^ekostet hat, ist unbekannt, es kann
aber in keinem Falle eine geringe Summe gewesen sein. Die Hütte
wurde hernach dem Herrn Trapeznikoß in Irkutsk über{]:eben, dabei
wurden 50() Quadrat -Werst Wahl der Hütte beigefügt, um dieselbe
zu betreiben. Nachdem der Eigentümer mehrere hunderttausend
Rubel verausgabt hatte, übergab er das Werk Herrn Butiu, welcher
gegenwärtig unter Administration steht.
Einige Werst unterhalb des Bratski-Ostrog liegt der erste
Angarafall, Pochmelni genannt; wahrend die Ausrflstung der Barke
beendigt wurde, reisten wir in einem Boote ab, um einen allgemeinen
Überblick zu erhalten und um möglicherweifle die Untersuchungen
anzuÜMigen. Ifan warnte uns davor, dem Falle za nahe zu kommen,
da die Strdmung dort sehr stark sei Bei den klumpigen Bdien, die
zu unserer Verfügung standen, war allerdings eine solche Warnung
nicht am unrechten Ort. Bald hatten wir uns dem Falle genähert
und landeten, um den IMatz zu beschauen. Der Fhifs hat beim
Katarakt die Breite von einer Werst, das Strombett ist mit Steinen
besäet, über welche das Wasser sich schäumend Bahn bricht: die
weifsen Wellen jagen mit starkem Tosen in unstüter Braudung durch
den anderthalb Werst langen Fall. Hechts erhob sich aus dem
Wasser am Ufer eine jener zerbröckelten grotesken Felsformationen,
welche öfter an der Angara angetroffen werden. Vom Berge lOsen
sich allmählich gewaltige obeliskförmige Massen, die ans Über-
einander lagernden horizontalen Schichten zusammengesetzt sind
und sich oft auf eine aufserst schmale Fl&che stützen. Das Wasser
dringt in die Risse ein und durch den Frost werden die Felsstacke
immer mehr auseinander gesprengt. Bald verliert der Obelisk sein
Gleichgewicht und die Felsenroasse stürtzt in den Flufs hinab. Es
bilden sich dadurch au mehreren Stellen am Bergfufse Böschungen,
welche es (lern Fulswanderer ermöglichen, sich einen freilich mühe-
vollen Weg längs dem Strande zu bahnen. Ein beklemmendes Gefühl
bemächtigt sich des Wanderers, wenn er zum erslen Male zu den
losgerissenen Felsenmassen hinaufblickt. Die kleinste Erschütterung
der Luft scheint die Macht zu haben, die herabhangenden Felsen-
stücke hinunterzustürzen. Auf die Frage, ob es nicht gefahrlich sei
unter diesen zerfetzten, steilen Felswänden zu wandeln, antwortete
ein Straudbe wohner : ^Wir gehen oft diesen Weg, Gottes Bannhwzig-
keit ist gtoi&^.
Im Katarakte fanden wir zwei Fahrwasser oder ^Thore'', durch
welche Fahrzeuge stromabwärts passieren können.
Digitized by Google
269 —
Das Fahrwasser um linken Strande ist so seicht, (UiLs hier
mir kleinere Bote passieren können. Der Taji< war bald zu Knde,
darum wurde beschlossen die Tiefe, die Geschwindigkeit der Strömung
und andere Eigenschaften dieses Fahrwassers zu untersuchen. AVir
waren nahe daran, mit dem Katarakte eine allzu intime Bekanntschaft
ZQ machen. Gegen den Strom rudernd, um seine Wirkung zu
schwachen, fingen wir an hinabzugleiten. Mittelst Bootshaken Ter-
suchten wir zu gleicher Zeit die Geschwindigkeit des Bootes zu
regulieren und die Sterne fem zu halten. Der Strom gewann aber
dessenungeachtet die Oberhand, wobei wir uns plötzlich vor einer
Klippe befonden, Aber welche das Wasser brandete. Wir versuchten
das Boot zum Stillstand zu bringen, aber zum Unglück brachen
beide Bootshaken und mit Rudern konnte nichts ausgerichtet werden.
Auf alle Fälle war aber der Anker klar, im nächsten Augenblick
standen wir still, es war die höchste Zeit, noch einige Faden und
das Boot wäre an der Unterwasserklippe zerschellt worden. Nach
einigen Anstrengungen wurde ein Tau ans Land gebracht und wir
sahen uns aus unserer prekftren Lage befreit. Nachdem der Anker
etwas höher geworfen war, kamen wir allmfthlich hinunter in den
Katarakt und fahrten die nötigen Yermessnngen aus. Es dämmerte
schon als die Arbeiten eingestellt wurden, wir kehrten zur Barke
zurflck, dieselbe war unterdessen angelangt und lag oberhalb des
Kataraktes vor Anker. Am nächsten Morgen wurden die Haupt- .
Untersuchungen in Angriff genommen; es hielt schwer einige Mann
der Besatzung zu bewegen mitzugehen. Die Leute meinten, dafs,
wenn wir vielleicht lebensmüde seien, sie dagegen keine Lust hatten,
ihr Leben zu verlieren. Nach langem Hin- und Herreden beschlossen
einige Mann doch mit uns zu gehen und die Arbeiten wurden ohne
weitere Abenteuer fortgesetzt. Die (Jeschwindigkeitsmessungen be-
wiesen, dafs die stärkste Strömung nicht 12 Werst die Stunde
überetieg. Die Tiefmessungen wiesen 8 Fufs als mindeste und
24 Fufs als gröfste Tiefe auf, wobei bemerkt werden mufs, dafs der
Wasserspiegel nach den Angaben der Uferbewohner 4Vt Fufs aber
dem niedrigsten Niveau stand. Beim Eintritt in den Katarakt hat
man rechts einen Stein und links eine Felsbank, in der Mitte des
Falles biegt das Fahrwasser sanft nach links um einen Stein, den
der Lotse Bjelak (Weifser) nannte; in jedem Katarakte werden bei-
nahe obligatorisch ein Bjelak und ein Tschomi Kamen (Schwarzer St^in)
angetroffen, ( tleich unterhalb des Bjelak befindet sich links eine Felsbank
und weiter rechts ein Stein „Wasili plita", gegenüber ein anderer
»Kammeschok" irennnnt. Die schmälste Stelle des Fahrwassers ist
mindestens iX) m bi eit und die TotaUauge des Katai'aktes ist eine Werst.
0«o«r. BUiter. Bremeu. IHM.
Digitized by Googit
— 270 —
Ich habe etwas umstftndlicber den «PochmelDi porog^ be-
schrieben, da er als Typus der AngaraMe hingesleUt werden kana.
Die Zahl der grüfseren und kleineren Falle lAngs der Angara aber-
steigt dreifeig. Nachdem alle Arbeiten beendigt waren, lichteten
wir die Anker, der Lotse stellte sich auf einen Holzkluiz, um über
die Kopie der Ruderer frei wcj? zu sehen, der Steuermann las ein
Gebet und bald traten wir (20 Mann) in den Katarakt, aus Leil)es-
kraften rudernd. Nachdem die «jefährlichsten Steine pa>siert waren,
erscholl der Kommandoruf ; „Grebi schabasch" (genug gerudert), die
Ruder wurden aufgehoben uud die P>arke setzte die Fahrt fort, vom
Strom und der früheren Schnelligkeit getrieben. Einige Werst unter-
halb des «Pochmelni^ liegt der j^Pjany". Oberhalb des letzteren
wurde aus einem Boote Anker geworfen und hinab ging es am Taue
ins Fahrwasser. Nachdem auf diese Weise eine Werst zurückgelegt
war, befanden wir uns mitten in der stärksten Strömung, als plöts-
lieh eine Gewitterwolke Aber uns kam. Der Versuch, die Arbeiten
fortzusetzen, mifslang, tlas Unwetter wurde starker und idötzlich
sahen wir uns vor einem jener Ausbrüclie der Naturkräfte, dem
gegenüber der Mensch sich überwältigt fühlt. Es wurde stockfinster,
der Regen flol's in Strömen herab, Blitze züngelten und Donnersalven
erschütterten die Luft mit furchtbarem Getöse, die Felsen am Ufer
schienen jeden Augenblick herabstürzen zu wollen. Unsere Lage
wurde dadurch noch schwieriger, dafs der Sturm das Boot in der
Richtung des Kataraktes hinzerrte, dessen Strömung mit der Ge-
schwindigkeit von 38 m in der Sekunde dahineilte. Sollte unser Tau
diese Rocke aushalten?
Die Stöfse wurden immer gewaltsamer und eine gewisse Unruhe
l)emftchtigte sich unserer bei dem Gedanken an die Möglichkeit, den
Fall hinuntergeschleudert zu werden. Doch alles ging glücklich abl
Die Besatzung weigerte sich nua aber für immer, luis nach den
weiteren Fällen zu begleiten, und wir waren von nun an gezwungen,
Leute aus den nächsten Dörfern zu holen.
Der nächste Fall war der „Padun", welcher der Schiffahrt
auf der Angara das schwierigste Hindernis in den Weg legt. Sieben
Werst oberhalb des Falles warfen wir Anker bei der Nikeiski-Insel,
welche zu den merkwürdigsten Naturerscheinungen des Flusses
gehört Die mehrere Werst lange Felswand, welche die Insel bildet,
ragt 60 Fufs glatt und steil aus dem Flusse hervor; die verschiedenen
Schichten der Wand lagern in so regelrechten Linien übereinander,
daljB man fast glaubt eine von Mensdienhftnden aufgef&hrte Mauer
vor sich zu haben. Das horizontale Plateau auf dieser Mauer wird
von einem Nmlelwald gekrönt, zu dessen Fülsen sich eine grüne
uiyuizod by Google
— 271 —
Grasmatte ausbreitet. Nachdem wir einen Lotsen gefunden und
mehr Leute an Bord genommen hatten, wurde die gefürchtete Reise
längs dem „Padun^ angetreten. Die Tiefe des Fahrwassers ist an
einigen Stellen bei niedrigem Wasserstande 2Vt bis 3 Fu&,
gegenw&Ttig war das Wassemiveaa hoher und waaere Barke krachte
bedenktieh in allen Fagen unter dem Anpralle der Wellen nnd dem
harten Spiele der Strömung, kam aber glflcklich durch. In der
Nähe des „Paduns" umschlangelt der Flufs eine Anzalii Inseln und
breitet sich, einem See gleichend, aus, beim l'alle aber schmillert er
sich wieder bis zu 1 km. 5 ni fallemi und mit der Geschwindigkeit
von 47 m in der Sekunde eine \\ erst zurücklegend. Das linke Ufer
am Falle ist ganz flach, hier wurden daher Untersuchungen angestellt,
behufs Anlegung eines Kanals. Dieses Werk wäre sehr leicht her-
zustellen, der Fall wäre dann umgangen und das gröfste Hindernis der
Schiffbarkeit der Angara aus dem Wege geräumt Die einzige
Schwierigkeit wird die Verwahrung des Kanals vor dem Eisgange
im FriUyahre sein. Das Eis rei&t zu dieser Zeit das flache Ufer auf.
Bechts und unterhalb des Falles zur linken Hand steigen aus dem
Wasser steile, zerklfkftete Felsen bis zur Höhe von 300 Fnfs auf; diese
Felsen verleiheu der ganzen Gegend ein wildes, imponierendes
Aussehen.
Nach der Aussi\ge der Bauern ist der Boden auf den niedrigen
Stellen in einer gewissen Tiefe immer gefroren, dieses wurde gleich-
falls durch unsere Bohrungen bestätigt, der Boden war unter 10 i^'ufs
Tiefe hait gefroren.
Bisher war es uns schwer gewesen frische Nahrung anzuschaffen.
Wir sahen zwar oft Fischereigerftte, aber niemals den Fang selbst
Als wir weiter den Flufs herunterkamen, begannen die Eingeborenen
in kleinen, aus Baumstämmen ausgehöhlten Böten uns mit Besuchen
zu beehren. Sie brachten Eier, Milch, Fische u. a. und tauschten
diese Produkte gerne gegen Thee aus. Unsere Barke war nämlich
mit in Form von Kuchen geprefstem Thee beladen; diese Waare war
also unsere Scheidemünze. Für 2 Knchen Thee und 4U Kopeken
haar oder ungefähr 2 Rubel 40 Kopeken zusammen kauften wir
einen Stör von */2 Pud an Gewicht und einen Sterlet von 8 Fnfs
Lange. Ein anderes Mal kaufte ich für 4 Rubel einen Stör von
45 Pfund Gewicht; in dem Fische wurden 11 Pfund des besten
Kaviars vorgefunden. Der Stör ist hier ausgezeichnet und wird dem
Sterlet vorgezogen. Wildpret wird ebenfalls reichlich angetroffcu.
Bei dem Padunschen Falle fingen die Schiffsarbeiter einen Behbock,
der über den Flufs schwimmen wollte, eine willkommene Abwechselung
in unserer bis Jetzt ziemlich einförmigen Speisekarte. Hirschhaute
19^
üiyiiizea by LiOfigle
— 272
wurden in grofser Zahl h'iW'v^ verkault. Der Weg führt weiter ül)er
Dol^ri imrt Schamaiiski Poro^i, die länf?sten Källc der Aniiara. Der
letzte ist 7 Werst lang; die stai'ke Strömuug herrscht aber nur auf
einigen Werst. Hier waren wir nahe daran, eine unfreiwillige Fahrt
zu machen. Wir waren nämlich 1*/» Werst stromabwärts gekommen
und wollten wieder zum Anker hinauf ; als letzterer gehoben wurde,
befand sich das Boot in einer so starken StrOmung, daCs unsere
▼ereinten Anstrengungen nicht ausreichten, weiter hinauf zu rudern.
Rechts lag eine kleine Insel. Wir beschlossen dieselbe zu erreichen.
Es wurde nach Kräften gerudert, das Boot trieb stark, unsere Hoff-
nung unterliall) der Insel stilleres Wasser zu finden, schlutr fehl.
Mit zwei Bootslmken und iluderu bewatl'net, versuchten wir den
Kampf mit den Wellen uufzuuehmen : wir kamen aber allmählich
immer mehr zurück. Zum Untjlück ging ein Bootshaken durch ein
ungeschicktes Manöver verloren 1 Jetzt war es klai', dafs die Insel
nidit mehr zu erreichen war. Den Strom hinab auf dieser Seite zu
gehen war unmöglich, der Weg war förmlich mit Steinen besäet»
etwas mufste riskiert werden; so wurde beschlossen, das Verhältnis-
mäfsig ruhige Wasser unterhalb der Insel zu verlassen und das
rechte Ufer zu erreichen. Der (lulsarm auf der andern Seite der
Insel erwies sich aber tief und rasch strömend, — die Krftfte der
Ruderer waren erschöpft, — hinunter ging es unwiderstehlich. Dessen-
ungeachtet näherten wir uns doch dem Ufer, auf eine wunderbar
glückliche Weise, zwischen den Steinen lavierend, erreichten wir
endlich unser Ziel. Nim wurden einige Mann ans Land gesetzt, um
das Boot an einem Taue stromaufwäi-fs zu ziehen. Bei einer starken
Brandung angelangt, rifs das Tau, und wir waren wieder auf dem
Wege den l all hinunter. Glücklicherweise war ein solches Mifs-
geschick vorhergesehen, die Ruder waren bereit und bald gelangten
wir wieder ans Ufer. Neue Anordnungen wurden getroffen und
endlich gelang es mit vereinten Anstrengungen, das Boot aus dem
Katarakte herauszuholen und die Barke zu gewinnen. Unterhalb
des Schamanski-Kataraktes sind noch über zwanzig Stromschnellen
auf der Angara, die ^efilhrlichsten sind aber vorüber.
Wir werden daher nur noch der Katarakte Aplinski Murski
und des am Austiusse gelegenen Streikottski Krwahnung thiin. Bis
zum Brjanski-Sciiiniera-Katarakt begünstigte uns das Wetter, be-
sonders willkuinnieu war das Ausblieben starker Winde. Bald aber
erh(d) sich ein heftiger Gegenwind und es blieb nicht< anderes übrig,
als Anker zu werfen. Zur Beruhigung gereichten keineswegs Mit-
teilungen, dafs Barken oft 14 'l äge brauchen, um die letzten 500 Werst
zurOckzulegeu. Nachdem wir einen Tag am Anker verbracht hatten,
Digitized by Google
— 278 —
beschlofs ich das gröfst« Boot aiiszuriisteii, mit l>pbpnsniiUeln zu
vei-^ehen und durch eini^^e Manu dasselbe zum uächsteu Dorfe rudern
zu lassen. Von hier aus wurden wieder Ruderer gedun^^eu und so
ging es weiter lag uud Nacht iu dem otFeneii Boote. Es regnete
einige Male, die Nächte waren rauh und neblig, niemand aber verlor
den Mut, vorwärts ging es, Einst räderten wir im Nebel gegen den
Strom, als der fatale Irrtum bemerkt wurde, legten wir wieder das
Boot um und orientierten uns am Kompafs.
Den August erreichten wir den letzten Fall der Angara,
Strelkoffiski.
Glücklich waren wir bisher allem Mifsgeschick entgangen, in
der letzten Stunde sollten wir noch eiueu tüchtigen Schreck erleben.
Das Boot hielt, wir warfen wie gewöhnlich Anker oberhalb des
Kalles und das Tau lief rasch heraus. — als plötzlich ein Hülferuf
erschallte. Ein Matrose war mit dem Beine ins Tau gekommen und
lief Gefahr über Bord gezogen zu werden. Die nächsten Kameraden
griffen unbedacht das Tau und schnitten sich damit die Hände, es
war aber entsehlossenes Volk am Bord, so dafs der Ärmste mit
heiler Haut davon kam, der Schreck und einige Beulen waren die
einzige Erinnerung an die bestandene Gefahr.
Die Angara ist beinahe frei von beweglichen Banken, die in so
bohem Mafse die Schiffahrt auf den meisten Flfissen Rufslands und
Sibiriens erschweren. Die einzige Stelle auf der Angara, wo beweg-
liche Sandbänke vorkommen, liegt an der Igreukiua schiwera,
600 Werst vom AusHusse des Stromes entfernt. Die fünf gefähr-
lichsten Fälle, nämlirh Pochmelni, Piauy, Pjidun, Dolgi uud Scha-
manski behndeu sich auf der kurzen Strecke von 200 Werst, von
Bratsky-Ostrog gerechnet. In der Entfernung von etwa 270 Werst
von der Mündung der Oka beim Bratsky-Ostrog empfängt die Angara
oder Tungnska den bedeutenden Nebenllufe llim, der seit undenk-
lichen Zeiten als Warenverkehrsweg von Jenisseisk der Lena entlang
dient Die Fahrseuge tragen hier die Last von 10—15000 kg und
gehen den Flufs hinauf teils segelnd, teils von Pferden am Ufer
gezogen. Der gröfste Teil der Angara-Fälle friert im Winter, der
Padun allein kämpft mit Erfolg gegen Sibiriens eisiges Klima.
Myriaden von Mücken und kleinen beifseuden Klie^'en erschweren
bedeutend im Sommer die Untersuchungen in diesen (regenden. Die
Augenlider schwellen stark auf von den Bissen dieser (,hiälpr uud
man mufs durch eine Netzbaube geschützt sein. Diese Infekten sind
eine wahre Landplage der hiesigen Bevölkenmg und niemand kann
ohne eine solche Schutzmafsregel das Haus verlassen. Vor der
Trennung von der Angara wurde eine annähernde Messung der
uiyiiiziüd by Google
— 274 —
Wassermenge, welche der Angara jede Sekunde in den Jenissej er-
giefst, ausgeführt; das Resultat war etwa 4000 Kubikmeter in der
Sekunde. Die Breite des Flusses au der Mündung betrug IV2 km.
An tleni^elben Tage verliefsen wir, beinalic wehmütig jrestimmt,
unsere Begleiterin auf 17U0 Werst und erreichten den Jenissej bei
herrlichem Mondschein und ziemlich süirkem Winde. Aus zwei
Hudem wurde ein Miist improvisiert, an der Stange zur liefmessung
wurde ein altes Segel, das wir von der Barke mitgenommen, befestigt,
nnd munter ging es den Jenissej hinab. Einmal stiefisen wir leicht
an Grund, am Morgen wurde es etwas neblig, vor 8 Uhr waren wir
aber schon in Jenisseisk und betrachteten ndiig aus dem H^tel den
Platzregen, der gleich nach unserer Ankunft losbrach.
In Jenisseisk hielten wir uns nur einige Stunden auf. Nachdem
die Korrespondenz abgeholt, einige Telegramme abgesandt worden und
ordentlich gespeist war, nahmen wir in einem Tarantai's Platz zur
Fahrt nach Tonisk. welches von Jenisseisk 8(X) Werst entfernt ist.
Es galt den Dampfer anzutrelten, der nach 5 ^'2 Tagen nach Tjumen
abgehen sollte. In Tonisk langten wir zeitig genug an und setzten
die Reise mit Dampfer fort Wegen Wassermangels mufste unser
Fahrzeug 130 W^erst vor Tjumen liegen bleiben. Der Flul's Ob ist
hier sehr häfslich durch niedrige, sandige Ufer und bewegliche Sand-
bänke. Die Bevölkerung besteht ans Osljaken und Russen, welche eine»
einträglichen Ftschfang betreiben. Noch muCsten 490 Werst mit
Tarantals zurQckgelegt werden. Mit einem GefOhl au&erordentlidien
Wohlbehagens betrat ich den Bahnhof in Jekaterinburg: die Be-
schwerden der langen Reise waren vorüber ! Den 28. August (9. SeiT-
tember) passierte ich wieder die europäisch - asiatische Grenze und
langte den 4. '16. September in Petersburg an. In drei Monaten
waren 14(MX) Worst zurückgelegt worden, davon 4600 mit Tarantai's-
achse. Bei der Abreise von Petersburg habe ich die Schlafsessel der
Nikohiibahn sehr unbequem gefunden. Bei der Rückkehr aber hatten
sich die Schlafsessel in Daunen])olster verwandelt, auf denen ich nach
langer Entbehrung vortrefflich ruhte. Die Heise bot gewifs keine
Gelegenheit verweichlicht zu werden. Emst muisten wir auf einer
Poststation eine Stunde auf Pferde warten, ich streckte mich auf
eine Holzbank und schlief augenblicklich, ohne Kopfunterlage, ein,
der Schlaf war sftCs und labend, — ich ruhte wie auf Rosen.
uiyiii^uü Oy Google
Reise nach dem Grorsen See (Tai-hu) bei Su-diou.
Von Dr. Friedi'icb Uirtli.
Kanalfahrt. Die Btadt Su>chou. Chinesische Strasseiibuben. I>ei- Kai!>urkanal. Die
Fabrikstadt Wu-hsi. Am Grossen See. Flächeninhalt desselben. Namen, Zuflüsse
und Austiüsäe. Die Ufer. Pegel. Iiiselu. Hesteigung des Maudarhiburges. Produkte
der Ufergeceaden. IHe Ungecend dM Sms der wiehtigete Sefdendisferikt CAines.
Fisohe, Vild. Töpferindaetrie.
Die Eeiise, die ich in der Pfingstwodie 1884 von Shanghai ans
nach der Gegend des Grofsen Sees (T'ai-hu) hei Su-chou unternahm,
ist keine anfeergewöhnliche. Das ^^anze Kanalnetz, sowie die zahl-
reichen Seen westlich von Shanghai ^Yel■cien in der kühlereu Jahres-
zeit sehr häutig von ansässigen Euro]»äern, naiiientlicli von Jagdlieb-
liabern besucht. Der Zweck meiner Reise, wehhe id\ in Gemeinschaft
mit einem Freunde, Herrn Alfred Krauss aus Stuttgart, unternahm
und die sich auf die kurze Zeit von einer Woche bescliränkte, galt
weder der wissenschaftlichen Forschung, noch der Jagd, sondern
lediglich der Erholung.
Wir begaben uns gegen Abend am Freitag, den 30. Mai, an
Bord einer kleinen Dampfbarkasse, die, mit dritthalb Tonnen Kohlen
belastet, uns ein anbequemes Fahrzeug gewesen sein würde, w&re
sie uns mehr als ein Vorspann zu dem bequemen Hausboot — so
uennt man die mit Wohnkajttte versehenen Flufsfahrzeuge jener Ge-
wässer — gewesen, das wir seit drei Stunden mit unserer Bauage
vorausgeschickt hatten, nm uns während des Tages einen möglichst
grofsen Vorsprung abzugewinnen. Bald erreichten wir das bequemere
Fahrzeug und wurden nun durch eine Anzahl Kanäle hindurch inner-
halb vierundzwanzig Stunden bis an die Ufer des Grofsen Sees
geschleppt Man kann von Shanghai aus, nm zu diesem See zu
gelangen, zweierlei Richtungen einschlagen; erstens, den Wusung-
flufis, den Nebenflnls des Jangtze, an dessen linkem Ufer Shanghai
liegt, hinauf in die unteren Ausfiflsse des Sees; zweitens, den Kanal
entlang, der von Shanghai dktkt zur Stadt Su-chou führt und
deshalb ^^Su-chou-Oreek*' genannt wird, und von dessen Endpunkt
wiederum verschiedene Verbindungskanäle, aufser dem bei Sn-chou
vorbei i)assierenden Kaiserkaual, den Verkehr mit dem Tai-hu ver-
mitteln. Wir wählten den letzteren Weg, die nördliche Passage, die
in mancher Beziehung der südlichen vorzuziehen ist; denn der Weg
ist kürzer und, falls sich konträre Winde einstellen, wie dies bei
unserer Hin- und Rückreise meist der Fall war, kann das Boot mit
Hülfe einer an der Mastspitze befestigten Leine vom Ufer aus durch
die Bootleute gezogen werden, wftbrend auf dem breiteren Wusnng-
üiyiiizea by Googl
— 276 —
flufe zwar mehr Chaooe zum Segeln vorhanden ist, aber auch oft
gegen die kurzen Fluliswellen angegangen werden muÜB, deren
Wirkungen auf das Innere der Kajflte der Vergnügungsreisende gern
vermeidet. Der Kanal von Su-chon bildet, als der kürzeste Weg
zwischen Shanghai, das Centruni des Seehandels, und Su-chou, eiue
der wichtigsten Städte des Reichs, die hau[)tsachlichste Verkehrsader
unter den zahllosen Wasserstrassen jener Gegend. Davon zeugt die
grofse Zahl von Fahrzeugen aller Art, die seine Gewässer durch-
schneiden; vielleicht auch der Telegraph, dessen vierfacher Draht
das nördliche Ufer begleitet.
Nachdem wir durch das üppige Flachland der Weizenfelder auf
beiden Ufern hindurch die Stadt K^un-shan (Quinsan) passiert hatten,
bekamen wur am andern Morgen die Pagoden von Su-chou, die sich
von dem Hintergrunde einer steilen Bergwand malerisch abheben,
in Sicht, und bald steuerte unsere Barkasse mit ihrem Anhftngsel
durch die Vorstädte dieser Metropole des guten Geschmacks, wo
nach chinesischen Begriften die schönsten Menschen erzeugt werden.
FAne Strafse der nördlichen Vorstadt, die unser Boot passieren niulste,
erinnerte lebhaft an Venedig, so wenig auch ihre Bewohner den
Venetianern ähnlich sein mögen. Zu beiden Seiten mehrstöckige
Häuser, von deren Thüren steinerne Treppen hinab nach dem Wasser
fülirten; vor jeder Treppe eine Gondel, um nicht Sampan zu sagen;
am Ende dieser wirklich malerischen Perspektive eine Seufzerbrücke
mit hohem Bogen, voUst&ndig besetzt mit dem Janhagel der benach-
barten Querstrafisen, meist Kinder vom zartesten Alter bis zu den
Jahren der Toga virilis, die bei den Chinesen sinnbildlich mit dem
Tragen der M&nnerkappe angenommen wird, sämtlich in grofeer
Aufregung über den seltenen Anblick der Europäer und uns mit
den landesüblichen Schimpfworten Jang-kui-tzu (fremder Teufel)
und La- Ii -hing (Spitzbube) begrüfsend. Mit diesen und ähnlichen,
nicht weniger geliassigen Ausdrücken verfolgte uns eine Schaar halb-
wüchsiger Jungen in allen gröfseren Städten, während die Land-
bevölkerung sich in der Kegel, wenn nicht höflich und entgegen-
kommend, so doch gleichgültig zeigte. Man würde Unrecht thun,
wollte man dieser Unsitte der städtischen Jugend besondere Bedeutung
beimessen, so lange die erwachsene Bevdlkerung nicht hetzend dabei-
steht; und dies war wohl kaum irgendwo der Fall. Will der Fremde,
falls er die Sprache spricht und versteht, ttberhaupt von dergleichen
Attaken Notiz nehmen, so soll er stets bedenken, daTs ein diinesischer
Volksauflauf sich durch Zorn und Entrflstung des Beleidigten viel
weniger dämpfen läfst, als durch eine einzige ironische Bemerkung, mag
der damit verbundene Witz auch noch so einfältig sein. Als ich den
Digitized by Google
— 277
unaafhörlich „La-li-lung^ schreienden dummen Jungen ganz aner-
wartet auf chinesisch zurief: „warum nennt ihr uns immer wieder
eure Namen, wir wissen ja längst wie ihr heilst^, brachen die
Besseren in ein beifälliges Gelächter aus und die Schreier schwiegen.
Auf Jang-kui-tzu (fremder Teufel) kann mau sich leicht durch T'u-
kui-tzu (einheimischer Teufel) revanchieren; doch bleibt es, wie ge-
sagt, immer das Beste, gleich dem starken Neufundländer, keine
Notiz von dem Geklalf der kleinen Hunde zu nehmen. Ist nicht
schlieüslich eiu bezopfter Fremder, der in eine Schaar oft viel besser
erzogener böser Buben in £uropa gerät, ähnlichen Insulten ausgesetzt ?
Hinter Su-chon traten wir in den Kaiserkanal ein, der sich
von den bisher befiihrenen Gewässern nur durch die Abwesenheit
Yon Krammnngen auszeichnet Hier begegneten wur einem bedeuten-
den Verkehr von FluHsschiflen, die entweder segelten oder mit Hälfe
der Leine gezogen wurden. Am westlichen Ufer l&uft parallel mit
dem Kanal und den ihn ebenfalls begleitenden Telegrai)hendrähteu
eiu Fufsweg, der sich von einem Punkte unterhalb K un-slian uu last
ununterbrochen begehen lafst. da die Mündungen abzweigender Ge-
wäiiser mit Brücken überspannt sind. Wir passierten eine Anzahl
schöner Kanalbrücken und bogen gegen Abend des zweiten Tages
in die südöstlichen Ötrafsen der Kreishauptstadt Wu-hsi, eines be-
dentenden Fabrikorts mit grofser Bevölkerung, ein. Nach einer
langen Fahrt durch die Vorstädte kamen wir durch eine bfeite Stelle
des Kanals, die mit einem Gewfihl von kleinen Böten angefUlt war,
deren jedes soviel Menschen trog, als nur irgend darauf Platz finden
konnten; die Ufer waren dicht bestonden, und von der gegenflber-
liegenden Stadtmauer herab schaute eine Perlenschnur gelber be-
zopfter Köpfe. Am ent^^egengesetzten Ufer war eine geräumige
Schaubühne errichtet, auf der sich ein historisches Schauspiel mit
allem Flitter der Romantik im chinesischen Sinne abspielte.
Wu-hsi ist eine stark bevölkerte Fabrikstadt. Ziegelbrennereien,
das Töpfergewerbe und die Manufaktur gufseiseruer Pfannen (letztere
in der Umgegend zum Auskochen der Seidenkokons vielfach ver-
wendet; bilden augenscheinlich nächst der Seideukultur die haupt-
sächlichsten Industriezweige. In den Vorstädten finden sich viele
solid gebaute und weitläufig angelegte Privathäuser, — Wohnungen
reicher SeidenzOehter. Wn-hsi ist der Sitz einer jesuitischen Missions-
' anstelt mit etwa 4000 Bekehrten, die teils in der Stadt, teils in
der Umgegend residieren. Kine kurze Kanalfahrt führte uns durch
üppige Maulbeerptlanzungen hindun li zu <leu l jci u des Sees, dessen
Wa8sersi)ie!iel mit seinen malerischen Ufern sich uns bei Sonnen-
untergang darbot.
Digitized by Google
— 278 —
Die rtor »lo^ Sees ^^eliören nach den AiiL'abf'ii eines chine^i-
scheo Werkes übei* den T'ai-hu*) zwei verschiedenen Provinzen an,
der südliche Teil der Provinz Chekian-r, der nördliche der Provinz
Kiang-su; und zwar beteiligt sich das Departement Su-cbon-fu mit
^/lo an der gesamten Uferlänge, das Departement Chang-choa-fii mit
Vio, so dafs ^/lo der Uferlftnge zw Provinz Ktang-su gehören, wftfarend
das Departement Hu-chon-fu mit nur Vio der Uferlänge den Anteil
der Provinz Ghekiang ausmacht.
Als Flächeninhalt werden 36,000 King anizegeben, was mit dem
4H,(H)() Kinj4 lialtenden See T'ung-fin^' in der Provinz Hu-uan, dem
^irölsten See der achtzehn Provinzen, verglichen werden mag. Das
Kinj; zu * 4 lia berechnet, würde für den T'ai-hu 12,UÜ0 ha, für den
T*ung-f iiig-See lO.lXKJ ha ergeben.
Der Umfang wurde früher in Banscli nnd Bogen mit ÖOÜ Li
(= etwa 287 km) angegeben ; dodi wurde bei dieser Schätzung aus-
drücklich erwähnt, dafe zahlreiche Krümmungen, durch die sich das
östliche Ufer auszeichnet, nicht eingerechnet seien und dafs mit Be-
rechnung derselben der Unifong auf 700 Li anzugeben sein würde.
Dagegen wurde bereits im Jahre 1700 unter der Regierungszeit
K'ang-hsi^s die Bemerkung gemacht, dafs der See in Folge mehr-
facher Deichbrüche bedeutend an Umfang zugenommen habe, so dafs
in der mir vorliegenden Ausgabe der Seeclironik (v. .T. 17öO) der
ümfa^iir auf SOb Li (= 4(53 kuiK d. i. mehr als den doppelten Um-
fang des Boden-Sees, an^icu'cbcu wenleu konnte. >
Die Ausdehnung des Sees in der Richtung von Osten nach
Westen wurde vor K'ang-hsi mit 200 Li, die von Nordeu nach Süden
mit über 120 Li angegeben. Diese Ziffern sind insofern bemerkens-
wert, als der See sich seiner jetzigen Gestalt nach entschieden von
Norden nach Süden, und nicht von Osten nach Westen in die Länge
streckt, wenn auch bereits gleichzeitig mit dies^ Angaben bemerkt
wurde, dafs eine südöstliche Ausbuchtung den grüfsten Teil der
Oberfläche einnehme.
Es werden in der Seechrouik acht verschiedene Namen für
(b'U See angegeben. Der jiUeste, Chen-tse. d, h. Sumpf der Erd-
ei^cbütterung, wird bereits im Tribut des Tü erwftlint und deutet
vielleicht die vulkanische Eutstcbung des (iewilssers an. Ein anderer
Name iät VVu-hu, d. h. die fünf Seen. Chinesische Creographen spielen
*^ Das T'ai-hii-pei-kao. eine Chronik des Sees, aus verschiedenen Lokal-
archiven kompiliert und zuerst im Jahre 17öO verötfenllicht, cf. Wylie, Notes
on Chinese Literature, S. 41).
**) Der ümfaag des Sees Tnng-fing wurde noch im Jahre 1827 m 800 Li
angegeben. S. Chinese Repoutory, XIV. S. 167.
Digitized by Google
— 279 —
mit Vorliebe ins linguistische Fach hinttber und ergehen sich gern
in der Erklärung geographischer Namen. So soll der Name Wu-hu
nach einigen entstanden sein, weil der See fünf hundert Ii im Um-
fang gehalten habe; nach anderen aus der Fflnfzahl seiner Zugänge,
oder weil das Ostiifer in fünf gröfsere Buchten zerfällt. An die
naheliegende Verwechslung von wu, ^fünf'', mit wu, dein Namen
des antiken Königreiches, einem der „drei Reiclie", in die China
nach dem Verfall der Herrschaft der Han im dritten Jahrhundert
n. Chr. zertiel, ist augenscheinlich nicht gedacht worden. Danach
würde Wu-hu den „See des Landes Wu" bedeuten.
Die Zuflüsse des Sees sind nach der chinesischen Chronik aus
verschiedenen Quellen im Westen abzuleiten, nnter anderen aus
dem an der Stadt I-hsing-hsien Torbeiüielsenden Gewässer. Unter
der Rubrik Shui-yflan, d. i. Ursprung der Gewässer des Sees, wird
zunächst ein kleinerer See, der Kn-cfa*6ng-hu angefahrt. Derselbe
liegt fQnf Li sOdlich von der Kreisstadt Kao-shnn (7—8 deutsche
Meilen östlich von Wulm am Jaugtze). Dort entspringt dem Hügel
Ta-shan (lit. grofser Berg) eine Quelle, die sich alsbald in den nahen
Ku-chcng-See ergiefst. Dieser hängt wieder mit den westlicher
gelegenen Seen Tan-yang und 8hih-chiu zusammen, die allerdings
nach chinesischen Karten beide durch Kanüle mit dem Jang-tze-Iüang
einige Meilen unterhalb Wuhu in Verbindung stehen, sowie auch
durch die mehrfache Verbindung mit dem Kaiserkaual vom östlichen
und nördlichen Ufer des grofsen Sees ans direkter Wasserverkehr
mit dem Jangtze bei und unterhalb Ghinkiang stattfinden kann. Ich
lege auf die chinesischen Angaben in Bezug auf die Quellen deshalb
besonderes Gewicht, weil die Meinung verbreitet ist, als ob die
Gewässer des Sees nur ein Abfiufs des Jangtze seien*). Bei hohem
Wasserstand mag der Übeitiurs dieses grofsen Stromes immerhin
auch die zum T'ai-hu führenden Kanäle anschwellen helfen; doch
scheint es, dal's sich genügende Was^ermengen aus den zahlreichen
kleinereu Zuflüssen im Westen und Norden des Sees vereinigen, um
den Fluls zu bilden, der aus dessen südwestlichen Ausflüssen entsteht,
den Wtt-sung-chiang, an dessen linkem Ufer die europäische Kolonie
von Shanghai entstanden ist.
Der Wu-sung-chiang, bei Shanghai auch Huang-pu genannt,
bildet den wichtigsten Ausflufs aus dem See, den er bei der Stadt
Wn-chiang-hsien verlftfst. Er durchfliefst von da aus bis zu seiner
♦) Chinese Rcpository, I. S. 40: „The Tae hoo, through it is also connected
«ith the Jangtszc Keang does not discharge its waters into tluit river; OH the
rontrary, it seerns y)rol)able that the lake ia ehiefly snpplied by the mer, in its
approach towards the sea."
Digitized by Google
— 280 —
Mündung bei Wu-sang. drni Auf>('nliaf'oii von ^^hanghai. eiiK- Strecke
von 260 Li. Aufser dem Wusang verbindrn zahlreiche kleinere
Kan&le das südliche und das östliche Vfn- des Sees mit dem Meere
oder der Mündun<,' des Jan^::t/e oberhalb des Ortes Wusang, und
diese sind wieder durch zahlreiche Querstrafsen miteinander verbunden,
so dafs ein wirkliches Labyrinth von Kanälen die Landzunge durch-
zieht, die der Jangtze mit dem Meere zwischen Nanking und Hang-
chau-ftt bildet Die meisten dieser Kanäle sind entweder ZolHlflse
oder Abflüsse des grofsen Sees.
Das Terrain in der Umgegend des Sees ist so tiach wie der
See selbst bis auf die Borirjjnippen, die sich bei Höhen von 5(X) bis
zu lOCXJ Fufs an einzelnen Stellen erheben. Die chinesische Dciitunir
einer Stelle im Tribus des Jü, wonach der ^Tofse Kaiser den See
an Stelle einer endlosen Sumpffläche (Chen-tse, Sumpf der Erd-
erschütterung) durch Vereinigung dreier Flüsse geschaffen haben
soll*), läfst sich daher sehr wohl mit der Konfiguration des Bodens
vereinigen. Wahrscheinlich hat Menschenhand bei der Gestdtang
dieses Gewässers mehr gethan als die Natur. Wenn die chinesiscben
Annalen nicht trfigeu, so wurden bereits während der Dynastie Ghou
Kanalbauten veranstaltet, um die in die vorhistorische Periode des
Jü reichenden Vorarbeiten zu vervollkomnmen. So soll der Sung-
Chiau^i alv ein zum Meere führender Ausflufs des grolsen Sees unter
König Lieh im Jahre 361 v. Chr. konstruiert worden seiu. Unter
der Herrschaft der Hau wird in den Chroniken die Errichtung
eines Deiches im zweiten Jahre nach Christi Geburt erwülmt. Es ist
dies ein Deich in der Nilhe von Hu-chou-fu, wo ein gleichnamiger
Deich noch heute bestehen soll. Die Geschichte der Deiche und
Deichbrüche läfst sich an der Hand der lokalen Chroniken mit ziem-
licher Zuverlässigkeit durch das MitteUlter hindurch bis in das nach-
christliche Altertum verfolgen.
Von Interesse ist bei dieser Wasserchronik des T^ai-hu die
Errichtung des ersten üQr statistische Zwecke verwendeten Pegels.
Derselbe wiu'de iin Jahre 1510 n. Chr. bei Wu-chiang-hsien (am
Ausflufs des Wu-sung-Fhisses aus dem See) errichtet und diente als
Mal'sstab für die reberschweninimmsgefahr der gesamten l'mgegend.
Dieser Wasserniesser bestand au> einer 8—9 Fufs holten Steintafcl,
auf welcher <lie Zwischenräume von je einem Chih (cliin. Fufs =
Meter) in sieben Abstufungen verzeichnet waren, deren niedrigste
den normalen, selbst die am niedi'igsten wleirenen Felder nicht bö-
drobenden, Wasserstand bezeichnete. Die Felder selbst waren ihrer
*) Vgl. ShQoking III, 1, 6, 40 (Legge) und Legges Bemerkungen so dieser
Stelle (Chuiete CImhcb, DI, Pt I, 8. 100).
Digitized by Google
~ 2öl —
Höhe Uber dem Wasserspiegel nach in gewisse Kla&sea eingeteilt,
so dafs der Wasser-Mandarin bei ( bei*schwemmimgen nur den
hdchsten Wasserstand am Pegel abzulesen hatte, um zu wissen, welche
Grundstflcke von der Wassersnot betroffen werden konnten. Akten-
m&ffiige Aufzeidinungen dieser Art spielten in China von jeher eine
bedeutende Rolle, da von jeher dem Staate die Verpflichtnng oblag,
in Übersehwemmungsfällen Unterstützungsgelder an die Betroffenen
auszahlen zu hissen. Iis war daher in streit ji^eii Fallen von jeher
wichtig durch aktenniäfsige Aufzeichnungen über den Wasserstand
die Frage iler Möglichkeit erlittenen Wasserschadens für jeden ein-
zelneu Grundstücksbesitzer zu entscheiden. Solche Aufzeichnunt^en
wurden ebenfalls auf einer äteiuernen Tafel gemacht. Diese bildete
ein Formular zur Eintragung des höchsten Wasserstandes von je
zehn zu zehn Tagen. Der Monat wnrde in drei Dekaden (hsfin),
das Jahr in sechsnnddreirsig, eingeteilt. Man gewann auf diese
Weise Material f&r den Nadiweis von PrftzedenzfiUIen in Jahren
hohen Wasserstandes, sowie eine Norm fOr die Beschreibung der
Fluktuationen des See- und Kanalspiegels.
Nach der Seechronik zahlt man im Tai-hu im ganzen 72 Inseln.
Davon sind jedoch nur drei nennenswert, nümlich im Norden die
Insel Ma-chi-shan (Mosai) und im Süden die Inseln 1 ung-fung-fing
und Ilsi-t ung-t'ing. Da uns unsere Heise von Norden her in den
See fülirte, so lag uns die erstgeuauute Insel zu einem flüchtigen
Besuch am l)equemsten.
Die Insel Ma-chi-shan (d. h. die Pferdespur-Insel) gehört zu
dem Kreise des gegenüberliegenden nahen Ostufers namens Yang-hu,
dessen Hauptstadt sadlich in einer Entfernung von 100 Li sich be-
finden soll. Die Chronik giebt als Umfang der Insel 120 Li an und
als Einwohnerzahl Aber zehn tausend Familien, eine Ziffer, die im
vorigen Jahihundert gegolten haben mag, aber för heute — wie die
ge>amte aus früheren Schätzun;icn abgeleitete Bevölkerungsstatistik
— entschieden viel zu hoch gegriffen ist. Die wenigen Dörfer der
Insel, die ich von ihrem höchsten Gipfel ohne Schwierigkeit aus der
Vogelschau ühers(0»en konnte, mochten zuisammeu etwa lOOü kleine
Wohnungen repräsentieren.
Der Name dor Insel wird mit einer Legende in Zusammenhang
gebracht, nach welcher Tsin-Shih-huang-ti, der Kaiser, der die ge-
samte klassische Litteratur verbrennen liels (221 bis 209 v. Chr.),
einst die Insel besuchte. Die Spur eines Pferdehnfes soll noch heute
auf einem Felsen im Westen der la^^el von dem Spazierritt des
Shih-huang-ti zeugen.
Die Insel Ma-clii ist zu etwa zwei Drittel ihres Terraii»s ge-
uiyiiized by Google
bir{<i^; nur an den Buchten der Südseite hat sich zwischen der
Imfeisenförnii^en Gestalt der Hüj^elketten fruclitl)ares, tiaches Acker-
land uehihk't. Kleine Wälder waren von den holzverschwendenden
Vorfahren nur als Schatteutipender in der N&he der Dörfer am VuSse
der Hügel stehen gelassen worden, so dafe wir in der Nühe uusrer
Laudungsstelle am nördlichen Ufer einen genufsreichen Spaziergang
auf üppigen Waldpfaden zwischen Forchen, Platanen, wilden Kastanien,
Oleandern, Maulbeerbaumen, und einer Ffllte pr&chtiger Farmkrftuter
machen konnten. Bei einiger Erhebung Über das Niveau der Niede-
rungen fingen die ohnedies nicht gerade finsteren Wälder an sich zu
lichten, und wir befanden uns auf Terrain, das bei uns im Thüringer
Wald mit einer Warnungstafel als Schonung hezeichnet sein würde,
indem, so weit das Ajige reichte, junge Eicheuschöfslinge die erdigen
Strecken de.-. Hodens bedeckten. .Ähnliches ))emcrkteii wir auf den
Hügeln des Festlandes; ja, ich kann sagen, dals etwa die HiUfte
alles llegieruugs- oder Genieindegrundes auf ahnliche Welse ange-
pflanzt war; ich konnte den Wunsch nicht unterdrücken, daCs es
nicht nur hier, sondern im ganzen Reiche so aussehen möchte.
Trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit wehte auf diesen Höhen
ein so frischer Wind, dafs wir es nntemehmen konnten, mit Schirm
und Sonnenhat bewaJSnet, den höchsten Gipfel der Insel, den Kuan-
chang, zu deutsch „Mandarin", wahrend des Nachmittags zn besteigen.
Von diesem Punkte aus, dessen Höhe ich mit Hülfe einer flüchtigen
KaronieteraMesun.ix auf 9CX) Fufs üher dem Seespiegel schätze, lafst
sich die ganze Insel hequeni übersehen. Der Mandarinberg bildet
etwa die Mitte der an (lestalt einer Fledermaus mit ausgespannten
Mügeln vergleichbaren Insel. Die unmebeiiden Hügel sind eben
niedrig geiuig, um die Kernsicht auf den See in allen Richtungen
zu gestatten. In der Kiclitumr von W-N-W. bis N-N-W. zeigt sich
am riorizont ein Wasserstreifeu, den ich anfangs für ein Stück des
Jangtze hielt, der jedoch, wie sich beim Vergleich mit der Karte
herausstellte, durch die zusammenflie£sende Erscheinung zweier Seen
im Südwesten der Stadt Ghang-chou-fu herrührte. Gebirgszüge
laufen parallel mit dem Westufer des Sees. Von dem nahen Nord-
ufer waren die Hügelketten von Wu-hsi deutlich zu erkennen, von
denen die eine in beinahe westlicher Richtung von der Stadt parallel
mit dem Ufer läuft, wiihrend die andere in südlicher Richtung das
im Süden von der Insel Ma-chi begrenzte Decken von Wu-hsi als
den niddliclien Vorhof /um Grofsen See östlich Iieurenzt. Berge
waren ferner in der Richtung von Su-chou am O^lufer zu sehen.
l);is Südufer ver:>chwamm in der dunstigen Atmosph&i'e; doch traten
die Konturen der. im südlichen Teile des Sees gelegenen T*ttng-ting-
Digitized by Google
^ 28ä —
Inseln deutlich hervor; ebenso eine Anzahl grttner und blauer
Flecken auf dem Wasserspiegel — kleiner Inseln des Sees — ^ fast
sftmtlich bewaldet, wenn man aus der Weichheit ihres Profils darauf
schliefsen darf.
Die beiden THiiig-fing-Inseln im südlichen Becken des Sees
gehören zum Kreise Wu-hsieii, dem an die Proviiizialluiui>lstadt
Su-chou-l"u sich anschliefsenden engeren N'erwaltnngsbezirk. Die
dein üstufer zunächst gelegene Ost-Insel (Tung T*ung-t'ing) ist 80 Li
südwestlich von Su-cbou entfernt. Ihr Umfang wird auf 50 Li an-
gegeben, wahrend das westlichere Hsi-T'ung-t*ing auf 80 Li geschätzt
wird. Doch werden in der Chronik der kleineren Insel 20000, der
grO(seren nur 15000 Bewohner zugeschrieben. Mit diesen Ziffern
veriiAlt es sich Tennutlich ahnlich wie mit den obigen Angaben in
betreff der nördlichen Insel Ma-chi-shon. Beide Inseln sind zum
gröfsten Teil gebirgig.
Von den übrigen 69 Inseln des Sees ist kaum eine nennens-
wert. Einige sind bewohnt und ernähren eine kleine Inselbevölkerung,
die, gleich der IJferbevölkeruug, von Seiden-, Uanf-, Obst-Bau uud
Blumenzucht sich ernährt.
Unter den Produkten der Felder ist für die gesamte l frrgegend
vor allem Weizen zu nennen. Blühende Weizenfelder umsäumten fast
sämtliche Kanäle, die wir durchschifften, und die weiten Ebenen, die
man von den Gipfeln des nordöstlichen Ufers erschauen konnte,
schienen gröfetenteils mit diesem Getreide bebaut zu sein. In der
Nahe der Ortschaften begegneten wir häufig Bohnenfeldem; mit
besonderer Vorliebe schien man sich der Sau- oder Pferdebohnen
(chin. Pien-tau) anzunehmen. Im Produktenverzeichnis der Chronik
werden vier Arten Bohnen als häufig kultiviert ai)^;eführt. Nach
derselben Quelle sind folgende Feldju-odtikte zu nennen: Lauch (chin.
eine Art Allium), wovon die beste Art auf Tung-T'unt^-fing zu tiudeu
ist. Taro ( Avum csculentum, chin. Yiii, auf der Insel Ma-chi-shau.
Schwämme, meist giftig, doch auch eine efsbare Art, namens Han-
lu-chiin (j,Schwamm des kalten Thaues"), die im September und
Oktober zu finden ist. Eine im Wasser wachsende Pflanze, Shun,
nach Williams eine Art Sumpfblume (Limnanthemum), deren zarte
Stengel den Bewohnern der Umgegend des Sees als Leckerbissen
dienen; sie wftchst an den Ufern der Inseln wie des Festlandes;
femer eine andere Wasserpflanze, die teils wie Sellerie geges<^en
wird, teils durch ibre schwärzlichen reisfOrniigen Samenkörner, Ku-ini
jfenannt, ai> Nahruiiu dient.
r!it<'r den ('ucurl»it;it ceii weiden lu'sondcrs die (iurke (HtiafH»-
kua; und die Wassermelone i^lisi-kuaj namhaft geuiacht. Die besteu
Digitized by Google
~ m —
Gurken sollen auf der östlichen T'ung-^Ung-Insel erzeugt werden.
Es wird dabei mitgeteilt» dafs nach dem P6n-ts*ao die Gurke hn-kua,
d. h. fremde Melone heifse, weil sie seiner Zeit vom General Chang-
chien ans dem Westen (T&-wan oder Ferghana) nach China im-
portiert worden sei. Dasselbe wird übrigens auch von der Wasser-
melone, Hsi*kua, behauptet Als ein merkwürdiges ZusammentreiTen
ist die Gleichheit im Namen dieser Fracht im Griechischen (our^)
uu<l im Cliinesischen zu l)etrachten.
Obbtbilume aller Art inngeben die Dörfer und Vorstädte. In
der (-'hronik finden sich u. a. die folgenden naniliait gemacht:
Pflaumen; Mandeln; Tfirsiche; Loquat oder Pi-pa-Früchte (die
])esten auf Tung-Tung-finu:); Birnen (verschiedene Arten auf der
Westinsel und auf Ma-chi-slian) ; Yang-wei (die sogenannte „erdbeer-
artige Himbeerkirsche'', auf den Inseln besonders gut gedeihend);
Apfelsinen (die besten der Umgei-end von den T'ung-fing-Inseln,
während der T ang-Dynaiitie aU Tributartikel dargebracht); Kastauieu;
Persimonen fShihi.
Unter den Baumen steht seiner Nützlichkeit wegen der Maul-
beerbaum obeuan. Wir sahen überall, die Kanal- und Seeufer
entlang, Gärten und gröfsere Grundstücke mit diesen mannhoch
gehaltenen, abgestutzten Bäumen auf reich gedüngtem Boden. Doch,
so grofs auch die Zahl der Stamme war, bekamen wir kaum ein
Blatt zu sehen; denn die Ernte war Torbei, und alles Grüne war
von den Seidenraupen, deren Puppen jetzt, in eisernen Pfannen
schmorend, den kostbaren Faden von sich gaben, langst aufgezehrt
worden. Die Seidenzucht ist unter den Bewohnern dieser Seegegend
als. Hausindustrie so allgemein wie bei uns in manchen Gegenden
die Flachskultur, wird jedoch in viel ausgedehnterem Mafise, und,
weil Haupternährungszweig der Bevölkerung, geschfifismälsiger be-
trieben. Die Kanäle und Seeufer sind in kurzen Zwischenräumen
mit kleinen Dörfern besetzt, deren oft nur einzige Stralsenreihe
ehien von hohen Baumkronen beschatteten Kai bildet. Hier konnte
man vor jeder Hausthür die Mitglieder der Familie versammelt
sehen, deren jedem bei der Arbeit, die zur Zeit unseres Besuches
im Auskochen der Cocons bestand, sein Anteil zugewiesen war. Ich
habe nie in irgend einer Fabrikstadt einen gröfseren Teil der Be-
völkerung mit einer un<l derselhen Manipulation beschäftigt gesehen.
Sicherlich drehten sich um diese Zeit Myriaden von "Weifen, jede
lU'ljpi) eim III im Freien oder in der Vorhalle des Hauses erri( liteten
tlKtueiiien Oleii, der eine in Wu-hsi verfertigte eiserne Pfaime zum
Auskochen der Cocons erhitzte. Ans der I^fanne entwindet sicii der
Fadeu, der Lmdrehung einer kuarremieu Weife folgend. Wohin wir
Digitized by Google
— 285 —
auch schauton, überall derselbe Anblick, dieselbe Beschäftigung vor
allen Gebäuden, vor Lehmhütten wie vor Steinhausern, vor Dorf-
tempeln und officiellen Häusern. Die I mgegend des T^ai-hu bildet
augenblicklich den hauptsächlichsten Seidendistrikt in China, für die
Seidenausfuhr nach Europa zweifellos den wichtigsten. Zum Zwecke
des Auisenhandels unterscheidet man nach ihrem Produktionsorte
zwei Hanptsorten chinesischer Rohseide, ein Unterschied, der schon
zur Zeit der Anfange unseres modernen Schiffahrtsverkehrs mit
(■luna L;eniaclit wurde, im 17. Jahrhuiukut, als Canton d;is Centriiui
des Frenidenhanik'ls wurde. Wir lesen bereits im Zolltarif des
ivai>ers K'ang-hsj-') von den beiden Ihuiptsorten, die noch heutzutage
den Kern der Ausfuhr bilden: Tu-^.^ii. d. h. einheimische Seide, so
wurde die in der Gegend von Canton gewonnene borte genannt,
und IIu-ssü, d. h. See-Seide, so genannt, weit sie den Ufern des
Grofsen Sees entstammt, wenn auch jetzt einige der Seide erzeugen-
den Distrikte elnigemafsen vom See entfernt liegen. Jedenfalls
bildet der See das Gentrum für die hauptsachlichsten Produktions-
distrikte dieser Gegend. Nach der Chronik des Sees kommt der
Maulbeerbaum von den beiden T*ung-t*in^-Inseln, was wohl kaum
mehr besagt, als dafs dort in früheren oder frühesten Zeiten der
Seidenbau mit Vorliebe und mit besonderem Krfolge betrieben wurde.
Wir trafen Mauibferplantageu aul der Insel ^la-chi-shan >()wohl wie
an all«Mi Stelleu der Uferlaiidschaft südlich von VVuhsi, die wir
besuchten.
Als Medizin sind hochgepriesen die Tausendfüfsler (Wu-kung)
der östlichen Tung-t'ing-Insel, besonders eine Art mit gelbem Kopfe,
.goldküpfiger Wu-kniii;" genannt. In dem Tempel der Insel Ma-chi,
in dem wir zu nachtigen gedachten, strahlte uns ein solches Unge-
heuer entgegen, und als sich unsere Plane in Bezug auf diese
Villegiatur zerschlugen, konnte es uns immerhin eine Art Trost sein,
dals wir uns der Gefahr nicht aussetzten, uns von den Wirkungen
dieser in der chinesischen Medizin so nützlichen Giftbmt zu über-
zeugen.
Der See ist außerordentlich reicli an Fisclien aller Art, deren
, eine ziendiche Anzahl in der Chronik namhaft ^eiiiaeht wird. Kor-
morantischerei scheint nur in den Kanälen und auf den Untiefen
kleinerer Seen betrieben zu werden. Auf dem l'ai-hu selbst
be'-regneten uns keine Fischerbüte dieser Art, obgleich ich nicht
behaupten will, dafs unsere örtlich wie zeitlich so ungenügende
*) S. The Hoiii o-Book of 1753, im Journal of the North-CIuna Braach of
the Boyal Asiat. Soc., Bd. XVU. S. 221.
G«ogr. Butler. Brameii 18M. oc\
Digitized by Google
— 286 —
Erfahrung' für dergleichen Thatsftchon irizendwie mafsirebend ist.
Unter der Rubrik „VögeP weifs unsere Chronik nichts vom Konnoran
zu berichten, obgleich die Kanäle der nordöstlichen Ufergegend, in
denen wir uns vielfach umhertrieben, unzahligen Kormoranfischem
Nahrung liefern. Unter den verschiedenen Fischarten, die den See
beleben, wird unter anderen eine Art Seebarsch (Lu-yü) erwähnt.
»Dieser Fisch^ heifst es, «kommt eigentlich aus dem Wa-sung-
FluCs (der, wie früher bemerkt, unterhalb Shanghai mit der Jangtze-
mündung und so mit dem Meere in Verbindung steht); da dieser
Flufs mit dem T ai-liii zusammenhangt, ist der Fisch auch in dem
letzteren zu finden, doch hat die im Flufs vorkommende Art vier
Kiemenpaare (sai\ die im See vorkommende nur drei. Die Seeart
steht der anderen an (icscbniack nach." Die N.ilie dos Meeres
einerseits, und das T'berschreiten der Grenze für Ebbe und Flut,
aufserhalb deren der See liegt, andererseits, mögen diesen Unter-
schied bei sonst ähnlichen (leschöpfen erzeugt haben.
Die Umgegend des grofsen Sees ist ein wahres Elysium für
Jager. Rehe, Hasen, wilde Schweine, Fasanen, wilde Enten und
Ganse sind das hauptsächlichste Wild. Die Insel Ma-chi-shan war
bis vor wenigen Jahren besonders reich an Rehen. Wie die Chronik
berichtet, kauften sich die Insnlaner während der Regierungszeit
Wan-li ( 1573— in20 n. Chr.) auf Gemeindeunkosten ein Rehpaar, das
in den Rprg(>n freigelassen wurde. Zugleich wurde der Magistrat
orsu( lit, ein für ewige Zeiten gültiges Jagdverbot zu erlassen. Die
Folge war eine derartige Vermehrung dieses Wildes, dafs trotz des
ewigen Jagdverbots noch vor kurzem europäische Schützen ab ßeh-
vertilger auf der Insel nicht ungern gesehen wurden. Auf meinen
Bergspaziergängen scheuchte ich an zwei verschiedenen Stellen Rehe
auf. Dieselben waren entschieden jung, schienen jedoch derselben
kleinen Rasse anzugehören, wie die der ganzen Umgegend. Die
Chronik des 1>ai-hu erwähnt unter den YierfQfslem auch die Rehart
Ghang, nach Swinhoe: Hydropotes inennis, als auf Ma-chi-shan vor-
kommend. Doch scheint die Identifikation des chinesischen Kamens
zweifelhaft*;.
Die Produktenlisto der mir vorliegenden Chronik erstreckt sich
nur auf die eigentlidie Seeflache mit ihren Inseln und angrenzenden
Ufern. Die Kreisstädte und sonstigen gröfseren Wdlmoito liegen
meist eine Anzahl Li vom Ufer entfernt und ilir Hinterland wird
S. Dr. 0. F. von Moellendori^ The Vertebnia of the Provincc of Chihli,
etc., im Jonmal der Noith-Cbina Bntnch of the Eoyal Asiatio Society, New
Series No. XT. (1876) S. 68 «. 67.
~ 287 —
Ton den Bemerkungen des Seetopographen nicht berührt. Ich will
hier nur noch eines interessanten Industriezweiges gedenken, der am
Westafer in der Umgegend der Kreisstadt I-hsing zahkeiche Arbeiter
beschftftigt Er besteht in der Herstellung einer Art T&pferwaren,
wie sie wegen des dazn. verwendeten Materials nur in dieser Gegend
betrieben werden kann. Es werden hier hauptsachlich Theekannen
nach alten Mustern angefertigt; und der Eifer, mit welchem die
Typen des Altertums und des Mittelalters in sauber geformten
Terrakotten nachgeahmt werden, erinnert an unsere Renaissance-
bewetrunp: auf demselben Gebiete. Dutzende von charakteristischen
Formen, wie mau sie sonst nur als Bilder in den illustrierten kultur-
und kunstgeschichtlichen Werken der Chinesen erblickt, finden sich
in den Werkstätten dieser Töpferbevölkemng in natura wieder.
Die russische Polarstation an der Lena -Mündung.*)
Mitteilang des Herrn Dr. A. BuQge, Arztes und Physikers der Station.
Hierza: Situationsplan der Station.
Sagastyr**), den 2,114, Janua/r 1864, Jetzt erst kann ich meinem
Ihnen im Sommer vorigen Jahres gegebenen Versprechen nachkommen
und Ihnen einiges über unsere Station, ihre Kiniiciitung und die
laufenden Arbeiten mitteilen. Die erste Post, die wir gegen Ende
November expedierten, mufste in grol'ser Eile abgefertigt werden,
und wir hatten damals s<» viele andere Schreiben zu befördern, dafs
ich das Schreiben an Sie bis zum nächsten Male verächieben mulste.
Sie werden das freundlichst entschuldigen.
Wenn diese Zeilen in Ihre Hände gelangen, werden Sie wohl
bereits erfahren haben, daOs wir durch verschiedene Umstände zu
einer zweiten Überwinterung yeranlafst wurden, obgleich die Auf-
forderung der kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft zu
einer solchen (wovon ich Ihnen im Sommer schrieb) widerrufen
wurde. In unserem Leben nnd Treiben sowie im Gange der Beob-
aclitungen wurde dadurch weiter keine Veriiiiderung hervorgerufen.
Die meteorologischen Beobachtungen begannen am 31. August
(neuen Stils, wie auch sonst) 1882 und sind seitdem ohne Unter-
brechung fortgesetzt worden; die magnetischen Beobachtungen
konnten erst am 1. November desselben Jahres begonnen werden,
da^ abgesehen von unserer verspäteten Ankunft, die Instrumente
♦) Vergleiche die früheren Mitteilungen in Heft I, S. 74 u, tt, D. Hed.
73» 22' 47" nördl. Breite, 126« 36' üstL v. Gr.
20
üiyiiizea by GocJgle
— 288
während eines Sturnies bei der Insel Tas-Aiüi in der Lena. l)ei
■welchem unsere sänitlidien Marken (4) stark beschädigt wurden und
auf den Grund giniren. -felitten hatten und mancher Keparatur
bedurften. Indem ich mir erlaul)e, JSie im all^remeinen auf die üher
die Station enthaltenen Nachrichten in den ^Mitteilunijen der inter-
nationalen Polarkomniission'^ zu verweisen, will ich hier kurz über
die Einrichtung der Station, das Personal und das Treiben auf der-
selben referieren. Ich lege hier eine flachtige Skizze der Baulich-
keiten der Station bei, bitte jedoch, dieselben nicht als vermessenen
Plan aufzufassen; sie soll nur dazu dienen, Ihnen die Station zu
veranschaulichen, mir aber die Beschreibung zu erleichtern.
Die Station liegt am Südende der Insel Sa;?astyr, die sich bei
einer Breite von etwa 3 Werst nach Norden 8 — -10 Werst erstreckt,
wo sie, innner niedritxer w^erdend, alhnählicli in den Meeresboden
über^i^eht. je nncliilciu, oh Ebbe oder Flut lii.'n>cht, an rnifan-j: al)-
oder zunehmend. Im Westen, Süden und 0>ton ist die Insel durch
Stromaruic des I)elLa be-^^rcn/t; sie ist fast vollkommen liach, zeigt
nur unhedt 'iteade, wenige Fuls hohe Unebenheiten, und ist mit zahl-
reichen kleinen und gröfseren Teichen bedeckt. Die Vegetation ist
eine höchst dürftige, erhebt sich kaum einen Fufs über den £rd- .
boden (Weiden); die Flora ist der, welche Nordenskjöld (Vega-
Expedition) für einige Inseln im Eismeer nördlich von der Lena-
münduncic angiebt, sehr ahnlich.
Die Gebäude der Station sind auf einer etwas höheren (etwa 11 Fufs
über dem Wasserspiejiel), trockenen, sainli.m ii stelle aufm iiilu t. Das
Wohnhaus Ca) stellt einen aus dicken Balken, die wir auf den Barken
aus Jakutsk mit uns führten, aufireführten Rohbau dnr. von 0 Faden
Länge und 3 Faden Breite (der Faden a 7 russische Fulsi; gedeckt
ist derselbe durch eine horizontale Bretterlagc, auf welche eine starke
Sandschicht aufgeführt ist, darüber ein nacli Norden und Süden
schwach geneigtes Bretterdach. Im Osten und Westen lehnen sich
ans Haus je eine Vorratskammer (aa) für die Speisevorräte an. Der
Eingang ins Haus ist von Norden; man betritt zuerst ein kaltes
Vorhaus (n), das gleichfalls zum Teil als Vorratskammer dient. Von
hier aus gelangt man ins Dujourzimmer das durch eine Scheer-
wand aus Filz in zwei Teile geteilt ist, in ein Vorzimmer, in welchem
sich eni Kamin (>'>, jetzt unbenutzt) Itcliiulet, und den Aufenthalts- '
räum für den dieusthabcmh ii Beobachter; hier I)crmdeii sich die
Barometer und iihriiitm im /ininior abzulesenden Instrument«', auf
welche ich sitatcr zurückkonniie. Aus diesem Baum gelangt man
ins Ofüzierzimmer (ß), das vom Chef der Expedition, Herrn Leutnant
Jürgens, seinem Gehülfen, Herrn cand. math. Eigner, und mir bewohnt
üiyiiizea by Google
e
c
ita VofrntsikuTnnif'r.
f'i Ziiniinjr tür Offiziere.
Zimmer f.ßeobacbter
und ßodienung.
Duj'^uizitnmor.
V'orratskammor.
Kttobe.
Kaltes Vorbaus.
.V? Öfen
X Kaolin.
X Eiserner Ofen,
b Therinoinctcrhaas.
c Astronomische Hütte,
d Jurte fttr magnetische
Varia t io usinstmmente
uach Edelmann,
ü Jurtti fiir mjignutiäche
Tariationsinstramente
nach Kiipi»fer.
h u. i Jurtt-n fiir absolute
Bestimmungen. (Die in
d. Jurten befindL Kreide
bezeiclincn diff JNti lhiug
der Steiopftiiler für die
Instrumente vnd dasn<-
^-eliörißen Pemröbre.)
kk K'^rridor.
1 i'lata I". diu Eidthcrmo-
meter
in W'n irOinc
pp Pfeiler fUr astronom.
Büohaclittmgen.
q Vnt rat^jurte.
r Ei.<(kcllcr.
B Hnndebtttte.
t Badestabe
«« Eifern«! Ofen in der-
<5elbea.
z: Thür.
lU Feuätur.
C ® T
m
o
a
1_
1
J
Sltuatlouplan der runslsehen Polarstation an der LenamOnduag.
— 290 —
wird; dasselbe enthält aolser den Bettstellen ziMi Schreibtische,
einen Efstisch, Bacherregale, ein kleines Harmonimn n. a.; eine andere
Thür fOhrt aus dem Diyoarzimmer in eine kleine Vorratskammer (s)
innerhalb der Wände des Hauses. Aus dem vorhin als Vorzimmer
bezeichneten Baum fährt eine Thfir ifts Zimmer der Beobachter und
Bedienung? (*/). Aufser den oben genannten Personen gehören zum
Personal der Station vier Beobachter: ein Matrose der rnssischen
Marine und drei Kosaken uns Jakutsk, ersterer seit dem Beginn der
Expedition angestellt; letztere an Stelle der vier im Herbst fort-
gezogenen Beobachter des vergangenen Jahres; sie sind zugleich
Dolmetscher; ferner ein jakutischer Koch (aus Jakutsk) und drei
Jakuten aus den hiesigen Deltabewohnern.
Die Arbeiten der letzteren bestehen im Fortschaffen des Schnees,
Anfuhr und Spalten von Brennholz, Beschaffung von Koch- und Trink-
wasser u. a. Brennholz erhalten wir in genügender Menge aus dem
Treibholz in der Nähe der Station. Erheizt werden die Räume durch
zwei Öfen (^^) und einen kleinen eisernen Ofen im Zimmer der
Leute; eben solche Ofen können in den Räumen ß und * angebracht
werden, sobald es nötig erscheint. — Durch eine zweite Thür ge-
langt man ans dem Vorzimmer in die Küche (C). — Die Diele ist
eine d()i)pelte ; zwischen beiden Bretterlagen befindet sich eine dicke
Schicht Sand und Kohle. Bedeckt ist die Diele mit einer Lage Filz
und über dieser sind Teppiche ausgebreitet; vor jedem Schreibtisch
in unserem Zimmer liegt ein Eisbnrenfell, deren frühere Besitzer
während unserer Anwesenheit, leider aber nicht von uns, sondern
von den Jakuten in der Nähe der Station erlegt wurden. — Die Luft
in den Zimmern ist trocken, rein, die Temperatur in den Zimmern
meist 15® G. oder draber; nur zur Zeit anhaltender, starker Winde
sinkt sie unter 10® C. Die Höhe der Zimmer beträgt 8V« Fuss.
Tritt man aus dem Vorhaus, so steht links in wenigen Schritten
Entfernung das Thermometerhaus {h); in diesem befindet sich ein
Quecksilberthermometer, ein Minimum-Alcoholthermometer (zur Zeit
allein ablesbar), ein metallisches Thermometer, ein ITaarhygrometer
und ein Evaporimeter, nach der von Herrn Akademiker Wild ange-
gebeneu Konstruktion. In «ler wiirmereu Zeit noch ein feuchtes Queck-
silberthermometer, das mit dem trockenen den Psychrometer bildet;
die Wände des Häuschens sind durchbrochen, nach Nord ist es offen,
kann jedoch durch zwei gleichfalls durchbrochene Thüren geschlossen
werden, um die Instrumente vor Einwirkung der Mittemachtssonne
zu schützen. Etwa zehn Schritt nach Westen vom Thermometerhaus
steht die astronomische Htttte (c), in welcher ein Passageninstrument
für Zeitbestimmungen aufgestellt ist. Die übrigen astronomischen
üiyiiizea by Google
— 291 —
Beobachtungen (Sternbedeckungen, Verfinsterungen der Jupiter-
trabanten) werden von den Holzpfeilern (pp) aus gemacht.
Wenige Schritte vom Ausgang? aus dem Vorhaus (rj) bef?innt
ein verdeckter Gang (kkj, der zuiiflchst zur Jurte d liihrt; die Wände
der Jurten sind durch schräg in die Erde gefügte, zur Mitte des
Gebäudes hin j^^eneigte Bretter gebildet, das Dach ist horizontal,
so dafs das ganze Gebäude eine abgestumpfte Pyramide bildet. Von
aussen sind die Jurten mit Erde beworfen, das Dach mit Moos be-
deckt, die Ritzen zwischen den Brettern mit Moos und Filz gefüllt,
wodurch jedoch nicht gehindert wird, dass die Temperatur in den
Jurten unter ^ 30^ G. sinkt (im Januar und Februar). In der
Jurte d befindet sich ein Komplex von Instrumenten für die Varia-
tionen der drei Elemente des Erdmagnetismus, der horizontalen Inten-
sität, Deklination und Tertikaien Intensität oder Inklination, nach
der Konstruktion von Edelmann in München. Die Ablesungen können
von einem Sitze aus gemacht werden. Im Winter 1882 — 83 wurde
dieser Raum durch Kerosinlampeu erleuchtet, wodurch die Temperatur
iu dieser Jurte wesentlich gesteigert wurde. Im Sonnner können
die Instrumente durch ein nach Norden sehendes Fenster beleuchtet
werden; jetzt werden die Ablesungen mit Licht gemacht — Von
dieser Jurte führt der Korridor in nordöstlicher Richtung weiter zur
Jurte e; in dieser befinden sich gleichfalls drei Instrumente (älterer
Konstruktion) zur Beobachtung der Änderungen des Erdmagnetismus:
das GanCssche Bifilar fOr die horizontale Intensität, das Unifilar fOr
die Deklination und die Lloydsche Wage für die Inklination. In der
hellen Zeit können die Instrumente durch in der entsprechenden
Lage angebrachte Fenster erleuchtet werden.
Der Korridor führt von dieser Jurte weiter nach Norden ins
Freie, zum Platze für die Erdthermometer (1); hier betindcu sich
Thermometer: auf der Oberfläche des Schnees, auf der der Erde und
drei in 40, 80 und 160 cm Tiefe, (sie zeigen augenblicklich resp.
— 31,20, _24,4o und — 18,0«C.).— Etwa 20 Schritt nordwestlich
Ton der Jurte d stehen noch zwei Jurten (h und i), in welchen die
Instrumente für die absoluten magnetischen Messungen untergebracht
sind. Sftmtliche Jurten sind durch Telegraphenleitungen unter-
emander und mit dem Hauptgebäude, in welchem sich die Batterie
befindet, verbunden, so daCs auf Glockensignale hin gleichzeitige Ab-
lesungen gemacht werden können. Auf dem Platze vor dem i lause
nach Norden befindet sich noch eine Windfahne mit einer daran
befestigten Starkeplatte zur Bestimmung der Windstarke (ni) und
ein Pfosten mit dem Regenmesser (n). — Nach Süden zum Flufs hin
liegen; 1) die Badestube (t), die alle Sonnabend geheizt und mit
L/iyiiiz:ea by ^üOgle
— 292 —
Vorliebe benutzt winl, 2) eine llinuIcliüUo (s), in Nvelchcr die zur
Station gehörigen Zn.uhunde zur Zeit der Schneestürme untergebracht
werden, 3) ein Eiskeller (r) für die Sommerzeit nnd eine grofse
Jurte (q), in welcher jetzt Böte, Stricke n. a. untergebracht werden;
im Winter 1882—83 diente sie zur Aufbewahrung des Kerosinvorrates.
Die magnetischen und meteorologischen Beobachtungen werden
stündlich gemacht, und zwar die magnetischen zur vollen Stunde
nach Göttinger Zeit, wie das Programm erfordert, die meteorologi-
schen zur vollen Stunde nach Tiokalzeit. Der Lauf der Beoharlit'umen
ist folgeniler: einlüde Minuten vor (Ut vollen Sriniilc nach (l(tttinu'<M*
Zeit begirl)! >it'li der Beobaelitt.'r in die Jurte d und lunclit dci* IJeihe
nach Ahlcsun'ien : am Instrumente für die horizontale Intensität
drei Minuten, der Deklination zwei Minuten nnd die Inklination
eine Minute vor Sehlair: zur vollen Stunde findet keine Ablesung
statt; die Zeit wird dazu benutzt, die bei den Instrumenten ange-
brachten Thermometer abzulesen; eine Minute nach Schlag wird
wieder die Inklination, eine Minute spAter die Deklination und end-
lich die Intensität abgelesen; darauf begiebt sich der Beobachter
rasch in die Jurte e, wo er in derselben Weise der Reihe nach das
Biiilar, IJnifilar und die Lloydsche Wage beobachtet. Ins Zimmer
zurück^iekebrt, beginnt er sofort die meteorologischen Beobachtungen,
denn unterdessen i>t die volle Stunde ii;)ch Lokalzeit herangerückt,
und /war in f(dgender Iveihenfolge : Daroineter Tmctini, nchst dazu-
gehörigem Thermometer, ein Ilagemansclies Anemometer \md die
Windrichtung nach einer Windfahne, die sich auf dem Hause be-
findet, nnd deren Index vom Zinmu^r aus abgelesen wird. Dann geht
er zum Thermonicterhause. liest die Thermometer nnd den Haar*
hygrometer ab, endlich bei den Erdthermometern, den auf der Ober-
fläche des Schnees und der £rde, sowie den in 40 cm Tiefe befind-
lichen, bestimmt Form und Grad der Bewölkung und kehrt ins
Zimmer zurück, wo die Windstärke noch mit einem Anemometer
Gasella bestimmt wird. In der hellen Zeit wird die Stärke und Rich-
tung des Windes auch an der anssen stehenden Windfahne abgelesen.
Ich will hier erwähnen, dafs der Korridor zur Zeit der heftigen
Schneestürme ganz uueiitbehiiicli i^t, besonders während der duidxelen
Zeit; die Stürme erreichen bei einer i"em[)erat!ir zwischen 30 und
40^ C. nicht selten 17 — 19 m (leschwindigkeit in der bekunde, gehen
sogar bis 25 m in der Sekunde.
Dreimal täglich, zu den Terminstundeu 7 l hr morgens, 1 und
9 Uhr nachmittags, werden aufser den eben angeführten Instrumenten
noch folgende abgelesen. Im Zimmer: ein Anerold, ein Parrotsches
Barometer; im Thermometerhaus: der Evaporimeter und bei den
uiyiiiziüd by Google
— 293 —
Erdthormometern die ThernioiiiPtor in ^i) und 160 cm Tiefe. — Alle
Abend um 8 werden in beiden Jurten für die YariatioDS-
Instrumente simultane Beobachtungen sämtlicher Instrumente ange-
stellt, jede Minute eine Ablesung, 16 Minuten lang fortgesetzt. Zwei
Mal im Monat finden verschärfte magnetische Beobachtungen statt;
die Variationsinstrumente werden alle fünf Minuten ab,<?e1esen, und
eine Stunde lang werden alle drei Instrnmentc ?leirlizciti?^ v(3n drei
Be(d);iclitiiii n.uli je 20 St'küiidcn bcoliachtct. iviirz vor oder iiiuh
die^>en „Tci niintiV-M ir nin 1. und 15. jedes MoiuiU üiuieu die abso-
luten nia^nKtLschen liest iinimiiiLren statt.
Das Xordliebt wird stüiidlicli auf Form, Liclit.^ärke, Kiehtun^',
Bewegung, Höhe uad Farl>e in der von ^Yeyllrecllt angegebenen
Weise heobaclitet; gelegentlich werden spcktro 1 . 'niMclitungen
ausgefülirt. Der Stand des Wassers (Ebbe und Flut) wird im Sommer
stündlich, im Winter zweimal täglich yermerkt; zugleich werden
im Sommer drei Mal taglich, im Winter zwei Mal die Temperatur des
Wassers, sowie im Winter die Dicke des Eises bestimmt (zur Zeit
4' 6", erreicht späterhin 6'), endlich auch nach mitgenommenen
Proben das spezitisclie Gewicht des Wassers. Aufser den oben an-
geführten Teniperaturbe;>bacbtungcn werden solche noch in ver-
silredeuor ]i();ie über dem Krdhtulcn auge-tellt. Die Zahl der
Ablesungen an einem gewöhniichen Tage ist etwa 1500, an dciiTeriuiu-
tagen 4500.
Der Sommer hvu]<xt se1])st verständlich einige Abwechselung in
unser einförmiges Leben. Die freie /< it wird zn zoologischen,
botanischen und anderen naturwissenschaftlichen Forschungen und
Sammlungen benutzt Eine angenehme Abwechselung bietet die
Jagd, besonders auf Gänse, die wir im Mai und Juni mit vielem
Erfolg betrieben; der Fischfang, namentlich im Herbst, liefert reichlich
vortreffliche Fische in die Küche und versorgt die Hunde mit Futter.
Im Sommer werden ferner Kxkur-ionen zur Aufnahme einiger
Teile des Delta unternommen, v.ohei namentlich die Punkte berück-
sichtigt wenlen, die durch de)i an .iiiicklichcu Ausgan.: der „Jeaunette**-
Kxpediiion eine traurige Dekanntb.eit erlangt haben, t'ber den
AusÜug des Herrn Lenfinit Jürgens schrieb ich Ihnen im Sohitm« ]-;
er wurde leider durch anhaltende Nelicd und Winde vielfach gehindert,
seine Arbeiten auszuführen. Herr Eigner machte im Herbst einen
Ausflug zu dem Platze, wo de Long mit seinen Begleitern gelandet
war (etwa 30 Werst östlich von der Station) und besuchte mehrere
von de Long auf seiner Wanderung durch das Delta berührte Orte.
Endlich machte ich eine Exkursion zum Kap Büikow, wobei ich die
Orte, wo die Leichen de Louj^s und seiner Gefährten gefunden wurden,
Digitized by Google
— 294 —
sowie den, an welchem Danenhauer und Melville gebindet waren,
berührte; ich kehrte länirs dem Fcstlande bis zur Insel Stolbovoi in
der Lenarnündunir und von dort zur Station zurück; neben der Auf-
nahme der Reiseroute wareu zoologische, botauische und ^geologische
Sammlungen die Hauptaufgabe, die ich mir gestellt. Ein photo-
graphischer Apparat, über den wir verfagen, ermöglichte es, Yon
interessanten Punkten w&hrend der Exkursionen, sowie hier von
der Gegend, den Menschen u. a. Aufnahmen zu machen.
Jetzt im Winter vergeht die Zeit einförmig; Berechnungen des
Beobachteten, Ausziehen der Daten aus den Beobachtungsbüehem
zur Übersendung nach Petersburg nehmen die ganze Zeit in Anspruch;
in der freien Zeit beschäftigt man sich mit Lektüre, mit der wir
reichlich verschen, und ab und zu fällt auch ein Plauderstündchen
ab. Draufsen giebt es nichts zu thun: Dunkelheit, Kalte (heute
— 48*^C.) und Wind treiben uns bald wieder ins Innere; nach etwas
mehr als 14 Tagen kehrt aber schon die Sonne wieder zurück; den
gröfsten Teil der dunklen Zeit haben wir hinter uns. Mit Proviant
sind wir auch in diesem Jahi e gut versehen und ich möchte hier
die Hoffnung aussprechen, dafs auch diese Überwinterung ebenso
gut wie die vorige von uns ertragen wird. Stimmung und Gtesund-
heitszustand sind gut.
Ich will Ihnen, da mir noch einiger Raum übrig bleibt und es
Sie vielleicht interessieren wird, die Dnrchschnittstemperaturen der
einzcluea Monate des vergangenen Beobachtungsjahies mitteileu und
die der ersten Monate dieses Jahres hinzufügen:
1882—83 1883—84
September + 0.^ 08 + 0.57
Oktober —15.^)6 —14.1
November —27.9 —25.7
Dezember — 33 5 —33.3
Januar — 37.16
Februar —41.3
März —31.5
April —20.7
Mai — 8.1
Juni + 0.89
Juli + 5.07
August + 3.79
Nehmen Sie dazu, dal's last ein beständiger Wind herrscht, der
bisweilen zum starken Sturm anwachst, so werden Sie sich ein Bild
vom hiesigen Klima machen können.
Digitized by Google
— 295 —
EHeinere Mitteilungen.
§ Ao8 der geograplüsehen Oesellteliaft in Bremen. Die argentinische
AtlBStellang unserer Gesellschaft war vom 25. Mai bis 22. Juni dem Publikum
gegen ein Eintrittsgeld von 50 Pfennigen die Person geöffnet; fiir den Besuch
seitens der Mitglieder des hiesigen kaufmännischen Voroins. sowie dor Sdiülor
hiesiger Schulen war dieses Kintnttsgeld noch weiter ormäl'.sigt. Die Aus-
ßtellunp wurde im ganzen von 1141 Personen bcsuclit: nämlich von 210 Mit-
gliedern der Gesellschaft, 26U Mitgliedern dos kautuuinnischcn Vereins und von
3613 das volle Eintrittsgeld zahlenden Personen, 49 Personen hatten auf Frei-
blU«is Zutritt Die Tagespresse wArdigte die Bedeutung des Unternehmens auf das
▼oUstfindigste durch ansf ührliche Berichte. Die meisten Besachor kanften den von
FrofessorT. Seelstrang, dem argentinischen Ausstellangskommissar, verfafstcn
Katalog; letzterer erschien in zwei Auflagen: die erste Auflage wurde zu
20 Pfennige, die zweite 79 Seiten starke, mit einer sauber ausgeführten Über«
sichtskalte ausgestattete Auflage zu 80 Pfennigen das Exemplar verkauft.
Herr v. Scel?trang veranstaltete auch eine französische Ausgalio des Katalo;^s,
Im ganzen wurden 3(KK) Kataloge abgesetzt, au( h wurden eine Anzahl Exemjilan' an
Behörden, Handelskammern, natuiwisseuschaftlic ho Mnsoon, ^'0(>gra[)liische und
Kolonialvereine u a. versandt. Kimh Obereiukuntl miL li» rni rroiV.ssor v. Seel-
strang wurde ein Teil der Ansstellungsgegenst&nde an Öffentliche Sammlangen
in Deutschland überwiesen, so die Mineralien an das königliche mineralogische
Moseom in Berlin, die ethnographischen Objekte teils an die stidtischen
Sammlungen fftr Natnigeschichte und Ethnographie in Bremen, teils an
das königliche ethnologische Museum und die anthropologische Gesellschaft
in Berlin, die arznei-, gerbe- und faibstoffhaltigen Pflansen an das bota-
nische Museum in Hamburg, die Biu her- und Kartensammlnng, sowie
verschiedene amh i c Gegenstände an die fr^f^s^naphische (Josellschaft und
an die Stadtbibliotliek in Bremen, sowie an die Bibliothek Bolivar in Paris:
ein anderer Teil der Ausstellungsgegenstände wurde, der Bestimmung der
Aussteller gemäfs, wieder an dieselben zurückgesandt. An vier Abenden
wfthxend und nach der Ausstellung wurden Vorträge gehalten: am 9. Juni sprach
Herr Professor Dr. Brackebusch aus Cordoba in einer vereinigten Sitzung
des naturwissenschaftlichen Vereins und der geographischen Gesellschaft im
KoDYentsaale des Künstlervereins in Bremen über den ai^entinischen Bergbau,
am 12. Juni trug im Unionssaale in einer Versammlung der geographischen
Gesellschaft und des kaufmännischen Venins Herr Professor v. Seelstrang
über die Stadt Buenos -Aires vor, am l?.). Juni folgte clKiida ein Yortnig
über die Provinz Buonos-Aires, am 25. An;:ust ein solcher über die Ulcrland-
schaft dos Ciran Chaco. Am selben Tage naclMnittau's hielt der Vorstand unserer
Gesellschaft im Uutenhof eine Schlufssitzung in Angelegenheiten der Ausstellung,
zu welcher auch der argentinische Ausstelluogskommissar Herr Prof. v. Scclstrang
eingeladen war. Es galt sunftchst, diesem Herrn für alle die Sorge, Mühe und
Arbeit, welche er auf die Ausstellung Terwendete, den wärmsten Dank der
Gesellschaft aussusprechen. Dies that in herzlichen Worten der Prfisident der
Oesellschaft, Herr G. Albrecht, indem er mit Recht betonte, dafs ohne die Mit-
wirkung des Herrn Prof. v. Seelstrang die Ausstellung uohl schwerlich einen
80 vollständigen und vielseitigen Erfolg gehabt haben würde. Um diesem Dank
L/iyiiiz:ea by ^üOgle
— 296 —
einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen nnd sogleich als ein Zeichen der
Erinnening an die deutsche Heimat überreichte Herr Albrecht namens der
Gesellschaft dem Herrn Professor einen silbernen, inwendig vergoldeten Pokal
und einen Wcinzettel auf ^1 Flaschen Kheinufin aus dem Ratskoller. Der
Pokal, im Reini^-snm csril sf lir <:os( hmackvoll in einer hiesigen Fal>rik ans-
gofi'ilirt. roiut als lu'^i luift die Ki innemn;? an die An^sfonunj: nml die Gfsell-
Sf liaf! als Stiftciin. Herr Trof. v. t^.'clstranu' »laiikte bcwc-it für die Anerkciir.nnjz,
weli'he ihm durch diese F.hren^'i he lin-fifet worden und tlic iliiii die Erinnerung
an die in Bremen verlebte '/. it dopp'dt li^ l) und wt-rt maehe. indem er sieh
godunn zu einem kurzen liiiekbUtk auf das Au^.s^<. Üun^.sunteruehmen wandte,
änfserte er sich in folgcuden Worten: „Im Namen der argentinischen Repablik,
welche ich die Ehre hatte während dieser Anpstellnng za vertreten, spreche ich
der Bremer geographischen Gesellschaft nnd besonders den hier vereinigten
Kommtssionsmiiglicdpm den herzlichsten Dank aus f&r die opferwillige Dnrch>
fnhmng eines Unternehmens, weh l.-'s unsere Völker in so schöner Weise ein-
ander jKiher };;crückt hat. lu einer Zeit, wo alles, besonders in Deutschland,
zur ]irakl isclien Venvcrtunir des ev'an'jrten Wissen'! drän;^t. hat Ihr Verein zuerst
diesen Weg einigest ala'zea : er hat für einen Aurjenbli' k die .strenge l orschung
b( i Seite •,:eleL't. um den Stalnnle^l:eno^ sen weitere llorii^orite zu öffnen und
neue l'aliii"!! zu weisen, l'nd ein schöner Krfolg war der Lohn dieses patrio-
tischen Heginnens, auf w^elchcs »Sie mit Genugthuun«; zornckschau^ kdnnen.
Die Blicke des deutschen Handels, der Industrie und der Auswanderung richten
sich mit steigender Aufmerksamkeit nach Argentinien, und es ist unzweifelhaft,
dafs zahllose, wechselseitig vorteilhafte Beziehungen ans der Initiative Ihrer
Gesellschaft zwischen beiden T.'indem erwachsen werden. Jetzt kommt es
darauf an. das einmal erwachte Interesse nicht erkalten zu lassen xmd dem
Puldikuui die (iele^'eidieit znm Studieren argentinischer Verhiiltnisse auch
fernerhin zu gewähren. Tiul zu diesem Zwecke, zu-'leich aber als Ausdruck
der wärmsten Anerk"nnun*r für die hohen Verdienste dieses V- nins, beehre ich
mich, Ilinen im Auftraire intMuer I'eL;ierun;u; die mamni^fa; lien Sammlungen zu
überweisen, welche einen bedeutenden Teil der Ausstellung bildeten. Mögen
dieselben fördernd und fruchtbringend auf den strebsamen Geist des deutschen
Volkes einwirken, nnd zur richtigen WertschStzung des jungen argentinischen
Staates beitragen!" — Damit die Ausstellung ihren Zweck, Anschauung und
Belehrung über die Verhfiltnisse Argentiniens in möglichst weite und zahl-
reiche Kreise zu tragen, vollständig erfülle, waren die oben angegebenen
niedrigen Preise für Pesnch nnd Katrilog fcstgesef/ct worden; so stellte si;b
denn die Einnalinie niedriger als die An>;;al)e. und es ergab sich ein Detizit
von llOö Mk, I'f. Die Kinnahme bdri-g i5r.ndich Mk. .'10 Pf. die Aus-
gabe (5H14 Mk. ö.» i'f. l)ie Deckung des lu liziis üliernimmt <lie Kasse unserer
(Jesellschai't. Jedem Aussteller ist ein i-echt gc schmarkvoll ausgeführtes Dijdom
Über seine Beteiligung an der Ausstellung von Vorstand übereandt worden.
Endlich wurde in der Vorstandssitzung am 25. August beschlossen, besondere
Dankschreiben an den Präsidenten der argentinischen Republik Brigadiergeneial
Jnlio Hoca, an den Ministersekret&r des Innern Dr. B. de Irigoyen, an den
Präsidenton der argentinischen geographischen Clesellschaft Estanisiao ZebaUos
nnd an das Hans II. Hollmann &. Co. in Puenos-Aires zu erlassen; auch soll
die Firnennnng der Herren ZebaUos, Dr. Jose Lopez nnd Professor V. Seelstrang
zu Elire)imit'.'!ie(k'rn bei der nächsten Generalversammlung der Gesellschaft
beantragt werden, iierr Profesbor v. Seelstraug reiste am 26. August mit Lloyd-
Digitized by Google
297 —
dampfer von Antwerpen nacli Buenos -Aires zarü k . (Kr Delegiert© der argen-
tinischen Ri'gieiiiiig, Herr Dr. J. Lopez, bc<;ab bich schon früher wieder nach
seinor Heimat. Die C1e^^ells(•l;uft (l;irt auf d;(S nunmehr völlig ab;.'( ->-hh)ssenc
Ciiieruehmeii der Aasstellang mit (.lern Gefühl der Befriedigaug zuriiolvblicken.
§ Polarregiunen. Die Schuuerbcrichte über das unglückliche Schicksal der
MSnnery welche rntterLeutnant G reeley s Fähmngdie nördlichste der Polarstationen,
diejenige an der Lady Franklin -Bai, besetzt hatten, sind in aller Hunde und
brauchen deshalb hier nicht wiederholt zu werden. Auch die Ursachen dieses
traurigen Ausganges jener Cuternehmung wollen wir hier nicht näher unter-
snclien, sondern nur darauf hinweisen, dafs es jedenfalls ein kaum zu verant-
wort nd« s Wagnis war, eine so weif nach Norden vorgeschobene Station ohne
Schiff 7Ai his.'^en. Vorh'iutige Dericlite. die wir in der r.inerikani-'-lieii Zeit.sciirift
.SririK O" und in tli r Londoner .Nature" tiiiden, geben un.s einige nähere Au.s-
kuutr ülji r ilie geograpiiisclien Krg"bnisse, die wir Iiier nur kurz verzeieiinen
uolk'M, in der Erwartung, dala ausfülalKiierc, von Kurten bcgleilete Mittedungeu
nachfolgen werden. Die Entdeckungsreisen erstreckten sich einmal nach Nord-
Grdnland, sodann in das Innere von Qrinnell-Land. Greeley gab in einem zu
Montreal auf der Versammlung der British Association gehaltenen Vortrage das
Entdeckungsgebiet der Franklin*Bai-Station auf 3 Breiten- und über 40 Ijfingen-
gradc an. Die bedeutendste Sclilittenrei^>e n.uh Nord-Grönland, von o')trigigcr
Daner, hat unsere Kennini.s vom Wrlauf der Nordkü.'-tv (inuilauds um 40 miles
nach Norden ausgedehnt. liCutnant Lockwood, der Führer dieser Ivxpoilition,
vermochte von einem Berge der durch ihn entdecktcu Lockwooil-Insel igeltgen
auf KV' 24' nijrtil. Hr. und UV l.j' wostl. L. Gr.) ilie«lvü.ste Grönlainls l)is zu
etwa S;V' ö.y niudl. Kr. ujid iio westl. Ji. zu verfolgt n. Von diesem l'unklf, der
Kap liobert Lincoln genannt wurde, schien sich Gröidand noch weiter nach
Norden fortzusetzen. Diese nördlichste Küste Grönlands ähnelte in ihrem
Charakter vielfach der gronifindischen Südküste; schnee-und eisbedeckte Fjorde
schnitten tief in ein hohes, schroff aufsteigendes bergiges Land ein, Inseln waren
vorgelagert Die Vegetation war die von Grinnell-Land; der arktische Mohn und
verschiedene nördlich vom H:k Grade v a l. . udo Saxifragon wurden initgebrac ht,
Spuren von Ei.sbären, Lemmingon und Kihiiu iisen angetroffen, auf dem nördlichst
erreicliten Punkte ein Schneehase und ein .S( Iwicidiulm orl)eutef. aucli der Huf
einer hchnetammer vornomni'. ii. l)ii' Fhifw •lle aui Nonlcnde dva iSmith-Sunües
kam Vom Norden, bei Ka[> Saiii'h- vom Sinl n; die nörtlliche Title war 2 Grad
v.iirmer als die südliche; in Lady i'raiikiiii-Lai stieg die I'lut 8, bei Kap Sabine
12 Fufä. Leutnant Lockwood fand an dem nördlichsten von ihm erroichien
Punkte keine FolarsirÖmnug, auch vermochte er kein offenes Polarmeer zu ent-
decken. Die geographische Lage dos nördlichen Punktes wurde durch zwei-
tigige Beobachtungen ermittelt Auf der Rückkehr wurde bei Kap Britannia,
dem nördlichsten von Leutnant Beaumont (Expedition von Narcs) erreichten
Punkte die hier aufgepflanzte eiiLdischc l'lagge und ein Sextant aufgefunden und
mitgenommen. Sehr bedi utcnil und umfangreich scheinen die Hi isen nnd
Entdeckungen in Grinnell-L.md zu sein. Diese.s fjt»i(l- und glet.schcrreiclie eis-
bedeckte Land wunle in sütiv.estli( her Lichtung Ijcinahe duri hkreuzt und der
etwa 4ö<JU i . im'ti \!ouiit Arthur erstiegen. Las iiand zuiscben »b in Ki ini( dy-
und dem Hol)* -on-lvanal bis nach dem vermuteten Lfcr des wesliicdu u ark-
tischen Oeeans zeigte sich im JuH fast eisfrei, bei einer Exkursion von löO miles
traf Greeley keinen Schnee. Die Vegetation war üppig und der Boden mit Gras,
4
üiyiiizea by Google
— 298
Saxifragen und Weiden bedeckt. Während des Sommers weiden hier pejren die
Küste hin Herden von MoBchasochsen, beim Ueraiuiaheu des Winten ver-
schwinden sie landwärts.
Einen wertvollen Ueitra^ zur p}iysikalis(h-;„'oorrr;iphisclien Kenntnis des
Smithsiindes und seiner Naclibarschat't , sowie eine kritische Geschichte aller
früheren in dieser Richtung polwftrtt Torgegangenen Expeditionen bietet die in
den Verhandinngen des U. St Naval Institute erschienene über 100 Seiten
starke Abhandlang des Dr. Emil Besselsr the Smith Sonnd and its exploration.
Ans Nannortalik, Mftrs 1884, datiert ein Bericht von der dänischen
Expedition (Ilolm und Garde), welche l&npere Zeit hindnrch die Ostkäste
Grönlands erforschen soll. Im vorigen Spätsommer nnd Herbst wurden
Exkursionen n;trh der O.stkü.sto <;f^ni;iclit nnd vom 15. Oktober an im Winter-
quartier zu Naiinortulik regehnälsi^ie metetM<)ln;^ische und mugnctisclie Recdj-
achtun;4en ani:<'stellt. Der Winter war runh und streng, jedorli niclit von aulser-
gewöhnlicli langer Dauer. iSiciit selten traten heftige Sstürme mit plötzlichen
Temperaturreränderangen jsin. Im Qegensati inr Westküste kann an der Oat>
küste, wegen der ungünstigen Beschaffenheit des Eises, im Winter nicht der
Hnndeschlitten xam Transport yerwandt werden, letzterer mnls Tielmehr stets
in Böten geschehen. Bis Jannar 1884 war die Temperatur der Lnft niemals
nnter — 10,5" C. gewesen. Zu Zeiten, besonders wenn der Nordost Föhn*
herrschte, zeigte das Thermometer 0* C. Am ö. Dezember 1888 stieg letzteres
währenil rincs .'■olchou Windes auf 10' C. Im Januar nnd l"< bniar traten
Siren^ere 'i\'mpenthii< n ein, im Februar war mehrmals — C und am 0. März
trat (lif niedrigste 'lemperalur — 21.:')' ein. — Die Station Nannortalik liegt
auf einer Insel und beträgt die Zahl der m der Niederlassung wohnenden Ter-
sonen 250. Benachbarte, weiter in die See hinans liegende Inseln werden dos
Frühjahrs Ton den Grönländern des Seehunds- nnd Vogelfanges wegen besncht
Die nordwärts gelegene, schwer sngängliche Insel Sermenok entfaltet in einer
wilden Bergscenerie mit bis über die Wolken reichenden Gipfeln die ganse
Schönheit der grönländischen Landschaft. Hoi klarer r>urt tn. l i uhigem, son*
nigen Wetter liegt die Insel so friedlich im Ocean, dafs sich der Be.sui lier ver-
sucht fühlt. (Iii' hoben Piks 7.n erklettern ; anders ist das Ibid. wenn der Stnrni
die Felsenkiiste peitscht, die wie Kii-sen driinendeii l*iks von jagenden Wolken
umlanzt werden und die See eine einzige Masse (lain[»fi iul('n (iis. lites ist Auch
das grönländische Festland bildet ein grolM s. klüfterciches Dergland, dessen
Gipfel bis so 8000 Fnfs aufsteigen. Mächtige Gletscher reichen bis in die See
hinab. — Nannortalik besteht ans 30 torfgedeckten Hütten nnd es giebt hier,
wo der königlich dänische grönländische Handel dnrch eine Agentur vertreten ist,
auch eine Bäckerei nnd eine Brauerei. Die Hermhnter Mission hat eine Kirche
und eine Schnle. Zum Zweck der Beobachtun<;en waren zwei mit einander durch
ein Teleplion verbundene Häuser errichtet. Unweit Nannortalik erstreckt sich
der liebliche, fii) niib s lange Taserniiut-Fjord. An seinen Ufern entfaltet sich
im Sommer eine üpi)ige \ i';_'eiation, Hitze und Moskitos werden unerträglich.
Die Leute von Nannortalik bolen sich von den Ufern dieses Fjor(is ihr Feuerungs-
raaterial, die benachbarten Berge sind reich an Schneehühnern, Schneehasen,
Füchsen and Eisbären, die Bacht nnd die in sie einfliefsenden Gewässer liefern
Lachse, Häringe und Seehunde. — Im April dieses Jahres gedachte die Expedition
wieder nach der Ostküste anfinibrechen. Die Hälfte dea Personals sollte snm
Herbst wieder nach Nannortalik znr Oberwintemng mrückkehien, während die
andere Hälfte den Winter 1884/86 an einem passenden Punkte der Ostküste
Digitized by Google
- 299 —
sabnng«tt boU. Die FoncHuig«]! werden bis znm Herbst 1885 aoBgedebnt
werden.
Die Verhältnisse des grönländischen Treibeises bei Island wer-
den in einem mit einer Karte und einem Di3<»ramm anspestattoten Aufsatz von
Th. Thoroddsen (.Ymer-, lioft *{ und 4, 1884) klargelegt.. Über das jährliche Auf-
treten dieser Gc-ilsel Islands — mau kann sie mit Recht so nennen, denn sie
stört und beeuitruchiigt auf das Schwerste die Hauptgewerbe der Isländer, die
Fischerei and die Viehzucht — liegen Aufeeichnungeu seit dem Jahre 1800
Tor. In dieser Zeit bis 1883 waren die KAsten Islands nur in 90 Jahren völlig
eisfrei. Die schlimmsten Eisjahre waren 1802, 1807, 1817, 1881, 1889, 18S6, 1886,
1869, 1881 nnd 1882. Gegen Ende Angost wird die Insel meist immer eisfrei,
nur zwei Ausnahmen gab es in diesem Jahrhundert von dieser Regel : 181^ wo
das Eis den 23. August kam und den 9. September wegtrieb, und 1HH2, wo es
im Mai erschien und den M. September verschwand. Soptcmber, Nuvi inber und
Dezember sind die am meisten eisfreien Monate im Jahre. Der Polarstrom führt
das Eis zn nächst nach der Nordwestküste, bei Kap Nord, von da wendet sich
die Haupt luasse des Treibeises durch die Dänemarkstrafse längs des südlichen
Teils der grönländischen Ostküste, ein Rest geht lüngs der Nord- und Ostküste
Islaxids ins Grönlandsmeer, eine Bewegung, die natürlich durch die jeweilig
herrschenden 'Winde beeinflnM nnd verSndert wird. Das Treibeis besteht teils
ans Eisbergen, welche mehr an der Nordwestküste erscheinen, nnd ans Flftchen-
eis, welches sich mehr längs der Nord- und Ostkü.ste hinzieht. Die jedesmalige
Annäherung des Treibeises zur Insel ist mit dem Eintreten rauhen, stürmischen
Wetters, Hegen- und Schneefällen verbunden. Mit dem Treibeis kommen mit-
unter, besonders bei schwerem Eise, Eisbären nach Island. Dies war namentlich
im November 18H1 der Fall, wo mehrere Eisbären an Land kamen. Auch See-
hunde treiben ötu-r mit dem Eise an, seltener Walrosse; doch wnrden an ver-
schiedenen Stellen auf dem Treibeise W^alrolsskelette und Walrofszähue gefunden.
An vorläufigen Yer6ffientUehnngen über die Ergebnisse der Arbeiten der
internationalen Polarstationen verseichnen wir eine Abhandlnng des Herrn
Dr. A. Dsnckelman in der meteorologischen Zeitschrift 1884, Heft 3 und 4,
das Yon dem dSnischen meteorologischen Institut verdffentlichte ,B6snm6 des
tramnz de rexp6dition Polaire Danoise internationale snivi d^nn sommaire des
observations m6ti6oroiogi(|ues faites pendant la (b'iive du Dymphna dans la mer
de Kara" nnd einen in der Zeitschrift „Ymer*, 1884, Huft H und 4. veröffent-
lichten Vortrag des Kand. Ekholra über die wissonschaftlicben Beobachtungen
der schwedischen Polarstation auf Spitzbergen IKSJ H.'i.
Als Sepaiatabdruck aus der niederländischen geographischen Zeits( luift
erschien ferner: de N ederland'sche Poolexpeditie in de Kara-Zee door
L. A. H. Lamie, mit Tabellen, Kurs- nnd Eis-Trifticarte.
Von Dr. Hyades, Mitglied der französischen Polarstation Kap Horn,
wurden zwei anthropologische Abhandlungen Über die Fenerl&nder: sur le
Sjstöme dentaire des Fu6giens und sur rhygienc et la medecinc chez los Fn^giens
yeröfifentlicht ; schon ein flüchtiger Einblick in diese Schriften seigt, wie anfser-
ordentlich fleifsig and vielseitig die Beobachtungsthätigkeit des genannten Herrn.
Arztes der Station, gewesen ist. Die Anthropophagie erklärt Dr. U. bezüglich
der Feuerländer ilcs Kap-Horn-Archipels für eiii»^ Fabel.
In der Nähe der dänischen Kolonie Julianeha;ih. Westgrönland, wurden
am 18. Juni d. J. auf einer Scholle vou Grönländern, die auf den Seehundsfang
ausgegangen waren, ▼ersohiedene Gegenstände Yon der ,Jeannette'-Expedition,
Dlgltized by Google
— 300 —
nanu ntli( Ii : llo^tr uiner llolzkisie, Papipro, ( in ( Ikm kl-r.v h und oin l'aar mit
.Lunis N*>rus ■ ;_" n^-i ktt> lic.-cu :ius ( ;^. tnn'U ii. lin^i -. \vui\l«' oiiizit*!!,
uiitt r Uiili. ii'r Lh;m iuciijiiu;^ il< r (»c^t Uätuntio, licui diini . r.i ii K*>Uhul in Ni uvork
durch (ion dtiuiächon Kolunicvcnvallor Lylzcu in Julianehuub gemeldet , ein
amerikanisches KryoIith> Schiff. •Flaorioe", Kapitän Wilson, überbrachte den
Brief am 18. August von Ivigtat nach Philadelphia. Die Ein7,otheit^n über diesen
merkwürdigen Fond, welcher noch nicht nach Europa oder Amerika gelangt ist,
enthält eine uns soeben zagesandtc Brosrhtuv d< s Herrn < h. I'rooks in Sun
Frawrisco. y\du v< riuntet, dafs die betreftViidc in ile im Norden von Sibirien
clurcli tlus ürönlandsin'f r drr jirrtnliiiiilisrlicn Oslkiislo \i\u\ sodann mit
der liokannten Siitiit iii:_' an iI't ^Vl'4k^ist^' liinanf jiitiiidirn sii. llrir I'.rnoks
gründet auf dit si n i und d» ii \oi> idau'. an Y*'r-< luL-dfin-n J^lelicn auf iiiss; ludifii
di's PolunnerT« s (Miir' i i- An .alil lu :.v»ntlei s gi'nierkt»'! Ki.^h n zur Vei voil-
stiindij;ung unseriii Ki nnluis vtju d. u Pularströmuni^i ii uu:>.aifect/LU.
Wie hoch man auch die Er^obnitiso der Arbeiten der Polarstationen schätzen
mag, so wird doch die Geographie der Polarregiouen endgültig immer nnr dnrch
die vordringende Polurforsclmng festgestellt werden können. Neben dem Studium
der phyFisch-gcographisi'hcn I hat-ai h ii und r.i> im iiiini^^on an bestimmton
Punkli'n sind uns daher Entdi < ktui_>rt'isen in ttie unbekannten Gebiete des
arkli ' Ikmi und antarktischen Zirkels nach wie v<»r uucntlti In li' h und als oini»
sohdi'^ Entdeck iiM'- reiso vi>n ^rcdVi r Pedeutmi;: wäre dir zuf. l ji- iMn;:>-na(di-
riclili'ii VdU dtT riis: isrhrn A d ni i IM 1 i t ;i 1 ;'i']ilanl«' rnli'i uvdiiiiuuL; /u h,>-
xci(dincn. Eine auf dr<'i .laiirc Im i fidiHL'tf 1', \ p e d i r i o n ^<dl nüniürh vn der n o r d-
bi IW l i !b (■ ii e n Küsii' zuniudi.>-t zu den Neu-^Sibii i.->eii( n Insehi vorgehen und
sodann die durch de Long entdeckten Eilande Jeannette, Bennett und llonrietta
XU Schiff zu erreichen suchen, liier sollen grofse Vorräte niedergelegt werden
und es soll das weitere Vordringen nordwärts in drei Abteilungen stattfinden.
Wenn in dem Plane von Verwendung von Dampfern die Uode ist, so wird es
einige Schv ■ i /kt iton haben, überliaupt einen Dampfer in jeno entlegene d
der sil)iris( hell Kü.'-te zu bringen. Ide Li na mündet in d( r Xäiie, sie wird aber
bis jet/.t nur von ein/einen Flid'sdaHq)f( rn b fahren. lJi';'.ü;_:lieh d r K".4fn der
E"^ jteilitiun v. ird b rirhlef. dals dies, lln n wabr.-rbcinlii Ii dnri b i'ine Naf ional-
hul^skripi ion. (kuH'ii ]>>dlr.l;_T' der li''.'M'rnn;.' unii der 'o-i aiilr^' Iien t lorll -riiuft
gedeekt weiden. — Ziemlii h uub* .>.tiiunit iau'n ii bi^j jei/t die Naehneiiien
Über eine von dem amerikanischen In^'enieur Melvillo beabsichtigte neue
Potarreise.
§ Vlll der UoldkUdte. In der Dozemberaitznng 1883 der geographischen
Gesollschaft zu Genf teilte Herr J. Prost, ein fian/-ösischer Ansi-'dler in Ehnina,
dessen Mitteilun;: n üb» .• diese französi:>elic Kolonie wir in I5and VI. S. IJVi)
braiddcn. S(dne IJ .-lj.ii ldnn..en und Erfahrnn;i -n in lu tietY (b's A^idninti-Volkcs
mit. Die As(diantis, .v;i-;!e' vr, sind ein liandi.l;-volk. von kb^ineni. maxierem,
knexbi^iem K(>iiierl.tau, tbä;:L'. niub.iern und krieu'riyeb ; der Aber;L;laube
spielt bei ihnen eine hehr ;;i uihe UoUo, Dio wiehlig.steii Ue werbe sind die GoUl-
und Eisonbearbeitujig, die Töpferei und die Seidenweberei. Die mineralischen
und vegetabilischen Schätze des wasserreichen Bodens begünstigen diese Gewerbe
in hohem Mafse. Das gewonnene Gold besteht nicht allein in Goldstanb, sondern
auch in Goldkomern. Die Wälder enthalten wertvolle Färb- und Nutzhölzer;
besonder» hervorzuheben i.-^t der Gummibaum. Das Gebiet der Aschantts ist
aufserordeutlich reich an Wild; ein 50 km südlich von Kumassie gelegener
Digitized by Google
— 301 —
85 bis 28 Mdlen im Umfuig messender See enthllt eine Menge Speisefische,
die geräuchert in den Handel nnd zwar bis nach Dahome kommen. Einen
\vichtiger Handelsartikel für die ins Innere gehenden Karawanen bildet die
Kailannffi. Ein Aschantimarkt bietet eine reiche Auswahl von riebensmitteln nnd
sonsfignn l^fclarfsgegenständcn. u. a. Orhson- ntid Schaffleisch znr Snppen-
bereituMi^ in Streifon gosrhnitten, Hirsch-, \Vild.s( hwcin- und Affeufleisrh, Ge-
flügel verschiedener Art, ferner Bananen, Rohrzucker, lleis, Enerouma (ein dem
Spargel ähnliches Gemüse), Pfeffer, Pflanzenbutter, Orangen, Ananas, Guyavcn,
Citronen u. a., geräucherten und gesalzenen Fisch, Palmwein, Sandalen, Cala-
basaen nnd TMschiedene earop&ische ArtikeL Die Früchte nnd Qemfise werden
alle im Luide enengt; Kokosnfisse kommen nur an den Ifftrkten der Küste
Tor. Über die Spiache, die in drei Dialekten gesprochen wird, Poesie nnd
Musik nnd die primitiven Musikgeräte maclite der Redner eine Reihe von Be-
merkungen. Die Fetische, Amulette und Talismane der Aschantis sind aufser-
ordentlich zahlreich, die meisten Fetische sind in den "Wohnungen nnd sollen
vor Krankheiten, Schlangen und Gift bewahren. Von der Griuisamkeit und
Menschenschläcliterei, wie sie bei den Aschantis noch heute gang und gäbe ist*
erzählte der Redner grauenhafte Beispiele.
§ KiakiUai «iid Biallteker. In einer der lotsten Versammlungen des nator-
wiasenschaftUchen Vereins sn Bremen, am 81. April, machte Herr Dr. Müller-Eixbaeh
einige Mitteilungen über Eishöhlen und Eislöcher, welche aufserhalb der Schnee-
grenze gelegen, doch teilweise während des ganzen Jahres gröbere oder kleinere
Eismassen enthalten. Dieselben finden sich gar nicht selten, und es sind z. B. die
Höhlen von Dobsrhau in Ungarn, von Banme bei Besant.'on, am Untersberg bei
Reichenhall, bei Roth in der Eifel allgemein bekannt, bei Grevenbrück in Wcst-
phalen haben wir eine solche in gröfserer Nähe. Nach der Angahe von Pi ofebsoi
Schwalbe hegen die Eisbehälter stets in porösem und oft spaltieichem Kalkstein
oder Basalt. Die Höhlen sind kellerartig, manche gan^ niedrig und klein, andere
60 — 80 m lang. Das Eis bedeckt entweder den Boden oder die Wftnde und die
Decke, TereinaeH erscheint es in tropftteiaartigen Gebilden, sowohl in der Form Ton
Stalaktiten wie von Stalagmiten. Die Dicke des Eises schwankt awischen einigen
mm und 10 m, sie ist im Winter am geringsten nnd im November '^ind einige
dieser Höhlen ganz eisfrei, zum Frühjahr hin nimmt sie wieder zu, wird gegen
Mai am beträchilichstcn und nimmt von Juli an merklich ab. In verschiedenen
Jahren weicht die Eisstärke oft bedeutend ab. Von den Eislöchern aus, die in
ganz ähnlicher Gesteinsforniation gefunden werden, bemerkt man im Sommer
einen leicht erklärlichen und dann abwärts gerichteten st.urken Luftzug, der aber
in geringer Entfernung schon aufhört. Zur Erklärung der Erscheinung erscheint
weder die Ansammlung kalter Luft noch die Verdunstung ausreichend, innerhalb
engerer Höhlen würden beide Uisaehen die Büdnng grölserer Eismassen nicht
Teraidassen können. Man hat deshalb das Durdisickem des Wassers durch das
poröse Gestein als den Grund für die Abkühlung hingestellt nnd kann die Perio-
dizität der Eisbildung allerdings gut damit erklären. Im Winter nämlich würde
die Eisbildung in den Höhlen einfarh deshalb anfliörcn. weil in (l< in zu stark
abgekühlten Boden ein Durchsickern nicht möglich ist. im Frühjahr aber wirkt
dasselbe in dem auch jetzt noch kalten Bud«'n besunclers stark und deshalb
erfolgt die lebhafteste Eisbildung, welche einen grulsereu Vorrat für den Sommer
»ich ansammeln läfst. Wodurch aber beim Durchsickern das Wasser derartig
a«ogr. BlStt«r. BrraMn. 1SS4. 21
uiyiiiziüd by Google
— 302 —
erkaltet winl. »lafs es beim Austreten aus dem Gestein sich in Eis verwandelt^
bleibt bei jener Aunahme uiue noch ganz offene Frage.
Neue Nachricliteu vuti ileu üuuiii-inMelu. Herr 11. Melcherü, Vorstaiids-
mi^;lied nnserer OeseUscbaft, sendete uns ans Shanghai, den 90. Joni, die nach-
stehenden Mitteilungen eines küntlich von den Bonin -Inseln xnr&ckgehebiten
Reisenden. Wir geben den dankenswerten Bericht ohne weitere Erglnmogaa
und Bemerknngen wieder; es wird, da eine Erforschung der Inseln im Laufe
dieses Winters durcli Herrn Dr. Gotische bevorsteht, sich später Gelegenheit
bietPii. auf die Entdecknngs- und Erforschungsgeschichte der Inseln noch näher
eiiizugelu'ii. . AiiL'<"^i<bts drr bevorstehenden Expodition. welrlie oline Zweifel
interessantes und s\i( htigcs Material liefern wird, dürfte es Sic besonders inter-
essieren zu hören, dals ich hier kürzlich die Bekanntschaft eines Herrn macht«^,
der die Bonin -Inseln jüngst besuchte, und da ich eititauut war über die in
mancher Beziehung gl&nxenden Schildeningen, gebe ich Ihnen dieselben, so wreit
mir erinneilich und an der Hand eines dieser Tage noch erhaltenen bostitigen-
den Briefes, nachstehend wieder: Die Bonin -Inseln, ein kleiner Archipel too
etwa 89 Inseln und Klippen im westiichen Teile des Stillen Oceans, etwa
60() Meilen südlich von Yokohama und Meilen östlich von Shanghai gelegen,
sind, was kaum allgemein bekannt sein dürfte, im Jahre lß7ö durch die Japaner
entdeckt, alx i um 172') wieder verlassen worden. Zu Anfang dieses Jaln linnderts
gingen diesdljon in englischen Besitz, über, ohne jedocli von Eti<^laiid jc knlonisiert
oder faktisch besetzt zu werden und wurden die liiselu vor etwa Jahren den
Japanern zutüidi, gegeben. Wie verlautet, hut die japanische Piegiernng bis jetzt
aber so wenig Nutzen aus der zurück eriangten Besitzung gezogen, dab man
momentan mit der Absicht umgeht, auf einigen der Inseln Stra&nstalten oder
Verbrecberkolonien anzulegen. Vor 40—50 Jahren sollen die ersten Einwohner
die Inseln aufgesucht haben und zwar zunächst Kanakas von Honolulu und den
benachbarten Inseln, welche die ßonitis gänzlich unbewohnt vorgefunden haben,
|wie sich auch Spuren früherer Revölkernng bis soweit nicht haben entdecken
[lassen. - Auch heute übersteigt die Zahl der Einwohner kaum MM) bis r)00,
worunter etwa 1(H) Kanakas, während das (iros der Hevülkorung lu der H:hii»1-
sache aus Japanern besteht. Die japani.s( he llet^ierung veniusgabt für die
Administration der Inseln jetzt jährlich 12U0UI) Yen (etwa 4i)tlO(X) Mark) und
Minami Jetski ist gegenwartig Gouverneur derselben. Excellenz Itinami bat es
seit drei Jahren an grofsen Anstrengungen, das Loos der kleinen Einwohnerzahl
zu bessern und zu heben, nicht fehlen lassen, während von seinen Vorgfingem
iu dieser Richtung herzlich wenig geschehen sein soU. F>s werden jetzt zur
Erleichferung des Verkehrs Wege und Brücken erbant und der Gouverneur hat
sogar auf der gröfsten der Inseln, der Peel -Insel, eine Schule anlegen lassen,
die auffeitblicklif'h von einem Japaner geleitet wird, an deren Spitze aber ehestens
ein l.iigliuuier gestellt werch-n soll. Industrie, Handel und Handwerk lieptMi
jutuiilieh auf den Honin-Inseln oder 0-(iasawara-Shinui. wie diesellx n von lU-n
Japanern genannt werden, noch gunz in den Windeln, doch dürfte auch hierin
bald bedeutender Wandel geschaffen werden. Unter heftigen ^insmen, welche
im Marz dieses Jahres die Inseln heimsuchten, und die auf denselben bedeuten-
den Schaden anrichteten, hatten auch manche der von der Regiernng errichteten
Gebäude- mehr oder weniger gelitten, weshalb der Gonvcmenr sich veranlafst
sah, in fremden Schiffen gröfsere Quantitäten Holz zn importieren, um den an-
gerichteten Schaden damit zn reparieren. Da ein grofser Holzreichtum auf den
Digitized by Google
— 303
Inseln selbst vorhanden ist, noiag dies als Beweis dafür dienen, wie wenig man
die eT|JeneTi Hilfsquellen noch anszunutzen weifs, — ja, es wird sogar vorgezogen,
die fertig hergestellten Gebäude von Jiq'an koninicn zu lassen, da es noch
durchaus an einigerniafsen geübten llandwerkein fehlt. Von Tempeln oder
religiösen Gebräuchen hat mein Berichterstatter keine Spur entdecken können, —
es klingt dieses am so auglaublicber, als uns die Geschichte und Erfahrung
lehrt, dafs, wo Menschen sich sosamnieii finden und hftnslich niederlassen, auch
die Religion oder der Aberglaube in irgend einer Form snm Aosdmck gelangt
Solohes soll anf diesen glftcklichen Insebii wie gesagt, einstweilen nicht der Fall
sein, trotzdem lel)en die Bewohner snfrieden, glftcfclich nnd friedlichi nnd mein
Freund, der in jeder Beziehung entzuckt war Yon dem was er gesehok und er-
lebt hatte, war voll Staunen darüber, dafs diese Perlen der p wie er sich
ausdrückte, bislang so wenig Beachtung gefunden hälteii. Die Inseln orfreuen
sich eines ewigen Sommers, ohne unter zu grofser Hitze zu leiden, die Fruchtbar-
keit ist ganz anfsergewohnlich untl die Vegetation fast aller Zonen würde hier
die günstigste Entwic.kelung finden. — Schon vorstehend erwähnte ich, dafs die
Inseln reich an Hols seien und swar gedeiht dasselbe nicht nnr anf den nörd-
lichen Iniei^^en, den Panry-Inseln, sondern auch auf den sfldlichen, den
Beechey- Inseln, zu welchen letsteren die Fed- Insel gehört, mit dem Hafen
Lloyd, «Port Lloyd". Dieser Hafen ist leicht zu^glich, gewährt einen
sicheren Ankergrund und wird alljährlich von Tielen Schiffen besucht, die
Wasser und frische TiCbensmittel dort einnehmen, auch gehen gar manche Japa-
nische Fischer hier ihrem CJewerbe imcli, um ihren Fang dem Mutterlandc zu-
zuführen. Dil' herrlichsten Waldungen, belebt von Hirschen und Wildschweinen;
erstrecken sic h bis fast an den Kand des Meeres. Hier gedeiht u. a. der Tamanu-
baum, welcher identisch ist mit dem in Mexico vorkommenden Jaiuuna, dessen
Hohe eine^ prachtvolle Politur nnd Farbe annimmt und daher dem Haliagoni
viel&ch vorgezogen wird; um so erstaunlicher ist es, dati die Unternehmungs-
lust der Menschen noch keinen Nutzen hieraus zu ziehen gewnfst hat, da die
Kosten des BaumfUlens, infolge der Güte des Holzes, sich ohne Zweifel reichlich
lohnen würden. Die Kolonisten bauen, ohne viel Arbeit daran zu verwenden,
Tabak. Zuckerrolir, Kartoffeln, Korn, Bananen, Ananas u. s. w., und könnte die
Zahl der zu kultivicrenrlen Früchte leicht nach Belieben ausgedehnt werden.
Den zahlreichen Walfischfungern. welche in diesen (iewässern kreuzen, gewähren
die Inseln schon heute eine erwünschte Ziifluchtsstättn und da der Walfisch
(right whale?) in grolsen Ziigen hier vorkommt, ilürt'te die Errichtung einer
Station, um den Fang von hier aus mit kleinen Fahrzeugen zu betreiben, nur noch
eine Frage der Zeit sein. Auch von Schildkröten, die in grofsen Mengen hier
leben, sollen, wie berichtet wird, mit nicht zu grofser Anstrengung, SO bis 80 tiglich
erlegt werden können. — Der Enthusiasmus, welchen mein Freund von den
Bonin-Inseln mit zurück brachte, geht so weit, dafs er sich zu der Aeufserang
verstieg, das Paradies, wenn je es auf £rden gefunden werden könnte, nur auf
diesen lieblirhoii Inseln siulion zn mögen, nnd nach allem, was ich über die-
selben geluirt und jrtzt gelesen hübe, schlirfse ich mich der Ansicht meines
Frenndes insoweit an, als ich glaulje. dafs die seit Jahrhunderten vergt-ssenen
Inseln ehestens der Verborgenheit entzogen und einer ergiebigen nut^eulassendcn
Kultur entgcgengefübi-t werden. Dafs die von unserer Geographischen Gesellschaft
beabsichtigte Expedition dieses Ziel fördern möge, ist unser Aller Wunsch.*
Nachschrift: Herr Dr. Hirth, mit dem ich den einliegenden Brief
durchsah, steOte mir ein Werk zu — Mimoires relatifs l TAsie, par M. J. Rlaproth.
Dlgitized by Google
— 304 —
Membre da Conseil de^ la Soci6t6 Asiatiqae, Paris — in dem ich einige Notizen
finde, welche Sie in dem Brief wohl noch verwenden könnten: 1) Die Japaiuache
Benennong der Inseln O-tiasawara-Shimt» aach Okana wara Sima, heibt: üea
saus hommea, weil die Inaein Mher stets unbewohnt waren. 2) Fauna nnd
Flora zeigen grofse Obereinstimmong mit den Indischen Inseln. ,11 y a de grands
arbres qni sont si gros, qn'nn homme ne pent les embrasser. Lenr bois est
dnr et bcan.- Die prachtvollen Wälder zeigen ein eigentümliches Geniisoh von
Ptianzon der tropischen und gemäfsigten Zonen. .Quant aux oiseaux, on y voit
differentes especes de perroquets, des herons, des perdrix. des oiseaux qai
re&semblent a des manettcs blanches, mai qui out trois pieds de longaear.
Tons ees oiseaox sont si pea faroacbes, qa'on pent les pendre avec la main.
VOcAtai y est gtetealement riebe en prodoctions variAes.*
Die RiiMM Ttn firo(li*Fri«iriehabuf * In botreff der vor knxier Zeit w
öfTcntlichten Berichte über die Aufsuchung der alten Rainen des ehemaligen
kurfürstlich brandenburgischen Forts Grofs - Friedrichsbnrg an der Gk>ld-
küste durch S. M. Korvette , Sophie" zu Anfang dieses Jahres hin ich in
der TiHge, noch einige weitere Mitteilungen machen zu können. Seil Januar
1882. als Leiter verschiedener Expeditionen, welche das Appolonia Gold
Mining Syndicate in London ausrüstete, an der Cioldkübte thätig, um Bericht
über die geologische Beschaffenheit der Küste sowohl als auch über den
Goldreichtam des Landes an erstatten eventnell Lftndereien an erwerbeD,
stiela ich anf einer meiner Tonren am 28. Jnni 1883 anf die Ruinen dea
ehemaligen knrf&ratlich brandenbnrgischen Forts Grob -Friedrichsbnrg, in
anmittelbarer Nähe des Dreifingerkaps gelegen. Wie ich nachher in Er-
fahrnng brachte, so waren Kapit&n Barton und Commander Cameron einige
Monate vor mir auch dort gewesen; die Hen-en waren damals zu demselben
Zwecke wie ich an der Goldküste anwesend. Die Ruinen liegen auf einer An-
höhe am Meeresnfer, etwa 3 miles nordwestlich von dem mittleren Dreitinger-
kap, welches auf 4 44' 4ü" iiördl. Breite und 2 ' 5' 40" westl. Länge von
Qreenwich liegt Nahe daran führt der Weg vorbei, welcher der ganzen Küste
entlang länft, nnd von den Häuptlingen der am Strande liegenden DSrfer, nnter
Oberanfsicht des englischen Kommandanten, zu dessen Distrikte sie gehdren, in
recht gntem Znstande erhalten wird. Die Strecke dea Weges von Azim bis
znm Dreifingerkap gebort zum Axim- Distrikt. Von diesem Kap östlich bis
znm alten unbewohnten Fort Badenstein in Boutry steht die Aufsicht dem
Kommandanten von Dix Cove zu. An der westlichen Seite der Anliöhc liegt
das recht ansehnliche Dorf Pmicefs, welches sich längs des Straiidts hinzieht
bis zu der etwa eine englische Meile westlich von dem Ruinenhügel gelegenen
Mündung des Priucefsflusses. Die Eingeborenen nennen den Flufs Jianne Baka.
Mehrere Häuser dieses Dorfes sind teilweise aus den Überresten des alten Forts
aa^gefnhrt. Die wesleyanische Mission besitat hier eine grofise, geräumige, sich
in gntem Znstande befindende Kapelle, ohne Zweifel sind anch bei dem Bau
derselben Materialien des Forts verwendet Die Entfonmng von Azim, alle Weg-
krümmnngen eingerechnet, betrügt 11 miles, und man sieht von den Ruinen ans
hell und klar die weifsen Manern des alten Forts St. Anthony in Axim, welches
gleichfalls auf einer Anhöhe am Meeresufer sich befindet An mehreren Stellen
waren die noch aufrecht stehenden Überreste der inasifiven Mauern von Bäumen
besetzt. Mir war es auffällig, dafs mehrere Partien des alten Gemäuers aus
grofseu gebrannten Backsteinen bestanden, während andere von mir besuchte
Digitized by Google
— 305
&UIMII, wie diejenigen anf Akruraassi Point an der Uöndang des Ankobrah-
flnsses, sowie anch die des alten Forts Ruykhaver am oberen Ankobrah und
die des noch ziemlich gut erhaltenen Forts Badenstein in Boutiy ans rohen
Diorit- und Granitblöcken bestehen, welche durch swich verbunden sind. Ich
fiuid ein noch gut erhaltenes Gewölbe vor und da die Leute von Princefs village
sich weigerten mir irgendwie behülilich zu ^ein, indem sie behaupteten, ein
Leopwd hfttte sein Lstger dort anfgeseUsgen , nahm ioh einige meiiier Krn-
Neg^, liels den Eingang gehörig sftnbern, &Qd aber darinnen solch eine Unmasse
ron kleinen Sehiaogen Tor, dab ich genötigt wax mich snrttelcsosiehen. Um
einigermafsen Dmachan halten zu können, mnlste ich, da alles mit Qestrfipp und
Sclilingpflanzen andorchdringUch überwuchert war, eine gründliche Reinigung
des Platzes selbst vornehmen; auch der vom Dorfe dahin führende Weg wurde
von meinen Leuten mit ihren machetes gründlich gereinigt. Seihst der Appolonia-
spräche hinreichend mächtig, fand ich, dafs es von ungemeinem Interesse für
die Einwohner des Dorfes war zu hören, dafs das Volk meiner Abstammung die
Erbauer dieses Forts gewesen und versprach mir der Uäupümg, uaclidem wir
nach landesüblicher Sitte uns gegenseitig unsem dash hatten ftboreichen lassen,
wanigiitens für die Instandhahnug des Weges zu soigen. Die Rainen des anderen
ehemaUgen brandenburgischen Forts, Dorothea, liegen etwa 4 miles Östlich von
dem oben genannten mittleren Kap anf einer Landxonge am linken Ufer des
kleinen Flusses Aquadah, nahe dem volkreichen Dorfe Aqnadah, wie dieses Wort
jetzt ansgesprochen wird (auf Karten Accoda); es ist wenig mehr davon zn sehen,
nur die Steinhaufen zeigen dem aufmerksamen Beobachter, dais früher sieh dort
Schutzvorri* litungen befunden habeiit Es mufs dieses ein nur kleines Yer-
teidigungbwerk gewesen sein, um die Mündung des Flusses zu schützen. Seit
August 1883 bin ich durch einen Agenten au diesem Teile der Küste vertreten
und habe angenblicklich eine Faktorei in Dix Cove, welches etwa lö— 16 engl.
Meflen östlich Ton den Ruinen liegt Von Dix Cove stehe ich in direkter Ver-
bindung mit den Dörfern Aquadah und Frinceb und sftUen manche der Ein-
wohner SU meinen Kunden. AuÜBer der Faktorei in Dix Cove habe ich jetst
eine Filiale in Axim und eine andere an der Mündung des Ankobrahfiusses.
Die Strecke Axim} Dix Cove, Bontry habe ich mehrere Male zu Fufs gemacht,
auch nachts im offenen Boote ein halbes Dutzend Mal das Kap dor droi Spitzen
nraschifft. Auf dem mittleren Kap ist ein Leuchtturm. Die Dauer der Fahrt,
w^enn günstig, beträgt 7 — 8 Stunden. Die Tour von Dix Cove nach Axim wird,
um die Seebrise zu vermeiden, immer nachts gemacht. Umgekehrt segelt man
uut der Seebrisc in bedeutend weniger Zeil. J. Wulfken, Bremen.
§ Detttiehe f ffnehuigtfdM in Brsslttei. Wie anderweit gemeldet, traten
swei Mi^lieder der Deutschen Südpolar>Expedition, die Herren Dr. v. d. Steinen
und Dr. Glaub, femer der Landuchaflsmiiler Wilhelm d. Sternen in diesem
Frühjahr von Argentinien aus eine Forschungsreise in die brasilianischen Pro-
vinzen Matto Grosso und Orao Para an und zwar längs des in den Amazonen-
strom mündenden Xingü-Flufses, dessen oberer Lauf noch völlig unbekannt ist.
Die Reisenden, weli hc ^ir]i für ihr Vorhaben die rntcrstützung der brasilianischen
Regierung erbaten und » rhielten, begaben sirh von Huonos-AireR zunächst nach
Asuuciou, die geographische Lage dieser Hauptstadt am Paraguay wurde genau
ermittelt u^id fuhr die Expedition hier mit Dampfschiff auf dem Paraguay nach
Corumba» weiter auf dem CuayahA-FlnliB nach dem am Fufs der Serra Aanl
belegenen Orte Cnayabft. Von hier schrieb uns am 26. Mai d. J. Dr. Otto Clanli
Digitized by Google
— 306
das Folgende: .Morgen treten wir onserG Reise an. Unser Ziel ist, wie Sie
schon wissen, der Xin^'u. Wir reisen in Begleitung:; einer Militäreprorte von
25 Mann mit 2 IhuiptUMiton Die T,ehensiTiitt»'l sind für drei Monate berechnet
und werden auf Ochsen traiisp<irtii'rt. l nsvr Weg ist: dem Rio runyaba entlang
bis zur 8erra Azul, diese überschreiten tind hinab zum liio Faranatin^Ms.
einem Nebenflufs des Tapajoz; darauf jenseits des Paranatingas ins Qaellgebiet
des Xingu ; flnlsabw&rts in Kanoes, die wir selbst anfertigen mOssen. Die adligen
Werksenge worden in reicher Zahl von der R^emng geliefert Wir hoffen in
etwa Yienehn T^gen terra ineognita za betreten. Bis anm Flnüs Paranatingas
nfimlich, wo einegrölsere Fazenda gleichen Namens liegt, ist beständiger Verkehr
von hier ans. Über Cuayaba kann ich Ihnen Nichts berichten, was nicht schon
bekannt wäre Das Volk ist sehr vcrgnügungslustig und wir wurden als Tänzer
stark in Anvpruch ^enomjuen, Von Paranutin^^as ans werde ich Ihnen vielb'i' ht
schon einen kurzen Bericht unserer KrU'l»nissc zukommen lassen können. Meine
Reisekollegen lassen Sie bestens ;^rürs< n.'* l'm Mitte Septetnber trafen in Berlin
weitere vom Parauatinga-Flufs datierte bis zum 2. Juli reichende Naelinehten
Ton Dr. y. d. Steinen ein, welche in der Korrespondenz von A. Woldt veröffentlicht
Warden. Nachdem eine notwendige Reduktion der zum Teil onanTerl&ssigen mili-
tärischen Begleitung voigenommen, bestand die Expedition im ganzen aus
20 Personen. Es heifst in diesen Nachrichten u. a.: «Wir bleiben 20. 11 gnie
Soldaten von der Infanterie. 2 Berittene vom Piqnct, 3 Kameraden. Kapitän
Ca.stro nnd wir drei (Dr. Claufs. mein Bruder und ich). Die Maultiere des
Piqnets, die wir bisher peritten haben, treten als Lasttiere ein. so dafs wir von
letzteren mit lü Oi hseu 2lJ übrig behalten. Sechs Ochsen sind bereits verendet,
oder als lebende Skelette zurückgelassen worden. Die nötige Verproviantierunf»
bringen wir hier zu stände; es geht nur wieder eine kostbare Woche verloren.
SchÜmmer sieht es mit den Eisenwaren (Tauschmittel) aus; wir mftssen froh
sein, ausrangiertes und verrostetes Material f&r den Einkaufepreis zu erhalten.
Statt 36 sind wir unserer jetzt 21, ein stammiger Bacairi, der uns fär Jagd und
Flofsfishrt sehr nützlich sein wird, begleitet uns. Wir sind bereits in das Sertao-
leben gut eingewöhnt. Die Kost. Bohnen, Reis, farinha. carne secca (gesalzenes
und an der Luft getrocknetes F'leisch), zum Nachtisch Rapadura — Bonbons
von '/ie<?el<f einform und Oröfse — nnd Paraguaythee. dies Alles liefert ein
monotones aber kräftiges Mahl. Nur selten ist es bisher durch Hehbraten.
Tapirragont, Ameisenbärfzullascli und fnselien Fisch variiert worden. Wenig nur
gefallen uns die langen und kalten isaclite in der liäugemattc. Mittags 30 Grad
im Schatten und TOr Sonnenaufgang 10 Grad mit reichlichem Tau ergjebt
eine Temperaturschwankung, die uns zuweilen, als wenn wir einem kalten Flufs-
bad entstiegen, yor Frost am ganzen Leibe zittern liftii Wir schlafen im vollen
Anzug mit Flanellhemd und in zwei Ponchos eingewickelt. Regen haben wir
während dieser fünf Wochen noch nicht gehabt. Die Insektenplnir** läfst sich
ertragen, wenn sie oft auch ärgerlich genug ist; Bienen und Borracliudos —
kleine Stechfliegen — sind das sehlimniste Gesindel. Das Terrain ist gröfsfen-
teils ('ampo cerrado, dessen Physio;^nomie an verwilderte Obstfiärten erinnert.
Diese niedrigen, krummen, wenig belaubten Bäumrlien bedecken lange Hügel-
züge, zwischendurch steht gegenwärtig iierbstlich verfärbtes Gras, nnd nur
vereinzelte Blumen erfirenen das Auge. In den Thalgründen dagegen entwickelt
sich in schmalen Streifen entlang einem Flüfschen oder Bächlein, eine aUerliehete
und zuweilen schöne Waldlandsehaft, deren Zierde, die eleganten und hohen
Buritipalmen wie Offiziere neben der Kolonne angestellt, sich stolz am Bande
uiyiiiziüd by Google
— 307 —
erheben und in ihrer Fächerkrone bei jedem Windhauch ein prächtige« Wechsel-
spiel von Licht und Schalten entfalton. Spärlich nur fritt uns auf unserem
j^eräuüchvollen Zuge die Tierwelt entgegen. Jedes kreischende Arras-Paur, jedes
Hiehende Reh ist ein Ereignis. Wir liabon erst einen einzigen Jaguar zu Gosi( Iii
bekommen. Am häufigäteu treiben die i lande noch ein cdendcs Gürteltier auf,
dessen öliges Fleisch nar von IJebhabern gewordigt werden kann. — Die Karten
erweisen sieh seit Bosario sehr inkorrekt; die Lage der Arinos- nnd Caayab&-
qnellen ist &lsch, der Psranatioga mnls gen Westen rücken. Um so besser Ar
uns ; es entsteht Banm för den Xing6 und wir dürfen hoffen, seine Zaflosse
fräher als, entsprechend den neuesten Darstellungen auf dem 11. Breitengrade,
zu etreiclien." Als geschichtliche Notiz möchten wir anreihen, dafs der Xiugü
von seiner Mündung bis znm 6. Breitengrade durcli Prinz Adalbert l)p}ahren
worden ist. Die grofsten Schwierigkoitou rb-r Reise werden einmal in der m\it-
mafslich feindseiijLjpn Gesinnung der Indianerstiimme, mit denen die Exqedition
auf ihrer Flufsfahrt /.usammentreffen wird, sodann in den l'alirthindernissen,
namenitieh den zahlreichen Stromschnellen des Xingü, bestehen.
§ Knpferbergbaa Im Klein-Namaquluid. In den dOer Jahren dieses
Jahrhunderts war in Süd-Afrika eine grofse Bewegung zn Gunsten einer Auf*
schliefoung , der mineralischen Schätze von Grofs- nnd Klein-Namaqnaland.
.Prospektende " Miner darchzogon nach den verschiedensten Richtungen die
Sandwösteu und Berghalden nördlich nnd südlich vom ^grooten Rivier'', den
Oranje-FluTs. Die damaligen mit nnpenügenden Mitteln und geringen Kennt-
nissen begonni uen ünternchimingen sind wieder aufgegeben worden bis auf eine
in Kli iti-Xaiiiaqaaland : es sind dies die Kupferminen der ('ape-('(i[»per-.Mining
(Company, welche jetzt zu den reichsten und ergiebigsten Kupferminen der Welt
gehören. Die ersten Minen dieses Disiricts, bei Spriugbok, 18 — 20 d. g. Meilen
Ton der Küste wurden von einem Kapstadter Handelshanse, Phillips A King
bearbeitet, aber erst nachdem die Minen bei dem nahe gelegenen Ookiep er-
schlossen nnd der ganze Betrieb dnrch eine Kompagnie, welche das Eigentum
der genannten Firma erwarb, in grofsartigem Mafsstabe mit Maschinen, einer
zur Küste führenden Eisenbahn, der Anlage des Seehafens Port Nolloth n. a.
timgestaltet w;ir, wurden diese Kupferminen von Süd-Afrika in vollstein Malsc
ergiebig und für die Unternehmer einträ;jilich. In den letzten Jahren hat
di<! Kompagnie auf ein Aktiiiikapital von itnfanglich 14l),tMK), später KjCUXK)
Pfd. St. den Aktionären jiilulich H(MXK) Pfd. St. Dividende bezahlt. Die Ookiep-
Mine förderte im Jahre 1888 lööSö Tons Kupfererze, deren durchschnittlicher
Kupfergehalt 29,m */o war. Die Erze werden nach Swansea in Wales yerschifft
nnd dort verhüttet. Bas Kupfer erlangt wegen besonderer Reinheit einen sehr
guten Preis.
Litteratur.
liehrbnch der ({eopliysik nnd physikalischen Oeographie von Prof. Dr.
Siegmund Günther. Stuttgart. Verlag von Ferd. Knke 1881. Dci- nur vorliegende
erste Band dieses Werkes enthält in prägnanter, darum alx r nirgends unklarer
Kürze diejenigen Lehren der alk'emeinen Erdkunde, uekhe man als Geophysik
bezeichnet. Die erste Abteilung behandelt die kosmische Stellung der Erde, die
zweite widmet sich der Oberflftehenform der Erde und ihrer Bewegung imBanme
nnd die dritte behandelt die Warmeverhältnisse des Erdinnem, die Ynlkane und
Erdbeben. Die neueren Ergebnisse der mathematischen nnd rein physikalischen
Erdkonde sind hier hi möglichst systematischem Anfban der einzelnen Lehren
uiyiiiziüd by Google
308
tü e^em einheitlichen Ganzen aufgebaut. In » inrr rc-ht lehrreichen geschichtlich*
litterarisrhon Einleitung wird die Entwicklung der physikalischen Geographie vom
Altertum bis auf die Gegenwart verfolgt und somit in kurzen Zügen ein Bild
von dem allmählichen Anwachsen und Krsturken dieser Wissenschaft, welche
die Brücke zwischen der Naturlehre und Erdkun.lt" bildet, gegeben. Neben der
streng mathematisch-physikalischen Darstellung chu.ruktcrxbiert da^ GUathersche
Lehrbuch noch tot gllcm die historische Entwicklong der behandelten Theoreme
und die Beigabe eines anfserordentlich reichen Citatenschatsee am Bnde jedes
gW^beren Abechnittes, wodurch das Buch für jeden Geographen ein unentbehr^
liches Nachschlagewerk wird. Hfige es dem verehrten Verftsser, der ans Qe-
sundhoitsrücksichten ein neues Mandat als Rcichstagsabgeordneter abgelehnt hat,
beschieden sein, recht bald den (weiten Band erscheinen su lassen. Wo.
Sophus Rüge, kleine Geographie, für die untere Lehrstufe in drei Jahres-
kursen. Zweite verbesserte Auflage. Dresden. G. Schönfeld, 1884. 2 Mark.
Der Verfiifser gliedert den gesamten StofF dergestalt, dafs er in dem ersten
Jaliri'skursus die Gruudbegrifle der allgemeinen (ieogrupliie und die Staaten
deutscher Nationalität behandelt ; im zweiten Kursus folgen Erweiti nnigen der
Lehrsätze der allgemeiueu Geographie und die Länderbeschreibuug der euro-
päischen Staaten, mit Ansschlnfs des deutschen Beiches; der dritte enthält
Repetitionen und Erweiterungen der allgemeinen Geographie und die Beschreib
bnng der aulsereuropäischen Erdteile. Anzuerkennen ist das Bestreben des
Ver&fsers, nicht blos Namen und Zahlen mitzuteilen, stn^em auch die vor»
kommenden Begriffe gehörig zu erklären und durch ausf&hrlichere Darstellangen
der Anschauung zu Hülfe zu kommen. Neben manchen gelungenen Partien
enthfilt das Buch einiges überflüfsiiie, t. B. die etymologische Ableitung geo-
graphischer Namen, ferner unbestimmte und deshalb in dieser Form falsche
Ausi iii;indersetzungen, z. B. Seite 24*i. wornach man annehmen nmfs, dafs die Be-
völkerung des Südens der Vereimgten Staaten vorwiegend aus Franzosen bestehe j
zudem sind auch mehrere wirkliche Fehler sieben geblieben, z. B. auf Seite 13:
^Preulsen zerfiUlt in 11 Provinzen', auf Seite 213: «Newyork, auf einer Halb-
insel.' Überhaupt ist das Buch zu einem Umfange gediehen, dals es durchaus
unmöglich erscheint, den gesamten Stoff in drei Jahren gehörig durchzuarbeiten
und zum geistigen Eigentume des Schülers zu machen. Am wenigsten sagt die
im ersten, teilweise auch im zweiten Kursus eingeschlagene Methode zu, wonach
erst die Staaten- und Ortskunde, darauf aber die Darstellung der Oberflächen-
bilduug und Bewässerung folgt. Die äufsere Ausstattung des Buches ist gut. Ü.
5; Dr. A. Oppels La n d sc h a f t s k u nd e. Lieferung 16. Breslau,
F. Hii*t. IhWl.*) Dieses auf etwa lU Hefte berechnete Werk soll zunächst als
erläuternder Text zu den typischen Landsciuittsbildern von Ilirts geographischen
Bildertafeln dienen. Der Verfasser hat sich aber nicht damit begnügt, die Bilder
durch Schilderungen zu umschreiben, sondern er unternahm es, auf Grund aus-
gedehnter und grundlicher Quellenstudien, aus der Summe der Einzellandschaften
den Qesamtchaiakter der Länder und Erdteile festzustellen, diesm in systematischer
und konsequenter Weise auf die örtlich herrschenden Naturbedingungen surfick-
zuführen, den Einfluls der menschlichen Kultur auf den ursprünglichen Zustand
des Bodens nachzuweisen, und die gewonnenen Resultate bald in kurzen Skizzen,
bald in ansföhrlicben Charakteristiken darzulegen. Ein solcher Versuch der
*) Bs ging uns die Ksehricbt sn, daf» dM gaiise Werk, etwa 45 Bogen tu
11 l.iefprangen, in wenlffee Woehan fertig rorliegen wird D. Red.
Digitized by Google
— 309 —
Physiognomik der gesamten Erdoherftiicho ij<t, wie es in dem Vorwort des
ersten Heltes heifst, bisher noch nicht gemacht worden; der vorliegende dürfte
daher auf das Interesse dar Fachlento und der Freunde der Erdkmide in um
80 höherem Grade Ansprach haben, als er sich anf solchen Gebieten bewegt,
welche zwischen der Kunst der Malerei und der Wissenschaft der Geographie
liegen. Dafs der Begriff »Landschaft' in den beiden, stofflich mit einander ver^
bnndenen, im fihrigon aber durclians vors( lüodenartigen Zweigen mensclilicher
Geistesthätigkf^it sicli nicht überall deckt, ist einleuchtend. Unter j,Land-
schaft" vorsteht der Verfasser denjenigen Erdraum, welcher sich von irgend
rinein Punkte aus dorn Blicke als ein Ganzes darbietet; je boschränkter der Ge-
siclitskreis. desto kleiner und einfacher ist das Bild; je freier der t^tandpuukt,
desto umfassender und zusammengesetzter wird das Gomülde. Die Samuie der
Landschaften auf der ganzen Erde, in diesem Sinne, ist eine ungeheure, die
Mannigfaltigkeit der möglichen Gestaltungen eine anfs^rdenÜiche, nicht allein,
weil die Zahl und die Art der Oberflftchenformen eine &st unendliche ist, sondern
auch, weil dieselben landschaftlichen Elemente, von einer andern Seite gesehen,
einen andern, zuweilen ganz entgegengesetzten Eindruck machen. Eine einiger^
mafsen vollständige Landschaftskunde würde daher ein Werk von riesigen
Dimensionen ergeben, wenn nicht gewisse Gestalten, unter dem Fiiifln<:«o «loicher
oder ähnlicher Na1url)edingungen, auf enoeretn Räume oder inin i halb der ganzen
Erde wiederkehrt cu und in der schier unl»(>;_ncnzti'n Mannigfaltigkeit derartiger
Naturgebilde eine gewisse Einheitlichkeit hervortreten liefscn. „Aber auch dann
erschliefst sich noch eine so seltene Fülle des interessantesten Stoffes und eine
so verschiedenartige Gruppierung der einseinen Formen, dafs sich unsere Dar-
stellung auf das Hauptsächlichste und Wesentlichste beschrfinken mufote. Plan-
mfifsig ausgeschlossen sind daher Untersuchungen über Entstehung, Begrenzung
und spesielle Gliederung der Oberflftchenformen, statistische Angaben, Auf-
zählungen und ausführliche Darlegungen über die Pflanzen- und Tierwelt; wo
aber solche in vereinzelten Fällen gemacht wurden, geschah es lediglich zum
Zwecke und im Interesse der Feststellung des Landschaftschai-akters." Das
Vorwort schliefst mit fol^'enden Worten: ,So glaulK'u wir den Männern von
Fach unser Werk als eine notwendige Ergänzung der Atlanten empfehlen zu
dürfen; denn selbst das beste Kartenblatt vermag von der wirklichen Land-
sehaftsgestaltung der Erdoberfl&che nur ein unvollkommenes Bild zu gew&hren,
da die Karte auf kleinem Raum grofse Dimensionen umHsUst und keinen Horiaont
hat, wfthrend in der Natur jede Landschaft sich in einer bestimmten Ab-
grenzung darstellt." Dies ist vollkommen einleuchtend. Wenn nun die Karte,
um eine treue und vollständige Vi»r ^ Ilnng hervorzurufen, notwendig durch
bildliche Anschauung und durch (ias sclnldernde Wort ergänzt werden mufs,
so erscheint die Arbeit Dr. Opj»els in ihrer eben gegebenen Charakterisiening
lind T'cgrenzung völlig berechtigt, auch scheint uns der Inhalt der uns vor-
liegenden sechs Hefte, welche den gröfsten Teil der Länder Europas umtassen,
die gestellte Aufgabe in anziehender Weise und im allgemeinen wie im einzehieu
mit groCsem Geschick zu lösen. Der Freund der Erdkunde wie ftberhanpt das
gebildete Publikum wird in der That in Oppels Landschaflskunde eine Fülle
der Anregung, Belehrung und Unterhaltung finden.
Landeskundliche Bibliographien. Die von dem Deutschen
Geographentag ins Leben gerufene Zentralkomraission für wissenschaftliclie
Landeskunde von Deutschland hat das nachfolgende Cirkular erlassen: Die in
erfreulichem Mafse sich mehrende Veröffentlichung von bibliographischen
üeo^. UtMtcr. Brem«n« ISM. 22
Digltized by Google
— 310 —
Arbeiten zur denUchen Landeskunde legt den Wunsch n»he, durch einheitliche
Abgrenzung und Anordnung des weiten Stoffes die Verwertung diosrr Sanini->
Inngen für sicli und als Grundsteine der unverwandt anzusti-ebeniU-n l5ihliothera
geographi* a Gerninniao zu erleichtern. Die Zt ntralkonimission für wissenschaft-
liche Lamleskunde von Deutschland liat sich daher, nachdem auch niehrt'ache
dahin zielende Aufforderungen aus den Kr< iscn der Dcarbeiter landesknndliciier
Bibliographien an sie gelangt waren, entschlossen, unter Zugrundelegung der bisher
erschienenen Veröffentlichungen dieser Gattung folgendes Norm«bchema f&r die
Oliederong des landeskundlichen Stoffes in den Bibliographien xn. empfehlen:
I. LandesTermessnng, Karten, Pläne. (In Unterabteiinngen vie die Bacher und
in derselben Reihenfolge zu ordnen.) U. Allgemeine landeskundliche Werke
über das ganze Gebiet, III, Natur. (Allgemeines, wenn nötig, gleich anznst iiliefsen.)
1. llelief des Bodens und geologischer Bau. 2. Gewässer. 8. Klima. 4. Pti.mzcn-
welt. 5. Tierwelt. IV. Bewohner. ' Allgemeines, wenn Tiöti;z. gleich anztischliefsen.)
1. Anthropolüu'ie und Vorgc'^chichte. 2. Gankuiule, Territorialentw i( kt luiij: Tind
sonstiges ( MM»;iiaidu- li-lli'^tnrisches). 3. Mundartliches. Spracle^ren/t-n. ( »j tsiianicii.
Sicdelungcn. 4. ."Sitte mal Ürauch. Sage und Aberglauben, ö. Bevölkerungsstatistik.
6. WirtsehafUiehe Kultur. 7. Geistige Kultur. 8. GesundheitsverhSItnisse. (Auch
Geschichte der Epidemien.) V. Spezielle Ortskunde (nebst Ortsgeschichte).
Als ein erster Beitrag zur landeskundlichen Literatur des nordwestlichen
Deutschland ist die von Herrn Professor Buchenau hier bearbeitete und in den
Abhandlungen des hiesigen naturwissenschaftlichen Vereins erschienene Zusammen-
stellung der Littcratur über die <*-1 fi !e>is< heu Inseln hier zu erwähnen.
Bei Abschliifs dieses Heftes crliiel!< ii ein neues vom 26. September
datiertes Ciikidar der Kommission, dem wir das Folgende entnehmen: Die
unterzei( Imete Kommission beehrt sich hierdurch die ergebene Mitteilung zu
machen, dafs sie in weiterem Verfolg di r seitens der deutschen Geographeutage
ihr flbertiageiwn Aufgaben eine Sammlung wissenschaftlicher Abhandlungen ins
Leben zu rufen in Begriff steht, welche unter dem Titel : „ Forschungen zur deutschen
Landes- und Volkskunde' in dem Verlage des Herrn J. Engelhom in Stuttgart
erscheinen wird. Dieselbe soll sich über alles erstrecken, was irgendwie und
nach irgend einer Seite zur Kunde des gesamten deutschen Landes und Volkes
ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen gehört, und wer<len demnach eben-
sowohl Arbeit ni iiber Bau und Helief des Bodens, über fossile Scluätze desselben
und ihre Verwertung, über Klima und Hydrographie. Plianzen- und Ticr-
verbreittmg. wie über die anthrop(do;_'isclien und ethnologj.Nchen Verhall uisse
der Bewohnter, ihre Mundarten, ihre räumliche Verteilung uml deren Dichte,
ihr Wirtschaftsleben und dessen natürliche und örtliche Bedingtheit, ihre Sagen,
Sitten, Bräuche n. s. w. darin Aufnahme finden können. Wie dem ferneren
Vorgehen der Kommission überhaupt, so ist auch diesem Unternehmen frucht-
bringender Erfolg zu wünschen.
5; Ile de Sumatra, Chez Ics Atch^'S. Lohong. par Brau de Saint-Pol Lias.
Paris. Plön. 1884. Der Verfasser, ein begeisterter Verfechter franziisischer Ko-
lonisation, bereiste z'i dein /wecke, geeignete Gegenden für die Aidage französischer
Plantagen ausfindif: y.n machen, zunächst vor einigen Jahren den unter V)ntischer
Süzeränetät stehenden Malayenstaat Perak und später den nördlichen Teil von
Atschin. Über jene erste Reise berichtet ein früher erschienenes Bündchen.
Der hier vorliegende Reisebericht enthält die sehr lebendig geschilderten Ein-
drücke der Wasser- und Landreisen des Verfassers im nördlichen Atschin: von
einem der Badjahs hat sich der Verfasser betr&chtUche Ländereien zum Zweck
Digitized by Google
— 311 —
der Anlage von Flanlagcn abtreten lassen, doch scheint es nach einer Stelle
der Vonrede sweifelhaft, ob er die so eingeleitete üntemehmnng selbst in
die Hand nehmm wird. Das vie gesagt sehr lesbare nnterhaltende Buch
eiitUUt einige nach Photographien sehr m&faig ansgeföhrte Olnstrationen nnd
ein den Lanf des Lohonitflnsses darstellendes Kärtchen.
Les possessions cspajinolos du golfe de Guin/^e, leur präsent et leur avenir
pnr \v Lieutenant .Sorela. Paris 1884. Lahure. Die vorlipfjonde Schrift bezweckt
hauptsächlich zu /oigmi, weUlie reichen Hülfs(incllen ^Spanien in seinen west-
afrikanischen Knldnien, der Insel Fernando Po und den Inseln an der Corisco-
Biii besitzt und wie lohnend ihre mit Aufwendung von Kapitalien in Angriff
genommene Aosbentong sein würde ; sie enthält in dieser Richtung ziemlich viel
thatsichliche Angaben. Die beigefügte Karte wSte, wenn sie nicht deutlicher
hergestellt werden konnte, besser weggeblieben.
Among the Indians of Gnyana by Everard F. im Thnm. London. Kegan
Paul. 1883. Wir gedenken an dieser Stelle des vortrefflichen Werkes nur mit
einer kurzen Anzeige. Die in den ersten Kapiteln gegebene Schilderung der
Natur Britisch-Ciuyanas, seines Klimas, Vcgetatimi f Wälder nmX Savaninni), Tier-
lebens, Ströme u. a. bildet gcwisserniursen nur d<Mi Rahmen und die Einloitnn^»
für den vorzugsweise ethnologischen Hauptinhalt des Buches, und wenn uns der
Verfasser auch mit grofser Anschaulichkeit in die tropische Natur zu versetzen,
ans die gigantischen Wälder, die endlosen Savannen, die reifsenden Ströme mit
ihxen prächtigen WasserfSllen zn malen weifo, so ist es doch der Indianer, sein
Leben, Denken and Thnn, das den Haoptgegenstand des Stadioms des Ver&ssers
aaf seinen längeren, wiederholten Reisen bildete. Wie reich aasgestattet dieser
Kern des Werkes ist, erhellt daraus, dafs die Ijozüjilichen 18 Kapitel gegen
2Ö0 Seiten füllen and dafs ihnen 10 zum Teil farbige Tafeln und 48 Holzschnitte
beigegeben sind: sie betreffen: die verschiedenen Stämme, ihre Wohnstätten und
Yerbreitung, Faniilicii- und Heiratssysteme, Erscheinung und Kleidung, Häuser
und Ansiedelungen, sozial* s Li l> 'ii, Jagd, Fischerei, Ackerbaa, £rnähran£, Gewerbe,
Beligion, Sagen und Altertümer.
Hermann Rheinhard, Karte von Nordamerika für den Schal- and
Frivatgebraach. Ausgabe IL MaCntab: 1 : 6900000. Wiesbaden, J. B. Berg-
mann, 1882. In Mappe 12 Mark. Die genannte Karte umfafst den nordameri-
kanischen Kontinent von der Landenge von Panama an, daia den arktischen
Archipel mit der nordwestlichen Durchfahrt, den Smithsand and einen Teil von
Grönland; das Tiefland giebt sie in grünem, die Erhebungen in bräunlichem,
mehi'farh, abor nicht scharf abfrestuften Kolorit; die Gewässer sind mit blau,
die Ortsciiafteu mit rot l)ozcichnct; die Namen der dargestellten Oeponständc
durch Abkürzungen angedeutet. Der Vorzug der Karte, vom pädagogischen
Standpunkte aus beurteilt, besteht in der verhältnismäfsigen Gröfse des Mafs-
stabes, wodurch eine deutliche Unterscheidung der Ilauptobertlächenforraen
möglich woide. Nicht anzaerkennen ist die schematische Daistellnng der
Gebirgsketten, deren relatiTe Bedentang meist nicht klar herYortritt Ton den
Eisenbahnen konnte w^gen des Erscheinongsjahres der Karte weder die Northern
Pacific, noch die Santa F6-Route berücksichtigt werden. 0.
Im Verlage von Th. Grieben (L. Fernau) in Leipzig beginnt soeben zu
erscheinen: Dr. med. H. Pioss: Das Weib in der Natur- und Völkerkunde.
Anthropolofrisfhe Studien. Der durch seine wertvollen anthropologischen und
ethnographisclicn Arbeiten wohlbekannt»^ Vcrfassfr unternimmt hier nacii lang-
jährigen Studien eine Naturgeschiclite des Weibes, vorzugsweise vom vulker-
Digitized by Google
— 312 —
kimdlichen Standpunkte ans» ta entwerfen, welche ein intereaaantes Bild Tom
Leben und Wesen der Fma, wie es sich thatsäohlich in allon Zeiten nnd Landen
vor den Augen des Natur- und Knltnrforschers darstellty 20 bieten verspricht.
Das Werk, welches 8 Lit f» nni'jon von je S bis IJofren umfassen winl. >)ild«'t
gewisscrniafsi n ein Seitenstück zu dem bereits in zweiter Auflage vorliegenden
Werke de.sselbeu Verfassers: Dus Kind in Uranch nnd Sitte der Völker. Wo.
Qaaglio, Julius». Die Erratischen Blöcke nnd die Eiszeit, nach Professor
Otto Torell'a Theorie. Mit einer Karte der nördlichen Eisfiat in Europa und
Amerika. Wiesbaden, Bergnumn 1881. 46 S. 8^ — Das vorliegende Schriftdieii
bezweckt einem gröieeren Leserkreise Toreirs Theorie ftber die yergletschemn^
NoTdevropas nnd spesiell Norddentschlands danralegen. Einen solchen VersncK
wird jeder gern begrüfsen, der weifs. wie sehr hinderlich der Verbreitung jener"
Ansichten der Umstand war, dafs TorelVs erste und grundlegende Arbeiten
schwedisch abgefalst sind nnd vor wenigen Jahren nnr einer sehr gerinjicn Zalil
von Geologen verständlich waren. .\ber so sehr mun sich daruiu r am h freuen
kann, dass dieselben nun in einer 'j' ^if^iuverstaudlichen Form (iar^it legr werden
sollen, so lebhaft uiufs beklagt weiden, dafs diese doch nicht für ein deutsclies
PQbliknm genie(kbar ist, nnd da& sie, nm Toreirs Verdienst in hellem
Lichte erscheinen sn lassen, die Verdienste anderer Forscher schmfilert Solches
aber thut der Verfasser, dem angenscheinlich die Arbeiten von Agassis und
J. de Charpentier über die Vereisung des Nordens nicht nfther bekannt sind»
denn sonst würde er S. 9 nicht behaTipten, dafs die Ansichten dieser beiden
älteren Forschor übereinstimmten, auch würde er J. de Charpentier's Theorie nicht
als gegensätzlich zu der Torell'sclien bezeichnen. Thatsächlich ist ja diese letztere
nur die erstere in neuer Begründung, und iliese gegeben zu haben ist ein Vor-
ilienst TorelTs, das nicht hoch genug angeschlagen werden kann und nicht
erfordert, dem Begründer der Gletschertbeorie Meinungen beizulegen, die derselbe
immer bekimpft hat Diese fehlerhafte historische Einleitung ist die Arbeit
Qnaglio*s an der vorliegenden Schrift, das übrige sind Obersetznngen ans
Toreirs Publikationen, welche nidit immer glücklich gewühlte Abschnitts
derselben bringen nnd deneir stiemlich unmotiviert ein Anssug ans einer
Arbeit von Hermann Credner zugefügt ist. Die Übersetinngen, soweit sie auf
schwedischem Original beruhen, sind voller Sveacismen. soweit sie englische
Arbeiten wiederzugeben suchen, voller .\nglicismen. So übersetzt (^tuaglio l^oden-
raoriine statt Grundinoriine ^S. .')). Bergart statt (i<-stein (S. 18j, er schreibt
Själland statt Seeland (S. 29). Qvenstedt süitt (^uenstedt (S. 18), Aussenmoriine
statt Endmoräne |^S. 20). Folgender Satz möge illustrieren, wie das Englische
übersetzt wird: — lindem in Addition zu der IntsnsitSt der allgemeinen Er-
scheinungen eine bemerkenswerte Proportion .... an beobachten ist*. Aus
allen diesen Thatsachen erklärt sich, dafs sieh in der Arbeit die Aussflge ans
den bekannten deutschen Arbeiten am besten lesen, wenn nicht auch sie wie
die Übersetzungen durch gar zu viele Druckfehler entstellt würden. Die bei-
gefugte Karte der nördlichen Eisflut in Europa ist lediglich eine Kopie der
Torell schen, die durcli neuere Arbelfen längst überholt ist, sie zeichnet sich
ferner durch eine uiiiHutivierte Begrenzung der jetzigen Wasserflächen nicht
gerade vonheilhaft aus. mdeui u a. das ganze Meer zwischen Island und Spitz-
bergen nicht zu den bebtchenden Wasserflächen gerechnet wird. Penck.
Ürack von Carl fldillnmiuui. BT«iu«a.
üiyiiized by Google
DanrlVH T. 4
Digitized by
!
I
I
Digitized by Google
im»
DER ANCARÄ FLÜSS
IN
Si B I RIEM.
TbjLSxatsU. Ostzog Iiis Ilba.
Jl^ssta.!} L. 4 75 000
»
. Digitizea by Google
^ Deutsche
Geographische ßlätter.
UerausgegebeQ von der
Geopraphischen Gesellschaft in Bremen.
B^trig4 und 8onHtip^e Sendungen an die Redaktion werden unter der AdroiM:
Dr. M. Liudeman, Bremen, Mendestrafse 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und lUaötrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaktion gestattet
Velksstämme am Congo.'^)
Eine sociolo^sche Studie.
Von R. (L Phillips in Ponto da Lenha.
Motive der Abhandlung. Nähere PrflciHierung des Themas. Klima. Geographische
EigeDtUmlicbkeiten. Fauna uud Flora det> Wohngebiets sind auch hier bestimmend
Ahr dea Cluw«ktar und dm soelaleii Evstond dee Volkee. EinOniiigkeit der Bodea-
produkte. SJlen und Ernten. Schwinrigkeit t^cr Aufbewahrung von Vorräten.
Kruähruugsmittel. Die earopäiaoben liaudeisstationen als Vermittler des Auatauscbea
zwischen dun Eingeborenen. Nttlirlicher Schutz der BerOIkemng gegen Angriffe.
Physische Beschaffenheit der Eingeboreiuni. Ilire Unempfindlichkeit gegen Schmerz
und Hitze. Krankheiten. Aufserordentliuhe Yerdauungskraft Mannbarkeit. Geistige
Natar der Congostftmme. Empfindungen und Gefühle. Geringe Entwickelaug des
IStentungenttb. Herraolnft der Sitte. Mangel an Deoklwrkeit. Diebereien. GefUlil
fUr öffentliche Gerechtigkeit. Gemtit und 8inue. Verstand. Denkvermögen. Mangel
an "WifHhegi«r. Wille. Der Aberglaube der CongostUmtne. Fetische und ihre Be-
nutzung. Zauberei. Unschuldsproben. Keligiöse Vorstellungen. Das Erhaltungs-,
Verbreitung»- nnd Regalierungs-Systeni. Herrea and Sklaven. Besondere pelltieebe
Einrichtungen der Stflmme südlich vom Congo. Königswahl. Die ,Ki5nigHleute*.
l>ie politische Stellung des weifsen Kaufmanns. Einflnfs der Weifsen. Verträge.
Stenern «nd Geseheake. Oeringe Meelit der KOaige. Bia K9aif hat aieiit des Beelitz
sein Reieli in eine fremde Macht abzutreten. Nachteiiiga Folgen einer etwa von
Europa aus usurpierten Oberherrschaft über die Eingeborenen. Zölle in Gabun. Die
Königreiche Ngoyo, Kakongo und Loaugo- Der Mambnku. Die Ziuduuga uud ihre
Yerreelite. Die HiMMroago-Btlaiaie. Dar Klhiig voa Laango aad die iateraationnla
Gesellschaft. Der Orden der Zinkimbi. Die Nkimbi-Spreohe. Die Beschneidung.
Beilegung von Streitigkeiten auTserhalb des Stammes Familienverhfiltnisse. Viel-
weiberei. Begräbnisse. Qewerbe und Sehiirehrt Nachteilige Folgen von der Besitz-
nahme des Loango-Gebiets durch eine civilisierte Maolit sa enrartea. Die iaieraationale
afrikanische Gesellschaft. Deklaration der ll&uptlinge am unteren Congo gegen diese
Oesellscbaft. Das Yerfahreu der Franzosen in Loango. Täuschung der Eingeborenen
dweh die Porta^eeaa. Keiae aaropMaeba Koiamsatioa ia Äqoatorialafrlka mOglieii. Eiaa
•arofflieehe Beritaerireifliag wird den Uatargug der «iagaliofaaea BaaiaaliarlNilttlirMi.
BotUo da Lenha an der Congomftndnng im September 1881
Viele Beiaende haben in neuerer Zeit Uber sonderbare Sitten
berichtet, die bei den Volksstftmmen dieser Gegenden herrschen,
aber die Thatsachen, Ober welche sie sich ansliefsen, wurden gewöhnlich
*) Anm. d. Red. Einer Einladung unserer Gesellschaft folgend, hat Uerr
PhilUiNi, sait langen Jaluwi vod nooh jetst als Kanfmann an der Congomflndiing
ansissig, die CKkte gehabt, uns diese Tielfach wertvollen und interessanten Mit-
teilungen zukommen zu lassen, wofftr ihm aach an dieser Stelle verbindlicher
Dank ausgesprochen werden soll. D. Red.
Ü9<tgr. Blftttcr. Brvmeu. IHM. 28
Digitized by Google
— 314 —
in unzusammenhängender Welse behandelt, so dafs sie nicht als
Teile eines Ganzen erscheinen und dadurch der Anschein des Mangels
an Folgerichtigkeit vermehrt wird. Daher scheint es u«>tig, einen
zusammenhängenden t'bcrbliik über die Sitten und (it briluche dieser
Volksstämme zu geben und den Staudpunkt anzudiMitcn, von welchem
aus dieser scheinbare Mangel au Übereinstimmung in Einklang zu
bringen und das sociiile System derselben ins rechte Licht zu stellen ist
Ein anderer Grund für diese Mitteilungen liegt darin, dafs seit kurzem
zwei enropftische Mftchte, Frankreich und Portugal, und eine Ton
S. M. dem König von Belgien beauftragte Forschungs- und Handels-
gesellschaft, die sich selbst ^yintemational'' nennt, sich. für die Ange-
legenheiten dieses Landes sehr interessiert haben und in ihren Be-
mühungen diesen Leuten zu nützen, durch schädliche Einmischnng
den Ilauptprinzipien socialer Wissenschaft zuwider gehandelt haben
und noch handeln. Ich behaupte nicht, dafs das Prinzip, wornach
mächtige Völker geneigt sind schwache zu unterjochen, verletzt worden
sei, wohl aber, dafs die ausgesprochenen Absichten dieser Machte
und der „internationalen Gesellschaft" zeigen, dafs sie keinen tieferen
Einblick in das Problem der Civilisation und einer guten Begierung be-
sitzen, als die Nichtunterrichteten im allgemeinen. Wenn sie in ihrem
Verfahren beharren, so wird das Besultat das sein, welches gewöhnlich
das Eingreifen der Civilisierten in die Angelegenheiten der Wilden
begleitet, nämlich Ausrottung der letzteren. Eine gründliche
Kenntnis dieses Volkes scheint daher dringend notwendig zu werden,
da sonst der Congorasse und indirekt auch der Civilisatioo selbst
der gröfste Schaden erwachsen kann.
Es ist klar, dafs in dem mir zur Verfügung stehciulen Kaum,
selbst wenn meine Kenntnis ausreichend wäre, nicht alle Hauptpunkte
der Sociologie dieser Bassen behandelt werden können, aber ich
hoffe im stände zu seui, klare Vorstellungen über die wichtigsten
Punkte meines Gegenstandes hervorzurufen.
Meine Bemerkungen beziehen sich auf die eingeborenen Stiimme
von Kinsenibo bis Loango an der Meeresküste und von der Congo-
mündung bis Borna oder höher hinauf, aber sie tretten in der Kegel
auch in Bezug auf viel nördlichere Stämme und auf die ganze
Gegend längs der beiden Ufer des Flusses zu.
Der Charakter, der sociale Zustand und die Bestrebungen eines
Volkes hangen so sehr von den iuilsmlichen Umständen, denen sie
unterworfen sind, ab, dafs es nötig ist, eine Darstellung des pliysischou
Charakters des Landes zu geben und festzustellen, in welcher Weise
die Eingeborenen von dem Klima, den geognaphischeu Eigentümlich-
Digitized by Google
— 315 —
keiten, der herrschenden Fauna und Flora und anderen modifizieren-
den Faktoren beeinflnlst werden.
Alierdings ist thatsäehlich anch von Gegenden, in denen ein
heifses Klima herrschte, Civilisation ausgegangen, doch müssen dabei
bemerkenswerte Umstände beachtet werden: erstens, dafs die Civili-
sation sich nach ihren frühesten Stadien nicht an dem Ort ihrer
Entstehung, sondern in rauheren Himmelsstrichen ausgebreitet und
eine Entwickelung genommen hat, welche diejenige an den ersten
Sitzen der Kultur bald überflügelte und diese als halbbarbarisch oder
wenigstens tiefer stehend erscheinen liefs. Der zweite bemerkenswerte
Umstand ist, dafs die ersten Mittelpunkte der Kultur ein, wenn auch
heifes, so doch hohes, trockenes, gesundes Klima hatten; niedrige,
feuchte, dnnstreiche Gegenden haben niemals eine Civilisation hervor-
gearufen oder eine solche erheblich gefördert
Zu dieser letzteren Art von Land gehört der Teü des Erdballes,
mit dem wir uns hier beschäftigen ; das feuchte, heifse und erschlaffende
Klima mufs als ein ungünstiger Faktor betrachtet werden. Doch
[während die Sättigung der Luft mit Feuchtigkeit oft 85 ^/o oder
mehr beträgt, so finden wir andererseits den mildernden Umstand,
dafs die Temperatnr selten über 33^ C. im Schatten steigt, und darnach
müssen wir unsere ungünstige Meinung über das Klima doch etwas
abändern.
*AIs eine Bedingung der Civilisation ist die Verschiedenheit in
den Produkten eines Landes von der grö&ten Wichtigkeit,
denn durch den Beitrag, welchen Jeder Teil des Landes zu den
BedOrfhissen der übrigen Teile liefert, wird er von den andern ab-
hängig und nur auf diese Weise kann ein lebhafter Austausch von
Waren stattfinden, die von den Gegenden, wo sie am besten pro-
duziert werden, nach denen, wo man ihrer bedarf, cirkuliereu und
zerstreute Stiidte und Dörfer zu einem unter einander abhängigen
Ganzen verbinden. Diese Mannigfaltigkeit an Ertragsfähigkeiten in
den verschiedenen Teilen prägt sich hier nur wenig aus, die be-
wohnbaren Teile des Landes sind sich in ihren Erzeugnissen zu
Ähnlich, um diesen Warenaustausch, diese Teilung der Arbeit in
gröfserer Ausdehnung zu gestatten.
Obgleich es unzählige, sich weithin erstreckende Sumpfdickichte
giebt, so finden sich auch viele mit Gras bewachsene, leicht gewellte
Flächen, auf welchen ohne grobe Arbeit hinreichende Nahrang fttr
die Bevölkerung gewonnen werden kann. Das Gras abzubrennen
und eine Anzahl Baumstümpfe aus dem Wege zu schaffen, ist alles,
was zur Vorbereitung nötig ist, liacken und säen ist bald gcthan,
und die Ernte kann bestimmt erwartet werden. Die Ernten fallen
28«
Digitized by Google
— 316 —
.solir versrliiodcii ;ui^; Zeit un»! Men.^e dc^ Üc-eiis sehr dem
Wechsel untorwoifeii >\ud. und da man keine VoiTat^,i»anser hellt, so
ist eine schlechte Ernte oit der Anfan^i; einer HunL^ersnot. Ks ist
nicht reine Unbedachtsamkeit, dafs ^'egen ilungcrsnut nicht vorge-
sorgt wird; das Anfspeichern vou Xahnmgsniittelu ist hiereine sehr
schwierige Sache, wie man aus der leicht verderblichen Beschaffeuheit
der Nahrangsmittel, von denen ich eine Liste geben werde, ersehen
kann. Sie sind alle dem Verfaulen und Angriffen von Insekten
(welche im Überflufs vorhanden sind) so sehr ausgesetzt, dafs die
Bewahrung selbst nur eines kleinen Vorrats fOr schlechte Zeiten
aufserordentlich grofser Wachsamkeit und Arbelt bedürfen würde,
ohne dafs mau irgend welche Gewifsheit vou veilialiniisiual>igem
Nutzen hätte.
Die llauptnaliruugsartikei sind Mandioca, Mai--, eini-re Arten
von Bohnen, die Krdnufs, die voamhea suhtcrranca, ciiiiue Yani-
wur/eln und die Pahnnufs ; diese letztere wird nicht kultiviert, sondern
abgenommen, wo man sie gerade iindet, und die übrigen Dinge
wachsen gleich gut in allen Teilen, wo Ackerbau getriebeu wird.
Die an der Küste lebenden Tiere sind Schafe, Ziegen, Enten
und Hühner; gelegentlich wird etwas Wild gefangen, aber unter den
nahe dem Meere oder Flusse wohnenden Stammen dienen diese
wenig als Nahrung, da hier die Hauptnahrungsmittel Fische und
zuweilen Seegamelen, Austern und einige Arten von Krebsen iSfnd.
Ks findet sich also wenig Abwechselung in den Nahrungsmitteln,
welche die verschiedenen Landstrielie za liefern vcrniögen, der einzige
Unterschied besteht vielmehr nur darin, dafs die Küsten- und Flufs-
stämme fischen und die binnenländisclien Stämme nicht fischen.
Wenn nun die Binnenlandstilmme von den K'üstenstammen
Fische kaufen wollten, so könnten sie das nur unter der Bedingung
thnn, dafs sie die Fische mit irgend einem Artikel bezahlten, den
die Küstenstämme nictit haben. Die Ähnlichkeit der Bodenenseng-
nisse über das ganze Land ist so grols, dafs kein solcher Austausch
beim Mangel einer weiteren Industrie möglich ist Dieser Mangel
wird durch die Haudelsstationen an der Küste und am Flusse er-
setzt, sie können Produkte sowohl von den Küsten-, wie von den
Inlandstümmen gegen verschiedene Waren kaufen, deren alle be-
dürfen. So veranlassen diese Faktoreien nicht nur einen Umlauf
von Waren zwisdien sich selbst und den Kii^tcil- und Landstämnien,
sondern sie vermitteln auch einen s(dchen zwischen den verschiedenen
Stammen selbst. Denn nun sind die Produkte des iimeren Landes
von Wert für die Küstenstämme, die sie wieder an die Europäer
verkaufen und dem Fischfuug obliegen kouueu, anstatt auf die
üiyiiizea by Google
— 317 —
Krzieliiui^ von Produkten luMlacht sein zu iiaissoii, uud so werden
verschiedene Arten von WartMiuinsätzcn einpjefiilirt.
Diese je einige ATeil en von einander entfernt an der Kii.ste
entlang und am Congotiussc fast bis Vivi errichteten enropäischen
Haudels^tationen bilden so die Qnelle des einzigen arteriellen Systems
socialer Gemeinschaft, und sie sind bis jetzt die bedeutendste Ver-
mittelung der Civilisation, welche dieses Land besitzt.
Da in keinem Teile des Landes Bergbau oder Bteinbmcharbeiten
betrieben werden, und wirklich keine bestimmte Beschäftigungen in
einem Teile mehr als in dem anderen stattfinden, so müssen wir
Schliefisen, dafs, wenn nicht die europäischen Hänser vorhanden wären,
nur das PIscbereigewerbe den einen Teil des Landes von dem anderen
unterscheiden und jeglicher Ha lulcls verkehr verschwinden würde.
Uni eine sociale Gemeinschaft zu formen, ist die Leichtigkeit
der Ausübung von Zwang von erster P)edeutung; wo eine Örtlichkeit
schwer angreifbar oder wo "Rückzut: leicht zu ermöglichen ist, da
ist Unterwerfung unter eine vereinigende Macht Verhältnis niäfsig
schwer, und die zwingende Mitwirkung, welche ein entwickeltes
politisches System bedingt^ wird unausführbar.
Nun gehört es aber zu den am meisten hervorstechenden Eigen-
tümlichkeiten dieses Landes, dafs die Bewohner schwer anzugreifen
sind, aber sich leicht zurückziehen können: das dichte Gebüsch am
Ufer des Flusses und an den hügeligen Abhängen im Innenlande
gewährt den Schwarzen hinreichenden Schutz, um einen gefährlichen
Überfall aus (kni lliiitt iiialt zu unternehnieu ; dabei sind die Land-
strafsen von Ort zu Ort so schlecht und schmal, dafs eine Verfolgung
auf diesen ilufserst schwierig sein würde. Und doch können hohes
Gras, Gebüsche und Sümpfe nur vermieden werden, indem man sich
an die Wege hält, während die Neger sich mit der gröfsten Bequem-
lichkeit zerstreuen können, oder verborgen liegen. £s giebt nur
wenige gute Quellen, und diese liefern nur ein geringes Mafs von
Wasser; die Schwierigkeit eines Angriflfes ist daher auÜBerordentlich
grob.
Den überzeugendsten Beweis, welchen Schutz das Land gewährt,
liefert uns das Ih gebnis eines Angriffes, den kürzlich ein Kanonen-
boot auf die Stadl Katala an diesem Flusse machte. Zwei portu-
giesische Kanonenbcite ankerten etwa -UIO Yards von Katala und
eröffneten ein heftiges Geschütz- un<l Gewehrt'eucr von vierzehn-
stündiger Dauer. Die KingeborciHMi verbargen sich einfach im Grase
und gaben zum Spott Gegenfeuer mit ihren Steinschlol'sgewehren,
die sie im Handel gebrauchen, bliesen die Hörner, schlugen die
Trommeln und schofsen auch zwei alte mit Pulver und Graswatte
Digitized by Google
_ 318 —
geladene Feldkanonen ab. Das Ergebnis der Sache war, dafs eine
Frau verwundet wurde, und dies war nur zufällig geschehen, weil
sie sich gerade am Ufer befand, als die Kriegsschiffe das Feuer er-
öffneten. In den Kriegen der Eingeborenen werden nur wenige
getötet, sie finden so leicht Schutz, dafs die Angreilenden sehr im
Nachteil sein würden, und Verwegenheit auf ihrer Seite würde nur
ihre Niederlage sichern. Da auf diese Weise ein jeder Stamm für
seine Nachbaren fast unbezwingbar ist, so entsteht wenig Unheil und
Zwistigkeiten lösen sich bald in »PalaTer^ auf.
Wenden wir uns nun zu den Gharakterzflgen der gesamten
Bevdlkenmg, so wollen wir zunAchst ihren physischen Zustand nicht
als einen Faktor von offenbarer Wichtigkeit in sich selbst betrachten,
sondern um zu zeigen, in welchen physischen Kennzeichen die Ein-
geborenen andern barbarischen Rassen gleichen, in der Erwartung,
dafs hier wie überall, in einem unentwickelten Körper auch ein un-
entwickelter Geist wohnt.
Da keine systematischen und überhaupt nicht genügend zahl-
reiche Messungen angestellt worden sind, so kann ich nicht mit
Bestimmtheit über die bezüglichen Proportionen des Kumpfes und
der Glieder der Eingeborenen sprechen; aber augenscheinlich sind
sie ziemlich klein gebaut, breit, haben gut entwickelte Muskeln und
etwas gröDsere Eingeweide als die Europäer. In letzterem Punkte
ist aber ein Irrtum sehr leicht möglich, da wir keine genOgende
Anzahl von unbekleideten Europäern sahen, mit welchen wir die
Eingeborenen vergleichen könnten. Von den Kindern kann ich mit
gröfserer Sicherheit sprechen, da bei ihnen das Hervortreten des
Unterleibes oft aufserordentlich bemerkbar ist. Mit ausgestreckten
Armen hat der Europäer von einer Fingerspitze zur andern dieselbe
Länge, wie vom Kopf bis zu den Hacken; der Afrikaner dagegen
hat oft beträchtlich viel mehr. Dies rührt aber eher von längeren
Armen als von kürzeren Beinen her, so weit ich es nach dem
Aussehen beurteilen kann, und ist eine Erscheinung, die man weit
und breit in den Terschiedensten Teilen der Welt unter den Wilden
wahrnimmt. Kurz gesagt, die oberen und unteren Grlieder sind
weniger verschieden, als bei den dvilisierten Menschen.
In Hinsicht der Muskelstftrke finden sich eigentflmliche Er-
scheinungen, in mancher Beziehung schdnen die Eingeborenen die
Stärke und Ausdauer der Europäer zu übertreifen, in anderer die-
selbe nicht zu erreichen. So können die Eingeborenen viele Stunden
lang und mehrere Tage nach einander Pfähle tragen, an welchen
Hängematten mit Menschen darin befestigt sind ; ein kurzer Versuch
wird beweisen, dafs wir dergleichen nicht unternehmen könnten.
Digitized by Google
— S19 —
Anderseits würden sechs Eingeborene sich lange mit einem Ballen
abiiiiilicu müssen, den zwei oder drei Weil^e leicht an seinen Platz
heben könnten, und am Handf?elenk fest^i^ehalten kann ein Ein-
geborener sich nicht von dem Gritf eines einigermafsen starken
Europäers befreien. Ich glaube, die Erklärung dieser soiulerbaren Er-
scheinung muls in einem uueutwickelten Nervensystem liegen ; wahr-
scheinlich könnte ein europäischer Arbeiter das Gewicht von einem Ende
einer Hängemattenstange ganz gut tragen, wenn die Schwere vermittelst
eines Traghohses yerteiit würde ; aber das schmerzliche Einschneiden
in die Schalter, das ohne irgend ein solches Mittel eintreten mülste,
würde den Europäer unfähig machen, die Stange in derselben Weise
zu tragen wie der Eingeborene.
Es ist also die ünempfindlichkeit gegen Schmerz, und nicht
die besondere Stärke des Wilden, der es ihm möglich macht, Dinge
zu vollbringen, welche gröfsere Kräfte, als die des civilisiertea
Mannes vorauszusetzen scheinen.
Die Ünempfindlichkeit gegen Hitze spricht sich besonders
darin aus, wie selbst ganz kleine Kinder brennende Holzkohlen auf-
heben und sie mit einer Bedächtigkeit in eine Pfeife stecken können,
die unserer Rasse unmöglich wäre. Auch Kälte scheinen die Schwarzen
▼erhältnismälsig wenig zu fühlen; die feachten Morg;eQ mit einer
Temperatur von 16 oder 17^ C. nötigen den Europäer noch ein
Kleidungsstück mehr anzulegen, oder sich gröfsere Bewegung zn
machen, während die Eingeborenen, obgleich sie schauern, doch halb
nackt bleiben und keine Anstrengung machen sich zu erwärmen.
Erst wenn der Tag weiter vorrückt und es ganz notwendig wird,
legen sie noch Kleider an. Aus demselben Grunde scheint auch die
Bewegung während der Hitze des Tages, die für weifse Rassen
schwer ist, die Eingeborenen nicht iiiizugreit'en : ohne Kopfbedeckung,
ja sogar mit geschoruen Köpfen und nur mit einer Bekleidung um
die Lenden, arbeiten sie im brennendsten Sonnenschein ohne Be-
sdiwerde oder Widerstreben.
Ein anderes Zeichen der nur einseitigen Entwickelung ihres
Nervensystems ist, daTs eine plötzlich erhaltene Verletzung i^Mien
kein Zusammenschrecken verursacht Ich bin oft bei schweren
Verletzungen zugegen gewesen, habe aber nie das geringste Zeichen
von Zusammenschrecken bei den betreffenden Personen bemerkt.
Dies scheint mir eine treffende Bestätigung meiner Behauptung.
Es kommt mir sehr walirscheinlich vor, was ich weiterhin auch
noch beweisen werde, dals die körperliche, geistige und politische
Entwickelung dieser Stämme in früheren Zeiten einmal höher ge-
standen haben muüs, als jetzt Wenn es sich so verhält, so ist
Digitized by Google
— 320 —
ziemlich sicher anzunehaem, daCs das am spfttesteo entwickelte
Nerrensystem zaerst Merkmale von Yerschlechterong gezeigt haben
wird, imd dab solche Zeichen eher durch indirekte Wirkangen, als
durch Ifangd an Muskelkraft her?ortreten.
Die Krankheiten, welche auch die hier lebenden Europäer be-
fallen, werden von den Eingeborenen oft leichter getragen; unter
diesen könnte ich Fieber, sowohl andauerndes, wie Wechseltieber,
die rote Ruhr, Bronchitis und Rheumatismus erwähnen. Es finden sich
indessen dort auch noch andere Krankheiten, von denen die Europäer
sonderbarerweise frei bleiben, die aber unter den Eingeborenen mit
grofser Heftigkeit auftreten. Zu diesen gehören eiterige Geschwüre
an den unteren Extremitäten, Gicht, Wasserbruch, Blattern; anch
sind valvuläre Herzkrankheiten nicht ungewöhnlich.
Das Yerdannngssystem der Eingeborenen ist von grdfseren
Dimensionen als bei den EnropAem. Sie können ungeheure Quanti-
täten von Lebensmitteln zu sich nehmen, die mit unsem verglichen
nicht nahrhaft und oft im Zustand halber F&alnis sind; Tiere, die
au Krankheiten gestorben sind oder verdorbenes Fleisch verschlingen
sie gierig ohne sichtbar schlechte Folgen. Andererseits aber können
sie sich auch lange Zeit ohne grofse Schwierigkeit mit dem kärg-
lichsten Proviant erhalten. Wie sich demnach erwarten läfst, nehmen
sie mit grofser Schnelligkeit bald zu bald ab, je nach der Beschaffen-
heit ihrer Nahrungsmittel; das kümmerlichste Geschöpf hat nach einem
sechs- oder achtwöchentlichen Aufenthalt in ewer Handelsstation ein
ganz gutes Aussehen. Diese unter vielen St&mmen voa Wilden sehr
allgemeine Eigentflmlidikeit ist vermutlich das Ergebnis von Katur-
wahl; wo die Emfthrung vielen Veränderungen unterworfen ist, ist
es von höchster Wichtigkeit^ da(s der ÜberschuJs von Nahrung in
Zeiten des Überflnsses in dieser Weise zum Verbrauch in Zeiten
des Mangels aufbewahrt werde.
Es giebt keine Mittel um festzustellen, ob die Mannbarkeit
firüher im Leben eintritt, als es unter den civilisierten Völkern der
Fall ist, da man keine Geburtsregister führt; derartige Nachweisungen
würden von Wichtigkeit sein, wenn sie zu haben wären. Man ver-
mutet, dafs die Mannbarkeit hier etwas früher als bei den Europäern
erreicht wird, doch ist es möglich, dafs ihre begrenzte Entwickelung
etwas langsamer vor sich geht und so der Unterschied vielleicht
nur gering ist
Whr mflssen bemerken, dals die geringere physische Entwickdung
der Schwarzen von direktem Vorteil für sie ist Das Klima und
die Beschaffenheit der Natur, welchen sie sich entweder anpassen
oder unterliegen müssen, machen den Europäer unfähig, die gleiche
Digitized by Google
— 321 —
Beschäftigiing zu oaternehmeii; niemand von uns könnte die Arbeit»
welche die schwarze Rasse za thun hat, verrichten, kein Versoch
der Kolonisation nnd Bebaaung des Landes von Europftem kdnnte
gelingen. Ja, noch mehr, wir sehen in dem schrecklich vermehrten
Totenregister unter der „internationalen afrikauischeu Gesellschaft",
dafs lange ehe die Leistungen der Weifsen denen der Schwarzen
gleichkommen, die Natur der Thiitigkeit jener ein Veto entgegensetzt,
indem sie die Eindringlinge dezimiert. Man sollte wohl bedenken,
dafo nur der Afrikaner sein Land nutzbar machen kann, und wenn
er sich zurückzieht, oder wenn es seiner Rasse mifsiingt, so ist
dies Land der gro&en Welt nutzlos.
Qeh^ wir non zu der geistigen Natur der C!ongost&mme ttber,
indem wir mit den Empfindungen beginnen, so finden wir hier viele
nnd wichtige Merkmale teilweiser Entwickelung. Die Entwickelung
der Gefühle Iftfst sich dnrch das Abweichen des Verhaltens von dem
durch Erwägung Gebotenen ganz gut abschätzen; so folgt in dem
niedrigsten, zu selbständigem Auftreten fähigen Organismus auf
eine Störung von aufsen ein fayt zweckloser Kampf, welcher
möglicherweise die Person ebensowohl mit der Gefahr in Berührung
bringen, als sie weiter davon entfernen kann ; einige Stufen höher
finden wir das Verhalten den besonderen Anforderungen gerade an-
gepafst ; in noch höheren Graden ist es verschiedenen Anforderungen
durch direkte und indirekte Mittel angemessen, wie sich bei Tieren
zeigt, die anf der Lauer nach ihrer Bente liegen, oder bei Hunden,
welche za künftigem Gebrauch Knochen vergraben. Bei dem Wilden
hat sich diese Übereinstimmung in Zeit und Raum aulserordentlich
vennehrt, wie sich im Ackerbau, in barbarischen Künsten nnd der-
gleichen zeigt ; während sie bei dem civilisierten Menschen die höchste
Grenze, welche bis jetzt erlangt wurde, erreicht hat, wie es sich in
Handlungen zeigt, die mit Überlegung ausgeführt werden, um auf
direkte wie indirekte Weise Zwecke zu fördern, die in der Zukunft
und im Räume noch weit entfernt liegen.
Emptindungen der Wilden, die noch nicht die Stufe der *
Entwickelung beim civilisierten Erwachsenen erreichten, mögen
wohl denen des civilisierten Jfinglings oder Kindes gleichstehen,
nnd die Handlungen des Wilden bestätigen diese Ansicht. Was
die GoDgodttgeborenen betrifft, so werden ihre Gefühle dnrch
momentane Erregung charakterisiert, ihr Verhalten ist nur
auf die Gegenwart nnd das Naheliegende gerichtet; die ein-
facheren Regungen, wie sie der Reihe nach entstehen, thun sich in
Handlungen kund, welche nicht durch die komplicierteren Gefühle,
nach denen der civilisierte Mensch seine Handlungen richtet, beein-
. .,^.0 . y Google
flufst werden. Von Natur ernst, werden die £iageborenea durch irgend
etwas Komisches doch leicht zum Lachen antreregt; obgleich ge-
wöhnlich freundüdi mit einander, zanken sie sich leicht heftig über
Kleinigkeiten; sie lieben ihre Weiber und Kinder, aber gleichwohl
ist ihre böse Laune oft zttgellos. Beim Tauschhandel yon Waren
können sie am einen ganz geringen Betrag feilschen, nnd ihr
Absehen vor dem Geiz verleitet sie znweilen, mehr wegzugeben, als
sie beim Handel ^anvonneu haben; wahrend sie für einen Angriff
schweren Schadenersatz verlangen, minieren sie sich znweilen, um einem
verstorbenen Verwandten ein prunkhaftes Begräbnis zu veranstalten.
Hieraus ersehen wir, dafs das augenblicklich vorherrschende Motiv
fast das einzige ist; vernünftige Beherrschung, wie wir sie kennen,
ist nicht zu finden, Ideenstreit kennen sie nicht, und reifes Urteil
wird nicht gewonnen. Die komplicierteren Gefühle, wie Freiheits-
liebe und Eigentumsliebe sind nur wenig ausgebildet; so fühlen sie
Leibeigenschalb auch nicht als Bürde, w&hrend sie auf den
Schütz des starken Herrn ^el geben. Daher überwiegt auch das
Gefühl der Sicherheit dieses Schutzes die Unannehmlichkeit, dafo
der Herr einen oft nnmäfsigen Anteil an dem Gewinn seiner Sklayen
beansprucht.
In Übereinstimmung mit dem unentwickelten Kigentuni-
gefühl ist der Eingeborene, nachdem er einen kleinen Vorrat von
Gütern aufgehäuft hat, ganz zufrieden damit, seine Zeit mit NichLsthun
hinzubringen, bis seine Bedürfnisse ihn zu erneuter Anstrenirnng
zwingen. Das Eigentumgefühl bleibt u. a. schon insofern in einem
unentwickelten Zustand, als die Stärkeren sicherlich Erpressungen
an den Schwächeren ausüben Wörden, wenn letztere irgend welche
angewöhnliche Anstrengungen machen wollten, sich viel Besitztum
zu sichern.
Je mehr das Verhalten den augenblicklichen Anforderungen
entspricht, wenn man die späteren Folgen ganz aufser acht I&fst —
desto gleichf5rmiger wird es; dies ist der Ursprung der Sitte, wie
• sie in Gleichförmigkeit des Verhaltens bei unzähligen Individuen
sich zeigt, wenn nur die Gegenwart bei ihnen in Betracht kommt.
Wenn diese unentwickelte Phase des Gemüts erreicht ist, so regelt
der Mensch sein Verhalten nach dem seiner Mitmenschen, indem er
sie fragt, wie sie das ihre regeln und denselben Weg einschlägt.
Sogleich wird die Sitte ihre eigene Rechtfertigung und die Ab-
weichung davon wird verurteilt Diese Erscheinung tritt unter
diesem Volke stark hervor. Der Sitte folgend unterwerfen sich
die Eingeborenen der Qual des T&ttowierens, des Ausschlagens tisd
Abbrechens von Z&hnen, der Beschneidung; aus derselben Veran-
Digitized by Google
— 323 —
lassung tragen die Frauen mächtige Metallringe an den Beinen,
was sie beim Geben sehr hindert Die Sitte bestimmt auch zum
grotsen Teil das Bfaterial, welches sie zum Bau ihrer H&user
gebrauchen, sie schreibt das Weinen und die erzwungene Unsauber-
keit beim Tode eines Verwandten vor. Ja, sogar jeder kleine Akt
Ton Frenndlichkeit seitens eines Europäers wird nach zwei oder
drcimulij;er Wiederholung nicht mehr mit Dankbarkeit angenommen,
sondern als ein Recht beansprucht.
Wie üben angedeutet, kann mau Dankbarkeit bei dieser Kasse
nicht erwarten, aufser vielleicht unter sehr ungewöhnlichen Umständen ;
auch zeigen sie dieselbe nicht untereinauder. Ein Besuch erhält,
nachdem er gastfreundlich bewirtet ist, beim Scheiden nach der Sitte
eine Gabe und nur als Sitte betrachtet er seines Wirtes Hebens-
wlirdige Behandlung. Das Äquivalent für „ich danke^ ist vielleicht
der am seltensten gebrauchte Ausdruck in der Sprache der Ein-
geborenen, und wenn er gebraucht wird, so wird er fast immer von
einem Untergebenen an einen Höhergestellten gerichtet.
Das elterliche Gefühl macht eine Ausnahme und ist besser
entwickelt, als man es in einer Gemeinschaft, wo der Rang von der
Abstammung in weihlicher Linie abhängt, erwarten sollte. Dies
werden wir näher beleuchten, wenn die Dorfgemeinschaften und die
Beziehungen der Familie und der Sklaven zum Haupt des Dorfes
besprochen werden.
Der Neger ist diebisch, doch beraubt er seine Nachbareu nicht
gewaltthfttig, sondern beschiänkt sich auf kleine Diebereien von
Dingen, deren Verschwinden kaum bemerkt wird; denn bedeuten-
deren Diebstählen wQrde sicherlich Entdeckung und Strafe folgen.
Das Gefühl für öffentliche Gereditigkeit ist bei wmtem mehr
ausgebildet, als man denken sollte, und so hervorstechend, dafs ich
geneigt bin zu glauben, dafs es als Sitte von den Überresten einer
vergaugenen Periode höherer Entwickelung zuriickgobliebeu ist,
vielleicht als eine Art von natürlicher Wahl, da der Nutzen der-
selben sehr in die Augen fällt. Die öffentliche Stimme besteht auf
Gerechtigkeit ^a^geu Europäer, liegen die benachbarten Stamme,
gejxen die Sklaven sowohl wie gegen persönliche Verwandte, die
Sitte entscheidet, was diese Gerechtigkeit ist, und in dieser Hinsicht
haben wir Europäer mir wenig Ursache zur Klage. Ich will einen
mich selbst betreffenden Fall als Beispiel anführen. Ein Eingeborener,
der einen Angriff auf mich gemacht hatte, wurde auf meine Klage
hin zu emer Strafe von mehr als eine Tonne Palmkeme verurteilt,
und obgleich ich keine Bürgschaft erhielt und seine Gegend verliefs,
bezahlte er die Strafe im Laufe von zwei Jahren. In zahllosen
Digitized by Google
324 —
Streitigkeiten habe ich imnim* i^ofunden, diils dos öffentlich ij;oij;ebene
Versprechen eines Häuptlings treulich gehalten wnrde; in Privat-
angelegenheiten würde ich allerdings nicht mehr Vertrauen in sein
Wort, als in das jedes anderen £ingeborenen setzen, doch kann ich
auch hier ein gflnsUges Beispiel erw&hnen. Eines Tages erschien
ein Mann mit einem grofsen Sack voll Palmkemen nnd sagte:
„König Samana führte Krieg mit dem „Dittch honse** nnd der
weifse Mann schofs auf ihn. Kurz vor seinem Ende sagte er uns,
dafs er nicht länger leben würde und befahl uns, hierher zu gehen
und euch diese Palmkerne als Zahlung für eine Schuld, die er euch
zu entrichten habe, zu bringen. Jetzt ist er tot, und hier sind die
Kerne." — Ich brauche keine weiteren Beispiele aufznzilhlen; <lie
Thatsache, dafs unter den Eingeborenen europiäische Xioderlassungeu
sind, deren Gedeihen unmöglich wäre, wenn nicht ein hoher Grad von
Gerechtigkeit waltete, ist in sich selbst ein sprechender Beweis dieses
wichtigen Zuges in dem Ghanaer der Eingeborenen.
Da die Empfindungen ans zahhreichen Gruppen von Gefühlen
zusammengesetzt sind, die auf verschiedenartig abgestuften Vor-
stellungen beruhen, so ist hier der geeignete Platz, von der Thätig-
keit des Gemütes und der Sinne zu sprechen. Die einzigen Eigen-
tümliclikciten, die ich bemerkt habe, sind Schärfe des Gesichts und
des Geruches; die orstere ist etwas, aber nicht viel mehr entwickelt
als bei uns. und die letztere hat die EiLrentündichkeit, dafs obgleich
viele uns i:;inz widrige Gerüche den Eingeborenen ganz gieichgiltig
sind, doch wieder andere Gerüche, die uns nur wenig berühren, den
Eingeborenen Abscheu erregen, ja sogar Erbrechen verursachen.
Durch Folgerung, wenn auch nicht durch direkte Erfahmng, schliefse
ich, dafs dies auch beim Geschmack zutriflft.
Es ist merkwürdig, wie leicht die Eingeborenen die Wege auf
dem Lande sowohl, wie in den labyrinthartig verschlungenen kleinen
Buchten wiedererkennen, obgleich sie dieselben ja allerdings so oft
durchstreift haben, dafs die Gedächtnisstärke doch wohl nicht so
bedeutend ist, wie es uns scheinen könnte. Das Gedächtnis tür
die in einem Handscheine enthaltenen Aufzeichnungen ist wirklicli
vorzüglich; nachdem der Eigentümer den Inhalt von zwölf oder mehr
solcher Scheine dunligelosen liat, ordnet er sie und vergifst auch
nicht die kleinsten Einzelnheiten.
Prüfen wir nun den Verstand, so finden wir, dafs auch hier
wie beim Gefühl, die Gewohnheit den Geist des Eingeborenen von
seiner Last befreit; er glaubt, was jedermann sagt, ohne seinen
Verstand wegen der Sache zu beunruhigen, und die so gewon-
nene Überzeugung halt er trotz überwältigender Gegenbeweise
Digitized by Google
— 325 —
hartniicki^j fest. Auch hier ist die Gewohnheit, wie vorher, ihre
eigene Ilecbtfertigung und die Entscheidung derselben wird nie in
Frage gezogen. Einige Beispiele mögen hier angeführt werden:
Tor ungeMr elf Jahren wurden die Ghigoes oder Sandflöhe mit
Sandballast von Brasilien her nadi Ambnz gebracht; sie yerbreiteten
sich bald nach allen Richtangen hin und sind jetzt eme stehende
Plage im Lande. Auf Befragen nach dem Ursprung derselben ant-
worteten die Cabindos, sie rührten davon her, daCs ihr letzter, vor
vicr/i^ Jaliren verstorbener König nicht begraben worden sei. Es
war nutzlos, sie darauf aufmerksam zu machen, dafs in Ainbriz,
Kinsembo und anderen Gegenden die Plage ebenso scliliniin sei;
nichts konnte ihre t'l)erzeugimg ersclitittern. In gleicher Weise
wurde die Ursache einer anhaltenden Dürre in Landana den geist-
lichen Gew&udern der katholischen Mission zugeschrieben; vergebens
hielt man ihnen vor, dafs der Missionsgarten ebensosehr durch den
Mangel an Kegen litte, und dafs lAngs der ganzen Kflste dieselbe
Zerstömng der Ernte vor sich gebe; nur ein reichlicher Begenfall
verhütete endlich ernstliche Unzufiriedenheit
Wir vergessen leicht, daHs die Begriffe von Ursache und Wir-
kung einer unendlichen Menge verschiedener Beispiele -und eines
beträchtlichen Teiles geistiger Schulung bedürfen, ehe sie selbst von
einem kultivierten Verstände gut erfafst werden können; auch sind
wir nur zu ireneigt, dem Wilden, dem in der That die zu allgemeinen
Schlufsfolgerungen n(itiucn Erfahrungen fehlen, Mangel an Folge-
richtigkeit zuzuschreiben. Die Wahrheit ist, dafs eine oberflächliche
Anschauung eher den Eindruck begünstigt, dafs eine gehörige Kau-
sal! tiit nicht existiere. W^o alles, auch was sich der Erfahrung ent-
zieht, für wahrscheinlich gehalten werden kann; wo es nicht möglich
ist, ein Urteil darüber zu bilden, ob eine gegebene Folge zufilllig
oder notwendig ist: da mufs das Forschen nach dem wirklich Notr
wendigen oft tauschend sein, und wie ungereimt die Schlüsse eines
Wilden auch scheinen mögen, sind sie doch nicht so unvernünftig,
wie (ins Erstamien, das sie dem civilisierten BeobuLlitcr oft verur-
sachen, der wirklicli verlangt, dais der Wilde Proljleme lösen soll
ohne genügende Thatsacheu! Wie pflegten wir, als wir Knaben
waren, unsere V«1ter nach allem und jedem zu fragen, und wie sehr
befriedigten ihre Antworten, so mangelhaft sie auch zuweilen sein
mochten, unsere Gemüter! So ist es hier; die Jungen lernen, was
die Eltern sagen, und die Alten erinnern sich dessen, was sie von
ihren Vorfahren gehört haben, Kritik und Zweifel kennen sie nicht,
und die Sitte steht fest
Die Mühe des Denkens ist zu grofs, um sich lange damit ab-
Digitized by Google
— 326 —
zuf^eben ; längere Gedankenreihen sind unniöfjlidi. Selbst die An-
streugunf;, eine Anzahl von Wörtern aus dem Portugiesischen in
ihre eigene Sprache, Fiote, zu übersetzen, wird ihnen zu viel; sie
werden verwirrt, klagen über Kopfweh, und geben mutlos die Sache
auf. Ihre Sprache zeigt nur wenige allgemeine Begriffe höheren
Grades; WOrter wie Wahrheit, Schönheit, Güte haben keinen ent-
sprechenden Ausdnick in ihrer Sprache, so weit ich gefunden
habe.
In Bezug auf konkrete Dmge fehlt es ihnen nicht an Einsicht,
und sie haben anemlicb yiel Scharfsinn in Erfindung you Lügen,
wenn das Fürwahrhalten derselben zu ihrem Nutzen sein könnte.
' Wie bei den Wilden im allgemeinen, so zeigt sicli auch bei diesen
ein ausgeprägter Mangel au ])egründetem Erstaunen ; wenn sie irgend
etwas Neues sehen, so ist leere Bewunderung in ihren Zügen wahr-
nehmbar, diese ist aber sehr vorübergehend, und das Gesicht gewinnt
bald wieder seinen gewöhnlichen Ausdruck. Die neue Erfahrung
wird als «Sitte des weilsen Mannes'* klassifiziert. Wifsbegier findet
man weder unter den Jungen noch unter den Alten, doch hörte ich,
dafo Jünglinge, die auf einer Reise nach England mitgenommen
wurden, bald eine aufiserordentliche Wifisbegier entwidcelt und
beständig Fragen gestellt hätten, sobald sie etwas Neues sahen.
So viel über die geistigen Anlagen in Bezug auf GefElhl und
Verstand ; in beiden stehen die Eingeborenen mit civilisierten Rassen
verglichen zurück, aber nicht im Vergleich mit andern barbarischen
Stilmmen, und mit dem Willen ist es dasselbe. Obgleich eigensinnig
und halsstarrig, können sie doch bis zu einem gewissen Grade be-
einflufst werden; auch in diesem Punkte sind sie geneigt, wie in
den vorerwähnten Zweigen geistiger Tätigkeit, schnell ihren Ein-
gebungen zu folgen. Man kann sich nicht darauf verlassen, dafis sie
ihre Absichten ausführen werden, wenigstens wenn bis zur Aus-
führung erst eine geraume Zeit verflieCien muls; jedenfalls ist das
die Begel, so weit Handelsleute es beurteilen können.
Nadidem die Hauptpunkte von psychologischer Bedeutung an-
gegeben worden sind, wollen wir nun einige Arten des Aberglaubens
der Congostämme betrachten, und da uns ihr Denkvermögen bekannt
ist, wird es uns vielleicht gelingen zu sehen, dafs von ihrem Stand-
punkte aus die Annahmen der Eingeborenen nicht entschieden un-
verständig, sondern vielmehr so vernünftig sind, wie die Umstände
es erlauben. Zu gleicher Zeit mufs man, um einige ihrer Ideen zu
erklären, voraussetzen, dafs die Basse in früherer Zeit einmal höher
gestanden hat als jetzt, und zwar wahrscheinlich in günstiger £nt-
wickelung, wie in socialer Form.
uiyiiized by Google
— 327 —
Der Fetiachismus ist hier wahrscheinlich ein ausgearteter Zweig
von Abgötterei, welcher der Gegeustand der Verehrung entzogen
worden ist; wir würden vielleicht einen Fetiscli, wie er liier betrachtet
wird, als ein nicht verehrtes Götzenbild, oder als eins, von dein die
letzte Spur von Verehrung verschwindet, bezeichnen. Ich kann mich
hier leider auf die Erklärung der Abgötterei nicht n&her einlassen;
da ich diesem Gegenstand keinen grolsen Raum widmen könnte, so
würde ich nar BegrifiGsTerwirrung hervornifen. Wem daran gelegen
ist, die Ideen des Wilden bis zu der Stufe, wo Abgötterei getrieben
wird, zu verfolgen, der wird in Herbert Spencer's Soeiology, Band I,
genflgende Auskunft darüber finden.
Ks werden den Fetischen als Götzenbildern weder Huldigungen
noch Opfer gebracht, aber ich habe gehört, dafs es Sitte ist, wenn
man an Häut^ern, in welchen bedeutende Fetische aufbewahrt werden,
vorübergeht, eine \'er])eugung zu machen; dies ist die einzige Spur
von Verehrung, die ich habe entdecken ktinnen. Viele Fetisclu; sind
einfach medizinische Zaubermittei, die um die Hütte oder neben das
fiett «Ines Kranken gestellt werden; za diesem Zwecke werden
auch h&ufig reine und einfache Zaubermittei gebraucht. Andere
Fetische werden dazu benutzt, nm prophetische Tr&ume zu
erklaren, wieder andere nm die Menge des Regens zu regeln. Aber
hauptsächlich bedient man sich der Fetische, um Übeltäter zu ent"
decken, und um sich der Erfüllung von Versprechungen zu ver-
gewissern. Diese Fetische sind roh geschnitzte, gewöhnlich mensch-
liche Figuren, oft sehr unschicklicher Natur, deren Kraft von zaube-
rischen Präparaten, die in die Aushöhlungen eingelassen sind, her-
lührt; die gewöhnlichsten stecken voll von Nageln, die von früherem
Gebrauch herstammen; andere, die weniger gebraucht sind, haben
weniger Nägel, und in einige werden gar keine hineingeschlagen.
Die Art und Weise wie ein Fetisch gebraucht wird, läfst sich nur
durch ein Beispiel erklären. Nehmen wir an, dafo einem Trunken-
bold geboten wird, sich des Trinkens zu enthalten, und dafe man,
um sich seines Gehorsams zu versichern, sich eines Fetisches bedient
Man lafet den Fetisch holen, und der Eigentümer desselben bringt
ihn zu dem bestimmten Platze; hier verspricht der Schuldige dem
Fetisch, sich geistiger (ietriinke zu enthalten, bei Strafe von dem
Fetisch „^fctVesscn" zu werden. Der Fetisch wird vom Boden auf-
gehoben, und ein Nagel zum Zeichen des Versprechens hinein-
geschlagen. Der Wilde ist überzeugt, dafs er krank werden und
sterben wird, wenn er sein Wort bricht, daher ptiegt er gewöhnlich
sein Versprechen aus Furcht vor dem Fetisch zu halten. Ich kenne
Beiiipiele, wo solche Versprechungen lange Zeit gehalten, aber endlich
üiyiiizea by Google
— 328 —
doch gebrochen wurden, da die Person augenscheinlich den Zauber
durch den Lauf der Zeit für gelöst hielt. Ob solche FAlle nur selten
vorkommen, weif;? icli iiiclit. In derselben Weise gebraucht ein
Mann zuweilen einen Fetisch, um irgend Einen, der ihn seines Eigen-
tums beraubt hat, zu töten; in diesem Falle gesteht der Schuldige
gewöhnlich lieber, als da£s er sein Leben verwirkt Dann ronls er
iür das HerauszidieD des Nagels eine grodse Samme bezahlen, und
auch von dem Eigentftmer der gestohlenen Gfiter wird ihm eine
schwere Geldbufse auferlegt. FQr das Einschlagen eines Nagds in
einen Fetisch wird nnr ein geringes bezahlt, aber ihn wieder heraus-
ziehen zu lassen kostet sehr viel. In den Fetischen, deren man sich
bedient, um die Walirheit einer Aussage herauszufinden, sitzen oft
keine N«'\gel; der Nagel scheint nur das Zeichen einer That zu sein,
welclie ungültig zu machen vielleicht wünschenswert sein könnte,
aber in Fällen, wo es sich um eidliche Aussagen handelt, hat die in
Frage stehende Person die Folgen einer Unwahrheit selbst auf sich
zu nehmen, daher ist kein Nagel oder irgend ein anderes Zeichen
erforderlich. Das Auflieben eines Fetisches von der Erde, wenn
ein Nagel hineingetrieben wird, scheint nur zn geschehen, um die
Handlung öffentlicher zn machen, oder wenigstens seheint das ur-
sprünglich der Zweck gewesen zn sein; jetzt ist es einfiich ein Teil
der Geremonie, und niemand fragt danach, warum es geschieht
Vermittelst dieser Fetische sind irgend welche Vergehen, wie
Diebstahl, Verläumdung, Ehebruch, der Entdeckung und Strafe ziem-
lich sicher und kommen daher seltener vor, und (his tagliche Leben
der P'ingeborenen ist bemerkenswert frei von derartigen Verbrechen,
wie sie von den schlechteren Gliedern civilisierter Gemeinschaften
so häufig begangen werden. Kleine Diebereien, wie ich schon vorher
bemerkt habe, und das Nichtbezahlen von Schulden sind die häufigsten
Vergehen. Ich habe diese Thatsachen in betreff der Fetische so mit-
geteilt, als ob die durch sie ausgeübte Kraft, an welche die Ein-
geborenen glauben, wirklich vorhanden wäre; wenn wir die Unschulds-
proben besprechen, werden wir sehen, dats dies in gewissem Sinne
wahr ist Zuerst jedoch wollen wir das Wesen der Zauberei näher
betrachten.
Die Zauberei, an welche die Eingeborenen glauben, ist das Ver-
mögen, Anderen Schaden zuzufügen, oder sie zu vernichten, ohne
medizinische Mittel anzuwenden; entdeckt, wird sie mit dem Tode
bestraft. Dafs überhaupt an Zauberei geglaubt wird, sollte uns nicht
in Erstaunen setzen, wenn wir erst einmal wissen, dafs Leute in
ihren letzten Augenblicken sich oft als Zauberer bekennen und auf-
zählen, wen sie durch ihre bösen Einwirkungen getütet haben. Fragen
uiyiiiziüd by Google
— 829 —
wir nun, was der Menscli, der andere behext zu haben gesteht, von
sich selbst denkt Ist er der Meinung, dats er Herr gewisser
diabolischer Mftchte ist, welche seine boshaften Anschlftge für ihn
ins Werk setzen? Meint er, dafs er Zauberptianzen und -Tiere ge-
sammelt, „Höllentrank" davon bereitet und auf diese Weise einen
Zauber gegen seine Opfer gerichtet hat? Es giebt klare Beweise
dafür, dafs er keine solche Gedanken hat, denn ich habe wenigstens
einen Mann erklären hören, dafs er, ohne es selbst zu wissen, Zauberer
gewesen sei; dafs er nun wisse, er habe, wir wollen sagen A. oder
B. oder C. getötet, aber nicht D. £. F., die auch kürzlich gestorben
waren. Ich muCs bemerken, dafs dieses Bekenntnis iu dem Augen-
Mick gemacht wurde, wo man dem Manne bewies, dafs er wirklich
ein Zauberer uL Wran wir einen Eingeborenen fragen, was ein
Zauberer ist, so wird er wahrscheinlich antworten: ^ein Zauberer
wflnscht jemanden su vergiften.* Aber in dem eben angeftlhrten
Falle wufste der Mann wohl, dafs die Leute, die er behext zu haben
bekannte, nicht von ilnn vergiftet worden waren, wie wir den Aus-
druck auffassen, sonst würde er es langst gewufst haben und nicht
erst in dem Augenblicke, wo er überführt wurde, ein Zauberer zu
sein. Wenn der Eingeborene von „Gift" spricht, so weifs er nichts
von den Wirkungen desselben auf den menschlichen Körper; dafs
(las eine Gift das Blut im Gehirn ansammelt, daCs ein anderes das
Nervensystem lahmt und ein drittes den nervus vagus paralysieren
sollte, sind Begriffe, die weit Uber das Fassungsvermögen des Ein-
geborenen hinausgehen; der Einflnls eines Giftes ist ihm unbekannt
und ebenso der des Zauberers. Das giftige Kraut veranlalst Krank-
heit und Tod, dasselbe thut der Zauberer; nach der Art und Weise
der Wirkung wird nie gefragt, sie werden als gleichartig zu-
sammengefafst. Was ein Gift innerhalb des Körpers ist, das ist der
Zauberer aufserhalb des Körpers. Die einzige Erklärung, die Licht
in die Sache brinj^t, ist die Voraussetzung, dafs das Übelwollen und
die Feindschaft einiger Menschen tötet; wenn ein Zauberer gegen
irgend jemanden feindselig gesinnt ist, so ist das hinreichend, ver-
derbliche Folgen für letzteren herbeizuführen. Betrachten wir das oben
angeftlhrte Bekenntnis in diesem Lichte, so wird uns die ganze Sache
verständlich genug erscheinen. Es wurde dem Manne bewiesen, da&
er ein Zauberer war, dafs seine Femdsehaft andere töten kdnnte.
Er wofste, dafis er gegen A., B. und G. Feindsdiaft gehegt hatte, und
sie waren gestorben. Daher setzte er natfirlich voraus, dab er sie
getötet habe, wahrend er sich billigerweise an D., E. und F.'s Tode
unschuldig erklären konnte, da er wufste, dais er gegen sie keine
Feindschaft gehegt hatte. Wir könueu nun sehen, wie es kommt,
0«o(r. BliUor. Breia«ii, ISM. 24
Digitized by Google
— 330 —
(lafs eiuige Leute sich selbst beschuMigeii, andere zu behexen ; es
ist keine aus Prahlerei aufgcbtelltc lU haujitung, nocli ist sie vernunft-
widrig, im Oeixenteil ist es die vernünftigste Erklärung, die sie
geben können. Aber (hi diese Krivlilrung auf die allgemein ange-
nommene Vorätelluug begründet ist, daTs eine feindselige Ge-
sinnung tütet, 80 wird man fragen: wie ist dieser Glaube über-
liaupt entstanden, nnd wie kommt man zu offenkundigen Mitteln,
diese Gesinnung zu entdecken? Diese Frage ist von der gröfeten
Wichtigkeit, da ihre Beantwortung sich nicht nur auf die Eingeborenen
dieses Teiles der Welt, sondern auf viele Klassen von anderen
Wilden bezieht. Weit Uber die Erde finden wir den Glanben oder
Spuren eines ehemaligen Glaubens an Zauberei und Unschuldsprobeu
zur Entdeckung derselben verbreitet; daher müssen wir bei allen
barbarischen Stflninien gemeinsame Erscheinungen suchen, welche
die Veranlassung zu diesen Ideen gegeben haben, nnd wir müssen
das Wachstum derselben bis zu dem gegenwärt iLien Standpunkt
verfolgen. So wollen wir einstweilen die Congostamme verlassen
und uns zu ihren Urvätern wenden, zwischen deren Entwickelung
nnd der der jetzigen Rassen vielleicht eine ebenso gro&e Kluft be-
steht, wie zwischen den letzteren und den civilisierten Rassen.
In einem Stamme von Wilden befindet sich zuweilen irgend ein
Mann, der ,4^in&i^den vergiften" möchte; er muis geheime Mittel an*
wenden, um die Rache des Mannes zu vermeiden, wie soll er also
verfahren ? Kein Stamm Ist so unkundig, nicht zu wissen, dafs gewisse
Kräuter nicht als Nahrung zu gebrauchen sind, indem sie die
Menschen ernstlich krank machen oder dieselben sofort töten. I'^in
primitiver Stamm, da er noch keine klaren Ideen über Mengen-
verhältnisse hat, wird nicht einen Augenblick vermuten, dafs eine
kleine Dosis giftiger Krauter tötet, aber eine gröfsere Erbrechen
verursacht. Sie werden einfach die Thatsache annehmen, dafs eine
gegebene Pflanze zuweilen die eine Wirkung hervprbringt und
manchmal eine andere. Wenn sie Überhaupt sich irgend welche
Begriffe über Mengenverhftltnisse machen, so werden sie annehmen,
dafe eine kleine Dosis krank macht und eine groCse Dosis tdtet,
was oft der wirklichen Thatsache gerade zuwider ist Kin absicht-
licher Giftmischer, der solche giftige Pflanzen in die Nahrung einer
Anzahl Leute tluit, wird nichts davon essen, während die Opfer sich
erbrechen, wenn das Gift von besonderer Art ist. Dadurch entsteht
natürlich Verdacht gegen den Niclitessendc.n, und luau zwingt ilm,
auch etwas von dem Gerichte zu geniefsen.
Diese Aufeinanderfolge von Handlungen kann wohl bei irgend
welchem Stamme von Wilden von vorerwähntem Charakter, und in
uiyiiized by Google
— 381 —
Jedem Teil der Welt, wo giftige Kräuter waehsen, eintreten. So
weit ist nichts Unwahrscheinliches in dieser Vermntung, sondern im
Gegeuteil ist es sehr wahrscheinlich, dals solche Dinge fast üherall
vorgekommen sind. Nachdem man den Giftmischer gezwungen hat,
aus seiner eigenen Schüssel zu essen, wird das Ergebnis in den
meisten Fällen dasselbe sein, denn seine Umstände sind von denen
der anderen sehr verschieden. Er ist in Angst wegen der Gefahr,
der er sich ausgesetzt hat, und Furcht übt bemerkenswerte Wir-
kungen auf die Konstitution aus. Die psychologische Wirkung der
Furcht ist, dafe sie die Lungen- und lfogenner?en zu sehr in Auf-
regung versetzt, indem sie die Thfttigkeit des Herzens yerhindert;
dieses lahmt der Reihe nach die HuskelhAute des Magens und ver-
hindert das Erbrechen. Beiläufig mttssen wur auch heaehten, daTs
andere Wirkungen die sein werden, die diknlation nach allen Teilen
des Körpers hin zu verlangsamen und so die Absonderimg des Speichels
zu verhindern. Auf diese Ergebnisse werden wir weiterhin zurück-
kommen. Im vorliegenden Falle pflegt der Giftmischer gewöhnlich
zu sterben, indem er oft seine Schuld eingesteht, während die be-
absichtigten Opfer genesen. Der Wilde schreibt diesen verschiedenen
Erfolg nicht der Furcht, sondern der bösen Gesinnung zu. Er sieht,
dafs diese Pflanze gewöhnlich Erbrechen hervorruft, aber dafs sie
dei^ettigen tdtet, der seinen Nächsten zu taten beabsichtigt Weder
der Givillsierte noch der Wide würd sdiUeben, dafs die Ursache
des Todes des Maivies die war, dafs er das Kraut in den Topf
that, daher wflrde der einzig richtige Schlufe der eben angegebene
sein.
Wie mag sich diese Idee nun, nachdem sie einmal fest ein-
gewurzelt war, weiter verbreitet haben? Augenscheinlich war es
so: wenn jemand krank war, und einen Andern im Verdacht hatte,
ihn vergiftet zu haben, so verlaugte er, dafs die verdächtigte Person
die Giftpflanze geniefsen mufste, und wenn diese Person wirklich
Feindschaft gegen den Kranken hc^ie, so würde sie die Wirkung
des Giftes fürchten und durch dasselbe vergiftet werden. Aber
Jetzt kommt ein wichtiger Schritt: es kommt vor, dafs der ver-
gütete Mann seine feindselige Gesinnung eingesteht, aber behauptet,
keinen tatlichen Stoff in das Essen des Kranken gethan zu haben. Der
kranke Wilde aber kann nieht begreilsn, dafs er ohne alle Ur-
sache krank werden sollte und sdireibt daher seine Krankheit der
Feindseligkeit des andern zu.
Viele Wilde glauben nun nicht, dafs sie aus natürlichen Ur-
sachen sterben können. Krankheit und Tod betrachtet man als von
äusseren Ursachen herrührend, wenn der davon Betroffene kein hohes
24*
Digitized by Google
— 332
Alter erreicht hat Die Erwartung des Kranken, dafe er, nun er
seinen Feind los ist, genesen wird, bewirkt oft seine Heilung, wie
es Zaubersprüche, Reliquien und oft Arzneimittel thun; so wird der
Glaube, dafs ITeindseligkeit Krankheit und Tod venmacfaen kann,
bestilti^t, uud die Unschuldsprobe wird als geeignetes Mittel betrachtet.
Die Unschuldsprobe durch Gift hat deu Standpunkt erreicht,
bis zu welchem wir sie von ihrer Entstehung an verfolgt haben;
hier bedeutet Erbrechen Unschuld, Tod oder Purgieren bedeutet
Schuld. Wir sehen nun, welche Waluheit in der vermeintlichen
Macht der Fetische liegt; für diejenigen, die daran glauben, ist sie
vermutlich von grofsem EintiuDs, indem sie wahrscheinlich durch
chronische oder zeitweiUge Überregung des nervus vagus Herzkrank-
heiten hervorruft und das richtige GHeichgewicht der Funktionen im
allgemeinen stdrt.
Diese Wirkungen der Oiftunschuldsproben, der Fetische, der
medizinischen Zaubermittel, sind den Wilden erkennbar, wie sollten
wir sie also Thoren nennen, wenn sie an diese Dinge glauben?
Haben wir irgend einen weiteren Anhaltspunkt psychologisclR'i Aus-
legung? Es giebt deren viele. Icli will noch einige Unschuldsproben
von diesem Teil der Welt und auch von andern Gegenden anführen,
die alle ebenfalls leicht erklärlich sind. Das Verlangsamen der all-
gemeinen Cirkulation unter EinHufs von Furcht verhindert oft die
Warme, mit der gewöhnlichen Schnelligkeit von einem Teil des
Körpers zu andern Teilen desselben zu ziehen,, so dafs z. B. eiu
Schlag mit einem heiüsen Eisen, der Leute in gewöhnlichem Zustande
nicht verbrennen wQrde, einen Mann unter den oben genannten Um-
ständen verbrennen wird. Daher ist es eine viel angewandte Probe,
wenn man eine schuldige Person aus einer Anzahl von andern heraus-
finden will, den Leuten mit einem heifsen Eisen zwei Schlage auf
die Beine zu geben, nachdem die Hitze des Eisens von dem Fetisch-
mann so reguliert ist, dafs sie gerade unter dem Brennpunkt steht.
Sollte der Einwurf gemacht werden, dafs der Eetischmann den vor-
bereitet, den er verbrennen will, so antworte ich, dafs ich über eiu
Dutzend Leute auf diese Weise auf die Probe habe stellen sehen,
uud obgleich keiner verbrannt wurde, so schälte sich doch nach etwa
vier Tagen die Haut ab, und sie behielten alle wehe Beine. Dies
könnte nicht der Fall sein, hätte der ^^Dokter" irgend eine Vor-
kehrung getroffen, sie nicht zu verbrennen; es ist wirklich keine
Ursache vorhanden, anzunehmen, dafs in diesen Dingen ein Einver-
ständnis zwischen dem ^Dokter** und den „Kranken* herrscht.
Wirft dies nicht auch ein Licht auf die früher in Europa so
viel angestellte Unschuldsprobe, Aber giflheml heifse Platten zu laufen?
Digitized by Google
— 333 —
Elfi anderes Beispiel, das ich aofQhreD möchte, ist aus der
malaiischen Welt: eine Anzahl Verdächtigter wird in einer Reihe
aufgestellt, und jedem wird ein TheelöfFel voll trocknen Reises ein-
gegeben, den er eine Zeitlang iiu Munde behalten mufs; nach
Verlauf der Zeit wird der Reis ausgespuckt und untersucht. Es ist
kaum nötig zu sagen, dafs der Reis des Schuldigen noch trocken ist,
während der der übrigen ganz nafs von Speichel sein wird.
Die Wirkung der Fetische und Unschuldsproben kann nicht
iminer richtig sein, aber doch wahrscheinlich in den meisten Fällen,
und mufs im Lauf der Jahre sehr dazu beigetragen haben, die-
jenigen ansznrotten, deren Charakter nicht mit dem diesem Volke
eigentflmlichen Charakter in Einklang stand, und da die Opfer
der Giftproben gewöhnlich die unnOtzesten Glieder der Rasse sind,
so mllssen wir in sociologischer Hinsicht den Nutzen und die
Wohlthat dieser Proben anerkennen, indem sie zum Wohlsein der
Rasse, wenn auch nicht immer zum Glück des betreffenden Individuums
dienen.
Ueber Zaubermittel zur Verhütung und Heilung von Krankheiten
braucht nui' wenig gesagt zu werden. Sie werden viel angewandt
und mehr von Frauen als von Mannern und zwar gewöhnlich Inder
Form von aufgereihten Muscheln, Fischzähnen, Samenkörnern und
dergleichen; oft sind es auch eine Art alter Lappen, die etwas
„Medizin^ enthalten.
Die religiösen Ideen der Eingeborenen sind leicht auseinander-
gesetzt: sie erkennen einen Schöpfer aller Dinge, Zambi, an, dessen
Mutter Mpungu nnd deren Mutter Dezn war. Ob dieses eine korrum-
pierte Idee der Dreieinigkeit ist, die noch von den Zeiten der alten
portugiesischen Mission henilhrt, kann ich nicht sagen, es scheint
mir, dafs Dezu eine Korruption von Dens sein kann, und dafs so
die Beziehung der Dreieinigkeit in eine fafsliche, wenn auch unrichtige
Form gebrnchf ist. Mpungu und Dezu sind vielleicht am Leben,
Tielleicht tot, das kann niemand sagen : Zambi lebt oben im Himmel.
Die Vorstellung von Zambi ist natürlich äuCserst anthropomorphisch,
in Zeiten einer Epidemie habe ich sagen hören: j^Zambi ist sdüecht^
er will alle töten.'
In dieser Beziehung bin ich selbst und sind einige andere zu ver-
schiedenen Schlüssen gekommen. Man hört oft den Namen Zambi
Mpungu. den die Missionare als einen doppelten Namen, der eine
Gottheit bedeutet, annehmen. Ich neige zu der l'bersetzung Zambi,
Sohn von Mpungu, was mit ihrer Spraclie übereinstimmt, wenn es
sich um den Namen handelt; zum Beispiel Nene Mbomazansi bedeutet
Neue, die Tochter der Mbomazansi. Dies ist auch die Erklärung,
Digitized by Google
— 334 —
die. mir meine Berichterstatter immer geben, sie jedenüUls betrach-
ten Zambi und Mpungu abt Yeracbiedene Personen. Es glebt keine
(kbete, keine gottesdienstliche Handinngen der Yerdmitag für Zambi,
die AneikennuDg seiner Ezistens ist alles, was von irgend einer
Religion vorhanden ist.
Seit kurzem sind hier mehrere Mijssioii^aiLstalten gegründet,
die bei der liebenswürdigen Natur des Negers ;4ünötigeu Boden
finden. Ein weiterer Vorteil ist, dafs sie keine verwickelte My-
thologie zu verlernen haben; aufserdem aber kann man wenig Eniiu-
tigcndes über diesen Punkt sagen. Doch IMst sich, wenn auch nicht
in einem Jahre oder in ein paar Jahren, so doch im Lanfe der
Zeiten guter Erfolg voraussehen. Die Möglichkeit schn<dler Ver-
besserung ist durch die sociale Wissenschaft g&nalich verneint, aber
allmahUches Wacbstom schdnt eine Gewi&heit Ifan darf den glü-
henden Berichten von wunderbaren Fortschritten nicht zu viel tränen,
andererseits aker darf man auch der bfiswilligen Geringschfttsnng der
Missionsarbeit nidit zu viel Glauben beimessen.
Ich miifs jetzt einiges über die drei grofseu Systeme jeder
Gemeinschaft mitteilen: das Erhaltungs-, Verbreitungs- und Regulie-
rungssystem. Die zwei erst genannten Systeme unterscheiden sich
nicht wesentlich von einander, da die Eingeborenen häufig ihr Gewerbe
wechseln. Ein und derselbe Mann beschäftigt sich bald mit der
Fabrikation von Palmöl, dann mit Fisrhen, dann mit Holzf&Uen,
und zu andern Zeiten macht er den Erdboden urbar, damit seine
Frauen ihn behauen können. Andere sind zuweilen Makler, zuweilen
Zimmerleute, oft bringen sie auch viel Zeit im Mtalggang hin.
Die Erhalter sind meist die Frauen, die das Land behauen, aber
das Urbarmachen des Bodens, das Einsammeln der PalmennlUse
und die Fischerd besorgt die männliche Bevölkerung. Im allgemei-
nen wird die Arbeit von Knaben oder jungen Männern verrichtet,
die älteren Neger werden gewöhnlich von den jüngeren Gliedern
der Familie erhalten. Das Verbreitungssystem ist hauptsächlich von
der Unterscheidung in Küsten- und Inlandsdistrikte und solche, wo es
europäische Handelsstatiunen giebt, abhängig. Wie schon früher
erklart worden ist, sind letztere die Hauptstützen der Verbreitung,
wftren sie nicht vorhanden oder unthätig, so würde es wenig oder
gar keinen wirkliehen Umsatz geben. Da durch das Wachstum und
Gedeihen dieser drei Systeme die Civilisation wesentlidi gefördezt
wird, so kann man sich denken, wie gefhhrlich es war,- als kflrzUch
die portugiesische Regierung versuchte, das Begulierungssystem
umzustürzen, obgleich sie nicht im stände war, es gänzlich unwirksam
zu machen, und ferner das Verbreitungs- und Erhaltungssystem zu
Digitized by Google
— 335 —
unterdrücke», mdem m Steuem von allen Handelsartikeln erhob, und
so weit ging, dafs sie doppelt do viel oder noch mehr Eatsehftdigimg
beim gewöhnlichen Umtansch verlangte.
Wie man hört, ist dieses l iiLjlüek vorläufig abgewehrt, aber
nicht aus dem Grunde, weil ein solches Verlangen schändlich wäre,
sondern nur aus Opposition seiteus andrer Mächte. Das Regulierungs-
systeni hat sich nach der Erinnerung noch in dieser Gegend lebender
Europäer sehr verändert, alier über eine weitere Periode als 2Ü Jahre
zurück läi'st sich wenig sagen. Zu der damaligen Zeit bestand der
Hanpthandel in Sklaven, welche ans dem Innern zum Yerkaof
gebracht vnrden, deren aber viele von den Küstenstftmmen zu ver-
schiedenen Zwecken gehalten wurden. Diese Sklaven machten den
grdfsten Teil der Bevölkerung aus; miter der Aulsicht ihres Eigen-
tfimers wurden sie auf verschiedene Weise beschäftigt: sie mulsten
fischen, ruderten ihres Herrn Kanoe, bildeten seine Leibwache,
raubten für ihn, führteu seine kleinen Kriege, bewachten die zur
Ausfuhr bestimmten Sklaven ; während der Herr seinen Gewinn dazu
verwendete, Kleider und Lebensmittel für sich selbst und die Sklaven
zu kaufen. Mit der Abschaffung d. s Sklavenhandels in Amerika
trat eine Veränderung in allen diesen Einrichtungen ein. Jetzt
mufsten die Sklaven Produkte zum Verkauf einsammeln, und fingen
bald an dies auf eigene Rechnung zu thun. Sie gewannen immer
mehr Öl für sich selbst und immer weniger fOr ihre Herren. Wahrend
die Sklaven sc3ion vor der Abschafihng des Sklavenhandels in Amerika
indirekt ihre Herren unterhielten, so thaten sie es Jetzt in direkter
Weise, und da sie immer reicher wurden, konnten sie immer mehr
die Bedingungen vorschreiben, unter welchen sie bereit waren, sich
der Autorität zu unterwerfen.
Das sociologische Gesetz, dafs die Vermehrung der Volksmacht
mit der Vermehrung industrieller Thätigkeit Hand in Hand gehe,
wurde niemals durch ein klareres Beispiel erläutert, als durch das,
welches dieses Volk uns geliefert hat. Die Macht der Fürsten
ist jetzt nicht vielmehr als nominell, sie setzen einfach nur die Volks-
entflcheidung in Kraft.
Sowohl an der Kflste wie im Innern kOmmem sich die H&upt-
Ihige nur wenig um die besonderen Thätigkeiten der Bevölkerung;
jedermann wfthlt seine eigene Beschäftigung, sei es Fischen, Palmöl-
bereiten oder was sonst, und als Ersatz fttr den Schutz seines Herrn
giebt man ihm einen Teil des Ertrages ab; es ist nur wenig noch
von wirklicher Sklaverei unter den Eingeborenen zurilckgeblieben.
Wegen der inneren Zusammengehörijjkeit der drei Systeme war
es nötig dieselben gemeinsam zu erklären; aber das Regulieruogä-
üiyiiizea by Google
— 336 —
System mullB noch genauer nach seiner Eigentümlichkeit in den ver-
schiedenen Qegenden betrachtet werden. Die oben gemachten Be-
merkungen bezieben sich auf die ganze Gegend, von welcher mein
AttfiMts handelt, aber was ich jetzt sagen werde, ist mehr yon
spedellerem Charakter. In Bezug auf politische Einrichtungen haben
^e Stamme sttdlicb vom Congo Eigentttmlichkeiten, durch welche
sie sich von den andern absondern, und von diesen wollen wir zu-
nächst sprechen. Man findet hier und da gewisse regiereude Könige,
die es eigentlich nur dem Namen nach sind, da die Stimmen der
reicheren Eingeborenen die hauptsächlichste politische Macht bilden.
Die Thronfolge findet mittelst Wahl seitens dieser reichen Eiu-
geborenen statt, die gewöhnlich eine blofse Null wählen.
Die Macht des Königs, soweit man sie so nennen kann, erstreckt
sich anf eine Anzahl von umliegenden St&dten. Die Einwohner
dieser Städte smd wohlhabende Handelsleute mit ihren Familien und
Untergebenen, Sklaven und deren Sklaven.
In einigen Gegenden ist es Sitte, eine „Königin" zu wählen«
aber es geschieht auch selbst da nicht immer, wo es eigmiüich
Gebranch ist. Es gtebt ein Gesetz, wonach der König das Meer
nicht sehen darf, welches wahrscheinlich aus der Idee entsprungen
ist, dafs sein Königreich als unbegrenzt betrachtet werden soll, oder
dafs es eine Entwürdigung sein wtlrde, dahin zu sehen, wohin seine
Macht nicht reicht. Deshalb werden auch sein \ erkehr oder seine
Unterhandlungen mit den weifsen Kaufleuten, die alle an der Meeres-
küste wohnen, durch sogenannte «Königsleute^ ausgeführt, von denen
der oberste „Königsmund^ genannt ist. Diese Leute kommen nach
den Handelsfaktoreien, um den König zu vertreten und um öffent-
liche Angelegenheiten für ihn zu besprechen. Man kann sich jedoch
nidit auf sie verlassen, sie milTsdeuten dem König zuweilen absicht-
lich die Anliegen der Handelsleute und umgekehrt; aber bei
wichtigen Gelegenheiten sind so viele einflufsreiche Schwarze bei den
Unterhandlungen sowohl in den Faktoreien, wie in des Königs Stadt
zugegen, dafs kein ernstlicher Schaden durch diesen Fehler im
Regierungssystem entsteht.
Die politische Stellung des weifsen Kaufmanns dürfte nun genau
zu erklären sein, da durch Iinkenntnis in diesem Punkte grofse
Verwirrung hervorgerufen werden kann. Einem europäischen Handels-
mann w ird dieselbe politische Stellung im Lande zuerkannt, wie dem
Einflußreichsten unter den Eingeborenen, sowohl wegen seines vor-
ausgesetzten Verständnisses als wegen der Wichtigkeit der Station,
die er leitet. Da ein Handelshaus ein Gegenstand von allgemeiner
Bedeutung, ein Mittel des Gedeihens für die benachbarten Stämme
Digitized by Google
-~ 337 — •
ist, so winl es mit grofser Achtung betrachtet, und der Kaufiuaan
liat aus diesem Grunde bedeutende ])oIitische Macht. Die WeiCsen
haben in allen Fragen, die sie direkt betreffen, immer eine Stimme
und selbst in einem Falle, der sie nur indirdct berührt, werden ihre
Wftnsche, wenn sie den einfloTsreichen Schwarzen beweisen kdnnen,
daf$ ein liostimmtes Vorgehen ihnen nachteilig ist, von den Ein-
geborenen sehr berücksichtigt
Es giebt einige einfache Verträge, welche den politischen
Verkehr zwischen Weifsen und Schwarzen feststellen, und wenn
diese eingehalten werden, so ist wenig Gefahr zu Unruhen vorhanden.
In Dingen, die lediglich die Eingeborenen betreffen, hat der weifse
Mann keine Stimme, es würde ihm auch nichts daran gelegen sein,
in solchen Sachen 2U Rate gezogen zu werden. Wenn ein König
erw&hlt ist, so wird er, noch ungekrönt, zn den Niederlassungen
der Weifsen geführt und diesen vorgestellt; sollten die Weilsen
irgend einen triftigen Grund haben, von der Volkswahl abzuraten,
80 können sie ihre Einwendungen angeben und werden wahrschein-
lich die Krönung verhindern. Wenn der König gekrönt wird, so
sidit er zum ersten Mal Schuhe an und empfiftngt die Kaufleute
freundlich, welche kommen, um ihm die Hand zu schütteln und ihm
ein kleines Geschenk machen. Man erwartet nicht von den Weifsen,
dafs sie „Seiner Majestiit" noch weitere Besuche abstatten, aufser
wenn sie selbst es wünschen sollten; der weitere Verkehr wird
ofhciell durch den „Königsmund" geführt.
Um sich der Berücksichtigung einer Klage zu versichern,
schickt der weifse Handelsmann dem König eine Flasche Brannt-
wein, wenn dieser seine Leute sendet, um sich nach der Sache zu
erkundigen. Manchmal schickt der Handelsmann dem König die
Flasche mit der Botschaft, dafs er nicht eher wieder nSteuem^
zahlen werde, als bis ein gewisser Streit ausgeglichen sei. Dies
wird dem Weifsen durchaus nicht als eine Unhöflicbkeit ange-
rechnet und sichert gewöhnlich Beachtung seiner Beschwerde zu.
Hätte er das Geschenk weggelassen, so würde sein Benehmen
Unwillen erregen, und die anderen Handelsleute würden ihm
wahrscheinlich sagen, dafs er wegen seines Mangels au Lebensart
zu tadeln sei.
Die oben erwähnten „Steuern'' sind kleine Zahlungen, welche
dem König alle vier oder sechs Monat geleistet werden je nach der
Sitte der Gegcmd. Ferner wird von jedem Eingeborenen, der Pro-
dukte verkauft, eine kleine Abgabe entriditet, die von dem obersten
Diener der Faktorei eingesammelt und endlich an «Mafuka Dimbo*,
der diese Ehikttnfte pachtet, gezahlt wird.
Digitized by Google
— 338 —
Der Koiiii: hnt wenig Macht, ir^ieml wplrhe liewe^un^'on ber-
vorzuriifeu, zu unterbtützen oder zu verhindern, er ist nichts als
Präsident oder Vorsitzender und für das aiiständi<;e Betragen der
Eingeborenen bei einer Veräammlung ist er vermuUicb Yon grofsem
Noteen. Er ist gewöhnlich schon ein alter Mann, wenn er gekrdnt
wird, nnd m viel ich beobaelitet habe, lebt er meist nicht laage;
man nimmt an, dafs er gewöhnlich vergiftel wird.
Aus diesen Angaben ist zn ersehen, daTs ein König nicht das
Recht haben würde, sein Königreich an irgend eine fremde Macht
abzutreten, noch weniger (wenn ich den Ausdruck gebrauchen <larf)
könnte er das thun, ohne die Handelsleute um Rat zu fragen,
welche direkt davon betroffen werden. So können diese Stanmie
also nur durch wirkliche Eroberung einer fremden Macht unter-
worfen werden. Doch kürzlich erst hat die englische Regierung
vorgesciüagen, diese Stämme Portugal zu überliefern, als ob sie ein
Eigentum wären, mit welchem man schalten nnd walten kann wie
man will, ein Verfahren, dafs jeder loyale Eingeborene verabscheuen
würde, und welchem sich zu unterwerfen nur ^ne Gewalthemchaft
ihn zwingen könnte! Ißt ziemlicher Qewifeheit lafst sidi freilich sagen,
dafe die Portugiesen sie unbelAstigt lassen und ihnen gestatten würden,
ihre eingeborenen Könige zn krönen und zn vergiften, nach ihrem
Belieben. Der einzige Unterschied würde die Einlühiung schwerer
Steuern und lästiger ZoUhausmafsregeln sein, vorgeblich zum Schutze
und zur Verbesserung des Landes. Dieses Verfahren ist in der
That von den französischen Behörden hinsichtlich gewisser Küsten-
gegenden bei Gabun ausgeführt worden; sie bestehen darauf, dafs
in Gabun Schüfe die Zölle entrichten, bevor sie an den Küstenhäfen
gelöscht werden, aber sie gew&hren den Weifsen an solchen Hafen
keinen Schutz. Die einzige zu erlangende „Satis&ktion^ ist die
Antwort, dab Handelsleute nicht nach diesen Orten, sondern nach
Gabun hingehen sollten, wenn sie Schutz wünschten. Trotzdem nmfo
für den Schatz bezshit wm^enl Dieses System ist eine unverschftrate
Art und Weise, Eingeborene und Handelsleute zum Vortml der
pjnküufte der „Kolonie'' zu beiaul>eu. So wird der Machthaber,
welchem der Schutz des ganzen in Frage stehenden Territoriums
;in vertraut ist. der systematische Angreifer, gegen welchen es keine
Hülfe giebt. Es giebt noch indirekte Einwirkungen, wichtiger und
von gröfserer Bedeutung als diese, die wir beachten müssen, wenn
wir den Gedanken an eine Veränderung ins Auge fassen ; sie zeigen,
dafs solche Besitznahmen den Eingeborenen in jeder Hinsicht von
Nachteil sind. Der Nachweis der Ungesetzmäfsigkeit der Abtretung
von Land an fremde Mächte bezieht sich auf die Handelsgebiete am
Digitized by Google
— 339 —
Congofliuae und auf die nördlich davon gelegenen Lftnder, deren
Begienmgen wir jetet besprechen wollen.
Der Distrikt zwischen dem Gongo und Loango, letzteres mit
eingeschlossen, ist in drei Königreiche eingeteilt: Ngoyo oder Ca-
hinda, Kakongo und Loango. Jedes ist von ziemlich beträchtlicher
Ansdehnmig, und hinsichtlich der GrtVfse stehen sie zn den winzigen
Königreichen südlich vom Congo in groiscni Gegensätze. Die König-
reiche Ngoyo und Kakongo haben die Eigentümlichkeit, ungetähr seit
den letzten vierzig Jahren ^Regentschaften" zu sein; wahrscheinlich
werden sie auch in Zukunft noch für unbestimmte Zeit ohne gekröute
Häupter bleiben. Die Regentschaft" ist nur nominell und in ge-
wissem Grade eine Ceremonie; irgend welche besoBdere politische
Macht scheinen die Regenten nicht zu besitzen. Das Königreich
Kakongo sowohl wie Ngoyo ist in bestimmte Bezirke eingeteilt, und
die Hänpter der bedeutendsten Städte halten Ordnung und ent-
scheiden kleine Streitigkeiten. Es ist auch ein höherer Beamter
vorhanden, der Mambukn, d«r in soldien Angelegenheiten zu Rate
gezogen wird, die von den Häuptern der Bezirke nidit entschieden
werden können, auch giebt es einige Beamte, die unter dem Titel:
Mongovo, Kajiita bekannt sind und einige andere. Der Mambuku
würde dem Könige folgen, wenn ein König vorhanden wäre, aber
da der „Regent" wenig Macht hat, so ist der Mambuku wirklich der
mächtigste Mann im Königreich. Es giebt mehrere Mambukus in
verschiedenen Gegenden, aber nur einer von ihnen hat den erwähnten
hohen Rang.
Das Königreich Loango wird von einem regierenden König
beherrscht) aber seine wirkliche Macht erstreckt sich nur auf Ge-
genden, die von seiner Stadt aus leicht erreichbar sind; die Begierung
des Übrigen Teils des Königreichs (soweit es von den Franzosen
oder der internationalen afrikanischen Gesellschaft noch nicht in
Beschlag genommen wurde) ist in den Händen kleiuer Potentaten,
sowie sie in Kakongo und Ngoyo bestehen. Dieser Übergang
königlicher Macht in die Hände von Lokalregenten ist gewolmlich
ein Zeichen theihveiser socialer Auflösung; der plötzliche Wechsel
der Verhältnisse läfst Unterwerfung unter eine centrale Autorität
weniger zweckmäfsig ersclieinen als sonst, denn solcher Wechsel
mindert gewöhnlich die Notwendigkeit militärischer Leistungsfähigkeit
Tritt ein derartiger Fall ein, so bleibt die monarchische Form
erhalten, aber die Volksmacht steigt Wo der Wechsel plötzlich
stattftiidet, ist die bezeichnete Folge sehr wahrscheinlich.
Im Köaigroieh Ngoyo besteht eine Einrichtung, die augen-
scheioiich aus einer Zeit^ die kriegerischer war als die jetzige,
Digitized by Google
— 340 —
stammt, mul welche, ob^^leich sie ihren Nutzen verloren hat, doch
in der Form sich noch erhält. Ich spreche von einer Anzalil Nduoga
(Zindunga im Plural) genannter Hofbeamten. Diese Ijeute bilden eine
geheime Organisation; sie tragen einen oiAchtigen Mantel aus Palm-
blättern, welcher sie vom Kopf bis zmn Fufs bedeckt, und eine
abschenlicbe Maske flberragt alles. Diese Maske dient wahrscheittlich
dasn, dafe jeder seine Gefinhrten erkennen kann, aber sie wird oben
auf dem Kopfe getragen, das Gesicht ist vom Mantel bedeckt Die
Öffnung vom im Mantel gestattet dem Träger herauszublieken,
ohne selbst erkannt zu werden, und ferner dient sie dazu, einem
Hakenstock freien Spielraum zu gewahren, mit welchem der Ndunga
in allerlei kleine Gegenstände hineinhakt, die er zu stehlen Lust
hat. Diese Männer haben das Vorrecht, alles, was sie erreichen
köDuen, zu stehlen, ja, sie dürfen sogar den, der sich ihnen dabei
widersetzt, töten, und vor allem töten sie jeden, der ihre Identität
entdeckt Nichts, das sie in ihrem Charakter als Ndunga thun, ist
strafbar, und wenn sie sich im Walde verbergen und ihre Tracht
ablegen, so weife ni^and, dafs der Mann, der da in seiner gewdhn*
lieben Kleidung wieder herauskommt, Ndunga ist Sie verstellen
ihre Sünunen, wenn sie mit anderen reden und sprechen mit Fistel-
stimme. Dieses erhdht noch die durch ihr scheufsliches Aussehen
hervorgebrachte Wirkung. Nur durch die althergebrachte Sitte ist
es zu erklären, dals bei dem gegenwärtigen socialen Zustande des
Volkes diese Inkognitoräuber noch geduldet werden. Sie sind eben
ein Überbleibsel aus früheren Tagen, als der König noch mächtig,
als die Bevölkerung noch in militärische Rangstufen eingeteilt,
jeder der Sklave der höheren und der Herr aller niederen Rang-
stufen war. Wie erlangte aber in jenen Zeiten der Schwache Bei-
staad gegen den Stärkeren, wenn er tyrannisch behandelt wurde?
Er hatte einen unbekannten Freund ; der Ndunga klagte den Unter-
drQcker beim König an, ohne die Rache zu fürchten. Sie waren die .
geheime Polizei, welche den König von den Mifshandlungen der
Stärkeren gegen die Schwachen in Kenntnis setzten. Die Dienste,
welche sie dem Volke leisteten, waren von so grofsem Werte, dafs
die Ndunga für unverletzlich angesehen wurden, welche Räubereien
sie auch begehen mochten. Ohne Zweifel pflegte der König die
Ndunga zurückzuhalten, wenn er erfuhr, dafs ihre Handlungen die
(Irenze der lll&fsigung überschritten, aber sie müssen ihre Stellung
durch ihren unzweifelhaften Nutzen behauptet haben, und das An-
sehen, welches sie auf diese Weise erlangten, sichert noch heute ihren
Bestand, obgleich sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Was ich
hier berichte, ist die Tradition, welche sich unter diesen Stämmen
Digitized by Google
— 341 —
erhalten hat, mit Ausnalime der Yorauasetzttug , dafs es eine
kriegerische Organisation des Volkes gewesen ist, wir müssen dies
aber, wie ich glaube, nach den bekannten früheren Funktionen
des Ndunga zu urteilen, doch annehmen. . Es ist ziemlich
augenscheinlich, dafs als die Einsetzung der Zindnnga erfolgte, eine
eugere Gemeinschaft bestanden haben mufs, wogegen jetzt die
einzigen Spuren von Gemeinschaft gelegentliche Einmischung einer
Stadt in die Angelegt nheiten einer anderen und auch die Ansprüche
einiger 1 üräteu auf eine gewisse Herrschaft in einer der Nachbai-
stadte sind.
Das nördliche Ufer des Congo hat ähnliche Züge hinsichtlich
der Regierungsforni aufzuweisen und in der Gegend, von welcher
aus ich schreibe, Pouta de l^nha, sind die Gemeinschaften einfacli,
indem nur den benachbarten Häuptlingen von den Einwohnern einer
Stadt eine gewisse Ehrerbietung, je nach Stand und Macht, bezeugt
wird; Yon einer Unterordnung unter eine Gentraiherrschaft, König
oder Regent, ist hier nicht die Bede. Wenn wir den FluJb auf-
wärts gehen, finden wir in Borna acht gemeinschaftlich regierende
„Könige^, die in den Unterhandlungen mit weifsen Kaufieuten prft<
sidiereu. So kommen wir aucli hier wieder auf eine gelegentliche
Phase des Rückschrittes der politischen Organisation; der vereinigte
regierende Vorstand hat etwas Ähnlichkeit mit der Einrichtnnir im
Königreich Xgoyo, wo die Centralmacht verschwunden ist, und nur
einzelne Lokalregeuten mit lediglich uomiueller Lehusptiicht zurück-
blieben.
Das ganze südliche Ufer des Flusses und die das nOrdliche
Ufer begrenzenden Inseln, von Ponta.da Lenha bis Banana, wo die
Inseln enden, sind von Stämmen, die unter dem Namen Misorongo
bekannt sind, bewohnt, ihre Gebräuche und Sitten weichen von denen
der Stämme von Ponta da I^enha etwas ab. Sie werden von Lokal-
kOnigen und Beamten regiert, die nur Häupter gewisser Städte
sind, aber mehr persönliche Macht haben als ihre Nachbaren, die mit
dem Cabindastanmi ein Bündnis geschlossen haben. Bis vor kurzem
haben >if >i( li innner durcli ihre Räubereien ausgezeichnet, die nach
einem gewissen System betrieben wurden. Sie haben die Einrichtung
der Ndunga nicht, aber es giebt hier noch ein Überbleibsel einer
anderen eigenartigen Nkimhi genannten P^inrichtung, welche hrdier
am Husse hinauf von den Yalalafallen bis ins Innere ia Blüte steht.
Die Zinkimbi gleichen den Zindunga von Cabinda insofern, als
sie ebenfalls privilegierte Räuber, jedoch anderer Art, sind. Wir
müssen sie weiterhin noch genauer erwähnen, da sie die persönliche
Macht des Häuptlings vermehren. Wir finden hier auch die Sitte
Digitized by Google
— 342 —
der früheu Verlobungen und überhaupt eiuige Eiurichtungen, die
TOB denen der anderen Flufsst&mme ?erscliieden sin(}, wie z. B. die
grftfeere Streitbarkeit der Misoroogo. Indem wir diese Verschieden-
heiten betonen, mflßsen wir doch zugleich anerkennen, d&£s bei ver-
minderter Kriegeliist und zunehmender Industrie die Mifiwttode in
der Regierung sich abschwädien und Termutlich bald ganz Yer-
sdiwinden werden.
In Bezug auf die Stämme höher am Flusse hinauf ist meine
Kunde nur sehr mangelhaft. Ich mufs jedoch erwähnen, dafs an
Orten des südlichen Ufers «gegenüber der Landstrecke zwischen
Borna und Vivi (welche beide Orte am nördlichen Flufsufer liegen)
die Häuptlinge bis zu einem gewissen Grade Lehnsmänner des
Königs von Congo sind, d. h. des Herrschers des ehemaligen groiseu
Königreiches Congo, das vom Flusse ab ziemlich weit ins Innere
reidite und an die portugiesische Provinz Angola gremste.
Die persönliche Ifacht des Königs von Congo scheint jetzt anf
eine kurze Strecke im Umkreis um die Stadl San Salvador und
auf diese selbst besdurlnkt zu sein, sdne Gewalt Uber die unter-
geordneten Häuptlinge bezieht sich nur noch auf die Bestätigung
ihrer Wahl durch die Ceremonie der ^^Krönung'' oder auf die Über-
reichung ihrer Amtstracht.
Seit ich diese letzten Remerkungen niederschrieb, bin ich auf
einen Umstand aufmerksam geworden, der die Kegel, dafs gemeinsame
Gefahr die Macht des Königs stärkt, in helles Licht stellt. Die
Entfaltung oder Behauptung königlicher Macht hat bis jetzt geruht
und ist erst durch die Notw endigkeit des Schutzes gegen die An-
sprache der internationalen Gesellschaft erweckt worden. Nachdem
diese weit und breit das Recht der Herrschaft „erworben^ hat, so
wendet jetzt der K(ynig von Congo dagogen ein, da(s die betreffenden
Häuptlinge seine Vasallen seien, und verweigert die Becbtsabtietung
anzuerkennen. Die in Frage stehenden HftuptliDge erkennen natOrlieh
lieber Ihre Abhängigkeit gegen den König von Congo, als gegen die
,j internationale (iesellschaft" an, jetzt nachdem sie wahrgenonmien
haben, dals dieses die Bedingung ihrer „Verträge" ist. und es läfst
sich voraussetzen, dafs von dieser Seite her versucht werden wird,
der Gesellschaft Widerstand entgegenzusetzen. — In diesen Gegenden
hnden wir die Zinkimbi, die ich schon erwähnte und denen ich jetzt
noch ein paar Worte widmen muCs. Die Zinkimbi sind eine Anzahl
Eingeborener, die fOr Zauberer gehalten werden, sich weifs banalen,
ihre Lippen scbwiizen und unbekleidet gdien, mit Ausnahmis eines
Zipfels von Pftfanbliltei'n, den sie mit Hfllfe eines Bandes um den
Leib schlingen. Es gehört eine förmliche Unterweisung dazu, um
uiyiii^uü Oy Google
— 343 —
in diesen Orden eintreten zu können. Der Neuling wird von dem
obersten Zauberer nnter den fiioflufis eines kr&ftigen Eiuschläferungs-
mifttels gestellt und man glaubt, da&j^die Wirkung der Medizin sei, den
Jüngling zu töten, jedoch der Zauberer erweckt ihn nach drei Tagen.
Danach ist er, wie sie sagen, ein anderer Mensch, bekommt auch einen
anderen Namen und erhalt Unterricht in der Kldmbisprache, eine
Sprache, die, wie ich aus guter Quelle erfahren habe, den übrigen Ein-
geborenen sowol ihrer Bedeutung als dem Ursprung nach ganz un-
bekannt ist. Zwei Monate lang ist da.s Waschen verboten und allerlei
feierliche, geheimnisvolle Gebräuche werden erlernt, deren Natur ich
nicht kenne. Einige sagen, dals Fleischspeisen dann für immer verboten
sind, aber ich weis nicht, ob das wirklich so ist. Diese Zinkimbi
sind den Häuptlingen bestimmter Gegenden ergeben, doch kenne
ich ihre Funktionen nicht. Sie weigern sich ihre Muttersprache zu
sprechen, wenigstens so lange sie in ihrer eigentümlichen Tracht sind
und sie dürfen jeden, der sie mit ihrem früheren Namen anredet,
tdten. Dies ist alles, was ich Uber die Zinkimbi weis, aber es ist
ganz offenbar, dafs eine so wie die der Gongoeingeborenen eingerichtete
Gemeinschaft, solch eine Institution nicht ins Leben rufen konnte; die
einzige mir hierfür möglich scheinende Erklärung ist, dafs in
früheren Zeiten diese Gegend von einer erobernden Basse über-
wältigt worden ist, die einen Orden von Priestern mitbrachten,
welche zugleich Zauberer waren, und dais einige aus der besiegten
liasse in den Priesterorden aufgenommen worden sind, die dann die
Vorrechte der Sieger hatten. Der Priesterstand, der sich ge-
wöhnlich einer alteren Sprache bediente, als der sonst gebrftuchlichen,
behielt diese geheiligte Sprache bei und aberlieferte sie späteren
Nachkommen, wie die Nkimbisprache wurkllch eine Überlieferte ist,
und nur durch diese Annahme kann ich eine Antwort auf die Frage:
„woher kam diese fremde Sprache?^ finden.
üiebt es unter diesen Hassen noch weitere Zeichen der Unter-
werfung unter fremde Eroberer, als die Einiielitung der bevor-
zugten Klasse der Zinkimbi? Ich weis nur von einem: die Cere-
monie der Beschneidung, welcher sich die ganze nulnnliche Be-
völkerung ohne Ausnahme in allen hier besprochenen Gegenden
unterwirft. Ein sehr häufiger, aber nicht allgemeiner Brauch ist
auch (las Abbrechen und Ausschlagen Yon Zahnen (wie schon früher
erwähnt wurde), da dies aber .nur teilweise geschieht, so kann man
es nicht als ein allgemeines Zeichen der Abh&ngigkeit auffSusen.
Beschneidung und Verstümmelung im allgememen sind urqirQnglich
Zeichen der Unterordnung, Friedensbedingungen einem besiegten
Feinde gegenüber. Die Handlungea unzähliger Völker zeigen ur^
Digitized by Google
— 344 —
wie dies entstanden ist, da die umgekehrte Erscheinung, nämlich
beschnittene Eroberer und unbeschnittene Besiegte, sehr selten vor-
kommt. Dies ist also eine wahrscheinliche Bestätigung der auf-
gestellten Theorie, dafs der sociale Zustand ?on tiner höheren
Stufe zu der jetzigen herabgesonken ist
Es würde viel gründlicherer Forschung bedürfen, als ich sie
anzustellen vermochte, um zu. erklären, wamm das südliche Uüer
des Flusses und die untere Hälfte der kommerziellen Qegend am
nördlichen Ufer (die Insel Misorongo) Spuren eines Streitbarkeits-
zustandes aufweisen sollte, die man am Nordufer zwischen Ponta da
Lenha und Borna nicht tindet. Wollte ich auch eine Vermutung
aussprechen, so würde sie doch so unbestimmt sein, dafs nichts durch
die Darlegung derselben gewonnen wäre.
Wir müssen nun mit wenigen Worten erklären, auf welche
Weise Streitigkeiten aufserhalb des Stammes beigelegt werden. Es
ist schon erwähnt, dafs jede Stadt, gegenüber jeglicher Gewalt, die
Feinde ihr entgegensetzen möchten, unbezwingbar ist, daher es auch
selten zu offenen Kriegen kommt Ein Scharmützel zwischen be-
nachbarten Städten ist die Grenze offener Feindseligkeiten. Wenn
eine Stadt angegriffen oder einer ihrer Einwohner ungerecht be-
handelt worden ist, so wartet sie einen günstigen Zeitpunkt ab, wo
sie einen aus der feindlichen Stadt gefangen nehmen kann. Dies
geschieht desh.alb, um die andere Stadt zu einem ^Palaver" —
wie es genannt wird — zu zwingen; durch einfiufsreiche Manner
auf beiden Seiten wird dann bestimmt, was nun gesclieheu soll.
Wird die Stadt, welcher der Gefangene angehört, überführt, so wird
ihr eine Geldbufse auferlegt, und die Freundschaft ist wieder her-
gestellt, oft vermittelst Fetischen, die zur Bestätigung des Ver-
sprechens geklopft werden.
Ich will nun noch einiges über die Familienverhältnisse sagen.
Eine kleine Stadt besteht aus dem Haupt der Stadt, dessen Ver-
wandten, Untergebenen und Sklaven. Es herrscht oft Vielweiberei
in den Familien, jedenfolls bei den reicheren Eingeborenen, während
der hierdurch entstehende Mangel an weiblichen Personen in anderen
Gegenden durch Unzucht wieder ausi^eglichen wird. Diese wird
nicht als Schlechtigkeit und Sünde betrachtet, dagegen wird die
Untreue eines Weibes schwer verurteilt. Die Verwandtschafts-
verhältnisse sind oft bis zur Unentwirrbarkeit verwickelt, aber das
engste Band ist das zwischen einem Kinde und seiner Mutter
Bruder (von derselben Mutter). Die jetzigen und früheren Ver-
mischungen sind die Ursache dieser Einriditnng und hängen mit
einer Periode des Kriegsstandes zusammen, von welcher keine
üiyiiizea by Google
— 845 —
unmittelbaren Spnren znrückgreblieben sind. Den roilitftriscben Ge-
setzen müssen wir auch die Kxogaiiiie, d. i. die Sitte eine Fremde
zu beiraten, zurechnen, welches für einen Thronbewerber in Ngoyo
und Kakongo nötig war und auch von einigen anderen Würdenträgern
verlangt wurde. Der Standpunkt der Sklaven ist schon auseinander-
gesetzt und so erübrigt nur noch von den Untergebenen zu sagen,
dafs sie freie aber arme Leute sind, welche freiwillig oder um einer
Scbuld willen, sich an eine Stadt und somit an das Haupt der Stadt
halten, indem sie einen Teil dessen, ¥ras sie verdienen abgeben und
dagegen den Scbtftz der Stadt beanspruchen. Die auf diese Weise
gebildete Familie ist oft hinreichend für eine Stadt, obgleich es oft
viele Städte giebt, in denen mehrere Familien leben. Die Yerwandt-
sebaften sind oft nach vielen Richtungen hin verzweigt, da geschlecht-
licher Verkehr zwisdicn einem Mann und zwei Schwestern oder
Mutter und Tochter nicht gestattet ist; vielmehr würde eine solche
Heirat unter <lem socialen Verbot stehen. Die Frauen des Hauptes
einer Stadt stehen deshalb mit eben so viel Städten in verwandtschaft-
licher Beziehung als ihrer an der Zahl sind und so entsteht ein Netzwerk
von Verwandtschaften, das selbst den geduldigsten Genealogen verwirren
würde. Das Betragen der Familie eines Dorfhauptlings ist gewöhn-
lich sehr gesetzt und höflich, die Untergebenen und SkUven haben
mehr freien Willen, und viele BevrflUgungen seitens des Häuptlings
sind bei öffentlichen und Privatangelegenheiten nötig. Die gegen-
seitigen Interessen, die durch die Wechselheuraten der Glieder ver-
schiedener Stftdte entstehen, rufen oft starke Volksparteien ins
Leben, deren EinHufs die Häuptlinge oft nötigt, ihre eigenen Ent-
scheidungen geltend zu machen. Die schon seit vielen Jahren
verstorbenen Könige von Niroyo und Kakongo sind noch immer nicht
begraben worden oder wenigstens hat ihr „offizielles Begräbnis'* noch
nicht stattgefunden. Die Beerdigung des Leichnams eines Häuptlings
wird nicht immer als sein Begräbnis betrachtet; wenn es zu lange
dauern würde, bis man im stände wilre, ein hinreichend grofs-
artiges Begräbnis zu veranstalten, so wird der Leichnam ohne alle
Ceremonie begraben, und man bewahrt nur die Haar- und Nägel-
abschnitte als Kennzeichen der Person auf. Diese werden so lange
in Zeug eingewickelt, bis ein grofses BQndel daraus entsteht, und
die Beerdigung dieses Bflndels in einem Kasten von der Gröfse
eines Omnibusses ist das eigentliche offizielle Begräbnis.
Die Eingeborenen versammeln sich, um (km Begrabnisse eines
hervorragenden Mannes beizuwohnen, und jede Stadt mufs helfen,
den Sarg zn tragen oder zu zielien; Tanzfeste werden zu Ehren
des Verstorbeneu veranstaltet, Kanonen abgefeuert, Uum getrunken»
(teogr. Blitter, BrraMn IBM. 26
uiyiiiziüd by Google
— 346 —
mebrere Tage lan^, bis die Vorrate erschöpft sind. Als Ursacbe,
dafs jeoe beiden Könige nicht begraben worden sind, giebt mau
an, daTs niemand reich genug sei, das Begräbnis mit gebflhrender
Pracht zu geben; ich bin jedoch der Ansicht, dals keiner Last dazu
hat> eine so gftnzlich nutzlose Ausgabe, welche die Veranstaltung
dieser Begräbnisse erfordern wOrde, zu übernehmen und dafs folglieh
ihre Majestäten noch für nnheslimuibare Zeit unbegraben bleibea
werden.
Die abnehnieutie Achtung vor cerenioniösen Vorschriften, die
sich so in aufsergewöhnlichen Fällen zcii;t, stimmt im all^n»nieiiien
mit der allmählichen Abnahme des Kriegsstandcs und dem /unehmeu
gewerblicher Th&tigkeiten überein, es sind nur wenige bemerkens-
werte Ceremonien vorhanden, welche kriegerische Stamme besonders
charakterisieren.
In Kunst und Fertigkeiten werden bemerkenswerte Fortschritte
gemacht, obgleich nur wenige lesen können (vielleicht nicht mehr
als zehn Cabindas im ganzen und von den anderen Stammen kein
einziger). Doch finden wir, dafe Eingeborene es unternehmen,
Schuner von zwanzig Tonnen zubauen; einige Eingeborene betiudon
sich als Matrosen au llord der Handelsschiffe, andere können eine
Seereise von beträchtlicher Entfernung unternehmen. Tischler liefern
gute Arbeit, Schneider sind im btaude, einen leidlich sitzenden
Anzug zu verfertigen u. a.
Wahrend der letzten zwei Jahre haben civilisierte Nationen
viel Eifer gezeigt, die Herrschaft über einige Teile des hier be-
sprochenen Landes zu erhalten, es ist daher von Wichtigkeit zu
erforschen, welche Resultate man erzielen würde, wenn man versuchen
wollte, die Einrichtungen der Eingeborenen umzustürzen und die
Einwohner civilisierten Gesetzen zu unterwerfen. Wenn wir nns
nach den Ergebnissen eines solchen Vorgehens in der benachbarten
portugiesischen Provinz Angola und in der französischen Provinz
Gabun umsehen, finden wir Grund zu schliefsen, dafs eine solche
Veränderung nicht wünschenswert sei ; der Reichtum, die Betrieb-
samkeit, die Zahl der Bevölkerung niniiut ziiMlieuds ab: geistige
Fortschritte sind, wenn überliaupt, nur wenig sichtbar, und die
Hindernisse im Handel vermehren die Arbeit, welche sonst für eine
bestimmte Einnahme genügte, aufserordentlich.
Die Besitznahme von Land dtirch eine civilisierte Macht kann
entweder nominell oder effektiv sein. Ich habe zufallig den Punkt
nomineller Besitznahme berührt und mochte erwähnen, dafs ein
grofser Teil von Angola in dieser Weise besessen wird. Es läfst
sich schwer einsehen, in wiefern dies von Nutzen sein kann, da die
uiyiiized by Google
— 347 —
Folge nur ist, dafs Steuern gezahlt werden müssen und kein Vorteil
dagegen erlangt wird; ich wüfste nicht ein einziges Argument, das
je 2ur Verteidigung eines solchen Systems aa{gestellt worden wäre.
Ich glaube, dafo jeder, der sich der Hindernisse der Unterwerfung,
die ich aagegeben habe, erinnert, mit mir übereinstimmen wird, daCs
in den meisten Teilen dieses Landes Besitznahme nnr dem Namen
nach eintreten konnte; diese aber würde weder den Eingeborenen
noch den Eoropifirn von Nutzen sein, da der Handel und der Preis
der Waren mit nutzlosen Stenern belastet werden würden. Wenn
nominelle Besitznahme schon nachteilig wftre, so würde wirkliche
Besitznahme mch viel schlimmer sein. Den Eingeborenen die Sicher-
heit einer guten Leitung zu nehmen, welche sie besitzen, und welche
ihrem Standpunkt eigentümlich ist und statt dessen andere Garantien
aufzustellen, welche, da sie unbekannt und ungesetzlich sind (wenn
sie nicht auch zugleich in Widerspruch mit den Begriffen des Wilden
aber richtige Regierung) keinen guten Erfolg erzielen wftrden: den
Eingeborenen diese wirkliche Sicherheit zu ndunen und an die Stelle
derselben trflgerisehe Versprechungen zu setzen, würde die Wilden
ndtigen, sich m andere Gegenden zurflckzuziehen, wie das ja oft der
Fall ist, wo dvilisierte Bassen die Obergewalt in Anspruch nehmen.
Diejenigen Eingeborenen wiederum, die sich entschldfeen zu bleiben,
die fremden Verhältnisse zu bekämpfen, ihre Verstandeskräfte in
unp^ewohuter Weise anzustrengen, würden unter diesen ungewohnten
Verhältnissen sehr leiden, wie es Beispiele aus der Biologie und
Geschichte uns zeigen; sie werden unfruchtbar und die Rasse stirbt
aus. Man lese nur das Kapitel über das Aussterben der Rassen in
Darwins „Die Abstammung des Menschen'' („Descent of man"), und
man wird diese Angaben bestätigt finden. Wenn noch mehr Beweise
ndtig sein sollten, so werden diese in dem Kapitel betitelt „Laws
of Multiplication* (»Gesetze der Vermehrung") in Herbert Spencers
»Biology* Band n. geliefert. Diese Betrachtungen rufen in dem
Leser die Überzeugung hervor, dafo diese Dinge nicht nur so sind,
sondern, dafs sie so sein müssen. Die Bedingungen, weldie zur
Wohlfahrt einer wilden Rasse nötig, sind wirklich so begrenzt, dafs
wir wohl fragen können, ob der Verkehr mit europäischen Handels-
häusern in ihrer Mitte die geistigen Kräfte nicht so sehr belastet,
dafs er auf ihre Reproduktionskratt nachteilig einwirkt. Viele ältere
Küstenbewohner unter uns behaupten, dafs die Bevölkerung der Ein-
geborenen sichtlich abnehme. Aber es ist die Frage, ob dieses nicht
von der venninderten Einführung von Sklaven aus dem Inneni
w&hrend der letzten achtzehn Jahre herrührt. Die Frage kann als
eine allgemeine bezeichnet werden; jedenfalls Ändert aber leider eine
86^
üiyiiizea by Google
— 848 —
Erörterung derselben nicbts daran; wenn die Krankheit wirklich
vorhanden ist, so giebt es kein Mittel dagegen.
Wir haben guten Grund zu befürcliten, dals die Ansprüche der
Herrschaft seitens Portugals, Frankreichs und der ^internationalen
Gesellschaft" auf trügerische Verträge gegründet sind; wir wissen,
dals nur Furcht vor der Gewalt die eingeborenen Häuptlinge und die
Bevdlkerung dazu bewegen würde, Fremde als Oberherrscher anzu-
erkennen. Wir haben die Könige von Borna kürzlich öffenUich yer-
sichem hören, dafs sie Yon dem »Belgischen Hause" getauscht und
dasu verleitet worden seien, gewisse Bedingungen anzunehmen, von
denen sie nachher erfuhren, dals dieselben sie ihrer Herrschafi zu
Onnsien der intematioiialen Oesellschaft beraubten. Weder vrir Euro-
päer noch die Eingeborenen glauben, dafs irgend welche Regierungs-
Ijücinite unsere Bedürfnisse verstehen, wie wir selbst sie verstehen,
auch können wir auf die Aussicht auf Inanspruchnahme der politi-
schen Macht, die wir jetzt behaupten, nur mit Widerwillen hinsehen;
wenn irgend jemand auf den Anteil von Macht, den wir besitzen,
neidisch ist, so kann ihm leicht unter denselben Bediuguugen dieselbe
Macht gewahrt werden.
Folgendes ist die Deklaratk>n der Häuptlinge dieser Gegend,
als vor einiger Zeit der Agent des ^Belgischen Hauses^, der die
Bomakdnige hintergangen hatte, den Versuch machte, hier ein Hans
zu ernchten, als Einleitung zu ein» gleichen Betrüge, wie ich zu
glauben Ursache habe: ^Wir erkennen, nicht nur als unsem Willen,
sondern als das Gesetz des Landes an, dafs unsere Kronen nicht auf
Fremde übertragen werden können ; dals unsere Nachkommen zu-
künftige Rechte haben, welche umzustürzen wir keine gesetzliche
Macht besitzen; und keine Verträge können als gültig anerkannt
werden, welche Anspruch darauf machen, unsere Herrschaft von uns
zu erkaufen oder höhere Gewalt über uns zu setzen.
„Das liecht der Beratung ist den in unserem Ge])iete lebenden
Europäern in allen sie selbst betreffenden Fragen bewilligt und ihre
Meinungen und Forderungen werden ebensosehr berücksichtigt, wie
die der Einflulsreichsten unserer Rasse, indem kein Haus mehr Vor-
rechte hat, als die anderen und diese althergebrachte Sitte bestätigen
wir aufs nene, indem wir das Recht zurückweisen, irgend welcheo
Europäern höhere Privilegien einzuräumen, als die, welche alle in
nnserm Gebiete ansäfsigeu Europäer besitzen. Sollten dennoch Fremde
versuchen, sich unsere Unwissenheit im Lesen oder sonst etwas zu
nutze zu machen und in Vertrage mit uns andere derartige aus-
schliefsliche Rechte aufzunehmen, so erklilren wir solche Vertxäge
ab null und nichtig und den Gesetzen des Landes zuwider.''
uiyuizod by Google
— 349
Es kann keine hilli;4en' und offenere Kiklüruiig als diese geben.
Wie sind die Emgeboreneu in anderen Gegenden behandelt worden?
In lioango erlangten die französischen Behörden Gmnd und
Boden, wie gesagt wurde, für eine Station der £xpedition von de
Brazsft. Zwei Monate spftter fahrten sie Krieg gegen die Eingeborenen,
brannten ihre Stftdte nieder und nahmen solort die ganze Kflste
Ton Ponta Negra bis Kwiln in Besitz. In Kwilu fa&te die ninter-
nationale Gesellschaft^ als Privathaus Fufs nnd erld&rte sogleich
ihre Oberherrschaft. In Landana benachrichtigte der portugiesische
Kommandeur Capello die Häuptlinge, dafs sie, um Besitznahme
seitens der Franzosen zu verhindern, ein Dokument unterschreiben
mttfsten, weh-hes er absichtlich falsch erklärte. Dieses Dokument,
das von einem Manne für so viele abwesende Häuptlinge, für andere,
die jetzt schon längst tot sind, und von einigen untergeordneten
Mannern unterzeichnet wurde, wird jetzt als ein Vertrag ausgegeben,
der die Herrschaft an Portugal überliefert. In dieser Weise werden
die Eingeborenen ihres Landes beraubt, und ich fftrchte, dafo
England zu viele KolonisationssOnden auf dem Gewissen hat, um
Einspruch erheben zu kOnnen. Ich mOchte fost die Hoffiiung
aussprechen, daTs Deutschland, das keines solcher ünthaten ÜberfEIhrt
werden kann, von einigem Nutzen sein könnte, diesen Plündereien
(Räubereien) Einhalt zu thun.
liiefse es sich beweisen, dafs Vorteil daraus erwachsen könnte,
wenn die eingeborenen Kassen verdr.'ingt würden, so verlören diese
Bemerkungen an Wichtigkeit, wäre das Land kolonisationsfähig wie
Nordamerika, Neuseeland oder Australien, so würde meine Behaup-
tung schwer aufrecht zu erhalten sein. Aber alle, die dieses Land
kennen, stimmen darin aberein, dafo nicht die geringste Aussicht
fOr weiCse Ansiedler vorhanden ist, den Platz der Eingeborenen einzu-
nehmen; das ungesunde Elima macht den Ackerbau und viel Handarbeit
für weiCse Rassen unmöglich, wenn Afrika, oder Äquatorialafrika nicht
für die Afrikaner ist, so ist es für niemand. Bas Interesse des ganzen
Landes beruht auf den IJediiigiin^en, die dazu nötig sind, eine fleifsige,
volkreiche, gutgesinnte eingeborene Rasse zu schützen und auf einer
Anzahl von verständigen, klugen Handelsleuten in ihrer Mitte, mit
etwas Missionsgeist in sich, einer gerechten Schätzung des Verdienstes
und von dem Wunsche beseelt, solcher keimenden Civilisation, wie
sie die Natur des Eingeborenen fähig ist, leichtes Spiel zu gewähren.
Es mag sein, dafs die Natur des Negers und seiner Umgebung
eine entwickelte Civilisation nicht zulassen; vielleicht wird dieses auch
fernerhin ein Gebiet sein, das für eine viel grdfeere Entwickelung,
als wir sie jetzt schon sehen, nicht passend ist, obgleich, nadi den
uiyiü^uCi Oy Google
— 360
1
bisherigea Fortschiitten zu urteilen, wir kein Recht haben anzn-
nehmen, dafs diese Grenze schon in Sicht sei
Aber keine Prophezeihung ist sicherer, als die liehauptuiifj,
dafs dieses Land nutzlos werden wird, sobald es in die Hände
fremder Mächte fällt, die den ge^enwärtij^en wilden Besitzern in
der Civilisation weit voraus sind. Iliei für giebt es noch eine andere
Verallgemeinuug der Lehre der Sociologie : dafs zn grofse Ungleich-
heit zwischen hereinbrechenden Gemeinschaften und denen, die sie
unterwerfen, für die letzteren nachteiliger ist, und je barbarischer
diese sind, desto unzulässiger ist Verschiedenheit Wir haben hier
eine Parallele zu der biologischen Wahrheit, daCs Kreuzung von
Varietäten nntzenbringend sind, wenn solche einander nahe stehen,
aber die Wirkung wird bald die umgekehrte sein, wenn statt der
Varietäten Gattungen gekreuzt werden, da nun Fruchtbarkeit «ne
Ausnahme ist, und wenn der Versuch mit fremden Geschlechtern,
Familien oder Klassen augestellt wird, so ist das Ergebnis unfrucht-
bar, da keine Nachkommenschaft erzeugt wird.
Gerin^'e Modifikationen langsam auf einander folgen zu la.^sen,
allmähliche Kiitwickelun^, ist die einzii^e wirkliche Methode socialer
Verbesserung; durch plötzliche Wendungen ist noch nie die Civili-
sation einer Nation gelungen.
Wenn die Geographie sich zur Sociologie. erhoben hat, so ist
ihre Aufgabe gelöst, und in der Hoffnung, zn diesem Zwecke etwas
beigetragen zu haben, flbersende ich der geographischen Gesellschaft
zu Bremen diese Au&eichnnngen.
B. C. PhilUps.
Digitized by Google
— 351 —
Die Uferianitechaften des argentinischen Cliaco.
Von A. von Seelstran; in Cdrdoba.
Ktickbliek auf die frühere Kolonhatfon der La Plata-Llnder. Der Chaeo. Die
Bann^o-DftmprscbiAihrtBgeBenBehMft. Die FlUsse im Chaco, ein Hindernis der Civili-
sation. Der ]*:irrtfj:iiay niul seine Ufer. !>er Parani. Die Tosca. Bildanfi^ von Inseln.
Waldläufer und FalleutiteUer. Auasenduiig eiuer Forachungsexpeditioa nach dou üfur-
landeebaflaa des ClMeo im Jahre 1875. Ooya. Der Dampfer «Lairila*. Tierleben am
l'fer dr- San Gerunimo. IJeconquista. Ik-r Kio \t'}^r<i San Fernaiulo. Dil' Otirajo»
und die Indianer. Expedition zum Uermejo. Kapitän Polvurlui. Personal der Kxpe-
ditton. Daa Schlachtfeld von Curupaitt. Die MBndnng des Bennejo in den Paraguay.
SfcromverhlUniBae. Die raigonos. Uferlandscbaft. Ein Vucnro. Die Mosltitoqnal.
ZusamracntrefTen mit Tobas-lndianern. Ein nordamerikanischer Kapitän. Fischfang
der Indiaoer. Die Wuiterreise stromaufvrärtJi wegen zu Diedrigou WaaeerstaudcB od-
mSgUeh. Ein Beeneh in einem Tobaador£ ZnrHek snm Paraguay. Beeogaoeeiemnga-
fahrt zum Flufsarm Atajo. Nune Reise in den Cliaco. Eine Holzhaiierkolonie.* Die
Tres BocsH. .Ti»ger. Ritt durch die Picada. Nächtliclic.i Zeltlager. Ein Weisser als
iudianiäcber kaiike Allgemeineb Uber den Chaco: WasserverhftUniaae, Boden,
Pllanzen- und Tierwelt KUms. Anaeiehten flir Koloniaatioa nach ErsdiVpAing
«ies Waldes.
Die Geschichte der La Plata-Lander bietet eine Beihe von
)i(M»b8t anfiUligen Erscheinungen, deren Erklfirung erst durch em-'
gehenderes Studium ihrer Entwickeliing möglich wird, wfihrend
sie zugleich eigentamliche Streiflichter auf die Triebfedern der ur-
sprünglichen Kolonisation sowie auf die spanische Staatskiinst im allge-
meinen wirft. So sehen wir zinn Heispiel das eben gegründete Buenos-
Aires, an der Mündung des ganzen Stromnetzes so günstig als
möglich gelegen, nacli wenigen Jahren verlassen und den Schwerpunkt
der spanischen Macht 175 deutsche Meilen tiufsaufwarts nach
dem binnenlandischen Asuncion del Paraguay (1536) verlegt. Und
von dort aus drängt dann später die Civilisation, rQcklAufig werdend,
wieder nach Santa und Buoios-Aires, spart aber das unmittelbar
an Paraguay stofsende Gorrientes für andere Zeitidn auf. Ja, Monte-
video mit seinem herrlichen Hafen und dem direkten Seeverkehr
nach Europa wird sogar erst 1726 gegründet. — So dringt die
Bevölkerung der Cuyo-Proviuzen, also San Luis, Mendoza und San
Juan, nicht etwa der allgemeinen Richtung der Kinwanderung
geiuäls von Osten über die otTenen Flächen der Pampa vor, sondern
übersteigt die eisige Kordillere von Chile aus, wohin sie ihren Weg
über den Isthmus von Panama genommen hat. So werden die
nördlichen und mittleren Proviuzen Argentiniens, Saita, Jujuy,
Tucuman, Santiago, Cördoba u. a. sogar von Peru aus erobert und
bevölkert und in dem denkwürdigen Rincon de Santi Spiritu, an der
Mündung desCarcaraili in den Parani, stofsen die von den bolivischen
Hochebenen herabgestiegeneu Scharen Cabreras, des GrUnders von
Cdrdoba, auf die Schiffe Garays, der von Paraguay aus den unteren
Digitizeo Ly ^o«gle
352 —
Lauf des Stromes okkupiert (1579), beide bereit, das Schwert über
ihre Krclite eiitsohei<leii zu lassen. — Und selbst als später auch
das nahe ^^elegene Corrientes von Asuncion ans geirrüiuiet war (1588)
und damit die spanischen Besitzungen sicli iniunterbrocheu das liuke
Ufer des Paran4 entlang erstreckten, blieb doch eine ansehnliche
Lücke auf dessen westlicher Seite und sogar am rechten Ufer des
Paraguay unmittelbar gegenüber der Hauptstadt der ganzen La
Plata-Länder unerforscht und unerobert. Das ungeheure Flachland,
welches sich westlich vom Paraguay und Parani bis zum Fufse
der Hochebenen von Argentinien und Bolivien ausdehnt, und südlich
durch den unteren Lauf des Salado sowie den Arrogo del Hey begrenzt
wird, walireiul es sich nordwärts im tropischen Urwald verliert, —
dies gewaltige Gebiet, welches mit dem Namen el Chaco bezeichnet
wird, ist bis jetzt noch im Besitz der kriegerischen Urbewohuer
geblieben, trotzdem es schon seit Jahrhunderten auf drei Seiten von
der spanischen Civilisation umklammert wird. Zwar wurde einmal
der Versuch gemacht eine Stadt Concepcion del Bermejo am unteren
Laufe dieses Flusses zu gründen; doch mufste dieselbe bald wegen
der drohenden Haltung der Indianer wieder aufgegeben werden
(1630), und bei der zunehmenden Schw&che der Koloniahregierung
nimmt es eigentlich wunder, daüs es den Jesuiten gelang, wenigstens
einen allerdings gefahrvollen Weg o£Fen zu halten, der von ihrer
Mission San Gerdnimo del Rey unter 29® 7' sOdl. Br. am rechten
Ufer des Parana entlang direkt nach Asunciou führte und welchen
wir auf den Karten aus dem 18. Jahrhundert verzeichnet finden.
Nach der Vertreibung dieses Ordens geriet natürlich jene Strafse
in Vergessenheit, und das Schweigen der Wildnis deckte von neuem
die geheimnisvollen Regionen des Chaco.
Erst in den neuesten Zeiten, d. h. seit der Konsolidierung der
argentinischen Bepublik, hat sich die öffentliche Aufmerksamkeit wieder
dem verschlossenen Chaco zugewendet Eine Gesellschaft erhielt das
Privileg der Schiffahrt auf dem Bermejo, und sendet periodisch flach-
gehende Dampfer den vielgewundenen Strom hinauf bis zur Kolonie
Rivadavia an der Grenze der Provinz Salta, und an dem Ostnfer
selbst haben nicht nur eine Anzahl von Holzschlägem und Hftndlem
ihre oft bedeutenden Ansiedelungen errichtet, sondern in den letzten
Jahren sind auch verschicdeue Kolonien dort gescbaft'en worden, und
gehen einer blübenden Zukunft entgegen. Aufserdem ist der argen-
tinische Teil des Gebietes, vom Rio Pilcomayo südlich, als Territorium
in den Staatenverband der Re])ublik eingereiht worden, und aus
seiner jungen Hauptstadt, Formosa am Paraguay, sind schon oft
siegreidie Expeditionen bis in das Herz des Landes vorgedrungen,
Digitized by Google
363
erfolgreich unterstützt von den Truiipen, welche die Nordgreose von
Santa gegen die Indianer beschützen.
Ti'ützdeiii ist der Schleier noch lange niclit gelüftet, welcher
über dem Chaco lagert; noch vor zwei Jahren erhielt dort, an den
Ufern des oberen Pilcomayo, der französische Forscher Creveaux den
Tod von den Händen der wilden Tobas, und wenn auch soeben eine
bolivianische Expedition diesen selben Flufs bis zum Paraguay
verfolgt hat, so sind deren Resultate doch höchst gering, da ihr
Tagebuch bei Gelegenheit eines Gefechtes mit den Indianern verloren
ging, somit nur das nicht Neue konstatiert worden ist, dalls ein
Landweg von Paraguay nach Bolivien überhaupt möglich sei.
Natürlich dürfte es nicht schwer halten, mit einer besser geführten,
wissenschaftlich geleiteten Expedition wenigstens den argentinischen
Chftco zu erforschen und seine Hülfequellen und Erzeugnisse bdonnt
zu machen ; aber der eigentliche Grund jeuer Anomalie, der
Existenz eines grofsen, fruchtbaren Landstriches, an welchem die
moder:ie Kultur sclieinbar achtlos vorübergeschritten ist, wird dadurch
weder erklart noch beseitigt. Derselbe besteht in der Schwierigkeit,
von den grofsen, schiffbaren Strömen Paraguay und Paranä aus die
bewohnbaren Striche des Chaco zu erreichen. Diese Flüsse,
sonst die Hauptträger der vordringenden Ansiedktngt büden hier deren
vormigUiMes Hindemis.
Der Bio Paraguay zuförderst flielst in seinem unteren Laufe
mit sanfter Strömung, die oft nur eine Seemeile in der Stunde
betragt, zwischen m&fsig hohen Ufern dahm, welche zum Teil
wenigstens bei seinen Anschwelhingen überflutet werden und eigentlich
nur eine Art von Dämmen bilden zwischen dem Fhilse selbst und
ausgedehnten, feuchten Niederungen, die sich viele Meilen breit zu
beiden Seiten an demselben hinziehen. Nur wenig über dem Nieder-
wasser erhoben und von unzähligen Seen und Kanälen durchzogen,
füllen sich diese Mai schen beim Anschwellen des Flusses und entleeren
»ich dann langsam wieder durch eine Reihe von natürlichen Schleusen,
welche die Strömung in die Uferrander gerissen hat. So ist denn
der Anblicli einer lieblichen Waldlandschaft, welchen die Ufer des
Paraguay gewähren, nur eine Täuschung. Diese stattliche Vegetation
nftmlich bildet gleichsam einen mehr oder minder breiten Vorhang,
welcher die dahintergelegeuen ausgedehnten Snmpflftnder verhüllt.
Die letzteren aber sind mit grobem hohem Grase und hohem Röliricht
bedeckt, zwischen dein überall Wasserlachen hervorleuchten, wäiuend
die höheren Stellen von dicht verwachsenen Gruppen feuchtigkeit-
liebender Bäume eingenommen werden. Unzähliges Geflügel tunnnelt -
sich auf den Xeicheu, der Tiger jagt .dos scheue Carpiacho oder den
Digitized by Google
— 354
Sompfhirsch in den Dickichten, und dichte Wolken von Moskitos
ernpÜRngen den Eindringling. Wahrlich kein Land, welches besonders
zmn Weilen einladet! So zog denn auch der Adelantado Ayola vor,
seine Stadt Asnndon 40 deutsche Mellen oberhalb der Mündung
des Flusses anzulegen, wo die Hügelkette des Cerro Larnbar^ dicht
an das Ufer herantretend, wirklich den ersten zur Besiedeluiii: ge-
eigneten Punkt darbot. Doch gerade gegenüber, auf der Chai oscite,
befindet sich das Delta des Pilconiayo und weiter abwärts die
Mündung desBerioejo, welche Hunderte von Quadratmeilen periodisch
unter Wasser setzen, so dals selbst in der unmittelbaren Nähe der
Hauptstadt die Besiedelung des rechten Ufers stets wegen der
Bodenverhältnisse selbst illusorisch blieb, gans abgesehen von den
kriegerischen Tobas, welche ihr Land weit energischer verteidigten,
als die sanften Quarani's auf der Paraguayseite. Auch Jetzt noch
sind Stftdtchen wie Villa Hayes (das frflhere Villa Occidental) im
nördlichen Teile des Piloomayodeltas, und Formosa, der neue Sitz
der argentinischen Kegierungsbehördeu, nur Sch()i)fungen politischer
Natur, und dürften schwerlich jemals liedeutung erlangen, da ihnen
das zur Entwickelung nötige Hinterland fehlt.
In ganz anderer Weise, dtu h mit dom>elben Erfolge, hat der
Rio Paranä auf die Küste des Chaco eingewirkt: wjihrend dort die
sumpfigen Niederungen hinter den Uferdammen beginnen und sich
tief ins Land hineinziehen, hat sich hier das Tiefland und ein unent-
wirrbares Chaos von Inaein vor die eigentlichen Uferhöhen gelagert
und erschwert das Vordringen zu denselben in gleichem Malae, sei
es zu Lande oder auf den labyrinthischen Kanälen. Der roftchtige
Strom, noch verstärkt durch den Zuflufs des Paraguay, wälzt seine
gewaltige Wassermasse mit ungleich gröfeerer Geschwindigkeit als
dieser (durchschnittlich 3 sm) unmittelbar am Fufse der üferhöhen
von Corrientes und Entrerios dahin. Da deren vergängliches Material,
die Tosca (Thon mit Mergel und Kalk gemischt), dem zerstörenden
Anprall seiner Wogen nicht widerstehen kann, hat er dieselbe zu
einer oft senkrechten Wand ausgewaschen, welclie sich manchmal
bis zu 30 m über ihm erhebt und in ermüdender Gleichtormigkeit
senken Lauf begleitet. Grofse herabgestürzte Blöcke der Tosca zeugen
von der Gewalt der Strömung und werden langsam zu Sand und
Schlamm gerieben, während zuweilen eine härtere, mehr kalkhaltige
Stelle dieser Barranca gleich einem Vorgebirge trotzig in den Strom
hineinragt, dessen Wellen mit grofser Gewalt an ihrem Fufse vorbei-
schiefsen. Alle diese Stoffe nun, sowie den groben Kies, welchen
der Paraua aus seinem oberen Laufe mitgebracht hat, lagert er in den
ruhigeren Gewässern der rechten Seite ab, stets neue Inseln und
Digitized by CjOOgle
— 36B —
Bftnke bildend, die er auch oft genug im wilden Spiel des Hoch-
wassers wieder zerstört, um sie weiter abwärts von neuem anzu-
häufen. In kurzer Zeit bedeckt eine ü{)})ige Vegetation die kaum
gebildete Bank, angeschwenmite Bauuibtänime wurzeln auf ihr, und
da jede fol^'ende Übertiutung grofserc Massen von Sedimenten zwi-
schen den Gräsern und Büschen zurücklai'st, bleibt das gefestigte
Land als Wahrzeichen für die Macht des Stromes. Auf diese Weise
sind die Tausende von gröfseren und kleineren Inseln entstanden,
weldie das rechte Ufer des Parana vor seiner Vereinigung mit dem
Paraguay bis hinab zur Mündung des Carcarami, 85 deutsche Meilen
weit, begleiten, und deren Breite so bedeutend ist, dafs die Hoch-
wasser oft eine Ausdehnung von 25—30 km zwischen den ÜferhOhen
^nehmen, wfthrend der Strom selbst bei seinem tieften Stande
immer noch in mindestens 1 — IVs km Breite dahinflielst.
Es ist begreiflich, wie unendlich dieses Inselgewirr die An-
näherung an das wirkliche Festland dtr rechten Seite erschwert;
denn aufser dem feuchten, sumpfigen Boden und dem dichten Ge-
strüpp bilden die zahlreichen Kanüle ebenso viele Hindernisse für
djis Vorwärt^dringen, sei es zu Fufs oder zu Pferde, und auf der andern
Seite tiiulet sich nm' selten ein Flulsarm, welcher auch grölseren
Fahrzeugen, neben kleinen Böten undKanoasden Durchgang gestattete,
wahrend derselbe häufig durch angeschwemmte Baumstamme oder
eine dichte Decke schwimmender Wasserpflanzen, der sogenannten
Gamalotes ganz gesperrt ist. Vom 29. Grade südwärts folgt wenig-
stens ein grdliserer Arm des Paranä dem westlichen Ufer und hat
die drei Jahrhunderte alte Besiedelung der ProviuE Santa ermdg-
liebt; doch von dort nach Norden, also am Ufer des eigentlichen
Chaco, fehlt ein solcher Seitenkanal, und dieser Unistand erklärt
vollständig die Vernachläfsigung, welche dem fruchtbaren und central
gelegenen Chaco nicht nur von den spanischen Eroberern, sondern
auch von den jet/i-ieu Argentinern zu Teil geworden ist. Bis vor
kurzem war diese ganze Ufergegend in den Händen der kriegerischen
Eingeborenen, die von der Jagd und dem Fischfange lebend, sich
zeitweise den Kolonien ?oh Santa F6 höchst unliebsam durch ihre
Baubeinüftlle bemerkbar machten. Die Inseln selbst aber waren und
sind noch jetzt Ton einer Menschenklasse bewohnt, welche die gröfet-
mdgliche Ähnlichkeit mit den Waldläufern und Fallenstellern der
nordamerikanischen Prarimi besitzt Es sind dies Weifee und Mestizen,
deren nicht unbedeutende Anzahl sich stets von neuem aus den
Deserteuren und Verbrecliern der umliegenden Provinzen rekrutiert,
obgleich wol einzelne nur der Neigung zum freien wenn auch harten
Leben der Wildnis folgeu mögen. Sie gewinnen ihren Unterhalt
Digitized by Google
— 366 —
teils durch Jagd und Fischfang, teils durch Handel mit dem ge-
schätzten Tacuararohr lud mit Schindeln aus Palmstftmmen, manch-
mal aber benutzen sie auch wol die Gelegenheit, einen sorglos an
der Inselkfiste ankernden Schoner zu plündern. Der verkohlte
Schiffsrumpf treibt irgendwo an den Strand; die geringe Mannsehaffc
ist verschwunden. Doch wer kennt die Thüter und wer ist im Stande,
ihnen in diesem Win;>al von Wasser und Sumpf zu folgen? So
blieb denn der Chaco öde und unbekannt, eine fremde Er-
hcheiuung unter den rastlos vorwärts strebenden Provinzen der
argentinischen Republik. Seine Sild- und Westgrenze war durch
eine Linie militärischer Posten scharf bewacht, und wenn auch
stolze Dampfer täglich ihren Weg seinem geheimnisvollen Ufer
entlang nach Gorhentes und Asuncion verfolgten, so mieden die
kleineren Segler doch vorsichtig das unbekannte nnd oft gefahr-
drohende Ufer.
Endlich, im Jahre 1875, beschlofs die Nationalregierung aach
auf diesem Gebiete kolonisierend vorzugehen, nnd mir ward der
Auftrag, als Chef einer Erlorsclmngsexpedition die Ufer des Chaco
zu studieren, die einzelnen Stromarme, welche zum Festlande führen,
aufzusuchen und günstig gelegene Punkte für Anlage von Kolonien
zu ermitteln. Als Kollege in der zu diesem Behüte ernannten Kom-
mission war mir der Kommandant der Nordgrenze gegen den Chaco,
Oberst Obligado, gegeben, und so lag mir denn zunächst ob, den-
selben in seinem Hauptquartier Reconquista aufzusuchen, um die
Details der Unternehmung zu besprechen.
Ich schiffte mich also Mitte September mit dem mir zugeteilten
Personal und den niMgen Instrumenten an Bord eines nach Asundon
bestimmten Dampfers ein und befand mich nach zweitägiger Fahrt
von Buenos-Aires in Goya, einer correntinischen Stadt, welche unter
29* 9' südl. Br. meinem nächsten Reiseziele grade gegenüber auf
dem linken Ufer des Paranä liegt. Das Wort (Joya ist die Ver-
stümmelung von Oregoria, dem Namen der einstigen Besitzerin
des ^errains, auf welchem im Anfang dieses Jahrhunderts die
Stadt gegründet wurde. Sehr vorteilhaft an einem Seitenarme
des Stromes gelegen, wurde dieselbe schnell der Haupthaudelsplatz
fttr das südliche Corrientes; doch ist ihr Hafen jetzt völlig versandet,
so daTs die Dampfer im Hauptstrome selbst ankern nnd der Ver-
kehr mit der Stadt durch Böte vermittelt wird. Trotz der durch
das Sinken des Handels verursachten Öde ist Goya unendlich an-
ziehend wegen des reichen Kranzes von Orangenbäumen, der es
umgiebt ja fast verhüllt, und da unsere Ankunft in den FrQhling
Digitized by Google
— 357 —
fiel, war die balsamische Luft gesell wiliigert mit süfseii Düften: ein
gefährliches Klima fUr träumerisch angelegte Naturen. Uns rifs
glücklicherweise schon am nächsten Tage die Ankunft der «Luisita'',
einer Dampfschaluppe, welche uns nach Reeonquista fahren sollte,
ans diesen G&rten der Hesperiden. Und so steuerten wir denn quer
über den Parani in den Riacho de San Gerönimo hinein, welcher
nach dem Landungsplatz von Reeonquista führt. Hier erst, wo die
Ufer naher an einander treten und vor der verheerenden Grewalt des
Hochwassers mehr geschützt sind, kann man die stattliche Bauin-
vegetation hewundern, welche die etwas höher gelegenen Riiiider der
Inseln schmückt. Da ragen der schlanke Timb(^ und der Lapacho
über dem Blattgewirr der Laureles und Canelones in den tiefl)lauen
Äther emi)nr, während Dickichte von stacheligem Bamburohr
(Tacuara) -die niedrigeren Stellen bedecken. Hier auch zeigt sich
ein reges Getümmel aller denkbaren Wasservögel, die muntern
Atten bevölkerten die Gipfel der Baume, Garpinchos (Wasserschweine)
stürzten sich beim Nahen des Dampfers in die bergende Flut, und
zahhreiche Yaear^ (Alligatoren) sonnten sich bewegangslos auf
den Schlammbanken des Ufers. Natürlich wurde sogleich ein scharfes
Feuer auf diese letzteren eröffnet und manche glOckliche Kugel
versandt; doch die Krone des Tages war ein Schufs, welcher das
Mitglied eines beweglichen Affen völkchens im Wipfel eines .sclilanken
Timbo erreichte. Wcahrend seine GefAhrten laut kreischend ent-
flohen, blieb das tötlich getroffene Tier in der Gabel eines Zweiges
hängen, welcher weit über das Wasser liinausragte. Der Danii)fer ver-
langsamte die Fahrt, und Panchito, ein wunderhübscher italienischer
Schiffsjunge mit hellblondem Lockenkopf, war schnell in dem ange-
hängten Kanoe, mit wenigen Ruderschlagen am Fufse des Baumes
und begann eifirig denselben zu ersteigen, um sich die seltene Beute
zu sichern. Schon war er dem Affen nahe, als dieser von der ge-
fOrchteten Waffe seiner Gattung Gebrauch machte. Wir sahen ihn
die Hand unter die Schwanzwnrzel stecken und dann auf das Ge-
sicht und die eiitblörste Brust des Knaben eine Materie schleudern,
welche wohl nicht zu den wohlriechenden geborte, jedesf.ills aber
^vie Feuer brannte; denn Panchito liefs sich mit lauten» Schrei direkt
von oben ins Wasser fallen und tauchte einige Male sehr energisch,
che er niedergeschlagen und unter schalleudem Gelächter zum Schilfe
zurückrudcrt^j.
Nach etwa vierstündiger Fahrt (die Distanz betrug 34 km wegen
der Windungen des Flusses) landeten wir bei dem Zollhause von
Beconquista, welches auf einer Insel gelegen, den schmalen hohen
Boden mit einer stattlichen Dampfsagemflhie teilt, und ritten
Digitized by Google
— 358 —
von dort noch fernere 10 km durch sumpfige Niederung bis zum
hochgelegenen Stadtchen, welches sich um das kleine Fort und die
Depdts des Hauptquartiers gruppiert An dieser Stelle erhob sich
vor 100 Jahren die Mission San Gerdoimo del Hey, von der noch
jetzt stattliche Orangenbftume Zeugnis geben, und mit Bezug hier-
auf legte ihr der Oberst Obligado den Namen Beconqnista (die
Wiedereroberte) bei, als die Militärgrenze bis zum Arrogo del Rey
vorgeschoben wurde. Noch standen die Häuser ziemlich vereinzelt an
den breit angelegten Strafsen ; doch gab es schon •^ut versehene Kram-
läden, ein bescheidenes Gasthaus und eine gut gehaltene Schule,
wahrend die Kapelle erst von mir in aller Eile projektiert und ab-
Ljesteckt wurde. Schon hatte sich eine treibende Ackerbaubevolkerung,
meistens Italiener, in der Nahe angesiedelt, eine Deligencia ver-
mittelte den Verkelu' über die südlicher gelegeneu Kolonien des
Ufers mit dem 40 deutsche Meilen entfernten Santa Fe,*) und die
verhältnismäfsig günstige Lage au einem schiflrijaren Arme des
Parana sichert dem Städtchen als einzigem Hafen für den ganzen
südlichen Chaco und wahrscheinlich auch als Ausgangspunkt einer
Eisenbahn nach Santiago del Estero, eine schöne Zukunft
Meine Abmachungen mit dem Coronel Obligado, sowie der
fernere Verlauf der Expedition und ihre unmittelbaren Folgen
geboren nicht in den Rahmen dieser Darstellung. Ich will mich
alsa darauf besdiränken, das merkwürdigste des während sechs-
monatlicher Kreuzfahrten Erlebten zu berichten, und damit ein Bild
von der Stellung zu geben, welche der CSiaeo im Kulturlebmi
Argentiniens einzunehmen berufen ist
Mein erster Ausflug von der Stadt Corriente< aus, welche die
Basis sämtlicher Operationen bildete, war nach dem ihr gegendber
belegenen San Fernando. Dasselbe bestand damals aus den Ge-
höften von sechs oder acht Holzhändlem, welche die nahen Waldungen
meistens mit Hülfe von halbzahmen Indianern vom Stamme der
Guaycurüs ausbeuteten. Die Fahrt ging zuerst über den hier 2 km
breiten Paranä nach der Landungsstelle der Barranqnera, welche seit .
Reconquista den ersten Hafen auf der Ohacoseite bildet und bei
ihrer ansehnlichen Tiefe (6—7 m bei Mittelwasser) sich jedenfalls
zu einem Hauptplatze für den zukünftigen Handel des Chaco heraus-
bilden wird, trotzdem sie noch den periodischen Überschwemmungen
ausgesetzt ist San Fernando ist von hier aus nur 7—8 km ent-
fernt, doch da der Rio Negro, an welchem es gelegen, augenblicklich
*) Jetst wird ein Tel^nph von Santa aas dorthin gelegt.
Digitized by Google
— 869 —
genügend Wasser auf seiner Barre hatte, (weiter liinauf ist er Uberall
2 — 3 in tief) zog ich diesen Weg vor und liels die „Luisita" den viel-
gevvundenen Flufs hinauf steuern. Derselbe entspringt in dem Flachlande
des Chaco selbst, wahrscheinlich aus einer Reihe von Seen und Sümpfeo,
wie s&mtlicbe anderen Bäche und Flüsse des Ufers; doch ist er bei
weitem der bedeutendste unter dieseo, da er mehr als 80 km vor
seiner Mündung schüBH^r sein soll, wenn auch die Expedition schon
auf der H&lfte dieser Strecke umkehren mufste, da eine dichte
Masse äuCserst zäher, fadenf6rmiger Wasserpflanzen die Schifb-
Bchraube vollständig unbrauchbar machte. Der Fluls ist zwischen
40 und 50 m breit und von prachtvollem Baumwuchs eingerahmt,
welcher jedoch, zumal auf dem Nordufer, nur einen schmalen Vor-
hang vor den schiltbedeckten Marschen bildet, die sich bis zum
Paraguay hin erslrecken. Nur an einer Stelle verbreitet sich dieser
nördliche L'icrsanm zu einer kleinen Fläche, weiche von der Kapelle
de San Buenaventura eingenommen wird. Noch vor wenigen Jahren
herrschte dort reges Leben, da jesuitische Missionäre den benach-
barten Stamm der Viletas bekehrt und zum sonntaglichen Kirchen-
besuch gebracht hatten; doch nahm letzterer nach der eigenen
Erklftmng der frommen Gemeinde ein plötzliches finde, als die
Vertettong von Hemden, Zwieback u. a. an sie eingestellt wurde.
Jetzt verfiült das Kirchlein, und die wenigen dazu gehörigen
Baulichkeiten sind mit Schlingpflanzen dicht aberwuchert.
Die Ansiedler von San Fernando hatten früher wol recht viel
Geld aus dem Schlagen und Versenden des Holzes gezogen; dies
be/eugtiii die wohnlich eingerichteten Ilauser, die weit von ein-
ander zerstreut unter schattigen Waldbäumeu lagen, jedes umzäunt
von starken und hohen Pallisaden. Auch waren ihre Vorrats-
kammern and Keller noch wohl versehen, wenigstens gehören leine
Konserven und Bordeauxweine, die mir vergesetzt wurden, nicht
grade zum Leben des Hinterwäldlers ; doch beklagten sie sich bitter
Aber die zunehmenden Schwierigkeiten des Geschäftes, welches die
vielfachen Gefahren ihres einsamen Lebens nicht mehr aufwiege.
Der Wald war nämlich schon derart seiner schönsten Baume be-
raubt, daTs die eigentlichen Obrajes, wo das Nutzholz geschlagen
wurde, oft 6 — 8 deutsche Meilen entfernt lagen, und ein grofser
Tark von Wagen und Zugochsen dazu gehörte, die Stämme bis
zuni Hafen zu schaffen. Die Gefahren freilich schufen die Herren
meistens sich selbst durch Übervorteilung*) und schlechte Behandlung
♦) So wurde iii meiner Oo<^enwart ein indianischer Kurreufübrer mit
1 Peso ^ 4 Ji. für ein verloinos Zündhütclicii belastet. Die Leute erhalten
lAinlich für ihre gcfülirUclien Falirten nach den fernen Arbeiti>plätxen Gewehr
und Muiitioii geliefert, welehe «ie bei der Bflckkebr wieder abliefern mflsaen*
Digitized by Google
— 360 —
ihrer gröfstcnteils indianisclieu Arbeiter. War dann durch irgend
eine Brutalität das Mafs der Geduld erschöpft, so zogen letztere
sich stillschweigend nnt Weib und Kind ans den Lagern (tolderia>)
zurück, welche sie neben den Gehöften bewohnten ; und dies galt
als ein derartig sicheres Zeichen eines Angriffes im nächsten Xeu-
inoDd, dafs auf der Stelle aus dem beuachbarten Corricntes Milit&r
requiriert wurde. Jedenfalls aber war dann die Arbeit für lange
Zeit unterbrochen und oft genug bofote die Gemeinde die Schuld
des einzelnen durch den Verlust ^eler Zagochsen, manchmal wohl
auch durch den Tod eines ihrer Glieder. Unter solchen Umständen
wurde die Vermessung einer Kolonie, welche ich dort anordnete,
mit Jubel begrafst: versprach doch das Zuströmen von Ansiedlem
vielleicht bessere, wenn auch nicht so billige Arbeiter, und macht«
sie jedenfalls den Angriffen der Indianer ein Ende. Augenblicklii h
besteht in Resistencia, wie die Kolonie getauft wurde wegen des
langen Widerstandes gegen die Einfalle der Guaycurüs, ein StAdt-
chen mit Kirche, 8duile und etwa 80) Familien, meistenteils
italienisclier Abkunft , welche in dem nahen Corricntes einen be-
quemen Markt für ihre Erzeugnisse finden. Die Obrajiros aber,
soweit sie nicht auch zum Ackerbau gegriffen habe», sind weiter
gezogen, um an den Ufern des Paraguay ihr gefüthrliches Handwerk
fort zn treiben.
Während die Vermessung der Kolonie vor sich ging, beschloß
ich, das Ufer des Rio Paraguay zn rekognoszieren und den Bermejo
so weit hinaufzufahren, als der Tiefgang meines kleinen Dampfer;«
(1,30 m) erlauben würde. Doch zuförderst einige Worte über dieses
Kriegsfahrzeug der argentinischen Marine: es mafs ungefähr 15 ni
vom Bug zum Heck, bei 4 m Breite und enthielt aufser der ziem-
lich schadhaften \faschine eine kleine Kajüte mit Platz zum Scldafeu
für vier Personen und einen unglaublich engen Raum für die Mann-
schaft. Letztere bestand aus zwei Matrosen, zwei Heizern und dem
schon erw&hnten Panchito als Schifisjungen. Der Kapit&n selbst,
ein kleiner wetterharter Italiener, Namens Polvorini, hatte ein be-
wegtes Leben hinter sich. Gleich beim Beginn des Paraguaykrieges
war er in Kriegsgefangenschaft geraten und erst nach zwei
Jahren anf Ansuchen des italienischen Geschäftsträgers in Asun-
cion mit vielen anderen Landsleuten mit einem Kanonenboote
direkt nach seiner schönen Heimat gesandt worden. Doch Polvorini
hatte eine junge Frau in Buenos-Aires zurückgelassen und wenig
Interesse an der untreiwilligen Reise nach Kuroi>a. So schwannu
er denn in Montevideo ans Land, kam nach Buenos-Aires zurück
uud faud, wie schon »o mancher Verscholleue, das treue Gemahl
Digitized by Google
361 —
als let'litim'lfsigo (Tattiu seines besten Freundes. Docli, Söhne des
]Sl Jahrhmiderts und tüchtige Gcniiesen, schlichteten die Kivalen
ihre Streitfrage auf L(ütlichcni Wege. Der Ka])itän erhielt seine
Frau zurück und 10 000 Papierthaler (1600 M.) als Schadenersatz,
und lebt zufrieden mit ihr auf seiner Station in Ooya, wo ich später
Gelegenheit hatte, sie kennen zu lernen. Nur zuckte es eigentQmlich
durch die verwetterten Zflge des kleinen Mannes, als er mir seine
Abenteuer anvertraute.
Dies also war der Kommandant meines kleinen Fahrzeuges.
Als kriegerische Begleitung aber Terfftgte ich über sechs Linien-
soldaten, die mit ihren roten Mützen h^hst imposant aussahen,
aber bei ihren geringen nautischen Kenntnissen das Schiffchen oft
in arge Scli wankungen brachten.
Endlich war alles in Ordnung, der Proviant für 14 Tage
gebührend verstaut und am 5. Oktober schiflTten wir uns ein, mein
Freund Dr. Katzenstein vom Nationalkolleg in Corrientes,
mein Acyutant und ich, und dampften fröhlich den stolzen Paranä
aulw&rts. Vorbei ging es an den malerischen Inseln Medio und
Mesa, und nach wenigen Stunden bogen wir in den Paraguay ein,
wo die Schanzen des Cerrito, damals noch von den Brasilianern
besetzt, den FluDs beherrschten und ein stattliches Panzerschiff die
grüngelbe*) Flagge des Kaiserreiches zeigte.
Anmutig strömt der Rio Paraguay zwischen niedrigen Ufern
dahin; die stolze liarranca des Parana ist verschwunden und nur
selten erhebt sich das Gelände zu mehr als 5 — 6 m über deren
Wasserspiegel. Dagegen gestattet die geringere Breite des Flusses
f3 — 400 m) den prachtvollen Baumwnchs zu bewundern, welcher
fast durchgängig den Strom begleitet, und das Auge erquickt sich
an dem tiefen, üppigen Grün seiner Blätter und den stattlichen
St&mmen, welche daraits hervorragen. Die Strömung ist übrigens
stellenweise so schwach, dafs wir das gewiiis seltene Schauspiel
hatten, eine beUdene Kanoa stromaufwärts fahren zu sehen unter
dem Drucke eines buschigen Baumzweiges, welchen der findige
Indianer statt Segel aufgestellt hatte.
Die erste Nacht verbrachten wir friedlich genug unter unseren
Moskitonetzen auf dem blutgetränkten Strande von Curnpaitl, dessen
jetzt fast der Krde gleiche Yerschnnzungen so lange Zeit den Angriffen
der Argeutiner uuil Brasilianer widerstanden haben. Am folgenden
Moriren ])assierton wir die Re<te der durch denselben unheilvollen
Krieg so berühmten Festung üumaitä. Ein Bhck auf das ungeheure
*) Di« Deatftch-Bmsüianer Tergleiclien dieeelbe retpektwidrig genug mit
einem Eidotter anf grfinen Spinat.
QMgr. BlKltir. BramM, 18M. 26
Digitizeü by LiOOgle
— 362 —
Hufeisen, welches der Fliifs hier beschreibt, erkl&rt das schwierige
des Passes nod das lange Zdgem der brasilianischen Panzerschiffe
denselben zu forcieren.*) Jetzt vegetiert dort in elenden Holzbaracken
eine BevOlkerang von vielleicht 2—300 Seelen durch Kleinhandel
mit den vorbeifahrenden Schiffen, und nur der siebartig' durch-
löcherte Kirchturm zeugt vüu der Heftigkeit der dort ausge-
füciiteneu Kampfe.
Auf der Strecke von seiner Mündung bis Humaitu empfangt
der Paraguay von dem Cliacoufer ausser mehreren kleiuen
Bachen, welclie den Abttufs der Seen und Sümpfe seines Über-
schwemmungsgebietes bilden, zwei gröfsere Zuflüsse, den Qui4 und
den Rio de Oro. Beide sind bei hohem Wasserstande schiffbar und
führen in der Entfernung von 2—3 deutschen Meilen zu hohem,
waldreichen Lande, dessen Schönheit gerOhmt wird, und von wo
augenblicklich' viel Bauholz und Eisenbahnschwellen den Flufe hinab
gehen. Mein Ziel aber lag weiter nordwftrts, und so ging es denn
vorbei an der verlassenen Festung zwischen den dichtbewalde teu,
zuweileu palmengekrönten Ufern hin, während eine leichte Brise
den Sonnenbrand milderte und die lästifzen Insekten verscheuchte,
bis endlich am Mittag die Mündung des geheimnilisvolleu Bermejo
erreicht war.
Dieselbe liegt unter 26'' 52' südl. Br., hatte jedoch so
weni<j: Wasser auf der Barre, dafs es notwendig erschien, den
Kanal zu sondieren. Unterdessen machten wir einigen Indianern
unseren Besuch, welche nur mit einem Tuche um die Lenden be-
kleidet, auf der nahen Saudbank fischten. Sie hatten unter anderen
eine riesenhafte Raya gefangen, einen wie unsere Schollen
abgeplatteten Fisch, dessen Fleisch zwar ganz wohlschmeckend,
dessen Schwanz aber höchst gefahrlich ist, da ein in ihm ver-
borgener sägeförmiger Stachel sehr schmerzhafte Wuuden reifst,
wenn man beim Baden auf das halb im Sande vergrabene Tier
tritt. Pferde sterben oft an solchen Verletzungen. Diese liaya nun
hatte mindestens einen Meter im Durchmesser und war so kraftig,
dafs sie einen meiner Begleiter, der auf sie getreten hatte, einfach
durch ihre Zuckungen zu Boden warf, obgleich sie schon lange mit
abgehauenem Schwänze in der glühenden Sonne geleireu hatte.
Fische hier zu kaufen war überflüssig; der Fluiüs wimmelte von
ihnen und an Bord hatten wir genügendes Angelgerät und auch Angler.
So wurde denn die »Luisita*' vorsichtig in den Bermejo hineingesteuert,
und von nun an war unser Vorwartsdringen einem Tasten vergleichbar.
*) Die AUiii-ten erklärten deil Krieg im April 1865, und erst am
18. Februar 18()8 t'orcierteu die bruäihuuiächeu Fuuzer deu Pufs vuu Uumtiitä.
üiyiiizea by Google
— 363
Freilicli existiert, wie bemerkt, eine Gesellscliaft, welcher von der
Regierung eine Prämie für (Wo rnterlialtunt; einer Dampfschiffahrt auf
dem Flusse zugesichert wurde; doch ist dieUuternehmung aus mancherlei
Ursachen ins stocken gekommen und es war mir unmöglich, einen
mit dem Fahrwasser vertrauten Steuermann in Corrientes aufzu-
treiben. Es hiefs also den Weg suchen, was seine bedeutenden
Schwierigkeiten hatte; denn wenn auch der Bluis zwischen 80 und
100 m breit ist, so bildete trotzdem jede seiner unzfthligen Win-
dungen eine ernste Gefahr, da bei dem niedrigen Wasserstande von
jeder ausspringenden Spitze eine Sandbank weit hinausragte, wahrend
auf der konkaven Seite, wo der Stronistrich die tiefe Iliuue aus-
wäscht, hunderte von angeschwemmten Bäumen ihre Äste dem
Dampfer drohend entgej^eiistreckten. Diese halbverdeckten raigones
(die snags der nordamerikaiiisclien Ströme) sind charakteristisch für
alle Flüsse des waldreichen Chaco. Die Strömung fand ich 1,5 bis
1,8 engl, Meilen in der Stunde, '^') also stärker als im Paraguay
selbst, was schliefslich wunder nimmt bei der 90 deutsche Meilen
breiten, anscheinend horizontalen £bene, welche der Bermejo in
unglaublichen Windungen zu durchfliefsen gezwungen ist ; doch liegt
ja Owan noch immer 310 m, Asuncion aber nur 77 m über dem
Meere.
Der landschaftliche Charakter bleibt sich auf der Strecke des
Flusses, welche mir zu sehen vergönnt war, gleich. Zu beiden
Seiten begleiten ihn schroft" abfallemle Wände von 4 — 5 m Höhe über
dem damaligen Wasserspiegel. Sie bestehen aus rötlichem Thon
mit eiuer überliegenden Srhicht schwarzer Erde, welche letztere
wieder durch ein 1 — 2 Fuls dickes Lager von Lehm bedeckt ist
und damit den Beweis von der Höhe der jährlichen Überschwem*
mungen liefert, die übrigens auch au den Stämmen der Baume genugsam
dargethan wird. Dicht verschlungene Waldpartien von verschiedener
Ausdehnung, aber stets nur aus wasserliebenden Baumen bestehend,
begleiten die Ufer, und wo dieselben für einige Zeit einen fireieren
Blick auf offenes Land gewahren; sieht man dieses mit grobem
Grase und Röhricht bestanden, als sicheres Zeichen, dafs die Hoch-
wavsser die ganze Gegend überfluten. In derselben Weise dehnt sich
die Tiefebene 32 Langenminnten weit dem Laufe des Flusses entlang,
bis endlich bei der Lisel Na( ui utü (Ohreule) das hohe Land und
damit die bewohnbare llegion des Chaco anfängt.
Bald nach der Einfahrt in den Bermejo bot sich uns die Ge-
legenheit, ein Prachtexemplar von Yacar^ ganz in der Nahe zu
*) Die Expedition des noidamerikaoischen Kapitflas Pftge fuid 1867 snr
Zeit des H«K;hwas8en im Jnni sogar eiae StrOmniig too S bis d*/4 Heilen.
26*
uiyiiized by Google |
I
betrachten. Auf einer Sandbank, in der Sonne gelagert, würdigte
der alte Bursche, der wohl 6—7 in lang sein konnte, die „Luisita*
kaum eines Blickes, während seine kleineren Genossen sich vor-
sichtig ins Wasser gleiten liefsen, so dafs wir scliliefslich kaum
noch 40 Schritte von ihm entfernt waren. Die erste Kugel ging zu
tief und verletzte das Ungeheuer nur an dem gelblichen Bauche,
hatte jedoch durchaus keine eiuscluichternde Wirkan?: denn statt
zu fliehen, erhob sich das Tier hoch auf den Vorderbeinen, öffnete
mit lautem Brüllen den gewaltigen Rachen und begann sich mit
dem Schwänze die Weichen zu peitschen, wAhrend seine Augen sich
unliebenswürdig genug auf uns hefteten. So war es denn Zeit, ihm
die zweite Kugel gerade in den Schlund zu senden. Da schnellte
sein Vorderkörper wohl einen Meter in die Höhe, und dann sank der
bronzefarbene Kolofs schwerfällig auf die Seite.
Schon früh landeten wir an einer Sandbank, teils um noch
Zeit zum Fischfang zu haben, — ist doch die Jagd in jenen dicht ver-
schlungenen Wäldern nicht möglich, teils aber auch, nm bei
Anbruch der Dunkelheit mit Abendessen und Aufschlagen der
Moskitonetze fertig zu sein. Penn mit Beginn der Abendkahle
machen die MOcken die Existenz unter freiem Himmel zur grausamen
Qual, gegen welche alle Stiche der am Tage schwärmenden Jejenes,
kleiner Fliegen von der GrOlse eines Stecknadelknopfes, völlig
anbedentend erscheinen. Bald war das ein&che Nachtmahl ein-
genommen, und wir lauschteu im sicheren Versteck nnserer Netze
noch eine Weile auf das leise Pl&tschem des Flusses, welches manchmal
unterbrochen durch den Ruf eines Nachtvogels oder den heiseren
Schrei einer Tigerkatze, aber meistens völlig übertönt wird durch
das sonore Summen der Moskitos, welche zu Millionen jedes einzelne
Lager umschwärmten. Wehe dem, des.sen Hand mit dem (iewebe
des Vorhanges in Beriihiung kommt! Kr schreckt aus dem tiefsten
Schlummer auf, als habe er in glühende Kolilen gegrifteu. Doch
die Ermüdung hilft über vieles hinweg. Als uns aber bei grauendem
Tage das dröhnende Brüllen der Affenmftnnchen in» nahen Walde
weckte, waren wir nicht wenig über den nächtlichen Besuch erstaunt,
der uns zu Teil geworden: quer durch den Laü^erjdatz und um
mehrere Moskiteros herum führten die frischen Si)ui eii eines starken
Tigers, der die Sandbank als bequeme Kampe zur I ninke benutzt
hatte und wahrscheinlich durch den ungewohnten Anblick der weifsen
Vorhiluge von Thätlichkciten zurückgehalten worden war. Glück-
licherweise führten wir keine Hunde mit uns, sonst hiltte diese
Visite möglicherweise für beide Teile unliebsame Folgen gehabt.
Das Flufsbett wurde jetzt immer seichter und tlie Schwierig-
Digitized by Google
— 365 —
kciten der Fahrt nielutoii sich. Schon mehrere Male war unser
Schirtcheii den raigones nur mit ^'enaucr Not entgangen und schon
war ein Leck in seinem eisernen Boden provisorisch mit Kitt ver-
stopft worden, als wir gegen 9 Uhr morgens dicht unter einer an-
sehnlichen Barranca auf eiaer grofseu Sandbank festrannten. Neunzig
Centimeter am Bug und wir brauchten 1,30 m für die Schraube!
Der Kapitän, Katzenstein und mein Adjutant sondierten in der
Kanoa und schließlich worden alle Mann auf die Sandbank beordert,
um die ,Lui3ita* mittels eines Taues ins Fahrwasser zu sieben.
Nur der Sergeant und einer der Soldaten waren mit mbr an Bord
geblieben und ich folgte mit regem Interesse dem Mandver, als
plötzlich ersterer ausrief: Mire, los indios! (Sieh' da, die Indianer!)
Und wirklich schalten aus den CirasbUscheln, welche die Uferwautl
krönten, eine Anzahl mit Bogen bewaffneter Indianer drohend genug auf
uns herab. Die Lage war bedenklich, wenn jene wirklich böses
im Schilde führten ; denn sie konnten uns leicht zwei oder drei
Pfeilsalven zusenden, ehe die im Wasser befindlichen Leute zu den
Waffen gelangten, und selbst dann waren wir auf dem offenen Ver-
deck des Fahrzeuges sehr im Nachteil, da sie es vdUig aus ihren
hochgelegenen Verstecken beherrschten. Glücklicherweise erleichterte
ein Regenrifs den Au&Ueg zur Barranca, und so sprangen wir drei
ans Land, dort hinauf und entwickelten unsere Schlachtreihe, Kara-
biner in Hand, vor etwa 90 Tobas, welche uns etwas verblflffit an-
starrten, doch den Pfeil auf der Sehne hielten. Dies Zögern rettete
die Situation. Meine Leute hatten die Gefahr bemerkt, und einzelne
folgten uns schon ans Land mit den schnell ergriffenen Gewehren;
als nun der Ser^'eant die liidiiiner in Guarani ansprach, welchen
Dialekt die meisten Eingeborenen verstehen, und sie über unsere
Criedlicben Absichten aufklärte, erheiterten sich die Gesichter der
rotbraunen Bande und sie zog beglückt mit einem Geschenk von
Zwiebäcken und Tabak ab. Mich aber Idurte dieses Zusammen-
treffen, die Ufer des Flusses künftig besser im Auge zu behalten.
Endlich war die „Luisita" wieder flott, und da auch das Fahr-
wass^ tiefer wurde, dampften wir Terhftltnism&fsiflr scbnell vor-
wärts, bis plötzlich hinter einer scharfen Biegung das Segel eines
europäix li ^rebauten Bootes sichtbar wurde. Bald waren wir lang-
seit; es war mit 10 Correntinorn bemannt und ein Kapitän,
ein Nordamerikaner, kam an Bord, während wir sein Fahrzeug ins
Schlepi)taii nahnien. Er war von der Dampfschiffahrtsi^esellschaft
des Bermejo abgesandt, um einen kürzlich gesunkenen kleinen
Steamer derselben, welcher mehrere Meilen weiter aufwärts liegen
mufste, zu heben oder wenigstens zu bergen, was geborgen werden
uiyi i^cü Oy (google
— 366 —
konnte. Natarlich erz&blte er viel von den Listen und Tttcken der
Indianer, die er als alter Bermejofalirer gründlich zu kennen
behauptete, und riet die grofste Vorsicht im Verkehr mit den-
selben an.
Unterdessen zeigte sich auf dem südlichen Ufer ein einsamer
Indianer, der die Wnrflanze in der Hand im Schatten der
Barranca unbeweglich gleich einem sitzenden Storche dastand and
bald bemerkten wir auch beim nSherkommen, dafs er dem Fisch-
fange allerdings auf neue Art oblag. Zu seinen Füfsen nämlich
befand sich ein kaum 3 m langes Wehr aus Baumzweigeu, welches
schrflg gegen (kii 6tnnu gerichtet, dem Wasser einen schmalen
Abtlufs zwischen sich und dem Strande liefs. Die in diesen Trichter
hineingetriebenen Fische schienen eine ziemlic)! sichere Beute des
geduldigen Toba zu sein, zum wenigsten salien wir ihn einen
stattlichen Zävalo an der Spitze seiner Lanze herausziehen.
Bald trafen wir übrigeus einen anderen, dann einen dritten
Fischer, und schlief>lich lag eine ganze Tolderia (Dorf) der Tobas
vor unseren Augen. Wahrscheinlich war die Nachricht von dem
friedlichen Zusammentreffen am Morgen schon hierher gedrungen,
hatten wir doch seitdem in grader Linie kaum 6Vs k]n zurück-
gelegt; so füllte sich denn der Strand am Fufse der Barranca
schnell mit lachenden, schwatzenden Weibern and Kindern, die uns
durch Geberden einluden, ans Land zu kommen. Wir zogen es
jedoch vor, die Fahrt nicht zu witerbrechen, begnügten uns also
ihnen Schiffszwieback und kleine Bündel Tabak als Freundschafta-
zeichen zuzuwerfen, die mit grofser Geschicklichkeit selbst im Wafser
erhascht wurden, und zogen unentwegt an den lockenden Sirenen
Torflber.
Leider nahm unsere Fahrt bald ein frühzeitiges Ende. Kaum
1 km weiter aufwärts verbreiterte sich der Flufs anfiUlig und die
Stromrinne verlor sich vollständig auf den Sandbänken. Die an-
gestellte Sondierung zeigte überall nur 0,90 m über denselben, und
somit war ein ferneres Vordringen für die „Luisita* nnmöglich.
Die Sonnenbeobachtung ergab 26° 46' südl. Br. und 58 •
37,5 ' Länge von Greenwich, wir waren also nur 9 Lilngen-
minuten von der Mündung des Bermejo entfernt, obgleich die zurück-
gelegte Strecke wegen der Windungen des Flusses über 26 sm betrug.
Hier trennte sich der Nordamerikaner mit seinem Boote von
uns, und so will ich denn kurz das traurige Schicksal berichten,
welches ihn und seine Leute befiel. Kr fan<l den gesunkenen Dampfer
bei dem niedrigen Wasserstande leicht ziig;in^licli und konnte die
Bergung der transportablen Teile mit üülte eines ludianerstammes,
Digitized by Google
— 367 —
den er für einige Stücke HauniwoUenzeim und Kisten Genever
mietete, schnell und glücklich ausführen. Schon war der Tag der
Rflckfahrt an<;ebrocheu, und die Tobas kamen, sich von ihm zu
verabschieden, wie sie sa^'ten, doch diesesmal nackt und ohne ihre
Weiber und Kinder. Die Warnung eines GorrentinerB, dafe dies ein
Zeichen von feindlichen Absichten sei, fand kein Gehör bei dem
Kapitän; jBeine Gaste drangen in das Fahrzeug, bemächtigten sich
der Gewehre, und der sonst so mifetranische Yanicee bezahlte seine
erste Unvorsichtigkeit mit dem Tode. Nnr drei seiner Lente
entginjren dem Gemetzel durch schwimmen, wenn auch ansehnlich
mit Pfeilen gespickt, und brachten die Kunde nach Corrientes. Die
Tobas aber sandten trotzig eine Heransfordening an den Coronel
Uriburu. damals Gouverneur des Cliaco. Doch es würde zu weit
führen, wollte ich von dessen Rarhezni; berichten und wie ihn die
Indianer an derselben Stelle erwarteten und heldenmütig mit ihren
Pfeilen und Lanzen den Kampf aufnahmen gegen die Rcmingtons
der Liniensoldaten. Einige fünfzig Indianer und sechs Weifse blieben
auf dem Schlachtfelde.
Ich aber ankerte damals die «Luisita" vor dem Dorfe der
Tobas und ging mit nötigen Yorsichtsmafsregeln an Land, om
wenigstens die Lebensweise dieses urwflchsigen Völkchens etwas näher
kennen zu lernen. Die Manner des Stammes waren auf der Jagd
jibwosend ; doch empfing uns der weifshaarige Kazike sehr würdig
inmitten einiger vierziir Weiber und nnzilhliger nackter Kinder.
Er war mit dem landesüblichen Chiripa bekleidet, welcher in
Argentinien von der tianzen ländlichen Beviilkerung getragen
wird: doch zierten ihn auiserdem ein altes wollenes Hemd von
wahrscheinlich roter Farbe und ein fast noch älterer Strohhut.
Letzterer bildete offenbar ein Zeichen seiner Würde, da die ge-
wöhnlichen Indianer das Haar durch ein einfaches Band zusammen-
zuhalten pflegen. Die Weiber hatten ebenfalls eine grobe Decke
um die Hflften geschlagen und eine Art Jacke verhtlllte den Ober-
körper. Alle, mit Ausnahme der Jüngsten und Hübschesten, waren
im Gesicht blau tattowiert, was ihre Schönheit gerade nicht erhöhte.
Die ziemlich gut ausgeführte Zeichnuncr stellte einen Stern auf der
Stirn vor. wnhrend symmetrische Halbkreise und Linien den Nasen-
rücken, die Backen und das Kinn schmückten. Krancisco, der Kazike,
teilte uns durch den Dohnotscher mit, dafs dies das Zeichen der
verheirateten Frauen sei (man heiratet dort mit 12 bis 13 Jahren);
jene einzige aber, welche dies Merkmal nicht trage, sei Christin
und besitze einen „Heiligen/' Wirklich trug die kleine an einer
Schnur ans roten Beeren ein Sftckchen am Halse und zeigte uns
üiyiiizea by Google
— 368 —
ganz stolz den Inhalt, einen kleinen KompaTs, wie solcher an der Uhrkette
getragen wird; offenbar das Geschenk eines galanten Matrosen von
der Bonne jojzebellsdiaft.
Das Dorf besüind au^ nur zwei Hütten, oder besser gesajn
Sthup[)on, die im Schatten nielirerer Bäume auf die einfadiste Art
konstruiert Nvaren. Einige horizontale Stangen, welche auf gabel-
förmigen Pfählen ruhten, bildeten den First des Daches, nnd mit
ihnen gleichlaufend war in Entfernung von etwa 3 m eine dichte
Keihe von langen, biegsamen Zweigen in den Boden gepflanzt, vom
flbergebogen und in die Firststangen befestigt worden. Das ganze
war mit Schilf gedeckt, womit auch die schmalen Seiten geschkissen
waren, und bildete so einen etwa 2Vi m hohen Schuppen von
ungefähr 15 m L&nge, dessen einzige L&ngswand der Wetterseite,
dem Südosten, zugekehrt war, während die andere Seite vdUig offen
blieb. Als alleiniges MObel befand sieh eine ungeheure Pritsche von
Buuniästen darin, welche die ganze Länge einualini, mit Kohr- und
Thierfellen bedeckt war und der Familie als gemeinsame Lagerstatt
zu dienen schien. Wahrscheinlich übrigens bildele dies nur ein
Sommerqmirtier, da der Stamm des Fisditanges wegen au den
Flufs gezogen war: wenigstens habe ich in anderen Teilen des
Chaco viel besser konstruierte Hutten augetroffen.
Pferde besafsen diese Indianer überhaupt nicht; dieselben
wurden ihnen auch von geringem Nutzen sein in den waldigen,
sumpireichen Regionen. Doch weideten eihige Schafe in der Nfthe,
aus deren grober Wolle die Weiber ihre geringen, zur Kleidung
nötigen Decken verfertigen. Hunde waren natürlich in grolser Zahl
voriiaoden.
Der Lebensunterhalt beruht fast ausschliefslich auf Jagd und
Fischfang, doch fanden wir aucli in den Toldos die Knollen der
Hacliira, einer Wasserlilie, nnd die Kernschüssc des (.'ardo-pifia, einer
distelähulichen Pflanze, welche ueröslet irenossen werden. Aul'serdem
bietet ihnen der Wald mannigtachc Früchte und Beeren, sowie groise
Mengen prachtvollen wilden Honigs.
Zum Schluls sei noch der Waffen gedacht. Die Tobas führen,
ebenso wie sämtliche andere Eingeborene des Ghaco, Bogen, Pfeile
und Wurflanzen, deren Spitzen ans eisenhartem Holze geschnitzt
und noch auf fflnfsig Schritt einen Mann zu durchbohren, im stände
sind, und aufserdem Macassas (Keulen), sowie die bekannten Bolea-
doras. Natürlich sind sie Meister im Gebrauch dieser Waffen, in
denen sie sich von Jugend auf üben; doch ist es immerhin ein
hübscher Anblick, wenn ein zehn- bis zwölßÄhriger Junge mit seinem
Rohrpfeil eine Eute oder einen Papagei aus der Luft so elegant
Digitized by Google
herunterholt, wie es ein europftischer Nimrod nur mit seinem
Lefancheux thun würde. ^
Der Aufenthalt in den Toldos war nicht einladend; schien doch
die Reinlichkeit meiner Gastfreunde nur snbjektiv zn seiu, denn
Kleider und Lager starrten von ehrwürdip;em Schmutz, wahrend die
Körper selbst bei ihrem fortwährenden Hei umplilLscherii im nalicn
Flusse rein genug sein mufsteii ; da es anfseideiu iiiclit ratsam
schien, die Nacht in der Nähe des Dorfes zuziibriiiL^cn. verab-
schiedeten wir uns mit einigen Geschenken an Tabak, die von Alt
und Jung mit gleicher Freude empfangen wurden. W&hrend des
Ankerlichtras genossen wir noch den Anblick der gesamten badenden
Damenwelt, welche sich übrigens mit ebensoviel Grazie wie Schick-
lichkeit im Wasser tnmmelte nnd dann ging es fluTsabwftrts traurigen
Sinnes wegen der Vereitelung unserer Hoffnungen und Pl&ne.
Jedenfalls war ein neuer Beweis für die geringe Schiffbarkeit
des Bermejo geliefert, der höchstens zur Zeit des Hochwassers mit
stafken Dampfern befahren werden, aber auch in diesem Falle wegen
seiner zahlreichen Krümmungen den Wettstreit nicht mit einer
Eisenbahn aufnelnnen könnte. Noch während meines Aufenthaltes
in Corrientes langte dort der „(Jobernador Leguizamou^ mit Häuten
beladen vor der Kolonie Rivadavia an. Kr hatte elf Monate zu
dieser, in grader Richtung etwa ÖÜ deutsche Meilen langen Reise,
gebraucht, d. h. fast w&hrend der ganzen Zeit mitten in der Wildnis
auf einer Sandbank festgesessen.
Unsere Fahrt ging ohne Unfall von statten. Noch einmal
kämpften wir um die Nachtruhe mit den scharfsichtigen Bewohnern
der Bermejosflmpfe; doch diesmal ohne Erfolg: sie trugen den Sieg
auf der ganzen Linie davon. Ein leiser Regen ohne Luftzug setzte
am Abend ein und verwandelte die Decke jedes Moskitero schnell
in ein Wasserreservoir, aus dem ein gleichmäfsiger Troi)fenfall auf
den Köriier herabkam und allen Schlaf unmöglich machte. Die Kajüte
der „Luisita"" war erstickend heifs und das Summen der Moskitos
erschallte in ihr wie das eines erzürnten Bienenschwarmes. Da blieb
kein anderes Mittel, als das Feld zu r&umen |ind die Nacht lust-
wandelnd zwischen mächtigen Feuern zu verbringen, deren dichter,
bei£sender Qualm selbst der abgeharteten Mannschaft zehnmal er-
trftglicher schien, als der hoffnungslose Kampf mit den geflügelten
Feinden. So wurde denn der Tag ^ mit Jubel begrfifst, und bald
schwammen wir auf dem Paraguay, dessen frische Brise uns wieder
attfatmmi liefs.
.letzt konnte das Auge sicli wieder an den lieblichen Rildern
erfreuen, welche sich in stets wechselnder Schönheit bei jeder neuen
Digitized by Go
— 370 —
Biegung dos Flusses entrollten. ;ui dem saftitxen Waldesj^rün, das in
den leise bewerten Fluten zitternd sieh wiederspiei^elte; und an den
stattliehen Palmen, die ihr iietiedertes Haupt anmutig darüber wiegten.
Selbst die Yacares schienen uns freundlicher drein zu schauen nach
der überstandenen Moskitopein, und die jiaar Hundert Jejenes,
welche manchmal wie Sandkörner auf Gesicht und Hände tielen,
wurden für nichts geachtet. Auch als die „Luisita" an der Paraguay-
seite anlegte, um Feuerholz einzunehmen, begünstigte uns das Glflck.
Es war ein yerlassenes Obraje und noch hig eine Menge von be-
bauenen Stämmen umher, welche wegen irgend eines Fehlers zurück-
gewiesen sein mochten, uns aber ausgezeichnetes Brennholz lieferten,
das nur verkleinert zu werden brauehte. Zu gleicher Zeit aber war
der Platz wenigstens etwas gelichtet, so dafs ein Eindringen in den
herrlichen Wald möglich wurde. Da machte Dr. Katzenstetn endlich
schdne Beute an Tagfaltern und Käfern, ich aber lieferte drei Pavos
del Monte*) (Waldhflhner) in die Kflche. Dann aber ging es weiter
hei Humaitä vorüber, wo ich noch schnell ein Paar Tigerfelle etwas
teurer als in Buenos-Aires einkaufte und von der goldblonden**)
Tochter des Gefe Politico mehrere mates und einen prachtvollen
Jasmin eroberte, vorüber auch an Gnrupait^, bis endlich der Abend
sank und wir etwa 10 km oberhalb des Cerrito ankerten.
Die Nacht verfiofs ruhi^^ waren wir doch alle übermüdet, auch
verscheuchte ein frisches Lüftchen das Hauptheer der Moskitos. Mit
dem ersten Tageslichte aber schifften der Doktor und ich mit zwei
Matrosen uns in der Kanon ein. um den Atajo zu rekognoszieren,
einen Arm des Paraguay, welcher westlich von der Insel Cerrito in
den Parana mündet. Der Dampfer ^inpr unterdessen auf dem Haupt-
arme weiter, um uns an der südlichen Mündung des Ivanals zu
erwarten.
Die Fahrt betrann unter schlechten .\usj)i('ien. Schon auf der
Barre überraschte uns ein heftijjrer Heften, der uns völlig durclniiifste
und das Boot beinahe ganz anfüllte. Trotzdem fanden wir einen
Kanal mit fast 3 m Wasser und ruderten guten Mutes hinein in den
stillen Flufsarm, dy wol 150 m breit sich in grofsen Windungen
zwischen dichten, üppigen Waldungen hinzieht. Ein reiches Tierleben
trieb sein Spiel am Ufer und auf dem Wasser. Finten, Taucher,
GAnse und Schwftne schwammen in Scharen auf den klaren Fluten,
Stdrche, Reiher und Löffelganse fischten an den seichten Stellen,
*) Peuelope cnbütta.
♦*) Blondes Haar ist bei deu Kreolen Paraguays und Argeutiniens nicht
zu selten. Dasselbe ist wol von Einwanderern aus den nördlichen Gebirgen
Spaniens Tereibt
Digitized by Google
— 371 —
Wasserhühner lockten im Röhricht und der EisTOgel liefs seinen
schnarrenden Ruf vernehmen, wahrend Papageien lärmend über den
Wipfeln der Baume schwärmten und manchmal das Pfeifen eines
Adlers oder das dumpfe Kr&chzen des Waldhnhnes aus dem dichten
Laubwerk herOberklang. Rudel von Carpinchos weideten bald am
grasigen Ufer, bald zwischen den Wasserpflanzen, und manch Yacar^
streckte den iiufürmlichen Kopf trüge aus dein Gewässer, um die
nicht gewohnte Erscheinung dos Bootes stumpfsinnig zu beobacliten.
Doch bald verzog sicli das schützende Tiegen izewfdk und die
Sonne brannte unbarmherzig auf unsere Häupter, ohne dafs das
geringste Lüftchen die Hitze gekühlt hätte. Dabei war fast gar keine
StrAmung, und schnell wurde uns die angenehme t 'berzeugung, dafs
wir mit aller Macht rudern mufsten, wenn wir überhaupt vor Abend
an Bord kommen wollten; denn wenn auch die grade Entfernung
nur 22 km betrag, so sahen wir schon jetzt, dafe dieselbe sich wegen
der ungeheuren Windungen des Kanals leicht verdoppeln konnte. Und
die Perspektive einer Nacht in diesem feuchten, sumpfigen Walde mit
Moskitos und Tigern als Unterhaltung hatte wenig Reize. So begannen
wir denn, uns regelmftfsig beim Rudern abzulösen, um die disponible
Kraft so gleichmäfsig wie möglich zu verbrauchen. liangsam stieg die
Sonne lieber, und ihr Keflex auf dem spiegelglatten Gewässer vermehrte
die (ilut der zwischen hoben Baumwäuden eingeschlossenen Atmos-
phäre. Bald verstummten auch die Stimmen der Tiere, welche vor
der steigenden Hitze sich in den Schatten des Röhrichts oder des
Waldes zurückzogen, und einsam lag die bewegungslose Fl&che
Stahlglanzend unter dem ehernen Himmel. Auch wir zogen fttr eine
kurze Weile das Boot in den Schatten eines überhangenden Ganelon,
denn em trockenes Plätzchen zum landen war nicht zu finden, und
▼erzehrten einen Teil der mitgebrachten Vorrftte nebst einer Flasche
halbgekochten Weines; doch bald zwangen uns die massenhaften
Moskitos sowie der Gedanke au das vielleicht noch weit entfernte
Ziel zum Aun)ruche. Von neuem schlugen die Ruder taktmafsig die
grauen Fluten und Stunde nach Stunde verrann in schweigender
Arbeit auf der stillen Flache. Und als dnnn die abendliche Kühle
sich erfrischend herabsenkte und das ermattete Auge von neuem sich
an dem Treiben der Schwimmvögel erfreuen konnte und den Spielen
des Wildes am buschigen TIfer, da waren nicht allein die Hand-
flachen mit Blasen dicht bedeckt, denn weder der Doktor noch ich
hatten Je eine solche Lektion im rudern genossen, sondern Gesicht
nnd Nacken selbst der abgeharteten Matrosen fingen an sich voll-
ständig zu schalen: wir waren einfach gesotten. Noch aber kostete
es manche Stunde scharfen rudems und schon längst glänzten die
Digitized by Google
— 372 —
Sterne vom n&chUichen Uimiuel, ehe wir die Lichter der „Luisita** er-
blickten und von ihr aufgenommen wurden.
Eine Stunde spAter ankerte der Dampfer in Ciorrientes. Wir
hatten, mit Ausschluß des F^rtthstacks, 14 Stunden lang unter einer
tropischen Sonne gerudert und 45 km zurflckgelegt, doch auch die
Genugthuung, den Beweis geliefert su haben, dafs die wichtige
Stellung des Oerrito, welche die Brasilianer so lange als den Schlflssel
des Paraguay ansahen und behaupteten, durch den oben rekognoszierten
Kanal des Atajo schon bei Mittelwasser leicht umj^angen werden
kann : fand sich doch überall ö bis 6 m Tiefe, also genügend Wasser
füi' leichte Kriegsfahrzeuge.
Noch einen Zug durch die verschlungenen Kanäle nach dem un-
erforschten FesÜande selbst will ich schildern, weil derselbe aber
vieles bessere Auskunft geben dürfte, als eine allgemein gehaltene
Beschreibung. Es handelte sich darum, einen passenden Ort fftr die
Kolonie zu finden, welche der Kongrefs gegenflber dem St&dtchen
Bella Vista dekretiert hatte, also in erster Linie um den Wasserweg
dorthin nach dem Ufer selbst. Dieses Mal begleitete mich der
Oberst Obligado, da es sich fürs erste um eiue kurze Rekognoszierung
handelte. Wir sandten Pferde und Leute von Belhi Vista aus über
den Flufs und schitfteu uns in einem Boote des Kriegsdampfers
„Pavon*^ nach dem anderen Ufer ein. Als Pfadtinder (Vaqueano) be-
gleitete uns ein anscheiuender Halbiudianer, Gregorio, welcher grofses
Ansehen unter den Seinigen geniefsen, ja sogar Chef eines kleinen
Stammes sein sollte. Wir fanden ihn im Städtchen Felle und
StrauC^nfedern verkaufend, und es war ersichtlich, daüs er dem Be-
fehl des Obersten ungern folgte.
Schnell glitt das Boot in der ersten Morgendämmerung unter
dem Ruderschlage von vier kraftigen Matrosen zuerst den Paranä
hinab und dann, um die Südspitze der dem Städtchen vorgelagerten
grolsen Insel in den Ilauptstroni einbiegend, flufsaufwilrts bis zur
Mündunu des Yvira})ita (Nauie eines Baumes), dessen breiten Kanal
wir noch einige Kilometer weiter nördlich folgten. Doch bald
erreichten wir .\na-cua (die Höhle des Teufels), wo der Paranii Mini,
welchem entlang der Hauptteil unseres Weges führte, in jenem
Flufsarm mündet. Die Stelle verdiente mit Hecht ihren Namen:
eng und voll plötzlicher Windungen, war sie angefüllt von gefallenen,
angeschwemmten Stämmen, durch deren verwickelte Äste das Boot
mit Stangen geschoben werden mufste; zu gleicher Zeit wölbte sich
ein schattiges Dach hoher Bäume über dem ganzen, so dafs nur ein
Digitized by Google
— 873 —
kundiges Auge die Einfahrt zu entdecken vermochte. Endlich war
das Hindernis überwunden und vor uns zog sich in sanften Windungen
der etwa 50 m breite Flufs dahin, seine hier ziemlich hohen Ufer
mit kr&ftigem Baomwuchs malerisch gescbmQckt, so dads wir in
Voraussidit einer schönen Fahrt ^oh aufatmeten. Doch plötzlich
erfolgte ein Stofis, begleitet von dnmpfem Krachen. Unser Boot safo
fest und f&llte sich schnell; es war auf einen verborgenen Baigon
gelaufen und ein dicker Ast durch den Boden gedrungen. Glttck-
licherweise hielt uns derselbe Staiiiiii wie angenagelt auf der Ober-
fläche und während einige das eindringende Wasser ausschöpften,
andere aber das Leck mit Lappen verstopften, schnitt ein tauchentler
Corrontiiier den Ast unter dem Boote mit einer Säge ab. Mit dem
Stumpf, wie mit einem Kork im Boden, eilten wir nun, stets Wasser
schöpfend, nach der nächsten flachen Uferstelle, um das Boot auf-
laufen zu lassen.
Der Zufall begünstigte uns. Der Platz (Patocni, Entenloch)
war bewohnt Euiige Holzhauer hatten sich zeitweilig darauf nieder-
gelassen und ihre FVauen empfingen uns mit freundlichem Grufs;
doch hatten zwei derselben Flinten in der Hand, die dritte aber war
mit einer Axt bewaffnet. So kriegerische Haltung erklärten sie
übrigens gleicli mit der Nachricht, dafs die am Ufer spielenden ^
Kinder soeben einen Tiger nach ihrer Seite zu über den Flufs
schwimmen gesehen und sie sich auf seinen Angriff vorbereitet
hatten. Unsere Ankunft verscheuchte die Gefahr; und wahrend die
Matrosen das Boot aufs Trockne zogen und mit bereitwillig gebotenem
Carpinchofett kalfaterten, nahmen wir den landesüblichen Mate und
besichtigten das kleine Lager.
Unter mehreren schattigen Lorbeerbäumen waren zwei Segel-
tflcher zeltartig aufgespannt, so daTs die Giebelseiten vdllig offen
blieben und die Leinwand des Luftzuges wegen noch etwa einen
Meter vom Erdboden entfernt war. Einige aus Stangen gefertigte
Lager, jedes mit dem entsprechenden Moskitonetz, sowie mehrere
Klötze zum Sitzen bildeten die ganze Ausstattung. Angelruten,
Harpunen und Huder lehnten an den Bäumen und in einem grofsen
Topfe, dem einzigen, brodelte (la> Krühstück der Familie. Nackte
Kiiider. Hunde und zwei Kampfbähne vervollsUtndigten die Scene.
Die Männer aber waren in den Knnoa zur Arbeit uefaliren, welche
im Schneiden und Zurichten von Bamburohr (cana de tacuara)
bestand. Dasselbe findet stets guten Absatz nicht nur im nalien
Gorrientes, sondern auch in den weiter stromabwärts gelegenen
Stftdten, wohin es jährlich in vielen Sehiffisladungen geführt wini.
Aufserdem f&Wen diese Obrajeros auch wol die Stamme der sumpf-
uiyiiized by Google
— 374 —
liebeüdeu Caranday-Palme, welche in etwa 8 m lauge Stücke ge-
schnitten, gespalten nud des Markes beraubt werden. So zubereitet
bilden dieselben stattliche Dachpfannen, mit denen die meisten
ländlichen Wohnungen auf dem anderen Ufer gedeckt werden. Der
Lebensunterhalt dieser Leute beruht natürlich, aufser dem wenigen
mitgebrachten Maia, auf Jagd und Fischfang; doch trieben sie auch
anderen Sport Auf der Uferbank nAmlich lag ein riesenhaft«s
Yacarö (es mafs 6^5 m von Schnauze zur Schwanzspitze), welches
sie hai'pnniert hatten und dessen Ausdunstungen den Aufenthalt im
Lager nicht angenehmer machten.
Unterdessen war unser Boot wieder seetüchtig und wir eilten,
die verlorene Zeit einzuholen. Der Flufsarm zog sich in ziemlich
gleicher Breite dahin, die höheren Uferbänke mit kräftigen Laub-
holzbeständen, die flacheren Stellen mit dichten Canaverales iBanibu-
dickichten) bedeckt; docli selbst an den höchsten waren die Marken
der Überschwemmungen deutlich erkennbar. Schou näherte sich die
Sonne dem Mittage und brannte schonungslos auf unsere Köpfe.
Zwischen den hohen Schilfmauem ging kein Lttftdien, freilich auch
kein Moskito, da diese liebenswflrdigen Tiere viel zu zart sind,
sich dem Sonnenbrande auszusetzen, und wir begannen uns langsam
dem Zustande gesottener Krebse zu nähern, als endlich die voraus-
gesandten Leute und Pferde auf einer schmalen Sandspitze sichtbar
wurden. Wir waren in den Tres Bocas (den drei Mündungen).
Hier teilt sich der von Norden kommende Paraiiä Mini iu zwei
Arme, deren eiuein wir soeben stromaufwärts rudernd gefolgt waren
(10,7 km bis zur Vereinigung mit dem Yvirai)ita), während der andere
direkt südlich Üiefseud erst nahe bei Kecou^uista ia dem Uaupt-
strom mündet.
Auch hier umgab uns dichtes Bambugebüsch, doch ging immer-
hin auf der weiteren Wasserfl&che ein leiser Luftzug und es lagerte
sich ganz gut im Schatten einiger Drachenblutb&ume (sangre de
drago). W&hrend des FrOhstacks erhielten wir Besuch. Eine Kanoa
mit 4 Mftnnem glitt schweigend stromabw&rts und ihre Insassen
folgten recht widerwillig der Aufforderung, sich dem Obersten vor-
zustellen. Es waren Jäger, die ihr ganzes Gepäck, bestehend aus
Harpunen, Angeln, Moskitonetzen und einigen Bündeln Felle, mit
sich führten; ein Hirsch und zwei Carpinchos waren das Ergebnis
ihrer letzten Jagd, einige wild aussehende Hunde begleiteten sie.
Jeder war mit einem alten Minic,i,a*welu' bewaftnet und trug seinen
Schiefsbedarf in einem Säckchen aus Otterfell am Gürtel. Die
trotzigen, wettergebräunten Gesellen schauten ziemlich verlegen
drein, als Obiigado sie einem VerhOr unterwarf, mochte ihr Gewissen
uiyiiizied by Google
— 375
doch mcht völlig reia sein; doch kamen sie diesmal mit einer Warnung
davon und bestiegen sichtbar erleichtert ihr Fahrzeug, um so schnell
als möglich der gefeLhrlichen Neugier des Obersten zu entkonuien.
Unsere Pferde hatten schon einen beschwerlichen Weg gemacht
(von Bella Vista aus 23 km); denn zwei breite Arme des Parani
hatten sie durchschwömmen und auf den Insehi selbst schon eine
ansehnliche Anzahl von Bächen und Kanälen gekreuzt Jetzt standen
sie aneinander?jedräugt im Schatten, in fortwährender Bewegung die
Stechfliegen abwehrend, die sie zu Hunderten lunschwärniten. Es
war nötig, einen Weg für sie durch das Tacuaradk kicht zu bahnen,
das uns gute 200 ni breit von der ofleueu Niederung trennte, und
es dauerte volle zwei Stunden, bis derselbe praktikabel war; standen
doch die eisenharten stachlichen Bohre so dicht wie die Halme eines
Kornfeldes. Dieser Aufenthalt war an sich wünschenswert genug,
denn die Nachmittagssoune war sengend heifs; doch mahnte uns der
schwierige Weg, der uns bevorstand, zur Eile und wir waren froh,
als wir endlich im Sattel saDsen. Zu acht ritten wir durch die
Picada, die Hannschaft des Bootes zurflcklassend und trabten dann
westwärts durch das wogende Gras, immer auf dem Albardon (dem
erhühLeu Uferterrain) dahin, welcher sich zwischen dem Palometa-
cua (Höhle der Palometas, einer Fischart) und den Sümpfen
zu unserer licchten hinzog. Anfangs kamen wir schnell genug
vorwärts und erreichten bald die Furt jenes Kanales, in der
wohl einige zwanzig Lobos (Fischottern) ihr Spiel trieben
und sich oft wie Delphine weit aus dem Wasser schnellten. Doch
von nun ab änderte sich die Sache. Zwar war die hohe Küste des
Cbaco nur noch S km entfernt, und deutlich zeichneten sich die
malerischen Umrisse ihrer Walder gegen den abendlidien Horizont
ab; doch währte es drei hinge Stunden, ehe wir sie erreichten,
da die Pferde auf dem sumpfigen Boden nur im Schritt vorwärts
kamen und auHser dem Arrogo Pairidi noch vier andere kleine Bäche
zu durchschwimmen waren. Bei einbrechender Dunkelheit und völlig
durchuiifst, laugten wir eudlich am Fufse der Hügelschwelluiig au
und lagerten in der nächsten Isleta (Bauminsel) zwischen den Wurzeln
eines riesigen Lapacho, der wolil aiulertlialb Meter im Durchmesser
haben konnte, und vom Sturme gefallt, ruiiig weiter grünte. Schnell
waren die Pferde angepflöckt, die Sättel zum Lager ausgebreitet,
und da ich noch eine Königsente (pato real) von ihrem Horste ge-
schossen*), war auch unsere Mahlzeit nicht ganz auf Charque (ge*-
dArrtes Fleisch) und Konserven beschränkt.
*) Die Königsente (Cairina moschata Bunn.) nistet auf den liäuiueu. Ich
•nälik also keine JagUgeschiclite.
Digitized by Google
— 376 —
Haid lag alles, ausser der Wache bei den Pferdeu, im Schlafe,
nur der ()l)erst, Gregorio der Vaqueano und ich rauchten noch die
letzte Cigarrette am verglimmenden Lauerfeuer, als bei einer Be-
merkung des ersteren über einen in Corrientes verübten Mord der
Führer uns durch die Aufserung überraschte, er habe davon in der
Zeitung gelesen. Wie kam ein lialbindianer und Kazike der wilden
Ouaycunis zu solcher Wissenschaft? Da erfuhren wir denn folgende
Geschichte. Er var ein Weifser aus der Provinz San Luis de la
Punta und hatte seine Vaterstadt wahrscheinlich wegen eines Desgrada
(so umschreibt man dort das Wort „Totschlag") verlassen mOssen,
wenigstens erinnerte er sieh noch des Tages seines eiligen Auf-
bruches. Nach Montevideo verschlagen, ergriff er das Gewerbe eines
Cigarrenmachers; doch bald der sitzenden Lebensweise überdrüfsijf,
war er wahrend des Paraguaykrieges als Viehkäufer in die Dienste
des grossen Armeelieferanten Don Mariano Cabal getreten, hatte als
solcher das aüiirte Heer bis nach Corrientes })eLr1eitet und sich dann
mit dem ersparten Oelde als Obrajero in San Fernando nieder-
gelassen. Dort schien ihm das Glück zu lächeln. Seiue Frau, eine
Indianerin, führte ihm die Kundschaft ihrer Stammesgenossen, der
Tobas, zn, und da er selbst in wenigen Jahren diese Sprache sowie
andere verwandte Dialekte fertig sprechen lernte, wuchs sein kleiner
Kramladen — mit jedem OlHraje ist ein solcher verbunden — stetig
an Bedeutung und er monopolisierte den Handel mit den Eingeborenen.
Sei nun der Neid seiner Genoasen die Ursache gewesen, oder vielleicht
eine neue kleine Desgracia; die That**ache ist, dafs Gregorio auch
von hier tiüchten miiiste und mit Weib und Kind direkt zu seinen
Schwflgern in die Willder des Chaco zog. Nach langem Umherirren
(er behauptete alle Stilmme bis nach Oran hin besucht zu haben)
hatte er sich an dem Ufer zwischen llmpedrado und Bella Vista
niedergelassen und einige 10 oder 12 Indianer um sich vereinigt,
welche ihn nach der freien Sitte des Volkes wegen seiner Klugheit
und Tapferkeit als ihren Chef anerkannten ; er war also zur W' ürde
eines Kaziken emporgestiegen. Seine Lebensweise und Kleidung
waren natflrlich ganz die eines jener schon beschriebenen Wald-
läufer; aufserdem aber trieb er Handel mit den Eingeborenen und
tauschte die so gewonnenen Stranfeenfedern und Felle wieder in
jenen Städtchen gegen europaische Produkte ein. Bei dieser Gelegen-
heit war er in die Hände des Obersten ^^eraten und die Begegnung
brachte ihm wenig Glück. Als er nändicli nach uns geleisteten
Führerdiensten zu seiner Ansiedelung zurückkehrte, fand er dieselbe
geplündert, seine Leute erschlai^en und Krau und Kind in die 8k!avtTei
eines fern im luuern lebeudeu Stauimes weggeschleppt. Zu schwach.
"P®H 'd •^sjni^.TJ? nStiix "■^p tu ipxn Xaojwj] oiy jap gjvp
jioSuoA HI )6[ J93PQ2 '^P 1 9q08niM(kiaiin ^qaca aif^ «ijniasiads
uaq9n<>D1iP ^im^ '«iipQxpsnir qois Snqdu nopansy ni loqpfi^neQ
uid oiM 'sjaidg UTB iionösar) iiapuasuuJ? s^>p Jioiiquy aap tJi^qsjaiudS
^si naj^jviiDJg S9p qospi^^ sbq 'laSQ^v P"* Qsqon^ 'oaiijqaaswmv
*9q8>I 9U|azni9 jnn jm U3qt?q -^Bfi» inan« ^-jauSaJSaq aiA puis
uojT?n«i?f pun iiaai(Ii?x uoa u9/^0j^\^ pnn uajndg nOi^ipiyzu,] 'ina^sA's
-jaiqdBjojapX aqofiqon'^jjqaS o^joc; nn sup 'jans^^ ajasun juu ^.ioa\
"'^uy s\}s 'uaqasaii ua|ntisqomujani?ipux .hm uaqeq xjUun.Taj)ir^^[ jasjo.Tlri
uj '[ir^pnq j^aMTniay uap ^qDTa[ .laiia-q^a^^i^ aip jap jm? '^jj^naj^s
-ja „^'piJiuai)^" ajoQBi aaia vjuui^vuuvj uiuz siq aao^bq iuoa qois
sjvp 08 'q« UIVJJ9X 9zvnS svp jiü uanuaiq sun j«|uih -uapog uap
U93[99p8q oomvg aqyniqSiaAZ udpnv^sqv ni pnn nuo soqidS
t^gqaS ja^sjnij aniz %f^m 6Bm ^j^b %si 9pQina e^fjmiu!^ 9013
-a9q9!|89q ndpanj^
pon {[9^ sm jnn aaSuqo 91p sjvp *j9)8i9nu98z)9]f J9p )9!|dii«q9q
SÄaipjan« 1 1 Japjojaq apox nz junj puis ■^srjaCsiq 'sun ^lui q.)si9iji sup
n9Jqnj pun ÜI9 89 ii9Z|V8 '\>]v.\ a8Sj9m99 n9q9 jpK s«a *aa;qa«[qa8
jiAv 1 ua^i^qaxfsnv atäq.ioiq srq so uaqcq uasqj() ujasun noA uqaziajq
•snBJOA apjßS^UBAV aqaiiSoAvaq ^q.iiaj si« '^japiu ju^j jaiuuin^ piin
•j/^TuiajaA aq^?:>sui[Bj a:^°o[ai'^jaqti q.unp uu^p uapjOAV jai^v 'uaii^q
aoiHJji sa^jnnj nia s)JVA\qvsjny a3|;iaj)S aiiia 'ua])jaAV qoii^Ju^Snz
jaAvqas uoqas jaiq auin^g up 'uanoAv jiAi t — ')iazua>(00jx
J9p ui 9pgj[ds %si zio|i 8vp — £an:^|9qj«9S J9p puaiqvA a9i^aiuds
-JI9Z 8901IVX JOM *8ain«q?q<nBf aap 9puis a9p ipois 89a9Boq9d
QUO j IIP Ol pnn 69:|8Q|9960i 019' qgv^Qia %si 89 Svsipgai
-j9a«ipoi pon Ai^nnud $xb qooo 09q98 918 *d!)i9j 8!|i9J9q poi8 890otx
*n9oiq9D jnioq98!|q9iH Jnz ^oix S9p 9doin 9q98pid«i8o99
9|p Sizuia JIM 0l9pu[ *puis )äi:)qaajaq qanir nzvp *U9819AI9 49jqD^
9J«qqonBjqun 8n«qojiq) S[b nay«}! aqoii^iiiBS qois vp *lfM sjBp
pun 'uapiqasnzuia sim sit? 'iiaqtjq iq^AV ^-i^P^ii? auia}( 8pji:A\uo^ai^
JIA sj!?p ')qa)s ;sa^^ (^ ua^iajqDSjaqo uz nSuix pun [aoauj^ uoq.)S'iMZ
apiaqobjassi?A\^ aip pun^ jaqn Si-^iaz^qoaj am 'naqonsjaA saji«
JIA\ na^sjpni 'aqaijqosoq 11/ [aonvj^ map ua:isaA\^ q.)i?u udiio^i uauia
qoqpjQU ja:jiaM aao^kq jasaip pun 'ainos ua^ieqaq :jqoaj ai)(und4(Ini?ji
ai989ip Ol 98I9j^ J9:Bl|98^dQldun '^l qd8l«|pUQJ4ll 'iiq%}J9 X881
i9po g88| uoA 088010 ^V^Hl 9)dnn|piizoiAOji j ooqpsnronisvJiq 19019
JOB 9K 9ip ^dOIIll9!|8Jtrpi«p9d$ 9Z0V8 9ip 8)Vp ^ai9pz:|0X| 918 OD9j||^
*zofod«x YI™<Kr ^ovimrejn j 89p 9iinz99B)J0j a»p si« *i90ii«||
99$ Omz 09)1919 pon 09^0117 J9Saip 9880[J 9nV !p[diq3$ ^9)0qf MI9 qoi
— S68
Digitized by
liojnnqsiu I aap \\m us|u uossnui .11 \v 'l'M^^ )Uuvuo>"i svaimj uoqjos>^jp
ULiuudqa^ uauid[>[ uiauja i{ot!u ipipiin).ui vriunuinuv^i .lap om 'e:)J«>i
jaai93[ jnv puis jdssvüdO ^^p yxvi aap pun d^tiri aip 9ia
•sj^jnqao diQ *q3i)S ni d|||QA *BSQ!^«a«jrej eap s^tasaar %i9ik *ou«90>|
^las aoi|a8 81111 ua88V| *andu aiA a^in *ad)JV]g aip i^qaiajua nSajx
sap aSotn aiiasiqdvjdodlil aip itvj uaqvq jim. Jiap
SiiiQ 1119 uid))Hu^'udqd'^x Ut)pua3<uuodQn \\v^{ uaqoios j^J u^P \^
puii ajainsu'j jaiasan apim]<^ii^ uapi.)oiq.)s uiop loq ^si S8i(j 'uaqa
-I0J.I9 HZ 9q|9ssiqi um Miaqjum nz uopanN^ qjuu st?nr;o'i ()(.; ( )t
q.)s.iuj^ uouio sp.niutr.iU'>!' iiv)T)\;q "J{l ,9c; jiii: snn uopnqoq
pun Mji 'S q]] uop ui uajian?) aui.is );it)[.ioA riunssuynv o.iouou tuiij
t jn'ui.i(ls|ue urtuix -lop o^ioa^i .leqjjtJ.w ui .loqn.irp iiuu q.Hs- uij:)i8j^s
Ui):nqa[vi9 oiq 'ue^iJV^s.iaA d^addoQ siqi piv p[K(i uoi[.)s jaq« q.ifs sjmu
Mu 0^ uuA a^iajg auia ^nq ja 'paa^^uapaquii qoiiuiaiz qaou japiei
)si iAO)«a «i^P H'^V liBiuiajaA stJUAq« SBn^q a^mia uaaaf ^lui
'puaqai:|stiz uapiox mep qonv *qai8 aap ^iAo^t^ 01^ aap *gi uro *uanvq
i^un^^qai^ aqaiipjQu aip 'aqavg 9i9^j9Jß jia ü9y»x% 'Zl pun *n uty
*iiaz;)asnz)jioj u^^'sq qova atsia^ aip ^oa^^vq uadozaj^jOA )qatu jia
sjvp 81« ^q9S!)vaia|qajd nz JXQ 9i'fV\i{.)v,^ azuvS aip q^n« ua^iaiq puu
uiO[5i nz jatiB uqi uapuuj 'o^uiojisuz uiqi .lap 'soqjva ueq-iii^u^J^nz
^sqjiMuiz Kun sap /funqonsjo^uQ ipu xft?x uauiD ua)qoujq.i9A .iiav.
•UI8S iiuUjX sap «jn|)|p'>n^ uio puu 'u-)r;a!quiu uop.io^ uor; op.ia.\A
ja 'ua^yoq jim sjvqi os uu it.t.i.is; ouio uooor; 'p)i| u^nsopn^ qn;a
aap "pi.)ig ui sassu[ji souia ^oiqarq[au5 siq) ii.^m»iis suu uii:>[ ipif'
uiy "ua^uuu)! uajii()j.ioA \jSui^iiu«.iuj uniz spi qoou jim jnu'i uassap
'q.ii?g ua:|z:|a| uap jia\ ua^jaissud spaaqv 7, uap '^idiqasjvuiq^
-vaiuBj sap laifi ua^qaaj moA jnü uaiBA \[n£ -g uaQ ':p<uBia}juB
ua^piqaqiqoiA 'aauqaiazaq vub^h ap wag ui^'^tio jauias qavu ;$nz
-BJdJiqaf) aaqva uaaia jui aiü 'naqvq q|nv;a)d iAu)vg oi^ ua^uapisirJia
sap aaiqs nz im. aap ^assnij masaip m jia puis spnaq« unf *gi
udQ 'OjapoiauaA nz i9iznBMZ ja^nn iqaio iqi^z o^^un mn *]{90jnz
IIM ua)[«q laq« iviupg aaua^iuaq jap env ja^iaqjy ua:|saq uap
Hiani;} 'aaqaiz)ua nz SnnjaiSa^ jap pun nassttijaqt) nz ivs}(.qq.)^
uiajqi 'uajai^uas^?jdaj >iJi:i\; öOOFi »ip-'n ■l-i'^AV wöiM*^ '^-i^n
-pivj^ 'jqatj aip '^qaajx sjip ]q.)iu jiav uaquq '\miß jau;iar;ü(i a|oosuaq;)s
-ua]\ jania>i jaqu jiav vp :uauuo>| ua.iqa>|}[.)njnz uiaip; uojjijq pi-MU
uoJ^nia \Y öip 'uaJVAv ^au^iaiiaq tiajqujaf) uaqojaAV puaijjj sjiqj
uiuz si»! JIAV uuaAv 'uauiqauiiz'^iui ^'ipjjqaiai;^ ua)ßp[og auaj* 'iqai^'qv aip
uaiivq ji^ -^^oiuio^aq tiqduqaB^ auia jaq<Kpio ^P^S ^J^P
'uaaiqau^iai uau^Z ^!P uapiaA ais ij^aujnz t|pir)s jap q^vn uajat)
— T68 — ^ ,
üiyiiized by LiOOgle
ae^Hqovu U9p ui suu jim oik *J9iq uoa jim ud}[oii{3s qojj ua^jaof^
•t88l !W "OB *^ff «tf
aip jaqii a9)ioq[dzoi3 d^avssaia^ut ipoii )|Vil)ua pun t^qaii^^aajiQJdA
j9q(Kp(0 *8S laoA za9puod89.ijio}{ jteqdinjvqosaassiA s)p]Oiii *v ai dpjim
aqfdsjdp tov a«ipu«MjaA 9am m iiiff Oo ^^^^ aauia^^; [> a
6»p jdu^ uduid qooii dunsniQdJi^ mz ann jatq U9sjd([i{;)s ji^v
-.10(1 i;uiuio(r;a>| iioi|Osium|is'u.i([ .lap nin oi\i i[.)«u uoi)ipü(lx%[ .lop
a9paj|S:jijV aip uajqnj .laquiOAO^ '(j my -up "jt^uiiaH .wp u; ua^qmuAv
m\) laq uoimasie^ .lap ojr>i.T^] .)z.iii>i lut'j su-ß uojaii JoqmoAo]»^
a])U3 aaSat) 'stiuo/my sap iiiiupiini^ aap iit? i;.n?j '£ •{> jaqü:>>(0 ^l'^^ili
uo|:)ip3dx'^ 9ip d^qoidJid uiunMi^aiax )uvi iudßmi^ß ^ na luai^Q^uiq
unu 0900031 'mn«iO '«iQ uji9H sap q9nq9Svx ^^P YPAOg
*)q98i0jji9 U9sjii9J,i UOA i|J9qttipv U9zoud 09p qojtip
'^uo«3i9q 91Ü 9pinji |n«ii»)on j9q 'oaooao nz 8v:i[!J90i«pQg 8jo|,»[
9q98)n9p Jtap aqi98J9p 9j«a ouBp 'a9jqt^qti0!q ^vx% oap *!|jSafiaS
80ti 88 009^ 'U9z:|9{:)j[oj "xyLi^ uap *U99J00iJa(in snv jaiq uoa
i{jsju]v uap .riM uapjaAv pon iiauoo^ aajni;}iu9mai«6nz qooo qa!i>[oniii
jiAv uaqvq a]u.uo^Y puii uaaiiAMiasr^ ua^i'^ou aiQ •uaqansjiii?
qa«u ja^iaM uaqiassap sjnp||on?) uajapuv iiauia 'iiai>uB{a/; uz n^uix
uap u} lun 'os|i? iia'jsjniu jia\ tzofrduj^ uap ui s«51ui:^uub.iuj .lap
'■jiKiVASja aiA^ ''^sjaiy uofp^iuy iiaq.)siin!iiistuq qaH>^ ia^napai»UB ii/^uix
sap sjn[)uaqaN^ s[i? ajini'^j iiaaa}(OA\ uiauias ui y^i pnii soabij a;.iin[
s^^I^I^S Ji<^' ^sjiaq 8jui^ jasaiQ 'a9uv|pui-S{a|tK>«(i aap iäanipaisuv
0909^919«! i}Vi$UI!|Ba«JVd 01^ OTO J9019 Ol J9iq 800 09p099q Jl^
'U9q9izqv 0I91PI 9^8)001 oviidtis jrap poo qais 9!|iqoj poBOi9t^ *98ioj
oiqi i9A *Xdox 9)Stmj q9ii8j9!|qas '99097 lap iqojajSjq^ 8Bp m
99Jdni9ddv poo (q9j9qo9S90 qvS aoj^svo '9qvq a9J9tpQ«uiaio>inzit9(Mnz
Wo>l^:i d|p .la sjL'p 'jiiBJvp a^jiqjija i^i qi? zjiijf iiqi nasaiM Ji^V
•^uni^Di^^A Joz JiJtJj^ (jQx qoüo soatisqaoq 3[ji;jy oOüt- Jqujaj^on WA
qoopaf a^^uq Adnx i iji?qa^uuT?j^ aip jnj ia:)^iuisnaqa'^j .lap j^iiniqvz
-0^1 ua:|«u«|jaA Ji^w •^.iaipm?niuio>(>[an.iiiz ^^\\^'\ 01p i[.)n\] a;]rq 'q.n^u
uaq.^«;jiM»U',^I ui nio|[U t>iüi ja O'^siaj pini '^a^qnu.ioiim iirUioqaqosai) map
iK'A A«(u [^ ap.iiiAv ua'jt?p[o§ uapua.iqa}[iuiaq uap uo^ "Ji-^ü'ii'i^ V4^''^"0
iia^jiu{.»<( ii.»5rf|:)0u uap \\m ai« ua^iap-ioaq pun uaqaqjini.")
ad:[>iu9ii jap uai^vp^og U9p uoa aaqB uasjdii^ud 'ua^smnzsnv iiau
09|80S 909^19 jn« aon!P9dX3 91p *)I0J08 090iq«r0J9)OO Jlj^ I09)|108
0198 09pa«qj0A a^VJJOA 9)vuok 6 ^X^ 8ooj9qaisjaA SiCdnx qavo
poaiqvA *a«pvq !|atiiA0J«i a^x tl ^0} ^l^P
jap ooisiAag aaoia laq jim oapntrj puo japaiM ^qoni um| i^dnx
— 068 —
Digitized by Google
•iie).T«Mnzqt? suKjagj^^ s«p inn
'H^H .i'^in;i|iiii si.in:.)i;^I .lop ju9iui.\>in\- luauia in .uw m\ip\}m ]n\n
Ufupns nz .ivu | 4sq(,»s umi uiqi:ii.io(|\) Adn^^ udpni.wqosadA qos.ü;j^
uiop jui? iu)sri.)Q iiDp >iunnqo|oj7 jnz rnnq) sjoi[ .i^saip pun .lor/qjo
-ja^UQ m\) qn(q)af :n9iq a«Iux 'Ud])t?q liiiujiiv^q Ailiix pi\ s-^uutjq
-OD SiiIQA 89019 )q3i8|ny ia:|iiti pov^s joix SVQ '89J1(TI|)|Qi nosqoo
ndqon^mus jap )sn|jaA J^p JVa siuSiajg ajidpn^indpaq 9)SJ9 6«(i
'a8Jio|J8A )I9Z piA i|qa9 uaqong udp ioqo pan
!|UJajin9 J8!|19M 8jeix Jdp sdui9 qois )t»q sno^siaia :8Jidt)iuv|v pun
nasqoQ jap aojqojudmiiresn/ svp U98jofg napaf :)q3Biu ^laqay pi.v
•jqi]9 — f: HOA sStri'jiuiqoBu pnn Jm\ i\ — i noA sStri^nnJOA qoiiuqQA
-aij uoaquAi aqj^jjyj/^ aiQ ^jq .lopu .wuiusJuia uia oijüso^
•qt?.iaq sop^qiuoj^ oi\{
Jap "iKiiJAUj sap ysj>iiyi[an^) jap jaiiio loss\»|p»q| ua}|[i)jja uainiuj
ua?Ji:jqovui puii uoiinMäa^v jaqosidoj-) ja^^iddu }un monia ni '^so)
jaiH 'ua^ai^^saq uva^ujj siq) jiav oav 'aiwj aip jvav uoqjs qoij^iJiAv
qoi|q|vqo&pQvq '((duqaiazdä eq^ios ^it qauB eis pajs 'a8q98}U!n|istuq
nep }DV *a *z efA *a8)j«3 ud^qoeiq^s px9 pan jvp* nsxieig spi
8nv99«I j 6989ip 9iii;|qv 9tp qofs nana^is aaqasaS aiuaj jap sny
lapnq saaiiismg iiOAjasauassvjy^ aqail
-tuadia 8vp ^Xmdvjiij sap aiMOS ^nozvmy sap assQpnaqaf^ ua^q^ai
uaqDil]ui||8 jap ^aiqai^naiiö ^l^' V^^ ptaaj^sja inaunuo>j uap qajup
janb ü9ja||ipjo:) uap nOA in OOC 9qOH "öq-^iinfuqosqojnp jania
III qois «eq.)|üA\ ainqapaJiSUB sup ua^ujjaq puii sjujj uap
^.Top nam.Tq.isjO(in '^^^'^^"0 ^RI ^^P -^^^J l 'i^^>liiH ni^l» J"^^ -^iav uaqaijq
OLnJso)[ sif[ "iijo^is puu "nujojnia ju.w piK)iiar) aua«ozqajnp ai(7
iiuBi^ jaiuifsqaj^is j^qoijjqo iiia )si 'jaizyjo ajaiJuuf jap 'Mojjsuj
•a'jqoom ui^pja.sv in^^sou aSiu^^ ui iiunz^n^isja^ufi aqosiJB:jii!'" ^^.witä aip
qajnpBp sjBp 'sio^ausag aap u\ 'uapuv^suBaq %i(^vl Jsianuaaiua a^iojja
iia^aapisvjj uap qajnp afp im na^qoom qaop *aaqjajua jattiaif
ni qais nanBi^nj; aasnn jaqsiq qpn« a^nao^ ja ^ootniaq^pB^s ^vXno
Ol jaqovmoapinqos pnn Jaiaidg spi %si Xdnj, *jba tiapjoA )[p)a3
-nz ninidv}[ jdjaduor jai^iaAiz iiia ja^iaiSag jaq9|iq|Bq38n988iM 8[ir
pun Sanz}Q;|sjia!)nn jnz map ^Hdnj, sni^idB^ sauia iqaja^ map ja^mi
')qa:js Snnjioapag aqDsij^jiuu aiQ ^^Jin.qiK iz J^innjBp 'uubj^ gg
snB ^T[a]f!aq uoi:|ipadx3[ aiasufj 'a^iaiaf) s^p sun ua((i38 uajjan
o.iajil^jY *uoj«A\ uayojiajj d^SiSi:ni;}r;joc; sup juv asia^ jnz ua8un:jiaa9q
-io\ aip? uiapqniui '-nq-PAU;) Ji.w n.)>joi[jaA 'irj^ -9^ iiiv, 'qoi|pu%{
•qDi[qdi| jqas pun Jiun[sq,)OA\(iY lu: qoiaj :)Si ais : uaun,)>i aiinpsny ajajqaui
qajnp jiAk ua^iuai vqi*^iiO j:»uuqd4>mß aiQ uB uriUimiuiDsaq^ia;;;
— m —
üiyiiized by
-an>0|9H *)n«XM8A sapovq sap aqavidg iap pnn vl9%%i^ aap ^im ^sqaii
•Sqvo. san aa)iptiin pan oanaid uaSi^ou ^iiSuipaquii aip naiiJaiSvlSua
'9un!|8Qj8nY ajason jia oaiiBipav^snoAjaA jasaip pnajqvj^
*aqa96 diSdAv uii jqaui s^qoiu asiaH -i^P uiiii^a^ uiap pun dpjaM
iia9j08 naddnjx Jap danSapdidA pnn loviiui^^jodsirejx -inj 'iiand^s
i?un>i38p9a SuluaiSeH aip sji?p 'uaSngdraa pidqosag uaApiui|ap nap jim
J^uujiDapag" aq.iKij^'jiIuu o:)q.)sunMoi? aip zuiao.ij a^p uajiiapisyjj
uiiaq ^^^nsa^ dq^Bjjqdui qojnp 'aqnj^ sun uaqvju .h\v
-aqvu 9äii|X d^tdiq^^sjiiLi map qduu ttaijanqidjqdsda uap i^p
Sonqasjopa jap jaqn iua)g laqaippDidan ma jaqsiq !|iiiaqp8
*jqam ^qani ^iiai^sixa tuvqpsnasaf) asaip qan« laq« iaaqaq
m sapavq sap jamo^^qoiag aip ^oaüZ ^^^P '^W '»asnassoif) <nV8f[
ov&jauifi ap apvpapog Ijvqasuasao auia q9is a^acn^i^isao}! qdi|
-paa najqBf uai^iuia jo^ -issoq .id%mi noi^jpadx'j oi]) j«m q9ii^9U[i^
-un osuaqa soiiiiojja Sn^ nasatp tia^qoviir oapii^v ^^P n^^f^s hoa
aiiiJ^uy piin aaJ^niiH 'souLiy sap iia.wsjnij map jnt? jbavz pnn dip\\(^
aip jiuj zodo^i o.ipi;j map .la^un aqoios auia ?>ui^ Z\Sl ^-iH^r uii
tsnu üinB<i üi?s puii zkao{) uoa uai^uiii uauopipod\[^i apiA qao^
"\'\i\X9 iia:)uoq uauias uu a^snija^v
a.iaA\i(.)s .laiq .la |iaM ')nnT?iiaii os 'sayojv sop oi^i uap m siq a^SuwiaS
d)[d'i d^Ma^iaqas qan&ia^ jasaip qsuv jaqB iuaqaiz nz siiipiijy^
atp Qf noBpf 006 )tai ^fa^ ojrenry lauoxoQ nap a^qooouaA ja taapn^
)qa|a lai^ saqaiDoaSia mas qaopaf a^iEao3[ ^zvioo qatin a^Sinqad pnn
najqojaq nz ^qvXnQ painuaA ouong *9d|uqaiia9 apjnA aig w snu
-X)jiiK map qa«a noi^npadxg aap SanjaiSan^ jap laq a)8aj '!|aavna9
ooong s[iujuaqa 'ouong oauioioq'jJT?a sap uqog jap ^sj^
'aapuv^s diTii^ .lanoA xn savjaf)
SBni]^ ui jaiirq uaqoiaj aip uaqa i?p 'nossaJI.iaA pnn yoqjjqii ap.in.vv
punjpiof) map nOA apnn^ mq •oim?^ ov.o^ si« .lu.w sjoji^ os siukio^
jap z)T?idnq()\v jap v.\) ':)qaimia?^ 1JH0>1 opJUAv Jai}] uiajuw aiija>i
-uauoiaj^ japo ur>}[.nMU[aids oi.w sjoji^ os aip 'naq3)(an^sp[0f) nas[a.[
uap uaqasiA\z uapuüj 'na^a'}ja[Jiaq ai»nx map jni? njaip^ ajqi dq3[djii
'oaaiO|oq!^sg pun saji^ '«lopntH I^^Z H^l-iqo aBoaziiJaANja'^V]^
aip a^ivqtaa m 'vßn» u«ai jap aoA "addnjSsiaj aqai|aiii;uaSia aaia
rnrai qvs jajß my ti^^Joo jap apavq oii ana qais pmr|aq pon xba
)doaa9uia oa8{aj ooa pan aani|jass«j\i av qaiaj jap 'maj^g aa^ifajq
aaoia m pavq nz 'jass«^ nz a^iSaviaÜ ^a^oava vSai^voiuvj
ms89j(^ nasjidMqantn sauias uadaM amn aap 'sjnjj ndjt?(}j[}{i[^9 oaoia
ap|3dp)ua pjox ^^^^ Ja^iaA 9oz *^aa«aaS omraojaf (mg ap tijjag ^{a^
— 88S —
Digitized by
-nf) pun neSdH qomp |au 9)^vq oqi9A opi5uoo doa 9uß
ddtijx I9Q 'ajqojjdq luunns masdip noA ?qv^n<) 9m^ jap s^ep
')dq)niiu9A wm ineqvq )8n«q99 (Kpiqvd d)uaS) ^AnrnniQ aip 'iininir)8
-lauinpoi nia 09:1197 Ii9q9if3[n9piro ioa }\06 ^lop — i^v^no SaApmn;
nwp jn« a9?ipi9.uo ais uopiiy nz svo^o^ asoip nni '«i« «Afi^
onang 09rao[onvit!g sop Smininjuy jap jajnn naisiinifj OOI Jaqn noA
.itrqno; anp J?oz 0£9T P"^ 8t9T najqvf uap uoipsr\\7 •mtffq.iainjiit?
'syojoQ Oll» u.ioiuii Uli >noA.iouu}{)Ui S3j1i)i|.)\]iu uio jin? u.)i>i|mjji r*ip
onpimi s9.T0.T0ff jap niuiTi^ic:^ 8U9j.T0A\.T9:jini iioqos a.nisji?sut? «qv.fn,^ uoa
aqVK «i^P J'^n nf^fniTp«; tiz ioj^at^i^jc^ aip ui u.iqpsaip pun u,»».in.ip
-ja'iun nz omni\n«.i9Ui-|]^"I n9^jpqq.)\?n3q 'iiim^^ps: ouopoiqDsjua
9ip UQ'\^\}\[ 'o|nt?j Otis zdTAOjj jop .TOuqoAvajj 'ua^sipiuj aiQ
:s9pn9S[0| 'soui^iVK U9p 'J9^|pioo 9^vqn9Bti8 s«p j9qo sn«j«p qa}
iDq«np9 pim '!|i9inanr899 znuojj J9p sio)ün9S |BU9^«j( i9ia !|«q
svpiVQ 'n9q99o« i9onii]| oi^ mop iim qDS!)U9pi epi *9pjniM n9S9iA9d
-qovn op9A9ZY 9p 0!|oxi9j 9)n9a9X J»P nopip9dx;3 9a9ainioiU9!|ini
O^j 9JJ{V£ nn 9019 qojmp 9iail *!|q9ni pnn ^oix 69p ^jnunan^ ?[^s
vSni^vnvjrej uop n{.i|dii *n959iM9S^aiq ii9:)Jtt^ i9iU9pom J8|d|A mn;
-jjj nep jm? q.)nT^ p.iiM nutiQ a^-ioq namqanja^UQ iia^/ji'jqaisqpaq
s:ji8S.i9J8snn uiop uoa .to s|B 'iTpTnnöiji.MOA väv.,\ pun "^«l^>s
-TAVZ 9?jv.r}Ss.iqa}f.io \ jdup ]p^^^]VP\\\. v'>n''>Iz.i.3uiuio>[ 9ip .m\n lo>jr).iy
mup s]T9,iaq 9|)uq uiiitjv^ .lasaKj Mnr[(i3Sia)j najasiin jnj ij^qq^i
q.)is r)].T3i>?;a.ia]0T osso.i{) (C^VK '^^^ oiqdti.i^iorir) jap ui isiitrizadc;
.lap 'si^ppT,") 'v orof .ia«^TA\9iS ni^j ^jqnja^iuio vq^'-f^O "oa ')j»n|i>>J
-ll9Sid9 9ip UI piBq qojiipvp oapanM pau aa^^sq 9jauqs^aniqd|dui3
jfif^ 9q.ii9A m *jn« ii9nosu[9^ pun ii9iiijij aip ua^qons
*)q98Q|99 J9S89AV q^-Hip Jna
pjiA isjiiQ J9p i9Uin|98i9ds 9ip n9pi!q Q9aqog pan si9H *9an9i9i9q
-HZ 19{I919MZ III q9fa9ppaiH :a9q989Sq« n9aopvuvA a9Ui9pf uoa
*U9qias3ip so piiis ^lazpiijj^ japaf loq i a9]^BJn9S|ti« "i)iazq.iia[*? napj9M
ti98ia(!s oq^ipniBg ist assoaaiiqasij^ .lasun i^janaf) jap laqoAv 'a[ini§
nasjoj^ lUT nassaJ^TT'JiiiY .tq! f win '3ion:|r^qnjji .n\[\ OT "iQ VTiiQjaS
-uia uoqa'7_ saq.)iisui}q .lasun ai aiAV iiapanM oJ^ttj ua^sq^^u uiv
•nai^uuio^ nz lu^^j TpT?u iira
'.loA sauiintjoox pnn Aun^iKay map jnv v\) uoa pun /i?AOf) .laqn ?*d\\^
nap sun onpp^ luapuos 'ura imi.irp iq.)^ qoopaf ümri imn : uiqdasia}!
luasan Ji9qo ai^ U9qavjd8 'qai^i^Qai ^laü *)^iU!9JiaA aiapuu pan
Jtn9Jq9S ups *)Zjy ai9 ^j9q3I9ZllOJ J9p '9pim9JI^ 9Q9p9iq3«U9A uaiVA
nqi mn !9ipJBM8a9q9|| san 9)8nMS9q '9niiiir^s j9Joaos pan 9sv(U9[py
*)j«qnoA in9n«j9 )nn nmjfi J9ugq9S 'J98jojS ai9 *9n9p«iBjj i9q
'^jqinaSi .i9nini|zsf?inijdm3 8iip ai u9p.inM .uj^ '5:joq9ü9^pj3 ui9Ui9
Digitized by Google
map [Hill u.Kv)suo.] nn<jo.i>< nouia^ iioa 'qr>is viuqapz opnvqo«) sasaip
t Tioyvf) Tiaq-initK^yo iinT .irqjoniuiun ^'^>o\\ ^sup:,! up^ •jiiiinJ^Mjuy
ajasuu ud-^udpisyjj map jim ua^qoT?nt piiaqy unqi.i« uii? q.)0]»^
•nopuqaq l'^nniun moq )5;|(Io.n .i^\un
<jun JIM sjvp 'yojos sun iio.iqoj 'uouyo lor.ii]] iinu.)^q.)Ku.Kj rfi||OA
u-^j-i tiza^J uauqvj nannqn\;in ^iiu oip jni? ui) pui'^.ioiih oip qj.iüp
9ipps\ 'ojfnijqua'jiav^ oip up\\v iuoqos^ny Poqosa'dojn.) u|ouiorani uio
'^??ia^su« /iiuoAV ni3 pnn ii^3iquin pur>i^uo.iOA «J^AV^a qois ois ow 'v\i \va\
qaopdf jdqoinuii^s pmi}{jaK dq-^lDji^q t^upuidii svp tsuo}|i8g
qy^ij^ )pB)s jap nimvi nq 'snviaii jaoqoMvia jap ^raqqaii^qag aip
)IW Sonapjo pan ^laqjaqnvg jaiq mm iiqais "^vj^iiaSa))
-)ua aSi)ja|UQ japo a^Ji^sjaz svp nvjaqo aon !)Jop pnajqvjuL
"nqiniijoo pnn uopunsy nz aqatafFjaA mi jaSi}8ao9 is^jasinf uia jvm
^aaaovMdd sfqvfnQ d|iax naq^Fi^ip^s jqam map ui jim uap ^qonjpmg
J8Q '1p«i8 d|p ni j^avSjaizvdg narna jiü uaiqsvni spnaqy
*^Suv|a8 n8!)jv9 uaia^^v^sa^soB iiasqavAaQ naqasid
-01% %un qoiai ^udpaaS^aqire aap ni ntnn nap qojnp *iiapiniqjaA fn^
iiaqoq najfavi nama qojnp ua^api pui'^ aipx tiapioq 9iq ptqoAvaq
'uisajx iiuduof) map ^aaddiux nai^i^aiq jap .mapn^mmo^ map noA
pjiM aijiVH awpui- J*!P !*«n» «asiiVH ^^^P »IJIVH 9!P naqowtt jamnn/
ojasuQ 'napuBj aiuquiijiiy ^.lojos jtm om 'i)^.iosaq s.ianaipni sania asiu^ü
map ui aaiijcn?) ?nTi jRj oi^TJq zuiaojj jap :piapisT].ij .laq
•^.iai[|az.iP(I n.iain;]^- q.i.inp (ir.ia(|n pins a8uT?q/l.iar[ oi(j 'nvq .laiiiia«
-.Taiso|>^ lua Mi:uiuiov< svp ]jiai( ^i'V.'iQ^ jap ua^so uii aqoH -i^uia jni?
luo].ii;{) uoA uaqaiimn 'aJtiivqqy jap sSu^j jasn^n u9sju)a\ pnapna|q
jap iiaqia}! ajp na'jjüf) uaqnsido.n iiaqosLwz imii :iqais ']S[Oj asjüj;s
-^tiiiBH aap UBui uua^ 'uisSqh uajajqam jm ^iidii w|TfArf)
■amnvH "^'>i'^"ui jap
ua5jaa(j aip qoiaiSnz nappq pmi 'pj.iapaJf niaJ^ai/ uapun.i iim pun
^l^jq^s pu|s jaqaiJQ aip 'iiaqasjrtA uaqiaqac; uaq.'>sijtjjprnb ]mi pnn
niai>[ piiis jasni]}! ua/^i>(.io^snio lop jaisuaj aip rnaji^M 5uqoA\aJ^
uaqas nz Xvtixi^ji^j pun aaiui^ua^jy ui jaqsiq ai«; jiav ''^jmvQ
jajapoT! 7.nv$ UOA jasnvH aqonpani uaqai^ ^^JiiJ^S Jap ^nvi lpe)S
uaqoiilQdSia Jap qava esgvJiig apaisvgdad ua3iaQi<lzJ9nt> tid|mjo|
-a)g disjvaqaSajmi aaSnqatpn ^im ama tjqni naj^n map noA
*pireq Q« mivp naduid
pan pjog UV aassg mnz qoon qi^qsap naqanq im tna))«)« uoa
mvsSa«! 9ni8 naj^npsny svq *q« essnij moA apwi^g aqprq auia
VM)d '\fiQi{ vpv\^ 91(1 'jnvJtrp njasn^H )ini aiaf^ojd qnn« ja^anjvp
— 986 —
Digitized by Google
nia^ ^«1 t^qvAUQ uoa aajtsH uij d^gg daidi}| idjp qaou 93(30JS J9p
J98JQ« )jq(^ pan ^^Hsajdq 8ou«x aa)J9aia«idA samoj^g «ap aiin^ j»p
ni 018019 nt )9i 03i9t|jg J9S9|p Ifd8)id7 8iip ^ajdjnsjnu napfaq oap
QdqasiMZ jqa^idA ^^P )I999|QU9a aipQjg apneSaig dina 'm O0f~S
noA ai^iajg aqanaqdsm aqas aip sjni^^ jap !|vq t^qvXnQ lag
•oaqas nz j^iqos
apnajqvjpqjoA si?p um *J8|f) m« aqian aa9ii«{ jaoia ni qoiiuqoMoS
uapat")? '.leifo^^ 'jsiam 'nassiTsiij aip i 'jia5iqoipnmar) pan ii95i8iq^q
-ojj UB qoii'^uopjOJasjTiK o"rq aiz^^riqosoii iiOi^nnniniaMqasjaq,^ joa
ofjoip qo.inp naiHHMaJ^ u8iiiinuqoj^ 9i(| -qv as?n[^.j map qDiTii uapu^M
-raqaq nafJupaiii ni \\^]\v} pnn |9>foi(Ts.i9S9\rvV ^"^^P J^Ql) .la'^ojv 9°Tni8
U9S9T[ ais 'sasjiij^^f sap u.i,>j i Tiopiaq nv iiaiifunipaisuv .^I-^ na^iLr)
'^viCn^ qpmaiiid jim aa^qafajid zivk *06 ™Y H8|d(||qaeaidiifq
oaqo ODA ajafx afp aqafaA ni 'qoiis si» |a)iiag a8a«i ,c/,i — |
poi6 6a ioanintig aap ws uosBvyi oi aaSntiq lo^uij ovof sap jaisa^
aip tiia)di)j»A a^naiaqomx )^ iqvzuy Jasjoid ni 'naqas nz
aq^N '^^P ^! "^P pun aiq utwn ^niino^iaq .laqian *niqBz qoiiraaiz
pnis — Vd^ox .laqDTiuq^ uqt^qjnjx "lap uia — SBj[T?qDg aip t^jBqqa[
jqas asi iiaqaiia^o^ s^q 'iiaqo^psTi.ir) o'^uqapogsim asiaMuana^s
u«*.nUiqqoiq qojtip 'jqais nvm in,H{oi/ii/iini ilij.nuaiuuu sassiq^ sap sifinq
.Tim qoopaf qois piaqos uüiii:|ü.io^\ ariuldn asaiQ •uauuuo^n^.Toqn.iOA
u.ia|t]in)iuapqi?iO noaasqj)BM.iaqn xd^r\v.[ 'jiiu joqqo.TiAj mauia uv.
'uaqaqp iKizuvpdJ^uiiqoc; tioa a^ioo-jc; a:i.ir»i|osi oav 'T?p mm f;qnrfq
toiQVg UZ oiuBg UOA 'qan^j^gnz qdn«j)g uoa qais ^^uuvds udsqai^Md«^
-SaiiH^S tuasqavAaq !|ipip pais jajn amas ^nvq
aSupani evp qunp nadonpm naipiaipp» oi qais ^laSnfpps *aia
^qttXiio oig nap n| im oaiqn| zx^K '^ZftZ ^^a iq9«K '^P ^
'inre3[ naqasjaqt^ q^ipnap lajfi apiaq wm flgvp 'qompirp qotf^uapio
-jasfn« piiH s^Bp fiooiAiaS pon ^lajq ni qot VM^a laa ^^i ^}n\j[ jaQ
'oapjaM ^.laiAi'tpi^ iia8«nizirepdiqojja3ton7 pim -nainria'^ '^a^qonzai?
qaiApui^ 0A\ *iunBaa8 SFpnazBj 'ajOIT aqnia.nqTiz naSaii jajnsjnf^^ .lap
sSn^q 'iiia o')ua.iuoT obc;; uap iii najai[ pun Xi?n"T?.a'(j nap .iia^ uo>joiijaA
iniiun.ioQ UOA qoi|pjo>{ naqovuia'^^aiioj^ puu uaj«[qoQ; umz omn^Ji
ud.iapuosaq auia^j sa niapni 'naqaifianinmsnx saj^ipmi?] 9i?.\\ja uia d}.u\u}
■JITTqasjiasaf) d7.xiv.fi .?ip 'uapia| nz ^]ipu\ .ivfi jlw na^^i^q soii^js-oj^' pun
az^jH noA 'mqauaiiini? .iqas .tbav asia^i aiQ uia ^q^XnQ jßj jajduii^Q
U8ni8i3[ map ^„ndixoo*" uiap qoBU ua^joj^ ua^sqain rnti sun ua^iqas
pan „opidvg" sap pjog m jim naqanq iq^v^ jap puajqv^
*oai|aoiJC) lajp %m !|90jai$z(OH nia jqi naqau qofs ^apngaq
naj^uSaq nvg mi i)sia nunx uajiap «p i^qa^s ^q^-^!^
— m —
Digttized by Google
map eqi8H ^^o» ^im 98)«x(8)dn«H 9i(i *i[V|naiiimuo 8!|ini8i89o«
ddinid pnn 2)iidj9\ nanaq u^qvq JMmnif noiossaq 9ip tujdqpfd
naqDBg ^ira J09n\iH asoi^ionniiiDs aSupain *n9sjvj'js 9pu92n9JD[ qois
qoil3|niM'jqD8i :o^pvi9 n9q^sini?3iiJ9niBpT)s d\\v. quk no^onoui "jsi 918
*:ipü5S I9p üi uopmvi^ düuud xid}i\0VÄ(\Äd\ o;uiuip?8q
uassRi^ u8J9qo U9p jwts iJq^j oip .inj 9ui9|3i 9J9.u|oui u^r;i]( suojiijj
S9p U9>(^njq>^^nin)ni?7 ii9iuoziüq i9avz nop uy M9>piy .toa s9ssnLi
ad)i9jq ui OOS — g -laiq sap d^%i]ii J9p ui ümä jajdoiBQ j9Q
•l«U9SJl?
-9au«H ^•'o.j )2!)is9q poQ Snii)S9j[ 8ii«|a9q9 ^si
vqnm joo *U93[99p9q j3iiiiq9Biafi J9p pnn i99oH ^IP aq9l9A
*a9Sinipi«^ 9q9iiSf|9iiU9uii qais naspaj^sja 6)iVMQ|opinri 'i9j£iQ99qQqj9
map JOB 9dvq aqosqBqiapniiA aup !)«q aaqa^pms ™(I ^
vqmxaoo jn^jrcp 88«) *aiitn[ a9>[9nqj9qTi nvoa9 aaqiasjap ajaani
sirp 9n« sjTi|^ moA min spip os '}Sd]\ 98in3q^.i9g maaia vn 8nn^$;9,{
9qDl9.\i SjjqmioQ '\jo^\ xpign x^^^ n9mv>f zjtij^ luy -^jTjqospimT
9ip ui 8nnisqD9Aqy ug^qarjq 9iii]zs'?Jjiq9»^ di?ini9 pun iioi^in?»29^\ 9ip
9pjTi,w J9q:)i9j o-^sgp 'n9:jJ9q^n '}9iq98u9doJX map sun jim jq9Ui 9f
•ilun^jqonaiaa 91p qo.inp ^sigin Pliqsjn|^| sT?p •)nniA\9jJ pn9qy naJ^df)
•n9p|iq ii9pu9$?9f) 001^13 ii«Jf) .T9S9ip >l9nqnV
-!|60j) ui9p uoA j[|ud9g U9ai9 qois uviu uavi[ 08 'uaqa^sqB j9puB(i!9
noA q9!ira9iz pun pnis qooq qaf9i8 9ipi ^evj anintrg aip sjvp
'nzvp nvni ^nnnif^ *anoxs naniapi jania ^rai ammtng aqoq ^vpmi spi
siqaro iqais nmn nnap ippiq ^aponua japp|Ananq«j jtasaip ipnqny
jap laqy imnvsaq na8nnpi9Mnani(«j a^nqapajSsnv qajmp Sipn^isaq
jajfi 8irp ')6i nopnnsy qsvn Jvqia^^inniQ *8nnisq99Mqy ajaqoiaji
anqo pnis 'n9q9iz.i9qnioA «m xm aip|aA *U9^jt?q:>8pnt]rj gjQ
•^'q jassuMjqvq 5?iu9Ai jqas mu
9si9Miid|p^^ ^Jiqi •i^>P ^^P ''J'^inngq .TOjduuTQ jouia|>( nio p.iiM iTqrXnf)
siq ijqnmjof) noA i „opidu}!" .i9j(liuv(x ngsjoi?? rn9p ^lui uuui vu\\]}
v.(\inwJO^ ^mi;s9^>l jnz siq uoiounsy iio.v \ Ojio j ]'^^\^ ui 1[|ttj.t9z iiqi?AnQ
siq uonniifjy tioa 9Si9)i ■:).T9i|nniiiuu(t>f ajoiinj ?ui iia.iVAv 91s
ta9i|ian?.] n9jqi )uu 9»idMiid) 'dadizi^jo J9q38iuvi|isvjq qjBq3Sii9S99
asjojS auia pjog uv u9Jbj) 'i^moii^saq assiqx ia^iaMz ajajS
-WOT^i aip jQj )9i sajinil^ «dp MapjOA atd -3[9aa jnti qo»
^apugaq mnvisqivqosiiasor) j»p ^saj^iqas sap a|ia)ja!|niH nii jioqq ja^nn
pnni na)n(^ 9tp 'asjgjf) aSipn^snv znvS ama )«q ja|dm«(f laq
•^lT?qjannn a8aMsjn|»i ni9p jm smrimuQ nazuiAoj^f n9i9nni 119p pnn
0Ji9UBf 9p 01)1 uoqosiMZ 8anp(i|qj9A »nig iiMiiuio iT?noj^ iiopaf oqnpm
'•jjt?q3Si]999») U9q98iuTii|isi?jq .i9ni9 :iJQq98 *niq«njnT? TJqTJ.CnQ \pv.n 98I9J
-Jd]icj^jnz zaBj^ 'Og an? suu agqopAv '„opidu^** jajduiuQ idQ
— t88 — ^
Digitized by LtC)
*ndi|36iS9i9n^jio j 89p vmipn^s nidp ^nn qonqavs^duBq %192 9\ip no^q^uq
-19A J1A t Sfnuipie qdiiuiaiz 19t^a aopansy ui )i«q)ao|ny josnfi
*8iQ«ivnj[) J9p ^janmpiq ireaajoqaSiiio
J8!q jap aemmojtq.it^x ^duqoük jaiq pim u»|)dh ti9ni9{}i ndjaq
-J9A naj^H ^^^^P joquqng uap ^asj^j^s^dn^H 9ip q^anq
•noJJiT\j na8i.ip^?.T
-T8MZ naiio^oza^t iiasqoQ sq.i^s tioa Ti3i[.)i[qn .laiq ii.)nu .lap najiiiJv;;
ajap qois uaqai/ Tiaqp?.i8p pm?c; uap qn.iiid '^ia]svp(ia?Jun ]»uis'
qnopaf uasjiij:)^ ^JP -"IM ^•^i'^l'^o.ix Ui>is naqaiz .losn^jj U9ijjjpa{ii jdp
sdaiSI 'soiJjDuuiqas jqas -jsi uopunsy ip^S -^^P »J^nai sbq
*a9)jup 094iaiav 949Qjq8äanpairi J9p vn %^pfa
J9jdiiiv<i 9fp sjvp *a988iqj9 ^uqosio^ 9ip di9 ')TTq qiirq89p '9q«8qv
9in9pi 91119 J9Jqi^00g 1II9p9r UOA !|J9piO| SaiU9!S9H 9I(X *1l9pJ9A
)q3«iq98 pmrj m 990g qsiap q(vq89p ii9|S|iini jia *J93[ny 9q3|Mq
•sSrntpa«! J9p qoa 999uq9S uq9z 9S1U19 jjvm J9|diint(i J98an
*9pjniM )8)q3UdS apanjjf)
HZ SiflQA nainnnddjy pun U9i|ist?.i(| n989S^ o^^!^ a9Sf|9Stin map
UI qonT? .laq« 'a'^qjio.i.ia iioz9:iu|^ ani.i A«iiiiBJitj >inn"<^'^H ^^^^\^
aip «ini.ia[ioa}j iiassap .Ta^nn 'zrxlo^ «jJo:jir]>fi(X S9p '1,1:1107 mp UB
^uqBiu8/^ 'uaiqöq.ia:^suö^ uapg uaaqi :|iui 'oniii.nsT^itrj o:||u nsaiQ
•nojr>id(fn.T?? ^pt^^jg jap .Tas!i\?]{ oip q^is
nap Tim 'uaTtuyq sanBq)qot?.ij Tiasjojxf sauia ujamTnn.Tx 'i^P w^- ^q^iq
8SaHoiuQ][av 89p J9Q 9))9qi9SoH •i^iip Ja^aiq q9iiz)Q|d
!|qont^ 9pviS 9891p pnn *ii9pi9M nz Si[\9ia n« *)q9|9Ji9 nopansy nvm
9q9 *ziii3[ ^in^ iCimdvjroj 89p J9|fi a93[aif m9p pmi svq
*U9iiiaioi|9q ^q9i890 nz 89Uf9][ jtm ii9qvq *ii9no9 n9iiiai03(iOA Ji9iq 91p
'n9iii9iiq9Ki988Vj^ ii98joid ii9p QOA tpatijjd|f) nafmnqos map jn« Sp^
uvm ^qais 8npo>io.i}i aui 'pw sjapuo^aq ztreü SJujina^ map uai|«j
nanqtJj pun Ii9zni?pd8uippc! t ziau ii9.iapno5Jaq iiaoia uoi^^aS^a^ aqnsuku^
uoqos ajqi qo.Tiip iiamiiA\ai^ .lajß anias ':>PjaiS.ia sa:jnaiJJ0(3 laq qois ja
n9p ui 'bubjuj Jap s[i? jaivmqis piia^iiapaq :jsi .vuiiStjjpj ja(x
•Ur)p.iaAV '^'^ipjUMai; jiiiqiOA i?nT?.Tt?j sap
"nninapag aip pjiAV unvp :|sja '^a^jiTMja uaiiqi uoa uv.m aip 'ujapjoj
aoiij^ nz o^jfiipojj aip i[nip[jiA\ jT^mnia "nut?JT?j \m uozuiao.tj oip
ua9ü tuaj^qdg a9«liU9M jiki ua^au^^a^dq Ji^ 'uapuaSa^) uasaip ai
8dp]iq9)pv9S ^^P ^II^X n9Sizai9 9ip 98«j qanti Ji9q« 'a9pV9ioqj9p9iii
1901011 q9i8 9ip pofs 9:p[dreK ™dp J^^ ii9Jiin[Q98q90 99m9 *99Up9nb
-j98niiH 9Sim9 ^wpxiji 9013 *9j9pm» 91p 91M im« 9ai9 «f )q9!8 89
UiaipaA i9fA jqaf! ^qom 8a9dfiqB nvin q^jmpoM 'a9!)q9tzj9A n«y«q98
— ese —
Digitized by Google
49qv smuHix B83im{i99tin wapaa 9ip xim iio|iio«xq *f 'p x )f^H ^1 (•
-yO -i^P 8an°i^qoisag jm? qjciisap sjnni m;ui 'i[i?q^uajnv aaSu^i ^si
-pa^S 9uau pn,^.Tip,?.\\).Toj q.iis uayiiq S9 iiuap 'uopj8M ^9iopS yqt?^>l
iiazui?j? puoaq\jA\ sjnui q.iop ';si .lasst'AvjqtJj s8.Toqois jaiq «p
*no>^rnu(.Toj I unjio^s- uap iii? q.)i|uqoM04i qois :^i\|q .lojcIiia^Q J8q
*puis )naj)8a9z puBq dpa9ädi{aB 8vp diü sjd^i^vavqQ aaqidssap aiasux
990i[iivz Qoqidsmap ni irp *:^)dq8jn|j sBp Jdqv il3n<lJ9<IO ^^^1®
*ai]i g— g noA 9)!djg diiid sa^naiJUOQ siq i^itrqaq ^iroiv^ joq
9UX9 9q0H -i^P Ji^^ ^qon«!| nnvM pnn novQ "^VJI aa^jvamvg nouois
9\^98 OOA v^i^^i dq3ioj 9Uia svp pti^l-^^jn tndSupaiu ^im niasqoaa
I9pnpiit?S 8iio:|s tno^oiiom jqas .T9qi? 'iioqos ^qo9J :jsi XT?n2T?.i«<j map
juv uoiDunsy siq sj)iiou.io;) tioa puii yiiuarj map jWM sa;ii9UJ0^ siq
sa.iiY-sonanfi uoa i.iqT?jsjn|»j aiQ iJ^iptjqn^^ina jaifinTj^ uasaip jnj
^jijqDSiioso^asia^ auiqanaiiuu q.unp qai apjiiA^ qoop 'luaponi uaqa
Vpui .IBM 'oiqot^.iq ttoi^misy i{dv.u \pm .lap '„lutijimf)" jajdmBQ
•laQ paiqdsqy saaiy-souaiia ooa qoi raqißa jBiijqa i Tuy*
tpjänix sap )d!qdi^y[ map xpm q^BqaeiidSdO jap
qdiijqjny map nz siq ff{vino ^\ ^ivq^iuainv nap pun qaini asfa^ aip
iaqi) 8dpiiaS|0 j jim namqaix^na Hq^iai '£ mnz stq saqofaA *8|imio
'jiQ auaH sap aqanqaSvx na^ita^aS^im %slSk^jfi san map sny
'$j9njaA sajiy-sooang jranjqa^i -qz ^ )sia sjnv{3 -jq
pnajqvA 'nej^jo-qa^uid nopunsy ni jvniqs^ apn^ aa9a8 S!|i9J9q n9XBiL
uauia^lS nap uoa najjöH ^!(T •uesjatiqosnzire noi^ipaditg J9p qnis nm
'U9nnn()>(aii .laqn.iaq pnt?iq3s:)tiaQ uoa uaqnsmzui .n?Av 'uouio^g nap uoa
.i9|'Rm<ip]qnspinyi 'iiodid^c^ nop uoa 'pam mq sop .ia:}^aA ui%x
•j«M ;uiuH]sa(i uouT?.iBj^— uriuix — V^^^'^"0 — i?nT?.a'j a;no>i opuoi>xqqDS
-nzuia 9ip pnn 'd}'\v.\\ ']^x$'Sd^w/. J^nn/in^^s.ia'inr^ :^nnaai)?9H 9qosiaTJiiis^.Tq
eip sj^p 'uaqaipa^i "jiaMOs ^jiaquai^aiaSuy 9ip s9.iqTrf s9S9ip jt^njq
-8j mi IBA «qopj9Q pnn 89jiY-6oadng ai !)ivq!^ad}nv pan Q9!^i9qjiB
-JOA naiaSoin ossoiq o^i^vk nazouoj^t aip qomp
svaozvoiY map poit ^vav^ map naqasiMz a)no^ aip ivmz pmi
iiai{i6iug in« i[jiamad)3ny svp a^a^qoM n«K 'najiu nz naqa^x sui
9BiajB8mu(oap)03 ajapov onid inj ub[j napnesjidqjdA Siojjgf nama
*.idqvp '\ybS (^'U9qai9jJd nz iCnnSninj mv nopnnsy s^if Aqn oiwa
-OD|i^I uap ?ni? trftjux \toä n98nn|ad noniportxg ndqdsiOBiAiioq
na;a')iai89q a^noqx ubsozuhj^kI map uoa aap sa sjup 'na.uan a|p
uojqitjjd gggi )sq.iaq]\.Mlg mi 09piA9)U0|^ ui ^jui^ay .idjqi qavx
— 288
Digiii^cü by
t|Di|pTi8 ^39ti öTg 'odra^oQ tr.uo|| 8.i8pnii.if) S0JTJT mnitiaStg sapiaq fidj^pais
>j9i{3n2 d3t)Jtrajai3 appnd|{OA üsqa anid pim luij^ t!Uvj«j nii (idjT;[{ tuuz siq soa
-mii9ii{3g U93UQi[Udai9 uoqos ^z^isaq dinoio^ i>pud|i9jrT{a»poj ^^t^sna osdiQ
•U9p.inA\ ups :|.n(a>f9;i'>[.iujnz «>|UdinB
aap ^)8j«j9^ a«|j uap uai^joa^pog ju« sai^iBq^aajny saiqi poaiqüm
jap naxjdH |9AZ ao^i^tni (^„„^attia^qdijaq jaqtuj s^iaiaq jia 911^
*iit|||podx;i jap uapan^fH voa uaqaf^aHx ™ »l^iniiy
't^8l lS)|}J8UIBpnS IlOJnp 8SI8JS6uniJ0$J0J 8i|9$tn8p 8{a
*miiiai«)8iaq «vdomg naqau^ iiaiaiqBi[ nap snv naqiasaip va»M.
Biapnosaq *9qa9fldq a^snii j jdBi^3| Jiro j maaia pan miis mapansaa
Qi pnfd«^ wemd naaap iaiiaiq luaonvK Sinifpaisiiy aip jq| qaii
•laMqos qoop 'uaiaJo^jqDQzqaiA p»n ua8«^u«[j j.isjoiÄ aSciuy aip Jüj
pia^ sa:)duqoiaza8fm« uia ODvq^ .lap sj«p '-ij^qpjiaÄzmi iimos ^si s'.j
•!j3lJBin^l9AV uap JDi 8uini9q.iBjaA ja.iqi uz uuap a^iaMqoso^l 'asqo^Av
-9£) aasaip au^in^ ua|ioiioi)iu .mz i?tpu9M:>ou i^iidt?^ sapua^nopaq
«f Bp '9^j.ii)p aapjiqsiiKiaq ja'/:^isaqpiiii.if) .lauiai^i pu«;§ japuaquqjqoM
uia laq^p q.)is qo 'qDiiSBJj aqas qoop sa )si os '•jsjiaq.iaA 'yni^ii^
9pu9qn[q 9uia ^sqjgs imujo:jLU9X uiap p^f^jy .lail^^Aj.iaAV os in?qnv
jap qaa« um^ pufi 'pjjü aias i^dgqa&ia piVAl aua^aia:^ oaiudiibaq
jap ^8ja jnii ppsqos ^aapiiq oovqo sap assiaSÜiazjaiidiraH ^IP pvn
'dnoAimivg 'jaipnz s^a^s [qoM qaira aaap na^p og
*QapjoA naqaSaS^n« pim ^urnnfja Ai!|ipipojdan
QiajaqujOA aoA %^ *)9pnq «jaipaisuY sap epinr|8{qp>^ ranz aSiqpinuo
aip saify-floaang pnn «inv^ ni j9q3ios 9|a *äa9aj3«p iitiqn9zi9^
'!|U|aq9Sj9 qain^J jqvj9Sj9inEtipni u9U9punMqa8idA zmS iqoiu qoou J9p
laq U9q9 S9ip )I9mos ^U9q9u:)9q na^^^uu^ n9S9(p ud\[B ub pjiAv ^qanz
"I^IA q^>nv •U9pj9A\ iqoiuno^^ an^^^w^^^'a P"^ 5|^qBX 11^" 9qDn9.TaA
-in?quv 9Qniix uauar>ai84i .ia|qu3( rat pa9jq«AV 'u9JaiAi^in5[ wz iH{V)^
-sjBj^ uiasjoji^ ni .u[o.ua>|.iir/ s«p (.j^oduiBOQ t?iu(qof) .19p pun su.>>;ox
*'BiDa9'jsiso}i III qnuK (uopunsy qiT?q.ia')iin ^laM ^qoin ofanuag;
pun oivuioaiij lUdp uaqasiMz 91s) iqoMOs bsouuo^ ^pv^s^dnvH
jap Ol mm %mßw{ jaqv %idz Jaqaiai^ uz 'oaSan aSaMjassvjy^ map
noA Snnajaj^ns jamanbaq ui qaoa iiaqa naqiasaip ^laMOS *Jdp{iiji
iiaqoi|n9:^oiif jap Sun^naqmy )iai jawqaiua^iaii auaiiqB^a aisnx
Jap UV aq3iaj[iq«2 qanv pnn jafpaifiny oaqaftraaipR)! saa^siam jaoaT
m —
Digitized by Google
•<|U9p U9a}9 uoqas aaiuoio^ ud^sidJän« ^jop s^a^pjanau aip aaqeS
ipny 'tieiaeü was 0669ja)Qi qoa ^sq^as ji|93[jaA)i9j\|^ uap jdj 9ssm
-dnazjg jaatas aqaiaA 'aaSBsnzsntMOA pnn pitM naiaqaoina 3ni<|i>^^
ueipsionaaSj« jap aimono3(Q aap ui di^03|iiz oswqQ lap aipiaü
*aovi|9iazaq m Jiaiivu ilini|{Bi|s a(p ^jaMips %tpm nn^m %8i
•nopjiiaii 9ip uajdiiuizap
ua^Haqjiat^jAi 9qDia.imi?z puii qo.T8 pjiM 9\\o\\^ 9uias 'uapaiqosiua
'zuvfi q.iarainn?iJaA jaq« J^^^>S '^«P t tiagaipqoa^JS pun iiajf^iijv i^P
ai?B|j (it3q.)i[.i(.)qjiitmn jap pun 9'/:)ih J^p uoa pna^napaq iiuqis p.iaj([
süp :)9pi9[ 'iJUiijAi uaqosidojjqpiq map uf ^piiij qosinnaq q;)is qaiApui^
snsp pudiqv^ 'saqaiiuq^ jiav aapui^ udjai)sni?H ^^^V P^. U'^^V
•^anqoia/aSsnv uaqiapaü vooipiUJj^ pun
'^I^H '«iqojuajiduz dHOAvuint^g '^Bqvj, pun ^jOAiaq jaqaiaj
UI aauDuag pun naAvivnf) 'uaSiaj pan aaSaiuo Q^pOQ aivq^^qaiu^
jap ^nijq oaSaSiiQ 'naqa^siapiM aiiaog uapaaqi^lS jap iiaQnQ3[
aB8D|( pnn uaunivg^ qoon ^Qaqosji^ pan pidy juapa^ pan ^naqnvix
a)Z|a«dq q9!i<>V^8 9Snu9$ v»pi\ sioo^saja^i^ i»q *8apa«q aap
azaajf) naqoiipQS jap a« zav9 qaoa jna uaqppaS 'aaziaj^ sjapiiosaq
'uaiivdJao diQ *n9aaQ3[ aapjaM :}n«q99aB ipijoa )nu .iqaui ^qoiu
^jop anoz u^^S^isjyniaS J9p asqD^MaSin'Jin^i u9:|sqoiiq.)i;s:)dnt?q 91p sjT?p
'lajiaAv/ uiauia>| sn^juapaf s9 ')jiöii.u))un qoop Uiaq9i^ 11/ pu)?H 9ip
ire Ur^vd ajaqais sun uin 'itunf iiz qooU pnis u9nioio}i uo;ild|9i)Ui?
uinuojLi.iaj ini s^uipjanau aip nnap 'nasjaipps jm?.u?p S9:|uaijao3
ua:)Jt?qq,)Vii9q map uoa anu '4zpf sjq jia\ uannojf H^HiaJ^i 'Jn-j«^
jaqasidoj^qns qdiisjaiiqossiiB uoqos o;)vqQ sap aäsin^n9ZJ9U9pog
aip qanv puis nassamajeia« a888ia:)|iiqjaAjn:i«jadaiax aasaid
9'8S
UJdv ^I— I
9
6T'96
9'6T
y-nm
Ol
g'8i
0'L£
jBiuqaj es— *l
91
9i,8l JtTOOHf 18— x
ZI
O'Ll
9^88
jaqmazaQ 'is— 'I
9
0*0g
f
9*ÄT
laqonco *T€— T
f
Q'9I
•Jff W o68 pnt» rg9 o9g torobiäz
aaptrjSHaao ni aajnivjadniax aa^a^^qavqoaq jap I0|iix
088 —
Digitized by Google
0tJ&
jvip >fuuiäjiiv uiidi[ 0 1 — Q^BUOK ud)t»)ll}4 aap pueaqvA sd^aaujOQ
in 8SI8H Qdidqmi Ji9ai9 pa ipi puvj U9i\98 aiij( 'um idjiaAZ uia^
vf ainsi 8Jd)atüi 89p 9p|ii^ 91p j9qo iin9p *)!9Z8ajq«f ii9)Q«889J0)uf
U9pao89q J989fp QOA pfig m9 iiRiJ9aiai! 918 a9q98 qoop tpa«|dq
9p9j8 qois iioi)!p9dxg[ 9tp ^vW^^v a9{i9)s 119p 1» a9pjRM&
pun 9)Vttoa]j9iutnos 9tp }m jm qois U93pt«aq969q n9i3aii)q9Bqo9g
U9a99i9 9ni9p[ 'm San^qou^so 9ivmiou 91p ni9n9a uoa ii9mq9a pan
*09q9«in HZ z}«ij ouiüispQS in9pa99io| |nuivp ^lot 199)1^99 m»ni9 uin
'QI9 q9!inqQAk9d ouvp ii9jiqq38 *J9qQ U9pi0|{ qava onisdirai ii8q9d 969|p
• oq^IDSO pu|8 9puij|\ ii9pn9q98xi9qjoA 9i(£ *i»3|9(U| di6)vni8ra)ivt{J9A
a9899«p J9)QiM J^P *iU9))!M9{) puD m29}^ vn qoioi !|si ji9aiiiioc^ Jda
J 0C6 -u-^uuqesuv 9q99J uoqps jnt)iU9dui9)saaii«f djan^iui aip ^si
0198911) ipv^ 'ii8pj9A U9Uiaiou98nv )r^i')jdA\i|oia[)^ s[Xi uvLvy[ ^d)Udijj03
zuiAOJ(] aa)nii9j)d8 ni0Jr)s U9\) \[.u\\p jnu J9p 9Siua(^ Jraqv tJOA
1l9Äun')no«qoaa auiasi udÄan :j«qi9S ODViij sop «aiil>i SBp jaqj^^
*q9t()o) )i|0(u uoj9')z^di udpiaq jap q3n<;^ .lap ')si qoop iauoidio^ts
IHin uauH(dsq.)8iiy osiiacp 'uypuvqjOA \{[V'/ .lasjo.L^ in pnis uosiauiy
jnz ais v)qaiiJovi»K '''»-i^l' \^m?PP"^S) «9»bid aip puii 'louqo.waq
josuji) pun 9i[.)snq9r) aip aq^ia^ \my[^Q'^) ^ivivaIv uvfi eip 'iMsraa.Ki
-dpjojj pun (J)/^o|yq.)0)<^ azjtJA\q.ismo}| oiuoi siipni^Y J^P euiJi:A\q.)<^
aip u.>r.\ijüzuz pujs uouqi q.iop :souafof pun so:ji5{r>i^ .lap iwuoinij/^
uap UOA ipi i(;)iM(Is noq.ig uojajijaA uanpiAipui pun uayy no.v
uaiiuaj^ uaipiiuqsisui! ui JO/fniuij nouio[5[ jop stjp u9Jddäi2(j
*}uqV'\\-i9 uojiu\?[i[.isuaj|iu(»>| lam -jadtJBi>[ uaq.)!a.inp;z nz iT{.nn oip
aiA\os 'luqoAvaq .wssyvvay aap .lajQ aip aqaiaA\ '-wog auia uanjlda^
U9p UOA qaou jnu |ds aaig 'ua^aJVidA 9Suvjain a9)ait)89)ä m9xq[
UI udiui)U9Sxy a9q3sidoi)qn8 89p «anv^ 9^uui7}t9q 91p n9q9 )8{ so
: Sunnqvi&js ii9pn9q9Sj9qjo^ nn noqos q9q989S '^lanium^ mrapitiM Pun
U9U9q98«i{) a9S9!p Q} qafs 9qp|9M *)I9MJ9IX a9q9«|Siauinii JdQ
'13l99p9q )i9Mn9|i9ai u9qQ|] a99[patis
91p 9I01v<I/Cb^j^ 9pa9q9i| 9!9qii93|OJ[X ^IP pn9jqirM 'a9ptra)89q a9niivd
-X«pumQ J9p ii9ziQq99 a9)nq9p9S6n« a9p uoa dgnvq pais a9q9Sjre|^
a9)q9n9j aiQ *z|9H a9q98U9tvui n9qoi[ Q9ddiudainiig J9p a988iiai{x n9p
^qi9IJ9A pOtl *t|dllVH 89SQISS«j8 0198 *9tniVdl9))«(I 9p|m 9U19 *9piiicl
J9p ^qaqjd jaqe Jdpivj^ J989tp ju(m90 map J9qg *iU9i]aua pi«MJf|
1iaqasnaMi!su.iq uap n« VL9\Xi\q aap ^laquoqog pun 090110 j J9p oni)qo{9H
ovaip *uazut;{|dilu][ii.)^ ua>t3;puij« 'UtjiiJijiiiuavoi ooa ooSontqdsoin pon
ziuqja^Uii uio:myip uoa i.ioqjuAom puis o|it? asaiQ ^UDi pun ^la^ixiiddj^^
J909q989d 910 UZ ^\vj^ poii Jvuvqo jap VKravfq OTi.)T;j({an^) pati
oqoxiii)$[Y lap ^auo^ Udq3i|p(is jqaoi jauia Jdpui}[ qj{s ua^^uj^ua
— 6t8 —
Digitized by Google
otl.)siuBipui udJ9i» 'U9uinug udjapun )japunq pun iiyd^Ximt) 'fqojar^^
"^utn^X )!™ iq3siau9)un spquiix apudSviqaoq pan U9)iiU9aqjoq dqoidüi
'iqvz 'ud)D(g udSiqiBjuasoj ueoids !)iui oqovdvq niap uaqau opvjoioa
oqaviqanj) pan ^dpuiufi aqai^)«)« jap :aao2 naqdsidoj^qns jap
jdZ|Qqz)y|{ uanoApaM aip jaiq qois udpup saä«[q9siunBg sap )ia3|ifi!|ivj
-J^iuUBK Jai^q^Qq u| 'iqoi'/uiq Ha9utiJ9i)rj[s^ uoi[.)iajjass"BA jap uo^u^H
uap irc ')i8j(|U9iiain 8yuvq qj}« Pl«AV Jou)S!]\n>!3r«i« puajq\?A 'aaqia(
-aoA uaqasuv söif.)!ii"H:>IJ^<I inö 4Jo yvq.)si)iii]'| .loj) 'juo.nsoq iia(kIiUi>
-luta'jj uoqosi.TOjvm ^lui oq;)|9Av HioiK)q'.i uo|ioa\ eip 9qQq>au«[\T ^\^.
:j>fiW[)9q sq.)nA\<u.ii) •jia» |id>[x5i<l(r [ \)Uii ^q-^UJ^] uo.ivq.iiq»uiiM
t)S ']^] ÄVi\']\\d\uj paeiuqausii« puu ;qDio.ua lu g uüa )i9}[i1i4q.)\jjv ouio
q^jo :)q98iuuaA pu^g )iui aq^iaü 'apjauuuvQ jazjtiAiqas (iq^iq^g ua)Ja^[d)ä
uoinsBdinv«! map jaqB Jawa sno äliSuv2fqajRp ^qaiisaq oapog jad
*jqoH pan pai^ uoa ajaaf^ uasaip ai lasax jaaia jn« uxvsqaiaiä
Hrpaa)6i«as ^l^iopH atp ^sjiaq )z)df sa aiM japo 'opnvoja^ uvg
:iuaii3iaq paaSQoad !)qaia qoou nz aa:|8d^ qavo Sonaqapsnv uajap
puii aa^toaxiBja oXvmodiij puu o,rdiuj3£[ mnz siq oiSax ^iH M^^^
9q.)[0M ^naiiuas nz naqo8J«ii{ nalSpdnins nap nz ni«Sjl)ui'[ qois
asaip ^unfj^aq '.laqnuaSaii opw.ipa(lui%i usqo'jp^)^ uaqasiuf'^uajJüD uiop
v\\}ri 'uepjo^ Uli 'uaijoqinini i^iinqosoq.Tajf] aqoq oip 9}uv'\
ui8qj>u.i :|im i[3!|pua ois siq 'uier.ii\;[i|.)>;uiq 9i5iU^ U »}>^ aqo^f[ Ucin.)jo.ipiuz
oip uoq.)|9Ai III 'uoJ>nn.i9pais^ iiaq^t'H uoa U9qooaq.i9)uii mu 'oii9q%{
apu9jni?i').ioj luiuüzijoq ^svj oiiia :j9p|iq pim 'rin^tvj >,'9p y^aiqol^
-sduuuimdMqosjdqQ map jaqu ui oi siq g uz ^iq iäua(|diiq3g; aap
-ua)jia)8uv qa({ZYQld lfm qats ^qaqja oavqo sap panq aisaj svq
'apjDA
^nqiiqaSa« daniapaisag ajqi pan ^qasjopa a^OH ^^P Q^^l^aj^is aSuu
-eB ^qara ^laqjy jaqan^vaooisqaas ai ijjvp os 'sjaif nassanuaA atnoio^
auia qai ojajQ uassap av oXojjy innz i^iq «^.i^Mpjou snv
v:jspibuü.)9^ UOA asia^i oiiia "ni^ aput?'] nz ipny iq.isJojJ9 ^i9Ak
•ras 9pjnM 'igpunra oj^uo^ map uacjou .it?(|i9'jiTuiun sa^uaujo^j
.laqnua^^tJÜ .t91(.)[9.\\ '().iapB?iT?.ix -i^l' P^"' '„tJ^isiuT** 9ip eyduiisp
*ujsj^ «iiay UOA qoijp.Hiu puii qoiipn?; Tin.vuaij pun iiA'iABnrJj^ jop
'«AOf) UüA aqi;>i ja[) iii ii.mDA\*nA) .uqi pun ojjfav; l'uu"«'j aop aiA\
'ouijusjnjji aqoio.iiqi?'/ i(jau(j 'ua^j.iails.iaA sojs^nuuuj^joq ila^y uap
sa^oiüuiu^ jap J9pl9^^I uauajjoMjaA aip siq japo 'sjaqnz ajai^jasbUj^
ajqi sa i^idMOs :)q98J0jja aapinA '^moi^sqdjnp j^unjapaiK aq^vtf
auia jSon^qaiH Jaq^upBs ai 'paaSnudst^ua sapatr[ sap I3[andia))!|i|
uf )8V| jap 'sajooiy oih aq^nuqasa« jap amos ^oput^ odojjy Jaa
"uajqtrjaq |iax aatsjojd ainz apjuA ^imi v^smbaoaaH sat^uajjJOQ
— 8iLb' —
Digiiized by Google
noA eaioji)6)dnBH oroz laniuvd noiqojsq nz lajQ oqoq svp anqo
J9P *}U!]| ^ttiKjni,! jaQ *aajqm jqi nz 9qo|9A ^naauasi aivnsH
inuiiiq«7 8vp pim (Kraqo sap ljvi{os;put?iJ8jfi aip qoi ot^iuai ^aayqf
9Z<81 zjVH^nz ^Kl ^IP 'uauoi)ip9dx%[ udjaput? \u)\o\\ pun uasoip ux
•b^jsijv uoA pj^ma uaSizuw map jux? oioquiBJ«o ^iv^d
8U|8 pun opv^JnflO ua-^pids .la^^ds apan-jc; auia pun „ipo[S[8jnaj/
sup qojnp iiur/j.To^nmiaunoc;! joa qoon uasoj^TJj^ aap ain-iy "a^^M
-JVJ^ oip smi uojai(iy joqu ^.lop uo \^ uopjaAN nz ue)ii?i(d8jut? %i[.nu
oipijg u9iioiijiO{A jop noniunAMpsip.in(i uiioq um 'ua:na.i nz :)apia|>|aq
pinoji uiap ijui .nm [nmsoip moa so iiO/?oz jm pun 's»oof{ sajx uap
ui a^ouq lune >i.)^).iuz ojduins -^^^l^ -^'^^''^ a'jsja sjoj o^^P- ^"!^^
•uauui8oq Sun.ii'jUJX aassauippj aip pun i.ioiz>ou5oiiaj
SBi ap «luo^oQ aip aiy ^jq -'^P ''»q->!9J i'» i^- >|.i9M2^ j3su;|
M9^?i?q lunz >[.)njnz puaJ^ioj aqju^
luop s}.i\?Avpns naSojj uiasjo.i/^ ui pun 9unn?spii?^v\ u^uJ9| '"^P ip^w
aqoui^fl o?f|uuos aip jaqn .lo^p.w sa ijUiS i^p 'U9puuMi[.is.i9A a}l3aplBAV
jauia Jd^uiq qoupua auaf s{b puQ *ajajia)!^aA\ nz :)ia]{Si|P"M^S
siapii^ a8)qi9M)adan jap luapais uap ^m paazqauBf 'siojjQpag map ai
'saiafivasap ^snq iiaqoji| jap ut qpvja|a tuapnos tuadafia nz jvS lapo
aaqaidJia nz sa ^unnjgoH ^PUM naSpqanp map ddo|«o
ma^jvq^s ai sa Snß %ioi pan 'jiai^daqpSvf xoa id902 ^ va!|Jiaz pun
uaqoaqos apiajii aiQ *a)nno3[ aapiaqasja^nn nasjmu^s uoa nai^iv^saf)
aa3[8a)Oi9 aip p(vq *dqaH janaqas iapn){ wa ptvq aSniuaSirf snp
nanap jntr 'nasjan uago na^ipisqojnQ a^taA i^gn^q naqoqosaS lapauaia
ja^niq qasjBinovai aip ^a^saq naddnjSmnvg )iai j«a tisqias aaaqg
at0 'dpinM ^anvuaS svosox ^\ 'a^fasau ja^nmifq Savqqy nap ja
nanap naipsiMZ *ua3i3Q|qia/?jaj^ uaximoq) uap uoa jap ^pnanqaiazaq
saqa^a sauia jnvq uap 'uiq uintispi^^Y jaj^iunp Uj9 qois 8oz naj^uiq
jajasun nz pnn a^noziJOH uaqoipsaA mn ujaj *napvM}{9njnz pup^funj
annog napuaqaSjn« 8nn Ja:)uiq jap uaiqt?j)c^ aip anqiin ajaMqosnT?')
nassap ^« saevjf) napnaSoM aq^^q^ a^iaM auia qois o)9)i9.iq ua)^nY
naJdsnn joa pun 'naSaiis.ia aqoquy asi9| aip ji?m nauqng 'apadj^j
nz suu qus Jdq« udi»aü|^ ^qu-ij J^^p tSiqiu sjo^jeA )q.>«N^ ai(|
••jjio) U9>[iztj>i ^au|9 opjox U9p .i9qu qi9A\
uias 'uapjaM uaSoz.i9 luoSauji nz soai?;«}^ ueujaj uap laq :)q.iioii9iA
japu!>j 9HI9S pu9jq]JÄV 'JS9J qaou :|z^af asiaAVJaqoif^Q^n ll^q puu
n9:jniioJi.K)i^ uinz J9qT?p uqi a:^uut?uja 'uaz:jnunzsni] J9u.i9j qjuu u.iauui
uouiusjioAUin rat ja.iqn,»i a:|sn9i(7 ua|ioA:^jaA\ auias 'joa sa Soz
.laq'R jasaiQ -pu^iisiiog um risnibnoan ni (qiViiiiqo "^^-.laqo uap uv
qais ja d)paBM 'ua^ui^zja uz puu|} ja^auj^CAaii^ )iui ^laqiaj^ uajap
Digitized by Google
— S93 —
Woche zu Ende gegaogen, wir essen morgens Reis und abends
Bohnen, zuweilen auch umgekehrt, mit Rindfleisch oder von jetzt
ab häufiger Fisch. Speck liaben wir nur wenig, in der farinha
(Mehl) ist aucli schon böse gehaust. Der Hauptvorrat besteht in
Reis und Bohnen. Es ist ein besonderer Genufs, wälirend des
Marsches in Gedanken bei Siechen oder im Kurfürstenkeiler einzu-
kehren; schon bei der Idee Kalbskotelettes mit £ierü könnte ein«
Tbräne io meinem Aoge schimmern. Keiner von uns würde der
Versnchang widerstehen, wenn hier plötzlich ein befrackter Kellner
mit einer dampfenden Frankfurter, Senf und Kartoffelsalat erschiene,
dafür eines unserer wenigen Pfund Sterling zu opfern. Von Ge-
tränken nicht zu reden. Sie entbehren sich wunderbarer Weise
leichter; wir trinken Wasser, und dank dem Geschick, welches uns
nur durch Sandsteinformation führt, immer gutes khires Wasser.
Nachts klappern wir vor Kälte, wir hatten mehrfach nur sieben Grad,
und mittags immer dreifsig Grad. Unsere dicken Englischlederanzügc
sind uns wert und teuer geworden. Wir kleiden uns zum Schlafen
nicht aus, sondern ziehen uns au, alles was wir haben. Die Nachte
sind schön und sternenhell; es giebt keine anderen Wolken, als die
wir selbst gemacht haben ; es l&fst sich gut beobachten, wie sich
weifse CumuM ans den dunklen Bauchballen abscheiden; zum Regnen
ist es niemals gekommen. Schlimm ist es, dafs unser Tag nur von
6 bis 6 Uhr dauert, Kerzen und öl dOrfen wir hier nicht Yer-
schwenden, da sie nur fBr Beobachtungen dienen; so plaudert man,
fiuf einem Ochsenfell liegend, bis 8 oder 9 Uhr, und zieht sich als-
dann zum Kampf mit der Hängematte zurück. Was gäbe ich darum,
zuweilen bis 11 oder 12 Uhr noch den schlechtesten Eisenbahnroman
lesen zu können! Doch haben wir eine gute Bibliothek; sie ist ra.sch
katalogisiert: Schillers Gedichte, Goethes Gedichte und den Faust.
Gestern las ich beim Kauschen des Wasserfalls, an dem wü' lagern,
den Helenaakt des zweiten leils, und mufs ein sehr einfältiges
Qesicht gemacht haben, als plötzlich der Neger Mauoel mit den
Worten vor mir stand; ^Das Essen ist fertig Sr. Dr. Carlosl'^ Nun,
Helena hat dem Menelaos wahrscheinlich auch nur schwarze Suppe
gekocht So hinge wir gesund und krftftig bleiben, wollen wir uns
des Jäger- und Fischerlebens freuen, und gewils werde ich mich
später in Spreeathen nach dem einen oder andern Tag in Arcadien
zurücksehnen. Lebt wohl in den Genüssen des Daseins, die Ihr
vielleicht zu wenig würdigt! Ich aber gehe hin und tröste mich
mit der Definition im Busch : Enthaltsamkeit iht das Vergnügen an
Dingen, welche wir nicht kxiegeu. — Herzlichste Grüisc allerseits.
BliUer. BrcnMB. 188i, 28
Digitized by Google
— 394 —
Mederiandiselie und deutsche Plantagen an der
Ostküste von Sumatra.
Nach J. Orftmb«rg, Prot Teth, J. Cremer n. a., bearbeitet von R.and L.
EinltiituiiK^wort. OUnstige Natarbedingungeu für PlABtagenbaQ in .Sumatra.
Spärliche Hcvölkerung. Zafiihrung fremder Arbeiter. örHachon des frUheren Zurück-
bleibens in der Entwickelung. Die Meerenge vou Malakka als Weltverkehrsstraf^e.
Singapore ala Markt- und Handelsplatz. Verflchiedenheit der beiderseitigen Ufer der
Meerenge. Hf>denbt;sc}iaff»!nlieit. Flii';nf Vegotation. VerwiL^timK der Nntzholi-
walduDgen. Das Hultanat Siak nnd das Vertitiltnia desselbeo zu den Niederlanden.
OeseUehClidi««. Di« VaMllMMtaaten fliaka. Daa R«idi Dali: AnsdalinanB, Waaaar-
«ystem. Das Hnnptdorf Labuan (Laboean). I>er Sultan von Deli. Anerkennung der
niedarlftudlscben Oberhoheit durch den Sultan. Die ersten enropäischen Pflanzungen.
Wolitthlltige Maferegdn dea Snitani. nitneeiselM Hlodler. Wegbao. Die BerSlIcening
des Sultanats Deli. Kultur des PfefTtT-'traiiclt.''. .-\us(lelininig '''T «Mu op.^ii^i hi n Pflan-
zungen. LandvertrAge. Die Plantageuarbeiter. Zuführung von Kulia. Urundsteuer.
Erriehtung der Deli-Maatsohappij. AuftehwnDg der Tabakdtaltiir. Ifutkat- und Kokoa-
nnfspflanxnngen. D;*nipferverbindun(;cn mit der Kolonie. Cremers Darstellung der
Entwickelung der Kolonie und ihrer Zukunft. Arbeiterfrage. Erbauung einer Eisen-
bahn durch die Plautagcn. Kaffee- und Zuukerkultur. Ernten und Einuabmeu der
Deli-HaataekappO* Zahl der Plantagen und Betaiiignng Dentaober.
Angesichts der lebliafteu Koluuisationsbesti'ebungeii werden
einige Mitteilungen über die in den beiden letzten Jahrzehnten an
einem unter niederländischer Oberhoheit stehenden Teile der O.st-
kflste Sumatras aus^^eführten, mit Erfolg gekrönten Kulturversuche
willkommen sein. Seitdem die „Deli-Gesellschaft'' in der Landschaft
Deli ihre Tbatigkeit entfaltet hat, wurden bedeutende Ergebnisse
besonders mit der Tabakskuitur erzielt Die dort von Niederhändem
und Deutschen angelegten Plantagen stehen gegenwärtig in hoher
Blüte ; gleichwohl wurden bisher jene Kultivationskolonien in Deutsch-
land im allgemeinen noch viel zn wenig beachtet, was um so mehr
Wunder* nehmen mutis, als der in Deli erzeugte Tabak gerade in
Deutschland einen groCsen Verbrauchsartikel bildet Die Plantagen
auf Sumatra liefern einen Beweis dafOr, wie bedeutende Ergebnisse
Kolonien dieser Art unter günstigen Verhältnissen schon in relativ
kurzer Zeit liefern können. Vor 18 Jahren kam der erste Delitabak,
189 Ballen, in Amsterdam an den Markt gebracht und im Jahre 1882
betrugen dort die Verkäufe von Sumatratabaken 21 Millionen Gulden!
Auf Grund der Berichte niederländischer Zeitschriften und
Broschüren sei nun hier »las Wichtigste über die Zustände in jener
kleinen Provinz, über die liodenbescliaHenheit derselben, sowie über
die Art und Weise der Bewirtschaftung der Plantagen inituuLeilt.
Die blühenden Ivulturunternehmungen, welche in der letzten
Jahresreilie in der Landschaft Deli nnd den angrenzciiilf^n Kolouial-
besit/un^^cü an d»'r Ostküste Sumatras eiitstanilfii, uelic;! uns eine
klare Vorstellung vou dem erstaunlichen uaturiiclu;n iteichtum jeuer
Digitized by Google
— 396 —
grofsea Insel. Die wunderbare Produktionskraft scheint deijenigen
Yon Java in keiner Hinsicht nachzustehen, und hei zunehmender
Bewirtschaftung eröffnet sich die Aussicht auf eine gl&nzende Zukunft.
Es fehlt hier weder an einem reichen Schatze nützlicher Büneralien,
besonders Steinkohlen, noch an vielen wertvollen Produkten aus dem
Pflanzenreiche, noch an einem äufserst fruchtbaren und für Plantagen
durchaus geeigneten Boden. Die Spärlichkeit der Bevölkenmjr bleibt
freilich immer noch ein grofses Hindernis; d(Hh auch hierin wird
nach und nach, wenn erst die in vielen Gegenden der Insel noch
herrschende Barbarei den Segnungen einer geregelten Verwaltung
und zunehmender Sicherheit von lieben und Eigentum Platz gemacht
bat, Wandel zum Besseren eintreten. Überdies haben die Unter-
nehmer in üeli gezeigt, wie ein wesentliches Hindernis, der Mangel
an Arbeitskräften, schon jetzt durch die £infuhr fremder Arbeiter
teilweise überwunden werden kann, und bei dem fast beispiellos
schnellen Anwachsen der Bevölkerung Javas wird es vielleicht von
den Bewohnern dieser Insel als ein Segen geschätzt werden, dafe
für die tSberschüfsige Hand und den dort ungesättigt bleibenden
Magen auf einer so nahe gelegenen Insel Arbeit und Brot zu finden ist.
Das Sultanat Siak, das mit seinen Dependenzien einen bedeu-
tenden Teil der Ostknste Sumatras entlang sich ausstreckt, ist der
ausgedehnteste Uferstaat der Stral'se von Malakka. Obgleich .«sich
hier nun in einem schiffbaren Strome ein ausgezeichneter Weg für den
Handelsverkehr der westlichen Binnenländer nach der Meerenge von
Malakka bietet, so herrscht doch in Siak weder Handel noch Ver-
kehr. Und das trotz eines fruchtbaren Bodens, der geeignet ist für
allerlei Kultur im grofsen, den reiche Nutzholzwftlder bedecken,
der sogar in den hoher gelegenen Gegenden zahlreiche Mineralien
in seinem Schofse birgt! Dieses negative Vorrecht verdankt das
Land hauptsächlich dem Umstände, dafs es niemand kennt. Der
Strom der Ilandelsbewegung, welcher sich besonders in den letzten
Jahren durch die Stralse von Malakka zog, ist an Siak vorbei-
gegangen, er folgte einer anderen Richtung. Die Fürsten von Siak
sind daher auch ebenso arm wie die si)arliche Bevölkerung. Von
Kutwickelung findet sich keine Spur, und die Civilisation mufs noch
ihren ersten Stempel auf Volk und Land drücken. Die eigentliche
Ursache, weshalb dieses so günstig gelegene, an Hülfsquellen so
reiche Land so sehr zorackblieb, liegt in der Vergangenheit des
Landes, in Zustanden und Einflüssen, die dort seit Jahrhunderten
bestanden und bis auf die neueste Zeit wirksam gewesen sind. Ohne
dieser Ursache hier weiter nachzu.spttren, sei nur bemerkt, dafs der
Zustand des Landes durch den von zwei rivalisierenden Mächten,
28*
Digitized by Google
— 396 -
der englfschen und der niederlftndischen osÜDdisclieii Eompagnie,
dem Volke aufgedrungenen Schutz sehr verschlimmert worden ist.
Letzterer hat niu- Abschliefsung vom alliremeiuen Verkehr zur Foli^e
gehabt und auf die Blüte und Entwickehnig des noch immer armen
Landes mit seinen schlummernden Schätzen durchaus lahmend
gewirkt
Begrenzt durch die Halbinsel Malakka auf der einen, die Ostr
IcOste Sumatras auf der anderen Seite, läuft die Strafse von Malakka,
unzweifelhaft einer der wichtigsten Seewege, von Nordwest nach
Südost; der Hand^ vom Westen nach Osten bat sich denn aadi
desselben seit undenklichen Zeiten für den Transport und Absatz
der Waren bedient Amerika, Europa, Vorder- und Hinterindien
senden auf diesem Wege Scfaifikladungen nach Singapore, Siam,
Cochinchina, Japan und zum Teil auch nach dem indischen Archipel.
Mit diesem Warenverkehr hält der Persoiienverkehr gleichen Schritt.
Die Eröffnung des Sue/.kanals hatte bekanntlich eine enorme
Zunahme der Dampfschiffahrt zur Folge; auch der Verkehr durch
die Strafse von Malakka entwickelte sich seitdem bedeutend. Von
den etwa 2000 Dampfschiffen, die im Jahre 1880 jenen Kanal pas-
sierten, werden gewiüs 800 ihren Weg durch die Strafse von Malakka
genommen haben. Der Löwenanteil an diesem gewaltigen Verkehr
fiUlt unbedingt dem nordöstlichen Ufer der unter englischem Ein-
flüsse stehenden Stralse zu, und zwar zum kleinen Teile der eng-
lischen Niederlassung auf Pnlo'*') Pinang , zumeist aber Singapore,
während die niederländische Seite der Strafse, also die Ostküste von
Sumatra, fast ganz unbeachtet und unbesucht blieb. Hat auch die
Entstehung europäischer Industrie in Deli an diesem Küst t ust riebe
etwas mehr J^eben und Verkehr liervorgerufen, so zieht do( Ii auch
hiervon Pulo (Poelo) Pinang den ilauptuutzen. Die meisten Faiirzeuge
laufen auf ihrer Fahrt nach dem fernen Osten Singapore an, besonders
die Dampfschiffe, wenn auch nicht immer um au diesem Stapelplatz
zu laden oder zu löschen, so doch in der Kegel, um Kohlen einzu-
nehmen. Irische Lebensmittel zu kaufen und Passagiere abzusetzen,
deren Weg nicht weiter als hierher oder in der Richtung nach dem
Archipel führte. Die Stra&e von Malakka ist nicht allein ein be^
quemer Verbindungsweg für Ost und West, sondern überdies ein
geräumiges und sicheres Fahrwasser, in welchem Schiffbrüche zn den
Seltenheiten gehören. Daher kommt es dcun auch, dals der Hafen
von Singapore die bunteste Maunigialtigkeit an Flaggen zeigt: dort
♦) Das luedi i lüiulische „oe ' hubcu wir überall durch „u** wiedergegeben,
weil es wie u auäges>iirucheu wird.
Digitized by Google
— 397 —
flattert die Flagge von Siaiii neben der deutschen, die amerikanische
neben der niederländischen und französischen, wahrend der Norweger
sein Kreuz entfaltet in der Nähe der dunkeln Farben von Lingga.
über weitaus vorherrschend ist die englische Flagge durch die über-
grofse Zahl von Schiffen, welche sie führen.
Werfen wir nun einen Blick anf die beiden Ufer der Strafse,
80 bieten diese hinsichtlich der Aufserlich bemerkbaren Boden-
Iteschaffenheit eine auffiillende Verschiedenheit Die Kfiste Mahikkas
zeigt abwechselnd Hflgelreflien and Bergspitzen ; diejenige Smnatras
ist dagegen so niedrig, dafs Schiffe, welche den Kurs längs der
Nordostseite halten, sie erst in Sicht bekommen, wenn sie dem
Siiniatraufer schon nahe sind. Dann entdeckt man ein dunkeles,
mattgriines, ununterbrochen tlaches Ufer, hinter welchem keine
einzige Hügelspitze zu bemerken ist. Erst weiter nach Norden
kommt etwas Abwechselung in diese einförmige Küstenlinie, indem
dort durch das Auftreten einiger Ausläufer des Barisangebirges das
Terrain etwas ungleichförmiger wird. Betrachtet man indes die
Kflste Sumatras ganz in der N&he, so bemerkt man bald, dab diese
scheinbar ununterbrochene Eüstenlinie in Wirklichkeit ganz anders
beschaffen ist, als es ans der Feme schien. Auch hier zeigen sidi,
ebenso wie längs der nordöstlichen Kflste, viele Inselgruppen; doch
sind sie niedrig, sumpfig und dicht bedeckt mit Baum und Gesträuch
der Strand Vegetation. Diese ziemlich umfangreichen Inseln werden
durch Süfswasserkanäle gebildet, die sie vom Festlande scheiden
und welclie von den Malaien Selats genannt werden, zum Unter-
schiede von den ziemlich zahlreichen und häufig nicht schmalen
Flußmündungen, welche Kwala heifsen. Solche Selats sind: Selat
Rupat, die Brouwersstrafse, die Padangstrarse, Selat Ajer Itam u. a.
Wie weit die Ostküste von Sumatra sich eigentlich erstrecke, bleibe
hier unentschieden. Die Regierung hat dem Reiche Siak und dessen
Dependentien, als sie jenen Strich zu einer besonderen Residentschaft
«rhob» den amtlichen Namen «Sumatras Ostkflste'' gegeben, und in
diesem mehr beschränkten Sinne erstreckt sich die OstkQste vom
südlichen Ufer des Tamiangflusses bis an die Mündung des Karapars.
Diese beiden Punkte bilden wenigstens die äufsersten Grenzen von
Siak und seinen sogenannten Zugehörigkeiten.
An der Süd grenze ist der Boden alluvial, und der Abstand
von dem Barisangebirge ist hier so bedeutend, dafs die Flüsse,
welche an den westlichen Bergabhängeu entspringen, auf ihrem
langen Laufe und verstärkt durch zahlreiche Nebenflüsse sich zu
ziemlich breiten und tiefen Strömen entwickeln, welche für die
Produkte aus dem Binnenlande bequeme Transportwege bieten.
Digitized by Google
— 398 —
Die l)edeut(Miil>tpn Flüsse im Süden sind: 1. Der Kaiiipar,
welclier (Uircli den /usanimenflufs zweier grösierer Flüsse entsteht und
durch seine Länge von jjrofser Bedeutung ist: er mündet der Insel
lUuitau gegenüber und fülirt den Namen Kampar-Besar. Obwohl
der Kamparflurs für die binnenländiscbe Botfahrt sehr geeignet ist»
so bietet er doch keine gute Kommunikation mit dem Meere: eine
grofse breite Felsenschicht versperrt nämlich die Mflndang, so daCs
Fahrzeuge von einigem Tiefgange nicht einlaufen kdnnen. Auch
zeigt sich an der Mttndung des Kampars, sowie einiger anderer FlOsse
eine eigentümliche Naturerscheinnng, welche die Einfahrt in die Flüsse
manchmal gtlahiiich macht. Bei einzelnen Flutzeiten entsteht
nftmlich eine Art von Golfstrom. In die Flufsmünduu«i: stürzen von
aufseu her einige milcht i^^e Woiicn, (fie mit unwiderstehlicher Gewalt
alles mit sich foi troilsen, so dafs unbewachte Fahrzeuge losgerissen
und an den Ufern zerschmettert werden. Werden die Böte indefs
bewacht, so richtet solch ein aufkommender Golfstrom keinen Schaden
an; vielmehr wissen erfahrene Schiffer insofern Nutzen ans dieser
Erscheinung zn ziehen, als sie mit der StrOmung ihre Fahrzeuge
eine grofse Strecke aufwärts bringen. 2. Der Siakflnfs ist« was
Fahrbarkeit für grofse Schiffe betrifft, wohl der bedeutendste Flnf«
der Ostkttste (in dem hier angenommenen beschränkten Sinn), so-
wohl wegen seiner ansreichenden Tiefe, als wegen der Besdiaffenheit
seiner Mündung. Kriegsschiffe von einem gewissen Tiefgange können
hequem bis Pekan Buru, das heifst ungefiUir 90 Meilen stromaufwärts
fahren. Die Mttndung ist fast eine geographische Meile (65(X) m)
weit. Die Tiefe beträgt dort 12 bis 14 Klafter, mit Ausnahme einer
einzelnen Stelle in der Nähe der Insel Gnntoni:. wo mir 3^'2 Klafter*)
Wasser steht. 3. Der Siak Ketjil müudet wie der eigentliche Siak*
üufs ungefähr eine Meile nordwestlich von demselben ebenfalls in
die Brouwei-sstrafse. Ein unbedeutender Strom, steht er mit dem
grofsen Siakflusse in keiner Verbindung.
Aufserdem wird die Ostkttste noch von einer Reihe kleinerer
Flüsse durchzogen, die alle für das Binnenland gute Wasserstrusseu
bilden. \'on geringerer Bedeutung sind in dieser Hinsicht: Serdang,
Deli, Langkat und Pcrtjut. Sämtliche hier genannte Flüsse haben
den kleineu Reichen, durch welche sie fliofsen. ihre Namen gegeben.
Im allgemeinen ist der ausgedehnte AHuvialboden der Flul'sgebiete
fruchtbar. Der Küstensaum und die Umgebung der Mündungen sind
indefs nicht anbaufähig, weil das Land hier gleichsam noch im Werden
begriffen ist; hier herrscht die sogenannte Strandvegetation, in welcher
*) 1 BJafter (niederl. vadem) ^ l/nti m.
üiyiiizea by Google
— 399 —
die Rbi/ophoren mit ihren Luftwurzeln doiiiinieren, wenn auch
einzelne Exemplare von Sonneratia, Aegiceras und Klimacandra vor-
kommen. Etwas mehr vom Strande entfernt erscheinen die Nipa-,
Sago- und Nibungpalmen mit den Pandanen und verschiedenen Rohr-
arten. Da, wo der Boden sich erhebt, deuten hochanfsteigende Wald-
bäume und allerlei Gestrftuch an, dafs die Sumpfgegend ihr Ende
gefunden hat. Tabak, Ingwer, Reis und Zucker würden hier vor-
trefflich gedeihen ; doch bemerkt man nur hier und da eine geliclitete
Stelle im Walde, wo auf ziemlich primitive Weise etwas Reis und
Feldfrüchte gezogen werden, während einige Fruchtbäume und Zucker-
rolirhalme neben einer erbftrnilichen Pfahlwohnung die Anwesenheit
von Menschen verkünden. Unter den Fruchtbäumen spielen Kokos-
palme, Pisang und Pinang (Areca catechu) die Hauptrolle. Höher
hinauf liefern die Wftlder prachtvolle Holzarten und unzahlige Wald-
bftume, aus deneu vorzügliche Öle oder Fette gewonnen werden
können. Auch die Isonandra, welche das im Handel sehr gesuchte
Getah perija *) liefert, darf hier nicht unerwähnt bleiben. Die hier
genaimten Erzeugnisse, wie noch manche andere, als Harze, Rohr,
Drachenblnt, Nii)ablatter gelten als Buschprodukte, weil sie ohne Be-
bauung des Bodens gewonnen werden. Das Einsammeln dieser Produkte
verschaflft vielen Einwolmern ihren Lebensunterhalt; denn fast alle
sind bedeutende Handelsartikel, in welchen jährlich Tausende umge-
setzt werden.
Schade nur, dafs bei diesem Einsammeln jegliche Kontrolle
fehlt I>ie Sorglosigkeit, mit welcher der Eingeborene dabei ver-
ehrt, ist grofe: der Malaie schneidet weg und schlagt nieder, ohne
sich um Wiederanpflanzung zu kammem. Wenn hiergegen nicht
bessere Sehntzmaferegeln getroffisn werden als jetzt, so werden sich
auf der Ostküste Sumatras frtther oder später dieselben traurigen
Erscheinungen zeigen, wie in dem Reiche Bandjerniassin auf Borneo,
wo Rotan in grofsem Überflufs wuchs, aber die besten Sorten in
Folge des unverständigen Wegschneidens durch die Einsammler fast
ausgerottet sind, und auch die Isonandrabännie durch das Fällen
ohne Wiederpflanzung mehr und mehr verschwiaden.
So ist es auch gekommen, dafs man auf der malaiischen
Halbinsel und besonders auf der Insel Singapore, die früher so
reich an Getapertja war, jetzt vergeblich nach bonandrabaomen
sucht. Nur im botanischen Garten zu Singapore soll sich nodi ein
einziges Exemplar, als eine Seltenheit, linden.
*} Die £Dgläuder schreiben gutta perchu, wodurcli eine falsohe Aussprache
in fiufopa aUg^mein geworden iti
Digitized by Google
— 400 —
Nach diesen allgemeinen BemerkungtMi über die Residentschaft
der „Ostküste von Sumatra", welche einer grölseren Abhamllunj^
des Herrn J. S. G. Gramberg in der „Tydschrift van het Aardr)'ks-
kundig (ienootschap"*) entnommen sind, lassen wir im Nachstehenden
einige MiUeiluDgen über die Laodächaft Dell und die dorUgea
Kulturen folgen, sie sind aus einer früheren Arbeit des Profeasois
P. J. Yeth, einer in neuerer Zeit erschienenen Schrift: De Toekomst
van Deli door J. T. Gremer und verschiedenen GelegenheitsscfarifleD,
sowie mandlichen und brieflichen Mitteilangen von der Verfa<niaBe
kundigen Personen geschöpft. Zar Orientierung mögen einige histo-
rische Kotisen Aber das Sultanat Stak und dessen Verhftltnis xu den
Niederlanden vorhergehen.
Das Reich Siak wurde bereits im Jahre 1745 von Sultan Soleiniau
an die niederländisch-ostindische Konii)agnic abgetreten ; doch war der
niederländische £iüflufs wahrend der fast ununterbrochenen Kriege
und Empörungen unbedeutend und der Besitz ein unsicherer. Über-
haupt hat sich der Einfluls der Niederländer an der Strafse von
Malakka seit An&ng dieses Jahrhunderts sehr vermindert, langsamer-
hand wurden die Verbindungen mit der niederlftndisch^indisehen
Begierung abgebrochen. Auf Pulo Pinang wurde eine britisdie
Niederlassung gegründet; darauf entstand Singapore als englische
Kolonie. Englische Missionare bearbeiteten die Laudeshäupter und
die Kaufleute im Interesse ihrer Nation, uud obgleich die Nieder-
länder im Jahre 1822 eine engere Verbindung mit Siak geschlossen
hatten, brachte der politische Missionar Anderson im Jahi'e 1823
mit jenem Reiche eine (übrigens ungültige) Vereinbarung zu stände,
durch welche den Niederländern die Niederlassung daselbst unter-
sagt wurde. Der Einflufs der Niederländer wuchs auch nicht durch
den zwischen ihnen und den Engländern im Jahre 1824 geschlossenen
Vertrag, da hierbei die Stadt Malakka für immer an die Engländer
flberging. Erst im Jahre 1868 wurde infolge besonderer Ereignisse
die niederi&ndische Autorität wieder neu und dauerhaft befestigt und
sie hat sieh seitdem oder mit dem Beginn der Landbauuntemehmungsn
in Deli immer mehr geltend gemacht.
Das Reich Siak besteht gegenwärtig aus dem eigentlichen
Siak und den Vasallenstaaten oder Dependentieu. Ersteres ist ein-
geteilt in: a. Siak-Besar, Betong, Rempak und Siak-Ketjil. Diese
Landstriche gruppieren sich hauptsächlich um den Unterlauf des
Siakflusses. Die Hauptnegerei Siak ist ein armseliger Wohnpiatz;
*) Deel Tly No. 2. Geographische AantMkeningpn betreffende de Beeideiitie
SamtMt Osikiut door J. 8. G. Gramberg.
Digitized by Google
— 401 —
nitr das Fort und die Wohnungen des europftischen Dien8ti>Pi*son8ls
bieten beim Eintritt in diese Hauptstadt Siaks einen einif^erninfsen
gefalligen Anblick, b. Bukit-Batu, eine an der Brouwerstrafse be-
teene Landschaft. Das Hauptdorf (Kampong) liegt au der Mündung
des kleinen Flusses gleichen Namens. Die Häuser sind als Pfahl-
wohnunjjen in die Mündung hinein gebaut und durch eine Art von
Trottoir aus Brettern oder Latten mit einander verbunden. Hier
wird etwas Handel, namentlich mit Fischen, getrieben, c. Pekan-
Barn, am rechten Ufer des Siakflusses, liegt an der Handelastrafee
Ton der WestkOste nach dem Meere und bildet eine Station für die
Kanfleute aas den Binnenlaaden, welche mit Malakka nnd SingaiK>re
in GeschaftsTerbindnng stehen. Der Verkehr ist hier viel bedentenderi
als am Hanptplatze Siak. Pekan-Baru würde wegen der Tiefe des
Siakflnsses einen ausgezeichneten Endpunkt für eine Eisenbahn aus
den Onibilin- Kohlenfeldern*) bilden; grofse Schiffe würden hier
Kohlen laden können, und Ben^kalis könnte in diesem Fall das
Hauptdepöt für die Strafsc von Malakka werden, d. Die Landschaft
Mandau, welche sich zwischen Siak und Pekan-Baru nordwestlich
erstreckt, ist ziemlich ausgedehnt, aber schwach bevölkert; au den
Ufern des Mandauflusses erheben sich dichte Wälder, welche zahl-
reiche Kampherb&ume nnd prftchtiges Bauholz liefern können. Der
Boden ist humusreich und mithin sehr frachtbar. Nach den zu-
verlässig scheinenden Mitteilungen inländischer Häuptlinge soll in
den dichten Wäldern von Mandaa ein Volksstamm hausen, der bis
jetzt noch keine Oemeinschaft mit der Aufsenwelt unterhält. Der
Tauschhandel erfolgt in der Weise, dafs die Waren an gewissen
Plätzen niedergelegt und dann gegen andere, dort ebenfalls deponierte
Artikel, Buschprodukte, umgetauscht werden, e. Die längs der Ost-
küste gelegenen Inseln Rupat, Bengkalis, Padang, Rantu und zahllose
kleinere Inseln zwischen den Mündungen des Kampar- und des Siiik-
fiusses, früher ein beliebter Versteck für die hier sich umhertreibenden
Seeräuber. Auf der Insel Bengkalis befindet sich der Hauptsitz der Re-
sidentschaft nOstkttste Ton Sumatra**. Diese Insel wttrde wegen ihrer
Lage bei Entwickelung Yon Handel und Betriebsamkeit in Siak von
grofser Bedeutung werden kOnnen. Sie liegt nahe an der Mflndung
des Siakflnsses, besitzt in der Brouwerstrafee eine Reede, die zu
den geräumigsten und sichersten im ganzen niederländischen Indien
gezählt werden darf, und liat dabei durch die Padangstrafse eine
bequeme Verbindung mit der Strafse von Malakka und dem ganzen
indischen Archipel.
*) Nfthcrcs über die Ombilin-Kohlciilager findet man in dem bwfiglichMl
Aii£uitz Ton D. D. Y«th, Band IV, S. lOö and ff. dieser Zeitschrift.
uiyiiiziüd by Google
— 402 -
Die Vitöallenstaateu Siaks sind teiU auf friedlichem Wegei
teils durch Eroberung an Siak gekommen, zwei derselben gelten
als Apanage des fürstlichen Stammhauses. Die Zahl derselben
betragt 16, unter welchen Deli in neuerer Zeit durch die dort ge-
grOndeten Niederlassungen und Knltumntem^mungen wohl am
meisten bekannt geworden ist und in naher Zukunft zweifellos zu
weiterer Bedeutung gekngen wird. Die Landschaft Deli, welche
sich immer gegen die Suprematie Silks gestrftubt hatte, wufete sidi
im Jahre 1862 yon derselben dadurch los zu machen, dafs sie die
Sourerftnetät der Niederlande nicht als Depeadenz von Siak, sondm
;,eben wie Siak" anerkannte.
Das kleine Reich Deli erstreckt sich längs der Strafse von
MaKikka vou der Mündunf; des Labu-Dalam bis an die Pamatang-
Onies-Mündiiiig, d. i. ungefähr von 4® 57' bis 4*^ 22' n. B., und
von 98« 25' bis 98« 47' ö. L. Gr. Zwischen den beiden Grenz-
ländern erstreckt es sich hauptsäclilich von Nord nach Süd, die
gröfste Ausdelinun^^ von West nach Ost betragt nnr 15 — 17 geogr.
Minuten und es sind vorzugsweise dies Flufsi;ebiete des Haniparan,
des Perak, des Deli und des Pertjut. Die Oberläufe dieser Flüsse
sind teilweise noch unbekannt, und dieser Umstand, sowie die Un-
sicherheit der Autorität, welche der Sultan von Deli über die
Batakscben Häuptlinge des Binnenlandes ausübt, haben bis jetzt noch
eine Festsetzung der inneren oder südlichen Grenze verhindert. Im
Jahre 1872 drang eine Expedition von U^jong Bandor (4<> 25^»')
ans noch 6Vi Min. weiter nach Süden vor; aber die Wohnsitze der
dem Sultan wenigstens dem Namen nach unterworfenen Bataks er^
strecken sich, wie es scheint, noch viel weiter in das Gentraigebirge
von Sumatra hinein.
Der DelifluCs hdfst auch Sungei Lahnau, d. i. Flnfs des Anker-
platzes, weil er etwas oberhalb seiner Mündung den Hafen des
Hauptdorfes Deli, gewöhnlich einfech Labuan genannt, bildet. Dieser
Kampong ist die Besidenz des Sultans. . Die Bezeichnung Delis als
Kampong ist eigentlich nicht zutreffend, denn unter diesem Namen
versteht man gewöhnlich eine Gruppe von Wohnungen mit einer
Gesamtumzäunung, wahrend Labtian ntdits weiter als dnen Basar
von aneinandergereihten Kramladen mit einzelnen zerstreut liegenden
Wohnungen in der Nähe des Ankerplatzes bildet. Der Bazar von
Deli besteht aus zwei langen Strafsen, ilie einen rechten Winkel
bilden. Die Häuser stehen meistens auf Pfählen, drei Fuls über der
F.rde und haben ein niedriges überhangendes Dach, das eine Bank
von Banibu beschützt, die entweder als Sitz, oder zum Auslegen der
Waren dient. Nur einzelne Häupter sind aus Holz gebaut; die
— 403 —
meisten Mind aus Banibu, Ntbunglatten und Kadjunginatten'*') zu-
saimnengefügt und die Dftcher mit einer Klappe versehen, um Licht
und Luft ein- und den Rauch auszulassen. Unter den Uiiuseru
wird gewöhnlich der Schmutz aufgehäuft, wozu die Pfahlbauten p^ar
zu leicht Veranlassung geben. Es fehlt übrigens nicht au Gräben
zum Abtiuls des Wassers, auch nicht an ziemlich guten Wegen, und
der Sultan hat in den letzten Jahren sogar für eine genügende
Strafsenbeleuchtung gesorgt. Am Ende des Bazars erheben sich der
Dalam des Sultans und die Moschee. Der erstere ist geräumig,
recht hübsch ans Brettern gezimmert und durch ttberded^ Gänge
mit einer Vor- und Hinterverande verbunden. Die Moschee ist
gldchlalls ans Brettern gebaut, gut erhalten, aber von geringem
UmÜMig.
Im Jahre 1862 boten nach dem Berichte eines Reisenden sowohl
der Dalam als der Bazar einen kümmerlichen Anblick, und dieser
Zustand verschlimmerte sich noch, als im Jahre 1864 der Bazar fast
ganz in Flannnen aufging. P^s herrschte damals eine allgemeine
Niedergeschlagenheit; der Handel stand fast still, und nur einzelne
Bataks kamen ab und zu, um ein Pferd zu verkaufen und für den
Preis Leinwand einzuhandein, worauf sie sich beeilten, in ihr Ge-
birge zurflckzukehren. Die meisten hatten so grofse Furcht vor
Beraubung oder Zwangsverkftnfen, dafs sie lieber wegblieben.
Dieser traurige Zustand hat sich aber seitdem zum Bessern
verändert. 1862 hatte der Sultan von Deli die Souveränetät der
Niederlande anerkannt und 1864 beschlols die niederländische
Tlegierung, einen der fünf Controleure für die damals unter Kiouw
ressortierende Abteilung Siaic und Depeudeatien auf Deli einzusetzen.
Alles gewann nun bald ein besseres Ansehen. Die Bewohner des
Bazars bauten ihre Kramladen wieder auf und in kurzer Zeit waren
die Spuren des Brandes verwischt Die Bataks, durch eine Erklärung
des Sultans beruhigt, kamen in täglich zunehmender Zahl wieder
nach Deli, um Handel zu treiben und Deli begann gar bald, die
Aufmerksamkeit der europäischen Industriellen auf sich zu ziehen,
so dafs sich schon 1867 drei rnternehmer 1 bis 2 Stunden oberhalb
des Hauptplatzes niedergelafsen hatten, wo sie sich auf ^ei)achteten
(iruudstückeu mit der Anpflanzung von Tabak, Kokosnüfsen, Muskat-
nüfsen und Kaffee beschäftigten. Der Sultan und die (Irofscn dos
Reiches folgten diesem Beisj)iele, legten THauzungen für eigene
Kechuuog an und trafen wegen Anlage weiterer Pflanzungen Über-
*) Nibung (Niboeng)-Areca nibang. Kac^aiig sind Bl&tier von Pandanni-
uinn, di« zu Matten geflochten werden.
uiyiiiziüd by Google
— 404 —
einkinniiien mit Verpfüiideten (»der Sklaven, die dann auf die>e
Wei.se ihre Freiheit wieder erlangten. Man sairt, dafs allein im
Jahre 1867 ungefähr 100 auf diese Weise frei wurden; seildem hat
der bklaveuhandel hier ganz aufgehört und die Abschaffung der
persönlich«!! Pfändung ist schon damals vorbereitet worden. Einen
bemerkenswerten Beweis von dem ihn beseelenden Wunsche, seni
Volk zu heben, gab der Sultan auch durch seine BemOhungen,
einen guten Sdiulunterricht einsuftihren: er bestritt die Koeten
eines Schulgeb&udes und der Anstellung eines einheimischen Lehrers.
In Sleidung, Emfthrung, Wohnung und htnalidier Einrichtung zeigte
sich deutlich ein grdfiserer Wohlstand. Allmählich Uelsen sich vide
chiuesische Handler in Deli nieder, und die in grofser Anzahl
' entstandenen steinernen Häuser zeugen von der W^ohlhabenheit ihrer
Bewohner. Zu gleicher Zeit begann auch die malaiische Bevölkerung,
sich wieder auf den so lange vernachläfsigten Reisbau zu legen,
so dafs es gar bald keiner Anfuhren von Reis von Pulo-Pinang
mehr bedurfte und der Preis auf ein Drittel des friUierea Be-
trages sank. FUr das niederländische Etablissement war in der
Nahe des Bazars eine Fläche Waldgrund gelichtet, und um die
Gebftude hemm erhoben sich inlandische Wohnungen, die einen
neuen Kampong bildeten. Ohne Zwang bahnte die Bevdlkerung
durch die Wildnis einen dreifsig Fuüb breiten Fahrweg, um Deli mit
Kampong Baru zu verbinden, und seitdem dieser an die Stelle des
firüheren, sich stark schlängelnden Fufspfades getreten ist, legt man
die Strecke in ungefähr vier Stunden zurück, während man früher
einen ganzen Tag brauchte. Die Sicherheit von Person und Eigentum
nahm in jxleicher Weise zu, besonders als der Sultan einen seiner
Netien, Kadja Aman, der sich vieler Uilubereien schuldig gemacht
hatte, auf 20 Jahre in die Verbannung schickte. Diebstähle, die
früher fast allnächtlich vorkamen, hörten seitdem ganz auf, während
doch zugleich der Grausamkeit in der Bestrafung ein Ziel gesetzt wurde.
Eine Lanze, mit welcher man bisher die Verurteilten getötet hatte,
wurde vom Sultan dem Kontrolleur Cats de Raat verehrt, zum Zeichen,
dafs er für immer auf ihren Gebrauch verzichte, (de Raat schenkte diese
Lanze dem ethnographischen Museum der batavischen Gesellschaft.)
Die Bevölkerung Delis besteht, abgesehen von den Fremden, aus
Malaien und Bataks. Erstere bewohnen den Hauptplatz und die
niedrigen Küstendistrikte bis an den Fufs des Gebirges. Ihre Anzahl
ist gering, wenn auch ohne Zweifel etwas gröfser, als die 2000 Seelen,
worauf sie im Jahre 1862 von Netzscher geschätzt wurde, um so
mehr, da in den letzten Jahren eine bedeutende Einwanderung von
anderen Küstenplätzeu her beobachtet worden ist. Zu ihnen rechnet
Digitized by Gc)
— 405 -
man auch die etwa 100 Klingalesen oder Abkömmlinge von diesen.
Die Betriebsamkeit dieser Leute steht durchschnittlich auf einer
niedrigen Stufe; am meisten leisten sie noch in der Verfertigung
von Waffen; so verfertigen sie schöne Dolche (Krisse) und Schwerter
Dach atschinesiachen Modellen. Die Bataks sind weit zahlreicher
als die Malaien; spricht man doch yon Hftnptlingen, die Aber 40,000
und mehr Menschen herrschen. Zwischen ihnen und den Malaien
bestehen scharfe Scheidungen und zwar nach Abstammung, Sprache,
Schrift und Beligion. Die Malaien sind Muhamedaner; die Bataks
verehren die Geister der Natur und der Verstorbenen. Diese Bataks
anerkennen die Souveränetät des Sultans von Deli ; sie müfsen ihm
gegen Zahlung im Kriege Beistand leisten und unter vereinbarten
Bedinii^nngen Pfeffer für ihn pflanzen, haben aber weiter keine
Abgaben zu entrichten. Pfeffergarten findet man namentlich zwischen
den Flü£i>en Hamparän, Perak und Langkat und wahrscheinlich höher
hinauf im Gebirge. Während der anhaltenden inneren Kriege war
übrigens die Pfefiferkultur sehr zurückgegangen. Anderson berechnete
den Ertrag in 1823 anf 26000 Pikols (1 Pikol = 100 Kati oder
125 Amsterdamer Pfund » 61,7tt kg), wahrend der Hafenmeister
von Deli denselben in 1863 mit 8300 Pikols feststellte; seitdem hat
sich aber diese Kultur wieder bedeutend gehoben.
Der Boden Dells ist, abgesehen von den Batakschen Berg-
distrikten, fast ganz flach und besteht aus einem niedrigen Humus-
boden mit einem Untergrunde von Marscherde oder Klei. Die
Fruchtbarkeit ist so grofs, dafs eine sogenannte Ladang, eine zwei
bis drei Jahre unbearbeitet gebliebene Pflanzung, infolge der
beispiellos kräftigen und schnellen Vegetation nicht wieder zu finden
ist. Diese günstigen Umstände erregten die Aufmerksamkeit scharf-
blickender und unternehmender Europäer, und kaum war hier die
frühere Unordnung grüfserer Rohe und Sicherheit gewichen, und der
gute ÜVillen des Fürsten, die Wohlfahrt seines Landes, namentlich auch
durch Verbesserung der Wege, zu fördern, erkennbar geworden, als
auch schon ein Amsterdamer, Jacobus Nienhuys, dem bald zwei
Schweizer und ein Deutscher folgten, sich unter Mitwissen der
europilischen Verwaltung mit (Il'ui Gesuch an den Sultan wandte,
dafs ihm gestattet werde, sich hier niederzulassen und Kultur-
versnche zu maclien. Der scharfblickende Sultan, dessen Land bis
dahin, abgesehen von einigen schmalen Streifen längs der Flüsse,
ganz unbebaut geblieben war, erkannte darin sogleich das beste
Mittel, sein Land zu gröfscrcr Entwickelung zu bringen. So wurden
denn im Jahre 1876 die drei ersten Miet- oder besser Erbpachts-
kontrakte Aber Kulturländereien abgeschlossen, während zwei Jahre
Digitized by Google
— 406 —
Später die Zahl der Landbauuuternehinuiif^en schon auf sechs
gestiegen war. Die erst^ wurde durch Niederländer mit nieder-
läudiBchem Kapital betrieben und hatte mau die (lenugthuung, dafs
der nach Europa gesandte Tabak auf dem Amsterdamer Markt zu
ansehnlichen Preisen verkauft wurde. Im Jahre 1868 wurden bereits
168,000 Amsterdamer Pfund Tabak für den europäischen und 37,500
ffirden inländischen Markt ausgeführt; auch war schon die Gelegenheit
geboteo, die Produkte für die Seereise nach Pulo Pinang tn ver-
sichern, und die £inricbtimg einer Dampfechiffahrt zwischen
und jener Insel wurde in Aussieht genommen. Die Pflanzer arbeiteten
meistens mit chinesischen Kulis, aber auch mit Siamesen, Klingalesen
und Javanen; Letztere verpflichteten sich zur Bestellung einer
bestinrimten Anzahl Tabakspflanzen und erhielten darauf Vorschttsse.
Obgleich nun die Arbeiter gut, teilweise sehr gut verdienten*),
herrschte doch keine allgemeine Zufriedenheit; ein Teil der chiue-
sisclieii Arbeiter suchte sich, von einem Landsmann von Pulo Pinang
aufgewiegelt, den eingegangenen Yerpfiichtungen zu entziehen und
nach jeuer Insel zu flüchten. Glücklicherweise wurde das Komplott
rechtzeitig entdeckt und durch Bestrafung der Badeisführer luit
Verbannung und Zwangsarbeit die Ordnung wieder hergestellt. In
Artikel 7 des Begierungsvertrags mit Deli ist festgesetzt, dafs der
Sultan ohne Vorwissen der Regierung keine Ländereien an Europäer
abtreten darf; die Kontrakte mflssen deshalb an den Kontrolleur von
Deli und durch diesen an den Residenten der Ostküste Sumatras zur
Genehmigung eingesandt werden. Die Vergebung des Landes geschieht
in Form der Erbi)acht ; in jedem Kontrakte findet sich die Bestimmung,
dals die Vergebung sich nur auf unkultivierte Lilndereien erstreckt
und (lafs die innerhalb der Grenze der koncessionierten liäudereieii
belegenen AnpHanzungen der Einheimischen und alle in Benutzung
genommenen Grundstücke bei den Kamjiongs nicht einbegriffen sind,
so dafs also die Interessen der einheimischen Bevölkerung genügend
gesichert bleiben. Die Batakschen Distrikte, welche zum Gebiet der
Sukuhaupter gehören« blieben von der Landabtretung ausgeschlossen.
Anfangs zahlten die Unternehmer keine direkten Abgaben an
den Sultan, sondern trugen nur auf indirektem Wege, z. B. durch
Zunahme der Ein- und Ausgangszölle zur Vermehrung der
iieichseinkünfte bei. Bei den später abgeschlossenen Kontrakten
hat der bultau eine Grundsteuer ausbeduugen, die jedoch erst
♦) Gegenwili-tig betriigt der an die Kulis gezahlte Lohn 7 — 8 mexikanis<'!ie
Dollars (;i 4 Schilliug englisch) für iUO(> Tabukpilauzen, Je nach der Qualität
der letzteren.
uiyiii^uü Oy Google
— 407 —
nach einigen Freijabren zahlbar werden sollte. Im Jahre 1876
haben einige Unternehmer die (Jnindsteuer zum ersten Male gezahlt,
lu den ersten Jaliren bestritt der Sultan die bedeutend vergrolserten
Verwaltungsküsten aus seinen gewöhnlichen Kinküntten, ungeachtet
die Vermehrung der Ausgaben für den T'nterlialt von 30 Soldaten
und 12 bis 15 Polizeiaufseheru und für Einrichtung der Gefängnisse
nicht welliger als monatlich 500 Dollars betrug. Die Bevölkeruog
auf den an Europäer abgetretenen Laadereien ist sehr gering, und
abgesehen von einzelnen Dienstleiatungen in den Plantagen kann
der Unternehmer auf ihre HOlfe nicht rechnen. Er ist deshalb
gezwungen, seine Arbeiten durch Kulis besorgen zu lassen, und
diese bilden, da ihre Heranführung bedeutende Kosten an Vorschflssen,
Passagen und Konimissiousgebühren, bei Chinesen wenigstens 70 bis
100 Guldeu per Kopf, verursacht, einen ausehnlichen Teil des
erforderlichen Aidagekapitals. Obschon die Kulis gar hüufig dem
Abschaum der cliinesischen Nation angehören, haben sie sich mit
wenigen Ausnahmen sell)st auf den abgelcLioiisten Plantagen und in
den bewegtesten Zeiten ruhig und ordentlich verhalten, ihr Betragen
unterscheidet sich sehr gttustig von dem der Chinesen in den
„Straits-Settlements^, den englischen Ansiedluiigen an der Malakka-
küste. Dort stellen sich die Dinge so, dafe die Chinesen in den
Strichen, wo eine geregelte Verwaltung besteht, sich nicht selten
gegen die Obrigkeit auflehnen, und da wo eine solche Verwaltung
noch fehlt, gar hftufig grofse Schandthaten yerüben. Dafe kleine
Ruhestörungen, Diebstahl, Spiel, Desertion auch unter dem Arbeits-
Volk auf Deli von Zeit zu Zeit vorkommen, läfst sich nicht leugnen;
im allgemeinen aber findet der Plantagenbesitzer in seinem
persönlichen Übergewiclit und in der Stütze, welche ihm die
Autorität des Sultans und die (lesetze des Landes gewahren, hin-
reichende Macht, um mit einigen guten Aufsehern die Ordnung auf
seiner Plantage zu handhaben.
Die europäischen Ptianzer waren darum auch mit den erzielten
Ergebnissen recht zufrieden, und immer gröfsere Kapitalien wurden
auf die Anpflanzungen, namentlich des Tabaks, verwendet Die
augenscheinlich günstige Entwickelung Delis erregte gar bald die
Aufinerksamkeit der Fürsten von Langkat und Serdang, die nichts
sehnlicher wünschten, als dafs sich auch in ihrem Lande Europäer
niederlassen möchten. Schon im Jahre 1869 wurden denn auch von
einem Niederländer Schritte mit Bezug auf Serdan^ Methan, und
bereits im fol^ienden Jalire wurden dort sowohl, als auch iu Langkat
Kontrakte aiiLieschlossen, «lie jedoch erst in 1871 in Kraft traten.
i^iuen kraftigeu Auslol's zu einer geduihUcheu Weitereut Wickelung
•
Digitized by Google
— 408 —
erfaielt Doli durch die Errichtung der ^yDeli-Maatschappfj**, einer Ge-
sellBchaft, welche im Dezember 1869 staatlich konzessioniert wurde.
Als Zweck dieser Gesellschaft wurde bezeichnet: «Kultivierung und
Anbau der in der Nfthe Ton Dell belegenen L&ndereien, Ton welche»
die Gesellschaft das Eigentums-, Erbpachts- oder ein anderes Recht
erworben, wie aucli solclier Grund.^tikke diuselbst, die in Zukunft
noch von der Gesellschaft in Eigentum, in fortdauernde oder zeit-
weilige Benutzung genuiunien werden möchten; ferner die Her-
stellung der dazu erforderlichen Einrichtungen, die Verarbeitung
der Produkte, Transport und Verkauf der aus den Produkten ge-
wonnenen Fabrikate nach und an geeigneten Märkten." Von dem
anfänglichen Gesellschaftskapital von fl. 300000 hatte die nieder-
ländische Handelsmaatschappü die H&lfte für ihre Rechnung über-
nommen und diese hat sich, wie wir sehen werden, nidit schlecht dabei
gestanden. Wenn auch die ^^Deli-Maatsdiappy* bei weitem nicht
alle europäischen Landbauanpflanzungen in sich aufioahm, hat
sie doch von der Zeit an an der Spitze gestanden und den Ton
angegeben.
Die Anzahl der Plantagen nahm immer mehr zu; 1871 waren
bereits 20 Kontrakte' abgeschlossen. Die Unternehmer wendeten sich
hauptsächlich der Tabakskultur zu. Der Tabak stand überall recht
üppig, war breiter von Blatt, hellfarbiger und zarter, als der Kohl-
tabak von Java und erzielte in Kuropa hohe Preise. Über den
Tabaksbau an der Ostküste von Sumatra finden wir näheres in
einigen Ausstellungsschriften.*) Der beste Boden für die Kultur der
Tabakspfianze ist ein nicht zu schwerer mit Sand gemischter Lehm-
boden vulkanischer Bildung. Vorzugsweise wird Waldboden benutzt
In der Regel wird ein und dasselbe StClck nur einmal bebaut, die
Pflanzungen sind daher natttrlich sehr ausgedehnt, nftmlich von
1600 — ^7000 englische acres. Den eigentlichen Kulturarbeiten geht
die Anlage von Wegen und Drainierungen voraus; sodann wird der
Wald abgebrannt, der Boden umgegraben und rajolt, darauf erst
werden die jungen Tabaksstauden gepflanzt. Die Arbeiten verteilen
sich aut das ganze Jahr wie foli!:t: Aufschliefseu des Waldes durch
Wegeanlagen kurz vor Eintritt der liegenzeit, Anfang September.
Niederbrennen des Waldes im Februar, Graben und Kajokn März
bis Ende Mai, Pflanzen April bis Ende Juni, Ernte Juni bis Ende
August. Der Sumatrataback, welcher ebenso wie der Javatabaek,
•) Der Tabak der niederländischen Kolonien, Geschichte, Kultur, Handel.
Nicht in Verlag; Internationale Kolonialausstellung zu Amsterdam 1883 und;
T)it' lieh Maatschappij Amsterdam. Notes ou the Sumatra Tobacco distributed
grat» 9t the CalcutU Uitenutional Exhibition 1883/84.
— 409 —
fast ausschlieCsUch nach Amsterdam uud Rotterdam ausgeführt wird,
liefert ein vonttgliches Deckblatt fttr Cigaireu. Die Deligesellachaft
legte auch Maskat- und Kokosnulspflanzungen an and beabsichtigte,
Yerauche mit der Indigokultur zu machen. Dex inlandische Verkehr
wurde dareh Anlegung neuer Wege verbessert, der Verkehr mit dem
Aoslande durch Indieuststellung eines kleinen Dampfers, der alle
14 'läge nach Pinang fuhr, erleichtert. Eine grofse Schwierigkeit
blieb es indes, für die stetig zunehmenden Pflanzungen die
erforderlichen Arbeitskriltte zu beschatien. Zwar wurden 1870
ungefähr IbO Ireiwillige Kulis von Samarang nach Deli übergeführt;
aber hierdurch konnte das Bedürfnis nur zum kleinsten Teile be-
friedigt werden. Nur China konnte mit seiner überÜüssigenBevölkeruug
die nötige Hülfe gewähren; im Juni 1870 waren denn auch bereits
dOOO Chinesen in Deli in Dienst, von welchen 1200 bei der Deli-
gesellflchaft arbeiteten, und ihre Zahl nahm noch fortwfihrend zu.
Auch die Kommunikationsmittel mit überseeischen Plätzen waren
noch ungenügend; doch worden dieselben auis neue verbessert
als die British-India-DampfiMhiffahrtsgesellschaft im Januar 1872
eine regelmäfsige Fahrt zwischen Calcutta und Siugapore einrichtete,
vou welcher auch Deli regelmäfsig berührt wurde.
Im Jahre 1872 wurde die Ruhe und WOlilfahrt Delis plötzlich
aufs ernstlichste durch die Empörung einiger Häuptlinge bedroht,
die mit ueitlischeni Auge auf die grolsen Vorteile blickten, welche
die Niederlassungen der Kuiopäer dem Fürsten von Deli einbrachten.
Wie es in den meisten malaiischen Lebnsstaaten der P'all ist, hatten auch
in Deli vor der Abtretung des Landes an die Niederlande die H&upter
der Sttkus sich von der Suprematie des Sultans fast ganz losgemacht
Doch als dieser Fürst die niederlAndische Sciuverftnet&t anerkannt
hatte, waren die Datus wieder in das durch die alten Landesgesetse
bestimmte Verh<nis zurtickgetreten. In Folge des Krieges von 1872,
dessen Verlauf hier nicht geschildert werden soll, traten manche
Veruuderungeu, namentlich auch in der Verwaltung des Landes ein;
im Jahre 1878 starb der für das Wohl seines Landes eifrig strebende
Fürst; er wurde durch seinen sechzehnjährigen unter Vormundschaft
gestellten iSohn ersetzt. Die europäischen Unternehmungen nahmen
selbst inmitten der Unruhen nicht nur in Serdang und Langkat,
sondern auch in Deli an Zahl uud Bldte zu. £inige Jahre später
trat jedoch nicht nur ein Stillstand ein, sondern von verschiedenen
Seiten werden groüse Bedenken erhoben gegen das Kulturverfabren
in Deli einerseits und gegen die von der niederlimdischen Regierung
eingeftthrten Verordnungen und Maforegeln fttr Deli andererseits. In
der niederlAndischen Tagespreise wurden die Verhältnisse der jungen
GMgr. Blittor. Bmb«ii ifltii, 2ll
Digitized by Google
— 410
Kolonie scharf kritisiert, allerlei Vorschlajie li^enuicht, um {lirsi^lben
sowohl für Deli, wie für das Mutterland j^üustif(er zu gestalten, und
„De toekomst vau Deli op Sumatra wurde fast ein Steheuder
Artikel.
Eine interessante Arbeit über dieses Thema und überhaupt
über die Verhältnisse in Deli lieferte Herr ('remer, bisher Haupt-
administrator der ,,Deli-Maatschappy" iu seiner Broschüre: „De
toekomst van Deli." (Leiden 1881.)
Aus dieser sehr sachkundigen, für die i^anze Entwickelunjjs-
geschichte der Deli-Kolonie wie für ihre Zukunft hochbedeutsameu
Schrift entnehmen wir unter Ühergehun^j des polemischen Teils noch
eine Reihe thatsächlicher Angaben Aber Deli und die Bewirtschaftung
der dortigen europaischen Pflanzungen.
Schon die ersten Pflanzer in Deli legten sich neben dem
Tabaksban auch auf andere Kulturen. Sie fanden dort durch die
Eingeborenen angelegte Muskatpflanzungen Tor, die vielversprechend
aussahen; diese wurden teilweise von ihnen gepachtet und gaben
guten Gewinn. Sie fingen deshalb sogleich mit dieser Kultur in
grOlserem Mafisstabe an, und schon von 186S— 70 wurden aus-
gedehnte Garten angelegt, die durchaus nicht als unbedeutendes Bei-
werk neben dem Tabaksbau anzusehen waren. Zu gleicher Zeit
legten sie, dem Beispiele ihrer Nachbaren in den Straits-Settlements
folgend, ausgedehnte Kokosplantagen an. Hierbei wurde nur Über-
sehen, dafs die dort in den Straits-Settlements am Seestrande be-
legenen Anpflanzungen sowohl hinsichtlich der Verschiffung des
Produkts, als auch der Möglichkeit, die Anlagen rein zu halten,
weit bessere Bedingungen boten, als ihre im Rinneulande augelegten
Plantagen. Nach kürzerer oder lilngerer Zeit niufsten denn aurh
die Anpflanzungen, in welche bedeutendes Kapital gesteckt worden
war, wieder .aufgegeben werden. Mit Kartee, Kakao. Indigo und
einigen anderen Produkten wurden ebenfalls Anbauversuche gemacht,
jedoch mehr oder weniger mit geringem Erfolg. Man ersieht hier-
aus, dals die Ansiedler keineswegs von Anfanu' an darauf aus-
gingen, iu Deli fast ausschlicfslich eine extensive Tabakskultur
zu treiben. Docli lAlst sicli nicht verkennen, dals diese Kultur in
den letzten zehn Jahren dahin au>geartet und zum vollständigen
Raubbau geworden ist. (iegenwärtig ist das Streben nach Ver-
besserung unverkennbar, aber der Hindernisse gieht es uoch vielerlei.
Ohne Zweifel ist eine der Hauptursachen des verminderten
Interesses für die intensiven Kulturen die unerw^artete Blüte der
Tabakskultur. Mit derselben waren grofse (iewinne zu erzielen, au
Bodftuumugel brauchte vorlaufig nicht {;eilacht m werden und eiuer
Digitized by Google
411 —
Idliiflfclidieii Dflngung bedurfte es nidiL Die Besdiafiteng der Arbeits-
kräfte und die Beaufsichtigung, welche die neuen Ankömmlinge
fortwährend erforderten, sowie die mancherlei Arbeiten, die mit
der L rbarmachuiig und den ersten Kiiiri< htungen verbunden waren,
erforderten jedoch grofse Anstrengun^^eii und Aufmerksamkeit von
Seiten der Unternehmer, deren die meisten Neulinge iii dem Fache
waren. Andere Kulturen wurden dadurch bei Einigen Nebensache,
von Anderen ^rar nicht angefangen. In Zukunft dürfen sich nur noch
diejenigen Pflanzer einen guten Gewinn versprechen, welche auf
gutem Hoden, sparsam, mit ( berle^umj und Eifer arbeiten. Vielen
droht jetzt schon Mangel an geeignetem Land, wogegen man viele
frühere Schwierigkeiten überwunden liut. Grund genug, wanuu au
Einführung anderer Kulturen gedacht werden kann und mufs.
Kiue zweite Ursache des Verfalls speciell der Muskatnufskultur
liegt io den weniger guten Resultaten derselben infolge des Krftn-
kelns und Absterbens der Bäume in den meisten Anlagen. Die
Krankheit tritt nicht überall auf und lafst sich wahrscheinlich mit
Erfolg bekämpfen. Aber eine solche BekAmpfong, es sei durch
bessere Beinigung des Bodens und des Baumes, durch tiefere Drai-
nierung, oder durch Anwendung chenuscber Ufllfiunittel n. a. ist
natflrlieh kostspieliger Art und niemand ist geneigt, greise Kosten
darauf zu verwenden bei ansicherem Erfolge, unsicher sowohl infolge
der Regierungsmafsregel hetrefib Umschreibung oder Obertragung
der Landbaukontrakte, als auch wegen des am 1. Januar 1876 ein-
geführten Exportzolles. Wie drückend letzterer ist, sieht man leicht
ein, wenn man weis, dals der Mudcatnuibhanm erst nach etwa zwölf
Jahren einige, aber noch langst nicht die volle Frucht liefert. Eine
Anpflanzung verschlingt deshalb, da sie regelmäfsig rein gehalten
werden mufs, ein ansehnliches Kapital und die ersten Früchte sind
zur teilweiseü Deckung der lietriebsküsteii sehr willkommen. Noch
einige Jahre später kiauun diese vielleicht voUstämlig aus dem
Nettoertrage bestritten werden, und danu beginnt man, an all-
mähliche Abschreibung des Anlagekapitals zu denken, an Gewinu-
buchuug und Dividendenverteilung erst später.
Nachdem die niederländische Regierung vom Sultan das Recht
der Abgabenerhebung erlangt hatte, wurde ein Specialtarif des Ein-
und Ausfuhrzolls für die Ostküste Sumatras aufge.stellt, nach welchem
die kaum begonnene Muskatkultur mit einem Ausgangszoll von ti. H
per 100 kg für Nüsse und von ti. 16 für Muskatblüte getroften
wurde. Eine solche Belastung bei Verschiffung eines Produkts, das
noch keinen Gewinn liefert, war gewifs nicht ermutigend. Weitere
Anpflanzungen von Muskatnufsb&umen und in manchen F&Uen sogar
Digitized by Google
— 412 —
die L nterhaltuug der beäteheuden, sind aus obigem Grunde unter-
blieben.
Es unterliegt tiboHumpt keinem /weifcl, <l;ifs der Exportzoll
im allgemeinen einen nac-hteiii^^en Eiutlui's aui die Zulvunft Dells
ausübt. Plaue der Begierung über Aus^lehnung der Ausfuhrzölle in
Zukunft erschweren oder verhindern ofi'enbar die Anlage you Kul-
turen, die erst nach einigen Jahren rentabel werden.
Eine weitere Störung in den VerhftHnissen der Deli-Koloiue
brachte das einige Jahre währende Schwanken in Besag aof die
' Festatellang und Geltung gesetalicher VorBcfariften Aber die Strafbar-
keit des Arbeiters wegen Bruches des Arbeitskontraktes. Im Au^st
1881 traten in dieser Richtung feste Bestimmungen in Kraft, die im
allgemeinen befriedigten, mit Ausnahme der einen Bestimmung, wor-
nach Arbeiter, deren Kontrakt erfüllt ist. und die kein neues Ver-
tragsverhältnis eingehen, im Verwaltungswege für Hechnung des
letzten Arbeitsgebers nach ihrem letzten Herkunftsorte zurück-
geschickt werden sollen, wenn sie nicht genagende Existenzmittel
nachweisen köuneu.
Bei Werbung in den Stratts durch „iicensed cooly brokers''
werden die Leute meistens gegen Besahlung einiger Dollar extra
dem Pflanzer auf seine Besitzungen geliefert und hat er das Bedit,
die ungeeigneten abzulehnen und sie fQr Rechnung der Werber nach
ihrem Herkunftsorte ssurttckzofienden. Die Auswahl geschieht bei
denen, die Gelegenheit dazu haben, durch einen Arzt. Weisen die
Neulinge durch einen Kuli oder Führer unandoer;, der von Deli mit
seinem erzielten Gewinn nach China gegangen ist und manchmal
von dort mit einer Anzahl Jiekannter »»der I)orfgeu()>.sen zurück-
kehrt, also ohne Vermittelung von „brokers" angeliracht. so gieht
es unter denselben sehr selten Schwache: ihr Fülirer weifs zu gut,
wie unwillkommen solche Leute sind. Hat mau aber einen Alten
oder Schwachen nicht gut zurücklassen können, dann crM^ tet sich
gewöhnlich die ganze Gesellschaft, Bürgschaft für ihn zu leisten und
wird mit Erfolg gearbeitet, dann wird ihm fortdauernd geholfen.
Inzwischen ist die Errichtung eines Asyls f&r invalide Arbeiter
geplant und soll eine solche wohithfttige Einrichtung im Jahre 1885
zur Ausführung kommen.
Ein anderes Hindernis für die weitere Entwickelung der
rtlanzungen in Deli liegt in der jetzt besLeheudeu Art und Weise
der Umschreibung (Übertragung) der Landbankontrakte. That-
silchlich steht die Sache in dieser Beziehung so, dals die meisten
Landbannnternelinier in Deli nicht das Uecht haben, ihre llnter-
nehuiuugea anders zu verkaufeu, als mit Genehmigung und unter
Digitized by Google
— 413 —
■^vilIkü^li(•her Feststellunf^ der lieclingungen durch den Residenten für
die niederländisch-indische Hegieraug und durch den Fürsten mit
seinen Reichsgrof»en. An andauernde VerbesBerang der Pflanzungen
kann nnter solchen Umständen nicht gedacht werden. Eine fernere
Erschwerung der Einftthrang von Knltnren, die ein Prodakt liefern,
das bei gröfserem Umfange geringen Wert hat, als Tabak and die
man in vielen Fällen, wie zum Beispiel bei Kaffee und Kakao gern
soweit als möglich ins Binnenland verlegt, ist der schlechte Zustand
der Haupt we.ne und der Mangel an Brücken.
Während in dieser Beziehung eine Abhülfe hauptsachlich von
der Regierung erwartet wird, haben es doch auch die Pflanzer im
Selbsthülfe nicht fohlen Inssen. Das beweist zum Beispiel die
jetzt in der Landschaft Deli im Bau begritiene Eisenbahn. Im
Jahre 1882 suchte die Deli-Maatschapp^ bei der nieder-
ländischen Regiernn!? um die Konzession znm Bau einer Eisenbahn
nacL Sobald dieselbe erteilt war, konstituierte sich am 28. Jnni
1883 anf Grund der schon vorher entworfenen und genehmigten
Statuten die Deli— Spoorweg— Maatschappjj in Amsterdam und
begann unvensflglich ihre Arbeiten. Der Sultan von Deli und seine
Refchs^rorsen hatten schon im September 1889 ihr leibhaftes Interesse
für die Kntwickelung ihres Lanrles dadurch bekundet, dafs sie der
Gesellschaft den nötioren (Irund und Boden, vorbehältlich der Rechte
Dritter, für die Dauer der Bahn kostenfrei überliel'sen. Ebenso
entgegenkommend hatten sich die in Frage kommenden Erbpächter
und Gesellschaften gezeigt.
Das Aktienkapital wurde auf 2 60ü ODO Gulden festj^esetzt, ver-
teilt auf 2600 Aktien a 1000 Gulden. Gezeichnet wurden anfangs
2000 mid bis znm 30. April 1884 noch 101 Aktien. Der erste
Spatenstich erfolgte am 1. Oktober 1883. Nach dem fianplan «hält
die Bahn eine Länge von 34,6 km, mit einer Zweigbahn Ton 20,9 km.
Die Hanptlinie geht vom Anlegeplatz der Dampfschiffe in Belawan
in südlicher Richtun«; zunächst nach dem Hauptorte Medan (23 km)
und dann weiter nach Deli Tuwa. Die Zweijs^linie erstreckt sich
von Medan westlich bis Timbang Langkat. Die Hauptbahn erhält
<lrei Stationen — Belawan, Medan, Deli Tuwa — und ftlnf Halte-
stellen: verschiedene UmsUlnde veranlafsten es, den Anfangspunkt
der Anlage vorläufig nach Labuan zu verlegen. Die ankommenden
(lüter werden jetzt ,dur(;h einen Schleppdampfer in Böcken dort hin-
befördert und hier auf festem Boden gelagert. Die Strecke
Labuan— Medan soll Anfang 1885, der ttbrige Teil 18ä6 dem Betriebe
flbergeben werden. Herr Cremer schliefst die oben erwähnte Schrift
mit folgenden Bemerkungen: Der Tahaksbau steht in Deli noch in
Digitizdd by Google
— 414 —
Blüte, bisher hat er sich noch immer aiistredehnt. eine fernere erheb-
liche Ausdehnung' ist indessen nicht zu erwarten. Nach den zum
Teil getzUukten Versuchen mit dem Anhau von Liberia- untl ara-
bischem Kaffee ist es die Absicht, diese Produkte in ausgedehnten
PHanzungen anzubauen. Mit Kakao, Kameh, Gummi-Klastikuni u. a.
werden ernstliche Versuche gemacht. Ebenso denkt man aa
Anpflanzung guter Holz- und Bambuarten auf Gründen, die eine
Ernte Tabak und Reis geliefert haben. An Zuckerkultar wird man
sich wegen des dazu erforderliche Kapitals wohl nicht eher wagen,
als bis die Zustände anhaltend yerbesaert sein werden. Für die
Einwanderung guter Arbdter aus China wird mehr und m^r
Sorge getragen.
In der allgeineineu Meinung stehen die Chinesen nicht gut an-
geschrieben; man befürchtet von ihnen einen (iemoralisierenden Ein-
fiufs auf die Javanen Die Furcht scheint übertrieben zu sein. Oemer
glaubt deshalb auch, dafs vorliliifijz, eben wie in den Straits-Settle-
ments, die Chinesen den Reichtum der Ostküste von Sumatra aus-
machen werden. Die Resultate der Einführung von Javanen, die
meistens mit Frauen und Kindern kommen, sind trauriger Art. Die
Einwanderung aus Java bedarf besonderer Mafsregeln und Fürsorge.
Lebhaft wird gewünscht, dafs die britische Regierung die Anwerbung
von Arbeitern in Britisch-Indien gestatte. Die Mher eingewan-
derten sogenannten Klings haben sich als Kftrmer und Tagelöhner
sehr gut bewahrt. Erhalt die Verwaltung jene Erlaubnis, dann ist
damit der Industrie auf Sumatras Ostküste ein grofser Dienst er-
wiesen.
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, dafs dieser Industrie, die
trotz der schweren Zeiten , die sie durchgemacht hat, beständig
vorwärts gekommen ist, noch immer aus verschiedenen Ursachen
viel Primitives anhaftet.
Ihre Grundlagen werden aber immer fester, sie gewinnt an
Kenntnissen, Erfahrung und Kapital. Sie weifs, was ihr fehlt und
strebt nach Verbesserungen. Sie bedarf dazu keines aufisergewOhn-
lichen Schutzes, keiner Schaffung künstlicher Zustände, sondern einer
zweckm&tsigen Verwaltung. In dieser Richtung macht Herr Gremer
eine Reihe von Vorschlägen, welche sich an die vorstehenden Aus-
führungen anschliefsen.
Zum Schluls machen wir, auf Grund güti«^er Mitteilung von
sachkundiger Seite, noch einige thatsachliche Angaben über die
Piautagen von Deli und der benachbarten Gegenden. Wir haben
bereits bemerkt, dafs das Anlagekapital der Deli-Maatschappij an-
fftugUch 300000 Gulden betrug. Nach einigen Jahren wurde es aus
Digitized by Google
0
— 416 —
den Beirieh^innahmen auf 5(10 OOü Gulden erhöht. Eine weitere
Erhöhung erfolgte 1876 und zwar auf 800000 Gniden und im Jahre
1878 wurde es bis auf 2 Millionen Gulden gesteigert. Die in den
letzten 5 Jahren j^ezalilten Dividenden betnij:eu 1880: 37/J ' o, 18H1 :
33,2 »/o, 1882: 87.3% 1883: 65 ^/o, 1884: 101 « o. Die in Araster-
diini zun» Verkauf gebrachten Ernten der Tabake von Sumatra (haupt-
sächlich von IVli und I.angkati b« trugen 1873 nur 9238 Packen
(ä 70 kg ungefähr), im Jahre 1876 sclion 28947 Tackeu und in deu
dai'auf folgenden Jahren:
1877: 36 1H7 l'aclten,
1878: 48155 ,
1 879 : 57 544 ,
1880: 64965 ,
1881: 82 356 I,
1882: 102032 ,
1883 : 93509
(Die Ernte von 1883 wurde durch ungünstige Witterung beeinträchtigt.)
Der Wert dieser Ernten war 1873: 2Vs Millionen Gülden,
1876 : 6»/4 Millionen, 1877: 1878 : 9, 1879: 10»/t, 1880: IIV4,
1881: WU und 1883 : 21 Millionen Gulden.
Die Deli-Maatschappij eignet inDeli undLangkat 11 Plantagen;
auch ist sie bei der Langkat-Association betdligt, welche drei Plan-
tagen besitzt. Die Durchschnittszahl der Arbeiter einer jeden dieser
Plantagen wird auf 660, zumeist Kulis angegeben, auüserdem werden
eine Anzahl Malaien zu Vorarbeiten, als: Lichten der Wälder n. a.
beechaftigt. Ein beim Abschlufs dieses Artikels ans zugehendes Ver^
zeichnis der jetzt in tler Besidentschaft „Ostkflste Ton Sumatra*
bestehendenpriTaten Unternehmungen (Plantagen) ergiebtdie Zahl 76;
unter den Pächtern (Einzelnen oder Kompagnien) finden whr eine Anzahl
deutscher Namen. Die gröfsten Plantagen sind in Suka Piring; es
sind vier, welche der Deli-Gesellschuft und vier Unternehmern ge-
hören und im ganzen eintMi Flacheninhalt von 10o()0 hau's haben,
(ein bau = 7<M)6,5 qni.j Die Kontrakte gelten nieist bis lu die
Mitte des nächstens Jahrhunderts und darüber hinaus.
Als erforderliches Anlagekai)ital zur Errichtung einer mittel-
grofsen Plantage wird die bumme von 80—100000 Gulden bezeichnet.
. Kj . 0 L y Google
Kleinere Mitteilungen.
§ Ans der tieographisehen tiesellschaft im Bremen. Urnen GMeUschaft
veranstaltet auch in diesem Winter eine Reihe von Vorträgen: den ersten
wird nnser Mitglied. Herr Professor Lanberf . über das Thema: Wanderungen
in Schottland, hnlffn. Ende Dezember folgen dann zwei Vorträge des Herrn
Professor Studoi aus Bern über Tiefseeforschnng. — Leider haben wir des
Todes zweier Männer zu gedenken, die sich als Mitglieder uuiserer Cie^eil-
achaft basondflire Vefdicnste erwoibea knben. Am 29. Angoit d. J. rtaib in
Akki» an der Goldkfiato im 48. Lebeotjalm der Bergingeniear Paulas Dfthae.
Über den Lebenalaof dea Veratorbenen, der aich die Erforaehmig der OoldkUaie
und besonders die Erschliefsang ihrer liineralachitae aar Aufgabe geateUt hatte
und diesem Ziel mit der grölsten Anfopferong und einer bewonderongawürdigeB
Energie nachstrebte, haben wir von den Hinterlassenen auf unseren Wunsch
einige Mitteilungen empfangen, denen wir Folgendes entnehmen: Paulus Friedrich
Wilhelm Dahse wurde am 15. Oktober 1842 in Pronzlan geboren, wo sein Vater
Lf>hrer war. Die Eltern zogen nach Potsdam, dort besuchte er das Gymnasium
und kam bis Obertertia. 1857 trat er als Lehrling bei einem Buchhändler ein,
aber daa atille Leben behagte ihm nicht, aehoo Ton Kindheit an etand aein ganzes
Sinnen und Trachten in die Weite. Sokamer 1860 nach Bremen und machte ala See-
mann mehrere Bei&en nach Nordamerika. ImHerbstl862fohr er anf dem Bremer
Schiff «Dahomey* nach der Westküste Afrikas, wohin es ihn von jeher gesogen
hatte. Bei seiner Rückkehr im April 1863 wurde er von dem hiesigen Handela-
hause Fr. M. Victor Söhne für die der Firma nn der Westküste .\frikas gehören-
den Faktoreien engagiert und ging mit demselben Schiffe wieder hinaus. Er war
dort in Adafoah und Keta in den Faktoreien des genannten Hauses thätig. Im
Herbst 1866 kehrte er zur Erholung nach Deutschland zurück, ging im Früh-
jahr 1867 wieder hinaas and übernahm die Leitung der Faktoreien in Akkra.
1809 war er genötigt ans GesondheStarftcksichten seine Stelle anbogeboi vnd
iron Afrika» wie er dachAe, Ar immer an acheiden. Er kehrte nach Bremen
sarfick, aber ea hielt ihn hier nicht lange. Ziemlich wieder hergestellt» ging er
im Jahre 1870 nach Californien. Sieben Jahre, bis 1877, war er dort in Nevada
nnd British Columbia (Insel Vancouver) in verschiedenen Geschäften thiüg, er
erwarb sich hier nebenbei praktische Minenkenntnisse Nach Afrika zog es ihn
immer wieder hin und so setzte er sich Ende 1877, nach Bremen zurückgekehrt,
mit englischen Kapitalisten in Verbindung, die eine Minenkompagnie bildeten.
Im Auftrage dieser (resellschaft reiste er nun, als bergmännischer ExploiHtoar.
wieder nach der Goldküste. 1879 kehrte er zur Berichtei-stattung nach England
sorilek nnd ging noch in demselben Jahre, begleitet von einem Ingenieur, Berg-
nnd ZimmwlOTteni wieder hinans, alle erforderlidien IfiMchinen nnd Qerftte mit
aich fthrend. Er errichtete in Tacqnah, Goldkfiste, ein Qoldbergwerk nnd be-
reiste sodann das Land naeh verschiedenen Bichtangen, immer nach Minend»
SchSiien forschend. Nachdem er die Reise zwischen Enropa und der Goldkäste
noch mehrmals gemacht, kehrte er im Frühjahre 1882 lungenkrank nach
Deutschland zurück. Klima und Strapazen, denen er sich immer von neuem
aussetzte, hatten seine Gesundheit erschüttei-t. Er blieb nun Vli Jahre in der
Heimat, teils bemüht, durch den Gebran< Ii vcia Bädern sieb wieder herzustellen,
teils mit emsigen Studien für neue Kciscn und Forschungen beschäftigt. Um
diese Zeit schrieb er nnter anderen einen vortrefllichen Artikel ftber die Gold-
kfiate, welcher mit der Ton ihm ausgearbeiteten Karte der Gk>ldk&sie (Hab*
sUb 1 : 760000) in Heft 8 Band V. (1888) dieser Zeitschrift verOffentUcht wnide
Digitized by Google
— 417 —
and lebhaftes Interesse erre^. Dahse setzte sich mit einer bergmännischen
Autorität, demKöniglichen Oberbaigdirektoi von Oflmbelm Hftncheii, in Yerbindang
und übenandta ihm oino Ansahl von GMtflinai, aowoihl Ton den Ctoldminen der
Tftcqoah-Hfigel, als «ns anderan Gaganden der QoldkfMe, teilte ihm auch seine
Beobachtnngen mit. Gümbel würdigte in vollem Mafin die mineraliBohen Schätze
der Goldknste in seinen \SS2 zn München erschienenen ^Beiträgen znr Geologie
der Goldknstp". Durchaus noch nicht wieder hor^estellt entschlofs sich Dnhse
gegen Ende 188;-i zu einer neuen Reise nach Westafrika und im Frühjahr und
Sommer sehen wir ihn wieder dort rastlos thätig. Eine selir beschwerliche,
anter heftigen Regengüssen ununterbrochen fortgesetzte Reise scheint den
nächsten Anlafs zu seiner let2ten Erkrankung gegeben zu haben. Dahse starb,
wie bemerkt in Akkra am 89. Angast und wurde dort begraben. Der Lebens-
gaag Dahsea erinnert rieMsch an den fionnats, mit dem er auch, wie mit Bnrton
nnd anderen Afinkafonohem in Beriehnng gestanden hat Wir hoffen sfiüer ans
Briefien des Verstorbenen noch näheres über seine letzte Reise mitteilen zu
können. — Um Mitte November erhielten wir die Tranerkunde von dem Tode
Alfred BrchTus. Fr starb am LS. November in Feinem Heiinatsort Renthen-
dorf (Thüringen) an einem Nierenleiden, dessen erste Anfänge aufi seiner im
"Winter 1888/84 ausgeführten Reise durch die Vereinigten Staaten von Amerika
herrührten. Die Trauerbotschaft erregte weit über die Grenzen unseres Vater-
landes hinaas allgemeine Teilnahme, denn Brehm war wohl der populärste unter
allen deatschen Natorforschem, nicht nnr dnreh seine lahlreichen Werke, nnter
ihnen Tor allen das Tierleben, sondern besondeia anch dnreh seine yortrilge,
mit denen er — denn er behenaehte das Wort in seltenem Grade — in 'vielen
Siidten Deutschlands, der Niederlande, zoletit aach der Vereinigten Staaten
immer nnd inuner wieder sahireiche Kreise von Zuhörern zu fesseln, m ei^
•wärmen, ja man kann sagen zu begeistern wufste. Ans den von Zeitungen and
Zeitschriften veröffentlichten Nachrufen und Nekrologen wählen wir die nachfolgen-
den Mitteilungen. Brehm wurde am 2. Februar 1829 in Renthendorf, wo sein
Vater, der bekannte Ornitholog, Pfarrer war, gelioren. Als ISjähriger Jungling
trat er im Juli 1847 eine Reise nach Afrika au und icehrte von dort erst im
Mai 1862 sorftck. Mit seltenen VOTkenntniasea nnd lebendigen Anschannngen
ansgerfistet, begann er dann in Jena seine akademischen Stadien als Zoologe die
er in Wien fortsetste, angleieh aber anch die stattUohe Beihe seiner schrift-
atellerisehen Arbeiten, deren erste die «Beiseskissen ans Nordostafrika' (Jena
185.S) waren. Zwischen theoretischen Stadien und exakten Forschungen in der
heimischen Natur wie auf weithin führenden Reisen einer- und der litterarischen
Schilderung dieser wissenschaftlichen Erlebnisse andererseit.«!, blieb fortan sein
reiches, thätigcs Leben geteilt. 1856 bereiste er Spanien, 186() Norwegen und
Lappland, zum besonderen Studium der Vogelwolt, welcher letzteren sein zweites
gröfseres Werk: «Das Leben der Vögel"* (Glogau 1861 u. f. Aufl.) gewidmet war.
Im Jahre 1868 begleitete er den jagdliebenden Herzog Emst Ton Coburg- Gotha
aaf dessen Beise nach den BogosUndem ala FAhrer. Die wissenschaftliche Ans-
bente dieser Expeditionen legte er in den .Eigebnissen einer Beise nach Habesch'
(Hamburg 186S) nieder. Heimgekehrt, wurde er an die Spitse des Zoologischen
Gartens in Hamburg als Direktor benifen. Er verblieb bin 1867 in dieser Stellnng,
welche er wegen Zwistigkeiten aufgab, in die er mit dem VerwaltTin^srat geriet.
Mit dem Plane des grofsartigen Aquariums im Kopfe, das er mii d« in nächsten
Jahre in Berlin ins Leben rief, siedelte er dahin über. Schon Jnlire vorher hatte
er die Grundzüge zu seinem Unternehmen, das _ Leben der Tiere* im Zusammen-
bang mit vurzuglichcu iliustrutioncn zu schildern, entworfen und aufzubauen
Digitized by Gc)
— 418
angefftDgen. lo dem Zeicshner Mfttael fand er einen Msgeieichneiett Band«e-
genoaeen. Beide Bchilderten nur nach der Natur, und swar mit einer Schärfe,
einer Anschaulichkeit, die ganz einzig geartet war. Die ei-sten fünf Bände Tel^
fafste er in den Jahren 1863 bis 18r»8; für den sechsten Band, welcher die niederen
Tiere behandelte, fand er in Oskar Schmidt und Tuschenberg obenbürti<:f Ver-
bündete. Eine zweite vielfach umgearbeitete und vermehrte Aiiflapo in zolin Bimden
begann um« Jahr 1874 ihr Erscheinen. Neben den fortlaufenden Arbeiten für
die neue Auflage dieses Werkes schrieb Brehm mit Rofsmäfsler zusammen ,Die
Tiere des Waklts- (Leipzig 1800 07) und unter Mithülfe der uamhaftesteu Fach-
, mfaUMr ein eingehendes Hand- nnd Lehrbuch Ar Yi^lificlttir und Liebhaber
.Gebogene TOgel* (Leipzig 1878 u. 1). Seine totste groÜM Beise machte er Ar
niiam OeBeUachaft, die damals noch den Namen ^hurferein föhrte, im Jahre
1878, und swar mit Dr. Finach und Graf Waldbnrg-Zeü nach Westsibirien, sie
ffthrte ihn bis zum Alatau in Torkestan und von hier aus durch das Obgebiet
ZOT Samojedenhalbiusel und bis zum Karischen Meerbusen. Über diese Reise
berichtete er damals hier wie in anderen Städten in einer Keihe von anziehenden
Vorträgen. Ein Jahr später begleitete er den Kronprinzen Rudolf von Österreich
auf einer Reise im mittleren Donaugebiet, 1879 auf einer länger währenden iu
Spanien. Nicht vergessen werden über den grofseren Werken dürfen seine vielen
Ueinereu Anftitse in Zeitschriften, in denen er in vollendeter nnd echt popoliier
Form die Ergebnisse seiner Fozachongen den weitesten Kreisen mitteilte und
ingiagUch machte. — Unser Mitglied, Herr Professor Gottsche in Jqpan, hat,
nach brieflicher Yerstftndignng mit dem Vontande, den Antritt der im Auftrag
unserer Gesellschaft zu unternehmenden Forschungsreise nach den Bonin-
Inseln noch etwas hinausgeschoben und wird sich erst Anfang Februar 1885,
zu einer für Fors« hnngszwecke günstigeren Zeit als die früher dafür in Aussicht
genommenen Wintermonate, nach jener Inselgruppe begeben.
§ Die Baseler Mission an der iioldkiiste. Über die Thätigkeit dieser
groDsen Missionsgesellschaft au der Goldküste hielt kürzlich der Missionsprediger
Schrenk aua Bern in Breflien einen MentUchen Tortrag, dem wir folgende
thataftcUiche AafißiMk entnehmen: Die Brftdergemeinde hatte schon im voii-
gen Jahrhnndert neun Missionare an der Goldküste; sie erlagen dem Klima.
Jm Jahre 1828 gingen die ersten Missionare von Bnsel nach der Qoldküste;
1842 waren alle bis auf einen gestorben. Sodann machte man den Versuch,
durch die Brüdergemeinde christianisierte westindische Ne^jer einzuführen und
durch sie christliche Nefjcrjjemeinden im Laude erstehen zu lassen, ein Versuch,
der nur teilweise gelungen ist. Damals waren die Hülfsniittpl zur Anlage von
Kolonien au der Goldküste noch sehr mangelhaft, mufste mau bicii doch selbst
tannene Bretter zum Uäuserbau aus Amerika kommen lassen! Diese wurden
aber, ebenso wie die Lehmmanem, von den weifiMn Ameisen, den Termiten,
serfressen. 1872 konnten wir Bretter, soTiel wir wollten, in Afrika ans dem
dortigen harten Holz geschnitten, haben, sie wurden uns vor die Thfir gebracht
1857 gingen nämlich iwei Industriebrftder hinaus, welche den N^em Handwerke
lehrten. Der eine war ein Banmtister, er zeigte den Negern, wie sie sich gesunde
Wohnungen bauen konnten. 18Ö9 betrag die Zahl der Mitglieder unserer Ge-
meinde an der Goldküste etwas über 7(X). Nach dem Jahresbericht unserer
Mission vom 1. Januar d. J. zählt man jetzt dort 5ö6(> Gemeindemitgliedei-.
Wir haben also nicht umsonst gearbeitet. Vor allem war unser Augenmerk
itut die Erziehung, auf die Errichtung von .Schulen gewendet und zwar iiabeu
wir jetst Ekmantarscholeu, Mittelschulen, einige kleinere Lehrerseminare und
Digitized by Google
— 419 —
ein theologisches Seminar nur AnBbildaqg der eingeborenen Pforrer. Im gansen
haben wir Aber 1000 Schfller. Als ich hinanskam, konnten wir nnr dadurch
Schüler bekommen, dalk wir den Kindern Koat, Wohnong, Kleidnng lieferten.
Das ist jetzt nicht mehr, es wird jetzt auch Schulgeld bezahlt, denn die Neger
achStzen die Bildung. Am 1. Januar d. J. liatten wir 15 eingeborene Pfarrer an
der Goldküstr. 10 von ihnen sind erprobte erfahrene MJinner Alle unsere
ElenientarKchulen stchon unter eingeborenen Lehrern und Lehrerinnen. Die
wichtigste JStation au der Küste steht unter der Leitung eines Eingehüieneu,
meines früheren Gehülfeu, Reindoi-f. Er spricht englisch und kann in drei afrika-
jü&chen Sprachen predigen. Es war keine geringe Aufgabe, die nötigen litte-
rarischen HtUbmitiel sam üntericfat in den Sprachen des Landes an schaffen,
fftr Leaie, die in unswen Sprachen nnbekanni, mobten eigene Zeichen erfanden
werden. Jetat haben wir in der Asanti* und der Akkrasprache eine Gramma-
tik, ein Wörterbach, verschiedene Schulbücher, eine allgemeine Weltgeschichte,
die heilige Schrift ond ein Oesaogboch.
§ Die westafrikanisehen HaudelHverhältnisse. Von der ii\ Berlin tagenden
internationalen westafrikanischen Konferenz ist bekanntlich auch die wichtige
Frage zu entscheiden, welche Ausdehnung ilem Begriff des Congobeckens im
allgenieineu Interesse bei den darüber zu treffenden internationalen Vereinbamugen
SU geben sei. Anch der Gust des groÜMn westafrikanischea Handelshaiises
C. Woermaan in Hamborg, der Beichstagsabgeoidnete Adolf Woermann, wurde
an einem Ontachten fiber die Aqgelegenhett anfgefordert nnd entnehmen wir
diesem Gutachten die nachfolgenden MittaUangen ftber den enrop&iiich-west-
afrikanifichen Handel an der Westküste. Die ganze Westküste Afrikas teilt sich
in zwei vollständig von einander getrennte Handelsgebiete, und zwar: a. die
eigentliche Westküste vom Kap Verde bis zum Kamerun, und b. die Küste
südlich von dort bis zu der portugiesischen Kolonie, welche letztere Strecke im
Handel unter dem Namen Südwestküste bekannt ist. Der Handel in dem erst-
genannten Gebiet ist bereits ziemlich entwickelt, weil dort viele Kolonien euro-
piiacher Sachte, sowie die Bepnblik Liberia» existieren, nnd hat an allen diesen
FIfttsen der Timschhaadel aom groben Tefle bereits dem Handel auf Basis einer
Geldfainta Fiats gemacht An diese Strecke schUeüBt sich das Gebiet der
Nigermfindnngen an, das Handelsgebiet der sogenannten OelflQsse. Hier herrscht
der eigentliche Tauschhandel. Die Werteinheit, nach welcher enropäische Waren
verkauft nnd afrikanische Produkte gekauft werden, ist ein gewisses Mafs
Palmöl, — Kru genannt. Zu diesem Gebiete gehört ebenfalls Kamerun und
zwei südlichere Häfen, Malimba und Klein-Bafanga, Am Tongo dagegen herrscht
ein vollständig anderes System des Tauschhundeis, dort ist die Werteinheit
ein gewisses Mafs Zeug, Cong genannt, ferner noch aus dem Sklavenliundel
herrührend, die »bar", eine Messing- resp. eine Eisenetange, nnd wenn auch die
Habeinheit in jedem Flatse der Kflste Terschieden ist, so ist es doch charakte-
ristisch, wie schon etwas nördlich Ton Gabnn diese Terinderte Zahlu^methode
beginnt leb sdie schon darin einen Beweis, dafs das Handelsgefaiet, Ton dem die
Rede ist, ein einheitliches ist, von Ambriz im Süden bis nördlich von Gabon. Ich
meine daher, dafs man nicht eigentlich von dem Handelsgcbiet des Congobeckens,
sondern von dem Handelsgebiet von Gosamtäciuntorialafrika sprechen sollte.
Diese Ansicht wird in mir bestärkt, wenn icli den Elfenbcinhandel dieses ganzen
Gebiets ansehe. In den grolsen regelmäfsigen Liverpooler Auktionen wird ein
ganz wesentlicher (Qualitätsunterschied gemacht zwischen dem Elfenbein, welches
von der eigentlichen Westküste und aas dem Nigergebiete kommt, und dem
•
Digitized by Google
420 —
Bein, weldiM von der Sftdwestküsie, dem mebrerwälmteii Handel^lriele
importiert wird. Ersteres itt weich, letsteres iet hfirter und geht unter der
Beseiehnnog transparentes Bein. Der nördlichste Ponkt, wo dieses Bein an den
Markt kommt, ist Baianga, etwas sftdlich Ton Kamertm, also noch nördlich von
Gabnn. Er nnterliegt gar keinem Zweifel, dafs das hier zum Verkauf kommende
Elfenbein nicht ans der anmiticlbaren Mfthe der Küste, sondern weit ans dem
Innern kommt, denn nnr zn häufig pas«!ir»rt p«. daf«?, wenn die schwarzen Händler
mit den Europäern über den Preis eines ZahiK s nicht einig werden können,
der Zahn wieder ins Innere an seinen ersten Besitzer zurnckmarschiert und
erst nach 4 bis 6 Monaten wieder an die Küste zurückkommt, um dann
schliefslich doch verkauft zu werden. Auch das auf dem Ogowe vnd in Cbibim
▼eritanfte EHimbein kommt nicht ans der nnmittelbaren NXlie dieser Gebiet^
sondern weiter ans dem Luiem berans. Ich betrachte den Blfrobeinbandel an
sich nicht als den wichtijgsten Handel, wie er ancb nicht eigentlich der gewinn-
bringendste ist; er sangt das Land aus; den Handel mit Erzeugnissen des
I^ddcns betrachte ich als rationeller, aber der Elfenbeinhaudel giebt ans ein
klares Bild der pe«;amfen Vcrhiiltnisse. welrlie in BefrefF der kommerziellen
Ausdehnung und Verbindungen in Brtra(}it koiinno?! Auch in dem Kantschnk
zeigt sich dasselbe. Der Kantschukhandel existiert nicht an den Oelflüssen,
nicht in Kamerun; er begiimt bei Bata zwischen Oahnn und Kamerun. Von
dort s&dlich bis zum Congo und den portugiesischen Besitzungen ist diet^r
Artikel der Hanpthandelsartikel, so dab sieb aneh dadurch wieder die Einheit
dieses kommersidlen Gebiets dokumentiert In dem Gntacbten wird sodann
noch nfther begrflbudet, weshalb ancb das Qgowegebiet in das in Aussiebt
genommene Sjstem der Handelsfreiheit mit einbegiüÜBn werden sollte.
§ Ais Arpiaitiiien. Man berichtet uns über Yerschiedene Forschuqgs-
nnd Entdeckungsreisen in Argentinien, welche beabsichtigt oder schon in der
Ausf&hrung begriffen sind. Das Instttnto Geografico Argentino hat den Beschlnls
gefafst, eine Forschongsexpedition in das westliche andmische Patagonien XU
organisieren, zu deren Leitung der durch seine Reisen in Patagonien bekannte
Marinekapitän rärlo«; M. Moyano designiert ist. Die Expedition soll sich,
vom See Nahuel-Huapi ausgehend, auf das ganze Gebiet liintjs der ( oitiillera
bis zur Magalhaens-Strasse erstrecken. Dis Regierung soll um üntersfüfzung
der Expedition durch diu inilitaiischeu Grenzposten und einen von der Marine
zu stellenden Kutter augegangen werden. Der letztere würde die Forschungen
und Entdeckungen von der Südseite her zu vervollständigen haben. (Bei dieser
Gelsgenheit sei auf eine bemerkenswerte Reise hingewiesen, welche das Kiieg*^
schiff «Albatrofs* ki&nlicb in den südamerikanischen Archipel gemacht hat
Näheres findet man in einer Reihe von Artikeln der ^Kölnischen Zeitung" vom
11. November bis 15. November d. J.) Ende September sind zwei Expeditionen
nach dem Gran Chaco abgegangen, die eine über Hosario de Santa Fe den Parana
anfwrirts, die andere von Cordoba über Salta; eine direkte in der gleichen
Richtung wird von dem tiiilieren prcufsisflien Kavallerieoffizier, Herrn
V. 8tutterheim gefühi-t — Die Regierang hat 1(X)ÜU} Ji für Herausgabe eines
Atlas von Argentiinen bewilligt.
§ Ethnologiselie Keisen. Das ethnolotiische Hülfskomitee in Berlin,
welches sich vor einigen Jalnon zu dem Zwecke bildete, um durch Veranstaltung
von Sammelreisen dem rei( lu n Köniffl. ethnologischen Museum in Berlin neue
Schätze zuzuführen, hat bekumiüich durch die Reise des Kapitän Jukobsen
einen groisen Erfolg endelt, wie dies sich eben wieder durch das grolse iDu-
Digitized by Google
— 421 —
strierte Werk , Amerikas Noidwestküste, Ergebnisse ethnologischer Reisen'^ doku-
mentiert Der ersten Publikation (Berlin, Asher & Co.) ist soeben eine zweite,
ebenso Teich und trefflich aoegeetattete gefolgt Fftr die Zukunft scheint sich
die Wirksamkeit dieses Komitees noch anssadeiuien. Einmal ist Sapit&n Jakobesn
aaf einer neaen Sammelreise begriffen, die sich auf das nördliche Üstasien,
möglicherweise auch auf Korea erstrecken soll. Femer sind zwei Reisende
nach Südamerika gesaudt, und endlich ein vierter ebenfalls su Sammeizweckeu
ndch der 8üdsec anf^ebiochen. Eine derartige Förderang wissenschaftlicher Zwecke
darch Darbietung der unentbehrlichen Geldmittel verdient volle Anerkennang
nnd, wir fügen hinzu, auch Nachahmung in anderen Städten.
Litieratur.
United StslM Coast andGeodetic Snrrey. J. K Hilgard Sapt Pacific
Coast Pilot Alaska Part I. Ck>ast from Dizon Entranee to Yakntat Bay
with the Inland Passage. Washington 1883. Bereits im Jnhre 1869 erschien ein
Coast Pilot von dem südlichen Alaska» der von dem Assistenten der Coast
Survey, George Davidson. verfaTst worden war. Durch die Fortschritte in der
geographischen Kifi)r.s( hung des Gebietes ist indessen die Ausgabe eines neuen
Coast Pilots zum Bediirt'nis geworden, dessen Ausarbeitung diesmal den bewährten
Händen des bekannten Alaskaforschers W. H. Dali übeiliagen wurde, dem wir
bereits eine grofse Zahl schöner Arbeiten über Alaska verdanken und vob dem
wir erst kflzsiich die neueste Oesamtkarte des Gebietes erbaHea haben. Aneh
diese nmfuig- und inhaltreiehe Arbeit Terdient nnbedingto Anerkennang, um so
mehr, als die SehwieTigkeiten, die dem Verfasser ans der ünvollstftndigkeit nnd
ünznTerlSssigkeit des ihm zu geböte stehenden Materials erwuchsen, gans
anlserordentliche gewesen sind. Dali hat sein möglichstes gethan, um aus der
Masse von unklaren und einander widersprechenden Nachrichten ein t.lmnli( list
getreues Bild von der Desrhaflfenbeit der Fahrwasser und von der Gestaltung
der Küsten im südlichen Alaska Zugewinnen, doch muls er fast noch auf jeder
Seite die Unsicherheit der gewonnenen Resultate betonen. Dies wird bogreiflich,
weuu man erfährt, dafs für einen grofson Theil der Küste noch immer die
Anfiiahmen YanconTors aas den Jahren 1192—1794 mafsgebend, ja mitunter
sogar die einzige Qnelle sind. Wenn anch das Werk vorwiegend die praktischen
Bedftrl^Bisse der Schiflifthrt ins Ange <ala^ so erhebt es sich doch durch die
gr&ndliche Benutzung der einschlägigen Litteratnr nnd durch die kritische
Sichtung des Quellen matenals SQ einer wissenschaftlichen Arbeit von allgemeinerer
Bedeutung, die allen denen willkommen sein wird, welche sich für die geo-
graphische Erforschung der Nordwestküste interessieren Die 10 sauber aus-
geführten Karten, wek'he, bis auf eiiic, alle in dem gleichen Mafsstabe,
1:5(X)()(X) gezeichnet sind, geben ein anvchauliches Bild der Küste, vom Golf
von Georgia nordwärts bis zur Yakutat-liai. Aufserdem sind noch eine Anzald
Ton Ansichten berrorragender nnd chaiakteristisdiw Kostenpunkte beigefügt.
A. K.
J. Mar. Bnijs. De Yerspreiding der Phanerogamen van arktisch
Europa. Akademisch Proefschrift. Kampen. Stoomdrokkerü, Lanrens van
Hnlst. 1884. Nach einer historischen Binleitong nnd einigen allgemeinen Be-
trachtungen werden die Floren von Spitzbergen, der B&ren-Insel, von Nowaja
Semlja, der Waigatsch-lnsM ^md von dem arktischen Kufsland besprochen und
tabellarische Cbersichten derselben gegeben. Island rechnet der Verfasser nicht
dem Gebiete der arktisclien Flora zu. Die Gesamtzahl der aiktischen Pha-
nero^men schätzt er auf 5öO Arten. Die Monocotyleu sollen in den echt
üigiiizuQ by ^üOgle
— 422 —
arktischen Gebieten etwa die Hälfte der Dikotylen ausmachen Wo ein andere?
Yerhältniä bisher beobachtet worden ist, wie in Nowaja äernl^a, iät nach Meinaug
des Verfassers die Flora nocli iiuvollstündig bekannt.
A. Woldt, Kapitän Jacobsens Heise an der Nord Westküste
Amerikas 1881 — 1883 zum Zwecke ethnologischer Sammlungen und Er-
kundigungen Hobst Beschreibung perhönlicher Erlebnisse für don deut^rluii
Leserkreis bearbeitet. Mit Karten and zahlreichen Holzschnitten nach Photo-
graphien und den im KömgUchen Uxumm sa Berlin befindlich«! ethnographisdiMi
Oegenitftnd«n. Leipog 1884. Verlag ▼on Uax Spohr. Im Anflrage einet ethno-
logischen Komitees, welches sich som Zwecke der Erwerbung von ethnologiaclien
Sammlungen für das Königliche Museum in Berlin auf Anregung des hoch*
verdienten Direktors der ethnologischen Abteilongi Herrn Professor Bastian,
gebildet hat und dessen Mitglieder vorzugsweise dem reichen Kaufmannsstande
angoliorcn. luit Kapitän Jacobsen m den Jahren 1881 — ISK^ « ine Heise nach der
Nordwfytkiisti' voi) Amerika ansjLrfführt, deren Ergebnis lüe Erwerbung einer
aulscrordentiich reichhaltigen k^uiiaiilung ctiinologischer Gegenstände war. Das
Torliegende Bach giebt ans nun in knapper Form einen Bericht von den
Einielheiten der Reisen der sich mögjlichst an das von Jacobsen geführte Tsgs-
bnch anschliebt Dem Beisenden bot sich unter den von ihm bssnchten, von
der Knltor noch wenig berührten Yolksstammen Gelegsnhait in ahMchen
interessanten Wahrnehmungen, deren Mitteilong am so dankenawerther int, je
dürftiger die bisherigen Nachrichten über diese Gtobieta lauten.
Einen weiteren Leserkreis wird die Sclülderung der persönlichen Erleb-
nisse des Reisenden der zahlreichen und oft gefährlichen Abenteuer, welche er
bei seinen ausgedehnten Bot- und Schlittenreisen in Britisch - Ck)lumbien und
Alaska zu bestehen hatte, interessieren. Der einfache von dem Bearbeiter
augemessen gewählte Ton in der Dai-stellung solcher Episoden l&fst dieselben
in wirkungsvoller Weise sur Geltung kommen. Ton dem Verleger ist das Buch
anf das beste ausgestattet worden; mehrere sauber gcsaichneta Karten orientieren
über den Yerlanf der Heisa, wahrend sahireiche Abbildungen, namentlich ethno-
logischer Gegenstftnde eine Anschauung von den gemachten Erwerbungen geben.
§ Voyage ä Madagascar par J. S. Macqnarie. Paris. E. Dentu. 1884. In
jener leichten unterhaltenden Weise, welche den tingierten Reisen Jules Vernes
so zahlreiche Leser gewonnen hat, wird hier das französische Publikum in
die ,.grande terre", wie die französischen Kolonisten auf Mauritius und H^uuiou
die Insel Madagaskar nennen, eingeführt ; Geschichte und Politik, das Volk der
Hovas, das Land, seine zum Teil so absonderliche Pflanzen- und Tierwelt, vor
allem die Rechte Frankreichs auf ansehnliche Teile der grofsen Insel, werden hier,
man kann sagen durchweg enfthR. Es sind awei Fransosen, dar eine gebürtig auf
Riunioni welclie der yerftsser von Pteis austiehen ttfirt, um eine in KaffM-
plantagen bei Tamatsve bestehende Erbschaft anzutreten. Die Reiseabenteuer
der beiden Freunde bilden die Folie für eine geographisch-natnrhistorische Dar-
stellung, die freilich nicht« Neues bietet, aber durchweg anziehend and inter-
essant gesfhi i( ben ist. Das Buch ist mit einigen nicht üblen Illustrationen aus-
gestattet und dürfte in Frankreich viele Leser linden, zumal nach Erledigung
der Differenzen mit China die jetzt versumpfende Madagaskarfrage wohl dem-
nächst wieder in den Vordergrund des politisclu n Interesses treten wird.
§ Voyagt'S. aventures et cuptivitt- de J. Bunnat chez les Achantes par
Jules üros. Paris. E. Plön, Nourrit et Cie. 1884. Das Leben und die Schick-
L.iyui^L,J cy Google
— 423 —
sale Joseph Bomiats, dieses luerkw iudigeu Maimes, der ims eiueu groiüea Teil
des Gebiets der Qoldküste und angrenseiider TeÜe ewchloeeen lut und der, im
Begriff ab Direktor einer fnunsösiflchen MinengeseUsebaft die FMchte lang-
jfthxiger Studien und Mühen sn einten, am 8. Jnli 1888, erst 40 Jahre ali» in
Taqna an der Goldkflsto an einem Brasileiden starb, sind so reich nnd aben-
teuerlich, rlafs sie an sich schon eine Biogiaphie Tcvdienen. Es kommt aber
hinzu, dals das vorliegende aus einer sehr umfangreichen Korrespondenz und
Tagebüchern des Reisenden geschöpfte Buch mancherlei Neues über die For-
schungen nnd Entdeckungen Bonnats im Gebiete der Goldküste nnd dessen
Bewohner und überhaupt eine erste zusammenhängende Darstellung dieser
Reisen bietet, wenn auch das persönliche Element überwiegt.
§ C. D Gelte r. Ober die Kap Verden nach Rio Grande nnd Fatah-Djallon,
mit nhlreichen Hohtschnitten nnd einer Karte. Leipzig. P. Frohbeig. 1884.
Dr. C. Doelter, Professor an der üniveiaitftt Gnu, machte in den Jahren 1880
nnd 1881 eine Reise nach Westafrika. Er hat gans Recht, wenn er in der Vor-
rede die Meinung aii'^spricht, dafs ^bei dem lebhaften Interesse, welches gegen-
wftrtig das gebildete Publikum für die Kenntnis des rfttselhalten Kontinents zeigt,
eine in populäre Form gefafste Veröffentlichung jener Reise nicht ohne Nutzen
sein werde."* Diese Reise bewcpfp sich in verhältnisniäfsi«; wenig besuchten
Gegenden. Die ersten vier Kapitel beschäftigen sich milden Kap Verden, von denen
Deelter aufser San Thiago (Santiago ist falsch) nocli mehre le andere besuchte;
Geographie, landschaftlicher Charakter, Fauna, Flora und Bevölkerung, vor allem
die wenig bekannte Geologie dieser afrikanischen Tnlkaninsehi werden dargelegt.
Von Praya anf San Thiago bestleg Doeiter den 6000 Fnfs hohen Pic San Antonio.
Anf einem portngiesisehen Kanonenboote fahr Doeltor sodann nach den portugiesi-
schen Slolonien nn der Küste Ton Senegambien und zwar nach der Insel Bolama
(Bijagosarchipel), wo der Gouverneur dieser Kolonien residiert. Es war die Absicht
Doelters, den gegenüber dem Bijagosarchipel mündenden Rio nraiide möglidist
weit hinaufzufahren, um dann süd-süd-üstlich die von neueren französisclnm
Reisenden besuchte Hauptstadt des Königreichs Futah-Djallon, Timbo, zu er-
reichen und die dortigen Gold- und andere Ei-zlager zu untersuchen. Zunächst
fuhr er in einer Barke zu einer am südlichen Ufer des Rio Grande gelegenen
französischen Faktorei, die wie die ganze KAstengegend und die Landstriche am
unteren Bio Grande unter portugiesischer Oberhoheit steht Von hier durch-
streifte er SU Fulii das Land der Biafisden und fuhr dann in einer Pirogue bis
zur letzten portugiesischen Kolonie am Rio Grande, Bnba, deren Garnison und
Einwolmer — unter ihnen französische Kaufleute — soeben einen Angriff der
die Pallisadenfesluni!; belagernden Futah-Fullahs zurückgeschlagen hatten. Die
Delaj^crer zogen sidi zurück, indessen machten die fortdauernden kriegerisclien
Yrrliiiltnisse das beaijsichtigte Vordringen nach dem Reiche Fntah-Djallon n»i-
möglicfi, auch ein Dur» lidringen zu Lande nach der portugiesischen Kolonie Geba,
welche am gleichnamigen, parallel mit dein Rio Grande und nördlich von dem-
selben zum Meere siehetoden Fhisse gelegen ist, moXste ans demselben (hunde
aufgegeben werden. So kehrte der Reisende zunächst nach Bolama zurück nnd
erreichte Ton hier zu Wasser über Bissao Geba, den landwirte am weitesten
TOTgeschobeuen Posten am Rio Geba. von wo aus mittelst der MandingashändU>r
ein reger Tauschverkehr in den Produkten des lindes, hauptsächlich in Elfen-
bein, YTachs. Gummi, Erdnüssen und Bauhölzern betrieben wird. Weitere Reisen
verbot die Erkrankung Doelters, der nach ahertnali»eni kurzen Verweilen anf
ilen Kai> Verden, zum Hesu( Ii der geolo^iiscii interessanten Insel San Antilo. na« h
der europäischen Heimat zui-ückkehrte. Wenn nun auch der Reisende die
Digitized by Google
— 424 —
vorgesteckten Ziele nur xum kleinsten Teile erreichte, so tritt nns doch in dem
BOKgftkig aasgearb«it«ton, Uber 260 Seitm steiken Bach« flb«rall ein mit gaten
Kenntniuen auagestsiteter, scharf und nnermfidlich beobachtender, Zeit nad
KiSfte fOr die Zwecke seiner Reise sotgaam ansnntsender Forscher entgegen.
Besonders wertvoll düi-ften die ethnographischen Antschlüise sein, doch auch das
Kapitel über die physikalisi ho Geographie, die Pflanzen- und Tierwelt des s&d-
liehen Senegairibien sind inhalt reich. Mit besonderem Interesse liest man die
mit grofsem Wohlwollen und Nachsicht für die Schwächen der Verwaltung ge-
schriebenen Bemerkungen über die portugiesischen Kolonien in Westafrika.
W^enn der Verfasser, welcher sein Bach im Februar 1883 abschlols, die Beteili-
gung Deutschlands an der westafrikanischen Kolonisation fSr höchst wünschens-
wert erklirl^ ao haben ihm die Thataaehen seitdem Becbt gegeben. Ton (gleichem
Inftoreaae aind die Bemerkungen Über die Wichtigkeit der feansösiachen Sen^gpl-
bahn Ar die ErachlieCBang dea Innern. Die Ansatattnng des Werks dorch lahl-
reicho Holzschnitte, deren Zeichnungen nach den Skizzen des Reisenden von
F. Schlegel und A. Göring ausgeführt wurden, sowie Druck und Papier machen der
Verlagshandlung alle Ehre. Die Karte (ohne Terrainzeichnong) genügt rar
Orientierung
§ La (• o 1 o jii s a t i o n seientifiqne et les colonies fian<,aiscs, par A. Bordier.
Paris. Keinwald. 1884. Das Buch zerfällt, wie der Titel andeutet, in einen theoretischen
und in «inen kritisch beschreibenden Teil. In jenem werden in sieben Kapitehd die
HotiTe, welche n den Anawandemngen im groben gefthrt haben, die Arten
der Kolonien nnd ihre BAckwirknngen auf daa Mutterland, die Besiehni^gen
des Kolonisten snm Biageborenen u. a. besprochen und die geographischen,
politischen, wirtschaftlich-social« n und Gesundheitsrücksichten niüier dargelegt,
welche bei der Wahl von Kolonien bestimmend sein sollten. Der zweite Teil, die
jetzigen französischen Kolonien, giebt eine ziemlich umfassende Kunde der jetzigen
Verhältnisse in den noch immer zahlreichen französischen Kolonien: Algerien,
Gninea-Küste, Gabun, den Inseln an der afrikanischen Ostküste, Indien, Cochin-
chuia, Pulynesieu, Guyaua, Antillen; selbst die kleinen Fischer-Inseln »St Pierre
nnd Miquelon, der Beet der einstigen groben fransSaiaehen Kolonien in Nord-
amerika, aind nicht veigeaaen. MitgroÜBer Offsnheit beapricht derYerftaaer die
Seh&den der Verwaltung, dabei werden die kommenieUen und wirtachafUichen
Thataaehen aehr ToUstindig nach den besten Quellen ausammengeatellt, ao dal^
daa an aich interessante Werk auch als Naohachlagebnoh ein wertfoBea nnd
brauchbares Uülfsmittel bietet.
Ethnologischer Bilderatlas. Nach Angaben und unter wissen-
schaftlicher Leitung von Professor Dr. Friedr, Müller. Wien 1884. Als eine Art
Krgänzung von llölzels vortrefflichen geographischen Chaiakterbildern, auf die
wir die Leser dieser Ulätter in einem frühereu Hefte hinwiesen, ist der hier
genannte etimologische Bilderatlas, der in dem artistischen Yerlagsinstitnt ron
A. Bartinger 4 Sohn in Wien su erscheinen beginnt, an betrachten. Dieser
Atlas wird ans awansig Blittem, in dem grolwn Formate Ton 67 cm Breite und
91 cm H6he, bestehen und «uiiMr einer ethnograpischen Weltkarte in Farben-
druck ausgeführte ethnologische Bilder umfassen. Die Bilder sollen in allen
Teilen nach genauen Vorlagen hergestellt und den Menschentypen Photogra])hien
zu Grunde gele<:t werden. Blatt 4 ,Di*' Hotti ntottoir und Platt 11 „Amerikani.sche
Indianer" sind bereits cibchieueu und liegen mir vor. Es sind wahrhaft prächtige
Bilder! Von den Kii rhhofTschen .Has.seubildenr init<'i s< heiden sie sich nicht
nur durch die Ausfuhrung in Farbe statt in Krcidenianier, sondern auch dadurch,
dafs sie statt einaelner grolaer Brustbilder Qruppenbflder charakteristischer
uiyiiiziüd by Google
425 —
Hassenden bieteii. Behufs Benutzung der Bilder Ar Ünterrichtuwecke ist
jeiiem einzelnen Bilde auf besonderem Blatt ein eri&otemder Text beigegeben.
Der Preis ffir das einzelne Bild betrSgt 6» im Abonnement 5 Mark. Dieser
ethnologische BilderatluK ist natürlich uicht für die Hand des Schülei-s, sondern
für die r.ohnnittelsamntlungon der Sclmle und füi gooo;raphis<he und ethno-
logisrhe Sanindungen l)c.stinnnt. Entsjuechen die folgenden Bilder den beiden
vorli» i?» ii<lt'n. was hei der Leitung des Weikfs dnirh einen Mann, wie Professor
MüUfi. Ml ln-r /u erwarten ist. .s»» wifd ili. -,f Saniiidung ethnologischer Bilder
ein Aus( hauuiigsmittc'l ersten Hungcs weiden. Ich wiiusche dem Unteruehmea
den besten Erfolg. W. Wo.
Debes. Kirehhoff & K ropatscheck, Schulatlas für die Ober-
kla.<>.seu höherer J Lehranstalten in Haupt- und 31 Nebenkarten. Verlag TOn
H. Wagner & £. Debes in Leipzig. Geheftet: Preis 6 Hark. In elegantem
Leinenband : Preis Jk 5.80. Der Debessche Atlas fOr die Mittelklassen höherer
Schulen erfreut sich in den schulg^graphischen Kreisen eines so hohen An-
sehens, dafs man dem nun vorliegenden Atlas für die Oberklassen sehon seit
längerer Zeit mit gror.seni Interesse entgegensah, um so mehr, als man wnbte,
dafs zur Bearbeitung desselfjon ein tüchtiger Kai-tograj^h. ein hervorragender
(Jeograph und ein erfahrener .Scliuhnaini ihre Kräfte einsot7:ten. Der vorliegende
Atlas erfüllt denn auch im hohen Mal'se die Erwartungen, die man unter diesen
Umständen zu stellen herethtigt war; er ist bezüglich des w i.s.senschaftlichen
üchults sowohl, wie in pädagogisch - didaktischer Beziehung und in seiner
technischen Ausf&hmng vortrefflich. Die Karten gliedern sich in sechs Ab-
teilungen: die L Abteilung enthält ein grofses Kartenblatt snr mathematischen
(Geographie, die U. Abteilung bringt 15 Erdkarten, welche vonragsweise die
physische Geographie behandeln, also die Landhöhen und Meerestiefen der
Erde, sowie die Verbreitung der Vulkane, die Januar- und Juli-Isothermeu,
die Verteilnng des Regens, die Meeresströmungen und den Weltverkehr, die
• Verbre,itung der Pflanzen, charakteristischer Säugetiere, der Völker und
lleligionen u. a. darstellen; die III. Abteilung behandelt in 13 Karten die
aulsereuropäischen Erdteile; die IV. Abteilung bringt 5 Übersichten von Europa,
nämlich eine Fluls- und Oebirgskarte, eine politische Übersicht, eine Karte über
die Bevölkerungsdichte, eine Völker^ und Sprachenkarte und eine Beligionskirte;
die V. Abteilung, Karte 35— 48^ ist den aoberdentBchen Lindem Europas und
die VI. Abteilung, Karte 49— Mittel- Europa gewidmet In der Beigabe der
Nebenkarten ist hier meiner Meinung nach für einen Schulatlas ein richtigeres
Mafs gclroITen, als in dem Dierckeschen Atlas ; Pläne von Hauptstftdten sind mit
Kecht forlgelaKsen. dagegen finden .sich Darstellungen von geographisch be-
sonders wichtigen Krdstellen, vom Isthmus von Panama, den Kapstaaten,
der Meerenge von Gibraltar , dem Vesuv, der Vulkaninsel Santorin, vom
Gebirgsknoten von Mittelasien u. a. , welche eine Fülle belehrenden und
vergleichenden Materiahi bieten. Wie die Auswahl der Karten eine »ehr
sweckentsprechende ist, ebenso ist auch die Auswahl der benannten Objekte
(Stfidte, Nebenflüsse n. der^.) in den meisten Fillen eine sehr geschickte;
einzelne Verbesserungen in dieser Richtung werden ja die sicher bald nötig
werdenden neuen Auflagen von selbst hervorrufen. Dafs der Atlas in Bezug auf
die Einheitlichkeit der Mafsst&be und der Meridianz&ldung (nach Greenwich)
n. a. den heutigen Anforderungen entspricht, kann bei den Herausgebern als
selbstverstä!ulli( h <rclten. Auch ein handliches und bequemes Format gehört
zu den Vorzügen dieses Atlas.
Dr. W. Wolkenhaner.
dO
Digitized by Google
KtviMv Amr jüiigpt^r Zeit emä nooli stvti wertvaUe kaaAosrftpbiad»
sl»ttnQfteii •hiift- iiimvwtt eagpren Iieiäuitj^l»Bte n enrälmea: 1) Plan ämr
liiag«f;end r-oii' Bremen onf dienstlirli» Teraolttnnng mit Bemitxiiiig.
aintlir<l»<>r Quollon-rwoguosuiert aiiil «rr/eirlumt von 8ec.*Lcutna)it ( . Müller.
Bl««»»!«'!! 1K*<1. Vorlajr von (i A. v. Halrm. Dieso (i:irnisonj!.kni te. im Malsi^taUe
von 1:J)(HK) jn'z^'iclmot. uwd n>i> I HI;ittoin l)»stph< ml, hat znsuimiK-n^f->et7.t
•MIM' <Jr»)t'Kt' Von H*) « III Ür^itc iiiitl So nn ll<ilit< mul ^lelit ull«' titpow;i-a}>hi\.hfu
\ orltüll iiiNM' iii kiui'C't uml ]iii< iit über u ittli« liet Weis«. \^ zur DiiTbi^lhiiig
langH»(ltf1ikt rtitUit imNorUon bis Burji. im Süden bis HeiUgenrode, im Osten bis att
den oidli<4istciii Pnnkt des Bremer Qebirts, Tenuver, und im Westen Wftlfitt«faibirftiL
Ein luuton gisbt -im .VaCustAb» vpn 1;2(K)PU0 flmf Obraaichlsk^xts, die als
iitifserste l^nnkte Vegesack. Syke, Otte^-sbeig ^nd Harpstedt . hat Ai(i)Ber Ar
)iiilitiai>*'li, iiinl ti»uri>tis( li(' /«wetk^, halte ich ilic Kartt' auch für «ine.Q heimst
kukuUiilM'ii L'üteriicht anf hüherer iStaie tör rocht gooignet uml empfehle
dicst'lln: «lou ciulif iinischni I.pst'vii vUeser Blatter aii^'»'1t'gcntlirhst. 2) Plan
«l«!r jLi<Mi'n II aii>>c8tadf lii«'m»*n. Aus den im Auftrag** dir BauUepiitation
in Breim-ii. Al)tt ihmg \VaN^t il»;iu, angt tVrtij^'f' u. auf (irund preussischor. oldeu-
hnixiMii|.'i juul bi:ojm:i tiigDUi^uietriüQhfr Autjiahmen von dem Ohervenue&i>ungs»
in^ti ktqr. Herrn Kiuiunei:rat Ii. Fn\AC#e in OH^burg entworfenen Wcsex-^^troui'.
kAYteii' tomftnul8S4. Koiiunissionawlag .Yoa. J, Kfthtniaans. BoehbfUidlM
/nui. ersten .Male wirf) uiia tuer eia Plan tou der H\»di Bremen gebg^teo, vetcber
mit Beiipilauig trigiDiuiraetTiscber Mossai^en ifi ein bestiifimtos festliegendes Nets>
geUrajßbt ist, aqd dadut rU alle dio Majigid boBoitigt, welche 'andere Ksrteu iu
Hich in\gen. Der PUuk bedeckt eine Flächt» von 120.cm JLSnge und 94 cm Hübe.
lDfi>i>;e dit'f>er (uölso war os mö^^lich, jt'dcs üi undstück mit seinen Hofen, (iärt«*Uy
Anbauten ii. a. in d<'U i'lan im jri< litigen CirOl'senverhiiltniy aufzunehmen.
l>i«- Uiiusernuimui iu üin<l durch Kottliuck angogebeu, die öftentlichen Bauten
treten durch besondereu Druck und durch Benennung hurvor, die Bl'erdeb^hneH
.sind e^'Sicbilich, Uie »Strufiieuuamen sind oingetrugeu uud dd^.Waüscr ti'iU. durch
blaue Farbe .denUich hervor ; alles bis inp kleinste ist bis in die jüngßie ZtSik
lUtia Pbuw eingefügt Pen Stieh nndBrnck des PJ#ne8 dorcb das:geQ|grapbia«he VkhO'
graphisfdio« Institut von. WiUv.Oreve in BeiiUn, bekwont durch die Eerstettong
der (leueralstabsknrtou, ist .vorgfilltig nwA ge.Kc.hma< kvoll Da J^^s Uuternehmon
mit Beihulfe de.s Staate^ ip» 'M^'urk gesotast wird, so ist uS'.der VerlagshaucUmtg
wöglich, den Plan zu dem verluillnifiniäfsig l>illij>en Preise von la J£, auf
l,(i!U'\\au<l mit Stäben Hufgezogeu zu M zu liutern. Der schon« PIäu
winl Ml SvhuN-. Bureau, Comptoir uud .allen ütTeuUichen VerkchrbauKtulteju
trHV)i( lie Dk ui.ic lei.sten. W. Wo.
5i Kai t f W ( .V ! - A (j u a i o r i a 1 - A fr i k a s zur Veransehaulichung des deutschen
Koltniuilbesitze.s von B. F r i e d e r i r Ii s e n . Hamburg 1884. DietM) unter B«^
nnUung der RrgebnisiM) der neuesten Ueison ausgearbeitete Karte bietel ein gutes
Otientierangfmfitlel in Bezug a6f die emrop&isohen) betandofs die dantsohei
ICotmidn in Weet-Jlqaatot>lal-AA!ik& • Die-U»optkaff«e (Ma(i»lab 1 : 980000) .Mieht
vom 5 ^ ni Br;'1iis «im Äquator, also tous Quaqoa bis Qalian; tme Nebenkatte
(MafBstab 1 : 1 öüOOOl^ veraiiKclifMllicht die deutschen und englischen Besitzungen
fiu der Sklnvenküste. Zar Weiteren Information ist ein Veraeicbnisder deuisofaea
Kuktoi-eion beigegeben: • "■'
BeriolitiKUttg. lu der mit U eil III. veröffmitltchtcn Karte des Augara-
flusses ist in der Erklärung sum Karton: Padnnski-Porog statt ^tttromanfMrts*
stromahvu lestoni; '
l>rnck von Cvl SchOneoMua. Brainra.
Digitized by Google
Deutsehe
Herausgegeben von der
Geoppitiscküi iMsM & Breüi
durch Dr. M« Lindeman.
Band Vm.
Neue Folge der Mitteilungen des früheren Vereins für die
deutsche Nordpolarfabrt.
BREMEN.
KommisaioDe-Verhig von Q. A. t. Hü lern.
1885.
Digitized by Google
Gröfsere Aufsätze:
1. Mitfcilnngen über den bayrischen Wald (III) mit BeitlftgeB ton Heid
und Fahdt Von Dr. M. Linderaan. Mit Karte 1
2. Die Wohnsitze und Wanderungen der Bafänland-EskimoB. Von Dr.
Franz Hoas. mit Karte 81
'.}. Die Erforschung des Yukou-Gcbiets. Sommer 1883. Von Premiev-
Lentnant F. Sehwatluk 8. Vom alten Fort Takon bb rar Apboon-
Mftndnng 86
4. Ken- Seeland in Vergaqgenlieit nnd Gegenwart Von Fnleesor Dr.
Wilhelm Stieda 44
ö. Die detiteclie FonchnogBreisc durch Südamerika 1884. II 66
6. Der Kongo und sein Gebiet. Von Dr. A. Oppel 101
7. Die argonlinische Provinz Bnenos-Aires. Von Professor A. Soplstranf^ 133
8. Die Lap;oa dos Patos in der Provinz Rio Grande do Sol, mit Kalle. H>4
9. Der fünfte Deutsche Geogruphentag in Ihnnbiirg 203
10. Der Batanga- oder Moanja-FIufs von Hugo Zuiler. mit Kartenskizze. 121
11. Dr. QnstaT Na^^htigal f 216
12. Eine Umi^elaDg der Berings-InneL Herbst 1882. Beiieberieht ton
Leonbard Stejneger. Hit 2 Karten nnd 2 Dlnetiationen in Iiicbtdmck. 226
18. Die bidianer Ton Guyana. Nach Im Thnm. Von Karl Ton den Steinen. 274
14. Gucnos-Aires;, die Hauptstadt der argentinischen Republik. Von
Professor A. Seelstrang in Cördoba 806
15. Fischfang und Ja<:^(l hei den Tlinkit-Indianem. Von Dr. Aurel Kraose,
mit drei Illustrationen 329
16. Die dänische Expedition nach der Oslküste Grönlands. Von H. Rink. 341
17. Die Entdeckungsreise des Dr. Otto Fiusch an der NordostkUste von
Nea-Qoinea. Mai 1886. Uit Karte 864
Kleinere Mitteilungen:
1. Aus der geographischen Gesellschaft in Bremen, 72, 217, 286, 372.
2. Polarregionen, 83, 219, 289, 378. 8. Alaska, 85, 386. 4. Verkehrsweg ?on
der unteren Fetschoia Uber den Ural nach Sibirien, 86. 6. Bobbenfang in
der If sgdlan^Sirafira, 86. 6. Zur Gesehiehte der deutschen Kolonien in Syrien,
87. 7. Die PHaiizenwelt des südlichen Senegambiens, 89. 8. Von der Gold-
kftste, 89. 9. Die Seychellen und Almirauten, 95. 10. Amerikanische Tief-
seeforschung, 95. 11. Die Kartensammlnnr? J. Q. Kohls in Washington, 95.
12. Litteratur, 96, 297, 385. 13. Dr. Gotisches Reisen in Korea, 221 14. De-
siedelnng Patagoniens, 222. 15. Geographische Notizen aus Kufslund, 222.
16. Zur Landeskunde der Provinz Hannover, 223. 17. Die Kupfererzeugung
der Welt, 224. la Tristan D'Acnnha, 224. 19. Aus Los Angeles, 224. 21. Vom
Congo, 376. 22. IHe Nofd-Bomeo-Kompagmc, 377. 28. Das Saterland, 878.
24. Die Fischerei der Unterelbe^ 888. 2& Die Veikehtswege in Sibirien, 884
Digitized by Google
Anlage:
Vm. Jahnabericht des Vontsades der geogntphiselieii GMelbchaft in Biernen.
Karten, Ansichten und Plan:
/ Tafel 1. Die Waldungen des bayrischen Waldes. Mafsstab 1 4r)n.om).
>' Tafel 2. Das Baffin-Land, zur Darstellung der Yorbreitung der Eskimostämme^
^ Tafel 3. Überblick über die Ausdehnung des ileercs in der Provinz Bio
Grande bei Beginn der alluvialen Epoche. Mafsstab 1 : 0,(XX),O()O.
y Tafel 4. Skizze des Batanga- oder Moanja-Flusses (deutsches Kamerungebiei)
von Hugo Zöller.
/ Tafel & l^miiinkisM der Beringi-Iiisel (Hafostab 1:888,000)^ mit Karton:
Komandor, neh ejgmea AnfiDahiiieii Toa L. Stejneger.
Je Tafel 6. Grebnitski-Hafeii auf BeringB-IiMeli naeh den Anfnalimeii von
L. Stejiief];er.
Kartenskizze der Küste des Kaiser Wilhelm-Landes von der Astrolabe- bis
zur Humboldt-Bai von Dr. 0. Finsch.
/ A'^*S Triumphbogen (Berings-lnsel). Lichtdruckbild nach einer von der
J Natnr anfi^ommenen Zeiehnnng. S. 298.
Pestscltaaaja Bnchta (Kapfei^Insel) nahe dem Dorfe. LichtdraekbOd nach
~ einer von der Natur aufgenommenen Zeichnung. S. 236.
Hnna-Iiidianer beim Kanoeban. Zinkotypie nach Photographie. S. 380.
Indianische Frauen und Kanoes in der Takabucht Zinkotypie nach Photo*
graphie. S. 333.
Wolfsfalle bei den Tschilkats. Zinkotypie nach einer Zeichnung. S. 340.
Plan des ^nnterhaniet der SchiffbrAchigen von der BeringB-Ezpeditmn. 8.
uiyiü^uü Oy Google
Deutsche
Geographische Blätter.
H«nMisgegebeii toh d«r
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Il«itrlg« waA tMuitig« Sandmigeii m die IMhktloii wwdMi unter der Adresse :
Der Abdnck der (higiiial*Aiif8fttze, toirie die NaehMldnng yon Karten
und ninstnitionen dieser Zeitschrift ist nur nach Yeratftadigimg mit
der Redaktion gestattet.
Mitteilungen Ober den liayrischen Wald (IH)
Vit Btitrigen der Herren Re^eraags* tnd Ferftrat Heib in Iiandslint
nnd J. f aMt in Dreiden
von
M. Lindeman.
Biena TM I: die WaUnngen des bayrischen Waldes, Aasdehnong, Besitz,
Wtldait
Einleitung. VerhSltnis des Waldes zur Gesamtfläche. Allgemeiner Überblick.
Ludftohaftlicbes. Die forstlichea Verhältnisse: ForstvrirUobaft, Waldarten, Oeschicht-
Heliee, Bitrilge, Biffentansrerfalltiiine, Terükele TetttetionegraBBen. Triftsystaaa, Jagd
nnd Wilderer, Forstrechte und staatliche Oberaufsicht IMe Bevölkerung: Lebene»
weise, Erwerb, Tracht, Wohnweise, Sitte und Brauch. Statistik der Bevdlkerung nnd
der Aaswanderungen. Die Industrie in HoU nnd Glas, mineralische Bodensehätte.
Lendwirltttliaft, die Birkea1»e^, Wnlderbeit, Yiehsneht
Es ist das Verdienst des Geograpbentags zu Halle, darauf hin-
gewiesen zu haben, dafs das Streben nach Pflege und Förderung der
£rdkunde sich auch in der Bereichenmg und Vertiefung der Kennt-
nis von unserer deutschen Heimat, der deutschen Landeslcunde be-
thatigen mflsse. Diese Überzeugung hat in der Ton jener Versamm-
lung im Jahre 1882 ins Leben gerufenen Kommission für die F<(r-
demng der wissensehaftliehett deutsehen Landeskunde einen that-
sÄchlichen Ausdruck gefunden. Seitdem hat die Kommission eine vor-
bereitende Thätigkeit für die Erfüllung ihrer grofsen Aufgabe begonnen.
Auch in dieser Zeitschrift sind von Beginn ihres Bestehens au Bei-
trage zur deutschen Landeskunde erschienen: in den ersten Jalir-
' gangen wurden die Weichselniederungen, das Land zwischen Uuter-
weser und Unterelbe (von Diercke) und die Lüneburger Heide (von
Steinvorth) behandelt. In Band IV. folgten Mitteilungen über den
bayrischen Spessart, mit einer die Waldarten und die Art des Be-
sitzes Yenmschaulichenden Karte. Durch die in Band VI. (1883)
erfolgte Veröffentlichung zweier An&atze über den bayrischen Wald
a«ogr. BlXtter. Bremen« 1886. %
üiyiiizea by Google
(von Qflmbel, geologische Skizze und Prot Ebermay«r, die klimati'
sehen Verhaltnisse) konnte die Betrachtung ein^ grftfseren deitsdien
Waldgehiets begonnen werden. In Nachstehendem werden nun diese
Mitteilungen durch Beleuchtung der forstlichen Verhältnisse, der
Bevölkerung, der Industrie und Landwirtschaft weitergeführt Die
Bedaktion geht von dem Oedanken aus, dafo Waldgebiete sich eben*
sogttt zu einer besonderen Darstellung eigDen, wie politisch oder
durch den bewohnenden Volksstamm einheitlich abgeg^renzte Stücke
deutschen Landes, dafs sie wie ein Gebirg oder eine Küstenstrecke ihren
Bewohnern ein bestimmtes Gepräge verleihen. Dabei ist vorauszu-
setzen, dafs von dem vorherrsclienden Wald das Leben der Bevöl-
kerung wesentlich beeinflufst werde; die Art des Waldes und des
Besitzes an demselben waren besonders ins Auge zu fassen.*)
Der „bayrische Wald" ist der bayrische Teil des Böhmer waldes,
damit ist die Begrenzung nach 0. und SO. bezeichnet; im Norden
könnte man etwa das schon zur Oberpfalz gehörende Thal der Cham
und des Begens von der Stadt Cham an, als natürliche Begrenzung
bezeichnen, wahrend im W. und SW. der sogenannte Vorwald am
Donauufer anhebt.
Unter den gröfseren Staaten des deutschen Reichs ist das
Königreich Bayern im VerkäUnis MUß MNWr Gesamtfiäehe am wald-
feiehttm: der Anteil des Waldes an letzterer betragt 84^®/«,
wahrend z. B. die bezüglichen Ziffern betragen: für das R6nigreich
Preuisen 28^ ^/o*), für das Königreich Wflrttemberg 30,» ^/o*), Sachsen
81,f^/o, für das GroCsherzogtum Baden d3,4^/o und fftr das Grofs-
herzogtom Hessen 31^*/o. Der Begierungsbezirlc Niederbayem ist
nicht der waldreichste unter den acht Begiemngsbezirlcen des König«
^) Etwa der vierte Teil der Qesamtfläche des deutschen Reiches besteht
aus Waldgrundstücken. Dieselben umfassen 13 906 611 ha, von welchen
4 505 768 ha oder 32% auf Staats- und Kronforsten kommen, 40 989 ha oder
0,3 ''/o sich im gemeinfichaftlichen Besitze des Staates and einzelner Gemeinden
befinden, 2109939 ha oder 16,2 "/o auf Gemeindeforsten, 185987 ba oder 1,3
•Ulf Stifttwaldungen, 844707 ha oder 2,6 */• auf GenonenaehaflBforsten und
6718171 ha oder 48,8 */o auf Ftivatwaldangeii sa rechnen sind. Werden den
letzteren die Qenossen&chaftswaldungen, welche den einzelnen Interessenten
meist nur nach ideellen Anteilen gehören, hinzugerechnet, so ergiebt sich, dafs
etwa die Hälfte der "Waldfläche sich im Eigentum von Privatpersonen, nament-
lich auc h der kleinen bäuerlichon Besitzer befindet, während die andere Hälfte
dem Staate, Gemeinden und «Stiftungen gehört. Yergl. die Begründung zu der
QeeetzTorlage vom 8: Feluniar d. J. an den dentielieii Reichstag über die Hols-
aöUeasa
^ T. &gen, die foitüidien Yerbfitniaee PreniMni. 8. Auflage von Donner
bearbeitet S. 1.
') Bernhard, Foretstatistik Deatichlands S. 66.
Digitized by Google
— 3 —
reichs, denn es kommen hier nur 33 der Gesamtfläche auf Wald,
gegen z. B. 38 in Unterfranken und 39 in der Pfalz. Dies erklärt
sich aber zur Genüge daraus, dafs das nicht zum bayrischen Wald
gehörende, vorzagsweise der Landwirtschaft dienendf^ Areal der
grdfeere Teil der Gesamtflftche des Begierungsbezirks ist.
Auf der diesen Mitteflangeii beigegebenen Karte sind die Ge-
biete, weldie den bayrischen Wald im engeren Sinne bilden, die drei
Forstlmter Wol&tein, Zwiesel und Sehdnberg, und angrenzende Teile
der Oberpfalz dargestellt Ein Blick lehrt, wie hier der Wald voll-
ständig dominiert, besonders in den höheren, nahe der Landesgrenze
sich erstreckenden Teilen des Waldgebirgs; man vermöchte hier, in
der Richtung von NW. zu SO. oder unigekehrt, mit wenigen Unter-
brechungen auf einer Erstreckung von 100 km in Wald zu gehen,
während die mittlere Entfernung von der Landesgrenze bis zur
Donau etwa 40 km betrafen mag. Das Verhältnis der bewaldeten
Flache znr Gesamtfläche des hier dargestellten Gebiets in Ziffern
anzugeben, dazu fehlt ans leider das Material^). Im Gegensatz zum
Spessart, wo der Staatswald ttberwiegt^), herrscht in dem Teil des
bayrischen Wäldes, welcher zwischen der Donau nnd den nordöst-
lichen Staatswaldungen jener drei Forstnmter gelegen, der Privat-
wald Tor, in ihm überwiegt der mittlere und Klein - Besitz.
Wahrend z. B. im Spes^^art das Laubholz vorherrscht, nimmt in den
Staats Waldungen des bajrischeu Waldes der gemischte Bestand den
breitesten Raum ein.
Die Bodenformation begünstigte den Wald, welcher nur hie und
da in senkrecht emporragendem Gestein oder Felsgeklüft ein
Hindernis der Ausbreitung fand. Unter der Herrschaft des Krumm-
stabes — der Bischöfe von Passau — beschäftigte der Wald Holz-
arbeiter nnd rief Qlashflttenbetrieb ins Leben; eine landwirt-
*) In der 1861 zu Hegensbnrg erschienenen Schrift: Der Bayerwaid, von
H. Reder, heifst es: „Die Fläche des Waldes im engeren Sinne, wenn man ihn
auf das Urgebirge beschr&nkt, betiigt 1 349 183 bayrische Tagwerke oder 83,«
□ Meilen, im woitti«D,Tim Chamb nad Regen begrenst 1488688 bayr. Tagwerk
odflff 91|t« Q]l«il0& tad todlieh bei AnadehBung dar Qrensiii aber Cham,
Nanbin, Bodenwehr, Scbwaiidorf «ad Regensbturg 1709988^ bayr. Tagwerke
oder 181 □Meilen. Auf die mittlere Qeiamtflficbe treffen:
sonsM^h 43,17 °/o. Ob diese Angaben damals genau, ob sie noch jetzt emiger-
maben stttreffen, kann Yerikaser nicht beurteilen.
Vgl Baad IV. S. 8 dieser Zeitsehr. imd die daielbit beigegebene Karte.
Wald .
Äcker .
Wiesen
88,t« OMeaeii,
Ödnngen und Weide
Gewässer
yui^L-vj cy Google
schaftliche Benutzung: des Bodens folc^te wohl erst später, auf
dem gerodeteü Boden des Waldes und zwar vorzugsweise auf
niedrigen Anhöhen entstanden die Märkte, deren Nameoseodimg
noch vielfach an ihren Ursprung^erinnert.
Der Verkehr zwischen Bayern und Böhmen bewegte sich im
Korden durch jene Tom Ghamhach durchflossene fdOBeDkong, im Süden
zu Ältester Zeit adf mitten durch den Wald geUBhrten Sanmwegen, wie
jener »goldene Steig* von Paseau nach Prachndiz in Böhmen. Spiter
wurde von Deggendorf über Regen nnd Zwiceel eine Strafee ins
Böhmisehe gefuhrt; an ihre Stdle als Verkehrsyennittlerin trat
in unserer Zeit die in kunstvollen Bauten aus dem Donauthal zum
Gebirge aufsteif?ende bayrische Waldbahn. Das Urgebirge bot keine
Ausbeute an Edel- oder Nutzmetalleu. So ist denn die Bevölkerung
im Verhältnis zur Fläche eine spärliche geblieben, wenn sie auch,
den jetzigen geringen Erwerbsquellen gegenüber, sich an manchen
Punkten als zu zahlreich erweist. St&dtische Verkehrscentren
finden wir im bayrischen Walde nicht, wenn auch Grafenau (mit
1164 £inw.) eine Stadt ist Die Aufgabe der Städte übernehmen
im Walde die Mftrkte (Zwiesel u. a.) Die Stftdte Cham und Furth, jede
mit 3000 Einw«, Mittelpunkte des Holzhandels, gehören zur Oberp&lz.
Die Torm Wald belegenen Stftdte haben Kegensbnrg 34500, Passau
15 300, Straubing 12 600 und Deggendorf 6200 Einwohner. Die
Erschliefsung neuer Erwerbsquellen ist au eine groisere Zugäng-
lichkeit des Waldes für den Verkehr gebunden. Erst \Yenn die
projektirte Südnordbahn von Passau durch das Waldgebirge nach
Zwiesel zur Ausführung kommt, werden die in den zahlreichen Ge*
wässern des Gebirgs vorhaudeueu Wasserkräfte, neben ihrer
Benutzung als »Triftbäche^, voll und ganz von der Industrie ver-
wertet werden können.
Das quellenreiche Waldgebirge nfthrt zwei Flufssjftkme^ das
des bei Regensburg mandenden Regens und, von ihm durch den Rinch-
nacher Hochwald als Wasserscheide getrennt, das der bei Passau sich
in die Donau ergiefsenden Dz ; die zu den beiden Flflssen strömenden
Nebengewässer durchziehen das Gebirge in allen Richtungen, welches
so als eines der am besten bewässerten in Deutschland erscheint.
Der frühere Reiclilum vieler dieser Gewässer, (der sogenannten Perl-
bäche) an Flursi)erhmischoln ist j^rofsentheils duixh schlechte Bewirt-
schaftung erschöpft, da es an einer Handhabe zu staatlicher Oberaufsicht,
wie sie sich bei den Perlgewässern des sächsischen Vogtlandes bewährt
hat, fehlte uUd fehlt. Der landschaftliche Gesamtcharakter des
Waldgebirges ist vorwiegend ein ernster, ja steUenweise ein düsterer.
So tritt er uns namentlieh entgegen, wenn whr im sadöstliehen
uiyiiizod by Google
— 5 —
Teil des Waldes von dem mit gewaltigen Feist rüramern bedeckten
Plateau dea Dreisesselgebirges auf das uns umgebende nur hie und
da durch einen hellgrünen Wiesen- oder Ackerfleck, ein Dorf oder Kircb-
lein unterbrochene Waldesdunkel hinabscbauen. Reich ist der Blick von
der höchsten Knppe des Gebirges, dem malerisch geformten »grofsea
Arber*, sowohl anf die alpenartige nächste ümgeaung, wie auf die
durch Bodenionnation, Kultur und Besiedelung mannigfach geglie-
derte Landschaft Von allen bedeutenderen Höhen bietet sich in
gröfserer oder geringerer Entfernung das Donauthal als wirkungs-
voller malerischer Abschlufs des Landschaftsbildes. Die zahlreichen
Seen des höheren Gebirges, in deren Fläche sich der umgebende
Schwarz wald wiederspiegelt, tragen durch ihre dunkle Färbung zu
dem ernsten Charakter der Landschaft bei, die uns Adalbert Stifter,
selbst ein Kind des Böhmer Waldes, in unübertrefflichen Schilderungen
gemalt hat. Jene braune Farbe der Gewässer des Waldes, die sich
selbst darin aahlreich lebenden Fischen z. B. den bräunlich ge-
färbten Forellen mitzuteilen sdieinti rOhrt nach GUmbel daher, dals das
Wasser, indem es Ober sich zersetzendes alkalihaltiges Gestein flieÜBi,
Alkali aufnimmt und dadurch die Fähigkeit gewinnt, in Berührung
mit dem Humus des Waldes oder dem Torf der zahlreichen Lohen
(Moore) huiiiösc Bestandteile von brauner Faibe aufzulösen und mit
sich zu nehmen.
Wenn auch, ungleich anderen Gebirgen, der bayrische Wald
an auf engem Räume sich bietenden malerischen Gegeusätzen nicht
eben reich und wohl daher die geringere Anziehungskraft gegenüber
dem Tonristen zu erklären ist, so gehören doch die von schäumenden
Waldb&chen durchrauschten Wald- und Felsenschluchten der Bären-
steiner Leite bei Grafenau, der Buchberger Leite bei Freiung und
die Yon Hochwald eingelafeten BilslochiUle am grolsen Arber zu
den Perlen mitteleuropäischer Landschaft Das sich wie ein von
Wellen bewegtes Meer in Kuppen und Th&lem hebende und senkende
dunkelgrüne Waldgebirge trägt freilich in gewissem Grade den
Charakter landschaftlicher Einförmigkeit, während der „Vor-
wald", die Gegend zwischen dem Donaugelände nud jenem hinteren
oder inneren Wald, in reicher Abwechslung ein freundliches Land*
schaftsbild darbietet: auf dem vielfach gewellten Terrain wird das
Einerlei der Felder durch zahlreiche Dörfer, Weiler und Einödhöfe,
hie und da Märkte, sowie durch gröFsere und kleinere Laub- und
Kadelholzbestände unterbrochen. Nicht selten ragt auch auf einer
bedeutenden Höhe ein altes Schlofs, ehedem der Sitz adeliger Herren
oder FOrstbischOflicher Pfleger, jetzt, wie jene Engiburg der Ritter
Schwarzensteiner und Fflrsteneck, ein Braubaus und Touristen-
uiyiiiziüd by Google
herberge, oder, wie Fürstenstein, die einstige Burg der edlen Grafen
von Hals, wohltatigen Zwecken gewidmet. Gute Strafsen erleichtem
wenigi^tens im Vorwald den Verkehr, der im mittleren Wald in
Deggendorf, im (weiter Donau abw&rts gelegenen) unteren Wald in
Passau seineu Mittelpunkt findet.
Eines absouderlichen Zuges in den Landschaften des bayrischen
Waldes sei hier noch besonders gedacht, es ist fler Qnanfels des
Pfiahls, welcher, der Richtung des Gebirgikammes folgend, auf
eine Lioge von 160 km durch den imttlmn Teil des Wald-
gebirges sich erstreckt und besonders in dem Feisensddofs Thierl-
stein bei Cham, in den weifsen vielfach aasgesackten Feisklippea bei
dem Wallfahrtskirchlein von St. Anton in Viechtach und in male*
rischeu Burgruiue Weilsenstein bei Begeu zu Tage tritt.
Forstliche Verhältnisse.
«Obwohl In den Teilen des im Regierungsbezirke Ton Nieder-
hayem gelegenen bayrischen Waldes, welche yon jeher Holz zum
Betriebe der Glashatten geliefert haben, schon im Beginn dieses
Jahrhunderts ein mehr oder minder regetanäbiger Schlagbetrieb,
freilich auch Kahlhiebe geführt wurden, so hat man doch in den
abgelegenen Waldteilen, namentlich in den Hochlagen, 1000 bis
1200 m ü. M., den früher allein üblichen und möglichen regel-
mafsigen Plftnterbetrieb*) bis in die neueste Zeit beibehalten. Diese
Betriebsweise wurde teils durch die aufserordentlich ungünstige
Lage des bayrischen Waldes für den Holzhandel, — im Osten, in
Böhmen setzt sich das grofse holzreiche Wald gebiet fort — teils
durch den Mangel an guten Verkehrswegen bedingt, teils endlich
durch die herrschenden Holzarten begünstigt. Die Hauptholzarten
sind Fichte, Weifstanne und Buche, welche in mehr oder minder
gleichmä&tger Mischung, nicht selten auch, wie s. B. die Fichte in
den sogenannten Auen und auf den Hochlagen ganz rein vor-
kommen. Diesen gesellt sich noch die Föhre und in sehr schönen
wnchskrftftigen Exemplaren der Ahorn, seltener die Esche und Ulme
") Ein Pläntorwald nUlt auch dem Unkundigen, sobald er sich einmal
daran gewöhnt hat, in den regelrecht bewirtschafteten Pesfänden eine gewisse
Gleichmäfsigkeit zu sehen, dadurch leicht auf, dafs er eben dieser Gloich-
mäfsigkeit seiner Zusammensetzung entbehrt, im Gegenteil, auch wenn er ein
ungemischter, ein zerrissenes Durcheinander von Bäumen aller Altersklassen
und in den Tenchiedensten Abstafongen des Schlusses ist Diese Beschaffen-
heit erUOt d«r Plfiatonnild dadveh, dafii nicht nach einer gewiBMn Fttchen-
feihenfolge (8ch1agwirt8eliaft)i londern nach Bedfirfkiis bald hier bald dort
Knme heranageacblagen werden, iraa man «plinleni* nennt (BobmSlsler, der
Wald, beraosgegeben von M. WiHkomm. 8. 661.)
üiyiiizea by Google
— 7 —
bei. In den Privatwaldungen der Vorber^je des oberen bayrischen
Waldes — Forstamt Zwiesel — ist die Birke die herrschende Holz-
art und es wird dort schon seit Jahrhunderten die sogenannte
BirkenberRswirtschaft betrieben, deren Wesen darin besteht, dafs
der Birkenbestand im Alter von etwa 30 Jahren bis auf einige
Samenbäume auf den Hektar abgetrieben, die Fläche mit der Hacke
zur Aussaat mit Korn vorbereitet und eingesäet und einige Jahre
bindnreh nach der Ernte des Korns als Viehweide benutzt wird, bis
die angeflogenen Birken wiedeor hiebreif sind, worauf sich das ganze
Verfahren wiederholt Weiter unten teilen wir näheres über diese
merkwürdige Verbindung von Land- und Waldwirtschaft mit
In den geschonten Staatswaldungen bilden Fichten, Tannen
und Buchen Bestände von seltener unübertrefflicher Schönheit und
einer anderweit in Deutschland uiclit vorkommenden Eigenartigkeit,
denn trotz der Durchlichtunj? der Waldungen iufol^'e heftiger
Stürme sind Haubarkeitserträge von 800 bis 1000 Ster^) für den
Hektar bei 120- bis 150jährigem Alter durchaus nicht gelten und in
vielen Waldteilen finden sich noch zahlreiche St&mme von 30 bis 40 m
Höhe und einem Kubikinhalt von 30 bis 40 Ster; eine der stftricsten
im Jahre 1881 gemessenen Tannen hatte folgende Mafse: 5,io m
Umfang auf Brusthohe, 1^ m Durchmesser, 49 m Höhe, 50,?t
Kubikmeter = 66 Ster Masseninbalt Diese großartigen alten
Bestände, mit den schon vor vielen Jahren zu Boden gestreckten
faulenden Riesenstämnien, — sogenannten Bauen — und ihren
kolossalen zum Himmel anstrebenden Schäften machen auf den Be-
schauer noch den Eindruck eines Urwaldes.®)
Die Jahreserträge der Jahresreiheu 1870 — 80 können nicht als
normale angesehen werden, da die Windbruch- und Borkenkäfer-
kalamität der Jahre 1868 und 1870 noch viele Jahre nachher fon-
Dlller Ster ventebt man die bei Seheithols in den Bammnluilt eioee
Knbiknietete eiogeechliehtete solide BolnoMse und viid diese Hasse in Bajem
als Bechnangseinheit Ar alle Hokmassen und Holzertrige m Grunde gelegt
Man nimmt 1 Festmctor = Raummeter i Ster) oderl Ster = O^n Festmetsr an.
(Wiederholt aas Band IV. S. 4 dieser Zeitschrift).
*) Solche urwaldliche Partien sah ich in den nahe dem Dreisesselgebirge
belegenen Revieren Bischofsreut und Duschlberg, in den Waldorten Bärenfibs
und Rahnenau, dem Quellgebiet der kalten Moldau. In dem 15 km von
Bischofsreut, bei Eleonorenhain, im Böhmischen gelegenen Revier ^.Schattawa*
findet sich ein Urwald, ,in welchem", wie mhr ein Forstmann Ton dort her
achreibt, .die vor 12 Jahren gestorbenen B&nme ToUsttndig in ihien Skeletten
erhalten sind nnd gespensterhaft ihre darren iste in die Lnft recken. Anf
Stänunen, die der Stnrm niederwarf, ezsprolMe nenes Leben und die Jungen
hochaufgeschosaenea Blnme omfinsen die todt danuederiieg^dea mit ihren
WwaehL* M. L.
Digitized by Google
gewirkt bat wid ein regdmäfoigw Betrieb wftbrend dieser Zeit toU-
stftndig attsgescUossen war. Der Anfall an Windwarfmateriai be-
trug in den Staatswaldungen in den Jahren 1888 nnd 1870
2 700 000 Ster. So grofse Holzmeugeu konnten trotz bedeuLeuder
Vermehrung der Arbeitskräfte — auch italienische Arbeiter wurden
herbeigezogen — nur langsam aufgearbeitet werden und so trat als
weitere Folge dieser enormen Waldschäden der Borkenkäfer in
ganzen Schwärmen auf; derFrafs dieses Käfers vermehrte den üolz-
anfall noch bedeutend. Diese ungeheuren Holzmasaen worden ent-
weder als Blochholz, (sogenannte HollaDderblöcher von 3 m L&nge),
oder als Scheitbolz aufgearbeitet und mittelst Trift tbeils auf dem
Regen nadi Begensbnrg, tbeils auf der Dz nnd ihren Nebenbacfaen
nach Passau befördert
Die jetzigen Staatswaldungen des bajyrisdien Waldes waren in
früherer Zeit in verschiedenen Händen. Der sogenannte untere
Wald, welcher das Forstami Wolfstein in sich begreift, war Eigen-
tum der Fürstbischöfe von Passau; nach dem Lüneviller Frieden,
1801, und dem Reichsdeputationshauptschlufs von 1803 kam er an
die Krone Bayern; im Yolksmuud heilst es von ihm noch heute:
„im Bischöflichen.^
Der sogenannte mittlere Wald war ursprünglich gröfstenteils
im Besitz des bayrischen Staates. Er wurde im ersten Viertel
dieses Jahrhunderts — 1811 und 1820 — an die GhLshattenbeeitzer
in Schönau, Riedlbfltte und Elingenbruim gegen Aufgabe der mit
diesen Glasbfltten yerbundenen sehr bedeutenden Forstrecbte abge>
treten, später jedoch, 1832 nnd 1883, Tom bayrischen Staat wieder
zurückgekauft und zwar zu dem Preise von durchschnittlich
16 ti. 3 Kreuzer für das bayrische Tagewerk (= */s ha). Bei der
Säkularisation der Propstei St. Oswald wurden 1107 Tagewerk dem
Revier St. Oswald zugeschlagen.
Der obere Wald — das Forstamt Zwiesel, — war zum gröfsten
Teil immer im Besitz des bayrischen Staats, abgesehen von nicht
unbedeatenden Flächen, welche für Ablösung von Forstrechten ab-
getreten wurden, Hafenbrödl bei Eisenstein, Kyssling bei Rabenstein,
von Privatwaldungen zur Ärrondierung.
Zur Beurteilung der Ertragsüahigkeit der Staatswaldnngen des
bayrischen Waldes darften folgende Zahlen aus dem ziemlich nor-
malen Jahre 1880 dienen : die inroduktive StaatswaMflftdie der Forst-
ämter Schönberg, Wolfstein und Z wieset) beträgt 43714 ha mit
Also des bayrischen Waldes nach dflUl* engeren Begriff ; in weiterem
Begriff gehören noch 660 ha Staatswalflongen vom K. Forstrevier Passau II.
(linkes Donaaofer) binzo. Wenn A. Bernhardt in seiner Forststatistik i)eiatach-
Digitized by Google
eineiD jfthrlichen Holzanfall von 232950 Ster« wovon etwa ddVoals
Nutzholz aller Art und 65<^/o als Brennholz Terkaoft werden. Die
Bmttoeinnahme in Gelde aus diesem Anfall beziffert sich auf
1066500 Jk; sie würde einen höheren Betrag erreichen, wenn nicht
ein Teil des jährlichen Holzanfalls an die Forstberechtigten unent-
geltlich abgegeben werden müfste. Wenn wir die produktive Staats-
waldflilche zu 44374 ha (einschliefslich 660 ha im Revier Passaii II.)
annehmen, so dürfte sich dieselbe auf die einzelnen Hols' und Be-
triebsarten wie folgt verteilen:
a. 35 **/o Nadelholz — Fichten und Tannen— im Hochwald-
und Fehmelschlag (Planterbetrieb), der in den Hochlagen — etwa
1000 m — in den regelmafsigeu Plänterwaldbetrieb tibergeht.
b. 65 ^/o gemischtes Laub- und Nadelholz im Hochwald* und
Fehmelsdilagbetrieb.
c. 10 ^/o Laubholz ebenso.
(Bei diesen, wie bei einigen weiter unten angeftthrten Zahlen
ist zu betonen, dafs sie auf sacbverstAndiger Schätzung beruhen und
daher auch auf absolute Genauigkeit keinen Anspruch machen.)
"Weit bedeutender ist die produktive Privatwaldfläche in den
drei Forstämtern : sie beträgt 117 357 ha, hierzu im. Bevier Passau IL
17883 ha.
Verschwindend gering ist dagegen die produktive Fläche der
Gemeinde-, Stiftungs- und Körperschaftswaldungen; dieselbe beträgt
nur 2139 ha und im Revier Passau II. 249 ha. Unter Körperschafts-
oder Korporationswaldungen sind solche Waldungen zu verstehen,
welche nicht der ganzen, sondern nur einem Teil der politischen
Gemeinde, z. B. den Alteingesessenen, mit Ausschluß der sogenannten
Hintersassen, gehören.
"Ober die Bewirtschaftung und Erträge der nicht dem Staat
gehörenden Waldungen hat nichts ermittelt werden können.
Dem Grofsbesitz gehören in den drei Forstänitern (Passau IL
hat keine solche Waldungen) etwa 10110 ha an. Demnach bildet
der Grofsbesitz kaum */i2 der Gesamtfläche der Privatwaldungen
der drei Forstämter. Der Grofsbesitz verteilt sich wie folgt: 1. Fürst
Hohenzollern bei bayrisch Eisenstein etwa 3000 ha. 2. Die Familie
T. Poechinger etwa 10000 ha zwischen den Bevieren Zwiesel und
lands, Berlin 1B72, auf Seite 122 die bestockte StaatswaldflSche des iMyraehen
Waldes ftiif 74370 ha angiebt, so hat er wahrscheinlich auch noch Waldongeil
des Refriernngsbczirks Oberpfalz — Waldmünchen, Cliam, Roding, Nittenaa —
dazu gerechnet und somit den Begriff .bayrischer Wald" sehr weit und will-
kürlich gefafst; denn z. B, die Waldungen bei und um Nittenau gehören weder
lA Beaebn&g auf Boden noch auf Klima zum eigentlichen bayrischen Walde.
Digitized by Google
— 10 —
KUngenbninn (die Faltostein- und die RftchelbftngB). 3. Graf Ton
Bray anf dem sogeoanntoo Breitenau etwa lOUO— 1200 ha und
4. Gutsbesitzer Hots bei Manth.
Was die Zahl und Gröfeenverhältnisse der Omeinde', StiftungB-
und KSrpenchaftiwälätmgm betrifft, so sind in den drei Forste
amtem und Passen IL 48 Gemeinden und 85 Stiftungen WaldbesiUer
und zwar besitzen 34 Gemeinden Yon 1 bis 16 ha, 7 Gemeinden 17
bis 33 ha, 6 Gemeinden von 34 bis 170 ha, eine Gemeinde über
400 ha. 78 Stiftungen besitzen von 1 bis 16 ha, 5 Stiftungen von
17 bis 33 ha, 2 Stiftungen von 34 bis 170 ha.
Die beistehende Karte, bearbeitet nach einem zu dem Zweck
gütigst von dem Königlichen Ministerialforstbüreau in München zu
dem Zweck zur Verführung gestellten Ausschnitt der amtlichen ^forst-
lichen Übersichtskarte'' des Königreichs Bayern, veraiiscbaulicht die
Lage und den Umfang der Staats-, Gemeinde-, Körperschafts-, der
Privat- und der Stiftungswaldungen, sie unterscheidet bezüglich der
Staatswaldungen die reinen Nadelholzbestande von den aus Laub-
und Nadelholz gemischten und zwar umfafst die Karte auch die an-
grenzenden Theile des Regierungsbezirks Oberpfalz.
Von den Revieren des Forstamtsbezirks Cham liegen nämlich,
laut gefälliger Mitteilung des Herrn Forstmeisters Ullmann in Cham,
die folgenden Reviere im Grenzgebiete des bayrisch« böhmischen
Waldgebirges:
1. im ndrdtiehen bayriseh-böhmischen Grenzgebiet nördlich von
der ;,die Chamaner Furche' genannten Eintiefnng die ReTiere:
Waldmflnchen L mit 2405 ba Staatswaldungen,
. n. , 1975 ,
RÄtz » 1805 ,
Cham , 1010 „ „ ^
Im ganzen 7195 ha Staatswaldungen.
Davon sind 352 ha vorherrschend mit Laubholz, 246 ha vorherrschend
mit Nadelholz, 368 ha mit Laub- und Nadelholz in fast gleicher
Mischung und 6224 ha nur mit Nadelholz bestockt. Die mit Laub-
holz gemischten Bestände beschränken sich auf die Reviere Wald-
münchen I. und Waldmünchen II. Zwar treten Buche, Ahorn, Ulme
und andere Laubbaume auch in den Revieren Cham und Bötz auf,
doch ist deren Beimischung gering Der Stolz des Forstmanns sind
die Tannenbestände des Sonnhofer Bergs (Waldmünchen II.) in der
Höhe von 700 m ü. M., Stamme bis d3 m Lange mit einem jähr-
lichen Schafe von 20^30 cm; der flppige Waldboden macht Pflan-
zungen hier entbehrlich.
2, Im sOdlichen Grenzgebiet (sftdlidi ton der genannten Forche)
Digitized by Google
— 11 —
nnd zwar auf dem Höhenzuge zwischen dem Regen aod der
Donau, das Revier Walderbach mit 698 ha Staatswaldungen, unter
sehr geringen Aasnahmen durch stellenweise Beimischung der Bnche,
aus Nadelholz, hauptsftchlich Fichten und Tannen bestehend. Femer
die Reviere Strahlfeld mit 1813 ha und Roding mit 1736 ha Staats-
waldungen; sie gehören zum Yorhügelland des bayrisch-böhmischen
Waldgebirges und werdeu im Westen von der Bodenwöhrer Bucht
bej^renzt; sie weisen nur Nadelholzbest&nde, in der Hauptsache
Föhren auf. Auch in den Waldungen der Oberpfalz überwiegt bei
weitem der Privatwald, die Fläche der Staatswaldungen ist etwas
über V« so grofs wie die der Privat Waldungen, die Gemeinde- und
Stiftungswaldungen bilden nur etwa V20 der gesamten Waldfläche,
Die gröfsten zusammenhängenden Waldungen der Oberpfalz sind an
der böhmischen Grenze der Brucker und der Dachsrödener Forst
Die Karte zeigt uns, dafs die stärkste Bewaldung in den höheren
Lagen des Oebirgs auf und nahe dem Hauptkamm l&ngs der Landes-
grenze stattfindet und zwar teilt sich hier der Besitz zwischen dem
Staat und einzelnen Grofsgrundbesitzem, namentlich dem Herrn
von Poschinger auf Frauenau und dem Fürsten von Hohenzollern,
jedoch gehört der gröfsere Teil dieser Waldungen im Zusammenhange
dem Staat; die gemischten Bestände überwiegen etwas. Gröfsere
Komplexe Privatwaldunjjen finden sich in einem von der Eisenbahn
durchschnittenen Gebiet nördlich von Deggendorf. Die Privat-
waldungen sind im westlichen Teil des bayrischen Waldes zahlreicher
und weniger zersplittert als im östlichen Teil, wo Äcker und Wiesen
vorherrschen.
Im bayrischen Waldgebirge, dessen mittlere Höhe auf etwa
600 m veranschlagt wird, wahrend die höchste Erhebung (gro&er
Arber) 1453 m beträgt, erreicht der Fichtenwald nirgends seine ver-
tikale Vegetatiomgreme, welche in Mitteleuropa bei 2000 in beginnt.
Die Buche steht in reinen oder ^^einischten Beständen bis in Höhen
von 1200 m, in besonders günstigen Lagen auch noch etwas höher,
die Tanne übersteigt dagegen die Höhe von 1000 ni nur in ge-
schützten Lagen. Die West- und Südwestseite ist für die Expo-
sition der Fichte am günstigsten ; bei den austrocknenden Ostwinden
mufs, bei einer Exposition nach Osten und Norden, die Lage eine
geschätzte sein, wenn der Baum gedeihen soll. Die Tanne sucht,
bei ihren grdfseren Anforderungen an die Gunst des Klimas, im
bayrischen Wald, namentlich mit zunehmender Höhe, die südliche
Nach V. Gümbels geologischer Skizze des bayr, Waldes Band VI. S. 25
dieser Zeitschrift. Für das Gebiet des Staatswaldes im Gebirge dürften aU
mittlere Höbe 750 — 8ÜÜ m anzunehmen sein.
Digitized by Google
— 12 —
Exposition oder geschützte Lagen auf. Die Buche zieht, je mehr
sie sich der Grenze ihrer Höhen Verbreitung nähert, Südost- und Süd-
seite vor« im Gegensatz zu ihrem Verhalten im Flach- und Hügelland,
wo sie der grölseren Feuchtigkeit halber auf den nördlichen und
nordöstlichen Hängen besser gedeiht; der Grund ftr ersteres Ver-
halten liegt offenbar in den zusagenden WftrmeyerbSltnissen der
bezeichneten Lagen im bajnrischen Wald, der bei seiner Höhe durch
seine fast beständig feuchte Atmosphäre dem Bedürfnis nach Frische
in jeder Exposition Genüge zu leisten vermag.
Der Unterschied in der Vegetationsgrenze, je nach der ge-
schützten oder ungeschützten Lage und nach der Expositionsrichtung,
lafst sich bei der Menge der mitwirkenden Faktoren zirternmäfsig
nicht angeben. Jedoch kann man sagen, dafs bei besonders gaostiger
Lage und Exposition die oben angegebene Vegetationsgrenze um
100 m überschritten werden kann. In den höchst gelegenen Revieren
tritt der Ahorn nicht mehr in grötiseren Beständen auf.*
Eine wichtige Bolle spielt in der Waldwirtschaft des bayrischen
Waldes noch heute, trotz der Veränderungen und Verbesserungen
der Verkehrswege, die Trift, Die frühesten Anf&nge von Triften im
bayrischen Walde datieren aus der ersten Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts. Als natürliche Triftgewässer boten sich im unteren Wald
die Hz, im oberen der Regen mit ihren Armen, Bachen und Zu-
flüssen. Erst durch die Trift konnte der gewaltige Holzreichtum
des unwegsamen Wald'zebirges einigermafsen verwertet werden. Im
17. Jahrhundert, wo die Forsten des unteren bavrischen Waldes zum
gröfsten Teil noch unter der Landeshoheit des Hochstifts Passau
standen, lieferten die Wol&teiner Waldungen ^ 40000 Tagewerk
i ha — dem Hochstift Passau jährlich nur 16—17 Oulden Rein-
ertrag! Erst in diesem Jahrhundert wurde von der bayrischen
Staatsverwaltung, nachdem sie die Waldungen des Hochstifts Passau
übernommen und durch Ankaufe bedeutend vermehrt hatte, die Bser
Trift verbessert und durch die j^rofsen Triftbauten bei Hals unweit
Passau vervollständijjt. Noch in den letzten Jahren wurden sehr
bedeutende Kanalneubauten in verschiedenen Bevieren des Forstamts
Wolfstein ausgeführt.
Von dem mit Wald bedeckten hohen Gebirgsrücken längs der
Landesgrenze gegen Südwesten gehen vier Seitenthaler aus, die sich
in dem Ilzthale vereinigen. Jedes dieser Th&ler wird von einem
triftbaren Bache durchströmt, an welchem sogenannte Klausen und -
Schwellen angebracht sind.
Wir verzeichnen hier die Haupttriftbäche der drei Forstämter
des . bayrischen Waldes (im engeren Sinne). Im Forstamt Schönberg
uiyiiiziod by Google
— 18 —
siud es die kleine und grofse Ohe (mit vier Nebenbachen), die
Schwarzach (mit drei einfliefscnden Bächen), sodann die Schönberger
Uz bis zur Vereinigung mit der aus dem Forstamt Wolfstein kom-
menden Wolfsteiner Ohe bei Fürsteneck, welche Bäche zusammen
den Ilzflufs bilden.
Triftbäche des Forstamts Wolfstein sind: das Reschwasser mit
dem einmündenden Scbwarzbache, das Teufels- und Sauswasser mit
zwei Nebenbachen, sowie das Osterwasser. Diese Bft€he vereinigen
sich oberhalb FOrsteneck zur Wolfeteiner Ohe.
Ein bedeutendes Werk ist die Triftspenre bei Passan (Azstadt).
Das Triftwasser der Hz wird durch einen 400 Fofs langen Felsen-
durchbrach geleitet und so eine Schlangenwindung der Hz von fast
dreiviertel Stunden Wegs umgangen. Das getriftete Holz wird von
einem schwimmenden Rechen aufgefangen und zur Verladung in die
Donaudampfer gelagert. In den letzten Jahren sind im Ilzgebiete
durchschnittlich jährlich vertriftet worden : aus Staatswaldungen (der
Forstämter Wolfstein und Schönberg) etwa 90 — 100000 Blöcher,
gleich 30—40000 cbm und etwa 70—80 000 Ster Brennholz ; aus
Privatwaldungen etwa 60— 70 000 Bldcber, gleich 15— 20000 cbm
und 7—8000 Ster Brennholz.
Ein zweites Trift^rstem schafft das Fln&gebiet des Regens im
oberen Wald, welches von den Wasserzflgen des unteren Waldes,
dem nzgebiet, durch den Rinchnacher Hochwald geschieden ist
Hanpttriftbftche sind hier der in Böhmen entspringende schwarze
oder grofse Regen mit zahlreichen Nebenge wassern, sodann der dem
kleinen Arbersee entlüefsende weifse Regen. Durch Uferschutzbauten,
Räumung der Betten, Schwellwerke und Klausen sind tlie Nebenbäche
für die Trift besonders eingerichtet, auch wurden zwei Triftkanale
erbaut. Das Haupttriftwasser, der grofse oder schwarze Regen,
wurde durch Felsensprengungen, Buhnen und Steindamme korrigiert ;
er ist von Zwiesel abwärts flöfsbar. Die im Jahre 1877 erfolgte
Eröflbiing der bayrischen Waldbahn bewirkte, wie flberhaupt in den
Verkehrsverh<nissen, so namentlich auch in der Trift des Begen-
gebiets erhebliche Veränderungen. Wie die Karte zeigt, durch-
schneidet diese Bahn den mittleren Teil des Waldes in der Richtung
von SW. nach NO., indem sie von Deggendorf an der Donau über
Zwiesel nach Eisenstein zur böhmischen Grenze und weiter zieht.
Seitdem wird das sogenannte Blochholz nur bis Bahnhof Zwiesel und
Regen, manchmal auch noch bis Cham in der Oberpfalz getriftet, wo
ebenfalls eine Bahn ziemlich in der Richtung von West nach Ost
das bayrische mit dem böhmischen Eisenbahnsystem verbindet. Auch
das Brennholz wird selten weiter als bis zum Bahnhof Zwiesel ge«
Digitized by Google
— 14 —
triftet Stammlkolz in gebmideiien FUSssen und Bretter gehen nnr
noch selten snf dem Regen hb nach Regensburg, sie werden jetzt
auf der Bahn be{i5rdert. Die Sagemühlen von Regen erhalten aber
noch heute ihren Bedarf an Blochholz mittelst Trift. Über den
IJmfanj? der Vertriftuiig geben foljjende Zahlen Auskunft: aus Staats-
wahhiiiuen des Forstamts Zwiesel wurden durchschnittlich im Jahr
45—50 000 ister Blücher, gleich 15—17 000 cbm und 25 000 Ster
Brennholz und aus Privatwaldungen 6 — 7000 Ster Blöcher and
4000 Ster Brennholz vertriftet.
Forstrechte. SkudUche Oberaufsicht über die nicht dem Staat
gehörenden WMungeiik Die den Gemeinden, Kdrperachafteii mid
Privaten an den Staatswaldnngen zustehenden Forstreehte bestehen
in 1) gemessenen resp. ungemessenen Rechten Brennholz, 2) unge-
messenen Rechten anf Banhohs aller Art, 3) Streu- und 4) Weide-
rechten. In neuerer Zeit ist energisch an der Ablösung der der
Forstwirtschaft schädlichen Rechte gearbeitet worden, doch sind die
Forstberechtigungen noch ziemlich bedeutend. So giebt es z. B. in
dem Revier am grofsen Arber 113 Forstberechtigte; die Berechtigung
besteht in einem „fixierten" (beschrankten) Brennholz- und in einem
nicht-fixierten Bauholzbezug (der letztere erfolgt nach dem Bedarf
des Berechtigten), auch Waldstren kann sich der Berechtigte nach
Bedarf holen.
Nach dem bayrischen Forstgesetz von 1862 steht die Bewirt-
schaftung der Gemeinde- und Stiftungswaldungen unter der Ober-
an&icht der Staatsregierung; sie soll sich anf Wirtschaftsplftne, die
Yon wissenschaftlich gebildeten Technikern aufgestellt und aus-
geführt werden, erstrecken. Die Wahl dieser Techniker steht den
Gemeinden zu.
Die Privat Waldungen stehen nur insofern unter der Oberauf-
sicht der Staatsregieruug, als sie bezüglich der freien Benutzung
und Bewirtschaftung an gewisse forstpolizeiliche Bestimmungen ge-
bunden sind. Die Besitzer von Privatwaldungen dürfen also z. B.
Schutzwaldungen weder roden noch kahl abtreiben, im übrigen ist
nur die Abschwendang, also eine den Fortbestand des Waldes sofort
und unmittelbar gefährdende Handlung verboten.
Joifd, Wüderer, Was die Jagdverhältnisse anbelangt, so sind
dieselben im allgemeinen durchaus nicht glänzend, im Gegenteil ist
dieser grofse, geschlossene Wald verhältnismäfsig arm an Wild, und
ist insbesondere der Unterschied zwischen dem bayrischen Hoch-
gebirge mit seinem ausgezeichneten Stande an Hochwild — - Hirschen
und Gemsen — und dem Walde geradezu überraschend. Der Wald
im weiteren Sinne beherbergt nur Rehwild und üasen, Auer-, Birk-
uiyiiiziüd by Google
— 16 —
und Haselgeflügel, sowie Feldhühner und Schnepfen; an Raubzeug:
Füchse, Marder, Fischottern, Iltisse und Raubvögel verschiedener Art.
Aber auch dieses wenige Wild ist nur in den geschlossenen Staatswald-
komplexen in bemerkenswerter Zahl zu finden, denn nur dort ist der
Behstand und der Stand an Auergeflügel gut, so dafs in den letzten
Jahren doch durchschnittlich etwa 300 Stück Behböcke und 50 Stück
AnerhAhne — Hennen werden nicht ge8chi>s8en — erlegt werden
konnten.
Der geringe Wildstand ist Folge tefls antoordentlich schnee-
rdcher Winter, welche dem WUdstande hftnfig verhängnisvoll werden,
teils nnd vielleicht noch mehr des allgemein verbreiteten Wflderer-
unwesens, welches Böhmen und Bayern bandenweise mit selten har-
monischer Gesinnung treiben. Diesem schrecklichen Unwesen fallen
beinahe jedes Jahr 1 — 2 Personen zum Opfer ; in den letzten Jahren
waren die Getöteten beinahe nur Wilderer. Ein Zusammentreffen
von Forstschutzbediensteten und Raubschützen geht nie ohne Blut-
vergieüsen ab, da es sich immer nur darum handelt, wer den Finger
zuerst am Drücker des Gewehrs hat und kaltblütig schiefst.
Das sogemumte Pechlenniwesen, das Anhauen des Nadelholzes
mit der Hacke zom Kaub des Harzes, hat so ziemlieh nachgelassen.
Die Bevttkeranf .
Die drei Forstamter, welche den bayrischen Wald im engeren
Sinne bilden, hatten bei der Zählung am 1. Dezember 188Ü eine
Bevölkerung von 180 330 Seelen, nämlich: Zwiesel 100 227, Wolf-
stein 30 995 und Schönberg 49108 Seelen.
Fafst man den Begriff" „Bayrischer Wald" in weiterem Sinne
und rechnet man also angrenzende Teile, namentlich der Oberpfalz
hinzu, so ergiebt sich natürlich eine weit grössere Bevölkerungsziffer;
diese, ihre Verteilung auf das Areal der einzelnen Bezirksämter,
endlich den Umfang der Auswanderungen in den Jahren 1876 bis
1883 ergieht die umstehende Tabelle, welche ich der Gefälligkeit des
König]. Statistischeh Büreau's in München verdanke.
Der Abstammung nach sind die „Waldler'', wie sie sieh selbst
nennen, Altbayern. Durch Lebensweise und geringen Erwerb an
Abhärtung und Entbehrung gewöhnt, ist es ein kraftiger Menschen-
schlag. Langsamer als in anderen, dem Verkehr zugänglicheren
Gegenden, weicht die ostbayrische Volkstracht der europäischen
Kleidermode. In der Frauen- wie in der Mannertracht herrscht die
dunkle Farbe vor. Die Kleidung der Männer besteht aus engen,
langen Lederhosen, kurzen Stiefeln, Bundschuhen oder im Wiuter
Hoizschuhen, einer dunklen Weste aus Tuch oder WoUenstoff, des
Digitized by Google
16
Ireil imd Bertltoong des bayeriscben Waldes nacb den Ziblos^en foa 1879 b.
B«iirkiftmter
b2W.
ünmittelbMe
B.-A. Paaaan,
Unmittelbare Stadt
Passan
B.-A. TüihofeB...
■I
Amtsgerichte
LB = Landbezirk
StB = Stadtbezirk
des
Amtsgerichtes
BeTOlkerung
Wegscheid . .
L.-B. Pftssaa
Areal
in
□km
1876
B.-A* WoUMeiii. • . .
B.-A. GnfeiMui ....
B.-A. Deggendorf. .|
Unmittolbwi Stadt
Deggendorf
B.-A. Bogen. •*.•..
B.-A. Viechtach.. .
B.-A. Regen
B.-A. EAtsting.
B.-A. Cham.
B.-A. Boding
B.-A. Stftdtamh«
i
-1
B.-A. Begensbnig
Unnütteltare Stadt
Begenabnig
St.-B. Passau
Vilshofen
Osterhofen
Freynng
Waldkircben
OtUaasa
Hengenbaig
L.»B. Deggendorf.
Si-B. Deggendorf
Bogen
Mitterfels
Viechtach
Regen
Kötzting
Neokirchen
Cham
Furfh
Beding
Nittenau
Stadtamhof
Regenstaaf
Wörth
Kegensburg II ... .
274,04
330,98
265,70
354,67
360,04
880^9«
297^
270,n
4,«
176,51
337.^3
410,75
569,(5
228,n
235,4»
27V
9S,M
806^
284,44
271,M
35ö,M
Be^enahoig I | 17}«r
6,auiung
^anliing
M
.£3
von
von \
o
u
CO
iL ^
0) r-
1875
1880
recht
fakti
:S «
18061
18118
1 ^
26
86181
88888
14 752
15 365
3
150
15.
24 692
25 580
11
15 387
16 081
1 '
15 738
16 382
1
1
13 278
13 605
) ^
17466
17766
—
— ■
17784
18778
5
(
19084
18071
6768
6886
_
18649
18974
18 073
18815
20 772
20 216
—
12
II
26215
25 069
711
71i
13 2.Ö2
11068
13 792
11532
l —
36
8(
17 095
7880
18212
8488
1 ^
1
j
18968
14819
6
■
9766
10857
81887
88868
1
14864
16.466
1 ^
18019
18487
1
1
16518
178«9
1 ^
81604
84616
4
166
44G mi
460 921
r 22""
1126114
I fi966,34
Bemerkung zu Spalte 1 u. 2. Die .Unmittelbaren Städte" RegensbuiS
Biud direkt der K. Kreisregienin^^ untergeordnet. 1
Die Unmittelbare Stadt Regensburg, welche dem bayrischen Walde k«B
St&dtA Passau und Deggendorf bilden den „Stadtbezirk*' des jeweiligen Amtsgerichtes, dl
Beim £intrag der Bevölkerungsziffer von 1875 ist bereits die neue Gericht
Schönbeig. |
üiyiiizea by Google!
— 17 —
W'anderung in den Jahren
204 217
15 '448 46H I 15 md HH 84 ^40 874 HS 888 9.Mi 1262 1297|| 92 ; 1257 1 1349
und D«ggB(idorf bilden keinen Beatandteil des betreffenden Bezirkaamtes, sondern
uizarechnen sein dürfte, bildet den Ämtsgerichtsbezirk Regensbnrg L, die Unmittelbaren
Laiidbezirke dieser Amts^^erichtf sind dem bezüglichen Uezirksauite unterstellt.
Organisation von 1879 mit berücksic htigt. Die Stadt Deggendorf gehört zum Forstamt
Ueogr. liiätter. Br«inwi, 1886. 2
Digitized by Google
— 18 —
Sonntaj^s aus Halbseide in buntem Muster, einer kurzen dunklen
Tuchjacke (Janker), einem Mantel mit lanj^em Kra^jen, endlich einem
Rundhut nnt Schnalle und Band, in welchen bei jün^^eren Leuten
eine künstliche Blume an Silberdraht steckt. Die Knöpfe an Weste,
Jacke und Rock müssen aus blankem Metall, wo möglich aus Silber
(österreichischen Gulden) sein. Zur Tracht der Frauen gehören der
dunkle faltenreiche Rock von Zwimzeug oder Wollstoff, knapper
dunkler Spenzer, blaue Schürze, sehwarzseidenes Mieder mit Gold-
borde, seidenes Hals- und dunkles im Dreieck zusammengelegtes
Kopftadi mit bunter Einfassung, an dessen Stelle beim Kirchgang
die schwarze Spitzenhaube tritt. Die Mftdchen tragen statt der
Stoffe von dunklen Farben hilutig solche von lebhafteren.
Die Wohnweise ist die des bayrischen Gebir^^es: das auf Stein-
unterlage aus behauenen Holzstänunen erbaute Haus des Waldlers
ist mit einem flachen, weit vorspringenden, steinbeschwerten Schindel-
dach, mit Gallerien und kleinen Fenstern verseilen, dabei hie und
da mit Schnitzwerk am Räude des Daches und mit buntem Anstrich
an der Vorderseite verziert; die inneren R&ume sind häufig mit
Brettern getafelt. Abgesehen von den Häusern der Märkte oder
gröüseren Einöd- (£inzel-) höfe sind im Hause mit dem Wohn-
sugleich die Wirtschaftsräume vereinigt Zwischen dem zweistöckigen
Wohnhause des Bauern im Vorderwald oder auch im Hiuterwald
(wie wir deren in der Gegend von Kreuzberg und Freiung gesehen
haben) und den armseligen Holzhtttten im oberen Gebirge, z. B. in
Leopoldsreut siud natürlich sehr mannigfaltige Ab.-jtiifungcü, die
sich nach den Vermögensverliältnissen des Bewohners richten.
Sitte und Brauch sind in Niederbayern mit einigen Ausnahmen
wesentlich dieselben wie in Oberbavern; während in der Ebene
sich bei dem lebhaften Verkehr manche Überlieferung früherer
Zeit verloren, sind im Walde die Bräuche bei Kiudtaufen, Hoch-
zeiten und Begräbnissen wohl im wesentlichen dieselben wie bei
den Altvordern, wir erinnern z, B. an die Ausstellung der mit
frommen Sprüchen versehenen Totenbretter an Kreuzwegen. Die
Kirehweihen werden in den reichen, fruchtbaren Ebenen natOrlich
mit weit mehr Luxus begangen als im Walde, während die Wald-
bewohner mit besonderer Treue an den kirchlichen Festen, den
Wallfahrten u. a. hangen. Berühmt sind die Wallfahrten zum
Muttergottesbilde auf dem Bogenberge und zur Gnade (den heiligen
Hostien) in Deggendorf. Auch die Markttage in den (meist auf
einem Hügel belegenen; Markten sind gewissermafsen Festtage für
das Landvolk, das zahlreich herbeiströmt. Weit verbreitet unter den
Waidlern ist die Gewohnheit des Schnupfeas: sie bereiten sich den
Digitized by Google
— 19
„Brasil" selbst unter Zutat von Kalk und Schmalz, statt iu Dosen
führen sie ihn in gläsernen Flaschchen bei sich. Die Ernährunir ist
besonders in dem oberen Theile des Gebirges eine dürftige; Milch,
Mehlspeisen und K&rtoffeln bilden die Hauptbestandteile. ,
Die InduBtrie.
Wir wollen um die Industrie des bayrischen Waldes, besonders
diejenige, welche sich auf die Produkte des Wäldes, überhaupt des
Bodens stützt, mit einigen Worten besprechen. Wir wenden ans
znnftebst zur HahmdMtne, Wahrend in der benachbarten Oberpfalz,
in Roding, die Anfänge einer Holzschnitzerei in der dortigen vom
Staat und vom Ort unterstüt/teu Ilolzschnitzschule existieren, tindet
sich die Holzbearbeitung als ein Kunstgewerbe, wie es z. B. im
Schwarzwald sich entwickelt hat, im bayrischen Walde nirgends ver-
treten. Die Bearbeitung des Holzes zu Bauholz (BHkbiM ii, Brettern, :
Schindeln) geschieht iu zahlreichen, meist durch Was^erkratt, einzeln
durch Dampf getriebeneu Sagemühlen. Die weiteren iu industriellem
zum Teil fabrilunilMgen Betriebe gewonnenen Erzeugnisse sind
Bretter zn Resonanzböden, Klaviatur-, Geigen- und Deckhdlzer, Holz-
draht, Zflttddraht) Zflndhölzer, Siebzahrten (Holzreifen zu Sieben),
Jalousiebrettehen, Fensterrouleaus, Spiegelleistenstabe, Spähne ver-
schiedener Art, z. B. für Buchbinder, Schaufeln, Rechen, -Schflsseln,
Mulden, Teller, Holzschuhe u. a. In Frauenau besteht eine von
Reichsrat Ritter von Poschinger errichtete Fabrik, in welcher Mubcl,
vorzugsweise Sessel aus gebogenem (erwärmten und gedämpften)
Buchenholz hergestellt werden. Die Fabrikation von Kesonanzholz
ist jetzt uur uoch durch ein Etablissement bei Finsterau, eine ober-
schläcbtige übersetzte Schneids&ge vertreten, die iu den letzten
Jahren Rohmaterial (astfreies, in gleichmäliiigen Jahresringen ge-
wachsenes Holz) im Wert von 2 — 4000 A aus dem benachbarten
Staatsrevier bezogen hat Das im Jahr 1883 erzeugte geringe Quan-
tum: 8 Kisten Resonanz- und 140 Bund Klaviaturholz, zeigt den
Rückgang dieser Industrie. Ehedem war sie bedeutender, ihre Er-
zeugnisse vermochten sich jedoch nicht gegen die Produkte Oaliziens,
Siebenbürgens, Russlands, Schwedens, ja selbst Amerikas zu be-
haupten ; besonders emphndlich erwies sich, vermöge der billigen
Eisenbahutarife für mehrere Wagenladungen, die galizische Konkurrenz
nach den Absatzgebieten am Ilbein. Man verspricht sich eine
günstige Wendung, wenn die projektierte uutere Waldbahn zur Aus-
führung kommt und An- und Abfuhi* bis zur und von der Fabrik
auf der Bahn geschehen kann. Die Rouleaudrahtfabrikeu (z. B. iu
Zwiesel) liefern die Stäbe fOr Rouleaufabriken in Thüringen
Digitized by Google
I
(Gr. Breitenbach), im Eichsfeldschen, und in Paris. Pillenschachteln,
10() Stück zu 1 werden in den benachbarten böhmischen Grenz-
bezirkea von der llau&mdustrie geliefert und von Zwiesel aus nach
England exportiert
Zündhölzer werden in grofsen Men^^en im bayrischen Wald ge-
fertigt, in Packen ?on 16000 Stock, in Fässern verpackt und an
ZflndholzüiUiriken bei Köln im Lauenburgisdien, lächsfeld n. a. ver-
schickt. Maschinen (die z. K in Passan angefertigt werden) ser-
stücken, spalten und stofeen das Holz in die gehörige Form.
Wfthrend die Bearbeitung des Rohholzes nnd die Glasindnstrie
recht eigentlich im bayrischen Walde heimische, naturwüchsige Ge-
werbe sind, trat in neuester Zeit, bei der bedeutenden technischen
Entwickelung der Papierfabrikation, ein neuer Industriezweig in der
Herstellung von Holzstoff zu Pappen und Papier auf, gestützt haupt-
sachlich auf die reichen Holzvurrilte des Waldes und auf die in
zahlreichen Flüssen und Bächen sich bietenden bedeutenden Wasser-
kräfte. Im bayrischen Walde bestehen mehrere grofse Holzstoff-
fabriken mit Turbinenbetrieb (von je 300—600 Pferdekräften); in
allemenester Zeit wurde eine solche bei Teisnach errichtet^ wo der
Regen zwei Turbinen (Jede zu 900 Pferdekrftften) betreiben soll
und ein weiteres Etablissement der gleichen Art wird in der N&he
der bedeutenden mechanischen Papierfabrik an der £rlaa gebaut
Auch hier, wie bei der übrigen Grofslndustrie des ba3rrischen Waldes
machen sich der Mangel an guten Strafseu und die Abgelegeuheit
der Eisenbahn als grofse Nachteile geltend. In Passau wird die
Fabrikation von Cellulose, Grünstrohpapier und ähnlicher Erzeug-
nisse, bei den trefflichen Eisenbahn- und Wasserverbindungen dieser
Stadt nach allen Richtungen, schwunghaft betrieben.
Ein wichtiges Gewerbe war und ist im bayrischen Walde die
Glasindustrie. Über diese geben wir zunächst einige Mitteilungen,
welche wir einem Fachmann, Herrn J. Fabdt in Dresden, verdanken.
Sie wurden vor drei Jahren geschrieben.
jyWie alle grodsen Waldkomplexe, so haben anch die des bay*
risdien Waldes von altersher die Glasindustrie angezogen, man betrach*
tete diese als zu jener Zeit das einzige Mittel zur Verwertung der
ungeheuren, beim Mangel von Verkehrswegen sonst so gut als ganz
wertlosen Holzbestände. Darin ist man unstreitig dem böhmischen
Beispiel gefolgt und iiat auch zu dem Behufe bühniische Glasarbeiter
herangezogen, wie dies heute noch au dem Charakter der Erzeug-
nisse des bayrischen Waldes zu erkennen ist. Der Ursprung der
Hütten Niederbayerns fällt mutmafslich schon in die zweite Hälfte
des 15. Jahrhunderts, es sind indessen zuverläfsige geschichtliche
Digitized by Google
— 21 —
Daten schwer zu ermitteln: ihre Entwickelung mufs bis zu Ende
des 16. Jahrhunderts sehr geringe Fortschritte gemacht haben, denn
wir finden darüber in den verschiedenen geschichtlichen Abhand-
inngen der Glasindustrie nur sehr spflrliche Andeutungen und selbst
das sehr grandliche Werk von Albert Hg (Lobuieyr Glasindustrie)
enth< hierüber nichts. Erst von 1606 an, seitdem die bis dahin
entstandenen Glashütten in den Besitz der Vorfahren der Familie
von Poschinger abergegangen sind, kann man von einer Glasindustrie
des bayrischen Waldes überhaupt sprechen und diese auch näher
verfolgen. Ihr Mittelpunkt ist die kleine Stadt Zwiesel, die vor
kaum 9 Jahren durch den Bau der bayrischen Gebirgsbahn ihrer
Waldeseinsanikeit entrissen und mit der Aiifsenwelt in eine rasche
Verbindung gesetzt wurde. In ihrer nächsten ümgehuni? waren zu
Anfang des 17. Jahrhunderts 3 Glashütten, heute bestehen daselbst
15 mit 21 Schmelzöfen und groTsen Wasser- und Dampfschleifereien;
auf 11 Öfen wird Tafelglas, auf 10 Uohlglas erzeugt; weitere 4
Hatten liegen etwas entfernter, von diesen sind 2 zu obiger Gruppe
zu rechnen, wahrend die beiden anderen das Ealbfabrikat, Spiegel-
glas liefern, welches in Farth weiter verarbeitet wird und unter der
Benennung „Nürnberger Spiegel" allgemein bekannt ist.
Die Gesamtproduktion der niederbayrischen Glashütten kann
man auf jährlich 3 bis S'/a Millionen Mark veranschlagen.
Die natürlichen Vorteile für die Glasindustrie lagen hier in
dem bisher überaus niedrigen Preise des Bremihoizes und in der
Benutzung vieler Waldbäche mit gutem Gefalle; die Hütten haben
dadurch nicht nur eine sehr billige Betriebskraft für ihre Schleife-
reien, sondern eine nicht hoch genug anzuschlagende Erleichterung
in dem sonst kostspieligen Transport des Brennholzes. Dieses wird
in den Wintermonaten geschlagen, gespalten und im Frttl^ahr bei
Hochwasser bis in den Hüttenhof geflüfet oder geschwemmt Früher
konnte man bei der UnvoUkommenheit der Glasüfen nur gutes
Scheit^ oder Prügelholz verwenden, durch Einführung des Siemens^
sehen Regenerativofensystems werden aber heute auch alle Holz-
abfalle. Wurzeln, Reisig u. a. beim Schnielzprozefs verwertet. Es ist
durch diese Einrichtung die Lebensfähigkeit der Hütten auf lange
gesichert, denn wenn seit dem Bestehen der Eisenbahn die Möglich-
keit der Ausfuhr von FIolz erhöht ist, und die Holzpreise eine
wesentliche Steigerung erfahren müssen, so bleibt den Hütten durch
Abfalle und minderwertige Sorten auch dann noch ein genügendes
Quantum Brennstoff zur Verfügung.
Der Stand der ntederbayrischen Glasindustrie war bis zur
Gegenwart ein recht blühender zu nennen; die Tafelhütten hatten
— 22 —
in ihrer näheren Unitzobuni; ausreichende Reschnftisrnng und wurden,
dank dorn ManL'ol an Yerkehrswoiren von der Konkurrenz des tiachcn
Landes nicht bi'lielliirt. Einige SpezialitAten, so namentlich farbige
Tafeln und Uhrstiirzeu — die einzij<e Bezugsquelle letzteren Artikels
in Deutschland — haben sich ein über fast ganz Deutschland ver-
breitetes Absatzfeld erworben.
War nun die abgesonderte Lage dieser Hatten insofern
gflnstig, als die nnter den Glasmachern zur zweiten Natnr gewordene
Wanderlust nicht in einer Weise um sich greifen konnte, nm den
Betrieb zu st5ren, so wufsten auf der anderen Seite die Hotten-
besitzer, unter denen die Familie von Poschin^rer, deren Mitglieder
heute allein 12 der aufgeführten Öfen betreiben, eine hervorragende
Rolle spielt, die Na( hteile ihrer Absonderung dadurch auszugleichen,
dalü sie mit eifrigem Streben bemüht waren ihre P'abrikate, beson-
ders in der Ilolilgiasbranche, stets zu verbessern und durch Bereisen
der Weltmärkte sich ein Absatzgebiet zu erobern, das über die
Grenzen des deutschen Reiches hinaus geht. — In der That rivali-
sieren die Erzeugnisse in TrinkgefaCsen und Farbenglasern einiger
der gedachten Hütten mit den besten böhmischen Fabrikaten, mit
denen sie auch nach ihrer chemischen Zusammensetzang — Kali,
Kalk, Ghis — identisch sind. — Ein paar gigantische Vasen von
3,80 m Hdhe in den bayrischen Farben (Alabast^ nnd Tnrquis)
von Steijrerwald haben auf der Weltausstellung in Paris 1867 gerechte
Bewundrruiu hervorgerufen; die schönen iiierglüser, sogenannte
Stammseidel, in geschmackvollen Formen und mit oft reichem kor-
rekt ausgeführten SchliflF, die mau in allen Städten findet, sind zum
grofsen Teil Erzeutinisse des bayrisdien Waldes.
Ein weiterer Umstand, welcher den genannten Glasfabrikanten
zum Nutzen gereicht, ist das unter ihnen herrschende koUegiaiiäche
nnd freundsch.iftliche Verhältnis.
Ob die Verkehrserleichterungeu durch die Bahnverbindung dieser
Gruppe von Glasfabriken zum Nutzen oder Nachteil gereichen werden,
bleibt vorerst noch eine offene Frage und hängt viel von den An-
strengungen des Fabrikherrn ab. Jedenfalls ist dadurch das patriar^
chalische Verhftltnis zwischen Hüttenherrn und Arbeitern gefthrdet
wordni. Die Hütten sind den örtlichen Verhaltnissen oder Kunden-
kreis angemessen nur khMU angelegt, sie sind den grofsen Tafelglas-
fabriken in Westfalen und der Rheinprovinz nicht ebenbürtig; es
droht ihnen von dort aus eine verhan2:nisvolle Konkurrenz, auch
könnten sie in vielen Artikeln der Ilöhlglasbranche durch das billigere
Ualbkrystali der rheinischen und lotliringischen Hutten, sowie durch
das sich von Tag zu Tag mehr bei nns einbürgernde Prefsglas,
Digitized by Google
— 23 —
welcher Fabrikationsweise sie sich bisher noch nicht angeschlossen
haben, leicht ans dem Markte verdrängt werden."
Im Kreise Niederbayern gehören an 300 Grois- und Klein-
betriebe der Glasindustrie an ; der Sitz derselben ist der bayrische
Wald. An die Stelle des Holzes als Feuerungsniateriiil ist jetzt
zum Teil die auf der Bahn herangeführte böhmische Braunkohle
getreten. Das Rohmaterial der Fabrikation wird aus verschiedenen
Gegenden bezogen: Quarzsand aua Sachsen, Pottasche und Metall-
oxyde aus Böhmen, Soda aus Bayern nnd Lothringen, Kalk aus
Bayern. Glashatten bestehen in Riedlhatte, Frauenan, Schönbach-
hatte bei Bodenmais, Seebachhtttte, Drachselsried, Lambacii, Regen-
hatte, Buchenau und Oberzwieeelao.
Mehrfach ist mit dem Glashattenbetrieb ZSbiäMolgf(ü>rQuiMim ver-
bunden. Über einige dieser Fabriken finden wir in den Berichten der
Handels- und Gewerbekammer für Niederbayern Mitteilungen, die einen
gewissen Einblick in Art uud Umfang des Betriebes gewähren. So
betreibt H. G. Roscher in Riedlhütte, Post Spiegelau, die Fenster-
glasfabrikation mit direkter Holzfeuerung und als Nebengeschäft
Zündhölzerfabrikation mittelst Wasserkraft. Die 1836 ^^e^^^ündete
Krystallglasfabiik Theresienthal bei Zwiesel hat eine Wasserkraft
von 20 Pferden und zugleich Dampfbetrieb, das Erzeugnis ihrer
Schleifwerke wird im deutschen Reich, in Belgien, England und
Nordamerika abgesetzt Die Krystallglasfabrik von W. Steigerwald
in Begenhatte erzeugte 1883 6000 Centner Glaswaren. Die Hohl-
glasfiibrik Ton L. Stangl in Spiegelau erzeugt halbweilses und wei&es
Krystall- und Farbenhohlglas, daneben betreibt sie die Fabrikation
von kurzem Holzdraht, Jalousiebrettern und -Stäben. Absatzgebiete
sind für Holzwaren Bayern und das Rheinland, für Glas Bayeru und
Elsafs. Die 1854 gegründete Glas- und Holzwarenfabrik von Gebrüder
Stangl in Lichtenthai bei Zwiesel fabriziert als Spezialität Miniatur-
spiegel. Sie verarbeitet jahrlich 6000 Ster Scheite und 700 cbm
Blocbholz. Der Wert der jahrlichen Produktion dieser mit Maschinen
arbeitenden Fabrik wird auf 200000 A angegeben. Die Krystall-
labrik von W. Steigerwald in Riedlhütte liefert feine Holzglaa-
waren und Zandholzdraht, die Glasfabrik von F. Schenk in Schön-
bach, Post Bodenmais, rohe Spiegelgläser (im Jahr 1883: 5000 Gentner).
Durch den besonders im vorderen Wald betriebenen Flachsbau
wurde die LeinmmdmaiiriB als Hausgewerbe ins Leben gerufen und
noch immer beschäftigt die Herstellung von „Passauer Leinen", das
besonders in Süddeutschland abgesetzt wird, zahlreiche Hände in
kleinen Betrieben, wobei meist österreirhi>che uud belgische Game
verarbeitet werden. In Passau besteht eine Weberschule. Viele
Digitized by Google
— 24 —
sogenannte Hansirweber ziehen mit geringer Ware von Ort sm
Ort; doch besteht als gröfseres Etablissement noch heute in Obern-
zell die 1781 ge'iiündete Leinweberei und -Bleiche (üonald).
"Wir wenden uns zu der Ausbeutung der mineralisdien Hoden-
schätze. Bonrbau findet sich nur bei dem unteiui grofsen Arber
bcleuonon Bergflorf Bodenniais; bier liefern die Erzlagerstätten des
Silberbergs Majinet- und Schwefelkiese, welche auf dem Königlichen
Hüttenwerk zu Polierrot (Potce) und zu Eisen- und gemischten Vi-
triolen verarbeitet werden ; Nebenprodukt ist Alaun. Die Produktion
betrug im Jahr 188B 335620 kg Pot^e (welche teils ordinftr, teils
raffiniert nicht nur im deutschen Reich, sondern anch in Österreich,
Rufsland, Frankreich und Belgien abgesetzt wird), 182260 kg Eisen-
vitriol, 41152 kg gemischte Vitriole und 1000 kg Alaun.
Femer sind die Gewinnung von Thon- und Porzellanerde, die
ansjjedehntenGraphituruben von Pfatienreutb, Gennaiinsdorf, Leitzers-
dorf, eiKllich die (irnnitstoiiilii iiche bei Metten, Deggendorf, Vils-
hofen.Cham, Kothmaisliiig, Ilaiizenberg, am Lüsen und Dreisesselberg,
zu erwähnen. Die Grai>hitscbnielztiegelfal)rik von Saxinger ia
Obernzell liefert jährlich Fabrikate im Wert von 300000 A;
die Fabrikation erfolgt mittelst vom Wasser bewegter Maschinen.
Unter den Steinbrüchen sind besonders die von Normannschen
Granitwerke bei Vilshofen und Fürstenstein bedeutend, sie liefern
sowohl Pflastersteine, wie Hausteine für Hochbauten.
Im übrigen kann hier auf die Industrie des bayrischen Waldes,
namentlich die Rüböl-, Mehl-, Tabak-, Ziegel-, Leder- und Maschinen-
fabrikation, die Brauereien, Brennereien n. a., zum Teil bedeutende
Betriebe, nicht naher eingegangen werden.
Landwirtschaft. Die Birkenber^e. Waldarbeit. Viehzucht.
Dr. Günibel hebt am Scbhifs seiner geologischen Skizze her-
vor, dafs die obertiächlicbe Zersetzung, Zerbröckelung und Ab-
witteruog der ursprünglich festen Gesteinsmassen des Untergrundes
nnd dip Vtnschwemmung des hierdurch erzeugten Gesteinmaterials
dem Walde die gegenwärtige Gestaltung der Oberflache und die
pflanzennabrende Decke gegeben habe. Das durch meteorologische,
chemische und mechanische Einwirkungen geschaffene lockere Erd-
reich, an dessen Ausbildung die Zeit unermüdlich fortarbeitet, ist,
wie Gümbel sagt, der edelste Schatz, das Brodfldtz des Waldes.
Die flacheren und eingetieften Mulden sind mit oft tiefgründigem
Lelun ausgefüllt, der stellenweise selbst zur Ziegelbereitung brauch-
baros Rohmaterial liefert. Er ist das Erzeugnis des zusanimeu-
rinneuden Regeuwassers, welches die zersetzten thooigea Teile von
— 25 —
den BergabbangeD nach und nach wegschwemmt und den Vertiefungen
zuführt.
Neben den Bodenverhältnissen ist der Feldbau, wie überall, 80
auch im bayrischen Walde, von den klimatischen Einwirkungen und
der H^enlage abhängig; hauptsächlich werden Roggen, Hafer,
Kartoffeln, Flachs und Fatterkrftnter gebaut; dem Weizenbau sind
Boden mid Klima ungünstig. Granit und Gneifs sind die Tor-
herrschenden Felsarten; je nach dem Mafse der Verwitterung der-
selben nnterscheidet man Sand- und Lehmboden; daneben noch den
durch Herabführung der Verwitterunfxsprodukte mittelst Hegen- und
Schneewasser in die Thiller gebihleten aufgeschwemmten Boden.
Der letztere bildet ziemlich ausgedehnte Flächen an dem nördlichen
Ufer der Donau und zeichnet sich hier nieist durch grofse Frucht-
barkeit aiis.^\) Diese und die Ländereien in den von Nord nach
Süd ziehenden Thäleru des inneren Waldes sind vor den rauhen
Nordwinden geschützt, wahrend der Nord- und Ostwind über die
Hochebenen, Bergrücken und östlichen Abdachungen zum Nachteil
der Vegetation ungehindert hinziehen kann. An der Nordseite und
in den höheren Lagen leidet die Bodenkultur natürlich auch durch
die längere Daner der Schneebedeckung.
Am frühesten tritt die Ernte in jenen Iftngs der Donau ge-
legenen Ebenen ein. Etwas später erfolgt sie in den Gegenden von
Kölztim^ (385 m ii. M.) und bei dem noch etwas höher gelegenen
Hauzenberg; doch erntet man bei letzterem Markt in der Kegel
um ein paar Wochen fiüher als bei Regen, das nicht ganz so hoch
und bei ^chönberg, das noch um etwa 27 m höher lieLrt, als
Hauzenberg. Bei dem noch etwas hoher gelegenen Grafenau erntet
man wiedemm 8 — 14 Tage später, und bei Zwiesel, Bodenmais und
auf den Berghöhen nm Bischoferent erfolgt der Komschnitt am
spatesten.
Ober diese höchstgelegenen Gegenden des bayrischen Waldes
folgen hier noch einige vom Verfasser an Ort und Stelle gesammelte
Hitteilungen.
Zur Aussaat gelangen auf den Äckern in der Gegend von
Bischofsreut, deren mittlere Höhe ü. M. auf 1000— llüO m an-
genommen werden kann, nur Sommerkorn. Hafer und Flachs, ferner
die Kartoffel. Auch ist (h-nsnut::nmj und Wiesoihau einträglich.
Die Zeit der Aussaat richtet sich nach der des Eintritts des Früh-
jahrs, beziehentlich nach der des Schneeabgangs, welcher in der
Regel in die Zeit zwischen der letzten Woche des April (frühestens)
") Yeigleiche 11 Lidl, landwirtaehaftllche Reiae durch den bayrischen
Wald, 1866.
Digitized by Google
— 26 —
und der letzten Woche des Mai fftllt, ansnalnneweiae Jedoch anch
erst AnfanßT Juni stattgefunden hat. Im Winter betragt die Schnee-
bedeckun^ bei Bischofsreut in der Regel 1, in schneereichen Wintern
auch wohl 2 m. Die Erntezeit für Sommerkorn und Hafer fällt in
der Gegend von Bischofsreut in der Regel in den September, öfters
sogar in <len Oktober; die Kartoffeln werden regelmäfsig erst im
Oktober, auch wohl im November gewonnen. Die Heuernte ist
gewöhnlich £nde Juni. Dabei kommt es h&ufig vor, dafs die Ernte
erst nach eingetretenem Schneefall eingeheimst wird. Landwirte,
die etwas s&ttmig aind oder wenige Arbeitskräfte zur Verfflgang
haben, mfissen es mitunter erleben, dafo auf abgelegenen Feldern
Hafer und Flachs einschneien; tauscht dann die Hoffhung auf den
Wiedereintritt winnerer Witterung, so geht die ganze Ernte zu
Grunde.
Im Jahre 1881 trat der erste Schneefall am 4. Oktober ein, am
20. Oktober wieder Schneefall, darauf jedoch bis zum 2ü. Dezember
die schönste, häufig warme Witterung; mit letzterem Tage begann
1881 der Winter. Im Jahre 1880 trat der erste Schneefall am
22. Oktober ein, dann war bis Mitte Dezember warme Witterung, erst
um diese Zeit erfolgte reichlicher Schneefall. In den Jahren 1875
bis 1879 war der Boden von Anfang November bis aum FrUlgahr
mit Schnee bedeckt
Nach vielj&hrigen Erfahrungen glaubt unser Gewährsmann fOr
die Gegend von Bischofereut sagen zu können, dafe die Winter eine
fiiebenmonatliche Dauer — von Mitte Oktober bis Mitte Mai — haben.
Wirtschaftlich macht sich der WUterungseinflufs in diesen höchsten
Cregenden des Gebirges dadurch geltend, dafs für die Zeit der Bestellung
der Felder gegenüber den dringlichen Aufgaben zu wenig Arbeits-
kräfte vorhanden sind, wahrend in der ganzen übrigen Zeit viele
Arbeitskräfte un verwertbar sind und gezwungen feiern. Dieses seit
Generationen fortbestehende, in jedem Jahre, ja, fast iu jedem Monat
sich wiederholende Feiern und Stocken der Arbeit hat den Waldler
so sehr an langsame und zögernde Arbeit gewöhnt, dafs er unfähig
ist, in jenen kurzen Zeiten, wo die Arbeit drängt, seine Leistungen
entsprechend zu steigern. Immer auf Änderung der Witterung
hoffend, lauft er eher Gefahr, daüs die Ernte halb verdirbt, als dais
er sich entsehlteCtt, fremde, also zu bezahlende Arbeitskräfte heran-
zuziehen, um mit ihrer Hfllfe die Frflchte rechtzeitig einzuheimsen.
In jenen hohen Lagen des Waldgebirges wirft die Landwirt-
schaft nicht gciiu- Feldflüchte ab, es müssen deren also eingetülirt
und der Preis derselben mufs durch Arbeit verdient werden. Die
Arbeit&gelegeoheit besteht hier nun lediglich in WcUdardeU, im
L.iyui^L,J cy Google
— 27 —
Winter besonders im Transport von Holz aus dem Revier zn den im
Frühjahr zu erötfnenden Triften. Der winterliche Traiisjjort von
Holz ist nur bei Schnrclaiie möiilicli, schncereicbe Winter sind
daher im Interesse der Waldbevölkerung, schneearuie ein Unglück
für sie. Übermafs von Schnee freilich, insbesondere andauernde
Schneemassen, Schneestürme, Schneetreiben erschweren oder ver-
hindem den Zag des Holzschlittens auf den verw^ten Bahnen.
Der Hinterw&ldler verdient beinahe das ganze Jahr im Staats-
walde: im Frühjahr, Sommer nnd Herbst mit Kultur-, Wege- und
Triftbauarbeiten und insbesondere Holüfabrikation ; im Winter mit
dem Anzug der Blöcher nnd des Scheitholzes auf der Schneebahn zu
den Triftbachen. Bei der Holzaufarbeitung kann ein fleifsiger Arbeiter
2 — 2.20 c#. per Tag verdienen; im Winter bei der allerdings ausser-
ordentlich beschwerlichen Arbeit des Schlittelns ebenso viel,
in der Regel sogar noch mehr, was bei den kurzen Tagen zu
beachten ist. Erfordert das Werfen der Baumriesen des bayrischen
Waldes sclion mehr als gewöhnliche Geschicklichkeit, so nimmt
dagegen das Holzziehen die ganze Kraft und Ausdauer eines Hannes
in Anspruch, da der Schlitten in der Regel mit Vit'-2 cbm Holz
beladen ist, und auf ebener oder mftfsig geneigter Bahn gezogen,
auf stark geneigter Bahn dagegen mit aller Anstrengung gehemmt
und gelenkt werden mufs; UnglUcksfiÜle bei diesem gefthrlichen
Geschftfte sind nicht selten.
Wie bedeutend die Waldarbeit und der Ifolztraiisport unter
Umständen ist, dafür ein Beispiel. In den der Oberförslerei liischofs-
reut unterstellten Revieren wurden im Jahr 1880 27— 28 (XX) Ster
(Raummeter) Holz geschlagen, die sämtlich im Winter 18^0 81 zu
verwerten nnd zu verLreben waren, davon wurden etwa li^üUO Ster
vertriftet. Die Zahl der in den verschiedenen Waldorten der Reviere
zerstreuten Holzhauer betrug 250 Maiin, die Staatseinnahme aus
dem geschlagenen Holz 110000 Jk
Besonders oft finden wir unter den Ortsnamen bei Bischofsreut
die Endung „reut'\ welche auch in anderen Gegenden des bayrischen
Waldes, wie Überhaupt in manchen Waldgebirgen Deutschlands auftritt.
Hier sind diese Ortschaften alle ans Kolonien hervorgegangen, welche
die Fürstbischöfe von Passau in diesen früher völlig unbewohntt n und
fast ertragslosen Gegciidni ins Leben riefen. So wurden Lcopoldsreut,
Biscliofsrt'ut, Auerspergsreut und andere Dörfer in diesen höchsten
Teilen des Waldes gegründet. Das den Kolonisten zu geringen Preisen,
vielleicht umsonst, gegen Rodung zugewiesene Land reichte damals aus,
die Kolonisten zu ernähren, denn zu jener Zeit war die Verehelichung
und Niederlassung von der Zustimmung der Gemeinde abh&ngig.
— 28 -
Unser Gewahrsmann schreibt weiter : Die Freizügigkeit, Erleichterung
der Verehelichun^en u. a. hat grofse Nachteile zur Folge gehabt:
die Anwesen, welche nrsprün'-rlich eine Familie ernährten, wurden
geteilt und wieder geteilt. Die BovolktTuiig verläfst inmcrn den
Wald, sie zieht aber, wenn der Wegzug notwendig, lieber nach
Amerika als in die nahen Städte; der nur laugsam steigende Ver-
dienst mit Waldarbeit reicht nicht aus, die stetig zunehmende Be-
völkerung zu ernähren«
£8 ist bereits der „Birkmberge^*^ als einer dem Walde eigen-
thflmlichen landwirtschaftlichen Betriebsweise gedacht Mit Hfllfe
eines uns gütigst zur Yerf&gang gestellten amtliehen Berichtes
können wir eine nftbere Mitteilung hierQber geben in der Beschreibung
der Birkenberge im Reviere Draxelsried (Forstamtsbezirk Zwiesel) :
Dft aiclierlioh sw«i FUnfteito siiiitlieber Privatwaldiuigta d«i Bevier-
besirkM Diaxekried, jetit Ob«med, togenaaiite Biikenbeig» sind, welche (ao-
naeh mit einer FUche von nngefiUir 16000 Tagewerken k Vs ha) eine gans
eigentamliche Betriebsart bilden, so sei es erlaubt, die hierfiber gemachten Er-
fehrnngen hier in KQrze niederzulegen.
Der infolge des ranhon Klimas geringe Ertrag der Felder verweist die
Ijandwirtschaft vorzüfihch auf die Viehzucht. Um die Kälte des landwirtschaft-
lichen Bodens zu mindern und seinen Ertrag zu erhöhen, ist Diiii^'er und hierzu
Streu nötig. Die Viehzucht bedart der Weide, ohne welche em starker Schlag
von Hornvieh nicht gedeiht
Streu und Weiden also shid es, die der Landwirtschaft des Wildlers not-
wendig sind. DringendenüEdls bezieht er seinen Streubedarf auch aus den
Sehwanwaldungen; aber da diese gewöhnlich viel höher liegen und unsngftng-
licher sind, so hat er sich nach und nach in nichster Umgebung seiner Feld-
und Wiescugründc eine eigene Waldart enogen, die sogenannten Birkenberge,
welche ihm durch ihren Laubabfall den gröfsten Teil seines Streubedarfs ver-
BchafTen, während anter der liditen Beschattung der kleinbl&tterigen Birken
Gras und Kräuter für sein Weide vieh wachsen.
Diese Birkenberge bestehen zumeist aus Birken. Die Fichte spielt in den-
selben nur eine untergeordnete Rolle. Sie wird nur soweit geduldet, als sie
den Schlafs nicht so sehr vermehrt und dem Graswachse keinen Eintrag bringt
Da sie bei jeder Verjüngung tmd auch sonst an lichten Orten sich immer wieder
einfindet, so wird sie absichtlich entweder schon in ihrer Jugend Ton den Hirten
du»^ Ausrei&en mit der Wursel oder spfiter mit der Hacke entfernt
Die Verjüngung dieser Birkenberge geschieht durch die sogenannte Reuten-
oder Hackwaldwirtschaft im 20* bis 40jährigen Turnus. £s sind n&mlich dieselben
in sogenannte Keutpliltze eingeteilt, von denen jährlich die eine oder andere, je nach
der llauijarkcit des darauf stockenden Holzes, oder nach dem Bedarfe oder dem
germgcu Erlrage an Weidegras zur Nutzung kommt. Dies geschieht durch kahlen
Abtrieb mit Belassung von nur etlichen Saraenbäumen per Tagewerk.
Der Uulzerirug lät je nuch dem Wüchse und der Dichtheit der Bestockang
TSischieden und schwankt swischen 8 und 16 Normalklafter, so dals der Dnreh-
schnittssnwachs auf jfthrlich 0^49 Klafter geschStst werden kann.
Nach dem Abtriebe wird der Boden entweder durch Aufinden des auf
demselben nmheigestreuten Beisigs, durch ein sogenanntes Flnrfeuer abgesengt
— 29 —
and dann umgehackt; die durch das Verbrennen des Reisigs und Überholzes
gewonnene Asche wird sodaun in den Boden gebracht und mit diesem vermischt,
oder es wird die Rasendecke abgehoben und mittels des angezündeten in Haufen
gefiammelten Beisig» Terbnumt Die »uf letstere Weise gewonnene Basenaache
wird auf den Boden Twteilt und diese dnieh Knnliaeken aom Anbau Ton
'Winterkorn im ersten und von Sommerkom im sweiten Jahre faa^ch gemacht
In besseren Lagen wird auch hier und da das sogenannte Heidekom
(Hoadnbrein) mit bestem Erfolge gebaut. Findet noch ein weiterer Fruchtbau im
dritten Jahre statt, so wird hierzu Hafer oder die Kartoffel gewählt Je mehr Jahre
dieser Fruchtbau nacheinander stattfindet, desto verderblicher für den "Wiederwuchs
der Birken ist derselbe, da die Ausschlagkraft der Stöcke sich verliert und
eine Bestockung dann mehr von dem tSamenabfall erwartet werden niufs.
Der Fruchtbau auf solchen Bentplatzen ist oft ziemlich ergiebig und wird
in der Bogel Ton den Banem ihren Inwohnern oder Hftnslem all Lohn Ar ihre
Dienste überlassen nnd angerechnet
Die Bent- oder Biedeiptttae werden in der B«gel sogleich nach dem Ab-
triebe des daranf stoßenden Holzes mit den aus den vorhandenen Fichten
gewonnenen Stangen gegen das Weidevieh verzäunt, oder im Notfalle doch mit
Strohwischen dem Hirten kenntlich gemacht. Diese Schonung vor dem Weide-
vieh soll nach dem Fruchtbaue noch durchschnittlich 6 Jahre dauern. Wo das
Weidevieh, wie es fast allgemein der Fall ist, unmittelbar nach demselben
zugelassen wird, bestocken sich die Flächen nur langsam und mangelhaft, sie
bleiben lange und viele Jahre öde liegen und der Boden verarmt Nach Verlauf
Ton nngefthr 10—12 Jahren wird schon Stren gerecht
Wie der Fdvale anf Biri^fn, so ftbte der Staat in den den Ortsohaften
nichst gskgenen Talen seiner Waldungen firfther (noeh vor 60 Jahren) andi
die Beuten- oder Waldfeldwirtschaft anf Fichten. Nach dem Fruchtbaue
erschienen nftmlich Fichten und Birken, welch letztere ergidiig^ nnd wertvolle
Zwischennutzungen geben, wihrend die ersteren i^Ster reine, gnt geschlosMne
Bestände bilden.
So schnell und gut jedoch der Wuchs dieser auf Reuten emporgekommenen
Fichten in der Jugend und etwa bis zum öOsten Jahre ist, so fängt er doch in
diesem Alter an, immer mehr abzunehmen. Der ohnehin nicht bedeutende
H5hewoehs da auf nnd die St&mme werden leicht rotfiral
Die Erklärung dieses ümstandes sowie der Thatsache, daS& der Ertrag
auch der Birkenbeige an Hols, Flrnchti Streu nnd Gras nach dem Yerhiltnisse
der mehr nnd mehr abnehmenden Bodengftte immer geringst wird, liegt
-vielleicht aiehi ferne. Das durch Verbrennen des Bcisigs und Übnholses sowie
der in der Basendecke enthaltenen Graswurzeln erzengte Kali entwickelt aller-
dings nicht nur auf das Gedeihen der Feldfrüchte, sondern auch auf den Wuchs
der Holzpilanzen in ihrer Jugend einen günstigen, befördernden Einilufs.
Aufser dem Holze, welches bei der Birkenbergwirtschaft eigentlich nur
die Nebensache ist, liefert 1 Tagewerk solcher Bestände im Durchschnitte jähr-
lich 1 zweispänniges Fahrtl Waldstreu (Laubrechstreu). Die Gewinnung dieser
leichten und den zumeist mit Grasnarbe überzogenen Boden nur dünn
bedeckenden BiikcnlaubsUeu hat manche Schwierigkeiten und Hindernisse.
Winde verwehen sie leicht, nasse Witterung hindert häufig ihre Sammlung und
im FHkhjahre ist es nicht selten, dab das Gras dar&ber hinaoswichst, ehe sie
gewonnen werden kann. Sie wird nftmlich mm Teüe im Herbste, snm Teile
im FrAbjahre gsreeht
Digitized by Google
— 80 —
BesOglidi der Weide endlidi, welche den HMiptertxag der Birkenbeige
liefom molii, wire enianehmen, dab 3 bis 6 Tegewerke ein Stftck Hommk
dQrehsehnittlidi gat ernibren oder im Bevierbeadce DrezelBried wenigstens sa
eznibren haben.
Die Weide besteht aus der sogenannten Heimweide für das Kahvieh in
der nächsten Umgebung der Ortschaffen, damit zur Molkzeit heimgetrieben
werden kann, und aus der Hochweide für die Stiere und Ochsen, welche von
Mitte des Monats Mai bis Mitte Oktober in den Waldongeu verbleiben und dort
im Freirn oder auch in Bcrgstallen übernachten.
Bezüglich der Weide rnuis aber bemerkt werden, dalü sie im Bezirke des
BeTiers Diazelsried ULnfig dem Holswnchse schfidlidi wird, indem in manchen
Gemeinden der Viehstand tn- groJs ist nnd die oben bemerkte Schonnngineit,
sowie die n5tige Tsgewerksahl fSat 1 Stftck Weidevieh nicht eingehslt4in wird.
Hiena kommt noch hie nnd da das Mittreiben der Geisen, deren Hanl selbst
Birkenpflanzen nicht verechont.
Die Birkenbergwaldfeldwirtschaft erfüllt somit in solange, bis die Produk-
tionsifthigkeit des Bodens erschöpft ist, viererlei landwirtschaftliche Zwecke :
a) sie giebt Nahrung dem zahlreichen Viehstande des Waldlerlandwirts.
Im Alter von 5—6 Jahren verkauft er die herangewachsenen Stücke
snr Mast oder zu w^eiterer Benutzung uud erhält so bares Geld,
welches neben dem Leinwandverisaafs seine einzige Einnahme ist;
b) sie verschafft die fOr den sahireichen Yiehstand nötige leicht bei-
ffthrbare Stren nnd für die Felder den nötigen Dflnger. Nebenbei
bewirkt sie dadurch, daüs die Schwarzwaldnngen vor den Anforde-
rungen an Bechstren bisher liier noch ziemlich verschont bleiben;
c) dem ärmeren Inwohner und ü&usler ersetzt sie den hinlänglichen
Besitz von liegenden Gründen, indem ihm jährlich eine oder die
andere Kcuttiäche zur Bearbeitung und Benutzung überlassen wird;
d) endlich erfüllt sie zugleich auch den Zweck als Wald, indem sie
nicht nur das beste Feuerungsmaterial, sonderu auch Spahn- oder
Lichtholz, Reife, Wagnerstangen u. a. liefert und swar mit einem
jährlichen Dnrohschnittsertrage, welcher jenem der Schwan-
waldnngen nicht nm sehr vieles nachsteht
Die Vkkßueht bildet im bayrischen Walde einen wesentlichen
Teil der Landwirtschaft und besonders in manchen höher gelegenen
Gegenden, z. B. am grofsen Arber und am Dreisesselberg, wo die um-
liegenden Gemeinden zum Teil sehr bedeutende Weideberechligungen
in den Stautsforsten haben, gewährt sie eine wichtige Erwerbsquelle.
Am erofsen Arber z. B. betrügt die Weideberechtigung des Reviers
Bodenmais etwa 120 Ochsen und 120 bis 130 Kälber, also etwa
250 Stück Vieh allein von Bodenmais. Unter drei Hirten weidet
dieses Vieh abwechselnd in bestimmten Bezirken. Ochsen uud Kälber
bleiben den ganzen Sommer über (von Anfang Juni bis £ude Sep-
tember) in den Waldweiden oben am Berge; die Hirten nachtigen
in Hatten auf einem sehr primitiven Lager aus Zweigen und Moos.
Anüserdem haben die Berechtigten im Vorwald (dem unteren Teil
des Waldes) das Weiderecht f&r etwa 120 StOck Milchvieh, das des
Nachts eingetrieben wird.
— 31 —
Die Wohnsitze und Wanderungen der Baffinland-
Eskimos.
Von Dr. Franz Boas.
Hieiza Tafel 2: Daa Baffin-Land zur Darstellimg der Verbreitimg der
Eskimostämme.
Obwohl die Ktteten der DavisstrallBe und Baffin-Bai, sowie der
Hndsonstrafse uns schon seit langer Zeit in ihren ftufsereu rohen Um-
rissen bekannt sind, haben wir bislaii^,^ sehr weniges über die Stämme
erfahren, welche diese Küsten bewohnen. Die folgenden Seiten ent-
halten eine Schilderung der Wohnsitze und Wanderungen' jener
Eskimostämme nach den Beobachtungen und Erkundigungen, welche
ich während meines Aufenthalts im Cumberland-Sund imd an der
Davisstrafse 1883 und 1884 gemacht habe.
Man mufs auf Baffiuland sieben Stämme unterscheiden, welche
in Bezog aof ihre Dialekte, im Hausbau, der Art des Scblittentreibeiis,
In Bezog aof religiöse Feierlichkeiteo, mancherlei Terschiedene Sitten
nnd Gebräuche haben.
Den ftufsersten Südwesten des grofsen Gebietes bewohnen die
Srikossttilarmiut Das Land von Kings -Kap nennen die Eskimos
Ssikossuila, d. h. die eislose Küste, da sich ini Winter daselbst in
Folge starker Strömung kein Landeis bildet. Es scheint, dafs sie sich
in zwei Abteilungen, die Bewohner von Ssikossuila, Kings-Kap, und
NuiTata, etwa Queens-Kap gliedern. In ihrem Lande wenig östlich von
Kings-Kap soll sich ein etwa 70 sm langer Sund Ssarbak und
Ssarbarssim befinden, in dessen Gebiet sie Rentiere jagen. Jeden-
falls wandern sie nicht sehr weit nach dem Nordosten, da ich nur
▼on einem einmaligen Zusammentreffen von Gumberland-Sund-Eskimos,
welche sehr weit nach Sttdwesten vordringen, mit einem Fremden,
den ich f&r einen Ssikossailarmio halte, gehört habe.
An der Nordkfiste der Hudsonstrasse finden wir noch einen
aweiten Stamm, die Akudliarmiut Ihr Winterwohnsitz liegt an
der etwa südöstlich laufenden Steilküste der mittleren Hndsonstrafse,
welche hier von vielen Fjorden besetzt ist. Im Sommer reisen
sie in den White Bear-Sund, dessen innersten Winkel, Baffins Winter
Furnace, sie Tudnikten nennen. Auf einem etwa 20 sm langen
Überlandwege überschreiten sie die Wasserscheide zu dem grofsen
Süfswasserbecken Agmak^jua, das in den nördlichen See NettiUing
entwässert wird. Ihre Kigaks tragen sie auf dem Kopfe bis an
diesen See, an dessen Ufer sie ihre Sommerzelte au&chlagen.
Digitized by Googfe
— 32 —
Noch weiter östlich hefand sich früher eine bedeutende Eskimo-
niederlassung Kaumanang, vermutlich nahe Parrys Middle Savage
Islands, deren Bewohner wohl den Akudliak- Eskimos nahe Stauden.
Der dritte bedeutendere Stamm sind die Nu^^umiut auf der
grofsen plateauarti{j;en Halbinsel zwischen Cumberland-Sund und
Frobisher-Bai. Ich glaube nicht, dafs die Bewohner von Frobisher-
Bai sich irgend wie von diesen Eskimos unterscheiden. Sie wohnen
nicht viel weiter nördlich als Okadlik, der Gomell Grinnell-Bai, nahe
welcher die Kflsie pldtzlich nach Nordwesten in den Gumbcarland-
Sund umbiegt. Die Bewohner der F^bisher-Bai, Tinnikiljuarbiorsini,
wandern über eine nichtzosammenhftngende Kette ron Seen eine
Entfernung von etwa 70 Meilen zu dem See Agmakdjua, an de^n
Nordostküstc sie ^nofse liciitierherden finden. Die Nuguniiut jageu
auf dem Hochlande nördlich der Frobisher-Bai, welches sich all-
mählich nach Nordwest zu vertiaclit und durch einen j^rofseu Flufs
nach dem Ciimberland-Sund zu entwässert wird. Sie treffen hier mit-
uuter mit den Bewohnern der Westküste des Sundes zusammen.
Das gesamte Gebiet des Cumberland-Sundes uennen die Eskimos
Oko, die Küste der Davisstrafse von Padli bis Arbütüjung (C. Searle
bis C. Eglioton) Akudnim, den Best bis Prince Regents Inlet Aggo,
d. h. respektive die Leeeeite, die Mitte und die Wetterseite, und
dementsprechend sind die Bewohner die Okomiut, die Akudnirmiat
und die Aggomiut
Die Okomiut waren vor nicht gar langer Zeit ein sehr mäch-
tiger Stamm, welcher ohne Zweifel noch vor 50 Jahren an 2500 Seelen
zählte, jetzt aber auf kaum 300 Individuen zurückgegangen ist.
Sie waren früher deutlich in vier Stämme geschieden, die Tellirping-
miut, die Kingnuamiut, die Kignaitmiut und die Ssaumingmiut. Die
alten Ansiedelungen, welche diese einst bewohnten, sind allerdings
zum grolsen Teil noch heute besucht, aber die Zahl der Ansiedler
ist ungemein zusammengeschmolzen.
Die Tellirpingmiut haben heute noch vier Ansiedelungen, üme-
naktnak, Ityuitnaktuin, Nuvi\jen nnd Kaiossuit; die Kingnuamiut zwei,
Imigin und Anarnitung, die Kignaitmiut eine, Kikkerion, die Ssaa-
mingmittt zwei, Ugjuktung und Okkiadliving. Die hier angefahrten
Pl&tze sind die Winteransiedelungen, welche aber in andern Jahres^
Zeiten ganz verlassen sind, da dann die Eskimos auf Platzen leben,
an denen sie leichter und mit gröfserem Erfolge jagen können. Doch
auch diese Inseln sind stets die gleichen und stets zu der gleichen
Jahreszeit bewohnt.
Von ganz besonderem Interosse sind die Wanderungen der
Tellirpingmiut zur Kentierjagd. Die Bewohuer der drei südlichen
Digitized by Google
— 33 —
Ansiedelungen lel)cu im Sommer auf dem Plateau südwestlich des
Sundes, die von Kaiossuit dftgegen wandern nach Westen bis zum
Fox Channel.
Ihre Lebensweise hat sich in den letzten Jahrzehnten, wohl in
Folge der raschen Yeriuinderuugf bedeutend geändert £in8t lebte
ein grofser Teil des Stammes Sommer und Winter an dem grofsen
See Nettüling, ein anderer Teil nur im Sommer im Binnenlande, im
Winter aber am Ausgange des NetÜIUng-FJordes. Im Biai, bevor
der Schnee auf dem Lande ganz geschmolzen, verlielsen sie mit
ihren Schlitten den F^ord nnd begannen die Reise zum See an der
kleinen Bucht Kangia, wo sie ihre Kajahs nnd Fellböte zurflckzulassen
pflegten. In möglichster Eile überquerten sie den ISee und schlagen
die erste Ansiedehm^r un den Ufern von Koukdjtia, des Flusses, welcher
den See in den Fox Channel entwassert, auf. Sobald das Eis auf-
brach, fuhren die Männer in ihren Kajaks den Flufs hinab, folgten
der Küste etwa 40 Meilen weit und ruderten einen zweiten Flufs
hinauf, welcher sie in die Landschaft Miyoraricyun führte. Hier
jagten sie auf zahllosen Stellen die Rentiere, und kehrten langsam
von Norden her nach NeUiiiing zurück. Mittlerweile überquerten
die ZurOckgebUebenen den See und lieben sich in Kagmong nieder.
Wenn die Männer mit ihren Kajaks zurftckkehrten, begann der
Stamm langsam nach Osten zurftckzuwandem nnd befand sieh zur
2Mt, wenn der See sich aufs nene mit Eis bedeckte, in Issoa, der
östlichen Bucht, von wo sie nach dem Meere zurückkehrten.
Heute verlassen sie auch noch im Mai das Meer, nehmen aber
keine Böte mit sich. Sie fahren mit Schlitten, auf welche die Kajaks
geladen werden, nach Tikerakdjuak an der Südseite des Sees, von
wo' aus sie alle ihre Jagden unternehmen. Viele Okomiut aus
anderen Ansiedelungen gehen heute auch zum See hinauf, indem
sie in ihren Walböten den Sund überqueren und die Böte zum See
hinauftragen. Sie kehren schon früh im Oktober zurack, da sie vor
dem Eintreten des Frostes daheim in der Winteransiedelung sein
müssen. Die Tellirpingmiut kehren erst Ende November zum Meere
zurflck.
Die Kignuamiut bewohnen den nördlichsten Teil des Sundes
von Nettilling-Fjord im Westen bis American Harbour (üssuadlu)
im Osten. Sie dehnen ihre Kentierjagden über das Hügelland von
Kignua aus, welches im Westen dem mit ewigem Eise bedeckten
Gebirgslande vorgelagert ist, das sich von Pagnirtu bis Nudlung
erstreckt. Sie pflegen sich im Pommer in Lssurtukcyuak und Ichaluk-
c^uak niederzulassen.
Die Kignaitmiut haben, seit die Walfischftnger den Sund besuchen,
a#ogr. BUitw. Bc«nm,im 3
Digitized by Google
84
llure Wolinsitze dnrcliweg nach Kikkertoü verlegt. Frfilier waren
ihre Haiiptansiedelungen in den Fjorden Pa<?nirtu und Kigtiait, wo
sich noch heute zahlreiclie Hüttenreste finden Ihre Sommeransie-
dehin^ieii bifiiiden sieh an dem obersten Theile des Fjords Kignait,
von wo aus sie selbst die ivüsten der Davisstrafse besucheji. Die
Ssauii)in;^m'Ut endlich durchstreifen den Süd und büdostabfall de»
Hochlandes, weiches sich südlich des Kignait-Fjordes ausbreitet
Die Akudninniat sind weit beweglicher als die Okoniiut. Sit
verfallen in zwei Gruppen, die Bewohner von Padli, weiche in Folge
vieler Übersiedelungen den Okoniiut nahe stefaeUf und die Be-
wohner von Arbiüctung. In alten Zeiten scheint der Fjinrd
Nodlung ein Lieblingsplatz f&r Sommeraosiedelangen ge-
wesen zn sein. Von dort brachen sie auf, um in das Land
Majoraridjun zu wandern, welches die Okomiut vom Fox Channel
aus besuchten. Heutzutage gehen sie nicht mehr so weit ins Bin-
nenland. Auch die Bewohner von Arbaktun^ kannten einst einen
Weg zur Küste des Fox Channel, welchen sie heute nicht mehr
benutzen.
Heute bewohnen die Padlimiut das ganze Gebiet von £xeter
bis Kivitung. Ein grolser Teil pflegt sich am letzgenannten Orte
im Sommer niederzulassen, um mit den Walfischfäugern Tausch-
handel zu treiben. Sie bleiben bis zum Winter daselbst, Oberaiedeln
dann nach Klkkertnk4jttak (C. Broughton) and ziehen im Frflhling
nach C Searle, von wo ane sie zur nahen Eiskante auf Bftrenjagd
gehen. Ein anderer Teil bleibt im Padli-Fjord wohnen, indem sie
den Sommer an dessen oberstem Teile von Lachsen und Rentieren
leben. Die Bewohner von Arbaktung ubersiedeln im Sommer nach
Niakonaujang (C. Raper) und gehen zur Rentierjagd an das obere
Ende der benachbarten Fjorde Ijellirtung, Innukshuin oder Icbalualuin.
Dieser Stamm pflegt nicht mit Re^^elmäfsigkeit die gleichen Platze
zu bewohnen. Manchmal überwintern einzelne in River Clyde oder
Eglinton-Fjord (Arbürtüjung), wahrend sie in andern Zeiten wieder
nach Arbaktung zurückkehren. Ebenso wenig beziehen die Padlimiut
aUjfthrlich die gleichen Plätze.
Die Aggomiut teilen sich in zwei Stftmme, die Tadnnnirmint
vonEclipae*Sand und die Tudnnnirossurmint von Admirality Inlet. Als
letzte sind die Bewohner der Fury und Hecla Strait zu nennen, welche
sich in die Iglulingmiut und Ssednirmiuten zu teilen scheinen. Parry
hörte 1822 über den letzeren Stamm, welcher irgendwo zwischen
Der alte Name scheint yergessen tu niii. Nodlang ist eigentlich der
Name einer ganx kleinen Bucht nahe dem Aneganga dea Fjoidea, «iid aber
ietit fAr den gßaam Fjord aagawaiidt
Digitized by Google
35
Igluling und der Mündung von Koukdjua leben mu£s, sprechen; ich hörte
jetzt nur einige sehr fra^^mentarische Enthüllungen über dieselben«
Die Unterscheidung dieser Stämme wird wesentlich durch die so
h&ufigen ÜbersiedeluDgen einzelner erschwert^ doch kann man für die
Mehrzahl der Falle behaupten, daCs ein solcher Wanderer im Alter
in seine ursprügliche Heimat zurückkehrt Übrigens pflegen sich
übersiedelte Eskimos ganz den Sitten des Stammes anznschlieCBen,
unter dem sie gerade leben.
Sehr manigfaltiger Art sind die Ursachen für solche Reisen.
Häufig plant eine Familie weite Reisen, um einen Verwandten oder
Freund zu besuchen, der in fernen Landen weilt; Furcht vor Blut-
rache veranlafst einzelne auszuwandern und im fremden Lande eine
Zufluchtsstätte zu suchen. Am iiäufigsten aber bilden Handelszwecke
die Ursache für weite Reisen.
In alten Zeiten, als nur die Küste der Davisstralse von Schiffen
besucht wurde, die aber nicht viel mit den Eingeborenen in Berüh*
mng traten, waren Eisen und andere Metalle, Holz und Topfsteine
wichtige Handelsartikel. Holz zum Bootban und zur Herstellung
von Bogen sammelten die Kugnmint auf Tudjan (Resolution Island),
das ungemein reich an Treibholz ist. Die Okomiut tauschten es von
jenen ein und brachten es weiter nach Akudnion. Die A^gomiut
und Akudninniut erhielten von den Walern Metalle, welche sehr hoch
im Werte waren, wie man an ihrer sparsamen Verwendung bei Waffen
und Geräten ersehen kann. Sie vertauschten dieselben an die
Okomiut, welche selbst nie mit Europäern in Berührung kamen.
Alle diese Verhältnisse haben sich in der Zeit, als zahlreiche
SehiffedenCnmberland-Sund bereisten, verändert. Die E:»kimos erhielten
als Ersatz für ihre Dienste Gewehre und Munition, sowie reichlich
Holz und Eisen. Dadurch kamen die alten Waffen und Böte aufoer
Gebrauch nnd wie früher die Aknilnirmint durch ihren Besitz
europaischer Waren die Okomiut in ihr Land gelockt hatten, so
strömten jene jetzt in Scharen in den Cumborlaml- Sund. Viele
Nugumiut liefsen sich vor allem in Umenaktuak und Naujateling, sowie
in andern Plätzen des Sundes nieder. Die Ssaumingmiut verliefseu
für eine Reihe von Jahren ihre Heimat vollständig und lebten in
Kikkerton; viele Akuduirmiut blieben im Sunde. Weiter erstreckte
sich der Einflufs der Waler aber nicht. Da die Eskimos nun mit
Feuerwaffen bekannt geworden waren und diese Kenutnis sich rasch
zur DavisstrafKe verbreitete« so entwickelte sich dort allmählich ein
ihnlicfaer Tauschverkehr wie im Sunde* Vor altem tauschen die
Eskimos an der Küste der Davisstralse Bärenfelle gegen Gewehre
und Munition du.
8*
Digitized by Google
— 36 —
Gegenwärtig kommen fast gar keine Walfischfänger mehr in
den Cumherland-Öimd, weshalb sich nun eine Rückströmunj? geltend
macht, indem sich viele Okomiut au der Daviäätralse uiederlassen,
am leichter >runition kaufen zu können.
Durch die vielen ÜbersiedeluDgen und Wanderungen einzelner
Eskimos wurden die St&mme mit ungemein grofsen Fl&chenrftumen ihrer
Heimat bekannt und bildeten sich eine recht gute Vorstellung von der
Konfiguration des ganzen Landes. Der Gumberland- Sund* Eskimo
weis von den Stammen der Nordkflste Labradors und hat von denen
des Smith -Sund wenigstens gehdrt. Die Wege, auf welchen diese
Kenntnisse von Stamm zu Stamm vermittelt werden, lassen sich auf
das Genaueste verfolgen und sind ohne Zweifel, wie aus vielen alten
Darstellungen hervorgeht, von alters her unverändert geblieben.
jy\e. Ssiko.ssuilarmiut von Kings-Cape überqueren in ihren grofsen
Böten die Hudsonstrasfe, indem sie die drei Inseln Mill, Salisbury
und Nottingham Island passieren. Die Überfahrt wird vermutlich
nicht sehr häufig unternommen, da die Fahrt in den Fellböten nicht
ungefährlich ist Die Eskimos dürfen wahrend der Überfahrt kein
Wort sprechen, um nicht den Sturm heraufeubeschwören! Sie ver-
kehren auf Labrador mit den Iglumiut, d. h. den Bewohnern der
anderen Seite, welche, wie es scheint, sich bis zur UngavarBai ver-
breiten. Wenigstens hörte ich diesen Namen eines Landes im Sunde
öfters erwähnt, ohne aber mit Sicherheit behaupten zu können, ob
es die Ungava-Bai der Karten ist. Vermutlich delineu sich die
Wandemnijen der Ssikossuilarmiut nicht sehr weit ins Biuuenland
aus, da die Okomiut fast nie mit ihnen zusammentreffen.
Vermutlich verkehren die Aku<lliarmiut und Ssikossuilarmiut
ausschliefslich auf Boot- und Schlittenreisen längs der Küste und der
zahlreichen Inseln. Eine Anzahl Akudliarmiut wanderte vor einer
Beihe von Jahren in den Cumberland-Sund ein, indem sie zmn See
Agmak4jua hinauf- und zur Frobisher-Bai hinabwanderten. Dieser
Weg scheint frtther sehr vielfach benutzt gewesen zu sein, was wohl
darin seine Begrandung findet, dafs die Stämme der Hudsonstrafse
und Frobisher-Bai sich im Sommer während des Bentierfanges an
dem See zu treflfen pflegten. Ein anderer Verkehrsweg zwischen der
Hudsonstrafse und den Nugumiut folut der Küste, doch fürchten die
Eskimos die Passage zwischen Resolution Island und dem Festlande
sehr wegen der reifsondeu Strömung, weiche hier herrscht. Die
Stamme des Cumberland-Sundes und die Nugumiut verkehren auf
Boot- und Schlittenreisen längs der Küste, weicher zahllose Inseln
vorgelagert sind.
Über die interessanten Überlandreisen der Tellirpingmiut
Digitized by Google
babe ich schon oben, gesprochen, doch bleibt hier noch einiges nach-
zuhüleu.
In alten Zeiten wanderten cinitje Familien hinüber zur West-
küste, der sie nuch Norden hin folf^ten und so nach l^liiling gelangten,
WO sie mehrere Jahre lebten. Später kehrten sie nach dem Sunde
zurück und wufsten gar viel von dem Reichtum jenes Landes zu
erzählen. Dieses Teranlafäte drei Bootsmann scbaften , die gleiche
Reise zu versuchen. Sie aber kamen elendiglich durch Hunger auf
einer kleinen Landenge der Foz-Kanal-Küste um. Diese Unter-
nehmung, die vor etwa 60 Jahren stattgefunden haben müh, war
die letzte Reise der Cumberland-Sund-Eskitnos längs jener Kflste.
Es mufs aber hervorgehoben werden, da(s nie irgend welcher regeK
mftfsige Verkehr dort stattgefunden hat. Die Okomiut gingen nie
südlich von Kouk^jua und nie nördlich der Landschaft Majorari<yun.
Andererseits verirren sich die Igluling-Esfcimos nnr sehr vereinzelt
bis zur Nordkflste von Nettilling. Vor etwa 90 Jahren traf einmal
ein Okomio dnen Fremden, den ich naeh der Beschreibung seiner
Kleidung und seines Zeltes für einen Igluling-Eskimo halten mufs.
Ein Beweis für die Thatsache, dafs schon seit lan^e kein Verkehr
hier stattfindet. We^^i auch in den Erkundigungen Halls iu igluling,
welche sich nur bis Koukdja erstreckten.
Die Cumberland-Sund-Eskimos kennen das Schicksal jener drei
Bootsmannscluiftt'n sehr wohl, haben aber die Nachricht auf dem
weiten Wege über liluling durch Eclipse-Sound und längs der Küste
der Davisstraf>e erhalten.
Der cje-aiiUe Verkehr zwischen den Okomiut und den Akud-
nirmiut geht durch das enuH' und tiefe Thal zwist hen den Fjorden
Kignait und Padli. Das Thal zwischen beiden Pagnirtu wird heut-
zutage gar nicht benutzt.
Die unruhigen Bewohner der Davisstrafse, welche sich bald im
hohen Norden, bald weit südlich niederlassen, vermitteln den Verkehr
mit den Tudnunirmiut. Auf drei Überlandwegen verkehren diese
mit den Bewohnern der Fury und Hecla Strait Der westlichste
führt durch die grossen Ebenen des Westens zum Fjord Anaulere^ling
(Dezterity-Bai), ein zweiter zum Arctic-Sund, und der ösUicbste,
welcher den Verkehr zwischen den Bewohnern von Tudnunirossim
und Iglttling vermittelt, entlang der Kflste des Gulf of Boothia zu dem
IJord Tesdpjang and Aber Land zum Admuralty Inlet Die Igluling-
Eskimos verkehren häufig längs der Ostküste der Melville-Halbinsel
mit den Eiwilling-Eskimos der Repnlse-Bai Sie scheinen im Sommer
mit Vorliebe die Koste des Fox Channel bis zu einer Landschaft
mit Nameu Pileing zu besuchen, welche früher auch von den Akud-
Digitized by Go
— 38 —
airmiut aufgesucht sein soll. Diese durchquerten von der Hom^Bii
ausgehend das Land in zwei Tagereisen und jagten dann an d€&
Ufern eines Sees in Pileing.
Die Tudnnninnint und Tndnunirossinniut wandern in Winten,
in denen eine feste Eisdecke den Lancaster-Snnd bedeckt» hinftber
nach North Devon, welches sie Tadjan nennen. Sie Oberqoeren den
Jones -Sand nnd leben zeitweilig unter dem Stamme von Lincoln-
Land, von welchem wir wohl öfter gehört haben, der aber nie von
einem Weifsen gesehen ist. Nach Hessels ist einiger Verkehr zwischen
den Iha-Eskinios und diesen Bewohnern von Umingmaugnuna, d. L
Moächusochsen-Land.
Eine genauere Kenntnis dieser nördlichen Stämme von Ponds-
Bai und Jones- Sund, sowie der Repulse- Bai -Eskimos würde von
grofsem Interesse für die Lösung der Frage nach dem Urspmng
nnd den Wanderungen dieses Volkes sein, welches sich relativ mit
grofser Geschwindigkeit ttber die Küste des arktischen Amnikn Ycr^
breitet haben mulik
Die Erforscbung des Yuken- Gebiets (Sommer 1883).
Von F. Sehwatka,
Premier-LeiitiiMit in der Vtreinigten Sttaton-Annee.
3. Vom alten Fort Yukon bis zur Aphoon-Mftndnng.*)
Berichtis^ne der Ilaynondschen Karte. Grof^e Hifsa. Btarm. BMehaffenheit
der Ufer. D«r W hymper-Flufä Stroitisclmellen Di» Tunana. Indtanerdörfer. Nukla-
kayet. Ende der I-Iof^fabrt ächanor. Der Yakooargat Landan«; in Nalato. Daa
Orab des Lentnanta Bamard. Unwattar Indianer in naidaren An der An^-Mttodwif *
Frederik^una Uandt-lopoHten. Da» erste Ebkimodorf. Der Dampfer ^Takon". Aakanft
in AudrMvaky. Die FiiiCftufer. Kotelik. Fahrt aaeb St. Miohael.
Nachdem Fort Tnkon erreicht, sehloss^en sich nnsere Anfiiahnien
an die des Kapitäns Uaymond von der Vereinigten Staaten- Armee
im Jahre 1869 au und ergaben nur kleine Berichtigungen an
einzelnen Punkten. Auf laugen Strecken erwies sich die Karte des
Kapitäns Raymond so vortrefflich, dafs jedes weseutliche Objekt
identifiziert werden konnte, dagegen war sie wieder auf kurze Ent-
fernungen seltsam verworren. \Vir erklarten uns dieses anfänglich
ans der verschiedenen Persönlichkeit der Beobachter, allein bei
nnserer Rückkehr auf nnsere Arbeiten znrackblickend, waren wir ge-
neigter, die Ursache der Abweichungen in dem yerftnderlichen
Wetter zn snchen; offenbar übte letzteres merkliche Wirkungen auch
*) Die Abschnitte 1 und 2 worden in Band VU. 1884, S. 16 und ff. und
S. 163 und ff. veröffentlicht.
Digitized by Google
- 80 -
auf unsere eigene Anftiahmen; Bp&tere Reisende mögen dies beacbten
und dadurch zu hoffentlicb noch genaueren Aufnahmen kosunen.
Bei Fort Tokon begegneten wir dem Flofsdampfer der Alaska Com*
pany und wir verproviantierten uns mit Hülfe desselben für unsere
fernere Rei^e, die wir am 29. Juli früh auf unserem Flols fort-
setzten.
Es war drückend heifs am Flufs; zwischen 6 und 8 ühr abends
zeigte das Thermometer 8ü^ F. im Schatten, Moskitos umschwärmten
uns in dichten Wolken, als wir am Abend etwa um 9 Uhr unser
Lager aufschlagen; wir mn&ten einige Feuer anzflnden, um diese
Plagegeister nur einigermafsen erträglich zu machen. Um 10 Uhr
trat heftiger Regen ein und obwohl es die ganze Nacht hindurdi
henbrieselte, so liefsen nns doch die Mücken und Moskitoschwarme
aif^t zum Schlafen kommen. Am 90. Juli Mh morgens 6 Uhr 25 Mi-
nuten waren wir wieder in Fahrt, am Nachmittage setzte ein
heftiger Sturm ein, so dafs wir grofse Mühe hatten, unser Flofs zu
steuern und von den Bänken an der Lehseite freizuhalten; wir
machten daher nur 44 miles gegen öOVa am 29. Juli. Der Wind war
aufserordentlich kalt und unangenehm, ein scharfer Gegensatz zu
der heifsen Witterung des vorhergehenden Tages. Wenigstens bot
sich nun der Vorteil, dafs die Moskitos fern blieben und wir einen
guten Schlaf hatten. Am 1. August stürmte und regnete es so
stark, dafo wir im Lager (44) blieben; Reste eines Mastodonschenkels
und ein Zahn dieses langst ausgestorbenen Tieres wurden in den
Sandbanken des Ufers nahe dem Lager gefunden. Ohne Zweifel
hatten diese Reste ursprünglich weiter stromanfwarts gelegen. Am
2. August trieben wir mit unserem Flofs mehrfach durch stilles
Wasser und zwar verlanj^samte dies unsere Trift in der Weise, dafs
wir in zwölf Stunden nur 26 miles zurücklegten, an den meisten
dieser Stellen war die Strömung im Anfange noch ziemlich stark, je
tiefer und weiter aber der Flufs, desto schwächer wurde die Strömung.
Längs des Flufses zeigten sich mehrfach Spuren der Bewohnung
durch Indianer, wir bekamen aber die letzteren nicht zu Gesicht.
Unser nächstes Lager (45) schlugen wir an einem Punkte auf, wo
sich wiederum zu unserer Frende das Ufer in niedrigen Bergw&llen
erhebt; die letzten 300 miles ging unsere Fahrt durch ununter-
brochen flaches Land, die Bergwalle ähnelten anlserordentlich denen
des oberen Tnkon, so dafs sich nns die Oberzeugung aufdrängte,
dafs es dieselbe Formation ist, welche wie eine Sehne zu dem
nordwärts in die flache arktische Tundra ausbiegendeu Yukou verlauft.
Bei Lager 46 trafen wir viele indianische Gräber; eines derselben
war ein Masseugrab, in welchem wohl ein Dutzend Leichen beerdigt
Digitized by Google
— 40 —
sein mochten, vielleicht infolge einer Epidemie. Bei diesem Lager
wurde kurz yor unserer Abfahrt am 4 Angust ein Stachelachwein
(Hystrix cristata) durch einen der Leute getötet; am Ufer zeigten
sich bald darauf zwei Wölfe, sie waren so zahm oder so gleich-
gültig gegen unsere Anwesenheit, dafo wir sie anfänglich fOr in-
dianische Hunde hielten; Indianer sahen wir auch an diesen Tagen
nicht. An verschiedenen Stellen des Ufers sahen wir eisenhaltiges
Gestein aus den Bergen hervortreten, ahnlich den Eisenbergeu am
Lindeman-See am oberen Yukon. Weiter abwärts fahrend fanden
wir die Mündung des Whymper-Flusses so versteckt, dafs der Flufs
nicht sichtbar ist, doch ist das durch die Bergkette brechende Flula-
thal sehr deutlich zu sehen. Das Wasser der kleinen Bäche, welche
hier den tundraartigen, torflialtigen Boden durchliiefsen, ist recht
durchsichtig oft in dem MaCse, dals mau bis auf den Boden ^arch-
blicken kann; die rotbraune Farbe des Wassers kontrastiert bei
dem Einflulse in den Tukon merkwürdig mit dem lehmigen Wasser
des letzteren« Am 4. August setzten neue Stflrme ein und wir
legten nur 26V« miles zurück. Am 5. August passierten wir die
von früheren Reisenden oft beschriebenen Stromschnellen bei den
unteren Uferbergketten; wir trafen besondere Vorbereitungen für
die Sicherheit unseres Flosses, allein die Stromschnellen waren so
unmerklich, dafs die Wellen sich nur am Ufer kräuselten, und dafs
wir darüber hinkamen, ohne es zu wissen, bis wir es in dem la-
dianerdorf weiter abwärts erfuhren. Diese Partie des Yukon ist sehr
malerisch, leider war aber das Wetter trübe, so dafs wir keine photo-
graphischen Aufnahmen machen konnten. Am 6. August verlieTsen
wir unser Lager (48) um Vt 9 Uhr vormittags. Von Süden
her kommt die Tanana in den Tukon, ein ebenso bedeutender Strom
wie der letztere; die Erforschung desselben wftre eine schöne Auf-
gabe für künftige Reisende.*) Wir passierten verschiedene gut
bevölkerte indianische Dörfer und kamen bald nach 6 Uhr nach
Nuklakayet. Es ist dies der am weitesten binnenlands gelegene
Handelsposten und als solcher recht bedeutend. Wir fanden hier
einen kleinen Garten, wohl den nördlichsten auf dem westlichen
Kontinent, und wir wurden mit Rüben bewirtet, die in diesem Garten
gezocren waren und deren eine 6V« Pfund wog. Hier verliefsen wir
das Flofs; wir hatten mit demselben 1300 nliles zurückgelegt, wohl
eine der längsten Flofsreisen, die im Interesse der Geographie gemacht
worden sind. FQr die Weiterreise stand uns hier ein Schuner von
10 Tons Tragfähigkeit zur Verfügung. Wir schafften unsere Sachen
*) Den letzten Nachrichten zufolge steht die Erforschung des Tauana in
diesem Sommer bcYor. D. Bed.
Digiiized by Google
— 41 —
an Bord desselben und traten die Falirt stromubwarts am 8. August
an. Auch dieses Fahrzeu^^ trieb nur mit der St i Innung wie das
Fiofs. Wir hatten nämlich nur ein kieiiics Sprietsegel, das wir nur
bei {günstigem Wetter aufsetzen konnten, ein Fall, der selten eintrat;
\^ir erwarteten, dafs der Handelsdampfer, welchen wir bei Fort
Yukon getroffen hatten, nns bevor wir die Mündung erreichten,
Überholen und ins Schlepptau nehmen wflrde. Wir kamen erst
spftt am Tage fort nnd trieben nur 37 miles. Die Nacht sehlugen
irir unser Lager am Lande auf, da das Nächtigen an Bord des
Scbuners, der viel Wasser zog, unangenehm war. Am 9. August
schlug uns ein voller Sturm entgegen nnd da das Schiff viel mehr
vom Winde gefafst wurde, als das Flofs, so konnten wir nur 8', 2 miles
zurücklegen. Der Schuner trieb besser im Winde, wenn er mit seiner
Breitseite gegen die Strömung geleijt wurde, selbst wenn der Wind
gerade entgegen war. Am 10. August passierten wir viele Indianer-
dörfer und überhaupt waren Dörfer Eingeborener in der Nähe der
Handelsstationen zahlreich, fast alle hatten auf den Inseln Fischerei-
stationen und bei denselben Fischzaune zum Lachsfang, sowie Gerüste
znm Dörren der Fische. Am 11. August war das Wetter erbärmlich,
wir legten die Strecke bis zu unserem Lager (53) zurttck, welches
wir gerade gegenüber der Mttndung des Yukocargut aufschlugen.
Am 12. August nahe dem Indianerdorf Sakadelontin sahen wir eine
Anzahl S&rge in den Bäumen, znm ersten Mal auf unserer Thalfahrt.
Das Wetter blieb schlecht, am 13. August kam uns wieder ein Sturm
entgegen; an diesem Tage passierten wir die Mündung des Koyukuk,
welcher von Norden kommt. Unser Lager (55) war an diesem
Abend auf einer Insel in einem anmiitiLren Tappeihain. Im Laufe
des 14. August, wo wir uns Nulato näherten, bekamen wir zahlreiche
Dörfer zu Gesicht; die meisten Männer waren fort, landeinwärts auf
der Tundra, um Rentiere zu jagen. Bald nach 3 Uhr landeten
wir am oberen Teil von Nulato; das Grab des Leutnants Barnard
ist hier im Grase und Weidengestrttpp verschwunden; man wird sich
erinnern, dafs dieser Offizier der K. britischen Kriegsmarine in dieser
Gegend hei dem damals russischen Handelsposten, als er Erkundi-
gungen nach Sir John Franklin einzog, in einem Gefecht mit
Koyukukindianern getötet wurde. Der llandelsposten von Nulato ist
jetzt aufgegeben und auch die grofsen Iiidianerdörfer rund umher
scheinen halb verlassen. Nach einer Trift von 12 Stunden erreichten
wir am 15. Ausist einen Platz, den die Indianer Kal-tag nt'iinen.
Am 16. August wütete ein so heftiger Sturm, daf^ wir im Lager
bleiben mufsten; am 17. August konnten wir wegen des üblen Wetters
nur 25 miles zurücklegen und es war schwierig, unsere Position zu
uiyiii^uü Oy Google
— 42 —
Jener Zeit aaf der Karte des Kapitäne Raymond, bei weitem der
besten Ober diese Gegend, su finden, immerbin ist Raymond sn enl-
scbnldigen, wenn er eine ihnllcbe Witterung hatte, als wir. Das
Unwetter währte auch am 18. August fort, abends begann es zu
regnen. Nachmittags 5 Uhr bemerkten wir, dafs die Klippen weiter
landeinwärts verliefen, wir hatten ein mit Baumstaramen besäumtes
steiles Ufer vor uns, so raufsten wir bis gegen 9 Uhr abends mit
unserm Fahrzeug forttreiben, bis wir an einer Stelle anlef?en konnten.
Mit lebhaftem Verlangen erwarteten wir den Flo&dampfer, der uns
los Schlepptau nehmen sollte. Das Wetter besserte sich auch am
19. Anglist nicht. Auf unserer Fahrt Ton Lager 59 bis sahen
wir viele meist kleine indianische IMrfer. In der Nacht vom 19. som
90. August artete der Sturm in einen Orkan aus, gewaltige 8eea
flberströmten unseren Schuner, der beinahe gestrandet wäre; das
geschleppte Kanoe wurde ans üfer geworfen und sertrOmmert Alle
an Bord blieben die Nacht über wach. Am 21. August fuhren wir
7 Uhr 50 Minuten früh weiter; am Nachmittag begegneten uns
Indianer in zwei Baidaren, die wie ein Kanalboot vom Lande aus
durch Menschen und Hunde gezogen wurden, um V« 10 Uhr abends
schlugen wir unser Lager bei den auf der Karte von Raymond
verzeichneten Halls Stromschnellen auf; diese erwiesen sich indels
als sehr unbedeutend. Nahebei lag eui Jngalikdorf und unweit
von diesem fanden wir einige mit Ornamenten versehene Grfiber;
auf einem derselben waren 3 Rentiere und zwei Biber gemalt
Nach einer Fahrt von 5 Stunden erreichten wir am 22. August
die Mflndnng des Anvik-Flusses, IVt miles unterhalb des von Herrn
Fredericksen verwalteten Handelspostens. Dieser war etwas be-
unruhigt über einige Schagelukindianer, welche kürzlich vom unteren
Strome heraufgekommen waren, um sich von dem griechischen
Priester der Mission, welcher zu dem Zweck hierher gekommen war,
taufen zu lassen: nach seiner Meinung hatten sie sich verabredet^
ihn zu berauben und zu ermorden. Herr iiredericksen, welcher hier
den Dienst für das meteorologische Bureau der Vereinigten Staaten
in Washington zu versehen hat, erzählte mir, das Eis am Yukon
sei bei Anvik bisweilen schon am 4 September so dick, dafs es ein
Fellboot zerschneide. Doch oft tritt die Eisbildung erst spater ein,
so 2. B. 1882 erst am 12. Oktober. In der Geilend von Anvik »nd
die letzten Indianerddrfer am Flufs, 40 miles stromabwärts , beginnen
die E-skimoniederlassungcn, welche bis zur Mündung reichen. Am
23. August setzten wir unsere Heise gegen 10 Uhr vormitt<igs fort,
um Uhr mittags passierten wir Maka-ianiute, das erste Eskimo-
dorf, wenn ich uicht irre; vou hier au waren die Bewohner wieder
Digitized by Google
— 43 —
zahlreicher und die Behausungen in ihrer Anlage mehr auf die Dauer
berechnet. Myriaden von Gänsen zeigten sich, offenbar schickten sie
sich an, ihre herbstliche Wanderung südwärts anzutreten. Während
wir im Lager 63 waren, trat Frost ein, das Tischtuch des Kochs
war steif gefroren, auf stillem Wasser bildeten sich £isnadeln and
am Morgen des folgenden Tages zeigte sich das hohe Gras stark
bereift Um 8 Uhr Yormittags fuhren wir ab, bei einem leichten
Gegenwind« der indessen nm 10 Uhr vormittags stürmisch wurde
Ottd blieb. Bald nach 2 Uhr kam der Dampfer „Yukon** in Sicht
und zwar bei Petersen Point (wir tauften die Stelle so nach unserem
Kapitän); bald duiciuf nahm uns das Schiff ins Schlepptau, wodurch
wir aller Mühen und Sorgen überhoben wurden. Nach 7 Uhr abends
erreichten wir die jetzt verlassene obere Mission und schlugen hier
unser Lager auf. Wir nahmen hier ein Holzhaus für Andreavsky
an Bord, um 9 vormitta;;s fuhren wir weiter bis zur eigentlichen
Missionsstation, welche 3 miles weiter abwärts liegt; hier kam der
griechische Priester für St. Micliael an Bord, er machte die Reise
zu dem Zweck mit^ um Güter von dort zu holen, da er zugleich der
Handelsagent der Mission ist Den ganzen Tag über wehte es heftig
und schlugen wir unser Lager bei einem grofsen Eskimodorf auf.
FrAh 6 Uhr brachen wir wieder auf und erreichten Andreavsky gegen
*/i 6 Uhr abends. Hier blieben wir eine Zeit lang, da Kapitän
Petersen hier die Handelsstation verwaltet. Die Berge am rechten
Ufer waren hier in welligen Linien niedriger als weiter aufwärts
und an Stelle der Baume trat niedriges Weidengebüsch. Das süd-
liche Gelände ist von der Gegend von Kaitag an flach, nur in der
Ferne erscheinen Berge. Am 27. August nachmittags verliefsen wir
Andreavsky und erreichten am 18. August Kötelik, welches 7 miles
Yon der Mündung des Flusses entfernt ist; hier blieben wir die Nacht
und fuhren am nftchsten Tage nach St Michael in Norton-Sund;
der kleine Dampfer steuerte in das Berlngs-Meer. Mit Erreichung
der Aphoon*Mündung war unsere Forschungsreise durch Alaska und
auf dem Yukon zu Ende. Es ist dieses die nördlichste der Mflndungen
des Yukon ; dieselbe ist sehr seicht, denn bei Hochwasser stehen nicht
mehr als drei Fufs Wasser auf der Barre, doch würde eine Aus-
tiefung dieser Mündung möglich sein, wenn der Verkehr es erheischte.
Digitized by Google
— 44 —
Neu -Seeland in Vergangenheit und Gegenwart
Vom Professor Dr. Wilfc. Stte4i.
0«ographi8«h« Ltgt. GrOfse und BeTSlkernng. lfftl«risebe Ersobebrasf mm
Keu-Seeland. Motallreichtum Viehzucllt. Flora. Ackerbau. Handel. Die UrbewohlMr
(Maoris). Kntdtcktin^jspfi^chichte : Ta?man, roo{<, Snrville, Marion du Fresne o, a.
Die ersten Miat^ioDäre und Kolonistea. Eugliächer (>chutz. Der erate englische Uesidcnt.
Bnf Useb« Eifbrraebt gegen die Frensosen. Die KenMie der Uubbingigkeitserkllning.
Baron Thierry. Die New Zealaiid Tompany. Enj^lischn Annektion 1840. Die f'om-
pagnie nante-bordelaise. Weitere Entwickelung. Verfassung. Die K&mpfe mit dea
Maoris. Pinanssohwierigkeiten. Das deutsche Element Verkehr mit Dentscbland.
Zwischen dem 165 ® und 176 « ö. L. und 35—47 ^ s. Br. er-
strecken sich drei von einander durch schmale Wasserstrafsen fje-
trennte Inseln, die in ihrer Gesamtheit den Namen ;,Neu-Seeland*
fahren. Die Nord- und Mitteliosel sind sich an Ausdehnung fast
gleich; die erstere hat in der Sprache der Eingeborenen die Be-
zeichnung ,Te Ika a Mawi'', d. h. so viel als „Tisch des Mawi<*, die
letztere wird „Te Wahi Pounamoa**, d. „Insel des Grünsteins
(Nephrits)* genannt. Die Südinsel, sehr kleinen Umfanges, heifst
Stewart-Insel, Im Westen, im Osten, im Süden dieser drei befinden
sich andere Eilande, die gleichfalls zur neuseeländischen Gruppe ge-
rechnet werden, so die Chatham-Inseln, auf welche man in einer Ent-
fernunf? von etwa 100 deutscheu geographischen Meilen von Te Wahi
Pounamou nach Osten stöfst, die Antipoden-Inseln im Südosten, die
Auckland-Inseln, unter dem Meridian der Südspitze der Stewart-Insel,
über den 50. Breitengrad hinaus, und andere.
Der Fl&chenraum der drei Hauptinseln wird auf 270000 qkm
angegeben; es ist dies etwa die Grdfse Italiens, die halbe GrOlse des
deutschen Reichs oder die neunfache Grdfse Belgiens. Die Be-
völkerung indefe betrug am 31. Dezember 1882*) erst 517 707 Kolo-
nisten und 44097 Maoris, d. h. etwa zwei Einwohner per Quadrat-
kilometer, wAlirend /. B. in Italien 79, im deutschen Reiche
84 Personen auf den gleichen Flachenraum gerechnet werden. Der
natürliche Zuwachs der Bevölkerung lilfst hotfen, dafs mit der Zeit
sich hier günstigere Verhältnisse einstellen werden. Weuigsteus war
der Überschufs der Geboreneu über die Gestorbenen im Laufe des
Jahres 1882 13 308, und betrug die Natalitiit 37,3« auf 1000 Ein-
wohner, während die Mortalität nur ll,i9 auf 1000 Einwohner war.
*) Die neaesten atatistiscb«!! Angaben sind entnommen ans 1) ^Statisties
of the Colony of New-Zealand for the year 188S. Compfled firom officlal records
in the registrar - geneials Offic«.* WeUington 1883. S) Henry Heylyn Hayter,
Victorian Year-book. 3) Statistical Abstract for the fleveial colonial etc of the
nnited King4om ficom 1S67«-81. London 1883.
Digitized by Google
— 45 —
Dabei fiel die Geburtenziffer dos Jahres 1882 niedriger und die
Sterbeziffer etwas bülier uns als die entsprechenden des Jahres 1881.
In diesen Zahlen ist die Bewegung der Bevölkerung unter den Ein-
geborenen nicht mit einbegriffen.
Alle Seefahrer und Beisende schildern den Anblick von Neu-
seeland als einen groisartigen und pittoresken zngleiclL Es wird
nftmlich die Insel in der Biehtnng von Nordost nach Sfldwest Ton
einem grandiosen Gebirge als gewaltigem Rflckgrat durchzogen, das
anf der Kordinsel bis zur Höhe Ton 2000 m, auf der Mittelinsel
sogar über 4000 m aufsteigt. Mit Recht hat dieses Gebirge von
den Europäern die Bezeichnung der „Südlichen Alpen** erhalten.
Majestätisch erheben sich im Centruni des Gebirges die von Schnee
und Eis schimmernden Gipfel des Mouut Cook und der benachbarten
Riesenhöhen zu 13 000 Fuss Meereshöhe, fast zur Höhe des Mont
Blanc. Grofsartige Gletscherströnie, herrliche Gebirgsseen, prachtvolle
Wasserfftlle, Bergpässe und düstere Felsenschluchten, von tosenden
Gebirgsströmen durchrauscht, bilden die Zierden einer wilden unbe-
wohnten Gebirgslandsdiaft, desen Grolsartigkeit kanm ihres gleichen
hat so schildert Hocfastetter die Eindrflcke, die er empfangen.
Dieses Gebirge hat aber nicht nur ftsthetische Reize, sondern
auch den Vorzug, manche nützlichen Metalle und Minerale zu bergen.
Gold, Silber, Kupfer, Eisenspath, Blei, Zink, Schwefel, Steinkohlen
finden sich in nicht unbedeutenden Mengen und werden in den Pro-
vinzen Auckland, Nelson, Otago, Canterbury und Wellington auch
schon ausgebeutet. Freilich ist der Bergbau noch von keinem groisen
Uuifaniie, denn er beschäftigte nach den letzten Ausweisen nur
2138 Personen in 130 Betrieben, Zahlen, die gegen das Jahr 1878
sogar einen Rückgang anzeigen, denn darnach waren 2369 Personen
in 133 Betrieben t&tig. Die Steinkohlenindustrie bes( hafti^^te aufser-
dem 992 Personen auf 61 Werken und förderte 227 918 Tonnen,
wahrend sie im Jahre 1878 nur 516 Personen auf 40 Werken Unter*
halt gewahrte. Den Hauptbestandteil des Bergbaues repräsentiert
jedenfalls die Goldproduktion, welche seit 1866 energisch in Angriff
genommen, in den darauf folgenden Jahren bis 1871 ein Quantum
im Werte von 50 Millionen Mark jährlich auszuführen gestattete.
Seit 1872 hat der Export sich beständig vermindert, er betrug im
Jahre 1882 nur 230 893 Unzen gegen 505 337 im Jahre 1873. Im
ganzen hat Neu -Seeland nach den Aufstellungen des Sekretärs des
Handels- und Zolldepartements, William Seed, vom 1. April 1857
bis 31. Dezember 1882 ein Quantum von 10073959 Unzen Gold im
Werte von 789 282 860 Marie geliefert.
Die grofse Bedeutung Neu-Seehinds ruht aber nicht in den
uiyiiiziüd by Google
Schätzen seines Mineralreichs. Die Viehzucht, inshesondere die Schaf-
zucht, ist der seine Volkswirtschaft hestimmende Produktionszweig
und kanm scheint eine andere Geirend so preeij^net dafür. Regel-
mäfsige Regengüsse sorgen für jederzeit gute und kräftige Weide
und das Klima macht besondere Schutzgebftude für die Schafe in
keiner Jahreszeit nötig. Das Hauptgewicht ist dabei mehr auf die
Produktion von Fleisch als von Wolle gelegt, obwohl bei der Aus-
fuhr zur Zeit die letztere eine grofse Rolle spielt Es heifst aber,
dafe die Bedingungen für die Uenrorbrinffung von Wolle nicht so
gttnstige seien wie in Australien, wo nachweislich das Merinoschaf
die Feinheit seines Vliellws bewahrt, während es in Nea-8eelaaA
entartet Die Versocfae, frisches Fleisch bis nadi Europa zu trans-
portieren, stehen bekanntlich noch in ihren ersten Stadien und wur-
den von Neu- Seeland aus im Jahre 1882 zum ersten Male unter-
nommen. Die Gesamtzahl aller Schafe wurde im Mai 1882 auf
12Vi Millionen Stück geschätzt; die Ausfuhr von Wolle repräsentierte
im Jahre 1882 einen Wert von 62 371000 Mark, der von Fleisch,
gesalzen wie frisch, nur 1 571 920 Mark, wovon 304 880 Mark auf
das frische Fleisch entfallen. Außerdem gelangten Talg, Leder,
HAute, Butter und Käse zur Ausfuhr, die bei fast allen den genann-
ten Artikeln seit 1873 eine steigende Tendenz hat, wenngleich «eit>
weilige Rflckschlftge nicht ausgeblieben sind.
Liefert das Mineralreich namentlich Gold und Steinkohlen, das
Tierreich Wolle, Fleisch, Talg und Häute, so bleibt auch das Pflanzen-
reich mit der Erzeugung verschiedener Produkte nicht zurück. Die
einheimische Flora zeigt sich reich an Kräutern, gröfseren Bau- und
Nutzhölzern und auch Getreide gedeiht vortrefflich. Buchen und
Gedern geben die schönsten Hölzer, der Kaurigumbaum eine sehr
geschätzte Gummisorte, das Phormium tenax den soj?enannten neu-
seeUadischen Flachs. Der rationelle Ackerbau ist dabei im allge*
meinen noch wenig verbreitet. Von der Gesamtfläche waren im
Jahre 1888 5 651255 Acres landwirtschaftlich benutzt und zwar*
In PrasMitMi
AcMt d«r wirtoeh.
btnotst Flicht
1) zur Getreidekultur 738822 18,^
2) zur Gewinnung' von Kartoffeln, Garten-
gewächsen, Rühen u. a. 394 473 6,»8
3) als Wiese und Weide 4 322 427 76,4i
4) als gepflügtes, aber noch nicht besäe tes
Land 195 533 3,46
Unter den Cereaüeu wird vorzugsweise Weizen gebaut; mit
uiyiiiziüd by Google
— 4? -
dieser Frucht waren im Jahre 1883 390 818 acres bestellt. Auf den
Anbau von Hafer entfielen 319 8Ö8 acres, auf den von Gerste
28 146 acres. Die Produktion von Weizen wurde nach den im
Februar 1883 einf?egangenen Daten auf 10 270 591 bushels ange-
nommen, die von Hafer auf 10 520 428, die von Gerste auf 737 163.
Im Durchschnitt ergiebt sich mithin per acre eine Ernte von
26,s8 bushels beim Weizen,
d2,M n » Hafer,
26,1t n M der Gerste.
Einen geringen, aber freilich im letzten Jahrzehnt nicht nnbe*
deutend yergröfenten Raum beansprucht die Kartofiel, mit welcher
20 488 acres bestellt sind gegen 11617 im Jahre 1874. Die Ernte
bezifferte sich auf 104581 Tons, d. h. auf 5,io per acre.
Alle die genannten Produkte kommen auch zur Ausfuhr, von
der, um vollständig zu sein, auch die Erzeugnisse des Walfischfanges :
Fischbein, Speck u. a., im jährlichen Werte von vielleicht
100000 Mark, genannt werden müssen. Der gesamte Umsatz des
Aufsenhandels bezifferte sich während des letzten Decenniums auf
126—132 Millionen Marie in der Ausfuhr und 148—170 Millionen
Mark bei der Einfuhr. Im einzelnen zeigte die Bewegung folgen-
des Bild:
Wert der
Sinfkihr in Neo-Seeland Aasfahr «oft Nto-SMkad
in MilliftHfii Mifk
1874
162,4
105,0
1875
160,s
116,»
1876
138,1
113,4
1877
139,4
126»»
1878
17ö,i
120,»
1879
107^
114,»
1880
183>«
187,1
1881
149,1
181,1
1888
179,1
188^1
Die Urbewohner dieses schOnen Landes, dessen EUma in der
nördlichen Hälfte dem Italiens und des südlichen Frankreichs, im
Süden dem von England gleichkommt, sind die Maoris, ein poly>
nesisches Volk, das in schneller Abnahme begriffen ist. Cook schätzte
ihre Gesamtzahl auf 400000, und wenn diese Angabe wohl über-
trieben war, so fanden sich in den Jahren 1835—40 immerhin mehr
als lOUOOO vor, während gegenwärtig — nach dem Census von
1881 — ihre Zahl auf 44 095 gesunken ist. Die Gründe für ihre
Verdrängung sind hier dieselben wie bei anderen Naturvölkern:
die Nachahmung der europaischen Gewohnheiten, denen ihr Körper
nicht gewachsen war, der aberm&Csige Qenuis des fetten Schweine-
— 48 —
fleisches, des Branntweins, des Tabaks. Sie bewohnen gegeDwärtig
die Nordinsel, welche eine wftrmere Temperatur hat.
In Bezug auf ihic körperlichen und geistigen Eigenschaften
werden sie von allen Reisenden auf eine hohe Stufe gestellt, und der
berühmte englische Gesiliichtschieiber Macaulay ging sogar so weit,
ihnen eine glanzende Weltstellung vorauszusagen. Die MAiiiier sind
wohlgestaltet, muskulös, durchschnittlich ö^ii Fufs hoch, von kaffee-
brauner Hautfarbe, mit schwarzem Haar und Adlernase. Ihre In-
telligenz ist bedeutend und hat ihnen dazu verhelfen, im Parlamente
und am Ministertische die bürgerliche Gleichberechtigang mit den
englischen Kolonisten zu erringen. Eine Schriftsprache besalsen sie
allerdings nioht und verdanken die Schreibekunst erst den Engländern.
Oegenwftrtig lernen sie in den für sie von Staats wegen errichtelen
Schulen englisch, und innerhalb der Schulzeit darf sogar die Maori-
sprache gar nicht geredet werden. Übrigens haben sie gewisse Über-
lieferungen und Sagen, die des poetischen Reizes nicht entbehren.
Eine der letzteren erzählt von einem jungen Mädchen, das den
Flötentönen ihres Geliebten folgend, im See ertrank. Haben wir
hier die Hero- und Leandersage in veränderter Gestalt, so gewinnt
die Erzählung dadurch einen besonderen Beigeschmack, dafs der neu-
seeländische Hirte auf einer Schalmei blies, die aus einem Menschen-
knochen gefertigt war. Dies deutet auf den Kannibalismus der Maoris
Ob derselbe damit zusammenhangt, dafs die einheimische Säugetier-
fauna so dürftig ist — kein Opossum, kein Känguruh — ^ oder auf
eigentümliche rituelle Vorstellungen zurückzuführen ist, bleibt dahin-
gestellt; die Thatsache als solche ist durch viele glaubwürdige
Zeugnisse belegt worden.
In Bezug auf ihre Verfassung zerfielen sie früher in eine Reihe
einzelner Stämme unter Häuptlingen. Seit ungefähr 30 Jahren
jedoch hat die Mehrzahl derselben sich unter einem Könige vereinigt.
In den lang dauernden Kriegen gegen die Engländer kam ein junger
Häuptling, Mateue, auf den Gedanken, durch eine derartige Ver-
bindung dem Widerstande grölseren Nachdruck zu verleihen. In der
That kam sie zu stände und wurde im Jahre 1SÖ8 der erste Kdrng,
Fotataw L, gewählt, dem, da er, schon betagt, bald das Zeitliche
segnete, sein Sohn als Potataw IL folgte. Die Politik, die diese
Herrscher den Eindringlingen gegenüber beobachteten, war, das Küsten-
gestade denselben preiszugeben und sich auf Verteidigung des Inneren
des Landes zu beschränken. Übrigens haben die Engländer bich alle
Mühe gegeben die Maoris in ihre Dienste zu ziehen, haben sie zum
Straiseu- und Brückenbau verwandt, zu gewerblichen Arbeiten her-
angezogen und selbst iu die Polizei aufgeuouuuen. Dennoch sind
üiyiiizea by Google
— 4ft —
Reibungen mit den Wilden, die ihre Freiheit selbstverständlich über
alles schätzten, nicht ausgeblieben und noch im Jahre 1879 hatten
dieselben einen Aufstand angezettelt, als es sich darum handelte,
eine Eisenbahn durch das ihnen «.'ehörige Gebiet zu führen.
Den Europäern ist Neu-Seeland schon seit dem 17. Jahrhundert
bekannt gewesen,'*') die Anfänge einer europäischen Kultur dagegen
datieren erst seit wenig mehr als hundert Jahren. Abel Tasuian war
es, der die Inseln im Jahre 1642 entdeckte. Von Batavia aus-
segelnd, nahm er den Kurs sttdüch und fand zuerst Vandiemensland«
Es war seine Absicht von hier aus die Salomons-inseln aufzusuchen,
indes schlug er nicht den richtigen Weg ein und statt nach Norden
SU kommen, geriet er nadi Osten. Am 13. Dezember 1642 be-
merkte er unter dem 42. Breitengrade ein hohes bergiges Land
vor sich, au dessen Küste entlang er 8 Tage schiffte, ehe er zu
einer Landung sich eutschlofs. Am Gestade der Bai, in der er vor
Anker ging, zeigten sich Männer, die durcli stai ke Korpulenz, bei
einer zwischen braun und gelb schillernden Hautfarbe, die schwarzen
Haare zu einem Schöpfe auf dem Haupte zusammengebunden und
Ton einer langen Feder überragt, auffielen. Einige derselben bliesen
auf einer Art Trompete, und es belustigte die holl&ndischen Matrosen
auf ihren Instrumenten zu antworten, ohne dafis sie jedoch dadurch
die Aufmerksamkeit der Wilden erregten, die sich endlich zurQck-
zogen. In der Hoffnung, mit ihnen freundschaftliche Beziehungen
anknQpfeo zu können, beschloili Abel Tasman an Land zu gehen,
aber kaum setzten sich die Schiffe wieder in Bewe^uu-j auf das
L'fer zu, so sah man plötzlich in wilder Hast von nieluereu Seiten
Kanoes sich nähern. Das gröfste derselben, mit etwa 70 Einge-
borenen besetzt, geht auf das kleinere der beiden hollandischen
Schiffe zu bis auf eines Steinwurfs Entfernung, und in eiuer den
Europäern natürlich unverstandlichen Sprache wird unter lebhaften
Gestikulationen heftig auf sie eingesprochen. Die Niederlander wissen
kein anderes Mittel ihre Gegner zu bes&nftigen, als daCs sie durch
Aufhissen weiiser Tücher zum Besuch ihrer Schiffe einladen, eine
Aufforderung, welche die Wilden nicht verstehen. Einstweilen bleibt
indes alles mhig, bis eine Jolle mit einigen Offizieren und Matrosen
Ton einem Schiflie zu dem andern fahren will. Die Wilden greifen
an, töten mit Speeren und Keulen drei der Matrosen, so dafs die
Holländer sich genötigt sehen die Kanonen zu lösen, worauf die
*) Siehe für die Getduichte Nen-Seelands uameuUich die AafsüUe von
Bhncbard in »Revae des deox mondes*, 1878 B. 26. 8. 84 ff., 1879 B. 36.
S. 766 1881 B. 47. 8. 166 ft, 1882 B. 49. 8. 855 ff. Der Aoftats desselben
¥tiftneit in 1864 B. 68 konnte bei dieser Arbeit nicht mehr benntxt werden.
Qwgr. BUMtr. Bwmmi» tm. i
Digitized by Google
— 50 —
Eingeborenen in wilder Flucht anselnanderstürmen. Abel Tasman
halt es unter diesen Umstanden für das beste, der ungastlichen
Gegend den Rücken zu kehren, er lichtet die Anker und nimmt den
Kurs nördlich. Unter dem 34, Hreiton<;rade sieht er abermals
30 — 40 mit Keulen und Stöcken bewatineto Insulaner am Ufer, aber
er verzichtet darauf, mit ihnen Verhandlungen zu beLriuuen.
Es ver^nn*;en nun mehr als 100 Jahre, ohne dafs die Entdeckung
des niederländischen Seemannes irgend welche Konsequenzen hatte.
Cook entdeckte, als er im Jahre 1768 Neu-Seeland wieder au&nd,
die iDsei gewissermaCBen zum zweiten Maie. Die Freude war grofe,
als in den Morgenstunden des 6. Oktober Tom Mast des Cook-
flchen Schiffes aus Land gesehen wurde, das man am nächsten Tage
als eine langhingestreckte KQste mit 4—5 Hflgelreihen, welche durch
eine Bergkette von enormer H5he beherrscht wurden, erkannte. So-
fort wurde die Landung beschlossen, denn man glaubte das unbe-
kannte Australland vor sich zu haben. Indes war die Haltung der
am Ufer befindlichen Wilden bei dieser BegeL^nunu eine so feindselige,
dafs man sich ihrer nur mit Fliutenschüs>en erwehren konnte, und
schliefslich, ohne in das Innere der Insel eingedrungen zu sein, uu-
verrichteter Sache aufs Schiff zurückkehren mulste. Auch am nächsten
Tage führten die Annäherungsversuche zu keinem Erfolge, obwohl
Cook einen Eingeborenen der Insel Tahiti bei sich hatte, der mit den
Wilden verhandeln konnte. Aus Verdruß, so resnltatlos absegeln zu
mflssen, gab Cook der Bai, in welcher er gelandet war, die Benennung
;,Poverty-Bai'' (Armuts-Bai) und setzte seine Fahrt fort Gleichwohl
gab er die Hoffnung, nähere Kenntnis zu erlangen, noch nicht auf,
segelte der Küste entlang, forschte in kleinen Böten nach Stellen
stifsen Wassers am Ufer und drang gegen Süden bis über den
40. Breitengrad hinaus. Hier wurde in der Schiffsmannschaft der
Wunsch laut, das anscheinend nutzlose Vordringen nicht weiter fort-
zusetzen und Cook mufste demselben Folge geben. Den Punkt, an
welchem er umkehrte, nannte er das Kap Turn -again (Kehr
wieder um).
Auf dem Rflckwege wurden die Berührungen mit den Ein-
geborenen zahlreicher. Bald freundschaftlich, bald feindselig auf-
genommen, findet Cook im ganzen die Wilden nicht so undvilisiert^
wie sie ihm beim ersten Anblick erschienen. In der Mercury-Bai
machte er Halt, um astronomische Messungen vorzunehmen und hier
war es, wo unter Entfaltung der grofsbritanischen Flagge im Namen
Seiner Majestät König Georg III. vom Lande Besitz genommen wurde,
nachdem an einem der schönsten und ;irüf>>ten Biiunie einii/e Notizen
über die Expedition uugeächriebeu worden waren. Auf dex* weiteren
Digitized by Google
51
Fahrt wird noch in mancher Bai Halt gemacht, an manchen Plätzett
mit den Eingeborenen verhandelt, Ereignisse, die, trotz unleugbaren
Interesses, hier nicht alle besprochen werden können. Es wird ge-
nfigen zu bemerken, daCs Cook die Insularitat Neu-Seelands feststellte.
Er umsegelte die Nordinsel, passierte die Gook-Strafse (Charlotten-
sand), fiberzeagte sich am Eap Tum-again bereits dagewesen zu sein,
nimmt den Kars sfidlich und segelt dann nach Umschiffang der Sfld-
Insel an der westlichen Küste der Mittelinsel ge^en Norden. Am
27. März 1770 sind die Engländer wieder im Cliarlotten-Sunde und
entschliefsen sich zur Heiiiifalirt. Am 31. März werden die Anker
gelichtet und im Scheiden grüfst Cook die westlichste Spitze der
Meerenge mit dem Namen ;,Kap Farewell".
Fast gleichzeitig, während Cook im Dezember 1769 an der Süd-
spitze Neu-Seelands beschäftigt war, lief unter dem 35. Breitengrade
ein französisches Schiff ein. Mehr als 100 Jahre seit der £ot^
deckung Abel Tasmans hatte sich kein europäisches Schiff hierher
verirrt und nun erschienen die Vertreter zweier grofser Staaten,
Englands und Frankreichs, zugleich. Auch dem französischen Kom-
mandanten, Kapitän Surville, der als ein hochmfitiger und brutaler
Mann geschildert wird, gelingt es nicht, mit den Eingeborenen in
näheren Verkehr zu kommen. Mehr dagegen richtete zwei Jahre
später ein anderes französisches Geschwader unter Führung des
Kapitäns Marion du Fresne aus. Diesem gelang es mit Hülfe eines
Wörterbuchs der Sprache der Bevölkerung Otaheitis, sich den Ein-
geborenen verständlich zu machen und sie freundschaftlich umzu-
stimmen. Man beginnt einen lebhaften Tauschhandel, Metalle gegen
Nahrungsmittel, Nagel gegen Fische, und macht sich gegenseitig
Besuche. Am Lande beschenkten die Franzosen die sich sammelnden
Eingeborenen reichlich und Tersetzen Männer, Frauen und Kinder
dadurch in Entzücken. Sie gehen auf die Entenjagd, fällen im Walde
Bäume zu Masten und überall zeigen sich die Wilden hOlfreich und
zur Unterstfltzung bereit. „Wir würden", so erzählte der fran-
zösische Reisebericht, „wenn wir damals abgereist wären, die vor-
teilhafteste Meinung von den Bewohnern Neu-Seelands nach Europa
gebracht und sie als liebenswürdig, gastfrei und human geschildert
haben." Aber es sollte bald anders kommen und die natürliche*
Wildheit zunächst ihr Recht behalten. Eines Tages begiebt sich
Marion du Fresne mit zwei Offizieren und vierzehn Matrosen ans
Land. Als des Abends niemand zurückkehrt, hegt man auf dem
Schiffe keinerlei Besorgnis. Man glaubte, der Kapitän, von der
Nacht überrascht, hätte mit seinen Grefährten in den Hütten der
Eingeborenen Zuflucht gesucht. Am nächsten Morgen stobt daher
Digitized by Google
6i
wie gewöhnlich eine Schaluppe ab, um frisches Wagser und Brenn-
holz zu holen. Eine Stunde darauf >elien die auf deui Schirt'e Zuiück-
gebliebenen einen Scliwiinnienden vom Ufer sich ihneu nähern. So-
fort wird ein Hoot ausgesetzt, um dem mit deu Wellen Kampfenden
zu Hülfe zu eilen und als man den Ertrinkenden gerettet hat, stellt
sich heraus, dafs er einer der zwölf Matrosen ist, die vor kursem
den Wasserbedarf hatten holen wollen. Wieder zur Besinnung ge-
kommeD, erzählte der Unglückliche, dafs er nur durch ein Wunder
dem allgemeinen Blutbade entronnen sei, welches die Wilden anter
ihnen angerichtet hatten. Ihm sei in der allgemeinen Bestflrzong
gelangen ins Gebüsch zu entkommen and sich ins Meer werfen zu
können. Marion du Fresne und seine Genossen waren tags vorher
offenbar in ahnlicher Weise flberrascht und erschlagen worden. Den
Frauzo.seu blieb daher nicht.-^ übrig, aU die Anker zu lichten und
sich von dem unwirtlichen Ciestade zu entfernen.
In Enj^land beschäftigte mau sich unterdessen, von Cooks leb-
haften Schilderungen fortgerissen, viel mit der seltsamen Insel und
rüstete im Jahre 1772 eine neue Expeditiou aus, bei der Cook ein
Schiff, Tobias Furneaux das andere kommandirte und an der als
naturf ersehender Gelehrter Johann Reiuhold Forster sich beteiligte.
Am 13. Juli 1772 von Plymoath aussegelnd, kam Cook, von widrigen
Winden verschlagen, erst im Mai 1773 nach Neu-Seeland, wo Furneaux
allerdings schon frOher eingetroffen war und Im Charlottensunde
Station genommen hatte. Mit den Wilden kam es wieder zu blutigen
Rencontres. Eine kleine Schar von 10 Matrosen, die harmlos beim
Mahle am Ufer safseu, wurden von deu Eingeborenen meuchlings
überfallen und alle ermordet. Für die Kolonisation Neu-Seelauds
war gleichwol die Reise insofern nicht bedeutungslos, als man bchweine
aussetzte und sich davon überzeugte, dafs europaische Gemüse sehr
gut gedieheu.
Auf diese Reisen folgen die anderer englischer und französischer
Seehelden, des Kapitäns George Vancouver, des Kontreadmirals
Entrecasteanz — auch Cook selbst kam noch ein drittes Mal nach
Keu-Seeland — ^ die weniger bemerkenswert sind, aber die Be-
ziehungen der Insel mit Europa doch immer um einen Schritt vor-
^warts brachten, so dais am Ende des vorigen Jahrhunderts bereits
ein recht reger Verkehr blühte. Walfisclijäger und Seehundsfauger
waren es, die regelmäfsig zu erscheinen begannen und durch sie
fanden englische Missionäre den Weg, mit deren Hülfe die Kolonisation
dann ein schncUcres Tempo anschlug.
Die Situation war allerdings noch immer eine recht ängstliche.
Obwohl ein engiischei Ai'2t, Dr. John bavage, der im Jahre 1805
Digitized by Google
— 53 —
Nen-Seeland besuchte, von den Gegenden und Bewohnern, die er
hatte kennen lernen, ein sehr freundliches Bild entwarf, so kam es
doch noch im Jahre 1809 vor, daEs ein grofses Schiff mit 70 Mann
an der KUste von Nea-Seeland spnrlos versehwand. Es war das
englische Schiff ^Boyd'' unter Kapitän Thomson, das eine Ziihl
Deportierter nach Sydney gehracht hatte und auf der Rückreise im
Hafen von Wangaroa anlegte, um eine Laduns: Bauholz einzunehmen.
Wie sich nach Jaliren herausstellte, war der Überfall der Wilden,
die das Schiff verbraunt und alle Fremdlinge erschlagen hatten, die
Rache eines Maori-Häuptlings, der auf der Überfahrt von Sydney
nach Neu-Seeland von Kapitän Thomson ungerechter Weise schlecht
behandelt worden war. Bot mithin der Aufenthalt unter den räch-
sftchtigen Eingeborenen wenig Verlockendes, so wagten trotzdem
englische Missionare es im Jahre 1814 denselben die Wohlthat des
Christentums zuzuwenden. Samuel Marsden, einer der Hauptgeist-
lichen ans Neu-Süd-Wales, unternahm das schwierige Werk des
Friedens. Er schlofs mit den Maoris einen Vertrag ab, laut welchem
ihm gegen ein Dutzend Beile ein Terrain von 200 acres in der
Insel-Bai abgetreten wurde. Hier in Rangihow baute sich Marsden
ein Haus und liefs sich mit einigen entschlosseneu Gefährten nieder.
Er selbst mufste nach einiger Zeit, im Februar 1815, nacb Neu-
Süd-Wales zurück, zur Fortsetzung seiner dortigen geistlichen
Funktionen, aber seine Begleiter blieben. Diese hatten es in der
jungen Kolonie furchtbar schwer. Immer wieder brach die Wildheit
der Neu-Seeländer durch, und wenn auch den Missionaren direkt
nichts zu leide geschah, so legten sich die Eingeborenen doch im
übrigen in ihren bi^erigen Gewohnheiten keinen Zwang auf. Sie
zogen nach wie vor auf Kriegsbeute aus und steckten bei der Rflck*
kehr die Köpfe der erschlagenen Feinde den Europäern vor die
Thür auf Stangen, während sie den Körper verzelirten, ohne sich
durch die Prediger, die dem unnatürlichen Treiben Einhalt zu thun
■ sich bemühten, irre machen zu lassen. Immerhin gelang es nach
dreijährigem Aufenthalte im August 1816 eine Schule zu eröffnen,
die von 36 Kindern besucht wurde, im Jahre 1819 konnte 12 Meilen
sQdlicher von Rangihow, auf dem Territorium von Keri-Keri, eine
neue Station angelegt werden und im Jahre 1823 erlaubte der
Zustand der Mission bereits, sie als eine «blähende* zu bezeichnen.
In Bezug auf die Ausbreitung des Christentums waren die
Erfolge zunächst allerdings nicht bedeutend, aber die Missionftre
bewiesen etwas sehr wichtiges, ndmlich, dafs man in völliger Sicher-
heit unter diesen damals sehr gefürchteten Wilden leben konnte.
Dieser Umstand trug zum Aufschwange des geschäftlicheu Verkehrs
— 54 —
viel bei. Im Jahre 1818 giogen in der Insel-Bai 6 WalfischfUnger
vor Anker, von 1823^29 kamen jalurlidi einige zwanzig dahin, Im
Jahre 1830 waren 60 da nnd ihre Zahl war 120 im Jahre 1838.
Das Schwein und die Kartoffel waren neben der Jagd auf die Wal«
fische der Grund der Anziehung ftr die Seeleute, die eben sieber
waren hier jederzeit frische Nahrungsmittel zu finden. Von diesen
Schiffen blieb häuft*; ein Teil der Mannschaft auf Neu-Seelaud und
die Folge davon war, dafs sich schliefslicli auch Kaufleute aus Sydney
und IIobart-Town (auf Tasmanien) niederliefseu. Von der Kultur-
stufe dieser Kolonie darf man sich allerdings keine grofse Vorstellung
machen; die geseilscbaftlichea Zustande waren einfach grausen-
erregende. Das einzige Gesetz, welches regierte, war das Lyndi-
gesetz; der Branntweingenufs stand auf der Tagesordnung. Man
konnte die Kolonisten eigentlich nur nach zwei Klassen unter-
scheiden, erstens die, welche den Whiskey verkauften und die, welcbe
ihn tranken, wobei Übrigens nicht anzunebmen ist, das die ersteren
letzteres gar nicht thaten. Korarika, der Versammlungsort der
Walfischfänger, wird als ein Pandftmonium bezeichnet, wie es schwer-
lich ein ärgeres je in der alten oder neuen Welt gegeben hat.
Von diesem ärgerlichen Treiben hörte man in Europa nur wenig
oder gar nichts: dort, wo von Frankreich und England aus immer
wieder neue Forschiiimsreisen unternouimcn wurden, hatte man nur
die schöne fruchtl)are Insel im Auge und schou 1825 hatte sich ia
London eine Gesellschaft von Trägern hocharistokratiscber Namen
gebildet, um die Kolonisation Neu-Seelands zu unterstützen. Die-
selbe hatte zunächst freilich wenig Glück, indem niemand sich recht
getrauen mochte dahin auszuwandern, wo die eingeborene BeTülkerung
sich so wenig entgegenkommend gegen die Fremden zeigte.
Bald indefs nahm die Angelegenheit eine andere Wendung. Die
Missionare nämlich, die unermüdlich ihrem Friedenswerke oblagen,
wufsten es durchzusetzen, dafs die Maori-Häuptlinge sich mit der
Bitte um Protektion an Grofsbritauien wandten. Ihrer 13 — unter
vielleicht 1(K), die auf der ganzen Insel herrschten — sandten an
König Wilhelm IV. ein Schreiben etwa folgenden Inhalts: ^König
Wilhelm, wir, die Häuptlinge von Neu-Seeland, versammelt in Keri-
Keri, wir schreiben Dir, da wir erfaliren haben, dafs Du ein grofser
Häuptling bist jenseits des Meeres und bitten Dich, der Freund und
Beschützer unserer Inseln zu sein. Wir haben sagen hören, dafs der
Stamm des Bfarion sich unseres Landes bemächtigen will . . . u. s. w.**
Der letztere Passus bezog sich auf die Franzosen, die seit 1824
mehrere Expeditionen nach Neu-Seeland ausgerüstet hatten — un
Jahre 1824 das Schi£f „La Coquille" unter Kapitän Duperrey, im
Digitized by Google
— 56 —
Jahre 1827 das Schiff „Astrolabe'' unter Dumont d'Urrüle, im Jahre
1831 die Korvette »La Favonto* unter Kapitän Laplaoe — und vor
denen die Wilden wegen ihres hinterlistigen Vorgehens gegen den
unglüddiehen Marion du Fresne sich besonders fürchten zu mfissen
glaubten. Die Bittschrift der Maoris wurde von einem der Geist-
lichen, William Yate, persönlich übefbracht und fand in London nicht
nur bei den Missions^esellschaften, sondern auch beim Kolonial-
minister Anklani?, welcher sich zur Entsendung eines sogenannten
Residenten nach Neu- Seeland eiitschlofs. Dieser, ein Mr. James Busby,
nannte sich, als er im Jahre 1H33 auf der Insel erschien, den Mis-
siouäreu gegenüber „Konsul, hatte aber keinerlei offizielle Funktionen.
Man s^h nur, dafs er über bedeutende Geldsummen verfügte und von
Zeit zu Zeit den Eingeborenen reiche Geschenke machte. Seine ge-
heime Mission schien darin zu bestehen die Insel zu flberwachen,
dafs die Franzosen an keiner Stelle derselben festen Fuls fbEsten.
Mit der Anwesenheit des Residenten wuchs zwar die Sicherheit
des Aufenthalts für Europfter gerade nicht; Busby selbst sogar war
Üeberf&Uen ausgesetzt. Noch immer kam es vor, dafs die Walfisch-
fanger von den Wilden angegriffen, die Mannschaften ganzer Schiffe
niedergemetzelt wurden. Immerhin begannen die Anzeichen einer
allgemeinen Kultur sich zu mehren und gab es Gegenden, wo die
Maoris sich ordentliche Wohngebäude errichteten und Ackerbau
trieben. Daher gelang es den Missionären sehr bald, eine neue
Komödie in Scene zu setzen : die Unabhangigkeitserklärung der ver-
einigten Stamme Neu-Seelands. Einige dreifsig U&uptlinge versam-
melten sich im Oktober 1835 und einigten sich zu folgender Kund-
gebung: 9 Wir, die erblichen Häuptlinge und die Ersten aus den
Stämmen der nördlichen Hälfte von Neu-Seeland, versammelt in
Waltangi, erklären die Unabhängigkeit unseres Landes, welche von
den Anwesenden als die Unabhängigkeit des Landes der vereinigten
Stämme Neu-öeelands anerkannt wird." Der englische Resident und
zwei Missionäre waren Zeugen des Vorgangs, über welchen ein
Dokument aufgenommen wurde, unter das die Häuptlinge ihre
Zeichen malten. Von demselben wurde eine Abschrift der eng-
lischen Regierung mitgeteilt und diese beeilte sich es gleichfalls zu
sanktionieren. In der Insel-Bai erschien ein Kriegsschiff, dessen
Kommandant den Wilden drei Flaggenmuster vorlegte, um sich eine
derselben als Nationalität«zeichen auszusuchen. Nachdem die Wahl
getroffen, löste das Schiff 21 KanonenschOsse und fuhr ab. Gleich-
zeitig aber liefe sich in Hokianga, weiter südlich von dem bisherigen
Wohnsitze der Engländer, ein zweiter Resident nieder.
Nachrichten von diesen Vori^iiniien drangen allmählich nach
L.iyui^L,J cy Google
— 66 —
Europa, wo man nun mittlerweile auch beurteilen gelernt hatte, was
auf dem Spiele stand. Mehr und mehr wurden hier von verschiede-
nen Seiten Wünsche laut, an der Kolonisation Nea-Seelands teUxo»
nehmen. Besonders ein Mann bat Jahre hindurch yiel von sich reden
gemacht und bald die frans^teiscbe, bald die englische Regierung mit
Bitten um Anerkennung gewiss^ Ansprache beliatigt« die er auf
Ken-Seeland zu haben glaubte. Dieser Mann war der Baron Charles
Thierry; als Sohn eines französischen Emigranten im Jahre 1793 in
London geboren, hatte er sich in Oxford und Cambridge erst mit
theologischen, duiin mit juristischen Studien beschäftigt und schlie£s-
lich die Tochter eines englisclien Geistlichen geheiratet. Durch Zu-
fall macht« er die Bekanntschaft eines der Missionare, die in gewissen
Zeiträumen nach Europa reisten, um das Interesse für Neu*Seeland
nicht erkalten zu lassen, und hörte von diesem, Pastor KendaU, dafo
einige Maoris ihm ein grolses Terrain angeboten hatten unter der
Bedingung, dafs er sich in ihrer Mitte ansiedele. Der Pastor seiner-
seits war bereit dieses Territorium an Baron Thierry abzutreten,
der um so lieber auf das Geschäft einging, als zwei der Häuptlinge,
welche ihren Seelsorger nach England begleitet hatten, ihn sehr
freundlich nach Neu-Seeland einluden und davon sprachen, ihn als
ihren Fürsten dort anerkennen zu wollen. Für 26 Beile tauschte
Baron Thierry — er selbst behauptete später 20 000 Frauken ge-
zahlt zu haben — ein grofses Stück Land ein, dessen Kultivierung
nunmehr seine Lebensaufgabe bilden sollte. Er lud durch öffent-
lichen Aufruf jedermann, namentlich Geistliche, ein, ihm zu folgen,
und machte sich endlich auf den Weg. £inige Zeit verweilte er in
Keu-Sfld- Wales, um seine Anhängerschar zu vergröfsem, die aber
doch nicht mehr als 60 Köpfe zahlte, als er in Hokianga eintrat
Dort passierte ihm nun das Mifisgeschick, dafs die Maoris von ihm
absolut nichts wissen wollten und der Besitzergreifung des Terri-
toriums sich energisch widersetzten. Infolge dessen verliefsen seine
Genossen ihn allmählich und, von Subsistenzmitteln entblöfst, führte
der Baron Thierry auf Neu-Seeland ein abenteuerndes Leben, bis er
im Jahre 1864 in Auckland sUirb.
Was dem Baron Thierry zustiefs, ereignete sich auch mit
anderen Europäern. Die £in<i:eborenen, die mau stets mit Kleinig-
keiten, mit ein paar Fassern Branntwein oder einigen Packeten Tabak
abgefunden zu haben glaubte, verkauften ein und dasselbe StUck
Land mehrere Male und wenn dann die betreffenden K&ufer ei^
schienen, um sich auf ihrem Grundstück niederzulassen, kam es zn
endlosen Streitigkeiten.
Wahrend dieser grofsen Unordnung bildete sieh nnn in London
Digitized by Google
— B7 —
im Jabre 1837 eine Gesellschaft in der Absicht, die Kolonisation
nach beiden Seiten, für die Eingeborenen wie für die Fremden, vor-
teilhafter zu ^(estalten und sie woinö-rlich unter gesetzliche Leitung
zu stellen. Man wandte sich an den damaligen Premierminister
Melbourne mit der Bitte um Unterstützung der Bestrebungen, aber
dieser lehnte ab. Die Regierung, meinte er, sollte sich in derartige
Privatangelegenheiten nicht hineinmischen. Und dieser Auffassung
gem&b wurde die BilU welche die Genehmigung der Regierung
bringen sollt«, verworfen. Nach allem, was yorhergegangen war,
kam diese Entscheidung sehr überraschend, und so wenig war man
auf diese Wendung vorbereitet gewesen, dafs einige Landleute und
Handwerker ihr Hab und Gut schon verkauft und zur Auswanderuug
gerostet waren, welche au&ugeben unter diesen Umstfinden ratsamer
erschien. Gleichwohl konnte man diese Ärmsten nicht wolil im Stiche
lassen und unternahm, um ihnen zu helfen, eine öffentliche Sub-
skription, welche 100 000 Pfund Sterling aufbrachte, mit denen dann
die „New Zealand Company" begründet werden konnte, an deren
Spitze Lord Durham trat. Von dieser Gesellschaft erhielt Oberst
William Wakefield den Auftrag zu einer Forschungsreise nach Neu-
seeland, um eine für die Kolonisation geeignete Gegend ausfindig
zu machen. Am 9. Mai 1899 segelte er von Gravesend ab und fand
in dem Hafen von Nicholson an der ftufserten Südspitze der Nord-
insel ein Territorium, das allen Ansprüchen zu genügen schien. Hier
hatten die Eingeborenen noch nicht die Gewohnheit angenommen,
den Weifsen ihr Land wiederholentlich zu verkaufen, und aufser
einigen Walfischfangern, die sich dort häuslich eingerichtet und mit
Maori-Frauen verheiratet hatten, fanden sich keine Niederlassungen
von Europäern. Gegen Gewehre, Pulver, Kugeln, Blei, Messer,
Spiegel, Taschentücher u. a. gelingt es daher dem Oberst Wake-
fleld ein Terrain einzutauschen, grofs genug, um ein ganzes König-
reich daraus zu bildeo. Noch vor Ende des Jahres 1B39 folgten
neun Schüfe der Kompagnie, die 1117 Auswanderer brachten, welche
im Februar 1840 auf dem neu erworbenen Gebiete angesiedelt wer-
den konnten.
Indem die private Initiative sidi auf diese Weise half, hörte
die Agitation, dafs die Regierung die Hand auf die schünen Inseln
legen sollte, doch nicht auf. Man stellte den Besitz derselben so
verlockend wie möglich hin. Zahlreiche Familien liefsen sich dort
ansiedeln, aus den Insulanern vortreffliche Matrosen heranziehen, die
Schafzucht zur Ausdehnung der englischen Wollenindiistrie verwerten.
Man sprach von den Absichten der Franzosen auf die Annektion
Neu-SeeUods, denen man zuvorkommen müliste, stellte es gewisser-
Digitized by Google
— 58 —
mafiBeQ als eine Pflicht hin, die Maoris, eine der edelsten Bafsen, vor
dem Untergange zu schlitzen. So lange indefs keine Engländer in
namhafter Zahl auf Neu-Seeland wohnten, nahm die britische Re-
gierung keine Kotiz von diesen Anregungen nnd das einzige, wozu
sie sich entschlofs, war die regelmftfsige Stationierung eines Kriegs-
schiffes in der Insel-Bai. Ah jedoch die Kolonisation im Jahre 1840
in pröfserem Mafsstabe vor sich giftg, beauftragte sie sofort den
Koiiiniandanten dieses Kriegj^schiffes, über die Abtretung verschiedener
Teile dieser Insel mit den Kin geborenen zu verhandeln nnd die er-
worbenen Territorien als Annexe zur Kolonie von Neu-SUd-Wales
hinzuzaschlagen. In der Instruktion, welche Kapitän Hobson von
dem Marquis Normanby, dem damaligen Kolonialminister, erhielti
wnrde die Notwendigkeit eines freiwilligen Zugeständnisses der
Maoris zu dem beabsichtigten Schritte betont. * Eapitftn Hobson, der
auf der Korvette ,»Herald'' am 29. Januar 1840 in der Insel-Bai etn-
tnfy berief eine Versammlung der Kolonisten, die in der Kapelle
der Missionare stattfand und auf welcher das Schreiben der Königin
Viktoria in dieser Angelegenheit zur Verlesung gelangte. Kein
Landerwerb sollte laut dieser Verfügung mehr als gültig aniresehen
werden, wenn er nicht von einer in Sydney sefshaften KeuMorungs-
kommission geprüft worden sei. Als Hobson zum Untersch reiben
des Dekrets aufforderte, weigerten sich einige der Kolonisten, die
Begierungsmafsregel anzuerkennen. Die Mehrzahl jedoch stimmte,
von der Hoffnung beseelt, mehr oder weniger unrechtmäfsig aocep-
tiertes Land auf diesem Wege als ihr Eigentum sanktioniert zu
sehen, zu.
Nun galt es femer das Zugeständnis der Maoris zu erlangen.
Auch sie werden zu einer Besprechung eingeladen, und da sie zahl-
reich auf der Besitzung des Ue^idciiteii, Mr. Husby, am 5. Februar
erschienen, ihnen in feierlicher Rede die Sachlage auseinandergesetzt.
Sie hätten das Interesse der Küniirin von England erweckt — so
sagte der Gesandte — und die gute Frau habe nicht ermangeln
wollen, ihnen Schiffe und Waffen zu ihrer Unterstützung zu schicken.
Ihrer persönlichen Freiheit wolle sie nicht zu nahe treten, aber sie
setze als selbstverständlich voraus, dafs die Maoris von nun an ihr
Land an niemanden auüser an ihre hohe fieschdtzerin würden ver-
kaufen wollen. Als die Rede geendet und die schwierige Mission in
die einheimische Sprache übersetzt ist, bricht ein Sturm des Un-
willens aus und einen Augenblick glaubt Kapitän Hobson alles ver-
spielt zu haben. Aber auf eine heftige Entgegnung, welche zum
Widerstände auffordert, folgt der Spruch eines vorsichtif^erweise
vorher gewonnenen Häuptlings, der zum Vertrage rät, und dieser
Digitized by Google
— 59 —
kommt denn auch glücklich zu stände. Sechsundvierzip: neusee-
ländische Häuptlinge unterzeichnen den Vertrag von Waitanf^a am
6. Februar 1840, der die Insel den Engländern preisgiebt. Darauf
hin zieht Hobson weiter auf der Insel herum und sammelt Unter-
schriften, die überall auf der Nordinsel bereitwilligst zugestanden
werden. Nur im Hafen von Nicholson stöfst er bei der neugegrün-
deteu Kolonie auf Widerspruch und diese Hartnäckigkeit veranlafst
ihn zu einem Auisersten Schritt. Er erklärt einfach am 21. Mai 1840,
dafs die Souveränetät der eogiischea Krone auch auf den sfldUchen
Teil der Nordinsel, sowie auf die ganze Mittelinsel und die Sfldinsel
anegedeimt sei, ohne sich um Ablehnung oder Zustimmung der Be-
wohner za künunem. Feierlichst wird die Besitzergreifung von Te
Wahl Ponnamou proklamiert und mit einer Salve EanonenschOsse
hegrüfst. Damit glaubte Grofsbritanieu alles gethan zu haben,
was Rechtens war.
Zu denen, welche dem Treiben der Engländer auf Neu-Seelaud
sich widersetzten, gehörte auch der Baron Thierr>^ Er war nicht
müde «geworden, seine bestrittenen Rechte ^^eltend zu machen und
hatte zuletzt in Frankreich Anklang gefunden. Die Presse nahm
sich seiner an und wies darauf hin, wie bequem Frankreich es ge-
habt hätte, indem es zu Gunsten des Barons intervenierte, sich selbst
eine bedeutende Kolonialmacht za verschaffen. Allgemein begann
man sich lebhaft für Neu-Seeland zu interessieren and Schritte za
thon, um ein Stock davon zu erwerben. Leider war es mittlerweile
bereits zu spät geworden. Zunächst bildete sich allerdings eine
Kolonisationsgesellschaft, die „Compagnie nante -bordelaise". Ein
Herr Langlois behauptete auf der Hall)insel Banks, an der Ostküste
von Neu-Seeland, von den Eingeborenen ein umfangreiches Terri-
torium gekauft zu haben und dahin wollte die Konipa^^uie eine
Expedition ausrüsten. Die Rednern ng verstand sich zu einem Ver-
trage mit derselben und unterstützte ihr Vorhaben durch eine
Korvette und ein Transportschiff In der Nacht vom 10. auf den
11. Juli traf die Korvette in der Insel-Bai ein und hier erst erfuhr
ihr Fflhrer, KapitAn Lavand, was sich mittlerweile zugetragen. £r
sieht am Ufer das englische Banner flattern und drei der jungen
Kolonie bereits attachierte Kriegsschiffe. Kapitän Hobson weigerte
sich mit den Franzosen in Unterredung zu treten, so lange sie ihn
nicht als Gouverneur von Neu-Seeland anerkannt hatten, und erst,
nachdem dies geschehen, erklärt er, dafs die fianzü>isclien Kolonisten
unter dem Schutze der englischen Herrschaft sich ruhig niederlassen
könnten. Dazu erfahrt Herr Lavand, dafs die Halbinsel Banks, auf
welche man franzOsischerseits .wohlerworbene Ansprüche im haben
Digitized by Google
glaubte, nnteFdessen an einige Engländer Ton den Maoris weiter
verkauft sei. Ingrimm im Herzen und voll Schmerz aber das Miüsh
glflcken setzt Lavand seine Fahrt nach der Halbinsel fort, nm mit
dem Transportschiffe, das die Auswanderer beherbergte, zusammen
zu treffen. Dieses war schon am 9. August 1840 an dem Bestim-
mungsorte eingetroffen, hatte aber von den Englandern nicht die
Erlaubnis zur LandiuiK bekommen. Kapitän Lavand, der am 15. August
dazu kommt, tindet die schrecklichste Verwirrung vor. aus der sich
endlich ergiebt, dafs die franzosischen Ansprüche sich auf ein kleines
Terrain nahe am Port Cooper beschränken. Die armen Auswanderer
müssen froh sein, dafs sie in einer von der gewöhnlichen Landungs-
stelle auf der Halbinsel etwas entfernten Budit ein dOrftiges Unter-
kommen finden. Auf die Dauer gefiel es den Franzosen dort jedoch
nicht Den Kummer sich verspätet zu haben, konnten sie nicht
verwinden, und als spftter Frankreich von den Marqnesas-Insehi
Besitz ergriff, siedelten die Opfer der MCk>mpagnie nante-bordelaise*
nach Nukahiva über. Ihre bis dabin angelegten Obstgarten über-
liefseu sie den Engländern, welche, wie diese sagen, nach der Ab-
reise der Franzosen noch viele Früchte von grolser Schönheit und
seltener Güte in ihnen ernteten.
So war England wieder einmal in den Besitz einer der schön-
sten und fruchtbarsten Kolonien gelangt. Bot dieselbe momentan
auch nicht so sehr viel, so berechtigte sie doch zu den schönsten
Hoffnungen. In der That hat die Entwickelung der Kolonie, die von
nun ab gute Fortschritte machte, denselben durchaus entsprochen.
Wellington, die Stadt, welche im Gebiete des Hafens von Nicholson
angelegt war, erwuchs schnell und wird von einem der neueren
Reisenden, Dr. Max Buchner,'*') als eine bescheidene anmutige Stadt
mit sauhcreu Strafsen und wohleingefafsteii Trottoirs im Charakter
Old Englands geschildert. Die meist kleinen Ilauser sind von Holz,
vor etwa 20 Jahren vernichtete ein Erdbeben viele Geliaude.
Noch in demselben Jahre, 1840. Nvurde an der Westküste der Nord-
insel die Stadt New-Plymouth erbaut und Ackerbauer aus Devooshire
und Cornwallis, die sich in der Umgegend derselben niederliefsen,
gediehen vorzflglich. Zu einer dritten Stadt wurde gleichfalls in
demselben Jahre noch der Grundstein gelegt, au Auckland, an der
Westküste von Neu-Seeland, einige Meilen vom Hafen von Manukau,
wo am 19. September die englische Flagge aufgehifet und in der
Folge der Sitz der Kegierung aufgeschlagen wurde. Am 3. Mai 1841
wurde die Unabhängigkeit Neu-Seelands feierlich verkündet, das
fortan als eine ^rofsbritanische Kolonie, getreuut von Neu-büd- Wales,
*) Eeifie durch den Stillen Ocean. S. 87.
Digitized by Googl(
— 61 —
migeselien wurde. Bald darauf war ein gesetzprehender Rat kreirt,
der am 24. Mai 1841 seine erste Sitzung abhielt. Auf der Südinsel
entstand zuerst im Gebiete der Blind-Bai die Kolonie Nelson, die
gleichfalls vorzüglich gedieh. Im Jahre 1847 liefsen sich in Otago
an der Ostküste der Südinsel schottische Kolonistea nieder und im
Jahre 1849 trafen 18 Schiffe mit 3000 Einwanderern an Bord an der
Halbinsel Banks ein, auf welcher alsdann die Niederlassung Ton
CanterboTf begründet wurde.
So stieg bis zum Jahre 1850 die Zahl der Europaer auf 23000,
und als im Jahre 1853 Neu-Seeland, ähnlich den australischen Kolo-
nien, eine Verfassung erhielt, hatte man sechs Provinzen, drei auf
der Nordinsel und ebensoviele auf der Südinsel. Die ersteren waren
Auckland, New-Plymouth und Wellington, die letzteren Nelson,
Canterbury und Otago. Dazu kamen später 7) im Jahre 1809 die
Provinz Hawke mit der Stadt Napier, welche sich von der Provinz
Wellington trennte, 8) die Provinz Marlborough, im Jahre 1860 von
Nelson abgelöst, 9) die Provinz Southland im Jahre 1861, die auCserste
Südoet^itze der Sfldinsel. und 10) im Jahre 1868 die Provinz West-
land County. Durch die Verlassang wurden zwei Arten von Re-
gierangen geschaffen, eine allgemeine für die ganze Kolonie und so
viele besondere, als es selbständige Provinzen giebt. Der Gouverneur
vertritt die Stelle des Könij^s. Neben ihm stehen der gesetzgebende
Rat mit 45 Mitgliedern, die auf Lebenszeit ernannt werden, und die
Repräsentanteukammer, deren 78 Mitglieder alle fünf Jahre neu zu
wählen sind. Da die gesamte Bevölkerung 500000 Köpfe umfafst,
so dokunieutiert in den angegebenen Zahlen sich eine sehr starke
Vertretung. In den Provinzen regiert der Superintendent und die
ihm zur Seite stehende Volksvertretung ist ein wahres Parlament,
das die Finanzen und L&ndereien der Provinz zu verwalten hat
Die Medüche Entwickelung wurde leider durch neue Aufstande
der Eingeborenen seit 1860 beeinträchtigt. Unter denselben bildeten
sich namlkh zwei Parteien, deren eine den Fremden Land zu ver-
kaufen gesonnen war, wahrend die andere nichts davon wissen wollte.
Da der Gouverneur, Colonel Browne, sich zu Gunsten der ersteren
einmischte, kam es am 4. Marz 1860 zu offenen Feindseligkeiten
gegen die Kuropäer und zur behlacht bei WaYreka am 30. Marz des-
selben Jahres, die unentschieden blieb und mit Verlusten auf beiden
Seiten endete. Ähnlicli verliefen die Kämpfe von Waitara im Juni
1860 und von Uaurangi im Februar 1861. Die Engländer erhielten
Unterstützung durch frische Truppen, die aber auch nichts auszu-
richten vermochten« Unter den Maoris strebte einer der Führer,
Namens Woiremu Kingi, eine friedliche Ausgleiehung an und schlug
Digitized by Google
— 62 —
dem Gouverneur vor, die Streitigkeiten vor den Räten der Königin
in England zum Au^tiai^ zu brinj^^en. Ehe man sich über diesen
Ausweii noch recht ver>t;iii(liirt hatte, wurde C(donel Browne indes
al)beniten und an mmiiü stelle trat Sir George Grey, der sofort sein
möglich.^tes that die Eingeborenen zu versöhnen, was ihm so jrut
gelang, dafs er gegen Ende Dezember 1861 nach Auckland zurück-
kehrte in dem Glauben, nunmehr allen Kam])fen ein Ende bereitet
zu haben. Aber der Funken glimmte unter der Asche fort. Schon
im September 1862 nahmeo die Maoris wieder eine feindliche Haltung
ein, und im Juli 1863 sah sich General Oameron genötigt, in ihr
Gebiet einzudringen. Trotz einiger Erfolge der Engländer hörten
die Maoris mit ihrer verzweifelten Gegenwehr nicht auf und kämpften
mit beispielloser Tapferkeit weiter. In Orakao, wo 3 — 400 Krieger
nebst Frauen und Kindern eingeschlossen waren, hielten sie, an
Wasser und Nahrungsmittelu Maugel leidend, aus, ohne der Auf-
forderung, sich zu ergeben, Folge zu leisten. In Wangagua, am
14. Mai 1865, unterlag der Stamm der Hau-hau gegen die mit den
Engländern verbündeten Volksgenossen. Blutvergiefsen, Totschlag
und kleine Gefechte nahmen aber kein Ende und erst nach sechs-
jähriger Dauer, im Jahre 1866, schien man den Krieg als beendet
ansehen zu können. Im Dezember des genannten Jahres revidierte
der Gouverneur die Insel von einem Ufer zum andern und fand
alles ruhig. Endlich war die englische Kolonie Herrin des Landes
geworden und seitdem blieb der Frieden ungestört
Die Finanzverwaltung, sofern sie die ganze Kolonie
betrifft, bot in den letzten Jahren Anlafs zu einigen Bedenken.*)
Bis zum Jahie 186Ü war die Enbvickelung eine solide, langsam und
stetig vorwärtsgehende, die in den vierziger Jahren freilich aufser-
halb noch wenig Vertrauen erweckte. Im Jahre 1843 z. B. war der
öfiFentliche Kredit so schwach, dafs die Kolonie vergeblich eine
Anleihe von 15 000 £ in Sydney abzuschliefsen suchte, obgleich sie
sogar zu 15 Prozent Zinsen sich verstand. Mit dem Jahre 1870, als Sir
Julius Vogel ins Ministerium trat, änderte sich das gewaltig. Damals
begann für Keu-Seeland eine neue Epoche, indem grolsartige Kredit»
Operationen unternommen wurden, um allerlei Verbesserungen durch-
führen zu können. Der Gouverneur war auf Beförderung der Ein-
wanderung durch Unterstfitzung mit Geldmitteln bedacht, baute
Eisenbahnen und Strafsen, erweiterte das relegrapheuiietz, plante
die Anlage vou VVerltcu, Docks, Hafenbauten u. a., und bis
*) Das Material zu diesen und den folgenden Betrachtungen siehe in den
letzten Jahrgängen des „Deatsehen UaiidelsarctiiTs''y der Zeitachhft «Export* und
des ,£cojioiiu8te Ctan^B'^.
Digitized by Google
— 63 —
zum Jahre 1881 stieg infolge dessen die Staatsschuld bis auf
&50 Millionen Mark. Augenscheinlich war etwas zu grofsartig be-
wirtschaftet worden. Die jährlichen Einnahmen betrugen seit 1873
etwa 54 bis höchstens 82 Millionen Mark, die budgetmäCsigen Aus-
gaben 42 bis gegen 86 Millionen Mark, man hfttte also auskommen
können. Statt dessen stieg die Staatssdinld von 218 Millionen Mark
auf mehr als das doppelte. Die Verzinsung der Staatsschuld allein
kostet gegenwärtig einige 20 Millionen Mark jährlich. Wahrend die
Staatsschuld bis zum Jahre 1873 gröfstenteils durch die Kämpfe raft
den Maoris bedingt war, also fi;ewissermafsen als der Preis erscheint,
welchen die Kolonie für ilire Unabhängigkeit entrichtete, wurde ihre
Zunahme durch die mit etwas zu grofser Eile angestrebten Reformen
verursacht und forderte infolge dessen mehr zur Kritik heraus.
Zeitweilig scheint die Situation demgemäfs drückend genug und die
finanzielle Verlegenheit keine geringe gewesen zu sein. Man dachte
an neue Steuern, eine Erhöhung der Bieraccise u. a. Es ist
nicht bekannt geworden, wie viel von diesen Planen ausgefohrt ist.
Immerhin braucht man das Vertrauen auf die Eoloniakegierung
keineswegs aufzugeben. Man hat, sogleich als der Krach ausbrach,
daran gearbeitet, das Schiff wieder flott zu machen. Zahlreiche
Beamte wurden entlassen, der Betrieb der Eisenbahnen reduciert,
der Staatsbauten einstweilen eingestellt und kurz, man schränkte die
Staatsausgaben ein und machte Ersparnisse da wo es möglich war.
So dürften bei den reichen natürlichen Hülfsquellen mit einigen
guten Ernten und ein paar guten Geschäftsjahren die Staatsänauzen
bald wieder in Ordnung sein.
Erscheint Neu-Seeland in dieser Schilderung als eine rein eng-
lische Kolonie, so ist damit doch nicht gesagt, dafs man deutscher-
seits ganz divauf verzichten muüs, irgend welchen Nutzen aus ihr
zu ziehen. Zur Zeit hat das deutsche Element freilich noch nicht
sehr tief Wurzel geschlagen. Unter den 500000 Einwohnern giebt
es gegen 5000 Deutsche, zwei Dritteile mannlichen, ein Drittel
weiblichen Geschechts, die größtenteils auf dem Lande leben und
Viehzucht, Ackerbau oder liergbau treiben. Unter 41 Deutschen z. B.,
die im Jahre 1882 auf Neu-Seeland um Naturalisationsurkunden nach-
gesucht hatten, waren neun Farmer, neun Bergleute und vier Kauf-
leute und Kommis. In den Städten, in denen etwa IhOO Deutsche
leben, sind dieselben vorzugsweise Handwerker, und gröfsere deutsche
Geschäfthftuser trifft man in ihnen vselten an. Wohl aber sind in
einzelnen englischen Häusern die Chefs oder Associ^ der Firma
deutscher Abstammung. Ansehnliche Lftden, welche Deutschen ge-
hören — Uhrmacher, Juweliere, Möbelhändler findet man in
Digitized by Google
64 —
Christcbnrch. Bemerkenswerte deutsche Importtinnen sind in Dunedin.
Immerhin it>t seit 1874 die Zahl der Deutschen, welche damals
2819 betru«:, auf fast das Doppelte gestiegen.
Der direkte Verkehr Deutschlands nach Neu-Seeland ist noch
sehr unbedeutend. Haniburg bezittert in seiner Hfindelsstatistik die
Ausfuhr dahin im Jahre 1880 auf 101200 kg brutto, und führt sie
in den Jahren 1881 and 1882 gar nicht mehr beaonderB auf. Das
deutsche HandeisarchiT giebt fOr das Jahr 1880 einen Import deut-
scher Waren in Neu -Seeland im Werte yon 116000 Hark, im
Jahre 1882 von 79000 Mark. Und anch die 19 Schiffe deutscher
FUgge, welche im Jahre 1882 nnter 749 ttberhaapt eingegangenen
registriert waren, vermitteln mehr den Verkehr zwischen China und
Neu-Seelaud, beziehuiigbweise ^'üu-beeland und den Inseln der büdsee,
als zwischen Deutschland und Neu-Seeland. Dur Konsum von Waren
deutscher Provenienz ist gleichwohl nicht unbedeutend; nur werden
dieselben, weil über London und durch englische Agenten bezogen,
als engliche vom Zollamt registriert. In Dunedin wie in Christchurch
soll man in den Laden nicht selten deutsdie Waren antreffen, wie:
Stiefel, Schuhe, Eisen-, Stahl- und Messingwaren, Spielsachen,
Klaviere, Luxus- und Lederartikel, Glas, Porzellan n. a. Die
Hamburger Statistik gab im Jalure 1880 Bier, Salz, Cement nnd
Mobilien als die in Neu-Seeland importierten Gegenst&nde an. Wie
geringfügig auch immer bisher der Handel nach Neu-Seeland ge-
wesen sein mag, so sollte man doch nichts unterlassen, was dazu
beitragen könnte, dort tV.stt r Fuls zu fassen. Die Konsumtionbfähig-
keit dieser Insel, wie übrigens auch die des australischen Kontiueuts,
ist eine sehr beträchtliche, und da trotz ulier nicht zu leugnenden
Fortschritte auf gewerblichem Gebiete die Industrie dort noch in
den Windeln Uegt, auch nach Klima und sonstigen Produktious-
bedingungen kaum sehr lebhaften Aufschwung nehmen dürfte, so ist
hier ein sehr beachtenswertes Absatzgebiet auf l&ngere Zeit uoch
vorhanden. Neu-Seehind hat seine Staatseinnahmen von 11 Millionen
Mark im Jahre 1860 auf 82 Millionen Mark im Jahre 1883 zu
steigern vermocht und daraus lAllBt sich ein auf das Privatein-
kommen der Kolonisten selbst sehr gttnstiger Rflckschlnls ziehen.
Gerade Neu-Seeland steht mit seinen reichen Einkommensquellen den
übrigeu australischen Kolonien voran. Nur Neu -Süd -Wales uud
Victoria habeu gröfsere Einnahmenbudgets als Neu-Seeland, alle
anderen Kolonien geringere. Dazu kommt, dafs der neue Zolltarif,
welcher am 15. September 1882 iu Kraft trat, nicht als ein über-
mäfsig hoher bezeichnet werden rnuüs. Viele Artikel sind zollfrei,
andere zahlen 15 Prozent ihres Werts, nur zwei müssen 2b Prozent
uiyiiiziüd by Google
— 66 —
entrichten (unter ihnen Zündhölzer), die meisten werden nach Ge-
wicht und Stückzahl besteuert.
Offenbar erscheint bei diesen Verhältnissen die Aussicht auf
•
gewinnbringende Vergröfserung' unseres Exports nach Neu -Seeland
sehr gegrOndet Für diesen Zweck wäre es wünschenswert, wenn
grdCsere deutsche Firmen dort Sommanditen errichten und direkt
kaufen und verkanfen wollten. Auch durch Konsignationssendungen,
obwohl dieselben immer eiu gewagtes Mittel sind, könnte der Ver-
such gemacht werden, der englischen Konkurrenz zu begegnen. So
viele Waren, abgesehen von den schon genannten, werden in Deutsch-
land mindestens eben so gut, wenn nicht besser, als in Grofs-
britanien produziert, wie z. B. Eisendraht zum Einzäunen von
Ländereien, Cigarren, Gold- und Silberartikel u. a. Nach diesen
wie nach anderen, z. B. Stampfwerken, Bohrmaschinen, überhaupt
Maschinen zum Bergbaubetriebe, Werkzeuge und Chemikalien, wie
die deutsche Industrie sie massenhaft erzeugt, ist ansehnliche
Nachfrage* und lielke sidi gewifs manches einträgliche Geschäft
abschlielsen.
Der deutsche Fabrikanten- und Eanfmannsstand sollte sich die
Gelegenheit nicht nehmen lassen, seinen bewährten Ruf auch durch
neuseeländische Faktoreien zu vergröfsero.
Die deutsche Forschungsreise durch Südamerika 1884.
n.
Sohwierigkeit dea Vorwärtadrüigens «uf dem Eio Batovy. Der Xiugü. Indianer-
•ttaun«. Konflikt nüt den Tninais. LtdianiBolier Aokerban und FteehereL Btlüaidvng
xaA Sitten. Mvaik. BedrUngniase der Expedition. Die TnnunM-IndiAner. AoMichten
für KnltiTation der ludunergebiete.
In Heft 4, Band VII. dieser Zeitschrift (S. 381 u. ff.) haben
wir auf Grund von Auszügen aus dem Tagebuch des Herrn Dr. Claufs
den Verlauf der merkwürdigen Entdeckungsreise ziemlich ausführlich
bis zu dem Zeitpunkte schildern können, wo die Reisenden unter
13® nfV s. Hr. im Begriff standen, sich auf dem Rio Batovy, einem,
wie sie richtig vermutet hatten, Nebentiufs des Xingü, zur Thalfahrt
in einer Anzahl aus der Rinde des Jatobörbaumes angefertigten Kanoes
nach dem Xingü einzuschiffen. Wir konnten auch noch unseren
answartigen Mitgliedern and Freunden die wohlbehaltene Ankunft
der Expedition in Par&, also die giackliche Lösung der Aufgabe
melden. Von Pari begaben sich die Herren Dr. ClaoTs, Qebrflder
Oeogr. BUtttwr. Bremen lim, 5
Digitized by Google
— 66 —
V. d. Steinen und alle anderen Mitjrlieder der Expedition zunächst
nach Rio de Janeiro. Hier wurde unsern deutsihen LaiKl>lriitoii die
glänzendste Aufnahme bereitet. Die peo.irraphisclie (ioselLschaft von
Rio veranstaltete am 3. Dezember v. J. eine !• estsitzunj^ und in
dieser erstattete Herr Dr. Karl v. d. Steinen einen allj^enieinen
Bericht über die Reise. Vor einiger Zeit kehrten unsere Freunde
nacli dem deutschen Vaterlande zurück und hatten wir am 21. Februar
in Berlin das Vergnügen, in der Versammlnog der anthropologischen
GeselLBcbaft einem Vortrag des Herrn Dr. Karl v. d. Steinen beizu-
wohnen, sowie eine Anzahl Gegenstande aus der von ihm mitgebrachten
hochinteressanten Sammlung indianischer Geräte zu sehen. Weitere
Veröffentlichungen Aber die ganze Reise stehen bevor und dQrfen
auch wir einer ferneren Mitteilung des Herrn Dr. Claufs entgegen-
sehen. Inzwischen niüclitcn wir das in Heft 4. begonnene Ueferat
über den Verlauf der Heise noch in diesem Heft zu Ende führen,
wir geben daher aus dem uns vorliegenden Bericht nbi>r die Fest-
sitzung der geograi)liischen Gesellschaft in Rio: Sessao Solemnc etc.
eine Übersetzung des Wichtigsten aus dem Vortrag des Herrn Dr.
v.d. Steinen unter Weglassung des ersten, bereits nach dem Tage-
buch des Herrn Dr. Claufs geschilderten Teiles der Reise.
Der traurige Zustand unserer Lasttiere verlangte dringend,
dafs wir uns einschifften. Schon hatten wir acht Ochsen verloren,
und der Rest hatte mehr Knochen nnd Wunden denn Fleisch, und
hatte keine längere Reise ausgehalten. Es fand sich kein Holz zum
Bau eines Kanoes; aber während die Natur uns jene furchtbaren
Wasserfälle, die cachoeiras, in den Weg legte, gab sie zur selben
Zeit uns auch einen Baum, den Jatobä, dessen Stamm ohne wei-
teres das beste Fahrzeug zum glücklichen Passieren der Strom-
schnellen abgab: man schnitt ein viereckiges Stück aus der Ildh-
lung dieses Baunies, und es am Feuer härtend hieb man mit Ge-
schick den Hinter- und Vorderteil des Schilfes zurecht. Dieser An-
fang der Schiffahrt war der schlimmste Teil der Reise: es scheint,
dals der h hih mehr Steine denn Wasser enthält. Lieber den Stein
des Sisyphus in der Hölle bewegen, denn ewig den Fluls Batovy
befohrenl
Als wir nach 19 Tagen die ersten Indianer trafen, hatten wir
mehr denn 100 Wasserfälle passiert, wir waren auf sechs Kanoes
reduziert, sieben beschädigte und /orhiochene liefsen wir zurück.
Wir besafseu nichts, was nicht ins Wasser gefallen wäre: die Pro-
visionen, als: gedörrtes Fleisch, Bohnen, Keis, sind schlecht und
schinnnelig geworden. Unsere Kleidung war sehr mitgenommen,
endlich war Zeit genug, uns der Strumpfe und Stiefel zu entledigen.
Digitized by Google
67
Wir beobachteten mit Vergnügen, dafs unsere Fufssohlen sich
härteten, da sie den Angriffen der Insekten besser widerstanden.
Einige Begleiter leiden vom Sumpiffieber. Und anter solchen Um*
ständen hatten wir noch die Kanoes über die Steine zu ziehen, die
Ladung auf dem Rücken and was noch mehr ist, die Kanoes
durch die engen Waldwege zu transportieren. Wir waren noch so
nahe bei Cnyabä nnd noch so weit von Para! — £s flttchten sich
die Indianer, die tapferen Bacairis. Bei ihrem ersten Dorfe sind
die Wasserfalle zu Ende. Nach unzähligen Krüinmungen, nachdem
vier Dürfer der „Bacairis" und ein anderes vom Stumme der „Custe-
nafis* besucht war, erreichen wir am 30. August die Mündiin^: des
Batovy. Durchschnittlich hatte der Batovy eine Breite von 70 m,
dann und wann sich auf 120 bis auf 150 m erweiternd, seine Strö-
mung betr> eine legua*) in vier Stunden; wir trafen eine Schlucht
von 3—4 m an. Nur in den ersten Tagen kamen wir durch Berg-^
land, späterhin trafen wir Felder and nahe dem Flusse selbst
Dicldcht Die MQndang ist ein interessanter Pankt, es vereinigen
sich hier drei Wasserarme: vom Westen kommt der Ronuro mit
einer Breite von 400 m, er nimmt den Batovy auf, den Tamitato&la
der Bacairis, und vereinigt sich mit dem Culis^u von 300 m Breite,
um den Xingü zu bilden; dieser, gemeiniglich Paraiui genannt, lauft
schneller und hat im Anfange eine Breite von 4(X) m, später von
500—600 m. — An der Mündung des Culiseu wohnen die „Trumais";
14 Meilen im Norden des Xingü die Suyas, welche von den andern
Stammen sehr gefürchtet werden. Nahe diesen befindet sich ein
anderer Stamm, die Manitsanas, welche wir nur als Gefangene der
Snyds kennen. Es ist eine merkwürdige Thatsache, dsSs gerade hier
eine Beihe von Indianerstammen durcheinander hausen: es giebt 20
verschiedene Stämme, welche, obwohl fast alle verwandt, nicht auf
gldcher Kulturstufe stehen; am Batovy sind die Bacairis, dieGuste-
natis and die Vauzis, am Ronuro die Guyaüs and am Hauptarm,
dem Gulis^u, werden aufser den Trumais noch 13 andere Stämme
angeführt, unter diesen die Minacuas und die !• aur.icnas, welche 5
Dörfer besitzen. Man darf nun ans dem Umstände, dafs die Indianer
sich gegen uns nicht feindlicli zeigten, niclit schliefsen, daf< sie einen
friedlichen Charakter haben. Sie hatten niemals weifse Leute .ire-
sehen, wir überraschteu sie alle und indem wir den Fluls hinab-
fuhren, erschienen wir ihnen plötzlich, ohne dafs sie unsere Ankunft
vorher ahnten und darin liegt vielleicht auch die Ursache des gleich-
mausig ^edfertigen Betragens. Wir waren ihnen fremdartig in Kr-
*) eine portogieaisohe legua = 6,i$ km.
6«
— 68 —
scheiming. bärtig, bekleidet, ohne Bo<>:cn und ohne Pfeile, auch
machten wir keine wunderbaren Gestikulationen wie die Indianer,
waren nicht verwirrt und furchtsam. Sie beabsichtigten uns za
schrecken, wie es die Gewohnheit dieser Leute ist; sie schlugen an
die Brost, maditen ein Gezeter und wiederholten viele Male den
Namen ihres nnd anderer Stftmme: Katü, hekatd, Gustenaü, hekatü,
Yauii, hekatü, Ttnm&i u. a.
Anf der Stelle beginnen wir aneh einen Triumphgesaug, wir
finden Gefallen an ihnen, wir lachen und so bleiben auch sie unbe-
waffnet. Sie sind sehr miistraiiisch, jedoch behalten wir unbedingt
die Oberhand. Wer nur einmal die Wirkung, welche 'ein einfacher
Revolverschufs hervorruft, gesehen hat, der hat keine Furcht mehr
vor einem ganzen Staiiime, Wir hatten eine ziemlich unangenehme
Begegnung mit den Trumais-Indianern: Drei von ihnen hatten uns
nachts am Strande gesehen; am folgenden Morgen kehrten sie in
der Zahl von 48 mit 14 Kanoes zurück nnd zwar um zu kämpfen.
Erst nach stundenlangen Verhandlungen entschlosseiä sie sich, za
landen und sich uns zu n&hem ; jeder von uns nahm einen oder zwei
Indianer zum Lagerplatze. Diese, mifstrauisch, versuchten sich in
den Besitz unserer Hflte, Messer, Flinten und anderer Gegenstände,
welche ihre Neugierde reizten, zu setzen. Wir verhinderten das in
freundlicher Weise. Einer der Indianer entlud zufallig eine Flinte;
der Schrecken, den dieser Schufs hervorrief, war so grofs, dafs
einige Aui^enbliike darauf alle Indianer zum Wasser liefen, und in
die Kanoes sprangen. Von panischem Schrecken erfüllt, flohen sie
über den Flufs hinüber. Einer der Indianer schofs einen Pfeil über
eines unserer Kanoes, in welchem sich die Soldaten befanden. Diese
antworteten, indem sie ihre Gewehre in die Luft abfeuerten. Darauf
warfen sich alle Indianer ins Wasser und erreichten das Land, in-
dem sie unter dem Wasser schwammen, bis sie dann im Dickicht
des 'Waldes verschwanden. Die Helmbflsche, alle Waffen, B<^en,
Pfeile, Keulen und Kanoes waren zurackgelassen und trieben auf
dem Flusse. Leider verloren wir so die Gelegenheit, genauere Stu-
dien über diesen Stamm zu machen. Den Suyas zeigte ich in
ihrem Dorfe einen Spiegel. Als der Rückstrahl der Sonne an
die Wand fiel und sich hin- und herbewegte, wichen alle erschreckt
aus, sie griffen zu den W^affen und bestanden mit der ganzen Ein-
wohnerschaft darauf, dafs wir augenblicklich das Dorf verliefseu.
Diese Suyis lagen uns alle Tage an, fortzuziehen; bleiben sollten
wir nur, wenn wir ihnen verspr&chen, sie in einer Kriegsexpedition
gegen die Trumais zu begleiten.
Immerhin ist anzunehmen, dals man bei verständiger, vor-
uiyiiized by Google
— 69 —
sichtiger BebandluDg dieser Indianer friedliche Arbeit und gutes
Betragen yon ihaen erreichen kann. Alle diese Stamme sind in
Dörfern angesiedelt, besitzen hohe, runde Häuser, in welchen Je
einige Familien znsammenwohnen. Sie bearbeiten den Boden,
pflanzen Handioka, Mais, sttfse Kartoffeln, Yams und Baumwolle,
Bananen sind unbekannt, jedoch rancht man einen vortrefflichen
Tabak. Ihre üauptkultur ist die der Mandioka, aus deren Masse sie
Kuchen, Pasteten und verschiedene erfrischeude Gebäcke herstellen;
zu Hause bewahren sie in ^rofsen Korben reiche Mandiokavorrüte
auf. Sie betreiben Fischerei mit Pfeilen. Zur Zeit der Über-
schwemmungen schliefsen sie die Kanäle der Lagunen, um die Fische
wahrend der Trockenheit herauszusammeln; sie spannen auch Netze
an Wasserfällen auf. Sie haben keine Speere, sondern Jagen die Tiere
des Waldes nur mit dem Bogen und Pfeil, sie essen weder Hirsch nodi
Tapir; aber sie lieben sehr »Capivdra* (Wasserschwein) und
gerfincherte Affen. Sie haben sehr yiel Furcht vor unsem Hunden;
nur die Manitsanis haben ein Wort lür dieses Tier. — Die Lente
gehen nackt, bemalen das Gesicht und den Körper rot und schwarz,
um den Hals haben sie Ketten aus Zahnen oder Muscheln ; um die
Anne und Beine tragen sie Tücher aus Baumwolle und um die
Hüften eine Schnur, auf welcher Beeren oder Kerne aufgereiht
sind. Die Kleidung der Frauen ist sehr spärlich; man erinnert sich
des Märchens von der Keeprluzessio, welche ein Kleid von so
feinem Gewebe besafs, dafs sie es in einer Nufsschale aufbewahren
konnte. Nun die Frauen der Bacairis und der Custenaüs könnten
auch ihre aus Palmfasem gefertigten Kleider, wenn nicht in eine
Nufsschale, so doch wenigstens in eine Schachtel Zflndhdlzer legen.
Sie weben jedoch Netze zum Schlafen ans Baumwolle und den
Fasern des „buruti**, indem sie die Faden einfach um ein Rad aus
2 Stäben legen, welche in den Boden eingeschlagen sind. Die
Gerate und Werkzeuge sind Steinäxte, Meifsel aus Knochen und
ähnliche Instrumente; diese Indiauer kennen gar kein Metall.
Obgleich von versciiiedener Abstammung, sind diese ludianer-
stämme in den Gewohnheiten sich ähnlich. Ihre ISprachidiome sind dage-
gen absolut verschieden, sie enthalten kaum einige gemeinsame Worte.
Es ist daher durchaus unmöglich, dafs jemand sich Überall ver-
standlich machen kann, wenn er auch eine der Sprachen versteht,
ood wir mn£sten uns, um uns yerstftndlich zu machen, der .Zeichen
und Geberden bedienen. Die Bacairis waren am gastfreisten, ftlr
Gegenstände von unbedeutendem Werte erhielten wir Sfandioka-
kttchen in Mengen, und gegen Messer oder Kleider gaben sie uns
Kanoes. Die Bacairis sind gut gebaut, von regehnaisiger Gestalt
Digitized by Google
— 10 —
und pflegen das Haar in Form einer Krone geschnitten zu tragen.
Sie schmücken die Obren mit Federkielen und den Kopf mit
Diademen von Stroh oder Federn ; sie lieben Musik und blasen auf
1 m langen FlOten melancholische nnd eintAnige Melodien, welche
zuweilen von Tänzen begleitet werden, indem sie dazu mit dem
rechten Fufse das Tempo angeben.
Der letzte Distrikt war st&rker bevölkert und die Einwohner
haben einen mehr kricj?erischoii und tapfern Charakter, jedoch
übersteigt die Gesamtzahl der Bacairis nicht 250.
Die Ciistenaiis haben einen viel weniger angenehmen Charakter ;
sie rauben und fürchten beraubt zu werden. Nach Gegenständen,
die wir dort in ihrem Besitze antrafen, vermuten wir, dafs sie grofse
Reisen zum Tauschverkehre und zum Raub unternehmen. Trotz
alle diesem ist es ein armer, wenig zahlreicher Stamm, ungefähr
30 Köpfe. — Wir kamen nicht dazu die Vauris kennen zu lernen;
das Dorf blieb sehr weit vom FlnCse entfernt — Die Suy&s, vor
denen alle anderen St&mme Furcht haben, leben in einem Dorfe
von 9 H&usem und zählt dieser Stamm ungefthr 120 Personen.
Sie sind ein wenig gröfser als die anderen; Männer und Frauen
yelien völlig nackt. Die Männer lialteu auf der Lippe eine i^rofse
Scheibe von Korkrinde, die, leicht und niedlich geformt, sie nicht
am Essen, Rauchen oder Flötenspiel hindert. Sie trauen in deu
Ohren eine Holle aus Schilf vou jrerinirer Gröl'se; die Ohren bleiben
auf diese Weise gesj)alten und berühren, nachdem solcher Schmuck
herausgenommen, beinahe die Schultern. An der Stirn schaben sie
das Haar ab, im Nacken tragen sie es sehr lang. Sie haben Ge-
schicklichkeit im Korbfiechten; niedlichen Banken wissen sie mit
ihren urtümlichen Instrumenten vollkommen die Form eines Vogels
zu geben. Die Flöte, welche sie gebrauchen, ist aus drei Rohr-
stücken verschiedener Grölse zusammengesetzt Die Zahl jener
Indianer hält man für gröfser als sie in Wirklichkeit ist; wenn wir
im Verhältnis zu den Stammen, die wir kennen, reclinen, so ulaube
ich kaum, dafs die ganze zerstreute Bevölkerung 'öüÜO Individuen
übersteigt.
Wenige Taw nachdem wir die Suyäs verlassen hatten, begann
eine andere schwierige Zeit für uns. Naclidem der Flufs einige Zu-
Strömungen aufgenommen, erweitert er sich auf 800 bis 900 m und hat
wenig Strömung. Die Höhen erscheinen wieder nahe an den Ufern, der
FluTs mufs einige grofse Biegungen machen. Nun treten wieder neue
Wasserfälle auf, aber unsere Baumstamm-Kanoes taugten schon nichts
mehr. Um das Übel voll zu machen, nimmt der Wind auch noch
zu, wir haben Wellen und die stärksten Gewitter auszustehen. Der
Digitized by Google
— 71 —
allgemeine Zustand der ExpMItion war ein entsciiieden schlechter,
fast alle litten von Fieberanfällen. Wir alle nahmen morgens Chinin
im Kaffee zu uns. Wir haben keine andere Nahrun^r denn „Piranha"
(Serrasalmo ni^;er) und „pirarara" ; man denke sich, mit welchem
Vergnüf^en wir jeder 2 Unzen von dem Fleische essen, welclies dem
Schwei netieisch sehr ähidich ist. Das Mehl '/m^ zu Ende, das Salz
auch, somit war für drei Wochen liindurch die Zubereitung der
Fische eine ungenügende. Glücklicherweise erschienen uns neue
Freunde: die Yurnmaa-Indianer. — Dieser Stamm ist bekannt aus
alten Zeiten: die Leute sprechen ein wenig portugiesisch, haben
Flinten und leben auf Kriegsfufe mit den viel wilderen und kräftigeren
Gang&s, welche die Landerstriche am rechten Ufer des Xingü be-
wohnen, und die wahren Herren des Flusses sind: sie befahren ihn in
einer Ai^^dehnung von 5 Breitengraden. Jene kennen merkwürdiger-
weise nicht die Snyäs, und diese wissen auch nichts von den Yurumas.
Wahrscheinlich kommen die Suyas aus Furcht nicht die Wasserfalle
lierah und die Yurumas kommen nicht herauf in der Besorgnis, dafs
sie sich zu sehr zerstreuen und sich auf diese W^eise im Kampfe
mit den Carajds schwachen würden. Die Yurumas gaben uns Böte
in Tausch und dienten uns als Führer bis zu den ersten Ansiedlern.
Mau kann wohl sagen, dafs diese letzten lüO leguas aus einer langen
Kette von Wasserfallen bestehen. Ohne Bote und ohne Fahrer
wären wir alle verloren gewesen, das ist sicher. Am Ufer erscheinen
Palmen, Aguassü, Tucum, häufig auch Seringen, Kastanien smd in
Oberfltti^ an bestimmten Stellen. Aulser vielen anderen nützlichen
Bäumen treffen wir: Gedern, Mastixbäume, Peroba, Ximbnva n. a.
Am 13. Oktober kommen wir in PiranhaquÄra an, wo seiner Zeit die
Reise des Prinzen Adalbert endete. Am 15. begrüfsen wir das Haus
des ersten Ansiedlers, wo alles: Tisch, Stühle, Gabeln, Löffel, Lampen
interessante Neuigkeiten für uns waren. Am 28. Oktober nehmen
wir den Dam[)fer von Porto de Moz und kommen in Para. wirklich
beinahe von allem entblöfst an, doch alle waren am Leben!
Zum Schluls hob der Redner einige KrL'obnisse der Reise hervor:
der Xiugü kann nicht zur Verbindung des Urwaldes (;,Mato Grosso^)
mit dem Par& benutzt werden wegen der Wasserfalle; man kann
auch nicht an die Anlage einer Eisenbahn oder eines Wagenweges
seinem Laufe entlang denken wegen des bergigen Terrains. Die
Reichtümer des Pflanzenreiches sind zweifelsohne bedeutende, die
Jagd dagegen erscheint luir eine mittelmäfsige zu sein.
Der ein/ige Weg, jene Reichtümer auszubeuten, ist die Hülfe
der Vuriimas. Dioe Indianer licbon zwar nicht die Arbeit, jedoch
Bind öie ihr weuigsteus nicht leiudüch. Wenu es selbst nicht möglich
Digitized by Google
— 72 —
wäre, sie an das Ein>amineln des Kaoiitchouks zu gewöhnen, so
konnten sie wenijxstens doch noch als Lotsen auf dein Flusse bis zu
dem oben erwiihnten Punkte dienen. Es giebt einige Tausend
Indianer in den Niederungen des Xiniiü, ihr Charakter ist vorwiegend
friedliebend; in Zukunft können sie geeignete Arbeitskräfte zur
Rodung des Urwalds liefern; diese Provinz wird nämlich nur dann fort-
schreiten, wenn sie sich in grolsem Mafsstabe der Arbeit der Eilt-
geborenen bedient Ich erwfthne jetzt nicht die rein wissenschaft-
lichen Ergebnisse unserer Beise auf dem Gebiete der Anthropologie,
Ethnologie, und der Sprachkunde; diese Beobachtungen werden wir
sp&ter, nachdem wir sie mit Mu^ geprOft haben werden, veröffent-
lichen. Wohl aber mOchte Ich die Aufmerksamkeit wiederholt auf die
beträchtlichen Änderungen lenken, denen infolge unserer Reise die
geographische Lage des Xiugii auf den Karten zu unterwerfen sein
wird. Die Lage von der grofsen Biegung nahe der Mündung ab,
sowie die der Quellflüsse weicht aufserordentlich von den bisherigen
Angaben ab. Wir haben eine Bahn durch den unbekannten Wald
geüffnet. Noch ist dieser W^ald jungfraulich; wir hoffen, dafs er
andere Freunde finden wird, welche seine Schönheit nicht in Ver-
lassenheit und Einsamkeit dahin welken lassen, hoffen, dafs der
Ackerbauer und der Ingenieur seine rauhe Urwflchsigkeit bemeistem
werden, damit diese Gebiete in üppiger Fruchtbarkeit sich zum
Segen der künftigen Geschlechter entwickeln mögen!
§ All to geograyUsehei Geielliehaft ii Breaea. Zimftchf» boiehtoi
wir ikber die Hörend cUmm Winters im Kreise der Gesellschaft ge*
haltenen Yortr&ge. Der erste betraf Wandenmgen in Schottland, er
wurde von Herrn Professor Laabert gehalten.
In der Einleitung hob der Redner allgemeine üesichtspnnkte
nnd Verhältnisse hervor, er betonte sehr richtig, dafs wir mit unserer Vor-
stellung von Schottland in der Regel den Gedanken einer nördlicheren Lage
verbinden, als es in Wahrheit hat, wir vergessen, dafs Schott luiid unter dem-
selben Breitengrade aofhöii, unter welchem Norwegen beginnt nnd dals die
Brette von Petersburg die nördlich Ton Schottland gelegenen SheikndB-Insehi
irillt In der (hdUse entspricht SchotOand, weichet einen FlftehenhihaU von
1480 Qoadratneilen (daninter 800 Qnadratmeflen Ineeln) hat» etwa der Fliehe
Ton Böhmen, Mähren und österreichisch Schlesien. Durch die Senke zwischen
der elf de- nnd der Firthföhrde nnd durch das vom Caledonischen Kanal duch-
Kleinere Mitteilungen.
— 73 —
zogene Thal von Glenmore ist es in ein Süd-, Mittel- nnd Nordwestschoftland
gegliedert; die Gebirge siud im nördlichen and mittleren Teil, ihre Erhebung
nieht nkdit ftber dio des Sehwarawaldes oder der Vogosen hinaus, das am-
gebende Meer ist Iftr das Klima Schottlaiids Ton groDsem Einflnikk Die irinterliche
Sehneebedeckiing nmfo bedeutend sein. Die Felsenkfisten mit ihren Ijorden und
vorgelagerten Inseln bieten einen hcdieii landschaftlichen Reis. Wfihrend der
Wald nicht über die Höhe von 12^1300 Fufs reicht, entwickelt er in den
tieferen Lagen sowohl im Laub- wie besonders im Nadelholz eine grofse Mannig-
faltigkeit nnd Fülle, wie denn der Redner selbst anf seiner Reise darch S« h< tt-
land nördlich von Invemofs Aranr.irien von 30 Fufs und am Tay Ilexbaurae
von 17 Fufs Umfang, zahme Kastanien und Sykomoren im Umfange von 20 bis
30 Fafs nnd echte Lorbeei bäume im Freien sah. Die Bevölkerung des Landes,
S^/f MüIioDen, ist eine spärliche. Ein Drittel derselben drangt sich in dem
mtehtig indnstneUen Cljdethal sosanunen. Neben der dnrch seine malerische
Lag9 berühmten Hanptstadt Edinbor^ nnd neben Olasgow finden vir noch
swei grttfMi» Stfidte: Dnndee nnd Aberdeen und 40 kleinere StSdte. Die
g^ische Bevölkerung — etwa 200000 — assimiliert sich mehr nnd mehr der
englisch redenden. Leicht und bequem ist jetzt das Reisen nach und in Schott-
land, wohin alisommerlirh zahllose Scharen von Tonristen ziehen. Während
im vorigen Jahrhundert die Postkutst he von London nach Edmburgh zu ihrer
durch Wegelagerer nicht selten gestörten Fahrt 11— 12 Tage brauchte, reist man
jetzt durchweg auf der Eisenbahn bis nach den nördlichsten Funkten Thurso
nnd Wiek. Nicht wenig Anziehungskraft übt Schottland dadurch auf den
Tonristen ans, daCs es die Heimat grolser Dichter nnd die Bahne ihrer Dichtungen,
«nes Bnrns nlld eines Scott, ist Der Redner Ahrte nnn ans seinen schottischen
Wandemngen eine Reihe von reich gestalteten Reisebüdera vor das geistige Ange
des Hörers. Zuerst führte er uns nach Invemefs und auf das nahe Schlachtfeld von
Culloden, wo Prinz , Charlie", der letzte Stuart, den letltmi unglücklichen Kampf
kämpfte und seine treuen Schotten für ihn bluteten, er erzählte von dem 1847
in seinen jetzigen Verhältnissen fertig gestellten Caledonischen Kanal, der für
die Kauffahrteifahrt wenig Bedeutung hat, aber dem mit dem Dampfer fahrenden
Touristen die mannigfaltigste u Blicke in die Berg- und Seenlandschaft des
Inneren eröffnet. Am Endpunkt des Kanals erhebt sich der Ben Nevis, auf
dessen ftst immer von Wolken nmhAlltem Oqpfel seit einigen Jahren eine
nieteorol<^gtsche Station errichtet ist Die öde Felsen-, Moos- nnd Hoorlandschaft
dieses 4400 Fnb hohen Beiges Teiglich Redner mit der begftnstigteren Vege-
tation auf dem Pny de D6me in der Anvergne. Eine andere Fahrt, die der
Redner anziehend schilderte, war die nach Oban, der Gasthofstadt, und von da
nach der wunderbaren Fingalshöhle auf der Insel StafTa und zu der durch die
Reste früh mittelalterlicher Klosterbautcn berühmten Insel Jona. Eme dritte
galt dem Norden, dem anmutig gelegpnen Thurso, der oft von wilden Fluten
durchströmten Pentlandsföhrde , den Orkaden-Inseln Hoy und Mainland mit
Kirkwuii und den hochinteressanten Steiudenkmalen aus der Vorzeit. Wiek,
der groÜBe Fischereihafen, mit seinem regen IVeiben ni^ Arbeiten snr Hoch-
sommeneity wenn die unendlichen Heringszüge nahe dem Lande sieben und
fielen Tausenden Nahmng bieten, Perth im TWythal mit seiner reichen Laehs-
flscherei n. a. wurden noch geschiUert und stÄloüB der Redner seinen Vortrag
mit der Versicherung», dafs eine Reise nach Schottland, selbst wenn sie, wie
das leider häufig der Fall, nicht vom Wetter begünstigt würde, Vielehen
OennÜB und Anr^^nng biete.
Digitized by Google
— 74 —
Am 29. und 30. Dezember folgten siroi Yortrige 4et Herrn ProfaMcr
Stnder am Bern über Tiefseeforschung. AI« Anschaunngsmitfel hatte
die Rcichsseewarfe in Hamburg durch die Güte ihres Direktors, des Hm. Geh.
Admiralitätsratfi Professor Neumayer eine Anzahl Apparate, welche bei der
Tiefseeforschung zur Gewinnung von Grundproben, zur Ermittclnns der Tiefe
und der Tiefentemperaturen, sowio zum Schöpfen von "Wasser aus der Tiefsee
angewendet werden, hergeliehen ; ferner warcu eine Reihe grofser farbiger Tafeln
ausgestellt, welohe verecbiedene Gattungen der in der Tieftee lebenden Tiere ver-
aofdutnlichten. Einleitend warf der Redner einen Rflckbliek auf die Entrtehung
nnd Entwickehing der Ooeanograpliie, indem er snnScliBt daran erinnerte, frie
bis vor kurzem die Meerestiefe als ein unlösbares BStael galt» da nur düe
KAstenabfölle und die der Schiffahrt gc^hrlichen Untiefen bekannt waren. In
die vermeintliche bodenlose Tiefe des Meeres verlegt« die nimmer fastende
Phantasie die Kraken, Secschlangen und andere Ungeheuer, wogegen die
theoretische Wissenschaft auf Grund ihrer Formeln die Unmöglichkeit der
Existenz lebender Wesen in grofser Tiefe einwiesen glaubte. Die Erfahrungs-
wissens(haft lehrte uns die scheinbar unergründlichen Tiefen messen, ihre
Temperaturen, Salzgehalt n. a. ermitteln und zeigte, dafs auch in grofsen Tiefen
organisches Leben anstiere. Das Projekt der Legung des submarinen Kabela
durch den atlantischen Oceaa vor nunmehr 90 Jahren gab den ersten AnlaCi
sur Untersuchung des Meeresbodens. Dabei stellte sich eine Menge neuer That-
sachen heraus. Der Boden des Oceans erwies sieh in Höhen und Thäler ge*
gliedert, der Grnndschlamm enthielt Reste niederer und Spuren höherer Tiere.
Wallich brachte, dnrch seine üntersuf'hnngen an Bord des -Bnlldog*'. den that-
siichlichen Beweis, dafs in eint r Tiefe von 2300 m des nordatlanfischcn Oceans
verschiedene Arten von Seesternen lebten. Bei der Auftischung eines Stücks
suljiuarinen Kabels aus 2216 m Tiefe des Mittelmeers fanden sich, daran angeheftet,
Korallen, welche bisher nur aus den nördlichen Meeren bekannt waren. Diese
^niatsaehen riefen eine gsnse Beihe neuer wissenschaftlicher Fangen herror, sia
widerlegten die Behauptung^ welche der englische Naturforscher Forbes auf Grund
seiner Untersuchungen im SgÜschen Meere au&tellen au kfinnen glaubte, dab
nftmlich das Tierieben an Formen- und Grölsenentwickelung nach der Tieft su
abnehme und in etwa 400 m Tiefe gänzlich erlösche. Die erste der nunmehr
von verschiedenen Nationen ins Werk gesetzten Tiefseeerpeditionen war die von
Nordcnskjöld und Torell ins nördliche Eismeer. Sic erwies das Vorhandensein
lebender Tiere in Tiefen bis zu 3650 m. Noch bedeutsamer waren die Ergeb-
nisse der en<zlischen Expeditionen von W. Thomson, Dr. Carpentcr und Gwyn
Jeffreys. Letzterer dehnte 1870 die Untersuchungen auf den westlichen Teil des
Mittelmeeres aus. Die grofse „ChaUenger'-Expedition, 1873—76, erstreckte
endlieh die Forschungen auf aÜe Oceane. Die hochbedeutenden Ergcbnissa
dieser mit den besten Apparaten und den tüchtigsten Krftften ausgestatteten
Expedition wurden im idigemeinen charakterisiert Weiter gedachte Redner der
deutschen Expedition („Gazelle") unter Contrcadmiral Schleinitz, an welcher er
Teil genommen hat. Von dieser in den Jahren 1874 — 76 ausgeführten Expedition
wurden die Tiefenverliältnisse im atlantis( In n Ocean. vor der Westküste Afrikas,
im südlichen indischen Ocean zwischen dem Kap der «niten Hoffnung und West-
australien, endlich ansgcdclmter Flächen des grofsen Oceans untersucht. Auch
die nördlichen Meere winden durch die norwegischen Expeditionen unter
Professor Mohn und durch den amerikanischen Dampfer ^.Tuscarora" unter
Belknap untersucht Es waren damit die Reliefii des Bodens der Weltmeere im
Digitized by Google
— 75 —
grolsen and ganzen ermittelt; dafs indessen im einxelnen noch "neÜ za thon
war, btwflisen die leicheii Eigebnisse des ,BIake* im Golf von Ifezico und in
der Floiidastiabe, der .Pommenmia* in der Nord- nnd Ostsee nnd neuerdings
des ifTraYsillenr' nnd des ^TaUsman', der franadsischen Ejqwditionvi unter
Professor Milne- Edwards, im Mittelmeer und im atlantischen Ocean.
Der Redner besprach nun an der Hand einw grofsen zu dem Zweck
angefertigten farbigen Illnstrafion Tind mit Hülfe von mittelst Kreide auf einer
Bchwarzon Tafel entworfener Skizzen die verschiedenen im Laufe der Zeit unter
fortschreitender Vervollkommnung angewandten Methoden, die Meernsticfe zu
sondieren, die Temperatur in den verschiedenen MeercsHchichten zu messen und
das specifische Gewicht, wie den Gasgehalt des Meereswasscrs zu bestimmen.
Er beschrieb dabei der Reihe nach das gewfthnliehe Senkblei, ferner das
Brooksehe Lot (HDMnngscjlinder mit beweglichen Armen, an denen die Lotleino
befestigt ist und ^ner durchbohrten Kugel als Gewicht) und seine Tenchiedenen
Modilikationen, die Apparate aur Ihbetriebsetsnog des Iiots an Bord, besonders
den Akkumulator, welcher aus zwei Holzscheiben, verbunden mit elastischen
Kantschnkschnüren, besteht, die Ersetzung der hänfenen Lotleine durch ein
Stahldrahttan, welches zum Schutze gegen Rost in einem Bad von Natronlauge
aufzubewahren ist, nnd anderes, worauf hier nicht näher eingedrungen werden
kann. Weiter setzte der Redner die Konstruktion des von Wyvilie Thomson
erfundenen Selbstregistricrungsapparats zur Bestimmung der Tiefe auseinander;
durch diesen Apparat wurde die bisherige langwierige nnd leicht ungenaue
Graduimug des Lotungsdrahtes Überflüssig. Für die Messungen der Tempera-
turen der Tiefen werden BGnimal- und Haaumalthermometer, die man am Ende
der Lotleine befestigt, angewendet In neuerer Zeit werden auch ml&ch die
sogenannten Umkehrthermometer gebraucht Will man eine Reihe von Wasser-
ticlen nach ihrer Temperatur bestimmen, so senkt man entweder das Tie£Bee-
ihermometer succcssive in verschiedene Tiefen, oder, was bedeutend sicherer,
man befestigt an die Lotleine in den gewünschten Abständen eine Eeihe
Thermometer über einander.
Der zweite Vortrag begann mit einer Darlegung der allgemeinen Resultate,
welche durch die so viel Zeit, Geld und Mühe erfordernden Txcfseeforschungs-
expeditionen erreicht worden sind« Die gröCsten bis jetzt gemessenen Tiefen
haben sich auibllender Weise in der Nfihe der Landmassen gefunden, die
tieftten Stellen der Oceane sind: im atlantischen Ocean bei St Thomas 7Q66m,
im indischen Ocean bei dem australischen Continent 6628 m, im grolaen Ocean
Ostlich von den Alenten 8513 m, und ferner an der peruanischen Küste. Nach
den Polen zu flacht sich das Meer im allgemeinen ab, doch findet sich im
europäischen Eismeer zw ischen Grönland und Spitzbergen ein bis zu 4800 m
tiefes Becken. Von den Steilküsten der Länder und Inseln vertieft sich der
Meeresboden rascher als von den Flachküsten. Auf den an manche Küsten sich
anschliefsenden Plateaus des Meeresbodens liegen häufig den Kontinenten
benachbarte taseln und deuten so einen früheren Zusammenhang an. Eine
Senkung des Meeresnireans um 100 m würde uns z. B. Orobbritanien mit
Frankreich Terbunden, die Nordsee bis auf eine Wasserrinne Tcrkleinert, die
Ostsee grObtentheils trocken, Gibraltar mit Afrika Yerbunden aeigen.
Ahnliches würde sich in Asien und Australien zwischen dem Festlande und
nahe gelegenen gröfseren Inseln ergeben. Im atlantischen Ocean finden wir
einen Höhenrücken von 2U(X)— 8700 m Tiefe, der. sich von Nord nach Süd
siebend, in seiner gewondenen Form die Konturen der Koutineuto wiederholt
Digitized by Google
— 76 —
Auf diesem Höhenzuge li^gm die valkanischea Inseln der Asoien, Aaoeniion n. a.
Die ähnlichen Erscheinungen in anderen Oceanen worden vom Redner
näher besprochen. Die Ablafiornnpen in den Meerestiefen stammen, sofern sie
ans Sand, Geröll oder Schlumm bestehen, von den benachbarten Küsten. Der
grünliche, blänliche oder schwarze Schlamm rührt teilweise von den zersetzten
Algen und Pflanzenresten der Küste her, teilweise sind es von den Flössen ms
Meer himnfgrilkkrto feine MinenlteDe. So traf die „Quelle" echon 900
Meilen von der Mtkndong dei Kongo den 8476 m tiefen Qmnd mit PflaaaoH
Detritos, bedeckt In der Nähe der Konllenrilfe und Kondlenineeln ist Kalk-
■nnd MM Korallen- nnd Mosoheltrümmeni vorherrschend. Als rein pdngiaehe
Ablagerangen haben wir dagegen den Globigerinenschlamm zn betrachten, dar
einen grofsen Teil des Meeresbodens in allen Oceanen bedeckt. Es ist das eine
kreidearti<:e. weiche, feinkörnige Masse von weifser, gräulich oder gelblich-
weifser Farbe (Proben wurden vorgezeigt). Eine mikroskopische üniersuchung
ergiebt, dafs sie fast vollständig ans den Schalen mikroskopischer Geschöpfe,
den Foramiuifereu, besteht Dieser Schlamin bedeckt in allen Oceanen die
Tiefen swischen 460 nnd 6900 m. Die Geschöpfe, deren Beate den Globigerinen-
tcUamm bilden, sind als Oberflächenwaaaerbewohner ermittelt, aia laben swiachaB
der Oberflieha nnd einer Tiefe Ton 2—900 m nnd sinken nach dem Abaterban wai
dan Meeresboden; sie finden aich in Masaen nnr in bestimmtan Bieitan afldlich
nnd nördlich vom Pol.nrkrois, werden aber durch Strömungen weiter auf dam
Meeresboden verteilt Nach einigen weiteren Erörterungen über den Schlamm
des Meeresgrundes besprach der Redner die Temperaturverhaltnisse der Oceane
nnd zeigte, wie es die Hegel sei, dafs die Temperatur nach der Tiefe zu ab-
nimmt, wie sich aber die Isothermen der Meeresschichten in den verschiedenen
Oceanen verschieden gestalten. Die Untersuchung des Tiefeuwasscrs anf seinen
Gasgehalt hat ergeben, dafs in grofsen Tiefen noch immer eine für das Tier*
laben genügende Menge von Qaa im Wasser vorbanden ist Dia Tiafeeeiiataa
braebtan bis jetst immer lebende QasebOpfo an die Obarflftcha, die alao in d«a
TSefgrfinden ihre Lebensbedingongen finden mflasen; dagegen arstirbl daa
Pflanzenleben, sobald die Sonnenstrahlen direkt nicbt mehr einwirken können.
Der Globigerinenschlamm weist die reichste Fanna anf. Die Lösung der Frage,
ob Li' lit in die grofsen Tiefen dringt, ist noch nicht versacht. Auffallend ist
die rote Färbung der m grofj^on Tiefen lebenden Tiere. Eine giolse Anzahl
Tielseeticre sind blind oder die vorhandenen Sehorgane funktionieren nicht
Gewisse Tiefseekrebse haben, wie die OberHächenkrebse, bewegliche Augenstiele,
die am Ende kolbenförmig augeschwuUeu sind ; ^ oft besitzen diese Kolben
sogar Uaine Hombantfec^ttan, aber dar Farbatoff des Auges, der die
seitlieb ein&Uenden Strahlen absorbieren aoU, feUt nnd der Sebnanr ist
verkttmmert Bei der Erörterang der Lebenabedingnogen der Tiehee
tieVe berührte Redner anch die Frage, wie es sieb mit dem Dmek der
Wassersäule verhalte, welche auf den Tieren laste nnd die nach der
früheren Meinung jedem organischen Wesen die Existenz in der Tiefe
unmöglich machen sollte. Allerdings ist der Wasserdruck ungeheuer: in
einer Tiefe von 2000 m 2i^) Centner auf den Quudratzoll. Dagegen ist zu
berücksK litigt n. dafs das \Va.-ser auch bei hohem Druck an Dichtigkeit kaum
zunimmt nnd ferner, duis die Tiere selbst mit Wasser ganz durchtränkt sind.
Aber anch Tiere mit Lnitrinmen im Körper kommen vor, es sind dies die
Tiebeeflsche. Bei diesen steht die Lnft in der Scbwimmblaaa nnier einem
anfeerordentlicben Dmek. Steigt der Fiaeb Aber ein gewisses Mab hinans in
Digitized by Google
77
die Höhe, so dehnt sich bei vermindertem Gewicht die Gasraassc sogleich aus,
die Ausdehnung der Blase ühersteigt die Leistun<^sf;ihigkcit der Muskeln und
der Fisch geht nach oben. So findet man hin uud wieder Tiefseefische an der
Oberfläche treibend, bei denen der Körper durch das ausgedehnte Gas sack-
förmig aufgetrieben ist und gewöhnlich Magen und Eingeweide zum Maule
heraushängen. Der Eeduer warf zum Schlufs einen Blick auf die Arten und
FonouiB der Tierwelt der Tiefe, indem er venchiecle&e derselben «n den focbigaii
Tkfdn demonetrierto and besonders eine wichtige Erseheinnng hervorhob: auf
den tiefen Qlobigerittengrfinden findet sieh eine FannSy die keinerlei Ähnlich-
keit mit derjenigen der Küstenregionen der Erde anfweist. Schlagen wir nun
in dem Geschichtsbuch e der Erde nach, in den jetzt zn Qehiifen aufgetürmten
Gesteinslagen aus früheren Epochen der Entwickelnng unserer Erdkruste, so
finden wir dort in zu Steinkernen umgewandelten Petrefakten die Typen der
jetzt auf diesen Meeresgründen lebenden Wesen, die Seelilien, Seeigel, Eryontiden,
Krebse, die wir für immer in den Schichten der Kreideablagerangen begraben
glaubten.
Am 26. Januar d. J. sprach unser Vorstandsmitglied Herr Dr. Oppel
Aber das Thema: Die Zukunft der Uenechhe it auf der Erde. Bei
den mancherlei Aufgaben, welche die Durchforschung und DarsteUnng der Erd-
oberflSche und ihrer Besiehungen aum Menschen bieten, kfinnte es, hub der ^
Bedner an, ungerechtfertigt erscheinen, die Aufinerksamkeit von dem, was ist,
auf das, was dereinst mal sein wird oder kann, zu lenken. Allein einmal könne
keine Wissenschaft für ihre Entwickelnng der Vermutungen entbehren, wie
uns das z. B. die Astronomie, die Geologie, die Kosmologie zeigen; sodann,
wenn der Einzelne für sich, für seine Familie den Blick von der Gegenwart in
die Zukunft richte, weshalb sollte man nicht auch in die Zukunft eines Volkes,
ja der gesamten Menschheit, einen Blick zu thon versuchen? Lege doch die
Gegenwart oft Entwickelungskeime, die erst in später Zukunft ausgehen.
Allerdings sei die Zukunft unberechenbar; wer h&tte s. B. vor 100 Jahren die
seitdem eingetretenen grofsartigsn Fortschritte durch Erfindungen der Technik,
des Verkehrs u. a. voraussagen können? Immerhin seien dem erfinderischen
Streben des Mensohengeistes swei unbesiegbare Schranken in dem einmal
gegebenen, nicht zn vergröfsemden Räume der Erdoberfläche und in dem
Klima gegeben.. Der Mensch benutzt die Erde, er beherrscht sie aber nicht;
noch heute, wie im Altertum, sind die Wüsten, die Polarländer, die Firn-
regionen der Alpen unbewohnt. Das Thema lasse sich in zwei Fragen gliedern,
die eine nach der äulsersteu Zukunft, dem Ende der Menschheit, uud die
andere nach der uns lunichst voraus liegenden Zeit Bezüglich der «nteien
Frage führte der Redner unter Darlegung der Entwickelungstheorie aus, dati
nach dieser Theorie kein Anhalt dafür gejeeben sei, dab die Entwickelung aus
dem Protoanthropos zum Menschen sich noch weiter, zu einem höheren Wesen
fortsälsen werde. Die Frage des Fortbestehens der Menschheit sei an die
Existenz unseres Planeten, der Erde, geknüpft. Aus kosmischen — dem Ab-
kühiungsprozefs der Erdoberfläche — , wie ans geologischen Ursachen — dem
Abtragen der Höhen und dem Ausfüllen der Tiefen - - sei bestimmt zu folgern,
dafs in Zukunft die Erde einmal unbewohnbar wtriU'n wird. Diese Aufstellungen
begriiudete Keduor uäher uud bemerkte, daf:> allerdings über den Zeitpunkt,
wann die Erde in diesen Zustand kommen werde, die Meinungen auseinander-
gshen; jeden&Us liage derselbe noch um Millionen von Jahren in der Zukunft,
es sei ein Zeitraom, gagan den die bisherige Existenqperiode der Erde wie ein
— 78 —
Moment erscheine. Dieser Ausblick in die Zukunft könne uns also keine Sorge
bereiten; anders stelle sich die Sache, wenn wir die in der Menschheit selbst
liegenden Tendenten ins Auge Isssen. Die Menschheit als ein Oanies sei in
steter Yermehning begriffen. Vier Momente wirken dabei nnterst&tiend so»
sammen: der Trieb nach Erhaltung and Yerlängening des individnelkn Lebens,
die Hnmanitftt und das Streben nach Beseitigang der minnermordendcn Kriege.
Wenn anr-h einzelne Völker und Volksstfimme, wie snm Beispiel die australischen
Ureinwohner, die Polynesier, einzelne südafrikanische Stämme, die nordamerikani.
sehen Indianer in der Zahl zusammenschnulzen, so sei dagegen bei vielen Kultur-
vülkei n eine bedeutoiui«' Vormchrung nachgewiesen. In S< lnveden, d;i-s schon 1751
eine Volkszählung veranstaltete, habe sich, trotz vielfach ungünstiger Naturbedin-
gungen, die Bevölkerang in 100 Jahren verdoppelt In England würde sich die Volks-
sshl in der Zeit Ton 1801 bis 1882 nm 160 Proaent Termehrt haben, wenn nicht
die Answandemng OVt Millionen Kdpfe betragen bitte; abgssehen von dieeer
betrag die Vermehmng in jener Periode 20 Millionen. Die BevGlkening des
jetzigen dentschen Heichsgebiets betrag 1816 24Vs Millionen, 1880 45,200,000;
seit 20 Jahren wanderten aber mindestens 4 Millionen aus, mit diesen hätte
sich die Bevölkenmg in fM Jabron vordoppelt. Nachdem der Redner noch auf
die geringere Bevülkoniii^'sziinulunc in Frankreich hingewiesen, hob er hervor,
dafs nach dem Mafsstab der jetzigen Bevölkerungsvermehrung in Europa letzteres
nach hundert Jahren — 1986 — 600 Millionen Einwohner zählen, also eine
allgemeine Überfüllung eintreten würde, wenn nicht die Auswanderung, welche
Nordamerika schon bisher beTdUcerte, eine Ableitong bdte. Bndlich wandte
sich der Redner aar Erörterung der FragOi wie lange etwa wohl die Brde noch
im Stande sein werde, die anf ihr lebende Menschensahl an ennihren. Durch
eine Reihe Berechnungen and Schätzungen gelangte Redner zu der Annahme,
dafs die jetzt 1435 Millionen betragende Bevölkerungszahl der Erde bis auf
35,000 Millionen steigen köinie, dann aber die Gronze der Ernährungsmöglichkeit
erreicht sei. Es würden dann H.")0 Menschen auf dem Quadratkilometer wohnen,
während jetzt in dem so reich bevölkerten Belgien die bezügliche Zahl 190, in
Deutschland nur 84 betrage. Frage man nun, ob in Deutschland eine Über-
völkerung bereits vorhanden, so sei dies zwar zu verneinen, ludubseu lasse sich
nicht leugnen, dafs wir nahe daran seien, and bei Andanem der bisherigen Za-
nahme die Übervölkerong bald eintreten werde. Das einsige Mittel dagegen
sei das alte, schon in den frfihesten Zeiten der Menschheitsgeschichte ange-
wandte, die Answandemng. Leider habe die deutsche Nation versäumt, an
rechter Zeit, wo reiche überseeische Länder zu haben waren, Busagreifen ;
politische Zerrissenheit und innere Streitigkeiten hinderten uns daran; jetzt
endlich sei der Gedanke der Kolonisation wieder wach geworden. Es sei unbe-
dingte Notwendigkeit für das jetzt lebende üeschlecht. damit voi-zugehen;
dabei sei aber die Auswanderung so zn organisieren, dafs der Deutsche über See
sich nicht in fremden Volkselementen verliere, sondern feste Positionen zur
Verjüngung unserer Nation gewonnen werden. Eine solche organisierte Ans-
wandemng jetst ins Leben an mfen sei snch Pflicht gegen die nachfolgenden
Generationen.
Am 12. Febmar trog Herr Pastor Bftttner ans Wormditt in Ostpreofien
TOr, sein Thema war: aus meinen Erl ebn i s se n in Südwestafrik a. Die
sehr eingehenden Mitteilungen des verehrten Vortragenden bezogen sif h haupt-
sächlich auf die Rfwohner des örtlich und nördlich von der Walfisch-Bai belegenen
Hererö- oder Dam'ra-Landes: die Hererö, einen Zweig der Familie der Hanta-
Digitized by Google
— 79 —
Völker nnd die schwarzen, die Hoitontotteiisprache redenden Bergdam'ras. In
diesem Lande hat Redner als Missionar und Leiter eines Seminars, in welchem
Eingeborene zu Lehrern und Predigern herangebildet wurden, über sieben Jahre
gdebt Erst ein Iftng^ror Aufenthalt, besonders das Stndinm der Sprache setien
Enxopier in stand, Ikber Änfsorlichkeiten hinweg in das Geistes-i Gemftts-
vnd H^nensleben des fremden Volkes einindxingen. Im Jahre 1843 kamen die
eisten rheinischen Missionare von Sftden her nach dem Hererdlande, nnd swar
nach Oluthandya; man bot sich gegenseitig Gastgeschenke, z. B. Zinnteller gegen
Armringe, nnd die deutschen Missionare liofscn sich im Lande nieder. Aber
20 Jahre vergingen, ehe man die durch die Spruche bereiteten Schwierigkeiten
überwunden hatte und die erste Frau getauft werden konnte. "Wenn man früher
der Meinung war, dafs die Hererö- und die Huttentottensprache nicht gram-
matisch gegliedert und ausgebaut seien, so war das ein Irrtum : beide Sprachen
haben, wie die indogermaoiMlien, drei Geschlechter der Hauptwörter, sie Cormen
die letsteten im Singolar, Dual und Fliund, die Zeitwörter werden, wie bei
uns, konjogieri Eigentfimlich sind der Eottaniottenspnehe die auch in
die Kaffemsprache ftbergegangenen Schnalzlaute, deren BUdnng anf vierfache
Weise : an der Zunge, an der Zahnwurzel, weiter oben und an der Seite
im Gaumen erfolgt. Die Hercrosprache hat diese Schnalzlaute nicht
Von beiden Sprachen gab der Redner Proben, indem er zwei an Herrn Lüderitz
ausgestellte, von ehemaligen Schülern des Seminars in Otyimbingue geschriebene
Dokumente verlas. Redner führte dann manche Eigentümlichkeiten der Hererö-
sprache an, wie z. B., dals die Hauptwörter in 18 Klassen geteilt werden u. a.
Das HauptgesprSch der Hereiö dreht sich nm Ihren wertvollsten Besits, nm
ihr Yieh. Aber in den ICftrchen ans oialter Zeit, die Ton Geschlecht sn Ge-
schlecht wieder erzählt werden, besteht eine Litemtar, welche sich die Missionare
sn eigen machten nnd durch Übersetzung deutscher Märchen bereicherten. Sie
worden in das fikr die Volksschule bearbeitete Buch: der Kinderfreund, auf-
genommen ; am meisten hat den Eingeborenen unser Märchen vom Zaunkönig
gefallen. Frage man nun nach der Geisteskraft des Hererövolkes, so gebe es
eben wie überall Kluge und Dumme; bemerkenswert bei diesem Hirtenvolk ist
der Unterschied der Stände, welcher den Abkömmlingen der alten Stammes-
bäuptlingc ein gewisses Übergewicht und Ansehen im Rat verleihe. Die einzelnen
Familien unterscheiden sich durch besondere von den Angehörigen der Familie
getragene Schnrackstftcke nnd durch fiirbige Marken anf dem der Familie ge-
hörenden Vieh. Redner ging nun näher auf das häusliche Leben und die Sitten
der Hererds em. Der Mitttilpnnkt der Werft (des Hauses) ist das heiUge Feuer,
von welchem alle übrigen Feuer entzündet werden; die älteste unTerheiratete
Tochter des Häuptlings hat es zu unterhalten ; ist es erloschen, so mnfs es in der
alten Weise, mittelst Reibens zweier Stöcke wieder entzündet werden ; doch haben
jetzt auch hier die schwedischen Zündhölzchen Eingang gefunden. Um den Herd
und den Häuptling versammeln sicli tUe Hausgenossen, hier werden die hölzernen
Trink- und MilchgefuTse ganz nach AugenmaTs und ÜberUcferuug angefertigt,
wobei der Hausherr die Arbeit überwacht und leitet, der Hansherr mufs auch die
frisch gemolkene Milch jedw Kuh kosten, was keine geringe Aufgabe ist, da der
Viehstaad einer Tomehmen Familie doch immer aus 60—60 KAhen besteht
Ist der Hausherr nicht anwesend, so treten an 'seine Stelle die Ahnen, welche
roh in Holz geschnitzte Figuren vorstellen, mit Hülfe dieses heiligen PTolzcs,
das kein Europäer zu sehen bekommt, geht unter bestimmten Ceremonien die
Miichprobe im sich. Die für den Hausvater bestimmte Milch kann, im Fall
üiyiiizea by Google
I
— 80 —
der Abwesenheit desselben, GSstea gegeben werden. Wenn ein Familienluuipt i
sein Ende nahe flUdt, ▼•nammeln sich aUe Venraadton und «aeh andere im
Oelohl der Teilnahme nm das Hans, der Sterbende erteüt seinen Kindern den i
letsten Bat, fikr das Vieh m sorgen und ee m hehdten, es inr rechten Zeit sa
trinken n. a., er pflegt dann hinzuzusetzen : ich werde kommen und nachsehen.
Yor diesem Erscheinen der Geister Verstorbener haben die Lebenden einen
profsen Respekt; die Familie zieht häufig von dem Orte weg, wo ihr verstorbenes
Haujit l)igr;ihen wurde, oder sie beerdigt die Leithe Meilen weit von dem
Sterbeorte. Am h die Lieblin^-soehsen des Verstorbenen werden zur Totenfeier
gejagt und erstickt; in der Nähe von Beerdigungsstättcu findet man oft eine ganze
Beihe YOn Ochsenschädebi aufgehängt Was die Eigentumsverhältnisse betrifft,
SO ist bei den Dam^ras nnd Hererte der Begjriff des Orondeigeninms nicht
entwickelt, es herrscht Tielmehr die Anschannng, dab der Grand nnd Boden das
gemeinsame Eigentnm aller Yolk«genoaaen seL Aach Gras» Hols» Wiä geUea
als allgemeines Eigentum. Wenn ein Fremder ins Land kommt, verwehrt ihm
niemand, seinen Wohnsits da, wo es ihm beliebt, aufzuschlagen; für geleistete
Dienste, wie ?. B Brunnen graben, hat er Gesclienke zn entrichten. Der Wild-
reichtum des Laiuics ist durch die fremden Jäger, welche von Capstadt u. a.
herankamen, voUstundij^ vemit liti t, während bekanntlich früher grofse Herden
von Wild: Elefanten, Zebras, Antilopen u. a. vorhanden waren. Jetzt lohnt sich
nicht einmal mehr die Straufsenjagd. Wie massenhaft die Tötung des Wildes
8. Z. dorch die fremden Jäger betrieben warde, dafür ersihlt Redner ein Bei-
splel, wo 100 snm ^efl jonge Eleihnten in einen Snmpf getrieben nnd ver-
nichtet Warden. Schon die Anwendang des SchieCbgewehrs, an StsUe Ton Ffefl
and Bogen, habe das Wild verjagt Weil nnn die Hottentotten die Jagd nicht
mehr betreiben können nnd der Obergang zu einem andern friedlichen Gewerbe
in Afrika gerade so wie in Europa schwierig ist, sind sie zu Räubern der
Herden der Hererös und Dam'ras geworden. Das Eigentum ist unterschieden
in Familiuneigentum (Fideicommifs) und persönliches Eigentum. Von seinen
Leuten kann ein Häuptling nicht bestolilen werden, denn was ihm gehört, gehört
allen Familienangehörigen. Dieses gemeinschaftliche Eigentumsrecht gehe so
weit, dals s. B. der Neffe, Chaim. oder Brnder des Hftaptlings ton diesem mxm
seiner Kleidungsstücke beansprachen könne^ w«m er es nichi gerade in Be^
nalsang habe. Daher pflege dam jeder alle KleidoQgBstftcke, die er meht gene
weggebe, fortwährend anf dem Leibe sa tragen. Stirbt ein FamHienoberhaapt
anter Hinteriassong von Frauen und unmündigen Kindern, so erbt der
nächste mündige männliche Verwandte alles. Selbst, wenn die Kinder
herangewachsen, haben sie keinen Anspruch auf das, was dem Vater
gehörte; es giebt daher bei den Hererös auch keine jugendliche Verschwender,
Allenfalls giebt der Häuptling ein Geschenk an Vieh bei Hochzeiten. Stirbt
aber der Häuptling, so geht das von ihm als Vormund verwaltete Eigentum,
som Beispiel Vieh, in den Besits der bisherigen MOndel Uber. Baraas entstehen
oft verwickelte Bechtsfragen, die der König Mahererd ohne geschriebenes Gesets
nach Becht and Billigkeit dorch Bichtersprach sa UJsen hat Dieses Gericht
findet am häuslichen Herd statt, wo der König, ein rOstiger Sechziger, umgeben
von seinen Verwandten, die heiligen Zweige und Börner zur Seite, nach Ver-
nehmung der Zeugen, die freilich meist falsches Zengnis ablegen, immer mit
grofser Umsic ht und Menschenkenntnis das Recht findet und sich wirklich als
ein Fürst erweist Krage man nun: was hat die Mission in Damialaud gethan,
SO könne man freilich nicht auf eme grofse Zahl Getaufter verweisen, daiaof
Digitized by Google
— 81 —
komme m ja «ich nicht in dem HaCm an, ab darauf daCs die Getaoftan
wiridich BwnlisBjg», tOchtige Lente werden. Deren habe die lüsdon eine
(Mise Ansah! ersogen, leider aber aeien viele dieaer Besten ans dem Volke im
Kriece gefallen. Der Übergang vom Heidentum zum Chiiftentam sei für den
Eingeborenen mit bedeutenden Opfern verbunden, der zum Christentome Über-
tretende ent&emde sich der Familie, er müsse die Mitgift zurückgeben, und da
er die Begr&bnisfeierlichkeiten der Verwandten nicht mitmacht, so entgehen
ihm auch die üblichen Geschenke. Dennoch sei, wie gesagt, ein tüchtiger
Stamm guter Christen herangebildet, die ihre Opferfreudigkeit u. a. dadurch
bewiesen haben, dals nie die Baukubten der christlicheu üuciieu im Laude fa^t
fM» am eigenen liittehi bestiittflii haben. In dem Seminar, welchem Bednar
vorstand, worden die tflchtigsten Schfller der Slementaischnlen an Lehrern und
Oeirtliehen gsbüdet; grofM Schwierigkmten waren dabei an ttbenrinden, da
erst Schnibikeher in der Sprache der Eiogeborenen ahgefAfst werden mobten.
Jetzt verstehmi die zur christlichen Kirche Bekehrten so viel Dentseh, dafs sie
die Bibel lesen und überhaupt sich in der deutschen Sprache ausdrücken
können. Neben dem Religionsunterricht werden sie auch noch in der nieder-
ländiachen und englischen Sprache und in Musik und Ciesang untemchtet. Die
Eingeborenen haben grofses musikulist iit .s Talent, in der Kirche wird der Gt bung
durch einen vierstimmigen Chor eingeleitet, Geige, Horn und Jblarmouium bind
liablingsinstnunente. Bedner hat die Erfcdming gemacht, dala die Eingeborenen
dorchaos InldnngrfUiig sind* Seinem Vortrag reihte der Bedner noch Er*
Uttteningen an den dnreh Güte der Herren Generalkonsul Dyes nnd lAderits
ansgesteUten ethnologischen Gegsnstinden der Hererös nnd Hottentotten an; es
waren dies namentlich Bekleidungs- nnd Schmuckgegenstande der lÜnner nnd
Fr&nen, als z. B. Hüften- und Strumpfbänder, lederne Mützen, Schürzen,
Korsetts aus Straufseneierschalen, Castagnetten aus den Cocons einer Raupe,
Gürtel und Halsschnüre aus Eisen- und Porzellanperlen, Stirnbänder, Fuder-
büchsen aus Schildkrötenschale, mit Ochsenschwänzen verzierte Lanzen, Messer,
endlich allerlei aus Akazienholz gefertigte Geräte : Eimer, LufTel u. a. ~ Kartcu
waren ebenüdls aasgestellt Man darf wohl behaupten, dals jeder aofmerluame
ZnhOver eineii gnten Teil snverl&ssiger Knnde vom Leben nnd Weseo jener
Bev^dkerang dea weatalkikaniaehen Neadentsoblands mit naeh Hans genommen hat
BesQg^ch der Pablikationen von HitgUedem unserer Gesellschaft
haben wir zunächst zu berichten, dafs das in Band VII. S. 3()8 und 309 dieser
Zeitschrift besprochene Werk des Herrn Dr. A. Oppel: Landschaftskunde.
Versuch einer Physiognomik der gesamten Erdoberfläche in Skizzen, Charakte-
ristiken und Schilderungen, zugleich als erläuternder Text zum landschaftlichen
Teile von F. Hirts geographischen Bildertafeln, nunmehr vollständig, in dem Um-
fang von 702 Seiten und einem Sachregister, im Verlag von F. Hirt in Leipzig
erschienen ist. In betreff des Inhalts dieser verdienstlichen Arbeit verweisen wir
auf das in Baad VL dieser Zeitschrift Gesagte.
Die wisienaehaftliche Verwertung der Ergebnisse der von unserer
OeasUschaft in den Jahren 1881 und 1888 veianstalteten Forschungsreise
der Mitglieder Gebrüder Dr. Krause ist wiederum ein Stück vorwärts ge>
sehritten* Wir verzeichnen hier zunächst alle bis jetzt ühcr die mitgebrachten
Sammlungen veröffentlichten Arbeiten: 1) Über Nephrit und ähnliches Metall
ans Alaska, von A. B. Meyer, Dresden 1884. 2) Beitrag zur Ornithologie von
Alaska. Nach Sammlungen und Noten von Dr. Arthur Krause und Dr. Aurel
Krause. Von Dr. G. Hartlaub (Cabanis Journal für Ornithologie, Jahrg. 1883,
Juli-Heft) 3} Professor Dr. Arzruni, Mitteilung über von den Qebr&dem Dr.
CI«ogr. BUttiw. ■rMMB,S88S. G
Digitized by Google
— 82 —
Kraiise aas Aluka mügebiaclite Ifinenlien. Protokoll Uber die Sttznag dor
schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kaltar am 14. November 1888.
4) Prof. V. Martens über von den Gebrüdern Dr. Kranse mitgebrachte Conehylien^
in: Sitzungsberichte der Gesellsrhaff natnrforschender Freunde zu Berlin. No 9.
vom 21. November 1882. 5) Dr. Aurel Krause und Dr. Reinhardt, über einige
Landschnecken von der TBchuktschen-Halbinsel und aus dem südösllK hon Alaska,
in : Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin, Ko. 3,
SO. Mftn 1883. 6) Mnsci Tschuctschid. Anctore Carole Müller, Hai., in: Bo-
tannehM ContnlUatt No. 41/43» 1888. 7) Boilng rar KtBatait dor Kgoatooem
fMU» dM BeriBg^meoret tob Dr. Fotd. Bkliton mit einer TM, Abbaadlngea
dir SenekenibergiBelieB natiiiflwielniideiiOeaenaeluilt Fkaiikfartl884. 8) A. Popp^
ftber die TOn den Herren Dr. Krause im nördlichen stillen Ocean und Bcringe-
meer gesammelten freilebenden Copepoden, mit 5 Tafeln (Archiv für Natur-
geschichte, 50. Jahrg., 1. Bd.. S. 281—304. (Es .^ind darin vier Arten beschrieben,
von denen zwei neue, Zaus Aurelii und Scutellidium Arthuri, nach den Sammlern
benannt wurden ) 9) Dr. Kirchenpauer, nordische Gattungen und Arten von
Sertalarideu. Separatabdruck aus den Abhandlungen des naturwisseuschaftiichen
Tereint in Hamborg, Band VIII. Abthlg. 1, 1884 (betrifft nach andere Sammlimgen}.
tnm die Uollndcea der Beringsatmbe erMiieint deiOBiehat eine Ailieit
von Dr. Arthur Knnee. Die Bearbeitung der botanischen Sammlongen, dmeh
die Obeftiedeloiig QDserei MÜg^iedee dee Hetm Dr. Kviti naeh AigentiaieB tw*
•Sgert, steht demnichit in Aussicht. Die ethnologischen Ergebniseo
des längeren Aufenthalts im südlichen Alaaka werden demnächst in einer
gröfseren Arbeit des Herrn Dr. Aurel Krause piibli^iert werden, welche den Titel
führt: Die Tlinkit-Indianer. Ihre Geschichte und ihr gegenwärtiger Zustand.
Auf Grund der Ergebnisse einer im Auftrag der Bremer geographischen Gesellschaft
von deu Doktoren Arthur und Aurel Kiause in den Jahren 1881;82 nach der
BeringastraCse und der Nordwestküste von Amerika ansgeföhrtea Beiae ge*
•eliildert ton Dr. Aard Knuiae; mit oiaer Karte und etir» 40 lUietnIloMB
(Veiiag Ton CoitenoUo in Jena). Abgeaeben von der Bedenlimg dee Ctagen-
itaadea an aich iit diese Fablikation beeoodeis deehslb geioehtlMrIigt, weil die
fortschreitende Civilisation auch in Alaska die ursprünglichen Zustände an ver-
wischen droht. Es ist davon abgesehen worden, in dieses Werk eine allgemeine
Beschreibung der ganzen Reise aufzunehmen, da solche doch nur zu einer ober-
flächlichen Behandlung wissenschaftlicher Fragen Raum gewährt und die Er-
lebnisse des Reisenden mit seinen Forschungen wenig zu thun haben Übrigens wird
in der Einleitung der Verlauf der ganzen Reise in knappen Worten geschildert
Die vorhandene ältere Literatur ist in möglichstem Umfange benntat worden, «n
dio tmpfangenen Bindrfioko sn einem gansen Bilde m tomllslind^gen.
Bndlieh liabeo wir noeb folgende demnächst eisebeinende Arbeiten von
lÜtg^iedem nnserer Qesellsebaft ansokflndigen: 1) Die geogiapbiseben Ver-
hältnisse der Landdrostei Stade von Seminardirektor Diercke, in der von dem
Provinzial-Landwirthschaftlichen Verein zu Bremervörde in Anlafs seiner fünfiog-
jährigen Jubelfeier herauszugebenden Festschrift. 2) China and tbe Roman
Orient: Researches into their ancient and mediaeval relations as represented in
old Chinese records. Die chinesischen Aufzeichnungen des Altertums und
Mittelalters als Quellen für eine Geschichte des römischen Orienthandeis,
methodisch gesammelt» übersetzt und erklärt, von Dr. F. Hirtb in Shanghai .
Ein Bnef nnaeres Ehrenmitgliedes, des Herrn Alexander Sibiriskoff in
Irkntsk, an den ToisCaad nneerer OeseUschaft Aber seine Reise von der Petsekoia
ftber den Dral snm Ob, ist an anderer Stelle dieeer ZeitMhrift mitgeteOt
Digitized by Google
— 83 —
Unser Mitglied Herr Dr. Gottsche ist Anfang Januar d, J. von Korea
nach Japan zurückgekehrt and schreibt uns am 19. Januar aus Yokohama, dafs
er sich am 5. Februar mit einem Schuner nach den Bonin-Inseln einzu-
tchiffen gedenke, um dort die von unserer Gesellschaft gewünschten Forschungen
Hon Htrmtim Melchers» Mitglied dw Tontsades niUMm CMDMhaft,
ist kftislMh Ton Chmk wieder naeh Bremeii rarftckgekeluri
§ Polarregionen. Die Verhältnisse im europäischen Eismeer scheinen
im vorigen Sommer ganz absonderlicher Art gewesen zu sein. Über die
Spitzbergen- Fahrten der norwegischen Fangra&nner berichtet
Karl Pettersen in einem von einem Kurtchen begleiteten Aufsatz der Zeitschrift
„Tmer*', ron welchem vom ein Sepantabnig vorliegt. Ausnakmiwtiee war
dieeee Mal wieder die ganze 'Westküste der Hanptinsel Spitsbeigeii den Sommer
ftber mit Bis besetst, die Ostseite SpitsbeigeBs dagegen siemlich frei; dies
wird durch die Torherrschenden Winde erkifirt Infolge dieser Fahrbarkeit des
OStspitsbergenschen Eismeers konnte letzteres weiter nach Osten befahren
werden und es wurden so drei luscln, welche zwischen Spitzbergen, König Karls-
(oder Wiehes-) Land und Franz Josef-Land belegen sind, entdeckt. Die Karte
veranschaulicht ihre Lage. Ebenso gunstig für die Schiffahrt und ein Vor-
dringen nordwärts in der Richtung nach dem Pole Bin sind die Verhältnisse
au der Ostküste von Grünland gewesen und mau muls bedauern, dals
dieser seltene ToitMl nicht für eine Enideekungsreise benutxt worden ist
KapitSn Qiay, der bekannte sckottisehe Walery machte nna hierflber nnterm
10. nnd 8S. Januar d. J. einige Mitteilnngen, denen wir folgendes entnehmen :
„Selten habe ich eine Saison erlebt, die so günstig filr eine Fahrt nordwärts
längs der Küste von Ostgronland gewesen wäre, als die vorigjährige. Die
Küste war aufserordentlich eisfrei. Von der Shannon-Insel südwärts bis zum
66. Grade nördl. Breite war unmittelbar an der Küste kein Eis. Ich kann nichts
näheres über die BesehafFoiiheit des Landwassers nördlich von der Shannon-
Insel sagen, aber das Eis seinen auch da sehr offen. Von Shaniion-Iiisel süd-
wärts war ein offenes Lundwasser von 20 — 30 sm. Breite, dabei war das Eis,
welches in dieser Entfernung vor der Küste lag, sehr offen und glaabe ichy dab
gegen Ende August südwärts Ton der Shannon-Insel gar kein Eis mehr ge-
wesen ist** Kapitän Gmj erbeutete 7200 Seehunde nnd 7 Wale, welche SOft Tons
Thran lieferten.
Aus Tromsö wurde uns das Ergebnis der norwegischen Eismeer«
fisch er ei des vorigen Sommers mitgeteilt: 26 Fahnmige TOn zusammen
1134 Registprton.s Tragfähigkeit mit 249 Mann gingen ans; zwei wurden in der
Uinlopeustrafsc iin Eis zerdrückt, doch wurde die Bemannung von anderen
Fangschiffen aufgenommen. Die Ergebnisse des Fanges waren:
1884.
109 St ViTalrosse Werth Kr.
148
10001
WeiJkwale
gr. n. kl.
Bobben. . .
83 „ Eisbären .
250 „ Rentiere . .
600 kg Eiderdaunen
811 hl Eishaileber
Im ganaen Wert Kr.
10900
10300
160814
4980
2500
1268
12165
194787
1883.
211 Si WalroBse.. Werth Kr. 27460
228 . Weifimle.
6426 , Bobben...
80 , Eisbäre...
265 , Rentieren .
907 kg Eiderdaunen
1011 hl Eishaileber
86816
4800
2650
2040
21786
Im ganaen Wert Kr. 168102
cy Google
— 84 —
Einige Notizen über die vorigjährige arktische Fischerei der
Amerikas er mögen hier angereiht werden. Im vorigen Sommer beteiligten
aich an dieser Fiacherei 89 Schiffe, nur die Dampfer hatten guten Erfolg, we3
de ach tiefer ins Eis wagen kOnnen als Segler; ein Dampfer, „Bowhead**, ging
Yeiloien. Der Ftmg betrag dnrchaohnittUch f&r jedea Schiff 627 Barrels Wal-
thran und 8380 Pfund Barten. Im ganzen zählt die amerikanische Walerflotte
jetzt noch 133 Fahrzeuge verBchiedener Art mit einer Gesamttragfahigkeü raa
31 207 Tons. Dagegen zählte sie am 1. Januar 1854 668 Fahrzeuge von ins-
gesamt 208 399 Tons Trugfähigkeii! Die Hälfte der im Hafen von Neu-Bedford
liegenden Walfungisclnffe steht zum Verkauf
In Amerika wird für eine neue Polarüxpeditiun, die von Frauz Josef-
Land in der Richtung nach dem Pole vordringen soll, agitiert
In Sibirien trat Dr. Bnnge eine Forschungsreise nach der Noidkilats
von Sibirien, besonders so den Mündungsgebieten der Jana und Indigirka und
den gegenQberliegenden Neu-Sibirischen Inseln an. Aus der Polar-
station Sagastyr im Lena-Delta sandte Dr. Bnnge eine weitere Reihe von Briefen
an den Akademiker Prof t. Schrenk; sie bieten ein vielseitiges naturhistorisches
Interesse (siehe die Melanges biologiques des Bulletins d. KaiserL Akademie d.
Wifisenscliaften 18H4 S. 31—105).
Dr. Franz Boas, dem wir den in diesem Blatte veröfFentlicliten Aufsatz
über die Wanderungen der Eskimos de^ CumberUiud-iSundes verdanken, beschreibt
in dem BfiUetin Nr. 8, IBBi der amerikanischen geographischen Gesellschaft den
Verlauf seiner Reisen im Baffin-Lande. Leider war es ihm nicht möglich,
eine grölsere Expedition nach Norden an or^nisieren, da im Herbst 1883 unter den
Hunden eine Seuche ausbrach, die bis zum Dezember die Hallte dieser Zog-
krftfle zerstört hatte. So beschränkten sich denn seine Forschungen auf den
Süden des Landes und konnten die englischen Seekarten dieser Gegenden in
vieler Beziehung durch die Aufnahmen des Dr. Boas wesentlich berichtigt
werden, wie dies die dem Aufsatze beigegebene Karte ergiebt.
Bezüglich der dänischen Grönlandsforschungen erhielten wir
yon befreundeter Seile aus Kopenhagen, den 8. Marz, folgende Mitteilungen:
Die Kommisaion für die g^logische und geographische üntersaehuQg OrÜnlaiida
veiaastaltet bekanntlich eine Expedition zur kartographischen Anfiiahme nnd
Untennchang desjenigen Teils der Westkflste OiOnlands, welcher swischen den
Kolonien Holsteinborg und Sukkertoppen, G?** bis 65Vt* n. B. belegen ist
Diese unter der Leitung des durch seine Wanderung auf dem grönländischen
Binneneise bekannten Leutnants Jensen stehende Untersuchung wird in diesem
Jahre bei Sukkertoppen beginnen und bis zum 64", zur Kolonie Godthaab,
geführt werden. An dieser Expedition nimmt der Kand. med. S. Hansen ted
und wird dieser sich vorzugsweise mit anthrupulogischen Studien beschäftigen.
Die Expedition wird gegen Ende März m einem der grönländischen Handels-
achüle Kopenhagen verlassen, im April bei Sukkertoppen sein nnd von da in
Böten mit grönländischer Besatsung sfldw&rts gehen, sobald die Kliste schneefkei
wird. — Die unter Führung des Leutnants Holm ebenfalls von der Kommission nach
der grönländischen Ostkflste im Jahre 1883 ansgesandte Expedition hat den Winter
1884/85 an der Ostküste, wahrscheinlich auf 66 n. B., zugebracht nnd wird ihre
durch günstige Eisverhältnisse bedingte Rückkehr im Herbst d. J. erwartet
Die „Science** vom 27. Februar bringt Kaite und Text über die Ent-
deckungen der Greely-Expedition im Inneren von Grinnel-Land und
an der Küste von Grönland von Beaumout-lnsel bis zur Lockwood-insel, 83"
94' n. B; nnd 40* 40' w. L. Ur.
Digitized by Google
85 —
AlMka. Das ambnkuuische Journal iScieuce" vom 20. Februar d. J.
berichtet näher über die in diesem Jahre beabsichtigten Forschungsreisen
in Alaska. General Miles, der Befehlshaber des Militbdistrikts, so welchem
Alttka gehört» wird nnfichst eine Ftotie snr Bxplorxemng desTenains swisehea
Cooks-Inlet und dem Tanana, sowie des Lauft des letsteren aussenden. Eina
andere Expedition ist nach dem Coppcr-River bereits nnterwegs nnd eine dritte
soll die Erforschung des Kowak- oder KuakÜussos fortsetzen. Die genannte
Zeitschrift bringt in ihrer Nummer vom .3<1 Januar d. J. ein Kärtchen vom
Kotzebue-Sund, welches die vorigjährigen Forbchungen an diesem Flusse enthält,
übrigens von der Darstellung auf Dalls neuester Karte von Alaska nicht erheblich
abweicht
Terkebrsweg vt i dar utem PatMhtn Iber dei Uni meh SIbiriai.
Herr Aleiander Sibiriakoff, bekannt durch seine nnaasgssetsten aofopfem*
den Bestrebungen, Sibirien auf dem Seewege durch das europUsche Nord-
meer dem Verkehr zu erschliefsen, hat im Torigen Jahre eine nene
Bonte — die Petschora aufwärts, von da mit Rentieren über den üral zu den
Zuflüssen des Ob — zurückgelegt und gehreibt hierüber aus Irkntskan den Vor-
stand unserer geographischen Gesellschaft wie folgt:
Irkutsk, den 8./21. November 1884, Ich bin am 5. November hier ange-
kommen und wünsche Ihnen einige Nachrichten über meine Fahrt von der
Mündung der Fetschorai diesen FluTs aufwärts, über den Dral nach Beresoff
mitsutaikn. Nachdem ich Dampfer ,Nordenskj51d' in Boldansky-Bai gelassan
hatte, setste ich meine Fahrt nach Sibirien auf dem Dampfer ,0b* weiter feit
Ich lieb »Obi* in der NKhe von Ust Zylma (mittlere Petschora) am 90l August
(rassischen Stils), nahm ein kleines Boot nnd kam am 8. September in Oranes
an. Die Petschora ist ein guter Flufs, wenigstens bis Oranez giebt es keine
Hindernisse für die Navigation. Es giebt jetzt schon dort 3 Dampfer mit 25 — 40
Pferdekraft, die von Jaxscha (etwa 600 Werst von Üranez) aufwärts von der
Mündung jeden Sommer fahren. Von Oranez bin ich am 15. September über
den Ural nach Schekurik mit Rentieren gereist. Scheknrik ist ein kleines
Dorf mit emer russischen Kirche, nicht weit von der Mündung des Flusses
gleichen Namens, einem Nebenflufo der Sygva, welcher durch die Sosw» mit dem
Ob in YeibinduQg steht Da in diesem Sommer ein Ton mir gecharterter Dampfer
mit Waian von Tobolsk aus bis sur Hfkndung des Fhuses (Scheknrik) ohne
irgend eine Schwierigkeit gekommen ist und da vorher auch ein Dampfer,
welcher dem Herrn Poklewsky gehörte, den Ort besucht hatte, so brauche ich
nicht viel über die Navigation der Soswa-Sigva zu sagen, ebenso wie über die
Fahrt der Petschora von ihrer Mündung atjfwärts bis zum Dorfe Oranez; diese
I rugi ist vielmehr als gelöst zu betrachten. Jetzt noch einiges über die üral-
passage. Die Passage ist blos 170 Werst lang, sie wird schon seit mehreren
Jahren benutzt, nämlich von Syrjiiuen, die jeden Winter vom Ob nach Petschora
und vice versa auf diesem Wege Provision u. a. mit Bentieren transportieren.
Ich bin am 87. September nach Scheknrik gekommen und ging an demselben
Tsge mit einem Boot weiter nach Beresoff wo ich am 1. Oktober eingetroffen bin,
dort wechselte ich das Boot und ging gleich nach Tobolsk weiter, welche
Stadt ich am 18. Oktober erreicht habe. Ich hoffe, dsls die Bedingungen der
Passage so günstig sich stellen, dafs es möglich wire, auch eine Sommerstrafse
dort einzurichten; dann könnten die Waren von Europa in demselben
Sommer Sibirien orreichen, und vice versa; die Kommunikation würde ganz
regelmä£sig und sicher etabliert Die Winter- and Sommerpassage über den üral
ist fut diwellM. Die beiden gehen fon Oiuies nacli dem Beig 8aU»» «Iw»
40 Went, die Gegend ist sehr sumpfig ; dann kommt die Sommerpsssige und kjwit
einige Berge bis znm Finsse Patez, sie gelit weiter liinanf immer dem FIimm
folgend bis zu dem See, aas welchem der Flufs ansfliefst (der See ist nnjEreflhr
eine Werst lnnp\ dann steigt sie über den Ural hinüber ("Wasserscheide) and
fän<rt gleich mit dem Flusse Schekurik. der an der anderen Seite der Bcr^?-^
fliefsf. an, hinunterzugehen. Dann berührt sie den Nebenflufs Polia und kommt |
fast gerade nach dem Dorfe Schekurik. Wir nahmen in einer Entfernung von
25 Werst einen kurzen Weg nach Dorf Schekurik, verliefsen den Polia (nämlich
den Winterweg), aber der Weg ist sehr snmpüg und im Sommer gar nicht sn
empfehlen. Die Ufer der Fltksse Fetsohon, Soswa-Sygva sind bewohnt, an d«r
Petschors leben Sjijftaen, die schon siemlich civilisiert sind, an der Soswa-Sjgi»
Ostjaken. Ich finde also, dab der Seeweg m Petsebora alle Bedingungen des |
Erfolges hat und hoffe, dnfs er später eine sehr wichtige Bedeutung für die '
Kommunikation zwischen Europa und Sibirien haben wird, sobald nAmlich dis
Dralpassage gebessert and sn jeder Zeit benutzt werden kann.
HochachtangsToU A. Sibiriakofl
§ Robbenlang in der Magellanstrafse. Die Pelzrobbe (Arctocephalns
Falklandicns) und die Mäbnenrobbe (Otaria jubata) werden in der Magellan-
straÜM in den Monaten Deaember und Jannar gefangen. In der letiten Woche
des Novembeis kommen diese Thiers anf die Felsen der AnÜwnkflsten «id
«erfbn ihre Jnng^ Zn. Ptarnngsptttsen (rookeriea) Sachen sie sieh UeSne
niedrige, von der oceaniscben Brandung überspülte Felseilande aus. Hier ist
oft die Landung schwierig, wet^halb d* r Seehondfftnger gewöhnlidl schon einen
Monat vor der Paarungszeit in der Nähe einps Bolchen Platzes sein Fahrzeug '
▼or Anker legt. Sodann benutzt er r!fn ersten schönen Tag, um eine Anzahl
seiner Leute mit Feuerung, Zelten und einem reichlichen Vorrat an Provisionen
zu landen. Dieses letztere, eine genügende Quantität Lebensmittel, ist durch- ,
aas notwendig, denn es kann zwei bis drei Monate dauern, ehe günstiges Wetter
und damit die Möglichkeit der Landung und Einschifting der Lente nnd dss i
Fangs« wieder eintritt Es sind FUle vorgekommen, wo die Seehnndsfibiger anf |
ihrem Ton einer stets biandenden See nmschlobenen Felsen Monate snbringsn
molsten und, obwohl sie von Moseheln und dem vorhandenen Vorrat an See-
hundsfleisch zehrten, dem Hungertode nahe waren. Natflrlich Terbergen die
Kapitäne der Fangschiffe ihre Kenntnis von den Paamngspliitzen ?o viel als
möglich vor einander und man kann z B. als sicher annehincn, dufs ein Kapitän,
der auf Befragen erklärt, er habe seine Leute irgendwo nördlich gelandet, dies
in Wahrheit irgendwo nach Süden hin geschehen ist. Wenn die Leute glücklich
nach dem Fangplatz gebracht sind, kreuzt der Schuner mit seiner nun bedeutend
reduzierten Mannschaft einen od«r awei Monate, am nene JagdsteUen an soeheo,
Oft entfernen sie sich dabei Hnnderte von Seemeilen von der ersten Landongi-
stelle, sich darauf verlassend, dab sie bei Nacht iigend eüie gesehiUste
Stelle finden, wo sie dicht am Ufer ankern, oder wenn, wie das meisteos dsr
Fall, das Wasser zu tief, das Fahrzeug an einem Banme festbinden können.
Bei die^m Kreuzen liegen die Leute der Jagd der Seeotter (Lutra felina) ob,
oder sie tauschen das Fell dieses Tieres von den Fenerländem ein. welche es
entweder mit Hunden jagen oder in dein mit Scekraut bedeckten Küstenwnfser
schiefsen. Das Fell der Secottcr zeigt nach Entfernung der langen brannen
Haare (Grannen) eine schöne goldgelbe Farbe; der Preis wechselt sehr nach
der eoropftischen Mode. Nach dem Fange werden die FcUe der Otter sowis dsr
Digjtizedj:)y Coogle*
— 87 —
Robb« irocluil genlsen; man vtrfiUirt dabei in der Weise, dafs das Fell ana-
gebreitet nnd an der inneren Seite mit Salz überstreut wird, das Fell wird dann
mit der Haarseite nach aufsen zu einem Bündel aufgerollt. Leider werden alle
Tiere ohne Rücksicht auf das Alter getötet, so dafs die Ausrottung dieser Tiere
wohl fior eine Frage der Zeit ist (Nach Coppinger, cruise of the Alert.)
* 2ir OMeUflü« 4er i«iiMei Koltii«! Ii BjHiaL Wir «mpfingea
über diM« AagekgwilMit di« iiftcbilelieiiden anfkUrenden MtlteilingMi, welobt
wir VI» TOB tachkoncUger Seite ▼OD Hem Dr> med.
yKeligiöse Überzeugung hat zu der Gründung der deutschen Kolonien in Palästina
geführt und sie hat die Kolonien trotz der bedeutenden Schwierigkeiten bis
beute erhalten. Urheber dieser religiösen Bewegung und Gründer der Kolonien ist
Christoph Hoffmann, der jetzt noch bei Jerusalem auf der Kolonie Rephaim
lebt; er ist der Sohn des Gründers der Gemeinde Kornthal (Württemberg) und
Bruder des verstorbeneu Oberhofpredigers Wilhelm Hoffmann in Berlm. Ein Mann
von ausgeaeichneten wissenschaftlichen Kenntnissen, in Württemberg bekannt
durch weriroUe litteiariaiBhe ArbeitoD, hatte er in der biirhlidian Lelm («r halte
Theologie atndierQ keine Befriedigang gefunden und das Beeultat aeinea Fonohena
war, dab nicht die von den Terachiedenen Kirchen aoi|gaateUten Lehren ftr die
Menschen bindend seien, sondern dafs jeder Mensch das Becht and die Pflicht habe
an forschen, ob diese Lehren wirklich die christliche Lehre erfassen. Bei seioiil
Studien der Geschichte und der Bibel fand er, dafs in der letzteren eine ganz
andere Philosophie und Religion enthalten sei als die Kirchen vorgeben und
dafs die in den kirchlichen Lehren enthaltenen, für den gesunden Menschen-
verstand zum Teil absolut unfafsbaren Probleme in der Bibel nicht enthalten
seien, sondern schon von der Zeit der Kirchenväter an aus MilsTerstand als
biUiieh angesehen worden seien. Er ateUte also Ar sieh die witUlehe Ldne
der Bibel fsst» wirkte fftr seine gewonnene Anstellt Ton 1818 an und so bildete
sieh in lainen Anhftngeni aOrnfthlich eine eigene Beligionsgenosseaschaft, die im
AnfuBg der Sechsiger Jahre sich von der protestantische Kirche trennte und
den Namen Gesellschaft des Tempels annahm. Die Konsequenz dieses Strebens
f&hrte im Jahre 1869 zum Beginn der Kolonisation in Palästina, an der sich
nur Anhänger der Tempelgesellschaft beteiligten- Es entstanden durch langsamen
Zuzug in der ersten Hälfte des siebziger Jahrzehnts die vier Kolonien Jaffa»
Sarona, Kaifa und Rephaim bei Jerusalem. Die Gegenstellung, welche die
Kirche gegen den Tempel einnahm, hatte eine vollständige Isolierung zur Folge.
So gelang es nicht die AnfmeAsankeit aal Tuser Unternehmen als ein
nstionalet an lenken, his in die letaten Jahre heieini wo die koloniale Bewegung
In Bentachland erwachte. Jetst enfc fragte man nicht mehr sowohl nach unseim
QlaehenribeksnntBis, als darnach, dab wir Deutsche sind; was auch, da ja in
Bsotschland Relij^ionsfreiheit sein soll, nicht mehr als billig ist Auch unsere
Gegner muüiten jetzt anerkennen, dafs der Tempel durch die Herstellung der
Kolonien eine beachtenswerte Leistung aufzuweisen habe. Von anderer uns
nicht feindlicher Seite wurden die Kolonien als acht deutsche Pflanzstätten im
Orient gerühmt und gepriesen. Tempora mutantur! Der Tempel treibt keine
Mission unter den Arabern, wenigstens nicht in dem allgemein übhchen Sinne,
d. h. er sucht keine Proselyten zu machen, sondern er hofft, dafs die Herstellung
YOB geordneten Gemeinden, an welchen die Einwohner mit der Zeit naeht Tei>
Mdsn kftnaen (nnd daTon sind jetst schon Anseiehen Torhanden) ein Beispiel
SB nehmen, nachhaltiger nnd richtiger wirken werde als Proee^rtenmaeherei;
es htit ee also fttr wichtiger die Eingeborenen in ordentlichen Menschen in
üiyiiizea by Google
— 88 —
machen, als ihnen rhristlicho Dogmatik einzupflanzen. Die SfeHnnp der Kolonisten
znr türkischt n Ucgierung ist nnn die, dafs sie als deutsche ünterthanen und
Schutz{jenos.sen dort leben, indem sie direkt nnter dem deutschen Konsul stehen,
der ilineu »Suudcsbeuiutur und Eichter ist und sie bei der türkischen Regierang
v«rtritt; jedocli w»b das Omiideig^Dtiiiii betrifft stelmi sie, wie fibeiluMipt alle
Anslftnder, unter t&rkisclier Qerichtsbukeü Gnmdeigentiim kMin seit der mit
der Türkei Tereinberten Konventioii (Ende der Seohiiger Jehre) der MiclKle
erworben werden und wird auf den Nftnittn des AnsUbudere eingeschrieben, der
einen Eigentnnisbrief (Hedschi) erhält Du ang^flanzte Ackerland (nicht Gärten)
zahlt Steuer an die türkische Re^iemiig vnd swsr den Zehnten, der in natu»
oder Geld entrichtet werden kann.
"Was nun die Kolonien betrifft, die durchschnittlich 50 — 70 Familien stark
sind, so ist diejenige in der Ebene Rephaim bei Jerusalem das Centrum, Dort
ist die Ceutralleituug der gaiizcu Tempelgesellschaft, die von einem Ausschufs
mit einem Yomitzendeii (8 U&nner) besorgt wird. Dort waide ein Lycenm
(mit Pension) gegründet, das die QymnasialblldiiQg gisbt, nnd wurde auch in den
letzten drei Jahren Ton Ch. Hofltaiann selbst ein theol<^^aoh akademiseher Knreos
gegeben. In jeder der vier Kolonien ist eine gute Dorfschule, welche Ton der Central-
leitnng inspiziert werden. Die Gemeindeverhältnisse haben wir so geregelt, dafo jede
Kolonie sich einen Gemeinderat und Bürgermeister wählt; dies ist aber Prirat-
übor.inkonimen der Kolonisten und vom Konsulat nicht anerkannt, war aber
natürlich für uns unentbehrlich. Die religiösen Bedürfnisse werden durch die
von der Centraileitung eingesetzten Ältesten befriedigt. Die Kolonie Rephaim hat
vorzüglich Industrielle; Ackerbau wird nicht betrieben; dagegen widmet sich
einer der Kolonisten dem Weinbau, der sehr guten Ertrag liefert In dw
Industrie sind von den Kolonisten vertreten: Kanflente, Apotheker, BÜdbaner,
Hotelier, Schreiner, Zimmerlente, Glaser, Uanrer, Schneider, Sebnster, Bierbrauer,
Müller, (1 Dampfimfilile nnd 1 GÜBpelmlUiie) 1 Arobitekt, Schlosser nnd Sehmied,
Metzger n. a. Sie finden ihr Fortkommen, wenn auch nicht glänzend. Jeder
Kolonist hat für sich selbst zu sorgen ; anfangs bestand eine Kolonisationskasse,
in welche die Mitglieder des Tempels ihr Geld einlegten und welche die Kolonisation
unterstützte. Dieselbe ist aber seit einigen Jahren nicht mehr akÜT, da wir es
für besser fanden, wenn man jeden selbst für sich sorgen läfst.
Die Kolomc Jaffa ist der bei Jeru.salem ähnlich; sie treibt ebenfalls
fast keinen Ackerbau, dagegen ist hier gemäfs dem Platze (Seehafen) besonders
das kanfmftonische Fach stark vertreten, wovon ein Hans (BreiBeii A Co.) ein
ganz bedeutendes ImportjgesebSft hat nnd flberhanpt die erste Stelle in Jallb
einnimmt Anch die Bewohner dieser Kolonie kommen gnt fort
Die dritte Kolonie Sarona, eine Stunde von Jaffa in der Ebene Saron
gelegcTi, ist nun eine reine Ackerbaokolome, sie ist ein wundemettes, blühendes
Dorf, doch stockt sie gegenwärtig einigermafsen, indem das flüfsige Kapital eines
gi'ofsen Teils der Kolonisien durch Ankauf des Landes, Bau der Hauser, der
aus sanitären Gründen luxuriöser gemacht werden mufste als es für Bauern-
häuser gut war, fest gelegt ist und doch sollte noch mehr Land erworben
werden. Für diese Kolonie haben wir deshalb hauptsächlich in Aussicht ge-
nommen, !eine Dnterstfitznng durch Kapital von der denisehen Nation an erwirken
nnd weiden wir anch, wenn die nJHigen Yorbereitnngen getroffen sind, damit
hervortreten.
Die vierte Kolonie Caifa oder Haifa am Karmel ist gemischt, teilwdis
Handel und Industrie, teilweise Ackerbau und ein grofser Teil Weingärtner.
Sie hat bis jetzt sehr schwer gethan, vornehmlich deshalb, weil der £rtiag der
Digitized by Google
— 89 —
Weinberge durch eine Traabeukraukheit fast vernichtet wurde, doch ist jetzt
in dtm T»tioiitB«n .Selnrofeln' «in lütlel gegen diese geAmdeiif io dab die
Eettnng der Aidageii in Auariclit atelii
Um die frirtiGliafUicbe Lage sa heben, wnide im letsten Jahre eine ein-
geschriebene Genossen.schaft, Firma: „Verein f&r Handel, Ctowerbe und Acker-
bau in Palftetina* gegründet, an der sich alle vier Kolonien gemeinsam beteiligten
und von der wir hoffen, dafs sie den Kapitalisten in der Heimat die ndtige Sicher^
heit f&r Kapitalanlage bieten werde."
Zum Schlufs dieser Mitteilung sei anf die in Stuttgart erscheinende
"Wochenschrift: ,Die Warte des Tempels", Organ der Gesellschaft Tempel ver-
wiesen, deren Ziele und Bestrebungen diese Zeitschrift geltend zu machen und
SO Tsibreiten snohi Die nWarte des Tempels* giebt nach dem nns Toriiegenden
Tvignmm bestftndig Nachricht Ton den deotsehen Kolonien in PaUsüna nnd
bringt in Orignialberichten von dort AnfichlnlSi ftber die Znstinde des Orients.
§ Die Pftftueiwelt des sttdliehen Sene^ambiens. Prot Dftlter bespricht
in seinem von nns in Heft 4 des 7 Bandes dieser Zeitschrift angezeigten Werke :
Über die Capverden nanh dem Rio Grande und Futah-Djallon, die Pflanzenwelt
des südlichen Sencgambiens insbesondere des ausgedehnten Gebietes zwischen dem
Rio Cassini nnd dem Rio Casamanc^a. Er unterscheidet drei Vegetationsgebiete.
Dem vom Westen ankommenden Reisenden bietet die Kaste keinen erhebenden
Eittdmek: es sind niedere Ufer, bewachsen mit nndnichdringtichem Schilf- nnd
Bnschwald. -Ein Twindertes BQd seigen die Ufer nnd die nftdiste Umgebung
der groÜMn ▼on Osten nach Westen siebenden Flflsse; am Ufer selbst hensoht
die Mangrore, deren Äste und Wnraeln durch unzählige ScUii^pflanzen ver-
bunden sind. Oft beginnt schon in unmittelbarer Nähe des Fluses der galerie-
artige Hocliwald; an anderen Stellen dagegen drückt der Palmenwald dichtge-
drängt und abwechselnd mit grasbedockteu Lichtungen oder auch der Busch-
wald der Landschaft das Gepräge auf. Die Region des Buschwaldes bildet eine
Art Übergang zwischen der Campine, der an Sträuchern reichen Savanne und
dem eigentlichen Hochwalde. Die drei Vegetationsformen : Campine, Busch und
Hochwald sind dabei rinmÜch nicht immer getrennt, vielmehr hkufig durch
Übergänge vobnnden. Der oft meilenweit nnnnterbrochen an den oberen Teilen
der FMsse sieh ausdehnende Hochwald ist durch Abasien und bnchenUinliche
Biume charakterisiert. Die Caropine ist eine mehr oder weniger mit Strinchem
besetzte Grasflur, in welcher 1 — 3 m hohe Gramineen und Paniceen vorherrschen.
Sowohl Savanne als Bnsch und Hnrhwald zeigen uns melir oder weniger liüuiig
jene durch ihre kolossale Höhe wie durcl» die ungeheure Entwickeluug ihres
Laubdaches ausgezeichneten Bäume, welche wie der Wollbaum, die Adansonie
n. a. das Staunen des Europäers hervorrufen. Verschiedene Bäume liefern wert-
volle Nutzhölzer, so z. B. der afrikanische Mahagonibaum; unter den Kaltur-
pflaaaen spielt die Bvdnub die gröfste Bolle, sie ist sowohl im Innern wie an
der Kftste weit verbreitet Hais und Beis bilden Hauptbestandteile der Nahruqg
der Singebotenen; Fmchtbiume wurden von den Portugiesen aus ihrem Vater-
kade oder ans Brssilien eingefBhrt nnd von den Eingeborenen kultiviert
Von der tioldküste. Die nachstehenden Auszüge ans Briefen unseres im
August v. J. verstorbenen Mitgliedes Paulus Dahse an seine Gattin haben
zwar wenig geographisches Interesse, .sie zeigen aber einesteils, welche Schwierig-
keiten Klima und Bevölkerung an der Goldküste einem bergmännischen Pionier
entgegensetzen, andernteils mit welcher aufopferungsvollen Hingebung der Ver-
. Digitized by Google
— 90 —
iloi!>eiie» dMsen LebeiiBUnif wir in Bttd YIL S. Ü6 «. ff. duaer ZaHiehr.
•nUilt haben, tieh trots mihm laideodeii KAipefs auneii UntoiiMhmiiiigNi Im!
Ua tarn letstan Augenblick widmete.
.An Bord der „Ida", Freitag, den 14. Dez. 83. Morgen werden wir wohl
hoffentlich Madeira erreichen und will ich die Gelegenheit nichi übergehen lassen
einige Zeilen m achreiben. Ich hab^ oippntlich recht nngemütlich mit dem
Schiffe getroffen. Es ist ein gecharterter Ihimpfer und garnicht für solche Reise
nach dem heifsen Klima gebaut. Die Kajüte ist ganz hinten, gerade über der
Schraube, entsetzlich eng und klein und durch die Bewegung der Schraube
schüttelt und wackelt alles, so dafs es kaum möglich ist zu schreiben and xa
rilnn. Dia Kajftto auf der «Dahomey* war gerade noch mal so grofa. Iii diaaan
tBgen Banm aind wir mit 6 FtaaagiaraB «ingapliBrdit^ swit mtmm a«f daa
Bophaa acMalbn. Antedem haben der Kapittii, d«r Doktor und ZaUmeiatar
nnd die drei Steuerleute ihr Logis auch hier nnlaiL Dia araton Tage warait
schrecklich, an Deck alles nafs, unten in der Kajüte war es vor Duaat, vor dem
Geruch von frischer Farbe und dem Qualm der Öllampen garnicht anszuhalten;
ich fürchtete wirklich, ernstlich krank zu werden, nm so mehr, da ich recht
angegriffen an Bord kam. Doch int ja alles Oott sei Dank gut gegangen und
fühle ich mich heute bedeutend besser und mit weniger Husten.
Sierra Leone, Freetown, an Bord der „Ida" Dez. 27. 83. Gestern Abend
find wir aadlioh bia hierher gelangt Sa iat iaüMrat migaannd wid «ngamftUiob
an Bord, wir fühlen me alle aehr oder weniger niaerabal, fieberiadi md aehneB
die Zeit herbei, wo wir am Ziel nnaeier Beiaa aein wesdeik Dar Ki^pittB nad
die OfBsiere hier an Bord aind zu bedauern. In Teneriffa nnd Grand Ganaiy
war es recht kalt und morgens die Berge bis tief hinunter mit tiefem Schnee
bedeckt, auch die folgenden Tage war es noch kühl und bis letzten Sonntag
trug ich noch den Shawl und abends den dicken Winterüberrock und die
Reisedecke. Ich habe noch immer Husten, darum nehme ich mich auch recht
in acht. Heute über 8 Tage hoffe ich in Cape Coast zu sein und will Gott
danken, wenn ich an Land bin. , •
Cape Coatt, den IS. Jannar 1884. Zaletet aohrieb ich Dir von Biana
Leone und seitdem hatte ieh noch nicht wieder Galegenhaii mm achraibaa.
Letaten Hontag» den 7. d. M., hsmen wir endlieh naoh einer hmgan Beiaa hier
aa* Ich wohne hier bei Herrn Bomett in Swanzys Faktorei, in einem achtaea
gesunden Hause und lebe ich ordentlich auf, nttk dem was ich an Bord der
„Ida" durchgemacht habe. Ich werde noch eine ganze Woche hier bleiben, da
ich noch verschiedene Dokumente hier vom Advokaten ausfertigen lassen raufs,
ehe ich nach Winnebah gehen kann. Burnett wird dann mit mir gehen und
eine Woche bei mir bleiben ; von ihm habe ich anch einen guten Diener be-
kommen, der nachher mein Koch sein wird.
Wwmt^ah, den 81. Janr. 1884. Am Sonnabend, den 19., verliefsen H«r
Bnniett und ieh mit Dampfsr Cape Coaat; ich war vom Faekan ao angegriffen,
dafo ich mich nachmittags an Bord niederlegen mnÜBta nnd Eta aof Kopf «nd
Brost legte; es ging aber gnt TorAber. Abanda 10 Uhr gingen wir tot Winnebnh
vor Anker und Sonntag, den 20., morgens 7 Uhr begaben wir uns an Land mit
unsern Sachen und schlugen wir unser Quartier in Swanzys Faktorei auf. Am
folgenden Morgen machten wir Besuch bei King Ghartey. Am Mittwoch, den 23.,
gingen wir in Hängematte nach Manqnadi. um die dortige Konzession in
Besitz zu nehmen. Manqnadi. ein Fischerdorf, ist ein furchtbar schmutziges
Nest, der GestMik im Ort war kaum zu ertragen; unglücklicherweise war mein
Zelt noch nicht angekommen nnd waim wir genötigt, eines der schmntaigen
• Digitized by Google
— 91 —
Hänser zu bewohnen. Nachdem wir die Häuptlingö von unserer Ankunft
iMiiacliiielitigt hatten, wann dieselben endlich ut FvrilMt« den S&i snminsien
und hielten wir eine Zusammenkunft. Zu nnserm gröJSrien Entannen erkürten
dieselben, dals King Qbartey im Jahre 1878 gamieht ihr Land gekaoft h&tte
und dafs ihre Unterschrift unter der Urkunde geMseht w&re. Yfit hielten ihnen
▼or, dafs sie damit eine aufscrst schwere Anklage gegen King Qbartey aus-
sprächen nnd wir die Sache jcdoiifalls rrenan nntersnchen würden; wenn sie eine
falsche Anklage vorgebracht hiitton, so würden sie schwer bestraft werden. Sie
bestanden jedoch auf ihrer Behauptung und sagten: King Ghartey hätte keinen
Besitztitel ihres Landes, sie wollten es aber gerne an mich abgeben. Da wir sie
während der Unterhandlung auf verschiedenen Lügen ertappt hatten, so fragten
wir sie, ob iigend einer Ton ihnen sein Land seit 1878 an ixgend jemand ver-
kauft bitte. Mit Ausnahme eines chieüB eriilftrten sie sftmtlich »nein"; diesor
eine hatte im leisten Juli sein Stuck Land an eine aus Mulatten bestehende
Kompagnie abgegeben. Wir teilten ihnen zum Schlnfs nochmals mit, dab wir
die Sache untersuchen würden und bis wir nicht ausgefnnden hätten, wer Recht
h&tte, wir nicht anfangen könnten zu arbeiten. Am Sonnabend, den 26., schrieb
ich ein ausführliches Protokoll über die Zusammenkunft nach den Notizen, die
ich während des palavers gemacht hatte. Auch schrieben wir nach Arcra und
nach Winnebah, um die Sache zu untersuchen. Sonntag Morgen machten Herr
Barnett und ich einen Spaziergang nach der Westgrenze von meiner Konzession
und enidedLtett lu unserm Erstaunen, dalii daselbst Pfosten aafgepfianst waren
mit der Beseichnung T. B. A., dab also em gewisser Mulatte von Winnebah
dadurch diesen Teil als sein Eigentum reklamiert Montag Morgen riefen wir
die chieÜB nochmals susaaunen, sagten ihnen daron und fragten, weshalb sie uns
nichts davon gesagt u. a. Wir hatten genug und gingen nachmittags mit
Boot nach Winnebah zurück, woselbst wir in 2 Stunden ankamen. Am Dienstag
hatten wir eine Zusammenkunft mit King Ghartey, wobei letzterer sämtliche
Aussagen der chiefs für Lügen erklärte. Es ist klar, beide Seiten versuchen nur,
mehr Geld zu erpressen, es wird ihnen aber nicht gelingen. Herr Rurnett hat
heute morgen leider nach Cape Coast zurückkehren müssen. Er ging über
Land, um auf dem Wege sftmtliehe Fsktoreien zu inspizieren. Ich mnfo nun
meine Berichte von Swanzys abfassen und will heute noch einen offiziellen
Bericht an den englischen Distrikt-Kommissioner hier über die AflTaire machen. Am
Sonnabend {^he ich nach meiner Sawo-Sawo-Konzession, um die chiefs dort zu
sehen, am Montag fsnge ich an, die Grenzen dieser Besitzung zu vermessen und
mit Pfosten zu versehen. Ein Gluck, dafs dort kein palaver zu befürchten ist.
Winnebah, den 15. Febr. 1884. T'h habe hier fortwahrend recht an-
strengend zu thun und vermisse sehr die Hülfe des Herrn Burnett; so lange
dersclb« Kh i und mit mir war, nahm er mir alle anstrengenden Arbeiten ab,
jetzt inuls ich alles selber thun, Du weifst ja, wie schwarze Clerks sind. Ich
untersuche jetzt die Umgegend hier und die fast täglichen anstrengenden M&rsche
in Fufii nehmen mich sehr mit, so dafe ich oft einen Tug Pause machen mub
und dann voUstftadig kaput und zu jeder Arbeit untauglich bin. Ich wandere
mich oft, wie ich es aushalten kann und doch mufs ich mit Dank gegen Gott
sagen, dab mein Husten anscheinend besser geworden ist. Ich habe bereits in
der Umgegend von Winnebah, etwa l*/i Stunde von hier, weitere äufserst reiche
Zinnlager entdeckt; am Montag denke ich daselbst mein Zelt aufzuschlagen, um
weitere genauere üntersnchnn;:cn anzustellen und wenn sich meine bisherigen
Vernmtungen bt'stitligen. will ich Ende nächster \V»n lie dort eine Konzession kaufen.
Babe ich damit Erfuig und grölsere Proben von dort nach London gesandt, so
Digitized by Google
— 92 —
gedenke ich die Gegend zwischen luer und Cape Coast genauer zu untenmches,
wo ick weitere reiche Zinnlager vermate; ich werde dann noch einige Kon-
zessionen erwerben und Proben don Erzes nach London senden. Damit wäre
dann meine eigentliche Arbeit beendigt; doch gedenke ich, da ich nicht gerne
noch einmal von Euch fortgehen möchte, so lange hier zn bleiben, bis jemand
von London heranspesandt wird, um die Minen zu übernehmen, vorausgesetzt,
dafs mein Gesundheitszustand es erlaubt Sobald ich übrigens fohle, dals ich
ling^rer Roh« bedarf, so gehe loh auf ein paar Wodien nach Cape Conat ud
laaae mich von Bnmett pflegen.
Cbp« (haat, den 82. Hin 1884. Ea aind 4 Wodien, aeit ich Badi mssbt,
geachrieben habe, aber ich bin recht hxank geweaen nnd konnte deshalb nicfat
Ich hatte midi wie gewöhnlich zn sehr angeatrengt nnd tägliche Märsche Ton
4 — 7 Stunden gemacht, bis ich kapnt war. Seit 3 Wochen bin ich hier in
Cape Coast bei Bnmett; die ersten 16 Tage mufste ich zu Bett liegen, es war
kein Blntsturz, sondern vollständige Erschöpfung. Jetjst bin ich wieder all rights
nur noch etwas matt und werde mit niichstem Dampfer wieder nach Winnebah
gehen. Dieses Mal werde ich vorsichtiger sein und keinen Marsch ohne Uauge>
matte thnn.
Wiimebah, dan 31. Min 1864. Da die beldan letiten Daafkün niefat hiar
in Winnebah anlegten, hatte ich erat die Abaicht, letite Woche Uber Land von
Oape Goaat hieher in gehen. Aber ich fimd ana, dala nur ein knner Spaiior»
gang von 10 Minuten mich am Tage Torher aehr analrengte nnd ao aagte ich
denn Bnrnett, dafs ich mit Boot hierher segeln wolle, um die Anstrengungen der
Landreise, welche 2 — 3 Tage in Anspruch nehmen würde, zu vermeiden. So
machten wir denn alles fertig nnd letzten Mittwoch, den 26. d., morgens 5 Uhr,
verliefs ich mit Boot Cape Coast und Burnetts brüderliche Pflege. Ich legte
mich anf meine Decken und schlief bis gegen 8 Uhr, wo ich etwas genofs. Bis
11 Uhr war die Fahrt recht heiÜB, dann bekamen wir aehr atarke Seebrise, die
nna 4 ühr nachmittag» nach Winnebah brachte. Ich war ToUstindig atetf
geworden nnd ging achon vor 7 ühr m Bett Den niohaten Tag mhte ich mich
ana. Am Freitag ging ich mit Boot Ton hier nach dorn Ajaaoo rivor nnd den-
eelben hinauf nnd rekognoszierte denselben bis an den «raten FiUen, wo wir
nicht weiter konnten. Um 4 Uhr nachmittags war ich wieder hier. Morgen
früh 4 ühr gehe ich von hier mit Boot nach Appam, um die dortige Stein-
formation zu untersuchen. Daselbst und in der Umgegend werde ich bis Freitag
bleiben. Nächsten Montag gedenke ich nach einem Platze im Innern, etwa
7 Stunden von hier, aufzubrechen, um dort weitere Untersuchungen anzustellen.
Ich werde kanm im stände sein, vor Juli oder August die Küste za wriaesen,
waide also den Sommer an Hanae Yorlieren. Ich bleibe ao hu^ hier, bia ieh
nnaere Znknoft nach menacUicher Anaieht geeiobart aehe. Eine nochmalige
Trennung von Eneh wire mein Tod.
Winnebah, den 9. April 84. Zuletzt schrieb ich Dir am 31. Mts.; am
nächsten Morgen 6 ÜJur ging ich mit Boot von hier nach Appam, etwa 10 milea
westlich von hier, um die dortige Gegend zu nntersnchen. Ich that so am
2. nnd 3. April, an letzterem Tage aber marschierte ich etwa 1() nüles und war
dafür am nächsten Tage krank ; ich legte mich aber gleich nieder, machte raeine
Medizin, die ich immer bei mir führe und konnte am Sonnabend, den 5., wieder
mit Boot hierher zarnckkehren. Hätte ich dieselbe gute Konstitation wie vor
3--4 Jahren, ich kirne raadier vorwlrta, ao aber mnb ich allea sachte angdien
laaaen. Morgen werde ich von hier nach dem Innern, doch nur etwa 6 Standen
von hier, aufbrechen, woaeU»t ich hoffe eine gnte Konaeaaion an erhalten. Ich
Digitized by Google
08 -
bin sehon di« ganze Woche mit Vorboiwtangea zur Reise bMob&ftigti da ich
nur wenig zm Zeit thun kann.
VtUage Ayssass'ie, April 27. 1884, Am 10. d. Mts. verliefs ich Winnebah
gegen Mittag und erreichte abends 8 ühr Asafu, eine Stadt in Agunah, nach
anstrengender Reise, wovon ich 3 Stunden hatte zu Fufs machen müssen. Die
nächsten beiden Tage, Freitag und Sonnabend, erforschte ich die ganze Umgegend,
fmd Bwar Anseichen, dab die ZinniörmaUoii, nach welcher ich raditey nicht
weit sein konnte, aber diese selbst nicht Alle diese Touren mu(kte ich natflrlich
sa Fufs machen. Am Montag, den 14 , verlieÜB ich Asafu und marschierte wes^
wärts nach Agena Swaiden. Denselben Nachmittag und den folgenden Tag
untersnchte ich die Qegead mit demselben Resultat, wie in Asafu, aber ich sah
dann, dafs das, was ich snchte, südlich von Swaiden nnd Asafn sein müfste.
Am 16. morgens verliefs ich Swaiden, folgte einige Meilen der Strafse nach
Winnebah, dann nahm ich einen Bnschweg ostwärts bis zu einem kleinen
Plantagen dorf. Hier engagierte ich eim n Führer nnd liefs mich durch Busch u. a.
nach dem Zusammenfiufs des kleinen Akontetlasses mit dem Agusooflusse fuhren.
Bd üntersnchnng der Gegend hier fimd ich die ersten Anseichen von Pegmatit,
ich wnfirte also, dab ich anf dem richtigen Weg» war. Nach nerstflndigsm
llsxsche auf beschwerlichem Wegs erreichte ich dieses Dorf nnd schlag mein
Quartier hier anf. Ich war todmftde, ruhte aber nur korse Zeit; denselben
Nachmitlag nntersnchte ich die Umgegend nnd nach ein paar Stunden Arbeit,
wobei wir unsem Weg durch den Busch hauen mufuten, fand ich, was ich
suchte, den richtigen Pegmatit ganz in einem Felsen mitten im Busch, 45 Fufs
lang, 22 Fufs weit, über der Oberfläche hervorragend. Seitdem bin ich fort-
während hart beschäftigt gewesen, die Gegend weiter genau zu untersuchen.
Habe Proben von dem verschiedenen zu Tage tretenden Gestein genommen,
weldie ich mit disssm Dampfer nach London senden werde, habe die Qrensen
der Konsession, welche ich hier erwerben wiU, abstechen lassen, habe Schachte n.a.
gegraben nnd werde morgen anfingen die Konzession an vermessen. In drei
Tagen hoffe ich damit fertig sn sein, werde dann die Dokumente aosmachen
nnd hoffe Ende dieser Woche soweit zu sein, daCs ich die chiefs hier mit nach
Winnebah nehmen kann, um die Dokumente von dem Distrikfkonnnissar nnter-
zeichnen zu lassoti. Darnach werde ich hierher zurückkehren, um weitere
Proben von der Konzession zu nehmen und die Umgegend weiter zu unter-
suchen, da ich nicht weit von hier Kupfererze entdeckt habe, welche
anscheinend reich sind. Gestern habe ich meine Zuite von Winnebah kommen
Isssen, da ich es nicht Ungar in dem Hanse aushalten konnte, denn Tags (Iber
harte Arbeit, abends nnd nachts Moskitos, Warnen nnd Mflcken war sn viel
nnd nahm das bischen Kraft, was ich habe, noch fort Nachts kann ich nicht
linger ab swei bis vier Stunden schlafon. Es ist ein Wnnder, dafs ich alle
diese Strapazen habe anshalteii können, es kostet mir aber auch oft über-
menschliche Anstrengungen. Die Medizin gegen Blutsturz trage ich jetzt immer
bei mir und habe oft nötig, extra starke Dosen zu nehmen, aber so weit hat
es immer gleich gewirkt. In drei Tagen hoffe ich die schwerste Arbeit hinter
mir zu haben und kann mir dann etwas mehr Ruhe gönnen, aber nach vier
Monaten Aufeutlialts hier ohne Resultat hübe ich alles daran setzen müssen,
wenigstens eine Komesifon in erhalten. Jeiaft bin idi snfrieden nnd weils, dafi
ich anfinr Zinn noch weitere Bntdecknngsn machen werde.
Wnmebah, den 9. Jnni 1884. Ich weü^ nicht mehr, wann ich Dir snletst
gflichrieben habe, ich sehe nnr, dab Deine Briefe anbeantwortet vor mir li^n.
Absr ich war selur krank mit g^ffthrlichem Fieber nnd Lnngsnentifindnng nnd
— 94 —
heute ist der erste Tag seit Wochen, wo ich wieder im stände bin zu schreiben.
Eine aolserordentlich starke Regenzeit überraschte mich im Bosch, ehe ich
meint AibeitMi dort fartig bringMi koimto und war ich in den letatUn WocImb
dort, wo meine Zdte standen nnd wo ich wohnte, Ton Waseer und SAmpfes
umgeben. Da hat mich das llalariafieber gepackt wie noch nie. Vor 14 Ta^en
kehrte ich hierher surück auf einem weiten ümwege, da alles Land abeiT"
schwemmt war; die Eingeborenen dort wissen sich solchen Wassers nicht wo.
erinnern. Ich hatte 8 Träger, die oft bis unter die Schultern im Wasser waren,
Sie brachten mich aber glücklich hierher; wäre ich einige Tage länger dort
geblieben, ich hätte die Küste nicht wieder gesehen. Es sind 4 Wochen, seit
ich den ersten Unfall hatte. Ich hatte einen sehr steilen Hügel, woselbst ich
die neuen Entdeckungen gemacht habe, untersucht und war drei Mal auf Ter-
schiedenen Seiten denselben heranf nnd hinunter gegangen, Proben Ton dem
Steinen nehmend nnd als ich soletst mich wieder hinanf arbeitete, AhUe ieb
es wie einen Sehlag. Ich machte mich gleich anf den Heimweg nach mein«»
30 Minuten entfernten Dorfe nnd als ich nach vieler Mühe dort ankam, hatte
ich gerade noch Kraft genug, um mich auf mein Feldbett an werfen, als mein
Bewustseiu schwand. Ich habe nur eine dunkle Erinnerung davon, dafs mein
Diener mich zudeckte und meinen Kopf mit Tüchern abrieb. Gott sei Dank
habe ich es soweit überstanden, bin aber recht matt und abgemagert. Essen
kann ich nur wenig, doch hat mir der Agent von Accra Champagner geschickt,
welcher meine Kräfte aufrecht hält Ich hoffe zu Gott, dals meine letzte Ent-
deckung des bisher noch nicht anf der Kflste gefundenen Eises, soviel ich
ausmachen kann Kupfer und Silber, Ton Erfolg sein wird.
Wumebak, den 29. Juni 1884. Wann ich wieder snrfickkehren kann, ist
noch ganz ungewifs, es kann in ein paar Monaten sein, es kann Iftager dauern. ^
Ich habe noch keine Kachrichten vou London über das Erz, was ich von den
beiden Konzessionen nach London gesandt habe, hoffe aber nächste Woche
darüber zu hTircn, Von dem Ausfall desselben wird viel abhängen. Was das
eine Erz anbetrifft, so bin ich überzeugt, e.s i.st sehr wertvoll; aber in London
gehen sie so eigentümlich in den absay-offices zu Werke, dafs man nie weis,
was für ein liesultat herauskommen wird. — Dies ist das erste Mal, dafs ich
wieder schreibe seit ein paar Wochen. Ich habe alles liegen lassen, um mich
SU erholen und fange ich an, mich etwas besser au föhlen.
Wtmuhah, den 14. Juli 1884. Den 12. Juli — hier mubte ich aufhören,
da ich mal wieder Fieber bekam. Das Wetter ist äufserst ungesund und fast
alle sind krank. Rheumatismus plagt mich auch in der ganzen linken Seite
von der Schulter bis unterhalb des Knies nnd dabei die fortwährenden Husten
und Atembeschwerden — es ist wirklich kein angcuohtues Dasein. Dabei der
Trubel mit den chicfs, der nicht aus der Stelle rücken will. In wenigen Wochen
weide ich im stände sein, Dir zu schreiben, wann ich die Küste verlassen kann.
Ich hätte Dir so viel zu sagen und zu schreiben, aber bitte sei geduldig, wenn
ich Stunde am Tische gesessen habe,*mnIiB ich aufhören.
Wimuhäh, den 20. Juli 1884 Ich hfttte diesmal mehr geschrieben, aber
letsten Dienstag hatte ich einen Tag, wo ich mich Terhftltnismftfsig wohler fohlte
und hielt deshalb ein palaver, welches lange hinausgeschoben war, ab. Dieses
regte mich aber wieder so auf, dafs ich bis gestern fest gelegen habe nnd heute
mich erst etwas wohler füiile. Kein Blutspeien, aber sonst der Auswurf sehr
stark bei beklemmendem Husten mit fortwährendem starken Fieber, welches
nach und nach die Kräfte verzehrt. — Doch ich denke, die ungesundeste Jahres*
seit ist vorüber and es wird nun besser werden.
— 95 —
Winnebah, den 6. Angust 1884. Ich habe die letzten Wochen so viele
Zasammenkünfte and palaver gehabt, dafs ich in den Zwischenzeiten stets das
Bett bftten mnfrte in Fiebor und Enohöpfang, deshalb kann ich b«nto Bvdi
auch nar dieses kleine Lebeosseiehen geben. Ich glaube aber, dab ick endlich
das Manqoadie palaver sun guten SehlnXs bringen werde und dann ist alles
gat. Es ist auch hohe 2Seit, da viel länger meine Kiftfta nicht ausgereicht
haben wftrden." — Dahse starb, wie wir mitteilten, am 29. Angust J. in Akkra.
— Die Seychellen and Alniiranten. Über diese ostafrikanischen Insel-
gruppen veröffentlichten wir in Band V. 1882 S. 170 — 173 einige Mitteilungen,
die wir hente noch durch einige Bemerkungen aus Dr. Coppingers Reisebericht
(cruise of the Alert S. 211 u. £f.) ergänzen. Die Seychellen, unter welchem
Namen man eine Gruppe Ton 80 Inseln beseiehnet, sind seit dem Jahre 17M
eine britische Kolonie; sie wurden damals den Fransosen mit Waffengewalt ab-
genommen. Der grAfste Teil des Grundes und Bodens ist im Besits der Naeh-
kommen der alten französischen Ansiedler, diese sind ohne allen üntemehmnogs*
geist und pflegen die Einnahme aus ihren Lindereien wenig nützlich n Ter-
wendon Nnr sechs Engländer betindon sich unter den gebildeten Klassen der
Bevölkerung, welche bei der Zählung im Jalire 1880 14 035 Köpfe, darunter
2029 afrikanische Neger zählte; davon kamen auf die Hauptinsel Mah6 11393,
später fand noch eine Einwanderung aus Mauritius statt, so dafs die Bevölkerung
jetzt auf 18000 geschätst wird. Das Hauptprodukt der ganzen Inselgruppe ist die
Coeosttfifii, besw. das ans derselben gewonnene Ol, welches in gewaltigen, tob
Ochsen in Bewegung gesetsten Mftrsem gepiefot wird; neben der CoeosnnCi
werden nooh Vanille, Cacao und Qewfln gebaut In der letsten Jahresreihe
waren die Cocosnnfsernten unergiebig, weil viele Bäume infolge WurzelfiraGws
an den Wurzeln aasgingen. Eine besondere Cocospalmenart der Seychellen ist
die auf Praslin waclisondc coco de mcr, ilire Frucht wird nach den Häfen des
rothen Meeres verschifft, da die Araber ihr heilkräftige Eigenschaften beimessen.
Fäi die Vanille soll der Boden der Insel besonders geeignet sein.
Amerikanische XiefseelorsehuDg. In der Nummer des amerikanischen
JonnalB «Seiinoe' vom 8a Januar 1886^ YoL Y. 4, giebt sine von Bartlett er-
ttnterte TitiMekarte dar cataibischan See die Besnltate der in den Jahren 1318
bis 1884 durch die amerikanischen Schiffe i^Albalrols* nnd «Blake* ansgeffthrten
Untersuchungen. Dieselbea haben die Ezisteni eines Walles bestätigt, welcher
die caraihisehe See von dem atlantischen Ocean trennt und dessen tiefste Ein-
renkung mit einer Tiefe von 900 Faden und einer Temperatur von 39*/i ° F. sich
zwischen den Inseln Santa Cruz und St. Thomas befindet. Diese Beobachtung
entspricht den Folgerungen, welche man aus den Üntersuchungcu der ,Challenger*-
Expedition im mexikanischen Golfe herleitete. Com Sigsbee fand hier in den
Jahren 1874—1878 in Tiefen über 800 Faden eine konstante Temperatur von
Wt^ F., was sieh nur durch die Annahme aridlrea lie£i, dalb die caraibische
See, ans welcher der Qolf von Meadko sein Wasser erhUt, dnrch einen bis an
disMr H«he reichenden Wall vom Ocean abgeschlossen sei. A. K.
§ Die Kartensammlnn/i; J. (ü. Kahle ii Washington. Bekanntlich widmete
' lieb unser verstorbener Stadtbibliothekar, der als Reisender und Geograph be-
rühmte Dr. Kohl, während seines mehrjährigen Aufenthalts in den Vereinigten
Staaten (1854—1858) dem Studium der RiittUf knugsgeschichte vou Amerika.
Pie von ihm dort angelegte Sammlung von Kopien älterer in Werken, Atlanten,
I
- -
Aiehiveii iL BwopM xaA AmftTikM siedtigetogtar Kaartaa giag in des Besits
dM Stutadepaiiemeiits in Waihington Über. In Ibppen wohlgeordnet blieb die-
selbe 25 Jahre fast unbenutzt in Verwahrung dioeer Behörde, da leider die Ver- |
einigte-Staatenregierung die Büttel zu der von Kohl beabsichtigten VeröfiTent-
lichung der Karten nicht bewilligte. Herr Justin Winsor, der Bibliothekar der
Harvard üniversitÄt in Cambridge, Miii^sachusetts, hat sich nun das Verdienst
erworben, von dieser wertvollen Karti-nsaimnlung einen mit zum Teil von Kohl
selbst stammenden erläuternden iSoieu versehenen Katalog au&zuziehen
und Bonnunensnitollin. DvimUm wnzde in mehreren Nommem des ,Uarnund
Dnifenity Bulletin* von 1889^ 188* nnd 1886 gedruckt und nne liegt ein Kxempler
dieiei Kataloge vor, dae in der BibUothek der hieaigen geogniphieeliea Genell-
■ehaft niedergelegt wurde. OberMshrieben iat es: Tke Kohl CoJkction of earbi
mapSf belonging io the Department of State, Washington, U. S. A., by Jastin
Winsor, Librarian of the Harvard Dniversity Cambridge. Dem Katalog ist ein
Lebensabrifs unseres verstorbenen Freundes vorgedruckt, in welchem seine
Verdienste um die Geographie überhaupt, wie um die Entdeckungsgeschichte
Amerikas gebührend anerkannt, auch einige seiner zahlriuhcn Schriften naher
besprochen werden. Der Kutaiug selbst zerfällt in fünf Abteilungen, nämlich:
1) Die Welt vor Colambus (25 Nommem), 2) Die beiden Amerika (87 Nummern),
8) Noidamerikn (68 Nummern), 4) NftrdUehe Teile von Nordamerika (108 Nun-
mem)» 6) Canada (78 Nummern). Die Nummern umftiiiiien nun Teil ganie Serien
fon Karten. Ein Einblick in den Katalog aeigt una den bewundemugnr&idigen
Sammelfleifs wie die groCse Sachkunde Kohls auf diesem Gebiete, und wenn auch
die historische Geographie seit jener Zeit wesentlich fortgeschritten ist, so bildet
doch noch heute jene Kartensammlung von Kohl samt den von ihm selbst ver- i
fafsten Kommentaren zu einzelnen Karten einen Schatz and eine wichtige Qaelle
für das Stadium der Geographie Amerikas.
Littaratur.
— Tolmie, W. Fraaer, andDawaon, George M. Comparatifo Yocabulariea of
fke Indian Tribea of Britiah Columbia. With n map illnatrating diatri-
bution. Geok>gical and Natural Hiatorj Surrej of Canada. AUMSelwyUiDir.
Die ethnograpliiachen Verfaittniaae Ton Britisch Columbien sind ziemliob fiT'
wickelt und die dürftigen Angaben, die man biaher Aber dieselben hatte, wenig
geeignet, ein klares Bild von denselben zu geben. Einen schätzenswerten Beitrag
zu ihrer Kenntnis liefert nun die vorliegende Arbeit. Sie enthält Wörtersamm-
lungen von 27 Indianerstämmen, die zu 14 verschiedensprachigen Völkern ge-
hören und die von den Autoren Tolmie und Dawson, gröfstenteils während des
Winters 1875—1876, in Victoria, dem Sammelpunkt zahlreicher Indianer von
nah nnd fern, erhalten wurden. Tolmie, als langjähriger Ant im Dienste dar
Hudaonbay-Company und aeit 1888 fcat ununterbroehen in Britisdk Columbien
wobnbalty iat mit den Verbtttniaaen der eingeborenen Bev6]keruqg der Nordweat-
kfiste wohl Tertraut geworden nnd auch auf linguiatiaehem Gebiete aohon früher
durch Sammlung von Yocabularien, die von Scouler und Gibbs veröffentlicht
wurden, hier jedoch in verbesserter Form wiedergegeben werden, thätig ge-
wesen — Dawson hat sich bei Gelegenheit der von ihm geleiteten geologischen
Aufnahmen mit ethnographischen Studien beschäftigt und namentlich über die
Haidtt.s, die Bewohner der Königin-Charlotten-Inseln, eine wichtige Arbeit ge- '
liefert — Die von den Autoreu der gegenwärtigen Arbeit beigegebeue ethno-
graphische Karte fOUt die Lftcke ans awiachen den jon Dali Ter9ffentliehteB
Digitized by Google
— 97
Karten von Alaska und Washington Territory. Sie enthält die Gebiete von elf
indianischen Volksstämraen, deren Grenzen freilich der N;ihir der Sache nach
nur annähernd festgestellt werden konnten. Aurel Krause.
— Map of tii« Donunion of Canada, gcologically colimd from Sarreys mndft
by fhe Qedogical Corps 1842 to 1882. Dam: DescriptiTe Sketch on the Phyaical
Geography and Geology of the Domimon of Ganada by Alfred Selwyn and Q.
M. Dawson. Montreal 1884. Die der in swei Blftttem im Mafsstab von 1 : 2 700000
gezeiclmeten geologischen Karte beigegehene korse Beschreibnng ist naturgemäfB
in zwei Teile gesondert, deren einer von Selwyn verfafst ist und die östliche
Hälfte von Canada behandelt, der andere, von Dawson geschriebene, eine Über-
sicht der geologischen Verliältnisse der westlichen Hälfte ^'icbt. Die östHrhe
Uälfte, welche durch eine Seenkettc vom Luke of Woods bis zum Eisniccr von
der westlichen getrennt ist, unterscheidet bich von dieser geologisch durch das
Oborwiegen der arcUusehen Formationen; anCMr einigen sweifelhafien triassi-
■eben Sehiohten in Nen-Schottland nnd anf der Frince Edward-Insel sind jüngere
als anr Kohlenformation gehörige Schichten hier ftberhanpt nicht bekannt Da^
gegen treten in der Westhftlfte die archiiachen Formationen gans zar&ck nnd
ineaozoische und Tertiärschichten bedecken den gröfsten Teil des Gebietes. In
den an der Westküste sich hinziehenden Cordilleren unterscheidet Üawson vier
Parallelketten, die Rocky Mountain«?, die Gold Range, die Coast Range und die
Vancouver Range, welche letztere teilweise unter den Spiegel des Meeres tritt.
Die Rocky Mountains, deren höchster Gipfel. Mount Murchisun, eine Höhe von
18 500 Fuls haben soll, werden durch mehrere Fasse unterbrochen, von denen
der Bow Biver nnd Kicking Horae mit einer Höhe ron 6300 Fnfs fär die
Trace der non bald Tollendeten canadischen Pacificfaahn ausgew&hlt wnrde.
Anrel Kranae.
— Cmise of the ,Alert'. Fonr years in Httagonian, Polynesian and Maa^
earene waters (1878- 82), by R. W. Coppinger. London. W. Swan, Sonnen-
schein & Co. 1883. Der Verfasser, Oberstabsarzt in der britischen Marine und
ein bekannter Naturforscher, hebt im Einleitungswort hervor, dafs es ihm bei
Wiedergabe seiner mannigfaltigen Beobachtungen und Erfahrungen hauptsächlich
darauf angekommen sei, neues Material zu bieten; er habe deshalb, selbst auf
die Gefahr von Lücken in seinem Reisebericht, alle die Uegenden und Plätze,
wdebe in bekaanten nnd dnrchforachten Gebieten belegen, nur karz berührt,
um desto anafikbrlicher da Yerweilen in kitanen, wo sidi neoes oder nnr wenig
bekannte» bot Die Richtung der Krenae dea »Alert*, jenes dnrch die englische
Polarexpedition von 1875 und 1876 berflhmt gewordenen Schiffes» welchea 1878
wiederum anter den Oberbefehl von Sir George Nares gestellt wnrde, begünstigte
in der That dieses Vorhaben des von der Admiralität zum Natorforscher der
Expedition erwählten Dr. Coppinger in hohem Grade, denn es waren meist wenig
bekannte Meeres- nnd Küstengegenden, in welche die Ordres der Admiralität den
751 Tons Tragfähigkeit messenden und eine Besatzung von 120 Mann führenden
Dampfer wiesen. Die nächste Aufgabe bestand in der Fortsetzung der von
»Adventmo* nnd .Beagle" 1896—1886 nnd von „Naasaa" 1866—69 geführten
hydrographischen UBtersachangen in der Ifagellanstralse; ein Zweites war die
Brmitlelang nnd Bestimmnng der Lage gewisser iweifelhafter Biffe nnd Insehi
kn sfldUohen groben Oeean nnd endlich sollten noch Teile der nArdüchen nnd
westlichen Kästen von Australien rekognosziert werden. Im September 1878
verlieb das Schiff die englische Kflste (Flymonth). Die erste Station wnrde in
Gwtgr. BlittMr. Bimoms 188». 7
iJiyiiizea by Googfc
— 98 —
Madeira gemacht, doch schon unterwegs dahin, soweit es die s>t hiielle Fahrt des
Schiffes erlaubte, mit dorn Schleppnetz gearbeitet ; erst in den tropischen Wind-
stiUeii bei d«ii Kap Yerden konnte dM miehe IkfUben der Heeresoberfläche
und auf den Bioken westlidk von jenen Inseln anch der Meeresboden und seine
Fanna naher ontersacht werden. Nach einigem mitLandezknrBionen Terbnndeuen
Aufenthalt in Montevideo und Bnenos -Aires wurde nach den FaUdands-Insobi
gesteuert, deren Monro und Felsenmeere stuibVrt wurden. Darauf, Anfang 1879^
lief der .Alert*^ in die Mugellanstrafse ein und die Monate währenden Kränzen
des Schiffes hier und in den Gewässern des Arrhipels westlich und nördlich bis
zum Golf von Penas hinauf boten bei zahlreichen Landungen reichliclie Gelegen-
heit sowohl zur Erforschung des Landes, des Tier- und l^flaiizonlebens wie zum
Verkehr mit den Eingeborenen; von den letzteren werden die zwischen dem
genannten Golf und dem Smyth Channel wohnenden Channel- oder Chonoa-
stimme der Fenerl&nder besonders anstthrlich beschrieben. Im Mai, an Anfang
des dortigen Winters, fuhr der , Alert" nordw&rts nach Valparaiso und Coqoimbo;
TOn letzterem Hafen ans wurde eine Kreuze nach den 500 railes westwärts im
grofson Ocean belegenen vulkanischen Inseln Felix und Ambrose gemacht und
letzterer ein kurzer Besuch abgestattet. Auch der bekannte Walfischfängerhafen
Talcahuano wnrdo angelaufen und Ausflüge im Innern von Chile genmehr, nament-
lich zur Hauptstadt Santiago. Der Winter 1H79 — 80 wurde wiederum in den
patagonischen Gewässern, namentlich im Trinity , Concepcion und Inocentes
Channel, im westlichen Teil der iMagellanstrafse und im Skyring Water zuge-
bracht Im Frfthjahr 1880 besaehte „Alert* nochmals einige chilenische Häfen
and fahr dann nach TUiiti Die südpacifischen Krensen erstreckten sich auf die
Gesellschafts-, die Fidschi- nnd die Tonga^Inseln. Nachdem „Alert* in Sydney
nachgesehen, dampft« er Ungs der Ostküste von Australien aar Torresstacabo,
von deren Inseln einige angelaufen wurden. Darauf wurde Port Darwin, die erst
1872 anf^'elegte Niederlassung Palmerston, in Xordaustralicn angelaufen und hier
hatte Dr. Coppinger Gelegenheit, die Ahnrit:iner dieses Teils von Australien zu
studieren. Der letzte Teil der Heise beiüinie die afrikanischen Inseln im in-
dischen 0(-ean, die Almiranten, Seychellen und einige andere vereinzelte, wenig
bekannte Eilande. Nachdem noch die Mozambiqueküste augelauten, kehrte
,iAlert* Uber Kapstadt im September 1882 nach Plymoath sorAck. Dies der
Verlanf der Reise. Anlberordentlich reich ist das Bach an den mannigfaltigsten
Beobachtongen nnd es legt anf diese Weise beredtes Zeugnis von einer grofsen,
mit änfserst vorsichtigem Urteil verbandenen Oabc des Veifassers ab. Znm
Schlufs möchten wir noch daranf aufmerksam machen, dafo die Untersuchungon
des ^ Alert'' in den westpatagonischen Gewässern in neuester Zeit durch die
Kreuzen des deutschen Kriegsschiffs ^Alhatrofs'". vom Dezember 1883 bis März
1884, noch erheblirli vervollständigt worden sind. Man vergleiche hierüber die
Berichte des Maiinearztes Dr. Dreising in der „Kölnischen Zeitung' No. iJ14
bis 318, November 1884.
— Die Deutsche Haimat Landschaft and Yolkstam von Dr. Aag.
Sach. Mit Abbildungen. Halle a. S. Verlag der Bachhandlang des Waisen-
haases. 1886. 800 Seiten. — In einer recht guten Auswahl charakteristischer
Beschreibungen und Schilderungen wird im vorliegenden Buche die Landschaft
nnd das Volkstum des deutschen Reiches vorgeführt und sum lebendigen Ver*
ständnis gebracht. Die politische Geographie ist ausgeschlossen geblieben, da-
gegen ist die natürliche Beschaffenheit der Landschaft in Qebiige and Ebene
uiyiiiziüd by Google
— 99 —
möglichst in Beziehung zum Anbau und zur Bewirtschaftung durch die Bewoh-
ner gesetzt, auch die kulturgeächichtliclte öciic des Volkslebens in Stadt uud
Land ist bsi der AaswaU berÜcknehtigL Die erste Abteilung enthält Tierzehn
Anfe&tse, in denen dM alteDentechlandi eine deutsche Stadt im 14. Jahrhundert,
die Bargen im Mittelalter, deutsche Weihnachtsbrinche, die deutschen Wftlder,
die einzelnen Volksst&mme nnd deren Mundarten o. a. geschildert werden. Die
f&nf anderen Abteilungen enthalten Bes( lu eibungen aus den einzelnen Land-
schaftsgebieten, dem "Weichsel- und Odergebiet, dorn Elb- und Wesergebiet, den
mitteldeutschen nnd sclilesischen Gebirgslandschaften, dorn Rhoin;:ebiet und
endlich dem nunaugel)U't. iJu-s Bucli ist durch 41 gute Abbildungen gesclimückt
und verdient als eine treffliche Lektüre für die erwachsene Jugend und die ge-
bildete Familie warm empfohlen zu werden. Dr. Wo.
— Deatsch-Lateimsches Handbüchlein der Eigennamen aas der
alten, mittleren nnd neuen Geographie von Gymnasial-Oberlehrer Dr. Q. A. Saal-
feld. Leipzig. C. F. Wintersche Verlagshandlung. 188&. ~ Das 738 Spalten
umfassende Buch enthält ein Verzeichnis der lateinischen Benennungen der be>
kanntesten Städte, Meere, Seen, Berge, Flflsse u. a. in allen Teilen der Erde,
doch haben die dcutsclien Ortschaftsnamen u. a. eine besondere Berücksich-
tigung gefunden. Im Vorwoit hat der Verfasser eine dankenswerte Zusammen-
stellung aller geographischen Wörterbücher lateinischer Nüinenklulur gegeben.
Zwei Beispiele mögen den Inhalt des Buches erläutern, 8p. (52 lieifst es: Brcnier-
TÖrde, St. ^Geestkreis Stade, LundUr. Stade, Prov. llamiover, an der schitlbaren
Oste), Vorda Bremensis. — Bremerforda. — Bremerrerda^ — Bremerrorda.
Sp. 448 : Nordkap, Vorgebirge (390 m hoch, nflrdlichstes Kap Ton Norwegen und
^anz Europa auf der norwegischen Insel libgertf, unter 71 10' n. Br. und
43* SO' ö. L.), Boreum Promuntorium. Dr. Wo.
— Der Boden Mecklenburgs von Prof. Dr. E. Geinitz. Stuttgart
Verlag von Engelhorn. 1885. — Diese 32 Seiten umfassende Schrift bildet das
1. Heft (b'r ..Forschungen zur deutschen Lamles- nnd Volkf-knixlo'"', welche im
Auftrage und unter Mitwirkung der vom deutschen Geogiai)lientag eingesetzten
Zentralkomniission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland erschei-
nen. Diese sollen dazu helfen, die heimischen laudes- uud volkskundigeu Stu-
dien SU fordern, indem sie aus allen Gebieten derselben bedeutendere und in
ihrer Tragweite Aber einblofs örtliches Interesse hinausgehende Themata heraus-
g;reifen und darftber kftrzere wissenschaftliche Abhandlungen htovorragender
Fachmänner bringen. Sie wollen femer auf solche Weise zugleich dahin wir-
ken. daCs die bezüglichen in den verschiedenen Teilen unseres Landes betriebenen
Forschungen mehr, als dies bisher meist der Fall war, untereinander in Verbindung
konuncn, P'ndlirh sollen sie auch dazu beitragen, das Interesse für diese Stur
dien in den iiulier gebildeten Kreisen unseres Volkes lebhafter anzuregen und
allj^enieiner zu machen. Das vorliegende erste Heft enthält eine Übersicht über
den geologischen Bau Meckleubuigs. Wir empfehlen das Unternehmen den
geographisdien Kreisen. Dr. Wo.
— § Von dem im Verlag von G. Freytag in Leipsig und F. Tempskj in
Prag erscheinenden Sammelwerk: „Das Wissen der Gegenwart", liegen
uns eine Reihe darch Druck uud Illustrationen gut ausgestatteter B&ndchen rot,
Sie betreffen: Das Kaiserseich Brasilien von A. W. Sellin, Afrikas Westküste TOn
Dr. J. Falkenstein, Südafrika von Dr. G. Fritsch, der Australkontinent, Neusee-
land, Polynesien, Mikronesien und Melanesien von Dr. £. Jung, endlich die
üiyiiizea by Google
— 100
KnUacgeseluelite Ton F. Lippert. Em niherer Binbüek in diese PablikatUmea
giebt uns die Oberzengung, dafe das Material von kundiger Hand nxsammen-
getragen, sorgföltig gesichtet und zu volkstümlichen Darstellungen verarbeitet
worden ist. Der Preis des einzelnen Bändchens, 1 M, ist sehr niedrig und ist
daher wohl eine weite Verbreitung sicher, um so mehr, als die Länder- and
Völkerkunde jetzt beinahe jeden guten Deutschen anzugehen scheint.
— § Walter Cooie, the Western Pacific, being a description of th»
groope of Islands to the North and Esst of Che Anstralian Continent, witli a
map and 23 illustrations. London. Sampson Low. 1883. Der durch andere
Reiseberichte ans der australttchen Inselwelt bekannte Verfasser giebt hier in 13
Kapiteln lebend ige Schilderungen der wichtigsten Inselgruppen des westlichen
grofsen Oceans, die er alle besucht liat und von denen er viel, meist Interessan-
tes erzählt. Die Frage des Arbeiterhandels erörtert er in einem besonderen
Kapitel nnd verlangt, behufs Beseitigung der schreiendsten Übelstände, eine
schftrfere Beanfsichtigung, wie er denn anch von den in jenen Gewissem itsr
tionierten englischen Kriegsschiffen eine strengere Kuidhabnng Ton Recht nnd
Gerechtigkeit in allen Händeln zwischen Eingeborenen und Weifsen begehrt, ala
bisher zu bemerken. Das kleine Buch, dessen Inhalt nach den dentst hcn An-
nexionen uns ganz besonders interessieren muls, verdient eine Übersetzong ins
Deutsche.
— § Hamiltons Mexican Handbook. London. Sampson Low. 1884.
Sin Buch, das neben einer Darstellung der aUgemeinen geographischen, BevÖlke-
xongs-, staatlichen Verhältnisse n. a. sehr ansfUhrliche Anskonft über das Eisen-
bahnnets, das Minenwesen nnd die H&lfsquellen Oberhaupt, sowie jeder einzelnen
Provins giebt und besonders für den Kaufmann und Industriellen, welcher mit
Mexiko in geschäftliche Besiehnng tritt, viele nfttaliche Nachweise enthält
Druck TOB Ourl Sobllaaiimnii. BreoMn.
Digitized by Google
nüUnri«d o
P KS
•^•RISCHEN-WALDIS.
Mal'iistab 1 t:SO.UÜO
ff m (Rn-tn UatidkJ^K^ lifiii ntulf * Kaipei sthnfis tFalJu i ufrn
LruAi 1,1/,
u«oifr. matter, nrenen, ibbo.
Digitized by Googl
ijiyitizoo Dy Google
Deutsche
Band vm
Geographische Blätter.
Herausgegeben tob der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beitrug« und sonstige Sendnngeii an die Redaktion werden unter der Adresse:
I^. M. Uadeaaii, Bremen, Mendt^nuie 8, erbeten.
Der Abdruck der Original- Aiifsätzo, sowie die Nachbildung von Karten
and lUnstrationen dieser Zeitschrift iat nur nach Verst&ndigang mit
der Redaktion gestattet.
Der Kongo und sein Gebiet.
Eine geographische Studie von Dr. A. Op|^ei.
IHe wtssenneheftliehe nnd volkswirtsebeltliohe Bedeatnng dos Kongogebietes; Karten. .
I. Entdeckung unfl Erf<»rschnnß des Knnpn und seines ni>])ietes. Zwei Perioden: dl«
xufiüiige Berebuiig von 14S4 bU 1872; die syetetnatiache ErttchlieCsung de«
Iststen Jabrsebntes.
II. Dad KoBgoland nnd seine Natur. 1) Ansdebuung nnd Begrensnng; BrSrtemng von
Streitfragen. 2) Der arebitektonisehe Anfban (die ReNefbildung). S) Die geo*
logifiche iiildung.
Ohiie Zweifel steht die Kongofrage im Brennpmilrte des allge-
meinen Interesses und hat eine nmfangreiche Littenitnr an Schrift-
und Kartenwerken hervoriiernfen. Wenn man sich nun ernstlich
fragt, ob der (iegenstaml siuneni inneren Werte nach die intensive
Bcachtnng nicht nur der Geographen und Politiker, sondern auch
eines guten Teils des grofsen Publikums verdient, so mufs man aus
melireren Gründen diese Bewegung unserer Tage als eine voll
ber,echtigtc anerkennen; num mufs zugeben, dafs die äquatorial-
afrikanische Angelegenheit weit davon entfernt ist, dem modernen
Sensationsbedürfnis zu dienen. Denn sieht man von den politischen
Vorgängen^ die sich vermöge der eigentümlichen Gestaltung der
Sachlage damit verknüpft haben und die, weil Machtfragen und
Kriegsmöglicbkeiten einschliefsend, immer die allgemeine Auf-
merksamkeit erregen, vollständig ab, so erscheint in erster Linie
die Wissenschaft an der Kongofrage beteiligt. Von jeher hat es
die regsamen Geister aller Kulturnationen gereizt, unbekannte Lander
mit ihrem Inhalt zu finden und zu erforschen : aber die Zahl und
der Umfang der unbekannt gebliebenen (iebiete ist mit der Zeit
geringer geworden, und man kann sagen, dal's solche in absehbarer
Zeit überhaupt nicht mehr vorhanden sein werden. Für unsere Zeit
aber war das Kongogebiet als der einzige wirklich ungesehene nnd
Ocosr. Blltler. Brenen, g
uiyiiiziüd by Google
— 102 —
uuerfoisrlito griifsere bewohnte liuiiin übriu u( l>lieben. dosseii sich zu be-
mächtigen die Wisseiix haft wenn nicht eine i'ilicht. so doch ein historisch
begrünilotos Itecht hatte, welches sie mit um so £?röfsereui und
voUereni Ik'wursl>t;in ausüben durfte, als es voUstiludig siclier und
ausgemacht ist, dafs es zum letzten Male geschielit. Wenn das
Kongogebiet erforscht seiu wird, dann ist die Erde vergeben; was
übrig hleil)t von den grofsen Kontinenten, ist Stückwerk und Nach-
lese. Die £poche der Entdeckung ist abgeschlossen und die Einzel-
forschmig beginnt Nicht minder wichtig wie der Reiz neuer Ent-
deckung ist der Umstand, dafs das Kongogebiet mit seinen weiten
Landerstrecken und zahlreichen Wasseradern für ein wirkliches
Bedürfnis der europäischen Kulturvölker aufgespart zu sein scheint.
In dem Aufsuchen solcher Distrikte aber besteht eines der wesent-
lichsten Merkmale der gegenwartigen Entdeckungs- und Erforschungs-
thfttigkeit im Gegensatz zu den grollen Leistun'_ren des fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhunderts, Während niUnlieh damals wolil ein
bestimmtes bekanntes Ziel. Indien und llinterasien, vorhanden war,
dessen Erstrebung auf halbem Wege zur Auffindung ganzer Erdteile
führte, wahrend also damals der Zufall eine grofse Rolle spielte, ist
an dessen Stelle in jetziger Zeit das bewufste Aufsuchen solchen
Landes getreten, das womöglich zur Aufnahme der überschüssigen
europäischen Bevölkerungselemente sich geeignet erweist Die pro-
gressive Zunahme der europaischen Völker, deren bedrohliches
Umsichgreifen wir an anderer Stelle nachgewiesen, ist das Motiv,
welche das V^langen nach neuem, fi eiern Lande erweckt und anch
das Interesse an dem Kongogebiet weit über die Sphäre einer
politischen Aktion oder eines tlücbtigen Zeitereignisses erhebt. Es
kann unter den lientiLren Verhältnissen niclit mehr irleicligiiltig sein,
ob ein (u-biet von mehr als 4(KUH)0 qkm Ausdehnung den Formen
der modernen Kultur sich zuganglich erweist oder Tiiclit. l iid wenn
man das letztere als richtig erkennen würde, so dürltc man sagen,
dafs die Zukunft der europäischen Vidker um eine grofse HolTnung
ftrmer geworden sei und man müfste die kommenden Zeiten in einem
noch ungünstigeren Lichte betrachten, als es ohnehin der Fall ist
Oberhaupt darf man in dem ebenbezeichneten bewufsten Auf-
suchen unbekannter, freier Landgebiete einen charakteristischen Zug
unserer Zeit erkennen, der im Verein mit ihren anderen Bestrebungen
und Leistungen als der ungeahnten Abkürzung von Raum und Zeit
durch Verbesserung der \ erkehrsmittel, der intensiveren Ausbeutung
der Naturschätze, der Ersetzung der menschlichen Arbeit durch
Maschinen u. a. den (iesrhiehtsschreibern der Zukunft die Ver-
anlassung geben kann, mit unserem Jahrhundert eine neue historische
uiyiiized by Google
— 103 —
Perioih' liouinnen zu lassen. Und diese Epoche würde aufser anderen
die Bezeiclumng erhalten : Absrhlufs der i]ntdefknnf;en uad Unter-
suchuDg der gefundenen Länder auf ihre Kulturfahigkeit.
Dieses doppelte Interesse, das sich bei der Kongofrage in
starkstein Mafae geltend macht, das wissenschaftlich-geographische
und das — nennen wir es volkswirtschaftliche, hat uns veranlagt
an dieser Stelle dem Kongo und seinem Gebiete eine eingehende
Betrachtung zu widmen und zu der ohnehin schon umfangreichen
Litteratur fiber das Äquatoriale Afrika einen Beitrag zu liefern.
Demselben ist mit voller Absicht als Ziel gestellt, alles Wesentliche
und Wiclitifie, was bisher über dies Gebiet durch Kutdeckun^ und
Krforscliuuir bekannt und uns zugänglich geworden ist, zusaninien-
zufa^sen und in übersichtlicher Weise zur Darstellung zu bringen.
Der Zeitpunkt zu einer solchen Arbeit scheint aber deshalb gerade
jetzt LH'eignet zu sein, weil durch die auf der r»*^rliner Konferenz
erfolgte Anerkennung: des Kongostaates eine Periode in der £nt-
wickelung unserer Kentnis dieser Gegenden, die man die vor-
bereitende nennen könnte, abgeschlossen und scharf begrenzt vorliegt.
Auf Grundlage der gewonnenen festen Verhaltnisse hat nun diejenige
Thatigkeit zu beginnen, die wir als ein Charakteristikum der
Gegenwart hinstellten, nämlich die planmäfsige Erforschung zum
Zwecke und mit Nachfoljre einer systematischen Kultivierung nach
uiodi'rneni Mafs>tabe. Docli erwarte man nicht, dafs in der vor-
liegendem Arbeit alle Einzelheiten ErwAhnmig linden, dazu würde
einmal der zur Verfügung stehende Raum nicht hinreiclien, denn
die Kongolittcratnr hat schon jetzt ein so vielfaltiges Material ge-
liefeit, dafs zu dessen Detailverarbeitung eiu mehrbilndiges Werk
nötig wäre, andererseits sind gewisse Teile des zugänglich gewordenen
Stoßes gerade in den Kinzelheiten noch so unsicher, unvollständig
und widerspruchsvoll, dafs eine allzu detaillierte Mitteilung eher
verwirrend und abstofsend, als aufklarend und belehrend wirken
könnte.
Da nun eine fibersichtliche Darlegung von dem Stande unserer
Kenntnis des Kongogebietes gegeben werden soll, so scheint es an-
gezeigt, den gesamten zur Behandlung kommenden Stoff in vier
Ilauptteilc zu gliedern; diese sind: I. Entdeckung und Erforsclmng
des Koni^o und seines (lebietes: II. das Land und avuia Natur;
III. die einheimische Bevölkerung und ihr Kult Urzustand; IV. die
Europäer am Kongo, ihre Leistungen und Aussichten.
Die ursprünglich gehegte Absicht, dem Aufsatz eine Karte des
Knngogebietes beizugeben, wurde nicht ausgeführt, weil in den
letzten Monaten eine Anzahl Karten, die diese Landstriche dar-
9*
L.iyui^L,J cy Google
— 104 —
stellen, ei^chienen sind; vor allen mö^en Friederichsens Karte von
Ceutralafrika 1:5 (XX) 000 und R. Kiep<^rt> Carte du Bassin du
Congo 1:4000 0(K) als solche Arbeiten utiiaiuit sein, welche den
nach Lage der Sache zu stcllf^iKleii Anforderungen Genüge leisten.
Nach Einsicht derselben kamen wir zu der Überzeugung, dafs wir
mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln etwas b<*s« rfs nicht hätten
zu Stande bringen könneUf eine einfache Skizze aber zu liefern
konnte deshalb nicht in unserem Plane liegen, weil Arbeiten solcher
Art fast Dutzende zum Vorschein gekommen sind, und übrigens
jeder auf dem Laufenden gehaltene Handatlas die DdUgen Anhalts-
punkte bietet. Wer aber die speziellsten kartographischen Dar-
stellungen zu haben wünscht, den verweisen wir auf die teils im
Erscheinen, teils in der Vorbereitung begriffenen Karten von Lannoy
de Bissy, Ravenstein und Ohavanne.
L Entdeeknng nnd Erfersebuu^^ des Kon^o nid seines Cfebietes.
Unsere Kenntnis des Kongo ist genau 4UJ Jahre alt; denn im
Jahre 1484 war es. als der bekannte Nürnberger Kosniogra})li
Martin liehaini, von dem portugiesischen Könige beauftragt, die
ümsegelung Afrikas aiiszufülireii, in Verbindung mit dem Portugiesen
Diogo Cäo (Cani) die Mündung eines mächtigen Stromes entdeckte,
den der letztere Rio do Congo nannte. Der portugiesischen Sitte
gemäfs wurde auf einer Landzunge des Stromufers ein Stein-
monnment, ein Padr&o, errichtet; daher nannte Behaim den Flufs
Rio do Padrao. Die ebenfalls gebrauchte, besonders auf portu-
giesischen Karten wiederkehrende Benennung Zaire ist eine Korrup-
tion des Wortes Nzadi, womit die Eingeborenen den Unterlauf des
Kongo bezeichneten. Der ganze Zeitabschnitt von 400 Jahren liifst
sich übersichtlicherweise in zwei Perioden zerlegen, die ebensosehr
hinsichtlich ihrer Dauer wie ihrer Leistung für die Erkenntnis des
l'lusses und seine> Gebietes von einander verscliieflen sind: die erste,
von 1484 bis zum Anfang der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts
reichend, ist sehr laug, wenig ergiebig und kann als die Periode
der zufälligen Bereisung bezeichnet werden ; die zweite, wenig mehr
als ein Dezennium umfassend und im Vergleich zu ihrer kurzen
Dauer ftulserst inbaltreich, verdient die Periode der planmäfsigen
Erforschung und der grofsen Erfolge genannt zu werden. Den
Übergang zwischen den beiden ungleichartigen Epochen bildet die
Thfltigkeit David Ltvingstone's, der sowohl im Gebiete der gu >Ilseen
als in dem der südlichen NebenHüsse die erste Bresche gelegt hat-,
insofern er durch Orts- und Höhenbestimmungen die er ten festen
Positionen für die Karte des sü«nichen Küngogebiete> >cliuf. Der
Digitized by Google
— 105 —
Verlauf der Entdeckungen und Forschungen innerhalb der beiden
Perioden soll nun im folgenden dargelegt werden. Nachdem die
von Martin Behatm und Diogo C&o geleitete Expedition am
15. Januar 1485 bis zu 15^ 37' s. Br., also etwas sQdlich
von dem heutigen Mossamedes, vorgedrungen und ohne die bxl-
befohlene Umsegelunjr Afrikas ausjreführt zu haben, in die Heimat
zmiickgekehrt war, bemächtigten sich die Portu^Mesen bald des süd-
lichen Kongovorlaiides, drangen noch vor Kndo des fünfzehnten
Jahrhunderts bis nach Ambassi, dcni heutigen San Salvador,
im Stromgebiete des südlichen KoiinozuHusses Lunda, vor und er-
richteten daselbst im Jahre 1534 einen Bischofssitz. Gegen Knde
des 16. Jahrhunderts hielt sich Duarte Lopez längere Zeit am unteren
Kongo auf und lieferte eine genauere Beschreibung des (lebietes,
die ftlteste, welche bekannt ist; zu derselben Zeit war hier auch
der Engländer Andrew Battell, Uber dessen Beobachtungen Samuel
Purchas berichtete; etwa hundert Jahre später, ums Jahr 1668,
sandte der Kapuzinermönch Giovanni Gavazzi nach längerem Auf-
enthalt einen ansfahrlichen Bericht nach Rom. Man sieht, schon
damals wie noch heute folgten die Missionare den Entdeckern aut
dem Fulse und es scheint, dafs diese schon im 16. nnd 17. Jahr-
hundert von den portugiesischen Besitzungen aus bis zum Stanley-
Vi)(\\ vordrangen, (Iciiu l)ereits im Jahre 1B8^ wird ein "Mnknko, die
jener Gegend eigentümliche Benennuni:: für Häuptling, erwähnt.
Die Portugiesen selbst machten, nachdem sie von den südlichen und
eine Zeitlang von den nördlichen Küstenstrecken Besitz ergriffen —
im Jahre 1574 besetzten sie Loanda, 1597 Benguella — keine An-
strengungen, weiter in das Innere vorzudringen, ehensowenig die
Holländer und Franzosen, die sich zeitweilig im Kongovorlande fest*
gesezt hatten; diese hielten Loanda von 1641 bis 1648 besetzt, jene
^ zerstörten 1783 das an der Bai von Kabinda befindliche portugiesische
Fort. Vom SchUifs des 17. bis zum Anfang des 19. Zahrhunderts
herrscht nun vi)ll>tandige Ruhe in der Kutdockuiigsgeschichte des
Kongo und erst im Anfange dieses .Jahrhunderts wurde der zerrissene
Kaden wieder geknüi)ft. Im .Tahre 1810 schickte nämlich die eng-
lische Regierung eine Expedit ion unter Kapitän Tuckey aus. welcher
280 miles = 450 km auf dem Klnsse und nach Pecbuel-
Loesche bis zu der Stelle vordrang, wo jetzt am südlichen Ufer die
MissioDsstation Baynesville liegt, d. h. etwa halbwegs zwischen
Stanleys Stationen Isangila und Manjanga. Dieser Punkt ist bis
zum Beginn der neuesten Thätigkeit am Kongo mit Stanley, Brazza
und den Missionaren nicht wieder erreicht worden, obgleich seit
Tuckey kleinere Reisen, die in der Regel aber die JellalafUle —
106 —
zwischen Vivi und Isuiiixila — nicht hinauskamen oJer nicht eiunjal
die>e erreichten, mehrmals jjtemacht wurden: so icihm Kapitän
A. Vidal im Jahre 1825 den Flufs hin Punta da I.enhjj anl : KrqMt m
Owen vermafs im Jahre 1826 den Unterlauf bis 40 km von der
Mündung; Ladislaus Magyar, alias Magyar Laszlö, fulir his zu den
Fallen des Upa (Jellala?), desgleichen Hunt im Jahre 1857 uuü
Bichard BurtoD im Jahre 186S; w&hreud aber der Missionar Duparqnet
bis nach Noldd gelangte, machten Kapitän Beddingfield mit dem Kriegs-
schiff jyPluto' im Jahre 1860, John Monteiro im Jahre 1873 und
Fireiherr von Schleinitz mit der ;,GazeUe'' schon bei Boma halt. £ioe
Förderung der genaueren Kenntnis des Kongountcrlaufes wurde aber
trotz der genannten mehrfachen Refahrungen erst im Jahre 1875
bewirkt, als infolge der Plünderuni^ eines gestrundeten eni:li^clien
Schuners der Ivommandant Mervyn H. Modhcott mit dorn Krio'^s-
schitVe „Öpitefu^ zur Züchtigung der raul)eri^cllen Kiuuehorenen
ausgesandt und bei dieser Gelegenlieit mehr als Kit) km Stroni-
lauf von der Mündung an aufgenommen wurde. Das dadurch
gewonnene Material wurde zu einer Karte verarbeitet, die als
No. 638 der britischen Admiralitätskarteu veröffentlicht bis in unsere
Tage das beste Orientiernngsmittel für den unteren Kongo abgab.
Gleich hier sei die eigentlich in die zweite Periode der Kon^o-
entdeckungsgeschichte gehörige Bemerkung gemacht, dafs eine be-
deutende Verbesserung dieser Ädmiralitatskarte durch die demnächst
erscheinende auf neuen Aufnahmen beruhende Chavanne'sche Kart*»
des Kongomündungslandes zu erwarten steht. Denn wie Di . (. Iiavaiine
in einem Briefe an den Herausgeber von Petermanns Mitteilungen
sagt, hat er mehr als 50 neue Inseln zu verzeichnen, die auf allen
bisheiigen Karten febleu, während andere in der augegebeuen Position
nicht existieren.
Noch dürftiger als mit der Erforschung des Mün lungsgebieteö ^
sieht es in der vorbereitenden Periode mit den Reisen im Innern, im
eigentlichen Kottgobecken aus; ja bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts
scheint aufser Lacerda Überhaupt kein Europäer, der Kimde gegeben
hätte, Aber die Grenzender portugiesischen Besitzungen vorgedrungen zu
sein; diejenigen Männer aber, welche seit Anfang dieses Jahrhunderts
das Innere zuerst durchstreiften, waren nicht Entdeckungsreisende,
sondern reisende eingeborene Händler, die I'ombeiros. Zwei solche
Leute, Pedl'o Joao lUiptista und Antonio Jose, von dem portugiesi-
schen Kaufmann Francisco Honorato da Costa in Kassan^^e au>-
gesendet, zogen im Gebiete der südlichen Zntiüsse des Kongo durch
das Reich des Mnata Jamwo und von da nach Cazembe und Tete
und kehrten im Jahre 1815 an die Westküste zurück; diese Pom-
uiyiiiziüd by Google
— 107 —
beiros, deren Tagebücher iu portugitsischer Sprache veröffentlicht
worden sind, haben also die erste nachweisliche Reise quer durch
Afrika zwei Mal au^crpführt und sind zuerst von Westen her in das
K(>n^'otz(')»ic't ein-jedniiuen. Von SO. aus war dies etwas vor ihnen
geschehen, insoierii Lacerda im Jalire 171)9 bis naeh Cazend)es Reich
vorjredrnngcu war, eine Reise, welche in den .laluen 1831 — 32 von
dem in Tete am unttTen Zambo-i stationierten iiortimiesi>( hen Major
Mouteiro und seinem Hegleiter <i<imitto wieiieiliolt wurde. Zu der
Gruppe der reisenden Kautieute ;j,»'li(»it auch Juaniiiin l'odriLMU'z
Graca, der im .l;ihre 1840 von Ren'iuclla au^ an den (tl)ei('ii Kassabi,
jetzt allgemein Kassai irennnnt, l>is Diluuda xorrückte und von
da in nordöstlicher Richtung weiterreisend idjer tlen Lnhia Kabebe,
MuHta Jauiwos Residenz, ebenfalls erreichte. ^Yenige Jahre spater
als Gra^ begann der schon erwähnte, ehemalige brasilianische
Fiottenoftizier Ladislaus Magyar zu reisen, der sich im Jahre 1849
in Bihe mit der Tochter eines Nejerlu'Uiptlings — hier Sol)a genannt
— verheiratet hatte. Melirerer Negerdialekte mächtig, besuchte er
die 80 interessante Wasserscheide zwischen den Kongo- und Zambesi-
zuflössen und rttckte in nördlicher Richtung am linken Ufer des
Kassai bis nach Yab Quilem vor, das beinahe unter 8*^ s. Br. gelegen
und spater nahezu von Buchner berührt worden ist; von da kehrte
er auf einem etwas weiter östlich gelegenen Wege, der den Lulua
eine Strecke begleitet, nach Bihe zurttck. Die Routen Magyars
wurden, soweit sie die Wasserscheide des Kongo und Zambesi nnd
den Oberlauf des Kas-sai betreffen, von Livingstone berührt, als er
von Linyanti am Zambesi kommend, im Jahre 1854 nach Loanda ging
und im nächsten Jahre zum Teil auf demselben Wege, teils etwas
nördlicher gehend, seine berühmte grofse Zambesireise machte.
Magyars Berichte «'rrc-^ten bei ihrem Ant'tauclien l)ei den Zeitgenossen
gewisse Zweit«'! an ihrer Glaubwürdigkeit ; hinsi< htlich der Orts-
bestimmungen und Wegedimensionen mag dies richtig sein. Was
aber den allgemeinen Naturcharakter der von ihm besuchten
(legenden — Lobale, Ralunda und MoUia anl)elangt, giebt er ihn
einfach, anschaulich und zutreÜ'end wieder; interessant i>t nameiiilich
seine auch von Cameron bestätigte P)(;obachtang, dai's es auf dem
Hochplateau der südliclHMi Kongozutiüsse in den Nächten nicht nur
recht niedrige Temperaturen giebt, sondern gelegentlich auch reift
und friert. Diese Thatsache ist bei einer Breitenlage von iV s. Br.
und einer Meereshöhe 1300 bis 1400 m gewifs bemerken-werf.
David Livingstone ist, wie oben angedeutet, der Vtnnnttler
zwischen den beiden so verschiedenartigen Perioden iu der Kntdeckungs-
geachichte des inneren Kongobeckens. Missionar und Humanitäts-
Digitized by Google
— 108 ~-
apostel von Haas aus, ist ec auch ein grorser Eutdecker und beachtens-
urerter Beobachter ; zuRleich ist er durch seine Schicksale der mit telbare
Urheber der Kiitdeckun«? des Mittellaufes i^eworden. Ihmu weiiii
Livinj^stone nirliL eine zcitlaug verschollen ^^ewesen wäre, hätte es
wahrscheinlich keinen Cameron und keinen Stanley ^'ei^eben. Als näm-
lich Stanley ihn fand, hatte er im Jahre 1865, vom Nyassa kommend,
den schon von den Tortugiesen entdeckten Tschanibese, den man
jetzt als den Hauptquellliufs des Kongo ansieht — überschritten,
vom Öüdeude des Tanganyika aus den Lualaba entdeckt und iui
April 1868 den Mo^osee erreicht; von da war er in die Stadt des
Gazembe gegangen und hatte am 18. Juli den Bangweolosee gefunden;
nachdem er im Jahre 1869 Blanyema durchforscht und später (1871)
Nyangwe als der erste Europäer besucht hatte, hatte er sich nach
Udschidschi begeben. Die letete Reise nach dem Bangweolosee, im Jahre
1873, kostete bekanntlich dem mutinen Manne das Leben. Kr starb
gerade au der Schwelle derjenigen Epoche, welrh«' von seinen Kifolgeii
ausgehend in kürzester Zeit die Kenntnis des Kongogebiete ^ um ein
l)edeutendes Stück vorwärts bringen sollte. Denn nun wurde die
Erschliefsung des gewaltigen iStrombeckens von Osten nn l >Vesteu
mit neuen Kr&ften und nach neuer Methode in Angritl' genommen.
Die pkmmäfsige Erforschung Innerafrihis hdjtunt. Eine eigen-
tümliche Fttgung des Geschickes ist es, dai's die Zeit dieser Tliatig-
keit von einem Deutschen eingeleitet wird, ebenso wie der Kongo
von einem Deutschen entdeckt ist. A. Bastian, ein Bremer von
Geburt, war es, der den Plan zu einer systematischen Erforschung
fafete, die Gründung der deutschen afrikanischen Gesellschaft betrieb
und nachdem er aus eigner Anschanung die Loaugoküste als
den besten Ausgangspunkt für weitere Unternehmungen erkannte,
bewirkte, dafs die deutsche Kxi>edition von W Gülsfeldt und
Genossen hier in Chinchoxo stationiert wurde. Dais der Ge-
danke, von einer festen Station aus weiter vorzndrinireu, richtig
war, sowie dafs die Loangoküste ein geeigneter Punkt ist, von
dem aus man auf kürzestem Wege über das Küste ngebirge in
das eigentliche Kongobecken gelangen kann, dafür haben die
beigischen und französischen Unternehmungen der letzten Jahre den
vollständigen Beweis erbracht, denn sie haben gezeigt, daCs die
Niadi-Kuilulinie, wenig ndrdlich von Loango gelegen und zum Teil
von GüMeldt rekognosziert, in der That nicht nur die kürzeste,
sondern auch die bequemste Verbindung mit dem Stanley-Pool,
als dem Anfangspunkte der nngeliinderten Schiffbarkeit auf dem
Kongo, gewährt. Leider sollte es diesmal wie bei so mancher
deutschen Unternehmung, mit der guten Idee sein Bewenden haben,
Digitized by Google
— 109 -
die Loanguexpedition machte zwar eiue grofse Anzahl sorgfältiger
Beobachtungeu aller Art auf kleinem Gebiet, so dafs diese Küste
als die best erforschte in Äqiuitorialafrika ^^eUen kann, aber das
Gebirge überschritt sie iiiclit. Vergleiclit man nun die ^ewaltiyen
Fortscliritte. welche durch die ener^n'sche Thätigkoit Stanleys im
Interesse seiner Auftraggeber gemacht worden sind und bedenkt
man, dafs wenigstens ein Teil davon im Interesse des deutscheu
Volkes und der deutseben Wissenschaft hätte geleistet werden können,
80 mufs man die thatsächliche Entwickelung der Verhaltnisse aufs
tiefste beklagen, ein Gefühl, welches durch die späteren Erfolge der
deutschen Forscher im Gebiete der südlichen Zuflüsse wohl gemildert,
aber nicht unterdrückt werden kann. Der Held des Kongo, Henry
Stanley, gelangte am 27. Oktober 1876 nach Nyangwe an den Flufs
zu einer Zeit, wo die deutsche Expedition von L'oango bereits in
die Heimat zurückgekehrt war. und erreichte am 8. August 1877
Uuma am unteren Kongo, so dafs er in der Tluit innerhalb neun
Momiten die grölste I jitdecknngsthat der neueren Zeit auszuführen
vermochte. Die mofsartige Leistung, das Uesultat einer klugen
Benutzung der gegebenen Vertiältnisse und einer durch nichts zu
erschütternden Willenskraft, ist daher der wirkliche Ausgangspunkt
der neuesten Arbeiten am Kongo geworden, die im folgenden etwas
n&her betrachtet werden sollen. Es empfiehlt sich, dabei nicht genan
chronologisch zu verfahren, sondern die Eutwickelung der Fort-
schritte nach den Örtlichkeiten und nach den Ausführenden darzu-
stellen. Daraus ergiebt sich die Aufstellung dreier Gebiete; diese
sind der Kongostrom selbst und seine unmittelbaren Umgebungen,
das nördliche Nachbargebiet und die Region der südlichen Zuflüsse.
Die .\rbeiten selbst siiul von uichreren Gruppen gefördert worden,
tlic aut'angs teilweise scheinbar, und unklar verbunden sich spater
scharf von einander schieden, in erster Linie ist die Thäligkeit
Henry Stanleys er>t im Auftrage dor A^suciation internationale
Africaine, dann des Comite d'etudes du Haut Longo zu nennen,
aus denen sich sjKiter die Association internationale du Congn ent-
wickelte; diese arbeiteten am Fiufse und nördlich von den ätroni-
schnellen. Mit ihnen traten die Franzosen unter Savorgnau de
Brazza in Konkurrent und was den Kaum bis Stanlev-Pool und
dessen Umgebung anbelangt, auch einige Missionsgesellschaften; das
Gebiet der sfldlichen Zuflüsse blieb den Emissären der deutschen
afrikanischen Gesellschaft überlassen, denen sich spater einige Portu-
giesen und neuerdings auch ein Beauftragter der Kongoge>el!schaft
anscldos.-en.
Das eben erwaimte Görnitz detudes du Haut Longo koiu>ti-
Digitized by Google
— 110 —
tuierte sich in Brüssel mit dem Zwicke, zu antersuchen, ob es ein
Mittel gebe, einen Verkehrsweg zwischen dem oberen Kongo und
dem Unterlauf herzustellen und Handelsbeziehungen mit den Ein-
geborenen anzuknüpfen ; die Ausfahrung wurde Herrn Stanley fiber-
tragen. Dieser erschien im Jahre 1879 mit einer Anzahl Europäern.
Zanzibar- und Kabindalenten, sowie mit einigen Schiffen und fuhr
184 km den Unterlauf des Kongo hinauf bis xu dem Punkte, wo die
8ehiffl)arkeit aufhört. Hier an der Sehwelle des westafrikanisehen
(ieiiirire^ •ii'ündele er im Februar 188Ü die erste Station Vivi. Nun
begann die Arbeit. Von da bis zu der SteUe. wo das Fahrwasser
des Stromes besser wird, wurde eine fahrbare Strafse von 83 km
liftnge angelegt, und an deren Ende mit Schbifs des Jahres, also
nach 11 M(uiaten. als /.weite Station lüangila gebaut. Da die nächste
118 km lange Strecke des Flusses wenn auch nur mit grofäer Vor-
sicht und eigens gebauten Schiffen befahren werden kann, ko ging
Stanley auf dem Strome aufwAi-ts bis zu der Stelle, wo die Schiff-
barkeit wieder aufhört, und die dritte Station Namens Manjauga
wurde Ende Mai 1881 angelegt. Die Kntferuuni; zwischen Manjanga
und Stanley-Pool, welche 152 km befragt, gelang es bis Ende 1881
zurückzulegen, so dafs am 3. De/eiiibcr 1881 der erste Hampter
auf dem inselbesiltcn l)iiinon>ee s( liwaniiu. Die Anlegung der fünften
Station Leopoldville am Siiduter de> Stanley -Pool war aber mit
l'nannehmlirhkeiten anderer Art als hdxalen und klimatischen
Schwierigkeiten verknüpft. Vom Ogowe her hatte nämlich der
französische Foivchungsreiscnde Savorgnan de Brazza schon im
Herbst 1880 den Kongo bei Ngampey erreicht, war auf füuftii giger
Kanoefahrt stromabwärts geeilt und hatte nach Abschlufs eines Ver-
trages mit dem Batekehauptling (Batemakoko) das Terrain bei Mfwa
am Nordufer des Stanley-Pool zur Anlegung der Station Brazzaville
ausgewählt (3. Oktober 1880), um darauf zun&chst nach der Küste
und nach Frankreich zurückzukehren. Der Konflikt, welcher ans den
Voransprüchen P>ra/.zas auf das Gebiet v(»n 8tanley-Fool nn<l l'ni-
gebung entstan 1 und der ain h Stanley im Jahre 1882 zur l\iukk«'hr
nach Europa vcianialste. schien aidangs einen bedrohlichen Charakter
nelnnen zu wollen, wurde aber spnter beiL'clo'it oder vielmehr für
d'e Weiterai'beit des Komitee dadurch zum Teil unschtldlicli genuicht.
düf- Stanley eiligst nach dem Kongo zurückreiste, um sowohl die
Anlegung »euer Stationen als auch den Al)schlufs von Freundschafts-
vertragen mit den Negerhäuptliugen des oberen Kongo aufs eifrigste
zu betreiben. Doch davon später!
Stanley -Pool bildete auch das Ziel mehrerer MissionsgeseU-
Schäften. Schon im Jahre 1878 begründete die Baptiste Missionary
Digitized by Google
— III —
Society viw Station in San Snlva^loi- fAnibiissi) unter Hov. Coniher,
um von da aus am .siidliclHMi Stionuifer jenen See zu eireichen;
der Mi>>iouar kam zwar nach verscliie lenen fehl^esililai^enen Ver-
huchen bis nacli Mnkuta. wurde aber iiier von den Kiniieboreneu
an^a^<iritien und mufste i^chwer verwundet eiligst >einen Hückzn^^ un-
treteu. Doch erneuerte die Mission ihre Versuche und nachdem die
HeviM'ends Hentley und Cruügington am 12. Februar 1881 Stanley-
Pool erreicht luitteu, eine neue Kraft in der Pcrsou des Hev.
GreofeU eimretreten und Comber wieder hergestellt war, glückte es
ihnen, am Norduter drei Stationen, Mussuca, Isangila und Wathen
bei Manjanga, auisalegeu. Darauf konzentrierten sie mit Aufgabe
der beiden ersten Punkte ihre Thatigkeit hauptsachlich auf das sfid-
liche Ufer, wo sie nacheinander die Stationen Underhill in Wanga-
wanga, Baynesville und schon am Stanley-Pool das nach dem muni-
fizenten Förderer der Mission genannte Arthington anlegten. Damit
nicht zufrieden, gingen die Rev. Comber und Grenfell über Stanley-
Pool hinaus, fuhren etwa 48 km in den Kuango hinein; sie haben
nach den letzten Kaehrichten die Absicht, drei weitere Stationen
zu errichten, n&mlich Mushie am Kuango, Bolobo und Uebn am
mittleren Konpo.
I'!twas später erschien die liivintrstone Inland Mission auf dem
neuen (iebiete: der von ihr austzt^andte hiL;enieiir McCall 'jrüiidcte
die Stationen Panana. Mata di Mikanda oder Kinioue am Siuluter,
Pallaballa obei lialb der Jcllahifalle und Banza Manteka oberiialb der
Isangilafalle. Darauf erkrnnkend, bcjaber sich na< h Mad«'ira. wo er >tarb.
Die Mission, da^ iMviKtimene Werk fortx't/.t'iid. en ii btctt^ noch die Sta-
tionen MiikiliibiiLiU lind Lnkuimn. Ict/tcn» scliii^ j -'cüciiübcr von Man-
jan'jra auf dem ^iidlichl'U L ter. Knillich be-jaiiü .uu Ii e in Vci'tn'ter iler
französischen katholischen Mission, I'cre Aii^ouard, im Juli IHSl in
der Ivichtung mich dem Staidey-Tool zu reisen, mit der Absicht, den
Schauplatz seiner ThiUiu'keit haui»t .n blich an den grölsten der süd-
lichen ZuHüssc, an den Kassai (Ikcleuibu) zu verleiren. WiUire'ad er
anfangs bei seinen Landsleuten in Brazzaville weuii? Knti;e^en-
kommen faud, hat ihm neuerdings Brazza ein Stück Land zur An-
legung einer Station bewilligt.
Durch die eben skizzierte mehrseitige Thätigkeit ist haupt-
sächlich innerhalb der Jahre 1880 bis 1883 der Gebirgslanf des
Kongo von Vivi bis Stanley-Pool, eine Strecke von 353 kui, der-
jenigen von Hannover bis Frankfurt am Main etwa gleichkommend,
mit eiuer zweifachen Reihe europäischer Stationen versehen, so' dafs
man am Ufer hin alle paar Tagemftrsche eine Niederlassung und
Zufluchtsstätte findet Nach der uns gütigst zugänglich gemachten
Digitized by Google
— 112 —
Schrift von Wauters : Les Beiges auCoDgo hat die Association internatio-
nale du Congo allein folgende Niederlassungen, und zwar am rechten
Ufer: Borna, Ikun^la, Vi vi, Isangila und Manjan^a; am linken Ufer:
Nokki,*) Niiaiii-M})<>zo, Riibv Town: etwas lüiidoinwärLs: Vooiuia,
Lnkungu, Ngombi, Liiteto luid Ni^oina: am liukon Ufer des Stn:ilev-
Pool : LoopoUlvillo, Kinchassa und Kiuipoko. Hii^ Haiipt^tation i<t
Vivi, auf welcher unter der Oberleitung des bir Francis de Winten
etwa 12 Eiirop&er angestellt sind ; in zweiter Linie ist Li^opoldviUe
mit 10 Europäern zu nennen. Zu bemerken ist noch, dafs an den
fahrbaren Strecken des Stromes eine Anzahl kleiner Dampfer
stationiert sind.
Schon im Anfang des Jahres 1882 war Stanley ein gutes StQck
Ober den Pool nach Osten voi gedrungen, indem er mit dem Dampfer
„Enavant" in den Unterlauf des ersten gröfseren südlichen Zuflusses,
des Kuango dbari Xkntu), moljr als 130 km hiiieiiiirefahren und aus
dem Kuango heraii>fa]irend den tistlich gelo^enen Leopoldsee ent-
deckt hatte. Leider unterliefe es Stanley. Lreiiaue Ortsbestimmungen
zu machen, überhaupt die Lage der von ihm besuchten (legentien
und Gegenstande mit genügender Sorgfalt anzugeben. Daher kam
es denn, dafs die Beobachtungen der Baptisteiimissionare Coraber
und Greenfell, die, wie oben bemerkt, auch den Kuango besuchten«
mit den Angaben Stanleys hinsichtlich des Stromlaafe nicht überein-
stimmen, und fast scheint es, als hätten diesmal die Diener der Kirche ei n
schärferes Auge gehabt, als der berühmte Entdeckungsreisende. Wähi'end
Stanleys Abwesenheit in Kuroi)a ln\tto das Werk der .\ssf)ciation zwar
nicht geruht, man hatte n. a. einige Stationen stromaufwärts angelegt,
aber erst nach der Rückkehr aus Euroi)a untern;ihm 11. Stanley im
Jahre 1883 den llauptvorstofs nach ().->teu; e-^ i-^t dies die erste lU'i'^e,
die im Zusammenhange auf dem Flusse in östlicher Hichtuug und
mit Dampfern gemacht worden ist. Die Einzelheiten dieser interes-
santen Tour sind an einer früheren Stelle der Geogr. Blätter (1884,
Heft 2) mitgeteilt worden, worauf wir verweisen. Auf dieser Fahrt
hatte Stanley in erster Linie die Zwecke der von ihm vertretenen
Gesellschaft im Auge gehabt, also eine Reihe Stationen bis zu den
Stanley-Falls angelegt und mit den üferhiUiptlingen Frenndschaft^i-
veitnigc rcsj). Landabtretungen geschlossen, für den F(utschritt der
lOikenntnis des mittleren KouL^o;:ebiete'> war dagegen wenig abge-
fallen; duö wichtigste geographische Lrgebuis war die Fahrt auf
#
*) Die Nachricht} dab Nokki in deutschen Besitz äbergegaugen sei, wurde
von anderer Seite dahin berichtigt, dafs sich die afrikanische Gesellschaft nnr
eine Art Vorkaufsrecht anf diesen Pnnkt gesichert habe.
Digitized by Google
— 113 —
dem früher Aruwijui L^enannten nördlichen Nebenflusse Ubingi bis
nach Yamhuga, 2" 13' n. Br.; man hatte damals vorschnell diesen
Ubingi für den Unterlauf des von Schweinfurth und Junker besuchten
Uelle gehalten, eine Hypothese, die wir gleich damals fflr ungenOgend
begründet bezeichneten und die jetzt allseitig und definitiv aufgegeben
worden ist; selbst auf der dem reich illustrierten Werke von Wauters :
Les Beiges an Congo beigegebenen Karte bat man es unterlassen, den
ehemaligen Aruwinii mit dem Uelle durch die bekannte Punktierung
zu verbinden. Im üljrigen hat Stanley, so viel wenigstens Dr. Cha-
vaniie von den Teilnehmern an der Fahrt erfahren konnte, eine
eigentliche Aufnahme des Kongo bis zu der Station an den Stanley-
Fällen gar nicht gemacht, sondern sich mit einer flüchtigen Bekog-
nosziemng beguügt. Wohl hat er mehrere Positionsbestimmungen
vorgenommen, indessen dürften die L&ngen s&mtlich um 0^ 40' bis
1 ^ 50' — d. h. etwa 50—200 km zu weit östlich liegen. Die
Kenntnis des Stromes selbst, seiner Wassertiefe und -breite, seiner
Inseln und Ufer hat der Entdecker also ungefthr auf dem Stand-
punkt gelassen, den er durch seine erste Fahrt schuf. Überhaupt
scheint mit dieser Expeilition von 1888 die Thätigkeit H. Stanleys
als EntdeckuiiLr>reisender ihren Al)scldurs gefunden zu haben. Denn
bald luuh seiner Rückkehr traten die Fragen der politischen Ge-
staltung de.s Kongogebietes mit zwingender Gewalt iu den Vorder-
grund; es galt für ihn nach Europa zu eilen, die Absichten
der Oesellschaft hauptsächlich gegen die Ansprüche Portugals
und Frankreichs zu vertreten und das nur zum Teil und ober-
fifichlich explorierte Gebiet in eine feste politische Form zu
bringen. Wie dieses gelungen ist, das zeigen die Resultate der
Berliner Konferenz. Neben und nach Stanley treten eine Anzahl
hcuiulcr der Kougogesellschaft insotViii als beachtenswert hervor,
als sie neben den Zwecke n der Ciesellschaft auch die Kenntnis der
von ihnen besuchten biegenden mehr oder minder förderten. Für
den Kongo selbst ist besonders <lei* kürzlich durch einen Schilfs
umgekommene Kapitän Hanssens zu nennen. Dieser fuhr vom
23. Marz bis zum 6. August 1884 stromaufw&rts, teils um die Fall-
station zu verproviantieren, teilsdie früher gewonnenen Positionen durch
neue Verträge zu kräftigen; unterwegs rekognoszierte er den Unter-
lauf zweier nördlicher Nebenflüsse, des Ngala (Mangala), den er etwa
130 km weit befuhr, nnd des von Stanley seiner Zeit irrtOmlicher-
weise Itimbiri benannten Mbula, den er in der Lange von 76 km
keiiiu n lei nte. Durch die.se Untoi ncliiniingen hat Hanssens einiges
zur Kenntniv der Landschaften Itembo, linsambi, Libuki und Bumbuni
beigetragen, später machte Kapitän llHiissens in Begleitung der
Digitized by Google
— 114 —
Herren Ciisman und Vanden l'hi> noch <Miie zweite Fulirt, über
deren llesultatc nähere Heriehte noeh nieht /u^anulieli ^xeworden sind.
So ist auch anf der 1700 km langen Strecke zwischen dem
Stanley-Pool und den Stanley-Fallen eine Anzahl vonStationen begründet
worden ; diese heilsen in der Reihe von Westen nach Osten : Msnataj
Kwaniouth an der Mündung des Kuango, Bolobo, Lukolela, Ngongo,
Äquatorstation, Bangala, Upolo, Aruwimistation und Fallsstation.
Die Zwischenräume zwischen den einzelnen Posten sind natttrlicb
bedeutend gröfser, als diejenigen zwischen den Niederlassungen des
Gebiruslanfes. aber da aul" dieser Abteilung des Stromes das Fahr-
wasser weui^sleiis nicht dnrch Stromschnellen unterbrochen, wenn
auch keineswegs völlig bequem ist, so kann der Verkehr verhaltnis-
m&Iäig leichter durch die fünf zur Verfügung stehenden Dampfer
„En avant*, „L'Association internationale africaine", „Royal*',
„Eclaireur" und »Stanley** bewerkstelligt werden.
£s fehlt nun noch die Verbindung der Fallstation mit dem
Tanganika und den ostafrikanischen Stationen ; um diese zu bewirken,
ist gegen Ende 1884 eine Exi)e(lition unter dem Belgier Becker von
Zanzibar aufgebrochen, mit der Absicht, von Mpala*) am Westufer
des iaiii;.ihika nach Nyangwe am Ivongo zu gehen und dort eine
Station anzulegen. Wenn dies geschehen sein wird — worüber
bisher nocli keine Berichte uns zugekommen sind — dann wird eine
Kette von europilischen Niederlassungen quer durch das äquatoriale
Afrika ge/.ogen sein, welche als Ausgangspunkte für weitere Unter-
nehmungen dienen können, eine Leistung, die im liiublick auf die
Kttrze der Zeit — es bedurfte kaum sechs Jahre — uns als eine
bewunderungswürdige erscheint Ob das Werk den Aufwendungen
an Arbeit, Geld und Menschenleben entsprechend ausgefallen ist,
darüber können und wollen wir kein Urteil abgeben.
Die Kenntnis des Kongooberlaufes, sowohl der Abteilung zwi-
schen den Stanley-Fallen und Nvangwe, als des Stückes von Nyangwe
bis zur Quelle, hat seit Stanleys resp. Living>loues Leistungen eine
Wesentliche liereielierung nicht erfahren. Nyangwe wurde zwar im
Jahre 1881 am 1(5. April von Leutnant Wissmanu wieder erreicht, dieser
ging aber von da aus durch das mehrfach besuchte Manjema, wenn
auch stellenweise auf neuem Wege, direkt nach dem Tanganika,
Auch das Gebiet zwischen diesem See und dem Kongo in der Um-
gebung des Lukugaflusses ist zwei Mal bereist worden, einmal von
♦) Nach «loii iiem-stcn Naclirichten lint die Kon<j:ot.'t solls(lK'ift die SluHon
Mpala, wio auoh das weiter üi>tUcli gulegeiie Kareiiia, an die katboUsclieu Mis-
sionare abgetreten.
Digiiized by Google
. - 115 -
J. Thomson, der im Jahre 1879 eio gutes Stück südlich des von
Cameron 1874 entdeckten und 1876 von Stanley besuchten Lukuga
bis nach dem Orte MakQombo (Lst. 50' s. Br., long. 27^ 50')
vordrang, ohne aber den Lualaba- Kongo zu erreichen; das zweite
Mal von dem Angestellten der Association, Leutnant Storms, der
den Lukuga eine Strecke weit verfolLrte und konstatierte, dal's, je
weiter der Flufs sich nach Westen l)ewegt, er iniuier sclinialer wird.
Ferner ist der von Livingstone entdeckte Moerosee nach den neuesten
Nachrichten von den deutschen Reisendeu Böhm und Reichard, die
am 1. Septeniher 1883 von Mpala aus aufgebrochen waren, erreicht
worden, leider aber ist Böhm, wie es scheint, von den feindseligen
Eingeborenen getötet worden, und Reichard konnte nur durch
schleunigste Flucht sein Leben retten; nähere Berichte über den
beklagenswerten Vorfall, sowie über die Ergebnisse der Reise fehlen
zur Zeit gänzlich. Ebenso wie der Mo§ro wurde auch der Bang-
weolosec von Leutnant Girand im .lahre 1883 besucht und festgestellt,
dafs der Lualaba aus dem südwestlichen Ende des Sees hervorgeht.
Was endlich das Gebiet des eigentlichen KongoquelUiusses, des
Tschambesi, anbelangt, so ist dies neuerdiiigs von Stewart, dem
Erbauer der Strafse zwischen dem Njassa und Tanganika, unter
a5' s. Br. und 34^ 30' ö. L. besucht worden.
An die Betrachtung der Exploration des Hauptstromes schliefeen
wir zunächst die Entdeckungsgeschichte des nSrdlu^en Nachbar^
gdtietes an; strenggenommen gehört dies zwar nur teilweise hierher,
denn der Kongo empfüngt auf seinem Gebirgslanf nur kleine und
kurze ZuHüsse, aber andererseits hängt die Erforschung der Küsten-
Hüsse, wie des Kuilu-Niadi und der bezüglichen Wasserscheiden innig
mit der Kongofraiie zusammen, dafs man wohl eine kleine Inkonse-
quenz begehen dar! ; den Ogowe aber ziehen wir nur als Ausgangs-
punkt in Betracht. Im Jahre 1880 legte Savorgnan de Brazza am
Zusammenflusse des Passa und des oberen Ogowe die Station France-
ville an und trat darauf eine Reise in das Innere an ; auf dem Lefini,
dem Lawson Stanleys, fuhr er mittelst Flusses stromabwärts, gelangte
bei Ngampey in den Kongo und nachdem er diesem bis zum Stanley-
Pool gefolgt war, gründete er die vielberufene Station Brazzaville,
um sich von da nach der Küste zurückzubegeben. Im Jahre 1881
ging er wieder nach l laiiceville, erforschte besonders die Wasser-
scheiden der Flüsse Ogowe, Alima und Leketi und gründete eine
Station an der Alima, wurde aber in der Ausführung seiner Pläne
dadurch etwas behindert, dafs sein Adjunkt Dr. Bailay mit den
Unterstützungpgcgenstilnden nicht erschien. Nach einem kurzen
Aufenthalte in Frankreich arbeitete Brazza auf dem vorigen Felde
Digitized by Google
— 116 —
I
seiner Thiiti^^keit mit sa izünstiijoiii Erfolge welter, dals or am
8. Februar 1882 die (.Mn-llo des Ouowc entdeckte; Anfau;; .\far/
zurückkehrend, gelaui^te er an den Niari (Niadij, den Neben-
tluLs beziehungsweise Oberlauf des Kuilu. dessen Thal seiner Ansicht
nach einen bequemeren Zugang gewähren warde als der Ogowe:
von der Quelle des Niadi führt nämlich ein wohl gauigbaier
Pafs in das Thal des Djne, Stanleys Gordon Bennett River, der
bekanntlich etwas unterhalb der Station Brazzavflle in den
Kon(]:o flltt. Uro seine Entdeckun«;en mit den erforderlichen Mitteln
ausbeuten und weiter verfol.ü;on zu können, reiste Bra/za im A])ril
1882 nach Frankreich, wo es ihm iilückte, von den Kannnern den
Betrag von 1 200 ÜH) Francs zur Ansrüstnnii einer nnifanjjreichen
FApedition nnd zur Anlegunii eines vorher ausgearbeiteten Systems
von Stationen und Posten hewiliij^t zu erhalten. Sein Aufenthalt in
Frankreich zog sicli bis Ende Mftrz 18>^:* liiu. Während dessen war
Stanley, der im Jahre 1882 ebenfalls in Europa gewesen war, nach
dem Kongo geeilt und hatte seine Leute in das Kuilu-Niadigebiet
geschickt Schon Ende 1882 und in den ersten Monaten 1883
gingen von Isangila und der Kuilumflndung Expeditionen aus. Jene
unter Kai»it4ln Elliot, diese unter Leutnant Van de Vehle, welche
nach zweimonatliclier Heise h^i der «zef^enwartigen Station Kitalti
i\m mittleren Kuilu, zusainnieut nifen. Auch von Boma, Manjanira
lind von der Küste braclien Reisende wie Ilanni, Orban, Amelot,
Mikic und llanssens auf und durchschwärmten das Land. Die
dadurch jjftdi eierten Thatsachen wurden vcm Dr. J. Chavanne auf
der Karte Afrique äquatoriale entre le Congo et rOgooue
1 : 20000Ü0 zusammengefafst. Der Erforschung des Landes durch
die Sendlinge Stanleys folgte die Besitzergreifung auf dem Fufse,
indem die Leiter der Expedition durch Gescheoke und Versprechung
jahrlicher Abgaben die betreffenden einheimischen Häuptlinge zur
Abtretung» von solchen Länderstrecken hewogen, welche zur Er-
richtun? von Stationen an wiclitiiren Punkten notwendis: waren.
Das Netz «h-r Associationsniederlassnnsen im (iebiete des Kuilu-
Xiadi und nördlich davon ist sehr dicht; an der Küste liefen von
Norden nach Süden i^^enannt: Sette Caiua, Majumba, Hudolfsstadt,
Grantville. Alexamlravillc und Massab^; am Kuilu-Niadi lietinden sich
Baudoinville, Kitabi, Franktowu, Sengi, Stanley Niadi, Stephanie-
ville und Philippeville; zwischen dem Kuilu-Niadi und dem Kongo
sind Strauchville, Mboko und Mukumbi zu erwähnen. So hatte
Stanley durch Entfaltung einer aufserordentlichen Thßtigkeit seinen
Rivalen Brazza überholt und dieser fand hei seiner Ankunft auf der
von ihm zuerst explorierten K.uihi-Niadi-/uiiau^ijlinie an allen wich-
Digitized by Google
— 117 —
tigen Puokten die Spuren der Association. Daher beguttgte sieb
Brazza zutiftchst damit, Loango, Panta Negra und Ngotu am unteren
Kuilu zu besetzen und ging, als dies gesdieben war, an den Ogowe
zurück, um seine Arbeit von bier aus zu beginnen. In dem von
Leutnant Mizon ausgebauten Franoeville angekommen, sendete er
einige Leute nach dem Stanley-Pool, um die unterdessen eingegangene
Station Brazzaville wieder zu besetzen, was nach einigen Weiterungen
auch ;?elang. Aufser dem Posten Alima-Duele wurde auch der
l^osten Alinia-Leketi be^^iüudet und der Nebenfiufs Nkoni als eine
günstige Verbindung zwischen der Alinia und dem Ogowe erkannt.
Darauf verfolgte Dr. Bailay die Alima bis zu ihrer Mündung in den
Kongo und bestimmte diese Stelle zu 1 <^ 32' s. Br. und 16 ^ 23'
5. L. Gr. Darauf begab er sich kongoabwftrts zu dem von frQher
bekannten Bateke^Makoko und traf bier mit Brazza zusammen. In der
Nabe der LefinimOndung wurde die Station Nganscbuno angelegt. Da
durch diese Arbeiten die ursprflnglichen Mittel erschöpft waren, so
bedurfte es einer Nachforderung, die in der Höhe von 780 (XK) Francs
bewilligt wurde, l nter den Mitgliedern von Brazzas Expedition ist
Leutnant Michon mit besonderer Anerkennung zu nennen, der eine
treüliche Heise von Franceville nach Mayunibe ausführte, demnach
ein weder von Brazza noch von Stanleys Leuten besuchtes, bisher
unbekanntes Gebiet explorierte.
Die grofsen Mühen und Opfer, welche Stanley zur Gewinnung
des Niadi-Kuiludistriktes aufgewendet batte, waren übrigens fAr die
Association vergeblicb gewesen: auf der Berliner Konferenz wurde
das ganze Land nebst dem rechten Kongoufer vom Stanley-Pool bis
nahe an den Äquator mit allen Stationen ohne Entschädigung an
Frankreich abgetreten und die Priorität Brazzas kam demnach zur
Geltimg. Die IlivaliUt beider hat aber der Wissenschaft den be-
achtenswerten Dienst geleistet, dafs das westafrikanische Gebirge
zwischen dem Kongo und dem Njanga beziehungsweise Ogowe mit einer
ungewöhnlichen Sorgfalt erforscht wurde, wenn auch die Resultate
davon noch nicht in ganzer Ausdehnung zugänglich geworden siud.
Ganz anders stehen die Verhftltnisse in dem dritten Haupt-
teile des Kongobeckens, dem Geriete der süäliehen Zuflüsae. Wahrend
nflmlicb sowohl Brazza als Stanley in erster Linie politische beziehungs-
weise Handelszwecke verfolgten, waren diese bei den deutseben Erfor*
schem der grofsen Tributäre ganz ausgeschlossen ; weit beschränkter
in den Geldmitteln und oliue den Rückhalt eines Staates oder einer
kapitalistisch beteiligten Association und lediglich auf die Beitrage
gelehrter Gesellschaften und den Zuschufs des Reiches angewiesen,
dienten sie nur den Zwecken der Wissenschaft; ihre Selbst-
G«agr. Blitur. Branaii, 1886. 9
Digitized by Google
— 118 —
losigkeit kommt m der That der Bescheidenheit ihrer Mittel gleich
und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb haben sie fär die
Kenntnis der besuchten Gebiete im Verhältnis mehr geleistet, ala die
grolse Schaar der Assodationsleute.
Die Fflhrung in der Entdeckung des südlichen Kongoheckens
lag in der Hand der deutschen afirikanischen Gesellschaft; es handelte
sich für sie zunftchst darum, in solchen Gegenden wieder festen Fufe
zu fassen, welche eigentlich schon bekannt gewesen, aber seit dem
Schwinden der portugiesischen Macht in Vergessenheit geraten waren.
Mau sandte daher im Jahre 1874 den Ornithologen von Homeyer,
den österreitliischen Leutnant Lux und den Botiiniker Soyaux, denen
sich der MecklenburLM i Landwirt Dr. Paul Togge auf eigene Kosten
anschlnfs. um von Li)auda aus die alten Handelswesc wieder aufzu-
suchen. Die Expedition an und für sich scheiterte, denn Homeyer
und Soyaux kehrten bereits in Malange um. Lux gelangte nur bis
nach Kimbundu. Pogge dagegen übernahm die Reise und am
L5. Se])tember 1875 von Kimbundu aufbrechend, marschierte er
tapfer ostwärts durch das obere Stromgebiet des Kuango bis an den
Kassai nach Difunda; hier schlug er eine nordöstliche Richtung
ein und nachdem er den Lulua bei Kadinga überschritten hatte,
traf er am 9. Dezember in der Residenz des Muata Jamwo ein.
Hier wurde er bis zum 7. April 1875 zurückgehalten, ohne, wie es
seine Absicht war, weiter nach dem unbekannten Osten vordringen
zu können, denn nachdem er nur einen kleinen Ausflug in südöst-
licher Richtung gemacht hatte, mufste er umkehren. Pogges Expe-
dition ist ein hübscher Erfolg, seine Reiseberichte sind anaiehend,
seine Ergebnisse beachtenswert, wenn auch der Natur der Sache
nach exakte Messungen, Sammlungen und dergleichen nur in beschrank-
tem Mafse oder gar nicht gemacht werden konnten. Leider sollte sein
äuüserster Punkt in den nächsten Jahren trotz ▼erschiedener Ver-
suche nicht überholt werden; denn der durch seine Reisen in Süd-
afrika und am Zambesi bekannte Ed. Mohr, von der deutschen
afrikanischen Gesellschaft ausgesandt, um auf der von Pogge ge-
wonnenen Basis weiter zu arbeiten, starl) schon in Malange am
26. Deztinber 187(). Ein gleichüs Schicksal t-ieilU' den von der
portugiesischen Regierung mit iler ^leologischen Erforschung Angolas
beauftragten IL von Barth- Harniatting. Derselbe gelangte vou
Duque de liiagan/a aus nur ein wenig nördlich, bis Banza Manibuln.
mulste umkehren und starb in Loanda. Durch Erkundigungen hatte
er wahrscheinlich niaeheu können, dafs der auf den damaligen
Karten tigurierende mi»r>e See Aquilonda in dieser Form nicht
existiert und die späteren exakten Forschungen haben seine Auf-
Digitized by Google
— 119 —
fassung best&tigt. Doch war die afrikanische Gesellschaft durch
ihre tdlweisen Mifserfolge nicht entinntigt worden. Im Jahre 1877
beauftragte sie den Ingenieur 0. Schfltt, anf Pogges Route weiter
"vorzudringen, und, was Pogii^e nicht geleistet hatte, eine topogra-
phische Aufnahme der zurückgelegten Wegestrecken zu bewerk-
stelligen. Von Malange aufbrechend, aber von den Bangala ge-
bindert, den Kuango zu überschreiten, ging er nach Kinibundu,
wandte sich von da nach Nordost und nach Überschreitung des
Kassaizuflusses Tschikapa direkt nach Nord. Sein nächstes Ziel,
die Mttndung des Tschikapa in den Kassai, erreichte er nicht,
sondern nar drei bis vier Tagemftrsche davon entfernt, wurde er von dem
LundafÜrsten Muata Musevo gezwungen. Halt zu machen, und da
Jener unter keinen Umständen ein weiteres Vordringen nach Nordost
gestatten wollte, so entschtols sich Schfitt zur Umkehr; nachdem er
iHirdwärts bis zum 1 ^ 10 dem nördlichsten Punkte, den ein
Reiseuder bisher erreicht hatte, vorgedrungen war, wandte er sich
zurückkehrend und eine Anzahl Tributüre des Kassai und Kuango
überschreitend, erst nordwestwärts bis an den Lunchico und ging
dann in südwestlicher Richtung nach Malange zurück. Derselbe
Umstand, der Schütt sein eigentliches Ziel hatte verfehlen lassen,
nftmlich der fe«te Wille des Lundaherrschers, keinen Reisenden die
Grenzen seines Reiches Qherschreiten zu lassen, sollte auch dem
zweiten Emissftr, M. Buchner, verhängnisvoll werden. Bis zur
Mussumba des von Pogge besuchten Muata Jamwo gelangt, ver-
mochte er weder den Widerstand dieses Herrschers noch das
Widerstreben der Träger, in ein unbekanntes Innere vorzudringen,
zu besiegen und mufste zurückkehren. Wenn num nun einerseits
zu beklagen hat, dafs weder Scliütt noch Buchner einen Fortschritt
in der Entdeckung neuer Gebiete herhciiiihrleu, so niuis anderer-
seits anerkannt werden, dafs sie innerhalb der ihnen gesteckten
Grenzen Annehmbares geleistet haben: die Kartographie gewann
eine sichere Unterlage, eiqe gute allgemeine Vorstellung des Natnr-
charakters der Ydlker und der Verkehrsverhftltnisse und manche
Spezialität aus diesem Gebiete wurde erreicht
Unterdessen hatten auch die Portugiesen in die Entwicklung
der Sache eingegriffen. Die beiden Reisenden Hermenegildo Brito
Capellü und Hoberto Ivens waren, nachdem sie sich von ihrem Ge-
fährten Serpa Pinto getrennt hatten, von Bih^ aus in das Gebiet
der Quelltlüsse des Kuango vorgedrungen, wo sie sorgfältige Unter-
suchungen anstellten. Ihren Plan, an beiden Seiten des Flusses
vonückend, womöglich bis an dessen Mündung in den Kongo zu ge-
langen, konnten sie wegen der feindseligen Haltung der BangaU
9»
Digiiized by Google
— 120
nicht durchfubieii. Weuu sie nun leider sclion bei ()^30' umkehren
muTsteD — also noch mehr ab 3 Grad oder etwa Hni) km von der
Mündung entfernt geblieben waren, so ist doch ihre Expedition eine
erfolgreiche zn nennen, hauptsächlich wegen ihrer astronomischen
Ortsbestimmungen, welche der Kartographie des oberen und mittleren
Kuangogebietes sehr zu statten kamen. Zur Ergänzung dieser por-
tugiesischen Resultate trug die Reise des Majors von Mechow bei.
der mit Hülfe eines mis Deutschland niitgei)rai litcn zerlegbaren
Bootes den l'lufs von 7" 'dO' bis 5** 5' befulir. Die von da bis zur
Mündung uocli unerforschte Strecke i.st seitUeiii von Norden her in
Angritt genonunen worden. Wie schon erwähnt, fuhr Stanley
185 km in den Strom hinein; und nachdem die Baptiütenmissioiiftre
Comber und Grenfell sich ebenfalls hier versucht hatten, gelang es dem
Angestellten der Kongoassociation, Leutnant Massari, von Kwamouth
am 16. November 1884 aufbrechend, bis zum 4^ s. Br. zu kommen,
so dafe also em Im Verhältnis kleiner Teil des Kuangolaufes, n&m-
lieh 4^ bis 5^ 5' flbrig blieb. Neben anderen Aufgaben, diese LOeke
auszufüllen, war die nächste liestininumi: der unter Leitung des
Leutnant Schulze im August 1884 von der afrikanischen Gesellschaft
ausi^esaiKitcii Kxj)edition, an der sich die Herren Kund, Woltt', Hüttner
und lappenheck beteiligen; da al)er jünirst die Trauerkunde ein-
gelaufen ist, dafs Schulze in San Salvador am 15. Februar 1885
starb, so ist es noch unbestimmt, ob die des Hauptes beraubte
Expedition die genannte Richtung einschlagen wird.
So ist denn der Kuango durch die sich ergänzenden ver-
schiedenen Unternehmungen nahezu erforscht. Weniger gfiustig
steht es mit der Entdeckung der weiter nach Osten gelegenen Sfld-
Zuflüsse, wenngleich auch In'er beachtenswerte Fortschritte erzielt
winden. Diese verdanken wir der grofsen Heise von Pogge und
Wifsmann 1881 82, überhaupt der ghln/.endsten Leistung, welche
für Kechnung der deutschen afrikanischen (iesellschaft zu stände
gebracht ist. Pogge und Wifsmann hatten den Auftrag erhalten,
eine dauernde Station in Mussumba zu errichten und von da aus
Reisen zur Erforschung des Gebietes zwischen dem Kuango und
Lualaba-Kongo zu machen, denn nach Pogges und Buchners gleich-
lautenden B^bachtungen ist die Residenz des Muata Jamwo gesund
und fieberfrei. Aber schon in Kimbundu änderten sie den Reisephm,
einmal weil infolge der zwischen den Lunda und den Kioto ans-
gebrochenen Streitigkeiten beide Routen versperrt waren, sodann
weil sie aus Schütts und lUichners Krfahrungen die Unmöglichkeit
ersahen, in Mussumba ihren Zweck erreiclien zu kinineu. Ks iralt
nun, duri^h einen schuelleu Yonnaiäch nucli Nordeu aus der Macht-
Digij, : ('odgle
— 121 —
Sphäre «los Muata Jamwo zu kommi'u. Die Kei.seinlen nahmen daher
von Kimbundu (31. Juli 1881) aus ihren Weg fast direkt nördlich
am Unken Ufer des Tscbikapa entlang, überschritten den Kassai bei
Kikassa, um von da aus zunächst in östlicher Richtung den Sitz des
Mtikenge der Baschilange zu erreichen ; diesen suchte zunächst Pogge
auf» wahrend sich Wifsmann zu dessen etwas weiter östlich wohnen-
den Nehenbnhler Dschingenge begab. Obgleich die Aussichten, Yon
Mukenge aus nach Norden vorzudringen, günsti^^ schienen, ent-
schlossen sich die Reisenden mit Rücksicht auf ihre Verhältnisse
nach Nyangwe zu gehen und zunüdist die ü:rofse hier be<tphende
Lücke auszufüllen. In nordöstlicher Richtung inarschieiend. wobei
sie die I>egeude von einem grofsen liier vorhanden sein sollenden
See zerstörten — der Mukanibasee ist ein unbedeutendes Gewässer —
erreichten sie am Lubi beinahe den 5®s. Br., und diesen Strom wie
den Lubilasch, alias Sanknrra« überschreitend, wandten sie sich, von
dem Baschilangeh&uptiing begleitet, durch die Wohnsitze vorher nie
gesehener Yölkerst&mme — der Bassange — in ungeffthr sfldöstllcher
Richtung bis an den letzten grofsen Kongoflufs, den Lomami. Von
der (Ibergangsstelle rückten sie in nördlicher Linie vor und den
Lusnba passierend kamen sie am 17. April 18H2 in Njanjjwc an.
Wahrend nun Wifsmann durch im wesentliclien bekannte Gegenden
sich zur Ostküste begab, wo er am 15. November eintraf, kehrte
Pogge nach dem Wohnsitz Mukeuges zurück. Diesen verliefs er am
9. November 1883 — also nach einem mehr als einjcährigen Aufent-
halte — und nachdem er durch einen Vorstofs nach Norden den
Znsammenflofs des Lnlna mit dem Kassai festgestellt hatte, begab
er sich, der Hauptsache nach, auf bekannten Wegen in das por-
tugiesische Territorium zurftck. Eben in Loanda angekommen, starb
der selbstlose, unermüdliche Mann am 16. März 1884, noch nicht
4*) Jahre alt, infolge der durch die Beschränktheit seiner Mittel
wenn nicht herbeiiroführten, so doch gesteigerten Anstrengungen.
Der Tod Pogges bedeutet für die Afrikaerforschunix einen schweren,
in gewisser Beziehung unersetzlichen Verlust; er ist der eigentliche
Bahnbrecher im Südkongogebiet und wenn er, am Leben blri])end,
auch keine Reise mehr gemadit hatte, so hätte die ausführliche Dar-
stellung seiner Erlebnisse nnd Beobachtungen sowie die gründliche
Kenntnis der ReiseverhAltnisse seinen etwaigen Nachfolgern wert-
volle Dienste leisten können. So ist die Wissenschaft nur auf die
glücklicherweise erhaltenen Tagebücher, die er aber nur bis zum
17. Dezember 1883 führte, angewiesen und mit seinem Hinscheiden
ist vieles Wertvoile, vielleicht Unschätzbare für immer verloren
gegangen.
Digiiized by Google
^ 122 —
Noch ehe Pogge die Küste erreicht hatte, war >pin eheniiili^ier
Gefahrte Wifsmann, diesmal im Dienste der Konsogesellschaft, zu
einer neuen Reise aufgebrochen. In Malange im Februar mit
jenem zusammentretfend, reorganisierte er hier seine lixpedition und
rückte am 17. Juli zunächst auf Schütts und Büchners Wegen vor.
Am Lu8€hikoflu8se teilte sieb die Expedition; der eine der eorop&ischen
Teilnehmer ging dem Lnschiko entlang nach Norden, um den etwa
einen Breitengrad stromabwftrts wohnenden Moata Kampana za be-
suchen, das Gros dagegen zog in nord(ystlicher Richtung zum
Muene-Tombe am Tschikapa. Von da, am 12. Oktober 1884, ist
Wifsmanns letzter Brief datiert; er gedenkt demnach den Ka.ssai
abwärts zu marschieren bis zum Einflüsse des Lulua, dort mit deni
Bakubahäuptlinge Lukengo einen Vertrag zu schliefsen. eine Station
zu gründen und von da mit den von den mitgeii(»mnicnen Zinimer-
leuten zu bauenden Böten den Kassai hinab zum Kongo zu fahren,
wo er im April 1886 einzutrefl'en hoflY. Vor den Mündungen des
Ruki und Lulengu, deren einer für den Austiulä des Karsai gehalten
wird, kreuxt einer der Associationsdampfer, nm eventuell die an-
kommende Expediton Wifsmanns aufzunehmen.
Wir haben den Gang der Entdeckung im südlichen Kongo-
gebiet bis sum letzten Stadium verfolgt. Nachdem sdion vorher
teilweise durch Livingstone und Magyar, später durch Cameron die
Wasserscheide gegen den Zambesi mit relativer Geuaui^^keit fest-
gestellt worden war, ist der mittlere Teil des Südkon^olandes haupt-
sächlich durcli deutsche Reisende in erheblichem Mafse gefördert
worden, stellenweise mit solcher Sorgfalt, dafs nur noch wenig zu
thun übrig bleibt Überschaut man freilich den ganzp i ni^ geheuren
Raum des Stldkongobeckeiis, so sind da noch viele und groXse Locken
auszufallen, eine Arbeit, die hoffentlich in der nächsten Zukunft ge-
lingen wurd. Doch darf man sich schon jetzt nicht verhehlen, dafs
die wissenschaftliche Erforschung dieser Gebiete mit der offiziellen
Anerkennung des Kongofreistaates in ein neues Stadium eingetreten
ist. Der freie Verkehr innerhalb der Grenzen desselben ist zwar
gewährleistet, aber es bleibt wohl einstweilen zu bezweifeln, ob in
Zukunft uninteressierte Forschungsreisende zum Nutzen des Kongo-
staates, d. h. einer Anzahl beteiligter Kapitalisten, das noch fast
ganzlich unbekannte Segment zwischen dem 5^ s. Br. und der
groüsen Kongoknrve ezplorieren werden. Treten sie aber in den
Dienst jenes Staates, so bleibt zu befürchten, dafs von den Ergeb-
nissen eben nur so viel an das Licht der Öffentlichkeit dringt, als
den Interessen des Auftraggebers dienlich erscheint. Diese Befttrch-
tung liegt nicht nur in der Natur der Sache, sondern auch in dem
Digitized by Google.
— 123 —
bisherigen Gebahreu der Kongogesellsckaft begriiudet. bchon in
letzter Zeit ist in geographischen Kreisen vielfach und mit Recht
die Klage ttber Geheimnisibuerei erhoben worden; erwägt man nun,
dafs an manchen Stellen imsere Kenntnis des Kongo noch an der-
selben Stelle steht, wie vor acht Jahren, bedenkt man, dafe das ver-
Qfifentlichte neuere Material zum grofsen Teile von selbständigen
Leuten herrührt, überlegt man endlich, dafs die anfangs mit der
internationalen Association ver(juiikte Kongogesellschaft sechs Jahr
und insgesamt mit mehr als hnndert Kurojiäern gearbeitet hat, so
ist dies eine Thatsache, die zu denken giebt nnd Befürchtungen
oben ausgesprochener Art wenigstens nicht ausschliefst. Dafs diese
nicht zur Wirklichkeit werden mögen, können wir im Interesse der
Geographie nor auf das dringendste wünschen!
II. Das Kongolan^ nnd seine Natur.
Dafo das Bild, welches wir von dem Kongoland im folgenden
zu entwerfen versuchen wollen, ein nnvollkommenes« Iflckenhaftes
ond provisorisches sein mnfs, wird fflr die Leser der vorstehenden
Entdeckungsgeschichte etwas selbstverständliches sein. Ehe wir indes
' an die Aufgabe selbst herantreten, mag es gestattet sein, eine
kurze allgemeine Bemerkung über das Verhältnis zwischen den zwei
wichtigsten geographischen Dnrstellungsmitteln, der Karte und der
Abhandlung, zu machen, ein Verhältnis, das unseres Erachteus von
den Geographen nicht immer in der wünschenswerten Weise beachtet
wird. Karte und Abhandlung oder Beschreibung eines Gebietes
sollen sich gegenseitig ergänzen, aber nicht ineinander übergreifen.
Eine Anfisählung der Kongoznflüsse, nur mit dem Zwecke sie zu
nennen, das würde z. B. ein Übergriff der Beschreibung in die Karte
sein, eine kartographische Darstellung der Vegetationsverhältnfsse
dagegen, wie sie Johnston seinem bekannten Buche „der Kongo"
beigegeben hat, bedeutet den anderen Fehler; jene erweckt Lange-
weile und tötet die räumliche Vorstellungskraft, diese erzeugt irrige
Begriffe, denn wenn Johnston eine ^rofse Flache gleichmäfsig mit
grüner Farbe überzieht und Dense forest dazu schreibt, so ist das
nicht nur sehr voreilig, — denn jene Gegenden sind entweder gar
nicht oder nur rontenweise bekannt — sondern auch irrtümlich ge-
handelt Die Karte ist so recht geeignet räumliche Veriialtnisse,
als Grenzen, Lage nnd Verlauf von Gewässern, Situationen von
Orten, Ausdehnung und allgemeinie orographische Beschaffenheit von
Terrainerh^ungen, auszudrücken und dafür giebt es keinen voll-
kommenen Ersatz, was Leiclitigkeit und Schnelligkeit der Orientierung
anbetrifft. Je gröfser der Mafsstah einer Karte ist, desto voll-
Digitized by Google
— 124 —
koiiimener und ausführlicher wird sie jene Verhältnisse darstellen
köDiiei), ja es wird möglich sein auch anderes anzudeuten, z. B. ob
ein Distrikt Wald, Wiese oder Kulturland ist u. a. Je kleiner aber
der Mafsstab einer Karte ist, desto mehr mufs sie sich auf die
Topographie, Orts- und Staateukunde beschränken und für alles
übrige tritt die BeschreibuDg ein. Dies gilt namentlich f&r
Karten neu entdeckter und daher nur strichweise bekannter
Gegenden, also anch für das Kongogebiet beziehungsweise Centntl-
afrika. Es ist daher die kartographische Darstellung anderer
Gegenstände als der oben angedeuteten eine sehr mfrsliche
Sache; sieht man z. B. die geologisclicn Karten von Westafrika
(Lenz) oder Ostafrika (Thomson) an, so sind darauf Strecken mit
bezeichnender Farbe versehen, die überhaupt kein Europaer gesehen
hat, es ist vielleicht nur ein Reisender in der Entfernung v(in
einigen hundert km vorbeigegangen; umgekehrt konnnen wirklieb
erforschte Gebiete auf solchen Karten in so kleinem Malsstabe zum
Ausdruck, daCs die Resultate mehr oder weniger verloren gehen.
In allen solchen Fällen, d. h. überall da, wo die Karte nicht mit
einer nach Lage der Sache zweifellosen Deutlichkeit und Richtigkeit
spricht, beginnt das Gebiet der schriftlichen Darstellung; was dort
angedeutet ist, führt sie aus und besonders in Fragen zweifelhafter
Art kann sie mit den Nüancen ihres Ausdrucks die Wahrheit wenn
nicht treffen, so doch ihr so nalie wie möglich kommen. Und das
ist ja der /weck der Wissenschaft.
Indem wir im folgenden bestrebt sein werden, dem eben
prinzipiell erörterten Unterschied zwischen Karte und Abhandlnnir
gerecht zu werden, gliedern wir den Inhalt des Kapitels ,tDas
'KwgoUmd und aeitie Nakar" in eine Anzahl Unterabteilungen.
Diese sind: 1) Ausdehnung und Begrenzung, 2) architektonischer
Aufbau (Reliefbildung), 3) geologische Zusammensetzung, 4) allgemeine
Oberflflchenbeschaffenheit oder Landschaftskunde, 5) meteorologisch-
uatur w i sse usch af tl i ch e Spezialitäten.
Was die äufseren Verhältnisse des Kongostroni^ebietes an-
belan^'t, so ist nur soviel sicher, dals es ein kolossales, rings von
Anhölien eingeschlossenes Biunenbecken ist, das durch eine schmale
gewundene Spalte mit dem Ocean in Verbindung steht, die Atts-
dehmmg und Begrenzung selbst sind zur Zeit noch völlig problematisch,
bedingen sich daher gegenseitig; besonders je nachdem man die
zur Zeit absolut unklare Nordgrenze annimmt, mfissen die Raum-
zahlen betrachtliche Schwankungen erleiden. Nach Friederichsen,
der in seiner Karte von Centraiafrika das äusserste Maximum dar-
stellt, beträgt der gröfste nordsüdliche Durchmesser des Kongobeckens
Digitized by Googl
12B —
21 Breitengrade, also rund 2360 km, gleich der Entfernnng von
Frankfurt a. M. nach dem Nordkap oder von New-Orleans nach dem
Winnipegsee, also weitmehr als das Luftmafs des Bfississipi)!. Der
grOfste westOstliche Durchmesser gerade durch über dem 6^ s. Br.
gemessen, triebt 22 Lftngengrade, also reichlich 2U00 km. Daraus würde
ein Flächeninhalt von mehr als 4 (KK) 000 qkm oder die beinahe acht-
fache Gröfse des deutschen Reiches resultieren, eine Zahl, die mit
Hinzurechnung kleiner Nachhargebiete auch von den Vertretern
der Kongogesellschaft aufgestellt wurde. Nach einer älteren,
von Aug. Peterniann angestellten planimetrischen Berechnung
betragt das Areal des Kongogebiets 59100 Quadratmeilen oder
rund 3260000 qkm, von dem der Kongofreistaat nach den
Berechnungen des Geometers B. Trognitss vom deutschen Beich
1 633 100, von Belgien und Frankreich 2074 100 qkm anerkannt er-
halten hat, also ganz bedeutende Lftnderstrecken, die der Wahr-
scheinlichkeit nach zum gröfsten Teil aus gut bewässciteiii, der
Agrikultur zugänglichem l>oden bestehen. Die Grenzen des Kongo-
stromgebietes sind im Süden mit genügender, im Osten mit teilweise
genügender Sicherheit festgestellt. In letzterer Richtung sind haupt-
sächlich zwei Punkte klarzustellen, von denen der eine den Tanganika,
der andere den Luta-Nzige betrifft. Nach der allgemeinen Annahme
steht ja der Tanganika mit dem Lualaba-Kongo durch den Lukuga
in Verbindung. Aber mit diesem Flusse hat es doch eine eigne
Bewandtnis. Zunächst ist sein Flufelauf nur eine Strecke weit verfolgt,
seine Mündung in den Kongo aber nicht konstatiert Stanley zwei-
felte seiner Zeit an der Möglichkeit, dafs der Lukuga, wie der Ent-
decker Cameron wollte, ein Abtiuls des Tanganika sei, Thomson
dagegen verfolgte das Gewäs.scu* weiter und konnte sehen, wie es
sich we^twnrts durch ein allmählich vertieftes und gekrümmtes Thal
hinwindet, bis es seineu Lauf durch eine grofse Ebeue fortzusetzeu
schien; nach den Aussagen der Finieborenen soll es von Aquilonda aus
viel langsamer lliefsen, sich verbreitern und sogar seeartige Buchten
bilden. Noch merkwürdiger wird die Sachlage, wenn man die
Mitteilungen des letzten Reisenden am Lukuga, des Belgiers Sturms,
beracksichtigt. Dieser konstatierte am 16. Juli 1888, dafs an der
Mündung des Flusses die Wasser des Sees sich auf eine Breite
von 1000 bis 1500 m zurückgezogen hal>en. Der Lukuga .^elbst
hat am Ufer etwa die l^reite von 1500 bis 20CHj m; diese nimmt
aber rasch ab und betragt 4 km vom See nur noch -100 km ; erst
au dieser Stelle wird die Strömung nach deui Kongo hin i>emerkbar.
Noch weiter westwärts ist der Flufs nur 200 m breit, hat ein tief
eingegrabenes Bett und bildet nach eingezogenen Erkundigungen
Digiii^L-G üy Google
— 126 —
Stromschnellen. Soweit die Berichte Storms. Nach alledem
hat man es vielleicht hier mit einer Bifurkation zu thnn and
es ist wahrscheinlich, dafs der Tanganika nur in mittelbarer
Welse mit dem Kongobecken zusammenhani^'t, also strenggenommen
nicht dazu ^^ehört. Damit wird denn auch die Zugehörii^lieit des
Luta-Nzige hinfallig, denn dieser steht niödicherweise durch einen
Wasserarm, den hisher niemand gt^seheu hat, mit dem Tanganika-
see in Yerbill^lunl,^ möglicherweise aber auch nicht, ein anderer
Zusammenhang mit dem Kongobecken ist aber nicht nachweisbar.
Zur Nordgrenze übergehend, gelaniren wir auf ein (iebiet,
auf dem die Hypothesen wuchern. Da ist zuerst die Ueile-
frage zu erw&hnen. Leute wie Schweinfürth und Juncker, weldie
an dem fraglichen Flusse waren, haben sich dahin geäufsert, dafs
der Uälle nicht zum Stromsystem des Kongo gehdrt, Nachtigai war
der Meinung, dafs er den Oberlauf des Schari darstellt: andere wie
Chavanne verbanden ihn schon vor Stanlevs Fahrt 1883 mit dem
damals Ariiwimi genannten Ubingi : da seitdem keinerlei neues Mate-
rial zur Entscheidung der Sache gewonnen ist, so lie-^t keine Ver-
anlassung vor die Meinung zu ändern, welclie wir im zweiten Hefte
des Jahrgangs 1884 der Geographischen Blatter äufserten; man miifs
auch heute noch sagen: non liquet. Da£s der Uelle der Oberlauf
des Ubingi sein kann, ist möglich, da hn allgemeinen das Terrain
des Ü6ilequellgebietes höher liegt als der Kongokuf, denn dort findet
man Höhen von 700 and mehr m, der Kongo dagegen befindet
sich unterhalb der Stanley-Falle in einer Meereshöhe von 450 m, aber
da zwischen den beiden bekannten Punkten immer noch ein Raum
von gut zwei Breitengraden oder 225 km unerforscht ist. und in
der Entwickelung von Flurssystemen oft eine trerinire Anhöhe strom-
ablenkend wirken kann, so liegt kein zwingender (irund für jene
Uelle-Ubingi-Hypothese vor. Überhaupt möchten wir diese Gelegen-
heit benutzen, um uns gegen die bei manchen Kartographen vor-
handene Neigung zu punktierten, also hypothetischen Flulslaufen zu
äufsern. Die Hypothese kann ja in wissenschaftlichen Dingen nicht
entbehrt werden, aber man mufs sie mit Vorsicht und nur auf der
Basis zwingender GrOnde anwenden; ebenso wfthlerisch mufe man
sich hinsichtlich der durch blofse Erkundigung gewonnenen Berichte
verhalten. In beiden Beziehungen geht z. B. Friederichsen auf seiner
mehrfach erwaiinten Karte von Centralafrika entschieden über das er-
laubte Mafs hinaus; er hat das ganze System der nönllichen Zutiüsse mit
punktierten Linien ausgezeiclinet; er verbindet z. B. den Ngala mit dem
Mbomo, der nach den bislierigen Karten zum Uelle gehört, obgleich
die bekannten Teile derselben mindestens 4ö0 km von einander ent-
Oigitized by Google
— 127 —
fernt sind. Uns scheint, dafs mit solchen willkürlichen Phantasie-
gebilden niemandem gedient ist, wir halten es im Gegenteil fttr
besser, auf derartigen Karten inöj;lichst alle Hypothesen auszu-
schliefseii, damit das erforschte Gebiet von dem völlig unbekannten
oder durch Frkundijrungen bekannt «rewordeiien Distrikten sich klar
und deutlich abhebt; da^ entgegengesetzte Verfahren kann nur ver-
wirrend wirken.
Weniger problematisch als mit der Begrenziing des Kongo-
beckens steht es mit dessen archüektomschem Aufbau^ soweit
es sieh um den Grundrifs handelt, denn die Einzelheiten zeigen
begreiflidierweise noch grofse Lücken. * Wie schon der hftufig
gebrauchte Name andeutet, ist das ganze Gebiet in der That
ein riesijsfes Becken fast quadratischer Form, dessen Rftnder im Durch-
schnitt KJOÜ — 15CX)ni über den Meeresspiegel gehoben, in dem Ober-
tiächenbau des centralen Afrika sich vor-jezeichnet finden. Dies
ist bekanntlich ein grofses Pbiteau von HOO m Mittelhöbe, dessen
äiifsere dem Meere genäherte I hinken im Laufe der Zeit Gebirgs-
formen annahmen und mit einem ungebirgigen, teils Hachen,
teils hügeligen Yorlande versehen wurden. Der etwa 850 km breite
Westrand des Plateaus, das sogenannte westafrikanische Schiefer-
gebirge, über dessen orographischen Bau wir besonders durch
£. Pechuel-Loesche aufgeklart worden sind, entspricht dem Typus
der Faltengebirge, wie sie sich an den Grenzen der Kontinente auch
anderwärts linden, z. B. die Alleghanies iu Nordamerika. In den
Bildungsprozefs fler Osttlanke haben die vulkanischen Kriifte einge-
griffen, denn wie bekannt zieht von Abessinien nach Sflden zum
Njassa eine vulkanische Spalte und dir in deren GefolLre auftretenden
Störungen haben diesem Gebiete eine gröfsere Unregelmiiisigkeit
und Mannigfaltigkeit verliehen; sie haben den ursprünglichen Plateau-
rand nicht nur in disharmonischer Weise zerrissen, sondern ihn
auch stellenweise zu grdfserer Höhe emporgehoben und das ihre zu
der Bildung der grofsen, jetzt seebedeckten Spalten beigetragen.
Der Südrand des Kongobeckens besteht im Westen aus einer er-
höhten Plateanwölbung, wie man sie z. B. in Europa zwischen Böhmen
und Mähren findet; interessant ist hier der Umstand, dafs zur
Regenzeit ein Teil der Wasserscheide zwischen dem Kontio und dem
Zambesi eine überschwemmte Fhlrlie biblet. von der einijj;c Kinn-
sale nach Norden, andere nach Öüden Hielten. Weiter iiit Osten
am Bangweolosee macht der Grenzwall des Kongobeckens den Ein-
druck eines Gebirges. Was den Nordrand anbelangt, so scheinen hier,
wenn man Vermutungen aufstellen darf, ahnliche Verhältnisse wie an
derSfldgrenze vorzuliegen. Die BinnenÜ&che, also das eigentliche
Digitized by Google
— 128 —
Kongobecken, hat im Gebiete der sttdlichen Nebenllflsse wenigstens ein
durchaus gleichartiges Gepräge; sie ist in deren Quellgebiet ziemlich
mannigfaltig, da die fl&cherartig ausgebreiteten Urspmngsbftche das
Terrain zu högelitren beziehungsweise bergijren Erhebungen unregel-
mäfsi^^cr Form miigestaltet haben; weitor nordwärts, wo die einzelnen
Haujttnehenflüsse ihre Individualität nusLropragter zeigen, tritt jene
(ileic'hnu\fsiirkpit iiniie^torttT zu TaLTO. Durch die im L%'inzen süd-
nördlich verlautenden Flüsse ist nämlich die ^auze Fläche in eine
Anzahl langer, schmaler, schwach gewölbter Plateaus geteilt, die
von Westen nach Osten sich in ermüdender Kintönigkeit wiederholen.
Diesen Charakter tr> clas Plateau nach M. Buchner schon in der
Nahe von Malange; in steter Reihenfolge, sagt er, erheben sich
flache Plateaukurven, deren Sehnen 500 und deren Abscissen 20 m
betragen, Aber die Horizontale, d. b. jeden halben Kilometer treffen
wir auf einen Bach, der ungefähr 20 m eingegraben ist. Die grofscn
Flüsse haben natürlich tiefere Furchen — zwischen 50— 1(X) ni —
in das riatcMii eingerissen, aber auch hier sind die Niveauunter-
schiede nicht beträchtlich und die Form der schwaclien Wölbung
kehrt wieder. Das beweisen z. B. Wissmanns Höhenniessungeu.
Danach liegt die Übergangsstelle der Kxpeditiou über den Kassai
etwa 520 m, diejenige ttber den Lubi 470 m über dem Meere. Die
grdfste dazwischen gelegene Erhebung beträgt 820 m (Kinga Lun^).
Da nun beide Flufspassagen etwa 200 km von einander entlernt sind,
so kommt hier im Durchschnitt auf 200 km Weg eine Erhebung von
300 — 350 m, auf den km 3 — 4 m, also eine Steigung, wie sie in
jeder Tiefebene vorhanden ist. Die Hereisung des Südkou^oplateaus
würde demnach rücksichtlich der Höhen Verhältnisse keine Schwierig-
keiten darbieten, wenn es el)L-n nicht von Siulen nacli Norden von
zahllosen Rinnsalen und deren TributÄreu durchzo^»en wäre, die
zwischen dem Kassai und Lubi sämtlich schluchtenartig mit steilen
Wauden 40—60 m tief in die Fläche eingerissen sind. Die
Absenkung derselben von Süden nach Norden scheint übrigens
in ziemlich gleichmäfsiger Weise zu erfolgen. Während die
Wassen^cheide zwischen den KongozuÜflssen und dem Quellgebiet
des Zambesi etwa 1440 m über dem Meere lient, befindet sich der
Spiegel der ersteren zwischen dem 6. und 7 ^' s. Br. in einer zwischen
4(H) und r)r)0 m scliwankcndcn Höhe, so der Kuan^M> hei 6" 30 in
40ti m, der Kassai in 520, der Lubi 470, der Lnbilasch 5C)7 ni;
dazn stimmt auch die Lage dos allerdings ein gutes Stück nörd-
licher gelegenen Njangwe, o3() m. Wenn mau nun bedenkt, dafs
jene Wasserscheide im Durchschnitt bei 12** liegt und als Mittel-
höhe der Flufespiegel bei 6 ^ 450 m annimmt, so betr> die Ab-
Digitized by Google
— 129 —
dachiing auf 6 Breiteimraden oder rund 670 km etwa iOüi) m oder
da die Tieferlegung des Niveaus ziemlich gleichinäfsig erfolgt, nicht
ganz 2 ni auf KXK) m, eine für ein nicht gebirgiges Land durchaus
minimale Niveaudifterenz. Eine, etwas genauere Vorstellung von
diesen Verhältnissen gewinnt man bei der Durchsiebt der Höhen-
messnngen Wifsmanns, die bei Gelegenheit des fast direkten Kord-
marsches der Expedition von Kimbundo nach Kikassa gewonnen
wurden. Von Kimbundu 10 ° s. Br. und 1230 m hoch bis Kassange
am unteren Tsclukapa, 7 ^ 10' und 640 ui hoch, wird fast jede
folgende Messunir niedriger als die vorhergehende und wo wirklich
einmal nach Norden zu ein Anstieg erfoli^t, handelt es sich um
hüclistens 20 m; die südnördliche Ahdachung des Südkongoplateaus
dem Tschikapa entlang hetragt also kaum 2 m auf lUüO m. In
Wirklichkeit ist freilich das Land nicht so eben, wie es nach dem
Gesagten scheinen könnte; dafür wird es von zu vielen Rinnsalen
verschiedenster Gröfse, vom schmalen Bach bis zum 1000 m breiten
Strome, durchzogen. Das Land der Tasselange zwischen dem Eassai
und Lnlua z. B. ist eine wellig koupierte Ebene. „Manche Gegend**,
sagt Toggc, ^uuichte iih als echter Flachländer hergig nennen, so
tief liegen die Mulden mit ihren tief eingefurchten Bftchen, welche
die ebenen Plateaus von einander scheiden." Eigentliche Berge
gieht es demgeniüfs nicht: wo derartige (Jebilde vorkommen, kann
es sich immer nur um kieine, isolierte Piateauteile handeln; eineu
solchen von etwa 100 m relativer Höhe traf Pogge auf der Rück-
reise und genols von da eine gute Aussicht auf die vorliegende
Ebene mit ihren Kampinen, Wäldern, zahlreichen Ölpalmen und
Dörfern. FUr Seenbildung ist ein Gebiet von der eben geschilderten
Beschaffenheit nicht geeignet ; daher haben sich auch die Erzfthlungen
von grofsen Wasserbecken als Mythen erwiesen.
Nach allem was man über das Südkongolaml weifs, mufs man
annehmen, dafs die Keliefhihhmg vom Kuango bis zum Lomami, dem
östlichen gröfseren Nebentlufs, ungefähr dicNtlbe bleibt; so sagt z. B.
auch Cameron von deu Zuflüssen des letzteren, dafs sich ein jeder
ein enges, tiefes Bett in dem fast ebenen IMateau ausgehöhlt hat
und noch südlich von Kiluilui bei 9 bis 10® s. Br. marschierte er
durch eine Beihe vollkommen ebener Flachen. Östlich von Lomami
bis zum Westrand des Tangantka aber nimmt das Land eine andere
Gestalt an; es wird felsig, hügelig, ja bergig und unischliefst eine
Anzahl gröfserer und kleinerer Seebecken. Thomson beschreibt
zwar das Gebiet südlich von Lukuga als eine weite Kbene, aber
nördlich von dem Flusse kommt Manjema mit seinen wild zer-
klüfteten, doch niedi'igeu Grauitgebirgen und fortwalirend weckioluder
Digiiized by Google
— 130 —
Sceuerie; dies ist das landschaftlich schönste Laud, das Wilämanu
iu Afrika sah.
Die Bescliafteuheit des Nordkongolandes ist auf der Strecke
von Njangwe bis an den Äquator völlig unbekannt, da hier eine Land-
reise niemals ausgeführt wurde. Was dagegen die durch Brasza
tmd seine Leute erforschte Wasserscheide zwischen dem Kongo und
dem Ogowe anbelangt, so hat auch diese die Form eines Plateaas,
das zwischen 600 und 800 m hoch, von den zahlreichen radial ab-
strömenden Gewässern in mannigfaltiger Weise nmgebildet ist.
So sind die Höhenverhältnisse des Kongobeckens im Vergleich
zu seinen Längen- und Breitendiniensionen geringfügig. Dasselbe
gilt von den Niveauunterschieden in unmittelbarer Nähe des Haupt-
stromes selbst. Dieser, mehr als 4000 km lang und in der Breite
zwischen 450 und 16000 m wechselnd, entspringt als Tschambesi in
einer Höhe von 1B20 m. Stufenweise, bald einen See bald Strom-
schnellen bildend, legt er seinen Spiegel niedriger. Diese Absätze
werden durch den Bangweolosee 1125 m, MoSrosee 1090 m, Njangwe
530 m, die Stanley-Fälle an deren Nordende 450 m und Stanley-Pool
263 m bezeichnet Am auffallendsten ist die geringe Niveandifferenz
zwischen den zwei letzten Punkten, nümlich kaum 200 m auf einer Strecke
von 1700 km, woraus die Neigung des Stromes, sich seeartig aus-
zul>reiten und zahllose In.seln einzuschliefseu, zu erklären ist. Ob
das Bett des Kontjo duich den Bau der Oberfläche irgendwie vor-
gezeiehnet oder auch rnu* angedeutet war, ist eine Frage, zu deren
sicherer Beantwortung es zur Zeit an genügendem Beobachtungs-
material fehlt. Nach dem gegenwärtigen Stande der Sache muls
man sie verneinen ; die gesamte, durch die riesigen Becken erzeugte
Wassermasse suchte vielmehr die rehitiv niedrigste Stelle des centralen
Plateaus und grub sich eine Bahn bis zu der Stelle, wo es ihr gelang,
in vielfach gewundenem Laufe sich durch die Köpfe der Wälle
des westafrikanischen Schiefergebirues hindurchzuzwängen und das
ursprüngliche Niveau des Bettes nach und nach tiefer bis zu seiner
jetzigen Stelle zu verlegen. Krosionsthäler sind aber nicht nur die
verschiedenen Abteilungen des Hauptstromes, sondern auch die Betten
der Nebenströme, die demgemäls sämtlich das üefere Niveau mit
Hälfe von Stromschnellen gewinnen.
Diese Bemerkung führt uns zu der geolagisckm Bildung und
Ge8teinMU8ammensäjmn0 des Kongobeckens. Obwohl die darftber
beobachteten Thatsachen nur sehr spärlidi sind, wird es dodi ge-
lingen, eine allgemeine Vorstellung von der Entstehungsweise dieses
Gebietes zu gewinnen, wenn man zunächst das ganze Zentralalirika
iuü Auge fafst und die von Lenz, Pechuel-Loesche, Thomson u. a.
Digiiized by Google
— 131
gemachten Beobachtungeu kombiniert. Danach besteht Centrai-
afrika aus einer un<^eheuren, an den Rändern teils gefalteten, teils
aufgestfllpten und vulkaDisch gestörten Urgesteinsscholle von Granit,
Gneis nnd Thonschiefer. An die aalaeren Ränder dieser plumpen
Masse brandete noch in der sdoindftren Epoche das Meer. In der
tertiären Zeit bildeten sich an den beiderseitigen Kasten Ablage-
rungen nnd schufen den in Breite schwankenden HOgelsaum, welcher
gegenwärtig zwischen die Küsten und die Basis der ursprünglichen
Handerhebungen eingeschaltet ist. Das vvestafrikanische Gebirge
zerfallt nach Pechuel-Loesche in zwei verschieden gebaute Abtei-
lungen : die westliche, in welcher die Schichten unter Winkeln von
20 — 45 Grad nadi SW. einfallen und von SO. nach NW. streichen,
reicht bis in die Nähe der Station Manjanga: in der östlichen sind
die Schichten horizontal gelagert Was die Gesteinaarten anbelangt,
so folgen in der Richtung von W. nach 0. teils aufeinander, teils
wechsellagemd Glimmerschiefer, quarzitische Sandsteine und Gneis
bis Isangila, von da jenseits des den Flufs durchsetzenden GrQnstein-
riifs graue und rötliche Thonschiefer und quarzitische Sandsteine
bis Stanley-Pool ; das wasserscheidende Plateau zwischen dem Kongo und
dem Ogowe besteht aus Granit. Im östlicheu Centraiafrika erscheinen
nach Thomson an der Basis des Hochlanrles rote kalkhaltige Sand-
steine» Schieferthone, Kalk und Kohlen.schichten, die wegen des Mangels
an Fossilien schwer bestimmbar sind ; die Basis des Hochlandes selbst
zeigt einen Wechsel der Gresteine; die zerklüfteten Böschungen be-
stehen aus Glimmerschiefer und Hornblende; weiterhin tritt Granit
auf, der an vielen Stellen von vulkanischen Gängen durchbrochen
ist. Der Tanganika liegt teils in Sandstein, teils in Thonschiefer;
westlich davon folgt dunkelroter Sandstein. Dieser ruht an manchen
Stellen auf Granit, welcher an vielen Orten infolge der Wegspühuig
des Sandsteins zu Tage tritt. Letzterer ist nach Thomsons Meinung
in thu'Mi groiseu Binnenmeere entstanden, welches das ganze Kongo-
gebiot, vom Tanganika bis zum westatrikaiiischen Schiefergebirge
eingenommen haben muTs. „Wahrscheinlich'^, sagt Thomson, «ist
dieses grofee Becken eine Aushöhlung in dem ursprünglichen See-
bette gewesen und bei der Erbebung des Festlandes als groCser
Salzsee zurQckgeblieben. DaTs es ursprflnglich ein Salzwasser ge-
wesen, scheint die Thatsache nachzuweisen, dafs viele Muscheln am
Tanganikasee einen entschiedenen Meerestypus haben.'*
Die Beobachtungen über die Gesteinszusammensetzung des
Binnenplateaus sind lückenhaft: soweit sie vorhanden sind, legen sie
den Schlufs nahe, dafs die (irundlaize des (ianzen granitisch ist.
Von Maiijema z. B. sagt Wifsmanu, dais liier niedrige Grauitgebirge
Digiiized by Google
— 182 —
Ulis den Tlions<hieferlatren von Tun^anika hervorragen; Poir.^e kon-
statiert am Lonianii das Vorhandensein von Granit, im Luluai:ebiet
haben sich die Bäche bis auf die ^Granitsohle" einiresclinitten : aiuh
Cameron stiefs anf seiner Reise im südliclien Iv(»nLrnt:e])iet in
deu Flufseinschnitten auf Granit ; dasselbe bestätigt Büchner, iudem
er sagt, dafs, wenn sich die Wasserl&ufe nnprewöhulich tief ein-
gegraben haben, man an ihren Ufern Granit, Gneis und anderes
Urgestein trifft Auch die Bemerkung Bnehners, dafs das tod ihm
besuchte Gebiet durch eine aufserordentliche Armut an Ver-
steinerungen sich auszeichnet, wurde von anderen Reisenden lllr
die betreffenden Gebiete bestätigt.
Obgleich nun das ei trentliche Koni?obecken fast ausschliefslich
aus allen Gesteinen besteht, treten diese doch verhiUtnismäfsiir selten
sichtbar zu Taire, ein I nistand. der «lie j;e(dot?ische ErforscliuiiL^
sehr ersclnvert; ^sie siud vielmehr bis zu einer gewissen Tiefe zer-
setzt und das aus diesem Vorgang entstandene, die wirkliche Ober-
fläche fast des ganzen belcannten Kongogebietes ausmachende Pro-
dukt ist der Laterit Dieser rötliche Lehm, dessen Kenntnis haupl-
sachlich Pechnel-Loesche verdankt wird, ist die eigentliche Erdkrume
des Kongolandes; sie findet sich nicht nur anf den Binnenplateaos,
sondern auch gewisse Gebirgsrücken, besonders diejenigen an
Oebirgslauf des Kongo, bestehen an ihrer UberHilche last ausschliefs-
lich aus Laterit. Derselbe ist dalier nicht nui" beachtenswert für
eine etwaiire Kultur des (iehietes, sondern tritt auch im Charakter
der Landschaft so l)estimmend hervor, <lafs Pechuel-Loesche jeden-
falls mit Recht sagt: „Hot ist die vorherrschende Farbe des Bodens
im tropischen Afrika."
Digitized by Google
— 133 —
Die argentinische Provinz Buenos -Aires.
Von A. SeeUtraig.')
Grenzen und Flächeninhalt. Charakter des Landes. Flora und Fanna. Klima.
Bev4(1k«ning und Aanhl der Prenda». SMdte. Terkehmnittal. Vtrwaltnng. Neue
Hauptstadt. Schuleri. Industrie und Handel. Ackerbau. Viehzucht. Ausflug nach
dein Westen : Chivilcuy. Diligencia. Pulperia. Salto. Las Saladas. Koj&d. Grund
»eines Stillstande«. Vaqueano. Schafiacht Kindviehznoht. Pferdezucht. Asotea.
Lendepekeletionea. F^rtia. ClnÜftr. Oolonia Tiodolina. BliMillM^$ecd.
Die Provinz Biienos-Aires ist bei weitem die reichste und aus-
gedehnteste Tiovinz der Republik, sie übt einen entscheidenden
Einflufs auf die Geschicke des Landes aus; dieses Übergewicht hat
oft genug durdi ehrireiziges Streben nach der ausschliefslichen Führer-
schaft zu bhitigen Kontiikten, ja zum zeitweiligen Zerreilsen dea
staatlichen Verbandes geführt. Doch lassen wir die trübe Erinnerung
an Vorfälle, deren Wiederholung bei der jetzigen Lage 'der Ver-
hältnisse mit Fug und Recht als unmöglich bezeichnet werden kann.
DU Ormum dea Staaks sind im Kordosten der Parani, im
Osten das Atlantische Meer, im Süden der untere Lauf des Rio Negro
und im Westen eine unregelmäfsige Trace, welche zuerst von Arroyo
de! Medio, dann durch eine südwestlich laufende Linie und schliefslich
in grofser Aasdehnung durch den fünften Meridian westlich von
Buenos-Aires (OS*' 21' 33'' Greenw.) gebildet wird. Die auf solche
Weise umschriebene Oberfläche wird auf 310 307 qkin berechnet,
betragt also mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Reiches,
und kann ohne Zweifel eine verhaltnisinafsig ähnliche Volkszahl er-
nähren, da der bei weitem grdfsere Teil des Bodens sich fOr den
vorteilhaftesten Ackerhau eignet. Bis Jetzt freilich tragen die Er-
zeugnisse der Provinz vorwiegend den Charakter der Weidewirtschalt,
was leicht erklärlich durch die augenblicklich noch sehr sparsame
Bevölkerung, die nur 612000 Seelen betragt, und durch den flberreichen
Ertrag, welchen unter solclien Verhältnissen die Viehzucht gewährt.
Trotzdem liegt ihre Zukunft in der Entwickelung des Ackerbaues,
und gerade auf sie ist das geflügelte Wort des genialen Staatsmannes
Sarmiento anzuwenden: „die argentinische Republik wird gewaltig
dastehen, sobald das letzte Riad (wohlverstanden das halbwilde) aus
ihr verschwunden istt*
Das Land tragt im allgemeinen einen höchst gleichförmigen
Charakter, den einer weiten nur leise gewellten Ebene, die nach
^) Dieses Thema wurde von uoserem £hrenmitgliede Herrn Professor
S«ektrang in einem Vortrage bohandolt, wdohen derselbe am 19. Juni 1884 in
QBMter QaMUachaft bieU. Dtr Vortrag wurde uw, nim vervoUstiiidigt vad
woilar auigellUirft, aom Abdmek in nmerar Zeitiehrift von Harm Prot Seabtiang
freandliclMi aar Verfttgnng geatellL D. Red.
Ocegr. «Itter. Bremen. ISflOb 10
Digitized by Google
~ 134 —
Westen zu sich etwas starker zu undulieren beginnt An den Ufern
des Paranä bildet dieselbe einen etwa 20 m hohen, oft steilrechteo
Abhang (barranca), aenkt sich dann sadwftrta langsam zum Bio Salado
hinab, welcher in einer Reihe von verketteten Seen die Provinz von
Westen nach Osten durchstrSmt, dehnt sich hierauf ttber 160 km
weit als mit Lagunen durchsetzte Tiefebene hin, am in den Gebirgen
von Tandil, der Ventana (1000 m) und Carumalto eine plAtzlicfae
Unterbrechung zu finden, und begleitet schlieisliGh in nur mäfsiger
Erhebung die Ufer des Meeres bis zum schiffbaren Rio Negro. Die
SeekOste, welche sich in gewaltigem Bogen nach Osten hin aus-
baucht, ist niedrig, vou sandigeu Dünen bekrftnzt und gewahrt selbst
flach gehenden Schiffen nur au wenigen Stell eu Zugang.
Auch die Flora ist wenigstens insofern, als dieselbe den Charakter
der Landschaft bedingt, aufserordentlich gleichmftfsig. Ein dichter Gras-
wudis bedeckt die weit gedehnten Fhichen. Nur besteht derselbe
im Süden und Südwesten aus den harte«, aber höchst nahrhaften
Grasern der Panii>a (Pasto fuerte); während diese im Norden und
Nordosten unter dein Eiutiusse der stetig fortschreitenden Kultur
zarteren Krautern und üppigem Klee (Pasto tierno) Platz gemacht
haben, in diesen Itegioneo sind auch besoadei'e Disteln eigentümlich,
welche die hoher gelegenen Striche oft meilenweit bedecken. Die
Gegenden des harten Grases bringen eine unserer Kardendistel ähn-
liche PHauze hervor, und über dem Klee des Pasto tierno erheben
sich dichte Wälder des hohen Cardo asnal, dessen starke, holzige
Stengel und flockige Samenköpfe in der Ausstellung betrachtet werden
konnten. Die feuchten Niederungen aber sind erf&Ut von der buschigen
Ck>rtadera, einem schilfertigen Grase, und erhalten durch dessen
weifee Blütenfahnen ein oft höchst mehincholisches Aussehen. Nur
in den östlichen Marschen finden sich einige ausgedehnte doch niedrige
Waldungen von Chaflar, EspiniUo und Tata, und die sanften Hfigel-
wellen des Nordens sind gekrönt von einsamen Ombüs, die als
Landmarken weithin sichtbar die Flache beherrschen. Sämtliche
anderen Repräsentanten der Baumvegetation, wie Pappeln, Weiden,
Paraisos, Eucalyj)tus und die ganze Reihe der europäischen Fruclit-
bäume, sind lUiL^eptlanzt und im otienen Felde sichere Zeichen eines
in ihieiii Scliatteii verborgenen Hauses.
Ähnliches ist von der Fauna zu sagen. In den schiltigeu
Niederungen der weniger bevrdkerteu Regionen befinden sich noch
einige Jaguare und Pumas, und die Höhen des Südwestens sind oft
reich belebt von Guauakos, Straufsen und Rehen; doch dieses Tier-
leben zieht sich natürlich stets weiter vor der andringenden Zivili-
sation in die Pampa zurück. Auch die schmackhaften Muiitaä
Digiii^eu by Cookie
135 —
fOürteltiere) sowie die Martineta fein grofses Rebhuhn) finden sich
üur im Pasto fuerte, wahrend die Viscacha ihren Hohlenbau überall,
wo nur hoher, trockener Boden vorhandeD, aolegt und das kleinere
Rebhuhn (perdis) scheu ver den Thoren von Bnenos-Aires getroffen
wird. WasservSgel sind begreiflicherweise bei dem gro&en Reich-
tam an Seen zahlreich vertreten und beleben malerisch die weit-
gedehnten Lagunen, deren schilfiges oder sandbedecktes Ufer schon
von weitem erkennen läfst, ob ihr Inhalt trinkbar oder salzhaltig ist.
Doit tumniehi sich Scharen von Strandhluferu und Enten, Gänse
und Schwane durcWcreuzen die schimmelnde Flache in grofseu Ge-
schwadern, Störche schreiten gravitätisch am Ufer und bis an die
Brust am Wasser stehen schweigsame Löffelgänse oder rote Flamingos.
Überall verbreitet aber sind der wachsame Kiebitz und die niedliche
Lechuza (eine Tageule), ein kleiner Fuchs und der von den Schaf-
zflchtern gefhrchtete Geier (carancho). Alles Heerdenvieh dagegen,
auf welchem jetzt gerade der Reichtum der Provinz beruht« ist ebenso
so ausschließlich europftischen Ursprunges, als die Kulturgewächse
mit eimsiger Ausnahme etwa des türkischen Weizens. In wie grofe-
artiger Weise besonders das Rindvieh sich schon in den ersten Jahr-
hunderten vermehrt hatte, möge die ThatSiU-he beweisen, dufs im
Jahre 1654 der Rat von Buenos-Aires gezwungen war, die Milizen
der Umgegend zur Verteidigung der Stadt und ihrer Garten gegen
die verwilderten Herden aufzubieten. Eine Seuche n&mlich hatte
die schwarzen Sklaven, welclie dieselben hüteten, hinweggerafft und
da man den indianischen Knechten nicht traute, war das Hornvieh
einige Jahre lang ohne Aufsicht geblieben und bedrohte nun emstlifefa
die Pflanzungen der jungen Kolonie. Von jener Zeit ab wurden
regelmäfsige Erlaubnisscheine für das Töten von einigen Tausend
Stück wilden Viehs ausgestellt, deren Häute und Talg den einzigen
Ausfuhrartikel nach Europa bildeten, während das Fleisch einfach
den Füchsen und Geiern zur Speise überlassen wurde. Wie weit
diese Zustände sich geändert haben, wird sich im weitereu Verlauf
dieser Mitteilung ergeben.
Das KUma der Provinz ist gemafsigt und, trotz dereu grofser
Ausdehnung, an allen Punkten fast das gleiche, was wohl durch die
Nfthe des Meeres und die ebene Bodengestaltung begründet wird.
Katflrlich stOrmen infolgedessen auch die Winde mit gro&er Gewalt
darflber hin. Bei früherer Gelegenheit schilderte ich bereits den
kalten, regenbringenden Sfldoster und den gewaltigen, doch erfrischen-
den Pampero ; aber für gewöhnlich wölbt sich der Himmel heiterblau
über der grünen Fläche. Die mittlere Jahrestemperatur liegt zwischen
den Isothermen von 15° und 17° C. —
Digitized by Google
— 136 —
Unter so gfinstigen Witterangs- und BodenverhAltnisseQ nimmt es
eigentlich wunder, dafs die Provinz nicht wenigstens schon seit hundert
Jahren emen mächtigen Aufischwung genommen mid eine dichtere Bt- \
voVAerwn^ erlauj?t habe. Doch dieselben Ursachen, welche das Wachstum ,
der Hauptstadt verzöi^erten, wirkten auch auf dem ofteneu Lande. '
noch vermehrt durch die hiluti^eii und furchtbaren Kinfalle der In- \
dianer, die nicht selten bi< auf wenige Meilen von Buenos- Aires selbst |
gelangten. So betrug denn im Jahre 1744 die gesamte Land- I
bevölkerung nicht mehr als 60&4 Seelen und der Zensus des Vize-
kOnigs Geballos (1778) ergab nur das doppelte: 12 ^ KOpfe. Natürlich
beschrankte sich damals die Ausdehnung der spanischen Bfacht allein
auf die unmittelbaren Ufer des La Plata und Parani, und erstreckte
sich von dort kaum mehr als 8 — 10 Leguas ins Innere.
Auch während der Wirren der späteren Revolutionsperiode
wuchs die Bevölkerung nur sehr allmählich, so dafs man dieselbe
1823 auf etwa 75()(K) schätzen konnte und selbst im Juhre 1884
nicht mehr als 177 (HR) Seelen gefunden wurden, die fast sämtlich
im Norden des nur hundert und etliche Kilometer von Buenos-Aires
entfernten Kio Salado zusammengedrängt lebten. Doch von nun ab
begann ein grofsurtiges, stetes Wachstum, welches immer von neuem
die zo enge Fessel der Indianergrenzen sprengte und weiter nach
Südwesten hinausschob. Schon im Jahre 1869 worden 317000
Seelen gezahlt, und der letzte Zensus von 1881 weist sogar 612 000
nach, also in 12 Jahren eine Vermehrung der Volkszahl um 66 Prozent!
Das Verhältnis der Argentiner zu den Ausländern stellt sich
dabei wie 3:1; doch dürfen wir nicht aufser acht lassen, dafs
selbst so sorgfältig geleitete Zählungen, wie die letzte, an der unser
Landsmann Dr. Latzina einen hervorragenden Anteil nahm, stets
vou dem Grundsätze der Konstitution, welcher die dort von fiemden
Eltern geborenen Kinder für Argentiner erklärt, ausgehen müssen.
Würden im Gegenteil die Nachkommen der Nationalitat ihrer V&t»
ZQgeschrieben, so dürfte das Verhältnis sich höchst wahrscheinlich
wie 3 : 2, vielleicht sogar wie 1:1 gestalten. Im übrigen stehen
auch hier, was die Anzahl betrifft, die Italiener in erster Linie
(57000); ihnen folgen die Spanier (33000) und dann die Franzosen
(20 70Ü), wenn auch unter letzteren sich ausnehmend viele Basken
befinden, welche eigentlich ihren spanischen Vettern zugerechnet
werden müssen. In weitem Abstände finden wir dann die Engländer
mit 90(X) und die Deutschen sogar nur mit 15U0 Köpfen vertreten;
doch sind dieselben fast ausscblierslich Grolsgrundbesitzer, iaUeo
somit bedeutend mehr ins Gewicht.
Jenes vorhin erwähnte, periodische Verschieben der Indianer-
Digitized by Google^
— 137 —
grenze hat gegenwärtig sein Ziel erreicbt. Der letzte Schritt in
dieser Richtung war die Besetzung der Linie Bahia BlancarGuamini-
Italö, welche im Jahre 1876 durch den verdienstvollen Staatsmann
und Krie^'sminister Dr. Ahina in der Art j^^esichert wurde, dafs der
am meisten i^eliUirdete Teil mit einem 340 km langen Graben nebst
den entsprechenden Forts ausgerüstet wurde, vielleicht in Krinnenmg
an den römischen Pfahlgrabeu in Deutsehland. Der spatere Feldzng
des gegenwartigen Presidenten, (leneral Roca, beseitigte die ganze
ludiauergefahr, indem er die räuberischen Uordeu über den Rio Negro
hinausdrängte (1879), welcher jetzt von den argentinischen Truppen
bewacht wird. So dient denn der »Graben des Dr. Älmaf^ noch
als eine Art von Polizeikordon gegen die Marodeure der Pampa,
and die zahlreichen Fortines der letzten dreiHsig Jahre bilden ent»
weder die friedliche Behausung irgend eines Viehzüchters, oder sie
sind, pflnstig gelegen, zu Stadtchen herangewachsen, in welchen die
liindliclieu Behörden ihren Sitz haben und die oft schon durch die
Eisenbahn mit Buenos- Aires in Verbindung stehen.
Dergleichen Städte besitzt die Provinz 96 ; doch sind die meisten
nichts weniger als volkreich, da sie gewöhnlich blol's einige, allerdings
reich ausgestattete, Kaufläden, Kneipen und die für den landlichen
Bedarf arbeiteuden Handwerker beherbergen. So giebt es z. B. nur
eine Stadt von über 10000 Einwohnern, San Nicol^ am Parand
gelegen und günstiger Hafen zur direkten Verschiffung von Wollen
und Hftuten nach Europa. Die Seelenzahl yon ferneren sechs St&dten
erhebt sich über 5000 und andere 24 bleiben zwischen dieser Ziffer
und Die gesamte städtische Bevölkerung aber betragt nach
dem letzten Zensus 169 000 Köpfe, also etwas mehr als ein Drittel
der Volkszahl überhaupt.
Der Vrrkehr in der ausgedehnten, doch so sparsam bevölkerten
Provinz wird durch die ebene Bodengestaltung unendlich erleichtert,
da ja fast niemals ein ernsteres Terrainhin demis zu überwinden ist,
es sei denn ein Bach oder kleiner Flufs, welche häufige, gute
Führten und neuerdings auch zahlreiche meist eiserne Brücken (227)
leicht passierbar machen. In der letzten Zeit jedoch verursachen die
riesenhaften Einzäunungen des Grofsgrundbesitzes bedeutende Schwie^
rigkeiten, da ihretwegen die Wege oft nicht zu Gunsten des allge-
meinen Interesses verlegt werden, so dals der Mangel eines darauf
hinzielenden (iesetzes sehr fühlbar geworden ist.
Fünf Eisenstrafsen durchziehen das Land von Buenos-Aires aus.
Alle sind sehr solid gebaut und ihre grofse Spurweite von l.HH m
erleichtert den Gütertransport sehr beträchtlich. Die grofee Süd-
bahn, Eigentum einer englischen Gesellschaft^ geht direkt nach dem
Digiii^L.a üy Google
— 138 —
wichtigen Hafen von Bahia Bianca und beherrscht das ganze unjze-
heure Gebiet zwischen ihr und dem Meere, welches sie noch durch
eine Nebenlinie von Altamirano nach Tandil weiter erschliefst. Die
Westbahn, vom Staat-e selbst erbaut und bewirtschaftet, verbindet
die reichen westlichen Distrikte mit der Hauptstadt durch eine lange
Stammlinie bis zum Nueve de Julio, und zwei ZweigbahneiL, vob
denen die eine südlich nach Lobos führt, die andere aber sich nord-
wärts nach Pergamino vendet und schlieÜBlich das wichtige San
NicoUs erreicht. Zwei fernere Bahnen, nach Campana and nach
dem Tigre, erleichtem den Verkehr mit dem Parani, welcher sich
hauptsftchlieh nach diesen Flnfshäfen richtet Die Erstgenannte hat
kürzlich Erlaubnis erhalten, die ganze Strecke bis nach llosario
auszubauen (etwa 400 km); wir werden also bald auch eine Ufer-
bahn besitzen, was ohne Zweifel ein schönes Zeugnis für die Leb-
haftigkeit und Bedeuttmg des Verkehrs in dem niirtllichen Teile
der Provinz ablegt. Öchliefslich führt noch eine fünfte Linie von
Baenos-Aires nach der Ensenada und nach der neuen Provinzial-
hanptstadt La Plata; auch diese soll demnächst bis nach Magdalena
verlAngert werden. Femer ist noch die transandinische Bahn xn
erwähnen, welche von Mercedes, der Station an der Westbahn, aus-
gehend quer dnrch die Pampa nach Villa Mercedes, einem Haupt*
punkte der andinischen Bahn im Innern der Republik gebaut wird,
und die somit Mendoza und später auch Chile in direkte Verbindung
mit dem La Plata setzt.
Die Ausdehnung sämtlicher in Betrieb befindlicher Strecken |
betragt augenblicklich 1650 km, was mehr als ein Viertel aller
Eisenbahnen Argentiniens ausmacht (5600 km), und schon ist die
Erlaubnis zum Bau von ferneren 15CX) km an eine ausländische
Gesdlschaft erteilt
Was nun die Yerhindung der einzelnen Oampstädtchen mit
den Bahnstationen, von welchen viele schon selbst Städte geworden
sind, anbetrifft, so wird dieselbe durch Postkutschen (diligencias)
vermittelt. Es existieren zu diesem Behufe 25 grofse Privatuiiter-
nehmungen, welche über 262 Wagen und 11 000 Pferde gebieten.
Somit kommen mehr als 40 Zugtiere auf das Gefährt; doch ist
diese ungewöhnlich grofse Zahl dadurch erkLlrlich, dafs die Tiere
zum grofsen Teile einzig auf Grasfutter angewiesen sind, die Zug-
kraft also durch deren Menge erzielt werden mufs. Aulserdem über-
nehmen zahlreiche Karavanen von jenen riesenhaften zweirädrigen
Ochsenkarren, welche für Argentinien typisch geworden sind, den
Gütertransport von und nach den Eisenbahnen.
Über die Telegraphen endlich will ich nur anführen, dafe soltM
— Digitized-by-Googt^
— 139 —
ein Städtchen dieses mächtigen llebeis des geistigen und merkan-
tilen Verkehrs ermangelt, und dafs die Ausdehnung sämtlicher
Linien 5400 km betragt, also 40 Prozent des ganzen argentinischen
Netzes (13760 km) ausmacht.
Die VermUimg der Provinz liegt in den Händen eines Gou-
vemeors, der für drei Jahre vom Volke direkt gewählt wird, seine
beiden Minister aber oder besser seine Sekretäre nach Gutdünken
ernennt. Neben demselben stellt die ;;esctzgebende üewalt, aus zwei
Kammern zusammengesetzt, und der höchste Justizhof. Dieser dient
als lezte Instanz für die vier Gerichtsbezirke des Landes, deren jeder
einen Richter erster Instanz und ein Appellationstribunal besitzt.*)
Die städtischen Gemeinden verwalten sich selbst, und jeder Aus-
lander hat das Recht, für die Munizipalitätsämter zu wählen und
gewählt zu werden. Dagegen sind die 80 Distrikte (Partidos) des
offenen Landes Friedensrichtern untergestellt, welche von der Re-
gierung ernannt, wie die preulsischen Landrate einen mächtigen
politischen Einflufs ausüben. Ihnen ähnlich sind in dieser Beziehung
die Befehlshaber der Nationalgarde (comandante de campaiia), deren
Prototyp, der Direktor Rosas, seinen Namen mit blutigen Zügen in
die Geschichte geschrieben hat. Auch ihre Bestallung hängt vom
Gouverneur der Provinz ab; doch darf derselbe keine stehenden
Truppen unterhalten, sondern besitzt nur einige Bataillone gut dis-
ziplinierter Polizetsoldaten zur Aufrechterhaltung der dffentUchen
Ordnung.
Die Granduug der neuen HaitgptetaeH La FUUa wird mit vielem
Eifsr und Aufwand betrieben und ist nach dem Plane einer mächtigen
Weltstadt projektiert, welches Ideal sie jedoch kaum erreichen dOrfte.
Schon jetzt ist sie durch Zweigbahnen mit den grofsen Schlagadern
des offenen Laudes, der Süd- und We^tbahii, verbunden, und ein
grofsartiger Hafeu ist in der benachbarten Bucht der Eusenada in
Angriff genommen. Natürlich nmfsteu diese bedeutenden Ausgaben,
welche auf 80 Millionen Mark veranschlagt siud, durch eine besondere
Anleihe gedeckt werden; doch betrugen auch die gewölinlichen Ein-
nahmen der Provinz im Jahre 1883 31 Va Millionen Mark.
Um schliefslich einen Begriff vom Stande des üiUerrichtsweeens
zu geben, entnehme ich dem Zensus von 1881, dafs zu dieser Zeit
429 Schulen mit 629 Lehrern und Lehrerinnen existierten, welche
von 115 900 Scheuern beiderlei Geschlechts besucht wurden. Wahrlich
ein schönes Resultat, wenn wir uns die Schwierigkeiten vergegen-
*) Ein neuM giolMs Gcftagnis wird in der Sierra Baya bei Asnl errichtet,
da dae Mhere in Baenos-Ahrea sogleich mit der Stadt aeibet der National-
rtfpanuig äbgetraten wnrde.
Digitized by Google
— 140
wärtigen, welche für die Kinder der Laodbevöikeruug aus deo enormexi 1
Entfernungen entsprin;^en. I
Industrie und Handel tragen natürlich jetzt, nach Abtrennung
der früheren Hauptstadt, einen vorwie^jeiHl ländliclien Charakter,
und erstere beschäftigt sich hauptsächlich mit den Artikeln des !
eigenen Verbrauches. So finden wir denn an geeigneten PUUcen
grofee Banracas, Saladeros und Gerbereien, w&hrend MiUilen, Scifea-
siedereien, Destillationen u. a. ttber das ganze Gebiet zerstreut
sind. Auch zwanzig Dmckereien bestehen in jenen kleinen Land-
stadteben, deren geistiges Leben jedenfalls ein sehr rejres ist. da sie
aufser den grofsen Buenos-Aires- Blättern aus eigener Kraft nicht
weniger als 38 politisdie Zeitungen unterhalten. l>ie Intensität des
binnenländischen Handelsverkehrs wird durch die ansehnliche Zahl
von 5790 gröfseren untl kleineren Geschäftshäusern dargethan, und
die Filialen der reichen Provinzialbank sind in 14 der gröfseren
Stftdte geöfihet. Dagegen ist es schwer, den überseeischoi
Handel, an dem ja der Staat in so hervorragender Weise Teil
nimmt, zu überschauen, da derselbe hat aussdütefelich Uber Buenos-
Aires selbst erfolgt und somit In der Statistik dieser Stadt und der
Republik überhaupt eingeschlossen ist.
Ackerbau wird verhftltnisniäfsig wenig getrieben, so sehr j
auch im allgemeinen der Boden, welcher sämtliche Krzeuguisse '
der gemäfsigten Zone hervorbringt, ^ich dazu eignet. Doch
ist einesteils die Viehzucht noch übergenügend, die geringe Ein- |
wohnerzahl mühelos und reichlich zu ernähren, und dann fehlen '
auch noch die sehr bedeutenden Arbeitskräfte, welche im stände
wftren, nur die Hälfte der Provinz unter den Pflug zu bringen und |
zu erhalten. So sind denn gegenwartig allein die nächsten Um-
gebungen der Städte angebaut, auch bestehen nur zwei Kolonien,
die eine im Barradero am Parani von Schweizern bevölkert, and
die andere nicht weit von Azul in Olavarria, wo sich vor wenigen
Jahren eine Schar von Deutsch-Russen ansiedelte; doch beträut die ;
urbare Flache schon immerhin mehr als eine lialbe Million Hektaren
und liefert ein nicht geringes Kontingent zu den Cerealicn. welche
in der letzten Zeit . mit so gutem £rfolge aus der Republik nach
Europa verschilft wurden.
Die Viehmeht dagegen ist groDsartig entwickelt und bildet bei
weitem die vornehmste Industrie des Landes. Zahlen reden: nach
der Zahlung von 1881 besaüs die Provinz
4*/4 Millionen Stück Rindvieh,
2V5 „ „ Pferde und i
bVh n n Schafe
Digitized by Gp0gl£^
— 141 —
ohne (las andere Kleinvieh zu reclinen, und der Wert des gesamten
Viehstandes wurde auf 834'/3 Millionen Mark geschätzt.
Bei so euormem Beichtum au Herden ist natürlich nicht nur
das Vermögen, sondern atich das Leben der Landimvohner, welche
den weitaus gröfsten {*!») Teil der Bevölkerung bilden, völlig auf
der Viehzucht basiert; und so möge mich denn der Leser auf einem
Ausfluge nach dem Westen zu begleiten, der uns der Reihe nach
die yerachiedenen Wirtsehaltsarten vor Augen führen und zugleich
mit den Sitten des Volkes bekannt machen wird.
In wenigen Stunden führt uns die Westbahn nach Chivilcoy,
einem rührigen Stadtchen von 8LKX) Einwohnern, in dessen Uniiregend
ein ansehnlicher Weizenbau betrieben wird. Von hier aus müssen
wir die Diligencia nach Salto benutzen (Entfernung 72 km), unserer
ersten Etappe auf der Exkursion, und da noch eine Stunde Zeit ist,
wird in der nahen italienischen Fonda (Gasthaus) gefrühstückt. Ein
kleines, nicht sehr reinliches Honoratiorenzimmer empfängt uns, die
Speisen sind ein Gemisch von italienischer und spanischer Küche,
dodi der Wein trinkbar und der französische Kellner aufmerksam.
So folgen wir denn mit Widerstreben dem Mayoral (Kondukteur),
welcher uns zum Einsteigen auffordert, und dasselbe steigert sich
noch beim Anblick des Marterinstrumentes, das unserer harrt. Es
ist eine riesenhafte, sehr solid gebaute Postkutsche, unter deren
ehrwürdiger Schmutzkruste wir mit Mühe deu Namen „La Protegida
del Salto"* herauslasen. Acht magere, scheublickende Tiere sind
daran befestigt, in der Weise, dafs die vier mittleren zu zwei vor
einander gespannt, mit europäischem, wenn auch höchst grobem
Geschirr, an der Brust ziehen, während die vier Nebenpferde nur
enien breiten Gurt aus roher Haut (die cincha) tragen und durch
eine darin eingehakte Kette au dem Wagen befestigt sind. Auf dem
erhöhten Kutschersitz thront der Treiber, eine enorm lange Peitsche
und die acht Zügel in der Faust, neben ihm ist der Sitz des Mayorals
und darunter eine Art von Inijteriale mit Kaum für zwei bis drei
Passagiere, I)as Dach des Wagens trägt aufser dem Gejuick noch
mannigfache andere Güter: wir bemerken ein eisernes Bettgestell,
eine grofse Kaffeemühle, mehrere Sacke Kartoffeln, Spaten und was
sonst für Gegenstände im Auftrage der benachbarten Estanzieros
YOp Kondukteur mitgebracht worden sind. Darunter aber öffnet
sich der Eingang zum Ällerheiligsten. Auf zwei schmalen Bftnken
ist notdürftig Phitz für je drei Reisende, und da wir bestürzt beim
Anblick von sechs Insassen zurücktreten, bedeutet uns der Mayoral,
€8 wäre regiementsmafsig Platz für acht, im übrij^en möchten wir
schnell einsteigen, da die Zeit dränge. Schon ziehen auch die Pferde
Digitized by Google
I
— 142 —
an, wir fallen in die Arme und auf den Scholis unserer Leideas-
genoesen, schachteln ans auf irgend eine Weise zwischen dans^dbeB
ein nnd entdecken, dafs diese Verpackung höchst zweckmäfsig ist
bei den furchtbaren Stöfsen, welche nnser Fahrzeug jeden Augenblick j
in den tiefen Löchern des ausgefahrenen Weges empfängt und frei-
gebig mitteilt. Endlich sind wir aus den ewig langen Strafseii heraus,
welche dicht mit Baumen beptiauzt in rechtwinkliger Trare die
Obstgürten und Kleefelder der Stadt durchkreuzen, und nun geht
es auf breiterem Wege im Galopp über die weite Fläche, bald in
weitem Bogen über die kur^ Grasdecke hin, eine sompfige Stelle
umfahrend, bald haarscharf an den Eckpfosten vorbei in das TImmt
einer Einzftannng einbiegend. Gleichmfitig raucht der Kutscher die j
kurze Kalkpfeife (ist also jedenfalls ein Fremder) und ftthrt das
dampfende Gespann meisterhaft auf der nicht ungefilhrliehen Strafse :
uns aber hüllt bald eine dichte Staubwolke derart ein, dals wir trotz |
der Hitze sorglich die Fenster schliefscMi nnd nur höchst selten im i
Stande sind einen Heiter oder eine ängstlich fliehende Schafherde |
in den Staubwirbeln zu unterscheiden. i
Endlich hält das Gef&hrt vor einem Holzschuppen, in welchem i
acht frische Pferde zum wechseln bereit stehen. Unsere Tiere sind i
schweiisbedeckt, mit fliegenden Flanken und herausqnelleuden Augen I
angelangt; kaum abgeschirrt, wftlzen sie sich im Staube und trollen
dann langsam, aber sichtbar erfrischt, zur Weide ins offne Fdid,
wahrend der neue Posteug mit uns fortstürmt, als hinge ein Ver-
mögen an jeder verlorenen Minute. Doch plötzlich niäfsigt sich die
fliegende Hast, die Kutsche hält, und der langsam verwehende Staub
erlaubt uns, zuerst die Umrisse und dann die Gebäude eines statt-
lichen Gehöftes zu unterscheiden, welches umringt von einem Obst-
garten am Wege liegt. V,a ist eino Tulperia, ein Kramladen.
An der Giebelseita des zunächst befindlichen Hauses ist eine Art
oflene Laube angebracht, welche durch ein stark vergittertes Fenster
mit dem Laden in Verbindung steht Durch dieses werden alle
KleinverkAufe, besonders aber der Ausschank von Getrftnken ver-
mittelt nnd nur den Honoratioren ist der Eintritt in den eigentlichen
Geschäftsraum gestattet. So stehen denn auch einige gesatterte
Pferde an dem herumreichenden Drahtzaune und die Eigner lehnen
mit einem <ilase Branntwein oder Limonade an dem Fenster, währ<yid
ihnen Zucker und Yerba, Kerzen, Seife u. a. zugewogen werden.
An Festtagen entfaltet sich hier ein reges Leben; ist doch die
Pulperia der gesellige Mittelpunkt der Nachbarschaft. Dann sieht
man häufig fünfzig, ja hundert oft reich gezäumte Pferde im Schatten
der umstdienden Baume angebunden. Die Landleute im malerischen
Digitized by Google
— 143 —
Schmuck des Gaucho beobachten dicht gedrängt, docli in tiefem
Schweigen, die Wechselfälle eines Hahnenkanipfes, oder spielen lustig
scherzend ä la taba, wobei es darauf ankommt, den kleinen würfel-
ähnlichen Knochen aus dorn Hufj5:elenk eines Rindes i la taba) auf
acht bis zehn Schritt derartig zu werfen, dafs er aufrecht stehen
bleibt. Wetten von ziemlichem Betrage werden io beiden Spielea
gemacht ; doch der Eifer und das allgemeine Interesse erreichen den
Gipfdpnokt bei den häufigen Bennen, fUr welche fast jeder Pulpero
eine gut geebnete Bahn (cancha) unterhält Auf ihren besten Rossen
umringen die Zuschauer die kurze Strecke (selten mehr als 600 m),
am Ziel hftlt der Preisrichter, gewöhnlich eine obrigkeitliche Person
des ländlichen Bezirkes, bei welchem auch die Einsätze verlier
niedergelegt werden, und am Anfang der Bahn tummeln die halb-
nackten Keiler ihre uugesattelteu Keuner, indem sie dieselben durch
kurzes Ansprengen anzufeuern suchen und sich gegenseitig zum
Beginnen auflordeni. Eudlich ist der Eifer der Rosse aufs höchste
'^pstiegen, oder auch die gesetzlich erlaubte Zahl von 16 dieser
Partidas (Anläufe) erreicht, und mit lautem Zuruf fliegen die Reiter
oft Knie an Knie gedrängt dahin. Nun werden eifrig Wetten zu-
gerufen und angenommen, jubelnde aber auch zornige Schreie
erfOllen die Luft und der Richter fällt emstblickend sein Urteil, das
nicht selten wegen versuchten Betruges auf Wiederholung des Rennens
lautet. Natürlich ist unterdessen auch dem Anis und der Cana (der
Vorlauf vom Rum) oder dem feurigen spanischen Vina carlou eifrig
zugesprochen worden, und Wtahrend bei sinkender Nacht in einer
beoachbarteu üütte der Gato oder die Zamba getanzt wird, oder
eine Gruppe eifriger Zuhörer den Ges&ugen des Payador lauscht^
werden vor der Pulperia die Ereignisse des Tages immer erregter
besprochen, bis schließlich ein höhnendes Wort durch schweren
Schlag mit dem Peitschenstiel oder jähen Messerstofs beantwortet wird.
Doch kehren wir zurttck zu unserer Diligencia, deren M ayoral
unterdessen dem Pulpero Briefe und anderweitig Mitgebrachtes aus-
gehändigt hat, und treten in den reservierten Teil des Ladens, um
ein Glas kühles Bier zu trinken. Dort findet sich ziemlich alles
vereinigt, was den Bedürfnissen der Landbevölkerung entsi)richt oder
auch deren Phantasie reizen könnte, von Sattelzeug, Messern, Sicheln
und Eisendraht zu Zäunen bis zu Reis, Zwieback, Konserven und
Getränken aller Art, von Knöpfen, Nadeln, Kattunen und billigen
Schmucksachen bis zu Ponchos, seidenen Tflchem und Frauenkleidem
Mch der vorletzten Mode. Zu gleicher Zeit treibt der Besitzer,
noch einen schwunghaften Handel mit H&uten, Fellen, Wolle und
Getreide, weldie er den unbegQterten Nachbaren gegen Vorschnfis
Digitized by Google
— 144 —
von Geld und Waren abkiuft, und so ist es begreiflich, wie dergleiclien
Geschäfte oft einen sehr reichlichen Gewinn abwerfen, wenn auch
die einsame La^re manchmal Lehen und Eigentum des Pulpero in
nicht geringe Gefahr brin^^Mi mag.
Aber schon mahnt der Kondukteur zum Aufbruch und wir be-
nutzen die Icurze Frist« ehe dicke Staubwolken uns von neuem ein-
hüllen, h unsere Reisegefährten zu mustern. Zufonlerst sind da
drei Offiziere, welche zu ihrem Regiment an der Indianergrenze
gehen: sie haben die Platze der Imperiale eingenommen, tragen ein
burschikoses, stark an das Lagerleben erinnerndes Wesen zur Schan,
und zeichnen sich durch rote Hosen, glanzledeme Reitstiefel sowie
silberne Reitgerten aus. Ihre Unterhaltung dringt nicht zu uns;
doch verlieren wir schwerlich etwas daran. Im Innern das Wagens
haben wir zunächst zwei Ilandelsbeflissene aus Salto. Die bleiche
Farbe der runden Gewichter und der kurzgehaltene, diclitp Hart kenn-
zeichnet sie als Gallegos (Nordspauier); sie sprechen vom Preise der
Schnittwaren und rauchen unaufhörlich. Ihnen gegenüber sitzt ein
Manu in Landestracht, mit klugen, entschlossen blickendeu Augen
und langem schön gewelltem Barte. Er hAlt in rotseidenem Tuche
einen Eampfhahn auf dem Schofse und teilt uns mit, dafä er nach
Bojas gehe, wo es eine Wette Aber 10 000 Papierthaler (Jk 1600)
auszufechten gelte. Ein stattlicher Mann, ein Estanziero der Umgegend,
lehnt in der nächsten Ecke, trotz der Wärme eingehüllt in den P<»ncho
und den Hals gegen den Staub mit einem seidenen Tuche bedeckt,
neben ihm sein Töchterchen, von der man leider nur die dunklen
Augen unter dem schwarzen rebozo (leichtes Umschlagetucli) hervor-
blitzen sieht, während die zierliche üand unabl&ssig den Fächer be-
wegt. Eine korpulente Italienerin, von der weiter nichts zu sagen,
sowie ein Gefahrte und ich bilden den Rest der Passagiere, welche
s&rotlich bald wieder unter den heftigen Stöfsen des Wagens ver-
bunden mit der unleidlichen Hitze in die frdhere ergebene Apathie
versinken.
Noch zweimal werden die Pferde gewechselt; Nacht senkt sich
auf die Erde und der reichlich fallende Tau löscht den Staub soweit,
dafs es möglich wird, die Fenster zu öffnen und der erfrischenden
Kühle Zutritt zu gewähren. Da erizLlnzen endlich Lichter, Hecken
und Bäume huschen vorüber, Häuser drängen sich aneinander und
unter wütendem Hundegebell und den entsetzlicbon Klängen eines
verbogenen Hernes hftlt der Wagen triumphierenden Einzug in SaUo.
Wir steigen im wohlbekannten Hotel am Platze aus, erhalten ein
recht gutes Zimmer und schreiten sofort zur Reinigung unserer
Personen, die allerdings erst nach dreimaligem Waschen gelingt; hat
Digitized by Google
— 146 ~
doch der Staub eine dichte Kruste auf den Gesichtern gebildet und
Bart^ und Kopfhaar vollständig durchdrungen.
Auf dem Gange zum Speisezimmer bewundern wir noch das
gewandte Billardspiel einiger einfachen Landleute, nehmen dann
ein nicht übles Nachtessen ein und begeben uns sofort zur wohl-
verdienten Ruhe, weldier uns der Kondukteur leider behn Morgen-
i^iiiuen eiilreifst, da es gilt das 50 Kin. entfernte Rojas schon um
10 Uhr zu erreichen. Auf diese Weise sehen wir freilich wenig
von der Stadt Salto, die mit ihren 3800 Einwohnern in einem der
reichsten schafzüilitenden Distrikte der Provinz gelegen, wohl eines
längeren Besuches wert scheint. Wir bemerken auf der Plaza die
hübschen Blumenanlagen und eine stattliche Kirche, rasseln durch
die noch öden Strafsen, nehmen einen ferneren Passagier auf und
biegen dann beim Friedhofe vorbei links ab, um dem Ufer des
Fifl&chens zu folgen, welches hier durchaus nicht wie seine Brüder
langsam zwischen grünen Wiesen dahüiglettet, senden über eine
breite Kalkschwelle kecken Sprung (Salto) wagt und damit seinen
eignen Namen sowie den der Stadt selbst rechtfertigt. Bald erreichen
wir eine grofsartige Wassermühle „del Gliptodonte", so genannt
nach den riesigen Resten eines vorsündtlutlichen Gürteltieres, welches
hier gefunden wurde, überschreiten einen Nebenflufs auf eleganter,
eiserner Brücke und befinden uns endlich wieder auf dem offenen
Lande, welches sich hier in leichten Hügelwellen vor uns ausbreitet
Noch ruht der Tau auf den Grftsem, kein Staub belfistigt uns und
fröhlich galoppieren die Pferde in den frischen Morgen hinein. Ein
Trupp von acht riesenhaften Ochsenkarren lagert noch am Wege,
Die Treiber sind beschäftigt, ihre Tiere zu je sechs an die bunt-
bemalten, unbehülflichen Fahrzeuge zu schirren, welche mit Häuten
nach dem Salto und wohl zur Eisenbahn gehen, sie begrüfsen uns
freundlich. Wir aber fahren noch eine Weile durch hohe Distelfelder
daliiii, immer der Telegraphenleitung nach Rojas folgend, und halten
dami, um die Pferde zu wechseln, neben einem schloisartigen Gebäude^
welches hinter zierlichem Eisengitter und zwischen schattigen Bäumen
gar einladend und malerisch daliegt Wir sind auf der grofsen
Erimieia de las Saktdas, der reichen Familie der Dorrego gehörig,
wo auf 16 leguas (43200 ha) Land nicht weniger als 36000 Stück
Hornvieh weiden. Statt auf dem prächtigen Besitze ein Herren-
lehen zu führen, ziehen die Eigentümer es vor, im bequemeren
ßuenos-Aires zu hausen, und überlassen die Verwaltung den» Mayor-
domo, wenn ich nicht irre einem Deutschen.
Nur noch eine Station trennt uns vom Ziele der Fahrt. Schnell
passiereu wir den Kluis von neuem auf lauger Eisenbrücke, halten
Digitized by Google
— 146 —
einen Augenblick am Thore des Drahtzaiines, welcher Las Saladas
umgiebt uod schon taucht am Horizonte der schlanke Glockenturm
von 22q/<u auf, der meilenweit die Umgegend beherrscht. Ver-
Bcliiedene recht beschwerliche Meilen sind auch noch zu fiberwinden;
yor uns nftmlich dehnt sich eine weite mit zahlreichen Seen und
sumpfigen Teichen bedeckte Niedenmg (Cailada). Schnell genug ist
der Grund erreicht; doch nun beginnt eine schier endlose Reihe von
kritischen Situationen. Bald versinkt ein Rad bis zur Achse in
irgend einem schmutzigen Loche, das unbehülfliclie Gefährt mit
augenblicklichem Umschla^ieii briiiohend, bald geht es des härteren
Bodens wegen direkt durch eine nicht aüzutiefe Lagune und endlich
bleibt der Wagen zwischen den hohen Binsen einer sumpfigen Stelle
gar völlig stecken. Doch hier ist auch der Schluds unserer Leiden;
Tiere und Treiber arbeiten gleich kr&ftig, eine energische Drehung
nach rechts giebt den Vorderpferden festeren Boden unter die Hufe
und nun gehts im wilden Laufe die langsam ansteigende Anhdhe
hinauf, von welcher die GArten und Hftuser des Stidtchens herab-
winken. Bald halten die kein henden Gaule kotbespritzt vor der Fonda
und Don Estevan, ein stattlicher, eisf^rauer Baske, geleitet uns freund-
lich in unser reinliches Zimmer. Wir sind alte Bekannte seit der
schrecklichen Pest des gell)en Fiebers, welche Anfang des Jahres 1871
die Stadt Buenos-Aires verheerte. Damals unternahm ich von hier
aus einen fröhlichen Ritt von 44 leguas (220 km) nach den Tortugas,
einer Station an der Eisenbahn von Rosario nach Cördoba, um den
Sanitatskordon ssu umgehen ; Jetzt gilt es — mit Besug auf die Ent-
fernung — (46 leg.=2dO km) eine ähnliche Reise nach dem Fortin
Gaimsa, einem der Hauptpunkte der Stldgrense von Cördoba. Doch
ist allerdings inzwischen die Indianergefahr verschwunden, und jenes
Fort, welches damals noch nicht existierte, seitdem schou wieder der
Mittelpunkt eines friedlichen Städtchens geworden.
Don Estevan verspricht für die nötigen Pferde und Diener
zu sorgen, wir aber unternehmen einen Gang durch die Strafsen
von Rojas. Auch dieses bildete vor etwa 40 Jahren eine Haupt-
station der damaligen ludianergrenze ; bald entstand eine Ansiedlung
von kleinem Viehzüchtern, einigen Ackerbauern und Handelsleuten
unter dem Schutze seiner ein&chen Befestigungen und jetzt zahlt
der Ort 2300 Einwohner; doch wflrde er bei seiner günstigen Lage
viel bedeutender sein, wenn nicht der G'rofsgrundbesitz der Umgegend
seine Entfaltung hinderte, ein Loos, welches noch mancher jungen
Stadt der Provinz zu Feil wird. Die Regierung nilmlich bestimmt
zum Weichbilde eines neuen Städtchens gewöhnlich 4 Quadratleguas
(10 800 ha), welche ausschlielslich dem Ackerbau vorbehalten bleiben
Digitized by Google
— 147 —
und Terkault das entfernter gelegene Land ohne weitere Bedingangen,
so dafe es natflrlich znr Yiebzucht benutzt wird. ZerfiLllt dieses
nun in viele kleinere Parzellen von etwa Vi hii zn 3 oder vier
Quadratleguas, deren Eigentümer auf der Seholle leben 'nnd dabei
zu ansehnlichem Wohlstande gelangen, so entwickelt sich begreiflicher
Weise ein reger Verkehr in der Stadt selbst. Fällt aber, wie es
bei Kojas geschehen, durch spätere Ankäufe der weitaus gröfsere
Teil des umliegenden Distriktes in die Hände nur weniger Grofs-
grundbesitzer, welche ihre Estanzien durch Verwalter bewirtschaften
lassen und nicht nur deren Produkte im grofsen verkaufen, sondern
auch die Verbrauchsartikel direkt aus der Hauptstadt beziehen, so
liegt es auf der Hand, dafis der Zwischenhandel darunter leidet und
das Städtchen selbst stagniert, ja zurückgeht So befinden sich
denn auf den etwa 110 Qnadratleguas, welche zum natflrlichen Ver^
kehral>ezirk von Rojas geboren, 4 grofse Eetanzien mit nicht weniger
als 66 leguas Oberfläche, während der Rest unter 24 kleineren Be-
sitzern geteilt ist. Diese Zahl reicht natürlich nicht aus, um den
Handel und Wandel des Ortes in Schwung zu erhalten, während
auch die vier dem Ackerbau gewidmeten leguas wenig mehr als
das für den eigenen Verbrauch Hinreichende erzeugen, da bis jetzt
die weiten Transporte selbst den Verkauf des Weizens erschwerten.
Glücklicherweise ist Hoffnung auf baldige Änderung dieser Znst&nde,
wenigstens für Rojas vorhanden, da der Bau einer Eisenbahn von
dort nach dem 7 leguas (35 km) entfernten Pergamino schon dekretiert
ist,^) welches seinerseits seit Imrgm nicht nur mit dem nahen Hafen
S. Nicolas, sondern auch mit Bnenos-Aires in Verbindung steht
In Erwartung dieser besseren Zukunft liegt unterdessen das
Städtchen einsam und träumend da. Nur die nächsten um die Plaza
gelegenen lläuserblOcke sind regelmäfsig bebaut und der Fahrweg
zwischen ihnen, wenn auch nicht fjfepflastert, doch in gutem Stande
und mit aus Ziegeln geformten Hürgeräteigen versehen; doch darüber
hinaus beginnen Gartenmauern, Zäune und niedrige Lehmhütten, nur
an den Stralsenecken durch grüCsere Häuser unterbrochen, deren
aus Ziegeln und Lehm aufgeführte Wftnde des Bewurfes entbehren,
da Kalk und Sand teure Artikel sind, und die mit ihrem schmutzigen
Rotbraun trübe genug ausschanen. Der Platz selbst ist mit statt-
lichen Paraisobäumen umpflanzt, unter denen ein reinlich gehaltener
Weg und einige Bänke für die Möglichkeit einer abendlichen Pro-
menade si)re(')ien ; doch ist sein Inneres einfach mit Luzerne besät
and die in den argentinischen Städten unvermeidliche Unabhängigkeits-
*) Diese Strecke, sowie üire Verlftngsnutg naeh Janin, ist Mitdem tchon
aen V«rk«hr aberg«b«ii. Min 1885.
Digitized by Google
— 148 —
Säule gereicht ihm kaum zur Zierde. Um ihn reihen sich einige
hühsche Häuser, deren oft'ene Thüren den Einhlick auf freuDdliche
Gärten gewahren, ein hafsliches Gemeindehaus (Cahildo) und eiae
sehr schöne, geschmackvolle Kirche. Leider ist dieselbe aus Mangel
an Mitteln nicht vollendet, so dafs der Gottesdienst in einem schennen-
fthnlichen Gebftade abgehalten werden mnfa. Die Post- und Tele-
graphenstation, eine Apotheke, ein Kaffeebaus, mehre grölsere ond
kleinere Läden, sowie Werkstätten von Schneidern, Schreinern und
Backern vollenden das Bild dir Strafsen, deren Öde durch einiije
gesattelte Pferde vor irgend einer Schenke oder durch den schläf-
rigen Posten vor dem Cabildo nur noch gehoben wird.
In der l onda hatte sich unterdessen der versprochene Führer
und Eigentümer der Pferde eingefunden, er wurde uns als der be-
wahrteste Va^ptetmo der Gegend empfohlen. Camilo liodriguez, wie
er sich nannte, war ein Mann im Anfang der Sechziger, hochgewachaen
und mager, mit langem weilsen Bart und Brauen, unter welchen
die dunklen Augen klug und mutig hervorblitzten. £r besab einiges
Vieh, welches er auf gepachtetem Boden weidete; doch hatten ihn
die Liebe zum ungebundenen Leben der Pampa von Jugend auf
hinausgetrieben zu den grofsen Jagdzügen, wie dieselben noch jetzt
von oft mehren Hundert Reitern mit miiitäri.scher Organisation unter-
nommen werden, und hatte zugleich bei den häufigen kriegerischen
Expeditionen gegen die Indianer, als diese noch bis Kojas und Junin
streiften, so gute Dienste sowohl als I'ührer iu der pfadlosen Pampa,
als auch im Gefechte selbst geleistet, dafs seine Meisterschaft in
allen mit dem Leben in der Wildnis verknttpiten Dingen allgemein
anerkannt wurde, und die Wahl als Chef einer Jagdexpedition stets
auf ihn fiel. Er kannte auf hundert leguas hinaus jede Lagune,
jeden BaÜado oder Gailada, er war der Gefangenschaft der kriege-
rischen Ranqueles enttiohen und hatte von den Üferu des Chadi-
Leuvü, 120 leguas weit, mit dem besten Pferde des Kaziken, den
er erlegte, seinen Wei^ ohne Irren nach der Heimat gefunden, vou
ihm erzählte man aucli, dafs er oft des nachts am (ieschmack des
gekauten Grases die verlorene Richtung erkannt und weiter verfolgt
habe. Die Begleitung eines solchen Mannes für einen langen und
Immerhin nicht ganz gefahrlosen Bitt war also unschätzbar, und ich
zögerte nicht seine Dienste für eine ziemlich runde Summe zu ge-
winnen. Er hatte mir vom folgenden Tage ab sich selbst und zwei
weitere Peone, sowie die nötigen Pferde zur Reise nach Gainza und
zurttck zur Verfttgang zu stellen, und auch für den Lebensunterhalt
während des Kittes zu sorgen, der ja zum grofsen Teil durch die
ächte i'ampu, d. h. durch völlig unbewohntes Land ging. Mir da-
Digitized by Google
- 149 —
gegen lair ob. Zucker und Yerba (Matej für uns alle, sowie die
Sättel für die eigenen Tiere zu beschaffen. Diese waren vorhanden,
wir hatten sie selbst mitgebracht, und auch die kleinen Einkäufe
hielten Dicht lange auf, konnten wir ja nur etwas Tabak und Kognak,
sowie einige Zwiebäcke und Konserven in den Satteltascben verteilen.
So fand uns denn schon der grauende Morgen bereit; doch
dauerte es lange genug, ehe der ungeduldig erwartete Camilo mit
ttoseren Tieren erschien, da er selbst fast zwei leguas entfernt
wohnte, und schön stand die Sonne ziemlich hoch am Himmel, als
wir die Strafsen des noch schlafenden Städtchens hinter uns liefsen.
Der Morgen war frisch, die Pferde ausgeruht und mufsten scharf
im Zügel gehalten werden auf dem ausgefahrenen Wege zwischen
den Gärten; doch bald öffnete sich freies Land rechts und links,
das Terrain fiel schwach nach dem nicht fernen Rio de Rojas ab,
der seine blauen Gewässer in weiten Windungen durch das grünende
Thal zog, und im scharfen Qalopp ging es hinab, bald war die Fuhrt
durchritten, das von Regengassen tief gefurchte Ufer erstiegen,
um von neuem den sanften Anstieg auf guter Strafee und zwischen
hohen Distelfeldem hinan zu eilen, einem weife leuchtenden Hause
zu, welches zur Linken zwischen dichten Pfirsich- und Paraiso-
bäumen uns entgegen liu hte. Es war die Kesitziing eines alten Be-
kannten, Mr. Patrick Murphy, eines Irlünders, den die Landleute
Don Patricio nannten, der sich zu behäbigem Wohlstande empor
gearbeitet, und wohin Camilo den Rest der l'ferde mit den
Peonen dirigiert hatte, teils um die Tiere nicht zu ermüden
und auch weil es schwierig, die frei gehenden Gaule in den Straisen
einer Stadt zusammen zu halten. Da waren sie denn auch: zwei
tüchtige, freiblickende Gauchos in ihrer malerischen Tracht, mit den
langen, hirschf&ngerähnlichen Messern (facön) quer im Gürtel, je
zwei Paar boleadoras um den Leib geschlungen, die kleinen Hüte
tief im Nacken und dem wehenden Poncho. Nicht weit davon wei-
dete auch unsere Tropilla aus ferneren zehn losen Pferden und der
Madrina (Leitstute) bestehend, so dafs wir im ganzen über 15 Reit-
pferde disponierten. Diese Zahl scheint unverhiUtnismafsig grofs. da
gewöhnlich zwei Tiere selbst für eine längere Reise von taglich
20 leguas völlig ausreichen; doch hatten wir ja mehrere Tage aus-
schlielslich von der Jagd zu leben, mufsten also auf die baldige Er-
müdung der G&ule gefabt sein; und so hatte denn jeder Peon sein
eigenes Jagdpferd mitgebracht und auch der Alte noch einige andere
zugefügt. Vorsicht konnte nichts schaden und kostete nichts.
Doch längst hatte uns Don Patricio erspäht und mich erkannt.
Unter wütendem llundegebell rief er ein schallendes Willkommen
Qaogr. BUUcr. Uremea, IX
Digitized by Google
— löO —
und die Einladung, n&her zu treten, herüber. Da half kein Strftnben:
eine Weigerung hätte den Alten gekrankt. So schritten wir denn
nicht ohne Mühe an den Pferchen der Schafe vorüber, deren Ab-
flüsee quer über unseren Weg liefen, und zwischen den klaffenden
büsblickenden KOtem hindurch zum gastfreien Iren, der in Hemd-
armein und langen Stiefeln freudigen Handschlag bot und in das
Speisezimmer nötigte.
„Don Patricio, ich bin sehr eilig. Ich mufo heute noch nach
der Teodolina.*'
„Ach das sind von hier blos 15 le*inas; die reiten Sie in 5
Stunden, haben also Zeit ^'enug zum Fiiihstücken. Hc Alto!*'
^Nein, lasäeu Sie, iüi darf uicht scharf reiten, morgen geht es
nach üain/a.'^
„Ja, das ist etwas anderes. Da nehmen Sie wenigstens einen
Schluck auf den Weg und sehen mein neues Tilbury au. Aber auf •
der Rückkehr lasse ich Sie nicht vorüber.'*
Dagegen war nun nichts einzuwenden. Das (ilas Genever wurde
getrunken, eine Zigarrette geraucht und von meiner Reise, den be-
vorstehenden Wahlen sowie von Don PaUricios Prozefs mit seinem
Nachbar geplaudert. Dann erzahlte er uns, wie er vor bald zwanzig
Jahren als Schafer eines Estanziero seine Laufbahn begonnen habe,
spftter mit 2000 Schafen ein Stück Land auf der anderen Seite von
Rojas gepachtet und nun schon seit ö Jahren sein jetziges Besitz-
tum gekauft und bar bezahlt habe. Es seien 3 Quadratleguas und
habe er augenblicklich neben 2000 Stück Hornvieh gegen 18000
Schafe darauf. Er veredle dieselben mit RambouilletbOcken, die
ihm freilich viel Geld kosteten, doch mehr Wolle lieferten und eine
härtere Konstitution bes&foen als die kleineren NegretU.
Nun muJEsten wir natürlich hinaus, um die Stammherde zu
bewundern, welche soeben aus dem Pferch (corral) gelassen wuixle,
da unterdessen der Tau von den Gräsern getrocknet war; wir er-
fuhren zu ^fjeicher Zeit, dafs die ril)riuen Schafe unter sieben Schäfern
verteilt waren, deren bescheidene (iehüfte auf der Kstauzie zerstreut
lagen. Diese Leute hüten ihre Herden zu Pferde oime den Beistand
von Hunden; oft jedncli zielien sie es vor. dieselben vnn der eigenen
Hütte aus zu i»eobacliten, zu welchem Zwecke eine lanLie Leiter am
Giebel derseiijen leimt, wahrend der gesattelte Gaul vor der Thür
steht. Nur zur Lauimzeit, im Marz und April, ist die Aufsicht etwas
schärfer, da viele der jungen Tiere bei der urofsen Zahl der Herde
von den Müttern abkommen und rettungslos den Füchsen und Aas-
geiern zur Beute fallen würden, wenn der Schafer oder eines seiner
Kinder nicht die Herde begleitete und die verirrten Lammer 2B
. Kj L y Google
— 151 —
(lieser oder zum Piiesta (Gehfift) znrückbrAchte. Oft begegnet man
einem Knaben mit drei oder vier Tiercheu auf dem Sattel, die er
kunstgerecht mit der Peitschenschnur emporgehoben hat.
Eine andere Zeit vermehrter Arbeit erwachst dem SchafEÜchter
zur Schur, welche in den Frflhling, also von Oktober his Dezember
f&llt» nnd mufe er sich dann oft beeOen, weil die reifen Samen-
kapseln des Klees, die „carretilla*, sich sonst in grofsen Mengen an
die Wolle der Tiere heften und dieselbe fUr den Markt entwerten.
Dann ziehen Scharen von Mietarbeitern von einer Kulanz ie zur
andern, die Schafe werden ungewaschen in den corral getrieben
und im Scliatten eines Schuppens geschoren; doch eben nicht sonderlich
aufmerksam, da die Arbeit drängt und nach dem Stück bezahlt wird.
So bleibt denn eine nicht unbedeutende Menge Wolle stehen, auch
werden die Tiere häufig verletzt und dann die Wunden einfach mit Teer
bestrichen. Die Vliefse gehen, mit Bindfaden zosammengebunden, in
Karren nach der nächsten Eisenbahnstation nnd von dort nach den
Barracas, den grofsen Depots der Prodnktenh&ndler in San NicoliU
und besonders Buenos-Aires. Diese endlich versenden die feinen
Wollen fast ausschliefslich nach Havre, die mittleren und geringen
Seiten aber nacli Antwerpen und den deutschen Ilafeu, während
nach England fast gar keine lia-Plata-Wolle geht.
Die Schafe werden mit einer Zange oder dem Mes>er an den
Ohren markiert, wie in Deutschland; man rechnet ihren Ertrag im
Durchschnitt auf P/4 — 2 kg ungewaschener Wolle für den Kopf, doch
konnte derselbe mit einiger Sorgfalt recht gut auf 2'/s kg gebracht
werden. Die Wolle selbst gilt an Ort und Stelle 10—20 A die
Arroba (llVs kg), Je nach der Güte und den Konjunkturen des
Marktes, während der Preis von mittelfeinen Schafen in der Herde
zwischen 4 nnd 6Vt A sehwankt, die fetten Hammel aber mit 6-— 9 Jk
bezahlt werden. Man nimmt an, dafs auf einer Quadratlegua mit
normalem Grasstande 20Ü0Ü Schafe ausreichende Nahrung linden
und fügt denselben gern noch etwa 150() Kühe hinzu, da der Weide-
gang des Rindviehes die (irasnarben erhalten, der der Scliafe allein
aber diese mit der Zeit ruinieren soll, und rechnet den Durchschnitts-
ertrag einer gut verwalteten Schafestanzie auf 15 ^/o des angelegten
Kapitals.
Während Don Patricio uns diese und ähnliche Mitteilungen
machte, sich auch beklagte, dafs er noch nicht genügend Geld erspart
habe zur Einzäunung seines ganzen Besitztums, wodordi die Be-
wirtschaftung desselben sehr gefördert werden wttrde, war es hohe
Zeit, die Reise fortzusetzen. Wir bewunderten also noch in der
Eile das neue vierrädrige Tilbury, welches seine Frau und Töchter
üigiiized by Google
— 152 —
von nun ab zur sonntäglichen Messe nach Rojas führen sollte, warfen
noch einen Blick auf das nette, einstöckige Haus mit dem koketten
Aussichtstürmchen (Mirador) und bestiegen, nach einem letzten Grufs
an die freundlichen Bewohner, die ungeduldig scharrenden Pferde.
Jetzt war Eile nötig, wenn wir nicht zur Frühstückszeit wieder
durch die Gastfreiheit eines befreundeten Estanziero aufgehalten
werden wollten, und so liefsen wir denn die Tropilla in langem
Trabe voraiisf»ehen, wahrend wir selbst im bequemen Galopp folgten,
oft die Reittiere zügelnd, welche der wohlbekannten Glocke am
liulbe der Madrina allzu hitzig nachstrebten.
Bald trat der Weg auf die grofsartige Besitzung von Don
Saturnino Uuzue über, welche 36 Qiiadratleguas (97 200 ha = 17.i
deutsche Geviertmeilen) uuifafst und völlig eingezäunt ist. Ein solcher
Zaun besteht aus starken Pfählen des unverwüstlichen Nandubayholzes,
welche in Entfernung von 10 — 15 ni tief in die Erde gepflanzt sind.
Durch in diese gebohrte Löcher werden 4 — 6 starke Eisendrähte
gezogen und mittelst alle 100 m angebrachte kleine Sperrwerke
straff gespannt, während zu gleiclier Zeit drei oder vier leichte
Holzplatten den Parallelismus derselben zwischen je zwei f^fosten
aufrecht erhalten. Ein solcher Zaun ist ziemlich teuer, da zumal
die Pfähle ausschliefslich aus Santa und Entrerios eingeführt
werden müssen, und kostet etwa 750—1000 M. für den laufenden
Kilometer; dodi ist der Nutzen desselben so allgemein anerkannt,
dafs heutzutage selten eine grOfsere Estanzie ohne solchen gefunden
wird: verhindert er doch einesteils das Zerstreuen des Viehes und
zum teil auch wenigstens die grdfseren Diebstähle, Überdies macht
er dem oft scbwer empfundenen Übelstande ein Ende, daüs fremde
Herden in Zeiten der Dürre den Grasstand des eigenen Besitzes
schädigen. Von Zeit zu Zeit, und besonders an den Heerstrafsen,
sind diese Zäune durch 30 ni breite Thore unterbrochen, welche
wilhi t iid des Tages geöttnet bleiben müssen und von einem der Hirten
gehütet werden, dessen Gehöft (puesto) zu diesem Behuf daneben
errichtet ist.
Solches Thor nun gestattete uns den Zutritt zur f ürst liehen
Besitzung Dou Saturuinos, zeichnete sich aber im übrigen nur durch
die solide, zweckmalsii:»' liauurt des Wilrterhause-^, sowie den freund-
lichen Obstgarten dahinter aus; doch fanden wir das grofse Herden-
thor selbst durch Ivetten versperrt uud mufsten die scheue Tropilla
unserer Gäule mit ziemlicher Mühe durch den schmalen Eingang
treiben, welcher daneben für Karren imd Reiter geöffnet war. Von
nun ab galoppierten wir ohne nnzuhalten zwei Stunden lang auf
glattem Wege Uber die schwachen Uügelwellen der Estanzie. Rechts
— 153 —
und links tauchten stattliche Paestos auf, oft mit schlanken Miradores
geziert, alle aber mit schattigen Fruchtgftrten und ausgedehnten
Liizemefeldem ; auf den Höhen grasten Scharen von scheuen, neu-
gierigen Stuten, die Niederungen waren bedeckt mit Tausenden von
Rindern, die träge um blaue Lagunen lagerten, von Zoit zu Zeit
stob eine Herde Schafe, die auf dem zarteren Grase weidete, bei
unserem Nahen auseinander, und rprhts aus der Tiefe blitzten
manchmal die Seen des Rio de Rojas herüber, welcher dieses unge-
heure Terrain durchschneidet. tJber uns aber wölbte sich wolken-
loser, heiterer Himmel, Geier und Falken kreisten hoch in der Luft
und ein Zug Schwäne flog laut kr&chzend nach Norden.
Welch schöner Besitz für einen Privatmann, um darauf zu
weilen „procul negotiis**, Grolses schaffend, mit grofsen Mitteln zum
eigenen (rewinn und zum Vorteil des Landes, wo noch so vieles zu
bessern und ordnen ! Ein Herrensitz in der wahren Bedeutung des
Wortes. Da liegt er auch rechts in der blaulichen Niederung. Recht
gut kenne ich San Joaquin, das ich öfter besucht habe, mit seinen
Pfirsichwäldern und den weitgestreckten Mais- und [.uzernefeldern,
dem Stall für die edlen Hen^^ste, dem Schuppen zur Schafschur,
den Corralen, der Küche und dem Gesindehause. Auch der Wohnung
des Eigentümers erinnere ich mich: sie besteht aus einem £fs^ und
zwei Schlafzimmern, und der Blumengarten davor ist sogar mindestens
20 m lang und halb so breit Doch diesmal hüte ich mich wohl,
dorthin zu gehen; denn kostbare Zeit würde verlorengehen bei der
gastfreien Aufnahme, die mir der Verwalter, Herr R., ein Deutscher,
zu teil werden liefse. Don Satiirnino aber, der Besitzer dieses
Fürstentums, weilt höchst selten auf der Kst-anzic. Er eignet noch
drei andere eben so stattliche Etablissements weiter im Süden der
Provinz, aufser einem grofsen Landgute dicht bei Mercedes, der
Station an der Westbahn, wo das Schlachtvieh noch einmal auf-
gemästet wird, ehe es die letzten 12 leguas zur Hauptstadt zurück-
legt So kommt er denn nur zeitweise mit seinem Postzuge von
englischen Bossen, die Eisenbahn verschmähend, um nach dem Rechten
zu sehen, steigt vielleicht einmal zu Pferde, wie damals, als er mich
auf eine Anhdhe führte und beim Anblick des von Rindern wimmelnden
Thaies stolz ausrief: „Mire, eso se llama hacienda!" (Sehen Sie, das
nennt man Vieh!) und kehrt befriedigt nach seinem Palaste in
Buenos-Aires zurück.
Auf dem riesenhaften Terrain der Estanzie weiden etwa 6() (XX)
Stück Rindvieh und ungefähr 15 (XX) Stuten, doch verhaltnisma^g
wenige Schafe (ich glaube 4()(X)0). Letzteres hat seinen Grund in
dem Umstände, dafe der j^Camp*' zum groCsen Teile noch mit Pasto
Digitized by Google
— 164 —
faerte bestanden ist, welches, den Schafen wenig zuträglich, erst
durch den Weidegang der Rinder verfeinert werden mnfs. Man
sucht diese Umbildung hier dadurch zu befördern, dnfs mm sowohl
die Corrale als auch die gröfseren Einfriedigungen des Mastviehes
von Zeit zu Zeit verlegt, also den Boden intensiver düngt, ja bogar
Distelsiimen direkt an geeigneten Stellen ausstreut.
Die Rindviehzucht selbst ist natürlich höchst einfach und wird
durch die Umzäunung noch mehr erleichtert, da ja das Zusamiueu-
halten der Herden, sowie das Gewöhnen der neu gekauften Tiere
an den Umkreis der Besitzung (querencia) hier unnötig werdett
So bestehen denn die Hauptarbeiten dieses Betriebes nur in dem
Markieren beziehungsweise Verschneiden des Jungviehes (la llierra)
und in dem Absondern (el Aparte) der zum Verkauf bestimmten Tiere.
Zu jenem Geschäft, welches wegen der Handhabimi? von oft wütenden
Stieren durchaus nicht ungefährlich ist, wfthli mau die kühle Jahres-
zeit. Die Herde wird in eine gröfsere Kinzaunung gelassen und die
Kiilber sowie etwa noch nicht markierte Tiere durch herittcne Pcoue
(Knechte) in den Corral getrieben, welcher natürlich kein leichter
Pferch ist wie auf den Schäfereien, sondern durch dicht an einander
gestellte hohe Pfahle gebildet wird, die noch mit Eisendraht oder
Streifen roher Haut fest verbunden sind. Wahrend nun ein Reiter
dem Tiere seinen Lazo um die Hömer wirft und dieses verzweifelte
Anstrengungen sich davon zu befreien macht, schleudert ein zweiter
seine Schlinge derart, dafs die Hinterflifse des Gefangenen hinein-
treten und fesselt dieselben durch einen schnellen Ruck. Hierauf
treiben beide ihre Pferde in entgegengesetzter Ilichtung, bis die
Lazos sich straff ziehen, das Tier aber entweder selbst zu Boden
fällt, oder doch leicht durch den Anprall eines dritten Reiters auf
die rechte Seite niedergeworfen werden kann. In dieser Stellung
wird es von den beiden Eulazadores gehalten, wahrend andere Peoue
die gewünschte Operation an ihm vollziehen. Doch nun heilst es
noch, das oft halb betäubte, hftufig aber wfitende Tier von seinen
Fessehl zu befreien. Zu diesem fiehufe steigt der dritte Reiter voiu
Pferde, löst vorsichtig den Lazo von den Hörnern und springt eilig
in den Sattel, während nun erst auch der zweite Enlazador die bis
dahin straft* gezogene Schlinge lockert und dem Gefangenen damit
das Aufstellen erlaubt. Häufig genug geht dann das gequälte Tier
auf den nächsten besten seiner Peiniger los, welche dann alle ihre
Reitkunst zur Hülfe nehmen müssen, um unverletzt zu entweichen.
Auf grofsen Etablissements, wie das gegenwärtige, werden die
jungen Ochsen (NovUloä) von Anfang an in besonderen Einzäunungen
(Potreros) gehalten, um das lastige Absondern derselben zum Yer-
löö —
kauf, sei es als Zugtiere, sei es als Sclüachtvieh zu venneiden. Auch
die nicht mehr zur Zucht tauglichen Kühe werden ans demselben
Grunde besonders eingeschlossen.
. Das meiste Schlachtvieh geht nach den grofsen Saladeros (ein
2^/t-jfthriger Novillo gilt 60—70 Jk) und oft ist os ein interessantes
Schauspiel, einen Trupp von drei oder vierhundert dieser halbwilden
Tiere, von Reitern umringt, über die grüne Flache traben oder gar
in die geöffneten Corrale der Scblaclithiluser stürzen zu sehen. Dort
werden die Haute gesalzen, ebenso die gröfseren in Scheiben zer-
schnittenen i'ieischteile, welche als carne tasajo nach Brasilien und
der Habana verschilft werden, während erstere, sowie der gewonnene
Talg nach England und den Nordseehäfen gehen. Hörner, Bein-
knochen, getrocknetes Blut und Knochenasche werden ebenfalls nach
Eoropa versandt, ja selbst die Schwanzwedel und Darme finden ihren
Weg dorthm, letztere zur Wnrstbereitung.
Das übrige Vieh hat al corte, d. h. grofs und klein zusammen,
einen Durchschnittswert von etwa 40 M>. das Stück; doch bezahlt
man Milchkühe und Zugochsen mit dein Doppelten und Vierfachen
dieser Summe. Jene besonders sind auf dem Lande ein so seltener
Artikel, dafs selbst in Lnofsen Estanzieu oft kein Trojden Milch, ge-
schweige denn etwas Butter zu linden ist. Denn zuförderst ist es
notwendig, die frischmilchende Kuh aus der grofsen Herde einzn-
fangen und mit dem Kalbe nach den Hausem zu bringen, wo sie
tagelang angebunden und bei karger Nahrung steht, ehe sie die An-
naherang des Menschen soweit erlaubt, dafs man ihr die Vorder-
and HinterfQfee fesseln und die Milch entziehen kann. Hierauf wird
sie freigelassen, das Kalb aber bleibt im Schatten eines Baumes be-
festigt, oder in einer besonderen kleinen EintViedi^AiuiLi, dem „Chiquero",
als Geifsel für die Wiederkehr der Mutter, welche sich auch regel-
niäfsig morgens und abends einstellt, jedoch in den nächsten Woclien
noch stets zum Melken gefesselt werden inuf<. Unter solchen Um-
standen ist es begreiflich, dafs Milch zu den Seltenheiten gehört
und nur in jenen Hausem zu finden ist, wo Damen für längere Zeit
weilen oder wo rüstige Weiber vorhanden sind, weiclie diese Mftnner-
aibeit selbst verrichten können.
Die Basse des Rindviehes ist im allgemeinen keine besonders
gute, da man ja ehiesteils bis vor kurzem gar keine Sorgfalt auf die
Zucht verwandte, und aufserdem beim Verkaufen des Schlachtviehes
natürlich stets die geMindesten und fettesten l lere ausgesucht wurden,
die schwächeren und mageren dagegen zur Nachzucht zurückblieben.
Doch hat man jetzt anu^efangen, sich mit AuttrischuuL; des Hintes zu
beschäftigen, und zu diesem Zwecke btiere, besonders von der Durham-
— 156 —
oder Shorthornrasse, aus England einjjeführt. Die >o erzielten Mi-ch
linge sollen, selbst bei knappem Futter, uoch eine genügende Mennf
Fleisch liefern; dock ist ihre Haut nicht so kräftig und wertvoll als |
die des eingeborenen Rindes. I
Auch die FferdeaudU war bis auf die neuere Zeit aiemlidi !
▼ernacblftssigt Zwar besitzen die meisten Estansieros grofse Statea*
herden zur Zucht der bedeutenden Anzahl von Arbeitspferden, welche
jedes gröfsere Etablissement erfordert; doch da man stets die bestes
und fettesten Stuten an die Saladeros verkaiitte, welche diej^elben
auf Haut und Fett ausbeuten, zugleich aber die gröfsten und stärksten
Hengstfüllen verschnitt, um sie als Reitpferde zu benutzen, denn es
werden dort ja nur Walladie treritten, so blieben mir die kleinsten
und schwächsten Tiere zur Fortplianzung der Rasse übrig, und von
Verbesserung oder Auflfrischung des Blutes war keine Rede. Asserdem
waren und sind gute Pferde ein sehr gefährdeter Besitz. Als Kriegs-
material fielen natürlich stets die besten Tiere den vielfachen Revo-
lutionen und inneren Zwistigkeiten der frühereu Jahre zum Opfer,
wenn nicht etwa die sämtlichen vorhandenen G&ule verloren gingen;
und überdies bildet die Vorliebe für fremde Pferde und Reitger&t
eine hervorragende Schwäche des Gaucho, wie so luanclier anderen
ländlichen Bevölkerung Europas und Amerikas, so dafs ein irgendwie
brauchbares Tier nicht sicher ist im offenen Camp. j;i oft nicht eiu-
mal im Hofe des Besitzers. Da ist es denn nicht zu verwundern,
dafs ^n ade die tüchtigeren und ernsteren Estauzieios die Zucht guter
Pferde als ein schlechtes Geschäft aufgaben und sich mit den ein-
fachsten Gäulen begnügten, an denen wenig zu verlieren war und
deren Menge den geringen Arbeitswert ausgleichen mufste. Nur
einzelne Sporting-characters, besonders im Süden der Provinz, be-
hielten den kosts[)ieligen Geschmack für schOne Rosse, und von dort
her kommen auch jetzt noch die besten und gröfsten Tiere, die
allerdings auch selten mehr als 1,58 m Bandmafs haben.
Seitdem jedoch geordnetere politische Zustände die Waiirschein-
lichkeit militärischer Requisitionen bedeutend verringert haben, und
zumal seitdem die allgemeine Durchführung der Drahtzäune die
Pferdediebstahle erschwert, ist auch die alte Lust des Argentiuers
am springenden Rosse mächtig erwacht, und jetzt sind es gerade
die GrofiBgrundbesitzer, welche die Veredlung der eingeborenen Rasse
energisch in, die Hand genommen haben. Englisches und Trakehner
Vollblut ist hochgeschätzt und wird auf vielen groCsen Estaosieo
gezüchtet, halbblütige Pferde tragen die meisten Preise auf den
Rennen davon und binnen kurzem dürfte die argentinische Pferde-
zucht den alten iiut als die beste von Südamerika wieder erreicht habe».
Digitized by GoXlglSi
— 157 —
Natürlich hat auch Don Saturnino Ünzu^ die Notwendigkeit
erkannt, das Blut seiner Rosso aufzufrischen, und zwei edle englische
Fuchshengste stehen \u\ Stall von San Joaquin. Seine Herden aber
und die Tropillas der Arbeitspferde unterscheiden sich wenii; von
der gewöhnlichen Rasse (ihre Gröfse beträgt kaum 1,5(J ni), nur sind
letztere aus^esnrlite Tiere und in brillantem Zustande, da bei der
Fülle des Materiales jedes Pferd kaum einmal im Monate gesattelt
wird. Die TropillaB de mansos (zahme Pferde) xfthlen etwa 20 bis
30 Stack, gewöhnlich von einer Farbe und sind derartig an die
Glodce der beigefflgten Leitstate gewöhnt, dafs es genügt, nur diese
in den Pferch zu treiben, damit sämtliche anderen Gftole ihr auf
der Stelle folgen. Jeden Abend aber wird ein neuer Trupp für den
Dienst des folgenden Tages bereit gestellt, seien es die Falben oder
die Grauschimmel, die Füchse oder die Braunen, und es ist interessant,
das Ergreifen und Satteln dieser scheuen, wohlgenilhrten Tiere zu
beobachten, die sich oft nicht ohne Ivampf in den Willen des
Reiters fügen.
Die Art des Markierens und Versebneidens der Füllen ist völlig
der schon bei dem Rindviehe beschriebenen ähnlich; doch ist es wohl
der Mühe wert, noch einen Blick auf die Weise ihrer Zähmung zu
werfen, wobei man allerdings sehr summarisch zu Werke geht. Das
junge Pferd wird mit der Schlinge gefangen, zu Boden geworfen
und eine starke Halfter um seinen Hals gelegt, die Hinterfüfse
werden oberhalb der llufgelenke gefesselt und um den zahnlosen
Teil des Unterkiefers wird als (iebifs ein dünner Kiemen (bocado)
aus roher Haut gebunden, an welchem die Zügel befestigt werden.
Nun erlaubt man dem Tiere aufzuspringen und legt demselben, das
sich vorlAufig in sein Schicksal ergiebt, auch noch eine zweite Fessel
Aber die Knie der Vorderfüfse, so dafs es diese zwar bewegen,
doch nicht schlagen kann. Um es auch am beidsen. zu bindern,
ergreift ein Mann dasselbe mit einer Hand am Halfter und mit der
anderen am linken Ohr; und jetzt erst wird ihm die ungewohnte
Bürde des Sattels auf den Rücken gelegt. Dieser besteht aus drei
bis vier wollenen und ledenieu Decken und eine in Paar tlaclier. rohr-
gepolsteter Wülste, welche in die hohlen Teile des Kückens eingreifen
und wird dnrcli einen spannenbreiten (iurt (cincha) aus rohem Leder
befestigt. Im gegenwärtigen Falle vertreten stets zwei Hölzchen
die Stelle der Steigl)ügel; sie sind durch Riemen mit dem Sattel
verbunden und der nackte Fufs des Reiters niht auf ihnen mit den
zwei vorderen Zehen. Ein im Bttgel Hängenbleiben und Geschleift-
werden ist folglich unmöglich.
Solchen Sattel (recado) also besteigt der Domador (Bändiger);
Digitized by Google
— 168 —
die Fesseln de> 1 ieres werden schnell aber vorsichtig gelöst und
Halfter und Ohr freigegeben, wfthrend zwei Männer eilig auf ihre
fertig gehaltenen Pferde springen, um fllr alle möglichen Falle bereit
den Bändiger zn begleiten. Oft bleibt das zitternde Pferd unbeweglich
stehen und mufs erst durch Schläge und Zurufe angetrieben werden;
meistens aber versucht es, sich durch verzweifelte Sprflnge des Reiters
zu entledigen und stOrmt endlich in wütendem Laufe blindlings ins
Freie, rechts und links begleitet von den beiden Domadors. Nach
16 bis 20 Minuten ist das junge Pferd gewöhnlich völlig erschöpft
und willenlos. .Man sattelt es ab und läfst es mit dem Halfter am
Halse laufen; doch von nun an wird es tiif^lich ein oder zweimal
geritten, bis es zahm wird. Natürlich mustern die Tiere bei so ge-
waltsamer Behandlung sehr ab und viele erleiden anschnlielie Ver-
letzungen, ja werden von vornherein lahm auf den Yorderfüfsen;
doch wird schwerlich ein vernünftigeres Verfahren angewandt werden,
so lange der Preis der ungezahinten Pferde ein so i^erinuer bleibt
(24—48 .#.) Auch die zahmen I^ferde selbst werden aus dein>elben
Grunde ohne jede Sorgfalt behandelt, natürlich mit Ausnahme der
wertvollen Rennpferde, und selten erreicheu sie ein Alter von mehr
als 10 oder 12 Jahren, da man ihnen nicht nur die gröfstcn Strapazen
auferlegt, sondern sie auch selbst im Winter, völlig in Schweifs
geritten, unbedenklich den schneidenden Winden und scharfen Nacht-
irösten aussetzt
Doch zurflck zu unserer Reise. Ein zweiständiger Kitt brachte
nns endlich nach der Palama, dem Puesto Don Satuminos, welcher
eines der Ausgangsthore dieser ungeheuren Besitzung hfltet. Schon
brannte die Sonne sengend vom wolkenlosen Himmel und in ver-
schärfter Gangart strebten wir einer Awka zu, welche ich zum
FrUhstäcksplatze ausgewählt hatte. Wie ein Turm stieg des einsame
Haus aus der welligen Fläche hervor, die unter dem Einfluf:) der
Hitze zn zittern anfing und den Augen manch täuschendes Sj>uv^^el*
bild vorführte; bis endlich, mit jedem Galoppsprung verkleinert und
verhäfslicht, die traurige Wirklirlikeit in ihrer ganzen ()dc vor uns
lag. Es empfing uns ein kasteniorniiges Geb.lude aus verwitterten
Ziegeln, etwa 5 m im Geviert, 4 m hoch, mit einem flachen Dache
(A/otea) und Brnstwehr gekrönt. Ein stark vergittertes Fenster,
ohne Spur von Glas, und eine schwere starke Thür i^estatlcten Luft
und Licht Eintritt, und in der Ecke k'hnt eine Leiter, welche zur
Falltür im Dache fülirt, dem letzten /ntluchtsoit der r>ewohner bei
den früher so häutigen ImlianereintiUlen. Das Moltiliar besteht ans
einem Haufen Fellen, worauf die ganze Familie schbitt. einigem
Küchengerät und vier Pferdescbädeln als Sitzen. Kinder, Uuude und
Digitized by Google
— iö9 —
Flöhe zwingen uns, schleunig das Freie zu buchen, und uns im
schmalen Schatten der kahlen Wand niederzulassen.
Glücklicherweise ist Tiburcio, der Hausherr, abwesend« denn
sonst niüfsten wir Konversation macben, die einzige Münze, mit der
mau diese gastfreien, wenn auch armen Leute bezahlen kann; und
DoÜa Giemencia, ein starkknochiges, hageres Weib, begnOgt sich,
uns in aller Demut einige Mates zu kredenzen, wahrend ihre struppigen
Buben und Mädchen die Fremden neugierig anstarren nnd unsere
Peone den Spiefsbraten bereiten.
Die Lajj:e dieser Familie ist bald geschildert, sie ist die eines
grofseii Teiles der Grenzbevölkerung. Der Grund und Boden ist
Eigentum eines der grofseu Landhaic der Hauptstadt, welcher in
dieser Gegend etwa 180 Quadratleguas (4859,79 km) besitzt, ohne
mehr als höchätens 5ÜÜÜ Stück Vieh darauf zu ernähren. lu den
sechziger Jahren, wo diese Gegend noch aufserhalb der Indianer-
grenze lag, verkaufte die Regierung das Land in Parzellen von je
3 leguas zu höchst billigen Preisen und mit zehn jährlichen Zahlungen,
jedoch mit der Bedingung, dafs darauf ein Haus errichtet und eine
bestimmte Anzahl (500) Vieh gehalten werden sollte. Niemand
durfte mehr als eine dieser Parzellen direkt in Besitz nehmen; doch
niemand konnte verhindern, dafs sämtliche Angestellte und Knechte
eines wohlhabenden Mannes jeder für sidi ein solches Stück bean-
spruchten und zugeschrieben erliielten, um es auf der Stelle au den
„Patioü" selbst zu verkaufen. So entstanden, dem Sinüc des Gesetzes
völlig entgegen, sehr ausgedehnte Besitzuugeu, die noch jetzt an
vielen Stellen der Besiedlung und Verwertung des Landes höchst
schftdlich sind. Der Spekulant baute eine der eben beschriebenen
Azoteas auf jeder Parzelle, grub einen Brunnen und formierte den
unerl&fslichen Gorrai durch ein Viereck von Gr&ben mit nach Innen
aufgeworfenem V^alle. Daun sachte und fand er leicht irgend einen
armen Gaucho, dessen gerin^^c Herde er durch Hinzufügung der
billigsten Tiere, also von Stuten, auf die gesetzmafsige Zahl brachte,
und erlaubte ihm im neuen Hause zu wohnen, wiilireiid der halbe
Ertrag des gemeinschaftlichen Viehes als Pacht gerechnet wurde.
Mauche von diesen Mediaueros sind dabei wohlhabend geworden,
der Grundeigentümer aber hat jedenfalls ein glänzendes Gesch&ft
gemacht, denn mit der Auslage von etwa 4000 Jk für Hans nnd
Vieh, und der auf zehn Jahre verteilten Zahlung des Kaufpreises
von 12 bis 16000 A fttr die Quadratmeile ist er in Besitz von
L&ndereien gelangt, die jetzt das vier- und fttufikche wert sind.
Der Bewohner unserer Azotea hatte offenbar keine Seide ge-
sponnen m den. 16 Jahren seines Aufenthaltes, der Grund lag wohl
Digitized by Google
— 160 —
zum guten Teile in der eigenen Faulheit : nicht einen f^aam halte \
er wahrend der ganzen Zeit gepflanzt, obgleich hesondera Weiden wA
Pappeln sehr gut gedeihen, die Graben des Pferches waren zerfallen i
und halb ausgefallt, und das Dach des Hauses stark durchlöchert I
Etwa 600 Stuten und Ktthe bildeten sein ganzes Besitztum, so daüs
die Erhaltung der zahlreichen Familie fast ausschliefslicb von der
Jagd abhing; und auf solchem Austiuge befand sich augenblicklich
der biedere Hausherr. Da war es denn nicht zu verwundern, dafs
das prachtvolle Hippenstück, welches Camilo unterdessen gebraten
und am Spielse zwischen uns auf der Erde aiif;j:estcllt hatte, da?
lebhafteste Interesse auch bei Frau und Kindern unseres Wirtes er-
regte. War doch solches Rindtleisch für sie otienbar eine Seltenheiir
in diesem Lande, dessen Uerdenreichtum sprichwörtlich ist! Mais,
Kürbis und die oft recht karge Jagdbeute bOdeten ihre aosschliefe*
liehe Nahrung. Und trotzdem gedeiht der Nachwuchs prächtig, da
bei so rauhem Leben nur die kräftigsten die zarten Kindeijabre
überdauern, und wächst zu einem rüstigen und unabhängigen, weai
auch gänzlich unwissenden Gcsclilechte heran. Kiiiigo von der Mutter
erlernte Gebetfornieln bilden den ganzen Schatz des Wissens und
Lesen, oder ^ar Schreiben, sind angestaunte Künste; doch treibt ein
KJjfthriger Junge die wilde Stutenherde ebenso geschickt in «leii
Pferch, als der Herr Vater, und ein 12 - 14jahriger tindet den weiten
Weg zur Stadt, verkauft dort verstäudig seine Straufsenfedern oder
Rehfelle, ersteht die kleinen Bedürfnisse der Familie, und ist nach
einem 6— 8stflndigen Ritte am Abend wieder zu Hanse. Ein ernster
Zweig eines Studiums ist ttbrigens auch die Kenntnis samtlicher
Viehmarken auf 10 Meilen in der Runde, und oft sieht man des
morgens in der Küche Alt und .Iniig eifrig damit beschäftigt, während
des Matetrinkens auf der glattgestrichenen Asche alle möglichen
Hieroglyjdien zu zeichnen und zu deuten.
Unterdessen ist die gröfstc Hitze vorüber, wir haben ein
Stündchen auf den Sätteln geschlafen; jetzt noch einen Mate, ein
Händedruck, ein „gracias Senora'' und fort geht es im gleichmä(sigen
Galopp nach Südwesten. Der Weg ist zu einem Geleise zusammen-
geschrumpft, welches sich oft nur durch tieferes Grün von dem
gelblich wogenden Grasmeere abzeichnet. Zwischen den HQgel-
schwellungen ziehen sich feuchte Niederungen von Nordwest nadi
Sfldost; die kleinen Teiche und Binsendickichte derselben sind von
zahlreichen Wassergevögel bevölkert und manchmal steht ein Reh
oder gar eiu Straufs vor unseren Pferden auf, um in weiten Sätzeu
die gefahrlichen Heiter zu meiden. Drüben im Süden scheint eine
grofse Estanzie zu liegen; wenigstens steigt zwischen hohen Bäumen
Digitized by Google
— 161 —
eine zweistöckige Azotea auf. Es ist eitel Täuschung: auf der
endloseii Fläche verliert sich jeder Mafsstab der vereinzelten
Gegenstände, selbst höhere Büschel der Cortadera nehmen grols-
artige Verhältnisse an, und jene Baume sind einfach etwa acht-
jährige Weiden, welche zum Schutz der Tiere auf den Grabenrand
des Pferches gepflanzt sind, das stattliche Haus aber besitzt zwei
Zimmer und ist mit der Brustwehr etwa 8 m hoch. Oft habe ich
in S. Garlos flbemachtet beim alten Zacarias Freies, einem der
Mediaueros jenes Laudhaies. Der wünlif^e Greis hat bessere Tage
gesehen; ich bin ihm für manches verpflichtet und könnte seiner
Einladung dort zu nächtigen keinen Widerstand leisten. Also vor-
bei, denn scheu sinkt die Sonue und noch drei leguas liegen
vor uns.
Nun taucht ^uch weit zur Linken die riesige Weide des
Fwrtm Chanar auf. Dort war ich im Jahre 1868 Zeuge eines
grofsen Indianereinfalles, und noch stehen mir die wilden Gestalten
vor der Erinnerung, die plötzlich, um 11 Uhr des Ifittags, wie aus
der Erde gewachsen, die WftUe umkreisten. Wir waren im ganzen
26 Weifse, die Besatzung und meine Peone zusammengerechnet;
doch kam es den „Pampas" weniger auf Kampf, als auf Beute an
und so nahmen sie einfacli die Pferde des Forts mit sich, zugleich
60 meiner eigenen Tiere und meine sämtlichen Zugoclisen.
Selbst eine Schafherde, obgleich schwer und langsam zu treiben,
entging ihnen nicht, und gegen Abend sahen wir die Staubwolken
des Raubzuges langsam abziehen, ohne auch nur an Verfolgung
denken zu können, da allein meine beiden Reitpferde, im Innern
des Forts angebunden, dem Handstreiche entgangen waren. Wie
fein war der Überfall vorbereitet, und wie wunderbar die Rettung
des Pferdehirten und anderer Personen, die von den Indianern im
freien Felde überrascht wurden! Vielleicht erzähle ich später ein-
mal davon.
Jetzt ist das Fort in friedliche Estanzie uniKOwandelt, wozu
seine tiefen Gräben und weiten Luzernefelder sich vortrefflich eignen.
Unser Weg aber biegt in weitem Bogen herum nach Süden, schon
beginnt es zu dunkeln, noch eine Viertelstunde platschen die Pferde
in den breiten Sümpfen, welche sich zur Lagtuia del Chaüar liin-
ziehen, und dann heben sich auf der nächsten HQgelwelle dunkle
Puakte scharf gegen den letzten Schein des Abendrotes ab. Es sind
die Häuser und Hfltten der Kolonie TeodoUna, wo wir die Nacht
verbringen wollen.
Dieselbe ist die Schöpfung des bewufstea Spekulanten, ihre
Aulage wurde ihm bei Gelegenheit eines aufsergewöhulich grofsen
Digiii^L-G üy Google
— 162
Landkaufes (106 leg. s= 2916 km) von Seiten der Regierung zur
Bedingung gestellt. Da nun vor 15 Jahren nicht daran m denken
war, enropftische Einwanderer dO leguas weit vom ParanA in der dden
und noch recht gefährlichen Pampa anzusiedeln, dies jedenfalls aueh
eine beträchtliche Summe gekostet haben würde, zog unser Landhai
es vor, die Kolonie mit der eingeborenen LandbevOlkemng zu be*
stocken, da von den grofsen Estanzias stets mehr nach aufsen ge-
drängt wird und deren Neigungen sich grade dem halbwilden Leben
der Grenzer trefflich ani)a.ssen. So wurde denn den erraten fünfzig
Familien je eine „Chacra'* von 20 C'iiadras (33,75 ha) i/esrhenkt
unter der Bedingung, eine Azotea darauf zu errichten, und in der
Ilotiüung fernere Ansiedler luTbeizuziehen. Die> ist allerdings
nicht gescliehen, trotzdem der Kigentünier ein Haus für den Ver-
walter und eine Kapelle erl)auto; doch hat er seinen Kontrakt erfüllt,
einen i)rachtvollen Strich Luuiles für geringe Kosten gesichert und
demselben erhöhten Wert gegeben.
Da liegt nun die Kolonie recht malerisch auf dem hohen Ufer
der 3 — 5 km breiten Lagune; doch das Leben und Weben einer
rülirigen Bevölkerung fehlt ihr ganzlich: sie ist einfach tot. Auf
dem ausgedehnten Platze vor der Kirche weiden die Pferde des Herrn
Friedensrichters, ein Kramladen ist schon zu viel für den unbedeu-
tenden Bedarf der Kolonisten, und diese leben einfach von der
Viehzucht und Jagd, kaum dafs sie den für das eigene Leben
nötigen Mais bauen. So ist es nicht zu verwundern, dafs die Pro-
dukte der 9 Ackerbau-Kolonie" in einigen Rindshauten und Straofsen-
fedem nebst Rehfellen bestehen. Möge der schon begonnene Bau
der Eisenbahn nach Rojas ihr Lebenskraft einflöfsen!
Im gastlichen Hause des Friedensrichters ist die Nacht schnell
und angenehm vergangen. Jetzt geht es hinaus in die freie Pampa,
ohne Grenze, ohne Siedlung, nur noch betreten vom streifenden
Fufse des Jagers und bevölkert mit Herden flüchtigen Wildes.
Noch hftnift der Tau an allen Gräsern, die Strahlen der hinter uns
aufgehenden Sonne millionenfach zurückwerfend, und über den
Häui)tern wölbt sitli ein glorreicher, tiefl>lauer Himmel, Leise
wiehern die Pferde. Dann ist lange Zeit nichts weiter hörbar als
ihr taktmaisiger Hufschlag und das leichte Streifen ihrer Füi'se an
dem dichten, kniehohen Grase. Längst ist die letzte Spur dos
We^es verschwunden, und in grader Linie geht es bald quer über
flache Niederungen mit aufleuchtenden Teichen und Seen, bald
Uber langgedehnte mit förmlichen Walderu mannshoher Ivardendistela
gekrönte Hügelrttcken.
Plötzlich deutet der Vaqueano auf eine Gruppe dunkler Punkte,
— 163
etwa eine halbe Meile entfernt: „Straufse!" Schnell sind die Dis-
positionen zur Ja^d getroffen. Die Tropilla fol^t der eingeschlagenen
Riclitunu: unter Obhut eines der Peone, wir andern vier aber
galoppieren rechts hin dem Walde zu. Freilich sind wir nur wenige,
iinrt die Hülfe von uns zwei Europftern ist problematisch, da wir
nicht erfahren im Gebrauch der Boleadoras ; doc^ helfen wir immerhin
deo Halbsirkel vergröfsem, welcher die scheuen Tiere einschlieisen
soll. Zudem sind die Pferde frisch, der Jagdeifer grofis und die
Notwendigkeit ein^ haldigen. Frahstücks recht fahlhar. So geht es
denn in schneller Gangart, uns allmählich ausbreitend dem Wilde
zu. Ks sind ein männliches Tier und vier Weibchen, die mit lang
vorgestrecktem Halse grasend, gravitätisch umhersteigen ; doch
bald haben sie uns gesehen und stäuben in eiliger P'lucht auseinautier.
„Auf den Macho!" (das Männchen) ruft Camilo, und nun heifst es
Sporen einsetzen I Erregt werfen die Pferde den Kopf ein- oder
zweimal zurück, dann strecken sie sich und fort geht es im wildesten
Laufe: sie kennen den Zweck des Rennens, und dürsten, sich mit
den schnellen Kindern der Pampa zu messen.
Glücklicherweise begünstigt uns der Boden: das hohe Gras ist
vor einem Monat verbrannt, und ein dichter Rasenteppidi breitet
sich vor uns aus. Dergestalt kann manches Hindernis gesehen und
verniiiMlon werden; doch nicht die zahlreichen Hiihlen der Gürtel-
tiere, noch die <ler Maulwürfe. Und da hat auch schon der Schecke
des andern Peons in ein solches Loch getreten und überschlägt sich
vollständig. Der Heiter aber ist über den Kopf des Pferdes ge-
sprungen und aufrecht stehen geblieben, ohne die langen, offnen
Zügel aus der Hand zu lassen. Kaum ist das erschreckte Tier
wieder auf den Fülisen, so sitzt er auch darauf und rast hinter uns
her, um den Zeitverlust einzuholen.
Schon sind wir dem Straufse nahe, wahrend die Weibchen sich
seitwärts gewandt haben. Er Iftuft mit ungeheuren Schritten vor
mir her, die mit langen Federn geschmückten Flügel halb aus-
breitend, und ich mache den Revolver fertig, wenn es auch ein
höchst unsicherer Scliufs wäre. Da schlägt er idötzlich einen Haken,
und stürmt rechts seitwärts gerade vor Camilo vorüber. Das ist
sein Verderben. Augenblicklich schwirren die Bolas durch die Luft,
umschlingen den langen Hals und werfen das gehetzte Tier zu Boden.
Und wie der Blitz steht auch der Alte neben ihm und durchschneidet
die Kehle seiner Beute.
Dem Jftger bringt dieser Sieg etwa IVs Pfund Federn ein,
nngefthr 5 Mark, uns aber einen Braten zum Frühstück. So wird
(leuu das erlegte Tier auf die Croupe eines Pferdes gebunden und
Digitized by Google
— 164 —
wir eilen der schon fernen Tropilla zu. An der nicbsten Lagune
wird Halt gemacht; Brennstoff liefern die Kardendisteln in Falle,
ttnd bald braten Bmst und FlOgel des Vogels am schnell entzündeten
Feuer. Die Pferde weiden frei im Hörbereich der Glocke, welche
die Leitstttte trägt ; nur eines bleibt fOr alle Falle an<^'eptlöckt. Wir
aber strecken uns auf die ausgebreiteten Satteldecken und „erheben
die Hände zum lecker bereiteten Mahle", während die Ereignisse
der Jagd lebhalL besprochen werden und der alte Caniilo vielleicht
eines seiner Abenteuer aus den Indianerkriegen zum besten giebt.
Ein Mate und eine Cigarette beschliefsen (bis FrQiistiUk; dann wird
gesattelt, und fort stäubt der Trupp dem fernen Südwesten zu über
die pfadlose, graswogende Pampa.
Die Lagoa dos Patos.
Von Dr. UermaBu v«tt Iheriiig.
Hierzu Tafel 3: Überblick über die Aasdehnung des Meeres in der Provinz
Rio Qvande bei Beginn der aUaTialen Epoche. Mabstab: 1:9000000.
Einlvltsnde Bemtrkanf en. Hydrographiselie VerhUtnime der Provins Bio Grmnd«
Der Kiinal do Norte. Die Harre-Komtnission. Pi« Lagoa dos Patos rnregelmirsig-
fceit der Flat«-elle an der KUttte tou Rio tiraudo. Eiiiiliir^ der Winde. Va^^ute und
Enchente. Die Lagoa mirim. Der S. Gonvaloflurd. HaUgelialt de« Wassers bei Rio
Grande. Tierleben der Lagoa dos Pktot. Die Fi»clu'reien \<in Uio Grande. Ent*
deckung einer prÄhistorisclien Niederlassung bei Rio Grande. Beweist' einer früheren
Ausdehnung de.s Oceaus in dan Innere der l'rovinx Rio Grande. Neue Theorie Uber
die BiMaof der PanipMfoniietiön.
Die Provinz Rio Grande do Snl besitzt bekanntlich in der Lagoa
dos Patos nnd der mit dieser in Verbindung stehenden La.i^ou mirim
die ^'rüf^ten Binnenseen Brasiliens. Ks war lange mein Wunsch,
diese meines Wissens nie zuvor von einem Naturforseher studierten
Wasserbecken einem eingelienderen Studium zu unterziehen, zumal
mit Rücksicht auf die sie bewohnende Tierwelt, und dazu bot mir
das Jahr 1884 reichlich (Gelegenheit, während dessen ich mein Domizil
in der Stadt Rio Grande nahm, woire^en ich unmittelbar vorher
eine Zeitlaug in Pedras brancas am Guahyl)a, Porto Ale^'ie ^eu^eii-
über, gelebt hatte, wodurch ich (ielegenheit bekam, den Haujitzutiuls
der l.iagoa dos Patos, den miyestätiscben Guahybastrom, zu studieren,
welcher dort selbst schon seeartig erscheint, iu der That auch h&ulig
als Lagoa de Yiamad bezeichnet wird. Wenn nun auch, wie gesagt,
meine Forschungen wesentlich faunistische Ziele verfolgten, so er^
sich doch auch in geographischer Hinsicht so viel Interessantes und
— 165 —
bisher kaum oder nicht Bekanntes, dafs die folgende Darstellung
ihre Berechtigung in sich selbst enthftlt.^)
Die allgemeinen Daten über Lage, Ausdehnung und ZnflOsse
dieser Seen sind aus den geographisehen Kompendien, wie z. B. aus
Wappaeus Handbuch Brasiliens leicht jeu entnehmen. Von einer Wieder-
holung dieser bekannten Daten ist daher hier ganz abgesehen, nur in
einigen Hauptzügen seien die wesentlichereu Momente kurz berührt.
In hydrographischer Beziehung zerfallt, von mancherlei kleineren,
direkt in den Oceau sich ergiefsenden Flüssen abgesehen, die Provinz
Kio Grande do Sul im wesentlichen in zwei Gebiete, ein östliches
und ein westliches. Letzteres ist durch den üruguaystrom reprä-
sentiert, jenes durch die beiden grolsen Lagoas und ihre Zuflüs.se.
Die Lagoa mirim ist die kleinere, wie auch ihr Name (mirim^ klein)
besagt, und sie empftngt auch keine sehr bedeutenden Zuflüsse. Der
wichtigste derselben ist der bis zur Stadt gleichen Kamens fftr kleuie
Dampfer schiffbare Jaguarad. Diese Lagoa steht mit der Lagoa dos
Patos durch einen flufsartigen Kanal, den S. Gongalo in Verbindung,
dessen Anfangsteil bei der Lagoa mirim als „Sangradouro" bezeichnet
wird. Die Lagoa dos Patos empfängt an ihrem westlichen Ufer die
von der Serra dos Fapes und der Serra do lierval herabkommenden
Gewässer, unter denen der Camaquamflufs weitaus der stärkste ist,
und setzt sich bei der Ponta de Itapuam in den Guahybastrom fort,
der seinerseits durch den Zusammenflufs des Jacuhy, Gaby, Rio dos
Sinos und Gravatahy gebildet wird. Die ganze enorme Wassermenge,
welche somit in der Lagoa dos Patos angesammelt wird, steht mit
dem atlantischen Ocean nur durch einen schmalen, kurzen Ausflulia,
den Ganal do Norte, in Verbindung, welchen man anfangs für einen
Flul's hielt und daher Rio Grande nannte. Die Sandbänke, welche
sich au der Ausmündung dieses Kanales in den Ocean vorfinden,
bilden die berüchtigte Barre von Rio Grande. Die brasilianische
Regierung läfst gegenwartig diese Barre durch eine Kommission von
Ingenieuren studieren, um damit die Grundlage für die Herstellung
efaies allezeit offenen und hinreicheDd tiefen Fahrkanales zu ge-
winnen. Diese Kommission, unter Leitung eines brasilianischen
Ingenieurs, Dr. Bicalho, stehend, hat kOrzlich ein groüses, nicht
im Buchhandel erschienenes Relatorinm*) Aber ihre Studien ver-
Itffentlicht, auf welches ich mehrfach zurückkommen werde. Freilich
sei gleich bemerkt, dafs die ganze Arbeit nach der wissenschaftlichen
^) Diese Abhaudlang schliefst sich gewissermafsen als Weiterführuog an
memen Artikel ,Am Onahyhft* aa, der im Jahrgang 1884 oder 1885 von .Unsere
Zeit" erseheuien wird.)
*) Melhoramento da Barra do Bio Grande ^o Sul. Behtorio appreaentado
ao Gtovemo imperial. Bio de Janeiro Typographla oadonal 1883.
GMgr.Biittw. mmun, tm. 18
Digitized by Google
— 166 —
Seite hin sehr anfechtbar, ja vielfecb, wie z. B. im meteorologischen
Teile,' ganz unbrauchbar ist, da dieser nidit nur Yon Rechen- und
Druckfehlern wimmelt, sondern auch so leichtsinnig zusammengestellt
ist, dafs z. B. für einige Jahrgänge die Monatsmittel der Temperatur
liöiier angegebeij sind als die Maximal Der technische Teil dieses
Relatoriums ist von eniem mit den Verhaltnissen der Barre seit
Jahren genau bekannten deutschen Ingenieur, Herrn VV. Ahrous,
einer vernichtenden Kritik unterzogen worden, und im Senate hat
Staatsrat Avila in einer niciit widerlegten Rede nachgewiesen, dafs
die Fähigkeiten des leitenden Ingenieurs noch nicht einmal dazu
liinreichend waren, brauchbare Baggermaschineii zu bestellen —
gleichwohl bleibt alles beim alten. Der brasilianische Nativisnius
sträubt sich gegen die Berufung kompetenter auslandischer Kraite,
von anderen wichtigeren Motiven ganz abgesehen.
Die Lagoa dos Patos verdankt ihren Namen nicht, wie öfter
irrig angegeben wird, den grofseu Patos-P^nten (Cairina moschata L.),
welche an ihr nur selten, bei Rio Grande z. B. gar nicht vorkommen,
sondern den in früherer Zeit in ihrer Umgebung hausenden Patos-
Indianern. Sie läuft wesentlich der Küste parallel, von der sie nur
durch einen schmalen, stellenweise nur 5 — 6 km breiten Streifen
niederen Alluviallandes getrennt ist. Auch ihr Niveau liegt wesent-
lich mit dem des Oceans gleich, so daCs Segelischifife in der Lagoa
h&ufig die im Ocean nahe der Kttste segelnden Fahrzeuge deutlich
erkennen. Es liegt nur eine Nivellierungsarbeit vor, welche von
der Barrekommission bei Estreito ausgeführt wurde und eine Niveau-
difi'erenz beider Wasserspiegel um 8 cm ergab, eine verschwindend
kleine Differenz, zumal wenn man die Kntlemung des betretfenden
Platzes von der Barra. welche etwa 7ö km beträgt, in Betracht
zieht. Aul'serdem ist ja das Niveau fast nie l;\iigere Zeit hindurch
an einem Platze gleichbleibend. Für die l)eurteilung der Niveaii-
schwankungen selbst und ihrer Ursachen fehlen zur Zeit noch hin-
reichend )»(»<itive Daten 1'-; sind wesentlich vier Momente, welche
hierbei in Detracht kommen: die nach den Jahreszeiten wechselnde
Menge der von den Flüssen zugeführten Wassermassen . die in
gleicher Weise von der Jahreszeit abhangige Gröfse der Verdunstung,
die vom Meere her eindringende Flut und flie Kinwirkung der Winde.
All diese Faktoren bedingen einen steten Wechsel des Niveaus in der
Lagoa und im Canal do Norte.
Ein regulaTer Wechsel von £Me md FUU existiert an der
Küak von Rio (xrande nicM,*) wird aber von St Cathadna an all-
*) Dieae so anfBOlige TlutHwhe dürfte schwer so erU&ren sein, sanalbei
Bescbrinkiing der Ersoheiaang auf ein sehr geringes Kfistengebiet Sie aei
Digiii^eu by Cookie
— 167 —
lu&hiich ^egen Norden immer deutlicher. Was man daher hier im
Rio Grande resp. im Ganal do Norte Flut (mar6) nennt, ist an keine
regelnUUsigen Zeitpunkte gebunden und mehr vom Winde abhängig
als Yon der Flutwelle. Die Fluthöhe resp. Höhe des Wasserstandes
wird nahe bei der Barre in dem Orte Barra bei der Inspectoria des
1 Lotsendienstes und in dem Rio Grande gegenüber gelegenen Orte
S. Jose de Norte gemessen. Der Nullpunkt des Pegels (^mare-
^rapho") entspricht der Höhe des normalen niedersten Wasserstandes.
Wenn dieser ausnahmsweise bei starker seewärts gehender Strömung
sehr zurückgebt, so beobachtet man auch bis zu 0,25 m unter Null.
Das bis jetzt beobachtete Maximum der Flut, welches bei Barra ge-
messen wurde, betrug 2 m, die gvöDste infolge einer einzelnen Flut
dort beobachtete Erhöhung belief sich auf 1,40 m. „Die Fluten*^,
sagt das citierte Relatorium,^) »sind aufserordentlich unregelmftfsig
infolge der bedeutenden Einwirkung der Winde. Die Winde verur-
sachen im Canal do Norte Niveaudiflferenzen bis zu 30 cm zwischen
der Inspectoria des Lotsen wesens und S. Jos^ do Norte, wobei sii h
bisweilen das Niveau dieses letzteren Punktes unter dem von Barra
befindet. Gleiche Niveanscbwankungeu finden in der Lagoa dos Pa-
tos statt, zwischen Itapoam und Estreito, wo sich Observations-
marken befinden. Unter dem EinduTs der Winde (allein?)^ hat
die Wasserhöhe binnen 8—14 Tagen geschwankt um 0,«» m in
Itapuam und um 0,7o m in Estreito. An einem und demselben
Tage steigt das Niveau in Itapuam und sinkt in Estreito oder
umgekehrt^ wobei Niveauschwankungen von 0,m bis 0,4o m
beobachtet werden.
Der Bericht der Barrekommission scheint uiir für die Niveau-
schwankungen zu einseitig, den Wind als Faktor in Anspruch zu
nehmen. Ein weiterer Faktor ist jedenfalls durch Begen und Ver-
dunstung gegeben. Die atmosphärischen Niederschläge zeigen in
der That erhebliche Differenzen nach den Jahreszeiten, so dafs man
sagen kann, die Hauptregeuzeit ist der Winter (Juni, Juli, August).
In Rio Grande sind durch das Hafenamt (servi^o da conserva^ao do
porto) seit 1877 regelmäfsige Messungen mit dem Onibrometer
(„Pluviometer'') angestellt worden. Ich gebe im folgenden die be-
zügliche Tabelle in Millimetern.
d«Mii ZOT bMonderen Beachtang empfohlen, welche aicb der mShuamen aber
dankbiren Aufgabe unterziehen wollen, die wohl nachgerade als unhaltbar sich
heiaiissteUeude Lehre Whewells von der Entstehung der FlotweUe lediglich im
•tiUeD Ocean, einer genauen Praiong sn nnteraiehen.
«) l c ]^ aid.
ÜigiiizüKj by Google
— 168 —
Jahr
Frühjahr
Summer
Herbst.
Winter
1
Im ^jotm
1877
238^
884,»
' 1 1 III 3Bas3B5e3BMai
831^
290^1
1078
UU
870,«
891,t
687|t
1S9QU
1879
178^
187,4
966^
197,«
1880
816^
908««
94^
860u
1881
806^
98^
888»t
886^
1888
199^
828^
181^
848^
8S8^
Mittel
196^
194^
288^
860,1
970^
Es entfällt also mehr als Vs resp. ttber 36®/o der gesamten jährlichen |
Regenmenge auf den Winter. Namentlich in der zweiten Hälfte des j
Septembers und zu Anfang Oktobers sind stari^e und anhaltende '
Regengüsse sehr gewöhnlich, so dafs man mit einiger Sicherheit aaf
die Enchente de S. Miguel (Michaelisüberschwemmang) recbiiai
kanD. Wenn daher ohnehin schon im Winter die Luft am m^stw
mit Waaserdampfen gesättigt ist, so kommt noch hinzu, daCs auch
die erhebliche Temperaturemiedrigung die Verdunstung auf ein weit i
geringeres Mafs beschrankt. Gesteigerte Wasserzufuhr und vermin- !
derte Verdunstung müssen ja notwendig in dieser Jahreszeit das |
Niveau der Lagoa auf der überhaupt möglichen Höhe erhalten.
Wenn dies auch nicht durch direkte Messungen konstatiert ist, so
wird es doch durch den Umstand erwiesen, dafs im Winter das
Wasser der Lagoa nie salzig wird, wie das im Hochsommer fast
regeimälsig der Fall ist. Das Seewasser aber dringt offenbar nur
dann massenhaft in die Lagoa ein, wenn deren Niveau infolge zu-
mal der gesteigerten Verdunstung unter dasjenige des Oceans her-
untersinkt Ich komme auf diesen Punkt weiterhin noch zurück.
Den Haupteinflufs auf den Niveauwechsel in der Lagoa, zumal
aber im Canal do Norte, haben die Winde. Es sind auch hierüber
von 1877 — 1882 in Rio Grande Beobachtungen angestellt worden,
welche wichtig genug sind, um wenigstens kurz mitgeteilt zu werden.
Von den Winden, von denen man oft diejenigen von Osten bis Süd-
westen als ventos do mar bezeichnet im Gegensatze zu den ventoe oder
der yira^ao da terra, ist der Nordost weitaus der häufigste und im
allgemeinen auch der stärkste. Vorherrschend sind Nordost im
Sommer und westliche Winde, zumal Südwest, im Winter. Der
Südwestwind wird hier bald als Pampeiro, bald als Rebojo bezeich-
net. Er ist namentlich in den ersten Stunden nicht selten von
orkanartiger Heftigkeit. Glücklicherweise hält er nicht lange au.
auch können die Seeleute sein Herannahen schon einige Zeit zuvor
Digitized by Google.
— 169 —
erkennen und danach ihre Mafsregeln treffen Mit einem allgemein
bekaunten Trivialnamen ist aufser ihm nur noch der Westwind be-
legt, der Minuaoo, welcher besonders im Winter durch seine Kalte
sich unangenehm geltend macht und in der Regel bei klarem Himmel
drei Tage anhält. Der Südost, weldier das Meer heftig und tief
erregt, treibt oft die Schiffe anf die Küste, deren i^Zimmermann*'
ihn daher die Seelente nennen. Der feuchteste Wind der Rio
Grandeküste ist der Nordwest. Der stärkste Wind ist im allge-
meinen der Nordost, doch kommt ihm an Heftigkeit der Pampeiro
nicht selten nahe. Wären mir nicht die nachstehend mitgeteilten
Zahlen zur Hand gewesen, so würde ich unbedenklich den Pampeiro
für denjenigen Wind erklärt haben, der die gröfste Heftigkeit zeigt.
Wirkliche Orkane oder Cyclonen kommen übrigens fast nie an der Rio
Grandeküste vor. Die mittlere und maximale Stärke der einzelnen
Winde giebt nach den Anfnahmen Ton 1877—1882 die folgende
Tabelle, in welcher die Geschwindigkeit in Metern pro Sekunde an-
gegeben ist Der stärkste in jenem Zeitraum beobaditete Wind war
ein Nordost yon 43,« m Geschwindigkeit in der Sekunde. Im Jahr 1883
wurde ein WSW.- Wind (also ein Pampeiro) von 38,5 m gemessen.
WindrielitnBg
Mittal
N. E.^) (Nordost)
10,8«
43,60
*
E. N. K
9,55
30,60
£.
7,55
27,80
E. S. £•
6,93
22,90
S. E.
6,84
24,00
S« S. £.
7,S6
23,40
S.
7,84
29,50
s. s. w.
1^
27,90
s. W.
8,is
35,90
w, s* w.
7^1
24,S0 (88^ IB IMI)
w.
35,80
W. N. W.
7,so
30,70
N. W.
6,07
21,90
N. N. W.
7,u
20,80
N.
6,5S
22,10
N. N. E.
8,76
3(Vio
*) Ich habe M&t Oit mit E.r Wost mit W. bcaeichiioL In pofftagiwiMh-
loMiliMinchon PübükfttioiMii bodontet 0. mcht Ost, sondern Weit Sndoesto
ist Südwest, Sneste ist Sfldosti Este oder Lcsto = Ost. Es wäre im Interesse
der geographischen Litteratnr zn wünschen, dars sich gemeinsame intematioiiale
Vereinbamngen über gieichmäfsige Bezoichnunp der Himni* Isf'orrpndpn crziplen
liefsen, resp. die Vorschläge des Wiener Meteorologen-Konf^reis aucli von den
lOBUUiiMhen Nationen acceptiert würden, aleo £. für Ost und W, für Westen.
Die nach Stärke und Häufigkeit bemerkenswertesten Winde
sind also einerseits um Nordost, andererseits um We.<t -Südwest
gruppiert Beide sind von sehr verschiedenem EinÜufs auf die Bant
resp. die Hdhe des Wasserstandes üher ihr und die im Kanal za
heohachtenden Strömungen. Im allgemeinen ist fQr den Canal do
Norte zu sagen, dafe das Wasser steigt hei sfidlichem, sinkt hei
nördlichem Wind. Bei NO. und NW. entsteht Vasante (von vasar = ent-
leeren), tl. h. eine aus der Lagoa in den Ocean gerichtete Ströniuo::.
durch welche der Wasserstand über den Sandltäiikeii <ler Harrf so
herabgesetzt wird, dafs die ^^ehiffahrt sehr geheiiniit und bei leb-
haftem Winde ganz unterbrochen wird. Dann ist tlie Barre «imprae-
ticavel*' und zahlreiche Dampfer und Segelschiffe harren vor der
Einfahrt auf den Moment, wo mit Wechsel oder NachlaCs des Win-
des die Einfahrt möglich wird. „Mansa** ist die Barre, wenn sie
ganz ruhig liegt, oon voga — con vagalhaö ^ brava sind die nicfast
höheren Stadien. Der Lotsen- und Signaldienst ist Obrigens in der
Barre gut organisiert, ebenso wie auch an der Lagoa dos Patos and
an der Küste die Leuchttürme vortrefflich eingerichtet und gt;\vi^sen-
haft bedient sind. Brasilien darf sich dieser Leistungen wohl rühmen,
recht im Gegensatz zu seiner sonstigen kostspieligen und trotz mehr
als überreichen Personales schleppenden und buinnieligcn Verwal-
tung. In der Ortschaft Barra, einem kleinen aber sauberen freund-
lichen Orte, welcher lediglich den Lotsen und deren Familien zum
Wohnplatze dient, erhebt sich neben der schlanken ans unheworfenen
Backsteinen errichteten Sftnle des Ijeuchtturmes ein vierseitiges,
weifsgetönchtes turmartiges Gebäude, die Atalaia, auf welcher sich
oben die Warte mit Femrohr und zwei Flaggenstangen befindet,
von welcher aus durch Flaggensignale die Tiefe des Fahrwassers
angezeigt wird, welche meist zwischen 11 — 15 Palmen ä O,« ni
variiert. Schon von weitem gewahrt nian bei der Ankunft die rote
Säule des Leuchtturms und das weifsschinimenidc Bauwerk der Ata-
laia. Zwischen beiden liegt eine einfache aber geräumige Kirche,
welche in ihrem hinteren und seitlichen Teile Zimmer enthält, die
gegenwärtig der Barrekommission zum Kontor dienen.
Die Strömung aus dem Kanal ins Meer heilst, wie bemerkt,
iiYasante'^, die entgegengesetzte „Enchente." Letzteres Wort be-
deutet eigentlich Überschwemmung, wird jedoch auch gleichbedeutend
mit Flut gebraucht, wie Vasante mit Ebbe. In Brasilien unter*
scheidet man die bei uns durch die unzweideutigen Ausdrücke Flut
und Ebbe bezeichneten Phänomene nicht durch scharf bestimmte Aus-
drücke, daher aufser den eben erwähnten Namen für Flut auch
marö und mar^ alto und preames in Gebrauch ist, für £bbe Mar^
^ .i^cd by Googl
baixa oder Baixamar. Mar6 bezeichnet Flut im allgemeinen, auch
Springflut. Nur letztere ist es, die sich in Bio Grande geltend
machen kann, da ja, wie gesagt, das reguläre Phänomen von Ebbe
und Flut hier nicht existiett. Es ist offenbar auch ein Mifsgriff,
wenn die Barrekommission die besprochenen Verhaltnisse von va-
sante und enchente mit Kbbe und Flut in Verbindung bringt, denn
diese haben doch mit der Wimlrichtung nichts zu thuu, jene aber
sind davon nicht nur abhängig, sondern ausschliofslich durch sie be-
dingt, so zwar, dafs es bisher nicht möglich war, hiervon den An-
teil zu scheiden, den etwa Springfluten oder ähuliche Erscheinungen
anch haben wenlen.
So bietet denn der Canal do Norte das sonderbare Phänomen
dar, die Ausgangspforte zur Entleerung der gesamten Wassermasse
eines riesigen Areales zu sein, ohne eine konstante Strömungsricfa-
tnng zu besitzen. Es ist dies nur verständlich, wenn man daran
festhält, dafs das Niveau der Lagoa- nicht oder kaum von jenem des
(Jceans verschieden ist, und die Strömungen daher lediglich der
Ausdruck von Ausgleichungen der Niveanstörungen sind, welche durch
die Winde verursacht wurden. Solchen Eintiufs der Winde hat man
nicht nur in der Lagoa dos Patos zu konstatieren, sondern auch
noch im Guahyba, wo ich sie an der Mündung des Fasso-fundoflusses
in der Nähe von Ted ras brancas beobachtete. Oftmals habe ich
dort aus dem schlammigen Boden die beim raschen Zurückgehen
des Wassers zurflckgebliebenen grofsen Muscheto herausgenommen,
wo Tags zuvor noch 20 — 30 cm hoch Wasser stand. Auch an der
Hflndung des S. Louren^flnsses in die Lagoa dos Patos ist der
Eintiufs des Windes auf die Höhe des Wasserstandes ein so bedeu-
tender, dafs die Möglichkeit des Passierens der Barre wesentlich
von der Windrichtung bestimmt wird. Diese Barre ist sehr seicht, der
schmale S. Lourenzotlufs überhaupt nur 2 oder 3 km weit auf-
wärts fahrbar. Als ich kürzlich mit iSegelschiff (s. g. Hiate) von
Rio Grande kommend, diese Barre passierte, hatte sie nur 4 Palmen
(i 0,1t m) Tiefe des Fahrwassers, wfthrend das Schiff 4Vi Palmen
tief ging. Diese Differenz liefe sich noch überwinden, indem an dem
voiausgefohrenen Anker das Schiff fiber die Sandbank hingezogen
wurde. Am folgenden Tage bei 3 oder 3Vs Palmen Fahrwasser
wäre dies nicht möglich gewesen. Da hier aber keine grofse An-
schwemmung, Strömung u. a. statt hat, wird es sehr leicht sein,
durch Baggern einen guten Fahrkaual herzustellen, der lange Jahre
sich erhalten dürfte. Die Provinzialregicrung geht gegenwärtig
mit der Absicht um, mit der ihr gehörigen Baggcnua^chioe diese
natzliche Arbeit ausführen zu lassen.
Digitized by Goögle
172 —
Das Wasser an der Barre des S. Lourengoflusses steigt bei
Nordostwind, fallt bei Westwind. Im Sommer hat die Barre von
S. Louren^o bei Nordostwind 4V/2— 5 Palmen Wasser, bei Westwind
2—3 Palmen. Die Schiffe sind daher für das Passieren der Bam
ganz auf die Windrichtung angewiesen. Die Uferlinie der LagoA
dos Patos streicht in der Gegend der Mündung des Lonren^fluases
von NNE. nach SSW. Es ist daher auch einleuchteod, dab west-
liche Winde das Wasser vom üfer wegnehmen, Östliche es gegen das-
selbe antreiben. Während der S. Louren^flufs in wesentlidi west*
östlicher Richtunj.^ tiiefst und ausmündet, hat der Canal do Norte
eine wesentlich von Nord nach Süden gerichtete Lage. Es ist daher
auch leicht begreiliich, dafs die Einwirkung der Winde sich ver-
schieden äufsern, der vorherrschende NE. au der Barra geral ein
Sinken, an der Barra des S. Loureo^ ein Steigen des Wassers
zur Folge haben rauls.
Das was oben über Niveau- und Strömungsverhaltoisse der
Lagoa dos Patos erörtert wurde, bietet auch die Erklärung für
die eigenartigen Bedingungen, welche der S. Gon^alo darbietet»
der Yerbindungskanal von der Lagoa mirim zur Lagoa dos Patos.
In Brasilien nennt man solche Seeabflüsse Sangradouros, doch hat
in diesem Falle der Sprachgebrauch letzteren Ausdruck auf den
Anfangsteil des Kanales beschränkt, auf die Cbergangsstrecke der
Lagoa mirim in den S. Gongalo. Gerade dieser Sangradouro, an
dessen nördlichem Ufer der kleine jetzt zur Villa erhobene Ort
Santa Izabel liegt, das man auf alteren Karten auch als „Canudos'* ^)
eingetragen findet, bietet der Schiffahrt am meisten Hindernisse,
während der S. Gon^o selbst fast durchweg sehr tief ist. Es sind
daher audi uulftngst Baggerarbeiten hier ausgeführt worden, doch
ist ünmerhin aus diesem Grunde wie wegen der Barre des JaguariS^
flusses die Schiffahrt nur kleineren Fahrzeugen und wenig tief
gehenden Dumpfern möglich. Zwischen Rio Grande und JaguaräÖ
verkehrt wöchentlich einmal ein kleiner Dampfer für Personen und
Frachtverkehr, während der mehr westwärts nahe der Endaussackung
der Lagoa mirim gelegene auch zur Villa erhobene Ort St. Victoria
do Palmar keinerlei regelmäfsige Schiffsverbindung besitzt.
Die Lagoa mirim, welche, zumal durch den breiten aber wenig
tiefen Jaguaraoflufe eine nicht unbedeutende Wassermasse zugeführt
erhält, entleert, wie bemerkt, für gewöhnlich ihr überschüssiges
Wasser durch den S. Gon^lo in die Lagoa dos Patos. Auch der
") Die frühere Freqnezia, jetsige Villa, heifst St. Izabel dos Canados.
Letzterer Name bezog sich auf den am gegenäberli^enden Ufer gelegenen Ort
CaiiadoB.
Digitized by Google
— 173 —
I
S. Gon^lo erh&It noch einige Znflttsse, unter denen aber nnr der
Bio Piratinim nennenswert ist, welclier namentlich nach starken
Regengüssen bedeutend anschwillt. Der 8. Geniale selbst aber
steigt auch nach stärkstem Regen nie mehr als höchstens um 0,5o m,
ein Umstand, dessen Vorteile die Anwohner der niederen Ufer-
gelände wohl zu schätzen wissen. Der S. Gon(;alo hat keinerlei
Fall oder auspresprochene Strömung, es ist daher auch wohl nicht
ganz zutreffend, wenn er in geographischen Werken und Karten
als Rio oder Flufs bezeichnet wird, denn er hat nicht einmal eine
konstante Strömungsrichtung. Wenn im Hochsommer bei ge-
steigerter Verdunstung das Niveau in der Lagoa dos Patos und
der Lagoa mirim sinkt, so dringt aus dem Ocean auch in letztere
durch den 8. GoD^alo 8eewa8ser ein und das Wasser' der Lagoa
wird brakisch bis zur Ponta negra, drei Leguas vor der Barre des
Jaguaräbflusses. Während der grofsen Trockenheit von 1856 dehnte
sich das Salzwasser bis zur Barre des Jafftianiötiusses, 1850 aber
fast über die ganze Lagoa mirim hin aus. Wenn dann in solchen
Zeiten starker „Secca*" durch heftige Regen der Piratinimflufs plötz-
lich stark anläuft, so strömt der S. Gon^alo wie ein reifsender Flufs
an St. Izabel vorUber zur Lagoa mirim. Wir haben somit im
S. Gon^o den jedenfoils seltenen Fall eines Flusses oder richtiger
Seeabflusses gegeben, welcher bald vor- bald rQckwärts fliefet Ist
auch das ganze Yerhftltnis vom hydrostatischen Gesichtspunkte ans
sehr leicht verständlich, so scheint doch ein solcher Fall, wie der
hier geschilderte, nicht oder nur in wenigen Beispielen bekannt zu
sein. Ich erinnere mich weder ähnliches gelesen zu haben, noch
kann ich in v. Kloedens Erdkunde oder anderen geographischen
Werken derartiges beschrieben finden. So mufs ich es denn Geo-
graphen von Fach überlassen, dieser Thatsache deu rechten Phitz
anzuweisen und Vergleichungsmaterial heranzuziehen.
Dieser 8. Gont^lofluis scheint mir in mehr wie einer Be-
ziehung von Interesse. Seeschiffe wOrden bei seiner Befahrung,
sobald sie die Barre desselben unterhalb Pelotas passiert, keine
Schwierigkeit finden. Interessante Angaben v^danke ich einem
der älteren Bewohner von St. Izabel, Herrn Kapitao Jos^ Maria
da Silveira. Wie er mir mitteilte, besteht die Insel, welche im
Sangradouro liegt, erst seit etwa 50 Jahren. Der S. Goncalo tiofs
an der St. Izabelseite. also am westlichen Ufer, und rifs dann am
östlichen einen Kanal ein, welcher die betretende Insel bildete.
Auf gleiche Weise entstanden die anderen Inseln weiter strom-
abwärts, nur eine nahe bei der 11ha das mogas gelegene kleine
Insel bildete sich vor etwa 16 Jahren auf andere Weise. Sie be-
Oigitized by
— 174 —
I
sUnd früher als Sandbank und erhob sich langsam über den Spiegel
des Wassers, ans dem sie jetzt, schon mit Bttscfawerk Aberzogen,
einige Palmen hoch emponaLri.
St. Iziibel und die rmgebung bestehen wesentlich durch die
Viehzucht. Ackerhau oder Industrie findet sicli nicht, nur Kalk-
steinbrüche werden in der Nahe ausgebeutet. Seinen Verkehr hat
St. Izabel mit Pelota.s. Der Weg führt aber nicht an dem vielfach
sumpfigen Ufer des S. Gon^alo hin, besonders weil hier der Pira-
tinimflafe nicht passierbar wäre. Die Strasse überschreitet diesen
Flufs am Passo de Maria Gomes, etwa fünf Meilen von St IzabeL
Das flache felsige Bett des Flusses ist dort für Wagen leicht passier-
bar, nnr bei hohem Wasserstande mufs die Fähre benutzt werden.
Dicht neben diesem Übergang steht jetzt die neue Eisenbahnbrücke
der Linie Rio Grunde, Pelotas, Bagi, der sogenannten Südbaha der
Provinz.
Der Wechsel in der Strömuugsrichtung vollzieht sich, wie be-
merkt, auch im Canal do Norte bestandig, je nach dem Wind.
Die mittlere Geschwindigkeit der Strömung im Canal do Norte be-
trägt ungefähr eine Seemeile (1852 m) pro Stunde oder^etwa O^so m
pro Sekunde. Um einen Beleg fttr die Art dieses Wechsels zu geben,
lasse ich hier in Übersetzung aus dem Relatorium der Barre-
kommission einen Passus folgen. „Am 14. September 1883 war
Strömung der Enchente (Flut) infolge des frischen SSE.-Windes.
Naclideni am folgenden Tage der Wind in NIv umgeschlagen, be-
gann die Vasante, bis am 20. September der Canal do Norte see-
wärts strömte wie ein majest;Uischer Strom, mit einer Geschwindig-
keit von etwa zwei fSeemeilen pro Stunde. Der Wasserstand sank
erheblich. Das beobachtete Maximum in der Geschwindigkeit der
Vasante belief sich auf 1,35 m pro Sekunde.
Am 22. September nach 11 Uhr wurde an der Oberfläche
Vasante von O^s m pro Sekunde beobachtet, während in der Tiefe
von 2 m schon merkbare Enchente bestand. Einige Stunden darauf
war das Oberflächenwasser bis gegen 2 m Tiefe zur Ruhe ge-
kommen, während in der Tiefe unterhalb 2 m Enchente bestand,
mit einer Geschwindigkeit der Strönmn? von 0.f.s m pro Sekunde
(über eine Seemeile ])ro Stunde). Das ( )l)erflaclieiiwasser war schwach
brakisch und zeigte mit dem Aräometer von Baum(^ 0,5 ^ an, wo-
gegen das Wasser der Ticfenströmung stark salzig war und 3,5 "
mafs. Es trat also das stark salzige Seewasser unter dem Kanal-
Wasser in der Tiefe ein.**
Das Maximum an Geschwindigkeit zeigte 1881 eine Vasante
von etwa 3 m pro Sekunde oder 6 Seemeilen pro Stunde. Diese
Oigitized by Google
— 176 —
Vasante rifs am südiichen Ufer des Kanales grofee Landstreeken
weg, mit ihnen auch das Hans eines Macaco genannten Bewohners,
und versandete die Ikirre in schlimmster Weise. Ks ist stets die
Vasante, welche durch Abreifsen von Uf^nnassen und Fortschwemmen
des Sandes den gröfsten Schaden thiit, und zwar greift sie daliei
nur das südliche Ufer an. Letzteres ist daher steil und das Wasser
dabei tief, während am nördlichen Ufer der Strand sehr flach und
allmählich sich senkt, so zwar, dafs bei dem Orte Barra die aof
eingerammten Pfählen ruhende Landungsbrücke etwa fflnl Minuten
weit in das Wasser bineingebaut ist und trotzdem selbst die
kleinsten Dampfer flür gewöhnlich nicht an dem «Trapicho^ anlegen
können. Der Ingenieur Ahrons hat darauf hin als eine der wesent-
lichsten Aufgaben für die Öffnung der Barre die Verstopfung dieser
"Versandungsquelle, die Festlegung des südlichen Kanalflusses ge-
fordert. Der Chef der Barrekomniission aber, Dr. Biealho, legt
hierauf nur sekundären Wert und glaubt hauptsächlich durch
Baggern die Barre öflfiien zu können, und diese seine Meinung hatte
er, der nie zuvor ähnliche Arbeiten geleitet, bereits vier Tage nach
seiner Ankunft in Rio Grande dem Ministerium mitgeteilt, bevor er
nur irgend welche ernstere Studien aber die emschlägigen Verhält-
nisse hatte anstellen können, wie aus den Verhandlungen im Senate
hervorging. Trotzdem bleibt alles wie bisher, denn in Brasilien
kommt es bei solchen Angelegenheiten nicht auf die Fra^e an, ob
oder was jemand leisten kann, sondern darauf, zu welclier Partei
er gehört und welcher Protektion er sich erfreut.
Hinsichtlich der oben berührten Strömungsverhältnisse sei liier
noch darauf hingewiesen, dafs die Barrekoniniission n;ich einer von
ihr augestellten Beobachtung die Existenz der brasilianischen Küsten-
strömung ganz läugnet, obwohl ihre Fahrt sich bis 148 Seemeilen
ostwärts der Barre ausgedehnt hatte. Von manchen Seeleuten
werde eine noch weiter nach Osten abgelegene Strömung des grauen
Wassers (das aguas Verdes) angegeben, welche vielleicht die brasi-
lianische Kflstenströmung darstelle. Innerhalb des untersuchten
Gebietes seien lediglich solche Strömungen mit einer Geschwindig-
keit von 15- 29 Seemeilen pro 24 Stunden beobachtet worden, wie
sie die Winde hervorbrächten. Es ist aber die Frage, oli die an-
gewandten Untersuchungsmet ho len zutreffend waren, wenigstens sind
mir in diesem Sinne Zweifel geaufsert worden, und das Keäultat
wird bestritten.
Ein weiterer hier näher zu erörternder Punkt ist der Wechsel
im SdlsgßkoM des. Wassers bei Rio Grande nnd im Canal do Norte.
Ich habe bei Rio Grande diesen Wechsel schon um deswillen genau
Digitized by Google
— 176 —
▼erfolgt, weil damit weitgehende Änderungen der Tierwelt Hand in
Hand gehen. Während die Angaben der Barrekommission in Graden
der Baum^schen Aräometerskala angegeben sind, habe ich meinen
Aräometer in See^salzlösungen von 1, 2, 3 und 4 °/o geprüft und
dennoch den Salzgehalt der Wasserproben ermittelt. Die vielerlei
Angaben, welche man über Salzgehalt und specifisches Gewicht des
Meerwassers findet, stimmen vielfach unter sich nicht genau überein ;
ich kann daher keine völlig zuverlässigen Zahlen liefern, doch
dürfte im allgemeinen folgendes Verhältnis der Wahrheit wenigstens
ziemlich nahe kommen. Es entspricht einem
Salzgehalt von 1 ^/o eia specifisches Gewicht von 1,mt9
» » 2<»/o . ^ » », 1»«»
n » 3®/o , „ n » Ii«"
» , 4*/0 u 9 jf ff
Der Salzgehalt des atiantiachen Oceans soll im Mittel etwa
3,4 bis 3«» V9 sein, was einem spedfischen Gewicht von l,<m hia
1,MTT entspricht In der Aiftometerskala von Baumö entspricht
1 ^ dem spedfischen Gewicht von l,o«t6
2* » n » ^ 1.««
3* a „ » n
^* » n n n l.^ao
Nach der Barrekommission ist der Salzgehalt des Oceans
4^ Baumö resp. entsprechend dem spedfischen Gewicht von l.oim.
Der stärkste von mir gemessene Salzgehalt war 3,s5 (specifisches
Gewicht von nahezu 1,m5). Diese Wasserprobe entnahm ich der
Lagoa dos Patos in der Gegend von Estreito, etwa 75 km von der
Barre entfernt, am 16. Februar 1884. Hier war das Wasser also
schon sehr stark salzig, und prächtiges Meerleucbten kündete nachts
auch dem Auge, dafs dieser Binnensee nicht oder weni.;^^tens hier
und am Ende des Sommers nicht Süfswasser enthalt. Es war somit
wenig verdünntes Meerwasser bis in die Gegend von P^streito ein-
gedraogen. Erst oberhalb Estreito machte sich die Mischung mit
Süfswasser geltend. In der Gegend der Camaquammündung war
der Salzgebalt schon etwas weniger als 1 ^/o, bei Christo vao Pereira
in der Nahe von Mostardaa hatten wir Süfswasser. Der Wftrter
des dortigenLeuchttnnnes aher versidierte mir, dafs häufig im Sommer
das Seewaaser anch hia dahin nnd selbst noch wdter hinauf vor-
dringe, wobei dann die vorhandenen Sflfewasserfiscbe ahstOrben.
Ünter diesen Umstanden erwartete ich denn an der Koste,
S. Job6 do Norte gegenüber, das reine schwere Oceanwasser za
erhalten. Ich war daher nicht wenig erstaunt, als die dort ent-
nommene Wasserprobe nur einen Sahsgehalt von 2^ ergab, ent-
Digitized by Google
— 177 —
sprechend einem specifiacben Gewichte nicht von 1,mt, wie ich erwartet
hatte, sondern nur von l^ani. Der scheinbare Widersprach lOst sich
leicht aof dmch Berücksichtigung des Zeitpunktes, indem nftmlich
diese Probe am 90. Juli genommen wurde, mitten im Winter. In
dieser Jahreszeit aber reicht, wie schon früher erörtert, derEinfloTs
des Sülswassers viel weiter gegen die Barre und einer der Ingenieure
der Barrearbeiteu versicherte mir, auch weit aufserhalb der
Barre gelegentlich noch fast süfses Brackwasser an der Küste ge-
funden zu haben. Die Stelle, au welcher ich jene Wasserprobe ein-
schöpfte, mag etwa 5—7 km von der Barre entfernt sein.
Es geht hieraus hervor, dafs der Salzgebalt in der Lagoa,
beziehungsweise deren unterem Teile, sowie im Canal do Norte und
vor der Barre in außerordentlichem Grade wechselt Während aber
die Veränderungen an der Barre und im Kanal wesentlich vom
Wechsel der Winde bedingt erscheinen, macht sich im übrigen auch
ein Einflufs der Jahreszeit geltend. Im Sommer, wenn die der Lagoa
zuströmenden Flüsse weniger Wasser führen und die Verdunstung
eine stärkere wird, dringt Seewasser in den unteren Teil der Lagoa
ein und bei weiterem Fortbestehen der zu Grande liegenden Bedin-
gungen bis zur Gegend von Mostardas und selbst weiter. Eine
genauere Untersuchung würde vermutlich auch erweisen, dafs das
Meerwasser in der Tiefe wmter vordringt als obeiflftchlich. Natürlich
wechselt der Zeitpunkt des Eintretens dieser Yorgftnge, sowie die
Grenze, bis zu welcher das Seewasser vordringt, je nach Mafsgabe
der Temperatur, Regenvertheilung u. a. in den einzelnen Jahren
ganz aufserordentlich. Im Gegensatze dazu macht sich im Winter
die Oberherrschaft des Süfswassers geltend. Während im Canal do
Norte auch im Winter unter dem Einflufs der Winde, beziehungs-
weise der Strömunuen der Salzgehalt bedeutenden Schwankungen
unterliegt, führen die hiervon weniger berührten Aussackungen der
Lagoa in der Nähe von Rio Grande im Winter wesentlich schwach-
salziges oft fast aüfses Wasser.
Im Hafen von Rio Grande selbst war das Wasser während des
Winters (Juni bis August) 1884 meist zwischen 0,»-^,9 ^/o salzhaltig.
Bei anhaltender eingehender Strömung wurd aber auch im Hafen
von Rio Grande das Wasser stärker salzig. Während im Juli durch-
schnittlich der Salzgehalt kaum 0,6 °/o betrug, und ich noch am
25. Juli O.r. 0 mafs, war am 29. Juli der Salzgehalt plötzlich auf
2,80 "/o gestiegen. Am 31. Juli freilich war er schon wieder auf
• l,»*^/o, am 1, August auf l,i8% zurückgegangen.
Bei Rio Grande ist kein oder wenigstens nie ein erheblicher
Unterschied zwischen dem aus der Tiefe entnommenen Wasser und
Digitized by Google
— 178 —
dem der Oberfläche zu bemerken. Anders ist es im Canal do Norte,
wo ich am 25. Juli das Wasser der Oberflache 1,2 °/o salzhaltig fand,
in der Tiefe von 5 m aber zu 2,8*^/o. Am 3(). Juli aber war an
derselben Stelle das Wasser der Oberfläche nur um Vio^'o schwächer
als das von 7 m Tiefe (2,7 ^/o). Aus den Beubachtuugeu der Barre-
kommission lasse ich dann hier noch einige Zahlen folgen, welche
sich auf lti83 ausgeführte Messungen bezieben. Der Salzgehalt iai
in Graden nach Baum6 ansgedrQckt Unter Tiefe ist die Tiefe-
region yerstanden, aus der die Probe stammt
a ivaw
Wind
ff iitift
ueiAai& vUMav
15.
September
überlläche
E.
0,5
4 m
II
0,8
6 ,
1,0
16.
September
Oberfläche
K. E.
0.0
n
14 m
0.a
22.
September
Oberflache
S. £.
3^
14 m
3»*
27.
September
7 «
S. V
2^
n
14 ,
9
3^
17.
Oktober
Oberfläche
N.
0,5
»
14 m
n
0,5
18.
Oktober
Oberfläche
S.
0,5
7 m
1,0
n
14 „
3,0
Der Wechsel im Salzgehalte ist mithia im Endabschnitte der
Lagoa dos Patos sowie im Canal do Norte ein außerordentlich grofser.
Während aber im Kanal sowie in der Umgebung von Rio Grande
oft binnen wenigen Tagen die Strtoungserscheinungen hochgradige
Schwankungen des Salzgebaltes zur Folge haben, sind die weiter ab
gelegenen Teile, jenseits des S. Gon^alo, von diesen, man konnte
sagen lokalen Erscheinungen des Kanals nicht beeinflufst; der Salz-
gehalt in ihnen, soweit er überhaupt iH)ch reicht, hängt von anderen
Momenten ab, von ilem Niveaustaude der Lagoa.
Es ist begreitiich, dafs solche Veränderungen nicht ohne be-
stimmenden Einfliifs auf das Tierlehen der Lagoa bleiben können.
Es giebt keine allgemeinen Gesetze über das Verhältnis der Wasser-
Uere zur chemischen Zusammensetzung ihres Wohnelementes, im
allgemeinen aber vertragen . Tiere, welche an eine bestimmte Be-
schaffenheit des Wassers gewöhnt sind, schwer oder nicht bedeutende ,
Alteration desselben. Niemals kann man Quallen, Seerosen, See-
Sterne u. a. im .SOfswasser am Leben erhalten, und die meisten im
Digiiized by Google
— 179 —
Sttlswasser lebeodeu Krebse, Schnecken, Muscheln u. a. gehen sehr
rasch zu Gnmde, wenn sie in Meerwasser versetzt werden. Andere
Tiere aber vertragen mehr oder minder bedeutende Schwankungen
im Salzgebalte, sei es, daCs sie wie manehe Seefisehe zur Laichzeit
in die Flfisse gehen, sei es, dals sie in Flufismandungen, sogenannten
Ästuarien leben. Man nennt na«sh Moebius Vorgange Tiere, welche
erhebliche Schwanknngen im Salzgehalt ertragen, euryhaliue, solche,
welche nur sehr geringfügiiie Alterationen desselben aushalten können,
steuoluiliue. Es niufs aber doch konstatiert werden, dafs hochgradiger
Wechsel, innerhalb der ganzen Skala von Süfswasser bis zum fast
vierprozentigeu Meerwasser, abgesehen von verschiedenen Fischen, im
allgemeinen nur von überaus wenigen Tieren ertragen wird. Es ist
daher auch kein Wunder, dafs die Tierweit des Rio Grande-Aestuars
so auiserordentlich arm ist. Von grOfsem Crastaceen kommen da-
selbst lediglidi Heliee granulata, eine Lupeaart und Palaemon bra-
siliensis regelmäßig nur in gröfserer Anzahl vor, im Sommer kommt
dann noch Peneus brasiliensis Latr. hinzu, der „OamarSo'*, eine sehr
grofse und wohlschmeckende Garneele. Die guuze Molluskenfauna
ist reduziert auf zwei noch dazu nirgends massenhaft angetroffene
Muscheln — Solecurtus platensis und Corbula (Azara) labiata und
eine winzige Schnecke, Hydrobia ") australis. Diese letztere findet
sich allerdings zu Millionen. Die Ufer der seichteren Buchten um
Rio Grande herum sind nämlich mit dichten Pflanzenmassen durch-
setzt, die teils aus Konfenrenmassen teils aus Ulvea und einer Art
Seegras besteben. In diesen Pflanzenmassen ist Hydrobia flberaus
gemein, aufiserdem findet man in denselben einige kleine Cmstaceen,
eine Brjozoe und einige Infusorien n. a. grolse Epistylis-Kolonien.
Nichts von Würmern, Nacktschnecken u. a., von Echinodermen u. a.
natürlich zu geschweigen.
Auch die Zahl der Fische ist eine beschränkte, wiewohl manche
Arten in solchem Moniten zu haben sind, dafs die Fischerei eine
nicht unbedeutende Erwerbsquelle der Bevölkerung bildet. Jenynsia
lineata und Girardiuus decemraaculatus sind überall und massenhaft
anzutreffen, seltener andere Cyprinodonten. Von gröfseren efsbaren
Fischen sind folgende während des gröfsten Teiles des Jahres an-
zntieffen und jedenfalls vom Salzgehalte nicht durekt oder wenigstens
nur m mafsigem Grade abhängig:
^ Dieselbe Erscheinung weisen die Arten dieser Gattung an anderen Orten
ml. Ackermann, Beitrage zar phys. Geogi-aphie der Ostsee, Hamburg 1883,
lagt 8. SS4: gVüUig onempfindliGh gegen die physikalischen YerhiltnkM de«
Wassers der innern Ostsee ist anscheinend nur eine Tierform, Hydrobia ulvae
f. Palndinelia stagnalis, eine schalentragende Schnecke, welche bei Goihad noch
diM«lbe Gröfse aofweisi wie in der Nonlsee/
uigui^cü Uy Google
— 180 —
Lobotes auctorutu Gthr. sog. Breixereive.
Pögonias chromis L. sog. Miraguaya.
Pogonias fesciatos Lac. sog. Buriquete.
Umbrina sp. (martinicensis G. V.) sog. Papa terra.
Sciaena aduata Ag. sog. Corviua und Cascuda.
Ancylodon jaculidens C. V. sog. Pescadinha.
Atherinichthys bouariensis C. V. sog. Peixe rey.
Mugü lizza C. V. sog. Dainha.
Pseudorhombus vorax (?) sog. Lingoado oder Zunge.
Arius Oommersonii Lac sog. Bagre.
Clupea aurea Ag. sog. Javelha.
Es sind dieses die auf dem Markte von Rio Grande am häu-
figsten vertretenen Fische, die zum Teil wie namentlich die in
grossen ausgewachsenen Exemplaren Cascuda genannte Cor vi na jeden
Tag vertreten sind, nicht selten in enonnen Massen. Andere, wie
die Bagres, fehlen im Sommer, weil sie in dieser Zeit oben in der
Lagoa dos Patos oder im Guahyba weilen. Gorvina, Dainha, Peixe
rey und Linguado sind wohl die am meisten an das Leben in dem
Kanäle angepafsten Fische. Andere, wie die riesigen Miraguayas,
halten sich nur in der Nahe der Barre auf und kommen nur weiter
herein, wenn das Seewasser weit und anhaltend vordringt. Diese
Miraguaya ist identisch mit dem „Trouimler" der nordamerikanischen
Ostküste, einem dort sehr geschätztcMi Handelsfische, dessen Ver-
breitung his Südbrasilien — vielleicht mit Überspringuug der
tropischen Distrikte — bisher ebenso wenig bekannt war als diejenige
des gleichfalls sehr geschätzten Lobote& Unter den minder h&nfig
beobachteten Fischen, solchen also, welche nnr im Hochsommer mit
dem Meerwasser in dem Ocean eindringen, befinden sich teils solche,
welche bisher nnr ans Rio de Janeüro oder von sonstigen Orten der
Kflste Brasiliens bekannt waren, teils solche, die noch in der
La lUatamündung leben, lui ganzen linden sich unter den über
40 Arten von Fischen von Rio Grande 10 Arten, also etwa 25%,
welche auch im Ästuar des La Plata vorkommen. Dieser Prozentsatz
wird wohl noch erhöht werden bei besserer Kenntnis der Fische des
La Plata-Ästuares, welches bisher noch nicht so eingeheud studiert
wurde wie dasjenige von Rio Grande. Fttr letzteres dürften meine
Untersnchnngen, aber welche ich an anderer Stelle eingehender
berichten werde, insofern als hinreichend erschöpfend gelten, als
weitere von mhr nicht beobachtete Arten wesentlidi nor nnter den
im Hochsommer eindringenden marinen Fischen m erwarten sein
dürften, wfthrend dagegen die eigentliche ständige Bewohnerschaft
Digiiized by Google
— 181 —
des Astuares uns jetzt im wesentlichen eben so wohl bekannt ist,
als es die Fische der in die Lagoa ausmündenden StrOme sind.
Von Schildkröten kommt bisweilen die grofse Suppenschildkröte
Thala880chely8 caretta (Lina.) auf den Markt, wo sie dann als seltene
Delikatesse teuer (20--25 Jk) yerkaoft wird. Aufserdem lebt im
Brackwasser um Rio Grande noch Platemys Hilarii L. B., die idi
auch aus dem JaguarS^nsse erbielt, während Im Gebiete der west*
liehen Zuflüsse der Lagoa dos Patos Hydromedusa Maximiliani Fitz,
angetroffen wird. Von Säugetieren halten sich im Rio Grande-Ästuar
nur zwei Delphine auf, Stenodelphis Blainvillei, der übrigens sich in
seiner Lebensweise streng an das Seewasser zu halten scheint, und
ein greiser Delphin, wahrscheinlich Delphinus cymodoce Gray, dessen
ich noch nicht habiiaft habe werden können; nur ein defekter
Schftdel diente mir zum Anhalte.
Wahrend somit die eigentliche Tierwelt des Rio Grande-Astnares
infolge der Mr die Entfoltung jedweden Tierlebens so ungünstigen
Bedingungen im ganzen als eine recht dOrftige zu bezeichnen ist,
bildet dagegen der Reichtum und die Mannigfaltigkeit der die Land-
schaft belebenden Vögel einen um so angenehmeren Kontrast. Die
Zahl der beobachteten Arten von Enten, Schnepfen, Strandläufern,
Seeschwalben, Möven u. a. ist in der That eine sehr beträchtliche.
Es würde viel zw weit führen, hier darauf näher einzugehen, und so
sei nur noch hervorgehoben, dafs unter ihnen sich auch die kreiden
südamerikanischen Schwäne befinden, Oygnns nigricollis, der soge-
nannte Pato arminho und Cygnus eoscoroba, der sogenannte Caporo-
xocca. Am merkwflrdigsten sind in dieser bunten Gesellschalt einige
VOgel, Ton denen man bisher nicht wulste, dafe sie bis zur bra-
silianischen Küste hm sich verbreiten, da ihr Wohngebiet wesentlich
in die antarktische Region fällt, so namentlich ein Pinguin aus der
Gruppe Spheniscus. Ich traf einmal nach einem starken Sturme
ein totes Exemplar an der Küste, weifs aber auch von niehreren
anderen Fällen, in welchen der Vogel lebendig gefan*]:en wurde. In
ähnUcher Weise erhielt ich zweimal von deu Fischern einen im Netz
gelegenen Taucher, Podiceps dominicus Lath., wfthrend man des
Überaus scheuen gi;a&en Tauchers, des sogenannten Mergalhao (Podi-
ceps bicomis licht.), nur durch einen sehr glücklichen Schnfs habhaft
werden kann, da der K<^f ftai regehnftfsig im Moment verschwindet,
wo der Finger den Hahn der Flinte in Bewegung setzt Auffallend
war mir, dafs der auf den Flüssen so hftufige Pbalacrocorax bra-
silianus (sogenannter Bigna) auch die Salzflut als Jagdgrund nicht
verschmäht.
Im Verhaltnisse zur Dürftigkeit der übrigen Tierwelt des Rio
.0«otr. amtir. Bmimb, 18«. 13
uigui^cü UV <jüOgle
— 182 —
Grande- Astuares erscheint die Klasse der Fische verhält iii.suiaisig
reich vertreten, da ich iin ganzen während etwa eines Jahres gegea
50 Arten derselben sammelte. Allein von dieser Zahl sind die Süfs-
wasserfische auszuscheiden, welche bei Übei*schwemmungen der Flü^
nicht selten mit bis Rio Grande beziehungsweise bis ias Meer gerissen
werden. Dafs in solchen Fällen Überschwemmungen von Flüssen die
Ursache sind, geht schon aus den Mengen von lediglich in sftssem Waner
▼oikonunenden Pflanxen« basonders Pontederien, dem Agua*p6 der
Brasilianer, hervor, welche dann doieh den Kanal hMuichtreibeB.
In einem Falle, in welchem mich das AnftreUm von SOfewaasediachen,
besonders von Pimelodus sapo unter den Fischen des Marktes wäh-
rend mehrerer Tage frappierte, führten die Nachforschungen zum
Ergebnisse, dafs unmittelbar zuvor der S. Gongaloflufs infolge hef-
tiger Regengüsse stark angelaufen war. So lange diese Flufsfische
bei Vasante sich noch in wesentlich sUfsem Wasser betiuden, werden
sie in normalem Zustande angetroffen, kommen sie aber in salziges
Wasser, so weiden sie rasch betäubt und sind in diesem Zoslaiide
vom Boot aus leicht au grei&n, weiterhin sterben sie ab und treiben
ins Meer hinaus oder werden ans Ufer geworfen. So fand ich bei
8. Jo86 do Norte am Ufer des Kanales einmal Macrodon trahira ond
erfuhr denn auf Befragen, dafs häufig genug Süfswasserfische ver-
schiedener Art ans Ufer getrieben würden.
Was hier nur vereinzelt vorkommt, gesdiieht weiter oben in
der Lagoa dos Patos in grofsem Mafsstabe, wenn im Hochsommer
das Meerwasser weit hinein in die Lagoa vordringt. Dann werden
die Süfswasseriische taumelig („torkelig"), und massenhaft heben die
Leute sie aus dem Wasser ins Boot. Unzählige aber gehen zu
Grunde und verpesten, ans Ufer getrieben, die Luft Die Fische be-
greifen ofienbar nicht, aus welcher Bichtnng das Seewasser eindringt,
so dafs sie sieh auch vor ihm nicht zurttckaiehen können. So löscht
denn die Natur, grausam und rflcksichtslos wie sie ist, die ganze
vorhandene Tierwelt periodisch mit eineni öchhige ans, soweit diese
nicht eben aus eurvbalinen Formen besteht Es ist denn aus
diesem Grunde die Tierwelt der Lagoa dos Patos auch iu ihrem
mittleren Teile ebenso arm wie bei Rio Graude.. Bei dem Leucht-
turme Christovao Pereira iu der Bucht von Mostaidas hndeu sich
von Mollusken lediglich die beiden schon erwähnten Arten von Cor-
bnhi und Hydrobia, eine Dttritigkeit, weldie seltsam kontrastiert gegen
das reich entwickelte MoUuskenleben im Guatyba, in welchem zshlr
reiche Arten von Anodonta, Unio, Leila, Cyrena, Aj^pullaria, Ghilini,
Hydrobia u. a. leben. An dekapoden Krebsen finden sich teils noch
diejenigen des Guatyba, teils die bei Rio Grande beobachteten Arten.
Digiiized by Google
— 183 —
Ich war nicht wenig überrascht, einzelne Corbolaschalen mit lebenden
Balanus beseUt zu finden, die iu sülBem Wasser sonst nicht oder
nur ausnahmsweiae angetroffen werden. Es ist somit auch zoologisch
«in scharfer Gegensata auggesprochen zwischen dem Guatyba, der
in seiner Tierwelt noch ganz den Charakter seiner NebenflOsse auf-
weist und der Lagoa dos Patos. Ein ganz Ähnliches Verhältnis besteht
zwischen der Lagoa mirim und dem Jaguarfioflnsse. Die Gorbala
labiata, welche letzterem fehlt, kündet auch hier wieder den eigen-
artigen Seecharakter, wogegen man im Jaguarao Arten von Planorbis,
Physa u. a. findet, welche der Lagoa mirim fehlen, wenigstens iu
ihrer nordöstlichen Hälfte, da ich über die andere nicht berichten kann.
Wie das Eindringen des Meerwassers die Flulstische zum Ab-
sterben bringt, so ist umgekehrt auch das plötzliche Vorherrschen
des SOsswassers für die marinen Fische verhAngnisvoll. Empfindlich
sind in dieser Hinsieht besonders die Miraguayas. Wenn diese an
der Barre oder im Endteile des Kaoales bei starker Yasante pldtzlich
in reines Süfewasser versetzt werden, so ist der Erfolg der gleiche,
wie er fHlher fttr dieFlnfsfische in umgekehrter Lage geschildert wurde.
Die fast von Tag zu Tag wechselnden Bediiiguugeii des Salz-
gehaltes im Kanäle äufsern auf die Fische nur relativ wenig Einflufs,
und wenn auch mit Enchente ab und zu echte Seefische iu den Kanal
gelangen, so handelt es sich hierbei doch mehr um vereinzelte Fälle.
Im ganzen aber gilt als ßegel, dafs die Seefische erst dann im
Kanal und in der Lagoa sich in gröfserer Menge einstellen, wenn
Ittr l&ngere Zeit im Endabschnitte der Lagoa das Seewasser die
alleinige Herrschaft gewinnt, also im Hochsommer, von Januar an
für einige Monate. Im Verlaufe des ganzen Winters 1884 erschienen
keine Haie, Rochen oder andere im Sommer häufig beobachteten
Seefische auf dem Markte und auch im Dezember kamen sie noch
ganz selten und vereinzelt.
Es ist niithiu der Charakter der Fischfauua im Rio Grande-
Ästuar im Winter ein ganz anderer als zu Ende des Sommers oder
im Herbst. Es scheint mir das ein zumal für geologische Ver-
haltnisse beachtenswertes Moment Man findet hliutig Kontroversen
darüber, ob die oder Jene Zusammensetzong der fossilen Fischfauna
einer mkher untersuchten Lagerstätte auf eine Flufsmandung mit
Brackwasser oder auf einen See oder eine Meeresbucht hinweise.
Wenn nun auch die hier geschilderten Verhältnisse infolge des
Mangels von regelmäfsigem Wechsel von Ebbe und Flut einen be-
sonderen eigenartigen Charakter bewahren, so werden doch einiger-
mafsen ahnliche Erscheinungen überall da auftreten müssen, wo der ins
Meer müudeude Strom in seinem Unterlauf beziehungsweise End-
Digitized by Google
— 184 —
abschnitte kein Geftll mehr hat und somit mehr oder minder seeaitig
erscheint, iu seinem Niveaustande von demjeuigeu des Meeres und
von der (iröfse der Verdunstung vorzu^^\s eise abhäni^i^. Unter solchen
Umstanden kann denn die Liste der Fische eines Ästuares eine so
sonderbare Kombination von Fhifs-, See- und Hrackwasserarten
darbieten, dafs allerdings ein Verständnis der zu Grunde liegenden
Bedingungen nicht ohne weiteres möglich ist. Ohnehin sind wohl
systematische Studien über die wechselnden Bedingungen des Tier-
lebens der Ästuarien nur selten oder in wenigen F&llen angesteUi
worden. Faunistisch aber mnfs sich ein Ästuar wie das hi^ ge-
schilderte Ydllig anders verhalten, wie dasjenige eines Stromes,
welcher anch nahe seiner MOndung noch starkes GeftU besitzt und
daher noch weit in den Ocean hiiieiu nachweisbar bleibt.^) Über
das gegenseitige Verhalten von süfseni, brackischem und vollsalzigem
Wasser an den Flufsmtindunjien liegen durch Dr. J. B. Lorens^)
sehr gründliche Studien vor. Derselbe wies nach, wie von der FluJCs-
müudung aus das Sülswasser sich weit seewärts erstreckt als geschlos-
sene M.osse, die am weitesten sich an der Obertiäche erhalt und im
vertikalen Schnitt die Form einee Keiles besitzt, dessen Spitze see-
wärts und oberflächlich, dessen Basis etwas nach innen Tm"
der Flufsmttndnng im Flulsbette gelegen Ist, indem das Meer-
wasser eine kurze Strecke weit sich in das Fln&bett hinein-
schiebt, als Spitze eines unter dem Süfswasserkeile gelegenen Salz-
wasserkeiles. Verhältnisse dasregen, wie die hier geschilderten, hat
Dr. Lorenz nicht kennen gelernt. Seine Studien beziehen sich
übrigens lediglich auf die ph\ sikalisdien Bedingungen der Astua-
rien. Arbeiten, welche gleichmalsig die physikalischen und die fau-
nistischen Bedingungen eines bestimmten Ästuares zum Gegenstande
eingehender Forschung gemacht hätten, sind mir nicht bekannt,
doch ist das ohne Zweifel wesentlich Schuld meiner nach dieser
Richtung nicht ausreichenden Kenntnis der einschlägigen Litterator.
Im Anschlösse an die obige Schilderung der Tierwelt der
Lagoa dos Patos und des Canal do Norte des froher fOr einen Flu(s
gehaltenen „Rio Grande", mögen hier einige Daten über das Fischerei'
wesen von liio Grande folgen.
Die Küste der Provinz ist flach und sandig; sie bietet den
Schiffern keinerlei geschützte Plätze, zumal auch nicht in der Nähe
von Hio Grande, weshalb denn auch eine eigentliche Küstenfischerei
*) So führt z. B. der La Platu noch bei Buenos -Aires reines Süfsw.-isser ;
erst bei Moiituvideo trifft mau das Brackwasser mit Azara lubiata u. a. an.
*) J. iL Lofeng, Bnckmsentadieii an den adriaüschen Kästen. Sitssber.
der K. Akad. d. Win. U. Abth. Bd. UV. Jalug. 1866^ S. 2 ff.
Digitized by Google.
185
nicht existiert und die Fischer nur selten und nie weit sich von der
Barre mit ihr^ schwachen Bdten herauswagen. £s wird daher der
fischfang im wesentlichen im Oanal do Norte bis zur Barre und
bis gegen liio Grande, sowie in deu angrenzenden Aiisbuchtnngen
der Lagoa, namentlich dem Sacco da Mangneira, betrieben, wobei
stets mehrere Fischer zusammenwirken. Für die einzelnen Haupt-
sorten von Fischen, denen sie nachstellen, giebt es verschiedene
Sorten von Netzen. Vor kurzem eriiefs die Munizipalkammer von
Bio Grande ein Gesetz, wonach zur Hauptfortpfianzungszeit, im
Sommer, nur grobmaschige Netze zum Fang dürfen verwendet
werden. Ausgenommen ist davon nur das Gamaraonetz, das feinste
von allen, welches aber meist nahe dem Ufer über sandigen Stellen
benützt und dann an Land gezogen wird. Die Netze fertigen die
Schilfer selbst an, teils aus russischem Hanf (fio da Kussia), teils
aus einheimischen Fasern, besonders Tucuni, den Blattfasern einer
niederen stacheligen Buschpalme (Astrocarium vulgare.***) Dieselbe
kommt zwar auch in der Provinz Rio Grande vor. wo sie in älteren
Zeiten den Indianern den Stoff zu ihren Bogensehoea lieferte, doch
wird sie jetzt hier nicht verwertet und der von den Fischern ver-
brauchte Tucum kommt von Pemambuco. Auüserdem werden zur
Netzfabrikation die Fasern aus den Blattern der Pita benutzt, einer
grofsen firomeliacee, welche an der nördlichen Hälfte der Küste von
Bio Grande nicht selten ist. Die Fischer an den wenigen kleinen
Küstenplätzen im nördlichen Teil des riograndenser Küstengebietes,
wie in Tramandahy, Adreira u. a. benutzen ebenso wie diejenigen
von St. Catharina vorzugsweise Pita zur Netzfabrikation. Die ein-
zelnen Netze haben meist ihre Namen nach den Fischsorten, für die
sie bestiiimit sind, wie z. B. rede de dainha, rede de cascuda u. a.
Merkwürdig ist es, dafs die Fischer somit schon ungefähr voraus
beurteilen können, was sie fangen wollen oder werden. In manchen
Fällen, wie z. B. bei den im Mai in enormer Menge kommenden
Dalnhas (spr. Da-inja) riditet sich dies nach der Jahreszeit Für
Bagre und Miraguaya ist der Winter beziehungsweise der Frühling
die Fangzeit. Einige Fische verraten ihre Anwesenheit durch Ge-
räusche. Es ist das namentlich der Miraguaya und die Cor vi na.
Von ersterem ist es längst bekannt, dafs er eigentümliche Töne er-
zeugt, die zumal dann höchst autfallend werden, wenn sich der Fisch
an das Schiff anlehnt. Man hört aber auch aus der Tiefe herauf
die sonderbaren Geräusche dieser Fische und die Fischer richten
uch danach mit dem Fange ein. Wie dieselben behaupten, ist der
Ton der Miraguaya ein dumpfer, bumm, bumm ahnlich, während
^) Auch vencliiedene BActrisarten sind unter dieser Bemichnnng bekannt.
— 186 —
jener der Corvina wie chrrr, chrrr laute; die ersteren sollen nie vor-
mittags, sondern von Mittag bis in die Nacht herein .trommeln'',
weshalb denn auch nur nachmittags und abends ihnen nachgestellt
irird. Das Miraguayanetx ist etwa 60 m lang. Mit Angeln wird
nur der Bagre gefangen. An die einzelnen Angeln der zum Fang
ausgelegten SchnOie werden Krabben (Heiice grannlata, der s. g.
Catanhao) befestij^t, die man an seichten sumpfigen prasbesetarten
Uferstrecken der Lagoa, besonders der geschützteren Buchten, in
beliebiger Menge haben kann. Im Guahyba, wo den Bayres im
Dezember und Januar wahrend ihrer Fortpflanzun^szeit nacbf^estellt
wird und jener l aschenkrebs fehlt, benutzen die Fischer als Köder
für die Angel die getrockneten riesigen Eier des Fisches. Der
Bagre hat n&mlich eine höchst sonderbare Brutpflege, indem er die
riesigen Eier von Kirschengrölse ins Maul nimmt und da behftlt Ina
zum Ausschlttpfen der jungen Brut R Hemü^^) hat hierQber
schon berichtet, ich habe nur hinzuzufttgen, dafs es lediglich die
Wdbchen sind, welche diese Brutpflege Obemehmen.
Jeden Tag, abgesehen natürlich wenn etwa heftiji^e Regen und
Stürme die Arbeit auf dem Wasser unmöixlich machten, ist der
Mercado (Markt) in Üio Urande mit Fischen besetzt. Hautig ;>ind
s&mtliche Abteilungen der sauberen Markthalle mit Fischen überfüllt
und gute Kontrolle sorgt, daXs nur frischgefangene Fische znm Verkaufe
gelangen. Aufserdem giebt es 4 bis 5 grofse Fischereien, welche
nicht für das Marktbedflrfhis, sondern für den Export* arbeiten.
In der gröfsten derselben, derjenigen des Arranoo, habe ich vielerld
interessante Informationen empfangen, auf welche ich mich im
wesentlichen bei den folgenden Zahlenangaben stütze. Es war mir
nicht mo.i^lich, Angaben von der Alfandega, der ZoUstation, über den
ümfani^ des FiXportes an Fischereiprodukten zu erhalten und es war mir
deshalb lieb, wenigstens die Angaben des Fischers Arranco zu bekommen,
die zwar lediglich auf Schätzung beruhen, aber den Vorzug besitzen,
Yon der in diesen Dingen kompetentesten Person zu stammen. Das
ganze Anwesen dieses Fischers ist grofs, solid und sauber, und nicht
allein dem Umfange des Betriebes nach das bedeutendste in Rio Grande,
sondern audi das in Bezug auf Sorg< und Sauberkeit in der Produktion
best geleitete. Die gewonnenen Produkte werden meist, in Fässern
oder Tonnen verpackt, nach Rio de Janeiro, Bahia oder Pernanibuco,
zum Teil auch wie besonders Camaroes, nach Montevideo gesandt.
Die nach Bio de Janeiro bestimmten Waren gehen meist mit Dampfer
B. Hemel, Beiträge znr Kenntnis der Wirbeltiere Sadbrwiliens. ArdÜT
t Naturgesch. Jahrg. 36, I S. 70.
Digitized by Google
— 187 —
(2 # 000 Bs. Fracht för das Fafs), diejeoigen filr Bahia oder Pernam-
baco irarden im Segelschiff (navio) verladen.
Die iür die Grofsfischerei^ also für den Export in Betracht
kommenden Fische sind in erster Stelle Dainha und Ba^re, ferner
Miraguaya und Breixereive, sowie endlich die Camaräokrcbse.
Miraguaya ist der gröfste Fisch. Er kommt nur getrocknet in den
Handel. Man zerlegt ihn zu diesem Zwecke in die beiden Seiten-
hai ften, welche gesalzen und getrocknet werden. Auf die Arroba,
etwa 15 Kilo, gehen 7—8 solcher Hälften. Die Uauptfangzeit ist
Winter und Frühjahr. In der Fischerei des Arranco werden etwa
400 Arrobas im Jahr präpariert, im ganzen dürften an 1000 Arrobas
davon in Bio Grande hergestellt werden. Die Arroba wird mit
3 $ 000 Bs. (ä etwa Jk 2) bezahlt
Brekcermei^^r, Br&cheräve) ebenfalls ein grolser schwerer Fisch,
wird höher geschfttst als der vorige, mit dem er oft zusammen gefangen
wird, er ist aber seltener, so dafs im ganzen kaum 2(jO Arrobas
davon zum Export gelangen mögen.
Dainha. Die Hauptfun^^zeit ist im Mai. Ks werden dann oft solche
Mengen gefangen, dafs die Fischer nur so viele aus dem Netze entnehmen
als sie gut behalten können und den Best wieder ins Wasser werfen.
Man macht sie mit Salz in Fässern ein. Das Fafs (barril) nimmt
108— lao Stack auf, und wird mit etwa 15 $ 000 Bs. bezahlt,
indem fOr das Hundert kleinerer 12$ 000 Bs. fttr das Hundert
grofser 169 000 Bs. bezahlt wird. In der Fischerei des Arranco
werden etwa 500 Fafs eingepökelt Anfserdem gehen viele andere
mit Salz in Stücken oder Tonnen (barrica). Sodann werden von
den Dainlias die Eier zu Kaviar verarbeitet. Sie werden erst
getrocknet und dann mit Salzlake (salmor) eingemacht und in Fafs-
chen oder in die Blechgefäfse, in welchen Petroleum in den Handel
kommt, verpackt. Diese »ovos de peixe'' gehen auch zum Teil nach
Europa — vielleicht um dort als ^Kaviar" verkauft zu werden.
Es sind übrigens nur die Dainhas, deren Eier für diesen Zweck taugen.
C&rtfkia beziehungsweise Cascuda wird für den Export wenig
geschätzt, daher auch nur in geringem Umfang getrocknet
Bagre ist mit Dainha der wichtigste Fisch der Grofsfischerei.
Er wird gesalzen und getrocknet. Es geht aber nicht in Hälften,
sondern ganz, indem er längs des Bauches aufgeschnitten und aus-
gebreitet wird, so dafs man den ganzen Fisch mit Einschlnfs des
Kopfes vor sich hat. Die Fischer im Innern der Provinz dai^cgen
schneiden den Kopf weg und sieden Thran daraus; in Rio Grande
dagegen benutzt man für letzteren Zweck lediglich die Eingeweide.
Das Hundert Bagre wird mit 10 eOüO Bs. bezahlt, in der Fischerei
Digiiized by Google
— 188 —
d6B Arranco werden jfthrlich 20 — 30000 Bigre präpariert» im gaaseo
exportiert man an 80000 aus Rio Grande nach dem llorden des
Kaiserreiches. Das ziemlldi tliranig schmeckende Fleisch ist mehr
eine Nahrung der unteren Volksklassen.
Sehr nützlich ist der Bagre durch das aus dem Kopfe und den
Eiugeweiden gewonnene Fett. Dieser Fischthran (Azeite de peixe)
findet in der Provinz Rio Grande selbst viel Verwendung bei den
Gerbern, Sattlern and Lederarbeitern überhaupt, es wird daher
wohl nur relativ wenig davon exportiert Man bezahlt die Medida
(4 Flaschen) mit l,floo— 1,sm Rs.
Endlich liefert dieser nützliche Fisch auch noch in seiner
Schwimmblase einen sehr gesuchten Artikel, „colla" (Leim) genannt.
Gerade in der Behandlung dieser Blasen zeichnet sich die Fischerei
des Arranco aus, indem derselbe die Blase rein herausschält, —
während andere oft noch Stücke der Umgebung daran hängen lassen, — ■
und sie erst trocknet, nachdem sie durch Entwässern des Blutes ge-
reinigt. Diese getrocknete Blase sieht blafs gelblichweifs, durch-
sichtig aus und wird als eine Art Hausenblase sehr geschätzt. Die
Arroba wird mit 12— 13 $ 000 Rs. bezahlt. Der Gesamtexport von
Rio Grande soll sich auf etwa 1000 Arrobas belaufen, die großen-
teils nach den Vereinigten Staaten geben.
Was endlich die Camaroes (spr. Kamarongs) betrifft, so sind
diese überaus wohlschmeckenden und sehr grofsen Gameelen nicht
nur in enormen Mengen während des Hochsommers und Herbstes
auf dem Markte frisch vertreten, sondern sie werden auch in Menge
getrocknet, Sie werden zuerst gekocht und dann von der Sonne in
3—4 Pagen getrocknet. Man packt sie in Tonnen, welche mit
12 *()IK) Ks. bezahlt werden. Arranco sagte mir, dafs er allein
30() — 4(X) Tonnen voll präpariere, in den Exportlisten finde ich aber
kaum 300 — 400 Tonnen pro Jahr notiert, wahrend nach obigem
Mafsstabe ein E.xport von 8(K) — lüOO Tonnen zu erwarten wäre.
Genau sind allerdings die Exportlisten keineswegs. Diese Krebse,
welche zumal auch bei Südwest in Massen in den Kanal herein-
getrieben werden, finden sich nur im Sommer und Herbste vor. Im
Winter fehlen sie ganz. Sie sollen dann im Schlamm eingegraben
liegen. I>en Garneelen der deutschen Küsten gegenüber sind sie
wahre Riesen. Gleichwohl ist das Fleisch zart und dberaus wohl-
schmeckend. Sie mOlsten daher sich auch besonders für eine sorg-
föltige Behandlung zum Export nach Europa eignen, wogegen die
getrockneten Gamardes sehr an SchnuckhafUgkeit verlieren. Neuer-
dings ist abrigens in Rio Grande eine Fischkonservenfabrik ent-
— 189 —
Stenden, welche besonders Dainbas und Seezungen, sowie wabr-
sdieiBliefa auch Gamardes einmadit
Es balt sehr schwer, den Umfang des Exports an Fischerei-
produkten zu ermitteln, eine sorgfältige Statistik des Handels
existiert nicht. Ich habe aber aus den üher den Kxport von Rio
Grande in einer dortigen Zeitung, dem „Comraercial" veröffentlichteu
Mitteilungen mir für das Jahr 1881 folgende Tabelle zusammen-
stellen können.
Es wurden exportiert ans Rio Grande im Jahre 1881 :
Gesalzene Dainbas 22 198 Stttck,
Fässer mit Dainbas 778 Fafe,
Bagres 39660 Stack,
Passer mit Fischen 679 FaTs,
Bündel n. a. mit Fischen 889 Bündel,
Miraguayas-arrobas 89 Arrobas,
Gesalzene Fische 21 790 Stück,
Tonnen mit Camaroes 269 Tonnen.
Es \sS&i sich hieraus der Anteil der einzelnen Fiscbsorten
nicht sicher ermessen. Viel zu niedrig ist der Ansatz an Miragua-
yas, doch rührt das offenbar daher, weil diese unter den Rubriken
Fische in Bündeln, S&cken a. a. einbegriffen sind. Die gesalzenen
einzelnen Fische dürften grüfistenteils in Bagres bestanden haben,
wfthrend die Fftsser mit Fischen vorzugsweise Dainhas, Gorvinas n. a.
müssen enthalten haben. Aus den folgenden Jahren fehlen mir die
Angaben für einzelne Monate gänzlich, wie denn auch diejenigen für
1881 sicher nicht senau, d. h, also zu niedrig bemessen sind. Indem ich
aber alles bezügliche Material einerseits und die Angaben der Ex-
porteure andererseits kombinierte, komme ich zur Aufstellung folgender
Tabelle als Ausdruck des ungefähren Umfanges der zum Export j^ol angen-
den Fischereiprodokte Rio Grandes und ihres beziehnngsweisen Wertes.
Gesalzene Dainbas
F&sser mit Dainbas . . . .
Miragnayas - arrobas
Breixereive, Corvina u. a.
40
III
1
80
1 000 Arrob.
jilOtOOOpr. 100
äl6»O0Opr.Fafs
älOtOOOpr. 100
ä 3$ 000pr.Arrb.
Ifbr.
4:
22:
8:000 n
3:000 „
4:500 „
Camaroes öOOTonnena 12s (XX) pr. Tonne 6:{KX) „
Hausenblase von Bagre.' 1000 Arrob.'a 12 $000 pr. Arrb. 12:000 „
Unter Rubrik Breixereive u. a. fa.sse ich die nur in kleineren
Posten gehenden Artikel, wie n. a. auch Daiuha-Caviar, Bagre-
Thran n. a. zusammen. Der Gesamtwert der exportierten Fischerei-
produkte dürfte sich daher auf ungeföhr 60000 Mihreis^') oder
zwischen 100000—120000 Jk belaufen.
Digitized by Google
Es unterliegt keinem Zweifel, dafs der Fischereibetrieb voo
Bio Gnuide sich noch bedeutend ansdehnen lieüBeL Wmm aacfa der
Katar der Seche nach der Export Rio Grandes an FischereiprodiilEten
mit seinen gesalzenen nnd getrockneten Fischen torziigsweiae aaf
den Markt im nördlichen Brasilien angewiesen ist, so befinden sidi
doch auch eine Reihe von Artikeln unter diesen Produkten, welche
sich rasch ihren Platz auf dem Weltmarkt sichern köunten, und es
dürfte sehr im Interesse der brasiliauischen Küstenbevölkerunjr
liegen, wenn die brasilianischo Re*xierun«? der bisher weder in Bra-
silien noch sonst wo in Südamerika speziell studierten oder gepflegten
Seefischerei die im Interesse der Volkswohlüabrt ihr zukommende
Beachtung wollte za Teil werden lassen. Namentlich die Dainhas
nnd Zungen, sowie die Camaröes dürften iQr den Aberseeischea
Export einst von Bedeutung werden. Das einzige Produkt, welches
bereits gut eingeführt ist und auch in beliebigen Mengen noch weiteren
Absatz finden könnte, ist Bagre-Blase.
Das Bild, welches hier von den physikalischen und biologiscbeu
Erscheinungen und Bedingungen der Lagoa dos Patos entworfen
wurde, würde uuvollstäiulig sein, wenn nicht auch die ycologischen
Verhältnisse in Betracht gezogen werden könnten. Über dieses bis-
her meines Wissens noch nie studierte Thema vermag ich eine Reihe
▼on wesentlichen Beobachtungen mitzuteilen, welche, so nnvollsttodig
sie audi noch sind, immerhin einen Anhalt gd>ett zur Beurteilung
der ehemaligen Ausdehnung der Lagoa dos Patos.
So weit historische Nachrichten reichen, haben sich die Ver*
haltnisse der Lagoa und des Canal do Norte nicht wesentlich geän-
dert, da man schon im 16. Jahrhundert die Einfahrt in den Kanal
in wesentlich gleicher Weise angetroffen haben soll. Von mancherlei
untergeordneten Veränderuiiiren sehe ich hier ab. Im allgemeinen
aber steht es als Erfahrungssatz der Bewohner fest, dafs die Küste
langsam vorrücke, wobei namentlich auf successive mehr ins Land
hineingerUckte Teile gestrandeter Schiffe hingewiesen wird. Land-
marken zur genauen Verfolgung dieses Vorganges existierten merk-
wOrdigerweise bis Tor kurzem nicht Dagegen glaubte die Barre-
komroission aus der Vergleichung älterer und neuerer Karten einen
Anhalt fflr den Umfang des Wachstums der Kfiste gewonnen zu
haben, welches danach einem jährlichen Vorrücken um 6 m*^) ent-
sprechen sollte. In dem zitierten Relatorium sind eine Reihe von
») Wihrend beim Normalkone Yon 84 der Milreii etwa 8 Jt ist, tteUt
sich bei jetsigem Knne tod 80 der Wert aehr viel niedriger, ao dafB ein Konto
(1000 Milreis) stritt 2000 Jk Wert zu haben nor noch 1000 Jü entaprichi
") 1. c. S. 287.
Digitized by Google >
— 191 —
Karten ans dem Ende des vorigen and dem Laufe dieses Jahrhunderts
auf gleichen Malsstab reduziert neben einander gestellt. Aus der
Kombination einiger derselben, deren volle Zuverlässigkeit voraus-
gesetzt, j?eht allerdings ein solches Vorrücken der Küste hervor,
allein dazwischen trifft man auch andere Karten, welche sich in das
gewünschte Resultat nicht einfügen. Unter solchen Umständen ist
es eine Sache der Willkür, wenn man gerade die für den gegehenen
Zweck geeigneten Karten sich ausw&hlt — eine Grundlage für wissen-
schaftliche Schlufsfolgernngen können diese Kartendifferenzen nicht
bilden. Andererseits giebt das Belatorium an, dafs successive weiter
▼or der ftnlsersten Landspitze gelegene Sandb&nke mit dem Fest-
lande in Verbindung getreten seien, dadurch Buchten abschliefsend,
welche allmählich immer mehr eingeengt und versandet seien, um
schliefslich ganz zu verschwinden. Den Karten zufolge scheinen
allerdings solche Vorgänge stattgefuiideu zu haben, allein es fehlt
au sicheren Kriterien zur Vergleichung, so dafs meines Erachtens
zuverlässige Resultate nach dieser Richtung auf kartographischem
Wege nicht zu erlanpren sind. Andererseits hrhauptete ein hoch-
bejahrter Greis, welcher immer in der Nähe der Barre gelebt, dafs
sich die Durchfahrt für die Schiffe jetzt weiter nach Süden zu be-
finde als froher, indem der frtthere Kanal durch Anwachsen der
Sandb&nke zu einer Bucht abgeschlossen worden sei. Es scheint
mir dies nadi allem sehr wahrscheuüicb, doch vermilst man bis
jetzt jede solide Grundlage für weitergehende Folgerungen über das
Wachstum der Küste.
Eine Vermutung, welche sich mir nach dieser Richtung hin auf-
gedrängt hat, möchte hier ihren Platz finden. Ich habe in der Nähe
der Hydraulica, wenige Kilometer von Rio Grande entfernt, eine
prähistorische Niederlassung exploriert. Der betretfeude kleine
HOgel, teilweise vom Bahnkörper durchschnitten, zeigt zu oberst
eine zwischen Vs — 1 m machtige Schicht hellen Sandes, der genau
denvenigen der Kflste entsprechend durch den Wind hergetrieben
sdn mufs. Unter diesem mit spiürlicher Qrasdecke Aberzogenen
Sande iftlgt eine 60—60 cm dicke Schicht schwarzbrauner fetter
Erde. Eine ebensolche Schicht findet sich auch auf allen benach-
barten Hügelu, allein viel heller und sandartiger. Die auffallend
dunkle Färbung weist für den uns eben beschäftigenden Hügel darauf
hin, dafs aufser dem Buschwerke und sonstigem Pflanzeuwucli>e noch
eine andere Quelle für die Umwandlung des sandigen Bodens in
eine humusartige Masse mufs vorhanden gewesen sein, und das kann
keine andere gewesen sein als die Massen von Nahrungsresten,
welche die hier wohnhafte Bevölkerung dem Boden anvertraute.
Digitized by Google
— 192 —
Derselbe ist völlig durchsetzt von Knochen und Fischgraten, Schnecken-
schalen, Kohlen, Urnenscherben u. a. In den obersten Lagen findet
man stellenweise noch Reste von Wohnungen, Backsteine, Eisen-
gerät und glasierte Topfscherben. In den tieferen Schichten aber
fehlen solche Anzeichen europäischer Kultur. Die rohen fingerdicken
schlecht und ohne Glasur gebrannten Topfscherben weisen ebenso
auf ehemalige Besiedelung durch Indianer hin, wie eine geschliffene
beziehungsweise polierte Steinaxt ans Porphyr, beziehungsweise
porphyrartigem Gestein.
£8 haben somit hier nacheinander erst die wilden Urbe wohner,
später portugiesisdie Einwanderer gewohnt. Weitere Nach-
forschungen ergaben denn in der That, dafe vor GrOndung der
jetzigen Stadt Rio Grande an Jener Stelle die Niederlassung Santa
Anna bestand, sowie dafis der Flözsand erst im Anfang dieses Jahr-
hunderts jene frOher mit Buschwald llberzogenen niederen Hflgel
Oberdeckte. Wenn man genau wOfete, wie viel Zeit erforderlich ist,
um durch eine ziemlich dürftige Y^etation und mafsige Sandzufuhr
durch den Wind eine Sandschicht in Ackerland umzuwandeln, so
würde man genau das Alter dieser 60 cm dicken Schicht berechnen
können, unter welcher der feste reine Meeressand folgt. In den
Niederungen kommt man sehr rasch auf diese letztere Lage, da
kaum 20 — 30 cm tief und in sehr schwachem Mafse die spärliche
Grasnarbe die Farbe des Sandes gebräunt hat. Vielleicht sind daher
die höher gelegenen Teile schon bewohnt gewesen, wahrend die
Niederung noch unter Wasser stand.
Auf diesen Gedanken, dafs zur Zeit jener Iiidianernieder-
lassungen, von denen ich auch mehrfach weiter fort au anderen
Hügeln in der Nähe des JSacco da Mangueira eben solche Spuren
antraf — natürlich dort ohne die Reste moderner Kultur — wurde
ich nun auch durch den Umstand gebracht, dafs unter den Kesten
der Mahlzeiten sich auch zahlreiche zerschlagene Schalen der Voluta
angulata und Voluta brasiliensis befanden. Wenn diese grofsen
Schnecken den Indianern zur Nahrung dienten, so mufs zu jener
Zeit das Wasser im Sacco da Mangueura noch stark salzig und von
Seetieren bewohnt gewesen sein, was denn auf irgend welche andere
Verteilung von Land und Meer hinweisen würde. Vielleicht dafs
bei genauerem Studium der KOste von Rio Grande und der daselbst
vorkommenden Muschelhaufen, der sogenannten Sambagu} die hier
mitgeteilten Beobachtungen wenigstens als ein Wink fOr die weitere
Richtung der Forschungen dienlich sein könnten. Für jetzt gestatten
dieselben noch keine bestimmten Schlufsfolgerungen.
Die Beweise, welche mir bis jetzt für die ehemalige bedeutendere
Digitized by Google
— 193 —
Ausdehnung des Meeres vorliegen, sind wesentlich folgende: Es
silid an vielen Stellen Walfischknochen gefunden worden^ welche
eine weit bedeutendere Tiefe und Ausdehnung der Lagoa in frflherer
Zeit voraussetzen. So ist bei St Victoria do Palmar, zwischen
der Küste nnd der Lagoa mirim ein Walfischgerippe im Boden
gefunden worden, welches natürlich die Bewohner sehr interessierte.
Man hat die heiden üuterkieferaste als Thürpfosten für einen Vieh-
hof verwandt. Solche Funde und ähnliche von Seemuscheln heim
Graben von Brunnen haben unter dem intelligenteren Teile der Be-
völkerung in diesen Gegenden an der Küste von der Lagoa mirim
langst die Überzeugung eingebürgert, dafs die ganzen niederen
Küstengel&nde früher Meeresboden waren. In der Nahe von St Vic-
toria konnte ja in der That ein Walfisch nur stranden zur Zeit, wo
der Albardao ^) (Nehrung) noch unter Wasser stand.
Bei Bio Grande wurden 1884 bei Ausgrabung des Piano
inclinate zur Reparatur von Schiffen einige Rückenwirbel nnd
Rippen von einer grofsen Balaeuopteru ausgegraben, welche mehrere
Meter tief im Boden lagen. Aucli vor Estreito sah ich Walfisch-
knochen, während heutigen Tages gröfsere Waltische, wenn sie ge-
legentlich mit heftigem Rebojo in den Kanal gedrängt werden,
höchstens bis in die Gregend von S. Jos<^ do Norte gelangen und
dort stranden. Der merkwürdigste Fund dieser Art ist aber
jedenfalls der eines Schwanswirbels eines grofisen Bartenwals
(Balaenoptera) im Guahyba bei Porto Alegre. Dieser Herrn Jakob
Petersen gehörige Knochen wurde bei Uferbauten aus dem Guahyba-
bette ausgegraben. Wenn also Walfische am Ende der Diluvialzeit
noch bis Porto Alegre gelangen konnten, so mufs die Lagoa dos
Patos zu jener Zeit noch Ocean und der Guahyba eine Bucht des-
selben gewesen sein. Die ganze Jacuhyebene aber gehörte dann
ohne Zweifel bis ins Centrinn der Provinz hinein noch gleichfalls
diesem Guahybagoife au. Eine Parallele hierzu bieten die Funde
von Walfischknochen im Boden der Inseln, welche an der Mündung
des Parana in den La Piatastrom liegen, während gegenwartig
verirrte Walfische in das La PhitarÄstnar, kaum einige Kilometer
weit Ober Buenos-Aires hinauf, eindringen.
Einen weiteren Beweis für die frQhere Ausdehnung des Oeeans
weit In das Innere der Provinz Rio Grande liefert der Befund von
marinen Konchylien bei Sauta Izabel, am Übergang der Lagoa mirim
**) AlbanUÖ nennt man den schmalen Straifen Küstenlandes, welcher die
Lagoa mirim vom Oeean trennt Der entsprechende Streifen, entlang der
Lagoa dos Piatoa, heilst dagegen nicht Albaidao, soU auch ein anderes Profil
daibieten.
Digitized by Google
— 1«4 —
in den 3. Gon^alo. Dort finden sidi stellenweise massenhaft in ge-
ringer Tiefe von 20 — 40 cm, oder auch oherfiftdiUdi und nicht
sehr weit vom Ufer entfernt Anhäufungen von Konchylien, welche
grüfstenteils aus Corbiila labiata bestehen, zwischen denen aber
auch zahlreiche Stücke der au der Küste der Provinz häufigen
Auster und von einer Anzahl anderer alle noch heute an der Küste
zu findender Muscheln und Schnecken angetroifen werden. Nur die
Corbula ist wohl erhalten, alle anderen sind zerbroclien oder ab-
gerieben und wohl nicht direkt vom Ocean hier abgelagert. Wenn
aber auch die Corbula labiata auf Brackwasser hindeutet, so zeigen
die Schalen von Austern und andere nur im Meer vorkommenden
Arten von Mollusken, sowie Zähne von Haien und von Miraguaya,
dafs zur Zeit der Ablagerung der Oceau freien Zutritt in diese
Gegend hatte. Ich bemerke hierbei, dafs man auch bei Rio Grande
noch weit einwärts von der Barre am Ufer des Kanales beim Orte
Barra u. a. vielfach Schalen von Seekonchylien findet, obwohl diese
im Kanal selbst nicht leben. Ich habe mich von der aulserordent-
liehen Tierarrnnt des Kanales wiederholt durch Untersuchungeii nü
dem Schleppnetse Überzeugt, die mir nur Sand und wenige Bruch-
stüclce der Schalen von Corbula und Solecurtua ergaben. So wie
mur scbeüit, geht Corbula mehr dem brackischen Wasser nach,
wahrend Solecurtus weiter gegen den Ocean zu lebt In der Tiefe
enthielt der Boden von Bio Grande, soweit ich ihn bei oben er-
wähnter Ausgrabung kennen lernte, in dem mehr thonigen wie
sandigen Grunde nur Solecurtus, während ich in gleichem Grunde
jetst bei der Stadt Rio Grande nur Corbula lebend antraf.
Dafs aber die Seemuscheln, welche man bei Barra — nicht
aber bei S. Jos6 do Norte oder Cocorata — am Ufer findet,
wirklich von aufsen herangeschweuimt sind und nicht dem Kanal-
bette entstannnen, beweisen aucli di^ Ergebnisse der Bagger-
arbeiten, welche in der Nähe der Barre ausgeführt wurden
und sehr wenige Koncliylien zu Tage förderten, von lebenden Mol-
lusken aber lediglich Solecurtus. In ähnlicher Weise können auch
bei St. Izabel, als noch die Lagoa mii'im ein Teil des Oceans war,
die Wogen Seekonchylien in das von Corbula besiedelte Ästuar ein-
geschwemmt haben — sehr weit aber geht am Ästuar diese Ver-
schlagnng toter Schalen nicht, nur 3—5 km weit Jedenfalls also
mufs zur Zeit jener Ablagerungen — und genau dieselbe Schicht
mit Corbula und Austern u. a. vmrde im Sangradouro bei den
Baggerarbeiten durchschnitten — die unmittelbare Einwirkung des
Oceans sich bis St Izabel erstreckt haben. Mao wird daher wohl
kaum irren, wenn man die ehemalige Barre von St Izabel als ein
Digitized by Google
— 195 —
Teil eines riesigen Ästuares auiTafst, dessen verkümmerter Rest
heute im Jaguaräoflusse uns vorliegt. Obwohl im Jaguaräo nur ächte
Flufsmolluskea leben, habe ich doch verriebene and dem Aussehen
nach stthfoflsUie eilutelne Schalen von Corbula labiata mehrfaeh am
Ufer in der Nfthe ?on Jagoaraö gefunden. Auch wurde mir eine
OlivandUaria, die noch heute an der Kllate gemein ist, mit der Be-
hauptung flbergeben, sie sei etwa 1 Legna landeinwärts von JaguarS5
an einem kleinen See gefunden worden, in dem man bei niederem
Wasserstande vielfMch derartige Konchylien finde. Leider liefs sich
des hohen Wasserstandes halber hierüber nichts ermitteln. Zur Zeit
aber, wo im Jaguarao die Corbula noch lebte, mufs die Gegend
einen See gebildet haben, der sich wohl weit landeinwärts erstreckte.
Es ist genau dasselbe Verhältnis, wie es im Norden der Provinz
«wischen Jacuhy und Lagoa dos Patos bestand. Zur Zeit, als riesige
Walfisch« in den Aber Porto Alegre hinaus sich erstreckenden Golf
eüidringen konnten» und das weite Jaeuhythal bis an die Vorberge
der Serra von einer groÜBen Lagoa — man könnte sie Lagoa do
Jacuhy nennen — eingenommen war, bildete auch das Jaguaräothal
im weiteren Sinne genommen ein grofses Seebecken. Damals also
waren die Lagoa dos Patos und die Lagoa mirim noch Teile des
Oceans, und es wird die Aufgabe künftiger Forschungen sein, die
ehemaligen Küsten des Meeres zu ermitteln. Ein Überblick über
die Ausdehnung des Meeres in der Provinz Rio Grande zu Ende der
diluvialen und bei Beginn der alluvialen Epoche giebt die beigefttgte
Karte, Bei Arroio grande, nördlich und ostw&rts von Porto Alegre,
soll an den Jorgen in geringer Hohe die alte Kflsienlinie noch
an den Seekonchylien kenntlich sein nnd. die sahireichen zum Teil
noch mit dem Ooean in standiger oder seitweiser VerMndung
stehenden Seen des Küstenstriches stellen ja offenbar liiickbleibsel
des Meeres dar. Im Norden setzte die Costa da serra, im Westen
die Serra dos Taipes und die Serra do llerval dem Vordringen des
Meeres Schranken. Völlig unaufgeklärt ist zur Zeit noch die frühere
Ausdehnung der Lagoa do Jacuhy und der Lagoa do Jaguarao,
hierüber können erst spatere entscheidende Funde Auskunft gehen.
Als einer der lotsten Vorg&nge, durch welche infolge der langsamen
Hebung der ganaen Kttste die heutige Konfiguration sich ausbildete,
dOrfte der Verschlnls der Barre au bezeichnen sein, durch welche
die Lagoa mirim im ftulsersten Süden der Provins oder im Estado
oriental mit dem Ocean in Verbindung stand. Dortige lokale
Traditionen geben noch die Stelle dieser Verbindung au. Die Gegend
um St. Victoria enthält sehr ausgedehnte Sümpfe mit zum Teil noch
brackischem Wasser und u. a. eine Lagoa, welche bei hober Flut
Digitized by Google
— 106 —
noch Wasser aus dem Meere empfingt. Es mflfste eine selir dank-
bare Aufgabe sein, den Bahnen dieses vermutlich erst in historischer
Zeit verloren gegangenen Zusammenhanges an Ort und Stelle nach-
zuspüren. St. Victiiria ist freilich etwas abgelegen, und schwierig
zu erreichen.
Es wird keineswegs einer bedeutenden Hebiin}^ der Küste be-
durft haben, um aus den el)en f^eschilderten Verhältnissen der Aus-
breitung des Meeres die heutige Konfiguration der Küstengebiete
hervorgehen zu lassen. Wahrscheinlich würde eine Senkung der
ganzen Küstenpartie der Provinz um über 10 — 15 m oder weniger
genügen, um die Lagoa des Patos und die Lagoa mirim wieder zu
Teilen des Oeeans zu machen. Erhebt sich doch die Ebene, auf
welcher Rio Grande erbaut ist, kaum um 3 m aber das Meere»-
niveau. Angesichts ao geringfflgiger HAbendifierenaen wird man
wohl auch nicht irren, wenn man die ganzen beaflglichen Vorginge
als rehitiv jungen Datums ansidlit. Darauf weist Ja aueh die Iden-
tität der foesUen Koncbylien von St Isabel mit den noch heutigeo
Tages an der Kfiste zu sammelnden hin. Die Frage dreht tk^ä
lediglich darum, ob wir die betreifenden Foesilien für alluvialen oder
diluvialen Ursprungs halten sollen. Unsm Kenntnis der geolo-
gischen Yerhftltnisse Rio Grandes ist zumal mit Rfleksieht auf sedi-
mentäre Formationen eine so dflrftige, dafs eine derartige Diskoasien
nur einen provisorischen Charakter tragen kann. Profile mit sicher
trennbarem Anteil von Alluvium und Diiuviuni sind mir bis jetzt
nicht bekannt. Am besten mufs das Diluvium im Süden der Provinz,
80 z. B. hei Pedras Altas aufgeschlossen sein, wo in ihm zahl-
reiche Knochen der ausgestorbenen südamerikanischen diluvialen
Kdentaten u. a. enthalten sind. Von Laovas sah ich einen grofsen
Schneidezahn vom Toxodon, welcher dort in ziemlicher Tiefe aus-
gegraben wurde. Aus den Kiistendistrikten und dem in hier nach-
gewiesener Ausdehnung früher vom Ocean eingenommenen Gebiete
sind mir keinerlei Funde von Knochen diluvialer Säugetiere be-
kannt. Es wird daher wohl zu jener Epoche die lütere Küstenlinie
noch erheblich weiter landeinwärts gelegen haben und es wird, wenn
man deu geringen Grad von Hebung und die Identität der bezQg»
liehen MuscheUi mit heute lebenden zusammenhAlt, wohl wahr-
scheinlich, dafe wir es in der alten Kflstenlinie der früher ge-
schilderten Ausdehnung mit den Grenzen des Meeres im Beginne der
AUuvial^che zu thrni haben.
Ich konnte hiermit diese Studie für abgeschlossen betraditen,
wenn es mir nicht schiene, da& die hier geschilderten Verhältnisae
80 viele Berahrungspunkte zn den geologischen Bedingungen der
Digitized by Google
197 —
neuesten Formationen von Argentinien bieten, dafs sie auch für die
£rkl&rung jener so sehr verschiedenartig beurteilten Verhältnisse
wesentlicb mit beitragen könnte. Wenn ich in der Äuffussmig der
I^a$iipa8 und ihrer ffeologiachen EntwiMungsbedm^fmgett wieder mehr
auf den Standponkt Damoim surackkomme und mich dabei zum
Teil wenigstens in Widerspruch befinde mit dem von Burmeisier
vertretenen, so verhehle ich mir keineswegs, wie gewagt es ist, eine
abweichende Meinung dem in diesen Fragen kompetentesten
Forscher gegenüber zu vertreten. Eine Berechtigung zur Begrün-
dung einer eigenen Auffassung würde ich mir daher auch in dieser
Frage gar nicht vindizieren, wenn nicht die Beurteilung der Bil-
dungsweise der Pampas notwendig auch aut volle Kenntnis der
faunistischen Bedingungen von Meer. Süss- und Brackwasserbecken
angewiesen wäre, nach welcher Richtung biu ich die ersten Be-
obachtungen in dem Seesysteme der Provinz Rio Grande angestellt
habe, welches fOr die im La Platagebiete zur Diluvialzeit zu prft-
sumlrenden hydrographischen und Isnnistischen Bedingungen in der
Gegenwart das einzige heranziehbare Yergleichungsobjekt reprä-
sentiert. Besteht doch eine notwendige Korrelation zwischen dtii
geologischen Auffassung sedimentärer Formationen mit ihren orga-
nischen Einschlüssen und der zoologischen Erfor<rhung der Verbrei-
tung der Tiere und ihrer physischen Existenzbedingungen. So
wird denn auch eiue rein faunistische Studie unter Umständen zur
AufklAmng schwietiger geologischer Probleme beitragen können.
Der geologische Aufbau der weiten centralargentinischen Ebene
ist im ganzen ein sehr enilscher. Unter dem sandigen meist über
etwa * 2 m mächtigen Alluvium folgt wenn wir hier kurz Burmeisters
klassische Schilderung rekapitulieren wollen, die machtige Diluvial-
ablagerung des Pampaslehmes. Es ist diese berühmte Punipas-
formation, welche in ihrer unteren Abteilung die Knochen und
Skelette der wunderbaren südamerikanischen ausgestorbenen Diluvial-
8&uger einschliefst, welche vornehmlich durch Lund und Bur^
wmtter bdcannt gemacht, so allgemeines Interesse bei Zoologen
und Geologen «rregt hat Marine Konchylien fehlen im allge-
meinen in dieser Formation, die Überhaupt an solchen Einflüssen
ftufserst arm ist. Unter ihr folgt die patagonische Formation, welche
man als obermiocftn oder unteres Plioeftn auffafst und die ihre Be-
zeichnung dem Tmstande verdankt, dafs sie in Patagonien die
Oberfläche einnimmt, indem dort das Diluvium nicht entwickelt ist,
H. Burmeister. D6scriptiOD physique de la R^publique argeuLiuc
Tom. II Paris 1876.
G«ogr. BUttar. Bram», 1886. 14
Digitized by Google
— 198 —
welches im allgemeinen swischeii dem 34^—88^ a. Br. seine sfldliche
Grense erreicht Von dem hierunter noch nachgewiesenen anterea
Tertiär, der versteinerungslosen Gnaraniformation, sei hier gans
abgesehen.
Die grofse Ausdehnung der marinen patagonischen Formation
beweist, dafs zu Ende der Tertiarepoche Argentinien mit Patagonien
und wahrscheinlich noch einem Teil der weiteren nach Norden an-
grenzenden Gebiete der kleinen La Plata-Repuhliken und Brasiliens
vom atlantischen Ocean überdeckt waren. Andererseits steht durch
weiter zn erwähnende Funde fest, dafs in der jetzigen Erdejiorhe
das Meer weiter in das La Plata-Ästuar und über die Küstenstriche
hineinragte und dieses ganze Ästuar einen ungleich gröfseren Um-
üftng hatte. Da es zwischen diesen verschiedenen Stadien Übergtage
gegeben haben mufis und das Tertiftrmeer ja nicht mit einmal ver-
sdiwnnden sein kann, so liegt es sehr nahe anzunehmen, dafs die
Grenzen dieses Zwiscbenstadiums durch die Ausdehnung des Dilo*
yinms markiert weiden, welches ja, wie wir schon erwAhnten, «ioen
viel geringeren Umfang einnimmt and in Fatagonien gans fehlt,
welches also zu jener Zelt schon aus dem Meere emporgehoben ge-
wesen sein mub. Dementsprechend hat denn auch lyOrbignf
des Diluvium der Pampas als marine Bildung anfgefabt, eine Auf-
fassung, gegen welche man das Fehlen mariner KonchyHen als schwor-
wiegendes Argument geltend gemacht bat. Ihrwin hat dagegen
die Pampasformation als Ablagerung eines riesigen Ästnars mit
wesentlich brackischem Wasser aufgefafst. Der Mangel von Konchy-
lien veraulaföte denn Jiraiard, sich die Kntstehung dieser Schicht
als eine subaerische nach Art der Dünenbildung vorzustellen. Eine
Widerlegung dieser Theorie findet man bei Burmeister. Der
letztere Forscher seinerseits hält au der Ablagerung des Pampas-
lehmes aus Süfswasser fest. Wahrend aber nach Darwin eine ähn-
liche Theorie schon früher durch W. Farush vertreten wurde, wobei
die Ablagerung durch Flüsse vermittelt sein sollte, so bezweifelt
Burmeister . deren wesentliche Anteilnahme und hält heftige
Regengüsse für die hauptsächlichste Quelle der Anschwemmungen.
Wir hätten somit für die Bildung der Pampasformation fol-
gende Theorien aufgestellt:
1. Bildung durch das Meer; marine Überschwemmung,
(D*Orhigny.)
2. Bildung in einem istnarium. (Darwin,)
3. Bildung durch den Wind. (Brawurd,)
*<) L e. p. 186^ 190 und 196.
. Kj L y Google
— 199 —
4. Bilduug durch Flufsanschwemnuuigen. (Farish.)
5. Bildung durch Regengüsse. (Burmeister,)
Daran achliefse ich meine eigene Auffassung als
6. Bildung in Sttbwasserseen.
Gegen die Ansichten yon D*Orbignif und Darwin macht
Burmeister vor allem geltend, dafe die Ausdehnung der For-
mation jede solche Hypothese ansschliefse. Der Pampaslehm gehe
nicht nnr in Argentinien auf mehr als 600 m und höher hinauf,
sondern in Bolivien finde er sich selbst bis in Höhen von über
4000 in. Da man so kolossale Hebungsvorgänge für diese wenig
zurückgelegenen Perioden nicht anzunehmen berechtigt sei und
auch das Fehlen mariner Konchylien im Diluvium gegen eine solche
Annahme spr&che, so könne der Pampasiehm nicht in einem gröfseren
Wasserbecken abgelagert sein. Für Burmeister ist hierbei ent-
scheidend die Gleichartigkeit der Diluvialschicht und die Überein-
stimmung der in ihr eingeschlossenen Saugetiere. Hiermit wird
aher doch lediglich die Gleichalterlgkeit der Schicht und der ein-
heitliche Ursprung des Bildnngsmateriales hewieaen. Es ist ja aber
gewifs keine unwahrscheinliche Annahme, sich vorzustellen, dai's
dasselbe Bildungsmaterial des Diluviums in den Gebirgen und Hoch-
ebenen durch Regengüsse und Flüsse, in der Tieiebene durch See-
und Ästuarbildungen seine Verbreitmig gefunden. Teilt doch hin-
sichtlich des Alluviums Burmeister selbst mit, wie dasselbe teils,
nämlich an der Küste auf marinen, teils nämlich am Paranastrome
auf brackischen Ursprung hinweist, oder auch wie am südlichen Bio
Salado auf Entstehung aus sfllsem Flulswasser. In gleicher Weise
kann und wird auch das Diluvium an den yerschiedenen Orten seiner
Ahlagerung unter verschiedenartigen Bediogungen abgesetzt worden
sein. Gemeinsam und einheitlich ist eben nnr das Büämgsmateriai
der Formation, nicht aber die Bddunys weise.
Wir wissen durch Darwin, dafs die Küste von Argentinien
und in höherem Grade noch von Patagonien nach der Tertiärzeit
eine sehr beträchtliche Hebung erfahren hat. Fand doch Darwin
in mehr als 400' Höhe an der patagonischen Kflste Meereskon-
chylien, welche mit den noch jetzt in jener Region lebenden sich
als völlig identisch herausstellten. Auch sind zahlreiche Belege dafflr an-
geführt, dafe das Ufer des Parana beziehungsweise des La Plata wah-
rend der Alluvialepoche um mindestens 20—90 m gehoben wurde.
Rechnet man hierzu den Effekt der Hebungsvorgange während der
Diluvialzeit und die Thatsache der ehemaligen weit gröfseren Aus-
dehnung des La Plata-Ästuares, so wird es leicht genug verstandlich,
wie zur Diluvialzeit die greise argentinische Tiefebene unter Wasser
14^ •
Digitized by Google
— 200 —
sein mufete. Wie weit der Einflufs des Meeres sich zu jener Zeit
erstreckte, können erst sp&tere Fnnde zeigen. Was in dieser Art
bis jetzt bekannt wnrde, ist noch sehr kflmmerlich. Burnteisier
erwähnte diverse solcher Fuude, ohne ihnen jedoch grÖ&ere Be-
deutuuij, beizulegen.
Die Armut des Diluviums an Resten wirbelloser Tiere spricht
wie mau versichert, ixe<xe\\ die Ansicht von dessen niiirinoin Ur-
spriin*;e. An und für sich freilich können fossiiarnie SSclüchten elniu
so wohl marine sein wie aus Sülswasser abgelagerte. Der dem
Meere erst vor relativ kurzer Zeit entstiegene Boden der Küsten-
striche von Hio (hande ist. so viel bis jetzt bekannt, vollkommen
ohne Konchylien, deren man doch am Strande jeder Zeit beliebige
Mengen haben kann. Allein die Erklärung liefert otienbar der Um-
stand, da£s der Boden nur aus reinem hellen Saude besteht, in dem
ich von Foraminiferen wesentlich nur Kotalia und Rotalien ähnliche
Formen fand. Das ungleich feinere Material des Paiupaslehmes aber,
in welchem übrigens Foranuniferen ganz fehlen, hatte so gut wie
Knochen auch die derberen Muschel- und Schneckenhäuser konser-
yieren mOssen, wenn es deren gegeben hfttte. Wenn wir uns in der
heutigen Schöpfung nach Bedingungen umsehen, welche denen der
Pampasablagerungen entsprechen könnten, so finden wir lediglich die
von Azora labiata bewohnten Binnenseen, welche eine gleiche Ar*
mut an Tierleben aufweisen. Es ist dabei auch zu beachten, dafe
die Azara labiata eine ziemlich feine zerbrechliche Schale hat, die
sich nur da leicht erhalten wird, wo gröfsere Anhftnfiingen derselben
sich vorrtnden. Burmeister macht darauf aufmerksam, dafs die
Azara im Alluvium Argentiniens meist nesterweise massenhaft auf-
tritt. Dem steht die in Hio Grande gemnchte Fjiuhrung zur Seite,
dafs an bestimmten Stellen, wie z. B. der i'uuta alegra in der Lagoa
mirim sich diese Muschelschalen in enormen Massen anhäufen —
jedenfalls ein Ausdruck der herrschenden Wind- und Strömungs-
verhnltnisse in Verbindung mit lokalen Geätaltaugsverbaltnisseu des
Ufers.
Die Ufer des Canals do Norte sind absolut konchylienleer. auch
das Schleppnetz bringt nur si)arlichste Keste weniger .\zara> oder
Solecurtus zu Tage. lUd selbst sehr viel weiter landeinwärts tindet
man an der Lagoa dos l'atos nur die beiden früher erwähnten
kleinen Mollusken, wfthrend doch Küste wie Flufs (Guahyba) so reich
entfaltetes Tierleben, auch an Mollusken aufweisen. Wir sehen also,
wie der öftere W'echsel im Sflfs- und Salzwasser der Entfaltung des
Tierlebens hinderlich ist und dieses fast gänzlich austilgt, wo voll-
salziges Meerwasser und Süfswasser abwechselnd sich verdrängen.
. Kj L y Google
201 —
'Wefxn äbnliche Verhältnisse auch in den Pampas bestanden, so ist
uns nicht nnr das Vorkommen der Azara labiata weit stromaufwärts
erklärt — und man braucht kein Prophet zu sein, um den künf-
tigen Nachweis eines viel weiteren Verbreitungs^^ebietes der Azara
für Argentinien vorauszusajjeu — sondern auch der anderweite
Manizel an Konchylien. Burnieister hält Azara labiata für hezoich-
nend für das Alluvium, Es wäre aber immerhin möglich, dafs man
sie auch noch im Diluvium aufhndet. Wenn aber zur Diluvialzeit
die Pampas unter Wasser waren, sei es von einem vielbuchtigen
grofsen Binnensee eingenommen, sei es von einem zusammenhängen-
den Systeme von Seen, so ist jedenfalls der Eingang in das Riesen-
ftstnar ein sehr viel weiterer gewesen als etwa bei Rio Grande im
Verhältnisse' zur Lagoa. Je offener aber der Zugang vom Meere
her war, um so weiter hinein miifstcn Wind und Strömung ihren
Einflufs geltend machen. Da aulserdem die Tiefe dieses Beckens
keine bedeutende sein konnte, dasselbe also bei enormer Ausdehnung
eine relativ sehr beträchtliche VerdunstungsHäche besafs, so müssen
sich dieselben Vorgäni^e wiederholt haben, die wir von der Lagoa
dos Patos kennen lernten — Uberwiegen des Süfswassers zur nassen
Jahreszeit, Vordringen des Salzwassers, wenn bei Regenmangel und
starker Verdunstung das Niveau der Binnenseen sank.
Über die Konfii^uration dieser Seen wird man sich keine klare
Vorstellung machen können, so lange nicht mehr Detailstudien und
zumal genaue Höhenkarten vorliegen. Auf der genauesten mir zur
Zeit vorliegenden Karte von Argentinien ist die südlichste Partie
der bierras das pampas, die Sierra de Ventana, durch eine Kette
niederer Erhebuniren und Berge (cerros) mit den Ausläufern der
Sierra de Cordoba verbunden. Damit wäre eine wenn auch vielleicht
mehrfach durchbrochene Brücke gegeben zwischen den südlichen
Gebirgszügen der Pampas und den centralen, durch welche ein
kleines südliches und ein gröberes nördliches Becken geschieden
worden wären. Wenn auch diese Becken durch den weiten Zusam-
menhang mit dem Meere zum Teil mehr goltaitig erscheinen mufs-
ten, so bedingte doch die geringe Tiefe des Wassers und das be-
ständige Nachdrängen enormer Mengen von Süfswasser einen über-
aus wechselvollen Zustand in der chemischen Zusammensetzung des
Wassers und eben dieser Umstand ist es, der die Armut an Tier-
leben erklart. Die Leichen der diluvialen Sauger sind ja ohne
Zweifel zumeist angeschwemmt. Man hat sich aber keineswegs vor-
zustellen, dab sie von den Anden und dem Hochlande Boliviens her-
*^ Von A. de Seelstraag y A Toiurmeiite. Boenos-AiiM 1876.
Digitized by Google
— 202 —
gekommen seien, da auch die central- und südargentinischen Sierras,
die Cnchilla j?rande und die Ausläufer der brasilianischen Serra geral
zahlreiche Wohnp^ebiete für diese ausgestorbenen Sauger mflssen
dargeboten haben. Das ganze Terrain wird ja, zumal in der Nfthe
der Gebirgszüge und ihrer Auslaufer, sehr mannigfaltig im Wechsel
von Buchten, Inseln, sumpfigen Niederungen u. a. gewesen «sein. Es
ist daher auch verst&adlich, wie manche Individuen am Orte selbst
konnten im Schlamme eingebettet bleiben, wo sie ertranken. Bwr-
meister hat ohne Zweifel hierin Recht, wenn er darauf besteht,
dafs nicht alle Leichen von weither angetrieben sein konnten. Darauf
weist ja unter anderem der von Bwmimtiter^ urgierte Fall hin,
wo die ganzen Skelette von zwei Mylodon gracilis, einem alten Tiere
mit seinem Jungen nahe bei einander w<Alerhatten aufgefunden
wurden.
Hierin wie in vielen andren Punkten, wie z. B. der Auffassung
der Salinas als ehemaliger Süfswusserbecken schliefse ich mich ganz
der AuffuiSöiing Burmeisters an, stimme ja auch darin mit ihm
übereiü, dafs ein grofser Teil des Pampasdiluvium aus Süfswasser
beziehungsweise Brack- und Wechselwasser mufs abgelagert sein.
Auch Burmeisters Auflassung von der Beteiligung lokaler Über-
schwemmungen infolge heftiger Regengüsse wird man für Fälle
wie den oben geschilderten und in Verbindung mit Flufsansrhwem-
mungeu für die Gebirge und Hochplateaus als wesentliches Moment
bei der Bildung des Diluviums anerkennen müssen. Wenn dagegen
Burmeister diesem Faktor eine noch viel weiter gehende Be-
deutung beimiÜBt, und gegen die Annahme von der Bildung der
Pampas der argentinischen Ebene in stehendem und fliefsendem Wasser
zumal den Mangel an Sfllswasserkonchylien geltend madit, so ist diese
Schwierigkeit durch die hier niedergelegten faunistischen Studien
aus dem Wege gerAumt Es giebt in der That, wenn wir uns hier
speziell an die VerhAltnisse des aufiBertropischen Sfldamerlkas halten,
kein so tierarmes Wasser als das zwischen Flufs und Ästuar
eingeschobene Seebeeken. Wenn die auffallende fast bis zum ab*
soluten Mangel gesteigerte Armut des Pampasdiluvium bisher alle
Beobachter frapi)iert und zu den verschiedenartigsten und gewag-
testen Hypothesen verleitet hat, so erscheint sie bei der hier be-
gründeten Auffassung nur als eine notwendige Folge der ungün-
stigen Bedingungen, welche allem Tierleben iu solchen Wasserbecken
geboten sind, in welchem süfses und salziges Wasser infolge ge-
ringer Niveaudiiferenz leicht und vielfach um die Herrschaft ringen.
"») 1. c. p. 190.
— 203 —
, Unter solchen Umständen wird man in den westlichen Teilen der
Paapas ein Oberwiegen des Sülswassers, in den Östlichen dasjenige
des Brack- nnd Meerwassers in den seltenen Funden ausgedruckt za
finden erwarten dürfen. In der That ist auch in der Tosca des Dilu-
viums bei Buenos-Aires eine fossile Koralle gefunden worden und
Burmeister weist auf andere ähnliche Funde bin. Solche Stücke
können übrigens auch durch die Wogen viel weiter landeinwärts
getrieben werden, wie z. B. das, was ich eben über die Seekonchylien
an der Barre sagte, beweist.
Indem ich hiermit diese Mitteilungen abschliefse, gebe ich
mich der Hoffnung hin, dafs das Interesse, welches sich für mich an
die physischen und faunistischen Verhältnisse der grö&ten brasi-
lianischen Binnenseen und an die Erforschung ihrer ehemaligen
gröfseren Ausdehnung knüpft, auch bei anderen durch diese Ab-
handlung erregt werde, und dafs dieselben zumal auch die vielen
Freunde geologischer Forschung, welche in dieser Provinz leben, zur
Beobachtung und Mitteilung einschlägiger Thatsachea anregen
möchten.
Die angefügte Karte hebt die Ausdehnung des Meeres zu Be-
ginn der Alluvialzeit durch punktierten Thon hervor. Die Grenzen
lassen sich bis jetzt nur für die Lagoa dos Patos genauer angeben,
wogegen die Ausdehnung der Lagoa do Jacnhy und mehr noch der
Lagoa de Jaguai^ sich nur aus den topograplyschen Yerhftltnissen
ersehlfo&en lassen.
Bm Grande, 20. Januar 1885.
Der fünfte Deutsche Geographentag
in flanbirg.
Über den 5. Deutschen Geographentag, welcher in der Oster-
woche, vom 9. bis 11. April, in Hamburjx stattfand, sind bereits
eine Reihe mehr oder weniger ausführlicher lierichte sowohl durch
die Zeitungen als durch Fachblätter veröffentlicht worden. Um nun
nicht zu wiederholen, beschränken wir uns auf die folgenden Be-
merkungen. Die Beteiligung an dem Geographentage war eine zahl-
reidiere, als auf irgend einer der froheren Versammlungen, was
hauptsächlich der regen Teilnahme der Hamburger Eanfinannschaft
ZQ verdanken war. In der Scblufesitzung wurde die Zahl der Teil-
nehmer zu 604: augegeben; die betreffenden Rahlen der früheren
*•) 1. e. p. 3».
Digitized by Google
204
Geographentage sind: Berlin (1881) 70; Halle (1882) 434; Frank-
fort a. M. (1883) 504; München (1884) 346. Die von dem Ham-
burger Komitee sowohl für die Verhandlnngen als ftlr die Ansstelliuig
getroffenen Vorbereitangen waren trefflich, ja, was die Vortrage betrift,
so hatte das Komitee, vielleicht in der Besorgnis, dafe dieser oder jener
Redner im letzten Moment plötzlich Verhinderung bekommen möchte,
des Guten fast zu viel gethan. Man hat beklagt, dafs, um die an-
gekündigten Vorträge auch sämtlich zur Geltung kommen zu lassen,
keine Zeit zu Diskussionen gelassen worden sei, während eine Be-
leuchtung einzelner in den Vortragen behandelter Themata, wie
z. B. der Mitteilungen des Dr. Fischer über die Idimatischen Ver-
hftltuisse Afrikas in bezug auf die Verwendung überschüssiger
deutscher Arbeitskr&fte, von einem anderen Standpunkte, als es der
von dem Vortragenden eingenommene ist, im hohen Grade wünschens-
wert gewesen wäre. Das mag seine Berechtigung haben, allehi die Ge-
legenheit zur Diskussion wurde stets von dem Präsidenten geboten,
dieselbe wurde eben nur selten benutzt. Für die Zukunft möchten wir,
um eine vielseiti^^e Beleuchtung des von einem Redner behandelten
Themas durch Diskussion zu erleichtern, das Verfahren empfehlen,
welches in der geograiihi sehen Gesellschaft in London üblich ist. Dort
werden nämlich, wenn ein wichtiges Thema zur Ei'örterung vorliegt,
von dem Vortragenden verfafisto kurze Auszüge aus dem von ihm
zu haltenden Vortrage vorher gedruckt an alle diejenigen Mit-
glieder verteilt, bei denen eine besondere Kenntnis odef ein Interesse
an dem Gegenstande vorausgesetzt wird. So hat auch die Gegenrede
in gewissem Mafse Gelegenheit zur Vorbereitung und die Geltend-
machung verschiedener Gesichtspunkte ist mehr gesichert £s ist
in der That wohl nur wenigen möglich, einem sorgfaltig aus-
gearbeiteten Vortrag über ein mit Vorliebe nach allen ilichtnngen
durchforschtes Gebiet so auf der Stelle gegenüber zu treten, wenn
man nicht einige Zeit vorher wenigstens in den Gedankengang des
Redners eingeweiht, ist und sich das, was sich etwa, vielleicht nach
Einsicht von mancherlei litterarischem Material, dagegen oder dazu
sagen läfst, hat zurechtlegen köunen. Bei groCsen Fragen empfiehlt
sich dieses Verfahren gewifs. Man kann derartige Diskussionen nicht
mit politischen Debatten auf eine Stufe stellen, denn in letzteren
sind die Vorlagen, um die es sich handelt, jedem' Teilnehmer ge-
läutig; es handelt sich da teils um Details, teils um die Geltend-
machung verschiedener i)o]itischer Prinzipien. Dem Vortragenden
würde mit solcliem Vei'fahren nicht zu nahe geschehen, vermöge
der ihm beiwohnenden Sachkenntnis wird er immer im stände sein,
seine Meinung auch in der Diskussion wirksam zu vertreten und
— 206 —
die ganze Verhandlung gewinnt für die Teilnehmer bedeutend an
Interesse.
An den drei VersammlunErstagen, 9. bis 11. April, wurden 21
Vorträge gehalten, nur ein Gegenstand veranlafste eine ausführliche
Diskussion, die deutsche Landeskunde, und wurde die bisherige
Thätigkeit der vom Geographeotage für diese Angelegenheit ins
Leben gentfsnen Kommission von der einen Seite lebhaft kritisiert,
Ton der and^ warm verteidigt» Wir haben mehrfach Gelegenheit
gehabt, der Tbfttigkeit dieser Kommission, sowie ihrer jetzt in zwei
Hefken vorliegenden Pablikationen ^znr deutschen Landes- und Volks-
kunde" zu gedenkeu; die Konmiissiou wurde neu .s^ewillilt und wird
sicher unter Beachtung der gemachten Aussetzungen — soweit
solche berechtigt — eine fernere erspriefsliche Thätigkeit auf
diesem für die geographische Wissenschaft so bedeutungsvollen Ge-
biete entfalten.
Die Wahl der Themata der Vorträge war, so schien es uns,
eine recht glttckliche; im Vordergrand stand neben der Polarforschung
Afrika, dem vier Vortr&ge gewidmet waren, zwei dieser Yortrftge
worden von Kanfleuten gehalten und betrafen, wie der dritte, kolo-
nisatorisebennd kommerzielle Fragen und Thatsachen, in das Gebiet
der Handelsgeographie fiel die Berichterstattung Ober den Panama-
kanal, von Entdeckungsreisen hörten wir die trefflichen Referate von
Dr. Boas, Dr. v. d. Steinen und Dr. Claufs; die Ethnologie und die
historische Geographie waren durch die Vortrage von Strebel
(Mexikanische Altertümer) und Dr. Michow (über die iiltore Geo-
graphie von Rufsland) vertreten. Es ist ja ganz natürlich und ge-
rechtfertigt, dafs, da auf eine gröfsere Anzahl Ortsbewohner als
Teilnehmer gerechnet werden mnfe, der Charakter des Orts, hier
der ersten deutscbeo Seehandelsstadt, mit entscheidend sein mnfs für
die Wahl der zu behandelnden Gegenstände. Darum mofete auch
die auf froheren Tagen sehr bevorzugte Schulgeographie in Hamburg
znrttoktreten.
Von den Vorträgen besprechen wir nur zwei iiiemata aus-
führlicher, für alle anderen, namentlich die so hochwichtigen Afrika-
vorträgp müssen wir auf den gegenwartig in der Vorbereitung be-
griffenen amtlichen Bericht über den 5. Deutschen Geographentag
verweisen.
Das erste Thema: die antarktische Forschung, ihre Notwendigkeit
und Durchführbarkeit, wurde durch einen sehr eingehenden Vortrag
des Geheimen Bats Professor Dr. Neumaiferi des Direktors der
Seewarte des deutschen Reichs, eingeleitet Der Bedner erinnerte
zunächst an das grosse Werk der internationalen Polarforscfanng,
Digitized by Google
— 206 —
welches jetzt, wenigstens bezüglich Deutschlands, seinem Abschhisse
durch Veröffentlichung der Ergebnisse der Beobachtungen nahe ist.
Bereits auf dem vorigjährigen Geographentage zu München hat
Badner, getreu einer langjährigen durch Rede und Schrift betrie-
benen Agitation, die Notwendigkeit der antarktischen Forschung be*
tont und der Geographentag enuuinte ein Komitee für Betreibang
der Angelegenheit, als dessen Beriditerststter nnn Professor Nea*
mayer erseldea. Redaer wies zonSchst auf die grefo rftimdlche
Ausdehnung des nnbekannteii Gebiets am Sttdpol hin. IHe geogra-
phische Forschung würde namentlich an die Ergebnisse der Reise
des amerikanischen Robbenfangers Morell anzuknüpfen haben, welcher,
nächst Wedell, am weitesten gegen den Südpol hin vorgedrungen zu
sein scheint. Die erdphysikalische Forschung habe, wie naher nach-
gewiesen wurde, in den unbekannten Südpolargegenden jedenfalls
reiche Früchte zu erwarten, ebenso die Meteorologie, die Klima-
tologie, die Hydrographie. Schliefslich besprach der Redner die Art
und Weise, wie er sich die Ausführung einer Südpolarezpeditioa
durch einen gedgneten Dampfer und der Etsmeeriiahrt kundige
deutsdie Seelente denke. (Karten und die Zeichnung eines Dampfers
illustrierten den Vortrag.) Professor RaM aus Mflnchea kommt,
indem er die Bedeutung und die zu erwartenden Ergebnisse der
antarktischen Forschüug uoch weiter beleuchtet, zu der Behauptung,
dafs die Wissenschaft sich in bezug auf das Südpolargebiet bisher
in einem grofsen Notstand befand, dem im Interesse nicht blos der
Geographie abgeholfen werden müsse. Er hebt namentlich hervor,
dafs eine erfolgreiche Südpolarforschung uns die wissenschaftlich so
wichtigen Vergleichungsmomente gegenüber den Resultaten der bisher
Torzugsweise betriebenen Nordpolarforscbung liefern werde. Dr.
jUbreM Fendk ans MOnehen -zeigte in längerem Vortrage, welche I
wichtigen Resultate die Polarfersdiung schon bisher für das Tier^ I
und Pflansenlehen und für die Klimata der Erde in Mheren Perio- i
den geliefert habe und wie eine Erforschung der Antarktis die in
dieser Richtung gewonnenen Resultate sicher bereichern werde. |
Als letzter Referent in der Angelegenheit trat Professor Peters .
(Kiel) auf. Er vertrat das Interesse der mathematischen Geo-
graphie, indem er unter übersichtlicher Darlegung der seit dem
17. Jahrhundert begonnenen Gradmessungsarbeiten hervorhob, dafe '
durch Anstellung von Pendelbeobachtungen in jenen Regionen I
ein neuer wichtiger Beitrag zur Feststellung der Gestalt der Erde
geliefert werden dürfte. Somit wurde der Gegenstand vielseitig
und von berufenen Kriften beleuchtet Ein BeschluDi, der etws
Schritte zur AusfShrung einer deutschen Sadpcdarezpedition bitte
Digitized by Gooje
— 207 —
einleiten können, wurde nicht gefafst. Es war dies gewifs gerecht-
fertigt, da eben bedeutende Mittel erforderlich und die Aussichten
zur Beschaffung solcher zur Zeit wohl sehr ^rerinj^ sind. Mehr und
mehr tritt jetzt bei den geographischen Forschungsreisen die kolo-
nisatorische und kommerzielle Seite in den Vordergrund, indes kaoo
man mit Sicherheit erwarten, dafs die rein wissenschaftliche Seite
der geographischen Forschung Uber kurz odor lang wieder zu ihrem
Bechte kommen und der Znsammenhang, wie die Kackwhrkung der-
selben auf das gesamte wirtschaftliche und Kulturleben mehr und
mehr erkannt werden wird. In dieser Erwägung wird es ratsam
sein, dafe der Geographentag von Zeit zu Zeit Von neuem seine
Stimme zu Gunsten der Südpularer forsch ung erhebe; schliefslich wird
der Erfolg nicht ausbleiben.
Über ein anderes der Vortragsthemata möchten wir wegen
seiner grofsen Bedeutung für Handel und Schiffahrt hier noch etwas
näher referieren, es ist der PanamakanaL Das den iuternatioualen
Seeverkehr neue Bahnen eröffnende Unternehmen wurde vom kauf-
mannischen (Kaufmann JBggeH aus Hamburg) und vom technischen
Gesichtspunkt (Baumeister J^e^ aus Kassel) beleuchtet Den letz-
teren Mitteilungen war folgendes zu entnehmen.
Die Gesdiichte der Entwürfe zur Durchstechnng der Dariscfaen
Landenge reicht in die Zeit der Entdeckung Amerikas zurück.
Lesseps war es vorbehalten, den oft projektierten Kanalbau als
offenen Durchstich ohne Schleusen in Anj^^ift' zu nehmen. Die tech-
nischen Schwierigkeiten, die Kosten und Zeitdauer der grofsen Unter-
nehmung wurden ina Anfang unterschätzt. Der Entwurf von Wyse,
die Lioie Panama-Limonbai, erhielt unter 13 anderen den Vorzug.
Die Lange des Kanals ist 75 km, die Breite 22-^ m, die Tiefe
8 m; stellenweise findet eine Erweiterung statt Die gröfste
Schwierigkeit bildet die Durchbrediung der vulkanischen Cerros;
120 Millionen Kubikmeter sind zu bewegen, davon ist nur weiches Ma-
terial. Die Arbeiten sind in drei Sektioiien im vollem Gange und reidien
die 33 Hauptbauplätze schon jetzt vom Atlantischen bis zum Grofsen
Ocean. Zur Durchbrechung des Gebirges wird Dynamit verwendet,
der atlantische Hafen ist fertig, der am Grofsen Ozean begonnen.
Eine Niveaudifferenz besteht nicht, doch ist die Flutwelle im Stillen
Ocean bedeutender als im Atiantischeu. Der Leiter der Kanalbauten
ist bekanntlich ein Deutscher, Dingler. An Arbeitern ist bei der
hohen Löhnung, 8 — 10 FikB, täglich, kein Mangel ; der Hauptstamm
derselben sind Farbige aus den AntiUen. Die Vollendung Ende 1888
ist nicht unwahrscheinlich, wenn nicht auiserordentliche Ereignisse
hemmend dazwischen treten. Soweit der Techniker. Weuiger gOnstig
— 208 —
war das Prognostiken, welches Herr Eggert der wirtschaftliclieD
Seite des grofsen Untemebmens stellte. Nach Vollendung des Kanals
tritt Kalifornien in einen direkten Schiffsverkehr mit Enropa, der
um die Hälfte kürzer ist als der bisherige um Kap Horn. Jetzt
betrage die Ausfuhr Kaliforniens zur See nach Europa, hauptsachlich
Weizen, 400 Schiffsladungen, nur 2 pCt. sind Dampfer. Der Ver-
kehr mit den nördlichen Staaten Südamerikas an der pacifischen
Seite werde nur bei Einführung friedlicher Zustände in jenen Repu-
bliken sich aufschwingen, Chile dagegen könne vermöge seiner süd-
lichen Lage nicht viel Vorteil gegenüber dem bisherigen Wege durdi
die Magellanstrafee gewinnen. Ferner kommen die SQdseeinseflii,
China und Japan in Betracht Dieser Verkehr umf&fst jetzt 2440
Schiffe von 2380000 Reg-Tons Tragfähigkeit, darunter verhaltnis-
mäfsig wenige Dampfer. Sicher werden in Zukunft die Frachtdampfer
auch auf dieser neuen grofsen Weltverkehrsstrafse das Segelschiff
verdrängen. Nach Mafsgabo der Entwickelung, welche der Verkehr
zwischen Kuropa einerseits und Indien, dem asiatischen Osten und
Ostafrika andrerseits durch den Suezkanal gewonnen habe, sei zu
erwarten, dafs '^/s des obigen Verkehrs, also nur etwa 1500 QUO
Reg.-Tons, die Panamawasserstrafee einschlagen werden. Immerhin
sei das Unternehmen von der weitgehendsten Bedeutung fttr den
internationalen Verkehr. Auf Grund vielfacher eigener Anschauung
glaubt Redner übrigeus nichts dafs die jetzige oberste Bauleitung
durch Lesseps die enormen Bauschwierigkeiten richtig schätse, Klima
und Boden seien weit ungünstiger als im Terrain des Suezkanals.
Der Redner madite diese liemerkungen auf (irund der von ilim an
Ort und Stelle in Mittelunierika erlangten Einsichten und Kenntnisse;
immerhin sollte man meinen, dafs aucli für Chile trotz seiner Abge-
legenheit der Kaualweg vor der oft gefährlichen und stürmischen,
jedenfalls zeitraubenden Fahrt durch die Magellanstrafse den Vorzug
um so mehr gewinnen werde, als das bis jetzt völlig unproduktive,
fast nur von Wilden bewohnte Patagonien keine Gelegenheit zum
Zwischenverkehr bietet
Wenn wir uns nun zuletzt zu der so reichen, vielseitig
interessanten Ausstellung wenden, so sehen wir uns auch hier nur
auf die Wiedergabe eines allgemeinen Eindrucks beschränkt: wer
die Versammlungen nicht versäumen wollte, dem blieben für die
Besichtigung tler Ausstellung nur die frühen Morgenstunden und
die Zwischenpausen der Verhandlungen ; die letzteren wurden aber,
wie billig, der Erholung, I nterhaltung und dem Frühstück geweiht.
Das Neue und Charakteristische dieser Ausstellung, im Vergleich-
zu früheren^ waren die WelUutndelsprodukte, die völkerkundlichen
Digitized by Gc)
— 209 —
Objekte und die Ausrüstungsgegenatäude für wissenschaftliche Keiseu.
Dank der aiifserordentlichen Vielseitigkeit des Hamburger See-
handels, dem fintgegeDkommeii der grofsen Importhäuser, der Be-
reitwilligkeit zur Darleihung geeigneter Sachen, sowohl seitens der
groCsen wissenschaftlichen Sammlungen (naturhistorisches Museum,
Museum Godefroy, Museum für Völkerkunde, botanisches Museum),
wie seitens einzelner patriotischer Bürger, war hier in kurzer Zeit
ein Handelsmuseuiii in einer Vollständigkeit und instruktiven An-
ordnung zu Stande gekommen, wie die eifrigsten Bemühungen in
irgend einer anderen deiitsclien Stadt es in vielen Jahren nicht
würden schaffen können. Nur hinweisen wollen wir beispielsweise
auf das asiatische und afrikanische Elfenbein und die sibirischen
Mammutzähne, geordnet nach Qualitäten und Bezugsländern, roh,
halb bearbeitet und in Schmuckgegenstände der verschiedensten Art
verwandelt, auf die Färb- und Gerbstoffe, Faserstoffe, Droguen, die
Harze, ÖlMchte, Erze, die besondere Kollektion westafnkanischer
Handelsprodukte, auf die dazu gehdrenden Tabellen und Karten,
femer auf die einzelnen unter „Reiseausrüstung" begriffenen Ab-
teilungen: Bekleidung, Lagereinriclitung und sonstiges Gepäck,
Proviant, Arzneien und Verbandmittel, Bewaffnung, Instrumente
und Saninielapj)arate, Geldarten untl Tauschmittel, endlich die
Transportmittel ; wir konnten uns hier überzeugen, dals der wissen-
schaftliche Reisende seine Ausrüstung jetzt nicht mehr wie früher
in Paris oder London zu beschaffen braucht, sondern bei der Ham-
burger Industrie alle nur denkbar erforderlichen Gegenstande in
bester Qualität und reichster Auswahl findet, ein wesentlicher Vor-
tdl auch für den deutschen Geschäftsmann, der überseeische Lftnder
zu kürzerem oder l&ngerem Aufenthalt aufsucht. Recht bedeutend
war auch die ethnologische Abteilung; hier war namentlich die
Völkerkunde von Ost- und Westafrika, Mexiko, Persien, Australien,
Ceylon und verschiedener Südsee-lnselgruppou durch ganze Kollek-
tionen vertreten.
Was die Abteilung „Bücher, Karten und Verwandtes" betrifft,
SO war wohl, dmxh die nach Schhifs des Geographentages noch eine
ganze Woche hindurch fortgesetzte Dauer der Ausstellung, den in
Hamburg wohnenden Herren Gelegenheit zu einem näheren Studium
gegeben, die meisten auswärtigen Herren werden sich, wie Yer-
fesser, mit einer allgemeinen Umschau in dieser so reichhaltigen
Abteilung haben begnügen mttssen. So bemerken wir nur, dals
nächst den letztjahrigen Publikationen der deutschen geographischen
Anstalten diese Abteilung eine höchst wertvolle Sammluiig von
Karten der Nordsee und ihrer Küstenländer, von der ältesten
Digitized by Google
(Nürnberß:er) Publikation von 1493 an, bis auf die neueste Zeit,
Karten, Plaue, Ktliefs von Hamburg und der ünterelbe, ferner die
geographiscben Publikationen Hamburgs, von des ehrsamen Ham-
burger Schiifsbarbiers Martens Spitzbergenscher Reisebeschreibong
(1675) bis auf die neuesten Afrikakarten der kartographischen
Anstalt Ton Fdederichsen und die Veröffentlichungen der Reich»-
Seewarte enthielt. Wenn wir schlieCslich erwähnen, dals diese
Kartenabteilung im Katalog 745 Nummern s&hlte, so wird man sii^
▼on der Reichhaltigkeit des hier aus Vergangenheit und Gegenwart
Gebotenen eine Vorstellung inaclien können. Der „Bericht über
den 5. Geograpbentag" wird ohne Zweifel auch die Ausstellung ein-
gehend würdigen. Erwähnen wollen wir nur noch für die Mit-
glieder unserer Gesellschaft folgende aus Bremen eingesandte
Karten: 1. Von der Bremer Stadtbibliothek: J. Ziegler, Quae intus
continentur Syria, Palaestina, Arabia, Aegyptus, Schondia, Holmiae
excidii historia, Argentor. apud P. Opilionem, 1532. NobiUs Saxoniae
fL visurgls cum terris a^jacentibus ab inclyta Brema ad ostinm
maris J. Janasonius, ca. 1660. 2. Aus dem hiesigen Staatsarchiv:
Karte der Weser von Bremen bis sum Meere. M. S. d. 17. Jahr-
hunderts, Plan de 1a Jahde et de Pembouchure du Weser, lev^
par BeauteinpS'Baupre en 1812, publik par ordre du roi en 1821,
grav6 par Coli in. Übersicht der trigonometrischen Messungen von
1824, nebst einem Teile der früheren hannoverschen, holländischen
und dänischen Dreiecke. (Nach Messungen von Gaufs, Meridian der
Göttinger Sternwarte M. S.) und: Charte von den Mündungen der
Weser, Jahde und Elbe, nach eignen Messungen und Beobachtungen
Ton Joh. Bosse. 1838. Bremen.
Die Ausflttge, denn auch dafür hatte das nach allen Richtungen
unermOdlich thätige Komitee gesorgt, wurden mehr oder weniger
von dem schlechten Wetter beeinträchtigt. Besonders gilt dies von
der Wanderung durch die neuen groisartigen Hafen- und Lagerhaus-
anlagen, welche der Zollanschlufs Hamburgs notwendig macht. Der
Besuch der Seewarte wird besonders für die oberländischen Teil-
nehmer sehr instruktiv gewesen sein. Sehr befriedigt war die
geringe Anzahl Teilnehmer an der Dampferfahrt zu den Elbmarschen
oberhalb Hamburgs, am Sonntag, den 12. April. Auch die Festlich-
keiten: das Bankett im Sagebielschen Saale, die allabendlichen ge-
selligen Zusammenkünfte im Pavillon des Dammthorsbahnhofes ver-
liefen harmonisch und zu aller Befriedigung. Besonders der letzte
Abend, mit seinen lustigen und ernsten Liedern, die sich der
scheidende Bobert Flegel zur letzten Ermnerung an die deutsche
Heimat fUr seme Reise nach dem Niger und Kamerun erbat, die
Digitized by Go
— 211 —
zündenden patriotischen Ansprachen werden noch lange im Oe-
dAchtnis der Teilnehmer bleiben. Vor allem gilt letzteres aber
auch von der gastfireundschaftlichen Gesinnung, welche die Harn*
burger Henen, an ihrer Spiise die Herzen BOrgermelster Dr. Kirehen-
pauer, Professor Neumayer, Friederichsen, Dr. Matsen, Dr. Midiow
u. a. allen Teilnefamem erwiesen. Diejenigen« weldie den 5. Geo-
graphentag Torbereitet und geleitet haben, dürfen auf ein in jeder
Beziehung gelungenes Werk zurückblicken.
Im nächsten Jahr wird der Geographentag in Dresden zu-
sammenkommen, wo sich in dem Verein für Erdkunde, in zahl-
reichen wissenschaftlichen Instituten und Sammlungen, wie in der
Fremdenkolonie genug kräftige persönliche und sachliche Anhalte
bieten, um die Versammlung zu einer gleich inhaltsreichen zu ge- .
stalten, wie es die Hamburger war. M. L.
Der Batanga- oder Moanja'*')-Flur$.
Von Higt Ziller.
Hierzu Tafel 4: Skizze des Batanga- oder Moanja- Flusses (Deutsches fcameruu-
gtbiet) Yon Hugo ZOUer.
Die Thatsache, da£s es in Westafrika ganz dicht an der Küste
ausgedehnte Landstrecken giebt, die noch heute so unbekannt sind,
wie es vor Stanley der obere und mittlere Kongo war, diese That-
aaehe ist bis vor Jahresfrist blos den Geographen von Fach bekannt
gewesen. Seit Jedoch Dr. Nachtigal im Togo- und Kameninland die
deutsche Flagge gehifet hat, wurde auch ein weiteres Publikum,
welches sich sonst nur wenig mit geographischen SpezialStudien zu
beschäftigen pflegt, darauf aufmerksam, dafs wir über die Verhaltnisse
und die Beschaffenheit dieser Gebiete noch beinahe gar nicht Bescheid
wufsten. Erscheint es nicht im höchsten Grade befremdend, dafs
Gegenden, wie Togo oder das südliche Kamerungebiet, an deren
Seestrand deutsche und englische Kaufleute seit vielen Jahren
anslssig sind, schon wenige Kilometer landeinwärts teils noch
heute yOllig unerforscht sind, teils bis vor kurzem völlig uner-
forscht waren! Die Erklnmng dieses scheinbaren Katsels ergiebt
sich einesteils daraus, dafe die Kaufleute, die doch xnnAchst an
ihr Geschäft denken mfissen, nach gethaner Arbeit alhni mflde
*) Auf der Kartenskizze ist irrt&mhch Moaxil* gedruckt, was hiennit
berichtigt wird. D. Red.
Digitized by Google
— 212 —
sind, als dais sie noch Lust uud Neigung iui- utiogiaphische For-
schungen verspürten, andererseits ist das Vordringen in den noch
unbekannten oder bis vor kurzem unbekannt gebliebenen Ländern,
selbst wenn blos (ranz geringe Entfernungen in Betracht kommen,
durcliaiis nicht so leicht, wie der Neuling sich das vorstellen mag.
Es gehören dazu aufser einiger persönlicher Energie so viele Vor-
bereitungen und so reichliche Geldmittel, daf:^ der Oedanke, als ob
vielbeschäftigte Kauflente sich aus eigener Initiative mit dergleichen
Dingen abgeben könnten, einzelne Ausnahmen abgerechnet, von vorne
herein aasgeschlossen ist. Denn sowohl die eingeborenen Küsten-
stämme, wie auch die zunächst hinter diesen wohnenden Völker
wachen so eifersü('htig über ihr Monopol des Zwischenhandels, dafs
sie mit allen Mitteln, die List und Gewalt ihnen an die Hand geben,
das Vordringen weiTser Manner su verhindern oder doch zu er-
schweren suchen. Hat man erst einmal den sich längs des ganzen
Gestades von Westafrika dahinziehenden Saum miüstrauischer und
eifersüchtiger Kflstenvölker, dessen Strecke angeblich zwischen 50
und 100 km wechselt, dttrehbrQchel^ so soll nach dem fiberein-
stimmenden Urteil der meisten Afrikareisenden das weitere Vor-
dringeiL sowohl leichter als auch sehr viel billiger sein.
Mu solchem Vordringen ist es eine eigentümliche Sache, und
mit Ausnahme des Hazai d>i(iels wüfste ich kaum ein Ding, bei dem
der Zufall eine grOfsere Rolle übernähme. An diesem Punkte mag
man — wie es mir beispielsweise am Mungo-Flufs erging — wochen-
lang warten und vergeblich sich abmühen, ohne das Allergeringste
zu erreichiMi. Und dann urplötzlich gelingt einem an einem anderen
' Orte beinahe spielend, was am ersteren Platz mit aller Energie nicht
hatte durchgesetzt werden können. Der geneigte Leser, der im
folgenden von meiner kleinen Bootfahrt auf dem Batanga-Flufs liest,
wird denken: „das ist ja so lacherlich leicht, dafs es längst vorher
hätte geschehen sollen." Ja allerdings, aber es ist nicht geschehen
und die Gründe, weshalb es nicht geschehen ist, werde ich mir ge-
statten weiter unten des näheren darzulegen.
Zunächst ein paar Worte darüber, wie ich überhaupt dazu
kam, mich mit jenem nicht einmal dem Namen nach bdcaanten
Batangtt-Flufe zu beschäftigen, von dem auf allen bisherigen Karten
blos die als Seebucht sich darstellende Mflndung Terzdchnet ist
Generalkonsul Dr. Kachtigal, der durch seine amtliche Thätigkeit
verhindert wurde, sich mit den geographischen und sonstigen Ver^
h<nissen der unter deutschen Schutz gestellten Lander in dem
Grade zu beschäftigen, wie er dies persönlich nur allzu gern gethan
haben wflrde, hat mhr mehr&eh sowohl kleine politische Auftrage
Digitized by Google
203
.Unter solchen Umständen wird man in den westlichen Teilen der
Pampas ein Überwiegen des Safewassers, in den Ostlichen dasjenige
des Brack* und Meerwassers in den seltenen Funden aiisgedrückt zu
finden erwarten dflifen. In der That ist auch in der Tosca des Dilu-
▼inms bei Bnenoe-Aires eine fossile Koralle gefunden worden und
Bmrmeister weist auf andere ahnliche Funde hin. Solche Stücke
können übrigens auch durch die Wogen viel weiter landeinwärts
getrieben werden, wie z. B. das, was ich eben über die Seekouchylieu
an der Barre sagte, beweist.
Indem ich hiermit diese Mitteilungen abschliefse, ^^ebe ich
mich der Hoffunag hin, dafs das Interesse, welches sich für mich an
die physischen und faunistischen Verhältnisse dar gröCsten brasi-
lianischen Binnenseen und an die Erforschung ihrer ehemaligen
grftlseren Ausdehnung knüpft, auch bei anderen durch diese Ab-
handlung erregt werde, und dafe dieselben zumal auch die vielen
Freunde geologischer Forschung, welche in dieser Provinz leben, zur
Beobachtung und Mitteilung einschlagiger Thatsachen anregen
möchten.
Die angefügte Karte hebt die Ausdehuuug des Meeres zu Be-
ginn der Alluvialzeit durch punktierten Thon hervor. Die Greuzeu
lassen sich bis jetzt nur für die Lagoa dos Patos genauer angeben,
wogegen die Ausdehnung der Lagoa do Jacuhy und mehr noch der
Lagoa de Jaguarao sich nur aus den topograplyscben Verhaltnissen
erachlielBen lassen.
Um» Ormde, 20. Januar 1885.
Der fünfte Deutsche Geographentag
in Hamborg.
Über den 5. Deutschen Geographentag, welcher in der Oster-
woche, vom 9. bis 11. April, in Hamburg stattfand, sind bereits
eine Reihe mehr oder weniger ausführlicher Berichte sowohl durch
die Zeitungen als durch Fachblätter veröffentlicht worden. Um nun
nicht zu wiederholen, beschränken wir uns auf die folgenden Be-
merkungen. Die Beteili^'ung an dem Geograplienta^ie war eiue zahl-
reichere, als auf irgend einer der früheren Versainndungen, was
hauptsächlich der regen Teilnahme der Hamburger Kaufmannsrhnft
zu verdanken war. in der Schlufssitzung wurde die Zahl der Teil-
nehmer zu 604 angegeben; die betreffenden Zahlen der frübereq
»•) 1. c p. 385.
l y Google
— 214 —
ihre Vorschrift »mi lialteii, würch'n v«»ii ihren in Kloby, beziehentlich
in Ciabuii wolineiiilcii \'or;resetzten ciniMi Vorweis zu erwarten ijehabt
haben, wenn sie ihre Lente ü!)erhauiit zu deruleiciien nicht ^'e.schäft-
lichem Thun verwandt hätten. Sie hal)en sich darauf beschränkt,
an mebrtftgigen Festeu in iliren unbeholfenen Brandungsböten strom-
aufwärts zu segeln, was jedoch so langsam ging, dafs Alahämbi, des
Königs Japite Residenz, vor meiner Ankunft überhaupt erst zweimal
erreicht worden ist. Anders die Engländer, die in etwas ausgedehn-
terem Mafse dem aufsergescbäftlichen Sport huldigen zu dflrfen
glaubten. Der Enjilander Stone gilt als derjenige, der vor mir am
weitesten stromaufwärts t^elantrt ist. Er hat jedoch, da er keine
bewaftnete Mannschaft mit sich führte und von dem für -eine
I]au(lel>iiiteressen furchtenden HiUiptling Ndschea zurückgetrieben
wurde, den Strom aucli blos bis eine kleine Strecke über Maham))i
hinaus (etwa bis Lialo) befahren. Ins Land der liakok»» war vor
mir nocli kein Weifser gelangt und die Kautieute erzählten sich,
dafe weder die Küstenstämme (Klein -Batanga- Leute und Beundo-
Lente) ein Vordringen bis zu den Bakoko gestatten, noch auch diese
selbst den Weilsen besonders freundlich aufnehmen würden.
Wenn ich vorhin erwähnte, dafs die von ihren Geschäften und
ihrer Pflicht allzu sehr in Anspruch genommenen Kaufleute nur in
seltenen Fallen das Hinterland der von ihnen bewidmteu Küste er-
forschen \\enii?n, so fühle ich mich doch verptiichtet hinzuzufügeu,
dafs, .sobald einmal an diesem oder jenem Punkte eine Expedition
ins Innere unternommen werden soll, der Rat und der Bei.stand der
durch täglichen Verkehr mit de» Eingeborenen vertraut gewordenen
Kaufleute von geradezu unersetzlichem Werte ist. Wahrend der
Anstois zu unserer Bootfahrt von mir ausging und während ich auch
die für solch kleine Reise durchaus nicht unbedeuteuden (namentlich
durch die unumgänglichen Geschenke an Könige und Häuptlinge
verursachten) Kosten trug, ist die Inszenierung und Durchführung
des Unternehmens das ausschliefsliche Verdienst meiner beiden
ruiingeu Üegleiter.
Wir haben den Köni'j .lapite und den llüuptiing Xdscliea durch
Überredung und reiclie (lesclieiike auf unsere Seite gebracht, ja so-
gar veranlafst, dafs Jai)ites Sohn nnd Ndschea selbst uns begleiteten.
Nacli(l(Mn solchergestalt der Boden für ein weiteres Vordringen
geebnet war, haben wir die Bakoko, die uns bei Dj.twantya mit
zwei stark bemannten Kriegskanoes angreifen beziehentlich zurück-
treiben wollten, durch den Anblick unserer Waffen, durch Ent-
schlossenheit und ruhigen Zuspruch veranlafst, uns trotz der un-
geheuren Aufregung, die allenthalben in dem dicht bevölkerten
Digitizca by Google
— 216 —
Bakoko- Lande herrschte, unbehelligt weiter ziehen zu lassen, und
haben dann nach zweitägiger Fahrt in ungeffthr 18 am. Ent-
fernung von der Küste den Punkt erreicht, wo der Batanga-Flufe,
Ober den etwa 10 m hohen Abhang eines terrassenförmigen Plateaus
hemnterstflrzend, anfhdrt schiffbar zu sein. Dem Wasserfall, der
einer der grdfsten von Westafrika sdn dfirfte, habe ich, von dem
Rechte des P^ntdeckers Gebrauch machend, den Namen Neven-
Dumont-Fnlle ;j:egeben. Die in der Nähe wuhneiulcii Kin'^eborenen
behaupteten, dafs der Kluis weiter oberhalb abermals auf einer
weiten, von keinen Wasscrt'iillen oder Stromschnellen unterbrochenen
strecke schiffbar sein würde. Über das Aussehen der Flufsufer
wird der Leser sich nach der beigegebenen Karteuskizze, auf der
ich die am meisten hervortretenden Baumarten, die Höhe der Ufer-
b^chung nnd andere Einzelheiten eingetragen habe, eine ann&hemd
richtige Ansicht zu bilden vermögen. Da von den auf der englischen
Seekarte eingetragenen Gebirgen, die nördlich und sfldlich von Klein-
Batanga bis dicht an die Kflste herantr^»n sollen, nicht das Geringste
zu sehen war, so glaube ich guten Grund zu der Annahme zu haben,
dals diesell)en überhaupt nicht existieren.
Der Wert unserer kleinen Entdeckung, wenn man sie so ntMinen
darf, ist ein zweifacher. Erstens wurde durch Herrn Dettniei ini^.
der, während ich die Kompafsbeobachtungen machte, das Loggen
und Loten flbemoromen hatte, festgestellt, dafs die Wassertiefe
vollkommen ausreiche, um Küstendam]ifer vom Tiefgange des Wör-
mannschen „Mpongwe** bis zum Wasserfall gelangen zu lassen, und
zweitens liefert der Zusammenhang des Batanga -Flusses mit dem
Edea- oder Malimba-Flufs einerseits, dem Lokundje-Flufs anderer-
seits dott Beweis, dafs sich das am Südostabhange des Kamemn-
gebirges beginnende Mflndungsdelta von Kamerun bis zum 3. Grad
n. Br. erstreckt und demnach aulserordentlich viel gröfser ist,
als bisher angenuninien wurde. Kine für Danipfscliitle benutzbare
Wasserst rafse . die in gerarler Richtung 18 sn». weit landem-
wärts führt, besitzt immerhin eine gewisse Bedeutuug, was um so
mehr in Betracht zu zieheo sein dürfte, da von allen sich in das
Astuarium von Kamorun ergiefsenden Flössen höchstens noch der
Mungo auf eine gleiche oder gröfsere Strecke schiffbar ist. Die
Wassennenge des Batanga-Flusses, der von den Eingeborenen Moanja
genannt wird, dürfte derjenigen des Mungo beinahe gleichkommen,
Obertrifft dagegen diejenige des Abo oder Wuri ganz bedeutend.
Wahrend wir öber Jenes Kamerunland im engeren Sinne, in
dem Holls Stadt und Acquas Stadt licueu, schon ziemlich genau
Bescheid wissen, ist über daä südliche Kameruugcbiet fast noch gar
Digitized by Google
— 216 —
nichts bekannt, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dafs meine
Beobachtungen und Aufzeichnungen, die ich demnächst auszuarbeiten
und za vefdffenUichen beabsichtige, wenigstens die Kenntnis der
KOstenstricbe um ein Erkleckliches erweitern werden. Der Ueioe
Lokan^je^Flofs, der die Grenze swischen Klein -Batangn und der
Landsdiaft «Plantttion'' darstellt, sdieidet gleichseitig sw^ geo-
logisch nnd landschaftlich sehr verschiedene Gegenden von einander,
nämlich das flache Milndungsdelta der verschiedenen Kamerun-Flüsse
und das bergige Land, welches weiter südwärts an einzelnen Stellen
bis dicht an die Küste heranreicht. Nach den Ortsbestimmungen der
„Möwe" liegt die Wörmannsche P^aktorei von Klein - Batanga unter
3° 16' 35'' n. Br., der Ort Plantation liegt unter 3<> 3' 50" n, Br.,
Grofs-Batanga unter 2° 52' 58" n. Br., die Wörmannsche Faktorei
an der Campo-Bai unter 2^ 22' 7" und die Batta- Faktorei anter
1« b2f T n. Br. Von der Handelsbedeutnng der hervorragendsten
Plfttze des sfldlichen Kamemngehiets, welche jedoch beständig and
sehr schnell steigt, whrd man sich daraus ein Bild machen können,
dafs schon jetzt MaUmba alljfthrlich 9000 englische Pfund Elfenbein
liefert, Klein - Batanga dagegen HOOG Pfund und Grofs-Batanga,
der bedeutendste Elfenbeinplatz au dieser ganzen Küste, sogar
29 000 Pfund. An Palmöl bringt Malimba etwa 45a)0 und Klein-
Batanga etwa 25 000 Imperial -Gallons iu den Handel. Palmkerne
werden nur in verhältnismäfsig geringer Menge verschifft, n&mlich
von Malimba 180 und von Klein-Batanga 110 Tons.
Höchst wünschenswert wäre es, wenn nnsere Regierung sich
bei dem gans unumgänglich notwendigen Austausch deutsdier und
fransOdcher Gebietsteile nicht allzu freigebig erwiese. Frankreicha
Ansprüche sind sehr windiger Art und wenn man ihm den Benito-
Fiuls, auf den die Iranziysischen Kolonialbehörden grofsen Wert
legen, völlig überliefse, so dürfte doch wenigstens die Batta-Bai als
die Öüdgrenze der deutschen Besitzungen anzuerkennen sein.
Dr. Gustav Nachtigal f.
Am 28. April verschied auf See, nahe Kap Pahnas an der
afrikanischen Westkfiste, Dr. Gustav Nachtigal an den Folgen
ttbergrofser Anstrengungen und des afrikanischen Klimas. Tief und
allgemein ist die Trauer ob des Verlustes, welchen unser Vaterland
durch den Tod Nachtigals erlitten hat. Lange Jahre und mit reichem
Erfolg diente er unserer Wissenschaft, dem grofseji Werk der
Digitized by Googl
— 217 —
Entdeckung Afrikas, welchem Deutschland schon so viele edle Krftfte
hingegeben hat Sein letzter, gleich ehrenvoller, aber auch sorgen-
nnd arbeitsreicher Dienst war dem Vaterlande, der Sicherung von
Gebieten an der afrikanischen Westküste für deutschen Handel und
dentsche Kolonisation gewidmet Auch diese schwierige Aufgabe
löste Nachtiizal zur Genugthuung der Nation, zu voller Befriedigung
der Reichsregierung. In würdiger Weise hat die grofse Trauer-
versainmlung in Berlin das Andenken an Nachtigal, die glänzenden
Eigenschaften des Forschers, die hingebende Vaterlandsliebe des
Patrioten, den liebenswürdigen Charakter des Menschen gefeiert.
Der Gedanke, dem Gedächtnis Nachtigals ein Denkmal zu errichten,
hat allgemeine Sympathie gefunden und geht seiner Verwirklichung
entgegen. Möge sich denn bald in Stein oder Erz ein dem
Seefahrer weithin sichtbares Wahrzeichen auf Kap Palmas erheben,
der Nachwelt ein sichtbares Zeugnis von der Liebe nnd Yer-
ebruDg des deutschen Volks für seinen Qeisteshelden!
§ Aus der ,c:PO^raphis(hen Uesellschaft in Bremen. Am 15. April hielt
Herr Dr. A. Fenck aus München, korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft,
«inen Vortrag über die bayrischen Alpen. In der Einleitung hob er die bei
aller Unregelmafsigkeit bestehende Symmetrie im Bodenban des dentschen Beicba-
gebiets hervor: im Norden wie im Sftden erstrecken sich weite Ebenen, swisch«!
ihnen steigen die Berge der Mittelgebirge anf, nnd während im Norden das
ewig bewegte Meer die Grenze bilde, ragen im Süden die schneebedeckten
Zinnen der Hochalpen auf. Sodann charakterisierte er die Erscheinnng der letz-
teren, wie sie sich perspektivisch von der Münchener Hochebene aus biete: die
lünggcst reckten Rücken der Vorberge, die schroffen Felsgestalten der deutschen
Kalk- oder bayrischen Alpen, endlich die znrkerhntförmigen oder .«äpenartif^en
Weifsgipfel der Zentralalpen. Wenn au( h der Anblick kern so grulhaitiger sei,
wie die der Schweizer Alpen von ihrem niedrigeren Vorlande ans, so vereinigen
nah. doch in diesen Gebirgen zahllose Reize eigener Art. Redner bezeichnete
nnn ranichBt an der Hand einer groben Karte die natftiliehen Orensen der
deoteeben Alpen nnd sodann die verschiedenartige orographische Qesfaltong der
letetoren. Da sind xnnichst Im Westen die wiesenreiehen, um das Thal der
*) Wegen des aufaergewöhnlich grui'^en Umfaugs eines Teils der vorstebendon
AafUtw aittfilicn die kleineren Mltteilnngen, fUr welche uns ein mannigfliltigss Ha-
terial vorlag, nehr btsohrtnkt nnd anch der LUtnratnrberleht für das aächato Heft
anrttekfelegt werden. Die Redaktion.
Kleinere Mitteilungen/)
Digitized by Google
— 218 —
Iiier gruppierten Allgäuer Alpen, ein Fächer von Thälern, getrennt durch radiär
gestellte Hochgebirgskämme ; jenseits des Lech ist das Aassehea des Gebirges
ein anderes: die kahlen, am Fiila mit Geröll bedeckten, Ton dunklem 8c1iwars>
wald beskumten Felsen bilden parallele K&mme, die Th&ler erscheinen als Lasg^
thUer, welche hier nnd da durch ein Qnerthal verbunden sind. Jenseits der
Salsach, in den Berchtesgadener Alpen, stellt sich nns das Gebirge in var^el-
mftfsig begrenzten Felsmassiven dar, deren an der Oberfläche gewellte Plateans
von tiefen Abgründen durchsetzt sind. Der Redner ging nun näher auf die
Geschichte der Entstellung der Alpen ein. welrho in der Triaspcriodf als eine
Halbinsel vor dem Südrando des Fcstluinli s la[;en iiml l)ri ihrem Andran^ien an
letzteres vielfach gequetscht, gefaltet und in Trümmer anffrolöst wurden; die
harten Teile trotzten der Yenvitterung, die weichen wurden weggeführt and
riefen so die Thalbildung hervor. Weiter zeigte der Redner den Binflufs der
hirteren and weicheren Gesteine auf die Vegetation, besonders den Wiesen- und
Waldwuchs, sodann die Einwirkung des mit den Höhenverh<nissen wechselnden
Klimas.' Bis 1500 und 1600 m reicht die Buche, das Nadelhok steigt weiter
auf, aber immer kröppelhafter wird sein Aussehen, bis ihm, als Knieholz, die
wichtige Aufgabe znföllt, das Herabrntschen des Schnees an verheerende
Lawinen zu verhindern. Die Alpengewächse in der Höhe von 1800 — 2f'><^ m
liieten dieselben Formen wie die Florn Nordskandinaviens nnd Grönlan Is. Nur
g*^rin<:p Flächen der bnyrisrhcn Alpen tnnchen in die mit 2.^00 m beginnende
Region des ewigen .Schnees ein; so licfjen im Gebiet des deutschen Reirhes nur
o — 6 Gletscher von bescheidenen Dimensionen, sie sind meist unzugangluh.
Redner wandte sich nun znr Bewohnnng nnd Bewirtschaftung des so eigen-
artigen Alpengebiets durch den Menschen. Die fdr den Pflug nutsbare Fl&che
ist heschrSnkt, doch kann der Bauer Berglehnen mit einer NeigongBfläche ^n
45 * noch beackern. Der Wald nimmt grofse Flächen im Gebirge ein, Tor allem
ist es die Alpenweidewirtschaft, welche dem Menschen die Exislensbedingnngen
schafft. Das Winter- und das Soramerleben des Älplers mit seinen Mfthen nnd
Sorgen schildeite der Hedner in sinniger Weise. Nur Fiiner, der .Täger. lebt
Somnu'rs und Winters itn Hochgel)ir«:e. or st< 11t, «Inn h ("bting ^egen die gefahr-
vollsten ( iel>ir<;s\viliinisse gestählt, dem Ilirsi li oder dvv (iemse iiarli, d»>n'Ti off
be.spn)( lien<'s Aussterbr-n bei dem jetzigen rationellen ,l;<^'(ll)eii i. h su ImUI im lit
ZU befürchten steht, man schätzt die Zahl der Gemsen im b;i}iisclien Gebirge
noch auf 20 000 Stück. Die Bewohner der deutschen Alpengebiete, Bayern und
Schwaben, zeigen fast so scharfe Unterschiede wie Süddeutsche nnd Kord-
deutsche. Diese Unterschiede aeigen sich annachst in wirtschaftlicher Beziehung:
im bayrischen Alpengebiet leben 70 *!o vom Ackerbau, 20 sind Handwerker,
im schwäbischen Teil sei der letatere Frozentsata 30 ^ o, rdinlich sei das Ver^
hältnis bezüglich der Kaufleute. Auch die Lebensgewohnheiten sind verschieden:
die Bauern im bayrischen Teil leben in Einzelgehöften, die Schwaben in
Dr»rft'rn. Ferner zeige die Einrif-htunj.' des Dauernhauses hn beiden Stämmen
jirolse Abweiciiungen. Das schwiiliische F.lement zeichne sich dnri Ii ein» <iit.iM re
Ptührjgkeit und Emsigkeit aus, dies » rfzebe die hohe terlmisc In- Kniwit k.-lung
der Alpenwirt«chaft, der Wiesenbau, die Industrie. Im Gegensatz zum schwäbischen
Teil, wo der Wald vernachlässigt werde und zurückgehe, sei im bayrischen
der Wald die Haaptqnelle der Ernährung nnd die Bewirtschaftung des Waldes
sei denn auch dort eine weit bessere, als im schwäbischen Teil, wie es denn
auch im bayrischen Teile der Alpen ebenso wie im Böhmer Wald noch soge-
nannten Urwald gebe, Strecken, die nie von der Axt gelichtet wurden Die
Dlgitized by Google
— 219 —
Schätze des WuMes in filier Weise zn lifb^^n, tlafs duinit ancli zut^leich die
grofson Salzl!i<_'«'r. niif uvlt hen der Thüu des lierclitesgadener üehiets imprägniert
sei, nutzbar gciintrht werden, tlazu sei eine 8() km lanjje Soolleitung durch das
Gebirge bis Roseuheuu gebaut, iji welcher sich das Sulz unter Zuriicklassung
des Schlammes löst, um dann dem Sicdeprozefs unterworfen zu werden, bei
wekhem das an Tefscbiedenea Paukten ' herang^öfste Hoiz Terweiidet wird. —
Lebhafter Beifiill lohnte den Redner ftr seine an Beobaehtnngen reichen geist-
vollen AnsfAhrangen, die wir hier nar andenten konnten.
Herr Or. C. Qottsche hat leider die im Auftrag der Gesellschaft Über-
nommeue UnterBachungsreise von Japan nach den Boiiin-Inseln nicht aasführen
können infolge verschiedener Umstände, namentlich aber auch deshalb, wed er,
durch die Strapazen seiner koreanischen Reise anpo^^rifTen, auf ärztlichen Hat
nach Euroi>a zurüekkehren mufste. An einer anderen Stelle dieser Mitteilungen
finden sieh einige nähere Angaben über die Reisen des Herrn Dr. C. Gottsche
in Korea. Die sanitlu lu u Ausrüstungsgegeuätände sind aus Japan wieder au
unsere Gessellschaft geschickt worden und wünscht letztere darüber za Qonsten
einer anderen Unternehmung in Terfugen. N&heres findet man in der Notiz am
Schlnfs dieses Heftes.
Ans Argentinien schrieb unser Mitglied, Herr Dr. F. Kurts, Professor
der Botanik in Cördoba, dafs er — Mitte Febraar — im Begriff stehe, im
Auftrag des Kriegsministers sich einer Expedition nach dem Gran Chaco anzn-
schliefsen. Leiter der Expedition ist der Zoologe Dr. E. L. Hohnberg, ferner
nehmen der Paläontologe Dr. Florentius Amcghiuo und drei Assistenten teil.
Für die Flufsfahrten wurde der Ex[)e(lition ein Dampfer zur Verfügung gestellt.
Unserem Ehrenmitgliedc. Herrn Professor Seeist rang in Curdoba, i.st von
der argentinischen Regierung die Leitung der Herausgabc eines Atlas der
Republik Argentinien übertragen und dazu eine bedeutende Summe zur Ver-
fügung gestellt worden. Vier der 27 Bl&tter des Atlas sind bereits im Druck.
Ans Samen von 15 verschiedenen Arten von B&nmen, Str&nchern und
Stauden, welchen die Herren Dr. Krause aus Alaska mitgebracht hatten, wurden
im König), botanisch»'!! Garten in Berlin Pflänzlinge gezog^, die bis jetzt sehr
gut gedeihen. Ein T< il dieser Pflfinzlinge wurde in den Baumgarten eine» Land-
guts in St. Magnus bei Bremen versetzt und gedeiht auch hier sehr gut.
Über die Beteiligung unseres MitgUedes, des Herrn Seiuiuardirektors
Diercke, an der Fe^tsrhrift über den Regierungsbezirk Stade finden sich au
anderer Stelle dieser Mitteilungen einige näher»- Aiigubeii.
Eine von dem Mitglied, Ilerin L. Halenbeek, herausgegebene Karte der
Umgegend Vegesacks wird im nächsten Hefte besprochen werden.
Ptlar regio neu. In der geographischen Gesellschaft /u Kupeiiiiagen waren
im Dezember v. J. die Gegeustande ausgestellt, welche liof dem Treibeise bei
Jnlianehaab in Grönland gefanden und als Reste der ^Jeannette '-Expe-
dition erkannt worden waren. (Vergl. Band VII. S. 899 dies. Zeitschr.) Als
im August die erste Nachricht von diesem Funde aus Grönland einlief, war man
in Nordamerika geneigt, dieselbe »•inem falschen oder inisverstandenen Berichte
der Grönländer zuzuschreiben. Nachdem aber die Üichligkeit dieser (Quelle
bewiesen worden ist. soll ein anderer Verdacht gegen den Fund sich auch,
namentlich in Xordamerika, ausgebreifet haben, indem behauptet wir»1. <lars »lie
genannten Uegeiistände in dcmselbeu Sommer von der Maimsciiaft eines Schiffes
Digitized by Gc)
— 220 —
aufserhalb der Küste Grönlands aufs Eis piüktizicrt geworden seien Diese Er-
klärungsweise scheint jedoch, insofern sie sich nicht auf Thatsachen >:randet,
ungefähr ebenso schwor durchfülirliur zu sein, als der Nachweis der Wanilerung
der Heste von Sibirien nach Grönland selbst. Psychologische und physische
Gründe, Zeit and Raum betrefiende Fragen scheinen sich dagegen ta rereinigen.
Die UnmögUclilwit Übt Bich ja allerdings nieht bewataen, man darf woU abar
hoffen, data diejenigen, die im ataade Bind, den genannten Veidacht mit hcutimm
ten Thataachen in belegen, diese Tevftffentiichen weiden.
Ais die Identitit der Reste naehgewiesen war, anchte man bekaantUch aof
verschiedene Weise den Weg an erklären, den sie snrAckgelegt haben mfilaten.
Es ist sogar die Vermufnug aufgestellt (Ton R. S. Newall in der Zeitschrift
„Naturo- Oes. 4 S. lOS), sie seien norden um Grönland durch den Smith
Sund gekommen, von andern, dafs sie «wischen Franz-Josephs-Land und Nowaja-
Semlja Jen Weg genommen haben. Aber jene Annahme widerspricht den
Strömungen in der Davis-Strafse, und was die letztere betrifft, ist die Bewahrung
der Scholle uegen Zersforuii}.' nicht mit der Wahl dieses Weges vereinbar
Professor Mohn in Kristiania hat sich deshalb für die Annahme eintr Wanderung
norden um Franz-Josephs-Land gerade nach Ostgrönlaud unter SO* o.B., und von
da Ifti^ der Kttste ausgesprochen. In der QeseUschaft der Wiaaenachafteii in
Kristiania hat er seine Chrfinde dafür niher anseinaadergeBetst Er hat die aa-
gewandte Zeit mit der ans anderen Grftnden wahrscheinlichen SehnelU^ceit dar
Strömungen in Zusammenhang gebracht, nnd die einzige Weise nachgewieaan,
in der die Scholle den zerstörenden Wirkungen zweier Sommer hätte wider-
stehen können. Seine Erklärung setzt allerdings ein seltenes, allein an und
für sich kein unmögliches Zusammentreffen der Umstände voraus. Die Scholle
hfitte einen Weg gew^ählt. auf welchem aller Wahrscheinlichkeit nach Juliane-
haab jährlich auch mit Treibholz aus Sibirien versehen wird.
H. B.
Dem auf Grund der Tagebücher Kapitän De Loug's verfalsten Werk über
die ^Jeannette^-Expedition ist nun ein von Ingenieur G. W. Melville bear-
beitetes gefolgt, daa den Titel fährt : ,In the Lena Delta' nnd gleichzeitig in Amerika
(ia Boston bei Hooghton Ififflin A Cy.) und in London (bei Longman) ausgegebea
wird. Vor jener frftheren hat die iürbett If elTiUea den Reis des Selbaterlebtea,
Selbstgesehenen, Selbaterfahrenen znm Tefl vorana, da MelTÜle persdnÜch oad
aktiv an allen Schicksalen und Wendungen der niirrlücklichen Bzpedition teil-
nahm. Als Anhang sind dem mit 4 Karten und 16 Illustrationen ausgestatteten
Werk ein Bericht über die Aufsuchung der Greeley-Expedition und ein Plan
über eine Expedition zur Erreiehunfj des Nordpols beigegeben. Es handelt sich
um das bereits früher von uns erwähnte, hauptsächlich auf Leigh Smiths Er-
fahrungen gestützte Projekt des Vordringens längs der in ihrer nördlichen
Ersireckung noch nicht ermittelten Westküste von Franz-Joseph-Land. Es werden
die matmafslich jedes Jahr eintretende Erreichbarkeit dieses adrdlichslen
Landea an Schiff and die durch Smith und Weyprecht bewiesene MOg^chkeü
des Rflekxngs m Boot geltend gemacht Zonfichst wftrden in Torfaereitendea
Hundeschlittenfahrten Depots in der ffiditong polwirts in errichten, die eigsat»
liehe Polexpedition aber ohne weitere Zugkraft zu unternehmen sein. Den Er-
folg der 1. tzteren hält Melville für wahrscheinlich, wenn Depots am Lande bis
zu 8ö» N. B. gelegt werden können. — Eine andere Unternehmung bereitet der
dänische Leutnant Uovgaard vor, derselbe will im k. J. Ostgrönland aof-
Digitized by Google
221 —
suchen Tind itt flim za dem Zweck dmr Idiia» Dampfer ^Dymphna* nur Ver*
Agnug gestellt worden.
Von der imter d«r Leitung det Leutaaute Jensen antgesandten dftnisclieii
Expedition snr weiteren Unteisnehnng dar Westküste (hfinlands sind die ersten
Berichte ans Snkkertoppen den X6. Mai eingegangen. Der vorige Winter war
in Nordgrönland sehr streng.
Dr. Gottsches Kelsen in Korea. Unser Mitglied, der Privatdozent Herr Dr.
C Oottsche ans Kiel, ist vor knrzem von einem SVajfihrigen Aufenthalt in Ost-
asien zarückgekebH. Es war demselben vergönnt, längere Zeit in Korea zu
verweilen, und dort eine Reflie von ErfUbnmgen sn ■ammeln, wekhe mit den
hergebraditen Angeben unserer geographischen HaadbBcher wenig ftberein-
stimmen*
Die LKage der Ton Herrn Dr. Gottsehe nntemommenen Beiaea belftnft
sich anf über 2700 km und wurden dabei alle acht Provinzen des Landes,
sowie 84 der etwa .%0 Distrikte berührt. Die wannen Empfehlungen, mit welchen
So. Exzellenz von Mfillcndorff. der bekannte Minister des Königs von Korea, den
Reisenden versehen hatte, erleichterten ihm seine Aufgabe in jeder Weise.
Dr. G. ist von Fach Geologe, und so war es seine nächste Pflicht, bestimmte
Distrikte auf Kohlen und andere nutzbare Mineralien zu untersuchen; aber
darch die thatkräftige Unterstützung der koreanischen Behörden wurde es mög-
lich, auch über EinwobnerialiV StenerfeibMtnisse, Ernteerträge, Prodnktk»,
HandelsbewegQng n. a. sablreiche statistische Aqgaben an sammeln, welche das
abfllllge Urteil des jüngsten englischen Blanbnehes (Korea I. 1885) in sehr
merkwfirdigem Lichte erscheinen lassen.
Als überraschendes Besoliat ergab sich, dals, während der Halbinsel sonst
etwa 9 Millionen Einwohner zugeschrieben werden, ihre Bevölkerung mit 12
Millionen noch unterschätzt ist, da der offisielle Zensus nur die erwachsenen
Personen uufzilhlt.
Die liauptatiitionen der Reise (mau vergleiche die Karte in Petermanns
Mitteilungen 188^{. Taf. X.) waren : Söul, Ichhön, Kwisau, MungyÖng, Sangju,
Wiheung, Kyöngju, Ulsan, Tonguai, Pusan, Changwön, Kosöng, Hatong, Okkwa,
Kwangjo, Moan, Mokpho, Hainam, T5ngam, Naju, Chaugsöng, Chönju, Chinsan,
Kongin, Chtaam, Snwftn, Fhaja» KaisAng» IchhOn (in KangwOndoX Sing6, Snan,
Samdenng, Fh3rOngjang^ Chasao, Kaichdn, YSngpyftn, Unsen, Wiwdn, Kangg6,
Changjin, Hwanghwaryung, Hamheong, Tdngheung, Wöqsan, Anbyön, Hoiyang,
Kimhwa und Phochön. Zur Ausführung waren 138 Tage erforderlich; aber ob-
wohl die Schnelligkeit keine sehr grofse war, mufsten doch gewisse Gebiete,
wie Botanik und Zoolotrio etwas stiefniüttorlich behandelt werden, da der Schwer-
punkt natürlicJi in den geologischen Beobachtungen zu suchen ist. welche Korea
als einen sehr alten und im Dan mit der angrenzenden Mandschurei mmg ver-
wauüteii Teil des asiatischen Kunünentes darstellen.
Von der hohen Entwickelung, welche koreanische Kunst und Wissenschaft
im Mittelalter erreicht haben, nnd welche das Land ehedem anm geistigen
Nfthrvater Japans stempelten, waren leider nnr noch unbedeutende Spuren
an&ufinden.
Wie wir hören, beabsichtigt Herr Dr. Gottsche sesn reiches Material in
Berlin zu Tcrarbeiten.
16
Digitized by Google
— 222
§ BesieMKiff Pfttagiiieii. im Band VII. S. 886 verdfluitUchteii wir «iimi
AnÜBEts &ber FutagonieD und sone Benedelimg von A. von Seebtxaog. Et
waren darin, nntar offenar Darlagong dar Schatten- and Idchtaaiten, dia Oegandan
baaaichnet, walcha nch für europäische Kolonisation eignen. Heute können
wir Torlänfig mitteilen . dafs wsd Gmnd eines swiaoban einer schlaswig-hol-
steinisclien (Tesellsduift und der argentinischen Regierung abgeschlossenen Ver-
trages ein bedeutendes Landeigentum im Quellgebict <los Rio \ogro behuf^
künftiger Kolonisation en^'orben ist. Das Unternehmen stützt suh u. a. auf ein
deutsches Haiuielshaus, welches schon seit längerer Zeit in Canuen de Fata-
gones besteht.
Oaa|;npUiflha Natiiei awi RilUaid. Nach ainar Angaba dar Wochan-
achrift „Sibir'* (No. 9, 24. Fabmar 1885, Jrkni8k)fthrte Hr. Zlatkowskij im
Auftrage dar Ostsibirischen Abteilung der Kais. mss. Oeogr. Ges. gaologiacha
Untersuchungen in den Bezirken von Krasnojarsk und Kansk des Gouvernements
Jonissejsk aus. In einem der Gesellschaft abgestatteten Berichte hat der ge-
nannte Forsrhor als mit Sicherheit konstatiert anfuhren können: Ablagerungen
des silurisrlien Systems (mit Trilobiten und undeutlichen Korallen, in diese
Zeit fallen auch Porphyr- und Diabasdurchbrüche hinein), devonische Bildungen
(mit Korallen, sowie Abdrücken von Lepidodendren und Knorrieu (?) — besonders
beim Dorfe Botojskoje.) Dia dannffolgandan Epochen: Carbon, Perm und
THaa fahlen; dar Jura ist durch wenige Pflanzenreste vertraten; dia Kreide und
das Tartlftr fahlen wiadamm und aa folgt direkt daa Quartier mit reichen Baatan
vom Mammut, von Rhinozeroten und Hirscharten, mit Menschcnknochan and
Steinwerkzeugen. Heim Dorfe Rybnojo wurden zahlreiche Baumstämme ge*
funden. welche in Eisenerze umgewandelt sind; ebenso erficben sich weitans-
gedehntc Kohlenablagernn^en. Diese Angabe ist nicht <;aui', verständliclj. da
nach Obigem die sonst (Stern- und Braun-) Kohlen fülireiuleu iformatiouen
gerade fehlen oder eine nur gering«' Entwickelung besitzen sollen.
..Nowos-ti'' vom 12. März bericiiten, dafs die russische Bergverwaltung
eine Expedition nach den nördlichen Ausläufern des Urals auszurüsten gedenkt,
um daselbst nach Edelmetallen, deren Vorhandensein vermutet wird, suchen zu
lasaan. Spesiell sollen Nachforschungen über Gold und Pbtin angestellt werden,
▼on denen latstorea bekanntlich im Jahre und swar gleiohieitig in den
DemidowBchen Beaitiungen von Nümj-Tugll und den fiakalischan von Gorob-
lagodktak entdeckt worden ist — Die Expedition bat aich aufserdem noch cur
Aufgabe gestellt, die Gegend geologisch eingehend zn durchfoisehan und eventuell
auch auf Kupfer-, Zinn-(?) und Eisen-Erzvorkommnisae, sowie auf Steinkohleu-
lager zn achten. Anch ökonomische Fragen, wie z. B. der Eintluls der
Hüttenwesen auf die Forstwirtschaft, die Lage der Hüttenarbeiter u. a. sollen
zum Ticgenstande der Studien gemacht werden. Die Dauer der Thätigkeit der
Expedition ist noch nicht festgestellt, indes wird beabsichtigt, deren Per^üUill
in mehrere Gruppen zu teilen, damit sie ihre Arbeiten in 12 bis 18 Mouaten
zu Ende ftthren kann.
In einer den Ministerien der Finanzen und des Wegebaus eingereichten
Eingabe macht Harr Sibiriakow daa Anerbieten, aina bequeme, das Gouver-
nement Archangelsk mit Stbinan verbindende Chaussee auf eigene Kosten
anzulegen, falls Ihm f&r eine gewisse Zeit die Berechtigung erteilt wird, einige
Ersengnisae dea Auslandes durch den Hafen von Archangalak lollfrai einsuföhran.
Digitized by Google
(^Nowoje Wremja.") — Die gegenwärtige Eigentümerin der bekannten Kupfer^
graben von Bogndowak aaiUnl(et«BO(y^ n. Br.) Fkan Polowsew», beabsichtigt
die Stadt Bogosloiwak mit dem Dorfe FiUdna, an der Sömva» dnrdi eine Eieen«
bahn an ▼erbinden, eowie eine Zweigbahn naoh üaadlje, an der Küma, lu föhr«n,
wodurch die Flufssyeteme des enropfiischen Rnfslands and Sibiriens miteinander
durch einen Schienenweg verbanden werden würden. (^Nowojo Wromjn'*.) —
^Iswestija'^ (U-r Kai«? ms«;. Ooofrr. Gof:. txi St. Potorsbnrg (1885, Heft 2. p. 118
bis 130) bringen einen vorläufigen Berulit des Prof. JSorokin aus Kasan über
seine vorwiegend zum Zwecke botanisciiev Studien im vorigen Jahre unter-
nommene Heise nach den» russischen Tien-Shan. Diese Reise geschah mit
Unterstützung seitens des Genei-algouvemears von Westsibiricu, Herrn Kolpa-
kowskQ nnd dauerte vom 1. Juni bis sum 17. September. Von Kasan ging es
flbor Perm, Jekaterinbnig, Tjumto, Semipalfttinsk, Kopal, Wjemyj, darauf wurde
die atte Strafse nach Kuldsha befolgt, der Falk von Turtschen Aberschritten
and das Thal des Asy (aam Tschiliksystem gehörig) erreicht Der weitere Weg
führte über das gTOÜBartige Tschflikthal, dasjenige des Flusses Tnpi. bis zum
Issyk-Kul. Von hier aus wurden mehrere "Wussorsc hoiden zwischen den Neben-
flüssen des Nar>'n überschritten, bis das Ferghanagebiet erreicht wurde. Von
Nanianaaii aus schlug Sorokin den Rückweg über Tschast, Kokan, Chodschent
und Taschkent ein.
Zur Landeskunde der Provinz Hannover. Die zur Jubelfeier des land-
wirtschaftli(;lien Vereins in Bremervörde im August d. .T. herauszugebende Fest-
schrift wird, wie nachstehende Mitteilungen annehmen lassen, einen wertvollen
Beiti-ag zar Landeskunde der Provins Hannover, besonders des Regierungsbezirks
Stade bieten. Die Schrift wird enthalten: L Einen gsschichtlichen Teil
1) Übersicht Aber die Geschichte des Landes. Seminarlehrer Schröder. 2) Ein
Rückblick auf die landwirtschaftliche Entwickelnng des Landes. Superinten-
dent Wiedemann-Bargstedt. 3) Kulturbetrachtungen aus der Heimat. Hermann
Allmers. 4) Die Volkstrachten (mit 6 Darstellungen). Seminarlehrer Schröder. II. Geo-
graphischer Teil. 1) Geographisrlic Boschroibung des Landes. Soininanlirektor
Diercke. 2) Die geologischen Verhältnisse des Landes. Dr. W. O l'ocke. H) Die
Flora des Landes. Derselbe. 4) Die Fauna des Landes. Lehrer Li inkiiiaun-Walle.
5) Die klimatischen Verhältnisse. Diercke. 6) Die Bevölkerung n;u li ihrer Ver-
teilung. Diercke. 7) Verkehrsgeographie des Landes. Diercke. III. A^jrarpolitischer
Teil Gnmdeigsntum. Omndsteuerveranlagung. Bodenbenutsung und Ertrags*
Verhältnisse. Besitsverhältnisse, Erbfolge. Hdfegesetz. Ablösungen, Tetlungen,
Verkoppelungen. Deich- und Schleusmiwesen. Entp und Bewässerungen, sonstiges
Heliorationsweseu. Bearbeiter: Justizrat MQller-Yerdcn, Regierungsrat Reinick*
Anrieh. Baurat Pampel-Stade, Senator Holtermann-Stade. IV. Landwirtschaftlicher
Teil. Der landwirtschaftliche Betrieb in den Marschen, auf dw (iecst und im
Moor. Garten- und Obstbau. Acker- und Wiesenbau. Viehzuchr niul Vieli-
haltung. Landwirtschaftliche Maschinen. Gesinde und Arbeiterveriialf ni>se.
Landwirtschaftliche Nebcugcwerbe. Aljsatz- und Bezugsvcrhältnisse. Beselu eibung
von Wiilschaften. Forsten und Holzungen. Das landwirtschaftliche Vereins-
wesen. Geschichte des Provinsial-Landwirtschaftsvereins. Die Ackerbaaschole
zu Bremervörde* Verschiedene Bearbeiter. V. Statistischer TeiL Seminar*
direktor Diercke. Betgegeben werden dem auf etwa 90 Bogen berechneten
Werke auÜBer 6 TrachtenbUdem 3 gröbere Bilder: die A^kerbanschule su
Digitized by Go
Bremervörde, ein ahlinder BanenhanB, ein Baxiexnhof auf der Geest, eine Karte
des BegiemngibeiiilEes m 1 : 800^1000 tob Diereke und (kMer, und 18 steüstiaclie
Karten in 1 : 1/X»,000l
Die Kupferf räseu^ung der Welt. Nach einer in dem Jonrnal der Londoner
Uandelskaoimer luitgeteiituu Öachverstäudigenschätzang ist die Erzeugung' von
Kupfer ¥001 Jalire 1879, wo lie 148 156 Tons betrug, auf 211 613 Tons im Jalu^
1884 gertiegea Die «reitMa bedMleadite Snaugung findet in duL Vmänigteu
Staaten itatt, aie betrag dort 689G0 1884 mbb 83350 im Jalire 1879; ea iat
dies hanptaftehlieh der grofiMn Eipebigkeit der Koplerminen am oberen See sn
danken Das zweitbedeatandata Land ist aodann Chile, dieaea liierte 1884
41648 Tons, über 6000 Tons weniger als im Jahre 1879. Spanien nnd Portugal
lieferten 1884 43 (WX) Tons, darunter RioTinto allein 21 504, <Iaun fnl-t Deutschland
mit 18000 Tons im Jahre 1884 gegen iMMKJ im Jahre 1879 und Australien mit
13 300 im Jahre 1884 gegen 9500 im Jahre 1879. Die Kap-Kolonie lieferte in
den Jahren 1S8084 jährlich öUOü Tons ans den Minen der Kap-Kapferminen»
Compagnie in Kleiu-Namaqoalaud.
Tristan d^Aeiiha. Dieee einsam im ifidatlantischen Ooean auf halbem
\^^ ge zwischen Bio nnd Kapstadt belegene Feleeninsel wurde wieder einmal im
Dezember v. J. von einem englischen Kriegsschiff, „Opal", Kapt. Brooke, besucht.
Die Einwohnerschaft bestand aus 54 inüimlichen und 52 weiblichen Indiridnen.
die in 15 Steinhäusern wohnen. Die Bodenkultur beschränkt sich auf den
Anbau von Kartoffeln auf 30 acres Land, auch giebt es einige Obstbäume.
Die Herden bestehen aus 6 — 700 Stück Hornvieh und 5 — 600 Schafen. Eine
grofoe Plage sind Ratten. Im Jahre 1883 wurden 20 Schiffe von der Insel aus
geaichtet. Ben Schüfen kann die Inael jedeneit bisehes, gutee Fleisch gegen
Mehl, KleidnngMtAcke, Polver nnd Battengift Uefem.
Zur BMohtimg.
Da die von der Geographischen Gesellschaft in Bremen geplante Erfor-
schungsrelse nach den Bonin-Inseln nicht zur Ausführung gekommen ist, so
atehen die sämtlichen zu dem Zweck neu angeschafften Ausriistungsgegenst&nde
zm VerfcMf. C« alnd dies luneiitlieh: Eine Gentral-OopiieMiiite ntt Blohs-
fliafeii-EialeoBii>l>i' (fiurattaht) Mbit allMi erfMeriloheii ZibehSr md relcMiehem
Sohlol^nitarial, von Or^yte, ein Arlomottr, ein Mnxlninnh nMl ein Mnlnma-
Themonieter, Apparate und Materialien zum Konservleren von beluieelien nnd
zoologischen Objekten, namentlich Gliser in grfifserer Anzahl, Pressen, Netze, ein
anatomisches Besteck u. a. Nähere Auskunft wird erteilt durch die Vorstands-
mitglieder G. Albrecht, Langenstrafse 44, Or. Wolkenbaner, Besselstrafse 29 nad
Dr. LindeoMui, Mendestrarse 8, Bremen.
Dmät VM Carl SehlbMaiMiiL Btshma.
^ i^L-d by Googl
Digitized by Google
Digitized by Google
Biinil\Tn ia fVl l.
Digitized by Google
'^»- Deutsche '^™-
Geographische Blätter.
Herausgegeben von der
Geog^raphischen Gesellschaft in Bremen.
Baitrftge und sonatige Sendungen an die liedaktion werden unter der AdreMe:
Br. M. Lindeman, Bremen, Mmäe$tras»e 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illastrationen dieser Zeitschrift ist dut nach YerstftDdigung mit
der Bedaktion gestattet.
Eine Umsegelung der Berings-Insel.
Herbst 1882.
Reisebericht vou Leonhard Stejueger.
Sanni T!aM 5t Umttfaäkfsse der BerinffB-Innl, kMptaSelilleh itacih ttgmm Aufkuhmeii Ton Leon*
hard 8teJnef(«r(lUI!nUb:l;S83000), mit Karton iKomMldor, von L. Stejoegcr, und Tafel 6: Grebnitskl-
Hafen auf BeHaf^s-Toxel. nach den Aufoahmen von lt. Stejoo^er; ferner zwei lUuütrationon (Üotit-
4f1Kk)l SteUer's 'rriinnphDo(;<>n (Beriu^ü-Iii^ol) uud Pestschaiiuja liui litti <'K tipfcr-Imiel), nahe deaiDOTf|
eiiflUcli; l'lau <lu8 Wliiterhauses der Schiffbrüchigen der 13vriu^!<-Expeaition.
Erinnerung an Bering und Steller. Eutachlufs der Umsegelung der Berings-Insel.
Wahl der Jahreaseit. Fahrzeug, Personal und sonstige Vorbereitungen. Abfahrt Das
Dorf G*van oder Grebnitski- Hafen. Fedoskija Buchta. Kartoffel- und Kübengärteo.
Rindersuoht. Heuernte. Gute Auasichten für Schafzucht. Kitnvij Mys. Beschaffenheit
der KUato. Tolstoj Mya. Was unter einer Nepropusk geuaunteu Küatenstrecke sa
Tentehen ist. Felseakltote. St«ll«ra Triumphbogen. BmtpUtie der Pelsrobben. Seltener
Abeiidschniana. Der Mansjik. Beraubung der Brutplätze. Die Qladkoväkaja Bucht».
Stellers Her^'. Jagd. Nerpcn. Meeresvegetation. Peresihejek (I.sthmus). Yogelberg.
Die Lissonkovaja Buchta. Qeatrandeter Wal. Drei Kisutsche (Lachaart) gefangen.
Hflekeaplage. Jnachins Thal. Die Beeotterbnebt Seliwierlte Landung. Die ScMacht
Schipitslna. T^ntainscho Aushetite. Variettten des Polarfuch.ses. Ergebnisse der
Fnohajagd auf der Berings-Insel Ton 1871 — 1883. Beschreibung des Fuchsfangs auf
der Berings-IufeL Kommuniamas vnd Individnal- Wirtschaft Fortsetzung der Fahrt.
Stotscbnoj Mys. Zerrissene FelaenkUste. Gavaruschetschia Buchta. Nerpen- (Seebnnds)
Jagd. Seeottern. Kolonie von Seevögeln. Dreistigkeit eines Blaufuchses. Das
Vorgebirge Peregrobuoj. Ankunft in Tolstoj Mys. Seeknhreste. Riff. Dreizehige
HOwen. WUdea Wetter. Geswangene Mlebttgiing am Strande. Daa Unwetter dauert
fort Komandor. Auffindung von Resten der Expedition Beringe. Abergllabischer
Widerstand der aR'utischen Bootsleute. Die Ruinen der Wohnungen Bering*» und
seiner Gefährten. Das Thal von Polovino. Bachforellen. Brombeeren. Staraja Gavan.
Badaett Hans nnd Charten. UmaebMhmg von TookQ Mja. Sarannaja Bnebta. Das
Wetter bi-.^scrt sich. Ankunft in der Sarannaja Buchta. Lachswehr. Botanisoher
Fand. Frohes Mahl. Umschiffung der Nordspitze der Berings-Insel. Rttokkehr.
Es sind schon mehr als hundert und vierzig Jahre verflossen,
seitdem der berühmte dänische Seefahrer im rassischen Dienste Yitns
Bering mit seinen Unglücksgefährten auf einer unbekannten und unbe-
wohnten Insel hundert englische Meilen östlich von Kamtschatka landete,
nachdem sie monatelang auf dtui imgabtlicheu Wellen des iiürdlichcn
Stillen Oceuiis henimgetriebca waren. Fast die ganze Mannschaft
war von Skorbut augegriti'en, viele starbeUf auch der Kommandeur;
Ueegr. BlXtter. Breneii, 18M. 17
Digitized by Google
— 226 —
das Schiff wurde an den Klippen zerschlagen, der kalte stürmische
Winter mehrte die Leiden, kurz die ganze Expedition mit allen
Teilnehmern schien dem Untergänge geweiht zu sein. Es war aber
einem deut scheu Manne zu verdanken, dafs nicht nur die Mehrzahl
der Teilnehmer am Leben blieb, sondern auch die Expedition einen
unvergelslichen Namen in der Geschichte der Wissenschaft sich erwarb.
Bering liefe der Insel, auf welcher er starb, seinen Kamen,
nnd die Gruppe, zu welcher sie gehört, KomandorskiJ Ostrova, wank
nach seinem Rang benannt. Noch sind nach ihm getanft die Bertngs-
See, die Berings-Strafse, ein Vorgebirge in Asien und ein Meerbusen
in Amerika. Was erinnert aber in diesen Regionen un den unsterb-
lichen Steller, den lierodot dieser entfernten Länder ? Suchet auf
der Karte der Insel, welche er so geistvoll beschrieb, nach seinem
Namen! Nirgends ist er zu finden, während drei Vorgebirge mit
den Namen der Leutnants und Steuermänner Berings belegt sind,
die doch das ganze Unglück verschuldeten: Kap Vaxel, Kap Chitrovo
nnd Kap Jushinl Der Better, der Verewiger der Expedition ist
dagegen in Vergessenheit geraten. Es ist hohe Zeit, dals das Yer-
säomte nachgeholt werde, nnd ich rechne es mir zur Ehre an, dals
es mir vergtant ist, diesem grofsen deutschen^ Forschongsreis^den
in den „Deutschen Geographischen Blattern" die lange versagte
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die höchbte Bergspitze der
Berings-Insel wird fortan Mount Steller litif^sen!
Um den jetzigen Zustand dieser Insel, auf welcher Steller mit
den Überlebenden den Winter 1741 — 42 verbrachte, und von welcher
er ans seine nnabertreffliche Beschreibung hinterlassen hat,^) 2U
schildern, wähle ich eine Bootexpedition, welche ich im Herbste 1882
unternahm; durch sie umschiffte ich die Insel, bekam sie also von
allen Seiten zu sehen.
Eine solche Umsegelung gehörte mit zu dem Programme, das
ich mir für meine Unternehmuni^iMi entworfen hatte. Es si»lltt' vine
Art Rekognoszierungstour sein, um auf die loirbtoste Weise au.-Uudii,'
zu machen, wo es sich in der Zukunft am besteu verlohnen würde,
die Kräfte zur Erforschung zu konzentrieren. Der Plan war wohl
bedacht, die Gründe für und wider erwogen. Die Gegengründe
stausten sich darauf, dafs eine Umsegelung in einem offei^a Boote
etwas gewagt sei, weil die Insel der Häfen fast gftnzUch entbehrt, so
dafs schon bei geringem Winde — und der ndrdliche Padfische Ocean
verdient seinen friedlichen Namen ganz entschieden nicht — eine
Landung gefährlich, wo incliL gänzlich unmöglich wird, der gewaltigen
PftÜM, neu« tundischa Beitiäg» IL 1798.
Digitized by Google
— 227 —
Brandung wegen. Noch kam hinzu, dafs die dortigen Aleuten zag-
hafte Seeleute sind, wenn sie nicht in ihren leichten, mit Seehunds-
fellen überzogenen Bajdarken sitzen. Auch die Jahreszeit war nicht
besonders günstig: es begann schon herbstlich zu werden, und der
Nebel, wegen dessen die Berings-See so berüchtigt ist, war leider
etwas gewöhnliches. Die Gründe, welche zu Gunsten des Unter-
nehmens sprachen, waren andererseits, dafs es die einzig mögliche
Weise war, zmn Ziel zu kommen, weil die Fahrt mit Hundeschlitten
zu roflhsam sein würde, bevor der Schnee kam, and dann wflrde es
wiederum unmöglich sein, nach BffHna (Seekuh-Skeletten) zu suchen.
Sollte ich 80 glücklich werden, ein solches zu finden, so war auch
ein Boot das einzige Beförderungsmittel, um das Skelett mit uach
Hause zu bringen. Also, frisch gewagt, halb gewonnen!
Zwei Umstände verhinderten mich, den Hochsommer für diese
Expedition zu benutzen. Erstens hatte ich damals noch niemanden,
der während meiner Abwesenheit die meteorologischen Beobachtungen
übernehmen konnte und zweitens konnte ich vor Schlufs des Pelz-
robben- (Ckülorhifius ursmua) Schlagens keine Leute bekommen.
Erst im Monat August konnte ich an die Ausführung meiner
Plüne denken. Der geftllige Agent der russisch r amerikanischen
Handelsfirma, welche die Inseln gepachtet hat, Herr G. Ghernick,
übernahm gütigst die Observationen der meteorologischen Station;
der Starosta — der gewählte Gemeindevorsteher der Eingeborenen —
wählte unter den sich meldenden Freiwilligen die sechs zuverlässigsten
Seeleute und Schützen aus; Kapitän John Sandman, der liebens-
würdige Generalagent der Firma, versah mich mit allerlei not-
wendigen Ausrüstungsgegenständen, und der um die Inseln so hoch-
verdiente Verwalter derselben, Herr Hofrat N. von Grebnitski, machte
mir überhaupt erst die Expedition möglich, indem er mir das groüse
Boot der russischen Krone zur Verfügung stellte. Audi gab er
ErUiubnis, Pelzrobben zum Proviant zu schlachten und femer See-
hunde zu diesem Zwecke zu schiefsen, obwohl die Schonzeit erst
mit dem 31. August aufhdrte; kurzum, alle waren mir mit Bat und
That behülflich.
Das Boot war ziemlich schwerfällig imd, wie es sich später
zeigte, fast untauglich zum Kreuzen, jedoch stJUiir, neu, dicht und
ziemlich genlumig. Die Segel waren verhältnismafsig klein, aber
neu. Wir hatten keine Zeit, vielleicht auch nicht Fantasie genug,
um es mit einem speziellen Namea zu taufen, und nur als die
«Krons Schlupka" wurde sie von anderen unterschieden; beim all-
täglichen Gebrauch hieb sie einfach ^Sehlupka^. Hineingestauet
worden nun eine Kiste fttr meine Sammlungen, eine Kiste (100 Pfd.)
17»
Digitized by Google
Hartbrot, etwas gesalzenes Fleisch, Zacker, Thee, Kochkessel, einiges
Werkzeug, darunter Äxte, eine Erdiiacke und ein paar Spaten;
schliefslich noch ein altes Bajdarä^y^e'^e], welches als Zelt dienen sollte,
nebst Bärenfellen und wollenen Decken. Delikatessen wurden
nicht mitgenommen, weil ich es mir zur Regel gemacht habe, auf
dergleichen Expeditionen von dem gleichen Proviant zu leben wie
die Leute. Das einzige war einige Flaschen Alkohol für die Ruderer
nach harter Arbeit und bei schlechtem Wetter und für die — See-
tiere. Von Schiefswaffen nahmen wir mit: sieben gezogene Flinten
und zwei ausgezeichnete Yogelbttchsen. Mit Instrumenten war ich
leider schwach versehen, was seinen Grund in meiner eiligen Abreise
▼on Amerika hatte. Ein Azimuth-Kompafo, ein Anerold und Ther-
mometer waren deshalb alles, was ich mitnehmen konnte.
Aufser einem der Bedienten der Handelskompagnie, einem Letten
aus Riga, welcher mich als Freiwilliger begleitete, bestand die
Mannschaft aus sechs halb- bis siebenachtel-bluts-Aleuten mit Ignatij
BadÄefi^ einem schlanken, hohen, kräftigen Kinundfünfziger, als
Steuermann, während die übrigen, Dinis Burdukovskij, Jeograf
Grigorjeff, Vasilij Maltsoff, Gavriel Pankoff und Grigorg Startsoff*,
junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren waren.
Alles war jetzt zur Abreise fertig. Wir zögerten aber noch
einige Tage, weil das Wetter ziemlich ungünstig war, Nebel uuil
Stilten oder schwacher Gegenwind herrschten, so dais von segeln
keine Rede sein konnte.
Als aber der 21. August kam, ohne Veränderung zu bringen,
beschlossen wir dennoch zu fahren, und lieber zu rudern, als ruhig
im Dorfs zu warten.
Das Dorf, in welchem die dreihundert £inwohner der Berings-
Insel wohnen, liegt am Fufse eines unirefähr 260 Fufs hohen Basalt-
rückens, unter dessen nördlichem Abhang und so dicht am Ufer,
dafs die winterliche Brandung die Häuser bespritzt und die Um-
zäunung der (iebäude der Kompagnie herausgerissen hat. Um die
Lage näher zu bezeichnen, sei erwähnt, dafs es au der westlichen
Seite der Insel gelegen ist, nicht weit von der Nordwestspitze, iu
der inneren Ecke einer schwachen Einbuchtung der Küste. In Ver-
bindung mit einem Inselchen, — Toporkoff genannt, von den vielen
hier bratenden TcparM, Seepapageien (Lunda drrhaia) — wird
dadurch eine Art Hafen gebildet, der diesen Namen aber kaum
verdient.
*) Eine Bajdarä ist ein grofm acht- bis sechszelinniderigeK Boo^ welches
au «inem mit SeelöwenfeUen flbenogenen Hobgestell bettoht
Digitized by Go
— 229 —
Gerade in der Ecke, in welcher das Dorf liegt, mflndet ein
ruhiges Ftfl&chen; es ist dasselbe, welches Steller mit dem Namen
„Osemaja^ belegte, und welches er folgendermafsen schilderte : „Der
andere Platz ist 115 Werst von der südöstlichen Landspitze und
50 von der nordwestliclieii befindlich, und noch weiter kennbar,
weil das Land sich an eben dem Ort aus Norden nach Westen wendet,
in dem Winkel aber selbst ein Fl (i Ischen sich öffnet, welches unter
allen auf diesem Eiland das beträchtlichste, und bei hohem Wasser
an der Mündung 6 bis 8 Fufs tief ist. Dieser Flufs fällt aus dem
gröfäten Insee auf diesem Lande^) und wird von der See ab nach
dem Insee immer tiefer, so dafs man ohne grofse Mühe durch
denselben in den auf IVa Werst yon der Mündung entfernten Insee
kommen, und daselbst desto sicherer stehen kann, weil selbiger
rings umher mit steilen Felsen als Mauern umgeben ist, die wieder
alle Winie bedecken. Ich habe diesen Flufs Osemaja*) genannt,
und ist der Ort vor anderen dadurch noch kenntlicher, dafs der
Mündung gegenüber im Süden eine kleine Lisel'M liegt, die im
Umkreis eine Meile grofs, und nur eine Meile von der Flulsmüuduug
entfernt liegt.
Diese Beschreibung zeigt, daCs vieles sich seit der Zeit geändert
hat, hier wird es aber genügen, zu bemerken, dafs der Flufs jetzt
bedeutend untiefer, ausgenommen an der Mündung, und die See
kleiner ist als damals, so dafs sie jetzt nur fOr Bigdarken zugänglich
ist. Ich werde zu diesen Thatsachen andererorts zurückkehren,
wenn ich die Bearbeitung der gesammelten Beweise fOr die Hebung
des Landes vollendet haben werde.
Das Dorf, welches von den Eingeborenen schlechthin „Gavan",
Hafen, genannt wird, hat erst in neuerer Zeit einen eigenen Namen,
indem die Manuskrijitkarten der russischen Kriegsschiffe es jetzt
Grebnitski< Hafen, nach dem jetzigen Administrator, nennen. Alle
Bewohner der Insel haben hier ihre Wohnungen, teils hölzerne, rot
angestrichene Hftuser, teils niedrige Erdhütten, Jurten. "^j Die Häuser
liegen an regelmftfsigen Strafsen, und wären die Schlittenhunde nicht
•'') Dies ist ein Irrtum. Gavanskoje Osero ist nicht der gröfste Binnensee;
diesen hat Stoller, wie es scheint, nicht gekannt. Aach nicht unter der Annahme,
dafs die ganze den Biiniensee jetzt umgebende Tundra damals unter Wasser
stand, würde jener der gröfste sein.
*) Bedeatot: «von der Insee.* L. S.
() Toporkoff. L. S.
•) Nene Nordische Beitrige n, 1798, peg. 268—267.
') Nach Nordenskjölds Darstellung sollte man glauben, dafs die Häuser
ungemein klein und kleiner wie die Jurten wiren; dies i&t aber nicht der Fall.
Di« Bänser siod bedeutend gröfser und varüren zwischen 24' X 20* and 19' X 16'.
Digitized by Google
— 230 —
da und die Stangengerüste mit den getrockneten Lachsen oder die
stinkenden Robbenkadaver, das kleine Dorf, welches eine dem
sibirischen Heiligen Inakentg geweihte Kirche, die stattlichen Geb&ade
der Kompagnie und das ansehnliche Haus des Beamten anfisuweisea
hat, würde einen Vergleich mit manchem Ort von Ahnlicher GröHse
in den reichsten und best zivilisierten Teilen von Europa glänzend
aushalten können. Im grofsen und ganzen läfst sich von den dortigen
Verhältnissen nur lobend reden. Die Leute sind glücklich, glücklicher
wie viele Millionen ihrer Mitmenschen, und könnten noch glücklicher
sein, wenn sie es nur wollten. Holfeutlich wird es dem Herrn von
Grebnitski, dem jetzt eine gebildete Frau zur Seite steht, gelingen,
seine Pi&ne für das Wohl der Gemeinde weiter zu führen. Auch
der Handelskompagnie gebührt alle Ehre für die Sorgfalt und
Opferwilligkeit, womit sie bestrebt ist, den Eingeborenen nach allen
Bichtungen hin hülfreich zu sein. Ich erwähne nnr, dafs sie samt-
liche Hauser der Eingeborenen gebaut und denselben mentgeUUch
Oberwiesen hat, dafs es die Absicht ist, so lange zu bauen, bis alle
Familien mit Häusern versehen suid, dali sie m diesem Jahre wahr-
scheinlich eine neue Kirche bauen wird u. a.
Aufser diesem Dorfe giebt es noch vier ziemlich bedeutende
AnsiedelunLren von Erdhütten auf der Insel, die nur zu gewissen
Zeiten bewohnt sind, n&miich Fedoskya, Staraja Gavan, Öarauua
und Sevemy, welche wir später kennen lernen werden.
Nun nur noch ein paar Worte zu der beigefügten Karte.
Wie gesagt, der sogenannte Hafen ist ftuCserst offen, und bei
westlichen, besonders nordwestlichen Winden walzen sich die schäu-
menden Wogen des Oceans unbehindert gegen die Küste. Die
sicherste Einfahrt ist zwischen der Toporkoff -Insel und dem Riff;
doch mufs man si(h näher an erstere halten, um den ziemlich
weit ausliegenden Basaltklippen des Riffes zu entgehen; bei hohem
Wasser und ruhiger See brechen die Wellen nicht über die aussersten
Klippen. Den besten Ankergrund hat man auf 6 Faden Wasser,
Boothaus am Riff S, Kompaguies Flaggenstange 0 zu 0 N, alles
per Kompafs. Bei hohem Wasser und ziemlich ruhiger See kann
dicht an den Häusern der Kompagnie mit Boot gehuidet werden;
bei niedrigem Wasser ist es nur unter Leitung eines tüchtigen
Lootsen müglich, der die Sandbänke an der Mündung des Flülschens
kennt Während der Ebbe oder wenn heftiger sadwestlicher Wind
weht, kann man ziemlich bequem an dem rotangestrichenen Boot-
hause direkt S vor dem Ankerplätze landen. Bei starkem Nordwest
ist das Landen schlechterdings unmöglich. Die nördliche Hinfahrt
ist nicht frei von Gefahien, erstens von Seiten der zahlreichen
Digitized by Google
— 231 —
Klippen an der Nordwestspitze, Zapadnfj Mys, herum, wo das Wasser
noch obendrein ziemlich untief ist, so dafs es manchmal bei heftigen
Stürmen weit ins Meer hinausbrandet, sondern auch wegen der zwei
Steingruppen, die zwischen Kitovij Nepropusk und Arij Kamen
liegen, und die bei hohem Wasser und ruhiger See nicht zu entdecken
sind. Nordenskjöld kam mit der „Vega*' diesen Weg, and die
Bewohner versicherten mich, daCs sie emsUich besorgt waren, es
kdnnte dem unbekannten Dampfer ein Unglück passieren, als sie ihn
▼on der Seite und ziemlich nahe ans Land herankommen sahen.
Der Polovino Kamen, dessen al^ntischer Name Alitana ist, und der
zwischen Toporkoff und der Arij -Insel liegt, ist immer sichtbar.
Am besten ist es jedoch, immer südlich von der Arij Kamen zu gehen,
wie es die rufsischen Kriegsschiffe be.sUiiidig thun. Die Gegend ist
sehr leicht an zwei Gruppen eigentümlicher Tafelberge kenntlich,
die durchschnittlich 600 Fufs hoch und ziemlich gleicher Höhe sind.
Die westliche Grui>pc besteht aus zwei, die östliche aus drei dieser
runden, oben flach abgeschnittenen Berge mit den gleichförmig
abfallenden Seiten, und wenn man von Kamtschatka kommt und
gerade auf den Hafen zusteuert, erkennt man sie schon Ton weiter
Feme. Ein besserer Name als Tafelberge ist die Bezeichnung der
Eingeborenen, die sie Bajdaren oder Lotken nennen, denn wirklich
sehen sie wie auf das Land geschleppte und umgekehrte riesige
Bajdaren aus.
Aber zu unserer Reise zurück! Am Montag Morgen, den
21. August, ruderten wir aus ;,dem Hafen" hinaus. Nachdem das
Riff umschifft, war das Dorf unseren Augen entschwunden. Der
Kurs wurde sogleich auf das nächste Vorgebirge, Kitovij Mys
(Walfisch -Kap) gestellt und nun ging es langsam gegen Südost
Zwischen Riff und Kito?y zieht sich «das Land zurück, eine weite
offene, doppelt gerundete Bucht bildend. Auf den älteren Karten
ist hier ein Vorgebirge angegeben, welches Fedoskga Mys genannt
wird, so etwas existiert aber nicht; bei dem Platze Fedosk^a, wo
die meisten Kartoffelgärten der Eingeborenen gelegen sind, fängt
aber ein felsiges Riff an, das die ganze Insel mit wenigen Unter-
brechungen, die meistens auf der Westseite vorkommen, umgiebt und
das Fahrwasser um die Insel so gefährlich macht. Fedoskija Buchta
war mir schon genügend bekannt, wefswegen wir dort nicht landeten;
hier mögen aber doch ein paar Worte über den dort betriebenen
Ackerbau und die Landwirtschaft eingeschaltet werden.
Das dortige Klima verbietet natürlicherweise den Anbau von
irgend weldier Getreideart Für Kartoffeln und Rttbeo genügt aber
gewöhnlich der feuchte und kOhle Sommer, der doch bisweilen —
Digitized by Google
— 232 — j
80 zum Beispiel im Jahre 1884, wie man mir berichtet hat — nkibt I
viel mehr wie ein „grOner Winter" ist. Gewöhnlich aber reidit
die Wftrme bin, um die Einwohner mit diesen Produkten zn ver-
sehen. Wenn sie aber die Sache ein bischen besser verständen,
uiul wenn sie ein wenig mehr Arbeit darauf verwenden würden, j
könnte die Ernte wohl noch bedeutend besser ausfallen. Kartoffel-
g.lrt«^! tiiulen sich an zwei Stellen auf der Insel. Erytens bei Sta-
raja Gavan, einem H (Ittendorf au der östlichen Seite der In.sel,
gerade i^'e^enüber dem Grebnitski-Iiafen, wo in früheren Zeiten die
Hauptniederlassung war und wo die kleinen Falirzeuge der Pelz- |
abenteurer ankerten, das aber jetzt nur zeitweise, das heifst während I
der Kartoffelernte und des Fuchsfangs, bewohnt wird. Die Lage ist
hier ziemlich gut und der Boden ausgezeichnet; es ist aber zu ent-
fernt vom Hauptdorfe und die Fahrt dorthin im Sommer mit Hunde-
schlitten zu beschwerlich, um eine genügende Aufsicht der Garten l
zu erlauben, wenn die Leute nicht auf dem Platze wohnen, und
dazu scheinen sie erstens wenig Neigung zu haben, weil sie^ viel
mehr auf die Geselligkeit, als auf den Kartoflfelbau geben: zweitens
sieht es die Verwaltung auch nicht gern, dafs die Bewohner sich
zu lange weit vom Dorfe aufhalten. Der zweite Platz, Fedosk^a,
eben der, an dem wir jetzt vorüberfuhren, liegt aber viel n&her, so
dafe man in einigen Stunden dahin gehen kann. Nichtsdestoweniger
sind die Gärten den ganzen Sommer ohne Aufsicht, weil die Manner
mit dem Robbenfang und die Frauen mit dem Lachsfang beschäftigt
sind. Dazu kommt, dafs der Boden arm und kalt, die Lage we^st-
lieh, die Bearbeitung so oberflächlich wie nur möglich, und die Aus-
saat viel zu dicht ist, so dafs man sich eher wundern mufs, dafs
eine Durchschnittsgröfse der Kartoffeln von 4 Centimeter Durch-
messer erzielt wird, und dafs Rüben von der doppelten Gröfse nicht
selten sind. Viel bessere Resultate würen zweifelsohne zu erlangen,
wenn die Gärten direkt neben dem Dorfe nni^olei^t werden könnten;
dies ist aber kaum möglich der zahlreicheu Schlittenhunde wegen,
die sich wohl zu sehr für die Gikrtnerei interessieren würden. So
steht es mit dem »Ackerbau*. Was nun die „Viehzucht* betrifft,
so ist es mit diesem Zweig der „Landwirtschaft* nicht yiel besser
bestellt. Die Handelskompagnie hat es sich angelegen sein lassen,
das Halten von Kühen bestmöglichst zu ermuntern. Sie hat des-
halb als ein ;xutes Beispiel einen geräumigen Stall gebaut, unterhalt
eine Anzahl von Rindern — während meines Aufenthaltes nicht
weniger als 18 — und beschenkt bisweilen den einen oder anderen
der Einwohner mit einem der Tiere. Wie es aber jetzt ge-
ordnet ist, kann die Sache unmöglich gelingen, aus verschiedenen
— 233 —
Gründen. Erstens giebt es in der ganzen Gegend keinen einzigen
Mensdien, der $uch nar den mindesten Begriff von Viehzucht hat;
kein einziger ist «Landmann** gewesen in dem Sinne, wie wir es hier
nehmen. Wenn sie es auch so weit gebracht haben, dafs sie wissen,
wie eine Kuh gemollcen werden soll, so weifs keiner von den Leuten
anderes mit der Milch anzufangen als sie einfach zu verzehren, und
um die Einwohner mit frischer Milch zu versehen, ist doch der
ganze Apparat zu j^rofsartig und der Mühe kaum wert. Die Kom-
pajjnie sandte eine Patent-Buttermaschine heraus, aber keiner ver-
steht sie zu benutzen, und keiner kümmert sich auch darum; aber
selbst wenn jemand es verstände und wollte, es wäre keine Milch
da zu buttern, denn unter den 18 Stück Vieh der Kompagnie waren
nur 4 Milchkühe, und da sie von der kamtschatischen Basse sind,
80 verweigern sie die Milch, sowie man ihnen die K&Iber nimmt
Es ist ziemlich bezeichnend, dafs mit einem Viehstand von achtzehn
Köpfen die Milch bisweilen nicht einmal fOr die kleine Haushaltung
des Agenten ausreichte. Nun kommt noch hinzu, dafs die Ein-
geborenen sclnverlii Ii dazu zu bringen sind, feste Dienste zu nehmen,
so dafs es nicht selten schwer hält, eine Frau zu finden, die das
Melken übernehmen will, oder einen Burschen, den Stall rein-
zuhalten, oder Kinder, um die Kühe zu hüten und zu treiben. Futter
wachst reichlich in den Thälcrn über die ganze Insel, besonders
um das Dorf herum. Im Spatsommer wird es abgemäht, getrocknet
so gut wie es sich in dem feuchten Klima machen l&fst und in
grolsen Schobern aufgestapelt, die entferntesten kaum anderthalb
deutsche Meilen vom Dorfe. Dieses Heumachen ist aber eine be-
deutende Afibire. Nicht dafs die Herren Mäher des morgens früh
hinausgeben und abends zurückkehren, nein, sie müssen mit einem
Zelte von der Kompagnie versehen werden, der Samovar darf nicht
fehlen, und nichts wie Zwieback geiressen werden, und dieses Kam-
pieren und Heumaclien wird deshalb eher als eine Vergnügunirstour
betrachtet wie eine notwendige Arbeit. Ist das Wetter gut, so
arrangieren die im Dorfe zurückgebliebenen Freunde und Verwandte
„Pic-nics", was nicht immer der Arbeit förderlich ist; ein ameri-
kanischer oder europaischer Bauer leistet wahrend der Erntezeit
ebensoviel, wie zehn von den Eusso-AlSuten, und doch ist der Tage-
lohn auf der Insel ebenso hoch oder höher als an manchen Stellen
in Deutschland auf dem Lande. Erst wenn der Winter kommt,
kann das Heu mit dem Hundeschlitten auf dem Schnee nach Hause
gebracht werden. Dann geht es wiederum lustig her! Zahlreiche
Schlitten mit nenn bis dreizehn vorirespannten Hunden werden en'-ja-
giert, uad wahrhaft bunt und malerisch ist es dann, wenn die ganze
i y Google
— 234 —
Karawane auf dem Eise in einer Linie dem Dorfe ziitrabt, und wenn
sie Einzug halten, begrüfst von dem Heulen und Bellen der zu Hause
gebliebenen Hunde, wahrend der freudestrahlende Aleute hoch ob^
auf dem Heufuder seine belleoden Unterthanen mit den alles über-
täubenden Zurufen »Kaki^ und »Hu* oder »Hugi' rechts odor links zn
lenken sucht. Wenn der Winter Torflber ist, so sehen wir ringsherum
noch manchen von den entferntesten Schobern nnberOhrt, denn
wer konnte wohl im voraus wissen, wie lange der Wnter dauern
und wie viel jede Kuh fressen würde ? Kann es dann Wunder
nehmen, dafs es billiu:er ist, Heu in Ballen aus Californien einzu-
führen?! NordenskjOld macht die halbwegs prophetische Benierkunij
(Exped. „Vej^a", Anier. Ausg. p. 618\ ,.dafs die Berings-Iiisel
ohne Schwierigkeiten grofse Heerden von Rindern unterhalten
wird, vielleicht ebenso zahlreich, wie die Heerden der Seekühe, die
Mher an seinen Küsten weideten*^ Mir ist es aber gftnzlich uner-
findlich, mit welchem Nutzen Rinderzucht hier getrieben werden
könnte. Es ist mir zwar erz&hlt worden, dats es die Idee gewisser
Herren sei, eine grOfsere Kompagnie zu bilden, welche eine solche
Industrie im grofsen auf den Aleutischen Inseln treiben sollte. Ich
will glauben, es sei möglich für einige arbeitsame und genügsame
Familien in Alaska und auf den aleutischen Inseln, sich dabei
kümmerlich zu ernähren; wie man aber auch nur für einen Autien-
blick glauben kann, dafs eine Kompagnie dabei Geld verdienen
würde, so lange noch freies Land in Amerika und Sibirien leicht
zu haben ist, bleibt mehr als unbep:reiflich. Weil ich also der
Meinung bin, daCs mit Vorteil betriebene Rinderzucht in den dortigen
Regionen eine Unmöglichkeit sein wird, nnd weil ich emsthaft daza
anraten würde, die besagte Wirtschaft auf den Kommander-Inseln
aufzugeben, will ich damit nicht gesagt haben, dafe jede Art Ton
Viehzucht hier ungereimt sei. Im Gegenteil, ich glaube, dafs eine
verständige Schafzucht reichlich das Geld und die Mühe verlohnen
würde. Speziell auf den letzgenannten Inseln würde sie gerade das
zu Stande bringen, was mit dem jetzigen Versuch der Einführung
von Rindern seitens der Handelskonipagnie bezweckt wurde. So
lange die Pelzrobben immer noch reichlich an den Inseln vorkommen
und sich vermehren, wie sie es jetzt thun, werden die dortigen
Einwohner kein weiteres »Vieh*" bedürfen, vorausgesetzt, dafs die
Preise des Robbenpelzwerkes auf dem Weltmärkte in der Zukunft
nicht aufserordentlich heruntergehen. Dafs die heutigen günstigen
Verhältnisse immer fortdauern werden, ist aber keineswegs aus-
gemacht; denn erstens mag es passieren, dafs die Tiere, z.B. durch
eine Pest, plötzlich so reduziert werden, dafs der Fang der übrig
Digitized by Google
— 236 —
gebliebenea nicht hinreichen würde, um die Einwohner za unter-
halten, und zweitens ist anch die Möglichkeit da, daÜis das Pelzwerk
aufser Mode kommen, oder daCs es so täuschend nachgeahmt werdisn
konnte, dafs es sich nicht mehr verlohnen wfirde, die Felle von so
entfernten Regionen zu holen; hat doch die alte russische Kompagnie
einmal erfahren müssen, dafs sie die Fracht bis London nicht zu
decken im stände waren. Sollte solch eine Kalamität eintreffen, so
würden die dortigen Einwohner sicherlich dem Hungertode ent-
gegensehen, denn die — zwar zahlreichen — Lachse im Sommer
und die Seevögel würden nicht dazu reichen, mehr als 500 Menschen
zu unterhalten. Dazu würde eine gute Heerde von Schafen mächtig
beitragen, und die Einwohner der dortigen Inseln würden dann
besser situiert sein, als die Islander und die Bewohner der Färder.
Dafs Schafe auf den Kommander-Inseln gedeihen würden, wird eine
Yergleichung mit Island und den FftrOem au^r Zweifel stellen. Ich
will hier nur die Thatsache anführen, dafs drei Pferde, welche im
Herbste 1862 nach der Berings- Insel gebracht worden, den ganzen
"Winter im Freien verlebten. Keine einzige Nacht waren sie unter
Dach; kein einziges Mal wurden sie gefüttert und doch überstanden
sie den Winter so gut, dafs sie im A})ril 1883 in besserem Stande
waren als da sie. Im Oktober, hinüberkamen! FiS ist aber natürliclier-
weise notwendig, eine geeignete Rasse zu wählen, nicht etwa Schafe
aus Califomien, sondern eine der abgehärtetsten Küstenrassen des
nördlichen Europas, und dann wohl vorzugsweise die schottische
„Black-face^ Rasse. Eins rnuDs aber vorausgehen, bevor Schafzucht
eingeführt werden könnte: es müfsten die Schlittenhunde abgeschafft
werden; und diese sind wohl eigentlich Schuld daran, dafs ein Ver-
such mit Scliafen niclit langst unternommen wurde. Selbst unter
den jetzigen Verhaltnissen sind die Hunde überflüssig. Es wilre
ein leiclites und billiges, einen guten Weg zwischen dem Dorfe und
der nördlichen Kobben-„rookery" anzulegen mit einem Zweig nach
„Sarauna", wo die gröfste Lacbsfischerei stattfindet, und einige
Pferde würden wohl hinreichen, um das nötige Salz nach der
jyBookery^ oder die getrockneten Fische von Saranna zu führen.
Jetzt dienen die Hunde wesentlich dazu, um Treibhobs, welches um
die Küste herum aufgelesen wird, nach dem Dorfe zu bringen.
Nach den Aussagen der Einwohner nimmt aber das Treibholz jähr-
lich ab, und schon jetzt bringt das Dampfschiff jährlich ein bis
zwei Ladungen Birkenholz aus Kamtschatka; aber, wie ich anderer-
orts zu beweisen gedenke, giebt es genug Brennmaterial für Ge-
nerationen in der nächsten Nähe des Dorfes in Gestalt weiter
Strecken von Torfmooren. — Es giebt jetzt mehr wie 60ü Hunde
Digitized by Google
auf der Berings-Insel ; ßOO Schafe würden eine gute Stammheerde
bilden, ans welcher in Zeiten der Not eine neue Industrie herror-
wachsen könnte.
Bis EitoTÜ Mys ist die Kttste niedrig; von da an treten
die Ber<i;e ßtmz nahe an das Meer. Dicht am Wasser läuft ein
schmaler Strand, hinter welchem ein perpendikulärer Absturz, 75 bis
100 Fufs hoch, welcher die abwochsolnd braunen und grauen Schichten
des Sandsteines in horizontaler Lage zeigt. Die obere Kante dieser
Wand ist schräge abLreschnitten, und unten am Fnfse ist das herab-
gefallene Geröll gelagert, so daCs der Durchschnitt ungefähr so
aussieht :
Durch herabrieselndes Wasser vertikal gefurcht und ausgeschnitten,
nimmt dieser Absturz an maiu heu Stollen das Aussehen von Bastio-
nen, Thtirmen und anderen Festungswerken an, und erscheint dann
äufserst malerisch. Auf den Absturz folgt gewöhnlich eine schwach
ansteigende Strecke, von wo sich dann die abgerundeten uml mit
^[oos und Flechten bekleideten Berge unter einem Böschungswinkel
ei'heben, der gewöhnlich 45^ bi- 50^ botnigt. Die Höhe der nächsten
Berge variirt zwischen 900 und 1200 Fufs englisch. Das ganze Innere
der Insel ist eine verworrene Masse dieser Kuppen, die kein System
eines Verbindungsrackens zu vereinigen scheint, an allen Seiten sind
sie isoliert durch tiefgescbnittene Thftler, deren Seiten gleichförmig
in einer Steigerung von dem ziemlich langsam fliefsenden Bache,
der den Thalgrund einnimmt, bis zur Spitze sich erheben. Die
Bergesabhange sind mit gleichförmigem klein gebröckeltem Geröll
bedeckt, das unter Moms und Flechten halb verborgen ist.
Um 12 Uhr landeten wir am Tolstoj Mys, wo wir ein leichtes
Frühstück einnahmen; das heifst, wir kochten Thee, den die Aleutea
in grofsen Quantitäten zu trinken den Russen abgelernt haben, and
genossen dazu unsere guten Zwiebäcke. Der Charakter der Küsten
blieb ziemlich unverändert während unserer weiteren Fahrt, nur
wurden die Abstürze an manchen Plätzen höher, nämlich da, wo die
Berge ganz nahe an das Meer traten. An einigen Stellen ist die
horizontale Lage der Schichten abgebrochen, sie sind dann gebrochen
oder gebogen, für eine Strecke einen Winkel von ungefähr 45*
bildend. Ks verschwindet hier der schmale Strand und die lotrechten
Felseu stürzen direkt ius Meer, ohne dafs man unten zu Fufs oder
Digitized by Go
Am*
Ltditdnirk vou Rflmmler A Jona?, Drw«lm,
Pestschanaja Buchta, Kupfer -Insel,
nahe dem Dorf
DigitizcL , . .oogle
» • » ^* » •
Digitized by Google
— 287 —
mit Schlitten vorbeikommen kann. Solche Stellen werden Nepropush
geuaimt. Ein solcher befindet sich gleich jenseits Podutjosnaja
Reschka, wo die Schicliteu auf einer Strecke von ungefähr einer
halben englischen Meile in Unordnung geraten, während sie auf
beiden Seiten vollständig horizontal sind. Am Podutjosnaja ist eine
Jurte — eine Erdhütte, wo im Winter die Steinfuchsjäger wohnen,
und von hier ist ein leichter Übergang nach Bigan, das etwas
nördlicher an der (totUehen Ettste der Insel liegt.
An einer Tbalöffhung lag die frohere Poludjonniga Odinotschka.
Von hier ziehen sich die Berge ein wenig znrQcfc, die Kttsien-
linie wird niedriger, aber dafür um so pittoresker, besonders
südlich von der vorspringenden Ecke, die ich als „South Rookery
North Cape*^ bezeichnet gesehen habe. Es hat der Felsen hier ganz
den Anschein einer grofsartigen Ruine einer mittelalterlichen Festung.
Genaue Studien an Ort und Stelle haben mich überzeugt, dafs dies
der Platz ist, von dem Steller folgendermafsen schreibt (N. Nord.
Beitr. U, pag 262): „Ich habe . . . seltsame Ansichten und Natur-
spiele unter diesen Felsentrümmern angetroffen, wie bei der von
mir benannten PesUschera (SteUersh6hle), wo die Gebirge eine Mauer
und die Absätze daran Bastionen und andere Festungswerke sehr
natürlich vorstellen. Hinter der Höhle stehen eine Menge einzelner
Klippen hin und wieder am Ufer zerstreut, darunter man sich
Ruinen von -Mauern und Pfeilern, Gewölbe und Bögen vorstellen,
und unter deren einigen hindurch gehen kann."
Um 4 Uhr 15 Minuten landete ich an dem einzigen noch geblie-
benen dieser Bögen, durch welchen Steller wohl einmal geschritten
ist. Es ist ein Prachtstück einer ganz isoliert stehenden natürlichen
Ehrenpforte, die ich Steller zur Ehre ^Stellers Triumphbogen"
genannt habe. Kein Ehrendenkmal ziert sein Grab auf der wüsten
Steppe; Kufslaiui hat ihm niemals seinen Freimut und seine Kritik
der Ungerechtigkeiten der Behörden vergeben, aber Stellers Name -
wird doch nicht vergessen werden, und sein, mit den lieblichen
weiCsen, gold&ugigen Blumen des C^r^^anMeiiHimardiMimgeschmackter
und mit den gelben Schichten der Flechten (kdqplaea murormi und
erenulata bunt dekorierter Triumphbogen ist ein Denkmal, wolil
würdig des grofseu Forschers. Eine Skizze, die ich hiermit die
Ehre habe, den Lesern der „Deutschen Geographischen Blatter" vorzu-
legen, wurde jetzt gezeichnet, worauf ich zu Fu[s die Strecke bis
zu unserem Nachtlager, wohin sich meine Gefährten mit der j^Schlupka^
schon begeben hatten, zurücklegte.
Gleich südlich von Stellers Bogen ist der Wasserfall (Padun)
und die «Südliche Bookery'' (Polu4jonn«ja Loschbischtscha), ein
i y Google
— 238 —
▼erbaltnismäfeig kleiner Pelzrobbengrund, dessen ganze Beeatznng
ich auf zwanzig bis fünfiindzwanzi<?taiisend Tiere schätze, und von
wo jährlich ungefähr zweitausend CholiistJaJci („Junggesellen*', drei-
uud vierjährige Männchen) abgetrieben und geschlachtet werden.
Es ist dies der einzige Piatz auf der Westseite (oder Südseite wie
Steller sie ijezeichuet), wo jetzt Pelzrobben liegen, während sie zur
Zeit von Stellers Winterung weit zahlreicher waren, nach seinen
Äudserungen za schliefscn. Er sagt nämlich unter anderem: . . . .
«unzfthlige Heerden folgten nach und fflUten binnen wenigen Tagen
die' ganze Kttste dennaCsen aa, dafo man ohne Leib- und Lebens-
gefabr nicht mehr vorbei kommen konnte; ja an einigen Stellen, wo
sie den Boden ganz bedeckten, zwangen sie uns oft, den Weg aber
das Gebirge zu nehmen .... diese Tiere landeten nur auf der
südlichen Seite der Insel, dem Lande Kamtschatka gegenüber.* Aus
diesem Citate geht hervor, dafs er die zur Zeit gröfste und — die
eben erwähnte ausgenommen — einzige „Rookery", die ^nördliche"
nicht kannte, und dafs die Westseite damals viel reichlicher besetzt
war wie heutzutage. Jetzt braucht man nicht Umwege über die
Berge zu nehmen, um vorbeizukommen. Zwar bückte ich meinen
Racken, um mich hinter dem hohen, ans Ärehan(feaeay Fieris und Spirwa
bestehenden Pflanzenwncher zu verbergen, als ich die stinkende,
brüllende, blökende und mit den langen Fingerlq»pen der Hinter-
fasse sich fikchelnde Masse {kassierte, aber dies geschah nur, um die
kostbaren Tiere nicht zu stören. Übrigens fing es schon an zu
dunkeln, so dafs ich keine Zeit zu längerem Weilen und Beobachten
hatte. Das kleine Flüfschen unterhalb des Wasserfalls — eine auf
der Beiings-Iiisel, wo die Thäler schon sehr tief eingeschnitten sind,
ziemlich seltene Erscheinung — wurde durchwatet, und endlich
langte ich an unserem Zelte an, wo meine Aleuten die fünf
geschlachteten Pelzrobben reinigten. W^ährend unser Abendmahl,
aus Robbenfleiscb, bereitet wurde, fand ich noch Zeit, einige Bilanzen
zu sanuneln, darunter Ddphrnüm elaktm, das ich anderswo auf den
Inseln nicht bemerkt habe.
Für mich wurden die Zungen und Herzen der Pehsrobben
reserviert. Wahrend ich kein Bewunderer des Fleisches dieser Tiere
bin, mufs ich doch zugeben, dafs die genannten Teile wahre Deli-
katessen sind, wenn frisch und gut zubereitet. Frisch gegessen
geben die Zungen den besten Rentierzungen kaum etwas nach, aber
man darf sie nicht liegen lassen, denn schon am folgenden Morgen,
als ich sie kalt zum Frühstücke vermehrte, war ein thraniger Geschmack
nichts weniger als eine Verbesserung. Gut gebraten schmecken die
Herzen Ochsennieren tauschend ahnlich. Die Mahlzeit muüste deshalb
Digitized by Gc)
— 239 —
als befrieiligeud betraclitet werden ; die Szene vor dem Zelte, wo unser
Lagerfeuer hoch aufloderte und meine Aleuten ihre grofsen Bissen
aus dem siedenden Kessel herausfischten, war aufserst originell; die
Luft war nach dortigen Verhältnissen milde (12,8° C); die unter-
gegangene Sonne hinterliefs noch einige Rosa- und Purpur streifen
an dem bewölkten westlichen Himmel; ein schwaches Lüftchen aus
Sttd kräuselte kaum das Meer, dessen letzte lange Wellen am Strande
kaum fUnfieig Schritte yot unseren Füfsen abstarben; die ganze
Natur war lauter Friedel Kein Wunder also, dals ich den ersten Tag
der Reise als glücklich beendet betraditete, und da£s ich voll Mut
und Wohlbehagen in mein Bärenfell hineinkroch und mich zur
Kühe legte. Einer nach dem anderen schlichen meine Gefährten
unter unser altes Segel, das wir mit dem Prachtnamen Zelt
(Palatka) belegten, und bald waren wir alle, Mongoieu und Kaukasier,
in tiefem Schluinmer versunken.
Als ich am anderen Morgen aus dem Zelte kroch, fand ich die
• Leute mit Kugelgiefsen beschäftigt, indem sie anstatt SchmelzlöiTel
ein Stückchen Birkenwurzel benutzten. In diesem wurde eine kleine
Vertiefung ausgehöhlt, das Blei in die Mulde und obenauf eine
glühende Kohle gelegt Man erwartete nämlich heute »Kerpen* —
Seehunde (Phoea viMina) zu begegnen, und deshalb wurde auch
der „Mansjik" aufgeblasen, um zu prtHfen ob er luftdicht sei. Der
„Mausjik" ist ein Seehundsfell, sehr sorgfältig und kunstfertig ab-
gezogen, damit so wenige und so kleine Offnungen entstehen wie
nur möglich; diese werden nachher alle zugenäht, eine einzige aus-
genommen, an welcher ein hölzernes Mundstück, das sich mit einem
Propfen schliefeen läfst, festgemacht wird. Durch dieses Loch wird
dann, wie in eine Schwimmblase, Luft hineingeblasen und das Fell
nimmt die Form des Seehundes an. Der „Mani^ik'' wird benutzt, um
die Seehunde aus dem Wasser zu locken, indem er auf einen der Steine
am Strande gelegt wird. Nach stattgehabtem Gebrauch wird die
Luft herausgepreßt und der aMani^ik* zusammengerollt in die Baj-
darke gelegt. Während nun diese Vorbereitungen vor sich gingen,
nahm ich meine meteorologischen Beobachtungen vor und sammelte
noch einige Pflanzen und Fossilien. Das Barometer war um drei
Millimeter seit gestern Abend gestiegen; es war auch ein unbe-
deutendes wärmer (13,8 °C.), und der Wind hatte sich völlig gelegt.
Der Himmel war noch immer ganz mit grauen Nimbuswolken be-
deckt, sah jedoch nicht drohend aus. Unter den Pflanzen waren
BanmeUhs EschscholUU und die weitverbreitete Oxpia digynüt^
welche an einer kalten Quelle, kaum einhundert Meter vom Meere
entfernt, und beinahe in dessen Niveau wuchsen, die interessantesten.
Digitized by Google
Dicht neben der Quelle laj,' noch (22. August) ein kleines Fleckchen
vorigjährigen Schnees, und doi'h war dieser Sommer ein günsti^^er!
Einige Eingeborene, welche hier in einem kleinen Hihi>chen
über der „liookery" Wache hielten, repräsentierten „die am Strande
winkenden Freunde", als die „Krons-Schhipka" sich endlich langsam
entfernte. Diese Wachen an den Liegeplätzen der Pelzrobben sind
leider sehr notwendig, denn es kreuzen jedes Jahr Schuner herom,
die keine Gelegenheit unbenfltzt lassen, wenn sie glauben, daüs sie
die ffRookeries** unbehindert plündern können. Es werden diese Ton
Abenteurern geführten und meistens mit Japanern oder Sandwich-
insulanern bemannten Piraten in Japan und auf den Sandwichinseln
ausgerüstet; eine Handelsreise oder Fischfang wird als Vorwand
benutzt. An den Komniander-Inseln gelingen die Anschläge selten
oder nimmer; so wurde im Jahre 1881 auf Copper Island ein Land-
gang der Mannschaft des Schuners „Diana" mit einem Kugelregen
begrtifst, der einen Maun tötete und vier andere verwundete. Im
Jahre 1883 wurde ein Schuner gekapert und konfisziert, und im
Jahre 1884 norh zwei oder drei. Die russische Regierung ist ge-
nötigt jedes Jahr eines oder mehrere Kriegsschiffe dort zu stationieren.
Ärger geht es noch im ochotskischen Meere zu. Im Herbst 1883
landeten dort sechs Schuner sedizig Bewaffnete an der kleinen
Felseninsel Tjulenij, die eine kleine Pelzrobben-Rookery bildet. Der
Kossak und die sechs Aleuten, die d«»rt stationiert waren, um Wache
zu halten, wurden mit dem Tode bedroht, und um nicht weiter
bedrängt zu werden, gingen diese au Bord eines passiereudeu
Dampfers, der sie nach dem Festlande brachte.
Wir passierten die „Kasarma", eine verworrene Klippenmasse,
welche am nördlichen Eingange der Qladkovskaja Buchta steht,
liefen aber in diese letztere nicht hinein, weil ich dieselbe für eine
später zu unternehmende Landexpedition resmiert hatte. Von
Qladkovskaja führt nftmlieh in östlicher Richtung ein niedriger Ober-
gaug nach Polovino an der östlichen Seite hinQber. Es ist dieser Thal-
einschnitt so tief und so gerade, dafs es aus einer gewissen Entfernung
zur See aussieht, als wäre die Insel hier in zwei geteilt. Die Berge
auf beiden Seiten sind sehr hoch, besonders auf der Südseite, wo
in der That die höch-ste Bergspitze der ganzen Insel emporragt, die
„Süpka" oder „Utjos'', welche ich Mount Steiler getauft habe. Jetzt
aber bekameu wir von dem schönen Berge nichts zu sehen, weil
der Nebel sich herabgeseukt hatte, so dals kaum mehr wie die
untersten hundert Meter sichtbar waren; ja, um halb zehn hatten
wir sogar ei^ien halbstandigen leichten Regen. Auch an der Dikuja
Buchta fuhren wir yoraber, landeten aber an deren südlicher Ecke,
i y Googl
— 241 —
wo eiu Nepropusk, und wo viele Seevögel in und an den zalil-
reichen Höhlen, Klüften, Klippen und Absatzen hausten. Hier schofs
ich meine erste rotbeinige dreizehige Möwe (Bissa brevirastris)y und
auch ein junges Exemplar der seltenen und merkwürdigen, b&rtigen
und zopfigen Zwerglumme (Smorhytuhus pygmaeus), während meine
Begleiter eine „Nerpa" erlegten. Sie waven hoch erfreut, weil sie
das „Nerpen'fleisch dem der Pelzrobben entschieden vorziehen, be*
sonders jetzt, wo sie den {jjanzen Sommer nichts wie letzteres ge-
gessen hatten. Von hier ist die Küste hoch und steil bis nach
„ Peresche jek". Ein schmaler sandiger oder steiniger Saum bildet
den Strand. Mit meinem Feldglase spähete ich nach Nerpen, aber
vergebens. Zahlreiche Steiufüchse gatften uns verwundert an, das
war alles. Auf dem Meere sahen wir mehrere grofse Finwale, die
ich fttr Balaenoptera velifera hielt. Als wir uns dem „Pereschejek'*
näherten, fanden wir das Meer weit hinaus mit den enormen Blättern
einer Laminaria so bedeckt, dals wir grofse Mtthe hatten uns durch-
zuarbeiten. Die unterseeischen Wälder, deren Kronen hier an die
Oberfläche reichen, decken steilenweise ganze Quadratroeilen (engl.).
Hier niufs ein Liebliugsaufenthalt der Stellerschen Seekuh (Rytina
gigas) gewesen sein!
Pereschejek (d. h. Isthmus) heifst eigentlich die niedrige und
schmale Landzunge, welche hier ein felsiges, von Tausenden von
Ohrenlunden (Lunda cirrhata) bewohntes Inselchen — oder, richtiger,
vormaliges luselchen, jetzt nur Halbinsel — mit der Hauptinsel ver-
bindet. Unter dem Wort Pereschejek versteht man aber gewöhnlich
nicht nur die Zunge, sondern auch die frühere Insel, sowie die öst-
lieh von derselben liegende Bucht mit der dortigen »Jurte*. Da-
gegen ist es ganz irrig, den niedrigen Obergang zwischen Ghidkov-
skiga und Polovino so zu bezeichnen. Wie man mir versicherte, war
das Inselchen früher ganz selbständig; es habe sich die Verbindung
erst allmählich gebildet und erhoben, so dafs jetzt nur bei Hoch-
wasser ein schmaler und untiefer Kanal einer leichten Kajdarke die
Durchfahrt gestattet. Wir mufsten also um den Vogelborg herum-
fahren, was mich aber nicht verdrofs, denn der Anblick der un-
zähligen Luuden (Lunda cirrhata), wie sie aus ihren selbstgegrabeuen
Höhlen neugierig auf uns hinabblickten, war im höchsten Grade an-
zidiend und fär den Ornithologen, natürlicherweise, doppelt interes-
sant Zwischen dem saftigen OrOn, das den Felsen oben bekleidete,
streckten sie ihre schwarzen Hälse hervor; das weifse Gesicht, die
strohgelben Ohrenbflschel, welche sich wie die Hömer eines Widders
nach hinten umbiegen, und der prächtig Scharlach und apfelgrün
gefärbte grofse Schnabel gaben den Vögeln eiu guuz besonderes
a«ogr. BtfttMr. Bramra 1885. 13
. ly .,^ . . y Google
— 242
Aossehen; die Tausende sidi hin und her bewegenden EOpfe sahen
irie wunderbare tropische Blumen aus. Der Felsen selbst ist hoch,
steil und toII Risse und Höhlen; an seinem Fnfs brachen sich die
Wellen mit donnerndem Getöse. Eine solche Szene prägt sich ia
das Gedächtnis für das Leben!
Wir konnten jetzt das Segel benutzen und steuerten, nachdem
die Pereschejek-Halbinsel, welche nördlich und südlich lieirt, umschiflFt
war, mehr in östlicher Richtung. Hinter der Halbinsel, das heifst
östlich von derselben, öifnen sich drei gröfsere Buchten nach Nord
und Nordost. Der ersten haben wir schon oben gedacht; die zweite
heilst Qoiodnsja Buchta; die dritte und gröDste ist die Lissonko^a
Buchta. An der inneren Ecke der letzteren liegt eine Jurte, und
als ich erfahren hatte, dads ein grdiseres Flflfsch^ dort einmfinde,
das aus zwei siemlich bedeutenden Seen kommt, beschlofs ich dort-
hin zu steuern und in der Jurte unser Nachtlager zu errichten.
An der nördlichen Einfahrt ragen liohe Felsen senkrecht empor,
eigentümlich gefurcht und zerrissen, so dafs sie eine riesige Kircheu-
orgel darstellen. Felsige Ritfe strecken sich weit hinaus, über denen
sich die wilden Wogen schäumend brechen. Das scharfe Auge
Badaeffs entdeckte einen am Strande liegenden weifsen Gegenstand
und er bat mich, mit meinem Binocle zu untersnehen, was es sei.
Ohne Unge su sögem erklärte ich es fflr einen gestrandeten Walfisch-
kadaTer. Die „Schlupka" wurde gewendet, das Segel herabge-
nommen, und unter dem Triumpbgeschrei „Kit! Kit!" (ein Walfisch!
ein Walfisch!) der Alönten, wurde eiligst ans Land gerudert.
Da lag ein fünfzig Fufs langes, schon weifs gebleichtes und
widrig stinkendes Monstrum, das ich als Balaenoptcra vdifcra be-
stimmte. Nichtsdestoweniger wurde meinen Aleuten der Mund
wässerig nach dem leckeren Bissen, und kaum hatte unser Boot den
Boden berührt, als sie ins Wasser sprangen und mit Äxten un<l Messeru
versehen ans Land wateten, über die Schwauzhune heräeieu und
grofse Stücke heraushieben, die sie gleich hinabzuwürgen anfingen,
indem sie erst in die Schnitte hineinbissen, und dann den Bissen
zwisdien den Z&hnen und den Fingern abschnitten. Ach, wie waren
meine lieben zivilisierten Aläuten in einem Augenblick verwandelt!
Sobald sie wieder sprechen konnten, trat Badaeff mit einem delikaten
Schnittchen auf mich zu, damit ich es prüfe. Es wollen mich die
Leser gefalligst entschuldigen, dafs ich mich der Tortur nicht unter-
warf, um ihnen sagen zu können, wie halbverfaulter Walspeck
schmeckt; der Geruch war mir mehr als genügend! Sie hielten
nun auf aleutisch einen sehr animierten Kriegsrat, während dessen
sie noch immer tüchtig hiueinbissen; das Resultat war, dals sie mich
Digitized by Google
— 248 —
aulforderten hier einen Tag zu bleiben, damit sie die Sehnen lieraiis-
schneiden könnten; sie möchten auch etwas von dem Specke für
sich und ihre Freunde zuhause zurechtmachen. Das konnte ich
denn eigentlich uicht verweigern, um so mehr als ich selbst den
Wunsch liegte, etwas länger zu verweilen, um das Tier genauer zu
untersuchen und detaillierte Messungen desselben vorzunehmen. Ab-
gesehen daTon werden die Sehnen helfen die Kosten der Expedition
8U bezahlen, und der Speck wird meine Leute bei guter Laune
halten. Die Sehnen werden hoch geschätzt als Zwirn für die Begen-
kleider (^Kaml^jki''), die sie aus SeehundsgedSrmen oder der Haut
des Schlundes der Robben yerfertigen, sowie auch für die aus rohen
Seehundsfellen genähten wasserdichten Stiefel oder Mokkasins
(„Tarbassi"), deren Sohlen aus der Haut des Seelöwen-„flippers"
(Eumetopias SteUeri) hergestellt werden. Wenn die Kleider oder
Stiefel nafs werden, schwellen auch die als Zwirn benutzten Wal-
sehnen, und machen sie auf diese Weise wasserdicht, indem die Naht-
löcher ausgefüllt werden. £s werdeu deshalb Sehnen importiert, da
es verhältnismäCsig selten vorkommt, dafs ein ganzer, grofser Wal-
fisch, wie dieser, ans Land getrieben wird. Man sagte mir nachher,
dais die ganze Ausbeute der jetzt gewonnenen Sehnen 80 bis
90 Bubel wert sei.
Wir fuhren nun ab, nachdem wir einen kleinen Vorrat von
Speck mitgenommen, und steuerten auf die Jurte zu, die an dem
südöstlichen Ende der Bucht gelegen ist. Ich inspizierte die Hütte
sogleich, fand sie aber in einem durchaus nicht einladenden Zustande.
Sie bestand einfach in einer in die Sanddüne gegrabene Höhle, deren
Wände und Dach inwendig mit Treibholz ausgekleidet waren. Da
sie überdem selir feucht war, zog ich mein Zelt vor, und liefs es
dicht am Strande hinter der ersten Sanddünenreihe errichten. Die
Alöuten aber wollten lieber in der Jurte schlafen, ein Arrangement,
womit ich, besonders unter den jetzigen walfischduftenden Yerhftli-
nissen, s^ zufirieden war. Das Boot wurde Ober die Sandbarre
gezogen und iu dem recht tiefen FlüfBchen, das hier ausmttndeti dicht
neben dem Zelte sicher und bequem geankert.
Plötzlich wurde ich von einem lustigen Geschrei der Leute
hinausgelockt, und sah zu meinem grenzenlosen Erstaunen den
Grigorij Startsoff sich so absonderlich benehmen, dafs ich anfangs
besorgte, er sei verrückt geworden. Denn unten in dem Flüfschen
sprang er ganz splitternackt umher und focht wütend mit einer
langen Stange. Das Wasser spritzte hoch auf und bald schlug er
mit dem Stecken den sonst so ruhig dahin flieüsenden Strom, bald
warf er jenen wie eine Lanze oder einen Wur&piels mit aller Macht
18*
i y Google
— 244 —
in den Sandboden des Baches hinein. Die anderen liefen am Ufer
schreiend auf und ab in einer unbeschreiblichen Aufregung. Der
ganze Auftritt dauerte kaum so lauge Zeit, als es erfordert hat, diese
Stelle niederzuschreiben, und bevor ich noch fragen konnte, was dies
alles bedeute, hob Grigory mit einem Triumpbgeschrei eium
prächtigen, BÜberglftozeDden, an dem Endhaken des Stabes zappeln-
den Lachs aus dem Wasser empor. Es war ein fttn&ehnpfündiger
j^iaUseh" (OneorkifndMS kisuüeh), die beste Ladisart der Insel
und, nach der »Tscbewitscha*^, die beste des ganzen nördlichen
pazifischen Oceans. Startsoff nharpnnierte' noch zwei andere,
nnd somit genossen wir eine köstliche Mahlzeit, die sich meine
Gefahrteu mit Walspeck noch delikater machten. Meine einzige
Bedingung war: kein Speck in den Topf!
Die Mücken waren besonders lästig, und ich konnte sie nur
dadurch in Respekt halten, dafs ich in der inneren Ecke des Zeltes
ein kleines Feuer anmachte, auf dem ich dann Insektenpulyer statt
Weihrauch verbrannte.
Am folgenden Morgen zogen wir nach dem Walfisch wieder
hinaus, und der Tag verging mit Messungen, Einsammlung von
allerlei niederen Seetierchen, Abbalgen einiger Schneehühner,
Niederschreiben von Notizen über dieselben, Journal führen u. a.
Der Wind nahm mittlerweile zu, und da die Bucht gegen
Südwest, von wo der Wind gerade kam, ganz offen und ungeschützt
liegt, wuchs die See bald derart, dafs wir bei der donnernden
Brandung darauf verzichten mufsten, am folgenden Tage unser Buot
flott zu niachen. Am nächsten Morgen war der Wind allerding^^ viel
leichter, so dafs wir hoffen durften, etwas spater am Tage abzufahren.
Unsere Hoffnung wurde aber vereitelt, und so mufsten wir auch noch
den 24. August in Lissonkoviya mit Warten verbringen.
Lissonkovaja Buchta ist ebensowenig wie die zwei Buchten von
Pereschejek und Golodnaja auf den publizierten Karten der Berings-
Insel zu finden, obwohl sie die bedeutendste Einbuchtung der ganzen
Insel ist. Auf der Karte von Tebinkofßs Atlas ist ein gröfserer
Insce etwas nördlicher angemerkt, der durch ein kleines Flüfschen
an einer hervorspringenden Küstenpartie ins Meer fällt. Dieser See
ist aber in der That der, welcher in dem Thal hinter der von
mehreren Reihen von Sanddünen bcgranzten Lissonkovaja Buchta
verborgen liegt. Dieses Thal, welches die Fortsetzung der Bucht
bildet, ist an allen Seiten von steilen aber gerundeten, ungefnlir
1200 bis 1500 Fufs hohen Bergen eingerahmt, und steht durch Passe
von 800 bis 900 Fufs Höhe mit den Thalern von Tolstoj Mys und Ko-
mandor, — letzteres das Winterquartier der schiffbrüchigen Beringschen
Digitized by Google
— 246 —
Expedition, — in Verbindung. Das Tlial selbst ist ziemlich weit und
niedrig, und drei Seen, von welchen der eine von nicht unbeträcht-
licher Grölae, nehmen einen Teil des Thalbodens ein und münden
durch das erwähnte Flüfschen aus. Der Aufenthalt in LissonkoTaja
setzte mich in Stand, eine von Steller geschilderte und benannte
LokaUtftt zu bestimmen, denn das heutige Lissonkoviga Ist entschieden
sein „JnsdiiniPad'', so genannt nach dem Steuermann derBeringschen
Expedition. Steller sagt nämlich (N. Nord. Beitr. II, pag. 266):
»Die sOdliche [d. h. westliche] Seite der Insel ist in Hinsicht der
Seeküsto ganz anders als die nördliche [d. h. östlichej beschatfen;
und obgleich das Ufer viel steiniger und zerbrochener ist, so befinden
sich doch auf selbiger zwei Plätze, wo man ohne alle Gefahr unter
das Land gehen und mit kleinen oder flachen Fahrzeugen, z. B.
Scherrböten, in die Müaduog der Flüsse, oder vielmehr Inseen, die
sich durch einen kurzen Kanal in die See ergiefsen, einlaufen, und
als in einem Hafen stehen kann. Der erste Platz ist 7 holländische
Meilen von der sOdi^stlichen Landspitze [Kap Manati] in einer grofsen
Einbacht befindlich, die in der See von weitem sehr eigen dnrch
die an der westlichen Ecke befindlichen Steinpfeiler bemerkt werden
kann; und eben diese Stelle ist von nns Jusekvni Tod (Jnschins
Thal) genannt worden, nach dem ersten Finder derselben, Steuermann
Juschin." Jetzt ist die Mündung des Flusses versandet, und die
Bucht selbst zu off'en, um Schutz für Fahrzeuge zu gewähren. Zu
einem Hafen taugt sie noch viel weniger als der „Gavan*'.
Das Wetter war bis jetzt sehr nebelig gewesen; erst am
Abend des 24. klärte es sich ein wenig, so dafs ich die Spitzen der
Berge zu sehen bekam. Der Augenblick wurde zu einer Skizze von
Jusdiins Thal benutzt
Am 25. Angttst endlich dorften wir uns hinauswagen. Es
gelang uns auch nach vieler MOhe das Boot durch die am Strande
noch gewaltig brechenden Wogen sicher hinausznschieben: ein
Mann stand im Wasser auf jeder Seite und sie hielten das Boot
gerade gegen die ankommende Welle, wahrend die anderen mit den
Ruderstangen fertig safsen. Sowie die Welle das Boot flott machte,
sprangen die zwei gleichzeitig hinein, und die Ruderer, ohne einen
Augenblick zu verlieren, holten kräftig aus, so dafs wir schon durch
den Kamm der zweiten Welle schnitten, als die erste auf dem Sande
mit gewaltigem Lärm sich brach.
Um halb zehn landeten wir in Bcbrawqja (die Seeotterbucht)
unter noch schwierigeren Umstinden, denn diese «Buchta** ist nur
eme schwache Einbuchtung der Kflste. Die Bucht und das Thal,
welches hier ausmflndet, sind kleiner, haben aber übrigens denselben
Digitized by Google
— 246 —
Charakter irie Lissonkoviga. Hinten im Thale liegt ein kleiner See,
▼on welchem der ziemlich tiefe, aber an der Mttndung, wie alle
hiesigen FIttllschen, g&nzlich versandete Bach in die nördliche Ecke
der Bucht ausflielst Am südlichen Eingänge nehmen die Felsen
bastionenahnliehe Formen an, mit verschiedenen isolierten Pfeilern
und Thürmen, deren gröfster einen „Pereschejek*' im verkleinerten
Mafsstabe darstellt. Wegen der vielen dort brütenden „Toporki"
(Lunda cu rhata) wird der Ort Toporkoff Stolp genannt. Auch un-
zählige dreizehige Möwen (Rissa pollicaris) brüten dort auf den
I elsenterrassen und an der ÖÖnung der ziemlich grolsen Höhle, die
das Meer hier gebildet hat
Es lag mir aber viel daran, hier zu landen, weil ich Nachrichten
eingezogen hatte, die mich vermuten liefsen, dafs ich hier Seekuh-
knochen finden wQrde, so dafe ich das Landen zu wagen beschlolä,
obwohl es nicht ganz gefahrlos war, denn die Wogen brachen mit
Gewalt an dem ziemlich schroffen Straniie, welcher hier nicht ans
Sand, sondern ans groben abgerundeten Steinen bestand; auch lagen
einige nicht freundlich ausschauende, halb und ganz verborgene
Klippen umher, die nur sichtbar wurden, wenn eine recht grofse
Welle Ober dieselben hineinbrach. Ein Landgang wurde nun auf
die Weise bewerkstelligt, dafs wir erstens unsere Anker aufserhalb
der Brandung fallen liefsen. Einer der Leute in seinen wasserdichten
Kleidern von Seehundsschlünden stand im Ilintersteven, der jetzt
dem Lande zugekehrt wurde, mit dem aufgerollten Landtaue bereit,
wahrend die anderen an den Ruderstangen blieben, um das Boot
perpendikulär auf die Wellenlinie zu halten; Badaelf hielt die
Ankertaue. Nun kam eine grofse Welle antrebraust und hob uns
hoch auf ihren schwellenden Busen; Badaeff fierte, so dafs wir mit
gegen das L^fer schwammen; nun spram; Maltsoff, der Bur<fhp mit
dem Landtaue, ins Wasser und raunte, halbwegs von der \Velle
geschleudert, den steil abfallenden Strand hinauf, erreichte das
Trockene, während er die Taue abrollen liefs; sobald er ins Wasser
sprang, holte Badaeff die Ankertaue ein und die anderen ruderten
ans Leibeskräften; so kam er aufs Trockene und wir in tiefes
Wasser, ehe die Woge brach und sich zurückzog. Jetzt wurde
abwechselnd an den zwei Tauen gefiert und geholet; auf diese Weise
kamen fünf von uns ans Land.
Das Resultat war aber keineswegs im Verhältnis zu den
Beschwerden, denn eine gebrochene Seekuhrippe war alles, was ich
erbeutete, uud obendrein bekam ich meine Seehundmokkasins voll
Wasser, als ich die lüppe aus dem FlUfscheu herausfischte.
Digiii^eu by Cookie
— 247 —
Beim Einschiffen wurde dasselbe Verfahren in umgekehrter
Reihenfolge angewendet, nur war es viel schwieriger, sich in die
ziemlich hohe „Schlupka" hineinzuschwiugen, als aus derselben ins
Wasser hinauszuspringen.
Nach anderthalbstündigem Rudern einer hohen und steilen
KQste entlang, wahrend welcher wir die auf amerikanischen Karten
«»Pinnade* genannte^ a&alenförmige und einsamstehende Klippe, die
als Landmarke dient, passierten, landeten wir in die kleine j,8eh^iisma*
genannte Einbuchtung. Trotzdem sie noch offener aussieht als
Bobrowaja, war die See bedeutend ruhiger, was wohl den zwei
halbverborgenen Felsenriffen, die an beiden Seiten die innere Bucht
begrenzen, zuzuschreiben ist. Der Platz selbst ist sehr kenntlich
an einem hölzernen Kreuze, das die alte rufsisch - amerikanische
Kompagnie vor mehr als zwanzig Jahren auf der Kante der ungefähr
30 Fufs hohen Küsteueskarpe errichten liels. Scbipitsina ist kein
eigentliches Thal, nur eine tiefe, von einem kleinen Bache durch-
rauschte Schlucht schwingt sich links zwischen die hohen Berge
hinein.
Es war noch ziemlidi frtth; weil es aber unmöglich war, noch
heute die Südostspitze zn umschiffen und den nftchsten Ladduuf^splatz
auf der anderen Seite zu erreichen, beschlossen wir, in Schipitslna
zu übernachten. Die Abendstunden wollte ich zum Botanisieren
benutzen, wahrend die jüngeren Schützen die „Nerpenjagd" versuchen
wollten. Da Schipitsina keine Jurte hat — es gehört zum Distrikt
der Fuchsjager in Bobrowrija — mufste das Zelt für alle acht gebaut
werden. Als das stattliche aus Bootmast und Kuderstangen errichtete
und mit den Segeln bedeckte Bauwerk fertig war, machte ich bei
mir selbst die philologische Bemericung, dals die Ähnlichkeit zwischen
der rufsischen „FdUxtka*' (Zelt) und dem lateinischen Fidatnm (Palast)
irielleicht doch nicht ganz zufällig sei, obwohl letzteres Wort dem
Palatinerhügel Boms entstammt. So yiel ist aber gewi£E», dafs die
Bemerkung mir damals viel tiefsinniger erschien wie heute. Ich
dachte ferner an Attila, dessen Palast auch nur ein Zelt gewesen,
und sann nach, ob seine Hunnen ebenso wohlriechend gewesen,
wie jetzt meine Aleuten, umsomehr als ich mich nicht erinnern
konnte, gelesen zu haben, dafs die Hutinen in Fäulnis übergegangenen
Walfischspeck zu essen brauchten. So viel wufste ich aber nun,
daCs, wenn Attila in seinem Palaste sechs solche Kerle je geherbergt»
er ein grOfserer Held gewesen ist» als ich geglaubt habe. Mir war
es Jedoch jetzt eine Kleinigkeit, nachdem ich die faulende Bestie
gemessen, beschrieben und abkonterfeit hatte, und besonders nach
der heutigen Fahrt, denn die Leute hatten die Hftlfte von meinem
Digitized by Google
— 248 —
Salze bekommen, und salzten den Speck im Boden des Bootes ein!
Wie hatte ich so hartherzig sein können, es ihnen za ▼erwetgera,
eine solche nngevdhnliche Delikatesse fOr Familie und Freunde mit
nach Hanse zu bringen! Wufste ich ja doch, dafs mich das ganze
Dorf bei unserer Rttckkehr segnen wttrde. Aber nie in meinem
Leben ist mir eine Wohltliat so schwer geworden.
Das Sammeln war niiht iinergiebii^. Von Vögeln bemerkte ich
zwar nur Schneehühner (Lagopus ridgivaiji), den Sporner (Calcarius
lapponicus) und eine Pieplorche (Anthm (justavi); von Pflanzen
sammelte ich aber einige Arten, die ich noch nicht hatt«, z. B.
die üppige und starkriecbende Spiraea kamischaticaf die Picris
hieracioides var. japotnca^ die eine Höhe von drei bis vier Fufs
erreicht, sowie eine Form von Saxifraga punctata, die Asa Gray als
nahe seiner Varietät nana bezeichnet
Die Jäger kamen mit einer jungen »Nerpa* (Fhoea vümima)
zurQck, ein willkommener Zuwachs.
Am nilchsten Morgen war Badaeff so glücklich, zwei junge
^weifso" Polarfüchse zu erlegen. Wie bekannt ist Vtdpes lagop^is
diclu oniatisch, d. h. es giebt von dieser Art zwei bestilndi^^e Farben-
varietftten oder ^Pliasen". die eine .bbaulich" und nicht weil's im
Winter, die andere mehr fahlfarbig, welche letztere im Winter ganz
weifs wird. Was dieser „Dichromatismus'' eigentlich sei, wissen wir
noch nicht genau. Es ist oft angenommen, dafs die weifse Varietät
eine nördlichere sei, und dafs der Steinfuchs nur dort einen weiOsen
Winterpelz anlegt, wo die Härte des Winters und die Schneemenge
es erfordert. Es mufe aber bemerkt werden, dafs auch die Sonmier-
kleider verschieden sind, und ebenfalls auch die Farbe der Jungen.
Zweitens sind nicht die Füchse, die in einem intermediären Klima
leben aueh intermediär in Farbe, sondern die weifsen unter einer
südlichen Breite sind eben so rein weifs, wie die in den eisig.sten
Gegenden geborenen. Endlicli widersprechen die Erfahrungen, die wir
gerade auf diesen Inseln machten, einer solchen Theorie entschieden.
Auf der Kupferinsel nämlich sind die Füchse alle „blau", kein weifser
wird gefunden, während diese letztere Varietät auf der Berings-Insel
vorkommt) obwohl jetzt nur in unbedeutender Menge. Früher war
sie zwar häufiger, wie wir aus den Nachrichten der ersten Erforscher
ersehen, aber nicht in dem Grade, wie man bisweilen angegeben
findet. Über die Füchse schreibt Steller wie folgt: „Ich kann wohl
während meines Aufenthalts auf der Insel auf mich allein über 20i)
gemordete Tiere rechnen. Den dritten Tag nach meiner Ankunft
erschlug ich binnen 3 Stunden über 70 Stück mit einem Beil, aus
deren Fellen das Dach über unserer üütte verfertigt ward ....
. . y Google
— 249 —
Obgleich wir ihre schöuen Felle, deren es hier woM Uber ein DriUeil
van der blMiehen Art gi^i^ Dicht achteten, auch nicht einmal
abzogen, lagen wir doch beständig gegen sie als nnsere geschworenen
Feinde zu Felde.'' Es ist aber wohl eine Frage, ob hier nicht ein
Schreib- oder Dmckfehler vorliegt, denn an einer anderen Stelle
sagt er: „Die blänlichen Füchse, welche wir in unbesclireiblicher
Menge auf dieser Insel fanden." Auch finde ich nicht, dafs er
irgendwo von der „weifsen^ Abart spricht. Ein weiterer Beweis
für die Richtigkeit dieser Annahme findet sich in Müllers Samml.
Rusf. Gesch. III, ])ag. 245 (gedruckt 1758), ^vo an^e,L^eben wird, dafs
die Schiflfbrüchigen der Berings-Expedition keine anderen Landtiere
als die obenerwähnten Stemfüchse, und mehr blaue al$ weisse^ bemerkt
haben. Sie waren aber nicht so zart von Haaren als die sibi-
rischen . . . Ferner, im Winter 1745—46 worden 2000 blaue
auf der Insel gefangen, in 1747—48 3000; nichts wird gesagt von
weifsen; 1751—54 wurden 6844 blaue und 200 weifse getdtet Eine
Partie Jager von 9 Mann erbeutete in 1756—57 700 blaue; eine
andere Partie brachte in 1757 nach Kamtschatka 1222 Füchse
zurück, Farbe nicht angegeben. Diese Zahlen deuten kaum darauf
hin, dafs sich die blauen Füchse in der Minderzahl befanden.
Spatere Nachrichten geben an, dafs in 1783 — 84 die Füchse auf der
Berings-Insel meistens weifs waren; wie es sich damit verhalt, kann
ich nicht sagen, soviel steht aber fest, dafs das Verhältnis in diesem
Jahrhundert ein ganz anderes ist. Zwar war die weilse Rasse
ziemlieh hiufig, aber schliei^ilich ist sie beinahe ausgerottet worden,
seitdem die Kompagnie anfing, die weilsen gut zu bezahlen und
zugleich befahl, dafo sie zu allen Jahreszeiten getötet werden sollten.
Jetet sehen die Eingeborenen selbst ein, wie notwendig es ist, die
weilsen auszurotten, damit sie das WTrtvoUere Pelzwerk der blauen
durch Mischung nicht verschlechtern, und sie töten nun die weifsen,
wo und wann sie ihrer habhaft werden können. Die folgende Tabelle
zeiirt deutlich, wie irrig die Angabe Nordenskjöids, die Steinfüchse
seien jetzt selten und meistens weifs, war.
Anzahl der auf der Berings-Insel getöteten und exportierten Fttchse.
Saison.
Blave FAelise.
1871—72
836
4
1872—73
580
28
1873-74
514
24
1874—75
0
0
1875—76
1087
50
Digitized by Google
— 250 —
1876—77
573
19
1877—78
0
0
1878—79
789
0
1879—80
0
0
1880-81
0
0
1881-82
1447
20
1882—83
872
13
Der durchschnittliche Wert des Fanges hetr> für die Ein-
geborenen jährlich (die Jahre mitgerechnet, in welchen kein Fang
betrieben wird) uujzefahr 1600 Silberrubel, was bei einer Bevölkerung
von flwas über 300 Seelen beinahe 18 Rubel für jeden Mann im
Alter von über 18 Jahren ausmacht. Hieraus geht deutlich hervor,
Vüu welcher Bedeutung der Fuchsfang für die Einwohner ist, zumal
er in eine Jahreszeit fällt, welche sehr p^ünstig für das Einsammeln
von Treibholz ist, und wo sie sonst nichts weiter zu thun haben.
£3 ist also kein Wander, dafs die Jagd eifersüchtig überwacht wird,
und da sie nach einem zvl gleicher Zeit rationellen und kommanisti-
schen System betrieben wird, mag eine Schilderung, wie sie geordnet
ist, nicht ohne Interesse sein.
Die blauen Steiufüclise (Feszi) werden nur zwischen dem
10, November und 31. Dezember alten Styls gefangen, und zwar
nur mit gewissen Arten von gesetzlich zulässigen Fallen; geschossen
werden sie nicht, um sie nicht scheu zu machen. Es sind die Füchse
deshalb sehr zahm, und ich könnte viele kuriose Geschichten davon
erz&hlen, wenn sie freilich auch nicht mehr so zutraulich und unver-
schämt sind, wie zu Stellers Zeiten. Weil die Füchse sich besonders
in der Nahe der Kflste aufhalten, darf man auch nicht nach dem
1. September (a. 8.) mit Hundeschlitten längs der KOate fahren.
Auch darf daselbst wahrend derselben Zeit kein Sehuls abgefeuert
werden.
Der Fang wird aber nicht jedes Jahr betrieben, weil die Er-
fahrung lehrte, dafs der Zuwachs verhältnismftfsig gröfser wird, weuu
die Tiere ein oder zwei Jahre geschont werden. Je nach den Um-
ständen wird die Jagd also für ein oder zwei Jahre eingestellt, wie
aus der oben gegebenen Tabelle ersichtlich.
Die Insel ist in 19 Fuchsfangdistrikte eingetheilt, die von etwas
verschiedener GrO£se sind, je nach der Anzahl und GrdOse der Hütten
(Jurten oder Odinotschken), die sich in jedem befinden. So sind die
Distrikte Gavan (das Hauptdorfj, Fedoskija, Severnoje, Saranna und
Digitized by Google
— 261 —
Stanga Gavan, in deren jedem ein Isleines Dorf gelegen (alle aber mit
Ausnahme von Gamm nur in einem Teil des Jahres regelm&fsig
bewohnt), die gröfsten. In allen übrigen findet sich nur eine Hütte
(mit Ausnahme von Ladiginsk, ?on welchem weiter anten die Bede),
welche nur wfthrend des Fuchsfanges und für Reisen, die man wegen
der Seehnndsjagd oder der Treibholzsuche unternimmt, benutzt werden.
Je nach der Ergiebigkeit des Distriktes und der Gröfse der Hütte
werden die Männer über 18 Jahre (1883 ungefähr 90) verteilt, wo-
möglich so, dafs alle gleiche Chancen haben. Uni die letzteren noch
weiter gleichförmig zu verteilen, wird das Loos gezogen und eine regel-
mäfsige Reihenfolge eingerichtet, so dafs, wenn die Runde um ist,
ein jeder im Laufe der Zeit in allen Distrikten gejagt hat. Dabei
ist jedoch zu bemerken, dafs die bequemsten Platze für die alten
Leute reserviert werden, auch wird natürlicherweise dafür Sorge ge-
tragen, dafs an einem Orte nicht lauter junge und unerfahrene
Burschen zusammenkommen. Nachdem die Distrikte verteilt sind,
Terständigen sich die Jager jedes Distriktes darüber, ob sie in Ge*
melnschaft oder jeder fttr sich die Jagd betreiben wollen. Im ersteren
Falle teilen sie die Ausbeute, Ddls Ladi^nnsk eine Ausnahme bildet,
hängt folgendermaff^en zusammen: den patriarchalisch -kommunisti-
schen Prinzipien der Verwaltung der Insel nach, ist der Boden Gesamt-
eigentum der Einwohner, und keiner ist berechtigt einen Teil
desselben als privates Eigentum oder für einen ausachlielslichen
Gebrauch zu usurpieren. Dessen ungeachtet ist es ein paar Männern,
die arbeitsamer, umsichtiger oder habgieriger wie die übrigen, ge-
lungen, an dem FlüCschen Ladiginski^a eine Art Gehüfte tou
Erdhütten zu etablieren. Sie betreiben hier den Lachsfang in dem
Flüfschen allein, lesen alles Treibholz der Gegend fSr sich auf,
liegen auch von dort dem Fnchsfang ob, kurz benehmen sich als die
Eigentümer des Distriktes, der in jeder Beziehung einer der er-
giebigsten ist. Eine dieser Familien ist besonders unternehmend,
sie ist deshalb vielleicht die eindufsreichste der Insel, die übrigen
Bewohner aber sehen diese Übergriffe mit nicht ganz freundlichen
Blicken an, und ich hörte im stillen viel miXsgünstige Äulserungen.
Nun zurück zu unsere Reise I
Wir verlieüsen Schipitsina um 8 Uhr und mit vollen Segeln
steuerten wir nun der Südspitze der Insel zu, einer immer steiler
und zerrissener werdenden Rüste entlang, deren senkrechte Abstürze
hier auf wenigstens 000 Fufs geschfttzt werden müssen. Stotschnoj
Mys, wie die Eingeborenen das „Kap Manati** der Karten nennen,
ist ein langes messerscharfes Vorgebirge von prachtvoll zerrissenen
Formen. Dort biegt die Küste plötzlich gegen Norden, in welcher
Digitized by Google
— 252 —
Richtung sie dann bis Pere<:ro])noj Mys läuft. Diese Strecke ist
besonders unzugänjilich, sowohl von der Landseite wie von der See,
denn das Meer drangt hier bis an das Gerippe der Berge, und die
Thäler sind kurz und steil, während es keine Buchten von Bedeutung
giebt und zahlreich Kepropuski die Passage am Strande versperreiL
Es giebt deshalb nnr wenige Landungsplätze, und die Eingeborenen
besuchen die Küste hier nur Anüserst selten, mit der Ausnahme von
Peregrobnaja Buchta, wo eine Odinotschka ist
Als wir das Vorgebirge, das sich mit einem langen getthrlichen
Riflf weit in die See hinausstreckt, um halb zehn Uhr umsegeln wollten,
fanden wir, dafs der Wind auf der anderen Seite uns entgegen war.
Es war ein wenig Seegang, der jedoch nicht der Rede wert war,
nichtsdestoweniger wurden meine Gefflhrten kleinlaut und wollten
umkehren. Ich versuchte zu kreuzen, aber die „Schlupka" zeicrte
sich hierzu ganz unfähig. Unter diesen Versuchen kamen wir doch
endlich soweit hinaus in See, dafs wir die (totliche Küste zu Gesicht
bekamen, und als ich den Leuten zu verstehen gab, dafs ich nichts
von umkehren wissen wollte und obendrein nach glflcklicher Ankunft
in Gavaruschetschia — oder Gavaruschkaja, wie sie es ausspradien —
einen Schnaps versprach, wurde zu den Ruderstangen gegriffen und
ohne weitere Abenteuer langten wir am besagten Orte an. Hier,
auf einigen grofsen aus dem Meer ragenden Steinen, lag eine kleine
Schar Seehunde, Fhoca vUulina, auf die wir eine erfolglose Kanonade
eröftneteu.
Gavaruschetschia Buchta verdient den Namen Buchta kaum,
denn die Einbuchtung der Küste ist sehr schwach. Ein Bach mündet
hier ans, und eine Art von Thal oder vielmehr das oben kesseiförmige
Ende eines vormaligen Thaies steigt steil an den Geburgsseiten hinauf.
Der Strand ist etwas breiter als gewöhnlich auf dieser Seite, aber
grofs ist der Raum zwischen den Gebfrgswftnden und dem Meer
nicht. Es war ziemlich schwierig, einen passenden Platz für unser
Lager zu finden; der Abend war kühl und der Wind äufserst un-
angenehm, so dafs wir eine möglichst geschützte Ecke aufsuchen
mufsten; hier waren wir aber in Gefahr, von den herabfaUeuden
Steinen der steilen Felsenwand getroffen zu werden.
Die erschreckten „Nerpen", die eine Gesellschaft, wie die unsere,
wohl niemals gesehen hatten, schwammen jetzt vorsichtig an der
Küste auf und ab, und so oft eine derselben den Kopf spfthend über
dem Wasser erhob, geriet unsere ganze Gesellschaft in Aufregung,
fertig zum aufspringen, wenn sie wieder hinuntertauchte. Die
Methode meiner Gefährten war mir sehr interessant, so da(s ich sie
hier beschreiben will.
Digitized by Google
— 253 —
Gerade da, wo wir uns gelagert hatten, ist der Strand ziem-
lich breit, vielleicht 6üO m; er besteht aus Rollsteinen, die von
der Wasserlinie landwärts an Gröfse zunahmen, die kleinen so
grols wie Thalerstücke, die gröfsten nicht kleiner wie ein Kindes-
kopf« Der Abfall des Strandes ist ziemlich l)e(leuteDd, er bildet
aber nicht eine einzige Böschung, sondern besteht aus drei durch
ungefiibr gleich breite Terrassen scharf getrennten Abhängen. Sobald
die Seehunde nun wieder untertauchten, grilfen die nächst Sitzenden
2a ihren Flinten — alte Soldaten -Mundlader, nur eines war ein
Berdangewehr — und Hefen nun tief gebadet so schnell wie möglich
der Meeresliuie zu, indem jeder ohne anzuhalten gleich im Autaug
des Laufes einen grofsen Stein mit der linken Hand aufhob und
mitnahm. Am Ziel angelaugt, legte er sich platt auf den Bauch
nieder, brachte den mitgenommenen Stein unter seine Flinte als
Anlage an, und erwartete nun das Wiederauftauchen des Seehunds-
kopfes. Geschah dies aber noch bevor er seine Station erreichte,
80 hielt er im laufen plötzlich inne, geduldig wartend, bis das Tier
wieder yerschwand und er sein laufen fortsetzen konnte. Diesmal
kam Maltsoff mit seiner Berdanflinte zuerst zum Schiefsen: die Nerpa,
mitten durch den Schädel getroffen, legte sich sogleich auf die Seite
und färbte das Meer ringsum mit ihrem Blute rot. Nun gilt es
ihrer sogltielj habhaft zu werden, denn binnen wenigen Minuten
wird sie vor den Augen des glücklichen Schützen sinken, wenn er
nicht vorher hinaus kommen kann. Die Schlupka ist hoch auf den
Strand gezogen, ist daher nicht zu benutzen. Aber schnell wie ein
Schauspieler, der sein Kostüm für die Verwandlung schon voraus
arrangiert hat, wirft Maltsoff seine Kleider ab, giebt sie den heran-
eilenden Kameraden, und ehe ich kaum begriff was vorging, hatte
er sich ins Wasser gestürzt und schwamm nun tief im Wasser, nach
Art der Hunde, der Nerpa zu. Jetzt hat er die beiden Vorderpfoten
ergriffen, aber wie ans Land mit der Beute gelangen? Maltsoff
weifs Rat: er fafst die Bartborsten des Seehundes zwischen seine
Zahne und bugsiert das Tier so mit grofser Anstrengung ans Ufer,
wo er von uns mit lauten Beifalls- und Freudenausrufen begrüfst
wurde, als er über und über rot von dem Blute seines Opfers aus
Land stieg.
Während wir unsere Mahlzeit einnahmen, sah ich ein schwarzes
Pünktchen weit hinaus in See sich schnell vorwärts bewegen. Ich
frag sogleich den Badaeff: Nerpa? Er starrte das Pünktchen einen
Augenblick an und rief dann in groCser Aufregung: «Bohr", BobrI''
Die ganze Gesellschaft ward elektrisiert, denn es war in der That
ein »Seebiber" (Laiax Mris)^ das kostbarste Pelztier, welches es
Digitized by
— 264 —
überhaupt giebt Die Leute begannen jetzt sehr eifrig za pfirafea
iind zu gestikulieren, um das neugierige Tier naher anzulocken, zur
Zeit war es zu weit entfernt, als dafs man einen Schufs hatte wagen
können. Der Seebiber, oder die Seeotter, wie er wohl auch jrenannt
wird, änderte seinen Kurs nicht, sondern schwamm, auf dem Kücken
lici^^end, weiter, richtete sich aber dann und wann in die Höhe, um
nachzuschauen, was der Lärm bedeuten mochte, und entschwand
endlich unseren Augen hinter dem Nepropuak. Eine Kugel, die ihm
nachgesandt wurde, blieb natürlicherweise erfolglos. Als Stelier mit
seinen Unglflcksgefährten auf der Insel tiberwinterte, waren die
Seebiber so b&nfig, dafs er schreiben konnte: «Obrigens verdiente
dieses Tier die gröfste Hochachtung von uns allen, da es uns über
sechs Monate fast allein zu unserer Nahrung und zugleich als Arznei
gegcu die skorbii tischen Krankheiten gedient hat". Sie kehrten mit
über 700 Fellen „als Wahrzeichen" nacli Kamtschatka zurück.
Während der nadiher folj^enden Zeit wurden sehr viele Seebiber
getötet; so in 1745 1600 Stück, in 1748 ungefähr 1850: Tolstychs
Expedition bekam im Winter 1749—50 nur 47, während Jugoff,
welcher auch die Kupfer -Insel besuchte, in 1754 mit 790 zurück-
kehrte. 1754—55 wurden auf der Berings- Insel von Dru^iniBS
Leuten nur fünf Biber getOdtet In dem Beridit von Tolstycfas
zweiter Expedition, «ekbe den Winter 1756—57 dort zubrachte,
heilst es ausdrOcklich, dafo nsich in diesem Jahr keine Biber ein-
fanden." Zwar hatten sie die Insel wohl kaum ganz yerlassen, oder
sie kamen von der Kui)ter-lusel hinüber, aber häufig wurden sie auf
der Berings-Insel nie wieder. So heifst es zum Beispiel von Trapez-
niküffs Expedition 1762 — 63, dafs sie „nur zwanzig Seebiber schlugen,
welche itzt wegen der häufigen Beunruhigung diese Insel verlassen
hatten oder doch )»ehr sparsam geworden waren.'' Jetzt aber ist
der Seebiber auf der Berings-Insel gänzlich ausgerottet ; weil er aber
an der benachbarten Kupfer -Insel noch ziemlich häufig sich fort-
pflanzt, zeigt sich ein einzelnes Tier bisweilen an unserer Insel, und
im Winter treibt auch wohl dann und wann eine getötete Seeotter
hinüber und wird Yom Meere ausgeworfen. Das ist aber alles, was
noch an diesen einst so herrlichen Tierreichtum erinnert.
Den nächsten Morgen, den 27. August, besuchte ich noch vor
unserer Abreise die Kolonie der hier zahlreich brütenden Seevögel.
Die steilen Felsenwände waren von oben bis unten bevölkert, oben
die „Ipatki" und „Toporki" (Fratercula comicukUa und Lunda cir-
rhata), dann die „Arren" {Uria lamvia arra) und schliefslich, am
niedrigsten, die rotfülaigen „Stummelmöven'' (Rissa brevirottrit)^
von den Russen nGavaruschki*, das heilst die MGeschw&tzigen", ge-
Digitized by Google
nannt, von welchen die ganze Bucht den Namen bekommen hat.
Die letzteren, welche ihre für einen Seevogel sehr wohlgebauten
Nester an die schroffen Wände geklebt hatten, flogen jetzt ab und
zu, um die im Neste sitzenden Jungen zu füttern. Die bl&ulich und
weiüs gefärbten Vögel mit den roten FUlsen und dem für eine Möve
kurzen Schnabel sahen Tauben nicht unähnlich, und die Szene auf
dem Markusplatz Venedigs tancbte nnvillkttrlich in meiner Erinne-
rung aut Ich schofs einige, um aie za präparieren, und als ich
eine aoflas, kam ganz unbemerkt und ruhig ein junger Blaufuchs
um die Ecke. Als ich ganz still blieb, ging er gerade auf mich zn,
roch an meinen Beinkleidern, genau als wäre er ein Hund, der sein
Leben zwischen Menschen verbracht hätte, und wollte mir dann die
Möve, die ich in der Hand hielt, entreifsen, bis ich ihm einen Schlag
mit dem Vogel beibrachte. Er wich einen Schritt zurück, sah mich
höchst verwundert von oben bis unten an, kehrte mir dann den
Bücken und entfernte sich sehr langsam, blieb aber dann und wann
stehen, um einen halb vexierten, halb mystifizierten Blick auf mich
zu werfen. Die Sache schien ihm ganz unbegreiflich zu sein I Diese
und andere Geschichten, die ich erlebte, beweisen deutlich, dafs die
SteinfQchse der Berings-Insel noch ziemlich dreist sind, obwohl sie
natfirücherweise seit SteUers Tagen einige Fortschritte in „Menschen-
fui'cht" gemacht haben.
Wir waren schon um 5 Uhr auf, kamen aber vor halb sieben
nicht zur Abfahrt, weil die Vorbereitungen zur Abreise, das Her-
unternehmen der „Palatka", das an Bord bringen der Bagage u. a.
viel Zeit in Anspruch nahm. Übrigens wurde noch eine „Nerpa"
geschossen, die erst abgehäutet und gereinigt werden mufste. Das
Wetter war gut, ein frischer Südwind blies uns in die Segel hinein,
und der Himmel schien sich aufzuklaren. Das Barometer war seit
dem Abend vorher um einen Millimeter gefallen; die Temperatur
war + 13^ C. Bäsch legten wir nun die Stredce bis Tolstoj Mys
zurück. Die Kflste hier verläuft ziemlich geradlinig, die tiefen Ein-
buchtungen und vorspringenden Vorgebirge, welche die Tebinkoffsche
Karte zeigt, bestehen nur in der Kiubildung des Zeichners. Hie
und da mündet ein Wiidbach aus und der Strand macht eine schwache
Kurve einwärts; so einen Platz nennen die Eingeborenen dann eine
„Buchta", für die sie denn auch spezielle Namen haben; wir pas-
sierten daher Hanna-eta (Aleutisch, bedeutet „Bucht mit Insee") und
Majotnik. Die letzte ^Buchta" vor Tolstoj ist Peregrobnaja ; diese
ist schmaler und tiefer eingeschnitten; hier ist auch, wie schon
bemerkt, eine Odinotschka fOr den Fuchsfang. Das Vorgebirge
zwischen diesen zwei Buchten, Peregrobnoj Mys, ist hoch und schroff
Digitized by Go
— 256 —
und bildet einen unnmgftnglichen Nepropnsk. Es ist dies die süd-
östlichste Ecke der Insel und deshalb dasselbe, was die Karten Kap
Ghitrow nennen, welches letztere nicht Toltoj Mys ist, wie gewdhn-
lieh angenommen wird, denn hinter Peregrobnoj biegt die Kflste
schon gegen Nordwesten und lolbtoj liegt bedeutend westlicher wie
Peregrobnoj Mys.
Wir umsdiift'ten letzteres und eine ansclieinend tiefe Bucht,
in welche zwei Thäler zwischen zurücktretenden Bergen ausmündeten,
lag im Sonnenschein vor uns. Herrlich grün waren die Thalgründe
nnd BergabhftDge, darüber wölbte sich ein klarer blauer Himmel,
wfthrend an beiden Seiten die hohen und sehnten Vorgebirge Pere-
grobnoj und Tolstoj das Natnrbild majestätisch begrenzten; hinter
uns wogte das machtige Meer und unten am Horizont sammelten
sich dfistere zusammengeballte Massen von Gnmnluswolken, die uns
die Kupferinsel verbargen. Wir aber eilten dem uns lockenden
Ruheplatz zu! Tolstoj ist zwar kein Parailies; für uns aber, die
wir nun so lange nur die trostlose Küste mit ihren kahleu, schroffen,
oben in Nebel getauchten Felsen gesehen hatten, war damals diese
Bucht ein hochersehutes Ziel; munter und hoffnungsvoll steuerten
wir auf die Jurte zu.
Wir landeten um halb neun, und die ganze Gesellschaft löste
sich nun auf, jeder ging seines Weges, einige um «Nerpen* zu
schiessen, andere um einen alten Adler zu beschlelchen, der hier
horstet. Ich selber sammelte Fossilien, Pflanzenreste und Mollusken,
wahrend dann und wann auch die eine oder die andere
Crustacee oder Würmer in die Hasche wanderten. Gegen Mittag
wurde mir gemeldet, es sei ein Seekuhskelett gefunden! Man
begreife meine Aufregung und die Eile, mit welcher die Spaten
ergriffen wurden! Wir hatten erst eine Strecke zu gehen, und als
ich zur Stelle kam, fand ich, dafs der Bericht sich bestätigte. Aus
dem linkeo Ufer des aus Süden kommenden Baches ragten einige
Rippen hervor. Der Bach hatte sich ailm&hlich in den SandhOgel
hineingefressen und so nach und nach die Knochen entbldst und
weggewaschen. Als wir zu graben anfingen, sahen wir sogleich,
dafs es das Schwanzende war, welches fehlte. Die Entfernung von
der See war ungefähr 500 Fufs und das Skelett lag ungefähr
10—12 Fufs über der Hochwassermarke. Es war in einem Sandhügel,
der einer der inneren Düuenreihen angehört, eingebettet. Der
Hügel war ungefähr 12 Fufs hoch, und das Skelett, welches auf
dem Kücken mit dem Kopf gegen Westen lag, befand sich in un-
gefähr gleicher Entfernung von dem Boden und der grasbekleideten
Oberfläche des Httgels. Der Sand war feucht und fein, von der
Digitized by Gc)
257
n&uilicheu Art, wie er noch heutigen Tages am nahen Strande tAg*
lieh vom Meere ausgeworf^ wird, und zeigte abwechselnd branne
und blaue Schichten. Nahe an den Knochen war der Sand bis-
weilen schwärzlich, irridesderend, was daher rührte, dafs die Knochen
schon in sehr weit vorgerücktem Auflösnngszustande sich befanden;
dies wurde mir gleich nach wenigen Spatenstichen klar. In der
That, das Skelett war als solches wertlos. Die einzelnen Knochen
hielten nicht so lange zusanimeu, dafs man sie unverletzt empor-
heben konnte, ihr eigenes (iewicht war zu schwer. Selbst die Rippen,
die sonst von beinalie elfenbeinartiger Konsistenz und Schwere sind,
waren durch und durch verfault, und einige Knochen so weich, dafs
sie sich wie grflne Seife anfühlten. Um alle Umstände aber genau
zu erforschen, setzte ich die Ausgrabung fort, bis alle Beste zu
Tage gefördert waren. Alles in allem wurden gefunden: MRflcken-
Wirbel mit den dazu gehörigen Rippen, die Halswirbel, der Schftdel,
das Brustbein, zwei Schulterknochen, zwei Oberaraiknochen. aber
nur ein Unterann. Alle Knochen waren in ihrer natürlichen Lagt',
mit Ausnahme des Brustbeines, welches aui'serhalb des Skeletts lag,
nahe an der rechten Vorderextremität, wahrend das linke Vorderglied,
nur aus Schulterblatt und Oberarm bestehend, innerlialb des Brust-
korbes lag. Obwohl keiner der Knochen uns von Nutzen war.
betrachtete ich die Arbeit doch nicht als verloren, weil ich dadurch
konstatieren konnte, erstens unter welchen Verhältnissen viele von
diesen Skeletten zu Grunde gegangen sind, und zweitens, dafs die
Insel sich erhoben hat, seitdem diese Reste am damaligen Ufer
versandet wurden.
Badaeflf drängte jetzt zur Weiterreise, weil es bald Hochwasser
sein würde. Von Tolstoj Mys aus streckt sich näiidich ein lange>
Riff weit in die See hinaus. Dieses Kiff, welches mit einer einzigen
Unterbrechung die Küste bis zum Komandor umgiebt, ist ganz
Üach und bei kleinem Wasser trocken, es bietet dann einen wunder-
baren Anblick, da die ganze Fläche von schnurgeraden, regelmüfsigen
Furchen wie ein sorgfaltig gepflflgtes Ackerfeld dnrchsetzt ist. Die
Schichten des Gesteines treten hier unter einem Winkel von ungefähr
45^ ans Licht Dicht am Ufer ist eine untiefe Rinne, ein paai*
Meter breit, die unserer Schlupka nur bei Hochwasser eine Passage
erlauben konnte. Um nun diese Rinne, die uns einen Umweg von
vielen Meilen ersi)ai te, benutzen zu können, mahnte uuser Steuermann
zum baldigen Aufbruch.
Ich schickte die Leute voraus, um das Boot zurechtzumachen
und folgte dann selbst langsam nach. An der Mündung des kleinen
Fiaischens safs eine aus Tausenden und Abertausenden bestehende
0«Bir. Blitlw. BrtMflS». X9
Digitized by Google
Schar dreizeliiirer Möven. die dicht neben einander gedrängt die
weite Sandflftche bedeckten. Wie glänzte das reine Weifs des
Körpers, wie schön nahm sich dabei das zarte Aschblau der Mantel
aus, wie herrlich kontrastierten die gelben Schnäbel and die zinnober-
roten Füfse! Es durfte aber mein verzflcktes Beschauen nicht lange
dauern, denn die Zeit war zu knapi), aucb hatte ich an die Leute
zu denken, die eine Möve dem delikatesten Schneehuhn vorziehen
\väitien, und endlich hatte iili auch einige Bälge üir meine Samm-
lung nötig. Ein Schnls. und wie ein Schneegestöber hob sieh die
geflügelte Masse kreischend und scinciend und flog davon, walirend
ich die getöteten autlas. Von den acht Vögeln, die auf dem Sande
liegen blieben, waren zu meiner grofsen Überraschung drei schwarz-
füfsig. Ich war deshalb überrascht, weil ich die zwei Arten, die
rotfafsige und die schwarzfüfsige nie in einem Haufen gemischt ge-
sehen hatte, und auch weil ich, als sie auf dem Sande standen,
keinen einzigen schwarzfflfsigen Vogel hatte entdecken können,
trotzdem ich darnach besonders gespäht hatte.
Koch war das Boot nicht ganz fertig. Ich setzte mich des-
halb auf dem feinen, schwarzen, glimzenden Sande des Strandes
nieder und flng an ihn aufzuwühlen. Dabei stiefs icli auf eine
Amphipode aus der Gattung Orchestia, welche ich früher nicht ire-
sehen hatte. Es war eine ziemlich dicke und breite Art, glatt und
glänzend wie Porzellan, sie zeichnete sich durch lebhafte und ab-
wechselnde Farben aus. Einige waren schön bläulich violett, etwas
lichter an der Uuterseite; andere weifs mit grofsen bräunlichen
oder olivengrünlichen Flecken. Das äufserste Glied des zweiten
Gnathopods war schön rosa und der Haken lilla violett. Sie lagen
2 — 3 Zoll tief im trockenen Sande mauz unbeweglich; erst einige
Augenblicke, nachdem sie ausgegraben waren, fingen sie an lebhaft
heruniziilui])fen und Versuche zur Flucht zu machen.
Endlich, ein Viertel vor vier Uhr, ging es weiter. Wir be-
nutzten die schmale Rinne und hielten uns so nahe an das Ufer,
dafs die Ruderstangen an vielen Orten nicht benutzt werden
konnten. Sie waren auch ganz flberflflssig, der frische Südwind
trieb uns auch ohne Segel so rasch vorwärts, daTs es bisweilen
nötig wurde, eine zu reiTsende Fahrt zu verhindern, denn nicht
selten war das Wasser so untief, dafs der Kiel unserer Schlupka
aiit den Steinen des Bodens hinwegsclieuerte. Bald hatten wir
auf diese Weise den Tolstoj Mys umschifft und hoff'ten innerhalb
einer Stunde in Komandor landen zu können. Bis jetzt wurden wir
so von dem Geschick begünstigt, dafs wir walirscheinlich zu zuver-
sichtlich geworden waren. Es war deshalb eine um so unangenehmere
Digitized by C^.<v'^.
— 269 —
Überrascbong, als uns jenseits dieser Vorgebirge starker Nebel
und ein stürmischer Gegenwind empfingen. Wir versachten zu
rudern, die Rinne war aber zu schmal, und gegen den Wind
konnten wir nicht segeln. Es wurde deshalb beschlossen, ein Tau
ans Land zu hrin^^ni und die Schlupka längs dem Strande zu
schleppen. Drei Mann zot^en dann an dein Taue, ein Mann an
jeder Seite schob mit den Kuderstanj^en das Boot vorwärts, und
Maltsoir, in seiner wasserdichten Kamleika, watete voran an dem
linken Bnjj, um das Boot vom Ufer abzuhalten und die Steine, die
im Fahrwasser lagen, zu sitrnalisiert'n. Eine Weile ging es ganz
gut auf diese Weise, der Wind aber wuchs mit grofser Geschwindig-
keit, so dafs wir schliefslich nur langsam vorwärts kamen. Er war
eigentlich südlich und wehte folglich vom Lande; als wir dicht
unter einer hohen und steilen Küste gegen Nordwesten fuhren, hatte
man glauben sollen, wir würden nicht viel von dem Sturme zu leiden
haben. Die lokalen Verhältnisse waren aber der Art, dafs es dem
Lande entlang wehte. In den engen und tiefen Thälern, die
Sfld und Nord laufen und hier ausmfinden, wird der Wind so zu-
sammengeprefet, dafs er, wenn er aus der Enge binausbricht, sich
mit Gewalt an beiden Seiten ausbreitet Sfldlidi von der Thal-
mOndung brauste er deshalb dem Lande eftüang uns entgegen;
wenn wir die Kluft passiert hatten, beulte uns der Sturm eine
Weile nach, was in dem Nebel noch gefährlicher wurde. Äufserst
mühsam arbeiteten wir uns vorwärts, und als zuletzt die Stärke
des Windes zum Sturme heranwuchs, mufeten wir die Kamleiken
anziehen, die zum Staubregen zerpeitschten Wogenkamme hätten
uns sonst bald durehnilfst. Die Leute holten gut aus. Besonders
den Maltsoff mufste ich bewundern, wie er dort im Wasser voran-
ging, das ihm manchmal unter die Arme reichte, unverdrossen und
unbekümmert um den Sturm, der ihm das salze Meer in die
Augen peitschte, während er sorgfaltig den Boden sondierte
und das Boot in den richtigen Kanal lenkte! Ich konnte nicht
umhin, ihm einen guten Schnaps zu versprechen, zu verab-
reichen nach glücklicher Ankunft in Komaudor, und da dies
natürlicherweise auch den anderen mit geltend betrachtet
wurde, so zogen alle mit erneuertem £ifer. £s wurde aber noch
schlimmer. Der Wind wehte kaum weniger wie 50 (engl.) Meilen
m der Stunde, der Nebel wurde dichter und di< hter, und es begann
za regnen. Auf der ftufseren Kante des Kiifes brachen die Wogen
des Oceanes in wilder Wut; heulend und zischend fielen die Wind-
stOÜae von de% Grebirgeswänden auf unser hfllfloses Boot herunter;
die Wässer der See und des Himmels stürzten vereinigt über uns
19*
Digiii^eu by Cookie
— 260 —
her; das fliehende Tageslicht fing an zu Terbergen, was ans der
Nebel noch zu sehen erlaubt hatte; das Nasser begann wiederum
zu fallen, und noch hatten wir eine ?anze Strecke bis zu Komandor.
Es wurde uns klar, dafs wir vor Kiii]}ruch völliger Dunkelheit nicht
das letzte Vorgebirge dublieren konnten. Ein kurzer Kriegsrat
wurde fjehalten und beschlosseu, nicht länger um das Unmögliche
zu kämpfen, sondern gerade, wo wir uns befanden, das Boot ans
Land zu ziehen und uns für die Nacht so vorzabereitea, wie es
eben möglich war.
Gesagt^ gethanl Nirgends war ein auch nur einigermafoen
geschütztes Platzchen zu entdecken, und wir muisten deshalb
mit dem Strande fürlieb nehmen. Dieser war hier einige hundert
Meter breit, ganz horizontal, und eine Strecke von der See land-
einwärts mit hohem nassem Gras bewachsen. Parallel mit dem
Ufer war er mit einigen untiefen Furchen versehen, und in einer
deröelbeu beschlossen wir das Boot und uns selbst zu verbergen.
Erst wurden alle Sachen aus der Schlupka auf den Strand gebracht;
das Boot selbst wurde hinaufgezogen, und während zwei der Leute
ein Feuer aus nassem Treibholze anzumachen versuchten, bemühten
die anderen sich um die nicht leichtere Arbeit, in diesem Sturme
eine niedrige Palatka hinter der umgekehrten Schlupka zu errichten.
Beides gelang schliefslich, und bald murmelte uns der trauliche
Samovar seine trOstende Melodie vor. Wer wurd es uns wohl unter
diesen Umstanden verargen, dafs wir den Thee recht stark machten
und Ilm noch obendrein mit der von den Seetiere u geraubten, in
diesen Gegenden kostbaren und hochgeschätzten Flüssigkeit, ver-
mischten, die überhaupt notwendig ist. um einen wirkuugsvdllen
„Toddy" herzustellen! Noch vor Schlafengehen WHirden die Schieis-
waffen nachgesehen und tüchtig eingeölt, und erst um 11 Uhr krochen
wir todesmüde und durchnäfst in unsere Schlafsacke.
Welch eine Nacht 1 Der Regen gofs in Strömen herab, und bald
war es innerhalb der Palatka eben so nafe wie drauCsen: fürchterlich
heulte der Orkan und drohte uns das elende Zelt über die Köpfe
wegzublasen ; und alles übertönend brüllte der gewaltige Ocean sem
Akkompagnement dazu! Dafs meine Gedanken mit Bering, Steller
und deren Gefährten, die hier in nächster Nähe gelebt und gelitten
hatten, in dieser Nacht beschäftigt waren, brauche ich kaum zu er-
zählen. Welche wunderbaren Schicksale, die die verschiedensten
Menschen hier an diesen Ort hingeworfen hatten, Menschen, die zu
diesem entlegenen Winkel der Erde hindrangen, um die eigene uner-
sättliche Wifsbegierde und die ihrer Mitmenschen zufrieden zu stellenl
Dann verglich ich die unsäglichen Beschwerden und MtUien jener
. . y Google
— 261 —
Männer, die vor 140 Jahren hier die juniifräuliche Krde dieser
Insel zum ersten Male betraten, mit den kleiiilii hen Widerwärtig-
keiten, die mich für einen Aiiizenblick befallen hatten; ich verglich
ihren Heldenmut und ihre Standhaftigkeit mit meiner eigenen Nieder-
geschlagenheit und Zaghaftigkeit, die Vergleidiung war nicht
schmeichelhaft iür mich seihst, aseigte mir aher, dafis ich keine
Ursache zur Klage hatte, und flöCste mir neuen Mut ein. Es regte
sich etwas wie Stolz in mir, dafs ich jetzt nahe an dem Platz war,
wo Steller und beine Gefährten winterten, ich legte mein Haupt
zur Ruhe, und trotz Sturm und Regen löste der stärkende Schlaf
bald meine Glieder. War doch jetzt ein kühner Traum meiuer
frühesten Jugend zur Wirklichkeit geworden!
Ich will den folgenden Tag in aller Eile vorübergehen lassen.
Das Wetter blieb nämlich unverändert dasselbe: Begen und Sturm
und Sturm und Regen! Wir hatten weiter nichts zu thun als im
Zelte zu hleihen und die Sachen von einem Platze zum andern^ wo
es im Augenhlicke am wenigsten trdpfelte, zu rQcken.
Auch mnfsten die Flinten drei bis viermal gereinigt und geölt
werden; jedesmal, wenn sie hervorgeholt wurden, fanden wir sie rot von
Rost, denn bei Hochwasser spritzte noch die salzige Douche der Braudung
über uns hinweg. Trotz alledem versuchte ich noch etwas zu sammeln.
Ich kroch zum Strande hinab, denn die Windstöi'se waren so heftig,
dafs mau kaum aufrecht stehen konnte. Ks war aber umsonst, denn
wie mein Tagebuch aussagt, „es war als ob nicht einmal die Bewohner
des Meeres sich zur Thürs hinauswagten, und nur einige der gew(^hn-
lichsten Strandschnecken, speziell LUorim sitkana, die ihr eigenes
Haus mit sich auf dem Bücken tragen, waren zu sehen. So leer
bin ich doch niemals von einer Exkursion hier zurückgekehrt!" Den
anderen Sammlungen ging es natürlicherweise sehr übel: Pflanzen
und Vogclbälge sahen erbärmlich aus; es ist nur ein grofses Wunder,
dafs etwas gerettet wurde. Ein nasser Naturforscher mit nassen
Sammlungen, wenn sie nicht gerade Spiritussachen sind, ist doch
ein wahrer Jammer!
Gegen Abend lieTs der Wind beinahe gänzlich nach, und die
Existenz wurde ein wenig erträglicher. Das Barometer stieg einen
halben Millimeter, und grofee Pl&ne für den morgigen Tag wurden
geschmiedet.
Der Morgen des 29. hielt nicht was der vorhwgehende Ahend
versprochen hatte. Das Barometer war wiederum gefidlen, und
Regen und >.ebel verbargen die Umgebungen. Der Morgen verging
mit putzen und ölen der Miuten, nachsehen der Samndnngen u. a.,
und als später am Vormittage der Kegeu etwas uachiieis, begab ich
Digitized by Gc)
— 262 —
micb auf eine kurze Rekognoszierung nach ,,KomaDdor'; so wird
der Platz genannt, wo die Expedition des Kommandeurkapitans j
Bering überwinterte. Währenddefs überlegte ich meine Plane, und
sammelte unterwegs. Auf dem Sande an dem kleineu Flüfschen fand
ich einen kleinen Sandkäfer (Cicindela), die einzigen der Art. die
mir auf der Insel zu Gesicht kamen; einen Küsselkäfer erbeutete ich
unter einem kleinen Stück Treibholz, sowie auch eine kleine nackte !
Landschnecke (lAmax hyperbarem), die allgemein über die Lftnder
der Bering-See verbreitet ist Einige Pflanzen wurden auch ein-
gelegt, so z. B. Noitu/rHim pahsh^ Bammadm r^pene u. a. Ach,
es ist ein gar mafsiges Vergnügen Pflanzen zu sammeln, wenn
selbst die Riemen der Pflanzenmappe von Schimmel grün werden !
Bei Komandor mündet ein ziemlich breites Thal aus, dessen
Hauptrichtung SSW. — NNO. läuft. Wie die meisten der hiesigen
Thäler ist der Boden eben, von einem langsam liiefsenden Flüfschen
durchschlängelt, das dicht neben dem nördlichen Abhänge die
niedrige Dflnenreihe durchbricht, und sich dann in die schwach ein-
geschnittene Bncht ergielst Das Küstenriff ist hier unterbrochen
und somit entsteht hier eine Art Hafen, über dessen Sicherheit aber
das Schicksal der Beringschen Expedition die beste Illustration
liefert. Das Ufer ist flach und besteht aus feinem Sand. Die
Klippen, auf welchen Berings Scliiff scheiterte, müssen deshalb die
seitlichen Kitfe gewesen sein. In einem Berichte^) lese ich, dafs
.,20 fathoms distance right or left of their course, high basaltic
boulders and jagged pinnacles arose from the sea.'' Giebt es eine
authentische Quelle, die die Scene derart schildert? Ware das der
Fall, so hätten sich die Umgebungen in merkwürdiger Weise w&hrend
der verflossenen 140 Jahre geändert. Fehlerhaft ist die Schilde-
rung aber jedenfalls wenigstens teilweise, denn Basalt glebt es in der
ganzen Nadibarschalt nicht. — Das Thal wird gegen dasMeersu durch
mehrere Reihen niedriger Sanddünen geschützt. Diese sind alle gras-
bewachsen, die zwei vorderen sind jedoch nicht mit einem zusammen-
hängenden Rasen bedeckt, vielmehr wuchs der Strandhafer (Elt/tnus)
lose im Sande empor. Hinter der zweiten Reihe, unweit des
Flüfschens, ungefähr 120 m von der Hochwassermarke und wenigstens
6 Fufs über der höchsten Springflut, sind verschiedene Sachen der
Beringschen Expedition gefunden worden. Nach dem Mittagessen
begaben wir uns mit Spaten versehen an diesen Platz. An mehreren
Stellen war die Erde aufgewühlt und kleine Glasperlen lagen rings
umhergestreut, denn von hier hat die weibliche Bevölkerung der
H. W. EUiott, Monogr. Seal Islands, Washington 1882, p. 114.
Digitized by Google
— 263 —
Insel ihren Vorrat von diesem Luxusartikel geholt. Ich las auch
ein kleines Papierdatchen ^oll auf. Es sind ganz gewöhnliche kleine,
matte Glasperlen mit sehr kleinen Ldchern; einige grofse blaue,
durchsichtige und fazettierte Perlen wurden auch gefunden. Diese
werden jetzt sehr hoch f^eschätzt und gewölinlich an der Sehnen-
scbnur, welche die ()ffuuug der Kuiiilejken-Kapuze zusamuienschnürt,
als Zierrat hefestigt. Diese Perlen rühren jedenfalls von der
Expedition her, die sie als Tauschmittel für die wilden Bewohner
der zu entdeckenden Länder mitgeuommen hatte. Unter dem
Basen, der ungefähr 6 Zoll dick war, fand ich verschiedene Gegen-
stände aus Eisen, Messing, Hohs, Leder, Scherben Ton Glas,
Porzellan und gröberem Steinzeng, sowie auch eine ganze Menge
Marienglas in dttnnen Scheiben, die wohl auch als Bezahlungsmittel
dienten. Besonders interessant waren mir die Bruchstücke eines
messingenen russischen Wappenschildes mit dem Kaiserlichen Doppel-
adler, weil sie mir beweisen, dafs der Fund wirklich von der
Beringschen Expedition herrührt. Einige verrostete Kartätschen-
kugeln deuteten auf dasselbe hin; ja es fanden sieh noch Spuren
des Pulvers, denn Klumpen von äufserst fein pulverisierter Holzkohle
wurden an mehreren Stellen zu Ta^e gebracht. Die meisten Sachen
gehören aber dem gestrandeten Schiffe an, iirie eiserne Bolzen und
Ringe, hölzerne Blockscheiben u. a. Vielleicht am allerwichtigsten
waren einige unansehnliche, aber ziemlich frisch aussehende Holz-
spane, die grade so aussahen, als waren sie vor nicht sehr langer
Zeit aus ziemlieh massivem Sehiffsbauholz mit der Axt frehanen. Es
kuiiii nünilich wohl nur geringem Zweifel unterliegen, dals dies der Platz
ist, wo das neue Fahrzeug gezimmert wurde. Dafs nicht mehr von
dem Holze vorhanden war. läfst sich leicht erklären auf einer holz-
armen Insel, wo die Einwohner für Brennholz auf das ausgewaschene
Treibholz gröfstentheils angewiesen sind. Es geht daraus hervor,
dafs die ftofseren zwei Diinenreihen seit Stellers Zeit gebildet sind,
und es wird dadurch die auch auf andere Phänomene gestützte
Annahme bestätigt, dafs die Insel im steigen begriffen ist.
Leider dauerte es nicht lange, bevor der Regen wieder anfing.
Der Nebel kam in dichten Massen das Thal hinab, und bald wurden
wir genötigt, die hervorgeholten Schätze einzupacken und schleunigst
zu unserer „Palatka" zu retirieren.
Nach Hause gekommen teilte ich den Leuten mit, dafs ich den
folgenden Morgen die Reste der Wohnungen, wo die Schiffbrüchigen
überwinterten, zu untersuchon beabsichtige. Es entstand dann ein
Gemurmel und eifriges Ratschlagen in aleutisch, und aus den Ge-
herden wurde mir sogleich klar, dafs mein Plan keinen Beifall fand.
Digitized by Google
— 264 —
Badaeff brachte nun allerlei f^inwendungen vor, wanim es am besten
sei, dafs ich von meinem Vorhaben abstehe. Die waren aber aik
so gekünstelt und nichtssagend, rlafs es mir sehr bald klar wurde,
dafe er die wahre Ursache seiner MiüsbiUigaDg zu verbehlea ver-
sachte. Endlich kriegte ich es heraus: die Leute waren fiberseiigt,
dafis das abscheuliche Wetter durch mein graben an der Stelle, wo
die Beringsche Tragödie gespielt hatte, entstanden sei. Man hatte
schon öfters erfahren, dafs Sturm und Regen ähnliche Versuche wie
der jetzige zum scheitern brachten, selbst wenn anderswo auf der
Insel gutes Wetter geherrscht hatte. War das Wetter nicht schön,
als wir Tolstoj verliefsen? Vergebens wandte ich ein, dafs der Sturm
viel schlimmer gewesen sei, bevor ich zu graben anfing; es war klar,
dafs sie eine abergläubische Scheu vor der Stelle hatten, und
fürchteten, es möchte uns alle ein Unglück als Strafe für meine
gotteslitaterliche Neugierde treffen. Schon anfangs, wenn idi Vögel
und dergleichen nnnfitze Dinge zu sammeln begann, sahen mich die
Leute als einen Halbverrückten an, der nicht wufste was mit seinem
vielen Oelde anzufangen, denn ungeheuer reich mufte ja der sein,
der sich solche Extravaganzen erlauben konnte ! Ganz verrückt kam
ich ihnen vor, als es bekannt wurde, dafs ich allerlei Getier in
Spiritus aufbewahre, anstatt die angebetete „W^odka" selbst zu trinken
und Tap und Nacht besoffen zu sein. Als die merkwürdiiren
meteorologischen Instrumente aufgestellt wurden ; speziell wenn die
Windmühle des Anemometers mit den vergoldeten Halbkugeln zu
kreisen anfing, und ich dr^mal t&glich dort hinunter ging, allein
abends nm 11 Uhr mit der Laterne bewaffnet, um za sehen, wie
viel der Wind geblasen und es in einem Buche anfiraschreiben, schien
die Sache nicht mehr so nnschnldig zu sein. Dafs ich aber die
Dreistigkeit ??ehabt, die Ruhe von Komandor sacrilegisch zu stören,
war beinahe zu viel. Ja, hätte ich noch eine Summe Geldes dort
herausgegral)cn ! Aber ich hatte einige alte Holzspahne, vermodertes
Ledorzeug, gerostete Nägel und dergleichen Kram mit der LMöf-ten
Sorgfalt in Papier gewickelt und verpackt, nachdem ich die Sachen
mit Inschriften kreuz und quer versehen hatte! Ich war über einige
gerostete Stücke Messingblech, das ich auf verschiedene Weise zu-
sammenzustellen versucht hatte, ganz in Extase gerathen! Was
konnte das doch alles bedeuten? Dann hatte ich gar sonderbare
Fragen gemacht: ob sie wohl wüfsten, wo Bering und die anderen
Toten der Expedition begraben liegen. Könnte es wohl meine Ab-
sicht sein, noch obendrein die Leichen hervor /u graben? Sicher-
lich, man thuc am besten, solch einem Manne nicht zu viel zu ent-
decken, oder gai' in seinem \ orhaben zu helfen, bouderbar, ikii
— 266 —
ein Mann, der doch sonst ganz yernünfUg erscheint, der so freund-
lich nnd zuvorkommend ist, solche Grillen hegte t Dies und manches
fthnlidie wurde wohl gesagt und gedacht, und die Leute kamen
unter sich überein, mir so wenig wie möglich bei meinen Unter-
suchungen in Komandor behülflich zu sein. Ich konnte ihnen nicht
zürnen, denn von ihrem Stamlpunkte hatten sie ja vollkommen recht,
und sonst waren sie ja immer willig und hehülflich.
Dafs ich aber meiueu Plan nicht aufgab, brauche ich wohl
kaum zu versichern.
Der 30. brachte kerne Besserung im Wetter; zwar war der
Wind leicht, da er aber aus Süden kam, brachte er genug Nebel
und Regea mit, um mich ernstlich in meinen Untersuchungen zu
hindern.
Mein erster Gang war zu den Ruinen der Wohnungen, in
denen die Schiffbrüchigen vor 141 Jahren den Winter zubrachten.
Oben an einer hervorspringenden Kaute des westlichen Bergabhanges,
da, wo dieser die nördliche Ecke des Thaies bildet, steht ein groDses
griechisches Kreuz, und die Tradition ist, daÜB gerade unter dem-
selben Bering begraben wurde. Das jetzige Kreuz ist neuen
Datums; das alte von der damaligen russischen Kompagnie errichtete,
demn Stumpf jetzt noch in der Erde steckt, wurde von einem
Sturme zerbrochen, und niemand dachte daran, es aufs neue zu
errichten, bis Herr von Grebnitski dafür Sorge trug. Gerade
Südost von dem Kreuze, dicht an der Kante eines scfaroiTen, etwa
20 Fu£b hohen Abhanges, liegen die noch ziemlich wohl erhaltenen
Reste des Hauses, die aus drei Fufs dicken und etwa 3 Fufs hohen,
aus Torf gebauten Mauern bestanden. Ein sehr üppiger Graswucbs
bedeckte alles, und unzählige Moskitos im gen auch dazu bei, die
Untersuchungen mühsam zu machen. Die Läugenrichtung des
Hauses ist genau N.— S. per Kompafs. Es besteht aus zwei Teilen,
einem gröfsereu nördlichen und einem kleineren südlichen, deren
Arrantienn nt und Dimen-
sionen aus der beigegebenen
Skizze ersichtlich sind. Be-
merkt sei noch, dafs in der
Mitte der nördlichen Wand
ein seichter Einschnitt ist,
als ob dort ein Fenster
angebracht gewesen. Der
^- ganze Boden war jetzt mit
dickem Rasen bekleidet, und so konnte deshalb nicht die Kede davon
sein, diesen zu entfernen. Mit einem Bajonette sondierte ich die
Digiii^eu by Cookie
— 266 —
gaase Fläche, aber nichts von Bedeutung wurde gefunden. Bei o
wurden einige Holzkohlen und verbranntes Holz unter dem Rasen
entdeckt, und Holzkohlen kamen auch in der Thttröffiiung zwischen
beiden Räumen vor. Bei b fanden sich einige Steine, wahrend sich
sonst keine vorfanden. In der Mitte des Vorzimmers, auch unter
dem Rasen, lagen einige verrostete Nftgel und Bolzen.
Vierzig Mann flberlebten den Winter; es kann also die ganze
Mannschaft nicht in dem Hause gewohnt haben. Ein Teil derselben
wird wohl in den „Gruben" im Sande unterhalb der Hügel, von
denen Steller spricht, fxehaust haben. Und in der That, die iieste
der „Gruben" existieren noch, obwohl sie keine bestimmte Form
mehr haben, und so von Pflanzen wuchs überwuchert .^ind, daf^ nichts
daraus zu machen war. Ein paar Steinfüchse hatten ihre Höhlen
daselbst gegraben, und die tianze Brut kam nun hervor, um uns
neugierig aus nächster Nahe zu l)etrachten. Steller und seine Leute
sind dahin, aber der Steinfuchs, der ilmeu so viele Possen spielte
und ihnen so lästig ward, ist noch auf dem Platze! Die „Gruben",
jetzt nur von einem verworrenen Sandhaufen von Fuchsgängeu
durchzogen, liegen dicht an dem Flüfschen, wo es eine scharfe
Biegung gen Westen macht und in den Abhang, auf dem das Haus
steht, hineinschneidet.
Jetzt fing der Regen mit Gewalt an und vereitelte somit meine
Absicht, ein genaueres Groquis der Umgebungen aufzunehmen und
einige Skizzen zu zeichnen. Nur ein paar Linien konnten zu Papier
gebracht werden, und daraus entstand der hier beigefQgte Versuchi
die Situation von «Komandor'^ zu veranschaulichen.
Es schien, als ob die Leute Recht bekommen sollten, denn so
weit wir urteilen konnten, schien es, als ob besseres Wetter an
beiden Seiten vorwalte, und dafs nur das Kommandorski-Tbal mit
Nebel und Regenwolken dicht bepackt sei. Ich sah ein, dafs ich
diesmal nichts weiter ausrichten konnte und gab deshalb meine
Zustimmung zur anLi('nl)licklichen Abreise. Auch ich sehnte mich
nach trockenen Kleidern und einer Gelegenheit, meine Sammlungen
zu durchmustern und zu trocknen. Dieses Wetter war ein wenig
zu schlimm selbst für einen, der in Berizen geboren ist. Zugleich
beschlofs ich, direkt nach Staraja (iavnn zu steuern und die zwischen-
liegende Küste diesmal nicht weiter zu berücksichtigen. Hierzu
trugen mehrere Umstände bei. Besondere zoologische Objekte konnte
ich hier nicht erwarten, und da die Eingeborenen hier regeluiäfsig
mit Huadeschlitteu fahren, wufsten wir, dafs hier keine Seekuh-
skelette zu erwarten waren. Endlich hatte ich schon eine zweite
Expedition nach Komandor geplant, die zu einer Zeit stattfinden
. Kj L y Google
— 267 —
sollte, wo der Ptinnzenwu('hs nicht so auiserordcntlich hoch sein
würde. Dann wollte ich mit Uundeschlittea die ganze Küste bis
Tolstoj befahren und nntersiichen. Noch kam hinzu, dafs die Leute
anfingen sich nach dem Dorfe za sehnen. Die Feuchtigkeit und das
unbehagliche Wetter der letzten Tage hatten sie demoralisiert,
besonders auch deshalb, weil wir anf der folgenden Strecke der
Küste keine Kerpen sso erwarten hatten.
Der Wind war ganz leicht, so dafs wir nur langsam, bald segelnd,
bald rudernd, vorwärts kamen, umsomehr als wir des Küstenriffes
wegen, weil das Wasser jetzt fiel, ziemlich weit hinaus mulsten.
Etwas nördlich von Komandor passierten wir das jirofse offene
Thal von Polovino, das hinten von dem Mount Öteller geschlossen
wird, auf einer sp&teren Expedition habe ich von dieser
Scenerie eine Skizze gezeichnet. Diesmal war das Thal mit'
Nebel g^llt und von dem höchsten Berge der Insel sahen wir
nichts. Ungefähr um 12 Uhr landeten wir bei Bujan, nm unser
Mittagsmahl zu bereiten. Bachforellen (Sahdkiua mtämaX Golzi,
wie sie hier genannt werden, sowie einige Gh>rbuscha (OnearhifM^wa
gorhuscha, engl. Dog Salmon) wurden im nahen Flüfschen gefangen,
letztere aber wieder weggeworfen, denn wer mochte wohl die grobe,
buckelige Gorbuscha essen, wenn Golzi in Überflufs zu haben sind?
Während der Zubereitiniiien streifte ich etwas umher, um Adler,
Falken oder wenigstens Enten zu schielsen; es waren aber keine zu
sehen. Dagegen wurde eiue kleine Brombeerenkolonie (Bubus M'
latm)^ bestanden mit schönen hochroten Beeren, entdeckt, die uns
köstlich mundeten. Einige Pflanzen, die ich anderswo auf der Insel
nicht bemerkt habe, wurden auch gesammelt, so AcMRea mäit^fiora^
und das prachtvolle EpiloJmm laHfdIimm in voller Blflte.
Endlich um halb fünf langten wir In Staraja Oavan an, unser
Ziel für heute. Wie der X.une (alter Hafen) besagt, liegt der Platz
an dem vormaligen Hafen, der aber nichts mehr von einem Hafen
ist, als der neue gerade gegenüber auf der andern Seite der Insel
gelegene Grebnitski- Hafen. Gegen Süden wird er von einem langen
(1 km W. — 0.) ziemlich felsigen T^ifll'e geschützt, er liegt aber nach
Nordosten ganz offen. Während der ersten Glanzperiode der Insel
landeten die Pelzjäger hier, und zogen ihre Schitiki vund Böte auf
den Strand hinauf, um sie gegen die Wut der Wellen zu beschützen.
Ein kleines Dorf von Erdhütten, das aber nur z^weilig bewohnt ist,
und ziemlich wohlerhaltene Kartoffel- und Rübengftrten liegen hier
unter dem südlichen Abhang des Thaies, welches breit und flach
/.wischen den schrolTen Bergen gegen Westen hineinbiegt. Der Thal-
bodeu ist von mehr wie mannesbohem Tliauzen wuchs, der ein bei-
Digitized by Google
— 268 —
nahe undurchdringliches Gewirr von Ardiangdica officinnlis. Ari*-
miski vidgaris tilesii Pieris hhraiioides jajmnim, Spiram kamt sehe-
tica, Aconitum delphini/olium, Veratrum aitrunf w. a. bildet, gänzlich
überwuchert, und von einer Seite bis zur anderen schl&ogelt sich
der tief eingeschnittene Flufs dem Meere langsam zu.
Die Schlupka wurde in den Flufs hinaufgebracht, und wir
schlagen unser Quartier in der groDsen und reinlichen üatte l^ndiiffft
aul Ein tflchtiges Feuer wurde angemacht, die Sachen alle ans-
gepadci und zum trocknen ausgelegt. Mir wurde ganz mutlos, als
ich die Verheerung sah, welche die N&sse angerichtet hatte. So
viele Arbeit umsonst! Ich rettete noch den Balg des seltenen Simor-
hynchus pygmaetia im Jugendkleide, eine rotfüfsige Stummelmöve
und einige Schneehühner.
Nachher ging ich mit Badaeff hinaus, um seinen Garten zn
inspizieren. Der Boden ist sehr reich, und die Garten liegen hier
gegen Osten und Süden, so dafs die hiesigen Verhältnisse besser
sind wie sonst auf der Insel. Die Rüben und Kartoffeln waren auch
von respektabler Grölise» speziell wenn man in Betracht zieht, dafs
sie Tiel zu dicht standen. Aber solche Resultate werden nicht alle
Jahre erzielt, wie die folgenden Jahre bewiesen, und manchmal
werden die Kartoffeln nicht gröfser wie Fingernägel. Von Ackerbau
nnter solchen Yerhältuisseu zu reden ist beinahe lächerlich.^)
•) Nmeh JNatnn** (voL 32, Juni 4, 1885, p. 113) hrt Dr. Dybowski eine
liittoflniig an die Rnasische Geographische GeaeUschaft gerichtet« in welcher er
von der Beringy-Insel getagt haben soll, dab er „is sore that agrienltnre conld
be earried on it." Dr. Dybowski verlebte swar vier Jahre in Kaoattschatka,
besacbte die Inseln aber gewfihnHch nnr einmal im Jahre für ein paar Tag* ,
nnd hat alles in allem nnr wenige Wochen auf denselben zugebracht. Ich
darf dem einen Aufenthalt von 18 Monaten, während welchen dreimal
täglich meteorologische Observationen genommen wurden . sowie ähnliche
während anderer 12 Monate angestellte Beobachtungen mit gröfster Zuversicht
ejitgegensetzen, und wage zu behaupten, dafs ein regelmäfsiger, oder gar sich
verlohnender Ackerbau auf den Kommander-Inseln unmöglich ist. Der Charakter
der gedachten Notiz mag am besten durch ein anderes Citat erläutert werden,
worin es heilet: .the ei^Iom's [DybowsJcis] ezperimente of planting foresiptreee
proYed qoite snccessfiiL* Dab es sieh hier kaum tun das snfiUlige koabSüm
eines .nicht' handelt, scheint darans hervorzngehen, dab im folgenden Sab
getagt wird, dab das Experiment, Rentiere an akklimatisierai «proved also qnüe
snccessfaL" Nun ist es eine Thatsache, dab ein Veisuch, einige junge Bäume
ans Kamtschatka hinüber nnd fortzubringen, ganz natürlich scheiterte. Kein
einziger überlebte das Experiment, und kein einziger Baum findet sich auf der
Insel. Wie reimt sich das mit dem obigen Citate? Damit sei nicht geleugnet,
dafs das Anpflanzen von Räumen an geschützten Stellen vielleicht gelingen
könnte, aber es würde Ausdauer, Geld und Erfahrung beanspruchen, und es
müfsten auch wohl härtere Baumarteu sem, als Kamtschatka sie hervorbringt
i y Google
— 269 —
Der Abend war angenehm im Vergleich mit den vorhergehenden,
lind trotz der Mückenpein und ihrem Antidote, der Rauchplage, fiel
ich bald in tiefen Schlummer, froh, noch einmal unter festem Dache
2m schlafen.
Der letzte August fing an wie der vorhergehende Tag, mit
Nebel und Regen, letzterer war jedoch sehr leicht. Abwechselnd
segelnd und rudernd umsdiiiTteu wir um 10 I hr den östlichsten Vor-
sprung der ganzen gegen Nordost hervorstehenden llalbiiisel, welche
unter dem gemeinsamen Namen Tonkij Mys bekannt ist, ein Name,
der aber speziell den nördlichen Vorsprung derselben Halbinsel be-
deutet, welcher von Severnoje und Saranna gesehen, ganz schmal
hinauslauft Die erw&hnte östliche Spitze, welche die Nordostapitze
der ganzen Insel bildet, ist ein schroffes felsiges Vorgebirge, an
dem vorbei keine Passage auf dem Strande möglich ist, weshalb sie
speziell Nepropusk benannt wird. Sie ist das Kap Waxel der Karten
und Stellers zweite „Ne obchodimii Utös*, von dem er sagt, dafs
er „hinter der sich nach Norden streckenden Landspitze, welche sehr
steil und au den Ufern voller Klippen und ai)gefallener Felsstücke
ist", (N. Nord. Beitr. II, p. 262). gelegen, sowie Tonkij selbst sein
^Sewernoi nos" (p. 258) ist. Kurz bevor wir Kap Waxel passierten,
landeten wir in der sogenannten Travnaja Buchta, um nach Seekuh-
skeletten zu suchen. Das Ufer war steinig, und eine starke Brandung
machte die Landung sehr beschwerlich. Wir adoptierten die Methode,
die wir in Bolrowaja so praktiseh befunden hatten; hier war jedoch
die Gefahr bedeutend gröfser, weil die Strandsteine viel umfangreicher
waren. Wir waren auch so glücklich, die gewünschten Knochen
zu erlangen; wegen der steinigen Beschaffenheit des Platzes waren
sie nur teilweise von Rasen und Erde bedeckt, und daher ziemlich
stark beschädigt. Es waren aber meistens Rippen, die jetzt so selten
sind, weil die Eingeborenen sie schou längst anstatt Eisen als Kuft'en
ihrer Schlitten verbraucht haben, und da sie mit anderen Knochen
einem Tiere angehörten, um so willkommener. Zwei freilich ziemlich
defekte Schädel wurden auch gesammelt, femer so viele Knochen,
als unser Boot noch tragen konnte. Die gebrechlichen Sachen unter
aolchen Umstanden einzuladen, war mit vielen Schwierigkeiten ver-
bunden; die leichteren Knochen wurden von den auf dem Ufer
Dftb es hier leichter sein wUrde als an der dSaischen oder norwegisoheii West^
kfiste, ist kaam glaublich, und irir vrissen ja, wie mle mifoliuigeiie Teiaaehe
und wie viel Oeld und Arbeit es dort gekostet hat. Die obige Notiz sagt auch,
dafs die „Commodore Islands" are „situated 3O0 niiles cast of Kamtschatka",
und noch ähnliches mehr. Wie viel ist dem Dr. Dybowski zususchreibeii, and
wie viel dem Bearbeiter?
Digitized by Google
— 270 —
Stehenden herüberj^eworfen und von dem im Vordersieveii de?
Bootes stationierten Manne geschickt aufgefangen.
Bis jetzt hatten wir eioen leichten Sttdwind, auf der anderen
Seite von Tonk^ Mys wurden wir aber von einem starken westlicboi
Gegenwind mit Nebel und Regen empfangen. Gegen die wachsendes
Wellen machten wir nur langaame Fortschritte, bis der Wind spftter
etwas mehr nördlich ging. Als wir um 2 Uhr auf die Sarannaja
Buchta eindrehten, begannen die Wolken sich zu verleilen, so dafs
wir binnen kurzem blauen Himmel und wärmeren Sonnenschein
hatten. Ein jeder wird verstellen, wie behaglich wir uns dadurch
fühlten, und einstimmig wurde beschlossen hier zu übernachten.
Am Ufer hatte sich schon die ganze mannliche Bevdlkemng
des kleinen Dorfes versammelt, um uns willkommen zu heifsen. Wir
erfuhren hier, dafs im Gavan alles gut stehe. Meine Leute verteilten
sich unter Freunde und Bekannte, und ich wurde in der geräumigen
und reinlichen Jurte der Burdukovskischen Familie einquartiert.
Saranna liegt am Austiusse der kurzen Sarannaja Keschka,
durch welche sich der kaum 2 km entfernte Sarannoje Ozero,
der gröfste Binnensee der Insel, ergiefst. In diesen See, dessen
Spiegel ungefähr 40 Fufs ttber dem Meere liegt, gehen die ver-
sdiiedenen Lachsarten im Sommer hinauf, um zu laichen. In dem
quer über dem Flnls gebauten i^Zaporr" oder Lachswehr wird
jahrlich der grOfste Teil der ffir den Winterverbrauch der Bewohner
notwendigen Fische gefangen. Manchmal werden hier in einem
Sommer bis 70000 Lachse, meistens ..Krasnaja Riba" (Oncorhynrhu.<
nerka) und „Kisutsch" (0. kisufsch), zum dörren anf'jehftnirt. Dieser
Fang wird besonders zu der Zeit boti-iobon. wo die Milnner mit dem
Schlachten der Pelzrobben beschäftigt sind, und die ganze weibliche
Bevölkerung zieht dann nach Saranua, um die Fische zu reinigen
und zum dörren vorzubereiten.
Den Abend benutzte ich, um die Höhe, an welche sich das
Dorf anlehnt, zu besteigen, und dort zu botanisieren. Der Hügel
ist ungefähr 300 Fufs hoch, oben nur mit Lichenen und Alpen-
gewächsen spärlich bedeckt. Hier erbeutete ich jedoch die zwei
Glanzpreise meiner Keise, die seit der ersten Entdeckung verschollene
Bryanthis Gmcllni und die neue Cassiopc, welche einer Preissel-
beerenstaude so ähnlich sieht, dafs ich sie dafür hielt, und welche
dem Professor Asa Gray die Veranlassung gab, die neue Art als
C. oxycoccoides zu beschreiben. Von anderen Pflanzen nenne ich
nur Aartemisia rkhardsomana und Tofjddia ealfetdata,
») Proc. U. S. Nat. Mus. 1ÖÖ4, p. öS^.
. . y Google
Am nächsten Morgen, während ich meine Toilette unten am
Flusse machte, sammelte ich noch zahlreiche Exemplare einer grofsen
SOfswasserschnecke (Xtmnaea ovata)^ deren Vorkommen auf dieser
kleinen Insel als sehr auffallend bezeichnet werden mafs.
Mein alter Freund, Afonasij Nozikoff, fungierte als Oberaofeeher
oder Starosta des Platzes, mid ihm lagen daher die Pflichten der
Gastfreiheit ob. Er holte einen prachtvollen Kisutbcli deshalb aus
dem „Zaporr* heraus, ich meinerseits gab Tliee und Hartbrot
(Zuchari) zum besten. Nach dem Abendessen setzte uns die Frau,
die hübsche Katharina Ivanova, frisch gepflückte orangegelb glü-
hende Multebeeren (Maroschki, Eubtis chamaemorus) vor, die
uns herrlich mundeten, obwohl sie bei weitem nicht den Geschmack
und besonders nicht das Arom der norwegischen besafsen. Um
nicht znrftckzustehen brauete ich für meine aläntischen Freunde
eine Bowle Punsch, die erst die rechte Feststimmung Uber die Ver-
sammlung brachte.
Um halb acht morgens, den 15. September, verliefsen wir
wieder das gastliche Saranna. Der Wind war leicht Südost, der
Himmel bewölkt, und bahi kamen Nebel und Uegeu ; die Temperatur
war -f 10.2 ° C. Die Leute wollten gern noch an demselben Abend
in Gavan eintretien, denn es war Sonnabend, und die Badstuben
alle schön geheizt. Sie machten mir daher den Vorschlag, dafs ich
die Umsegelung der Nordwestspitze der Insel für diesmal aufgeben
möge. Sie wollten dann das Boot anf folgende Weise nach Gayan
bringen: Erst sollten wir die Sarannaja Reschka hinauf und in den
Sarannoje Ozero hineinfahren ; dann Ober den See bis an ein kleines
Flttfschen an dem westlichen Ende desselben, und diesen hinauf in
einen anderen kleineu See hineindringen. Mit Hülfe mehrerer
solcher Flüfschen und Seen würden wir, nach Meinung der Leute,
schliefslich den Gavan erreichen, nnchdein wir das Boot eine kleine
Strecke über die Wasserscheide gesrhlcpitt luitten. Erstens hatte ich mir
aber in den Kopf gesetzt, die Insel zu umschiB'en, zweitens hielt ich es
für unmöglich, unsere schwere und tiefgeladene Schlupka in einem
Tag so quer über die Insel zu schleppen, und ich bin noch heute
fest überzeugt, dafs ich darin Recht hatte. Mit einem kleinen
Nachen h&tte es sich wohl thun hissen, und in Bajdarken ist die
Route sogar leicht; wir wAren aber sicherlich stecken geblieben,
und folglich lehnte ich den Antrag entschieden ab, um so mehr als
ich hoffte, wenn der Wind sich nur etwas günstig fügen würde,
die Nordwe.>tecke zu umschiffen und vor Nacht in Oavan zu sein.
Um V«10 Uhr passierton wir die NorJ^pitze der Insel, Sever-
nij Myä (Kap Juschin der Karten), wo die grolse „Kookery'' (Losch-
Digitized by G(
bischtscha) der Pelzrobben sich befindet. Nebel hüllte das Dorf ein,
und um keine Zeit zu verlieren, segelten wir durch die auf allen
Seiten um uns herum öchwimnienden, springenden, tauchenden,
brüllenden, blökenden Robben hindurch und rasteten nicht eher, als
bis wir um 1 Uhr an Pestschanij Mys landeten, kurz vor Zapadiiij
Mys, der Nordwestspitze (siehe die Kartenskizze des Hafens).
Von der Fahrt längs der Kttste und über den Charakter der
Küste selbst will ich nichts weiter sagen, als dsSs ungefähr zwei-
drittel des Weges von Saranna bis Sevemy eine niedrige, gefUirliche
Klippe eine ganze Strecke an der Efiste vorhanden ist Sie liegt
nngeffthr Nordnordost von dem Emilianovskij Mys und wird
Emilianovskij Kamen genannt.
Während der Thee zubereitet wurde, bestieg ich noch den
ungefähr 35 Fufs hohen .\bsturz der Küsteuterrasse, und fand da
oben zu meiner grofsen Ü))errascbung ein ziemlich reichhaltiges
Knochenlager, das aus Knochen von iSteinfüchsen, Seebibern, Robben
und allerlei Seevögeln bestand. Zuerst dachte ich einen alten .Adler-
horst vor mir zu haben, aber bald stellten sich folgende Fakta
heraus, die dagegen sprachen: 1) Die grofse Ausdehnung des Lagers;
wahrend dieser kursorischen Untersuchung konnte ich es auf un-
gefähr 600 O-Fufs verfolgen, und es waren genug Beweise dafülr vor>
banden, dafs es früher weit gröfser gewesen, ausgewaschen nnd
heruntergefallen war. 2) Die Knochen lagen in wohl gesonderten
dünnen Schichten von Rasen und Sand bei einer gesamten Mächtig-
keit von 2 Fufs; B) Keiner der Knochen zeigte Spuren von
äufserer Gewalt. Die feinsten Vogelrippen waren ganz unverletzt,
und ein Schädel eines kleinen Seevogels zeigte alle die zarten
Knochen und Fortsätze des Gaumen vollständig und unbeschädigt.
4) Kein einziger Fischknochen war zu entdecken, obwohl ich speziell
darnach suchte. 5) Das Vorhandensein von Knochen eines so greisen
Thieres wie der Seelöwe {Eumekpias SkikirL)
Für mich liefert der Fund den Beweis, dafe diese Terrasse
einst den Strand bildete, zu einer Zeit, wo die Fauna der Insel
wesentlich dieselbe war als jetzt, und dafs die Insel sich wenigstens
80 Fufs gehoben hat seit der Zeit, wo diese Ablagerung gebildet
wurde. Ich will hier noch bemerken, dal's ich später die Rt'>te einer
ähnlichen ADsannnlung und in gleicher Höhe auf der korrespondiereudeii
Terrasse am KifT dicht beim Dorfe gefunden habe, ein Fund, der
mich in der obigen Deutung noch bestärkt
Von den gesammelten Knochen sind einige von besonderem
Interesse; beffentlich werde ich bald im stände sein, Nfiheres darüber
der wissenschaftlichen Welt vorzulegen.
. . y Google
— 273 —
Auf der anderen Seite (ies Zapaduij Mys war der Wind wieder
gegen uns, und was noch schlimmer war, er wuchs in jeder Stunde,
Wir setzten tapfer unseren Weg fort, bis endlich eine tüchtige
Sturzsee, welche die Schlupka halb füllte, uns zum Nachdenken
brachte. Weiterfahren war jetzt unmöglich, weshalb wir be-
schlossen, Land zu suchen. Das Boot wurde in die kleine Bucht
zwiadien Kito^jj Nepropnsk und Eitovy Mys hinan^ezogen und die
Palatka zum letzten Mal gebaut.
Aus der Zeltttfihuug konnte ich mit dem Feldglase in die
Fenster meiner eigenen Wohnung im Dorfe hineinsehen! Links
liegt das Badhaus, wo jetzt, Sonnabend Nachmittag, tüchtig ein-
geheizt wird! Rechts ist das grofse Haus der Kompagnie,
wo der aus dem Schornsteine aufsteigende Rauch andeutet,
da£ä Inakentij das Abendessen zubereitet! Die Aussichten auf
ein Dampfbad, eine zivilisierte Mahlzeit, reine und trockene
Kleider und ein ordentliches Bett noch heute Abend waren
zu verführerisch, und ohne weitere Verhandlungen nahm ich meine
Flinte und meine Kotizbttcher, liefs das tthrige liegen und wanderte
auf dem langen, mühsamen Wege im tiefen Sande des Ufers dem
Dorfe zu. Noch bevor ich halbwegs war, überraschte mich das
nächtliche Dunkel, und als ich vor dem Flusse diesseits des Dorfes
anlangte, fand ich ihn viel tiefer als gewöhnlich. Das Wasser ging
mir über die Hüften, aber was achtete ich das jetzt, wo ich in die
Badstube gehen und dort andere Kleider anziehen konute! im
Dorfe erwartete uns niemand, ich fand die Hausthüre geschlossen.
So feuerte ich beide Laufe meiner Flinte als Signal ab, das zunächst
nur von den 600 Hunden des Dorfes mit infernalem Heulen beant*
wortet wurde. Bald kam aber Freund Chemick zum Vorsehein,
und nun wurden mir bald alle oben genannten Genosse der Zivili-
sation zu teil.
Den nächsten Tag brachten die Leute die Schlupka ein.
So endete meine Umsegelung der Berings-Insel ; die ganze
nächste Woche konute ich vor Rheumatismus weder stehen, gehen
noch liegen!
Ckogr. BUltter. Brenwii. IMk
80
Digitized by Google
— 274 —
Die Indianer von Guyana.
Nach Im Tharn.
Von Kail Tfi 4ei Stoiiea.
fittokbliek auf einif« frflberfl Foncbnngen bttHglich der saduMHfltMiHhii
Indianer. Im Thums Reisen und Woris. Zahl, Stimme nnd WohnKebiet der Indiaaer
Britisch-Gayanas. Änfeere Erscheinung nnd Kleidang. Hauseinrichtaas. BitiCi ni
Qebrtttche. Gewerbe. Feste. ReligUtoe Vorstelltingen. Altartttmer.
Je mehr nch das Interesse der Forseber gegenOber den saU-
losen Bfldainerikeiiischeii Horden verschiedenartigsten ürspmags
abstumpfte, — ermOdet von dem unendlichen Gewirr der Sprachen,
das allen Yersnchen einheitlicher ZusammenftuBSung Troti zu bieteo
scheint nnd das um so rätselhafter wird, als die sonstigen anthro-
pologischen Merkmale lait den linguistischen Differenzen keinen
Schritt halten, — je mehr man sich infolgedessen gewöhnte, in
stummer Resignation einen Stammesnamen zum andern in die grolse
Sammelbüchse zu werfen, eine um so lebhaftere Aufmerksamkeit hat
man immer den Kariben und den Tupi gewidmet Sie versprechen
der Untersuchung ein danlLbareres Feld; denn so zersplittert auch
diese beiden Gruppen in sidi selbst bereits im Jahrhundert der
Entdeckung angetroffen worden, konnte man ihnen doch auf Gnmd
ihrer enormen nnd siemlich kontinuierlichen Ausdehnung gewisser-
malsen den Rang von zwei Nationalitaten zubrechen, welche in der
Geschichte des südamerikanischen Kontinents eine bedeutsame Rolle
übernommen hatten.
Auf den kleinen Antillen, vom Orinoco bis zum Amazonas waren
Kariben, auf dem Amazonas selbst, an der Küste bis zum La Plata
und hoch den Paraguay hinauf waren Tupi die herrschenden Völker.
Die Bedeutung der letzteren ist eine dauernde geworden durch die
Erhaltung ihrer Sprache, des Guarani, welches noch heute floriert
und sogar im paraguayischen Parlament nur notgedrungen dem
spanischen weicht Wo aber ist der scfareckenverbreitende Name
der Kariben geblieben? Die Nachkommen jener gefOrchteten Kanni-
balen sitsen friedfertig in den Savannen nnd Waldern Guyanas.
Was die Fortschritte des Reisenden hemmt, sind Wasserfälle, sind
Fieber, Nahrungssorgen und Strapazen aller Art, der Indianer aber, den
er richtig zu behandeln versteht, wird sein guter, helfender Freund.
Unter dem Eindruck des ähnlichen, erobernncrslustigen Cha-
rakters der Tupis und der Kariben hat mau sich eine Verwandtschaft
derselben aufzustellen bemüht. Während d'Orhiffnif diese apodiktisch
behauptet» halt der vorsichtigere Jdärtius^ da er die Lttckea des
Beweismaterials empfindet, sie nur fflr wahrscheinlich, bedarf aber
Digitized by Google
275 —
gleichzeitig der von den Kariben besetzleu Guyanas, um sie zur
Heimat seiner in mehr ^Geistreicher als überzeugender Form kon-
struierten Gruppe der „Guckstämme'' zu steini)elu.
Jedoch weder die Gucktheorie noch die Annahme der ver-
wandtschaftlicbeu Abstammung von Kariben und Tupis sind baltbar:
das sei bier nur eine vorläufige, zur Kennzeichnung des Stand-
ponktos aber nnerl&lslicbe Behauptung, für welcbe die bald zu
verOffentUchenden Ergebnisse der Sekingiieag^eä^ioH solide Stützen
liefern werden. Das Wort „Kariben'', dem schon in frühesten Zeiten
eine kollektive Bedeutung unterlegt wurde, ist nnendlicb gemifs-
braucht worden. So hat man denn das Kind mit dem Bade aus-
geschüttet; während sie in Wirklichkeit einen selbständigen, scharf
zu präzisierenden Volkskerii darstellen, dessen Berühruntren mit den
Tupis nicht in Frap:e gezogen werden sollen, der aber in keiner
Weise mit ihm einer ursprünglichen Gemeinsamkeit der Abstammung
unterzuordnen ist, ist man gar so weit gegangen, die Kariben ein
Mischvoik der Küste, und ihre Sprache, das allerdings von einigen
Sammlern iMtohst unkritisch notierte Galibi eine lingua franca zu
nennen, die ' es in der Tbat durch den Verkehr am Meeresufer all-
m&hlich geworden sein mag, die es aber von Hanse aus keineswegs
gewesen ist. Im Quellgebfet des Schingü wird ein ^Galibl*^ ge-
sprochen, das wegen des von ihm eingenommenen durchaus isolierten
Bezirks die Gewähr leistet, den echten unvertalschten Kern zu
enthalten.
Es liegt auf der Hand, dafs es für die angedeuteten fundamen-
talen i^'ragen von erheblicher Bedeutung ist, die Küste beiseite zu
lassen, und dals dem Innern der Guyanas das wesentliche Interesse
anhaftet.
Über die grundlegenden Mitteilungen Sehomburgks sind wir
noch nicht weit hinausgekommen; einen wichtigen Beitrag hat
Crevaux durch die Schilderung der Rucuyen und der Apalai ge-
liefert, welche das Quellgebiet des dem Schingü gegenüber ein-
mündenden Flusses Paru bewohnen. Unter diesen Umständen hat
eine neue Darstellung der Indianerverhältnisse im britischen Guyann
i^egründeten Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit. Der Autor.
Everard F. im Thum, betitelt sein Buch: „arnong the Indians of
Guiana being sketches chiefly anthropologic from the interior of
British Guiana/' (London 1883, 428 Seiten.*) Es ist mit 10 Voll-
bildern und 43 Vignetten, zum Teil nach Photographien illustriert,
sowie mit einer Karte von Britisch Guyana ausgestattet
♦) Bei Kegan Pjial erschienen, bereiU aui IS. '6X1, Band Vli, dieser Zeit-
lehnfl kus angezeigt D. Rad
20*
Digitized by Google
Üie drei ersten Kapitel enthalten die engere Reisebeschreibuiig.
IV. und V. sind einer allgemeiBen Schilderung des Pflanzen- und
TIerlebenfi gewidmet, die vierzehn übrigen beschliftigen sich not
den Iiuliiinerstämmen.
Im Thurn hat sich 1877 — 79 in Britisch Guyana aufgehalten
und ist Ende 1881 dorthin zurückgekehrt. Es stand ihm Danipfer-
verbindunf; zu Gebote von Georgetown nach der Essequibomündung,
und flufsaufwärtä bis zu dem 45 englische Meilen entfernten Bartica
grove, wo der Mazaruni sich mit dem Essequibo vereinigt. Dort wurde
die Kanufahrt angetreten mit einer Mannschaft von Malrasiindianeni,
man lenkte in den Nebenfluls Rupnnuni ein und erreichte in
49 Tagen Pirara, eine Niederlaasnng von Makud; alsdann wenige
Tage aber Land an den Takutu, einen Nebenflnfe des Branco, neue
Flufsfahrt, Besuch des Forts S. Joaquim; auf dem Takutu zurück,
in den lren^% über Pirara heimwärts, und nach sechsmonatlicher
Abwesenheit wieder in Georgetown. Anfserdem wird eine Toui* au
deu pittoresken „Kaieteur", einen Fall des Potaro, beschrieben.
Der Verfasser liat ein scharfsichtiges Auge für die umgebende
Natur; er versteht, was nicht vielen Besuchern und sehr selten
nur den Angehörigen jener Länder gelingt, ein objektives Bild der
tropischen Welt zu z^chnen; er ist weder pathetisch noch humo-
ristisch, aber er hat einen Maren Stil und eine übersichtliche An*
Ordnung; er reflektiert viel, wird aber niemals langweilig und
trivial, und erzeugt überall den Eindruck, daüs er seinen Gegen-
stami liebt: man liest ihn mit Vertrauen.
Mögen die Schilderungen des Tier- und Plianzenlebens wenig
neues bringen, sie haben den grofsen Vorzug, daf^ sie in Kürze
trelfend sind; man berauscht sich weder an den Wundern des Urwalds,
noch regt man sich auf an den Abenteuern der Jagd, allein man ge-
winnt die Physiognomie der Landschaft wie sie ist, und erfährt von
den zahlreichen Tierfonnen alles, was der Reisende wirklich sieht
Der liberwiegende Inhalt des Buches gehdrt der eingeborenen
Bevölkerung des britischen Guyana. Dieselbe wird bei einem Flachen-
raum von 70000 engl. Quadratmeilen auf wenig über 20000 Seelen
geschätzt. Nach Aussonderung der Synonima und einiger nur
zeitweilig über die Grenzen passierender Stämme ergiebt sich die
folgende Zusammenstellung:
Ackawoi, Echte Kariben, Taruma,
Amaripas, Makusi, Wapiaua,
Arawak, Maopityans, Warrau,
Arekuna, Paramona, Woyowai,
Atorais, Pianoghotto, Zurumntas.
^ i^L-d by Googl
— 277 —
Mit Ausscbluls der Maopityan, Taruma und Woyowai, über
die keine sicheres Kenntnisse vorliegen, wird eine weitere Klassi-
fikation unternommen in Nationen (branch), welche eine eigene
Sprache besitssen, rnid Stamme (tribe), welche nur dialektisch unter-
schieden sind:
Nation.
Warraa
Arawak
Wapiana
Kariben
stamm.
Warrau
Arawak
Echte Wapiana
Atorais
Amaripas
Echte Kariben
Ackawoi
Makusi
Arekuna
Dnterabteilong.
Parainona
I Pianoghotto
\Zwunnutas
Wahrend innerhalb der Warrau- und der Arawaksprache nur
sehr weninje und leichte Abweichun^^en der Aussprache auftreten,
so dafs sie k^ine Einteilunf? erfahren, haben die Wapiana drei und
die Kariben vier deutlich differenzierte Idiome. Das Makusi und
Arekuna sind sehr ähnlich und beide Sprachen werden auch von dem
Ackawoi-Iudianer verstanden. Der Dialekt der echten Kariben zeigt
die unverkennbare Verwandtschaft, ist aber etwas mehr verschieden.
Diese Klassifikation widerspricht in keiner Weise dem aus
anderen Quellen bekannten Material — im Gegenteil, laCst sich leider
dorther bedeutend sicherer ableiten, als ans den nenn Worten, mit
denen Im Thnrn seine Darstellung illustriert
Sollte er ausführlichere Aufzeichnungen besitzen, so wäre es
(Irin^iend zu wünschen, dals er sie veröffentliche. Die betreffenden
Wörter seien aus^rewählt, weil sie die j^eriugste Gefahr einer
Verschiedenheit des Sinnes zwischen dem Englischen und Indianischen
böten. Warum fehlen alsdann aber die wichtigsten aller Vergleichs-
wörter, die keinem Müsverstandnis ausgesetzten Körperteile wie
Zunge, Zahn, Nase n. a. ? Auch sind einige der angefahrten für eine
konzentrierte Tabelle ohne erheblichen Wert, weil sie erfahmngs-
gemafs auch unter verwandten Stammen abweichen können.
Dankenswert ist die Zorflckweisung des Wortes Garibisi, das
auch bei SehomburgJc als Stanimesnarnen erscheint. Dies sei nur
ein Aruaksvort, ^ Karibenort" bedeutend, das die Aruak gebrauchen,
wenn man eine Niederlassung der Kariben passiert, und zu dem
Mifsverstandois Aulais gegeben hat, dafis es sich um eiueu besouderu
Digitized by Google
— 278 —
Karibenstamm — die Carabisi — handle, die nicht existieren. —
In einer Note äufsert Im Thurn den Glauben, dafs die Warrau.
wenn ausreicbendes Ver^leichsmaterial vorläge, sich als einen
Guaraiiistamm herausstellen würden. Dieser Nachweis wäre von
gröfster Wichtigkeit, da er die Theorie der Tupi Wanderungen
wesentlich beeinflussen und bestimmen würde, — was jedoch ist mit
der unmotivierten Vermutung gethan?
Zur Gharaktenstilc der ftufseren Erscheinnng wird angefUrt:
die TTarroii haben die geringBteKörpergrö£senndHuskelentwickelaDg.
Der Nacken ist kurz und dick, der Rumpf nuYerhaitnismAfeig lang
im Vergleich zu den Extremltilten, die FQfse sind breit und platt
Die Physiognomie fällt durch ihr blüdcs, ausdrucksloses Wesen auf.
Die (luukle Farbe der Haut wird auf die durch Uureiulichkeit er-
zeugte Schmutzkruste zurückgeführt.
Die Aruak sind ein weni^' gröfser. und obwohl auch untersetzt
und breit, besser proportioniert. Hautfarbe etwas lichter, Gesichts-
ausdruck weit intelligenter.
Ungewöhnlich grofs, schlank und wohlgebaut sind die Wu^piiama,
ihre Zflge regelmäfsig und hObsch. Am dunkelsten sind die Katibein^
zumeist die Arehuna, Die ^^Echtm Kariben** (stets als y,Tme Caribs*
bezeichnet), etwas grdfser als die Amak, haben eine bedeutendere
Körperkraft, die sich auch in ihren plumperen Gesichtszügen wieder-
spiegelt. Ein wenig kleiner und graziler sind die Ackauoi. Die
Makusi zeichnen sich durch einen intelligenten, aber etwa;» furcht-
samen Blick aus.
Alle diese Indianer lassen sich ebensowenig nach ihrer Lebens-
weise wie nach ihren physischen Merkmalen streng charakterisieren.
Die Warrauy von den übrigen verachtet, nur selten einer
Art von Zivilisation zugänglich, wohnen in erbfinnlichen Hfitten, die
sich auf Pf&hlen über sumpfigem Boden oder gar Uber dem Wasser
erheben und sind aufeergewöhnlich unreinlich. Dire Spezialitat ist
die Herstellnng von Kanns für die umgebenden 8tftmme. Seit
kurzem sind sie bewogen worden, sich in betrachtlicher Anzahl nahe
den Missionen anzusiedeln.
Am reinlichsten sind die Aruak; sie sprechen bämtlich englisch,
tragen wenigstens in (legenwart der Weifsen Kleider, und haben so
vieles von ihren ursprünglichen Gewohnheiten eingebülät. Sehr
deutlich erhalten ist jedoch ihre Abneigung gegen andere StAmme,
besonders ihr Hafs gegenüber den Echten Kariben.
Die Wcgpiam, einschliefslich der ihnen zugehörigen Aiorm
und Amaripa sind die Handelsleute, welche den Verkehr der Er-
zeugnisse zwischen den verschiedeneu Stammen vermitteln. Wie die
— 279 —
Warrau an der Küste, sind sie die Kanubauer des Innern. Sie
allein essen die Mandioka in Form des Mehls (der brasilianischen
Farinha), nicht als Brote oder Kuchen.
Die sämtlichen Karihen werden wegen ihres kriegerischen
Wesens gefürchtet. Die Mehhn Kariben bewohnen keine bestimmten
Distrikte, sondern sind durch die ganze Gegend zerstreut Die
Töpferei ist ihre Spezialität Doch rivalisieren hierin mit ihnen die
AdktMoi, welche Im Gegensatz zn ihnen harmlos und etwas sehen
sind. Zwischen den nahverwandten Makim und Arekuna besteht
eine ausgesprochene Feindseligkeit, die Makusi fürchten sich vor den
Arekuna, von denen sie höchst geringschätzig angesehen werden.
Beiden ist, wie den zivilisierten Aruak, groüse Sauberkeit nach-
zurühmen.
Was die geographische Verteilung angeht, so ist die Küsten-
regian besetzt im Norden von den Warrau, nächst der Orinoko-
mftndung; weiter sttdlich von den Aruak, zersprengt^ hauptsächlich
nach Norden, wohnen die Echten Kariben. Wenige der letzteren
sind auch der Wäldregion zuzurechnen, welche fast ganz den Ackawoi
angehört. In der Savannenregion haben verschiedene Stämme be-
stimmte, wenn auch nicht geographisch scharf abzn^^renzende Distrikte
inue, von dem Orinoko beginnend die Arekuna. Makusi, die Wapiana,
(einschl. Atorai und Amaripa) die Tanuna, (einschl. der Reste der
Maopityan) und endlich ganz isoliert die Piansgbotto.
Zur Erörterung des wichtigsten Punktes, der Wanderungs-
geschichte dieser Volkerschaften, unterscheidet Im Thum zwischen
eingeborenen nnd fremden, sagen wir zwischen älteren undjOngeren
Stammen. Die alteren seien die Warrau, Aruak und Wapiana,
die jOngeren die Kariben; die ersteren sind einig in ihrem Hafo
gegen die letzteren. Die ftiteren verfertigen ihre HängemeMm aus
Palmfasemj von der in Guyana sehr gewöhnlichen Mauritia flexuosa,
die jüngeren aus Baumwolle, und gleichzeitig ist die Art, wie die
Faden beiderseits gesponnen werden, verschieden.
Als die Kariben einwanderten, nimmt Im Thum an, wohnten
die Warrau, wie auch in der Hauptsache noch jetzt, an den
Sümpfen der Orinokomündung, die Aruak weit längs der Küste,
die Wapiana nnd andere Staramfragmente in den Savannen.
Die ungenOgende Motivierung dieser Hypothese ist angenftUig:
sie ist auf das vom politischen Zufall bestimmte Gebiet, wdches
sieh Britisch Guyana nennt, zugeschnitten, wahrend das Verhältnis
zu den in den Nachbarstaaten ansässigen Kariben gar nicht in Er-
wägung gezogen wird. Auch läfst sich durch Beobachtungen so
allgemeiner Art, wie sie der Autor ins Feld führt, die Chronik der
^ i^ud by Google
— 280 —
Wanderungen nur vermuten, aber nicht feststellen. Er spricht sich flr
die Ansicht ans, dafs die Kariben von den Antillen auf das Fest- i
land gelangt seien, obgleich er die starken Gegengrüode zu gunatoi |
des umgekehrten Weges nicht entwaffoet Abgesehen jedoch von
(lern letzterwähnten Punkte ist es sehr gut mö^^lich, dafs Im Thurn '
Kecht behalt, dafs die Warran, Aruak und Wapiana vor den i
Karibeii das britische Guyana eingenommen haben: dies mufs durch
eine weit erschöpfendere lieliaiidldug des Gegenstandes entschieden
werden, für die in dem Hinweis auf die dilfereate Herstellung
Hangematten ein höchst scbatssenswerter Beitrag gegeben wird.
Wenngleich die Aruaik sprachlich einen einheitlichen Stamm
' repräsentieren, zerfMlt ihre Gemeinschaft doch von altersher in eine
Anzahl Famüim, zwischen denen keine Heiraten stattfinden. In
jüngerer Zeit ist dieses System lax geworden und der heutigen
Generation wieder bezüglich seines Ursi)rungs noch betreffs der
Deutung der den Familien zukommeiulen Namen verständlich. Etwa
1830 veröffentlichte Hillhousc eine Liste von 23 solcher Familien-
namen, die als vollzählig galt. Im Thurn erweitert sie jedoch
auf 47 und zweifelt nicht, dafs sie in Wirklichkeit noch gröfser
sein sollte. Obwohl er sie drucken liefs und an die geeigneten
Personen verschickte, xm möglichst genauen AufschluCs Aber den
Sinn der einzelnen Namen zu erhalten, war seine Bemühung f&r
viele derselben erfolglos, weil sie langst obsolet geworden sind.
Feststeht, dafs sie vorwiegend von häufigeren Pflanzen- und Tier-
namen Guyanas abgeleitet werden müssen. Zur Entstehungs-
geschichte haben die Aruak selber zwei traditionelle Erklärungen,
die eine, dafs zur Zeit, als die Volkszahl sehr anwuchs, die Ein-
teilung auf Vorschlag eines Hän])tlings in einer Versammlunsf erfolgt
sei, und dafs jedes Familienbaupt einen augenblicklichen Einfall zu
Hülfe genommen habe, um seinen Namen zu bestimmen, — die andere,
welche stärker in der Überzeugung der Aruaks wurzele nnd ver-
breiteter sei, dafo jede Familie von den betreffenden Pflanzen oder
Tieren abstamme. Die Namen wurden rein erhalten dadurch, da&
sie nur in weiblicher Linie forterbten und Heirat mit Verwandten
mütterlicher Seite nicht gestattet war.
Es folgt nun ein Kapitel über die äufsere ErscJwinuny und
die Kleidung der Guyanaindianer. Die Hautfarbe, durchschnittlich
die sehr rothen Zimmets, ist heller bei den Bewohnern des Waldes
als denen der Savanne. Es wird häufig gebadet, ansgenomraen
seitens der Warraus und einiger Ackawoihorden, die sich niemals
waschen. Entstellung der Schädelfoi'm ist nicht mehr in Gebrauch.
Die bekannte Bandumschnürung, die schon .in früher Jugend erfolgt
— 281 —
und eine Anschwellung der Waden erzeugt, findet sich bei den
Weibern der Makusi und Arekuna Aber den Knöcheln, bei den
Flauen der Echten Eariben auTserdem unterhalb des Knfegdenks.
Die Weiber der Echten Kariben und Ackawoi tragen in der durch-
bohrten Unterlippe eine Nadel oder ein zugespitztes Stück Holz.
Die Männer schmücken sich mit einer runden oder ha]biii()n{lförmip:en
Silber- oder Kupferj)hitte, welche an einem durch die Nasenscheide-
wand jzeführten Qnerstabchen über die Oberlippe herabhängt, und
haben durch ein Loch der Unterlippe ein glockenartiges Ornament
befestigt, wo an Steile des Klöppels ein Bündel langer Baumwollen-
fäden niederf&llt. Die Bekleidung besteht bei den Weibern in einem
kurzen Schurz, bei den Männern in einem über den Damm ge-
gezogenen, vom und hinten mit dem Gürtelband verschlungenen
Tuch. Gelegentlich werden kurze Mantel aus Baumwolle getragen,
mit weifsen Daunflocken verziert; doch soll die Kunst, sie zu weben,
abhanden gekommen sein. Ferner sind zu erwähnen die hübschen
Federkronen, Halsbänder von Eberzäh neu, baumwollene Armbänder,
Schnüre von Beeren oder Saniei)köruern.
Für den Bau des Hauses giebt es drei Typen: die elende, auf
5—6 Fufs hüben Pf&hlen errichtete Hütte der Warrau im sumpfigen
Gebiet, die offene, meist viereckige Hütte des Waldbewohners und
das runde, dickwandige, lehmbeworfene Haus des Savannen-Indianers.
Nadidem der gewöhnliche Verlauf eines Tages geschildert
worden, beschäftigt sich Im Thum mit der Besprechung der weh^sten
Lebmsabs^iUe.
Die Einrichtung der „couvaäe", des männlichen Wochenbettes,
ist tief gewurzelt. Sie erscheine in dem Glauben an ein geheimnis-
volles Band zwischen Vater und Kind begründet; das Kind leide,
wenn der Vater sich über die vorgeschriebenen Hegeln hinwegsetze;
es bekomme vorstehende Zähne, wenn sich der Vater nicht des
Capybarafleisches enthalte u. a.; wenn er bade, rauche, Waffen in die
Hand n&hme, mächtige Speisen geniel'se, könne dies dem Kinde so
übel bekommen, als ob es selbst dergleichen gethan hatte. — Der
Naum, gewdhnlich einer Pflanze oder einem Vogel entlehnt, wird
von den Eltern oder von dem Zauberarzt, dem »peaiman* (sonst
page), bald nach der Geburt gegeben, aber einem Aberglauben zu
Liebe in der Anrede vermieden, und durch die Bezeichnung des
Verwandtschaftsgrades oder allgemeine Titulatur ersetzt. — Verlo-
hungen von Kindern kommen häufig vor, sind aber nicht bindend.
Die Fr;iu bann durch Kauf erworben werden; auch geben die Eltern
sie für einen ihnen geleisteten Dienst zur Belohnung. Nach der
Hmal lebt der Mann und arbeitet bei dem Schwiegervater. So lange
Digitized by Google
— 282 —
keine Kinder vorhanden >ind, ist Scheidun*; gestattet: in jenem Fall
dagegen wird das Weggeben des Mannes als Desertion betrachtet
Die alten Heiratszeremonien werden nnr noch selten vorge-
nommen. Bei den Makiud enth< sich der Mann einige Zeit nach
der Heirat des Fleisches. Die Warraa haben zaweilen acht oder
sehn Weiber; auch bei den Wapiana besteht Polygamie, wahrend sie
bei den Karlben nur Teretnzelt Torkommt. Der Peaiman bedient
sich seiner einflufsreichen Stellung, um sich einen ganzen Harem
zuzulegen. — Die meisten Indianer sterben fiiih, gewöhnlich an
Auszehrung oder Dysenterie; auch werden die Alten nicht respektiert,
sondern höchst widerwillig von den unzufriedenen Jungen -refüttort.
Den überlebenden nächststehenden Verwandten ist von Trauer und
Teilnahme wenig anzumerken. Im Hause wird ein Loch gegraben;
ist es grofs genng, wird dem in eine Hängematte eingewickelten
Leichnam eine sitsende« bei den Aekawoi eine stehende SteUong
gegeben. Doch nimmt man es mit diesen Vorschriften nicht genas
und bettet unter Umständen den Toten nach Belieben und Bequem»
lichkeit Ober dem Grabe wird ein Feuer angezündet, man tanzt,
trinkt und rühmt in Klageliedern die Tugenden des Hingeschiedenen,
dann wird das Haus für immer verlassen. Bei den Makusi werden
die Zauberärzte auf einem besondem, eigentümlich geformten Hügel
begraben, der sich isoliert in der Savanne gegenüber dem Nordrand
der Canakooberge erhebt.
Mit besonderer Sorgfalt und Sachkenntnis werden von Im Thum
Waffen, deren Herstellung und Gebrauch, Landbau, Zubereitung der
Nahrung, Töpferei, Weben, Korbflechterei, Kanubau, Zusammen-
setzung der Zierraten und des Federschmucks, Musikinstrumente,
Prftparation Ton ölen, Wachs, Farben, Behandlung des Tabaks
n. a. beschrieben. Dieser Teil des Buches entzieht sich wegen dear
mannigfachen, aucl^ der Illustration bedürfenden Einzelheiten dem
knappen Referat.
Jeder Stamm zeichnet sich durch eine ihm eigentümliche
Manufaktur aus: die Handler dürfen selbst feindliches Gebiet iinbe-
iästigt passieren. Als Spezialitäten werden aufgeführt: für die
Warrau Kanus, eine Sorte Hangemfttten« für die Wapiana der-
gleichen Kanus, welche sie den Stämmen des fernen Innern liefern,
fOr die Makusi Pfeilgift und hauptsftchlich baumwollene HftngematteD,
für die Arekuna Baumwolle, welche die Makusi und andere tou ihn«i
eintauschen, nnd samtlicher Bedarf an Blasrohren, die einer nur
in Venezuela heimischen Palme entstammen, für die Taruma und
die Woyowai ein vollständiges Monopol der Mandioka-roste, sowie
Zucht und Dressur von Hunden, für die Echten Kariben Töpferei,
Digitized by Cl^
'— 283 —
für die Arnak Hängematten aus Palmfaser und Topfwaren fOr den
eigenen Konsam. Nur die Aclcawoi nehmen mit keinem Produkt
an dem Tauschhandel Teil und müssen alles, was sie bedürfen, sieh
selbst schaffen, was vielleicht durch die ihnen von allen anderen
Stämmen bezeugte Abneigung erklärt wird. Fortwährend begegnet
man unterwegs solchen Händlern, die von Distrikt zu Distrikt lange
Beisen unternehmen.
Bei dem scheuen Charakter des Indianers wird es dem Weissen
nur selten möglich, seinen Festlichheitenj den Paiwarigelageu beizu-
wohnen. Paiwari ist das aus gekautem Mandiokabrod bereitete, der
G&hrung ausgesetzte Hanptgetrftnk, wahrend „casiri* — in Brasilien
caxiri, gleieh dem paiwari — hier ein appetitlicheres, aus sOfoen
Kartoffeln und Zuckerrohr gebrautes ErMsehungsmittel, genannt
wird. Einladungen zu dem Feste werden von dem Häuptling an die
befreundeten Niederlassungeu erlassen ; Knotenschuüre geben die
Zahl der ausstehenden Tage an. Unter einförmigen, ewig sich
wiederholenden Begrüfsungsfornieln werden die Besucher empfangen."
Bei Tagesanbruch wird der Körper so schön und ausgiebig als
möglich bemalt und mit allem Schmuck des glücklichen Besitzers
behangen; man bewaffnet sieb mit Klappern, Trommeln, Flöten,
federverzierten Musikinstrumenten aller Art und Stäben, deren
Spitze eine rohgeschnitzte Tierfigur aufsitzt. Man formiert ehie
Prozession, diese umkreist den kanuartigen Trog, in dem das Qetr&nk
aufgefüllt ist, und iin langsamen Rhythmus die Instrumente schwingend,
mit den Füfsen stampfend, singen alle in monotoner Weise „hia-hia-
hia". Plötzlich ein lautes, gelles Durcheinauderschreien, die Prozession
löst sich auf, die Weiber bringen zu trinken, sie trinken selbst und
die Prozession beginnt aufs neue. Etc. in infin. Bei einigen
Stämmen werden die Bewegungen gewisser Tiere, des Affen, des
Jaguar, nachgeahmt. Die Ackawoi haben einen Tanz, in dem
jeder ein anderes Tier darstellt und dessen Bild auf dem Stocke
trflgt. Bei den Makusi werden gelegentlich der Feste Wettrennen
veranstaltet. Der eigentümliche Tanz der Aruak, in welchem zwei
gegenttbergestellte Beihen sich paarweise mit Peitschenhieben zu-
setzen, dürfte jetzt nahezu ausgestorben sein. Die Warrau haben
einen Schildtauz, zwei Kämpfer springen mit den 4 Fufs hohen und
3 P'ufs breiten Schildern gegeneinander und suchen einander vom
Platz zu drängen.
Eine besonders für ein allgemeineres Publikum sehr lesens-
werte Studie enthalten die Kapitel, welche den religiösen VorsMmgen
gewidmet sind. Hier zeigt sich das Bemahen des Verfassers, sich
auf den Standpunkt des Indianers zu stellen und den Fehler zu ver-
Digiii^L-G üy Google
— 284 —
meinen, dafs er, um jene za beurteilen, die Basis der eignen
ADschauuQgen unterlegt, im schönsten Liebte und es gelingt ihm in-
folge dessen, auf entwicklungs- geschichtlichem Wege die innere
Logik des indianischen Glaubens in sehr geftlliger Form zur Dar-
stellung zu bringen. Seinen Ausgangspunkt bildet der «Animismus*
des roten Mannes: wie der Mensch, haben auch, nur dorcii die
anfsere Form unterschieden, die Tiere ibre eigene Sprache, ja
Felsen, Flüsse, Wasserfälle, die Natur überbaupt, ihr seelisches
Leben. Jeder Körper der belebten und unbelebten Welt besitzt eine
Seele: sie trennen sich in Schlaf und Tod. Dies Verliältnis offenbart
sich deutlich im Traum, der anders unverständlich wäre. Der In-
dianer zieht deshalb, wie Im Tburn mit einigen drastischen Beispieles
illustriert, einen andern, von dem er im Traum,e übles erfahr^
ohne weiteres zur Rechenschaft heran und macht des letztaren
Kdrper für die Streiche seiner Seele verantwortlich. Der Glaobe
an die Fortdauer nach dem Tode ist in dem Animismus von selbst
^thalten, allein die Frage der Unsterblichkeit, der ewigen Fort-
dauer, ist liiermit uoc\\ nicht identisch und wird von dem Indianer
überhaupt nicht gestellt. Was unter dem Namen ^der Alte im
Himmel" von einer bestinmiten Gottesidee zu existieren scheint,
ist auf den Urlieber des Stammes und die Abstammung aus anderer
Gegend, auf einen im Lauf der Zeiten mit der Glorie des
Mythus umgebenen mächtigen Häuptling zurückzuführen. — Wenn
jemand stirbt, bleibt etwas, etwas geht Das Bild in der
Pupille ist versehwunden, heben die Makusi hervor, damit ist
die Seele weg. Nur durch den „ Animismus^ wurd die enorme
Fülle des Aberglaubens Terständlich, welche den beiden mit
einer so wichtigen KoUe im Iiniiaiieilebeu bedachten Instituten des
„Kenaima" und des „Feaiman" anhaftet. Der Kenainia, d. h. ein
Rächer, ein Vergelter, ist im stände — das jj^laubt jeder Indianer,
wenn er den Vorgang auch von sich selber nicht verstehen würde,
doch von jedem andern — jene Trennung von Körper und Seele,
welche die Natur in Schlaf und Tod vornimmt, willkürlich auszu-
führen und dadurch einem andern BOses zuzufügen. Alles Übel,
Kranksein und Unglück ist das Werk irgend eines Kenaima, dem
die unsichtbaren Kräfte gehorchen. Gegen ihn schützt nur eins,
der Zauberarzt, der Peaiman. Der Verfasser hat sich in einer
einsamen Hütte selbst den Prozeduren eines solchen Künstlers
ausgesetzt, der ilun ein hartnackiges Kopfweh vertreiben wollte. Ein
unaufliörliches Geheul. Wechselreden zwisclien dem ventriloquisti.sch
vorzüglich ausuebildeten Peainiau und den in allen Dissonanzen
wimmernden oder kreit>chenden, verschiedenartigsten Kenaimas, riefen,
Digitized by Google
^ 285
da sie die Dauer von sechs Stunden beanspruchten, einen stuporöseü
Zustand hervor, welcher an der Macht des Zauberers keinen Zweifel
liefe, wenn er auch die Kopfschmerzen steigerte.
In nahem Zusammenhang mit den religidsen Vorstellungen des
Indianers und ebenso mit geschichtlichen Ereignissen der Vergangenheit
stehen eine Reihe von „folk-lore teils" und „fire-side tales", die Im
Tburn gesammelt hat und in einem besonderen Kapitel vorfühil,.
Der letzte Abschnitt gehört den Antiquitäten, den Bilderfelsen,
dm Muschelhaufen, den Steinworkzeugen, den Steiiikreisen und den
liuinenstätten alter Niederlassungen. Mit den beiden ersten Kate-
gorien beschäftigt sich der Verfasser etwas eingehender und auf
Grund eigener Forschung.
Er unterscheidet zwischen zwei Formen der Büdersehriß,
der tief (V«— Vt'O eingeschnittenen und der blos oberflächlich
eingeritzten. Sie scheinen nie an demselben Orte aufzutreten;
jene findet sich am Mazeruni, Essequibo, Ireug, Gotinga, Potaro
und lierbice, diese nur an dem Corentyn und seinen Nebenflüssen,
wo sie aber häutig vorkommt; die erstere sei wahrscheinlich mit
geschärften Werkzeugen, die letztere durch Reibung mit Steinen
und feuchtem Sand hervorgebracht. Auch das Sujet ist verschieden.
Der typisch wiederkehrende Gegenstand, den die Flachzeichnung
darstellt, ist eine lang rechteckige Figur, die durch einen mit Kadien
besetzten Halbkreis gekrönt wird. Die Tiefbilder hingegen sind
immer in grdfserer oder geringerer Anzahl auftretende rohe Nach-
ahmungen von Menschen, Affen, Schlangen u. a., oder sehr einfache
Kombinationen einiger graden oder krummen Linien, und stets bedeutend
kleiner als die Flachbilder. Durch eine am Rio Negro befindliche
Darslelluü.i; eines Schiffes nach Art einer spanischen Gahone, die
etwa dem 16. Jahrhundert angehöre, werde bewiesen, dafs die Kunst
noch nach dem Erscheinen der ersten Europäer ausgeübt worden
sei. Das beschriebene Rechteck vergleicht Im Thum mit einer öfters
in Mexiko gemalten ähnlichen Figur, die eine derartige Überein-
stimmung zeige, dafs man sich des Gedankens einer gewissen
Yerbindung zwischen den beiden Landern nicht erwehren könne.
Die EjSkkenmdädmger^ deren etwa ein Dutzend bekannt ge-
worden sind, sind alle auf den Pomeroondistrikt beschr&nkt und
befinden sich immer nahe fliefsendem Wasser in stark geschfltzter
Lage. Der gröfste ist bei Sireeki, 250' lang, 90' breit, 20-25'
hoch. Sie bestehen hauptsilchlich aus Anhäufungen von Schalen
der Neritina lineolata und sind schichtenweise angeordnet, indem
sie in gewissen Abstünden durch ein dünnes Stratum einer harten,
gebrannten Masse unterbrochen werden. In geringerer Anzahl und
Digitized by Google
— 28« —
2\var um so häufiger, je naher der ürinocomüudung. .sind auch
Austerschalen eingeschh^ssen. Man hat im übrigen gefunden: zer-
streut Menschenknochen, die zur Entleerung des Marks gespalten
waren, Steinwerkzeuge, grofse Mengen scharfkantiger Fragmente
Yoo h&ibdurchscheinendem Quarz, und vereinzelt: silberne Orna-
mente, Topfscherben o. a. In dem Piraccahaufen entdeckte
Im Thurii 3 Fdis unter der Oberfläche das Rdhrchen einer Tabakspfeife
von europäischer Arbeit Er ist der Ansicht^ dafis die Muschel-
haufen von Echten Earlben herrflhren, welche, von den Inseln kom-
mend, hier in feindlichem Gebiet landeten nnd gen((tigt waren, ein
elendes Leben zu fristen; so erklären sich der Kanibalismus, die
festungsartige Position, die Austern, der beschränkte den Antillen
nächst gelegene Distrikt; ferner die srhlechten Werkzeuge, das
mangelnde Töpfergeschirr des für seine Streifzüge nur mit dem
Notwendigsten ausgerüsteten Indianers. Die Hypothese ist geschickt,
aber nicht recht ttberzeugend. Alles freilich, was zu gunsten eines
niedrigen, armseligen Volksstammes spricht, pafst auch, für den
raublustigen Abenteurer einer höherstehenden Nationalität. Warum
sollen die Warrau, die nachweislich jene Gegenden bewohnt haben
nnd noch heute in kleinem Malsstabe Muschelhaufen anlegen, sich
niemals auf das Meer gewagt und einige Austern mitgebracht haben,
sie, die besten Kanubauer? Dafs sie heute ein miserables Volk
sind, beweist nichts gegen früheren Kannibalismus, wie Im Thurn
deduziert. Und sind auf den Antillen Muschelhaufen nachgewiesen?
Kamen die Kariben nur an der Orinocomündung in die Lage, sich
so dürftig zu ernähren?
Im Thurn ist nun einmal von der Ansicht beherrscht, dafs die
Kariben tlber die Antillen eingewandert seien, und l&uft Gefahr, die
Konseqnenzen jener Hypothese zugleidi als GrOnde fftr dieselbe zu
Yerwerten. Am Ufer des Flusses, in dessen Niederung die Musdiel*
häufen zerstreut sind, lebt der Verfasser allem Anschein nach noch
gegenwartig: wenn dementsprechend zu hoüeii steht, dafs er seine
Untersuchungen fernerhin vervollständigt, sei ihm vor allem die
Linguistik ans Herz gelegt. Alle anderen Schlüsse, so viele mehr
oder minder wahrscheinliche Vermutungen sie anregen mögen,
werden bei der enormen Verschiebung jener Völkerschaften unsicher
durch die Verwischung jeder klaren Grenze: die Wege sind aus-
getreten und eine Spur loscht die andere. Vielleicht sind die
physischen Merkmale noch zfther in der Erhaltung und widerstands-
fthiger, was nfltzt es, wenn ihre Differenzen so subtil sind, dafs sie
unserer Bestimmung entschlapfen? Jedenfalls hat man, wie Stdü
tttr die Mayasprachen Guatemalas nachweist, die Veränderlichkeit
Digitized by Google
- 287 —
der anierikanischea Idiome sehr überschätzt; man iniifs nur das
Wiciitige und nicht das Nebensächliche vergleichen. Es ist aber
die höchste Zeit, systematisch zu sammeln. Warnend erhebe sich
vor jedem, der beim Zusammensturz der indianischen Welt aoch
retten und bergen will, die gespenstige Erseheinung des
Atttienpagays.
§ Ans der Geographischen Oesellschaft in Bremen. Kürzlich ist als eines
der wichtigsten wissenschaftlichen Ergebnisse der von unserer üeseUschaft in den
Jahren 1881 und 1882 veranstalteten Beise nach Nordostasien und Nordwest»
amerika im Verlag tob Hermaiiii Coetenoble in Jena das Werk: die Tlinkit-
Indianer, von Dr. Aurel Kranse, im Umfiuig von 4S0 Drookseiten und
ausgestattet mit einer Karte, 4 TMn nnd 32 illnstrationen ersdüenen. Der
YerfiMser dieser ansgezeiehneten, auf sorgOttigen eigenen Beobachtungen und
einem umfassenden und gründlichen Studium aller früheren Reiseberichte und
bezüglichen Werke beruhenden Arbeit leitet dieselbe im Vorwort u. a. mit folgen-
den Bemerkungen ein: „Die lebhafte Teilnahme, mit welcher gegenwärtig ethno-
logische Forschungen verfolgt werden, mufs jedem, der mit eigenen Angeii den
drohenden Untergang der Naturvölker wahrgenommen hat, aufs vollste gererlit-
fertigt erscheinen. Wohl entbehren noch weite Strecken unseres Erdballes einer
gründlichen Untersuchung in geographischer und naturwissenschaftlicher Be-
tiehnug; nodi 'kokt der Entdeekermhm den Beisenden in polare Eiswftsten und
in das unbekannte Innere der anfoereoropiiseben Kontinente; aber die natOr^
liehe Beschaffenheit der Erdoberfliche verftndert sich nnr langsam, und ohne
groiMn Nachteil fAr den allgemeinen Fortschritt der phTsischen Wissenschaften
können diese Forschungen, so wichtig sie auch sind, kommenden Geschlechtern
überlassen werden. Die NaturTÖlker dagegen, bei denen der ruhige Qang der
Entwickelung durch die Berührung mit der Zivilisation jäh nnterbrochpn worden
ist, gehen aller Orten einer schnellen Umwandlung und Kntartung, oder selbst
völliger Vernichtung entgegen. Vergeblich werden sich S{)ütere Jahrhunderte
bemühen, die Versuinnnissc, welche die Geg* nwart durch die Vernachlässigung
der noch vorhandenen Reste dieser Volker sich hat zu Schulden kommen lassen,
wieder gat zu machen. Gerade der durch die Erfindungen der Nensait ein-
geleitete gewaltige Anftchwnng in der Entwickelung des Henscheng^cUeehts,
der aneh die Wissenschaften anf eine kanm geahnte HOhe gehoben hat, droht
einer der jAngsten derselben, der Ethnologie, den Boden tn entdehen. Wohl ist
die Wichtigkeit ethnologischer Forschungen allgemetn awrkannt ; lehrt uns doch
das Stadinm der Naturvölker die Qeschi« lilo unserer eigenen Vorzeit verstehen,
indem es uns einen Blick in dus Völkerleben derjenigen Zeiten eröffnet, über
die schriftliche Aufzeichnungen nicht vorhanden sind. — Aber die Aufgabe ist
nicht leicht. Es genügt nicht, dals der Entdeckungsreisende hier und da Beob-
achtungen macht, die er bei der Schilderung seiner Reiseerlebnisse gelegentlich
mitteilt; es genügt nicht, dals die ethnologischeu Museen sich mit den Qebrauchs-
Kleinere Mitteilungen.
Digitized by Google
gegenständen ünd Knnsteneagnissen der Naturvölker füllen, &o wichtig auch
dergloiehen Sttomilungen sind. Em QmftaBend«ie8 Stadium that not, am ob
m&gUchst tnaes Qeiamtbild Toa dem Leben der Natortölker za gewimien; m
liogerer Veikehr mit ihnen, die Kenntnis ihrer Sprache ist erforderlich, um ihre
Gehr&nche ond ihre religiösen VorsteUonf^en Terstehen za lernen und in ihren
Gedankengang einzudringen. Die vorliegende Arbeit, das Ergebnis einer von
meinem Bruder und mir zu wissenschaftlichen Zwecken onternommeneu Heise
nach der Nordwestküste Amerikas uiui eims fast einjährigen Aufenthalts unter
den Tlinkit - Indianern, kann nur als em kleiner Beitrag zur Geschi< litc der
amerikanischen Völker angesehen werden. Die Zeit war zu kurz, die Vorbildung
für di'U besonderen Zweck zu gering, unsere Thätigkeit bei beschränkten Mitteln
zu vielüu Ziuleu zugewuudt, als duls das Ergebnis em allseitig beiriodigeudes
hüte sein können. Wenn ich mich trotsdem dasa entschlossen habe, auf
Qrond unserer Ermittelnngen ond der voifaandenen Litterahir die nachstehende
SchUderang des 11inkit>Yo1hes an geben, so bewog mich dasa einmal die ün-
snlfingliehkeifc der bisher Uber dieses Volk Tsröffentlichten Nachrichten, dann
die Übeisengong, dafs eine omfusendere, aof eigenen Beobachtungen beruhende
Arbeit von anderer Seite kaum zu erwarten ist, ja bald nicht mehr möglich
sein wird." Gehen wir nun etwas näher auf den Inhalt des Werkes ein, so
dürfen wir, Bezug nehmend auf die in dieser Zeitschrift früher veröffentlichten
Reiseberichte d«r Herren Gebinider Krause, über die Einleitung, welche den
Verlauf der ganzen Reise nach Tschuktschenland und Alaska kurz schildert,
hinweggehen. Das cnste, mit .Hi.storische Übersicht" bezeichnete Kapitel ist ein
höchst wertToller Beitrag zur geographischen Entdeckungsgeschichte, insofern
als nicht blos die deutschen, englischen, amerikanischen, franaösischen und
spanischen Beiseberichte, sondern auch die in mssisdier Sprache vorhandenen
Qaellenschriflen, namentlich die Berichte der mssisch-amerikaaisGhea Kompagnie,
die Werke von Tichmenew und Weniaminow, im ^uisen über 100 Werke bei
Ausarbeitung dieser historischen Darstellung benutzt wurden. Dieselbe ist über-
sichtlich in drei Abteilungen: Periode der Entdeckungsfahrten von lä88 — 1794,
Periode der russischen Herrschaft und Periode der amerikanischen Herrschaft,
geordnet; bedeutende Gestalten, organisatorische Talente ersten Uau^i j., wie jener
Alexander Baranow und der Priester Weniaminow. treten uns m der hiiiieruug
der an Kämpfen und Anstrengungen für das Zivilibierungswerk reit lu ii rus.si.schen
Herrschaft entgegen. Das zweite Kapitel enthält eine geographische Beschreibung
des vom 66l bis 60. Oxad n. Br. sich entieckendea Wohi^sebiets der TUnkifts;
die Felsenkftste ist serrissen, vielfach ausgebachtet und dnxch Meeresanne in
Inseln geteilt, deren Inneres grolsenteils noch unbekannt Die Gebixge und volkaai*
sehen Erscheinungen, die heilsen Quellen, der geognosUsche Bau, die Erse ond
nutzbaren Mineralien, die geringe Zahl der FluliBläufe, die Wittemngsverhältnisse,
die durch reichliche Niederschläge bedingte üppige Vegetation, das l'ierlebeu
und besonders der grofse Fischreichtum der Gewässer werden naher dargelegt
Die folgenden Kapitel, 2 — 14, bilden nun den Hauptinhalt des Buchs, eine voll-
standige Monographie der Tlinkit- Indianer ; wir heben daraus folgende Punkte
hervor: Name, Zahl, Einteilung in Stanunc und Geschlechter; die W\)huwoi.-jc.
Kleidung und Schmuck; Gesundheitszustand, geistige Fähigkeiten, Sklaverei;
das Leben im Hause und am Herd; Beschäftigung der M&nner und Frauen;
Spiele, die Achtung vor dem Eigentum, die germge Reinlichkeit Haupt-
beschfiltigangpn der ICftnner sind Jagd, Fischerei und Handel Wie vir aber
auf der Ausstellung, welche hier in Bremen ans den von den Qebrfidem Kians»
Digitized by Google
— 289 —
nntgebrachten Sammlnnt/on voraiist.iltct wurde, f^cselien haben, sirul die Tlinkits
auch ein Industrievolk; an der Ausübung; der bei ihueu heimischen originellen
Kunstgewerbe sind vorzugsweise die Frauen beteiligt; mit zum Teil sehr primi-
tiven Werkzeugen werden die verschiedenartigsten Gegenstände des Haushalts,
Kleider und Schmucksachen, Hausgerät aller Art aus dem Material, welches die
Naftur bietet, gesohiiHBt und g^sdiiiiiedet, geflochten und gttfrebi Sehr ein-
gehend sind die Kittmlungen ther die meist vom TerfiMBer selbst beobachteten
Sitten nnd Oebrinche, Uber die Feste, Aber Streit nnd Kampf, endlieh Aber die
Mythen nnd das Schamanentam. Bs folgen Bniefato ttber Naehbarrölkeri
namentlich die Haidas, die Tschimssians, die Bilballa und die Völker im Innern
von Süd-Alaska. AuTserordentlich wichtig sor ethnologischen Kenntnis eines
Volkes ist natürlich die Sprache; hierüber enthält Kapitel 14 eine Reihe von
Beobachtungen, welche die Lautbildung und den Bau der Sprache betreffen;
es wird ein ziemlich umfangreiches Wörterverzeichnis mitgeteilt. Eigentümlich
ist die Zeitrechnung der Tlinkits: das Jahr wird in zehn Monate von ver-
schiedener Zeitdauer eingeteilt; August bis Oktober heiTst z, B. der grofse Monat,
NoTember heilst: Schnee auf 'den Bergen, Dezember: der erste Schnee fallt,
Apffl: die eisten Blnmen erscheinen, Jnni: die YOgel legen Bier n. s. t Der
Anbang enthält anf 18 Seiten ein Teneichnis der Yon dem Teifuser benntsten
üttecatar, ein alphabetisehes Verzeichnis der in dem Buch vorkommenden Namen,
endlich eine instruktive Erklärung der vier illnstrierten Tafeln, weldie die Hans-
und die Fischerei gerate der Tlinkit, die Bereitung des Fischöls, sowie endlich
Waffen und verschiedene Geräte veranschaulichen. Aolserdem finden wir im
Text 32 ansprechend ausgeführte Abbildungen, welche Tlinkits in ihren ver-
schiedenen Beschäftigungen, Landschaften, Häuser, Holzschnitzereien, namentlich
Wappenpfähle u. a. darstellen. Endlich ist eine von Dr. Krause entworfene
ethnographische Karte des südöstlichen Alaska beigegeben, welche die Wohn-
gebiete der verschiedenen Indiauerstamme bezeichnet — Wir zweifeln nicht, dais
die IGlgliedflr md l^ennde unserer Qeaellaehalt ihr Interene durch Abnahme
eines Exemplais des Werks, dessen Preis ein sehr mSbiger, 11 lisrk, ist, bethitigen
werden nnd möchten diese lüttoflnng nicht scblieÜBen, ohne darauf aniinertaam
an machen, dab Ton den Herren Gebrttder Kranse bis sor Pnblikation dieses
Buchs 15 Berichte und Arbeiten verSliuitlieht^ die mitgobraehten naturwissen-
schaftlichen nnd ethnographischen Sammlungen den Massen in Bremen, Bam-
bule und Berlin überwiesen und dafs diese Sammlungen bis jetzt erst zum
kleinsten Teil bearbeitet wurden; 15 Fubiikationen sind bis jetst darüber er-
schienen.
Unser korrespondierendes Mitglied, Herr Dr. F. Hirth, übersendet uns
folgende gelehrte Publikation: China and the Roman Orient: researches
iuto their ancient and mediaeval relations, as represeuted in old Chinese records
bj F. Birth. Leipzig nnd Manchen bei 0. Birth, Shanghai nnd Hongkong bei
Kelly ft Walsh. Als das Ergebnis seiner gelehrten Untenmohnngen beaeichnet
der Ver&sser, dalb das Iiand Ta-te*in, der «ferne Westen' d«r alten chinesischen
SehriftsteDer, nidbt das römische Reich mit Born als Hauptstadt, sondern der
Miehe Teil desselben: Qyrien, Ägypten und Kleinaaien' gewesen sei
Polarregionen. Die hydrographischen Beobachtungen der
Nordens kjöldschen Expedition nach Grönland im Jahre 1883
sind von Axel Hamberg bearbeitet und von Nordenskjöld in den Proceedings
of the royal geographica! society mitgeteilt worden. Im folgenden wollen wir
G«Ofr. Blätter. Bremen 188&. 21
Digitized by Google
— 290 —
die wichtigsten derselben kurz wiedergeben. Sie beziehen sich nur anf Salz-
gehalt und iempcruiur iu verschiedeueu Tiefen, Richtung and Geschwindigkeu
der StrOmung achoinen wohl wegen Zeitmangels leider nicht beobaehtei zu sein,
und doch wftiden diese etat mancheii ans den erstertn gezogenen Sehlüssea
ihre rechte Bedentniig und Chmndlage geben. — Das spesifische Qewicht wurde
mit feinen nnd sorgfiltig geprfliten Ariometem bestimmt^ da diese jedodi stets
im Vergleich zn der Tolnmetrisohen Analyse mit salpetersanmm Silber, sich als
unsicher erwiesen haben, so wurden eben&lls Chlorbestiaunnagen TOrgmonimen,
welche sehr gat unter einander stimmten.
Die Dänemarkstrasse zwischen Island und Grönland ist vom hydro-
graphischen Standpunkte von besonderem Interesse, weil Strömungen von ganz
verschiedener Art sich hier auf einem verhiiltnisnuilsig kleinen Paiura begegnen.
Die warme oder Irmingerströmuug, welche die West- und Nordküste Islands
bespült, ist durch die dänische Expedition der „Fylla^lS?? — 78 recht gut unter-
sacht worden, während der an der Ostkfiste Grönlands henmtersetseade ksHe
Strom nnr an der Kante Ton Kapitin Honrier, Kommandanten des »Ingolf ,
im Jahre 1879 etwas studiert worden ist Der'letsfcere beobachtete während
seiner Fahrt Ifings des Pf^axstroms stets eine verhältnism&lsig hohe Temperstor
am Boden des Meeres und schlofs daraus, dafs der Polarstrom, nachdem er die
Bodenanschwellnng awischen Island nnd Grönland passiert hat, auf einer Schicht
verhältnismafRig warmen "Wrissers dahinfliefst. Dieses Resultat ist von der
Nordeuskjüldschen Expedition, welche den Polarstrom durchqueren konnte,
vollauf bestätigt worden. Die von Hamberg aus den Beobachtungen gezogenen
Schlüsse sind die folgenden:
1) Der kalte Folarbtrum au der Ostküste Grönlands fliefst in seinem
ganzen Verlaufe von 66 ^ bis Kap Farvel anf warmem Wasser. Abgesehen Ton
einer sehwaohen gelegentlichen Erwärmung der oberen Schichten (die wohl dnreb
die Einstrahlung der Sommersonne bewirkt wird) nimmt die Temperatnr ?on
oben nach nnten so. 2) Die vertikale Dicke des Polarstiomes scheint von der
Tiefe des Meeres abhängig an sein, derart, dab die Temperatur 0^ erst in
gräberer Tiefe gefonden wird, wenn die Tiefe des Wassers gröfser ist 3) In dem
wärmeren Wasser des atlantischen Oceans aulserhalb der Polarströmung nimmt
die Temperatur natürlich von oben nach unten ab. An der Grenze beider
Gewässer, des Polarstromes und des atlantischen Oceans nimmt die Temperatur
zuerst dem Polarstrom entsprechend zu, später dem Gesetze des atlantischen
Oceans gemäfs ab. 4) Wie schon Hoffmeyer augedeutet hat, ist das Ober-
flächenwasser der kalten Strömung weniger salzhaltig als das Wasser des
wärmeren Irnüngerstromes. Es findet nahezu, wenigstens in gewissen Grenzen,
Fioportionslitftt awischen Salzgebslt nnd Temperatur statty indes eine höhere
Tempeiatnr stets einen grOfiseren Salzgehalt andeutet ö) nnd 6) Es scheint,
dab der Salzgehalt im Sommer im Sfiden höher ist als im Norden
nnd dals dies Yeiiiältnis mit den Jahreszeiten wahrscheinlich starken
Änderungen unterworfen ist. 7) Innerhalb des Polarstroms findet eine rasche
Zunahme des Salzgehaltes mit der Tiefe statt. 8) In dem Irmingerstrom wurde
eine langsame Zunahme des Salzgehalts in den oberen Schichten und eine
langsame Abnahme in den unteren gefunden. 9) Trotz der Zunahme der
Temperatur mit der Tiefe innerhalb des Polarstromes und der Abnahme des
Salzgehaltes innerhalb des Irmingerstroraes ist doch die Zuiiahnif des Salz-
gehaltes in dem einen und die Abnahme der Temperatur lu dem anderen ge-
nügend, um an bewirken, dafii in beiden Strömungen eine regehnäüuge Zonakme
Digitized by Google
— 291 —
des BpMifiMiwD Oewklits (bei der TtompentiU' in rituX also eine Lageiuug dea
Waaeen nach dem bekanntea physikalucheii Qetetse etatlfiiidet 10) Das
spesifiache Gewicht bei der Temperatur in ritn iat bei deraelben Tiefo geringer
innerhalb der Bohnatrömimg ab anberhalb deiaelben. Der kalte Strom
fiiefst daher Über einen kompakten Strom «armen Wasseta ans dem atbuitiachen
Oceaa hin.
In Folge des beträchtlich niedrigeren spezifischen Gewichtes des kalten
Stromes drängt sich die warme and schwerere Strömung unter den erstereu
und hebt denselben in die Höhe.
Diese Hebung kann in dem südlichen Teile während des Herbstes (nach
den Beobachtungen lu öy^ 43' N. und4.i^ iti' W.) auf 0,10 m*) gebchütut werden.
Da aber das Wasser dea Pobntromes im Norden weniger sidzhaltig zu sein
aoheint als im Sflden, so mnfii der nfirdliehe Teil noch höher liegen and der
Strom wird an der OatkQste GMnlanda eine naoh Sfiden ganeigto Fliehe hinab-
flielhen, wobei aatOrlich gehörige Bftekaicht aof kleine Diveigcnien vnd. die
Ansiehung dea festen Landes genommen wetden mnCk Je gatinger der Salz-
gehalt, desto st&rker sollte die Neigang sein, desto grdfiMT aber auch die
Geschwindigkeit der Strömung. Folglich mübte die StrdmnngageschwindiglLeit
den Veränderungen des Salzgehaltes entsprechen.
Hieran schliefst sich eine kurze Diskussion der Frage, zu welcher Jahres-
zeit der £isgürtel au der Südostküste Grönlands am leichtesten durchsegelt
werden könne. Wir begnügen ans damit, das Resultat su resümieren, zu dem
Herr Hamberg gelangt ist
Gestützt auf daa Obige können wir annehmen, dafo der Folarstrom schon
im Januar nnd Febmar in aainem nördlichen Tefle ansnaehwdlen beginnt,
sein Maximum wfthrend der FriUgahrsmonate erreicht und w&hrend des Sommers
in Stirke abnimmt, 10 daii er wihrend des Herbatas nnd Wintesa verhittnia-
mibig wenig bedeutend iat Alle diese Teiinderungm treten im afidlichen
TeQe natürlich später auf als im nördlichen.
Es wird dann ausgeführt, dafs alle früheren vergeblichen Versuche, die
Ostküste Grönlands zu erreichen, im Juni bis zur ersten Hälfte des August
gemacht worden seien, während der erfolgreiche Versuch Nordenskjölds im
September ausgeführt wurde.
Wenn Herr Hamberg dann die Frage aufwirft, ob ein Versuch im Ok-
tober oder November nicht noch erfolgreicher sein würde, so glaubt Referent
dieae Fhige entsehieden raneinen an mHaaen, demi in dieaen Uonaten iat die
BUdnng jungen Eiaea snriiehen den Schollen achon ao erheblich, dab jedea
Dorchdringen denelben nnmö^^ieh aein dttrfte; anch beginnt dann die atfirmiache
Jahieaaeitr welche daa Eia von Norden her in raachere Bewegung aetit nnd
neben aehnellerem Wechsel in der Laga dea Eiaea namentlich anch gröfime
Massen derselben nach Süden führt
Überhaupt dürfte es gewagt sein, aus dem einmaligen Gelingen der Er-
reichung Ost-Grönlands auf 66 Schlüsse mit Bezug auf die Möglichkeit öfteren
Erfolges zu sichern.
Es ist zu bedauern, dafs Herr Hamberg weder die meteorologischen Ver-
hältnisse, noch die Strömungen dieser Gewässer, soweit sie nach Richtung und
Dieaer Wert acheint nm daa sehnfiache in grob in aein. Die be*
treffenden spesHIachen Gewichte sind ninlicsh folgende: ObeiflAehe 1/18686,
in aOO m: 1,08716.
Digitized by Google
— 292 —
Geschwindigkeit bekannt sind, in den Bereich seiner Untezsnehiingeii gezogen
bat Er wflide maaeha sainer Folgemngen daducli noch weitar haban arliiitaa
können und ar wftide Tiallaicht Ar ainige aman andaran Oeaiohtepiuikt ge-
wonnan haben, wota wir ? or allam dia üraachan dar Polantxömuagan laehnaa,
welche wir eher den herrschenden Winden *) als dan Vanohiadanheiten des Salz-
gehalts soBchreiben mdchten. Frailich ist nicht zu verkennen, daCi die Beob-
achtungen, (leren He»n«fthnng wir gawUnacht h&tten, grolÜBe nnd ampfindlicha
Lücken aufweiüeu.
Im dritten Abschnitt wird die Existenz des von Petermaun behaupteten
warmen Stromes in der Baffins-Bai, welcher sich bis in den Sinith-Sund, Jones-
Snnd und Luucaster-Sund hiueiu erstrecken sollte, näher erörtert. Dr. Bessels
von der Polarisexpedition glaubte, dals diese von Peteruiann als Verzweigung
dea GolCrtiomB anganommana StiÖmiuig nicht axirtiafa nnd in dar That ha4
aach dia Nordanalgdldacha Expedition längs dar W«atkfiBla Qrftnlandt mir
niadriga Tamparator gaAinden. Dam gegenübar wird jadooh auf dia Thirfncfaa
hingewiesen, daCs Carpantar fem von dar grdnUndiaehan Kflata aaUiBt noch bis
78® Bieite Schichten vcrhältnismäCsig warmen Wassers nachgewiesen habe und
barvorgahoben , dafs der doch thatsächlich ezistiarande Polarstrom an der
amerikanischen Küste notwendig einen Gegenstrom aus dem atlantischen Ocean
zur Folge haben müsse. Dies beweise auch das von Irniinger bereits vor 30
Jahren nachgewiesene Umbiegen des an der Ostküste üroulands herunter-
kommenden Eises nach Norden in die Baffins-Bai hinein. Die Abkühlung durch
eben dieses Eis sei nun auch die Ursache, dals sich die aus dem atlantischen
Ooaan nacb Nordan sataenda Str5nmng aiob nicht durch hdbare Wanurtamperatnr
vanata. Diata AnÜMinng scheint doxchans anneiunbar an sein. Wann aber
dia Patarmannsoha Anaioht, dab dieia StrOmnng ain Zweig das ,OolCrtn>Bia'
sei» adoptiart wird, ao ist dam geganikbar daranf sn varwaisan, dab dia naaara
Auffassung dem Qtdfirtrom als solchem eine viel beschränktere Ausdehnung
giabt. Die in Frage stehende Strömung dArfta eine AusgleichnngMtr&mnng,
hervorgerufen durcii den im Westen herabkommenden Polarstrom, sein und
dürt'ie daher aus den benachbarten Meeresteilen herstammen, was natürlich
nicht ausschliefst, dafs westindische Treibprodukte, welche an der westgron-
ländischeu Küste gefunden wurden, gelegentlich aus dem Golfstrom in die nord-
atlantischö Driftstroinung und aus dieser in die Baftinshaiströmung übertreten
könneUi so dan Anschein hervorrufend, als ob das Wasser der letzteren direkt
ans dem GolMrom stamme.
Dar fotgenda viarta Abschnitt ist der Erftrtamng eigentAmliebsr Tampa-
latnrrarbiltaissa das Wasaais in den giOnlftadisehaa Fjorden gawidmai Dia
Beobachtungen ergeben nämlich, daJs dia Tampaiatnr an der Oberfliche (im
Sommer) recht hoch ist, dann rasch abnimmt, in etwa 150 m Tiefe ein Minimum
unter Null erreicht und von da ab bis zum Grunde wieder nicht uncrhebUob
(zwischen 1 und 2^/^ Gradi zunimmt. Der Salzgehalt des Wasser.s folgt dem
oben unter 4 erwähnten lUsultat, dafs er mit der Temperatur abnumat, so dafs
das spezifische Gewiclit bei den Teiuperatureu m ritu doch eine regclinäfsigo
Zunahme von der Ubertlache bis zum Grunde zeigt. Dies Verhalten i.st l'uuz
dem in den norwegischen Fjorden analog, für welche.s Mohn im Ergauzuiigb-
heit 63 von Petermauus Mitteilungen eine Erkl&ruug gegeben hat, dahin gehend,
*) Vaiglaieba dia bydiographiadian Beobachtungen während dar Haaaa-
txift u. a. Dia awaita dentscba Nordpolfahrt lS69/m Band IL S. fiSl n.
Digitized by Gc)
— 293 —
dafs die Erwärmung der Oberfläche dem gegenwärtigen Sommor, das darauf
folgende Minimum der Temperatur dem vorhergehenden Winter und die höhere
Temperatur des Bodenwassers der übriggebliebeueu Wirkung des letzten Summers
aaine Entstehnng Teidanke. Dem Referenten ist das erwftlinte Ergänzungsheft
angenblieUich nicht sagäuglicli, er mnfs eben die Eridftrung geben, wie er sie
in der Arbeit Yon Hamberg gefonden hat, obwohl sie etwas an Unklarheit an
leiden seheint Diese ErUSrang soll nnn nach Bamberg aof die grftnlindischea
Fjorde nur teilweise anwendbar sein, wegen der vom Inlandeise in die Fjorde
sich hineinschiebenden Gletscher und der Yon ihnen losgelösten Eisberge; es
wird dahor die Erklärung in der Woiso gegebon, dafs die hohe Oberflädien-
temperatur durch die direkte Insolation, das Minimum der Mittelsc hiclit (lnr< Ii
das Inlandeis (Gletscher und Eisberge) hervorgerufen werde, während die höhere
Temperatur der untersten Schicht sich nur durch die Verbindung der Fjorde
mit der See erhalten könne.
Der fünfte und letzte Abschnitt behandelt die Temperatarrerhältnisse in
verschiedenen Tiefen der Baffin-Bai. Diese sind, wie die Lage der Bai swischen
swei Oceanen, dem atlantischen and dem arktischen nnd mit beiden in Ver-
bindung stehend, erwarten Iftfirt, sehr komplisierte, indem wftrmere und ktttere
Wasserschichten mit einander in verschiedenster Weise abwechseln.
Während das spezifische Gewicht des atlantischen Wassers wenig ver-
änderlich ist, ist das des Polarwassers sehr wechselnd. An der mit Eis be-
deckten Oberttäche hat, während des Sommers, das Wasser ein geringes
spe/ifisches Gewicht, während die unverdünnten unteren Schichten wegen der
niedrigen Temperatur eine hohe Dichtigkeit besitzen. Eine Oberfläche polaren
Wassers von niedriger Temperatur und geringem Salzgehalt, darunter eine ver-
hältnismäfsig warme Schicht und zu unterst wieder eiue kalte, sollte daher aus
diesen Cfarftnden das einfiMhste Veihftltnis sein, welches in den Tiefen der Baffinr*
Bai sich vorfindet und dies wird in der That anch öfter gefunden. Aber neben
dieser eingehen nnd regelm&ÜBigen Temperatorverteilnng kommen anch sehr
komplisierte Verhiltnisse vor. So wurde in der Melville-Bai eine Beihen-
temperatnrmessang genommen, wekhr 3 Maxima und 2 Minima der Temperatur
aeigte. Der Salzgehalt scheint mit der Tiefe sehr rasch susunehmen. Er betrag
an der Oberfläche zwischen 2,^ und 3,3 " o, in der Tiefe von 625 m 3,ur,
Aus den Beobachtungen der Nordenskjöldschen Expedition im Jahre 1883
scheint hervorzugehen, dafs, wenigstens im genannten Jahre, sich zwischen
dem Polarwasser von verschiedenem spezifischen Gewichte eine Schicht ver-
hältnisraäfsig warmen Wassers befand, welche aus dem atlantischen Ocean
stammte und an der Westküste Grönlands entlang bis nach Smith>Sand sich erstreckte.
Nares nnd Mob glaubten in den tieferen Teflen dieser Gewisser und ihrer
Fortsetsungen nach Norden einen schwachen Strom von dem aüantischeo Ocean
her gefunden zu haben. B.
Wfthrend Leutnant Jürgens von der russischen Polarstation von der Lena-
Mflndung zurückkehrte, führt Dr. A. Bunge seine (früher bereits erwähnte)
Expedition nach der sibirischen Eismeerküste ans. Zunächst sollte der Dnterlauf
der Jana erforscht und sodann zu den Neu-Sibirischen Inseln vorgedrungen
werden. Von dieser Reise darf man sich wertvolle Ergebnisse versprechen: die
von den Promischlenniks, den Jägern alljährlich zum Zwecke drr Gewinnung
von Mammutzähnen für den Handel, besuchten Neu-Sibirischen Inseln wurden
bisher noch nicht wissenschaftlich durchforscht. Die letzten kartographischen
Aulbahmen stammen von der WraDgel-Anjon-Expedition.
Digitized by Google
— 294
Seit laugen Jahreü strebt man in Canada, Manitoba und die nord-
westlichen Teile des Dominiums mittelst einer sommerlichen Schiffahrt
durch die Hadsons-Bai mit nordearopäischen Häfen in direkte Ver-
bindung zu briDgoL Im Lmls dw lalixes 1884 wnide der SMhmidfkiig-
Dampfur sNtptnn* miter Befehl des Leutnants Gordon ni dem Zweck nach
der Hudsons -Bai gesandt Der in dem amerikanischen Joimial Science
vom 13. März abgedmokte Bericht Oordons mnlirte den Verlast eines
Schraubenflügels iniblgs einer BerühruDg mit starkem Treibeis konsta-
tieren; freilich ging er nirht quer durch die Bai nach Fort Churchill oder
York Factory, dem geplanten Ansfuhrhafen, sondern in einem Boppn Ifings der
Nord- und Westküste ; an verschiedenen Küstonpunkten der Hudsons-Bai wurden
nämlich meteorologische Stationen vorläufig für ein Jahr errichtet; auch auf
das Tier- und Pflanzenleben sollte sich die Aufmerksamkeit der Beobachter richten.
In diesem Sommer sollte der von der englischen Regierung geliehene Dampfer
„Alert** die Untersochnng der Hadsons-Bai and -Strasse fortsetien and die
Stationen besnohen; das Besnltat ist bis jetzt nicht bekannt
Die kartographischen Ergebnisse der beiden »merikanisehen
Polarstationen liegen jetst vor und swar 1. in einer vom hydrographiaehen
Amt (Kommander Bartlett) in Washington herausgegebenen Karte: BafTin Bay
and Lincoln Sea, in welcher die Entdeckungen der Lady-Franklin-Bai Station
im Innern von Grinnell-Land und an der Nordkäste von Grönland bis zum
40 " W Ii. Gr. (Kap Kane'» dargestellt sind und 2. in einer vom Kriegsdepartoment
daselbst edierten Karte des Leutnants P. G. Kay : Map of explorations in North-
western Alaska, welche den Verlauf der Küste von Kap Lisbourne bis Kap
Simpson und die Ergebnisse der von der Station üglaraie bei Point Barrow aus
einesteils längs der Kttste nach Osten zum Mackay Inlet, anderuteils südlich
ins Innere Ifngs des Meede Bifers bis über den TOl Bieitengrat antenomnienen
Pntersnchnngslkhrten enthlli
Über die Znginglichkeit der Ostktlste Grönlands in höheren
Breiten wihrend des Bommen 1885 teilte ans Herr Kapitfin Qtay anl Qrnad
seiner BeobachtuDgen wihrend seiner diesjährigen Walfischereikrenie folgendes
mit Die Treibeisgrenze lag dieses Mal sehr weit nach Westen, mindestens
180 milcs von Prince-Charles-Foreland (Spitzbergen); auf 74" n. Br. war sie in
14'^ w, L. Gr. und auf 71" n. Br. in 16^ w. L. Gr. .Ich fuhr im August längs
der Ostküste von der Insel Shannon bis zur Öffnung von Scoresby - Sund ;
zuweilen in Sicht des Landwassers und zuweilen weiter hinaus. Bei der Liver-
poolküste fuhr icli zwi.schen das Landeis, fand aber keine Wale. Das Eis war
für einen Dampfer offen genug, wenn auch nicht ganz so offen wie zu Zeiten in
früheren Jahren."
Die dftnische Expedition kehrte Ton Sttdost-Oiönland, wosieswischen
66 nnd 66* n. Br. winterte, nach Kopenhagen sarAek.
A08 Los Angeles in CalifornieB. (Reisemitteilung des Vorstandsmitgliedes
Herrn H, Melchers.) Im Wandel der Zeiten ändern sich auch die Ansichten der
Menschen und zwar geht ein solcher Wandel in den Anschauungen oft Verhältnis'
mäfsig rasch vor sich. Während bis vor wenigen Jahren die Kolonialpolitik als
ein fiberwondener Standpunkt angesehen wnide and diejenigen Linder beneidens-
wert erschienen, welche sich nicht mit der Last von Kolonien sn plagen branchtsn,
ist jetst bei nns in Deotsehknd die Ansicht in den Yordeigrand getreten, dafo
Kolonien den wahren Boden fOr die Entwickelang des Nationalwohlstandes bilden.
Angesichts der groben Anstrengungen, welche Dentschland letsthin anf dem
Digitized by Google
— 296 —
Qefaieto der Kolonialpolitlk nutelite lud der siemlich allgememen Begeisteniiig
fikr KolomAn und Kolooisatioiieii, dtbrft«n die oacMolgenden Mittetlnqgen Ar die
Leaer dieser BUUAer Ton einigem Intereeee sein. Za den Anliftngeni einer Kolonial-
politik, die am jeden Preis deutsche Kolonien erwerben möchten, gehöre ioh
freilich nicht, auch kann ich mieh der Beförchtong nicht verschlicfsen, dars die
jetzige Schwärmerei für Kolonien nmsowoniger zn praktischen Resultaten fahren
wird, als der branchbare Teil der Welt bereits vergeben und es jetzt fast nn-
möglich erscheint, deutsche Kolonien mit gesundem Klima zu erwerben. Während
die jetzige Koloiiialbewegung ursprünglich von dem Wunsche ausgiug, den deut-
schen Arbeiter dem Mutterlande zu erhalten und ihn in deutsche Kolonien zu
dirigieren, sind wir von der Aussicht, dem deutschen Arbeiter im Auslande eine
deateche Heimat za grfinden, beute nooh ebensoweit entfernt wie vordem, denn
die bislang erworbenen Lftndeistrecken können memals Answandenugsgebiete
für dentscbe Arbeiter oder Landbebaner werden, wogegen sie allenfdis den
Interessen von Handel und Industrie dienen können. Dem deutschen Kaufmann
bieten nun freilich die Kolonien anderer Nationen dieselben Vorteile wie den
betreffenden eigenen Angehörigen, und haben wir in dieser Beziehung der
liberalen englischen Handels- und Kolonialpolitik, die zwischen britischen Unter-
thanen und Ausländern durchaus keinen Unterschied macht, viel zu danken.
Ich weise auf die grofse Zahl von deutschen Kaufleuten hin, die in fremden
Kolonien zu Wohlstand gelangten, um nachher daheim die Früchte ihrer Arbeit
zu geniefseu. Ich verkenne allerdings die grofseu Vorteile nicht, die dem Mutter-
lande ans einem re^ Handel mit eigenen Kolonien erwachsen, setse auch bei
den Dentschttn, im Gtograsatse su manchen anderen Nationen, aUe diejenigen
guten Bedingungen voraus, auf denen der Erfolg der Kolonisation beruht Dafs
der Deutsche ein hervorragender Kolonisator ist, hat er bereits zur Ctonfige in
allen den transatlantischen Ländern, wo er sich in gröfserer Zahl zum Betriebe
der Landwirtschaft niederläfst, bewiesen. Unter diesen Ländern s&hlen in erster
Linie die Vereinigten Stsiaten, und die nachfolgende Schilderung gilt eben einer
jener Kulturschöpfungen, an denen deutsche Arbeit, deutscher Unt-ernehmungs-
geist und Kapital in bedeutendem Umfange beteiligt war und ist, und in sehr
erheblichem Mafse zum Erfolg beigetragen hat, — Auf meiner Reise von China
über San Francisco, Neworleans und Newyork nach Deutschland, im Herbst 1884,
machte ich, nachdem ich San Fraucisco verlassen, meine erste Station in Los
Angeles. Ich verweilte dort einige Tage und möchte diese sich rasch su grofter
Bitte ent<ende Stadt und deren Umgebung mit einigen Worten schildern. Die
geographische Lage von Los Angeles Ck>untf wird durch 84* nördL Breite und
120* westL LSnge Green wich beselchnet; 4812 en^. Quadratmeilen grob, gehört
sie seit 1848 zu den Vereinigten Stxiaten Nordamerikas. Die Stadt liegt etwa
480 miles südöstlich von San Francisco in einer schönen fruchtbaren Ebene und
hat etwa 40000 Einwohner, gegen 3500 in 1874. Spanische Padres gründeten
die Stadt vor mehr als 100 Jahren; nun ist sie schon seit langer Zeit berühmt
durch überreiche Ernten von Orangen, Oliven und anderen tropischen Früchten.
Finden sich hier doch hnndertjährige Olivenbäume, welche noch rcgelmäfsig
Ertrag hefern! Seit der in 1882 erfolgten Eröffnung der Eisenbahn von San
Francisco nach Neworleans nahmen Stadt and Distrikt einen fast beispiellosen
Aubchwung und heute ist Los Angdes im Staate Califoniien die am meisten
aofblfttmnde Stadt. Die Bevölkerung, früher fisst anssehlie&lich II esdkaner und
Leute spanischer Abkunft, besteht heute zum grölsten Teil aus Amerikanern und
Enrop&enL Unter letsteren sind die Deutschen in der Mehrsahl, und viele unter
Digitized by Google
— 296 —
ihnen nehmen hervorragende Stellnngen ein. Die anfsergewöhnlich günstigen
kliraafischen Verhältnisse hahon. nnd wie mir scheint mit voller Berechtigung,
dieser Grafschaft den Namen des amerikanischen Italiens eingetragen. Welche
Anziehungskraft Los Angeles übt, das zeigen uns die zahlreichen schönen
Wohlige V);inde. welche bemittelte Lente aus allen Teilen der Welt hier errichteten.
Sie thateu das wohl mit Recht: bietet sich ihnen hier doch nicht nur eine aar
genehme Häuslichkeit im herrlidiileii Slims der Welt, sondern auch neben mseh
auf bltthendem Handel nnd Gewerbe ▼ortreffliche Eraehnngianatattan fftr ihre
Sdbne nnd TQcbter. Alle Qesehiftn- nnd Bildnngsinstitnte, «ie Yerlcehnmitlel
einer modernen gr&(aeren Stadt find hier vertreten: wir finden zwei Bparbankem
nnd Tier Handelshanken mit bedentenden Depositen, w&hrend im Jahre 1874
eine Bank für alle Bedarfnisse aasreichte; ferner Gas- nnd Wasserleitung, elektrisc hrs
Licht nnd Strafscneisenbahnen. grofse Gasthäuser, Theater, kurzum Annehmlich-
keiten und Bequemlichkeiten aller Art. Los Angeles liegt an der Southern
Pacitic Eisenbahn; von hier erstrecken sich Zweiglinien nach dem etwa 18 railes
entfernten Santa Monicaam Stillen Ocean,und narh dem 27 miles entfernten Hafen-
orte Wilmington, wo zahlreiche Schiffe jederzeit Kohlen, Holz, Zement und
andere Einfahrartikel einbringen. Die Industrie der Stadt ist eine Tielseiti^
nnd bedeutende. Bind doch hier indnstrielle Etabliteemente und MQUen ftr Mdil-
und Ftepierfitbrikationf Brauereien, Gerbereien, Wagenfibbxiken, Eisengieieerei,
EtabHeaements fAr Einmaeben und Trocknen Ton Fkrnchten, RognakdestülatioBeB
und die grölsten Kellereien der Welt vertreten. Die Weinberge von Loa Angelet
sind zahlreich und ausgedehnt; ein eimigw Weinbauer besitzt allein 3000 Akres
Wcinland in einem Komplex; mehrere haben deren 600—1000 Akres, während
die Besitzer von 20-^100 Akres nach Hunderten zählen. Seit Eröffnnng der
Eisenbahn, welche Arizona, Neu Mexiko, Texas und andere Staaten dem Klein-
und Grofshandel erschlofs, beträgt der monatliche Umsatz des Kleinhandels mit
jenen Staaten etwa ein Viertel Million Dollars in Apfelsinen, Zitronen. Bananen,
Oliven, Gnava, Trauben, Rosinen, Mandeln, Nüssen, Wein, Honig, Gemüsen,
Fleiacb, Qeflfigel, Eiern, Butter n. a.; die Bevölkerung ist dalier im ganzen dne
reeht woUhabende. Hat sich doch das abgabenpflicbtige Eigentum ton 1874 bis
1884 dem Wert naoh mebr als yerdrei&cht! Die jihrlicben Ab^iben betragen
nur 1 */«. Wie die klimatischen Terhaltnisse bei einer Durcbachnittstemperatnr
von 61 F. = 13 R., so sind die Bodenverhältnisse ganz besonders günstige.
Der Boden ist weicher mit Sand Yermischter Lehm, der leicht an bearbeiten
und so anfsergewöhnlich ertragfähig ist, dafs Düngmittel voraussichtlich für
lange Jahre entbehrlich sind. Die Bewässerung ist durch Flüsse, Quellen und
artesische Brunnen eine reiche, auch sind Wasserleitungen durch den gröfsten
Teil des Landes angelegt. So produziert Los Angeles thatsächlich während des
ganzen Jahres, ohne Unterbrechung. Im Lande wird Gold, Silber, Kupfer
und Zinn gewonnen, diese Industrie befindet sich aber noch ganz in der
Kindheii Obfl^ch der Wert des Grundes und Bodens infolge bedeutender
Naehfiags wesentlich im Werte gestis^ ist und jetst meistenteils sehr hoeh
gehalten wird, so giebt es doch noch Torteilbafte Gelegenheiten, sn Terhiltais^
mftbig billigen Preisen Land in guter Beschaffenheit and gOiütiger Lege su
erwerben. Ich habe ein Grundstück (Ranch) besichtigt, das etwa 15000 Akres
grofs, seit 7—8 Jahren bearbeitet wird, in dieser Zeit hat es regelmälsig reiche
Ernten von Weizen und Gerste geliefert und niemals durch Trockenheit ge-
litten. H« suikUk^ Erwähnung als Beweis für die unerreichte, fast wunderbare
Fruchtbarkeit, verdienen die sogenannten Volunteerernten. Wiutei-fröste sind
Digitized by Google
— 297 —
hier selten und nie so streng, dafs die Keime der Körner, welche beim ernten
and dreschen aus den Ähren fallen, erfrieren können. Nach Eintritt des
Regenwetters im Dezember, beginnen diese Körner zu treiben und produzieren
eine neae Ernte, ohne jegliche Bearbeitung des Bodens. Auf einem mit Gerste
bestettton Felde, das in oben genanntem Oroadiittek gMtt, enitete der Be*
ntier naeb eeiner Angabe im Jabie 1879 50 Bnihel vom Akie^ daranf olun
nene Anssaat so macben 1880 25 Bnsbel nnd 1881 26 Bnsbel vom Akn,
Reichhaltige QneUen und avteeieche Brunnen liefimi genügende Mengen WasBer,
um die Obstgärten zu versorgen, in denen alle europäischen ond subtropischen
Fruchte üppig gedeihen. Eine Familie kann sich hier, wie man mir mitteilte,
dnrch Erworb und rationelle Bewirtschaftung von 10—20 Akres gut ernähren.
Ich habe die thatsächlichen Verhältnisse, wie sie heute vor Augen liegen, kurz
geschildert und füge nur noch hinzu, dafs die Entwickelung des Handels und
des Verkehrs durch die Eisenbahnverbindungen täglich weitere Fortschritte
macht Ein fernerer grofser Aufschwung fist daher kaum zweifelhaft; sollte
nnn im Lanfe der Jahre aneh noeb die Heistellang des Kanals dnxdi die
Panamalandcnge Terwirklicht werden, dann wfirde gerade bier eine groHnrUge
Entwiokelnng des gesamten Handels nnd eine nngeabnte Werterböbnng des
Gmndeigentnms die natArlicbe Folge sein. Wilmiqgton, der Bafen^iis tod
Los Angeles, steht in regelmUsigor DaTnpfcrverbindnng mit San Francisco.
Los Angeles County, vermöge umfangreicher Baumanpflanznogen, besonders
auch des Eucalj-ptns, welcher nach einigen Jahren schon ein vorzügliches
Feuerungsmaterial liefert, ist seit mehreren Jahren während der Regenzeit ganz
besonders begünstigt nnd hat im letzten Jahre selbst bis zu 30" Regen gehabt,
also bedeutend mehr als San Francisco. Auch in diesem Jahre ist der Regen-
fall bis jetzt schon so ergiebig gewesen, dafs die Ernttiiussii liten daselbst vor-
züglich sind, eine wesenÜicbe Preisnböhung von Grundeigentum daher sa er-
warten ist; selbst als Kapitabmlage könnte icb daber die Saebe warm befBr-
worten, da mir das ganse Los Angeles-OescbSft anf gesonder Basis an mben
scbeint.
Geographische Litteratur.
Nepomuk Zwick h, Führer durch die Oetzthaler Alpen. Mit einer
Karte der Oetzthaler-Stubaiergruppe, einer Spezialkarte des hintern Oetzthales,
einer Karte der Arlbergbahn, einer Rontcnübersichtskarte und 8 Panoramen,
Gera- Leipzig- Wien- Innsbruck. Amthorsche Verlagsbuchhandlung, 1885. 227 S.
Nachclein schon in früheren Jahren einige Teile der österreichischen Hochalpen
monographisch für den lieisegebrauch bearbeitet worden waren — wir nennen
beispielsweise den bereits in fierter Auflage vorliegenden .FQbrer dnrcb die
Dolomiten von Jolins Menrer* nnd die ,8enntbaler Alpen von J. F!riscban(*->,
bat sieb Herr Nepomnk Zwickh der Mflbe nnteraogen, das besnebieste Qelnet
Tirols, die Oetstbaler Alpen, f&r die Zwecke der Tooristen in einem besonderen
Bande darzustellen. Ohne Zweifel ist dadurch einem vorbandenen Bedürfiiis
in durchaus angemessener Weise fiecbnung getragen worden, denn die eben
bezeichnete Alpengruppe wird von vielen Reisenden als das ausschliefsliche
Wanderziel ausersehen und sie verdient es auch sowohl wegen der grofsen
Mannigfaltigkeit ihrer landschaftlichen Gestaltung als auch wegen der anziehenden
Eigenart ihrer Bevölkerung. Für solche Alpinisten aber, welche sich später
einmal die höchsten Gipfel zu den Zielen ihrer Wanderung zu stellen die Absicht
baben, kann die Oetzthaler Gruppe als eine Art Vorstudie empfohlen werden,
— 298 —
da hier alle Formen der alpinen Welt auf verhältnismäfsig engem Raum rusam-
mengedrängt sind, die Schwierigkeiten. und Gefahren der Besteigung aber auch
Anfängern oder Mindergefibten b«i richtiger Reisedisposition und guter Fährung
ttbenrindbMr «ncliAiara. ZiricUis Arbdt ist jran im angemeima als eine
woUgelnngeiie und tflchtige Lustaiig sa beseicbnen. Fflr den Abtdhnitt dw
Alpen» dar im Norden und NoidwMten dnrch den Inn, im Sfidweston und Sfiden
dnieli die Etsch, im Osten durch die Brennerbahn begremt wild, aind alle
Angaben gemacht, welche den Besucher des Gebiets, mag er nun Thsdgfingar
oder Bergsteiger sein, irgendwie interessieren können. Was an dem Texte aoa-
aoietzen ist, betrifFt nicht desseii Reichhaltigkeit oder Zuvorlässigkeit — in beiden
Beziehungen entspiirht das Hiuli allen vernünftig und sachgemäfs gestellten
Anforderungen — , dagegen erscheint die Anordnung verbessenings bedürftig.
Da es sich hier um eine grofse Zahl von Einzelheiten handelt, von denen jede
im bestimmten Falle von Wichtigkeit sein kann, so hätten einerseits die ver-
«diiedeBen Tbalabechnitte, s. B. des Oeiithales scb&rfer geschieden werden
milaseni andensits die sahlieichen Einsehaehtetonicen in die Hanptsfitie vermieden
werden sollen; denn wenn sieh der VerfiMser anch die groCse Mühe gegeben hal,
seine Zwischenbemerkungen doroh venchiedenartjgen Drack sn beseichneni so
ist dadurch der eben hervorgehobene Mangel nicht beseitigt worden. Ein Beise-
bnch mufs übersichtlich, klar und einfach geschrieben sein and der Verfasser
wird gut thun, wenn er nach dieser Richtung sein Buch verbessert. Was die
beigegebenou Karten anbetrifft, so scheinen sie nicht auf den neuesten Materialien
zu beruhen, wenigstens hat der Unterzeichnete auf der von ihm begangenen lloute
einige anfällige Mängel bemerkt; auf der Karte des hinteren Üetzthales fehlt
z. B. das sogenannte Ramol (RamoUiaus) und auf der Übersichtskarte des ganzen
Gebietes ist die Fabrstraüse im Etschthale (in der Gegend von Latsch) entschieden
fidseh angegeben. A. OppeL
«- Lennis, Synopsis der Tierkunde. Dritte Auflage Ton Bubert
Ludwig, Professor in Oiefoen. II Baad, 1. Abteilung. Hannoter, Hahnsche
Buchhandlung. 1881 Die vorliegende Abteilung der Synopsis zeigt bei genauer
Durchsicht, dafs der Inhalt alle Vorzftge aufweist, die wir schon an dem ersten
Bande des Werkes rühmen konnten. (Gcogr. Blätter, Bd. VII. p, 217). Diese
Schrift umfafst den vierten Kreis der Tiere und von dem fünften die Insekten.
Zum vierten Kreise werden die Molluskoiden gerechnet, welche nach Milne-
Edwards und Huxley in Armfüfser (Biacluopodcn) und Moostierchen (Brjozoen)
zerfallen. Die Vereinigung dieser äufserlich so sehr verschiedenen Tierklassen,
deren Arten vorzugsweise im Meere leben und in den älteren Perioden der Erde
ungleich zahlreicher auftraten, ist durch die übereinstimmende Entwickelung
begründet Die Insekten, welche früher den sweiten Kreis der Tiere bildetto,
sind hier awar sum fftnften degradiert, nehmen aber dennoch das hervorragendste
Interesse in Anspruch. In der den Oliederffklsem voigedruckten litteratnr-
flbenicht werden aaÜMr den verschiedenen Jahresberichten allein 14 eotomolo-
gische Zeitschriften aufgezählt, von denen 8 in deutscher Zunge (5 in Deutsch-
land, 2 in Wien, 1 in der Schweiz), 2 in England nnd je eine in Holland, Frank-
reich, Italien und Rufsland erscheinen. Schon Lcunis hatte diese Tierklasse
mit offenbarer Vorliebe behandelt, aber in der neuen Auflage ist die Seitenzahl
gegen die frühere fast genau verdoppelt. Es ist ein Vergnügen, noch weit mehr
wie beim .alten Leunis" die Schilderungen der allgemeineren Abschnitte über
Nervensystem und Sinnesorgane, Atmung, Verdauung, Entwickelung, Lebens-
weise und geographische Verbreitung der Insekten zu lesen. Die änfsere Aus-
stattung, der Druck und die Abbildungen haben im lachen Verhiltniase gegen
Digiii^L-G üy Google
299 —
die vorige Auflage gewonnen. Über einige der nachgenannten Tiere hätten wir
im Interesse des Bnchs etwas ausführlichere Mitteilungon gewünscht, wogegen
denn verschiedene ^seitene"* Arten von Käfern, Schmetterlingon, Heuschrecken u. a.
recht gut hätten ausfallen können. Von den Lenchtorganen der Lampyriden.
mit denen sich schon Treviranus eingehend beschäftigte, wird nur gesagt: „dafs
ne mrter dma Einflguw» dm NenreasysteniB stehen." Ebenso wird die durch
Lhiagstone berfthmt gewordene TBetae-Hiege, Olosaiaa monttam, irelche sn
den flchwarsten Plagen Sftdafrikae gehört, nnr andentangsweise ervihnt Bei
der Koehenitte venniieen wir eine Abhüdong dieies teehniaoh ao wichtigen In-
aekts, sowie neuere Angaben Über die Kultur und Gewinnung deaeelben, worüber
nur (liß letzte Notiz aus dem Jahre 18dO nach der vorigen Auflage abgedruckt
ist. Dafs der Kleinschmetterling, Ephestia Kühniella, die amerikanische Mehl-
motte, nicht verzeichnet ist, darf uns kaum wundern, da diese neue Landplage
wohl erst nach dem Druck der vorliegenden Abteilung in Deutschland so massen-
haft aufgetreten ist. Wünschenswert wäre es, die Beschreibung dieses Tierchens
noch im Nachtrage, der ohnehin bei dem raschen Fortschreiten der Wissen-
schaft erforderlich werden dürfte, zu bringen. — Wir wünschen der mühevollen
Arbeit dea YerfiMaeca» dem dieae geringen Anaafeelliuigen nur das Interesse be-
knnden mögen, welches sein Werk enegt hat, die weüeate Terbreitang. H.
— Bei W. Friediieh in L^»^ exachien: Ial»nd, Land nnd Leute, Go-
aehiehte, Litteimtar nnd Sprache, von Br. Fh. Sehweitser. Unsere littenlar
besafs bislai^ kein einziges, nnr elnigermafsen ausführliches Werk über die
Geschichte und Litteratar der fernen gormanischen Inselbewohner, und wir aind
dem Verfasser zu Danke verpflichtet für seine vortrefflich geschriebene, auf
gründliches Quellenstudium basierte Arbeit, bei der eine eingehende Kenntnis
der nordischen Sprachen ihn unterstützte. In der ältesten Geschichte des Landes
hat er vielleicht die Beteiligung der Irländer zu wenig betont und der geogra-
phischen Entdeckungen der Isländer um das Jahr Tausend herum nicht genügend
Erwähnung gcthan. Im übrigen aber ist in diesem Abrifs der Geschichte des
Ydlkea allea weaenOiche gegeben nnd in der Geschichte der iaUadiachenLittenip
tnr, dem SpeaaUische dea Antors, die fast */a des gaasen Werkes omfabt, Iftfot
sich dasselbe geradem als ein «Nachschlagebnch* gebmnchen. Ein aokhea
aottte es nach der im Vorwort ansgespiochenen Absicht des VerfiMsen aber für
iaiftndische Fragen auch in Besng auf Land und Leute sein. Das aber ist es
auch bei allerbescheidensten Ansprüchen nicht Da alles geographische, meteoro-
logische, naturwissenschaftliche und ethnographische Material auf 23 Seiten be-
schränkt ist, so kann man auch nur wenig erwarten. Sieht man aber, in welch
geradezu grotesker Weise der Verfasser seiner Phantasie hier und da die Zügel
schiefsen läfst, z. B. wenn er eine Schilderung des Innern oder eines vulkani-
schen Ausbruches giebt, so mufs man den Unkundigen warnen, darin , nachzu-
schlagen über inländische Fragen." Ein paar Beispiele mögen es beweisen:
pag. 12 (Scbildening einer BmptioB): .... «Hier brechen siedende Waaser
hervor, in denen Eisberge schwimmen, dort gleiten »Uea verheerende Gletscher
mit Windeseile n&her. Baa Thal erflUlt der tosende Lavastrom. Am Hang
krachen Beifrtftne nnd Lawinen. Bnrch die Lflfte gellt die nnwideiatehliche
Windsbraut." — pag. 10. (Schilderung der Natur Islands): »mit seltsamen,
zauberischen Luftapiegelbildem neckt sie den Reisenden, die durch die Nacht
flackernden Irrlichter locken ihn auf unrechte Wege, rings um seine Bahn senden
die heifsen Quellen ihre Rauchsäulen hoch in die Luft; hier bobbeln und wallen
die Schlammquellen, dort steigt unter mehr oder weniger lautem Gotöse »muc
Springqaelle empor" u. a. — Man kann aber Tagereisen weit das Land durch-
— 300
reisen, ohne eines der angedeuteten Phänomene zn sehen und nahe bei einander
hat man sie nirgends. Solcher Beispiele liefsen sich noch mehrere anführen,
doch mögen die gegebenen genügen zur Charakterisiemng des geographisch-
aatiirwisMaieliafUidieii Stud^pvsklis dm Anton. Dr. IL Keilhaelc
~ Geographische Charakterbilder aas DeatBcUaad (Alpenland,
Deatechei Reioh and Deatseh-Öiterreieh) Von H. A. Daniel Zweite Auflage.
Nea bearbeitet and erweitert Ton Berlh. Vols. Mit 68 Dinitiaiioiien and 4
Karten. Leipzig, Faes's Verleg (R. Reisland) 1886. 410 Seiten. Durch seil»
frischen und lebenswahren und zugleich bebag^ch anmutenden Schildernngea
ist H. A. Daniels Handbuch der Geographie zu einem Hausbuch des deutschen
Volkes geworden. Es war daher ein glücklicher Gedanke von Direktor H. O.
Zimmermann, von denjenijjen Bänden Daniels, in welchen diese Vorzüge, durch-
wärmt von edler Vatorlandsliebe, am ansprechendsten zu Tage treten, in seinem
^Deutschland für die Jugend-* eine Auslese zu bieten. Das Buch fand denn
aach eine günstige Aufnahme und erscheint nun bereits in vorliegender zweiter
Anllage. Da dieielbe aoi^eich beettmmt ist, dae Reihe geographischer CbaiahtaK^
bilder ans allen Erdteilen m eri^en, wekhe tfpische oder bedeutungsvolle
Stitten and Soenen ans der Erd- nnd Vt^lkeiknnde wie aus der Batdeehn^gs-
gescbichte nach dem Sobiidemngen nnd Benchten von Angeniengen in freier
Bearbeitung vorführen, das Interesse an wecken und zu spornen, so ist die vor-
liegende zweite Ausgabe von dem neuen Heraasgeber nach vielen Seiten ver-
ändert und neu bearbeitet. In sechs Abteilungen, welche I^and nnd Leute, das
Alpenland, das oberdeutsche Donauland, das westdeutsche Rheinland, da.s mittel-
deutsche Bergland und das norddeutsche Tiefland umfassen, erhält der Leser
anziehende Charakterbilder unseres deutschen Vaterlandes. Auch unserem Bremen
nnd dem „Bremer Ratskeller* ist eine besondere kleine Schilderung gewidmet.
Die laUreichen und hübschen Abbildungen, welche diese nene Auflage noch be>
sonders Tor der eisten aasseiehnet, weiden gewilk aach dsia beitragen, dab
aDsuiels Deniechlaad Ar die Jagend' aach anter veiindertem Titel nnd in tar-
Inderter Qestaltang sn den alten Frennden sich sshlieiehe neae hinsa erwiibt,
was wir demselben wünschen. Wo.
— Otto Hftbncrs Geographisch-statistische Tabellen aller Länder der Erde.
Herausgegeben von Prof. Dr. Fr. v. Juraschek. Verlag von Wilhelm Rommel
Frankfurt a. M. 1885. Dies allgemein bekannte und mit Rocht beliebte Werkchen
enthält Name und Regierungsform des Landes, Geburtsjahr und Regierungs-
antritt des Staatsoberhauptes, Fliichenmhalt, Bevölkerung; Einwohner auf den Qua-
dratkilometer; Staats-Eiimalunon und -Ausgaben, Schulden; Papiergeld, Bank-
noten; Armee, Kriegs- und HundelüMotte, Eisenbahnen und Telegraphenlängen;
Landeemtoen, Oewiehte nnd Habe, AasÄihmzeugnisse, Hauptstidte and wiefa»
tigrte Orte nebst Emwohnentshl sller Linder der Erde. Becht wertvoll sind
aach einige angefügte Tabellen sa statistischen Vein^ohen, welche die Dsten
der Yolksbewegnng (Qebnrteni Sterbefiille, Tcaanngen), sowie der EnteeigebnisBe
enthalten; ferner l^bellen lÄer die Nationalitaten und Religionen in Europa,
über die Menschenrassen n. a, Für den Hwadgebranch eignet sich die be-
qneme Bochaosgabe {IJi) in trefflicher Weise and sei daram bestens empfoblsD.
Wo.
— Schulgeographie von Professor Aifr od Kirchhoff. Vierte ver-
bessi'itc Auflage. Halle a. S. Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses. IR*^.
Auf die ümg$i8taltung des geographischen Schulunterrichts im letzten Jahrzehnt
hat ohne Zweifel Professor Kircbhoff einen bedeutungsvollen Einflofs ausgeübt,
den gröfrten gewils darch seine vor vier Jahren tum eiaten Male «tsehieatae
Digitized by Google
— Söi —
,Schalgeographie*. Ich stimme vollkommen Prof. F. Martens Behauptung bei,
da£s dieselbe für den Lehrer unschätzbare Winke über das Qnantum des vor-
zutragenden Lehrstoffes und das Quäle der Behandlung desselben enthält. Es
ist daher eine erfreuliche Thatsache, dafs bislang Jahr für Jahr eine neue Auf-
lage nötig wurde, wird dadurch doch der Beweis geliefert, dals die neueren
geogrupiiischen Anschauungen in immer weitere Kreise eindringen. — Die vor-
liegende Tierto Auflage mitenelieidet itdi Ton den Torigen besonden dadnidi,
dalii in dezselben aUe geographisehen Hetidiaiuuagabeii anüMr nach Feno aaeh
nach Qxeenwieh ang^gebea aincL HolliuiiliGh ist aber die Zeit nicht fem, wo die
geognphischen Sehnlbüeher der Doppelangaben der Areale in Qoadiatmeilen nnd
Quadratkilometern und der geographischen Länge nach Ferro und Greenwich
enthoben sind. Von den beiden dem Bache seit der dritten Auflage angehängten
graphischen Darstellungen erwarte ich wenig Nutzen und ich sähe dieselben
lieber wieder fortfallen. Die englische Aussprachebezeichnung bei St. Helena,
Mauritius, Kanada halte ich für überflüssig, jedermann wird dieselbe doch nnr
deutsch aussprechen. Wo.
— Lehrbuch der üeophysik und physikalischen Geographie von Professor
Dr. Siegmnnd Günther. Stuttgart, Verlag von Ferd. Encke, 1885. 2 Bände.
Im dritten Hefte des vorigen Jahrgangs machte ich die Leser d. Z. auf den da-
mals Torliegenden ersten Band dieses ansgeseiehneten geophysikalischen Lehr-
baebs anümerksam; der mreite Band ist jetst gefolgt nnd sei mir daher ge-
stattet, auch auf diesen mit einigen Bemerkongen hinsaweisen. Der Torliegende
zweite Band behandelt in seiner ersten Abteilung, der vierten des ganien
Werkes, die magnetischen nnd elektrischen Erdkräfte, die fünfte Abteilung, die
ausführlichste, ist der Atmosphärologie gewidmet. Um den reichen Inhalt des
Buches anzudeuten, führe ich beispielsweise von der Atmosphärologie die zehn
Kapitelüberschriften an. Diese sind: die allgemeinen Eigenschaften der Atmo-
sphäre, ihre Gestalt und Ausdehnung, die Beobachtungs- und Berechnnngs-
methoden der Meteorulogie, die nieteorulugische Optik, die atmosphärische
Elektriaitftt, die kosmische Meteorologie, die dinamische Meteorologie, die all-
gemeine Klimatologie, die spesieUe Klimatol^sie der Erdoberfliche» die
sftkolaren Schwankungen des Klimas und endlich die angewandte Meteorologie.
Die sechste Abteilung behandelt dann weiter die Oceanographie und oceanische
Physik, die siebente die dynamischen Wechselwirkungen zwischen Meer und
Land, die achte das Festland mit seiner Süfswasserbedeckung und die neunte
als Anhang die Biologie und physische Erdkunde in Wechselwirkung. \Vie der
erste Band, so ist auch dieser zweite neben der streng mathematischen Dar-
stellung vor allem durch die historische Eutwickelung der behandelten Theoreme
charakterisiert. Der jedem Kapitel angefügte ausserordentlich reiche und bis in
die neueste Zeit reichende Citatenschatz, sowie die beiden Bänden angehängten
Namenverzeichnisse machen das Buch f&r jeden Geographen zu einem un-
entbehrlichen Nachschlagebuche. Das GHInthersche I<shrbuch bildet trots der
sablreich Torbandenen Hülftmittel aum Studium der physikalischen Erdkunde
einen höchst schfttsenswerten Zuwachs inr IVtchlitteratnr; der eiste Band hat
denn auch von den berufensten Seiten volle Anerkennung gefunden und ich
zweifle nicht» daÜB diese jetst auch dem ganaen Werke in erhöhtem Mabe an
teil werde. Dr. W. Wolkenhauer.
— Lehrbuch der Erdkunde für höhere Lehranstalten von Dr. H. J. Klein.
Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 55 Karten, sowie mit 102 land-
schaftlichen, ethnographischen und astronomischen Illustrationen. Verlag von
Friedrich Vieweg & iSoha, Braonschweig 1885. (363 Seiten, Preis 2.80^)
Digiiized by Google
— 302
Der Inhalt des vorliegeadoii Lehrbuches gliedert sich iu vier Abteilungen : die
erste entli< die physische Erdkunde, die zweite die beschreibende Erdkunde,
welche wieder in eine allgemeine Meeresbeschreibung und eine allgemeine Land-
baiehnibimg serftUt, die dritte behandelt die YOtter^ und SteatoDkande und
eadlieh die Tiefte die astronomisclie Erdkunde. Vom p&dagogiecheii Steadponkto
aot ttlM eich menclie» geg^ die scherfe Trannnng der sweiten und drifttea Ai»-
telhuig eag^ aadeneüs Terdient das weise MaCdialten besfigüdi des Stoffes^
besonders- an Namen und Zahlen, voUe Anerkennung. Die eingedruckten land«
schaftlichen, ethnographischen und astronomischen Illustrationen bilden eine
treffliche Beigabe zum Texte, dagegen halte ich die zahlreichen Karteuskizzen
für ein Schulbuch gröfstenteils für überflüssig. Gegen die erste Auflage zeigt
diese zweite mannigfache Besserungen im einzelnen; iu der Staatenkunde des
deutschen Reiches ist die bereits 1879 eingeführte neue Gerichtsverfassung aber
auch in dieser AuHage noch übersehen. Darnach sind an mehreren btelleu kleine
Verbessemngen einzairagen. Die staatskandlichen Angaben bei den einzelnen
Staaten des deatsohen Reiches sind aneh nqgleichm&fsig, bei einigen, s. B.
Baden, ist die Begiemngrform angegeben, bei anderen, Hessen, Oldenbuij^
Saehsen-Weimar, niehi B. 140 bleibt die Angabe: ,Jede Provins hat ein Be-
giemngskoUegiam, deisen einzelnen Abteilungen ein Ober-Regierongsiat Tor-
steht* als wenig wissenswert wohl besser fort. Die astronomische Erdkunde ist
sehr geschickt und hübsch behandelt. Die Aasstattang des Baches ist eine
recht gute. Wo.
— J. Podd u b 11 y i : Schulatlas von Ku i slan d. St Petersburg 18*^4.
August Deubners Verlagsbuchhandlung. Preis 1 Rubel. Vertasser liat ersieu>
das Prinzip befolgt, das Gleichartige zusammen zu gruppieren, um die Aufmerk-
samkeit des Schülers dadurch mehr zu konzentrieren; zweitens wendet er die
graphische Datstellnng an, um das sa Vergleichende dentUeher herforlieten n
lassen nnd einzuprägen; endlieh drittens becweekt er dnreh diagiammatisehe
Tabellen eine VeransohaiiliofaQng statistischer Thatsaehen, welche, in dieser Weise
dazgestelit, dem Schiller sogftngUcher sind. Die angewandten Diagramme sin4
Quadrate, die, in 100 kleinere geteflt, Proaente angeben, \\obei natürlich nnr
ganze Zahlen zur Darstellung gelangen. „Der geographische Unterricht*, heilat
es in der Vorrede, „mufs auf den Lehranstalten in der Weise gehandhabt werden,
dais der Schüler mit Abschlufs seiner Studien sich nicht auf blofse Aufzählung
von Thatsaehen beschränkt oder sich nicht nur auf einzelne Teilgebiete bezüg-
liche Kenntnisse erwirbt, sondern eine klare Vorstellung über die physikalischen
sowohl als auch Produktionsbedingungen des ganzen Heimatlandes erlangt.**
Das Werk besteht aus 13 Kartenbl&ttem, aus denen man sich ein ziemlich voll-
ständiges Bild über die physikslisoh-geographischen YerhSltnisse des mssascbea
Beiches bilden, sngjleich aber auch wertTolle Informationen ftber die Produktion
nnd deren Charakter in einzelnen Teilen des Landes schfipfon kann. — Auf
jedem Blatte sind neben der Hauptkarte eine Reihe Ideinttw Kärtchen und
Diagramme enthalten, die z. B. die Verbreitung bestimmter Bodenarten, das
Verhältnis von Wasser und Land, von Wald and Ackerland n. a. veranschau*
liehen. Aus graphischen Darstellungen ersieht man z. B. die relativen Höhen
der Berge, die Tiefe der Meere, die Länge der Flüsse u. a. Die Diagramme
endlich zeigen in kleinen Quadraten ausgedrückt das Prozentveihältnis z. B. der
einzelnen Stämme oder Religionen in der Qesamtbevulkcrung. die relative Ver-
breitung verschiedener Kulturptiaiueu u. a. In Nachstehendem gehen wir aui
den Inhalt der einseinen BUtter etwas niher ein. Bktt 1 ist eine Karte des
enrc^Üschen BnUands mit Aqgsbe der Höhen, dar Tiefe der MeorOi dar Fttme
Digitized by Google
303
nnÄ der Oouvernementseinteilang. Dnrch verschiedene Farben nnd Nuancfttl
sind bestimmte Höhen- und Tiefenintervalle unterschieden. — Auf denselben
Blatte sind als kleine Kärtchen beigegeben: die Pläne von St. Petersburg und
Moskau, das Dnjeprdelta, die Gegend zwischen dem Ladogasee und dem Finnischen
Meerbusen, die Niederung zwischen Don und Wolga, der Oberlauf sowie das
Delta des letztgenannten Fliiates, die S&dk&ste der Krim, die Teilung des eoro-
pilachflii RdUMidg in Ctobiete, eine Bodeokaxte. Femw sind graphisch dar-
geatelk: die reUtiTe LIage der Flflaae; tabellariseh sommmengestellt sind die
Liagen der Qienieai das Terhittnis der MeeresnlBfuisdekniiQg sam Flidieaienm
des Landes bei verschiedenen eorop&ischen Staaten. Drei Diagianune veran-
scbanUclien die Ausdehnang der zu den Teisehiedcnen Seen gehörigen Fluls-
systeme, den Flächenranm der wichtigsten europäischen Länder im Vergleich
zum europäischen Rufsland, endlich die relative Gröfse des europäischen und
asiatischen Rufslaiid. — Blatt 2 ist eine klimatische Karte des ouropäi.sclieu
RuTsland mit Angabe der Isothermen, Isochimenen und Isotheren. der Kegeu-
mengen. Auf zwei Tabellen findet man: die Dauer der Jahreszeiten in ver-
schiedeneu gröfseren Städten Europas und RuXslands ; eine vergleichende Angabe
der mitOeren Sommer-, Winter^ nnd Jahrestemperatur in dem Strich zwischen
65. bis 67. Grad n. Br., sowie die Differens iwisehen Masirnnm nnd Minimnm
de« Temperatnr. — Blatt 3 bringt: «ne Bevölkeningskavte des enroptiscben
Bnlslaiid nach Stimmen, nach Religionen und naeh der Dichtigkeit; TabeUen
fthren Tor: die relative Bevölkerungsdichtigkeit in den europäischen Staaten,
beaogen auf eine Qoadratmeilc ; die Einwohnerzahl in den wichtigsten Städten.
Prozentisch ist dargestellt: die Bevölkerung der einzelnen Staaten Europas, be-
zogen auf die Gesamtbevölkerung dieses Kontinents; die slawischen Stämme in
Europa; die Stämme im europäischen Rufslaud im allgemeinen; die relativen
auf die finnischen Volksstämme sich beziehenden Zahlen; das Verhältnis der
Bevölkerungsdichtigkeit in den Hauptteilen des Landes (europäisches Rufsland,
Finnland, Sibirien, Kankasien, Turkestan), die Verhältniszahlen der männlichen
nnd weiblichen Bevölkerung; EinteHnng der BerOlkemog nach den Volksklassen,
nach Religionen. — Anf Blatt 4 sind Teranscliaalicht: die Terbreitang der
Wilder (Tersefaiedene Nnancen seigen die Intensitfttsgrade der Bewaldung), die
relatiTe Höhe der Getreideprodaktion (mit Angabe der nördlichsten Qrense für
einselne Getreidearteu) ; die Aasdehnung des Ackerlandes; die Verbreitung nnd
Art der Kulturpflanzen. Diagrammatisch sind dargestellt : das Verhältnis deryon
Wald und Ackerland eingenommenen Flächen; die Verteihing des Landes unter
verschiedenen Volksklassen und dem Staat. — Blatt ;> enthält die Karte von
Kaukasien mit Berücksiclitigung der Wälder und Verbreitung der Weinrebe.
Eine besondere Karle ist der Getreide produzierenden Region (Mittel- und Süd-
rufsland; gewidmet. Diagramme beziehen sich auf die Verbreitung der
Wiesen, die Tabakknltar, den Weinbau, die Zackerrübenplantagen. (Die ab-
solute Menge der Erseugnisse ist über jedem Diagramm Teneichnet) — Blatt 6.
Die ^aaptkarte betrifft die sttdrussischen Steppengoareinements unter Angabe
Ton Fabriken und Gestfiten. Aus kleineren Karten entnimmt man die Yer^
breitung der Viehsncht, der Bienenzucht im europäischen Bobland und Kaukasien,
der Seidenraupenzucht in Kaukasien, der Reutienucht und Jagd im Norden, des
Fischfanges, unter spezieller Darstellung der Rayons am Kaspischen Meere. Die
Diagramme beziehen sich auf dieselben Gegenstände und führen verschiedene
Unterabteilungen vor, z. B. die relativen Mengen der gewöhnlichen Schafrassen
und der Merinos u. a. Die Pferdezucht ist auch für Sibirien mit berück-
sichtigt Der jährliche Ertrag des Fischfanges und spesiell des Exports ver-
i y Google
Schiedener Fischarteii uud -Prodnkte aus Astrachan sind ebenfalls für sich in
Prozenten dargestellt; ebenso dor Ertrag aus der Gewinnung von Honig und
"Wachs. — Blatt 7 ist eine Karte des europäischen Rufsland und Kankasiens,
welche die Erzvorkommnisse uud andere nutjsbare Mineralien angiebu Drei
kkine Kiitehen stellen die Stoinkohleobecken des Donez, der Umgegend von
MötkAo nnd des Weiebselgebiels dar. Der reUtiveD Menge gewonnener Stein-
kohle (im Jahre 1880 waren es 200 Millionen Pud) ist ein Diagramm gewidmet
Eine IÜ>elle f&hrt vor, wie viel prodnzierto Steinkohle nnd GnÜMisen auf den Kopf
in den verschiedenen enropäischen Lindem kommen. — Blatt 8. Karte des Urals
mit Angabe der Hüttenwerke. Zwei Kärtchen zeigen die Verteilung der Ghibttsen-
nnd Stahlproduktion im ganzen Lande. In Diagrammen findet man Angaben über
die Mengen gewonnenen Goldes (Sibirien und UralV Silbers ( Altai, Nertschinsk,
Kaokasien, Ural), Kupfers, Eisens, Salzes (nach Gebieten und n;i( h Gewinnnngs-
qaellen) uud derNaphta. Zwei kleinere Kärtchen geben die Apscheron-Halbiusel
sowie die Lage der Salzseen östlich der Wolga wieder. — Blatt 9 ist der in-
dastrielieu Produktion gewidmet: so drei gesonderte Karten der Baumwollen-
Warenfabrikation, den Lederol Wolle-, Leinenwarenersengnissen. Eine Karte
zeigt den Fabrikeneitrag im allgemeinen. Die Diagnunme hertteksichtigen den
Ertrag der einaelnen FMduktionsbranehen nach Gonvememente sowohl (aniaer
den genannten Indostrien aneh die Bfibenanckerindutrie) als aneh die relativen
Erträge jedes Industriezweiges, bezogen auf die Gesamtheit. — Aus Blatt 10
und 11 ersieht man die Eisenbahn« wie die Waaaerkommnnikationen, darunter
einige in etwas gröfserem Mafsstabe, wo es sich um gröfsere Zentren handelt.
Diagramme stellen den Export und Import dar, sowohl die einzelnen Artikel
bezeichnend, als auch unter Angabe, auf welchen Stralsen der Verkehr er-
folgt u. a. Auch findet man die Zahl der für den inneren Verkehr im
Jahre 1880 gebauten Schiffe auf einem Diagramm dargestellt. — Blatt 12 bezieht
sich auf das asiatische BoXsl&nd und fuhrt in gedrängter Weise, was in den
vorheigehenden Ar das «oropftiachc galt, vor: Topographie (fftr sich sind der
Oberlanf des STT-Daija» die Teke-OasOi die Mfindong des Okg, die Insel Sachalin,
der altaische Beigdistrikt daigwtellt). Schematisch finden wir wiedemm die
Berghöhen nnd die FlnÜBUngen, dnrch Diagramme die OberflfichengrÖben, die
Befölkemngsmengen, die Verteilung der Bevölkerung nach Religionen nnd
Stimmen, die Kopfzahl und relativen Mengen des Viehs, endlich den Handels-
verkehr (Ein- und Ausfuhr) dargestellt. - - Das letzte, 13., Blatt zeigt die Be-
wegung in der Bevölkerung, d. h. den Zuzug zu bestimmten Zentren, sowie die
Richtung, welche die temporär auswandernde, nach Arbeit suchende Bevölkerung
aus dem mittleren Rufsland nimmt. Diese ^flottierende* Bevölkerang findet eine
Beschäftigung entweder in Fabriken oder beim Ackerbau, oder beim Fis«.hfang
und der Tierjagd. — Fünf kleine Kärtchen illustrieren die fünf hauptsächlichsten
HaosindnstriMweige. — Das reichhaltige Material, welches, wie hier angedeutet,
auf so wenigen Blittem snsammengebiacht worden ist, l&lst es begreiflich er-
scheinen, daüi dieser ,Schnlatlas* eine gAnstige Anfiiahme in BulUand gefanden
hat, nnd dafs er in weniger als einem Jahre nach seinem Erscheinen bereite in
sweiter Auflage vorliegt. A2.
— Das Werk von Dr. Aurel Krause über die Tlinkit-Indianer ist
oben unter der Rubrik ans der geographischen Gesellschaft in Bremen näher
besprochen.
Draok vou Carl Bdiaaemann. nremen.
Digitized by Google
Digitized by Google
1
I
I
1
Google
•
« • • •
Diqitized by Google
«^^ Deutsche
Geographische Blätter.
Henmsgegebeii ron der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge aud sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse:
Br. H. LlndenaB, Mremem, Mutdttinm 8, erbtttea.
Der Abdmck der Original-Aofs&tze, sowie die Nachbildung von Karten
nnd Illnstrationen dieser Zeitsdirift ist nur nach Yerstftndigting mit
der Bedaktion gestattet
Buenos -Aires,
die Hauptstadt der argentinisehea AepablilL.*)
Von A. Seelstraig in Cdidoba.
ffinleltnnf . Erster Eindrook. GasehiolititeiheB. Ül« SieDerie der Stedt Pfftrde-
bahnen. Öffentliche Gebttude. Vergnügungen. Verkehrsmittel. Klima. Bevölkerung
Strafsenleben. Ein Tag in Bnenos-Aires. VolkBfeato. KamevaL. Hand«! und Induatri^
Politisches.
Vom Bord des Dampfers, welcher den Fremden zum La Plata
gebracht hat, ist die Stadt Bnenos-Aires als weilise, zackige Linie
Uber dem westlichen Horizonte kaum sichtbar: das Fahrwasser des
mächtigen Stromes gestattet den grofsen Schiffen nicht, sich näher
heran zu legen, so dafs erst auf dem kleineren Steamer, welcher
uns ans Land bringt, die Umrisse derselben sich klarer entwickeln.
Docli im selben Mafse verliert sich auch der Überblick, die äufsereu
Segmente des halbkreisförmig in den FluTs vorspringenden Grimd-
risses werden verdeckt, und vor uns erhebt sich eine vielfach ge-
gliederte, hoch ansteigende Hausermasse mit flachen Dächern und
zahlreichen, weifsschimmemden AussichtstOrmchen (miradores), über
welchen die Kuppeln nicht weniger Kirchen sich gegen den Äther
abheben.
Doch bevor wir uns an der hölzernen Landungsbrücke aus-
schiffen, die weit in die seichten Gewässer hineinragt, wollen wir
einen kurzen Blick auf die Vorgeschichte der Stadt werfen. Die
ursprüngliche Ansiedelung, welche der Adelantado del Rio de la
Plata, Don Pedro de Mendoza, an diesem Ufer anlegte (2. Februar 1535),
befand sich etwas südlicher und erhielt ihren Namen, Puerto de
• SS: Maria de Buenos-Aires, von dem Ausrufe eines seiner Begleiter:
***) Diese Mitteilungen bildeten den Hauptinhalt eines von Herrn Professor
Seelstrang im Kreise der Oesellschaft gehaltenen Vortmgs.
Üeogr. Butler. Bremen lMi>. 22
Digitized by
— 306
„Quo huciios aires son r^to«^!" (Wolch" gute Lflfte wehen liier I) Doch
schon nach wenigen Jahren zwangen die fortgesetzten Angritie der
wüdeo Querandis die geringe Bevölkerung zur Aufgabe des Punktes
und zur Vereinigung mit der Hauptmacht der Spanier in Asuodon
del Paraguay, und erst bedeutend spftter wurde die Stadt von neuem
an ihrem jetzigen Orte von Juan de Garay gegründet (1580), wel-
cher ihr den Namen Ciudad de la Sautisima "nrinidad y puerto de
Buenos- Aires beilegte. Von dem Worte „Puerto* (Hafen) stammt
übrigens der Name „Portenos^ ab, welchen ihre Bewohner mit Stolz
beanspruchen: ist sie doch der einzige Hafen für das ganze, unge-
heure Fhil'si^ehiet des I.a Plata.
Die Entwickelung der Stadt können wir am besten nach ihrer
wachsenden Einwohnerzahl beurteilen. Durch Jahrhunderte war die
Zunahme eine höchst langsame, Dank der engherzigen Kolonialpolitik,
welche den Handelsverkehr aUeia mit dem Mutterlande gestattete,
ja sogar die Niederlassung von NichtSpaniern ein&ch verbot; und
so nimmt es denn nicht wunder, da(s noch 1778 eine vom Vize-
könig Ceballos veranstaltete Zfthlung nur 37 670 Seelen ergab. Auch
in der darauf folgenden Epoche der Unabhftni^igkeitj^- und Revolutions-
kriege konnte die Bevölkennig nur geringe Fortschritte machen: war
ihr doch das Erl)teil der altspanischen Indolenz geblieben, und lockten
die unaiifliörlichen Wirren nur wenige Fremde zur Ansiedelung. TniV/.-
dem war dieselbe im Jahre 1825 schon auf 70000 gestiegen und
belief sich kurz nach dem Sturze des Diktatoi*s liosas auf
91 365 Seelen (1855). Doch von nun ab, unter dem Einflüsse frei-
sinniger Institutionen, hob sich das ganze Land und damit Buenos-
Aires in grofsartiger Weise. Der Zensus von 1869 ergab 178 787 Ein-
wohner, und augenblicklich werden mehr als 300000 gerechnet; ihre
Zahl hat sich also in den letzten 30 Jahren mehr als verdreifacht.
Der lundruch, welchen die Stadt auf den Nordeurojiüer macht,
ist entschieden ein fremdartiger, sobald mau einmal über die zen-
tralen Teile hinauskommt. In diesen allerdings fallen nur die ver-
hältnismafsig engen btrafsen auf (etwa 12 m); doch sind die Laden
so glänzend, das Gewühl der Menschen so grofs, und so viel Gefährte
und Pferdebahnwagen kreuzen sich unaufhörlich, dafs wenig Zeit
zum Beachten der Unterschiede flbrig bleibt und man sich recht gut
in einer italienischen oder sttdfranzösischen Stadt glauben könnte.
Anders ist der Anblick der weiter entfernten Viertel, welche dem
Mittelstande zum Wohnsitz dienen. Dort dehnt der Hftuser lange
Zeile sich endlos und ziemlich monoton liin. Die tiachen Dächer
der fast ausnahmslos einstöckigen (iehilude, sowie die Eisengitter
vor allen Fenstern bringen einen l)einahe orientalischen Eindruck
Digitized by Google
— 307 —
hervor; und schaut man durch die stets geöffneten Haiisthiireu ins
Innere, so wird der Blick angenehm üherrascht durch die Fülle
blühender Gewächse, welche die luftigen Höfe zieren, in schönem
Gegensatz mit der Sonnenglut der einsamen Strafoen. Yon Zeit za
Zeit heben eine Pinie oder ein Eukalyptus ihre düsteren Häupter
gegen den tiefblauen Himmel, oder die Kuppel und Doppeltürme
einer Kirche unterbrechen die Aussicht. Nur der Ruf der italieni-
schen, ambulanten Verkäufer von Früchten und Fischen, oder die
Klinfjel der Wasserkarren sind zu vernehmen, doch in kurzen Zeit-
räumen rasseln die Kutschen der Pferdebahn zum Zentrum oder nacli
den Vorstädten. Und wendet man den Schritt zu diesen selbst, die
in weitem Halbkreis die Stadt umkränzen, so bleiben zwar auf den
Hauptstrafsen, welche sich nun bedeutend erweitern, die Häuser fast
ebenso dicht, wenn auch ungleich eleganter ; doch öffiien sich in den
Querwegen oft höchst charakteristische Blicke auf Hecken von Agayen
(hier pitas genannt), aus denen schlanke Blütenschäfte hoch in den
Äther emporschießen, und auf niedrige Lehmhütten, die im Schatten
von riesigen Ombüs oder üppigen Feigenbäumen ein noch ebenso
traumhaft bescheidenes Dasein zu iühien scheinen, als vor hundert
und mehr Jahren. Der Strom des grofsstädtischen Lebens aber hat
sich völlig auf drei bis vier Hauptadern konzentriert, welche sich
meilenweit hinziehen, dicht eingefafst von glänzenden Gärten und
koketteu Landhäusern, bis nach Flores (10 km), nach Belgrano (11 km)
und Barracas (5 km). An diesen baumbeschatteten Wegen und in
den zwei zuerst genannten Stadtchen wohnt die Aristokratie des
Geldes und der Intelligenz in stetem und leichten Verkehr mit dem
Herzen der Stadt durch die häufigen Züge der Eisenbahnen und die
unanfhürlich pulsierenden Tramwaywagen.
Diese Pferdebahnen bilden einen Hauptzweig in der Physiognomie
von Buenos- Aires, dessen heutiges Leben und Ausdehnung vornehm-
lich durch sie bedingt wird. Die altspanische Sitte der einstöckigen
Häuser mit grofsen und mehrfachen Höfen, welche ausnahmslos nur
von einer Familie bewohnt werden, erfordert eine bedeutende Flächen-
ausdehnung; und als vor etwa 25 Jahren die ökonomisch mögliche
Peripherie der Stadt erreicht war, sah man sich genötigt, dem zu-
nehmenden Wohaungsmangel durch hohe, drei- bis vierstöckige Ge-
bäude in den Zentralquartieren abzuhelfen, da die entfernteren,
frischer gelegenen Stadtteile nur den Equipagen der oberen Zehn-
tausend zugänglich waren. So konnte denn damals der Umkreis der
Stadt noch leicht mit einem Halbmesser von etwa km von tler
fast am Flufsufer befindlichen Plaza de la Victoria aus umschrieben
werden, und als natürliche Folse dieses Zusainmendrängens der
22*
Digitizca by Google
- 808 —
stetig wacliseiideii lievölkening auf ireringem Räume (etwa 295 ha)
unil unter einer heifsen Sonne nahm der Gesundheitszustaiid sicht-
lich ab, Cholera und das bis daliin unbekannte gelbe Fieber (1871)
traten auf und der sprüchwörtliche Ruf der Stadt der «guten Lüfte"
kam in ernstliche Gefahr, sich in das Gegenteil zu yerwandeln. Da
tauchte der Gedanke an die selbst in Europa noch neuen Pferde-
bahnen auf und erhielt nach langen Kämpfen seine erste prahtisdie
Lösung durch die Gebrüder Lacroze in der Linie, welche die Plaza
Once de Setiembre mit dem Zentrum verbindet (1869). Seitdem
ist das Netz bis auf 153 km (fast 22 deutsche Meilen) gewachsen,
nicht weniger als 13 lange Strafsen von Ost nach West, und 14
andere von Nord nach Süd sind mit diesen Linien durchzogen, und
die aufgestaute Bevölkerung konnte sich über die entlegensten Quar-
tiere ausbreiten, so dafs sie jetzt einen Flächenraum von 4540 ha
einnimmt. Augenblicklich ist Buenos -Aires die Stadt, welche bei
weitem sm meisten dieses nützlichen Verkehrsmittels besitzt, and
diesem sowie dem sp&ter ausgeführten grolsartigen System von
Kloaken und Wasserleitungen ist die Wiederherstellung des alten,
schon arg gefUirdeten Gesundheitszustandes zu verdanken.
Doch kehren wir zum handeltreibenden, gewerbthätigen Innern
der Stadt zurück, die als geistige und kommerzielle Kapitale de<
Landes ein ungemein reges Leben besitzt, und betrachten die Merk-
male, durch welche sich dasselbe in seinen verschiedeneu Phasen
dokumentiert, d. h. die ö/fmtlichen Gebäude, welche in ansehnlicher
Zahl vertreten sind.
An Kirchen und Kapellen zuförderst besitzt Buenos- Aires 26,
von denen sich allerdin^^ wenige durch architektonische Schönheit
auszeichnen, zumal da die H&lfte noch aus der Zeit der Kolonial-
herrschaft herstammt und ganz entschieden dem Zopfstile angehört.
Doch imponieren gerade diese alteren durch die Gröfse ihrer Dimen-
sionen und geben ein anschauliches Bild von dein religiösen Eifer
der damaligen und der jetzigen Bevölkerung. Denn wenn vor
hundert Jahren bei einer Einwohnerzahl von etwa 50 (XK) Seelen
13 grofse Tempel für den Frömmigkeitstrieb der Tortenos nötig
waren, so mufs dieser seitdem unzweifelhaft beträchtlich erkaltet
sein, da für die jetzige sechsfache Bevölkerung schon die nur doppelte
Anzahl von Gotteshausern genügt, von denen noch außerdem vier
dem protestantischen und eins dem israelitischen Kultus geweiht
sind. Immerhin bilden viele dieser Kirchen mit ihren hohen Kuppeln
und schlanken, meist doppelten Glockentfirmen einen malerischen
Schmuck der ausgedehnten Stadt, und einzelne haben sogar ent-
schieden Anspruch auf künstlerische Vollendung, wie die von einem
Digitized by Google
— 309 —
Deutschen erbaute Si. Felicitas iu Barracas, die gotischen Tempel
der deutsch-evangelischen und der presbyterianischen Gemeinde und
die gewaltigen Dome der noch nicht gauz beendeten Piedad und
von S. Salvador.
Nächst diesen fallen am meisten die stattlichen Markthallen
ins Gesicht, deren neun, fast durchgängig mit Glas gedeckt, sich in
den verschiedenen Vierteln erheben und bei ihrer grofsen räumlichen
Ausdehuung von oft BO m Seite den täglichen Konsum verkehr auf
höchst zweckmäfsige Weise erleichtern und zur Anschauung bringen.
Im Mittelpunkte der Stadt selbst finden wir deren eigentliches
kommerzielles Herz, die Börse, ein stilvolles aber kleines Gebäude,
welches vor kaum 23 Jahren vollendet, schon jetzt bei weitem nidit
für die Bedflrfhisse des Handels ausreicht. Ein nener, sehr statt-
licher Palast wird augenblicklich zu diesem Zwecke errichtet, und,
nahe um diesen grui)piert erheben sich die massiven prunkvollen
Bauten der grofsen Bankinstitute, sieben an der Zahl, welche sich
dreist neben den schönsten Europas zeigen dürfen. Hier sehen wir
die elegante Provinzial- und die luxuriöse H)i)othekenbank und be-
wundern die solide Pracht der beiden englischen, der italienischen,
sowie der des Herrn Carabassa. Nur die Nationalbank selbst, weiche,
von der Zentralregiemng unterstützt, einer grofsartigen Zukunft ent-
gegengeht, begnttgt sich noch mit unansehnlichen, wenn anch be-
quemen R&nmen.
Und neben diesen Zeugen eines gesunden Wohlstandes bleiben
die Zollniederlagen für die eingeführten Güter nicht zurück. Die
sogenannte „neue Aduana^, 1855 erbaut, ist schon längst nicht mehr
im Stande, den Cberflufs an Waren zu fassen. Zwei andere riesen-
hafte Gebäude, deren Architekten Deutsche, sind in den letzten
Jahren eutätauden und zieren das Ufer des La Plata in würdiger
Weise, während drei lange hölzerne Brücken das Ausladen der
Güter möglichst erleichtem. Beträgt doch auch der der jähr-
lich hier durch den Zoll gehenden GQter die ansehnliche Summe von
328 MUlionen Mark.
Leider ist es nm den Hafen selbst sehr schlecht bestellt Der-
selbe ist eigentlich nur eine Rhede, denn die gröfseren Seeschiffe
von über 18 Fufs Tiefgang müssen auf 6 Seemeilen Entfernung vor
Anker gehen, so dafs die Aus- und Einschiffung von Menschen und
Gütern mit grofsen Kosten und Schwierigkeiten verknüpft ist. Schon
seit 30 Jahren erscheint periodisch ein ungeheures Hafenprojekt;
doch ebenso regelmäfsig wird dasselbe aus mannigfachen und kompli-
zierten Gründen verschoben oder verworfen ; ja selbst die Partei-
politik bleibt dieser steten Negative nicht fern. Unterdessen hat
Digitized by Google
— 310 —
sich au der Mündung des lliachuelo, eines Flüfschens 4 km südlich
von der Stadt, ein reges Leben entwickelt. Stattliche Uferbauten
unigürteu dasselbe, umdrängt von Hunderten kleinerer Fahrzeuge,
und ein breiter Kanal wird seit einigen Jahren quer durch die Sand-
bänke des La Plata bis zu dessen Stromrinne ausgebat^gert Doch
wenn auch schon mancher Ozeandampfer, durch die Flut begünstigt,
in der Boca del Riachuelo seine Passagiere und Ladun^^ unmittelbar
neben den Eisenbahnwagen landen konnte, so scheint doch die blei-
bende Vertiefung dieses Kanals, ohne zu grodse Kosten, zweifel-
hafter Natur, und die eigentümlichen Terrainverhaltnisse dürften
den Technikern noch manche Nuls zu knacken geben, dem Handel
aber femer bedeutende Ausgaben verursachen.
Doch fahren wir fort die Stadt selbst zn besichtigeD. Die
Regierungsgebäude sind dem Wesen einer Bepublik entsprechoid
einfach und wenig in die Augen fsUend Der Kongrefo ist auCBerst
schlicht und zeichnet sich eigentlich nur durch eine niedrige Kuppel
und den sftulengetragenen Portikus von den benachbarten Hausein
aus. Doch die Post erhebt sich stattlich in modernem Renaissance-
stil an der Plaza de la Victoria, und der daneben gelegene Palast
der Nationalregierung wird nach seiner Vollendung einen würdigen
Sit/ für die obersten Verwaltungszweige bilden. Dort sind alle
Ministerien mit den entsprechenden Büreaus vereinigt; nur das
Departement des Ackerbaues betindet sich in dem zugehörigen Ver-
suchsgarteu aufserhalb der Stadt, und die so wichtige Abteilung der
öfteutlicheu Bauten, sowie die der Einwanderung sind in Privat-
häusern untergebracht. An der eiit^jegeniresetzten Seite desselben
Platzes dehnt sich das massige aber schmucklose Stadthaus (Cabildo)
hin, dessen Turm, neuerdings erhöht und verziert, ein Leuchtfeuer
für den Hafen tr> Auch das schOne Gebäude der Münze ist noch
zu erwähnen, welche seit einigen Jahren argentinisches Geld in
groDser Vollkommenheit ausprägt, ebenso das Kadettenhaus in Pa-
lermo, dem ehemaligen Palaste des Diktators Rosas; während die
Marineschule sich noch auf Privatbesitz befindet
Dagegen sind die Bauten, welche der Gesundheits- und Wohl-
thfttigkeitspflege, sowie anderen gemeimiatzigen Zwecken diene»,
zahhreich, ihrer Bestimmung wOrdig und legen ein schönes Zeug-
nis fhr den praktischen und opferwilligen Sinn der Porteftos ab. Elf
Krankenhäuser, darunter fUnf yon den Residenten fremder Natkmeo
unterhalten, zwei Irrenanstalten und eine Reihe von Asylen für
Wöchnerinnen, Findelkinder, Waisen, Arme, Einwanderer u. a. m.
sind zweckentsprechend, ja oft reicli ausgestattet. i:in grofsartiges
Zellengefaugnis bietet liaum für 700 Sträliingc und birgt aufserdem
. Kj Ly Google
— 311 —
in seinen Mauern die verschiedenartigsten Werkstätten und Maschinen
zu deren Beschäftigung, sowie ein stattliches Gebäude für die Kriminal-
gerich tsharkeit. Drei Gasau^italton versorgen die Stadt mit Leuclit-
material, iiitd das i^ereinij^te Wasser des La Plata wird schon jetzt
zu mehr als 6000 Hauslialtuugeu geleitet, auch sind die Maschinen,
welche für den Bedarf des dreifachen der aiigeablicklichen Bevölke-
ntog sorgen werden, bereits aufgestellt. Interessant sind schliefslich
die Bauten zur Entwässerung der Stadt, deren Straisen früher nach
einem schweren Begengusse oft fufshoch ttberschwemmt waren und
sich an einseinen Stellen in reifsende Bftche verwandelten. Nicht
selten ertranken Menschen in letzteren und der Verkehr zwischen
den hohen Bürgerstiegeu wurde durch eiserne Drehbrücken vermittelt.
Jetzt durchziehen meilenlange, gewölbte Tunnels den Untergrund
und führen diese Sturnitluteu schadlos in den Flufs. Nicht weniger
als km solcher Leitungen sind iu Aussicht genommen und 45 km
schon vollendet.
Zahlreiche Platze unterbrechen die sich rechtwinklig kreuzenden
Straisen; dieselben sind nach Art der englischen Squares grolsartig
bepflanzt und auf einigen erheben sich die Statuen berühmter
Patrioten, wie die San Martins und Aisinas. Der Hauptplatz
(de la Victoria) ist mit Springbrunnen, der ünabhftngigkeitss&ule
und dem Reiterstandbilde des Generals Belgrano geziert. Von dort
zieht sich nordwärts der schöne Paseo de Julio am hochaufgemaucr-
ten Kai des Flusses entlang; weiterhin öffnen sich die prachtvollen
Anlagen der Recoleta mit etwas barocken Felsgrotten, doch reichen
Wasserkünsten, und im nahen Palermo ist ein grofsartiger Park
geschaffen, dessen breite Palmenallee an sonnigen Wintertagen den
Sammelplatz der feinen Welt bildet.
Auch für den geistigen Bedarf ist reichlich gesorgt Eine
Universit&t/) 1824 durch den edlen Präsidenten Rivadavia gegründet,
wird von siebenhundert Schülern besucht, welche in drei Fakult&ten
Rechts- und Staatswissenschaft, Medizin und plivsisch- mathematische
Materien studieren. Eine höhere, staatliche Erziehungsauatait
(Colegio nacional) bereitet auf den Besuch dieser Hochschule vor,
während eine groise Heihe von Mittel- und Elementarschulen (darunter
auch die der deutsch-evangelischen Gemeinde) für den Unterricht
der weniger hochstrebenden oder bemittelten Klassen sorgen.
Das naturhistprische Museum unter Leitung des verdienstvollen
Dr. Burmeister enthalt eine reiche Sammlung der fossilen Fauna
Der Kursus von 1<S82 erjjab ,% Professoren und öl(! Schüler für das
Nationalkollegium, sowie 264 öffentliche und Privatschulen mit einem PerKonul
von das Lehreru und Lehreriimen und 2i)iö2 ächülern beiderlei üechiechts.
uiyiiiziüd by Google
— 312 —
Argentinieni?, luid dab anthropologische und archfiologische Kabinet
besitzt wertvolle Beitrage zur Urgeschichte dieäes wisfienschaftlich
noch so wenig bekannten Gebietes. AuTserdem liefern zwei grofM
Bibliotheken vielfaches Material zur geistigen Fortbildui^, und ver^
sehiedene andere, spesiell für die weniger Gebildeten berechnete,
verbreiten Klarheit der Anschanungen auch in diesen Schichten des
Volkes.
Ebensowenig fehlt es an Orten zur Zerstreuung und Belusti-
gung der Portenos. Sieben Theater, darunter das riesenhafte
Teatro Colon, die Oper und das Nationaltheater, spenden eine Fülle
der Unterhaltung von ernsten, hochtönenden spanischen Dramen
oder der neuesten Oper, bis zum französischen Lustspiel und der
heiteren Operette. Mehr als ein Zirkus dtihet sich eqnestrischen
KOnsten; und wenn es natürlich, dafo diese sowie grofsartige Welt-
rennen beim rossebftndigenden Volke der Argentiner in hoher Gunst
stehen, so ist es ebenso lobend zu erwähnen, dafo Stiergefechte
schon seit langen Jahren unmöglich geworden sind. Nur im benach-
barten Montevideo werden dieselben, meines Wissens nach, noch
geduldet und eifrig betrieben. Auch Kestaurants, Caf^s und Bier-
stuben in allen Schattierungen der Eleganz sind unendlich reich ver-
treten; doch fehlt leider ein hauptsächliches Erheitenmgselement
grade des deutschen Volkes fast gänzlich: jene G&rteu, welche am
Ende eines mehr oder minder weiten Spazierganges gelegen, uns
nötigen, ihre bescheidenen Genosse mit etwas körperlicher An-
strengung zu erringen, und zu gleicher Zeit d^ Cteist erfrischen
durch Anblick der dem Stftdter doppelt reizenden Schönheiten einer
ländlichen Natur. Kurz, es fehlen fast vollständig „Kafifeegärten*
als Ziel der Promenaden.
Die Verkehrsmittel der argentinischen Hauptstadt sind der
Entwickelung angemessen, welche dieselbe nach allen Richtungen
hin dokumentiert. Fünf srofse Kisenstrafsen setzen Buenos-Aires
zunächst mit der es umschlielseuden Provinz dieses Namens in Ver-
bindung, deren weite Flache sie nach allen Himmelsgegenden durch-
kreuzen, und dann auch mittelbar mit den übrigen Staaten der
Republik, da von zweien derselben, der Nord- und der Can^anabahn,
die grofoen Dampfer ausgehen, welche den ParanA hinauf zuerst
Rosario, den Hafen des Innern, anlaufen, dann aber bis Asnndon
und Cuyabä hin den Verkehr der Uferländer des mächtigen Stromes
vermitteln. Den Uruguay aufwärts fahren häufig Dampfschiffe
direkt vom Hafen selbst ab, und schwimmende Paläste verbinden
dreimal in der Woche die Stadt mit dem nahen Montevideo. Zu
gleicher Zeit herrscht natürlich ein lebhafter Verkehr von Seglern
Digitized by Gc)
— 313 —
auf diesen Gewftsseru, der am besten dnrch die Zahl von 2500 Flufs-
fohrzeugeu, welche in den amtlichen Listen eingeschrieben stehen,
dargethan wird. Dem überseeischen Verkehr aber dienten im
Jahre 1882 nicht weniger als 6(K)0 Dampfer und Segler mit einer
Ladefähigkeit von etwa 1^^2 Millionen Tonnen, und dnrchschnittlich
laufen im Monate 45 Steamer ein, wAhrend ebenso viele den Uafen
verlassen.
Ein an^gedehntes Telegraphennetz, dessen Mittelpunkt Buenos-
Aires, ist heutzutage so unerläfslich und selbstverständlich, da(s
es kaum der Erwähnung bedarf, auch ist natttrlich die submarine
Verbindung mit Rio de Janeiro und Europa vorhanden; doch wirk-
lich grofsarUg ist das Spinnengewebe von Telephondrähten, das sich
Über die Stadt hinzieht und seinesgleichen in der Welt nicht
findet. Die bedeutenden Entfernungt^u zwischen den Geschäftszentren
der Börse einerseits und der Plaza Once de Setiembre (4 km),
Banacas (5 km) und dem Hafen in der Boca del Riachuelo (4 km)
anderseits erklären die Nützlichkeit und riesige Ausdehnung dieses
Netzes, welches derartig ausgebildet ist, dals nicht nur sämtliche
Geschäftshäuser, sondern auch alle Hotels und viele Restaurants
damit in Verbindung stehen.')
Der staunenswerten Verbreitung der Pferdebahnen geschah
schon vorhin Erwähnung, und möge der Verkehr auf denselben
durch den Umstand gekennzeichnet werden, dafs in der Calle Piedad
die Wagen sich in Abständen von je zwei Minuten folgen. Natürlich
• ist unter solchen Verhältnissen die Zahl der Mietkutschen eine
ziemlich beschränkte, da selbst vor jeder Eisenbahnstation und
jedem Theater oft 4 — 5 verschiedene Trannvays ihre Wagen für
die Ankunft des Zuges oder den Schlufs der Vorstellung bereit
halten; doch sind trotzdem sehr gut ausgestattete Droschken in genü-
gender Anzahl auf den öffentlichen Platzen zu finden und Luxus-
gefährte, häufig mit edlen englischen oder Trakehner Bossen bespannt,
bilden in den Nachmittagsstunden dnen hervorragenden Schmuck
der eleganten Strafsen.
Dank den Pferdebahnen, diesen Wohlthätem von Buenos-Aires,
sind auch die meisten Stralsen treftiich gepflastert, wenn auch noch
manches entlegene Viertel wahrhaft cyklopische Steiuilänime auf-
zuweisen hat. Die Munizipalität nämlich gab und giebt keine
^) iii Buenos- Aires kommt 1 Telephonabonnent auf 173 Einwohner.
» Paris , 1 , , « 865 ,
n Wien , 1 , 9 p IITO ,
• Berlin . 1 , , , 1990 ,
, London „ 1 , » » 2375 ,
Digitizca by Google
— 314 —
Erlaubnis zur Anlache einer neuen Strafse, als unter der Bedingung,
dafs die entsprechenden StraOsen im Weicbbilde selbst mit behanenen
Steinen gepflastert, die entfernteren aber makadamisiert werden.
Da nun die Stadt auch selbst höchst entschieden in dieser Richtung
vorgeht (augenblicklich z. B. sind 5 km StraCBenpflaster in Sub-
mission vergeben), so ist die Fahrbarkeit des Stadtbezirkes eine ans-
gezeichnete. Diese Anuelmilit hkiii wird noch duicli den Um-
stand erhöht, dafs sämtliche Fuhrwerke die Si)m-weite der Pferde-
bahnen anj?enonimen liabeu, also über die breitköpfigen Spinnen
wie auf Gummiräderu dahinrolleu.
Doch einen gefährlichen Feind für das Pflaster und den Säckel
des Rates bilden die riesenhaften Lastkarren. Dieselben sind eigens
dazu bestimmt, bei niedrigem Wasserstande weit möglichst in den
Flufs hinaus zu fahren, um die Ladung der Böte direkt zu empfin-
gen, wenn dieselben nicht an den LandungsbrQcken anlegen können.
Zu diesem Behufe stellt man sie auf nur zwei R&der und gi^t
ihrem Boden eine Höhe von etwa IV« m. Denke man sich nun
eine Last von einer bis anderthalb Tonnen allein auf zwei Stütz-
punkten ruhend und durch irgend einen Zufall in den Fugen der
Steine oder neben den Schienen des Tramways eingekeilt, und ferner
an der Spitze des Hebelarmes, also der Deichsel, drei kraftige
Pferde eine kleine Schwenkung ausführend, um das Hindernis zu
aberwinden. Die unmittelbare Folge ist klar: die Steine werden
aus ihrer Lage gedrängt oder zermalmt, die unglückliche Schiene
aber derartig verbogen, dals die nächste Kutsche entgleist und binnen •
zehn Minuten fünf bis sechs fernere hinter ihr stehen. Will dann
noch das Mifsgeschick, dafs in der schmalen Strafse irgend ein an-
derer Karren sich verfährt oder gar bricht, dann staut sich die
Flut des Verkehrs, die Wagenlenker schreien, eine hohe Polizei
legt sich ins Mittel und die Passagiere setzen ihren Weg zu Fufs
fort, murrend gegen Hat und Stadtverordnete, die so gar wenig für die
Bequemlichkeit des Bürgers thun. Doch der eigentliche Grund des
Übelstandes ist in der Seichtigkeit des Landungsplatzes zu suchen,
welcher die ganze Stadt in Mitleidenschaft zieht: der Verkehr in
den Strassen von Buenos -Aires hängt von der Wassertiefe des
Hafens ab.
Schliefslich sei noch des Klimas gedacht, des lachenden, sonnigen
Himmels, der sich über der vieltürniigeu Stadt wölbt, und der er-
frisclienden Brisen, welche darüber hinwehen. Mit Hecht kann man
dasselbe dem Süditaliens vergleichen, wie dem auch die mittlere
Jahrestemperatur von 17° C. nicht unähnlich ist Selten steigt das
Thermometer über a4<> C. in den heilsen, trockenen Monaten (Januar
Digitized by Google
— 315 —
und Februar) und ebenso scdten sinkt dasselbe auf 4^ unter dem
Gefrierpunkte iv&brend des tiefsten Winters (Juli und August). Ge-
witter sind nicht häufig, doch sdiwer, wenn auch kurz. Nur im
Winter regnet es manchmal zwei bis drei Tage hinter einander.')
Dann peitscht ein heftiger Südost die Gewftsser des La Plata gegen
das Ufer, die Schilfe tauzeu auf der unsicheren Uhede und die klei-
neren suchen Schutz in den Kanälen von San Fernando und des
Tigre oder im Inseldelta des Taranä. Dann schlagt oft jede einzelne
Welle über die Hafeuuiauer hinweg auf den Pasco de Julio, die
Strafsen sind leer, und fröstelnd drängen sieh die Städter um die
spärliche Flamme der Kamine. Doch bald lacht eine warmende
Sonne am klaren Firmament, die Strafsen und Spazierg&nge füllen
sich mit fröhlichen Gesichtern, und Überzieher oder Muff und Pelz*
mantel scheinen nur des Schmuckes wegen getragen zu werden. Der
Frühling ist stürmisch, doch selten rauh: dagegen die Herbsttage
von wunderbarer Milde und Klarheit der Atmosphäre. Wenn aber
im Hochsommer, nach wocheulanger Hitze und Dürre, endlich der
südwestliche Horiz(mt sich bewölkt, dann tritt eines jener Phänomene
ein, welche furchtbar in ihrem Erscheinen, doch rasch verlaufen und
segensreiche Folgen zurücklassen. Gedankenschnell erhebt sich die
Wolkenwand, von gelben Rändern umsäumt, in wenigen Minuten hat
sie die Sonne verfinstert und den Zenith erklommen, die Luft füllt
sich mit im offenen Lande aufgewirbeltem Distelflaum und schwarzem
Staube, so d&fs man oft im vollen Sinne des Wortes die Hand vor
Augen nicht sieht und an den Hftusem hintastend irgend eine gast-
frei geöffnete Thür sucht; und dann bricht das Gewitter los mit
blendenden Blitzen und hallendem Donner, ein kalter, schneidender
Südwestwind (Pampero) jagt die staubschweren Regentropfen gegen
die Mauern, deren weifse Oberflache sich mit einer schwarzen Kruste
überzieht, und die Strafsen sind augenblicklich in tosende Giefs-
bache verwandelt. Aber schon nach einer Viertelstunde schweigt
der Sturm, die Sonne bricht herrlich aus den Wolken hervor und
balsamische Kfihle durchzieht die vor kurzem noch so gltthende,
lechzende Stadt
Dies ist der Schauplatz, auf welchem sich das schnell pulsierende
Leben der Portefios bewegt.
Betrachten wir nun die einzelneu Bestandteile dieser viel-
sprachigen BevölJcemng, von der jedenl'alls die Hälfte noch auf
fremder Erde geboren ist.
*) Die jährliche Regenmenge beträgt 865,« mnii der höchste raomitliche
Hiedeischlag (im Oktober) 96^ mm nnd der niedrigste (im Juli) 42,t mm. INese
ICittol sind ans den meteorologischen Beobachtmigen von 1866—76 gewonnen.
Digitized by Google
— 316 —
Die erste Stelle gebührt den CriolhSy d. h. den dort von Eltern
spanischer Ahstammnng geborenen und in den argentinischen Sittoi
aufgewachsenen Porteüos. Ein Teil derselben stammt von reichen,
altan^esessenen Familien, die seit Jahrhunderten im Wohlstande er-
zogen, eine stattliche, ehrgeizige Aristokratie bihlen und, ij:anz unähnlich
den Newyorker „Knickerbockers", noch heutzutage ihren Stolz darin
setzen, nicht blos die ältesten, sondern aucli die verdienstvollsten
Geschlechter zu bilden. So sieht mau die Söhne der besten Familien
mit Eifer die Rechte oder Medizin studieren, und findet sie unter
den ersten im Forum und am Krankenbette. Aus ihnen entwickeln
sich jene talentvollen, uneigennützigen Staatsmänner, welche der
Bepublik von jeher zur schönen Zierde gereicht haben. — Neben
ihnen figurieren seit etwa 90 Jahren die Abkömmlinge der einfachen
Landbevölkerung, die ohne weiteres Zuthun enorm bereichert durch
die grofsartige Wertsteigern ng des Landes und der lleerJen, in
kurzer Zeit zu Millionaren emporgewachsen sind. Auch unter diesen
hat die angestammte spanische Noblesse manch stattlichen Kavalier,
manch hervorragenden Staatsmann erzeugt; doch im allgemeinen
haben leider Geistesbildung und Gefühl für die bürgerlichen Flüchten
selten Schritt gehalten mit den gesteigerten Vermögensumständen,
so dafo in dieser Klasse noch oft genug der Rotürier an allen Ecken
und Enden hervorguckt. Aber wie grofis und einschneidend auch
der Unterschied zwischen alter und neuer Aristokratie, und wie
verschiedenartig ihr Erscheinen in der öffentlichen Welt, so bewun-
dernswert taktvoll und würdig ist das Auftreten der Damen beider
Klassen. Mit der persönlichen Anmut und Schönheit, welche die
spanische Rasse auszeichnen, vereinigen sich hier Eleganz und
formenvolles Benehmen nebst klarem Geiste und wahrer Herzens-
bildung derartig, dafs der Beobachter sich hingerissen und unter-
jocht fühlt von so viel Liebreiz und Frauentugend. Und wenn die
alteren Damen auch nicht selten eine gewisse Hinneigung zur
Eirchlichkeit an den Tag legen, so sind sie darum nicht minder
treue Gattinnen und tttchtige Familienmütter. Die Frauen dieser
Stände 9ind wahrlich die Blüten des argentinischen Volkes.
Die Lebensweise ist in diesen Familien natürlich tast ganz nach
europäischem Stil eingericlitet; die meisten haben sich längere Zeit
in der alten Welt aufgehalten, so dafs man sich oft in den Zirkeln
der guten französischen Gesellschaft glaubt. Wir müssen nämlich
nicht vergessen, dafs der gebildete Argentiner vollständig französische
Sympathien hat, einesteils weil die gesamte politische Entwickelung
des Volkes eng verknüpft ist mit der jener Nation, und dann weil
die Charaktmigentttmlichkeiten beider sich in vielen Stücken recht
Digitized by Google
— 317 —
ähulich sind; nur kennzeichnet den Arjj:entiner stets eine gröfsere
Gehaitenheit und Würde selbst in den einfachsten Angelegenheiten
des täglichen Lebens. Dagegen sei hier gleich erwähnt, daCs die
unteren Volksklassen noch völlig die dem Altspanier anwurzelnde
Abneigung gegen seine Nachbarn auf der anderen Seite der
Pyrenäen bewahrt haben. — Als Yereiniguugspiinkte fOr diese ver-
feinerten Gesellschaftskreise dienen zwei grofse Klubs, del Progreso
und dcl Plata, deren periodische Bälle einen gläuzendeu Luxus mit
"viel gutem Ton zur Er.scheiimnü: bringen.
Zum Mittelstande, wenn wir darunter die in bescheidenen Ver-
hältnissen lebenden Portefios beiireifen wollen, gehören verhältnis-
mälsig wenige Familien. Es sind dies kleinere KauÜeute, einige Beamte
und die Schar jener Advokaten und Notare, Ärzte, Ingenieure und
Periodisten, deren beschränkte Einnahmen sie verhindern, am Treiben
der Beichen teilzunehmen. Das Lehen dieser ist einfach genug,
wenn auch stets grolses Gewicht auf die äuIiBere Erscheinung gelegt
wird; so findet man z, B. stets glänzend eingerichtete Empfangs-
zimmer, trotzdem der Rest des Hauses oft recht sparsam möbliert
ist, und die weiblichen Familienglieder zeigen einen in Deutschland
unbekannten Luxus der Toilette, welcher sie jedoch nicht hindert,
thätig und eigenhändig in das Hauswesen selbst einzugreifen.
Während die Männer dös Tages ihren Geschäften obliegen, die
Abende aber im Ca£6 oder in politischen Versammlungen hinbringen,
teilt das Leben der Frauen sich zwischen den Sorgen der Wirt-
schaft und der Kindererziehung, nur zeitweilig unterbrochen durch
einen abendlichen Spaziergang in den glänzend erleuchteten Haupt-
strafisen, den Besuch einer Freundin oder den des Theaters. ^Auch
dorthin gehen die Damen meist allein und zwar der Billigkeit wegen
auf die höchste Gallerie, welche ausschliefslich ihnen vorbehalten
ist und stets einen reichen Kranz lieblicher Gesichter, und hinter
wehenden Fächern hervorblitzendc Augen aufweist.
Unter den arbeitenden Klassen fehlen die Handwerker fast
ganz, oder treten doch wenigstens gegen die Fremden völlig in den
Hintergrund. Nur etwa bei den Schriftsetzern und Zigarrenmachem
dürften mehr Eingeborene gefunden werden ; auch ist die Anfertigung
von Seife und Kerzen ein spezifisch argentinisches Gewerbe. Dagegen
liefern die GrioUos den weitaus grdfsten Teil der Karrenfährer,
sowie der Arbeiter in den grofsen Schlachthäusern, Gerhereien und
Baracken. Es ist dies ein rüstiges Volk, das tüchtig zu arbeiten,
aber auch zu geuiefson versteht, und bei ihnen linden wir noch die
nationalen Tänze und Gesftnge, sowie den altgewohnten Hahnen-
kampf, doch auch Ivarten, Wein und als Schlufs nur zu oft ein
Digitized by Google
— 318 —
regelrechtes Gefecht mit dem Messer. — Neger sind sehr wenig
vorhanden, so dafs man vielleicht ebensoviel in den Strafsen von
London sehen könnte, nnd bekleiden dieaelben üast ansnahmlos hohe
Chargen als Kutscher in den reichen Hftnsem nnd als Fortiers der
yerschiedenen Ministerien.
Bei der fremden Bevölkerung herrscht naturgemlfs das m&nn-
liehe Geschlecht bedeutend vor: ist es doch stets der rüstige,
watttMifälii^^e Teil eines Volkes, der sich zur Auswanderung entschliefst,
wiilircud die Frauen mit ungleich gröfserer Zähigkeit an der heimischen
Erde hangen.
Der Zahl nach stehen hier die Italiener voran. Unter ihnen
finden sich tüchtige Ärzte, Advokaten und Ingenieure, doch auch
viele wegen ihrer Habsucht und anderer Untugenden vermfeM
Priester. Einige greise HandelshAnser, Kunsüaden, Eisen- und
Schiffisgeschäfle werden von ihnen betrieben, zugleich ist das Detail-
gescbäft mit Kolonialwaren und den täglichen Yerbrauchsartikdn
fast ausschliefsllch in ihren Hftnden. Der Neapolitaner, wenig Freund
der harten Arbeit, durchzieht die Strafsen als Hausierer. Schuh-
flicker, Fisch- und Obstverkänfer; der Genuese, als ^^eborener
Seemann, beherrscht die Küsteiischitiuhrt und den Bootsverkehr
des Hafens, wabrend der Norditaliener teils Garten- und Gemüsebau
in oft recht grofseni Mafse treibt, teils als Destillateur, Schlachter
nnd Bäcker oder als Bau- und Bekleidungsbandwerker reichlichen
Verdienst findet. Wenn auch aller Orten die charakteristischen Rufe
des Morra erschallen und die Boccia geworfen wird, so leben sie
doch sämtlich höchst genfigsam und ökonomisch, was am besten
aus ^em Umstände hervorgeht, dafs in nur zwei Banken der Stadt
nicht weniger als 38 Millionen Mark von ihnen in kleinen Beträgen
deponiert sind. Der schwunghaft betriebenen italienischen Bank
geschah schon Erwähnung. Für den Gemeinsinn der Kolonie genügt
ein stattliches Hospital, und drei täglich erscheinende Zeitnui^en
kennzeichnen den Grad ihrer Teilnahme an den poUtischeu und
litterarischen Ereignissen der Gegenwart.
Kaum geringer an Zahl und Bedeutung sind die ÄUapanier,
wenn dieselben auch wegen der Gleichheit der Sprache weniger in
die Augen fallen und sich schneller assimilieren. Zu ihnen gehören
einige tüchtige Litteraten nnd nicht wenige Priester, auch treiben sie
einen sehr betrachtlichen Handel mit den wertvollen Erzeugnissen
ihres Heiniatlantles, sowie mit Schnitt- und Modewaren. Der
richtige Gallego, so bezeichnet der Volksmund die ungebildeten
Klassen der iberischen Einwanderung, ist mit Vorliebe vigilante
(rolizeisoblat), aguatero (Wasser verkaufer), changador (Lastträger)
Digitized by C^^'^ '^
— 319 —
oder Diener in den arcren tinischen Familien, und ihre Ehrlichkeit
neben auffälligem Verstandesmangel wird gerühmt Die Basken
dagegen, mit ihren l&ndlichen Gewohnheiten, haben auch hier vor-
wiegend eine l&ndliche Profession ergriffen, sie treiben Milchwirtschaft
und bringen das Produkt ihrer Meiereien tftglich oft drei Meilen
weit zu Pferde nach der Stadt Dieselben bilden hierbei, zwischen
sechs grofsen Blechkannen hockend, neben den liautig ebenfalls be-
rittenen Brotausträgeru, einen charakteristischen Zug in der Phy-
siognomie des erwachenden Dueiios-Aires. Aufserdem findet ein
grofser Teil derselben Beschilftigiing in den Schlachtereien und
WoUdepots von Barracas, so dufs diese Vorstadt zumal bountags
ein entschieden baskisches Gepräge trägt Dann drängen sich dort
die kräftigen Männer mit den nicht weniger stattlichen Weibern in
der malerischen Tracht ihrer Berge nach der Cancha de Pelota, um
das nationale Ballspiel za üben oder die Barra (die eiserne Stange)
zu werfen. Tüchtige Arbeiter, ehrenhaft von Gräinnung und ehrbar
an Sitten, bilden sie unstreitig das beste Element der europäischen
Einwanderung an den Ufern des La Plata. Selbst eine Zeitschrift,
der ^Laurac Bat" erscheint in baskischer Sprache, und da zu
gleicher Zeit die allgemein spanischen Interesseu durch zwei fernere
Blätter vertreten sind, so scheint die durchschnittliche Bildung der
Spanier in Buenos-Aires auf höherer Stufe als jene der Italiener zu
stehen, welche nur zwei Zeitungen besitzen. — Ein schönes Kranken-
haus wurde vor einigen Jahren durch freiwillige Beiträge gegrOndet
Unter den Repräsentanten des franMösiseken Volkes finden sich
aufser Ingenieuren und Ärzten nur wenige Grolshändler und einige
Barraqueros. Dagegen sind die grofsen Gasthäuser, die Bestaurants
und CMs fast ausschliefslich in ihren Händen, ebenso die Mode-
geschnfte. Bazare und Friseurladen. Und fügt man dazu noch die
feinen Schneider und Schuster, sowie den nützlichen Stand der
Kellner und Köche, so dürfte das französische Element genügend
charakterisiert sein. Freilich rechnet die Statistik auch die Bewohner
des Nordabhanges der Pyrenäen zur selben Nation, und damit
schwillt allerdings die Zahl der französischen Kolonie sehr bedeutend
an; doch halten sich diese Basken ganz zu ihren spanischen Vettern»
denen sie in jeder Beziehung sehr ähnlich sind, und müfsten
eigentlich zu diesen gezählt werden, da sie auch häufig kaum ein
Wort ihrer offiziellen Landessprache verstehen. — Die geistige
Ilegsamkeit des gallischen Volkes zeigt sich in drei Zeitungen, von
denen besonders der .Courier de la Plata'*, sehr gewandt redigiert,
sich eines grofsen Leserkreises auch unter den Nichtfrauzoseu erfreut.
Auch besitzt die Kulouic ein stattliches Hospital.
Digitized by Google
— 320 —
Die Beutsclyin folgen erst in vierter Linie und dürften kaum
die Zahl von 6000 Seelen übersteigen ; doch betinden sie sich meist
in guten, angesehenen Stellungen und sind als einzelne wegen ihrer
anerkannten Tüchtigkeit und Pflichttreue gescbAtzt Leider kau
man dasselbe nicht Yon der Gesamtheit aussagen, welcher die
frankophilen PorteOos der gebildeteren Klassen noch immer nicht
die Ereignisse der letzten Jahre verzeihen können. — Zu des
Ärzten and Ingeniearen, den Schalmftnnem nnd Gelehrten von
Buenos-Aires stellt unser Volk ein sehr bedeutendes Kontingent
und unter den deutschen Kaufleuten tinden sich wohl, mit den eng-
lischen, die bedeutendsten Importhäuser von Schnitt- und Eisenwaren.
Getränken, Tabak u. a. ni., während zujrleich ein grofser Teil des
Exportes an Wollen und H&uten durch ihre Uande geht. Die
Apotheken und lUichhandlungen, die Gerbereien, Branereien, Litho-
graphien und Maschinenwerkst&tten der Deutschen z&hlen zu
den besten der Stadt, und als Beweis, dab anch hier das Handweik
seinen goldenen Boden bewahrt, finden wir die Möbeltischler and
Tapezierer, die Sattler, Schneider, Schuster und Bftcker samtlich
in blühenden Verhältnissen. Dieser allgemeine Wohlstand bekundet
sich auch äufserlich durch die stattliche evangelische Kirche uutl
eine tüchtig geleitete Schule für beide (Geschlechter, an welcher den
Knaben die Bildung eines deutschen Realgymnasiums, jedoch mit
Weglassung etwa der Prima und Sekunda, erteilt wird. Aufserdem
unterb< die Gemeinde ein sehr zweckmäfsig angelegtes Kranken-
haus« Das gesellige Leben wird durch die Anwesenheit zahlreicher
Damen verschönt, und findet seinen Ausdruck in einer Keihe Yon
Vereinigungen, deren hauptsächlichste der Tum-, der litterarische
nnd der Gesangverein, sowie die Germania und Konkordia hier er-
wähnt sein mögen ; doch ist auch der Verkehr der einzelnen Familien
unter einander ein sehr reger und angenehmer. Natürlich fehlt es
ebenfalls nicht an Zeitschriften; es erscheinen davon die „Deutsche
La-Plata-Zeitung'^ und das „Argentinische Wochenblatt"; doch sind
leider die dortigen Deutschen trotz aller Vaterlandsliebe zu kosmo-
politisch, um nicht zu gleicher Zeit die grofsen argentinischen
Blätter, den englischen „Standard" und den französischen „Courrier"^
zu lesen, ja darüber die eigenen Zeitungen zu Ternachlässigen, so
dafs sich unsere periodische Litteratur in Buenos-Aires noch nicht
die ihr gebührende Stellung erworben hat.
Noch geringer an Zahl sind die Engländer^ doch jeden&Us
ebenso bedeutend in Bezug auf Stellung und Einflufs als die
Deutschen. Auch unter ihnen finden sich tüchtige Ärzte nnd
Ingenieure, sowie sehr gewichtige Finnen im Einfuhrhandel, wahreud
Digitized by Google
zwei grofse Banken ihren gewaltigen Einflnfe auf den Oeldverkehr
ausüben. Buchhandlungen nnd Apotheken erfreuen sich des besten
liule.s; doch fehlen der Kleinliaudel sowie der Handwerkerstand fast
ganzlich. Trotzdem unterhalten die Anglosachsen, zu denen ich
hier ebenfalls nach dortigem Gebrauche die Bürger der Vereinigten
Staaten rechne, nicht weniger als drei Kirchen, und das älteste
Hospital gehört ihnen: sind ihre Beziehungen zum La Plata doch
auch weitaus von der längsten Dauer und findet sich ihr Kapital in
allen grödseren Unternehmungen des Landes. Mehrere Klubs ver-
folgen neben geselligen auch litterarische und gymnastische Zwecke,
und drei Zeitungen dienen den Interessen der englisch redenden
Kolonie.
Noch manche andere europäische Nationen sind im viel-
sprachigen Bueuos-Aires vertreten ; doch wenn ihre Söhne auch oft
genug persönlichen Wohlstand und Ansehen erlangt haben, so ver-
schwinden sie doch gegen diese vier Hauptgrui)pen und werden
hänhg mit der ihnen verwandten zusammen gerechnet. So gelten
die Österreicher je nach ihrer Nationalität für Deutsche resp. Italiener
und die Schweizer assimilieren sich den drei verschiedenen Volks-
st&mmen, deren Sprache sie reden. — Den gebildeten Repräsentanten
aller fremden Nationen öffnet sich der aristokratische F^mdenklnb,
welchem anzugehdren noch vor kurzem als eine besondere Auszeich-
nong unter den dort residierenden Ausländem betrachtet wurde.
Diese so verschiedenartigen Elemente, deren jedes einen he-
deutenden Teil seines Nationalcharakters bewahrt hat, formen ein
vielgestaltiges, interessantes Ganze, das sich natürlich am besten
und unmittelbarsten im Strafsefüeben darthut, worin alle nach ihrer
besonderen Eigentümlichkeit eingreifen. Betrachten wir also dasselbe
an einem Frühlingstage, ehe die gute Gesellschaft, Yor der steigen-
den Sonnenhitze fliehend, die Stadt verlassen hat.
Schon um 2 Uhr morgens erdrdhnt das Strafoenpflaster unter
ganzen Zflgen von Ocbsenkarren, denen wahrend des Tages der
Emtritt verwehrt ist und welche die Einsamkeit der Nacht benutzen,
um den Markthallen frische Gemüse und andere Verbrauchsartikel
zuzuführen. Ihnen folgen bei zunehmendem Lichte Wagen mit
Luzerneklee, die berittene Schar der Milchleute und Brotverteiler
und endlich die Zeitungsjungen, welche einige zwanzig verscliiedene
Morgenblätter mit gellendem Schreien ausrufen. Handwerker eilen
zu ihrer Arbeit und die ambulanten Händler mit Fischen, Obst u. a.
verteilen sich, von den Märkten kommend, in den entfernteren
Vierteln, willkommene Vermittler für die kleineren Haushaltungen.
Qegen 7 Uhr füllen sich die Straben mit frommen Damen, die mit
Q«ogr. Bllttar. BrMra» 18». 2B
— 322 —
ihren Töchtern zur Frühmesse gehen, manchmal begleitet von eioem
oder dem anderen filteren Herrn; die Pferdebahnen rasseln hfinfiger
nach dem Zentrum und die vornehme Köchin fihrt stolz auf ihr
m Markte, während der berittene Koch irgend einer Baracke nach
der Vorstadt zurückkehrt, den gefüllten Marktkorb mühsam auf
dem Sattel balancierend. Nun beginnen auch die Kinik-r den
Schulen zuzuströmen, und oft sieht man die rosi^ren Kleinen mit
ihren Mappen in der Hand aus dem Tramway steigen, der sie viel-
leicht eine halbe Meile weit befördert hat. Doch von 9 Uhr ab
sind diese Gefahrte, sowie die Eisenbahnzüge angefüllt von Ge-
sehAftsleuten, welche in grane Staubmäntel gehallt und emaig die
Morgenzeitnng studierend, zur Stadt fahren. Sie haben in ihren
Gartenhftnsem, nnd auch die besser gestellten Kommis besitzen
deren, schon ganz substantiell gefrOhstOekt und eilen anf die Kontore,
welche sie erst des Nachmittags verlassen werden. So fülleu sich
denn bald die zentralen Strafsen mit einer geschäftigen Menge in
demselben Mafse als sich die entfernteren entvölkern, die Buden
werden geöffnet, halbnackte Lasttrf\t:or und schwerbeladene Karren
kreuzen sich nach allen Richtungen, die Schellen und Hörner der
Pferdebahnwagen ertönen unaufhörlich und das vielgestaltige Treiben
des Tages beginnt in allem Ernste. Gegen 11 Uhr fahrt auch der
wohlhabende Advokat nach seinem Bflreau, die Tribunale und Schreib-
stuben öffnen sich nnd in der S&ulenhalle vor dem Stadthause, wo
dieselben sich befinden, drangt sich die dichte Masse des prozefs-
lustigen Publiknms, die Langsamkeit des Gertehtsverfohrens ver-
wünschend und auf die Worte der schwarzhärtigen, schwarzgekleideten
Anwälte lauschend, welche ihren gläultigcii Opfern nicht blos die
schnelle Erlediuuni: ihrer Sache, sondern auch deren LM"in-tigeii Auf-
gang als unfehlbar verkünden. Doch erst um Mittag schreiten die
Angestellten der Ministerien würdig durch den Schwärm der Bitt-
steller zu ihren Kabinetten im Regierungspalast; auf ihren Schultern
ruht das Wohl des Staates, fanf lange Arbeitsstunden stehen ihnen
bevor, und das Anhören so vieler Gesuche wird die Mflhe des Tages
nicht verringern.
Unterdessen hat sich das kanfraännlsche Leben an der Börse
konzentriert, deren Geschaftsstunde zwischen 12 und Vii Uhr fällt,
wenn auch das Lokal noch bis 4 Uhr geöffnet blciht. Eine lantie
Reihe von Wagen nnd nicht wenige Keitpferde blockieren die be-
nachbarten Strafsen, ernste GrofshAndler schreiten gewichtig die
Stufen hinauf, geschäftige Makler eilen durch <lie gedrängte Menge
und die Kunstausdrücke für Wechselkurse nnd Staatspapiere schwirren
durch die Luft, untermischt mit den schrilleu Uufen der Zeitungs-
Digitized by Google
— 323 —
jungen, welche die Nachmittagsblätter ankündigen. £s ist drückend
heife, auf der engen StraCse findet sich wenig Schatten and noch
weniger Luftzug. Doch Qott Mammon fragt nicht nach dem per-
sönlichen Wohlbefinden sdner Anbeter ; auch sie müssen im Schweilse
ihres Angesichts das Brod verdienen, welches ihnen manchmal wohl
recht ungleich zugemessen wird. Glücklicherweise bieten zahlreiche
Bierhallen und Lunchrooms io unmittelbarer Nähe dem verschmach-
tenden Sterblichen Erquickung; und es gewährt ein wohlthucndes
Gefühl, die glühenden Gesichter der eifrigen Herren zeitweilig in
den kühlen Schatten dieser Zufluchtsorte tauchen zu sehen. Der
Körper verlangt sein Recht. Ober all diesem Getümmel aber wehen
zahlreiche, riesenhafte Fahnen, welche zu Auktionen von allen denk-
baren Artikeln einladen, bunte Flaggen verkünden die Abfahrtszeiten der
verschiedenen Dampfer, an den Strafoenecken lehnen stumme Mftnner
mit Plakaten und Anzeigen der abendliehen Vergnügungen, und die
gewaltigen Kuppeln der Kathedrale und der Merced ragen ernst
hinauf in den tiefblauen Äther.
Langsam ebbt das geschäftliche Leben zurück. Um 5 Uhr
werden die Kontore, Tribunale und Verwaltungsbüreaus geschlossen
und die Völkerwanderung des Morgens ergiefst sich nun mit ver*
doppelter Lebhaftigkeit hinaus in die Vorstädte und nach den Land-
häusern, da jetzt alle zu gleicher Zeit der Tagesarbeit enteilen.
Doch schon vorher, bei beginnender Kühle, haben die Hauptstrafsen
Viktoria, Perü und Florida ein anderes Ansehen gewonnen. Eine
zahlreiche elegante Damenwelt lustwandelt auf ihnen unter dem
VoTwande wichtiger Einkäufe in den glänzend ausgestatteten Laden.
Geschmackvolle, wenn auch häufig zu reiche Toiletten, Hüte, Schirme
und Fächer nach der neuesten Mode heben die anmutigen Gestalten
und feurigen Augen der schönen Portefias vorteilhaft hervor, und
prächtige Equipagen mit der Creme der vornehmen Welt vollenden
ein so anziehendes, farbenprächtiges Bild, dafs es nicht zu ver-
wundern, wie auch die jungen Elegants es für durchaus nötig er-
achten, Auge und Kürper nach den Mühen der Schreibstube durch
einen Spaziergang in denselben Straben zu erfrischen.
Leider wollen selbst Schmetteriinge essen und auch Blumen
bedürfen der Nahrung. So verdden denn ebenfalls diese eleganten
Strafeen in den Stunden von fünf bis sieben Uhr, um dann von
neuem in vermehrter Schönheit zu strahlen, da einesteils die brillante
Erleuchtung der Schaufenster den Marchenaugen der Frauen neuen
Glanz verleiht, dann aber auch die Anzahl der Promenierenden häufig
der Art zunimmt, dafs an einzelnen Stellen Queue gebildet werden
nittfo. In den grofsartigen Modeläden strömt die Schar schaulustiger
. I. l y Google
324 —
Damen ein und aus, oft freilich ohne etwas zu kaufen, die präch-
tigen Konditoreien füllen sich mit Eis essenden Schönen und bei der
freieren Sitte des Südens wird im Vorübergehen unter schon Be-
kannten manch fröhliches Scherzwort gewechselt. Langsam ent-
leert sich dann die Promenaden, Theater und Gesellschaften absorbieren
einen ?iuten Teil des Publikums, und der Rest der jungen Männer-
welt sucht Unterhaltung in den zahlreichen Klubs und CahVs.
Des Sonntags dagegen bietet Buenos -Aires ein ganz ver-
schiedenes Bild. Die Läden sind geschlossen und die belebtesten
Strafseu ausgestorben. Wer irgend kann von der fremden Bevölke-
rung, zieht hinaus ins Freie. Dort siud die Kabaretts, Fondas und
Caf6s voll heiteren Volkes, der ferne aristokratische Park von
Palermo wimmelt von Spaziergängern und in der Boca del Riachuelo
drängen sich die Vergnügunirsböte. Die wohlhabenderen Familien,
besonders Deutsche und Engländer, unternehmen Picknicks nach den
Inseln des Tigre, nach San Isidro und anderen Orten, wo grflner
Rasen und kühler Baumschatten zum ruhen einladen; der fran-
zösische Haarkrftnsler aber zieht schwer bewaffnet hinaus, unschuldige
Vöglein zu morden. Nur der minder begüterte CrioUo teilt diese
allgemeine Beweglichkeit wenig: er neigt nicht zu weiten Spazier-
gängen und da er keine Equipage besitzt, bleibt er zu Hause. Schon
früh ist er sittig zur Messe gegangen mit Weib und Kind; und
besitzt er Töchter, so bat er sich über die Gruppen modisch ge-
kleideter Jünglinge geärgert, welche den Vorhof des Tempels füllten.
Dann abw verbrachte er den Tag einsam zwischen Zeitung, Mate
und Zigarretten, mit der einzigen Abwechselung des höchst frugalen
FMhstüekes und der obligaten Sonntagssiesta. Doch endlich
erwacht auch seine Familie zur würdigen Feier des Tages. Die
Hausfrau nebst den Töchtern tritt gegen fünf Uhr stattlich geschmückt
unter die Hausthttr, und die jungen Männer promenieren in den
gewöhnlich so einsamen Strafsen des entlegenen Viertels. Spüter
erfolgen Besuche, die Freundinnen vereinigen sich und bald
wird fröhlich nach dem Piano, ja selbst zur Guitarre getanzt,
während Bier und Thee die Runde machen. Aber schon um 11 Uhr
herrscht tiefes Schweigen in der Vorstadt, etwa vom Klirren eines
Pferdebahnwascens unterbrochen, und weithin schallen die Schritte
des verspäteten Fufsgängers zum Verdrusse eines Galans, der durch
das eitersüchtige (iitter mit der Geliebten plaudert.
An Volksfestlichkeikn sind aufser der Feier der beiden nationalen
Gedenktage (25. Mai und 9. Juli), welche in der herkönnulichen Parade
und einem grofsartigen Feuerwerke besteht, die Pferderennen her-
vorzuheben, welche hei der nngeborenea Vorliehe des Argentiners
Digitized by Google
325 —
für hi|»])ische Spiele .^irh ile> all^'emeinsteii Interesses bei Fremden
und Criollos erfreuen. Im iibrigen verlaufen dieselben in Buenos-
Aires {^elbst ganz naeb tler in Europa üblichen Weise, wovon die
Carreras auf dem offenen Lande allerdincrs vollständig abweichen,
und sind denselben zwei schöne Bahnen gewidmet, die w&hrend der
Saison den Tummelplatz des reit- und wettlustigen Publikums bilden.
Ein unseren Kirchweihen ähnliches Fest ist das de Nuestra 'Seiiora
de la Recoleta, welches, nrspranglich spanischen ürspranges, am
8. September gefeiert wird, doch mehrere Tage hing w&hrt Da
dasselbe mit dem Ende des Winters znsammenflllt, so ist es ffir
die Portenos zum Frühlingsfeste geworden, und schon am frühen
Morgen zieht männiglich hinaus nach dem Bajo de la Kecoleta,
einer ausgedehnten Wiese, welche sich zwischen der hochgelegenen
Kirche dieses Namens und dem La PlaUi ausbreitet, um dort im
Schatten prächtiger Weiden den Tag mit essen und trinken, si)ielen
und tanzen zu verbringen. Hier bietet sich eine gute Gelegenheit,
das Volksleben der Hauptstadt in seiner harmlosen, liebenswürdigen
Weise zu beobachten. Frohes Lachen und Scherzen ertönt von
allen Seiten und häufig wird der Zuschauer eingeladen, an den
Spielen oder am Male teilzunehmen; doch selten hdrt man ein
brutales Wort oder ist gezwungen einer jener Raufereien beizuwohnen,
welche an anderen Orten so gewöhnlich sind. Die angeborene
Höflichkeit und Würde der spanischen Rasse verleugnet sich selbst
nicht bei den niederen Volksschichten. Natürlich erhebt sich dort
auch eine iiaiize Stadt von Zelten und Buden, in welchen Schau-
spiele und Erfrischungen aller Art feilgeboten werden, ebensowenig
fehlen Karussele und Glücksspiele ; doch hat leider der Platz selbst
einen grofsen Teil seiner natürlichen Heize verloren, seit be
Gelegenheit der Revolution von 1880 die schönsten der hundert-
jährigen Weiden umgehauen wurden, um als Palissaden an den
Befestigungen der Stadt zu dienen. — Ähnliche Feste, wenn auch
von geringerer Bedeutung, werden noch bei den Kapellen von
St. Lucia und St. Cristobal gefeiert.
Was soll ich nun vom Karneval erzählen, diesem ungeheuren,
bacchantischen Festtaumel, welcher Buenos-Aires in untileich höherem
Mafse ergreift als wohl irgend eine Stadt des südamerikanischen
Kontinentes*? Das Bild dieser dreihunderttausend ^lenschen, welche
in den wenigen Strafsen des Korso zusammengedrängt drei Tage
kng einzig der Freude und dem Grenusse des Daseins leben, spottet
jeder Schilderung. Das alte nationale Spiel des gegenseitigen
Begiefsens mit Wasser und des Werfens von damit gefüllten Eier-
schalen wird freilich nur noch in den Vorstädten und gegen das
Digitized by Google
— 326 —
polizeiliche Verbot betrieben, obgldeh auch dieses bei der W&mw
der Jahreszeit seine Reize hatte; dagegen erreichen jetzt die
Portenos beider Geschlechter denselben Zweck ebenso gründlich,
wenn auch bedeutend kostspieliger, durch «inhalteudes Benetzen
des Nächsten mit dem wohlriechenden Wasser der Pomitos,
eleganter kleiner Spritzen aus Blei, ähnlich denjenigen, in
welchen die Ölfarben der Maler aufbewahrt werden, und die
einen feinen Strahl wohl zehn Schritte weit treiben. I>och dieee
Privatecherze yerschwinden ToUst&ndig vor dem überw<igeDden
Eindmck des Korso, welcher allabendlich die beiden HanptstraliBea,
Florida und Yictoria, in der Länge Ton fast 2 km dnrehzieht
Denke man sich diese ganze endlose Strecke mit Gasbögen taghell
erleuchtet und mit tausenden von wehenden Flaggen, Festons und
Teppichen geschmückt ; denke man sich ferner auf den Bürgersteigen
eine dichte Menge von fröhlichen, höflichen Menschen langsam dahin-
flutend und sämtliche Fenster mit den schönsten Franen des an
diesen so reichen Buenos- Aires besetzt, alle im vollen Ballstaate
und alle gleich bereit, den Korso zu schauen, wie energisch teil-
zunehmen am heiteren Spiel der Pomitos. Und dazwischen hin
wnlzt sich nnn, eine Tielgegliederte Schlange, die doppelte Kolonne
der verschiedensten GefUirte, von der eleganten Equipage mit dem
Reprisentanten der feinen Gesellschaft und dem geschmadnroU ver-
hängten Wagen, welchen eine Gesellschaft von etlichen zwanzig
maskierten und gleich kostümierten jungen Mädchen einnimmt, bis
zum zweiräderigen Karren, der einem halben Dutzend grotesk ^re-
kleideter Neger zum Vehikel dient, oder der rollenden Plattform,
auf der sich irgend eine karnevaleske Allegorie abspielt. Scherze
und Blumen fliegen von Wagen zu Wagen, steigen auf aus der
umstehenden Menge und werden lachend derselben zurückgegeben;
unternehmende Jflnglmge erklimmen die Tritte oder das Hinterteil
der Kutschen, um fröhliches Gefecht zu beginnen mit deren Insassen,
welche mit gläsernen Stkshern kaum das Gesicht vor dem indiskreten
Pomitos schützen können, und ein allgemeiner Schauer von wohl-
riechendem Wasser erfüllt die Luft. Durch all dies Gewimmel und
Getöse aber schallt von Zeit zu Zeit lustige Musik: es sind Com-
parsas, Scharen von 20 bis 100 jungen Leuten, die in buntem
Maskengewande mit wehenden Fahnen und zum Klange von selbst
ausgefiüurten Melodien im Korso einherziehen. Dieselben sind klub-
artig organisiert und haben sich wochenlang in den jetzt gespielten
Melodien geübt, sei es mit der einfadien Guitaire, Trommeln und
Becken, sei es mit Geigen und FlOten oder gar mit dem viel-
stinmiigen Orchester einer vollständigen Milit&rmustk. Nach ScUub
Digitized by Google
— 327 —
des Korso werdea sie sich unter den Töaen ihrer Instrumente in
den StraHsen zerstreuen, mn bei bekannten Familien, wo man sie
schon mit Ungeduld erwartet, Besnche abzustatten und die Nacht
hindurch zn tanzen. Und wem kein gastfreies Haus die Thflren
öffnet während die.ser Nachte, der findet reichlich Gelegenlieit,
an dem Freiideutaurael teilzunehmen, in den reichgeschmückten
Salons der beiden aristokriitisclicn Gesellschaften del Progreso und
del Plata, wo die Elite der eingeborenen Aristokratie gerade bei
dieser Gelegenheit ihren höchsten Glanz entfaltet, oder auch in den
hunderten von Maskenballen, welche Ton allen Theatern und Yer-
gnttgungslokalen der verschiedensten Art veranstaltet werden.
Scharen von Masken wogen die Nacht hindurch in den Strafsen,
von einem Ballsaale znm anderen ziehend, fortwährend ertönt das
elgentfimliche Rufen in den höchsten Fisteltönen, womit dieselben
sich untereinander begrüfsen, und wenn endlich die Sonne des
folgenden Tuges schon hoch herai>glilnzt vom wolkenlosen Firmament,
sieht man noch häufig vermummte Dämchen mit ihren Galanen
gleich aufgescheuchten Ncachtvögeln durch die schon belebten Strafsen
flattern. Auf so viel Lust folgt auch hier ein Moment der Er-
nüchterung: der Aschermittwoch, und in der grauen Dämmerung
dieses Tages blickt wohl so mancher wehmütig auf den geleerten
Oeldbeutel und die so schnell verrauschten Augenblicke des Genusses ;
doch alle haben sich köstlich vergnflgt und schmieden schon jetzt,
während sie den gewohnten Beschäftigungen nachgehen, tausend
heitere r^läne fQr den nächsten Karneval.
Auch meine Schilderung mufs sich nun zu einem nüchternen,
wenn auch wichtigen Ge-^enstande wenden, zum Handd und der
Industrie dieser grol'sen Stadt, deren Ertrag in letzter Linie doch
auch die Lust des Faschings bestreiten. Schon erwähnte ich den
beträchtlichen Wert, welcbeu die jährlich durch den Zoll von
Bnenos-Aires gehenden Waaren repräsentieren (328 Millionen Mark);
derselbe steigerte sich im Jahre 1882 auf 354Vs Millionen durch die
steuerfrei ein- und ausgeführten Artikel, während der Transithandel
TV« Millionen, der Binnenhandel mit den Flassen aber 60V8 Millionen
betrng. Diese Zahlen beweisen genugsam die grofse kommerzielle
Thätigkeit der Stadt, wie denn auch die Statistik desselben Jahres
nicht weniger als 717 Grofshändler und 927 Agenten, Makler, Trans-
portgeschäfte u. a. m. aufzählt. Auch der Kleiidiaiidel i<t mit
4844 Läden vertreten. Für die Krnähnniix der Stadt sorgen 309
Etablissements, als Mühlen, Üackereieu, jS'udelfabrikeii u. a. m.,
ohne die Schlachtereien zu rechnen, welche als spezifisch ländliche
Geschäfte angesehen, also auch in jenem Verzeichnis nicht aufgeführt
i y Google
— 328 —
werden. Dage^eu tiuden sich iu deinselbeu 58 Destillationen, Likör-
fobriken und Bierbrauereien (7), sowie 1244 BekleidimgakfiiisUer,
worunter nidit wenige Putzmacherinnen. Dmdfereien, Photo- und
Lithographien wurden 97 ermittelt, Gasthftuser, Gafifis u« a. m.
1159, und die verschiedenartigsten ferneren Professionen waren dnrdi
190S Steuerzahler vertreten. An Zeitungen und ZeitselnifteD, wenn
wir solche unter die industriellen Unternehmungen rechnen dürfen,
erschienen 98, Ingenieure gab es 31, und Aerzte, sowie ihrer \Yi$sen-
schaft nahe stehende Personen wurden 341 gezählt Doch leider
verschwei^rt die Statistik, vielleicht aus einem begreiflichen Grefuhl,
die Legion von Advokaten und Auwalten, welche mit Recht als eine
Plage der Stadt bezeichnet werden.
Auch ttber FMiaehea will ich kurz sein. Seit der Wieder-
vereinigung des argentinischen Gemeinwesens im Jahre 1862 hatte
Buenos-Aires den wenig neidenswerten Vorzug, zu gleicher Zeit
Hauptstadt der Provinz gleichen Namens und provisoriseher Sitz der
National gewalt zu sein. Trotzdem nun aber dies Verhältnis eine
Menge von Kompetenzkonflikten herbeiführte, für welche auch jährlich
die stehende Gesetzesvorlage „ley de la Capital'* Abhülfe zu scharten
suchte, so waren doch zu viel entgegengesetzte Interessen im Spiele,
als dafs man jemals über die theoretische Anerkennung dieses un«
haltbaren Zustandes hinaus gekommen wäre. Da bot die Rebellion
des eigenen Gouvemeun von Buenos-Aires, des Dr. T<yedor, eine
passende Gelegenheit, die heikle Frage mit einem Male zu erledigen.
Die Provinz trat die Stadt und deren nächste Umgehung an den
Gesamtstaat ab, und der Nationalkongrefs erklftrte dieselbe am
21. September 1880 zur Hauptstadt der Republik, wahrend jene anf
der Stelle begann, mit grofser Energie einen neuen Mittelpunkt für
ihre Verwaltung im nahe gelegenen La Plata zu schaffen.
So bildet denn jetzt der Stadtbezirk von Buenos-Aires einen
selbständigen Teil der Republik, sendet als solcher seinen Ab-
geordneten zu beiden Häusern des Kongresses und wird durch einen
direkt vom Präsidenten ernannten Intendente verwaltet, weichem die
Versammlung der Stadtvenurdneten zur Seite steht Bei der Wahl
dieser Körperschaft haben Auslander das Recht, nicht nur zu stimmen,
sondern auch ernannt zu werden; wir begegnen also dem in der
Bepublik einzigen Fall, dafs dieselben, ohne das Bürgerrecht erlangt
zu haben, sich au der inneren Verwaluing eines der Bundesstaaten
beteiligen können. Die Einnalunen der Stadt, welche eine tüchtige
Polizei und gut organisierte Feuer \y ehr unterhält, behefen sich 1883
auf 9 2m OCX) Mark und ihre Ausgaben auf 8 880000 Mark, üefsen so-
mit noch Kaum zu bedeutenden Ersparnissen.
Digitized by Googl
— 329 — ,
Dies ist in grofseu Umrissen das jetziire Biieiios-Aires mit
seinen stattlichen Kirchen und meilcnhingen Strafsen, seinen eleganten
Landhäusern, blühenden Gärten und der vielsprachigen, thatkräftigen
Bevdlkemng, weiche auf geistigem wie materiellem Gebiete gleich
rastlos und bewufst voran drangt Die Zukunft der Stadt audi nur
annfthemd voraussagen zu wollen, scheint umnöglich; denn noch
sind ja die Hülfeqnellen des ungeheuren Hinterlandes, dessen allmnigen
Hafen sie bildet, nicht im entferntesten erschlossen. Selbst nach
Abzug der südlichen Regionen Argentiniens, die später einmal nach
Bahia Bianca oder Patagones gravitieren dürften, bleiben ihr noch
immer 2V4 Millionen qkm tribntptiichtig; ohne die aufserhalb der
Republik gelegenen Flufsgebiete des Parana, Paraguay und Uruguay
zu rechnen, also viermal so viel als der Flächeninhalt von ganz
Deutschland. Und wenn wir selbst davon ein ferneres Dritteil auf
Gebirge, Salzwüsten und Oedland schreiben, so ist dennoch klar,
dafe auf dem Beste von IVs Millionen qkm gut 50 bis 80 Millionen
Menschen ein reichliches Auskommen finden werden. Aller Konsum
aber und jedes Produkt dieser ungeheuren Volkszahl mufe und wird
stets seinen Weg über Buenos-Aires nehmen. So kann man denn
mit vollem Rechte schon jetzt den Nameu adoptieren, welchen der
stolze Porteüo seiner schönen Stadt beilegt: Beina del La Flata,
Fischfang und Jagd bei den Tlinicit- Indianern.*^
Von Dr. Auel Kraue.
15:ui und Gebrauch des Kiinocs. Verschiedene Arten des I-,ach.-.faiis;os ; Zurichten
und Trocknen der Lachse lür den Winterbedarl'. Der Forellenfang. Dor Ssagfang
und die Berettmig des FieehOIe. Heringsfang nnd BittHmmela des Heringerogeas.
Dorsch- und Hellbutteufiin:: d^r St'epf<ngptierc ; Seeottern, Kobben, Delphine nnd
Walfische. Jagd der Landsitugeticre. Fallen für Bären and andere Pelztiere. Jagd
auf Bergschafe, Bergziegen und Kentiere; Jagd auf Vögel.
Die Thätigkeit eines Tlinkit richtet sich in erster Linie auf
den Fischfang; durch ihn vornehmlich erwirbt er seinen Unterhalt,
ihm widmet er auch den gröfsten Teil seiner Arbeitszeit. Auf die
Herstellung der erforderlichen Geräte verwendet er grofse Sorgfalt,
und nicht geringen Scharfsinn hat er in der Erfindung und Zu-
sammenstellttng derselben bekundet
*) Die Redaktion ist der Verlagsbuchhandloiig von Hermann Costcnoblo in
Jena für die gütige Erlaabnia sam Abdruck dieses Kapitels ans dem in ihrem
Verlag erschienenen Werke unseres Mitgliedes Herrn Dr. Aurel Krause über die
Tlinkit-Indiancr und ferner für die gestattete Benntznog der Uolzschuitte zu
lebhaftem Dank verpflichtet.
— 330 —
Unter allen dem Tlinkit für den Fisdifaiiir erforilerlirlieu Ge-
rätschaften steht (las Kanoe oben an, sowohl seiner ßedeutun}^ nach,
als seiner zweckinäfsigen und kunstvollen Bauart wegen. Diese
Kanoes werden gewöhnlich in der Winterszeit ausi^oarbeitet, die
besseren und gröfseren aus dem Stamme der roten Zeder. Thuja
gigantea Nutt., weniger gute aus dem der Sitkafichte, IMcea Sitcheusis
Carr., oder aus Pappelbäumen. Starke und gesunde Stamme, die
nicht gekrümmt und nicht spiralig gedreht simu dürfen, werden
dazu ausgesucht. Das Fällen geschieht noch jetzt meist in der
Weise, dafs mit der Axt in den stehenden Baum auf der Windseite
ein Loch geschlagen und daselbst ein Feuer angezündet wird, welches
langsam weiter frifst, bis nach einigen Tagen der Stamm um:>türzt
Hnna-Indiancr beim Kanoebau. Nach eiuer Photographic.
Alsdann wird zuerst die Aufsenseite mit einer nach Art eiuer Hacke
geformten Axt bearbeitet, und erst wenn sie die gewünschte Form
erhalten hat, mit der Aushöhlung begonnen. Zur Erreichung einer
Auf der Vancouver-Insel sah ich eine verbesserte Methode dieser Art
des Fällens von englischen Holzhauern angewendet, die darin bestand, dafs mit
den weiten horizontalen Bohrlöchern, in welchen das Feuer angezündet wurde,
schräge Bohrlöcher kommunizierten, welche als Zugkanäle dienten. — Diese
Methode führte viel schneller zum Ziel, und schon nach 24 Stunden konnte
durch dieselbe einer jener Baumriesen, welche die dortigen Waldungen aus-
zeichnen, zu Fall gebracht werden.
, Googi
— 331 —
f^leithiiKif^igen Wandstärke werden von aufseii im Abstände von 2
bis 8 dm kleine Löcher bis zu einer bestimmten Tiefe hinein tjebohrt
und in dieselben hölzerne Stifte gesteckt; kommt der Ai^beiter vou
innen an dieselben, so wei£s er sich nach ihnen zu richten. Um ein
möglichst grofses Kanoe aus einem gegebenen Stamm herstellen zu
können, wird derselbe ungef&hr zu '/s seines Durchmessers dazu
verwendet; das so geschaffene Kanoe hat denmach eine sehr unge-
schickte Form; die Seitenwände sind oben nach innen eingebogen,
Vorder- und Hinterende sind nur weni«: erhöht, so dafs das Fahrzeug
auf dem Wasser aufserordentlich leicht unischlageu würde. Die
passende Rundung des Bauches und damit zugleich auch eine gröfsere
Stabilität wird nun durch das folgende Verfahren erreicht. Das
Kanoe wird, nachdem die vorhin erwähnten Bohrlöcher in den
Wänden durch Holzptiöcke fest verstopft sind, mit Wasser gefüllt
und dieses durch Einbringen heiXser Steine zum Kochen erhitzt;
dann werden Querholzer eingefügt, welche die nachgiebig gewordenen
Seitenw&nde auseinanderpressen und allmählich durch immer längere
ersetzt werden, bis schlielsUch eine regelmäfsige und zweckmäfsige
Ausbauchung erzielt worden ist.
Die Kanoes werden in sehr verschiedenen Gröfsen angefertigt,
die kleinsten sind nur für 2 oder 3 Leute berechnet, die gröfsten
tragen 30 und mehr Manu. Lisiansky sah einige, die 45 Fufs
mafsen und wohl 60 Mann fassen konnten*). Mitunter werden die
Wände, wie auch Lütke angiebt, noch durch Seitenplauken erhöht.
Bei den grölseren sind die Schnäbel öfters mit geschnitzten Figuren
verziert und die Seitenwände bunt bemalt. Nach Lütke führen sie
auch Namen, wie: Sonne, Moud, Gestirn, Erde, Insel, Schamane,
Walfisch, Otter, Adler, Rabe und dergleichen, deren entsprechende
Figuren am Vorder- und Hinterteil angebracht sind^).
In der Form sind alle Kanoes gleich, lanir, schmal und vorn
und hinten hoch zugespitzt. Da weder ein Kiel vorhanden ist, noch
Ausleger benutzt werden, gehört die ganze Geschicklichkeit eines
Tlinkit dazu, bei stürmischem Wetter und hohem Wellengange das
leichte Fahrzeug vor dem Umschlagen zu bewahren. In kleineren
mnls er, um den Schwerpunkt möglichst tief zu erhalten, direkt auf
dem Boden mit vorgestreckten Beinen sitzen oder auf den Knieen
hocken ; aber auch in gröfseren dürfen Bewegunjren nur mit grofser
Vorsicht ausgeführt werden. Die Kanoes werden mit kurzen, etwa
IV» m langen Schaulelrudern, Paddeln, fortbewegt. Diese haben
Lisiaubky 240.
•) Lütke I, 212.
Digitized by Google
— 382 —
einen iiiirt in (icstalt v'um' Krücke und werden in dor Wui.se rejj;ieri.
dafs die eine Hand den Knopf festhält nnd ilin naeli vorwärts druckt,
während die andere, welche die Mitte des Ruders erfalst hat, die
Schaufel durch das Wasser zieht. Ähnliche nur etwas lAngere
Schaufeln dienen zum Steuern. Bei Feierlichkeiten werden audi
bunt bemalte Ruder benutzt
Entsprechend der Summe von Arbeit, welche auf die Her-
stellung eines guten Kanoes verwandt wird, stehen dieselben auch
in hohem Werte. Zu Holmbergs Zeit hatte ein grofses, sogenanntes
Kriegskanoe in russischen Waren einen entspreclienden Wert von
800 Banko-Hubeln*), jetzt werden von den Amerikanern bis zu
150 Dollars für die grüfseren gezahlt.
Ein so wertvolles Stück wird von dem Tlinkit auch sorgsam
behandelt. Beim Anlanden wird das Auflaufen auf Steine oder Felsen
möglichst vermieden, aus dem Bf reiche der Flut werden sie getragen
und nicht geschleift, bei der Fahrt im Sonnenschein halt er die
Wftnde durch Bespritzen mit Wasser feucht, bei der Rast am Strande
sucht er sie durch wollene Decken oder durch Matten, welche aus
Zedembast gefertigt sind, Tor der Einwirkung der Sonnenstrahlen
zu schützen. Wird aber dennoch das Boot einmal schadhaft, wie
es bei der geringen Stärke der Wände, welche nur etwa 2 — 3 cm
beträgt, gar zu leicht geschieht, so bessert er den Schaden auf das
sorgfältigste aus, indem er neue Wandstücke einsetzt, die Risse
mittelst der Wurzeln der Sitkatichte imd der gelben Zeder zu-
sammennäht oder durch schwalbenschwanzförmig ausgeschnittene
Holzstacke zusammenzieht und schliefslich die Fugen wasserdicht
mit Harz verschmiert
Trotz der Geschicklichkeit, welche die Tlinkit in der Hand-
habung des Kanoes besitzen, wagen sie sich doch nicht gern mit ihm
bei stOrmischem Wetter in die offene See hinaus. Werden sie aber
während der Fahrt von einem plötzlichen Unwetter überrascht, so
zeigen sie sich der Gefahr völlig gewachsen. Mit gespannter Auf-
merksamkeit beobachten sie dann jede herankommende Welle, und
wenn eine aufsergewöhnlich hohe das leichte Knnoe umzuwerleu
droht, so schlagen sie mit ihren üudern dach auf dieselbe, was den
Eindruck gewährt, als drückten sie die Woge herunter, während sie
in Wahrheit das Boot auf sie hinaufbeben.
Es scheint nicht, dafs die Tlinkit den Gebrauch der Segel vor
der Ankunft der Europ&er kannten. Jetzt ist derselbe allgemein,
doch pflegt man nur vor dem Winde zu segeln.
*) Holraberg 27.
Digitized by Google
— 333 —
Indianische Frauen und Kanoes in der Taku- Bucht. Nach einer Photographie,
Wenn auch die Meeresstrafsen und Buchten, an welclien der
Tlinkit seine Ansiedelungen erbaut hat, aufserordentlich fischreich
zu sein pflegen, so findet er doch nicht zu jeder Jahreszeit hier
gute Gelegenheit zum Fange. Er niufs den wandernden Fischzügen
folgen und bald hier an der Mündung eines Flusses, bald dort in
einer flachen Bucht sein Lager aufschlagen, oder auch mit Angel
und Leine hinaus in das offene Meer fahren. So ist denn oft für
Wochen und Monate das Boot sein zweites Heim, und in demselben
führt er auch fast all seinen Hausrat und die Jagd- und Fischerei-
gerüte mit sich.
Keinem Fisch stellt der Tlinkit so eifrig nach wie dem Lachs,
denn dieser ist es, der seinen Unterhalt, zumal im Winter und auf
Keisen, wenn andere Nahrungsmittel knapp werden, sichert. — Je
nach den verschiedenen Arten und Lokalitaten sind die Methoden
des Lachsfanges verschieden ; im folgendem sollen hauptsächlich nur
diejenigen dargestellt werden, die wir selbst am Tschilkatflufs zu
beobachten Gelegenheit hatten. Drei Lachsarten werden hier unter-
schieden; die geschätzteste von diesen ist der rote Lachs, der
durchschnittlich ein Gewicht von 7 kg und eine Länge von 75 cm
erreicht. Ende Juli beginnt derselbe den Flufs hinaufzusteigen; der
llauptfang geschieht aber erst in den drei folgenden Monaten: Juli,
Digitized by Google
334 —
August und September. Dem rotoii Lachs folgt der weifse, und in
einzelnen Bächen der Buckellachs. Man fängt nun den Lachs ent-
weder niif Lachsspeeren oder mit Haken oder in Fallen. Die Lach»-
Speere besteben ans einer 4 bis 5 m langen Stange, an deren Ende
eine lange eiserne, früher knöcherne Spitze, die sägeartig mit zahl-
reichen tiefen Einschnitten versehen ist, lose aufgesteckt wird. Der
Fisch wird vom Boote aus mit dem Speere gespiefst; die Spitze l(lst
sich dabei aus und bleibt infolge der zahlreichen Widerhaken im
Fleisch stecken, während sie zugleich durch eiueu Lederriemen mit
der Stange in Verbindung gehalten wird. Auf diese Weise verhütet
mau, dals der wild um sich schlagende Fisch die Stange zerbreche.
Die zweite sehr primitive Art des Fanges wird gewöhnlich
vom Ufer aus, aber anch aus dem Kanoe in seichtem Wasser, be-
trieben. Der Fischer senkt eine lange, mit einem einfachen, eisernen
Haken versehene Stange in das Wasser und zieht sie mit eisem
scharfen Ruck Aber den Kiesboden zu sich heran, mit einer Be-
wegung, die an die Handhabung eines Rechens erinnert. Das trübe
Wasser des Tschilkatflusses erlaubt es uicist nicht, den in der Tiefe
schwimmenden Fisch zu sehen; aber die Mense der aufsteigenden
Lachse ist doch so grofs, dafs häufig genug einer derselben von dem
spitzen Uaken durchbohrt wird.
Am ergiebigsten sind die Lachsfallen. Auch ihre Einrichtung
ist eine sehr einfache. Qner durch den Flnfe, vorzugsweise an
Stromschnellen wird ein Flechtwerk gezogen, jedoch mit einzelnen
Durchlässen. Vor diesen, d. h. stromaufw&rts, werden geflochtene
Körbe anjsrebracht, welche ganz nach Art unserer Fischreusen gebaut
sind und auch dieselben Dienste thun. — Diese Art des Lachsfanges
ist auch von La Perouse bei den Eingeborenen in der Lituja-Bai
beobachtet worden^).
Der gefangene Fisch wird nun, nachdem Kopf, Schwanz und
Flossen abgeschnitten worden sind, durch einen Längsschnitt auf
der Bauchseite geöffnet und dann auf den Racken der L&nge nach
aber einen hölzernen, dachförmig konstruierten Bock gelegt, so dab
die beiden Körperh&lften Ober die Seiten desselben heraberfallen.
und Eingeweide und Rückgrat bequem herausgenommen werden
können. Bei dieser Arbeit, die von den Frauen besorgt wird,
wälirend der Fang Sache der Männer ist, bedient man sich meist
halbmondförmig geformter iMesser mit rundem Griff.
Die ausgenommenen Lachse werden dann auf Stangengerüste
gehängt, gleichfalls mit der Fleischseite nach aulsen. Soviel wie
*) La Perouse I, 169.
Digitized by Google
— 33Ö —
möglich sucht man sie vor Regen und direktem Sonnenschein durch
grüne Zweige zu schützen; bei nassem Wetter werden sie auch
wohl innerhalb des Hauses aufgeh&ngt und Im Notfall auch über
dem Feuer noch getrocknet. Die getrockneten Lachse legt man
flach ausgebreitet auf einander und schnürt sie zu Bündeln zusammen,
welche zu gelegcntliciicm Gobranche aufbewahrt Nverden.
Ist auf diese Weise der Wintervorrat gedeckt, so wird der
Rest des Fanges zur Bereitung von Öl benutzt. Hierzu eignet sich
besonders der sehr fette, aber weniger schmackhafte weifse Lachs.
Die Ölbereitung geschieht durch Auskochen in Kanoes, in derselben
Weise me bei dem eigentlichen Olfisch, dem i^Ssag*^, bei dem wir
sie gleich näher beschreiben werden.
Von yiel geringerer Bedeutung als der Lachslang ist der
Forellenfang, der besonders zur Winterszeit und nur zur Befriedigung
des augenblicklichen Bedflrfiiisses betrieben wird. In das Eis der
Flüsse werden an Stellen, nnter denen etwa 1 m tiefes Wasser vor-
handen ist, kleine Löcher geschlagen und ein Köder in diesen aaf
den Boden versenkt. Neben der gemachten Öffnung kauert nun der
Indianer nieder, völlig verhüllt von einer wolleneu Decke, die das
direkte Tageslicht ablullt und dadurch ebensowohl einen Blick in
die schwach erleuchtete Tiefe ermögliciit. als auch den Fischen die
drohende Gefahr verbirgt, und regungslos erwartet er mit dem in
das Wasser gesenkten Fischspeer die herannahenden Foreilen, um
sie mit schnellem und sicherem Stofse aufzuspiefsen. Der zu diesem
Fange benutzte Speer hat eine kurze mittlere Spitze von Eisen und
zwei Iftngere seitliche Zinken aus Holz, deren jede mit einem nach
innen gerichteten eisernen Nagel versehen ist Diese Zinken weichen
nun beim Stofse elastisch auseinander, wobei sich die schräge ein-
gesetzten Ntägel dem Fische in die Seiten drücken.
Ende Februar erscluiint in den Flüssen des Tschilkatgebictes
ein kleiner, zu den Stinten gehöriger Fisch, Thaleichthys pacificus
Gir., der von den Eingeborenen „Ssag", von den Englandern und
Amerikanern ^sniallfish" genannt wird. Da zu dieser Zeit der
Wintervorrat sich schon seinem Ende zuzuneigen priegt, wird die
Ankunft des Ssag freudig begrüfst und jung und alt beeilt sicli, den
schmackhaften Fisch wahrend der kurzen Dauer des Aufstieges zu
fangen. Der Ertrag dieses Fanges, der nicht allzu reichlich aus-
fidlt, ist jedoch nur für den augenblicklichen Gebrauch bestimmt.
Zwei Monate später dagegen, Ende April bis Mitte Mai, erscheint
derselbe Fisch in viel gröfseren Scharen; auch sind die Individuen
dann starker und fetter. Jetzt wird der Fang im grofsen betrieben,
teils mit lieubeu und liakeu, die den beim Lachsfange gebrauchten
Digitized by Google
Ähnlich sind, nur ontsj)rochend encjer und dünner kon.stniiert werden,
teils mit Handnetzeu, welche wahrend des Winters von den Frauen
aus Tiersehnen angefertigt worden sind. Die gefangenen Fisclii-
werden behufs der Ölgewiunung in Kanoes geworfen, welche mau
halb im Sande vergr&bt und noch durch Pfosten sichert (iie ao
beiden Längsseiten eingeschlagen und durch quer über das Kanoe
gespannte Stricke strafiT angezogen werden. Daneben werden in
einem starken Holzfener Steine von Faust- bis Kopfgröfse erhitst^
welche man dann mittelst einer Holzzange in die mit Wasser und
Fischen gefüllten Kanoes legt. Das Wasser gerät bald ins Sieden,
und indem man beständig erhitzte Steine zufügt, wird es einige
Stunden lang kocliend erlialten. Die abgekühlten Steine werden
mit einer meist siebartig durchlöcherten llolzscliaiifel lierausgenommeD
und, nachdem sie auf einer Art Holzrost, der über das Kanoe gelegt
wird, mit warmem Wasser abgespült worden sind, nochmals erhitzt,
worauf der eben beschriebene Prozefs noch einige Male fortgesetzt
wird. Der auf der Oberliäche des Wassers schwimmende Thran
wird darauf durch ein halbkreisförmig gebogenes Stück Zederrinde
in den vorderen Teil des Kanoes fibergefährt und hier mit Holz-
löffeln in grofse vierkantige Hobskisten übergeschdpft; durch längeres
Stehenlassen imd durch Abschöpfen in kleinere Kisten wird er
gereinigt. — Nach dem Erkalten hat der Thran das Aussehen und
die Konsistenz des Ganseschmalzes; auch soll er, wenn er aus
frischen Fischen bereitet wird, nahezu weifs und recht wohlschmeckend
sein. Wenn er jedoch, wie es gew<"ihnlich geschieht, aus Fischen
gewonnen wird, die bereits 10 bis 14 Tage in einer (iriibe gelegen
haben, ist er für einen einigermafsen zivilisierten Gaumen unge-
niefsbar. — Der im Kanoe zurückgebliebene Brei von halbzerkoclitem
Fisch, welcher noch viel Thran enthalt, wird zur weiteren Aus-
nutzung in engmaschige, aus Wurzeifasem geflochtene Körbe gefüllt,
und Wasser und Thran durch die Poren derselben hindurchgeprefet
Auch durch Austreten mit den blofsen und keineswegs Torfaer be-
sonders gereinigten Fülsen im Kanoe selbst und durch nochmaliges
Kochen mit heifsen Steinen wird eine möglichst Tollständige Ab-
sonderung des Thranes bewirkt.
Ein mittelgrofses Kanoe, das etwa 3 Mann trägt, liefert,
wenn es mit Fischen gefüllt war, etwa 5 bis 6 Gallonen Fischthran.
Im Jahre 1882 kamen im Tschilkatgebiet auf den Mann 8 bis 12
Kanoes, was als ein günstiges Ergebnis galt. Der Thran dient fast
ausschliefslich zur Nahrung und wird namentlich zusammen mit ge-
dörrtem Lachs genossen. Im Herbste werden mit ihm ebenso wiemit dem
Lachsfett auch verschiedene Beeren fttr den Winterbedarf eingemacht
Digitized by Googl«
— 337 —
Mitte April ist die Zeit des Heringfani^es; in dichten Schwärmen
ziehen dann die Fische zum Laichen in die flachen Buchten, und
nur germge Mühe erfordert ihr I nng. Etwa 3 m lange Stangen,
die am unteren Ende mit einer Reihe scharf zagespitzter Nagel
Tersehen sind, werden dazu benutzt; sie werden nach Art eines
Schanfelruders diurch das Wasser geführt, wobei sich die Fische auf
den Nageln anfspiefoen, mitunter je einer auf jedem derselben. Durch
einen kurzen Schlag auf den Bord des Kanoes Iftfst man dann die
aufj?espiefsten Fische in das Boot fallen. Auf diese einfache Weise
wird in kurzer Zeit ein Kanoe mit Fischen ^^efiillt. Dieselben werden
dann je nach Bedarf frisch verzehrt oder an Schnüren getrocknet
und für spiiteren Gebrauch aufbewali'rt. Zugleich mit dem Fange
der Heringe sammelt mau auch ihren Bogen. In den Buchten, in
welchen die Heringe zu laichen pflegen, werden Fichtengezweig und
anderes Reisig wahrend der Kbbezeit auf den blofsgelegten Strand
gelegt und in verschiedener Weise daselbst befestigt Nachdem die
Fische ihren Bogen an dem Reisig abgesetzt haben, wird es wieder
eingesammelt und an Schnüren oder auch auf ausgebreiteten Tflchern
getrocknet. Durch Abbrühen werden dann die Eier tou den Zweigen
losgelöst und trocken oder mit Fett gemischt für den Winter aufbewahrt.
Der Dorsch- und der Hcilbuttenfaiig ist besonders ergiebig
an der Aufseuküste, aber auch im Crofs-Sunde und in der Chatham-
Strafse wird derselbe betrieben. Ein unförmlich grofser Holzhaken
mit eisernem, schritge eingesetztem Nagel und fast stets mit mehr
oder weniger kunstvoll geschnitzten Figuren verziert, dient als Angel-
haken, als Köder irgend ein Fisch, namentlicli Stücke vom roten
Lachs. Die Leinen werden ans dem Baste der roten Zeder, Thuja
gigantea Nutt., oder aus Thiersehnen geflochten; auch werden die
langen, fingerdicken Stengel des Riesentanges, Macrocystis pyrifera
Ag., welche von bedeutender Widerstandsfähigkeit sind, dazu be-
nutzt*). Diese Leine wird auf den Meeresgrund mittelst eines Stein-
senkers hinabgelassen und an ihrem oberen Ende ein hölzerner
Schwimmer in Gestalt eines Tieres befestigt, welcher anzeigt, wenn
ein Fisch angebissen hat; durch Tierblasen wird das ganze Gerät
flott erlialten. Auf diese \Veise können zwei Leute, die gewöhnlich
zusammen in einem Kanoe ausziehen, melirere Leinen, bis zu 15 Stück,
auslegen und beobachten^). — Hat sich nun ein Fisch an dem Angel-
haken festgebissen, so ^vird er an der Leine heraufgezogen und,
sowie er über Wasser kommt, durch einen kurzen Schlag auf den
•) VgL auch ScheUchow bei Pallas VI, m imd Uohnberg 31.
*) Ygl. auch La Perouse I, 169; Langsdorff II, 115.
Q«ogr. Bllttar. Bramen 1886.
Digitized by Google
— 342 —
tiossenen Jahren uuf erhebliche Weise erweitert worden. Es darf
liicrbei nicht verjressen werden, dafs der berühmte Nordenskjöld im
Jalire 1883 den Weg von der See aus direkt zu einem
Punkte südlich von 70 ^ n. Br. iaad; allein so bemerkenswert
dieses, einfocfa auf der Rückreise von West^rönland ausgeführte
Unternehmen audi erschien, so war der Besuch am Lande doch
allznknrz, um uns einen wesenttichen Beitrag zur Kenntnis desselben
zn liefern. Dagegen sind die in den Jahren 1884 und 1886 unter der
Leitung des dänischen Marineleutnants Holm ausgeführten Unter-
suchungen daselbst, als entschieden Epoche machend zu be-
trachten.
Kapitän Graah erreichte bekanntlich von der Westküste aus
zu Boot als äulsersten Punkt die Dannehrogs-Insel unter 65V4^ n. Br.
Als ein Hauptverdienst seiner Reise war wohl die vorläufige Ent-
scheidung der Frage von der Lage der alten Kolonie „Österbygden"
zn betrachten, indem er nfimlich so wichtige Gründe für die Annahme
zu Wege brachte, dafs diese im Westen des Kap Farewell zu suchen
sei, dafo man sidi im allgemeinen ganz bei dieser Entscheidung be-
ruhigte. In den letzten Jahren ist aber doch wiederum die Ver-
mutung aufgetaucht, dafs man am Ende doch die Beste jener alten
Kolonie auf der Island gegenüber liegenden Kdste finden werde.
Es wurde hervorgehoben, dafs auf der Strecke von Kap l arewell
bis 65Vi n. Br. nur die aufserste Küste, nicht aber das Innere der
Fjorde untersucht sei, und dafs von ßb^ji^ bis 70'' n. Br. noch kein
Reisender das Land betreten habe. Die hierauf gegründeten Zweifel
wurden freilich nur von wenigen geteilt, allein immerhin forderten
sie ja doch zu Untersuchungen auf, die auch aus ganz allgemeinen
geographischen Gründen als wünschenswert betrachtet werden mufsten.
War es ja doch für unsere Zeit eine höchst auffallende Thatsache,
dafs diese, Island so nahe liegende Ktlste mit ihren Einwohnern
uns noch so gut wie unbekannt war! Es wurde deshalb im Jahre
1883 von Kopenhagen mit einem der Schiffe des grdnlftndischen
Handels eine I'^xpedition nach der Westküste gesandt um daselbst
nach dem Beispiele Graahs die nötigen Vorbereitungen zu einer
neuen Bootreise zur Ostküste zu treffen. Die Instruktion für dieselbe
ging hauptsächlich darauf aus. auf der von Graah bereisten Strecke
die inneren Fahrwasser, die Fjorde mit dem sie umgebenden festen
Lande zu untersuchen, und berührte nur als eventuell, unter günsti-
gen Umstanden, die Aufgabe wo möglich über den Aufsersten Punkt
Graahs vorzudringen. Am 3. Oktober dieses Jahres ist diese Expe-
dition als eine in jeder Beziehung wohl ausgeführte nach Kopenhagen
zurückgekehrt. Die wichtigsten Resultate derselben sind folgende:
Digitized by Google
— 343
1 ) Die Ke.iscndeu siiul 92 euglisthc (23 danische) Meilen jenseits
der Dannebrü^s-lnsel voi>,'edrungen und haben dort überwintert;
2) bis zu 06 " n. Br. ist die Küste mit ihren Fjorden ilhnlich wie
die dänischen Handelsdistrikte der Westküste untersucht, kartogra-
phisch aufgenommen, und über die Beschatfeuheit der Strecke bis
zum 68 ° n. Br. hat man durch die Eingeborenen ziemlich sichere
Kundschaft erlangt; 3) während der Überwinterung hat man
Gelegenheit gehabt sich mit der höchst eigentümlichen, primitiven
Kulturstufe der dortigen Einwohner bekannt zu machen; 4) die
Lage der „Österbygd" ist jetzt als definitiv entschieden zu betrach-
ten. — • In anbetracht der Wichtigkeit dieser Resultate fOr die Kunde
von Grönland im allgemeinen dürfte ein kurzer Bericht über den
Verlauf der Reise, durch welche sie erlangt wurden, niclit ohne
Interesse sein, und namentlich darf ich wohl hoffen, dafs derselbe
einer Gesellschaft, die >']r]\ um die Untersuchung derselben Kegionen
der nördlichen Breitengrade so grofse Verdienste erworben hat, nicht
unwillkommen sein wird.
Die Reisegesellschaft, welche 1883 von Kopenhagen ausging,
bestand aus dem Premierleutnant, jetzt Kapit&n G. Holm als
Leiter, Premierleutnant Garde, Mineralog Knutsen (Norweger)
und Botaniker Eberlin. Erst am 8. Juli langten sie bei der süd-
lichsten Kolonie, Jnlianehaab, an. Nur um zu rekognoszieren und
ein Depot niederzulegen, begab die Expedition sich am 23. Juli auf
eine vorläufige Fahrt nach der Ostküste. Sic bestand jetzt aus
40 Personen in 4 Fellböten oder Umiaks und 9 Kajaks. Bei Kassin-
gertok, unter ungefähr 61° n. Br., an der Ostküste, errichteten sie
eine Hütte, in welcher sie ihr Depot niederlegten; gerne wären sie
damit etwas weiter gegangen, aber die Grönländer weigerten sich
zu folgen, und somit kehrte man nach der Westküste zurück, um
dem Plane gemäfs bei Nanortalik, wo man am 16. September ankam,
zu überwintern. Nachdem der Winter mit den gewöhnlichen fieob«
achtungen nnd sonstigen Arbeiten Terbracht war, wurde am
5. Mai 1884 die eigentliche Entdeckungsreise angetreten. Unsere
Tier Beisenden hatten für ihre Begleitung 2 Halbgrönländer als
Dolmetsche und Gehttlfen, und 31 Grönländer, Männer und Ruderin-
nen, in 4 Feilboten und 7 Kajaks. Der gewiihnliche Kampf mit
dem Treibeise auf der Ostküste unterijlieb auch diesmal nicht,
sobald sie die Stidspitze Grönlands umschifft hatten, und die erste
Hälfte des Sommers setzte ihre Geduld auf eine harte Probe. Am
2. Juli trafen sie bei Anoritok eine gröfsore Gesellschaft von Ost-
grönländem, welche im Jahre vorher die Westküste des Handels
w^n besucht hatten, aber auf der Rückreise genötigt worden
Digitized by Google
— 344 —
waren, 20 überwintern, ehe sie ihre Heimatpl&tze im Norden errdchen
konnten. Diese Ostländer gesellten sich jetzt samtlich zar Expe-
dition auf der weiteren Reise. Es war der Plan, dafs Garde imd
Eberliu mit der Hälfte der IJesatzuu^^ nach der Westküste znrück-
keliren sollte, um dort wieder zu überwintern. Aber schon -m
17. Juli mufste man die Hälfte der Westländer umkehren lasöeu.
weil sie sich weigerten, für dieses Jahr weiter zu gehen. Unsere
vier Keisenden setzten dennoch mit dem übrijzcn Teil der Begleiter
die Beise fort und zwar bis Tingmiarmiut unter 62*^ 38'. Hier erst
trennten sie sich am 13. Juli; Garde und Eberlin begaben sich
wieder nach Süden, flberall die noch nicht hinl&nglich unbesochten
Wege verfolgend, um die Karten za vervollst&ndigen. Sie erreichten
Nanortalik am 26. September, um früh im folgenden Jahre mit
einer neuen Ausrüstung Ihren Ge^lhrten entgegenzureisen. Wir
verlassen sie deshalb hier, um mittlerweile den anderen Reisenden
auf ihrer Fahrt iu den öden und unbekaunteu Norden zu
folgen.
Die Umstände, unter weklien Holm und Knutsen am 30. Juli 1884
bei der Trennung von ihren Gefährten von aller Verbindung mit, und
Hülfe von der zivilisierten Welt wenigstens für ein Jahr Abschied
nahmen, waren nicht eben ermunternde. Zur Besatzung für ihre
zwei schwer geladenen B5te hatten sie von der Westlcüste nur noch
sechs Ruderinnen, nebst einem Eajakmann, wozu sich für eine kurze
Strecke unter den Ostl&ndem noch vier Ruderinnen und ein Steuer-
mann hatten gewinnen lassen; aulser diesen folgten noch der
grönländische Katechet Hanserak und der eine Dolmetsch,
Johann Petersen. Dagegen gesellten sich bei der Abfahrt noch
mehrere Böte mit ebenfalls nach Norden reisenden Ostlfuulern zu
ihnen. Die gewöhnliche Fröhlichkeit war augenscheinlich aus deo
Mienen der westgrouliindischen Kuderinnen gewichen, das Gefühl der
Trennung von den letzten Gefährten der Heimat, mit der unsicheren
Zukunft in Aussicht hatte sie mit ungewöhnlichem Ernst erfüllt, und
das trübe regnerische Wetter trug dazu bei, den Mut noch tiefer
herabzustimmen. Bald aber hatte man Gelegenheit zu erfahren, wie
leicht die Stimmung in den Gemütern dieses Volkes wechselt Der
Hinmiel klflrte sich auf, während man durch den schmalen Sund
hinter «Tingmiarmiut fuhr, und als dazu seine freundlich grünenden
Ufer ganz besonders zur Einsammlung der in Grönland so beliebten
Quannen oder Augelicastengel einluden, klärten sich auch die Gesichter
auf. Jetzt minderten sich auch mit jedem Tage die Eishindernisse
und erhiubteu ziemlich regelmäfsige, wenngleich wegen der schweren
Ladungen nicht sehr lauge Tagereisen. Beim ersten VVohuplatze,
Digitized by Google
— 345
Uuianak, t reimten sich zwei der ostläudiächen Böte von der Eskorte,
und es blieben nur noch zwei dabei.
Zum besseren Verständnisse des Folgenden möge dienen, dafis
in den Berichten zwischen den nördlichen und den südlichen Ost-
l&odem gesondert wird. Die Wobnpl&tse dieser beiden Abteilungen
sind dnrch eine die Dannebrogs-Insel einscblieisende öde und fOr
Bootreisen teilweise gefährliche Strecke von einander getrennt. Die
südlichen haben einen, wenn i^leich spärlichen, so doch ziemlich
ret?elinafsigen Handelsverkehr mit der Westküste, von den nordlichen
haben aber nnr selten einzelne an diesen teilgenommen. Unter
Wohnplatze versteht man Plätze für Winterwohnungen, und obgleich
letztere auch jedesmal an beliebigen Orten aufgebaut werden können,
die Plätze auch in der That ab und zu gewechselt werden, giebt es
doch bestimmte Örüichkeiten, die yon alters her hauptsächlich benutzt
worden sind, dieselben Familien pflegen dort in der Regel frflher
oder sp&ter ihre alten Wohnplätze wieder zu beziehen. Unsere
Reisenden hatten nun nach der Trennung noch Tier h&ufiger benutzte
sfldliche Pl&tze zu passieren, nämlich ümanak, Akorninarmint,
Igdloluarsuk und Umevik. Dann folgten die nihdlichen, von denen
Sermilik und Angmasalik als die wichti^^sten bekannt waren.
Wie sich schon von selbst versteht, wurde es mit jedem Tage
des Vorrückens nach Norden hin schwieriger, Hülfe und Geleit
für die fernere Reise von den Einwohnern zu erhalten. Selbst auf
der Westküste stehen sie doch noch in der Regel den Europäern so
fremd gegenüber, dafs man es ihnen billigerweise nicht zum Vorwurf
madien darf, wenn sie beim Eingehen von Eontrakten für längere
Fahrten vorsichtig und zurückhaltend sind. Man bedenke die Wichtig-
keit der Jahreszeit für ihren eigenen Erwerb, und die Schwierigkeit
für sie, die Zwecke der fremden Reisenden zu begreifen, besonders
wenn diese auf sprachlich mangelhafte Weise ihnen erklärt werden!
An dieser Schwieiii^keit strandete auch hauptsächlich Graah, es
glückte ihm nicht, das Vertrauen der Eingeborenen zu gewinnen, und
sein Mangel au eiuem tüchtigen Dolmetsch trug dabei die gröfste
Schuld. In dieser Beziehung waren unsere Reisenden crlücklicher
gestellt, aber dennoch war die gröfste Vorsicht im Umgänge not-
wendig, um sich das Vertrauen ihrer eigenen Leute so wie das der
Ostländer zu sichern. Unter den Reisegesellschaften, deren Böte der
Elpedition folgten, befand sich auch ausnahmsweise eine „nordl&ndische^,
die von einer Handelsreise zurückkehrte, weshalb es von Wichtigkeit
schien, diese Begleiter für die fernere Reise festzuhalten. Das Ober-
haupt derselben, Umerinak, ging scheinbar auf Holms Vorschlag ein,
mit nach der Gkigeud von Angmagsalik zu folgen und als Wegweiser
Digitized by Google
— 346
zu dienen. Er zeichnete sich durch eine gewisse Beredsamkeit und
Gewandtheit aus und ergofs sich hesonders in Lobreden über das
Land Augmagsalilt; es wurde aber in der Folge klar, dafs man sich
hier unversehens durch einen Diplomaten hatte tauschen lassen.
Am 2. August kamen sie bei Akominarmiut an. Sie waren
hier noch in Beziehung auf die fttr das Reisen dienliche JahressEeit
um einen Monat hinter Graah zurück. Hier war nur eine Familie
mit einem Zelte, die übrigen waren nach Igdloluarsuk gezogen.
Das Treibeis hatte auch hier erst in den letzten Tagen die KüvSte
verlassen, was seit vielen Jahren nicht so spät eingetreten war.
Hier fanden sich seltsamerweise zwei Weiber, die von ihrem Vater
wegen mangels an Söhnen als Kajakfahrer und Seehundsfänger erzogen
waren. Ihre Kleidung sowie ihr Betragen war ganz wie das der
Manner. Es versteht sicli deshalb, dafs sie beim Handel mit den
Reisenden keine Perlen und Selnnucksachen, soiuioru Messer und
Pfeilspitzen suchten. Im Gegensatz zu der ungünstigen Schilderung,
die Graah von dieser (iegend gic)>t, fand man, dafs sie ein noch
freundlicheres Aussehen als die Umgebungen der letztViesuchten
Wohnplätze hatte; nur den Verdriefslichkeiten und Täusciiungen, mit
denen er hier lülmpfen mufste, kann es zugeschrieben werden, d&fs
er alles in einem so düsteren Lichte sab.
Noch am 2. August reisten sie weiter und erreichten am
folgenden Tage Igdloluarsuk. Die Zahl der Einwohner an diesem
und dem letzten Wohnplatze, ümerik, zusammen hatte seit Graahs
Zeiten sehr abgenommen. Von südlichen Ostländern überhaupt fanden
sich jetzt nur 135 gegen die von Graah berechneten 650, der Rück«
gang wird hauptsächlich Auswanderungen nach der Westküste zuge-
schrieben, Auliser wenigen Südländern wohnten bei Igdloluarsuk
die Verwandten der mit Holm folgenden Nordländer; im Jahre 1882
waren sie zusammen hierher gezogen, darauf 1883 einige von ihnen
nach der Westküste gereist, um zu handeln, und diese waren es,
welche jetzt mit Holm folgend zurückkamen. Kein Wunder deshalb,
dafs der obengenannte Umerinak sich hier schon zu Hause fühlte; hier
war es, wo er die Maske fallen liefs und seinem früheren Ver-
sprechen zuwider erklärte, dafs er hier bleiben und in diesem Jahre
durchaus niclit nach Angmagralik gehen wolle. Sein Schwager und
Schwiegervater waren nicht abgeneigt, aber Umerinak setzte seintti
Willen durch; doch wollten sie bis Umcrik folgen und dort über-
wintern. Die übrigen Nordländer gaben nur schwankende und
iiiisiciiere Zusagen. Da entschlofs Holm sich zu zeigen, dafs er
ül>erliau]it die Hülfe der Ostlaiider ganz entbehi'en könne, und er
erklärte ihnen, dafs er auch ohue sie weiter reisen wolle. Wie die
Digitized by Google
— 347 —
Folge zeigte, war diese Wenduug uicht ganz ohne Wirkung; der
Schatz von Handelswaren, den die Reisenden mit sich führten* übte
eine grofse Anzieliungskraft, und erst jetzt sollten die Leate fülileo,
was die Trennung von denselben zu bedeuten habe.
Die gegenwärtigen Bewohner dieser äufsersten südlichen Plätze
gehörten, wie schon angedeutet, teilweise zu den Nordländern, und
machten auf unsere Reisenden entschieden den Eindruck von Wild-
heit. Keiner von ihnen liatte die Westküste besucht oder überhaupt
Europäer gesellen, weslialb sie diese auch halb ihren fabelhaften
Bewohnern des Binnenlandes an die Seite stellten. Die Keisenden
ihrerseits mufsten auch beim Anblick der Menschen erstaunen, welche
hier bei ihrer Ankunft am Ufer standen, um sie zu empfangen. Ihre
Kleidun<.' war aulfallend leicht, die Beinkleider nur aus einem Streifen
Fell bestehend, dessen Breite bei den Frauen zwei Zoll, bei den
Männern etwas mehr betrug, und der doch in Beinkleider geformt
war. Die Stiefel reichten bis an die Knie. Der Oberkörper war in
einen Pelz aus ganz dünn bereitetem Leder gehüllt. Die hüchst
originellen Mittel zur Bedeckung der Beine waren dieselben, welche
im Winter in den Häusern gebraucht werden; Oberhaupt entsprach
diese Kleidung dem Anscheine nach eher einem tropischen, als einem
arktischen Klima. Es braucht wohl nicht hinzugefügt zu werden,
dafs andererseits alles was die Keisenden mit sich führten, die Neu-
gierde und das Erstaunen der Ostländer erregte. Da die meisten
derselben aus Sermelik waren, uuterliefsen sie nicht ihren Ort als
Winterquartier zu empfehlen und dabei gelegentlich Andeutungen
auf den bösen Ruf ihrer Nachbaren in Angmagsalik zu machen.
Von Igdloluarsuk brach also Holm am 6. August ganz ohne
Begleitung von Ostländern auf. Seine beiden Böte hatten jedes nur
drei Ruderinnen und das eine den Kajakmann Samuel als Steuer-
mann; dazu waren sie noch schwerer beladen als bisher, da nämlich
die Ostländer einen Teil des Gepäcks in ihren Böten transportiert
liatten. Ks kam niia noch hinzu, dals ^iv, jetzt die Wegstrecke vor
sich hatten, auf welcher Graah am meisten wegen Hunger, Kalte
und Eis gelitten hatte, und somit waren allerdings die .Vussichten
hier nicht die besten. Endlich wurde auch das Treibeis so dicht,
dafs es sie uoter ö3° 45' zu landen zwang. Als sie nun am
folgenden Tncro sich mit Mühe durch das Labyrinth der Eisschollen
weiter fortarbeiteten, entdeckten sie plötzlich zu ihrem Erstaunen
sämtliche Böte der Nordländer, von Igdloluarsuk kommend, hinter
sich. Diese schienen jetzt offenbar von Eifer ergriffen, der Expedition
zu folgen, und am 8. August wurde mit ihnen der lange Gletscher
Golbergerheide passiert Man fing in der That an zu hoffen, dafs
Digitized by Google
— 348 —
die Nordländer sich bedacht hätten, aber als jenseits des Gletschers
die Mflndung des Gyldenlöve-Fjords durchfiahren werden sollte, be-
merkte man bei den bej;leitenden Böten eine bedenUidie Neigong
landeinwärts zu steuern, und es zeigte sidi nur zu bald, da& ihr
Ziel der letzte sfidländlsche Wohnplatz, Umerik, sei. Hier beab-
sichtigten sie zu flberwintem, ehe sie sich auf die Fahrt an der
unwirtbaren Küste entlang wagten, welche sie noch von der Heimat
trennte, und sie hatten gehofft, dafs die fremden Reisenden noch in
der letzten Stunde sich bedenken und mit ihren Schätzen ebenfalls
in Umerik niederlassen würden. Beunruhigt durch die Richtung,
welche sie einschlugen, frnpte liolm sie um die Ursache. Sie
antworteten ausweichend ; als aber auf der anderen Seite des Fjords
offenes Fahrwasser nach Norden sich zeigte, ohne dafs die B(')te sich
demselben zuwendeten, kam die Wahrheit an den Tag. Sie ver-
suchten jetzt Überredung, Holm aber antwortete dnfaeh: «Ich leiae
nach Angmagsalik oder so weit als ich in diesem Jahre kommen
kann." Noch einmal wurden Oberredungen versucht, und endlich
von der Expedition zuguterletzt ein Handel um getrocknetes
Fleisch eingeleitet: für diesen Zweck nuifste man landen und bekam
dabei Gelegenheit, noch einmal die Warenkisten zu öffnen und die
Anziehungskraft der europäischen Sclmtze zu prüfen — und dieses
half. Es waren der Böte im ganzen vier, drei derselben l)liobon \m
Umerik, aber der Besitzer des vierten, lUnguaki, wurde erst be-
denklich, und dann war die Aussicht, für seinen Pflegesohn eine
Flinte zu erwerben, endlich entscheidend. Am folgenden Tage
meldete er sich als Begleiter, und somit war denn der Erfolg der
Expedition, die hier allerdings in eine kritische Lage geraten war,
vorläufig gesichert
Vom 11. bis 16. August wurden sie auf der Skrams-Insei
durcli Sturm, der ihre Zelte umrifs, aufgehalten. Dann hatten sie
bei starkem Ostwind abwechselnd mit Eis und mit hoher See zu
kiHni)feu. Dabei wurden zwei der lluderinneu krank, so dafs nur
noch zwei für jedes der schwer beladenen Böte übriix waren. Unter
diesen etwas kläglichen Umstanden landeten sie endlich auf der
Dannebrogs-Insel ; der Anblick des Landes an und für sich sollte
hier nicht zur Erheiterung beitragen: kahle Felsen, Gletscher,
Schnee und Eis war alles, was man ringsum sah. Und doch, als
sie die von Graah erbaute Warte erblickten, wie sie nach Verlauf
von 50 Jahren noch scheinbar unverändert da stand, konnten de
sich nicht enthalten, eine Festlichkeit zu veranstalten. Zugleich
wurden die Steine herabgenommen und das Innere durchsucht, aber
durchaus nichts gefunden, was von Graah niedergelegt sein konnte.
Digitized by Google
— 349 —
Jetzt wurde die Warte, einen Bericht über den Besuch einschliefsend,
sorgfaltig wieder aufgeführt, worauf man am 26. August weiter
reiste. Man hatte also jetzt ganz unbekannte Gegenden vor sidi
uad der Eintritt in dieselben war auch kein freundlicher. Der
Ikersnak-Sund, den man am ersten Tage zu durchfahren hatte, war
mit Oletschereis von der einen, und Meereis von der anderen Seite
angefüllt, und als man, um offenes Fahrwasser zu suchen, weiter
seewärts steuerte, stellte ein starker Nordwind mit Schnee und
Seegang sich ein. Unbekannt mit der Örtlichkeit wurde die FApe-
dition von den, mit ihrem kleinereu und besser besetzten Boote
schneller rudernden Ostl ändern ^^etrenut; man suchte Laud, aber
der Kompafs war wegen des Seeganges unbrauchbar, dazu wurde
das Eis dichter, und als das Land erblickt wurde, bot es nur steile
Ufer dar. £ndlich klärte es ein wenig auf, ein Kt^akmann, der sie
suchte, kam zum Vorschein, und nachdem die armen Ruderinnen
alle ihre Kräfte aufgeboten hatten, erreichte man abends einen
Xiandungsplatz. Hier warfen die letzteren ganz erschöpft sich auf
den Strand und sagten, sie mflfsten jetzt sterben. Auch diesmal
war jedoch ihre Verzweiflung nur ein kurzer Übergang. Die so
sehr gefürchtete Grenze zwischen Nord und Süd hatte man jetzt
hinter sich, und man befand sich am Einganiie des namentlich von
Umerinak so hoch gepriesenen Landes, in welchem jeder Tag sie
an anmutigen Gegenden und bewohnten Platzen vorüberführen
sollte. Am 28. August ging, es weiter, mit Ilinguaki zur Seite;
derselbe war ein paar Jahre fort gewesen und deshalb mit dem
jetzigen Zustande in seiner Heimat unbekannt £twa8 vor Sermilik
erblickten sie die ersten Menschen, nämlich eine reisende Boot-
gesellschaft. Nach üblicher Sitte wurde hier allgemeine Wehklage
angestimmt, in Erinnerung der seit dem letzten Zusammensein
verstorbenen Freunde und Verwandte, und deren Zahl soll diesmal
wegen einer in Angmagsalik 1882 und Sermilik 1883 stattgefundenen
Hungersnot keine geringe gewesen sein. Ilinguaki stand in seiner
Heimat in hohem Anseilen, nicht allein als ein in seinen Zauber-
künsten wohlbewamloiter Angakok, sondern auch als mutiger Jäger;
mit seinem aus Treibholz und einem Stück eisernen Reifens
verfertigten Speere hatte er 10 Eisbären erlegt. Nur in Heirats-
angelegenheiten schien er etwas flüchtiger Natur zu sein, da er
nach zwei liiiescheidungen erst in der dritten Frau die rechte
gefunden hatte.
Der Name Sermilik (Gletscher habend) bezieht sich eigentlich
auf einen Fjord und danach zun&chst auf einen bestimmten Wohnplatz,
zugleich aber auch mehrere andere Wohnplatze am Ufer desselben
Digitized by Google
— 350
Fjords entlang bezeichnend. Am 30. August kam die Expedition
hier an, und sogleich fanden sich von den verschiedenen Plätzen
Besucher ein, um die fremden Wesen in Augenschein zu nehmen,
deren Natur als wirkliche Menschen erst durch üinguaki beglaubigt
werden mulste. Dann wurden diese Fremdlinge in die Zelte geladen,
und nicht ohne Hindeutung auf die weniger liebenswürdigen Eigen-
schaften der Anginagsaliker suchte man auch hier sie zu überreden,
sich jetzt für den Winter zur Ruhe zu begeben.
Hier hei Scrniüik fanden sich noch Jceine Feuencaffcn, ilie Jaud
wurde allein mit Harpune, Lanze und Pfeil betrieben. Die ilufsere
ivüste zieht sich hier von Westen nach Osten; der Fjord hat eine
nördliche Richtung, scheint etwa 60 englische Meilen lan? zu sein, bis
aus Binneneis zu reichen und von demselben Eisberge zu empfangen.
Am 31. August war man im Regrift' ins Root zu steigen, als
l)lötzlich der Ruf: „Nanok'' erscholl und den Reisenden noch
Gelegenheit bot zu beobachten, wie 15 Kajakke in einem Augenblicke
vom Lande stiefscn und kurz darauf unter üionotonem Gesang mit
einem getöteten Eisbären zurückkehrten. Darauf ging es weiter
und um die Mittagszeit wurde die Bucht passiert, welche sich später
als König Oskars -Hafen erwiesen hat. Weder unsere Reisenden,
die in diesem Jahre noch ohne Briefe von Europa waren, noch die
Eingeborenen wufeten damals irgend etwas von dem Besuche
Nordenskjölds an dieser Stelle im Jahre vorher. Fünf, an Lachsen
reiche Elfe (Flü&chen) münden in diese Riiclit. die des Fanges
wegen häufig von den Angmagsalikern besucht wird. Um 6 Uhr
nachmittags landeten sie bei Tasiusarsuk kangigdlek, dem ersten
der Wohnpl&tze, die nach dem Fjorde, um den sie gruppiert sind,
mit dem gemeinschaftlichen Namen Angmagsalik bezeichnet werden.
Es stand hier ein grofses, von fünfzig Menschen bewohntes Hans.
Es versteht sich, dafs die Verwunderung und Neugierde dieser Leute
grenzenlos war. Um in Ruhe ihr Abendbrot verzehren zu können,
mufsten die Reisenden ihr Zelt fest zubinden; allein trotzdem wufsten
die Neugierigen sich Gucklöcher zu verschaffen, um dieses seltene
Schauspiel zu geniefsen. Bei näherer Untersuchung der Umgebungen
fand man in etwa 20 Minuten Entfernung eine Hausruine, die fDr
die Einrichtung der Winterwohnung zweckm&fsig befunden wurde.
Sie war jetzt überwachsen und seit Jahren unbenutzt gewesen,
weil ein Wahnsinniger daselbst gestorben und begraben worden war.
Der Ort entsprach ganz den Bedürfnissen der Expedition. Es war
eine, gcuon die See beinahe offene Landzunjie, mit schwach hügligem
Lande riiiLi>uui. Von einer nahen Anhöhe hatte man die Aussicht
über den malerischen Angmagsalik- Fjord mit seinen steilen Felsen
Digitized by Google
— 351 —
im Hintergrande. Es war dazu ein guter Fangplatz und die freie
Lage versprach vorteilhafte Bedingangen for meteorologische Beob-
acfatuDgen.
Bis zum 13. September wurde hier gebaut, wobei es natOrlich
nicht an Zuschauern fehlte. Tftglich kamen Besucher von den um-
liegenden Wohnpifttzen. Die Frauen waren etwas snrflekhaltend;
die Männer winkten zum Freundschaftszeichen bei der Ankunft und
brachten Fleisch von Bären und Seehunden, Speck und andere Be-
dürfnisse. Als Tauschmittel waren denn vor allem Eisenwaaren
sehr gesucht, und zur Unterhaltung der Gäste lieferten Uhr, Kompafs,
Scbiefswaffen, Spiegel, Lupe, Fernrohr u. a. reichlichen Stoff, alles
wollten sie besehen und befühlen. Es dauerte aber lange, ehe unsere
christlichen Westgrönlftnder ihre Furcht vor den Heiden des fernen
Nordens bezwingen konnten. Nach ihren mit der Sagenwelt ver-
flochtenen und von Kindheit an eingeimpften Vorstellungen war bei
diesen Stammverwandten dne Mordthat kein ungewöhnliches Ereignis,
und sogar der Hang zum Kannibalismus eine mitunter vorkommende
Leidenschaft. Sie meinten, selbst unter den besten Freunden der
Expedition drei Totschläger entdeckt zu haben, und eine der
Kuderiuiit'ii wurde buchstäblich krank aus Furclit, gegessen zu
werden, weil die Heiden sie gekniüeu und ilire Beine hatten sehen
wollen, und sie selber sich dabei ihrer besonders runden und musku-
lösen Form wohl bewufst war. Diese Bewohner des Angmagsalik-
Fjordes sprachen nun wiederum ihrerseits geringschätzend von ihren
Nachbar'en auf dem noch etwas weiter nach Norden gelegeneu Ser-
miligak; ein paar MOrder, sagte man, hauseten dort und ein Angakok,
der mit der alten sagenhaften Kunst, die Seele aus dem Leibe zn
eskamotieren, besonders vertraut sei. Man würde dort freilich gast-
frei empfangen und unterhalten, allein bei der Abreise seiner Seele
beraubt. Auch standen die Männer dort als sehr schlechte Ehe-
gatten im Verruf.
Da nun dieses letztgenannte Sermiligak der äufserste bewohnte
Ort war, von dem die Augmagsaliker etwas wufsten, begaben sich
unsere Forscher nach der Vollendung dos Hausbaues wieder auf die
Beise, um noch vor Winter dorthin zu gelangen. Der Weg führte
sie, von Inseln geschützt, an freundlichen Ufern vorüber, das Land
entsprach durch seinen einladenden Anblick ganz der rühmenden
Schilderung,' die Umerinak von demselben gegeben hatte. Dazu
hatte man jetzt sechs Ruderinnen zur Bedienung des leicht geladenen
Botes und einen jungen Heiden zum W^^eiser. Nur das Wetter
zeigte sich ungünstig, indem Sturm mit Schnee und Regen die ersten
fünf Tage anhielt.
Digitized by Google
— 352 —
Von Sermiligak aus fuhren die Reisenden am 20, September
noefa etwas weiter und bestiegen eine 1600 Fufs bebe. Insel, auf
deren Gipfel eine 6 Fufs hohe Wart« errichtet und in dieselbe
folgender Bericht einpjeschlossen wurde:
„Die l'cllboütcxpedition nach der Ostküste Grönlands er-
reichte diesen Punkt (im Osten des Sermiligak- Fjordes) am
20. September 1884, Nahm in des Königs von Dänemark Namen
die von uns als den — soweit bekannt — ersten Europäern be-
reiste Strecke in Besitz und nannten das Land „König Kristian
des Neunten Land'^, sowie diese Insel: „Erik des Roten Insel".
Kein Eis seewnrts. Kehren um, um bei Tasuisarsuk (Angmagsalik-
Fjord) zu überwintern. Alles wohl!"
Europaer sowohl als Grönlander unterschrieben diese Urkunde,
die Flagge wurde aufgezogen, und die Feier mit einem Gläschen
Rum beschlossen. Von der naheliegenden „Leif des Glücklichen
InseP hatte man noch etwa 28 englische Meilen weiter Aussicht nach
Nordosten. Nach den von hier aus angestellten Messungen und den
Erkundigungen bei den Einwohnern läfst sich, die weitere Küste
bis 68° n. Br. betreffend, folgendes schliefsen: früher wurde dieser
äufserste Punkt des Fanges halber öfters besucht, aber seitdem vor
einigen Jahren eine Bootsgesellschaft hier verhungerte, nicht mehr.
Mehrere Fjorde durchschneiden das Land, welches allerdings nicht so
schön ist wie das nm Tingmiarmiut und Angmagsalik hemm, aber
auch nicht so schlecht wie die Küste zwischen diesen beiden Orten.
Unter 67^ findet sich ein Fjord, an dem Angmagsaliker des'^arwal-
fanges wegen zu flberwintern pflegen. Weiter als bis zum Fjorde
Eangerdluarsuk, unter etwa 68 ® n. Br., war nodi niemand gewesen,
aber ein Angmagsaliker hatte dort einmal ein noch kOrzlich vorher
bewohntes Hans vorgefunden.
Die Jahreszeit, die Brandung des Meeres und das unruhige
Wetter mahnten jetzt emstlich umzuk^ren. Auf der Bllekreise
wählte man einen andern Weg zwischen den vielen Inseln und be-
suchte samtliche Wohn|)latze um den Angmagsalik-Fjord herum.
Auch das Ende desselben, unter 66® 8' n. Br., wurde erreicht.
Eine schöne und grofsartige Natur entfaltete sich hier dem Blicke,
indem die Berge am Fjord mit ihren Gletschern sich bis zu 6()(X^)
Fufs erheben. Das Binueneis wurde aber erst hinter diesen Höhen
beobachtet.
Am 2. und 3. Oktober bezogen die Reisendon endlich ihre
Winterwolinung. Es war eine, nach grönlandischem Muster aus
Rasen und Steinen gebaute Hütte, mit zwei Räumen für die Be-
wohner und einem dazwischen für den Vorrat, sie bewährte sich den
Digitized by Google
— 353 —
ganzen Winter hindurch als warm und zweckinäfsig in jeder Be-
ziehuug. Es versteht sich von selber, (la£s die Heizung durch See-
hundspeck in grönländischen Lampen bewerkstelligt wurde. An
Arbeit und Beschäftigung war den ganzen Winter hindurch kein
Mangel, zumal die grönlAndischen Nachbaren einen aufserordenttichen
Hang zur Geselligkeit an den Tag legten. Ihre häufigen Besuche
wurden durch die Yermittelnng des Dolmetschers Johan Petersen
und des Katecheten Hanserak eine ergiebige Quelle zur Bereicherung
unserer Kenntnis von diesem Volke. Erzählungen, Sagen, Ge-
brauche, religiöse Vorstellungen, sowie auch sprachliche Eigentüm-
liclikeiten, alles wurde mit Sorgfalt aufgeschrieben, und die Offen-
heit und Redseligkeit der Gaste erkMchterte diese Arbeit über Er-
warten. Selbst die Angakoks zeigten sich nicht abgeneigt, die
Geheiumisse ilirer KUnste zu entschleiern.
Die Gesamtzahl der ^^nürdlichen" Ostlander, auf Sermilik,
Angmagsalik und Sermiligak verteilt, wurde als 413 betragend aus-
gefunden; die weiblichen Individuen übertrafen die m&nnlichen mit
lO^/o. Wohnungen, Waffen und Hausgerat sind wie in Westgrön-
land zu Egedes Zeiten, alles mit Sorgfalt ausgearbeitet und teil-
weise Proben von Kunstverzierungen zeigend. Alles eiserne Werk-
zeug, so auch die niedlichen Nähnadeln, waren aus Reifen oder sonstigen
au Schiffstrüniniern gefundenen Bruchstücken verfertigt. Es landen
sich auch noch einige, wenngleich wohl nur kaum mehr benutzte
steinerne Messer. Die Kajake waren mit Schnitzwerk aus Narwal-
horn geziert. Vogeljagd wurde fast nur von Kindern mit Bogen
und Pfeil betrieben.
Ehen werden in einem sehr frühen Alter geschlossen und
Scheidungen sind h&ufig. Im Sommer divertiert man sich mit den
gewl^hnlichen Zusammenkauften unter freiem Himmel, bei denen
T&nze unter Begleitung der Trommel, mit Gesängen und namentlich
den bekannten Streitliedem aufgefflhrt werden. Bei den Winter-
gesellschaften in den H&nsem bieten die von den Angakoks ge-
gebenen Vorstellungen mit Geisterbeschwörung ein wesentliches
Mittel zur Unterhaltung dar. Auch die europäischen Gaste wohnten
ditMMi abenteuerlichen Festlichkeiteu bei und haben lebhafte Schil-
derungen davon gej^eben.
In Beziehung auf körperliche Gestalt waren diese nördlichen
Ostländer von den südlichen und teilweise den Westländern etwas ver-
schieden. Sie waren schlank, wohlgewachsen, hatten charaktervolle
markierte, ovale und hübschere Gesichter als jene. Auch schienen
sie reinlidier als die Westländer, und auf ihre, teilweise mit schönen
Stickereien gezierten Kleidungsstücke war mehr Fleifo verwendet
a«ogr. BUttar. Br«in«a, ISW. 85
Digitized by Google
3Ö4 —
Die Spuren früherer europäischer Besuche oder Anäiedeluugeo,
welche gesehen wurden, oder von denen die Einwohner his zum
68® n. Br. etwas wufeten, waren so nnsicher und flberhaupt so
verschwindend, dals an das Vorhandensein von Ruinen der alten
Österbygd irgendwo auf dieser ganzen Kttste nicht zu denken ist
Im Herbst verschwand das Treibeis von der See. Die Tem-
peratur war selten kälter als -f- 10® C. bis zum Februar, wo sie
-f- 25® C. erreichte. Der Nordwest oder Westwind trat liier als
warmer Fölin auf. Leider war hier in diesem Jalire grofser Mansrel
an Hunden und deshalb Sdilittenfahrt nur weni-^ zu benutzen. Im
Sommer 1885 untersuchte die Expedition den Sennilik-Fjord, ver-
liefs am 5. Juli Kristian des IX. Land, traf am 16. Juli die ihr
unter Gardes Leitung entgegenkommende Abteilung, und erreichte
mit dieser zusammen am 1. August wieder die Westküste.
Die Entdeckungsreise des Dr. Otto Finsch an der
NordostkUste von Neu-Guinea. Mai 1885.
Hienn Kartonslvizze der Kiisto des Kaiser "Wilhelms-Landes von der Astrolabe-
bis znr Humboklt-Bai, von Dr. 0. Finsch, aus Heft IV. der von der Neu-Gmnea-
Kompagnie zu Berlin herauBgegebenen „Nachrichten for und über Kaiser Wilhehns«
Luid and dem Bianuurck-AxohipeL*'
Einleitung. Übersteht der fünf vor Dr. Finsch 1884 and 1885 an den Kitoteii
VOB Nen-Guinca ausgeführten Entdeckungsreisen. Bericht über die Reise nach der Nord-
ostkUste. WaHkü.ste Kanoes. Kap dt'lla Torre. Ynlkan-TTisol. Kaiserin Augosta-Fliif:«.
Flache Küste. Krauel-Baoht Entgegenkommen der Eingeborenen. HUgel and Ge-
birgc an der Rttete bis Bnmboldt-Bai. Die Inseln Chreasien vnd Heta. DaUnHuin-
Hafen. Landexkursion. Melanesiche Gastfrenndschaik. Tabaksbau. Hansemann-RfiBtSi
Insel (Jn.ip WaldberRe an der Küste. Eingeborene. Kokoshaine. Die Sainson-
Inseln. Der Btirliti-llateu. Guido-Kora-Huk. Lagune. Flufsmünduug am Kap Kon-
kordia. In der Angrlirs-Bai. Fk-iedlielie Eingeborene. Der SeehstrobSvlb. Hamboldt-Bai.
Exkursion nach dem Dorfe Tobadi Diebische Eingeborene. Explorierung der Küste
zwischen Veuus-Point und Kap Kroisilies. Friedrich Wilhelm-Hafen. Die Bismarck-
Kette. Der Hansemann-Berg. In der Astrolabe-Bai.
M. L. Die jetzij^^e Bewegung in Deutschland für Kolonisation
in überseeischen Luiidern und die Erwerbung deutscher Schutz-
gebiete in Afrika und Polynesien werden ohne Zweifel im Laufe der
Zeit der Geographie manche wertvolle Frucht bringen, manche bis
dahin lückenhafte Kenntnis bereichern und vertiefen. ist erklärlich,
dafs die von den zunächst Beteiligten in den nenen Kolonialgebieten uiit
dem Gedanken wirtschaftlicher Nutzbarmachung derselben veranstalte-
ten Forschungen und Untersuchungen gewissermafsen linen einseitigen
Charakter an sich tragen, allein man darf vertrauen, dafs der wirt-
schaftliche Zweck nicht immer allein im Vordergrund bleiben, viel-
mehr der dem Deutschen eigene Trieb nach Erkenntnis um ihrer selbst
willen sich auch hier betätigen und neben dem Vorteil der eigenen
Digitized by Google
— 355 —
Nation die BereiclieriinjLj eines geistigen Genieiiiguts der zivilisierten
Welt, der Länder- und Völkerkunde, im Sinne unseres unsterblichen
Ritters ernstlich ins Auge gefafst werden wird. Die Untersuchungen
und Studien Hugo ZdUers an der WestkOste von Afhka und namentlich
im deutschen Kamemngebiet sind als Arbeiten dieser Art freudig
zn begrOfsen. Beiche Ergebnisse darf unsere Wissenschaft sieh
deshalb auch wohl von der Übernahme eines Teils von Neu-Guinea
unter die Oberhoheit des deutschen Reichs versprechen. Das von
August Petermann vor 16 Jahren ausges]>r(>cliene Wort: dafs die
emUiche Entdeckuii^^ und Erforschung von Neu-Guinea eine der
brennendsten Fragen der Creograi)]iie sei, gilt im wesentlichen noch
heute. Zwar ist manches seitdem geschehen, eine ganze Reihe von
Forschern: Italiener, Niederlander, Deutsche, Engländer, ein Russe
und ein Franzose haben von verschiedenen Punkten der Küste aus
Untersuchungen des Landes, naturwissenschaftliche Sammlungen und
Studien der Bevölkerung angestellt Die Mission hat sich an der
Nord- und SfldostkOste niedergelassen, englische, deutsche und
niederländische Kriegsschiffe haben da und dort die Lage und Be-
schaffenheit der Ufer und vorgelagerten Inseln festgestellt. Die
Greschichte der früheren Neu-Gninea-Fahrten ist durch die trefflichen
Arbeiten der Niederländer Leupe, Robide van der Aa, und neuer-
dings Haga klar gelegt, allein noch ist das weite Innere mit seinen
mächtigen Gebirgszügen uniiekannt. Bis an den Fufs des Centrai-
gebirges, dessen hohe Spitzen an der Ostseite dem Seefahrer weithin
erkennbar sind, ist an einer Stelle der Italiener d'Albertis 187() von
der Südküste aus über 4 Breitengrade auf dem Flytiusse vorge-
drungen; der Niederländer Morris kam 1884 mit dem Regierungs-
dampfer ^Habicht" von der niederländischen Nordküste auf dem
Mamberan- oder Bochuasenflufo über einen Breitengrad ins Innere, eine
Sandbank in diesem Flufs am Fufs des van Bees-Gebirges hemmte
ein weiteres Vordringen. Diese Kunde und die Erforschung einiger
kleinerer an der SüdostkOste mündenden Flüsse ist alles, was wir
von dem niutinafslich sehr reichen Stromsystem der grofsen Insel
wissen; die Pdanzen- und Tierwelt, die Bevölkerung des Innern
sind uns nach wie vor ein Gelieimnis.
Unsere bisherige Kenntnis von der Nordostküste Neu-Guineas
zwischen der Astrolabe- und Humboldt-Bai basierte im wesentlichen
auf den Aufnahmen und Berichten des französischen Admirals
Dümont d'Urville mit der Korvette „Astrolabe" im August 1827
und auf den Berichten des englischen Beisenden Wilfred Powell, der
zu verschiedenen Malen, in den Jahren 1875, 1876, 1877, 1878 und
1879, diese Küste besuchte, im ganzen achtzehn Monate mit der Er-
Digitized by Google
— 356 —
forschung dieses Teils von Neu-6uinea und mit dem Studium der
Bevölkerunjr zubrachte, die Küste von der China-Strafse bis zur
Pointe d ürville, eine Strecke von lÜCXi niiles, befiihr, aber wie
er selbst sagt, ^^') keine eigentlidie Kiistenanf nähme machte. In der
Astrolabe - Bai verweilte der russische KiMst iide Miklucho- Maclay
in den Jahren 1871 und 1B72. Seine Berichte sind in Zeit-
schriften vielfach zerstreut; ein Gesamtergebuis seiner ethnolo-
gischen Studien ist bis jetzt niclit erschienen. Erst den Reisen
unseres Vorstandsmitgliedes, Herrn Dr. Otto Finsch und den bei
diesen Expeditionen erfolgten Eüstenaufnahmen durch den Ton
unserem Mitgliede, Herrn Kapitän Eduard Dallmann« geführten
Dampfer „Samoa** ist eine genauere Kenntnis und Kartierung der
ganzen Kfistenstrecke zu yerdanken. Diese Reisen wurden Ton
Dr. Finsch im Auftrage der „Neu-Guinea- Kompagnie zu Berlin"
ausgeführt und es ist bekannt, mit welchem Geschick und Glück
Herr l)r. Finsch die ihm übertragene schwierige Aufgabe gelöst
hat. Die Berichte des Herrn Dr. Finsch sind nun kürzlich, soweit sie von
allgemeinem Interesse, in den von der genannten Kompagnie heraus-
gegebenen „Nachrichten" Yeröffentlicht worden und wir verdanken
es dem freundlichen Entgegenkommen der Kompagnie, dafs wir in
nachstehendem den Bericht des Herrn Dr. Finsch Aber seine Er-
forschung der Kflste zwischen Astrolabe- und Humboldt-Bai (der
Orenze des deutschen Schutzgebiets) samt der ebenfalls in den
„Nachrichten** publizierten Karte unseren Lesern mitteilen können.
Herr Dr. Finsch hat im vorigen und in diesem Jahre von Nen-
Britannien aus im liuiizen fünf Keisen längs der Nord- uud Ostküste
von Neu-Guiuea ausgeführt, welche in ihrer Konfiguration schon
durch ihren bergigen Charakter sich wesentlich von der bekannt-
lich fiachen, niedrigen Südküste unterscheiden.
Die erste Reise wurde mit dem Dampfer „Samoa*, Kapitän
Dallmann, von Mioko am 7. Oktober 1884 angetreten, sie währte,
soweit sie die Erforschung von Neu-Guinea betraf, bis zum 25. Oktober.
Es wurde zunächst die von Dflmont d^Uryille entdeckte Astrolabe-Bai
angelaufen, wo die »Samoa" bis zum 18. Oktober ankerte; you hier
aus nordwärts gehend entdeckte Dr. Finsch am 19. den Friedrich
Wilhelms-Hafen und wurde am Ufer dieses Hafens eine Flagge errichtet.
Sodann wurde die Kü.ste nordwärts bis Kap Croisilles, darauf eine
lange Strecke süd-, dann ostwärts bis Kap Cretin unter gelegentlichen
Landungen e.xploriert. Auf dieser Ueise war es, wo Dr. Finsch (hiü
merkwürdige Terrasseuland au der Küste von Village-lsiand bis
^) ProceedingB of tbe Royal Qeogr. Societr. Yol V., No. 9. (September 1883.)
S. 605 Q. ff.
Digitized by Google
— 357 —
hinter Fortifikation Point, von dem uns Powell erzfthlt and das aach
schon Kapitän Moresby bei seinen, mit dem englischen Kriegsschiff
»Basilisk*' in den Jahren 1873 und 74 ausgeführten Aufnahmen der
SQd- und Ostküste sichtete, näher untersuchte und als gehobenen
Korallenboden erkannte.
Am 13. November lief die ^Samoa" wieder vom Mioko aus.
Das diesmalige Gebiet der Entdeckungen und Forschungen waren
der Hüon-Golf und die nördlich von demselben vorspringende Küste,
zwei gute Häfen, der Adolf- und der Finsch-IIafen. wurden erschlossen.
Am 24. November traf die „Samoa^ mit dem dcutsrhen Kanonenboot
„Hyäne" zusammen, welches mit dem deutsrhen Kriegsscbifif
«Elisabeth" die Neu- Guinea-Küste weiter nordwestlich exploriert hatte,
nun in den B'insch-Hafen legte und dort am 27. November die Kaiserlich
deutsche Flagge heifiste. Die „Elisabeth^ hatte mit der ,|Hyäne^
vom 17. bis 20. November in Friedrich Wilhelms-Hafen geankert, auch
hier diese Flagge gebeifet und war dann nach Neu-Brittannien ge-
gangen. Am 28. gingen „Samoa** und „Hyäne** wieder aus, die
erstere fuhr eine Strecke nordwärts längs der Küste, explorierte noch
Teile der Küsten von Neu-Britannien und Neu-Irland und kehrte am
9. Dezember nach Mioko zurück.
Die (hüte im Dezember 1884 ausgeführte Reise richtete sich
nach der Ostküste südlich vom Huon-Goll und bis zum Ostkap und
war reich an geographischen Ergebnissen ; zum grofsen Teil sind es
Gebiete, die jetzt unter englischen Schutz gestellt sind, während
man früher annehmen durfte, dafs England sein Protektorat auf die
SOdkttste beschränken wflrde.
Die vierte Reise fällt in die Zeit vom 23. März bis 18. April
1885. Auf dieser wurde von Dr. Finsch in der Nähe von Bentley-
Bai (westlich vom Ostkap) auf von den Eingeborenen erworbenem
Land eine Station begründet und besetzt. Als die Abmachung zwischen
Deutschland und England über die Grenzen der beiderseitigen Schutz-
gebiete in diesen Gegenden bekannt wurde und es sicii somit ergab,
dafs Bentley-Bai, wie die ganze Küstenstrecke bis zum 8° s. Br.
hinauf unter englischen Schutz gestellt war, wurde die Besatzung
der Station zurückgezogen. Wie die „Nachrichten der deutschen
Neu-Guinea-Kompagnie^ mitteilen, hat auch diese Reise zur besseren
Kenntnis der vorher, wie erwähnt, durch den bekannten englischen
Marinekapit&n Moresby mit dem ^Basilisk'' befahrenen Küsten vom
Ostkap bis Chads-Bai mancherld erwünschtes Material geliefert,
doch wird darüber nichts näheres berichtet.
Die fünfte Reise des Dr. Finsch endlich umfafste das ganze
Küstengebiet von Deutsch-Neu-Guiuea von der Astrolabe-Bai bis zur
Digitized by Google
— 358 —
Humboldt- Bai, wo das niederländische Neii-Giiinea bej^innt, eine Strecke
von 96 fzeo^a-aphischen Meilen. Sie wahrte vom 5. bis 2B. Mai d. J.
Der Bericht über diese Reise folgt nachstehend.
Znr Erläuterung in betrofT der früheren Rekognoszieningen bemerken wir
noch folgendes. Nachdem schon im Jahre 1823 durch die .rofinillo-, Admiral
Duperrey, diese Küste aus der Entfernung von 10— lö Heues gesichtet, wurde
dieselbe auf 2 — 5 lieues Entfernung im August 1827 durch die französische
Kriegskorvette ^Asti'olabe' unter Oberbefehl des Admirals Dümont d'Drville aaf-
IceiioiimiaL*'} Am 6. August war die «Astiolftbe* tot der nftch ihr genaimtan Bai;
die beiden Kaps am Eingange erhielten die Namen Bignj und Dnperrey. Aach
die weiter längs -der Kflste gegebenen fitansöeisohen Namen stammen von dieeer
Expedition. Die Korvette segelte dann nordwirts swischen* dem Festlande mul
der Dampier-Insel durch, dessen mindestens 800 Toiscn hohe Kegelspitze meist
in weifsen Wolken gehüllt war. Der Küste folgend befand sich die aAstrolabe'
am 7 August südlich von der Vulkan-liisel. In der Nähe vom Kap Jüllien
veränderte das Seewasser seine blaue Farbe in srbmuf/iges grün und nahe der
Küste in gelb. Baumstämme, Zweige, Früchte trieben darin und aus Besorgnis
vor Riffen hielt die „Astrolabe'' vom Laude ab. (Auch Kapitän Moresby hat
diese Verfärbung des Seewassers und treibende Baumstämme bemerkt Seine
Vermntongp dab hier ein giofser Flnfs mflnde, hat die Bntdeckong des Dr. Finsch,
wie sich weiter nnten ergeben wird, bestitigL) Am 9. Angnst passierte die
HAstrolabe* die d'ürrüle- nnd andere Insein in der NShe. Am 10. seigten sich
zwischen der Faragnet- nnd Sainson-Insel sechs mit Eingeborenen bemannte
Piroguen. Wiederholt wurde das Schiff durch die Strömung weiter
nach Westen versetzt. Am 11. war die „Astrolabe^ vor dem Angriff Hafen (anse
de Tattaque), so genannt, weil sich hier dem Schiff 20 Pirogtien, jede mit 3 — 8
bewaffneten Leuten, näherten und von der vordersten ein Pfeil auf das Schiff
gesendet wurde. Eine Oewehrsalvc und ein Kanonensrhnfs trieben die Böte znr
sofortigen Flucht. Auf zwei lieues Entfernung wurde die Küste bis zur Humboldt-
Bai verfolgt; die .Astrolabe" lief aber hier nicht ein» sondern landete erst in
dem bekanntesten Hafen von Nen-Qnineai in Dorei, an der KQste des nord-
westliehen Teils von NeorChunea. An der von Dr. Finsch in nachfolgendem Bericht
beschriebenen Kftste trat die „Astrolabe* weder in Verkehr mit SingeboxeMt
noch landete sie oder sandte Landungspartien ab. Die für ein Segelschiff
besonders groJsen Schwierigkeiten des Fahrwassers durch fiiffis» Strdmnngen nnd
Stilten mögen hiervon abgehalten haben.
Wir verliefsen am 5. Mai 10 Uhr früh Mioko, nahmen
Kars nördlich von den French-Inseln nach den Schouten-lDselu und
sichteten in der Frühe des 8. Mai Vulkan-Insel, spater Lesson-Insel
und Blosseville-Insel und das Festiand von Neu-Ouinea, das als eine
niedrige Hflgelkette erschien. Gegen 2 Uhr kam auch westwärts
Kttste zum Vorschein, mit Wipfeln von B&umen, die wie eine Hecke
aussahen und die Küste offenbar als Flachland bezeichneten. Zu der-
selben Zeit bemerkten wir etwa 10 Meilen westlich v<m Viilkan-Insel,
soweit das Auge reichte, grünes Wasser vor uns, vou dem tiefblauen
") Vergl. Dumont d^Urville, voyage de rAstiolnbe, histoire de voyage.
Band IV., Kap. 87.
Digitizod by Google
— 369 —
scharf abgesetzt darch einen weitsen Schaumstreifen, der von weitem
g«anz der Brandung ähnelte, wie das Ganze durchaus einem Riff. Es
zeijite sich jedoch bald, dals das griiue Wasser keinem Riff angehörte,
sondern von Flüssen der Küste herrührte, ähnlich wie wir dies be-
reits im Hüon-Golf kennen gelernt hatten, denn trroCse Treibholz-
stämme, zum Toll noch mit Zweigen und Blättern, iiefsen diesen
Ursprung des hellen Wassers mit Sicherheit erkennen.
Nachdem Kapit&n Dallmann eine Zeitlang längs des grünen
Wassers gefahren war, ging er um 2 Uhr 40 Minuten in dasselbe
hinein, und wie zu erwarten, ergab das Lot keinen Grund. Wur
steuerten S. zu W. halb W. gerade auf die Kttste, auf der eine her-
vorragende Gruppe hoher Kasuarineo stand, und gingen 4 Uhr
25 Minuten in 6 Faden und etwa 2 sm von der Kflste zu Anker.
Die Küste erschien als dichter Waldgürtel, von einzelnen höheren
dichten Baumgruppen, schwarz wie Nadelholz uiul aus Kasuarinen
gebildet, unterbrochen. — Bald sahen wir an drei Stellen am Ufer
Rauchsäulen aufsteigen, und gegen 5 Uhr kamen mehrere Kanoes
mit Eingeborenen längsseits, mit denen ich handelte. Am Ufer war
ein Dorf zu erkennen, sowie dichte Bestände von Kokospalmen, die
sich hauptsächlich ostwärts zu erstrecken schienen. Nach Peilungen
war unser Ankerplatz 4^ 1' s. Br., 144^ 43' ö. L., also etwa 3 Meilen
Ostlich von Venus-Point der Karte, welcher Punkt sich nur durch
eine Gruppe hoher Kasuarinen auszeichnet Weiter wesüich, wie
durch Inseln mit niedrigem Gebüsch verbunden, erschien eine ähnliche
durch hohen Bestand von Kasuarinen ausgezeichnete Waldecke, ver-
mutlich Kap della Torre der Karten. Noch ehe völlig Nacht ein-
brach, sahen wir aus der Kraterspitze von Vulkau-Iusel Feuer, später
Feuerschein, aufsteigen.
9. Mai. Das Wasser war heute früh viel heller ;j;efarbt als
gestern Abend. Gegen die Fortsetzung der Küstenfahrt entstanden
Bedenken, weil iu dem trüben Wasser Riffe und Untiefen sich nicht
erkennen Iiefsen und das Schiff daher in hohem Grade gefährdet
würde. Sie wurde gleichwohl versucht, indem beschlossen wurde,
unter öfterem Loten nur langsam vorwärts zu gehen, und die Fahrt
gelang ohne ün&ll für Schiff und Mannschaft, da sich meine An-
nahme als richtig erwies, dafs in brackischem Wasser Korallenriffe
nicht vorkommen. Wir gingen 9'/4 Uhr wieder unter Dampf; der
iiuiunel war trübe und bedeckt, heftiger Platzregen nieder.
Westlich von Venus-Point zeigte sich die Mündung eines gröfseren
Flusses; das Meerwasser nahm davon eine trüb-lehmfarbige Färbung
an; viel Treibholz, darunter grolse Baumst&mme mit Wurzeln und
Blättern, trieb herum.
Digitized by Google
— 360 —
Veuus-Point ist ein Vors[)run<; des bewaldeten Flachlandes, das
sich hier weit ausdehnt, Inland bis zu einer niedrigen Hügelkette,
die sich längs dieser ganzen KOste zu erstrecken scheint Der Ufer*
säum behielt immer dasselbe Ansehen: dichter, jedoch nicht sehr
hoher Urwald, mit einzelnen Beständen hdherer dichter Kasuarinen,
einem nadelholzartigen Baum, der an unsere Lärche erinnert
Wir waren der MOndung des erwähnten Flusses gegen 1 Uhr
gegenüber, sahen aber, dafs eine Barre mit heftiger Brandung den
Eingang versagte. Um 2 Uhr wurde das Wasser noch schmutziger
braun und süfe, und wir sshen die Mündung eines zweiten, weit
bedeutenderen Flusses, gegen den wir zuhielten und vor welchem wir
um 3 Uhr io b^U Faden Schlick zu Anker gingen. Um 4V> Uhr
ging ich mit dem Steuermann und vier Ruderern im Whaleboot in
diesen Fiufs hinein und kam nach Dunkelwerden zurück. Wir fanden
keine eigentliche liarre, wenigstens keine Brandung, sondern überall
3 Faden Tiefe, jedoch eine starke Strömung, gegen die wir nur
mit Segeln, unterstützt durch den günstigen Wind, anarbeiten konnten.
Wir brauchten von dem Schifte, das etwa 2 Meilen von der Mündung
lag, IVs Stunden, um bis in den Flufs hineinzugelangen. Die
Strömung mag 4 — 5 (engl.) Meilen in der Stunde betragen, was
beweist, dafs der Flufs weit aus dem Innern kommt; dafür sprechen
ebenfalls die grofseu Massen von Treibholz — ganze schwimmende
Inseln — , welche er mit sich führt. Der Flufs ist an der Mündung
mindestens V'2 sm breit und wahrscheinlich schiffbar, was indes nur
durch eine genauere Untersuchung festgestellt werden kann. Da
dieser Flufs, welcher voraussichtlich eine W^asserst^afse ins Innere
eröffnet, ohne Zweifel der bedeutendste von Kaiser Wilhelms-Land
und nächst dem Fly und Rochussen der gröfste in Neu-Guinea ist,
habe ich denselben nach Ihrer Majestät Kaiserin AugustapFlufs ge-
nannt Er liegt nach Kai)itan Dalimanns Bestimmungen df^ 62'
s. Br., 144^ 32' ö. L., etwa 3 Meilen Östlich von dem sogenannten
Kap della Torre der Karten. Die Blosseville-Insel und die Gamot-
Insel, letztere von der ersteren verdeckt, peilen den Flufs Sfld. Ich
traf an der Mündung Eingeborene, mit denen ich aber nicht in Vei^
kehr treten konnte, da die starke Strömung das Landen verhinderte.
10. Mal Gingen 6 Uhr 45 Minuten weiter, passierten gegen
7 Uhr Kap della Torre, das eigentlich kein Kap, auch keine be-
sonders vorspringende Ecke, sondern nur eine flache Ecke mit Be-
ständen hoher Kasuarinen ist Die Kflste bis auf etwa 30 Meilen
bewahrt einen sehr gleichmäfsigen Charakter: Flachland mit dichten
Kasuarinen und Nipapalmen, welche beide auf sumpfiges Terrain
schliefsen hissen; keine Kokospalmen und Menschen; weiter Inland
Digitized by Google
361 —
eine Hügelkette. Um 10 Uhr passierten wir einen dritten Flufs,
der vielleicht wie der erste nur ein Nebenarm des Kaiserin Angusta-
Flusses ist, nnd vor dem es heftig brandete. Das Meerwasser
war schmutzig hell bis dunkelmiiii. — Nachmittags sahen wir eiue
tiefere Bucht (Kraiiel-Bncht) vor uus, deren westliclie Hälfte von
300 — 4:CX) Fufs hohen, dichtbewaldeten Hügeln begrenzt war, und
deren westlichste Ecke ein leicht kenntliches Kap, das ich später
Kap Dalimann nannte, bildete. Da östlich von Kap Dallmann die
Küste tiefere Buchten, die möglicherweise Häfen bieten konnten, zu
haben schien, so steuerten wir darauf zu. Sie erwiesen sich jedoch
nicht als zugftngliche und geschützte Ankerplätze. Eine gegen 4 Uhr
plötzlich aufepringende heftige Brise aus Ost zwang uns, tiefer in
der Bucht Schutz zu suchen, und wir gingen daselbst um 5 Uhr
35 Minuten nachmittags in 8 Faden Sand etwa eine Meile vom Ufer
zu Anker. Dieser Ankerplatz liegt nach Kapitän Dallmann 3** 45'
s. \)Y. und 148° 57' ö. L. Bis zu diesem Punkte verzeichnete ich
fünf Flüsse und neun Siedelungeu, doch kamen uui* au einer Stelle
Kauoes mit Einireborencn ab.
11. Mai. Sclion um 5V2 Ulir kamen Eingeborene (nach und
nach zwölf Kanoes) ab, die uns freiwillig Speisen (Sago, Taro) zum
Geschenk anboten, eine mir durchaus neue Freigebigkeit. Sie zeigten
sich als stille, ruhige Leute, die ttber die Geschenke sehr erfreut,
von eisernen Beilen jedoch noch keine Verwendung zu kennen schienen.
Sie kamen willig an Bord und überreichten mir ein Kokosblatt, in
welches sie einen Knoten schlugen, ein Zeichen, das, wie ich später
wiederholt beobachtete, in diesem Teile von Neu-Guinea als Friedens-
zeichen gilt. Wir gingen früh 8^/4 Uhr weiter. Die Küste erhielt
hier ein verändertes Auschen. Wuhicud von Venus-Poiut bis zu
der Bucht, wo wir ankerten, die ausgedehnteste Flachküste war,
welche ich bis jetzt in Neu-Guiuea gesehen hatte (wenn iuhiud auch
immer etwas Hügelkette), so begann nunmehr von dieser Bucht an
lilugs der Küste oder dieselbe unmittelbar bildend, Hügel- bis Ge-
birgsland, das sich ununterbrochen bis Humboldt -Bai hinzog. Vor,
also östlich von Kap Dallmann, hat die 300—600 Fufs hohe, steil
abfallende, dicht bewaldete Küste drei Einbuchtungen, die indes keine
Anker- oder Hafenplätze bieten. Die Kflste bekommt durch aus-
gedehnte grüne Hänge, die Matten gleichen, durch einzelne H&user
und kleine Kokoshaine ein freundliches, fast zivilisiertes An-
sehen.
Mit dem Passieren von Kap Dallmann sahen wir (rUrville-Insel
vor uns, einen hohen, langgestreckten, dichtbewahleteii Bergrücken,
von keineswegs vulkauartigem Aussehen ; das davor liegende, auschei-
Digitized by Google
— 362 —
neod niedrige, dichtbewaldete Vorland ergab sich als die Insel Gres-
sien der Karte, hier unrichtig verzeichnet.
Westlich von Kap Dallmann bildete die Küste mehrere groDse
Buchten, die von 900—400 Fufs hohen, dichtbewaldeteu Hftgeln
begrenzt wurden, hier und da aber auch Vorland zu besitzen schienen.
Der Wald bestand durchgehends aus Laubbäumen, nicht mehr aus
Kasuarinen. Hinter den üferhüf?eln oder Berj^en erhoben sich an-
sehulich höhere Gebirge, die h\s zu 4000 Fufs reichen mochten.
Um 1 Uhr niUierteu wir uns der Insel Gressien, deren ganze
Westseite eine sanft ansteigende Grastiäche bildet, die herrliches
Weideland für Schafe abfjeben kann.
Um 1 Uhr 50 Minuten waren wir einer kh'inen. dichtbewaldeteu
IIl^el (^feta-Insel von mir genannt) gegenüber, von der westlich eine
Bucht sich öttuet, die wir untersuchten und in der wir um 3 Uhr
in 10 Faden Sand zu Anker Idingen. Dic^c Bucht erwies sich als
ein sehr guter Hafen, den ich Dallmann-Hafen taufte. Er ist im
Osten von Meta-lnsel, im Norden vou üresöien, im Westen durch
die Dallmann-Strasse gebildet.
Die Küste von Sahl-Huk bis Dallmann-Hafen ist sehr beachtens-
wert, da sie schöne, allmählich ansteigende Flachen, zum Teil mit Gras
bedeckt, und bis zu den Gebirgen viel offenes Land besitzt. Ebenso
ist die Insel Gressien mit ihren GrasHächen sehr bemerkenswert.
Kanoes mit Eingeborenen kamen, noch ehe wir zu Anker gingen,
I&ngsseit, und ich bedeutete ihnen, dais ich gleich an Land kommen
wflrde. Ich unternahm daher alsbald eine Landezkursion, hegleitet
von einer grofsen Menge Eingeborener, die mich nach einem grofsen
schönen Dorfe, Rabu, begleiteten und mich hier mit groCser Auf-
merksamkeit und Freundlichkeit behandelten. In der That waren
sie die freundlichsten Eingeborenen, die ich bisher, nicht allein an
diesem Teile der Kttste, sondern in ganz Melanesien angetroffen
habe. Sie bereiteten uns ein Mahl, boten uns Land, Schweine und
U&user an, und wünschten sehr, dafs wir uns hei ihnen niederlassen
möchten. Die erste wirkliche Gastfreundschaft in Melanesien wurde
mir hier zu teil, ohne dafs ich, was sehr beachtenswert ist, zuerst
Geschenke verteilte. Die Laiidexkursion zeigte mir zugleich, dafs
sich hier hübsche Flachen mit Gras und schönem schwarzen Boden
tiiiileii. Die Lreologische Formation besteht, wie ich dies auf allen
Küsteiistrecken von Neu-(5niiiea l)islier gefunden habe, aus gehobenem
ivorallboden (Korallfels), der, in Verwitterung ttberue^jrangen, guten
Boden abgiebt. Die Eingeljorenen waren reichlich mit Lebensmitteln
versehen, besafsen <zut L'optleizte Plantaben und kultivierten u. a.
einen recht passabel scheinendeu Tabak. Sowohl das Land um Dali-
Digitized by Google
— 363 —
manns-Hafeu, wie die Insel Gressieu (Muschu der P'ingeboreneu) mit
ihren schönen Grasfl&chen, scheinen in der That fttr Niederlassungen
sehr geeignet.
12. Mal. Zum grofsen Leidwesen der Eingeborenen, die alles
aufboten, um uns zurückzuhalten, veriielsen wir früh 9 Uhr Dali-
mann-Hafen und gingen durch Dallmann-Strasse. ,Pomone-Poiot*
ist ähnlich wie Kap della Torre, eine flache, mit hohen Kasuarinen
bestandene Ecke, aber nicht mit Sicherlieit auszumachen. Ich nannte
die Küste von Kap della Torre bis zu Pomone-Point, weklie durch
die Sanioa zuerst in ihrer j^anzen Länge (65 Meilen) befahren worden
ist: Hanseniann-Küste. Sie verhlnft in fast gerader Linie; Karto-
graphen und Geographen hatten hier eine tiefe Bai vermutet.
Wegen anhaltenden Begens und dicker Luft, die zum Teil die
Küste verhüllten, gingen wir schon um 10 Uhr 50 Minuten früh an
demselben Tage in 7 Faden, gegenüber der Insel Guap (der östlich
vor «Paris-InseP der Karte als Punkt bezeichneten Insel) zu Anker
und blieben wegen des anhaltend schlechten Wetters daselbst liegen. —
Guap ist reichlich bevölkert, und die Eingeborenen kamen in zahl-
reichen Kanoes ab, um mit uns zu handeln ; sie brachten u. a. schönen
Jams an. Sie füliiten Unmassen von Bögen und Pfeilen mit sich,
betrugen sich aber ganz ruhig und anständig. — Im Laufe des
Nachmittags liörte ich aus einem Kanoe meinen Namen nennen; es
waren darin einige der guten Leute aus dcni Dorfe Rabu, die uns
nachgeeilt waren, um uns nochmals zur Rückkehr aufzufordern.
Auch wollten sie unter allen Umständen mit uns westwärts gehen,
und nur mit Mtthe konnte ich sie freundlich zurückhalten, indem ich
ihnen Rückkehr versprach.
Bei den Eingeborenen heilst: d*Urvill&-Insel Kairu, Gressien-
Insel Muschu, die Insel östlich vor Paris-Insel Guap, die Insel Paris
Aarsau, die Insel westlich hinter Paris-Insel Unei, Sapa-Point Kara- *
wap. An der Südspitze von d'Urville-Insel scheinen viele Plantagen
der t^ingeboreuen zu sein.
13. Mai. Das Wasser, welches gestern tief dunkelgrün gefärbt
war, war heute früh infolge der vielen Regengüsse schmutzig hell-
grün; es müssen also hier herum ebenfalls Flüsse münden. Da hier
eine starke westliche Strömung durch die Strafse zieht, gingen wir
nur mit deren Hülfe weiter, Aarsau-fParisj-Insel ist dicht bewaldet,
ohne Kokospalmen, wenig bevölkert; Unei ist unbewohnt Die Küste
des Hauptlandes besteht aus 600 — 800 Fufs hohen, dicht bewaldeten
Bergzflgen, die alle von Ost nach West streichen, keine Th&ler frei-
lassen, wenig Vorland besitzen und deshalb für Kultur nicht viel
Aussicht zu bieten scheinen. Übrigens geben viele vereinzelte Plan-
Digitized by Google
364 —
ta^^en, wie stets an den steilen Hän*;cii, der Landschaft ein freund-
liches und zivilisiertes Aussehen. Auch ist die Küste gut bevölkert,
denn auf einer Strecke von 10 Meilen zählte ich 8 grofse Dörfer
von je 12—20 Ilausern: doch bemerkte ich nichts von den Ein.se-
borenen, die sich wohl aus Furcht fernhielten. — • Gegen 10 Uhr
erreichten wir eine etwas vorsprinnende bewaldete Hügelwand mit
einem grofsen grünen GrusHeck. die vielleicht Sajia-Point sein kann ;
ein Sapa-Point, wie es auf der Karte eingetragen ist, giebt es nicht!
Weiterhin öffnete sich zwischen den Uferbergen eine weite Thal-
mulde; hier münden brausende, über Felsen, die einem Wehre
gleichen, herabstürzende Gebirgsflüsse ; hohe kerzengerade Baume
versprechen gutes Bauholz. Auch hier folgten verschiedene Uferdörfer
mit kleinen Kokosbainen. Gegen 5 Uhr 5 Minuten etwa 1 Meile
vom Ufer gingen wir in 7 Faden Schlick zu Anker. — Zahlreiche
Eingeborene in zum Teil kolossalen Kanoes kamen längsseit und
brachten schlecht zubereitete Paradiesvögel, sowie Unmassen von
Pfeilen und Bögen zum Tausch. Sie zeichneten sich durch enorme
verfilzte Haartonren, die einer Allongeperrflcke ähnlich waren, ans;
waren übrigens ruhige Leute, die sich an Bord ganz anstftndig
betrugen.
Am 14. Mai brachen wir frOh 8 Uhr 20 Minuten auf. Die
Küste bestand aus dicht bewaldetem Vorland, mit vielen Siedelungen
und Kokosbainen ; hinter diesem Vorland hoben sich dicht bewaldete
Berge und das an 3000 Fufs hohe, ebenfalls dicht bewaldete
Torricelligebirge. Dasselbe hört schon da auf, wo auf d^ Karte
i^Passir-Point" steht; dieser Punkt mit samt dem Riff existiert nicht.
Dieses Vorland verdient Beaclitung, da es das einzige lohnende Kopra-
gebiet an dieser ganzen. ül)rigcns gut besiedelten Küste ist.
Genien 11 Uhr lagen die Sainson-lnsehi vor uns, zwischen denen
noch kein Schiff vor uns durchgefahren ist. d'Urville vei/eichnet
zwischen der Insel Dudemain und Faraguet ein Korallriff. Das-
selbe existirt nicht: dagegen ist anscheinend die Stralse zwischen
Dudenuiin und dem Festlande durch Felsen für Schiffe geschlossen.
Wir fanden, daf^ die durch Uiffe verbundenen Sainson-Iiiseln : Faraguet,
Sainson und die kleine biNlier nameidose. von mir SanslVuici benannte
Insel, einen treIVlichen Hafen bilden, der sehr geschützte Ankerung
bietet, und den ich Berlin-Hafen nannte. Die Strafse zwischen
Sansfouci-Insel und dem Festlande nannte ich Babelsberg-Straüse.
Sansfouci-Insel ist sehr stark, Dudemain mäfsig bevölkert.
Wir gingen östlich um Dudemain und näherten uns wieder der
Festlandsküste bei einer Huk, die ich Guido Kora benannte und die
sich wohl ausmachen lafet. Der Charakter der Küste von Guido
Digitized by Google
— 366 —
Kora-Hnk ist ausgedehntes Waldvorland, Yon bewaldeten Hageln
begraizt« dahinter gleich bewaldete höhere Berge; dieser ganze
Strich, reich an Siedelangen, Kokosbeständen und Flfissen, scheint
sehr beachtenswert. Im Laufe des Nachmittags hdrten Kokospalmen
und Siedelungeii auf, es begannen wieder Kasuarinen den Strand zu
sAumen, hier und da von niedri*2:em Gestrüpp unterbiuclien, über das
man hinwe?? eine ausgedehnte Lagune landeinwärts erblickte, die
erste Erscheinung dieser Art an der ganzen Küste. Diese Lagune
schien sich weit iuland auszinlclincu und wurde von einer Hügelkette
begrenzt, hinter welcher ein höheres Gebirge mit ausehuiicheren,
wohl an 3000 Fufs hohen Kuppen sich erhob. In der Lagune zeigten
sich viele Siedelungen (Pfahldörfer).
Um 6 Uhr 10 Minuten gingen wir in 7 Faden Mud zu Anker.
Die Lotungen an diesem, wie an den vorhergehenden Tagen
haben ergeben, dafs an dieser Kttste auf eine bis zwei Meilen Ent-
fernung überall guter Ankergrund zn finden ist und nirgends
Korallriffe existieren, dafs diese Küste also für Schifife durchaus zu-
gänglich ist.
Am 15. Mai gingen wir 6 Uhr 45 iMinuten weiter. IJie Färbung
des Wassers wechselte wie bisher von hell bis zu dunkelgrün, weil
ausmündende Flüsse mit ihrem Süfswasser noch immer das Meer-
wasser beeintiulstea. Das Vorland der Küste verschwand, die zum
Teil steil abfallenden Uferberge bildeten die Küste selbst, an der sich
hier und da Felssohle (kein Korallfels) zeigte. Die Küste wie die
dahinter liegenden höheren Gebirge, die westwärts an Höhe zu-
nehmen, sind dicht bewaldet. Kein Karan-Biff (12 Meilen lang),
kein Mt-Eyries der Karten t Weiterhin behielt die Küste im wesent^
liehen denselben Charakter; das bewaldete Vorland wie das Vorland
überhaupt hörten auf; es gab keine Siedelungen und keine Kokos-
palmen. Die das Ufer bildenden Hügel waren nicht hoch, etwa
300 bis 500 Fufs, aber dahinter erhoben sich höhere Gebirgsketten.
Wir passierten gegen 2 Uhr 45 Minuten drei kleine Inseln, nahe au
der Küste und eigentlich nur dicht bewaldete Felsen, und erblickten
vor uns ein Kap, einen dichtbewaldeteu, steil abfaUenden Hügel vor
welchem es brandete. Hinter diesem Kap, das ich später Konkordia
nannte, erhob sich in der Ferne ein dicht bewaldeter ansehnlicher
Berg von mehreren tausend Fufs Höhe, der Bougainville, welcher mit
dem Mt-Eyries der Karten identiscb ist. Als wir Kap Konkordia,
an dem ein Riff ausstreckt, passiert hatten, sahen wir eine Ein-
buchtung, die einen guten Hafen versprach. Wir gingen vorsichtig
lotend hinein, fanden allenthalben genügende Tiefe und Helsen 3 Uhr
50 Minuten in 7 Faden Schlick den Anker fallen. — Diese Bucht
Digitized by Gc)
— 366 —
ist ,.1'anse de l attainie" nach d'I'rvilk' oilor Attak-Bni <l(»r Karten.
d'Urville bemerkte 1827 diese Buclit und versuclde hiue.inziigehen,
kam aber nielit dazu, weil 15 Kaiines voll stark bewaffneter Ein-
frol)orenon. bei denen er feiiidlithe Absichten vermutete, es ihm
geratener machten, weiter zu jiehen. Auf diese Weise blieb Attak-
Bai unbesucht und die „Sanioa" war das erste Schiff, welches
hier ankerte. Wir waren bald von zahlreichen Kanoes mit Ein-
geborenen unirin«rt, welche alle Unmassen von Pfeilen, Bögen und
Speeren, auch Kürasse und Schilde führten, doch zeiutoii sie sich als
ganz friedliche Leute, die aufserordentlich auf Tauschhandel erpicht
waren und deren wir uns selbst nach Dunkelheit kaum erwehren
konnten. Angriffs-Bai ist keineswegs eine Bai, sondern ein treff-
licher, geschätzter Hafen, rings von bewaldeten Bergen amgeben
und von Sandstrand mit Kokospalmen umsiMunt. Ich bemerkte keine
Siedelungen, wonach anzunehmen ist, daCs die zahlreichen Ein-
geborenen in einer schmalen Nebenbucht wohnen.
16. Mai. Sdion vor Tagesanbruch umlagerten uns etliche
dreifoig Kanoes, die wie gestern schwer bewi^et waren. Wir
hiewten um 7 Uhr Anker und gingen westlich weiter. — Die Küste
behielt denselben Charakter — dichtbewaldete, steil bis zum Meere
abfallende Berge — bei. Schon um 8 Uhr 20 Minuten sahen wir
die Uferlandschaft wie durch eine Öffnung unterbrochen, die ich als
die Einführt zu Humboldt-Bai erkannte. Im weiteren Verlauf er-
wies sich diese Annahme als richtig, denn nach und nach konnte
man deutlich Point Bonpland, sowie das Cyclopgebirge ausmachen,
während Point Uaillie wegen unklarer Luft nicht deutlich hervor-
kam. — Zunächst hielt jedoch der Kapitän anstatt auf Point Pon-
[iland auf die Küste zu und liefs hier vor der xMündung eines
ziemlich jxrolsen Flussi's, den icli später Sediat roh, nach unserem
ei*sten Steuermann, nannte, nach Ankerunt; suchen. Dieser Flufs
färbte das Meer wieder auf Meilen hin schmutzig? braun und grün,
aber wir kamen seiner Münduni; und dem Ufer ziemlich nahe, ehe
wir fjrci^en 12 Uhr in 7 Faden Schlamm etwa 1* 2 Meilen von der Aus-
mündung des Sechstroh zu Anker gingen, etwa 2^ 'M ' s. P»r. und
141** 2' ö. L. Der neue Flufs ist nicht zugänglich, sondern durch
eine Harre versperrt, /ahlreiche Eingeborene, viel dreister und
zudringlicher als bisher, kamen durch die Brandung und längsseit.
um nut uns zu handeln. Ich bemerke hierbei, dafs auf meine Ver-
anlassung der Manuscliaft das eigene Handeln untersagt wai*. Es
ist dies im Verkehr mit unbekannten Stämmen durchaus notwendig,
weil anderenfall» unter Umstünden für ein kleines Schit!" mit so
geringer Bemannung wie die „Samoa'' führte, der Handelsverkehr
Digitized by Google
— S67 —
verhftngDisToll werden kann. Ich habe stets nur geduldet, dafe eine
beschrankte Anzahl Eingeborener und zwar nur auf Quarterdeck
kam, und habe stets allein mit ihnen verkehrt, eine Mafsregel, die
sich zur Vermeidung von Konflikten und zur Sicherung des
Schiffes als sehr dienlich erwiesen hat.
17. Mai. Wir dampften früh nach Humboldt-Bai hinein, die
ringsum von Bergen nmschlossen, übrigens zu offen ist, um einen
sehr geschützten Hafon zu bilden; auch brandet es au der ganzen
Südostseite st^rk. Wir gingen erst in die östliche Nebenbai, aber
alles schien wie ausgestorben; dann gingen wir nach der lunenbai,
im Nordwesten, wo wir gegen 12 Uhr nahe der Landzunge, weiche
die Binnenbai begrenzt, in 7 Faden Sand zu Anker Jcamen. Aus
dieser Binnenbai kamen zahlreiche Kanoes, je mit 2 bis 10 Ein-
geborenen bemannt, die sich alle sehr zudringlich und frech be-
wiesen nnd alle an Bord kommen wollten. Ich ging mit Kapitän
Dallmann im Whaleboot sogleich in die Binnenbai , wo vier Dörfer
lagen, darunter das durch seineu sog» lünuiteu „Teniiicl" berühmte
Dorf Tobadi. Dieses Dorf ist wie die übrigen in Humboldt-Bai
ein Pfahldorf und zwar das interessanteste und grülhartigste, welches
ich bis jetzt sah. Seine Hauser, vor allem ai)er der an HO Fufs hohe
„Tempel", eigentlich das „Junggesellenhaus", mit vielen Schnit^iereien,
sind wahre Kunstbauten des Alters der Steinzeit! Die Eingeborenen
liefsen mich übrigens ungestört alles ansehen und selbst zeichnen,
und betrugen sich, abgesehen von Taschendiebstfthlen, ganz ordentr
lieh. Ich zahlte in Tobadi im ganzen 31 Hftuser, davon nur 12 grolse,
und kam zu dem Schlnfs, dafs in ganz Humboldt-Bai nicht mehr
als 1500 Bewohner in etwa 11 Dörfern sein mögen. An einem Hause
fand ich mit Rottan befestigt das holländische Wappenschild mit der
Devise: .,Je maintiendrai"; ich bedeutete den Leuten, es auch ferner
gut zu bewachen, indem ich ihnen einige kleine Geschenke gab.
W'ir kamen uegen 4 Uhr nach der „Samoa'' zurück, die von Kauoes
förmlich belagert schien ; nicht weuigcr als 75 mit mindestens
400 Eingeborenen lagen längsseits. Da diese üumboldtianer, die
gern stehlen, sehr zudringlich waren, hatten wir Mühe, sie von Bord
zu halten; so viele ihrer wir über die Schanzkleiduug hinabwarfeu,
80 viele kletterten auf der anderen Seite wieder herauf. Bei der
Masse von Eingeborenen, die alle zugleich »Zsigo" (Eisen) schrieen,
alle zugleich handeln wollten and untereinander in Streit gerieten,
war an Tauschhandel nicht zu denken, wir beschlossen daher,
Humboldt-Bai zu verlasseu und gingen um 4 Uhr 30 Minuten
unter L)ampf und in See, zum grofsen Leidwesen der Eingeborenen,
die uns zum bleiben einluden. Es wftre leicht möglich gewesen, dafs
Digitized by Google
— 368 —
es bei dem drei&ten uud diebischen Wesen der Eiugeboreiieii zu
Kontlikten gekommen wäre, die freilich ein emsiger Schreekscha£s
gelöst haben würde ; ich hielt es aber für besser, dies zu vermeiden.
Die «Samoa'' war das erste Handelsschiff, welches Humboldt-Bai
besuchte; vor uns waren nur fünf Kriegsschiffe hier gewesen, darunter
zuletzt 1875 der „Ghallenger<*.^)
18. Mai. Die Mittu!j;sl)eobachtiiii^< {2^ 29' S. und Ui^ 54' 0.)
zeigte uns, dafs wir seit den letzten 18 Stunden nur 65 Meilen, also
schlechten Fort^ran? gemacht liatten, uud daran knüpfteu sich Ik-
trachtungen über die Rückreise.
Es kam in Frage, ob wir dieselbe direkt nach Mioko antreten,
oder ob wir nicht auch das noch fehlende Stflck Kflste von Venns-
Point bis Kap Groissilles befahren und naher untersuchen sollten.
Ungeachtet der gegen letztere Fahrt aus der Geringheit des Kohlen-
vorrats entnommenen Bedenken entschlossen wir nns dazu und sind
durch den Erfolg belohnt worden. Wir sichteten am 19. Mai d"Urville-
Insel, am 19. und 20. die übrigen Inseln der Schoutengruppe.
Südlieli von Jacquinot kamen wir wieder in scharf abgesetzt grünes
Wasser, das jedoch keine Besorgnis mehr erweckte. Rlosscville-
lusel, ein steiler etwa KXX) — 1200 Fufs hoher bewaldeter alter Krater,
zeichnet sich durch viele grofse uud schone Plantagen und dadurch
aus, dafs am Rande des Kraters in 800 — 1000 Fofs Höhe grofse,
hübsche Dörfer stehen. — Das grttne Wasser ging nach und nach m
schmutziges über, und vor Lesson-Insel kamen wir in den Haupt-
ansflufs des Kaiserin Augusta-Flufses, dessen lehmfarbenes Wasser
sich sonach an 15 Meilen und weiter von der Küste kenntlich macht
Letztere war gegen Abend ebenfalls, wenn auch ziemlich verschwom-
uicn, zu sehen.
Am 21. Mai früh Ix'faiulen wir uns zwischen Vulkan- und Aris-
Insel. Die letztere ist niclits als ein toter Kraterrand. Vulkan-Insel
dagegen ist eine heiTliche iusel mit eiuem 4üü0— ÖOOO Fufs hohen
Die Humboldt-Bai wurde zuerst, 1858, von dem uiederläudischen Kriegs-
dampfer .Etna" besacbt (veigL Finsch, Nea^Qninea, S. 1S2), feraer im Oktober 1870
von dem niederlftadtBchen Uinister-RMidenten van der Cndi mit dem Begierangs-
dampfer «Dassoon*, im Mai 1874 von dem englischen KapitBn Moresbj mit dem
.Basilisk", im Februar 1875 vom aChaUenger" auf sdner Weltumsegelung, im
Dezember desselben Jahres von dem niederländischen Kriegsdarapfcr ,Soeia-
baja" mit dem itAÜenischen Naturforscher Beccari, im Juni 1878 wiederum vom
Kriogsdampfer ^Etna" mit dem brkamiten Forscher Roseuberg, im Mfirz IHSl
vom niederläudischen Kriegsdampfer .Uatavia" mit Kontrolleur van OUlonborgh.
endlich im Se[)tember durch den Regißrungsdampfer -Sing Tjiu" mit d^m
Besidenten Morris. Auch Powell besuchte nach seinen Berichten auf den zu
Eingang dieses Artikeh envfthnten Reisen die Humboldt-Bai. D. Bed.
Digitized by Google
369 —
imposanten Pik, aas dessen Spitze Rftach aufstieg. Auch hörten wir
anterirdisches Getöse und Donner. Die Insel ist bewohnt, der Berg
bis anf etwa drei Fünftel seiner Höhe bewaldet^ doch nicht sehr dicht;
an der Sfldseite läuft er in ausgedehnte sanfte Flftchen und Ebenen
mit Gras und Plantagen ans. Allem Anschein nach bietet die Insel
ausßfedehntes, sehr fruchtbares Kulturland. Mit Häfen dagegen scheint
es nicht gut bestellt.
d'Urville, welcher 1828 Humboldt -Bai sichtete, jedoch nicht
hineinging, dann ostwärts aufserhalb der Schouten-Inseln segelte, fuhr
zwischen Vulkan-Insel und dem Festlande durch und von hier bis
Kap Croisilles der Jüiste entlang, aber viel weiter von derselben
entfernt als wir.
Wir passierten gegen 9 Uhr die Bucht mitLaing-Insel, Flachland,
das sieh bis Venus-Point zu erstrecken scheüit Weiter ostwärts
beginnt HQgelhind, das je weiter um so lieblicher whrd, und sich
bis hinter die Legoarant-Inseln erstreckt. Es gehört mit zu dem
schönsten, das ich in Nen-Gninea sah, und dürfte als Weide- und
Kulturland ganz ausgezeichnet sein. Im wesentlichen ist der Charakter
dieses grünen Hügellandes loluender: auf einen dichtbewaldeten
Uferstreif folgt weiter inland, mit vielen grünen sanften Hangen, eine
bewaldete Hügelkette, die weiter Östlich höher wird (300 — 400 Fufs)
und zuweilen bis ans Ufer tritt. Das letztere verlauft in sanften
Buchtungen, welche biedelungen mitKokoshainen und an den Bergen
Plantagen zeigen. Diese Dörfer dehnen sich zuweilen zu dem stattlichen
Umfang von 20 und mehr Häusern aus. £he wir die Lagoarant-
Inseln erreichten, was gegen 12 Uhr geschah, &nden wir zwei ganz
Ähnliche, kleine neue Inseln (Nielsen-Inseln) und zfthlten an der Kttste
bis hierher nach und nach neun Dörfer. Die Buchtungen scheinen
übrigens nicht ganz riffirei; doch ist die Schiffahrt überall ungehindert
und bietet keine Schwierigkeiten. Im Laufe des Nachmittags sahen
wir eine BuchLuug mit zwei Inseln, welche in Verbindung mit KiÜen
einen hübschen kleinen Hafen bilden, Hatzfeldt-Haten, in den wir
3 Uhr 25 Minuten in 9 Faden Sehlick zu Anker gingen. Der Hafen
liegt nach Kapitän Dallmanns Angaben unter 4P 24' südl. Br.,
145° 9' östl. L.
Ich unternahm gleich eine Landexkursion. Das Land bietet
viel Sandboden, aber auch ausgedehntes Grasland mit Plantagen der
Eingeborenen, die weiter östlich vom Hafen ein grölseres Dorf
haben. Auch münden wie überall an der Küste kleine Flüsse nnd
Badie. Der Hafen bietet bis nahe ans Ufer trefflichen Ankergrund.
Die Eingeborenen zeigten sich durchaus f^reundlich nnd wollten das
Boot festhalten, nur um uns am weggehen zu hindern.
Ueogr. Blitter. Bremeu. 1886. 26
Digitized by Google
— 370 —
23. Mai. Wir verliefsen Hatzfeldt- Hafen früh 6 Uhr 25 Minuten.
Die grüuen Hügel höreu hier auf uud an deren Stelle treten"^dichtr
bewaldete höhere üferberge, hinter welchen weiter ioland sich eine
3000—4000 Fufä hohe Gebirgskette erhebt. Etwas (tatiich tod
Hatzfeldt-Hafen springt eine Ecke, Samoa-Hok, Tor, mit der wieder
grüoe Grasuferberge beginnen, die sich bis Kap Goardon, das aas
einem sanft ansteigenden (400—600 Fnfs) hoben GrashOgd besteht,
fortsetzen. Eine heftige steife Brise ans Südost liefs uns nur sehr
langsam vorwärts kommen. Franklin- Bai. die nunmehr vor uns
lag, dringt keineswegs so tief ein, wie in der Karte angegeben ist
sondern ist iranz sanft gebiulitet. Mit ihr verschwinden die gi'ünen
Grushüuel mehr; es treten niedrigere an die Reihe, die dichter
bewaldet sind, aber inuner noch einzelne grüne Flecke zeigen. Längs
des Strandes kommen noch einzelne Dörfer und Kokoshaine zum
Vorschein, aber das Land in Franklin-Bai erscheint bei weitem
nicht so schön wie das zwischen Samoa-Huk und Kap Goardon. Die
Bucht zeigte viel hellblaues, aber klares Wasser, Yon dem nnans-
gemacht blieb, ob es von Flössen oder von Riffen herrOhrte. —
Weiter ostwärts verliert die Küste noch mehr von ihrem Ansehen;
von Neptunkap an sind Siedelungen und Kokospalmen kaum mehr
sichtbar. Das Ufer besteht aus dichtbewaldelen Bergen, hinter
denen sich zuweilen noch die Hochgebirgskette weiter im Innern
erkennen läfst. Längs der Küste scheint ein sclnnaler Riffstreif zu
liegen. Wir waren in der Nacht sehr langsam vorwärts gekommen,
erreichten aber doch vor 6 Uhr früh am 24. Mai Kap Croisilles
und gingen gegen 10V2 Uhr in Friedrich Wilhelm-Hafen zu Anker.
Die auf der Karte mit „extensive plains" bezeichneten Ebenen
existieren nicht; Juno-Point der Karte ist eine Insel, bei welcher
sich mutmafslich die Einfahrt zu einem bisher noch anbekannten
Hafen findet Von hier bis Friedrich Wilhelm-Hafen zieht sich an-
unterbrochen eine Reihe von Inseln hin, die von weitem wie Koste
aussehen. Ehe wir in den Hafen einfuhren, hatten wir das Gltlck,
die höcii.^ten bpitzen der von uns entdeckten Bismarckkette für
kurze Zeit zu erblicken. Dieses gewaltige Gebirge muls weit im
Innern lie.L^en und ist nur höchst selten zu sehen.
Jvaum waren wir zu Anker gegangen, als die Eingeborenen in
ihr(Mi Kanoes ankamen und mich wie einen alten i?reund willkommen
hiefsen. Ich liefs gleich das Boot klar machen und begab mich
nach den Inseln BUia und Tiar, wo ich überall sehr freundlich, und
man kann sagen, fast mit Herzlichkeit aufgenommen wurde.
Mein Freund Knram auf Bilia hatte die am 20. Oktobor
aufgezogene Flagge sorgfältig verwahrt in dem sogenannteD
Digitized by Google
— 371 —
„Tempel", der aber kein Tempel, sondern das »Junggesellen-
haus** ist.^«)
24. Mai. Schon vor Tagesanbruch waren zahlreiche Kanoes
der Eingeborenen langseit, die sich lebhaft nadi allem erkundi^n,
Yor allem: „Wann ich das Panu (Dorf) bauen werde Ich ver-
tröstete sie und ging, von ihren Segeuswiinschen begleitet, 8 ühr
45 Minuten früh aus dem Hafen. Der ganze Hafen ist von an-
scheinend (lichtem Urwald umgehen, aber nicht weit inland erhebt
sich eine 1200 bis 1500 Fufs holie Bergkette mit vielen und
greisen Plantagen der EiDgeborenen uud mehreren sehr hervor-
ragenden Kuppen und Spitzen, unter denen der „Hansemannberg**
besonders in die Augen fallt. — Nach einem kurzen Besuche auf
der Insel Bilibili, die sehr gut bevölkert ist, und wo ich sehr gut
aufgenommen wurde, gingen wir 2 Uhr 15 Minuten mittags in
Konstantin-Hafen zu Anker; die alten Flreunde Saul, Jago u. s. w.
fanden sich alsbajd ein und bewillkommneten uns herzlich. Ich
ging sogleich mit ihnen an Land, besuchte unser Grundstück, auf
welchem unser Haus mit den Steinkohlen in gutem Stande sich
vorfand, und ging dann nach den Dörfern Korendu Maua und Bongu,
wo alle sich freuten, mich wieder zu sehen.
G^gen ö Uhr 30 Minuten an Bord zurückgekehrt, lichteten wir
Anker und traten die Heimreise an. Da das Schiff nur noch wenige
Kohlen an Bord hatte, und daher zu leicht beladen war, so hatten
wir, namentlich in der Nacht zum 25. Mai und an diesem Tage
schwer gegen die See und den Südost anzukämpfen, ja zuweilen
war das Schiff kaum steuerfahig. Dennoch erreichten wir am Nach-
mittag des 28. Mai wohlbehalten Mioko.
Die auf dieser Reise zurückgelegte üntieriiung beträgt
1510 Meilen, davon längs der Küste;
von Konstantin-Hafen bis Brokenwater-Bai ISO Mellen,
von Brokenwater-Bai bis Humboldt-Bai 255 „
zusammen 385 Seemeilen oder 96 geographische Meilen.
Die Witterungsverhaltuisse auf dieser Reise waren nach den
mitgeteilten Reob;\clitungstabellen der Art, dafs das Tagesmittel der
Temperatur zwischen 2.") und 29^ C. betrug, die Temperatur von 27®
war die häufigste. In der Windrichtung herrschte der Südost vor.
An zen Tagen wurde fiegen, an vier Tagen Gewitter verzeichnet.
**) Diese Benenmuig kommt einem Qebftade sOi in welchem Knaben nnd
JQBglinge bb mm 20. Lebensjahre zusammen wohnen nnd in welches Weiber
ud If Sdohen keinen ZatrlH haben.
26«
Digitized by Google
— a72 —
Vermutlich werden noch weitere Mitteilungen über die von der
Kea-Guinea-Kompagnie veranstalteten Kfistenreisen folgen.
Ferner möchten wir daran erinnern, dafs wahrscheinlich schon
jetzt mehrere Forschungsexpeditionen ins Innere unterwegs sind. Die
Berichte derselben werden uns durchweg Neues bringen.
Kleinere Mitteilungen.
§ Ans der geographischen Gesellschaft in Bremen. Die Bestimmung und
Verteilung der durch die Herren Dr. Krause mitgebrachteü naturwibsen-
schaftliohen Sammlangen nähert sich dem Abeehlnsse. Bezüglich der
Botanik schrieb schon an 9» Juni unser ICitgliedi Herr Professor F. KnrtSy mis
Cördoba (Argentinien) an den Vorstand miserer Gesellschaft folgendes: ,Bei
meiner Abreise aus Europa (den 10. Angnst 1884) war die Bestimmung der Pflaosea
bis auf dit Gräser und Cyperaceen fertig. Im beiden ziemlich schwierigen
Familien hiibe ich hier (ilic Litteratur nahm ich mit) provisorisch bestimmt
und F.xomplare jeder Art ;m Herrn John Macona, Government Botanist of
Canada — augonltlicklich wohl der besto Kr-nner der nordischen Flora Nord-
amerikas— zur llevision geschickt. Sobald cies.sen Destimmnngen hier eintrefi'eü,
kann ich das bo weit fertige systematische Manuskript vollenden und die all-
gomeiuereu Kesultaie der Expedition Krause < — in botanischer Beziehung — >
niederschreiben. Die ,Plantae Eranseanae' werden 5—7 Drockbogen umfassen
und in der Zeitschrift der Berliner botanischen Gesellschaft veröffentlicht werden.
Mit dem Mannskript sngleich sende ich die absugebenden Herbarien^ die ich
alle selbst etikettiert habe, zur Verteilnng an verschiedene Museen. Ich hoHs,
dafs die Sache mit Ende des Jahres erledigt sein wird. Eine Cbersicht der sa
▼erwertenden Herbarien werde ich Ihnen binnen kurzem schicken können.*
Die Arbeit des Herrn Dr. Artliur Krause über die Mollusken des Berings-
Meeres ist vollendet und wird, wie uns der Verfasser mitteilt, demnächst im
Druck erscheinen. Von dem bearbeiteten Material wurde, den getroffenen Ver-
abredungen geuuifs, ein Exemplar dem Königlichen zoologischen Museum iu
Berlin, ein zweites der Smithsonian Institution überwiesen; über den Best der
Sammlang wird demnfichst verfügt werden.
Das fleilsige Werk unseres Mitgliedes, des Herrn Dr. Aurel Eranse, IU>er
die Tlinkit-Indianer, findet, wie nns Besprechungen desselben in FachwitBchriflen
des In- und Auslandes seigen, allgemeine Anerkennung. So s. B. schlieGit ein
etwa IVa Seiten langes Jteferat, welches das 4. Heft der von Yirehow heraos-
gegebenen Zeitschrift für Ethnologie bringt, mit folgenden Worten: ^Das
vortrefllichc Buch kann daher im besten Sinne des Wortes als ein wissenschaft-
liches bezeichnet werden. Es ist eine Zierde unserer neueren, so reichen ethnologischen
Litteratur und es wird gewifs auf lange hinaus als ein wichtiges Qaellenwerk
benutzt werden.*
Auch in diesf m Winter veranstaltet unsere Gesellschaft Vorträge. Der
Kreis des Au<litorinms ist dadurch erweitert, dafs der Vorstand des deutschen
ILolonialvereins, Abteilung Bremen, sich mit dem Vorstande unserer Gesellschaft
SU diesem Zweck veroinigt hat und nunmehr Mitglieder und Freunde beider
Digitized by Google
— 373 —
Vdreine teilnehmen. Der erste dieser Vorträge fand am 17. November vor einem
mtr zahlreichen Kreise im kleinen Unionj^saalo stuft; Herr Dr. Karl Peters
aas Berlin spru( }v über «Ii»' K olonisal lonsbcst rebungon der dmtsch-
ostu f r i k a Iii s (• Iif n tiesellschat't, über soino Ende vorifren .laliros ausgeführte
Reise, auf welcher er das jetzt der Gesellschaft gohöreiide Gebiet in Ostnfrika
erworben hat aud über die wirtschaftliche Verwertung dieses neuen deutschen
KoloniallandQs.
Über die Beteiligung unseres Mitgliedes, des Herrn Regi«a-ungs- und
SchnliatB Diercke in Oänabrfick, an der Bearbeitung der Festschrift zur
SOjibrigen Jubelfeier des ProTinsial-Landwirtschafts- Vereins an Bremerrörde
referieren vir an anderer Stelle.
Unser Mitglied, HerrL. Halenbeek, bat eine Exknrsionskarte der Um-
gegend von Vegesack bearbeitet; aach über diese wird unter „Litteratnr* bericbtet.
§ Polarregioiien. Der von der englischen Bepiernni: zn einer Befahrnng
der Hudsons- Bai an Canada überlassene Dampfer .Alort" kehrte am
18. Oktober nach Halifax zurück. Als Ergebnis dieser Heise wird hingestellt,
dafs die Hadsons-Bai in der Zeit vom Jnli bis Oktober f&r eigens dazu einge-
richtete nnd ansgerfistete Fahrzeuge schüfbar sei nnd dab sich ftlso diese Ronte
Ton Europa nach dem Nordwesten Amerikas eigne. Schon vor 7 Jahren tauchte
der Plan auf, sommerliche Dampferfahrten Ton Liverpool nach der Hndsons-Bid
zu unternehmen, derselbe kam jedoch nicht zur Ausführung und auch jetzt wird
das damit verbundene Risiko der Beschidigang der Fahrseuge und ihrer wert-
vollen Ladung durch Eis von der weiteren Verfolgung eines solchen Planes ab-
halten. Für die Meteorologie der Hudsonp-Bai sind dadurch wertvolle Besnltate
erzielt, da^ nn verschiedenen Punkten der K^^^•f^• Üiuljiu litungsstationen errichtet
wurden, an denen ein Jahr hindurch Observalioneji angestellt worden sind. Die
Stationen sind jetzt vorläufig wieder aufgehoben und hatD. .Alert^ das Personal
derselben mit surftckgebracht. Ober die Fischereien der Hudsons-Bai er&bren
wir Nftheres aus einem uns Torliegenden Bericht, welcher von dem Anfsichts-
beamten dieser Fischereien erstattet wurde und in dem Jahresbericht des
Fisehereidepartements von Canada fikr IHS.j einen Platz gefunden hat Der
Berichterstatter, Commander Gordon, befiiln f (lewässer der Bai allsommerlich
nach verschiedenen Richtungen mit dem Dampfer ^Neptun*. Die Fischerei wird
teils von S( liiffen ans Massachusetts und Connectictit, tell^ von der Hudsons-Bai-
Kompa;_'nie l)i, tiie])cn. Die Amerikaner beschäftigen sich ausschliefslieh mit dem
^Valtang und /war ist nach dem Bericht das Geschäft ein sehr einträgliches,
da in der IIudsuns-Hui, ungleich so vielen anderen Folargewässern, die Polarwale
noch sehr zahlreich vorkommen. Die amerikanischen Walfischfanger ptiegon im
Juli ans ihren Heimatshftfen in Massachusetts und Connecticut auszugehen und
wintern bei Marble Island, an der Nordwestktlste der Bai. Im Juni des folgenden
Jahres sfigen sie ihre Schiffe aus dem Eise und gehen nach den Fischgrfinden
der Bai, die in einem Rows Welcome genannten Teile derselben liegen. Jeden
Sommer werden nngefähr 10 Wale getddtet, die einen Wert von 4ü(K){) Dollar
darstellen. Die Hudsons-Bai-Komparrnie betreibt, hauptsächlich bei Churchill
nnd in der Ungava-Pai, den Weii'swaltang, der bei ablaufendem Was-^ser in Buchten
mit Netzen geschieht und ebenfalls sehr eint niL'üf Ii ist. Jeder Weilswal ist
KX) Dollar wert. Der Thran wird unmittelbar na( h dem Fange an der Küste in
. eigenen Bremiureieu ausgekocht Der Walrofsfang schlügt auch nie fehl, er wird
Digitized by Google
— 374 —
mit fSlupoii bei Marblc Island betrieben und liefert jährlich TCKX) Dollar. Endlu h
IsSßt die Kompagnie iu dou Mündangen der Flüsse Lachse oud Luchäiürelleu
fischen. HMh dem Berielii stnd dieFisdieieieii derHndmna-Bai noch einer eehr
hedentenden Anidehnong llhig.
Nachträglich sei noch znr Frage der Scfaiffbarkeit d« r Hadaons-Bai ge-
meldet, dafs ein der Hadsons-Bai-Kompagnie gehörendes Schiff bei Moose Factory
auf Grund geriet und ein Wrack geworden ist. Ob und was von der einen Wert
Ton 1 Million Dollar angeblich darstelleudcn Ladaug geborgen wurde, darüber
wird nichts berichtet.
— Von Herrn Carl H. Kyder, Prexnierleutnant in der Köuigl. dänischen
Kriegsmarine und Teilnehmer der dänischen Forschungsexpeditiou in
Slidwestgrönland, erhielten wir folgende vorläufige Nachrichten tkher den
Verlauf dieser Expedition: Igdlorfik hei Sakkertoppen, S&dgrönland, Juni 1886.
Wie Sie wissen, reiste die unter der Führung des Premierleutnants Jensen
stehende Expedition mit der Bark ^Thorwaldsen* des „(üöiihindischen Handels-
am 21. März d. J. von Kopenhagen ab und kam nach einer leidlich schnellen
Keisf tun 26. April in Gudthaab au. In diesem Zeitraum waren auf dem
Atlaulischen Ocean stürmische östliche Winde durchaus vorherrscliend. In der
HOndung der Davis-StraTse swischen 68« U' n. Br., 88* 40' w. L. und 69» 10'
n. Br., 60* 34' w. L. trieben wir vor einem schweren Sturm ans Ost (mifoweisend).
Mit Ausnahme vereinaelter Eisfelder begegneten wir aof der Reise keiner Spur
von Eis. Der Winter war in Sudgrönlaud im ganzen milde gewesen, jedoch
halte sich von März an in den Fjorden und zwischen den Inseln unter dem
Einflnssp von vielen Windstillen schweres Eis gebildet, welches den Fang der
Grünländer erheblich behinderte, so dafs einige sogar sich genötigt sahen, nach
anderen Orlen m nehen, wo die Strömung die Eisbildung verhindert Nach
einigem Anfenthtlt in Godthaab ging das SchüT weiter nordw&rts nach 8akker>
toppen, wo es am 9. Mai ankam. Hier ging die Expedition von Bord. Die
Vorbereitungen zu der Reise, d. h. die Beschaffung eines Wciborboots u. a.,
sowie schlechtes Wetter mit heftiu'etn Schnoi fnll bewirkten, dafs die Exi?rdition
erst am 2ü. Mai zu ihrer Fahrt aufljrechen konnte. Mit einem Weiberboot und
2 Kajaks gingen wir nach Norden, um eine Verbindung zwischen der vorjährigen
und der diesjährigen Aufnahme zu bewerkstelligen. Es gl&ckte nns nicht ganz
bis zum Ende in die Fjorde einsodringen, da das Wintereis noch bis weit hinaus
fest lag. Nur in einem der Fjorde, dem »BwigkeitsQord* (grOnlftndisch
«Kangerdluarsuatsiak'), beinahe östlich von der Anslicgerstelle Kangamiut, gelang
es 6 — 8 Meilen hincinzudringen. Es ist ein interessanter Fjord zu bereisen. Er
charakterisiert sich durch hohe steile Bergwände mit einer Menge in d^n Fjord
mündenden Glefh ljern. (Leutnaut Jensen, der im vorigen Jahre bis zum Ende
der Fjordes, etwa 12 Meilen von der Mündung vordrang, zählte deren 42.) Wir
verharrt«! nnn hier in der llihe und bis su den änfseren Inseln, womof wir
wieder nach Sftden, nach Snkkertoppen, snrAckkehrten.
Ans Alaska. Die ^Science'' vom 23. Oktober bringt wichtige Nachrichten
über Forschungen in Alaska. Leutnant Allen, der Führer einer militärischen
Expedition, welche das Quellgebiet des Atnah- oder Kupfer-Flusses erforschen
sollte, ist am 12. Oktober mit dem Kutter „Corwin" nach San Franzisco zurück-
gekehrt Er hat die von Iieatnant Abercrombie vergeblich vetsnehte Angabe
gelöst nnd ist ans dem Qaellgebiet des Atnah in das des Tananah übergegangen,
welchen letzteren Flnfs er bis in seiner Mfindnng in den Tnkon verfolgte. Weiter
Digitized by Google
— 37Ö —
ging die Expedition den Yukou abwärts bis zur See. Da ein nicht unbeträclit-
licli«r Teil der ganzen Route darch bisher völlig anerforschtes oder docli nur
waaig bdcMinteft Gebiet führte, darf man auf n&here Nachrichten gespannt sein.
Die Toijihiigen Üntersachniigen der in die Hotham-Bneht sich ergielaendeii
Flüsse, des Kowak und des Inland, Nunatok Oiler Noatok- Flusses wurden dimsh
Leutnant Cantwell und Ingenieur McLenegan erfolgreich fortgesetzt;
Leutnant Stoney hat seine Vorbereitungen zu der von ihm beabsichtigteu Über-
winterung im Innern der Hotham-Bucht getioff. n. Di'r>' lb(jn Nummer t ntnt bmeu
wir, dafs der diesjährige Wal tisch fang, ebenso wie die Pelxroijüen- und Secotter-
jagd sehr erfolgreich gewesen sind; den Walfang betrieben 40 Segler and drei
Dampfer, der Fang betrog 126 Wale. Ans Kadiak wird auch Ton einer gnten
Kartoffel- und Gemüseernte berichtet. — Der Yalkan St Aagastin im Cooks Inlet
entsendet noch immer Raucli un*! D.mipf aus zalilr« i( hcn Spalten. — An der
Montague-Insel im Prinz Wilholm-.Sund, ist ein .SduiTsrest aufgetischt word -n,
der wie einige ifl einer Büchse euthaltcue chinesische Münzen ergeben, von
der asiaiischeu Küste stammte.
Yon den Goldminen im südöstlichen Alaska soll namentlich die Tradwell-
oder Faris-Mine «inen bedeutenden Ertrag gegeben haben. Nach Errichtung
einer neuen Stampfmühle wurden 95000 $ Gold als Eigebnia der ersten 25 Tage
Arbeit nach Süden gesandt Dieser Erfolg hat auch aar Wiederaafnalime der
Arbeiten an den Sitka-Minen geführt, welche iwar weniger ausgedehnt aber
viel reicher sein sollen.
Die Nummer der ^Science" vom 3Ü. Oktober enthält einige weitere Mit-
teilungen über die Allensche Expedition. Danach ging Allen den westlichen
Arm des Kupfer-Flusses anfwärte; der Östliche kaum minder starke soll
angeblich seinen Unprung in der Nähe des Lynnkanals haben. Der Flub wird
als anCserordentlich reifsend geschildert; von Mineraüien wurden Kupfer, Silber
und Spuren von Gold gefunden.
Auch über die oben erwähnte Erforschung dos Kowak-FIusses durch
Leutnant Cantwell und des Noatok durch McLenegan werden einige nähere,
Angaben gemacht — Mr. Woolfe, der bekannte Korrespondent des ,New-York
Herald" und Reisegefährte Jacobsena im Jahre 1882, hat, wie mitgeteilt wird,
die Küste Ton Kap Lisbume bis Hotham Inlet, namentlich behu& ethnogn^hlscher
Forschungen bereist Als Ergebnis seiner Beobachtungen gedenkt er eine Karte
zusammenzustellen, w elche die Küstenstrecke von Point BarrowbisKap Krusenstem
(am Eingange dts Nurton-Sunde.s) darstellt Woolfe hat auch bt-kannten
Koliknlager zwischen Kap Lisburne und Icy Cape besucht und will ausgedehnte
neue Lagerstitteu der vorzüglichsten Steinkohle entdeckt haben. A. IL
In einer Adresse au die anthropologische Sektion der American Association
for the advanoemtatof Science hat unser korrespondierendes Uit|^, Herr Prof. W.
H. D all als ViceprSsident der genannten Gesellschaft, eine neue Übersicht über die
Verbreitung der eingeborenen Stämme in Alaska gegeben, in
welcher er besonders die Ergebnisse der in den leteten Jahren gemachten
Forschungsreisen bcrücksichti'_'t. Neben Dalls eigenen Uutersuchmiijon und
denen anderer amerikanischer torscher finden auch die Arbeiten auswärtiger
Expeditionen, namentlich derjenigen Nordenskjölds und der von unserer
Gseellschaftins Werk gesefasteit der Gebrüder Krause ToUe Berüeksicbtigung und
Anerkennung. Doch war das jüngst erschienene Werk von Aurel Krause, welches
die unter den Zinkit gemachten ethnographisdten Wahmehmungon lusammen-
fafst, noch nicht in die Hände Dells gelangt
Digitized by Google
Vom Congo. Unser korrespondierendes Mitglied, Herr R. C. Phillips,
schreibt uns aus Banana, den 10. Oktober, fol{2;endes:
,Wir befinden uns gegenwärtig nominell unter dir Regierung des Königs
der Belgier; allein kein einziger Eingeborener läfst sich anrh nur einen
Augenblick tränmen, ddSs er mit einer anderen Macht als der seines Ort&häaptUngs
zu thnn hat, die Antoritfit des «nnabhäugigeu Staates* kann sieh aach nielit
einmal in den nlchsten, geschweige in den entfernter gelegenen Doribebaftea
gehend machen. Bis so weit war der wichtigste Akt der nenen Begieniag das
Verbot des Verkaufs von Perknssionsgewehren, Hinterladerwaffen und MnnitioB
für solche und zwar bei einer Strafe von 25 ()(X) Frks. Leider haben übereifrige
Opponenten der Regierung dieses Verbot als überhaupt gegen Feuerwaffen
gerichtet niifsverstanden; dies trifft nicht zu. Die belgische Partei, die Trägerin
des ^unabliüngigen Staates", hat bisher das Monopol der Verbreitung unwahrer
Berichte ül)er dcvssen Aktion gehabt und ich bedaure sehr, dafs ihre Gegner za
schlechten Mitteln, um ein Odiuiu auf sie zu werfen, greifen mufsten. Doch
allmählich nimmt die öffentliche Meinung wieder einen gesunden Ton an, wenn
man auch freilich sagen mnl% dafo es an spät ist, den Yor nenn Monaten hasUg
geftllten Sprach nnurostünen. Der Terstorbene Dr. Q. Naehtigal war meines
Wissens von seiner Begiemng mit der Erwerbung von Schnfigehieten som
Zweck der Kolonisation beauftragt; in dieser Stellung durfte er das Auftreten
der internationalen Association nicht öffentlich mifsbilligeni aber aus Privat»
gesprochen, die ich mit ihm hatte, weifs ich, dafs er die ganze Sache als einen
rit -ip-en llumbug ansah, wie wir es auch thun, Ganz in demselben Sinne lautete
<lri Au ^i>ruch des Herrn Tisdel, Komraissär.s der Vereinigten Staaten, und ich
beliaupte, jeder, der Gelegenheit hat, die Dinge hier an Ort und Stelle zu sehen,
wird ebenso urteilen. Die einzigen gebildeten Engländer, welche noch bis jetzt
hier waren, Oberst J. de Winton und Major Parminter, rüsten sich zur Abreise
und das nächste wird also eine rein belgische Begierang sein. Wir denken nvn
so: wenn der König dnrch einihches Dekret den Handel mit gewissen Feaer^
Waffen bei einer Strafe Ton 25000 Frks. rerbieten kann, wo hört da seine
Macht auf? Ist es nicht Despotismna, wenn wir zur Zahlung Ton Steuern in
beliebiger Höhe, zum Ertragen von Belästigungen aller Art, zum Dulden jeder
Einmischung in die Kaufs- und Verkaufsgeschäfte «irzwun^en werden können,
ohne auch nur eine Stimme dabei zu habeuy Wir Kaiiriiuio hier fürchten die
Büchsen und Gewehre der Eingeborenen nicht, weil diese uns brauchen, wohl
aber fürchten die Usurpatoren Wicdervergeltung der zahlreichen Angriffe, die
sie auf die wahren Eigentümer des Landes gemacht haben.
In Pontu da Lenha, wo ich mich bis vor kurzem aufhielt, hat niemand
gewagt, König Leopold zu proklamieren, auch werden die Eingeborenen es
nicht dulden, dafo irgend eine fremde Macht unter ihnen Autoritfit ausübe. Ich
möchte hier doch an die eigentümliche Weise erinnern, wie hier die Froklsr
mation erfolgte. Die Association wulste wohl, dafo keiner der Htairtlinge sich
auf ihre Einladung einfinden wdrde, sie forderte daher die europaischen Kauf-
leutc auf, die Häuptlinge herzurufen; dabei wurde zugleich aii;,'( i1entct. dafs die
Sache schon in Berlin abgemacht sei, weshalb Opposition keine gute Fol^'cn
haben werde. Meine Antwort würde gelautet haben: Die Konfcren?: <;iebt emh
die Erlaubni.s, dies Land zu okkupieren; thut das :ilso. und wenn es gesclichen,
will ich anerkennen, dafs ihr es gethan habt; abrr hii Scheinproklamation^n
will ich nicht dabei sein. Die Häuptlinge, acht oder zehn, wurden in das
Qebftnde der Association eingelassen, wo sie etwa 50 bewaffnete Haussamiauer,
Digitized by Google
377
bereit nach Befehl TOixagebeii, firnden; ein kaCboUseher Priester sagte den
Hinptlingen in ihrer Sprache, dab König Leopold jetzt hier König sei, aber er
wfirde sie ungestört lassen, wenn sie nicht Krieg öder Unmhen stifteten.
,Yexateht ihr das?" sagte der Ridre. .Ja'' war dio Antwort der Scliwaraen.
j,Nnn, dann ist hier etwas Rnm nnd Zeug für euch und ihr könnt nach Hause
gohcn!-* Dies war der Vorgang bei der rroklaniatioii. (]och hnho ich noch eines
wcilsoii Mannes Erwäliimng zu thun, der angctiian ini^ rimMn Seidongouand und
einein aufrrokremptcn Hut auf einem mit einem Löwi iiii 11 bedockten Stuhl dabei
saXs, der arme Manu, er that sciu Bestes unter den üniständen.
Die Aflsodation Terachiflle mit dem letzten Postdampfer ein Quantum
Elfenbein, das fftr ne in Stanley Pool dnrch Kapitän Sanlez gekauft war; ich
erwtUine dies nnr, weil immer hervorgehoben wird: die Association treibe
k«ne Handelsgeachifte.
Das alter ego der Association, das anonyme bt l<j;ische Handelshaas, macht
allerdings znr Zeit keine Geschäfte, ans dem anf der Hand liogondm Grunde,
weil es von der Association die Erlangung eines ausschliefslichcn Handolsvorteils
hofft, in dessen Besitz es sich dann für die Kosten seiner jetzigen Uuthätig-
keit eutschüdigen wird.
Der Dampfer ,Lu Viile d Anvors"^ ist verloren gegangen; die Art und Weise
des Verlustes ist charakteristisch für unsere Regierung : Der Kapitän war nach
Europa abgereist nnd erhielt der Maschinist den Oberbefehl. Dnrch die ihm
erteilte Weisung, niher nach dem Lande au su halten, war er so Iconfas
geworden, data er zu nahe dem Lande und mit dem Schiffe auf einen Felsen
lief. Ich bedauere ganz besonders den Verlust des Schiffes, denn wir werden
durch höhere Steuern den Schaden tragen müssen. Schon ist eine Grundsteuer
vorgeschlagen; man scheint indessen sich niclif klar gemacht zu haben, dafs
Grundsteuern vorn Grundeigentümer gezahlt werden, — Nacbricliton vom
Loango melden mir, die französischen Beamten dort verführen so tyrannisch
und willkürlich, dafs der Handel ruiniert wird und die jungen Leute das Land
verlasseu; die Regierung wünschte eine Expedition in das Innere zu senden, sie
konnte indes keine Trüger finden, lieb auf die Fischerleute feuern nnd ihre
Netze in Beschlag nehmen. Bei einer anderen GMegenheit wurde eine Konskription
der jungen eingeborenen lOnner unternommen, man wollte sie zum Einesenderen
nach Gabun schicken. Die Folge ist gewesen, dafs diese jungen Leute sich von
den Küstenstftdten ins Innere und in das benachbarte portugiesische Gebiet
snrückgezogen haben 1"
§ Die Nord-Borneo-Company. Der Fortgang der Kolonisationsarbeiten,
welche dio mit König!, grofsbritannischer ( harter ausgestattete englische Kom-
pagnie in den von den Sultanen von Brunei und Sulu erworltoncn Gebieten
Nordborneos betreibt, hat für uns in Deutschland jetzt ein näheres Interesse als
sonst, seitdem ausgedehnte tropische Landschuften unter deutschen Schutz
gestellt worden sind. Von einem der leitenden Beamten der Gesellschaft worden
nun kflndick dem Königlichen Kolonialinstitut in London eine Reihe von Hit-
teflungen gemacht, denen die nachfolgenden Angaben entnommen sind. Bas
Gebiet der Gesdlschaft hat eine Flfiche von 20,000 engl. Qnadratmilea, wovon
600 mflea Küste, es liegt zwischen 116 und Wi)^ ö. L. Gr. und zwischen dem
4. und 7.* n. Br. Ein im Durchschnitt zwischen 4(KX) und 7000 Fufs hoher
Gebirgszug erstreckt sich in der Richtung NO. zu SW. Niedrij^ere, waldbedeckte
Bergketten zweigen sich von diesem Uanptgebirgszug nach beiden Seiten znr
Digitized by Gc)
— 878 —
Kttste ab, swiseheii ihnen breiten sieb fraehttMue von Flfissen gut bewSaieit»
Thtler. Die Kftote ist im gansen flach und niedrig» oft besetst mit Kasnariaeih
hainen; hier und da auf sumpfigem Grand oder an den Flnlsmllndiuigea treiren
wir llangroTebüsche, nur an eiüzeliic n Stellen der Käste finden sich Sandstein*
klippcn oder erstreckt sich der Wald bis unmittelbar an die See. An natür-
lichen Hfifen ist die Küste reich; besonders geschützt, und von der Seehandeb»-
f^trafso zwischen Australien und China nnr 5 Standen Dampferfahrt abgelegen
ist der Hafen Sandakan, wo sirh bereits an .''-<HKi rhines^on niedergelassen haben.
Eine Reihe von Flüssen sind tur Üachgehende Dampfer schiffbar, doch hüben
die meisten an ihrer Mündnng Barren. Das Gebiet der Gesellschaft wird als
Tortreffiich geeignet snr Anlage yon Plantagen geschildert nnd werden ala nr
Knltnr aaf Bomeo besonders passende Fflansen: Tabak, Zneker, Nanelea gambtz;
Kampherbanm, verschiedene Nntzholsarten n. a. beseichnet Kohlenlager aind
Tielfach vorhanden, eines wird bereits abgebaut und liefert den Dampfern eine
gute Kohle. Die Ausbcnte der See besteht in Tripang (dies ist die richtige
Schreibweise, nicht Trepang, wie man dieso rrcdörrte Tlolothnrie vielfach mit
der englischen Schreibweise bezeichnet), SchiUlkittten- nnd Perlmn?<^)ielschalen.
Die Eingebort II* n an den Kiisten sind Muhammedaner. Fortwährend findet eine
starke Einvvauilerung chinf.'>s.sriier Arbeiter statt, die namentlich auf den von ver-
schiedenen Firmen angelegten Tabaksplautagen Beschäftigung finden. Sie
werden wie in Sumatra nach dem Habe der geleisteten Arbeit» nicht mit Tag-
lohn besahlt. I>er in Bomeo gebaute Tabak soll dem besten Snmatiatnfaak
gjleich sein. Nutzhols wurde im Jahre 1884 bereits in ansehnlichen Mengen
nach Australien und China ausgeführt. Die North-Bomeo-Company baut in
ihrer Versnchsplantago zu Silam Liberiakaffee, Hanf, Kakao, Pfeffer. Im (Gebiet
der Kompagnie ist der indische Strafkodex eingeführt; den Sicherheitsdienst ver-
richten 180 Polizeibeamte. Das Halten von Sklaven wird für die Zukunft da-
durch abgeschafft werden, daf.s 1. jeder Handel und Einfuhr von Sklaven ver-
boten ist, 2. der Schuldner nicht, wie früher, zur Zaiilung seiner Schuld vom
Gläubiger in Sklaverei genommen werden darf, 3. alle von Eliernj die Öklaven
sind, seit November 1883 geboreneu Kinder frei sind.
Das Saterland. Die „Weserzeitang" brachte vor einiger Zeit mehrere
FeuilletonskiffiEen ftber das Saterland, jener Tom grolsen Verkehr abgelegenen
Hochmoorgegend im westlichen und mittleren Teile des GroCkhenBogtams
Oldenburg, aus der Feder des Herrn Dr. philol. Th. Siebs, welcher sum Zwnek
des Studiums der dort im Volksmund noch Torhandenen friesischen Sprach-
altertümer eine Wanderung dahin unternahm. Einige Stellen aus diesen Mit-
teilungen werden auch für die Leser unserer Zeitschrift von Interesse sein. Wir
fahren auf der Station Bremen-Leer bis zur Station Apen, gingen über Barssel
nach Strücklingen, und von dort aus durchstreiften wir das Saterland. Ich
fand meine Erwartungen nicht getiiu.scht, und ilcslmlb brachte ich späterhin längere
Zeit dort zu, die ich u. a. dazu benutzte, das Wissenswerteste über die kulturgeschicht-
lichen und sprachlichen Verhältnisse jener Gegend zusammenzustellen. Die Abge-
schlossenheit des Saterlandes besteht darin, dafo es nach allen Richtungen von Moor
umgeben ist. Ein Hochmoorstrich, der im HolUndischen in der Gegend Ton ZwoUe
beginnt, zieht sich in nordöstlicher Richtung, die ProvinzHannorer durchschneidend,
durch das Grofsherzogthum Oldenburg. Dieses Hochmoor ist an verschiedenen
Stellen von Saiidrücken durchzogen, und auf einem solchen liegen die drei Kirch-
derfer des Saterlandes: Strücklingen, Ramsloh und Scharrel. Lange Zeit gkubte
Digitized by Google
— 379 —
man den Namen „Saterland- mit dem Muor in direkte Verbindung bringen zu müssen,
indem man ibn Yon sOt (Braunen, Sumpf) ableitete. Die Ulteste Fonn des Namens aber,
aach der vir uns zum Zwecke einer gewissenhaften Erkl&nmg doch umeeben
möesen, erscheint als »Sagelterland" in einer Urkunde vom Jahre 1400. Am
Südrande des Eümmlinger Waldes liegt ein Dorf, Sögel f^enannt, das früher
Haupt- und Mittelpunkt einer Grafschaft, der comitia Sigbiltra, war. Die Be-
deutung jenes Dorfes ist längst entschwunden, und auch die nächste Umgebung
erinnert sich derselben nicht mehr. Aber für einen Teil Hör ehemaligen Graf-
schaft hat sich der alte Name erhalten, und zwar fiir <!us Sa;M'ltfrl;iii(l. Diese
Erklärung kennt man natürlich an Ort xind Stelle nicht. d<>ir giebt es andere
Versionen. So erzählt man sich, die Voiruiucn iiätteu keine Kirche gehabt, und
da sie nun 2u einer acht Stunden weit entfernten Kapelle pilgern mufstcn, um
ihren Gottesdienst an halten, bitten sie sich schon am Satertage auf den Weg
gemacht: daher hätten sie den Namen „Satem* erhalten. Freilich hätte die Kirche
nicht einmal so weit entfernt zu sein brauchen, dafs man sie vom Mittelpunkte
des Saterlandes ans erst in acht Stunden hätte erreichen können. Danuils konnte
man Ja Ton Verkehrsmitteln kaum reden, denn die Sandwego, die jetzt während
der längsten Zeit des Jahres socriir (h'n "Wii^rcnverkehr ermöglichen, sind erst zu
Anfang dieses Jahrhundcrrs l-^ r lKtf< n; Kanäle gab es auch no' h nicht: das
Moor aber ist nur bei aiiluiltenil-T Darre oder nach .starkem Froste passierbar.
Der Satcrläuder war an seine Heimat gekettet, denn kleine Reisen bedingten
schon grofse Anstrenguugen. Wer schon den bemitleidet, welcher, in der
Umgegend einer schOnen Natur lebend, an der Scholle klebt, wie wird er erst
den Saierlander jener Tage bedauern müssen! Noch heute, wo die Kultur dort
eifrig ihr Werk getrieben hat, bietet das liand einen trostlosen Anblick: keine
Wiesen, die durch ihr saftig schwellendes Grün das Auge erquicken: keine
Bäume, die in malerischer Gruppierung den fernen Blick begrenzen! Die Hoch-
moore sind fast alle auf früherem Waldgrunde gebildet, denn in ihrer Tiefe
findet man uocli viele Wurzelstfu-ke von Eichen. Erlen und Birken, ja ganze
Baumstämme, die in eine kohlig«; ZcrsL-tzung übergegangen sind. Eichen. Erlen
und Birken wachsen auch heute noch, im Saterlande, sie geben den Gchüfteu,
die sie umrahmen, ein freundlicheres Ansehen — aber es sind meist winzige,
^äiliche Bäumchen, und um sich llber ihr Wachstum freuen zu können, mu£i
man schon geborener Saterländer sein. Dieser rfthmt uns die Schönheiten seines
Landes, wir aber können nicht finden, was er findet: es ist nicht unser Vater«
land. TadtuB sagt in der «Germania'': »quis Qermaniam peteret, informem terris,
asjicram coelo, tristem cultu aspectu(iue, nisi si patria sit?* Nur das Gefähl
der Heimatsliebo macht es erklärlich, dafs der Satorlä.'ider, selbst wenn er andere,
frnclitbare, liebliche (ioj^oiiden gesehen liat, dcnnoi li Vorzüge in seinem Vater-
lande findet und sie besingt. Im Volke leben dort die Verse:
„Sälter, letet i'iz hir bliu.
Hir bl diu 6 in Sälterlond,
Hir konn' wi upt't beste liuje,
Hir izz fän un gors un sond."
(Saterländer, lasset uns hier bleiben,
Hier beim Flufs im Saterland,
Hier können wir am besten leben,
Hier ist Moor und Qras und Sand.)
Klingt das nicht wie ein SpottUed? Und es ist doch nichts weniger als ein
solches. Der erste Vers könnte uns vermuten lassen, es sei darauf gemfinzt,
Digitized by Google
— 380 —
der AnswanderoDg in besserp Gegpiiden za Btonern, aber es ist zu einer Zeit
gedichtet, wo diese zn den stltcnsten Fällen fjehörte. In den letzten Jahren hat
sie freilich gröfscre Dimenf^ionon an;:cnominen, so dals sich der Stnnd der
Bevülkeruui: stets anf dersrlhen Hölip f/elialtin bat. Schon seit län^rorer Zeit
zählt Scharrel, das gröLstc Kirchspiel, etwa liKX), Ramsloh und Strücklingen
je 900 Einwohner. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts hingegen stieg die
Zahl der Bevölkerung auf das Doppelte und die Scharnier gründeten in nicht
za weiter Entfemniig Tom Heimatedorfe, wo ihnen der Banm za eng geworden
war, eine Niederlaesong, die sie Neoschanrel nannten. Der Aoswanderang hdnnte
jenes Liedeben heutzutage allerdings keinen Abbrach than, wenn es auch aUes,
was seiner Zeit in den Augen der Bewohner den Wert des Landes ausmachte^
zu seinem Lobe hervorhebt. Zuerst wird ^dui e"' erwähnt, die auch das
.Sater Tief^ heifst. Es ist der Flufs, der das Land in der Richtung nach Nord-
westen durchströmt. Zn jener Zeit, als dies Lied entstand, bildete er die einzige
Verkehrsstrafse. Aber noch iu anderer lliTisirht war er für das Land von hoher
Wichtigkeit. Der Wasserreichtum, den dim schwunnnigc Torfmoor im Hochmoor
festhält, macht dieses in seinem höheren Teile unzugänglich, auch gedeihen doit
nor SampfgrSser and Haidekrftater kftmmerlich. An den BSndem .jedoch, wo
das Wasser dnrch Gräben abgeleitet wird, sinkt das Hoor bedeatend zasammen
and darch Behacken and Brennen wird es znr Bachweizenkoltor hergerichtet
Die Graben nun vereinigen sich, and Torstarkt durch die Marka und Ohe, zwei
aas den benachbarten Qeeststrecken kommende Bäche, bilden sie den Flufs, der
den sandigen Boden des Saterlandes bewässert und ertragfähig macht. So wird
mit Hecht vor allem die .e" im Liede gepriesen. Weiterhin wird iu jenen
Versen die BescliafFenlicit des Hodens gerühmt, der aus Moor, Gras und Sand
bestehe. Nun auch hierin zeigt sich, dafs der genügsame i^uteilander sein
Heimatland absolut schätzt und es nicht etwa mit anderen Gegenden vergleicht.
Eine naive Emphndung spricht ans den Versen: ist es doch fihnlich damit, als
wenn wir im Liede das Geschick preisen wollten, das ans die Erde and nicht
einen andereren Planeten zam Wohnsitz geschenkt hat, — and wir wissen doch
nicht, wie es ans aof einem solchen behagen wArde. Die tiefinnige Zafriedenheit
spricht ans an. Das Land an und für sich bietet seinen Bewohnern gsr nichtB;
was es ihnen gewährt, sie haben es durch mühevolle Arbeit errungen. Wie man
das Moor zur Burhweizenkultur herrichtet, haben wir erwähnt. Eine andere,
vortt'ilhaftcre Urbarmachung des Moorbodens geschieht durch die sogenannte
Fehnknltur; fehn oder fän bedeutet .Sumpfe. „Moor**. Die obere Schicht des
Moores wird abgestochen und als Torf auf den Kanälen nach der Marsch gebracht.
Als Rückfracht bringen die Schiffer von dort tierischen Dünger oder Schlick mit, der
anf die abgetorfteFlfiche geworfen wird and, mit dem Moorboden vermischt, fracht^
bares Land bietet. Binnen knrzer Zeit ändert sich das Aassehen solcher Strecken.
Der Qagelstraach, die Sampfhaide and namentlich die gemeine Haide gediehen
dort frtkher in grofser Üppigkeit, sie machen haapts&chlich die Flora des unkul-
tivierten Moores aus. Sotrald aber die Oberfläche mit Dunger bestreat ist, treten
das lieblich doftende Euchgras und Terschiedene Arten des Kiees an ihre Stelle.
Wie viele Namen der Flüsse und Bäche jener Gegend bezeichnet
nichts anders als .Wasser''. Die .ä" der Danen, die vielen .Auen" des nord-
we.stlichen Deutschlands, die .Achen'' der bUyerischen Gegenden (Salzach), die
„ö-', „Ohe" und die A' des Saterlandes (Leda, Marka) : alle diese Namen smd
desMlben Stammes und Ursprungs.
Digitized by Google
— 381
JKatürlich kann diese Moorkultnr nnr da festen Fnfs fassen, wo Wasserstrafsen
den Titoisport erleichtern, denn es sind grofse Quantitäten Torf wegsnechaffen.
Übrirrens sind aiicli Kanalbanton durch dir-.so Fehnanlagen veranlafst worden,
denn mit diosoii Fchuf man Oasen in der Wüste des Moores. Der ganzen üm-
gej^end haben die Gründungen von Rhauder- und Augustfehn Vorteil gebracht.
Im gesamten Saterlando ist der Verkehr, namentlich durch die letztgenannte
Alllage, bedeutend gehoben worden, da sie nicht nur als Exportplatz des Torfes
Wichtig ist, sondern auch selbat grofse Mengen desselben verbraucht. In Hüttenwerken
wird dort n&mlidi die Verarbeitung von Roheisen Torgenommen, nnd der Torf
wird bier teils als Brennmaterial, teils in Form von Torfgas aar Eisen* und
Stablbereitung verwandt. Derselbe wird ans dem Saterlande herbeigeschafft,
denn dort ist fast mit jeder bäuerlichen Besitzung Torflinderei verbunden, anf
welcher znm eigenen Bedarf der Haushaltung, aber anch zum Verkaof gestoclien
wird. Täglich ziehen die Leute aufs Moor hinaus, um dort die apringe Feldarbeit
zu thnn oder Torf zu graben. Derselbe wird, narlidrin er an der Luft trorkon
geworden ist, auf Ackerwagen ins Dorf geschatl't. Abei- mit dem Fahren ist es
eine schwierige Öache. Den Pferden werden kleine runde liolzbretter, Hangster-
bricken genannt, unter die Fübe gebunden, am diesen eine gröCsere Fläche zu
geben und so das Einsinken zu yerhindem. — Muiche Leute haben auch in der
N&he ihrer Behausung ein mehr oder minder groliws Stück Land, das bebaut
werden mnfs. Bier wachsen hauptsfichlich Kartoffeln, Gemüse, Boggen, Hafer
und Gerste, aber alles imr in geringer Güte und Menge. Man zieht aus dem
Sandboden trotz aller Bemühungen nur wenig Vorteil. Der Bachweizen mufs
für alles Ersatz bieten und so gew*ährt der meliorierte Moorboden, was das Geest-
land mit semr-u Sandhügeln und die an den Utern der ^e"* gelegenen Strecken
nicht in genügender Menge aufzubringen vermögen. Aber auch das nicht
kultivierte Moor licfci-t indirekt ein wichtiges Produkt, den Honig. Die Bienen,
deren Zucht sehr eifrig betrieben wird, sammeln ihn in grofscr Masse aus den
duftigen Hudekr&utem, und so bietet der Exporthandel mit demselben manchem
Landmann einen guten Nebenverdienst. In yielen Siteren Berichten über das
Saterland liest man, die Hinner kümmerten sich gar nicht um die Arbeit,
sondern fitnllenzten und lieÜBen alles durch ihre Frauen besorgen. Darin wollte
man natürlich eine alte germanische Sitte wiederfinden, wie sie uns durch Tacitus
überliefert ist. Aber die Sache liegt ganz anders. Die Männer arbeiten so gut
wie die W eiber, freilich sind sie nicht fleifsiger als jene. Die Feldarbeit wird
häutig von den Frauon verrichtet. Sie haben Zeit genug dazu, denn der Haus-
frau als solcher bleibt iu.st als einzige Thätigkeit übrig, für die Mahlzeit zu
sorgen. Auf lieinliciikeit und Ordnung im Haashalte wird weniger gesehen.
Welch ein Kontrast swischen der Behausung des Saterlfinders und der ostfiriesi-
schen Wohnung! Die Sauberkeit ist natürlich sehr abhängig von der Einrichtung
des Hauswesens; wo Menschen und Vieh in demselben Raum beisammen wohnen,
darf man es mit der Rdnlidikeit nicht so genau nehmen, und das ist hier
namentlich bei den älteren Häusern der Fall. In den Dörfern des Satcrlandes
finden wir weit mehr alte Bauernhäuser erhalten, als in den meisten übrigen
(i»';^', ti(len des nordwestlichen Deutschlands. Über den Anfang des 17. Jahrhunderts
aln r ragt wohl das Alter von keinem derselben hmaus. Besonders im Dorfe
Hollen sind viele aus jener Zeit erhalten. Sie unterscheiden sich in ihrer Bauart
wenig von den we.stfälischen Wohnungen. Die Seitenmaucru sind sehr niedrig,
so dafs das grofse Strohdach bis auf den geringen Abstand TOn etwa 5 Fnfo
Ton der Erde entfernt ist Auch von der Vorderseite des Hauses ist wenig mehr
Dlgltized by Google
— 382 —
ZU sehen, als das giüfse Thor, denn f;tst die f:auzc übrij?c Front wird durcli den
Walm dos Darlios gebildet, der als .honi* weit über den Eincan^i hinansragt.
Vor der Tliür dos ilauscs ttehend, ist man gegen den Regen völlig gescUuLzt,
Wir treten darch das Thor ein nnd befinden uns anf der gerinniigen Dreachdielei
die ,tal* genannt wird. Zn beiden Seiten sind die Stallungen för das Vieli,
welches mit dem Kopfe der Diele zugewandt steht In einem friesischen Lande
ist das sehr aoffäUig, nnd es läfst sich wohl als praktische Nachahmung sächsischer
Bitte erklären. Es ist nfinilich einer der Hanptnnterscliicde der friesischen und
sächsischen Uänser, dafs in ersteren das Vidi mit dem Kopfe, in letzteren mit
dem llintort* ile der Wand zugekehrt steht. Die friesische Manier ist die reinlichere:
in einigen Ilän.seru des Saterlandcs finden wir sie noch vor, in den meisten
Fällen aljcr ist die sächsische Sitte eingedrungen, da auf diese Weise eine weit
reichere Düngei-produktion stattiindet, und diese ist ja für das Saterland von
besonders hohem Werte, über den Viohställen, zu beiden Seiten des Hauses,
befindet sich die ;,Hillc-, der Aufbewahrangsort für das Viehfntter. Der S^en
der Enite ruht auf dem ger&amigen Boden ftber der Diele. Im Hiniergnmde
dezselben brennt lastig das offene Feuer, das dem häuslichen Verkehr als Mittel-
punkt dient. An einem grofeen Haken hängt ein schwerer kupferner Kessel
lierab. «Das* Feuer wird fortwährend unterhalten, an Torf mangelt es Ja nicht.
In manchen Hausern dient er abcnd.s sogar zur Beleuchtung, und bei seinem dunkel-
roten Scheine verriclifet man Handarbeiten, man unterhält sich oder liest aus
einem nützlichen Buche vor. Da die alten Häuser keinen Schornstein haben,
so verbleitet sich der Torfrauch im ganzen Hau^e und macht eine Ranchkammer
überliussig. i'lei.seh und Speck hui man an den Dcckbuikeii über dem Feuer
aufgehängt Der Fiats su beiden Seiten des Heerdes wird „Flet" genannt Der
Platz dient als Wohnzimmer, Schla£ilmmer und Kftche. An der Hinterwand
sind niedrig^ Schränke angebracht, und auf diesen stehen Börte, mit Tiden
Tellem und Schüsseln ans Zinn oder Steingut geschmückt Ihre Güte und Zahl
richtet sich im allgemeinen nach den Vermögensverhältnissen ; manche sind mit
sehr reich nnd geschmackvoll ausgeführten Bildern oder Arabesken versehen,
und bei wohlhabenden Leuten sieht man wohl vierzig bis fünfzig Gefafse zur
Zierde nnd zur Erinnerung au vergangene Tage aufgestellt. An den Seitenwänden
befinden .sich übereinander die alkovenartigen Bellen, die durch Vorhänge oder
Bretterverschläge verdeckt sind. Gegenüber, an der Fernst crseite, stehen grofse
Truhen zur Aufbewahrung von Kleidungsstücken. Das ist die Au&siattuug des
Wohnraumes, von dessen Mittelpunkt, dem Heide, aus man jegliches Leben und
Treiben im Hause überachauen kann. Wenn man von einigen Bumpelkammeni
absieht, enthält das alte saterländische Bauernhaus keine weitere Bäomlichkeiten.
Jetzt freilich hat sich in der Einrichtung vieles geändert Man erkennt mehr
und mehr die praktischen Vorteile der abgeschlossenen Bäume, und nun richtet
man nicht nur die neuen Häuser nach diesem Prinzip ein, sondern baut die
meisten alten um. Auch in ihrem Aufsern sollen sich die Wohnungen während
der letzten Jahrzehnte sehr verändert haben. Die Dürfer Hollen und Fuimsloh
haben wohl am beizten den alten Charakter bewahrt. Gewisse Eigentümlichkeiten
aber sind sämtlichen Dörfern des Saterlaudes gemeinsam. Tacitus erzählt, die
alten Germanen hätten jedes Haus mit einem Kamp umgeben, und diese Sitte
sehen wir in den meisten Gegenden Deutschlands bis auf den heuUgen Tag
erhalten. Anders ist es hier: die Hänser eistrecken sieh nicht etwa in weiten
Zwischenräumen längs einer Stralse, sondern sie sind auf einem engen Baum
konzentriert Das hat seinen Grund in der Qualität des Bodens. Das Dorf erscheint
Digitized by Google
— 383 —
uns von woitom als ein Komplex von Bäumoii. donn wie klein diose aurh soin
mögpn, sie erheben sich doch über die Strohdächer der niedrigen Häuser. Nur
der Kirchturm und die Windmühle sind weithin sichtbar und bilden die Wal)r-
zcichen des Ortes. Durcli öde Moorgegenden und sandige Strecken hat uns die
Landstrafse in das Dorf gefülirt:, weichet in seinem engsten Umkreise von Wiesen
und Feldern umgrenzt ist. Auf den StnüSBen nnd Wegon innerhalb des Dorfes
herrscht eine gewisse Reinlichkeit, die das Innere der H&nser sehr Tennissen lieb.
Inmitten des Dorfes liegt die Kirche, ein ans groben Backsteinen anfgefOhrtes
Qebäude. Sie ist im 13. oder 14. Jahrhundert im gothischen Stile erbaut, klein
und niedrig. Die Westseite ist mit einem niederen Turme geziert, in welchem
die Glocken hängen. Wcdor das Anfsorn der Kirche, noch das Innoro, das durch
kleine, schiefsscliurtenartigc Fenster nur matt erhellt ist, gewährt Interesse. In
anderen friesischen Gegenden Ineten uns die alten Gotteshäuser und die sie um-
gebenden Grabstätten hochwichtige Denkmale der Vergangenheit, namentlich
die alten Sarkophage and Grabplatten zählen zu den merkwürdigsten Kesten
alter Zeit Dayon findet man hier nichts, nur kleine Holzkrense nnd hin nnd
wieder ein Sandsteinmonnment geben uns Kunde ans jüngst Tergangener Zat.
Hochinteressant hingegen sind fftr den AHertnmsfomoher die Reste, welche die
das Saterland umgebenden Moorstrecken in ihrem Schoofse bergen, und deren
Alter weit mehr als ein Jahrtausend zählt. Gewaltige Gerippe hingst verstorbener
Tiere, uralte Pflanzenreste, Waffen und Hausgeräte hat das Moor durch seine
konservierenden Bestandteile erhalten. Aber das sind prähistorische Altertümer;
geschichtliche Erinneningen an ältere Zeiten finden wir im Baterlande nur
wenige: wir finden sie nicht durch Kunstwerke präsentiert, und auch die Urkunden
bieten uns fast nichts. So kommt es, dai's wir über die Vorzeit jenes Landes
nur wenig sicheres berichten kAnnen.*
Die FiMherei itt Uiterelb«. In dem kflrzlich bei Ptoey in Berlin er-
schienenen Handbuch der Fischsncht und Fischerei lesen wir unter obiger
Überschrift u. a. folgende Bemerkungen, Dab ein so gewaltiger Strom Ton
V«— V«, an der Mündung einer ganzen deutschen Meile Breite gar verschiedene
Wassertiefen zeigt, ist erklärlich. Bei tiefer Ebbe tauchen kahle Sande and
Inseln und Schlickflächen in trühf^raner Farbe auf, der Schiffer mufs das Fahr-
wasser, welches sich rechts und links hinüber und vor der Mündung zwischen
meilenweiten Wattgründon nnd Sanden in mehreren Armen nach der Nordsee
hinzieht, gar genau kcnium, will er nicht festlaufen. Wenn die einströmende
Flut alle diese Flächen wieder bedeckt, dann ragen nur die Spitzen von Kohr-
wftldern, welche an geschfttsten Stellen und in Buchten ftppig wuchern, oder
einselne Grasbfilten aus übergelaufenen Wiesen Uber die hti immer trübe Flut
hervor. Nur bei lang anhaltendem stnfen Ostwinde, der die eindringende
Meeresflut aufhSlt, kann das Wasser zeitweilig klar erscheinen. Es mufs ein
recht uahrungsreiches Wasser sein, die Unterelbe, denn sie enthält aufserordentlich
viele Fische, gewisse Arten, wie den richtigen Flufsmündungsfisch. den Stint
und den hier .Stuhr" genannten Kaulbarsch in ungeheurer Mf ii^e. Neben den
Fischen, welche zwischen Süfs- und Salzwasser, wenigstens Brackwasser, wechseln,
als Elbbntt, Lachs, Stör, Maitisch, Aal und Neunauge, neben Seehunden und
Delphinen kommen reine Süfswasscrtischo aller Arten vor, aus denen ich iicrvor-
hebe: Schnäpel, Brachsen, Näsling, Kaap, (Quappe, Sandart, Hecht QiMl Barsch
und die genannten Stint und Stiüir. Auch der nichtsnntsige Stichling ist in
kolossaler Masse vorhanden. Dab solcher Beiohtom nicht unbenntst bltibt|
Digitized by Google
— 384 —
dafür sorgt ein hochbedeatender Fisdicreibetrieb, imd es möchte kaum einen
nnteren Flnfsluuf geben, in welchem die Fisc horoi so intensiv ausgenutzt wird,
wie die Untcrolbi«. Glü -klic lu rwciso ist «lor überstarken Bclischung ein nicht
zu beseitigciuler lliegel vorrjesciiobcii dadurch, dafs dieser Teil der Elbe. Dank
der grofsen Handelsstadt, eine Weltverkehrsstralse ist. Das Fahrwasser ist Tag
und Nacht belebt von Danipferu und Segelschiffen jeder Art. die in Bewegung
sind oder Tor Anker liegen, hier mofs der Fischer wohl wegbleiben, und die
Baken und Betonnungen, welche den Schiffern die Strafse weisen, beengen die
Fischerei mit beweglichen Garnen, als Zug- und Ttoibnetsen, ebenüaUs. So finden
wir denn, dafo von Hamburg anflbiglich an der holsteinischen Seite die Fischerei
nur wenig betrieben werden kann, während sio desto lebhafter an hannoverscher
Seite ist, weil das Fahrwasser mehr am nördlichen Ufer entlang geht. Nachher
aber zidit sich der Schiffsverkehr mehr nach dem hannoverscheu Ufer und
dann wird mehr an der holsteinischen Seite gefischt. So lange das Wasser offen
ist, und das Treibeis ir^'end ein Fischen zulärst, ruht das Fischen niemals, und
hat sich nur die Betriebsweise nach der Jahreszeil und nach den Fischen zu
ändern. — Bekanntlich befischen von der Elbe, aus Finkenwärder und Blankenese,
eine groCse Anzahl Hochseefischer mit ihren Ewern die Nordsee mit Kurre und
Langleine, und liegen nur im Winter, wenn das Wetter aUnranh wird, etwa
von Ende Oktober oder Tom November an bis Ifitte Mftrz, in der Elbe im
Winterlager. Aber die meisten davon suchen anch die Winterzeit aussonntzen,
und bofiscbcn die Eibe, wo die Wogen sich nicht so gewaltig türmen wie da
draufsen, mit der Kiirro auf Elbbutten und Stuhre (Kaulbarsche) und was sich
sonst fangen lassen will, ein Betrieb, der leider der Elbfischcrei grofsen Schaden
zufügt
§ Die V'erkehrswege in Sibirien scheinen jetzt endlich einer wesent-
lichen Verbesserang entgegenzogehen. Der Waren- und resp. Personentranqport
vom mittleren Ural durch Sibirien bis Irkutsk und sum Baikal-See nahm bisher
folgende Bichtung. Von der Wolga, die hunderte Yon Dampfern befahren, war
des Sommers Dampferverbindung auf ihrem Nebenflüsse Kama bis nach Perm.
Von hier aus ist schon seit längerer Zeit eine Eisenbahn bis nach Jekaterinbuig
in Betheb. Hier aber hat der Wagen und im Winter der Schlitten die Weiter-
beförderung, zunächst bis zu der am Flüfschen Tura gelegenen 336 km entfernten
sibirischen Ciren/stadt Tjumcn, zu ül)ernolimen. Im Sommer kann dann der
Transport o.stx^urts eine grofse Strecke, nämlich etwa 'iöliO Werst (ungeßhr
ebenso viele Kilometer) zu NVasser und zwar auf den 1 lüs.sen Tura, Tobol. Ob
und Tom bis Tomsk geschehen. Yon hier jedoch mufs za jeder Zeit der Land-
weg, auf dem Bolschoi Trakt, der grofoen sibirischen Heerstrabe, bis Irkutsk,
eine Strecke von etwa 1660 Werst, eingeschlagen werden. Im Sommer ist der
Bolschoi Trakt oft durch Staubmassen oder Regengfisse nur mit dra grölsten
Schwierigkeiten au passieren. Im Winter ist die ganze Strecke von Tjnmen bis
Irkutsk zu Schlitten zurückzulegen, eine Transportweise, die bei weitem der
besonders in den Übergangszeiten, Frühjahr und Herbst, an Beschwerden reichen
Wagenreise vorzuziehen ist. Nun melden die Zeitungen, dafs die Eisenbahn
kürzlich von Jekaterinburg bis Kamysclilow, eine Strecke von 135 Kilometern,
eröffnet worden ist, und dafs die Vollendung der noch fehlenden 2i>*> Kilometer
bis Tjumeu wahrscheinlich schon im nächsten Sommer ertul^en wird. Damit
wftre dann eine Schienenwegverbinduug zwischen den zwei gröfsten Wassef^
straCiMnnetzen des europäischen und asiatischen Bulslands, dem Wolga- and
Digitized by Google
— 385 —
dem Ob - Irtisch - System, hergestellt und der Warenverkehr von und nach
dem produktcnrcicheu Westsibirieu bedeutend erleichtert. Es ist aber volle
Aussicht auf eine noch eingreifendere Ycrbcsäcruug der Wasserwege in
Sibirien bis spätestens zum Jahre 1888 vorhanden. Schon seit längerer
Zeit plante man die Anlage einea Kanals swischen dem Ob und JeniMej. Hit
einem solchen Kanal wire eine nnwiterbrocbene Wasserrerbindang Tom Ob
mittelst der Angara bis nach Irkntsk nnd sam Baikal-See geschaffen. Die Unter-
suchungcn ergaben, dafs ein Nebenflufs des Ob, der Ket, und ein Ncbenflnls
des Jenissej, der Kafs, mittelst der beiderseitigul Zuflüsse sich so nahe liegen,
dafs nur ein Landrücken von 7'/3 Werst Länge zu durchstechen und die be-
treffenden Zuflüsse 7M regulieren sind, um eine schiffbare \Vasserverbindung
zwischen den beiden grufüen Strömen zu schaffen. Diese Anlage wurde im
grolscu Ganzen schon im Jahre 1883 von der Regierang genehmigt, die Arbeiten
selbst sind aber erst seit 1884 im Gange. Inzwischen haben auch die auf
Kosten des Herrn Sibiriakoff durch den iQgenienr Roneberg Torgenommenen
UntersnchoQgen der AagaiafiUe *) «fgebeui dab eine Begnliemng des Stromes an
diesen Stellen behnfr der Schiffbarmachnng keine Sehvieri^Letten machen wird.
Man hat schon berechnet, dafs die Transportkosten auf dem neuen Wasserwegs
sich um die Hälfte der jetzigen Transportkosten (zur Zeit, wo sie am niedrigsten,
nämlich im Winter) erraufsigen werden. Dabei ist eine Schiffahrtsabgabe mit-
gerechnet, welche das Anlagokapital des Kauala und der Regulierungen, 10 Mil-
lionen Rubel, verzinsen und abtragen soll. Somit steht Sibirien eine bedeutende
Verkehrsverbesserung bevor, die ihre Wirkungen bis zu der Amarprovinz and
China füklbar machen wird.
Geog^phisohe Utteratur.
Allgemeines.
— Alennder Supan. Qrundsikge der phTsischen Erdkunde. Leipsig,
Veit 1884. 492 S. Es ist nichts Zufälliges, wenn wir binnen korsem drei
gröfsere Yersnche, eine Qesamtdarstellang der physischen Erdkands an gsbon,
haben erscheinen sehen: die zweite Auflage der Peschol-Leipoldtschen physischen
Erdkunde, das Lehrbuch der Geophysik und physikalischen Geographie von
Sieg. Günther und die im Titel genannte Schrift. Es spricht diese Thatsache
füx ein tief empfundenes Bedürfnis nach Gestaltung einer Disziplin, die lange im
Kreise der Geographen vernachlässigt, seit Jahren in den Vordergrund des me-
thodischen Interesses getreten ist und von den Terschiedensten Grensdisaplinen
neue Keime empbngsn hat War für die Entstehung des erst genannten Werkes
ein rein sulSUiger Umstand die Ursache, daCi man glaubte, aus Vorlesungen und
Aufrätaen Pescheis ein System der physischen Erdkunde zusammenschweifsen
zu können, so hat die gescbichtlich-litterarische Neigang Günthers nns ein wohl
durchdachtes, ungemein reichhaltiges Repertorium der physischen Erdkunde
geliefert. Ein darstellendes Werk aus einem Gufs in edler, populärer Form und
doch auf jeder Seite die Beherrschung des Stoffs und die gründliche Forschung
bekundend, entwarf dagegen Supan. Wenn es sich durch diese Form auch zu-
gleich an das gebildete Publikum wuudet, so ist es doch zugleich mit zu viel
pädagogischsm Takt abgefafst, um nicht seinen Leserkreis Tomehmlich unter
deigenigen so suchen, welche sich dem wissenschaftlichen Studium der Erd-
kunde ergeben wollen: den Studierenden deutscher Hochschulen, den Lehrern
*) Vergleiche den Ao&ats und die Karten des Herrn Raneborg in Band VII.
dieser Zeitschrift S. 868 u. H
Ocofr. Blitlw. BrtmM, 1886. 87
Digitizod by Google
— 386 —
der Geographie. Und in der That. nach näherer Einsicht kann ich nicht urahm.
es für eine ganz ausgezeichnete Ergänzung jener Lehrmittel zu erklären, welche
dein heutigen Stadium, in dem Studierende aus allen philosophischen F;lchem
sich der Geographie sawenden, Bechnang tngen. Es ist möglich, da£s künftig
die geographisehen Fadildirer sich allein ans den NalnnriBsenschalUeni und
Mathematikeni lekrntiercn, nr Zeit bilden diese die Minderheit und daher sind
streng wissenschaftliche Lehrbflcher, wie s. Z. die Gfbithersche Geophysik, ftr
die meisten zu hoch. Das Supansche dürften dieselben TSllig in sich aufnehmen
können. Gehen wir auf den Inhalt des Werkes ein, so maten die Selbständig-
keit der Abgrenzung nach den vorschiedonpii Grenzdisziplinen, auch wenn man
nicht immer mit ihr einverstanden sein kann, die kuizcn, aber klaren methodo-
logischen Bemerkungen uns wohlthuend an. Es ist eine eigenartige Gestaltung
der gesamten physischen Erdkunde in Grundzügen, die zunächst die Geophysik
im engern Sinn oder die auf den ganzen Erdkörper bezüglichen Lehreu aos-
schlieibt nnd nur einige thatsichliche Hauptpunkte in propidentischer Fenn
Toransschickt Das erste Kapitel ftber die Gestaltung der Erdoberfläche be-
handelt nur die grofsen Zfige der Kontinentalmasse und delt auf die Danaschen
Hanptlinien der Architektonik ab, die uns in beschreibender Form TorgeflUirt
werden. Dio vier folgenden behandeln in musterhafter Darstellung die geo-
graphische Meteorologie und Klimatologie. Hier geht Beschreibung und erklärende
Entwirkelung Hand inlinnd, und es vermochte der Verfasser sowohl eigene Zu-
sammenfassungen wie Einzelgedanken zu bieten, da er selbst auf diesem Ge-
biete grundlegend gearbeitet hat. Die trefFlichen Charakterisierungen der Wärme-.
Wind-, Regen-, Klimagebiete werden durch sorgfältig ausgewählte und gegliederte,
ganz knappe Tabellen erläutert Insbesondere regen die Vennehe, die Erdober-
fläche in Klimagebiete au teilen, an, da dieselben Aberhaupt erst neuesten Da-
tums, soweit es sich um gröfsere Spezialisierung handelt — Supan nimmt deren
84 an — und erst allm&hlieh allgemeine Annahme erlangen werden, wenn die
verschiedenen Forscher snm gleichen Resultat gekommen sein werden. Dss
sechste Kapitel führt uns in nuce den Inhalt der neuen Wissenschaft der
Oceanographie vor. Durch Rchematische Fi^rnron wird elementar zn erlÜHterri
gesucht, was sonst durch Formeln entwickelt wird, wie die tliooretischr Ebbt
und Flut, die Wellenbewegung u. a. Die nächsten drei Kapitel umfassen das von
Geologen wie Geographen umstrittene Gebiet der Morphologie der festen Ober-
fläche, welches in weitem Umfange aber doch mit stetigem Bewufstsein der Ge-
fshr einer Abschweifung vorgefQhrt wird und in leichter, anspruchsloser Form
den Leser über den Stand der meisten Streitfragen orientiert Was anKlassiS-
kationsversuchen bisher an Tsge gefördert ist, findet sich hier snsammen-
getrsgen, aber selten ohne dafs in dem einen oder andernPnnkt die Entwirkelung
weitergeführt wird. Es wirkt dies Kapitel besonders anregend durch die Fülle
der Beispiele für die verschiedenen Formen, so dafs ein betriu-htlicher Teil der
geologisch-geographischen Litteratur hier eine sichtende Auswahl gefunden hat.
Im Gigensatz z. B. gegen die Darlegung der entsprechenden Partien in Hoch-
stettcrs Abschnitt in der bekaniitoa , Allgemeinen Erdkunde", für den, als Geo-
logen, dies oder jenes Beiüpiei genügt, tritt hier das Bestreben des Geographen
hervor, möglichst alle gleichartigen Erscheinungen der Erdoberflftche su berück-
sichtigen. Wir machen in dieser Hinsicht auf den Abschnitt über die Gebiigs
aufmerksam, der auch durch &ei ausgewfthlte Abbfldungen, Quefschnitte n. a
erläutert ist. Unter letzteren sind freilich manche zu detailliert für den MaGi-
stab, obwohl die Wahl einer möglichst geringen Oberh&hung der Profile sn
DigitizeO by ÜOOgle
— 387
loben ist. Snpan fafst als "Dual ist dio, physische Erdkunde in dem weitem fSinn
auf, wo ihr nur die Authvopogeographie gegenübertritt und widmet daher der
geographischen Verbreitung der Organismen noch einen ausführlichen Abschnitt.
Bekanntlich hüben Geographen von Fach dies Gebiet bisher am wenigsten mit
eigenen Forschungen oder zusammenhängenden Darstellungen betreten. Fast
alles TeidAiiki nuui Botaniktni und 2SoologeiL Man biaiifilit nur an Namen wie
QriBebaeb, Engler, Schmardau WaUace an erinnern, oline der ftlteren an gedenken.
Um 80 mehr verdient ea herrorgalioben an werden, wie aehr Snpan aneh dies
ihm fimndere Maiemi geistig za duroharbeiien und zu gestalten gewnlst hai,
ohne in naturhisioiisdie Detailliernng zu fallen oder durch Namen oluae Klang
für den Geographen, wenn ich diesen Ausdruck gebraueben darf, zu ermüden.
Die Beziehungen zwischen Klima und Pflanzenwelt bieten die meisten geo-
graphischen Gesichtspunkte und treten daher auch bei Supau in den Vorder-
grund. Indessen ist nach dem Vorgänge Englers und Wallaces überall auch
dem historischen Faktor bei der Zusammensetzung von Floren und besonders
Faunen Rechnung getragen, d. Ii. dem ehemaligen Zusammenhang heute durch
Ifeeresstiaben oder Wüsten getxemiter Landmassen oder mngekehxt der einstigen
bolienug heute ansammenhftogender Gehiete. Bei allen hier herangesog^en
Hypothesen hilt Snpan dorehaua liadB nnd drftckt sich selten in apodiktischer
Form ans, was dem heutigen Standpunkte unserer Kenntnisse ja dorchaos ent-
spricht. Von besonderem Interesse sind die Versuche, Englers Florenreiche und
Wallaces Faunenreiche zu kombinieren. Eine andere Frage ist freilich, ob wir
uns mit der Gattungs- und Arienstatistik von Pflanzen und Tieren wirklich
noch auf dem Boden der Geographie beänden. Kulturpflanzen und Haustiere
werden in ihrer Verbreitung nur gestreift, da dies Gegenstand der Anthropo-
geographie sei. Ein aosfahrliches Register erleichtert die Übersicht des Buches,
dem Gitate leider feUeo. Allerdinga hat das gebildete Publikum an den ein-
gestreuten Automamen genog, und detaillierte Belege gehörten nicht in den
Rahmen des Werkes. Aber eine Hittelstiabe, die wir fOr die folgenden Auf-
lagen empfehlen möchten, war hier sicher angebracht. Die Studierende Jugend
wird oft vergeblich nach dem Titel der wichtigen, zu Rate gezogenen Schriften
suchen. Der Umfang des Werkes würde durch diese Hinzufügnng nicht um
einen halben Bogen vermehrt sein. Höchst ttbezsichtlich and sauber sind die
20 beigegebenen Kärtchen.
Göttingen. H. Wagner.
§ Grundzüge der Handels- und Verkehrsgeographie von Dr. Emil
Deckert, Leipzig 1885. Frohberg. Mit grofsera Fleifs, Umsicht und ge-
schickter Auswahl sind in diesem nur 204 Seiten eines kleinen Formats zählen-
den Buche die wichtigsten Thatsachen des Wirtschaftslebens der Erde und
ihrer Abhängigkeit Ton den Naturbedingungen ausammengetragen und in geord-
neter Weise dargelegt Zunächst werden die Oseane in einigen besonders in
Betracht kommenden physikalischen Verhältnissen, ferner als Froduktions-
gebiete und Weltverkehrsstrafscn, sodann die grofsen Festländer oder Kon-
tinente in ihrer Ausdehnung und Gestaltung, klimatischen Verhältnissen, Be-
wässerung u. a.; darauf die Völker, die Produktions-, die Handels- und Verkehrs-
verhältnisse der Erde im ganzen abgehandelt. Diesem allgemeinen Teil folgt
die Betrachtung der bezüglichen Verhältnisse der fünf Weltteile, wobei Europa,
Asien und Australien nach Staaten resp. Kolonialreichen, Afrika und Amerika
nach, wie der Yerfiuser sich ansdrHekt, Wirlsehaltaigebieten betrachtet werden.
0egon einseines lieben sich Einwendungen erheben, im allgemeinen mufii man
27*
Digitized by Google
— 388 —
ftagen, <lafs Dockers Arbeit sich in der heatigen Zeitströmang als ein viel-
begelirteii uüizUciies Uuudbuch ervveisün wird.
Europa.
Die Alpen, nach H. A. Daniels Schilderang neu bearbeitet von Professor
Dr. E. Richter. Leipzig. Fuess Verlag (R. Raisland). 1885. Die grofse Aus-
braitmig der AlpenYeraioa — alleiii der .Deatsche und österreichische Älpen-
verein' sShlte 1884 nicht weniger als 110 Sekttonen mit Cut 14000 Mitfclieden
«08 «Heil Stiaden — teigt am besten, welche Bedeatnng und welches Interesse
die Alpen nnd deren Bereisang Ar die enropUsehe Menschheit gewonnen haben.
DensahlreicheaFrenndon nnserer schönen Alpen bietet sich nun in der obigen vor
knrsem erschienenen kleineu Monographie (96 Seiten) ein ebenso lehrreicher als
angenehmer Führer durch ihr weites Gebiet; dieselbe enthält den Abschnitt
^Die Alpen" aus Daniels grofsnn und bcliehtpii ;zeo;iraphischen Ilanrlbuche iu
einer Neubearbeitung von einem der bestt ii niid gründlichsten Kenner derselben,
dem vorjährigen Präsidenten des deutsi hcn und österreichischen Alpenvereins.
Die Abschnitte über Thalbildang, über Gletscher, über die Entstehaug des Ge-
birges sind Tottsttndig neu, ebräso ftst alle HOhemahlen, anch ist die Eintei-
lung der Alpen glüulieh geSndert Ungeändert blieben hingegen die ansffihr-
liehen nnd znm teil sehr anmutigen, koltnrellen and landschaftlichen SchiMe-
rungen. Wir wünschen dem Torliegenden Bache, dessen Fteis nor 1,60 M. ist,
fiele Leser and Leserinnen. Wo.
Der Hars in Gescliichts-, Kaltnr- and Landschaftsbildern
geschildert von F. Günther. HannoTcr, Vei!lagTonGarl]Ceyer(GastaY Prior). 188&
Ein tdchtiger Kenner unseres schönen nnd nach vielen Seiten interessantes
Haisgebirges unternimmt es in dem vorliegenden Werke eine eingehende Schilderang
dieser mächtigen Gebirgsinsel, ihrer Natur, ihrer landschaftlichen Schönheit,
sowie der Geschichte, Sitten und Gebräuche der Bewohner zu geben. Das Werk
erscheint in 7—8 elegant broschierten liieferunfien und soll bis Ende d. J.
vulU'iiilet sein. Der Preis der etwa 6 B()<zrii starken Lieferung ln-tragt 1 Ji
Die vorliegenden 4 Lieferungen berechtigen zu der Hoffnung, dals uns im obigen
Weike eine recht tfichtige and ans den besten Qaellen geschöpfte Heimatskonde
des Hanes geboten wird. Im ersten, allgemeinen Teil, der die drei ersten
Liefeningen am&bt, bringt «Der Hars* xanftchst: Die alte Gan- and DaOiesaa-
Einteilnng. Die TorgeschichtUchen Giab- and Wohnstitten and Befesti^uigen.
Die Besiedelnng des Harzes. Reste und Sparen des Heidentams. Die alten
Verkehrsstrafsen. Dann folgt eine Schilderang der Harzbewohner nach Sprache,
Charakter, Sitte und Beschäftifjun». Die letzten Abschnitte behandeln endhch
das Gebirge selbst, nämlich die innere Gliedoruug tlesselben, den Ikiu des Harzes,
die mineralischen Schätze und ihre Gewinnung. In der vierten Lieferung
beginnen die Einzelbilder, in welchen Städte, Burgen und Klöster, Land
and Leute geschildert werden. Aus dem Inhalt der ersten dieser Hefte nennen
wir: nfield, Walkenried, Lanterberg, Schanfeld, Pöhlde, Henberg, Catlenboig,
Osterode. Soviel für jetst, nach VoUendaQg des Werkes hoffiui wir, nochmals
and aasffthrlicher darauf surflcksukommen. Wo.
— Das deutsche Reich in seiner Entwickelang and Gestaliang. Ein
geographisches Handbuch Ton F. Joh. If 1kl 1er. Jisngensalsa, Scholbnchhandlung
1884. 8^40 Ji Der YeifiMser behandett die physikalische Geographie» die ststi-
stiBchen, nationalOkonomischen und politischen Zustände des deatMhen Eeiehes
Digitized by Google
— 889 —
in übersichtlicher Weise and kurzer, abgerissener Darstcllang. Seine Zasaiumen-
stollnng eotliUt viel Material «od sengt Ton ventSadigem Urteil. Zu tadeln ist
der Umstand, dab er sicli der alten Mafoe bedient Manches ist auch veraltet,
anderes fiilsdi, wieder anderes, was er seinem Plane gemSb hAtte behandeln
mOssen. fehlt, z. B. vermifst man eine präzise ErUfirang der deutschen Reichsver-
fassnng in ihrem Yerh<niBBeza den Verfiuwnngen der BandesstaatMD. A. Oppel.
Asien.
— Afghanistan u nd seine Nachbarländer. Nach den nenestan
Quellen geschildert von Dr. Hermann Roskoschny. Leipaig, Gressner 4
Schramm. Von diesem Werke liegt jetzt der erste Brind vor. Derselbe nm-
fafst vior Abschnitte; der erste derselben, S. 1 — 92, gicbt eine sehr eingehende
Schilderung des allmählichen Vordringens Hufslands gegen Indien ; der zweite
Abschnitt behandelt das afghanische Turkestan. d. h. die nördlichen und nord-
östlichen Provinzen Afghanistaus, Alaimene, liukh, Kundus, iiadachschan u. a.,
welehe sa dem Beiche des Emirs in mehr oder minder losem Terhiltnis stehen,
daran reiht sich im dritten Abschnitt die Sehüderang des eigentlichen
Afghanistan nach Land nnd Leuten; der letste Abschnitt beschreibt das nörd-
liche Nachbargebiet, das interessante Kafiristan, welches noch Tor kurzem sn
den nnbekanntesten Ländern Hochasiens gehörte. Zaldreiche vortreffliche Hlustra-
tionen nnd einige kleinere Karten dienen aar £rl&atemng des Textes nnd ei^
höhen den Wert des Baches. W.
— Russisch-Zentral-A sien nebst Kuldscha, Buchara, Chiwa und
Menv. Von Henry Lansdell. Deutsche Ausgabe von H. von Wobeser. Mit
vielen lUnstintionen im Text, vier doppelseitigen Tonbildern und Karte. 3 Bünde.
Leipzig 1885. Ferdinand Hirt »ii Sohn. 20 Mark. Der Verfasser hat sich zuerst
durch ein Buch über seine Reise durcli Sihiiien, welche er 1879 zu religiösem
und philunthrüpischeni Zwecke unternommen, um nämlich mit Unterstützung
eugUächer Gesellschaften Bibeln und religiöse ßrochüren in den Gefängnissen zu
verteilen, in weiteren Kreisen vorteilhaft bekannt gemacht Zn gleichem Zwecke
hat Henry Lansdell dann im Jahre 1882 anch die ttbrigen Teile Rnssisch-Asiens
besucht nnd dieser Beise verdanken wir die vorliegende interessante nnd an-
siehend geschriebene Reiseschilderung. Für die Länder- nnd Völkerkunde des
russischen Zentralasiens liefert der tüchtig gebildete und gut beobachtende Ver-
fasser durch sein Werk manchen schätzenswerten Beitrag. Auch an instruk-
tiven stati.stischen Daten ist das Werk reich. Zahlreiche Illustrationen, nament-
lich Völkertypen, und eine Karte von iiussisch-Asien vom Kaspi-See bis l^aldscha»
im Malsstabe I:6ö00ü0ü erhöhen den Wert des Buches. W.
— China und die Chinesen von Tscheng Ki Tong. Einzige autori-
sierte Übersetzung von Adolph Schulze. Leipzig, C. Reifsner. 1885. Das ge-
nannte Weikchen besteht aus einer Anzahl von Aufsätzen, welche der Oberst
und Militärattache bei der Kai.serlii h chinesischen (iosandtschaft in Paris. Ibclieng
Ki Tong, vor einiger Zeit in der ,Uevue des deux mondes'' verofleutlicht und
der sprachgettbte Berliner Schntsmann Adolph Schnlse nicht Übel im Deatsche
Ubertrag^n hat, gewifs eine seltene Vereinigung von Antor nnd Obersetser! Ohne
Zweifel ist es interessant, von einem gebildetm nnd dnrch sehnjlhrigen Aufent-
halt in Europa auch mit der europftischen Kultur bekannt gewordenen Chinesen
über gewisse Zustande seiner Heimat, die, wie er glaubt, von europäischen
SchriftoteUexn l&ckenhaft beobachtet oder schief dargestellt worden sind, unter-
Digitized by Google
— 390
ricMet sa weidMi, samal der YeiCuner eim gmoidte, nieht Mlteii lesMindt
Schreibweise entfaltet und durch die Analogien, welche er dem earopäischen
Leben entnimmt, manche Verhältnisse seiner Heimat anschaulicher zu beschreiben
voiTnafT. als os ilnn ohne dieses mofrlu li gewesen wäre Die Gegenstände, welche
er bald kürzer, bald ausführlicher bespricht, sind die Faimlie, die Religion luid
Philosophie, die Ehe und Ehescheidung, die Frau, div Schriftsprache, die Ge-
lehrten, die vorgeschichtliche Zeit, die Sprüchwörter uiul Sentenzen, die Er-
ziehung, der Ahnenkultus, die arbeitenden Klassen, die Poesie u. a. m. Dem
FeUwy den er europiiacben DaisteUem cbinesieelier YerbiltniMe som Vonnirf
macht, ist Herr Tscheng Ki Tong übrigens auch nicht entgangen; denn da, w»
er sich Aber enropibche ZnstSade inJiwrt, verfifilt er ebenfSdls snweilen in
folscbe oder schiefe Anfbssnngen, und wenn er sich auch zehn Jahre in unserem
Erdteile aufgehalten hat, so hat er doch nur die grofsstädtische Gesellschaft
kennen gelernt, deren allgemeine Zustände sich von denen der grofsen Volks!-
massen eben sehr unterscheiden. Dafs man unterlassen hat, dem hübsch aus-
gestatteten Buche ein llegister der Kapitelüberschriften beizugeben, sei füglich
noch bemerkt. A. 0 p p e L
§ Reise nach der Insel Sachalin in den.lahren 1881 — 82 von J. S. Pol-
jakow. Aus dem Russischen übersetzt von Dr. Arzruni, Professor an der
Königl. technischen Hochschale in Aachen. Berlin, A. Asher A Co. 1884. Wohl
mit Recht beaeichnet der (Ibersetser die von ihm fkbertragenen Briefe des be-
kannten Sibirienreisenden an die rassische geographische Gesellschaft ftber
seine Forschungen aof der Insel Sachalin als das voUst&ndigste, was in neuerer
Zeit über diese Insel geschrieben wurde und die Übersetzung war daher gewifs be-
rechtigt. Der Verfasser bereiste die Insel während 14 Monaten in den Jahren
1881 und 1882 sowohl an ihren Küsten nls im Innern sanaturwissonschaftlichen
und ethnologischen Studien und Sammlungen, wie zur Beurteilung der Koloni-
sationsfähigkeit. In erster Bezichmi'^ teilt er mit, dafs er enorme Sammlungen
aus allen Gebieten der x^Jaturwihsenschaft mitgebracht habe. Für besonders
wichtig erklärt er die anthropologischen und ethnographischen Objekte, nament*
lieh solche Ton den jetst aasgestorbenen wahzaoheittlich denAinosangehürendea
Creinwohneni, die Termntlich tot 160—200 Jahren an einer Gegend saUreieher
waren, als die gesamte gegenwartige BeTÜlkemng der Insel Was die wirt-
schaftliche Entwickelang der Insel betrifft, so verspricht er sich am meisten
▼om Kohlenbergbau, Viehzucht und Fischerei, während er für den Ackerbau bei
den ungünstigen klimatischen und Bodenverhältnissen wenig Erfolg voraus-
sieht. — Bekanntlich bereiste Kapitän Jacobsen für das Berliner ethnologische
Komitee in der Zeit vom Oktober 1884 bis Januar 1885 die Insel und stehen
nun aucli von diesem Mitteilungen von daher zu erwarten. Femer wurde berichtet,
dafs eine Karte von Sachalin in Rufsland tei tig^'ostLllt ^ei.
§ Un' Estate in Siberia fra Osüacchi, Samoiedi, Sirieui, latari, KirgluM
e Baskiri. Hit 144 Hlastrationen and drei Karten. T<m Stephen Sommier.
Florenz 1885^ Hermann Loescher. Herr Sonusuer machte im Sommer and
Herbst 1880 grojsenteüs dieselbe Beise wie vier Jahre frOher die von nnsenr
Gesellschaft, dem damaligen Polarvereine, aai^esandte West-Süunsdie Expeditioo.
Erst im Sommer (Jani), nicht wie jene schon im März, brach Herr Sommier
auf, um über Moskau, Nischni-Nowgorod, Kasan, Perm, Jekaterinburg nach
Tjunion zu reisen. Von hier wandte er sich nach Tobolsk, gelangte mit DaniptVr
aut dorn Irtisch nach Samarova und trat von hier die Lodkafahrt stromabwärts
bis zur Obmünduug an, während uu&ere Keisenden von Tjumeu sich sonächst
Digitized by Google
— 391 —
südwärts in den Altai nnd sodann erst auf die Strom- und Tundrareise begaben.
Im Herbste rückkehrend reiste Herr Sommier von Tobolsk über Wcrchne-
Uralsk durch die Steppe nach Orenburg, von wo ihn der Bahnzug wiedenim
zur Wolga (Samara) und weiter nach Moskau und Petersburg brachte. Von
Obdorsk befuhr Herr S. mit Lodka das Ästuar des Ob bis zu den Inseln bei
Jam-Sale; die beigegebene Karte (Mafsstab 1 : 560,(K)()) ist im wesentlichen dfr
von Uaga 1881 in der dänischen geographischen Zeitschrift veröffentlichten Karte
entnommen, bei welcher wiederum die in Finschs Werk veröffentlichte Karte
des Grafen Waldburg-Zeil benutzt wurde; für den südlichen Teil wurde noch
die von Moissejef 1881 herausgegebene Karte mit verwertet. Der Hauptzweck der
Reise war das Studium der Flora und der Völkerstämme. Um seine botanischen
Sammlungen zu bereichern, unternahm Herr S. von Obdorsk oder vielmehr von
dem gegenüber liegenden linken Ufer des Ob eine Wanderung über die Tundra
zum Uralgebirge, allein Regen und sumptiges Terrain nötigten nach einigen
Tagen zur Umkehr nach Obdorsk. Für die gute wahrheitsgetreue Darstellung
haben wir das uns auf Befragen brieflich ausgesprochene Zeugnis eines Mitgliedes
der deutschen Expedition von 1876, des Herrn Grafen Waldburg-Zeil. Eine
nähere Einsicht in das über 600 Seiten starke tjT)ographisch sehr elegant aus-
gestattete Werk hat uns überzeugt, dafs Herr S. mit grofsem Fleil's die bezüg-
lichen älteren und neueren Werke studiert und benutzt hat. Mit Hlustrationen
ist das Buch aufserordentlich reich versehen, Herr S. hat dazu auch Photo-
graphien, die ihm von verschiedenen Reisenden zu dem Zweck zur Verfügung
gestellt wurden, und ferner Abbildungen aus vorhandenen Werken benutzt. Ein
alphabetischer Index und eine Liste der einschlägigen Litteratur fehlen ni( ht.
So wird denn das Werk in Italien sicher zur besseren Kenntnis eines grofsen
Teils von Sibirien und seiner Bevölkerung dienen. — Die Ergebnisse der
botanischen und ethnologischen Studieji des Herrn S. erscheinen besonders.
Afrika.
— Der Kongo und die Gründung des Kongostaates. Arbeit und
Forschung. Von Henry M. Stanley. Aus dem Englischen von IL von Wo-
beser. Autorisierte deutsche Ausgabe. Mit über 100 Abbildungen, zwei giofsen
und mehreren kleinen Karten. In zwei Bänden. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1885.
3Q M ungebunden. Ein Werk, welches den berühmtesten und erfolgreichsten
Entdeckungsreisenden dieses Jahrhunderts zum Verfasser, die Beschreibung des
80 lange verhüllt gebliebenen wasserreichsten Flusses Afrikas und die zusammen-
hängende Geschichte eines der merkwürdigsten Staatengebilde aller Zeiten zum
Gegenstande hat, durfte der spannenden Erwartung der weitesten Kreise gewifs
sein. Denn nicht nur die Geographen und Kolonialpolitiker aller Schattierungen,
die Kaufleute und Kultivatoren in spe richteten ihre Aufmerksamkeit auf den
Kongo, sondern auch das grofse gebildete Publikum, das die Vorgänge in Afrika
teils aus Neugierde und Erregungsbedürfnis, teils aus wirklicher, sachlicher und
persönlicher Teilnahrae verfolgt und das teils entweder durch die Zeitungen
oder durch die Ereignisse selbst auf das Erscheinen des Werkes vorbereitet
war, sah ihm mit Ungeduld entgegen. Jetzt nachdem Stanleys litterarische
Arbeit dem deutschen Publikum seit mehreren Monaten vorgelegen hat — die
französische Ausgabe soll merkwürdigerweise erst in diesen Tagen fertig werden —
und nachdem Urteile von den verschiedensten Seiten und Standpunkten aus
abgegeben worden sind, kann man wohl den allgemeinen Eindruck dahin
zusammenfassen, dafs die a priori an das Werk gestellten Erwartungen nicht
— 892 —
in ToUem ÜmCMige befriedigt worden und. Abgesehen tob soldiai Stimmen,
welche sich in diiekten Oegensats sa Stanleys Person vnd Thitigkeit stetttea,
sind aach von wohlwollenden und unvoreingenommenen Beurteilem Terschaednie
Aossiellungen an den beiden Bänden gemacht worden, die meines Emehtott
ihre volle Begründung haben. Dafs nichtsdestoweniger das neueste Rongowerk
Stanleys ein hochbedentendes ist und in vielen Teilen für die Geogi-nphie und
Kolonisationsgeschichte Zentralafrikas einen bleibenden Wert besitzt, das ver-
dient andererseits mit unbedingter Entschiedenheit hervorgehoben zu werden.
"Wie der Titel besagt, verfolgt H. Stanley in seinem Werke einen doppelten
Zweck. Er will den Kongo nnd die OrQndnng des Kongoetaates beschrmben
nndseigen, wie bei seiner leisten IhftüglEeit in Afrika, Arbeit nndForsehung
sich die Hand reichten. Demgemftfii bestand seine Anfgabe sonichst darin, die
thstsächlichen Vorg^ge der fttnf Jahre 1879—84 darsostellen. Und in Wirk-
lichkeit hat Stanley diesem Gesichtspunkte in aosftthrlichster Weise Rechnung
getragen. Alle die Arbeiten, welche zamal unter seiner persönlichen Leitang
ausgeführt worden sind mit dem Zwecke, eine Kette fester Stationen, einerseits
von der Mündnng des Kongo bis an die sogenannten Stanky-FiUU . andererseits in
dem nördlich vom unteren Flusse gelegenen Gebiete, zu errichten, sind auf das
eingehendste beschrieben und der Schwierigkeiten, welche dem Fortschritte dieser
Arbeit entweder durch das Terrain oder das Klima oder die Eingeborenen oder
die Mangelhaftigkeit der Arbeitsmittel nnd -krSIte bereitet wurden, ist in der
amfio^^hsten Weise gedacht wordra, ja man kann behaupten, dab der
Yer&sser mit den darauf becfi^^ichen Hitteilnngep mehr Baum geftOt hat, als
eine in allen Teilen befriedigende Darstellung strenggenommen gefordert hätte.
Weitschweifigkeit und Umständlichkeit sind Fehler, welche dem Kongowerke
unbedingt zum Vorwurfe gemacht werden müfsen; und diese haben ihren Grund
nicht nur in dem Umstände, dafs der Verfasser bei manchen Vorkommnissen
länger als nötig vorweilt, sondern auch in der von Stanley schon in seinen
früheren Keisebesclireibungen an^t wendeten Methode, bei gewissen Gelegenheiten
einerseits seine Tagebuchnot izeu über Dekaden von Seiten emzuschulteu, anderer-
seits die Unterhandlungen, welche mit den eingeborenen Fürsten behüte Ab-
soUielhung Ton Friedens- und Freundsohaftsvertrigen oder Landabtretuug ge-
pflogen wurden, in Form von Dialogen wied«»ugeben. Wiederholungen und
eine gewisse Storeotypität mufoten die Folgen solcher DaisteHungsmanier sein.
Fernerhin ist nicht zu verkennen, dafs Stanley seine Persönlichkeit sehr stark
in den Vordergrund rückt und seine eigene Arbeitsleistung mit hellstem Lichte
beleuchtet. Seine Mitarbeiter, znnial die europäischen, kommen schlechter weg;
er gedenkt zwar mancher von ihnen mit Lob und Aaszeichnung; die Mehraahl
aber tadelt er teils wegen ihres ungeschickten Verhaltens dem Klima gegenüber,
teils wegen ihrer mangelhaften Leistungen; ja, in manchen Fällen erwähnt er
ihrer mit herben W^orten und bitterem Sarkasmos. Diese Stellen machen nicht
nur einen unerfreulichen Eindruck auf den unbeteiligten Leser, sondern sie
legen auch Zeugnis ab von einer nerrOsen Überreistheit des YerfiMsers, die ra
unterdrfleken Stanley in seinem eigenen Interesse wohlgethan hätte. Denn weno
auch das Verhalten einzelner Europäer ein wenig angemessenes gewesen sein
mag, so unterliegt es doch andererseits keinem Zweifel, dafs er ohne ihre Hülfe
nicht das erreicht hätte, was er geleistet hat, und es will scheinen, als ob die
Zahl der pflichttreuen Mitarbeiter die der pflichtvergessenen überwogen habe.
Die Arbeit am Kongo, besonders die Thätigkeit Stanleys, nimmt also den
breitesten Kaum in dem Werke ein; eine bescheidenere HoUe spielt die
Digitized by Google
— 393 —
Forschung. Dafür ist zunächst zu erwähnen, dafs eine giofse Anzahl exakter
Höhen- und Breitenmessnngen gemacht worden sind, aber nicht mitgeteilt
werden; besonders konnte dadurch der Verlauf des Kongo selbst von den Stanley-
FftOen bis Uk die Mftndnng um ein erhebliches konrekter dargestellt werden, und
wer die neae Kongokarte, welche diesem Werke beiliegt, mit dem ersten Ent-
würfe in «Throngh the dark continent" vergleicht, dem werden anf den ersten
Bück die seitdem gewomienen Fortschritte and Verbesserangen klar werden.
Von den Forschungen, welche nördlich vom unteren Kongo im Niadi-Kniln-
Gebiete gemacht werden, ist dagegen kanm die Rede; dieselben kommen ja
auch nur zum Teil auf Rechnung der ehemaligen Kongogesellschaft und ihrer
Agenten. Ausführlicher wird dupe<:en der KxknrsiDnen gedacht, welche von
Stanley in einigen der NebeiiHüsse des Kongo y^ uiadit \viu(l» ]i uiul welche
auLer anderem zur Entdeckung zweier Seen, des König L('üi»uld U. iSees und
des Msntsrnba-Sees führten. Im allgemeinen aber mxxk gesagt werden, dafs
dnreh den f&nfjaluigcn Anfenthalt Stanleys am Kongo wenig wirklieh neues
Haterial der geogtaphischen Wissenschaft sagefahrt worden ist; doch soll mit
diesem ürteU keine persönliche Bem&ngelang verbunden sein. Eingehender als
mit der Forschung beschäftigt sich Stanley mit den klimatischen Wirkungen
und der Kolonisationsfahigkeit des Kongogebictcs. Die Mitteilungen and Er-
fahrungen, welche über den ersten Gegenstand in den beiden Banden enthtilten
sind, verdienen jedenfalls die grölste Beachtung, und wenn aucli die bei dieser
Gelegenheit aufgestellte Fiebertheorie von den Medizinern nicht als richtig be-
funden werden sollte, so sind doch die Winke und Ratschläge über das Ver-
halten dem Klima gegentiber ohne Frage höchst schätzenswert. Was die
KolonisationsfiUiigkeit des Kongogebietes im weitesten Sinne anbelangt, so ist
Stanlej Optimist; er g^abt, dab das Binnenbecken des Kongo mindestens einer
ihnlichen wirtsdialtlichen Entwickelong fShig sei, wie das Hississippibecken*
Ob er mit dieser Ansicht Recht hat, das wird die Zukunft lehren. Dafs er sich
in manchen seiner Angaben geirrt hat, in anderen vielleicht Wunsch und
Wirklichkeit verwechselt liat, das unterliegt wolil keinem Zweifel. Dafs aber
Stanley absichtliche Unwahrheiten in sein Buch aufgenommen haben soll, wie
neuerdings von gewisser Seite behauptet wird, davon hat sich der Unterzeichnete
nicht überzeugen können. A. Oppcl.
— Ch. leBrun-Renaud, les possessions franyaises de rAfi utue
occidentale. Ouvrage accompagne de deux cartes. Paris, libraine militaire
de L. Baudoin et Cie. Paris, 1886. Dieses Bach kann in erster Linie allen
denen, welche sich über die geschichtlichen, natfirlichen, ethnographischen und
knltaThistorischen Yerhältnisse der firanzösischen Besitsangen an der Westküste
Afrikas onterrichten wollen, als ein übersichtlicher, znverlSssiger nnd nicht za
umftnglicher Leitfaden empfohlen werden; aber anch den fuchmäfsigen Geographen
wird es in manchen Benehongen gate Dienste leisten, deshalb weil der Ver-
fasser in der Lage war, aus offiziellen, ihm zugänglichen Quellen manche bisher
unbekannte Thatsache zu entnehmen. Ober den Rahmen seiner eigentlichen
Aufgabe geht der Verfasser insofern hinaus, als er einerseits die Entstehungs-
geschichte des Kongostaates mit in den Bereich seiner Darstellung zieht,
andererseits in dem letzten Kapitel seines Buches eine Übersicht sowie eine
Art Benrteiliii^ der deatscbeii kolonia^Utkchen Untemehmongen gieH Man
mofa anerkennen, dab Herr Gh. le Bran-Benaad sich verstftndig, and wenn auch
nidht fshlmfirei, so doch ohne Chanvinismns über diese Angelegenheit änHiert
und sieh jedeniMls eine viel sntreffendere and objektivere Ansicht über den
Digitized by Google
— 394 —
Zweck nod den Wert der deatschea Kolonintion gebüdet hat, als bo mandier
unserer Mitbürger. Ob er freilich mit dem Sohlnlssstse seines Baches das
Rechte trüR» das wollen wir dahin^sestellt sein lassen. Dieser Isntet n&mlich:
L'ex6cution dn Programme de politiqae coloniale, inaugnrSe par le grand
ohanceÜeri mena^ de pbrter un coap fatal ä. rinflaence des paissances coloniales
snr lenre possef^sions cxterieares, en nunant leor commerce, et apparalt gros
de conflits pour Tavenir. A. OppeL
— Afrika Der dunkle Erdteil im Lichte unserer Zeit. Von A. v.
Schwei ger-Lerchenf cid. Mit 300 Illustrationon in Holzschnitt und 18
kolor. Karten. Wion, A. Hartlebens Vorlag. Afrika steht dermalen im Vorder-
grunde der geographischen Inttiessen. Weiten Kreisen wird deshulH eine
Schilderung dos bislang dunklen Erdteils aus der Feder von Sthwciger-
Lerchenfeld, des beliebten geographischen Modeschriftstellers, gewifs willkomiiien
sein. Nach einem einleitenden Abschnitte über die Entdecknngsgcschichte
Afrikas schildert der Verfasser sonftchst die als physikalische Ganze sieh dar*
stellendett Banptabschnitte des Erdteils, Südafrika, Zentralafrika, Sndao,
Sahara, Nordafrika nnd die Inseln. Die Schlnfsabteilnng des Werkes, das in
30 Lieferungen a GO Pfg. erscheint, soll dann in einem Abrifs von Gesamt-
afrika das Klima, die Naturprodukte, die Knlturvcrhältnisse. Krieg, Jagd,
staatliche Verhältnisse, Pioligionen. Sitten und CJebräuche. Waffen, Geräte u a.
behandeln. Ein Han]^tschmuck de.s Werkes sind die zahlreichen Illnstr;itioiu n.
auch die Kartenbeilagen verdienen hervorgehoben zu werden. Iho Ausstaltung
des Buches ist trefflich und wir können das Bach zur Einführung in die
Geographie Afrikas empfehlen. W.
— Forschungsreisen in der deutschen Kolonie Kamerun
von Hugo Zoll er. Zweitor. mit 3 Karten und IG lllustiationen aosgestatieter
Band. Berlin und Stuttgart, W. Spemanu, 188Ö. Jk 5.
Die Metamorphose, wodurch aus einem Zeitungsreporter ein geogray^hischer
Schriftsteller, beziehungsweise ein Forschungsreisender hervorgeht, ist bekanntlich
nicht neu und H. Stanley darf als der berühmteste und glänzendste Vortreter
dieses Typus bezcitduiet werden. Unter uns Deutschen hat unseres W^issens diese
Verwandlung zum ersten Male Herr Hugo Zöller und zwar in der glücklichsten
Weise durchgemacht. Zeugnis davon 1^ eine Beihe Ton Bftchem ab, welche
smneist Torher als Artikel in der Kfilnisehen Zeitung erschienen, sich sämtlich
dorch frische Daxstellnn^ gesundes, mabrolles Urteil nnd warmen, Ton aUen
Extremen freien Patriotismns vorteilhaft auszeichnen. Wie die übrigen Schriften
des geschätzten Verfassers, ist auch der Torli^ende Band, welcher den dritten
Teil der Serie: ,,Die deutsclien Besitzungen an der westafrikanischen Küste*
ausmacht, ebenso angenehm wie hdirreich zu lesen und darf seitens des Beur-
teilers mit voller Überzeugung den weitesten Kreisen zur Lektüre ompfolilen
werden. Man findet dann eine auschaulu he Beschreibung des Mündungsdeltas
der Kameruntlüsse und eines Abstechers mit Dr. Nachtigal ius Mungo-Land.
Ferner werden afrikanische Jagdabenteuer geschildert. Anziehend ist die
Beorteilnng des Negercharakters, lehrreich die Beschreibung des Enropaerlebens
in Kamerun, eingehend die Ethnographie der Dualla. Eine besondere Aufmerk-
samkeit verdienen die Abschnitte ftber den Handel sowie über dan Wert, die
Zukunft und das Klima der deutschen Besitzungen in Westafrika. DenAbaehlnis
des Buches bilden einige Kapitel über die ältere Geschichte von Kamerun, über
die kriegerischen Ereignisse im Dezember 1984 und über die deutsche Verwaltnqg
Digitized by Google
395 —
iu Kamerun. AubaugHweise ist ein kleines Vokabular der liervorragendüteu
Sprachen und Dialekte beigefügt. Zur besseren Veransehanlicbung des geschrie-
benen Wortes dienen sowohl die beigefügten Karten, welche auf Originalskixzen
des VerfEttsers benihen,al8 anch die Bilder, welche teils der Qarteulanbe entnommen,
teils nach den an Ort nnd Stelle von Zöller anlgenommenen Photographien her-
gestellt sind. A. Oppel.
$ Brandenbnrg-Frenfsen anf der Westküste von Afrika
1681 bis 1721. Verfafst vom Grof.'^on Ocnoralstab, Abteihing für Kriegsgeschichte.
Mit einer Übersichtskarte und fünf Skizzen. Berlin 188ö Ernst Siegfried Mittler
nnd Sohn. Im Februar 1884 bosuc hte das deutsche Kriegsschiff , Sophie" die •
Westküste von Afrika und es wurden bei dieser Gelegenheit dnrcli den Kom-
mandanten Korvettenkapitän Sfubenraucii die in der Nähe des Kaps der drei
Spitzen noch vorhanduiicn Kuiiu ii des alten brandenburgi-sclieu Forts „ürois-
Friedrichsburg'' besucht und genau anfgenommen, es wttide von da anch ein
altes Geschützrohr mitgebracht, das nnn auf Befehl unseres Kaisers in der
Bnhmeshalle zu Berlin anigestellt werden soll (vergl die besfig^die Ifitteilong
in dieser Zeitschrift Band VII, S. 304 n. f.). Die jetidge beinahe ansschliefslich ans
Akten und Urkunden des KOnigl geheimen Staatsarchivs zu Berlin geschöpfte
Arbeit enth< nun die erste vollständige Darstellung der Geschichte und des
Untergangs jener })randenbnrgisrlien Kolonien. GemafM dfin (^harakter jener Zeit
und im Gegens;itz zu der heutigen waren jene Kolonion voji Anb'.'ginn mili-
tärische. Die kommerzielle Seite trat gleitlib^ani nur ^;ekundür und in Verbindung
mit der militärischen in der .Afrikanischen Kom[)aguie- auf, welche von dem
Schöpfer des Ganzen, dem Grofsen Kurfürsten, bald nachdem, 1681, das Terrain
an der Ooldkflste Ton den afrikanischen Häuptlingen dnrch einen Itranden-
bnrgischen Kriegsschiffskapitän erworben war, ins Leben gemfen wurde. Gleich
nach Errichtung des Hauptforts, Orols- Friedrichsburg, seigte sieh die Feind-
schaft der Holländer, aber auch die "Htpferkcit der preufsischen Kolonial-
gamisonen in vielen Kämpfen. Zu dem räumlich beschränkten Besitz an der
Goldküste kam 1G85 die Insel Arguin nnd eine Küstenstrecke von 150 Meilen
an der Küste von Senegainhien 1<)8() übernahm der Grofse Kurfürst das Eigen-
tum der afrikanischen Kompagnie, 1()88 starb er und damit war auch das
Schicksal der neuen Kolonien entsrliieden. Der deutsche Handel dahin florierte
noch eine Zeitlang, allein die Geltendmachung Preufscns als Seemacht trat unter
den Nachfolgern des Grolsen Kurfftrsten zurück und 1717 wurden ^on König
Friedrich Wilhelm L die brandenburgischen Kolonien in Westalrika an die
holländisch-westindische Kompagnie Terkauft. In der gansen Darstellung ist
natOrlicherweise das Schweigewicht auf die militärische Seite der Sache gelegt
und mit lebhaftem Interesse liest man die langjährige tapfere Verteidigung der
Veste Grofs-Friedrichsburg durch den in preufsischcm Dienst stehenden Neger^
Häuptling Jan Cuny und des Forts Arguin durch den heldenmütigen Kapitän
Jan Wynen. — Vielleicht wird auch die wirtschaftliche Seite jener früheren
brandenburgischen Kolonien noch einmal auf Grund der Akten der afrikanischen
Kompagnie näher beleuchtet, als es in der vorliegenden Schrift geschehen
konnte; z. B. heifst es darin bezüglich der Kolonie an der Küste von Sene-
gambien: «Die neue brandenburgische Kolonie erstreckte sich ftber 160 Heilen
an der senegambischen KQste, Tom kanarischen Kap bis cum Senegal; der
Handel entwickelte sich Tortr^nich, geraume Zeit war Arguin der grölste Stapel-
platz für den internationalen Gummihandel, so dafs die afrikanisclie Gesellschaft
in dieser Beoiehung eine Art Weltmonopol besafo, das den besondem Meid der
Dlgitized by Google
— 396 —
profsen Kolonialmächte erregte." Und weiter: ,Das Komniirzium auf dieser
Arguynscheu Koste besteht voraehmlich in Gummi, auch etwas Gold, SklaTen,
Elefuteiitllui«!!, Beioarsteineo, Pfeffer, H&aten v<m Tigern, Oehsen, Bocken,
CftbriHen, weilwm und schwansem Ambia de Gria, anweilen viel, snweflen weni^
nachdem die See solchen auswirft, Stranfsfedern, Fisch und Sali in grolser
Menge. Die Laft in Argnyn ist gesund, and ob es daselbst schon grofe Hitze
giebt, so werden doch die Leate gemeiniglich sehr alt." Die Übersichtskarte, wie
die nach den Originalzeichnnngen augefertigten Pläne uui AbbildOQgen dienen
dem Zweck der Orientierung sehr gut
Amerika.
§ Teuili Ceiiäus of the Uuited States 1830. Vol. II. Statistics of
Mannfactnres. Der aUe sehn Jahre nach Veranstaltang des Cenaos nen
herausgegebene Censosbericht ist i^eichsam das grobe Hauptbuch der VereinigteB
Staaten. Viele tausende sind an der Einsammlung^ Ordnung und Ausarbeitung
der Masse von Thatsachen beschftftigt, welche den Inhalt des Weikes bilden,
eines Werkes, das bisher mit dem riesigen Wachstum der Vereinigten Staaten
sich stets ausiredehnt hat und nunmehr für den letzten Censns nicht weniger
als 28 starke Qnartbändc füllen wird! Dabei ist dieses gewaltige Druckwerk
auch äufserlich auf das eleganteste und solideste ausgestattet, trefflich aus;.'eiuhrte
Karten und Illustrationen sind und zwar oft in grofser Zahl bei^'tgehfn und es
werden keine Koston gescheut, wenn es sich darum handelt irgend eine Beziehung,
eine Eutwickelung durch Tabellen, graphische Darstellungen und längere
historische Berichte klar su legen. Der Torliegende, uns von Herrn Seaton,
dem obersten Leiter des Censns, gütigst fibersandte Bericht ist 1196 Seitm
stark, enthSlt eine Beihe Karten und Dlustrationen und besteht ans folgenden
Einzelberichten: Statistik der Manufakturen von E. M. Hollerith; über das
Fabrikensystem (mit vielen Abbildungen Ton Arbeiterwohnungen n. a.) von C. D.
Wright; über mechanische Werkstätten von Professor Trowbridge und Charles
H. Fitch; über die Steingut- und Metallwarenindustrie von denselben; über
die Eisen- und Stahlindustrie von J. M. Swank; über die Seidenindustne von
W. C. Wyküff; über die Baumwollenindustrie von E. Atkinson; über die WoUen-
indostrie von 0. W. Bond; über chemische Produkte und die Salzgewinnung
von W. L. Bowland; endlich über die Glasindustrie von J. D. Weeks. Den
Ver&ssem dieser Berichte war, das ergiebt sich, der fireieste Spielraum gewählt
und so werden denn in dem Abschnitt der Manufakturen s. B. auch die
Arbeiterwohnungen und die KorporativoAssodationen in enropaisehen Staaten
in vergleichenden Darstellungen unter Beigabc von Plftnen nnd Illustrationen
abgehandelt ; der Bericht über die Glasindustrie der Vereinigten Staaten enthfdt
zugleich mehr oder weniger ausführliche Darstellungen über die Entwickelung
der Glasindustrie in den europäischen Staaten u. a. Die Karten veninschaulichen
die Anwendung der Dampf- und der Wasserkraft in den verschiedenen Teilen
der Vereinigten Staaten, die Örtlichkeiten der Eisen- und Stahlindasthe and-
der Salzgewinnung
§ Une anuee au Cap Horn, par le docteur liyades, mit zahlreichen
Illustrationen. In: Le Tour du monde, Heft 1276 und 1277, 20. und 27. Juni
1886. In Band VII S. 170 n. ff. dieser Zeilschrift haben wir Torläafige Beiichto
über die geographischen und naturwissenschaftlichen Ergebnisse der in der
Orange-Bai 1882—1883 etablierten fransösischenPohurstation gegeben. Durch die
Güte des Verfitssers geht uns nun die Torliegende mit einer Beihe gans ans-
Digitized by Google
— 397 —
gczeicliiieter Illustrationen ausgestattete Arbeit zu, welche in zehn Abschnitten
folgende Punkte behandelt: 1. Zweck, Organisation und Vorbereitungen. 2. An-
kunft in der Orange-Hai, Einrichtung und Aufnahme bei den Ein«!eboren(Mi
3. Die amerikanischen Seehuudsji^er. 4. Die englische Mission in Uschuia am
Beagle-KaoaL 6. Der VeDii8*yor&bergang, der Sommer in der Orange-Bai, die
Gartenanlagen in der Station. 6. Die Arbeiten der Station: Jagd, FiBchfiuig,
photographiscbe Anfiiahmen. 7. Exkursionen nach vereehied^en Richtungen.
8. Die Fenerl&nder dei Kap Horn-Archipels. 9. Verkehr mit den Eingeborenen.
Die naturhistorischen Samnüongen der StaMon. 10. Abreise nndBflckkehr nach
Frankreich.
Ethnologie.
Original mitteilungen aus der ethnologischen Abteilung der
Königlichen Museen zu Rorlin. Herausge;^eben von der Verwaltung. Ereter
Jahrgang, Heft 1. Berlin 1885. W. JSpemann. Diese m ue ethnologische Zeit-
schrift wird mit einer Gedächtnistafel eröffnet: In monioriam Dr. G. Nachtigal
t April 1885, beerdigt in Kap Pahnas in Afrika. Zur vorläufigen Orientierung
ftber den Inhalt bringen wir ans dem Vorwort Bastiane folgende Stellen zum
Abdruck. «In tranemder Erinnerong an einen onvergefslichen Namen tritt neu
eine Zeitschrift ins Leben, fcLr eine junge WisBenschaft, die in dem unaufhaltp
samen Verschwinden des f&r ihr eigenes Wachstum bedürftigen Arbeitsmaierials
ftbeiall von flüchtiger Verg&nglichkeit getroffen, am schwersten und bittersten
diese empfindet, wenn ihr jählings diejenigen Forscher und Freunde entrissen
werden, anf deren fernerer Förderung und Hülfe die Hoffnungen für die Zu-
kunft beruhten. Klein bleibt bis jetzt der Mitarbeiter Kreis, ein winzig kl» iiier
für die üncrniefhliciikeit der Aufgabe, die vorliej^t, und möge ohne Verzug des-
halb der Nachwuchs heranreifen, das zu retten, was noch fertig steht, — zu
arbeiten, solange ein Rest des Tageslichts noch d&mmert, ehe die Nacht kommt,
im unausbleiblichen Untergang der Naturstftmme (Ar ihre psychischen Origi-
naütSten). Indem so diese Publikation mit einem Nekrolog zu erMhen war,
beginnt sie mit Auftfihlung der im Kltoig^ichen Husram ans Nachtigals Reisen
vorhandenen Sammlungen. — Im Anschlufs an die Resultate der durch die
Kaiserliche Admiralität veranhifsten Erforschung der Ostcrinscl (s. Beiheft sum
Marineverordnnngsblatt No. 41* foljit das Verzeichnis der dem Museum dadurch
zageführten Suinnilungon, sowie (aus dem Insclmcer der Südsee gleichfalls) ein
Beitraj; von der besten, zur Zeit alleinigen. Autorität für Mikronesien, dem dort
seit Juli reu thätigen Reisenden Kubary, in Weiter! ührung der eingehend sach-
kundigen Monographien, welche demselben in der ethnologischen Litteratar von
früher her bereits su danken sind. Da es sich ermöglicht hat, Vereinbarungen
mit ihm ansuknl^fen, und umfassende Materialien seitdem eingelaufen sind,
wird noch in der Fortsetzung der Hefte Gelegenheit geboten sein, seine an Ort
und Stelle gepflegten Studien allgemeiner Benutzung zugänglich zu machen.
Femer bringt dieses erste Heft Mitteilungen über die Sammlungsergebnisse des
ReisPTiilcn Hohdo. der im Auftrage des Museums in Südamerika thätig war,
sodann aus den duK h Vermittelung der Kaiserliciien Oesandtschaft in Peking,
in altbewährter Gönnerschaft des Herrn von Brandt, zugegangenen Sammlungen
die Umschriften taoistischer l'empelbilder, ferner eine Besprechung tibetischer
Knltasfiguren, und zam Scblufs ist durch Güte Bischofs Thiel eingesandt ein
Yokabular aus Costarica angefügt, mit einem Kommentar durch Herrn E. Seier,
der der ethnologischen Abteilung seine Mitarbeit gewidmet hat und auch den
Bericht ttber die sfidamerikanischen Sammlungen eingeleitet hat*
Digitized by Google
— 398 —
i; Ethno^raphisrho Beiträge ztir Kenntnis der c a ro 1 i n is c h e n Tnspl-
gruppc und N;t' hli;iis( h.'jtt, von J. Kubury. Heft I: Die sozialen Einrichtnncren
der Pelaner. Herliii 188.). A. Asliev & Co. In der vom ^^rofsen Verkehr bis-
her nur wenig berührten ücgend des ozeanischen Archipels, welcher die jetzt
80 viel beiprocbene Carolmengruppe an^iehört, habtti akh, wk schon Meiixicke
bemerkt, manche ethnische Eigentfimlichkeiten bewahrti welche in andeno
Teilen der anstralischen Inselwelt lange fftr immer verloren gegangen sind.
Der von der ethnologischen Abteilang des KönigL Mnsenms in Berlin schon
seit län^jerer Zeit geliep^e "Wnnsch, für VerToUstftndigting der in dieser Richtung
nnr qpärlioh vorhandenen Sammlangen * ino geeignete Persönlichkeit zu ge-
winnen, ist jetzt in Hrfüllnng gegangen, lia das unter dem Vorsitz des Herrn
Bankier Isidor Kichter in Horlin bestehende ethnologische Komitee als Reisenden
und Sammler für da.« Königl. Museum den durch seine langjährige erfolgreiche und
verdienstvolle Thätigkeit für das Godeffroy-Museum bekannten Verfasser engagiert
hat. Zwei Sendungen mit Sammlangen für das Museum sind bereits eingetroffen und
als eine wertvolle litterarische Fracht dieser Verbindnng ist die Veidffiuitlichang
der vorliegenden Arbeit über die sosialen Einrichtangen der Pelaner so beseichnea.
Diese ethnologischen Beittftge grnppieren sich sa folgenden Abschnitten: Das
Familienleben der Pelauer. Die Yerhältnissei innerhalb einer Gemeinde. Die
Verhältnisse der Gemeinden zu einander.
— Ploss, H., Dr. med.. Das Weib in der Natur- und Völker-
kunde. Anthropolocrische Studien. 2 Bände. Leipzig 1884. Th. Griebel«
Verlag iL. Fernau). Der durch seine wertvollen anthropologischen und ethno-
graphischen Arbeiten, besonders durch sein früher erschienenes Werk .Das
Kind", vorteilhaft bekannte Verfas.ser hat in dem vorliegenden Werke eine
solche erstaunliche Fülle von Daten über die Natar des Weibes and über seine
sociale Stellang bei den verschiedensten Ydlkem der Erde ansammeogetragen,
daüB dasselbe in hohem MaDw einen schfttsenswerten Beitrag sa einer Matof-
geschichte des Mensehen bildet Es ist hier nicht am Ort, anf den rächen oad
interessanten Inhalt des Buches einzng* lun ; wir empfehlen das Bach aber dem
Firennde anthropologischer und völkerkundlicher Studien bestens. W.
§ Der Papua des dunklen Inselreichs im T.irhte psychologischer Forsrhnng
von Adolf Bastian. Berlin 1885. Weidmann. Das vorliegende über :M>0
Seiten umfassende Werk enthält nach einem kurzen einleitenden Kapitel über
die Entdeckungsfahrten nach Neu-Gninea in drei Kapiteln eine Fülle von Mit-
teilungen über Religion und Sitte, Hecht und Gebräuche. Stämme, Sage and
Familie n. a. bei den Papuas.
Sohalgeographie.
Lange Zdt ist der geographische Scfaalanterridit das Aschenbrödel anter
den übrigen ünterrichtsgegenst&nden gewesen. DaÜB ansere Zeit sich anschickt,
darin gründlich Wandel zu schaffen, beweist a. a. auch das Erscheinen mehrerer
tüchtiger methodischer Schriften über den geographischen Unterricht. Es ist
hier nicht der Ort, auf dieselhon näher einzugehen, wohl sei es aber erlaubt,
auch an dieser Stelle dieselben namiiaft zu iii;i< hcn. 1) Methodik des geographisehen
Unterrichts von Heinrich Matzat. Berlin; Verlag von Paul Parey. LSSi.
382 Seiten. Preis 8 2) llülfsbuch für den L'nterricht in der Ertiknnde von
A. HammeL Halle, Ed. Anton. 1885. 400 Seiten. Preis 4,40 Jk 3) Vor-
lesnngen über Hülfsmittel and Methode des gcogi-aphischen Unterrichts. Von
Prof. Dr. Richard Lehmann. Halle, Verlag von Taosch A Qroese. 1885. (Bis
jetzt 1. Heft). Interesairenden Kreisen empfehle ich diese Schriften angelsigent-
liehst aar Beacbtang. Wo.
Digitized by Google
899 —
Versch iedenes.
§ Festschrift zur öOjfihrigen Jubelfeier des Provinzial-Landwirtschafts-
vereins zu Bremervörde Erster Teil. Stade 1885, A. Pockwitz. Es ist ge-
wifs sehr erfreulich und anerkennenswert, dafs der Provinzial-Landwirtseliafts-
verein zu Bremervörde seine Jubelfeier zur Heraus«;abe dieses durch Inhalt und
fiuffiere Ansstattang gleich ftusgezeichneteii Werkes benatit bat, das, weit über
eine Darstellaiig der Landwirtschaft hinans, uns ein Tollständiges historisches,
topographisches und geographisch-statistisches Bild des Landes awisehen Unter-
weser und ünterelbe, historisch gesprochen : der Herzogtftmer Bremen nnd Verden
und des Landes Hadeln, oder, nach der Verwaltungseinteilung der hcatigen
Provinz Hannover: des Regierungsbezirks Stade, bietet. Bisher fehlte es an
einem neuereu tf^po^jraphisrhen Werk über dieses Oobiet, das nicht blus land-
wirtschaftlich, sondi I II durch Nuturbedingungen und historische Verhältnisse im
Vergleich zu anderen deutschen Landen höchst eigenartig gestaltet ist, wie schon
vor einigen Jahren ein verehrtes Mitglied unserer Gesellschaft, das auch an dem
vorliegenden Werke einen bedentenden Anteil hat, in einem dnrch eine Karte
bereicherten Anfsats in dieser Zeitschrift dargelegt hat*). Der Inhalt des vor-
liegenden I, Bandes serfiUlt in einen geschichtlichen, einen geographisch-nator-
wissenschafllichen nnd einen landwirtschaftlichen Teil. Der nns näher interes-
sierende geographischnrntorwisscnschaftliche Teil nmfafst an IßO Seiten; in ihm
werden zunächst die neueren Karten des Regierungsbezirks besprochen, die Lage,
Grenzen und Gröfse angegeben und es wird sodann die geographische Be-
schreibung des Landes durch Darlegung der Bodengestaltunfj nach ihrer Ilaupt-
gliederunjz: Marscli — Moor — Geest, im einzelnen ausgeführt, wobei denn auch
den ürenzhüsseu Elbe und Weser ein besonderer Abschnitt gewidmet wird. Eine
im Ifalsstab von 1 : 350,000 hergestellte farbige Karte ist dabei eine wertvolle
Zugabe. Ein «weiter Abschnitt Ton Dr. W. 0. Focke in Bremen legt die geo-
logischen YerhUtnisse, namentlieh die Entstehung des BlocUehms nnd Geschiebe-
mergels, die geologischen Formationen nnd die nntxbaren Bodenarten dar. Der-
selbe Naturforscher hat auch das Kapitel über die Pflanzonwelt verfafst, in welchem
die Veränderungen in der Vegetation des Landes, die einheimischen Gewächse in
ihrem gesellschaftlichen Auftreten, die Flora in ihren Beziehungen zu Boden
und Klima, ferner zur Tierwelt und zum ^^enschen beleuchtet werden. Die
Tierwelt in ihren versf Incilonen Al)teilungen wird von Herrn A. Brinkmann in
Walle bei Bremen beiiundelt. Endlich werden die klimatisclien Verhältnisse:
Temperatur, Feuchtigkeit und Niederschläge, Luftdruck, Winde und Gewitter
unter Beigabe von Tabellen Yon G. Diercke erOrtert Ans dem historischen
Teil seien besonders die dnreh gnte Abbildungen erl&nterten Abschnitte über
den allgemeinen Knltnrfortschritt des Bezirks nnd spesiell ftber die Knltnr der
Harschen von Hermann Allmers, sowie der Abschnitt über die Volkstrachten
von Seminarlehrer Schröder in Stade hervorgehoben. — Diesem an 600 Seiten
umfassenden T Teil wird demnächst ein zweiter folgen, welcher neben einer
Reihe landwirtscliaftlicher Mitteilungen eine spezielle Statistik ans der T'eder
des Herrn Diercke bringen wird. Für längere Zeit ist damit ein gutes (^uuUon-
werk der Heimatskunde Isordwestdeutschlands geschaffen.
§ Verhandlungen des fünften deutschen Qeographentags, zu Hamburg
am 9., 10. und 11. April 1885. Im Auftrage des Zentralansschnsses des deutschen
Geographentags herausgaben Ton Dr. H. Michow in Hamburg. Mit swei Karten.
♦) Deutsche geographische Blätter, Band II, S. 213 u. AT.: Das Land zwi-
aehen Unter-Weser und Unter-Elbe, von C Diercke.
Digitized by Google
Berlin 188ö, Dietrich Reimer. Der 237 Seiten zählende gut aosgestatteie Band
enthält zunächst die ErGfinnugsansprache des BürgermeistetB Dr. KirehenpMAr,
sodann die gehaltenen Vorträge nnd Berichte^ 16 an der Zahl, weiter Berichte
Aber die secha Sitsnngen and die Anaflflge, endlich eine MitteUnng fiber dia
geographische Ansatellang« Don Schhifs bilden Verzeichnisse der Besacher und
der Mitglieder des Geographentags. Beigegeben sind zu den Vorträgen des Oeh.
Admiralitätsnit.s Neumayer und des Herrn Westendarp eine Karte des antarkti-
schen Gebiets südlich von Kap Horn und eine Karte, welche das matmaliliche
Verbreitungsgebiet des £lefanten in Afrilsa darstellt.
Karten.
§ Exkursionsknrte zur ümgegend von Vegesack Entworfen nrx^ ge-
zeichnet von L Halen bock Bremen, G. Hunckel ISSö. Unser Mitglied
Herr Halcnbeck bearbeitet seit hnim r Zeit die Topographie und Ueschirhte lier
ümgegend von Bremen. Ihm verdanken wir eine ganze Reihe von Heften,
welche anter dem Titel: „Aasilüge in Bremens weiterer Umgebang'' und aas-
gestattet mit kleinen Kartenskissen und Plänen sich dem Tonristen -~ nnd
deren gieht es anch f&r nnsere an landschaftlichen Beisen arme Umgegend
manche, — als nach den ▼«mchiedeosten Bichtangen hin kundige F&hrer dar-
bieten. Das vorliegende im Malsstab 1 : 50,000 aasgeföhrte Kärtchen stellt das
beliebtoste Exknrsionsgebiet der Bremer, die anmst^ hügelig-wahlige Gecst-
laudschaft um Vegesack dar, es reicht nördlich bis zur Garlstedter Heide, süd-
lich bis Grambke, westlich bis Warfloth und östlich bis Scharmbeek und zur
Kirche von St. Jürgen. Es enthält u. a. folgende Unterscheidungen; Eisen-
bahnen, Chausseen, Haupt-, Neben- und (rot punktiert) Fnfswegc. Deiche, llitter-
und Landgüter, Kiefern- und Laubwald i^grün), Ackerland, Heide, Moor u. a.
Die aasgedehnteste Waldstrecke, zum gröfseren Teil Nadel-, zum klaianen Teil
Laabhols, ist jetxt der neoangelegte Heidhofforst in Verbindnng mit SehmidlB
Kiefern und der in westöstkcher Bichtang 7'/« km lange Elm.
9 Qeneralkarte der Südost- earop&isehen Halbinsel (Unter -Donau-
und Balkan -Länder, Königreich Hellas) bearbeitet von Heinrich Kiepert.
3 Blätter. Mafsstab: 1 : 1,600,000. Zweite berichtigte Ausgabe. Berlin,
Dietrich Reimer 188'). Diese in Schrift- wie Terrainstich sehr gelungene
Karte unseres berühmten (ieographen und Kenners des Orients enthält die
Unterscheidungen nach Villajets des osmanischen Reichs und nach Provinzen
des hellenischen Königreichs, sie reicht südlich bis Kandia, nördlich bis Kroa-
tien, Slavonien, Ungarn, Siebenbürgen, Bessarabien, westlich über den sfid-
libhen Teil des Adriatischen Heeres hinans bis Sttdost-Italien and in Klein-
aiien bis Kintahia. Zwei Kartons stellen den Hellespont and den Bosporos
dar. Besonders für den Politiker ist in jetsiger Zeit der politischen K&ni|ife
im Orient die Karte ein sehr gutes Orientiernngsmittel.
§ Ein uns von Justos Perthes in Gotha zugesandter Prospekt kfindigt die
Herausgabe eines Atlas von Japan seitens dieses Verlags an. Derselbe,
ent\v<>rf(>n und gezeichnet von Bruno Hassonstein, besteht aus siebin
Kartt nbluttern im Mafsstab von 1 : 1,0(>0.()00 und einer Übersichtskarte im
Mals-sfabe vuii 1 : 7.:)fX).()()(). Die erste Abteilung, Sektion L bis IV., enthaltend
Zentral- und .Süd-Japan bis 38' n. Dr., ist, wie der Prospekt mitteilt, bereits
erschienen; die zweite Abteilaug, Tier Blfttter, enthaltend: Nordjapan, Tesso,
Kurilen und eine Übersichtskarte des gansen Beiches nebet Korea nnd Osiasien,
erscheint im Laafe des nftchsten Jahres.
Druck von Uwl B«lifiii««MkBa. BrooMa»
Digitized by Googl(
T
. t
, Go
<4le
Digitized by Google
Digitized by Googid ^
THI8 BOOK 18 PUB OS THE LAST DATE
AN ^N^ß^^l^^^^^^yRP^
WILL BE ASSESbED FOR FAILURE TO RETURN
THI8 BOOK ON THE DATE DUE. THE PENALTY
WILL INCREASE TO 50 CENTS ON THE FOURTH
DAY AND TO $1.00 ON THE 6CVENTH DAY
OVERDUE.
JAN 29 1947
: *REC D LU
7
\
: t^^^y fi/^j^ ^
Sübject to recö
[jEC'D LD JAN 7
0CT391S86
rai cm. Nov 1 1
SEP 3*69-4
DEC 2 s 70 2 9
_jjBRARYU$E JAN 22 1975 4
-9 Ai;i
LD 2l-100m.l2/43 (87968)
Deutsche g€ ographische
55
v,7-8
biätter .
JAN 29 19^7
lan22
«
i'. 7 ^
THE UNIVERSITY OF CALIFORNIA UBRARY