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Full text of "Deutsche geographische blätter .."

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DEUTSCHE 


GEOGRAPHISCHE 


BLÄTTER 


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Deutsehe 


Henubjjvgulien  von  der 


Geograpliiiclteii  Gesellscliaft  la  Brefflei 


dorch  Dr.  M .  Lmdeman. 


Baad  VIL 


Meie  Folge  der  Mitteilnngeii  des  froheren  Vereins  für  die 

deutsche  Nordpolarfahrt. 


BRBMBN. 

Komnii&Mons  -  Verlag  von  G.  A.  v.  Haleui. 

1884* 


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Grössere  Aufsätze:  s«tte 

1.  EThi)ulo;:i>rhe  Beitni^c:  :i.  Zur  EotwickelongBgescbichte  der  Familie. 

Von  Dr.  Al»>   Herrn.  Post   1' 

2.  Die  Erforschung  <U-s  Yukon-Gcbiet.s  (S(unin(  r  1SS:5  .  Von  F.  s.  huatka. 

1.  Von  der  Chilkoot-Bncht  bis  Fort  .Selkirk.  Mit  Originul-Huutenkarte 

nnd  einem  Lichtdruckbild.   Vorwort  von  Dr.  A.  Rranse   16" 

5.  Ein  Besach  in  den  portugiesichen  Kolonien  Südwestafrikas  (Sommer 
1883).    Von  Dr.  A.  von  Danckelman.    1.  Reisen  in  MoftB&medes. 

2.  Hompatah  nnd  der  Zng  der  Boers  ans  Transvaal  dahin.  Mit 
Rontenskizze    Sl** 

4.  Aus  8üdanierika:  Der  Indianerstnmm  der  Chiriguanos,  NachA.  Thouar  62' 
ä.  Mitteilung  von  der  russischen  Polarstatioii  an  der  Lena-Mündung  ...  74 

6.  Politisrlif,  .soziale  un<l  wirtsi  haftliche  Zustände  in  der  Negerrepublik 
Liberia     Nach  J.  Büttikofer   81 

7.  Die  Insel  Süd-Georgien.  Mitteilungen  vun  der  deutschen  i'ular.station 
daselbst  1882^    113—161 

1.  Reise  nach  Sftd-Qeorgien.  Von  E.-  MosthafiT  118 

2.  Das  Exknisioni^biet  der  dentschen  Pohurstation  anf  Süd- 
Georgien,  in  geographischer,  floristischer  nnd  fiinnistischer  Be- 
ziehung.  Von  Dr.  Hermann  Will   IKJ 

.'{.  Leben  und  Arbeiten  in  der  Station.    Von  K.  Mosthaff    144 

4.  Besteigung  dos  grofsen  Gletschers  in  der  Royal -Bai.  Von 

E.  Mosthaff.    (.Mit  einem  LichtdruckbildJ    147 

ö.  Kückreise.    Von  deni.selben    150 

8.  Die  Käste  Labradors  und  ihre  Bewohner.    Von  Dr.  K.  R.  Roch  löl' 

9.  Die  Erforsehong  des  Tnkon-Gebiets  (Sommer  1883).  Von  F.  Schwatka. 
2.  Von  Fort  Selkirk  bis  xnm  alten  Fort  Ynkon.  Mit  Original-Ronten- 
karte  163 

10.  Die  fi  :(ii/r>si.schc  Polarstation  bei  Kap  Horn.  Vorlftnfig^  Berichte  von 

Dr  liyades  und  Dr.  Unlin     170 

11.  Vom  vi<'rten  deut.sdx  n  Geographeutage  in  München.  Bemerkongen 
und  Eindrücke.    Von  Dr.  A.  Oppel   183 

12.  Nf^H'^te  Nachrichten  vom  f'ongo.    (Mit  einer  lithographischen  Ab- 
bildung)   im 

13.  Patagonien  nnd  seine  Besiedlnng.   Von  A.  Yon  Seelstrang  221'' 

14.  Eine  Expedition  aar  Angara  1883»  nebst  2  Karten.  Von  R.  Haneberg  S62 ' 

15.  Reise  nach  dem  Orofsen  See  (Tai-hn)  bei  Sn-chon.  Von  Dr.  F.  Hirth.  276 

16.  Die  russische  Polarstation  an  der  Lena-Milndang.  Von  Dr.  A.  Bnnge, 
mit  Siinationsplan  der  Station  287 

17.  Volksi^tämmc  am  Congo.  Eine  sociologische  Stodie  Ton  R.  C.  Phillips 

in  Ponto  de  Lenha  313-^ 

18.  I)ie  l  ferlandschaften  des  argentinischen  Chaco.    Von  A.  v.  Seelsirang 

in  Cordoba   361 

ly.  Die  deutsche  P'orschungs reise  durch  Südamerika  1884.    Auszüge  aus 

Tsgebachem  von  MitgUedem  der  Expedition   381 

SD.  Niederl&ndische  und  deutsche  Plantagen  an  der  Ostkftste  von 

Snmatim.  Nach  niederlftndischen  Quellen  von  R.  A  L   804^ 


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Kleinere  Mitteilungen: 

1.  Auh    dor        giuplnsc  hon   Gesellschaft   in  Breiueii.  88,    19*?.   2i>5.  41B, 

2.  Handel  uud  Wandel  in  NiedeilänUisch-Iudien.  88.  3.  Deut&che  Uaiidels- 
h&nser  an  der  WeatkOste  von  ADrik«.  90.  Die  Henrietta-Insfll,  90.  5.  Ana 
Chiafty  98.  6.  Di«  ScHiiMbÜtteii  der  Eskimos,  96.  7.  Binnenla&dsmndemngeii 
auf  der  Süd-Insel  von  Nowaja-Semlja,  96.  8.  K&ngani'Jfagden  in  Victoria,  101. 
9.  Vom  Congo,  102.  10.  Anierikanische  Eisenhahnen.  10.3.  11  Die  briti- 
schen Niederlassungen  in  der  ^'t^a^se  von  Malakka.  103.  12.  Die  Entwickelung 
der  Kartographie  im  Norden  Kuropas,  1(>4.  18.  Aufsuchung  I.entnant 
Oreelys,  iDf).  14.  Professor  Iloinrich  Berjihaus  v.  Iilfi  15.  Stejnegers 
Foi-schun;ien  in  Kamtschatka  und  den  r'omniander-Iubeln.  KMi.  U).  Geof^ra- 
phisclie  Litteratur,  K«,  3Ü7,  421.  17.  Dr.  Behm  j,  18.  U^jauda..  198. 
19.  Das  afrikanische  Binnenmeer,  2(X).  20.  Liberia,  20B.  21.  Nene  Kaiten 
▼on  Afrika.  2M.  22.  Die  Deutschen  in  den  Vereinigten  Staaten,  205.  23. 
Montevideo,  207.  24.  Formosa,  209.  26.  Hongkong,  212.  26.  Polarregionen, 
213,  2f)7,  27.  Lcunis  SynopsLs,  217.  28.  Diorcke?^  Schulatlas,  218.  29.  Von 
der  Qoldküste,  mi  :)()  Eishöhion  und  Eislöcher,  3(M.  Hl.  Neue  Nachrichten 

^  von  den  Bonin-liiscln.  ;j<>2.    '.\2.  Die  Ruinen  von  Grofs-Friedrichsbur';.  • 
,38.  Deuts(  Iii'  Foisrhungsrcise  in  Brasilien,  8üö.    84.  Knpferbergbau  in  Klcin- 
'Namatjualand.  8.").  Die  Ba.stlor  Mission  an  der  Goldküsfc,  418.  8ti.  West- 

afrikanischer Handel.  419.     37.  Auk  Argentinien,  42t).   88.  Ethnologische 
Reisen,  420. 

Anlagen : 

1.  Vll.  Jahresberic  lit  des  Vorstandes  der  Geographibchen  Gesellst  italt  in 
Bremen,  erstattet  im^ärz  1884. 

2.  Katalog  der  argentiniscWi  Anaatellung,  veranstaltet  von  der  Qeograpliischen 
OesellBchaft  in  Bremen  im  Tivolisaale.  Mai-Juni  1864.  {BO  B.)  Mit  einer 
Uebersiehtskarte  von  Argentinien. 

Karten,  Plan  und  Ansichten: 

Tafel  I:  Original-Rontonkarte  einer  Militäroxpedition  im  Jahre  IS^?  unter 
Kommandant   Frcmierlpuf nant   F.  >Sch\\atka:    Ton  (  hilkoof  -  lidcf  in 
Alaska  bis  Fort  St-ikuk,  von  ('.  A.  Homann     Matsstah  1  :  1  IT.ölKH). 
^  jC,  Tafel  II:  Routeuskizze  des  Dr.  v.  Itanckeluian   in  Mussämedes   und  des 
Wandenrogn  der  Boers  vom  Transvaal  nach  dem  Cunene-Gebiet 
Tafel  m :  Teil  II  der  Original-Boatenkarte  einer  Milit&rexpedition  im  Jahre  1883 
nntar  dem  Kommando  des  Premierleutnants  F.  Schwatka:  von  Fort 
Selkirk,  B.  C,  bis  Fort  Yukon,  Alaska,  von  C.  A.  Homann.  MaTs- 
Stab  1 :  1  175000. 
V   Tafel  IV:  Das  Jenissej-Oebict.    Mafsstnb  1  :  1(> (KK)()(K). 

Tafel  V:  Der  Angara-Fluls  in  Sibirien  von  Bratski  Ostrog  bis  lUra.  Mals- 
stab 1:475 (XX);  mit  2  Kartons:  Pochmelm-i'orog.  Mafsstab  IrKi.VX) 
und:  Paduuski  Porog,  MaHsstab  1:31000.    Von  K.  Huncberg,  nach 
seinen  Aufnahmen  1883. 
Sitoationiplan  der  nuaischen  Polarstation  an  dar  Lena-Mfladong  im  Text  S.  289 
•-^  Idchtdrockbfld  naeh  Photographie,  Miles  Gallon,  obeiar  Tnkon,  Alaska,  m  S.  28 
y  Licibtdnickbild  nach  Originalaeichnnng  des  Ingenieurs  Mosthaff:  Grober 

Gletscher  in  der  Royal-Bai,  Süd-Georgien   tu  S.  148 

Der  Kongodampfer  Stanley,  Transport  und  Fahrt  in  S.  194 


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Deutsche 

<  GeograpMsclie  ßlätter. 

Herausgegeben  von  der 

Geographisohea  Gesellschaft  in  Bremen. 

Blitfflga  vnd  sonstige  Sendungen  an  die  Redaktion  werden  nnttir  dc"  'JiAtftU^» 
Dt.  M.  Lindeinau,  Bremen,  Mendestrasse  S,  erbeten/ 

Der  Abdrack  der  Original -Aufsatze  dieser  Zeitschrift  jst  uuu.jiach.. 

Verständigung  mit  der  Redaktion  gestattete*. -.•".'*,:' 

Zur  EntwtokiungsgeschiGhte  der  Familie. 

Von  Dr.  Alb.  üerm.  Fust. 


Die  mAtriarebaliMhe  Familie  als  Urfamilie.  Uebergang  derselben  zur  patri« 
•MhallMhien.  Fraaenranb  nnd  Brantkauf.  Kreazheiraten  and  Exogamie.  Entwicklungrt- 
geschieht«  der  Rechtesabjektiviut  der  Weiber.  Entwicklungsgeschichte  der  Muud- 
Schaft.  Desgleicben  des  Yerm&genarechts.  Die  Familie  der  Uneit  als  Friedena- 
gtWMMiiMluift.  Di«  BlntnwlM  vad  ihr  allmIhlidiMr  Untercnf.  AaHBrang  dar 
OwtMtctUrvwftimiog  im  Stttta^ 


Unsere  heutige  Familie  ist  der  letzte  Rest  einer  Organisation, 
wddie  dereinst  das  ganse  soziale  Leben  der  Menschheit  umfafste. 

Es  hat  einmal  eine  Zeit  gegeben,  in  welcher  die  Menschheit  ein 
staatliches  Leben  überhaupt  nicht  kannte,  in  welcher  die  Staats- 
verfassung durch  eine  Geschlechterverfasbung  ersetzt  wurde;  und 
noch  heutzutage  sind  es  nur  die  höher  kultivierten  Völker,  welche 
eine  staatliche  Orpanisationsform  entwickelt  haben,  während  die  so- 
genannten Naturvölker  in  gröfserer  oder  geringerer  Reinheit  die 
ursprüngliche  Verfassung  bewahrt  haben.  Die  Entwicklungsgeschichte 
jedes  höher  kultivierten  Volkes  setzt  sich  im  wesentlichen  zusammen 
ans  dem  Zerfall  der  urspranglichen  Geschlechterverfassung  und  dem 
allmfthlichen  Anfbau  einer  gaugenossenschaftlichen  und  staatlichen 
Organisation. 

Reste  der  Geschlechterverfassung  waren  schon  seit  langer  Zeit 
aneh  bei  den  KnltunrOlkefn  Europas  bekannt  Aber  diese  Reste 
waren  so  unbedeutend,  dafs  man  sich  ein  klares  Bild  der  Gesamt- 

organisatiou,  welcher  sie  dereinst  anjjehört  hatten,  nicht  machen 
konnte.   Sie  blieben  unverstandene  und  unverständliche  Kuriositäten. 

Durch  die  ethnologischen  Forschungen,  welche  die  Geschlechter- 
Verfassungen  der  Naturvölker  zu  ihrem  Ge<^enstande  j^eniacht  haben, 
i.st  es  jetzt  jedoch  gelungen,  helles  Licht  auf  jene  Bildungen  zu 
werfen,  welche  bislang  im  Schatten  grauer  Vorzeit  ein  gespenstiges 
Dasein  fahrten.    £s  ist  durch  die  ethnologische  Erforschung  des 


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Familienlebens  tief  stehender  Völkerschaften  mdglich  geworden,  eine 
Entwicklungsgeschichte  der  Familie,  des  Geschlechts  und  seiner  Ver- 
fassung, wenigstens  in  einigen  Grunilzügen  zu  erschliefsen,  und  diese 
Entwicklungsgeschichte  ist  eine  so  seltsame  und  überraschende,  dals 
es  wohl  gerechtfertigt  erscheint,  aucli  die  Blicke  weiterer  Kieibe 
auf  dieselbe  hinzuleiten. 

Bisher  glaubte  man  in  iiiuer  Familie,  welclu'  iniserer  heutigen 
•  jn  deji.-^YQSQjillfchsten  Grundzügen  ziemlich  ahnlich  sah,  in  der  soge- 
'  nauAten  piitrmrchalischeu  Familie,  die  soziale  rrluldung  sehen  zu 
jl^k^B;  :ai^.';wercher  sich  allmählich  der  Staat  entwickelt  habe, 
biese  sog'enannte  patriarchalische  Familie  war  die  ursprünglichste 
Form,  welche  man  bei  den  arischen  Völkern  auf  historischem  Wege 
nachweisen  konnte,  und  selbst  die  indogermanische  Sprachforschung 
gelangte  nicht  Uber  dieselbe  hinaus.    Zudem  bot  die  Familien- 
organisation aller  höheren  Kulturvölker  vollständige  Analogien.  Die 
semitischen  und  mongolisch-tatarischen  Völker,  die  Chinesen,  viele 
malaische  Völker,  selbst  Afrikaner,  wie  die  Hottentotten  und  Kaffern, 
zeigten  ahnliche  Organisationsformeu.    Es  war  daher  nichts  natür- 
licher als  die  Annahme,  dals  die  patriarchalische  Familie  die  ursprüng- 
liche Form  des  menschlichen  Familienlebens  und  die  letzte  btamiu- 
mutter  unserer  heutigen  Familie  sei. 

Diese  Annahme  kann  jetzt  als  vollständig  beseitigt  angesehen 
werden.  Die  Familie  der  Urzeit,  aus  welcher  unsere  heutige  Familie 
entstanden  ist,  war  ein  vollständig  anderes  Gebilde  wie  unsere 
heutige,  und  auch  ein  vollständig  anderes  Gebilde  wie  die  patriarcha- 
lische Familie. 

Dies  soll  jetzt  nach  den  einzelnen  Seiten  des  Familienlebens 
naher  dargelegt  und  zugleich  nachgewiesen  werden,  wie  die  Ent- 
wicklung der  Familie  sich  im  einzelnen  gestaltet  hat. 

Unsere  heutige  Familie  beruht  auf  der  Annahme  einer  Ver- 
wandtschaft des  Kindes  sowohl  mit  seinem  Vater  als  aui-h  mit  seiner 
Mutter.  Die  biologische  Thatsache,  dal's  das  Kind  ein  Proilukt  zweier 
Individuen  verschiedeneu  Geschlechts  ist,  hndet  auch  nach  der  sozialen 
Seite  hin  ihre  .Vnerkennung.  Die  patriarchalische  Familie,  aus 
welcher  sicli  ül>erall  unsere  heutige  Familie  unnultelbar  entwickelt 
hat,  kennt  dagegen  nur  eine  Verwandtschaft  des  Kindes  mit  seinem 
Vater  und  den  v&terlichen  Verwandten,  während  das  Kind  mit  seiner 
Mutter  und  seinen  mütterlichen  Verwandten  überall  nicht  als  ver- 
wandt gilt. 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  aber  auch  dieses  Verwandt- 
schaftssystem nirgendwo  auf  der  Erde  das  ursprüngliche,  sondern  es 
geht  ihm  überall  ein  anderes  voraus,  nach  welchem  das  Kind  ledig- 


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lieh  mit  seiner  Mutter  und  seinen  mütterlicheu  Verwandten,  nicht 
aber  rmi  seinem  Vater  und  seinen  väterlichen  Verwandten  als  ver- 
wandt gilt.  Und  selbst  diese  matriarchalische  Familie  scheint  nicht 
die  primitive  Bildung  zu  sein,  sondern  es  geht  ihr  yielleicht  eine 
noch  nrtflmlichere  voraus,  nämlich  eine  Form  des  Familienlebens, 
bei  welcher  die  Geschlechter  endogen  und  ohne  individnelle  Ehe 
leben  and  die  Kinder  lediglich  als  Hordenkinder  angesehen  werden, 
eine  Form,  bei  welcher  es  irgend  ein  Verwandtschaftssystem  über- 
haupt nicht  giebt,  sondern  die  Verwandtschaft  zusammenfällt  mit 
der  Cieschlechtsansrehöri<j:keit.  Es  ist  bekannt,  dafs  Beschreibungen 
derartii^er  Zustände  l)ei  tiefstehenden  Stämmen  sich  bei  manchen 
Schrift>telleru  des  klassischen  Altertums  finden^)  und  auch  heutzutage 
ist  ein  Familienleben  dieser  Art  noch  nicht  etwas  unerhörtes.  Von 
den  Orang  Sakei  in  den  Binnenlanden  von  Malakka,  von  den  Be- 
wohnern der  Poggi-Inseln  westlich  von  Sumatra,  von  den  Lubus  in 
der  Residentschaft  Tapanuli  auf  Sumatra,  von  dem  Dajakstamme 
der  Olo  Ot  auf  Bomeo  und  andern  DajatetAmmen,  von  den  Berg- 
bewohnern der  Insel  Peling  östlich  von  Celebes  liegen  Nachrichten 
vor,  welche  mit  den  von  den  Schriftstellern  der  Alten  Uberlieferten 
dnrchans  korrespondieren*). 

Die  Frage,  ob  derartige  Zustande  ttberall  auf  der  Erde  der 
matriarchalischen  Familie  vorausgegangen  sind,  soll  hier  nicht  weiter 
erörtert  werden;  es  mag  nur  darauf  hingewie>en  werden,  dafs  sich 
die  matriarchalische  Fainilic  ans  solchen  Vorstadien  auf  die  natür- 
lichste Weise  entwickeln  konnte,  da  die  Beziehungen  des  Kindes  zur 
Mutter  bei  einem  endogenen  ehelosen  Leben  die  einzig  sicheren 
waren  und  ein  Verwandtschaftssystem  sich  daher  nur  auf  die  Mutter- 
schaft stützen  konnte.  So  findet  man  denn  auch  in  der  That  bei 
völlig  ehelos  lebenden  Völkerschaften  bereits  die  Anschanung,  dafs 
die  Kinder  der  Mutter  gehören. 

Sparen  des  Systems  der  Mutterverwandtschaft  waren  schon 
lange  bekannt;  man  wufste,  dafs  bei  diesen  und  jenen  Völkerschaften 
nicht  die  Söhne,  sondern  die  Schwestersöhne  erbten  und  dafs  Namen 
nnd  Stand  nicht  vom  Vater,  sondern  von  der  Mutter  auf  das  Kind 
übergingen.  Man  betrachtete  jedoch  diese  Krsiheinungeu  als 
Abnormitäten  und  erst  langsam  drang  die  Kiknintnis  durch,  dafs  es 
sich  hier  um  ein  urtümliches  System  handle,  dessen  Reste  überall 
auf  der  Erde  anzutreüen  seien. 


0  fiaehofen,  Du  Motieneeht  1861.  p.  10  sqq 

")  0.  A.  Wükflii,  Over  de  Terwanticbap  en  het  hnwelqks'eii  erfirecht  bij 
de  volkeo  van  den  indischen  Archipel,  Leiden.  (Brill,  1883.  p."  6). 

1* 


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liachofeii  war  der  erste,  welclier  in  sciiuMu  l)orülimte!i  lynche 
-Das  Miitterreclit'' ^)  die  liehaiiptintir  aufstellte,  es  eine  Periode 
in  der  Menschheit  ge;^eheii  halte,  in  weichei'  I-.niul  der  Verwandt- 
schaft lediglich  durch  Weiber  vermittelt  sei.  Seine  I  ntersnehnngen 
beschrankten  sich  im  wesentlichea  auf  Material,  welches  den  Schrift- 
stellern des  khissischen  Altertums  entnommen  war,  und  erst  neuer- 
dings in  seinen  antiquarischen  Briefen*)  hat  er  seine  Forschungen 
auf  weitere  Gebiete  ausgedehnt  und  namentlich  die  merkwUrdi^e 
auf  MutterYerwandtschaft  gegründete  Familienorganisation  der  Najer 
oder  Nairs  an  der  Malabarkfiste  ausführlich  bearbeitet  Inzwischen 
hatte  die  Ethnologie  ein  umfangreiches  Material  aber  das  Mutter- 
recht  herbelgeschaflft*)  und  in  jüngster  Zeit  hat  sich  auch  die  engere 
rechtshistorische  Forschung  dieses  Stoffes  bemächtigt.®) 

Trotz  dieses  umfangreichen  Materials  war  es  doch  nur  ge- 
lungen, einzelne  Seiten  des  Mutterrechtsystems  aufzuklaren,  wahrend 
die  matriarchalische  Gesannntoi  ;iaiiisation  immer  noch  in  manchen 
Beziehungen  dunkel  geblieben  war.  Auch  dieser  Mangel  ist  jedoch 
in  jüngster  Zeit  gehoben.  Es  ist  die  matriarchalische  Familie  in 
ihrer  vollen  ursprünglichen  Seltsamkeit  gleichzeitig  auf  verschiedenen 
Punkten  der  Erde  aufgefunden,  und  wir  habt  n  jetzt  eine  Bildung 
lebendig  vor  Augen,  welche  bei  den  arischen  Völkern  in  die  graneste 
Vorzeit  zmUckzuverlegen  ist 

Die  matriarchalische  Familie  ist  nicht  aberall  gleichartig  ent- 
wickelt, aber  sie  hat  charakteristische  Eigentümlichkeiten,  welche 
sie  von  unserer  heutigen  und  der  patriarchalischen  streng  unter- 
scheiden. 


*)  Dm  Mntterrecht  Eine  Uniersachang  ftber  die  Gyn&koknttie  der  alten 
Welt  naeh  ihm  religiösen  nnd  rechtUchen  Natar.  Stnttgiart  1861.  Eine  knne 
Bearbeitung  dieaee  Werks  lieferte  A.  Girand-Tenlon  fils  in  seiner  Schrift:  la 
mftie  chez  certains  penples  de  Tantiquite.  Paris— Leipaig  1867.  Bachofen  fQbrte 
eetne  Gedanken  weiter  aas  in  der  Schrift:  Die  Sage  von  Tanaqnil.  Eine  Unter- 
snchnng  über  den  Oricntalismus  in  Rom  und  Italipn.    Heidelberg  1870. 

AntiquarisclH>  Bi  iofe  vornehmlich  zur  Kenntnis  der  ältesten  Verwandt- 
schaftsbegi-iffe.    Strassburg  1880. 

*)  Vor  Allem  sind  hier  zu  nennen:  Mc.  Lennan.  primitive  uiarriage 
(Edinbnrg  1865),  neu  abgedruckt  in  desselben  Verfassers  studies  in  ancient 
hiatory  London  1876,  Girand-Tenlon,  lee  origines  de  la  famille.  QaestiottS  anr 
lea  anttc^nta  dea  aoei^tte  patriareales.  QenAve— Faria  1874.  Lewis  H.  Morgan, 
Systems  of  consangninity  and  affinity  in  the  hnman  famfly  (Smithson.  con« 
tribntions  vol.  XVII.   "Washington  1871). 

Dargun,  Mutterrcclit  nnd  Raubehe  und  ilire  Reste  im  goim.  Recht  und 
Leben  f Untersuch,  zur  deut.scheu  Staats-  und  Rechtsgesrh.,  herausgeg.  von 
Gierk.'  .\Vi ).  Breslau  188^i.  »J.  A.  Wilken,  het  matriarchaat  by  de  onde  Ara- 
bit;rt;u.    Amsterdam  (de  Bussy)  1884. 


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—  5  — 


Hin  paar  Beispiele  werden  dies  sofort  klar  maclien. 

Bei  den  soy:enannten  Meiianukabawschen  Malaien  in  tWn  Tadiing- 
si  hen  ( )lterl;niden  in  Sumatra  besteht  die  niatriarchalisdie  Faniilien- 
organisation  noch  heutzuta;4e,  fast  in  vollstilndi^rer  ürsprünglichkeit. 
Der  en^'ste  Familienkreis,  das  sogenannte  Sa-Maudei,  besteht  hier 
lediglich  aus  ilcr  Mutter  mit  ihren  Kindern;  der  Vater  gehört  Dicht 
dazu.  Auch  nach  der  Ehe  bleibt  der  Mann  in  seiner  Familie  und 
die  Frau  in  der  ihrigen.  Das  Haus,  in  welchem  der  Mann  mit 
^nen  Br&dem  und  Schwestern  lebt,  ist  auch  nach  dev  Ehe  seine 
eigentliche  Heimat,  and  die  Fraa  bleibt  auch  nach  der  Ehe  in  ihrer 
Familie  mit  ihren  Brttdem  und  Schwestern  zusammen,  und  in  diese 
äre  Familie  fallen  auch  die  in  der  Ehe  mit  ihrem  Mann  erzeugten 
Kinder.  Die  Ehe  hat  also  bei  dieser  Organisation  ein  dauerndes 
Zusammenleben  der  Ehegatten  nicht  zur  Folge,  sondern  nur  Be- 
suche des  Mannes  bei  seiner  Frau.  Im  Uehrigen  bleibt  der  Mann 
in  der  Familie,  der  er  durch  die  Geburt  angehört;  dieser  schuldet* 
er  vor  Allem  seinen  Beistand ;  dieser  fällt  auch  sein  Nachlafs  zu. 
Das  Haupt  der  malaischen  Familie  ist  in  der  Uegel  der  älteste 
Bruder  von  der  Mutterseite  her,  der  Mamak,  wie  er  genannt  wird. 
Dieser  ist  nach  Rechten  und  Pdichten  der  eigentliche  Vater  der 
Schwesterlunder.  Der  Mann  hat  für  den  Unterhalt  von  Frau  und 
Kindern  nicht  zu  sorgen,  sondern  dafflr  sorgt  das  Sa-Mandei,  zu 
dem  die  Mutter  gehört  Es  dienen  dazu  die  Gflter  der  Mutter- 
familie, welche  ein  unTerftüfserliches  Gesamteigentnm  derselben 
bilden.^)  Es  fehlt  also  bei  dieser  Organ^tion  eine  Vaterschaft  in 
unserem  heutigen  Sinne  vollständig. 

Ein  anderes  Beispiel  einer  matriurchaliscben  Organisation  bietet 
«ler  Indianerstamm  der  Wyandots.®)  Die  Stämme  der  Wyandots 
zerfallen  in  Geschlechterverbände,  Geschlechter  und  Familien.  Die 
Familien  bewohnen  ein  gemeinsames  Haus,  und  jede  steht  unter 
einem  weiblichen  Oberhaupte.  In  jedem  Geschlechte  besteht  ein 
Rat,  welcher  sich  aus  vier  Weibern  zusammensetzt.  Diese  vier 
Weiber  wählen  einen  Häuptling  des  Geschlechts  aus  dessen  männ- 
lichen Mitgliedern,  welcher  alsdann  dem  Rat  präsidiert.  Die  vier 
Ratsweiber  werden  yon  den  Wmbem  gewählt,  die  den  einzelnen 
Häusern  vorstehen.  In  der  Organisation  der  GeschlechterTerbftnde 
treten  bereits  patriarchalische  Momente  zu  Tage. 

Charakteristisch  filr  jede  matriarchalische  Familienorganisation 

^  Wilkcn,  Over  de  Tmrantschap  en  bei  hnwelijks-  en  erfir«dit  bq  d« 
Volkan  van  het  raaleische  ras.   Anisferdam  (de  Baesy)  1883.  p.  24  sqq. 

**)  Powell,  fint  annaal  report  to  the  Bureau  of  Ethnology.  WaahingtoB 
im.   p.  59  «qq. 


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ist,  dafs  die  Kinder  stets  der  Familie  der  Mutter,  nicht  der  des 
Vaters  aiigehoren.  Namen,  Stand,  Würde.  Vermögen  vererben  sich 
lediglich  nach  dem  System  der  Muttervorwandtschaft. 

Die  Fol^e  ist,  dals  iler  Mann  mit  seinen  Schwestern  und  dereu 
Kindern  im  enusten  Zusammenhange  steht,  wahrend  sein  Verhältnis 
zu  seiner  Frau  ein  loses  ist,  und  ein  Verhältnis  za  seinen  leiblichen 
Kindern  eigentlich  gar  nicht  existiert. 

Nachkl&nge  dieser  uralten  Anschauung  erhalten  sich  noch  lange, 
selbst  dann -noch,  wenn  die  matriarchalische  Organisation  schon  voll- 
ständig untergegangen  ist  Bei  vielen  Völkern  findet  ein  dauerndes 
Zusammenleben  der  Eheleute  nicht  statt  In  Kaffa  kommen  die  Ehe- 
leute nur  Nachts  zusammen»  am  Tage  nicht  Die  Frau  darf  ihren 
Mann  nicht  essen  nnl  trinken  sehen,  und  der  Mann  darf  seine  Frau 
nie  sehen.®)  In  Hawai  und  Tahiti  nehmen  die  Ehegatten  getreimt 
ihr  Mahl  ein.'°)  Auf  den  Fidji-Iiiseln  galt  es  für  unanständig,  wenn 
*der  Mann  Nachts  im  Hause  blieb.  Die  ehelichen  Zusammenkünfte 
wurden  im  tiefsten  Walde  abgehalten.  Nach  einer  Geburt  trennten 
sich  die  Gatten  auf  drei  bis  vier  Jahre. Selbst  in  China,  wo  kaum 
irgend  welche  Spuren  einer  matriarchalischen  Organisationsforin  auf- 
zufinden ist,  hat  sich  noch  die  Trennung  der  Geschlechter  als  Grund- 
satz für  das  Verhältnis  zwischen  Mann  und  Fran  erhalteu.  Das 
chlnesiche  Haus  ist  in  zwei  Abteilungen  geteilt  Der  Mann  bewohnt 
die  ftulsere,  die  Frau  dic^  innere.  Die  Thür  ist  in  der  Mitte  sorg- 
fiUtig  zu  yerschliefsen.  Mann  ond  Frau  sollen  nicht  einmal  eine 
gemeinsame  Stange  zum  Anfh&ngen  der  Kleider  haben.^ 

Weitverhreitet  sind  auch  Bräuche,  nach  denen  ein  dauerndes 
eheliches  Zusammenleben  erst  nach  einer  bestimmten  Zeit  seit  dem 
Abschlüsse  der  Ehe  eintritt. 

Auch  das  innige  Verhältnis  des  Mannes  zu  seinen  Schwestern 
erhält  sich  noch  in  Zeiten  hinein,  welche  schon  die  i>atriarchalische 
Familienorganisation  haben.  Sowohl  in  den  klassischen  ^Sagen,  als 
in  der  serbischen  Volksdichtung  und  der  Chriemhildsage  der  Nibelun- 
gen und  der  Edda  ist  das  Verhiiltnis  zwischen  Bruder  und  Schwester 
noch  das  innigste  Familienverhältnis.^^) 

Die  matriarchalische  Familie  zeigt  fiberall  auf  der  £rde  die 
Tendenz,  in  die  patriarchalische  fiberzugehen,  w&hrend  kein  Beispiel 


•)  Xii^,  Beitoi  in  Oitalkäii.  1868  1.  S.  88. 

>«)  Wuts-Gerland,  Anthropol.  VI.   S.  121. 

»»)  Seemann,  Viti.    Cambridge  1862.   P.  190.  191. 

Piath,  Uebcr  die  hänslichen  Verhältnisse  der  alten  ChinMen.  München 
1863.   S.  2  ff.  (Sit2.-Ber.  d.  k.  b.  Ak.  d.  W.    1882.    Band  IL) 

Bachofen,  Antiquarische  Briefe.   S.  168—188. 


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—   7  — 

bekannt  ist,  rlafs  eiue  i)atiiarchali?«clio  Familienoifzanisation  in  eine 
niatiiarchalische  übcrgf gangen  \\i\VQ.  So  zeigt  sich  die  niatriarcha- 
li&cliP  Familie  überall  als  die  ältere  F(»rni. 

rebergaiigsfonnen  von  <ler  einen  Organij^ation  zur  anderen 
la.««sen  sich  nach  den  vcrschieilensten  Kichtun'jen  nachweisen.  Ks 
biideii  j^ich  Erbfolgeordnungen,  bei  denen  Kinder  und  Schwesterkinder 
konkurrieren;  die  HAuiitlingsw ilrde  vererbt  sich  noch  auf  den 
Schwestersohn,  w&hrend  das  Yermdgen  bereits  auf  den  Sohn  über- 
geht; der  Vater  mvda  seinen  Konsens  zar  Ehe  der  Tochter  geben, 
der  matterliche  Onkel  aber  erhält  den  fttr  sie  gezahlten  Brantpreis; 
der  Vater  kann  durch  Zahlung  bestimmter  Summen  seine  Kinder 
ans  der  Familie  der  Mutter  loskaufen ;  der  Sohn  erhalt  zwei  Namen, 
einen  nach  dem  Vater,  einen  nach  der  Mutter  u.  s.  w.'*)  Man  findet 
auch  Teilungen  der  Kinder  zwischen  der  vaterh'chen  und  mütterlichen 
Faniiiic.  /.  B.  im  niakassari<cheu  und  buginesischen  Rechte:  das  älteste 
Kind  fallt  der  Mutter  zu,  das  zweite  dem  Vater,  das  dritte  der 
Mutter.  da>  vierte  dem  Vater  u.  s.  w.  Hei  einer  uniileichen  Anzahl 
treliört  das  jüngste  Kind  beiden  Kitern,  jefliK'h  liat  die  Mutter  das 
üecht,  es  sich  gegen  Zahlung  einer  bestimmten  Summe  zuzueignen.") 

Die  Ursachen  des  Uebergangs  von  der  matriarchalischen  zur 
patriarchalischen  Familie  scheinen,  abgesehen  von  der  Rezeption  eines 
fremden  Rechts,  hauptsächlich  in  folgenden  Umstanden  zu  liegen. 

Die  primitiven  Geschlechter  bilden  kleine  isolirte  Gemeinwesen, 
welche  mit  den  benachbarten  Geschlechtern  im  fortwährenden  Kriege 
begriffen  sind.  Die  Beatezüge,  welche  sie  gegeneinander  ontemehmen, 
sind  vor  allem  auch  auf  die  Erbeutung  von  Weibern  gerichtet,  welche 
in  der  Urzeit  als  wertvollste  Vermögensstücke  angesehen  wurden.  Ein 
solcher  Frauenruub  ist  in  der  Urzeit  etwas  so  aufserordentlich  ge- 
wöhnliches, dafs  überall  als  iilteste  nachvveisl)are  Kheform  die  Ilaub- 
ehe  erscheint.  Es  triebt  kaum  ein  Volk  der  Erde,  bei  dem  sich  nicht 
•ler  Frauenraub,  sei  es  als  wirklicher  Kaul).  sei  es  als  synd)olische 
Form  oder  Hochzeitsspiel  nachweisen  liefse/*^)  und  die  aufserordent- 
liche  Verbreitung,  welche  der  Frauenraub  als  Hochzeitsspiel  anch 
überall  in  Europa  noch  heutzutage  hat,  läfst  darauf  schliefsen,  eine 
wie  festgewurzelte  Sitte  derselbe  in  weit  entlegenen  Perioden  einmal 
gewesen  sein  mnl& 

Ein  realer  Franenranb,  wie  er  z.  B.  nodi  heutzutage  bei  den 
Eingeborenen  Australiens  üblich  ist,^^)  ist  an  sich  ein  Kriegsfall 

")  Dargun  a.  a.  0.   S.  17  ft 
Wilken  1.  c.   p.  60. 

'"^.Kidischcrin  d.  Zeitschr  f.  Ethnol.  1878.  S.  llilJfT.  Dargiin  a.  a O.  S.  78-140. 

"}  K.  Brongh  Smyth,  Th«  aborigiues  of  Victoria.  1878  1.   p.  79  »qq. 


zwischen  den  beteiligten  Geschlechtern  und  die  entstehende  Blutfehde 
kann  sich  nur  durch  einen  Friedensschliifs  zwischen  denselben  er- 
ledifjen.  Wo  jedoch  die  Raubehe  eine  entwickelte  Institution  ist, 
kommt  es  nicht  in  allen  Fallen  zum  wirklichen  Kampfe.  Es  ent- 
stehen minder  harte  Ausgleichsfonnen;  so  wird  z.  B.  in  Australien 
unter  Umstünden  der  Franennlnber  mit  einem  Schilde  versehen  und 
diejenige  Person,  unter  deren  Mundacbaft  das  geraubte  Weib  stand, 
irirft  aas  einer  bestimmten  Entfernung  Speere  oder  sonstige  Waffen 
gegen  ihn.  Gelingt  es  ihm,  dieselben  abzuwehren,  so  behalt  er  das 
Weib;  wird  er  kampfunfähig,  so  geht  das  Weib  an  seinen  Herrn 
zurflek.  Scbwftcht  sich  diese  Ansginchsform  noch  mehr  ab«  so  ent- 
steht daraus  eines  jener  Scheingefechte,  wie  sie  bei  leichteren  Rechts- 
brüchen bei  unzähligen  Völkern  der  Erde  vorkommen  und  endlich 
bleibt  nur  noch  das  reine  Hochzeitsspiel  flbrig. 

Diese  Entwicklung  vollzieht  sich  unter  Einwirkung  der  Sitte, 
dafs  die  Blutrache  unter  befreulideten  Geschlechtern  allmählich  stthn- 
bar  wird.  Das  geschädigte  Geschlecht  erhält  eine  Bufse,  welche  dem 
Werte  des  geraubten  Weibes  gleichkommt  und  das  geraubte  Weib 
bleibt  bei  seinem  Räuber.  Auf  diese  Weise  entsteht  aus  dem  Frauen- 
raube das  ebenfalls  über  die  ganze  Erde  verbreitete  Institut  des 
Brautkaufs.  Der  Brautpreis  ist  ursprünglich  die  Komposition  für  den 
Frauenraub,  das  Sühngeld,  welches  das  Geschlecht  des  B&ubm  an 
das  Geschlecht  der  Geraubten  zahlt,  um  die  Blutrache  abzuwenden. 

Die  Weitmntwicklung  des  Brautkan&instituts  aber  bringt  es 
mit  sieh,  daüs  die  matriarchalische  Familie  allmählich  in  die  patriar- 
chalische übergeht  Das  Weib  scheidet  durch  die  Zahlung  des  Braut- 
prdses  ans  seiner  Familie  ans  und  geht  in  die  Familie  des  Mannes 
Aber,  welcher  durch  den  Brautkauf  die  Rechte  des  Geschlechtsober- 
hauptes der  Frauenfamilie  über  die  Frau  erwirbt.  Damit  fallen  dann 
auch  die  in  der  Ehe  erzeugten  Kinder  in  die  Vaterfamilie  und  nicht 
mehr  in  die  Mutterfamilie. 

Der  Uebergang  ist  jedoch  ein  ganz  allmählicher.  Noch  lange 
giebt  die  Fraueofamilie  ihre  Rechte  an  der  Frau  nicht  vollständig 
auf;  noch  lange  erhebt  sie  gewisse  Anspräche  auf  die  Kinder.  Der 
Mann  erwirbt  durch  Zahlung  verschiedener  Summen  verschiedene 
Hechte  an  der  Frau;  er  mufs,  wenn  er  sie  verkaufen  will,  sie  ihrer 
Familie  zum  Vorkauf  anbieten;  das  erste  Kind  aus  der  £he  fUlt 
wohl  noch  zur  Kompletierung  des  Brautpreises  an  die  Familie  der 
Mutter,  oder  der  Vater  mub  Oberhaupt  seine  Kinder  noch  durch 
Zahlung  bestimmter  Summen  aus  der  Mutterfamilie  ausKteen.  Auf 
der  Höhe  der  Entwicklung  der  patriarchalischen  FamilienorganisatiOD 
verschwinden  diese  Rechte  der  Mutterfamilie  allmählich  ganz. 


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—  9  — 

Die  80  ZOT  Entstehanif  kommende  patriarcbalische  Familie  ist 
die  vollständige  Umkehning  der  matriarehalisclien.  Da  die  Mutter 
dorch  den  Brautkanf  aus  ihrer  Familie  gänzlich  ausscheidet,  so  gelten 
die  Kinder  jetzt  als  ausschliefelich  mit  ihrem  Vater  und  dessen  durch 
den  Mannsstamm  vermittelten  Vorfahren  verwandt,  während  es  eine 
Verwandtschaft  durch  den  Mutterstamni  nicht  mehr  giebt.  Die  Frau 
wird  durch  den  Brautkauf  im  wesentlichen  ein  reines  Vermögens- 
stflck  des  Mannes. 

Aus  dieser  patriarchalischen  Familie  entsteht  unsere  heutige 
alsdann  dadurch,  dafs  sich  langsam  staatliche  Institutionen  über  die 
Geschlechtenrerfassung  legen.  Wahrend  der  patriarchalische  Haus- 
vater anf  der  Höhe  der  patriarchalischen  Entwicklung  oft  eine  rein 
despotische  Gewalt  flher  Frau  und  Kinder  ausflbt,  gewinnen  letztere 
aOiDfthlicii  durch  die  Staatsgewalt  einen  Schutz  filr  ihre  Person 
gegenüber  der  WDlkftr  des  Hausvaters.  So  steigt  die  Ehefrau  ans 
einer  reinen  Sklavin,  einem  Vermögensstdck,  langsam  zur  gleich- 
berechtigten Lebensgefährtin  und  zu  einem  selbständigen  Rechts- 
subjekte  auf  und  auch  die  Kinder  werden  als  Staatsbürger  in  ihrer 
Individualität  geschützt. 

Erst  damit  wird  das  kognatische  Verwandtschaftssystem  moizlich, 
welches  wir  heutziitaue  kennen;  erst  damit  entsteht  unsere  heutige, 
aus  Vater,  Mutter  und  Kindern  zusammengesetzte  Familie. 

Etwas  ahnliches,  wie  unser  heutiges  Verwandtschaftssystem,  tiudet 
sich  oft  schon  auf  den  Uebergangsstufen  von  der  matriarchalischen 
zur  patriarchalischen  Familie.  Auch  hier  wirkt  schon  sowohl  die 
M nttertoilie,  wie  die  Vaterfamilie  ein.  Aber  die  Entwicklung  bleibt 
hier  nldit  anf  diesem  Mittelstadium  stehen;  sie  Oberstflrzt  sich  und 
gelangt  zum  einseitig  patriarchalischen  System,  nm  dann  endlich, 
nachdem  auch  dieses  sich  vollständig  ausgelebt  hat,  anf  jene  Mitte 
zmUckzukehren,  in  welcher  sie  in  einem  firOheren  Entwicklungsätadium 
noch  nicht  zur  Ruhe  kommen  konnte. 

Frauenraub  und  Brautkauf  sind  aurserordeutlich  eintlufsreiche 
Momente  in  den  Ge^ilil echter verfassnngon.  Sie  vermitteln  niclit  blos 
flen  Uebergang  der  Mutterfamilie  zur  Vaterfamilie,  sondern  ^ic  sind 
auch  für  den  tranzen  Aufbau  des  Geschlechterstaats  bestimmend. 
Die  Blutfehden  der  Geschlechter  enden  durch  einen  Friedenssehl ui's, 
und  dieser  bahnt  regelmäfsig  ein  freundschaftliches  Verhältnis 
zwischen  den  betheiligten  Geschlechtern  an,  nach  Art  der  völkerrecht- 
ficben  Beziehungen  der  heutigen  Staaten  unter  einander.  Dies  findet 
▼or  alleD  auch  darin  seinen  Ausdruck,  dafs  die  Geschlechter  unter 
einander  heiraten.  Die  Kreuzheiraten  unter  bestimmten  Geachlechtem 
werden  zu  einem  sozialen  Bande,  welches  die  Kraft  der  beteiligten 


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Geschlechter  verstärkt,  und  diese  soziale  Bedeutung  der  Kreuz- 
heirat^n  wird  von  denselben  so  wohl  erkannt,  dafs  eine  aufserordent- 
lich  weit  verbreitete  Sitte  es  den  Gescblecbtsgenossen  verbietet,  im 
eigenen  Geschlechte  zn  heiraten  und  es  ihnen  znr  Pflicht  macht, 
Fnnen  aus  einem  anderen  Geschlechte,  oft  aus  einem  ganz  be- 
stimmten anderen  Geschlechte  zu  nehmen.  Diese  exogamische  Sitte 
ist  für  den  Aufbau  der  einzelnen  Geschlechterverfassungen  von 
h(ichster  Bedeutung. 

Man  ündet  Gesrhlocliterverbäude  oder  Staninie.  welche  auf 
dieser  Basis  unter  einander  heiraten,  neben  einander  angesiedelt.  So 
ist  z.  B.  bei  den  Batuk  auf  Sumatra  jeder  Landdistrikt  (kuria)  durch 
zwei  luargas  bewohnt,  den  namora-mora  und  den  bajo-bajo.  Der 
namora-mora  ist  der  ursprün;;lich  in  der  kuria  wohnhafte  niar^ja, 
während  der  bajo-bajo  (d.  i.  Fremder,  Gast)  der  erst  später  ange- 
siedelte ist.  Diese  beiden  margas  sind  unlöslich  mit  einander  ver- 
bunden und  habeu  unter  einander  das  jus  connubii.  Durch  diese 
Wechaelheiraten  sind  zwei  ursprünglich  an  einander  grenzende  margas 
allmählich  zu  ehiem  Doppelmarga  geworden.  Es  ist  femer  jeder 
marga  in  einem  Bistrikt  namora-mora  und  in  einem  andern  bajo-bigo. 
So  ist  z.  B.  der  Batakstamm  Harahap  in  den  knrias  der  Landschaft 
Sipirok,  wo  der  Stamm  Siregar  namora-mora  ist,  bajo-bajo,  wogegen 
umgekehrt  der  Staiiiin  Siregar  in  der  Landschaft  Angkola-Djulu 
bajo-bajo  ist,  waluend  hier  der  Stamm  Harahap  namora-mora  ist'^». 
So  sind  auch  die  Bewohner  des  König  Georg-Siinilcs  in  Australien  in 
zwei  Kbissen.  Erniung  und  Tem  (Taamancr)  i^ctoilt.  die  stets  unter 
einander  heiraten,  so  dafs  jedes  Ehepaar  des  Stammes  aii><  Individuen 
der  einen  und  der  andern  Klasse  bestehen  mufs  *^).  Dieselbe  Bildung 
findet  sich  auch  sonst  in  Australien,  z.  B.  bei  den  Aboriginern  von 
Port  Lincoln,  wo  die  Klassen  Matten  und  Karraru  nur  unter 
einander  heiraten^). 

Wo  die  Exogamie  in  Blüte  steht,  ist  die  Heirat  im  eigenen 
Geschlechte  mit  schweren  Strafen  bedroht.  Löst  sich  die  Geschlechter- 
ver&ssung  allmählich  in  eine  Gauverfaasung  auf,  so  beschränkt  sich 
dieses  Ehehindemis  immer  mehr. 

In  der  Entwicklungsgeschichte  des  Brautkanfes  spiegelt  sich 
auch  das  allmähliche  Aufrücken  des  Weibes  aus  einem  Vermögens- 
stücke zu  einem  Rechtssubjekte  und  schliefslich  zur  gleichberechtigten 
Lebensgefährtin  ab. 


Wilken,  L  c.  p.  9  sqq. 
^  Klemm,  Knltnr-GesclL  L  S.  819. 

**)  R.  Broogh  Smyth,  the  Mwrigfaiet  of  Yictorift.   1S78.  1.  p.  88  aqq. 


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—  11  — 

Trotzdem  die  Priraitivfamilie  im  Weibe  ihren  Stützpunkt  hat, 
ist  doch  die  Stellaog  der  Weiher  in  derselben  durchgängig  eine 
ganz  antergeordnete;  nur  bei  ganz  vereinzelten  Völkerschaften  sind 
sie  besser  sitnirt   Im  allgemeinen  steht  das  Weib  der  Primitiv- 
familie  aufserhalb  allen  Rechtsverbandes.    Es  ist  dorcbans  ver- 
mögenslos, hat  daher  auch  kein  Erbrecht;  im  Gegenteil,  es  gilt  als 
ein  Stück  Vennögen  und  wird  als  solches  vererbt.   Es  kann  nicht 
vor  GeiiLhi  erscheineu,  kein  Zeugnis,  keinen  Eid  ablegen,  keine 
Bürgschaft  tibernohmen.    Es  kann  auch  wegen  keiner  Missetat  vor 
Gericht  gezogen  werden  —  es  ist  durchaus  strafunfähig.    Für  die 
Missethat  eines  Weibes  haftet  das  Geschlechtsoberhaui^t  und  zwar  iu 
derselben  Weise,  wie  es  für  einen  Schaden  haftet,  der  durch  Sklaven, 
Tiere  oder  leblose  Gegenstände  angerichtet  wird,  welche  dem  Ge- 
Bcblechte  gehören.  In  allen  diesen  Richtungen  gewinnt  das  Weib 
erst  ganz  langsam  immer  mehr  Bechtssubjektivitftt.  So  wird  ihm 
z.  B.  zuerst  ein  i^brecbt  eingerftumt,  wenn  der  ganze  Mannsstamm 
eines  Geschlechts  ausstirbt.  Noch  lange  schliefsen  Manner,  wenn  sie 
mit  Weibern  von  gleicher  Gradesn&he  konkurrieren,  diese  von  der 
&bschaft  ans.  Sehr  oft  erhalten  Weiber  eine  geringere  Erhportion, 
wie  die  Manner.    Im  Immobiliarvermögen  gehen  noch  lange  die 
Männer  den  Weibern  vor,  wenn  das  Mobiliarvermögen  bereits  gleich- 
niaf-ig  geteilt  wird.    Erst  wenn  das  Weib  durch  den  Schutz  der 
staatlichen  Gewalten  volle  Rechtssnbjektivität  erworben  hat,  erwirbt 
es»  auch  gleiches  Erbrecht  mit  den  Mnnnern. 

Noch  merkwürdiger  ist  es,  dafs  das  Weih  erst  allmählich  stratUUiig 
wird.  Wenn  der  Gedanke  auftritt,  dafü  das  Weib  für  seine  lland- 
Itmgen  persönlich  verantwortlich  sei,  so  wird  doch  zunächst  noch 
angenommen,  dais  für  dieselbe  Missethat  das  Weib  nicht  so  schwer 
za  hestrafen  sei,  wie  der  Mann.  Beispielsweise  zahlt  das  Weib  für 
eine  Missethat,  durch  welche  ein  Mann  friedlos  wird,  nur  eine  Bufse. 
Beschr&nknngen  der  Weiber  sich  zn  verbürgen,  haben  sich  bekannt- 
lidi  noch  bis  in  nnsere  Tage  erhalten. 

Dieses  allmähliche  Aufsteigen  des  Weibes  zu  einem  Rechts- 
subjekt spiegelt  sich  nun  auch  in  der  Entwicklungsgeschichte  des 
Brautkiiufs  ab.  Ursprünglich  ist  der  Braut  kauf  ein  Eriedensschlufs 
zwischen  zwei  Gescldechtem  und  der  IJrautpreis  eine  i]ui>e  für  einen 
verübten  Franenraub.  Bilden  sich  Kreuzheiraten  zwischen  befreun- 
deten Geschlechtern  aus,  so  wird  das  Weib  zu  einem  Handelsartikel. 
Das  Weib  wird  von  seinem  Geschlechte  für  eine  bestimmte  Summe 
ao  das  befreundete  Geschlecht  verhandelt.  Oft  findet  sich  auch  ein 
Aostaiiseh  von  Weibern.  Wo  sich  ein  Geschlechtshauptling  starker 
cntwid^elt  and  zugleieh  die  Vermdgensgemeinschaft,  in  welcher  die 


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—   12  — 


ursprünglichen  Geschlechter  überall  leben,  in  Verfall  gerät,  wird  der 
Braatkauf  zu  eiueui  Vertrage  zwischen  «liefern  Geschlechtshäuptlinge 
(dem  Muudwalde  der  Braut)  und  dem  Freier.  Auch  in  diesem  Stadittin 
der  Entvickhing  gilt  das  Weib  noch  als  i  eines  Vermögensstflck.  Ka 
wird  um  seine  Zustimmung  nicht  gefragt,  und  oft  genug  durch  brutale 
Gewalt  gezwungen,  den  Kftufer  zu  ehelichen.  Gewinnt  das  Weib 
allmählich  an  der  staatlichen  Gewalt  einen  Schutz  gegen  die  Omni- 
potenz  des  Geschlechtsliftuptllngs,  so  kann  es  zu  einer  Heirat  wider 
seinen  Willen  nicht  mehr  gezwungen  werden,  und  der  reale  Kauf 
wird  zu  einem  Scheinkauf,  zu  einer  symbolischen  Handlung,  während 
der  Kaufpreis  selbst  au  das  Weib  fällt  und  ein  Teil  des  ehelichen 
Vermögens  oder  ein  weibliches  Sondergut  wird.  Tritt  das  Weib  all- 
mählich aus  der  lebenslänglichen  Vormundschaft  heraus,  unter  welcher 
es  wegen  seiner  ursprünglichen  Rechtsuufähigkeit  steht,  und  wird  es 
zu  einem  selbständigen  Rechtssubjekt,  so  tritt  es  endlich  selbst  als 
kontrahierender  Teil  auf,  und  es  entsteht  aus  dem  Brautkauf  die 
Verlobung,  wie  wir  sie  heutzutage  kennen.  Auch  diese  ist  also  ein 
Produkt  einer  unendlich  langen  und  sehr  seltsamen  Entwicklung. 

In  unserer  heutigen  Familie  flben  die  Eltern  eine  beschr&nkte 
Znchtgewalt  Aber  die  Kinder  aus  und  haben  beschränkte  Rechte  am 
Vermögen  der  Kinder.  Auch  dieses  Verhältnis  der  Eltern  zu  den 
Kindern  ist  erst  das  Produkt  einer  langen  Entwicklung.  Die  Vater- 
schaft hat  ihre  letzte  Quelle  im  Geschlechtshäuptlinsrstuui,  welches 
zugleich  auch  die  Keimbilduug  für  das  spätere  Köiiit^^tum  ist.  Das 
^Geschlechtshäuptliugstum  ist  ursprünglich  ein  rein  that>ächlicher  auf 
persönliche  IJeberlegenheit  gestützter  Zustand.  Unter  dem  Einflufs 
ftufserer  Bedingungen,  namentlich  kriegerischer  Verwicklungen, 
steigert  sich  die  Gewalt  des  Geschlechtshäuptlings  jedoch  oft  bis  zu 
einer  rein  despotischen  Gewalt  Man  findet  sowohl  matriarchalische 
als  patriarchalische  Häuptlinge,  welche  Aber  Leib  und  Leben  der 
ihrigen  frei  verfiigen,  sie  straflos  töten,  Terstttmmeln  und  züchtigen, 
sie  verkaufen  und  verpftnden  und  sie  nach  Willkttr  verheiraten, 
während  sie  andererseitig  vollständig  für  den  Unterhalt  der  ihrigen 
sorgen,  sie  nach  aufoen  vertreten  und  für  sie  Blutrache  flben  und 
ihre  Schulden  bezahlen.  Hier  liegt  alsdann  die  ßreie  Verwaltung  des 
Familienvermögens  meistens  in  der  Hand  des  Häuptlings  und  hat 
derselbe  aus  diesem  Vermögen  alle  Bedürfnisse  der  ganzen  Familie 
zu  bestreiten. 

Alle  diese  Rechte  und  Pliichten  beschrilukeu  sich  mehr  und 
mehr  mit  der  Erstarkung  der  staatlichen  Gewalteu,  an  denen  die 
Geschlechtsgenos<en  einen  Schutz  gegen  die  Despotie  des  Geschlechts- 
häuptlings gewinnen.   Zunächst  garantiert  der  Staat  den  Weibern 


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—   13  — 

und  Kindern  ihr  Leben ;  er  bindet  die  Familienjustiz  des  Hausvaters 

in  bestimmte  Form  und  entzieht  sie  ihm  «illmählicli  cranz.  Das 
Zill  htiirunirsreeht  des  Hausvaters  wird  el)eiifalls  iininer  iiielir  be- 
>chrunkt  uud  erlischt  der  Khefrau  ^re^j^enüber  vollst andi'j,  wenn  diese 
zur  Lrleirbberecbtiiiteu  Lebensgefährtin  aufgestiegen  ist.  Den  Kindern 
gegenüber  bleibt  ein  mäfsiges  Zu(^htrecht  besteben  und  dies  wird 
alsdann  auch  der  Mutter  zugestanden.  Das  Verkaufs-  und  Ver- 
pfandoDgsrecht  beschränkt  sich  zunächst  auf  Notfälle  und  erlischt 
alsdann  ToUstäodig.  Das  Recht  des  Hausvaters,  die  Seinigen  zur 
Heirat  zn  zwingen,  erlischt  zunftchst  gegenüber  den  Söhnen,  dann 
auch  gegeuftber  den  Tlk^tem :  es  sinkt  zn  einem  Konsensrechte  zur 
Heirat  zusammen,  welches  alsdann  auch  der  Mutter  zugestanden 
wird« 

Was  die  Vermögensverwaltung  des  Hausvaters  anlangt,  so  zer- 
fallen in  dieser  Beziehung  die  Rechte  und  Pflichten  desselben  all- 
mählich mit  der  Antlösung  des  Geschleclitsvermö;;ens.  Wahrend 
ursprünglich  das  ganze  (ip^chlecht  in  Vermögensgemeinschaft  lebte, 
in  welche  jefler  Genosse  seinen  Erwerb  einzuwerfen  hat.  entstehen 
unter  der  Einwirkung  der  staatlichen  Organisation  Sondergüter  der 
einzelnen  Geschlechtsgenossen;  sie  behalten  bestinmite  Erwcrbsgegen- 
»tände  filr  sich.  Damit  beschränken  sich  die  Vermögensrechte  des 
Hansvalers  und  gleichzeitig  auch  seine  vermögensrechtlichen  Ver- 
piichtungen.  Die  Pflicht,  fttr  den  Unterhalt  der  Seinigen  zu  sorgen, 
wird  zu  einer  subsidiären  Alimentationspflicht;  Schulden  der  Seinigeu 
braucht  er  nur  noch  zu  bezahlen,-  wenn  sie  im  Interesse  der  Familie 
eingegangen  sind.  Von  der  ursprflnglichen  Pflicht  der  Kinder,  allen 
Erwerb  ins  Familienvermögen  einzuwerfen,  bleibt  nur  noch  eine 
subfiidiAre  Alimentation.spflicht  den  Eltern  gegenüber  übrig. 

Schliefslich  bleibt  noch  eine  Seite  in  der  Entwicklung-sgeschichte 
der  Familie  zu  betrachten. 

Unsere  heutige  Famili(;  dient  im  wesentlichen  der  Erhaltung 
der  Rasse.  Ein  gesundes  Familienleben  ist  zwar  auch  heutzutage 
eine  wesentliche  Basis  für  die  Ek'haltuug  des  Staats;  aber  eine 
eigentlich  politische  Bedeutung  hat  unsere  heutige  Familie  nicht  mehr. 
Unser  heutiger  Staat  setzt  sich  nicht  aus  Geschlechtern,  sondern 
ans  Individuen  zusammen.  Ganz  anders  ist  dies  in  der  Urzeit. 

Die  Familie  der  Urzeit  ist  nach  allen  Seiten  hin  eine  unserem 
heutigen  Staate  analoge  Bildung;  nur  eine  noch  viel  allseitigere, 
wie  dieser.  Die  Familie  der  Urzeit  bildet  einen  Schutz-  und  Trutz- 
verband, in  welchem  sich  die  Genossen  gegenseitig  Leib  und  Leben 
garantieren,  und  welcher  nach  allen  Seiten  hin  eine  vollständige 
Lebeiisgeuieiuscbaft  darstellt. 


—   14  — 


Dies  kommt  zunächst  darin  zum  Ausdruck,  daCs  diese  kleiDen 
Gemeinwesen  sich  ebenso  ^esjenüber  stehen,  wie  hentzntage  zwei 
Staaten.  So  lan^^e  sich  über  ilmen  ein  höheres  soziales  Band  nicht 
bildet,  ist  daher  zwischen  ihnen  der  Kriej?  der  regelmafsige  Zu- 
stand. Dieser  Ueschlechterkri(v^  erscheint  in  Ot'stalt  der  Bbitrache. 
Charakteristisch  ist  dabei,  dafs  die  Gosclilecliter  in  vollstiliidi'^er 
Lebens-  und  Vermögensgemeinschaft  stehen.  Es  gilt  daher  jede 
Missetbat  des  Genossen  eines  Geschlechts,  welche  gegen  den  Genossen 
eines  anderen  Geschlecht«;  verübt  wird,  als  von  Geschlecht  gegen 
Geschlecht  verabt.  Nach  individueller  Verschuldung  wird  dabei  so 
wenig  gefragt,  wie  heutzutage  im  Kriege  zwischen  zwei  Staaten. 
Jeder  Blutsfreund  ist  fflr  die  That  jedes  Blutsfreundes  ebenso  ver- 
antwortlich, als  wenn  er  sie  selbst  begangen  hätte.  Wird  die  Blut- 
rache, wie  dies  überall  der  Fall  ist,  wo  die  Geschlechter  mit  ein- 
ander durch  ein  höheres  sociales  Band  verknüpft  werden,  sflhobar, 
so  wird  daher  aucli  die  Bnl'se  von  Geschlecht  an  Geschlecht  gezahlt, 
und  löst  sich  die  ursprüngliche  Lebensgemeinschaft  der  Geschlechter 
allmählich  auf,  so  bezielien  immer  engere  {Tni]»pen  von  Verwandten 
den  Blutpreis  und  sind  immer  engere  Gru])p*'n  von  \  erwandten  ver- 
ptiichtet  zu  demselben  beizutragen,  bis  endlich  um*  noch  der  Fried- 
brecher selbst  dem  Bliiträcher  gegenüber  steht. 

Die  Blutfehden  der  Geschlechter  unter  einander  werden  durch 
die  entstehenden  staatlichen  Gewalten  langsam  immer  mehr  beschrankt 
und  schliefslich  ganz  unterdrückt.  Aber  es  vergehen  stets  lange 
Zeitr&ume,  bis  es  dem  Staatsrecht  gelingt,  das  alte  seit  Urzeiten 
festgewurzelte  Geschlechterrecht  auszurotten.  Während  es,  so  lange 
die  Geschlechter  noch  nicht  unter  einem  höheren  sozialen  Drucke 
stehen,  stets  im  freien  Willen  derselben  liegt,  ob  sie  sich  durch  eine 
Bufse  versöhnen  lassen  oder  zur  Rache  schreiten  wollen,  wird  jetzt 
versucht,  die  Annahme  der  Bufse  zu  erzwingen  *und  die  Verweigerung 
der  Annahme  derselben  wird  als  ein  Kcditsbruch  ^jegen  die  staat- 
liche Ordnung  nnfirefafst.  Mau  sucht  auch  (hirch  Schiedsgerichte  auf 
alle  mögliche  Weise  eijien  Friedensschliifs  zwischen  den  streitenden 
Geschlechtern  herbeizuführen;  man  gewahrt  den  Mördern  gegen  die 
Hache  suchenden  Blutsfreunde  Asyle.  Aber  noch  lange  sind  die  staat- 
lichen Gewalten  gezwungen,  mit  dem  Geschlechterrechte  zu  paktieren. 
Es  gelingt  ilmen  oft  nur,  die  Blutrache  an  bestimmten  Zeiten  und 
Orten  auszuschliefsen  und  sie  einigermafsen  zu  kontrolieren,  während 
sie  noch  selbst  gezwungen  sind,  MOrder  den  Bluträcfaem  zur  Be- 
strafung auszuliefern. 

Erst  mit  der  vollständigen  Auflösung  der  Geschlediterverfassung, 
der  Auflösung  des  Blutsfreundes  in  den  Staatsbürger,  erlischt  auch 


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die  Blatrache.  Der  Geschlechterkrieg  wird  jetzt  von  den  höheren 
socialen  Organismen,  den  Staaten,  fortgesetzt,  bis  es  dereinst  gelingen 
wird,  auch  diese  doreh  ein  höheres  soziales  Band  zu  verknüpfen  und 
damit  dem  Kriege  ein  fOr  alle  mal  ein  Ende  zu  bereiten,  und  die 

lUrhe  im  Staate  seihst  wird  von  der  Staatsgewalt  ausgeübt,  indem 
jetzt  ein  öft'entliches  Strafrecht  sich  aushildet. 

Wie  so  den  Geschlechtern  das  Krieirsrecht  durch  di-n  St<\at 
entzoiren  wird.  s(»  \i\<en  >'n\\  aiicli  zahh'eiche  sonstige  liechte  und 
Ftiichten  der  Bhitsfremide,  weh'he  sich  aus  der  ursprünglichen  Lebens- 
gemeinschaft der  (Geschlechter  ergahen.  von  diesen  ah  und  gehen 
zum  Teil  auf  den  Staat,  zum  Teil  auf  andere  soziale  Neuhihlungen 
über.  Auch  hier  ist  die  Entwicklung  eine  ganz  allmähliche.  .Vas 
der  geschlechtsgenossenschaftUchen  Lebensgemein.schaft  ergiebt  sich 
zum  Beispiel  die  Pflicht^  arme  und  kranke  Blutsfreunde  zu  unter- 
tttatzen,  angegriffene  zu  verteidigen,  gefangene  auszulosen,  für  das 
Begräbnis  von  Genossen  zn  sorgen  und  der  Leiche  zu  folgen,  sowie 
eine  umfangreiche  Haltung  für  Vergehen  und  Schulden  der  Bluts- 
freunde. In  allen  diesen  Beziehungen  löst  siirh  die  ursprüngliche 
Lebensgemeinschaft  der  Geschlechter  immer  mehr  auf.  Auch  die 
Verpflichtung  der  lUutsfreinide,  iliren  Blutsfreiuiden  mit  Zeugnis  und 
Lid  beizustehen.  z<Mgt  denselhen  Entwicklungsgang.  Nacli  dem  Rechte 
der  Menangkaluiwsclien  MnlMien  konunt  nocli  bei  wichtigen  Sachen 
ein  Schwur  mit  der  ganzen  l- am  die  vor.  welche  dann  auch  für  ilie 
Folgen  des  Eides  verantwortlich  ist.  Dieser  Solidaritätseid  hudet 
?ich  auch  bei  den  Ke4jangs  nnd  Bataks.^M  Eine  L'ebergangsbildung 
zeigt  sich  bereits  in  dem  germanischen  Ilechtsinstitut  der  PMdeshelfer, 
von  welchen  sich  eine  getreue  Kopie  auf  Bali  findef  )  £in  letzter 
Rest  des  Geschlechterrechts  findet  sich  noch  im  heutigen  Rechte, 
wenn  es  Blutsverwandten  gestattet  ist,  ihr  Zeugnis  zu  ver- 
weigern* 

Die  im  Obigen  angedeutete  Kntwicklungsgesehiehte  der  Familie 

wii'derholt  sich  im  wesentlichen  gleichartig  bei  allen  Völkern  der 
Krde.  Nur  die  höchstentwickelten  Kulturvölker  durchlaufen  jedoch 
alle  Madien  derselben:  tiefer  stehende  Völker  erreichen  nur  (lie>e 
.xjer  jene  niedrijiere  Stufe  und  bleiben  auf  die>er  stehen,  und  so 
tin  b  II  -i<  h  denn  auch  noch  heutzutage,  wenn  man  alle  Völker  der 
Erde  überbiickL,  alle  Stufen  dieser  Entwicklung  neben  einander 
vor. 


■*)  G.  A.  Wilkt'U,  llet  strufrtH  lit  bij  de  volkea  van  bet  lualuibcbe  uribipel. 
'i  HrnTeiibage  (Nijhoin  1883.   p.  51. 
•*)  WUkeo  1.  c.  p.  56. 


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So  ist  denn  unsere  heutige  Familie,  welche  uns  als  eine  so 
natOrliche  Bildung  erscheint,  dafs  vir  geneigt  sind,  anzunehmen,  sie 
habe  so  lange  bestanden,  wie  die  Menschheit  ttberbaupt,  nach  allen 
Seiten  hin  das  langsam  gereifte  Produkt  einer  Jahrtausende  um- 
fassenden Entwicklung. 


Die  Erforschung  des  Yukon  -  Gebiets  (Sommer  1883) 

von  F.  Sehwatkt, 

Premier-Leutnuit  In  d«r  VerelnigtMi  Stfcatu  Armvt. 


Vorwort  toh  Dr,  A.  Kraue. 

Der  hier  folgende  Bericht  des  rtthmlichst  bekannten  Polar- 
reisenden Schwatka,  Ehrenmitgliedes  unserer  Gesellschaft,  giebt 
einen  wesentlichen  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Oberlaufes  des  Yukon, 

eines  Stromes,  der  nnsere  Donau  um  540  km  an  Länge  übertriflft 
und  noch  sehr  unvollkommen  bekannt  ist.  —  Eine  ausführliche 
kritische  Entdeckungsgeschichte  des  Yukon  giebt  Dali  in  seinen» 
vortrefflichen  Werke:  Alaska  and  its  Resources.  —  Der  ani  längsten 
bekannte  und  wahrscheinlich  auch  der  gröfste  seiner  Quelltiüsse  ist 
der  von  Osten  her  erreichte  Pelly-Fiuis ;  an  der  Vereinigung  desselben 
mit  einem  von  Sildeu  herkommenden  grofseu  Strome,  der  meisten- 
teils als  Lewis  river  bezeichnet  wurde,  gründeten  die  Leute  der 
HudsoDsbaikompagnie  in  den  vierziger  Jahren  das  Fort  Selkirk. 
In  den  folgenden  Jahren  wurde  dann  die  Zugehörigkeit  des  Pelly- 
Flusses  zum  Yukon  und  dessen  Identität  mit  dem  im  Kortonsound 
mflndenden  Quichpack  der  Russen  erkannt  —  Der  Lauf  des  Lewis- 
Flusses  blieb  bis  in  die  neueste  Zeit  noch  ganz  unbestimmt  Man 
wu&te  nur,  dafs  von  der  Koste  her  zwei  Uebergänge  zu  seinem 
Gebiet  hinüberführten,  erstens  vom  Chilkatgebiet  (wobei  die  beiden 
vom  Dejäh-Flufs  zum  Liiideman-See  und  von  Chilkat-Flufs  zum  west- 
li«hen  Kussooa  oder  dem  Tahkheena  Schwatkas  zusammengeworfen 
wurden)  und  zweitens  vom  Taku-Flufs  zum  Tahko-See.  Letzteren 
Uebergang  lernten  die  Forscher  der  Ueberland-Telegraphen-Korapag- 
nie  zuerst  kemien :  wt  ^M  ii  ünvollkommenheit  der  ihm  übergebenea 
Karten  zog  Dali  in  jseiuem  augeführten  Werke  den  oberen  Lauf  des 
Küstenflusses  TakTi  zum  Lewis-Flusse  und  trotz  der  von  ihm  im  Text 
beigefügten  Berichtigung  ist  diese  falsche  Darstellung  in  die  neuesten 
deutschen  Karten  übergegangen.  Goldsucher  haben  diesen  lebsteren  Weg, 
wie  auch  den  im  Jahre  1882  von  mir  bis  zum  Iiindeman*See  verfolgten 


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und  fon  Scbwatka  nun  vollständig  erforschten  Übergang  in  den 
letzten  Jahren  mehrfach  gemacht;  der  Übergang  yom  Ghilkat-Flufe 
zum  westlichen  Kussooä  wurde  zuerst  im  Sommer  1882  Ton  mir 
bewerkstelligt.    Es  ist  das  groCse  Verdienst  der  Schwatkaschen 

FApedition,  durch  vollständige  Festlegung  wenigstens  eines  Strom- 
laufes zuerst  Klarheit  in  die  verwickelten  Verhältnisse  ^a'bracht  zu 
haben.  Jetzt  wAre  vor  allen  Dingen  eine  weitere  Erforschung  des 
Takheenn  und  des  Tahko,  die  beide  ebenfalls  leicht  von  der  Küste 
2a  erreichen  sind,  wünschenswert. 

Von  der  (hilkoot-Bncht  bis  Fort  Selkirk.») 

Hiem  TaffI  I.:  OrigiMl-Konte&karto  einer  Militäroxpeditlon  Im  Jahre  1883  antor  KoiaiiiMldaat 
Praater-LeiilBAnt  F.  Sehwitdn;  Ton  Chllkoot-Inltt  In  AlHka  bis  Fort  SelMik,  toh  O.  A.  IIobmmi. 

MafasUb  1  :  1  175  000. 
F«?Mr  Ucbtdrnekbnd  umth  Pliotognphie:  MU«i  Cftium. 


Zwecke  und  Personal  der  Expedition.  Geplante  Art  und  Weise  des  Vorgebens. 
Mannrelhafle  Karten.  Aufbrach  den  Dejäh  hinauf.  Tragstelto.  Schwieriges  Steigen 
im  i^hne«.  Auf  der  Iluhe  des  Perrier  •  Passes.  Schneetriften.  Der  Lindeman-See. 
Ein  Plo's  erT)aiit.  Fahrt  auf  dem  See.  I'ie  ersten  Stromsohnellen.  Ver«tjlrkung  des 
Flosse«.  Wie  Szenerie  am  Beiu>ett*See.  Falsche  Berichte.  Indianic^che  Rauch-äignale.  Der 
Tab-k^V-See.  I>er  N«n1i-Se«.  Mfles  Caton.  Der  Klnk-tas-sL  Di«  Bink-Stromaebiidleii. 

Die  niilitilrisclie  Uekognoszierun^^sreise  in  Alaska  1883  wurde 
auf  den  Wunscli  des  OhorbefchKshabcrs  de.s  Militar-„Departeinents", 
zu  wt  kheni  Ala,-ka  jzeluirt.  unternommen;  diesem,  dem  Brevet  Major- 
General  Nelson  Milos.  —  dessen  Hauptquartier  Vancouver  im 
Territorium  Washington  ist,  —  lag  e>  daran,  Informationen 
militärischen  Charakters  einzuziehen  in  Betreff  der  wilden  Indianer 
in  jenem  abgelegenen  Teil  seines  Militärbezirks,  um  so  mehr,  als 
gegenwärtig  eine  rasche  Besiedlung  einiger  Gegenden  Alaskas 
dnrch  WeiGse  stattfindet,  die  dahin  teils  durch  Berichte  Ober 
die  Auffindung  edler  Metalle,  «teils  durch  die  Kunde  ergiebiger 
Fischereien,  teils  durch  andere  Interessen  gelockt  werden.  Der 
Oberbefehl  über  diese  Bekognoszierungsreise  wurde  dem  Ver- 
fasser dieser  Mitteilungen,  Adjutanten  des  Oberbefehlshabers,  über- 
tragen, und  bestand  das  Kommando  aus  nur  zwei  Otliziereu  und 
vier  Soldaten;  dazu  ^Yurdeu  unterwegs  von  Zeit  zu  Zeit  noch  ver- 
schiedene Leute,  teils  Weifse,  teils  Iniliuuer  in  Dienst  geiionnuen. 
Jene  vier  Soldaten  waren  für  die  Reise  eigens  ausgesuchte,  intelligente 


Anmerkung;  der  Liedaktioii.  Bald  nach  Empfang  dieses  für  die 
Geographie  Nord-Anu  i  ikas  wichtigen  Aufsatzes  erhielten  wir  von  dem  geehrten 
Verfasser  dcsselbon  einen  Brief,  in  welchem  er  bedauert,  erst  nachträglich  von 
den  früher  in  dieser  Zeltsciirift  verüfTenilichten  Arbeiten  der  Herren  Drs.  Krause, 
di«  sich  auf  die  üebergüugc  zum  Tokon  besiehen,  Kenntnis  bekominen  sn  haben. 
Oeogr.  aiitl«r.  BrMMm  1884.  2 


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Leute;  einer  derselben  gehörte,  als  Topograph,  dem  Ingenienrcorps 
an,  ein  anderer,  Sergeant  Gloster,  war  ein  tüchtiger  Zeichner.  Auch 
ein  photo  graphischer  Apparat  wurde  mitgenommen.  Dafe  eine  solche 

Expedition  in  ein  so  wenig  bekanntes  Gehiet,  als  welches  Alaska  Im 
allgemeinen  gelten  kann,  neben  Verfolgnni;  ilircs  Hauptzwecks  aurh 
Ergebnisse  für  die  geographische  Wissensdiatt  lieleru  werde,  war 
von  vorn  herein  anzunehmen  und  die  nachfolgenden  Mitteilungen 
werden  einige  difser  Ergebnisse  darlegen. 

Die  Expedition  bestand  aus  dem  Verfasser  dieses,  Dr.  Wilson, 
Herrn  Homann,  Sergeant  Gloster,  Korporal  Shirclitf,  Soldat  Roth 
von  der  V.  St.  Armee  und  einem  Herrn  Mcintoslu  Wir  verliefsen 
Vanconver  am  21.  Mai  1883  auf  einem  der  monatlich  nach  den 
kleinen  H&fen.  des  südlichen  Flutwasserstreifens  von  Alaska  fahren- 
den Dampfer;  am  2.  Jnni  erfolgte  die  Ankunft  und  Ausschiffung  in 
Ghilkat  Die  ganze  Gegend  ist  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  aus 
den  Reiseberichten  der  Gebrüder  Dr.  Krause  wohlbekannt 

In  Chilkat  und  Ghilkoot  wurden  65  Indianer  angenommen,  um 
dtvs  Gepäck  über  die  Tragstelle  in  den  Borgen  zu  bringen,  welche, 
nach  Angabe  der  Eingeborenen  auf  40  niilcs  IJreite  die  fjordartigen 
riuchteu  von  den  Bergseon  im  Iiniern  trennen.  Diese  letztoren  liegen 
im  oberen  Gebiet  des  urofsen  Yukon-Flnsses,  dessen  schittbarer  Teil 
nach  verschiedenen  Tragstellen  um  gefahrliche  Caüon>^  und  Strom- 
schnellen herum  zu  erreichen  sein  sollte.  Auch  Miuer  waren,  wie 
ich  in  Chilkat  ennittelte,  den  Weg  schon  früher  gezogen;  jedoch  hat 
die  Geographie  ans  ihren  ReiscMi  eben  so  wenig  Gewinn  ziehen  können, 
wie  aus  den  Wanderungen  der  Indianer.  Einzelne  dieser  Leute  machten 
die  phantastischsten  Beschreihnngen  von  den  Schwierigkeiten,  auf 
welche  das  Unternehmen  stofsen  würde  und  verhöhnten  den  Plan,  ihrer 
mittelst  eines  Flosses  Herr  zu  werden;  mit  einem  solchen  gedachte 
ich  nun  aber  gerade  den  Wasserweg  bis  dahin  zurückzulegen,  wo 
Kanoes  in  genügender  Zahl  und  Gröfse  von  den  die  Ufer  bewohnen- 
den Indianern  beschafft  werden  konnten.  Von  diesen  Seen  nud 
Wasserzügen  existirten  freilich  Karten,  gezeichnet  von  pliantasie- 
reichen  Erforschern,  darunter  selbst  Blätter,  die  unter  der  Autoritnt 
des  U.  S.  Coast  Snrvey  und  des  Census  Büreaus  berau>,ucu('ben 
wurden,  allein  diese  Karten  konnten  eben  nur  .so  lange  eine  Aut(nität 
beanspruchen,  bis  die  wirkliche  Erforschung  ergab,  dafs  sie  noch 
mangelhafter  waren,  als  von  manchen  Seiten  schon  angenommen 
wurde. 

Am  7.  Juni  verliefs  die  Expedition  Glülkat  und  Ghilkoot  und 
fuhr  die  Ghilkoot-Bucht  und  eine  ihrer  gröfseren  Abzweigungen,  den 
Dejfth-Fjord,  bis  zur  Mündung  des  gleichnamigen  Flusses  hinauf. 


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—  19 


Der  Dejfth-Fjord  hat  den  gleichen  Charakter  wie  alle  Meeresarme 
in  diesem  Teile  Alaskas;  ein  schmaler  flufsfthnlicher  Wasserzog 
zwischen  hohen  Bergen,  die  mit  Kiefern  nnd  Tannen  his  zum  Gipfel 
bedeckt  sind  nnd  nackte  Granitkappen  tragen,  deren  Schluchten  mit  * 
Schnee  und  Gletschern  ausgefüllt  waren,  welche  zahllose  prächtige 
WasserfUle  speisten.  Hier  und  da  stand  Gras  von  so  guter  Be- 
schaffenheit, dafs  es  Heu  liefern  konnte,  die  Halme  waren  4-^  Fufs 
hoch,  aber  es  war  nicht  genug,  um  die  Mflhe  des  Schneidens  zu 
lohnen.  Die  Ufer  des  Dejäh-Flnsf^es,  an  denen  unsere  Gesellschaft 
beinahe  his  zur  Quelle  hinaufstieg,  waren  dicht  mit  Pappeln  nnd 
Weiden  bewaldet,  (Ue  Berge  hatten  dasselbe  steile  und  schroffe 
Aussehen  wie  an  dem  Inlet.  Vom  Fufs  der  Bergo  auf  der  eineu 
bis'zutn  Bergfuss  auf  der  anderen  Seite,  in  einer  Hieite  von  bis 
1  miles,  besteht  das  Dejnli-FIurshett  aus  niächtijren  Bilnkeu  iiraniti- 
scben  Gerölls,  Sand  und  ^Jiroben  Kieses,  stellenweise  dureh  ansehnliche 
Waldungen  der  oben  erwähnten  liaunie  unterbroehen.  Es  wurde  nun 
am  9.  Juni  das  Ende  der  Kanoo-Srhitfahrt  erreicht  und  passiert;  von 
hier  niufste  das  i/c^^amte  (leiȊck  auf  die  Uiicken  der  bocrleitenden 
Indianer  «?ei>ackt  werden.  l)ie  Chilkats  haiieii  v«tr  Jahren  diesen 
Pfad  durch  die  Herge  getreten,  um  mit  den  Indianern  des  Innern 
zu  haiifk'ln.  und  das  ist  allen  mit  den  \'erhaltnisseu  des  Landes 
Vertrauten  bekannt :  es  erscheint  daher  seltsam,  dafs  der  von  mir  jetzt 
ani^eiiümmene  lieiseidan,  den  Vukon  zu  erforschen,  nicht  schon  hingst 
zur  Ausführung  gebracht  ist,  statt  dafs  man  stromatifwarts  von  der 
Mündung  her  vordrang.  Vielleicht  kam  dies  daher,  dafs  den 
Berichten  der  Indianer,  welche  es  liehen,  Schwierigkeiten  zu  über- 
treiben, von  Seiten  derjenigen,  welche  mit  diesem  Gharakterzug  der 
Eingeborenen  nicht  vertraut  sind,  zu  viel  Glauben  geschenkt  wurde. 
Die  erwachsenen  Chilkat-Indianer  tra^ren  jeder  100  bis  U¥)  Pfund,  doch 
wollen  sie  in  der  Regel  m'cht  mehr  wie  100  Pfund  sich  aufladen  und 
nur  hyperboraische  Herkulesse  versuchen  es  mit  dem  letzteren  Ge- 
wicht. Der  Lake  Water-Flufs  (Cut-la-cook-ah,  der  von  Westen  her 
gerade  unterhalb  Lager  No.  4  mflndet,')  ist  der  bedeutendste  Zuflufs, 
sowohl  durch  seine  Wossermeuge  als  durch  seine  Breite,  doch  es  ist 
die  kleinere,  von  der  Gesellschaft  verfolgte  Abzweigung,  welche  den 
Namen  Dejah  bebalt  Bei  der  Gabelung  der  beiden  Flasse  erheben 
sich  hohe  mit  Gletschern  bedec!kte  Berge,  von  denen  wir  Photo- 
graphien nahmen. 


Nach  der  Karte  inüiulet  von  Westen  der  Noursr-Fhifs  iinterliall)  des 
Lagei-s  Nr.  4,  ein  I^ke  Wattr  lliver  ist  dort  aufscrdeiu  nicht  verzeichnet.  iJer 
Nourse-Flulä  iat  der  Katlukm  hra  dcü  Dr.  Krause. 

2* 


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20 


Am  10.  Jnni  begann  die  schwere  Arbeit  des  Pafsabergangs; 

obwohl  nur  10  miles  gemacht  und  nur  der  Oberlauf  des  Dejäh- 
Fliisses  erreicht  wurde,  so  war  dies  doch  schon  viel,  da  man  es  für 
40 — o()  niiles  zurückgelegten  gewöhnlichen  Weges  rechnen  konnte. 
Dazu  brauchten  wir  12  Stunden,  (mii-(  hliefslich  der  wegen  der  Be- 
schwerlichkeit der  Reise  sehr  oft  gesonnten  Kuheiiausen.  Bevor  das 
Lager  erreicht  war,  hatten  wir  viele  Schneehänke  von  3  bis  viel- 
leicht 15  oder  20  Fufs  Mächtigkeit  zu  passieren  gehabt;  2  bis 
3000  Fufs  hohe  Felsen  waren  in  Schnee  förmlich  eingebettet,  nur 
hier  und  da  ragte  ein  Stück  Gestein  oder  Grat  hervor.  Ein  kleiner 
Vorfall  zeigt  am  besten  die  zähe  Ausdauer  Unserer  indianischen 
Gepäckträger.  An  der  nördlichen  2—2500  Fnfe  hohen  and  mit 
tiefem  Schnee  bedeckten  Höhenkette  sahen  wir  eine  Bergziege.  So- 
fort brach  einer  unserer  Gepäckträger  zur  Jagd  auf  das  Tier  auf. 
Nachdem  er  schon  einen  Weg  zurückgelegt  hatte.  -  auf  dem  ein 
Maultier  wahrscheinlich  nicht  hatte  vorwärts  kommen  können,  stieg 
er  dem  Wilde  nach,  jagte  es  ins  Thal  hinab  und  noch  die  steile 
uugefilhr  ebenso  hohe  südliche  Beriikette  hinauf. 

Am  Morgen  des  11.  Juni  brachen  wir  frühzeitig  auf  und  er- 
reichten die  Pafshöhe  auf  der  von  den  C  hilkat-Indianern  Kotusk 
genannten  Bergkette^)  gegen  10  Tlir  Vormittags;  der  eine  der  Passe 
war  4240  Fufs,  der  andere  4100  Fufs  lioch.  Leider  konnten  wir, 
wegen  des  hier  auf  den  Höhen,  wie  es  scheint,  stets  herrschenden 
Nebels  und  Dunstes,  keinen  guten  Umblick  über  die  Umgebung 
gewinnen.  Eines  schien  wunderbar,  wie  diese  selbst  im  Durchschnitt  ' 
kaum  viel  mehr  als  135  Pfund  wiegenden  Indianer  ein  Gewicht  von 
100  Pfund  steile  Berghänge  hinauf,  mitunter  über  hartgefromen 
Schnee  und  verräterisch  bedeckte  Klüfte  tragen  konnten!  Sie 
passirten  mit  gröfster  Sicherheit  Stellen,  wo  ein  falscher  Tritt  sie 
unfehlbar  in  Tiefen  von  4-^500  Fufs  gestürzt  haben  würde.  Einer 
unserer  Trüger,  der  wohl  noch  nicht  einmal  K).')  Ptiiiid  wog,  trug  ein 
Gewicht  von  127  Pfund.  An  manchen  Stellen  war  der  Aufstieg  so 
steil,  dafä  es  den  meisten  von  uus  schon  ein  saures  Stück  Arbeit  war. 


*)  Nach  Dr.  Krause  durfte  die  Annahme  einer  eigenen  indianiBchen  Benennang 
Kotusk  f&r  diese  Berge,  die  auch  keine  eigentliche  Kette  bUden.  iirig  sein.  Nach 

den  früher  in  dieser  Zeitschrift  verüfTentUchten  Pioiseberichten  de.<$  Dr.  Arthur  Krause 

bodeutf'f  Kotafs  odor  Kotaska:  banmfreies  Terrain  btum  Febergang  aus  einen 
Thal  ins  andere.  Schahsehekih.  wie  auf  der  ersten  dnich  diese  Zeitschrift  ver- 
ofTeutlicliten  Kartonskizze  des  Dr.  Krausi-  als  indianischer  Nainc  dieses  Fa.sses 
zu  lesen,  bedeutet  soviel  als:  oben  auf  dem  Berge.  Dr.  Krau.se  schützte  die  Höhe 
des  Passes  nach  der  gemessenen  Höhe  seines  letzten  Halteplatzes  zu  unget'ahr 
1200  m. 


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21  — 


mit  ei  nein  gei  liigt  ii  Handgepäck  von  20-  30  Pfund  liinaufzuklimmen. 
Da  niufsten  alle,  Wcifse  und  Indianer,  auch  die  Hände  gebrauchen,  und 
sk'b  an  den  hier  und  da  aus  den  I  eisrissen  hervorragenden  Wurzeln 
vl^l\  Fieliten  und  Wachholder  festhalten.  Der  lange  Zug  der  Wanderer, 
wie  sie  an  den  weifsen  Scluieeabstürzen  gleichsam  hängend  und  mit 
den  Händen  sich  stützend  hinaufkiommen,  gew&brte  einen  wunder- 
baren Anblick.  Der  Schnee  war  gerade  eben  noch  nachgiebig  genug, 
da&  die  voranschreitenden  Tr&ger  feste  Fufsspnren  treten  konnten, 
m  denen  man  mit  einiger  Sicherheit  folgen  konnte.  Beim  Eintreten 
wurden  die  Fufsspitzeu  nach  nnten  gesenkt,  so  dafs  die  Fufstapfen 
vom  am  tiefsten  eingedradct  waren,  was  das  Gehen  allerdings 
mflhsamer  machte,  aber  mehr  Sicherheit  gewährte.  Die  meisten 
Indianer  trugen  kräftige  Alpenstöcke,  manche  hatten  aber  keine 
solche  Stütze.  Der  erreichte  Pafs  wurde  von  mir  Perrier-Pafs,  nach 
Ober>t  J.  Perrier,  dem  Vizepräsidenten  der  geographischen  Gesell- 
schaft und  Institutsntitgiiede  in  Paris,  genannt.  Bald  nachdem  man 
den  Perrier-Pafs  hinter  sich  hat.  ist  der  Abstieg  auf  einige  hundert 
Fufs  sehr  schrotf  und  zwar  nach  einem  kleinen,  etwa  100  Acres 
Flächeninhalt  messenden  See,  der  noch  mit  dickem  Eä&  überfroren 
nnd  mit  Schnee  bedeckt  war.  Irgend  welche  W  aldungen  oder  Ge- 
hölze waren  nirgends  zu  entdecken  und  die  Ode  Winterkindschaft  mit 
ihrem  lückenlosen  Schneemantel  trug  einen  entschieden  arktischen 
Charakter.  Nur  eine  Pfuhlschnepfe  (Numenius  Hndsonicus)  und  ein 
paar  Schwalben  (Cotyle  riparia)  belebten  die  sonst  YOllig  erstarrte 
Natur.  Lftngs  dem  Thale,  durch  welches  das  Wasser  dieses  kleinen 
arktischen  Sees  abfliefst,  führt  der  Pfad  auf  der  Strecke  von  4 — 5  miles 
über  hohe  Schneetriften.  Die.se  bildeten  Drücken  über  die  Wasser- 
zflge,  deren  Rieseln  zuweilen  unter  der  Schneedecke  hervorklang. 

Später  wurden  die  Wasserzüge  kräftiger,  die  Schneebrücken 
waren  eingestürzt  und  zeigten  an  diesen  Stellen  sich  10  bis  25  Fufs 
mächtig,  hier  war  die  Passage  beschwerlich,  ja  gefährlich.  Erst 
um  7  Uhr  abends,  nachdem  wir,  auf  einem  weit  schlechteren  W^ege 
als  Tags  vorher,  14  miles  gemacht  hatten,  wurde  das  Lager  auf- 
geschlagen. Dieses  Lager  (Nr.  6)  war  am  Ostufer  eines  grofsen 
Sees;  bis  hierher  hatten  sich  die  indianischen  Gepftcktrftger  ver- 
piliehtet  zu  gehen;  einige  von  ihnen  yerlangten  noch  an  demselben 
Abend  ihren  Lohn  und  gingen  in  der  That  sofort,  nachdem  sie  den- 
selben empfangen,  wieder  über  den  Perrier-Pafs  zum  Dejäh-Flufs 
zurück.  Die  astronomische  Lage  unseres  Lagers  wurde  bestimmt, 
und  der  See,  nach  Dr.  Lindeman  von  der  Geographischen  Gesellschaft 
in  Bremen.  Lindeman -See  genannt.  Hier  blieben  wir  zwei  Tage; 
zunächst  dachten  wir  daran,  das  etwa  7  bis  8  miles  eutiernte  Ende 


—  22  — 

des  Sees  in  zwei  Kanoes  zu  erreichen  —  der  See  ist  10  miles  lang 
und  1  bis  2  miles  breit  — ,  eintretendes  stfirmisches  Wetter  liefs 
uns  jedoch  yon  diesem  Vorhaben  abstehen  und  auf  unseren  ursprflng- 

liehen  Plan,  ein  Flofs  zu  bauen,  zurückkonunen.  Nach  zwei  Tajzeii 
war  das  Flof^,  in  der  Lilniie  von  30  und  in  der  Breite  von  15  Fnls, 
fertig;  leider  waren  die  Balken,  aus  denen  es  bestand,  nur  diiun, 
stärkere  waren  aber  nicht  zu  erlangen.  Bei  einem  Versuche  zeigte 
sich  denn  auch,  dafs  das  Fahrzeug  seiner  Anfjxabe  kaum  irewachsen  war; 
als  es,  am  15.  Juni,  ab^qng,  trug  es  nm*  drei  von  unserer  Gesellschaft 
und  die  Hälfte  des  Gepäcks.  Der  Best  des  lezteren  sollte  von  vier 
Indianern,  sobald  als  es  das  Wetter  erlaubte,  nachiiebraclit  werden. 
Das  Land  um  den  Lindeman-See  ist  bergig  und  ziemlich  gut  mit 
Waldungen  niedriger  gekrümmter  Kiefern  und  Fichten  bestanden. 
Mdven  und  einige  Enten  zeigten  sich  auf  dem  See,  aber  im  all- 
gemeinen war  Wild,  besonders  grösseres,  hier  spärlich.  Das  graue 
Haselhuhn  (tetrao  obscums)  war  in  ansehnlichen  Mengen  in  den  W&ldem, 
allein  alle  Vögel  waren  in  der  Bnitzeit,  und  darum  zur  Nahrnn^ 
nicht  geeignet.  Die  Fahrt  mit  dem  Flofs  auf  dem  Lindoman -See 
war  über  alle  Mafsen  stürmisch,  es  wehte  heftig  ans  dem  Süden, 
ein  Wind,  der  um  diese  Jahreszeit  hier  der  vorherrschende  ist. 
Das  Flofs  hob  und  senkte  sich  mit  den  Wellen,  die  beständig  darüber 
wegspritzten,  wie  ein  Schiff  in  der  See;  dennoch  war  die  Ladung 
in  gutem  Zustande,  als  wir  das  Ende  des  Sees  erreichten.  Der  Rest 
der  Gesellschaft  nahm,  wie  bemerkt,  den  Weg  über  Land,  wobei  die 
12  bis  15  miles  ungefähr  ebensoviel  Stunden  erforderten,  weil  das 
Terrain  das  denkbar  schlechteste  zum  marschieren  war.  An  dem 
unteren  (ndrdlidien)  Ende  des  Lindeman-Sees  fliefst  ein  kleiner  etwa 
20  bis  30  Yards  breiter  Flufs  aus  demselben.  Derselbe  ist  */4  miles 
lang  und  ergtefst  sich  in  einen  zweiten  See.  Dieser  kleine  Flufs 
ist  voll  Stromschnellen;  besonders  bös  fQr  die  Passage  ist  eine 
Biegung  an  einem  grofsen  Felsen,  der  gerade  in  die  Mitte  des 
Gewässers  vorspringt  und  so  eine  Art  Kaskade  erzeugt,  die  sehr 
bedenklich  für  die  Sicherheit  des  Flosses  schien,  das  hier  hinab- 
gleiten sollte.  Diese  ersten  Stromschnellen  des  Yukon  wurden  von 
unserem  Flofs  am  16.  Juni  passifu't  und  obwohl  es  hie  und  da  in  den 
Kaskaden  festgeriet,  kam  es  doch  mit  dem  Verlust  der  Seitenbalken 
und  einer  allgemeinen  Durchschütterung  davon.  Die  Tragstelle  zwischen 
den  beiden  Seen  wurde  nach  Leutnant  Julius  Payer,  einem  der  ( liofs  der 
berühmten  Tegetthoff-Fahrt,  Payer  Portage  genannt.  Den  17.  und  18. 
brachten  wir  damit  zu,  unser  Flofs  auf  16zu42Fufs  zuvergrdfsern  und 
starke  Verzimmerungen  anzubringen,  damit  es  sich  leichter  hebe. 
Nun  zeigten  sich  Moskitos  in  Schw&rmen,  eine  Pest,  die  uns  auf 


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—   23  — 

unserer  ferneren  Beise  in  der  empfindlichsten  Weise  peinigen  sollte. 
Wir  trafen  hier  vier  Tah-Eeesh-Indianer;  einige  dieser  Indianer  kommen 

h\<  hierher,  um  mit  den  Chilkats,  die  früher  auf  diesen  Pfaden  ein 
ihjdoiitoiKles  Geschäft  machten,  zu  handeln.  Jetzt  durften  die  Tah- 
Iveesh  nicht  über  den  Perrier- I*afs  nacli  der  jiacifischen  Küste 
koiiinicn.  die  machti^^eren  Chilkats,  welche  sie  \vie  Sklaven  behandelten, 
und  den  eintriVirlichen  Handel  zu  monopolisieren  wünschten,  hatten 
es  ihnen  verboten.  Neuerer  Zeit  sind  jedoch  alle  diese  Beschränkungen 
he^itigt,  die  Sklaverei  ist  faktisch  aufgehoben  und  ich  hatte  einige 
Tah-Kecsh-Indianer  (von  den  Chilkats  und  den  meisten  Händlern 
Stidc- Indianer  genannt)  unter  meinen  Gepftcktrftgem.  Früher 
konnten  die  Chilkats  nur  vom  Ende  des  Chilkat-Flusses  nach  dem 
Tah-keena  handeln,  die  Chilkoots  monopolisierten  den  Weg  vom 
Dejih  zum  Lindeman-See  und  diese  beiden  Pfade,  welche  von  ver- 
schiedenen Flüssen  nach  verschiedenen  Punkten  des  Tukon  gehen, 
sind  von  Leuten,  welche  Karten  von  diesem  Teile  Nordamerikas  zu 
machen  hatten,  in  der  bedauerlichsten  Weise  durcheinander  geworfen 
wurden ;  sie  schöpften  eben  ihre  Informationen  aus  an  sich  konfusen 
und  noch  dazu  mangelhaft  verstandenen  und  interpretierten  Indianer- 
berichten und  waren  zu  eifrig  in  der  Ausfüllung  ihrer  Karten.*) 
Die  Cliilkoots  erlauben  jetzt  den  Chilkats  die  Benutzung  ihres  alten 
Püades  nach  dem  Lindeman-See  un(i  der  andere  ist  thatsächlich  auf- 
gegeben, da  er  wenigstens  vier  oder  fünf  mal  so  weit  ist.^)  Früh 
am  Morgen  des  19.  war  das  Flofs  vollständig  wieder  hergestellt 
und  wurde  »the  Resolute**  getauft  (freilich  nicht  oft  so  genannt) ;  es 
wurde  beladen  und  um  9  Uhr  vormittags  in  Fahrt  gesetzt  Es  hatte 
nun  ein  Vorder-  und  ein  Hinterdeck,  welche  so  hoch  waren,  dass  die 
darauf  verladenen  Effekten,  noch  dazu  unter  dem  Schutz  getheerter 
Leinwand,  trocken  blieben;  ein  Segel,  dafs  ans  einem  grofsen 
.Soldatenzelt  gemacht  war,  war  so  angebracht,  da  Ts  die  ganze  Fläche 
sich  dem  ^Vindc  darbot.  Der  neue  See,  welchen  wir  jetzt  befuhren, 
wurde  von  mir  Bennett-Sce,  nach  James  Gordon  Bennett  von  New- 
york,  jenem  berühmten  Landsmann  und  Förde  ler  geographischer 
Forschung,  genannt  AuJEser  dem  Flufe,  welchej  den  Lindeman-See 

«)  Ganz  in  gleichem  Sinne  bemerkt  Dr.  Kianse:  ,Die  Yeiwechselnng  der 
beiden  Wege  hat  in  der  That  grofee  Terwirrang  herbeigeführt;  Indianerberichte 
nnd  sehr  uasitverUeng;  wir  selbst  haben  sieben  verschiedene  „Indianerkarten''; 

nur  eine  derselben  Btimmt  schematisch  mit  dem  jetzt  bekannten  wahren 
Sachverhalt   Diejenige,   der  ich  vorläufin;  den  Vorzug  gab,  giebt  dem  See 

Klok-tas-si,  hei  mir  Khiktassajc,  eine  fulsclie  Lafje." 

Nach  Di-  Krauso's  Mittoilung  i.sf  diese  dem  Verfasser  gewordene  Aus- 
kunft nicht  zutreffend:  noch  jetzt  komme  die  Hauptmasse  des  PelzweriKfi 
»ui  diesem  aUerdingH  weiteren,  aber  bequemeren  Wege  zur  Küste. 


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—   24  — 

entwässert,  hat  der  Bennett-See  noch  einen  anderen  Znflufs  von  älml icher 
Stärke  an  seinem  oberen  Ende;  dersel))e  kommt  von  Westen  dnrch 
ein  scharf  markiertes  Thal.  Der  Bennett-See  ist  39V/2  miles  hing  nntl 
1 — 3  miles  breit.  Beide  Seen  iilineln  sehr  einiiien  der  engen  oceanischen 
Biuneni)assagen  im  Fliitwasserstreifen  von  Alaska.  Die  sich  am  rechteii 
östlichen  Ufer  anftürmenden  Berge  waren  hier  und  da  oben  mit  matt- 
roteu  Felsen  bedeckt;  Bruchstücke  dieses  Gesteins  am  Seeufer  zeigteu 
sich  eisenhaltig  und  wurden  diese  Berge  darum  ^the  Iren  capped 
niountaius"  genannt.  Ungefähr  in  der  Mitte  der  Länge  des  Sees 
erhob  sich  am  Ostofer  ein  nach  beiden  Seiten  weithin  sichtbarer 
Felsen,  der  den  Namen  »Richards  Rock"  nach  dem  Viceadmiral 
Richards  von  der  britischen  Kriegsmarine  erhielt.  Am  19.,  als 
der  Sturm  aus  Südwesten  sich  steigerte,  zeigte  sich  das  Flofs 
unsicher.  So  wurde  es  denn  am  folgenden  Tage  wiederum  einer 
Reparatur  unterzogen:  wir  setzten  einige  weitere  starke  Balken  in 
der  ganzen  Länge  des  Fiosses  ein  und  schlugen  so  viel  Nägel  ein  als 
möglich. 

Am  21.  ging  die  .^Resolute"  bei  heftigem  Sturme  wieder  in 
Fahrt  und  setzte  Segel ;  obwohl  die  Wellen  mächtig  schlugen  wie  in  der 
See,  so  segelte  das  Flofs  tlott  und  erreichte  gegen  5  Uhr  naclnnittags 
das  Ende  des  Bennett-Sees.  Ungefnhr  gegenülier  von  Richards  Rock 
scheint  ein  Flufs,  dessen  Mündung  über  100  Yards  breit  ist,  einzu- 
flielsen,  wahrscheinlich  sieht  man  aber  nur  einen  Arm  des  Sees, 
während  das  Thal  des  Flusses  selbst  sehr  wohl  markirt  ist 
Seeschwalben  und  Möven  wurden  längs  dieser  Seen  öfter  ge- 
sehen, das  Vogelleben  wurde  bei  der  Weiterfahrt  immer  reicher, 
dagegen  konnte,  trotz  eifrigsten  Angelus  mit  Kdder  und  künst- 
licher Fliege,  kein  Fisch  gefangen  werden.  Das  Land  am  nörd- 
lichen (unteren)  Ende  des  Sees  war  autfallend  oHen,  es  zeigten  sich 
viele  flache,  ebene  Stellen,  besonders  in  der  Gestalt  scharf  aus- 
geprägter Terrassen  längs  den  steilen  Berirseiten :  vermutlich  haben 
in  früheren  geologisclien  Perioden  die  Seen  höhere  Niveaus  gehabt. 
Die  Berge  waren  weniger  geneigt,  der  Schnee  war  von  ihren  Spitzen 
verschwunden,  Rosen  waren  in  Blüte,  wilde  Zwiebeln  dienten  uns  zur 
Nahrung,  überhaupt  zeigte  die  Pflanzenwelt  sich  vorteilhaft  verändert. 
Der  Bennett-See  wird  durch  einen  nur  2  miles  langen  und  etwa 
150—200  Yards  breiten  Flufs,  dessen  Strömungsgeschwindigkeit  etwa 
3  miles  in  der  Stunde  ist,  entwässert  Trotz  dieser  kurzen  Erstreckung 
ist  das  Flüfschen  auf  V«  seiner  Länge  seeartig  erweitert.  Die  Indianer 
nennen  ihn  Te-nahk-hee-na  (hee-na-Fluls)  oder  den  Fluls,  wo  d^ 
Caribon  kreuzt  Die  Stelle  ist  auf  der  Karte  mit  „Caribou-Crossing*' 
bezeichnet.  Haselhühner  verschiedener  Varietäten  sind  hier  in  Menge 


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—   25  — 


Torhanden.  Einige  wenige  Tah-keesh-Indianer  wurden  an  dem  FluTs 
angetroffen;  in  einer  Nacht  verschwanden  sie  und  zwar  mit  dem 
Boot^  welches  wir  am  Strande  unweit  vom  Lager  Nr.- 10  an  dem 
Ueioen  See  zurückgelassen  hatten. 

Während  bisher  das  unausgesetzt  betiiebene  Fischen  mit  der 
Angel  völlig  erfolglos  gebliehen  war,  wurde  die  Fischerei  von  jetzt 
au  besser.  Am  23.  Juni  kam  unsere  Expedition  in  den  dritten  See 
(abgesehen  von  dem  kleinen  eben  erwähnten),  der  von  den  Indianern 
Tah-ko  ?iGnannt  wurde.  Dies  war,  dem  Namen  zufolge,  der  Tah-ko-See, 
von  well  hem  andere  Reisende  berichtet  haben,  obwohl  nur  die  Aehn- 
lichkeit  des  Namens,  nicht  aber  die  Beschreibung,  geographische 
L^ige  und  die  Stellung  zu  anderen  Seen  den  Anhalt  boten,  ihn  zu 
identifizieren.^  Der  See  ist  39Va  miles  lang,  erweitert  sich  etwas 
mehr  als  die  vorerwähnten  Seen  und  ist  eiuigermafsen  ausgebuchtet 
Der  vorherrschende  Südwind  war  nicht  immmr  zum  Segeln  mit  dem 
Floiä  gflnstig,  da  ein  solches  nur  vor  dem  Winde  laufen  kann.  Man 
kann  sich  kaum  die  Httlflosigkeit  eines  Flosses  auf  einer  ge^ 
wnndenen  Strecke  stillen  Wassers  vorstellen,  wenn  es  höchstens  ein 
paar  miles  in  der  Stunde  segeln  nnd  mittelst  des  kräftigsten  Röderns 
nur  zum  höchsten  eine  mile,  im  Durchschnitt  aber  nur  um  die 
Hälfte  dieses  Wegemafses  vorwärts  gebracht  werden  kann.  Die  beste 
Al)weichung,  welche  imsere  „Resolute"  von  der  Windlichtung  macheu 
konnte,  war  etwa  2Va  Striche  des  Kompasses. 

Vom  23.  bis  26.  Juni  wurden  wir  durch  widrige  Winde  oder 
Stuten  aufgehalten,  so  dafs  wir  iu  dieser  Zeit  nur  die  Länge  des 
Sees  zurücklegen  konnten.  Der  See  nimmt  zwei  Zuflüsse,  vom  Süden 
und  vom  Osten,  auf,  einer  dei*selben  ist  wahrscheinlilsh  der  Flufs, 
dessen  Quelle  in  der  Nahe  des  Kflstenflusses  Tah-koo  zu  suchen  ist, 
welcher  letztere  (im  Taku-Inlet)  in  den  pacifischen  Ozean  einmündet 
Das  Wort  Tah-k6  ist  in  seiner  Bedeutung  von  den  Indianern  streng 
auf  den  See  beschrankt  und  wird  niemals  auf  den  Flnfo  angewendet; 
jeder  Teil  des  Flusses  zwischen  den  verschiedenen  Seen  hat  seinen 
besonderen  Namen.  Eine  der  früher  erwähnten  „Autoritäten"  hatte 
uns  ;^lauli«»n  lassen,  dafs  die  Indianer  „in  ihren  leichten  Birkenriiiden- 
Kanoes  kaum  1^  2  Tag"  mit  der  Fahrt  bis  nach  Fort  Selkirk,  au  der 
Vereinigung  des  Pelly  mit  dem  Ynkon,  zubrächten ;  dagegen  erklärten 
uns  die  Indianer,  dafs  sie  dazu  12  Tage  Kanoefahrt  brauchten  und 
da(s  wir  mit  unserem  Flofä  wohl  20  Tage,  wenn  uicbt  melir,  darauf 

°)  Nach  den  vun  ihm  bei  Indiuuern  und  Goldsuchern  eingebogenen  Kr- 
kundigungen  Utt  Dr.  Krause  es  noch  nicitt  für  fliisgeiiiacht,  dals  es  wirklich 
der  oft  erwihnte  Tahko-See  sei  Uebrigens  wiederholen  sich  Namen  der  Ein* 
geborenen  eehr  hlnfig. 


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—  26 


zubringen  würden !  Diese  Indianer  haben  keine  Birkenrinden-Kauoes 
(ihre  Kanoes  sind  aus  Pappelholz) ;  weun  sie  damit  schnell  liiessende 
(jewftsser  hinabfaliren,  rudern  sie  nur  um  sich  im  Strom  zu  halten; 
sie  reisen  auf  diese  Weise  8  bis  höchstens  10  Stunden  den  Tag;  da 
unser  Flofs  10,  12  selbst  14  Stunden  in  Fahrt  war,  konnten  wir 
ungefthr  eben  so  schnell  reisen,  wenn  man  von  dem  Aufenthalt  an 
den  Seen  absieht  Von  dem  oberen  Ende  des  Tah-kö-Sees  nach  Fort 
Selkirk  ist  es  433  miles«  auf  einem  vielfach  gewundenen  FluCs;  die 
Strömung  ist  so  stark,  dafs  die  Indianer  ihre  Kanoes  aufwärts  nicht 
rudern,  sondern  mittelst  eines  Taues,  am  Lande  jrehend,  ziehen. 
Dies  möge  als  ein  Beispiel  dafür  dienen,  welehes  PhanUisiebild 
manche  Beschreibungen  von  dieser  Gegend  geliefert  haben.  Ein 
anderes  Beispiel.  Eine  (iesellschaft  Miner  wai  ungefähr  bis  zu  der 
Oertlichkeit ,  wo  wir  uns  jetzt  liefanden.  vorgedrungen;  aus  ver- 
schiedenen (Jründen,  auch  weil  die  Karten  unzuverlässig  waren, 
wollten  sie  umkehren.  Indessen  erklärte  einer  der  Miner,  mit  einem 
Boot  die  Reise  fortsetzen  zu  wollen,  um  eine  schon  vorausgegangene 
Gesellschaft  zu  erreichen ;  bei  diesem  Vorhaben  stützte  er  sich  haupt^  « 
sachlich  auf  die  Karte  des  Coast  Survey,  welche  weiter  vorw&rts  am 
Flusse  zwei  Indianerdörfer  verzeichnete;  von  diesem  Umstand  ver- 
sprach er  sich  eine  Erleichterung  der  Ausführung  seines  Vorhabens. 
Endlich  entschlofs  sich  die  ganze  Gesellschaft,  die  Reise  fortzusetzen, 
aber  es  kam  ihnen  weder  ein  Indianerdorf,  noch  auch  nur  ein 
Indianer  zu  Gesicht!  Auch  wir  fanden  nur  wenige  Indianer  an  diesem 
Teil  des  oberen  Yukon.  Dieses  System  des  „Kartenniachens"  kann 
nicht  entschieden  genug  verurteilt  werden.  Es  ist  schlimmer,  als 
wenn  es  gar  keine  Karte  der  ])etreft'enden  GeL^end  gilbe.  Gern  kann 
man  glauben,  dafs  diese  Kartenmacher,  indem  sie  die  weissen  Stellen 
der  Karte  ausfüllen,  nichts  Übles  beabsichtigen,  aber  nur  Der,  welcher 
jemals  durch  ein  solches  Labyrinth  der  Phantasie  eines  Kartographen 
gereist  ist,  kann  beurteilen,  wie  sehr  sich  dadurch  die  Schwierig- 
keiten des  Forschens  und  überhaupt  des  Reisens  steigern.  Wenn 
jener  Miner  seine  Beise  weiter  fortgesetzt  hätte,  so  w&re  er  ent- 
weder den  Hungertod  gestorben,  oder  er  hätte  wenigstens  schwere 
Leiden  und  Entbehrungen  ertragen  müssen.  Selbstverständlich  zielt 
mein  Tadel  nicht  auf  roh  konstruierte,  jedoch  auf  zuverlässige  Daten 
gestützte  Karten,  er  gilt  nur  den  gänzlich  auf  Phantasie  beruhen- 
den Karten. 

Am  Tha-kö-See  wurde  8—10  miles  voraus  aufsteigender  Ivauch 
gesehen.  Unsere  Indianer  zümleten.  zur  Antwort,  ebenfalls  ein  Feuer 
an,  in  der  Vermutung,  dafs  jener  ferne  Uaiieh  durch  ein  tags  zuvor 
von  uns  angezündetes  1^'euer  hervorgerufen  sei.  Dieses  System  des 


* 

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—   21  — 


gegenseitigen  Signalisicrens  durch  Rauch  ist  unter  den  Tah-keesh- 
Indianern  und  den  Handlern  vom  Stamme  der  Chilkats  ganz 
gewöhnlifl). 

Am  2().  \\i\v  (las  Endo  dos  Sees  erreicht,  aus  welchem  ein 
4 — 500  Yurils  breiter  Flufs  abtiicfst;  letzterer  ist  indessen  sehr 
seicht;  in  den  ersten  und  letzton  paar  Ilmulorton  von  Yards  seiner 
etwa  10  iiiiles  betrajionden  LjIii^c  Huden  sicli  in  dem  Fbifsbett 
zahlreiche  ^ofahrliche  Fölsen.  Am  ()<tuter  des  Flussos,  nahe  dem 
vierten  See,  steht  oin  wohlgebautes  Tah-keesh-llans:  dieses  und 
eine  Hütte  an  diesem  See  sind  die  oinzi^'on  damTiidi  n  Anzeichen  der 
Anweseidioit  von  Indianern  lilnirs  dos  umh/a  n  Flus>es  bis  nach  Fort 
äelkirk.   Beide  Wohnun  j-on  waren  jetzt  verlas^on. " i 

Der  vierte  See  ist  2ü  miles  lanu'  und  breiter  als  der  Tah-kö, 
aber  bedeutend  seichtor.  besonders  in  der  Nahe  der  Ufer;  hier 
fanden  sich  nniditiu'e  Al)laiierungen  von  Gletschorbdim.  eine  feine 
weifse  Masse,  die  durcli  Gletscheraktiou  im  Queligebiet  des  Stromes 
entstanden  ist;  unser  Flofs,  das  doch  nur  zwei  Fufs  Tiefgang 
hatto.  konnte  dem  T'tVr  oft  nicht  naher  als  50—60  Yards  kommen. 
Gleichwohl  war  das  l  fer  sehr  bor^qg  und  man  h&tte  annehmen 
können,  dafs  der  Abfall  sich  am  l'fer  noch  fortsetzte.  An  solchen 
Stellen  wateten  wir  in  Wasserstiefeln  ans  Land,  indem  wir  alles  zur 
Errichtung  des  Lagers  Erforderliche  mitnahmen.  Naeh  den  ver- 
öffentlichten Beachreihungen  von  dieser  Gegend  dachten  wir,  es  sei 
der  Lebarge-See  oder  der  letzte  an  dem  sogenannten  Tah-kö-FIufs, 
allein  unsere  indiamschen  Ftthrer  sagten,  dafs  noch  ein  weiterer  See 
ungefl&hr  von  derselben  Gröfse  sich  finden  werde,  ehe  wir  Fort 
Selkirk  erreichten.  Da  nun  der  Lebarge-See  der  letzte  ist,  so 
mnfste  es  eben  dieser  letztere  und  nicht  der  jetzt  erreichte  sein. 
Am  Ostnfer  des  Sees,  den  ich  nach  Professor  Marsh  den  Marsh-See 
nannte,  zeigten  sich  viele  flache  Stellen,  bedeckt  mit  üppigem  Gras 
vom  vorigen  Jahr;  diese  erschienen  uns  im  langsamen  Vorbeisegeln 
wie  Hafer-  oder  Weizen-Stoppelfelder.  Die  Bäume  am  Seeufer  hatten 
immernoch,  wie  stets,  seitdem  wir  den  Porrier-Pafs  hinter  uns  hatten, 
eine  Neiuiinj^  nach  Norden,  ein  Beweis  des  Vorherrschens  starker 
Südwinde.  Auch  längs  des  Marsh-Sees  zeigte  sich  das  Lan<l  abge- 
stuft, ai)er  nicht  in  so  ausgeprägter  Weise  als  am  Bennett-See.  Die 
Richtung  und  Starke  der  Winde  war  jetzt  so  veränderlich,  dafs  wir 
sie  st«'ts,  ohne  Ilücksicht  auf  die  Tageszeit,  hcimt/on  mufsten,  so- 
bald sie  nui*  günstig  für  unsere  Fahit  waren.  Diese  setzte  sich  des- 

*)  Dies  ist  der  Fiats     bei  mir  Taglach  — ,  tm  dem  die  Chilkats  mit  den 

Stick-Indianern  zum  Handel  znsammenkommeil.  Das  Hans  gehört  einein  der 
letsteren,  der  durch  Heirat  mit  den  Chilkats  vmehwi^ert  ist         Dr*  K, 


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—   28  — 


halb  zttweik'ii  bis  in  die  Nacht  hinein  fort;  in  unserer  Breite  war 
indessen  um  Mitternacht  nocli  innner  Dämmerlicht.  Um  Mitternacht 
des  28./29.  Juni,  während  wir  Uber  den  See  segelten,  war  allein 
Venus  sichtbar,  erst  viele  Nächte  später  sahen  wir  auch  andere 
Sterne.  Am  29.  verliefs  unser  Flofs  den  Marsh-See  and  glitt  den 
Fiufs  6 — 7  miles  hinab,  bis  wir  unseren  Lagerplatz  anfischlugen. 
Hier  waren  die  Ufer  mit  dichtem  Weidengebüsch  besetzt,  so  dafs  es 
einigermafscn  schwierig  war,  einen  Lagerplatz  ausfindig  zu  machen. 
Am  n«3rclliclicn  Ende  des  Marsh-Scos  fliefst  ein  breiter  FliUs,  der 
nach  Sir  Leopold  McClintock,  von  der  britischen  Kricgsmai'ine,  ge- 
nannt wurde,  ein. 

Am  l.  Jiili  orreit  htcn  wir  das  bedeutendste  Stromhindernis  des 
Yukon,  ein  -  3  miles  lanues  Cafioii,  dem  auf  4  miles  Lange  starke 
Stromschnellen  folgten.  Die  Uferseiten  des  Gafion  bestanden  aus 
Bai>altfelsen,  deren  50 --60  Fufs  hohe  Säulen  so  regelniäfsig  waren, 
wie  die  der  Fingalshöhle.  Das  Canon  war  etwa  100  Fufs  breit;  der 
schäumend  und  sprudelnd  hindarchschiefsende  Strom  Terengte  sich 
hier  anf  Vs  bis  Vio  seiner  bisherigen  Breite.  Dieses  Gafion  wurde 
nach  dem  Departement -Commander,  General  Miles,  von  der  Ver- 
einigten Staaten-Arinee,  welcher,  wie  bemerkt,  die  Expedition  ins 
Leben  gerufen  hatte,  benannt.  Am  2.  Juli  schofs  unser  Flofs  durch 
das  Caflon  und  erlitt  dabei  durch  Anstofsen  an  die  Felsen  einigen 
Schaden.  23  miles  weiter  abwärts  kommt  von  Westen  der  Tahk- 
hecn-a  herein,  der  sehr  trübes  Wasser  führt  und  etwa  oder  *  3  so 
breit  ist  als  der  Yukon.  Ein  etwa  4000  Fufs  hoher  Berg,  welcher 
zwischen  jenem  Flufs  und  dem  Yukon  sich  erhebt,  wurde  nach 
l'rofessor  Ilaeckel  in  Jena  genannt.  Der  nächste  auf  der  Karte 
verzeichnete  See  führt  bei  den  Indianern  den  Namen  Kluk-tas-si, 
diese  Benennung  wurde  beibehalten.  Eine  malerisch  am  westlichen 
Ufer  hervortretende  Gruppe  roter  Felsen  wurde  nach  Professor 
Freihenm  Ton  Richthofen  in  Leipzig  benannt  Nach  der  Aussage 
einiger  unserer  Indianer  sollte  hier  ein  Flufs  einmflnden,  allein  wir 
konnten  es  nicht  ermitteln.  Das  Ostufer  besteht  aus  hohen,  rund- 
lichen, grauen  Kalkfelsen.  Maunoir-Butte  tauften  wir  eine  scharf 
hervortretende  steile  Erhebung  am  östlichen  Ufer,  indem  wir  auf 
diese  Weise  den  Namen  des  Sekretärs  der  Pariser  geographischen 
Gesellschaft  verewigten.  Red  Butte  erhielt  seinen  Namen  von  der 
Menge  rotblühender  Blumen,  die  es  schon  aus  der  Ferne  rot  gefärbt 
erscheinen  liefsen. 

Bei  Uri/xly-Bear-Bluff  zeigte  sich  ein  grofser  brauner  Bär.  Etwa 
40  miles  jenseits  des  Kluk-tas-si  mündet  der  120 — 130  Yards  breite 
Newberry-Fluls  in  den  Yukon;  sein  Wasser,  das  aus  Tondra-Land 


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—   29  — 

abflieCst,  hatte  eine  tiefechwarze  Farbe.  Nach  weiteren  40  iniles 
stromabwärts  mündet  der  von  uns  nach  dem  Mitgliede  des  französischen 
Instituts,  TTorrn  D'Abbadie,  genannte  Flufs.  Noch  ein  zweiter  und 
dl  ittor  Flufs  münden  von  Osten ;  der  dritte,  welcher  dem  D'Abbadieund 
dem  Newberry-Fhifs  sehr  ähnelt,  wurde  nach  dem  Präsidenten  der 
amerikanischen  geographischen  GreseUschaft  in  Newyork,  Charles 
P.  Daly,  genannt  Etwa  50  miles  weiter  abwärts  mflndet  von  Osten 
her  ein  von  uns  Nordenslgöld-Flufo  getauftes  Gewftsser.  Das  Land 
zwischen  den  FlOssen  ist  bald  eben,  bald  wellig  und  selbst  bergig. 
Kurz  Yor  dem  D'Abbadie-Fluis  steigt  das  Ufer  zu  dem  von  uns 
Semenow  Mountains  genannten  Bergen  auf.  Nahe  dem  Nordens^jöld- 
Flufs  windet  sich  der  Yukon  in  engen  Krümmungen;  mufste  d5ch 
unser  Flofs  an  sieben  verschiedenen  Stellen  des  Stromes  immer 
wieder  seine  Richtung  auf  Tantalus- Butte  hin  nehmen.  Am  12. 
schössen  wir  die  letzte  bedeutende  Stromschnelle  hinab,  welche 
ihren  Namen  nach  dem  dänischen  GrOnlandsforscher  und  langjährigem 
Inspektor  von  West-Grönlanfl,  Dr.  Rink,  erhielt.  Der  Yukon  ver- 
engt sich  hier  auf  die  Hälfte  seiner  6 — 700  Yards  betragenden 
Breite;  Inseln  aus  Trapp-Felsen  teilen  hier  den  Strom.  Wir  fuhren 
durch  den  Kiuiul  zur  lUuhtfn  der  Inseln,  und  obwohl  die  Wellen 
drei  Fnfs  hoch  gingen,  blieb  unser  Flofs  doch  unbeschädigt.  Die  ^ 
Szenerie  war  sehr  malerisch.  Nach  meiner  Meinung  könnte  ein 
tlach  gehender  Dampfer  mit  kraftiger  Maschine  den  Stroniarm  zur 
Rechten  der  Inseln  aufwärts  fahren.  Krweist  sich  dies  als  richtig, 
so  ist  der  Yukon  auf  1866  miles,  n.lmlich  bis  Miles  Caflon,  s(  liitlbar. 
Nun  folgte  bei  einer  Strombreite  von  mehr  als  V«  miles  noch  eine 
Gruppe  von  Inseln,  an  deren  oberem  Ende  m&chtige  Haufen  von 
Treibholz  aufgesdiiilitrt  waren. 

Am  12.  lagerten  wir  am  Westufer,  au  dem  Ausgang  eines 
weiten  malerischen  Thals,  durch  das  ein  kleines  Gewüssei  flofs. 
Nach  Graf  Wilczek,  dem  generösen  Förderer  der  Tegetthort- 
Expedition,  erhielt  es  den  Namen  von  Wilczelc-ThaU  Am  13.  Juli 
kamen  wir  nach  Fort  Selkirk,  dessen  geographische  Lage  zu 
62'^  45'  30"  n.  Br.  und  137^  22'  45"  w.  L.  Gr.  bestimmt  wurde. 
Bis  hierher  nahm  i(  Ii  l  astronomische  Beobachtungen  und  2  für 
Kompafsvariationen,  Herr  Homann  hatte  425  Bestimmungen  mit  dem 
prismatischen  Kompafs  gemacht.  Die  Entfernung  vom  alten  Fort 
Selkirk  nach  dem  alten  Fort  Yukon  war  501  miles;  diese  Reise 
stand  uns  nun  zunächst  bevor;  sodann  die  vom  Fort  Yukon  bis  zur 
Aphoon-Mflndung. 


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—  80 


Itinerar  m  Tafel  L  .  ,8tm**^'i;?'im 

Von  Chilkoot  Mission  nach  der  Mfindnng  des  Dejfth   16.  1 

Weiter  bis  zum  Beginn  der  Kanoe-Schinahrt  auf  dem  Dej&h   i).  ^) 

,       ^    zur  Mündnn^  dos  Noiirse-Flusses  (West)   2.  Ü 

,       ,    zum  i*errier-Pars  in  den  Kotusk-Bergen  (41(X)  Fuls)   11.— 

n      n     9   Krstei^ee  (Beginn  des  Tokon)   0.  (> 

n      »     9    I'BgÄr  ani  Lindeman-Soo   12.  1 

Länge  des  Lindeman-Sees   10.1 

Kap  Koldewey  ( liindeman-See)   3.  7 

9       9      9    Nordende  des  Lindeman-Sees   6.  8 

9       9      9    Sfidondo  des  Bennett-Sees  oder  T4"in<!e  von  Payer-Trap- 

siello  i^hier  mündet  der  Homann-Fluis  von  Westen^..  1.  2 

,      „    zu  Przewalski's  Point  (Mündnng  des  Watson^Flnsses,  Westseite)  18.  1 

9        „         Kii  lianls  Kock  Ostseite)   1.  2 

,      ,   zum  Nordeude  des  Beuuett-Sees  (das  von  zwei  Flüssen  dorcli- 

^                   strömte  Watson-Thal  mündet  hier  von  Westen)   10.— 

Lfinge  des  Bennett-Sees   29. H 

9      9      9    Westende  des  Nares-Sees  (durch  den  Caribou-Crossing- 

Flufs)   1.  7 

9       9»    Ostende  des  Nares-Sees  (oder  Länge  des  Sees)   3.  8 

„•       j,      ,    Perthes  Point  (oder  Lfinj^'e  des  Bnvc-Si'os  mit  Bai  und 

vielleicht  einem  von  Süden  komniendcu  Flufs)   8.  8 

»ZOT  Mündung  des  Tah-kd-Flnsses  (Süd)   7.  8 

,      ,  zam  Nordende  des  Tah-k6-Sees   10.  3 

Tifmfrp  des  1  uli-k('»-Sees   IS.l 

f,       r      9    Südende  des  iMuish-Sees  (oder  Liinge  des  v*  rljuideuden 

Flusses)     9.  1 

9       9      9    Nordenilo  dos  M;usli-Spf  s  ndi  r  Liin«:c  dieses  Seos  (der 

Mc  Clintuck-Fluls  mündet  von  Osten)   28.  8 

9      9     9    oberen  Ende  von  Miles  CaSon  am  Ynkon   60.  9 

L&nge  von  Miles  Canon  und  Strömst  Ii nellm 
(Beginn  der  S(  liifflj.ukeit  des  Yukon)  4.G 

,       j,    zur  Miuiduii^  des  Tahk-l»een-ali-i  lusses  (West)   2;$.  1 

g       ,    zum  Nordende  des  Khik-tas-si-Sees  (vielleicht  Lake  Lebai^)  17.  8 

„      „    zu  llichthofeii  Rucks  (und  vielUit  lit  Flnfs»  Westseite)   14.  4 

,      „    zulu  Nordende  des  Jüuk-tas-si-Sces   22.  I 

L&nge  des  Klnk-tas-si-Sees  S6.ö 

,       ff    zu  Maunoir  Butte  (Ostl   Ijß.  2 

„       ^     „  Ked  Butte  (West)  .:   3.  2 

j,       ,     j,  (irizzly  Bär-Ufer  (West)   9.  4 

,      »   zur  Mündung  des  Newberry-Flusses  (Ost)    8.  9 

,       ,     ,         ,          n   D'Abbadie-Flusscs  (Ost)   ,'58. — 

,      ,     ,        -         „  Daly-Flusses  (Ost)   41.  Ü 

,      .   zn  Adlers  Nest  Bntte  (Ost)   10,  7 

p       ,     „  Nordeuskiöld-Flufs  (West)   39.  1 

j       >     .   Miiiks  Stroinscliuellen  im  Yukon   25.  4 

,       ,     ^  liuot-chc-kuo  Bluff  (Ost)   25.  8 

„      ,     ^  von  Wikzek's  Thal  (Ost)   17.— 

„        >.     r    Fori  Selkirk  (dmrli  die  Iiij^ersoll-In-ilii,  Wi'.st)   21.'.'? 

Uesanuntlünge  des  auf  dieser  Heise  durchforschten  Gebiets   538.  8 

„  der  Reise  mit  dem  Flofo  vom  I.;iger  am  Lindeman<See 

bis  nach  Fort  Selkirk   486.  8 

f,  der  ganzen  Beise  mit  dem  Floi's  auf  dem  Yukon,  von 

Lindeman-See  bis  nach  Nuklakayet  1303.  2 

,         des  Yukon  2043.  d 


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—   31  — 

E«  Besuch  in  den  portugiesischen  Kolonien  Südwest- 

afrikas  (Sommer  I883j. 

Von  Dr.  A.  v.  BanekelMi. 

Hiena  Tafel  2:  Bontenskisse  des  YerfuMf»  und  des  Wandenag^  der  Bosrs 

vom  TransTaal  nach  dem  Conene-Gebiet. 

1.  Reise  ii  det  ProTins  Mossteedes. 

Fischreiehtnm  der  KHstengewIsser  SUdwestafrikas.  (ieringe  Ausbeutung  derselben. 
Niedrige  Preise  der  Fi.sche.  Die  portui^iesiachen  Zollgesetze.  Der  Hafen  von  LoMid«. 
Koloniale  Mif^wirtschaft.  Dampferfahrt  nach  Henguj'lla.  Die  Stadt  Henguella  und  ihre 
Bewohner.  MossMimedes.  Die  Welwitohia.  Das  Keinen  in  Südafrika.  Wagen,  Zug- 
wmä  Keitttere.  »GeMlaene«  Pferde.  Anfbnioh  nach  Hnil*  Der  VlntB  Bero.  OemOse- 
nnd  Pl.intageiiliau  in  demselben.  In  der  Wüste.  Der  Ochsentreiber.  Im  Rio  Oiraul. 
Nachtlager.  Kuaststrafse.  Vegetation.  Pedra  Major.  Pedra  Ornndt».  Wasserbecken. 
Lafter!«cheinnDg.  Ittischland.  Das  erste  fliefdende  Wasser.  Bibalia.  Portugieäidche 
Pflanzung  daselbst.  Einiges  über  die  ArbeiterrerhlltniaBe  in  dan  portngieiiMhen 
KokmieB  Hüdwestafrikaa.   Daa  Cballagabirg«. 

Die  Sadwestküste  Afrikas  ist  seit  der  Zeit  ihrer  Entdeckung 
bekannt  wegen  des  enormen  Reichtnmes  an  Fischen  und  anderen 
Seetieren,  die  hier  in  ganz  unglaublichen  Mengen  auftreten,  worauf 
schon  geographische  Bezeichnungen,  wie :  grofse  und  kleine  Fisc)i-Bai, 
Walfisch-Bai,  Robben-Bai  u.  A.  hinweisen.  Die  Reichtümer  der  Natur 
werden  hier  inde.s  noch  laiiLre  nicht  in  vollem  Umfange  ansgebeutet; 
armj^elig  ausgoriLstete,  in  drückenden  Verhaltnissen  lebende  Fischer, 
die  aus  der  portngiesischen  Provinz  Algarve  ansgewandert  sind, 
betreiben  hier  längs  den  Küsten  der  Provinz  Angola  nnd  Mossaniedes 
den  Fang  der  gewöhnlichen  Fische;  deu  allerdings  spärlicher  ge- 
worilenen  Walen  steilen  nordameriiouiische  Waler  nach,  die  in  diesem 
üast  immer  rnhigcn  und  nur  äusserst  selten  durch  einen  Sturm 
aafgeregten  Teile  des  sttdatlantiscben  Ooeans  oft  3—4  Jahre  lang 
ununterbrochen  kreuzen;  den  zum  Leben  nötigen  Unterhalt  kaufen 
sie  Ton  vorbeikommenden  Postdampfem  oder  in  St.  Helena;  hier 
iagem  sie  auch  die  Ausheute  ihres  Fanges,  die  sp&ter  nach  den 
Hanptmftrkteu  fttr  Thran  und  Fischbein  abgesandt  werden.  Von  der 
Menge  der  gewöhnlichen  Fische  an  diesen  Küsten  macht  man  sich 
nur  sdiwer  eine  Vorstellung.  Als  ich  eimnal  in  der  Bai  von  Benguella 
früh  morgens  nni  3  Uhr  bei  völliger  Dunkelheit  in  einem  Boot  vom 
Pobtdampfer  ans  Land  fuhr,  leuclitete  die  ganze  Bucht,  soweit  man 
sehen  konnte,  von  den  dichtgednlngten  Fischscharen,  zwischen  deren 
in  hellem  Pliosphorglanz  strahlenden  Massen  gröfsere  Raubfische 
blitzartig  herumfuhren  und  die  kleineren  zu  lebhaften  Sprüngen  aus 
dem  Wasser  veranlassten.  Die  Preise  der  Fische  sind  denn  auch 
sehr  billige.  Für  eine  Aroba  oder  16  kg  getrockneten  Fisch  zahlte 
ich  in  Moflsämedes  bei  einem  Kaufe,  noch  nicht  einmal  aus  erster 


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—  32  — 


Hand,  nur  500  Reis  fortes  oder  etwa  2  Mark  20  Pfennige.  Mit  den 
Transportkosten,  die  sich  auf  etwa  200  Reis  für  die  Aroba  stellen, 
kostet  diese  <iuantitat  Fiscli  am  Congo  etwa  700  Reis  oder  3  Mark 
10  Pfennige  und  genügt  dieselbe  zur  opulenten  Nahrung  fQr  etwa 
60  Neger  auf  einen  Tag,  wenn  man  denselben  dann  noch  je  1  Pfund 
Reis  bewilligt.  Der  frische  Fisch  schmeckt  ausgezeichnet,  namentlich 
eine  Sorte,  die  unserem  Steinbutt  gleicht 

Die  Stadt  St.  Paul  de  Loanda  ist  so  oft  beschrieben  und  nament- 
lich in  den  Keiseberichten  unserer  deutschen  Afrikareisenden:  Pogs^e, 
Wifsmann.  Schütt  u.  A.  so  oft  erwähnt  wonlcii,  dufs  ich  auf  eine 
Beschreibung  derselben  hier  füjrlich  wohl  verzichten  kann. 

Auf  allen  portn^nesisclieu  Kolonien  lastet  drückend  und  Unheil 
erzeni?end  tler  Fluch  einer  Reihe  drakonischer  Zolluesetze  und  der 
Abschliefsunii;  des  Landes  durch  eine  hohe  chinesische  Zollnmuer,") 
sowie  der  Müüsregierung  durch  schlechtbesoldete  und  jeder  Bestechung 


*)  W  ir  Inssen  hier  einen  Auszug  aus  dem  für  die  Zollhäuser  von  LoaudOi 
Bengnella  und  Mofis;imede<5  gültigen  Zolhegleuient  fulgt'U. 

Es  kosten  danach  Eingangs/.oü  (225  Reis  =  1  Mark): 


Hohe    ungefärbte  Baum- 

wollengewebe   kg  lüOUeis 

GeflrMa  Banmwollenge- 

webe  aller  Art   ,  400  , 

Ben   ,    16  , 

BafBnioHer  Zucker   ^     40  , 

Olifenöl  oder  anderes  Oel 

7nm  Kssgebraurh  1(11  äOO  , 

Branntwein    oder  andere 

gewöhnliche  ähnliche 

alkoholische  Getränke  .   „  1000  , 
Wehl,  Essig  n.  Bier  in  Fl.  ,  800 

Liquenre   „  1800 

Champagner   ,  2000 

Tliee   kg  500 

Steinschlorsflinten  Stack  KKK) 

Andere  Arten    „  !J(XX) 

Wollene  Stoffe  kg  700 

Weizenmehl   20 


Leinwandstoffe  je  nach  der 

Verarbeitung   kg  .iö-SM  Reis 

Bntter   ^  160 

Petroleum  ,  .  20 

Palver   ,  900 

Seife   30 

Salz  101   80  , 

Seidenwaren  kg  l(X)0-2500  , 

Kerzen   kg    70  . 

Diverse  Gcgenstünde,  als:  Nadeln,  Nürn- 
berger Spielwaren,  Bindfaden,  Stiefeln, 
Spiegel,  Steinzeog»  Porzellan,  ParfÜ- 
merien,  StreichliOLBer,  Glasscheiben, 
Httte,  Kunwaren  aller  Art  n.  A. 

25  •/o  ad  valorem 

Met.iUe:  Kupfer  kg  300Bei8 

Gufs-  u.  Schmiedeeisen  ,      6  » 

Zink,  Blei,  Stahl   -     10  . 

Edelnu  talle  lO^'  o  ad  valorem 


Zollfrei  sind:  Fafsdauben,  aus  den  Knlrmion  stammendes  Salz,  Zuckerund 
Branntwein,  ferner  rohe  Baumwollengarnt'  zum  Wehen,  Wagen  und  Ackerbaugeräte, 
Steinkohlen,  fremde  Uold-  und  Silbermünzen,  Böte,  Netze,  Gemiise  und  Maniok- 
mehl,  Bücher,  Fisser,  Sicks  nnd  Msachinen  ffir  indnstrieUen  nnd  landwirt- 
schaftlichen Betrieb. 

Landesprodakte,  als:  Fischöl,  vegetabilische  Oele, Hols,  Wachs,  Palmkerne, 
KafTo  .  Ft  lle,  Kautschuk,  getrocknete  und  gesalzene  Fische,  ölhaltige  Samen, 
Tabak  u  A  .  nach  portugiesischen  Bestiinmnngshäfen  eiportiert,  sahlen  S^/o  ad 
valorem,  nach  fremden  Häfen  ö^/o  an  AnsguigSKöUen. 


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S3 


zuiraii.uliclie.  auf  Krpressungen  geradezu  angewiesene  Beamte.  Der 
Preis  aller  lunl  jeder  europiUschen  Artikel  ist  daher  denn  auch  in 
Loanila  ein  ganz  ungelienorlicher,  die  Auswahl  ist  dabei  sehr  gering 
und  bildet  daher  dieser  Platz  einen  sehr  ungoei«ineten  Punkt  für 
die  Ausiüstung  von  Expeditionen  oder  für  die  Kompletierung  von 
Scbiffi^bedarf.  Der  vortreftliche  Hafen  von  Loanda  ist  in  Folge  dessen 
sehr  wenig  besucht;  au£ser  den  englischen  Postdanipfern,  welche  die 
fieiae  bis  dahin  von  Liverpool  in  etwa  40—50  Tagen  machen  und 
den  portugiesischen,  welche  von  Lissabon  etwa  28 — 30  Tage  bis 
dahin  brauchen,  sieht  man  nur  selten  Schiffe  daselbst,  am  meisten 
noch  amerikanische  Segelschiffe,  die  dahin  Proviant,  Schmalz  u.  A. 
ond  dann  besonders  gesägte  und  zugehobelte  Bretter  und  Balken 
för  Hänserbau  aus  dem  den  Angriffen  der  weifsen  Ameise  allein 
widersteheniK  n  Pitchpine-flolz  bringen  und  dafür  Kaffee,  Wachs  u.  A. 
wieder  au>füliren. 

Charakteristisch  für  den  in  der  Kolonie  herrschenden  unglaub- 
lichen Schlendrian  ist  die  Tatsache,  dafs  man  die  Stralsen  in  dem 
unteren  Teile  der  Stadt  so  weit  hat  versanden  lassen,  dafs  man  jetzt 
das  Strafsenphaster  alter,  i&ngst  vergangener  Zeiten,  als  Loanda 
noch  ein  blühender  Sklavenausfuhrort  war,  aus  einer  Tiefe  von 
etwa  einem  Meter  wieder  in  einzelnen  Strafsen  ausgräbt;  ich  glaubte 
mich  zuweilen  in  die  Strafeen  von  Pompeji  versetzt,  als  ich  diese 
Ausgrabongsarbeiten'  sah:  so  unglaublich  ist  die  Gleichgültigkeit, 
dafs  man  Jahrzehnte  und  aber  Jahrzehnte  ruhig  zusah,  wie  der 
Hegen  und  Wind  den  Sand  von  den  Abhängen,  auf  denen  die  obere 
Stadt  erbaut  ist,  herabwusch  und  die  Strafsen  allmählich  höher  und 
liuher  bedeckte,  so  dafs  man  nur  noch  mühsam  in  dem  Sandmeer 
der  unteren  Stadt  sich  fortbewegen  kann  und  meist  vorzieht,  sich 
in  dem,  Maxilla  genannten,  Tragestuhl  durch  sie  von  zwei  Schwarzen 
tragen  zu  lassen,  denn  das  Waten  in  dem  feinen  Sand  ist  gar  zu  müh- 
sam. Eine  regelmäfsige  Stral'senreinigung  hätte  mit  weingen  Kosten 
und  Mühe  eine  solche  langgetragene  Kaiamitat  verhindert.  Den 
Niedergang  der  Stadt  lehren  zahlreiche  leer  stehende  Häuser,  die 
zum  Teil  schon  dachlose  Buinen  sind,  auch  einzelne  Kirchen,  sehen 
sehr  abel  aus,  denn  wenn  auch  an  hohen  Festtagen  den  ganzen  Tag 
die  Kirchenglocken  erschallen  und  unendlich  viele  Raketen,  Schwärmer 
und  anderes  Feuerwerk  bei  hellem  lichtem  Sonnenscheine  von  der 
Mulatten-  und  Negerbevdlkerung  zur  Feier  und  zu  Ehren  dieses 
oder  jenes  Heiligen  abgebrannt  werden,  so  ist  der  Portugiese  doch 
durchau>  nicht  fanatisch  katholisch  und  man  überlafst  die  Kiichea 
ruhig  ihrem  Schicksal. 

Für  die  übele  ^Virtschaft  iu  der  Kolonie  spricht  ternei-  der 

ttfOKT.  Blfttt«r.  Breraea,  18b4.  3 


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—   34  — 

Umstand,  daTs  die  erste  und  einzige  Telegraphenlinie,  welche  von 
TiOando  über  Laiid  nach  Caliniiho  am  Quauza  und  höher  diesen 
Fhils  hinauf  führt,  nach  einjährigem  lietriehe  .schon  seit  l.umerei- 
Zeit  nicht  melir  benutzbar  ist.  Dieselbe  erwies  sich  als  von  grol'seui 
Nutzen  für  den  Handel  und  seine  Konjekturen  auf  dem  Quanza, 
allein  die  Salale,  die  weil'se  Amoi<(',  kam  in  die  Telegraphenstangen, 
dieselben  tielen  um  und  anstatt  dieselben  durch  eiserne  zu  ersetzen, 
liess  mau  das  ganze  Werk  zu  Grunde  gehen.  In  Ambriz,  nördlich 
von  Loanda,  das  von  den  Portugiesen  erst  Mitte  der  fünfziger  Jalire 
besetzt  wurde,  sah  ich  an  dem  Strand  eine  grofse  eiserne  Landunga- 
brflcke  fUr  die  BOte,  die  gewifis  eine  bedeutende  Summe  gekostet 
haben  mufs,  in  einem  so  verrosteten  und  zerfallenen  Zustande,  da£s 
man  sidi  kaum  getraute,  auf  diese  kaum  zwei  Dezennien  alte  Bracke, 
deren  desolaten  Zustand  schon  Serpa  Pinto  in  seinem  Beisewerke 
beklagt,  den  Fuss  zu  setzen.  Ein-  oder  zweimaliger  Anstrich  im 
Jahr  wftre  genügend  gewesen,  dieses  Bauwerk  auf  lange  Jahre 
hinaus  in  gutem  Zustand  zu  erhalten. 

Was  kann  man  aber  aucii  von  einer  Regierung  erwarten,  deren 
erste  und  vielfach  einzig  hervortretende  Thätigkeit  in  der  Errichtung 
von  Zollhausern  mit  all  den  Chikanen  und  Vexationeu,  die  solchen 
Institutionen  anhaften,  besteht;  deren  Beamte  und  Soldaten  bis  in 
den  Oftiziersstand  hinein  ein  elend  bezahltes  Proletariat  bilden!  Die 
wenigen  einsichtsvollen  Gouverneure,  welche  die  Kolonie  gehabt  hat, 
haben  stets  als  einziges  Mittel  zur  üebung  der  Verhaltnisse  einer 
Aofbesserang  der  Beamtengehalte  und  emer  Verminderung  der  Ein- 
fuhrzölle in  Lissabon  das  Wort  geredet,  aber  eine  kurzsichtige 
Politik  der  Begierung  und  eine  Koterie  interessierter  portugiesischer 
Kaufleute  in  Lissabon  hat  immer  die  Einftlhrung  durchgreifender  und 
daoemder  Reformen  verhindert. 

Einzelne  lobenswerte  Xeueruugeu  und  Hes>erungen  in  einzelnen 
Punkten  sind  leider  von  nicht  langer  Dauer.  Ein  tüchtiger  Gouverneur 
interessiert  sich  vielleicht  für  die  eine  oder  andere  Frage,  es  werden 
in  der  betrettenden  Richtung  Schritte  gethan,  allein  nacii  8  Jahren 
tritt  er  von  seinem  Amte  ab  und  sein  Nachfolg<'r  Iii  Ist  die  Sache 
gewöhnlich  fallen.  So  existiert  z.  B.  seit  1879  in  der  oberen  Stadt 
von  Loanda  ein  recht  gutes  meteorologisches  und  magnetisches 
Observatorium ;  es  ist  in  dem  inflssig  hohen  Turm  einer  alten  Kirche 
ganz  vorzOglich  installiert  und  für  den  Zweck  sehr  günstig  gelegen; 
man  hat  auch  bereits  einen  umfangreichen  Band  mit  den  Beobach- 
tungen von  1879—1881  publiziert  Der  sich  warm  für  die  Meteoro- 
logie interessierende  Geueralgouverneur  ist  aber  seit  einem  Jahre 
tot,  der  sehr  eifrige  Direktor,  Hafenkapitan  aller  Hafen  Angolas, 


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—    35  — 

ist  soeben  auch  nach  Europa  zurückgekehrt  und  nun  ist  absolut 
keine  Garantie  vorhanden,  dal's  das  schöne  Unternehmen  in  gleicher 
zuTerlässiger  Weise  fortgesetzt  wird. 

Doch  Jienug  von  Loanda.  Zu  der  Fahrt  weiter  nach  Süden 
benutzen  wir  einen  schönen,  etwa  2000  Tonnen  grofsen,  ganz  neuen 
portngiesiachen  Postdampfer.  Die  Kajüten  und  Salons  sind  reinlich 
ud  reidi  ausgestattet,  die  Tafel  reichlich  und  gnt,  wenn  natürlich 
auch  etwas  ^ezifisch  portugiesisch,  an  welche  Zubereitungsweise 
aan  bei  längerem  Aufenthalt  an  der  Südwestkflste  schon  gewöhnt 
irt.  Angenehm  Ist  es,  dafo  der  gewöhnliche  portugiesische  rote 
Landwein  bei  Tisdi  ohne  Beschrankung  den  Passagieren  zu  (Gebote  steht 

Bengaella,  das  man  von  Loanda  mit  dem  Dampfer  in  etwa 
27stündiger  Fahrt  erreicht,  hat  den  Ruf,  der  Friedhof  der  portu- 
giesischen Kolonien  au  der  Westküste  zu  sein.  Die  ziemlich  j^rofse 
Stadt  liegt  etwas  vom  Strande  ab,  so  dafs  man  vom  Schiff  aus  nicht 
Tiel  von  ihr  sieht,  am  Strand  liegt  nur  ein  zerfallenes  Fort  und 
natOriich  —  das  Zollhaus.  Die  Stadt,  deren  erste  Häuser  man  etwa 
nach  5  Minuten  Gehens  auf  einem  gut  unterhaltenen,  mit  Sycomoren 
bepflanzten  Wege  erreicht,  hat  weite  baumbeschattete  StraCsen  und 
gnlae  wOste  Platte,  auf  denen  sich  des  Nachts  die  Hyänen  herum- 
tniben,  sidi  mn  die  gefundenen  Abfftlle  streitend.  Auch  Löwen  sind 
in  unmittelbarer  Nihe  der  Stadt  hanfig.  Die  Hauser  sind  klein  und 
uedrig,  man  sieht  dema  in  manchen  Strafen  nicht  viele,  da  sie  im 
Innern  Ton  meist  wüst  daliegenden  Garten  versteckt  sind,  die  ringsum, 
besonders  nach  den  Strafsen  zu,  3 — 4  m  hohe  Lehmmauern  um- 
schlielsen,  so  dafs  man  häufig  links  und  rechts  nichts  als  solche 
Lehniraauern  hat,  was  dem  Ort  ein  sehr  monotones  Ansehen  giebt. 
Die  Platze  und  Garten  sind  mit  Unrat  und  Abfallen  aller  Art  bedeckt, 
ein  wflster  Anblick.  Die  Stadt  ist  stolz  auf  eine  Art  öffentlichen 
Garten,  der  mit  einem  Kisenstacket  umgeben  ist,  in  dem  ich  aber 
nicht  ^iel  mehr  als  einige  akazienartige  Baume  und  auf  den  Beeten 
einige  Strohblumen  und  hohe,  schön  blühende  Oleander  entdecken 
konnte.  Ein  gemauertes  Bassin  für  eine  Fontäne  sollte  als  besonderer 
Schmuck  dienen,  obwohl  es  sicher  ebenso  wie  das  in  dem  öffentlichen 
Garten  in  der  oberen  Stadt  von  Loanda  noch  nie  einen  Ttopfen 
Wasser,  ausser  etwaigem  spärlichen  Begenwasser,  enthalten  hat 

Die  Bewohner  europaischer  Abkunft  haben  alle  eine  auflbllend 
gelbe,  kränkliche  Farbe;  der  Grund  aber,  weshalb  Benguella  so  un- 
gesund, ist  schwer  anzugeben.  Sümiifc  fehlen  in  der  Umgebung  während 
der  Trockenzeit  ganz,  der  Boden  besteht  aus  Sand;  vielleicht  ist 
die  grofäe  Unreinlichkeit  in  den  Häusern  und  in  den  verwilderten 
Garten  und  Höfen  daran  mit  schuld. 

3* 


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—    36  — 

Die  Stadl  treibt  einen  ziemlich  bedeutenden  Handel  mit  Kaft'ee, 
der  im  Inneren  wild  wachst,  Bienenwin  hs,  Gunnni,  Tabak  und  dann 
besonders  mit  kleinen  körnerfressenden  \'ügclu,  wie  Orangebftckeheu, 
ßeisvöijeln  u.  A.,  die  in  grofsen  Massen  exportiert  werden. 

In  20^tündiü:er  Fahrt  jrelanizt  man  von  Bon^irnclla  nach  Mossä- 
medes.    Die  Küste  wird  von  Loanda  an  immer  wüsteuartiger  und 
öder,  und  die  Stadt  Mossilmedes  selbst  liegt  volUt&udig  mitten  in 
der  gelblich  -  weifsen  Sandwüste,   wo  das  Auge  auch  nicht  die 
geriagste  Spar  von  Grttn  entdecken  kann.  Nichtsdestoweniger  ist 
der  Anblick  des  kleinen  Städtchens  vom  Schiff  aus,  wenn  man  in  die 
weite,  schöne  Bai,  die  sogenannte  kleine  Fisch-Bai,  einfilhrt,  mit 
seinen  weifs  oder  hellbnnt  angemalten  Häusern  und  flachen  Dftcbem, 
kein  hftfelicher.  Die  Provinz  Mossimedes  ist,  abgesehen  von  der 
1856  erfolgten  Besitznahme  von  Ambriz,  die  jünsjste  portugiesische 
Kolonie.   Die  Stadt  selbst  wurde  IB-iÜ  gegründet,  liat  etwa  800  weifse 
Bewohner  und  macht  einen  ganz  angenehmen  Eindruck.    Eine  neue 
eiserne  Brücke  erleichtert  das  Landen,  am  Strand  zieht  sich  eine 
Promenade  hin,  auf  der  einige  Kokospalmen  ein  kümmerliches  Dasein 
fristen,  immerhin  aber  sind  sie  als  das  einzige  Grüne,  welclies  das 
Auge  erblickt,  bemerkenswert.    Das  Zollgebände  ist  natürlich  auch 
hier  das  hervorragendste  Bauwerk.   In  der  Nachbarschaft  befindet 
sich  ein  kleiner,  sehr  linnlicher,  öffentlicher  Garten,  in  dem  man 
aufiser  Oleandern  und  Orangen  nichts  orblidEt;  an  einer  Stelle  in 
der  Mitte  des  Gartens  fristen  je  ein  Exemplar  der  bekannten  Wel- 
witchia  mirabilis  und  emer  anderen  sehr  merkwürdigen  Pflanze,  des 
Sesamocarpns  angolensis,  ein  kflmmerliches  Dasein;  weiter  im  Inneren, 
in  den  Wflsteneien,  habe  ich  diese  Pflanze  dfters  angetroffen;  Er- 
kundigungen zufolge  soll  sie  auch  weiter  im  Süden,  im  Damara-  und 
llererolande,  sehr  häutig  vorkommen,  wo  sie  vou  den  Elefanten  ihres 
\Va.ssersehaltes  wciren  gefressen  wird.    Sie  bildet  niedrige,  umfang- 
reiche, knollige  Gewächse,  die  an  solchen  Orten,  wo  man  kein  Gras- 
hälmchen  erblicken  kann,  am  besten  zu  gedeihen  sclieinen.  Die 
Wurzeln  dringen  tief  in  den  Erdboden  ein,  der  unförmliche,  knollige 
Pflanzenkörper  i  uht  dicht  auf  dem  Boden.    Aus  dem  Hauptkörper 
strecken  sich  dicke,  gedrungene  Auswüchse  hervor,  an  denen  die 
Bl&tter  sitzen,  die  jedoch  zur  Zeit,  als  ich  die  Pflanzen  sah,  nur  noch 
in  kflmmerlichen,  vertrockneten  Exemplaren  vorhanden  waren. 
Dieses  Gew&chs  kommt  gesellig  an  einzelnen  Stellen  in  grober  An- 
zahl Tor,  die  grölseren  Exemplare  erreichen  etwa  5  dem  Höhe  und 
1 — 2  m  Umfang ;  sie  sind  von  einer  gelblichgrttnen  Haut  umkleidet 
und  sehen  in  ihrer  Unfdrmlichkeit,  um  einen  etwas  unschönen, 
aber  treffenden  Vergleich  zu  gebrauchen,  aus,  wie  der  axdge- 


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—  87  — 

sch wollene  Leib  eines  Hundes,  der  mehrere  Wochen  im  Wasser  ge- 
legen liat. 

Die  Welwitcliia  mirabilis,  genannt  nach  dem  deutschet!  Botaniker 
Wolwitch,  der  in  den  fünfziger  und  Anfang  der  sechziger  Jahre  die 
portugiesischen  Kolonien  bereiste  und  dieselben  eigentlich  zuerst  in 
botanischer  Hinsicht  bekannt  machte,  Wtachst  etwa  zwei  Stunden 
südlich  von  Mossämedes  in  voUst&ndig  wüstem,  steinigen  Gebiete. 
Ich  iiDternahm  eine  kleine  Exkursion  eigens  zu  dem  Zweck,  um 
diese  ftberaus  seltene  Pflanze  zu  sehen  und  womöglich  einige  Exemplare 
mir  zu  verschaffen.  Aocb  sie  wachst  gruppenweise  zusammen;  ich 
sah  nur  wenige  grofse  Exemplare,  die  meisten  waren  klein  und 
unansebnlicb.  Exemplare  von  einem  Meter  Durchmesser  sind  schon 
selten.  Sie  gleicht  am  meisten  einer  grofsen  Becherkoralle&kolonie, 
die  Substanz  fühlt  sich  korkartig  an;  selbst  bei  den  gröfsten 
Exemplaren  erhebt  sich  der  trichterartige  Itand  des  mehr  oder 
weniger  runden  Pflanzenkörpers  noch  nicht  ^/-i  m  über  den  Erdboden; 
nach  unten  zu  Ifluft  derselbe  in  eine  oder  mehrere  sehr  tief  dringende 
Wurzeln  aus,  so  duss  es  mir  bei  unzureichenden  Hülfsmitteln  und 
dem  äufserst  harten  Boden  nicht  gelang,  vollständig  unverletzte 
Exemplare  mit  ganzer  Wurzel  auszugraben.  Die  langen,  leder- 
artigen Blatter  sehen  meist  sehr  mitgenommen  und  zerfasert  aus, 
sie  werden  nie  abgeworfen.  Alles  deutet  darauf  hin,  da(s  die 
Welwitchia  nur  sehr  langsam  wachst  und  dals  wir  in  den  grofsen 
Exemplaren,  die  50  kg  und  mehr  wiegen,  sehr  alte  Gesellen  vor 
ans  haben.  Ein  in  Mossämedes  lebender  alter  portugiesischer  Arzt, 
der  auf  die  bizarre  und  malerische  Ausschmflckung  seiner  Wohnung 
viel  Mühe  verwendet,  hat  eine  grofse  Zahl  der  ältesten  Pflanzen  in 
seinem  (iarten  als  niedrige  Sessel  aufgestellt,  wozu  sie  sich,  abge- 
sehen vor  ihrer  rauhen  Aussenseite,  ihrer  (iestalt  nach  auch  ganz 
gut  eignen.  Die  Pflanze  scheint  einen  sehr  engen  Verbreitungsbezirk 
m  haben  und  nur  noch  in  vcrlialtnifsmafsig  geringer  Anzahl  zu 
existieren.  Auf  einer  Flüche  von  etwa  4  qkm  sah  ich  nur  etwa 
150  Pflanzen.  Die  Blüte  gleicht  winzig  kleinen  Tannenzapfen,  die 
auf  einem  kleinen  Stiel  am  Rande  der  Pflanze  hervorbrechen;  die 
Bldtenperiode  stand  bei  meinem  Besuch,  Juli  18d3,  gerade  bevor. 
Von  den  Produkten  der  vorangegangenen  Periode  -waren  nur  noch 
kammerliche  Reste  vorhanden,  so  dafe  leider  keine  gut  erhaltenen 
BMten,  namentlich  auch  kein  Samen  zu  sammeln  war.  An  den 
Stellen,  wo  die  Welwitchia  wächst,  gedeihen  nur  noch  grofse,  ziemlich 
^.'leichfOrniig  über  das  Gebiet  verstreute,  mit  furchtbaren  Stacheln 
hewaflfnete,  iregliedcrte  Euphorbiaceeu.  die  hin  un^esttirt  so  alt 
werden,  dass  ihre  abgestorbeueu  grauen  Keste  sich  noch  lange  Zeit 
ftofrechtstehend  erhalten. 


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88 


Trinkbares  Wasser  findet  sieb,  obwohl  es  in  MossÄmedes  so  zo 

sagen  nie  regnet  (nur  in  längeren  Intervallen  fällt  in  einem  besonders 
gtinsti'zen  Jahre  einmal  ein  Regenschauer),  immer  wenige  Fufs  unter 
der  Erdoberfläche,  selbst  in  unmittelbarer  Nähe  des  Meeresstrandes. 
In  den  Höfeu  der  Hauser  findet  man  daher  auch  nicht  ^elteu  kleine 
Gärtchen,  wo  Kohlarten,  Gurken.  Kartoffeln,  ja  selbst  Wein  gut 
gedeihen.  Seinen  eigentlichen  Bedarf  an  Gemüsen  deckt  Mossdmedes 
jedoch  aus  den  wenigen  Plantagen,  die  in  dem  nahezu  immer  trockenen 
Flufsbett  des  Bero  liegen,  der  etwa  ^/t  Stunde  nördlich  Ton  der 
Stadt  mttndet  und  unterirdisch  genug  Waaser  enthalt,  um  selbst 
BaumwoHen-  und  Zuckerrohranpflanzungen  zu  ermöglichen.  Das  fttr 
die  Kegerbevdlkemng  nnentbehrliche  Maniokmehl  wird  meist  von 
Benguella  her  eingefOhrt 

In  Moss&medes  machte  leb  die  Bekanntschaft  eines  gut  englisch 
sprechenden,  in  seiner  Art  recht  gebildeten  Boers  aus  dem  Transvaal, 
der  augenblicklich  in  der  neuen  Boernkolonie  Humpatah  im  Innern 
der  Provinz  Mossämedes  lebte  und  den  Geschäfte  lieraV»  nach  Mossämedes 
geführt  hatten,  wohin  er  auch  seine  Frau  und  Kinder  mitgenommen 
hatte,  um  ihnen  das  Meer,  das  sie  noch  nie  gesehen  hatten,  zu  zeigen. 

Da  er  für  den  nächsten  portugiesischen  Dampfer  abermals  nach 
MossÄmedes  Geschäfte  halber  herabzukoninien  gedachte,  so  bot  sich 
mir  eine  vorzügliche  Gelegenheit,  einen  Ausflug  in  das  Innere  der 
Provinz  Mosstoiedes  zu  machen  und  dabei  audi  die  neugegrandete 
Kolonie  Humpatah  kennen  zu  lernen. 

Das  Rdsen  in  Südafrika  ist  ungemein  teuer,  da  dasselbe  nur 
mit  Ochsenwagen  geschehen  kann.  Solch  ein  Ochsenwagen,  der  ja 
aus  vielen  Beschreibungen  hinreichend  bekannt  ist,  kostet  in  der 
Kapstadt  je  nach  der  Ausstattung  95—150  £,  ein  jeder  der  16 
Ochsen,  die  zum  Ziehen  desselben  nötig  sind,  etwa  5 — 8  £;  bei  den 
Boers  von  Humpatah  kann  man  einen  solchen  Wagen,  der  dann 
nicht  einmal  mehr  neu  ist,  sondern  schon  recht  viel  mitgemacht 
hat,  komplet  mit  dem  nötigen  Gespann  Ochsen  nicht  gut  unter 
250  £  haben,  wobei  man  freilich  in  Betracht  ziehen  niufs,  dafs  mau 
beim  Wiederverkauf  gewöhnlich  ziemlich  denselben  Preis  zurück- 
bekömmt, wenn  man  mit  den  Ochsen  kein  Unglück  gehabt  hat.  Zu 
diesen  Kosten  mnfs  man  noch  3—4  £  monatlich  rechnen  für  den 
Ochsentreiber  und  1  für  den  Ochse^jungen,  der  gewöhnlich  den 
ersten  Odisen  voransehreitet  und  sie  namenttich  bei  schwierigen 
Stellen  leitet.  Beide  Personen  erhalten  dann  aufserdem  noch  freie 
Beköstigung.  Bei  kürzeren  Reisen  empfiehlt  es  sich  mehr,  einen 
kompleten  Wagen  zu  mieten,  was  man  in  Humpatah  um  etwa  1  £ 
für  den  Tag  habeu  kauu;  der  Vermieter  stellt  dann  auch  noch 


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—  39 


Traber  und  Jangen.  £s  ist  wünschenswert,  auch  noch  einige  Ein- 
geborene zur  Aushflife  zu  engagieren;  dieselben  erhalten  2 — 5  sk. 
pro  Monat  nnd  zwar  in  Waren,  das  heifst  in  leichten  Manchester  Bauni- 
wollenwareu  und  Decken  und  aufserdeni  nocli  die  Abfälle  des  Essens. 

Der  BesitJ^  eines  Pferdes  ist,  abgesehen  von  seiner  Notwendig- 
kf^it  bei  der  Jagd,  auf  alle  Fälle  selir  zwcrkmälsig.  Bekanntlich  aber 
sind  die  i'ferde  in  Südafrika  vielen  Krankheiten  nnterworfen  und 
sterben  sehr  leicht  auf  Reisen.  Ein  Pferd  also,  welches  alle  diese 
Krankheiten  glttcklich  überstanden  und  daher  gegen  dieselben  mehr 
oder  weniger  unempfänglich  wurde,  ist  sehr  teuer;  der  Preis  eines 
solchen  stellt  sich  auf  100— löO  Ein  derartiges  Pferd  nennt 
man  ein  gesalzenes,  salted  faorse,  während  ein  ungesalzenes  in  Süd- 
afrika, namentlich  in  Transvaal,  nnr  5—6  £  kostet.  Freilich  unter- 
liegen gewöhnlich  von  einem  Dutzend  junger  Pferde  11  der  Krank- 
heit. Die  Miete  eines  solchen  Pferdes  kostet  bei  den  Boers  in 
Humpatah  mindestens  10 — 12  sä.  pro  Tag. 

Da  ich  den  Umständen  entsprechend  nur  wenige  Wochen  auf 
diese  Reise  verwenden  konnte  und  auf  diesell)c  in  keiner  Weise 
vorbereitet  war,  so  war  ich  natürlich  genötigt  mich  den  Veihältnissen, 
anzupassen.  Mein  Boer,  ein  Mr.  Bower,  war  bereit  mich  für  10  £ 
nach  Huila  und  zurück  zu  bringen,  mich  während  dieser  Zeit  in 
landesüblicher  Weise  zu  verpflegen  und  mir  auch,  an  Ort  und  Stelle 
angelangt,  bei  Gelegenheit  zu  Ausflügen  in  die  Umgebung  ein  Pferd 
zu  leiben.  Als  weitere  Bedingung  wurde  von  seiner  Seite  noch 
geltend  gemacht^  daüs  ich  mich  jeder  Einmischung  in  Bezug  auf  den 
tftglich  zurückzulegenden  Weg  enthalten  solle  und  dalk  ich  ferner 
auf  der  Hinreise  aufserhalb  des  Wagens  schlafen  müsse,  da  das 
Innere  desselben  durch  die  Frau  und  Kinder  in  Beschlag  genommen 
war.  Mit  einem  kräftigen  Händedruck  in  die  grofse  schwielige  Faust 
des  erfahrenen  Jägers  wurden  diese  Abmachungen  besiegelt  und 
die  Reise  am  11.  Juni  angetreten.  Eine  halbe  Stunde  nördlich  von 
Mossdniedes  mündet  das  erwähnte  kleine  Marschen,  der  Bero, 
der  indessen  meist  trocken  ist;  der  Boden  ist  inimerhiii  fast  das 
ganze  Jahr  hindurch  durch  das  Grundwasser  feucht  genug,  um  die 
Anlage  einiger  Gärten  und  Baumwolle]  il  an  tagen  zu  gestatten.  Das 
ein  wenig  brackische  Wasser  tiudot  sich  hier  wie  auch  in  der  Stadt 
Mossimedes  selbst  nur  wenige  Fufs  unter  der  Erdoberfläche  und 
lasnen  sich  deshalb  mit  Hfllfe  künstlicher  Bewässerung  allerhand 
europäische  Gemüse,  Melonen,  Gurken,  Kohlarten,  Kartoffeln,  ja 
selbst  Wein  ziehen. 

Hat  man  diese  Anlagen  passiert,  so  wendet  sich  der  Weg  scharf 
gegen  Osten  und  führt  derselbe,  in  einem  leeren  Flulsbett  langsam 


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—  40  — 

ansteigend,  ins  Innere.  Links  und  rechts  henacht  die  vollkommene 
kahle,  nackte  Stein-  imd  SandwQste,  in  der  sich  die  Wagen,  einer 
hinter  dem  anderen,  langsam  und  schwerfällig  fortbewegen. 

Die  Sonne  brennt  heife  vom  wolkenlosen  Himmel  herab  und 
fern  im  Westen  sieht  man  über  dein  Meer  die  für  diese  Küste 
so  charakteristische  Nebel-  und  Diinstbank.  Nacli  eiristündiger  Falirt 
senkt  sich  der  Weg  etwas,  die  Aussicht  auf  die  See  verschwindet. 
Die  Stille  der  Wüste  wird  nur  durcli  das  Knallen  der  hingen  Peit- 
schen aus  Giratienhaut  und  das  zeitweise  Zurufen  der  Treiber  unter- 
brochen ,  welche  jeden  ihrer  Ochsen  durch  Anrufen  seines  Namens 
zu  kräftigerem  Anziehen  aufzumuntern  suchen.  Unser  Treiber  ist 
ein  untersetzter  KatTer  aus  dem  Basutolande,  der  tliessend  holländisch 
und  englisch  redet,  daneben  noch  den  Dolmetscher  mit  den  Einge- 
borenen macht  und  aufserdem  bereits  etwas  portugiesisch  sprechen 
kann.  Er  ist  seinem  Herrn,  der  ihn  nahezu  wie  einen  seines  gleichen 
behandelt,  sehr  ergehen  und  folgte  ihm  auf  allen  seinen  Jagdzftgen 
vom  Limpopo  bis  Ober  den  Zambesi  hinaus  und  von  Natal  bis  nach 
dem  Damaraland.  0er  Mann  behauptet  steif  und  fest,  dafs  jeder 
Ochse  seinen  Namen  kennt  und  wir  lassen  ihn  gern  bei  diesem,  fÄr 
die  Intelligenz  seiner  ungeschlachten  Schutzbefohleuen  sehr  schmeichel- 
haften Glauben. 

Nach  sechsstündiger  Fahrt  steigen  wir  durch  ein  Seitenthal  in 
das  trockene  Sandbett  des  Rio  Giraul  hinab,  wo  sich  ebenfalls  einige 
Baumwollplantagen  betiiiden.  Hier  wird  gerastet,  den  ausgespannten 
Ochsen  bleibt  überlassen,  an  den  wenigen  dürren  Dornstr&iichern  zu 
nagen  oder  die  müden  Glieder  auf  dem  Sand  auszuruhen.  Mittler- 
weile ist  es  Nacht  geworden,  die  starke  Ausstrahlung  des  Wüsten- 
bodens gegen  den  Üaren  Himmel  macht  sich  geltend,  so  dafe  das 
aus  mitgefOhrtem  Holze  angemachte  Feuer  sehr  angenehm  empfunden 
wird.  Ein  in  der  Eile  gekochter  sachsischer  Blamcfaenkaffee  in 
homöopathischer  Verdünnung  und  einige  Stücke  steinharten  alten 
Brotes  bilden  die  Abendmahlzeit.  Dann  wickelt  man  sich  in  die 
Decke  und  streckt  sich  zur  kurzen  Rast  auf  den  Erdboden;  aber 
die  niedrige  Nachttemperatur,  die  meinem,  durch  die  Tropeuwärme 
der  Congogegend  verwöhnten  Körper  emptiudlich  war  und  einige 
Moskitos,  die  sich  trotz  der  .Vbwesenheit  alles  Wrissers  alsbald  ein- 
stellten, liefsen  mich  keine  Ruhe  finden,  so  dafs  ich  froh  war,  als 
gegen  Mitternacht  die  Ochsen  wieder  geschirrt  und  die  Heise  fort- 
gesetzt wurde. 

Kurz  nachdem  der  Rio  Giraul  ttberscliritton  ist,  biegt  der  Weg 
in  ein  nach  NO.  laufendes  Seitenthal  eiu;  hier  befindet  sich  die 
einzige  Stelle  des  ganzen  Weges  bis  zu  dem  Fufse  der  Chellaberge, 


—  41  — 

die  maa  als  Kunststr  if  e  bezeichnen  kann.  Der  Weg  fuhrt  nftmlich 
von  ein«:  Seite  des  Thaies  nach  der  anderen  über,  um  in  einem 
steil  ansteigenden  Bogen  an  einem  Berge  sich  emporznvinden,  wobei 
tiefe  Einschnitte  in  die  Felswände  und  die  Errichtung  einiger  kurzer, 
aber  boher  Viadukte  sich  nötig  machten.  Ist  diese  bedeutende  Höhe 
erklommen,  so  fUhrt  der  Weg  zieroHeh  horizontal  in  östlicher 
Hichtun^^  weiter  durch  ein  Gebiet,  das  vielleicht  nocli  steiniger  und 
trostloser  ist  als  das  bisher  durchschrittene.  Um  5  Uhr  Morgens 
hAlt  i'Iötzlich  der  Zug  der  Wagen,  einer  unserer  Ochsen,  der  schon 
bcit  Stunden  gestöhnt  und  uur  durch  häuhges  Autreiben  mit  der 
Peitsche  im  Gehen  zu  halten  war,  ist  gefallen.  Man  überzeugt  sieh 
bald,  da(iä  er  ein  Todeskandidat  ist;  er  und  sein  Jochgenosse  werden 
ausgespannt,  das  liegende,  im  Sterben  befindliche  Tier  zur  Seite 
gezogen  nnd  den  Aasvögeln  und  Raubtieren  zur  willkommenen 
Beute  überlassen.  Der  andere,  ledige  Ochse  schreitet  neben  dem 
sich  wieder  in  Beweguug  setzenden  Wagenzuge  frei  einher.  Bei 
Tagesanbruch  wird  an  einer  Stelle,  wo  einige  dOrltige  Dornbüsche 
stdien,  abermals  gerastet  nnd  ein  frugales,  aus  etwas  geschmortem 
Antilopenfleische,  dem  unvermeidlichen  Kaffee  nnd  dem  trockenen* 
Brote  bestehendes  Frühstück  eingenommen.  Gegen  10  Uhr,  also  in 
etwa  25  miles  von  der  Küste  (man  rechnet  bei  nicht  zu  schlechten 
Wegen  und  mäfsig  beladenen  Wagen  etwa  2  miles  auf  die  Stunde)  wendet 
sich  der  Weg  mehr  nach  NC,  gleichzeitig  wird  er  schlechter  und 
schlechter,  indem  grofse  Felsen  und  Steine  niilten  in  demselben 
liegen,  fiber  die  der  Wagen  unter  eutaetzlichen  Stöfsen  und  Rütteln 
hinwegfährt  oder  die  man  umgehen  muss.  Es  scheint  als  ob  die 
Kraft  der  portugiesischen  Wegebauer  schon  hier,  nach  Konstruktion 
jenes  Bergüberganges,  vollständig  erlahmt  sei.  Zwei  Stunden  weiter 
nnd  die  Szenerie  Ändert  sich  vollständig:  Vegetation  zeigt  sich,  . 
zuerst  die  bereits  erwähnten  merkwürdigen  klumpigen  Pflanzen- 
gehflde,  dann  einzelne  Mopani-Domsträucher,  Mimosenarten,  die  ganz 
allrofthlich,  je  weiter  man  vorrückt,  häufiger  und  gröfser  werden. 
Bei  Pedra  Major,  einem  grofsen  Haufen  uiigelieurer  Felsblöckc, 
ändert  sich  auch  der  geologische  und  landschaftliche  Charakter  des 
Landes.  Bewegte  mau  sich  bisiier  auf  Quarzsaiulsteingebiete,  in  den 
weiten  Betten  ehemaliger  Was<erliiufe,  die  durch  sanft  ansteigende 
Höhenzüge  beiderseitig  begrenzt  werden,  so  erblickt  nntn  von  Pedra 
Major  aus,  wo  sich  der  Weg  etwas  absenkt,  auf  eine  weite  sich  iu 
blauer  Feme  in  Bergzügen  verlierende  Ebene,  die  mit  steil  abfallen- 
den ganz  isoliert  stehenden,  hohen  Granit-Felsinseln  besetzt  ist,  die 
Landschaft  trügt  somit  einen  ganz  anderen,  eigentümlichen  Charakter. 
Häufiger  werden  jetzt  die  Pausen,  die  man  dem  gequälten  und  in 


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eiuer  tStaubwolke  daherzieheiKioii  /u^^vieli  fzewalueii  imifs.  Niedrige, 
ganz  einzeln  steheude  Grashalme  treten  nun  auf  und  bieten  den 
Ochsen  eine  dürftige  Nahrung,  die  sie  raUhsam  zusammensuchen 
müssen  und  des  Dorstes  wegen  auch  kaum  berühren.  Wasser, 
Wasser  ist  jetzt  die  Losung!  Die  Sonne  neigt  sich  schon  zum 
Untergange,  da  endlieh  langen  wir  in  Pedra  Grande,  dem  lang- 
ersehnten Rastplatze  an.  Die  weite  Ebene  ist  mit  grobem  Granit- 
grus  bedeckt,  und  aus  ihr  ragen,  gleich  Inseln  ans  einem  Meere, 
nnvermittelt  emporsteigend,  meist  nnbesteigbar  steil  100—150  m 
hohe  schroffe  Granitfelsen  empor. 

Ein  solcher,  wenn  auch  nur  etwa  50  m  hoher  und  etwas 
weniger  steil  abfallender  Fels  ist  der  höchst  eijrentümliche  Pedr.i 
grande  oder  ,.£rrosse  Stein".  Seine  Oberfläche  ist  ziemlich  glatt, 
durchaus  humusfrei  und  sehr  stark  verwittert,  so  dass  die  obersten 
Schichten  sich  stellenweise  abheben  las.sen  und  leicht  in  Grus  zer- 
fallen. In  der  Mitte,  etwa  in  20 — 30  m  Höhe,  befinde  sich  nun 
drei  grosse  3 — 6  m  tiefe  und  etwa  5—8  m  im  Durchmesser  haltende 
Aushöhlongen  von  mehr  oder  weniger  rundem  Durchschnitte,  deren 
Ränder  flberhingea  and  deren  W&nde  völlig  glatt  ausgescheuert 
und  poliert  sind.  Auch  auf  der  Spitze  dieses  Hfigels  finden  sicli 
mehrere  flache  Aushöhlungen,  die  in  Verbindung  mit  einer  in  einer 
solchen  aufgefundenen  runden,  etwa  V«  m  im  Durchmesser  haltenden 
Granitkugel  es  mir  durchaus  glaubhaft  machen,  dafs  wir  es  hier 
mit  einer  Art  durcli  die  Gewalt  des  strömendeu  Wassers  geformten 
und  gebildeten  lliescntöpfen  zu  thun  haben. 

Welche  enormen  klimatischen  Veränderungen  müssen  aber  hier 
vor  sich  gegangen  sein,  um  jene  mächtigen  Flüsse,  über  deren 
Thatigkeit  uns  so  mächtige  Kessel  berichten  und  deren  öde,  jetzt 
durstige  und  wasserleere  Betten  wir  durchziehen,  verschwinden  zu 
machen?!  In  Anbetracht  der  Wichtigkeit  dieser  Lokalitat  für  den 
Verkehr  auf  dieser  Strafse  hat  die  portugiesische  Regierung  rings 
um  diesen  Hügel  eine  niedrige  zementierte  Mauer  ziehen  lassen,  so 
dafs  alles  auf  diesen  kahlen  Felsen  auffallende  Regenwasser  not* 
wendiger  Weise  in  die  Kessel  fliessen  muCs,  und  somit  höchst  er- 
wünschte natOrliche  Wasserreservoire  gebildet  werdra,  die  Mötsch 
und  Vieh  einen  hei£s  ersehnten  Labetrunk  liefern.  Leider  ist  der 
Regenfall  gerade  an  dieser  Stelle  noch  ein  äufserst  unregelmäfsiger, 
meist  sehr  geringer.  ist  ja  bekannt,  dafs  es  an  der  Küste  in 
der  Naelibarschaft  von  Mossdmedes  so  gut  wie  gar  nicht  regnet,  in 
manchen  Jahren  fallt  kein  einziger  mefsbarer  Niederschlag:  nur 
langsam  und  allmählich  nimmt  die  Regenmenixe  nach  Osten  hin 
zum  Fusäe  der  Chellaberge  zu  und  Pedra  Grande  li^t  gerade  noch 


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80,  da£5  es  nicht  regeluiäfsig  jedes  Jahr  in  die  Zone  stärkerer  Re- 
geD,  die  nach  den  Chellabergen  hin  auftritt,  einbegriffen  wird.  Daher 
fluten  nch  diese  Kessel  auch  nur  selten  und  es  war  seit  7  Jahren  188S 
xum  eniten  Male  wieder,  dafs  dieselben  einen  erheblichen  Wasservorrat 
enthielten.  Leider  hat  echt  portugiesische  Kachlässigkeit  diese  Ke- 
senroira  bedeutend  verunreinigen  und  sich  mit  Wasserpflanzen  (einer 
Art  Wasserlinsen)  bedecken  lassen,  so  dafs  das  Wasser  wohl  mit 
Recht  für  nicht  gesund  gehalten  wird.  Ungeduldig  brüllend  uud 
mit  hängender  Zunge  drängen  sich  die  Ochsen,  die  seit  dreifsig 
Stünden  keinen  Tropfen  Wasser  erhalten  haben,  zu  dem  steinernen 
Tränktroge,  es  werden  immer  nur  drei  hinzngelassen,  um  in  langen 
ZQgen  das  erquickende  Nafs  zu  saufen.  Ein  Jäger  bringt,  nachdem 
er  kaum  eine  Stunde  ausgeblieben,  einen  feisten  Springbock,  eine 
kleine  Antilopenart  mit  gclbgrauem  Fell  und  kleinen  liraförmig  ge- 
bogenen Hörnern.  Das  Fleisch  wird  unter  die  6  Wagen  getheilt 
und  die  heranbrechende  Nacht  findet  uns  um  das  Feuer  sitzend, 
Aber  dem  ein  saftiges  Lendensttlek  am  Spioise  rdstet  Die  tem- 
perator  ist  wiederum  ganx  empfindlich  kalt  während  der  Nacht,  so 
dafs  nur  dicke  wollene  Decken  das  Schlafen  im  Freien  unter  dem 
Wagen  ermöglichen.  Die  Ochsen  lagern,  behaglich  wiederkäuend, 
mit  Lederriemen  an  der  Deichsel  nnd  dem  langen  Zugseil  aus  Leder 
oder  Stahldraht  festgebunden,  um  die  Wagen,  und  ein  mächtiges, 
die  ganze  Nacht  unterhaltenes  Feuer,  um  das  sich  die  Treiber  uud 
die  ab  Begleiter  dieneuden  nahezu  nackten  Eingeborenen  herum- 
gelagert haben,  dient  dazu,  etwaige  Angrifi'e  von  Löwen,  die  hier 
schon  nicht  ganz  selten  sind,  abzuschrecken.  Früh  beim  er.sten 
Morgengrauen  weckten  mich  die  ernsten  Klänge  eines  Cborales,  den 
die  Boers  absangen.  Ein  dichter,  feuchter  Nebel  lag  fiber  der  Ge- 
gend, nur  die  obersten  Spitzen  der  Granitkuppen  schauten  daraus 
heiTor.  Bei  aufgehender  Sonne  bildete  sich  ein  ganz  eigentfimliches 
Phaenomen,  wie  ich  dasselbe  zuvor  noch  nie  beobaditet  hatte.  Gerade 
in  Westen,  der  des  in  den  untersten  Schichten  der  Atmosphäre  herr- 
schenden Nebels  wegen  natürlich  nicht  sichtbaren  Sonne  gegenüber, 
bildete  sich  plötzlich  ein  heller  Bogen  in  den  Nebelmassen,  dti  mit 
unten  breiteren  Enden  scheinbar  auf  dem  Erdboden  aufnihte;  die 
einem  Regenbogen  ohne  Farben  gleichende  Erscheinung  war  in 
ihrem  Scheitel  etwa  15"  hoch,  hob  sich  auch  in  ihren  oberen  Teilen 
gegen  das  Graublau  des  kaum  sichtbaren  Himmels  hell  ab,  blieb 
ziemlich  lange,  etwa  von  7  bis  halb  8  Uhr  sichtbar  und  verschwand 
erst  mit  den  sich  zerteilenden  Nebeln. 

Waren  kurz  vor  Tagesanbruch  8®  gewesen,  so  waren  es  uui 
9  Uhr  im  Schatten  bereits  18«  C.  Zu  meiner  nicht  geringen  Ueber- 


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rasrhiing  wui'de  Mittags  das  aus  mit  Speck  ;jje(lain|>flem  Springbock- 
tteisch  und  etwas  Reis  bestehende  Essen  in  derselben  Zinuschüssel 
servirt,  aus  dem  sich  des  Morgens  die  ganze  Familie  und  auch  ich 
mich  gewaschen  hatten,  doch  stdrte  dieses  unsern  Appetit  nicht  im 
mindesten! 

Um  1  Uhr  nachmittags  ging  es  endlich  weiter  durch  eine  Ge- 
gend mit  ähnlichem  Charakter  wie  hei  Pedra  Grande:  Domhüsche 
und  dfinnes,  niedriges,  gelhes  Gras,  das  von  Wild  nnd  Ochsen  gern 
verzehrt  wird,  sandiges  Terrain  nnd  flache  trockene  nach  SW.  wei- 
sende Wasserlänfe.  Gegen  Abend  wurde  das  Gebüsch  immer  höher 
und  dichter,  Laubbäume  fanden  sich  ein,  so  dass  sich  stellenweise 
richtiger  Buschwald  bildete.  In  der  Ferne  wurde  ein  steilabfallendes 
hohes  Gebirge  sichtbar:  die  Ch ellaberge  mit  einer  besonders 
hohen  und  augenscheinlicli  senkrecht  abfalleuden.  oben  tiarheii,  min- 
destens 6000  Fufs  hohen  Erhebung  in  der  Mitte  des  Bildes. 

In  dieser  Gegend  teilt  sich  die  Stiaise,  rechts  mehr  nach  0. 
führt  der  Weg  nach  Capangombe  und  über  das  Gebirge  nach 
Humpatah:  derselbe  ist  jedoch  für  Wagen  nicht  praktikabel  und 
wenn  auch  etwas  kürzer,  doch  sehr  beschwerlich  und  wird  daher 
selten  benutzt 

Wir  setzen  in  der  Nacht  mit  wiederholten  Ruhepausen  die 
Fahrt  auf  dem  mehr  nach  ONO.  Ehrenden  Wege  fort,  wobei  wir 
abermals  einen  Ochsen  yerloren,  nm  bei  Mnnhino,  ^ner  von  einem 

Portugiesen  eingerichteten  grofsen  Mais-  und  Katfeeplantage,  am 
andern  Morgen  nm  8  Uhr  das  erste  fliefsende  Wasser  zu  erreichen. 
Bis  zu  diesem  Punkte,  der  bei  sehr  aiitrestrengteni  Marsche  in  zwei 
Tagen  zu  erreichen  ist,  findet  sich,  wenn  die  natürlichen  Reservoire 
in  Pedra  Grande  ausgetrocknet  sind,  in  der  Trockenzeit  meist  kein 
Tropfen  Wasser  von  Mossamedes  an  und  müssen  dann  die  Ochsen 
diese  ganze  Strecke  ohne  Wasser  bleiben.  Wahrhaftig,  nur  wer 
eine  Wüstenreise  gemacht  hat,  vermag  den  Wert  des  Wassers  erst 
völlig  zu  schätzen. 

Von  Mnnhino  an  wird  die  Gegend  weniger  eintdnig,  der  Weg 
fahrt  durch  offenen,  zuweilen  parkahnlich  sich  gestaltenden  Busch- 
wald, in  dem  sich  mitunter  schon  ziemlich  hohe  Baume  zeigen. 
Wenige  Stunden  Fahrt  bedarf  es  zu  den  Verbergen  des  Chella- 
gebirges,  dessen  gigantisch  steiler,  westlicher  Absturz  jetzt  deutlich 
sichtbar  wird;  man  passiert  wiederholt  kleine  Wasserläufe,  die  zum 
Oberlauf  des  weiter  unten  vertrocknenden  Bio  Giranl  gehören  und  einen 
erfrischenden  Trunk  j^ewähren,  endlich,  nach  etwa  vierzehnstündiger 
ununterbroclHMicr  I'ahrt,  erreicht  man  Biballa,  da^  unmittelbar  am 
Fufs  des  Cheiiagebirges  liegt  Hier  befindet  sich  eine  grofse  Mais-, 


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Kaffee-  und  Zuckerplantage.  Der  Besitzer,  ein  Senbor  de  Campos, 
ein  anfserordentlich  liebenswürdige  Mann,  nimmt  uns  mit  echt 
portagiesischer  Oastfirelheit  anf.  Länger  denn  20  Jabre  bewohnt  er 

(Uesen  abgelej^eiieii  Erdwinkel,  sein  Gehöft  ist  von  einer  j?rossen 
Mauer  forturtig  uuirjchlossen,  allein  ein  solcher  Schutz  ist  heute 
kaum  noch  nötig,  da  der  Besitzer  mit  den  Kingeborenen,  deren 
Sprache  er  völlig  versteht,  auf  bestem  Fnise  lebt.  Ein  grolsei- 
Garten  entliiilt  eine  Zahl  der  schönsten  Orangenbilume»  deren  herr- 
liche süfse  Früchte,  in  den  Morgenstunden  frisch  gepflückt,  eine 
angenehme  Erfrischung  bieten. 

Das  hier  reichlich  vorhandene  Wasser  treibt  eine  kleine 
Qnetschmflhle  für  Zuckerrohr,  denn  man  brennt  hier  den  bei  den 
Eingeborenen  allbeliebten  Rum  selbst  Es  dürfte  hier  am  Platsse 
sein,  ein  Wort  über  die  ArbeiterTerhältnisse  in  den  portugiesischen 
Kolonien  an  der  SüdwestkOste  Afrikas  zu  sagen.  Es  sind  gerade 
in  letzter  Zeit  wiederholt  heftige  Angriffe  gegen  die  portugiesische 
Regierung  wegen  Autrechthaltung  der  durch  das  Dekret  vom 
9.  April  1879  otHziell  abgeschafften  Sklaverei  in  den  i>ürtugiesisch«'u 
Kolonien  gerichtet  worden.  Der  heftigste  und  von  l  nkenntnis  afrika- 
nischer Dini^e  strot/e?i(lsto  wai-  der  von  Jacob  Bright  am  H.  April 
1883  im  englischen  Parlamente.  Ks  ist  wahr,  die  Hpjzierung  blf^t 
die  Sklaverei,  oder  besser  Zwangsarbeit  auf  bestimmte  Zelt  fort- 
bestehen, man  sehe  aber  in  welcher  Weise!  Will  jemand  einen  aus 
dem  Innern  gebrachten  oder  bereits  im  Dienste  eines  andern  Herrn 
stehenden  Arbeiter  kaufen,  so  haben  sich  samtliche  bei  dem 
Gesdiftft  interessierte  Parteien  vor  die  mafsgebende  Behörde,  den 
sogenannten  Kuratore  zu  begeben  und  hier  mufs  der  anzukaufende 
Sklave  in  Gegenwart  zweier  Zeugen  deutlich  gefragt  werden,  ob  er 
dem  und  dem  dienen  will.  Bejaht  er  diese  Frage,  so  wird  darüber 
Protokoll  aufgenommen  und  das  betreffende  Individuum  ist  ver- 
pflichtet :i  Jahre  seinem  nunmehri^^on  Herrn  zu  dienen,  wenn 
er  für  u'ewülniliche  Arbeiten  verwendet  winl.  5  Jahre  jedoch, 
wenn  es  sich  nötig  macht,  dal's  er  sich  l)esouder('  mechanische 
Perti'^keiten  erwerben  muls,  bevor  er  seinem  Herrn  nützlich  wird, 
wenn  er  also  z.  B.  in  einem  technischen  Betrieb,  in  einer  Fabrik 
verwendet  wird.  Er  erhalt  aufser  freier  Beköstigung  und  Bekleidung 
monatlich  etwa  2  sh.  Lohn.  Dem  Gesetze  nach  soll  dieses  Geld  ihm 
eigentlich  bar  nnd  nicht  in  Waren  oder  Getränken,  wie  Rum  und 
Ähnlichem,  ausgezahlt  werden.  Nun  ist  aber  der  Mangel  an  barem 
Gelde  die  gröfste  Kalamität  in  den  Kolonien.  Aufser  den  gewöhnlichen 
Kupfer^heidemünzen  von  5, 10,  20,  30  und  40  Reis  existiert  nur  noch 
aufserhalb  der  Kolonie  völlig  wertloses,  Papiergeld.  Gold  und  Silber 


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bekommt  man  nie  zu  sehen,  auTser  allenfalls  höchstens  englisches 
Geld.  Die  Pflanzer  drau&en  in  den  entlegenen  Teilen  der  Kolonie 
sind  daher  gar  nicht  im  Stande  mit  barem  Gelde  za  zahlen,  und  so 
wird  es  ihnen  denn  nachgesehen,  wenn  sie  in  solchen  Fällen  ihre 

Leute  mit  leicliten  MaiR'hesterbaumwollenwaren  und  selbst i^'eln'anntem 
Rum  ablohnen;  was  schlieislich  ja  auch  auf  dasselbe  herauskommt, 
da  ja  spezielle  Kaufladen  im  Innern  nicht  existieren  und  jeder 
Farmer  im  Innern  schon  des  Verkehres  mit  den  Eingeborenen  wegen 
genötigt  ist,  sich  einen  kleinen  Laden  mit  den  nötigsten  Handels- 
artikeln zu  halten.  Verweigert  ein  Sklave  vor  den  Behörden  einem 
bestimmten  Herrn,  der  ihn  gekauft  hat  oder  kaufen  will,  zu  dienen, 
so  ist  er  frei  und  der  etwa  bereits  erlegte  Kaufpreis  ist  verloren. 
Bei  Besitzwechsel  werden  alle  Sklaven  ^i,  nur  bei  direkter  Ver- 
erbung auf  den  Sohn  nicht  Es  ist  dies  eine  grolse  Kalamität,  die 
sicher  dazu  beitragen  wird,  diese  in  sich  ja  völlig  unhaltbaxe 
Institution  mit  der  Zeit  zu  beseitigen,  was  ja  im  Grunde  auch 
wflnschenswert  ist,  denn  befriedigend  suid  die  jetzigen  Zustände 
keineswegs.  Die  unmittelbare  Folge  dieser  Bestimmung  ist  die,  dafs 
Farmen  und  technische  Betriebe  nahezu  unverki^utlii'h  sind.  Ein 
Besitztum,  in  das  vielleicht  50  000  A  gesteckt  sind,  ist  später  kaum 
für  den  vierten  Teil  des  Preises  an  den  Mann  zu  brinijeu,  da  ja 
beim  Verkauf  alle  Sklaven  frei  werden  und  der  neue  Besitzer  solche 
erst  mit  grofseii  Kosten  und  Mühe  neu  erstehen  mufs.  Hat  sich 
jemand  einmal  in  den  Kolonien  niedergelassen  und  sein  Geld  in 
derartigen  Unternehmungen  angelegt,  so  befindet  er  sich  wie  in  einer 
Mausefalle,  es  ist  ihm  eben  unmöglich,  das  Land  ohne  Verlust  seines 
Vermögens  zu  verlassen,  er  ist  selbst  eine  Art  Sklave  geworden. 
£in  aus  der  Erfohrung  gegriffenes  Beii^iel  wird  diese  unhaltbaren 
Verhältnisse,  die  ihre  Eridärung  nur  in  der  ungemeinen  Geldarmut 
des  Landes  finden,  noch  deutlicher  machen.  Ich  kenne  üi  Mossämedes 
einen  wflrdigen  alten  Herrn,  einen  Elsasser,  der  vor  mehr  als 
20  Jahren  dahin  ausgewandert  ist.  Mit  I  nterstützung  der  Regierung, 
die  Zollfreiheit  auf  die  aus  Kngland  bezogenen  Baumwollengarne 
bewilligte,  richtete  er  vor  längerer  Zeit  eine  mechanische  Weberei 
ein,  in  der  er  bunte  Kappen  und  Decken  für  die  Neger  anfertigt. 
Da  der  Zoll  auf  derartige  aus  Kuropa  eingeführte  fertige  Sachen 
ein  sehr  hoher  ist,  gewährt  ihm  die  Differenz  der  Preise  der  von 
ihm  hergestellten  und  von  Europa  eingeführten,  durch  den  Zoll  sehr 
verteuerten  Waren  die  Mittel  zur  FAistenz.  £r  hat  in  seiner  Fabrik 
natürlich  eine  ganze  Reihe  Sklaven,  hauptsächlich  weiblichen 
Geschlechtes,  die  er  und  seine  Frau  mit  ungemeiner  Mflhe  zu  der  An- 
fertigung dieser  Webereien  angelernt  haben.  Man  vergegenwärtige  sich 


—  47  — 


Biir,  welch'  enonne  Geduld  dazu  gehdrmi  mufe,  solch  ein  widerhaariges 
wildes  MeiuchenkiDd,  das  vielleicht  noch  vor  wenigen  Monaten  viele 
Meilen  im  Innern  von  Afrika  ein  trftges,  faules  Lehen  führte,  und 
nun  vor  eine  moderne  eiserne  Strick-  und  Wehmaschine  gestellt 
wird,  m  einer  solchen  ^'änzlidi  fremden  Arheit  ahzurichten !  Natür- 
lich ktinn  der  Ai'heitgeber  nur  bestehen,  wenn  ihm  seine  Arbeiter 
tAjzlich  ein  ^^ewisses  Pensum  von  Arbeit  fertigstellen;  in  unserem 
r,ilie  also  etwa  ein  Gros  der  ungemein  billigen  bunten  Kappen  oiler 
ein  halbes  Dutzend  Decken.  Bei  uns  wirft  man  einen  fanlen  Ar- 
beiter hinaus,  wo  er  dann  dem  Elend  und  der  N()t  ausgesetzt  ist, 
einen  solchen  Sklaven  aber  wegen  P'aulheit  hinauswerfen,  würde 
nicht  nur  heifsen,  den  dafür  bezahlten  Kaufpreis  verlieren,  sondern 
ihm  seinen  Willen  thon  und  ihn  dem  ersehnten  Faulenzen  zurück- 
geben ;  denn  der  ärmste  der  Neger  in  Afrika  ist  ja  in  der  Regel 
materiell  tausendmal  glOcklicher  daran  als  liljllionen  und  Aher- 
millionen  unserer  Arbeiter  in  Europa.  Er  braucht  nicht  f Qr.  Kleidung 
und  Mietzins  zu  arbeiten,  ebensowenig  fOr  Heizung  und  Staats- 
Stenern,  das  Wenige,  was  er  zu  seinem  Lebensunterhalt  braucht, 
wächst  ihm  ziemlich  überall  von  selbst  oder  mit  ganz  geringer  Ar- 
beit, die  er  noch  dazu  meist  den  Frauen  überlaist,  in  den  Mund, 
wobei  man  dann  allerdings  als  Kehrseite  des  Bildes  nicht  vergessen 
darf,  dafs  liei  Mifswachs  und  Ausbleiben  von  Regen  Hunderte  und 
Taufende  einlach  verhungern.  So  fiel  es  also  auch  den  bei  unsrem 
Klsässer  beschäftigten  Sklaven  eines  schönen  Tages  ein,  nur  die 
Hälfte  ihres  täglichen  Pensums  fertig  zu  stellen,  eine  Quantität  von 
Arbeit,  die  nicht  einmal  zur  Unterhaltung  der  zahlreichen  Arbeiter 
und  der  Amorti^ening  der  Maschinenkosten  ausreichte.  Körperliche 
Zikcbtigung  der  Sklaven  ist  verboten;  in,  diesem  Falle  aber  ge- 
stattete der  einsichtsvolle  Gouverneur  eine  Ausnahme  und  mit  Hülfe 
dieses  sehr  einfachen  und  wenig  kostspieligen  Mittels  ward  nach 
wenigen  Tagen,  als  ob  nichts  vorgefallen  sei,  das  frühere  Pensum 
wieder  abgearbeitet.  Ein  anderes  Mal  waren  Diebstähle  und  Unteu- 
schhigungen  von  Waren  entdeckt  wonlcu,  in  die  so  ziemlich 
das  gesamte  Personal  der  Fabrik  verwicki^lt  war.  Der  Gouverneur 
wollte  die  ganze  ( io.sellschaft  ins  Gefängnis  stecken  lassen,  aber  der 
Fabrikbesitzer  bat  mit  Ilecht,  dann  auch  nur  gleich  ihn  und  seine 
gesamte  Familie  mit  einzus))erren,  da  ihm  ja  mit  der  Einschliefsuug 
seiner  Arbeiter  die  Möglichkeit,  sich  und  seine  Familie  ernähren  zu 
kftnnen,  benommen  sei.  Dies  leuchtete  denn  auch  den  Behörden 
em  und  die  GeflUignisstrafe  wurde  wiederum  ausnahmsweise  in  einen 
empfindlichen  körperlichen  Beweis  da^r,  dais  Diebstahl  ein  straf- 
bares Verbrechen  ist,  umgewandelt.  Man  hat  gut  auf  eine  äugen- 


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—  48 


blickliche  gftDzliehe  Abschaffung  des  Sklavenwesens  iu  Angola  zu 
dringen,  durch  dieselbe  würden  die  Anfänge  einer  sich  entwickelnden 
einheimischen  Industrie  sowie  zahlreiche  Plantagen  tSttich  getroffen 
und  die  ganze  Kolonie  vollständig  ruiniert  werden. 

Man  darf  eben  nicht  vergessen,  dafs  dieselbe  zu  arm  ist,  um  teure 
Arbeitskräfte,  etwa  (•hiuesen  oder  Krooiieger  einzuführen;  im  ganzen 
ist  man  iu  clor  Kolonie  von  der  Unhaltbarkuit  des  Sklavenwesens 
auch  in  .seiner  jetzigen,  ungemein  milden  Form,  durchaus  selbst 
überzeugt,  ja*  man  wünscht  das  giinzliche  Aiifliören  desselben 
herbei,  wenn  man  nur  Mittel  und  ^Vege  wüfste,  billige  freie  Arbeit^^- 
kräfte  in  das  Land  zu  ziehen,  da  mit  der  freien  einheimischen 
Bevölkerung  sich  absolut  nichts  erreichen  läfst. 

Einem  wahren  Kenner  afrikanischer  Verhältnisse  wird  es  nie 
einfallen,  sich  aber  derartige  mehr  oder  weniger  erzwungene  Arbeit 
besonders  aufzoregen.  Die  thatsächlichen  Verhältnisse  in  Afrika 
sind  eben  ein  wenig  anders  als  unsere  Stubenphilantropen,  die  Aber 
die  Not  und  das  Elend  von  Millionen  ihrer  weiCsen  Mitmenschen 
gewöhnlich  hinwegsehen,  sich  in  ihrer  durch  grtlBdUch  fiilsche  Vor- 
stellungen berOckten  Phantasie  gemeinlieh  vorstellen. 

Doch  nun  zuriu  k  iiaeli  IJiballa.  Von  diesem  Punkt  führt  die 
soeben  von  der  Regierung  fertiggestellte  Fahrstrafse  nach  Huila  iu 
weitem  Bogen  nach  Norden,  längs  des  Fufses  des  C'hellagebirges, 
um  dasselbe  heruuK  bis  zu  einem  Punkte,  wo  es  möglich  war, 
allerdings  mit  sehr  starken  Steigungen,  den  Weg  auf  das  Berg- 
plateau zu  führen;  man  braucht  zur  /urücklegung  dieser  Strecke 
von  Bibalia  bis  Huila  noch  6 — 7  Tage ;  dabei  ist  der  Weg  ungemein 
schwierig  und  die  Wagen  stürzen  nicht  selten  um  und  zerschmettern. 
Wir  zogen  daher  vor,  da  ohnehin  unser  Wagen  in  einigen  Wochen 
wieder  zur  Kflste  zurückkehren  sollte,  denselben  in  Bibalia  zu  lassen, 
die  Ladung  desselben  durch  einheimische  Tr&ger  auf  dem  steilen 
Fulsp&de,  der  von  Bibalia  direkt  nach  Uumpatah  ftthrt,  zu  befördern 
und  selbst  auf  diesem  Wege  unser  Ziel  zu  erreichett.  Wie  eine 
senkrechte  Mauer  steht  hier  das  Chellagebirge  vor  uns,  der  lot- 
rechte Abfall  ist  mindestens  12(X)  m  hoch,  an  diesen  schliefsen  sich 
noch  3 — 40U  m  hohe  Schutthalden  und  Vorber^e,  ilie  mit  tropischer 
Vegetation  besetzt  sind.  Sechsstündiges  Steigen  bringt  uns  auf  die 
Höhe,  man  folgt  auf  stellenweise  ungemein  beschwerlichem  Pfa  le  im 
/iekzack  einem  sich  rasch  verengenden  Thale,  iu  dem  ein  kleiner 
Bach  in  Kaskaden  herabstürzt.  Die  Schwüle  des  tropischen  Bibalia 
venuindert  sich  bald,  die  Luft  wird  wesentlich  kiihler  und  frischer, 
die  Vegetation  nimmt  einen  ( iiarakter  an,  der  den  gem&Tsigten 
Klünaten  entspricht,  oben  auf  der  Höhe  angekommen,  verschwindet 


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49 


auch  der  Wald  und  wir  betreten  eine  kahle,  mit  niedrigen 
uach  SO.  streichenden  Höhenzügen  besetzte  Hochebene,  die  nach 

SO.  langsam  sich  abdacht  und  mit  niedrigem  Grase  bedeckt  ist. 
Zwibcheu  deu  Höhenzügen  lieLreu  die  Quellbiulie  des  Cocakivar,  des 
prßfsteii  Nebentius>t's  des  Cuneiie,  in  .suniptigenj,  moorigen  Grunde. 
l>ie  Szenerie  erinnerte  mich  lebliaft  au  die  Hochmoore  des  Habichts- 
Waides  bei  Kassel  oder  der  JKhöu. 

2.  flupatah  und  der  Zog  der  Boers  ans  Transvaal  dahin. 

Litge  von  Humpatali.  Uaunbau  und  Bewilsseriing.  Auszug  der  Trekboers  aus 
Traiüivanl  1874.  Ankunft  am  Limpopo.  Zug  durch  die  Wüste  bi»  Qbanse  und  nacli 
Ei«ttuQtain.  Botschaft  nacli  Gnbabies.  Weiterer  Nachschub  aus  Transvaal  1975. 
A^tüm  in  der  WUate.  In  Meer  und  Sibbitons  Drift.  Hülfe  von  Kietfontain.  Neue 
Vtrln-'tf  ^<>^l  Meiiselieii  und  Vieli  in  I>ebra.  Die  Tsetse-Flief^|■.  Hiwon-Pnii  lilick- 
kebr  einet>  Teiiä  uach  Transvaal.  Nach  den  Ktosa  SaUpfanueu.  Das  Koakoveldt. 
Qiftise  i^eUen.  HUIfe  ron  der  Kapkolonie  ria  Walflseh-Bai.  Ansiedlniig  auf  porttH 
giesisclieni  Gebiet  am  Cunene.  Ungiin.stii?e  Aussichten  für  «11«  RotM-Kolonie:  konti- 
ii*-nri«lH  Lage,  l'nergiebi^keit  des«  Bodens,  keine  l'ferdezueht  möglich,  Schwierigkeiten 
des  'i'ran.sports  »um  Halen,  geringe  Jagd.  Dur  alte  HolKtuyze.  Die  AuHödung  der 
K^onie  vielleieht  bevorstehend.  Das  alte  Testament  das  einzige  Buch  der  Boerx. 
Honderbare  Sitten.  If (»ihercii  ti  mit  «Irn  Kingi-boremMt.  Vorteilhafte  Charaktet/.iige  der 
Boera.  Körperbe&ckatleuheit.  Schule  und  Uottcädieuiit.  OrtsbehÖrdo.  Portugiesische 
:So1d»ten.  Diebstähle.  Die  Eingeborenen.  Maläfelder  nnd  Viehherden.  HaiUi.  Die 
Station  der  frans3ai«dien  MbsionagesellBehaft  des  Saerö  Coenr.  Frtthere  deuteche 
Kolonie  in  liuila. 

Nach  dreistündiger  Fahrt  auf  dein  Ochsenwagen,  der  uns  oben 
auf  der  Pafshöhe  erwartet  und  abgeholt  hatte,  gelangen  wir  endlich 
nach  Humpatah,  der  neuen  Boer-Kolonie.  Der  Ort  liegt  auf  einer 
wetten,  nach  SO.  sich  abdachenden  Ebene,  einige  regelmftfeige, 
breite,  sich  meist  senkrecht  durchschneidende  Stralsen,  natflrlieh  ohne 
Pflaster  nnd  mit  Gras  bedeckt,  sind  angelegt,  an  denen  die  ganz 
wie  iü  Transvaal  einzeln  stehenden  Häuser,  umgeben  von  grofsen 
Feiderfladien,  liegen.  In  jeder  Strafse  Hielst  ein  kleiner  Bach 
mit  krvstallklarem  Wasser,  das  von  den  Roers  in  einem  4  niiles 
hiii^^en  Kanal  hergeleitet  ist.  Die  llüuser  sind  niedrig,  die  Mauern 
aus  dicken  ungebrannten  Backsteinen  aufgefOhrt  und  mit  Stroh  gedeckt; 
das  Innere  ist  in  mehrere  Stuben  geteilt,  deren  Wände  mit  an  Ort 
und  Stelle  gefundenem  iSüIswasserkalk  und  Eisenoker  weil's  und  unten 
bis  zu  einer  gewissen  Höbe  gelb  getüncht  sind.  Der  Fufsboden 
besteht  aus  einer  aufserordentlich  hart  werdenden  Lage  mit  Lehm 
zQsammengekncteten  KuhdQngers.  Die  kleinen  niedrigen  Fenster 
sind  mit  einem  Stack  weifeen  Baumwollenzeug  anstatt  der  Glas- 
scheiben geschlossen. 

Da  während  der  Monate  Mai  bis  November  kein  Regen  fallt, 
sind  die  Boers  gezwungen,  zu  kflnstlicher  Bewässerung  der  Felder 
ihre  Zuflucht  zu  nehmen,  zu  weichem  Zwecke  die  die  Strafsen  durch- 
zicUendeu  Bai  lic  bei  Bt'(türi*nis  in  die  i'elder  abgeleitet  werden. 

ii«o|^.  lilätt«r.   Bremen,  IBOi.  4 


—  so- 
wie nim  aber  diese  Boen  anf  ihrer  weiten  Wanderung  aus 
dem  Transvaal  bis  in  diese  Gegend  gekommen  sind,  daraber  will  ich 
hier  teils  auf  Gmnd  der  Mitteilungen  eines  weiter  unten  noch  näher 

zu  erwähnenden  englisdien  Hilndlers  Namens  William  Jonlau,  teils 
gestützt  anf  mündliche  au  Ort  uud  Stelle  erhaltene  Auskunft 
näheren  Bericht  ^'eben. 

Unter  den  Boers  im  Transvaal  hat  es  von  jelier  Leute  gegeben, 
die  jeder  Unterordnung  unter  Vorseliriften  und  Gesetze,  jeder  irgend- 
wie gearteten  Einschränkung  ihrer  individuellen  Freiheit  durch  die 
notwendige  Rücksichtnahme  auf  andere,  wie  sie  unausbleiblich  bei 
engerem  Zusammenwohnen  von  selbst  eintreten  mufs,  abhold,  es  vor- 
zogen, lieber  alle  Entbehrungen  eines  Wander-,  Kolonisten-  und 
Jagdlebens  in  den  Einöden  SfldafHkas  zu  ertragen,  als  sich  im  Hei- 
matland unwillkommenen  Beschränkungen  zu  unterwerfen.  Solche 
Leute  waren  es,  welche  nach  lange  vorher  schon  gepflogenen 
Beratungen  Anfang  1874  sieh  entschlossen,  zu  „treken'*  (zu  ziehen), 
und  zwar  in  einer  nordwestlichen  Richtung,  in  welcher  sie  nach  ihrer 
Annahme  ein  passendes,  für  ihre  Wünstlie  besser  geignetes  Land 
finden  würden.  Sie  verliefsen  ihre  im  südlichen  Transvaal  gelegenen 
bisherigen  Wolniplätze  am  27.  Mai  1874  und  verweilten  längere  Zeit 
in  der  Umgegend  von  Rustenburg:  es  waren  die  Familien  Alberts, 
Olhuisen  senior  und  junior.  Im  Februar  und  Marz  1875  kamen  noch 
zehn  Familien  Jiinzu;  man  zog  nur  langsam  vorwärts  uud  erroichte 
Ende  April  den  Limpopo,  nicht  ohne  unterwegs  schon  durch  Durst 
gelitten  und  wertvolle  gesalzene  Pferde  durdi  Löwen  verloren  zu 
haben.  Am  Limpopo  fand  man  ausgezeichnete  Jagdgebiete,  besonders 
Rhinozeros,  Bflffsl,  Gira£fen  und  FluÜBpferde;  obgleich  nun  auch  die 
Gegend  sehr  sch6n  und  malerisch  war,  so  bot  sich  doch  kein  passendes 
Gebiet  fOr  Viehzucht  Nach  Auswechslung  von  Geschenken  und 
Verhandlungen  mit  dem  sehr  reichen  und  mächtigen  Betschuanen- 
fürsten  Khama  von  Bamangwato  gestattete  dieser  nicht  nur  den 
Durchzug  (birch  sein  Gebiet,  sondern  er  erlaubte  den  Huers  aucii 
einen  Aufenthalt  in  demselben,  um  sich  und  ihr  Vieh  auszuruhen. 
Von  hier  aus  zog  es  eine  Familie  vor,  mit  vier  Wagen  wieder  nach 
dem  Transvaal  zurückzukehren.  Die  übrigen  mufsten  nun  die  Kala- 
hari  durchschreiten.  Sie  erreichten  einen  Tlatz  Matotse,  von  wo  sie 
drei  Tage  nordwärts  marschieren  mulj^ten,  ehe  sie  für  ihr  Vieh 
Wasser  finden  koimtcii.  Von  hier  zogen  sie  vier  Tage  mit  ihrem 
losen  Rindvieh,  das  sich  auf  1400  U&upter  belief,  nach  Westen  durch 
die  Waste,  ohne  einen  Tropfen  Wasser  zu  finden,  und  litten  natür** 
lieh  sehr.  Ihr  Ziel  war  ein  Platz,  Meer  genannt,  der  am  Okavango 
liegt.  Endlich  rochen  die  Tiere  das  Wasser  aus  der  Ferne  uud 


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—   51  — 

stürzten  in  wfitendero  Lanf  nach  dem  Flusse  los,  so  dafo  eine  grotse 
ZaM  in  den  sumpfigen  Ufern  stecken  blieb  und  von  den  nach- 
drangenden Scharen  erdrückt  wurde. 

Nach  einigen  Tagen  Siichens  wurden  die  zerstreuten  Tiere 
wieder  zusammengebracht,  aucli  diejenigen,  wehhc  von  den  um- 
wohnenden Betschuanen  wejjgefangen  waren,  diesen  wieder  abge- 
iioiinnen,  eine  Anzahl  mit  grofser  Mühe  aus  den  Sümpfen,  in  denen 
sie  stecken  geblieben  waren,  herausgeholt;  darauf  ging  die  Reise 
weiter  nach  dem  N:iami-See,  der  Ende  Juni  erreicht  wurde.  Hier 
wurde  ein  Danksagungstag  für  die  irlückliche  Errettung  aus  den 
Gefahren  der  Wüste  abj^ehalten.  Der  Betschuanen-Iläuptling  Morey  ni 
erhob  nun  aber  Sclnvieri-^keiten,  sie  durch  sein  Gebiet  ziehen  zu 
lassen  und  es  droliteu  sdion  kriegerische  Verwicklungen,  bis  es  dem 
Herrn  Alherts  'jelang.  den  Häuptling  von  den  friedlichen  Absichten 
der  Boers  zu  überzeugen,  so  dafs  der  Trek  ohne  tStörung  fortgesetzt 
werden  konnte.  Sie  wandten  sich  nun  südwestwiirts  und  erreichten 
einen  Platz  namens  Ghanse,  den  mit  Bewilligung  des  Häuptlings 
Moreyni  ein  Boer  namens  Van  Zyl  schon  früher  in  Besitz  genommen 
hatte  und  über  welche  Gegend  er  ein  Monopol  ausübte,  indem  er 
diesen  wichtigen  Platz,  der  auf  der  Koute  von  Damaralaud  nach 
dem  Nganii-See  liegt,  gegen  vorbeikommende  Handler  und  auf  Jagd 
ausziehende  Boers  abzuscbliefsen  suchte  nnd  so  in  der  wasserarmen 
Gegehd  diesen  Leuten  grofse  Belästigungen  und  Viehverluste  ver- 
ursachte. Dieser  ttbermfitige  Wfistenpatriarch  ist  später,  vor  einigen 
Jahren,  auf  der  Jagd  aus  Rache  von  einem  Betschnanen,  den  er 
mifshandelt  hatte,  erschossen  worden. 

Am  6.  Januar  1876  verliefsen  sie  Ghanse  und  erreichten  ohne 
Verluste,  aber  unter  grofsen  Leiden  in  Folge  Wassermangels  ehien 
Ort,  Rietfontain,  wo  es  ihnen  gefiel  und  wo  sie  daher  einige 
Zeit  zu  bleiben  beschlossen.  Sie  sandten  deshalb  von  hier  eine 
Deputation  nach  Gobabies  inmitten  der  KalahariwOste,  um  mit 
dem  Hottentottenchef  Andries  Lambert  Aber  die  Erlaubnis  zu 
einer  zeitweiligen  Niederlas.sung  in  Rietfontain  zu  verhandeln.  Andries 
Lambert  gab  seine  Zustimmung  zum  zeitweiligen  Bewohnen  dieser 
iliiii  gehörigen  i,|ucllengegend  und  so  blieb  denn  diese  Abteilung  der 
Trekboer>  an  dieser  Stelle  bis  Anfang  des  Jahres  1878.  Diese  Zeit 
benutzten  sie,  um  durch  einzelne  Trupps  das  Land  nach  Nortlen, 
nach  dem  Okavango  zu,  erforschen  zu  lassen.  Die  zurückgebrachten 
Berichte  lauteten  aber  alle  ungünstig,  das  Land  wurde  wasserlos 
und  sehr  uniresund  gefunden. 

Mittlerweile  waren  nun  durch  die  politischen  Vorgänge  im 
Transvaal,  durch  die  Invasion  von  Seiten  der  KngliUider  und  die 

4* 


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—   52  — 


zeitweise  Annexion  des  Landes,  Udch  eine  weit  grössere  Zalil  der 
Boers,  von  unüberwindlicher  Abnei^un^  ge^^en  England  getrieben, 
veraolafst  worden,  ebeufallä  zum  Wanderstab  zu  greifen  und  den 
Spuren  des  ersten  Zuges  zu  folgen.  Am  29.  April  1875  setzten' sich 
die  ersten  14  Wagen  dieses  Zuges  in  Bewegung,  am  15.  Mai  schlössen 
sich  ihnen  weitere  83  und  so  fort  an,  so  dafs  bis  zom  August  ins- 
gesammt  128  Wagen  mit  1958  Zugochsen  und  480  Menschen  an  den 
Ufern  des  Limpopo  beisammen  waren.  Mau  sah  ein,  dafs  ohne 
Führer  und  bestimmte  Gesetze  eine  solche  Menschenmenge  nicht  in 
Ordnung  zu  halten  war  und  so  wurden  denn  Regulative  für  die 
Dauer  des  Treks  festgesetzt,  die  auf  alle  Vorkommnisse  des  gew(>bu- 
licben  Lebens,  aul'  Bestrafung  von  Verbrechen,  auf  KIu  m  lilielsiuuen, 
auf  Vej'lialten  zu  den  Kingeborenen  u.  A.  Hezug  hatten.  Zum 
Koniuiandanten  des  Zuges  wurde  ein  Herr  Kreling.  zum  Feldkornet, 
eine  Art  liichter,  ein  Herr  Du  i'lessis,  gewaldt.  Zwei  Jahre  vei'loren 
sie  hier  an  den  Ufern  des  Limpopo,  wahrend  welcher  Zeit  zahlreiche 
Todesfälle  an  Fieber  vorkamen  und  viel  Vieh  durch  Löwen  und 
Diebstähle  von  Seiten  der  Fiugeborenen  eingebüfst  wurde.  Der 
Betschuanenchef  Khama  von  Baniangwato,  der  zuerst  seine  Erlaubnis 
gegeben  hatte,  sein  Land  zu  durchziehen,  zog  dieselbe  später,  als 
man  um  Führer  durch  die  Kalahari  bat,  wieder  zurück,  indem  er 
antwortete,  dafs  sie  nach  seiner  Ansicht  bei  dem  Versuch,  die  Wüste 
mit  solch  einer  Menge  von  Menschen  und  Vieh  zu  durchziehen, 
sicher  alle  sterheu  würden  und  er  für  eine  solche  Katastrophe  nicht 
verantwortlich  sein  wolle.  Auch  die  Missionare  Rev.  Hebbes  und 
Cacbel,  welche  die  IJoers  hier  von  Zeit  zu  Zeit  besuchten,  um 
Gottesdienst  zu  halten  und  1  aulen  und  l'heschliel'sungen  vorznnelnnen, 
suchten,  indes  verue1)lieh.  die  Doers  von  ihrem  Vorhaben,  das  Dnrst- 
feld  zu  durchziehen,  abzubringen.  Der  Zug  bewegte  sich  nordwärts 
bis  zur  Mündung  des  Motlotse  in  den  Limpopo.  Von  hier  beschlo.ssen 
sie  ihr  s&mtliches  loses  Vieh  durch  die  Wüste  nach  dem  Ngami-See 
vorauszuschicken.  Sie  hatten  nach  einer  Zahlung  zu  diesem  Zeit- 
punkt 7536  Ochsen  und  Kühe,  483  Pferde,  1034  Schafe  und  Böcke, 
32  Esel,  213  Hunde,  486  Hühner,  G&nse  und  Enten.  Sie  teilten 
sich  nun  in  3  Haufen  und  es  wurde  ausgemacht,  dafs  eine  Partie 
nach  der  andern  in  Zwischenräumen  von  3  Tagen  den  Zug  durch 
die  Wüste  antreten  solle.  Zur  grdfsten  Enttäuschung  fand  man  die 
erste  Quelle  an  einem  Orte  Namens  Inkavan,  •  nach  dreitägigem 
Marsche,  vertrocknet.  Das  Vieh  war  jetzt  3  Tage  und  Nächte  ohne 
einen  Tropfen  Wasser  gewe.^en  und  man  verlor  jede  Herrschaft  über 
dasselbe.  Das  Gebrüll  der  Ochsen  und  die  verschiedenen  Stinnneii 
uuderer  Haustiere  sollen  nach  den  Bericbteu  geradezu  erschreoklieh 


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—    53  — 


•;<'wt'MMi  spiii.  Dir  Zugochsen  veniiischtcn  sicli  mit  dem  übrigen 
Ilornvioli  und  alle  Tiere  zor-t reuten  bicli  ii;u  )i  Wasser  su(  lieiid,  über 
die  iianzo  (leLTiMnl,  Nur  320  w  irden  augenblirklich  wieder  einucfangen, 
spater  nnch  HIN)  wieder  erlangt,  die  in  die  Hände  von  Kuropäern 
gefallen  waren.  Vom  Rest  hat  man  nie  wieder  etwas  trehört.  Bei 
einem  Versiuhe,  die  Quellen  zu  vertiefen,  erlanu'te  man  nur  so  viel 
Wasser,  dafs  jedem  4  KlslötVel  voll  gegeben  werden  konnten. 

l'm  das  Unglück  voll  zu  machen,  trafen  nun  durch  ein  Mifs- 
verstAntlnis  auch  die  zwei  übrigen  zurückgebliebenen  Partien  ein, 
welche  schoa  unterwegs  viel  auszuhalteu  gehabt  hatten  und  welche, 
um  die  Wagen  iii  dem  tiefen  Sande  zu  erleichtern,  genötigt  gewesen 
waren,  Hausgeräte,  allerlei  Güter  und  selbst  Provisionen  fortzuwerfen. 

Nach  einigen  Stunden  Rast  wurde  die  Reise  fortgesetzt  und 
so  zog  man  denn  abermals  drei  Tage  und  drei  Nächte,  ohne  Wasser 
zu  finden,  weiter.  Man  war  genötigt  das  warme  Blut  eines  jeden 
gefallenen  Tieres  zu  trinken,  dessen  man  habhaft  werden  konnte, 
selbst  der  feuchte  Inhalt  des  Magens  wurde  efslolfelvoll  verteilt 
nnd  gab  Anlafs  zu  Streit  Keine  Feder  ist  im  Stande  die  schreck- 
lichen Szenen  zu  beschreiben,  die  sich  während  dieser  Zeit  abspielten. 
Das  Gebrttll  der  verschmachtenden  Tiere  zn  hören  war  entsetzlich. 
Trotz  aller  dieser  Schreckensszenen  liefeen  die  Boers  den  Mnt  nicht 
sinken  und  blieben  entschlossen,  alle  Hindernisse  zu  fiberwinden.  Der 
gröfote  Teil  der  Männer  zog  zn  Fufs  nach  Klackani,  beladen  mit 
allen  Arten  von  Utensil»n  zum  Wassertragen.  Man  fand  an  dieser 
Stelle  auch  wirklich  Wasser  und  kehrte  alsbald  mit  Wasservorraten 
zu  den  Wagen  zurück,  wo  Frauen  und  Kinder  halbverdurstet  die 
Kückkehrendeu  mit  gröfster  Freude  emptingen.  Nacli  einem  öffent- 
lichen Dankgebet  zu  dem  Allmächtigen  brachte  man  mit  vieler 
Mühe  und  Ausdauer  die  Waiden  nach  Klackani,  doch  starben  dabei 
gai'  manche  Ochsen  im  Joche. 

Das  lose  N'ieli  wurde  nun  von  hier  mit  zwei  Och^enwagen,  die 
Wa.sser  entgegenbringen  sollten,  voraus  nach  Meer  geschickt.  Die 
Tiere  waren  TVa  Tage  ohne  einen  Tropfen  Wasser  und  150  von 
ihnen  starben  zwi-chen  diesen  beiden  Punkten.  Ein  Teil  der  in 
Klackani  zurückgeVdiebenen  Frauen  und  Kinder  machte  sich,  von 
Durst  getrieben,  auf  die  Suche  nach  Wasser  und  geriet  in  der 
Dunkelheit  in  einen  von  einer  nahezu  ausgetrockneten  Wasserpfanne 
gebildeten  Sumpf.  So  grofs  war  ihr  Durst,  dafs  sie,  nur  um  die 
Qual  einigermafsen  zu  stillen,  gierig  den  Schlamm  in  den  Mund 
führten. 

Nach  2Vämonatlicher  schwerer  Arbeit  hatten  sie  endlich  ihre 
Wagen  mit  Ausnahme  von  acht  durch  das  Durstfeld  gebracht,  diese 


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mufsten  sie  zurOcklassen.  Die  Güter,  welche  zur  £rleichteniiig  der 
Wagen  in  der  Wflste  zurückgelassen  worden  waren,  waren  zum 
gröfoten  Teil  von  den  Eingeborenen  gestohlen  und  erlangte  man  nur 
sehr  wenige  wieder.  Ein  kleiner  Teil  des  zerstreuten  Viehes,  etwa 
1000  Stttek,  wurde  in  Bamani<:wato  und  an  den  Grenzen  Ton  Trans- 
vaal aufgefangen  und  durch  zurückgesandte  Leute  wieder  eingebracht. 

Von  Meer  zogen  die  Boers  nun  längs  des  Okavango-  und 
N'gami-Sees  bis  zu  einem  Punkt  namens  Sibbitoiis  Drift.  Eine 
hier  abgehaltene  Zahhmg  ergab,  dafs  bis  dahin  unterwegs  37  Leute 
am  Fieber  und  Durst  gestorben  waren.  Von  hier  aus  sandten  sie 
Briefe  an  die  in  Kietfontain  wohnhafte  Partie  der  Boers,  welche 
schon  1874  ihren  Zug  begonnen  hatten  und  baten  um  Hülfe  durch 
Zusendung  von  Zugochsen.  Diese  sandten  alsbald  183  Stück,  rieten 
aher  entschieden  von  einem  Zug  längs  der  Ufer  des  Okavango  ab. 
Halsstarrig  aber  wie  nun  einmal  die  Boers  sind,  hörten  sie  nicht 
auf  diesen  guten  Rat,  sondern  zogen  in  der  einmal  eingeschlagenen 
Richtung  weiter.  Die  Periode  der  Leiden  und  des  Unglücks  setzte 
sich  in  Folge  dessen  für  diese  Abteilung  weiter  fort,  man  zog 
zweck-  und  sinnlos  umher  und  teilte  sich  am  Ende  in  verschiedene 
kleinere  Abteilungen,  deren  Leidensgeschichten  ich  hier  iu  ihren 
Einzelheiten  nicht  weiter  vci-folgen  kann. 

Die  erste  Abteilung,  welche  nun  inzwischen  (Anfanu:  1S7S) 
Kietfontain  vorlassen  hatte,  war  weiter  nach  NW.  uezouen  uiul 
lag  längere  Zeit  an  einem  Ort  Namens  Debra.  Iiier  traten  sie 
auf  einen  Teil  der  zweiten  Abteilung,  der  sich  iui  gröfsten  Elend 
befand.  Manner,  Frauen  und  Kinder  waren  am  Fieber  erkrankt, 
das  Vieh  lag  haufenweise  tot  umher  und  da  die  M&nner  zu  schwach 
waren,  um  auf  Jagd  zu  gehen,  mufete  man  sich  von  dem  verfaulten 
Fleische  der  gefallenen  Tiere  nähren.  Sie  waren  unter  vielen 
Verlusten  an  Menschen  durch  Fieber  und  an  Vieh  durch  die  Tsetse- 
fliege erst  Iftngs  des  Okavango  und  nordwestwftrts  gezogen,  hatten 
sich  dann  von  dem  Rest  getrennt  und  waren  Aber  die  New  Years 
Pan,  Rooiboklaagte.  Vogelspan  nach  D e b r a  gehingt,  wo  sie 
sich  nach  längeren  Verhandlungen  im  Februar  1878  mit  dem  Zug 
von  Herrn  Alberts  vereinigten.  Von  ihnen  starben  allein  19  in 
Debra.  Von  hier  zogen  sie  langsam  n<)rdwest\värts  und  waren 
wiederholt  genötigt,  den  verschiedenen  kleinen  Taitieii.  die  sicli  von 
der  ursprünglich  zweiten  Abteilung  abgelöst  hatten,  und  die  längs 
des  Okavango  hin-  und  herzogen,  Hülfe  zu  bringen,  da  dieselbe  in 
diesen  höchst  ungesunden  Niederungen  nicht  nur  viele  Menschen- 
leben, sondern  durch  die  Tsetse  auch  einen  grolsen  Teil  ihrer  Zog- 
ochsen verloren,  so  dafs  sie  ohne  Hülfe  die  Wagen  nicht  von  der 


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Stelle  bringen  konnten.  Sic  waren  oft  jrenötigt  rohe  Wurzeln  zu 
essen,  da  ihnen  selbst  die  Kraft  ein  Feuer  anzuzünden  fehlte;  von 
einem  Zuge  starben  allein  43  Vrauen,  Kinder  und  Männer.  Im  Juli 
1878  wurde  an  einem  Orte,  Löwen  Pan  genannt,  ein  neuer  Chef 
in  Gestalt  des  erfahrenen  Jägers  liotlia  gewählt  und  kehrten  von 
hier  aus  18  Familien,  welche  an  einer  glücklicheu  Duixhführung  des 
Zuges  verzweifelten,  nach  dem  Transvaal  zurück.  Einige  Zeit  später 
entfernte  sich  der  ehemalige  Kommandant  Kreling  unter  dem  Yor- 
gebea  einen  Jagdzug  zu  machen,  ebenfalls  mit  vier  Familien,  kehrte 
aber  nie  wieder  zurück;  er  soll,  wie  man  sp&ter  gehört  hat,  sich  in 
Rietfontain  angesiedelt  haben. 

Nachdem  der  Weg  zuvor  durch  Kundschafter  erforscht  war, 
wendete  man  sich  zunftchst  wieder  mehr  dem  Okavango  zu  und  hatte 
durch  liegen  und  Sümpfe,  durch  Fieber  und  Feindseligkeit  der  Ein- 
geborenen, welche  mehrere  der  einzeln  auf  die  Jagd  gehenden  Roers 
in  grausamster  Weise  ermordeten,  und  dann  auch  wieder  durch 
Wasse  rmangel  vielen  Aufenthalt  und  Verluste  an  Menschen  und  Vieh. 
Später  .s^-hlug  man  wieder  eine  südwestliche  Route,  nach  dem  Damara- 
lande  ein,  und  kam  schliefslich  Anfang  1879  in  die  Nahe  der  Etosa- 
salzpC&nnen.  Von  hier  aus  ging  eine  Erforschungsexpedition  zuerst 
wieder  nordwestlich  nach  dem  Ovambolande ;  da  aber  das  Land  nicht 
gfinsiig  erschien,  wurde  ein  südwestlicher  Kurs  eingeschlagen  und  das 
ganze  Koakoveldt  im  Süden  des  Cunene  bis  zum  Meere  hin  erforscht. 
Der  zurftckgebrachte  Berich^  lautete  durchaus  nicht  günstig.  Das 
Land  wurde  gebirgig  und  steinig,  schlecht  mit  Wasser  versorgt  und 
die  wenigen  Quellen  vielfach  mit  giftigen  Substanzen  gemengt  gefunden. 
Man  beobachtete,  dal's  Vögel,  die  von  einer  Quelle  tranken,  nach 
wenigen  Flügelschlägen  tot  hinfielen.  Der  bekannte  Jäger  und 
Elfenbeinhändler  Erikson  verlor,  nebenbei  gesagt,  an  derselben  Stelle 
wenige  Zeit  später  auf  diese  Weise  19  wertvolle  Pferde.  Auf  dem 
Rückwege  hatte  diese  Erforschungsexpedition  wenige  Tage  südlich 
vom  Cunene  einen  Fleck  gefunden,  der  die  Möglichkeit  eines  längeren 
Aufenthaltes  bot  Hierhin  brach  nun  die  ganze  Expedition  auf  und 
war  £nde  Juni  an  diesem  Rastplätze  versammelt 

Mittlerwette  hatte  sich  durdi  herumziehende  J&ger  und  Händler 
die  Kunde  von  dem  namenlosen  Elend  und  dem  furchtbaren  Unglück, 
das  über  die  Trekboers  auf  ihrem  langjährigen  Zuge  hereingebrochen 
war,  in  der  Kapkolonie  und  dem  TVansvaal  verbreitet  und  man 
beeilte  sich,  ihnen  Hülfe  zu  schicken;  7(XX)  £  waren  im  Nu  gesammelt 
und  eine  Hülfsexpedition  unter  einem  Mr.  Hagbittie  brachte  von 
der  Kapstadt  via  Walfisch-Bai  eine  ^n'ofse  Sendung  von  Provisionen, 
Kleidern  und  Medizin,  die  gerade  uocli  rechtzeitig  kam,  um  die  Boers 


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vor  gänzlicher  Vernichtuni:  zti  schützen,  d(Miii  fast  alle  l.mcii  krank 
am  Fieber  und  Entbehrungen.  Zugleich  hatte  diese  Expedition  den 
geheimen  Auftrag,  die  Roers  zu  einer  Rückkehr  nnt  Schiff  nach  dem 
Transvaal  oder  zu  einer  Niederlassung  an  der  Südwestküste  im 
Bereiche  englischen  Eintiusses  zu  bewegen.  Glciclizeitig  liatte  aber 
auch  die  poitugiesische  Kegieruug  ein  Augenmerk  auf  die  Boei*s 
geworfen,  denn  man  war  sich  in  Mossamedes  nnd  Loanda  sehr  wohl 
bewufst,  dafs  die  Boers  ein  vortreffliches  Mittel  zur  Ausdehnung  der 
portugiesischen  Herrschaft  und  Niederwerfung  der  Eingeborenen 
abgeben  würden.  Man  stand  mit  ihnen  durch  die  Vermittlung  des 
bereits  oben  erwähnten  englischen  Händlers,  William  Jordan,  in 
Unterhandlung.  Ffir  eine  Niederlassung  im  Damara-  oder  Namaqua- 
lande,  die  ihnen  ihres  Hauptberufes  als  Viehzüchter  wegen  vielleicht 
noch  am  besten  gepafst  hätte,  waren  ihre  Kräfte  zu  sehr  geschwächt 
und  wäre  es  ihnen  unmöglich  gewesen,  sich  inniittou  oiiur  feind- 
lichen, mit  besten  Hinterladern  bewaftnetiMi  und  in  Schiefsfertigkeit 
ihnen  selbst  nicht  naclistehenden  Bcsulkciung  zu  halten.  Die 
Versprcchnngen  des  portugiesischen  Gouvornenients  in  Vcrhindnng 
mit  der  tiefeingewurzelten  Abneigung  gegen  die  Englnnder  liefsen 
endlich  die  Boers  nach  längeren  Verhandlungen  die  Anerbietungen 
Portugals  annehmen,  die  haui)tsächlich  auf  Gewährung  freien  Landes 
im  Betrage  von  1  Hektar  für  den  Kopf,  in  kostenfreier  Vermessung 
dieses  Landes  und  in  Gewfthrung  von  Steuerfreiheit  auf  10  Jahre 
bestanden.  ^ 

Im  Oktober  1880  traten  die  Boers  in  portugiesisches  Terrain 
bei  Humbe  auf  das  rechte  Ufer  des  Gunene  über  und  zwar  in  der 
Starke  von  57  Familien  mit  270  Seelen  nnd  50  mit  ihnen  ans  dem 
Transvaal  gekommenem  schwarzem  Gesinde.  Sie  hatten  61  Wagen 
mit  840  Zugochsen,  21G0  Häupter  Rindvieh,  120  Pferde  und  HOOO  Schafe 
nnd  Ziegen  nnd  siedelten  sich  an  der  bereits  beschriebenen  Hochebene 
von  Humpatah  etwa  5  Stunden  westnordwestlich  von  Huila  an. 

Die  Lage  der  Kolonie  ist  aber  durchaus  keine  glAnzende  und 
hat  den  auf  sie  gesetzten  Erwartungen  durchaus  nicht  entsprochen. 
Das  Klima  ist  zwar  gesund,  indem  etwa  bis  10  miles  westlich, 
20  miles  nordöstlich  nnd  120  miles  südlich  das  Fieber  nicht  vor- 
kommt, in  letzterer  Richtung  auf  dem  Wege  nach  Humbe  die  Gegend 
von  Gambos  ausgenommen,  allein  es  ist  sehr  kontinental,  heifse  Tage 
und  bitterkalte  Nächte,  in  denen  sich  im  Juli  und  August  nicht 
selten  Eis  auf  den  Wasserflächen  bildet;  auch  ist  der  Boden  durchaus 
nicht  reich  und  das  Gras  sehr  mager  und  schlecht ;  die  Boers  können 
daher  ihr  Rindvieh  nicht  in  der  Nahe  der  Niederlassung  halten, 
sondern  müssen  es  1 — 2  Tage  weit  zu  besseren  Weideplätzen  bringen; 


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sehr  viel  Vieh  ist  ihnen  nachträglich  gestorben,  so  dafs  jetzt  ein 
Besitztum  von  100  Häuptern  Vieh  schon  etwas  seltenes  ist.  Den 
Pferden  paist  das  Klima  ganz  und  gar  nicht  und  gerade  das  Pferd 
ist  das  Lebenselement  des  Boers.  In  der  ganzen  Kolonie  ist  kein 
Dutzend  brauchbarer  Pferde  mehr  zu  treffen.  Die  wenigen  noch 
bnuichbareii  Exemplare  werden  durch  Stallfütterunji  oder  auf  der 
Koppel,  wo  sie  auf  einem  boschrilukteu  llaume  ihnen  zutr;l*rliche 
Nahnini:  finden,  tauglich  und  am  Leben  erhalten.  In  Bezu^  auf  den 
Anhan  von  Mais  können  die  Boers  mit  den  viel  hilliger  produzierenden 
Kiimeborenen.  die  grosse  Maisfelder  haben,  nicht  konkurrieren  und 
(ier  Weg  nach  Mossamedes  ist  viel  zu  lang  und  beschwerlich,  um 
einen  Export  von  Ackerbauerzcngnissen  zu  ermöglichen.  Man  braucht 
zur  Hin-  ui^d  Herfahrt  mit  den  uötigeu  Hasttagen  mindestens  24  Tage, 
verliert  dabei  fast  regelm&fsig  einige,  wenn  nicht  gar  die  UäÜte 
oder  mehr  der  Zugochsen  und  riskiert  fortwährend,  den  Wagen  auf 
den  schlechten  Wegen  zu  zerschellen.  Da  mau  mit  einer  Fahrt  von 
oder  noch  Mossämedes  nur  25  £  verdient,  so  genügt  der  Verlust 
von  4  resp.  8  Ochsen  unterwep:s,  einen  jeden  Verdienst  abzuschneiden. 
Bei  meiner  Ileisc  nach  Humpatah  verloren  wir  unterwegs  im  Ganzen 
drei  Ochsen.  In  Mossamedes  ist  für  diese  Tiere  kein  oder  h<>chstens 
nur  für  sehr  viel  Geld  Futter  zu  finden,  so  dals  nuin  den  aus  dem 
Inneren  kommenden  Ochsen  keine  Ruhe  geben  kann,  was  sie  natürlich 
sehr  schwächt.  Die  Schwierigkeit  des  Transportes  schliefst  jeden 
nutzbringenden  Export  von  Feldfrüchteu  aus  der  Kolonie  von  Seiten 
der  Boers  aas. 

Ein  Zentner  Kartoffeln,  der  in  Plumpatah  sich  etwa  auf  7  Jk 
stellte,  kostete  20  Jk  Transport  nach  Mossamedes  1  Ein  nicht  geringer 
Teil  der  Boers  liebt  fiberhaupt  viel  zu  sehr  das  unstäte  Jagd-  und 
Wanderleben,  um  f&r  eine  solche,  dodi  wesentlich  Ackerbaukolonie, 
zu  passen.  Manche  der  Familien  haben  bis  Jetzt  noch  wenig  oder 
ffar  nichts  von  dem  ihnen  flberwiesenen  Lande  angebaut.  Einen 
^rossen  Teil  des  Jahres,  etwa  von  Oktober  bis  Mai,  sind  sie  über- 
haupt gleichsam  wie  auf  einer  Insel  eingeschlossen,  das  Tiefland  nach 
Mo>Siiinedes  ist  dann  so  ungesund,  dass  man  nur  höchst  ungern  in 
dif-pr  Jahreszeit  hinabtahrt,  zumal  aucii  dann  die  Ochsen  noch  weit 
kiuti'-^er  sterben.  .Mle  europäischen  .\rtikel,  deren  die  Boers  bedürfen. 
sin<l  wegen  der  grofseu  Zölle,  die  auf  ihnen  lasten,  nur  um  sehr 
hohe  Preise  zu  haben.  Der  Wildstand  rings  um  Humpatah  ist  in 
den  wenigen  Jahren  rasch  dezimiert  worden  und  liefert  nur  noch 
schwache  Ausbeute  für  die  Küche. 

Alle  diese  Umstftnde  wirken  zusammen,  um  die  Fortexistenz 
der  Kolonie  dnrehans  fraglich  erscheinen  zu  lassen,  und  in  der  That 


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diskutierte  man  bei  nieinom  Besuche  die  Frage  eines  abennaligeii 
Trekes  schon  sehr  lebhaft  Nur  wenige  waren  fest  entschlossen,  ihr 
einmal  gegrOndetes  Heim  nicht  mehr  zu  verlassen,  darunter  der  alte 
ehrwttrdige  Rudolph  Holstuyze,  der  eigentliche  Anstifter  der  ganzen 
Bewegung.  Von  einer  grofsen  Yiehschar  sind  ihm  nur  noch  60  Stflck 
geblieben,  sein  letztes  Pferd  hat  ihm  ein  L9we  noch  in  der  Nähe 
von  Hiunpatah  jjefresseii.  Dabei  füttert  aber  der  brave  Mann  aufser 
«einen  eigenen  no<  Ii  mehrere  fi  (  niile  Kinder  mit  durch,  deren  Eltern 
draufsen  in  den  Wüsteneien  dem  Fieber  und  den  Entbehrun^;en  er- 
legen sind.  Drei  Familien  standen  im  Bei^riff,  weiter  nach  Norden 
in  die  (iegend  von  Benguella  zu  wandern,  wo  sie  wohl  sieher  kfiiieii 
besseren  Platz,  sondern  wahrseheinlieh  den  Untergang  finden  werden. 
Ein  nicht  unbeträchtlicher  Teil  wünschte  sich  nach  dem  Transvaal 
zurück,  liat  aber  keine  Mittel  mehr,  nun  einen  abermaligen  Zuj: 
durch  die  Wüsteneien  Südafrikas  auszuhalten  und  könnte  deshalb 
nur  auf  dem  Seewege  seinen  Wunsch  verwirklichen ;  dazu  fehlen  aber 
die  Mittel  zur  Zeit  noch.  Wieder  andere  spekulieren  auf  den  Aus- 
gang des  noch  immer  fortdauernden  Krieges  zwischen  den  Damara 
und  Naniaqua,  um  sich  später  etwa  in  diesen  Gegenden  anzusiedeln. 
Jedenfalls  steht  eine  Entscheidung  über  diese  Dinge  in  baldiger  Aussicht. 

Die  Boers  sind  meistens  Kalvinisten ;  ihre  sämtlichen  recht- 
lichen nnd  moralischen  Anschauungen  und  Institutionen  gründen  sich 
auf  das  alte  Testament.  Da  sie  auch  versclimahen,  irgend  ein  anderes 
Buch  als  die  Bibel  zu  lesen,  so  läfst  es  sich  leicht  denken,  dafs  sie 
auf  einer  selir  niedrigen  Stufe  der  geistigen  Entwicklung  stehen. 
Hauptsächlich  ihrer  gänzlichen  geographischen  Unkenntnis  und  dem 
Mangel  eines  umsichtigen  Führers  ist  es  zuzuschreiben,  dafs  sie  zu 
dem  Wege  vom  Transvaal  nach  der  Provinz  Mossämedes,  den  man 
gemJlchlich  in  ehiem  Jahre  zurücklegen  kann,  so  lange  Zeit  brauchten. 
Trugen  doch  viele  am  Ende  ihrer  Wanderfahrt  kdnen  Zweifel,  dafs 
sie  wohl  nun  bald  bei  Jerusalem  anUingeii  müfsten!  In  manchen 
Dingen  sind  sie  von  einer  wahrhaft  unglaublichen  Dreistigkeit  Gar 
mancher  von  ihnen  wird  ohne  weiteres  bei  einem  Farmer,  in  dessen 
Nahe  es  ihm  gerade  zu  rasten  beliebt,  eintreten,  sich  mir  nichts  dir 
nichts  mit  an  den  Tisch  setzen,  sich  Essen  und  Trinken  wolschmecken 
lassen,  dann  womr»glich  noch  ein  Bett  fordern  nnd  ohne  besonders 
zu  danken,  sicli,  wenn  es  ihm  beliebt,  wieder  entfernen.  Für  die 
äufserst  gastfreien  portugiesischen  Katfeefarmer,  die  das  l'nglück 
haben,  längs  der  Uoute  von  Mos-samedes  nach  Huiupatah  zu  wohnen, 
.  sind  sie  geradezu  ein  Schrecken  geworden,  und  hat  man  sich  genötigt 
gesehen,  die  Gastfreundschaft  ihnen  gegenüber  einzuschränken.  Sehr 
zu  bedauern  ist  es,  dafs  sich  die  Boers  Ton  Humpatah  zu  Schergen 


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—    Ö9  — 

imtl  Henker»  der  portugiesischen  Chefs  von  Iluila  herabgewürdigt 
haben.  Vor  der  Ankunft  der  Buers  spielten  die  Portugiesen  auf  dem 
Plateau  von  Huila  und  in  Uumba  am  Gunene  eine  sehr  tranrige 
Bolle,  etwa  wie  heute  noch  in  Malange,  weiter  Im  Norden.  Sie 
waren  bei  den  Eingeborenen  wohl  oder  übel  geduldete  Fremdlinge. 
Jetzt  hat  sich  das  Bhitt  mit  Hfllfe  der  stets  schufsbereiten  Boers 
ganzlich  gewendet. 

Bei  den  Reibereien  zwi?<('heu  den  iMugeboreuen  und  den  Portu- 
giesen, die  bei  dem  bekannten  Ki  piessungssystciu  der  iJortuLiiesischon 
Chefs  nicht  ausbleiben  konnten,  wenn  ja  auch  jene  iiatürliih  keine 
Enirol  sind,  haben  nun  die  Boers  auf  Anstiften  der  portugiesischen 
Machthaber  mit  eingegriffen,  bei  zwei  verschiedenen  Razzias  im 
Anfang  dieses  Jahres  etwa  70  Eingeborene  erschossen  und  ver- 
schiedene Dörfer  verbrannt.  Dafür  haben  sie  dann  als  Entgelt  aus 
der  gemachten  Beute  an  Vieh  für  den  Mann  vier  oder  acht  Ochsen 
sich  geben  lassen,  je  nachdem  ein  Mann  zu  Pferd  oder  zu  Fufs  an 
der  Trdbjagd  teilnahm.  Dies  und  ganz  beträchtliche  Diebereien 
und  Unredlichkeiten,  die  ein  Teil  von  ihnen  gerade  zur  Zeit  meiner 
Anwesenheit  gegen  einen  der  Jagd  halber  im  Lande  reisenden  Belgier 
ansflbten,  mufsten  wesentlich  dazu  beitragen,  die  Sympathien,  welche 
irh  diesen  Leuten  zuerst  entgegen))i  achte,  abzuscliwäclien.  Auf  der 
anderen  Seite  mufs  man  allerdings  vor  ihrer,  durch  nichts  zu  beugenden 
Energie  und  Ausdauer  im  Ertragen  von  Strapazen,  vor  ihrer  unge- 
meinen Findii^keit  in  unwegsamen  Gegenden,  ihrer  aulserordentlichen 
Erfalirung  und  Sicherheit  in  der  Jagd  und  einer  gewissen  Biederkeit 
und  Gutmütigkeit  grofse  Achtung  luibeu.  Die  Sittlichkeit  der  Frauen 
ist  bekannt,  dach  ist  dieselbe  nicht  so  ganz  ausnahmslos,  wie  man 
gewöhnlich  meint  Die  Männer  sind  meist  breite,  bartige,  zuweilen 
untersetzte  Gestalten;  die  Frauen  erscheinen  hftfslich  wegen  ihrer 
Kopfbedeckung  und  der  grofsen  Zahl  von  Röcken,  die  sie  tragen; 
es  giebt  ihnen  das  ein  eckiges,  unbeholfenes  Aussehen.  Unter  den 
Mädchen  und  Kindern,  von  denen  seit  Gründung  der  Kolonie  bis 
Mitte  1883  nahezu  hundert  geboren  sind,  sieht  man  recht  viele  frische 
rosige,  blonde  Gesichter,  lu  einem  besondoreu  Gebäude,  das  gleich- 
zeitig als  Schule  dient,  wird  Sonntags  Gottesdienst  gehalten.  In 
Ernianu'elung  eines  Geistlichen,  der  trotz  mehrfacher  Bemühungen 
sich  noch  nicht  hat  findcü  lassen.  |>redigen  einzelne  der  älteren 
Genieindemitglieder;  Lesen  und  Schreiben  lernen  die  Kinder  durch 
ein  junges  Mädchen,  das  als  Lehrerin  angestellt  ist  Thats&chlich 
sind  die  Boers  jet/.t  portugiesische  Uuterthanen,  wenn  auch  zur  Zeit 
noch  mit  einzehien  Privilegien  ausgestattet  und  noch  auf  Jahre  von 
dirdcten  Steuern  befreit   Der  Ortsvorstand  ist  ein  Portugiese, 


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Senhor  Paiva,  der  mitder Tocliterdes angeschensten  pjocrs,  dcsMr. liotha, 
verheiratet  ist ;  er  residiert  in  einem  elenden,  kleinen,  halb  fertigen 
Fort,  das  mitten  im  Orte  liegt  und  in  dem  einige  schwarze  und 
weifse  Soldaten  zum  „Schutze*'  der  Niederlassung  liegen.  Die  weiTsen 
Soldaten  sind  „Degradados**,  d.  h.  aus  Portugal  deportierte  Verbrecher, 
und  der  ^Schutz*,  den  diese  Herren  der  Gegend  angedeihen  lassen, 
besteht  darin,  dafs  sie  nächtlicher  Weile  in  der  Umgegend  Einbrüche 
verüben;  gerade  bei  meiner  Anwesenheit  in  Humpatah  hatten  sich 
diese  Herren  sogar  erlaubt,  bei  ihrem  Chef,  Senhor  Paiva,  einen  solchen 
Kosnc'h  abzustatten  und  ihm  eine  Uhr  uud  verschiedene  Nahrungs- 
mittel zu  stehlen! 

Um  Zinn  Sclilusso  noch  ein  Wort  über  die  Eingeborenen  des 
Landes  zu  sa.uen,  so  sind  die  lUnvolmpr  der  Uniueirend  der  Stadt 
Mossdiuedes  uüd  der  (icluctc  bis  zum  Futse  dos  Cliellagebirges 
Mundonibes.  Es  ist  meinen  Erfahruntren  nach  ein  weit  weniger 
geistig  fortgeschrittener  Stamm  als  z.  B.  die  Neger  am  unteren 
Congo ;  indefs  sind  sie  im  allgemeinen  sehr  gutmütig  und  sieht  mau 
einzelne  recht  wohl  gewachsene  Gestalten  und  nicht  übele  Gesichts^ 
Züge.  Die  Bekleidung  ist  eine  auTserst  geringe,  vielfach  werden 
nur  zwei  Felle  um  die  Lenden  getragen,  die  an  einer  um  den  Leib 
gebundenen  Schnur  vom  und  hinten  herabhängen.  Ein  um  die 
Schultern  geworfenes  Stück  dünnen  Zeugs  der  ordinärsten  Manchester- 
fabrikatton dient  in  der  Nacht  bei  der  so  bedeutenden  Temperatur- 
erniedrigung meist  als  einziges  Schutzmittel.  Nicht  alle  haben 
bauinwollorie  Decken  und  man  begreift  uianchnial  kaum,  wie  diese 
Leute,  wenn  sie  während  solcher  bitter  kalten  Nftchte  um  ein  Feuer 
lagern,  in  solch  ärmlicher  l]ekleidung  der  Kalte  ohne  Schaden  für 
ihre  Gesundheit  Widerstand  leisten  könnon.  Die  Frauen  sind  durch- 
schnittlich wesentlich  kleiner  als  die  Männer,  sie  tragen  ausser- 
ordentlich grofse,  mit  Lederwerk  durchsetzte  Frisuren  nnf  dem 
Kopfe,  während  die  Milnner  nicht  selten  kleine  durch  eingetioL-iiteue 
Pflanzenfasern  und  Tierhaare  verstärkte  Zöpfchen  haben.  Mit  der 
Reinlichkeit  sieht  es  bei  diesen  Leuten  sehr  übel  aus-;  manche  sind 
förmlich  graa  am  Körper  von  der  Holzasche  der  Feuer,  au  denen 
sie  die  Nädite  zubringen.  Ich  habe  nie  den  Negergeruch,  —  den 
man  übrigens  am  Congo  bei  den  sich  meist  sehr  reinlich  haltenden 
Cabindas  fast  gar  nicht  verspürt,  —  so  widerwärtig  und  zuweilen 
wirklich  unaussteldich  gefunden  als  bei  diesem  Stamme.  Meine  von 
ihnen  den  Chellai)afs  heraufgetrageneu  Sachen  rociieu  noch  mehrere 
Tage  danach. 

Die  Mundombos  besitzen  Viehherden,  sie  stellen  auch  die 
Träger,  welche  von  Mossamedes  Aber  das  Chellagebirge  bis  nach 


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—  61 


Hurobe  gehen,  yiaii  begej<net  auf  dieser  Strafse  oft  Karawanen  von 
50  Mann,  die  Sulz.  Lretrockneten  FiM'h.  Manchesterwaren  u.  A.  ins 
Innere  schaffen  und  auf  der  HUckkebr  ruhen,  einheimischen  Tabak, 
in  etwa  faustgroHsen  Kugein  geballt,  von  denen  etwa  eine  in  Moss4- 
medes  1  Pence  »  8      wert  ist,  herabbriugen. 

Ihre  Bewaffnung  besteht  wenn  möglich  aus  Steinschlofsgewehren, 
sonst  oder  daneben  aus  Assegais  und  Kuobkerries  oder  Keulenstocken. 

Oben  auf  dem  Plateau  der  Ghellaberge,  um  Huila  und  mehrere 
Tagereisen  weiter  östlich,  wohnen  die  Munhanecas  und  Qui- 
pongos,  welche  den  Mundo mbos  in  vielem  fthneln.  Sie  sind 
indefo  der  Lage  ihres  Wohnortes  ent<tprechend  mehr  Ackerbauer 
und  haben  grolse  Maisfetder,  die,  wie  es  scheint,  gemeinschaftlich 
bestellt  werden,  denn  man  sieht  nie  besondere  Abteilungen  in  den 
angebauten  Landstreckeu.  Aufserdem  haben  sie  aber  auch  stattliche 
Viehherden,  die  wie  bereits  erwähnt,  mehrfach  den  Neid  und  die 
Habsucht  der  Trekboers  erweckt  haben.  Uire  Ilfltteu  aus  Schilf 
haben  eine  runde  Form  mit  s]>itzem  Dach  und  sind  ebensowohl  wie 
sie  seihst  nichts  weni^^cr  als  reinlich. 

Vf)n  den»  Orte  Ilnila  darf  man  sich  ührif^ens  keine  besonders 
liolien  Vorstellnn^'en  niai  licn.  Jls  ist  ein  kleiner,  unbedeutender 
Ort  voll  etwa  AO  HilUNern.  der  an  den  Hftui^eu  einer  in  ihrem  Grunde 
etwas  sumpfigen  l  lialuiulde  Heut.  Die  Iluuser  sind  ebenso  schmutzig 
wie  die  Stnddiütten  der  Kingeborenen  und  man  empfindet  eine 
unüberwindliche  Abscheu  in  dem  Hau.se  eines  solchen  Portugiesen, 
der  meist  ein  Depurtierler  ist,  etwas  zu  geniefseu.  Die  etwa  eine 
Viertelstunde  in  westlicher  Richtung'  ablieuemie  franzti.sische  Mi.ssious- 
station  der  Gesellschaft  des  Sacre-C'oeur  ist  in  ihrer  Reinlichkeit  und 
Sauberkeit,  in  der  Zweckmafsigkeit  ihrer  Anla^^e  eine  wahre  Oase 
in  dieser  Wüste  von  Schnmtz  und  l'nreinlichkeit. 

Huila  und  seine  Umgebung  war  vor  Jahren  eine  deutsche 
Kolonie  gewesen.  Im  Jahre  1855  lief  nämlich  ein  nach  Brasilien 
l>estinimtes  Schifi"  mit  deutschen  Aaswanderern  in  Lissabon  im  not- 
leidenden Zustande  ein  und  man  wufste  dort  die  Leute  zu  bereden, 
statt  nach  lirasilieu  lieber  nach  der  Provinz  MosB&medes  auszu- 
wandern. Dieselben  Hindernisse  aber,  die  heute,  wenn  auch  in 
etwas  vermindertem  Mafse  das  Aufblühen  der  Trekboerkolouie  zurück- 
halten: schlechte  Kommunikationen  des  Innern  mit  der  KOste, 
drückende  Zölle  u.  A.  Hessen  schon  diesen  Versuch  durchaus  klaglich 
enden.  Ein  guter  Teil  der  Kolonisten  starb  im  Elend  und  Ent- 
behrungen, ein  anderer  fand  noch  die  Mittel,  das  Land  wieder  zu 
verlassen,  und  nur  ganz  wenigen  gelang  es,  sich  eine  Position  zu 
gründen;  unter  ihnen  ein  gewisser  Adams,  der,  ein  Baumwolleu- 


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62  — 


plantagenbesitzer,  als  letztes  Mitglied  der  Kolonie  in  der  Nahe  von 
Mossdmedes  erst  vor  2  Jahren  gestorhen  ist  Sein  Sohn  ist  so  voll- 
ständig Portugiese  geworden,  dafs  er  kein  deutsches  Wort  versteht 

und  einige  Bände  der  ^Gartenlaube",  die  sein  Vater  be«;essen  hatte,  für 
oitje  Alt  Lexik<jii  hielt,  ihis  er  mir  verkaufeu  wollte. 


Aus  Südamerika. 

Der  Indianerstamm  des  Chirignanes. 

Nach  den  Berichten  des  französiedieii  Reisenden  A.  Th^ur. 

Bekanntlich  wurden  der  französische  Reisende  Dr.  Crevani 
und  seine  Geföhrten  im  April  1882  am  mittleren  Pilcomayo  in  der 
Nahe  einer  Missionsstation  von  Indianern  ermordet.  Um  den  That- 
hostend  zu  ermitteln,  das  etwa  von  den  Indianern  erbeutete  Eii];entum 
des  Heisenden  zu  retton  und  die  Schuldigen  wo  niüdich  zu  bestrafen, 
wurden  sowohl  von  der  bolivianischen,  wie  von  der  aruentiuischen 
l{e^:jierung  hewatfnete  FApeditioneu  iiusgesandt.  Zu  weleiien  Erjjeb- 
nissen  die  letztere,  welche  unter  der  Leitung  des  bekannten  argen- 
tinischen (  Jeographen  Oberstleutnant  Fontaua  stand,  gelangte,  darüber 
ist  bisher  nichts  Näheres  bekannt  geworden.  An  der  von  Bolivien,  Tarija, 
ausgesandten,  nahm  der  Franzose  A.  Thouar  Teil:  dieselbe  hat, 
soweit  OS  möglich  war,  ihre  Autgabe  unter  grofsen  Schwierigkeiten 
und  Gefahren  gelöst  und  zugleich  eiue  Entdeckungsreise  von  grofser 
Bedeutung  vollbracht.  Im  November  v.  J.  kam  sie  in  Asuncion  am 
Paraguay  an,  von  wo  ans  Herr  Thouar  eine  Mitteilung  an  die  Pariser 
geographische  Gesellschaft  richtete,  die  wir  hier  nach  den  gedruckten 
Protokollen  dieser  Gesellschaft  (1884  S.  86  u.  87)  wiedergeben. 

„Asuncion,  17.  November  1883.  Ich  habe  die  Ehre  Ihnen 
meine  glückliche  Ankunft  in  Asuncion  anzuzeij^en,  nachdem  ich  eine 
Heise  von  68  Tagen  duicli  den  nördlichen  grofsen  Gliaco  zurück- 
gelegt habe.  Nachdem  ich  am  10.  Sei)teml)er  die  Kolonie  Crevaux 
am  Rio  Pilcomayo.  ungefähr  auf  21°  55'  14"  s.  Br.  und  64 8' 
56"  0.  L.,  verlassen  hatte,  erreichte  ich  ungefähr  15  Lieues  nördlich 
von  Asuncion  die  Ufer  des  Paraguay  bei  dem  kleinen  See  Naro, 
nachdem  ich  sorgfältig  alle  unbekannten  Strecken  des  Pilcomayo, 
des  Confttso  und  dos  Uio  Verde  erforscht  hatte.  Trotz  aller  meinw 
Anstrengungen  blieben  meine  Nachforschungen  zur  Auffindung  der 
Gefangenen  und  der  sterblichen  Reste  des  Dr.  Crevaux  bei  den 
Indianern  ohne  Erfolg.  Haurat  und  der  Argentiner  Blanco  sind 


—  63  — 

ii«eh  fdnÜDonatlicher  Gefangenschaft  unter  gr&fslichen  Leiden  erlegen» 
An  der  Stelle,  wo  Dr.  Grevanx  fiel,  habe  ich  zwei  sich  kreuzende 
Stabe  errichten  lassen.  Der  Marsch  der  Ezpeditionskolonne  durch 
die  uns  umschwärmenden  Indianer,  welche  sicher  60—70000  Mann 
zählten,  war  der  schwierigste.  Am  3.  Oktober  griffen  uns  7^800 
Tapietis  an.  Der  Kampf  dauerte  drei  Stunden.  Sie  schlugen  sich 
hartiiatkiLT.  Von  unserer  Seite  wurden  vier  verwundet,  zwei  schwer; 
mich  verletzte  ein  l'leil  leicht  an  der  rechten  Seite.  Am  fol<renden 
Tage  hatten  wir  wieder  zwei  kleine  Scharmützel.  Die  Indianer 
versuchten  darauf,  uns  in  die  Sümpfe,  welche  den  1  liifs  auf  24^ 
4ü'  s.  Br.  begrenzen,  zu  dr&ngeu  und  uns  in  den  hohen  Wucher- 
pflanzen  zu  verbrennen.  Unsere  Lebensmittel  und  sonstige  Vor- 
rate  begannen  uns  am  dreiOugsten  Tage  auszugehen.  Wir  mufsten 
unsere  Maultiere  schlachten  und  uns  nebenbei  mit  Pahnblättem  und 
Wurzeln  -ernähren.  Bei  Annäherung  an  die  mesopotamischen 
Regionen,  ungefähr  15  Lieues  vom  Paraguayflula,  konnten  wir  nur 
unter  den  grdÜBten  Schwierigkeiten  vorwärts  kommen.  Eine  Lieue, 
anderthalb  Lieue  war  das  Maximum  unseres  Marsches.  Unsere 
Reiter  waren  zurückgebliehen;  die  Tiere,  ermattet,  blieben  zum 
gri)sseu  Teil  im  Suiiipl  stecken.  Ein  Sturm  verursachte  uns 
mit  einem  Schlage  den  Verlust  von  15  Tieren.  Wir  waren  ge- 
zwungen, unsere  Mundvorrilte  und  unser  Gepäck  im  Stiche  zu 
lassen.  Die  Indianer,  welche  uns  wie  Geier  verfolgten,  bemächtigten 
sicli  eiues  meiner  Maultiere,  das  zurückgeblieben  war,  zerrissen  die 
Petaea,  welche  meine  Sammlungen  enthielt  und  stahlen  mein  „stoke 
board''  und  mein  Zelt.  Nur  mit  gröfster  M(^e  konnte  ich  meine 
Papiere  und  die  Instrumente  retten.  So  erreichten  wir  am  Sonnabend, 
den  10.  November,  zu  Fufs  den  Bio  Paraguay  durch  die  SOmpfe, 
bis  zum  Gfirtel  im  Wasser,  allen  Unbilden  der  Jahreszeit  ausgesetzt 
ohne  Obdach  und  zerstochen  von  den  Mosquitos-Schwärmen,  Blutegeln 
und  Garapatas  (HolzbOcken).  Der  Zweifel  und  die  Entmutigung  einiger 
furchtsamer  und  feiger  Seelen  zwangen  midi  zu  fortgesetzten  An- 
stren^unj^en ,  um  in  den  Herzen  dieser  Unglücklichen  noch  einen 
letzten  }lottiitinii;s>chiuimer  er^^länzen  zu  lassen,  —  (U'rtii  Kleider 
in  Fetzen  Inngen,  die  unter  den  Anstrenuunixen  zusanimenbrecheuil, 
vom  Fieber  geschüttelt,  vor  Hunj^er  verschnuichtettMi  und  von  tlenen 
ein  Elender  mich  anklagte,  der  Urheber  aller  dieser  Qualen  zu  sein 
und  heimlich  ein  Komplot  zu  meiner  Ermordung  anzettelte.  —  Aus 
allen  meinen  Beobachtungen  ergiebt  sich:  1)  dafs  der  Pilcomayo 
schüfbar  ist;  2)  da£s»  ein  Verbindungsweg  zu  Lande  dui'ch  die  reichen 
Gegenden  des  Innern  leicht  herzustellen  ist;  3)  dafs  die  Jndianer 
kein  Hindemifo  lür  die  Kolonisation  sind.  —  Der  Wert  des  Yer- 


^  64  — 

kehrs  auf  diesem  Verbindungsweg  könute  17  bis  18  Millionen  Piast  er 
erreicheD.  Von  allen  Seiten  lebhaft  bestürmt  und  gedrangt,  Auf- 
zeichnungen, welche  ich  noch  nicht  geordnet  habe,  zu  verüfifeut- 
Ikhen,  werde  ich  jede  Mitteilung  yon  Belang  über  diese  Frage 
zurückhalten,  bis  ich  von  den  Regierungen  Paraguays  und  Bolivias 
sichere  Garantien  zu  Gunsten  des  französischen  Handels,  für  wel- 
chen ich  spezielle  Privile,i,'ien  beanspruche,  erhalten  habe.  —  Das 
ist  der  Preis,  den  ic)i  für  die  Mitteilung  im  iiier  Aufzeiclumugeu 
bedini(e.  Sobald  diese  Frage  gelöst  ist,  werde  ich  auf  uieine  Rück- 
kehr nach  Frankreich  bedacht  sein". 

Thouars  lUickkehr  iiacli  Frankreich  ist  inzwi.sclicii  erfolgt. 

Bereits  im  November  IHHH  verötl'eatiiclitc  die  Pariser  gcom  ajdiische 
Gesellschaft  in  ihren  Protokollen  eine  ausCawa  im  August  v.  J.  datierte 
ausführliche  Mitteilung  Thouars  Uber  seine  etlmologischen  Studien 
des  Indianerstaniines  der  C.'hiriguanos,  mit  welchen  er  schon,  ehe  er 
die  jetzt  glücklich  zu  Knde  geführte  Kxpedition  unternahm,  in 
Berührung  kam.  Ein  Freund  unserer  Zeitschrift  hat  uns  eine  Ueber- 
tragong  dieses  Berichtes  gesendet,  die  wir  hier  mit  dem  Bemerken 
folgen  lassen,  dafs  sie  vor  dem  fiintreflTen  der  Nachricht  von  der 
wohlbehaltenen  Ankunft  Thouars  in  Asuncion  verfafst  wurde. 

Ch.  N.  Zu  den  dunkeln  Ph'dteilen,  welche  noch  auf  einen 
Stanley  warten,  gehört  da>  Fhifsgebiut  dos  IMlconiayo,  dessen 
Erforschung  auf  seiner  ganzen  Länge,  wie  unirlaublich  es  auch 
scheinen  mag,  noch  keinem  iieiseiiden  geliuigen  i.-t. 

Das,  was  man  über  den  Pih^omayo  weifs,  verdankt  man  haupt- 
sächlich den  Berichten  des  Leutnants  Vau  Nivel  (1844)  und  des 
Missionärs  Padre  Jose  (Üanelli  (18ti3>,  welche  beide  aber  nidit 
einmal  ein  Drittel  seines  Laufes,  von  seiner  Vereinigung  mit  dem 
Rio  Pilaya  aus,  flufsabwarts  verfolgt  haben.  Ja,  selbst  vor  kurzem 
war  man  noch  im  Unklaren  über  den  Ort  seiner  Kiumündung  in 
den  Paraguay. 

Kin  sehr  grofees  Hindernis  bietet,  dies  ist  festgestellt  und  durch 
den  unheilvollen  Ausgang  der  Expedition  des  Dr.  Crevaux  aufs 
neue  bestätigt,  die  feindselige  Haltung  der  an  seinen  Ufern  an- 
gesiedelten ladianerstamme.  Die  bekanntesten  derselben  sind 'die 
im  Osten  des  bidivianischeu  Departements  Chuquisaca  ansäfsigen 
Chiri.muiiiüs,  welche  in  ziemlich  hautigem  Verkehr  mit  der  Haupt- 
stadt Sucre  (Chu(iiiis;ica)  stehen,  ohne  indefs  unterworfen  zu  sein, 
noch  ihren  unzuverläfsigen  Charakter  verloren  zu  haben.  Zurück- 
haltender und  weniger  bekannt  sind  die  Stämme,  die  sich  im  Zentrum 
und  im  Süden  der  „Gran  Chaco''  genanuteu  Kegion  aufhalten  und 
vorzugsweise  in  dem  zwischen  dem  Pilcomayo  und  Bermejo  liegenden 


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—  65 


grofseo  Landstrich  anzutreffen  sind.  Unter  ihnen  dflrften  die  Tohas, 
wekhe  Crevaux  und  seine  Genossen  umbrachten,  und  die  Matacos 

die  bedeutendsten  sein;  ferner  sind  am  Pilcoina3()  noch  die  Miicbicuis 
und  Knimagas.  Die  Chorotis,  Chunupies  und  Vilelas  haben  ihre 
Wohnsitze  mehr  auf  der  dem  Paraguay  zugekehrten  Seite  des 
Uran  Chaco, 

Der  französische  Reisende  A.  Thouar,  der  sich  die  Aufgabe 
gestelit  hat,  den  Resten  der  Expedition  des  Dr.  Crevaux  nach- 
zoforschen,  übermittelte  von  Ca'iza  ans  im  August  v.  J.  der  Socii^^te 
de  g^graphie  ein  Memorandum,  in  welchem  er  seine  bei  den  Chiri- 
goanos  gemachten  Beobachtungen  mitteilt.  Neueren  Ermittelungen  zu- 
folge zählt  dieser  Stamm  noch  ungefähr  7 — 8000 Seelen,  die  dem  Höhen- 
zug von  Machureti  entlang  zwischen  dem  19.  und  22.  Grad  s.  Br. 
wohnen.  Die  Gestalt  der  Männer  ist  klein  und  Überschreitet  nidit 
1.50  bis  1,60  m;  kleine  schief  geschlitzte  Augen,  schwacher  Bart, 
diu  t  u  L;:e  Wimpern,  ziendich  platte  Nasen  mit  breiten,  weit  geöffneten 
Na-eii luchern,  kein  iibünnalsig  grofser  Mund,  hinge  pechschwarze 
Haare,  die,  um  den  Kopf  gewunden,  von  einem  Tuch  zusaninien- 
_'ehalten  werden,  kleine  Hfinde  und  Füfse,  hervorspringiiide  Backeu- 
knoi  hen,  welche  sie  mit  Onoto,  Achote  oder  Curusu  zu  fiUbea  pHegen, 
i^enuzeichneu  diese  Indiuner.  Die  Unterlii)pe  ist  mit  der  Tembeta 
geziert.  Sie  gehen  nackt,  blos  ein  kleiner  Leder-  oder  BaumwoU- 
schurz  hangt  von  den  Hüften  herab.  Die  Hautfarbe  ist  bronziert. 
Das  Aussehen  der  Frauen  unterscheidet  sich  nicht  viel  von  deu^jenigen 
der  Manner,  sie  tragen  eine  Art  blauen  Baumwollhemdes,  das  sie 
um  die  HQften  knöpfen  oder  vermittelst  zweier  langer  Kaktusstacheln 
über  den  Schultern  zusammenheften.  Beinahe  alle  fiLrben  sich  die 
Wangen,  Wimpern  und  die  Stime  mit  Achote,  dem  in  der  Frucht- 
hiille  des  Ruknbauroes  enthaltenen  Farbstoff;  sie  tragen  keine  andere 
Zierrat  als  ein  Halsband,  das  aus  Muschelfragmenteu  gemacht  ist, 
die  sie  am  Pilcomayo  finden.  Die  Hütten  bedecken  gewöhnlich  eine 
Oberfläche  von  15  m.  Die  niedrigen  ans  Rohrgeflecht  hergestellten 
Wände  sind  mit  rötlicher  Mergelerde  überworfen :  auf  dem  ebenfalls 
aus  Kohr  bestehenden  Dacli  ist  eine  Lage  trockener  Blätter  oder 
Kräuter  ausgebreitet.  Hinter  der  Hütte  befindet  sich  eiu  auf  vier 
Pfählen  ruhender  Kohrkäfig,  etwa  1  m  über  dem  Boden,  in  welchem 
sie  ihre  Maiskolben  aufbewahren.  Der  Kingang  der  Hütte  ist  niedrig, 
schmal,  und  wird  mit  einem  Rohrgeflecht  oder  einer  Kuhhaut  ver- 
schlossen. Das  Innere,  das  nicht  abgeteilt  ist,  beherbergt  die  ganze 
Familie,  aber  auch  Hunde,  Hühner  n.  A.  Die  Hausgeräte  bestehen 
aus  einem  groben  Hamak  (Hängematte)  und  einem  die  Bettstelle 
vertretenden  Rohrgeflecht.  Oberall  an  den  Wänden  sind  Maiskolben 

fhwsr.  Blittw.  Bmbmb,  1884.  5 


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—  66  — 

anfgehftngt,  ein  die  Mitte  des  Ramnee  einnehmender  1  m  hoher 
Rohrkafig,  die  pirbua,  dient  ebenfalls  als  Maisbehftlter.  Drei  Steine 
in  einer  Ecke  bilden  den  Herd;  als  Oeförse  besitzen  sie  totumas 

(Kalebassen)  von  jeder  üröfsc  und  ungeheure  Yambui  o<ler  Urnen 
aus  rötlichem  am  Feuer  gebranntem  Thon,  welche  elx  iisowobl  zur 
Bereitung  der  Chicha,  einem  uns  ge:4orenem  Mais  hergestellten 
Getränke,  als  zur  Bestattung  ihrer  Toten  benutzt  werilen.  Die 
Frauen  überstehen,  wie  bei  allen  Naturvölkern,  die  Geburtswehen 
mit  der  gröl'steu  Leichtigkeit.  Sobald  sie  entbunden  siud,  schnürt 
man  ihnen  den  Unterleib  stark  mit  einem  Streifen  Baumwollzeug 
und  legt  sie,  mit  dem  Mund  nach  unten,  auf  eine  an  der  Erde 
gebreitete  Lage  Sand.  Der  Vater  und  die  Kinder  legen  sich  sofort 
ins  Bett  und  beobachten  strenges  Fasten,  das  ftlr  den  Vater  Q-r-lO  Tage, 
fOr  die  Kinder  2—3  Tage  dauert.  Während  dieser  Zeit  darf  der 
Vater  weder  Ghicha  trinken,  noch  Festlichkeiten  beiwohnen,  noch 
Holz  herbeiholen,  denn  sie  sagen,  dafs  im  Übertretnngsfalle  der 
Neugeborene  sterben  wQrde.  Die  Frau  geht  nach  7—8  Tagen  ihren 
gewöhnlichen  Beschäftigungen  nach.  Hin  mifsgestaltetes  Kind  wird 
bei  der  Geburt  entweder  getötet  oder  lebendig  begraben;  l)ei  Mehr- 
geburten läfst  man  blos  einem  Kind  das  Leben,  falls  nicht  die  Mutter 
sich  dagegen  wehrt,  was  selten  vorkonnnt.  Weifs  der  Vater  den 
Tiger  zu  erlegen,  so  glaubt  man,  dal's  seine  milunliche  Nachkomnieu- 
schaft  sich  durch  Starke  auszeichnen  wenle.  Schou  den  kleinsten 
Knaben  geben  die  Eltern  als  Si)ie1zeng  Pfeil  und  Bogen,  mit  welchen 
sie  sich  von  Morgens  bis  Abends  üben.  Sie  eignen  sich  daher  bald 
eine  erstaunliche  Geschicklichkeit  darin  an  und  nicht  selten  sieht 
man  Knaben  von  7 — 8  Jahren,  welche  Kolibris  im  Bluge  schiefsen 
und  Orangen  auf  eine  Entfernung  von  8  m  genau  in  der  Mitte 
durchbohren.  Den  Madchen  f&Ut  die  Aufgabe  zu,  den  Mais  mit 
dem  Palo,  einem  beinahe  zwei  Meter  hingen  HolzstOfsel  zu  mahlen, 
die  Chicha  zn  bereiten,  den  Poncho  zu  wirken  u.  A.  Die  Be- 
schaftigung  iler  Männer  ist  Holz  herbeizuschalTeu,  zu  süeu  und  zu 
fechten.  Um  nichts  in  der  Welt  würden  sie  sich  dazu  verstehen, 
eine  Arbeit  zu  verrichten,  welche  den  \Veil»or!i  zuköniuit,  Wasser 
herbeizuholen  z.  B. ;  seiner  Ansicht  nach  würde  sich  eiu  Mann 
in  seinen  eigenen  und  in  den  Augen  seines  iStauimes  dadurcli  her- 
absetzen. Die  Tembeta  ist  eine  Zierrat  —  bei  anderen  Stännneu 
nennt  man  sie  auch  barbote  — .  mit  der  im  Alter  von  6 — 7  Jahren 
die  Unterlippe  geschmückt  wird.  Sie  ist  gewöhnlich  aus  I'>lei.  von 
der  (höfse  eines  50  Centimesstttckes  bis  zu  derjenigen  eines  Fünf- 
frankenthalers.  Wenn  die  Knaben  das  vorgeschriebene  Alter  erreicht 
haben,  so  werden  sie  durch  mehijähriges  Fa^^ten  auf  die  Operation 


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—   67  — 


vorbereitet.  DerBriijo,  (  Doktor,  eigentlicli  Hexeuineister)  legt  das  Kind 
auf  den  Kücken  und  niifst  mit  einem  Faden,  den  er  vom  Hinterkopf 
über  die  Stirne  und  die  Nase  an  die  Unterlippe  zieht,  die  Stelle  ab, 
wo  das  Loch  anzubringen  ist.  ^Komm'*,  sagt  er,  „es  ist  Zeit,  dafs 
du  ein  Mann  wirst.  Du  hast  genug  gespielt  ,  und  tou  iot/,t  an 
molst  du  arbeiten,  fechten  und  deine  Feinde  besiegen.  Du  wirst 
nicht  weinen,  denn  du  würdest  mir  beweisen,  dafs  du  noch  keiu 
Mann  blat,  auch  mufst  du  nicht  mehr  wie  die  gua^guas  (kleine 
Kinder):  hnm,  hum,  sondern  wie  wir:  tä&,  tü,  sagen."  Nach  dieser 
Ermnnterung  durchbohrt  er  ihm  die  Li))pe  mit  einem  scharf 
zugespitzten  Ziegenhorn ;  der  Knabe  sagt  nichts  und  macht  auch  keine 
Bewegung.  Dann  steckt  man  einen  kurzen  Strohhalm  in  die  Wunde, 
damit  sie  sich  nicht  schliefse  und  dreht  ihn  täglich  darin  herum. 
Wenu  die  Oeflfmmg  vernarbt  ist,  vergröfsert  man  nach  und  nach 
den  Cyliiiiler,  der  sie  erweitert,  bis  zur  obenerwähnten  Dimension 
tler  Tembeta;  meistens  geht  sie  aber  nicht  über  diejenige  eines 
1-Frankenstückes  hinaus. 

Die  Tembeta  ist  ein  Zeichen  der  Männlichkeit  und  Nationalitüt; 
sie  trennen  sich  um  keinen  Preis  davon.  Ein  anderes  Zeichen  dieser 
beiden  Eigenschaften  besteht  darin,  die  Haare  lang  zu  tragen.  Unter 
keinen  Umständen  wird  sich  ein  Ghiriguano  die  Haare  abschneiden 
lassen.  Die  Haare  reichen  Ober  die  Stirn  bis  zu  den  Augenbrauen. 
Wenn  die  Indianerin  mannbar  geworden  ist,  so  wird  sie  von  den 
Eltern  in  eine  Hängematte  gebettet,  die  nniglichst  hoch  in  der  Hfltte 
angebracht  wird.  Dort  lälst  man  sie  ohne  eine  andere  Nahrung  als 
ein  wenig  abgesottenen  Mais  (uiote),  den  sie  jeden  Ta.ij  gegen  vier 
riir  erhält,  drei  Tai^e  und  drei  NAclite.  Bios  die  Mutter  oder  die 
i^rolVinutter  dürfen  n)it  ihr  umgehen  oder  mit  ihr  sj)rechen,  und 
wenn  sie  aus  irgend  einer  Ursache  ihr  Lager  zu  verlassen  hat,  so 
wird  die  gröiste  Vorsiclit  angewendet,  dafs  sie  ja  nicht  auf  den  boyrusu 
trete,  die  grofse  Schlange,  welche  sie  verschlingen  würde,  noch  auf 
Exkremente  von  Hunden  oder  Hühnern,  was  ihr  Geschwüre  am  Busen 
verorsachen  würde.  Am  dritten  Tag  verl&fst  sie  die  Hängematte 
und  setzt  sich  in  eine  Ecke  der  Hätte,  die  mit  Rohrgeflecht  abge- 
schlossen wird.  Dann  schneidet  man  ihr.  das  Haar  so  kurz  als 
möglich  ab,  und,  den  Kopf  der  Ecke  zugewendet,  darf  sie  ein  Jahr 
lang  nicht  sprechen.  Nur  einmal  des  Jahres  erhält  sie  ein  wenig 
mote,  aber  nie  Fisch  noch  Fleisch.  Erst  in  den  letzten  Monaten 
lassen  die  Eltern  von  ihrur  »Strenge  etwas  nach.  Sie  mul's  in  ihrer 
Ecke  siiinnen.  um  den  Stammesgenossen  den  Beweis  zu  geben,  dafs 
sie  im  Stande  ist.  den  Poncho  des  zukünftigen  Mannes  zu  spiniK  ii 
uuii  zu  weben.  Viele  sterben  iu  Folge  dieses  barbarischen  Gebruuclies 

6* 

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—    68  — 

oder  werden  von  diesem  langen  Fasten  krank  und  abgemagert. 
Nach  Beendigung  dieser  Prüfunjj:  kann  sich  die  Indianerin 
verheiraten.  Derjenige,  welcher  Absicliten  auf  sie  hat,  sdiickt 
einen  seiner  Freunde  zu  den  Eltern,  wo  sich  folgende  Unterredung 
entspinnt:  „Hast  Du  Tabak?**  sagt  der  Kommende.  „Ja**,  erwidert 
der  .andere.  ^^Dann  gieb  mir  davon**,  und  gegen  Mitternacht  begiebt 
er  sieb  in  die  Hütte,  setzt  sich  auf  den  Rand  des  Rohrgestells, 
auf  dem  der  Vater  ruht,  und  raucht,  ohne  mit  jemand  ein  Wort  zu 
wechseln,  während  einer  oder  zwei  Stunden;  dann  zieht  er  sich 
zurück.  Nachdem  er  zwei  oder  drei  solcher  nächtlicher  Besuche 
abgestattet  hat.  redet  ihn  (k^r  Vater  barsch  an,  was  er  zu  dieser 
ungewolinten  Stunde  in  seiner  Hütte  zu  suchen  habe.  Der  auilere 
giebt  ihn»  darübci-  Aut'klilriingen ;  die  l-llterii  bespreclien  die  Sache 
und  geben  ihre  Zu^tininumg  untor  der  Bedingung,  dafs  der  Herr 
Scliwiegersohn  ein  tapferer  Krieger  st'i,  dals  er  seine  IVau  niclit 
töten  werde  u.  A.  —  Dem  aufsen  harrenden  Lieblmber  giebt  man' 
ein  Zeichen,  er  tritt  ein,  begiel)t  sich  sogleich  mit  seiner  Braut  zur 
Ruhe  und  die  Heirat  ist  ohiu>  weitere  Zeremonien  unauflöslich 
geschlossen.  Der  Schwiegersohn  lebt  mit  den  Schwiegereltern;  er 
hilft  Holz  herbeischaffen,  das  Feld  bearbeiten  n.  s.  w.;  Aussteuer 
oder  Morgengabe  kennt  man  nicht;  Schwiegersohn  und  Schwieger- 
vater verkehren  mit  einander  unter  Beobachtung  des  höchsten 
Respekts,  und  der  geringste  Vorwurf  würde  als  ein  Verbreebeu 
angeselien  werden.  Jede  Heirat,  welcher  nicht  diese  Formalitaten 
vorausuegaiigen  sind,  ist  von  kurzer  Dauer.  Ein  Mann  kann  drei 
oder  vier  l'rauen  haben,  der  ersten  gehört  der  Vortritt. 

Die  Chiriguauos  nehmen  an,  dals  es  zwei  geistige  Mächte  giebt, 
den  Geist  des  Guten  und  ilen  Geist  des  Bösen,  die  im  Brujo  ihren 
Sitz  haben.  Sie  sclueiben  daher  den  Brujos  alles  zu :  das  Unheil, 
das  über  sie  kommt,  ihre  Gebrechen,  den  Regen,  das  schöne  Wetter. 
Sie  haben  sich  alle  gegenseitig  in  Verdacht,  Brujos  und  im  Stande  zu 
sein,  das  Wetter  zu  ändern  und  Gebrechen  zu  heilen.  Alle  Vorkomm- 
nisse des  materiellen  und  intellektuellen  Lebens  erklären  sie  durch  die 
Briyeria,  die  Zauberei.  Sie  rufen  einen  Zauberer,  um  die  auf  ihnen 
lastende  Brujeria  zu  beschwören;  wenn  dieser  nun  keinen  Erfolg  hat, 
so  beschuldigen  sie  den  ihnen  feindlichen  Zauberer,  Ursache  dieser  Hart- 
nackigkeit zu  sein.  Fällt  ihr  Verdacht  auf  einen  ihrer  Nachbarn,  so 
verfolgen  sie  ihn  und  verbrennen  ihn  lebendig,  wenn  er  in  ihre  Hände 
fällt.  laitMliliiptt  er  ihnen  aber,  so  wappnen  sie  stdl)st  eine  Brujeria 
gegen  ihn,  die  ihre  Uebel  ihm  zuführen  soll.  Winm  sie  krank  sind, 
rufen  sie  einen  Brujo,  um  sie  von  der  Hnijeria  zu  befreien  und 
ihnen  eine  andere  zu  geben,  die  ^ut  wäre;  haben  sie  Schmerzen, 


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so  biftft  der  Brujo  auf  den  kranken  Thefl  nnd  sangt  ibn  während 
einiger  Augenblicke  an,  bis  er  die  Brujeria  herausgesogen  hat, 
welche  er  dann  dem  Kranken  zeigt.   In  der  Regel  ist  es  ein 

Stiu-krlicn  Holz,  welches  bc,u'reiHicher  Weise  schon  im  Mund  des 
Hnijo  versteckt  Nvar.  Stirbt  der  Kranke,  so  entschul diij^t  sich  der 
lleilkünstler  damit,  dafs  er  zugiebt,  sein  Antagonist  sei  mächtiger 
gewesen,  als  er. 

Mit  dem  Worte  Tumpa,  im  weiteren  Sinne,  drücken  diese 
Indianer  Staunen,  Bewunderung,  kurz  eine  geistisre  Aufregung  aus, 
sei  es  über  Sachen,  Personen  oder  ihnen  imerkhirliche  Vorgange; 
im  engeren  Sinne  genommen  zeigen  sie  dadurch  eine  sehr  ver- 
schwommene Idee  von  einem  höheren  Wesen  an,  anf  das  sie,  sich 
gegen  Osten  wendend,  mit  dem  Finger  hinweisen. 

Wenn  sie  in  Krieg  ziehen,  wenden  sie  sich  an  die  Sonne  nm 
Beistand,  ohne  sie  aber  anzubeten.  Sie  begnügen  sich,  sie  mit  den 
Worten  anznreden:  ^Dn  bist  immer  juni;,  täglich  whrst  du  geboren 
und  stirbst  du.  aher  um  immer  wieder  jung  zu  erstehen :  mache, 
(lass  es  mit  mir  ebenso  sei."  Sie  glauben,  dafs  sie,  wenn  sie  sterben, 
in  ein  anderes  Leben  eintreten,  dafs  sie  an  eiiien  Ort  kommen, 
der  Iiruihoca  oiler  Iboca  genannt  wird,  was  in  Chiriiruano  „(iarten 
der  I-'.rdo"  heifsen  will.  Dieser  Ort  Ignihoca  ist  pittoresk  in 
der  Schlucht  von  Ingre  am  Pilcomayo  gelegen.  Dort  führen  sie 
nach  ihrer  Vorstellnnc:  ein  glückseliges  Leben  mit  Ueberflnfs  an 
Frauen  nnd  Chicha.  Die  Tage  von  Iguihoca  sind  die  Nächte  auf 
der  Erde.  Nach  mehreren  Jahren  dieser  Existenz  verwandeln  sie 
sich  in  Füchse,  Tiger  oder  andere  Tiere.  Um  des  Lebens  von 
Igniboea  teilhaftig  zu  "werden,  mufs  man  die  Eigenschaften  eines 
guten  Kriegers  besessen  oder  viele  Franen  gehabt  haben,  oder 
endlieh  im  Kriege  nmgekoromen  sein.  Der  Verstorbene  wird  als- 
dann verehrt  und  gefeiert;  war  er  ein  Feigling,  so  geht  er  der 
Vorteile  von  iLiuihoca  verlustig.  Li  hohem  Ansehen  steht  bei  den 
Chiriguanos  der  Fuchs:  sie  verfolgen  ihn  nicht,  weil  sie  ihn  als 
den  Träger  der  Geister  ilirer  verstorbenen  Verwandten  ansehen. 
Nach  dem  Bellen  eines  sich  ihrer  Hütte  näherndeTi  Fuchses  glaui)en  sie 
voraussagen  zu  können,  ob  Frauen  oder  Männer  oder  beide  zugleich 
sterben. 

Anch  Erscheinungen  sind  ihnen  nicht  unbekannt;  die  Vision,  die 
sie  zu  erblicken  sich  einbilden,  führt  den  Namen  „Mba£^.^)  Wenn 
sie  ihn  gesehen  haben,  so  sind  -sie  überzeugt,  dafs  ihr  letztes 

^)  Sollte  dies  nicht  im  Zusainmenhang  mit  dem  frühor  mächtigen  Stamm 
der  Mbajas  stehen,  der  den  Chaco  zwischen  dem  20.  und  22.  '  s.  Br.  zu  Anfang 
des  17.  JahrhnnderU  bewohnte? 


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—   70  — 

StOndlein  geschlagen  bat  Es  giebt  Brujos,  welche  den  Mbal  zitieren 
und  yerschwinden  lassen  können.  Wenn  ein  MbaT  sich  in  einer 
Niederlassnng  gezeigt  hat,  schliefsen  die  erschrockenen  Chirigiuinos 
ihre  Hütten,  die  M<1dchen  und  Weiber  singen  mul  tanzen  um  die 
Wohnungen,  um  den  Mbai"  abzuhalten.  Dieser  tilaube  ij>t  boi  iluion 
so  tief  eingewurzelt,  dals,  wenn  sie  glauben,  dieseu  Geist  geseheu 
zu  haben,  nicht  selten  der  Schreck  sie  tötet. 

Sie  besitzen  eine  Men^^e  Traditionen  über  verschiedene  Tiere. 

Ueber  den  Pfert'erlresser  z.  B.  erzähleu  sie,  dals  der  Tuchs 
sich  viel  Chicha  gebraut  hatte  und  dafs  er  einem  schönen  Kind,  das 
sich  ihm  näherte,  davon  in  einem  iassi  genannten  länglichen  Gefass 
zum  trinken  anbot;  das  Kind  nahm  es,  und  w&hrend  es  trank, 
schlug  der  Fuchs  mit  seiner  Tatze  auf  den  iassi,  der  dem  Kinde  nun 
auf  die  Nase  in  der  Gestalt  des  bekannten  riesigen  Tukanschnabels 
anwuchs.  Bei  allen  Festlichkeiten  und  Zeremonien  ist  der  Verbrauch 
von  Chicha  sehr  bedeutend.  Wer  fremde  Httlfe  nötig  hat,  ruft  seine 
Freunde  zusammen  und  bezahlt  sie  mit  Chicha. 

Sie  zahlen  die  Zeit  nach  Monden.  Ein  Mond  ist  ein  Monat 
und  zwölf  Monde  oder  zwölf  Monate  machen  ein  Jahr;  sie  zillilen 
das  Jahr  auch  nach  der  Zeit,  die  zwischen  zwei  Aussaaten  der 
gleichen  Frucht  verfliefst.  Ihr  Alter  zählen  sie  nach  den  Feldern, 
die  sie  bearbeitet  haben,  ohne  es  aber  je  genau  zu  kennen.  Die 
von  den  Chiriguanos  kultivierten  Früchte  sind:  Zapallos  (efsbare 
Kürbisse),  mani  (Erdmandeln),  yuca,  porotos  und  frijoles  (Bohnen), 
aji  (spanischer  Pfeifer),  camotes  (sflfse  Kartoffeln).  Wenn  sie 
Schmerzen  in  den  Beinen  spüren  oder  von  einem  anhaltenden 
liarsch  ermüdet  sind,  machen  sie  sich  mit  einem  Glasplitter  lange 
aber  nicht  tiefe  Euischnitte  am  Knie.  Mit  einem  kleinen  Instrument 
pflegen  sie  sich  die  Barthaare  auszuraufen. 

Ihre  Tanze  und  Gesänge  sind  einförmig  und  bieten  wenig  Ab- 
wechslung. Die  Männer  versammeln  sich  im  Kreise  um  eine  grofse 
mit  Chicha  gefüllte  Urne  und  singen.  Die  Weiber  geben  sich  die 
liilnde  und  begleiten  den  Gesang  der  Milnuer,  wiihrcnd  sie  sich 
gleichzeitig  langsam  um  sie  drehen.  Der  Ball  endigt  mit  einem 
ausschweifenden  Trinkgelage,  bei  welchem  die  tierische  Natur  in 
Worten  uml  Geberdeu  die  Oberhand  gewinnt. 

Für  die  kriegerischen  Unternehmungen  haben  sie  eiuen  Haupt- 
anführer, der  die  Kapitäne  der  einzelnen  Ortschaften  znsammen- 
bernfen  l&fet  Ihr  Kostüm  besteht  in  einem  solchen  Fall  aus  einer 
Art  ledernem  Brustpanzer,  einer  Mütze  aus  Tigerfell  und  bewaffnet 
smd  sie  mit  Pfeilen  und  Bogen.  Nur  der  erste  H&uptling  hat  eine 
Lanze.  Nie  nehmen  sie  mehr  als  15  Pfeile  mit  sich,  wovon  sie  fünf 


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—    71  — 

iü  der  Ilan«!  und  zehn  auf  dem  Rücken  im  Bandelier  tragen;  das 
rechte   Handgelenk   ist   mit   einem   Lederring   geschützt.  Bevor 
sie  abziehen,  harungiert  der   KajMtfln  seine  Leute:    ;,Seid  nicht 
feiu'.  seid  mutig  und  wisset  eure  Weilar  und  Kinder  zu  verteidigen.* 
I>auii  stürzen  die  Weiber  aus  den  Hütten  liervor,   nehmen  sich 
zu  füufea  oder  secbsen  an  die  Haud  und  beginnen  sofort  einen 
besonderen  Taoz,  dessen  Takt  in  einer  Beugung  des  linken  Kniees 
mit  einer  Bewegung  nach  vom  und  hinten  besteht,  wobei  sie  foit- 
wi^end  ^yiia,  ha,  he,  he**  rufen.  Die  Krieger  ihrerseits  leiten  ein 
Scheingefecht  ein,  dessen  wilde  Aufregung  durch  die  sie  anfeuernden 
Weiber  vermehrt  wird.    Haben  sich  die  Weiber  ausserhalb  des 
Dorfes  von  den  Männern  verabschiedet,  so  kehren  erstere,  immer 
sinkend  und  tanzend,  zu  ihren  Jlfitten  zurück,  wo  sie  nun  grofse 
Quantitäten  Chicha  zubereiten.    Jeden  Morgen  bei  Sonnenaufgang 
wiederholen  sie  den  gleichen  Tanz  und  Gesang.    Wenn  sie  ghiuben, 
dafs   die  Rückkehr  der  Krieger  nahe  bevorstehe,    so  ziehen  sie 
den^^elbeu  in  Masse  entgegen.  Waren  jene  siegreich,  so  ist  alles  ein 
Sinixen  und  Tanzen,  kommen  sie  als  Besiegte  zurück,  so  ertönen 
Wehklagen.  Die  Sieger  schneiden  den  Feinden  die  Köpfe  ab,  nehmen 
die  Tembetaan  sich  und  bringen  diese  Trophtaen  ihren  Weibern,  welche 
sich  darum  balgen  und  sich  die  Köpfe  der  besiegten  Feinde  die 
ganze  Lange  des  Dorfes  hindurch  zuwerfen,  damit  Ball  spielen, 
darauf  spucken  und  sie  in  aller  erdenklichen  Weise  veruuglimpfen. 
Die  Gefongenen  sind  das  Eigentum  de^enigen,  der  sie  mit- 
gebracht hat;  sie  sind  seine  Sklaven,  über  deren  Leben  oder 
Tod  er  gebietet;  seinem  Weib  fällt  die  Aufeicht  über  sie  zu. 
W^enn    in  einem  Gefecht  ein  Augenblick  der  Gefahr  eintritt, 
wo  das  Zünglein  der  Wage  sicli  scliwankend  hin  und  herbewegt, 
so  rufen  die  Weiber,  die  anwesend  sind,  die  Sonne  um  Hülfe  an: 
„Chem  Cuarasi,  orembori.  oreparareco.^  (Mein  Vater  hilf  uns,  be- 
günstige uns.)    Wenn  das  Gefecht  verloren  scheint,  so  führen  sie 
im  letzten  Augenblick  alle  jungfräulichen  Indianerinnen  herbei,  welche 
sich,  in  der  rechten  Hand  eine  totuma  (Kalebasse)  haltend,  im 
Ilnl!>kreis  aufstellen.   Das  mit  Sand  gefüllte  Gefäfs  wird  über  dem 
Kopf  im  Kreis  geschwungen,  und  indem  sie  unter  dem  linken  Bein 
damit  durchfahren,  schleudern  sie  den  Sand  mit  aller  Gewalt  gegen 
die  Sonne.  Diese  Handlung  bedeutet,  dafs  der  Guarasi  ihre  Feinde 
zerstreuen  whrd,  wie  der  Wmd  den  Sand  zerstreut  hat 

Ist  der  Ghiriguano  dem  Tode  nahe,  so  versammeln  sich  seine 
Verwandten  und  Freunde  in  seiner  Hütte;  sie  bedecken  den  Ster- 
benden mit  Liebkosungen,  fahren  ihm  mit  der  Hand  iiber  die  Augen, 
die  Wangen  und  das  Kinn,  und  wenn  er  den  letzten  Seufzer  aus- 


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—    72  — 


gehaucht  hat.  stöfst  das  Weib  rinrn  ^rofson  Schrei  aus.  AUes  wphVlas:!. 
Der  Tote  wird  ijcwasclien.  irckäninit  und  eingekleidet.  Dann  bricht 
man  ihm  das  Rückgrat  und  schnürt  die  Beine  an  den  in  kauernde 
Stelhing  gebrachten  Körper;  in  dieser  Positur  setzen  sie  ihn  in  die 
Mitte  des  Raumes.  Die  Witwe  bricht  in  endlose  Klagen  aus: 
„Warum  hast  dn  mich  verlassen,  mein  Sohn,  mein  Freund,  Vater 
meiner  Kinder?  Wer  wird  jetzt  Holz  herbeischaiTen,  den  Mais  an- 
pflanzen?'' n.  s.  V.  Grewdhnlich  dauert  die  Leichenklage  drei  Tage 
und  drei  Nachte;  wahrend  dieser  Zeit  fasten  die  Hinterbliebenen. 
Hat  der  Verstorbene  einen  gewissen  Bang,  z.  B.  denjenigen  eines 
Kapitäns  bekleidet,  so  dauert  die  Lefchenklage.  an  welcher  sich 
stets  auch  die  Verwandten  und  Hekannten  beteiligen,  noch  weit 
länger  und  das  Fasten  wird  mit  viel  peinlicherer  Strenge  durch- 
geführt. So  lange  der  Tote  nicht  bestattet  ist.  haben  die  Kinder 
ihren  Platz  auf  den  Rohrl)cttstpllen  und  dürfen  weder  c<scn  noch 
trinken.  Vieruudzwanzig  Stuinlcu  nach  Kiutritt  des  Todes  fangt  der 
nächste  Verwandte  an,  die  Grube  auszuwerfen,  die  in  der  Hütte 
selbst  neben  einer  Wand  4—6  ni  tief  gegraben  wird:  je  mehr 
man  dem  Verstorbenen  Ehrfurcht  erweisen  will,  desto  tiefer 
wird  das  Grab  angelegt.  Während  dieser  Zeit  spaltet  die 
Witwe  eine  jener  grofsen,  Yambui  genannten,  zur  Ghicha- 
bereitung  dienenden  Urnen  in  zwei  Hälften.  Diese  bauchigen 
Thongeftlke  sind  etwa  80  cm  hoch  und  die  Breite  der  Oeffnnng 
mag  einen  Durchmesser  von  30  cm  haben.  Zuerst  wird  eine  Hälfte 
des  Yambni  ins  Grab  gelassen,  dann  senken  die  Verwandten  den 
Leichnam  unter  den  durchdringenden  Lamentationen  der  Witwe  in 
die  Erde  und  ))edecken  ihn  mit  der  anderen  Hälfte  de<  Yambui. 
Ein  scheufsliches  Heulkonzert,  an  welchem  alle  Anwesenden  Teil 
nehmen,  erbebt  sich;  die  grilfslichsten  \  erwünsclumgen  gegen  den 
Brnjo,  den  Urheber  des  Todes,  werden  ausgestofseu.  Ist  das  Grab 
zugeworfen,  die  Erde  eingestampft,  so  springt  alles,  Verwandte, 
Kinder  und  Freunde  zum  Flufs,  wo  sie  sich  baden  und  das,  was 
dem  Verstorbenen  angehörte,  einer  Wäsche  unterwerfen. 

In  die  Hätte  zuräckg^ehrt,  setzen  sie  sich  um  das  Grab 
hemm,  schneiden  der  Witwe  das  Haar  so  kurz  als  möglich  ab  und 
werfen  es  auf  das  Grab.  Die  Witwe  kniet  vor  dem  Grabe,  weint 
und  spuckt  bis  die  Oberfläche  der  frisch  umgewflhiten  Erde  mit 
ihren  Thränen  und  Speichel  benetzt  ist;  gleichzeitig  klo]>ft  sie,  den 
Verstorbenen  rufend,  mit  einem  Stein,  so  st^rk  sie  es  vermag,  auf 
den  Boden.  Dann  bedeckt  sie  sich  zum  Zeichen  ihrer  Trauer  den 
K(>i)f  mit  alten  Lumpen.  Ein  Jahr  wenigstens  mufs  sie  in  Znrück- 
gezogenheit  leben,  sich  weder  an  Festlichkeiten  noch  anderen  Versamm- 


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—    73  — 

hingen  beteilijren.  Jeden  Tag  während  dieser  Zeit  weint  sie  anf 
dem  Grab  ^^e,i:en  acht  Vhr  morgens,  Mittags,  um  vier  Uhr,  um 
acht  Ulir  abends  und  von  Mitternacht  bis  zwei  Uhr  morgens.  Die 
Verwandtrn  und  Freunde  sind  vpr])tbc]itet.  zu  dieser  niitterntlchtigen 
Stunde  in  ihren  Hütten  ebenfalls  das  Abscheiden  des  Verstorbenen 
zu  beweinen.  Wenn  die  Frau  sich  vor  AbUiuf  des  Trauerjahres 
wieder  verheiratet,  was  selten  vorkommt,  denn  die  Bewerber  sind 
rar,  so  wird  sie  von  jedermann  verachtet  Ist  das  Traueijahr  am, 
so  kann  sie  sich  wieder  verheiraten;  ihre  Enahen  gieht  sie  dann 
aber  ihren  Eltern,  weil  <ler  neue  Ehemann  sie  nicht  emfthren  will. 
Hat  sie  Mädchen,  so  heiratet  sie  ihr  Zukünftiger  oft  nur  in  der 
Hofihung,  auch  die  Tochter  zu  seiner  fVau  zu  machen,  und  es 
kommt  vor,  dafs  er  sich  am  gleichen  Tage  mit  der  Mutter  und  der 
Tochter  verheiratet.  Eine  Witwe,  die  verheiratete  Kinder  iuit, 
geht  keine  neue  Ehe  ein. 

Oer  Stamm  der  Chiriguanos  i<t  auf  folgende  Missionen  ver- 
teilt, deren  geographische  ]/,\'j:v  iioiierdinL!;s,  grofetenteiU  vom  euglischeu 
Ingenieur  Minchin,  l)estimmt  worden  ist; 

Mission  von  Machareti,  1869  gegründet;  s.Br.  20^  49'  Einwohner 
58'',  Länge  64^  35'  59"  W.  von  Paris ;  Höhe  Chiiigoano«. 


771  m  über  dem  Meer    3154 

Mission  Tiguipa,  1872  gegründet;  s.  6r.  20^  55'  16", 

Länge  64«  34'  58"   726 

Mission  Tarairi,  1854  gegründet;  s.  Br.  21''  05'  5C)", 

Lange  04*^  37'  U",  Höhe  6()2  ni  üher  dem  Meer 
Mission  San  Francisco,  1863  ^^e^^Tündet;  s.  Br.  21°  16' 

15",  Länge  (U"  40'  17"   954 

Miss^ion  A'juairenda,  1852  gegiiindet;  s.Br.2P42'  10", 

Hüiic  über  dem  Meer  778  m   695 

Mission  Chimeo.  1849  gegründet   144 

Mission  Itau,  1791—1845  gegründet   207 

Total   7279 


Die  ZahUmg  wurde  vom  Padre  Prafekten  der  Missionen  am 
20.  OJitober  1881  veranstoltet. 


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—   74  — 


Mitteilung  von  der  russischen  Polarstation  an  der 
^  Lena-Mündung. 

Die  erste  ausführliche  Nacluicht  von  der  russisclien  Tolar- 
Station  an  der  Lena-^lttndung  finden  wir  in  einem  Sclireiben,  weldies 
der  Arzt  der  Station,  Dr.  Alexander  Bunure.  an  den  Akademiker 
L.  von  Schrem'k  in  St.  Petersburg  gerichtet  hat  und  das  in  dem 
„Bulletin  de  TAcademie  des  sciences  de  St.  Peteisbonrg  Band  XI.** 
veröffentlicht  wurde.  Es  enthält  manche  interessante  naturwissen- 
schaftliche Mitteilungen  aus  dem  wenig  bekannten  Lena-Delta  und 
wir  geben  daher  in  nachstehendem  einen  Auszog  daraus.  Wir 
schicken  voraus,  dafs  das  Personal  für  die  Station,  deren  Einrichtung 
nnd  Leitung  dem  Stabskapitftu  vom  Steuermannsoorps  der  kaiser- 
lich rassischen  Marine,  Herrn  Jttrgens,  Übertragen  war,  bereits  am 
28.  Dezember  1881  St  Petersburg  znr  Reise  nach  Sibirien  verliefs. 
In  Irkntsk  und  Jakutsk  wurde  die  Ausrüstung  vervollstjlndigt  und 
Anfang  August  die  Heise,  die  Lena  abwärts,  angetreten.  Drei 
Schiffe,  beladen  mit  dem  Material  der  lv\i>editiou,  wurden  von  einem 
Dampfer  geschleppt.  Im  unteren  Lena-(lebiet,  bei  Tas-Arv  unter- 
halb Bulun,  strandete  eines  der  Fahrzeuge  und  die  an  Bord  behnd- 
lichen  Instrumente  wurden  durch  Feuchtigkeit  bescbiidigt.  Noch  im 
August  wurde  die  Insel  Sagastyr,  wo  die  Station  errichtet  werden 
sollte,  erreicht,  man  ging  an  die  Errichtung  der  Gebäude,  die 
meteorologischen  Beobachtungen  konnten  rechtzeitig  beginnen, 
wahrend  die  magnetischen  Beobachtungen  erst  nach  dem  dafür 
in  Aussicht  -genommenen  Termin  ihren  Anfang  nehmen  konnten. 
Die  Schwierigkeiten  der  ersten  Einrichtung  waren  nicht  gering. 
Dr.  Bunge,  dessen  Brief  vom  15.  (27.)  Dezember  1882  aus  Sagastyr, 
73«  22'  47"  n.  Br.  und  126«  36'  ö.  L.  Gr.  datiert,  schreibt  darüber: 

„Der  späte  Beginn  der  magnetischen  Beobachtungen  war  für 
unseren  Chef  eine  Quelle  bitterer  Sorgen.  Bei  seiner  Gewissenhaftig- 
keit nahm  er  sich  jede  neue  Verzögerung  sehr  zu  Herzen.  Er 
braucht  sich  aber  walirhaftig  keine  Vorwürfe  zu  machen,  denn  er 
hat  Tag  und  Nacht  an  der  .\ufstellung  der  Instrumente  gearbeitet. 
Unsere  verspätete  Ankunft,  die  Menge  der  Arbeit,  sowie  das  Wesen 
derselben,  waren  die  Haui)tursachen.  Man  nmfs  selbst  Mechaniker, 
Tischler,  Maurer  sein,  und  die  nngeübte  Hand  erfordert  mehr  Zeit. 
Die  meteorologischen  Beobachtungen  fingen  rechtzeitig  an,  nachdem 
wir  uns  mit  vereinten  Kräften  an  die  Arbeit  gemacht  und  diese  auch 
w&hrend  der  damals  noch  hellen  Nächte  an  der  Aufstellung  der 
Instrumente  sowie  iec  dazu  gehörigen  Baulichkeiten  fortgesetzt  hatten. 


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—   75  — 


Es  gehört  hier  zu  den  grOfsten  Schwierigkeiten,  ein  etwas  tieferes 
Loch  in  die  Erde  zu  graben.  Der  gefrorne  Sand,  auf  welchen  wir  im 
Herbst  in  etwa  einer  Arschin  (71  cm)  Tiefe  stiefsen  (genaue  Messungen  an 
Terschiedenen  Stellen  mnfsten  bis  zum  nächsten  Jahre  aufgeschoben 
werden),  ist  ein  Material,  das  jedem  Werkzeug  trotzt ;  nur  mit  der 
Hacke  gelingt  es,  kleine  Stücke,  die  einen  muscheligen  Bruch  zeigen, 
abzuschlagen.  Dazu  kommt,  dafs  wir  fast  nur  auf  unsere  Leute  und 
uns  selbst  'angewiesen  waren,  denn  die  hiesigen  Jakuten  sind  zu 
jäüiinerliche  Arbeiter.  Sie  verstellen  in  ihren  kleinen  Ixitcii  pfeil- 
schnell ilahiuzufahren,  Netze  zu  stellen,  eine  Gans  mit  ihrem  primi- 
tiven Bogen  zu  schiefscn,  auch  ein  schwimmendes  Rentier  abzustechen; 
aber  jeder  etwas  schwereren  Arbeit  sind  sie  nicht  gewachsen.  Hatten 
sie,  bisweilen  sechs  Mann  hoch,  einen  Balken  von  den  Barken  bis 
sn  den  Ort  seiner  Bestimmung  getragen,  so  setzten  sie  sich  gleich 
am  ein  Feuer,  um  Thee  zu  trinken  und  zu  schwatzen,  und  wurden 
«le  von  hier  vertrieben,  so  saüs  gleich  die  ganze  Gesellschaft  am 
Ufer  und  besprach  offenbar  unser  sonderbares  Treiben.  Sie  sehen 
den  Zweck  der  Arbeit  gar  nicht  ein;  weshalb  man  LOcher  in  die 
Erde  grub,  war  ihnen  vollkommen  unverstftTidlicli,  und  dafs  man  noch 
'^'ar  Eile  hat  bei  einer  solchen  LJeschaftigung,  blieb  ihnen  vollständig 
unklar. 

hiis  Wohnhaus  der  Station  ist  auf  trocknem  Sandboden  aus 
tiockneui,  abgelagerten  Holz  eriiaut,  für  genügende  Ventilation  sorgen 
zwei  Oefen  und  ein  jakutischer  Kamin.    Die  Luft  ist  so  trocken, 
dafs  z.  B.  ein  Kastchen  mit  Tabak  in  einem  bis  zwei  lagen  so 
trocken  wurde,  dafs  der  Raucher  das  Kraut  erst  anfeuchtete,  ehe  er 
es  io  die  Pfeife  stopfte.  Die  Temperatur  im  Hause  ist  warm  genug, 
bisweilen  steigt  sie  auf  +24°  C,  nur  bei  starken  Sttdwinden  fallt 
sie  auf  +10^  C,  wo  sich  dann  hier  und  da  im  Zimmer  ein  bald 
wieder  verschwindender  Keif  zeigt.  Geheizt  wird  meist  nur  einmal 
täglich  und  zwar  mit  Treibholz,  tüchtigen  Birkenstämmen,  die  ver- 
mutlich aus  grosser  Entfernung,  von  der  oberen  Lena,  herangeführt 
und  von  den  Jakuten  zur  Stelle  gebracht  wurden.    Das  Winter- 
leben im  Hause  ist  natürlich  ein  höchst  einförmiges,  <ler  Beobachtungs- 
dienst nimmt  alle  KrAfte  in  Anspruch.    Dabei  ist  aber  die  Stimnmng 
allgemein  eine  vortreffliche.    Inimer  hört  man  lachen  und  scherzen, 
bisweilen  Musik,  bei  den  Leuten  Harmonika  und  Flöte,  l)ei  uns  ein 
Harmonium,  das  die  Reise  glücklich  überstanden  hat  und  namentlich 
Sonntags  malträtiert  wird.    Den  Weihnachtsabend  verbanden  wir 
mit  dem  Sylvesterabend  und  verbrachten  ihn  sehr  heiter  und  froh. 
Wir  machten  den  Leuten  kleine  Geschenke  und  nachher  wurden 
Nefgahrsscherze  getrieben.  Das  Wetter  war  damals  ziemlich  warm, 


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die  Themionieter  stiegen  sogar  bis  in  die  zwanziger  Grade;  ;il)Pr 
ein  milder  Süd  von  6—10  m  in  der  Sekunde  verleidete  einem  doch 
den  Aufenthalt  draursen.  Die  niedrigste  bis  jetzt  heobachtete  Tem- 
peratur ist  — 48®  F.  In  der  letzten  Zeit  ist  es  vrieder  etwas  kflhler 
geworden,  die  Thermometer  zeigen  Temperaturen  um  —40®  herum.*' 

Als  Sammler  erklärt  Dr.  Bunge  vermutlich  nur  wenig  leisten 
zu  können, .  dies  bedinge  der  Hauptzweck  der  Expedition,  sowie  die 
Oeitlicakeit,  an  welcher  die  längste  Zeit  verbracht  wenh-n  luüssc. 
Jener  nehme  die  meiste  Zeit  in  Ansprnch,  die  Oertliclikeit  Vtiete  iin 
ganzen  wenig  Interessantes  d.ir.  ^Ich  hatte  viel  vom  Meere  geliotl't, 
sah  niicli  aber  bitter  getilnscht.  Wir  haben  die  Station  niclit  einmal 
am  Strande  errichten  können,  wenn  anch  südlich  von  uns  znr  Zeit 
der  Flut  das  Wasser  salzig  ist  und  wir  eigentlich  auf  einer  Insel 
leben.  Die  Küste  ist  ganz  flach,  das  Land  geht  allmiihlich  in 
Meeresboden  über,  wird  bald  von  der  Flut  überspült,  bald  liegt  es 
trocken  da.  Von  einer  Meeres-Fauna  und  Flora  kann  gar  nicht  die 
Rede  sein ;  die  spezifisch  arktische  Vogelfauna  fehlt  vollständig;  fast 
alle  Tiere,  die  ich  hier  gesehen,  kann  man  an  einem  Binnensee 
selbst  im  Sommer  finden.'' 

Unter  den  vorkommenden  Saugetieren  wird  zuerst  der  Eisbar 
erwähnt,  den  alljährlich  die  Bewohner  von  Tumat,  eines  Jakuten- 
dorfs, welches  der  Station  gegenüber  liegt  und  das  auch  Ketacli 
genannt  wird,  in  einigen  Kxeniplaren  erlegen.  Am  28.  Oktober 
töteten  die  Jakuten  ein  junges  MAnnchrn.  Der  Wolf  soll  als  Be- 
gleiter sowohl  der  wilden,  als  auch  der  zahmen  Rentiere  in  einem 
Theil  des  Delta  vorkommen.  Der  Fuchs  (cauis  vuli)es)  kommt  bis- 
weilen vom  Festlande  her  ins  Delta,  hat  aber  seinen  Bau  nicht  in 
demselben.  Das  rote  Fell  desselben  wird  von  den  Jakuten  besonders 
geschätzt.  Der  Eisfuchs  ist  sehr  hantig;  die  Bewohner  von  Tumat 
fangen,  wie  sie  angeben,*  in  ihren  Fallen  ungeföhr  300  im  Jahre. 
Bis  zum  Datum  des  Abgangs  seines  Briefe  hatte  Dr.  Bunge  bereits 
10—80  Schftdel  des  Eisfuchses  von  den  Jakuten  erhalten.  Auf  der 
Fahrt  durch  das  Delta  sah  Dr.  Bunge  mehrmals  in  grosser  Entr 
femung  EisfQchse,  meist  von  Mdven  watend  verfolgt.  Vom  Hermelin 
erhielt  Dr.  Bunge  eine  Anzahl  Felle  aus  verschiedenen  Jahreszeiten. 
Ueber  das  Rentier  sagt  Dr.  Runge: 

Das  Rentier  (Cervus  tarandus)  kommt  alljilhrlich  im  Frühling 
ins  Delta  und  zieht  im  Herbst  wieder  fort  in  die  Waldregion.  Uber 
die  .\rt  und  die  Richtung  des  Zuges  habe  ich  bis  jetzt  noch  nicht 
ins  Klare  kommen  können.  Die  Leute  scheinen  selbst  nicht  zu 
wissen,  welche  Richtung  es  einschlagt;  einige  versicherten  micli,  dafs 
es  während  des  ganzen  Winters  auf  dem  Changalachskij  Ghrebet 


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77  — 


bleibe,  und  mit  ihm  der  Wolf.  Beim  Abzüge  im  Herbst  erlegen  die 
Jakuten  die  Tiere  wahrend  sie  die  Stromanne  durchschwimmen.  Die 
erbeuteten  Tiere  sind  Gemeingut  und  werden  vom  Starosta  (Ältesten), 
der  sich  knjas  oder  kinjas  nennen  Iftfst,  verteilt.  Rentiere  zu 
»chiefsen  ist  den  Deltabewohnem  von  der  Giemeinde  verboten,  haupt- 
sachlich  wohl,  weil  die  Tiere  durch  Schüsse  scheu  gemacht  werden. 
In  diesem  Jahre  fiel  die  Rentierjagd  sehr  unglücklich  ans. 
Di.  I  ltisse  bedeckten  sich  vor  dem  Abzüge  der  Tiere  mit  Kis,  und 
SM^vohl  die  liiesigen  llewohner,  als  auch  die  Amerikaner  und  wir 
Kamen  in  eine  sehr  schlinmie  Lage,  da  wir  keine  Winterkleider 
erhalten  konnten.  Ich  fuhr  damals  (Ende  Sept.  a.  St.)  mit  Kapitän 
Harber  auf  Anraten  der  Jakuten  auf  den  Changalachskij  Chreljet*), 
um  selbst  das  Nötige  zu  scliieisen.  Wir  hielten  uns  während  der 
Zeit  bei  einem  mit  Rentierheerden  dort  nomadisierenden  Tungusen- 
stamme  auf,  der  si(  h  bereits  selbst  auf  dem  ßttckzuge  in  die  Wald- 
region am  Olenek  befand.  Mir  war  es  .eine  sehr  angenehme  Ab- 
wechselung. Wir  schössen  leider  nur  zwei,  da  die  Tiere  sehr  scheu 
waren  und  wir  nur  auf  *SI0O  bis  500  Schritt  zu  Schufs  kamen.  Durch 
Kauf  konnten  wir  aber  von  den  Tungusen  so  viel  Felle  erhalten, 
dafs  wenigstens  die  Amerikaner  fttr  ihre  Rquipirung  genug  hatten; 
wir  selbst  haben  uns  spater  vom  Omoloj  Folie  konnnen  lassen. 
Die  Brunstzeit  des  wilden  Rentiers  fallt  aul  lüide  Oktolier  bis 
Anfang  November  a.  St.,  diejenige  des  zahmen  gerade  in  die  Zeit 
un.seres  Aufenthaltes  bei  tlen  Tungusen"  (28.  !)is  2<).  Sept.  a.  St.) 

Vom  Bergseliaf  sali  Dr.  Bunge  vom  Scliiti,  da  wo  es  das  Lena- 
thal verliefs  und  id>er  eine  etwa  20  Werst  breite  Wasseiüü(!he  dem 
Delta  sich  näherte,  der  Insel  Stolbowoj  gegenüber,  auf  dem  hohen 
rechten  Ufer  der  Lena,  6  £xemplare;  die  neugierigen  Tiere  liefen 
eine  Strecke  mit  und  verschwanden  nach  einem  auf  sie  abgefeuerten 
Schufs  nur  auf  kurze  Zeit  Sie  sollen  in  jener  Cregend,  namentlich 
gegenüber  Kumaksur,  häufig  sein.  Anis  der  Entfernung  gesehen 
erschienen  sie  gleichm&ssig  hellgrau  gefärbt,  hatten  starke  HArner 
und  etwa  4  Fnfs  Rackenhöhe.  Das  Vorkommen  von  Lemmingen 
iu)  Delta  koimte  hisher  nicht  festgestellt  werden.  Auf  einer  kleinen 
Insel  nalie  der  Küste,  00  Werst  von  der  Station,  hatte  ein  Jakut 
zwei  männliche  Wal  rosse  ei'legt,  die  Schädel  wurden  dem  Dr.  Bunge 
gehr.n  ht  und  dürften  einen  Beitrau:  zu  der  Frage  der  circumpolaren 
Verbreitung  det»  Wuiroäses  lieferu.  Ueber  au  der  Küste  vorkommeade 

*)  Nach  der  Anjoa*8e1ieii  Karte,  Dr.  B.  bemerkt  dam:  Diese  Bezeichnung 
ist  den  hiesigen  Jakuten  ganz  unbekannt  nnd  auch  nicht  ganz  richtig;  ein  Ort 
auf  dieser  Insel  heilst  Kaigalach  oder  Chaigalach.  Die  bis  etwa  60  Fofs  sich 
erhebenden  Torf  hügel  einen  xChrebet*  (Gebirge)  zn  nennen,  ei-scheint  etwas  kübn. 


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—   78  — 

Seehunde  konnte  bis  dahin  nichts  Bestimmtes  ennittelt  werden. 
Delphine  sollen  im  Herbst,  ehe  der  Flufs  sich  mit  Eis  bedeckt,  aus 
dem  Meere  in  den  Strom  kommen,  doch  gerade  im  Herbst  1882 
blieben  die  Delphine  aus. 

Von  Y(>iieln  n'whi  Dr.  Bimire  ein  lanires  Verzeichnis  der  von 
ihm  auch  auf  der  Reise  durch  Sibirien  beobachteten;  dasselbe  zählt 
101  Nuinineni. 

Aus  der  Klasse  der  Reptilien  wurde  auf  der  gauzeu  Reise  kein 
Vertreter  angetroffen. 

Anders  ist  es  mit  den  Fischen.  Die  auch  aus  dem  Ob  und 
JtMii^sej  bekannten  fünf  Korregoni  den -Arten:  Njelma,  Mnlvsiin, 
Tschir,  Omul,  Seldj  bilden  wahrend  des  Winters  fast  aiisschUesslich 
die  Nahrung  der  Deltabewohner.  Sie  sind  von  vorztiglichem  Ge- 
schmack. Der  Herbstfaug  für  die  Station  fiel  reichlich  aas;  so 
wurden  an  einem  Morgen  in  drei  kleinen  Stelinetsen  aus  Pferdehaar 
drei  Njelmas  und  35  Mnksuns  und  Omnls,  ssusammen  ungefähr 
öVf  Piid  fl  Pud  =  16V8  kg)  wiegend,  gefangen.  „Der  Fischreichtum 
ist  wohl  ein  ganz  kolossaler."  Von  Salmoniden  wurdeu  drei  Arten 
gefangen.  Lota  vulgaris  kam  im  Herbst  häufig.  Cvprinoiden  sollen 
im  Delta  gar  nicht  vorkounnen.  Von  Ganoiden  wurden  drei  Arten 
gesehen. 

Die  Sammlung  an  wirbellosen  Tieren  wird  als  kaum  der  Er- 
wähnung wert  bezeu-hiH't. 

Ein  kleines  etwa  iKX)  Arten  umfassendes  Herbarium  wurde 
zusammengebraclit. 

Die  Erkundigungen  über  Manunntfunde  im  Gebiet  der  unteren 
Lena  hatten  bis  dahin  kein  positives  Resultat;  nach  der  Meinung 
des  Schreibers  in  Bulun  sollen  vor  etwa  zwei  Jahren  in  der  That 
in  der  Tundra  Mammntreste  mit  zum  Teil  erhaltenen  Weichteilen 
von  den  Tungusen  gefunden  sein,  allein  dergleichen  wird  von  ihnen 
trotz  des  von  der  Petersburger  Akademie  ausgesetzten  Preises  ver- 
heimlicht und  zwar  wegen  der  Umstände  des  Transports  und  des 
Zusammentreffens  mit  den  Beamten,  Ein  auf  der  Insel  Arv  ge- 
fuiKlemr  Mammut -Unterkiefer  und  Schädel,  in  welchem  jedoch  die 
St(>>szahne  fehlten,  wurde  dem  Dr.  Uiiii'-re  ausgeliefert,  und  hei  Mit- 
teiluim  dieses  Fundes  macht  Dr.  Bunge  folgende  Bemerkungen  über 
die  Bodenbildnng  im  Delta: 

„Die  Bodenbeschaffenheit  in  Arv  ist  nach  Aussage  der  Jakuten 
ganz  dieselbe  wie  hier:  richtige  Deltabildung.  Die  Entstehung  des 
Torfes  lalst  sich  auch  jetzt  sehr  gut  verfolgen.  Die  Grundlage 
bilden  die  durch  die  Lena  angeschwemmten  Sandmassen,  die  im 
stillen  Wasser  zu  Boden  sinken.  Der  Sand  ist  meist  ziemlich  grob- 


.  Kj      L  y  Google 


—   79  — 


tornig.  Sieine,  gidfiser  als  eine  Erbse  oder  Bohne,  kommen  nicht 
vor.  Es  ist  sehr  charakteristisch  für  die  hiesige  Gegend,  dafs  ein 
Jakute,  der  gehört  hatte,  dafs  ich  Naturalien  (^Seltenheiten") 
sammele,  mir  einen  Kieselstein  von  der  GrOfse  einer  Kartoffel 
bniehte;  er  erzählte,  er  habe  ihn  in  einem  Gänsenest 
gefunden,  derselbe  sei  ganz  wann  gewesen  u.  A.  Kin  Stein  von 
solcher  Gröfse  war  ihm  aufgefallen!  Auf  einer  solchen  Sandbank 
nun.  die  bei  besonders  hohem  Wasserstande  sich  gebildet  hat  und 
nirlit  nielir  alljährlich  überschwemmt  wird,  stellt  sich  bald  einige 
Vegetation  ein,  Poa,  Myosotis  und  bald  auch  einige  Moose.  Ich  habe 
hier  Sphagnum  in  reinem  Sande  wachsen  sehen;  die  Stelle  war  nicht 
etwa  obertlAchlich  versandet,  sondern  der  ganze  Boden  bestand,  so 
weit  wir  gruben,  aus  reinem  Sande,  der  keine  Spuren  von  Pflanzen- 
fiberresten  enthielt  Mit  den  Moosen  ist  der  Beginn  znr  Torf  bildung 
gelegt,  die  ganz  kolossale  Dimensionen  erreicht;  an  einzelnen  Stellen 
der  Tumatskaja  protoka  war  die  Torfschieht  am  Ufer  wohl  25-^ ' 
stark.  Nimmt  man  hierzu  noch  die  Hebung  des  Bodens,  die  ja  fflr 
die  nordsibirische  Kttste  angenommen  wird  (bei  den  hiesigen  „ältesten 
[.eilten*"  konnte  ich  in  dieser  Beziehung  nichts  durch  Fragen 
herausbckuiinucii  I.  so  kann  man  sich  die  Kntstehung  der  als 
j,ChangalachskiJ  Ciirebet"  bezeichneten  Hügel  vollständig  erklären. 
l>ie  im  Delta  vorh.andenen  groiseren,  zum  Teil  sehr  fischreichen 
Seen  sind  Ueberreste  früherer  Sti-omarme,  die  durch  neue  ersetzt 
wurden,  wie  das  jetzt  noch  alljährlich  geschieht.  Dafür  spricht 
anch  das  Vorkommen  von  Trcibholzstämmen  an  den  Seen,  die  jetzt 
unmöglich  mehr  hinkommen  können.  Auch  die  allmähliche  Aus- 
bildung, Abrundung  der  Seen  läfst  sich  noch  jetzt  weiter  verfolgen. 
Die  kleineren  Seen  oder  Torfteiche  sind  ihrer  Bildung  nach  identisch 
mit  ebensolchen  in.  unseren  Moosmorftsten.  Aus  dem  hier  Gesagten 
gebt  znr  Genfige  hervor,  dafs  im  Delta  aufser  Arereinzelten  Knochen 
keine  weiteren  Ueberreste  gefunden  werden  können.  Adams  hat  ja 
sein  Mammuth  auch  nicht  hier,  sonderu  sttdlicb  vom  Kap  Bykot)',  am 
Fciitlande  gefunden." 

^Nirgends  machte  sich  der  Mangel  an  Zeit  mehr  fühlbar,  als 
bei  der  Untersuchung  der  geologischen  Profile.  Dazu  kam  noch 
bei  mir  der  Mangel  au  Keimtnis^eu  auf  diesem  Gebiete,  der  mich 
binderte  einen  schnellen  l  eberblick  über  das  vorliegende  zu  ge- 
winnen. Ich  glaube  aber,  dafs  gerade  auf  dem  Gebiete  der  Geologie 
am  unteren  Lauf  der  Lena  viel  geleistet  werden  könnte.  Ich  hatte 
leider  in  Petersburg  zu  wenig  Zeit,  um  mich  mit  einigen  geologischen 
Kenntnissen  zu  versehen.  Ich  glaube,  dafs  man  selten  so  schöne 
geologische  Profile,  eine  solche  Mannigfaltigkeit  der  Schiohteu  an- 


Digiii^eu  by  Co<^le 


—   80  — 


treften  kauii  wie  hier.  Wenn  ich  vou  der  Barke  aus  in  der  Entfernung 
ein  »olches  Profil  bemerkte,  so  traf  ich,  falls  wir  nicht  zu  weit 
vorüberfuhren,  gleich  Vorbereitungen,  um  dort  zu  landen,  nahm  meinen 
photograpliischen  Apparat  und  meinen  geologischen  Hammer  in  ein 
kleines  .Boot  und  fuhr  voraus  hin.  Je  näher  man  der  Felswand 
kommt,  desto  mehr  sieht  man  die  Unmöglichkeit,  in  kurzer  Zeit 
etwas  thun  zu  können,  ein,  und  ist  man  endlich  am  Ufer,  so  steht 
man  da,  wie  —  nun,  man  darf  auch  gegen  sich  selbst  nicht  zu  grob  - 
werden.  Aber  man  ist  wirklich  in  einer  schlimmen  Lage: 
erhebt  sich  die  Felswand,  senkrecht  oder  überhangend,  eine  un- 
geheure Aii/.ahl  der  verschiedensten  Sihichten  präsentierend;  nur 
mit  Mülie  erreicht  man  die  untersten,  vom  Geröll  nicht  bedeckten 
Schichten,  alles  was  drül)er  ist,  bleibt  unerreichbar." 

„Im  allgemeinen  steigen  die  Schichten,  wie  bereits  C/okanowski 
mitgeteilt  hat,  von  Süden  nach  Norden  an;  seltener  senken  sie  sich 
nach  Norden  hin;  noch  seltener  sind  sie  ans  ihrer  horizontalen  Lage 
in  eine  fast  oder  ganz  senkrechte  umgestürzt  (etwas  unterhalb  tiulun). 
Am  deutlichsten  kaun  man  das  allmähliche  Ansteigen  an  den  ober- 
halb Shigaask  beginnenden  Kohleuschtchten  verfolgen.  Man  sieht 
sie  dicht  über  dem  Wasserspiegel  beginnen  und  einige  Werst  unter- 
halb an  der  Oberfläche  verschwinden;  unterdes^^en  sind  aber  wieder 
darunter  liegende,  nene  aufgetreten,  so  dafs  man  bisweilen  an  einer 
Stelle  des  Profils  3 — 4  Kohlenschichten  sieht,  jede  von  der  anderen 
durch  eine  gröfsere  Anzahl  Thon-,  Schiefer-  oder  Kalksteinschichten 
getrennt.  Die  Kohlenschichten  sind  meist  von  geringer  Mächtigkeit, 
bis  8  Fufs.  Kin  griifseri^s  Lairer  betindet  sich  nicht  weit  von 
Jakutsk.  etwa  50  Werst  luiteilialb;  es  ist  zum  Teil  ausgebrannt. 
Hier  erreichen  die  Kohlenschichten  eine  Dicke  von  mehreren  Metern; 
über  denselben  liegt  eine  mibe  an  100  Fuls  starke  Sandschicht,  unter 
denselben  die  auch  ,bei  Irkutsk  vorkommenden,  stark  saiidhaltigon 
pflanzenführenden  Juraschichten.  Die  Kohle  ist  meist  gut  und  fest; 
ich  habe  von  verschiedenen  Stellen  Proben  mitgenommen.  Melville 
soll  in  der  N&he  von  Bulun  ein  gröfseres  Kohlenlager  entdeckt 
Imben;  für  die  Gröfse  desselben  spricht  der  Umstand,  dafs  er  Bennett 
proponiert  hat,  sich  das  Recht  der  Exploitierung  desselben  zu  ver- 
schaffen. Fossile  Pflanzenreste  fanden  sich  flherall,  nirgends  aber  in 
einem  solchen  Zustande  der  Erhaltung,  dafs  sich  die  Aufbewahrung 
gelohnt  hätte;  einige  Proben  habe  ich  selbstverstilndlich  mitgenommen." 

„Zum  Schlufs  will  ich  noch  erwähnen,  dafs  es  mir  geliiniien  ist, 
atu'h  einiges  anthropologisches  Material  zu  erhalten,  dank  dem 
friiheren  Brauch  der  Deltahewohner,  ihre  Toten  zu  bestatten.  Neuer- 
dings vergraben  sie  dieselben,  ofi'eubar  vou  der  üeibtlichkeit  dazu 


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81 


Angehalten  (der  Priester  yon  Bulun  kommt  jährlich  etwa  zwei  Mal 
Irierher),  in  die  Erde.  Frflher  wurden  sie  in  einem  ganz  primitiven 

Sarge  = —  vier  Bretter  und  zwei  Brettchen  oder  ein  ausgehöhlter 
Baumf^tamm  mit  einem  Deckel  —  auf  einem  Gestell,  zum  Schutze 
gejien  die  P^isfüchse,  in  der  Tundra  ausgestellt.  Derartige 
Särge  finden  sich  allenthalbon  zerstreut  in  der  Umgebung  unserer 
Station.  Im  nächsten  Frilhlinsr  will  ich  von  einigen  derselben 
Photographien  aufnehmen.  Aus  einigen  habe  ich  die  Schädel  bereits 
berausgenommeD  und  denlce  diese  Kollektion  im  Laufe  des  Sommers 
zu  vervollständigen.  Ausser  den  mit  Lumpen  oder  Fellstücken  bedeckten 
Skeletten  war  in  den  Särgen  nichts  Bemerkenswertes ;  nnr  in  einem 
Itnd  ich  einen  Stock.  Diese  Särge  sind  anch  insofern  interessant, 
als  sie  meist  sehr  alt  sind  und  einen  vortrefflichen  Boden  fGlr  eine 
grolse  Anzahl  von  Flechten  und  Moosen  abgeben,  die  bei  dem 
Mangel  an  Steinen  auf  ihnen  in  gedrAngter  Mannigfaltigkeit  Platz 
genommen  haben. 

Bekanntlich  werden  die  Beobachtungen  an  der  Lena -Station 
noch  ein  zweites  Jahr  fortgesetzt  und  die  Station  wird  also  erst  im 
August  1884  aufgehoben.  Nach  den  weiteren  Nachrichten  befindet 
sich  das  Personal  in  bestem  Gesundheitszustand,  namentlich  wurde 
der  Winter  J882;83  wohl  bestanden.  Schon  im  Januar  1883  fiel  das 
Thermometer  öfter  unter  — 40  Die  gröfste  Kalte  hatte  man  — 
wie  dies  bekanntlich  in  der  Regel  der  Fall  ist  —  im  Februar;  am 
9.  Februar  fiel  es  unter  —62^0.  Selbst  im  M&rz  war  es  am  Tage 
noch  —  19^  bei  Nacht  —  40«  C. 


Zustände  in  der  NegerrepuUik  Liberia. 

Nach  J.  Büttikofer. 


Unter  dem  Titel:  „xMeflelingen  over  Liberia"  werden  in  dem 
kürzlich  erschienenen  Beiheft  No.  12  der  Zeitschrift  der  geogra- 
phischen Gesellschaft  zu  Amsterdam  die  Hauptergebnisse  einer  in 
den  Jahren  1880  bis  1882  unternommenen  geographischen  und 
naturwisseoscbaftlichen  Bereisung  des  Gebiets  der  Negerrepublik 
Liberia  in  zasammenhängender  Darstellung  und  von  einer  Karte 
begleitet'),  veröffentlicht  Der  eigentliche  Zweck  dieser  Heise,  deren 

Die  Karte  stellt  das  westliche  Liberia  im  Mafsstab  von  1 : 300,000  dar. 
Herr  Bütlikofer  bemerkt  dazu:  .A«f  meinen  vielen  Streifzügen  habe  i(  )i  stets  raein 
Bp^jtt's  j^f'than,  um.  in  F.rimiii^elimg  dor  nötigen  Instrumente,  für  die  Orts- 
bcstuaitiungen  mit  Hülfe  von  Kompaispeiluugen  und  durch  möglichst  genaues 
G«o^.  Blgttwr.  BrtBMi,  18|i.  S 


uiyiü^uü  Oy  Google 


Kosten  von  dem  verdienstvollen  Direktor  des  naturwissenschaft- 
lichen Reichsmuseums,  dem  jetzt  leider  verstorbenen  Professor  Dr. 
H.  Schlegel,  bestritten,  deren  AusfBhmng  dem  Assistenteii  dieses 

Museums,  dem  Schweizer  J.  Büttikofer  und  C.  F.  Sala  ttbertrasren 
wurde,  waren  zoolojjjiscbe  Samralungeu.  Wenn  nun  auch  in  dieser 
Kichtung  die  Rei.>e  zwar  nicht  durch  Vollständigkeit  abschliefsende, 
aber  jedeufall^  reiche  llesnltate  gehabt  hat,  so  tritt  doch  in  den 
uns  vorliegenden  „Mitteiluniren"  der  Standpunkt  des  Zoologen  in 
keiner  Weise  einseitig  hervor,  vielmehr  lehrt  uns  ein  Blick  in  den 
der  eigentlichen  Reiseerz&hlung  voraugestellteu  allgemeinen  Teil, 
dars  Battikofer  und  Sala  —  letzterer  starb  leider  w&brend  der 
Heise  unter  den  Einwirkungen  des  Klimas  —  ihr  Augenmerk  anf 
alle  Erscheinungen,  Verhaltnisse  und  Thatsachen  von  Bedeutung 
richteten.  Das  ISO  Quartseiten  umfueende  Heft  enthalt  nach 
einem  noch  von  der  Hand  Professor  Schlegels  geschriebenen  Vor- 
wort und  einer  Einleitung  im  ersten  Hauptstttck  Mitteilungen  aber 
das  Land  und  seine  Erzeugnisse.  Darin  werden  Orographie,  Hydro- 
graphie, Jahreszeiten.  Klima  und  Gesundheitszustand,  Bodenbeschaflfen- 
heit  und  geologische  Eigentümlichkeiten,  Ptianzenwuchs  und  Tier- 
welt behandelt.  Das  zweite  Hauptstück  ist  der  Bevölkerung  von 
Liberia  gewidmet  und  zwar  wird  hier  zunächst  die  politische  und 
soziale  Geschichte  der  Republik  abgehandelt  und  sodann  ein  Bild 
der  physischen,  wirtschaftlichen  und  sittlichen  Zustände  der  ver- 
schiedenen vorzugsweise  das  Innere  des  Gebiets  der  Republik  be- 
wohnenden Negerst&mme  (die  wohl  von  den  Liberianern,  den  ans 
Amerika  eingewanderten  Farbigen  und  ihren  Nachkommen  zu  unter- 
scheiden) gegeben.  Das  dritte  »Skizzen  aus  unserem  Leben  in  Liberia'^ 
flbersehriebene  Hanptstück  enthält  den  Bericht  Ober  die  verachie- 
dehen  Reisen  Bftttikofers  und  seines  Begleiters,  des  J&gers  Sala, 
an  der  Küste  und  im  Innern.  Am  15.  November  1879  gingen  sie 
mit  dem  Schiff  „Libra",  Kapt.  Bakker,  von  Rotterdam  in  See.  Die 
„Libra",  Eigentum  des  Handelshauses  Hendrik  Müller  &  Co.  in  Rot- 
terdam, das  in  Monrovia  eine  Faktorei  besitzt,  kam  am  8.  Januar 
1880  auf  def  Rhede  dieser  Hauptstadt  der  Negerrepublik  an.  Nach 

ScliStEen  der  Abstäude  ein  richtiges  Bild  der  dorcbniiten  Strecken  geben  zu 

können.  Als  Stützpunkte  für  das  Anlegen  meiner  Karte  dienten  die  mathematisch 
bestimmten  Punkte  Monroria  und  Qrand  Kap  Mount.  sowie  die  Mündung  des 
Little  Kap  Mount-Flussea.  Die  Ortsbestimmungen  de»*  Hherianisrheii  Reisenden 
Andersen  in  dem  Bericht  über  seine  Reise  nach  liugoro  und  Mussarda  sind, 
ebenso  wie  die  ganze  beigefügte  Karte,  in  hohem  Mafse  ungenau.  Unhcr»- 
wichtigsten  Jagd-  und  Reisetouren  sind  mit  einer  roten  Linie  verzeichnet.  Viele 
dieser  Toareo  habe  ich  mehrmals  gemacht  und  mich  dann  immer  bemflbt,  die 
früheren  Anfseichnnngeu  so  berichtigen  und  sn  TerroUatfindigen  u.  s.  ir.** 


I 


—   83  — 


aeantftgigein  Aufenthalt  wurde  die  Heise  mit  Boot  Ins  Innere  an« 
getreten.  Durch  den  Stockton  Kreek  errreichte  man  den  nahe 
mnet  Mündung  etwa  1000  Schritt  breiten  St.  Paul-Flufs  und  auf 
fiesem  die  amerikanische  (früher  Baseler)  lüssionsstation  Mflhlen- 
bnrg.  Nach  kurzem  Aufenthalt  zogen  Bdttikofer  und  Sala  mit 
einer  grölseren  Anzahl  Tragern  noch  eine  Strecke  stromaufwärts 
am  rechten  Ufer  des  St.  Paul  und  errichteten  hier  nach  einander 
mehrere  Saramel-  und  Jagdstationen  inmitten  einer  aufserordentlich 
reichen  Tier-  und  Pflanzenwelt,  lieber  diesen  Arbeiten,  die  durch 
Klima,  Fieber  und  die  von  den  diebischen  Eingeborenen  bereiteten 
Schwierigkeiten  oft  genug  gestört  und  unterbrochen  wurden,  ver- 
ging der  Sommer.  Ende  Oktober  erfoli^te  die  Rückkehr  nach  Mon- 
rovia, von  wo  nun  die  gemachten  Sammlungen  nach  den  Nieder- 
landen geschickt  wurden.  Am  15.  November  1880  fuhren  die  Rei- 
senden nach  dem  45  miles  nordwestlich  von  Monrovia  belegenen 
Kflstenplatz  Robertsport  bei  Kap  Mount.  Am  Nordufer  des  mit 
der  See  in  Verbindung  stehenden  Fisherman  Lake  wurden  neue 
Jagdstationen  errichtet,  nachdem  der  schwarze  König  des  Gebiets, 
welches  den  etwa  12  miles  langen  und  4^  miles  breiten  See  be- 
grenzt, seine  Zustimmung  gegeben  hatte.  Die  Erforschung  des 
Sees  und  seines  Ufergebiets ,  ferner  des  südlich  davon  gelegenen 
isolierten  Kap  Mount-Gebirges,  Reisen  am  Marfa-Flufs  und  Japaca 
Kreek  hinauf,  eine  neue  Fahrt  nach  Monrovia  und  zurück,  endlich 
eine  Folge  zum  Teil  tief  in  den  Urwald  hinein  fortgesetzter  Jagd- 
touren füllten  das  Jahr  1880/81.  Im.Juni  starb  leider  Sala  unter  den 
Einwirkungen  des  Klimas;  auch  die  im  April  1882  erfolgte  Rück- 
kehr Büttikofers  nach  den  Niederlanden  wurde  durch  Gesundheits- 
rflcksichten  veranlafst.  Der  lange  Aufenthalt  Büttikofers  in  Liberia, 
sem  vielseitiger  Verkehr  mit  den  Liberianern  sowohl  wie  mit  den 
Eingeborenen,  den  europftischen  Handelsagenten  und  den  Missionaren, 
Tor  allem  die  ruhige,  objektive  Darstellung  verleihen  auch  dem  Teil 
seine»  Berichts,  welcher  sich  auf  den  Entwicklungsgang  der  Republik, 
ihre  politischen,  sozialen  und  wirtschaftlichen  Zustände  bezieht,  einen 
bedeutenden  Wert  und  diesem  Abschnitt  entnehmen  wir  die  nach- 
stehenden Mitteilungen. 

Die  „Pfefferküste",  das  jetzige  Gebiet  Liberia,  lieferte  zur  Zeit 
der  Blüte  des  Sklavenhandels  einen  bedeutenden  Teil  des  nach 
Amerika  ausgeführten  .F'.benholzes".  Die  früheren  Sklavenfaktoreii'U 
sind  jetzt  verfallen,  doch  im  Binnenlande  blüht  die  Sklaverei  noch 
immer.  Im  Jahre  1816,  als  noch  der  Sklavenhaii'iel  in  vollem  Gange 
war,  errichteten  edle  Menschenfreunde  in  den  Vereinigten  Staaten 
die  „Nordamerikanische  Kolonisationsgeseilschaft^,  welche  sich  die 

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—  u  ^ 

Aufgabe  stellte,  den  freii^ewordenen  nnd  ohn%  Beschaftigiinf;  sich 
in  den  Vereinigten  Staaten  nniliertreibenden  Negern  Gelegenheit  zur 
Rückkehr  nach  Afrika  zu  geben  und  dort  durch  sie  eine  Kolonie 
gilinden  zu  helfen.  Von  ilieser  ^cliristlichen  Negerkoionie"  versprach 
man  sich  soirar  einen  günsfigeu  EinHufs  auf  die  Zivilisation  Afrikas 
überhaupt.  Das  in  den  Vereinigten  Staaten  gebildete  Komitee  sandte 
zuerst,  von  der  Vereinigteu  Staaten  llegierung  kräftig  unterstützt. 
Kommissare  nach  Sierra  Leone  und  diese  erkoren  die  etwa 
100  miles  südöstlich  von  Sierra  Leone  gelegene  Insel  Sherbro  als 
erstes  Terrain  der  Ansiedlung,  weldie  im  Jahre  1820  begann.  Die 
Wahl  war  indessen  keine  glückliche ;  ausbrechende  Krankheiten  and 
in  Folge  derselben  groCse  Sterblichkeit  unter  den  88  Kolonisten 
veranlalsten  die  Verlegung  der  Kolonie  nach  einem  am  Festlande 
der  Ffefferküste,  nahe  Kap  Messnrado,  angekauften  Gebiet,  das  nun 
den  Namen  Liberia  erhielt;  auf  dem  Racken  jenes  Vorgebirges 
wurde  eine  Stadt  gegründet  und  nach  Monroe,  dem  ehemaligen 
Präsidenten  der  Vereinigten  Staaten,  Monrovia  genannt  Trotz 
mancher  Schwierigkeiten  entwickelte  sich  die  junge  Kolonie  zusehends. 
Jeder  aus  Amerika  einwandernde  freie  Kolonist  empfing  kostenlos 
ein  Holzhaus,  ein  Stück  Land  und  Unterhalt  für  den  ersten  Monat. 
Mehr  und  mehr  wurden  längs  des  St.  Pauls-  und  des  Messurado-Flusses 
Zucker-  und  Katfeeplantagen  anirelegt.  die  wohl  gediehen.  Das 
Gebiet  der  jungen  Republik  wurde  unter  der  vortreft'liclien  amerika- 
nischen Leitung  weiter  ausgedehnt  und  umfafste  schlielslich  die 
ganze  Küste  östlich  von  der  Insel  Sherbro  bis  nach  Kap  Palmas. 
Die  Verträge  mit  den  eingeborenen  Fürsten  über  Abtretung  Ton 
Iiand  beliefsen  dieselben  als  Kegenten  ihrer  Stämme,  machten  sie 
aber  dafür  Terantwortlich,  dais  ihre  Unterthanen  keine  Unruhen 
stifteten  und  liberianischen  Kolonisten  keinen  Schaden  zufügten. 
Als  Preis  für  das  Land  wurde  leider  immer  Branntwein  geboten  und 
angenommen.  Jene  Kontraktsbedinguugen  sind  jetzt  hei  den  ein- 
geborenen Forsten  schon  langst  vergessen ;  diese  führen  fortwährend 
Krieg  mit  einander,  nnd  machen  und  halten  Sklaven,  bei  ihnen 
steht  die  liberianische  Regierung  nicht  im  gering>ten  Respekt,  wovon 
sich  unsere  Reisenden  bei  ihrem  Verkehr  mit  den  im  Innern  <les 
Landes  wohneuden  Eingeborenen  zu  überzeugen  vielfach  Gelegenheit 
hatten. 

Im  Jahre  1847  erklärte  sich  die  Kolonie  selbständig  und  von 
den  Vereinigten  Staaten  unabhängig ;  die  europäischen  Staaten, 
zuletzt,  1857,  auch  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  erkannten 
sie  an.  Die  Staatsverfassung  war  nach  amerikanischem  Muster 
geschaffen;  an  der  Spitze  steht  ein  Präsideut,  der  die  aut^führende 


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—    85  — 


Gewalt  hat  :  die  gesetzjrebemle  Vprsnniinlun.-i  bilden  ein  Senat  und 
ein  Reprft>;entantenhaus.  Sitz  der  Kejjrieninir  ist  Monrovia,  die 
nmtliche  Sprarlio  ist  die  enirlisclio ;  die  Verfassung  sichert  den 
BürL'ern  volle  (Tlaubens-.  Rede-  und  Pri^fsfreiheit  zu,  eine  besondere 
Bestimmung  ist  die,  (iafs  Weifse  in  Liberia  keinen  (Grundbesitz  haben, 
anch  kein  Staatsamt  bekleiden  dürfen.  Dieselbe  stammt  aus  jener 
ersten  Zeit,  wo  die  Sklaverei  an  der  Küste  in  voller  Blttte  war 
und  an  den  verscliiedenen  Kflstenplätzen  angesessene  Sklavenhändler 
die  Eingeborenen  fortwährend  zn  Feindseligkeiten  gegen  die  jnnge 
Kolonie  anreizten.  Die  letztere  gedieh  nnter  ihrem  ersten  Präsidenten 
Boberts  nnd  seinem  Nachfolger  Benson.  Die  Einwanderung  ans 
Amerika  nahm  zn;  bedeutende  Lftndereien  wnrden  angekauft  und 
am  Fofs  des  Grand  Kap  Mount-Gebirges,  an  der  Ausmündnng  des 
jEnrofsen  und  schönen  Fishennan  -  Sees ,  die  Kolonie  Robertsport 
ireiiründet.  deren  La-zo  an  der  Münduni;  mehrerer,  ziemlich  weit 
ins  Innere  hinein  srhit^'barer  Flüsse  wie  die  schöne  Rhede  dem 
Handel  grofse  Vorteile  bieten. 

Im  östlichen  Teile  (b^r  Republik  entstanden  die  Niederlassungen 
von  Grand  Bassa  (Tulina  und  Buchanan)  an  der  Mündung  des 
St.  Johns  River,  weiter  südöstlich.  Sinoe  und  Harper  bei  Kap 
Palmas.  Nachdem  die  1884  auf  ähnlichen  Grundlagen  errichtete 
Negerrepublik  Maryland  mit  Liberia  vereinigt  worden,  nmfafste  das 
liberianische  Staatsgebiet  die  ganze  Küste  von  der  Insel  Sherbro  bis 
etwas  Qber  Kap  Palmas  hinaus  nnd  wurde  politisch  in  vier  Gounties 
oder  Provinzen:  Montserrado  (Grand  Kap  Monnt  eingeschlossen), 
Grand  Bassa,  SInoe  und  Kap  Palmas  (mit  Maryland)  eingeteilt. 
Indessen  darf  man  sich  nicht  vorstellen,  dafs  die  ganze  KQste  mit 
liberianischen  Kolonisten  besetzt  sei,  letztere  wohnen  vielmehr  fast 
ausschliefslich  an  den  Hafenplätzen  und  hlnjis  der  Lnoisen  Flüsse. 
Im  l'briijen  sind  die  Urwaldregionen  des  Inneren,  wie  selbst  noch 
bedeutende  Strecken  lanors  der  Küste  von  Eingeborenen  bewohnt, 
eine  Thatsache.  die  i;eIeL(cntlich  die  rrsache  politischer  Verwicklnu'/en 
wurde.  Die  Republik  ist.  weni,2:stens  in  ihrem  jetzigen  Zustünde, 
noch  Z  I  schwach,  um  nötigenfalls  gegen  die  Eingeborenen  kraftig 
aaf treten  zu  können. 

Leider  hat  nnn  die  seit  den  ersten  Jahren  nach  der  rnab- 
hdngigkeitserklftrung  eingetretene  engherzige  nnd  kurzsichtige  Politik 
der  liberianischen  Regierung  einen  Kückgansr  aller  Verhältnisse 
bewirkt.  Statt  die  Weifsen  anszuschliefsen,  hätte  man  sie  mit  ihrem 
Unternehmungsgeist  und  Kapital  anlocken  nnd  fesseln  sollen.  Statt 
ihnen  zu  gestatten  an  allen  Kttstenplätzen  der  Bepublik  Handel  zu 
treiben,  beschränkt  man  sie  auf  sechs :  Grand  Kap  Mount,  Monrovia, 


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—  86  — 


Bassa,  Gestos,  Sinoe,  Kap  Palmas.  Der  Aufsenhandel  Liberias  liegt 
haaptsAchlich  in  den  ßftnden  von  drei  Handelshäusern:  Hendrik 
Mttller  &  Co.  in  Rotterdam,  £.  Woermann  in  Hamburg  und  Yates 
&  Porterfield  in  Newyork.   Die  beiden  erstgenannten  haben  je  fftnf 

Faktoreien  an  der  Küste,  wShrend  die  Schiffe  der  amerikanischen 
Finna  überall  lanu's  der  Küste  vermittelst  der  liberianischen  Klein- 
händler iiire  Geschäfte  treiben.  In  jeder  Woche  leat  einer  der 
profsen  Dampfer  der  African  Steam  Ship  Company  und  der  West 
African  Steam  Navigation  Company  an.  Neuerer  Zeit  hat  auch  das 
Haus  Woermann  eine  Dampferlinie  errichtet.  Die  wichti^jsten  Aus- 
fuhrartikel sind:  Palmöl  und  Palmnüsse,  Kautschuk,  Rotholz,  Kattee. 
brauner  Zucker,  Ingwer,  Erdnüsse  und  etwas  Elfenbein;  eingeführt 
werden:  Lebensmittel,  besonders  Reis,  Spirituosen,  Manufaktur-  und 
Galanteriewaaren,  Feuerwaffen.  —  Bedeutende  Strecken  des  Landes, 
besonders  die  teils  ebnen,  teils  hflgeligen  Gefilde  zwischen  dem 
sumpfigen  Kflst^isaum  und  der  Gebirgsregion,  eignen  sich  vortreff- 
lich znm  Plantagenbau  in  grofsem  Styl.  Allein  solche  Unter* 
nehmnngen  könnten  mit  Aussicht  auf  Erfolg  nur  von  Weifsen  in 
Angriff  genommen  werden  und  bis  jetzt  hat  sieh  die  liberianische 
Kegierung  stets  entschieden  fireweigert,  gröfsere  Strecken  auf  längere 
Zeit  zu  dem  Zweck  an  Weifse  in  Pacht  zu  geben.  Der  Europäer 
oder  vielmehr  Weifse  darf  im  Binnenland  keine  Faktoreien  anlegen. 
So  erlahmte  der  Ausfuhrbandel  mehr  und  mehr  und  dadurch  ver- 
minderten sich  die  Staatseinnahmen,  welche  hauptsächlich  in  Zollen 
und  in  Gebühren  für  die  I'.rteilung  von  Patentrechten  bestehen. 
Störend  wirken  auch  die  ewiu'en  Guerilla-Kriege  unter  den  ver- 
schiedenen St&mmen  der  Eingeborenen;  diesen  steten  Rauflmndeln  ist 
es  denn  auch  zu  danken,  dafs  der  Handel  mit  der  reichen  Mandingo- 
Hochebene  aufgehört  hat.  Eine  dunkle  Seite  der  liberianischen 
Zustande  bieten  die  Staatsfinanzen.  Im  Jahre  1871  nahm  die 
liberianische  Regierung  in  England  eine  Anleihe  zum  Nominal- 
betrag von  Vt  Millionen  Dollars  oder  100,000  M  zu  7*/o  Zinsen  auf; 
die  Summe  wurde  teils  in  Waren,  teils  in  Geld  bezahlt,  die  Rück- 
zahlung soll  im  Jahre  1886  erfolgen.  Der  Zweck  der  Aufnahme 
dieser  Anleihe  war  die  Beschaffung  von  Mitteln  zur  AnfRchliefsnng 
der  reichen  Hflifsquellen  des  Landes.  Diesem  Zweck  diente  nun  aber 
that>;ichlich  nur  der  mindeste  Teil  der  Summe,  das  meiste  wurde 
geraubt  oder  verschleudert.  Seit  längerer  Zeit  sind  weder  Zinsen 
bezahlt,  noch  Tilgnngrsquoten  ab'.'etragen  worden,  es  erklärt  sich 
dies  zur  Genüge  daraus,  duis  die  jahrliclien  Einnahmen  des  Staat-«, 
noch  dazu  in  halb  wertlosem  Papiergeld,  nur  85,000  Dollars  gegen 
120,000  Doikrs  Ausgaben  betragen. 


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—   87  — 


Ein  \^  eiterer  dunkler  Punkt  sind  die  Grenzstreitigkeitea  mit 
der  gro^britanniscben  Regierung  wegen  eines  s.  Z.  Ton  der  Republik 
dem  Stamme  der  GalUnas  abgekauften  Etlstengebiets  von  der  Insel 
Sherbro  bis  zum  Manna-Flufs.  Nach  der  von  Büttikofer  gegebenen 
Darstellting  steht  das  Recht  auf  Seite  der  liberianischen  Regierung, 
gleichwohl  Ist  das  fragliche  Gebiet  jetzt  von  der  englischen  Regierung 
in  Besitz  genommen.  Die  Machtlosigkeit  der  liberianischen  Regierung 
gegenüber  den  Stammen  der  Eingeborenen  bewies  der  Fall  der  Be- 
raubung des  im  Jahre  1880  au  der  liberianischen  Küste  gestrandeten 
deutschen  Schiffes  „Carlos".  Die  Entschädigung  freilich  wurde  der 
vor  Monrovia  erschienenen  deutschen  Kriegskorvette  „Victoria" 
bezahlt,  allein  die  von  der  „Victoria"  gefangen  genommenen  und 
an  die  Regierung  zur  Bestrafung  ausgelieferten  Ötrandräuber  wurden 
sehr  bald  wieder  freigelassen,  da  man  einen  Konflikt  mit  den  Stämmen 
f&rchtete.  Von  den  sozialen  Zuständen  entwirft  Büttikofer  ein 
merfreoliches  Bild.  Die  Liberianer  werden  von  den  eingeborenen 
Stämmen  aufe  tiefete  gehalst;  mit  dem  ^genannten  freien  Volks- 
anterricht  Ist  es  schlecht  bestellt  und  wenn  man  auch  den  redlichen 
Bemikhungen  der  In  zahlreichen  Stationen  überall  im  Liberianischen 
Gebiet  wurkenden  amerikanischen  Missionare  alle  Gerechtigkeit 
widerfahren  lassen  raufs,  so  ist  ihr  Erfolg  doch  gegenüber  der  im 
Lande  stets  fortschreitenden  Ausbreitung  des  Islams  ein  geringer. 
Die  Sklaverei  ist  gesetzlich  verboten ;  statt  Sklaven  hält  man  nun 
,boys",  Burschen,  ältere  oder  jüngere  Negor  aus  dem  Binnenlande, 
»lie  man  von  den  Fürsten  direkt  kauft  —  der  Preis  eines  ^boy"  ist 
15 — 20  Dollar  —  oder  so  tief  in  die  Schuld  bringt,  dafs  man  sie, 
solange  sie  zur  Arbeit  tauglich,  nicht  los  lafst.  Die  Beziehungen 
zwischen  den  Farmern  und  den  Faktoreien  sind  durch  ein  faules 
lüreditsystem  verwirrt  und  verdorben. 


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—  88  — 

Kleinere  Mitteilungen. 

4 

§  Ans  der  geographisciten  Gesellschaft  in  Bremen.  Der  Jahresberiohi 
des  Vorstandes,  welcher  als  Anlage  diesem  Heft  beigegeben  ist,  enth&lt  aoft- 
führliche  Auskunft  über  alle  Verhältnisse  der  Gesellschaft.  Wir  gedenken  hier 
noch  mit  einigen  Worten  des  Vortrags,  welchen  Herr  Dr,  med.  A.  Fir,  k  ans 
Würzburg,  gegenwärtig  in  Richmond  in  der  Kapkolonie  ansässip.  am  4,  Februar 
d.  J.  vor  einem  zahlreichen  Zuhörerkreise  von  Damen  und  Herren  über  die 
Eingeborenen  Sttdkfrikfte  hielt  Der  Redner  besprach  xanaokst eingebend 
die  sfidafriluuuschen  Völkeipnippen  nach  ibr^  körperlichen  nnd  geistigen  An- 
lagen, ihre  Beechfiftigungen  und  Sitten,  die  Beaehnngen  der  einzelnen  Gmppen 
zu  einander,  das  Verhältnis  zn  den  Weissen,  endlieh  die  kolonisatorische  nnd 
zivilisierende  Thätigkeit  Englands  in  Südafrika.  Sodann  trat  der  Redner  wann 
für  die  Anlage  deutscher  Kulturkolonien  m  transatlantischen  Ländern  ein  und 
hob  die  Bedeutung  hervor,  welche  ein  solches  Vorgehen  für  Deutschland  und 
insbesondere  die  Auswanderung  haben  würde.  Er  verbreitete  sich  auch  über 
das  Wo?  und  Wie?  ohne  indefs,  der  beschränkten  Zeit  halber,  auf  diese  wichtigen 
Fragen  niher  eingehen  ni  können.  Ale  ein  von  der  gnten  dentechen  Hansestadt 
Bremen  ausgegangenes  hocherfrenüehes  Unternehmen  begrüfirte  er  die  Erriehtong 
einer  HandeUkolonie  an  der  S^westkfiste  AIHkas  (AngraPeqnella)  dnroh  Herrn 
F.  A.  E.  Lüderitz.  Der  Vortrag,  welcher  lebhaften  Beifall  fand,  wird  seinem 
Wortlaut  nach  in  der  Zeitschrift  »Export"  (No.  9  u.  fif.)  abgedruckt. 

An  literarischen  Arbeiten  von  Mitgliedern  unserer  rtosellschaft  ver- 
zeichnen wir:  1)  eine  Mitteilung  des  Herrn  Dr.  Arthur  Krauf^e  über  quartäre 
Ablagerungen  an  der  Beringsstrasse,  abgedruckt  in  dem  Sitzungsbericht  der 
Gesellschaft  natarforscbender  Freunde  zu  Berlin  vom  ö.  Janaar  18^.  2)  Anthropo- 
logische Ergebnisse  einer  Beise  in  der  SAdsee  nnd  dem  malajischen  Archipel  in 
den  Jahren  1879^82.  Beschreibender  Katalog  der  anf  dieser  Beise  gesammelten 
Oesichtsmasken  und  Völkertypen,  heranagegeben  mit  Unterstfitsang  der  Berliner 
anthropologischen  Gesellschaft  von  Dr.  0.  Fi  nach  mit  einem  Vorwort  von  Prof. 
Rud.  Virchow.  Mit  26  phy.siognomischrn  .\ufniihmen  anf  B  lithographischen  Tafeln, 
18  Umrissen  von  Fülsen  und  Händen  und  61)  Körpermessungen.  Berlin, 
A.  Ascher  &  Co.,  1884  (78  S.).  8)  Landschaftskunde  und  Versuch  einer  Physiog- 
nomik der  gesamten  Erdoberfläche  in  Skizzen,  Charakteristiken  und  Schil- 
derungen, zugleich  als  erläuternder  Text  zum  landschaftlichen  Theile  (11.)  von 
F.  Births  geographischen  Bildertafeln  Ter&(st  von  Dr.  Alwin  OppeL  Breslan, 
F.  Hirti  1884.  Erste  Liefenmg  (74  8.).  Das  Werk  ist  anf  9—10  Liefemngen 
berechnet.  4)  Schalatlas  Aber  alle  Teüe  der  Erde,  nim  geographischen  Unter- 
richt in  höheren  Lehranstalten.  Herausgegeben  und  bearbeitet  von  C.  Diercke 
nnd  E.  Gaebler.  54  Haupt-  und  138  Nebenkarten.  Braunschweig,  G.  Wester» 
mann.  5)  Streifzng  durch  den  Nordwesten  Amerikas.  Festfahrt  zur  Northern- 
Pacific-Bahn  1883  von  Nikolaus  Mohr.  Berlin,  H.  Oppenheimer,  1884  (25  Bogen). 


Handel  and  Wandel  in  Niederläadisch-Indien.  In  den  recht  inhaltsreichen 
gllitteilangen  des  Vereins  Ar  Erdkunde  sn  Halle,  1883-,  giebt  Jnlins  Bademacher 
in  einem  ,die  Amsterdamer  Ansstellnng  und  den  dentschen  Export  nach 
Niederlindiseh-Indien''  besprechenden  AnÜBata  auf  0mnd  eigener  Ansdmanng 

und  Erfahrung  folgende  Darstellung  des  Handels  lind  Verkehrs  in  Niedcrländisch- 
Indien:  .Die  Regierang  giebt  bereitwillig  jedem  Erlaubnis  ein  Geschäft  zu  eröffnen. 
Die  Nationalit&t  macht  dabei  keinen  Unterschied,  nnr  sind  die  Holländer  inso- 


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fern  im  Vorteil,  als  Waren,  ans  hoUfiadischen  Hafenplätzen  abgesandt,  erheblich 

weniger  Eingangszoll  bp/ahlpti  als  ans  anderen,  und  Waren  mit  „certificaat  van 
oorspron;^'*  versehen  ^^worin  also  die  Ortsbehörde  der  bctrcfFcnden  liolländischen 
Stadt  besclieiuigt,  dafs  die  Waren  da  fabriziert  sind)  tfilwoiso  gänzlicli  von  Zoll 
befreit  sind.  Grofsberzig,  wie  die  Engländer,  können  sie  nun  einmal  nicht 
sein,  und  ohne  einen  Yortdl  tiiiui  ea  die  mynheen  nicht.  In  den  Rfinmen  des 
Importears  liegen  anf  langen  Tafeln  die  Muster  der  Gegenstände  ans,  weldie  er 
auf  Lager  hat.  Kftofer  sind  die  Besitser  enropftischer  toko^  sodann  aber  hanpi- 
sächlich  die  Inhaber  chinesischer  Geschäfte.  Prüfend  gehen  diese  Chinesen  die 
Tische  entlang,  das  Neuangekommene  aufmerksam  betrachtend.  Anscheinend 
gleichgi'iUig  fragen  sif  hier  nnd  da  narh  dem  Preise,  finden  .'ille.s  noch  viel  zu 
tener,  halten  erst  einmal  bei  der  Konkurrenz  ümschan,  smd  aber  bald  wieder 
da,  um  die  Sachen,  welche  ihnen  gefallen,  zu  behandeln.  Ist  ein  Artikel  gerade 
.gefragt",  so  nimmt  der  Chinese  gern  das  ganze  vorriitige  Quantum,  um  darin 
die  Preise  beherrschen  zu  können.  Wie  viel  ist  von  diesem  Stoff  an  Lager? 
fragt  Lie  Tjau  Kin^.  Sieh  einmal  nach!  sagt  Sariman,  der  Verkäufer,  zn  dem 
ersten  malayischen  Bedienten.  Dieser  bringt  Bescheid:  2  Kisten.  Gnt,  es  ist 
zwar  teuer,  aber  ich  nehm«  alles.  Am  nächsten  Tage  findet  er  dasselbe  Muster 
anfliegen.  Haben  Sie 'denn  noch  etwas  davon?  fragt  er.  Ach  ja,  Sariman  hatte 
sich  geirrt,  es  sind  noch  zwei  Kisten  da.  Der  Chinese  bedenkt  ."^it  h,  po  viel 
hatte  er  nicht  kaufen  wollen,  indessen  er  möchte  eben  die  Waare  für  die  nächste 
Zeit  allein  haben  und  nimmt  iinch  diese  zwei  Kisten.  Als  aber  am  nächsten  Tage 
Fich  abermals  zwei  Kisten  angefunden  haben,  ärgert  er  sich,  wird  unangenehm 
und  will  nichts  mehr.  Das  schadet  nicht,  sagt  der  Verkäufer,  Yap  Tun  Hai 
.war  soeben  hier,  dem  gefiel  die  Ware  audi  sehr.  Der  Chinese  sieht  ein,  dafs 
er  ftberlistet  ist,  seinem  verhabten  Konkurrenten  kann  er  die  Ware  unmö^ch 
ftberlassen,  und  nachdem  er  sich  volle  Gewifsheit  ▼erschaflFt  hat,  dafs  nicht 
abermals  zwei  Kisten  zum  Vorschein  kommen  können,  nimmt  er  auch  diese  nOCh 
und  lacht  schlierslie.h  über  die  Geschichte  mit.  Nicht  allein  Europa,  auch 
Nordamerika.  China.  Japan  senden  ihre  Erzeugnisse.  Da  i«:t  ein  Schiff  mit 
Pfprden  ans  den  Molnkkcn  angekommen,  kloine.  feurige,  struppige  Tiere.  Auf 
eiru'in  grolsen  Platze  ist  die  Auktion.  In  sausendem  Galopp  wird  jedes  Tier 
auf  und  ab  geritten  und  das  Gebot  beginnt:  dua  pulu,  tiga  pulu.  ampat  pulu 
rupia,  vierzig  Gulden!  fort!  Bald  ist  alles  verkauft  In  der  Nähe  des  Seestrandcs 
ttt  inxwischen  eine  andere  Menschenmenge  versammelt.  Ein  Schiff  wird  rer* 
kauft,  aber  es  sitst  dort  im  Meer  auf  den  Klippen  fest.  Prüfend  beschauen  die 
Kauflustigen  den  Hiturael,  die  grollende  See,  rasch  mufs  das  Geschäft  gemacht 
werden,  denn  in  jedem  Augenblick  mögen  die  Wogen  wohl  mehr  davon  ab- 
schlagen. Wer  wagt's!  Für  40()  Gulden  wird  es  endlich  einem  mutigen  Araber 
zugeschlagen,  er  mag  min  sehen,  wie  er  zureeht  konuiit.  Die  öffentlichen 
Auktionen,  venduties,  sjtiel«  n  überhaupt  die  grof.ste  Rdlle.  ?\inii1i«'n  ziehen  fort, 
andere  kommen  an  ;  Häuser,  ganze  Einrichtungen  werden  fast  täglich  verauktioniert. 
Hat  man  Waren  zu  lange,  so  schickt  man  sie  ebenfalls  zur  Auktion,  und  der 
Preis  ist  fsst  immer  noch  erträglieh.  Bei  dem  ganzen  geschäftlichen  Verkehr 
ist  die  malayische  Sprache  die  Vermittlerin  swischen  so  vielen  värschiedenen 
Hationen,  denn  wir  sollten  es  z.  B.  wohl  lassen,  so  ohne  weiteres  Chinesisch  zu 
lernen.  Für  Kleidung  und  Srhnmt  k  des  europäischen  Elemenla  giebt  auch  hier 
Paris  die  Mode  an;  die  Goldsachen.  dio  vielfach  aus  Dents(  bland  kommen, 
werden  auch  darnn'h  L'ffertigt.  Die  inländisrhe  l'evölkernng  hat  ihren  eiu'onon 
Geschmack.    Und  so  geringwertig  die  baumwolleneu  Stoße  sind,  die  von  dieser 


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getragen  werden,  die  kai'n  pandjangs  sarongs  a.  A.^  so  eigentümlich  ist  es,  wie 
sehr  gerade  hier  die  Mode  henscht.  Da  mitfi  der  enropäMche  Importeur  sich 
genaa  nnd  vielfach  erknndigeii,  in  welcher  Farbenaisamnenelelliing  die  Stoffb 
fftr  die  n&chste  Zeit  beliebt  sind,  um  den  Webereien  in  HoUand  and  namentlich 

in  der  Schwri/  prnnn  anfgeben  zu  können:  6  Faden  rot,  4  Faden  blau,  8  Faden 
gelb  u.  s.  w.  Für  Stoffe  derselben  Qualität,  deren  Streifen  aber  nicht  Mode  sind,  ist 
bei  weitem  nicht  der  Preis  zu  erzielen,  als  für  die  beliebten  Pachen.  Herrscht  so 
im  allgemeinen  Verkehr  mehr  Leichtigkeit  und  fehlt  vollständig  die  Pfennig- 
wirtschaft, wie  V>ei  nns,  wo  der  Magdeburger  Reisende  dem  Kunden  etwas  mit 
8*'/«  offeriert,  um  es  schliefslich  mit  zu  lassen,  so  sind  doch  die  Kredit- 
TerhiltnitM  im  aQgemeinen  gesnad  und  das  Yertraaen  in  der  Haadelsmlt  hat 
gröber  als  bei  nns.*   ^ 


Deiteche  Handelshäuser  an  der  Westkfiste  tob  Afrika.  Die  „Hambnrgische 

Börsenhalle"  brachte  kürzlich  unter  Berichtigung  einer  Berliner  Mitteilung  eine 
Übersicht  über  die  zur  Zeit  an  der  Westküste  von  Afrika  bestehenden  Hamburger 
Handelshäuser.  Diese  verteilen  sich  darnach  auf  folgende  Plätze  :  Sierra  Leone  1, 
Liberia  (Monrovia,  Grand  Bassa,  Sinoe,  Kap  Palmas)  1,  der  Goldküste,  Akkra  1, 
Wydah  1,  Little  und  Grand  Popo  2,  Porto  Novo,  Lagos  4,  ^Cameruns  bis  Corisco 
.Bai  8,  Gabon  nnd  Umgegend  3,  Ambriz  nnd  Kinaembo  1.  In  dem  Artikel 
heilst  es  weiter:  ,Es  sind  im  Gänsen  14  verschiedene  Firmen,  welche  wohl 
mehr  als  60  Etablissements  haben.  Anlserdem  befinden  sich  in  jenem  Gcbieto 
mehrere  grofsere  Bremer  Firmen;  die  Niederlassung  der  Firma  Lüderitz  in 
Pequei5a  ist  in  den  Zeitungen  wiederholt  besprochen  worden,  sie  ist  aber  aller- 
dings so  neuen  Datums,  dafs  ihre  Übergehung  in  dem  Berliner  Berichte  kaum 
auffallen  kann.  Die  hervorragende  Stellung,  welche  Deutschland,  speciell  Hamburg,  * 
im  westafnkanischen  Handel  einnimmt,  dürfte  am  deutlichsten  daraus  hervor- 
gehen, dafs  zwei  regelmäfsige  Dampfschiffslinien,  eine  hiesige  und  eine  englische, 
nnd  swar  jede  in  monatlichen  Fahrten,  die  Verbindung  unseres  Piaties  mit 
jenem  Gebiete  aofrechtorhaHen,  nnd  daft  Hamburg  in  dieser  Besiehung  nur  Ton 
U?erpool  ftbertroffen  wird,  wfthrend  weder  von  Holland,  noch  von  Belgien,  noch 
auch  von  Frankreich,  obgleich  letzteres  mehrere  Kolonien  daselbst  besitst^ 
regelmäfsige  Linien  nach  West-Afrika  gehen."  Dem  fugen  wir  die  Bremer 
Handelshäuser  hinzu:  in  Akkra  die  Baseler  Missions-Handelsgescllschaft  ver- 
treten durch  G.  Bagelraann,  Bremen  ;  in  Keta,  Danoe.  Bai  Beach,  Bagida  und 
Little  Popo  Friedr.  M.  Vietor  Söhne,  Bremen;  femer  in  Keta  J.  D.  Lerbs, 
Bremen;  in  Lagos  A.  Lflderitz,  Bremen;  in  Angra  PeqaeSa  F.  A.  E.  Lüderitz, 
Bremen;  in  Adda  am  Volta  besteht  ferner  das  Hans  Fr.  Chevalier  ft  Co., 
Stuttgart. 


Die  Henrietta-Insel.  Bereits  im  4.  Helt  des  vorigjährlgcn  Bandes  dieser 
Zeitschrift  wurde  der  als  Aktenstück  des  amerikanischen  Kongresses  gedruckten 
Verhandluiifron  des  I'ntersuchuiigskomitees  in  Sachen  der  Jeannette-Expeditinn, 
nnd  ferner  tles  von  der  Witwe  des  Kapitäns  De  Long  herausgegebenen  Werkes 
über  die  Reise  der  , Jeannette''  gedacht.  Letzteres  liegt  uns  nun  vor.  Indem 
wir  uns  anf  das  früher  Gesagte  beziehen,  müssen  wir  besonders  die  treffliche 
fische  nnd  innstratire  Ausstattung  dee  im  Verlag  von  Kegan  Faul  in  London 
erschienenen  Werks  rühmend  anerkennen.  Iietsteres  ersdieint  als  Mn  dem  Ge- 
dftchtnis  des  braven  De  Long  und  seiner  Q^SUurten  errichtetes  liteiarisches  Denk- 
mal nnd  wir  sweifeln  um  so  weniger,  dab  es  aalUreiohe  Leser  auch  in  Deutsch* 


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land  finden  werde,  als  es  sich  ja  erst  bei  Gelegenheit  der  Ueberführung  der 
sterblichen  Uebeireste  jener  Opfer  durch  Doutfichland  gezeigt  hat,  wie  allgemein 
well  heute  die  Teilnahme  an  dem  tragischen  OesehiclE  De  Longs  nnd  seiner 
Leidenagenossen  ist  Aosffthrlicher  als  bisher,  finden  vir  in  den  Veihandlnngen 
des  UnteraachnngskomiteeB,  nach  einem  Berichte  des  Ingenieurs  Melville,  die 
Oeseliichte  der  Entdeckung  der  Henrietta- Insel  wieder  erzählt,  und  dieses 
Dokument  schien  uns  daher  wert,  hier  dem  Hauptinhalte  nach  wiedergegeben 
sa  werden.    Die  aus  dem  Genannten,  dem  Eislootscn  Danbar,  den  "Matrospu 
Nindermann  und  Eriksen,  den  Feuerlcufen  Rartlett  und  Pharvell  liestelurule 
Gesellschaft  verliefs  am  31.  Mai  1881  früh  das  Schiff.  Wir  führten,  so  berichtet 
Melville  weiter,  mit  uns:  16  Hände,  Provisionen  fnr  sieben  Tage,  10  Oallonen 
Wasser,  9  GaUooen  Alkohol  (zun  Kochen),  ein  Boot,  einen  Schlitten,  ein  Zelt, 
biatnuiiente  nnd  eine  Medirinkiste.    Der  Weg  ging  bald  fiber  Scholien,  *bald 
durchs  Wasser,  vier  Mal  benntsten  wir  das  Boot,  vier  Hai  den  Schlitten,  wobei 
das  jedesmalige  Umpacken  viel  Zeit  und  Umstände  kosteten.   Endlich  sehlngMl 
wir  um  7  Uhr  abends,  nur  etwa  4  miles  vom  Schiffe  entfernt,  ein  T/ager  auf. 
T<^mp*»iatur  —  20"  —  Mittwoch,  den  1.  Juni.    An  diesem  Tage  waren  wir  um 
6  l  hr  morgens  auf  nnd  um  7  ühr  unterwegs.    Wir  peilten  das  Schiff  und  auch 
die  Insel.    Ueber  eine  völlig  unebene  Fläche  bahnten  wir  uns  den  Weg  und 
legten  Brücken  au ;  gröfsere  flache  Eisstücke  sahen  wir  gar  nicht ^  das  Eis  bestand 
vielmehr  ans  lauter  morschen  Hänfen  nnd  SQsammengeklemmten  Massen,  es 
war  ftberall  in  Bewegong.   Wir  sogen  den  von  N.-O.  nach  S.-W.  laufenden 
Wasserstrafeoi  entlang;  dieselben  waren  aber  nicht  breit  genng,  nm  ein  Boot 
darin  zn  handhaben.   Wir  arbeiteten  hente  12  Standen  60  Minuten  und  kamen 
etwa  4  miles  vorwärts.   Um  Mittag  kamen  wir  über  eine  grofse  Glefschereismasse ; 
dies  Eis  war  süfs  und  schmeckte  angenehm;  von  den  umgebenden  .Sabswasser- 
eismassen  war  es  durch  Aussehen  und  die  zusammenhängende  Struktur  ganz 
Terschieden.  Aus  seiner  Lage,  N.  43'-',  W.  mag ,  von  Jeannette-Insel.  schlofs  ich, 
dals  es  von  einem  Gletscher  dieser  Insel  stammte  und  die  gewöhnliche  nord- 
westliche Riditang  des  Packeises  genommen  hatte,  üm  4  Uhr  nachmittags  ver- 
loren wir  das  Schiff  ans  Sicht  Dm  7  Uhr  abends  waren  die  Umde  so  mftde, 
dals  wir  sie  nicht  mehr  wach  halten  konnten,  einige  von  ihnen  bargen  sich  nnter 
den  Schlitten.  Ich  erzwang  die  Zurücklopmi:  rli<  ser  Entfernung  und  die  Extra- 
arbeit, um  eine  Eisflarde  zu  treffen,  auf  der  wir  lagern  konnten.    Wir  waren  80 
ermattet,  dafs  weder  Leute  noch  Hunde  ihre  ganze  Abendmahlzeit  einnahmen. 
Wir  lagerten  um  8  Uhr  5()  Minuten   und  loteten  35  Faden  Wasser;    es  war 
leichte  S  -W. -Trift.  ~-  Donnerstag,  den  2.  Juni.    Heute  Morgen  waren  wir  um 
5  Uhr  hoch  und  um  6  Uhr  unterwegs.  Anfangs  hatten  wir  einige  Schwierigkeiten 
im  Wegbabnen  nnd  Br^ckenlegen,  trafen  dann  aber  eine  gnte  Eisfiaxde  nnd 
battcn  nm  7  Uhr  nach  unserer  Berechnung  gnt  Vit  miles  znrAckgelegt  Das 
Land  seigte  sich  steil  nnd  Uar,  nnd  wir  merkten  alle,  dafs  wir  nahe  daran 
waren ;  wir  stiefsen  jedoch  gleich  darnach  auf  eine  grofse  hügelige  Eisflarde  voller 
Windwehen  und  von  tiefem,  schweren  Gang;  der  Schlitten  sank  dnrch  bis  an 
die  Qncrhölzer  und  stak  auf  allen  Seiten  fest.    Wir  arbeiteten  uns  mühsam 
Gleiter  bis  10  Uhr  3Ü  Minuten,  al.s  ich  an  den  anderen  sah  und  in  meinen  eigenen 
Knochen  fühlte,  dafs  unsere  Arbeit  vorgeblich  war.   Ich  entlud  tneinen  Schlitten 
nnd  setzte  meinen  Weg  so  bi.s  11  Uhr  fort;   dann  setzte  ich  mein  Boot  ab  und 
lief»  das  Oerit  hwbeibringen,  am  12  Uhr  30  Minuten  das  Boot  und  Geschirr 
wieder  aufladen  nnd  afs  etwas  warme  Suppe.  Ich  ging  mit  Boot  nnd  Schlitten 
Ms  1  Uhr  80  Minuten  weiter,  fuid  dann  aber,  dab  das  Packeis  swischen  uns 


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tind  der  Insel  so  aufgehro<  hen  war.  dafs  es  unmöglich  schien,  mit  Bool  und 
Gerät  weiter  zu  kommen,  und  dafs  ich,  wenn  ich  überhaupt  ans  Land  gelangen 
wollte,  mein  Boot,  den  Proviant  und  den  gröfsten  Teil  des  Geräts  an  einem  mög- 
lichst sicheren  Flatse  in  dem  in  Bewegung  befindlichen  Fackeis  unterbringen 
mnfste.  Ich  aetaste  daher  mein  Boot  in  dem  Mittelpunkt  einer  groCsen  Eisflarde 
ab  und  steckte  anf  dem  höchsten  in  der  Nähe  befindlichen  Eishügel  eine  Signal- 
stange  auf.  Ich  nahm  dann  den  Schlitten,  die  Hunde,  das  Lagergerät,  Tnstrn- 
Tuentenkasten,  Waffen  und  Proviant  auf  einen  Tag  für  Leute  und  Hunde  mit. 
Wir  schätzten  die  Insel  2  miles  entfernt.  Um  2  Uhr  nachmittags  brachen  wir 
auf  und  gelangten  4 — (5  inil«  s  weit  durch  g<'l)ro(  l»cnes  und  in  schneller  Bewegung 
befindliches  Packeis,  durch  welches  wir  nimmermehr  unser  Boot  unbeschädigt 
hätten  holen  können.  Wir  landeten  am  5  Uhr  30  Minuten  nachmittags.  Den 
Instmktionen  gem&b  sollte  ich  snerst  landen.  Ich  rief  dann  meine  Genossen 
ans  Land,  entlUtete  in  ihrer  Gegenwart  nnsere  Flagge,  erkULrte  das  Land  im 
Namen  des  Groben  Jehovah  und  des  PrSsidenten  der  Vereinigten  Staaten  als 
einen  Teil  dos  Oi  biets  der  letzteren  und  bi  nannte  es  gemäfs  unseren  Instruktionen 
„Henrietta-Island".  Wir  waren  sehr  müde  und  fingen  früh  zur  Ruhe.  -  Freitag, 
den  3.  Juni.  "Wir  standen  um  4  Uhr  auf  und  hatten  gut  geschlafen,  doch 
schmerzten  die  Knochen  und  Muskeln.  Ich  begann  eine  flüchtige  Aufnahme  des 
Nordwestrandes  der  Insel  (das  Südostende  ist  fast  unzugänglich).  Die  Entfernung 
and  Ungewifsheit  über  die  Lage  meines  Bootes  und  des  Proviants  beschleunigten 
meine  Bewegungen  und  yermehrten  meine  Besorgnis.  Ich  fand,  dafe  die  Insel 
aus  einem  kahlen  Felsen  bestand,  der  durch  die  Zeit  und  die  Einwirkung  von 
Hitie  und  Kilte  gespalten  und  zerklöftet  war.  Das  steile,  dunkle  Vorgebirge 
nach  N.-O.  zu  ist  ohne  Zweifel  vulkanisch.  Die  Bodenerhebnng  läuft  von  0. 
nach  W.,  die  Äbfallslinien  und  Trennungslagen  laufen  nach  W.  in  einem  Winkel 
von  3()".  Die  Obernäclic  des  steilen  Vorlandes  ist  schwarz,  gesprenkelt  durch 
grofsc  Flecken  von  Eisen  u\u\  scbwaiiiniige  Massen  von  schwarzem  und  rotem 
(iestein,  ähnlich  den  Schlacken  cim-s  Schmelzofens.  Die  Insel  wird  von  zwei 
Gebirgsrücken  durchzogen,  die  in  nordöstlicher  und  südwestlicher  Richtung  ver^ 
laufen.  Der  höchste  derselben,  gleichsam  das  Bflckgrat  der  Insel,  beginnt  mit 
einem  schwarzen  1200  Ftifo  hohen  Vorlande  und  Terliert  sich  unter  der  die 
guut»  Insel  überlagernden  Eisdecke.  Der  niedrigere  Bficken  föngt  mit  einer 
Hügelspitie  auf  der  nordwestlichen  Fläche  an  und  steigt  nach  einer  leichten 
Absenkung  zu  einer  beträchtlichen  Höhe  im  S.-W\,  wo  er  in  einer  Entfernung 
von  8  iniles  verschwindet.  An  der  nordöstlichen  Seite  der  Insel  sind  fünf  steile 
Vorgebirge.  Zunächst  d;«*;  stfile,  schwarze  i2lH>  F'ufs  hohe  K;i|>.  in  dessen  Nähe 
wir  landeten;  dann  Cairn  Point,  (XX)  Fuls  hoch,  auf  dem  der  Cairn  errichtet,  die 
Urkunde  niedergelegt  und  der  Pikenschaft  aufgeptiauzt  wurden;  ferner  die  äufserste 
Nordspitze,  welche  ein  zwischen  der  jenseitigen  Küste  und  dem  Centralgebirgs- 
rücken  liegendes  Thal  einschlielst,  endlich  das  grofse  DoppeWorgebirge  im  S.-W., 
jenseits  des  Thaies.  Auch  zwischen  Cairn  Point  und  dem  Gebirgsrückgrat  ist 
eine  leichte  Absenkung,  die  von  dem  Doppel  Vorgebirge  zurücktritt.  Dieser  ganze 
Teil  der  Insel  ist  leichtgeHirbter  Trapp,  Schiefer  und  Schieferthmi.  Die  ganze 
Insel  ist  mit  einer  perjnancnten,  auf  dem  Hauptrücken  etwa  "^öO — .>»Ki  Fufs  hohen 
Eiskappe  bedeckt,  und  die  grofse  Ueffuung,  die  wir  an  Bord  für  eine  Bui  an  der 
N -0. -Seite  der  Insel  hielten,  ist  ein  bestimdig  abtliefsender  Gletscher;  in  der 
That  löst  sich  von  der  ganzen  N.-O.-Seite  anunterbrochen  Eis.  £Unige  der 
Platten  oder  Stücke,  die  von  der  Kante  der  Eiskappe  auf  die  Fhtrde  gefallen 
waren,  ergaben,  als  sie  in  die  See  gefiillen  waren,  gemessen,  eine  Stirke  des 


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93 


Kij?es  von  48  Fnfs  Eis  niui  4  Fufs  Schnee.  Wie  viel  mehr  sie  geme<5sen  haben 
iiui^en,  bevor  sie  herabfielen,  kann  ich  natürlich  nicht  sagen.  Fünf  kleine 
«  ili  r-i  lirr  ergici'üen  sich  zwisclu;n  den  Vorgebirgen  uxif  diesor  Seite  der  Küste," 
a'iigt  svheu  von  den  liings  der  ganzen  oberen  Kante  der  Insel  von  dem  Haupt- 
gcbirgsrücken  herabgleitenden  Tefle.  Zwischen  deu  Grcmdfläche  der  Insel  nnd 
der  Flarde  ia^  ein  hoher  Rftcken  gebrochenen  Gletschereises;  hier  ist  das  Flar- 
deneis  beatiodig  mit  den  abstüraenden  Qletscherteilen  im  Kampfe.  Ich  Ter- 
mnthe,  dafe  diese  Seite  der  Insel  keinen  betändij^en  Eiaftilis  hat,  da  das  atSadig 
entlang  schleifende  Packeis  alle  TOn  der  Insel  kommenden  Glet<;chorabstürze 
fortführt.  Ich  fand  den  Oletscher  noch  2,5  nriles  weit  N.-O.  von  der  In.sel.  In 
den  Felsrissen  war  eine  dünne  Decke  von  Moos  oder  schwarzer  Dainmerdo. 
Alles,  was  wir  davon  sammelten,  wurde  ans  den  kleinen  Rissen  mit  einer  Feder- 
spitze  und  Messerklinge  herausgestochen.  Es  fanden  sich  keine  Fossilien  oder 
Tierreäte  irgend  welcher  Art.  Es  gab  auch  keine  Absätze,  auf  denen  Treibholz 
sich  h&tte  ablagern  können,  folglich  fimden  wir  keine.  Wir  sahen  keine  Spurra 
von  Bären,  F&chaen,  Hasen  oder  Lemmingen,  anch  keine  Vögel,  anfeer  Teisten, 
welche  in  den  FelskUppen  waren.  —  Von  der  Spitxe  der  Insel  ans  waren  die 
Eisfelder  viele  mfles  weit  nach  N.-W.  sichtbar;  nahe  am  Ufer  war  hier  ein 
grofHer  Zwischenraum  von  offenem  Wasser,  der  sich  bis  unter  den  Rand  der 
Klippen  erstreckte  und  da  versichwaud.  Das  Packeis  war  vielfach  t/ebrochen  und 
von  Strafsen  offenen  Wassers  gegen  N.-O.  durclizogen.  soweit  man  selten  konnte. 
Das  ganze  von  hier  aus  nach  allen  lliciitungen  sichtbare  Packeis  war  eine  einzige 
zusammengeworfene  Masse,  fortwährend  in  Bewegung,  wobei  die  Ocffuungeu 
fortwährend  wechseln.  Robben,  Walroese  oder  sonstiges  Wild  sahen  wir  während 
unserer  Abwesenheit  vom  Schiff  nicht;  acht  Teiste  waren  das  ganze  Ergebnis 
unserer  Jagd.  Am  Morgen  beschäftigte  ich  mich  mit  Ab&ssnng  des  Berichts,  er^ 
richtete  dsn  Steinhaufen  und  Pikenschaft  anf  Caim  Point,  nalim  Peilungen  von 
allen  hervorragenden  Vorgebir^'cn  und  Bergspitzen,  und  n\achte  Skizzen  für  die 
den  Bericlit  Itegleitende  Karte  der  Insel  und  des  Landprofils.  Das  Schiff  war 
von  iler  Sjiitzc  des  <'airn  Point  aus  deutlich  sichtbar.  Meine  Besorgnis  wegen 
(Iis  iiootes,  des  Proviants  und  des  Geräts,  das  wir  auf  dem  Eise  znrück»elassen 
hatten,  und  wovon  von  der  Bergspitzc  aus  nichts  zu  sehen  war,  beschleunigte 
meine  Bewegungen,  nnd  am  8  Uhr  morgens  war  ich  unterwegs,  nach  dem  Sdiiff 
anhaltend  nnd  nach  nnserm  Pikenschaftsignal  ansblickend.  Wir  konnten  unserer 
IMheren  Spnr  nicht  folgen,  weil  sie  whr  nnterbrochen  nnd  Terschoben  war. 
Wir  bekamen  unser  Signal  um  10  Uhr  BO  Minutm  vormittags  in  Sicht  und 
fanden  unser  Boot  um  l  Uhr  30  Minuten  nachmittags.  Wir  lagerten  tun  auszu- 
ruhen und  waren  froh,  dafs  wir  unser  Boot  und  (»erat  unversehrt  fanden. 
Sonnabend,  den  4.  Juni,  gingi  n  wir  um  12  Uhr  HO  Minuten  an  die  Arbeit,  setzten 
unser  Boot  auf,  stauten  unser  Gerät  und  waren  um  2  l'hr  ;iO  Minuten  nach- 
mittags unterwegs.  —  Nach  vielen  iSchwierigkeiten  erreichte  die  Gesellschaft  am 
Sonntag,  den  &  Joni,  morgens  10  Uhr,  wieder  das  Scbifif. 

Ans  China.  (Errichtung  einer  astronomischen  nnd  meteorologischen  Station 
in  Hongkong.  Die  Teifune.  UmfiEMsende  Verkiesserang  des  WetterbeobachtnngS' 
dienstes  an  den  ostasiatischen  Küsten.)  — Von  unserem  z.  Z.  in  Hongkong  lebenden 
verehrten  Vorstandsmitglicde  Ilerni  Hermann  Melchers  erhielten  wir  in  dieser 

AugelcKenheit  folgende  Zuschrift: 

Die  Errichtung  einer  astronomischen  und  meteorologischen  Stati<jn  in 
tiuugkong  auf  der  der  .Stadt  gegenüber  liegenden  Halbiuitl  Kaulun  wird  gewilj» 


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—  94 


im  Intoreate  d«r  Winanschrnffc  nnd  der  SchU&hrt  mit  Firenden.  begrflM  weiden, 
da  du  Resultat  der  ßeobaclitnngen    nicht    nur   die  eigentümlichen  Natur« 

erscheinnngen  der  chinesischen  See  wissenschaftlich  zu  beleachten  verspricht, 
sondern  auch  der  Schiffahrt  bei  dem  so  grofsen  Verkehr  im  hiesigen  Hafen, 
einen  direkten  praktischen  Vorteil  bietet.  Mit  Ausnalime  der  Observatorien 
in  Manila  und  in  Zikawei  (Shanghai)  bestünden  bisher  keine  nennenswerten 
Beobachtangsstationen  in  diesen  Gewässern,  da  die  verschiedenen  meteorologischen 
Beobachtungen,  welche  von  der  kaiserlich  chinesischen  Zollbehörde  in  einzelnen 
HftfBU  oder  auf  Lenchttflrmen  an  der  chinesischen  KfMe  vorgenommen  wurden, 
teils  durch  die  Mangelhaftigkeit  der  meist  verwahrlosten,  nnkonigierten  Instramente, 
teils  dnrcb  die  ungenauen,  unregelmäfsigen  Ablesungen  einen  wissonschaftlichen 
Wert  vollständifi  entbehrten.  Sir  Robert  Hart,  der  Inspektor  der  kaiserlich 
chinesischen  Zollbehörde,  niufste  wohl  schon  xov  rtwa  10  Jahren  die  ernstliche 
Absicht  gehabt  haben,  cnn  ii  auf  wissenschaftln  lu  r  Hu.sis  fulsenden  meteorologischen 
Beobachtungsdienst  in  uen  ZoUstatiouen  der  durch  Vertrag  geöffneten  chinesischen 
BSIen  einsufGLhren,  doch  ist  es  anscheinend  beim  guten  Willen  geblieben,  da 
die  mit  vielen  Kosten  in  England  erworbenen  Ibstramente  in  den  Lagerhftosem 
von  Shanghai  und  Amoy  nnbenutst  verpackt  blieben.  Die  astronomischen  und 
besonders  di^  meteorologischen  Beobachtungen  blieben  also  allein  auf  Manila 
und  Zikawei  beschränkt,  in  welchen  Stationen  allerdings  seit  Jahren  ein  wichtiges 
wissenschaftliches  Material  gesammelt  worden  sein  soll.  Während  Zikawei 
unter  Leitung  des  rühmlichst  bekannten  Jesuitenpriesters  Dechevrens  und  durch 
dessen  Werke  über  Teifune  (The  Typhoons  of  the  Chinese  Seas  in  tbe  yeara 
1880  and  1881j  mit  Rücksicht  auf  genaue  Beobachtungen  und  neue  Theorien 
fiber  DrehstArme  einen  wissenschaftlichen  Bnf  wlangt  hat,  war  das  Obsovatorinm 
in  Uanila  durch  die  telegraphischen  Wetterberichte  f&r  den  Hafen  von  Hongkong 
gans  speziell  von  entschiedenem  praktischen  Wert,  da  jede  Anniherung  dnes 
Teifans  und  dessen  Richtung  Tage  lang  vorher  telegraphisch  hierher  gemeldet 
wurde  und  zum  Nutzen  der  Schiffahrt  allgemein  bekannt  gemacht  werden  konnte. 

Wenn  man  bedenkt,  dass  die  Wiege  dieser  furchtbaren  Stürme  im  stillen 
Ozean,  östlich  von  den  Phihppinen  in  der  Ausdehnung  von  5"  —  20"^  nördl.  Br. 
und  120'^ —  lö(1 '  üstl.  L.  liegt,  und  dieselben  auf  ihrem  Wege  nach  der  chinesischen 
Küste  über  die  genannte  Inselgruppe  ziehen  oder  deren  Küste  berühren  müssen, 
wie  dieses  mit  wenigen  Ausnahmen  bisher  konstatiert  ist,  so  ergiebt  sich  von 
selbst  der  grobe  prakttsehe  Nutxen  der  telegraphischen  Wetterberichte,  welche 
seit  der  Einrichtung  der  Telegraphenleitung  swischen  Hongkong  und  Manil»  auf 
Grund  einer  Vereinbarung  der  hiesigen  und  spanischen  Kolonialregierung  dem 
hiesigen  Hafenamte  zagelien.  Da  also  fast  jeder  Teifxm  in  der  chinesischen  See 
durch  in  Manila  angestellte  Beobachtungen  vorher  von  dort  angemeldet  werden 
dürfte,  da  die  Bahn  nnd  Schnelligkeit  seiner  Fortbewegung  sicher  ermittelt 
werden  kann,  so  sind  diese  telegrapluschen  Wetterberichte  für  die  hiesige 
Schiffahrt  von  ganz  aufscrordentlichem  Wert,  indem  die  im  Hafen  verankerten 
Schiffe  genflgende  Vorkehrungen  sur  Begcgnnm^  des  Sturmes  treffen  werden, 
oder  etwa  auslaufende  Schiffe  rechtseitig  gewarnt  werden  können. 

Wie  furchtbar  und  verbeerend  solche  Teifane  zuweilen  sind,  hat  Hongkong 
am  22.  September  1874  erfahren,  als  38  Schiffe,  darunter  5  Dampfer  und 
2  Kanonenböte,  im  hiesigen  Hafen  sanken,  strandeten  oder  entmastet  wurden. 
640  chinesische  Dschunken  erlitten  das  gleiche  Schicksal  und  '1er  Verlust  an 
Meiischeulebeu  hier,  in  Macao  und  im  Cautoniiusse  soll  viele  Tauseude  betragen 
haben. 


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—   95  — 


Im  Jahre  1881  traf  Tonkin  ein  ähnliches  Schicksal  und  am  21.  Oktober  1882 
wütete  in  dem  schon  durch  die  furchtbaren  Erdbeben  und  die  Choleraepidemie 
so  arg  heimgesuchten  Manila  ein  Orkan,  dessen  Gewalt  jeder  Beschreibung 
gespottet  hat.  Die  damuhgeu  Beobachtungen  zeigten  euie  (jeschwiudigkeit  des 
Windes  von  114, i  Meilen  per  Stunde,  worauf  der  Anemometer  brach,  ao  dafs  die 
höchste  Gewalt  des  Sturmes  nicht  weiter  beobachtet  werden  konnte. 

Es  ist  ein  groto  Glftck,  dftfo  diese  gefüiehteten  Teifone  (Drehstünne) 
nicht  immer  mit  gleich  Terheerender  Gemlt  die  chinesische  Kflste  heimsuchen, 
doch  bleiben  sie  der  Schilbhrt  immer  gefthrlich  and  je  mehr  ihr  Wesen  doreh 
genaue  Beobachtungen  erkannt  wird,  je  mehr  sich  die  Theorien  durch  die 
gewonnenen  Erfahrungen  vervollkommnen  lassen,  desto  weniger  Gefahren  und 
ÜuglücksfiUen  wird  der  Schifisverhehr  in  den  chinesischen  Gewässern  ausgesetzt 
bleiben. 

Bisher  angestellte  Beobachtungen  sollen  eiL'eben  haben,  dafs  die  Zahl  der 
Teifone  mit  der  Zunahme  der  Sounenlleckeu  und  der  damit  verbundenen  erhöhten 
Wiarmestnhlnng  der  Sonne  steigt 

Im  Jahre  18R0  sind  14  und  in  1881  90  Teiftine  beobachtet  worden,  welche 
neh  anf  die  einaelnen  Monate  wie  folgt  verteilten: 

in  1880:  2  Teifone  anf  den  Monat  Jnli 

3  »       ,     ,       „  Angnst 

4  n       >     «       B  September 
3      9       »     »       »  Oktober 

2      „       »     »       »  November 
Der  Durchschnitt  ergiebt  nach  dem  Datum  der  ersten  und  letzten  Teifune: 
einen  anf  9  Tage  mit  einer  Dnrchschnittsdaner  von  5  Tagen,  vom  beobachteten 
Anfange  bis  nun  Ende  eines  jeden  Teifnns.  • 
Im  Jahre  1881  entfielen 

1  Teiftm  auf  den  Monat  Mai 

1  ,  ,  ,  ,  Juni 
3  Teifone  .     ,      «  Jnli 

*       .        »      »        »  August 
6      ,       ,     ,       „  September 
8      ,       -     -       n  Oktober 

2  ,  ,  „  „  November 
1  Teiftm    „     ,      .  Dezember 

und  ergiebt  diese  Anzahl  fftr  die  eigmtliche  Teiftinsaison  vom  Jnni  bis  Novemberi 
wobei  frühere  nnd  spätere  CyUonen  nnberlicksichtigt  blieben,  einen  Durchschnitt 
▼on:  einem  Teifun  in  8,«:  Tkgen  mit  einer  7tägigen  Dauer  für  jeden  Sturm. 
Der  Monat  September  kann  mit  Recht  als  der  gefahrlichste  für  die  chinesischen 
Gewässer  gelten,  während  in  Hongkong  im  allgemeinen  die  Monate  Juli,  August 
und  ^r^eptember,  sowie  die  erste  Hälfte  des  Monats^  Oktober,  als  die  eigentliche 
Teifunzeit  augeaehen  wird.  Frühere  oder  spättiL-  Drehstüitue  sind  seltener, 
erstere  ziehen  meist  nach  dem  Süden,  letztere  nach  Norden,  und  können  sich 
diese  nur  schwer  dorch  den  mächtigen  Nordost-Monsnn  ihre  Bahn  nach  der 
chinesischen  Ktkste  brechen. 

Durch  obige  flfichtige  Andeutungen  habe  ich  nnr  die  der  chinesischen  See 
eigentümlichste  Erscheinung  hervorgeboben,  um  im  allgemeinen  anf  die  Wichtig- 
keit der  meteorologischen  Beobachtungen  aufmerksam  SJi  machen,  welche  nicht 
nur  vom  \vih>»  ns(  liaftlicheu  Standpunkte  aus.  sondern  auch  ganz  besonders  für 
die  Sicherheit  der  hiesigen  ."^chiffahi't  von  allerhöchster  Bedeutung  sind. 


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—    96  — 


Es  unterliegt  daher  keiueiu  Zweifel,  dals  durch  die  jetzigen  genauen  und 
systematisch  durchgeführten  Aufzeichnuuj^en  über  den  Verlauf  der  Teii'uue  an 
der  chinesischeii  Kfiste  die  jetzt  bestehenden  Theorien  über  Drehstürme  bedeutend 
modificaert  werden  könnten,  und  mdchte  ich  bei  dieser  Gelegenheit  s.  B.  auf  die 
Thatsacbe  hinweisen,  dafo  elektrische  Erscheinnngen  und  magnetische  Stfimngen 
während  eines  Teifuns.  wie  ich  selbst  solche  ssn  beobachten  Gelegenheit  hatte, 
noch  keine  genügende  Erklärung  gefunden  hüben. 

Herr  \V.  Dobrcck,  der  gegenwärtige  Leiter  des  hiosigoii  Obs*'!  vatoriums, 
hat  vor  Antritt  seines  Amtes  eine  Reise  nach  den  verschiedenen  chinesischen 
Küstenhäfen  unternommen  und  sich  die  anerkennenswerthe  Mühe  gegeben,  die 
verwahrlosten  Instrumente  der  chinesischen  Zollbehörde  in  Stand  zu  setzen,  auch 
hat  derselbe  beantragt,  einen  einheitlichen  meteorologischen  Beobachtungsdienst 
in  folgenden  Stationen  an  der  chinesischen  Küste  einzuführen,  welcher  Plan 
gewib  die  Zustimmung  und  Unterstützung  des  General^ZolIinspektors  Sir  B.  Hart 
erlangen  wird:  Kiung-tsehau.  Pakhoi,  Canton,  Swatau,  Breaker  Point,  Lamock 
Island,  Amoy.  Chapel  Island,  Fu-tschau,  Ocksen-Island,  Turnabout  Island,  Middle 
Dop  Island,  Fisher  Island  (Pescadores),  Südkap  von  Formosa.  Tamsui,  Kilung, 
Wen-tschau,  Ningpo.  Shanghai,  Steep  Island.  North  Saddle  Island,  Gützlaft 
Island,  Shaweishan  Island,  Tschin-kiang,  Kiu-kiang.  Wuhu,  Uan-kau,  Itschang, 
Tscbi-fa,  S.  E.  Shautung  Promontory,  Uauki,  Tien-tsin,  Niu-tschuang. 

Die  Berichte  dieser  33  Stationen  sollen,  nach  Korrektur  und  Zusammen- 
stellung, in  Shanghai  im  Druck  erscheinen  und  stets  mit  einem  resümierenden  ' 
Vorwort  über  die  Beobachtungen  und  mit  graphischen  Darstellungen  durch  den 
bereits  genannten  Herrn  Dobreck  versehen  werden. 

Da  sich  Manila  und  Zikawei,  sowie  Singapore,  Japan  und  russisch  Asien 
an  diesen  Beobachtungen  beteiligen  wollen  und  ausserdem  die  hiesigen  Telegraphen- 
Kompugnien  erklärt  haben,  nu  tcurulogischr  D^'^i •^^(  lien  zwischen  Hongkong, 
Mauila,  Amoy,  Fu-tschau,  Shaugliui,  Nagasaki  und  Wladiwostock  unentgeltlich 
zu  befördern,  so  erscheint  das  neue  Unternehmen  für  ein  grofses  Gebiet  gründlich 
gesichert  und  dürfte  dasselbe  deshalb  auch  in  wissensdiafilichen  Kreisen  eine 
Erwihnung  verdienen. 

Hongkong,  Januar  1884.  Hermann  Melohers. 

C.  Die  Schneehütten  der  Eskimos.  Nach  den  Erfolgen,  welche  Schwatka 
und  neuerdinfjs  Xordenskjöld  in  arkiisclieii  T,aiidreisen  erzielten,  ist  es  wohl 
anzunehmen,  dafs  auf  künftigen  arktischen  Expeditionen  die  Zurücklegung 
grüfserer  Strecken  zu  Lande  mit  in  erster  Linie  ins  Auge  gefaCst  werden  wird,  wobei 
man  sich,  ganz  wie  es  Schwatka  that,  uut  da^  Engste  au  die  Gewohnheiten  der 
Eskimos  wird  anzuschlie&en  haben.  Gerade  in  dieser  BichtuAg  sind  nun  einige 
AufiB&tze,  welche  Leutnant  Schwatka  kürzlich  in  der  amerikanischen  Zeitschrift 
„Science"  Teröllentlichte,  und  die  den  Bau  der  Ig^us  (Sehneehütten)  betreffen, 
wie  sie  bei  den  Innuits,  in  der  Gegend  des  magnetischen  Pols,  gebräuchlich  sind, 
von  besonderem  Interesse.  Wir  gehen  über  die  in  der  Einleitung  ausgesprochenen 
etwas  kühnen  Voraussetzungen  hinweg,  wonach  jene  Eskimos  notwendig  die 
Abkömmlinge  di  r  oiiistigcn  Höhlenbewohner  seien  und  dafs  der  Toi  gröfster 
Kälte  in  einiger  Verbindung  mit  dem  magnetischen  Pole  stehe,  und  wenden  uns 
ZU  der  klaren  Darlegung  der  Art  und  \Veise,  wie  die  Eis-  und  Schneehütten 
gebaut  werden.  Der  Verfasser  ist  hier  so  recht  auf  eigenem  Grund  und  Boden 
und  jede  Seite  ist  wei^  des  Studiums  seitens  allw  derjenigen,  welche  sich  mit 
dem  Problem  der  Bewohnbarkeit  jener  unwirtlichen  Gegenden  beschäftigen. 


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97 


Schon  frülizoitig  im  Winter  wenicii  Hütten  aus  EiswiUlen  orbaut,  oft  schon  bevor 
Scliuee  in  Uiureichender  Menge  gefällten  mt,  um  daraus  liebausungeu  herzustellen; 
aas  der  Eisdecke  eines  SüftwassoneeB  werden  etw»  6  Zoll  dicke  Tafeln  iu  der 
Oröfise  Ton  3  zu  4—6  Fafo  geschnitten.  In  jede  Tafel  wird  ein  Loch  gemacht» 
um  sie  besser  handhaben  an  können,  die  Fogen  awischen  den  einiebien  Tafeln 
werden  mit  nassem  Schnee  ausgefüllt.  Das  Dach  besteht  anfinglieh  aus  Fellen, 
raweilen,  aber  nur  selten,  ans  Schnee;  die  HansRur  wird  festgetreten  nnd  daranf 
ans  Steinen  eine  T.aporstclle  errichtet.    Ehe  der  Hauch  der  Knrlu  nlanipc  diese 
Hüaser  gfs<  li\väi/r  hat,  sind  sie  durchsichtig  wie  Glas;  dann  hat  der  Anblick 
dieser  von  den  Sieinkimiien  durchleuchteten  Eishütten  der  Eskimodorfer  einen 
eigenen  jthantastisclien   Heiz,    besonders  im  Gegensatz    zu  der  amgebendeii 
traurigt^n  Oede.  Festgepackter  Schnee  ist  nun  aber  ein  weit  schlechterer  Wilrme- 
leiter,  er  eignet  sidi  daher  weit  besser  als  Eis  an  einer  guten  Eskimo-Winter- 
wohiinng.  Mittelst  eines  Drahtes  oder  dünnen  Knochens  wird  die  BeschatEenheit 
des  Schnees  geprüft  Zum  Schneiden  des  Schnees  bedient  man  sich  eines  zwei- 
schneidigen Schneemessers,  das,  früher  aus  Knochen,  jetzt  aus  Eisen  oder  Kapfer 
besteht;  die  Klinge  ist  bis  1  Fufs  lang,  der  Griff,  an  dem  sie  befestigt  ist,  hat 
iingeffihr  die  gleiche  Länge.    Beim  Gebrauch  dieses  Messers  legt  man  eigens  zu 
dem  Zweck  verfertigte  Handschuhe  an,  die  bis  zur  halben  Länge  des  Armes 
hinaufreichen.   Nun  schreitet  man  an  der  Vertiefung  eines  steilen  Bergubhangs 
zum  Ausschneiden  der  Schneeblöcke,  die  mit  gröDster  Vorsicht,  um  Brüche 
m  Termsiden,  in  einen  Kreis  gelegt  werden,  so  dafo  die  durch  das  Ausschneiden 
des  Schnees  entstehende  Vertiefong  die  Herstellung  eines  niedrigen,  spSter  zu 
uberwölbenden  Eingangs  gestattet.    Ein  sehr  beachtenswerter,  von  Schwatka 
unscrs  Wissens  zntn  ersten  Mal  herrorgehobener  Umstand  besteht  darin,  dafo 
die  Ulücke  nicht  in  geraden  Reihen,  sondern  in  Spiralform  gelegt  werden,  so 
dals  jeder  block  um  den  folgenden  verstärkt  wird.    Der  Hiiticiieibauer  belindet 
j-irh  an  der  inneren  Seite  und  jzehraucht  fortwährend  sein  Schtieemesser  an  den 
Fugen,  damit  die  einzelnen  Blocke  gehörig  an  einander  anschUelsen.    Da  die 
Blöcke  nach  innen  geneigt  gestellt  werden,  so  giebt  mau  ihnen  die  Form  eines 
Trapezes,  efentnell  eines  Dreiecks.   Darauf  werden  die  Fugen  der  einzelnen 
BlAcke,  sowohl  deijenigen,  welche  das  Dach,  als  der  anderen,  welche  die  Seiten- 
maoern  bilden,  gehörig  mit  Eisslücken  und  Schnee  geschlossen,  eine  Arbeit,  die 
gewöhnlich  Knaben  verrichten,  obwohl  das  Dach  eines  gutgebauten  Iglu  leicht 
zwei  F!rwachsene  tra^ien  kann.    "Während  dieser  Arbeiten  schaufeln  die  Frauen 
so  viel  als  mOglich  losen  Schnee  zum  Schulz  des  Iglu  heran;  die  kurzstieligen 
Scbneeschaufeln  der  Netschilliks  sind  aus  Zedern-,  Wallnufs-  oder  Mahagoni- 
holz, das  von  den  FranklinschifTen  stammt,  gemacht.    Die  scharfe  Kante  dieser 
Schaufeln  besteht  aus  einem  schmalen  Streifen  Rentierhonies,  das  mittelst 
eines  aus  den  Eingeweiden  des  Bens  verfertigten,  durch  Löcher  in  der  Schaufel 
gesogenen  Riemens  daran  befestigt  ist  Bei  Nacht  ist  der  niedrige,  tiefer  als  der 
Boden  der  Hütte  liegende  Eingang  ToUstindig  Tersehlossen.  der  Schnee  ist  porös 
genng;  um  die  nötige  Ventilation  au  gestatten,  ja  es  geht  durch  denselben  ein 
so  starker  Luftzug,  dafs  die  Flamme  der  Lampe  um  .M) — .iö  (trail  von  der  Senk- 
rechten abgelenkt  wird.    La  Laute  einiger  Wochen  wird  imiiU,  durdi  die  Ver- 
dichtung <Ks  Atems  und  den  steten  Wechsel  der  Temperatur,  der  St       t  diuxh- 
sichtiger,  aber  weniger  porös  und  der  Aufentlialt  für  die  Bewohner  wird  in 
gleichem  Mabo  unbehaglicher,  besonders  bei  denjenigen  Stfanmen,  welche  haupt^ 
sftchlich  von  Fischen  und  Rentieren  leben  und  daher  nicht  Thran  genug  haben, 
um  fortwfthrend Lieht  anbrennen.  —  ScblieJsUch  werden  manche  bemerkenswerte 

CHMgr.  BIKttar.  Branm,  10SI.  7 


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Allgab«!!  darftber  gemacht,  wie  sich  die  Eskuno-Familieii  in  üireii  Iglnt  eiaricbten 
und  welche  Venehiedenheiten  die  Iglns  bei  den  Tenchiedenen  Eakimo-Stfimiren 
Beigen.  Fftr  den  arktiachen  Reiaenden  hat  es  einen  besonderen  Beis,  bald  in 
diesem,  bald  in  jenem  ^n  sich  anbnhalten. 

*  Binnenlandswanderungen  auf  der  Sii(l-lust>l  von  Nowaja-SeHlja.  Wir 
haben  bereits  (Band  VI.  Seite  ilTöi  kurz  erwähnt,  dafs  im  vorij!;en  Frühjahr  ein 
Mitglied  der  nissischen  Polarblutiou  an  der  Bai  von  K.armakuli  (Nowaja-Semlja\ 
der  Arzt  Dr.  (iriuewetzky,  eine  Wanderung  in  das  Innere  der  Süd-Insel  unter- 
nahm« Nnn  liegt  der  Berieht,  Weichau  Dr.  G.  der  kaiaerlich  rassiachen  geogra- 
phischen. Gesellschaft  ftber  diese  Wanderang  am  14.  Notember  t.  J.  entattet 
hat»  an!  87  Seiten  gedruckt  vor  nnd  wir  entnehmen  demaelben  einen  knnen 
Ansang.  Dr.  0.  hat  darnach  zum  ersten  Mal  die  Süd-Insel  von  einem  Ufer  zum 
anderen  durchkreuzt.  Den  ersten  YerKuch  in  dieser  Richtung  unternahm  schon 
im  Jahr  18.^9  der  Leutnant  Moisejew,  indem  derselbe  voraussetzte,  Nowaja- 
Semlja  bestehe  auf;  3  Inseln;  auf  alten  Karten  ist  Nowaja-Seralja  auch  so  ge- 
zeichnet, indem  man  annahm,  dals  die  Krcstowaja-Bucht  eine  Meerenge  sei, 
deren  Ausgunge  die  Buchten  Nesnaemii  and  Medwjeschy  bildeten.  Am  3.  April 
ging  Moisejew  mit  einem  Gehilfen  nnd  9  ICatrosen  ana»  nach  sechssehntägigem 
Suchen  konnten  sie  das  entgegengeseiste  Ende  nicht  erreichen  nnd  wagen  ein* 
tretender  Schneeblindheit  mnssten  sie  den  Bückweg  antreten.  Die  Forschung 
eigab  aber  das  Resultat,  dab  eine  Meerenge  nicht  existiere,  wie  es  früher  ange* 
nommcn  worden  ist.  Die  zweite  bis  jetzt  noch  ni(  ht  bekaimte  Reise  von  Westen 
nach  dem  Osten  der  Insel  wurde  von  Kapitän  Tjagin  1H77  unternommen,  als 
dcr.selbe  auf  Nowaja-Semlja  überwinterte.  Der  Zweck  dei  Iieise  war,  zu  ver- 
suchen, ob  man  das  Gebirge,  welches  Nowaja-Semlja  von  Nord  nach  Süd  durch- 
zieht, zu  überscbreiten  vermöge  nnd  ob  sich  am  östlichen  Ufer  Stellen  finden 
liefiMu,  wo  sich  behu&  üeberwintenmg  Eisb&re  nnd  Walroaae  anaammeln.  Kapi- 
tSn  Tjagin  trat  seine  Reise  am  12.  AprU»  in  Bag^eitnng  von  awei  Mann,  jeder 
mit  zwei  Schlitten  and  10  Händen,  an.  Der  eine  Schlitten  war  mit  Fetter  fftr 
die  Hunde  beladen,  auf  dem  anderen  waren  Proviant  nnd  die  Instramente.  Daa 
Gebirge  direkt  zu  überschreiten  war  nicht  möglich,  man  fuhr  also  nach  Süden, 
längs  des  Gebirgskammes,  bis  man  au  den  Flufs  Karmakulka  kam.  Die  Rich- 
tunt^  des  Flusses  ist  OSO.,  er  hat  sehr  steile  Ufer,  die  aus  schwarzem  Schiefer 
bestellen.  Nachdem  die  Reisendon  20  Werst  zurückgelegt  hatten,  mossten  sie 
vor  einem  hohen  Berge  Halt  machen,  wo  der  Flnüi  sich  in  awei  Teile  teilte, 
der  eine  Arm  ging  nach  NNO.  nnd  der  andere  nach  SSO.  Nachdem  die 
Beisenden  11  Stunden  gebraudit  hatten,  um  den  Beig  au  ersteigen,  sahen  sie 
sich  anf  einem  Plateau,  das  noch  durch  höhere  steil  aufsteigende  und  deshalb 
nicht  zu  erklimmende  Berge  begrenzt  war.  Bei  einer  Wendung  des  Schlittena 
glitten  sie  einen  sehr  steilen  Abhang  hinunter,  so  dafs  die  Instrumente  aus  dem 
Schlitten  gesclilcudert  wurden  und  das  Chronometer  S<  haden  litt.  Am  15.  April 
versuchte  Tjagin  die  Berge  von  der  linken  Seite  zu  umgehen  und  er  kam  an 
einen  kleinen  Flufs,  den  er  für  den  Ursprung  des  Karmakulka  hielt  Die  beideu 
Seiten  des  Ufers  bestanden  aus  Gletschern  nnd  kleinen  Blittem  dnnkeln  Eises. 
Am  16.  April  erreichte  Tjagin  das  öetliehe  Flatean  und  konnte  eine  grcÜBe  Thal- 
oiederung  übersehen,  wo  der  Lanf  von  verschiedenen  Flüfschen  sich  scharf  ab- 
zeiclmete.  Die  flachen  Abhänge  liefscn  ihn  vermuthen,  dafs  er  auf  der  Höhe  den 
Gebirges  angelaiiiit  war.  Ein  plötzlich  ausbrechender  Schneesturm  liefs  ein  Vor- 
dringen nicht  ratsam  erscheinen  nnd  da  man  auch  keine  Rentiere  antraf,  so  rnnüste 


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man  d«ii  Proviuit  «ob  Afiobeisto  ichoiMiL  Die  Haade  kunen  aelir  von  Kiiften, 
so  dab  die  Samojeden  sich  weigerten,  weiter  sa  gehen.  Nachdem  die  Beisenden 
noch  eine  Höhe  erklommen  hatten,  beschlossen  sie  den  RAckweg.  Auf  diesem 

Platz  wurde  eine  Stoinpyraiiiide  errichtet  Das  Resultat  seiner  Forschung  fasst 
Tjagin  in  folgenden  Punkten  HUHunmen:  1)  mit  guten  Hunden  und  genügenden 
Vorräten  ist  das  Durchkreuzen  von  Nowaja-Semlja  von  Mitte  März  bis  Mitte 
Mai  leidit  ausführbar.  Die  Heise  mufs  auf  Flüssen  und  durch  Thüler  vor  sich 
gehen,  ein  direktes  Uebersteigen  des  Gebirgkaninu'S  ist  nicht  ausführbar;  2)  das 
Gebirge  der  Insel  bestellt  aus  schwarzem,  mit  Quarz  durchsetztem  ►Schieier,  m 
FlnfiBthilem  sind  Ablagerungen  von  schwarzem  Thon  nnd  Sand:  8)  der  Teil  Yon 
Nowaja-Sem^a  swischen  72*  9'  nnd  72*  61'  besteht  ans  einer  Niedening,  die  Beige 
Pnehowiga  nnd  Gnsünnja  vereinigen  sich  in  ihrem  westlichen  Teil  mit  dem  Ge- 
hirgszug  Moller  nnd  bilden  eine  Hufeisenform.  —  Der  dritte  Versuch  Nowaja-Sen^ja 
an  durchkreuzen,  wurde  nun  von  Dr.  Grinewetzky  und  dem  Studenten  Krivoschei 
am  ö.  August  (a.  St.)  1882  unternommen.  Sie  benutzten  die  Zeit,  während  welcher 
die  verschiedenen  Gebäude  für  die  Station  aufgeführt  wurden.  Die  Reise  wurde 
zu  Fufs  in  Begleitung  eines  Samojeden  gemacht  und  richtete  man  den  Weg 
direkt  nach  0.,  um  wo  möglich  au  die  Bucht  Lütke  zu  kommen.  Das  Wetter  war 
prachtvoll:  -f  -  C.  AU  die  Beisenden  den  ersten  Berg  erstiegen,  sahen  sie  noch 
mehrere  Oehixgskfimme  hintereinander  sich  hinaiehen.  Am  Abend  Snderte  sich 
das  Wetter,  es  fiel  Schnee  nnd  am  anderen  Morgen  beschlofs  der  Stndent  snrück- 
sokehren;  Dr.  Grinewetzky  wanderte  mit  dem  Samojeden  weiter,  nach  fünftägi- 
gem Irren  mossten  auch  sie  zurückkehren  in  der  Ueberzengung,  dafs  im 
Sommer  Nowaja-Semlja  niclit  durchwandert  werden  kann.  Der  vierte  Versuch 
durch  Nowaja-Semlja  zu  dringen,  war  mit  Erfolg  gekrönt,  er  wurde  am  21.  April 
des  Jahres  1883  unternommen.  Die  Veranlassung  bot  die  Ankunft  eines  Samo- 
jeden vom  östlichen  Ufer  des  Kara-Meercs,  von  der  Mündung  des  Flusses 
Sawin,  der  nach  Kamakol  anf  die  Station  kam,  um  Pulver  einzutauschen.  Der 
Samojede  sagte,  sie  wiren  mit  swei  Familien  im  Dschnm  nnd  m&fsten  ▼erhungern, 
denn  das  SchieCipnlTer  wftre  ihnen  ausgegangen,  obwohl  in  ihier  NShe  sehr  viele 
Rentiere  wären.  Er  habe  zn  seinen  Frennden  gesagt,  dafo  man  nach  der  Station 
gehen  solle  nnd  ihn  habe  das  Los  getroffen.  Der  Samojede  hatte  einen  mit  zwei 
Hunden  bespannten  Schiitton  und  brachte  als  Geschenk  zwei  kleine  Eisbären. 
Er  hatte  seinen  Dschnm  am  14.  April  verlassen  und  zwar  in  der  Kiclitung  nach 
NNW.;  am  fünften  Tage  war  er  bereits  matt,  da  traf  er  am  Berge  (Jusinei  in 
einem  Dschum  einen  anderen  Samojeden,  der  ihm  den  Weg  nach  Klein -Kar- 
makali  zeigte.  In  zwei  Tagen  nach  Ankunft  des  Samojeden  liatte  ich,  so  be- 
richtet  Dr.  G.,  meine  Vorbereitungen  beendet  und  verlieCiB  in  Begleitung  von 
swei  Samojeden,  vier  Schlitten  und  22  Hunden  die  Station  am  24.  April  lOVt  Dhr 
nbends.  Ffir  mich  und  die  Samojeden  wurde  Proriant  auf  drei  Wochen  mit- 
genommen; das  Futter  für  die  Hunde  wollten  wir  im  Dschum  an  der  Gntinaja 
Gora  vervollständigen,  da  auf  der  Station  keiji  genügender  Vorrat  vorhanden 
war.  Nach  14stündiger  Wan<lerung  auf  dorn  Eiae  längs  des  Ufers  kamen  wir 
nach  dem  Dschnn»  an  der  Gutinaja.  Hier  erhielt  ich  nur  sehr  wenig  Vorrat 
für  die  Hunde  und  wurde  auf  die  Kentierc  vertröstet,  die  ich  bald  treffen 
würde.  Ich  TerlleliB  den  Dschnm  am  27.  April  um  12  Uhr  mittags  und  nahm 
«ine  sUd-tetliche  Sichtung,  nach  etwa  einer  Stunde  kam  ich  snr  Mttndung  des 
Koretki.  Die  Fahrt  war  bei  schönem  Wetter  rasch,  es  giog  den  Flnfs  aufwirts 
seht  Werst  an  hohen  Bergen  des  üfers  hin.  Etwa  20  Werst  Ton  der  Mündnng 
wendet  sich  der  Flub  nach  NO ,  da  wir  aber  nach  SO.  wollten,  so  mulsten  wir 

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den  Flüfs  verlassen  und  nns  in  die  Berge  wenden.  Wir  fanden  nun  auch  Spuren 
vou  Reutiert'ii  und  du  die  tiamojedeii  sagten,  dals  wir  bald  sehr  viele  treffen  würden, 
Bo  gab  ich  den  ganMn  FleischYomt  auf  einmal  doi  Hmiden,  in  der  Hoffnung,  sie 
bald  mit  Rentierfleisch  f&ttern  za  können.  Am  28.  April  morgens  kamen  wir 
in  eine  FlnÜBniedernng  nnd  verfolgten  dieselbe  bis  sie  eich  nach  N.  wand,  wir 
erkletterten  dann  einen  Berg,  wozu  wir  über  6*/i  Stiui  Uii  hrauchten.  Nach 
einer  Stunde  Fuhrt  auf  der  Höhe  kamen  wir  in  Thal  des  Flusses  Bjelusehi; 
der  Eins(  hnitt  des  Flufsthals  war  sehr  schroff  und  tief,  es  war  das  die  tiefste 
Niederung  auf  der  ganzen  Heise.  Der  Flufs  fliefst  erst  nach  SO.,  dann  wendet 
er  sich  nach  SW.  Nachdem  wir  etwa  lü  Werst  in  der  Niederung  zurückgelegt, 
ward  wieder  das  Thal  su  eng,  dafs  wir  das  Ufer  abermals  erklettern  mufsten  und 
die  Hnnde  wurden  ganz  matt,  da  wir  kein  Fntter  hatten.  Die  Kftlte  war  —  20  ^'C. 
Am  29.  April  ging  es  weiter.  Die  Hnnde  hatten  schon  seit  86  Stunden  kein  Futter 
nnd  konnten  kaum  von  der  Stelle  kommen.  Um  3  Uhr  erreichten  wir  eine 
Niederung  mit  einem  See,  aus  welchem  der  Flufs  Belusclii  seinen  Anfang  nimmt. 
Ich  glaube,  dals  tler  .S»e  t-twa  2(K)  Fufs  über  den»  Meeresspiegel  liegt.  Fünf 
Werst  weiter  traf  ich  norli  t  iucn  See  in  derselben  Niederung.  Ich  konnte  einen 
Bcrgkegel  sehen.  Der  banmjt  ih-  sagte,  dufs  dioset  KryA  sich  fast  am  Kari^rlien 
Meere  befände.  Von  den  Seen  fuhr  ich  in  der  ilK-iitung  nach  SSO.  und  konnte 
bemerken,  dafs  der  Schnee  loser  wurde.  Der  Weg  wurde  ebener,  aber  durch 
den  tiefen  Schnee  beschwerlicher.  Die  Hnnde  fielen  vor  Entkräftnng  hin  und 
konnten  nur  durch  SchlSge  weiter  gebracht  werden.  Zu  Abend  kamen  wir  an 
ein  Flüfschen,  welches  seinen  liauf  nach  SSO.  nahm,  der  Samojede  sagte,  dab 
dies  der  Flufs  Savin  sei,  an  dem  der  Dschum  stände.  Am  30.  April  gingen  wir 
weiter,  die  Temperatur  sank  auf  —  25"  C  und  es  fing  Schneein  iben  an.  Zum 
Glück  eiljlit  kten  wir  vier  Hentiere;  wir  s<  lilirlM  n  uns  heran  und  erlegten  drei 
Stück,  wudurcli  der  Not  abgeludfen  war.  Wir  konnten  im  Flnfsthnl  des  Savin 
nicht  weiter  vordringen;  letzterer  wandte  sich  nach  S. ,  wir  klommen  die  Ufer 
hinanf  und  gingen  nach  dem  KompaCs  SSO.,  trafen  aber  wieder  nur  einen  Flofii; 
ich  mufste  mich  leider  überseu^n,  dafs  der  Samojede  den  Weg  verloren  hatte. 
Nach  meiner  Berechnung  h&tte  der  Dschum  schon  gestern  erreicht  werden 
müssen;  ich  beschlofs  nun  am  folgenden  Tage  den  Rückweg  anzutreten.  Am 
Morgen,  als  wir  noch  schliefen,  weckte  uns  das  Qebell  der  Hunde,  wir  sahen 
einen  Pamojeden,  den  Besitzer  des  Dschum,  den  wir  suchten.  Derselhf  war  auf 
dem  Wege  nach  seinem  Fleisehvorrat ,  den  er  früher  Ider  versteckt  hatte,  als 
noch  viel  Bentiere  in  der  l'mgegend  waren.  Der  Samojede  bra<  hte  die  Reisenden 
nach  dem  vier  Werst  entfernten  Dschum.  Am  4.  Mai  bestieg  ich  einen  Berg 
und  konnte  die  weite  Fl&che  des  Karischen  Meeres  sehen ,  dann  trat  ich  die 
Rflckreise  an.  Am  8.  Mai  abends  kam  ich  wieder  in  dem  Dschum  von  Guaimi 
an.  Ich  wollte  zwei  Tage  Rast  halten,  aber  nach  den  Wolken  an  urteilen,  stand 
ein  Sturm  bevor  und  daher  machte  ich,  dafs  ich  schneller  nach  Hause  kam.  Am 
9.  Mai  um  fünf  Uhr  war  ich  wieder  auf  der  Station  und  um  nenn  Uhr  erhob 
sich  ein  starker  Sturm,  der  die  Wände  des  Hauses  erzittern  machte  Das  Gebirge 
«Inrchzielit  die  südliche  Insel  Nowuja-Scmlju  in  der  Mitte,  am  Ende  beginnt  es 
mit  kleinen  Erhebungen  und  steigt  bis  zu  Matotschkin -Scharr  in  einer  Höhe 
von  4000  Fufs.  Nach  dem  Charakter  der  Oberfläche  kann  man  die  südliche 
Insel  in  drei  Teile  teilen;  der  höchste  (Sagt  bei  Matotschkin -Scharr  an  und 
dehnt  sich  bis  eum  Flufo  Pnchowoi.  Es  sind  meistens  einzelne^  ohne  bestimmte 
Richtung  zerstreut  liegende  Berge.  Der  zweite  Teil  liegt  zwischen  den  Tlial- 
niederungen  des  Pnchowoi  im  Norden  und  den  Thftlem  des  Korelki  nnd  Belnschi 


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im  Süden  tind  zeigt  woiiitre  hohe  Borgr  ;  fünf  Gebirgskammo^ dup'bziehen  paralM 
laufend  die  Insel  von  Süd  nach  Nord.  Der  dritte  Teil  wird  ifi-Noi^CH  Ton  dx^ti 
Thalniedrningen  des  Korelki  und  Roltischi  bepronzt .  .m'  erstreckt  sk'h  \äa  j.n 
die  karisclie  Pforte  und  an  das  Eisim  ei-.  Es  ist  dies  i  iu  Jl(>(?l\[d:itea*i  vo.i  .otw'a 
4.">4l  Fiifs  Hölic.  Nach  (Jriiievvetzki's  Meinung  ist  es  höchst  \vahi*scheinlicli.  dafs 
zwei  Yarietiitcu  von  Rentieren  auf  Nowaja-Heinlja  leben,  wenigstcuH  behaupten 
dies  die  rassischen  JSger.  Nach  ihrer  Aussage  wäre  das  Rentier  der  Nord-Insel 
identisch  mit  dem  Rentier  Spitsbei^gens.  Man  vermutet  sogar  ein  winterliches 
Wandern  der  Rentiere  zwischen  Spitzbevgen  und  Nowaja-Semlja  und  zwar  üher 
Franz  Josefs-Land,  dessen  östliche  Foi-tsetzung  hier  wieder  als  Konjektur  auftritt, 
wie  in  dem  Plane  Ilovgiiards.  Leider  war  es  letzterem  durch  die  Eisverhältnisse 
verwehrt  nach  Kap  Tscheljuskin  zu  kommen,  von  wo  er.  nördlich  vordi'ingend, 
das  Problem  der  Ansdehnung  Franz  Josefe -Lands  nach  Osten  hin  zu  lösen 
beabsichtigte. 

§  Kftigini-Jaj[;dei  in  Victoria.  Vor  einigen  Jahren  publizierte  H.  B.  Smyth  in 
Melbourne,  Sekretin  der  Kolonial-Behörde  f&r  den  Schutz  der  Urbevölicerung,  ein 
grobes  zweibSndiges  Werk  aber  die  Aboriginer  von  Victoria  (the  Aborigines  of 

Victoria  with  Notes relating  tothehabits  of  tho  natives  of  other  parte  of  Anstralia 
and  Tasmania);  es  war  dies  die  durch  Beiträge  vieler  Mitarbeiter  bereicherte 
Frucht  langjähriger  .Studien,  und  der  Verfasser  hat  darin  eine  erstannli«  he  Menge 
von  ethnologi.s(  hem  Material  wohlgeordnet  niedergcle»;!.  Ein  eignes  Kapitel  von 
70  Seiten  Umfang  ist  darin  der  Ernährnng  gewidmet,  tind  in  diesem  nimmt 
wiederum  die  Jagd  einen  breiten  Raum  ein.  Die  nachfolgenden  Zeilen  sind 
diesem  Abschnitt  entnommen.  In  der  Känguru- Jagd  zeigen  die  Eingeborenen 
von  Victoria  grosse  Geschicklichkeit,  eine  voUstindige  Kenntnife  der  Gewohn- 
heiten des  Tieres  und  grofse  Ausdauer.  Die  Kängurus  sind  jetzt  in  Tielen  Teilen 
Victorias  weit  zahlreicher,  als  zu  dw  Zeit,  wo  das  Land  im  Besitz  der  Ein- 
geborenen war,  und  wenn  es  auch  jetzt  dem  Waldbewohncr  scheinen  mag, 
als  ob  ein  .schwarzer  Brndor"  sich  leicht  genug  dieses  Wild  verschaffen 
könnte,  so  war  es  doch  anders  zu  der  Zeit,  wo  das  Tiei-  regehnäfsig  gejagt 
wnrde.  wo  es  die  Beute  des  wilden  Hundes  war  und  wo  die  Wilden  das  Känguru- 
flcis<  )t  als  einen  wesentlichen  Teil  ihrer  täglichen  Nahrung  betrachten  mufsten.  — 
Ks  wurden  mehrere  Fangarten  angewandt.  Wenn  ein  Eingeborener  mit  seiner 
Familie  in  einem  Distrikt  lebte,  wo  K&ngurus  leicht  aufzufinden  waren,  pflegte 
er  gewöhnlich  morgens  mit  seiner  Familie  aufeubrechen  und  einen  Weid^latz 
anfimsochen.  Die  in  einiger  Entfernung  folgenden  Familienai^horigen  gaben 
ihm,  sobald  sie  Wild  zu  Gesicht  bekamen,  durch  einen  VogelpfiflT  oder  auf  andere 
Weise  ein  Zeichen.  Der  Jäger  hafte  schai-fe  Speere,  eine  Wurfstange  und  seinen 
^waddy"  eine  Art  Keule)  zur  Hand.  Sein  über  die  Schulter  gehängter  Korb 
enthielt  nehen  der  Wurfstang«;  vielleicht  noeh  ein  Messer.  (Jeräus'  hlos  durch 
den  Busch  gehend,  ptlegte  er  die  Kängurus  schliefslid»  an  einer  etwas  offenen, 
mit  reichlichem  Graswuchs  versehenen  Stelle  zu  finden.  Er  näherte  sich  vor- 
sichtig, ohne  den  Körper  zu  bewegen,  von  der  dem  Wind  abgekehrten  Seite  den 
K&ngurus  und  wartete,  üslls  sie  etwa  Unruhe  zeigten,  bis  sie  wieder  zu  weiden 
begannen.  So  kam  er,  Tom  Wald  geschfitzt,  bis  auf  Wurfweite  nahe  und  schleu- 
derte dann  seinen  Speer,  der  selten  fehlte.  War  die  dem  Wind  entgegengesetzte 
Seite  ohne  bergenden  Schntz,  so  zog  er  sich  an  einen  Platz  zurück,  wo  er  aus 
Zweigen  einen  Schirm  herstellte  und  näherte  sich  vor  demselben  der  Beute. 
Zuweilen  verbanden  sich  Zwei  zu  dieser  Jagdart;  der  Eine  zog  dann  die  Auf- 


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*  *  *  morksamkeit  des- üäficurus  durch  ein  leichtes  (ieräusch,  vielleicht  das  Abbrechen 
eines  Zweiges^:  a«f  steh,  während  der  Andere  sich  mit  dem  .Speer  von  der  ent- 
.  .  .  pogongpstiEten  ^c'iie  verstohlen  näherte.  Häufig  werden  die  Kängurus  hu  ihren 
•***. .  TrjLukpläizel):ge^ig^n.. .  Iiier  erwartet  der  Eingeborene  unter  einem  vorhandenen 
oder  »u  Zweigen  hergestellten  Schutidach  die  sam  Waseer  kommenden  Kin- 
gorof.  Eine  andere  Faagmetliode  iat  die  der  Faroo*  Leute.  Sie  machen  nahe 
dem  Wasser  eine  Gmbe  und  schliefen  mit  zwei  znsammenlanfenden  Bnscb- 
sinnen  einen  Kanm  ein.  Jeder  Zaun  hat  8—400  Yards  Länge.  Wenn  nun  ein 
K&ngnm  sich  nähert,  wird  es  in  den  Raum  zwischen  den  Zäunen  und  dann  in 
die  Grube  gejagt.  Auch  Netze  fro])raurht  man  zum  l'unpen  des  Kän}:nrus.  Bei 
besonderen  Gelegenheiten  versaininclt  sich  eine  grof.se  Zaiil  Eingeborener  zu 
einer  Jagdpartie.  Letztere  wird  immer  von  erfahrenen  Männern  geleitet,  die  den 
Jägern  die  Plätze  anweisen.  Eine  Flache  von  etwa  einer  halben  mile  wird  nmstellt 
nnd  eine  Treibjagd  begonnen.  Diese  Jagdart  findet  sowohl  in  buschigem  Walde, 
wie  auch  anf  offenem  Terrain  statt  Witt  man  eine  grobe  Anzahl  Tieie  erlegen, 
so  benutzt  man  bisweilen  Fener.  Die  Jäger  bilden  dann  einen  Kreis,  setzen  das 
Gesträuch  in  Brand  nnd  töten  so  eine  Menge  Kängnms  and  anderes  Wild.  Im 
Port  Lincoln-Distrikt  l)enutzen  Männer  und  Knaben  eine  .wirra''  frot)annte  Kctile, 
mit  der  sie  die  durch  den  brennenden  Wald  enttliehenden  Känpurus.  Kun;:nrn- 
Ratten  und  andere  Thicre  tödten.  Wie  die  Eingeborenen  von  Coopeis  (  reck 
wenden  diejenigen  von  Port  Lincoln  mit  groisem  Vorteil  eine  Zeichen -Jager- 
sprache an :  das  Ausstrecken  eines  Fingers  bedeutet,  dass  ein  Känguru  nahe  ist, 
drei  ausgestreckte  Finger,  deren  «weiter  etwas  niedriger  gehalten  wird,  sind 
das  Zeichen  für  einen  Emn  n.  s.  w.  Zur  KSngnm<-Jagd  gehören  besondere  Er- 
fahrungen, denn  wilde  Hunde  können  dem  Jäger  die  Heute  wegraffen  oder  feind- 
liche Schwane  ihm  selbst-  nachstellen.  Oft  mnfs  der  Jäger  ein  Kängnrn  mehrere 
Tage  lang  verfolgen,  ehe  er  es  erlegen  kann  ;  er  zündet  sich  dann  auf  der  Spur 
desselben  nachts  sein  Feuer  an.  Alte  grofse  Kängurus  nehmen  aiu  h  wohl  den 
Jäger  an,  wenn  sie  gestellt  werden.  Das  Känguru  sucht  stets  eine  Wasserfläche 
zu  erreichen  and  durchschwimmt  unter  Umständen  emcn  Flufs.  Einige  Tiere 
haben  ein  Gewicht  mm  160  Pf^md.  Derjenige,  welcher  ein  anagewachsenea  Kin- 
gnra  mit  dem  Speer  erlegt  hat,  bekommt  ehien  Pieia.  Die  Schwanisehnen  der 
Kfingnms  werden  sorgflUtig  anfbewahrt,  nm  einen  Stab,  eine  Waffe  oder  Kugel 
gewickelt,  damit  sie  sich  gestreckt  erhalten  und  f&r  späteren  Gebranch  geeignet 
sind.  Das  Bereiten  des  Kängurus  geschah  auf  einfache  Weise.  Man  sengte  das 
Haar,  schabte  es  ab,  entfernte  die  Eingeweide  nnd  briet  dann  das  Tier.  Tm 
Paroo-Distrikt  wird  es  vorzugsweise  in  einer  Art  Ofen  gebacken.  Man  gräbt  em 
Loch  in  die  Erde,  legt  das  Känguru  mit  heifsen  Steinen  hinein  und  überdeckt 
das  Ganze  mit  heiiser  Asche.  Das  Fell  läfst  man  daian,  um  den  Saft  zu  er- 
halten; die  Eingeweide  werden  'gewQhnlicli  erst  entfernt,  nachdem  das  Fleisch 
gnt  dnrchhitat  isi  Das  Bhit  wird  in  einem  EingeweidetheU  gesammelt  nnd  eine 
Art  Bhitwnnt  daraus  gemacht  Die  Aelteren  behalten  natfirlich  die  Leckerbissen, 
SU  denen  namentlich  das  Blnt  gerechnet  wird,  fikr  sich. 

§  Vom  CongO.  Kürzlich  ist  die  Stanley-Pufil  «genannte  seeartige  Erweiterung 
des  t'ongo  von  dem  bekannten  Missionar  (  inniger  zum  ersten  Mal  umfahren 
worden,  und  Herr  Comber  teilt  im  Fi  bniarlicft  der  ^Proceedings"  der  Londoner 
geographischen  Gesellschaft  Näheres  hierüber  mit.  Comber  hat  den  Stanley-Pool 
93  mfles  breit  und  ungefähr  eben  so  lang  gefiinden,  demnach  ist  w  bei  wmtem 
grölser  ala  Stanley  annahm,  nftmlich  SSO  Qnadratnüles,  statt  etwa  66.  Stanley 


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—  103  — 


Pool  ist  von  vielen  gröfsoron  und  kleineren  Inseln  durchsetzt,  die  hauptsächlich 
aas  Saiid  bestehen;  die  grüfäte,  die  Elefanteu-Iuscl,  birgt  zahlreiches  Wild, 
aamentlieli  Elefuiteii«  Bflffel  jl  A.  Enten  nnd  ein  groÜBer  Fische  fressender 
?ogel  sind  sehr  akblreicb,  ebenso  Hippopotanrasse  nnd  Krokodile.  Die  etwa 
9Q0  Fnb  hohen  Dover  «Clilb  bestehen  nicht  ans  Kalk  oder  Thon,  sondern  ans 
silberglänzend  weifsem  Sand.  Die  Ufer  des  Pools  bestehen  aus  waldigem,  bis  so 
500  FaCs  hohem  Hügelland.  An  dem  Abhang  des  etwa  200  Fafs  hohen  Berges 
Kintanu).  auf  etwa  50  Fafs  Höhe  vom  Flusse,  erheben  sich  die  Oebäudo  der 
internationalen  Association  (Leopoldsvillc) ;  näher  nach  dom  Ort  Kintamo  liegt 
die  Danipfcrstation  der  T-ivingstone  Inland  Mission.  Endlu  h  ist  anf  der  Spitze 
eines  Berges  daü  Haus  der  Baptisten-Missionsgesellschaft  errichtet.  Dieser  ersten 
nnd  vorlftnfigen  Untersnchnngsretse  will  Herr  Comber  spftter  eine  weitere  folgen 
basen;  snr  Zeit,  wo  er  diese  Mitteihing  Tom  Congo  machte,  Anfiuig  Oktober  1888, 
waren  die  800  Trag-Ladnngen,  welche  die  Bestandteile  eines  von  der  Bi^vtisien- 
MissionsgescUschaft  anf  dem  Congo  sa  benutzenden  Stahldampfers,  JPeace*, 
bilden,  schon  beinahe  vollsfimdig  zur  Stelle  und  mit  Hülfe  dieses  Dampfers 
sollen  die  Ufer  am  Stanley -Pool  genauer  exploriert  werden.  Auffallend  war 
Herrn  Comber,  wie  schwach  die  Ufer  bevölkert  waren.  ■  Wir  teilen  hierbei  mit, 
dafs  das  KoniittM'  tler  Brüsseler  Association  kürzlich  eine  Kartenskizze  vom 
Congo-ücbiet  herausgegeben  hat,  auf  welcher  die  verschiedenen  ätationeu  ver- 
leichiiet  sind;  ein  Exemplar  liegt  ans  dnrch  die  Gftte  des  Herrn  Stranoh, 
Generalsekretilxs  der  Oesellschafty  vor.  Diese  Karte,  im  Maftstab  von  1 : 1,300,000, 
fär  welche  die  Ortsbestinunnngen  von  den  wissenschalUiehen  Beisenden  der 
Gesellschaft  mit  Hülfe  des  Taschenkompasses  gemacht  sind,  zeigt  verschiedene 
erhebliche  Abweichungen  gegen  die  bisherigen;  so  verkür/.t  sich  die  P^ntfernnng 
zwischen  Stanley -Pool  und  Manyanga  um  die  Hälfte  und  der  erstere  liegt  um 
einen  Grad  weiter  westlich.  Die  Lage  des  Mohumba-  und  des  Leopold  IL-Öees  wird 
in  einer  Note  nur  als  annähernd  riclitig  bezeichnet.  Die  nördlichste  der 
21  »Stationen,  die  Aoquatur  -  Ölatiou,  liegt  nahezu  anter  dem  Ac^uatur.  In  die 
Kart«  ist  aaeh  das  Niadt-Kwiln-Thal  avijgenommen.  Immerhin  wird  das  gua» 
Qebiet  bei  genauerer  Kartienmg  sich  noch  vieUiEMh  anders  darstellen. 

§  Inerikanisehe  Eisenbahien.  Dem  kürzlich  erschienenen  4.  Bande  der 
Censns-Bei-ichte  von  1880  entnehmen  wir,  dafs  in  diesem  Jahre  die  Gesamtlänge 

der  in  den  Vereinigten  Staaten  in  Betrieb  befindlichen  Ei.><enbahnen  H7,7H1  mile«? 
betrug;  dieselben  hatten  ein  Buukapital  von  4112V3  Millionen  Dollars  crtordert 
und  gehörten  HHl  Kompagnien.  Der  Personenverkehr  anf  diesen  Eisenbahnen 
beziffert  sich  auf  Iii  zurückgelegte  miles  auf  jeden  Kopf  der  Bevölkerung  der 
Vereinigten  Staaten.   

§  IHa  Iritiiehei  NiederlMsugen  ii  der  Strafiie  m  Malakka.  Der  ans 

vorliegende  Katalog  der  gegenwSrt^  in  Calcntta  stattfindenden  internationalen 
Aasstellung  enthält  einige  statistische  Angaben  von  Interesse  über  die  Straits 
Settlements.  Die  Stadt  Singapore  auf  der  gleichnamigen  25  miles  langen  nnd 
14  miles  breiten  Insel  zählt  etwa  12(1,000  Einwohner;  die  Bevölkening  von 
Penaug  oder  Princc  of  Wales-ln.sel  l)eträgt  75,000,  der  gegenüber  am  Fesllanti 
gelegene  45  miles  lauge  Küstenstreifen:  Provinz Wellesley.  hat  eben  so  viel  Ein- 
wohner. Malakka,  8 — 24'/<  miles  breit  und  42  miles  lang,  hat  80,000  Einwohner, 
darunter  56^000  Malayen  nnd  18,500  Chinesen.  Femer  stehen  nnter  britischem 
Scbnts  die  swischen  Penang  nnd  Malakka  gelegenen  drei  Malayenstaaten  Pezak 


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104 


mit  UHMKX),  Sclangor  mit  50,000  und  Siingei  Ujoiig  mit  SiHK)  Einwohnern,  wobei 
man  annimmt,  dass  30  "/o  dieser  Hevölkornnjron  Chimsen  sind.  Die  Einnahme 
von  Perak  wird  auf  181,000,  die  von  Selangor  auf  00,000,  die  von  .Sungei  Ujong 
KoS  31(800  PfcL  Sterl.  jShilich  gesehilst  Der  wichtigste  Aufifohrartikel  dieser  drei 
malayischen  Staaten  ist  Zinn,  doch  sind  neuerer  Zeit  mit  gutem  Erfolg  Versuche 
mit  Anbau  von  Kaffee,  Thee  und  Chinarinde  gemacht  worden.  Die  höchsten 
Berge  erheben  sich  bis  auf  8—9000  FnüB  t.  If.  Das  Land  ist  Yon  schiffbaren 
WasserstraXsen  dnrchsogen. 


Die  Entwicklang:  der  Kartographie  im  Norden  Europas,  lieber  dieses 
Thema  machte  Herr  Dr.  Arthur  Breasing,  Direktor  der  Bremer  Navigationsschule, 
in  einer  Versammlung  der  Bremer  historischen  Gesellschaft  am  1.  März  d.  J. 
unter  Vorlage  einer  grofiwn  Aniahl  Kartenwerke  Hitteihingen,  über  welche  wir 
nach  der  „Weser-Zeitung"  wie  folgt  berichten.  Einleitend  bemerkte  der  Vor- 
tragende, dab  die  ilteeten  gedruckten  Karten  (Weltkarten)  in  dem  Budimentum 
novitiomm,  d.  h.  einer  Encyklopadie  für  Klostemomen  1475  in  Lübeck  sich 
finden.  Das  Buch,  heute  eine  hochgeschätzte  typographische  Seltenheit,  hat  für 
die  Kartographie  nur  eine  untergeordnete  Bedeutung.  Kiii  Jalu-  später  ver- 
öffentlichte Nikolaus  Denis,  Mönch  des  Klosters  lleirhcnbach  hii  lie^'ensbnrg, 
zum  ersten  Male  den  Ptolemüus,  jedoch  ohne  Karlen.  Eine  Ausgabe  desselben 
Werkes  mit  Karten  erschien  zuerst  1482  zu  Uhu*),  ebenda  eine  ueue  Ausgabe 
1486,  welche  den  PtolemÜschen  Karten  noch  f&nf  tabniae  modemae,  yon 
Nikolaus  Donis  selbst  g^ichnet»  beifügte.  Diese  letxtere  Ausgabe  konnte  Herr 
Dr.  Brensing  Yorlegen,  da  sie  sich  im  Besitse  der  hiesigen  Navigationsschule 
befindet.  Woher  die  dem  Ptolcmäus  zugeschriebeneu  Karten  stammen,  bedarf 
noch  einer  wissenschaftlichen  Untersuchung,  da  die  in  alten  Manuskripten  des 
Ptolemäischen  Werkes  vorhandenen  Karten  vielfach  von  einander  abweichen. 
Die  Karten  sind  be/Aiplich  der  Orientierung  und  der  Umr^ronzung  der  Länder 
Europas  noch  sehr  inaii.L^clhaft,  so  erstreckt  sich  z.  B.  Italien  fast  genau  von 
West  nach  Ost.  Es  mufs  dies  um  so  mehr  Wunder  nehmen,  als  die  Italiener, 
wie  eine  spätere  Vorlage  zeigte,  schon  viel  früher  aulaerordentlich  gute  Karten 
des  Hittdmeers  handschriftlich  besalsen.  Die  tabulae  modemae  des  Denis 
zeichnen  sich  durch  Darstellung  einer  neuen»  noch  in  unserer  Zeit  gelegentlich 
vriederholten  Theorie  ans,  welcher  es  nur  notig  erschien,  die  Flufslfiufc  zu 
kennen,  nm  die  Gebirgszüge  mit  Sicherheit  eintragen  zu  können.  Hiemach  hat 
die  neue  Karte  Ifalioiis  ein  sehr  kompliziertes  Gebirgssystcm  erhalf <'n,  \v;ihrei)d 
die  ältere  Karle  des  Ptolcmäus  sich  auf  Angabe  des  Hauptgebirgszugis  dts 
Appenin  und  weniger  Ausläufer  desselben  beschränkte.  In  diesem  Atlas  tiiuU  n 
sich  nun  auch  die  ältesten  Karten  Nordenropas;  wie  mangelhaft  sie  sind,  zeigt 
die  West-Ost  verlaufende  Gestaltung  Nordschottlands  und  die  DarsteHung 
Schonens  als  eine  Insel  Wir  haben,  von  Adam  von  Bremen  abgesehen,  noch 
Muen  alteren  Schriftsteller  Aber  die  Geographie  des  Nordens,  Aeneas  Sylvins, 
den  sp&teren  Papst  Pius  IT.,  doch  sind  die  Karten,  welche  der  Ausgabe  seines 
Werkes  von  1551  beigefügt  sind,  offenbar  nach  dem  Atlas  des  Donis  gezeichnet. 
In  vieler  Beziehung  richtiger  stellt  sich  Nordenropa  auf  den  Karten  des  üamanisten 

*)  Wir  «rittnem  daran,  dafs  in  Vordenskjdtds  Vega-Reinewerk,  Band  T,  die 

Karte  des  nördlichen  Europa  nach  l)onis  Ausgabe  von  I'tnlcniüus  Lim  148*2,  die 
Karte  des  Nordens  nach  Jakob  Ziegicrs  Sehondia  .'^trarsbur;;  iruVJ  nml  die  Karte 
des  nördliclien  Kuropa  von  Olau»  Magnus  nach  der  Uaüelcr  Aufgabe  reproduziert 
sind.  D.  Bcd. 


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—  105  — 


Jakob  Ziegler  dar,  von  welchen  die  Bremer  Stadtbibliothek  die  älteste  Strafsburger 
▼OB  1Ö3S  beutst  Ziegler  hatte  der  Eroberong  Borns  durch  Karl  V. 
beigewohnt  und  dann  in  Rom  die  Bekanntschaft  des  gelehrten  Bischöfe  von 
Dpeala  Ohms  Magnus  gemachti  dessen  Hitteilnngen  ihn  befittiigten,  sowohl  eine 
ziemlich  richtige  DavstoUnng  Ton  Falfistina  als  anch  eine  wesentlich  verbesserte 
Anschannn^  des  Nordens  zu  geben.  "Wenige  Jahre  später,  1536,  veröfiFentliehfe 
Olans  Magnus  selbst  in  Venedig  eine  Karte  des  Nordens  mit  deutschem  Texte. 
Es  lag  von  seinem  Werke,  welches  zugleich  die  Geschichte  und  Geogniphie 
des  Nordens  nmfafst,  eine  lateinische  Baseler  Ausgabe  von  1567  vor.  Wie 
verkehrt  aach  jetzt  noch  in  vieler  Hinsicht  die  nicht  anf  Yermessungcn 
benihcnden  Anschannngen  waren,  zeigt  s.  B.  die  DarsteUnng  des  finnischen 
Heerbosens,  welcher  dem  bottnischen  fest  parallel  von  8fid  nach  Nord 
streicht  —  Das  niederlindische  Speculum  orbis  tertamm  von  1593,  im 
Resitze  des  Vortragenden,  dessen  einzelne  Karten  aber  20  bis  2ö  Jahre  ftltor 
sind,  als  die  vorliegende  Gesamtausgabe,  weist  bezüglich  Skandinaviens  wieder 
einen  bedputondcn  Fortschritt  auf;  doch  bleibt  z.  D.  die  Lage  des  tinnischen 
Busens  noch  so  v»  rk<  lirt,  wip  oben  angegeben.  Hier  findet  sich  auch  die  erste 
Spezialkartc  Ostfrieslands  von  der  Weser  bis  zum  Dollart,  1576  von  Laurentius 
Michael  ab  Hagenkarken  (Hohenkirchen)  gezeichnet.  Einen  ganz  aofserordeni- 
lichen  Fortsehritt  gegen  die  bisherigen  Darstellangen  zeigen  uns  die  Karten  des 
ersten  wissenschaftlich  gsbUdeten  Geographen  Gerhard  BfercatorSi  welche 
siemlich  gleichseitig  mit  den  eben  genannten  einzeln  erschienen  und  nach  dem  ^ 
Tode  ihres  Urhebers  von  seinen  Erben  1585  gesammelt  herausgegeben  wurden. 
Es  ist  fast  unbegreitlich.  wie  es  dem  einzelnen  Manne  gelang,  von  fast  allen 
Teilen  der  alten  und  neuen  Welt  verhältnifsmärsig  so  wichtige  Ortsbestimmungen 
zu  erhalten,  wie  seine  Karten  sie  veranschaulichen.  Übrigens  ist  keine  der 
Karten  des  vorliegenden  Atlas  in  der  von  Mercutor  entdeckten  Projektion  der 
Kugel  anf  die  Fläche  gezeichnet  Die  von  Hen'n  Dr.  Breusing  ferner  vorgelegten 
Kairten  des  IG.  nnd  17.  Jahrhunderts  ergeben  teilweise  einen  Rftckschritt  gegen 
Mercator.  8o  i.  B.  der  ftlteste  (niederttndische)  Seeatlas  von  Job.  Lucas  Wagenaer, 
welcher  zoerst  1684  nnd  in  zweiter,  hier  vorliegender,  Ausgabe  1688  ersehien. 
Von  dem  sehr  interessanten  Scespiegel  von  Blaeuw  besitzt  unsere  Seefahrts- 
schnle  die  älteste  Aasgabe  von  1623,  während  selbst  in  den  Niederlanden  nur 
die  spätere  Edition  von  1627  noch  vorhanden  ist.  Von  einem  späteren  nieder- 
ländischen Werke,  De  Zee-Atlas  of  de  Water  Wcreld,  Amsterdam  1675,  ist  ein 
aufserordenilich  schönes  Exemplar  im  Besitze  des  Herrn  Dr.  Breusing.  Es  ist 
mit  der  verschwenderischen  Pracht  ausgestattet,  wie  sie  nur  die  reichen  Nieder- 
lande in  ihrer  ruhmvoUstea  Zeit  zu  bieten  Termochten.  Besfi^ich  der  harto- 
graphisehen  Barstellnng  aber  finden  sich  selbst  hier  noch  Unrichtigkeiten, 
welehe  bereits  ein  Jahrhundert  friiher  lon  Mercator  erkannt  und  Torbessert 
worden  waren  und  anch  hier  ist  noch  heine  Karte  in  Mercatois  Projektion 
dargestellt  worden.   

AsfsachaDg  Leutnant  (irc^lys.  Nachdem  im  vorigen  Jahro  die  Abholung 
der  amerikanischen  l'ularstation  des  Leutnant  Greely  und  seiiur  Gefährten 
miisglückt,  sollen  in  diesem  Sommer  drei  Dampfer  zu  dem  Zweck  au.sgesandt 
werden  und  hat  der  Kongrels  der  Vereinigten  Staaten-Begjerung  ohne  ziffermäfsige 
BescbrSnknng  die  erforderlichen  Uittel  bereitwillig  zur  VerfSgang  gestellt 


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—  106  — 

PrtfMitr  HeilM  B«lgiaif  f.  In  Stettin  starb  am  17.  Febraar  d.  J. 
Professor  Heinticb  BeighaiiSi  der  Nestor  der  deatechen  Geognpben,  bekannt 
dnreh  saldreiche  Sciirifiten  und  Kartenwerke.  Der  Verstorbene  erteicliie  das 

hohe  Alter  von  nahezu  87  Jahren.  Berghaus  war  einer  der  B^[ründer  der 
Berliner  Gesellschaft  für  Erdkunde;  im  Jahre  1839  errichtete  er  in  Potsdam 
eine  «geographische  Kanstechiüe*,  in  welcher  Angost  Petermaiin  einer  der  ersten 
Schaler  war. 


Stejnegers  Foisohangei  ii  KamtHchatka  und  dea  Coiumaader- Inseln 
1882  ud  1888*  Der  gcgenwirtig  in  Washington  lebende  norwegische  Natur- 
forscher L.  Stejneger  hat  die  Güte  gehabt,  nni  in  einem  ans  'Washington,  den 
23.  Januar  d.  J.  datierten  Brief  nähere  Auskunft  über  den  Verlauf  seiner  in 
den  Jahren  1882  nnd  1888  ansgef&hrten  Reisen,  sowie  über  Art  und  Umfang 
seiner  Sammlungen  sn  geben;  bereits  früher,  in  Band  VI.  S.  92  und  9.'i  dieser 
Zeitschrift,  wurde  dieser  Reisen  in  einer  Mitteilung  jukch  der  norwegischen  Zeit- 
schrift .Natureir  gedacht   Die  Red. 

ü  e  b  e  r  b  I  i  ('  k  über  meine  Reise  nach  Kamtschatka  und  den 
Commander-Inseln  (1882  und  1883).  Von  Leonhard  Stejneger.  Von 
den  Autorititen  der  Smithsonian -Institution,  U.  8.  Nataonal-Mnseam  und  des 
U.  8.  Signsl- Service  wurde  mir  im  Frühjahr  1888  die  ehrenvolle  Aufgsbe 
gestellt,  eine  Erfoischungsreise  naoh  Kamtschatka  und  den  Commander- Inseln 
zn  nnteniehmen,  um  dort  meteorologische  Stetionen  zu  etablieren,  natnr- 
historische  Sammlungen  anzulegen  und  die  gesamte  Natnr^csrhif  lifo  der  ge- 
nannten Inseln  zu  studieren.  Wegen  der  knappen  Zeit  wurden  meine  Yor- 
beieitungen  und  Ausrüstungen  sehr  mangelhaft,  was  leicht  zu  begreifen  ist, 
wenn  ich  erzähle,  dass  ich  Washington  verlieCs  sochsundfünfzig  Stunden  nach- 
dem die  Reise  zum  ersten  Male  erwähnt  wurde.  Am  20.  März  wurde  mir  der 
Vorschlag  gemacht,  am  22.  reiste  ich  ab ;  irier  lange  Tage  mulBte  ich  in  Nevada 
anbringen,  weil  die  Eisenbahnlinie  auf  einer  Strecke  von  30  englischen  Meilen 
durch  eine  Üebersohwemmung  fortgerissen  war;  und  am  &  April  verliefe  ich 
.San  Franzisco  am  Bord  des  rassischen  Dampfers  .Alexander  U.",  Kapitän 
J.  Sandmann.  Während  der  langen  Seereise  ^sTirden  drei  bis  viermal  täglich 
nieteorologi-sche  Beobachtungen  angestellt  und  Temporaturon  der  Meeresober- 
fläche gornosf^cn.  Im  Uebrigen  war  die  Reise  nur  wegen  der  anhaltenden  und 
stürmischen  westlichen  Winde  bemerkenswert,  die  uns  ziemlich  weit  nach 
Osten  versetzten,  so  dals  wir  einmal  kaum  f&nfhundert  Meilen  von  Sitka 
respektive  von  Kodiak  entfernt  waren  (145*  w.  L.  nnd  60*  86'  n.  Br.)  Am 
7.  Mai  landete  ich  endlieh  an  der  Beringe -Insel,  wo  ich  mein  Hauptquartier 
nahm,  und  wo  ich  eine  meteorologische  Station  «rstor  Klasse  einriohtete»  mit 
Observationen  dreimal  täglich  alle  acht  Stunden,  nämlich  7  Uhr  vorm.,  3  Uhr 
nachm.  und  11  Uhr  abends  Washingtoner  Zeit  (resp.  11  Uhr  12  Min.  abends, 
7  Uhr  12  Min.  vorm.  und  3  Uhr  12  Min.  nachm.  lokaler  Zeit).  Die  Observationen 
umfassen  Luftdruck,  Temperatur  (trock.,  nass.,  max.  und  min.  Therm.),  relative 
Feuchtigkeit  (durch  trock.  und  nass.  Therm,  bestimmt),  Windrichtung  und 
Schnelligkeit  (Robertsons  Therm.),  Bewölkung  und  Niederschlag.  Von  der 
Berings- Insel  ans  besnohte  ich  diesen  Sommer  Mednij  Ostrof  (die  Kupfer-Insel) 
nnd  Fetropaulski  auf  Kamtschatka  und  er6ffiiete  an  der  letaten  Stelle  eine 
meteorologische  Station  sweiter  Xlasse.  Die  Observationen  wurden  von 
Dr.  E.  Feodoroff  in  gewissenhafter  und  intelligenter  Weise  ausgeführt,  und  nm- 
tessen  Barometeri  Lufttemperatur,  Windrichtung  nnd  Stärke,  Bewölkung  nnd 


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107  — 


Niederschlag  zweimal  täglich,  um  3  Uhr  nachm.  und  11  Uhr  abends,  Washing- 
toner Zeit.  Von  speziellem  geographischen  und  topographisehmi  InteMSM  war 
meiiie  Umsegelung  der  Berings-Insel  in  offtaem  Bote  swiacben  dem  21.  August 
und  dem  1.  September;  wat  dieser  Beisei  sowie  auf  fielen  kleineren,  wesentiieb 
im  Handeschlitten  oder  sa  Fnrs  nnteniommenen  Expeditionen,  habe  icb  ein 
ansehnliches  Material  für  eine  detaillierte  Karte  der  beiden  Insefal  zusammen- 
gebracht.   Sorgfiiltige  Höhenraessnnpon.  sowohl  von  Bergspifzen  wie  von  den 
Pässen  wurden  genommen.    Die  Unisegelung  hai  mic  Ii  in  den  Stand  gesetzt,  die 
meisten  von  den  in   Stellers  klasbischer   Beschreibung  gegebenen  Namen  zu 
iiidentifizieren,  eine  Keihe  von  Skizzen  der  interessanteren  Punkte  findet  sich 
in  meiner  Mappe.  Ancb  worde  die  Stelle  besaeltt,  wo  Bering  mit  seinen  Leuten 
stfuidete,  wo  er  selbst  starbi  nnd  wo  die  Ueberlebenden  ibit  Steiler  den  Vinter 
rabra^bten.  IMe  Boinen  der  Wobmugen  worden  so  sorgSItig  mitenmcbt,  als 
«■  die  nngftnstigen  Umstände,  die  üppige  Vegetation  nnd  das  abschenliobe 
Wetter  erlaubten;  Ausgrabongen  worden  vorgenommen  in  der  Wohnung  und 
speziell    an    iler   Stelle,    wo    da.«i   neue   Schiff   gebaut    und    die    von  dem 
Wni<  k  geretteten  Sachen  aufgestapelt  wurden;  die  wenigen  so  aufgefundenen 
Reliquien  von  der  ersten  Expedition,  die  Amerika  von  dieser  Seite  entdeckte, 
habe  ich  in  dem  hiesigen  National-Museum  depomert.    Die  zoologische  Ausbeute 
bestand  hauptsächlich  in  sablreicben  Resten  der  scbon  ttngst  ausgestorbenen 
Seeknb  (Rytina  gigas  oder  Stelleri),  während  die  ormtbologiscbe  Sammlung 
siemlicb  mager  ausfiel  und  swar  teils  wegen  des  nassen  und  stürmisoben  Wetters, 
teils  wegen  der  verhältnismärsigen  Armut  des  südlichen  Teiles  der  Insel  an 
Vögelarten.  Einige  interessante  Beobachtungen  nnd  Sammlungen  von  Lagopus, 
Rissa  brevirostris  und  SimorhynchnsPygmaeus  wurden  doch  gejuacht. 
Als  uns  der  Dampfer  im  Herbst  verliefs.  konnte  ich  ,  als  Erjielmis  der  ersten 
4*/2  Monate,  schon  eine  hübsche  Sammlung  nach  Wnshington  schukcn.    Es  wird 
genügen  die  zwölf  Schädel  und  vier  Serien  von  Wirbeln  mit  Armknochen, 
Scbulterblättem  u«  A.  von  der  Rytina,  Bälge  von  etwa  achtzig  Vögelarten  nnd 
ScbSdel  Yon  swei  neuen  Deuüceten  su  nennen.  Diese  Iststeren  liefern  einen  sebr 
wichtigen BeitiagsurTbiergeogmpbie.  Zipboiden  waren  bisher  als  Bewobner  des 
StiUea  Ossons  nördlioh  vom  Aequator  gsr  nicht  bekannt  Die  swei  von  mir  be- 
schriebenen Arten  Berardius  Bairdii  und  Ziphius  Grebnitzkii  gehö- 
ren zwei  verschiedenen  Genera  derselben  Familie  an,  und  im  Jahr  188.'^  saninielte 
ich  noch  eine  dritte  wahrscheinlich  neue  Spezies  aus  der  Gattung;  M  e  s  o  p  1  o  d  o  n , 
wodurch  meine  Reise  diesen  Teil  des  Weltmeeres  mit  einer  Familie  und  drei 
Genera  vennehrie.  Die  schöne  Reihe  von  Ryti  na-Schädelu  setzte  mich  ferner 
in  den  Stand,  eine  erhebliche  Differenz  in  dem  männlichen  and  dem  weiblichen 
Cruiium  su  besehreiben  und  mit  Tabellen  genauerer  Messungitt  lu  iUustrierenj 
auch  die  VOgelsammlung  enthielt  einige  neue  Arten.  Hein  vorliniiger  in  vielen 
Punkten  ziemlich  detaillierter  Berieht  über  diese  erste  Saison  ist  im  vorigen 
Jahre  in  den  „Proceedings  of  the  U.  S.  National  Museum  1888*  pg.  58—96  po^ 
blisiert  unter  dem  Titel:  „  Contributions  to  the  History  of  the  Com- 
mander Islands.  No.  1.  — Notes  on  Natural  History.  including 
Descriptions  of  Cetaceans".    Den  Winter  brachte  uh  auf  der  Berings- 
Insel  zu,  der  folgende  Sommer  aber  fand  mich  meistenteils  auf  der  Kupfer-Insel 
mit  Studien  über  Topographie  und  das  Leben  und  Treiben  der  Seebären  oder  Pelz- 
robben  besehäftigt,  welche  letztere,  wie  bekannt,-  auf  diesen  Inseln  im  Sommer 
zu  Millionen  anlang«n,  um  hier  ihre  Jungen  fottsubringeii*  Genaue  Karten  und 
Slussen  der  «Brutplätse*  derselben  wurden  aufgenommen  und  Uebersohlige  der 


^  ij  i^uo  Ly  Google 


—  108  — 


Ansah!  berechnet  DaXs  die  anderen  Seiten  der  Naturgeschichte  nicht  ▼ersanmt 
wurden,  ist  selbstverständlich,  nnd  mehr  als  ein  halbes  Dutzend  neue  Rytina- 
schädel,  eine  noch  zahlreichere  Kolli  ktion  von  Walfische  ranien,  26  Hftntc  von 
Spolöwen,  Seebaren,  Seehunden  und  deren  Schädel,  gegen  700  Vogelbälge,  zwei  Kisten 
Fische  und  niedere  Tiere  in  Spiritus,  Pflanzen  und  Ver^tpinernngen  zeugen  davon. 
Am  13.  Oktober  188^J  verliefs  ich  Kamtschatka  mit  dem  amerikanischen  Dampfer 
,St  Faul'',  KapitüJi  Erskine,  meteorologische  Instrduieute  und  gewissenhafte 
Obserratoren  hinterlassend  and  am  28.  November  langte  ich  in  Washington 
an,  nach  ein  paar  kunen  AnfSanthalten  unterwegs.  Die  nfichste  Zukunft  wird  mich 
hier  mit  der  Bearbeitnng  meines  reichen  Materials  beschftftigt  finden,  und  in 
erster  Reihe  wird  der  geographische  Teil  kommen.  Doch  habe  ich  noch  nicht 
entschieden,  wie  nnd  wo  ich  meine  geographische  Monographie  veröffentlichen 
werde.  Die  norwegische  Zeitschrift  ^Naturen*  wird  in  den  ersten  Nummern 
dieses  Jahres  eine  Reihe  von  Reisebriefen  bringen,  die  einige  vorläufige 
Resultate  enthalten  werden.  Bevor  ich  dieses  kurze  Resümee  schliefse,  wünsche 
ich  noch  ein  paar  Bemerkungen  hinzuzufügen:  nämlich  dafs  es  bei  einer 
Beurteilung  meiner  Beanltate  billig  ist,  dab  man  die  Eile  in  Erwägung  ziehe, 
mit  welcher  die  Vorbereitnngen  getroffen  wurden.  Zweitens  habe  ich  mit 
Hank  die  HfiUs  m  erwihnen,  womit  ich  von  allen  Seiten  unterstOtat  wurde. 
So  bin  ich  dem  Herrn  Dr.  Emil  Bessels  zum  besonderen  Dank  verpflichtet  för 
seine  freundliche,  speziell  litteräre  Assistenze,  sowohl  während  der  Untersuchungen 
als  auch  später.  Ferner  wurden  mir  alle  möglichen  Erleichterungen  zu  Teil 
seitens  der  dortigen  Ilandelskompagnie  und  deren  Agenten,  von  welchen  ich 
speziell  dem  Herrn  Ü.  Cheruick  auf  Herings  -  Insel  meine  Yerhiiidlichkeit  aus- 
sprechen möchte,  für  die  gewissenhafte  Weise,  womit  er  mir  als  meteorologischer 
Observator  aniatierte,  so  oft  ich  von  der  Station  abwesend  war«  Trota  aUedem 
würden  die  Resultate  doch  viel  spftrlicher  ausgefollen  sein,  wenn  ich  nicht  von 
dem  dortigaiBeprfisentanten  der  russischen  Regierung,  Herrn  Hofkat  N.  Orebnitski, 
auf  die  uneigonnfitaigste  Weise  unterstützt  worden  wäre,  hier  Öffentllich  ana^ 
sprechen  zu  können  mir  eine  grofse  Freude  bereitet 

Smithsonian  Institution,  den  23.  Januar  1884.  L.  Stejneger. 


Literatur. 

IMnkschrift  über  Herstellung  einer  vertieften  Wasser  st  rafse  zwischen 
Königsberg  in  Fr.  und  Pillau.  Königsberg  1883.  Diese  vom  Stadtbani-at  Frühling 
im  Auftrage  des  ostpienfiritchen  Provinsial-Tereins  lur  Hebni^  d«r  Flafs-  und 
Kanalachifbhrt  herausgegebene  Schrift  seigt,  dab  man  auch  in  Königsberg 
wie  in  manchen  anderen  nicht  unmittelbar  am  Meeresufer  gelegenen  See- 
bandelsstädten  daran  denkt,  die  zur  See  führende  Wasserstrafse  zu  regulieren 
und  zu  vertiefen.  Die  Wasserverbindung  zwischen  Königsberg  uud  Pillan  ver- 
mittelt auf  8  km  der  6  m  und  darüber  tiefe  Pregel,  dagegen  hat  der  durch 
das  Frische  HafF  führende  Teil  des  Wasserweges  trotz  aller  Raggerungen  nur  eine 
ungenügende  Tiefe.  Es  werden  die  zur  Vertiefung  aufgestellten  Projekte  unter 
Beifügung  von  zwei  Tatein  näher  dargelegt;  die  meisten  Aussichten  auf  Ver- 
wirklichung seheint  das  Projekt  eines  Dammkanals  am  Nordufer  des  Haffs  mit 
einer  Tiefe  von  6  m  unter  Niedrigwaaser  und  einem  Kostenbetrage  von  5  Millionen 
Mark  an  haben.  Die  Kiinigsberger  Kaufmannschaft  erwartet  die  Ausführung 
dieses  Projekts  von  der  Staatsregierung. 

Beiträge  zur  physischen  tTeogr^hie  der  Ostsee  von  Dr.  Carl  Ackermann, 
mit  einer  liefenkarte  in  7  Abstufungen  und  6  Tafeln  (Profile  der  Zogiuigstiefen 


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—  lod  — 

und  Temperataren}  Hamburg  1883,  Meissner.  Das  als  eine  tleifsige,  wohlgeordnete 
Ztuammentragung  and  Venktbeitang  des  ▼orhandenen  reicheu  Materials  n  be- 
xeiclmende  Werk  behandelt  den  Stoff  in  folgenden  Abschnitten :  1)  Morphologisches : 
Grenzai,Zng|sng9tiefen,  westliche  und  östliche  Ostsee;  2)  Geologisches:  Wirknngen 
der  Wellen  ^Serst5rung  der  Steilküsten,  anschwemmende  Thätigkeit,  Zerstömng 
der  vom  Me(>rc  goschafTenen  Bildongeni  Einwirkung  der  Kanstbanten  der  Menschen 
auf  djp  Kunstthütigkeit),  Wirkungen  der  säkularen  Hebungen  und  Senkungen; 
rV  Physikulisclies :  Siiöinuiigs-  und  Windverhältnisse  un*l  ihre  Wirkungen, 
Temiitiatni vcrhfiltnishe ;  4)  Biolügischos :  die  in  der  Ostsee  Icbenilen  iier-  und 
l'tiaiizenurganisnicn:  einige  aufserhulb  Uci  Ü^tsee  lebende,  iiber  durch  dies  Meer 
beeln6n&tA  Orgfuikmen.  Zur  Orientierung  in  dem  gegen  400  Seiten  starken 
Boche  dient  ein  Namensregister. 

Von  Hermann  Wagners  Neubearbeitung  des  Gotheschen  Lehrbuchs 
der  Geographie  (vcrgl.  Band  VI.  Seite  l)f>  dieser  Zeitschrift.)  ist  der  zweite  Band 
ersrhiencn  und  das  Work  damit  vollendet.  Dieser  über  8ü0  Seiten  starke  Band 
lifhruiih'lf  Europa  in  11  Kapiteln,  von  denen  das  erste:  Allgemeine  Uebersiohten 
iiuil  diejenigen,  welche  die  südenropSischen  Länder  betreffen,  die  bedeutendste 
Umgestaltung  erfahren  haben.  Die  schon  im  ersten  Bande  so  willkommenen 
„litterarischen  Wegweiser^  finden  wir  auch  in  diesem  Bande;  überall  ist  auf  die 
wirtschaftlichen  VerUUtnisse  gebfthreode  Btteksicht  genommen;  besonders  wert- 
¥oQ  sind  endlich  die  Tabellen  rar  Geschichte  der  Geographie,  sowie  sahireiche 
andere  Tabellen,  welche  Höhenvergleichungen,  Schneegrenzen  der  Gebirge,  grObte 
Flüsse,  Bevölkerung,  auswärtige  Besitsung^n  europäischer  Staaten,  Handelsflotten 
tl,  A.  betreffen, 

Gilder  (William  H.).  In  Eis  nnd  Schnee.  Die  AufsuL'hunc;  der  .Jeannette"- 
Kxpedition  und  eine  Schliitenfahrt  durch  Sibirien  Autorisierte  deutsche  Ausgabe. 
Mit  4ü  Abbildungen  in  Holzschnitt  und  '\  K:irten.  Leipzig.  F.  H.  Brockhaus. 
1884.  8.  384  S.  lu  lebhafter  Erinnerung  ist  uns  noch  allen  die  furchtbare 
Katastrophe,  welcher  ein  Teil  der  Mannschaft  der  „Jeannetto",  des  von  Gordon 
Bennett  su  einer  Nordpol-Expedition  ausgerüsteten  Schiffes,  an  der  Lenamfindung 
erlag.  Zur  Au&uchung  der  Vermibton  war  im  Jahre  1881  von  der  Regierung 
der  Vereinigten  Staaten  das  Schiff  .Rodgers''  unter  dem  Kommando  von  Kapt. 
Berry  in  das  Eismeer  gesandt  worden,  und  Gilder,  der  Korrespondent  des  „New- 
york  Herald*,  derselbe,  welcher  Schwatka  auf  seiner  bekannten  Reise  nach  King 
William  Land  zur  Aufsuchung  der  Franklin-Reste  begleitet  hatte,  nahm  auch 
an  dieser  Fahrt  teil.  Nachdem  der  ,R()il|j;i'is-  das  Problem  des  Wrangel-Landes 
durch  emu  vollständige  Aufnahme  der  Insel  gelöst  huttu,  wurde  er  iii  der 
Lorens-Bai,  woselbst  er  flberwinterte,  das  Opfer  eines  schnell  um  sich  greifenden 
Feoers,  und  OfBsiere  und  Mannschaft  konnten  kaum  mehr  als  das  nackte  Lebon 
rotton.  Qilder,  der  sich  zu  der  Zeit  des  Brandes  in  einer  Station  auf  der  Insel 
Idlidlja  in  der  Nähe  des  Winterquartiers  der  «Vega'  befand,  erhielt  nun  den  Auftrag, 
die  Rückreise  durch  Sibirien  anzutreten.  Er  begiebt  sich  deshalb  liagy  der 
Eismeerküste  nach  der  Kolyma,  woselbst  er  die  erste  dunkle  Kunde  von  dem 
Schicksal  der  .Jeannetie*  erhält.  In  Werchojansk  crlührt  er  Näheres  und,  schnell 
entschlossen,  eilt  er  n.n  h  der  I-enumündung.  um  an  der  von  Melville  geleiteten 
Aufsuchuugs-Expeditiou  teil  zu  uelimen.  Die  nun  folgenden  Kapitel,  welche  die 
Auffindung  der  Leichen  durch  HdriDe  nnd  die  Schicksale  der  «Jeannette*- 
Expediüon  nach  De  Longa  Tagebuch  und  nach  mtindlicher  Mitteilung  der 
beiden  aus  De  Longs  Abteilung  geretteten  Matrosen,  Nindermann  und  Noroa, 
Bchildetn,  entrollen  ein  dftstores  Gemälde,  das  sich  grell  you  dem  mit  leichtem 


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110 


Humor  geachriebtMii  Gildenchen  Beiaebericbt  ftbliebt    Gilden  Bach-  ist  kmn 

wissenscbafUiehes  Werk,  wie  auch  in  der  Vorrede  hcrvorgcluibcn  wird.  Es  ist 
eino  /nsaiBineiiBtellimg  von  Reieebriefen,  die  unter  dem  frischen  Eindrucke  des 
(ioschelicnen  niedergeschrieben  sind  nnd  nur  die  Uiitcrhalttinj^  des  Lesers 
bezwecken.  Diesen  Zweck  eriullcn  si»> ,  wie  jedi.T  zugestclu'n  wird;  und  wenn 
auch  im  einzehien  manclio  IntiiiiuT  und  Tlngcnauigkeiten  gerügt  werden 
küuuteu,  SU  geben  sie  ducU  im  ganzen  ein  zuUetYeudes  Bild  vuu  den  durchreisten, 
Sloeli  weii%  bekamitMi  Lfiadergei^eten.  Imanetfain  iet  es  aber  m  bedanem,  dab 
die  Gelegenbeit,  welche  der  Aufenthalt  der  «Bodgers*- Expedition  auf  der 
TiBchnktschen-Halbiasel  darbot,  nicht  aach  sa  eingehenden  wiaaenschaltliehen 
Studien,  namentlich  in  ethnologischer  Hinsicht,  benutzt  werden  konnte,  da 
in  diesem  hochinteieannten  Gebiete  noch  maneher  dunJüe  Punkt  der  Auf- 
kl&mng  bedarf  A.  K. 

Vega- Expedit ionens  Veten.skapliga  Jaktagelscr  bearbeiade  af  deltagere  i 
resan  och  andra  forskare,  ntgifna  af  A.  K  Nordenskjöld.  Tredje  bandet  (med 
44  tailor).  Stockhuim,  Bcrjers  förlag,  18tS:^.  Der  eben  erschienene  dritte  Band 
der  wissettsehafHichen  Arbeiten  der  Tega-Bxpedition  enthilt  vier  Aufbitie 
botanischen  und  soologischen  Inhalts.  —  Der  erste  ist  eine  gröÜBere  Arbeit  von 
F.  B.  Klellman  Uber  die  «Algenflora  des  nördlichen  Eismeeres*  (schwe- 
disch); dieselbe  beschrankt  sich,  wie  schon  der  Titel  seigt,  nicht  nur  auf  die 
Ergebnisse  der  Vega  -  Expedition,  sondern  beruht  im  wesentlichen  auf  eigenen 
Beobachtungen  und  Sammhingen  des  Verfassers,  welche  derselbe  in  dorn  letzten 
Jahrzelint  un  der  norwegischen  Nordküste,  bei  Spitzbergen,  Novaja-.Semlja  und 
der  Rüste  dos  nördlichen  Sibiriens  gemacht  hat;  aufserdem  stand  demselben  eine 
reichhaltige,  dem  Kopenhagener  Botanischen  Museum  gehörige  Algensaiumluug 
von  der  grönländischen  Westküste  snr  Verfügung,  so  dals  er  mit  Beoutsung  der 
einschUgigen  Literatur  eine  mS^chst  ToUständige  üebersicht  der  Alg^nwelt  der 
cironmpolaren  Meere  geben  konnte.  —  Das  nördliche  Eismeer  ist  nach  dem 
Verfasser  pflanzengeographisch  abzugrenzen  und  daher  wird  auch  das  sftdliche 
Grönland  noch  dazu  gerechnet ;  dagegen  wird  das  Berings-Meer,  aus  welchem 
die  r'Vega"  reiches  Material  mitbrachte,  nicht  berücksii  litigt.  —  Die  reichste 
Algenvegetution  findet  sich  an  Norwegens  Nord-  und  an  Orönlands  Westküste; 
aufserordentlich  arm  zeigt  sich  die  ganze  ausgedehnte  sibirihieliü  Küste,  auf 
welche  nur  87  von  den  259  für  das  gesamte  nördliche  Eismeer  angeführten 
Arten  kommen.  Nur  im  nördlichen  Norwegen  und  an  der  Westkfiste  Grönlands 
ist  die  lilorale  Flora  swisohen  höchstem  und  tiebtem  Wasserstand  einigennafsen 
reichhaltig;  in  den  Abtigen  Teilen  des  nördlichen  Eismeeres  ist  sie  äufiserst 
dürftig.  Die  Hauptmaase  der  Algen  wächst  in  der  sublitoralen  Tiefe  (bis  n 
20  Faden),  während  sie  noch  tiefer  (in  der  elitoraleu  Zone)  fast  vollständig  felden. 
Mehrere  Tabellen  geben  ein  ausführliches  Bild  der  drei  angenommenen  Provinzen, 
der  spitzhergensclien,  der  sibirischen  und  amerikanischen,  so  wie  ihrer  Be- 
ziehungen zum  Atluutiäclien  und  Stillen  üceau.  Sehr  interessant  ist  ein  Kapitel 
über  die  Lebenserseheinungen  der  arktischen  Meeresalgen,  in  denen  wir  Qew&chse 
kennen  lernen,  die,  lange  Zeit  in  Eis  geschlossen,  den  höchsten  K&ltegraden 
trotsen  können  und  bei  einer  Temperatur  von  —  1«  bis  ^  2*  C.  sogitr  in  der 
langen  Nacht  des  polaren  Winters  eine  Wachstnmsenergie  bethitigen,  die  uns  in 
Erstaunen  setzen  mufs.  Den  giöfsten  Teil  des  Aufsatses  bildet  eine  ToUstAndige 
systematische  Aufzählung  der  einzelnen  Arten  der  Eismeer-Flora,  von  denen  viele 
als  iJiMi  beschrieben  werden,  mit  Angabe  der  Ali  und  Weise  ihres  Vorkommens, 
ihrer  Verbreitung  lu  anderen  Meeren  u.  A.;  zu  diesem  Text  gehören  31  vor- 


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III  — 


trefflich  aasgeführte  Tafeln.  —  Der  zweite  Aufsatz  (schwedisch)  von  W.  Leche 
giebt  ab  eisten  Te3  eine  «Uebenieht  ftber  die  Ton  der  .Yoga"- Expedition  ein- 
geaammelten  MeeresmoHoaken*,  die  LBmeUilmodhiaten.  —  An  60  Tenduedcinen 
Fundorten,  Ton  der  lUrochen  Pforte  bie  snr  Berings-Iniel  eind  einseUiefalicb 

der  Varietäten  nur  4'i  verschiedene  Formen  dersdben  gOsammclt  worden;  von 
diesen  gehören  7  aasschliefslich  dem  Berings-Meer  an,  so  dafs  für  das  sibirische 
Eismeer  nur  35  Formen  übri?  hloilten.  was  auf  grofse  Arteiiarmut  desselben  hin- 
zudeuten scheint.  Dagegen  ist  dio  i-nuna  tlcs  Berings-Meeres  entschieden  reicher, 
als  man  nach  den  wenigen  daraus  initgi])ra(  litcn  Arten  (18)  vermuten  möchte. 
Drei  Tafeln  mit  ausgezeichneten  Abbildungen  illu.strieren  die  neuen  oder  kritischen 
Formen.  P.  T.  Cleve  giebt  (in  engliseliw  Spmebe)  eine  Anftfthlnng  der  während 
der  »Teg^'-Expedition  Ton  KjeUnum  gesammeltea  I)iatomeen,  nnd  tmat  snenfc  der 
arktischen,  wobei  der  Verflaessr  mit  Benntsnng  seiner  eigenen  fröheren  Arbeiten 
und  der  von  Gmnow  ein  Vemeichnis  der  bis  jetzt  mit  Sicherheit  aus  dem 
gesamten  nördliche  Eismeer  bekannten  Arten  giebt  £s  folgt  dann  eine  Auf- 
zählung von  Süfswasserdiatomeen  von  Japan  und  mariner  Diatomeen  von  drei 
verschiedenen  Punkten  des  Indischen  Oceans.  Auf  4  Tafeln  sind  die  neuen  oder 
souüt  bemerkenswerten  Arten  abgebildet.  —  Der  vierte  Aufsatz  von  P.  Kramer 
und  C.  J.  Neuman  beliaudelt  in  deutscher  Sprache  die  während  der  „Vega"- 
Expedition  eingesammelten  Acariden,  von  dsasa  der  gr&fiMre  Teil  sich  als  neae 
Arten  erwies.  Hieisn  6  TafsbL  A.  K. 

Dr.  OskarSchneider.  NatnrwissenschafUiche  Beiträge  rar  Geographie 
und  Kulturgesclüehte.  Dresden,  v.  Bleyl  -  Kaemmerer  1883.  Saxa  loquunturl 
Die  Steine  verkünden  uns  entweder  das  Walten  der  Naturkräfte  und  dann 
sprechen  sie  7.n  dem  Naturhistoriker,  und  vor  allen  die  Geologen  lauschen  auf 
diese  Sprache,  oder  aber  sie  erzählen  uns  von  dem  Wirken  de.s  Menschen  und 
dann  sind  es  die  Kulturhistoriker  in  erster  Linie,  welche  sich  bemühen,  die 
abgebrochenen  Zeichen,  Worte  und  Sätze  zu  deuten.  Das  vorliegende  Werk 
bietet  beiden,  den  NatoT:  nnd  Knltarhistorikem  Material,  und  dab  auch  die 
Geographen  nicht  leer  ausgehen,  dafür  ist  gesorgt  nnd  wäre  es  nnr  dnreh  die 
von  Schweinfarth  gegebene  kartographische  Darstellnng  des  Porphyigebietes 
aaf  Tafel  13,  nebet  der  Bundschau  vom  Chresimofr-Berge  (Tafel  14).  Es  finden 
sich  aber  auch  sonst  noch  eine  Menge  von  geographischen  DetailSi  unter  den 
der  Haupt.Hache  nach  wohl  kulturgeschichtlichen  Mitteilungen.  Der  erste  der 
^Beiträge''  handelt  über  Ansrbwcininnn^'on  von  antikem  Arbeitsinaterial  an  der 
Alexandriner  Kü.ste.  Es  werden  ni<  lit  weniger  als  86  verschiedene  Minerale  und 
Gesteine  besprochen  und  ihre  Herkunft  erörtert  Smaragd  von  Gebel  Sabara 
(Koseir  S.),  Chrysolith  von  Esne  in  Ober-Aegypten,  T&rkia  um  der  sinaitisehen  Halb- 
insel n.  s.  w.  Das  Torkommen  yon  weiUier  gebrachten  Mineralien:  Sapphir, 
Lasurstein  u.  A.  weist  auf  die  alten  Handebwege  hin.  Eminent  kulturgeschichtlich 
ist  der  sweite  Aufsats  über  die  Schwefelminen  von  Bas  el  Gimse  und  den  Prozefo 
der  Societö  „conMre  d'Egypte*^.  Von  den  mit  grofser  Ausführlichkeit  be- 
handelten Darlegungen  ,tlber  den  roten  Porphyr  der  Alten''  nehmen  besonders 
die  Kapitel  1  und  2  unser  Interesse  in  Anspruch.  Sie  handeln  von  den 
petrographischen  Eig<'nhchatten  des  roten  Porphyrs  der  Alten  und  von  der 
Herkunft  desselben.  Zu  dem  letzten  Abschnitt  gehören  die  schon  erwähnten 
beiden  Beibgen,  welchen  noch  Originalmitteilnngen  Dr.  Schweinfarths  beigefügt 
sind.  Die  Übrigen  Kapitel  sind  wieder  vornehmlich  von  kulturhistorischem 
Interesse.  Der  vierte  Beitrag  beschiftigt  sich  mit  «der  Bemsteinfhige ,  ins- 
besondere mit  sicilischem  Bernstein  und  dem  Lynknrion  der  Alten",  nnd  bildet 


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112 


eine  intgroManto  Monographie  dieoM  mcrkwftrdigeii  sfldliolieii  M moval-Vori^omm^iiSy 
das  durch  seine  schönen  Farbennöanceu  und  die  lebliafte  Fluoresceuz  berühmt 
ist.    Ein  ganz  besonderes  luteretse  nimmt  sckUerslicIi  die  letzte  Abhandlung: 
püber  die  kaukasische  Naphtaproduktion*  in  Anspruch.    Mit  gi-uf^er  Sojgfalt 
werden  alle  Angaben  über  die,  sowohl  auf  der  Nortl-  als  auch  auf  der  Südseite 
des  Kaukasus  und  in  der  Fortsetzung  des  Zuges  an  der  Ostseite  des  Kaspa-8e»^s, 
südlich  vom  Kara-Bugas  auftreteudeu  Erdöl  und  Erdwachs  lührendeu  Formationen 
beBpiochen,  wosu  der  Aator  durch  seine  Reisen  gans  besonders  berufen  erscheint. 
NeG»n  den  geograi^kischen  Angaben,  —  welche,  sowie  auch  die  fröheren  Anfe&tse 
durch  Kartenbeilagen  wesentlieh  unterrtütrt  werden  —  finden       wieder  koltur-  | 
historische    und    handelspolitische  Auseinandersetzungen  und  Vergleiche  der 
kaukusischeu  Oelreviere  mit  den  galizischen  und  amerikanischen  Petroleumgebieten.  ' 
In  Bezug  auf  die  dabei  beiuit/.tc  Literatur  ist  uns  aufgefallen,  dafs  die  neuere 
Publikation  Aljitlis  (über  die  l'roduktivitüt  und  die  geotektonischon  Verhältnisse 
der  kaspischen  >kaphtaregiou  (Jalirbuch  der  k.  k.  Ueichsanstalt   ISTü  S.  IGö)  ' 
nicht  citiert  wird;  freilich  beschäftigt  sich  dieselbe  der  Uauptsut  lie  nach  mit  i| 
hypothetischen  Spekohitionen  Aber  die  nnorganiscdie  Natur  des  Petroleums.  1 

Frans  Toula.  1 


mmw  N«ehrl«M.  Wir  ennehei  hierdireh  die  Herren  auwirtIgeB 
Milglieder,  den  Jahreeheitrag  für  1884  vit  Jk  16  gefiUligal  ai  die  Adresse 
des  Herrn  ii.  Albrecht  in  Bremen,  Langenstrafse  44,  senden  in  wallen. 

Bretten,  im  Mftrs  1884 

Der  Voiskud  der  geographisclieu  tiesellsckaft 

In.  Bremen. 


Urvck  vwa  Carl  ÜcliOttviaMia.  hnmttu. 


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r 


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Ha-ntl  Tn  Tafel  2 


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^  Deutsche  »"*  ™- 

GeograpMsclie  Blätter. 

HemiBgagalMii  fon  der 

Geographischen  Gesellschaft  in  Bremen. 


Beitrüge  und  «onatige  Senduiigeu  an  di«  Htiaktioa  iwdaii  imter  d«r  Adresaa: 
Dr.  X.  IdaitBaB,  Bremen,  Memdettraeee  8,  arbatan. 

Der  Abdruck  der  Original-Aufsätze,  sowie  die  Nachbildung  von  Karten 
und  lUnetraüonen  dieser  Zeit.schrift  ist  nur  nach  Verst&iidiguiig  mit 

der  Redaktion  gestattet. 

Die  liml  SOd- Georgien« 

MiiUilu|;eii  von  der  Dentsehen  Polarstatiou  daselbst  1882/83. 

Von  B.  MvBthair  und  Dr.  H.  WilL 
(Mit  «ioem  Lichtdrackbild.) 

1.  Die  Rei»e  von  Montevideo  nach  äiid-Georgien,  von  E.  Moäthaff.  2.  Du  Ezkursiona« 
fa%lat  dar  Dantaaban  Polarstation  anf  BHd-QaorflaB  in  geognostifldier,  Horlstisehar  vnd 
fAiuiistischer  Rezieliung,  von  I>r.  Hermann  Will.  3.  Leben  und  .Arbeiten  in  <l<'r  Stiitluu, 
von  £.  Moetbaff.  4.  Beatatsung  des  grofsea  Olatsobera  in  dar  Kojral-Bai|  von  1:1.. Mostbaff. 

S.  Die  BSdcraiM,  Toa  B.  MosthalT. 

Nachdem  wir  bereits  in  Heft  4.  liand  VI.  dieser  Zeitüchrift 
einige  vorläufij?e  Nachrichten  über  die  Deutsche  rolar.^tution  auf 
Süd-Georgien  hatten  veröffentlichen  können,  verdanken  wir  nunmehr 
den  Herren  von  der  Station  sowie  dem  Kntf^ei^enkonimen  der  Deut- 
schen Polar -Kommission  die  nachstehenden,  von  einer  Iliustration 
begleiteten  Mitteilungen. 

1.  Die  Beise  voi  loiieTidM  wiek  Sfld-Oeorgien. 

Von  E.  NMthaf. 

Die  letzten  Tage  unseres  Aufenthaltes  in  Montevideo  hraciiten 
wir  noch  mit  Anschaffung  mancher  Ansrüstungsgegenstände  zu;  es 
wurden,  um  Abwechslung  in  den  konservierten  Proviant  zu  bringen, 
S  Ochsen,  20  Hammel  und  6  Zielen,  sowie  Futter  für  V/.»  Jahr  an^'e- 
kauft.  Auch  das  Helcnchtungsinaterial,  40(X)  1  Petroleum,  wurde  aii'^n> 
schafft  und  alles  auf  der  Korvette  verladen;  dieselbe  sah  mehr  einem 
Kauffahrteischiffe  als  einem  Kriegsschifie  gleich.  Kndlich  war  alles 
fertig  und  nach  einem  schönen  Abschiedsfeste  im  Deutschen  Klub 
lichteten  wir  am  23.  Juli  1882  die  Anker;  bei  herrlichem  klaren  Wetter 
und  ruhiger  See  dampften  wir  aus  dem  Hafen.  Eine  Stunde  lang 
begleitete  uns  ein  kleiner  Dampfer  mit  unserem  Konsul  und  Herreu 
des  Klubs,  dauu  kehrten  sie  unter  dreifachem  hurra  um  und  wir 

Ctaagr.  BUtiar.  Blanal^  UM.  g 


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—  114  — 

fuhren  unserer  immerhin  noch  ctwiis  un^iewisst'u  Zukunft  eiitj^egcn. 
Der  Aufenthalt  an  Bord  di's  Ivrit'gssi  hiti'es  bot  uns  viel  Neues  und 
Interessantes.  Konnnaudaut  und  Otfiziertorps  kanu'n  uns  in  lieheu.-.- 
würdigster  Weise  entgegen.  Die  ^Moltke~  ist  eine  ,i;ederkte 
Korvette,  ein  grofses  stolzes  Sdiiff  mit  4(K)  Mann,  einem  Kapitän 
zur  See,  einem  Korvettenkapitän,  16  Offizieren,  2  Aerzten  und 
Beamten,  führt  20  24  cm  resp.  15  cm  Geschütze,  eine  Maschine 
mit  6  Kesseln  und  24  Feuern.  Die  Stürme  machten  sich  haid 
recht  bemerkbar  nnd  hatten  dieselben  eine  ungewöhnliche  Stärke. 
Am  4.  August  z.  B.  ging  alles  darunter  und  darüber,  es  hielt 
kein  angeschraubter  Tisch  mehr,  Ofen  und  Ofenschirme,  Gläser, 
Teller  fielen  durcheinander  und  wir  eben  Skat  spielende  Herren 
fanden  uns  plötzlich  m  dreien  auf  dem  Boden  sitzend,  ein  Ensemble, 
welches  zu  ungeheurer  lU'iterkeit  Anlafs  gal). 

Den  9.  August  kam  der  erste  Kisbeig  in  Sicht;  als  wir  uns 
auf  4 — 500  m  Entfermiug  genähert  hatten,  konnte  man  die  kolossalen 
Dimensionen  eiM  t  rmessen.  Laut  allgemeinem  Tagebuch  hatte  er 
eine  Länw  von  etwa  200U  m,  800  m  Breite  und  85 — 10  ni  Höhe. 
Die  im  Süden  vorkonimendon  Eisberge  haben  meist  rechteckigen 
Querschnitt  und  zeigen  selten  die  längeren  zackigen  l'ormen  der  im 
Norden  vorkommenden.  —  Wir  haben  im  April  welche  von 
mehr  als  200  m  über  Wasser  gesehen. 

Nun  folgten  einige  Ta^e  Nebel  und  starke  Stürme.  Am 
12.  August  erscholl  Mittag  1  Uhr  der  Ruf:  „Land  in  Sicht!"  Die 
ersten  nebelhaften  Umrisse  grofser  mit  Schnee  und  Eis  bedeckter 
Berge  gehörten  unserer  zukünftigen  Heimat  Süd-Georgien  an.  Schnell 
dampften  wir  naher  und  segelten  bei  herrlichem  Wetter  unter  pracht- 
voller Beleuchtung  der  rosigen  Firnen  die  Nordwestküste  der  Insel  an. 
Abends  mufsten  wir  dann  wieder  auf  hohe  See.  Darauf  kamen  wieder 
einige  kräftige  Stürme,  wie  sie  überhaujtt  dort  an  der  Tagesordnung 
sind,  Eisberge  sahen  wir  jeden  Tag  melnere  und  eine  Landung  war 
immer  noch  nicht  möglich,  da  wir  keiiu  ii  günstigen  Hafen  oder 
Ducht  entdecken  konnten  und  nur  aus  grofser  Höhe  steil  ins 
Meer  abfallende  Gletscher  und  scbwar/e  schroffe,  oft  senkrechte 
Felswände  sahen.  Endlich  am  Ki.  früh  morgens  bemerkten  wir 
eine  Bucht:  mit  grofser  Vorsicht  wurde  hineingefahren  und  Anker 
geworfen.  Es  war  nach  der  Klutschakschen  Karte  die  Cumberland- 
Bai.  Das  Wetter  war  empfindlich  kalt,  doch  gut.  Die  oft  aus  ganz  ver- 
schiedenen Bichtungen  sich  einstellenden  starken  Böen  sind  recht  unan- 
genehm, da  sie  meist  eine  Unmasse  von  kleinen  Eisteilen  mit  sich  führen, 
welche  das  Sehen  verhindern  und  die  Landschaft  verdunkeln.  Wir 
blieben,  nachdem  Lotungen  und  eine  Ortsbestimmung  an  Land  an- 


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—  IIB  — 

gestellt  worden,  die  Nacht  über  liegen.  Am  Endo  der  liai  ragt  ein 
machtiger  an  der  Stirne  wohl  4ü  ni  hoher  blaugrauer  Gietbcher  in 
das  VV'asser  hinein. 

Am  Tage  darauf  wurde  eine  Expedition  mit  2  Kuttern  zur 
Aiiftiudung  eines  günstigen  Stationsplatzes  unternommen.  Die  Insel 
wurde  auf  ^stürmischer  oft  gefahrlicher  Fahrt  erreicht  und  fest i^o teilt, 
dafe  hier  kein  ganstiger  Stationsplatz  zn  finden  sei.  Glücklicher- 
weise kamen  alle  wohlbehalten  wieder  an  Bord.  Nun  blieben  wir 
wieder  auf  hoher  See,  hatten  öfters  Sturm  und  dann  wieder  Nebel, 
kamen  auch  manchmal  nahe  an  Land  und  fuhren  der  Nordostkfiste 
der  Insel  entlang.  Es  wurde  bereits  emstlich  unter  den  Offizieren 
die  Frage  erörtert,  ob  wir  unsere  Station  nicht  besser  auf  den 
Falklands-Inseln  errichten  sollten,  da  auch  der  Kohlenvorrat  der 
Korvette  sehr  geschwunden  war.  Zum  Glück  wurde  bei  güii^tiLrem 
Wetter  Sonntag,  deu  20.  August  nachmittags,  noch  eine  JUuht,  die 
Royal-Bai,  angesegelt.  Wir  fuhren  hinein,  ankerten  und  fanden 
günstiges  Terrain  für  die  Station.  Ani  Tage  darauf  wurde  mit  dem 
Löschen  der  Häuserteiie,  des  Proviants,  der  Instrumente  und 
schliefslich  auch  des  Viehs  begonnen.  Der  Bau  der  Holzhäuser,  des 
Yiehstalles  und  der  eisernen  Drehkui)pel  ging  rasch  von  Statten,  da 
wir  meist  über  100  Mann  an  Land  hatten,  welche  den  oft  m 
tiefen  Schnee  wegschaufelten,  das  darunter  befindliche  Eis  weg-> 
pickelten,  Entwftsserungsgr&hen  zogen  und  Steine  und  Sand  vom 
Strande  zur  Fundierung  der  22  Instrumentenpfeiler  holten.  Am 
3.  September  war  alles  soweit  fertig,  dafs  die  «^Moltke''  ihre  Aufgabe  . 
als  gelöst  betrachten  konnte;  sie  zauderte  auch  nicht  lange  aus  der 
nicht  gerade  beliebten  Bai  we«^zukommen,  da  erst  in  den  letzten 
Nächten  häutig  bei  starken  Böen  die  Anker  losgerissen  waren.  Nacli 
einem  solennen  Absciiiedsessen  am  2.  September  erliielten  wir  an 
Land  den  Abschiedsliesuch  des  Ivapitäns  und  des  Oftizierscorps;  das 
Bild  Seiner  Majestät  des  Kaisers  wurde  im  Salon  aufgeliängt  und  nach 
einem  herzlidien  Lebewolil  fuliren  die  Herren  im  Hord ;  uegen  5  Uhr 
mittags  wurden  die  Anker  gelichtet  und  die  l^orvette  dampfte  langsam 
aus  der  Bai  in  die  offene  See  hinaus.  Wir  bestiegen  noch  schnell 
eine  beuachbarte  Anhöhe  mit  weiter  Aussicht  auf  die  See.  Die  Ge- 
danken mögen  wohl  ziemlich  die  gleichen  gewesen  sein,  welche  uns 
alle  bewegten,  als  die  Kor?ette  allmAhUch  immer  kleiner  erschien 
und  zuletzt  am  fernen  Horizonte  versehwand. 

Nnn  waren  wir  wenigstens  sicher  fOr  1  Jahr  von  aller  Welt 
abgeschnitten  und  es  galt  die  Arbeit  rasch  und  kräftig  zu  fördern, 
was  ja  auch  das  beste  Mittel  gegen  Heimatsgedanken  war.  Und 
Arbeit  gabs  die  Halle  und  Falle! 

8* 


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2.  Das  Exkursions^ebiet  der  Dentscheu  Polarstation 

auf  .Süd-(ieorgieu 

in  geognostischer,  floristischer  und  faunisUscher  Beziehung. 

Von  Dr.  Herman  Will. 


Lage,  Physiognomie  und  Gliederung  der  Insel.  TerrainverhältnisM  dea  Exkursiuns- 
gebiets.  Petrographische  Verhältniase.  Zurückgehen  der  Oletscher.  Vegetationsbild. 
Fauna:  der  Seeelefaut,  der  äeeleopard;  Finche,  Pinguine,  Sturmvögel,  Seeschwalben, 
KomonuM,  EiitMi;  LuidTOCol,  Singvosel;  di«  niedere  Tierir«lt  Vermutete  Verwandt' 
aclwll  der  Flora  and  F«ina  von  Sttd-Qeor|^en  mit  derjenigen  der  FelUende-Ineeln. 

Die  Insel  Sfld-Georgien  liegt  zwischen  dem  54  und  55.*^  s.  Br. 
und  erstreckt  sich  in  leicht  gekrOmmtem  Bogen  von  SO.  nach  NW. 
zwischen  dem  36.  und  38.  L&ngengrad  westlich  von  Greenwicfa  gleich 
einem  schmalen  Wall,  der  unvermittelt  aus  dem  Ocean  aufsteigt. 
Das  in  seinen  höchsten  Erhebungen  mit  ewigein  Schnee  und  Eis 
bedeckte  Gebirge  macht  den  Kiiulnick  eines  mit  seinen  Gipfeln  ülier 
das  Meeresniveau  hervorragenden  unterseeischen  Kettengebirges,  das 
iu  der  Richtung  von  SO.  nach  NW.  streicht. 

Die  Existenz  eines  solchen  Gebirusziiges,  durch  welchen  Süd- 
Georgien  und  die  Kalklands-Inseln  mit  dem  südamerikanischen  Kou- 
tinent  und  Feuerland  verbunden  würden,  ist  zur  Zeit  noch  nicht 
konstatiert,  da  die  zur  Beweisführung  nötige  gröfsere  Zahl  von 
Tiefseelotungen  in  dieser  Gegend  des  Oceans  fehlt;  gleichwohl  i>t 
ein  Schlufs  auf  diesen  Zusammenhang  durch  das  Vorkommen  gleich- 
artiger oder  sehr  nahe  verwandter  Formen  der  Tier-  und  Pflanzen- 
welt an  diesen  weit  von  einander  entfernten  Punkten  wohl  berechtigt. 
Inwieweit  die  geognostischen  Verhältnisse  einen  Fmgerzeig  in  dieser 
Richtung  geben,  l&fet  sich  nach  den  kurzen  Notizen,  welche  mir  im 
Augenblick  vorliegen,  nicht  beurteilen,  doch  scheinen  sowohl  die 
Falklands-Inseln  wie  Feuerland  den  ftltesten  geologischen  Formationen 
anzugehören. 

Das  Gebirge  ist,  soweit  sich  dies  bei  der  Fahrt  längs  der  Nord- 
und  Nordostküste  konstatieren  liefs,  ein  Kammgebirge,  dessen  scharfe, 
vielgezackte  Grate  infolge  ihres  geognostischen  Baues  oft  zerfallenem 
Mauerwerk  nicht  unähnlich  sind.  Im  Inneren  der  Insel,  im  südwest- 
lichen Teil,  wurden  bei  klarem  Wetter  von  verschiedenen  liergen  in 
der  Nähe  der  Station  aus  allerdings  auch  einzelne  scheinbar  kuppeii- 
f&rmige  Berge  gesehen ;  doch  ist  es  Icaum  zweifelhaft,  dafs  sich  auch 
diese  Formen  bei  einer  Ansicht  von  verschiedenen  Punkten  als  lang- 
gezogene Grate  darstellen  werden. 

Ueber  die  Höhe  des  Gebirges  lassen  sich  exakte  Angaben  nach 
Messungen  nicht  machen,  doch  dflrften  die  im  Westen  der  Station 


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Dar  ftadBtirst  selten  bei  klarem  Wetter  gesehenen  höchsten  Erhebungen 
gewüs  die  Hdhe  von  etwa  2000  m  erreichen. 

Das  Gebirge  steigt  auf  der  Nordost-  und  Nordkfiste,  soweit 
dieselbe  von  der  Station  in  der  Royal-Bai  zugänglich  war,  fast  überall 
ohne  irgend  welches  breitere  Vorland  unmittelbar  unter  steilem 
Winkel/ oft  In  senkrechten  Abstürzen,  von  der  See  auf  und  macht 
Im  Verein  mit  grofsen  Gletschern,  deren  Stirne  von  der  See  bespült 
wird,  ein  Vordringen  längs  der  Küste  auf  gröfsere  Strecken  un- 
möglich. 

Schmale  Thaler  mit  schrorten  Wänden  werden  von  den  lang- 
frcdelmton  Berggraten  eingeschlossen;  sie  münden  in  grofser  Zahl 
an  der  Küste  in  den  Buchten,  während  sie  in  ihrem  oberen  Verlauf 
in  Hochthäler  übergehen,  deren  Gletscher  im  Verein  mit  anderen 
Schwierigkeiten  das  Exkursionsgebiet  nach  dem  Innern  der  Insel 
beschranken.  Wilde  Gebirgsbache  durchziehen,  hier  durch  eine  Fels- 
spalte eingeengt,  dort  in  vielverzweigtem  Laufe,  die  Sohle  der 
Thftler  und  führen,  nie  versiegend,  das  Schmelzwasser  des  Schnees 
der  See  zu.  In  breiteren  Thillem  bewegen  sich  die  imposanten  Ets- 
massen  grofser  Gletscher,  deren  oft  Über  100  m  hohe,  wild  zer- 
klüftete Stirnen  von  der  See  umbrandet  werden.* 

Die  Küste  der  Insel  ist  durch  eine  grofse  Anzahl  fjordartiger 
Buchten  eingeschnitten,  die  besonders  an  dem  Nordende  von  beiden 
Seiten  so  tief  in  das  Innere  vordringen,  dafs  sie  nur  noch  ein 
schmaler  Streifen  Landes  trennt. 

"Nach  diesen  Bemerkungen  über  Lage,  Physiognomie  und  Glie- 
derung der  Insel  will  ich  die  TerrainverhAltnisse  des 
Exkursionsgebietes  selbst  kurz  beschreiben. 

Die  Royal-Bai,  in  welcher  die  Station  auf  54®  31'  s.  Br.  und 
36^  5'  w.  L.  Gr.  errichtet  war,  liegt  auf  der  Nordostseite  der  Insel 
nahe  dem  Sfldende  derselben;  ihre  im  ganzen  Verlauf  von  NO.  nach 
SW.  ziemlich  glelchbldbende  Breite  betrftgt  etwa  7  km  bei  einer 
Lange  von  etwa  15  km.^) 

Das  Sadufer  der  Bai  wird  durch  einen  zackigen  Gebirgszug 
gebildet,  dessen  Ostspitze  den  Namen  Kap  Charlotte  führt  und  der 
sich,  vielfach  gegliedert,  nach  dem  Innern  der  Insel  fortsetzt,  wo 
auf  der  Südwestseite  der  Bai  ein  jäh  abfallender,  hoher  Gebirgs- 
kamui  sich  bis  zum  Westufer  der  Insel  hinzieht. 

Auf  dieser  Seite  der  Roynl-Bai  münden  zwei  Tliäler  an  der 
Kflste  aus,  von  welchen  das  eine,  etwa  in  der  Mitte  des  Gebirgs- 

1)  Uuk  vdig^eiche  hierbei  Talel  3:  Skizie  der  Bojal-Bacht  in  Heft  I. 
11.  Jalugug  der  von  dem  hydrographischen  Amte  der  K.  Admiralität  hennie- 
gigebeneo  ,Aniuileii  der  Hydrographie''. 


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zuges  geloiieiio.  einen  grolseii  Glelscher  dem  Meere  zuführt  ;  das 
andere  ist  ein  Ilochthal,  vom  iStrand  ixm  durch  tief  eiiigcächDilt^ue 
Bachlanfe  erreichbar. 

Der  Strand  erreicht  liier  nur  an  einigen  Stellen  eine  Breite 
von  über  6  ni.  Seine  Entstehung  ist  jedenfalls  nur  auf  die  von  den 
steil  (bis  zu  60*^)  abfallenden  Bergen  sicli  ablösenden  Schuttmassen 
zurQckzufübren,  und  ist  das  grobe  GeröUe  des  Strandes  mit  wirr 
durcheinander  liegenden  grofsen  Felsblöcken  bedeckt.  Senkrecht  zur 
See  abfallende  Felswände,  welche  nur  auf  grofeen  Umwegen  um- 
gangen werden  können,  machen  den  Strand  auch  hier  auf  gröfsere 
Strecke  unpassirbar  und  erschweren  eine  systematische  Untersuchung 
des  Oberall  die  schönsten  Auftchlttsse  bietenden  Gebirges  in  hohem 
Grade. 

In  der  Nahe  des  (jletschors  befinden  sich  in  einer  Felswand 
drei  gröfsere  Höhlen,  deren  Eingang  noch  innerhalb  der  Fintgrenze 
liegt.    Bei  einer  derselben  betrügt  die  Höhe  des  Eingangs  etwa  8 
ihre  Tiefe  etwa  25  in;  die  Wäude  sind  oben  mit  einer  lü  cm  dickeu 
Kalkspatschicht  überzogen. 

Die  Südwestecke  der  Bai  wird  durch  einen  jener  imposanten 
Gletscher  eingenommen,  deren  Firngebiet  sich  im  Hochgebirge  aus- 
breitet und  deren  unteres  Ende  die  See  erreicht  Die  Breite  der 
durch  unzählige  Spalten  zerklüfteten  und  in  einer  senkrechten  Wand 
von  etwa  150  m  Höhe  abfallenden  Gletscberstime  beträgt  nahezu  2  km. 

Das  Thal,  in  welchem  sich  der  Gletscher  bewegt,  wird  im 
SW.  durch  den  oben  erwähnten  schroffen  Gebirgskamm  begi'enzt  und 
verläuft  in  der  Richtung  von  SO.  nach  NW.;  es  dürfte  sehr  wahr- 
scheinlich sein,  dals  dieses  Thal,  welches  fast  in  seiner  ganzen  Aus- 
dehnung von  den  Eismassen  des  Gletschers  erfOllt  ist,  die  Ostkflste 
der  Insel  mit  der  Westküste  verbindet.  Da  wo  dasselbe  in  die  Royal- 
Bai  einmündet,  verbreitert  es  sich,  ohne  in  seiner  ganzen  Ausdehnung 
jetzt  noch  von  dem  (iletscher  eingenonmien  zu  werden. 

Im  Westen  der  Bai  fehlt  ein  Strand  überhaupt,  und  erhebt  sich 
hier  ein  Gebirgszug  bis  zu  einer  Höhe  von  etwa  500  m  mit  einer 
Abdachung  von  35 — 40°,  während  im  NW.  ein  nahezu  km 
langes  Thal  die  Möglichkeit  bietet,  eine  Reihe  westwärts  liegender 
Berge,  sowie  einige  nach  der  Nordküste,  nach  Little-Hafen,  ver- 
laufende ThRler  zu  erreichen. 

Auf  dem  Nordufer  wiederholen  sich,  soweit  dasselbe  von  einem 
von  0.  nach  W.  sich  hinziehenden  Bergrücken  begrenzt  wird,  die- 
selben Verhältnisse  wie  auf  dem  Südufer.  An  diesen  Höhenzug 
schliefst  sich  ein  etwa  100  m  hohes  Hochplateau  an,  welches  nach 
0.  sanft  abfallend  in  eine  schmale  etwa  ö  km  lange  Landzunge 


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verläuft;  von  dieser  ist  durch  einen  klippenreichen  Kanal  eine  kleine 
Insel  getrennt.  Auf  der  Südseite  des  Hochplateaus  wird  der  flache 
Strand  breiter  und  bildet  an  der  Stelle,  wo  die  Station  errichtet, 
war,  mehrere  Terrassen,  während  das  Plateau  auf  der  Ost-  und  Noid- 
seite  in  senkrechten  WAnden  zur  See  abfallt,  deren  Wellen  üich  hier 
au  den  zahlreichen  Klipi)eii  brechen. 

Ueber  die  geologisclie  lieschatlenheit  sowie  über  die  l^'lora 
der  Insel  war  aufser  den  kurzen  Bemerkungen  von  Cook')  und 
Weddell'^),  von  welchen  insbesondere  der  Erstere  von  einem  sehr 
eisenreicbeu  Gestein,  sowie  dem  Vorkommen  des  Tonssock-(irases  und 
einer  der  wil  len  Biberuelle  ahnlicheu  Pilanze  berichtet,  bis  jetzt 
kaum  eine  Nachricht  zu  uns  gedrungen,  während  wir  Uber  die  Fauna, 
welche  mehr  praktisches  Interesse  bot  und  den  Hauptanziehungs- 
punkt fi&r  die  Robbenschläger  bildete,  besser  unterrichtet  ge- 
wesen sind. 

Die  petrographischen  Verhältnisse  des  Exkursions- 
gebiets durften,  soweit  sich  das  gesammelte  Material  bis  jetzt  über- 
sehen lüfst,  ziendich  einfacher  Natur  sein.  Ks  sind  ausschlierslich 
Sedimentilrgesteine,  und  zwar  versciiiedene  Varietilten  von  Thon- 
schiefer  («jujirzreiciieie  und  (luarzilrniere),  welche  in  wechselnder 
Mächli-^keit  sicli  an  dem  Aufbau  (b  s  (lebirgcs  beteiligen.  Auf  dem 
Nordufer  der  Iloyal-Bai,  in  dem  Gebirgsstock,  der  sich  bis  Littlc- 
liateu  längs  der  Nordküste  hinzieht,  ist  ein  lichtgrauer,  von 
mächtigen  Quarzadern  durclizogeuer  Thonschiefer  überwiegend, 
dessen  Verwitterungsprodukt,  ein  mehr  oder  weniger  feinge- 
schlemmter  Thon,  die  Hänge  des  Gebirges,  sowie  das  Hochplateau 
bedeckt,  wo  es  als  wasserundurchlässige  Schicht  auf  ebenem  Terrain 
Veranlassung  zur  Sumpfbildung  giebt.  Eine  schwarze,  sehr  eisen- 
reiche und  ausgezeichnet  schiefrige  Varietät  tritt  nur  untergeordnet 
auf.  Nur  an  einigen  Stellen  regelmäfsig  zeigen  die  Schichten  fast 
durchaus  in  diesem  Gebirgsstock  starke  Faltungen  und  bis  ins 
kleinste  gehende  Faltelungen,  die  wahrscheinlich  rein  lokaler  Natur, 
in  ihrem  Verlauf  auf  weite  Strecken  verfolgbar  sind. 

Der  unu'leiche  Widerstand,  welchen  die  verschiedenen  Thon- 
schiefervarietnten  dem  EinHuls  der  AtniosphiUilien  und  dem  Wasser 
entgegensetzen,  steht  wohl  in  erster  Linie  in  genetischer  Beziehung 
zu  der  für  das  Nordufer  der  Iloyal-Bai,  sowie  auch  für  die  Nord- 
küste der  Insel  überhaupt,  soweit  sie  von  der  Station  aus  zugänglich 
war,  charakteristischen  Erscheinung  der  zahlreich,  besonders  am  Rande 


*)  Cook,  Toyage  round  the  world  S.  187. 

^  J.  WeddeU,  Toyage  towacds  fhe  South  Pole  S.  60. 


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des  Hochplateaus  in  die  See  Torspringenden  Felsen,  welche  gleich 
dicken,  hohen  Mauern,  von  SO.  nach  NW.  streichend,  eine  grofise 
Zahl  kleinerer  Einbuchtungen  begrenzen.  Sie  bestehen  fikst  immer 
aus  einem  Thonschiefer,  der  so  mannigfache  Faltungen  zeigt,  dafs 
es  unmöglich  ist,  ein  klares  Bild  von  dem  Verlauf  der  letzteren  zu 
bekommen.  Mit  Zunahme  dieser  Faltungen  nimmt  auch  der  Quarz 
zu,  der  denselben  zuletzt  in  breiten  Adern  folgt.  Auch  die  so 
häutig  am  Strand  und  über  die  Klippen  hprvorrugeiuleii  isolierten, 
öäulenartigen  Felsen  bestehen  aus  demselbeu  quarzreichen  Schiefer. 

Die  Fläujre,  welche  diese  kleinen  Einbuchtungen  nach  rückwärts 
begränzen,  lassen,  soweit  dieselben  aufgeschlossen  sind,  iiiinier  ein 
sehr  leicbt  verwitterndes  Gestein  erkennen,  das  regehnäfsig  ge- 
schichtet und  ausgezeichnet  schiefrig  immer  frei  von  Quarzadern  ist. 
Die  leichte  Yerwitterbarkeit  des  schwarzen  Thonschiefers  zeigt  sich 
besonders  an  solchen  Orten,  wo  durch  die  Brandung  oder,  wie  im 
Gebirge,  nur  durch  Witterun gseinflufs,  grottenartige  Vertiefungen 
und  Hiyhlen  in  dem  Anstehenden  erzeugt  wurden,  deren  Wände  mit 
den  pr&chUgsten  Kalkspatdrnsen  und  Eisensalzen  Aberzogen  sind. 

Die  Schichtenfaltungen,  welche  den  Eindruck  hervorrufen,  als 
ob  sie  durch  einen  in  der  Richtung  von  NO.  nach  SW.  wirkenden 
Druck  erzeugt  seien,  durften  wohl  einem  Versuch  zur  Erklärung 
ihrer  Entstehung  grofse  Schwierigkeiten  bereiten. 

In  völlig  anderer  Weise  gestalten  sich  die  petrographischen 
und  architektonischen  Verhältnisse  in  dem  vom  Kap  Charlotte  nach 
dem  Inneren  der  Insel  auf  der  Südseite  der  Royal-Bai  verlaufenden 
Gebirgszug.  Die  Küste  zieht  sich  hier  in  einer  fast  ununterbrochenen 
Linie  von  OSO.  nach  W.,  da  die  Berge  nur  selten  über  den 
Strand  vorspringen.  Auch  dieser  (iebirgsstotk  baut  sich  aus 
mehreren  Thonschiefervarietuten  auf,  welche  aber  verschieden  von 
denen  des  Nordufers  der  Bai  sind;  eine  grünlich  graue,  von  grofser 
Zähigkeit,  ist  in  Schichten  bis  zu  1  m  Mächtigkeit,  abwechselnd  mit 
einer  schwarzen,  deren  Mächtigkeit  zwischen  1  und  30  cm  beträgt, 
gelagert;  auch  fehlen  breite  Quarzadem  nicht. 

Interessant  ist  hier  das  Vorkommen  eines  Gesteines,  welches 
Graphitschiefer  nicht  unähnlich  ist;  das  brOckliche,  tiefechwarze, 
glänzende  Verwitterungsprodukt,  welches  massenhaft  an  den  Schutt- 
halden liegt,  gleicht  in  seinem  Aussehen  Kohlengrus,  doch  bedarf 
diese  Gtesteinsprobe  noch  einer  näheren  Untersuchung. 

Die  Schiclileu  sind  in  diesem  Gebirgsstock  mehr  oder  weniger 
nach  NO.  aufgerichtet;  Faltungen  derselben,  wie  auf  dem  Nordufer, 
konnten  auf  dem  Exkursionsgebiet  nicht  beobachtet  werden. 

Auch  im  Inneren  der  Insel,  westlich  der  ßoyai-Bai,  dürfte,  so- 


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—  121  — 

weit  dies  nicht  durch  an  Ort  und  Stelle  entnommene  Handstücke 
direkt  bestätigt  wird,  die  geognostische  Beschaffenheit  des  Gebirges 
nicht  abweichend  von  derjenigen  der  Umgebung  der  Royal-Bai  sein. 
Die  Form  der  Berge  bietet  im  allgemeinen  keine  Verschiedenheit 
von  denen,  welche  direkt  untersucht  werden  konnten;  vielfoch  tritt 
auch  eine  regelmA&ige  Schichtung  mit  ihren  LagernngsTerhftItnissen, 
die  sich  übereinstimmend  mit  denen  der  nächsten  Umgebung  zeigen 
(die  gleiche  Fallrichtung  nach  SW.),  deutlich  sichtbar  hervor. 
Aufserdem  lassen  die  in  den  Eisblöcken,  welche  von  dem  grofsen 
Gletscher  im  SW.  der  Bai  al)brachen  und  in  die  Nähe  der  Station 
getrieben  wurden,  sowie  einzelne  der  Mittclniorflne  desselben  Glet- 
schers entnommene  Gesteinsfragmente  l)is  zu  einem  gewissen  Grade 
eine  Schlufsfolgerung  auf  den  geognostischen  Charakter  des  Gebirges 
im  Inneren  zu:  niemals  wurden  andere  Gresteinsarten  als  auf  dem 
£xkursionsgebiet  gefunden. 

Mineralien,  Erze,  wurden  mit  Ausnahme  des  als  Verwitterungs- 
Produkt  auftretenden  Kalkspates  und  schöner,  grofser  Schwefelkies- 
krystaUe  nicht  gefunden.  Obwohl  gerade  in  der  Formation,  welcher 
das  Gebirge  wahrscheinlich  zuzuteilen  ist,  Erze  h&tten  erwartet 
werden  dflrta. 

Der  vollständige  Mangel  an  Petrefaicten  in  den  Thonschiefem, 
welche  oft  und  an  den  verschiedensten  Lokalitäten  einer  eingehenden 

Untersuchung  unterworfen  wurden,  sowie  der  i)elrograplnsclie 
Charakter  lassen  es  als  wahrscheinlich  erscheinen,  dafs  das  Gebirgs- 
land  der  Insel  einer  der  ältesten  geologischen  Eormationen,  dem 
Urt  honschiefer,  zuzurechnen  ist.  Jüngere  Ablagerungen  sowie 
Ge>t(Mne  (Basalte  u.  A.\  welche  auf  vulkanische  Eruptionen  in 
jüngeren  Perioden,  etwa  in  der  Terti&rzeit  hinweisen,  sind  nicht 
vorhanden. 

Klutschai(^)  bemerkt  in  einem  Aufsatz  über  Süd -Georgien: 
«Huren  Höhenverhältnissen  nach  ist  die  Insel  ein  Gebirgsland  von 
4—6000  Fufs  Hdhe,  eine  Reihe  einst  machtiger,  jetzt  toter 
Vulkane,  die  nur  noch  in  den  spitzen  Kegelformen  und  den 
groben  Lavabetten  ihre  einstige  Th&tigkeit  bekunden."  Hiemach 
mflisten  überalt,  in  dem  ganzen  Gebirgszug,  der  die  Insel  bildet, 
diese  erloschenen  Vulkane,  deren  Vorhandensein  die  Hebung  der 
Insel  in  früheren  geologischen  Perioden  leicht  erklären  würde,  an- 
zutreffen sein;  dies  ist  aber  nicht  der  Fall.  Schon  oben  wurde 
erwähnt,  dafs  allerdings  westlich  und  nordwestlich  der  Uoyal-Bai, 
sowie  in  der  Kichtung  nach  Cumberlaud-Bai,  im  Inneren  der  Insel 

*)  Deutsche  Rnndachaa  für  Oeog^ftphie  und  Stativtik.  UL  Jahrgvig. 
U.  Heft.  S.  aä7. 


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—  122  — 


einzelne  scheinbar  kegeltöruiiye  Berge  sichlbur  gewe^^eu  sind,  die 
sich  aber  teilweise  bei  einer  Ansicht  von  verschiedenen  Seiten  in 
langgedehnte  Grate  autiösten  und  nur  aus  deutlich  fjeschichtetem 
Gestein  sich  aufbfiuten.  Auf  der  der  Küste  zugeweudeten  iSeite  Jäh 
abfallend  machen  diese  gleichsam  nur  im  Querschnitt  sichtbaren 
Berggrate  oft  den  Eindruck  von  spitzen  Kegeln,  es  dürfte  aber 
keiner  von  diesen  als  erloschener  Vulkan  anzusehen  sein.  Lava- 
betten waren  auf  dem  fixkursionsgebiet  der  Station  nirgends  anzu- 
treffen. Es  ist  natürlich  liicht  ausgeschlossen,  dafs  in  anderen 
Gegenden  der  Insel  Anzeichen  einer  firüheren  vulkanischen  Thltig- 
keit  sich  vorfinden,  doch  müssen  dieselben  für  die  ITnijzebnnir  der 
Uoyal-ljiii  entschieden  in  Abrede  f^estellt  werden,  l'-rwilhnt  uiiv^ 
übrigens  Irier  werden,  dals  J.  Wedtlell,'')  uaclidcni  er  in  der 
Adventure-Bai  (am  Westende  der  Insel)  vor  Anker  geganj^en,  auf 
einem  der  nAchstt^^elegenen  Berge  mit  künstlichom  Quecksilber- 
Horizont  Beoltat  lituiigen  anzustellen  versuchte,  jedoch  durch  die 
fortwährend  zitternde  Bewegung  des  Quecksilbers  bei  vülliij  stiller 
Luft  (wie  er  wenigstens  angieht)  daran  verhindert  wurde. 

Das  Hochgel)irge  der  Insel  ist  völlig  vergletschert  und  sendet 
jene  imposanten  Eismassen  zur  See,  welche  mit  ihren  senkrecht 
abfallenden  und  zerklüfteten  Wänden  den  eigenartigen  Charakter 
der  Landschaft  bedingen.  Auch  die  der  Küste  zunächst  liegenden 
Berge  bis  zu  etwa  800  m  üöhe,  welche  im  Sommer  völlig  von 
Schnee  entblöfst  sind,  werden  an  einzelnen  Stellen,  die  entweder  auf 
der  der  Hauptwindrichtung  (W)  abgewendeten  Seite  oder  an  den 
weniger  insolierten  Südhängen  liegen,  von  kleinereu  Gletschern  bedeckt. 

Von  grofsem  Interesse  ist  nun  die  Thatsache,  dafs  fast  sämt- 
liche von  der  Station  erreichbare  Gletscher  im  Rückgang  heg  ritten 
sind.  Jene  mächtigen  im  SW.  der  Royal- Bai  einmündenden  Eis- 
massen müssen  frilher  an  ihrem  unteren  Ende  eine  viel  gnifsero 
Breitenausdehuuug  gehabt  haben.  In  einer  Entfermmg  von  etwa 
200  m  vou  der  jetzt  vorlKuidenen  linken  Seiteninoräne  des  Gletschers 
zieht  sich  vom  Strande  des  hier  sich  erweiternden  Thaies  ein  3  bis 
4  m  liolier  Steinwall  von  0.  nach  W.,  indem  er  am  Westende  nach 
dem  in  seinem  oberen  Verlauf  das  ganze  Thal  ausfüllenden  Gletscher 
umbiegt.  Dieser  Wall,  meist  aus  scharfkantigen  Gesteinstrümmern 
autgebaut,  ist  auf  seiner  Nordseite  scharf  begrenzt,  verflacht  sich 
aber  allm&hlich  auf  der  dem  Gletscher  zugewendeten  Seite;  die  den 
Boden  bedeckenden  Felsentrümmer  werden  spärlicher  und  ist  in  der 
Nahe  des  Gletschers  der  Grund  nur  noch  mit  feinem  Thonschlamm 
bedeckt.   Es  wird  sich  kaum  eiu  Einwand  dagegen  erheben  lassen, 

^}  ».  a.  0. 


123  — 


diesen  Steinwall  als  eine  alte  Seitennioräne  des  Gletschers  zu 
betrachten.  Das  Zurückgehen  mufs  aber  nicht  allinälilich  statt- 
gefuDdea  haben,  sondern  plötzlich:  im  ersterea  Fall  müfste  eine 
grdlsere  Anzahl  von  Moränen,  welche  die  jeweilige  Grenze  des 
allmählich  zurückgehenden  Gletschers  markieren  würden,  •  nachzu- 
weisra  sein,  wie  dies  bei  einem  kleinen  Gletscher  auf  der  Ostseite 
eines  Berges  in  der  Nfthe  der  Station  der  Fall  ist  Hier  zeigen 
sechs  alte  Endmorftnen  die  frühere  Ausdehnung  der  Eismassen  an, 
die  zur  Zeit  die  Thalsohle  nicht  mehr  erreichen.  Auch  ein  dritter 
Gletscher,  welcher  sich  in  einem  Hochthale  bewegt  und  in  eines  der 
nacli  dem  Little-Hafen  sich  öffnenden  Thäler  einmündet,  ohne  bis 
zur  See  vorzudringen,  läl'st  in  seinen  alten  Endmoränen  ein  Zurück- 
gehen konstatieren.  In  ähnlicher  Weise  Iflfst  sich  auch  bei  ver- 
schiedenen anderen  Gletschern  ein  liückgang  nachweisen. 

£ine  eigentümliche  Erscheinung,  für  welche  eine  Erklärung 
schwer  zu  geben  sein  dürfte,  die  aber  möglicherweise  auch  mit  dem 
Zurückgehen  der  Gletscher  in  Verbindung  steht,  mag  hier  Er- 
wAhnong  finden.  Auf  der  Westseite  des  Hochplateaus  öffnet  sich 
ein  Thal,  in  dessen  Hintergrund  jener  oben  erwähnte  Berg  mit  dem 
kleinen  Gletscher  sich  befindet.  Der  Ausgang  dieses  von  Westen 
nach  Osten  verlaufenden  Thaies  ist  dnrch  einen  hohen,  ans  eckigen 
und  kantigen  grofsen  Gesteinstrflmmem  aufgebauten  Damm  ab- 
geschlossen, der  einer  Morftne  völlig  gleicht.  Wollte  man  nun  an- 
nehmen, dal's  dieses  lange  Thal  früher  durch  einen  Gletscher  aus- 
gefüllt gewesen  sei,  so  mülsten  ganz  gewaltige  Kismassen  plötzlich 
verschwunden  sein,  ohne  eine  Spur  ihrer  Existenz  in  der  Thalsohle 
zurückzulassen.  Und  gleichwohl  bietet  die  Anhäufung  dieser  scliarf- 
kantigen  Felstrümmer  auf  anderem  Wege  als  durch  einen  Gletscher 
unüberwindliche  Schwierigkeiten.  Gletscherschlitfe  lassen  sich  an 
den  wenigen  über  die  Thalsohle  hervorragenden  Felsen  nicht  mit 
Sicherheit  nachweisen;  der  fast  völlig  vegetationslose  Boden  selbst 
ist  mehrere  Centimeter  hoch  mit  feinem  Thon  und  haselnufsgrolsen 
Gesteinsfragmenten  bedeckt. 

Die  Flora  von  Süd-Georgien  ist  in  hohem  Grade  einförmig 
und  viel  ftrmer  als  die  der  nahe  gelegenen  Falklands-Inseln,  welche 
etwa  150  Gef&fspflanzen  aufweist.  Unter  den  etwa  50  Arten  von 
Landpflanzen  sind  die  Laubmoose  mit  etwa  20  Arten  überwiegend, 
während  die  BlütenpHanzen  nur  mit  12  Arten,  darunter  4  Arten 
Graser,  vertreten  sind.  Die  vollige  IJaundosigkeit  der  Insel  erhobt 
in  hohem  Grade  die  Monotonie  der  Landschaft,  welcher  ein  dichter 
Hasen  von  Dactylis  fcaespitosa),  dem  Tous^ockgras,  jliinlich  wie  auf 
den  Jb'alklaudö-laäelu,  den  Charaktei'  verleiht.   Dslh  Graö  bildet  biä 


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124  — 


zu  1''2  in  hohe  Garben  von  ^iedran;j;tt'iii,  scliiltiUinlichem  Wuchs, 
welches  auf  kleinen  von  einander  völlig  getrennten  Hügeln  von 
etwa  50  bis  60  cm  Höhe  und  wechselndem  Durchmesser  wächst. 
Aeufserlich  durch  die  steifen  und  infolge  ihres  anatomischen  Baues 
in  hohem  Grade  gegen  den  YlmA  widerstandsfähigen  Bl&tter  ver- 
deckt, sind  dieselben  aus  den  vermoderten  und  vertorften  BUttem 
und  Wurzeln  der  Pflanze  erzengt.  In  den  meisten  Fallen  wird  ein 
solcher  Grashflgel  nur  von  einer  oder  nur  wenigen  Pflanzen  ge- 
bildet worden  sein.  Verfolgt  man  nämlich  eines  der  Bhizome 
(Wurzeln),  so  findet  man  sehliefslich  die  auf  einem  derartigen  Rasen- 
hügel wachsenden  Blatter  verschiedenen  Zweigen  desselben  Rhizonies 
entsprossen. 

Von  den  tibrigen  Gräsern  bildet  nur  eine  Aira  mit  zarten, 
saftig  grünen  Blättern  an  sumiJtiuen  Standorten  Rasen,  wahrend 
die  übrigen,  eine  Festuca.  welche  in  kleinen  Büscheln  an  mehr 
trockneren  Standorten  wachst,  sowie  ein  Phleum  immer  nur  ver- 
einzelt angetroffen  werden. 

Zwischen  dem  Toussockgras  bedeckt  ein  niedriger  Strauch, 
Acaena  (ascendens),  dessen  am  Boden  liegende  Zweige  zwischen  dem 
Moos  ein  dichtes  Fiechtwerk  bilden  und  den  stttrmischen  Bewegungen 
der  Atmosphftre  ausgiebigen  Widerstand  leisten,  grOfeere  Flächen. 
Interessant  und  fttr  die  Verbreitung  dieser  Acaena,  welche  sich  auch 
in  Süd -Amerika  findet,  wichtig  ist  eine  Beobachtung,  welche  zu 
wiederholten  Malen  gemacht  wurde.  Die  reifen  FrQchte  dieser 
Pflanze  besitzen  vier  mit  kleinen  Widerhilkchen  besetzte  Stacheln, 
womit  sich  dieselben,  ähnlich  wie  die  Kletten,  an  alle  Gegenstände, 
mit  welchen  sie  in  Berührung  kommen,  festhuften.  Die  Sturmvögel 
(Procellaria  gigantea)  nun,  welche  am  Lande  sitzend  vom  Fluge 
«ausruhen  und  mit  der  Acaena  in  Berührung  kommen,  sind  im 
Herbste  auf  der  Brust  oft  völlig  bedeckt  von  deren  Früchten. 
Wenn  man  einerseits  erwägt,  welche  Mühe  es  unseren  Haustieren, 
den  Ziegen  und  unserem  Hunde,  kostete,  sich  nur  einigermaisen 
von  diesen  lästigen  Anhängen  zu  befreien,  und  andererseits  die 
Thatsache  in  Betracht  zieht,  dais  die  Sturmvögel  weite  Strecken 
durchfliegen,  so  mufs  jedenfalls  die  Möglichkeit  einer  Verbreitung 
der  Acaena  durch  die  Sturmvögel  zugestanden  werden. 

Mit  Ausnahme  einer  Juncacee,  welche  die  weitausgedehnten 
Sflmpfe  bedeckt,  kommen  die  tibrigen  Blfltenpflanzen,  eine  zweite 
Art  von  Acaena  (laevigata)  mit  kleinen  glänzend  grünen  Blftttem, 
ein  Ranunculus,  Sagina,  Callitriche,  weil  meist  klein  und  zwischen 
Moos  oder  den  Grashügeln,  zwischen  welchen  sich  viel  Feuchtigkeit 
ansammelt,  wachsend,  nicht  zui'  Geltung. 


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—  125  — 

Die  Blütezeit  begann  anfangs  November,  wo  an  geschützteren 
Lagen  des  Hochplateaus  zuerst  Toiissockgras  gefunden  wurde;  diesem 
folgte  dann  Acacna  (ascendens),  bei  welchem  die  Blütenentwickeluug 
dea  BlÄttem  voraneilt,  wahrend  mit  Ausnahme  von  zwei  Gras- 
arten (Aira  und  Phleum),  welche  erst  im  Februar  blühten,  sämt- 
liche flbngen  höheren  Pflamsen  meist  schon  Ende  Februar  die 
FrQehte  zu  entwickeln  begannen.  Doch  ist  die  Blütezeit  sehr  durch 
Lage  des  Standortes  und  die  Schneebedeckung  des  Bodens  beeiu- 
flnfet,  so  zwar,  dab  noch  im  M&rz,  kurze  Zeit  bevor  der  Boden 
wieder  Yon  grOfseren  Sehneemassen  bededct  wurde,  in  einem  höher 
gelegenen  Thale  Acaeua  (ascendens)  noch  mit  jungen  Blflten  ge- 
funden wurde. 

Pflanzen  mit  lebhaft  gefärbten  Blüten,  welche  eine  Abwechs- 
lung in  die  Färbung  des  Landschaftsbildes  bringen  würden,  fehlen 
fast  vollständig.  Die  intensiv  violett  «gefärbten  Blütenköpfchen  von 
Acaena  (ascendens),  deren  Durchmesser  15  mm  erreicht,  sowie  die 
iu  gleicher  Weise  aber  schwächer  gefärbten  Ähren  der  verschie- 
denen Grasarten,  welche  bei  Dactylis  massig  entwickelt  bis  zu  30 
auf  einem  Hügel  stehen,  kommen  nicht  zur  Geltung;  ebensowenig 
natQrlich  die  kleinen  unscheinbaren,  zwischen  dem  moosähnlichen 
Laub  Tersteckten  wei&en  Bldtehen  von  Sagina.  Nur  die  kleine 
Ranuncnlacee  entwickelt  eine  citronengelbe  Blüte;  doch  findet  man 
die  Pflanze  meist  nur  sehr  vereinzelt  zwischen  Moos.  Allerdings 
ums&nmt  dieselbe  an  einigen  Orten  in  grofser  Menge,  dicht  gedrängt 
die  Rftnder  kleiner  Wasserläufe,  doch  blühten  gerade  diese  vegetativ 
sehr  entwickelten  l*flanzen  in  gleicher  Weise  wie  die  Callitriche  niemals. 

Und  gleichwohl  fehlt  eine  gewisse  Nuancieruug  in  dem  Vege- 
tttionsbild  nicht.  Zunächst  ist  es  eine  tief  orangegelbe  Flechte, 
eine  Lecanora,  welche,  allgemein  verbreitet,  besonders  am  Strand 
die  Felsen  vollständig  überzieht  und  weithin  siclitbar  zwischen  den 
grünen  Matten  der  Nordhänge  ist  Besonders  aber  im  Frühjahr, 
im  November,  wenn  der  Schnee  iu  den  tieferen  Regionen  weg- 
geschmolzen ist,  und  die  Vegetation  unter  dem  Einflufs  <ler  höher 
steigenden  Sonne  wieder  aufzuleben  beginnt,  färben  sich  die  fahlen 
Blätter  des  Toussockgrases,  sowie  die  mannigfachsten  Moosarten 
mit  ihren  hellgrQnen  in  dichten  Polstern  weite  Strecken  des  Bodens 
bedeckenden  Repräsentanten,  welchen  dunkler  gefärbte  den  Platz 
streitig  machen,  lebhafter  und  verliert  die  in  ihren  Firmen  und 
ihrer  Gliederung  grofsartige,  iu  ihren  fiberwiegend  grauen  Tönen  tote 
Landschaft,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  den  trostlos  öden  und  ein- 
samen Charakter. 

Die  Vegetation,  dringt  nirgends  tief  in  das  Innere  der  iu^el 


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—  126  — 


ein.  Bis  zu  einer  Höhe  von  liurchschnittlicli  ni  l)0(l(Mkt  das 
üia>  von  der  Flutgrcaze  die  zur  See  abfallenden  lläiiiie  des  Ge- 
bir^'es  und  der  nach  dem  Meere  sich  ötinenden  kurzeu  Thäler,  deren 
bohle  nieist  mit  einer  üppigen  Moosdecke  bekleidet  ist.  Jenseits 
dieser  Grenze  tindeu  sich  nur  vereinzelt  kleine  Moospolster  in  den 
feuchten  Felsspalten,  wahrend  eine  Bariflechte,  wahrscheinlich  Usnea 
melaxantha,  je  höher  man  an  den  Bergen  »flehst  der  See  aufsteigt, 
um  so  dichter  mit  ihrem  schwefelgelben  bis  zu  10  cm  langem  Laub 
und  ihren  flachen,  schwarzen  Früchten  die  Felsen  bedeckt  und  wahre 
Flechtenwalder  bildet  Die  Verbreitung  der  Vegetation  ist  durch 
die  Steilheit  des  Terrains  und  durch  die  durch  dieselbe  bedingte 
Stabilität  des  Bodens,  sowie  dessen  Feuchtigkeitsgrad,  durch  die 
Krwarmnng  des  Bodens  nach  seiner  Lage  gegen  die  Sonne  und  die 
Exposition  gegen  die  vorherr>(  heiule  Windrichtung  beeintlufst. 

Auf  dem  Südufer  der  Iioyal-Bai  erscheinen  die  östlichsten  nach 
Kaj)  Charlotte  alliniihiich  abfallenden  Berge,  soweit  sie  noch  inner- 
halb der  Vegetationsgrenze  liegen,  ununterbrochen  von  dem  hoch- 
wüchsigen TonssückLiras  bedeckt,  dessen  gleirhinf\fsig  dichter  Rasen 
nur  selten  von  kleinen  WasserliUifen,  welche  von  Moosen  begleitet 
werden,  unterbrochen  wird.  Acaena  (ascendens),  sowie  die  oben 
erwähnten  Griiser  linden  sich  seltener  vor.  Westwärts  ziehen  sich 
diese  Matten  in  gleichbleibender  Hohe  bis  in  die  Nähe  des  grofseii 
Gletschers  im  Südwesten  der  Bai,  wo  die  steilen  Hange,  deren 
Schuttkegel  sich  sichtbar  fortwahrend  vergrOfsem,  und  die  mit  er- 
höhter Kraft  wirkenden  Luftströmungen,  welche  durch  das  Thal,  in 
welchem  der  Gletscher  sich  bewegt,  gepreCst  werden,  einer  Pflanzen- 
ansiedtuug  ungünstig  sind. 

Jenseits  des  Gletschers,  in  der  Thalerweiterung,  in  welcher 
si<'h  die  grolse,  alte  Seitenmoiilne  betiudet,  sind  es  nur  die  terrassen- 
lönnigen  Westhange,  welclu;  wm  dem  Toussockgras  bewachsen  sind, 
willirond  der  Nordhan-  ein  völlig  vegetation>loses,  odes  Schuttfeld 
zeigt.  i)ie  sumptige  Thubohie  ist  mit  Moos  und  der  Juncacee  spär- 
lich bedeckt. 

.Auch  auf  der  Westseite  der  Bai  können  nur  an  wenigen  Stellen 
auf  der  Höhe  der  über  den  Strand  vorspringenden  Felswände,  sowie 
an  lind  unter  Kelsen  der  steil  von  der  See  aufsteigenden  Hänge 
Pflanzen  gedeihen. 

Um  so  üppiger  gestaltet  sich  das  Pflanzenleben  an  den  Kord- 
hangen des  unteren  Teiles  eines  Thaies,  welches  sich  im  NW.  nach 
der  Bai  öffnet  und  dessen  breiter,  mit  feinem  Kies  bedeckter  Strand, 
der  glatt  wie  eine  Tenne,  einen  wohlthuenden  Kontrast  zu  dem  mit 
grobem  GerOll  und  Felsblöcken  bedeckten  Strand  der  Nord-  und 


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127  — 


Südseite  der  Bai  bildet.  Saftige  Matten  von  Toussockgras,  Ix'lelit 
durch  einen  Wa>serfall,  der  sich  ans  ewm'  Hölie  von  etwa  3U)  ni 
beral>stiirzt,  bedecken  Ider  das  nackte  Gestein  der  luirdlichen  Thal- 
wand und  die  höher  gelegenen  Teile  der  Thalsohle,  welche  im 
ilbrigen  durch  einen  Hach  mit  seinen  unz&hligen  Ziitiassen  snmpfig 
von  zahlreichen  Moosarten  Aberzogen  ist,  zwischen  denen  sich  auf 
weite  Flächen  die  Acaena  (ascendens)  mit  ihren  dicht  verflochtenen 
Zweigen  ausbreitet  In  zahlreichen  Bodenvertiefungen  sammelt  sich 
Wasser  an  und  bilden  diese  kleinen  Tümpel  eine  wahre  Fundgrube 
von  Sflfswasseralgen,  Spirogyra  u.  A.  und  Wassertieren.  Auch  sonst 
hat  sich  gerade  dieses  Thal  als  Fundort  einer  der  drei  gesammelten 
Arten  von  Farnkräutern,  von  welchen  eine  Hymenophyllnmart 
sich  in  ^^roisen  Mengen  findet,  als  sehr  dankbares  Exkuisionsziel 
erwiesen. 

In  schroffem  Gegensatz  zu  diesem  das  Auge  einigermafsen 
befriedigenden  Vegetationsbilde  stellen  die  kalden,  öden  Schnttfelder 
dp<  Berg<;rates,  welcher  dieses  Tlial  nacli  Norden  und  Nordost 
begrenzt  und  erst  in  der  Nahe  der  Station,  da  wo  das  Hochplateau 
terrassenförmig  ansteigt,  endigt.  Hohe  Schneeweben,  welche  sich  auf 
den  dem  West-  und  Südwestwind  ausgesetzten  Hängen  des  Grates 
ansammeln,  und,  nur  wenige  Stunden  des  Tages  von  der  Sonne 
direkt  beschienen,  erst  spät  im  Sommer  wegschmelzen,  sowie  die 
geringe  Elrwftrmung  des  Bodens  lassen  eine  Vegetation  überhaupt 
nicht,  oder  höchstens  an  kleinen  Wasserrinnen  nur  etwas  Moos  und 
Flechten  aufkommen. 

Erst  die  wenig  geneigten  Hange  des  Hochplateaus  zeigen,  nnd 
zwar  sowohl  auf  der  Süd-  wie  auf  der  Nordseite,  wieder  einen 
üppigen  Hasen  von  Toussockgras,  der  aber  in  Folge  des  terrasscn- 
förniigeti  Anstieges  öfter  durch  sumpfige,  mit  der  Jiincacee  und 
Moo  1 11  {«'(leckte  Kh'lcbt'U  unterl»rochen  wird;  diese  erzeugten  in  der 
tiugebung  der  Station  eine  20—30  cm  n»i\chtige  Torfscbicht. 

Der  Unterschied  in  (U>r  Verbreitung  und  insbesondere  im 
Wachstuni  der  Vegetation,  je  nach  der  Exposition  gegen  die  Sonne, 
tritt  bestmders  am  Hochplateau  und  dem  an  letzteres  sich  an- 
schiiefäeuden  Gebirgszug  hervor.  Sind  zwar  im  übrigen  die 
Bedingungen  für  das  volle  Gedeihen  des  Toussockgrases,  Hftnge, 
deren  Böschungswinkel  so  grofs  ist,  dafs  das  in  den  Thonboden  nicht 
tief  eindringende  Wasser  leicht  abfliefsen  kann  und  die  Grashügel 
nicht  allzusehr  durchfeuchtet,  sowie  die  Nflhe  der  See  sowohl  auf 
der  Süll-  wie  auf  der  Nordseite  vorhanden,  so  fehlt  doch,  wie  oben 
erwilhnt,  auf  den  Südhftngen  die  Vegetation  fast  voUstftndig,  während 
auf  den  Nonlhängen,  iusbeson«lere  in  den  nach  der  Nordküste  (nach 


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—  128  — 

Litüe-Hafen)  sich  dfinenden  Th&lern,  das  Toussockgras  die  Tludw&nde 
▼ollständig  im  üppigsten  Wüchse  bekleidet  und  eine  Lftnge  erreicht, 
welche  die  des  Grases  auf  dem  Südhang  des  Hochplateaus  noch 

übertrifft;  während  es  hier  höchstens  1  ni  hoch  wird,  zeigen  dort 
die  schilfähnlichen  Blätter  desselben  in  der  Regel  eine  Länge  von  IV2  m. 
Auch  die  übrigen  Blütenpflanzen,  speciell  die  Aeaena  (ascendeusj, 
gedeiht  auf  den  Nordhängen  viel  ü])piger  als  auf  den  Südhäugen. 

Über  den  Rand  des  Hochplateaus  breitet  sich  das  Toussock- 
•^ras  nur  in  einem  schmalen  Streifen  aus.  An  diesen  schliefst  sich 
sumphges  Terrain  an,  welches  eine  dichte  Moosdecke  trägt,  zwischen 
welcher  die  Juncacee  (vielleicht  Kostkovia)  in  grofsen  Mengen  sich 
findet.  Hier  wurde  auch  ein  kleiner  Hutpilz  zwischen  dem  Moos 
gefunden.  Jenseits  dieses  Sumpflandes  folgen  weitausgedehnte,  mit 
einer  oft  fuHsdicken,  dichtverfihsten  Moosdecke  bekleidete  tundren- 
fthnliche  Flachen,  welche  an  vielen  Stellen  in  eigentAmlicher  Weise 
blasenartig  aufgetrieben  sind.  Hier  ist  der  Ftmdort  einer  grofsen  (bis 
SU  20  cm)  Laubfleehtenart  (Sticta),  welche  nut  ihrem  Unterseite 
hellgelben,  oberseits  blafsgrünen  Laube  in  grofsen  Mengen  das  Moos 
bedeckt,  sowie  anderer  Flechtenarten  (Cladonien).  Das  Toussockgras 
fehlt  /war  hier  nicht  vollständig;  doch  ist  es  immer  klein  und 
kümmerlich  entwickelt. 

In  den  am  höchsten  j^elegeuen  Teilen  trocknet  das  Hochplateau 
während  des  Sommers  an  der  Oberääche  völlig  aus,  und  findet  man 
nur  in  den  vielen  Kissen  des  thonigen  Bodens  etwas  Moos  und  die 
Juncacee. 

Um  das  Bild,  welches  ich  von  der  Vegetation  Süd-Georgiens 
zu  gehen  versucht  habe,  zu  vervollständigen,  mufs  ich  noch  einige 
Repräsentanten  der  in  zahhreichen  Arten  sidi  vorfindenden  Meeres- 
flora, die  zum  Charakter  des  Bildes  wesentlich  beitragen,  erwähnen. 

Der  für  den  antarktischen  Ocean  charakteristische  Riesentang 
(Macrocystis)  umsäumt  auch  hier  in  breitem  (xflrtel  die  Kflste.  Diese 
mächtige,  hochdifferenzierte  Alge  wurzelt  in  einer  Tiefe,  die  niemals 
Ober  20  m  beträgt,  auf  dem  felsigen  Meeresgrund  mit  einem  bis  zu 
m  breiten,  dicht  verzweigten  Wurzelstock,  aus  dem  die  schwachen 
Stämme  in  gröfserer  Anzahl  sich  bis  an  die  Obertiache  der  See 
erheben  und  hier  in  einer  Länge  von  — öO  m  durch  ihre  mit 
Schwimmblasen  versehenen  Blätter,  welche  bis  zu  VU  m  lan^ 
werden,  auf  der  Oberfläche  flottieren  und  aiuli  stärkerer  Brandung 
Trotz  bieten.  Heltigeren  Stürnien  jedoch,  wekiie  sie  weitab  von 
Land  auf  die  hohe  ISee  treiben,  vermögen  sie  nicht  völlig  zu. 
widerstehen  und  werden  dann,  zu  unentwirrbaren  Knäueln  ver- 
schlungen, in  grofsen  Mengen^i^jm  den  Strand  ausgeworfen. 


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—  129  — 

An  seichteren  Stellen  wächst  auf  den  Klippen  ein  zweiter 
Riesentang,  die  D'Urvillea,  mit  ihrem  dicken,  im  Innern  wabenartigen 
Stamm,  der  oft  eine  Liinjje  von  5 — 6  m  erreicht;  diesem  gesellen 

sich  noch  andere  lederartifj^e,  breite  Laminarien  zu. 

In  der  Fan  na  von  Süd-Georgien  sind  die  Vogel  dominierend; 
von  Sängetieren  wurden  nur  zwei  ßobbenarton,  die  Rüsselrobbe  oder 
der  Seeelefant  (Macrorhinus  proboscideu<)  und  der  Seeleopard  (Phoca 
Weddellii?)  augetroffen,  welche  znr  Zeit  der  Wiederentdeckung  der 
Insel  durch  Cook  und  bei  dem  späteren  Besuch  derselben  durch 
Weddell  in  grofsen  Schaaren  den  Strand  bevölkerten.  Durch  die 
KachBtelInngen  der  Bobbenschläger  hat  ihre  Zahl  bedeutend  abge- 
nommen. Zahlreiche  Oberreste,  vollständige  Skelette,  Schädel- 
knochen u.  A.  zwischen  und  unter  dem  Gras  sind  die  Zeugen  von 
dem  Vernichtungskrieg,  welcher  seit  Jahren  gegen  die  wehrlosen 
Tiere  ^^etührt  wurde. 

Die  Pelzrobbe,  welche  nach  übereinstimmenden  Nachrichten 
früher  ziemlich  zahlreich  auf  Süd-Georgien  gewesen  sein  soll,  dürfte 
wohl  fast  vollständig  ausgerottet  sein. 

Alte  männliche  Tiere  des  Seeelefanten,  welcher  seinen  Namen 
der  stark  entwickelten  Nase  verdankt,  die  besonders  dann  zu  einem 

knrzen  Rüssel  verlängert  wird,  wenn  das  Tier  erregt  ist,  erreichen 
die  ansehnliche  Lange  von  über  5  m.  Das  kiu/.haai  ige  Fell  ist  auf 
dem  Rücken  meist  liehtbrauu  gefärbt,  auf  der  Bauchseite  etwas 
heller,  doch  sahen  wir  auch  einzelne  Tiere  von  löwengelber  Farbe. 
Die  Sperklage  unter  der  Haut  liefert  einen  sehr  guten,  helleu  Thran 
nnd  ist  auf  dein  Kücken  oft  über  20  cni  stark.  In  Folge  dieses 
Fettgehaltes  zittert  der  Körper  des  Tieres,  wenn  es  sich  schwer- 
fällig mittelst  der  Vorderflossen,  welche  tiach  aufgesetzt  werden,  auf 
dem  Boden  fortbewegt,  wie  ein  Gallertklumpen. 

Behaglich  und  sorglos  liegen  die  Tiere  am  Strande  nnd 
zwischen  dem  Grase  schlafend  auf  der  Seite,  die  Hinterwössen  aus- 

•,'o>treckt  und  znsanmiengelegt,  die  Yorderttossen  an  den  Leib  ange- 
drückt, wenn  sie  nicht  eben  das  Bedürfnis  füliU  n,  sich  das  Fell  zu 
scheuern,  wobei  die  VorderHosse  in  der  drolligsten  Weise  nach  den 
verschiedenen  Körperteilen  geführt  wird,  und  lassen  sich  bei  einer 
Annäherung  kaum  in  ihrer  Kuhe  stören.  Krst  d:...n,  wenn  sie 
gereizt  und  angegriften  werden,  erheben  sie  sich,  uen  Hachen  mit 
den  spitzen  Eckzähnen  weit  aufgesperrt  nnd  knurrende  Töne  aus- 
stofsend,  die  Nase  stark  aufgeblasen,  auf  den  Vorderflossen.  Die 
Schwerfälligkeit  ihrer  Bewegungen  v(>rh Inder t  sie  an  einem  Angriff; 
meist  bleiben  sie  lange  Zeit  auf  derselben  Stelle  liegen,  nach  allen 

Oeogr.  Mittar.  Bn]d«b,  UM.  9 

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—  130  — 

Richtungen  sich  drehend  und  wendend,  und  rutschen  erst  nach 
langein  Besinnen  bedächtig  der  See  zu. 

Während  wir  sonst  die  Tiere  nur  selten  in  grOfserer  Zahl  am 
Strande  schlafend  fanden,  hatten  wir  im  Dezember  in  der  Nfthe  des 
grodsen  Gletschers  im  SW.  der  Bai  das  interessante  Schauspiel  einer 
Heerde  von  zehn  StQck  Seeelefanten,  die  zum  grdfsten  Teil  aus 
Männchen  bestand.  Es  waren,  mit  Ausnahme  eines  einzigen  alten 
Männchens,  jüngere  Tiere,  vielleicht  ein-  bis  zweijährige,  von  durch- 
schnittlich 2  ni  Länge,  die  eben  im  Haarwechsel  begriffen  waren. 
Die  Lebhiiftigkt'it,  iiiiL  welcher  die  Tiere  nmherrutschten,  das 
interessante  Spiel  der  Milnnchon  mit  den  Weibihen,  sowie  weitere 
Beobachtungen  niaditen  es  wahrscheinlich,  dal's  der  Paaruugstrieb 
die  Tiere  versammelt  hatte. 

Die  Weibchen  sind  immer  kleiner  als  die  Milunchen,  2 — 3  m 
lang;  auch  ist  bei  denselben  die  Nase  nicht  so  stark  entwickelt. 

Häufiger  als  die  RUsselrobbe  wurde  der  Seeleopard  angetroffen, 
doch  fanden  wir  niemals  eine  grölisere  Anzahl  dieser  Tiere  bei- 
sammen; immer  lagen  dieselben  nur  vereinzelt  am  Strande  oder 
verfolgten,  zwischen  dem  Riesentang  sich  tummelnd,  neugierig 
das  Boot. 

Bei  einer  Länge  von  etwas  Aber  2  m  ist  der  ROrper  des 
Tieres  schlanker  als  beim  Seeelefanten.  Der  Kopf  ist  klein, 
der  Hals  lang;  die  Backenzähne  des  Kiefers  tragen  drei  scharfe 

Spitzen,  von  welchen  die  mittlere  die  seitlichen  überragt.  Das  Fell 
ist  auf  der  Kückenseite  grau  gefleckt,  aut  der  Uiiuchseite  gelblich- 
weifs.  Das  Haar  ist  weich,  seideiiglanzend  und  steht  dünn.  Die 
Specklage  unter  der  Haut  ist  beim  Seelcopardea  zu  jeder  Jahreszeit 
schwach  und  nur  5 — 6  cni  hoch. 

Am  Lande  bewegt  sich  das  Tier  ver]ialtiii>iiiiir^iLr  rasch, 
indem  es  die  VorderÜossen  mit  den  Rändern  aufsetzt  und  den 
Körper  in  schlangenartigen  Bewegungen  nachzieht.  Angegriffen  er- 
heben sie  den  Vorderkörper,  der  lange  Hals  wird  zurückgezogen, 
während  der  weit  aufgesperrte  Rachen  die  spitzigen  Zähne  zeigt.  Im 
ttbrigen  ist  der  Seeleopard  ebenso  wehrlos  wie  die  Rflsselrobbe. 

Die  grofse  Leber  des  Leoparden  sowie  die  Zunge  sind  eisbar; 
erstere  giebt  nach  verschiedener  Art  zubereitet  ein  schmackhaftes 
Gericht,  während  das  Fleisch  der  Zunge  immer  weich  und  etwas 
schleimig  ist.  Das  grobfaserige  tief  dunkelrote  Mnskelfleisch  ist  nur 
nach  längerem  Liegen  im  Wasser  und  mit  scharfen  Gewürzen 
geniefsbar,  dürfte  überliaupt  aber  wohl  nur  im  Notfalle  Lieb- 
haber finden. 

Die  Hauptnahrung  beider  Kobbeuarten  besteht  in  Fischen, 


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—  131  — 

welche,  wie  ich  gleich  hier  beinorkeu  will,  in  inohreren  Arten  (viel- 
leicht 3)  die  l^uchtea  der  Insel  bevölkern.  Um  von  dem  Fischreichtuni 
der  Bai  ein  Bild  zu  geben,  will  ich  eine  Thatsache  anführen,  welche 
denselben  am  besten  illustrieren  dürfte.  Es  war  Ende  Dezember  bei 
nebligem  Wetter,  nachdem  es  Yorber  geregnet  hatte,  als  wir  unter- 
halb der  Station  zwischen  den  Klippen  innerhalb  zwei  Stunden  mit 
zwei  Angeln  mehr  als  70  Bische  von  dturchschnittlich  30  em  Länge 
fingen,  wfthrend  an  einer  anderen  Stelle  mit  demselben  Erfolg, 
geäugelt  wmrde.  Obwohl  gegen  Ende  dieses  Fischzugcs  nur  noch 
ein  winzig  kleines  Stückchen  Köder  (Speck)  die  Spitze  der  Angel 
verbarg,  drängten  sich  die  l  istlie  doch  förmlich  uu  den  Speck  heran. 
Allerdings  war  die  Ausheute  später  niemals  mehr  so  bedeutend, 
immerhin  konnte  aber  während  des  Sommers,  bis  Ende  März,  bei 
ruhiger  See  stets  auf  einen  Erfolg  beim  Angeln  gerechnet  werden. 
Sowohl  gesotten  als  gebacken  haben  die  Fische  eine  angenehme 
Abwechslung  in  unseren  Speisezettel  gebracht. 

Unter  den  Vögeln,  welche  das  Exkursionsgebiet  bevölkerten, 
müssen  zunächst  diejenigen  unterschieden  werden,  welche  beständig 
auf  der  Insel  sich  aufhalten,  und  diejenigen,  welche  nur  w&hrend 
des  Sommera  die  südlich  gelegene  Insel  aufsuchen,  um  dort  dem 
Bnttgeschäft  obzuliegen. 

Das  grO&te  Kontingent  an  Individuenzahl  stellen  zu  den 
ersteren  die  Pinguine,  die  überall  zur  Strandstaffage  gehören. 

Von  dem  Schopfpinguin  (P^ndyptes  chrysocoma)  haben  wir  während 
unseres  Aufenthaltes  nur  zwei  lebende  Exemplare  zu  Gesicht  be- 
kommen, während  von  einem  dritten  die  noch  frischen  Ueberreste, 
besonders  der  wohlerhaltene  Kopf  auf  dem  Nordufer  der  Landzunge 
gefunden  wurde.  Die  beiden  ersteren  befanden  sich  allerdings  eben 
in  der  Mauser,  doch  war  der  goldgell)e  Federl)us<'h  zu  beiden  Seiten 
des  Hinterkopfes  noch  vorhanden  und  liefs  im  Verein  mit  dem  rost- 
braunen geraden  und  sehr  starken  Schnabel  die  Art  sehr  gut 
erkennen. 

Ebenso  brüteten  noch  zwei  Pärchen  des  Steinbrecherpinguins 
(Aptenodytes  demersa)  an  den  steilen  Klippen  in  der  Nähe  der 
Station. 

Dieses  spärliche  Vorkommen  dieser  beiden  Pinguinarten  auf 
dem  Ezkursionsgebiet  giebt  natürlich  keinen  Mafsstab  für  die  Ver- 
breitung dieser  Vdgel  auf  der  Insel  überhaupt.  Fanden  wir  doch 
den  Konigspinguin  (Aptenodytes  iiatagonicu)  anfänglich  innner  nur 
in  einzelnen  Exemplaren  oder  höchstens  zwei  Pärchen  beisammen. 
Erst  gegen  Ende  unseres  Aufenthaltes  atif  der  Insel,  im  Juni,  ent- 
deckten wir  sowohl  im  Littte-llaieu  als  auch  auf  dem  Südufer  der 

9» 


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—  132 


Royal-Bai  gr()rs(M<'  Kolonien  mit  jungen  Tieren,  von  welchen  die 
letztere  einige  hundert  Stück  zahlte. 

Leider  entgingen  uns  auf  diese  Weise  JBeobachtungen  über 
Nestbau  und  Brutzeit.  Die  jungen  Tiere  waren  schon  sehr  heran- 
gewachsen und  sahen  ungemein  wohlgenährt  aus.  Das  dunkelbraune 
dichte  Flaumkleid  wird  wahrscheinlich  erst  spät  gewechselt.  Noch 
im  September,  nachdem  die  jungen  Tiere  der  beiden  anderen 
Pinguinarten,  welche  auf  dem  Exkursionsgebiet  bratet^,  bereits  zu  ' 
Wasser  gingen,  trugen  die  jungen  Königspinguine  das  Flaumkleid. 

Die  alten  Thiere  sind  eine  sehr  stattliclie  luscheinung.  Der 
auf  den  kurzen  Hrincii  aufrcclitstehende  iviirper.  welcher  durch  den 
Schwanz  gestützt  wird,  inilst  ungefähr  einen  Meter;  das  Körper- 
gewicht heträgt  durch:)Chuittlicli  17  kg. 

Auf  der  Brust  seidenglänzend  weifs  sind  die  dicht  übereinander 
liegenden  Federn,  deren  Schaft  plattgedrückt  ist,  auf  dem  Rücken 
und  Hals  schiefergrau.  Die  Seiten  des  grünschillernden  Kopfes 
zieren  goldgelbe  Federn,  die  sich  bis  an  den  Hals  hinunterziehen. 
Der  spitze,  im  Oberkiefer  leicht  gekrümmte  Schnabel  zeigt  am 
Unterkiefer  seitlich  einen  rötlich  gefärbten  Wulst,  der  nach  vorne 
von  einem  nitramarinblauen  Streifen  eingefafst  ist. 

Der  (Jang  ist  ernst  und  gravitätisch;  der  Körper  betiiidct  sich 
inf(dge  der  Kürze  der  Beine  in  fortwährend  dreliender  Bewegung, 
wobei  die  rudimentären  Flügel  das  Gleichgewicht  herzustellen  suchen. 

Bei  weitem  possierlicher  als  der  wild  dreinblickende  Steinbrecher 
und  der  gravitätische  Königspinguin  ist  der  dem  ersteren  an  Gröfse 
(etwa  70  cm)  gleichkommende  Eselspinguin. 

Sechs  Kolonien  auf  dem  Exkursionsgebiet,  eine  mit  Tausenden 
von  Pinguinen  besetzt,  sowie  der  häufige  Besuch  dieser  Tiere  am 
Strand  unterhalb  der  Station  gaben  uns  Gelegenheit  das  Treiben 
dieser  sonderbaren,  dem  Leben  im  ^Vasser  auf  das  engste  augepafsteu 
Vügel  in  allen  Situationen  kennen  zu  h  rnen. 

In  der  Färbung  des  Gefieders  auf  der  Unter-  und  Uüikenscite 
weichen  sie  von  den  anderen  Arten  nicht  ab;  den  Hinterkoi)f  zieren 
zwei  weifse  Flecken,  welche  sich  nach  oben  vereinigen;  der  Schnabel 
und  die  Fülse  sind  rotgelb  bis  gelb. 

Anfangs  Oktober  waren  die  Pinguine  fast  immer  nur  am  Strand 
zu  finden,  wo  sie  dicht  gedrängt  teils  stehend  teils  liegend,  den 
Kopf  unter  einem  der  Flügel  gesteckt,  der  Ruhe  nach  reichlich  ge- 
nossener Mahlzeit  pflegten.    Bald  wurden  sie  jedoch  lebhafter  und 

suchten  in  langen  Heihen  über  die  Schne<']i:ing(*  watschelud  die 
uUeii  Brut])lätze  auf  dem  lioch{)latt'au  uitd  den  h«>her  gelegeneu 


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—  133  — 


Teilen  der  in  die  Bai  einmündenden  Thaler  auf,  deren  mit  Gras 
bedeckter  flacher  Boden  ihnen  am  meisten  zuzusagen  scheint 

Eine  Pfnguinkolonie  bietet  znr  Zeit  des  Nestbaues  sehr  viel 

Interessantes  dar.  Die  Brutplatze  sind  meist  vollständig  rasiert,  das 
Gra>  zum  Nesthau  abgerissen,  so  dafs  überall  zwischen  den  regellos 
(lurrheinander  liegenden  Nestern  der  IJoden,  der  durch  Re^en  und 
die  I-.xkreniente  der  Tiere  in  einen  übelriechenden  Snm])f  verwandelt 
i^t.  hervortritt.  Die  Nester  sind  kunstlos  gebaut,  einzelne  mit  Hc- 
nutzung  eines  Grashügels,  na<'li(bMn  die  Blatter  abgerissen;  andere 
bestehen  nur  aus  seichten  Löchern,  welche  in  den  Boden  getreten 
und  mit  kleinen  Steinchen  und  hauptsächlich  Graswurzeln  und  Moos 
umlegt  sind,  welche  die  Tiere  mit  dem  Schnabel  ausreifsen. 

Beim  Nestbau  geht  es  ohne  erbitterte  Kämpfe  nicht  ab.  Jede 
Gelegenheit  wird  benutzt,  um  von  unbewachten  Nestern  (gewöhnlich 
sitzt  der  eine  Ehegatte  im  Nest,  während  der  andere  Baumaterial 
herbeischleppt)  Moos  und  Gras  ifür  das  eigene  zu  stehlen;  mit 
Flfigelschlägen  und  Schnabelhieben  werden  die  Bäuber  verfolgt, 
welche  ihre  Diebereien  nicht  blofs  auf  die  eigene  Kolonie  beschränken. 

Ende  Oktober  fanden  wir  die  ersten  Eier,  von  welchen  unter 
gewöhnlichen  Umständen  nur  zwei  gelejjt  werden ;  nimmt  man  jedoch 
dieselben  weg,  oder  werden  .sie  durch  die  Raubmöven  (Lcstris 
antarctica)  gestohlen,  s<»  k;mn  (\n<  Weibchen  nochmals  zwei  Eier  legen, 
die  dann  aber  immer  kleiner  smd.  Die  Eier  variiren  in  der  Grölse 
sehr,  von  7  -9  cm  Lftngsdurchmesser.  Das  Eiweil's  ist  bläulich 
schillernd,  der  Dotter  rotgelb,  die  Schale  sehr  dick.  Wenn  der 
Geschmack  auch  etwas  rauh  ist,  so  haben  die  Eier  doch  bei  der 
groüsen  Menge,  welche  innerhalb  kurzer  Zeit  ohne  Mtthe  gesammelt 
werden  kdnnen,  eine  grofse  praktische  Bedeutung. 

Das  Brutgeschäft,  welches  durchschnittlich  sechs  Wochen  dauert, 
'Wird  von  Männchen  und  Weibchen  abwechselnd  besorgt.  Die  Tiere 
liegen  dabei,  wie  andere  Vögel,  auf  den  Eiern  und  können  nur  mit 
Gewalt  vom  Neste  verdrängt  werden.  Das  Benehmen  derselben  ist 
dabei  ein  änfsert  drolliges.  Sie  wehren  sich  blasend  wie  die  Ganse 
den  Schnabel  weit  aufsperrend  und  nach  der  Hand  hackend,  welche 
sich  einen  Eingritf  erlauben  will,  indem  sie  sich  nur  wenijx  dabei 
erheben.  Drängt  man  das  Tier  vom  Neste  weg,  so  entfernt  es 
sich  schreiend  eillL^en  Schrittes,  kehrt  jedoch  bald  wieder,  hüpft  mit 
beiden  Füfsen  zugleich  in  das  Nest  und  macht  ein  dumm  verwun- 
dertes Gesicht,  dasselbe  leer  zu  finden;  es  späht  nach  allen  Seiten 
herum,  sucht  aufserhalb  des  Nestes,  bis  es  schliel'slich  zu  der  Ueber- 
zengung  kommt,  dafs  es  beraubt  ist.  Der  Pinguin  erhebt  dann  den 
Kopf,  um  in  einem  kläglichen,  mifstönenden  Geschrei  seinem  Schmerz 


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Luft  zu  machen.  Man  glaubt  sich  auf  einen  Gänseweideplatz  ver- 
setzt, wenn  man  das  Schreien  der  beraubten  Vögel  hört. 

Die  Jungen  werden  mit  grofeer  Sorgfalt  gebtttet  und  auf- 
gefuttert; es  ist  ein  immerwahrendes  Gehen  und  Kommen  von  und 
nach  der  See  in  den  breit  ausgetretenen  Pfaden,  um  Futter  herbei- 
zuschaffeu.  Die  Alten  füttern  aus  dem  Kropf;  das  junge  Tier 
frifst  aus  dem  Schnnbol  der  Alten. 

Gegen  das  Hude  der  Brutperiode,  anfangs  Marz,  sind  die  alten 
Pinguine  sehr  stark  abgemagert,  sehen  überhaupt  bei  der  kur/e 
Zeit  nach  dem  Kederwechsel  der  mit  grauem  Flaume  bekleideleu 
jungen  Tiere  eintretenden  Mauser  ungemein  erbärmlich  aus.  Ge- 
wöbnlicb  verlassen  sie  mit  den  Jungen  um  diese  Zeit  die  Kolonie, 
um  an  einem  geschützten  Ort,  womöglich  in  der  Nahe  eines  Baches, 
den  Federwechsel  abzuwarten. 

Auf  dem  Lande  bewegen  sich  die  Pinguine  nur  langsam  und 
schwerfilllig  fort,  so  lange  sie  nicht  angegriffen  werden ;  bei  ruhiger 
Annäherung  bleiben  sie  stehen,  betrachten  den  Ankommenden  neu* 
gierig  und  lassen  sich  wie  eine  Heerde  Ganse  stundenlang  treiben. 
Angegriffen  jedoch  verteidigen  sie  sich  durch  heftiges  Schlagen  mit 
den  Flögeln  und  ergreifen  schlierslieh  die  Flucht,  indem  sie  sich  auf 
den  Bauch  legen  und  mittelst  der  Flügel,  welche  sie  wie  beim 
Schwimmen  bewegen,  und  der  Füfsc  weitei  rutschen.  Die  Schnellig- 
keit ihrer  Bewegungen  ist  besonders  auf  Schneetiächeu  so  grofs,  dafs 
der  Verfolger  sie  kaum  einholoii  kann.  Ich  habe  wiederholt  die 
Entfernung  der  Flüüclriiidrücke  im  Schnee  gemcöseu  und  durch- 
schnittlich 70  cm  gefunden. 

Ihr  eigentliches  Element  ist  das  Wasser,  dem  der  ganze 
Körperbau  und  die  glatte  schuppenartige  Befiederung  angepafst  ist 
Geschickt  benutzen  sie,  am  Strande  stehend,  eine  herankommende 
Welle,  um  sich  ins  Wasser  zu  stürzen  und  pfeilschnell  unter  deir 
Oberfläche  dahinzuschiefsen,  wobei  sie  nur  die  Flügel  benutzen.  Die 
Schnelligkeit  und  die  Kraft,  mit  welcher  das  Tier  sich  bewegt, 
können  sehr  gut  wahrgenommen  werden,  wenn  man  einen  Pinguin 
an  eine  lange  Leine  anbindet  und  denselben  dann  zu  Wasser  IftCst. 
Der  Stöfs,  welchen  man  erhalt,  wenn  die  Leine  abgelaufen  ist,  ist 
ein  ziemlich  bedeutender.  In  einiger  Entfernung  vom  Land  kommt 
er  wieder  au  die  Obertiache,  um  Luft  zu  schnappen  und  dann  in 
gleicher  Weise  unter  dem  Wasser  seinen  W'eg  fortzusetzen. 

Tagsüber  befinden  sie  sich  zum  weitaus  grölsten  Teil  auf  der 
See,  deren  Fauna  gefrafsigen  Vögeln  überreichliches  Futter 

bietet.  Vor  anbrechender  Dunkelheit  kehren  sie  zum  Strande 
zurück.   Öfter  sieht  man  Scharen  von  Pinguinen  in  kurzen  Bdgen 


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aber  das  Wasser  springend  und  wieder  eiotauchend,  dem  Strande 
zueilen.  Wird  die  Aufmerksamkeit  eines  soldien  Zuges  durch  irgend 
einen  Gegenstand,  z.  B.  ein  Boot,  erregt,  so  bleibt  die  ganze  Gesell- 
sdiaft  einen  Augenbliek  ruhig  auf  dem  Wasser  liegen,  die  Hälse 
weit  ausgestreckt,  um  sofort,  wie  auf  Kommando,  springend  und 
tauchend  eine  andere  Richtung  einzuschlagen.  I>och  scheinen  diese 
Ausflüge  in  gröfserer  Gesellschaft  nicht  die  Regel  zu  sein;  gewöhn- 
lich kehren  sie  vereinzelt  odei  lu  kleinerer  Anzahl  gleichzeitig  zu 
ihrem  Standort  zurück.  • 

Ich  mufs  mir  vei-sagen,  noch  Ausführlicheres  über  diese  inter- 
essanten Vögel  zu  berichten,  deren  ganze  Erscheinung  mehr  an 
Formen  einer  frülieren  Schöpfungsperiode  erinnert.  Nur  auf  den 
weitab  vom  menschlichen  Verkehr  gelegenen  Inseln  können  sie  sich 
noch  in  solchen  Scharen  erhalten. 

Von  den  sieben  Sturmvogelarten,  welche  wir  auf  Süd-Georgien 
beobachteten,  besucht  zunächst  die  Procellaria  gigantea,  der  Riesen- 
sturmvogel, auch  während  des  Winters  die  Insel,  um  vom  Fluge 
auszuruhen.  Wir  fanden  sie  zu  jeder  Zeit  in  grofsen  Mengen  auf 
dem  Hochplateau  und  der  Landzunge. 

Die  jungen,  einjährigen  Tiere  sind  dunkelbraun,  ältere  hell- 
grau, während  sehr  alte  Vögel  fast  völlig  weifs  sind ;  in  das  dichte 
weifse  Gefieder  sind  nur  einige  schwarze  Federn  eingestreut. 

Mit  ihren  schmalen  Flügeln  von  3  ni  Spannweite  kämpfen  sie 
als  ausgezeichnete  Flieger  auch  gegen  heftigere  Luftströmungen  an, 
während  sie  sich  auf  dem  Lande  sehr  ungeschickt  bewegen  und, 
um  sich  in  die  Luft  zu  erheben  immer  eines  gröfseren  Anlaufes 
bedürfen,  ein  Umstand,  durch  welchen  die  Vögel  am  Lande  leicht 
überrascht  werden  können.  Kaubgierig  und  gefräfsig  sind  dieselben 
neben  der  Raubmöve  die  gröfeten  Feinde  der  Pinguinkolonien,  deren 
unbewachte  Junge  sie  wegschleppen.  Einen  ans  Land  gespülten 
Kadaver,  eue  erlegte  Robbe,  scheinen  sie  weithin  zu  wittern, 
und  findet  man  die  gierigen  Tiere  nach  kurzer  Zeit  in  Scharen 
beim  Schmaus  so  eifrig  beschfiftigt,  dafs  sie  sich  kaum  durch  die 
Annäherung  eines  Menschen,  den  sie  sonst  als  Feind  sehr  gut  kennen, 
stören  lassen.  Ihre  Frefsgier  ist  sehr  grofs;  ich  habe  öfter  um  den 
Kadaver  einer  Robbe  eine  Anzahl  Sturmvögel  gesehen,  welche 
sich  nach  genossener  Mahlzeit  sofort  wieder  ihres  Mageninhaltes 
entleerten. 

Die  Brtitezeit  Ix^ann  anfangs  November;  das  Nest,  in  welches 
das  eine  grofse  Ei  gelegt  wird,  ist  kunstlos  und  nur  aus  Moos  und 
Gras  in  ähnlicher  Weise  wie  das  der  Pinguine  gebaut.  Gewöhnlich 
brüten  die  Vögel  in  grOfserer  Gesellschaft.    Fast  ausschliefslich 


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fanden  wir  sie  nur  auf  dem  Hochplateau  und  der  Landzunf^e 
zwischen  dein  Toussockgras,  während  sie  in  der  N&he  des  Strandes 
seltener  brüteten.  Anfangs  April  waren  die  Jungen  flflgge.  Eier 
und  Junge  werden  mit  greiser  Hartnftckigkeit  verteidigt,  wobei  der 
starke,  vorne  spitze  und  gekrümmte  Schnabel  als  Waffe  dient;  man 
mufs  Gewalt  anwenden,  uro  den  Vogel  vom  Nest  zu  entfernen.  Der 
Ärger  und  die  Aufregung  erzeugen  scheinbar  bei  dem  Tiere  immer 
Brechreiz,  denn  knurrend  und  hapi)end  speien  sie  gewöhnlich  bei 
fort.Lresetztem  Angriff  eine  thranige  übelriechende  Flüssigkeit,  meist 
mit  h;ilbverdautem  Futter  uutermischt,  aus,  die  aber  wohl  kaum  als 
Warte  dienen  kann. 

Die  Kaptaube  (Daption  capeuse)  zeigte  sich  auch  wahrend  des 
\Vinters  wiederholt  in  der  Nahe  des  Landes:  vielleicht  brütete  sie 
auf  der  Insel,  doch  haben  wir  sie  niemals  aui  dem  Exkursiouä- 
gebiet  angetroffen. 

Eine  dritte  Sturmvogelart  nistete  auf  den  Bergen  in  der  Nahe 
der  See  in  schwer  zugänglichen  Felsspalten.  Von  der  Gröfse  einer 
Taube  mit  schwarzem  Schnabel  ist  der  Vogel  schneeweifs.  Es  wurden 
zwar  einige  gefrorene  Eier  gefunden,  doch  haben  wir  Aber  Brutzeit 
und  LebensweiBe  des  harmlosen  Vogels,  der  sich  ruhig  mit  der  Hand 
fangen  liels,  nichts  in  Erfahrung  gebracht 

Die  flbrigen  Sturmvogelarten  (Procellaria  aequinoctialis),  der 
EntenstOrmer  (Prion)  sowie  zwei  kleinere  Arten  besuchen  die  Insel 
nur,  um  dem  Bratgeschäft  obzuliegen. 

Anfangs  Oktober  traf  Procellaria  uequinoctialis  ein  und  nahm 
wieder  Besitz  von  ihren  Nestlöchern,  mit  welchen  überall  an  den 
mit  Toussockgras  bewachsenen  Hangen  der  Boden  unterminiert  ist. 
Der  Kiiv^'anir  zu  diesen  Löcliern,  welche  etwa  1  m  tief  horizontal  in 
den  Boden  geuiabeu  sind,  befindet  sich  gewöhnlich  in  einem  Gras- 
hügel, dessen  Wurzel  werk  und  Torf  die  Vögel  abbeifsen;  mit  Hülfe 
der  scharfen  Krallen  graben  sie  das  Loch  in  den  Boden. 

Um  die  Weibchen  scheint  ein  erbitterter  Kampf  stattzufinden; 
sehr  häufig  fanden  wir  vor  dem  Eingang  zu  einem  Nestloch  zwei 
oder  mehrere  Mannchen  um  das  im  Neste  sitzende  Weibchen  werbend 
sich  heftig  bekämpfen.  Während  dieser  Periode  hissen  sich  die 
Vdgel,  welche  bei  einer  Annäherung  kaum  Miene  machen  sich  zu 
erheben,  leicht  mit  der  Hand  fangen.  Doch  ist  einige  Vorsicht 
dabei  geboten,  da  sie  sich  mit  den  scharfen  Krallen  und  dem 
Schnabel  wütend  wehren  und  eine  rote,  thranige  Flüssigkeit  aus- 
speien. Das  kreischende,  eiixentümliclie  Geschrei,  welches  die  Vögel, 
vor  dem  Neste  sitzend,  ausstofsen,  ertönt  besonders  stark  in  der 
Nacht  und  erinnert  in  seinem  Gesamteffekt  in  der  Ferne  etwas  au 


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das  Quaken  einer  Heerde  Frösche  an  schönen  Sommerabenden. 
Ende  November  wurden  die  Vögel  wieder  nihiger  und  fanden  wir 
bald  darauf,  nachdem  das  Schreien  gams  aufgehört  hatte,  die 
ersten  Eier  auf  wenigen  Grasbl&ttern  im  hintersten  Teil  der  Nest- 
löcher U^en. 

Am  Tage  war  die  Procellaria  aequtnoctlalis ,  nachdem  die 

Nester  mit  Eiern  belejxt  waren,  nur  aufserst  selten  zu  sehen:  bei 
einbrechender  Dunkelheit  jedoch  und  während  der  Naeht  unjHo<;pn 
sie  in  profsen  Scharen  die  Brutpliltze.  Kude  April  waren  die 
Jiiii;j;en  noch  iu(ht  rtüg^:e;  wiedorholter  Schneefall  im  März  und 
April  hatte  den  Eingang  zu  den  Nestern  völlig  bedeckt,  doch  gruben 
bich  die  Vögel  durch  den  Schnee  durch. 

Anfangs  Mai  lieisen  sie  n(»clunals  ihr  Geschrei  wahrend  der 
Na(  lit  ertönen,  doch  sah  man  nur  mehr  vereinzelte  Exemplare.  Daü 
Ujos  der  Vögel  war  wohl  schon  fortgezogen. 

Fast  um  die  gleiche  Zeit  wie  die  Procellaria  ae(piinoctialis 
hörten  wir  das  Gurren  des  Enten^^türmers.  <ler  in  gleicher  Weise 
sein  Nest  in  tiefe  Löcher  baut,  die  mannigfach  gewunden  und  ver- 
zweigt öfter  mehrere  Ausgänge  besitzen.  Wo  Procellaria  aequinoc- 
tialis  noch  Platz  gelassen,  hat  sich  der  niedliche,  auf  der  Überseite 
bläulich  aschgraue,  auf  der  Unterseite  weifse  Vogel,  der  unermüdlich 
sein  gurrendes  Geschrei,  das  ahnlich  dem  der  Turteltaube  klingt, 
erschallen  lafst,  angesiedelt  Selbst  das  wenige  Gras  auf  den  Felsen 
und  Klippen  ist  nach  allen  Richtungen  von  den  Nestlöchern  der 
munteren  Tiere  durchzogen.  Von  der  Massenhaftigkeit,  in  welcher 
der  kleine  Vogel  auf  der  Insel  brQtet,  erhftlt  man  eine  Vorstellung, 
wenn  man  dieselben  in  mondhellen  NAchten  lautlos  in  ungezählten 
Scharen  herumfliegen  sieht  Am  Tage  zeigen  sie  sich  nnr  selten 
und  werden  dann  gewöhnlich  die  sichere  Beute  der  Raubmöven, 
welche  ihre  ärgsten  Feinde  sind. 

Über  die  Bmtdauer  liefsen  sich  genaue  Beobachtungen  nicht 
anstellen;  die  ersten  Eier  (von  der  Gröfse  eines  Taubeneies)  haben 
wir  Ende  November  gefunden.  Ende  April  waren  die  Jungen,  je 
eins  in  einem  Nest,  noch  nicht  flügge  und  mag  wohl  ein  Teil  der- 
selben bei  dem  im  M&rz  und  April  eingetretenen  hohen  Schneefall, 
der  die  Eingänge  zn  den  Löchern  verdeckte,  zu  Grunde  gegangen 
sein.  Wie  sie  gekommen,  waren  sie  anfangs  Mai,  wahrscheinlich 
während  der  Nacht,  wieder  verschwunden,  nachdem  sie  kurze  Zeit 
vorher  noch  m  grofsen  Schwänneii  walirend  der  Nacht  herum- 
geflogen und  einige  halbflügge  Junge  aus  den  Nesteru  gekrochen 
waren. 

Nachtvögel  wie  die  beiden  vurhergebeudeu  Arten,  wenigstens 


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wahrend  der  Brutzeit,  sind  zwei  kleine  Scliwalbensturmvogelarten, 
deren  Nester  sich  ebenfalls  in  meist  halbkreistönuigeu  Flrdlöchern 
befinden.  Mit  Vorliebe  wählen  sie  die  völlig  vegetationslosen  ^Schutt- 
felder  der  Berghänge  zu  ihren  Brutplätzen,  wo  sich  dann  ein  Nest- 
loch neben  dem  anderen  behndet.  Am  Tage  verlassen  sie  kaum  das 
Nest,  in  welchem  das  kleine  weifse  Ei  liegt,  aber  bei  einbrecliender 
Dunkelheit  sieht  man  sie  öfter  in  langen  Zügen  über  die  Oberfläche 
des  Wassers  hinfliegen.  Auch  sie  hatten  mit  ihren  Jungen  Ende 
April  die  Insel  wieder  verlassen. 

Am  16.  Oktober  kündeten  mehrere  P&rchen  von  Diomedea 
fuliginosa  durch  ihren  eigentümlichen  Ruf,  der  dem  Geschrei  des 
Esels  sehr  Ahnlich  ist,  ihre  Ankunft  an.  Das  Gefieder  ist  am  Kopf 
dunkel  und  nach  dem  Hals  und  dem  Rumpf  in  ein  zartes  grau 
abgetönt.  Sehr  aniCallend  sind  die  weifsen  Halbringe  an  dem 
hinteren  Rand  der  Angen.  Unermüdlich  und  noch  leichter  als  der 
Riesenstuniivügel  durchschneidet  dieser  Albatrofs  die  Luft,  dessen 
ganze  Erscheinung  ungemein  elegant  ist. 

Ihre  Nistplatze  hatten  sie  zumeist  an  unzuj^änglichen  Fels- 
wänden  gewählt,  wo  sie  ihr  einziges  Junge  mit  grolser  Liebe  und 
.    Sorgfalt  aufzogen. 

Von  einer  zweiten  Albatroisurt,  wenn  riditiL^  bestimmt,  Dio- 
medea chlororhynchos,  haben  wir  bei  einer  Bootsfahrt  zwei  Exemplare 
geschossen;  am  Land  haben  wir  dieselben  nicht  gesehen. 

Die  Möven  sind  durch  drei  Arten  vertreten. 

Die  Raubmöve  (Ijestris  antarctica)  halt  sich  meist  in  Paaren 
zusammen.  Sie  bewegt  sich  auf  dem  Lande  ebenso  sicher  wie  auf 
dem  Wasser.  Z&nkischf  neidisch  und  habgierig  lebt  sie  in  fort- 
währendem Unfrieden  mit  ihresgleichen  und  läfst  ein  widerliches 
Geschrei  ertOnen,  sobald  ihr  ein  Bissen  streitig  gemacht  wird,  um 
welchen  sie  sich  mit  grofser  Wut  balgen.  Als  wir  im  Dezember, 
wie  oben  erwähnt,  die  vielen  Fische  fingen,  warfen  wir  einige  der- 
selben den  stets  in  unserer  Nähe  sich  aufhaltenden  Möven  hin. 
Nach  hartem  Kam})f  trug  eine  derselben  den  Sieg  davon  und  ver- 
schluckte den  etwa  50  cm  langen  Fisch  samt  dem  Kopf  ohne  grolse 
Beschwerden;  momentan  allerdings  stand  sie  mit  steifem  Hals  und 
aufgerichteten  Federn  drückend  und  würgend  da,  erholte  sich  jedoch 
sehr  bald  wieder,  nachdem  sie  grofse  Mengen  Wasser  gesoffen  hatte. 
Eine  Schnecke,  eine  Art  Patella,  scheint  sie  samt  dem  flachen 
Gehäuse  zn  verschlucken,  letzteres  aber  wieder  auszuspeien.  Sehr 
hAufig  fanden  wir  auf  dem  Hochplateau  an  Orten,  wo  sich  die  Bauh- 
mdve  aufhielt,'  6—8  Schalen  auf  einem  Häufchen  beisammen  liegen. 
Mit  Vorliebe  geht  sie  an  das  Aas  erschlagener  Robben,  doch  ver- 


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schmäht  sie  -auch  den  ekelhaltesteu  Biäseu  uiclit,  welchen  die  Öee 
auspült. 

Auf  Felsen  sitzend  sp&ht  sie  mit  gierigem  Bück  nach  I^euto 
oder  zieht  in  sicherem  Fhige  in  der  Luft  ihre  Kreise.  Sie  ist  der 
Haaptfeind  der  kleineu  Schwalhensturmvögel  und  des  Entenstürmers, 
welchen  sie  stuudeulang  vor  den  Nestern  auflauert  Wagt  sich 
einer  der  kleinen  Vögel  ans  Tageslicht,  so  erhascht  ihn  die  Rauh-  • 
mdve  im  Flug.  Mit  Vorliehe  tragen  sie  ihre  Beute  in  die  Nähe 
kleiner  Wassertümpel,  deren  Umgehung  mit  Skelettteilen  der  kleinen 
Vögel  förmlich  besftet  ist,  da  sie  nach  genossener  Mahlzeit  das 
Bedürfnis  fühlen  reichlich  zu  saufen. 

Auch  die  Pinguinkolonien  sind  fortwährend  von  den  Tieren 
umlagert,  aus  deren  unbewachten  Nestern  sie  die  Eier  fortschleppen. 
Ihre  Frechheit  tind  Unverschämtheit  kennt  keine  Grenzen;  wir  haben 
wiederholt  gesehen,  dafs  neben  uns  von  den  Ranbniöven  Pinguin - 
nester  geplündert  wurden.  Sie  wagen  sich  sogar  an  die  Eier  der 
Sturmvögel,  welche  sie  im  weitaufgesperrteu  Schnabel  davontragen. 
Durch  einen  Schufs,  der  auf  sie  abgefeuert  wird,  lassen  sich  die 
zndringiichen  Tiere  kaum  erschrecken;  sie  erheben  sich  zwar,  stürzen 
aber  sofort  aal  den  gefallenen  Grenossen. 

Die  Brutperiode  dauerte  Ton  Ende  November  bis  Anfang  März. 
Das  Nest  ist  kunstlos  und  liegen  die  zwei  branngrflnen,  dunkel- 
geflekten  Eier  meist  auf  Moos,  von  welchem  sie  in  der  Fftrbnng  auf 
grö&ere  Entfernung  schwer  zu  unterscheiden  sind.  Durch  ein 
hdseres  Schrien  verraten  die  bratenden  Vögel  die  Nähe  des  Nestes, 
welches  sie  ebenso  wie  die  Jungen  wQtend  verteidigen,  indem  sie 
durch  tlie  Luft  sausend  auf  den  Angreifer  stolscn,  der  sich  ihrer 
nur  durch  Stockschläge  erwehren  kann.  Meist  fallen  sie  dabei  ilirer 
blinden  Wut  zum  Opfer.  Nimmt  man  das  Junge  weg,  so  verlolgen 
sie  den  Räuber  hw^a  Zeit. 

Die  Mantelmöve  (Larus  doniinicanus)  hillt  sich  immer  in  der 
Nähe  des  Strandes  auf,  wo  sie  phlegmatisch  auf  den  Klippen  sitzend 
ihr  klagendes  Geschrei  ertönen  läfst.  Bei  erregter  See  sammeln  sie 
sich  in  Scharen  auf  dem  Sandstrande,  um  bald  auf  festem  Boden 
stehend,  bald  von  den  einherroUenden  Wellen  gehoben,  nach  Beute 
zu  haschen.  Sie  ist  ungemein  scheu  und  vorsichtig;  schon  in 
grofser  Entfernung  ergreift  sie  die  Flucht,  und  gelingt  es  nur  durch 
Zufall,  eines  der  Tiere  zu  erlegen. 

Zur  Brtttezeit  geht  sie  etwas  tiefer  in  das  Land,  wo  sie  ihr 
einfaches  Nest  mit  zwei  Eiern  belegt,  die  sich  von  denen  der  Raub- 
möve  kaum  unterscheiden  lassen.  Die  jungen  Tiere  sind  grau  und 
weifs  gefleckt,  wahrend  das  Gefieder  der  alten  am  Rumpfe  wcifs 


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und  an  den  FlOgelo  schwarz  ist  Auch  in  der  Färbung«des  Schnabels 
and  der  Beine  differieren  die  mehrjährigen  Vögel  von  den  jungen: 
bei  ersteren  sind  dieselben  jrelb,  bei  letzteren  schwarz. 

Walirend  Mitte  März  die  Mantelniöve  iliren  Jungen  bereits 
Unterricht  im  Fliejren  erteilte,  wo])ei  sieh  das  piepsende  Gesclirei 
der  letzteren  und  das  bald  klagende,  bald  wie  ein  heiseres  Lachen 
klingende  Geschrei  der  Alten  vernehmen  liels,  salscn  die  jungen  Raub- 
möven  noch  immer  in  der  Nahe  des  Nestes  und  liefsen  sich,  ol)\vuhl 
sie  s(  hon  das  vollständige  dunkelbraune  Gelieder  hatteu,  vun  den 
Alten  noch  füttern. 

Der  zierlichste  Vogel  Süd-Georgiens  ist  eine  Seesclnvalbe  (Sterna). 
Das  silbergraue  Gefieder,  die  schwarze  Kopfplatte  sowie  der  korallen- 
rote Schnabel  und  die  ebenso  geftrbten  niedlichen  SchwimmfttliBchen 
verleihen  dem  lebhaften  Vogel  etwas  ungemein  Kokettes,  wenn  er, 
den  langen  Gabelschwanz  ausgebreitet,  bald  mit  langsamerem,  bald 
mit  schnellerem  Flügelschlag  geschickt  und  ausdanemd  Aber  die 
Oberflache  des  Wassers  sto&tanchend  fliegt  Er  liebt  die  Nfthe  des 
Strandes,  wo  er  Tag  und  Nacht  geschwatzig  sein  „Trr,  Trr,  Kriah" 
ertiiuen  läfst.  Doch  fanden  wir  die  Sterna  auch  auf  den  Sumpf- 
flächen des  Hochplateaus  in  grofser  Menge,  wo  sie  mit  dem  spitzen 
Schnabel  Nahrung  (IiegenwürmerV)  suchend  zwischen  das  Moos  stach. 

Sie  lebt  immer  in  grofser  Gesellschaft  beisammen;  ihre  gemein- 
schaftlichen Brutplätze  finden  sich  an  höher  gelegenen  Orten  auf  mit 
Moos  bedecktem  Boden,  auf  welchem  das  grünliche,  dunkelgefleckte 
Ei  durch  seine  Färbung  so  geschützt  ist,  dafs  man  oft  lani^o 
Zeit  suchen  kann,  bis  man  dasselbe  findet,  obgleich  es  in  n&cik»ter 
Nahe  liegt. 

Betritt  man  einen  Brutplatz,  so  lockt  der  Ruf  eines  Vogels 
bald  die  ganze  Gesellschaft  herbei,  die  den  Feind  mit  lautem  „Terek, 
Terek,  Kri&h*'  verfolgt  und  wfltend  mit  dem  spitzen  Schnabel  auf 
den  Gegner  stoüsend  umfliegt  Selbst  vor  der  RaubmOve  fQrchten 
sich  die  kleinen  mutigen  Tierchen  nicht.  Mit  lautem,  zornigen 
Geschrei  nmschwirren  sie  den  Raubvogel,  sobald  er  sich  ihrem 
Brutplatz  nähert.  Die  Möve  wagt  nicht  sich  an  ihnen  zu  vergreifen 
und  sucht  schleunigst  das  Weite. 

Die  Brütezeit  begann  im  Januar;  im  März  zogen  die  grau  und 
weils  izcHeckten  jungen  Tiere,  deren  Schnabel  und  Küfschen  schwarz 
sind,  nacli  der  See.  wo  sie,  noch  ungescliickt  tliegeud,  ängstlich  von 
den  Altern  unter  lautem  Geschrei  bewacht  wurden. 

Ab  und  zu  zeigten  sich  einzelne  Kormorane,  welche  in  unzu- 
gänglichen Felswauden  im  Innern  der  Bai  nisteten.  Wir  bemerkten 
die  Brutplätze  erst  im  Februar,  nachdem  die  Jungen  bereits  sehr 


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berangewachsen  waren.  Mit  kurzem  Flnp:els(*hlag  begrüfston  sie 
ans  schon  im  September  bei  der  Eiiifalut  in  Cumberland-Bui  und 
umflogen  neugierig,  die  langen  steifen  Hülse  bald  nach  rechts,  bald 
nach  links  wendend,  die  Böte  so  nahe,  dafs  sie  mit  dem  Bootshaken 
erreicht  werden  konnten.  Auf  der  Brust  weifs  mit  wenigen  braunen 
Federn,  glänzt  die  Rfickenseite  des  Gefieders,  besonders  im  Hoch- 
zeitskleid, in  stahlgrfln  schillernden  Farben.  Zur  Zeit  der  Paarung 
sind  die  fleischigen  Auswflchse  in  der  Nasengegend  lebhaft  blau  und 
gelb  gefärbt. 

Von  einigem  Wert  für  unsere  Küche  war  noch  eine  Entenart, 
welche  der  auf  Kerguelen  vorkummenden  Querquedula  Eatoni  ähnlich 
ist.  Meist  fanden  wir  sie  in  grolseu  Flügen  (oft  20 — 30  Stück)  in 
der  Nalie  des  Strandes  (sowohl  in  der  Iloyal-Bai  wie  in  Little-Hafen) 
zwischen  den  Grashügelu,  welche  ihnen  ein  sicheres  Versteck  bieten. 
Verfolgt  laufen  sie  auf  weite  Strecken  zwischen  den  Hügeln  hin  und  ent- 
ziehen sich  so  ihrem  Verfolger.  Obgleich  sie  weite  Ausflüge  unter- 
nehmen und  mit  Vorliebe  die  Klippen  aufsuchen,  an  welchen  sie 
grüudelnd  reichliches  Futter  in  Krebsen,  Holothurien  u.  A.  finden, 
fallen  sie  jeden  Abend  immer  wieder  an  demselben  Ort  ein.  Nur 
selten  haben  wir  sie  auf  dem  sumpfigen  Hochplateau  angetroffen. 

Das  kunstlose  Nest,  welches  sie  mit  wenig  Flaum  auspolstert, 
baut  m  immer  sehr  versteckt  zwischen  die  Grashttgel.  Nur  durch 
Zufall  habe  ich  anfangs  Dezember  ein  Nest  mit  4  braungelben 
Eiern  gefunden,  von  welchen  ich  eines  zertreten  hatte;  der  junge 
Vogel  war  schon  sehr  weit  entwickelt  und  völlig  befiedert.  Aufserdem 
gelaug  es  niemals,  obwohl  wir  einzelne  BrtitplUt/.e  genau  kannten, 
Nester  aufzufinden.  AnfauLjs  Marz  hatten  wir  jedoch  öfter  (leleuMMiheit 
die  mit  gelblichem  Flaum  bekleideten  uiediiclieu  .Jungen,  von  den 
Altern  angeführt,  au  kleinen  Wasserläufen  zwischen  den  Gras- 
hügeln zu  sehen. 

Im  Winter  setzen  die  Enten  zicndich  viel  Fett  an;  das  Fleisch 
ist  dann  nur  nach  sorgfaltiger  Entfernung  desselben  geniefsbar 
und  giebt  ein  schmackhaftes  Gericht 

Von  Landvdgeln  findet  sich  auf  Süd-Georgien  eine  Chionis,  ein 
schneewei&er  Vogel  von  Taubengröfse.  Der  gelbliche,  an  der  Wurzel 
grünlich  angehauchte,  sehr  starke  und  kurze  Schnabel  trägt  auf 
der  Oberseite  an  der  Wurzel  eine  eigentümliche  Kuppe,  wahrend 
die  Zügel  mit  blafsrdtlichen  Hautauswüchsen  bedeckt  sind.  Die 
langen  plumpen  Beine  und  Füfse  sind  grau.  Das  Mannchen  ist  etwas 
gröfser  als  das  Weibchen.  Sie  leben  in  Gesellschaft,  doch  halten  sich 
Männchen  und  Weibchen  immer  zusammen. 

Neugierig  und  furchtlos  trippelt  die  Ciiionis  an  Jeden  ihr  fremdeu 


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Gegenstand  heran,  und  liefs  sich  anfangs  fast  mit  ilon  Händen  greifen. 
Sie  leht  vorzugsweise  am  Strand,  wo  sie  eifrig  das  aufliest,  wa.s 
die  Flut  ausgespült  hat.  Da  wir  die  Tiere  sehr  sclionten,  hielten 
sie  sich  dicht  bei  der  Station  auf,  wo  sie  besonders  am  frühen 
Morgen  die  Küchenabfalle  durchsuchten. 

Gegen  Ende  Oktober  verliefsen  sie  die  Station  und  fanden  wir 
sie  unweit  auf  den  Klippen  versammelt  Kurze  Zeit  hernach  trugen 
sie  dOrres  Gras  zu  Neste.  Ihre  Brutplfttze  wählen  sie  immer  in 
engen  Felsspalten,  oft  hoch  oben  an  völlig  unzug&nglichen  Wänden, 
so  dafs  wir  niemals  Gelegenheit  hatten,  sie  im  BnitgeschAft  zu 
beobachten.  Wahrscheinlich  legen  sie  nur  ein  Ei,  denn  nachdem  sie 
wieder  zur  Station  zurückgekehrt  waren,  schien  es,  als  ob  immer 
nur  ein  junges  Tier  zu  den  beiden  alten  sich  hielte.  Das  Fleisch 
ist  geniefsbar  und  schmeckt  kaum  thranig. 

Inmitten  der  unmusikalischen  Lantd  der  Möven  und  Pinguine 
schmettert  an  schönen  Sommertageu  ein  kleiner  Singvogel  (vielleicht 
eine  Aiithus-Art)  unermüdlich  sein  Lied,  das  dem  unserer  Lerche 
so  ähnlich  ist,  dafs  man  auf  Momente  vergifst,  weit  entfernt  von 
der  deutschen  Heimat  zu  sein.  Ungefähr  von  der  Gröfse  einer 
Lerche  ist  das  Benehmen  des  gelb  und  braun  gefleckten  S&ngers, 
dessen  Hinterzehe  einen  grofsen  Sporn  tragt,  wenn  er  fast  gerade 
in  die  Lüfte  steigt  und  flatternd  sich  hoch  oben  an  einer  Stelle 
hftlt,  genau  so  wie  das  unserer  Fetdlerche. 

Wahrend  des  Sommers  sucht  er  meist  das  Gras  nach  Insekten, 
Kafem  und  Fliegen  ab,  wahrend  im  Winter,  wenn  ihm  der  Schnee 
diese  Futterquelle  fast  unzug<anglich  macht,  da  die  Küfer  nur  selten 
aus  ihren  Verstecken  hervorkommen  und  über  den  Schnee  kriechen, 
das  harmlose  zutrauliche  Tierchen  eifrig  am  Strande  beschäftigt  ist, 
mit  dem  spitzen,  vorn  leicht  übergebogenen  Schnabel  die  ausge- 
worfenen Tangwurzeln  abzusuchen.  Es  UU-st  sich  in  seinem  Sammel- 
eifer kaum  durch  eine  AnnRlierung  stören. 

Leichten  Flugs  entfernt  er  sich  ziemlich  weit  vom  Land  und 
haben  wir  ihn  bei  einer  Bootsfahrt  inmitten  der  Bai,  etwa  3  km 
vom  Land  entfernt,  auf  den  Blattern  des  von  den  Wellen  geschaukelten 
Kiesentangs  ei&ig  nach  Futter  suchend  sitzen  gesehen.  Während  des 
Winters  kam  er  furchtlos  an  die  Station,  sogar  bis  in  das  Wohnhaus. 

Das  kleine  Nestchen  flicht  das  Thier  versteckt  zwischen  dem 
Toussockgras  lose  aus  Blattern  zusammen;  doch  haben  wir  nur  ein 
einziges  Nest  mit  einem  Jungen  und,  wenn  anders  ich  mich  recht 
erinnere,  einem  unansgeschlüpften  Ei  von  grünlicher  Farbe  mit 
dunkleren  Flecken  gefunden. 

Auch  die  niedere  Tierwelt  ist  in  der  Fauna  von  Sttd-Georgien 


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143  — 


durch  einicre  Uepnisentnnteu  vertreten.  Die  kleinen  Wassertümpel 
bevölkern  zahllose  Meuueii  von  zwei  kleinen Crn>taceenartt'n,  deren  eine 
vielleicht  ein  liranchiopus  (Kiemenfuls)  ist;  die  andere  gleicht  mit 
ihren  zwei  roten  Eiersftckchen  einem  Cvclops.  Zwischen  dem  feuchten 
Moos  linden  sich  hilutij^  Uej;enwürmer. 

Von  Insekten  loben  zwei  ttügeUose  K;\feraiten  hauptsächlich 
zwischen  dem  (iras.  dessen  saftige  Blattscheiden  sie  anfressen. 
Wahrend  des  Winters  sammeln  sie  sich  unter  Steinen.  Die  eine 
dieser  Arten  (vielleicht  wird  eine  genauere  Untersuch nni?  als  bis 
jetzt  möglich  gewesen  ist,  noch  einige  Speeles  ergeben)  gehört  zur 
Familie  der  Telephoriden,  deren  übrige  Arten  meist  sehr  gute 
Flieger  sind.  Eine  Schwimmkftferart  aus  der  Familie  der  Dytisciden 
(Agabas)  wurde  in  grofsen  Mengen  in  dem  Schlamm  eines  ab- 
gelassenen kleinen  Teiches  gefangen.  Von  sämtlichen  Arten  er-  • 
hielten  wir  die  Larven  und  teilweise  auch  die  Pappen. 

Mit  Beginn  der  w&rmeren  Witternng  verlielsen  auch  grofse 
Fliegen  ihren  Schlupfwinkel  unter  Steinen  und  belftstigten  uns  zeit- 
weilig sehr  durch  Ihr  massenhaftes  Auftreten  in  den  Wohnrllttmen. 

Anfserdem  finden  sich  vielleicht  noch  zwei  .Spinnenarten  vor. 

Ks  würde  mich  zu  weit  führen,  wenn  ich  die  Meeresfanna  der 
Koyal-Bai,  von  der  ich  schon  gele'jjentlii'h  einiges  berichtet  habe, 
ausführlicher  behandeln  wollte.  Ich  will  also  nur  erwähnen^  dafs 
unter  den  niederen  Seetieren,  wenn  auch  die  Artenzahl  gering  zu 
sein  scheint,  sämtliche  Typen  vertreten  sind:  Die  Coelenteraten 
durch  verschiedene  Arten  von  Schwammen,  Korallentieren  (Actinien) 
und  Quallen;  di(;  Kchinodermen  (Stachelhäuter)  durch  die  zahllos 
zwischen  den  Klippen  herumkriechenden  lebendgebarenden  Seesteme 
(Asterideu  und  Ophiuriden),  durch  eine  Art  Seeigel  und  mehrere 
Arten  von  Uolothurien ;  die  Würmer  durch  Bryozoen  und  zahlreiche 
Anneliden.  Von  Grustaceen  sind  drei  kleinere  Arten  sehr  gemein, 
wahrend  zwei  grdlisere  nur  selten  gefunden  wurden.  Von  Mollusken 
(Tunicaten,  einige  Gastropoden  und  wenige  Lamellibranchiaten)  bedeckt 
eine  Patella-Art  die  Klippen  in  grofsen  Mengen. 

In  dieser  kurzen  Aufzählung  sind  nur  die  am  häutigsten  und 
durch  ihre  Ciröfse  unmittelbar  bemerkbaren  Formen  genannt;  über 

die  zahlreichen  kleinen,  die  sich  oft  nnr  durch  ein  AuÜeuchten  beim 
Kint4\uchen  des  Kaders  zwischen  dem  lang  bemerkbar  machen,  wiid 
der  spätere  ausführliche  zoologische  Bericht  Aufschlufs  geben. 

Die  Dredgeergebnisse  waren  meist  gering :  die  grölste  Beute 
lieferte  der  Fan-j:  bei  tiefer  Ebbe  zwischen  den  Klippen,  besonders 
nach  offener  See  m  und  der  durch  Sturm  ausgeworfene  Hiesentaug, 


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dessen  mit  Sclilick  durchsetzte  Wurzelstöcke  eine  wahre  Fundgrube 
von  Seetieren  bildete. 

Die  Artenzahl  der  Tier-  und  Pflanzenwelt  ist  also  uiit  Süd- 
Georgien  eine  ungemein  gerin^'e.  Wenn  sich  vielleicht  bei  einer 
Durchforschung  der  ganzen  Insel  die  Flora  noch  um  einige  Species 
vemehrt,  so  wird  sie  doch  immer  weit  hinter  der  von  den  benach- 
barten Falklands-Inseln,  welche,  wie  ich  schon  oben  erwähnte,  noch 
150  Geföfspflanzen  aufzuweisen  hat,  zurückbleiben. 

In  der  Fauna  der  Falklands-Inseln,  welche  schon  ärmer  als  die- 
jenige des  Feuerlandes  ist,  sind  immer  noch  ein  Säugetier,  ein  wolf- 
artiger Fuchs,  Baubvögel,  eine  Eule,  Drosseln,  Sperlinge  und  eine 
Eidergans  neben  den  über  den  ganzen  antarktischen  Ocean  ver- 
breiteten Sturmvögeln  und  Robbenarten  vertreten.  Mit  der  gröfseren 
Entfernung  vom  Festlaudc  nimmt  auch  die  Zahl  der  Tier-  und 
Pflanzenarten  rasch  ab. 

Inwieweit  die  Formen  Süd-Georgiens  identisch  oder  nahe  ver- 
wandt mit  denen  der  Flora  und  Fauna  der  Falklands-Inseln  und  des 
südamerikanischen  Kontinents  sind,  lilfst  sich  natürlich  erst  nach 
einer  eingehenden  Untersuchung  und  Vergleichung  des  gesammelten 
Materials  entscheiden,  doch  dürften  sich,  soweit  sich  dasselbe  schon 
jetzt  übersehen  läfst,  sicher  derartige  Beziehungen  ergeben. 

3.  Leben  nnd  Arbeiten  in  der  Station* 

Von  £.  Mosthair. 

Die  Rundsicht  von  der  Station  aus  über  die  ultramarinblaue, 

meist  bewegte  See  hinüber  nach  den  ersten  Yorbergen  bei  Kap 

Charlotte,  am  kleinen  Gletscher  vorbei,  zu  den  höheren  oft  mit 
blauen  horizontalen  Fisplateaus  gekrönten  Firnen,  den  riesigen 
Gletscherabstürzen  und  besonders  dem  in  der  Silhouette  reizenden 
Pic  hinter  dem  Moltke-IIafen  und  der  Bergstralse,  gestaltet  sich  zu 
der  grofsartigsten  Hochalpenscenerie ,  welche  es  überhaupt  geben 
kann.  Allerdings  ist  der  allgonieine  Charakter  des  seltenen  I.and- 
schaftsbildes  ein  melancholischer;  verlassenste  Einsamkeit  tritt  uns 
überall  eotgegen.  Aber  dabeibist  die  Natur  doch  so  grofsarüg,  dafs 
man  lange  Zeit  immer  von  neuem  mit  Staunen  diese  Gebirgsmassen 
in  der  verschiedensten  Beleuchtung  bewundert. 

Was  nun  die  Arbeiten  betrifft,  welche  wie  allen  16  inter- 
nationalen Expeditionen  am  Nord-  und  Süd-Pol,  auch  uns  oblagen, 
so  war  bekanntlich  zunächst  die  Erforschung  der  physikalischen  • 
Verhältnisse  überhaupt,  speciell  der  meteorologischen  und  magne- 
tischen Erscheinungen  auf  den  Polar -Gebieten  nach  einem  gemein 


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samen,  ilurch  internationale  Uebereinkuuft  festgesetzten  Plane  in8 
Auge  gefafst.  Zu  diesem  Behafe  wurden  eia  Jahr  lang  alle  Stauden, 
Tag  und  Nacht,  die  samtliefaen  6  magnetischen  Instrumente  — 
Deklination,  Vertikal-,  Horizontal-Intensität  —  abgelesen,  ebenso  die 
Meteorologica:  Thermometer,  Barometer,  Psychrometer,  Bewölkung, 
Windstirke  und  Windrichtung,  Wolkenzug  und  Hydrometeore, 
beobachtet  Aufserdem  fanden  am  1.  und  15.  jeden  Monats,  den 
sogenannten  Termintagen,  versch«arfte  Beobachtungen  statt,  an  welchen 
von  Mitternacht  bis  Mitternacht  siuutliche  magnetisclien  Instru- 
mente alle  5  Minuten,  sowie  eine  Stunde  lang  alle  20  Sekunden 
abgelesen  wurden.  Kbenso  wurde  bei  magnetischen  Störungen  ver- 
fahren. Es  sei  hiebei  gleich  bemerkt,  dafs  während  der  Dauer  der 
Polar-P^xpeditionen  auch  die  samtlichen  magnetischen  und  meteoro- 
logischeu  Stationen  der  Welt  und  ebenso  die  Handels-  und  Kriegs- 
marine der  verschiedenen  Nationen  durch  sorgf&ltige  Beobachtungen 
atmosphärischer  und  magnetischer  Erscheinungen  die  Thätigkeit  der 
PoUir- Expeditionen  hauptsftchlicb  während  der  Termintage  vervoll- 
ständigten. Die  Beobachtungen  geschahen  auf  allen  Stationen  nach 
GotUnger  Zeit  Aufserdem  wurden  noch  Feuchtigkeitsbestimmungen 
vorgenommen,  Maxima  und  Minima  disr  Lufttemperatur  beobachtet, 
Bodenthermometer  in  verschiedener  Tiefe  abgelesen,  sowie  einmal 
im  Tage  die  Temperatur  und  der  Salzgehalt  des  Meerwassers  ge- 
messen Ferner  hatten  wir  aucli  vier  selbstregistriercnde  Iiistnunent»' 
aufgestellt,  wie  den  Sprungschen  Barograi)hen ,  den  Hipi>schen 
Thermographen,  den  Osnaghischen  Aneniograi>iieu  und  dtn  Kbbc- 
Flutmesser,  von  welchen  abwechselnd  jedes  einem  der  Herrn  zugeteilt 
war  uud  abgelesen  wurde.  Sehr  interessant  war,  dal's  wir  am  registrieren- 
den Ebbe-Flutmesser  die  Kurve  der  durch  den  Ausbruch  des  Vulkans 
Krakataua  an  der  Sundastrafse  erzeugten  Wasserwelle  vollkommen  deut- 
lich verfolgen  konnten,  ebenso  am  Barographen  (von  Sprung)  die  Luft- 
welle. In  gewissen  Zwischenräumen  wurden  absolute  magnetische  Mes- 
sungen und  Beobachtungen  mit  dem  Erd-Induktor  vorgenommen.  Was 
den  astronomischen  Teil  der  Beobachtungen  betrifft,  zn  welchem  Zwecke 
in  der  Sternwarte  ein  Passage-  und  ein  Universalinstrument  sowie 
in  der  eisernen  Drehkuppel  das  Hamburger  Heliometer  sowie  der 
Kefraktor  und  ein  Frauenhofer  aufgestellt  waren,  so  worden  die  ein- 
schlägigen Zeitbestimmungen  augestellt,  Monddistauzen  uud  Sonnen- 
durchmesser gemessen. 

Eine  langwierige  Arbeit  war  für  uns  auch  die  Bestimmung 
der  Teilungsfehler  des  Hamburger  Heliometers. 

Besonders  günstig  verlief  die  Beobachtung  des  Voiuisdurcli- 
ganges  am  {').  Dezember  1882,  die  trotz  beftigeii  Stui'me.s^  welcher 

0«ogr.  BiAuer.  Bremen.  1W4.  Ifv 


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die  Drehkuppel  so  in  Gefahr  brachte,  dufs  dieselbe  von  drei  und  vier 
Mann  an  Seilen  gehalten  werdeii  mufste,  doch  ein  ganz  günstiges 
Resultat  lieferte,  indem  das  Wetter  den  ganzen  Tag  über  hell  und 
die  Sonne  unbedeckt  blieb. 

Bezüglich  der  naturwissenschaftlichen  Beobachtungen  und  Samm- 
lungen hat  Herr  Dr.  Will  das  Nfthere  mitgeteilt 

Die  Temperatur  auf  der  Insel  ist  eine  mittlere;  sie  bewegt 
sich  zwischen  — 14"  und  +19,7**.  Im  Sommer,  Januar,  Februar 
und  Marz  beträgt  sie  im  Mittel  etwa  +6—8°.  Nur  bei  Schnee- 
sturm und  Südwest -Wind ,  welcher  sich  durchschnittlich  alle  drei 
Tage  einstellt,  war  der  Aufenthall  im  FYeien  unuitiglich,  und  wurden 
dann  Otter  Dücher  abgedeckt,  der  Viehstall  umgeworfen,  wie  über- 
haupt die  Stüiinc  eine  oft  nicht  mehr  mefsbare  Kraft  eutwickelteu ; 
iu  290  l  agen  hatten  wir  \K)  Stürme. 

Nun  noch  in  Kürze  etwas  über  unsere  Lebensweise  auf  der 
Insel.  Wir  waren  bekanntlich  sieben  wissenschaftliche  Arbeiter  und 
vier  Bedienungsmannschaften  (Koch,  Zimmermann,  Segel mac  her  und 
Matrose),  nicht  zu  vergessen  unseren  famosen  Polarhuud  Banquo, 
ein  Prachtexemplar  eines  schwarzen  Neufundländers.  Aufser  den 
Wachen,  welche  auf  jeden  von  nns  sieben  gleichmafsig  verteilt 
waren,  so  dafs  jeden  alle  2Vs  Tage  zwölf  Stunden  (sechs  bei  Tage, 
sechs  bei  Nacht),  an  Termintagen  sieben  bis  acht  Stunden,  trafen, 
hatte  der  einzelne  seine  bestimmte,  meist  fakultative  Thfttigkeit 
Unser  Arzt  z.  B.,  welcher  in  seinem  Berufe  so  gut  wie  nie  in  An- 
si)ruch  genomineu  wurde,  da  unser  Gesundheitszustand  dir  (l(  iil\i);ir 
günstigste  war,  konnte  si(  Ii  ganz  der  Zoologie  widmen,  der  Astronom 
seinen  Ueohachtungen,  dit'  Mathematikci-  und  Physiker  ebenfalls; 
aufserdem  wurden  Torrainaufnahmen,  (^uerproüle  und  Nivellements 
gemacht;  der  Mechaniker  war  meist  iu  seiner  Werkstatt  zu  treffen. 
(Alle  Sonnabende  war  Badetag.) 

ITnser  tagliches  Leben  war  nach  einem  gemeinschaftlichen  Plane 
geregelt.  Wir  hatten  einen  Proviantnieister,  welchem  die  Buchführung 
über  den  Proviantverbrauch,  die  Bestimmung  der  Mahlzeiten  sowie 
die  Anweisung  des  Kochs  zufiel,  dann  einen  Weinvorstand,  welcher 
alle  Getränke,  die  jeder  einzelne  dem  pro  Monat  vorgesehenen 
Quantum  zu  entnehmen  berechtigt  war,  verbuchte.  Diese 
beiden  Ämter  wurden  alle  vier  Monate  durch  Wahl  neu  besetzt. 
Aufserdem  erwähne  ich  noch  eine  mir  obliegende  Beschäftigung:  die 
BuchfOhrunj?  über  das  gesamte  Inventar,  Küchengeschirr,  Mobiliar, 
Instrumente.  Werkzeuge,  Taue,  Holz.  Petroleum,  Lampen  und 
Cyliuder  u.  A.  —  Die  Mahlzeiten  IxNtaudrn  aus  eiiK-m  -ulcii  i"rüh- 
stück  mit  KaiVee  oder  Thee,  Lachs,  Haring  oder  Scliinken,  sowie 


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Butter  iiiul  Brot.  Aufser  dem  luitf^enonuneneii  Hartbrot  hatte  der 
Koch  wöchentlich  zweimal  schwarzes  und  weilses  Brot  zu  backen. 
Um  12  Uhr  kam  das  zweite  Frühstück  mit  einer  ausgiebigen, 
schmackhaften  Speise,  dann  Kaffee.  Abends  um  7  resp.  6  Uiir 
folgte  das  Mittagessen,  welches  aus  Suppe,  zweierlei  Fleischspeisen, 
öfter  auch  noch  einer  Mehlspeise  und  darauf  folgendem  Thee  bestand. 
Unser  Koch  war  ein  Meister  in  seiner  Kunst  Gute  Weine  und 
Getränke,  z.  B.  siebenerlei  Bier,  fehlten  nicht;  wenngleich  letzteres 
auch  nur  in  homöopathischen  Dosen  genossen  werden  konnte,  so 
war  unsere  Yerptiegung,  welche  auf  16  Monate  berechnet  war, 
(loch  eine  vorzügliche  zu  nennen.  Wir  brachten  noch  Proviant  und 
Getnänke  nach  Hamburg  zurück. 

Aufserdeni  hatten  wir  eine  etwa  150  Baude  zahlende  wisscu- 
schaftlidic  Bibliotliek  und  (Dank  der  Güte  so  vieler  Freunde  aus 
Nah  uud  Fern)  eine  noch  zahlreichere  belletristische.  Die  Hanpt- 
abwechselung  brachten  immer  erstens  die  Exkursionen  zu  Wasser 
und  zu  Land,  und  zweitens  die  Geburts-  und  Feiertage.  Für  die 
Wasserfahrten  stand  uns  ein  in  Hamburg  gebautes  vortreftliches 
Walfischfangcrboot  zur  Verfügung.  Eine  der  Landexkursionen  wird 
nachfolgend  geschildert. 

Ich  möchte  hier  speciell  noch  des  Weihnachtsabends  gedenken, 
an  welchem  wur  einen  sehr  schönen  Baum  aus  Holz,  Draht,  Moos 
und  Baumwolle  fertigten,  und,  nachdem  wir  uns  alle  beschenkt 
hatten,  auf  einmal  gemeldet  wurde,  dafs  auf  den  Klippen  am  Strande 
eine  grofsc  Kiste  stehe.  Dieselbe  enthielt  nun  für  jeden  Geschenke 
und  liriefe  von  den  Au.i^'eliörigen  in  der  fernen  Heimat.  Wir  werden 
diese  feinfühlende  Aufmerksamkeit  unseres  verehrten  Professor  Neu- 
meyer, dem  Vorsitzenden  der  Polarkt)mmissioii,  ii«nvifs  nicld  vergessen. 
Er  hatte  zu  dem  Zwecke  selbst  an  alle  Angehörigen  geschrieben  nnd 
die  ihm  überuiittelten  Geschenke  unserem  Chef  heimlich  mitgegeben, 
so  dafs  die  Überraschung  eine  vollständige  war.  —  S»)  verlief  all- 
mählich die  Zeit  unseres  Aufenthalts  auf  der  Insel. 

4.  Besteigung  des  grofsen  Cfletsehers  in  der  Royal-Bai. 

Von  K.  Mosthaff. 

Wohl  die  interessanteste  unserer  zahlreichen  Exkursionen  zu 
Lande  (im  Ganzen  40)  war  die  Tour  auf  den  grofsen  Gletscher 
im  SW.  der  Bai,  welche  wir  am  7.  Februar  zu  dreien  antraten. 
Der  Weg  ül»er  die  Iluck  nach  der  Gletscherstiriie  ist  ein  ziemlich 
beschwerlich(M'  und  fühi  l  einige  Male  (huTh  Hfiche  und  Seewasser. 
Gegen  Abend  kamen  wir  an  der  Stirne  an,  bestiegen  noch  den  Glet- 

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scher  wegen  Messungen  über  dessen  Fortschreiten  und  schliefen  die 
erste  Nacht  am  Fufse  desselben. 

Es  war  etwas  kalt,  da  wir  nnr  je  eine  wollene  Decke  mit 
hatten  und  morgens  von  Schnee  bedeckt  erwachten.  Am  Morgen 
bestiegen  wir  den  Gletscher  und  gelangten  etwa  IVt  Stunden  weit 
an  der  Seite  aufwärts  bis  zu  einem  Seitenstrome,  als  der  bereits 
reclit  unangenehme  Wind  eine  solche  Stärke  annahm,  dal^  das 
Yorwürtskoiniuen  nidit  iiit  hi"  niö«jlich  war.  Wir  klommen  zu  einer 
seitlichen  Felswand  empor,  wo  wir  im  Schnee  einer  hinter  dem 
amiern  sitzend  etwa  IV»  Stunden  vci  ^ieblich  auf  ein  Nachlassen  des 
Schneesturmes  warteten,  dann  den  lifu  kweir  zum  I.agerplatz  antraten. 

Am  nächsten  Morgen  4  Dir  wurde  wieder  aufgebrochen,  das 
Wetter  war  j^nstig,  Wind  tlau.  Auf  dem  Gletscher  angekommen, 
seilten  wir  uns  an,  überschritten  den  Nebenarm,  uns  möglichst  liocU 
haltend,  ohne  Gefahr;  dann  erreichten  wir,  auf  guter  Schneedecke 
weiter  schreitend,  einen  in  der  Mitte  des  grofsen  Gletschers  liegenden 
dominierenden  Punkt,  woselbstMittagsrast  gehalten  wurde;  wir  genossen 
Fleisch,  Schinkenspeck,  Chokolade,  Gognak  mit  Schnee.  Die  Rund- 
sicht ist  dort  ftufserst  imposant.  Die  grofsen  sich  vereinigenden 
Gletscherströme,  welche  von  den  steilen  eisbedeckten  Bergen  herab- 
kommen  und  die  starren  oft  vertikalen  dunklen  Felswände  gehen  bei 
der  feierlichen,  nur  durch  Lawinengetöse  nnterbrochenen  Ruhe  ein  grofs- 
artiges  Bild.  Vor  uns  lag  das  vor  allem  ins  Auge  genommene  Gletscher- 
joch, von  wo  man  sicher  einen  r»li(  k  nacli  der  südwestlichen  Inselseite 
hätte  thun  können.  Daliin  l)ra(  lieii  wir  um  1  Uhr  wieder  auf.  In- 
zwischen hatten  wir  einen  Kampf  der  Winde  in  der  Höhe  beobachtet 
und  das  Wetter  war  entscliieden  sclilecliter  geworden.  Im  Vorwärts- 
gehen sanken  wir  in  den  nun  ziemlich  weichen  Schnee  wiederholt 
ein,  auch  in  bedeckte  Gletscherspalten.  Allmahli('h  hatte  der  Süd- 
westwind  den  Sieg  errungen  und  hellgraue  Sehneewolken  waren  im 
Anzug.  Was  dort  zu  Lande  Südwestwind  heilet,  hatten  wir  schon  zur 
Genüge  kenn«!  gelernt,  und  von  einem  Südweststurme,  welcher  manch- 
mal über  zwei  Tage  dauert,  mitten  auf  dem  Gletscher  überrascht  zu 
werden,  mufste  wohl  äufserst  gefilhrlich  sein.  —  Es  blieb  uns  also 
keine  andere  Wahl,  als  so  rasch  wie  möglich  umzukehren.  Wir 
gingen  wieder  abwftrts  den  alten  Fufsspnren  nach  und  gelangten  auf 
den  bereits  erwähnten  Gletscherarm;  er  kam  uns  aber  bald  sehr 
fremd  vor,  denn  wir  liatten  unsere  Fulssiiuren  verloren,  eine  Spalte 
war  gröfser  als  die  andere  uu<l  niclit  mehr  zu  iibei<]jringeii,  wir 
waren  zu  tief  gerathen,  drei  mal  kehrten  wir  vergebens  bis  zu  der 
Stelle  zuiück.  wo  wir  die  alten  Spuren  noch  Lreseheii  hatten,  doch 
waren  sie         verweht  worden.   Dana  versuchten  wir  die  ^roistu 


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Spalten  der  Lange  nach  auf-  und  abwärts  zu  umgehen,  wobei  wir 
Aber  sehr  hübsche  Gletscherbrucken  kamen  nnd  in  mächtige  an- 
scheinend unergründliche  blaue  Tiefen  hinabsahen,  doch  auch  dies 
half  nichts,  wir  mufsten  entschieden  so  hoch  als  möglich  hinauf- 
gehen, wo  noch  Schnee  lag,  und  dann  auf  gut  Glück  quer  über  alles 
wegschreiten.  Dies  thaten  wir  denn  auch.  Unser  Vortleriiuinn  brach 
manchmal  bis  unter  die  Arme  in  schneebedeckte  Spalten  ein,  doch 
dadurch,  dals  er  sich  ruhig  hielt,  und  die  Oeft'nung  nicht  erweiterte, 
zogen  wir  beiden  andern  ihn  am  Stricke  immer  glücklicli  wieder 
heraus.  Es  ist  natürlich,  nebenbei  bemerkt,  eines  der  unbehaglichsten 
Gefühle,  wenn  man  in  eine  solche  Schneedecke,  die  meistens  nicht 
sehr  hoch  ist,  einbricht,  und  dabei  zugleich  gewahr  wird,  daf^s  die 
Füfse  und  Beine  unten  bereits  wieder  in  einem  leeren  Räume  sich 
befinden.  Auf  einmal  aber  ward  der  Schnee  wieder  fester  und  nach 
einer  halben  Stunde  hatten  wir  den  schneefreien  Teil  des  Gletschers 
mit  kleinen  Spalten  betreten.  Von  da  an  gings  rasch  vorwärts  und 
gegen  6  Uhr  abends  kamen  wir  wieder  zu  den  Steinpyramiden,  welche 
zur  Beobachtung  des  Fortschreitens  des  Gletschers  errichtet  waren. 
Nachdem  hier  wie  auf  dem  ganzen  \N  ege  Luft-  und  Sehneetempera- 
turen beobachtet,  das  Aneroid  abgelesen  und  wir  mit  dem  Prismen- 
kreis und  Peilkompals  gearbeitet  hatten,  stiegen  wir  wieder  zum 
alten  Lagerplatz  hiiial),  hielten  kurze  Hast  und  machten  uns  um 
7  Uhr  auf  den  Rückweg,  nachdem  wir  unsere  Rucksäcke,  die  für 
sieben  Tage  Brod,  Fleisch,  Butter,  Kaffee,  Thee  enthielten  und  n)it 
den  Instrumenten  sowie  der  Decke  40  Pfund  wogen,  etwas  durch 
Deponieren  von  Proviant  erleichtert  hatten.  An  einem  Kiemen 
hatte  Jeder  BlechgefitCse  hängen  mit  Portwein  und  Cognak. 

Wir  hatten  nun  wieder  den  Bach  zu  durchwaten,  dann  den 
steilen  Pimerberg  über  der  Huck  bis  löO  m  H6he  zu  ersteigen  und 
darauf  hinab  zum  Strande  zu  klettern.  Inzwischen  war  es  vollkommen 
Nacht  geworden.  Beim  Klettern  um  die  Klippen  herum  muOste  man 
oft  bis  über  die  Kniee  im  Salzwasser  stehend  Welle  auf  Welle  ab-* 
warten,  um  einen  Sprang  auf  den  nächsten  Felsen  zn  thun.  Endlich 
erreichten  wir  die  Whaler-Bai,  passierten  den  Whaler-Bach  und 
^in;:>'n  in  einer  Höhe  von  21")  ni  über  den  dortigen  Hucks  nach  der 
Station.  Den  letzten  Teil  des  Wegs  sah  ich  beinahe  gar  nichts  mehr; 
wir  hatten  Alle  Lichterscheinungen  und  Flimmern  vor  den  Augen, 
ich  selbst  war  schneeblind  und  hatte  noch  einige  Tage  in  der  Dunkel- 
kammer zuzubringen.  Auf  der  Station  langten  wir  nachts  12  Uhr 
an  und  liefseu  es  uns  gehörig  schmecken.  Waren  wir  doch  volle 
17  Stunden  auf  den  Beinen  gewesen! 


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—  150  — 
5.  Die  Rttckreise. 

Von  E.  Mosthaff. 

Am  1.  September  1883  safsen  gerade  unser  Chef,  der  Mechanikas 
and  ich  abends  4Vs  Uhr  im  Salon  beisammen  mit  der  Uebergabe 
der  Weinvorrftte  an  mich,  den  neuerwahlteu  Weiusteward,  beschäftigt, 
als  ersterer  plötzlich  aufsprang  und  mit  dem  Rufe  j,  Donnerwetter, 
ein  Schiff,  ein  Schiff!^  hinaus  ins  Freie  stürmte.  In  grofser  innerer 
Aufregung  und  mit  Fernrohr  und  Operngucker  bewaffnet,  eilten  alle 
hinaus,  selbst  unser  Hund  bemerkte  sofort  die  flott  iu  die  Bai 
dampfende  Korvette,  und  gab  seinen  Empfindungen  durch  lautes 
Bellen  kund.  Nur  die  —  es  war  ja  Termintajj:  —  im  Haus  C  vor 
den  Instrumenten  sitzenden  beiden  Herren  mufsten  sich  noch  etwas 
jjedulden,  wurden  aber  aiicli  baldi^'st  ab^^elöst,  um  die  Einfuhrt 
unserer  Korvette  ..Marie''  mit  ansehen  zu  können.  Abends  noch 
kam  ein  Boot  an  Land  und  einer  der  Offiziere  brachte  uns  die  ersten 
Nachriclitcn  von  der  Heimut,  {xanze  Packete  von  Krieien  und 
Zeitunu^en.  Kr  machte  uns  aber  auch  f^leichzeitifi  mit  dem  Wuusclie 
des  Küumiandeurs,  Kapitän  z.  See  Krokisius,  bekannt,  dafs  derselbe 
so  bald  wie  irwiid  möglich  diese  ungastlichen  Gestade  wieder  zu 
verbissen  wünsclu'  und  uns  daher  nur  4 — 5  Tage  Zeit  gewähren 
könne.  Die  „Marie  •  liatte  nämlich  auf  der  Herreise  bedeutend  von 
Stürnipu  zu  leiden  gehabt,  und  sogar  Havarie  gelitten,  indem  ihre 
Steuerbords«'ite  beiiuihe  rasiert  war  und  sie  die  beiden  daselbst  be- 
beündlichen  Uettungs-  und  Landungsböte  verloren  hatte;  die  eiserneu 
Davits,  au  denen  sie  hingen,  hatte  der  Sturm  zerbrochen. 

Diese  letzten  Tage  unseres  Aufenthaltes  bestanden  aus  Arbeit 
Tag  und  Nacht.  Wenn  man  bedenkt,  dafs  vom  2.  September  morgens 
angefangen,  alle  Instrumente  demontiert,  eingepackt  und  die  Zink- 
kisten verlötet,  der  noch  übrige  Proviant,  Wein,  Kuni,  Bier,  djis 
Mobiliar  an  Decken,  Matratzen,  Bettzeug,  nachts  oft  bis  3 — 4  Uhr 
morgens  unsere  Privatsachen  gepackt  «wurden  und  am  Abend  des 
4.  September  alles  —  207  Kisten  —  an  Bord  der  Korvette  verstaut 
war,  dann  wird  wol  jedermann  die  Arbeitsleistung,  welche  in  dieser 
Zeit  jedem  oblag,  verstehen. 

Am  5.  September,  mittags  2  Uhr,  bei  herrlichem  Wetter  und 
Sonnenschein  wurden  die  Anker  gelichtet,  die  deutsche  Kriegsflagge 
gehifst,  und  unter  den  Klangen  der  deutschen  Nationalhymne 
dampften  wir  langsam  aus  unserer  Bai  hinaus  dem  Vaterlande  zu. 
Ein  eigentümliches  Geftthl  bewegte  wohl  die  meisten,  als  wir  die 
nun  verlassenen  Hütten  der  Station  allmflhlich  verschwinden  sahen, 
wo  wir  ein  Jahr  zugebracht,  und  trotz  der  Freude  über  das  Zurück- 


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—  löl  — 


kehren  in  die  civilisierte  Welt  konnte  auch  ein  etwas  wehmütiges 
Gefühl  des  Scheidens  von  dem  Orte  seinen  Platz  finden.  Die  herrlichen 
Gletscher  und  Firnen  blieben  noch  lange  sichtbar;  gegen  Abend  war 
auch  der  letzte  Streif  unserer  Insel  verschwunden  und  bald  wird  es 
auch  dort  in  der  Einsamkeit  heifsen:  „Ihre  Dficher  sind  zerfallen**. 

Die  Heimreise  war  vielfach  von  widrigen  Winden  begleitet; 
i;\ek\\  am  ersten  Tage  bekamen  wir  einen  ^^ehörigen  Sturm,  dann 
[ulgtc  vm  sechs  Tage  wilbreiider,  hvi  welchem  die  Korvette  öfters 
in  einem  Winkel  Vi)n  3^1:"  (nach  dem  Pentiel)  von  Ba(k])ord  nach 
Steuerbord  big.  Wir  wurden  weit  nacli  Osten  abgetrieben  und 
erreichten  so  einen  grofsen  Bogen  beschreibend  am  25.  Sejttember 
mittags  Montevideo,  wo  wir  sogleich  vom  Konsul  und  eiuigeu  Herren 
des  deutschen  Klubs  auf  das  Herzlichste  bewillkommnet  wurden. 


Die  Küste  Labradors  und  ihre  Bewohner. 

Von  Dr.  K.  R.  Koeli. 


Einleitunif.     (Vder    Anblick  der   LabrndorkUsto   bei  Hoffenthal.  Eftkimos 

M  Bord,  riiarakter  der  Tiandsch.ift :  W-iM«  !-,  Seen,  Berge,  Gestein.  Hochebene  de» 
lamren.  W»«8er»clMid«.  UrOfsere  Erhebung  dee  J^dee  naoh  Norden.  Bergland. 
Inieln  und  Klippen.    Umbliek  ▼<»  einem  Berge  bei'Rama.    Sparen  der  Yergleteebernnf. 

(■cstein.<*trUinmer  Thal  bei  Nain.  Sccnbildunf?  durch  Flüsse.  Oeologi.-<ches.  Die 
WiildiT.  !>it'  Somracrriora.  Gltrteii.  Tierleben  und  Wanderungen  der  Tiere.  Die 
Jagd  aiit  Kiiitiere,  Seehunde  u.  A.  FiKcherei  auf  Kabljau,  Lachsfurelleu  und  Salm. 
l>ie  Bewolmor  von  Labrador.  Die  Settier.  Rttekgan^  der  Rsklmobevölkerang.  Groflie 
Sterbliohkcit.  I  »as  Lrbcn  der  Kskimos  im  Sommer  und  Winter.  Die  Missionare  der 
Brüdergemeinde,  üuterrivht.  Das  Bekchrungs-  und  Civilisierungswerk.  MusikalUches 
Talent  der  KakimoK.  Abschied. 

Als  im  Jahre  1882  der  Plan,  die  beiden  Pole  der  Erde  mit 
wissenschaftlichen  Beobachtungsstationen  zu  imigeben,  sich  ver- 
wirklichte,  zeigte  sich  die  Notwendigkeit,  auch  die  Küste  Labradors 
mit  meteorologischen  Stationen  zu  besetzen,  um  die  Lücke  zwischen 
Grönland  und  Canada,  die  noch  in  dem  den  nördlichen  atlantischen 
Ocean  umgebenden  Netze  der  Beobachtungsstationeu  vorhanden 
war,  auszufüllen.  Dem  Schreiber  dieses  wurde  der  Auftrag,  an  der 
Küste  Labradors  unter  den  dort  mit  den  Eskimos  lebenden 
Missionaren  der  l^riidergenicinde  Beobcu  hter,  vorlaiitig  nur  für  die  Zeit 
der  internationalen  rolarforschung,  zu  gewinnen  und  wenn  inö^ilich 
auf  den  sechs  Missionspliltzen  ebensoviele  nieteorolouiselie  Stationen 
einzurichten,  selbst  dann  auf  irgend  einer  Station  /n  ül)erwintern 
und  meteorologische  und  verschiedene  andere  J^eobachtungen  an- 
zu>tellen.  ich  kann  hier  uicht  weiter  auf  die  Resultate  der  Be- 
obachtungen eingehen,  —  an  anderer  Stelle  wird  dies  zu  geschehen 


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—  162  — 


haben  —  will  mich  vielmehr  bemühen,  in  kurzen  Zügen  ein  Bild 
von  der  öden,  felsigen  Ettste  zu  geben,  die  jedoch  vielleicht  gerade 
dieser  Eigenschaften  wegen  mit  dem  brausenden  Meere  zusammen 
einen  grofsartigen,  ttherw&ltigenden  Eindruck  auf  den  Beschauer 
macht. 

Nach  langer  und  langweiliger  Seefahrt,  im  Segelschiff,  wie 
solche  ja  sattsam  bekannt  und  oft  genug  beschrieben  sind,  im 
Kani])f  mit  Nobel  und  Kisbergeu,  tauchten  am  10.  Auixnst  des 
Juliios  IKHl'  fiie  (M'stLMi.  uubestininiten  Umrisse  eines  Landes  vor  uns 
auf:  seit  Dniiblioruug  des  Kap  Farvel  hatten  wir  keine  astronomische 
Ortsbestimmung  mehr  machen  können  und  waren  auf  gegifste  Länge 
und  Breite  angewiesen;  erst  am  0.  August  abends  gelang  es  mir, 
unter  schwierigen  Umständen  eine  Breiten-  und  Langenbestimmung 
zu  machen,  aus  der  wir  sahen,  dafs  wir  am  nächsten  Morgen  die 
Küste  würden  in  Sicht  bekommen.  Scharen  von  Mr)ven,  verschie- 
denen Tauchern  und  Enten  zeigten  aufserdem  die  N&he  der  Küste 
an.  Schon  um  Mittag  des  folgenden  Tages  befanden  wir  uns  in 
schlichtem  Wasser  in  der  Einfahrt  nach  Hoffenthai  zwischen  den 
zahllosen  Inseln  und  Riffen,  die  bisher,  wie  die  ganze  Küste  über- 
haupt, noch  auf  keiner  Karte  verzeichnet  sind,  und  nur  die  genaue 
Ortskenntnifs  des  Kapitäns,  der  bereits  26  Mal  diese  Reise  gemacht 
hat,  vermag  sich  in  diesem  Labyrinthe  zurechtzufinden.  Der  erste 
Killdruck,  den  ich  v<m  diesen  Inseln  erhielt,  war  ein  trostlos  öder. 
Nach  fünf-  bis  sechswöchentlicher  Seefahrt  i)tlegt  nuin  sonst  wohl 
im  allgeiui'ijH'n  nicht  gerade  unspnu  li>volI  zu  sein  und  das  Auge 
ruht  mit  Entzücken  auf  jedem  gi  üuen  IMatzchen,  aber  die  Einfahrt 
nach  Hotfenthal  ist  weder  grofsartig  noch  lieblich;  niedrige,  abgerun- 
dete Felseninseln,  erinnernd  an  auf  dem  Wasser  schwiniuiende  Kohl- 
köpfe, (dine  Vegetation,  nur  hier  und  da  in  einer  Felsspalte  grau- 
grünes Moos  und  Flechten  bilden  den  Anfang;  erst  allmählich  werden 
die  Inseln  gröfser  und  höher,  alle  aber  behalten  die  vollkommen 
abgerundete,  halbkugelförmige  Form  der  Spitzen,  als  Zeichen  der 
früheren,  vollständigen  Yergletscherung  des  ganzen  Landes.  Plötzlich 
ertönen  von  einer  Insel  herüber  Flintenschüsse  und  hinter  einem 
Felsvorsprung  rudert  ein  Boot  hervor;  der  Steuermann  unseres 
Schiffes  belehrte  mich,  es  wftren  ;,Huskies^,  der  englische  (Spitz?-) 
Name  für  Eskimos.  Bald  war  das  Boot  längsseit  und  da  bot  sich 
ein  sonderbarer  Anblitk  dar:  iu  einem  einzigen  Segelboote  wohnten 
zwei  Eskimofamilien  sammt  Zelten,  Hausrat,  zehn  Hunden  und 
Kindern:  ein  Säugling  von  vielleiclit  ^  4  Jahren  hat  als  Schnuller  ein 
Stück  Seebundsspeck  im  Maulcben.  ein  durchdringender  (Jernch  nach 
Thran  und  Fischen  breitet  sich  über  das  ganze  SchiÜ  aus,  als  die 


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—  1Ö3  — 


Insassen  an  Deck  kommen  und  freudestrahlend  den  alten  Kapitän 
begrüfsen.  Menschliche  Schdne  bedrückte  sie  alle  nicht;  dicke,  platte, 
breite  Gesichter,  straffe,  zum  Teil  bewohnte  Haare,  mongolische 
Gesichtszage  mit  dicken,  vorstehenden  Backenknochen,  als  Anzug 
von  Fett  und  Schmutz  starrende  europäische  Fetzen  —  denn  Kleider 
konnte  man  das  nicht  nennen  —  dies  waren  die  zuerst  in  die 
Angen  springenden  Eigentflmlichkeiten  der  Bewohner  dieser  KOste. 
Aber  sonderbar  wirkt  dorh  die  Macht  der  Gewohidieit;  hei  meinem 
Wegfiange  nach  13  Monaten  bemerkte  ich  dies  alle>  uiclit  mehr  . 
sonderlich,  ja  ich  uiitrrHchied  sehr  wolil  hübsclie  und  wenijrer 
hübsche  (Gesichter,  namentlich  unter  dem  schöneren  (ieschleclite.  Aus 
diesem  T'nischlage  in  der  Beurteilung^  erhellt,  dal's  wir  später  noch 
diesem  Bilde,  wie  es  sich  dem  civilisierten  Kurojuler  zuerst  zeigt, 
der  Gerechtigkeit  wegen  einige  Lichttöne  wi  ivlon  einfimen  müssen, 
da  man  kein  Recht  hat,  an  ein  Naturvolk,  das  tagtäglich  den  harten 
Kampf  nms  Dasein  führen  nmfs,  den  Mafsstab  europäischer  Civi- 
lisation  und  europäischen  Komforts  und  Luxus  zu  legen. 

Wir  wenden  uns  zurück  zur  Beschreibung  der  Landsdiaft  und 
ihrem  topographischen  Charakter.  Im  allgemeinen  sind  nur  die 
äufseren  Inseln  so  abschreckend  kahl  und  öde,  im  Inneren  der 
Buchten  ziehen  sich  auf  den  Thalsohlen  schöne  Tannen-  und  Lerchen- 
waldnngen  hin,  die  tiefdnnkle  ruhige  spiegelnde  Seen  nmschliefsen ; 
erst  ^'cgen  die  Berge  hin  lichtet  sich  der  Wahl  und  num  sieht  dort 
an  den  vielen  Bainnleichen  den  Kampf  desselben  geiren  die  Stürme 
des  Winters  \md  die  oft  unzureichende  Wilrnie  manclier  Sommer. 
Das  Oestein,  welches  die  t'elsiuen  Inseln,  ja  die  ganze  Küste  bildet, 
ist  zum  grofsen  Teil  Gneifs  der  Laurent ischen  Periode,  der  nach 
der  SUtion  Nain  zu  (56"  3B'  N.,  61^  41'  W.  L.)  den  bekannten 
Labradorit  und  Paulit  enthalt;  in  Rania  (58 53'  N.,  63"  14'  W.  L.) 
kommt  ancli  eine  Art  Schiefer  \ny  mit  Eisenkryst allen  auf  den 
Spaltungsflächen  besetzt;  doch  wir  sehen  von  der  Aufzählung  der 
einzelnen  Gesteiiissorten  ab,  deren  Klassifikation  und  geographische 
Verteilung  einem  spater  die  KQste  besuchenden  Fachmanne  über> 
lassen  bleiben  müssen  und  wenden  uns  zur  Topographie  der  KQste 
und  den  Spuren,  die  frühere  Perioden  der  Erdentwickelung  auf  ihr 
zurückgelassen  oder  yerzeichnet  haben.  Reist  man  im  Frühjahr,  um 
Rentiere  zu  jagen,  von  Nain  aus  ins  Innere,  so  erreicht  man  nach 
etwa  vier  bis  fünf  Tagereisen  (a  30  engl,  miles)  im  Hundeschlitten 
durch  die  fjordartigen  liialer  hindurch  eine  hinter  dem  durch  B«Mi:e 
und  Thaler  zerklüfteten  und  koupierten  Terrain  liegende  Hociu'luMie 
und  macht  man  ein  bis  zwei  weitere  Tagereisen,  so  komuit  man  au 
die  Wasserscheide,  von  der  aus  die  Gewässer  westlich  Üiefsen  resp. 


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—  154  — 


zum  FInfsgebiet  des  sich  In  die  l'n^Mva-Bai  erjriefsenden  Koaksoak 
und  Kangerdlualuksoak  ^iolniien.  Diese  Wasserscheitle  nähert  sich, 
je  weiter  nrirdliilu  um  so  iiielir  der  Küste,  so  dafs  man  sie  l>ei  Uania 
schon  in  einem  Taue  erreichen  kann,  bis  sie  in  den  lUitton  Islands, 
Kap  Chndley  (Killinek  der  Eskimos)  als  Yor{,'ebir|j;e  endet.  Hand 
in  Hand  damit  ueht  eine  gröfserc  Erhebnng  des  Lamh'«^,  je  Nveiter 
man  nach  Norden  kommt.  Wahrend  bei  Hotienthal  die  Ber^e 
(wenigstens  soweit  ich  UndeinwArts  gekommen  bin  bczw.  habe  sehen 
und  erfahren  können)  einige  hundert  Fufs  nicht  übersteigen,  er- 
reichen bei  Nain  die  Berge  in  nnniittelbarer  Nähe  des  Meeres  schon 
eine  Höhe  von  800  bis  1200  B'ufs,  in  den  Kigkpald)  d.  h.  Sftgezähne, 
(zwischen  Okak  und  Nain)  erbeben  sich  die  Spitzen  auf  mehrere 
tausend  Fuis;  dieselbe  Höhe  erreichen  die  südlich  von  Hebron  ge- 
legenen Kaumajat  (auf  deutsch:  die  Glänzenden).  Von  hier  ab 
nimmt  die  Gegend  einen  alpinen  Charakter  an;  zwar  finden  sich, 
wenigstens  soweit  ich  selber  gekommen  bin,  keine  ausgedehnteu 
Firnfelder  und  glänzenden  Schneespitzen,  höchstens  in  den  hoch- 
gelegenen Bergkesseln  zeigen  sich  Schneelelder  und  Miniaturgletscher, 
aber  die  Berge  steigen  in  schroiren  Hängen  fast  senkrecht  aus  dem 
Meere  auf,  oft  olme  Vorland  und  Strand;  tiefe,  enge  Fjorde  (Sor- 
viluck,  Nullatarkok,  Nachvak)  Mlineidcii  ins  Land  ein,  (dme  durch 
vorliegende  Inseln  *'or  der  hier  oft  enormen  Dünung  geschützt  zu 
sein.  Während  von  Hebron  an  südlich  zahlreiche  Inseln  vor  den 
Buchten  zerstreut  liegen,  beginnen  erst  von  der  Bucht  Komaktorvik 
(Ort,  wo  man  Läuse  ifst)  au  wieder  Inseln  und  für  die  Schitl'abrt 
äufserst  gefeüirliche  Klippen,  die  Naviarutsit  und  Nuvurutsit,  die  Küste  zu 
nmsftumen,  die  sich  heraufziehen  bis  zum  Ikkerasak  Torksuk,  d.  h.  der 
grofsen  stradelreichen  Durchfahrt  der  Eskimos  zur  Ungava-Bai.  Ich 
bestieg  in  der  Nahe  von  Bama  einen  Berg  von  2600  Fufs  Hdhe  (leider 
war  die  Zeit  meines  Aufenthaltes  zu  kurz  bemessen,  um  einen  weiteren 
AusHug  zu  untern^men).  Das  Bild,  das  sich  mir  von  dort  aus  bot, 
war  wohl  das  grofsartigste,  das  ich  je  gesehen;  zu  meinen  Füfsen 
der  tiefdunkelblau  grünt;  Fjord,  umrahnii  von  steil  abfallenden 
mauerngleichen  Felsen,  oben  mit  Kräutern  bedeckt,  die  von  den 
ersten  Nachtfrösten  (es  w'ar  im  September)  rutli  gefärbt  waren, 
zur  Linken  der  tiefblaue  Ocean  mit  seinen  grünweifsen  Eisbergen, 
gegenüber  und  nach  West  zu  steile,  zackige  Eelsgrate.  enge  Thüler 
gleich  riesigen  Klüfteu,  in  deren  Tiefe  ein  dunkler  Bergsee  mit 
einem  Wasser,  schwarz  wMe  Tinte,  die  sc hrotfeu  Zacken  wiederspiegelte; 
landeinwärts  höhere  und  immer  höhere  Berge  mit  frischem  Schnee 
bedeckt,  die  sich,  soweit  das  Auge  reichte,  nach  Nord  und  Süd 
zu  einem  imposanten  Berglande  aufbauten!  Die  höchsten  Spitzen 


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—  155  — 


dieses  Berglandes  betinden  sich  jj:efienüber  der  Insel  Aulazivik 
und  mögen  wohl  an  die  8(KX)  bis  *.KXK)  Fufs  erreichen.  Doch 
da  ich  dieselben  nnr  aus  gröfserer  Entfernung  gesehen  habe,  so 
kann  ich  kein  hestininites  Urteil  über  ihre  Höhe  angeben.  Willirond 
alle  Berge,  die  niedriger  wie  IThH) — 2(A)üFiiis  sind,  deutlich  die  bi)uren 
der  ehemaligen  Vergletscherung  tragen,  sind  die  höheren  Berge 
davon  aui^geuommeu.  Jene  hüben  abgerundete,  oft  gleichsaiu  polierte 
Koppen  und  sind  bedeckt  mit  zahllosen  Trümmern  anderer  Gesteine 
von  den  verschiedensten  Gröfbeu,  nicht  in  Moränen  angeordnet, 
sondern  Aber  Berg  und  Thal  zerstreut  und  sehr  oft  in  den  aben- 
teuerlichsten Positionen ;  die  höheren  Berge  dagegen  zeigen  schroffe, 
durch  den  Frost  oftmals  in  enormer  Weise  zerklüftete  Zacken; 
diese  Zersprengung  durch  den  Fro.st  folgt  natürlich  den  gegebenen 
Spaltungsflächen  uud  so  kommt  es  je  nach  der  verschiedenen  Lage 
derselben,  dafs  man  bald  senkrechte  Spalten  findet  von  oft  sehr 
bedeuteuder  Tiefe  oder  aber  man  wandert  über  ein  Bergplatcau, 
das  in  lauter  Scherben  zersj)littert  ist,  weil  immlich  die  Spaltuugs- 
richtung  schief  zur  OberHüclie  liegt. 

Steigen  wir  jetzt  von  den  Bergen  in  eines  der  Thäler  hinai) 
und  wählen  wir  das  in  der  Nähe  von  Nain  liegende  Thal  des  bei  der 
Kauk  (die  Stirn)  mündenden  Kaubkouga  (d.  h.  Flufs  des  Kaub). 
Von  der  Mündung  ausgehend  treftcu  wir  nach  einem  geschlängelteu, 
durch  Stromschnellen  oft  unterbrochenen  Laufe  einen  Wasserfall  von 
eioigen  40  Fufs  Höbe,  der  direkt  aus  einem  See,  dem  Ekkalulik  (d.  h. 
dem  Orte,  wo  Forellen  sind),  kommt,  in  welchen  zwei  Flüsse  münden, 
der  Kaubkouga  und  der  Jordan.  Beide  kommen  in  Stromschnellen, 
jeder  aus  einem  anderen  See,  der  Jordan  aus  dem  Tessialuk  (Hosen- 
beinteich der  Missionare),  der  Kaubkouga  aus  dem  Tachardlek  (Stern- 
teich der  Missionare,  so  genannt  wegen  seiner  Form);  anf  diesen 
folijeu  noch  vier  weitere  Seen,  nur  unterbrochen  durch  aus  Katarakten 
und  StronischiR'llfn  bestehende  kurze  Fhifsstrecken,  die  sich  bis 
dicht  an  die  Kairtoksouk^,  auf  denen  der  Flufs  seinen  Ursprung 
nimmt,  heranziehen;  der  Kaubkouga  ist  nur  ein  verhaltnismafsig 
kleiner  Flufs,  aber  auch  er  zeigt  die  in  allen  Flufsläufen  Labradors 
charakteristische  Seeiibildung.  Alle  Flüsse,  soweit  ich  habe  in 
Krfahrung  bringen  können^  wenigstens  alle  diejenigen,  welche  sich 
in  den  atlantischen  Ocean  ergiefsen,  liaben  diese  Eigentümlichkeit; 
ulTenbar  hatdie  erodierende  Wirkungdes  Wassers  in  den  kurzen  Sommern 
seit  dem  Wegschmelzen  der  Gletscherdecke  noch  nicht  hingereicht,  um 
einen  kontinuierlichen  FluGslauf  zu  schaffen.  Andere  wichtige  geo- 
logische Daten,  die  über  den  früheren  Zustand  des  Landes  Auskunft 
geben,  findet  man  in  einigen  Buchten;  man  sieht  dort  nümlich  in 


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I 


—  156  — 

einijjer  Hölie  (von  10— 3<1  ni  nacli  meinen  Beobaclituiitipn)  alte 
Strandlinien,  die  zei^reii.  da  Ts  die  Küste  eine  seknlAre  Ilf'l)uug  er- 
fahren hat:  lasM'ii  wir  alle  diese  Thatsaehen  zusammen,  so  «glaube 
ich,  dafs  man  in  Rezu^'  auf  die  Urgeschichte  Labradors  zu  folgenden 
Schlüssen  kommen  mufs.  Da  ohne  Ausnahme  alle  Kuppen  von 
Bergen  und  Inseln  bis  heraus  zu  den  rnilsersten  im  Meere  gelegeneu 
jene  nur  durch  Vergletscherung  erklärbaren  Abrundungen  zeigen 
und  jene  erratischen  Blöcke  auf  ihnen  gefunden  werden,  »o  mufs 
zur  Zeit  der  Vergletschcrung  die  Küste  mehr  erhoben  gewesen  sein 
als  jetztf  darauf  scheint  ein  Sinken  unter  das  jetzige  Niveau  ein- 
getreten ZQ  sein,  bewiesen  durch  die  alten  Strandlinien,  auf  welches 
in  neuerer  Zeit  wieder  eine  langsame  Erhebung  gefolgt  ist 

Wie  schon  oben  angefahrt,  sind  die  Sohlen, der  südlichen  Thaler 
mit  Tannenwaldungen  bedeckt;  das  nördlichste  Thal,  in  dem  noch 
Tannen  wachsen,  mündet  in  die  Nappartok-Bwcht  (Napi)artok  heifst 
die  Tanne),  nördlich  davon  finden  sich.  wenigstiMis  diesseits  der  schon 
erwilhnten  Wasserscheide,  nur  zwer^ltu  uiige  Weiden-  und  Birken- 
gestränche;  Moose  und  Flechten  bilden  die  IIaui»t))e(lecknng  des 
Bodens.  Im  Süden,  in  der  NAhe  der  Küste,  sind  die  Wälder  durch 
rücksichtsloses  Abholzen  zum  Teil  zerstört  und  an  dem  verödeten 
Charakter  des  Hotfenthaler  Landes  ist  grol'senteils  jene  Vertilgung 
der  Wälder  von  Seiten  der  Eskimos  und  der  die  Küste  des  Fischens 
wegen  besuchenden  Fischer  Schuld.  Da  alles  natürlich  der  kurzen 
Sommer  wegen  nur  sehr  langsam  wächst,  so  sind  die  Stamme  der 
Tannen  sehr  starker  Torsion  unterworfen,  die  so  bedeutend  ist,  dafs 
abgestorbene  Stamme,  welche  die  Rinde  verloren  haben,  vollkommen 
wie  Propfenzieher  gedreht  erscheinen.  Hiermit  Hand  in  Hand  geht 
eine  starke  Veijüngung  der  Dicke  der  Stamme  nach  oben;  beides 
macht  natürlich  dieses  Holz  für  die  Bearbeitung,  wenn  auch  nicht 
unbrauchbar,  so  doch  unbequem.  Während  des  kurzen  Frühjahrs 
bedeckt  sicli  das  Land,  wie  es  auch  von  anderen  arktischen  (legenden 
bekannt  ist.  mit  einem  zwar  au  Arten  armen,  aber  an  Individuen- 
zahl reichen  Bluiuenlior;  die  Flora  erinnert  im  allgemeinen  an  die 
der  Alpen  resp.  an  die  Norwegens;  nutzluir  sind  von  diesen  jedoch 
aul'ser  den  Heidelbeeren  und  Preifselbeeron  nur  eine  Sorte  Löft'el- 
kraut  und  die  Multbeere  (auf  eskimoisch  Akbik),  letztere  nament- 
lich von  den  Eskimos  bei  Skorbutanfällen  gebraucht  und  deshalb 
sehr  geschätzt  und  gesammelt  In  Folge  dessen  sind  viele  Orte  nach 
derselben  benannt,  z.  B.  Akbikse,  Akbiktok  u.  A.,  d.  h.  auf  deutsch: 
Orte,  an  denen  Akbik  sind.  Aufserdem  ziehen  die  Missionare  in 
ihren  Garten  noch  Kartoffeln  und  Kohl;  aber  nicht  nur  ist  die  Be- 
stellung selbst  mit  vielen  Mühseligkeiten  verbunden  —  die  Garten 


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—  157  — 


müssen  Im  FrOlyahr  aus  dem  Schnee  ausgegraben  werden  —  sondern 

auch  wfthrenrl  des  Sommers  müssen  sie  beinahe  allnächtlich  wegen 
der  NaelittV(K>;te  mit  Matten  bedeckt  werden. 

Niclit  leicht  ist  es  Uber  den  Ticireichtiini  res]»,  die  Tierarmnt 
zu  richtigen  Vorstellungen  zu  koiunien.  Gesetzt,  jemand  käme  im 
Sommer  an  die  Küste,  um  Rentiere  zu  jagen,  so  würde  er  wohl  im 
allgemeinen  sehr  viele  Mosquiten  und  SandHiegeu  sehen  und  selber 
von  diesen  gejagt  werden,  von  Rentieren  aber  würde  er  höchstens 
Spnien  linden  und  deshalb  behaupten,  es  g&be  nur  wenig  oder  gar 
keine  Rentiere;  wäre  er  dagegen  einige  Monate  vorher,  ehe  voll- 
ständiges Tbauwetter  eintrat,  also  etwa  im  April,  an  denselben  Orten 
gewesen,  so  wflrde  er  Heerden  von  Hunderten  an  den  Bergh&ngen 
ftsend  gesehen  haben.  Ähnlich  verhalt  es  sich  mit  den  Seehunden, 
Schneehflhnem,  Enten,  G&nsen,  Möven,  Forellen,  Kabljaus  u.  A., 
Tiere,  die  für  den  Lebensunterhalt  dort  von  Aufserster  Wichtigkeit 
sind.  £s  liegt  dieses  zeitweilige  vollkommene  Fehlen  und  dieses  zu 
anderen  Zeiten  stattfindende  Auftreten  der  betreffenden  Tiersorten 
in  Massen  an  dem  bej^tiindigen  Wandern  derselhen.  Soijald  die  kalte 
Jahreszeit  vorüber  ist,  begeben  sicli  beispielsweise  die  Rentiere  ans 
Wandern  und  ziehen  nach  ihren  nördlichen  riiltzen,  um  im  Anfang 
des  Winters  wieder  nach  Süden  zurückzukehren.  Zu  dieser  Zeit 
des  Wanderns  trifft  man  dann  auf  jenem  schon  vorher  erwAhnten 
Hochplateau,  ja  auch  oftmals  in  grölserer  N&he  der  Küste  zahlreiche 
Heerden,  während  man  im  Hochsommer  oder  im  Winter  vollkommen 
vergeblich  dort  nach  ihnen  suchen  wflrde;  so  hat  man  l)eis])ielsweise 
hie  und  da,  wenn  der  Seehundsfang  mifisraten,  schon  in  einer  früheren 
Jahreszeit  wie  gewöhnlich  die  Jagdzüge  ins  Innere  unternommen, 
oft  ohne  auch  nur  Sparen  von  Rentieren  zu  entdecken,  wahrend 
vierzehn  Tage  später  an  derselben  Stelle  die  Rentiere  nach  Hunderten 
zählten.  Die  Jagd  auf  Rentiere  gehört  namentlich  im  Spatjahre 
zu  den  grdfsten  Strapazen;  denn  sie  stellt  Anforderungen  von  Aus- 
dauer und  Zähigkeit  im  nuirschieren  und  nach  günstiger  Jagd  im 
tragen  schwerer  Lasten  unter  unaufhörlichen  Tormentationen  seitens 
dei-  zahllosen  Mosciuitcu  und  Sandtliegen  an  den  Jäger,  dafs  derselbe 
meistens  \ ollkommen  erschöpft  nach  Hause  zurückkehrt;  aufserdem 
sind  die  Tier«'  zu  dieser  Jahreszeit  auch  äufserst  scheu,  so  dals  auch 
die  Geschicklichkeit,  um  sich  au  dieselben  heranziipürschen,  keine 
geringe  sein  darf.  Im  Früi^jahr  ist  die  Jagd  in  sofern  leichter,  als 
die  Tiere,  weil  in  grossen  Heerden  beisammen,  vertrauter  sind,  und 
weil  man  im  Schlitten  von  Hunden  gezogen  auf  die  Jagd  f&hrt,  bis 
man  in  die  Nahe  einer  gröfseren  Heerde  kommt;  alsdann  verlassen 
die  Jäger  den  Schlitten  und  suchen  sich  unter  dem  Winde  auf  Schnee- 


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schuhen,  wenn  der  Schnee  nicht  trä^^t,  unzupürschen ;  geh'nj^t  dies, 
so  kami  iiunt  meist  von  der  Heerde  so  viele  töten  wie  man  will, 
weil  die  i  ieie,  wenn  sie  nur  den  Scliützeii  nicht  sehen,  ratlos  hin 
und  her  laufen,  nicht  wissend,  woher  die  (iefahr  kommt  und  wohin 
sie  sich  wenden  sollen.  Die  weiteral»  weidenden  Tiere  bekümmern 
sich  meist  wenitr  oder  gar  nicht  um  die  ab'jiegcbenen  Schüsse. 
Strapaziös  wird  diese  Jagd  jedoch  sehr,  wenn  die  Jagdgesellschaft 
von  einem  der  in  dieser  Jahreszeit  sehr  häutig  eintretenden  heftigen 
Schneefälle  überrascht  wird;  wenn  nicht  durch  darauf  folgenden 
Sturm,  verbunden  mit  strenger  K&lte,  der  Schnee  wieder  festgeblasen 
und  hart  wird,  so  sinkt  man  oft,  trotz  der  Schneeschuhe,  flher 
knietief  in  den  Schnee  ein,  die  Hunde  allein  sind  dann  nicht  mehr 
im  Stande,  den  Schütten  von  der  Stelle  zu  bringen,  und  zn  einer 
Tagereise,  wie  man  sie  hei  guter  Bahn  macht,  gebraucht  man  drei 
oder  vier  Tage. 

In  ähnlicher  Weise  verhält  es  sich  mit  den  Seehunden,  auch 
diese  ziehen  im  Herbste  nach  Süden  und  halten  sich  dabei  in  un- 
mittelbarer Nahe  der  Küste  auf.  Hier  werden  sie  dann  von  den 
Eskimos  im  Kajak  gejagt,  oder  aber,  wie  es  in  neuester  Zeit  häutig 
geschieht,  in  j^rofsen  Netzen  gefanireu.  Da  die  Anzahl  der  Seehunde, 
wahrscheinlich  deswegen,  weil  '(lenseli)en  in  neuerer  Zeil  so  aufser- 
ordentlich  nachgestellt  wird,  bedeutend  abgenommen  hat,  so  sind 
viele  Kskimos  nicht  im  Staude,  einfach  mit  Hinte  und  Harpune  eine 
solche  Anzahl  von  Seehunden  im  Spiit jähre  zu  erlegen,  dafs  es  für 
sie  und  ihre  Hunde  zur  Nahrung  den  Winter  hindurch  genügt;  in 
den  grofsen,  dem  Handeishause  der  Mission  gehörigen  Netzen  werden 
dagegen  immer  eine  gröfsere  Anzahl  gefangen;  die  Eskimos,  welche 
die  Netze  unter  ihrer  Obhut  haben,  erhalten  dann  einen  bestimmten 
Anteil  am  Gewinn.  Sehr  erwünscht  ist  es,  wenn  das  Zufrieren  der 
Buchten  und  Strafsen  zwischen  den  Inseln  pldtzlich  eintritt,  weil 
dann  die  Seehunde  von  dem  Eise  eingeschlossen  werden  und  ge- 
zwungen sind,  dort  zu  überwintern,  dieselben  halten  sich  im  Eise 
Löcher  (aglut)  offen,  an  denen  sie  von  Zeit  zu  Zeit  erscheinen,  um 
Luft  zu  schöjjfen;  oder  aber  sie  suchen  die  einer  starken  Ebbe-  und 
Flutstntniung  wegen  ni<'ht  zufrierenden  Stellen  auf.  wo  sie  dann 
eine  \\vu\v  der  dort  lauernden  Kskimos  werden.  Die  im  Herbste  und 
Winter  erlegten  Seehunde  bleiben  in  der  Kegel  au  der  Stelle,  an 
welcher  sie  erlegt  sind,  sei  es  auf  dem  Kise  oder  am  Strande,  uiil>e- 
schützt  liegen,  um  erst  im  Laute  des  Winters  bei  Gelegenheit  ab* 
geholt  zu  werden.  Hei  der  strengen  Kalte  gefrieren  sie  sehr  bald  so^ 
dafs  sie  selbst  für  die  Zähne  der  Füchse  ein  Nolimetangere  bilden. 
Sobald  die  wärmere  Jahreszeit  kommt,  wandern  die  Seehunde  wieder 


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nach  Norden  /urück.  abor  da  die  Küste  dann  bis  weit  in  die  See 
hinein  mit  Eis  besetzt  ist.  s()  ziehen  sie  irnifstenteils  an  dieser 
äufseren  Eiskante  bin  und  eutgelieu  so  grofsenteils  den  Eskimos; 
allerdings  jiehen  die  Eskimos,  iiachdem  sie  von  der  Frühjahrsrentier- 
jn^d  zurückgekommen  sind,  auf  die  äufseren  Inseln,  um  an  der 
Treibeiskante  (sinnä)  zn  jagen,  aber  die  Jagd  ist  sehr  gefahrlich 
und  dabei  wenig  ertraglich;  die  Gefahr,  vom  Winde  mit  dem  Eise 
in  den  Ocean  entfährt  zn  werden,  ist  sehr  grofs,  und  oftmals  sind 
auf  diese  Weise  schon  Eskimos  zn  Grunde  gegangen  oder  nur  wie 
dorch  ein  Wunder  dem  Untergang  entronnen.  Die  Seehunde  werden 
entweder  in  den  Spalten  zwischen  den  Eisfeldern  geschossen  und 
dann  harpuniert,  oder  man  wartet,  gekauert  hinter  einigen 
Eisblöcken,  bis  sie  auf  das  Eis  kommen,  um  sich  zu  sonnen.  Die 
Eskimos  verstehen  auch,  die  sich  sonnenden  Seehunde  anzuschleichen, 
indem  sie  durch  tauschende  NachahmuniJ  der  Rewegnn^en  des  See- 
hundes sich  alliniihlicli  in  die  Nähe  des  Seeliundes  Willzen.  Man 
sieht  im  Winter  liaiitig  die  Buben  auf  dem  Eise  diese  Hebungen 
machen.  Der  Seehund  ist  für  den  Eskimo  entschieden  das  wichtigste 
Tier.  Das  Fell  ist  nnentbelu'lich  für  Winterkleider  und  wasserdichte 
Stiefel,  für  Kajaks  und  Zelte,  der  Speck  wird  an  den  HandelshAusern 
der  Mission  eingetauscht  für  Pulver,  Blei,  Brot,  Syrup  u.  A.  Das 
Fleisch  ist  unentbehrlich  als  Futter  für  die  Hunde  und  als  Speise 
fQr  die  Eskimos;  es  gilt  deshalb  auch  der  für  den  reichsten  Mann, 
welcher  der  geschickteste  Seehundiu'ager  ist 

Auiser  den  Rentieren  und  Seehunden  findet  man  noch  Schnee- 
hühner und  Waldhühner.  Hasen,  Füchse,  Hermeline,  Vielfrafse,  Wölfe. 
Ottern.  Bären  u.  A.,  Je  nach  den  verschiedenen  Jahren  zaliheiclier 
und  weniLTer  zahlreich;  diese  sind  zum  Teil  als  direkte  Nalunn.Lrs- 
niitt^l  wichtig  oder  ihre  wertvollen  Pelze  dienen  als  'rausch- 
oijjekte,  inn  vom  Missionshandelshaus  andere  für  den  Lel>ensunterhalt 
wicbtiire  Dinge  einzutaus(  lien  :  an  Wichtigkeit  stehen  sie  jedocli  den 
Rentieren  und  Seehunden  nach;  dagegen  sind  drei  Fischsorte«, 
Kabljau,  Lachsforellen  und  Salm  für  den  Eskimo  von  grofser  Wichtig- 
keit: auch  für  diese  sind  es  nur  bestimmte  Zeiten,  zu  welchen  sie 
die  Küste  besuchen  und  gefangen  werden  können.  Der  Salm  kommt 
nur  in  den  sfldlichen  Buchten  vor,  etwa  bis  zur  Kangerdlualuk  (süd- 
lich von  Zoar),  in  den  nördlichen  Buchten  tritt  er  nicht  mehr  oder 
doch  nur  selten  und  vereinzelt  auf;  dagegen  wird  er  wieder  in 
groben  Mengen  in  den  Flufsmflndungen  der  Ungava-Bai  gefangen. 
Die  Lachsforellen  dagegen,  an  der  ganzen  Küste  verbreitet,  erscheinen 
bahl  nach  Fortgang  des  Eises  au  den  Flufsmündungen,  oft  in  grofser 
Anzahl  und  werden  entweder  mit  einem  von  den  Eskimos  hierfür 


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konstruierten,  sehr  ingeniösen  Stecher  gestochen  oder  man  ftngt  sie 
in  Netzen.  Der  Ertrag  ist  oft  sehr  bedeutend,  zumal  wenn  die  Forellen, 
wie  im  letzten  Jahre,  in  hohem  Preise  stehen.  Der  Kabijan  erscheint 

meist  gerade  so  plötzlich  wie  die  Forellen,  nicht  etwa  zuerst  ver- 
einzelt, sondern  gleiih  in  ungeheurer  Menge;  j^i  tangen  wird  derselbe 
gröitenteils  mit  einer  Spinnangel,  die  man  ruckweise  hebt  und  senkt, 
oder  aber  mit  Ködertischen,  zu  denen  man  die  ebenfalls  die  Küste 
in  grolsen  Mengen  besuchenden  Capelin-  (Mallotus  arcticus,  die  Lodde 
der  norwegischen  Kablj aufischer)  verwendet.  Auf  den  nach  Tausenden 
zählenden  Newfoundlander  Fischerschunern  bedient  man  sich  aufser- 
dem  der  Netze;  aber  selbst  mit  der  blofsen  Angel  fängt  man  im 
Verlaufe  von  einer  Stunde  schon  an  die  Hundert.  Der  Fischfang 
selbst  an  der  dortigen  Küste  ist  Monopol  der  Engländer. 

Betrachten  wir  zum  Schlüsse  noch  die  Bewohner  dieses  öden 
Küstenstriches,  die  im  harten  Kampf  mit  Hunger  und  K&lte  beinahe 
unter  bestandiger  Lebensgefahr  ihren  Unterhalt  sich  erwerben  mflssen. 
Sonderbar  ist  es,  dafs  diese  verzweifelte  Lebenslage  durchaus  nicht 
etwa  haushälterische  Menschen  schafft,  sondern  im  Gegenteil,  die 
Leute  leben,  ohne  zu  sparen,  im  Ueberflufs,  wenn  das  Jagdglück 
günstig  ist,  um  nach  vielleicht  einigen  Tagen  oder  Wochen  dem 
bittersten  Mangel  wiederuni  preisgegeben  zu  sein.  Die  Küste  winl 
bewohnt  von  Eskimos  und  im  Süden  aufser  den  Eskimos  von  sogenannten 
Settiers,  d.  h.  Engländern  oder  Canadiern,  die  sich  an  der  Küste  nieder- 
gelassen haben  und  in  ihrer  Tracht,  Charakter  und  Wesen  nur  wenig 
von  den  Eskimos  abweichen.  Die  Zahl  der  l'.skimos  wird  12ÜÜ  nickt 
übersteigen;  der  Vidksstamm  ist  im  aussterben  begriffen,  wie  es 
vielen  anderen  Völkerschaften  ebenfalls  gegangen  ist .  sobald  sie  in 
Berührung  mit  Europäern  kommen.  W^ahrend  die  Ehen  der  Eskimos 
oft  kinderlos  sind  und  der  grölste  Teil  der  Kinder  frühzeitig  stirbt, 
sind  .die  Familien  der  Settier  meist  sehr  stark,  die  Kinder  gesund 
und  kr&ftig,  die  Sterblichkeit  gering;  die  Zahl  der  Settier  nimmt 
deshalb  von  Jahr  zu  Jahr  zu  und  dieselben  rücken  dabei  immer 
weiter  nach  Korden  vor.  Treten  nun  aufser  diesem  allgemein 
konstatierten  Rückgänge  der  Eskimobevölkerung  noch  Epidemien 
auf,  die  meist  durch  den  Verkehr  mit  den  Fi>cherschoiiern  einge- 
schlei)i)t  werden,  so  stirbt  ein  ganz  anfserordeutlich  grolser  Piozent- 
satz  (leisell)en.  Heisjjjelsweise  wurden  durch  auftretende  Maseru 
vor  etwa  3  Jahren  gegen  2()  Prozent  hinweLM:eratt't. 

Das  Leben  der  Ivskiuios  gestaltet  sich  fot^ciKiei  inalsen.  Wahreu»! 
des  Sommers  und  Uberhaupt  während  der  Jagdzeit,  d.  h.  vom  Mai 
bis  Dezember,  leben  die  Eskimos  zerstreut,  nur  hie  und  da  zu 
mehreren  Familien  auf  ihren  verschiedeneo  Fangplätzen  vereinigt. 


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—  161 


Nachdem  die  Männer  im  Hai  von  der  Rentieijagd  zurackgekommen, 
ziehen  sie  mit  ihrer  ganzen  Familie  anf  die  ftufseren  dem  Meere 

nahe  gelegenen  Inseln,  um  Seehunde  zu  jagen.  Wie  schon  erwähnt, 
ftilgL'ii  die  Seehunde  bei  ihrer  lUickkehr  in  die  nördlichen  Gewässer 
der  äulseren  Treibeiskante  nnd  die  Jilger  müssen  oft  weit  lieraus 
im  Humlcbclilitten  fahren,  um  in  die  Zngstralse  der  Seehunde  zu 
kommen;  sie  verweilen  mit  Fran  und  Kindern  auf  deu  ilufsereu 
Inseln  so  lange,  bis  das  Küsteneis  die  Buchten  und  Strafsen  zwischen 
den  Inseln  verlassen  hat  —  dies  geschieht  gegen  Ende  Juni  —  als- 
(Uun  eilen  sie  in  ihren  Kajaks  zurück  auf  die  Stationen,  auf  denen 
sie  die  Wintermonate  hindurch  verweilt  haben,  um  ihre  grofsen, 
meist  von  Newfoundländer  Fischern  gekauften  Segelböte  in  Ordnung 
zu  bringen;  mit  diesen  holen  sie  ihre  Familien,  die  inzwischen  auf 
dem  Frflhlingsfangplatze  geblieben  sind,  ab,  und  gehen  zum  Forellen- 
fange in  die  Buchten  an  die  Flufsyiufe.  Nach  drei  bis  vier  Wochen 
folgt  dann  die  Zeit  des  Kab^jaufanges.  Wie  schon  erwähnt,  tritt  der 
Kabljau  (engl.  Codfish)  in  so  enormen  Mengen  auf,  dafs  es  fQr  die 
Kskimos  ein  leichtes  wäre,  für  den  Winter  für  sich  und  ihre  Hunde 
genügende  Vorräte  zu  sanmieln ;  aber  die  «lern  Eskimo  angeborene 
natürliche  Sorglosigkeit  liifst  ihn,  sobald  er  im  Handelshause  mit 
den  erlM-'Uteten  Fischen  den  IJest  seiner  im  letzten  Winter  kontrahierten 
Schulden  getilgt  hat,  er  also  wiederum  Kredit  genielst,  sofort  von 
dem  weiteren  Fang  abstehen,  deu  er  sehr  wolil  noch  bis  zum  Ende 
des  Septembers  fortsetzen  konnte.  Die  Ilerbstzeit  ist  dann  wiederum 
die  Zeit  der  Rentierjagd,  worauf  vom  November  bis  zur  Weihnachts- 
zeit die  Kskimos  zum  herbstlichen  Seehundsfang  ausziehen,  indem 
sie  im  Kajak  und  vom  dünnen  Eise  aus  dieselben  zu  erlegen 
oder  in  Netzen  zu  fangen  suchen.  Diese  Jagd  ist  ftufserst  mühselig 
nnd  gefahrvoll.  Die  Temperatur  der  Luft  ist  meist  schon  tief  unter 
dem  Gefrierpunkte,  schwankt  zwischen  10—20^  Kälte  und  liegt  im 
Dezember  selten  über  — 20^  Bei  dieser  Teniiicratur  sitzt  der 
Eskimo  dann  stundenlang  festgebannt  im  Kajak,  indem  er  in  den 
Buchten  und  Strafsen  auf-  und  abfahrend  nach  Seehunden  ausspäht, 
durclinälst  vom  eisigen  Spritzwasser  der  Wellen,  dessen  Tropfen 
sofort  gefrieren;  vom  Sturme  oder  der  Nacht  überrascht,  mufs  er 
ZuHiiclit  an  irgend  einer  Stolle  der  Küste  suchen,  um  dort  die  Nacht 
zu  verbringen  oder  das  Authören  des  Sturmes  abzuwarten.  In  ähn- 
licher Weise  müssen  diejenigen  arbeiten,  welche  die  Netze  ausgestellt 
haben ;  sehr  oft  fallen  die  Seehunde  beim  Heben  des  Netzes  aus  den 
Maschen  heraus  und  müssen  mit  vieler  Mühe  vom  Grunde  aus  mit 
Haken  aufgetischt  werden.  Das  Heben  des  Netzes  selbst  aus  dem 
Wasser  ist  bei  den  tiefen  Temperaturen  ebenfalls  eine  unangenehme 

QMgr.  Blitter.  BrraWD  18SA.  ^1 


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—  162  — 


Arbeit;  das  Herausnehmen  der  Seehunde  geschieht  morgens  und 
abends  und  in  der  Zwischenzeit  sitzen  sie  entweder  am  Ufer 
yerborgen,  um  nach  dem  einen  oder  anderen  Seehund  zu  schiefsen 

oder  sie  fahren  im  Kajak  auf  der  Buclit  zu  dem  gleiclien  Zwecke ; 
denn  alle  mit  iler  Tlinte  erlebten  Seehunde  i^ehöreu  kDiitraktlicli 
dem  Schützen.    Snlcild  sich  dann  liucliten   und  Stralsen  mit  Kis 
belegt  haben,  liOrt  natürlicli  der  Seehundstaiig,  so  weit  er  mit  Netzen 
hetrie]>en  wird,  auf  und  die  Kskimos  f;ehen,  um  die  vom  läse  in  den 
liucliten  einuesHdofsenen  Seehunde  zu  jagen.    Diese  Ja.ml  ist,  da 
man  sicli  oft  über  sehr  unsichere  Stellen  auf  der  noch  dünnen  bieg- 
samen Eisdecke  zu  bewegen  hat,  sehr  häutijj:  mit  unfreiwilli^ren  kalten 
Badem  verknüpft,  denen  namentlich  der  Europäer  aus  Unkenntnis 
öfter  ausgesetzt  ist.  Um  die  Weihnachtszeit  herum  versammehi  sich 
dann  alle  Eskimos  mit  ihren  Familien  wieder  in  iliren  Winterh&usem, 
das  heifst  sie  kehren  nach  den  üfissionsstationen,  auf  denen  sie  an- 
gesiedelt  sind,  zurflck.  Jetzt  kommt  die  Zeit  des  Unterrichtes  und 
Lernens  fOr  die  Jugend,  und  die  Zeit  des 'Ausruhens  und  der  kirch- 
liehen Feste  fär  die  Erwachsenen.  Seit  mehr  denn  einem  Jahrhundert 
sind  Missionare  der  Brüdergemeinde  an  der  dortigen  Küste  thäti^' 
und  ihrem  Kiter  ist  es  zuzuschreiben,  dafs  fast  alle  Eskimos  ( l»is  auf 
einige  Eamilien,  die  ganz  im  Norden  bei  Killinek  woluieni  l)ekehrt 
sind.    Aber  nicht  allein  christianisierend  haben  sie  gewirkt,  sondern 
auch  —  civilisierend.    Ich  glaube,  es  giebt  an  der  ganzen  Küste 
keinen  l']skimo.  der  nicht  lesen,  schreiben  imd  leclmen  kann,  wenn- 
gleicli  sie  allerdings  für  letzteres  sonderbarerweise  nicht  besonders 
begabt  sind ;  dagegen  haben  sie  ein  aufserordentliches  Gedüchtnis 
und  ich  glaube,  sie  können  die  gebräuchlicheren  Kirchenlieder  wohl 
zumeist  auswendig.   Durch  näheren  persönlichen  Verkehr  mit  den 
Missionaren  suchen  sie  sich  aufserdem  über  die  verschiedenartigsten 
europäischen  Verhältnisse  zu  orientieren.  Jeden  Sonntag  Nachmittag 
ist  es  ihnen  erlaubt,  in  das  Missionshans  zu  kommen,  wo  ihnen  hier 
illustrierte  Zeitschriften,  die  als  Geschenke  dorthin  gekommen  sind, 
gezeigt  und  erklärt  werden,  dort  ist  vielleicht  eine  kleine  Elektrisier- 
maschine aufgestellt  und  ihnen  wird  die  Wirkung  auch  dieser  Natur- 
kraft, soweit  die  beschrünkten  Mittel  es  erlauben,  erklärt:  am  meisten 
von  allen  werden  sie  jedoch  von  Musik  aimfzouen:  wer  ilnien  etwas 
vorspielt,  tindet  immer  ein  dankltares  Piililikum.    Und  sie  sind  niclit 
Hörer  allein,  sondern  sie  spielen  aucli  selber.    So  wird  die  Orgel 
oder  das  llanuonium  zum  Kirchengesange  von  l'skiuKts  ui  spielt,  im 
Winter  bei  Anwesenheit  der  ganzen  (iemeinde,  immer  Im  j leitet  durch 
ein  kleines  ebenfalls  aus  Eskimos  zusammengesetztes  Orchester.  Die 
Missionare  selber,  abgeschieden  von  der  ttbrigeu  Welt  und  dem 


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—  163  — 


Leben  und  Treiben  darin,  nur  einmal  im  Jahre  durch  das  die  Küste 
besuchende  Missionsschiff  in  Verbindung  mit  Europa,  leben  mit  ihren 
Frauen  ein  friedliches,  wenn  auch  entsagungsreiches  Leben  unter 
ihren  Eskimos,  ja  sie  vflrden  sich,  wie  mir  geschienen  hat,  voll- 
kommen glücklich  fühlen,  wenn  nicht  die  viel&che  Undankbarkeit 
der  Eskimos  ihnen  manchen  Kummer  bereitete;  denn  im  allgemeinen 
sind  die  Eskimos  nichts  als  wie  grofse  und  oft  recht  ungezogene 
Kiiulor.  Trotzdem  sind  alle  Missionare,  wie  mir  schien,  gerne  dort, 
leben  mit  Freudigkeit  ihrem  Berufe  und  sehnen  sich,  wenn  in 
Knrn])a.  zurück  nacli  ihrer  kalten,  iinwirtliclien  aber  weit  ab  vom 
Getriebe  der  Welt  uele^enen  zweiten  Heimat.  Und  mir  sell)st  wurde 
ebenfalls  nach  einem  13  monatlichen  Aufenthalte,  der  manchem  civili- 
sierten  Menschen  durchaus  nicht  verlockend  erscheinen  mag,  eigen- 
tümlich ums  Herz,  als  die  unwirtliche  Küste  im  September  vorigen 
Jahres  langsatn  am  westlichen  Horizonte  meinen  Blicken  entschwand. 
Am  6.  Oktober  1883  betrat  ich  nach  einer  Abwesenheit  von  IH  Monaten 
wohlbehalten  wieder  die  Londoner  Docks,  erstaunt  und  bedrückt  zu- 
gleich durch  die  Menschenmenge  auf  den  Strafsen,  den  Komfort 
und  den  Luxus  der  ungeheuren  Stadt 


Die  Erforschung  des  Yukon  -  Gebiets  (Sommer  1883). 

Von  K.  Sehwatka, 

rri'iuiüi-Leultidui  in  der  Vi-roiiii>;teu  iSUuiU-u-Aniiue. 


2.  Vom  Fort  Selkirk  bis  zum  alten  Fort  Inkoi 

Bterzn  T*M  8:  T«n  II.  d«r  OrigUtAl-RootenkMrl*  «bwr  VlUlirexpeditlm  In  Jahre  1888  initer 
KoninuuuUiat  Prendtr-Lenmant  F.  8«hwatka:  von  Tort  8«lklrfc.  B.  C,  bis  Fort  Tnkon,  Aladca, 

von  CL  A.  HoBaon.  llabiMb:  1:1176000. 

Fahrt  bis  zum  Indianordorf  Ayan.  Die  Iixlirtncr.  Beschaffenheit  der  Yiikon-UfL'r.  I>('r 
äelwjrn-Flufa.  Die  Mündung  des  White- Kiver.  Schlammiges  Wa&üer.  Der  i>tewart- 
Siver.  Indianer.  Der  Moose>ekin-Moant«{n.  Fort  ReKance.  Das  Indienerdorf  Nnelaeo. 

Der  Cone-Hill-River.   Braune  Büren.   Der  Uoquette-Felsen.   Der  Höhlen-Felsen.  Johnnys 
VHIhko.     Luolisfang.     Honiidaiy  -  Butte.     t'ppit^cr  Boden.    Cliarlics   N'illagc.    Die  Sf 
Michac'ls-Bank.    luscln  über  Inseln.    Flache  L'fer.    Die  Katzel-Bergkette.    Ankuiilt  in 

Port  Yokon.   Die  StvOnranc  det  Yukon. 

Wir  verliefsen  das  ehemalige  Fort  Selkirk  am  15.  Juli  1883 
und  tiiliicn  an  tliesem  Tage  nur  12  miles  bis  zu  dem  iudiaiiischeu 
Doiio  Ayan.  Am  rechten  Ufer  des  Flusses  zeigte  sich  ein  senkrecht 
ah.stürzender,  ungefAhr  H)0  Fufs  holier  TraiJpfelsen.  Er  erstreckt 
sich  von  der  Vereinigung  des  Pelly  (und  diesen  Strom  aufwärts,  so 
weit  wir  ihn  —  auf  3—4  miles  —  erfoiächteu)  mit  dem  Yukon  bis 


♦}  Den  Boricht  über  den  1.  Teil  der  Reise:   von  der  Chilkoot-Bucht  bis 
Fort  Selkirk,  n«b«t  Karte,  brachten  wir  in  Heft  1  Seite  16  n.  ff.      Die  Bed. 

11* 


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gegenüber  dein  Dorfe  AyaD,  wo  die  hohen  Berge  des  Hinterlaudes 
in  den  Vordergrund  treten  und  ihn  verschwinden  lassen.  Nur  an 
zwei  oder  drei  Stellen  der  ganzen  Länge  kann  man  vom  Yukon  aus 
die  Höhe  ersteigen  und  auf  das  flache  Tafelland  dahinter  gelangen; 
an  anderen  mttfste  man  in  Spalten  senkrecht  in  die  Höhe  klettern. 
Das  indianische  Dorf  Ayan  ist  aus  Zweigen  erbaut;  es  sind  Be- 
hausungen, die  nur  vorübergehend  zur  Zeit  des  Lachszuges,  im  Juli 
und  August,  benutzt  werden;  die  übrige  Zeit  des  Jahres  leben  die 
Indianer  vom  1  Um  sc  b  des  Kiens,  Iveutiers,  des  Bilreii  und  von 
Wurzeln,  hauittsachlich  aber  von  (k'ui  ersteren.  Ibre  Zahl  betnlgt 
etwa  2(X);  ilir  Iläuiitlini:  ist  ein  bejalirter  Mann  mit  Namen  Kow-it'l : 
duri'hscbnittlieb  seben  sie  sebr  intelligent  aus.  bi-somlers  im  Vergleii  b 
zu  den  Tabk-heesh  weiter  aufwärts  am  Yukon.  Sie  vcrfertiueii  die 
scbönsten  und  kleinsten  liirkenrindenkanocs  am  Yukon;  die  anderen 
Gerätschaften  sind  von  geringem  Wert.  Zu  der  Moskitoplage,  gegen 
welche  Netze  keinen  Scliutz  gewabrteu,  kamen  nocb  kleine  Fliegen. 
Am  Tage  batten  wir  Gewitterschauer.'  Am  16.  Juli  trieb  unser 
Fiofe  47  miles  den  Strom  hinab,  der  noch  immer  von  zahlreichen 
Inseln  erfOllt  war.  Die  meisten  dieser  Inseln  waren  jlicht  mit  Nadel- 
holz bewaldet  und  sahen  in  dem  tief  eingeschnittenen  Flufsthal, 
dessen  Abhänge  völlig  kahl  waren,  recht  malerisch  aus.  Auf  den 
Bergen  am  rechten  Ufer  zeigten  sich  ein  grofser  schwarzer  Bär  und 
drei  Bergziegen,  es  gelang  uns  aber  nicht,  eines  dieser  Tiere  zu 
erlegen.  Noi  b  immer  gab  es  Gewitterschauer,  denen  sengende  Hitze 
folgte,  liegen  Mittag  i)assierun  wii-  die  Miuulung  eines  von  Süden 
her  einströmenden  betriiditlicben  IJergllusses,  den  wir  naeb  rrofes.sor 
A.  Ii.  C.  Selwyn  von  Canada,  Selws  n-Fluls  nannteu.  Am  linken 
Ufer  erblickten  wir  eine  Ueilie  von  Ayan-Onlbern. 

Am  17.  Juli  trieb  unser  Flofs  40  miles.  Der  Tag  war  nebelig, 
wie  es  häutig  der  Fall  ist  in  dieser  Jabreszeit,  wenn  die  warmen 
sttdlicben  Sonimerwiude  vom  Pacific  über  die  vergletscherten  Küsten- 
berge  Alaskas  wehen.  Gegen  1  Ubr  30  Minuten  nacbniittags  pa^^sier- 
ten  wir  die  Mttuduug  des  White -Kiver  (wie  ihn  die  iiudson-Bai- 
Kompagnie  nennt),  welcher  mit  starker  Strömung  von  SQdwesten 
hier  einmündet  und  fast  flüssigen  Schlamm  führt.  Von  hier  aus  bis 
zu  seiner  nahezu  1400  mUes  entfernten  Müudung  ist  der  Yukon 
äufserst  schlammig  und  trübe  und  klares  Wasser  sieht  man  nur  an 
den  Mündungen  der  Nebenflüsse.  Die  Fischerei  wird  nur  noch  mit 
Netzen  betrieben.  Der  indianische  Name  des  White-River  ist  Yukokon- 
Heeiiah  oder  Yukokon-Iiiver.  Die  Cbilkats  nannten  ibn  Sand-River, 
wegen  der  vielen  Sandbänke,  webbc  sieb  lilngs  seines  Laufes  linden. 
Ehemals  mochten  diejenigen,  welche  bis  hierher  iiaudel  trieben,  auf 


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—  165  — 


«It'Hi  \Vliitc-Ui\t'r  /urii(  kl<(  lireii,  da  er  einen  kürzeren  We«:  zu  dem 
rhilkat-I.ande  ,i:(>\v;dirte.  Srine  Quelle  soll  sieh  in  einem  mit  (ilet- 
scliern  Itedeekten,  ber^'i^en  Lande  betindm.  l'ni  4  Llir  nachmittags 
fuhren  wir  au  der  Mündung  des  Stewurt-Uiver  vorüber,  die  vielfach 
jrespalten  ist  und  dureli  zahlreiche  Inseln  verborgen  wird,  so  dafs  der 
Fluiis,  ^venn  nicht  seia  in  die  Augen  fallendes,  in  die  hohen  Berge 
eingeschnittenes  Thal  gewesen  wäre,  nicht  bemerkt  worden  wäre. 
Die  Sandbänke  des  Flusses  sind  reich  an  feinem  Golde  und  weiter 
aufwärts  wahrscheinlich  gute  Goldwäschen. 

Am  18.  trieb  das  Flofs  47Vs  geographische  Meilen  bis  zum 
Lagerplatz  32  der  Karte.  Der  Lauf  des  Flusses  auf  dieser  Tage- 
reise war  beinahe  gerade  nach  Norden  gerichtet,  mit  nur  wenigen 
bedeutenden  Krümmungen.  Kurz  nach  Mittag  trafen  wir  am  Ufer 
r.i^tend  eine  Anzahl  Indianer,  welche  sieh  Tahk-ong  nannten  und  wahr- 
S'.lieinlich  aut  einem  Handelsznii  begriffen  waren.  F's  hatte  jeder  sein 
eigenes  Kanne  (zusammen  waren  es  lOi;  Frauen  waren  nicht  darunter. 
Ks  waren  dies  viel  reinlicher  und  besser  aussehende  Indianer,  als 
ich  sie  irgend  früiier  getroffen  hatte.  Es  sind  nur  einige  kleine,  von 
rechts  und  links  einmündende  Fliisse  vorhanden,  aber  mit  Ausnahme 
des  Stewart-  und  White-River  konnten  keine  auf  der  ganzen  Strecke, 
von  Fort  Selkirk  bis  Fort  Yukon,  nach  den  vorhandenen  Karten 
festgestellt  werden.  Wir  lagerten  um  9  Uhr  40  Minuten  abends 
(Nr.  32)  an  der  Mftndung  eines  von  rechts  kommenden^  ziemlich 
beträchtlichen  Flusses,  welcher  früher  von  den  die  Handelsstation 
Fort  Reliance  besetzenden  Händlern  Deer-River  genannt  wurde.  Der 
Yukon-Flufs  verengt  sich  hier  bis  zn  einer  Breite  von  200  bis 
250  Yards,  eine  ungewöhnliche  Kincntxung  auf  viele  miles  oberhalb 
und  unterhalb;  und  da  seine  Strömung  nicht  wesentlich  schneller  zu 
werden  scheint,  mufs  die  Tiefe  eine  sehr  grofse  sein.  Von  hiei-  aus 
bc'iiieikt  man  einen  auffälligen  Hügel  auf  demselben  Ufer,  welcher 
von  den  Indianern  Moose-skin-Mountain  geminnt  wird,  weil  ein  Erd- 
rutsch an  seiner  südlichen  Seite  den  braunen  okerhaltigen  Boden 
blofsgelegt  hat,  welcher  durch  den  Kontrast  mit  dem  grünen  Rasen 
einer  ausgespannten  gegerbten  Elentierhaut  gleicht 

Am  19.  brachen  wir  spät  auf  (11  Uhr  10  Minuten  vormittags); 
schlechtes  Wetter  verhinderte  astronomische  Beobachtungen  und  kurz 
vor  1  Uhr  nachmittags  passierten  wur  Fort  Reliance,  eine  verlassene 
Handelsstation  der  Alaska-Handelsgesellschaft,  aus  drei  gebrechlichen 
Blockhäusern  bestehend.  Sie  war  ein  Jahr  vorher  aufgegeben  worden, 
da  die  Indianer  unruhig  wurden.  Gerade  gegenüber  liegt  das 
Indianerdorf  Noo-klahk-ö  oder  Nudaco,  welches  wahrscheinlich 
150  Seelen  zählt.   Die  Gesellschaft  wiude  mit  60  bis  75  blinden 


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Schüssen  begrüfst.  Die  Indianer  sind,  wie  alle  an  dem  Fhisse  auf 
der  Karte  verzeichneten,  mit  alten  Steinschlols  II udsoii-Hai-Mnsketen 
und  düi>pelläufigen  Schrottlinten  von  kleinem  Kalibor  bcwatl'not,  aus 
denen  aber,  wenn  erforderlich,  auch  mit  Kugoln  i^^osihossen  weidou 
kann.  Nuclaco  hat  im  allgemeinen  dasselbe  Ausselien  wio  das  Dorf 
Ayan  und  seine  Bewohner,  Talik-ongs  mit  vielen  TaiuiMa-rx'suchern, 
leben  ganz  wie  die  Bewohner  Ayans.  Um  6  Uhr  20  Minuten  nach- 
mittogs  blieben  wir  mit  dem  Flofs  auf  einer  Sandbank  sitzen  und 
mufsten  unsere  Sa(  hon  ans  Ufer  bringen,  um  abzukommen,  was  uns 
Öfter  passierte.  Wir  hatten  weniger  als  30  miles  zurückgelegt;  es 
war  ein  unangenehmer  Tag  mit  schweren  Begengüssen  und  keinerlei 
Schutz  dagegen  auf  dem  FI0&.  Die  Gegend  ist  immer  noch  sehr 
bergig. 

Am  20.  Juli  brachen  wir  um  8  Uhr  morgens  auf,  passierten 
sodann  um  11  Uhr  90  Minuten  einen  Flufs,  welcher  von  links  ein- 
mündete und  als  Cone-Hill-River  bezeichnet  wurde,  nach  einem  weit- 
hin sichtbaren  kegelförmigen  Hügel  im  Thale  nahe  der  Mündung. 
Etwas  weiter  an  derselben  Seite  sah  ich  vier  oder  fünf  schwarze 
und  braune  Bären  in  einem  Trupp  auf  der  Ilrdio  der  Thal  wand. 
18  miles  über  den  Cone-IIill-River  hinauf  betindot  >\c\\  der  Roquoltc- 
Felsen  (so  genannt  nacli  Monsieur  A.  de  la  Roiiuotte,  von  der  Geo- 
graphischen Gesellschaft  zu  Paris),  ein  au fser ordentlich  auflVillt  iidor 
und  pittoresk  überhängender  Felsen,  welcher  sich  aus  einer  tiachen 
Ebene  bis  zu  einer  Höhe  von  ungefähr  200  bis  300  iMifs  erhebt. 
Er  gleicht  genau  dem  Castle  Kock  am  Columbia,  aber  er  ist 
nicht  ganz  so  hoch.  Die  am  20.  Juli  zurückgelegte  Strecke  betrug 
45  geographische  Meilen.  Bevor  wir  unser  Lager  Nr.  34  auf- 
schlugen, kam  am  rechten  Ufer  des  Flusses  ein  hoher  Kalk-  oder 
Sandsteinfelsen  in  Sicht,  auffallend  von  kleinen  Höhlungen  durch- 
setzt, welcher  auf  der  Karte  mit  Gave  Rock  (Höhlenfelsen)  bezeichnet 
ist.  Der  Flufs  war  während  dieser  Tagfahrt  vielfach  gewunden  und 
das  Land  wurde  merklich  offener.  Kurz  nach  Mittag  trafen  wir  nach 
einer  Fahrt  von  14  miles  am  linken  Ufer  ein  kleines  indianisches 
Dorf  von  sechs  Häusern,  deren  Seitenwjlnde  aus  Holzbalken  und 
deren  Dächer  aus  Tannenrinde  gefertigt  waren.  Der  indianische 
Name  desselben  ist  ;,Klat-ol-klin,  aber  es  ist  auf  den  Karten  ge- 
wöhnlich als  Johnnys -Village  eingetragen  und  wird  sogar  von  den 
Indianern  meistens  so  genannt,  da  dies  der  amerikanische  Name  des 
Häuptlings  ist;  sie  selbst  nennen  sich  Talk-onij.  Ihr  Dorf  wird  von 
ungeffthr  80  bis  100  Menschen  bewohnt  (es  ist  dies  der  erste  immer 
bewohnte  Ort  am  Yukon,  von  seiner  Quelle  an).  Die  Bewohner 
leben  hauptsftchlich  von  Lachsen,  und  sie  sind  die  ersten  von  uns 


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angetroffenen  Indianer,  welche  diesen  Fisch  sowohl  zu  ihrem  eigenen 
Gehrauche  als  auch  zum  Futter  für  ihre  zahlreichen  Hunde  dörren. 
Die  letzteren  verwenden  sie  als  Schlitteugespjinne,  zum  Gepäcktrageu 

und  zur  Ju<id.  Sie  fan^'eu  die  Luchse  alle  mit  Handnetzen  nnd  sind 
in  ileroii  Cieliraiicli  uurserordentlicli  gL'.schickt.  Von  liier  bis  zur 
Mündung:  würde  wohl  bei  den  jetzigen  Preisen  mit  gutem  Krfolg 
eine  Lachslischerei.  mit  Anstalten  zum  Versenden  des  Fisches  in 
lUicliseu,  angelegt  wenlcn  können.  Eine  nüle  tiursiil)warts  von  dem 
Indianerdorfe  ist  auf  demselben  Flnfsufcr  eine  verlassene  Ilandels- 
station  (sie  wurde  im  Jahre  V(n-her  aufgegeben),  welche  von  den 
Indianern  Mercers,  von  den  Handelsleuten  aber  Belle-Isle  genannt 
wird.  Die  Station  besteht  aus  zwei  oder  drei  stattlichen  Block- 
häusern; in  dem  hier  mündenden  Thale  wachst  Gras  in  üppiger  Fülle. 
Ein  bemerkenswerter  Hügel,  genau,  nördlich  von  Belle-Isle,  von  den 
Indianern  Ta-tot'-lee  genannt,  wurde  von  uns  mit  dem  Namen 
Boundary  butte  belegt,  da  er  nahe  dem  Grenzmeridian  (141^  westl. 
von  Greenwich)  gelegen  ist. 

Am  22.  Juli  trieben  wir  S5  miles  nnd  kamen  an  mehreren 
toten  Kcinigslachsen  vorüber,  welche,  den  Bauch  nach  oben,  dahin- 
schwannnen.  Der  ganze  Boden  des  Landes  schien  mit  einem 
elastischen  Moos  oder  einer  sumj)figen  Torfsehicht  sechs  bis  zwölf 
Zoll  lioch  l)e(le(  kt  zu  sein  und  ist  so  zilhe,  dafs  wenn  das  Ufer  auch 
nnterwascbeu  wiid.  es  nicht  herabstürzt,  sondern  die  steile  Ufer- 
bö.srlmng  mit  einer  herabhängenden  Decke  bekleidet.  Zum  ersten 
Male  scheint  der  Boden  fett  und  schwarz  zu  sein  und  der  auch 
sonst  gute  Graswuchs  wird  jetzt  üppig.  Als  wir  am  22.  die  Grenze 
überschritten,  hatten  wir  783  miles  auf  dem  Yukon  in  Britisch 
Amerika  zurückgelegt  und  hatten  noch  1260  miles  in  AUska 
zurückzulegen.  Das  Land  öffnet  sich  noch  immer  merklich.  Wir 
fanden  am  Lagerplatz  Nr.  36  Hagebutten,  welche  grofs  und  süüs 
genug  zum  Essen  waren  und  die  auch  nicht  zu  viele  Haare  hatten. 
In  der  Nacht  vom  22.  auf  den  23.  Juli  stieg  der  Flufs  10  bis  12  Zoll, 
in  Folge  andauernder,  vor  kurzem  gefallener  Hegengüsse. 

Den  23.  fuhren  wir  37  miles  und  an  vielen  Flüssen,  welche 
von  beiden  Seiten  einmündeten,  vorüber;  gegen  5  Uhr  nachmittags 
wuKle  in  der  Nähe  des  Charlies  \  ilhige  genannten  Ortes  das  Lager 
aufgeschlagen;  der  Ort  sell)st  ist  ein  genaues  Seitenstück  zn  Johnnys 
Villaiie.  Das  Land  wird  noch  oti'ener  und  die  höchsten  Hügelketten 
treten  weit  von  den  Flulsufern  zurück.  • 

Am  24.  fidiren  wir  43  miles  bis  zur  St.  Michael-Insel  oder 
Bnnk.  welche  nach  dem  auf  ihr  gestramleten  und  jetzt  dort  10  Fufs 
hoch  auf  dem  Trockenen  sitzenden  HandelsfluCsdampfer  »St.  Michael^ 


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genannt  wird.  Das  Land  zeigte  sich  jetzt  ganz  offen,  hohe  Hügel 
in  der  Entfernung  waren  hier  und  da  mit  Schneeflecken  bedeckt 
An  demselben  Tage  trafen  wir  einen  m&chtigen  Elentierbock  im 

Fluöse  schwimmend. 

Am  25.  Juli  wurden  36  miles  zurückgelegt  bis  zum  Lager 
Nr.  3\l  Wenn  man  St.  Michaels  Bar  im  Kücken  hat,  verHacht  sich 
das  Land  sehr  schnell  und  wird  wenige  miles  weiter  ganz  eben,  so 
"weit  das  Auge  reicht.  Der  Fluls  spaltet  sich  in  unzahlige  Kanäle, 
breitet  sich  viele  miles  weit  aus  und  wird  überall  durch  kleine 
Inseln  unterbrochen,  so  d&b  es  fast  unmöglich  ist,  die  wahren  Ufer 
desselben  zu  erkennen.  Dieses  charakteristische  Aussehen  behalt  er 
bis  zum  Fort  Yukon,  fast  100  miles  weiter,  innerhalb  Teil  2,  und 
noch  weitere  200  miles  innerhalb  Teil  3;  es  sind  also  zusammen 
900  miles  ganz  ebenen  Landes  von  kaum  8  bis  10  Fufs  Höhe  ttber 
dem  Spiegel  des  Flusses;  auf  demselben  wachsen  Fichten, 
Pappeln  und  andere  Bäume,  doch  erreichen  sie  alle  nur  eine 
geringe  Höhe.  Ungefähr  von  St  Michaels  Bar  an  fehlen  auf  dem 
rechten  Ufer  die  Hügel  ganz,  während  sie  auf  dem  linken  westwärts 
zurücktreten  und  in  einer  Reihe  von  sanft  ansteigenden  isolierten 
Bergköpfen  verschwinden,  welche  andeuten,  dafs  der  Boden  früher 
nach  Norden  geneigt  war  und  dals  spätere  Ablagerungen  die  Hügel- 
ketten bedeckten.  Diese  Berge  wurden  Ratzel-Bange  oder  Ratzel- 
Peaks  genannt  zu  Ehren  des  Münchener  Professors  Fr.  Ratzel,  eines 
eifrigen  Freundes  arktischer  Forschung.  Die  Hügel,  von  denen  die 
Ratzel-Peaks  eine  Reihe  von  Ausläufern  bilden,  sind  auf  der  Karte 
nicht  angegeben.  Viele  der  Wasserläufe  in  dem  ilachen  Laude 
zerspalten  sich  wiederum  in  so  enge  Kanäle,  dafs  das  ungestörte 
Befahren  derselben  mit  dem  grofsen  Flosse  unmöglich  wurde;  ge- 
langten wir  in  solche  enge  Stellen,  so  verorsachte  dies  häufig  grofsen 
Aufenthalt  Manche  der  entfernten  Hügelketten  konnten  bei  klarem 
Wetter  durch  bankförmige  oder  Cumulus-Wolken,  welche  sich  längs 
des  Horizontes  Ober  denselben  hinzogen,  erkannt  werden.  An 
sonnigen  Tagen  herrschte  in  diesem  flachen  Lande  auf  dem  Flosse 
eine  unerträgliche  Hitze. 

Am  26.  machten  wir  33  miles,  blieben  mehrmals  auf  Sandbänken 
sitzen  und  lebten  in  steter  Besorguii>,  Fort  Yukon  zu  jmssiereu, 
ohne  es  wegen  des  Gewirres  der  vielen  Inseln  zu  bemerken. 

Den  27.  Juli  mulsten  wir  uns  mit  grolser  Mühe  nach  dem 
richtigen  Kanal  hin  durcharbeiten  und  gelaugten  dann  gegen  Mittag 
zum  Fort  Yukon. 

Damit  hatten  wir  nahezu  eine  Strecke  von  1000  miles  (richtiger 
989  miles)  in  Abteilung  iL  durch  eigene  Aufnahme  festgelegt  und 


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somit  (lio  Verbindung;  mit  Kapitiiu  Uaynionds  sehr  ^euuiion  Aiif- 
naimien  von  1869  hergestellt,  wodurch  der  Flufs  in  seiuer  ganzen 
Länge  erforscht  ist.  Von  hier  aus  wurden  nun  unsere  eigenen 
Aufnahmen  bis  zur  Aphoon-Mündang  fortgesetzt. 

Daä  alte  Fort  Yukon,  ursprflnglich  durch  die  Hudson- Bai- 
Kompagnie  erbaut,  nach  Kapitän  Raymonds  Aufnahme  jedoch  ver- 
lassen, wurde  spater  durch  die  Alaska -Gommercial- Company  besetzt, 
aber  vor  vier  oder  fünf  Jahren,  als  zn  wenig  gewinnbringend,  auch 
von  dieser  wieder  geräumt;  augenblicklich  befinden  sich  nur  sehr 
wenige  Indianer  an  diesem  Orte.  Der  Flufs  ist  hier  gegen  sieben 
niiles  breit;  nach  früher  im  alten  Fort  Yukon  sefsliaften  Händlern, 
welche  die  Flufsbreite  an  anderen  Stelleu  dieses  tiachcu  Landes  von 
Ufer  zu  Ufer,  quer  über  Kanäle  und  Eilande  hinweg,  niafsen,  hätte 
er  die  doppelte  Breite. 

Merkwürdigerweise  verliert  der  Flufs,  auch  nachdem  er  sich 
auf  eiue  so  grofse  Fläche  ausgedehnt  hat,  uur  wenig  an  Schnellig- 
keit der  Strömung,  ein  Zeichen  sowohl  für  seinen  bedeutenden  Wasser- 
reichtum als  auch  für  die  grofse  mittlere  Tiefe,  welche  er  vorher 
besessen  haben  mufs.  Die  Ghilkat-Indianer,  welche  die  Gesellschaft 
von  8t.  Michaels  Bar  an  begleiteten,  glaubten,  sie  kämen  in  die 
offene  See,  als  sie  das  weite  ebene  Land  vor  sich  sahen. 

Itinerar  zu  Tafel  2. 

IB*.  IB. s  1,61  Kill 

Von  Fort  Selkirk  bis  zur  Mümlung  dos  Sclwyn  River   33.fi 

Weiter  bis  zur  Muiulung  des  White  River   62.1 

,     ,    „        ,       ,  Stewart  Rivor   9.7 

»     »        n       9  I>e«  ßiv«  :   66.6 

a     I  mm  Fort  Relianoe   6.5 

,      g  zur  Mändimg  des  Chaudiiuhi  River   12.0 

n      ,     9        r        n  Cone  HiU  River   27  .5 

,      ,    znm  Pioqnetto  Felsen   13.0 

,      j,    zu  Johnnys  Vilhige   33.0 

„      ,    zur  Belle  Isle  Station   1,1 

,      ,     ,    Grenzlinie  141"  W   20.3 

,      „   zur  Mündung  des  Totondu  River   lü.O 

n     »     w        n       n  Tahkaiidik  River   22.4 

.     ^  zu  Charlies  YiUage   29.0 

,     ,    ,  8i  Hiehaele  bland   47.4 

,    „  Fort  Yukon   97.0 

Gesamtlänge  des  auf  dieser  Heise  durchforschten  Gebiets   490.2 

Der  später  mitzuteilende  Abschnitt  3  nmfaTst  die  Reise  von 
Fort  Yukon  nach  der  Aphoon-MOndung;  diese  Strecke  wurde  von 
Ghisunoff,  Malakoff,  Zaroskin,  Kennicott  und  Strachau  Jones  erforscht 
und  von  Kapitän  Raymond  von  der  Yereinigten-Staaten-Annee  auf- 
genommen. 


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—  170  — 


Die  franzttsische  Polarstation  bei  Kap  Horn. 

Vorläufige  Berichte. 


Penional  der  Station.  T4i8e  der  letsteren.    Hydrographie.    Klima.  Beriobt  des  Natur- 
forschers  l>r.  Ilyades   von    der  OraiiKe-nai :    («oologi^clies.    Flora.    See-   uml  I.aiul- 
Fauna.    Die  Eiiigeboreueii.    Bericht  des  Dr.  Huhu   iibt;r  die  naturwi>.'<ea8ch«ftUchcu 
Ergcbniaee  während  dvr  Kreuzen  der  .Kowanche*. 

Über  die  Arbeiten  der  französischen  Polarstation  in  der  Orange- 

Bai  bei  Kap  Horn  wurden  von  der  französischen  Akademie  der 
Wissenschaften  unter  dem  Titel:  Mission  scieutitiiiuc  du  Cuj)  Horn 
1882—88.  Rapports  preliuiiiiaires,  Paris.  Gautliier-Villors  1884,  eine 
Reilio,  vorlj\uti<;er  Mitteilungen  verötfontliclit.  wiUlie  die  erste 
zusannuenhiingcndc  Kunde  von  dieser  Station  biettMi.  Dom  alluo- 
luoinen  Bericht  des  Chefs  der  jjanzen  E\i)eilition.  Frejratten-ivapitan 
Martial,  entnehmen  wir  die  sdion  bekannten  That.sachen,  dafs  Frank- 
reich in  dem  System  der  internationalen  Beobachtuugfistationen 
1882  83  die  Besetzung  der  Station  hei  Kap  Horn  übernommen  hatte, 
dafs  einer  Kommission  der  franz()siscben  Akademie  der  Wissensdiaften 
die  Leitung  des  Ganzen,  die  Abfassung  der  Instruktion  u.  A.  über- 
tragen war  und  dals  ein  französisches  Kriegsschiff,  die  nRomancbe'^, 
den  Befehl  erhielt,  die  Expedition  auszufahren.  Das  Personal  der 
Expedition  bestand  aus  folgenden  Herren :  Chef  der  ganzen  Expedition 
F.  Martial,  Fregatten- Kapitän,  Kommandant  der  Kriegs -Dampf- 
fregatte „Romanche".  1.  Abtheilung«  Landexpedition:  Courcelle- 
Senenil,  Scliift'sleutnant,  Clief;  Payen  und  Lejdiay,  Schiflsleutnants ; 
Le  Cannelier,  Seekadett;  Hyades,  Marinearzt  1.  Klasse.  2.  Abtheilnng, 
an  Bord  der  „rvoinanche'' :  Doze,  Schift'sleutnaut,  zweiter  Oflizier; 
De  Lajarte,  Rene  de  Carfort,  Schiffsleutnants;  De  la  Mouneraye, 
Scekadett;  Hahn,  Marinearzt  2.  Klasse:  Keart,  Verwaltungsbeamter. 
Der  Landexpedition  waren  als  Naturforscher  beigegeben:  Lebrun, 
ITariot.  Sauvinet,  Präparatoren  am  Museum.  —  Die  „Romanche"  ver- 
lieüi  Cherbourg  am  17.  Juli  1882  und  traf  am  0.  September  in  der 
Orange-Bai  der  Insel  Hoste,  ein,  wo  die  Beobacbtungsstation  (zu- 
gleich für  die  Beobachtung  des  Venus- Yorttberganges  am  6.  Dezem- 
ber 1882)  errichtet  wurde.  Die  «Romanche'*  kreuzte  sodann  in  den 
Gewässern  des  ganzen  Magellan-Archipels  bis  zu  den  Falklands-,  der 
Staten-Insel  und  Diego  Ramirez,  zum  Zweck  natnrwissenschaftlicher 
und  hydrographischer  Forschungen,  wobei  an  einer  Reihe  von  Punkten 
gelandet  wurde;  am  3.  September  1883  wurde  das  Personal  der 
Station  in  der  Orange-Bai  wieder  autj^euommüu  und  nach  Frankreich 
gebracht. 


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—  171  — 


Die  BeobachtUDgsstation  in  der  Orange- Bai  wurde  am  Ende 
einer  kleinen  Bttcht  dieser  Bai,  am  daUichen  Ufer  der  zur  Insel 
Hoste  gehörenden  Halbinsel  Hardy,  3  Meilen  vom  pacifischen  Ocean 
und  35  Meilen  von  Kap  Horn,  errichtet  Neben  den  Beobachtungen  in  der 
Station  selbst,  welche  vom  26.  September  1882  bis  1.  September  1883 
wahrten,  fanden  in  der  englischen  Missionsstation  Uschuwia  (ßea.!zle- 
Kanal)  mittelst  von  den  Franzosen  herjj:eliehener  Instrumente  in  der 
Zeit  vom  Dezember  1882  bis  Aujrust  1883  drei  Mal  täglich  meteoro- 
logische Beobachtungen  statt.  Die  geographische  Lage  des  Fulscs 
des  Anemometers  der  Station  in  der  Orange-Bai  wurde  zu  55^ 
31'  24"  s.  Br.  und  70^  25'  12"  ö.  L.  Gr.  ermittelt. 

Die  „vorläufigen  Mitteilungen"  umfassen  neben  dem  erwähnten 
ailgenioinen  Bericht  elf  Specialberichte,  welche  astronomische,  erd- 
magnetische,  meteorologische,  hydrographische  und  verschiedene 
naturwissenschaftliche  Keol)achtungen  betrett'en. 

Als  Ergebnis  der  hydrographischm  Arbeiten  wird  die  in  meh- 
reren  Beziehungen  erreichte  Vervollständigung  und  Berichtigung  der 
hauptsächlich  auf  Fitzroy^s  Untersuchungen  gestatzten  englischen  See- 
karten der  Gewässer  des  Magellan-Archipels,  der  Malouinen  und  der 
Staten-Insel  bezeichnet.  Von  besonderem  Interesse  sind  natürlich 
die  Berichte  über  die  meteorologischen  Beobachtungen  und  das  Klima 
in  dem  Beol)achtungsgebiet.  Letzteres  unterscheidet  sich  in  dieser  Be- 
ziehung in  zwei  Regionen.  Die  eine  umfalst  den  nordöstlichen  Teil 
des  Feuerlandes  und  das  Ufer  des  Beagle  -  Kanals  im  Osten  der 
Murray  -  Meerenge.  Nach  den  Beobachtungen  und  Ermittelungen 
der  Missionare  in  Uschuwia  —  der  englischen  Missionsstation,  w  elclie 
beinahe  an  der  w  estlichen  Grenze  der  Kegion  liegt,  —  ist  das  Kliiua 
hier  weniger  beständig,  die  Atmosphäre  weniger  feucht  als  in  der 
anderen  Region,  welche  die  Insel  Hoste,  die  Nassau  r)ai,  den  Kap  llorn- 
Archipel,  sowie  die  westliche  Kflste  und  Inseln  des  Feuerhindes  in 
sich  begreift  und  durch  ein  im  höchsten  Grade  maritimes  und  neutrales 
Klima  ohne  scharf  geschiedene  Jahreszeiten  charakterisiert  wird. 

Sonnige  Tage  sind  äufeerst  selten;  meist  läfst  in  den  Stilten, 
welche  den  Stttrmen  vorhergehen,  oder  ihnen  folgen,  ein  wölken  grauer 
Himmel  das  Sonnenlicht  nur  gelegentlich  fahl  durchschimmern;  ob 
AVinter  oder  Sommer,  fast  immer  regnet,  schneit  oder  hagelt  es; 
in  jedem  Monat  gab  es  durchschnittlich  25  Regentage  und  an  sieben 
oder  acht  dieser  Tage  schneite  oder  graupelte  es.  Die  Temperatur  ist 
fast  beständig  die  Oktober-  und  November-Temperatur  der  Meere 
von  Schottland  und  Norwegen;  fast  das  ganze  Jahr  hindurch 
wehen  die  Westwinde,  d.  h.  Winde,  welche  sich  aus  Richtungen 
zwischen  West-Nord-West  und  Sttd-West  bewegen. 


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172  — 


Dem  Bericht  des  Naturforschers  Dr.  Ilyadcs  entaehmen  wir 
folgendes  über  die  naturwissenschaftlichen  Ergehnisse. 

Wir  müssen  uns,  sagt  Dr.  Hyades,  auf  eine  kurze  Darlegung 
der  Beobachtungen  der  Geologie,  der  Flora  und  Fauna  und  die  Be- 
wohner der  im  Süden  des  feuerlandischen  Archipels  und  im  Gebiet 
der  Station  bescbränken.  « 

Dieses  Land  bietet  wirklich,  um  den  Ausdruck  Darwins  zu  ge- 
brauchen, den  Anblick  eines  zum  teil  unter  Wasser  ^^esetzten  Berg- 
lundes.  Zwischen  den  Hüiicln.  welche  sich  bis  zu  QOO  m  Hohe 
erheben,  erstrecken  sich  schmale  Mecresarnie,  oder  vielmehr  Thiller 
von  Seen  und  Sümpfen  üborsat,  mit  einer  einf(hnii.!j:en  und  ver- 
küminerteu  Vegetation.  Das  vorhenxhende  Gc>tein  ist  Schiefer 
und  (iranit.  Überall,  wo  der  Felsen  vegetationslos,  ist  er  durch 
die  klimatischen  Einwirkuniren  j^anzlich  verAudert,  dereu  £iuflu£s  die 
Spitzen  der  Berge  abgeschleift  und  zur  Bildung  dieser  Steinnieere 
beigetragen  hat.  Die  Vegetation  hiiit  bei  40()  m  Höhe  für  die 
antarktische  Buche  auf,  welche  fast  überall  in  der  Region,  die  uns 
beschfiitigt,  in  zwerghaltem  Znstande  wftchst.  Etwas  weiter  unten, 
ungefiihr  300  m  über  dem  Meeresspiegel,  erscheint  Fagus  betuloides. 
Diese  bildet  vereinzelte  Gebüsche  und  erreicht  nur  an  der  Küste 
oder  in  sehr  geringer  Höhe  eine  vollständige  Entwickelung.  Hier 
macht  sie  mit  Drvniis  und  Berberis  einen  Strich  von  Wäldern  aus, 
deren  immer  feuchter,  au  Ptianzenerde  armer  Boden  mit  Moosen, 
Farrnkrautern  und  einer  ziemlich  grofsen  Mannigfaltigkeit  von  Pflanzen 
kleiner  Art  bedeckt  ist.  Die  Walder  befinden  sich  nur  an  Stellen, 
die  vor  Westwinden  geschützt  sind;  die  Iliigel  dienen  als  Wall  gegen 
dieses  zerstörende  Element,  welches  die  Wipfel  der  Bäume,  die  an 
den  dem  Ostwind  ausgesetzten  Abhängen  wachsen,  genau  in  gleicher 
Höhe  mit  den  bergigen  Hocliebenen  halt. 

Von  allen  Gattungen  ist  der  Drimys  am  empfindlichsten  g^en 
die  Wirkung  des  Westwindes,  welcher  die  Blfttter  und  die  Rinde 
desselben  rasch  ausdörrt.  Die  Seeflora  ist  reich  an  Algen  jeder  Art; 
die  gewöhnlichste  iät  die  Macrocystis  pyrifera.  Diese  Algen  gewahren 
zahlreichen  lebenden  Wesen  eine  Zuflucht:  Zoophyten,  Anneliden, 
Mollusken,  Crastaceen  und  Fischen.  Diese  in  acht  oder  zehn  Arten  ver- 
tretenen Fische  hjilten  sich  nicht  wahrend  des  ganzen  Jahres  in  den  Algen 
auf;  sie  erscheinen  im  Dezember  und  verschwinden  im  MArz  wieder. 
Dagegen  sind  die  kleinen  Fische,  welche  unter  deui  (H>lein  leben 
und  die  man  zur  Zeit  der  Ebbe  leicht  greifen  kann,  zu  allen  Jahres- 
zeiten vorhanden  und  bilden  drei  hier  einheimische  Gattungen.  Diese 
dienen  nicht  als  Nahrungsmittel,  während  die  wandernden  Fische  ein 
i<  ieisch  besitzen,  das  selbst  von  den  Europäern  geschätzt  wird.  Man 


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—  173  — 

findet  auch  kleinere  Arten  von  Süfewasserfischen,  aber  in  beschränkter 
Anzahl.  Die  Muscheln  sind  an  den  meisten  Gestaden  in  Fülle  vor- 
handen. Mytilus,  Oscabrionen  und  Patellen  sind  die  vorherrschenden 
Gattungen.  Alle  die  grofsen  Arten  sind  efsbar.  In  gleicher  Weise 
bilden  die  Seeigel  eine  schätzbare  Quelle  des  Unterhalts,  besonders 
während  der  Monate  Juli  und  August,  ileiii  Ende  des  Winters  ent- 
sprecliend.  Die  niederen  Krnsteiitiere  sind  sehr  fjjewüliulicli  und 
einige  Avtvn  iui  ('berflur>  vorliauden,  aber  sie  sind  niclit  efsluir. 
Dagegen  sind  die  höheren  Cnisliic  eeu  (z.  B.  einige  Arten  der  Litlinden) 
efsbar:  diese  findet  mau  hauptsächlich  iu  den  uördlicheu  Gegendeu 
der  Orange-Bai. 

Vu\  diesen  kurzgefalVten  Überblick  der  Sccfanna  zu  bescbliefsen, 
wollen  wir  nocli  die  Walfische,  die  Seehunde  und  die  Pinguine  an- 
führen. Die  Kx[»edition  bringt  zwei  Walftschskelette  mit:  das  eine 
rQhrt  von  einem  Tiere  her,  welches  man  am  New-Years  Sound  ge- 
strandet fand  und  dessen  Knochen  an  Bord  der  „Romanche"  mit 
grofser  Sorgfalt  präpariert  wurden.  Das  andere,  weniger  vollständige, 
fand  man  an  einer  flachen  Küste.  Alle  Knochen,  welche  der  Komman- 
dant Martial  hat  sammeln  lassen  können,  sind  aufbewahrt  worden 
und  glücklicherweise  enthalten  sie  die  charakteristischsten  Teile.  Die 
Otarien  oder  ()hronroi)hen  sind  im  Feuerlande  durcli  zwei  Arten  ver- 
treten; der  Telz  der  einen  wird  sehr  gesucht,  die  andere  mit  gröberem 
Haar  ist  im  Pel/liandel  ohne  Wert  und  wird  daher  von  den  Waltisch- 
iangeru  unbeachtet  gelassen.  Der  Sceeleiant  ist  fast  ganz,  aus- 
gerottet. 

Mehrere  Arten  der  Pinguine  kommen  häufig  au  die  Küsten, 
doch  haben  wir  ihre  Fortptianznngskolonien  oder  rookeries  an  der 
Orangebucht  nicht  gesehen.  Alle  diejeuigeo,  welche  wir  getötet 
haben,  schwammen  in  geringer  Entfernung  von  der  Küste;  wir  haben 
sie  selten  am  Lande  und  immer  nur  in  kleiner  Anzahl  gesehen. 

Die  Walfische  nnd  Seehunde  werden  als  Nahrungsmittel  von 
den  Eingeborenen  sehr  geschützt,  selbst  wenn  sie  gestrandet  und 
verendet  an  der  Küste  entdeckt  werden. 

Die  LamJfaima  ist  weniger  reich  als  die  Seetauna ;  indessen 
z;\hltsie  immerhin  noch  zahlreiche  Keiirasentanteii.  Unter  den  niederen 
Tieren  sind  die  KeLrenwürmer  vorlicrrsehend :  man  tiiület  sie  gewr»hn- 
lich  in  der  N;ihe  des  Ufers,  aber  auch  in  einer  Höhe  von  M) — 450  in. 
Die  Molhiskeu  siud  sehi'  selten  und  beschränken  sich  auf  drei  bis 
vier  Arten. 

Die  (jrup})e  der  Gliedertiere  ist  hauptsächlich  durch  Arach- 
noiden  und  Dipteren  vertreten,  von  denen  man  gewisse  Gattungen 
während  des  ganzen  Jahres  findet.  Die  Coleopteren  und  Lepidopteren 


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sind  ziemlich  zablroicli,  aber  wenig  verschieden  and  im  allgemeinen 
von  wenig  glänzenden  Farben. 

Reptilien  ond  froschartige  Tiere  existieren  nicht  im  Süden  des 

feueiiäiulisclien  Arcliipel. 

Die  Vöjifol,  welche  aii>s(liliefslic]i  das  Ivanil  Ix'WolmiMi,  sind  in 
ungefähr  vierzig  Arten  vorli.tiidcn ,  unter  wehliou  die  Sperlinge 
vorheri'schen ;  von  Uaubvögcln  z&hlt  man  vier  oder  fünf  Arten, 
zwei  davon  sind  Nachtraubvögel. 

Was  der  Fanna  einen  besonderen  Charakter  verleiht,  ist  das 
Übergewicht  von  Palmipeden.    Die  Gänse,  die  Enten  mit  kurzen 

Flügeln  und  die  Seeraben  sind  sehr  allgemein  und  bleiben  wahrend 
des  ganzen  Jahres  am  Struiidt*.  Die  Longipcdi  u  dageuen.  wie  z.  Ii. 
die  Seemöven,  die  Seeschwalben  und  die  Schwalben  ziehen  zu  An- 
famr  des  Winters  hinweg.  Die  Arten,  welclie  die  Eingeborenen 
haiiptsäehlicli  zum  Zweck  iiirer  Krnahrung  aufsuchen,  sind  die  See- 
raben, die  Nonnengilnse  und  die  Knten.  Die  Sflugetiere  sind  nur 
durch  eine  Gattung  Füchse,  zwei  Nagetiere  und  eine  Gattung  von 
Fischottern  vertreten,  welche  die  Küste  des  Meeres  bewohnen  und 
sich  von  Seefischen  nähren.  Wir  müssen  auch  noch  den  Haushund 
erwähnen,  welcher  ungeachtet  seines  ziemlich  mifsgestalteten  Äufseren, 
schatzbare  Naturanlagen  besitzt,  wie  Schnelligkeit  im  Laufen,  Geschick- 
lichkeit auf  der  Jagd  nach  Fischottern,  Füclisen  und  Vögeln.  Dieser 
Hund  bildet  auf  dem  Fcuerlande  ein  Glied  der  Familie,  für  welche 
er  grofse  Anhäuglichkeit  besitzt  und  welche  er  Überall  hin  begleitet, 
sei  es  in  der  Hütte  oder  im  Boot.  Die  Expedition  hat  ein  Paar 
dieser  an  der  Orange -Hai  geboreneu  Hunde  mitgebracht  und  diese 
werden  einen  interessanten  Gegenstand  des  Stndiuujs  bilden  köimen. 
Früliei-en  lieliauptuugen  entgeueu  treiben  die  Feuerlander  keine 
Zuchtwahl  mit  ihren  Huudeu.  Die  Hundswut  ist  im  Feuerlande 
unbekannt. 

In  den  Vorschriften,  welche  die  Akademie  der  Wissenschaften 
der  Expedition  gegeben  hat,  ist  der  ethnologischen  Studien  nicht 
Erwähnung  gethan.  Wir  denken,  dafs  dies^  Lücke  dem  Mangel  an 
Nachrichten  über  die  Existenz  von  Eingeborenen  an  den  Orten,  wo 
die  Expedition  sich  niederlassen  sollte,  zuzuschreiben  ist,  und  haben 
keinerlei  anthropologische  und  ethnographische  Nachforschungen  in 
Bezug  auf  die  Feuerlünder,  die  wir  an  der  Orange-Hai  beobachten 
konnten,  unterhissen.  Auf  den  F'orschungsreiseu  der  „Uomanche" 
zwischen  den  Inseln  iles  Fouerlandes  hat  Kommandant  Martial 
^einerseits  keine  Gelegenheit  versäumt,  ethnologische  Xachweise 
über  die  Kiugeborenen,  welche  er  antraf,  zu  sammeln.  Ein  englisch 


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sprechender  Feuerläuder,  der  sich  mehrere  Monat«'  nii  Bord  aufhielt, 
bat  diese  Art  der  Nachforschungen  wesentlich  erleichtert 

Die  (lesamtzalil  (lerjeui^^Lii  Klngchorenen  beiderlei  Geschledits, 
weKhe  sich  lautrere  otlor  kürzere  Zeit  während  der  Anwesenheit 
der  Kxpcditiidi  an  der  ()raii;re-l^ai  aufhielten,  kann  man  uimefnln* 
auf  120  oder  130  schätzen.  Einige  dieser  Feuerländer  hatten  sich 
scholl  an  diesem  Orte  nieilerj^elassea  als  wir  ankamen  ;  andere,  die 
aus  der  Unifjegend  im  Umkreise  von  40  bis  ÖU  km  herzukamen, 
gesellten  sicli  nach  und  nach  in  Gruppen  von  zwei  oder  drei  Familien 
zu  der  Expedition  und  verbrachten  mehrere  Tage,  zuweilen  mehrere 
Wochen  in  unserer  Nahe.  Sehr  oft  haben  wir  frühere  Besucher  nach 
I&ngerer  oder  kürzerer  Abwesenheit  wiederkehren  sehen,  die  sie 
der  Fischotter-  und  Seevögeljagd,  dem  Fischfang  oder  der  Ver- 
folgung der  Seehunde  gewidmet  hatten.  Alle  diese  Individuen  ge- 
h<»ren  zu  dem  Stamme  Teheenika  von  Fitz-Kov,  von  den  jetzigen 
en'-ili-clu'n  Missionaren  Valigane  L'enannt.  Sie  si)rechen  eine  agdu- 
tinicrcndi'  Sprache,  welclio  von  der  Mitte  des  Beaixle-Kanals  his  zu 
den  südlichen  Inseln  di'-  Kap  Horn  dieselbe  ist.  Wir  haben  ungefähr 
1000  der  gebräuchlichsten  Wörter  und  viele  einfache  Itedens- 
arten  -/e^ainmelt,  nachdem  wir  mehrmals  unter  den  günstigsten 
Umstiluden  die  Aussprache  und  den  genauen  Sinn  bestätigt  gefunden 
hatten.  Wir  sind  nicht  genötigt  gewesen,  ein  besonderes  Schrift- 
system anzunehmen,  denn  alle  Laute  der  yahganischen  Sprache 
stimmen  völlig  mit  den  Vokalen  und  Konsonanten  der  französischen 
Sprache  ttberein,  ausgenommen  einen  nicht  sehr  häufigen  etwas 
gutturalen  Laut,  der  sich  dem  deutschen  ch  sehr  nähert,  welchen 
wir  durch  die  Buchstaben  kh  bezeichnet  haben.  Wir  haben  bis 
jetzt  noch  nicht  feststellen  können,  ob  diese  Sprache  sich  mit  einem 
bekannten  Idiiun  in  Verbindmi^j:  setzen  lAfst.  Sie  hat  gar  keinen 
Dialekt  und  trotz  der  gintzlichen  Abwesenheit  iritend  welcher  Schrift- 
zeichen scheint  sie  sich  nicht  schnell  zu  verändern.  Ks  giebt  einige 
Wörter,  um  allgemeine  IJc^qiti'e  auszudrücken,  solche  wie  IV\unie. 
lilunien,  Fische  und  Muscheln.  Das  Zahh-n  erstreckt  sich  nur  bis 
drei:  über  diese  Zahl  hinaus  sagt  man:  mehrere  oder  viele.  ludcsseu 
zählen  die  Eingeborenen  auch  an  den  Fingern. 

Wir  haben  mehr  als  handelt  vollständige  anthropometrische 
Ueobacbtunuen  gemacht  und  sie  nach  den  An«;aben  (Us  anthropo- 
loLTischen  Laboratoriums  des  Museum.>  in  die  HeobaibtunüsbliUter 
ein^zeschrieben.  Die  üeobacldungen  siiul  in  verschiedeiu'  i\la.s>eu 
geteilt:  über  erwachsene  Milnncr  und  Frauen,  über  Knaben  und 
Mädchen  unter  zwüü  «fahren,  über  beide  Geschlechter  zur  Zeit  ilcr 


—  176  — 

Mannbarkeit  und  über  beide  Geschlechter  im  Alter  von  funfzig  Jahren 
und  darüber.  Mit  Ausnahme  der  letzten  hat  man  aus  jeder  Kategorie 
Personen  ausgewählt,  diese  nach  Verlauf  eines  längeren  oder  kürzeren 
Zeitraums  wieder  beobachtet  und  geprüft,  um  die  Entwickeliuig  und 
das  Fortschreiten  des  Wachstums  zu  studieran.  Dann  hat  man  auch 
noch  Notizen  über  zwei  A1ikhoolip-(Alakaloufs-)Frauen  zusammen- 
f^estollt,  die  mit  eiiiein  aii  der  Orange-Bai  lebenden  Eingeborenen 
verheiratet  waren ;  diese  beitkii  l  raueii  gehören  zu  der  feiior- 
laudiMluii  liasse,  welche  1881  in  Paris  ausfjestellt  wonU'n  ist. 
Anlserdeiii  hat  man  ein  Vci /t  iclmis  der  Familien  nacli  den  Individuen 
gemacht,  welches  zu  dem  Sciilnls  geführt  hat,  dal>  <lcr  Stamm  nicht 
so  schnell  erloschen  wird,  wie  man  e.s  nach  der  kleinen  Zahl  der 
be<d>achteten  Familien  annelunen  könnte.  Wir  haben  auch  Üeleu'on- 
hcit  ;i;ehabt,  einer  Eutbindung  beizuwohnen  und  Beobachtungen  über 
den  Neugeborenen  zu  machen. 

Bei  22  Personen  beiderlei  Geschlechts  und  verschiedenen  Altei's 
haben  wir  Hematimetrie  veranlafst,  um  die  Vermischung  des  Bluts 
in  Bezug  auf  die  Zahl  der  Blutkörperchen  zu  studieren.  Die  Zalil 
dieser  Elemente  scheint  ein  wenig  geringer  zu  sein,  als  bei  den 
Europaern.  Endlich  haben  wir  sehr  zahlreiche  Beobachtungen  über 
die  Temperatur  und  tlen  Puls  angestellt. 

Wir  haben  gnte  Photographien  von  sehr  vielen  l"euerl;in<lern 
erlialten,  und  diese  nebst  zahlreichen  Al)iAüsseu  von  allen  Koiiirr- 
teilen  \v«'r<len  in  Paris  das  Studium  des  huerlrmdischen  Tvjms  am 
Kap  Horn  ci  niuLilichcn.  Wir  müssen  erwähnen,  wie  leicht  sich  die 
Ein^^eboreucn  der  Notwendi.ukeit  des  Modellsitzeus  fügten,  sowohl  zu 
den  Photographien  wie  zu  den  Abgüssen. 

Dieses  ganze  Material  wird  uäclistens  den  Gegenstand  grilnd- 
liclicr  Studien  bilden,  ebenso  die  ethnographischen  Proben,  die  voll- 
ständigen Skelette,  und  sämtliche  in  Alkohol  konservierte  Gegenstände, 
welche  in  den  Sammlungen  der  Expedition  enthalten  sind. 

Schon  jetzt  aber  können  wir  einige  Züge  der  haupteächlichston 
menschlichen  Th&tigkeiten  bei  den  Feuerländern  angeben.  Sie  er- 
nähren sich  ausschliefslich  von  Tieren:  die  Nahrung  besteht  aus 
Walfisch-  und  Seehandsfleisch,  Seevögeln  und  am  häufigsten  aus 
Fischen,  Seeigeln  und  Schaltieren :  diese  letzteren  bilden  fast  während 
des  ganzen  .lahres  die  ihmpiii.ilu  uuusmittel.  Die  Speisen  werden 
vorzugsweise  gekocht  und  halbireröstct  gegessen.  Man  sammelt 
keinerlei  Vorräte  für  die  Zukunft,  und  der  (lebrauch  aller  be- 
rauschenden, betäubenden  und  aufregenden  Substanzen  ist  unbekannt. 
Süfsem  (leschmack  wird  der  \  orzug  gegeben;  das  Seesalz  als  W'ürze 
ist  ihnen  unbekannt  und  wird  nicht  gescliätzt.   Der  Geruchssinn  ist 


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177 


ziemlich  entwickelt,  ebenso  die  Sinne  des  Gehörs  und  Gesichts,  doch 
wurde  kein  groiser  Unterschied  p^egen  die  Europäer  bemerkt.  Die 
rote  Farbe  ist  die  beliebteste;  die  andern  Farben  werden  oft 
verwechselt.  Der  Schmuck  beschränkt  sich  auf  das  Bemalen  mit 
weifser  und  roter  Farbe,  welche  man  auf  dem  Gesicht  und  auf  den 
Ilaaren  anbringt.  Das  Tiittowieren  ist  nicht  p^ebränchlirh.  .\ls 
Geschmeide  kennt  man  nur  Miisclieln  und  Yogeleier,  welche  auf- 
j;ereiht  werden  und  Halsbänder  bilden,  ferner  schmale  Kiemen  von 
Haut,  welche  als  Spangen  für  das  Handgelenk  und  die  Fufsknöchel 
dienen.   Diesen  Zierrat  tragen  die  Frauen. 

Es  giebt  keine  Verunstaltungen  oder  ethnische  Verstümmelungen. 
Die  Kleidung,  mit  welcher  sich  nur  eine  Idee  des  Schutzes  ver- 
bindet, besteht  aus  einem  Seehunds-  oder  Fischotterfell,  welches  über 
die  Schultern  gelegt  und  um  den  Hals  befestigt  Ist.  Nur  die  Frauen 
tragen  aufserdem  noch  ein  anderes  Kleidungsstück;  dies  ist  ein  drei- 
eckiges Stück  Zeug  ans  L^mafell,  welches  mit  einer  Sehnnr  um  die 
Hütten  befestigt  ist.  Der  Tanz  existiert  nicht;  es  iiiebt  keine 
Musikinstrumente,  aber  man  kennt  einige  wehmütige  Weisen,  deren 
Worte  keinen  bestinnnten  Sinn  haben,  und  die  besonders  von  den 
Kindern  und  den  jungen  Mädchen  gesungen  werden.  Man  findet 
auch  keine  Spur  irgend  einer  graphischen  oder  plastischen  Kunst. 

Über  die  Äusserungen  <les  inneren  Lebens  sei  folgendes  bemerkt: 
der  Charakter  ist  munter,  lustig  und  beweglich,  aber  sehr  wenig 
mitteilsam;  die  Kinder  und  Frauen  weinen  leicht.  Die  Feuerländer 
haben  ein  Wort,  um  die  Freundschaft  zu  bezeichnen,  aber  dieses 
Gefühl  ist  nicht  sehr  stark  bei  ihnen.  Das  Gefühl  des  Mitleids  ist 
noch  schwächer.  Die  Kranken  werden  indessen  nicht  vernachlftssigt 
und  die  Schwachen  werden  unterstfitsst. 

Es  giebt  keine  Traditionen  der  Menschenfresserei.  Die  Eltern 
lieben  ihre  Kinder  und  beschäftigen  sich  mit  ihnen.  Die  erwachsenen 
Kinder  haben  Kespekt  vor  ihren  Kitern  und  die  Alten  werden  niemals 
mifshandelt.  Die  Frau  ist  ihrem  Manne  unterwürfig,  aber  wenn  sie 
treu  ist,  mifshandelt  er  sie  nicht.  Die  Arbeiten,  welche  den  Frauen 
besonders  zufallen,  sind:  der  Fischfang,  das  Einsammeln  der  Muscheln 
zur  Zeit  der  Ebbe,  die  Verfertigung  von  Binsenkörben  und  von 
Schnüren  aus  den  Fasern  der  Eingeweide  oder  Sehnen  des  Walfisches. 

Bei  den  Leichenbegängnissen  der  Feuerländer  giebt  es  keine 
besonderen  Geremonien.  Sie  begraben  ihre  Toten  in  einer  kleinen 
Vertiefung  unter  der  Erde  in  der  N&he  der  Küste,  und  man  sagt, 
dafs  sie  die  Gewohnheit  haben,  die  Gebeine  spftter  zu  verbrennen. 

Wir  haben  niemals  Zeichen  irgend  welcher  Gottesverehmng 
gesehen;  auch  haben  wir  uns  nicht  Tdllig  darüber  vergewissern 

Q^Ofit,  BllttM*«  Brtnmii  18M>  -«o 


können,  ob  ein  Glaube  an  ein  künftiges  Treben  lienscht.  Ks  sei 
aber  angedeutet,  dais  diese  neiiativen  Zeidien  keinen  ausdrih  kliclion 
Beweis  der  Abweseiilii'it  jeglichen  religiösen  (iefühls  liefern.  Das 
sittliche  Leben  bescbrilnkt  sich  auf  die  Familie;  die  Verwandtscliafts- 
grade  werden  durch  besondere  Wörter  bezeichnet,  in  direkter  Linie 
und  in  Seitenlinien,  aber  der  Name  jedes  einzelnen  Individunms  ist 
einfach  der  Name  des  Ortes,  wo  er  geboren  ist  Das  Schamgefahl 
ist  bei  beiden  Geschlechtern  vorhanden,  aber  bei  den  Frauen  ist  es 
mehr  entwickelt  und  fahrt  einen  besonderen  Namen. 

Die  Heirat  ist  p^ewöhnlich  auf  gegenseitige  Neigunj;  bcgrandet 
und  wird  ohne  Cerenionien  vollzogen;  es  giebt  zuweilen  Entführungs- 
heiraten; die  Vielweiberei,  welche  die  Sitte  gut  heifsl,  scheint  indessen 
zu  den  Ausnahmen  zu  gehören.  Die  .lungfiauschaft  der  jungen 
Mädclicn  wird  nicht  geachtet.  Der  Ehebruch  der  Frau  wird  mit 
Schlägen  bestraft,  die  jedoch  nicht  der  Art  sind,  dals  sie  den  Tod 
zur  Folge  haben  könnten  Falls  der  Mann  von  seiner  Frau  verlassen 
wird,  bleiben  die  Kinder  bei  dem  Manne. 

Das  Eigentumsrecht  ist  individuell:  es  giebt  kein  Oberhaupt, 
keine  Ordnung  der  Stände,  keine  Sklaven.  Die  Erwerbsthatigkeit 
besteht  aus  dem  Fischfang  und  der  Jagd  in  kleinen  Fahrzeugen  an 
den  Küsten.  Die  Werkzeuge,  deren  man  sich  hauptsächlich  zur 
Jagd  bedient,  sind  die  Harpunen,  aus  Knochen  gemacht,  mit  einem 
Einschnitt  oder  mit  mehreren  Zacken  an  einem  Holzstiel  von  4 — 5  m 
Lange  so  befestigt,  dafs  sie  beweglich  bleiben,  oder  dafs  sie  voll- 
ständig daran  festsitzen,  /um  Fangen  der  Vögel  gehraucht  man 
auch  Schlingen  von  Waltischliarten.  Zur  Fischotterjagd  haben  die 
Eingeborenen  den  Hund,  welcher  dazu  ein  unentbehrliches  liulfs- 
mittel  ist.  Der  Fischfang  wird  von  den  Frauen  ohne  Angelhaken 
betrieben,  mit  einer  Schnur,  an  welcher  ein  Köder  befestigt  ist. 

Das  Feuer  wird  durch  das  Aneinauderreibeu  zweier  Feuersteine 
hervorgebracht.  Den  Ackerbau,  die  Tüpferkuust  uud  die  Metallurgie 
kennt  man  nicht. 

Die  Waffen  sind  die  Harpune  aus  Knochen,  die  Schleuder, 
selten  der  Pfeil.  Es  giebt  keine  vergifteten  Waffen  und  auch  keine 
Verteidigungswaffen. 

Die  Fahrzeuge  sind  Böte  aus  Baumrinde  (Fagus  betuloides). 

Die  gewöhnlich  an  den  Kttsten  gelegenen  und  von  den  Männern 
gebauten  Behausungen  sind  einfache,  sehr  temporäre  Zufluchtsstätten 
aus  Zweigen  oder  Baumstämmen.  Die  FeuerUliider  kennen  keine 
bearbeiteten  Steine  aufser  etwa  für  die  Pfeilspitzen;  das  einzige 
einheimische  Werkzeug  ist  eine  grofse  Muschel  vt»n  Mvtilus,  /u- 
geschuitteu  uud  scharf  gemacht,  mit  einem  Kiemen  von  iSeehundsfell 


—  179  — 


an  einem  steinernen  Stiel  befestigt,  der  in  der  freien  Hand  gehalten 
werden  soll. 

Soweit  die  vorlänfigen  Mitteilungen  des  Dr.  Hyades  ttber  die 
Yahgane.  Dieselben  vervollständigen  in  manchen  Punkten  die  Berichte 
BoYe%  welche  wir  auszugsweise  in  Band  VI,  S.  158  u.  ff.  dieser 

Zeitschrift  mitteilten;  in  anderen  weichen  sie  von  diesen  ab.  Einen 
weiteren  l^eitratr  zur  Etliiin^rapliie  der  P'euerlilnder  lieferte  Dr.  Hyades 
in  «lor  Sitzunu'  der  authropoloiiischen  (iesellschaft  zu  Paris  am 
21.  Februar  d.  ,1.  Diese  AbhandInnLj  lieü:t  uns  durch  die  Güte  des 
llemi  J)r.  iiyades  iiednukr  vor:  es  sind  darin  eine  ganze  Reihe 
von  wertvollen  cthuolo^ischeu  Beobachtuugeu  des  Missionars  Bridges 
aufgenommen. 

In  dem  kurzen  Bericht  des  Dr.  ffnlm  über  die  von  der 
nllomanche''  angestellten  naturgeschichtlichen  Untersuchungen  heifst 
es:  WAhrend  die  Expedition  zu  Lande  die  Orange -Bai  auskund- 
schaftete und  Herr  Dr.  Hyades  die  Elemente  zu  einem  tieferen 
Studium  dieses  Teiles  des  Feuerlandes  zusammenstellte,  indem  er 
beträchtliche  Sammlungen  bildete  und  seine  Aufmerksamkeit  auf  die 
benachbarte  feuerländische  Bevölkerung  richtete,  welche  die  Station 
besuchte,  durchlief  die  llnnuinche^*  die  Kanäle  des  Arcliipels  und 
dehnte  ihre  l'ntersuchuniren  nach  der  einen  Seite  bis  zu  den  Ma- 
louinen,  nach  der  andern  bis  10  Seemeilen  südlich  von  Diego  Kamirez 
n\is.  In  der  Kiirenschnft  eines  S(  lütlsarztes  war  ich  von  der  Kom- 
mission beauftruLit  worden,  niclits  zu  versftnnien,  um  die  Natur- 
produkte der  versclüedeuen  Lander,  welche  die  „Koiuaiiche'^  berührte, 
zu  erkunden. 

Nachdem  wir  die  Orange-Bai  verlassen,  um  uaeh  Norden  zu 
fahren,  besuchten  wir  die  Insel  Packsaddle,  welche  durch  ihre  Basalt- 
Kolonnen  nnd  durch  ihre  Orotten  und  Klippenreihen,  auf  denen 
wahrend  eines  Teils  des  Jahres  die  Otarien  leben,  berühmt  ist; 
darauf  kamen  wir  in  den  Beagle-Kanal,  indem  wir  die  Murray-Meer- 
enge kreuzten.  An  beiden  Ufern  des  Kanals  ist  die  äiifsere  Er- 
scheinung der  Vegetation  eine  andere,  als  weiter  südlich :  der  Fagus 
betuloides  ist  in  den  Waldern  durch  Fagus  antarctica  ersetzt,  Drymis 
und  lierberis  ilicifolia  werden  später  seltener,  wilhrend  die  Berberis 
buccifolia  und  enipetrifolia  vorherrschen.  Diese  Veränderungen,  so 
scheint  es,  sind  dem  Schutze,  welchen  die  Darwinkette  diesen 
Regionen  bietet  und  der  geologischen  Beschati'enlieit  zuzuschreiben, 
welclie  von  einer  granitischen  zu  einer  schieferigen  übergangen  ist. 
Diese  Gegend  hat  uns  ein  ziemlich  vollständiges  Herbarium  geliefert, 
das  auch  einige  Pflanzen  enthält,  die  dem  Botaniker  Hooker  ent- 
gangen waren. 

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—  180  — 

Auch  die  Fama  Ist  hier  reicher:  sie  enthfilt  alle  Arten  des 
Archipels  und  eine  grofse  Anzahl  von  denen  der  Magellan-Strafse. 
Wir  haben  dort  einen  Silbertaucher,  ein  Wasserhuhn,  einen  Papagei, 
eine  Seeschwalbe,  eine  Nachteule  und  eini«?e  andere  kleine  Arten  von 
Vögeln  gefunden,  welche  auf  den  Inseln  des  Südens  ganzlich  fremd 
sind.  Der  Seelöwe  ist  hier  nicht  selten,  hesonders  an  der  Küste  der 
Picton-Insel,  wo  man  auch  eine  zur  Zeit  verlassene  Brutstätte  der 
Pinguine  findet.  Fischottern  dageuen  findet  man  nicht;  ihr  Fell, 
das  im  Süden  mit  dem  der  Robhen  der  Falklands  die  einzige  Klei- 
dung der  Feuerlftnder  liefert,  ist  hier  durch  das  Fell  des  (iuanako, 
welches  an  beiden  Ufern  des  Beagle  in  grofser  Anzahl  zu  treffen  ist, 
vorteilhaft  ersetzt  Den  Churi  von  Darwin,  der  in  den  grotsen 
Ebenen  von  Patagonien  so  allgemein  ist  und  das  Lama  flberallhin 
begleitet^  trifft  man  im  Feuerlande  nicht  an.  Die  Bevölkerung  ist 
hier  zahlreicher  und  dichter,  als  im  Sttden;  sie  gehört  der  Yahgan- 
Familie  an,  deren  Mittelpunkt  in  Yahga,  in  der  Murray-Meerenge  ist. 

Dieser  Zweig  der  Tekeenika  ist  bei  weitem  der  wichtigste; 
er  wird  durch  etwa  800  Menschen  vertreten  und  bevölkert,  aufser 
dem  Teile  östlich  vom  Bcagle-Kanal,  den  westlichen  Strich  bis  jenseits 
der  Teilung,  die  Insel  Navarin  und  den  Ponsonby-Suud. 

Der  Reichtum  der  Fauna  gestattet  den  Einwohnern  ein  weniger 
dürftiges  Leben;  der  Yagaluier  lebt  nicht  ganz  in  seinem  Boot. 
Als  guter  Fufsgünger  jagt  er  auch  auf  dem  Festlande  und,  währeiul 
er  sich  der  Harpune  für  den  Seehund  und  die  Fische,  der 
Schleuder  für  die  Vögel  bedient,  beginnt  er  jetzt  mit  Geschicklich- 
keit Pfeil  und  Bogen  zu  handhaben,  die  von  seinen  Brüdern  im 
Sflden  ganz  bei  Seite  gelegt  sind.  Er  bedeckt  sich  mehr,  sein 
Mantel  ist  weiter  und  er  legt  vorsorglich  Sandalen  an  seine  Fflfse, 
um  das  Guanako  im  Walde  zu  jagen.  Er  scheint  uns  aufgeweckter, 
intelligenter  und  mitteilsamer;  er  hat  von  der  Sintflut  gehört,  kennt 
Legenden  von  einem  Mann  aus  Stein  und  von  einem  Helden,  der  in 
Siouna  durch  seine  Geschicklichkeit  und  seinen  Mut  das  Land  von 
einem  ricsenliaften  Seelöwen  befreit  hat,  welcher  tiiglich  eine  Anzalil 
von  Böten  mit  ihren  Insassen  vernichtete.  Die  Yahganen  feiern  ein 
Fest,  welchem  die  Frauen  nicht  beiwohnen.  Dieses  Fest,  Kina  ge- 
nannt, ist  eine  Erinnerung  an  die  Empörung  der  Manner  gegen  die 
Frauen,  welche  vordem  die  Autorität  in  der  Familie  hatten  und  die 
Zaubergeheimnisse  besaiten.  Sie  maskieren  sich  bei  dieser  Gelegen- 
heit, schreien  und  tanzen,  so  viel  es  ihre  Kräfte  erlauben.  An  den 
Einwohnern  dieses  Teils  des  Feuerlandes  haben  wir  die  meisten 
anthropometrisohen  Beobachttmgen  gemacht  und  den  vollständigsten 
Wörterschatz  gesammelt.    Sie  haben  uns  auch  die  fänf  Indivi- 


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—  181  — 


dueii  gestellt,  welche  die  „liomauche''  mitgcbrurht  hat;  ihre  Sitten 
und  ilire  Sprache  sind  wenig  verschieden  von  denen  der  Feuerländer 
des  Südens. 

Ihre  Nachbarn  im  ftufsersten  Osten  des  Beagle-Kanals  sind  die 
Üna  (Yokana-Kuuy  von  Fitz-Roy,  Thökrrh'  der  Patagonier),  die  Be- 
wohner der  grofsea  Insel  des  Feuerlandes,  bei  welchen  sie  sich  Bogen 
und  Pfeil  mit  Glasspitzen,  die  sie  nicht  zu  schneiden  verstehen,  ver- 
schaffen. Die  beiden  St&mme  halten  eine  jährliche  Zusammenkunft 
und  leben  in  gutem  Einvernehmen.  Die  Ona  von  der  Slogettbucht 
verheiraten  sich  zuweilen  mit  yaganischen  Frauen.  Trotz  unseres  1eb> 
haften  Wnnsches,  sie  genaner  kennen  zu  lernen,  haben  wir  sie  nicht  in  der 
Xähe  sehen  kiinnen.  Siesiinl  viel  scheuer  als  die  Yagahner,  unter  denen 
die  englischen  Missionare  leben,  uud  Hohen  immer  vor  uns.  Unseren 
Nachrichten  zufolge  müssen  wir  annehmen,  dafs  ihr  Wuchs  sehr 
hoch  ist,  vielleicht  höher  als  der  der  Patagonier.  und  nach  einigen 
Worten,  die  wir  aufgefangen  haben,  mufs  ihre  Sprache  viel  Ver- 
wan<ltschaft  mit  der  der  letzteren  haben.  Ihre  Hütten,  die  wir  an 
der  Good-Success-Bncht  und  an  der  Slogett-Bucht  besuchten,  gleichen 
denen  der  Yagahner.  Der  Haufen  eüsbarer  Muscheln  und  Patellen  vor 
den  Wohnungen  beweist,  dafs  ihre  Lebensweise  am  Meeresufer  die- 
selbe wie  die  der  letzteren  ist  Ein  Korb,  den  wir  in  einer  der  Hfltten 
fanden,  war  von  derselben  Form  und  demselben  Material  wie  die- 
jenigen  der  Yagahner.  Sie  haben  keine  B9te.  Ihre  Hunde  sind  starker, 
als  die  am  Archipel;  sie  jagen  ausgezeichnet  und  arbeiten  oft  aus 
eigenem  Antriebe.  Die  „Romanche"  hat  einen  solchen  Hund  mit- 
gebracht. 

Im  westlichen  Teil  des  Beagle-Kanals  bei  den  Ausläufern  des 
Darwinberges  gewinnt  die  Vegetation  wieder  das  Ansehen  des  Südens 
bis  dahin,  wo  mau  nach  Kreuzung  der  Deäoiate-Bai  au  der  westlichen 
Küste  anlangt  Von  da  an  sieht  man  nur  noch  nackte  Felseninseln. 

In  diesen  exponierten  Gegenden  sind  die  Bewohner  selten; 
indessen  kommen  Alikoolips  und  Tekeenikas  dorthin,  um  die  Fisch- 
otter in  der  guten  Jahreszeit  zu  jagen.  Hier  haben  wir  zum  ersten 
Mal  den  kleinen  Pinguin  (Microdyptes  Serresiana)  gefunden,  eine 
sehr  seltene  Gattung,  weldie  Herr  Oustalet  karzlich  beschrieb  und 
von  der  nur  ein  einziges  Exemplar  im  Museum  vorhanden  war. 

An  derselben  Küste,  mehr  im  Süden,  befindet  sich  der  New- 
Year-Sound,  der  Mittelpunkt  der  Wohupliitze  der  Atdouallims,  eines 
anderen  Zweigs  der  Tekeenikas,  welcher  aus  ungefähr  200  Menschen 
besteht. 

Im  New-Year-Sound  ist  der  westliche  Teil  granitisch,  der  östliche 
schieferig.  Die  Vegetation  ist  dieselbe  wie  an  der  Orange-Bai.  Der 


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—  182  — 

Walfisch  ist  im  Moual  April  sehr  lu'cwöhnlich  infolge  der  reichliclicn 
Nahrung,  die  er  zu  dieser  Zeit  dort  findet.  In  windstillen  Ta-jen 
ist  das  Meer  zuweilen  von  den  Larven  einer  Galatea,  der  Muuitiii 
subrugosa,  rot  gefärbt.  In  dieser  Bucht  haben  wir  den  Waltiseh 
gefunden,  dessen  Skelett  die  ^Komanche"  mitgebracht  hat;  die  Au- 
Wesenheit  dieser  grofsen  Cetacee  war  uns  drei  Tage  zuvor  von  dem 
an  Bord  .befindlichen  Feuerländer  angezeigt  worden;  er  hatte  sie 
erraten,  da  er  eine  grofse  Anzahl  riesenhafter  Sturmvögel  in  der 
Luft  kreisen  sah. 

Mehrere  Reisen  nach  den  Inseln  WoUaston  und  Hermite  haben 
uns  eine  sdiöne  Ernte  von  Pflanzen  und  geologischen  Probestücken 
dieser  Gegend  gewährt  Der  sfldliche  Teil  dieser  Inselgrui)i)e  zAhlt 
50  Einwohner;  kühne  Jftger  wagen  sich  an  die  Verfolgung  der 
Otarien  und  Fischottern  bis  zu  deu  iUd'sersten  lelseurilien  iu  der 
Umgebung  vom  Kap  Horn. 

Wir  erwähnen  noch  eine  Reise  nach  der  Stateu-lnsel,  von  wo 
die  „Komanche"  ein  Walüschskelett  mitgebracht  liiit.  das  von  dem 
vom  New-Years-Sound  verschieden  ist,  und  wo  unser  Herbarium 
um  mehrere  PÜanzeu  bereichert  wurde,  die  es  im  Feuerlaude  nicht 
giebt.  Auch  unternahmen  wir  eine  Expedition  nach  deu  Malouiuen, 
wo  wir  im  westlichen  Teil,  an  der  Edwards-Bucht,  eine  reiche  Ernte 
von  Seehunden  jedes  Alters  und  von  Pinguinen  machen  konnten 
und  diese  verschiedenen  Tierö  zu  Lande  beobachteten. 

Auf  allen  diesen  Reisen  hat  der  Kommandant  Martial  nut  dem 
Scbanmetz  fischen  lassen  und  zwar  in  Tiefen,  welche  zwischen 
20  m  und  250  m  wechselten,  aufser  bei  der  Slogett-Bucht,  wo  eine 
1  icfe  von  beinahe  700  m  erreicht  wurde.  Iu  dieser  Weise  sind  nttt^sliche 
Untersuchungen  gemacht  worden,  obgleicli  die  Fauna  nur  wenige 
verschiedene  Arten  hat;  indessen  sind  die  Individuen  zahlreich,  und 
wir  haben  versucht,  möglichst  vollständige  Serien  zusammen- 
zustellen, die  alle  Formen  repräsentieren,  weh  hc  dieselbe  Art  iu 
verschiedenem  Alter  und  in  verschiedenem  Zustande  auschaulicii 
machen  können. 

Der  Bericht  spricht  sich  noch  weiter  über  die  naturwissen- 
schaftliche Ausbeute  an  kleineren  Seetieren  aus  und  schliefst  mit 
dem  Ausdruck  der  Hoffnung,  dafs  für  die  Naturgeschichte  der 
Magellanischen  Gegend  die  Expedition  der  j^Bomanche'*  nützliche 
Resultate  erzielt  haben  werde. 


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—  183  — 


Vom  vierten  deutschen  Geographentage  zu  München. 

Bemerkungen  nnd  Eindrfteke. 

Von  Dr.  A.  Oppel. 

In  den  Tagen  vom  17.  bis  19.  April  fand  in  München  der 

vierte  deutsche  (ieographentiiij:  statt,  zu  dem  sich  Teiinehiuer  aus 
allen  Geiroiulon  des  deutschen  Si»rachirebiets  eiu^^cstellt  liatteu ;  nicht 
nur  das  Keich,  >ondei'n  aucli  Oesteneich-Un^rarn,  die  Scliweiz  und  die 
Niedeiiaude  waren  vertreten.  So  jung  aiu  h  ilic>o  VersannnhmirtMi  sind, 
—  die  erste  faml  in  Herlin  im  Jahre  1881  statt  — ,  haben  sie  sich 
bereits  als  eine  udückliche  Schöpfung,  ja  als  eine  Notwendigkeit 
gezeigt  und  für  die  Weiterentwickelung  der  geügra[)]iischen  Wissen- 
schaft in  recht  fruchtbringender  Weise  gewirkt.  Ihr  Kintinfs  dürfte 
hauptsächlich  in  vier  Richtungen  zu  betrachten  sein :  diese  sind  der 
persönliche  Verkehr  der  Fachgenossen,  die  Förderung  der 
Stellung  und  der  Würdigung  der  Geographie,  zumal  in  dem  Ver- 
sammlungsorte und  dessen  näherer  und  weiterer  Umgebung,  die  An- 
regung und  Belehrung  durch  Vortrage,  Diskussionen  und  Aus- 
stellnngen  nnd  schliefslich  die  Ausführung  sei bständigerlitterarischer 
Unternehmungen,  welche  ihrer  Natur  nach  die  /nsainnienwirkun^^ 
einer  gnü'seren  Zahl  Mitarbeiter  erfordern.  Im  folgenden  wollen 
wir  den  ersten  drei  (icsichtspunkten  eine  kurze  Betrachtung  widmen. 

Der  persönliche  Verkehr  von  Fachgenossen,  resp.  ein 
gegenseitiges  Bekanntwerden  ist  für  jede  wissenschaftliche  Disciplin 
als  gut  und  fördernd  erkannt  worden,  denn  abgesehen  von  dem  Reiz 
der  persönlichen  Bekanntschaft,  welche  den  jungen  und  aufstrebenden 
Mann  mit  dem  gereiften,  erprobten,  vielleicht  berühmten  Vertreter 
seines  Faches  und  umgekehrt  zusammenführt,  vermag  auch  der  münd- 
liche Austausch  über  Fragen  und  Probleme  der  Wissenschaft,  sei  es 
anch  nur  in  der  Form  einer  ungezwungenen  Plauderei,  den  Gegen- 
stand zu  klaren,  manche  neue  Anregung  zu  geben  und  den  Einzelnen 
in  Verbindung  mit  dem  (ianzen  zu  bringen.  Für  die  Geographie 
ist  aber  das,  was  für  andere  Wissenschaften  nur  förderlich  und  an- 
genehm erscheint,  geradezu  eine  Notwendigkeit;  denn  in  ihr  liegt 
die  Neigung  zur  Decentralisatiou,  zur  Zer.-^plitterung,  dem  eigensten 
Wesen  nacli,  verborgen:  die  gewaltige  Ausdehnung  des  zu  um- 
fassenden Gebietes,  die  zahllosen  Gesichtspunkte,  die  vielfach  ganz 
oder  teilweise  unbestimmten  Grenzen  gegenüber  anderen  Wissen- 
schaften, das  oft  unbemerkbare  Zusammeufliefsen  mit  ihnen,  die  rege 
Thätigkeit  und  der  aufserordentliche  Scliaffensdrang  in  ihr  selbst, 
alles  dies  sind  Dinge,  welche  der  Beschäftigung  mit  der  Geographie 


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—  184  — 

zwar  einen  ungewöhnlichen  Kei/  verleihen,  andererseits  aber  auch 
die  Gefahr,  die  Verbindung  mit  dem  Ganzen  aufzugeben  oder  bich 
zu  selir  nach  der  Peripherie  hin  zu  verliei"en,  in  solteneni  Mafse 
erhöhen.  *  Jeder  Einzelne  vermag  bei  noch  so  tüchtigem  Streben  doch 
nur  einen  Bruchteil  des  Ganzen  in  sich  aufzunehmen  und  als  freies 
Eigentum  zu  beherrschen,  das  Andere  mufs  er  Anderen  überlassen, 
mit  ihnen  aber  stets  in  enger  Berührung  bleiben.  Dazu  kommt  noch 
der  fast  einzig  für  die  Greographie  vorhandene  Umstand,  dafo  die 
litterarische  Betreibung  der  Lander-  und  Völkerkunde  und  die  tech- 
nische Kunst  der  Herstellung  der  unentbehrlichen  Anschauungsmittel, 
in  erster  Linie  der  Karten,  nur  selten  sich  in  einer  Person  ver- 
einigen, ferner  dafs  der  forschende  Gelehrte  und  der  erforschende 
Reisende  in  der  Regel  zwei  verscliiedene  Personen  sind,  endlich  dafs 
die  einzelnen  Vertreter  solcher  Specialfächer  sicli  nicht  inuner  an 
einem  Orte  zusammen  finden.  Und  doch  nuifs,  soll  etwas  Ersjiriefs- 
liches  erreicht  und  nicht  viel  Arbeit  resultatlos  gemacht  werden, 
Einer  auf  des  Anderen  Wünsche  Rücksicht  nehmen.  Die  Gefahren 
einer  solchen  doppelten  Zersplitterung,  die  teils  in  dem  Wesen  des 
Gegenstandes,  teils  in  der  Art  seiner  Betreibung  —  der  notwendigen 
Arbeitsteilung  —  begründet  ist,  wenn  nicht  auf  einmal  zu  beseitigen, 
so  doch  nach  und  nach  herabzumindern,  dazu  sind  die  Geographen- 
tage berufen  und  daCs  der  MQnchener  den  ihm  zufallenden  Teil  dieser 
Aufgabe  gelöst  hat,  beweist  das  Verzeichnis  der  anwesenden  Teil- 
nehmer. Darin  findet  man  den  Fachmann  neben  dem  Freund  der 
Erdkunde,  den  Universitatsprofessor  neben  dem  Schuhnann,  den 
Reisenden  neben  dem  Kartographen,  den  Schriftsteller  neben  dem 
Verleger. 

Nicht  minder  wichtig  ist  die  Förderung  der  Stellung 
und  der  Würdigung  der  Geograj)hie.  welche  die  Anwesen- 
heit der  fachmiifsigen  Vertreter  der  so  weitverzweigten  Wissenschaft 
für  den  Versammlungsort  und  seine  Umgebung  mit  sich  bringt.  In 
Deutschland  gab  es  bekanntlich  eine  Zeit,  wo  das  Interesse  an  der 
Geographie  gleich  Null  war,  und  wenn  auch  gern  anerkannt  werden 
soll,  dais  in  diesem  Jahrhundert  und  namentlich  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten in  der  verschiedensten  Weise,  von  einzelnen  Männern  und 
von  Gesellschaften,  auf  das  rüstigste  gearbeitet  und  das  Interesse 
an  der  Sache  in  immer  weitere  Kreise  getragen  worden  ist,  so  bleibt 
doch  immer  noch  viel,  sehr  viel  zu  thun  übrig.  Es  ist  wahr,  dafs  ganze 
Gesellschaftskreise,  die  nicht  zu  den  ungebildetsten  gehören,  der 
Geograi)hie  fern  stehen  und  wir  könnten  den  Beweis  führen,  dafs 
diese  Gleichgültigkeit  manche  Mifsstände  socialer  und  wirtschaftlicher 
Art  herbeiführte  —  und      ist  ferner  wahr,  dafs  die  Geographie 


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—  185  — 

bei  dem  grofseu  Publikum  noch  nicht  dasjenige  Ansehen  ^'cniefst, 
das  ihr  nach  ihrem  inneren  Werte  unbedingt  gebührt.  Giebt  es  doch 
noch  eine  ganze  Anzahl  wissenschaftlich  gebildeter  M&nner,  welche 
die  Ansicht  hegen,  dafs  die  Geographie  keine  oder  wenigstens  keine 
den  anderen  Disciplinen  ebenbürtige  Wissenschaft  sei  und  mufs 
mancher,  der  aus  innerster  Überzeugung  und  nicht  znrückzudammender 
Begeisterung  zu  ihr  überging,  ausgesprochen  oder  nicht  ausgesprochen 
den  Tadel  erfahren,  dafs  er  eine  minderwertige  Sache  betreibe.  80 
unbegründet  und  falsch  derartige  Anschamnigeu  auch  sein  inö^eii, 
so  sind  sie  thatsachlich  doch  vorhanden ;  sie  sind  Faktoren,  die  eiiist- 
^veilen  mit  in  Rechnung  gestellt,  möglichst  balil  aber  beseitigt 
werden  müssen.  Dafs  auch  nach  dieser  Richtung  der  (ieograplientag 
einen  Beruf  hat,  unterliegt  keinem  Zweifel.  Er  gewährt  nicht  nur 
den  ortsangesesseuen  Freunden  der  Sache  neue  Nahrung  und 
kräftigende  Ausdauer,  sondern  er  vermag  auch  die  Gleichgültigen 
in  seui  Bereich  zu  ziehen  und  Andersdenkende  von  ihrem  Irrtum 
za  überfahren.  Denn  wer  will,  kann  sich  von  der  Fülle  des  Geist 
und  Gemüt  anregenden  Stoffes,  den  die  Geographie  enthält,  überzeugen ; 
er  wird  erkennen,  in  welchem  Grade  die  Kenntaus  dieser  Wissenschaft 
für  alle  Zweige  des  menschlichen  Lebens  wichtig  und  fördernd  ist; 
und  er  wird  sich  der  Wahrnehmung  nicht  verschliefsen  können,  dafs 
auf  diesem  Gebiete  mit  freudigernster  Strebsamkeit  und  zielbewulster 
Methode  gearbeitet  wird.  Solche  Vorstellungen  zu  erwecken  waren 
die  in  München  bereiteten  Veranstaltungen,  sowohl  die  Vortrage 
als  die  Ausstellungen,  durchaus  im  stände,  und  dals  die  Münchener  sich 
dem  Gebotenen  nicht  entzogen,  bezeugt  einerseits  die  rege  Teil- 
nahme bei  der  Einzeichnung  in  die  Mitgliederliste  —  von  401  waren 
über  230  Münchener  —  and  bei  dem  Besuch  der  Vortrage,  anderer 
seits  die  starke  Frequenz  der  Ausstellungen,  indem  bis  zum  19.  April 
Mittag  500  Karten  für  Nichtmitglieder  ausgegeben  waren ;  wie  stark 
der  Besuch  an  den  beiden  folgenden  Tagen  war,  ist  uns  unbekannt, 
aber  dafs  eine  so  erfreuliche  Beteiligimg  seitens  der  Einheimischen 
nicht  ohne  nachhaltige  Wirkung  bleiben  kann,  des  sind  wir  überzeugt. 

Das  bisher  Besprochene  war  mehr  ideeller,  in  gewisser  Beziehung 
moralischer  Art;  konmien  wir  nun  zu  dem  materiell  Gebotenen, 
zunächst  zu  den  Vorträgen,  so  wird  niemand,  zumal  wenn  es 
sich  um  noch  schwebende  Fragen  handelt,  ein  fertiges  Resultat  oder 
eine  endgültige  Beantwortung  mit  nach  Hause  nehmen  zu  krumen 
erwarten ;  dazu  sind  eben  wissenschaftliche  Aufgaben  nicht  angethau, 
sondern  man  wird  sich  damit  begnügen  müssen,  wenn  der  augen- 
blickliche Stand  der  Sache  klar  dargelegt  wird  und  wenn,  was  Wis 
sehr  wichtig  erscheint,  die  vorhandenen  Lücken  gebürlich  hervor- 


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—  186  — 


gehoben  werden.   Der  wissenschaftliche  Vortrag  ist  kein  i)o]mlftrer 

Vortrag,  das  ist  festzuhalten ;  es  handelt  sich  hier  nicht  nm  ^'cfiillijre 
Abrunduii.Lj  des  Stoffes,  sondern  schonunirslose  Klarstellung'  des 
'l'hatbcstandes  ist  vonnöten;  es  dürfte  niism-s  Krachtens  dem  V<»r- 
trageuden  nirlit  danini  zu  thun  sein,  die  schadhaften  Stellen  einer 
Thetu'ie  mit  ulaii/i  uiUn  Worten,  mit  wenn  auch  i:ei>lieit'lK'n  Phrasen 
oder  blendciidfu  ll\ potlu'^cii  zudecken  zu  wollen:  sondern  je  freier  und 
unumwundener  er  vorhandene  >hlnj^el  aufdeckt  und  klarlegt,  desto  besser 
crlüllt  er  die  ihm  zufallende  Aufgabe,  solche  Fachgenossen,  die  aus 
irgend  einem  eirunde  der  beregteu  Angelegenheit  fern  geblieben 
waren,  mv  Mitarbeit  heranzuziehen,  dadurch,  dafs  er  ihnen  Probleme 
nahelegt  und  sie  zu  ihrer  Lösung  anreizt ;  nimmermehr  wird  er  aber 
ein  solches  Ziel  erreichen,  wenn  er  den  Gegenstand  in  einer  fQr  den 
Augenblick  befriedigenden  Weise  als  abgethan  darstellt  und  ihn 
dadurch  desjenigen  Reizes  entkleidet,  den  nun  einmal  das  Unbekannte 
für  den  menschlichen  Geist  hat. 

Diese  Forderung  nur  andeutend,  nicht  untersuchend,  ob  die 
Vortragenden  des  vierten  Deutschen  (ieograj)hentages  sie  auch  er- 
füllten, bemerken  wir,  dafs  es  vier  liauplfragen  waren,  zu  deieu. 
Beleuchtung  das  L<d<alk(iiuitee  unter  dem  Vorsitz  des  Herrn  Professor 
liatzel  mehrere  Specialforscher  aufgefordert  hatte.  Wenn  wir  diesen 
Gegenstanden,  dem  einheitlichen  Meridian,  der  Herstellung  von 
8chulwandkarten,  der  Eiszeit  und  der  Polarfrage  im  folgenden  etwas 
näher  ti'eten,  so  geschieht  es  mit  dem  ausdrücklichen  Bemerken,  dafs 
weder  ein  specielles  Iteferat,  noch  eine  ausgefQbrte  Kritik  in  unserer 
Absicht  liegt,  sondern  dass  nur  einige  gelegentliche  Bemerkungen 
an  das  damals  Gehörte  geknüpft  werden  sollen. 

Was  den  einheitlichen  Meridian  anbetrifft,  so  hatte  sich 
bekanntlich  die  siebente  Generalkonferenz  der  Europaischen  Grad- 
messuii,^  zu  Koni  18S3  aus  wohlerwogenen  (iriiuden  für  den  Meridian 
der  ISternwartc  zu  Green  wich  entschieden.  Dafs,  nachdem  diese  aus 
den  berufensten  Fachmännern,  Astronomen  und  (leodilton,  die  zu- 
gleich Kegierungsvertreter  waren,  bestehende  Konindssion  ihre  Stimme 
abgegeben  hat,  die  Geographie  ihr  folgen  mufs,  ist  absolut  selbst- 
v(M-standlich.  Koma  locuta  est,  das  paf-t  hier  zufallig.  Für  die 
Zukunft  kann  es  sich  nur  darum  handeln,  dafs  die  Praxis  diesen 
Beschlufs  möglich  bald  zur  Durchführung  bringt,  und  da  zeigen  sich 
gewisse,  nicht  eben  einfache  Schwierigkeiten,  denn  das  vorhandene 
Kartenmaterial,  sich  zusammensetzend  aus  topographischen  und 
Generalstabskarten,  aus  Hand-  und  Schulkarten,  ist  nur  zum  kleinen 
Teil  nach  Greenwich  orientiert,  und  eine  Umarbeitung  dieses  unge- 
heuren, zum  Teil  sehr  kostspieligen  Materials  lediglich  wegen  des 


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Greenwicher  Meridians  ist  eine  Forderung,  die  kein  Verstftndiger 
an&tellen  wird.  Wohl  aber  kann  man  dem  Hauptreferenten  über 
diese  Sache,  dem  Prof.  H.  Wagner,  in  dem  Verlaufen  beistimmen, 
dafs  von  mm  an  bei  allen  neuen  und  thimlichst  bei  allen  in  Neudruck 
erscheinendpu  Blattei  u  der  Meridian  von  Greenwich  als  der  einzijje 
in  Verwcudunu  i:e)tr;irht  werde  und  dafs  seitens  der  Schule  schon 
jetzt  die  ( )rieutiernn:j:  möglichst  nach  Greeuwich  erfolgen  ni't.ue. 
Daf-  es  ein  Unrecht  wilre,  die  bchiüer,  die  doch  für  die  Zukuntt 
lernen  sollen,  nicht  für  die  Vergangenheit,  mit  etwas  Veraltetem 
aii>zurüsten,  ist  voll  und  ganz  unsere  Meinung,  wenngleich  die 
jbeuierkuug  nicht  unterdrückt  werden  kann,  dafs  z.  B.  für  Schul- 
zwecke der  Greenwicher  Meiidian  entschieden  weniger  geeignet  ist 
als  der  von  Ferix);  denn  bei  letzterem  liegt  die  gröfste  Festlands- 
masse, die  sogenannte  alte  Welt,  ganz  auf  der  östlichen  Seite,  wahrend 
der  Greenwicher  Meridian  dieselbe  in  zwei  ungleiche  Hälften  zerlegt; 
so  zer^lt  auch  Europa  in  einen  östlichen  Teil  mit  niedrigen  Grad- 
zahlen und  in  einen  westlichen  mit  hoher  Zahl,  eine  Vorstellung,  in 
die  sicli  nicht  Jeder  IcicliL  hineinfinden  wird. 

Die  Scluile  wird  also  die  meiste  praktisclie  Schwierigkeil  von 
dem  Greenwicher  Meridian  hahcn:  doch  mnfs  sie  die  ihr  gestellte 
Aufu^ahe  lösen,  mögen  nur  die  \  ert reter  der  Geographie  aulserlialh 
der  S(  hiile  ihr  diese  und  andere  erleichtern  helfen.  Dafs  dazu  der 
vierte  Geographentag  sein  Teil  durch  die  Besprechung  der  Ii  er- 
ste ünng  von  Schul  Wandkarten  beizutragen  suche,  soll  gern 
anerkannt  werden.  Wie  für  alle  Zweige  wissenschaftlicher  und 
künstlerischer  Th&tigkeit  eine  rechte  und  feste  Grundlage  nur  in 
der  Schule  —  wir  meinen  sie  im  Sinne  einer  sachlich  angeordneten, 
mit  zweckentsprechenden  Hülfsmitteln  versehenen  und  konsequent 
durchgefOhrten,  die  geistigen  Kräfte  in  rechter  Weise  Übenden  und 
anregenden  Unterweisung  —  gelejs^  werden  kann,  so  ist  es  auch  bei 
der  Geo^iraphie  der  Fall,  ja  hier  ist  der  planmäfsige  Uiilerricht  eine 
erhöhte  Notwendigkeit,  weil  der  Gegenstand  wegen  seines  üherroichen 
Materials  und  seiner  oft  nicht  geuttgend  erkannten  Decentralisation 
leiclit  auf  Abwege  führen  kann.  Leider  hat  aber  gerade  der 
geographische  Unterricht  lange  Zeit  sehr  im  argeu  gelegen 
und  obschon  jetzt  im  Aufschwung  begriffen,  ist  er  in  vielen 
Beziehungen  noch  äufeerst  verbesserungsbedürftig.  Es  fehlte, 
um  es  kurz  zu  sagen,  an  Verständnis  für  das  Wesen  und  die  Be- 
deutung des  geographischen  Unterrichts  bei  den  meisten  Scbulbehorden 
und  Vorstehern,  es  fehlte  an  kenntnisreichen  und  methodisch  geschulten 
Lehrern,  es  fehlte  an  zweckmalsigen  Unterrichtsmitteln.  Zn  den 
wichtigsten  Requisiten  gehören  aber  gute  Schulwandkarten.  Der 


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eigeutlidie  Sc'höi)fpr  ilerselben  ist  K.  v.  Sydow,  ilesseu  Leistungen 
unbetitritteii  für  seine  Zeit  epocliemacheutl  waren.  Leider  aber  hatten 
weder  die  sonst  so  vortreffliche  und  uns  sympathische  Anstalt  voa 
J.  Perthes  noch  die  anderen  Hersteiler  von  Schulwandkarten  —  eine 
Zeit  lang  wenigstens  —  auf  dem  von  jenem  verdienstvollen  Manne 
gelegten  Grunde,  weiter  gebaut,  besonders  war  es  Sitte  geworden, 
die  Karten  mit  Namen,  auch  den  selbstverständlichsten  und  unnötigsten, 
zu  überUiden,  ein  Mifsstand,  den  wir  stets  auf  das  schärfste  empfunden 
haben.  Es  gereichte  uns  daher  zu  grosser  Freude,  den  Referenten 
Aber  diesen  Punkt,  Herrn  Haardt  aus  Wien,  sich  dahin  iufsem  zu 
hören,  dafs  auf  den  sogenannten  i)hysikalischen  Karten  snccessive  die 
Schrift  wegzulassen,  ferner  dafs  die  Generalisierung  des  Terrains 
nicht  zu  weit  zu  treiben,  jedenfalls  nicht,  zur  Erreichung  eines  ein- 
fachen und  über>iclitlichcü  Kartenbildes,  gewisse  vorhandene  Boden- 
erhebungen zu  ignorieren  seien  und  dafs  man  sich  zumal  in  Bezug 
auf  das  Flufsnetz  nicht  auf  das  in  den  Lehrbüchern  Angegebeue 
beschränken  dürfe.  Bemerkend,  dafs  hinsichtlich  der  Darstelluugs- 
manier  des  Terrains  und  namentlich  der  Hohen  ein  endgültiger  Vor- 
schlag nichfc  gemacht  wurde,  stimmen  wir  mit  den  allgemeinen 
Gesichtspunkten  des  Herrn  Haardt  nicht  nur  Oberein,  sondern 
stellen  die  kategorische  Forderung  auf,  dafs  die  stunmien  Karten 
ausschliefslich  für  die  Schule  «zu  verwenden  sind;  denn  die  Namen 
verdecken  nicht  nur  oft  die  Zeichnung  gänzlich  und  zerstören  demnach 
das,  was  der  Kartograph  hat  darstellen  wollen,  sondern  sie  sind  in 
pädagogischer  Beziehung  geradezu  schädlich,  indem  sie  dem  Schüler 
die  Übung  seines  Gedächtnisses  und  seiner  Aiischauungskraft  erschweren 
und  ihm  als  Eselsbrücke  dienen.  Eine  Karte  mit  Nameu  ist  nichts 
anderes  als  ein  Scluiftsteller  mit  Interlinearversion. 

l^s  erübrigt  noch,  die  beiden  letzten  Vortragsgegenstände,  die 
r  0 1  a r  f  r  a  g  e  und  die  Eiszeit  einer  kurzen  Betrachtung  zu  unter- 
ziehen;  beide  stehen  in  einem  unläugbaren  inneren  Zusammenhange, 
denn  was  die  eine  für  die  Gegenwart  ist,  stellt  die  andere  für 
die  Vergangenheit  dar.  Die  Wichtigkeit  der  glacialgeologischen 
FoitHdiungen  —  wie  der  terminus  technicus  lautet  —  für  die  Geo- 
graphie liegt  in  dem  Umstände  begrändet,  dafs  zu  einer  gewissen 
Zeit  ein  Sechstel,  vielleicht  auch  ein  Fanftel  der  gesamten  Erde  mit 
Eis,  beziehungsweise  mit  Gletschern  Qberzogen  war,  dafs  dieselben 
zur  Bildung  gerade  der  obersten  Bodenschicht  viel  heigetragen  haben, 
und  dafs  speciell  in  Deutschland  sowohl  ein  Teil  der  Tiefebene  als 
die  höhereu  Mittelgebirge  vergletsclierL  gewesen  sein  müssen.  Der 
Haupt referent,  Herr  Dr.  A.  Benck,  zeigte,  teils  auf  eigne  teils  auf 
fremde  üuteröuchuugeu  lulseud,  unter  anderem,  dafs  die  i'iinregion. 


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—  189  — 

wenn  auch  örtlich  schvankend,  überall  erheblich  tiefer  gelegen  habe 
als  gegenwärtig,  so  in  den  Alpen  bei  12—1300  ni,  in  den  Pyrenäen 
bei  1700  m,  im  Böhmerwalde  bei  1900  m,  im  Erzgebirge  bei  1000  m, 
im  Har^s  bei  700  m,  in  Wale««  bei  6 — 700  m,  das  will  sagen,  dafs 
man  in  diesen  Höhen  noch  Spuren  einer  Firnre«;ion  gefunden  hat. 
Zur  Erzeugung  solcher  Zustünde  bedurfte  es  nicht  nur  einer  ver- 
minderten Jaliresuiitteltemperatur  von  -f  C,  sondern  auch  einer 
nicht  unbetrachtliclieu  Änderung  der  Niederschlagsverhaltnisse.  Welcher 
Art  diese  Veränderung  gewesen  sei,  dafür,  sollte  man  meinen,  müfsteu 
die  meteorologischen  Vorgänge  in  den  Alpen,  insonderheit  auch  die 
Niveauscli wankungen  der  modernen  Gletscher,  Anhaltspunkte  zu  geben 
im  Stande  sein.  Aber  gerade  dies  ist  ein  ftufserst  wunder  Punkt. 
Mau  stellt  ja  heutssutage  im  Alpengebiete  wohl  meteorologische 
Beobachtungen  an,  ans  begreiflichen  Gründen  aber  fast  nur  in  den 
Thftlem,  nicht  auf  den  in  die  Fimregion  sich  erhebenden  Bergen, 
hinsichtlich  deren  man  keine  zusammenhängenden  Beobachtongsreihen 
besitzt  Das  aber  wäre  vonnöten,  um  die  periodischen  Niveau- 
Schwankungen  der  modernen  Gletscher  in  ausreichender  Weise  erklären 
zu  kimnen.  Fehlt  es  also  für  diese  Verhaltnisse  an  einer  positiven 
Unterlage  —  die  theoretischen  Erklärungsversuche  berühren  wir 
hier  nicht  —  so  ist  das  gegenüber  der  Vergangenheit  erst  recht 
der  Kall.  Ob  eine  Krhohung  der  Temperatur,  ob  eine  Veränderung 
der  Niederschlagsvorhältnisse,  ob  beide  zusammen  und  wie  jene  Eis- 
zeit aufgelöst  haben,  das  ist  ebenso  noch  als  ein  L'roblcm  zu  be- 
trachten wie  das  periodische  Schwanken  der  Gletscherniveaus. 

Ungelöst  ist  auch  die  Frage  von  der  Entstehung  derjenigen 
Seebecken,  welche  sich  am  Rande  der  Alpen  befinden.  Herr  Peuck 
ist  offenbar  der  Meinung,  dafs  wenigstens  ein  Teil  dieser  Randseen 
von  den  Gletschern  der  Eiszeit  geschaffen  sei,  wie  er  überhaupt  der 
Bodenerosion  der  Gletscher  eine  groüse  Kraft  zntrant  Der  Korreferent, 
Herr  Professor  E.  Richter,  stellte  dem  gegenüber  den  Erfshrungs- 
satz  auf,  dafs  bisher  an  den  modernen  Gletschern  eine  beckenbildende 
Thätiukeit  nicht  beobachtet  sei,  woraus  sich  der  Schlufs  von  selbst 
ergiebt,  (h\U  man  den  (üetsehern  der  Vergangenheit  nicht  eine  Kraft 
zuschreiben  dürfe,  die  sie  in  der  Gegenwart  nicht  zeigen.  Unseres 
Erachtens  ist  weder  die  moderne  Gletscherkunde  zu  einem  Abschlufs 
gediehen,  noch  sind  die  lleliefverhnltnisse  der  Krdoberlläche  vor  und 
zu  der  Eiszeit  genügend  aufgeklart,  um  mit  Sicherheit  das  eine  oder 
das  andere  als  allgemein  gültig  hinstellen  zu  können.  Die  allgemeine 
Möglichkeit,  dafs  ein  Gletscher,  z.  B.  durch  Veränderung  seines 
Niveaus  ein  Seebecken  bilden  könne,  ist  wohl  vorhanden;  das  theoretisch 
Mögliche  ist  aber  noch  lange  nicht  das  wurklich  Geschehene  oder  braucht 


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es  wenii^stens  in  dem  einzoliion  Falle  nicht  zu  sein:  ehe  aber  eine 
allgemeine  Lehre  über  die  Kutstehmifr  der  Seen  aufLrestollt  werden 
kann,  mttfste  man  wenigstens  die  wichtigsten,  d.  h.  solche,  die  man 
als  Vertreter  einer  bestimmten  Speeles  ansehen  will,  einer  genanen 
Untcrsnchnng  ihrer  Lokalverhaltnissc  unterwerfen;  davon  aber  sind 
wir  noch  weit  entfernt. 

Wenn  die  Diskussion  der  Eiszeit  eine  Sache  vorwi^end  aka- 
demischer Natur  war,  so  fahrte  die  Besprechung  der  Polarfragc 
auf  da«  praktische  Gebiet  der  Entdeckungen  und  wissenschaftlichen 
Bcobachtunj^en.  Der  dazu  bestellte  llauptreferent,  Geh.  Adinii  ilitäts- 
rat  Neuniayer,  verbreitete  sich  ülier  die  Schicksale  und  Lei.^tuni^en 
der  internationalen  r<dar>tat Ionen.  l)es;)ndors  der  de.it sehen,  von 
denen  in  diesen  Uliittern  an  anderer  Stidle  toil^  berichtet  wird,  teils 
berichtet  worden  i>t  und  plaidierte  mit  besonderer  Lebbaitiuckeit  für 
die  Wiederaufnahme  der  antarktischen  ForschuuLien.  für  welche  der 
Heduer,  wie  er  besonders  iiervorhob,  schon  Tor  dreilsig  Jahren  das 
Interesse  zu  wecken  bemüht  '.rewesen  war.  Der  (Seoirraplieutag 
fafste  eine  dahingehende  Kcsolution.  Ohne  Zweifel  i:it  die  Unter- 
suchung der  Sttdpolargegeuden  eine  an  sich  sehr  annehmbare  Sache, 
znmal  da  seit  J.  Cl.  Rofs  denkwürdiger  Reise,  1839—43,  etwas 
Nennenswertes  fttr  dieses  Gebiet  nicht  geleistet  worden  ist,  aber  für 
den  Fall,  dafs  in  der  nftclisten  Zukunft  eine  Polarunternehnmng 
stAttfindcn  sollte,  so  müfsten  wir  vom  Stand p unkte  der  Geo«;rai)hie 
aus  wünschen,  dafs  sie  in  den  KoL^ioneii  arbeite,  in  denen  vieles  an- 
jcrefani^en.  weni^^  beendet  ist.  Im  Noiilpolar.iKdjiet  harrt  eine  Anzahl 
von  Problemen,  wie  die  Krniittel nni,'  der  Festlands^renzon  von  (Iron- 
laiid.  die  ilrfor^dinni;  des  Inlandseiics  u.  A.  der  Lösun.i;,  die  uns  für 
die  (ieo^rajuiie  für  den  Augenblick  wenigstens  dringlicher  erscheinen, 
als  die  antarktischen  l'orscluuigen.  d<Men  Schweriuuikt  doch  wohl  iu 
der  Nautik  und  Meteorologie  liegt.  In  diesem  Sinne,  d.  h.  die 
Nordpolarforschnng  betonend,  hatten  sich  auch  die  beiden  Kor- 
referenten, die  Herren  Prof.  Bürgen  und  Kapiteln  Koldewey,  gcäufsert. 


Neueste  Nachrichten  vom  Congo. 

Mit  einer  litographisclieu  Abbildung:  der  Congo-D;iiin»tor  „.Stanley''. 

0.  Der  grofse  Strom  des  Äquatorialen  Afrika,  von  H.  Stanley 
entdeckt  und  man  möchte  sagen,  bearbeitet,  verdient  die  allgemeine 
Aufmerksamkeit  ans  mehreren  fJründen.  In  ])olitischer  lieziehung 
haben  die  zwischen  den  KeuMerungen  Portugals  und  Knglands  verein- 
bui'teu  \  ertrage  wichtige  völkerrechtliche  Fragen  und  Erörtei'ungeu 


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—  191  — 


anf?eregt:  auch  für  den  Handel  s])ielt  das  Congo gebiet  eine  gewisse 
UoUe,  was  daraus  liervorgelit,  dals  der  Präsident  der  Handelskammer 
zu  Manchester  den  Wert  des  letztjäliriLren  Umsatzes  englischer  Kautieute 
in  diesen  Uegioiien  auf  500,000  Pfd.  Sterl.  veranschlagt.  Im  Vordergrund 
den  Interesses  steht  allerdin}^  die  Arbeit,  welche  II.  Stanley  im  Auftrag 
nnd  anf  Kosten  der  internationalen  afrikanischen  Gesellschaft,  alias 
des  Königs '  der  Belgier  geleistet  hat  und  zu  leisten  fortföhrt. 
27  Stationen  waren  bis  zum  EintreiTen  der  neuesten  Nachrichten  auf 
der  Strecke  vom  unteren  Congo  bis  mm  Äquator  errichtet,  teils  dem 
Hauptstrom  entlang,  teils  an  dem  Niadi-Kwilu,  einer  nördlich  vom 
unteren  Congo  gelegenen  Wasserstrafse,  welche  «lie  Gesellschaft  auf- 
zusuchen für  gut  fand,  weil  sie  infol'je  der  Besitznahme  des  Congo- 
luüudungslandes  seitens  (Ut  Porlugie<eu  den  leichten  Zugang  zu 
ihren  inneren  Stationen  bedroht  sah.  Die  Leistuimen  nnd  das  ganze 
Gebahren  der  Gesellschaft  sowie  Stanley.s  erfahren  die  verschiedensten 
Beurteilungen;  neben  begeisterter  Anerkennung  findet  sich  die  herbste 
Verurteilung.  Das  Äufserste  letzter  Art  lasen  wir  in  einem  Artikel 
der  „Fall  Mall  Gazette^,  herrührend  von  einem  Engländer  Namens 
Phillips  aus  Punta  de  Lenha,  der  zwölf  Jahre  am  unteren  Congo 
lebte  und  demnach  die  ausgiebigste  Gelegenheit  hatte,  die  dortigen 
Verhftitnisse  kennen  zu  lernen.  Anknüpfend  an  das  kürzlich  anonym 
erschienene  Buch:  ^The  White  Line  across  the  Dark  Gontinent** 
nnterzieht  Phillips  die  vier  Pro*iramnm Ummern  der  afrikanischen 
Gesellschaft  —  1)  die  wissensi  liattliche  Erforschung  der  noch  unhe- 
kaniiten  Gegenden  Afrikas,  2)  die  Eröffnung  von  Givilisationswegen, 
;Vi  die  Aufsuchung  eines  Mittels,  um  die  allmiihlii^e  Vernichtung  des 
Sklavenhandels  zu  bewirken,  4)  ein  technisches  rnternehmen,  um 
den  oberen  mit  dem  unteren  Congo  zu  verbinden,  —  einer  kurzen, 
aber  scharfen  Kritik,  wobei  er  zu  dem  Ergebnis  kommt,  dafs  von 
diesen  vier  Aufgaben  nur  die  letzte  gelöst  sei.  dafs  aber  diese  Leistung 
eine  absolut  nutzlose  sei  uud  dafs,  sobald  der  König  der  Belgier 
seine  Unterstützung  dem  Unternehmen  entziehen  werde,  der  Zusammen- 
bruch unvermeidlich  sei;  grofse  Opfer  an  Menschenleben  und  Kapitalien 
seien  zweck-  und  resultatlos  gebracht 

Wie  viel  Wahrheit  nnd  wie  viel  Irrtum  in  diesem  geradezu 
vernichtenden  Urteil  liegt  und  ob  Mr.  Phillips  es  ganz  sine  ira  et 
studio  niedersciiriel),  können  und  wollen  wir  nicht  untersuchen; 
ebensowem'g  soll  hier  eine  Prüfung  der  von  anderer  Seite  aufge'>tellten 
r»ehauptung  unternommen  werden,  dals  die  internationale  afrikaui^clK^ 
(ieseli^chaft  unter  dem  Vorwande  wissenschaftlicher  und  humanitärer 
Bestrebungen  llaudelsgesclKifte  betreibe  und  tliese  unter  ihrer  Flagge 
zu  moaopolittiereu  beabsichtige,  sondern  an  das  als  tbatsaebüch 


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Bekannte  uns  haltend  möchten  wir  darauf  hinweisen,  dafs  es  von 
einem  wahrhaft  grofsen  und  neuen  Gedanken  zeugt,  cineu  Jahrhunderte 
lang  verschlossen  gebliebenen  Strom  auf  konseijueate  und  systematische 
Welse  dem  Verkehre  zu  eröffnen.  Man  wird  bei  dem  gegenwärti*^ 
in  den  verschiedenen  Staaten  so  kraftig  aufgei-attelten  Interesse  an 
wirtschaftlichen  Fragen  und  kolonialen  Üntemehnmngen  nicht  ohne 
weiteres  anneinnen  dürfen,  dafs  die  -oniachten  Aufwendungen  schleclit- 
hln  nutzlos  sind;  aber  selbst  in  dem  IVille,  dals  die  internationale. 
afriUaniselie  Gesellschaft  zu  lirunde  geht,  winl  die  uns  kleinlich  und 
kriinu  1  hatt  erscheinende  Beurteilung  des  Mr.  Phillips  nicht  am  Platze 
sein,  sonth'ni  man  wird  sagen  dürfen :  In  niaguis  volnisse  sat  est. 

Dieses  vorausschickend  haben  wir  nun  zu  bemerken,  dals 
H,  Stanley  in  der  letzten  Zeit  keineswegs  unthätig  gewesen  ist, 
sondern  nach  den  zu  Clebote  stehenden  Berichten  eine  Kxpeilition 
nach  dem  oberen  Coniro  unternommen  hat,  dereu  Ergebnisse  im 
folgenden  kurz  mitgeteilt  werden  sollen. 

Am  24.  August  1883  verliefs  H.  Stanley  Leopoldville  am 
Stanley  Pdol  auf  dem  kleinen  Raddamj»fer  „En  avant^,  traf  bei  der 
Stat  ion  Msuata  mit  dem  Wallischfanger  „Eclairenr"  und  den  Schrauben- 
dampfcni  „Hoyal''  und  „Association  internationale  africaine''  zusammen 
und  hmgte  mit  diesen  am  27.  August  an  der  neuen  Station  Kuamouth 
an,  welclie  der  schwedische  Leutnant  Pageis  an  der  Mündung  des 
Kuango  angelegt  hatte.  Von  da  vorrückend  fand  er  die  ältere 
StAtimi  Holobo  durch  die  Bayanzi  eingeäschert;  nach  Regelung  der 
Streitigkeiten,  welche  zwischen  dem  Befehlshaber  der  Station  und 
den  Bayanzi  ausgebrochen  waren,  begab  er  sich  nach  der  Äquator- 
station, dem  iiufsersten  der  bisher  festgelegten  Punkte.  Hier  ver- 
weilte er  14  Tage,  mit  der  Ausrüstung  der  nun  zu  beginnenden 
Expedition  beschäftigt. 

Am  17.  Oktober  fuhren  die  vier  Schiffe,  welche  aufser  Stanley 
den  Belgier  Roger,  drei  Maschinisten  und  68  Afrikaner,  Zanzibar- 
und  Haussaleute,  an  Bord  hatten,  stromaufwärts.  Wahrend  der  Fahrt 
wurde  mehrere  Male  Halt  gemacht,  um  mit  den  Hftuptlingen  der 
Uferbewohner  Frenndschaftsvertrftge  zu  schliefsen  und  von  ihnen 
Landabtretungen  zu  erlangen,  so  beim  Dorfe  Uranga,  hei  den 
Bangala,  zu  Bubuga  und  Yambinga.  Überall  wurde  Stanley  freundlich 
aufgenommen,  weshalb  er  den  Kapitän  Hassens  beauftragte,  unter 
diesen  Stämmen  Stationen  zu  errichten.  Nicht  ohne  Bangen  näherte 
er  sich  der  Mündung  des  Aruhwirai,  wo  er  im  Jahre  1877  so  heftige 
Kampfe  zu  bestehen  gehabt  hatte.  Auch  jetzt  schien  es.  als  sollte 
es  zu  ilen  WatTen  kommen.  Aber  das  geschickte  Manöver  des  Ueisenden, 
der  seine  Schill'e  au  dem  mit  Eingeboreuen  gefüllten  Ufer  auf-  und 


193  — 


abdampfen  liels,  imi»onit'iti'  den  Leuten  derniar>en,  dafs  sie  jedes 
leindliilie  Vor^udien  aut^^ehend  Friede  und  Freundsehatt  schlössen. 

Am  IS.  Nove!nf»er  be^Mnii  die  FxpedilitMi  auf  dem  Aruhwinii 
•^tromaufwiirts  zu  faluen  und  damit  in  eine  Terra  incoi^nita  ein- 
/  iidriniren.  Die  Ufer  des  Flufses  fand  man  stark  bewohnt;  überall 
ürül>e  Dörfer,  reicl»  an  Elfenbein  und  afrikanischen  Produkten:  die 
Hanart  j^anz  anders  als  an  den  Ufern  desConu'.»:  die  Hänser  halten 
das  Aussehen  grofser  Lösddiütchen  (eteit^noirs).  Die  Bevölkerung, 
wild  und  furchtsam,  zeijite  sich  nirjiemls  feindlich:  zum  ersten  Male 
drangen  Weifse  in  diese  Ke;;ion  vor:  begreiflich  dafs  das  Erstaunen 
der  Schwarzen»  zumal  über  die  Dampfer,  ungeheuer  war.  Nach 
/urückiegun«?  einer  Fahrt  vou  etwa  315  km  auf  dem  breiten 
Strome,  welcher  Laolse  Wiadungen  beschreiht,  fjelangte  die  Flottille 
au  das  Dorf  Yaiubuga,  wo  sich  Strumschnellen  befinden,  .lenseita 
der^lben,  weiter  stromaufwärts,  beschreibt  der  Aruhwimi  eine  grofse 
Kurve  und  heifst  dort  Bi -\  cre-Uerre.  Die  vou  Stanley  erreichte 
Stelle  liegt  unter  2*'  13'  n.  Br. 

Das  wissenschaftliche  Ergebnis  der  Beise  auf  dein  Aruhwimi 
ist  nicht  zu  unterschfttzen,  denn  gerade  an  dieser  Stelle  war  ein 
Problem  zu  lösen,  das  des  Uelle.  Über  den  Verlauf  dieses,  nur  in 
seinem  Oberläufe  bekannten  Flofses,  bestehen  bekanntlich  zwei  sehr 
abweichende  Meinungen.  G.  Schweinfurth,  der  im  Mftrz  1870  an 
dem  Uelle  war,  stellte  die  Behauptung  auf,  der  Uelle  sei  der  Ober- 
lauf des  In  den  Tsailsee  mandenden  Schari,  dessen  Unterlauf  be- 
kanntlich von  H.  Barth  und  G.  Nachtigal  festgestellt  ist,  und  Leute 
wie  Dr.  Jimker,  Duveyrier  und  Hatchtnson  sprachen  sich  in  gleichem 
Sinne  aus.  Demgegenüber  nahm  Stanley  au,  dafii  der  Uelle  der 
Oberlauf  eines  der  nördlichen  ZuflOsse  des  Congo  sei,  eine  Meinung, 
von  deren  Richtigkeit  der  bekannte  Afrikagelehrte  und  jetzt  auch 
Afrikareisende,  J.  Chavanne,  so  nberzeu^^t  war,  dafs  er  auf  seiner 
hydrographischen  Ueberätchtskarte  vou  Afrika  den  Uelle  unter  dem 
Namen  Ukere  mttnden  läfst,  während  er  den  Aruhwimi  als  einen 
Abtlufs  des  Muta  Nzi;;e  darstellt.  Nun  behauptet  ein  griechischer 
Arzt  NameiH  Potagos,  unter  anderen  ziendich  dunklen  und  der  Auf- 
klärung bedürftigen  Mitteilungen,  er  habe  im  .labre  lH7t)  unter  dem 
3"  n.  Br.  das  Dorf  Ingima  besucht,  welches  an  dem  nach  Südwest 
laufenden  Flusse  Bere  liege.  Wenn  nun  die  Angabe  des  Dr.  Potagos 
richtig  ist,  wenn  es  ferner  richtig  ist.  was  Stanley  augiebt,  dafs  das 
Wort  Bi-yere  nur  eine  andere  1  orm  für  Bere  ist,  wenn  endlich  der  Bere 
des  Dr.  Potagos  »ler  Uelle  ScliweintuitlK  ist,  so  mufs,  da  Potagos 
bis  n.  Br.  gekommen  sein  will  und  Stanley  bis  2^  17'  gelangte  und 
die  Uichtungen  beider  Flüsse  übereiustiimiieu,  der  Uelle  mit  dem 

0«OfT.  BUttw.  Brem«»,  1884. 


—  194 


Aruhwimi  einen  Flufslaiif  darstellen,  der  in  den  Congo  mündet.  Der 
uns  vorliegende  P.ci  iclit  von  Wauters  in  iler  Zeitschrift  „le  Mouvement 
Geri'iraidiifjiU'"  sajt :  „Le  doiite  n'e>t  i)as  pos^ihle.  rAroubonimi  est 
roiudir  de  Srliwfiiitiirtli."  Wir  sind  nicht  so  külm.  diej:e  Schlufs- 
folgeruag  un<  zu  eij^en  zu  machen,  da  doch  noch  manche  fragliche 
Punkte  zu  erlediu^on  sind,  ^feben  aber  gern  zu,  dafs  iu  der  Uelle- 
frage  durch  Stanley  ein  Scliritt  vorwärts  gethan  ist. 

Durch  die  oben  erwähnten,  beim  Dorfe  Yambuga  befindlichen 
Stromschnellen  an  weiterem  Vordringen  gehindert,  fuhr  Stanley 
zurück  und  bog  am  24  November  in  den  Congo  ein.  Hier  begegnete 
er  einer  Flotte  von  mindestens  1000  Kflhnen,  deren  Insassen  sich 
als  MenschenrAuber  heraasstellten.  Sie  hatten  die  ganze  Gegend 
verwüstet,  die  Dörfer  verbrannt,  zahlreiche  Schwarze  getötet  und 
mehr  als  1300  Gefangene  gemacht.  Stanley  konnte  nicht  daran 
denken,  die  Unglücklichen  zu  befreien  und  fuhr  weiter. 

Am  1.  Dezember  langte  er  V(»r  der  zweiten  Sti  unihemmuug 
des  ('onuo,  den  sogenannten  8 tan  1  ey fällen ,  an,  die  sich  etwa 
l*'  s.  lir.  befinden  und  sieben  an  Zahl  eine  Strecke  von  90  km  ein- 
nehmen. Nacli  der  neu  gemachten  Aufnahme  liegen  sie  aber  ein 
5  gut  Stück  ost Heiler  als  die  zu  iStanlevs  grofsem  Heisewerke  geliörige 
Karte  angiebt. 

Nach  einoTu  langen  Palaver  mit  den  sehr  freundlichen  Einge- 
borenen wurde  das  Lager  in  der  Nahe  des  ersten  Kataraktes  aufge- 
schlagen, die  l^mgegend  in  Bezug  auf  Salubrität  und  Vorbandensein 
von  Lebensmitteln  untersucht  und  eine  Stelle  für  die  hier  anzulegende 
Station  ausgesucht.  Man  wählte  für  «diesen  vorgeschobenen  Posten 
der  Civilisation'^  eine  mitten  im  Strome  gelegene  Insel,  Namens 
Uaua-Rusani.  Dieselbe,  an  2000  m  lang,  700  m  breit  und  4  km 
oberhalb  des  ersten  Katarakts  gelegen,  ist  leicht  zugänglich,  gesund, 
fruchtbar  uiid  stark  bevölkert.  Die  Einwohner,  ungefähr  1500  an 
Zahl,  wohnen  in  regelmafsig  angelegten  Dörfern,  gehören  zum* Stamm 
der  Vuenya,  sind  gewerbthätig  und  treiben  Ackerbau.  Elfenbein  ist 
in  der  ganzen  Umgebung  massenhaft  vorhanden. 

Iiis  zum  10.  Dezember  hielt  sich  Stanley  hier  auf;  er  schlofs 
Vertrage  mit  dvn  Häuptlingen,  baute  ein  Haus  für  die  Station  und 
hifste  die  Flagge  seiner  Gesellschaft  auf  ^über  den  GewA^sern  des 
Congo,  in  gleicher  Kntfernung  von  Ijeiden  Oceanen,  in  der  That  im 
Herzen  von  Afrika.''  Kigentlich  hatte  der  Belgier  Hoger  die  Leitung 
der  Station  übernehmen  sollen;  al)er  da  seine  Gesundheit  sehr  ange- 
gritlcn  war.  <o  trat  der  Maschinist  des  Royal,  der  Kngl.'lnder  Bennie 
an  seine  Stelle,  um  ausgerüstet  mit  Lebensmitteln  für  ein  Jahr  und 


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anterstatzt  von  10  Zanzibar-  und  20  Haussaleuten,  die  äofserste 
Position  Uaua-Rusani  zu  behaupten. 

Am  10.  Dezember  reiste  Stanley  ab  und  nachdem  er  auf  der 
Rackfahrt  manche  Angelegenheiten  geordnet,  deren  Mitteilung  uns 
zu  weit  fahren  wQrde,  langte  er  am  20.  Januar  t884  in  Lipoid- 
ville  an,  wo  er  alles  iu  bester  Ordnung  fand. 

Die  beistehende  Abbildung  wurde  vor  Kurzem  im  vierten 
ileft  des  aeJiten  Bandes  der  Zeitschrift  der  kdnigl.  geographischen 
Gesellschaft  zu  Antwerpen  veröffentlicht;  dem  Entgegenkommen  des 

Vorstandes  dieser  Gesellschaft  verdanken  wir  es,  dafs  wir  dieselbe 
auch  unsern  Lesern  vorführen  können.  Der  neue  Dampfer  „Stanley" 
wurde  von  Jurrow      Co.  in  London  erbaut:  nach  den  letzten  Nach- 
ricliten  war  der  Seetransport  desselben  in  ein/einen  Theilen  nach 
lianana,  an  der  Mümliing  des  Conf?o.  lilücklich  bewerkstelligt  worden 
und  man  war  damit  beschäftigt,  ihn  für  die  Fahrt  nach  Yivi  zu- 
saninienzußtelleii;  von  dort  aus  soll  er  in  der  Weise,  wie  die  zweite 
Abbildung  es  darstellt,  zu  Lande  nach  Stanley  Pool  gebracht  werden. 
Der  genannten  Zeitschrift  entnehmen  wir  nachfolgende  Angaben. 
Der  Dampfer  «Stanley*  ist  aus  Stahl,  70  Fufs  lang,  18  Fufs  breit 
und  4  Fürs  tief  im  Räume.  Die  Form  des  Schiffskörpers  ist  zu  '/4  recht- 
winklig, mit  abgerundeten  Ecken;  Vorder- und  Hinterteil  sindlöffel&hn- 
lieh  gestaltet.  Bei  15  Personen  an  Bord  und  einem  Brennmaterial  von 
1000  kg  Gewicht,  hat  er  nur  HV«  Zoll  Tiefgang  und  entwickelt 
bei  einem  Kohlenverlirauch  von  175  kg  eine  Falirscbnelligkeit  von 
Knoten  in  der  Stunde,    bemerkenswert  ist  die  Art  und  Weise 
der  Aufstellun«!:  der  lokomotivartigeii  Kc-^sel    und  die  Anbringung 
des  treibenden  Kads  am  Hinterteil  des  Scluties;  auf  diese  Weise 
hat  das  Had  den  besten  Schut/  gegen  im  Flul's  treibende  Baum- 
stämme u.  (i<;l.  Die  Manövirfilhigkeit  des  Schifl's  ist  selir  bedeutend, 
Ro-Uafs,  gelenkt  dnrch  zwei  Steuerruder,  es  sich  in  sehr  kleinem  Kreise 
um  sich  seli)st  drehen  kann.   Der  Rumpf  des  Schilfes  läfst  sich  in 
kurzer  Zeit  in  acht  Teile  zerlegen  und  letztere  können  ebenso 
schnell  wieder  zusammengefügt  werden.  Andere  Einzelheiten  ergiebt 
die  Abbildung.  D.  Red. 


13» 

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Kleinere  Mitteilungen. 

§  Abs  der  Geoffrapliisrhen  (iesellscbiifl  in  Bremen.  Zunächst  verzeichnen 
wir  die  seit  dem  Krsr  hciiien  des  V()ri<_'tMi  Hefti^s  dieser  Zeitschrift  in  deu  Ver- 
samudungen  unserer  UeseUhchutt  gehuheuen  Vorträge.  Es  sprachen  Herr  Professor 
Sachau  aus  Berlin  am  10.  M&ns  über:  Palmyr»  und  die  Bedainen der  syriseh-aim- 
bischen  Wflste,  und  %m  12.  Mftn  Uber:  Herr  and  Hent;  Herr  Professor  Fisch  er  ras 
Marburg  »m  IT.Mftrs  Aber:  Norwegen,  ein  geograpblsobes  Chankterbild.  Am 
38.  Mftit  hielt  die  Oesellschaft  in  ihrem  Lokal,  Rutenhof^  ihre  JahresTersamm- 
I  u  ng  unter  dem  Vorsitz  des  Präsidenten  der  Gesellschaft,  Herrn  George  Albrecht.  Zu- 
nächst wurden  der  (als  Anlage  zu  Heft  1  der  Zeitschrift  versandte  i  Jahresbericht, 
sowie  die  Rechnung  für  188H  vorgelegt.  Die  fiinnahmen  beliefen  sich  auf  5175 
die  Ausgaben  betrugen  4234  »<t  2  somit  ergab  sich  ein  Überschufs  von 
940  Jd.  irf,  welcher  sich  durch  Abschreibungen  auf  544  M.  53  ^  reduciert. 
Die  liechuung  war  bereits  von  zwei  Mitgliedern  revidiert  und  für  richtig  befunden 
worden.  —  Der  sweite  Qeganstaiid  betraf  die  Emennnng  eines  Ehrenmitgliedes ; 
so  solchem  wnrde  der  bekannte  Orfinlandsforseher  nnd  laqgifth^ge  Oberinspektor 
der  dänischen  Kolonien  in  WesIgrOnland,  Herr  Jnstisrath  Dr.  Heinrich  Bink  in 
Christiania,  erwählt.  Dr.  Bink  hat  bekanntlich  mehrere  bedeutende  Werke  über 
Grönland,  die  Eskimostamme  und  verwandte  Themata  verfafst,  die  auch  in  andere 
Sprachen  übersetzt  worden  sind  Zu  korrespondit  reiiden  Mitgliedern  wurden  der 
Geologe  Dr.  Albrecht  Feuck  in  München  nnd  Adjunkt  Adam  Paulsen  in  Kopenhagen, 
Chef  der  vorigjührigcn  dänischen  Polarstation  in  Oodthaab,  erwählt.  —  Zum 
dritten  Gegenstande  der  Tagesordnung :  verschiedene  Mitteilungen,  wurde  zu- 
nächst die  Einladung  zu  dem  in  München  vom  17.  bis  19.  April  stattfindenden 
dentschenOeographentag  vorgelegt.  Die  Qesellschaft  beschlob  einen  Delegierten 
snm  Geographentag  nach  Mfinehen  an  senden  nnd  ersnchte  Dr.  Lindeman  diesen 
▲nftrag  za  übernehmen.  In  Folge  Verhindemng  des  Dr.  L.  eilcUrte  sieh  auf 
Ersuchen  des  Vorstandes  Herr  Dr.  Oppel  bereit,  die  Gesellschaft  in  München 
zu  vertreten  und  hat  derselbe  dem  Geographentag  als  Delegierter  der  Bremer 
Gesellschaft  beigewohnt,  auch  einen  Bericht  erstattet,  der  in  dieser  Nummer 
der  Zeits(  hrift  i  s.  o.;  aufjjenommen  wnrde.  Aufser  Herrn  Dr.  Oppel  nahmen 
'  von  unserer  (lesellschaft  noch  die  Herren  Dr.  Finsch  nnd  Kapitän  Dalimann 
am  Geographentage  Teil.  —  Weiter  wurde  von  dem  Vorsitzer  mitgeteilt,  dafs 
ein  junger  deutscher  Naturforscher,  Stndiosns  Belck  ans  Danzig,  sich  in  6e- 
gleitnng  des  Dr.  Höpfner  for  mehrere  Jahre  nach  Ovamboland  in  Westafrika 
und  weiter  nach  dem  Inneren  an  begeben  beabsichtige  nnd  daÜB  demselben  anf 
seinen  Wunsch  von  einem  Mitgliede  die  Mittel  inr  AnschafTung  guter  astro- 
nomischer Beobachtungsinstmmente  gewährt  worden  sind,  wogten  sich 
der  Reisende  verpHii  htet  hat,  seine  karto^rraphischen  Aufnahmen  der 
Gesellschaft  zu  überweisen  nn<l  ihr  auch  von  Zeit  zu  Zeit  Berichte  über  seine 
Reisen  zugehen  zu  lassen.  Dieses  Vorgehen  eines  Mit^diedes  wurde  fiendig  be- 
grülst  und  demselben  der  Dank  der  Gesellschaft  ausgesprochen.  Es  konnte 
aber  noch  über  ein  zweites  Reiseanternehmen  berichtet  werden,  welches  von 
der  Gesellschaft  demnftchst  veranstaltet  werden  soll,  ohne  dafo  sie  deshalb 
finanziell  in  Ansprach  genommen  werden  wird.  Es  handelt  sich  nm  eine  geo- 
graphische und  naturwissenschaftliche  Erforschung  der  südlich  von  Japan 
gelegenen  und  jetzt  zu  diesem  Reiche  gehdrenden  Bon in-In sein  Ein  Mitglied 
der  Qesellschuft  lenkte  nämlich  vor  einiger  Zeit  die  Aufmerksamkeit  auf  diese 


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197  — 


▼nlkanischen  Inseln,  wdche  ach  besonders  zum  Ziele  einer  naiarwi&sen- 
schsftUchen  Suninelreiae  eigneten,  da  sie  nnr  einmal,  vor  56  Jahren,  von 
dem  dentschen  Naturforscher  Freiherrn  Friedrich  von  Kittlita,  auf  knrse  Zeit 
besacht  müden  nnd  sich  nach  den  Resultaten  ilioser  Heise  eine  reiche,  viel- 
st'ifig  interessante  Ausbcaie  erwarten  lasse.  Der  Vorstand  ging  bereitwillig  auf 
den  Gedanken  ein  nnd  eine  mit  Freunden  der  (icscllschuft  in  Japan  gepflogene 
KorrepfK'ndonz  or^ah,  dafs  ein  tüchtii.'('r  tlcutschcr  N:itiirforsrli*M-  und  Docent 
der  Universität  Kiel,  der  seit  einigen  .lalircn  in  Ja[>;Ln  wi'ili mK-  (ipolo^r  Dr. 
Gottsche,  sich  bereit  erklärte,  die  Aufgabe  zu  überiuliinen.  Eü  isi,  nach  der 
mit  diesem  Herrn  brieüich  und  telegraphisch  getroffenen  Vereinbui  unj^ ,  die 
Absicht,  daTs  Herr  Dr.  Gottsche  sieh  im  Herbst  d.  J.  mit  einem  tftchtigen 
Präparator  von  Yokohama  auf  einem  Schoner  nach  Port  Llojd  auf  Boninsima 
begiebt,  nm  von  dort  ans  die  Inseln  zn  durchforschen  und  Sammlungen,  sowie 
Beobachtungen  aller  Art  zu  machen.  Die  Kosten  der  gansen  Reise  dürften  vor- 
Iftafig  durch  Vorschufs  und  Oarantiezeichnung  einiger  Mitglieder  aufgebracht 
werden.  <la  durcli  die  tinanzielle  Verwertung  der  Sammlungen  eine  tnindostens 
teilweise  Drckun^  in  Aus.^ii  ht  stellt.  —  Endlich  wurden  uocii  Briefe  von  Mit- 
;:lie(lern  \ind  Freunden  der  (lesellscludi  verlu&en,  wonach  die  im  .lalircslx  lidit 
als  in  Aussicht  stehend  bezeichnete,  von  der  Gesellschaft  imt  HuliV  der  urgen- 
tinbrhen  Regierung  und  Bdi5rdea  zu  veranstattende  Aasstella ng  argen- 
tinischer Produkte  gesichert  erschien.  —  Seit  jener  Generalversammlung 
ist  die  Sache  ihrer  Yerwirklichung  nahe;  im  April  trafen  Herr  Professor  von 
Sedstxang  als  Kommissar,  sp&terHerr  Dr.  Lopez  als  Delegierter  der  argentinischen 
R^lierong  hier  ein.  Eine  grofse  Anzahl  Kisten  mit  Ausstellungsgegenständen 
kamen  mit  den  letzten  Lloyd-Danijtfcrn  hier  an  und  indem  wir  dieses  Heft  ab- 
sc!iliefsf>n,  sind  die  Vorboroitungen  für  die  Ausstellung  in  dem  zu  dein  Zwecke 
;;emieleten  Tivolisaule  in  vollem  Gange.  Die  Eröffnung  der  Ausstellung,  welche 
etwa  3  Wochen  jedermann  zugänglich  sein  wird,  soll  am  25,  Mai  stattfinden. 
Ein  Katalog  ist  im  Druck  und  wird  entweder  gleichzeitig  mit  diesem  Heft  oder 
bald  nach  dem  Erscheinen,  als  Anlage  zu  demselben  versandt  werden.  Ober 
die  Ausstellung  selbst  gedenken  wir  im  nfichsten  Heft  Näheres  zu  berichten. 


§  Ernst  Behni  f.  Am  lö.  März  d.  J.  verschied  in  Gotha  nach  langen  Leiden 
Dr.  Ernst  Behm,  Redakteur  von  „PeteroMUlllS  Mitteilungen",  jener  berAhmten 
Zeitschrift,  deren  eigentlicher  Leiter  er  schon  zu  Peterraanns  Lebzeiten  gewesen 
war;  nefjründer  ferner  des  ireojzraphischen  Jidubuclis  und  Hearbeiter  des 
^t:iti.s(isehen  Teiles  des  Gothaer  Hufkalenders.  In  Beinn  verliert  diu  Geographie 
eine  bedeutende  Kraft;  reiche  Kenntnisse,  ein  selten  sich  irrendes  Urteil,  ein 
stets  bis  zum  innersten  Kern  der  Wahrheit  biudurchdiingouder  kritischer  bciiurf- 
blick,  ein  nie  ruhender  Fleils  bei  geschmackvoller  Schreibweise  lieCien  stets  das, 
was  aas  Behms  Feder  verülfentlicht  wurde,  anziehend  und  bedeutend  erscheinen. 
Leider  war  durch  allzuviel  Arbeit  Behms  Gesundheit  schon  l&ngere  Zeit  er- 
schüttert,  ein  starker  Geist  wohnte  in  einem  schwächlichen  Körper.  Wäi-e  die 
auf.'ierordcntliche  Arbeitskraft  des  Verewigten  nicht  durch  ein  Nervenleiden,  dem 
er  schliefKli(  h  erlag,  beinttäclitipt  und  verkürzt  worden,  so  würde  er  sicher 
nof  h  Hedeutendes  ;ieleistet  haben.  Inmieihln  bildet  Das,  was  Behni  in  '.27  Jahren, 
welche  er  der  l'ertliej^schen  Anstalt  angehorte,  in  stiller  .selbstioi.er  iiingebunp 
gewirkt  und  geschaffen,  einen  höcht  wertvollen  Teil  in  der  Entwickelunji  der  geo- 
graphischen Wissenschaft,  die  gewifs  femer  gedeihen  wird,  weua  bicit  liirem 
IMenzt  auch  in  Zukunft  gleich  treue  und  bemieiiA  Jflnger  widmen. 


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—  198  — 


US^ldft.  Dguida  und  der  ägyptische  Sudan  Ton  Rev.  C.  F.  WUmmi  and 
R.  W,  Fellun,  8  Bde.   Stuttgart,  Cotta.  1883.   Dies  ist  der  Titel  der  deatschen 

Ansgabp  des  englischen  Originalwerkes  der  beiden  Veifa-sser.  Die  gegenwärtig 
die  Aufjnorksainkeit  jianz  Ftiropas  auf  si(-h  ziehenden  Vorgänge  im  fifryptisohon 
Smlan  verleihen  dem  Buche  ein  aktncllcs  Interesse,  obwohl  die  eigentliche 
Bedt'uinng  desselben  in  der  im  orslon  Bande  gop-bciien  reirblialf i;j<'ii  Hcschroihnni: 
von  Uganda  liegt,  seines  \<)lk<'!>,  seiner  politischen  Kinnclitungoii .  in  dov 
Schilderung  von  Sitten  und  Gebräuchen  des  central-afrikanischen  Reiches. 
Durch  einen  Knef  Stanleys  vom  Mftrz  1875,  geschrieben  in  der  Residenz  Mtesas, 
des  dnrch  Speke  nnd  Grant  in  Enropa  bekannt  gewordenen  fierrsehere  tod 
Uganda,  warde  die  chnrch  miadonary  society  vezanhirst  swei  Expeditionen  anl- 
insenden, um  die  von  Stanlf^y  angeregte  Bekehrung  Mtesas  luid  der  Waganda 
ZU  vollziehen.  Die  eine  der  Expeditionen,  welcher  Rev.  ('.  F.  Wilson  angehörte, 
reiste  über  Zanzibar  nach  ihrem  Bestimm nngsorte.  Im  ersten  Rande  beschreibt 
Wilson  diese  H<  iso.  vv  giobt  uns  ein  in  wenige  Seiten  zusammengcfafstes  Bild 
des  vielbescliriebcütii  Zanzibar;  in  den  nächsten  Kapiteln  führt  er  den  Leser 
nach  Mpwapwa,  einer  weiten  Ebene  mit  zahlreichen  Dörfern  im  i^ande  Ugogo, 
dann  dnrch  Ugogo  nach  Ng*nm,  naeh  Kagei  am  Ukerewe-See,  woselbirt  Wilson 
nach  einer  sechamonatlichen  Reise  Ton  Ba^unoyo  ans  ankommt.  In  dem,  von 
England  mitgebrachten  Schiife,  der  »Daisy",  wird  der  Ükerewe-See  befehren  nnd 
der  Weg  nach  Uganda  eingeschlagen.  Rev.  Wilson  blieb  mit  einigen  Unter- 
brechungen, welche  durch  Reisen  nach  Kagei  veninlafst  wurden,  vom  Juli  1877 
bis  Mai  1879  in  Fganda.  der  erste  Europäer,  welcher  durch  einen  solchen  Zeit- 
raum das  schöne  Land  und  seine  Bevölkerung  bcoliachtcii  konnte.  Unterstützt 
von  der  Kenntnifs  der  Landesspraclie  des  Kiganda,  war  es  Mr.  Wilson  vor- 
behalten, eine  eingehende  Darstellung  des  vor  ihm  von  Speke,  Stanley.  Linant 
de  Bellefond,  Kolonel  Long  und  Emin-Bey  besuchten  Landes  zu  geben.  Diese 
Dustellnng  beruht  anf  wohlwollendar,  aber  yon  aller  SchOnmalerei,  wie  sie  nns 
s.  B.  Stanley  gab,  freier  Beobachtnng.  Da  Mr.  Wilson  mit  der  Aufgabe  ans- 
gesandt  war,  Uganda  zn  chrktianisieren,  ist  es  von  Interesse  zn  lesen,  was  er 
darftber  si^:  ,Was  das  Christenthnm  betrifft,  so  glaube  ich,  dafs  es  sich  bei 
den  unteren  Klassen  leicht  verbreiten  wird ;  aber  die  meisten  Häuptlinge,  eine 
der  hochmütigsten  Menschenklasson  übcrhanpf.  werden,  wie  ich  fürchte,  seiner 
Einführung  in  das  Land  hartnäckigen  \S  iderstund  entgegensetzen. "  In  Mr.  Wilsons 
Bericht  wird  übrigens  die  Missionsthätigkeit  nur  gelegentlich  erwähnt,  er  schildert 
uns,  was  er  als  Reisender  gesehen,  beobachtet  und  erlebt  hat,  und  dies  in  einer 
gefälligen,  unbefangenen  Sprache,  welche  sich  freilich  in  der  englischen  Original-» 
ausgäbe  besser  liest,  als  in  der  etwas  ängstlich  geschriebenen  deutschen  Ueber^ 
Setzung,  welche  ab  nnd  zn  allzu  wörtlich  genommen  wnrde,  wie  z.  B.  wenn  die 
Stelle:  he  (Mtcsa)  is  his  own  secretary  for  war,  statt  mit  Kriegsminister,  über- 
set:;t  wird:  ^Er  ist  sein  eigener  Sekretär  im  Krieg*.  Mr.  Wilson  fafst  seine 
Beobachtungen  über  das  Volk  von  Uganda  in  folgenden  Zeilen  zusammen:  .Ans 
alle  dem  ist  zu  entnehmen,  dafs  die  Waganda  dnrt  li;ius  nicht  gering  begabt 
sind  und  ein  viel  versprechendes  Feld  für  weitere  Ansljildiing  geben.  Zudem 
hat  man  nicht  zu  fürchten,  sie  könnten  vom  Erdboden  wegverleinert  werden, 
wie  es  vielen  anderen  wilden  Stämmen  ergangen  ist.  Sie  haben  alle  Laster  und 
die  meisten  Krankheiten  Europas  nnd  mfissen,  wie  die  Negerrassen  überhaupt, 
eine  nngehenre  Lebenskraft  besitzen,  um  den  f&rchterlichen  Verlust  an  Menschen 
dureh  ununterbrochene  Kriege  zu  überdauern.  Das  Volk  von  Ugftnda  hat  eioe 
grolse  Zukunft  und  die  physischen  VorsOge  und  die  centrale  Lage  des 


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Landet  befiUugen  es,  das  CiviUsationscentram  für  die  benachbarten  Völker  ra 
bilden.'  Mr.  Wilaon  verlieb  Uganda,  am  im  Verein  mit  Mr.  Felkin,  welcher  in 
Gesellschaft  einer  sweiten  Minionsexpedition  über  Charthum.  Lado  und  Mrali  za 
Mtesa  gekommen,  eine  von  diesem  Könige  nach  England  best immte  Oesandschaft 
von  mehreren  Wagandahänptlingen  zu  begleiten  und  bei  der  Königin  Victoria 
vorzustellen.  Diese  Reise,  welche  durch  die  Äi|ii;itorialprovinzcn  nacli  dorn 
bachr  Ghazitl  und  von  da,  weil  die  Kommunikation  mi  Was.ser  mit  (  bailhum 
durch  Verlegung  des  bachr  el  gebci  und  des  weilsen  Nils  mit  rilanzenbiiiien 
unterbrochen  war,  an  Land  von  Dem  Soleiman  ans  über  Darfar  und  Kordofau 
nach  Chaztham  ging,  wird  im  aweiten  Bande  des  Werkes  von  Mr.  B.  W.  Felkin 
beaebriebea.  Mit  Vergnl^n  wird  man  die  geovdneten  VerhiUtnlsse  der  von  dem 
beigablen  deutschen  Gonvemear  Emin  Bey  (Dr.  Schnltder)  geleiteten  Äqoatorlal- 
I»rovinsen  dea  igyptischen  Sudan  aar  Kenntnirs  nehmen;  mit  liebevoller  Auf- 
merksamkeit sorgt  Emin  Rey  für  die  materielle  Wohlfahrt  der  armen,  früher 
von  den  Sklavenhändlern  gehet7,ten,  geplünderten  und  dcimiovlon  Neger 
und  zeigt  uns  die  Möglichkeil,  den  Nutzen  der  HegierentUn  mit  der 
Besserung  der  Lebensbedingungen  der  Regierten  auch  in  diesen  Laiukrii  zu 
vereinen.  Mr.  Felkius  Erzählung  seiner  bezüglichen  Beobachtungen  und  Er- 
iahrangen  sengt  von  seiner  sympathischen  Anteilnahme  an  diesen  BMtrdbungao. 
Von  geagiiq^bischem  Interesse  ist  die  Bsise  von  Lado  durch  das  Madi-Land  nach 
Ajaok  am  Flosse  Bohl,  eine  wenig  begangene  nnd  nnsers  Wissens  noch  weniger 
beaehriebene  Route,  welche  durch  sorgfiltlge  Kompafsaufnahmcn  niedergelegt 
wnrde  und  ebenso,  wie  die  bislang  nie  aufgenommene  Route  von  Dem  Sulciman 
im  Dar  Fertit  über  den  bachr  el  Arab  nach  Dara  in  Darfiir  in  der,  dt  r  englischen 
Ausgabe  beigegebenen  Karte  piibli/aert  wird;  ungern  vermissen  wir  bei  der 
deutschen  Ausgabe  jegliche  Karte,  ein,  wenn  auch  nur  in  kleinem  Mafssfab 
ausgeführtes  Übersu  htskaitchen  wäre  ebenso  dnngejid  geboten  gewesen,  als  ein 
Inbalttverseiebnirs,  welebes  den  beiden  deutschen  Bändcbcn  fehlt  Die  Ankunft 
der  englischen  Missionare  mit  der  Gesandtschaft  Mtesa's  im  Gebiete  der  von 
Qessi-Fascha  verwalteten  bachr  Ghasal  Provinz  fiel  in  die  Zeit  kurz  nach  der 
Bewältigung  des  von  Soliman,  dem  Sohne  Sibehrs  geleiteten  Anfetandes  der 
Sklavenjäger  und  Händler,  der  uns  schon  dOTCh  Schweinfort  bekannten  gcUaba's, 
durch  Ges^i.  Felkins  Darstellung  des  von  Gcssi  vollzogenen  llachewerkes  ist 
von  seiner  Freundschaft  zu  dem  Italiener  becinflufsf.  den  man  nicht  von  dem 
Vorwurfe  freisprechen  kann,  in  der  Wahl  seiner  Mittel  über  das  Ziel  hinaus- 
gegangen zu  sein.  Die  Erbitterung,  welche  sich  durcli  Gcssis  drakonische 
MaHsrcgeln  der  Nubier  bemächtigte,  hat  iiuen  guten  Anteil  an  der  heuligeu 
Bewegung  des  Sudan.  Felkin  ftu&ert  sich  über  die,  jedem  der  den  Sndan 
bereiat,  sich  anfdrSngende  Sklavenfrage:  ,Ich  bin  fest  überzeugt,  es  wäre  am 
besten,  nichts  zu  tbnn,  um  daa  Einführen  von  Sklaven  nach  Ägypten  za  ver^ 
biadmn,  bis  der  Moment  zum  entscheidenden  Handeln  gekommen  und  die  totale 
Ausrottung  dieses  unmenschlichen  Handels  eine  beschlossene  ^ache  ist."  Im 
Dezember  passierten  die  Reisenden  den  bachr  el  Arab,  nicht  nur  die  politische 
Grenze  der  bachr  Ghazal  Provinz  nach  Norden,  sondern  au*]i,  wie  Felkin 
berichtet,  der  Tsetse  Fliege;  er  war  von  dem  Flusse  enttauscht,  in  dem  breiten 
Bett  üols  ein  kaum  4  Fuis  tiefer  schmaler  Wasserstreifen,  doch  ist  dieser  Flufs 
in  der  B^ganzeit  sehr  wasserreich  und  soll  der  einzige  sein,  welcher  von  hier 
an  in  d«n  Lindem  von  Darfar  nnd  Kordofan  bis  nach  Charthum  das  ganze  Jahr 
Wasser  führt  MH  der  Oberschreitong  des  Flusses  SnJcrt  bioh  auch  der 
Ghankter  der  Gegend:  weit  und  breit  nor  vereinzelte  Akazien,  Palmen  und 


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—  200  — 


Donig^bflBche;  die  Neger  machen  Ambem  PUts.  FAr  die  WaesenrmQt  des 
Landes  sengt  anch  der  Branch,  Melonensaft  statt  des  Wassers  zum  kochen  und 
TN'nschen  sn  ▼erweoden.  Mit  der  Ankunft  in  Kalaka  sind  die  Reisenden  ira 
Dar  Fnr  angekommen.  In  den  Irtzton  K;ipit<^ln  des  zweiton  Bandes  wird  die 
Reise  durch  dieses  Land  über  Dara  nach  Kl  ()hv]i\  in  Kordofan  un<l  von  da 
weiter  nach  Chart hum  geschildert.  bef;leitet  von  Heinerknnpen  über  die  Bewohner, 
ihre  Hänser,  ihre  Gebräuche,  ihre  bittli(  hen  Kipen.schaften,  ihren  Handel  und 
ihre  Indasthe.  Wenn  diese  Aafzcichnungcn  auch  nicht  vollständig  sein  konnten, 
da  der  Aufenthalt  ein  nnr  knner  war,  so  sind  sie  schitsbar  als  Ergänzangen 
und  Emeoenuigen  nmfsngreicherer  Uterer  Reisebesehreibnngen.  Im  ganaen 
genommen  bieten  uns  die  beiden  Bftnde  eine  sehr  willkommene  BereicheroDg 
der  Kenntni.«:.  zwar  schon  mehr  oder  minder  bereister,  aber  doch  noch  wenig 
gekannter  Länder  in  einer  von  aller  <>rmridcnden  T.iängo  vollkommen  freien 
Form,  welche  in  der  dentschen  Ansgabe  fast  allzu  knapp  geworden  ist. 

Richard  Biichla. 


Du  afrikanische  Binnenmeer.  Ueber  diese  neuerdings  wiederum  viel 
erörterte  Angelegenheit  hielt  Herr  Baninspektor  dansen  in  der  am  7.  April  d.  J. 
stattgehabten  Sitsnng  des  Architekten-  nnd  Ingenienrrereins  sra  Bremen  einen 
Vortrag,  dessen  Inhalt  in  dem  nachstehenden  Referate  wiedergegeben  wird.  Dem 
langgehegten  Plane,  einen  Teil  der  ungeheuren  Wfistenflächen  Afrikas  in  einen 
See  an  verwandeln  und  dadurch  diese  Gegenden  dem  Verkehr  und  der  Kultur 
zu  erschliefscn.  ist  bekanntlich  in  iienfror  Zeit  der  frnnzösiscl^o  Konnnandant 
Roudaire  nähergetreten  und  dürfte  es  interessieren,  über  dusos  grofsartige  Pro- 
jekt einige  nähere  Angaben,  die  in  verschiedenen  Zeitschritten,  insbesondere 
in  der  Zeitschrift  für  ,, Transportwesen  und  Strafsenbau".  veröffentlicht  sind, 
mitzuteilen.  Zwischen  der  in  Algier  anf  einer  frachtbaren  Oase  gelegenen  Stadt 
Biskra,  anch  von  den  Bewohnern  mit  Stola  das  «Paris  der  Sahara*  genannt» 
nnd  der  in  Tonis  gehörigen  mitteUindischen  Küstenstadt  Gabes,  die  in  gerader 
Linie  etwa  460  km  von  einander  entfernt  liegen,  befinden  sich  drei  von  einander 
getrennte,  grofse  wassor^  nnd  Tegetationslose.  mit  dünnen  oder  dickeren  Salz- 
schichten bedeckte  Ebenen,  sog.  Schotts,  sie  führen  die  Namen  Mel  H'ir  mit 
6900  qkm  Fläche,  dann  kommt  Schott  Rharsa  mit  1H0<)  (|km  und  zuletzt  hoi 
Gabo.s  Schott  Djerid  .)tKK)  ({kui  grofs.  Diese  Schotts  wurden  schon  in  iilten-r 
Zeit  von  den  Äfrikareisenden  als  ausgetr()(  km  te  Hmnenmeere  angeschen,  ohne 
dafs  überzeugende  Beweise  beigebracht  werden  konnten.  Erst  im  Jahre  1872 
ist  dnrch  den  schon  erwMinten  Kommandanten  Roodaire  mittelst  genauer 
NiTcllementa  festgestellt,  dafs  die  Sohle  des  Schotts  Ifel  R*ir  25 — 90  m  nnd  die 
des  Schotts  Rhaxsa  etwa  90  m  unter  dem  Stiegel  des  liittelmeers  li^t»  wfthrend 
Schott  Djerid  eine  höhere  Lage  ak  das  Meer  hat.  Es  ist  also  die  Möglichkeit 
vorhanden,  die  beiden  erstgenannten  Schotts  in  ein  Binnenmeer  mit  einem 
Flächeninhalt  von  82tX)  qkm  (d.  i.  reichlich  gröfser  als  das  (Jrofsherzogtum 
Oldenburg)  zu  vemandcln.  Das  von  Hondaire  zu  diesem  Ende  anfgcstellto  Pro- 
jekt stützt  sich  anf  nrnfangreiclie  sm  L'fältige  Messungen  Hodenuntcrsuchunger» 
u.  8.  w.  Der  Boden  in  der  genau  geradlinigen  Kaualsohle  ist  durchweg  sandig, 
mit  Mergel  Termischt  und  Übt  sich  anoDahmsweise  leicht  abgraben,  nnr  bei 
Oabes  ist  eine  Kreideschicht  an  durchstechen.  Ein  sehr  wichtiger  Faktor  bei 
der  gansen  Frage  ist  die  Feststdlnng  der  Terdunstnngshöhe;  hierftber  liegen 
nun  Terwendbare,  genaue  Beobachtungen  von  Lavally  vor,  welche  dieser  bei  den 
Bittersoen,  die  erst  bei  der  Erbaunag  des  Sueckanals  gef&Ut  wurden  nnd  bis 


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201 


dahin  ganz  trocken  waren,  angestelli  hat.  Es  sind  nänili(  h  die  Gröfsen-  nnd 
Ti^fenverhältnisse  der  Bitterseen  franz  ähnliche,  wii-  hti  den  hier  in  Frage 
stehenden  Bodeneinsenknngen,  ferner  ist  die  geographische  Breite  und  endlich 
aach  die  darchschnittliche  Jahrestemperatur  (21  C.)  dieselbe,  so  dab  man 
die  bei  diMtn  Seen  in  den  Mc»naton  April  bis  Septmuber  beobachtete  durch- 
■ehmtdiche  Terdmistinigdidhe  ^on  3^  mm  |nro  Tag  auch  ohne  weiteree  für  das 
kMliga  Binnenmeer  annehmen  darf.  3^  mm  pro  Tag  ergiebt  m  pro  Jahr, 
wnvnn  zunächst  0,n  m  als  beobachtete  dnrcblduittliche  jährliche  Begenwasser- 
höhc  in  der  Gegend  des  Schotts  und  sodann  nochmals  mindestens  O,-?:  m  für 
die  von  den  Qnellen  nnd  Flüssen  kommende  Wassermenge  abzuziehen  sind,  so 
dafs  also  als  wirkliche  jährliche  Senkung  durch  Verdunstung  74  cm  bleiben, 
was  eine  durch  den  Zuleitungskanal  zu  ersetzende  Wassermenge  von  sechs 
Milliarden  cbm  pro  Jahr  oder  187  cbm  pro  Sekunde  ergiebt  Ein  Kanal  von 
.  20  m  Sohlanbnlte,  11  m  WaneztielB,  IVtftehen  BftBchmigeB  nnd  11  mm 
pro  km  QefBUe  wftrde  im  Stande  seia,  diese  WaaiennAnge  sn  liefeni;  jedoch 
hat  Boodaire,  mit  Rftekncht  fenf  die  anf  10  Jahr»  angenommene  F&llnngBBelt 
des  Binnenmeeres  einen  erheblich  gröfseren  Querschnitt,  nämlich  30  m  Sohlen- 
breite, 14  m  Wassertiefe,  1>  2  fache  Bdsohung  nnd  3ö  mm  QefftUe  pro  km  in 
VorKchla^  gebracht,  welcher  UM  cbm  pro  Sekunde  zu  liefern  vermag  Die 
Länge  des  Kanals  betrügt  rund  2(X)  km  (der  SuozkaiKil  ist  lf>0  kin  lang),  wovon 
180  km  auf  die  Strecke  von  Gabes  bis  zum  Schott  Kharsa  nnd  20  km  anf  den 
Verbindnngskanal  des  letzteren  mit  dem  Schott  Mel  R'ir  entfallen  und  ist  zur 
Ansbebong  desselben  die  Beseitigung  einer  Bodenmasse  von  Ö60  Millionen  cbm 
erforderlich.  Nach  dem  Ffame  nm  Boadain  soU  mm  bei  Bewältigung  dieser 
vagshenren  Bodenmame  die  Krall  des  einströmenden  FftUnngswassers  in  ans» 
giebigster  Weise  nittebai'  gemacht  werden*  Zu  diesem  Zwecke  wird  vor- 
geschlagen, vom  Meere  bis  zur  Rodenerhöhung  von  Gabes,  da  wo  sich  die 
Kreideschicht  befindet,  das  volle  Profil  auszuheben,  alsdann  jedoch  nur  einen 
Graben  von  IH  ra  Sohlcnbreite,  3  ra  Tiefe  (im  Anfang),  einfacher  Böschung 
und  starkem  Oefälle,  nämlich  fiO  cm  pro  km,  derartig,  dafs  bei  der  Einmündung 
in  Schott  Rhin  Sil  die  normale  Tiefe  von  14  m  erreirht  ist,  herzustellen.  Für 
diesen  Graben  ist  eine  Bodenbeweguug  von  2öÜ  Millionen  cbm  erforderlich,  die 
in  Jahren  bewerkstelligt  werden  soll»  indem  gO  Bnsger  mit  je  einer  täg- 
lichen Leistnngsfthigfcejt  von  9600  cbm,  oder  einer  jihiiicheo  Leistung,  bei 
300  Arbeiistagen,  von  */i  Millionen  cbm  eingestellt  werden,  welche  das  pro  lahr 
erforderliche  Quantum  von  ßO  Millionen  cbm  Boden  bewältigen  können.  Die 
dann  noch  verbleibende  Rodenroasse  von  800  Millionen  cbm  soll  dnrch  das  ein- 
strömende  Wasser,  welches  eine  Geschwindigkeit  zwischen  (?<)  cm  und  1  m 
haben  wird,  und  dessen  Wirkung  durch  grofse  Rechenapparate,  die  den  Boden 
auflockern,  zu  unterstützen  ist,  foi-tgerissen  und  im  S(;hott  Rharsa  in  unschäd- 
licher Weise  abgelagert  werden.  Hierbei  ist  angenommen,  unter  Bezugnahme  auf 
die  in  der  Dimbowitza  bei  Bukarest  gemachten  Erfahrungen,  dafs  der  Wasserstrora 
seiner  Masse  an  erdigen  Teilen  mit  sich  reifirt,  mithin  jene  900  Millionen  cbm 
dnrch  16  MilUavden  cbm  einstriHnenden  Wassers  in  einer  Frist  von  ca.  2*lt  Jahren 
beeeitigt  werden.  Alsdann  sind  lüber  nicht  weniger  denn  10  Jahre  nötig,  nm  die 
Becken  der  Sohotts,  welche  einen  Inhalt  von  172  Milliarden  cbm  haben,  EU 
fallen,  indem  Torexst  noch  10,«  60  Milliarden  cbm  Wasser  als  Yerdunstungs- 
und  Versickemngsmenge  während  der  Fülhings/.eit  hinzukommt  und,  unter  Ab- 
zug der  in  der  Bauzeit  eingeströmten  Wasserinenge,  noch  etwa  220  Milliarden, 
oder  pro  Jahr  22  Milliarden  cbm  erforderlich  sind,  eine  Masse,  welche  das  oben 


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—  202  — 


erwähnte  Querprofil  bei  704  cbm  sekundlichem  Zuflufs  liefert.  (Die  Weser  bei 
Bremen  führt  diese  Wassermenge  bei  einem  Stande  von  ungefähr  -\-  2,»o  m.i  Die 
Kosten  sind  von  Roudaire  auf  160  MÜUonen  Franks  veranschlagt  Durch  das 
kftnftige  Biimeiimeer  wfiide  d«r  jetst  mf  lUrftwaiieii  angwnMene  V«ffcelur 
swiaehen  d«r  mitteUiiidiaeheii  Kttate  und  den  im  Bfameoteiide  gekfeneo  HaadAlf- 
niederhMiiiigtii,  den  Oaaen  der  Wfkste  Sahan  n.  A.  eine  eehr  bedeoinide  Er^ 
leichternng  erfahren  und  den  Anlall  sor  Eröffnung  neuer  wichtiger  Handelswege 
jiphf-n  Für  die  französische  Regierung  kommt  die  politische  Rücksicht  in  Be- 
tracht, dafs  die  Südgrenze  von  Algier  und  Tunis  durch  das  Meer  eine  orhehüch 
gesichertere  und  leichter  zu  überwachende  sein  wird,  so  dafs  mit  wesentlich 
geringeren  Streitkräften  den  räuberischen  Überfällen  der  Araber,  wekhen  die 
algierische  Wüste  jetzt  einen  gesicherten  Zufluchtsort  bei  Verfolgungen  gewährt, 
begegnet  weiden  kann.  Ancli  wfirden  die  Anfrtftade  im  Anree-  nnd  Ailasgebirge 
▼QUig  voSkfym^  weil  solche  Ton  dem  dum  durch  KricigwchiAe  sngfinglichen  . 
Biskn  nns  aolort  n  nntardrücken  eind.  Weiter  ist  hervotnüieben,  dnb  dne 
bereits  erwähnte  Scdiott  Djerid  höher  als  der  Meeresspiegel  lir^t  und  so  eine 
5000  qkm  grofse  versumpfte  Fläche  mit  fruchtbarem  Boden  der  Kultur,  durch 
die  dann  ermöglichte  Entwässerung  dieses  Sumpfes,  übergeben  werden  kann. 
Auch  der  aus  dem  Fischereibetriebe  auf  dem  künftigen  Binnensee  zu  erzielende 
Gewinn  ßllt  ins  Gewicht ;  es  ist  in  dieser  Beziehung  auf  den  See  Mensaleh  (in 
Unteregypten)  zu  verweisen,  der  bei  einer  Gröfse  von  2600  qkm  eine  jährliche 
Facht  Yon  2  Millionen  Franks  ergiehL  Endlich  sind  noch  nis  besonders  grofee 
Vorteile  die  voianasiehtlich  eintretenden  Andemngen  der  klimatischen  Ver* 
hiltnisse  an  erwähnen.  Das  Verdnnstnngsmafs  Ton  8^  mm  pro  Tag  ergiebt 
fllr  die  anl  8800  qkm  berechnete  Wfteserfläche  eine  tägliche  Verdunstungs- 
masse von  28  Millionen  cbm  Wasser,  welche  enorme  Menge  Wasserdonst  die 
fast  ausnahmslos  herrschenden  SfHwinde  nach  Norden  treiben;  hier  werden 
diese  Wasserdünste  durch  die  mit  Schnee  bedeckten  Gebirgsmassen  des  Atlas 
und  Aures  abgekühlt,  verdichten  sich  zu  Wolken  und  fallen  als  Regen  auf 
die  weiten,  wüsten  Länderstrecken  zwischen  dem  Schott  Mel  K'ii-  und  den 
Aaresgebirgen  nieder,  die  nor  dieses  Wolkcnsegens  bedürfen,  um  in  frucht- 
baxe  Aeeker  Terwandelt  an  werden.  Ebenso  wird  die  mit  Waeserdttnsten  erfüllte 
Lnft  wihrend  des  Tkges  den  Durchgang  der  WftrmestraUen  der  Sonne,  sowie 
wihrend  der  Nacht  die  Wirmeaassttahhing  des  Bodens  erschweren  und  so 
dazu  beitragen,  die  staifceni  die  Gesundheit  der  Bewohner  nnd  die  KnKnr^ 
fähigkeit  des  Bodens  so  sehr  schädigenden  Kontrdstc  zwischen  Tageshitze  und 
Nachtkälte  zu  mildern.  (Im  Dezember  1874  ist  an  den  Ufern  des  Mel  R'ir  am 
Tage  eine  Hitze  von  20"^  C.  und  in  der  darauf  folgenden  Nacht  eine  Kälte  von 
—  7"  C,  also  eine  Differenz  von  27**  konstatiert  worden.)  Was  nun  noch  die  Aus- 
sichten auf  Ausführung  des  Projekts  anbetrifit,  so  ist  in  dieser  Beziehung  zu 
bemericen,  dab  von  der  firansfisiaehen  Regtemng  eine  Kommission  aar  Frfllfung 
der  Bondaireechen  VorschUge  niedergesetst  ist  nnd  diese  die  MdgjUehkeit  der 
AnsfUming,  sowie  die  Qenanigkeit  der  Vermeasongen  in  Wlem  Habe  anerkannt 
hat.  Nur  bezüglich  der  Kosten  gehen  die  Ansichten  weit  auseinander;  zunächst 
glaubte  die  Kommission  diese  auf  450  Mill.  Franks  gegenüber  der  von  Roudaire 
berechneten  Summe  von  160  Mill.  Franks  veranschlagen  zu  müssen,  sodann 
wurden  aber  auch  in  einer  der  letzten  Sitzungen  der  Kommission  die  An- 
sichten Roudaires  hinsichtlich  der ,  unter  Voraussetzung  einer  zehnjährigen 
FiUlungsperiode  erforderlichen  ^Erdbewegung  bestritten,  vielmehr  behauptet, 
dafs  etwa  194ft  Millionen  cbm.  Boden  an  beseitigen  wiren  nnd  dement- 


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—  203  ^ 


sprpf  hrnd  die  Kosten  auf  1  Milliurfle  Franks  zu  veranschlagen  seien.  Damit 
war  hIm  r  auch  das  ri  ojckt  in  der  Kommission  gefallen,  indem  von  der  An- 
nahme ansgepanpen  wurde,  dafs  alsdann  die  zu  erwartenden  Vorteile  doch 
jiu  ht  geniigen  könnten,  um  die  Aufwendung  üo  erheblicher  Geldmittel  zu  recht- 
fezfigeii.  In  neuerer  2Mt  haben  rieh  die  Ämsiehten  jedoeh  erheblich  gebesserti 
indem  das  Projekt  in  dem  in  solchen  Anlagen  kompetentesten  Ingenieur  der 
Gegenwart,  Herrn  Ton  Lesseps  nftmlich,  einen  warmen  Beffirworter  gefanden 
bat  Derselbe  bat  vor  Jahresfrist,  im  April  188:^,  bereits  im  78.  Lebensjahre 
stehend,  nnigeben  von  einem  Stabe  von  Ingeniearen  nnd  Orofsuniernehmem, 
die  ganze  Strecke  unter  den  mannigfachsten  Strapazen  und  Entbehrungen  be- 
reist. Das  Resultat  dieser  Bereisnng  ist  in  einem  Protokoll  niedergelegt,  worin 
das  Projekt  warm  empfohlen  un<l  die  l'berzeugung  ausgesprochen  wird,  dafs 
sich  dasselbe  für  150  Millionen  f  ranks  verwirklichen  liefse.  Möge  es  denn  dem 
Einflüsse  dieses  berühmten  Diplomaten  und  Ingonieurs,  dessen  Geschicklichkeit 
in  beiden  Berufen  es  gelangen  ist,  die  Ansfahrang  des  Sneakanals  und  der  im 
Ban  begriffenen  Dorchstechnng  des  Isthmns  von  Panama  zn  erwirken,  auch 
vergönnt  sein,  die  Heisteihing  dieses  dritten  groben,  internationalen  Wasser- 
weges za  sichern!   

Ans  der  Hepublik  Liberia.  Dem  in  lieft  l,  s.  Sl  u.  fT.  dieser  Zeitschrift 
besprocheneu  Bericht  des  Naturforschers  J.  Hütt ikotei-  nhw  seine  Ueisen  in 
Westafrika  188i)  IHHi  entnclituen  wii-  noch  die  nachstehende  Mitteilung  über 
die  Wohuverhältni.sse  der  Koloni.sten  ni  Liberia.  Mit  wenigen  Ausnahmen  sind 
die  Wobnhäoscr  nach  einem  and  demselben  Plane  ans  Holz  gebaut  and  mit 
Kalk  angestrichen,  wodnrch  das  Hobswerk  sowohl  gegen  den  Einflnfs  der 
Wittemng,  als  auch  gegen  die  brennenden  Sonnenstrahlen  geschfitzt  wird.  Nor 
in  den  Bevdlkoningscentren,  besonders  in  Monrovia,  wie  anek  auf  einigen  der 
vielen  blühenden  Kaffee-  und  Zuckeridantagen  am  St.  Paul,  die  als  die  vor- 
trefTlichsten  Liberias  bekannt  sind,  findet  man  massive  Häuser,  die  mit  Ziegeln, 
oft  auch  mit  Zink  gedeckt  sind;  jedoch  f<hlt  aii<h  an  diesen  so  wenig,  als  au 
den  hölzernen  Häusern  der  Farmer  die  unvermeidliche  piazzu.  Die  erste  Eigen- 
tümlichkeit, welclie  bei  diesen  Holzhäusern  uufflillt.  ist  die.  dafs  sie  nicht  un- 
mittelbar auf  dem  Gruntle  oder  auf  durchgehenden  Fundamenten,  sondern  auf 
nngcfähr  8—6  Fols  hohen  Pföhlen,  oder  wo  das  Material  beqaan  zn  haben  ist, 
aof  steinernen  Pfeilern  rohen.  Vom  sanitären  Standpunkte  aas  ist  diese  prak- 
tische Malsregel  nicht  zn  unterschätzen;  denn  da  nnn  der  Wind  anter  den 
Wohnungen  freien  Durchzug  hat,  kann  er  den  Einflnfs  der  schädlichen  Miasmen 
sehr  verringern.  Indefs  ist  diese  Art  der  Fundamentierang  schon  deshalb  not- 
wendig, um  die  Häuser  während  der  langen  Regenzeit  von  unten  trocken  zn 
b;ilt«-n  und  sie  besser  gegen  die  zerstörenden  Atigrifft-  dor  Tennitm  schützen  zu 
können.  Um  letzteren  Zwerk  noch  sicherer  zu  crr»  i<  lien,  werden  die  l'fiihle, 
welche  als  Fundament  dienen,  mit  Thecr  getränkt.  f)bendrein  —  und  dies  ist 
vielleicht  der  Hauptgrund,  weshalb  man  diese  Bauart  wählt  —  ist  sie  viel  ein- 
facher und  billiger,  als  eine  Fandamentieruug  mit  Steinen.  Aof  8 — 10  solcher 
Pfthlen  resp.  Steinpfeilern  rnht  das  ganze  Hobsgebftude,  dessen  Parterre  gewöhn« 
lieh  dorch  eine  hölzerne  Wand  in  eine  Art  von  Wohn-  und  Empfangszimmer 
(parlor)  nnd  eine  etwas  kleinere  Schlafkammer  geteilt  wird.  Hinter  diesen 
beiden  Kanmen,  in  der  Länge  des  (iebäudes,  befindet  si'  h  zu  ebener  Erde  unter 
einer  Verlängerung  des  Dache.s  ein  Hinterzimmer  (backshade),  das  ebenfalls  von 
hölzernen  Wänden  eingeschlossen  ist,  als  Vorratskammer  und  als  Lagerraum 


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—  204  — 


;!ohi:iU'  ht  wirrl  für  allos.  das  in  Hpii  beiden  Woliiuminicrn  und  auf  der  Boden- 
kammer, die  HUt  li  iils  Schlafrauiu  dient.  ni<  ht  Platz  finden  kann.  An  der 
Vorderseite,  in  der  Länge  des  Gtebäades,  ist,  gleichfalls  unter  einem  vor- 
springenden Dach,  die  etwa  3  m  breite  piaua  angelegt,  za  welcher  ▼om  Vor- 
garten oder  von  der  Strafse  aus  eine  Treppe  von  Hols  oder  von  anfeinander 
l^elegten  Steinen  Zngang  gew&hrt.  Auf  dieser  beschatteten  piazBa,  dem  Lieblings- 
platze  der  Haasgenossen,  sowohl  bei  brennender  Tageshitse,  als  in  kdhlen 
Abendstunden,  stehen  einige  rohe,  aus  Stroh  oder  Binsen  gcflochtnie  Sessel, 
nnd  die  in  Liberia  unentbehrlicho  Hängematte  ladet  zum  Ruhen  ein.  A\is  einer 
Hinterthür  in  der  backshade  fülir<  ii  einige  Stufen  nacli  der  Küche,  die  meislens 
in  einer  kleinen  Entfernung  hinter  dem  Hause  liegt.  Dieselbe  ist  nichts  weiter 
als  ein  Schuppen  mit  Wänden  von  Palmblattrippen  und  einem  Dache  von 
Palmblattem.  Der  Heid  zu  ebener  Erde  wird  gebildet  darch  einige  Steine  oder 
Holsblftcke,  die  das  Feaer  nuammenhalten  und  ragleich  als  Stütae  dienen  fBr 
den  eisernen  Topf,  in  weichem  das  Essen  gekocht  wird.  Der  ganse  zum  Hanse 
gehörende  Platz,  der  sogenannte  Garten  (yard),  ist  oft  von  einem  /aun  nm- 
geben.  Die  VTSnde  der  Hän^<  r  1h  ft  hen  aus  ungehobelten  Brettern,  welche  anf 
dem  Balkengerüst  festgcnat/elt  sind  un<l  sebuppcnartig  anfeinander  liegen;  das 
Dach  besteht  aus  hölzernen  Dachspänen.  In  den  oft  schiefstelionden  Thür-  nnd 
Fensteröffnungen  hängen  schwere,  grob  gearbeitete  Thüren  und  l  enslerladcn 
Von  Fensterscheiben  ist,  einzelne  öffentliche  und  private  Gebäude  ausgenommen, 
keine  Spar  zxx  finden.  Aach  werden  die  Wohnzimmer  in  einfachen  Farmen  in- 
wendig selten  mit  Brettern  belq^t,  da  es  gesunder  nnd  kühler  ist,  wenn  der 
\nnd  durch  die  Ritzen  der  AnWnw&nde  dringen  kann,  und  man  fiberdies 
weniger  von  Batten  und  Schlangen  za  leiden  hat,  die  sich  gern  in  Hftnsern  mit 
Doppelwftnden  aafhalten.  Die  Ansstattung  der  Wohunngen  ist  mit  geringen 
Ausnahmen  sehr  einfach.  Einige  der  schon  beschriebenen  Stühle,  ein  un- 
behobelter  Tisch,  einige  Kisten  und  Koffer,  einige  sehr  breite  Bettstellen  mit 
harten  Betten  —  weiche  Betten  sind  zu  wann  und,  wenn  ir;:  nd  mögli -h. 
ein  Schankelstuhl  (rocking-chair)  für  die  Frau  des  Hauses,  machen  das  ganze 
Meublement  aus,  wenn  man  nicht  einen  kleincu,  halbmatten  Spiegel  und  einige 
Bilder  k  la  Genoveva}  mit.  oder  ohne  Rahmen  daza  rechnen  will.  Eine  Haasahr 
ist  in  einer  Famerwohnong  oder  in  einem  einfachen  BÜrgerhaase  selten  za 
finden.  In  einem  Lande,  wo  das  bekannte  «time  ts  money*  nicht  za  Hanse  ist, 
wo  die  Sonne  beinahe  das  ganze  Jahr  hindurch  regelmäfsig  um  6  Uhr  auf-  und 
untergeht  und  am  Mittage  ihre  Strahlen  senkrecht  hernieder  sendet,  ist  eine 
Uhr  ein  leicht  zu  entbehrender  Luxusnrf  ikel.  Man  ist  es  dort  gewohnt,  die  Zeit 
nach  dem  Stande  der  Sonne  zu  bestimmen  nnd  irrt  si.  Ii  selten  auch  mir  um 
eine  Viertelstunde.  Vor  Sonnenaufgang  ri<  htet  man  sk  h  na«  Ii  dem  Krähen  des 
Hahns,  das  oben  so  gut,  wie  das  Gerassel  einer  Weckuhr,  zum  Aufstehen  mahnt. 
Dafs  in  Monrovia,  wo  ts  viele  wohlhabende  Familien  giebt,  weit  gröfsere  An- 
sprflche  an  das  Leben  gestellt  werden,  bedarf  wohl  kaum  der  Erwähnung. 

§  Karten  von  Afrika.  Die  geographische  Anstalt  von  Velhagen  A  Klasing 

in  Leipzig  veröffentlichte  kürzlich:  Karte  von  Afrika,  von  Ti.  Andree  und 
A.  Scobel,  im  Mafsstab  1  : 10000000,  Januar  1884.  Der  stetig  fortschreitenden 
Aufsehliefsung  der  unbekannten  Teile  Afrikas  folgt  mit  grofspv  rüUu  ijjkeit  die 
Kartographie  ;^lei<  hsam  auf  dem  l''nrse.  wir  erinnern  nur  an  <lie  neuen  Karten 
von  Afrika  von  Cliavanne,  Kiejterl,  Havent;tein  das  östliche  Äquatorial  -  Afrika, 
25  Blatt),  Johnstou,  Stanfords  Library  maj>,  die  Karte  in  der  neuen  Ausgabe 


—  205  — 


» 


TOD  Stielers  Atlas  n.  A.  Die  vorli^j^nde  Karte,  gröfser  wie  die  letztgenannte, 
bietet  in  der  That  das  Neueste;  so  enthält  sie  die  Reiserouten  Junkers,  der 
Mitglieder  der  deutschen  afrikanischen  Gesellschaft  (die  astronomischen  Orts- 
bestimmungen Dr.  Biu'hiiers  und  Wissmanns  wurden  schon  benutzt),  sowohl 
östlich  vom  Tangaiijika-See,  wie  an  den  südlichen  Unterflüssen  des  Congo,  ferner 
die  neuen  Aufnahmen  der  Franzosen  in  den  Hinterländern  von  Seuegambien; 
di«  iMaesteii  Anfiiahnien  Stovartt  Tora  NjMMipSee,  endlieh  A.  A.  Andeiaons 
Tor  kiinem  im  Joamal  der  Londoner  geographiscbrai  Geselladiftfl  verGffenfliehte 
Karte  des  Inneren  von  Süd  •Afrika.  Die  Oebirgaseichniing  kOnnte  immerhin 
etwas  schärfer  liervortreten.  —  Im  Verlag  von  S.  Schropp  in  Berlin  erschien 
eine  Karte  von  Süd>Afrika,  in  englischer  Sprache,  von  dem  bekannten  Missions- 
Inspektov  Merensky.  im  Malsstab  von  l:2ö(K)00();  dabei  wurde  eine  Menge 
w^TtvolIen  schwer  zugänglichen  Materials,  namentlich  bezüglich  der  Transvaal- 
Republik,  benutzt,  doch  enthält  die  Kaiie,  wie  im  Monatsbericht  des  Aj)ril-Hefts 
von  i^eternianus  Mitteilungen  näher  nachgewiesen  wurde,  auch  verscitiedene 
kleine  Irrtümer.  Das  Gebiet  der  neuen  dentschen,  jetzt  anter  das  Protektorat 
des  deutschen  Reichs  gestellten  Kolonien  in  Orors-Namaqoaiand  (Angra  Peqneila), 
welches  sich  an  der  Küste  tou  der  Mündnng  des  Oranje-Fhisses'  bis  znm 
96.  Gfade  südlicher  Breite  erstreckt,  ist  schon  auf  der  Karte  beswichnei  End- 
lich ist  noch  einer  Publikation  des  bekannten  Geographen  James  Stevenson  an 
gedenken,  welche  ursprünglich  in  den  Verhandlungen  der  Glasgower  philosophischen 
Gesellschaft  und  jetzt  in  besonderem  Abdruck  erschienen  ist.  Sie  betrifft  die 
Wasserst nilsen  I iinei-Afrikas  und  wird  durch  kleine  Karten  bereichert,  welche 
die  bezüglit  heu  Verhidtnisse,  ferner  die  Richtung  der  Sklavt  nhändlerzüge  und 
die  Gebiete,  wo  die  Händler  ihren  Menschenraub  betreiben,  in  Farben  verau- 
schanlichen. 


Dio  Dratwliei  Im  itm  Vereiiigtei  Staatei.  Der  frühere  Staatssekretär 

für  die  Reichslande  Elsafs-Lothringen,  Herr  C.  Herzog,  hat  in  den  Jahren  1881 
und  1882  die  Vereinigten  Staaten  von  Florida  bis  nach  Oregon,  ferner  Theile 
von  Mexiko,  Westindien.  Chile  und  Argentinien  bereist  und  kürzlich  als  Ergeb- 
nisse dieser  Reisen  ein  zweibändiges  Werk  :  „Aus  Amerika"  venifFciit licht,  das  so 
reich  an  interessanten  Beobachtungen  und  lebensvollen  Sclnlderungeii  ist,  dafs 
es  nicht  Wunder  nehmen  kann,  wenn  gemeldet  wird,  die  1.  Auflage  sei  bereits 
vergriffen.  Indem  wir  hiermit  Herzogs  Reisebriefe  als  eine  wahrhaft  anziehende 
und  belehrende  Ijektüre  empfehlen,  iheilen  wir  in  nachfolgendem  eine  Stelle  mit, 
die  sich  anf  die  Dentschen  in  Amerika  besieht  Sie  trifft  mit  der  darin  aus- 
gesprochenen got  dentschen  Gesinnung  und  der  ruhigen  gerechten  Abwignng 
aller  Verhältnisse,  wie  uns  auf  Grund  unserer  eignen  Beobachtungen  und  Er- 
fahrungen scheinen  will,  in  jeder  Beziehung  das  Richtige.  Herzog  spricht  von 
G.  Körnei-s  trefni(  hem  Btich  über  die  Entwickelung  und  den  Einflufs  des 
Deutschen  Elements  in  den  Vereinigten  «Staaten  in  der  Zeit  von  1818—1848  und 
sagt  da  u.  A. : 

„Von  den  Anstrengungen  der  Deutschen,  um  der  Rechtsschmäleruug  der 
Einwanderer  entgegenznarbciten,  welche  die  Partei  der  American  Natives  in  den 
Voijahren  sich  zur  Aufgabe  gestellt  hatte,  giebt  das  Buch  eine  sehr  anschanliche 
Darstellung,  nicht  minder,  wie  sie  im  Bereich  des  ünterrichtswesens  und  der 
Kunst,  Tornehmllch  der  Ifusik  bahnbrechend  und  anregend  gewirkt  und  wie  sie 
dadurch  auf  das  sociale  Leben  des  Volks  bestimmenden  Einflufs  geübt  haben. 
Ich  nannte  dies  tröstlich  insofern,  als  es  dicT  oft  gehörte  Behauptung  widerlegt, 


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—  2üü  — 


dals  die  D<»utsrlien  in  dt'ii  \  <M  «'iiii;:i('ii  Sfautoii  widerstuiidsloN  mit  ihrer  Nationalität 
aucl»  deut.selu'  Art  ;mt";.H'beii  und  in  dt  in  tMijilisidj  -  aint'i  liviuux  hoii  Wesen  «ich 
auflösen,  fcsicherlich  ust  dies  in  gewihj»eai  üintange  der  Fall,  insbesondere  bei 
den  Aaswsnderem,  welche  ohne  höhere  SehnHuldung  und  ohne  Kenntnis  der 
engUschen  Sprache  in  Unigebnngen  kommen,  wo  sie  inmitten  von  Änglo- 
Amerikanern  leben  und  sich  eine  Stellang  schaffen  müssen.  Das  geistige  nnd 
politiache  Uebergewiclit  zwingt  sie  zur  Anpassung  in  Sprache  und  Sitte  nnd  der 
materielle  Vorteil,  der  damit  verbanden  i.st.  marht  diese  Anbcqnemnng  begehrens- 
wert. Aber  an(  Ii  besser  Gebildete  unterliegen  dein  Kinttnfs.  und  wenn  nicht 
sie  sell)st,  so  doch  ilire  Kinder  und  weiteren  Narbkoniineii.  7.unäch.st  ers<  lieint 
er  in  der  Sprache.  Englisch  ist  in  den  Vereini;j)('n  Staaten  liie  Sprai  iie  des 
Gesetzes,  des  Amtes,  des  Handels  und  Verkehrs,  wohl  uulIi  der  Schule,  wo  die 
Dentschen  nicht  ao  dicht  wohnen,  dafs  sie  eigene  Schulen  mit  deutscher  Unter* 
richtaaprache  erhalten  können.  Seibat  dann  treibt  der  Umgang  der  Kinder  mit 
Kindern  englischer  Zunge,  an  welchem  die  Nachbarschaft  anwiUkflrlich  fOhrt, 
und  noch  mehr  die  tägliche  Ber&hrong  mit  Arbeitern  und  Dienstboten  englischer 
Abstammung  dazu,  die  Sprache  zu  lernen  und  mit  Vorliebe  zu  gebrauchen; 
noch  stärker  macht  sich  dies  gcdtend  im  Verkehr  der  jungen  licute.  bei  welchem 
die  T.iebe  ins  Spiel  kommt.  Wahrscheinlich  ist  der  Untergang  der  deutsche« 
Sprache,  wenn  die  Khe  (latten  verschiedener  Natiiuialitat  vereinigt,  be.somlers 
dann,  wenn  der  Mann  Deutscher  ist.  Aus  Rücksicht  und  Zärtlichkeit  gegen  die 
Frau  bedient  er  sich  zunächt  der  Sprache,  in  welcher  er  um  sie  geworben  hat 
und  welche  sie  ohne  MAhe  versteht  Vielleicht  macht  ate  den  Versuch,  auch 
seine  Sprache  an  erlernen,  doch  nur  ausnahmsweise  mit  Auadauer  und  mit 
Erfolg.  Der  Einflufo  der  Verwandten,  auch  der  Dienstboten,  welche  sie  sweck- 
niäfsig  ar,  <1i  neu  wählt,  welche  sie  verstehen,  bewirkt,  dafs  sie  in  ihren  Be- 
mühungen bahi  nachläfst.  Dafs  die  Mntf^r  dann  mit  ihren  Kindern  zunächst  in 
ihrer  Mutfcrsprai  lie  rede,  wird  man  nur  natüilich  finden.  Selir  selten  gelingt 
es  einem  energisthen  deutsehen  Manne,  dessen  l-'iau  nicht  seinem  Volke  an^je- 
hört .  die  deutsche  Si)rache  als  Haxis-  uutl  Familieiisprache  durclizuset /m : 
mancher  wird  dazu  einen  Anlaut  nehmen,  aber  dem  fortj^esetzteu  unwilikvuUciien 
Widerstande  gegenüber  allmihlich  ermatten.  Noch  eher  vermag  eine  deutaehe 
Frau  mit  Liebe  und  Geduld  ihre  Muttersprache  im  Hanse  zur  Geltung  zu  bringen, 
wenigatona  ao  hmge  als  die  Kinder  nicht  die  Schule  besuchen,  wo  sich  dann  das 
Englische  allmählich  einachleicht;  aber  auch  diese  F&lle  sind  selten. 

Kine  tJestätigung  dieser  Erfahrungen  tand  ich  in  BelU'vdle  im  Hanse 
)nejnes  (iastfri  undes.  kerndeutsche  Eltern,  die  mit  einander  und  mit  den  Kindern 
deutsch  spru<'lien ;  <lie  lef/.tei  en  aber  unter  einander  und  mit  ilnen  FreuJiden 
zogen  es  vor.  entzlist  li  zn  spi  ecbeii  .  so  entschieden  .  dals  dei-  englisrhe  Accent 
sich  bereits  in  der  Aussprache  des  Deutschen  geltend  machte.  In  einem  anderen 
Hause  war  daa  Familienhaupt  der  Sohn  deutscher  Eltern,  wenn  auch  in  Amerika 
geboren,  seine  Frau  Amerikanerin;  von  den  sechs  Kindern  sprach  keines  auch 
nur  ein  deutsches  Wort  Und  in  Belleville  ist  ein  Drittel  der  Bevölkerung 
deutschen  Ursprungs;  wie  viel  schwerer  mag  es  sein,  wo  die  Deutschen  isoliert 
leben  I  In  diesen  Dingen  muFs  man  sich  hüten  zu  verurteilen  ohne  genaue 
Kenntnis  der  Verhältnisse,  die  mächtiger  sind  als  der  Wille  und  Wunsch 
des  Einzelnen,  andererseits  aber  um  so  mehr  alle  Bestrebungen  anerkeniUMi. 
die  darauf  gerichiei  sind ,  der  Sprache  in  Fnterri<  ht  ujid  Presse  Geltung  zu 
schaffen  und  zu  erhalten,  inu  wenigstens  in  der  LiUeratur  den  geistigen  Zusam- 
menhang hersosteUen.  Ueber  Eines  übrigens  dflrfen  wir  beruhigt  sein.  Der 

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Qmod,  Mis  welchem  Mher  wohl  d«r  Deatsehe  in  Amerika  seine  Nationalitit 
nicht  wahrte  oder  gar  verlengnetei  die  Schwache  und  Zerriasenheit  seines  Yater- 

Uodes,  an  dem  er  keinen  Bflehhslt  hatte  nnd  das  ihm  keinen  Schate  gewShrfce, 
dieeer  Ghrnnd  besteht  nicht  mehr.  Seit  dem  Jahre  1870  hat  der  deutsche  Name 
einen  anderen  Klang  nnd  die  Deutschen  im  Auslände,  welche  das  Deutsche  Reich 
hinter  sich  wissen .  bekennen  sich  mit  mehr  Selbstgefühl  zu  demselben,  als  es 
vielfach  in  der  Heimat  geschieht.  Zfiher  als  die  Sprache  erhalt  sich  im  allge- 
meinen die  Sitte  and  Gewohnheit  im  Hause  und  im  Familienleben.  Vieles  selbst 
davon  ist  in  die  englische,  an  sich  ansschliefsende  and  Fremdes  abweisende, 
Lebenshaltang  übergegangen;  der  dentsche  Tannenbaum  am  Weihnachtsabend 
I.  B.  wird  keineswegs  nnr  in  dmtschen  Hftnsem  angesOndet. 

Das  Richtige  wird  wohl  sein  Geben  nnd  Nehmen.  Die  deutschen  Ein- 
wanderer, die  amerikanische  Staatsbürger  geworden  sind,  können  und  dürfen 
nicht  daran  denken,  sich  als  Deutsche  von  ihren  amerikanischen  Mitbürgern  za 
trennen  und  eine  Besonderheit  aufrecht  halten  zn  wollen ,  die  sie  zu  einem 
Staat  im  Staate  machte.  Politisch  und  social  ist  dies  weder  möglich  noch  wäre 
es  ratsam.  Aber  was  sie  thun  können  und  sollen ,  das  ist  die  Erhaltung  dank- 
barer and  treuer  Gesinnung  gegen  das  alte  Vaterland,  das  ist  Wahrung  der 
Spnche,  damit  ihnen  daa  zugänglich  bleibe,  was  die  gentige  Arbeit  in  Beatsoh- 
laad  hervorbringt,  nnd  dadurch  die  geistige  Gemeinschaft,  die  am  festesten  ver- 
biadet,  sieh  erhalte,  das  ist  Fleifo,  Emst  und  Rechtachaflenheit  in  Qeachillen, 
das  ist  uneigennützige  und  selbstlose  Thätigkeit  in  Angelegenheiten  des  Gemein- 
wesens, das  ist  Ehrbarkeit  nnd  Treue  im  Familienleben,  das  ist  endlich  die 
Freude  am  Schönen  in  Natur  und  Kunst,  welche  das  Leben  dem  blos  materiellen 
(tciiussc  tMithebt.  Nicht  als  ob  alle  diese  Strebungen  und  Dinge  ein  ausschliels- 
licher  I3esitz  des  deutschen  Stammts  wären,  aber  em  gewisses  Vorwalten  der 
idealen  Richtung  riiumt  man  ihm  über  den  Erdball  hin  ein,  und  es  will  mir 
scheinen,  dafs  es  wohlgethan  wäre,  wenn  Deutsche  überall  wo  sie  leben,  diesem 
Bofe  gerecht  su  werden  suchten.* 

Haitavidet.  Herrn  Ingenieur  Mosthaff,  Mitglied  der  Deutschen  SAd- 

polarexpedition,  verdanken  wir  die  nachstehende  Schilderung  seines  Aufent- 
halts in  Montevideo  im  Sommer  1882:  Wir  kamen  am  4.  Juli  1882  in  Montevideo 
an,  wo  die  dentsche  Panzerkorvefte  ,Moltke=',  Kapitän  z.  See  Pirner,  von  der 
amerikanischen  Westküste  kommend,  bereites  eingetroffen  war,  um  unsere  Ex- 
pedition nach  der  Insel  Süd-(«eorgieu  zu  überführen.  Am  f).  Juli  wurde  der 
erste  Besuch  an  Bord  der  „Moltke'*  abgestattet.  Vom  4.  bis  23.  Juli  blieben 
wir  in  dem  hftbachen,  gastlichen  Monterideo.  Am  Ausflüsse  des  riesigen  La  Plata 
gelegen,  bietet  Montevideo  mit  seinem  Hafen,  welcher  nach  Südwest  Tom  Cerro, 
einem  spitsen  befestigten  Berge  von  etwa  149  m  Höhe,  nach  Slkdost  su  von  der 
Stadt  selbst  begrenzt  wird,  mit  seinen  flachen  Dächern,  den  an  italienische 
Banart  erinnernden,  sich  übereinander  aufbauenden  weilsen  Häusermanern,  der 
Silhouette  seiner  Kathedrale,  den  reizenden  Villen  im  licllen  Sonnenschein 
einen  sehr  schönen  Anblick.  Für  uns  wird  die  Stadt  noch  mehr  der  liebens- 
würdigen (tastfreundschaft  seiner  Bewohner  halber,  und  zwar  nicht  nar  der 
Deutschen,  sondern  auch  der  einheimischeu  Spanier,  stets  eine  der  schönsten 
ErinDerangen  bleiben.  Montevideo  hat  eine  ganz  bedeutende,  za  der  jetzt  gerade 
foihiltnismäfsig  geringen  Einwohnersahl  (90000)  in  umgekehrtem  VeihlHnis 
stohende  Ausdehnung.  Die  Fronten  der  Hioser  sind  durchschnittlich  sehr  einÜMh 
gehalten,  doch  herrscht  im  Innern  meist  ein  bedeutender  Luxus.  Die  Häuser 


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rind  im  allgemeinen  gut  ^'ebuut,  ilio  Grundrisse  ziemlich  ähnlich,  WAnig  Ver- 
wendung von  Einen,  schmale  Front,  jedoch  gröfscre  Lüngenausdehmig  nach  rück- 
wärts, stets  mit  einem  oft  zwei  Lichthüfen,  mit  Mnrmorplatten  saaber  belegt, 
wie  überliaupt  der  Marmor  in  seiner  Veiwenduii;.'  zu  Fliefsou,  Porticis,  Treppen 
ein  sehr  verbreitetes  Banmutorial  ist,  das  bestuulers  in  dein  sciiönen  Kirrhhofe 
mit  seinen  Kapellen  und  üuLsersf  reichen  Monumenten  zur  Wirkung  kommt. 
In  den  LichthdfNi  der  Hfinser  prangen  wnnderrolle  Blumen,  Palmen,  Citronen, 
Orangen,  sowie  heioaden  hohe  und  piftehtige  Kamelien.  Anf  den  flachen 
Dichern  iat  meist  noch  ein  BeWedere  vorhanden,  von  welchem  man  eine  pvfich- 
tige  Aassicht  aaf  Stadt  und  Meer,  den  Hafen  und  gegenüberliegende  Citadelle 
genieist.  Drei  grofse  hübsche  Plätze,  verbunden  durch  eine  recht  elegante  breite 
Strafse  und  mit  Bäumen  bepflanzt,  sind  hervorzuheben.  An  die  Stadt  sich  an- 
nnd  den  Hafen  beinah»'  iiinst  hliefsend  reihen  sich  die  den  hiesigen  Kautieuten 
aller  Nationen  gehörigen  \illfn  (C^uintas  pcnunnfi  an.  zum  gröfsten  Teil  mit 
bedeutendem  Luxus,  hier  uiu  Ii  im  Aufseren,  in  allen  mügli<'hen.  oft  uumöglicheu 
Stilarten  gebaut.  Dieselben  liegen  meist  30—40  m  von  der  Strafee  entfernt 
inmitten  schönet  angelegter  Parka;  hier  erheben  aich  Statnen  und  Spring- 
bmnnen  nnd  es  wachsen  nnd  bifthen  meist  tropische  Gewftchae  und  Bftnme, 
wie  Arancarien,  Wellingtouien,  Orangen,  Citronen,  Eucalypten  nnd  Palmen  aller 
Art.  Der  Verkehr  swiachen  den  Villen  und  der  Stadt,  sowie  dem  Cono  und 
den  Leuchtthürmen  wird  dnrch  eine  Menge  Tramwaylinien  vermittelt.  Es  exi- 
stierten damals  allein  7  sich  Konkurrenz  in.K-liende  Kompagnien.  Die  Wagen  der- 
.selben,  wie  auch  die  Waggons  der  Kisenbalm.  werden  meist  von  Newyork.  in 
letzter  Zeit  auch  von  Buenos-Aires  bezogen.  Reparaturwerkstätten  besitzen  die 
Kompagnien  hier  selbst.  Es  giebt  im  Lande  eigentlich  sehr  wenige  Fabriken, 
aber  da  eben  alles  vom  Aaslande  bexogen  wird,  grofiae  Uandlungsh&user.  Der 
Zoll  auf  Import  und  Konsum  ist  ein  kolossaler,  da  alle  Staalsausgaben,  besonders 
die  Militfirlasten  —  und  durch  MiliU&r  hSlt  sich  die  fiegierung  allein  —  durch 
denselben  gedeckt  werden  niüssen.  Z.  B. :  Ein  Liter  Bier  vom  Hafen  in  die 
.Stadt  1  M.,  daher  kostet  derselbe  2.<(.  64  vV  Cigurron.  unter  10  cent  =  40,45 
sind  nicht  zu  rauchen.  Mehrere  gröfsere  öt^t  utliche  Uebäudc  und  Anlagen  sind 
bemerkenswert,  z.  !^ :  die  hübst  In-  Kuthedrale.  das  grofse  Gouvernements- 
gebäude auf  der  Plaza  de  la  (  onsfifucion.  sowie  in  der  Nähe  delselben  das 
Muuicipalgebäude  mit  dem  Saale  für  ilie  Kammersitzungen,  ferner  das  im 
grofaen  Stile  gebaute  880O  Personen  umfeasende  Teairo  Solia.  I>ttrch  die 
Freundlichkeit  des  Herrn  Senator  Farini,  an  welchen  wir  empfohlen  waren,  stand 
uns  dessen  grofse  Proeceniumsloge  stets  aur  VerfOgnng.  Die  italienische  Truppe 
war  recht  gut.  Der  Staat  besitzt  -  die  Mittel  entstammen  einem  bedeutenden 
Legate  —  eine  Knnstgewerbeschule,  in  welcher  etwa  400  14 — 18jährige  junge 
Leute  in  allen  möglichen  Branchen  unterrichtet  werden.  Schusterei,  Schnitzerei, 
Schreinerei.  Dreherei,  Lithographie,  Photographie,  Färberei,  Giefserei.  Gewehr- 
nnd  Patronenfabrikation  und  auch  Musik  werden  daselbst  l)ef rieben.  Ks  würde 
zu  weit  führen,  die  interessanten  Details  dieser  Anstalt  mitzuteilen.  Aulserhalb 
der  Stadt  befindet  sich  der  bereits  erwähnte  schöne  Kirchhof,  sowie  die  iu 
groben  Dimensionen  angelegte  Staats-Irrenanstalt.  Eine  grobe  in  englischem 
Stile  angeh^  Parkanlage»  der  Prado,  ist  troti  ihrer  jetsigen  Verwilderung  sehr 
sehenswert.  Den  Stock  der  Bevölkerung  bildet  die  spanische  Rasse,  man  sieht 
jedoch  vielfache  Mischlinge  aus  Indianern  und  Negern;  Mulatten  nnd  Nigger 
mit  Cylindern  auf  dem  Kopfe  und  den  Händen  in  den  Hosenta^sclien  begegnen 
uns  oft   Der  Wuchs  der  einheiwischeu  Bevölkerung  ist  von  mittlerer  Uröbe, 


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ja  eher  kloiu  zu  nuuijeu,  tUe  Männer  sind  schlank,  rait  kleineu  Uäuden  uiul 
FüTtien.  Von  dem  durt  bei  weitein  bchöncreii  schönen  Geschlecht  kann  ich 
nur  sagen,  dafii  ich  noch  nie  eine  Stadt  oder  Land  gesehen  habe,  wo,  wie  in 
MonteTideo,  beinahe  alle  Damen  von  10—20  Jahren  —  mit  18  bis  U  Jahren 
heiraten  dieselben  schon  —  mindestens  hübsch,  oft  aber  auch  schön  genannt 
werden  niüf^«  11.  Von  Mittolgröfse.  sind  sie  dnrch.schniHHch  voll  und  sehr  elegant 
gewachsen,  haben  aul'serst  kleine  FüXse  niul  HfuHle.  ganz,  hellen  Teint  und  dunkle 
Augen,  oft  einen  AnHug  von  Schnurrhart.  Die  Kleidiin;;  auch  der  nuttlereu 
Stände  ist  sehr  reit  h.  ohne  aut^aUend  zu  sein,  und  mit  vielem  , Schick"  wird 
die  rei/ende  MantiHa  getragen.  Wie  S(  hun  I)einerkt.  wart-n  wir  in  .Montevideo 
mit  einer  Gahtfreuudiichkeit  von  allen  Seiten  auigeuummun,  die  ihrey  gleichen 
sacht.  Ich  mofs  hierbei  betonen,  dals  Deatschland  von  allen  fremden  Nationen 
die  erste  Stelle  einnimmt,  wie  ja  anch  der  Importhandel  zn  70  ^'o  in  Händen 
der  Uentschen  ist  Ebenso  ist  der  deutsche  Marineoffizier  der  bestangesehenste. 
Es  wurden  Bälle,  Diners,  Ausfahrten  nud  Ausritte  in  die  Umgegend  veranstaltet. 
Sehr  interessant  war  auch  eine  uns  gebotene  ln.s[)ektion  sweier  Ka.senien,  des 
Chasseur-  und  1.  Artilh  riere^iments.  In  der  Geschüt/remise  des  h4zteren  war 
irli  ^A\r  erstaunt,  unter  Krupp'schen  VitM-  und  Secli>]»tundern  zwei  unserer 
fnihercH  bayeri.scheu  Kugelspritzen  zu  tindeu,  darunter  daii  Geschütz,  welches 
ich  selbst  im  Jahre  1870  koniniandirt  habe. 


Voraim.  Unter  der  Oberschrift:  ^Was  ich  auf  Formosa  sah  und  hörte", 
verSlfentlicht  Gustav  Pauli  in  Heft  2  und  8  der  »Mitteilungen  der  geographischen 
Qesellsebaft  in  Läbeck-*  Reisebriefe  ftber  seinen  Besuch  auf  Formosa  im 
Winter  1882.8^1  Auf  einem  kleinen,  dem  Hause  Douglas  in  Honjikong  gehörenden 
Dampfer  von  77  Tons  Tragfähigkeit  nnd  einer  Maschine  von  6U  PSerdekraft,  der 
,Hailung".  verliefe  Pauli  am  22.  Dezember  1882  den  Hafen  von  Amoy  und  landete 
nach  einer  tuiangenelnnen  Fahrt  durch  den  Kanal  von  FtJrnuisa  in  Tau  Schui  an 
der  Nordkuste.  Freundlich  liegen  am  rechten,  von  alten  Bäumen  eingesäumten 
Ufer  eines  breiten  Flusses  und  auf  der  Höhe  der  grünen  Hügel  die  Häuser  der 
wenigen  Kurupuer,  des  englischen  Konsuls  (zugleich  Vertreters  Deutschlands), 
der  Zollbeamten  und  Missionare  einer  kanadischen  Oeselisehaft.  Im  Rücken 
t&rmen  sieh  Bexge,  deren  höchste  (auf  der  Karte  mit417öFnfs  H5he  bezeichnete) 
Spitze  deutlich  eine  Kraterbildnng  zeigt.  Gen  Sftden  .blickend  zeigen  sich  blos 
kahle  grüne  Hügel,  die  nur  kurze  Zeit  der  Küste  folgen,  WO  sie  dann  in  ein 
sich  mehr  und  mehr  ausbreitendes  Flachland  abfallen,  aus  denen  ein  höheres 
bewaldetes  Gebirge  aufsteigt,  das  von  hieraus  in  2!)()  englisidieu  Meilen  Länge 
den  ganzen  Osten  der  In.sel  bis  ans  Sutikap  luiuib  bedeckt.  Ich  find.-  »It-n 
Flächeninhalt  der  Insel  lair  ;i8,.S(Mt  (^kni  an;j;egeben.  und  schätze,  dals  von  dicbciu 
Kuuiiie  etwa  '  »  aut  diis  Gebirge,  '/a  auf  die  Ebene  kommen.  Diese  haben  die 
(Chinesen  inne,  jene  bewohnen  noch  unbezwungeue  f^ie  Stämme.  An  die 
Häuser  der  Europäer  schlieÜBt  sich  stromaufwärts  ein  chinesischer  Ort,  wo  ein  von 
der  chinesischen  Zollverwaltung  angestellter  deutscher  Arzt  wohnte,  von  welchem 
der  Reisende  manche  wertvolle  Auskunft  erlangte.  Die  meisten  der  europäischen 
Kaufleute  wohnen  übrigens  nicht  in  Tamsui  (Tau  Schui),  sondern  11  Meilen 
stromaafwärts  in  Iwa-ta-tui,  wo  sie  dem  Distrikte  näher  sind,  der  die  Ausfuhr- 
artikel Tille.  Zucker.  Indigo  nml  Kampfer  liefert.  Aber  die  unternehmenden 
Chinesen  eiitwimlen  den  fremden  Händen  mehr  und  mehr  da.s  (leschäft,  so  daf.s 
z,  B.  die  juhrliclie  Frotluktion  von  etwa  IJi.lKK)  Pfd.  Thee  scliun  zum  grulstt-n 
Teile  von  ihnen  gekauft  wird  und  seinen  Weg  nach  Nordamerika  nimmt.  Für 
ÜMgr.  BiStUnr.  Bnumi,  18BI.  .  . 


die  verarhiedenen  Knltnren  reicht  die  vorhanden«»  Ail>oitskraft  nicht  ans.  so 
dals  lausende  von  fistländifichen  Arbeitern  jährlich  kommen  und  gehen.  Mit 
ctor  Oewinnuig  des  Kämpfen  hat  es  ▼on  Jfthr  sa  Jahr  mehr  Schwieiigketten. 
Die  auf  dem  Tenain  der  Chinesen  durch  versänrnte  Nachpfianning  immer 
seltener  gewordenen  Kampferbinme  mflsaen  jetzt  aaf  dem  Gebiete  der  freien  Stftmme 
gesncht  werden.  Da  aber  bei  dem  beständigen  Kriegssnstande  kein  rnhiges  Qe- 
sch&ft  mdglich  ist,  von  den  Chinesen  auch  vielfach  gar  nicht  versacht  wird,  ist  die 
Gewinnung  des  Kampfers  ein  Geschäft  auf  Leben  und  Tod  »oworden.  Das  alles 
erfuhr  ich  in  Iwa-ta-tui,  wohin  ich  uüch  begeben  hatte,  um  einciii  sclion  lange 
hier  ansässigen  Engländer  meinen  Besucli  zu  machen.  Schon  nach  wenigen 
Meilen  tritt,  während  am  rechten  südlichen  Ufer  die  Berge  nahe  bleiben,  von 
Norden  her  aus  einer  weiten  Ebene  der  Kelung  in  den  To-ka-ham,  der,  vom 
Sflden  her  ans  dem  Gebirge  kommend,  die  bei  weitem  grftlaere  Wassermasse 
liefert.  Der  Kelnng  entwindet  sich  jenen  grünen  nnbewaldeten  Hfigeln,  die  im 
NO.  der  Ebene  aofrtngen.  Fflr  kleine  Fahrzeuge  ist  derselbe  so  weit  hinanf 
schiffbar,  dafs  man  nur  einen  Hügelrücken  zu  übersteigen  bat»  nm  in  die  Ebene 
an  der  Ostseifc  zn  gelangen,  wo  der  Hafenort  Kelung  gelegen  ist.  Kelung  ist 
ebenfalls  den  Kaufleuten  der  Vertragsmfichtc  offen,  und  ihnen  namentlich  zur 
Zeit  des  SW.  Monsuns  wertvoll,  wenn  Tamsui  fast  unnahbar  wird.  Dr.  Pauli 
verzichtete  der  Kürze  der  Zeit  wegen  auf  den  Besuch  von  Kelung,  machte 
noch  einen  Ausflug  nach  einer  Schwefelquelle  am  Fnfs  des  erwähnten  Vulkans 
und  ftihr  mit  der  »Hailnng*  nach  dem  im  sfldlichen  Teil  der  Westküste 
gelegenen  Halui  Thai-wan  (Taiwaa-fn).  Schon  nach  einer  Beise  ton  80  Stunden 
wurde  die  Barre  dieses  Hafens  erreicht  Znr  Ansschillteng  der  Passagiere  bot 
sich  hier  ein  seltsames  Fahrzeug,  das  sogenannte  Katamaran.  Etwa  20  Fufs  lange 
Bambusstabe,  gewöhnlich  sind  es  13,  sind  durch  Rotang  mit  einer  leichten 
Höhlung  zu  einem  Flosse  verbunden,  das  ein  langes  Ruder  steuert.  Hinter  dem 
Mäste  mit  Mattenspgel  steht  ein  weites  Fafs.  in  welchem  Her  Fahrgast  mit 
seinem  Gepäcke  untergebracht  wird.  Kr  sieht  sicli  in  deni>cllHMi,  soliald  das 
Fahrzeug  sich  lu  Bewegung  setzt,  vom  Wasser  umplätschert,  das  durch  die 
nngedichteton  HlHser  frnen  Zntritt  hat  Sobald  das  Segel  gesetzt  worden, 
schiebt  der  Schiffer  ein  Biettchen  von  etwa  2  Fufs  Breite  und  Lftnge  in  der 
Mitte  des  Flosses  nach  nnten  dnrch ;  ich  kann  nicht  leugnen,  ich  sah  es  mit 
grofser  Befriedigung.  Die  Barre  markierte  sich  scharf  dnrch  eine  schaum- 
gekröute  Wellenbank,  über  die  wir  in  einem  Satze  uns  schwangen.  Bei  dem 
herrschenden  NO.  bietet  die  Barre  selten  ein  grofses  Hindernifv.  obwohl  sie 
auch  jetzt  in  den  ersten  Nnchmittagsstnnden  wohl  rasch  bis  zu  18  Fufs  auf- 
schäumen kann  und  dann  natürlich  für  den  Kataniara  nur  mit  grofser  Gefahr 
zu  passieren  ist.  Aber  wenn  der  8W.  Monsun  auf  die  Küste  steht,  i.st  der 
Uafeu  fast  blockiert  Ein  deutsches  Schiff  brauchte  im  vorigen  Sommer  die 
Zeit  vom  20.  Jnli  bis  10.  September,  nm  seine  Ladung  einzunehmen;  zweimal 
mnlste  es  in  dieser  Zeit  hinttber  in  den  Schutz  der  Peseadores-Inseln.  Die 
Stadt  Taiwanfn  sieht  man  jenseits  einer  unfruchtbaren  Strandebene  in  der  Ent- 
fernung einer  Stunde  etwa  liegen,  aber  den  kleinen  Ort  Amping,  wo  die  Zoll- 
behörde und  einige  europäische  Kaufleutc  ein  trauriges,  entbehrungsreiches 
Dnsein  führen,  hat  man  bald  erreicht.  Iiier  ist  Zuckor  fast  ilcr  alleinige  Aus- 
fuhrartikel und  zw:ii-  sin<l  es  Firmen  von  Swfttau  und  Huiij,'kong,  die  hier  im 
nahen  Takau  ihre  /weit.'t;escliat'f i'  h;Uicn.  I)cr  Wej-t  <les  aus  den  beulen  siid- 
lichen  iiät'eu  im  Jahn-  1S81  ausgeführten  Zuckers  betrug  4^  .•  Millioiieu  Taels 
(~  27  MiU.  A).   Derjenige  von  Takau  geht  fast  anSschliefslich  nach  Japan; 


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der  von  hier,  dem  man  übrigens  eiiieu  salzigen  Beigeschmack  nachsagt,  geht 
in  di«  ehioesisehen  Hifen.  Als  mein  Flors  ans  Ufer  stiefst  erhielt  ich  auf  eine 
nn  einen  bei  der  LandonpbrAcke  stehenden  Herrn  gerichtete  englische  Frage 
eine  dentsche  Antwort;  es  war  der  junge  Vertreter  der  Firmft  Dirks  A  Co.  in 

Swatau.  Ihr  Name  ist  kärxlich  häufig  in  den  Blättern  genannt  wegen  eines 
vchiieulipMi  Eingreifens  unserer  Marine,  zu  dem  sie  die  Vfiaiilassiing  bot.  V>nh 
von  der  Bcsutzung  der  ^P'lisabeth*  gesäuberte  und  dann  besetzte  Tt'nam  ist 
ei>!entiich  nicht  direktes  Kigetituni  der  Finna  Dirks,  sondern  des  chinosis«  hen  soge- 
nannte Coinpra^lors  derselben.  Jedes  fremde  Haiidlungshans  in  China  und  auch 
in  Japan  hat  einen  soldu^n  Mann  an  der  üaad,  der  gegen  Prozente  die  üeschäfte 
mit  den  Eingeborenen  Ternuttelt.  Bei  grolsen  H&asem  namentlich  wird  aus 
einem  solchen,  dessen  Qrspr&ngliehe  Bestimmung  nur  die  eines  Dolmetschers 
gewesen,  selbst  ein  vermöglicher  Mann,  der  dann  auch  eigone  Geschifte  macht 
und  zwar  anter  dem  Schntse  dorjenigoii  Macht  steht,  der  seine  Firma  angehört 
Die  ^Elisabeth'  trat  also  gar  nicht  direkt  für  deutsche  Interessen  ein.  —  Ein 
ganz  analoger  Fall  gab  tlanti  Imld  darauf  -Sfnsch-  Gelegenheit  zu  energischem 
Handeln.  Inmitten  des  Ortes  Ami»ing  ziehen  sich  über  einen  kleinen  Sand- 
hugel  die  noch  einzigen  Zeugen  holländischer  Herrschaft  und  zugleich  der 
Denkätciu  tapferer  Ausdauer  hin,  die  Mauerreste  des  Forts  „Lelandia*.  Früher 
gingen  die  vom  Festlaude  kommenden  Dampfer  auch  nach  dem  2ö  engl.  Meilen 
südlicher  gelegenen  Takan.  Da  aber  die  dortige  Rhode  nnsicherov  nooh  als  die 
hiesigo,  und  der  Eintritt  in  den  Hafen  oft  schwierig  ist,  so  Yermittelt  jetst  ein 
kleiner  Dampfer  den  Personen-  und  Postrerkehr.  Als  es  dunkelte,  fahren  wir 
durch  das  enge  Felscnthor  in  den  Hafen.  Von  Norden  her  folgt  eine  schmale 
Kalkstein-Hügelkette,  schroff  ans  Meer  herantretend,  auf  wenige  Meilen  der 
Küste.  Nun  haben  die  zahlreichen  Wasser  einer  weiter  dahinter  sich  breitenden 
Ebene,  statt  nach  !SW.  hinaus  lias  Meer  zu  gewinnen,  in  der  von  Süden  kommenden 
Strömung  und  dem  SW.  Monsun  vereint  einen  solchen  Gegner  gefunden  dafs 
sie,  allmählich  dort  ganz  ilurch  eine  Düne  abgesperrt,  ilen  Ausweg  durch  die 
xerUftfteten  Felsen  suchen  mnbten.  So  bildet  jetot  ein  abgerissener  FelspfBiler 
mit  dem  Leuchtfeuer  darauf  den  rechten  sfidliehen  Thorpfeiler.  Da  lag  nun, 
ab  wir  die  Felsen  im  RAcken  hatten,  der  kleine  unbedeutende  Ort  su  beiden 
Seiten  des  Flusses.  Zur  Linken,  unterhalb  des  englischen  Konsalates  auf  der 
Höhe  des  Felsens,  die  Wohnungen  der  Zollbeamten  und  diejenigen  einiger 
Nemden  KatiHeute,  wo  au<  h  ich  in  dem  Hause  der  Firma  Dirks  Ä  Co.  ein 
Unterkommen  fand,  wählend  drüben,  zu  Füfsen  des  Leuchtturmhügcls  uiul  im 
Rücken  der  Düne,  diu  chinesische  Stadt  sich  hinzog.  Ks  muls  eine  recht  .stille 
Abgeschiedenheit  hier  sein,  in  die  nur  die  Verschiffung  des  Zuckers,  die  gerade 
begonnen,  einiges  I.*eben  bringt.  Nach  Westen  hinaus  steigt  in  einer  Ent- 
fernung ▼on  25  bis  äO  Heilen  das  Gebirge  aus  der  Ebene  auf,  sich  nach  Norden 
hin  höber  und  höher  aufbAnmend.  Der  Plan  Dr.  Paulis,  von  hier  aus  su  den 
St&mmen  der  Eingeborenen  im  Gebirge  vorsndringen,  stellte  sich  aus  ver- 
schie4enen  Gründen  als  unausführbar  heraus,  doch  wollte  der  Zufall  dem 
FUi-^rndca  insofern  wohl,  als  gerade  dreifsig  Angehörige  eines  Qebirgsstammes 
herabgekonimen  waren,  um  ärztliche  Hülfe  bei  dem  englischen  Arzt  der  Zoll- 
verwaltung im  Lazareth  zu  sm  hen.  Mit  Hülfe  von  zwei  Dolniet^rhern.  welche 
die  I  nterluiltung  mit  dem  Führer  der  Eingeborenen  vermittelten,  zog  nun  Dr. 
Pauli  über  die  jetzt  aul  den  gebirgigen  Teil  der  Insel  be.schräiikle  ürbevolkerung 
?0D  Formosa,  ihre  Sprache,  Sitten,  Kechtsgewohnheiieu,  Kultus,  umfassende 
Erkundigungen  «in,  die  er  mitteilt  Dr.  Pauli  reiste  sodonn  teils  lu  Fluls,  teils 


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—  212  — 


in  dev  Tragbiiiilte  nach  Taiwau-fu,  der  volkreichen  Uaaptfttadt  der  In^el.  am 
darauf  von  Aniping  mit  einem  anderen  Dampfer  des  Hauses  Dooglas  nach 
Amoy  snr&cksnkefareii.  _ 

§  Hoi^ktt^.  Den  jetst  in  einer  ShilUng-AuBgabe  besonders  veröffentlichten 

Reisrbriofen.  welclie  Art  hibald  Col(jnhoun,  der  bekannte  Pionier  der  pmipktiri-ten 
Hanflelsstrafse  ans  Hirnia  nach  der  chinesischen  Provinz  Yünnan,  in  rler  .Times* 
iiher  Tnnkiii  voröffoiitlU  hf .  ciitnolnnon  wir  ii:u  hstebend  einige  Anjrabcn  über  <lir 
Entwi<'k<'Iiin^'  und  Kcdt  utunj:  Av>  britisclun  Hafens  Honpkcni;;  im  ostasia^isclMMi 
"Weltverkehr.  Vor  itwa  4<l  Jahren.  j«agt  f  ..  war  Hongkong  eine  öde  von  einem 
Häuflein  Fischern  und  Piraten  bewohnte  Insel.  In  den  vier  Jahrzehnten  hat  sich 
hier  ein  gewaltiger  Handel  entwickelt,  denn  die  Tragfähigkeit  der  jfthrlich  im 
Hafen  von  Hongkong  einlaufenden  Schilfe  betragt  ftber  2  Millionen  Tons.  Daneben 
besteht  von  hier  ans  noch  eine  bedeutende  Kflstenschiffihrt  chinesischer  Fahr» 
zcuj/f  mit  China,  Toiikin.  Annam.  Cochinchina,  8iam  und  der  Malakka-Strafse ; 
es  laufen  hier  vorHchicdene  Po.vtdanipferlinien  rnsainmen.  ferner  giebt  es  Lokal- 
linien nach  »lern  südlii  l^  n  «  }iii>;i  Australien.  ,lap;m  d  n  Philippinen.  Tonkin. 
Annam.  S;ii;.'on.  f^iam.  Sm}_M[K»ic  und  Indien:  für  die  djoi  letzttM-wiilnitrn  Kich- 
tungcu  \\urdin  noch  kin/li<  li  eine  gröfsere  Zahl  neuer  Dampfer  in  den  Dien?;! 
gestellt.  Zwischen  Cautong.  Hongkong  und  Shanghai  laufen  direkt,  ohne  Zwischen- 
hftfen  SU  besuchen,  wenigeten  zehn  Dampfer;  daneben  besteht  ein  regelmftbiger 
Dampferverketir  swischen  Hongkong,  Swatau,  Amoy,  Fn-tschau  und  der  Insel 
Formosa.  Aufser  den  xwei  monatlichen  Opiumdampfem  von  Calcutta,  die  auch 
Salpeter,  Baumwolle  u.  A.  fi'u-  San  Francisco  geladen  haben,  kommt  noch,  neben 
dem  gewöhnlichen  Postdampfer  in  jedem  Monat,  ein  P.  und  0,-Dampfer  von 
Hnrnhay.  In  <len  regelnKifsigen  Dampferverkehr  mit  Tonkin,  Hainan  und  Pakhoi 
hal)en  flie  französischen  Kriegsoperationen  eine  StörnnL'  gebracht  Nachdem  ('. 
die  I'rsachen  der  vor  einem  Jahre  in  Hongkon«:  staftgehaiiten  Depression  dos 
Handels  von  Hongkong  untersucht,  kommt  er  auf  die  sanitären  Verhältnisse 
zu  sprechen,  welche  zwar  sehr  verbessert  worden,  aber  noch  viel  zn  wänschen 
fibrig  lassen.  Die  Zahl  der  Sommerwohnungen  auf  dem  gesunden  luftigen  Peak 
nimmt  j&hrlich  au,  neben  .Mountain  Lodge*,  der  Wohnung  des  Gouverneurs, 
zählt  man  dort  bereits  dO  Hftuser;  eine  Telephon-  und  eine  Telegrapheiistation. 
sowie  ein  Polizeibnreau  sind  angelegt,  die  Strafsen  verbessert  Die  Bevölkerung 
von  Hongkonik'  beträgt  jetzt  über  löü,(XM)  Einwohner,  von  diesen  sind  80(K)  Europäer, 
20(K)  Indier.  Unter  jenen  überwiegen  die  Engländer,  auch  die  Zahl  der  Amerikaner 
und  I>eutschen  ist  nicht  gering.  Franzosen  gieht  es  nur  wenige.  2(i.(XX>  soll 
die  Zahl  der  <  hineson  betragen,  die  in  Fahrzeugen  ini  Hafen  wohneir  Bekannt 
ist  der  Unternehmungsgeist  und  die  Energie,  welclie  die  Chinesen  im  Handel 
entwickeln.  Die  chinesischen  Kaufleute  von  Hongkong  haben  Zweiggeschäfte 
oder  Agenturen  in  allen  indo-chincsischen  Häfen  von  Rangun  bis  nach  Japan. 
Sie  haben  Dampfschiffahrts-,  Yersichemngs-  und  Handels^Oesellschafben  gebildet; 
chinesische  Advokaten  treten  als  Sachführer  an  den  Qerichtahöfen  auf.  Gegen- 
wärtig ist  eine  Gesellschaft  «ur  Ausl^entung  der  KupferUiger  in  Yünnan  in  der 
Bildung  begriffen.  Thinesen  haben  die  erste  Telegraphenlinie  Öüd-Chinas  ins 
Leben  gerufen  ,  sie  wird  zwisr  hen  Cantong  und  Hongkong  ei  richtet ;  eiwe  Tele- 
graphenlmie  von  Hougkong  nacli  Tonking  wird  naclifolgen.  Die  Erhebung  der 
Opitim-Steuer  ist  kürzlich  <len  Ortsbehörden  überwiesen  und  hat  sich  dadurch 
die  Einnahme  aus  dieser  Steuer  bedeutend  gesteigert.  —  Remerkenswert  ist  die 
rasche  Entwickelang  und  Verbreitung  der  chinesischen  Zeitungspresse,  die  vor 


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213  — 


14  Jahrrn  mit  Her  prsten  chinosisrlion  /ciliing.  Shun-Pao.  in  Shanghai  begann  — 
Die  Finanzen  von  Hnnjrkonj;  sind  bofriedigpnd,  sie  liefern  jährlich  Übeitichttsse 
und  anfserdcm  existiorr  ein  Reservefond  von  1  Million  Dollar  Nachdem  Col- 
quhoan  noch  andere  Lichtseiten  des  henfigen  Hongkong,  dieses  kommerziellen 
Centmins  des  chinesischen  Meeres  hervorgehoben,  beklagt  er  die  nngenägenden 
YeTtheidigungsmittel  ittr  den  FaU  des  Kri^  und  cKiert  den  Ausspruch  eines 
Reti^Ahrten  ans  Chile,  der  ihm  erUirt  habe :  Hongtcong  nnd  Sin^pore  wftren 
piiehAif(e  HÜsn.  allein^  wenn  sie  DMitsehland  gehörten,  würden  die  Vertetdignngs- 
anstalten  auf  einem  gu»  anderen  Fnfse  sein.  Ea  war,  ao  sagt  Colqnhonn,  eine 
bittere  Wahrheit 


§  Polarreffionen.  Bereits  im  Somuur  1S,S1  wm-de  die  amerikanische 
Polarstation  an  der  Lady-Franklin-Hai  dnrch  Leutnant  (treely  errichtet.  Durch 
auftiergewöhnliche  Eibverhiiltnisse  begünstigt,  erreichte  der  S(  hraubendunipfer 
.Piotena*,  welcher  das  Personal  der  Station  an  Bord  hatte  (26  Weibe,  an  denen 
spiler  noch  2  Eekimoa  hinankamen),  Hut  ohne  Schwierigkeit  sein  Ziel.  Am 
6.  Jnli  verlieb  das  SchilF  6t  Johns,  Nea-Fnndland,  am  13.  und  14.  Angnst  er* 
folgte  die  Landung.  Nach  drei  Tagen  waren  die  f&r  3,  resp.  4*/i  Jahr  berech- 
neten  Proviantvorrate  dnrch  eine  sehr  erfolgreiche  Jagd  auf  Moschnsochsen  mit 
frischem  Fleisch  ergänzt  ,  das  auf  3  Monate  für  die  ganze  Besatzung  dnr  Fort 
Conger  {zenannton  Station  jjeiiüwte.  Der  ^Proteu'^''  kf^hrte  zurück.  Tm  folfiouden 
Sommer  1H,'^2  konnte  der  zürn  Ersatz  von  Mannschaften  ausgesandte  Dampfer 
.Neptun"'  die  La<iy-Fianklin-Bai  nicht  erreichen  und  mufste  unverrichtetersache 
umkehren,  im  vorigen  Sommer  1883  ging  sogar,  wie  wir  wissen,  der  ausgesandtc 
Dampfer  ..Proteus*  im  Eis  des  Smifh-Snndes  verloren  nnd  die  Mannschaft 
mnlste  sich  in  Bdton  nach  den  dftnischen  Ansiedlnngen  an  der  Westkftste  von 
Grönland  retten.  Nnn  erwachten  Besorgnisse  in  den  Vereinigten  Staaten,  und  wenn 
bei  der  vorigjährigen  Expedition,  wie  die  5ffentlichen  Debatten  zeigen,  vielfach  sorg- 
los nnd  anbedacht  an  Werke  gegangen  ist,  so  bat  man  den  Fehler  jetzt  endlich 
wipder  jmt  zu  machen  gesucht.  Jm  Januar  d.  .1.  trat  ein  von  der  Regierung 
ernanntes  Komit^o  zur  Entwerfnup  eines  Planes  für  die  diesjährige  Rettungs- 
expedition zusammen,  die  bedeutendsten  arktischen  Autoritäten  Englands  boten 
Rat  und  Hülfe  jeder  Art.  die  englische  Regierung  stellte  den  Dampfer  ,.Alert'*.  das 
Expeditionsschiff  von  Nares,  zur  Verfügung,  und  so  gehen  jetzt  drei  Dampfer, 
,  Alert*,  ,.Bear*  nnd  ..Thetis*,  rar  Anfsnehnng  von  Qreely  nnd  seiner  Gef&hrten  aus. 
Der  uns  vorliegende  gegen  200  Seiten  starke  Bericht  jenes  in  Washington  tagenden 
nantiscben  Komitees  zeigt,  dafs  man  in  der  That  sorgföltig  alle  Eventnalititen 
ins  Auge  gefafst  nnd  die  Operationen  der  Schiffe  darnach  eingerichtet  hat  Der 
.Bear"  unter  dem  Oberbefehl  des  T,eutinints  Emory,  verliefs  Newyork  am 
24.  April.  Die  .Thefis*.  Kommaudem  8chley .  sollte  in  10  Tagen  folgen  und 
Dampfer  .Alert"  unter  fh  ui  nhcibelVIil  des  Kommandeur  Coffin,  zuletzt  aus- 
gehen, da  es  als  Doiiots«  liift  dienen  soll,  iioftentlich  gelingt  die  Kettung  Greelys 
and  seiner  Getahrten  vollständig. 

Das  Personal  der  amerikanischen  Polarstation  in  Point  Barrow,  Leut- 
nant Raji^kehrte  im  Herbst  v.  J.  wohlbehalten  nach  San  Francisco  znräck.  In 
der  amerikanischen  Zeitschrift  Science  vom  18.  April  giebt  Leutnant  Ray  einen 
vorllnfigen  Bericht  Am  1.  Oktober  1888  waren  die  Stationsgeb&nde  hergestellt, 
am  17.  Oktober  konnten  die  meteorologischen,  am  1.  Dezember  die  magnetischen 
Beobachtnngen  beginnen.  Am  29.  August  188.S  worden  <lie  Arbeiten  der  Station 
beendigt    In  der  Zeit  vom  September  bis  Mai  war  fast  in  jeder  wolken- 


—  214  — 


losen  Nacht  Nordlicht  zu  sehen.  Der  Ebbe-  und  Fluimesser  zeigto.  daXs  der 
arktische  Ooean  bei  Point  Barrow  so  gnt  wie  pur  keine  Ebbe  und  Plnt  b&t ; 
dafs  von  der  japanesischen  Strömung  kein  warmes  Wasser  einfliefst,  eigab  die 

gleich mäfsige  Temperatur  des  Seewassers  in  allen  Tiefen,  während  der  Zeit  to  m 
Oktobor  bis  Juni.  Die  Erde  war  bis  zu  einer  bedeutenden  Tie£s  gefroron.  Nach 
Ablauf  des  Monafs  November  verschwand  alles  tierisriic  Loben  am  I^aiide,  ganz 
vereinzelt  zeigte  »irh  ein  Hcnfier  oder  Polarfuchs;  Kabijaus  und  Scohnnde  i  l'hoci* 
phoetida)  wurden  den  ;.'an7.cn  Winter  über  in  der  .See  gefangen,  l'ol  war  Ii«  zeigt 
sich  das  Meer  mit  Trümmereis  bedeckt.  Die  Mächtigkeit  des  Eises  über  ruhigem 
Wasser  wurde  zu  7  Fufs  ermittelt;  Stürme  und  Strömungen  türmten  das  Eis 
im  Meere  bis  lu  60  und  100  Fufs  aufl  Der  Zug  der  Eideienle  begam  im  Ilai 
und  swar  in  Nordost-Richtung»  nach  Prins  Patricks-Land  au.  Niemals  kamen 
oder  gingen  VogelzAge  aus  oder  nach  Nord. 

Die  letaten  Nachrichten  von  der  russischen  Polarstation  an  der 
Lenamnndnng  stammen  \om  18.  2ö.  November  v.J.  Leutnant  Jürgens  teilt 
zunächst  mit.  dafs  er  statt  im  Winter  die  Rückreise  anzutreten.  wel<  b«'s  vielo  Um- 
stände wegen  ficscbüffung  demütigen  Hunde.  Srhlitt«n  und  V  üluet  uein;n  lit  haben 
würde,  es  vui/iche,  bis  zum  Frühjahr  mit  der  Rückkehr  zu  wiutcii  und  die 
Beobachtungen  noch  den  ganzen  Winter  hindurch  forti&usetzen.  Miilc  Juni  1884 
gedenkt  er  mit  den  anderen  Hmen  die  Sti^on  zu  ▼eriassen«  um  Mitte  Angust 
in  Jakutsk  einsutreffen.  Im  Sommer  188ä  sind  drei  Expeditionen  sur  Er- 
forschung des  Lenadejta  gemacht  worden.  Leutnant  J&rgens  und  Herr  Eigner 
nahmen  swei  FlufMrme  in  der  Länge  von  180  Werst  auf.  Eine  dieser  Auf» 
nahn<  M  Hegann  an  der  Landungsstelle  de  Longs;  hier  wurde  eine  hölzerne  8  na 
hohe  l  yramide  errichtet  und  mit  zwei  In.schrifteji.  einei  dout.schen  und  einer 
russischen  verscheu.  Dr.  Tlunge  nahm  das  Terram  m  der  Hi'  htuii;.'  uacli  Kap 
Bykoff  auf.  Der  Bericht  spri(  ht  sich  dann  not  h  jiidu  r  ul)er  die  mittelst  tler 
verschiedenen  Instrumente  gemachten  Beobtichtuiigen  \inonatlich  4r)<M)i  aus.  Am 
19.  September  v.  J.  be<teckteu  sich  die  FluCsarme  zum  ersten  Male  wieder  mit 
Eis  und  der  Sommer  war  lu  Ende.  Die  mitÜero  Lufttemperatur  in  den  drei 
Sommermonaten  war  3»»*  C.  Der  Himmel  war  fast  immer  bewölkt,  bei 
Nebel  und  scharfem  Winde.  Nur  vier  Mal  in  der  ganaen  Zeit  kam  die  Sonne 
genftgend  zum  Vorschein,  um  die  Prüfung  der  Chronometer  vornehmen  zu  können. 

Gütiger  brieflicher  Nachricht,  die,  datiert  Lena-Mündung  14.  Januar  1884, 
beim  .^bse,hlufs  dieses  Heftes  uup  zukam,  enfnehmen  wir  folgende  hochinteressante 
llhersicht  der  an  der  Leiia-Staf i<mi  initt.  ltcn  Durchschnitts-Temperatorcn  in 
den  Monaten  September  18S2  bis  Dezember  188.i 


September  -f  0"  06' 

Oktober  16«  06' 

November  —  27»  9* 

Dezember  -  38«  ö' 

Januar  —  37«  15' 

Fcbrnar  —  41 "  :V 

März  —  81  '  h' 

April  —  21)"  T 

Mai  —   8"  V 

Juni  -f  O  "  89* 

Juli  H-  6«  07' 

August  4-  3«  79* 


1882  s;^. 


1883'Ö4. 
+  0«67' 

—  U»  V 

—  25»  ?• 

—  33«  3' 


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Yoti  grofBom  Intfre.ss»^  und  Bedeutung  fiiv  zukunftifre  arktische  Laiul- 
reiseii  auf  »Schnee-  und  Eistiaciien,  wo  mit  ^Schneeschuhen  fortKukumnien  ist, 
scheint  das  von  Nordenskjöldim  vorigen  Winter  bei  La)  eft  veranstaltete  W  e  1 1  • 
laufen  mit  8  ebne  «schuhen.  Die  gedmckten  Protokolle  der  Pariser 
geographisohen  *  Oesellscbaft,  sowie  No.  71  von  Woldts  wissenschaftlicher 
Korrespondens  teilen  nftheres  darüber  mit.  Es  beteiligten  sich  sehn  geübte 
Lftnfsr,  der  von  der  vorigjährigen  Reise  Nordenskjölds  auf  dem  grönländischen 
Biiineneise    bekannfo    Lappe  Lars  Tnorda  als  Sieger  hervor;    er  legte 

eine  Strecke  von  km   in  21  Stunden  22  Minuten    /urück ;    worm  nuu 

auch  das  Terrain  wühl  ein  besonders  günstiges  war.  so  blei))t  dies  docli  eino  he- 
dentende  Ijeistung.  Man  verspricht  sich  namentlich  bei  einem  abermaligen 
Besuch  von  Franz-Joseph-Land  bedeutende  Entdeckungen  von  der  Verwendung 
von  Scbneesehnhlftnfem. 

K.  Cntise  of  tbe  Retenne-Steamer  «Corwin*  in  Alaska  and  the  North« 
West-Aretie  Oeean  in  1881.  Note«  and  Memoranda :  Medieal ;  Anthropologtcal ;  Bo- 
tanical  ;  Ornithological.  Washington,  Government  Printing  Office,  1883.  Der 
V.  St.  Dumpfer  «Corwin*  wnrde  bekanntlich  im  Jahre  1888  durch  die  Berings- 
Strafse  in  das  Eismeer  gesandt,  um  nach  den  vermifstcn  SchiflFen,  der  .Jeanette" 
und  zwei  Waitisclifungeni.  zu  forschen.  Das  vorliegende  Werk  enthält  nnn  die 
von  (t.  Hofse.  dorn  Arzte  der  F-xpcflition,  während  dieser  Reise  gemachten 
raedicnii.schen  und  authropologischeu  Beobachtungen,  ferner  einen  kurzen  Be- 
richt über  die  Flora  der  berührten  Gegenden  von  John  Muir,  dem  Natur- 
forscher der  Expedition,  dann  eine  Arbeit  über  die  Vügel  der  Berings-See  nnd 
dea  arktischen  Oceans  von  E.  W.  Nelson,  dem  durch  seine  Beisen  nnd  Samm- 
lungen im  nördlichen  Alaska  bekannten  Omitbolog^n,  endlich  eine  Liste  von 
Flechen  im  F.ismoer  nördlicli  von  der  Bcringstrafse  von  Tarleton  H.  ßean. 
Rosse  spricht  zunächst  über  den  Gesundheitszustand  der  Mannschaft.  Einen 
mäfsigen  Gebrauch  von  alkoholischen  Getranken  hält  er  in  den  arktischen  Ge- 
genden für  vortheilhaft;  auch  spricht  er  sich  gegen  das  absolute  Verbot  des 
Verkaufs  von  Spirituosen  an  die  Eingeborenen  aus,  da  dieselben  docIi.  Jiur  in 
viel  schlechterer  Qualität^  durch  einen  aasgebreiteten  iSchniuggol  eingeführt 
werden,  und  die  Eingeborenen  anch  gelernt  haben,  ans  Mehl  nnd  Zneker  ein 
befanschendee  Getrftnk  m  bereiten.  Die  grobe  Sterblichkeit  auf  der  Lorens- 
Insel,  auf  wekher  in  den  drei  letsten  Jahren  gegen  1000  Menschen  gestorben 
sein  sollen»  schreibt  er  der  vereinten  Wirkung  von  Unmäfoigkeit,  Krankheit 
nnd  Hunger  zu.  Unter  den  Eingeborenen  fand  Rosse  viele  Angenkranke, 
aber  nur  zwei  Fälle  totaler  Blindheit.  Kr  glaubt,  dals  weniger  der  Baach 
in  der  Hütte,  als  die  Blendung  durch  den  Schnee  das  Übel  erzeuge.  —  An 
mehreren  Stellen  traf  man  Eskimos  itn  Besitze  von  Keriigläsern  und  Krinnn- 
stediern;  einer  der.selben  erklärte  den  Nutzen  des  Instruments  bei  der  Auf- 
suchung von  Kentiereil.  —  Ein  in  der  Lorenz-Bai  aufgenommener  Eingeborener 
geriet  durch  die  Bewegungen  des  Schiffes,  das  beständige  Qeitusch  der 
Dampfmaschine  an  Bord  und  durch  die  Neckereien  der  Matrosen  in  einen  so 
erregten  Zustand,  daCB  er  nch  mit  dem  Messer  in  die  Brust  stach  und  über 
Bofd  sprang.  Er  wurde  jedoch  wieder  au(|gefischt,  und  trotzdem  die  Wunde 
lebensgefährlich  war,  heilte  dieselbe  doch  so  schnell,  dals  schon  nai^b  wenigen 
Tagen  der  Patient  in  der  Plover-Bai  ans  Land  gesetzt  \\<  rden  konnte,  von  wo 
ADS  er  sofort  den  16()  engl.  Meilen  weiten  We<,'  üi)er  die  Berge  in  seine  Heimat 
antrat.  Diese  rasche  Heilun«:  gefährlicher  Winuieu  schreibt  Bosse  dem  grul-en 
OzuiiMehalte  der  Luft  und  der  Abwesunlieit  von  kiunkheitskeimeu  und  organisch em 


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Staube  za.  —  Krüppel  hat  Rosse  unter  den  Eingeborenen  niemals  gesehen,  nur 

ein  Mädchen  mit  einem  überzähligen  Finger.  Hautkrankheiten  sind  anfser- 
ordcntlich  liäufig,  aber  nof  einmal  traf  vr  t'inen  Kahlkopf.  LUer  die  pym- 
nastischfu  Fähigkeiten  der  Eskiirm-^  wird  kein  günsti;ies  Urteil  gefallt,  lui 
.Steinwei-fen  niid  WcttlaiitVii  l»i  siegte  lio.sse  dieselben,  sdlist  im  Ltin/.enwerfen. 
Nur  auf  der  LcuLiiz-In.sol  lund  er  eine  bessere  Entwickelung  der  Muskeln,  auch 
hatten  hier  die  Kingeboreueu  einen  eigenen  Platz  für  körperliche  Cbungeu  be- 
stimmt. Rosse  widerspricht  femer  der  allgemeinen  Aimalime,  dafs  die  Eskimos 
übermafsig^  Esser  sind,  er  hat  eher  das  Gegenteil  beobachtet.  Die  weiteren 
Bemerkungen  aber  die  Sprache  sind  wertlos»  da  swincben  der  der  Tschuktscliea 
und  E.skinio.s  niclit  unterschieden  wird;  aus  »len  Ausfuhrungeii  über  die  Schätlel- 
form  ist  nur  hervorzuheben,  dafs  anfserordentliche  Verschiedenheiten  in  den 
Dimensionen  unter  dem  reichen  meist  auf  der  Loreu/.-Insel  gesammelten  Material 
beobachtet  wuriliii.  lllier  die  gei.stigen  Fähigkeiten  der  Kskimos  urteilt  Hos.se 
»günstig;  namentlich  hebt  er  die  I<eichtigkeit  hervor,  mit  welcher  sie  sicli  die 
englische  i>prache  aneignen,  wie  auch  ihre  Vorliebe  und  ticschicklichkeit  tur 
den  Handel.  Die  kurze  botanisclie  Abhandlung  von  Muir  enthftlt  nur  eine  Auf* 
Zählung  der  an  verschiedenen  Kostenpunkten  gesammelten  Pflansen.  Von  der 
Uerald-lnsel  werden  16,  von  der  Wrai^U-Insel  27  Species  Phanerogamea  auf- 
geführt. Nelson,  der  in  St.  Michaelsk  an  Rord  des  .rm-win-  ging,  giebt  dagegen, 
mit  Benutzung  der  I.itteratur,  eine  möglichst  vollständige  Übersicht  der  Vogel- 
Tanna  an  den  Küsten  de^  I!i  rin<.'s-Meeres  und  des  arktischen  Oceans.  die  im 
wesentlichen  auf  seinen  WiUuend  eines  vierjährigen  .\tifeiitlialts  in  ^^t.  .Michaelsk 
gemachten  Heoba(  lituugen  basiert.  Aus  der  ^sertvulk  n  Abhandlung  lieben  wir 
nur  hervor,  dals  im  gaii/.eu  1U2  iSpecies  aus  diesem  Uebiel  bekannt  sind.  iJie 
Ijiste  der  von  Bean  ans  dem  arktischen  Ocean  angeführten  Fische  enthält 
nur  21  Speeles.  Sie  ist  von  dem  Autor  für  den  Kapitän  des  «Corwin*,  Uooper, 
nach  dem  im  U.  8.  National-Museum  vorhandenen  Material  zusammengestellt 
und  giebt  von  der  wirklich  vorhandenen  Fauna  offenbar  nur  einen  unvoll« 
kommenen  l'egrifT. 

Neue  Karte  von  Alaska.  U.  8.  Coast  and  Ueodetic  Survey.  J.  E. 
Hilgard.  Supt.  Alaska  and  adjoining  Territory  1884.  Compiled  by  W.  H.  Dali. 
Durch  /ithlreiche,  in  den  letzten  Jahren  von  verschiedenen  Seiten  atisgeiui.rte 
Fürs(  huiigsreisen  ist  die  geographi>che  Kenntnis  des  früheren  russis(  Ken  .Xnienkas 
das  heutige  Territoriums  Alaska,  nicht  unerheblich  erweitert  worden.  Wir  er- 
innern hier  nor  an  die  auch  in  dieser  Zeitschrift  beschriebene  Expedition 
Schwatkas,  durch  welche  der  Oberlauf  des  Yukon  festgelegt  wurde,  so  däfo  jetzt 
wenigstens  der  Uanptstrom  in  seiner  ganzen  Länge,  von  der  Quelle  bis  zur 
Mflndnng,  bekannt  ist.  Durch  diese  und  andere  Expeditionen  sind  auch  viel- 
fach ninichtige  Angaben  älterer  Karten,  namentlich  in  Bezug  auf  Flufsläufe 
nud  Bergketten,  berichtigt  worden.  Hei  der  steigeiulen  Hedetitnng  des  Ciebiete» 
infolge  der  Auttindung  von  Mineralschätzen,  ist  dalier  die  Herausgabe  einer 
neuen  Kaite  ein  liuiikenswertf's  rnternehmen.  und  ditf>  thtli'  i  das  vorhandene 
Material  guwis.^eiihatt  und  kritiscli  benutzt  worden  ist,  dalur  spricht  der  Name 
des  Herausgebers,  der  sich  schon  seit  vielen  Jahren  um  die  Erforschung  Alaskas 
verdient  gemacht  hat.  —  Ein  fertiges  Bild  des  Landes  giebt  freilich  auch  diese 
Karte  nicht  Viel  Hypothetisches  hat  aufgenommen  werden  müssen,  und  weite 
Strecken  sind  noch  völlig  unerforscht,  was  bei  dem  verhältnismäfsig  grofiien 
Eafshtab  der  Karte,  1  :  .{O^MVUM),  besonders  .leutlich  hervortritt.  Die  Karte 
umfafst  das  ganze  Üebiet  de8  Territoriums  Alaska  nebst  der  MViungeil-hisel, 


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—  217  — 


bei  welcher  die  btsher  Abliebe  luirichtige  Schreibweise  mit  einem  I  korrigiert 
worden  ist,  (die  olentisehen  Inseln,  welche  anf  der  Hanptharte  nicht  Platz  haben, 
sind  auf  einer  Nebenlcarte  Terzeichnet),  ferner  die  angrenzenden  Teile  des 
britischen  Nordamerika  und  die  Tschaktschen-HalbinseL  Ä.  K. 


Leanis,  Synopsis  der  Tierkunde.  Dritte  Auflage  von  Hubert  Ludwig, 
Professor  in  ^nesson.  I.  Haikl.  Hannover.  Ilulmsclic  Buchhandlung,  1883.  Die 
/(•itcii  bind  vuiüber.  in  denen  ein  Kandidat  de.s  Lehranifs  an  liöheren  Srliulen 
mit  dem  , alten  Leuiiis*  ein  Examen  cum  laude  ablegen  konnte.  Seit  dem  Er- 
scheinen der  zweiten  Auflage  vor  nunmehr  2-1  Jahren  ist  der  Stoff  iu  der  Zoo- 
logie nnramelslich  angewachsen,  wozu  einesteils  der  von  Darwin  gegebene  Impnls, 
andemteils  die  geographischen  Enideckongen,  Tiefiseeforschongen  nnd  zoolo- 
gischen Stationen  hauptsächlich  beigetragen  haben.  Das  nnsichtbar  im  Staube 
beginnende  oder  die  Tiefen  des  Oceans  erfüllende  Tierleben  ist  jetzt  ungleich 
mehr  Gegenstand  der  Forschung  geworden,  als  die  höher  entwickelten  Geschöpfe. 
Namentlich  aber  wird  das  Studium  der  Entwickelnngsgesrhichto  der  Tiere  mit 
einem  Eifer  betriebeii.  von  dem  man  selbst  noch  zu  Leunis  Lebzeiren  keine 
Ahnung  hatte.  Diese  Dereicheruug  unserer  Kenntnisse  hatte  denn  auch  eine 
völlige  Umänderung  in  der  Auslegung  zur  Folge.  Während  also  der  Inhalt  der 
Synopsis  nach  dem  neuesten  Standpunkte  der  Wissenschaft  g&nzllch  umzu- 
gwtsüen  war,  sind  die  Vorzüge  des  alten  Werks  in  Bezug  auf  Form  nnd  Methode 
dieselben  geblieben,  da  sie  in  langjähriger  Praxis  sieh  bewährt  hatten.  Diese 
neue  Bearbeitung  konnte  daher  auch  nur  von  einem  Manne  geleistet  werden, 
der,  wie  Professor  I.udwip,  ;ianz  der  Zoologie  lebt  nnd  selbst  Bausteine  wenig- 
stens für  einzelne  Zweige  des  Faches  herbeigeschafff  hat.  Bei  allem  Anschwellen 
des  Stuftes  ist  abei'  in  der  Begrenzung  weises  Mals  gehalten,  um  die  Übersicht 
bei  der  Orientiei  luiy.  sowie  die  Handli(  hkeit  nicht  einzubufsen.  Vorzugsweise 
wnrde  die  einheiiuix  he  Fauna  berücksichtigt,  weshalb  man  die  gosamte  Tier- 
welt Deutschlands  mit  Ausnahme  der  weniger  wichtigen  Bewohner  der  Kord- 
und  Ostsee  hier  beschrieben  findet.  So  ist  denn  nach  der  zweiten  Auflage,  die 
nur  einen  Band  von  64  Bogen  umMste,  eine  dritte  entstanden,  welche  vollendet 
etwa  das  doppelte  Volum  haben  dtlrfte,  da  schon  der  vorliegende  erste  Band 
allein  69  Bogen  füllt.  Derselbe  umfabt  aufser  der  allgemeinen  Zoologie  den 
Kreis  der  Wirbeltiere,  di-  Fitnicaten  und  die  fünf  Klassen  der  Mollu^ken.  schliefst 
also,  um  nur  eine  der  bekanntesten  Muscheln  hervorzuheben,  mit  der  Auster. 

Jeder  Klasse  oder  f^'i  öfseren  Abteihing  der  Tierwelt  ist  ein  bis  zur  jüngsten 
Zeit  fortgeführtes  i>itteiaturverzeiciims  vorangestellt.  Das  Verzeichnis  der  Schriften 
über  die  Weichtiere  z.  B.  beginnt  mit  dem  grofscn  Conchylienwerk  von  Martini 
und  Chemnitz,  erwähnt  neben  den  Hauptwerken  der  Engländer,  Franzosen  und 
Dentschen  auch  die  wichtigsten  malakozoologischen  Zeitschriften  und  schliefst 
mit  Clessin,  E.  v.  Martens  und  KobeÜ  Aufser  den  wissenschaftlichen  Blättern 
ist  auch  die  Litteratur  für  den  praktischen  Gebrauch  nicht  vergessen,  wie  z.  B. 
bei  der  Fischzm  lit  und  Fischerei  unter  anderen  die  Schriften  des  Herrn  v.  dem 
Borne,  des  Prof.  Benecke  und  die  Cirkulare  des  deutschen  Fischerei-Vireins 
genannt  werden  ;  ebenso  findet  sir^li  b(  i  den  Bhittkiemern  Möbius  Schrift  über 
<lie  Austern  und  die  Austenuvirtschaft  angegeben.  Unter  den  Hülfsmitteln 
beim  Studium  der  Tiere  ist  aufserdem  ein  drei  Seiten  langes  Verzeichnis  der 
zoologischen  Litteratur  im  allgemeinen  zusammengestellt;  sodann  werden  hier 
auch  die  zoologischen  Gärten,  Menagerien  und  Aquarien,  die  zoologischen  Sta» 
tionen,  Sammlungen  und  Museen  aufg^f&hrt    Der  kurze  Abschnitt  über  die 

G«ogr.  Blfttter.  Brnom,  1884.  15 


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218  — 


geographische  Verbreitung  der  Tiore  ist  hauptsü(  lilii  h  dem  Werke  %'oii  Wallace 
eninommeit,  dessen  Eiuteilung  des  Festlandes  in  sechs  Regionen  und  24  Sub- 
regionen  neuerdings  am  meisten  Anklang  gefanden  hat.  Daneben  ist  aach  noch 
die  filtere  Einteflong  Schmardas  angegeben,  der  bekanntlich  die  Tierwelt  des 
Festlandes  in  21,  die  des  Meeres  in  10  geographische  Reiche  einteilte.  Ein 
zusammenfassendes  Büd  über  die  TertiknU  Vorbreitnng  der  Meeres^Organismen 
ist  noch  niclit  mitgeteilt;  wir  dürfen  dasselbe  aucli  erst  demnächst  erwarten, 
wenn  die  Hesoltate  der  neuesten  und  umfassenden  Tiefseeforschungen  abge* 
scIUossen  sind. 

Wie  ausgiebig  auch  die  rinlVcideut^«  lie  Fauna  in  der  neuen  Auflage  berück- 
sichtigt wurde,  davon  ein  Beispiel.  Bei  mehreren  hier  m  Bremen  wiederholt 
geiuuuiten  Reptilien  und  Fischen  lief»  uns  das  ältere  HKTerk  im  Stich,  w&hrend 
das  neue  dagegen  eine  befriedigende  Auskunft  gewährte.  Von  diesen  Arten  seien 
hier  nur  angeführt:  Heloderma  horridum,  die  giftige  Eidechse  der  westlichen 
Cordillere  Mexikos,  von  dem  das  hiesige  Museum  unlängst  drei  Exemphare 
erhielt;  Hatteria^  punctata,  eine  merkwürdige,  nur  auf  Neuseeland  vorkommende 
Eidechsenform,  und  Tjubra  Crameri,  der  in  den  ungarisclien  Seen  lebende  Hunds- 
fisch, den  der  deutsche  Fischerei-Verein  in  einer  Anzahl  Exemplare  dem  Museuni 
ZU  Washington  übersandte.  —  Die  Oö,")  m<^ist  neu  angefertigten  Holzschnitte 
wurden,  soweit  sie  nicht  Originale  sind,  den  hervorragendsten  Werken  ent- 
nommen. Zahlreiche  Abbildungen  sind  dem  anatomischen  Bau  der  charak- 
teristischen Organe  gewidmet,  und  es  ist  ein  Vergnügen,  bei  vielen  derselben 
den  Fortschritt  der  Technik  zu  konstatieren.  Wie  verschieden  ist  x.  B.  das 
menschliche  Skelett  beider  Auflagui  ausgeführt  und  wie  zierlich  und  gefällig  ist 
dasselbe  bei  dem  neuen  Werke  in  den  ümrifs  des  Körpers  hineingczoichnet ! 
Derselbe  Unterschied  macht  sich  auch  bei  den  Abbildungen  der  Backenzähne 
des  nsiatisi-hen.  af i ikaoischen  und  Mammut-Elefanten  geltend,  die  sich  kaum 
mehr  ähnlich  seiicn. 

Durch  langjiilirigen  (iebrauch  des  .alten  Leunis"  verwr)hnt.  hätten  wir 
einzelnes  gern  anders  gestaltet  oder  beibehalten  gesehen,  wie  z.  B.  den  Tier- 
kalender. Im  Interesse  des  Buches  wäre  es  auch  wohl  vorteilhafter  gewesen« 
wenn  die  neue  Orthographie  berücksichtigt  worden  wäre  —  aber  diese  kleinen 
Aufeerlichkeiten  kommen  neben  den  grofsen  inneren  Vorzügen  des  Vferkes,  dessen 
zweiter  Band  hoffentlich  bald  nachfolgt,  kaum  in  Betracht.  Möge  denn  auch 
diese  dritte  Auflage  in  gleichem  Mafse,  wie  die  ])eiden  ersten  zu  ihrer  Zeit,  bei 
allen  Männern  der  Praxis,  die  sich  wissonschaftlich  mit  Zoologie  beschäftigen, 
die  Liebe  und  das  Interesse  für  die  Natur  wecken!  Dr.  Uäpke. 

Sehul- Atlas  ül)er  alle  Teile  der  Erde.  Zum  geographischen  Unterricht 
in  hüheren  Lehranstalten.  Herausgegeben  und  bearbeitet  von  C.  Diercke  ui^ 
E.  Oaebler.  64  Haupt-  und  138  Nebenkarten.  Braunschweig.  Druck  und 
Verlag  von  George  Westermann.  Preis  6  M. 

Ein  mit  den  methodischen  Grunds&tzen  der  heutigen  Scluil-G(  ographie 
wohlbekannter  Schulmann  und  ein  tüchtiger  Kartograph  haben  sich  zur 
Herausgabe  des  vorliegenden  Schulatlas  vereinigt,  der  zu  den  besten  Arbeiten 
dei"  deutschen  Schnlkartographie  v.n  zählen  ist.  Der  Atlas  umfafst  23  grof^e 
beiderseits  bedruckte  Blätter.  Seite  1  enthält  eine  Anzahl  instruktiver  Dar- 
stellungen zur  Einführung  in  da.s  Verständnis  geographischer  Karten,  S.  2  und  3 
bringen  Erläuterungen  zur  mathematischen  Geographie,  Seite  4  und  6  enthalten 
verschiedene  Planigloben,  welche  zugleich  zur  Veranschaulichung  der  durch  die 


.  Kj      L  y  Google 


—  219  — 


Tenchiecieiiartigen  Projektioiif  ii  Ijodingten  verschiedenarti^on  Ciradc  der  Verzt  rniiii^ 
«Im  Bildea  und  anderer  physikalischer  Verhältnisse  dienen.  Die  nächsten  vier 
Seiteil  5 — 9  sind  der  allgemeinen  Geographie  gewidmet  und  enthalten  zahl- 
yeiehe  kartogfaphiache  Dantellnngen  ans  der  physischen  nnd  Knltnr^Qec^graphie. 
Die  übrigen  Karten,  Seite  10—46,  behandeln  die  spedelle  Linderkunde.  Die 
Auswahl  der  Karten  ist  eine  sehr  zweckentsprechende;  nur  die  Karte  von 
Palästina  erscheint  mir  in  einer  für  den  geographischen  Unterrirlit  b(>stimmten 
Kartensaminlung  als  ein  unorganischer  Bestandteil,  sio  frolntrt  in  den  liistorisc  hon 
Atlas.  Die  pädagogisch  so  überaus  wiclitigc  Einheitlichkeit  der  Malsstäbc  und 
der  Meridianzählung  (nach  Greenwich)  ist  hier  in  befriedif»eiider  Weise  dnreli- 
geführt.  Bei  den  Länderkarten  ist  die  physikalische  Besehaftenheit  der  Erdober- 
fliche,  die  Plastik  des  Erdbodens,  in  den  Yordergrand  der  Darstellung  gebracht, 
dagegen  sind  die  wandelbaren  politischen  Gestaltungen,  wie  richtig,  in  xweite 
Beihe  gerückt  Fflr  die  Terraindantellung  ist  eine  dreifhche  Farbenabtönnng, 
für  die  Oebirgsdarstellang  aufserdem  Schraifimng  gewählt;  das  Meer  seigt 
ein  blaues  Kolorit.  Alle  Karten  machen  einen  überaus  sauberen  und  gefälligen 
Eindruck,  so  dafs  selbst  der  Geographie  Fernstehende  den  Atlas  mit  Genufs 
durciiblätfern.  wie  leb  d;v.s  mehrfach  erfahren  habe.  Die  Auswahl  der  auf^re- 
nommenen  und  der  benannten  Objekte  verdient  in  den  meisten  Fidlen  als  eine 
geschickte  (für  Oberklassen  höherer  Lehranstalten)  bezeichnet  zu  werden.  Der 
Längenmafsstab  wird  überall  in  deutschen  geogr.  Meilen  und  Kilometern  ange- 
geben. An  kleinen  Ungenauigkeiten  merke  an :  S.  82  Karpath«!  statt  Karpaten, 
S.  23  Barinas  statt  Yarinas,  S.  40  und  44  Wasgenwald  statt  Wasgan. 

Zwei  Eigenschaften  charakterisieren  den  vorliegenden  Atlas  noch  insbe- 
sondere und  unterscheiden  denselben  von  fast  allen  übrigen  Schul-Atlantcn; 
es  ist  das  sein  Format  und  die  aafsergewöhnlich  reiche  Zugabe  an  kleinen 
Nebeiiknrtcii.  Das  Format  ist  ein  aufscrgcw'öhnlich  .^rofses,  einschlieTslich 
Rahmen  betrugt  die  Hohe  IMVIi  und  die  Breite  30  cm.  Infolge  dieses  Kürniats 
ist  der  Mafsstab  der  «inzelnen  Hauptkarten  ein  möglichst  grolser  und  stehen 
alle  Karten  aufrecht,  so  dafs  ein  Drehen  des  Altas  beim  Gebrauch  durchweg  ver- 
mieden wird,  gewifs  swei  animerkennendo  Vorzüge.  An  anderer  Stelle  ist  aber 
schon  darauf  hingewiesen,  dafs  dieses  grofse  Format  für  den  Gebrauch  in  der 
Klasse  seine  Bedenken  habe,  da  der  Atlas  mit  seinen  ungebrochenen  Karten 
aufgeschlagen  eine  Flache  von  25,«  qdcm  einnimmt,  während  z,  B.  der  „kleine 
Stieler*  nur  den  dritten  Teil  hiervon  nötig  hat.  Noch  wichtiger  aber  als  diese 
Raurafrage  scheint  mir  die  Frage:  auf  welche  Weise  sollen  die  Schüler  resp. 
Schülerinnen  den  Atlas  zur  Schule  schaffen?  In  eine  Büchertasche  oder  einen 
Tornister  pafst  das  grolse  Format  des  Atlas  nicht  hinein,  den  Atlas  aber  in 
freier  Hand  zu  tragen  und  zwar  bei  weitt!icn  Schulwegen  von  10  bis  25  Minuten, 
wie  diese  doch  in  jeder  gröfseren  Stadt  ganz  gewöhnlich  bind,  bringt  dem 
Schüler  eine  so  grofse  Unbequemlichkeit  nnd  ist  Inr  die  Haltbarkeit  des  Atlas 
80  nachteilig,  dafo  ich,  so  sehr  ich  die  Yorzfige  eines  groDsen  Formats  theo- 
letiseh  anerkenne,  aus  praktischen  Grilnden  mich  entschieden  dagegen  erkUiren 
mnCi.  Als  dem  vorliegenden  Atlas  von  Diercke  und  Gaebler  eigentümlich  sind 
dann  weiter  die  Fälle  der  in  zahlreichen  Nelienkartcn  gegebenen  Einzel- 
dar.stellnngen  zu  bezeichnen.  In  diesen  V)S  Nebenkarten  sind  nicht  allein  die 
Hanptstäilte  der  europäischen  Länder  sowie  die  wichtigsten  Häfen  und  Städte 
der  übrigen  Erdteile  dargestellt,  sondern  es  sind  auch  in  tretflicher  Au.swahl 
gewisse  typische  Gegenden,  z.  B.  ein  Industriebezirk,  eine  Marsch-  und  Gcest- 
landsdhaft,  eine  westfälische  Landschaft,  die  Elbmüudung,  Dcltabildungen  u.  dergl. 


220  — 


individualisiert.  Ganz  gewifs  bilden  diese  Nebenkarten  einen  anCserst  lehrreichen 
Schmuck  des  Atlas  und  der  Schüler  kann  ganx  1h  sonders  aus  ihnen  ersehen» 
was  alles  in  einer  grofseron  Karte  verborgen  liegt  uml  was  er  alles  hinzuzudenken 
hat  Do(  h  vom  .Stundpunkt  des  praktischen  Si  huhnanns  aus  nuils  ich  ge^'eiiiilun" 
(lies<  n  zahlreichen  Nebeiiknrteii  die  l'rag»-  stellen:  Werden  dii'  «'in/i  hu-n 
Kartenblätter  durch  vier  oder  fünf  beigegebene  Nebenkurten  nicht  reit  hli  Ii 
bunt  und  hat  nicht  auch  in  dieser  Beziehung,  und  vielleicht  gerade  in  dieser, 
das  bekannte  Wort:  .Nor  leer  seheinende  Karten  prägen  sich  dem  Qed&chnisse 
ein'  seine  Geltung?  ünd  weiter:  woher  soll  die  Zeit  genommen  werden,  den  hier 
gebotenen  Stoff  zu  bewältigen?  Doch  es  ist  hier  nicht  der  Ort,  diese  prinzipiellen 
Fragen  weiter  zu  diskutieren,  sie  angedeutet  sn  haben,  mag  genügen. 

Entsiu  i<  ht  der  vorliegende  Atlas  nach  meiner  Meinung  also  noch  nicht  allen 
Anfordci un<_'(ii,  die  man  an  einen  Schul-Atla.s  /u  stellen  liat.  so  verdient 
ilerscilje  do*  Ii  im  übrigen  bezüglich  des  wissenst  hati liciieii  (.iehalts  und  der 
technischen  Ausführung  volle  Anerkennung  und  ich  empfehle  den  Lehern  dieser 
Zeitschrift  denselben  angelegentlichst.  Dr.  W.  Wolken  hau  er. 


Druck  von  Carl  Srli1liieaui&&.  Üromeii. 


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I 


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*"  Deutsohe  »"*  ™- 

Geographische  Blätter. 

HennigegvbeB  tob  der 

Geographischen  Gesellschaft  in  Bremen. 


Beiträge  nnd  sonstige  Sendungen  au  die  Kedsktion  werden  unter  der  Adresse: 
Dr.  M.  Limdema,  Bremen,  Mendettmete  8,  erbeten. 

Der  Abdruck  der  Original-Aufsätze,  sowie  die  Nachbildung  von  Karten 
und  lUiistralioiieii  dieser  Zeitaclirih  Ist  nur  nach  Terst&ndigung  mit 

der  Bedaktion  gestattet. 


Patagonien  und  seine  Beeiedelung. 

Von  A.  vou  Seelstr&ng. 


Inhalt:  Grund  der  VernaclUiiMigung  Patagouiens.  Eutdeckungsgeschichte. 
Lag«,  Orenien  and  Gr5A«.   G«sta1taiig  d«r  Kttsten.   Yertikale  Koiifigimti(»ii.  Geo- 

goostische  Beschaffenheit.  rivflrog^raphisehe  Vf rhültiiissr.  Klim;i.  Flon.  Fftniia. 
Eingeborene  Bevölkerung.    Niederla-saungen.    Künftige  Kolonisation. 

Dreihundertiiudviernndsechzig  Jahre  sind  verflossen,  seit  der 
Fufs  des  ersten  Europäers  den  patagonischen  Strand  betrat.  In 
grofeartigem  Ma£s8tabe  haben  Schiffiihrt  nnd  Handel  zugenommen, 
riesenhafte  Lftndemtrecken  sind,  einzig  im  Interesse  der  Wissen- 
sehaft, erforscht  worden  und  wohl  hondert  Miltionen  Menschen 
europAischer  Abstammung  bevölkern  jetzt  zu  jener  Zeit  noch  völlig 
unbekannte  Gebiete ;  doch  fast  anberflbrt  liegt  die  Südspitze  Amerikas, 
vergessen  von  der  Wissenschaft,  dem  Handel  und  der  Kolonisation. 

Die  Gründe  dieser  auliälligen  Vernachlassif,Min}?  sind  selir 
mannigfacher  Natur,  doch  wollen  wir  nur  die  Hauptfaktoren  dci^elben : 
aufser  der  uiij^astlichen  Beschaffenheit  der  Küsten  selbst  vorzüglich 
den  Charakter  der  spanischen  Kolonien,  sowie  die  politische  Ent- 
Wickelung  Südamerikas  ins  Auge  fassen. 

Einförmig  und  wie  ein  niedriger  Wall  steigt  die  Ostküste 
Patagoniens  aus  einem  seichten,  stürmischen  Meere  empor,  welches 
durch  heftige  Strömungen  nnd  Wirbel  noch  geffthrlicher  wird. 
Wenige  und  nicht  leicht  zu  findende  Hftfen  bietet  sie  der  Schifihhrt, 
und  auch  von  diesen  wenigen  sind  manche  nicht  sicher  wegen  des 
steinigen  Ankergrnndes  und  der  aufsergewöhnlich  hohen  Flutwellen, 
welche  sich  bis  zu  10  und  15  m  erheben.  Und  wenn  es  dann  ge- 
lungen, den  Fufs  ans  Land  zu  setzen,  so  breitet  eine  dürre,  steinige 
Ebene  sich  vor  dem  Eindringling  aus,  bestreut  mit  Kies  uiul  Muschel- 
schalen und  dünn  bestanden  mit  hartem  Gras  und  niedrigem  Doru- 

üüQtir.  Blätter.   Br«m«u,  lübi.    '  lg 


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—  222  — 

gebflsch.  Sp&rlich  sickert  in  grolsen  Abstanden  ein  Quell  trinkbaren 
Wassers  durch  den  porösen  Boden,  und  greise  Strecken  der  Küste 

sind  durch  Salinen  und  salzhaltige  Sünii)fe  charakterisiert. 

In  andrer  Weise  abschreckend  zeigt  sicli  die  Westseite.  l)(trt 
ist  die  chilenische  Küsten-Kordillere  ins  Meer  versunken,  so  dafs 
nur  das  wilde  Felsengewirr  ihrer  Gipfel,  über  die  Gewässer  hervor- 
ragend, eine  langgestreckte  Keihe  von  Inselgruppen  und  Klii)pen 
gebildet  hat,  die,  von  Chiloe  anfangend,  sich  bis  zum  Kap  Horn 
hinzieht.  Fast  unaufhörlicher  Begen  wäscht  ihre  nackten  Felsen- 
rippen und  wütende  Weststürme  peitschen  das  Meer  gegen  sie  an. 
Nur  in  den  gegen  diese  geschützten  Kanälen  öffnen  sich  gute  Hafen, 
und  die  feuchte,  fruchtbare  Erde  deckt  sich  mit  üppigem,  undurch- 
dringlich verschlungenem  Baumwuchs.  Das  eigentliche  Rückgrat 
aber  des  Kontinentes  erhebt  sich  steil  aus  dem  tiefen  Ocean,  wenige 
fruchtbare  Flachen  an  seinen  Seiten  bietend;  rauschende  Bftche 
stürmen  Ton  den  felsigen  Höhen  und  nidit  selten  badet  ein  Gletscher 
den  eisigen  Fufs  im  Weltmeer. 

Die  Magalhaensstralse  endlich  teilt  im  grofseu  ganzen  ileu 
Charakter  der  eben  beschriebenen  Küsten,  das  heifst  sie  ist  felsig 
imd  zerrissen  in  ihrem  westlichen  Teile,  im  östlichen  aber  flach  und 
öde.  Nur  die  Halbinsel  Brauiischweig  macht  hiervon  eine  Ausnahme, 
denn,  durch  ihre  uord-südiiche  Kichtung  gegen  die  vorherrschenden 
WeststUmie  geschützt,  vereinigt  sie  das  mildere  Klima  Ost-Pata- 
goniens  mit  dem  kräftigen  Wald,  dem  fruchtbaren  Ackerboden  und 
den  guten  Häfen  der  pacifischen  Kanäle.  Freilich  ist  auch  hier  die 
Schifiiahrt  beschwerlich,  besonders  für  Fahrzeuge,  welche  nach  dem 
stillen  Ocean  bestimmt,  gegen  die  heftigen  Winde  ankämpfen  müssen; 
doch  ist  jedenfalls  diese  Halbinsel  der  einzige  Punkt  der  ganzen 
patagonischen  Küste,  der  von  vornherein  zur  Ansiedlung  einladet. 

Diesen  wenig  gastlichen  Eindruck  hat  Patagonien  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  reichlich  bewährt;  denn  seine  Geschichte  bildet 
fast  eine  einzige  Kette  von  Schiffbrüchen  und  IvatastiupluMi  aller 
Art,  die  von  Magalhaens  beginnend  bis  zur  denkwürdigen  Kxpedition 
des  »lieagle"  und  der  ^Adventurc"  unter  Kitzrov  in  diesem  Jahr- 
hundert heraufreicht.  Der  portugiesische  Weltumsegler  verlor  eine 
seiner  Garavelen  auf  den  Klippen  südlich  des  Rio  Santa  Cruz  (1521) 
und  eine  zweite  durch  Meuterei  der  ob  so  vieler  Leiden  entmutigten 
Bemannung.  Loaisa,  sein  Nachfolger,  büfste  gleichfalls  sein  bestes 
Schiff  in  der  Mündung  der  Magalhaensstrafse  ein  (ln20),  während 
gar  zwei  seiner  Fahrzeuge  sich  den  Beschwerden  der  Fahrt  durch 
die  Flucht  entzogen.  Spater  sehen  wir  dort  Simon  de  Alcazaba 
unter  den  Streichen  seiner  Moi*der  erliegen  (1535);  und  selbst  der 


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—  223 


kühue  Drake  murste  eine  Verschwörung  iui  Halen  von  San  Julian 
mit  blutiger  Hand  unterdrücken  (1578),  demselben,  wo  schon  Magal- 
haens  mit  genauer  Not  der  Meuterei  seiner  Kapitäne  entronnen 
war.  Als  endlich  der  yerdienstvoUe  Sarmiento  de  Gamboa  die  erste 
KoloDie  in  der  MagalhaensstraTse  anlegte  (Don  Felipe,  1581),  war 
deren  Schicksal  so  schrecklich,  dais  man  jenen  Ort  noch  jetzt  als 
den  Hungerhafen  (Port  fomine)  bezeichnet,  denn  von  880  Ansiedlern 
worden  nnr  zwei  durch  yorbelfahrende  Sdiiffe  gerettet 

In  derselben  Weise  zieht  sich  eine  Reihe  von  Unfällen  bis  anf 
unsere  Zeit,  und  es  ist  somit  nicht  zu  verwundern,  dafs  die  Spanier, 
schlechte  Kolonisatoren  und  wenig  j^^ewandte  Seeleute,  vor  einem 
Lande  zurückschreckten,  dessen  Klima  ihnen  fnrchtbar  rauh  erschien, 
und  welches  keine  Schätze  an  edlen  Metallen  autzuweisen  hatte. 

Nur  einmal  noch  fand  die  Krone  Castilien  es  erforderlich,  ihre 
Aufmerksamkeit  den  patagonischen  Küsten  zuzuwenden,  als  nämlich 
der  englische  Jesuit  Falinier  (1774)  seine  Landsleute  auf  die  Schiff- 
barkeit des  Kio  Negro  und  damit  auf  die  Möglichkeit  hinwies,  diesen 
FMb  zur  leichteren  VOTbindung  mit  der  Südsee  zu  benutzen.  Da 
hiefe  es  denn,  der  Einmischung  einer  fremden  Nation  in  die  Ver- 
hältnisse der  südamerikanischen  Kolonien  um  jeden  Preis  zuvor- 
kommen; und  wohl  nur  aus  diesem  Grunde  wurden  in  den  Jahren 
1778 — 82  mehrere  Entdeckungsreisen  unter  Leitung  des  Kapitäns 
Antonio  de  Viedma  die  Küste  entlang  und  ins  Innere  unter- 
nommen, auch  einige  Kolonien  gemundet.  Leider  waren  die  meisten 
derselben  nicht  jjut  gewählt;  so  vernachlässigte  man  z,  B.  den 
wichtigen  Hafen  Santa  Cruz,  und  Eifersüchteleien  mit  dem  Vice- 
könig  Yertiz  des  Rio  de  la  Plata,  sowie  die  zunehmende  Schwache 
des  spanischen  Staates  führten  bald  zum  Entschlüsse,  die  kaum 
begonnenen  Niederlassungen  wieder  aufzugeben.  Nur  das  am  Kio 
Negro  gegründete  Carmen  de  Patagones  wurde  festgehalten,  um 
den  Engländern  die  Benutzung  dieses  Wasserweges,  dessen  Fahr- 
barkeit bis  zum  Fufse  der  Kordilleren  der  Kapitän  ViUarino  1782 
dargethan  hatte,  abzuschneiden. 

Auch  die  Aufnahme  der  Küsten,  welche  in  den  Jahren  1826—34 
auf  Befehl  der  englischen  Admiralität  erfolgte,  war  nicht  im  stände, 
das  Vorurteil  zu  zerstreuen,  welches  sich  über  jene  Gegenden  ge- 
bildet hatte.  Im  Gegenteil  hob  sie  nur  noch  die  Tuwirtbarkeit  der 
IJferstriche  liervor;  und  weini  der  liericlit  Fitzroys  auch  einzelne 
Punkte  als  gut  gelegen  und  für  den  Ackerbau  tauglich  bezeichnet, 
so  mufste  ihre  Zahl  doch  unter  den  vielfachen  Schilderungen  des 
ungastlichen  Strandes  und  seiner  heftigen  Stürme  verschwinden. 
Aber  die  Forschungen  erstreckten  sich  eben  nur  auf  das  Mecresufer, 

16* 

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—  224  — 


und  die  einzige  Expedition,  welche  Fitzroy  den  Rio  Santa  Cruz 
hinauf  unternahm,  drang  zwar  140  siu  iu.s  Land  hinein  und  bewies 
die  Schiffbarkeit  dieses  Fhisses,  war  aber  durch  Mangel  au  Lebens- 
mitteln gezwungen,  wieder  unizukehren,  gerade  als  sie  zu  dem 
wirklich  interessanten  und  wichtigen  Teile  des  Innern  gelangt  war. 

Die  argentinische  Republik  selbst  endlich  war  bis  vor  wenigen 
Jahren  zu  sehr  von  inneren  Fragen  in  Anspruch  genommen,  um  ilire 
Auünerksamkeit  dem  fernliegenden  Patagonien  zuwenden  zu  können, 
und  so  blieb  der  dichte  Schleier  ungelüftet,  welcher  Jahrhunderte 
lang  das  Land  umhallte,  bis  es  dem  kühnen  Britten  Musters  ge- 
lang (1869),  das  gebeimnisvoUe  Innere  von  Sttden  nach  Norden,  in 
Begleitung  einer  wandernden  Indianerhorde,  der  er  sich  angeschlossen 
hatte,  zu  durchziehen.  Seine  interessanten  und  höchst  glaubwOidigen 
Schilderangen  sind  es,  welche  zuerst  ehi  neues  Licht  auf  jene  ver- 
rufenen Gegenden  warfen  und  die  Möglichkeit  darthaten,  auch  dieses 
Land  der  Kultur  und  di,'ui  Handel  zu  offnen.*) 

Spätere  Forschungen  haben  die  Ansichten  dieses  Reisenden  nur 
bestätigt  und  zugleich  die  Kenntnis  des  Innern  bedeutend  erweitert. 
So  stellte  im  Jahre  1877  der  artrentinische  Gelehrte  Moreno  ein 
System  von  alpinen  Seen  als  Wiege  des  Santa  Cruz  fest,  und  im 
folgenden  Jahre  durchzog  der  Leutnant  Rodger  von  der  chilenischen 
Marine  die  Region  zwischen  dem  Skyring  Water  und  jenen  Gewässern. 
Die  argentinischen  Forsclier  Lista  und  Moyano  verfolgten  den  Bio 
Ghico,  einen  Kebenflufe  des  Santa  Gruz,  bis  zu  seinen  Quellen  (1878), 
und  letzterer  unternahm  zwei  Jahre  spater  die  gefährliche  Reise  von 
dort  ans  zum  Rio  Sengner  und  diesem  folgend  bis  zur  Kolonie  Ghubut  am 
Flusse  gleichen  Namens,  zum  Teil  der  Route  des  englischen  Botanikers 
Dumford  folgend,  welcher  diesen  Strom  schon  vorher  aufwärts  bis  zu 
den  Seen  (Jolhue  und  Musters  bereist  hatte.  Wenn  wir  nun  noch 
die  h.vdn);;iui)hischen  Arbeiten  hinzufügen,  welche  die  chilenische 
Miiiiiu;  au  der  Westküste  ausgeführt  hat,  sowie  die  Resultate  der 
vt'iscliiedenen  militärischen  FApeditionen  betonen,  welche  infolge  der 
Besetzung  des  Rio  Ncgro  durch  die  argentinisclie  Armee  <l<us  (iebiet 
des  sagenhaften  Nahuel-Huapi  durchstreiften,  so  lafst  sich  mit  gutem 
Rechte  behaui)ten,  dafs  wir  augenblicklich  uns  nicht  nur  einen  klaren 
Begriff  von  Patagonien  bilden,  sondern  auch  mit  Sicherheit  diejenigen 
Punkte  bezeichnen  können,  welche  die  meisten  Vorteile  für  die  Aus- 
beutung seiner  nicht  geringen  llttlfsquellen  im  Interesse  des  Welt* 
Verkehrs  bieten. 


*)  At  home  witb  the  Pataguiiiaus  by  George  ChatUworlli  Miistci^i.  London 
1871.  Detitftch  187S. 


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rnter  dem  Namen  Patagoiiien  begreift  man  den  südlicheu  Teil 
des  amerikanischen  Kontinentes  zwischen  dem  Kio  Negro  im  Norden, 
dem  atlaDtischen  Ocean  im  Osten,  der  Sttdsee  im  Westen  und  der 
Ma^'alhaensstrafse  im  Sfiden.  Freilich  gehören  dazu,  nach  Boden- 
bescbaffenheit  und  Klima,  auch  die  anz&hligen  gröfaeren  und  kleineren 
Inseln  der  Westkflste,  sowie  das  Feoerland  selbst;  doch  wollen  wir 
hier  gänzlich  von  diesen  abstrahieren,  da  ihr  Inneres  noch  völlig 
unerforscht  und  es  somit  nicht  ratsam  ist,  Uber  deren  einstige 
Verwertung  fOr  die  Weltdkonomie  Pläne  zu  schmieden.  Der 
Flächeninhalt  dieses  Territoriums  beträgt  zwischen  16000  und 
17  000  Quadratmeilen  j  und  erstreckt  sich  dasselbe  von  39**  50'  südl. 
Breite  (Vereinigung  des  Limay  und  Neuquen  zum  Rio  Negro)  bis 
zu  55"  34'  (Kap  Froward)  und  von  42 45'  westl.  I/änge  von 
Greenwich  (Mündung  des  Rio  Ne?ro)  bis  78 25'  (Vorgebirge  Tres 
Montes  auf  der  Halbinsel  Taitao).  Seine  liorizontalc  Gestaltung  ist 
die  eines  mit  der  Spitze  nach  Süden  gekehrtcTi  Dreieckes,  dessen 
ost-westliche  Ausdehnung  jedoch  auf  der  Breite  des  Rio  Gallegos 
(51®  40')  geringer  ist,  als  an  der  Magalhaensstrafse.  Von  diesem 
Gebiete  steht  unter  chilenischer  Oberhoheit  der  westliche  Abhang  der 
Kordillere  und  das  Nordufer  der  Meerenge,  während  der  Vertrag 
von  1881  den  Rest  der  argentinischen  Bepnblik  zuweist 

DU  Gestaltung  der  KusU  ist  an  den  bddmi  Oceanen  sehr 
verschieden  und  imtert^chefdet  sich  scharf  (istlich  und  westlich  von 
Kap  Froward,  welches  man  als  den  virtuellen  Ausläufer  der  Andes 
ansehen  darf,  wenn«;leic]i  geognostische  Gründe  denselben  weiter  nach 
Westen  verlegen.  In  weitgeschwungenem  Bogen  zieht  sich  die  Ost- 
küste von  der  Mündung  des  Kio  Negro  ab  nach  Südwesten,  nur 
unterbroclien  durch  die  stark  vorspringende  Halbinsel  Valdez  und 
das  zerklttftete  Ufer  bei  der  Bahia  de  los  Ganierones,  sowie  dem 
tafelförmigen  Vorsprang  südlich  von  Kap  de  las  tres  Puntas.  Sie 
wird  durdi  den  Abfall  einer  aus  tertiären  Schichten  bestehenden 
Terrasse  gebildet,  welche  dch  meistens  30 — 80  m  aber  den  Meeres- 
spiegel erhebt,  mehrfach  aber  auch  bis  zu  diesem  herabsinkt  Der 
Meeresboden  flacht  sich  sehr  allmählich  bis  weit  in  die  See  hinein 
ab,  und  besteht  mehrere  Meilen  weit  aus  Grand  und  Grus.  Die 
Häfen  sind,  von  Norden  beginnend,  der  Puerto  de  San  Antonio  und 
der  von  Sau  Jos^;  beides  ziemlich  gute  Ankerplätze,  aber  ohne 
frisches  Wasser  und  wegen  der  heftigen  Flutwellen  schwer  zu  er- 
reichen. Südlich  von  letzterem,  und  nur  durch  eine  Landzunge  von 
ihm  tretrennt,  gewährt  der  Golfo  Nucvo  Wasser,  Holz  und  guten 
Ankergrund.  Die  Mündung  des  Cbubut  bietet  leider  keinen  Hafen, 

*)  Es  ist  alio  IVs  mal  so  grofi  «Is  Deutschland. 


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—  226  — 

da  sie,  durch  eine  Barre  verstopft,  selbst  bei  Hochwasser  nur  Schiffen 
von  7—12  F.  Tiefgang  den  Zutritt  gestattet;  dagegen  ist  der  weiter 

südlich  gelegene  Puerto  de  S.  Elena  als  sichere  Aidcerstelle  bekannt, 
er  bietet  ;iu(  h  Holz  und  Krfrischimgen  in  ausreichender  Menge.  Der 
hieraut  tolgcude  (iolf  von  S.  Jorge  ist  wenig  bekannt  und  ohne  jeden 
nennenswerten  Hafen;  doch  tiuden  sich  weiter  siidlicli  die  trefi'lichen 
Baien  des  Rio  Deseado  und  von  S.  Julian,  bekannt  durch  die  Ent- 
deckungsreisen von  Drake  und  Magalhaens,  endlich  der  Fjord  des 
Bio  Santa  Cruz,  welcher,  tief  ins  Land  einschneidend,  sicheren  Anker- 
grund,  Wasser,  Holz  und  Wild  in  Fülle  darbietet. 

Die  Magalhaensstr&fse  selbst  ist  durch  ihre  schönen  und  ge- 
sicherten Hafen  ausgezeichnet,  welche  bei  dem  launischen  Wetter 
jener  Breiten  besonders  für  Segelschiffe  unschätzbar  werden.  Hier 
mögen  nur  Erwähnung  finden:  die  Royal  Read  zwischen  dem  Fest- 
lande und  der  Elisabeth-Insel,  die  chilenische  Strafkolonie  Punta 
Arenas,  der  traurig  bekannte  Puerto  Hambre,  Woods^Bai,  Fortescue- 
Bai  und  andere,  so  der  ausgezeichnete  Puerto  de  la  Misericordia  auf 
der  {Südseite  des  Kanals,  nahe  an  seiner  Mündung  in  den  stillen 
Ocean.  Leider  machen  die  plötzlichen  und  sehr  heftigen  Stürme 
sowie  die  starke  Strömung  die  Passage  der  Strafse  gerade  für 
grüisere  Segelschiffe  höchst  beschwerlich,  da  dieselben  nicht  so  leicht, 
wie  Fahrzeuge  geringeren  Tiefganges  in  einem  der  unzilhligen  kleinen 
Häfen  Schutz  suchen  können;  so  dafs  eigentlich  nur  diese  und  Dampf- 
schiffe den  Kanal  der  Urasegelung  des  Kap  Horn  vorziehen.  Holz, 
Wasser  und  Fische  sind  im  Überflufs  vorhanden;  auch  liefert  Punta 
Arenas  Kohlen,  freilich  nur  geringer  Qualität 

Völlig  verschieden  ist  der  Charakter  der  WestkOste,  und  tritt 
derselbe  schon  von  Eap  Froward  aus  sehr  deutlich  hervor.  Das 
Meer  dringt  hier  bis  an  die  Basis  der  Andeskette  selbst  heran  und 
bildet,  durch  die  Verzweigung  ihrer  Schluchten  bedingt,  zahlreiche 
Inseln  und  Halbinseln,  Kanäle,  Golfe  und  Sunde;  so  dafs  auf  dieser 
Seite  das  Festland  völlig  mit  einer  Jieihe  von  grofseu  Inselgruppen 
umzogen  ist,  unter  denen  als  die  hervorragendsten  zu  nennen  sind: 
der  Arcliipel  der  Königin  Adelaide  und  jener  der  Madre  de  Dios, 
sowie  di(>  Insehi  Hannover,  Wellington  und  Chiloe,  nebst  der  Halb- 
insel Taitao.  Die  felsige,  ewig  von  Stürmen  umwütete  Küste  wird 
gewöhnlich  von  den  Schiti'en  sorgfältig  gemieden,  und  ist  uns  eigent- 
lich erst  durch  die  Aufnalimcn  des  Admirals  Fitzroy  und  durch  ein- 
zelne Arbeiten  der  chilenischen  Marine  näher  bekannt  geworden.  Sie 
bietet  viele  und  gute  Hftfen  dar,  wie  der  ausgezeichnete  Puerto  Bneno 
Sarmientos  auf  dem  Festlande  selbst,  Port  Henry  auf  der  Insel  Madre 
de  Dios,  Eden-Harbour,  Puerto  Santa  BÄrbara  auf  Gampana,  Kelly- 


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Ilarbuur  und  die  beuachbarte  Bai  vou  San  Qnintin  im  Golf  von 
öan  Eötevan,  Port  Otway  auf  Taitao  und  schliefslich  die  Bai  von 
Ancnd  auf  Chiloe.  Freilich  sind  alle  diese  mit  Holz  und  frischem 
Wasser  ausgestatteten  Häfen,  mit  Ausnahme  des  letzten,  bis  jetact 
▼on  geringem  Wert  fOr  den  Weltverkehr,  da  die  unbewohnte  Kflste, 
höchstens  von  Walfischfängem  besacht,  noch  keine  Anziehung  auf 
die  Handelsmarine  ausflben  kann;  doch  hat  man  in  den  letzten  Jahren 
begonnen,  die  dichten  Wälder,  welche  die  geschützten  Abhänge  dieser 
Inselwelt  bedecken,  auf  Nutzholz  hin  auszubeuten,  und  schon  werden 
bedeutende  Menjien  Eisenbahnschwellen  von  dort  nach  Chile  aus- 
geführt. Auch  ziehen  einige  pacifische  Dampfer,  z.  B.  die  der  Ham- 
burger Kosmos-Linie,  die  gesicherte  Fahrt  durch  den  Messier-  und 
Smyth-Kanal  der  Umsegeluno:  der  >vestlichen  Inseln  vor. 

Von  derartigen  Küsten  he^iionzt,  wachst  nun  das  pata^jjonisclie 
Festland  stufenweise  aus  dem  atlantischen  Oceau  hervor,  indem  es 
sich  aus  einer  Reihe  von  übereinandergelagerten  Ebenen  aufbaut,  deren 
unterste  oft  nur  30— 8()  m  über  dem  Meeresspiegel  liegt»  während 
die  oberste  sich  an  die  Kette  der  Anden  anlehnt,  welche  unmittelbar 
an  der  Sftdsee  den  hohen  Westrand  des  Landes  bildet,  jedoch  hier 
selten  mehr  als  1000  m  Kammhöhe  zu  haben  scheint.  Die  Ober- 
flftche  der  eimselnen  Ebenen  und  Terrassen  ist  flach  oder  leicht 
wellig,  dagegen  sind  ihre  Abfälle  zu  den  tieferen  meist  steil,  zer- 
rissen, das  Bild  einer  alten  Klippenküste  darbietend,  welche  lange 
von  den  Wogen  des  Meeres  bespült  und  ausgewaschen  worden,  wie 
dies  noch  heute  mit  dem  Rande  der  untersten  Terrasse,  der  See- 
küste selbst,  gesciiieht.  Daher  erscheinen  diese  Abfalle,  von  der 
unteren  Ebene  aus  gesehen,  oft  als  von  NNO.  nach  SSW.  streichende 
Bergzüge,  welcher  Richtung  auch  die  verschiedenen  im  Innern 
vorkommenden  Hügelketten  zu  folgen  scheinen.  An  der  Ostküste 
findet  sich  nur  ein  bedeutenderer  Höhenzug,  die  Sien*a  de  Valcheta, 
welche  von  der  Südseite  des  Rio  Negro  her  sich  bis  zum  Ghubnt 
hinzieht  und  ihre  letzten  Auslaufer  bis  zum  Nordrande  des  Golfes 
von  S.  Jorge  zu  entsenden  scheint  Sie  erhebt  sich  an-  einzelnen 
Stellen  bis  zu  300  m.  Ausserdem  berichtet  der  Kapitän  Moyano 
aber  eine  Bergkette,  welche  sfldlich  vom  Rio  Deseado  sich  in  west- 
östlicher Richtung  hinzieht;  doch  hat  er  dieselbe  nicht  erforscht 

Die  Einförmigkeit  der  vertikalfii  Konfiguration  des  Landes 
findet  ihr  Gegenstück  in  seint^r  geognostischen  Brschaffeti/u'it.  CJanz 
l'atagonien  besteht  aus  einer  tertiären  Formation,  welche  auf  Porphyr 
und  metamorphischeii  üesteinen  zu  ruhen  scheint,  und  welche  gröfsten- 
teils  von  Diluvial-  und  Schuttmassen  bedeckt  ist,  wie  solche  sich 
auf  dem  Grunde  des  Meeres  zu  bilden  pflegen.  Die  Ebenen  sind, 


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zumal  in  der  N&he  dei'  Ostküsten,  mit  abgermideten  Kieseln,  grofaen 
Geschieben,  Kies  und  Sand  bedeekt,  vennischt  mit  Musdielii  von 
noch  jetzt  im  benachbarten  Meere  lebenden  Arten,  und  bieten 
somit  ein  höchst  trauriges  Ansehen.  Diese  Schuttablagemngen  sind 
yon  grofser  M&chtigkeit  und  bedecken,  wenigstens  im  Sttden,  fost 
die  Hfllfte  der  Entfernung  zwischen  dem  Meere  und  der  KordiUere, 
welche  letztere  wohl  groDsenteils  das  Material  dazu  gelidert  hat 
Die  Tertiärformation  besteht  aus  ganz  horizontal  gelagerten  thonigen 
und  sandigen  Schichten,  welche  durch  ein  kalkiges  Bindemittel  zu 
nur  wenig  festem  Gestein  verbunden  sind.  Dieselben  können  der 
Gewalt  der  Wogen  nicht  widerstehen,  und  so  wird  das  Meeresufer 
meist  zu  einer  steilen,  nackten  aber  nicht  hohen  Klippenkfiste.  Im 
nordöstlichen  Teile,  zwischen  dem  Rio  Negro  und  dem  Hafen 
S.  Antonio,  ersclieint  diese  Formation  als  ein  Sandsteinplateau, 
welclics  sich  etwa  100  m  hoch  bis  an  die  Sierra  de  Valcheta  er- 
streckt. 

Nur  an  verbältuisinüfbig  wenigen  Stelleu  ist  bis  jetzt  das 
Hervoltauchen  der  dieser  Formation  untergelagerten  Gesteine  kon- 
statiert (Quarz-  und  Tlion-Porphyre).  Darwin  fand  dieselben  an 
der  Küste  zwischen  Union-point  (44**j  und  dem  Hafen  S.  Julian; 
wahreud  neuerdings  ihr  Vorkommen  in  grofser  Mächtigkeit  weiter 
landeinwärts  und  fast  in  derselben  Breite  von  Herrn  Dumford  be- 
richtet wird,  nach  welchem  Porphyre  die  Ufer  der  Seen  Mustei*s 
und  Collme,  sowie  des  Rio  Senguer  bilden.  Auch  Moreno  traf  diese 
Felsarten  am  Kio  Chubut,  da,  wo  derselbe  die  Sierra  de  Valcheta 
durchbricht. 

Basalte  und  basaltische  Laven  linden  sich  ebenfalls  und  zwar 
in  groÜBer  Ausdehnung  im  Thale  des  Santa  Cruz,  sowie  in  den 
Ebenen  um  den  Kio  Gallegos  bis  hinab  fast  zur  Magalhaensstrafse, 
so  dafs  wir  auf  grodsartige  vulkanische  Ausbrüche  der  Andes 
schliefsen  dürfen,  wenn  auch  augenblicklich  kein  thätiger  Vulkan  in 
deren  südlichem  Teile  bekannt  ist.  Freilich  erklärt  Moreno  den 
unter  49^  gelegenen  Monte  Fitzroy  für  einen  solchen;  aber  der- 
selbe scheint  nach  den  neuesten  Berichten  ebenfalls  erloschen. 

Andere  Formationen  und  auch  nutzbare  Minmlien  sind  bis 
jetzt  auf  der  Ostseite  der  Kordillere  nicht  gefunden  worden;  doch 
werden  Kohlengruben  in  Punta  Arenas  und  am  Skyring  Water  be- 
arbeitet, auch  fanden  Moreno  sowohl  als  Lista  Anzeichen  von  der- 
artigen Lagern  am  Lage  Argentino  und  den  Quellen  des  Rio  Chico. 
Die  kleinen  Flüsse  der  Halbinsel  Braunschweig  führen  Gold. 

Auf  der  Westseite  bestehen  die  Insehi  Yorherrschend  aus 
Glimmer-  und  Thonschiefer  mit  untergeordneten  Graniten,  ganz 


—  229  — 

ähnlich  wie  iu  der  Küstenketto  des  nördliclieu  Chile,  deren 
Foitsetzung  sie  auch  in  gcographisdier  Beziehung  bilden.  Die 
geoguostische  Beschaffenheit  der  Andes  auf  dem  Festhiude  ist  noch 
gänzlich  unbekannt.  Dieselben  scheinen  übrigens  nicht  eine  fort- 
laufende Kette  zu  bilden.  Zum  wenigsten  konstatierte  der  chilenische 
Kapitän  Simpson  eine  bedeutende  Depression  zwischen  dem  45.  und 
46.  Breitengrade,  indem  er,  die  flösse  Aisön  und  Huämules  bis  zu 
ihren  Quellen  verfolgend,  die  theoretische  Kordillere  um  ungef&hr 
IVf  Längengrade  hinter  sich  liefs,  ohne  auf  nennenswerte  Höhenzüge 
gestoben  zu  sein.  An  Vulkanen  sind  bekannt  der  Motalit,  Gorcovado 
mid  MinehlnniMda,  welehe  sich  sämtlich  auf  dem  Westabhang  der 
Kordillere  zwischen  42  und  45**  südl.  Breite  befinden. 

Die  Btivässeriing  Patagoniens  ist  anscheinend  eine  kärgliche; 
denn  von  gröfseren  Flüssen  finden  sich  au  der  ganzen  Küste  des 
atlantischen  Oceans  aufser  dem  Rio  Negro,  welcher  die  Grenze  im 
Norden  bildet,  nur  noch  der  Chubut  und  der  Santa  Cruz,  was  füg- 
lich auffallen  mufs,  wenn  man  die  grofse  Ausdehnung  der  Region 
zwischen  jenem  Strome  und  der  Magalhaensstrafse  in  Betracht  zieht, 
welche  die  vom  Ostabhange  der  schneebedeckten  Andeskette  herab- 
flieüsenden  Gewässer  und  aufserdem,  im  Innern  wenigstens,  bedeu- 
tende atmosphärische  Niederschläge  empfängt  Der  Grund  dieser 
Erscheinung  ist  wohl  meistenteils  in  der  porösen  Beschaffenheit  des 
Bodens,  sowie  in  dem  Fehlen  anderer  Gehirgssysteme  zu  suchen, 
welehe  den  aus  der  Kordillere  hervorbrechenden  Strdmen  frische 
Nahrung  zuführen  hönnten.  So  versiegen  denn  nach  und  nach  die 
starken  Wasserquellen  des  Hauptgebirges  wiilucnd  ihres  Laufes 
durch  die  geschilderten  Hochebenen,  und  nur  wenige  erreichen  das 
Weltmeer,  meistenteils  begünstigt  durch  ein  System  von  natürliclien 
Sammelbecken,  welches  den  übergrofsen  Zuiiufs  zurückhält  und  den 
AbfluTs  reguliert. 

Der  Rio  Negro  wird  unter  38°  5()'  südl.  Breite  durch  den 
ZusammenfiuCs  des  Ncuquen  und  des  Limay  gebildet,  welche  zwischen 
sich  ond  der  Kordillere  das  seiner  Fruchtbarkeit  wegen  berühmte 
Land  der  Manzaneros  einschlieCsen.  Und  wenn  auch  der  erstgenannte 
zeitweise  ungeheure  Wassermassen  zu  Thale  wälzt,  —  die  Ursache 
der  plötzlichen  Anschwellungen  des  Negro  —  so  ist  es  doch  der 
Limay,  welcher,  aus  dem  berflhmten  See  Nahuel-Huapi  entspringend, 
den  gleichmafsigen  Stand  des  Hauptstroraes  aufrecht  erhält.  Vom 
Punkte  der  Vereinigung  beider  Strunic  an  empfängt  der  Rio  Negro 
keine  weiteren  Zuflüsse  und  verfolgt  seinen  I^auf  nach  OSO.,  ein- 
geschlossen zwischen  hohen  Tferwänden,  deren  obere  Fläche,  mit 
Gestrüpp  und  grobem  Grase  bedeckt,  sich  eiutOnig  dahinzieht, 


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—  230  — 


wahrend  das  von  ihm  gebildete  Thal,  sich  nach  und  nach  bis  zu 
15  und  20  km  erweiternd,  hOchst  frnchtbären  Boden  und  Wald 
in  Menge  darbietet  Dasselbe  ist-  allerdings  im  November  und 
Mai  periodischen  Überschwemmungen  aiisi^resetst;  doch  dQrfte  es 

nicht  schwierig?  sein,  diesen  durch  zweckmälsi^e  Ke.Lriilierun^  des 
Bettes  eine  Grenze  zu  setzen.  Die  untere  Hälfte  des  Stromes  ist 
durch  vielfache  "Windungen  und  Inseln  charakterisiert,  von  denen 
die  o])erste,  ChoiMe-choel,  mit  dem  gegenüber  gelegenen  Fort  l^elgrano 
die  bedeutendste  ist.  Seine  Breite  wechselt  zwischen  80  und  2(X)  m, 
und  wird  derselbe  selbst  zur  Zeit  des  Niederwassers  mit  Dampfern 
von  6  F.  Tiefgang  befahren,  w&hrend  Seeschifle  bis  zu  12  F.  noch 
zur  Stadt  Carmen  de  Patagones  gelangen,  welche  18  sm  von 
der  Mündung  entfernt  liegt  So  wird  denn  dieser  FluTs  zweifellos 
binnen  kurzem  die  Yoraussagung  des  Pater  Falkner  bestätigen,  dafs 
er  zur  Verkehrsader  eines  vollcreichen  Territoriums  bestimmt  sei,  und 
zur  kurzen  und  gefahrlosen  Verbindung  mit  dem  stillen  Ocean  dienen 
werde.  Ist  doch  eine  aigentinische  Dampfischaluiiiie  schon  den 
Limay  hinauf  bis  zum  Nahuel-Huapf  vorgedrungen,  und  dieser  See 
liegt  nur  65  sm  vom  Golfe  von  Reloncavi  entfernt.  Auch  diese 
kurze  Strecke  ist  leicht  zurückzulegen,  sei  es  durch  den  Pafs  von 
Rosales  (15UÖ  m  ü.  M.  und  920  über  dem  Spiegel  des  Sees)  oder 
mittels  des  Passes  von  Barilot  lie,  welchen  unser  Landsmann,  der 
Hauptmann  libode,  von  der  argentinischen  Aimee,  soeben  von  neuem 
entdeckt  hat. 

Der  Rio  Valcheta,  welcher  aus  dem  Gebirge  gleichen  Namens 
dem  Golfe  von  S.  Matias  zuströmt,  ist  insofern  von  Interesse,  als 
er  die  Bewohnbarkeit  des  ganzen  Ostabhanges  jenes  Gebirges  garantiert, 
wenn  auch  seine  Gewässer  zuweilen  eben  so  wenig  das  Meer  er- 
reichen, als  die  zahhreichen  anderen  Bergbache,  welche  dort  ihren 
Ursprung  nehmen. 

Der  Rio  Ckubut  wird  durch  zwei  Flflsse  gebildet,  welche,  die 
ganze  Breite  des  Festlandes  durchschneidend,  sich  erst  einige 
30  geogr.  Meilen  vor  seiner  Mündun-jj  vereinigen,  dort,  wo  derselbe 
die  Sierra  de  Valcheta  durchbricht.  In  diesem  seinem  unteren  Laufe 
hat  er  30 — 50  ni  Breite,  wahrend  die  hohen  Uferbänke,  8 — 10  km 
von  einander  entfernt,  ein  fruchtbares  Thal  einschliel'sen.  Dort  liegt 
die  welsclie  Kolonie  gleichen  Namens  etwa  20  km  von  der  See  ent- 
fernt; doch  verstattet  die  der  Mündung  vorgelagerte  Barre  nur 
Schifien  von  7  F.  Tiefgang  den  Zutritt,  wahrend  der  Flufs  selbst, 
wegen  seiner  vielen  Krümmungen  und  des  wechselnden  Stromlaufes 
halber  nur  mit  Böten  zu  befahren  ist.  Die  Quellen  des  Chubut,  sowie 
der  Lauf  seiner  beiden  Hauptarme  sind  zur  Zeit  noch  sehr  ungenügend 


—  m  — 

bekannt.   Erstere  sind  am  Ostabbange  der  Andes  zu  suchen  und 

umfafst  ihr  Gebiet  wahrscheinlicli  die  ganze  Strecke  vom  41.  bis  • 
zum  46.  Breiteuparallel.  Nur  der  Kapitän  Musters  hat  dieselben 
sämtlich  überscliritteii :  er  schildert  die  von  ihnen  bcwilssorten 
Kegionen  als  ausnehmend  fruchtbar  und  reich  mit  Wald  und  Wild 
ausgestattet.  Der  nördliche  Arm  ist  noch  völlig  unerforscht,  wenn 
auch  schon  1535  der  unerschrockene  Rodrigo  de  Isla  an  ihm  ent- 
lang weit  ins  Innere  vordrang.  Auch  vom  südlichen  Arme,  dem 
Sengaer,  wissen  wir  durch  die  Reise  Durnfords  und  die  spätere 
Moyanos  nur,  dafis  er  ungefähr  in  4&<>  da  Breite  und  68^  30"  Lftnge 
die  Gewässer  eines  gro&en  Sees  (des  Lago  Musters)  in  sich  auf- 
nimmt, dann  etwas  östlicber  ein  weites,  flaches  Becken  bildet  (den 
Lago  Golhu^),  welches  seinen  Wasserstand  reguliert,  und  schliefslicb 
in  Nordostriehtnng  fast  parallel  mit  der  Seekflste,  und  nur  100  km 
davon  entfernt,  seiner  Vereinigung  mit  dem  nördlichen  Arme  zueilt. 

Die  Existenz  des  J\io  de  San  Jorge,  welchen  die  Karten  als 
in  die  Bai  gleichen  Namens  mündend  angeben,  ist  noch  zweifelhaft. 
.    Jedenfalls  dürfte  derselbe  nichts  weiter  als  ein  kleiner  Ktiistentlufs 
sein,  da  sein  Gebiet  sich  nur  bis  zur  Wasserscheide  dos  uahen  Öeuguer 
erstrecken  kann. 

Auch  der  Rio  Deseado,  welcher  in  den  i^jord-ähulicheu  Ein- 
schnitt desselben  Namens  mündet,  hat  au  dieser  Stelle  nur  etwa 
1  m  Tiefe  und  ist,  obgleich  er  zu  gewissen  Jahreszeiten  eine  be- 
deutende Menge  Wasser  ergieiisen  mag,  doch  kaum  mehr  als  ein 
Bach  zu  nennen.  Der  Flufs  wurde  von  Kapitftn  Moyano  nahe  an 
seinen  Quellen  unter  7P  Lftnge  und  46*  35'  sadL  Breite  überschritten, 
doch  ist  es  noch  zweifelhaft,  ob  derselbe  mit  dem  in  jener  Region 
gelegenen  Lago  de  Buenos-Aires  und  dann  wahrscheinlich  mit  einer 
ganzen  Kette  mutmafslicher  Alpenseen  in  Verbindung  steht,  deren 
Abtiufs  er  in  diesem  Falle  bilden  würde.  Der  vorzügliche  Hafen, 
in  welchen  er  sich  ergiefst,  bewog  die  Si)anier,  dort  (1780)  eine 
Niederlassung  anzulegen;  doch  wurde  dieselbe  leider  bald,  aus  poli- 
tischen Gründen,  zurückgezogen.  Noch  existieren  die  Ruinen  des 
alten  Forts  und  die  damals  gepflaozteu  Obstbäume  (Äpfel,  Kirschen 
und  Quitten). 

Der  Rio  Santa  Cruz  dagegen,  welcher  in  den  bekannten,  tief 
einsdmeidenden  Fjord  mflndet,  fliefet  das  ganze  Jahr  hindurch  in 
vollem,  'starkem  Strome  dahin.  Er  bildet  den  Ausflufs  eines  ganzen 
Systems  von  zum  nundesten  vier  gro&en  Bergseen,  welche,  den 
Felis  der  schneebedeckten  Kordillere  badend,  sich  zwischen  48®  und 
60^  dO'  sfldlicher  Breite  hinziehen.  Noch  sind  nicht  alle  diese  Seen 
bekannt,  geschweige  denn  erforscht ;  doch  sind  die  Keiseuden  Moreuo, 


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—  232  — 

Bodger  und  Moyano,  welche  sie  in  den  letzten  Jahren  besuchten, 
einstimmig  in  der  Bewunderung  der  grofsartigen  Alpenscen^e,  die 
sich  an  ihren  Ufern  entfaltet,  des  migestatischen  Waldes,  welcher 
die  Flanken  der  Andes  bis  hinauf  zur  Schneegrenze  bedeckt,  und 

der  lieblichen  wenn  auch  enj?en  Thäler,  die  auf  die  Seen  ausmünden. 

Freilich  fanden  diese  Herren  das  Klima  selbst  tür  den  Sommer  etwas 
zu  ranh ;  doch  niui's  mau  dies  ihrer  Gewöhnung  au  wärmere  Uegiouen 
zuschreiben. 

Der  Santa  Cruz  entströmt  dem  Lago  Art^entino  in  einer  liifite 
vou  200  ni  und  dehnt  sich  weiter  abwärts  bis  auf  8 — 44)0  m  aus. 
Seine  Tiefe  beträgt  durchgehend  16  -  17  F.  Leider  ist  die  Strömung 
sehr  stark,  so  dafs  die  Schiffahrt  auf  ihm  nur  mit  Dampfern  von 
grofser  Kraft  möglich  sein  dOrfte.  So  legte  z.  B.  Fitzroy  dieselbe 
Strecke  flufeabwärts  in  3  Tagen  zurflck,  zu  welcher  er  airfwftrts  21 
gebraucht  hatte,  und  Moreno,  welcher  den  Strom  zur  Zeit  des  Hoch- 
wassers befahr,  schleppte  sein  Boot  30  Tage  lang  bis  zum  Lago 
Argentino,  um  die  Bfldcfahrt  in  24  Stunden  zu  machen.  Das  Flufs* 
thal  selbst  ist  eigentlich  nichts  weiter  als  eine  tief  in  den  Fels  . 
gerissene  Spalte,  welche  sich  nur  an  wenigen  Stellen  zum  Anbau 
eignen  dürfte.  Doch  bietet  das  Südufer  des  Hafens  Santa  Cruz 
selbst  sehr  gut  dazu  passende  IMinktc,  während  der  in  dasselbe 
Ästuar  von  Nordwest  her  mündende  Rio  Ckico,  sowie  sein  Neben- 
tiufs,  der  Scheuen,  weite  und  fruchtbare  Thäler  durchströmen. 

In  den  tiefen  Einschnitt  von  Coy  Met  mündet  ein  kurzer,  dem 
Hochplateau  südlich  vou  Lago  Argentino  entströmender  Bach.  Kbenso 
ist  der  Rio  Gallegos  nur  ein  kleiner  Flufs,  obgleich  er  sich  in  ein 
grofses  Becken  ergiefst.  Doch  erweckt  er  die  Aufmerksamkeit  des 
Geographen  durch  den  Umstand,  dafs  seine  Quellen  sich  nicht  mehr 
in  der  Kordillere  befinden,  welche  sich  dort  schon  auf  der  Halbinsel 
Sarmiento  hinzieht,  sondern  in  einem  hochgelegenen  Sumpfe  wenige 
Meilen  östlich  vom  Sound  of  last  Hope,  welcher  ebenfalls  einen  Ab- 
flufs  desselben  empfängt. 

In  die  Magalhaensstrafee  münden  keine  irgendwie  bedeutenden 
Flüfsc ;  doch  sendet  besonders  die  Ber^^kette  auf  der  Halbinsel  Brauu- 
scliweij,'  vielfache  wasserreiche  Bäche  ins  Meer.  Bemerkenswert 
ist  unter  ihnen  der  15  km  weit  schili'bare  Rio  San  Juan^  welcher 
sich  in  den  Puerto  ilambre  ci-'iiofst. 

An  der  Westküste  Pataiionitus  finden  sich,  wegen  der  nahen 
Wasserscheide,  nur  kurze  aber  starke  Ströme,  die  vielfach  in  tief 
eingeschnittene,  schmale,  flufsähnliche  Kanäle  oder  Fjorde  münden. 
Hier  seien  nur  erwähnt  der  Rio  Petrohue,  welcher  sich  in  den  50  km 
langen  Meeresarm  der  Boca  de  Reloncavi  ergiefst;  der  Rio  Boho- 


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—  233  — 


dahue,  dessen  Gewässer  ebenfalls  einem  schmalen  Fjord  desselben 
Namens  zueilen:  der  Rio  Cbrcovado  am  Fiifse  des  bekannten  Vulkans, 
bei  dessen  Quellen  Musters  wahrscheinlich  die  Pafshöhe  der  Andes 
erreichte,  und  endlich  die  Flflsse  Aisiu  und  Ihihmdes^  deren  schon 
vorher  E^fthnong  geschah. 

Landseen  scheinen  am  Ostabhange  der  Kordillere  in  grofsem 
Mafiastabe  vorzukommen,  und  bilden  dieselben,  wie  schon  gezeigt, 
die  natürlichen  Sammelbecken  fast  sämtlicher  patagonischen  Flüsse. 
Auch  in  den  Ebenen  der  Küste  linden  sich  mehrfach  Wasseransamm- 
lungen, doch  sind  dieselben  fast  ausschliefslich  Salzseen,  von  denen 
die  um  den  Hafen  S.  Julian  ein  sehr  gutes  Kochsalz  liefern. 

Das  Klima  von  Patagonien  ist  nicht  so  unwirtlich,  wie  man 
frilher  nach  Schilderungen  von  Reisenden  annahm,  welche  direkt  aus 
der  tropischen  Hitze  in  diese  südlichen  Breiten  versetzt,  zwar  den 
Wärmeunterschied  deutlich  genug  empfanden,  doch  nicht  Zeit  hatten, 
sich  daran  zu  gewöhnen,  noch  auch  die  mittlere  Temperatur  festzu- 
stellen. Bis  jetzt  haben  wir  nur  sehr  wenig  meteorologische 
Beobachtungen,  und  diese  beschranken  sich  fast  ausschliefslich  auf 
die  Küste.  Damach  ergiebt  sich  ein  grofser  Kontrast  zwischen  der 
Ost-  und  Westseite  der  Andes,  welcher  offenbar  durch  die  vertikale 
Konfiguration  des  Landes  bedingt  Ist. 

Auf  der  ersteren  ist  bis  zum  50.  Breitenparallel  das  Klima  ein 
mildes  und  die  mittlere  Jahreswarme  nicht  viel  tiefer  als  die  im 
südlichen  Teile  der  Trovinz  Buenos-Aires,  was  der  geringeren  Menge 
der  jährlich  fallenden  Regen  zuzuschreiben  ist.  Für  den  unteren 
\:\\\{  des  Rio  Negro  mag  hier  das  Resultat  20jiUuiL^t'r  IJeobaclitnniie?! 
gelten,  welche  Herr  Caronti  soeben  über  Bahia  Bianca  veröffentlicht 
bat,  da  diese  Stadt  auf  derselben  Breite  mit  dem  Zusammenflusse 
des  Limay  und  Neuquen,  und  nur  2®  nördlicher  als  Carmen  de 
Fatagones  liegt. 

mttlere  Temperatur  von  Bahia  Bianca  1859—1879 

(in  Gentigraden). 
Sommer  Herbst   Winter  FrQhling 
Maximum         38,6  •      33,t«      22,«  •  34,7« 
Minimum  8,i<»       0,o*»        S,!«       0,5 » 

Mittel  23,0»      15,5  8,««  15,7° 

Ks  stellt  sicli  also  die  mittlere  Jahrestemperatur  auf  -[-  lö,?»"  C, 
mithin  ähnlicli  wie  in  der  Kapstadt. 

Das  aul'serste  Maximum  wurde  mit  40,6"  und  das  äufserste 
Minimum  mit  —  5,5**  beobachtet. 

Die  mittlere  Regenmenge  betrug  während  dieser  Zeit:  im 
Sommer  134,i  mm,  im  Herbst  146,s  mm,  hu  Winter  62,s  mm  und 


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—  234  — 


im  Frühling  141, ••.  iniu.  Drei  von  diesen  2()  Jahren  waren  sehr 
trocken,  und  fünf  hatten  nnr  wenijj  ]{i'uen.  l>as  Mittel  von  — 64 
ist  367,4  mm,  das  von  18ÖU — 69  ergiebt  415  nnn,  das  von  1860 — 74 
445  mm  und  das  von  1860—70  ist  sogar  484.4  mm.  Wahrend  der 
ganzen  Zeit  fiel  dreimal  Schnee;  doch  schmolz  derselbe  nach  wenigen 
Stunden. 

Ober  das  Klima  des  Rio  Chnbnt  sagt  der  Beisende  Moreno, 
welcher  die  dortige  Kolonie  im  November  und  Dezember  1876,  also 
im  Frdhling,  besuchte,  daTs  die  mittlere  Temperatur  wahrend  dieser 
Zeit  sich  auf  11  ^  G.  stellte,  sowie  dafs  häufige,  aber  kurse  Regen 
schauer  oft  in  einer  halben  Stunde  ein  Sinken  des  Thermometm 
von  15  auf  10^  bewirkten.  Audi  dort  fallt  selten  Schnee  im  Winter, 
und  am  Mittage  herrscht  stets  eine  Irühlingsteniperatur,  wenn  nicht 
etwa  der  Himmel  bewölkt  ist.  Ks  rennet  weni^'er  als  in  Bahia 
Bianca.  Das  Klima  wird  im  allgemeinen  mit  dem  von  Tatagones 
verglichen. 

Von  Chubut  südlich  verringert  sich  die  an  der  Küste  fallende 
Regenmenge  mehr  und  mehr,  erreicht  ihr  Mininmm  zwischen  dem 
47.  und  48.  Grade,  also  um  dem  Puerto  Deseado  herum,  und  nimmt 
dann  stetig  nach  Sttden  hin  zu.  Schon  in  Santa  Cruz,  wo  die  Breite 
des  Festlandes  sich  ansehnlich  vermindert,  regnet  es  häufig,  wenn- 
gleich in  kurzen  Schauem.  Ober  das  dortige  Klima  liegen  nur 
vereinzelte  und  höchst  unvollkommene  Beobachtungen  vor.  Eine 
derselben  ist  wahrend  der  Monate  Juli  und  August  1879  aof  der 
dortigen  Marinestation  ausgeführt  und  liefert  folgendes  Resultat: 

Maximum       Minimum  Mittel 
Juli  ll,oO  —  8,5  • 

August  IIV»"*  — 14,5»  +4,oO 

Wir  haben  also  für  diese  beiden  kältesten  Monate  eine  mittlere 
Temperatur  von  4"  i^,« "  ^^ 

Auch  Musters,  welcher  von  Apnl  bis  Juli  1869  auf  der  in  diesem 
Flusse  gelegenen  Insel  Pavon  verweilte,  giebt  den  tiefsten  Thermo- 
meterstand in  letzterem  Monate  auf  — 8^  an;  w&brend  Moreno  auf 
seiner  Reise  nach  den  Quellen  des  Santa  Cruz  von  Januar  bis  Mftrz 
1877  eine  mittlere  Sommertemperatur  von  11  ®  C.  beobachtete.  Wir 
wurden  also  ein  Jahresmittel  von  +7^^  erhalten,  wenn  es  anders 
statthaft  erscheinen  dürfte,  Schlüsse  aus  so  lückenhaften  Daten  zu 
ziehen;  es  wäre  das  ungefähr  die  Temperatur  von  Kopenhagen. 

SQdlich  von  Santa  Cruz,  oder  vom  50.  Grade  an,  wo  die  sich 
verflachende  Konlillere  nidii  mehr  im  Stande  i.st,  die  be.stftndig 
wehenden  feuchten  Westwinde  abzuhalten,  wflchst  der  Wassergehalt 
des  Atmosj)hare  in  hohem  Cirade,  so  dafs  man  diese  ganze  schmale 


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235  — 


Spitze  des  Kontinentes  in  ihrem  Klima  völlig  dem  der  Magalhaens- 
strafse  gleichstellen  darf.  Moreno  vergleicht  letzteres,  freilich  etwas 
in  Bausch  und  Bogen,  mit  demjenigen  von  Grofsbritanien  „zwischen 
dem  Kanal  nnd  dem  Norden  Schattlands'*,  und  giebt  die  mittlere 
Temperatur  von  Punta  Arenas  im  Winter  auf  C.  an.  Eher 
scheint  es  erlaubt,  das  Klima  dieser  Gegend  mit  dem  der  Falklands- 
Inseln  zu  vergleichen,  ttber  welche  vollständige  Beobachtungen  vor- 
liegen, wonach  sich  ihre  mittlere  Jähreswftrme  auf  8,5  ^  also  ahnlich 
der  von  Lübeck  und  Swinemünde  stellt. 

Das  Klima  der  Westküste  Patagoniens  ist  sehr  feucht  und 
stürmisch;  nach  Fitzroy  giebt  es  dort  vielleicht  kaum  10  Tage  im 
Jahre,  an  welchen  kein  Regen  fallt,  und  nicht  dreiüdg  ohne  heftigen 
Wind.  Das  Land  ist  stets  von  Regen  getrankt,  der  nie  verdunstet, 
bevor  neue  Schauer  fallen.  Dabei  ist  die  Luft  jedoch  nicht  kalt  und 
die  Temperatur  das  ganze  Jahr  hindurch  auffallend  gleichraftfsig. 
Das  Thermometer  sinkt  selten  unter  -f-  4,:. "  C.  In  Tort  Otway,  auf 
46''  50'  Breite,  beobachtete  die  Expedition  des  ^Beagle"  während 
19  Tagen  des  kältesten  Monats  (Juni)  als  Maximum  -|-  10/.'^  und  als 
Mininuim  —  2,r.  °  C.  Weiter  nach  Norden  bessert  sich  das  Klima 
schnell,  so  dafs  die  Insel  Chilot*,  wenn  aut'li  noch  immer  häutigen 
Stürmen  ausgesetzt,  sich  doch  schon  *  einer  sehr  angenehmen 
Tem)>eratur  erfreut  und  einer  rüstigen  und  arbeitsamen  Bevölkerung 
zur  Wohnstätte  dient. 

Vom  Klima  des  Innern  endliih  besitzen  wir  zwei  Scliiklerungen; 
zuvörderst  den  interessanten  Bericht  des  Kapitäns  Musters.  Freilich 
konntt^  (lersel])e  keine  Instrumente,  aulser  einem  Taschenk()iii])!iss.  bei 
sich  führen,  um  nicht  den  abergläubischen  Verdacht  tler  Indianer  zu 
erregen :  doch  ist  ein  Umstand  vidlig  genügend  für  den  Nordeuropfter, 
um  sich  daraus  ein  Urteil  über  die  Temperatur  jener  Gegenden 
bilden  zu  können.  Wenige  Wochen  nach  seinem  Aufbruche  von 
Santa  Cruz  im  strengsten  Winter  (Ende  Juli)  und  nach  einigen 
schweren  Schneestürmen  zog  der  kühne  Reisende  es  vor,  die  Lebens- 
weise seiner  Begleiter  selbst  in  der  Kleidung  nachzuahmen,  um  seinen 
einzigen  europftischen  Anzn^  zu  schonen,  und  ritt  demzufolge  einfach 
nackt,  nur  mit  einem  losen  Fellmantel  (quillango)  bekleidet.  Die 
Witterung  ist  also  jedenfalls  eine  milde.  Es  regnet  häufig  ani  l  ulse 
der  Kordillere,  an  dem  entlang  sein  \Veg  führte;  doch  notiert  er 
auch  zwei  Schneestürme,  am  27.  November  und  28.  Februar,  welche, 
aus  den  Schluchten  des  riebirijes  hervorltrechend,  seine  Haut  für 
kurze  Stunden  höchst  unangenehm  berührten.  Gleiches  kommt  aller- 
dings auch  im  Süden  der  Provinz  Buenos-Aires  vor. 


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—  236  — 


Aufiserdem  wurden  im  Fort  Junin,  am  Fnfise  der  Anden,  unter 
70*^ 50*  W.  L.  Gr.  und  39*>  54'  S.  Br.  und  auf  850  m  fl.  M.  folgende 
Temperaturen  beobachtet: 

Maximum 

17.-31.  Ifftrz  1883     20<»  G. 
April    „       26  • 
Mai     „  16« 

Mithin  ist  auch  der  Spätherbst  auf  anselmlicher  Meereshühe 
und  am  Ful'se  der  schueebedeckteu  Kordillere  noch  duichaus 
erträglich. 

Tafel  2um  Vergleicli  der  mittleren  Temperaturen, 

in  Centigraden. 


Minimum 
0*  C. 

—  6» 

—  8» 


MHtel 

9,9»  C. 

5,08« 


,  

Orte 

bU 
Wkrm 

Afra 

bin 
Juni 

1 

bis 
September 

Dezember 

1  Mlttl^TO 

JahrM- 
temp«r»tur 

Bio  de  Janeiro 

96»6 

23,6 

213 

24,4 

1  +24.« 

Montevideo 

26^0 

16,6  ' 

14,9 

21,8 

'     4-  19,3 

Buenos-Airee 

23,0 

13,9 

12.0 

20,0 

+  17,2 

Kapstadt 

Vd^ 

14,9 

14,1 

17,0 

1    +  16»0 

Bahia  Bianca  aud 

Carmm  dt  Palagiitus 

23,0 

15,5 

8,9 

15,7  1 

+  IÖ3 

Berlin 

,1,76 

13,0 

17,0 

43 

Bremen 

l,2ö 

12,6 

16,6 

+  »3 

Swinemündc 

—  1,26 

10,0 

17,6 

53 

+  83 

Futrte  Junin 

9,6 

runia  Arenas,  ahulich  den 

Falklands-luäeln 

12,0 

8,0 

4,8 

9,0 

Lftbei^ 

0,6 

11,8 

16,0 

4,5 

+  83 

Edinburgh 

3,60 

10,0 

133 

6^6 

+  73 

Kopenhi^n 

-  0,4 

10,6 

15,9 

43 

4-  73 

SoM/a  Crm 

11,0 

3.6 

+  7,3 

Dnnng 

-  l,ß 

11,0 

16,0 

4,0 

+  7.1 

Königsberg 

—  0.4 

10,1 

15.1 

2,0 

+  ß.'^ 

i:?tückholm 

-  3,1 

8,7 

14,7 

2,4 

+  ö.ti 

Glirwliaiua 

—  3,5 

9,8 

153 

0,8 

+  M 

Petersborg 

-  7,6 

8^6 

IM 

-  1,3 

-f  83 

Die  Flora  und  Fauna  Patagoniens  sind  nicht  reich,  was  teils 
der  mangelhaften  Bewässerung,  teils  der  geognostischen  Beschaffen- 
heit zuzuschreiben  ist. 

Auch  in  der  VegeteHm  zeigt  sich  ein  grofser  Kontrast  zwischen 
dem  dttrren  Osten,  dem  gemäfsigtcn  Innern  und  der  regenreichen 
Westkflste.  Letztere,  bis  hinab  zur  Halbinsel  Braunschwei^,  ist  fast 
überall  dicht  bewaldet  und  bietet  wertvolles  Bauholz.  Im  Norden 
finden  sich  bis  zur  Halbinsel  Taitao  kostbare  Nadelhölzer,  als:  die 
l'itzroyia  patagouica,  Libocedrus  tetragona,  Araucarien  und  anilere, 


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237  — 


welche  schon  jetzt  von  den  Chiloten  ausgebeutet  werden.  Weiter 
nach  Süden  treten  zwei  Duchenarten  auf,  deren  eine  die  Blätter 
uiclit  ab\Yirft,  und  der  Winterrindenbauni,  eine  ebenfalls  immergrüne 
Baumart.  Auch  an  der  Nordkü.^to  der  Magalhaensstrafse  finden  wir 
eine  Cedernart  (Tiiuya  Tetragona  Hooker),  jedoch  nur  zwischen  Kap 
Froward  und  Port  Gallant.  Diese  Bäume  erreichen  sehr  bedeutende 
Dimensionen;  Stämme  der  immergrünen  Buchen  von  3  F.  Durch- 
messer sind  gewöhnlich,  selbst  solche  von  4  F.  häufig,  und  an  der 
MagälhaensstraCse  wurde  einer  von  Kapit&n  King  gemessen,  der  bis 
17  F.  über  den  Wurzeln  7  F.  im  Durchmesser  hatte.  Auch  in  Port 
Otwaj,  wo  der  Wald  bis  zum  Wasserrande  hinabsteigt,  konnte 
Kapitftn  Stokes  einen  Balken  von  30  F.  über  13"  zum  Ausbessem 
des  nBeagle'  schneiden  lassen.  Das  Holz  dieser  Bäume  ist  sehr 
jj;ut  zum  Schiffbau  zu  verwenden,  die  Kolonie  Punta  Areuas  ist  fast 
ganzlich  damit  eriiclitct,  und  schon  17G4  holte  Bougainville  von 
hier  das  Material  für  die  Häuser  meiner  Niederlassung  auf  den 
Falklands-Iuseln. 

Natürlicli  wirken  an  den  weniger  geschützten  Stellen  der  West- 
küste die  schweren  Stürme  auch  auf  den  Baumwuchs  ein,  indem  sie 
denselben  verkrüppeln  und  ihn  zwingen,  sich  mit  tausend  Armen 
dicht  über  dem  Boden  hinzuziehen.  Da  aufserdem  ein  dichtes  Busch- 
werk seine  Zweige  in  die  Äste  der  Buchen  hineinschlingt,  so  ent- 
stehen oft  völlige  Plattformen,  über  welche  man  hinwegkriechen 
mufs,  um  vorwärts  zu  kommen.  Schon  Sarmiento  erwähnt  diesen 
Umstand  in  seiner  Beise  von  1580  und  erzählt,  dafs  er  oft  nicht 
durch,  sondern  über  den  Wald  gegangen  sei. 

Das  Unterholz  pflegt  sehr  dicht  zu  sein  und  wird  von  einer 
Menge  verschiedener  Piianzen  gebiUlet.  unter  welchen  zwei  Berberis- 
arten  fcalafate).  ein  Arbutus,  eine  Johannisbeere  und  Fuchsien  die 
gewohnlichsten  sind.  Eine  kriechende  Myrtusart,  unserer  Heide 
ahnlich,  überzieht  den  Boden  zwischen  anderen  Pflanzen  und  bietet 
rote  sehr  fleischige  Beeren  von  angenehmem  Geschmack.  Auch  der 
Calafate  und  jene  Johannisbeeren  haben  vortreffliche  Früchte.  Wilde 
Sellerie  und  verschiedene  antiskorbutische  PHanzen  finden  sich  in 
groDser  Menge  an  der  ganzen  Süd-  und  Westküste,  und  von  Kultur* 
pflanzen  gedeihen  in  Punta  Arenas:  Hafer,  Gerste,  Roggen  und 
Kartoffeln,  femer,  und  zwar  in  grofser  Üppigkeit,  an  Gemüsen:  Kohl, 
Blumenkohl,  Kopfsalat,  Mohrrüben,  Radieschen,  rote  und  welfise 
Rüben  und  Sellerie. 

Das  Innere  des  Landes  zeigt  auch  am  östlichen  Abhänge  der 
Andes  die  kräftige  Vej^etatiou  der  Westküste.  Moreno  fand  die 
beiden  vorerwähnten  Biichenarteu  in  dichten  Wäldern  vereinigt, 

(ieogr.  Blätter.  Bromeo  1884.  17 


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—  238 

sowie  anch  Exemplare  von  Libocednis  tetragona  an  den  Westufern 
der  Qnellseen  des  Santa  Cruz,  er  spriebt  mit  Bewunderung  von  den 

prächtigen  Fuchsias  und  Farrn,  welche  dieselben  schmücken.  Ebenso 
entzückt  ist  Musters  über  die  majestätischen  Wahlungeii  von  Buchen 
und  Araukarien,  die  er  auf  seiner  Exkursion  von  Weckel  aus  (43 
südl.  Breite)  zur  Wasserscheide  der  Kord  illere  hinauf  antraf.  Grofse 
Felder  von  Erdbeeren  bedeckten  den  lUtden  und  ein  üppiger  Rasen- 
teppich zo'j,  sich  unter  den  hundertjährigen  Stämmen  dahin.  Audi 
schildert  er  eine  Art  wilder,  sehr  schmackhafter,  unseru  Bataten  ähn- 
licher Kartoffeln.  Die  £benen  am  Fufse  des  Gebirges  sind  mit  dichtem 
Grase  bedeckt  und  malerische  Gruppen  von  Weiden  bezeichnen  den 
Lauf  der  Flüsse.  Besonders  hervorsuheben  ist  der  stattliche  Baum- 
wnchs,  welcher  die  Höhen  um  den  See  Nahuel-Huapi  herum  schmückt 
Dort  finden  sich  ausgedehnte  Wftlder  von  Araukarien  und  Cypresseo, 
wahrend  die  wahrscheinlich  von  den  Jesuiten  eingeführten  Apfel- 
baume völlige  Forsten  bilden.  Selbst  weit  östlich  dieser  privilegierten 
Zone  fand  Musters  in  Mackinchau,  Treneta  und  anderen  Stationen 
seiner  Reise,  bis  zur  Sierra  de  Valcheta  hin,  ausgedehnte  gut  be- 
wässerte Ebenen,  welche  den  Indianern  zu  last  ständigem  Aufenthalt 
dienen.  Ein  sicheres  Zeichen  für  die  Fruchtbarkeit  der  Gegend;  was 
übrigens  auch  Moreno  bestätigt. 

Die  riachen,  mit  Trümmern  hesäeten  Repfionen  der  Ostküste 
freilich  gewähren  einen  dürren,  trostlosen  Anblick;  sie  ernähren 
tiberall  dieselben  verkrüppelten,  zwerghaften  Bflanzen  und  domigen 
Gebüsche.  Unter  letzteren  ist  besonders  der  Calafate  vorherrschend 
und  ein  dem  Balsam->bog  der  FalUands-Inseln  ahnlicher  Strauch,  der 
Incienso,  welcher  das  hauptsachlichste  Brennmaterial  liefert  Der 
Ghubut  und  zumal  der  Rio  Negro  besitzen  schöne  Wiesen  und 
letzterer  auch  ausgedehnten  Bestand  von  Weiden  und  Melles.  Ebenso 
erzeugen  die  übrigen  Flüsse  und  periodischen  Wasserl&ufe  in  ihrem 
Oberschwemmnngsgebiet  gute  Weidefiachen;  doch  die  Ebene  selbst 
ist  meistens  mit  dem  groben  Basto  Buna  der  Bampas  bestanden, 
welches  übrigens  auch  in  Argentinien  als  treffliches  Futter  gesdiätzt 
wird  und  hier  jedenfalls  trotz  seines  ärmlichen  Aussehens  Tausende 
von  (Uianakos  zu  ernähren  im  Stande  ist.  Südlicli  von  Santa  Cruz, 
wo  der  Einriul's  der  feuchten  Westwinde  schnell  fühll»ar  wird  und 
häuliger  Regen  den  Boden  netzt,  gestaltet  sich  auch  die  Grasnarbe 
dichter  und  üppiger  und  zahlreiche  Bäche  bewässern  den  Boden,  so 
dafs  besonders  vom  Rio  Gallego  ab  die  ganze  Südspitze  des  Konti- 
nentes als  sehr  wohl  zur  Viehzucht  geeignet  anzusehen  ist  Dies 
bezeugen  nicht  wenige  Bindvieh-Estanzien,  welche  von  den  Chilenen 
dort  angelegt,  sich  eines  ersichtlichen  Gedeihens  erfreuen. 


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^  239  — 

Die  Produkte  des  Ackerbaues  sind  in  Viedma  und  Carmen 
de  Patagones  dieselben  wie  in  der  Provinz  Buenos-Aires.  Weizen 
and  Wein  sowie  alle  Gartengewächse  gedeihen  ausgezeichnet,  und  die 
Yorzüglichkeit  der  Früchte,  besonders  der  Äpfel,  Pfirsiche  und 
Kirschen  wird  gerflhmt 

Am  Ghnbut  wird  Terh&ltnismftfoig  wenig  Weizen  gebaut;  doch 
produziert  der  Boden  alle  FeldMchte  des  nördlichen  Deutschlands, 
als  Koggen  und  Hafer,  Mais,  Kartoffeln,  Bohnen,  Erbsen,  Luzerne 
und  die  ganze  Reihe  der  Gartengewachse. 

Schon  flüher  wurde  der  verwilderten  Kirsch-  und  Quittenbäume 
in  Puerto  Deseado  gedacht.  Und  wenn  auch  auf  der  Insel  Pavon 
(Santa  Cruz)  der  Ackerbau  nur  als  Nebensache  getrieben  wird, 
nämlich  um  den  Tisch  der  dortigen  llandelsstation  mit  frischem 
Gemüse  zu  versehen,  so  beweist  dieser  Umstand  doch  zur  Genüge, 
dafs  Kartoffeln,  Mais  und  sämtliche  Gartenprodukte  leicht  und 
sicher  zu  erzielen  sind,  während  das  Beispiel  von  Punta  Arenas  die 
Gewifsheit  eines  vorteilhaften  Anbaues  auch  der  dort  gedeihenden 
Gerealien  liefert. 

Die  Fama  Patagoniens  trftgt  durchaus  den  Charakter  eines 
gem&fsigten  Klimas.  Das  eigentflmlichste  und  wichtigste  Säugetier 
ist  das  Gnanako,  dessen  abenteuerliche  Gestalt  schon  die  Aufmerk* 
samkeit  Pigafettas  erregte,  jenes  Chronisten  der  ersten  Welt- 
umsegelung. Dies  interessante  Tier,  „halb  Kamel  und  halb  Schaf" 
vertritt  hier  die  Antiloi)enhcrden  der  alten  Welt  und  findet  sich 
durch  das  ganze  Territorium,  ja  selbst  über  das  Feuerland  hin  ver- 
breitet. Gewöhnlich  lebt  es  in  kleinen  Hudeln  von  10  bis  30  Stück, 
doch  sieht  man  auch  Herden  bis  zu  500.  Sein  Fleisch  bildet  das 
wichtigste  Nahrungsmittel  der  Eingeborenen  und  seine  Haut  das 
Material  für  ihre  Zelte  und  Kleidung.  —  Ebenso  nützlich,  aber  schwerer 
SU  erlegen  ist  der  Hu^mul  oder  chilenische  Hirsch,  welcher  die 
Gebirge  der  Andes  bewohnt,  wahrend  der  EQrsch  der  argentinischen 
Pampa  nur  im  Norden  am  Rio  Negro  entlang  angetroffen  wird.  — 
Charakteristisch  für  die  sterile  Kastenzone  sind  femer  der  patagonische 
Hase  und  eine  Art  Meerschweinchen,  sowie  eine  grofse  Anzahl  ver- 
schiedener Nagetiere,  deren  eines,  der  tucutuco,  den  Boden  derartig 
unterwühlt,  dafs  ein  Pferd  oft  kaum  im  Tiab,  geschweige  denn  im 
Galopp  darüber  hinzuführen  ist. 

Von  Raubtieren  sind  am  bemerkenswertesten  der  Puma  oder 
amerikanische  Löwe,  der  besonders  dem  Guanako  nachstellt,  die 
kleine  Pampa-Katze  und  ein  kleiner  zierlicher  Fuchs.  Musters  fand 
eine  sehr  groise  Otternart  in  den  Gewässern  des  Innern,  welche 
Ton  den  Indianern  Wassertiger  genannt,  ihm  einmal  sogar  ein 

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ganzes  Guanako  ins  Wasser  zog  uiiii  verzehrte.  —  Der  von  ilon 
Indianern  viel  gehaltene  Hund  stammt  ortV'nl)ar  von  dvin  ämrh  die 
Spanier  eingeführten  europäisclien  al):  docli  findet  .sich  auch  die  nackte, 
amerikanisch*'  Sj^ecies.  —  Vcrwikierte  Kinder  und  Pferde  lialtcn 
sich  in  ganzen  Herden  an  den  Abhängen  der  Kordillere  anf:  auch 
ein  wihlea  Schwein,  welches  am  Rio  Ncgio  vorkommt,  ist  wahr- 
scheinlich enrop  ii<chen  ürspmnixs.  —  Die  Indianer  besitzen  ziemlich 
Tiel  zahme  Pferde,  die  unansehnlich  und  noch  kleiner  als  die  argen- 
tinischen, trotzdem  wegen  ihrer  groben  Ausdaner  berühmt  sind. 
Schafe  und  zahmes  Rindvieh  werden  mit  gutem  £rfolg  in  allen 
Niederlassungen  von  Rio  Negro  bis  zur  Magalhaensstrafse  gezüchtet 

Unter  den  Vögeln  haben  wir  besonders  den  ainerikanischeu 
Straufe  oder  Nandu  hervorzuheben,  welcher  neben  dem  (Juanako  das 
fast  ausschlieDsliche  Nahrungsmittel  der  Eingeborenen  bildet.  Es 
kommen  eine  grdfsere  uud  eine  kleinere  Art  vor,  jene  bevölkert  den 
Norden,  diese  den  Süden  des  Landes  in  grofsen  Schaaren.  Oft  sieht 
man  sie  mit  den  Guanakos  untermischt  weiden.  —  Von  Raubvögeln 
findet  sich  der  Kondor  über  das  ganze  Gebiet  verbreitet,  er  nistet 
selbst  anf  den  Felsen  der  Küste;  auch  sind  mehrere  Falkenarten 
beobachtet  worden.  — ~  Verschiedene  si)erlingsartige  Vögel,  Finken, 
Zaunkönige  und  aiu  h  eino  singende  Drossel  sind  niclit  selten.  Papa- 
geien beleben  in  giol-ün  I  iiigen  die  Wnldor  de^  fiebirges.  wo  am  Ii 
Spechte  und  andere  Klettcrvögel  angctroti'en  werden,  selijst  Kolibris 
sind  durchaus  nicht  selten  bis  hinab  zur  Magalhaensstrafse.  — 
Wasser-  und  Sumpfvögel  sind  natürlich  im  trockenen  Osten  nicht 
häufig;  doch  finden  sich  an  den  salzigeii  Seen  scharenweise  der 
feuerrote  Flamingo,  die  rosenfarbige  Löfi'elgans,  sowie  Regenpfeifer 
imd  Wasserlaufer;  während  der  amerikanische  Storch,  Schwftne, 
Gänse,  Enten,  Wasserhühner  und  Kibitze  die  Seen  und  Flüsse  des 
Innern  beleben.  —  Die  Klippen  der  Küste  sind  von  Pinguinen  und 
anderem  Meergevögel  dicht  bevölkert,  so  dafs  schon  manche  Ladung 
Guano  von  dort  ausgeführt  wurde,  und  die  Reisenden  früherer  Jahr- 
hunderte oft  ihre  Schifte  an  einem  einzigen  Tage  für  Monate  ver- 
proviantieren konnten. 

Süfswasserfische  bietet  die  Mündung  des  Santa  Cruz  in  an- 
sehnlicher Menge;  doch  fand  Moreno  deren  wenige  in  seinem  obern 
Laufe  und  in  den  Qnellseen,  da  die  reifsende  Strömung  des  ersteren 
und  das  eisige  Gletscherwasser  dieser  ihnen  nicht  zuzusagen  scheinen. 
Dagegen  spricht  Musters  mehrmals  von  vielen  und  grofsen  Fischen, 
welche  die  Gebirgsströme  beleben,  und  deren  Fanj?  und  Genufs  er 
den  Indianern  lehrte.    Auch  der  Rio  Xegro  ist  reich  an  Fischen. 


—  241  — 


Reptilien  sind  sehr  selten;  doch  fand  Darwin  9  verschiedene 
Speeles  von  Eidechsen. 

Die  SeekOste  war  früher  Überreich  an  Robben,  namentlich  an 
Ohrenrobben,  welche  hier  zuerst  von  Pigafetta  gesehen  und  be- 
schrieben wurden;  doch  haben  dieselben  wegen  der  eifrigen  Nach- 
stellungen ziemlich  abgenommen  und  sich  auch  an  der  Westseite  in 
die  innersten,  schwer  zugänglichen  Kanäle  und  Fjorde  zurückgezogen. 
Im  Sir  George  Eyre-Sound  fand  die  Expedition  der  „Adventure" 
mehrere  grol'se  Lagerplätze,  sogenannte  Rookcries,  von  Robben,  wo 
dieselben  sich  zu  vielen  Tausenden  versammeln,  um  ihre  Jungen  zu 
werfen;  dergleichen  Stellen  ^ind  unzweifelhaft  noch  in  vielen  jener 
einsamen  Gewässer  vorhanden.  Auch  die  Walfische  haben  in  den 
benachbarten  ^leeren  etwas  abgenommen.  Trotzdem  beschäftigt  sich 
noch  eine  ziemliche  Anzahl  von  Schiffen  mit  Robbenschlag  und  Wal- 
fischfang. Genaueres  ist  darüber  nicht  festgestellt,  da  die  argen- 
tinische wie  die  chilenische  Begiernng  bis  jetzt  nur  eine  nominelle 
Aufsicht  über  jene  Gew&sser  führen. 

Die  Bevdlkmmg  des  Gebietes  besteht,  mit  Ausnahme  der  spater 
anzufahrenden  Kolonien,  aus  unabhängigen  Indianern,  deren  hervor- 
ragendste Häuptlinge  oft  sowohl  von  der  chilenischen,  als  von  der 
argentiniselieu  Regierung  Subsidieu  beziehen,  je  nachde^i  sie  sich 
in  der  einen  oder  anderen  Niederlassung  zum  Eintausch  europäischer 
Artikel  einfinden. 

Den  Namen  Pataponier  gab  ihnen  schon  Magalhaens,  der  sie 
zuerst  (1520J  im  Hafen  San  Julian  kennen  lernte,  wegen  der  un- 
förmlichen Gestalt  ihrer  Füfse,  welche  sie  mit  einer  Art  von  Schuhen 
ans  Guanakofcllen  bekleideten.  Die  Fabeln  der  ersten  Seefahrer 
über  ihre  riesige  Gestalt  sind  längst  geschwunden;  doch  sind  die 
Patagonier  wirklich  durchgängig  von  grofser  Statur,  so  dafs  Fitzroy 
bemerkt,  er  habe  zwischen  2 — 300  Männern  kaum  ein  halbes  Dutzend 
unter  5'  9"— 10"  englisch  (1,75—1,78  m)  gefunden;  auch  die  Weiber 
seien  im  selben  Verfaältttisse  grofs,  und  er  habe  nirgend  anderswo  eine 
Versammlnng  von  Personen  beider  Geschlechter  getroffen,  deren  durch- 
schnittliche Gröfse  derjenigen  der  Patagonier  nahe  j^ekommen  wftre. 
Auch  d  Orbigny,  der  eine  grofse  Zahl  derselben  genie^sen,  giebt  das 
Mafs  des  gröfsten  auf  1,92  ni  und  den  Dnrehschnitt  auf  1,73  m; 
ebenso  wie  Moreno,  der  von  vier  Individuen  das  Mittel  vou  1,66  m 
zog  und  den  gröfsten  derselben  1,86  m  hoch  fand. 

So  sind  denn  die  Patagonier  jedenfalls  eine  grofse  und 
herkulische  Menschenrasse:  ihr  Körper  ist  kolossal,  Kopf  und 
Gesichtszüge  breit,  Hände  und  Füfse  jedoch  verhältnismässig  klein. 
Ihre  Farbe  ist  ein  helles  Bothbraun,  das  Kopfhaar,  welches  sie  un- 


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bedeckt  und  nur  mit  einem  Bande  zusammengehalten  tragen,  ist 
schwarz,  grob  und  schlicht;  im  Gesiebt  und  am  Körper  sind  sie 
wenig  behaart  Der  Bart  and  oft  auch  die  Augenbrauen  werden 
mit  einer  Pinzette  entfernt;  wenn  sie  auch  Lippen  und  Nase  nidit 
durchbohren,  so  entstellen  sie  doch  ihr  Gesicht  nicht  wenig  durch 
groteskes  Bemalen  in  Form  Yon  Kreisen  um  die  Augen  oder  von 
breiten  Streifen  über  dasselbe  in  rot,  schwarz  nnd  weifs.  Ihre 
Tracht  besteht  in  einem  weiten  Mantel  aus  zusammengenähten 
FelleD,  der  lose  von  den  Schultern  bis  zu  den  Fersen  herabhängt, 
und  dea  auch  in  Argentinien  gebräuchlichen  Botas  de  Potro,  aus  dem 
Kniegelenk  einer  rohen  Pferdehaut  gefertigten  Stiefeln.  Um  die  HttfLen 
tragen  sie  dfters  den  Ghiripa,  das  helfet  eine  grobe  Decke,  welche 
zwischen  den  Schenkeln  hindurchgehend,  vom  and  hinten  durch  einen 
Ottrtel  befestigt  wird.  Die  Mftntel  (([uillangos)  werden  aus  den  zarten 
Fellen  der  jungen  Guanakos  zusammengesetzt  und  mit  den  Haaren 
mich  aufsen  getragen,  wahrend  die  innere  Seite  roh  bemalt  ist.  Die 
Frauen  sind  ebenso  wie  die  Männer  gekleidet,  nur  dafs  sie  noch 
einen  kurzen  Unterrock  tragen,  dessen  Material  ebenfalls  weiche 
Felle  oder  auch  eine  grobe  Decke  eurüiJiiischer  oder  chilenischer 
Manufaktur  bilden.  Sie  ordnen  ihr  Haar  in  zwei  glatte  Flechten, 
welche  zu  beiden  Seiten  des  Kopfes  auf  die  Schultern  herabhängen. 
Schmuck  aus  Glasperlen  oder  Silber  wird  hochgeschätzt. 

Die  Waffen  dieser  eigentlichen  Patagonier,  welche  im  Laufe 
der  Zeit  zu  einem  Reitervolke  geworden  sind,  bestehen  in  langen, 
eisengespitzten  Lanzen  aus  dem  chilenischen  Coligue-Rohr  mid  den 
bekannten  boleadoras;  doch  besitzen  auch  viele  von  ihnen  Sübel. 
sowie  Feuerwaffen,  besonders  Revolver,  welche  sie  in  den  Nieder- 
lassungen der  Küste  einhandeln. 

Auf  höchst  einfachen  Satteln  aus  Holz  und  Fellen,  mit  Steig- 
bügeln und  Sporen  von  Holz  und  oft  nur  mit  einem  Hautstreifen 
als  Gebifs  und  Zügel,  dirigieren  sie  ihre  kleinen,  ausdauernden  Pferde 
.  mit  grofser  Sicherheit  in  den  täglichen  Jagden  auf  Guanakos  und 
Straufse.  Ks  sind  dies  stets  Kesseltreiben,  welche  einen  beträcht- 
lichen Kreis  des  Distriktes  umfassend,  das  Wild  mit  Hülfe  der  Hunde 
auf  einen  Punkt  zusammenfühien,  wo  dann  die  Tiere  mit  den  bolas 
niedergeworfen  und  mit  dem  Messer  abgefangen  werden.  Löwen 
ondFttchse,  die  fast  nie  in  einem  solchen  „Gerco"  fehlen,  sind  stets 
willkommene  Beute  und  das  Fleisch  der  ersteren  ist  hoch  gesch&tzt 

Wahrend  so  die  Jäger  für  den  t&glichen  Nahrungsbedarf  sorgen, 
haben  die  Weiber  schon  m  aller  Frohe  das  Lager  abgebrochen,  die 
Zelte  und  wenigen  Gerfttschaften  auf  die  Lasttiere  verhiden,  und  den 
Marsch  zum  nächsten  Halteplatze  angetretra,  welcher  vom  Häupt- 


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ling  vor  dem  Aufbruche  bezeichnet  wurde,  und  dessen  Auswahl  durch 
die  Erfordernisse  an  Wasser,  Weide  und  Wild  bedingt  ist.  Hier 
werden  iu  kurzer  Zeit  die  Zeltstaugen  aufgepflanzt,  Querstabe  daran 
gebunden  und  eine  grofe  aus  Guanakofellen  zusammengenähte  Decke 
darüber  gezogen.  Diese  „Cau's"  sind  ziemlich  ger&nmig,  da  sie  wohl 
1,70  m  Höhe  am  vordem  Eingang  haben,  der  stets  nach  Osten 
gerichtet  ist,  und  sich  bei  einer  Länge  von  4,50  bis  auf  1,00  m 
Höhe  der  Hinterwand  zum  Boden  hinabziehen.  Die  Breite  ist  ver- 
schieden; doch  gehören  gewöhnlich  40-^  groüse  Felle  za  einer 
einzigen  Bedachung.  Inwendig  ist  das  Zelt  dorch  Vorhänge  von 
Häuten  in  mehrere  Schlafräunie  geteilt;  einige  Decken  und  Polster 
bilden  das  ganze  Mobiliar. 

Nach  beendigter,  mehr  oder  weniger  erfolgreicher  Jagd  laugen 
auch  die  Männer  mit  ihrer  Beute  an,  und  die  Mahlzeit  mit  darauf 
folgender  Pfeife  Tabak,  sowie  an  festlichen  Gelegenheiten  ein 
solenner  Tanz  mit  allgemeinem  Trinkgelage  beschliefsen  den  Tag. 
Der  folgende  Morgen  aber  bringt  stets  dieselbe  Jagd  und  gewöhnlich 
den  gleichen  Marsch,  da  nur  an  besonders  guten  Stellen  längere  Zeit 
hindurdi  gelagert  wird,  um  den  Pferden  Ruhe  zn  geben. 

So  ziehen  die  Stämme  der  südlichen  Patagonier  von  Ponta 
Arenas  nach  Santa  Cruz;  firtther  erstreckten  sich  ihre  Wanderungen 
auch  bis  zum  Lande  der  Manzaneros,  hoch  im  Nordwesten,  zwischen 
dem  Lima  und  Nenquen,  um  den  Erfolg  ihrer  Jagd  gegen  enropftische 
Erzeugnisse,  besonders  Decken,  Waffen,  Tabak  und  Branntwein  ein- 
zutauschen, welchen  letzteren  sie  oft  in  einem  einzigen,  tagelang 
andauernden  Gelage  konsumieren.  Die  nördlichen  Indianer  besuchen 
vorherrschend  Chubut  und  Carmen  de  Patagones;  doch  zogen  sie 
ebenfalls  zum  Lande  der  Manzaneros,  welches  uiclit  blos  Äpfel  und 
eisbare  Tannenzapfen,  sondern  auch  grobe  Decken  produzierte,  und 
wohin  die  chilenischen  Händler  mit  Branntwein  oft  ihren  Weg  über 
die  Gebirgsi)ässe  fanden. 

Der  Besitzstand  der  Patagonier  bezi£fert  sich  hanptsAcldich  nach 
den  Pferden;  doch  eignen  selbst  die  Reichsten  kamn  mehr  als  40  bis 
60  Stttck  teils  Zucht-,  teils  Reittiere.  Trotzdem  whrd  keine  feierliche 
Gelegenheit  ohne  Tötung  mehrerer  Stuten  begangen,  deren  Fleisch 
als  höchster  Leckerbissen  gilt,  so  dafs  hieraus  wohl  der  verhftHnis- 
mäfsige  Mangel  dieser  Tiere  zu  erklaren  ist.  Nur  die  Manzaneros 
besafsen  einige  Heerden  von  Schafen  und  Ziegen,  wie  sie  denn  auch 
überhaupt  auf  höherer  Kulturstufe  standen. 

Von  Natur  friedfertig,  offen  uml  ehrlich,  befinden  sich  die  wenig 
zahlreichen  Horden  dieser  Kingeborenen  schon  seit  langem  in  freund- 
{»chafüichen  Beziehungen  mit  den  spanischen  Niederlassungen;  und 


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auch  unter  ihnen  selbst  entstehen  -fiten  anders  Zwist iL^keiten.  als 
im  Zustande  der  höchsten  Tnmkenlicit,  wenn  die  vorsichtigen  Häupt- 
linge nicht  etwa  sämtliche  Watfeu  verborgen  haben,  oder  im 
Falle  einer  Blutrache,  die,  oft  jahrelang  unterdrückt,  bei  passender 
Gelegenheit  zum  Austrage  kommt. 

Die  Yotkszalil  der  Patagonier  ist  gerin;^.  Fitzroy  nimmt  die 

sämtlichen  Bewohner  des  Gebietes  vom  40.  Grade  südlich,  mit 
Einschlufs  des  Feuerlandes  und  zu  beiden  Seiten  der  Kordillere  auf 
etwa  4000  Erwachsene  an,  so  dafs  auf  die  eigentlichen  Tehuelchen, 
•  wie  sie  sich  selbst  nennen,  vielleicht  2500  Erwachsene  und  im  ganzen 
etwa  5 — 6000  Seelen  kämen.  Dagegen  führt  Musters,  der  sicherlich 
am  besten  unterrichtet  war,  sogar  nur  1400  Seelen  als  die  äufserste 
Zahl  der  Patagonier  an.  Wenn  man  nun  in  Rechnung  zieht,  dafs 
Fitzroy  mir  die  Küsten  des  Landes  besuchte,  also  leicht  irren  konnte, 
und  dafs  in  den  46  Jahren,  welche  seitdem  verflossen,  die  zwei 
Hauptfeinde  aller  Indianerstamme,  Blattern  und  Branntwein,  nach- 
weislich sehr  stark  unter  ihnen  aufgeräumt  haben,  so  gewinnt  die 
letzte  Schätzung  einen  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit. 

Diese  höchst  geringe  Zahl  ist  in  der  letzten  Zeit  noch  etwas 
durch  Zuzüge  von  Maiizancros  und  Pampas -Indianern  vormehrt 
worden;  doch  ist  es  bis  jet/t  nicht  möglich,  dieselbe  auch  nur 
annähernd  zu  bestimmen.  Als  nämlich  die  argentinische  Kegierung 
in  den  Jahren  1878/79  die  Südgrenze  bis  zum  Rio  Negro  vorschob, 
wurde  das  ganze  ungeheure  Territorium  der  Pampa  von  Indianern 
gesäubert  Viele  derselbe  erlagen  in  den  häufigen  und  hartnäckigen 
Gefechten  den  besseren  Wa£fen  der  disziplinierten  Truppen,  und  der 
Rest,  etwa  5000  Seelen,  zog  sich  teils  nach  Westen  zu  den  stamm- 
verwandten Araukaniem,  teilweise  aber  auch  nach  Sflden  in  das 
Gebiet  von  Patagonien. 

Später,  im  Jahre  1883,  wurde  auch  das  Land  der  Manzaneros 
von  den  argentinischen  Truppen  besetzt,  und  seine  kriegerischen 
Bewohner  unter  ihrem  grofseu  Häuptling  Shaihueque  nach  Süden 
gedrängt.  Auch  dorthin  von  fliegenden  Kolonnen  verfolgt,  erlitten 
die  vereinigten  Manzaneros  und  Pampa -Indianer  mehrere  schwere 
Schläge;  gegenwärtig  unterhandeln  sie  wegen  ihrer  völligen  Unter- 
werfung mit  dem  Kommandanten  der  Militärgrenze.  Vorläufig  sind 
wir  natOrlich  aber  ihre  Anzahl  im  Dunkeln. 

An  der  Küste  des  Stillen  Oceans  endlich,  von  Chiloe  bis  zur 
Magalhaensstrafse,  hauscMi  wenige  zerstreute  Horden,  welche  Chonos 
genannt  werden  und  aiTj-f^nhlicklich  nur  ^'egen  400  Erwachsene  zählen 
dürften.   Sie  leben  auäschlieislich  vom  Fisclifang. 


—  246  — 


Vier  Niederlassungen  civilisierter  Nationen  existieren  zur  Zeit  in 
PataL^onien,  deren  drei  auf  argentinischem  und  eine  auf  chilenischem 
Boden  gelegen  sind. 

Viedma,  die  Hauptstadt  des  Torritoiio  de  hi  Patagonia,  liegt 
am  ISüdufer  des  Rio  Kegro,  gegenüber  von  Carmen  de  Patagones, 
als  dessen  Vorstadt  es  unter  dem  Namen  La  Merced  bekannt  war. 
Als  nun  Tor  vier  Jahren  eine  eigene  Begiemng  für  Patagonien 
geschaffen  warde,  trennte  man  das  Stadtchen  von  seinem  früheren 
Mnnicipalvertiande  und  erhob  es  zum  Sitze  des  Gouverneurs,  welcher 
seine  Wtlrde  allerdings  noch  sehr  In  partibus  infidelium  verwaltet. 
Die  neue  Hauptstadt  wurde  schon  1780  von  Antonio  de  Viedma 
gegründet,  doch  sehr  bald  wegen  einer  grofsen  Überschwemmung 
verlassen  und  auf  das  hoho  nördliche  I'fer  verlegt,  wo  sich  die 
weniiren  spanischen  Ansiedler  unter  loitwilhrcuden  Gefahren  und 
Entbehrungen  ein  Jahrluindei  t  lang  gehalten  haben,  bis  endlich  jetzt 
sich  ihnen  eine  schönere  Zukunft  eröffnet.  Viedma  hat  vielleicht 
1000  und  Carmen  nach  der  letzten  Volkszählung  von  Buenos- Aires 
1843  Einwohner.  Die  Städte  liegen  30  km  von  der  Mündung  des 
Flusses,  dessen  Barre  von  Schiffen  bis  zu  12  F.  Tiefgang  passiert 
wird.  Regierungsdampfer  tmterhalten  eine  monatliche  Verbindung 
mit  der  Hauptstadt  der  Bepublik  und  der  Telegraph  vermittelt  den 
schnellen  Verkehr  nicht  nur  zwischen  diesen  Städten,  sondern  auch 
den  Bio  Negro  hinauf  bis  zur  eben  gegrflndeten  Stadt  Boca,  unter- 
halb des  Zusammenflusses  des  Limay  und  Neuquen.  So  entwickelt 
sich  denn  jetzt  ein  geschäftiges  Treiben  in  jenen  so  lange  ver- 
gessenen Städten.  Es  ist  nicht  mehr  der  geringe  Tauschhandel  mit 
den  Eingeborenen,  welche  Felle,  Straufsenfedern  und  Mäntel  zu 
Markte  bringen:  sondern  Viehzucht  und  Ackerbau  machen  rasche 
Fortschritte  und  die  Ver{)roviantierung  der  ausgedehnten  I^inie  von 
MilitArstationen  bis  zum  Ful'se  der  Kordillere  selbst  nimmt  zahlreiche 
Kräfte  an  Geld  und  Menschen  in  Anspruch.  Schon  jetzt  gehen 
Transporte  von  Schlachtvieh  nach  Chile  über  die  Anden,  und  in  nicht 
zu  ferner  Zeit  dürfte  auch  der  Transithandel  über  den  Nahuel-Huapi 
zur  Thatsache  werden. 

Das  Fort  S.  Antonio,  nahe  an  der  Mttndung  des  Bio  Valcheta, 
in  der  Bai  von  S.  Matias  gelegen,  wurde  Anfang  dieses  Jahrhunderts 
von  den  Indianern  zerstört-  und  nicht  wieder  aufgebaut.  Dagegen 
haben  sich  in  den  letzten  Jahren  mehrere  englische  Scha£züchter 
auf  der  Halbinsel  Valdez  niedergelassen,  welche  Wasser  und  feines 
Gras  in  Genüge  für  diese  Industrie  bietet. 

Die  ivelscJte  Kolonie,  an  den  Ufern  des  Chubut.  besteht  aus 
zwei  Dörfern,  Ire  Rawsou  und  Gaimau,  mit  zusammen  700  Ein- 


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wohnern.  Sie  wunle  1865  gegründet  und  hat  ungefähr  15000  ha 
bebautes  Land  zu  beiden  Seiten  des  Flusses;  der  Viehstand  besteht 
ans  etwa  1500  Stück  Rindvieh,  500  Pferden  und  einigen  Schafen. 
Da  die  Einfahrt  in  den  Flufs  schwierig  und  nur  für  Schiffe  von 
7  F.  Tiefgang  mdglich  ist,  so  bat  man  versucht,  einen  Hafen  (den 
Puerto  Roca)  im  Golfe  Nuevo  anzulegen,  wohin  der  Weg  nur 
70  km  weit  über  ebeues,  festes  Land  führen  würde;  doch  ist  es  bis 
jetzt  noch  nicht  gelungen,  dort  trinkbares  Wasser,  selbst  auf  80  m 
Tiefe,  zu  erlangen.  Sämtliche  in  Patagones  angebaute  Früchte 
werden  hier  kultiviert,  mit  Ausnahme  etwa  des  Weinstockes;  doch 
liilngt  der  Ertrag  des  Ackerbaues  zum  giofsen  Teil  von  der  Be- 
rieselung der  Felder  und  äOiUiit  von  der  geschickten  Ausnutzung  des 
Flusses  ab. 

Die  alten  spanischen  Niederlassungen  am  Rio  Deseado  und 
Hafen  S.  Julian  (1780)  wurden  auf  Befehl  der  Kolonialregierung 
schon  nach  wenigen  Jahren  verlassen.  Und  wenn  auch  ersterer  Punkt 
die  Möglichkeit  einer  erfolgreichen  Besiedelung  nicht  aussehliefst 

(seit  kurzem  befindet  sich  dort  eine  argentinische  Marinestation),  so 
ist  es  doch  zu  verwundern,  wie  dem  Scharn)licko  eines  Viedma  die 
grofsen  Vorteile  der  Bucht  von  Sanüi  Cruz  entgingen,  und  wie  es 
müglicli  war,  dals  derselbe  den  zwar  sicheren  aber  von  öden  Salz- 
steppeu  umgebenen  Hafen  iS.  Julian  dieser  letzteren  vorzog. 

Die  Bucht  von  Santa  Cruz  gewahrt  einen  ausgezeichneten 
Ankerplatz  und  ist  verhaltnismälsig  leicht  zug&ngUcb,  da  auf  der 
vorliegenden  Barre  selbst  zur  Zeit  der  Ebbe  noch  16  Fufs  Wasser 
bleiben.  Sie  besitzt  Holz,  Wasser  und  Verproviantierungsmittel  (Gänse, 
Enten  und  andere  Wasservögel,  sowie  Fische)  in  Menge,  und  aulserdem 
die  Eigenschaften  eines  natürlidiou  Trockendocks,  das  schon  viele 
Schitie  mit  Vorteil  benutzt  haben  seit  den  Zeiten  des  Komthur 
Loaisa,  der  hier  seine  Capitana  kalfaterte  (152ü)  bis  auf  Fitzroy 
undStokes,  welche  in  ihr  den^Beagle''  einer  i;rüii(llichen  Ausbesserung 
unterzogen  (1834).  Der  Unterschied  nämlich  zwischen  Ebbe  und 
Flut  ist  so  bedeutend  (42  Fufs),  dafs  an  den  geeigneten  Stellen  die 
Fahrzeuge  völlig  auf  dem  Trocknen  bleiben  und  solchergestalt  leicht 
repariert  werden  können.  Noch  im  Jahre  1867  wurde  hier  das 
nordamerikanische  Vollschifif  »Greyhoond*'  in  wenigen  Tagen  durch 
die  eigene  Mannschaft  ausgebessert,  während  das  Trockendock  in 
Rio  de  Janeiro  für  dieselbe  Arbeit  2000  £  gefordert  hatte. 

Im  Hintergrunde  der  Bucht,  dort  wo  der  Santa  Cruz  sieh  in 
dieselbe  ergiefst,  befindet  sich  auf  der  Insel  Pavon  die  Nietler- 
lassuug  des  allen  wissenschaftlichen  Reisenden  jeuer  Regionen  bekannten 


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Kapitftns  Piedrabuena,'^)  welche  einen  ansehnlichen  Nutzen  aus  dem 
Robbenschlag  und  dem  Tauschhandel  mit  den  Indianern  zieht 

Weiter  nach  Osten,  in  der  Bucht  der  Missionare,  Hegt  die  Station 
der  argentiriijjcheu  Hafenbehörde  an  demselben  Platze,  avo  sich  noch 
vor  kurzem  das  für  Robbcn-schlag,  Fischfang  und  Tlirangewinnung 
eingerichtete  l'tablissement  des  Herrn  Roucaud  (U'hob.  Während 
der  Grenzstreitigkeiten  z\vi<che!i  den  Nachbarrepubliken  hatte  letzterer 
sicli  mit  Erlaubnis  der  argentinischen  Ilegierung  dort  niedergelassen. 
Doch  ein  chilenisches  Kriegsscbiti'  zerstörte  die  Baulichkeiten  uud 
führte  den  Eigner  gefangen  nach  Valparaiso,  v, .)  er  schliefslich  seine 
Freiheit,  aber  nicht  sein  Vermögen  zurück  erhielt. 

Im  weiten  und  grasreichen  Thale  des  Rio  Chico  endlich  hat 
die  Regierung  einige  Kolonisten  angesiedelt  und  dieselben  mit 
Rindvieh,  Pferden  und  etlichen  Schafen  ausgestattet,  um  auf  diese 
Weise  einen  Acclimatisationsversuch  zu  machen.  Die  Nachrichten 
darCtber  lauten  sehr  gttnstii?:  es  scheint  nur  darauf  anzukommen, 
den  l'ieren  während  des  Winters  Schutz  gegen  die  starken  Sütlwest- 
winde,  sei  es  durch  steinerne  Pferche,  oder  durch  vollständige 
Schuppen  und  Ställe,  zu  verschalfen.**) 

Punta  Arenas,  die  südlichste  Kolonie  Patagoniens,  bietet  udü 
einen  schönen  Beweis  für  die  TreHlicbkeit  seines  Klimas  und  Bodens. 
Ausschlielsiich  zum  Aufenthalt  von  Str&flingen  bestimmt»  wurde  die- 
selbe von  der  chilenischen  Regierung  zuerst  in  dem  berüchtigten 
Hungerhafen  angelegt  (1843),  jedoch  spater  nach  Punta  Arenas 
fibergefohrt  Noch  jetzt  dient  der  Ort  zur  Deportation  von  Ver- 
brechern und  wird  somit  auch  von  militftrischen  Gouverneuren  ver- 
waltet. Wenn  nun  auch  eine  derartige  Administration  selten 
nennenswerte  Resultate  erzielt,  so  prosperiert  das  Städtchen  dennoch 
und  hat  etwa  300  Häuser  mit  15(K)  Einwohnern  aufzuweisen. 
Letztere  leben  grolsenteils  vom  Handel  mit  den  die  Meerenge 
passierenden  Schilfen  und  den  nomadisclieii  Horden  der  Eingeborenen. 
Drei  Sagemühlen  verarbeiten  die  Stumme  der  antarktischen  Buche 
und  eine  Kohlenmine  liefert  reichliches,  wenn  auch  mittelniäfsiges 
Material.  Die  kleine  Schweizerkolonie,  Agna  Fresca,  25  km  süd- 
lich vom  Stadteben,  treibt  vorteilhaften  Ackerbau,  und  mehrere 
Etablissements  für  Rindviehzucht  gedeihen  vortrefflich  am  malerischen 
Cabo  Negro  und  nördlich  der  Landenge,  welche  die  Halbinsel  Braun- 
sehweig  mit  dem  Kontinent  vereinigt. 


♦)  Er  starb  vor  wenigen  Monaten. 

*♦)  Nach  einem  amtlichen  Bericht  befanden  sich  dort  im  Mai  diescb 
Jähret  963  Stück  Bindvieh,  331  Pferde,  825  Schafe  and  130  Ziegen. 


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Schliefslich  sei  noch  der  Niederlassung  gedacht,  welche  die 
chilenische  Regier nng  seit  einiger  Zeit  auf  den  Guaitecas- Inseln, 
an  der  Westseite  Patagoniens  unter  dem  44.  Grade  südlicher  Breite 
angelegt  hat    Bei  der  Oberaus  gerin  j:<'n  geistigen  Verbindung, 

welche  zwischen  den  Nachbarstaaten  herrsclU,  ist  mir  nur  der  Name 

des  dortium  rrilfekten  Hen  n  Wrstliort  im  Halen  von  Melinca  hekamii. 
Ist  es  doch  als  ob  nicht  die  aü  P;i<stMi  reiche  Kordillere,  sondern 
eine  cliincsische  ^^aue^  die  Scheiic  bildete  zwischen  den  beiden 
luäcbtigbteü  und  civilisiertebleu  iiepubiikeu  büdamerikas! 

Dies  ist  in  kurzen  Umrissen  das  gelieinmisvolle  und  so  viel 
':c-<hmähte  Patagonien,  dessen  unwirtliche  Küsten  während  dreier 
Jahrhunderte  die  grofsen  Nationen  der  Erde  von  der  Besitznahme 
abgeschreckt  haben,  und  welche  nichts  destoweniger  ein  der  höchsten 
Beachtung  wertes  Innere  unischliefsen.  Freilich  war  es  Wenigen  bis 
jetzt  vergönnt,  einen  Blick  in  dasselbe  zu  werfen;  doch  geht  aus 
sämtlichen  Berichten  klar  hervor,  dass  am  Ostabhange  der  Kor- 
dillere  sich  ein  prächtiger  Streif  fruchtbaren  Landes  mit  ge- 
mässigtem Klima  hinzieht,  dessen  Breite  auf  niclit  weniger  als 
150 — 2(K)  km  an/uiiehujen  ist,  wiihrenil  seine  Lilnize  vom  8ee  Nabuel- 
Huapi  zu  (b*m  <,|uellsystem  des  iSanta  Cruz  U  Breitengrade,  also 
etwa  KXX)  km  betrügt.  Und  nehmen  wir  hierzu  noch  die  mehr 
oder  wenlLTcr  breiten  Flufsthaler  des  Rio  Negro,  Valcheta,  Chubut 
mit  seinen  zwei  Hauptarmen,  den  unerforschten  Deseado.  sowie  die 
Nebentiüsse  des  Santa  Cruz,  Chice  und  Shehuen,  so  dürfen  wir 
dreist  behaupten,  dafs  mindestens  212  000  qkm,  gleich  3770  Geviert- 
meilen, ackerbaufahige  Flache  vorhanden  sind,  ohne  die  ausgedehnten 
Weideländer  im  Süden  des  Santa  Cruz  und  die  an  der  ganzen  Ost- 
kflste  zerstreuten  Oasen  in  Betracht  zu  ziehen,  die  jedenfalls  auch 
noch  1000  Quadratmeilen  betragen.  Freilich  bildet  dieses  ansehn- 
liche Gebiet  (4700  Quadratmeilen)  nur  etwa  den  dritten  Teil  des 
gesaraten  Flächeninhaltes:  doch  dürfte  sich  schwerlich  ein  besseres 
Verhältnis  bei  Veri^ku  liung  der  kulturfilhi.uen  uiul  iler  .^u  rilcn  Teile 
Australiens  und  Südafrikas  lierausstellen.  Trotzdem  ziehen  dieselben 
in  so  hohem  (irade  die  Aiifiii*'rks;imkeit  der  Ati>wauderuniz  auf  sich, 
während  Patiij/onic^n  mit  >einem  ;;emafsigten  Klinui  und  mannig- 
fachen Produkten  bei  den  Kulturvölkern  Kuropas  unbeachtet  bleibt. 
Möchten  denn  diese  Mitteilungen  den  ersten  Anstofs  geben  zui' 
besseren  Würdigung'  des  Landes! 

Zum  Schluis  überschauen  wir  noch  einmal  die  Hülfsquellen, 
mit  welchen  die  künftige  Bevölkerung  rechnen  kann. 


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An  der  Küste  sind  das  Thal  des  Rio  Nei^ro,  die  Halbinsel 
Valdez.  der  Chubut  und  das  Nordafer  der  Magalliaensstrafse  jeden- 
falls für  den  Ackerbau  geeignet,  wenn  derselbe  auch  schwerlich, 
aufser  an  ersterem  Flusse,  in  grofsem  Mafsstabe  betrieben  werden 
könnte.  Dagegen  finden  sich  in  dieser  Region  viele  Punkte,  welche, 
der  Viehzucht  günstig,  reiche  Weidegründe  und  auch  genügend 
Wasser  darbieten.  Das  ganze  Thal  des  Bio  Valcheta,  sowie  die 
westlich  des  gleichnamigen  Gebirges  gelej?eiien  Lagerplatze  der 
Indianer  in  Trciieta  und  Mackinchau  sind  oluie  alle  Frage  den  besten 
Terrains  in  Biicnos-Aires  Lrleichzustellen,  sowohl  an  Nahrhaftigkeit 
und  Übertluls  der  (iraser  als  an  reichen  '\VassLn(iuelh'n.  Die  Halb- 
insel Valdez  ist  augenblicklicli  schon  hesiodelt,  und  der  Küstenstrich 
von  dort  zum  Chubnt  bedarf  nur  einiger  Brunnen  und  Cistcrnen, 
um  ebenfalls  völlig  bewohnbar  zu  werden.  Weiter  nach  Süden  ist 
die  Bucht  uiul  das  Flufsgebiet  des  Rio  Descado  unzweifelhaft  für 
Viehzucht  geeignet,  wie  schon  die  alte  spanische  Niederlassang  dar- 
thut;  und  die  tiefen  Thftler,  welche  von  Süden  her  in  das  Ästuar 
des  Santa  Cruz  münden,  sind  ganz  besonders  reich  an  Weide  und 
Wasser,  ebenso  wie  die  Niederungen,  welche  von  den  Flüssen  Ghico 
und  Sheu4n  durchströmt  werden.  Was  endlich  die  ganze  Südspitze 
des  Kontinents  von  Rio  (jallegos  ab  betrifft,  so  darf  man  dieselbe 
mit  vollem  Rechte  als  gutes  Weideland  bezeichnen. 

Gerade  diese  Küste  bietet  aber  auch  anderweitige  ergiebige 
llülfsquellen  für  ein  arbeitsames  und  einfaches  Volk.  Die  Salzseen 
um  den  Hafen  von  S.  Julian,  welche  sich  von  dort  bis  zum  Golf 
von  S.  Jorge  hinziehen,  liefern  ausgezeichnet  reines  Küchensalz 
in  groüser  Menge,  und  besonders  die  in  der  Nahe  des  ersteren  ge- 
legenen sind  höchst  bequem  zur  VerschiÜiing  dieses  Artikels,  welcher 
eigentOmlicherweise  bis  jetzt  noch  aus  Cadix  nach  Buenos-Äires  ge- 
bracht wird.  —  Guano  wird  in  bedeutender  Menge  auf  den  Klippen 
und  Felsen  gesammelt,  welche  die  Buchten  von  Santa  Elena  und 
Camerones,  sowie  den  Puerto  Deseado  umgeben,  und  seine  Aus- 
beutung auf  dem  Monte  Leon,  südlich  vom  Santa  Cruz,  führte  noch 
vor  wenigen  Jahren  zu  einem  geffthrlichen  Konflikt  mit  Chile.  — 
Kobbenselüag  und  Walfischfang  werden  ebenfalls  einen  nahrhaften 
Erwerhszweig  für  die  Küstonbewohner  bihlen.  sobald  nur  erst  ver- 
nünftige Schonzeiten  für  diese  Tiere  eingeführt  sind  und  ihr  Fang  durch 
fremde  Schifte  verhindert  wird.  Besonders  für  Hohben  bieten  auch 
die  verscldungeneu  Kanüle  der  Westküste  treff'liche  Jagduriinde, 
ohne  liier  weiter  das  ausgedehnte  Inselgewirr  des  Feuerhmdes  er- 
wähnen zu  wollen.  —  Der  Beichtum  an  Fischen  in  der  Bucht  von 
Santa  Cruz  ist  so  groHs,  dals  Musters  allen  Ernstes  die  Ausfuhr 


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von  gesalzenen  und  geräucherten  Fischen  nach  Rio  de  Janeiro  an- 
empfiehlt 

Dieser  selbe  Punkt  ei^niet  sich  aufserdem,  wie  wir  geseheu 

haben,  vorzüiilich  zur  Schiffswerft c,  wozu  ihm  auch  die  leiclit  zu  er- 
langenden Hölzer  der  Alpenseen  zu  Statten  kommen.  Puuta  Arenas, 
sowie  die  i^anze  Westküste  werden  noch  für  lange  Zeit  eine  be- 
deutende Ausfuhr  von  Breiiuliolz  und  Eisenbahnschwellen  betreiben. 
Auch  scheint  es,  dafs  die  Kohlengruben  bei  diesem  Städtchen  und 
jene  am  Skyring  Water  in  der  Tiefe  besseres  Produkt  liefern  als 
an  der  Oberflache.  Schiiefslich  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dafs, 
im  Falle  einer  erfolgreirl^en  T'e  iedelung  der  fruchtbaren  Striche 
des  Innern,  die  vorzüglichen  Hafen  von  Santa  Cruz  und  Pnnta 
Areuas,  sowie  irgend  ein  gut  gelegener  Punkt  der  Westküste,  z.  B. 
Port  Otway,  zu  groCser  Bedeutung  als  Handelsplätze  und  Dampfer- 
stationen gelangen  müssen. 

Dringen  wir  nun  weiter  in  das  Land  ein,  dessen  Sterilität  mit 
jeder  Meile  mehr  abnimmt  und  dessen  Kern  am  Fufse  der  Gebirge  uns 
Musters  als  einen  lachenden  Garten  Eden  schildert,  so  dürfen  wir,  aller- 
dings nur  im  allgemeinen,  aber  doch  mit  genügender  Sicherheit  be- 
haupten, dafs  dort  sämtliche  nordeuropäischen  Kulturgewächse  mit 
bestem  Erfolge  gezogen  werden  können,  und  dafs  somit  diese  innere 
Zone  die  Kornkammer  Patagoniens  werden  nuifs.  Auch  die  zu  ihr 
führenden  Strafsen,  das  heifst  die  Flufsläufe,  werden  in  der  NiUie  der 
Küste  wenigstens  zur  Viehzuclit  geeignet  sein,  bis  sie  bei  weiterer 
Annäherung  an  das  Gebirge  ebenfalls  in  Ackerland  übergehen.  Im 
übrigen  ist  es  nicht  meine  Absicht,  ein  lockendes  Pliantasiegenialde 
von  jenem  fruchtbaren  Sti'ich  Laiules  zu  entwerfen;  somit  verweise 
ich  einfach  auf  den  vielerwähnteu  Bericht  des  Kapitäns  Musters, 
überzeugt,  dafs  dieser  dem  Leser  einen  khireren  Begrifif  von  jenen 
Regionen  gewähren  wird,  als  jede  Schilderung  von  meiner  Seite, 
die  mich  aufserdem  noch  in  den  Verdacht  eines  heimlichen  Aus- 
wanderungsagenten bringen  könnte.  Genüge  also  hier  die  Bemerkung, 
dafs  wo  Tausende  von  Guanakos  und«  Straufsen  sich  tummeln, 
Herden  von  wilden  Rindern  und  Pferden  weiden  und  die  Gewässer 
von  Fischen  wimmeln,  dafs  in  solchem  Lande  für  die  ersten  Jahre 
des  Ansiedlers  weder  i)ersönliche  Not  noch  Mangel  an  Nalirmig  für 
seine  Haustiere  zu  fürchten  steht,  bis  es  ilmi  gedungen  ist,  dem 
Boden  mit  fleifsiger  Hand  reichlichere  Gaben  abzuringen.  Der 
prachtige  Buclien-  und  Cedernwald  aber  an  den  Hangen  des  Gelürges 
sichert  schönes  und  billiges  Baumaterial,  sowie  überflüssiges  Breun- 
holz fUr  die  kurzen  Wintennonate. 


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~-  261  — 

Diese  ausgedehnten  Waldungen  werden  sich  noch  za  einer 
anderen  Quelle  des  Wohlstandes  für  die  künftigen  Bewohner  ge- 
stalten, zum  mindesten  an  den  Orten,  velche  nahe  genug  an  den 
Quellseen  des  Rio  Negro  und  des  Santa  Cruz  liegen,  oder  doch  den 
Transport  dorthin  auf  irgend  einem  Gebirgsbache  ermdglichen;  denn 
es  unterliegt  nicht  der  geringsten  Schwierigkeit,  von  jenen  grodsen 
Wasserbecken  ans  die  wertvollen  Stftmme  der  Araukarien,  Gypiessen 
und  Buchen  zum  Meere  zu  flöfsen. 

Die  mineralischen  Erzeu^niisse  des  Innern  sind,  mit  Ausnahme 
etwa  der  von  Moreno  und  Lista  festgestellteu  Kohlenlager  am  Lage 
Argentino  und  an  den  Quellen  des  Bio  Chico,  noch  völlig  unbekannt. 
Kiebi  fem  von  dort  traf  Musters  Eisenstein,  und  er  berichtet,  dieses 
Metall  weiter  nordwftrts  in  grofsen  Massen  gefunden  zu  haben. 
Gold  wird  schon  jetzt  in  den  Bftchen  der  Halbinsel  Braunschweig 
gewaschen,  und  wenn  auch  die  Ausbeutung  edler  Metalle,  zumal  im 
spanischen  Amerika,  nicht  besonders  zum  allgemeinen  Wohlstande 
beigetragen  hat,  so  ist  doch  von  wissenschaftlichem  Standpunkte  aus 
die  Wahrscheinlichkeit  ihres  Vorkommens  nicht  in  Zweifel  zu  ziehen, 
da  die  geognostische  Formation  der  Anden  bis  hinab  zur  Halbinsel 
Sarmiento  die  gleiche  bleibt.  Nun  sind  aber  die  südlichen  Provinzen 
von  Chile  bekannt  wegen  ihres  Reichtums  au  Gold,  und  noch  die 
neuesten  Forschungen  haben  nachgewiesen,  dafs  der  Cerro  Pay6n, 
welcher  unter  36  °  30'  Breite  östlich  der  Kordillere  liegt,  völlig  von 
reichhaltigen  Silber-  und  Kupferadem  durchzogen  ist 

Dies  sind  die  natürlichen  Hülfsquellen,  welche  Patagonien  dem 
Ansiedler  bietet.  Manchem  werden  dieselben  gering  vorkommen  und 
es  der  ^lülie  nicht  wert  erscheinen,  die  rauhe  Schale  zu  öffnen, 
wol(  he  solchen  Kwn  umschliefst.  Freilich,  wer  den  Übertiul's  der 
Produkte  und  den  spielenden  Lebenserwerb  als  Mafsstab  gebraucht 
für  di»' Kolonisierbarkeit  und  künftige  Entwicklung  eines  Landes,  der 
handelt  nur  logisch,  wenn  er  dieses  hier  als  völlig  unbrauchbar  für 
Ansiedlung  und  Handel  bei  Seite  schiebt.  Wer  aber  im  Gegenteil 
darauf  ausgeht,  eine  neue  Heimat  zu  suchen  für  diejenigen  seiner 
Stammesgenossen,  welche,  hinausgetrieben  durch  Übervölkerung, des 
Vaterlandes  und  die  eigene  Unternehmungslust,  sich  einen  Herd 
granden  wollen  imter  ähnlichen  Verhältnissen  und  nach  der 
vaterländischen  Sitte,  der  möge  nicht  unterlassen,  auch  diesen  ver- 
gessenen Winkel  Südamerikas  in  Betracht  zu  ziehen. 

Wenn  hinter  den  Schiiren  Norwegens  und  an  den  stürmischen 
Küsten  Schottlands  ein  kühnes,  ausdauerndes  Volk  seit  Jahrtausenden 
frei  und  glücklich  haust,  warum  sollten  selbst  die  Klippen  des  meer« 


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—  m  — 

ttmbrandeten  Feoerlandes,  geschweige  denn  die  lachenden  Tb&ler  nnd 
Ebenen  am  Fnfse  der  schneepfekrönten  Kordillere  noch  länger  der 

Ansiedelung:  inutiu,cr  Männer  cnf u'i'Ih'ü  V  So  untoiiiegt  es  denn 
keinem  Zweit'i'l.  dass  auch  in  Fatagonien  sich  eine  tiiclitige  Bevölkerung 
bilden  niuls,  die  in  stt^ttnn  Ringen  mit  der  nicht  zu  verschwenderi>clien 
Xatur  erstarkend,  als  freies  und  thatkräftiges  Volk  eingreifen  wird 
iu  das  üetriebe  des  Weltverkelirs. 


Eine  Expedition  zur  Angara  (1883). 

Von  R.  Rmber^. 


Hienu  Tafel  4:  Übersichtskarte  eines  Teils  des  Sibirischen  Fhibsystems  und 
Tafel  5:  Kartons  der  Angara-FfiUe  nach  der  Aufnahme  von  R.  Rnneberg. 

Dampferfahrt  auf  der  Wulga.  .ScUwierigkeiteu  der  WolgaschiAabrt.  Büliges  Kes^el- 
heisnwterial.  Bisenbahnliilirt  von  Perm  lueli  Jektterinbnrg.  TorbereitnB|r«n  rar 
sibirischen  Larulmi^p  Tarantal'-i.  Der  „Bolschoi-Trnkt".  Sibirlsrho  Dürfer.  Mücken- 
plsge.  Rasche  Fahrt.  Aaktnift  in  Irkutak.  Di«  Borjäten.  Auariistung  für  die  Ängara- 
Fabrt  Die  aibirisclien  TS'egekoittiiiiin{1(«tion«ti  nnd  ihre  zakUoftige  Entwicklung. 
Aassiebt,  spiter  TOn  Petersburg  mit  Dampf  dank  Sibirien  bis  xum  stillen  Ocean 
gelangen  zu  fei'>nnon.  Dio  Kataraktpn  d<  r  Angara.  Der  Verkehr  auf  dem  Jenissej. 
Bchönheit  der  Angara- L'ftir.  Fiachreichtum  de.««  Flusses.  Primitive  Fischfangweise.  Ilydro- 
teohnieebe  Bemerlningeii.  Bnteki-Oetrog  und  dte  Eisenwerk  des  Herrn  Botin.  Menget 
an  tUchtii^fn  Arbeitern  in  Sibirien.  Die  Pochnu  liii-Fiille.  Felsen  im  Strom.  Fahrt 
dnroh  den  Katarakt  Die  Padun-FlUe.  Die  Umgthuug  derselben  durch  einen  Kanal 
leiekt  ansflbrbnr.  Tansebhandel  mit  den  Eingeborenen.  Gefkhrliche  Passage  des 
Scbamaaakl-Katarakts.  Der  letzte  der  FüUo,  Strelkoffskie.  glücklich  passiert  Hydro- 
graphische Mitteilangen  ttl>er  die  Angara.  Heimkehr. 

Den  12./24.  Jnni  y.  J.  verliefs  ich  Petersburg,  um  im  Auftrage 
des  Herrn  A.  Sibiriakoflf  den  Flufs  Angara  behufs  Untersuchung  der 
Schiffbarkeit  desselben  zu  besuchen. 

Die  Fahrt  nach  Nischni-Nowgorod  geschieht  auf  doi  Eisenbahn, 
in  Nischni  stiegen  wir  sofort  an  Bord  des  Dain})fers  „Perm",  um  auf 
der  Wolga  und  Kama  nach  Perm  weiter  befördert  zu  werden.  Ob- 
gleich dieses  Schift'  nicht  mit  besonderem  Luxus  ausgestattet  ist,  so 
findet  derjenige,  der  sich  nach  Sibirien  bcgiebt.  doch  seine  Bequem- 
lichkeit. Man  l)ekömmt  einen  ganz  guten  Di  van,  —  Bettwäsche  mufs 
man  sich  selbst  besorgen  —  und  man  sieht  der  viertägigen  Reise 
mit  einiger  Ruhe  entgegen.  Das  erste  war,  dafs  wir  ein  Frühstück 
bestellten,  welches  aus  Kaviar  und  Sterletsuppe  bestand;  wir  befinden 
uns  in  den  Gegenden,  wo  diese  Delikatessen  ans  erster  Hand  zu 
haben  sind.  Die  Reise  nach  Sibirien  scheint  zu  guterletzt  gar  keine 
Strafe  zu  sein:  die  Restauration  an  Bord  ist  vortrefflich. 


Anfangs  wollen  wir  dem  Lauf  der  Wolga  folgen  und  einige 
Eigentümlichkeiten  der  Schiffahrt  auf  diesem  wichtigsten  fluvialen 
Handelsweg  RoJislands  näher  betrachten. 

Der  Warentransport  wird  beinahe  ansschliefslich  vermittelst 
Barken  besorgt,  welche  dnrch  starke  Bngsierdampfer  geschleppt 
werden.  Hier  findet  man  Barken,  deren  Lastfüugkeit  vi^ig-, 
sechszig-,  achtzig-  und  sogar  hunderttausend  Pud,  oder  etwa  1660  t 
beträgt.  Die  iUigsierschiffe  sind  ausschliefslich  Raddampfer  mit  starken 
Maschinen  von  100  bis  180  nominellen  Pferdekraften,  die  Dampfer 
gehen  SVt  bis  4  Fui's  tief.  Für  daü  Wolgasystem  rechnet  man 
etwa  500  Dampfer,  von  denen  die  meisten  im  I/ande  selbst  gebaut 
sind,  der  gröfste  Teil  dieser  Schiffe  sind  Bugsierdanipfer.  Im  Früh- 
jahr, bei  höchstem  Wasserstande,  ist  die  Schiffahrt  enorm,  später  im 
Sommer  fällt  das  Wasser  so  bedeutend,  da£s  Fahrzeuge,  die  tiefer 
als  SV*  bis  4  Fufs  gehen,  nicht  mehr  fortkommen.  Im  vorigen  Jahre 
war  der  Wasserstiuid  so  niedrig,  wie  man  es  sich  lange  nicht  mehr 
erinnerte,  Fahrzeuge  von  drei  Fds  Tiefgang  konnten  nicht  vorwftrts; 
dieses  Ereigniis  konnte  beinahe  als  ein  Landesunglfick  für  Rufsland 
angesehen  werden,  da  keine  Waren  nach  Nischni-Kowgorod  zur  Messe 
transportiert  werden  konnten. 

Übrigens  ist  die  Navigation  auf  der  Wolga  mit  bedeutenden 
Schwierigkeiten  verbunden.  Das  Hulsbett  besteht  nämlich  aus  sehr 
feinem  Sande,  welcher,  durch  das  Wasser  aufgeschlämnit,  mit  dem 
Strome  auf  längere  oder  kürzere  Strecken  fortgebracht  und  in  der 
Form  von  Bänken  auf  verschiedenen  St/allen  des  Flusses  abgelagert 
wird.  Die  nnndeste  Störung  der  Stärke  oder  Richtung  des  Stromes 
verursacht  sofort  eine  Übersiedelung  der  Sandbänke  von  einer  Stelle 
zur  anderen,  und  eine  neue  Bank  bildet  sich  oft  dort,  wo  unlängst 
das  Wasser  tief  war  und  Fahrzeuge  unbehelligt  fortkamen.  'Viele 
Touristen  haben  sieh  lustig  gemacht  (Iber  die  primitive  Art  und 
Weise  der  SchiflUirt  auf  der  Wolga.  Ein  Matrose  steht  nämlich  auf 
dem  Vorderdeck  mit  einer  langen  Stange  und  prüft  immerwfthrend 
die  Tiefe  mit  derselben,  die  eihaltene  Fu£sanzahl  wird  mit  lauter 
Stimme  Jedesmal  aufgerufen.  IMe  Ursache  dieser  Mafsregel  ist  in- 
dessen die  grofse  Anzahl  beweglicher  Sandbänke ;  es  hiefse  von  dem 
Lutten  zu  viel  fordern,  wollte  man  erwarten,  dafs  er  die  Lage  der- 
selben immer  kenne.  Eine  andere  Eigentümlichkeit  der  Wolga- 
s(  liiff;ilut  liegt  in  dem  Umstand,  dafs  es  nicht  ein  für  alle  Mal 
bestimmt  ist,  von  welcher  Seite  ein  begegnender  Dampfer  luissiereu 
soll,  vielmehr  wird  jedes  Mal  darüber  besonders  unterhandelt.  — 
Ein  Dampfer,  welcher  stromaufwärts  geht,  giebt  ein  Signal  mit  der 
Damp^feife,  wenn  ein  entgegenkommender  iu  Sicht  ist,  und  ein 

Omgr.  Bllltar.  Branra,  1B8A.  18 


—  264  — 

Matrose  winkt  mit  einer  Flagge  am  Tage  oder  mit  einer  Ijateme  in 
der  Nacht  von  der  Seite,  auf  welcher  es  wünschenswert  wäre,  daCs  der 
Dampfer  voraberführe.  —  Von  dem  begegnenden  Dauipfer  wird  ebenso 
geantwortet,  wenn  es  dem  Schiffer  recht  ist,  wenn  aber  Ursache 

vorhanden  ist  die  andere  Seite  zu  wählen,  dann  wird  zweimal  ^e- 
ptiffen  und  mit  der  i  laggc  oder  Laterne  von  der  entgegengesetzteu 
beite  signalisiert. 

Als  Heizmaterial  wird  auf  dem  oberen  Teile  der  Wolga  haupt- 
sachlich Holz  verwendet,  das  Krdöl  fängt  aber  allmählich  an  höher 
zu  lücken  und  man  kann  behaupten,  dafs  die  Grenze  zwischen 
Holz  und  Erdöl  sich  durch  Nischni-Nowgorod  zieht.  Ein  russischeiv 
Faden  (7'  x  7'  x  2'  4")  Brennholz  wird  in  diesen  Gegenden  mit 
4V2  Rubel  bezahlt,  das  Pud  Erdöl  kostet  ungefähr  27  K()i)eken.  Ein 
Faden  Holz  hat  dieselbe  Heizkraft  als  20  Pud  ErdöL  Wie  ersicht- 
lich ist«  stellt  fflch  das  Holz  hier  etwas  billiger,  andererseits  aber 
vermindert  sich  die  Anzahl  der  Heizer  und  Helfer  bei  der  Erdöl- 
heizung  bedeutend;  daher  werden  wohl  die  Totalkosten  wahrscheinlich 
nngeftbr  gleich  sein.  Auf  den  Knrbatofbchen  Dampfern,  welche 
gleichfalls  die  Verbindung  zwischen  Perm  und  Nischni  unterhalten, 
ist  die  Erdölheizung  in  der  That  eiugetuhit  worden.  Jemehr  man 
nach  dem  Süden  herunterrückt,  desto  billiger  stellt  sich  die  Naphta- 
heizung.  In  Baku  sell)st  ist  der  Preis  des  Erdöls  nur  drei  Kopeken 
das  Pud  mit  Lieferung  an  Bord  des  Sc] litVes.  Das  Heizmaterial, 
welches  überhaupt  eine  wichtige  Holle  im  Budiijet  eines  Dampfers 
spielt,  ist  im  Kaspischen  Meere  erstaunlich  wohlfeil. 

Eine  kleine  Strecke  unterhalb  Kasan  nimmt  die  Wolga  einen 
Nebendufs  mit  noch  schlammigerem  Wasser  in  ihren  Schofs  auf, 
man  kann  die  beiden  Flttsse  eine  geraume  Strecke  zusammenfliefsen 
sehen,  ohne  dafe  sich  die  Wasser  derselben  vermischen.  Wir  stehen 
an  der  Mttndnng  der  gewaltigen  Kama,  welche  der  Wolga  eine  gleich 
grofse  Wassermasse  znfOhrt,  als  dieselbe  vor  der  Vereinigung  besitzt 

Bis  hierher  sind  wir  stromabwärts  gefahren,  die  Strömung  hat 
uns  dabei  drei  Werst,  an  einigen  Stellen  sogar  vier  Werst  geholfen. 
Von  hier  aus  müssen  wir  sliomaufwärts  gehen,  und  da  die  Kama 
die  Geschwindigkeit  von  drei  Werst  die  Stunde  besitzt,  so  werden 
wir  uns  von  jetzt  an  mit  (i— 7  Werst  in  der  stunde  weniger  als 
bi.sher  auf  der  Wolga  begnügen  müssen. 

Nach  vier  Tagen  langten  wir  in  Perm  an  und  reisten  an  dem- 
selben Abend  wieder  auf  der  Eisenbahn  nach  Jekaterinburg  ab.  Die 
Kntfernung  betragt  nur  468  Werst,  die  Geschwindigkeit  des  Zuga? 
ist  aber  so  i^ering,  dafs  zur  Zurücklegung  dieser  Strecke  20V*  Stunden 
nötig  siud.  Biese  Langsamkeit  hängt  teilweise  von  den  langen  Auf- 


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—  255  — 

enthalten  ab,  dieselben  betragen  in  allem  4V«  Stunden  oder  20% 
der  ganzen  Fahrzeit  In  der  Nacht  passierten  wir  die  Station 
Europeiskaja  nnd  kehrten  somit  Europa  den  Rttcken,  bald  daranf 
fahren'  wir  dorch  Uralskaja,  nnd  die  erste  Station  auf  der  anderen 

Seite  der  Grenze  Asiatskaja  meldete,  dafs  wir  nns  in  Asien  befänden, 
auf  dessen  endlosen  Flächen  uns  eine  Reise  bis  Ostsibirien  bevor- 
stand. Die  Grenzgegend  zwischen  beiden  Weltteilen  ist  öde  und 
düster;  zwischen  den  durch  Waldbränden  heimgesucliten  Hügeln  des 
Uralgebirges  windet  sich  die  Eisenbahn  hindurch,  die  Todesstille 
dieser  Strecken  scheint  nur  durch  das  GekrAchz  der  Haben  und  das 
Geheul  der  Wölfe  gestört  zu  werden. 

Bei  der  Ankunft  in  Jekaterinburg  war  die  erste  Sorge  einen 
Tarantafs  zu  kaufen.  Nach  einigem  Suchen  gelang  es  uns  zwei  solche 
Fuhrwerke  aufzuspüren.  Ein  Wagen  wurde  für  unsere  Sachen  be- 
stimmt, er  kostete  nur  50  Rubel,  f&r  uns  selbst  hatten  wir  ein  statt- 
liches Fuhrwerk  gewählt,  dessen  bessere  Tage  freilich  langst  vor- 
über waren.  Der  Kauf  wurde  nach  langem  Hin-  und  Widerreden 
endlich  für  120  Bubel  abgeschlossen.  Ein  neuer  Tarantafs  wird 
mit  ungefähr  300  Rubel  bezahlt,  daher  schwur  der  Verkaufer  bei 
allem,  was  ihm  heilig  war,  dafs  wir  unser  Fuhrwerk  geschenkt  be- 
kommen hätten.  Nachdem  Kissen  angeschafft  waren,  welche  unum- 
gänglich notwendig  bei  einer  Tarantafsreise  sind,  wurde  zur  Ver- 
packung der  Sachen  geschritten ;  dieselbe  erfordert  grol'se  Übung, 
erst  als  3000  Werst  zurückgelegt  waren,  konnten  wir  uns  einiger 
Geschicklichkeit  in  dieser  Arbeit  rühmen. 

Gleich  nach  Mittemacht  wurde  die  Reise  angetreten.  Dafs  wir 
den  Postdampfer  in  Tjumen  versäumt  hatten,  wurde  bald  klar,  es 
war  aber  noch  eine  schwache  Hofihung  übrig  einen  Dampfer  zuf&llig 
anzutreffen,  im  ungünstigen  Falle  erwartete  uns  die  beschwerliche 
Reise  von  3367  Werst  im  Tarantafs.  Den  nftchsten  Postdampfer 
abzuwarten  widersprach  meinen  Plftnen.  Um  eine  Tarantafsreise 
auf  schlechtem  Wege  zu  machen,  darf  man  wahrlich  nicht  verweich- 
licht sein.  Die  Wege  waren  in  furchtbarem  Zustande,  bald  stiels 
mau  au  den  Ueisekameraden,  hiüd  an  Seiten  nnd  Decke  des  Fuhr- 
werks, und  das  alles  mit  einer  verstiunnendeu  Heftigkeit.  Die  erste 
Nacht  ist  an  Schlafen  gar  nicht  zu  denken,  im  Laufe  der  zweiten 
fängt  man  schon  an  von  Zeit  zu  Zeit  zu  sclilnmmera,  und  zuletzt 
gewöhnt  man  sich  in  beliebiger  Lage  zu  schlafen. 

Nach  Ankunft  in  der  alten  Stadt  Tjiimen  fand  es  sich  bald, 
dafs  das  Abwarten  eines  Dampfers  zu  zeitraubend  werden  würde, 
daher  wurde  der  Beschlufs  gefafst,  die  Reise  ohne  Aufenthalt  durch 
die  Barabinschen-Steppen  fortzusetzen. 

18* 

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Der  Wep  anlseihulb  der  Stadt  war  in  eiiiciii  grär>li(  liiii  Zustand, 
die  Püffe  und  da^  Zusamuienschütteln  spotten  jeder  Beschreibung:. 
In  der  kurzen  Zeit  vou  9  Tagen  hatten  wir  den  Weg  von  Peters- 
burg bis  Tjunien  zurückgelegt  und  alles  war  ohne  besondere 
Anstrengung  gegangen.  Ks  war  schwer  eine  gewisse  Unruhe  zu 
bekämpfen,  welche  sich  unserer  bei  dem  bloi'seu  Gedanken  au  die 
zurückzulegenden  3000  Werst  bemächtigte.  Die  Beise  erforderte 
14  Tage  ohne  Aufenthalt,  unter  den  peinlichsten  Unannehmlichkeiten. 

Am  ersten  Tage  wurden  233  Werst  jsurdckgelegt,  die  einzige 
Erinnerung  an  die  Existenz  einer  dvüisierten  Welt  war  der  Tele* 
graphendraht  längs  dem  Wege. 

Der  Gedanke  an  den  brdten  Weg  der  Verbannten  dr&ngt  sich 
unwillkflrlieh  beim  Anblick  des  sibirischmi  grofsen  Landweges  oder 
des  „Bolschoi  Trakt**,  wie  derselbe  genannt  wird,  auf.  Die  Fuhi*- 
leute  lieben  aber  nicht  sich  auf  dem  Wege  zu  halten,  sondern  fahren 
immer  pariillel  demselben,  daher  führen  durch  die  weiten  Steppen 
eine  Menge  Wege,  längs  dem  Hauptweg.  Zwischen  Tjumen  und 
Tomsk  ist  der  Verkehi'  im  Sommer  gering,  weil  zu  dieser  Zeit  die 
meisten  Waren  und  Passagiere  mit  Dampfern  transportiert  werden, 
hinter  Tomsk  aber  ist  er  sehr  grols.  Längs  dem  Wege  trifi't 
man  oft  Dörfer  an,  auch  durch  kleinere  Städte  konunt 
man  von  Zeit  zu  Zeit,  z.  B.  Jalutorowsk,  Ischim,  Tjukaiiusk, 
Kainsk  u.  a.  Beim  Eintritt  in  die  Hatte  eines  sibirischen  Bauern 
findet  man  gewöhnlich  ein  Zimmer,  dessen  Dielen  mit  Matten  bedeckt 
sind.  Aufser  einigen  Holzstfihlen  stehen  noch  einige  bunt  angestridiene 
Kisten  mit  Blech-  oder  Messingbeschlag  da,  dieselben  sind  gewöhn- 
lich mit  Pferdedecken  belegt.  Die  Wftnde  werden  jedenfalls,  auch 
bei  ilrmeren  Leuten,  mit  schlecht  gemachten  Farbendruckbihlern 
})ehangen ;  hauptsachlich  sind  es  Portraits  des  Kaisers,  der  Kaiserin 
und  verschiedener  Mitglieder  des  Kaiserhauses.  Darauf  folgt  (ieneral 
Gurko  mit  Schlachtscenerien,  sodann  auf  einem  Blatte  „die  Kegenteu 
Europas",  unter  welchen  auch  der  persische  Schah  scmderbarerweise 
einen  hervorragenden  Platz  einnimmt.  Sehr  verbreitet  sind  die  Bilder; 
„Die  Folgen  der  Trunksucht",  „Die  Hölle  mit  ihren  Qualen"  u.  a. 
Je  näher  man  dem  Osten  Sibiriens  rückt,  desto  mehr  merkt  man 
die  Nejgung  der  Bevölkerung  die  Fenster  mit  Blumen  zu  schmOcken ; 
in  Lrkutsk  gelangt  man  zum  Kulminationspunkt  dieses  Gebrauches, 
die  Bewohner  dieser  Stadt  füllen  ihre  Fenster  g&nzlich  mit  Blumen- 
töpfen aus.  Graspl&tze  findet-  man  hier  in  HttUe  und  Fülle,  daher 
unterhält  die  Bevölkerung  ungeheuere  Herden  von  Pferden,  Kühen 
und  Schafen ;  aufserdem  trifft  man  in  allen  Häusern  Gftnse,  Hähner, 
Uuude  mid  Samovai'e  (russische  Theekesselj  in  beträchtlicher  Anzahl. 


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—  267  — 

Milch  und  £ier  kann  man  beinahe  überall  bekommen,  das  Übrt^ 
mufs  man  mit  sich  fähren. 

Sibirien  ist  nicht  nnr  der  Verbannungsort  des  Auswurfe  der 
Menschheit,  sondern  sogar  die  meisten  lebendigen  Oef^chöpfe  gehören 

zu  den  ungeselligsten  Vertretern  des  Tierreichs.  liaubvügel,  Schlangen,  • 
Wespen,  Fliegen,  Mttcken  u.  a.  trifft  man  hier  in  grofser  Menge. 
Um  die  Pferde  vor  Mücken  zu  schützen,  werden  Feuer  angezündet, 
die  Tiere  stellen  sich  selbst  mitten  in  den  schützenden  Rauch.  In 
vielen  Gegenden  ist  diese  Landplage  so  fürchterlich,  dafs.  wenn  ein 
Pferd  nur  eine  Nacht  im  Felde  oluie  Feuer  vergessen  wird,  man 
das  arme  Tier  unfehlbar  am  anderen  Morgen  verendet  findet.  Das 
Pferd  galoppiert  erst  herum,  um  den  Verfolgern  zu  entgehen,  die- 
selben verÖeren  aber  ihr  Opfer  nicht  und  bald  steht  das  ermattete 
Tier  still,  sein  Schicksal  ist  dann  entschieden.  Schwftrme  von 
MUlionen  Mücken  werfen  sich  auf  das  Opfer  und  in  kurzer  Zeit  hat 
das  Oift  und  der  Blutverlust  den  Plagen  des  armen  Tieres  ein  Ende 
gemacht.  Unsere  Tarantasse  wurden  oft  von  wolkenartigen  Mücken- 
schwärmen  verfolgt.  Die  sibirischen  Mücken  sind  etwas  gröfser  als 
ihre  europäischen  Anverwandten,  von  hellgelber  Farbe,  ihre  Stiche 
sind  schmerzlicher.  Übrigens  gleichen  sich  beide  Arten  in  der  voll- 
kommenen Todesverachtung. 

Die  Entfernungen  zwischen  den  Stationen  sind  grofs,  20  bis  30 
Werst,  dennoch  gelang  es  uns  oft  Pferde  für  zwei  Stationen  auf  ein 
Mal  zu  bekommen.  Vorwärts  ging  die  rasche  Fahrt.  Als  ich  einst 
die  Zeit  beobachtete,  ergab  es  sich,  dafs  mit  demselben  Pferde 
45  Werst  in  3  Stunden  zurückgelegt  wurden!  Die  Wege  sind  hier 
schon  besser.  Als  die  ersten  Folgen  der  Unbequemlichkeit  unserer 
Fahrt  vorüber  waren,  fingen  wir  an  die  .Reise  mit  Tarantab  ganz 
gemütUdi  zu  finden,  Gesundheit,  Appetit  und  Sinnesstimmung  wurden 
wieder  gnt. 

Den  6./18.  Juli  am  Abend  langten  wir  glücklich  in  Irkutsk  an, 
nachdem  wir  mit  Tarantals  8367  Werst*)  in  16'/4  Tagen,  d.  h.  unge- 
fähr 200  Werst  jeden  Tag,  zurückgelegt  hatten.  Bei  dieser  Berech- 
nnnj?  sind  die  Aufenthalte  in  Tjumen  und  Tomsk  mit  eingeschlossen. 
Die  Reise  von  Petersburg  bis  hieher  hatte  24  Tage  in  Anspruch 
genommen. 

Die  Bevölkerung  in  der  Gegend  von  Irkutsk,  am  Baikalsee  und 
bis  zur  mongolischen  Grenze  besteht  meistens  aus  Buij&ten.  Der 
grOfste  Teil  dieses  Volkes  bekennt  sich  dem  Namen  nach  zum 
Christentum,  sie  haben  aber  viele  ihrer  heidnischen  Gebrauche  bis 


♦)  1  Werbt  =  1,07  Km. 


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—  258  — 

/Ulli  heutigen  Tage  nicht  abgelegt,  unter  anderem  war  ich  z.  B. 
Zeuge  einer  sehr  originellen  Ceremouie.  Einige  „Brüderchen",  wie 
die  Rurjüteu  von  den  Russen  genannt  werden,  waren  in  einer  mit 
Fisch  (Omni,  einer  Forellenart)  aus  dem  Baikalsee  beladenen  Jacht 
nach  Irkutsk  gekommen.  Die  Mannschaft  war  eben  beschäftigt  das 
P'ahrzcug  zu  belegen  und  in  Ordnung  zu  bringen,  als  einer  der 
„Brüderchen",  eine  Flasche  Branntwein  in  der  Uaad,  langsam  und 
feierlich  zum  Vorderteil  des  Schiffes  schritt,  einige  Tropfen  in  eia 
Gläschen  träufelte  und  dasselbe  vor  sich  haltend  mit  emster  Miene 
einige  Beschwörungsfonneln  zu  mormehi  anfing.  Der  Inhalt  des 
Glases  wurde  ins  Wasser  geschüttet  Dieselbe  Procedur  wurde  noch 
einmal  wiederholt,  die  Wassergdtter  hatten  somit  ihren  Tribut  er- 
halten. Das  Glas  wurde  wieder  gefüllt,  eine  längere  Beschwerung 
folgte  und  das  Fahrzeug  erhielt  seinen  Teil.  Noch  zwei  Mal  wurde 
dasselbe  mit  kleinen  Quantitäten  Branntwein  begossen,  wobei  kürzere 
Gebete  verrichtet  wurden.  Unser  Burjät  schenkt  aber  iioclinial  ein 
und  benetzt  das  Tau  gleichfalls.  Zuletzt  wird  das  Glas  ln>  au  den 
Uand  gefüllt,  einige  Worte  gemurmelt  und  der  Inhalt  in  die  ei^^one 
Gurgel  expediert.  Alles  dieses  gescliah,  während  die  Mannschaft  be- 
schäftigt war  und  augenscheinlich  von  der  Existenz  der  Flasche 
Branntwein  keine  Notiz  nahm.  Die  Belohnung  für  die  Geduld  war 
fürstlich,  die  Flasche  ging  im  Kreise  herum  und  jeder  nahm  einen 
Schluck  zu  sich,  ohne  weitere  Umst&nde,  die  Ceremouie  war  von 
dem  Beschwörer  allein  abgemacht  worden. 

Die  Bttijaten  verfertigen  abrigens  selbst  berauschende  Getr&nke 
aus  Kuh-  und  Stutenmilch.  Nachdem  die  Milch  sauer  geworden  und 
in  Gftrung  übergegangen  ist,  schreitet  man  zur  Destillation  des 
Alkoholes;  das  erhaltene  Getränk  wird  „Tarasnm"  genannt  und 
entspricht  dem  „Airan"  der  Tartaren  und  ^Jrigut"  der  Jakuten. 
Die  Bereituug  von  iarasum  ist  gesetzlich  verboten,  wird  aber  doch 
stark  betrieben. 

Die  Burjäten  beschäftigen  sich  hau])tsächlich  mit  Vieh/mht, 
Aclccrbau  und  Fischfang  werden  aber  auch  betrieben.  Diese  Nomaden 
kommen  oft  mehrere  hundert  Werst  von  der  mongolischen  Grenze 
nach  Irkutsk,  grofse  Herden  mit  sich  führend,  um  Viehhandel  in  der 
leztgenannten  Stadt  zu  treiben. 

Behufs  Ausrüstung  unserer  Expedition  blieben  wir  in  Irkutsk 
10  Tage  und  waren  den  16./28.  Juli  fertig,  uns  an  Bord  des  ge- 
mieteten Schiffi^  zu  begeben.  In  dieser  unter  der  Wasserlinie  schlecht 
gedichteten,  oberhalb  derselben  und  am  Deck  mit  Ritzen  versehenen 
luftigen  Arche  hatten  wir  im  Achterteil  eine  provisorische  Kajate 
eingerichtet.  Die  Möblierung  unserer  Kajüte  war  folgende :  vier  Ilolz- 


—  269  — 

Pritschen,  welche  mit  den  darauf  ruhenden  lleusäcken  unsere  Schlaf- 
statte bildeten«  eiu  dürftig  zusammengefügter  Tisch  und  drei  oder  vier 
Holzsessel;  einige  Bretter  an  den  Wanden,  um  Sachen  darauf  zu  legen, 
und  Nägel  für  unsere  Kleider  gehörten  gleichfalls  zu  der  Einrichtung. 
Wir  waren  immer  gezwungen,  die  Starke  unserer  Schädel  an  einem 
Deckbalken  zu  prüfen ;  wenn  dieser  Balken  noch  mitgerechnet  wird, 
so  habe  ich  dem  Leser  vollständig  unsere  anspruchlose  Wohnung 
beschrieben.  Man  gelangte  in  die  durch  winzige  Fensterchen  er- 
leuchtete Kajüte  mit  Hülfe  einer  Treppe,  die  unter  einer  Luke  stand. 
Den  Mittelteil  des  Schiffes  hatte  der  Eigentümer  mit  unserer  Er- 
laubnis mit  Theeballen  beladen.  Dem  Vorderteile  näher  waren 
Schlafstütten  für  die  Mannschaft  (10  Mann)  eingerichtet  und  ganz 
vorne  war  die  Küche.  Der  Ofen  bestand  aus  einer  mit  Sand  ge- 
füllten Brettkiste,  auf  derselben  wurde  ein  offenes  Feuer  angezündet 
und  der  Kessel  über  demselben  plaziert.  Das  Fahrzeug  war  77  Fu£s 
lang,  20  Fnfs  breit  und  bis  zum  Tiefgang  von  3  Fuüs  belastet.  Es 
war  mit  einem  16  FuCs  langen  Steuerruder  versehen;  zwei  Paar 
Ruder  an  den  Seiten  und  ein  Ruder  vorne  vervollständigten  die 
Ausrüstung.  Das  letztgenannte  Ruder  sollte  das  Steuern  erleichtem. 
Alle  Ruder  waren  aus  Balken  mit  der  Axt  znrechtgehauen  und  hatten 
daher  ein  ungeschlachtes  Aussehen.  Zur  Führung  jedes  Ruders  ge- 
hörten fünf  Mann. 

Ben  17./29.  Juli  um  3^4  ühr  morgens  wurden  die  Taue  unseres 
Fahrzeuges  vom  Irkutsker  Kai  gelöst.  Die  Wolken  färbten 
sich  purpurrot,  als  wir  mit  dem  Strome  treibend  auf  dem  krystall- 
hellen  Spiegel  der  schönen  Angara  hinabglitten,  allm&hlich  ver- 
goldete die  aufgehende  Sonne  die  Gipfel  der  Anhöhen  längs  den 
Ufern  des  Flusses,  und  die  Versuchung  der  Meinung  Glauben  zu 
schenken,  dafs  die  Angara  zu  den  schönsten  Flüssen  der  Erde 
gehöre,  siegte  beinahe. 

Vor  der  Fortsetzung  unserer  Heise  wird  es  wohl  am  Platze 
sein,  das  Ziel  derselben  näher  zu  beleuchten  und  näheres  über  einige 
der  wichtigsten  Kommunikationswege  Sibiriens  zu  sagen. 

Eine  freiwillige  Reise  von  Europa  nach  dem  früher  so  übel- 
berüchtigten nnd  jetzt  vielleicht  überschätzten  Sibirien  kann,  nach 
Umständen,  auf  folgenden  vier  Wegen  gemacht  werden : 

1)  mit  Daiiipfschiff  von  Odessa  durch  den  öuezkaual  nach 
Wladiwostok  im  Amurgebiete; 

2)  auf  dem  von  Nordenslgöld  entdeckten  Wege  durch  das  nörd- 
liche Eismeer.  Eine  regelrechte  Kommunikation  existiert  in  dieser 
Richtung  zur  Zeit  noch  nicht;  Herr  Sibiriakoff  arbeitet  aber  mit 


^  Kj  .i^ud  by  Goögle 


—  260  — 

liewunderungswürdigem  Kifer  au  der  liealisation  oiner  permauentea 
YerbiudttQg  zwischen  Europa  und  der  Mündung  des  Jenissej; 

3)  über  Orenburg  zu  Lande  auf  der  grofeen  StraTse,  die  sich 
bei  Orsk  teilt;  ein  Zweig  zieht  sich  in  nördlicher  Richtung  Iftngs 
dem  Flusse  Ural,  biegt  hernach  nach  Osten  ab  und  vereinigt  sich 

dort  mit  der  grofsen  chinesischen  Landstrafse;  der  andere  Zweig 
führt  von  Orsk,  den  Aralsee  berührend,  nach  Turkestan; 

4)  der  am  meisten  benutzte  Weg  fangt  mit  der  Eisenbahn  von 
Perm  nach  Jekaterinburg  an;  mit  diesem  letzten  Wege  werden  wir 
uns  eingehend  beschäftigen.  Von  Jekaterinburg  muss  man  gegen- 
wärtig  bis  Tjumen  mit  Pferden  907  Werst  reisen;  jedoch  ist  eine 
Eisenbahn,  welche  diese  Städte  vereinigen  wird,  im  Bau  begriffen. 
Tjumen  kann  indessen  nicht  als  richtiger  Endpunkt  der  Bahn  ange- 
sehen werden;  der  Flufs  Tura,  —  dem  Obsystem  gehörend,  —  an 
welchem  die  Stadt  Tjumen'  liegt,  ist  zu  gewissen  Zeiten  des  Jahres 
so  seicht,  dufs  Fahrzeuge  von  2—3  Fiifs  Tiefgang  nicht  gut  vorwärts 
kommen;  die  Bahn  mufs  daher  wohl  bis  Tobolsk,  am  Zusammen- 
tiusse  des  Tobol  und  Irtisch,  verlängert  werden. 

Wie  oben  berichtet,  mulsten  wir  die  Landstrafse  von  Tjumeu 
nach  Tomsk  wählen  (1500  West),  der  gewöhnliche  Sommerverkehrs- 
weg aber  wird  mit  Dampfboot  auf  dem  Obsystem:  auf  den  Flüssen 
Tura,  Tobol,  Irtisch  und  Ob,  sammt  dem  Nebenflüsse  des  letzteren, 
dem  Tom  (2700  Werst)  zurückgelegt.  Die  Postdampfer,  welche  jede 
Woche  eine  Reise  machen,  brauchen  8 — ^9  Tage,  um  diesen  Weg 
zurückzulegen,  dabei  wird  aber  eine  Arrestantenbarke  bugsiert.  Diese 
Dampfer  sind  in  Tjumen  erbaut  (die  Maschine  ist  aus  Kischni-Now- 
gorodj  und  sie  bieten  viele  Bequendichkeiten  für  die  Passagiere. 
Der  Tisch  ist  gut.  Das  Obsystem  wird  schon  von  50  Dampfern 
befahren;  diese  Postdampfer  gehen  37^  Fufs  tief  und  können  nur 
im  Sommer  bis  Tjumen  heraufkommen.  Kurz  vor  dem  Eintritt  iu 
den  Tobol  begiebt  man  sich  auf  ein  weniger  tiefgehendes  Dampfboot. 
Aber  auch  dieses  Fahrzeug  konnte,  zur  Zeit  unserer  Rückkehr,  nicht 
höher  als  bis  Jewlevaja  kommen.  Von  dem  letztgenannten  Orte 
hatten  wir  das  besondere  Vergnügen,  mit  Tarantals  IBO  Werst  nach 
Tjumen  zu  fahren. 

Von  Tomsk  aus  giebt  es  keinen  anderen  Weg  nach  Osten,  als 

die  Landstrafse  Marijnsk,  Krasnojarsk,  Kansk,  Nischny-Udinsk  und 
Irkutsk,  eine  Strecke  von  1560  Werst. 

Der  Wassertraii^i)ort  «ieschieht  ebenlalls  von  Tjumen  bis  Tomsk 
und  iu  umgekehrter  Kichtiing  des  Sommers  meistenteils  mit  Dampfboot 
auf  dem  Ob^stem,  zwischen  Tomsk  undirkutsk  aber  mit  Pferden.  l<>üher 


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—  261  — 

wurden  auch  Kamele  .uehiaucht,  gegenwärtig'  trifft  man  aber  diese 
Lastthiere  auf  diesem  Wege  nicht  mehr.  Die  Kamele  können  näm- 
lich Dicht  im  Winter  verwendet  werden  und  stellen  sich  daher  kost- 
spieliger als  die  Pferde,  welche  hier  im  Lande  fabelhaft  billig  sind. 
Die  enormen  Strecken  yerteuem  indessen  den  Transport  in  hohem 
Blalise.  Die  Transportkosten  einer  Theefiihre  von  22—24  Pud 
zwischen  Irkntsk  nnd  Tomsk  betragen  mindestens  90  Rubel,  d.  h. 
1,35  Rubel  für  das  Pud.  Eine  Karawane  besteht  aus  30 — 40  Fuhren, 
auf  jedes  fftnfte  oder  sechste  Pferd  kommt  ein  Fuhrmann,  die  Kerle 
aber  schlafen  meistens,  mit  dem  Gesicht  nach  unten,  auf  der  Fuhre. 
Das  Pferd  geht  indessen  ruhig  weiter,  und  zur  Nacht  versammelt 
sich  alles  um  das  Wachtfeuer.  Die  Fuhrwerke  für  den  Waren- 
transport, Tjelege  genannt,  sind  vierrädrig,  Eisenteile  hat  eine  solche 
Tjelege  beinahe  gar  nicht,  sogar  die  Achsen  sind  aus  Holz.  In  ab- 
gelegenen Gegenden  tindet  man  nur  Tjelegen  vor;  wir  wurden  auch 
manchmal  mit  diesem  angenehmen  Fuhrwerke  bedient.  Anfangs  ist 
man  unruhig,  da  man  Zweifel  an  der  Vortrefflichkeit  der  Holzachsen 
nicht  zu  unterdrücken  vermag,  besonders  bei  rascher  mit  starken 
Stdfsen  yerhundener  Fahrt.  Die  Achsen  bew&hren  sich  aber  aus- 
gezeichnet» sogar  bei  der  wildesten  Fahrt.  Von  Zeit  zu  Zeit  quillt 
Rauch  aus  der  Radbttehse  hervor,  dann  mufs  still  gehalten  werden, 
um  den  Lagern  Zeit  zu  geben  sich  abzukOhlen,  im  schlimmsten  Falle 
werden  sie  mit  etwas  Birkentheer  geschmiert  und  vorwärts  gehts 
wieder  munter  auf  holprigem  Wege. 

Oben  war  angedeutet  worden,  dafs  in  der  nächsten  Zeit  die 
Flüfse  Wolga  und  Kama  durch  einen  Schienenweg  mit  dem  unge- 
heueren Flul'sgebiete  des  Ob  verbunden  werden  sollen.  Sobald  näm- 
lich Jekaterinburg  mit  Tjumen  durch  einen  Schienenstrang  vereinigt 
sein  wird,  ist  der  Verkelir  zwischen  Perm  an  der  Kama  und  dem 
ünternebenflufs  des  Ob,  Tura,  eröffnet.  Schon  längst  ist  die  Wichtig- 
keit einer  Kanalverbindung  zwischen  Ob  und  Jeniasej  eingesehen 
worden.  Es  sind  alternative  Vorschläge  gemacht  worden,  die  Neben- 
flüsse des  Ob,  Tym  oder  Ketj  mit  den  betreffenden  Nebenflüssen  des 
Jenissej,  Sym  oder  Kern  zu  verbinden.  Spätere  Untersuchungen 
haben  es  aber  klar  gelegt,  dafs  das  zweckmälsigste  Kanalsystem  mit 
dem  Ausgangspunkte  von  der  Oseniaja,  einem  kleinen  Nebenflüsse 
des  Ketj,  nach  dem  kleinen  und  grofsen  Kais,  welcher  letztere 
240  Werst  unter  der  Stadt  Jenisseisk  in  den  Jenissej  sich  ergiefst, 
geführt  werden  niül'ste.  Die  Flüsse  0>ernaia  und  Kafs  entspringen 
aus  Seen,  die  von  einandei"  höclistens  4  Werst  entfernt  sind  und 
.  beinahe  ein  gleiches  Wasserniveau  haben.  Dieser  Umstand  ist  sehr 
bemerkenswert.  Die  wichtige  Yerbiudung  ist  schon  in  Arbeit,  die- 


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—  262  — 


selbe  \>\  im  voi  i-oii  Soiiiiuer  uiitci"  Uer  Aufsicht  des  Baruii  B.  Aviuoff 
iu  Angrill  genoimnen  worden.  *) 

Würde  uocli  ein  Dainpfschitisveikehr  uuf  der  Anf^uni  in  (iang 
konnnen,  so  könnte  man  bis  Irkutsk  gelangen,  nach  dem  etwa 
ÖOOO  Werst  von  Tjumen  mit  Dampfer  zuröckgelegt  worden.  Die 
Ajigara  entspringt  bekauntlicli  aus  dem  Baikalsee,  in  welchen  der 
Flufe  Selenga  mündet.  Dieser  Flnfs  hat  die  L&nge  von  1000  Werst, 
ist  segelbar  bis  jenseits  der  mongolischen  Grenze,  und  einige  seiner 
Nebenflüsse  kommen  den  QneUarmen  des  Amurs  ganz  nahe.  Das 
dazwischen  liegende  Land  bildet  ein  Hochplateau,  so  daTs  Kanal- 
bauten hier  wohl  schwerlich  ausgeführt  werden  können.  Früher  oder 
spater  werden  aber  die  Wassersysteme  der  Selenga  und  des  Amurs 
durch  einen  Schienenstrang  verbunden;  dann  wird  es  möglich  sein 
mit  Dampf  von  Petersburg  durch  Sibirien  bis  zum  Stillen  Ocean 
zu  gelangen. 

Herr  Sibiriakoff  hat  mir  vorgeschlagen  dem  obenangedeuteten 
Ziele  nach  Kräften  durch  nähere  Forschungon  zuzusteuern.  Ich  sollte 

nämlich  durch  näheres  Studium  die  Frage  lösen,  auf  welche  Weise 
ein  Dampfschiflfverkehr  auf  der  Strecke  von  der  Mündung  <ler  .\u- 
gara  iu  den  Jenissej  bis  kkutsk  (1700  Werst)  ermöglicht  werden 
könnte. 

E,  Reclus  teilt  in  seiner  „Geo^zraphie  universelle"  ül>er  die 
gefahrlichen  Katarakte  der  Angara  fol^etide^  mit:  „Les  noms  (|u"ils 
ont  ret.Mi  des  riverains,  temoignent  de  Tetlroi  qu  ils  insjiiraient.  Mais 
les  bateaux  ä  vapeur  franchissent  ces  rai)ides  sans  danger  et  Ic 
luouvement,  le  bruit  des  flots  entrechoques  ne  donnent  aux  voyageurä 
quune  emotion  passagere." 

Zur  Zeit  der  Ausgabe  der  „Geographie**  von  lleclus  hatte  nun 
freilich  noch  kein  Dampfer  die  Katarakte  der  Angara  passiert,  weder 
stromabwärts  noch  stromaufwärts.  Im  letzten  Sommer  ist  ein  kleiner 
Deckdampfer  stromabwärts  durch  die  Katarakte  gegangen,  die  Kraft 
seiner  Maschine  (8  Pferdekrafte)  war  aber  so  gering,  dafs  an  eine 
Stromauffahrt  durch  die  Katarakte  oder  Wasserfälle  mit  eigenen 
Kräften  gar  nicht  gedacht  werden  konnte.  Dieses  Ereignis  veran- 
lafste  grofsen  Jubel  in  Irkutsk,  man  meinte,  die  Angarakatarakte 
wären  von  nun  an  als  Verkehrshindernis  verschwunden,  da  eui 
Dampfer  durch  dieselben  gegangen  war.  DaÜB  weniger  vollkommene 
Fahrzeuge  jedes  Jahr  durch  die  Fälle  heruntergehen,  und  dafs  anderer- 

*^  Dieses  Projekt  nn*]  die  Anstalten  zur  Vci  wirklicluin;;  ilossolbcii  wunlon 
uielirfach  iu  dieser  Zeit.s'  hritt  hespioclien,  die  letzte  Mitteilung  betiudet  kicIi 
in  Band  VI.  ^.  1U2.   D.  Ked. 


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—  263  — 

seit»  die  gröfste  Schwierigkeit,  stroiuaufwärts  zu  gehen,  noch  nicht 
überwunden  war,  wurde  dabei  gänzlich  übersehen.  Die  Angaben 
Reclus  über  die  furchtbaren  und  feierlichen  Namen  der  Fälle  kann 
ich  auch  nicht  bestätigen.  Der  erste  Katarakt  heifst  Pochnielui, 
was  gleich  bedeutend  mit  „Katzenjammer"  ist.  Der  zweite  wird 
Pjany,  d.  h.  der  „Betrunkene",  genannt.  Der  dritte  und  schwerste 
Fall  auf  dem  gauzen  Flusse  heifst  Padim,  was  „Fall''  bedeutet.  , 
Etwas  besonders  erschütterndes  wird  man  wohl  schwerlich  in  diesen 
Namen  finden,  das  einzige  Bemerkenswerte  ist,  dafs  die  F&lle  nicht 
in  der  natflriicben  Folge  ihrer  Namen  nach  einander  kommen.  Die 
Namen  der  übrigen  FftUe  bedeuten  auch  keinerlei  Furcht,  z.  B.  Dolgi 
(der  Lange),  Tolstoi  (der  Dicke),  Kossoi  (der  Schiefe),  Strelka  (der 
Pfeil)  n.  a.  Vielleicht  kann  der  Katarakt  Schamansky  (Beschwörer, 
Zauberer,)  einen  mystischen  Eindruck  durch  diesen  seinen  Namen 
hervorbringen. 

Schon  vor  einigen  Jahren  wurde  auf  Kosten  der  Regierung 
eine  allgemeine  Untersuchung  der  Angara,  unter  Leitung  des  Barons 
B.  Avinoff,  und  eines  russischen  Marineini^oiiicurs  TschelajeÜ  gemacht; 
die  Resultate  dieser  Untersuchungen  haben  in  hohem  Mafse  unsere 
Arbeiten  unterstützt. 

Der  Jenissej  wird  gegenwärtig  von  einigen  zehn  und  das  Flufs- 
gebiet  der  Lena  annähernd  von  derselben  Anzahl  Dampfern  befahren. 
Dieser  Verkehr  ist,  im  Verhältnis  zur  Gröfoe  der  sibirischen  Flttsse, 
g&nzlidi  unbedeutend.  Die  grOlsten  Flflsse  Europas:  der  Rhein,  die 
Rhone,  die  Donau  und  die  Wolga  bilden  zusammen  kaum  einen 
Ob,  Jenissej  oder  eine  Lena.  Die  L&nge  der  Selenga-Angara-NTenissg- 
linie  betragt  5000  km,  das  Flufsgebiet  des  Jenissej  wird  von  Reclus 
auf  etwa  3(XX)  km  angegeben.  Der  neue  Kanal  und  die  Eröffnung 
eines  Danijifbootverkehrs  auf  der  Angara  werden  das  Thor  für  die 
Einfuhr  und  Ausfuhr  des  gröfsten  Teils  von  Sibirien  aufschliefsen 
und  einen  zweckmafsigen  Verkelirsweg  für  den  bedeutenden  Handel 
ßttCslands  mit  China  zu  Stande  bringen. 

Wie  schon  gesagt  worden  ist,  wird  die  Angara  zu  den  schönsten 
Flüssen  der  Welt  gerechnet.  Eine  kleine  Ül)ertreibuug  liegt  wohl 
in  dieser  Behauptung,  schön  ist  aber  doch  die  „Mutter  Angara"  mit 
ihrer  wilden  Natur.  Aus  dem  bergumschlungenen  Scho£se  des  Baikals 
ist  sie  geboren  klar  und  tief,  wie  die  Qebftrerin  selbst,  genannt 
Dalai-Nor  oder  das  heilige  Meer.  Bei  Irkutsk  kann  man  noch  Steine, 
die  m^rere  Faden  tief  auf  dem  Boden  des  Flusses  liegen,  gut  unter- 
scheiden, eine  kleine  Strecke  abwärts  wird  die  Strömung  schon 
durch  das  Wasser  der  Nebenflüsse  getrübt,  noch  etwas  den  Strom  herab 
und  das  Wasser  der  Angara  wird  fälschlich  klai*  genannt,    im  Au- 


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264  — 


fauge  ihres  Laufes  lliefst  die  Angara  in  nordDonlwestlicher  und  teil- 
weise Y611ig  nf^rdlicher  Richtung ;  beim  56.^  n.  6r.  wendet  sie  sich 
plötzlich  nach  Westen,  als  hatte  sie  jetzt  schon  die  Absicht  sich  in 

die  Arme  des  Jenis.sej  zu  werfen,  bald  darauf  iiiiunit  die  Angara  den 
grofsen  Nebenflufs  Oka  auf,  welcher  aus  Süden  kommt  und  wie  es 
scheint  dem  Mutterflusse  seine  Mission  ins  liedachtnis  ruft,  sodann 
fliefsen  die  beiden  Flüsse  beisammen  in  nördlicher  und  sogar  eine 
kurze  Strecke  in  östlicher  KichtuuLi,  sich  über  eine  Reihe  von 
KaUrakte  stürzend.  Nachdem  der  Nebenflufs  Ilim  aufgenommen  worden, 
beruhigt  sich  die  Angara  und  biegt,  unter  dem  59.®  n.  Br.,  nach 
Westen  ab,  dieses  Mal  um  die  Vereinigung  mit  dem  Jenissej  wirklich 
2u  vollbringen.  Die  Angara  bringt  dem  Hauptflusse  eine  gröfsere 
Wassermasse,  als  derselbe  vor  der  Vereinigung  hatte.  Da  wo  die 
Angara  oder  Tunguska,  wie  oft  der  niedere  Lauf  genannt  wird,  in 
einer  einfachen  Furche  fliefst,  betrftgt  die  Breite  an  Vi  bis  Vit  (auch 
mehr)  Werst,  da  aber,  wo  der  Flufs  Inseln  umschlangelt,  kann  die 
Breite  sich  oft  bis  zu  zehn  Werst  erweitern. 

Zwischen  Irkutsk  und  Bratski-Ostrog  (die  Burjatenburg)  kur- 
sieren schon  Dampfer.  Die  Tiefe  betragt  auf  vielen  Stellen  nicht 
volle  4  Fufs  bei  niedrigem  Wasserstande,  dennoch  trifft  man  hier 
keine  Katarakte  und  der  Fhifs  tiielst  im  allgemeinen  regelmafsig 
mit  einer  Geschwindigkeit  von  9  Werst  die  Stunde;  bei  Irkutsk,  auf 
der  Strecke  von  dieser  Stadt  bis  Bratski-Ostrog  (5ÜU  Werst),  ver- 
mindert sich  die  Geschwindigkeit  allmählich,  bei  Bratski-Ostrog  beträgt 
sie  ungefähr  5  Werst  die  Stunde. 

Dieser  Theil  des  Weges  bot  nichts  Interessantes  für  unsere 
Expedition.  Wenn  das  Wetter  schlecht  und  regnerisch  war,  ver- 
brachten wir  die  Zeit  in  der  Kijate  studierend  oder  schreibend,  oder 
weideten  uns  auf  dem  Deck  an  dem  Anblick  des  Steuermannes,  der 
eingehüllt  in  eine  Bastmatte  dOsteren  Wesens  die  Natur  der  Dinge 
ergrflnden  zu  wollen  schien,  wahrend  unser  Fahrzeug  seitwärts  den 
Strom  hiuabtrieb.  Bei  heiterem  Wetter  erfreuten  uns  die  bezaubern- 
den Landschaften  uiul  die  wilde  Schönheit  der  Inseln  und  Ufer.  Die 
von  ^lenschenhauden  unberührte  Natur  otVenbart  sich  hier  in  grotesken 
Felsen,  Urwaldern  und  Dickichten,  von  Zeit  zu  Zeit  ruht  das  Auge 
aber  mit  Wohlbehagen  auf  bearbeiteten  Feldern  und  lächelnden 
Auen.  Die  Uferbewohner  sind  teils  Russen,  teils  BurjÄten;  die 
letzteren  siedein  im  Sommer  an  das  Ufer  über,  um  hier  ihr  Vieh 
grasen  zu  lassen  und  ihren  Gittern  zu  opfern.  Die  Buij&tenopfer 
bestehen  aus  Tierhäuten,  die  auf  Pfähle  ausgespannt  werden;  fOr 
diese  kleine  Aufmerksamkeit  erwarten  die  Gläubigen  Zuwachs  ihrer 
Herden  und  gute  Grasplätze. 


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m  - 


Währeud  der  ersten  Tagereise  aas  Irkutsk  fährt  man  an  vor* 
scbiedenen  industriellen  Etablissements,  2.  B.  an  einer  Branntwein- 
brennerei, Gerberei,  Saline,  Tuchfabrik,  Glashütte  u.  a.  vorüber. 
IMe  Ufer  sind  hier  stark  bevölkert  und  der  Fluls  ist  so  dicht  mit 
Inseln  besftet,  dafe  das  Wasser  nur  ausnahmsweise  in  einem  insel- 
freien  Bett  Iftuft;  da,  wo  dieses  geschieht,  schwankt  die  Breite  des 
Flusses  zwischen  ^'4  und  Vs  Werst.  Einige  Inseln  sind  meliiere 
Werst  breit  und  einige  10  Werst  lang.  Das  rechte  Ufer  ist  meisten- 
teils hoch,  das  linke  tlach,  die  allgemeine  Regel  der  Flüsse  der 
nördlichen  Halbkugel,  so  weit  sie  nach  Norden  hinfliefsen. 

Fische  werden  selten  im  obern  Lanf  der  Angara  angetroffen, 
weiter  unten  aber  ist  der  Flufs  reich  bevölkert.  Wir  hatten  einige 
moderne  Fischereigeräte  mitgenommen,  es  zeigte  sich  aber  bald, 
dafo  die  Fische  kein  Verständnis  für  die  Früchte  der  höheren  Bildung 
hatten,  sondern  leichter  durch  Fangmittel  höchst  primitiver  Natur 
angelockt  worden.  Man  denke  sich  einen  Strick,  der  mittelst 
Gewiehte  in  den  Fln&  versenkt  worden  ist  Lftngs  desselben  sind 
an  kleineren  Stricken  ungeschlachte  Eisenhaken  befestigt.  Damit 
diese  Haken  im  Fluls  treibend  erhalten  werden,  sind  Baumrinde- 
pfropfen an  denselben  mittelst  Bindfäden  befestigt.  An  den  im 
Wasser  spielenden  Haken  streicht  der  Stur  oder  Sterlet  vorbei  und 
bleibt  mit  der  Haut  daran  hängen.  Da  der  Fisch  nicht  mit  Itesonderer 
Intelligenz  begabt  ist,  so  folgt  er  willig  bis  zur  OberÜäche  des 
Wassers,  wo  er  alsbald  mit  einem  Sarknetz  ins  Boot  geschleudert 
wird.  Dieses  sehr  verbreitete  Fischgerat  wird  „Samolon",  d.  h. 
Selbstfischer,  genannt.  Mit  dem  Netz  wird  hier  auch  gefischt,  aber 
Netzzüge  habe  ich  nicht  auf  der  Angara  unterhalt)  Irkutsk  gesehen. 
Man  unterscheidet  Bot-  und  Weilsfisch;  diese  Einteilung  scheint  aber 
nicht  von  der  Farbe  des  Fisches  abzuhängen,  sondern  vielmehr  von 
dem  Benomm6  der  verschiedenen  Fischarten  als  Leckerbissen.  Der 
Stör  und  der  Sterlet  werden  natürlich  zu  den  Rotfischen  gerechnet; 
Njelma,  der  schmackhafteste  Fisch,  gehört,  obgleich  sein  Fleisch  ehm 
so  weifs  wie  das  des  Sanders  ist,  gleichfalls  zu  den  Rotfischen.  Zu 
den  Weifsfischen  werden  der  Hecht,  der  Barsch,  der  Omul  ji.  a. 
gerechnet. 

Wer  jemals  sich  in  einem  Boote  stromabwrirts  treiben  liefs, 
der  bat  gewil's  die  eigentümliche  Thatsaclie  bemerkt,  dafs  kleinere 
degenstande,  welche  oben  auf  dem  Wasser  schwimmen,  sich  nicht 
mit  derselben  Geschwindigkeit  bewegen,  als  das  Boot.  Ein  jeder 
Schiffer  wird  ohne  Bedenken  erzählen,  dafs  das  Fahrzeiiir  -^ich 
schneller  als  das  Wasser  bewegt,  dafs  ein  beladenes  Schilf  schneller 
als  ein  solches  ohne  Last  hinunterschwimmt,  dafs  ein  kleines  Boot 


—  266  — 


langsiuiiei*  al>  fiii  ^jröfseres  fälirt  u.  s.  w.  Im  erstoii  Au;,'eiiblick 
kommt  es  ciiieiii  unfilaublicli  vor,  uml  ich  (hu  hto  wie  viele  andere, 
(ials  (las  (jaiize  auf  notdürftigen  Beobachtungen  beruht,  die  Sache 
ist  dennoch  richtig  und  die  I'>kläning  liegt  nahe  auf  der  üand, 
obgleich  dieselbe,  wie  ich  glaube,  wenig  bekannt  ist.  Ein  Fahnseug 
befindet  sich  auf  einem  flusse  wie  auf  einer  schiefen  Ebene  und 
die  eine  Komponente  des  Gewichtes  bedingt  eine  Bewegung,  die 
relativ  deijenigen  des  Wassers  ist.  Von  mir  angestellte  Yer- 
SQche  führten  in  dieser  Hinsicht  zu  flberraschenden  Resnitatea. 
Anf  der  Stelle,  wo  die  absolute  Oesehwindigkeit  des  Wassers 
l,oso  m  war,  erwies  sich  die  relative  (ieschwindigkeit  des  Fahr- 
zeuges 0,»a  m,  mit  anderen  Worten:  die  (ieschwindigkeit  des 
Fahrzeuges  überstieg  die  des  Walsers  um  21  ®  <i.  Wcim  die  Neiirung 
des  Wasserspiegels  0.5  auf  lOOC)  und  (la>  Deidacement  des  Schiffes 
zu  70000  kg  angenommeu  werden,  so  ergiebt  sich  eine  Kraft 
(komponente)  von  35  kg,  welche  das  Fahrzeug  vorwärts  durchs 
Wasser  zieht  Diese  genügt,  um  eine  relative  Bewegung  von 
O^t  m  in  der  Sekunde  hervorzurufen.  An  einer  andern  Stelle, 
wo  die  Geschwindigkeit  des  Wassers  1,6  m  war,  wurde  die  relative 
Geschwindigkeit  zu  0,s  m  oder  etwa  12  Wo  berechnet.  Dabei  mufis 
bemerkt  werden,  dafs,  je  grdfeer  die  absolute  Gesdiwindigkeit  ist, 
desto  energischer  sich  der  Widerstand  der  Luft  zeigt.  Als  allge- 
meinen Satz  finden  wir  also,  dafs 

1)  jeder  Gegenstand,  welcher  auf  einem  fliefsenden  Wasser 
schwimmt  und  schwerer  als  ein  Molekül  Wasser  ist,  sich  ^geschwinder 
als  das  Wasser  bewegen  mufs,  unter  der  Voraussetzung,  dafoaufsere 
Einwirkungen  keine  Störungen  bedingen. 

Die  Ergebnisse  der  Untersuchungen  von  Mr.  Frond,  des  be- 
rühmten englischen  Ingenieurs,  beweisen,  dals  Fahrzeuge  verschiedener 
Gröfse,  die  nach  demselben  Modell  erbaut  sind,  einen  Widerstand 
erfahren,  der  in  Kubikproi)()itinn  zu  den  Dimensionsverhaltnissen 
steht,  unter  der  Voi-aussetzuug,  dals  die  Geschwindigkeiten  propor- 
tional den  Quatlratwurzeln  aus  denselben  DiniensionsverliiUtuisseu  sind. 
Das  Deplacement  steht  aber  gleichfalls,  also  im  vorliegenden  Falle 
auch  die  treibende  Kraft  in  Kubikproportion  zu  den  Dimensious- 
Verhältnissen;  also  ergiebt  sich  das  einfache  Gesetz,  dafs 

2)  die  relativen  Geschwindigkeiten  gleichförmiger  Körper,  welche 
auf  fliefsendenl  Wasser  schwimmen,  proportional  den  Quadratwurzeln 
aus  den  Verhältnissen  der  lincuieii  Dimensionen  sind.  Mit  andern 
Worten,  wenn  man  ein  Modell  mit  viennnl  kleinern  linearen  Dinien- 
siuneu  als  unser  Fahrzeug  hatte,  in  welchem  1  alle  das  Deplacement 


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—  267  — 


sicli  natüiiii'li  H4  Mal  (4-')  veniiindern  würde,  so  witrc  dio  relative 
Gebclnvindijikeit  diesf'>  Modells  gerade  iiin  dio  llültte  (i  4)  kloiner, 
als  die  unseres  iSchiffes.  Je  kleiner  (respektive  leichter)  der 
schwimmende  Gegenstand  ist,  desto  weniger  wird  die  Geschwindigkeit 
desselben  sich  von  der  des  Wassers  nntersclieiden  und  die  relative 
Geschwindigkeit  wird  gleich  Null,  wenn  der  Gegenstand  so  Idein  ist, 
daÜB  derselbe  nur  ein  Molekai  Wasser  verdrängt 

Die  gröfeere  Geschwindigkeit  des  Fahrzeuges  im  Vergleich  mit 
der  des  Wassers  bedingt  die  Möglichkeit,  ein  stromabwärts  treibendes 
Schiff  zu  steuern.  Vier  und  einen  halben  Tag  nach  der  Abreise  von 
Irkutsk  langten  wir  in  Bratski-Ostrog  an.  Hier  wurde  halt  gemacht, 
um  die  Ausrüstung  zu  vervollständigen.  Der  wichtigste  Teil  des 
Weges  stand  bevor.  In  einer  Entfernung  von  20  Werst  von  hier 
befindet  sich  das  gröfste  Eisenwerk  Ostsibiriens,  dasselbe  gehört  dem 
Herrn  Butin,  steht  aber  gegenwärtig  unter  Administration.  Da  es  für 
uns  von  Interesse  war,  dieses  Etablissement  zu  sehen  und  einige 
Eisenger&te  für  unsere  Expedition  dort  zu  erlangen  waren,  so  be« 
stellten  wir  Bauempferde  und  traten  die  Reise  dahin  in  einer 
einfachen  Tjelega  an.  Wir  fanden  zwar  bei  unserer  Ankunft  den 
Direktor  nicht  vor,  aber  sein  Stellvertreter,  ein  Engl&nder,  war 
sichtlich  erfreut  mit  jemandem  aus  Europa  plaudern  zu  können;  er 
erzahlte,  dafo  der  Umgangskreis  an  diesem  Orte  sehr  klein  wftre, 
da  die  Bevölkerung  von  2600  Personen  beinahe  ausschliefslich  aus 
Verbrechern  und  deren  Familien  bestehe.  In  seinem  Hause  dienten 
ein  Mann  und  ein  W^ib,  die  beide  wegen  Vergiftung  nach  Sibirien 
verbannt  worden  waren.    Im  Laufe  des  letzten  Jahres  wurden  hier 

3  Weiber,  2  Kinder  und  1  Mann  ermordet. 

In  Anbetracht  der  1  hatsache,  dafs  das  Werk  mit  einer  solchen 
auserlesenen  Sippschaft  von  Hnubern  und  Sclnirken  betrieben  wird, 
kann  es  niemanden  verwundern,  dafs  die  Arbeit  mit  der  schlechtesten 
in  Europa  keinen  Vergleich  aushalt.  Die  Ausbeutung  der  Schätze 
Sibiriens  und  jede  Industrie  wird  eben  hauptsachlich  durch  den 
Mangel  an  tauglichen  Arbeitern  erschwert.  Ein  industrielles  Unter- 
nehmen, so  splendide  Resultate  es  auch  ergeben  mag,  scheitert  oft 
an  dem  Mangel  oder  der  Untauglichkett  der  Arbeitshande.  In  dieser 
Gegend  ist  ausgezeichnetes  Eisenerz  gefunden  worden,  Steinkohlen 
liegen  beinahe  zu  1  age,  immense  unangetastete  Wftlder,  alles  nahe 
bei  einander I  Nadi  Irkutsk  führt  ein  Wa.sserweg,  keine  Konkurrenz 
ist  vorhanden.    Die  irewöhnlichen  Eisensorten  werden  in  lrkiit>-k  mit 

4  Kiibel  das  Tud  bezalili,  die  einfacli>ten  Sachen  aus  Schmiedeeisen 
kosten  <)  -  10  IJnbel  da<  l*ud.  Wer  könnte  der  Vei'suchnnL:  wider- 
äleheii,  hier  ein  Get^chält  zu  betreiben!    Wie  gestalten  sich  nun  aber 


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—  268  — 

die  Dinge  in  der  Wirklichkeit?  Vor  90  Jahren  wurde  das  Eisen- 
werk anf  Kosten  der  Krone  gebaut  und  Hatte  Ntkol^jewsk  genannt. 

Was  dieses  Werk  der  Krone  f^ekostet  hat,  ist  unbekannt,  es  kann 
aber  in  keinem  Falle  eine  geringe  Summe  gewesen  sein.  Die  Hütte 
wurde  hernach  dem  Herrn  Trapeznikoß  in  Irkutsk  über{]:eben,  dabei 
wurden  50()  Quadrat -Werst  Wahl  der  Hütte  beigefügt,  um  dieselbe 
zu  betreiben.  Nachdem  der  Eigentümer  mehrere  hunderttausend 
Rubel  verausgabt  hatte,  übergab  er  das  Werk  Herrn  Butiu,  welcher 
gegenwärtig  unter  Administration  steht. 

Einige  Werst  unterhalb  des  Bratski-Ostrog  liegt  der  erste 
Angarafall,  Pochmelni  genannt;  wahrend  die  Ausrflstung  der  Barke 
beendigt  wurde,  reisten  wir  in  einem  Boote  ab,  um  einen  allgemeinen 
Überblick  zu  erhalten  und  um  möglicherweifle  die  Untersuchungen 
anzuÜMigen.  Ifan  warnte  uns  davor,  dem  Falle  za  nahe  zu  kommen, 
da  die  Strdmung  dort  sehr  stark  sei  Bei  den  klumpigen  Bdien,  die 
zu  unserer  Verfügung  standen,  war  allerdings  eine  solche  Warnung 
nicht  am  unrechten  Ort.  Bald  hatten  wir  uns  dem  Falle  genähert 
und  landeten,  um  den  IMatz  zu  beschauen.  Der  Fhifs  hat  beim 
Katarakt  die  Breite  von  einer  Werst,  das  Strombett  ist  mit  Steinen 
besäet,  über  welche  das  Wasser  sich  schäumend  Bahn  bricht:  die 
weifsen  Wellen  jagen  mit  starkem  Tosen  in  unstüter  Braudung  durch 
den  anderthalb  Werst  langen  Fall.  Hechts  erhob  sich  aus  dem 
Wasser  am  Ufer  eine  jener  zerbröckelten  grotesken  Felsformationen, 
welche  öfter  an  der  Angara  angetroffen  werden.  Vom  Berge  lOsen 
sich  allmählich  gewaltige  obeliskförmige  Massen,  die  ans  Über- 
einander lagernden  horizontalen  Schichten  zusammengesetzt  sind 
und  sich  oft  auf  eine  aufserst  schmale  Fl&che  stützen.  Das  Wasser 
dringt  in  die  Risse  ein  und  durch  den  Frost  werden  die  Felsstacke 
immer  mehr  auseinander  gesprengt.  Bald  verliert  der  Obelisk  sein 
Gleichgewicht  und  die  Felsenroasse  stürtzt  in  den  Flufs  hinab.  Es 
bilden  sich  dadurch  au  mehreren  Stellen  am  Bergfufse  Böschungen, 
welche  es  (lern  Fulswanderer  ermöglichen,  sich  einen  freilich  mühe- 
vollen Weg  längs  dem  Strande  zu  bahnen.  Ein  beklemmendes  Gefühl 
bemächtigt  sich  des  Wanderers,  wenn  er  zum  erslen  Male  zu  den 
losgerissenen  Felsenmassen  hinaufblickt.  Die  kleinste  Erschütterung 
der  Luft  scheint  die  Macht  zu  haben,  die  herabhangenden  Felsen- 
stücke hinunterzustürzen.  Auf  die  Frage,  ob  es  nicht  gefahrlich  sei 
unter  diesen  zerfetzten,  steilen  Felswänden  zu  wandeln,  antwortete 
ein  Straudbe wohner :  ^Wir  gehen  oft  diesen  Weg,  Gottes  Bannhwzig- 
keit  ist  gtoi&^. 

Im  Katarakte  fanden  wir  zwei  Fahrwasser  oder  ^Thore'',  durch 
welche  Fahrzeuge  stromabwärts  passieren  können. 


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269  — 


Das  Fahrwasser  um  linken  Strande  ist  so  seicht,  (UiLs  hier 
mir  kleinere  Bote  passieren  können.    Der  Taji<  war  bald  zu  Knde, 
darum  wurde  beschlossen  die  Tiefe,  die  Geschwindigkeit  der  Strömung 
und  andere  Eigenschaften  dieses  Fahrwassers  zu  untersuchen.  AVir 
waren  nahe  daran,  mit  dem  Katarakte  eine  allzu  intime  Bekanntschaft 
ZQ  machen.    Gegen  den  Strom  rudernd,  um  seine  Wirkung  zu 
schwachen,  fingen  wir  an  hinabzugleiten.  Mittelst  Bootshaken  Ter- 
suchten  wir  zu  gleicher  Zeit  die  Geschwindigkeit  des  Bootes  zu 
regulieren  und  die  Sterne  fem  zu  halten.  Der  Strom  gewann  aber 
dessenungeachtet  die  Oberhand,  wobei  wir  uns  plötzlich  vor  einer 
Klippe  befonden,  Aber  welche  das  Wasser  brandete.  Wir  versuchten 
das  Boot  zum  Stillstand  zu  bringen,  aber  zum  Unglück  brachen 
beide  Bootshaken  und  mit  Rudern  konnte  nichts  ausgerichtet  werden. 
Auf  alle  Fälle  war  aber  der  Anker  klar,  im  nächsten  Augenblick 
standen  wir  still,  es  war  die  höchste  Zeit,  noch  einige  Faden  und 
das  Boot  wäre  an  der  Unterwasserklippe  zerschellt  worden.  Nach 
einigen  Anstrengungen  wurde  ein  Tau  ans  Land  gebracht  und  wir 
sahen  uns  aus  unserer  prekftren  Lage  befreit.   Nachdem  der  Anker 
etwas  höher  geworfen  war,  kamen  wir  allmfthlich  hinunter  in  den 
Katarakt  und  fahrten  die  nötigen  Yermessnngen  aus.  Es  dämmerte 
schon  als  die  Arbeiten  eingestellt  wurden,  wir  kehrten  zur  Barke 
zurflck,  dieselbe  war  unterdessen  angelangt  und  lag  oberhalb  des 
Kataraktes  vor  Anker.  Am  nächsten  Morgen  wurden  die  Haupt-  . 
Untersuchungen  in  Angriff  genommen;  es  hielt  schwer  einige  Mann 
der  Besatzung  zu  bewegen  mitzugehen.    Die  Leute  meinten,  dafs, 
wenn  wir  vielleicht  lebensmüde  seien,  sie  dagegen  keine  Lust  hatten, 
ihr  Leben  zu  verlieren.  Nach  langem  Hin-  und  Herreden  beschlossen 
einige  Mann  doch  mit  uns  zu  gehen  und  die  Arbeiten  wurden  ohne 
weitere  Abenteuer  fortgesetzt.    Die  (Jeschwindigkeitsmessungen  be- 
wiesen, dafs  die  stärkste  Strömung  nicht  12  Werst  die  Stunde 
überetieg.    Die  Tiefmessungen  wiesen  8  Fufs  als  mindeste  und 
24  Fufs  als  gröfste  Tiefe  auf,  wobei  bemerkt  werden  mufs,  dafs  der 
Wasserspiegel  nach  den  Angaben  der  Uferbewohner  4Vt  Fufs  aber 
dem  niedrigsten  Niveau  stand.  Beim  Eintritt  in  den  Katarakt  hat 
man  rechts  einen  Stein  und  links  eine  Felsbank,  in  der  Mitte  des 
Falles  biegt  das  Fahrwasser  sanft  nach  links  um  einen  Stein,  den 
der  Lotse  Bjelak  (Weifser)  nannte;  in  jedem  Katarakte  werden  bei- 
nahe obligatorisch  ein  Bjelak  und  ein  Tschomi  Kamen  (Schwarzer  St^in) 
angetroffen,  (  tleich  unterhalb  des  Bjelak  befindet  sich  links  eine  Felsbank 
und  weiter  rechts  ein  Stein  „Wasili  plita",  gegenüber  ein  anderer 
»Kammeschok"  irennnnt.   Die  schmälste  Stelle  des  Fahrwassers  ist 
mindestens  iX)  m  bi  eit  und  die  TotaUauge  des  Katai'aktes  ist  eine  Werst. 

0«o«r.  BUiter.   Bremeu.  IHM. 


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—  270  — 

Ich  habe  etwas  umstftndlicber  den  «PochmelDi  porog^  be- 
schrieben, da  er  als  Typus  der  AngaraMe  hingesleUt  werden  kana. 
Die  Zahl  der  grüfseren  und  kleineren  Falle  lAngs  der  Angara  aber- 
steigt dreifeig.    Nachdem  alle  Arbeiten  beendigt  waren,  lichteten 

wir  die  Anker,  der  Lotse  stellte  sich  auf  einen  Holzkluiz,  um  über 
die  Kopie  der  Ruderer  frei  wcj?  zu  sehen,  der  Steuermann  las  ein 
Gebet  und  bald  traten  wir  (20  Mann)  in  den  Katarakt,  aus  Leil)es- 
kraften  rudernd.  Nachdem  die  «jefährlichsten  Steine  pa>siert  waren, 
erscholl  der  Kommandoruf ;  „Grebi  schabasch"  (genug  gerudert),  die 
Ruder  wurden  aufgehoben  uud  die  P>arke  setzte  die  Fahrt  fort,  vom 
Strom  und  der  früheren  Schnelligkeit  getrieben.  Einige  Werst  unter- 
halb des  «Pochmelni^  liegt  der  j^Pjany".  Oberhalb  des  letzteren 
wurde  aus  einem  Boote  Anker  geworfen  und  hinab  ging  es  am  Taue 
ins  Fahrwasser.  Nachdem  auf  diese  Weise  eine  Werst  zurückgelegt 
war,  befanden  wir  uns  mitten  in  der  stärksten  Strömung,  als  plöts- 
lieh  eine  Gewitterwolke  Aber  uns  kam.  Der  Versuch,  die  Arbeiten 
fortzusetzen,  mifslang,  tlas  Unwetter  wurde  starker  und  idötzlich 
sahen  wir  uns  vor  einem  jener  Ausbrüclie  der  Naturkräfte,  dem 
gegenüber  der  Mensch  sich  überwältigt  fühlt.  Es  wurde  stockfinster, 
der  Regen  flol's  in  Strömen  herab,  Blitze  züngelten  und  Donnersalven 
erschütterten  die  Luft  mit  furchtbarem  Getöse,  die  Felsen  am  Ufer 
schienen  jeden  Augenblick  herabstürzen  zu  wollen.  Unsere  Lage 
wurde  dadurch  noch  schwieriger,  dafs  der  Sturm  das  Boot  in  der 
Richtung  des  Kataraktes  hinzerrte,  dessen  Strömung  mit  der  Ge- 
schwindigkeit von  38  m  in  der  Sekunde  dahineilte.  Sollte  unser  Tau 
diese  Rocke  aushalten? 

Die  Stöfse  wurden  immer  gewaltsamer  und  eine  gewisse  Unruhe 
l)emftchtigte  sich  unserer  bei  dem  Gedanken  an  die  Möglichkeit,  den 
Fall  hinuntergeschleudert  zu  werden.  Doch  alles  ging  glücklich  abl 
Die  Besatzung  weigerte  sich  nua  aber  für  immer,  luis  nach  den 
weiteren  Fällen  zu  begleiten,  und  wir  waren  von  nun  an  gezwungen, 
Leute  aus  den  nächsten  Dörfern  zu  holen. 

Der  nächste  Fall  war  der  „Padun",  welcher  der  Schiffahrt 
auf  der  Angara  das  schwierigste  Hindernis  in  den  Weg  legt.  Sieben 
Werst  oberhalb  des  Falles  warfen  wir  Anker  bei  der  Nikeiski-Insel, 
welche  zu  den  merkwürdigsten  Naturerscheinungen  des  Flusses 
gehört  Die  mehrere  Werst  lange  Felswand,  welche  die  Insel  bildet, 
ragt  60  Fufs  glatt  und  steil  aus  dem  Flusse  hervor;  die  verschiedenen 
Schichten  der  Wand  lagern  in  so  regelrechten  Linien  übereinander, 
daljB  man  fast  glaubt  eine  von  Mensdienhftnden  aufgef&hrte  Mauer 
vor  sich  zu  haben.  Das  horizontale  Plateau  auf  dieser  Mauer  wird 
von  einem  Nmlelwald  gekrönt,  zu  dessen  Fülsen  sich  eine  grüne 


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—  271  — 

Grasmatte  ausbreitet.  Nachdem  wir  einen  Lotsen  gefunden  und 
mehr  Leute  an  Bord  genommen  hatten,  wurde  die  gefürchtete  Reise 
längs  dem  „Padun^  angetreten.  Die  Tiefe  des  Fahrwassers  ist  an 
einigen  Stellen  bei  niedrigem  Wasserstande  2Vt  bis  3  Fu&, 
gegenw&Ttig  war  das  Wassemiveaa  hoher  und  waaere  Barke  krachte 
bedenktieh  in  allen  Fagen  unter  dem  Anpralle  der  Wellen  nnd  dem 
harten  Spiele  der  Strömung,  kam  aber  glflcklich  durch.  In  der 
Nähe  des  „Paduns"  umschlangelt  der  Flufs  eine  Anzalii  Inseln  und 
breitet  sich,  einem  See  gleichend,  aus,  beim  l'alle  aber  schmillert  er 
sich  wieder  bis  zu  1  km.  5  ni  fallemi  und  mit  der  Geschwindigkeit 
von  47  m  in  der  Sekunde  eine  \\  erst  zurücklegend.  Das  linke  Ufer 
am  Falle  ist  ganz  flach,  hier  wurden  daher  Untersuchungen  angestellt, 
behufs  Anlegung  eines  Kanals.  Dieses  Werk  wäre  sehr  leicht  her- 
zustellen, der  Fall  wäre  dann  umgangen  und  das  gröfste  Hindernis  der 
Schiffbarkeit  der  Angara  aus  dem  Wege  geräumt  Die  einzige 
Schwierigkeit  wird  die  Verwahrung  des  Kanals  vor  dem  Eisgange 
im  FriUyahre  sein.  Das  Eis  rei&t  zu  dieser  Zeit  das  flache  Ufer  auf. 
Bechts  und  unterhalb  des  Falles  zur  linken  Hand  steigen  aus  dem 
Wasser  steile,  zerklfkftete  Felsen  bis  zur  Höhe  von  300  Fnfs  auf;  diese 
Felsen  verleiheu  der  ganzen  Gegend  ein  wildes,  imponierendes 
Aussehen. 

Nach  der  Aussi\ge  der  Bauern  ist  der  Boden  auf  den  niedrigen 
Stellen  in  einer  gewissen  Tiefe  immer  gefroren,  dieses  wurde  gleich- 
falls durch  unsere  Bohrungen  bestätigt,  der  Boden  war  unter  10  i^'ufs 
Tiefe  hait  gefroren. 

Bisher  war  es  uns  schwer  gewesen  frische  Nahrung  anzuschaffen. 
Wir  sahen  zwar  oft  Fischereigerftte,  aber  niemals  den  Fang  selbst 
Als  wir  weiter  den  Flufs  herunterkamen,  begannen  die  Eingeborenen 
in  kleinen,  aus  Baumstämmen  ausgehöhlten  Böten  uns  mit  Besuchen 
zu  beehren.  Sie  brachten  Eier,  Milch,  Fische  u.  a.  und  tauschten 
diese  Produkte  gerne  gegen  Thee  aus.  Unsere  Barke  war  nämlich 
mit  in  Form  von  Kuchen  geprefstem  Thee  beladen;  diese  Waare  war 
also  unsere  Scheidemünze.  Für  2  Knchen  Thee  und  4U  Kopeken 
haar  oder  ungefähr  2  Rubel  40  Kopeken  zusammen  kauften  wir 
einen  Stör  von  */2  Pud  an  Gewicht  und  einen  Sterlet  von  8  Fnfs 
Lange.  Ein  anderes  Mal  kaufte  ich  für  4  Rubel  einen  Stör  von 
45  Pfund  Gewicht;  in  dem  Fische  wurden  11  Pfund  des  besten 
Kaviars  vorgefunden.  Der  Stör  ist  hier  ausgezeichnet  und  wird  dem 
Sterlet  vorgezogen.  Wildpret  wird  ebenfalls  reichlich  angetroffcu. 
Bei  dem  Padunschen  Falle  fingen  die  Schiffsarbeiter  einen  Behbock, 
der  über  den  Flufs  schwimmen  wollte,  eine  willkommene  Abwechselung 
in  unserer  bis  Jetzt  ziemlich  einförmigen  Speisekarte.  Hirschhaute 

19^ 

üiyiiizea  by  LiOfigle 


—  272 


wurden  in  grofser  Zahl  h'iW'v^  verkault.  Der  Weg  führt  weiter  ül)er 
Dol^ri  imrt  Schamaiiski  Poro^i,  die  länf?sten  Källc  der  Aniiara.  Der 
letzte  ist  7  Werst  lang;  die  stai'ke  Strömuug  herrscht  aber  nur  auf 
einigen  Werst.  Hier  waren  wir  nahe  daran,  eine  unfreiwillige  Fahrt 
zu  machen.  Wir  waren  nämlich  1*/»  Werst  stromabwärts  gekommen 
und  wollten  wieder  zum  Anker  hinauf ;  als  letzterer  gehoben  wurde, 
befand  sich  das  Boot  in  einer  so  starken  StrOmung,  daCs  unsere 
▼ereinten  Anstrengungen  nicht  ausreichten,  weiter  hinauf  zu  rudern. 
Rechts  lag  eine  kleine  Insel.  Wir  beschlossen  dieselbe  zu  erreichen. 
Es  wurde  nach  Kräften  gerudert,  das  Boot  trieb  stark,  unsere  Hoff- 
nung unterliall)  der  Insel  stilleres  Wasser  zu  finden,  schlutr  fehl. 
Mit  zwei  Bootslmken  und  iluderu  bewatl'net,  versuchten  wir  den 
Kampf  mit  den  Wellen  uufzuuehmen :  wir  kamen  aber  allmählich 
immer  mehr  zurück.  Zum  Untjlück  ging  ein  Bootshaken  durch  ein 
ungeschicktes  Manöver  verloren  1  Jetzt  war  es  klai',  dafs  die  Insel 
nidit  mehr  zu  erreichen  war.  Den  Strom  hinab  auf  dieser  Seite  zu 
gehen  war  unmöglich,  der  Weg  war  förmlich  mit  Steinen  besäet» 
etwas  mufste  riskiert  werden;  so  wurde  beschlossen,  das  Verhältnis- 
mäfsig  ruhige  Wasser  unterhalb  der  Insel  zu  verlassen  und  das 
rechte  Ufer  zu  erreichen.  Der  (lulsarm  auf  der  andern  Seite  der 
Insel  erwies  sich  aber  tief  und  rasch  strömend,  —  die  Krftfte  der 
Ruderer  waren  erschöpft,  —  hinunter  ging  es  unwiderstehlich.  Dessen- 
ungeachtet näherten  wir  uns  doch  dem  Ufer,  auf  eine  wunderbar 
glückliche  Weise,  zwischen  den  Steinen  lavierend,  erreichten  wir 
endlich  unser  Ziel.  Nim  wurden  einige  Mann  ans  Land  gesetzt,  um 
das  Boot  an  einem  Taue  stromaufwäi-fs  zu  ziehen.  Bei  einer  starken 
Brandung  angelangt,  rifs  das  Tau,  und  wir  waren  wieder  auf  dem 
Wege  den  l  all  hinunter.  Glücklicherweise  war  ein  solches  Mifs- 
geschick  vorhergesehen,  die  Ruder  waren  bereit  und  bald  gelangten 
wir  wieder  ans  Ufer.  Neue  Anordnungen  wurden  getroffen  und 
endlich  gelang  es  mit  vereinten  Anstrengungen,  das  Boot  aus  dem 
Katarakte  herauszuholen  und  die  Barke  zu  gewinnen.  Unterhalb 
des  Schamanski-Kataraktes  sind  noch  über  zwanzig  Stromschnellen 
auf  der  Angara,  die  ^efilhrlichsten  sind  aber  vorüber. 

Wir  werden  daher  nur  noch  der  Katarakte  Aplinski  Murski 
und  des  am  Austiusse  gelegenen  Streikottski  Krwahnung  thiin.  Bis 
zum  Brjanski-Sciiiniera-Katarakt  begünstigte  uns  das  Wetter,  be- 
sonders willkuinnieu  war  das  Ausblieben  starker  Winde.  Bald  aber 
erh(d)  sich  ein  heftiger  Gegenwind  und  es  blieb  nicht<  anderes  übrig, 
als  Anker  zu  werfen.  Zur  Beruhigung  gereichten  keineswegs  Mit- 
teilungen, dafs  Barken  oft  14  'l  äge  brauchen,  um  die  letzten  500  Werst 
zurOckzulegeu.  Nachdem  wir  einen  Tag  am  Anker  verbracht  hatten, 


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—  278  — 


beschlofs  ich  das  gröfst«  Boot  aiiszuriisteii,  mit  l>pbpnsniiUeln  zu 
vei-^ehen  und  durch  eini^^e  Manu  dasselbe  zum  uächsteu  Dorfe  rudern 
zu  lassen.  Von  hier  aus  wurden  wieder  Ruderer  gedun^^eu  und  so 
ging  es  weiter  lag  uud  Nacht  iu  dem  otFeneii  Boote.  Es  regnete 
einige  Male,  die  Nächte  waren  rauh  und  neblig,  niemand  aber  verlor 
den  Mut,  vorwärts  ging  es,  Einst  räderten  wir  im  Nebel  gegen  den 
Strom,  als  der  fatale  Irrtum  bemerkt  wurde,  legten  wir  wieder  das 
Boot  um  und  orientierten  uns  am  Kompafs. 

Den  August  erreichten  wir  den  letzten  Fall  der  Angara, 

Strelkoffiski. 

Glücklich  waren  wir  bisher  allem  Mifsgeschick  entgangen,  in 
der  letzten  Stunde  sollten  wir  noch  eiueu  tüchtigen  Schreck  erleben. 

Das  Boot  hielt,  wir  warfen  wie  gewöhnlich  Anker  oberhalb  des 
Kalles  und  das  Tau  lief  rasch  heraus.  —  als  plötzlich  ein  Hülferuf 
erschallte.  Ein  Matrose  war  mit  dem  Beine  ins  Tau  gekommen  und 
lief  Gefahr  über  Bord  gezogen  zu  werden.  Die  nächsten  Kameraden 
griffen  unbedacht  das  Tau  und  schnitten  sich  damit  die  Hände,  es 
war  aber  entsehlossenes  Volk  am  Bord,  so  dafs  der  Ärmste  mit 
heiler  Haut  davon  kam,  der  Schreck  und  einige  Beulen  waren  die 
einzige  Erinnerung  an  die  bestandene  Gefahr. 

Die  Angara  ist  beinahe  frei  von  beweglichen  Banken,  die  in  so 
bohem  Mafse  die  Schiffahrt  auf  den  meisten  Flfissen  Rufslands  und 
Sibiriens  erschweren.  Die  einzige  Stelle  auf  der  Angara,  wo  beweg- 
liche Sandbänke  vorkommen,  liegt  an  der  Igreukiua  schiwera, 
600  Werst  vom  AusHusse  des  Stromes  entfernt.  Die  fünf  gefähr- 
lichsten Fälle,  nämlirh  Pochmelni,  Piauy,  Pjidun,  Dolgi  uud  Scha- 
manski behndeu  sich  auf  der  kurzen  Strecke  von  200  Werst,  von 
Bratsky-Ostrog  gerechnet.  In  der  Entfernung  von  etwa  270  Werst 
von  der  Mündung  der  Oka  beim  Bratsky-Ostrog  empfängt  die  Angara 
oder  Tungnska  den  bedeutenden  Nebenllufe  llim,  der  seit  undenk- 
lichen Zeiten  als  Warenverkehrsweg  von  Jenisseisk  der  Lena  entlang 
dient  Die  Fahrseuge  tragen  hier  die  Last  von  10—15000  kg  und 
gehen  den  Flufs  hinauf  teils  segelnd,  teils  von  Pferden  am  Ufer 
gezogen.  Der  gröfste  Teil  der  Angara-Fälle  friert  im  Winter,  der 
Padun  allein  kämpft  mit  Erfolg  gegen  Sibiriens  eisiges  Klima. 

Myriaden  von  Mücken  und  kleinen  beifseuden  Klie^'en  erschweren 
bedeutend  im  Sommer  die  Untersuchungen  in  diesen  (regenden.  Die 
Augenlider  schwellen  stark  auf  von  den  Bissen  dieser  (,hiälpr  uud 
man  mufs  durch  eine  Netzbaube  geschützt  sein.  Diese  Infekten  sind 
eine  wahre  Landplage  der  hiesigen  Bevölkenmg  und  niemand  kann 
ohne  eine  solche  Schutzmafsregel  das  Haus  verlassen.  Vor  der 
Trennung  von  der  Angara  wurde  eine  annähernde  Messung  der 


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Wassermenge,  welche  der  Angara  jede  Sekunde  in  den  Jenissej  er- 
giefst,  ausgeführt;  das  Resultat  war  etwa  4000  Kubikmeter  in  der 
Sekunde.  Die  Breite  des  Flusses  au  der  Mündung  betrug  IV2  km. 
An  tleni^elben  Tage  verliefsen  wir,  beinalic  wehmütig  jrestimmt, 
unsere  Begleiterin  auf  17U0  Werst  und  erreichten  den  Jenissej  bei 
herrlichem  Mondschein  und  ziemlich  süirkem  Winde.  Aus  zwei 
Hudem  wurde  ein  Miist  improvisiert,  an  der  Stange  zur  liefmessung 
wurde  ein  altes  Segel,  das  wir  von  der  Barke  mitgenommen,  befestigt, 
nnd  munter  ging  es  den  Jenissej  hinab.  Einmal  stiefisen  wir  leicht 
an  Grund,  am  Morgen  wurde  es  etwas  neblig,  vor  8  Uhr  waren  wir 
aber  schon  in  Jenisseisk  und  betrachteten  ndiig  aus  dem  H^tel  den 
Platzregen,  der  gleich  nach  unserer  Ankunft  losbrach. 

In  Jenisseisk  hielten  wir  uns  nur  einige  Stunden  auf.  Nachdem 
die  Korrespondenz  abgeholt,  einige  Telegramme  abgesandt  worden  und 
ordentlich  gespeist  war,  nahmen  wir  in  einem  Tarantai's  Platz  zur 
Fahrt  nach  Tonisk.  welches  von  Jenisseisk  8(X)  Werst  entfernt  ist. 
Es  galt  den  Dampfer  anzutrelten,  der  nach  5 ^'2  Tagen  nach  Tjumen 
abgehen  sollte.  In  Tonisk  langten  wir  zeitig  genug  an  und  setzten 
die  Reise  mit  Dampfer  fort  Wegen  Wassermangels  mufste  unser 
Fahrzeug  130  W^erst  vor  Tjumen  liegen  bleiben.  Der  Flul's  Ob  ist 
hier  sehr  häfslich  durch  niedrige,  sandige  Ufer  und  bewegliche  Sand- 
bänke. Die  Bevölkerung  besteht  ans  Osljaken  und  Russen,  welche  eine» 
einträglichen  Ftschfang  betreiben.  Noch  muCsten  490  Werst  mit 
Tarantals  zurQckgelegt  werden.  Mit  einem  GefOhl  au&erordentlidien 
Wohlbehagens  betrat  ich  den  Bahnhof  in  Jekaterinburg:  die  Be- 
schwerden der  langen  Reise  waren  vorüber !  Den  28.  August  (9.  SeiT- 
tember)  passierte  ich  wieder  die  europäisch  -  asiatische  Grenze  und 
langte  den  4. '16.  September  in  Petersburg  an.  In  drei  Monaten 
waren  14(MX)  Worst  zurückgelegt  worden,  davon  4600  mit  Tarantai's- 
achse.  Bei  der  Abreise  von  Petersburg  habe  ich  die  Schlafsessel  der 
Nikohiibahn  sehr  unbequem  gefunden.  Bei  der  Rückkehr  aber  hatten 
sich  die  Schlafsessel  in  Daunen])olster  verwandelt,  auf  denen  ich  nach 
langer  Entbehrung  vortrefflich  ruhte.  Die  Heise  bot  gewifs  keine 
Gelegenheit  verweichlicht  zu  werden.  Emst  muisten  wir  auf  einer 
Poststation  eine  Stunde  auf  Pferde  warten,  ich  streckte  mich  auf 
eine  Holzbank  und  schlief  augenblicklich,  ohne  Kopfunterlage,  ein, 
der  Schlaf  war  sftCs  und  labend,  —  ich  ruhte  wie  auf  Rosen. 


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Reise  nach  dem  Grorsen  See  (Tai-hu)  bei  Su-diou. 

Von  Dr.  Friedi'icb  Uirtli. 


Kanalfahrt.  Die  Btadt  Su>chou.  Chinesische  Strasseiibuben.  I>ei-  Kai!>urkanal.  Die 
Fabrikstadt  Wu-hsi.  Am  Grossen  See.  Flächeninhalt  desselben.  Namen,  Zuflüsse 
und  Austiüsäe.  Die  Ufer.  Pegel.  Iiiselu.  Hesteigung  des  Maudarhiburges.  Produkte 
der  Ufergeceaden.    IHe  Ungecend  dM  Sms  der  wiehtigete  Sefdendisferikt  CAines. 

Fisohe,  Vild.  Töpferindaetrie. 

Die  Eeiise,  die  ich  in  der  Pfingstwodie  1884  von  Shanghai  ans 
nach  der  Gegend  des  Grofsen  Sees  (T'ai-hu)  hei  Su-chou  unternahm, 
ist  keine  anfeergewöhnliche.   Das  ^^anze  Kanalnetz,  sowie  die  zahl- 

reichen  Seen  westlich  von  Shanghai  ^Yel■cien  in  der  kühlereu  Jahres- 
zeit sehr  häutig  von  ansässigen  Euro]»äern,  naiiientlicli  von  Jagdlieb- 
liabern  besucht.  Der  Zweck  meiner  Reise,  wehhe  id\  in  Gemeinschaft 
mit  einem  Freunde,  Herrn  Alfred  Krauss  aus  Stuttgart,  unternahm 
und  die  sich  auf  die  kurze  Zeit  von  einer  Woche  bescliränkte,  galt 
weder  der  wissenschaftlichen  Forschung,  noch  der  Jagd,  sondern 
lediglich  der  Erholung. 

Wir  begaben  uns  gegen  Abend  am  Freitag,  den  30.  Mai,  an 
Bord  einer  kleinen  Dampfbarkasse,  die,  mit  dritthalb  Tonnen  Kohlen 
belastet,  uns  ein  anbequemes  Fahrzeug  gewesen  sein  würde,  w&re 
sie  uns  mehr  als  ein  Vorspann  zu  dem  bequemen  Hausboot  —  so 
uennt  man  die  mit  Wohnkajttte  versehenen  Flufsfahrzeuge  jener  Ge- 
wässer —  gewesen,  das  wir  seit  drei  Stunden  mit  unserer  Bauage 
vorausgeschickt  hatten,  nm  uns  während  des  Tages  einen  möglichst 
grofsen  Vorsprung  abzugewinnen.  Bald  erreichten  wir  das  bequemere 
Fahrzeug  und  wurden  nun  durch  eine  Anzahl  Kanäle  hindurch  inner- 
halb vierundzwanzig  Stunden  bis  an  die  Ufer  des  Grofsen  Sees 
geschleppt  Man  kann  von  Shanghai  aus,  nm  zu  diesem  See  zu 
gelangen,  zweierlei  Richtungen  einschlagen;  erstens,  den  Wusung- 
flufis,  den  Nebenflnls  des  Jangtze,  an  dessen  linkem  Ufer  Shanghai 
liegt,  hinauf  in  die  unteren  Ausfiflsse  des  Sees;  zweitens,  den  Kanal 
entlang,  der  von  Shanghai  dktkt  zur  Stadt  Su-chou  führt  und 
deshalb  ^^Su-chou-Oreek*'  genannt  wird,  und  von  dessen  Endpunkt 
wiederum  verschiedene  Verbindungskanäle,  aufser  dem  bei  Sn-chou 
vorbei i)assierenden  Kaiserkaual,  den  Verkehr  mit  dem  Tai-hu  ver- 
mitteln. Wir  wählten  den  letzteren  Weg,  die  nördliche  Passage,  die 
in  mancher  Beziehung  der  südlichen  vorzuziehen  ist;  denn  der  Weg 
ist  kürzer  und,  falls  sich  konträre  Winde  einstellen,  wie  dies  bei 
unserer  Hin-  und  Rückreise  meist  der  Fall  war,  kann  das  Boot  mit 
Hülfe  einer  an  der  Mastspitze  befestigten  Leine  vom  Ufer  aus  durch 
die  Bootleute  gezogen  werden,  wftbrend  auf  dem  breiteren  Wusnng- 


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flufe  zwar  mehr  Chaooe  zum  Segeln  vorhanden  ist,  aber  auch  oft 
gegen  die  kurzen  Fluliswellen  angegangen  werden  muÜB,  deren 
Wirkungen  auf  das  Innere  der  Kajflte  der  Vergnügungsreisende  gern 
vermeidet.  Der  Kanal  von  Su-chon  bildet,  als  der  kürzeste  Weg 

zwischen  Shanghai,  das  Centruni  des  Seehandels,  und  Su-chou,  eiue 
der  wichtigsten  Städte  des  Reichs,  die  hau[)tsachlichste  Verkehrsader 
unter  den  zahllosen  Wasserstrassen  jener  Gegend.  Davon  zeugt  die 
grofse  Zahl  von  Fahrzeugen  aller  Art,  die  seine  Gewässer  durch- 
schneiden; vielleicht  auch  der  Telegraph,  dessen  vierfacher  Draht 
das  nördliche  Ufer  begleitet. 

Nachdem  wir  durch  das  üppige  Flachland  der  Weizenfelder  auf 
beiden  Ufern  hindurch  die  Stadt  K^un-shan  (Quinsan)  passiert  hatten, 
bekamen  wur  am  andern  Morgen  die  Pagoden  von  Su-chou,  die  sich 
von  dem  Hintergrunde  einer  steilen  Bergwand  malerisch  abheben, 
in  Sicht,  und  bald  steuerte  unsere  Barkasse  mit  ihrem  Anhftngsel 
durch  die  Vorstädte  dieser  Metropole  des  guten  Geschmacks,  wo 
nach  chinesischen  Begriften  die  schönsten  Menschen  erzeugt  werden. 
FAne  Strafse  der  nördlichen  Vorstadt,  die  unser  Boot  passieren  niulste, 
erinnerte  lebhaft  an  Venedig,  so  wenig  auch  ihre  Bewohner  den 
Venetianern  ähnlich  sein  mögen.    Zu  beiden  Seiten  mehrstöckige 
Häuser,  von  deren  Thüren  steinerne  Treppen  hinab  nach  dem  Wasser 
fülirten;  vor  jeder  Treppe  eine  Gondel,  um  nicht  Sampan  zu  sagen; 
am  Ende  dieser  wirklich  malerischen  Perspektive  eine  Seufzerbrücke 
mit  hohem  Bogen,  voUst&ndig  besetzt  mit  dem  Janhagel  der  benach- 
barten Querstrafisen,  meist  Kinder  vom  zartesten  Alter  bis  zu  den 
Jahren  der  Toga  virilis,  die  bei  den  Chinesen  sinnbildlich  mit  dem 
Tragen  der  M&nnerkappe  angenommen  wird,  sämtlich  in  grofeer 
Aufregung  über  den  seltenen  Anblick  der  Europäer  und  uns  mit 
den  landesüblichen  Schimpfworten  Jang-kui-tzu  (fremder  Teufel) 
und  La- Ii -hing  (Spitzbube)  begrüfsend.  Mit  diesen  und  ähnlichen, 
nicht  weniger  geliassigen  Ausdrücken  verfolgte  uns  eine  Schaar  halb- 
wüchsiger Jungen  in  allen  gröfseren  Städten,  während  die  Land- 
bevölkerung sich  in  der  Kegel,  wenn  nicht  höflich  und  entgegen- 
kommend, so  doch  gleichgültig  zeigte.    Man  würde  Unrecht  thun, 
wollte  man  dieser  Unsitte  der  städtischen  Jugend  besondere  Bedeutung 
beimessen,  so  lange  die  erwachsene  Bevdlkerung  nicht  hetzend  dabei- 
steht; und  dies  war  wohl  kaum  irgendwo  der  Fall.  Will  der  Fremde, 
falls  er  die  Sprache  spricht  und  versteht,  ttberhaupt  von  dergleichen 
Attaken  Notiz  nehmen,  so  soll  er  stets  bedenken,  daTs  ein  diinesischer 
Volksauflauf  sich  durch  Zorn  und  Entrflstung  des  Beleidigten  viel 
weniger  dämpfen  läfst,  als  durch  eine  einzige  ironische  Bemerkung,  mag 
der  damit  verbundene  Witz  auch  noch  so  einfältig  sein.  Als  ich  den 


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unaafhörlich  „La-li-lung^  schreienden  dummen  Jungen  ganz  aner- 
wartet auf  chinesisch  zurief:  „warum  nennt  ihr  uns  immer  wieder 
eure  Namen,  wir  wissen  ja  längst  wie  ihr  heilst^,  brachen  die 

Besseren  in  ein  beifälliges  Gelächter  aus  und  die  Schreier  schwiegen. 
Auf  Jang-kui-tzu  (fremder  Teufel)  kann  mau  sich  leicht  durch  T'u- 
kui-tzu  (einheimischer  Teufel)  revanchieren;  doch  bleibt  es,  wie  ge- 
sagt, immer  das  Beste,  gleich  dem  starken  Neufundländer,  keine 
Notiz  von  dem  Geklalf  der  kleinen  Hunde  zu  nehmen.  Ist  nicht 
schlieüslich  eiu  bezopfter  Fremder,  der  in  eine  Schaar  oft  viel  besser 
erzogener  böser  Buben  in  £uropa  gerät,  ähnlichen  Insulten  ausgesetzt  ? 

Hinter  Su-chon  traten  wir  in  den  Kaiserkanal  ein,  der  sich 
von  den  bisher  befiihrenen  Gewässern  nur  durch  die  Abwesenheit 
Yon  Krammnngen  auszeichnet  Hier  begegneten  wur  einem  bedeuten- 
den Verkehr  von  FluHsschiflen,  die  entweder  segelten  oder  mit  Hälfe 
der  Leine  gezogen  wurden.  Am  westlichen  Ufer  l&uft  parallel  mit 
dem  Kanal  und  den  ihn  ebenfalls  begleitenden  Telegrai)hendrähteu 
eiu  Fufsweg,  der  sich  von  einem  Punkte  unterhalb  K  un-slian  uu  last 
ununterbrochen  begehen  lafst.  da  die  Mündungen  abzweigender  Ge- 
wäiiser  mit  Brücken  überspannt  sind.  Wir  passierten  eine  Anzahl 
schöner  Kanalbrücken  und  bogen  gegen  Abend  des  zweiten  Tages 
in  die  südöstlichen  Ötrafsen  der  Kreishauptstadt  Wu-hsi,  eines  be- 
dentenden  Fabrikorts  mit  grofser  Bevölkerung,  ein.  Nach  einer 
langen  Fahrt  durch  die  Vorstädte  kamen  wir  durch  eine  bfeite  Stelle 
des  Kanals,  die  mit  einem  Gewfihl  von  kleinen  Böten  angefUlt  war, 
deren  jedes  soviel  Menschen  trog,  als  nur  irgend  darauf  Platz  finden 
konnten;  die  Ufer  waren  dicht  bestonden,  und  von  der  gegenflber- 
liegenden  Stadtmauer  herab  schaute  eine  Perlenschnur  gelber  be- 
zopfter Köpfe.  Am  ent^^egengesetzten  Ufer  war  eine  geräumige 
Schaubühne  errichtet,  auf  der  sich  ein  historisches  Schauspiel  mit 
allem  Flitter  der  Romantik  im  chinesischen  Sinne  abspielte. 

Wu-hsi  ist  eine  stark  bevölkerte  Fabrikstadt.  Ziegelbrennereien, 
das  Töpfergewerbe  und  die  Manufaktur  gufseiseruer  Pfannen  (letztere 
in  der  Umgegend  zum  Auskochen  der  Seidenkokons  vielfach  ver- 
wendet; bilden  augenscheinlich  nächst  der  Seideukultur  die  haupt- 
sächlichsten Industriezweige.  In  den  Vorstädten  finden  sich  viele 
solid  gebaute  und  weitläufig  angelegte  Privathäuser,  —  Wohnungen 
reicher  SeidenzOehter.  Wn-hsi  ist  der  Sitz  einer  jesuitischen  Missions- 
'  anstelt  mit  etwa  4000  Bekehrten,  die  teils  in  der  Stadt,  teils  in 
der  Umgegend  residieren.  Kine  kurze  Kanalfahrt  führte  uns  durch 
üppige  Maulbeerptlanzungen  hindun  li  zu  <leu  l  jci  u  des  Sees,  dessen 
Wa8sersi)ie!iel  mit  seinen  malerischen  Ufern  sich  uns  bei  Sonnen- 
untergang darbot. 


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—  278  — 


Die  rtor  »lo^  Sees  ^^eliören  nach  den  AiiL'abf'ii  eines  chine^i- 
scheo  Werkes  übei*  den  T'ai-hu*)  zwei  verschiedenen  Provinzen  an, 
der  südliche  Teil  der  Provinz  Chekian-r,  der  nördliche  der  Provinz 
Kiang-su;  und  zwar  beteiligt  sich  das  Departement  Su-cbon-fu  mit 
^/lo  an  der  gesamten  Uferlänge,  das  Departement  Chang-choa-fii  mit 
Vio,  so  dafs  ^/lo  der  Uferlftnge  zw  Provinz  Ktang-su  gehören,  wftfarend 
das  Departement  Hu-chon-fu  mit  nur  Vio  der  Uferlänge  den  Anteil 
der  Provinz  Ghekiang  ausmacht. 

Als  Flächeninhalt  werden  36,000  King  anizegeben,  was  mit  dem 
4H,(H)()  Kinj4  lialtenden  See  T'ung-fin^'  in  der  Provinz  Hu-uan,  dem 
^irölsten  See  der  achtzehn  Provinzen,  verglichen  werden  mag.  Das 
Kinj;  zu  *  4  lia  berechnet,  würde  für  den  T'ai-hu  12,UÜ0  ha,  für  den 
T*ung-f  iiig-See  lO.lXKJ  ha  ergeben. 

Der  Umfang  wurde  früher  in  Banscli  nnd  Bogen  mit  ÖOÜ  Li 
(=  etwa  287  km)  angegeben ;  dodi  wurde  bei  dieser  Schätzung  aus- 
drücklich erwähnt,  dafe  zahlreiche  Krümmungen,  durch  die  sich  das 
östliche  Ufer  auszeichnet,  nicht  eingerechnet  seien  und  dafs  mit  Be- 
rechnung derselben  der  Unifong  auf  700  Li  anzugeben  sein  würde. 
Dagegen  wurde  bereits  im  Jahre  1700  unter  der  Regierungszeit 
K'ang-hsi^s  die  Bemerkung  gemacht,  dafs  der  See  in  Folge  mehr- 
facher Deichbrüche  bedeutend  an  Umfang  zugenommen  habe,  so  dafs 
in  der  mir  vorliegenden  Ausgabe  der  Seeclironik  (v.  .T.  17öO)  der 
ümfa^iir  auf  SOb  Li  (=  4(53  kuiK  d.  i.  mehr  als  den  doppelten  Um- 
fang des  Boden-Sees,  an^icu'cbcu  wenleu  konnte.  > 

Die  Ausdehnung  des  Sees  in  der  Richtung  von  Osten  nach 
Westen  wurde  vor  K'ang-hsi  mit  200  Li,  die  von  Nordeu  nach  Süden 
mit  über  120  Li  angegeben.  Diese  Ziffern  sind  insofern  bemerkens- 
wert, als  der  See  sich  seiner  jetzigen  Gestalt  nach  entschieden  von 
Norden  nach  Süden,  und  nicht  von  Osten  nach  Westen  in  die  Länge 
streckt,  wenn  auch  bereits  gleichzeitig  mit  dies^  Angaben  bemerkt 
wurde,  dafs  eine  südöstliche  Ausbuchtung  den  grüfsten  Teil  der 
Oberfläche  einnehme. 

Es  werden  in  der  Seechrouik  acht  verschiedene  Namen  für 
(b'U  See  angegeben.  Der  jiUeste,  Chen-tse.  d,  h.  Sumpf  der  Erd- 
ei^cbütterung,  wird  bereits  im  Tribut  des  Tü  erwftlint  und  deutet 
vielleicht  die  vulkanische  Eutstcbung  des  (iewilssers  an.  Ein  anderer 
Name  iät  VVu-hu,  d.  h.  die  fünf  Seen.  Chinesische  Creographen  spielen 

*^  Das  T'ai-hii-pei-kao.  eine  Chronik  des  Sees,  aus  verschiedenen  Lokal- 
archiven  kompiliert  und  zuerst  im  Jahre  17öO  verötfenllicht,  cf.  Wylie,  Notes 
on  Chinese  Literature,  S.  41). 

**)  Der  ümfaag  des  Sees  Tnng-fing  wurde  noch  im  Jahre  1827  m  800  Li 
angegeben.   S.  Chinese  Repoutory,  XIV.  S.  167. 

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—  279  — 

mit  Vorliebe  ins  linguistische  Fach  hinttber  und  ergehen  sich  gern 
in  der  Erklärung  geographischer  Namen.  So  soll  der  Name  Wu-hu 
nach  einigen  entstanden  sein,  weil  der  See  fünf  hundert  Ii  im  Um- 
fang gehalten  habe;  nach  anderen  aus  der  Fflnfzahl  seiner  Zugänge, 
oder  weil  das  Ostiifer  in  fünf  gröfsere  Buchten  zerfällt.  An  die 
naheliegende  Verwechslung  von  wu,  ^fünf'',  mit  wu,  dein  Namen 
des  antiken  Königreiches,  einem  der  „drei  Reiclie",  in  die  China 
nach  dem  Verfall  der  Herrschaft  der  Han  im  dritten  Jahrhundert 
n.  Chr.  zertiel,  ist  augenscheinlich  nicht  gedacht  worden.  Danach 
würde  Wu-hu  den  „See  des  Landes  Wu"  bedeuten. 

Die  Zuflüsse  des  Sees  sind  nach  der  chinesischen  Chronik  aus 
verschiedenen  Quellen  im  Westen  abzuleiten,  nnter  anderen  aus 
dem  an  der  Stadt  I-hsing-hsien  Torbeiüielsenden  Gewässer.  Unter 
der  Rubrik  Shui-yflan,  d.  i.  Ursprung  der  Gewässer  des  Sees,  wird 
zunächst  ein  kleinerer  See,  der  Kn-cfa*6ng-hu  angefahrt.  Derselbe 
liegt  fQnf  Li  sOdlich  von  der  Kreisstadt  Kao-shnn  (7—8  deutsche 
Meilen  östlich  von  Wulm  am  Jaugtze).  Dort  entspringt  dem  Hügel 
Ta-shan  (lit.  grofser  Berg)  eine  Quelle,  die  sich  alsbald  in  den  nahen 
Ku-chcng-See  ergiefst.  Dieser  hängt  wieder  mit  den  westlicher 
gelegenen  Seen  Tan-yang  und  8hih-chiu  zusammen,  die  allerdings 
nach  chinesischen  Karten  beide  durch  Kanüle  mit  dem  Jang-tze-Iüang 
einige  Meilen  unterhalb  Wuhu  in  Verbindung  stehen,  sowie  auch 
durch  die  mehrfache  Verbindung  mit  dem  Kaiserkaual  vom  östlichen 
und  nördlichen  Ufer  des  grofsen  Sees  ans  direkter  Wasserverkehr 
mit  dem  Jangtze  bei  und  unterhalb  Ghinkiang  stattfinden  kann.  Ich 
lege  auf  die  chinesischen  Angaben  in  Bezug  auf  die  Quellen  deshalb 
besonderes  Gewicht,  weil  die  Meinung  verbreitet  ist,  als  ob  die 
Gewässer  des  Sees  nur  ein  Abfiufs  des  Jangtze  seien*).  Bei  hohem 
Wasserstand  mag  der  Übeitiurs  dieses  grofsen  Stromes  immerhin 
auch  die  zum  T'ai-hu  führenden  Kanäle  anschwellen  helfen;  doch 
scheint  es,  dal's  sich  genügende  Was^ermengen  aus  den  zahlreichen 
kleinereu  Zuflüssen  im  Westen  und  Norden  des  Sees  vereinigen,  um 
den  Fluls  zu  bilden,  der  aus  dessen  südwestlichen  Ausflüssen  entsteht, 
den  Wtt-sung-chiang,  an  dessen  linkem  Ufer  die  europäische  Kolonie 
von  Shanghai  entstanden  ist. 

Der  Wu-sung-chiang,  bei  Shanghai  auch  Huang-pu  genannt, 
bildet  den  wichtigsten  Ausflufs  aus  dem  See,  den  er  bei  der  Stadt 
Wn-chiang-hsien  verlftfst.  Er  durchfliefst  von  da  aus  bis  zu  seiner 

♦)  Chinese  Rcpository,  I.  S.  40:  „The  Tae  hoo,  through  it  is  also  connected 
«ith  the  Jangtszc  Keang  does  not  discharge  its  waters  into  tluit  river;  OH  the 
rontrary,  it  seerns  y)rol)able  that  the  lake  ia  ehiefly  snpplied  by  the  mer,  in  its 
approach  towards  the  sea." 


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—  280  — 

Mündung  bei  Wu-sang.  drni  Auf>('nliaf'oii  von  ^^hanghai.  eiiK-  Strecke 
von  260  Li.  Aufser  dem  Wusang  verbindrn  zahlreiche  kleinere 
Kan&le  das  südliche  und  das  östliche  Vfn-  des  Sees  mit  dem  Meere 
oder  der  Mündun<,'  des  Jan^::t/e  oberhalb  des  Ortes  Wusang,  und 
diese  sind  wieder  durch  zahlreiche  Querstrafsen  miteinander  verbunden, 
so  dafs  ein  wirkliches  Labyrinth  von  Kanälen  die  Landzunge  durch- 
zieht, die  der  Jangtze  mit  dem  Meere  zwischen  Nanking  und  Hang- 
chau-ftt  bildet  Die  meisten  dieser  Kanäle  sind  entweder  ZolHlflse 
oder  Abflüsse  des  grofsen  Sees. 

Das  Terrain  in  der  Umgegend  des  Sees  ist  so  tiach  wie  der 
See  selbst  bis  auf  die  Borirjjnippen,  die  sich  bei  Höhen  von  5(X)  bis 
zu  lOCXJ  Fufs  an  einzelnen  Stellen  erheben.  Die  chinesische  Dciitunir 
einer  Stelle  im  Tribus  des  Jü,  wonach  der  ^Tofse  Kaiser  den  See 
an  Stelle  einer  endlosen  Sumpffläche  (Chen-tse,  Sumpf  der  Erd- 
erschütterung) durch  Vereinigung  dreier  Flüsse  geschaffen  haben 
soll*),  läfst  sich  daher  sehr  wohl  mit  der  Konfiguration  des  Bodens 
vereinigen.  Wahrscheinlich  hat  Menschenhand  bei  der  Gestdtang 
dieses  Gewässers  mehr  gethan  als  die  Natur.  Wenn  die  chinesiscben 
Annalen  nicht  trfigeu,  so  wurden  bereits  während  der  Dynastie  Ghou 
Kanalbauten  veranstaltet,  um  die  in  die  vorhistorische  Periode  des 
Jü  reichenden  Vorarbeiten  zu  vervollkomnmen.  So  soll  der  Sung- 
Chiau^i  alv  ein  zum  Meere  führender  Ausflufs  des  grolsen  Sees  unter 
König  Lieh  im  Jahre  361  v.  Chr.  konstruiert  worden  seiu.  Unter 
der  Herrschaft  der  Hau  wird  in  den  Chroniken  die  Errichtung 
eines  Deiches  im  zweiten  Jahre  nach  Christi  Geburt  erwülmt.  Es  ist 
dies  ein  Deich  in  der  Nilhe  von  Hu-chou-fu,  wo  ein  gleichnamiger 
Deich  noch  heute  bestehen  soll.  Die  Geschichte  der  Deiche  und 
Deichbrüche  läfst  sich  an  der  Hand  der  lokalen  Chroniken  mit  ziem- 
licher Zuverlässigkeit  durch  das  MitteUlter  hindurch  bis  in  das  nach- 
christliche Altertum  verfolgen. 

Von  Interesse  ist  bei  dieser  Wasserchronik  des  T^ai-hu  die 
Errichtung  des  ersten  üQr  statistische  Zwecke  verwendeten  Pegels. 
Derselbe  wiu'de  iin  Jahre  1510  n.  Chr.  bei  Wu-chiang-hsien  (am 
Ausflufs  des  Wu-sung-Fhisses  aus  dem  See)  errichtet  und  diente  als 
Mal'sstab  für  die  reberschweninimmsgefahr  der  gesamten  l'mgegend. 
Dieser  Wasserniesser  bestand  au>  einer  8—9  Fufs  holten  Steintafcl, 
auf  welcher  <lie  Zwischenräume  von  je  einem  Chih  (cliin.  Fufs  = 
Meter)  in  sieben  Abstufungen  verzeichnet  waren,  deren  niedrigste 
den  normalen,  selbst  die  am  niedi'igsten  wleirenen  Felder  nicht  bö- 
drobenden,  Wasserstand  bezeichnete.  Die  Felder  selbst  waren  ihrer 

*)  Vgl.  ShQoking  III,  1,  6,  40  (Legge)  und  Legges  Bemerkungen  so  dieser 
Stelle  (Chuiete  CImhcb,  DI,  Pt  I,  8.  100). 

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~  2öl  — 

Höhe  Uber  dem  Wasserspiegel  nach  in  gewisse  Kla&sea  eingeteilt, 
so  dafs  der  Wasser-Mandarin  bei  ( bei*schwemmimgen  nur  den 
hdchsten  Wasserstand  am  Pegel  abzulesen  hatte,  um  zu  wissen,  welche 
Grundstflcke  von  der  Wassersnot  betroffen  werden  konnten.  Akten- 
m&ffiige  Aufzeidinungen  dieser  Art  spielten  in  China  von  jeher  eine 
bedeutende  Rolle,  da  von  jeher  dem  Staate  die  Verpflichtnng  oblag, 
in  Übersehwemmungsfällen  Unterstützungsgelder  an  die  Betroffenen 
auszahlen  zu  hissen.  Iis  war  daher  in  streit ji^eii  Fallen  von  jeher 
wichtig  durch  aktenniäfsige  Aufzeichnungen  über  den  Wasserstand 
die  Frage  iler  Möglichkeit  erlittenen  Wasserschadens  für  jeden  ein- 
zelneu Grundstücksbesitzer  zu  entscheiden.  Solche  Aufzeichnunt^en 
wurden  ebenfalls  auf  einer  äteiuernen  Tafel  gemacht.  Diese  bildete 
ein  Formular  zur  Eintragung  des  höchsten  Wasserstandes  von  je 
zehn  zu  zehn  Tagen.  Der  Monat  wnrde  in  drei  Dekaden  (hsfin), 
das  Jahr  in  sechsnnddreirsig,  eingeteilt.  Man  gewann  auf  diese 
Weise  Material  f&r  den  Nadiweis  von  PrftzedenzfiUIen  in  Jahren 
hohen  Wasserstandes,  sowie  eine  Norm  fOr  die  Beschreibung  der 
Fluktuationen  des  See-  und  Kanalspiegels. 

Nach  der  Seechronik  zahlt  man  im  Tai-hu  im  ganzen  72  Inseln. 
Davon  sind  jedoch  nur  drei  nennenswert,  nümlich  im  Norden  die 
Insel  Ma-chi-shan  (Mosai)  und  im  Süden  die  Inseln  1  ung-fung-fing 
und  Ilsi-t  ung-t'ing.  Da  uns  unsere  Heise  von  Norden  her  in  den 
See  fülirte,  so  lag  uns  die  erstgeuauute  Insel  zu  einem  flüchtigen 
Besuch  am  l)equemsten. 

Die  Insel  Ma-chi-shan  (d.  h.  die  Pferdespur-Insel)  gehört  zu 
dem  Kreise  des  gegenüberliegenden  nahen  Ostufers  namens  Yang-hu, 
dessen  Hauptstadt  sadlich  in  einer  Entfernung  von  100  Li  sich  be- 
finden soll.  Die  Chronik  giebt  als  Umfang  der  Insel  120  Li  an  und 
als  Einwohnerzahl  Aber  zehn  tausend  Familien,  eine  Ziffer,  die  im 
vorigen  Jahihundert  gegolten  haben  mag,  aber  för  heute  —  wie  die 
ge>amte  aus  früheren  Schätzun;icn  abgeleitete  Bevölkerungsstatistik 
—  entschieden  viel  zu  hoch  gegriffen  ist.  Die  wenigen  Dörfer  der 
Insel,  die  ich  von  ihrem  höchsten  Gipfel  ohne  Schwierigkeit  aus  der 
Vogelschau  ühers(0»en  konnte,  mochten  zuisammeu  etwa  lOOü  kleine 
Wohnungen  repräsentieren. 

Der  Name  dor  Insel  wird  mit  einer  Legende  in  Zusammenhang 
gebracht,  nach  welcher  Tsin-Shih-huang-ti,  der  Kaiser,  der  die  ge- 
samte klassische  Litteratur  verbrennen  liels  (221  bis  209  v.  Chr.), 
einst  die  Insel  besuchte.  Die  Spur  eines  Pferdehnfes  soll  noch  heute 
auf  einem  Felsen  im  Westen  der  la^^el  von  dem  Spazierritt  des 
Shih-huang-ti  zeugen. 

Die  Insel  Ma-clii  ist  zu  etwa  zwei  Drittel  ihres  Terraii»s  ge- 


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bir{<i^;  nur  an  den  Buchten  der  Südseite  hat  sich  zwischen  der 
Imfeisenförnii^en  Gestalt  der  Hüj^elketten  fruclitl)ares,  tiaches  Acker- 
land uehihk't.  Kleine  Wälder  waren  von  den  holzverschwendenden 
Vorfahren  nur  als  Schatteutipender  in  der  N&he  der  Dörfer  am  VuSse 
der  Hügel  stehen  gelassen  worden,  so  dafe  wir  in  der  Nühe  uusrer 
Laudungsstelle  am  nördlichen  Ufer  einen  genufsreichen  Spaziergang 
auf  üppigen  Waldpfaden  zwischen  Forchen,  Platanen,  wilden  Kastanien, 
Oleandern,  Maulbeerbaumen,  und  einer  Ffllte  pr&chtiger  Farmkrftuter 
machen  konnten.  Bei  einiger  Erhebung  Über  das  Niveau  der  Niede- 
rungen fingen  die  ohnedies  nicht  gerade  finsteren  Wälder  an  sich  zu 
lichten,  und  wir  befanden  uns  auf  Terrain,  das  bei  uns  im  Thüringer 
Wald  mit  einer  Warnungstafel  als  Schonung  hezeichnet  sein  würde, 
indem,  so  weit  das  Ajige  reichte,  junge  Eicheuschöfslinge  die  erdigen 
Strecken  de.-.  Hodens  bedeckten.  .Ähnliches  ))emcrkteii  wir  auf  den 
Hügeln  des  Festlandes;  ja,  ich  kann  sagen,  dals  etwa  die  HiUfte 
alles  llegieruugs-  oder  Genieindegrundes  auf  ahnliche  Welse  ange- 
pflanzt war;  ich  konnte  den  Wunsch  nicht  unterdrücken,  daCs  es 
nicht  nur  hier,  sondern  im  ganzen  Reiche  so  aussehen  möchte. 

Trotz  der  vorgeschrittenen  Jahreszeit  wehte  auf  diesen  Höhen 
ein  so  frischer  Wind,  dafs  wir  es  nntemehmen  konnten,  mit  Schirm 
und  Sonnenhat  bewaJSnet,  den  höchsten  Gipfel  der  Insel,  den  Kuan- 
chang,  zu  deutsch  „Mandarin",  wahrend  des  Nachmittags  zn  besteigen. 
Von  diesem  Punkte  aus,  dessen  Höhe  ich  mit  Hülfe  einer  flüchtigen 
KaronieteraMesun.ix  auf  9CX)  Fufs  üher  dem  Seespiegel  schätze,  lafst 
sich  die  ganze  Insel  hequeni  übersehen.  Der  Mandarinberg  bildet 
etwa  die  Mitte  der  an  (lestalt  einer  Fledermaus  mit  ausgespannten 
Mügeln  vergleichbaren  Insel.  Die  unmebeiiden  Hügel  sind  eben 
niedrig  geiuig,  um  die  Kernsicht  auf  den  See  in  allen  Richtungen 
zu  gestatten.  In  der  Kiclitumr  von  W-N-W.  bis  N-N-W.  zeigt  sich 
am  riorizont  ein  Wasserstreifeu,  den  ich  anfangs  für  ein  Stück  des 
Jangtze  hielt,  der  jedoch,  wie  sich  beim  Vergleich  mit  der  Karte 
herausstellte,  durch  die  zusammenflie£sende  Erscheinung  zweier  Seen 
im  Südwesten  der  Stadt  Ghang-chou-fu  herrührte.  Gebirgszüge 
laufen  parallel  mit  dem  Westufer  des  Sees.  Von  dem  nahen  Nord- 
ufer waren  die  Hügelketten  von  Wu-hsi  deutlich  zu  erkennen,  von 
denen  die  eine  in  beinahe  westlicher  Richtung  von  der  Stadt  parallel 
mit  dem  Ufer  läuft,  wiihrend  die  andere  in  südlicher  Richtung  das 
im  Süden  von  der  Insel  Ma-chi  begrenzte  Decken  von  Wu-hsi  als 
den  niddliclien  Vorhof  /um  Grofsen  See  östlich  Iieurenzt.  Berge 
waren  ferner  in  der  Richtung  von  Su-chou  am  O^lufer  zu  sehen. 
l);is  Südufer  ver:>chwamm  in  der  dunstigen  Atmosph&i'e;  doch  traten 
die  Konturen  der.  im  südlichen  Teile  des  Sees  gelegenen  T*ttng-ting- 


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^  28ä  — 

Inseln  deutlich  hervor;  ebenso  eine  Anzahl  grttner  und  blauer 
Flecken  auf  dem  Wasserspiegel  —  kleiner  Inseln  des  Sees  — ^  fast 
sftmtlich  bewaldet,  wenn  man  aus  der  Weichheit  ihres  Profils  darauf 

schliefsen  darf. 

Die  beiden  THiiig-fing-Inseln  im  südlichen  Becken  des  Sees 
gehören  zum  Kreise  Wu-hsieii,  dem  an  die  Proviiizialluiui>lstadt 
Su-chou-l"u  sich  anschliefsenden  engeren  N'erwaltnngsbezirk.  Die 
dein  üstufer  zunächst  gelegene  Ost-Insel  (Tung  T*ung-t'ing)  ist  80  Li 
südwestlich  von  Su-cbou  entfernt.  Ihr  Umfang  wird  auf  50  Li  an- 
gegeben, wahrend  das  westlichere  Hsi-T'ung-t*ing  auf  80  Li  geschätzt 
wird.  Doch  werden  in  der  Chronik  der  kleineren  Insel  20000,  der 
grO(seren  nur  15000  Bewohner  zugeschrieben.  Mit  diesen  Ziffern 
veriiAlt  es  sich  Tennutlich  ahnlich  wie  mit  den  obigen  Angaben  in 
betreff  der  nördlichen  Insel  Ma-chi-shon.  Beide  Inseln  sind  zum 
gröfsten  Teil  gebirgig. 

Von  den  übrigen  69  Inseln  des  Sees  ist  kaum  eine  nennens- 
wert. Einige  sind  bewohnt  und  ernähren  eine  kleine  Inselbevölkerung, 
die,  gleich  der  IJferbevölkeruug,  von  Seiden-,  Uanf-,  Obst-Bau  uud 
Blumenzucht  sich  ernährt. 

Unter  den  Produkten  der  Felder  ist  für  die  gesamte  l  frrgegend 
vor  allem  Weizen  zu  nennen.  Blühende  Weizenfelder  umsäumten  fast 
sämtliche  Kanäle,  die  wir  durchschifften,  und  die  weiten  Ebenen,  die 
man  von  den  Gipfeln  des  nordöstlichen  Ufers  erschauen  konnte, 
schienen  gröfetenteils  mit  diesem  Getreide  bebaut  zu  sein.  In  der 
Nahe  der  Ortschaften  begegneten  wir  häufig  Bohnenfeldem;  mit 
besonderer  Vorliebe  schien  man  sich  der  Sau-  oder  Pferdebohnen 
(chin.  Pien-tau)  anzunehmen.  Im  Produktenverzeichnis  der  Chronik 
werden  vier  Arten  Bohnen  als  häufig  kultiviert  ai)^;eführt.  Nach 
derselben  Quelle  sind  folgende  Feldju-odtikte  zu  nennen:  Lauch  (chin. 
eine  Art  Allium),  wovon  die  beste  Art  auf  Tung-T'unt^-fing  zu  tiudeu 
ist.  Taro  (  Avum  csculentum,  chin.  Yiii,  auf  der  Insel  Ma-chi-shau. 
Schwämme,  meist  giftig,  doch  auch  eine  efsbare  Art,  namens  Han- 
lu-chiin  (j,Schwamm  des  kalten  Thaues"),  die  im  September  und 
Oktober  zu  finden  ist.  Eine  im  Wasser  wachsende  Pflanze,  Shun, 
nach  Williams  eine  Art  Sumpfblume  (Limnanthemum),  deren  zarte 
Stengel  den  Bewohnern  der  Umgegend  des  Sees  als  Leckerbissen 
dienen;  sie  wftchst  an  den  Ufern  der  Inseln  wie  des  Festlandes; 
femer  eine  andere  Wasserpflanze,  die  teils  wie  Sellerie  geges<^en 
wird,  teils  durch  ibre  schwärzlichen  reisfOrniigen  Samenkörner,  Ku-ini 
jfenannt,  ai>  Nahruiiu  dient. 

r!it<'r  den  ('ucurl»it;it  ceii  weiden  lu'sondcrs  die  (iurke  (HtiafH»- 
kua;  und  die  Wassermelone  i^lisi-kuaj  namhaft  geuiacht.   Die  besteu 


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~  m  — 

Gurken  sollen  auf  der  östlichen  T'ung-^Ung-Insel  erzeugt  werden. 
Es  wird  dabei  mitgeteilt»  dafs  nach  dem  P6n-ts*ao  die  Gurke  hn-kua, 
d.  h.  fremde  Melone  heifse,  weil  sie  seiner  Zeit  vom  General  Chang- 
chien  ans  dem  Westen  (T&-wan  oder  Ferghana)  nach  China  im- 
portiert worden  sei.  Dasselbe  wird  übrigens  auch  von  der  Wasser- 
melone, Hsi*kua,  behauptet  Als  ein  merkwürdiges  ZusammentreiTen 
ist  die  Gleichheit  im  Namen  dieser  Fracht  im  Griechischen  (our^) 
uu<l  im  Cliinesischen  zu  l)etrachten. 

Obbtbilume  aller  Art  inngeben  die  Dörfer  und  Vorstädte.  In 
der  (-'hronik  finden  sich  u.  a.  die  folgenden  naniliait  gemacht: 

Pflaumen;  Mandeln;  Tfirsiche;  Loquat  oder  Pi-pa-Früchte  (die 
])esten  auf  Tung-Tung-finu:);  Birnen  (verschiedene  Arten  auf  der 
Westinsel  und  auf  Ma-chi-slian) ;  Yang-wei  (die  sogenannte  „erdbeer- 
artige Himbeerkirsche'',  auf  den  Inseln  besonders  gut  gedeihend); 
Apfelsinen  (die  besten  der  Umgei-end  von  den  T'ung-fing-Inseln, 
während  der  T  ang-Dynaiitie  aU  Tributartikel  dargebracht);  Kastauieu; 
Persimonen  fShihi. 

Unter  den  Baumen  steht  seiner  Nützlichkeit  wegen  der  Maul- 
beerbaum obeuan.  Wir  sahen  überall,  die  Kanal-  und  Seeufer 
entlang,  Gärten  und  gröfsere  Grundstücke  mit  diesen  mannhoch 
gehaltenen,  abgestutzten  Bäumen  auf  reich  gedüngtem  Boden.  Doch, 
so  grofs  auch  die  Zahl  der  Stamme  war,  bekamen  wir  kaum  ein 
Blatt  zu  sehen;  denn  die  Ernte  war  Torbei,  und  alles  Grüne  war 
von  den  Seidenraupen,  deren  Puppen  jetzt,  in  eisernen  Pfannen 
schmorend,  den  kostbaren  Faden  von  sich  gaben,  langst  aufgezehrt 
worden.  Die  Seidenzucht  ist  unter  den  Bewohnern  dieser  Seegegend 
als.  Hausindustrie  so  allgemein  wie  bei  uns  in  manchen  Gegenden 
die  Flachskultur,  wird  jedoch  in  viel  ausgedehnterem  Mafise,  und, 
weil  Haupternährungszweig  der  Bevölkerung,  geschfifismälsiger  be- 
trieben. Die  Kanäle  und  Seeufer  sind  in  kurzen  Zwischenräumen 
mit  kleinen  Dörfern  besetzt,  deren  oft  nur  einzige  Stralsenreihe 
ehien  von  hohen  Baumkronen  beschatteten  Kai  bildet.  Hier  konnte 
man  vor  jeder  Hausthür  die  Mitglieder  der  Familie  versammelt 
sehen,  deren  jedem  bei  der  Arbeit,  die  zur  Zeit  unseres  Besuches 
im  Auskochen  der  Cocons  bestand,  sein  Anteil  zugewiesen  war.  Ich 
habe  nie  in  irgend  einer  Fabrikstadt  einen  gröfseren  Teil  der  Be- 
völkerung mit  einer  un<l  derselhen  Manipulation  beschäftigt  gesehen. 
Sicherlich  drehten  sich  um  diese  Zeit  Myriaden  von  "Weifen,  jede 
lU'ljpi)  eim  III  im  Freien  oder  in  der  Vorhalle  des  Hauses  erri(  liteten 
tlKtueiiien  Oleii,  der  eine  in  Wu-hsi  verfertigte  eiserne  Pfaime  zum 
Auskochen  der  Cocons  erhitzte.  Ans  der  I^fanne  entwindet  sicii  der 
Fadeu,  der  Lmdrehung  einer  kuarremieu  Weife  folgend.   Wohin  wir 


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—  285  — 


auch  schauton,  überall  derselbe  Anblick,  dieselbe  Beschäftigung  vor 
allen  Gebäuden,  vor  Lehmhütten  wie  vor  Steinhausern,  vor  Dorf- 
tempeln und  officiellen  Häusern.  Die  I  mgegend  des  T^ai-hu  bildet 
augenblicklich  den  hauptsächlichsten  Seidendistrikt  in  China,  für  die 
Seidenausfuhr  nach  Europa  zweifellos  den  wichtigsten.  Zum  Zwecke 
des  Auisenhandels  unterscheidet  man  nach  ihrem  Produktionsorte 
zwei  Hanptsorten  chinesischer  Rohseide,  ein  Unterschied,  der  schon 
zur  Zeit  der  Anfange  unseres  modernen  Schiffahrtsverkehrs  mit 
(■luna  L;eniaclit  wurde,  im  17.  Jahrhuiukut,  als  Canton  d;is  Centriiui 
des  Frenidenhanik'ls  wurde.  Wir  lesen  bereits  im  Zolltarif  des 
ivai>ers  K'ang-hsj-')  von  den  beiden  Ihuiptsorten,  die  noch  heutzutage 
den  Kern  der  Ausfuhr  bilden:  Tu-^.^ii.  d.  h.  einheimische  Seide,  so 
wurde  die  in  der  Gegend  von  Canton  gewonnene  borte  genannt, 
und  IIu-ssü,  d.  h.  See-Seide,  so  genannt,  weit  sie  den  Ufern  des 
Grofsen  Sees  entstammt,  wenn  auch  jetzt  einige  der  Seide  erzeugen- 
den Distrikte  elnigemafsen  vom  See  entfernt  liegen.  Jedenfalls 
bildet  der  See  das  Gentrum  für  die  hauptsachlichsten  Produktions- 
distrikte dieser  Gegend.  Nach  der  Chronik  des  Sees  kommt  der 
Maulbeerbaum  von  den  beiden  T*ung-t*in^-Inseln,  was  wohl  kaum 
mehr  besagt,  als  dafs  dort  in  früheren  oder  frühesten  Zeiten  der 
Seidenbau  mit  Vorliebe  und  mit  besonderem  Krfolge  betrieben  wurde. 
Wir  trafen  Mauibferplantageu  aul  der  Insel  ^la-chi-shan  >()wohl  wie 
an  all«Mi  Stelleu  der  Uferlaiidschaft  südlich  von  VVuhsi,  die  wir 
besuchten. 

Als  Medizin  sind  hochgepriesen  die  Tausendfüfsler  (Wu-kung) 
der  östlichen  Tung-t'ing-Insel,  besonders  eine  Art  mit  gelbem  Kopfe, 
.goldküpfiger  Wu-kniii;"  genannt.  In  dem  Tempel  der  Insel  Ma-chi, 
in  dem  wir  zu  nachtigen  gedachten,  strahlte  uns  ein  solches  Unge- 
heuer entgegen,  und  als  sich  unsere  Plane  in  Bezug  auf  diese 
Villegiatur  zerschlugen,  konnte  es  uns  immerhin  eine  Art  Trost  sein, 
dals  wir  uns  der  Gefahr  nicht  aussetzten,  uns  von  den  Wirkungen 
dieser  in  der  chinesischen  Medizin  so  nützlichen  Giftbmt  zu  über- 
zeugen. 

Der  See  ist  außerordentlich  reicli  an  Fisclien  aller  Art,  deren 
,  eine  ziendiche  Anzahl  in  der  Chronik  namhaft  ^eiiiaeht  wird.  Kor- 
morantischerei  scheint  nur  in  den  Kanälen  und  auf  den  Untiefen 
kleinerer  Seen  betrieben  zu  werden.  Auf  dem  l'ai-hu  selbst 
be'-regneten  uns  keine  Fischerbüte  dieser  Art,  obgleich  ich  nicht 
behaupten  will,  dafs  unsere  örtlich  wie  zeitlich  so  ungenügende 


*)  S.  The  Hoiii  o-Book  of  1753,  im  Journal  of  the  North-CIuna  Braach  of 
the  Boyal  Asiat.  Soc.,  Bd.  XVU.  S.  221. 

G«ogr.  Butler.  Brameii  18M.  oc\ 


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Erfahrung'  für  dergleichen  Thatsftchon  irizendwie  mafsirebend  ist. 
Unter  der  Rubrik  „VögeP  weifs  unsere  Chronik  nichts  vom  Konnoran 
zu  berichten,  obgleich  die  Kanäle  der  nordöstlichen  Ufergegend,  in 
denen  wir  uns  vielfach  umhertrieben,  unzahligen  Kormoranfischem 
Nahrung  liefern.  Unter  den  verschiedenen  Fischarten,  die  den  See 
beleben,  wird  unter  anderen  eine  Art  Seebarsch  (Lu-yü)  erwähnt. 
»Dieser  Fisch^  heifst  es,  «kommt  eigentlich  aus  dem  Wa-sung- 
FluCs  (der,  wie  früher  bemerkt,  unterhalb  Shanghai  mit  der  Jangtze- 
mündung  und  so  mit  dem  Meere  in  Verbindung  steht);  da  dieser 
Flufs  mit  dem  T  ai-liii  zusammenhangt,  ist  der  Fisch  auch  in  dem 
letzteren  zu  finden,  doch  hat  die  im  Flufs  vorkommende  Art  vier 
Kiemenpaare  (sai\  die  im  See  vorkommende  nur  drei.  Die  Seeart 
steht  der  anderen  an  (icscbniack  nach."  Die  N.ilie  dos  Meeres 
einerseits,  und  das  T'berschreiten  der  Grenze  für  Ebbe  und  Flut, 
aufserhalb  deren  der  See  liegt,  andererseits,  mögen  diesen  Unter- 
schied bei  sonst  ähnlichen  (leschöpfen  erzeugt  haben. 

Die  Umgegend  des  grofsen  Sees  ist  ein  wahres  Elysium  für 
Jager.  Rehe,  Hasen,  wilde  Schweine,  Fasanen,  wilde  Enten  und 
Ganse  sind  das  hauptsächlichste  Wild.  Die  Insel  Ma-chi-shan  war 
bis  vor  wenigen  Jahren  besonders  reich  an  Rehen.  Wie  die  Chronik 
berichtet,  kauften  sich  die  Insnlaner  während  der  Regierungszeit 
Wan-li  ( 1573— in20  n.  Chr.)  auf  Gemeindeunkosten  ein  Rehpaar,  das 
in  den  Rprg(>n  freigelassen  wurde.  Zugleich  wurde  der  Magistrat 
orsu(  lit,  ein  für  ewige  Zeiten  gültiges  Jagdverbot  zu  erlassen.  Die 
Folge  war  eine  derartige  Vermehrung  dieses  Wildes,  dafs  trotz  des 
ewigen  Jagdverbots  noch  vor  kurzem  europäische  Schützen  ab  ßeh- 
vertilger  auf  der  Insel  nicht  ungern  gesehen  wurden.  Auf  meinen 
Bergspaziergängen  scheuchte  ich  an  zwei  verschiedenen  Stellen  Rehe 
auf.  Dieselben  waren  entschieden  jung,  schienen  jedoch  derselben 
kleinen  Rasse  anzugehören,  wie  die  der  ganzen  Umgegend.  Die 
Chronik  des  1>ai-hu  erwähnt  unter  den  YierfQfslem  auch  die  Rehart 
Ghang,  nach  Swinhoe:  Hydropotes  inennis,  als  auf  Ma-chi-shan  vor- 
kommend. Doch  scheint  die  Identifikation  des  chinesischen  Kamens 
zweifelhaft*;. 

Die  Produktenlisto  der  mir  vorliegenden  Chronik  erstreckt  sich 
nur  auf  die  eigentlidie  Seeflache  mit  ihren  Inseln  und  angrenzenden 
Ufern.  Die  Kreisstädte  und  sonstigen  gröfseren  Wdlmoito  liegen 
meist  eine  Anzahl  Li  vom  Ufer  entfernt  und  ilir  Hinterland  wird 


S.  Dr.  0.  F.  von  Moellendori^  The  Vertebnia  of  the  Provincc  of  Chihli, 
etc.,  im  Jonmal  der  Noith-Cbina  Bntnch  of  the  Eoyal  Asiatio  Society,  New 
Series  No.  XT.  (1876)  S.  68  «.  67. 


~  287  — 

Ton  den  Bemerkungen  des  Seetopographen  nicht  berührt.  Ich  will 
hier  nur  noch  eines  interessanten  Industriezweiges  gedenken,  der  am 
Westafer  in  der  Umgegend  der  Kreisstadt  I-hsing  zahkeiche  Arbeiter 
beschftftigt  Er  besteht  in  der  Herstellung  einer  Art  T&pferwaren, 
wie  sie  wegen  des  dazn.  verwendeten  Materials  nur  in  dieser  Gegend 
betrieben  werden  kann.  Es  werden  hier  hauptsachlich  Theekannen 
nach  alten  Mustern  angefertigt;  und  der  Eifer,  mit  welchem  die 
Typen  des  Altertums  und  des  Mittelalters  in  sauber  geformten 
Terrakotten  nachgeahmt  werden,  erinnert  an  unsere  Renaissance- 
bewetrunp:  auf  demselben  Gebiete.  Dutzende  von  charakteristischen 
Formen,  wie  mau  sie  sonst  nur  als  Bilder  in  den  illustrierten  kultur- 
und  kunstgeschichtlichen  Werken  der  Chinesen  erblickt,  finden  sich 
in  den  Werkstätten  dieser  Töpferbevölkemng  in  natura  wieder. 


Die  russische  Polarstation  an  der  Lena -Mündung.*) 

Mitteilang  des  Herrn  Dr.  A.  BuQge,  Arztes  und  Physikers  der  Station. 

Hierza:  Situationsplan  der  Station. 

Sagastyr**),  den  2,114,  Janua/r  1864,  Jetzt  erst  kann  ich  meinem 
Ihnen  im  Sommer  vorigen  Jahres  gegebenen  Versprechen  nachkommen 
und  Ihnen  einiges  über  unsere  Station,  ihre  Kiniiciitung  und  die 
laufenden  Arbeiten  mitteilen.  Die  erste  Post,  die  wir  gegen  Ende 
November  expedierten,  mufste  in  grol'ser  Eile  abgefertigt  werden, 
und  wir  hatten  damals  s<»  viele  andere  Schreiben  zu  befördern,  dafs 
ich  das  Schreiben  an  Sie  bis  zum  nächsten  Male  verächieben  mulste. 
Sie  werden  das  freundlichst  entschuldigen. 

Wenn  diese  Zeilen  in  Ihre  Hände  gelangen,  werden  Sie  wohl 
bereits  erfahren  haben,  daOs  wir  durch  verschiedene  Umstände  zu 
einer  zweiten  Überwinterung  yeranlafst  wurden,  obgleich  die  Auf- 
forderung der  kaiserlich  russischen  geographischen  Gesellschaft  zu 
einer  solchen  (wovon  ich  Ihnen  im  Sommer  schrieb)  widerrufen 
wurde.  In  unserem  Leben  nnd  Treiben  sowie  im  Gange  der  Beob- 
aclitungen  wurde  dadurch  weiter  keine  Veriiiiderung  hervorgerufen. 

Die  meteorologischen  Beobachtungen  begannen  am  31.  August 
(neuen  Stils,  wie  auch  sonst)  1882  und  sind  seitdem  ohne  Unter- 
brechung fortgesetzt  worden;  die  magnetischen  Beobachtungen 
konnten  erst  am  1.  November  desselben  Jahres  begonnen  werden, 
da^  abgesehen  von  unserer  verspäteten  Ankunft,  die  Instrumente 

♦)  Vergleiche  die  früheren  Mitteilungen  in  Heft  I,  S.  74  u,  tt,      D.  Hed. 
73»  22'  47"  nördl.  Breite,  126«  36'  üstL  v.  Gr. 

20 


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während  eines  Sturnies  bei  der  Insel  Tas-Aiüi  in  der  Lena.  l)ei 
■welchem  unsere  sänitlidien  Marken  (4)  stark  beschädigt  wurden  und 
auf  den  Grund  giniren.  -felitten  hatten  und  mancher  Keparatur 
bedurften.  Indem  ich  mir  erlaul)e,  JSie  im  all^remeinen  auf  die  üher 
die  Station  enthaltenen  Nachrichten  in  den  ^Mitteilunijen  der  inter- 
nationalen Polarkomniission'^  zu  verweisen,  will  ich  hier  kurz  über 
die  Einrichtung  der  Station,  das  Personal  und  das  Treiben  auf  der- 
selben referieren.  Ich  lege  hier  eine  flachtige  Skizze  der  Baulich- 
keiten der  Station  bei,  bitte  jedoch,  dieselben  nicht  als  vermessenen 
Plan  aufzufassen;  sie  soll  nur  dazu  dienen,  Ihnen  die  Station  zu 
veranschaulichen,  mir  aber  die  Beschreibung  zu  erleichtern. 

Die  Station  liegt  am  Südende  der  Insel  Sa;?astyr,  die  sich  bei 
einer  Breite  von  etwa  3  Werst  nach  Norden  8 — -10  Werst  erstreckt, 
wo  sie,  innner  niedritxer  w^erdend,  alhnählicli  in  den  Meeresboden 
über^i^eht.  je  nncliilciu,  oh  Ebbe  oder  Flut  lii.'n>cht,  an  rnifan-j:  al)- 
oder  zunehmend.  Im  Westen,  Süden  und  0>ton  ist  die  Insel  durch 
Stromaruic  des  I)elLa  be-^^rcn/t;  sie  ist  fast  vollkommen  liach,  zeigt 
nur  unhedt  'iteade,  wenige  Fuls  hohe  Unebenheiten,  und  ist  mit  zahl- 
reichen kleinen  und  gröfseren  Teichen  bedeckt.  Die  Vegetation  ist 
eine  höchst  dürftige,  erhebt  sich  kaum  einen  Fufs  über  den  £rd-  . 
boden  (Weiden);  die  Flora  ist  der,  welche  Nordenskjöld  (Vega- 
Expedition)  für  einige  Inseln  im  Eismeer  nördlich  von  der  Lena- 
münduncic  angiebt,  sehr  ahnlich. 

Die  Gebäude  der  Station  sind  auf  einer  etwas  höheren  (etwa  11  Fufs 
über  dem  Wasserspiejiel),  trockenen,  sainli.m  ii  stelle  aufm  iiilu  t.  Das 
Wohnhaus  Ca)  stellt  einen  aus  dicken  Balken,  die  wir  auf  den  Barken 
aus  Jakutsk  mit  uns  führten,  aufireführten  Rohbau  dnr.  von  0  Faden 
Länge  und  3  Faden  Breite  (der  Faden  a  7  russische  Fulsi;  gedeckt 
ist  derselbe  durch  eine  horizontale  Bretterlagc,  auf  welche  eine  starke 
Sandschicht  aufgeführt  ist,  darüber  ein  nacli  Norden  und  Süden 
schwach  geneigtes  Bretterdach.  Im  Osten  und  Westen  lehnen  sich 
ans  Haus  je  eine  Vorratskammer  (aa)  für  die  Speisevorräte  an.  Der 
Eingang  ins  Haus  ist  von  Norden;  man  betritt  zuerst  ein  kaltes 
Vorhaus  (n),  das  gleichfalls  zum  Teil  als  Vorratskammer  dient.  Von 
hier  aus  gelangt  man  ins  Dujourzimmer  das  durch  eine  Scheer- 
wand  aus  Filz  in  zwei  Teile  geteilt  ist,  in  ein  Vorzimmer,  in  welchem 
sich  eni  Kamin  (>'>,  jetzt  unbenutzt)  Itcliiulet,  und  den  Aufenthalts-  ' 
räum  für  den  dieusthabcmh  ii  Beobachter;  hier  I)crmdeii  sich  die 
Barometer  und  iihriiitm  im  /ininior  abzulesenden  Instrument«',  auf 
welche  ich  sitatcr  zurückkonniie.  Aus  diesem  Baum  gelangt  man 
ins  Ofüzierzimmer  (ß),  das  vom  Chef  der  Expedition,  Herrn  Leutnant 
Jürgens,  seinem  Gehülfen,  Herrn  cand.  math.  Eigner,  und  mir  bewohnt 


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e 

c 


ita  VofrntsikuTnnif'r. 
f'i  Ziiniinjr  tür  Offiziere. 
Zimmer  f.ßeobacbter 
und  ßodienung. 
Duj'^uizitnmor. 
V'orratskammor. 
Kttobe. 

Kaltes  Vorbaus. 

.V?  Öfen 
X  Kaolin. 
X  Eiserner  Ofen, 
b  Therinoinctcrhaas. 
c  Astronomische  Hütte, 
d  Jurte  fttr  magnetische 
Varia  t  io  usinstmmente 
uach  Edelmann, 
ü  Jurtti  fiir  mjignutiäche 
Tariationsinstramente 
nach  Kiipi»fer. 
h  u.  i  Jurtt-n  fiir  absolute 
Bestimmungen.  (Die  in 
d.  Jurten  befindL  Kreide 
bezeiclincn  diff  JNti  lhiug 
der  Steiopftiiler  für  die 
Instrumente  vnd  dasn<- 
^-eliörißen  Pemröbre.) 
kk  K'^rridor. 
1  i'lata  I".  diu  Eidthcrmo- 

meter 
in  W'n  irOinc 

pp  Pfeiler  fUr  astronom. 

Büohaclittmgen. 
q  Vnt  rat^jurte. 
r  Ei.<(kcllcr. 
B  Hnndebtttte. 
t  Badestabe 

««  Eifern«!  Ofen  in  der- 
<5elbea. 

z:  Thür. 

lU  Feuätur. 


C  ®  T 


m 

o 


a 


1_ 


1 
J 


Sltuatlouplan  der  runslsehen  Polarstation  an  der  LenamOnduag. 


—  290  — 

wird;  dasselbe  enthält  aolser  den  Bettstellen  ziMi  Schreibtische, 
einen  Efstisch,  Bacherregale,  ein  kleines  Harmonimn  n.  a.;  eine  andere 
Thür  fOhrt  aus  dem  Diyoarzimmer  in  eine  kleine  Vorratskammer  (s) 
innerhalb  der  Wände  des  Hauses.  Aus  dem  vorhin  als  Vorzimmer 
bezeichneten  Baum  fährt  eine  Thfir  ifts  Zimmer  der  Beobachter  und 
Bedienung?  (*/).  Aufser  den  oben  genannten  Personen  gehören  zum 
Personal  der  Station  vier  Beobachter:  ein  Matrose  der  rnssischen 
Marine  und  drei  Kosaken  uns  Jakutsk,  ersterer  seit  dem  Beginn  der 
Expedition  angestellt;  letztere  an  Stelle  der  vier  im  Herbst  fort- 
gezogenen Beobachter  des  vergangenen  Jahres;  sie  sind  zugleich 
Dolmetscher;  ferner  ein  jakutischer  Koch  (aus  Jakutsk)  und  drei 
Jakuten  aus  den  hiesigen  Deltabewohnern. 

Die  Arbeiten  der  letzteren  bestehen  im  Fortschaffen  des  Schnees, 
Anfuhr  und  Spalten  von  Brennholz,  Beschaffung  von  Koch-  und  Trink- 
wasser u.  a.  Brennholz  erhalten  wir  in  genügender  Menge  aus  dem 
Treibholz  in  der  Nähe  der  Station.  Erheizt  werden  die  Räume  durch 
zwei  Öfen  (^^)  und  einen  kleinen  eisernen  Ofen  im  Zimmer  der 
Leute;  eben  solche  Ofen  können  in  den  Räumen  ß  und  *  angebracht 
werden,  sobald  es  nötig  erscheint.  —  Durch  eine  zweite  Thür  ge- 
langt man  ans  dem  Vorzimmer  in  die  Küche  (C).  —  Die  Diele  ist 
eine  d()i)pelte ;  zwischen  beiden  Bretterlagen  befindet  sich  eine  dicke 
Schicht  Sand  und  Kohle.  Bedeckt  ist  die  Diele  mit  einer  Lage  Filz 
und  über  dieser  sind  Teppiche  ausgebreitet;  vor  jedem  Schreibtisch 
in  unserem  Zimmer  liegt  ein  Eisbnrenfell,  deren  frühere  Besitzer 
während  unserer  Anwesenheit,  leider  aber  nicht  von  uns,  sondern 
von  den  Jakuten  in  der  Nähe  der  Station  erlegt  wurden.  —  Die  Luft 
in  den  Zimmern  ist  trocken,  rein,  die  Temperatur  in  den  Zimmern 
meist  15®  G.  oder  draber;  nur  zur  Zeit  anhaltender,  starker  Winde 
sinkt  sie  unter  10®  C.  Die  Höhe  der  Zimmer  beträgt  8V«  Fuss. 

Tritt  man  aus  dem  Vorhaus,  so  steht  links  in  wenigen  Schritten 
Entfernung  das  Thermometerhaus  {h);  in  diesem  befindet  sich  ein 
Quecksilberthermometer,  ein  Minimum-Alcoholthermometer  (zur  Zeit 
allein  ablesbar),  ein  metallisches  Thermometer,  ein  ITaarhygrometer 
und  ein  Evaporimeter,  nach  der  von  Herrn  Akademiker  Wild  ange- 
gebeneu Konstruktion.  In  «ler  wiirmereu  Zeit  noch  ein  feuchtes  Queck- 
silberthermometer, das  mit  dem  trockenen  den  Psychrometer  bildet; 
die  Wände  des  Häuschens  sind  durchbrochen,  nach  Nord  ist  es  offen, 
kann  jedoch  durch  zwei  gleichfalls  durchbrochene  Thüren  geschlossen 
werden,  um  die  Instrumente  vor  Einwirkung  der  Mittemachtssonne 
zu  schützen.  Etwa  zehn  Schritt  nach  Westen  vom  Thermometerhaus 
steht  die  astronomische  Htttte  (c),  in  welcher  ein  Passageninstrument 
für  Zeitbestimmungen  aufgestellt  ist.   Die  übrigen  astronomischen 


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Beobachtungen  (Sternbedeckungen,  Verfinsterungen  der  Jupiter- 
trabanten)  werden  von  den  Holzpfeilern  (pp)  aus  gemacht. 

Wenige  Schritte  vom  Ausgang?  aus  dem  Vorhaus  (rj)  bef?innt 
ein  verdeckter  Gang  (kkj,  der  zuiiflchst  zur  Jurte  d  liihrt;  die  Wände 
der  Jurten  sind  durch  schräg  in  die  Erde  gefügte,  zur  Mitte  des 
Gebäudes  hin  j^^eneigte  Bretter  gebildet,  das  Dach  ist  horizontal, 
so  dafs  das  ganze  Gebäude  eine  abgestumpfte  Pyramide  bildet.  Von 
aussen  sind  die  Jurten  mit  Erde  beworfen,  das  Dach  mit  Moos  be- 
deckt, die  Ritzen  zwischen  den  Brettern  mit  Moos  und  Filz  gefüllt, 
wodurch  jedoch  nicht  gehindert  wird,  dass  die  Temperatur  in  den 
Jurten  unter  ^  30^  G.  sinkt  (im  Januar  und  Februar).  In  der 
Jurte  d  befindet  sich  ein  Komplex  von  Instrumenten  für  die  Varia- 
tionen der  drei  Elemente  des  Erdmagnetismus,  der  horizontalen  Inten- 
sität, Deklination  und  Tertikaien  Intensität  oder  Inklination,  nach 
der  Konstruktion  von  Edelmann  in  München.  Die  Ablesungen  können 
von  einem  Sitze  aus  gemacht  werden.  Im  Winter  1882 — 83  wurde 
dieser  Raum  durch  Kerosinlampeu  erleuchtet,  wodurch  die  Temperatur 
iu  dieser  Jurte  wesentlich  gesteigert  wurde.  Im  Sonnner  können 
die  Instrumente  durch  ein  nach  Norden  sehendes  Fenster  beleuchtet 
werden;  jetzt  werden  die  Ablesungen  mit  Licht  gemacht  —  Von 
dieser  Jurte  führt  der  Korridor  in  nordöstlicher  Richtung  weiter  zur 
Jurte  e;  in  dieser  befinden  sich  gleichfalls  drei  Instrumente  (älterer 
Konstruktion)  zur  Beobachtung  der  Änderungen  des  Erdmagnetismus: 
das  GanCssche  Bifilar  fOr  die  horizontale  Intensität,  das  Unifilar  fOr 
die  Deklination  und  die  Lloydsche  Wage  für  die  Inklination.  In  der 
hellen  Zeit  können  die  Instrumente  durch  in  der  entsprechenden 
Lage  angebrachte  Fenster  erleuchtet  werden. 

Der  Korridor  führt  von  dieser  Jurte  weiter  nach  Norden  ins 
Freie,  zum  Platze  für  die  Erdthermometer  (1);  hier  betindcu  sich 
Thermometer:  auf  der  Oberfläche  des  Schnees,  auf  der  der  Erde  und 
drei  in  40,  80  und  160  cm  Tiefe,  (sie  zeigen  augenblicklich  resp. 
—  31,20,  _24,4o  und  —  18,0«C.).—  Etwa  20  Schritt  nordwestlich 
Ton  der  Jurte  d  stehen  noch  zwei  Jurten  (h  und  i),  in  welchen  die 
Instrumente  für  die  absoluten  magnetischen  Messungen  untergebracht 
sind.  Sftmtliche  Jurten  sind  durch  Telegraphenleitungen  unter- 
emander  und  mit  dem  Hauptgebäude,  in  welchem  sich  die  Batterie 
befindet,  verbunden,  so  daCs  auf  Glockensignale  hin  gleichzeitige  Ab- 
lesungen gemacht  werden  können.  Auf  dem  Platze  vor  dem  i lause 
nach  Norden  befindet  sich  noch  eine  Windfahne  mit  einer  daran 
befestigten  Starkeplatte  zur  Bestimmung  der  Windstarke  (ni)  und 
ein  Pfosten  mit  dem  Regenmesser  (n).  —  Nach  Süden  zum  Flufs  hin 
liegen;  1)  die  Badestube  (t),  die  alle  Sonnabend  geheizt  und  mit 


L/iyiiiz:ea  by  ^üOgle 


—  292  — 


Vorliebe  benutzt  winl,  2)  eine  llinuIcliüUo  (s),  in  Nvelchcr  die  zur 
Station  gehörigen  Zn.uhunde  zur  Zeit  der  Schneestürme  untergebracht 
werden,  3)  ein  Eiskeller  (r)  für  die  Sommerzeit  nnd  eine  grofse 
Jurte  (q),  in  welcher  jetzt  Böte,  Stricke  n.  a.  untergebracht  werden; 
im  Winter  1882—83  diente  sie  zur  Aufbewahrung  des  Kerosinvorrates. 

Die  magnetischen  und  meteorologischen  Beobachtungen  werden 
stündlich  gemacht,  und  zwar  die  magnetischen  zur  vollen  Stunde 
nach  Göttinger  Zeit,  wie  das  Programm  erfordert,  die  meteorologi- 
schen zur  vollen  Stunde  nach  Tiokalzeit.  Der  Lauf  der  Beoharlit'umen 
ist  folgeniler:  einlüde  Minuten  vor  (Ut  vollen  Sriniilc  nach  (l(tttinu'<M* 
Zeit  begirl)!  >it'li  der  Beobaelitt.'r  in  die  Jurte  d  und  lunclit  dci*  IJeihe 
nach  Ahlcsun'ien :  am  Instrumente  für  die  horizontale  Intensität 
drei  Minuten,  der  Deklination  zwei  Minuten  nnd  die  Inklination 
eine  Minute  vor  Sehlair:  zur  vollen  Stunde  findet  keine  Ablesung 
statt;  die  Zeit  wird  dazu  benutzt,  die  bei  den  Instrumenten  ange- 
brachten Thermometer  abzulesen;  eine  Minute  nach  Schlag  wird 
wieder  die  Inklination,  eine  Minute  spAter  die  Deklination  und  end- 
lich die  Intensität  abgelesen;  darauf  begiebt  sich  der  Beobachter 
rasch  in  die  Jurte  e,  wo  er  in  derselben  Weise  der  Reihe  nach  das 
Biiilar,  IJnifilar  und  die  Lloydsche  Wage  beobachtet.  Ins  Zimmer 
zurück^iekebrt,  beginnt  er  sofort  die  meteorologischen  Beobachtungen, 
denn  unterdessen  i>t  die  volle  Stunde  ii;)ch  Lokalzeit  herangerückt, 
und  /war  in  f(dgender  Iveihenfolge :  Daroineter  Tmctini,  nchst  dazu- 
gehörigem Thermometer,  ein  Ilagemansclies  Anemometer  \md  die 
Windrichtung  nach  einer  Windfahne,  die  sich  auf  dem  Hause  be- 
findet, nnd  deren  Index  vom  Zinmu^r  aus  abgelesen  wird.  Dann  geht 
er  zum  Thermonicterhause.  liest  die  Thermometer  nnd  den  Haar* 
hygrometer  ab,  endlich  bei  den  Erdthermometern,  den  auf  der  Ober- 
fläche des  Schnees  und  der  £rde,  sowie  den  in  40  cm  Tiefe  befind- 
lichen, bestimmt  Form  und  Grad  der  Bewölkung  und  kehrt  ins 
Zimmer  zurück,  wo  die  Windstärke  noch  mit  einem  Anemometer 
Gasella  bestimmt  wird.  In  der  hellen  Zeit  wird  die  Stärke  und  Rich- 
tung des  Windes  auch  an  der  anssen  stehenden  Windfahne  abgelesen. 
Ich  will  hier  erwähnen,  dafs  der  Korridor  zur  Zeit  der  heftigen 
Schneestürme  ganz  uueiitbehiiicli  i^t,  besonders  während  der  duidxelen 
Zeit;  die  Stürme  erreichen  bei  einer  i"em[)erat!ir  zwischen  30  und 
40^  C.  nicht  selten  17 — 19  m  (leschwindigkeit  in  der  bekunde,  gehen 
sogar  bis  25  m  in  der  Sekunde. 

Dreimal  täglich,  zu  den  Terminstundeu  7  l  hr  morgens,  1  und 
9  Uhr  nachmittags,  werden  aufser  den  eben  angeführten  Instrumenten 
noch  folgende  abgelesen.  Im  Zimmer:  ein  Anerold,  ein  Parrotsches 
Barometer;  im  Thermometerhaus:  der  Evaporimeter  und  bei  den 


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Erdthormometern  die  ThernioiiiPtor  in  ^i)  und  160  cm  Tiefe.  —  Alle 
Abend  um  8  werden  in  beiden  Jurten  für  die  YariatioDS- 
Instrumente  simultane  Beobachtungen  sämtlicher  Instrumente  ange- 
stellt, jede  Minute  eine  Ablesung,  16  Minuten  lang  fortgesetzt.  Zwei 
Mal  im  Monat  finden  verschärfte  magnetische  Beobachtungen  statt; 
die  Variationsinstrumente  werden  alle  fünf  Minuten  ab,<?e1esen,  und 
eine  Stunde  lang  werden  alle  drei  Instrnmentc  ?leirlizciti?^  v(3n  drei 
Be(d);iclitiiii  n.uli  je  20  St'küiidcn  bcoliachtct.  iviirz  vor  oder  iiiuh 
die^>en  „Tci  niintiV-M  ir  nin  1.  und  15.  jedes  MoiuiU  üiuieu  die  abso- 
luten nia^nKtLschen  liest iinimiiiLren  statt. 

Das  Xordliebt  wird  stüiidlicli  auf  Form,  Liclit.^ärke,  Kiehtun^', 
Bewegung,  Höhe  uad  Farl>e  in  der  von  ^Yeyllrecllt  angegebenen 
Weise heobaclitet;  gelegentlich  werden  spcktro  1 .  'niMclitungen 

ausgefülirt.  Der  Stand  des  Wassers  (Ebbe  und  Flut)  wird  im  Sommer 
stündlich,  im  Winter  zweimal  täglich  yermerkt;  zugleich  werden 
im  Sommer  drei  Mal  taglich,  im  Winter  zwei  Mal  die  Temperatur  des 
Wassers,  sowie  im  Winter  die  Dicke  des  Eises  bestimmt  (zur  Zeit 
4'  6",  erreicht  späterhin  6'),  endlich  auch  nach  mitgenommenen 
Proben  das  spezitisclie  Gewicht  des  Wassers.  Aufser  den  oben  an- 
geführten Teniperaturbe;>bacbtungcn  werden  solche  noch  in  ver- 
silredeuor  ]i();ie  über  dem  Krdhtulcn  auge-tellt.  Die  Zahl  der 
Ablesungen  an  einem  gewöhniichen  Tage  ist  etwa  1500,  an  dciiTeriuiu- 
tagen  4500. 

Der  Sommer  hvu]<xt  se1])st verständlich  einige  Abwechselung  in 
unser  einförmiges  Leben.  Die  freie  /<  it  wird  zn  zoologischen, 
botanischen  und  anderen  naturwissenschaftlichen  Forschungen  und 
Sammlungen  benutzt  Eine  angenehme  Abwechselung  bietet  die 
Jagd,  besonders  auf  Gänse,  die  wir  im  Mai  und  Juni  mit  vielem 
Erfolg  betrieben;  der  Fischfang,  namentlich  im  Herbst,  liefert  reichlich 
vortreffliche  Fische  in  die  Küche  und  versorgt  die  Hunde  mit  Futter. 

Im  Sommer  werden  ferner  Kxkur-ionen  zur  Aufnahme  einiger 
Teile  des  Delta  unternommen,  v.ohei  namentlich  die  Punkte  berück- 
sichtigt wenlen,  die  durch  de)i  an  .iiiicklichcu  Ausgan.:  der  „Jeaunette**- 
Kxpediiion  eine  traurige  Dekanntb.eit  erlangt  haben,  t'ber  den 
AusÜug  des  Herrn  Lenfinit  Jürgens  schrieb  ich  Ihnen  im  Sohitm«  ]-; 
er  wurde  leider  durch  anhaltende  Nelicd  und  Winde  vielfach  gehindert, 
seine  Arbeiten  auszuführen.  Herr  Eigner  machte  im  Herbst  einen 
Ausflug  zu  dem  Platze,  wo  de  Long  mit  seinen  Begleitern  gelandet 
war  (etwa  30  Werst  östlich  von  der  Station)  und  besuchte  mehrere 
von  de  Long  auf  seiner  Wanderung  durch  das  Delta  berührte  Orte. 
Endlich  machte  ich  eine  Exkursion  zum  Kap  Büikow,  wobei  ich  die 
Orte,  wo  die  Leichen  de  Louj^s  und  seiner  Gefährten  gefunden  wurden, 


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—  294  — 

sowie  den,  an  welchem  Danenhauer  und  Melville  gebindet  waren, 
berührte;  ich  kehrte  länirs  dem  Fcstlande  bis  zur  Insel  Stolbovoi  in 
der  Lenarnündunir  und  von  dort  zur  Station  zurück;  neben  der  Auf- 
nahme der  Reiseroute  wareu  zoologische,  botauische  und  ^geologische 
Sammlungen  die  Hauptaufgabe,  die  ich  mir  gestellt.  Ein  photo- 
graphischer Apparat,  über  den  wir  verfagen,  ermöglichte  es,  Yon 
interessanten  Punkten  w&hrend  der  Exkursionen,  sowie  hier  von 
der  Gegend,  den  Menschen  u.  a.  Aufnahmen  zu  machen. 

Jetzt  im  Winter  vergeht  die  Zeit  einförmig;  Berechnungen  des 
Beobachteten,  Ausziehen  der  Daten  aus  den  Beobachtungsbüehem 
zur  Übersendung  nach  Petersburg  nehmen  die  ganze  Zeit  in  Anspruch; 
in  der  freien  Zeit  beschäftigt  man  sich  mit  Lektüre,  mit  der  wir 
reichlich  verschen,  und  ab  und  zu  fällt  auch  ein  Plauderstündchen 
ab.  Draufsen  giebt  es  nichts  zu  thun:  Dunkelheit,  Kalte  (heute 
—  48*^C.)  und  Wind  treiben  uns  bald  wieder  ins  Innere;  nach  etwas 
mehr  als  14  Tagen  kehrt  aber  schon  die  Sonne  wieder  zurück;  den 
gröfsten  Teil  der  dunklen  Zeit  haben  wir  hinter  uns.  Mit  Proviant 
sind  wir  auch  in  diesem  Jahi  e  gut  versehen  und  ich  möchte  hier 
die  Hoffnung  aussprechen,  dafs  auch  diese  Überwinterung  ebenso 
gut  wie  die  vorige  von  uns  ertragen  wird.  Stimmung  und  Gtesund- 
heitszustand  sind  gut. 

Ich  will  Ihnen,  da  mir  noch  einiger  Raum  übrig  bleibt  und  es 
Sie  vielleicht  interessieren  wird,  die  Dnrchschnittstemperaturen  der 
einzcluea  Monate  des  vergangenen  Beobachtungsjahies  mitteileu  und 
die  der  ersten  Monate  dieses  Jahres  hinzufügen: 


1882—83  1883—84 

September  +  0.^  08  +  0.57 

Oktober  —15.^)6  —14.1 

November  —27.9  —25.7 

Dezember  —  33  5  —33.3 

Januar  — 37.16 

Februar  —41.3 

März  —31.5 

April   —20.7 

Mai  —  8.1 

Juni  +  0.89 

Juli  +  5.07 

August   +  3.79 


Nehmen  Sie  dazu,  dal's  last  ein  beständiger  Wind  herrscht,  der 
bisweilen  zum  starken  Sturm  anwachst,  so  werden  Sie  sich  ein  Bild 
vom  hiesigen  Klima  machen  können. 


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—  295  — 

EHeinere  Mitteilungen. 


§  Ao8  der  geograplüsehen  Oesellteliaft  in  Bremen.  Die  argentinische 

AtlBStellang  unserer  Gesellschaft  war  vom  25.  Mai  bis  22.  Juni  dem  Publikum 
gegen  ein  Eintrittsgeld  von  50  Pfennigen  die  Person  geöffnet;  fiir  den  Besuch 
seitens  der  Mitglieder  des  hiesigen  kaufmännischen  Voroins.  sowie  dor  Sdiülor 
hiesiger  Schulen  war  dieses  Kintnttsgeld  noch  weiter   ormäl'.sigt.    Die  Aus- 
ßtellunp  wurde  im  ganzen  von   1141  Personen  bcsuclit:  nämlich  von  210  Mit- 
gliedern der  Gesellschaft,  26U  Mitgliedern  dos  kautuuinnischcn  Vereins  und  von 
3613  das  volle  Eintrittsgeld  zahlenden  Personen,  49  Personen  hatten  auf  Frei- 
blU«is  Zutritt  Die  Tagespresse  wArdigte  die  Bedeutung  des  Unternehmens  auf  das 
▼oUstfindigste  durch  ansf ührliche  Berichte.  Die  meisten  Besachor  kanften  den  von 
FrofessorT.  Seelstrang,  dem  argentinischen  Ausstellangskommissar,  verfafstcn 
Katalog;  letzterer  erschien  in  zwei  Auflagen:    die  erste  Auflage  wurde  zu 
20  Pfennige,  die  zweite  79  Seiten  starke,  mit  einer  sauber  ausgeführten  Über« 
sichtskalte    ausgestattete  Auflage  zu   80  Pfennigen    das  Exemplar  verkauft. 
Herr  v.  Scel?trang  veranstaltete  auch  eine  französische  Ausgalio  des  Katalo;^s, 
Im  ganzen  wurden  3(KK)  Kataloge  abgesetzt,  au(  h  wurden  eine  Anzahl  Exemjilan'  an 
Behörden,  Handelskammern,  natuiwisseuschaftlic  ho  Mnsoon,  ^'0(>gra[)liische  und 
Kolonialvereine  u  a.  versandt.    Kimh  Obereiukuntl  miL  li»  rni  rroiV.ssor  v.  Seel- 
strang wurde  ein  Teil  der  Ansstellungsgegenst&nde  an  Öffentliche  Sammlangen 
in  Deutschland  überwiesen,  so  die  Mineralien  an  das  königliche  mineralogische 
Moseom  in  Berlin,  die  ethnographischen  Objekte  teils  an  die  stidtischen 
Sammlungen  fftr  Natnigeschichte  und  Ethnographie  in  Bremen,  teils  an 
das  königliche  ethnologische  Museum  und  die  anthropologische  Gesellschaft 
in  Berlin,  die  arznei-,  gerbe-  und  faibstoffhaltigen  Pflansen  an  das  bota- 
nische   Museum    in    Hamburg,    die    Biu  her-    und    Kartensammlnng,  sowie 
verschiedene    amh  i  c    Gegenstände   an    die    fr^f^s^naphische    (Josellschaft  und 
an  die  Stadtbibliotliek  in  Bremen,  sowie  an  die  Bibliothek  Bolivar  in  Paris: 
ein  anderer  Teil  der   Ausstellungsgegenstände   wurde,  der  Bestimmung  der 
Aussteller  gemäfs,  wieder  an   dieselben  zurückgesandt.    An  vier  Abenden 
wfthxend  und  nach  der  Ausstellung  wurden  Vorträge  gehalten:  am  9.  Juni  sprach 
Herr  Professor  Dr.  Brackebusch  aus  Cordoba  in  einer  vereinigten  Sitzung 
des  naturwissenschaftlichen  Vereins  und  der  geographischen  Gesellschaft  im 
KoDYentsaale  des  Künstlervereins  in  Bremen  über  den  ai^entinischen  Bergbau, 
am  12.  Juni  trug  im  Unionssaale  in  einer  Versammlung  der  geographischen 
Gesellschaft  und  des  kaufmännischen  Venins  Herr  Professor  v.  Seelstrang 
über   die  Stadt  Buenos -Aires  vor,  am  l?.).  Juni   folgte  clKiida   ein  Yortnig 
über  die  Provinz  Buonos-Aires,  am  25.  An;:ust  ein  solcher  über  die  Ulcrland- 
schaft  dos  Ciran  Chaco.    Am  selben  Tage  naclMnittau's  hielt  der  Vorstand  unserer 
Gesellschaft  im  Uutenhof  eine  Schlufssitzung  in  Angelegenheiten  der  Ausstellung, 
zu  welcher  auch  der  argentinische  Ausstelluogskommissar  Herr  Prof.  v.  Scclstrang 
eingeladen  war.  Es  galt  sunftchst,  diesem  Herrn  für  alle  die  Sorge,  Mühe  und 
Arbeit,  welche  er  auf  die  Ausstellung  Terwendete,  den  wärmsten  Dank  der 
Gesellschaft  aussusprechen.  Dies  that  in  herzlichen  Worten  der  Prfisident  der 
Oesellschaft,  Herr  G.  Albrecht,  indem  er  mit  Recht  betonte,  dafs  ohne  die  Mit- 
wirkung des  Herrn  Prof.  v.  Seelstrang  die  Ausstellung  uohl  schwerlich  einen 
80  vollständigen  und  vielseitigen  Erfolg  gehabt  haben  würde.   Um  diesem  Dank 


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—  296  — 


einen  sichtbaren  Ausdruck  zu  verleihen  nnd  sogleich  als  ein  Zeichen  der 
Erinnening  an  die  deutsche  Heimat  überreichte  Herr  Albrecht  namens  der 
Gesellschaft  dem  Herrn  Professor  einen  silbernen,  inwendig  vergoldeten  Pokal 
und  einen  Wcinzettel  auf  ^1  Flaschen  Kheinufin  aus  dem  Ratskoller.  Der 

Pokal,  im  Reini^-snm  csril  sf  lir  <:os(  hmackvoll  in  einer  hiesigen  Fal>rik  ans- 
gofi'ilirt.  roiut  als  lu'^i  luift  die  Ki innemn;?  an  die  An^sfonunj:  nml  die  Gfsell- 
Sf  liaf!  als  Stiftciin.  Herr  Trof.  v.  t^.'clstranu' »laiikte  bcwc-it  für  die  Anerkciir.nnjz, 
weli'he  ihm  durch  diese  F.hren^'i  he  lin-fifet  worden  und  tlic  iliiii  die  Erinnerung 
an  die  in  Bremen  verlebte  '/.  it  dopp'dt  li^  l)  und  wt-rt  maehe.  indem  er  sieh 
godunn  zu  einem  kurzen  liiiekbUtk  auf  das  Au^.s^<.  Üun^.sunteruehmen  wandte, 
änfserte  er  sich  in  folgcuden  Worten:  „Im  Namen  der  argentinischen  Repablik, 
welche  ich  die  Ehre  hatte  während  dieser  Anpstellnng  za  vertreten,  spreche  ich 
der  Bremer  geographischen  Gesellschaft  nnd  besonders  den  hier  vereinigten 
Kommtssionsmiiglicdpm  den  herzlichsten  Dank  aus  f&r  die  opferwillige  Dnrch> 
fnhmng  eines  Unternehmens,  weh  l.-'s  unsere  Völker  in  so  schöner  Weise  ein- 
ander jKiher  };;crückt  hat.  lu  einer  Zeit,  wo  alles,  besonders  in  Deutschland, 
zur  ]irakl isclien  Venvcrtunir  des  ev'an'jrten  Wissen'!  drän;^t.  hat  Ihr  Verein  zuerst 
diesen  Weg  einigest  ala'zea :  er  hat  für  einen  Aurjenbli'  k  die  .strenge  l  orschung 
b(  i  Seite  •,:eleL't.  um  den  Stalnnle^l:eno^  sen  weitere  llorii^orite  zu  öffnen  und 
neue  l'aliii"!!  zu  weisen,  l'nd  ein  schöner  Krfolg  war  der  Lohn  dieses  patrio- 
tischen Heginnens,  auf  w^elchcs  »Sie  mit  Genugthuun«;  zornckschau^  kdnnen. 
Die  Blicke  des  deutschen  Handels,  der  Industrie  und  der  Auswanderung  richten 
sich  mit  steigender  Aufmerksamkeit  nach  Argentinien,  und  es  ist  unzweifelhaft, 
dafs  zahllose,  wechselseitig  vorteilhafte  Beziehungen  ans  der  Initiative  Ihrer 
Gesellschaft  zwischen  beiden  T.'indem  erwachsen  werden.  Jetzt  kommt  es 
darauf  an.  das  einmal  erwachte  Interesse  nicht  erkalten  zu  lassen  xmd  dem 
Puldikuui  die  (iele^'eidieit  znm  Studieren  argentinischer  Verhiiltnisse  auch 
fernerhin  zu  gewähren.  Tiul  zu  diesem  Zwecke,  zu-'leich  aber  als  Ausdruck 
der  wärmsten  Anerk"nnun*r  für  die  hohen  Verdienste  dieses  V- nins,  beehre  ich 
mich,  Ilinen  im  Auftraire  intMuer  I'eL;ierun;u;  die  mamni^fa;  lien  Sammlungen  zu 
überweisen,  welche  einen  bedeutenden  Teil  der  Ausstellung  bildeten.  Mögen 
dieselben  fördernd  und  fruchtbringend  auf  den  strebsamen  Geist  des  deutschen 
Volkes  einwirken,  nnd  zur  richtigen  WertschStzung  des  jungen  argentinischen 
Staates  beitragen!"  —  Damit  die  Ausstellung  ihren  Zweck,  Anschauung  und 
Belehrung  über  die  Verhfiltnisse  Argentiniens  in  möglichst  weite  und  zahl- 
reiche Kreise  zu  tragen,  vollständig  erfülle,  waren  die  oben  angegebenen 
niedrigen  Preise  für  Pesnch  nnd  Katrilog  fcstgesef/ct  worden;  so  stellte  si;b 
denn  die  Einnalinie  niedriger  als  die  An>;;al)e.  und  es  ergab  sich  ein  Detizit 
von  llOö  Mk,       I'f.    Die  Kinnahme  bdri-g  i5r.ndich  Mk.  .'10  Pf.  die  Aus- 

gabe (5H14  Mk.  ö.»  i'f.  l)ie  Deckung  des  lu  liziis  üliernimmt  <lie  Kasse  unserer 
(Jesellschai't.  Jedem  Aussteller  ist  ein  i-echt  gc  schmarkvoll  ausgeführtes  Dijdom 
Über  seine  Beteiligung  an  der  Ausstellung  von  Vorstand  übereandt  worden. 
Endlich  wurde  in  der  Vorstandssitzung  am  25.  August  beschlossen,  besondere 
Dankschreiben  an  den  Präsidenten  der  argentinischen  Republik  Brigadiergeneial 
Jnlio  Hoca,  an  den  Ministersekret&r  des  Innern  Dr.  B.  de  Irigoyen,  an  den 
Präsidenton  der  argentinischen  geographischen  Clesellschaft  Estanisiao  ZebaUos 
nnd  an  das  Hans  II.  Hollmann  &.  Co.  in  Puenos-Aires  zu  erlassen;  auch  soll 
die  Firnennnng  der  Herren  ZebaUos,  Dr.  Jose  Lopez  nnd  Professor  V.  Seelstrang 
zu  Elire)imit'.'!ie(k'rn  bei  der  nächsten  Generalversammlung  der  Gesellschaft 
beantragt  werden,   iierr  Profesbor  v.  Seelstraug  reiste  am  26.  August  mit  Lloyd- 


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dampfer  von  Antwerpen  nacli  Buenos -Aires  zarü  k  .  (Kr  Delegiert©  der  argen- 
tinischen Ri'gieiiiiig,  Herr  Dr.  J.  Lopez,  bc<;ab  bich  schon  früher  wieder  nach 
seinor  Heimat.  Die  C1e^^ells(•l;uft  (l;irt  auf  d;(S  nunmehr  völlig  ab;.'( ->-hh)ssenc 
Ciiieruehmeii  der  Aasstellang  mit  (.lern  Gefühl  der  Befriedigaug  zuriiolvblicken. 

§  Polarregiunen.  Die  Schuuerbcrichte  über  das  unglückliche  Schicksal  der 
MSnnery  welche  rntterLeutnant  G  reeley  s  Fähmngdie  nördlichste  der  Polarstationen, 
diejenige  an  der  Lady  Franklin -Bai,  besetzt  hatten,  sind  in  aller  Hunde  und 
brauchen  deshalb  hier  nicht  wiederholt  zu  werden.  Auch  die  Ursachen  dieses 
traurigen  Ausganges  jener  Cuternehmung  wollen  wir  hier  nicht  näher  unter- 
snclien,  sondern  nur  darauf  hinweisen,  dafs  es  jedenfalls  ein  kaum  zu  verant- 
wort  nd«  s  Wagnis  war,  eine  so  weif  nach  Norden  vorgeschobene  Station  ohne 
Schiff  7Ai  his.'^en.    Vorh'iutige  Dericlite.  die  wir  in  der  r.inerikani-'-lieii  Zeit.sciirift 
.SririK  O"  und  in  tli  r  Londoner  .Nature"  tiiiden,  geben  un.s  einige  nähere  Au.s- 
kuutr   ülji  r  ilie  geograpiiisclien  Krg"bnisse,  die  wir  Iiier  nur  kurz  verzeieiinen 
uolk'M,  in  der  Erwartung,  dala  ausfülalKiierc,  von  Kurten  bcgleilete  Mittedungeu 
nachfolgen  werden.  Die  Entdeckungsreisen  erstreckten  sich  einmal  nach  Nord- 
Grdnland,  sodann  in  das  Innere  von  Qrinnell-Land.  Greeley  gab  in  einem  zu 
Montreal  auf  der  Versammlung  der  British  Association  gehaltenen  Vortrage  das 
Entdeckungsgebiet  der  Franklin*Bai-Station  auf  3  Breiten-  und  über  40  Ijfingen- 
gradc  an.   Die  bedeutendste  Sclilittenrei^>e  n.uh  Nord-Grönland,  von  o')trigigcr 
Daner,  hat  unsere  Kennini.s  vom  Wrlauf  der  Nordkü.'-tv  (inuilauds  um  40  miles 
nach  Norden  ausgedehnt.    liCutnant  Lockwood,  der  Führer  dieser  Ivxpoilition, 
vermochte  von  einem  Berge  der  durch  ihn  entdecktcu  Lockwooil-Insel  igeltgen 
auf  KV'  24'  nijrtil.  Hr.  und   UV  l.j'  wostl.  L.  Gr.)  ilie«lvü.ste  Grönlainls  l)is  zu 
etwa  S;V' ö.y  niudl.  Kr.  ujid  iio   westl.  Ji.  zu  verfolgt  n.    Von  diesem  l'unklf,  der 
Kap  liobert  Lincoln  genannt  wurde,  schien  sich  Gröidand  noch  weiter  nach 
Norden  fortzusetzen.    Diese  nördlichste  Küste  Grönlands  ähnelte  in  ihrem 
Charakter  vielfach  der  gronifindischen  Südküste;  schnee-und  eisbedeckte  Fjorde 
schnitten  tief  in  ein  hohes,  schroff  aufsteigendes  bergiges  Land  ein,  Inseln  waren 
vorgelagert  Die  Vegetation  war  die  von  Grinnell-Land;  der  arktische  Mohn  und 
verschiedene  nördlich  vom  H:k  Grade  v  a  l.  . udo  Saxifragon  wurden  initgebrac  ht, 
Spuren  von  Ei.sbären,  Lemmingon  und  Kihiiu  iisen  angetroffen,  auf  dem  nördlichst 
erreicliten  Punkte  ein  Schneehase  und  ein  .S(  Iwicidiulm  orl)eutef.  aucli  der  Huf 
einer  hchnetammer  vornomni'.  ii.   l)ii'  Fhifw  •lle  aui  Nonlcnde  dva  iSmith-Sunües 
kam  Vom  Norden,  bei  Ka[>  Saiii'h-  vom  Sinl  n;   die  nörtlliche  Title  war  2  Grad 
v.iirmer  als  die  südliche;  in  Lady  i'raiikiiii-Lai  stieg  die  I'lut  8,  bei  Kap  Sabine 
12  Fufä.    Leutnant  Lockwood  fand  an  dem  nördlichsten  von  ihm  erroichien 
Punkte  keine  FolarsirÖmnug,  auch  vermochte  er  kein  offenes  Polarmeer  zu  ent- 
decken. Die  geographische  Lage  dos  nördlichen  Punktes  wurde  durch  zwei- 
tigige  Beobachtungen  ermittelt  Auf  der  Rückkehr  wurde  bei  Kap  Britannia, 
dem  nördlichsten  von  Leutnant  Beaumont  (Expedition  von  Narcs)  erreichten 
Punkte  die  hier  aufgepflanzte  eiiLdischc  l'lagge  und  ein  Sextant  aufgefunden  und 
mitgenommen.     Sehr    bedi  utcnil    und    umfangreich  scheinen  die  Hi  isen  nnd 
Entdeckungen  in  Grinnell-L.md  zu  sein.    Diese.s  fjt»i(l-  und  glet.schcrreiclie  eis- 
bedeckte Land  wunle  in  sütiv.estli(  her  Lichtung  Ijcinahe  duri  hkreuzt  und  der 
etwa  4ö<JU  i  .  im'ti    \!ouiit  Arthur  erstiegen.    Las  iiand  zuiscben  »b  in  Ki  ini(  dy- 
und  dem  Hol)* -on-lvanal  bis  nach  dem  vermuteten  Lfcr  des  wesliicdu  u  ark- 
tischen Oeeans  zeigte  sich  im  JuH  fast  eisfrei,  bei  einer  Exkursion  von  löO  miles 
traf  Greeley  keinen  Schnee.  Die  Vegetation  war  üppig  und  der  Boden  mit  Gras, 


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—  298 


Saxifragen  und  Weiden  bedeckt.  Während  des  Sommers  weiden  hier  pejren  die 
Küste  hin  Herden  von  MoBchasochsen,  beim  Ueraiuiaheu  des  Winten  ver- 
schwinden sie  landwärts. 

Einen  wertvollen  Ueitra^  zur  p}iysikalis(h-;„'oorrr;iphisclien  Kenntnis  des 
Smithsiindes  und  seiner  Naclibarschat't ,  sowie  eine  kritische  Geschichte  aller 
früheren  in  dieser  Richtung  polwftrtt  Torgegangenen  Expeditionen  bietet  die  in 
den  Verhandinngen  des  U.  St  Naval  Institute  erschienene  über  100  Seiten 
starke  Abhandlang  des  Dr.  Emil  Besselsr  the  Smith  Sonnd  and  its  exploration. 

Ans  Nannortalik,  Mftrs  1884,  datiert  ein  Bericht  von  der  dänischen 
Expedition  (Ilolm  und  Garde),  welche  l&npere  Zeit  hindnrch  die  Ostkäste 
Grönlands  erforschen  soll.     Im  vorigen  Spätsommer  nnd  Herbst  wurden 
Exkursionen  n;trh  der  O.stkü.sto  <;f^ni;iclit  nnd  vom  15.  Oktober  an  im  Winter- 
quartier zu  Naiinortulik  regehnälsi^ie  metetM<)ln;^ische  und  mugnctisclie  Recdj- 
achtun;4en  ani:<'stellt.    Der  Winter  war  runh  und  streng,  jedorli  niclit  von  aulser- 
gewöhnlicli  langer  Dauer.    iSiciit  selten  traten  heftige  Sstürme  mit  plötzlichen 
Temperaturreränderangen  jsin.  Im  Qegensati  inr  Westküste  kann  an  der  Oat> 
küste,  wegen  der  ungünstigen  Beschaffenheit  des  Eises,  im  Winter  nicht  der 
Hnndeschlitten  xam  Transport  yerwandt  werden,  letzterer  mnls  Tielmehr  stets 
in  Böten  geschehen.  Bis  Jannar  1884  war  die  Temperatur  der  Lnft  niemals 
nnter  —  10,5"  C.  gewesen.    Zu  Zeiten,  besonders  wenn  der  Nordost Föhn* 
herrschte,  zeigte  das  Thermometer  0*  C.    Am  ö.  Dezember  1888  stieg  letzteres 
währenil  rincs  .'■olchou  Windes  auf       10'  C.    Im  Januar  nnd  l"<  bniar  traten 
Siren^ere  'i\'mpenthii<  n  ein,  im  Februar  war  mehrmals  —       C  und  am  0.  März 
trat  (lif  niedrigste  'lemperalur  —  21.:')'       ein.  —  Die  Station  Nannortalik  liegt 
auf  einer  Insel  und  beträgt  die  Zahl  der  m  der  Niederlassung  wohnenden  Ter- 
sonen  250.  Benachbarte,  weiter  in  die  See  hinans  liegende  Inseln  werden  dos 
Frühjahrs  Ton  den  Grönländern  des  Seehunds-  nnd  Vogelfanges  wegen  besncht 
Die  nordwärts  gelegene,  schwer  sngängliche  Insel  Sermenok  entfaltet  in  einer 
wilden  Bergscenerie  mit  bis  über  die  Wolken  reichenden  Gipfeln  die  ganse 
Schönheit  der  grönländischen  Landschaft.    Hoi  klarer  r>urt  tn.  l  i  uhigem,  son* 
nigen  Wetter  liegt  die  Insel  so  friedlich  im  Ocean,  dafs  sich  der  Be.sui  lier  ver- 
sucht fühlt.  (Iii'  hoben  Piks  7.n  erklettern  ;  anders  ist  das  Ibid.  wenn  der  Stnrni 
die  Felsenkiiste  peitscht,  die  wie  Kii-sen  driinendeii  l*iks  von  jagenden  Wolken 
umlanzt  werden  und  die  See  eine  einzige  Masse  (lain[»fi  iul('n  (iis.  lites  ist  Auch 
das  grönländische  Festland  bildet  ein  grolM  s.  klüfterciches  Dergland,  dessen 
Gipfel  bis  so  8000  Fnfs  aufsteigen.  Mächtige  Gletscher  reichen  bis  in  die  See 
hinab.  —  Nannortalik  besteht  ans  30  torfgedeckten  Hütten  nnd  es  giebt  hier, 
wo  der  königlich  dänische  grönländische  Handel  dnrch  eine  Agentur  vertreten  ist, 
auch  eine  Bäckerei  nnd  eine  Brauerei.  Die  Hermhnter  Mission  hat  eine  Kirche 
und  eine  Schnle.  Zum  Zweck  der  Beobachtun<;en  waren  zwei  mit  einander  durch 
ein  Teleplion  verbundene  Häuser  errichtet.    Unweit  Nannortalik  erstreckt  sich 
der  liebliche,  fii)  niib  s  lange  Taserniiut-Fjord.    An  seinen  Ufern  entfaltet  sich 
im  Sommer  eine  üpi)ige  \  i';_'eiation,  Hitze  und  Moskitos  werden  unerträglich. 
Die  Leute  von  Nannortalik  bolen  sich  von  den  Ufern  dieses  Fjor(is  ihr  Feuerungs- 
raaterial,  die  benachbarten  Berge  sind  reich  an  Schneehühnern,  Schneehasen, 
Füchsen  and  Eisbären,  die  Bacht  nnd  die  in  sie  einfliefsenden  Gewässer  liefern 
Lachse,  Häringe  und  Seehunde.  —  Im  April  dieses  Jahres  gedachte  die  Expedition 
wieder  nach  der  Ostküste  anfinibrechen.  Die  Hälfte  dea  Personals  sollte  snm 
Herbst  wieder  nach  Nannortalik  znr  Oberwintemng  mrückkehien,  während  die 
andere  Hälfte  den  Winter  1884/86  an  einem  passenden  Punkte  der  Ostküste 


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-  299  — 

sabnng«tt  boU.  Die  FoncHuig«]!  werden  bis  znm  Herbst  1885  aoBgedebnt 
werden. 

Die  Verhältnisse  des  grönländischen  Treibeises  bei  Island  wer- 
den in  einem  mit  einer  Karte  und  einem  Di3<»ramm  anspestattoten  Aufsatz  von 
Th.  Thoroddsen  (.Ymer-,  lioft  *{  und  4,  1884)  klargelegt..  Über  das  jährliche  Auf- 
treten dieser  Gc-ilsel  Islands  —  mau  kann  sie  mit  Recht  so  nennen,  denn  sie 
stört  und  beeuitruchiigt  auf  das  Schwerste  die  Hauptgewerbe  der  Isländer,  die 
Fischerei  and  die  Viehzucht  —  liegen  Aufeeichnungeu  seit  dem  Jahre  1800 
Tor.  In  dieser  Zeit  bis  1883  waren  die  KAsten  Islands  nur  in  90  Jahren  völlig 
eisfrei.  Die  schlimmsten  Eisjahre  waren  1802, 1807, 1817, 1881, 1889, 18S6, 1886, 
1869,  1881  nnd  1882.  Gegen  Ende  Angost  wird  die  Insel  meist  immer  eisfrei, 
nur  zwei  Ausnahmen  gab  es  in  diesem  Jahrhundert  von  dieser  Regel :  181^  wo 
das  Eis  den  23.  August  kam  und  den  9.  September  wegtrieb,  und  1HH2,  wo  es 
im  Mai  erschien  und  den  M.  September  verschwand.  Soptcmber,  Nuvi  inber  und 
Dezember  sind  die  am  meisten  eisfreien  Monate  im  Jahre.  Der  Polarstrom  führt 
das  Eis  zn nächst  nach  der  Nordwestküste,  bei  Kap  Nord,  von  da  wendet  sich 
die  Haupt luasse  des  Treibeises  durch  die  Dänemarkstrafse  längs  des  südlichen 
Teils  der  grönländischen  Ostküste,  ein  Rest  geht  lüngs  der  Nord-  und  Ostküste 
Islaxids  ins  Grönlandsmeer,  eine  Bewegung,  die  natürlich  durch  die  jeweilig 
herrschenden  'Winde  beeinflnM  nnd  verSndert  wird.  Das  Treibeis  besteht  teils 
ans  Eisbergen,  welche  mehr  an  der  Nordwestküste  erscheinen,  nnd  ans  Flftchen- 
eis,  welches  sich  mehr  längs  der  Nord-  und  Ostkü.ste  hinzieht.  Die  jedesmalige 
Annäherung  des  Treibeises  zur  Insel  ist  mit  dem  Eintreten  rauhen,  stürmischen 
Wetters,  Hegen-  und  Schneefällen  verbunden.  Mit  dem  Treibeis  kommen  mit- 
unter, besonders  bei  schwerem  Eise,  Eisbären  nach  Island.  Dies  war  namentlich 
im  November  18H1  der  Fall,  wo  mehrere  Eisbären  an  Land  kamen.  Auch  See- 
hunde treiben  ötu-r  mit  dem  Eise  an,  seltener  Walrosse;  doch  wnrden  an  ver- 
schiedenen Stellen  auf  dem  Treibeise  W^alrolsskelette  und  Walrofszähue  gefunden. 

An  vorläufigen  Yer6ffientUehnngen  über  die  Ergebnisse  der  Arbeiten  der 
internationalen  Polarstationen  verseichnen  wir  eine  Abhandlnng  des  Herrn 
Dr.  A.  Dsnckelman  in  der  meteorologischen  Zeitschrift  1884,  Heft  3  und  4, 
das  Yon  dem  dSnischen  meteorologischen  Institut  verdffentlichte  ,B6snm6  des 
tramnz  de  rexp6dition  Polaire  Danoise  internationale  snivi  d^nn  sommaire  des 
observations  m6ti6oroiogi(|ues  faites  pendant  la  (b'iive  du  Dymphna  dans  la  mer 
de  Kara"  nnd  einen  in  der  Zeitschrift  „Ymer*,  1884,  Huft  H  und  4.  veröffent- 
lichten Vortrag  des  Kand.  Ekholra  über  die  wissonschaftlicben  Beobachtungen 
der  schwedischen  Polarstation  auf  Spitzbergen  IKSJ  H.'i. 

Als  Sepaiatabdruck  aus  der  niederländischen  geographischen  Zeits(  luift 
erschien  ferner:  de  N ederland'sche  Poolexpeditie  in  de  Kara-Zee  door 
L.  A.  H.  Lamie,  mit  Tabellen,  Kurs-  nnd  Eis-Trifticarte. 

Von  Dr.  Hyades,  Mitglied  der  französischen  Polarstation  Kap  Horn, 
wurden  zwei  anthropologische  Abhandlungen  Über  die  Fenerl&nder:  sur  le 
Sjstöme  dentaire  des  Fu6giens  und  sur  rhygienc  et  la  medecinc  chez  los  Fn^giens 
yeröfifentlicht ;  schon  ein  flüchtiger  Einblick  in  diese  Schriften  seigt,  wie  anfser- 
ordentlich  fleifsig  and  vielseitig  die  Beobachtungsthätigkeit  des  genannten  Herrn. 
Arztes  der  Station,  gewesen  ist.  Die  Anthropophagie  erklärt  Dr.  U.  bezüglich 
der  Feuerländer  ilcs  Kap-Horn-Archipels  für  eiii»^  Fabel. 

In  der  Nähe  der  dänischen  Kolonie  Julianeha;ih.  Westgrönland,  wurden 
am  18.  Juni  d.  J.  auf  einer  Scholle  vou  Grönländern,  die  auf  den  Seehundsfang 
ausgegangen  waren,  ▼ersohiedene Gegenstände  Yon  der  ,Jeannette'-Expedition, 


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—  300  — 


nanu  ntli(  Ii :  llo^tr  uiner  llolzkisie,  Papipro,  (  in  (  Ikm  kl-r.v  h  und  oin  l'aar  mit 
.Lunis  N*>rus  ■   ;_"  n^-i  ktt>  lic.-cu  :ius  (  ;^.  tnn'U  ii.     lin^i  -.  \vui\l«'  oiiizit*!!, 

uiitt  r  Uiili.  ii'r  Lh;m  iuciijiiu;^  il<  r  (»c^t  Uätuntio,  licui  diini  .  r.i  ii  K*>Uhul  in  Ni  uvork 
durch  (ion  dtiuiächon  Kolunicvcnvallor  Lylzcu  in  Julianehuub  gemeldet ,  ein 
amerikanisches  KryoIith>  Schiff.  •Flaorioe",  Kapitän  Wilson,  überbrachte  den 
Brief  am  18.  August  von  Ivigtat  nach  Philadelphia.  Die  Ein7,otheit^n  über  diesen 
merkwürdigen  Fond,  welcher  noch  nicht  nach  Europa  oder  Amerika  gelangt  ist, 
enthält  eine  uns  soeben  zagesandtc  Brosrhtuv  d<  s  Herrn  <  h.  I'rooks  in  Sun 
Frawrisco.  y\du  v<  riuntet,  dafs  die  betreftViidc  in  ile  im  Norden  von  Sibirien 
clurcli  tlus  ürönlandsin'f  r  drr  jirrtnliiiiilisrlicn  Oslkiislo  \i\u\  sodann  mit 

der  liokannten  Siitiit  iii:_'  an  iI't  ^Vl'4k^ist^'  liinanf  jiitiiidirn  sii.  llrir  I'.rnoks 
gründet  auf  dit  si  n  i  und  d»  ii  \oi>  idau'.  an  Y*'r-<  luL-dfin-n  J^lelicn  auf  iiiss;  ludifii 
di's  PolunnerT«  s  (Miir'  i  i-  An  .alil   lu  :.v»ntlei s  gi'nierkt»'!  Ki.^h  n  zur  Vei  voil- 

stiindij;ung  unseriii  Ki  nnluis  vtju  d.  u  Pularströmuni^i  ii  uu:>.aifect/LU. 

Wie  hoch  man  auch  die  Er^obnitiso  der  Arbeiten  der  Polarstationen  schätzen 
mag,  so  wird  doch  die  Geographie  der  Polarregiouen  endgültig  immer  nnr  dnrch 
die  vordringende  Polurforsclmng  festgestellt  werden  können.  Neben  dem  Studium 
der  phyFisch-gcographisi'hcn  I  hat-ai  h  ii  und  r.i>  im  iiiini^^on  an  bestimmton 
Punkli'n  sind  uns  daher  Entdi  <  ktui_>rt'isen  in  ttie  unbekannten  Gebiete  des 
arkli  '  Ikmi  und  antarktischen  Zirkels  nach  wie  v<»r  uucntlti  In li'  h  und  als  oini» 
sohdi'^  Entdeck iiM'-  reiso  vi>n  ^rcdVi  r  Pedeutmi;:  wäre  dir  zuf.  l  ji-  iMn;:>-na(di- 
riclili'ii  VdU  dtT  riis:  isrhrn  A  d  ni  i  IM  1  i  t  ;i  1  ;'i']ilanl«'  rnli'i  uvdiiiiuuL;  /u  h,>- 
xci(dincn.  Eine  auf  dr<'i  .laiirc  Im  i  fidiHL'tf  1',  \  p  e  d  i  r  i  o  n  ^<dl  nüniürh  vn  der  n  o  r  d- 
bi IW l  i !b (■  ii e  n  Küsii'  zuniudi.>-t  zu  den  Neu-^Sibii  i.->eii(  n  Insehi  vorgehen  und 
sodann  die  durch  de  Long  entdeckten  Eilande  Jeannette,  Bennett  und  llonrietta 
XU  Schiff  zu  erreichen  suchen,  liier  sollen  grofse  Vorräte  niedergelegt  werden 
und  es  soll  das  weitere  Vordringen  nordwärts  in  drei  Abteilungen  stattfinden. 
Wenn  in  dem  Plane  von  Verwendung  von  Dampfern  die  Uode  ist,  so  wird  es 
einige  Schv  ■  i  /kt  iton  haben,  überliaupt  einen  Dampfer  in  jeno  entlegene  d 
der  sil)iris(  hell  Kü.'-te  zu  bringen.  Ide  Li  na  mündet  in  d(  r  Xäiie,  sie  wird  aber 
bis  jet/.t  nur  von  ein/einen  Flid'sdaHq)f(  rn  b  fahren.  lJi';'.ü;_:lieh  d  r  K".4fn  der 
E"^ jteilitiun  v.  ird  b  rirhlef.  dals  dies,  lln  n  wabr.-rbcinlii  Ii  dnri  b  i'ine  Naf ional- 
hul^skripi  ion.  (kuH'ii  ]>>dlr.l;_T'  der  li''.'M'rnn;.'  unii  der  'o-i  aiilr^' Iien  t  lorll  -riiuft 
gedeekt  weiden.  —  Ziemlii  h  uub*  .>.tiiunit  iau'n  ii  bi^j  jei/t  die  Naehneiiien 
Über  eine  von  dem  amerikanischen  In^'enieur  Melvillo  beabsichtigte  neue 
Potarreise. 

§  Vlll  der  UoldkUdte.  In  der  Dozemberaitznng  1883  der  geographischen 

Gesollschaft  zu  Genf  teilte  Herr  J.  Prost,  ein  fian/-ösischer  Ansi-'dler  in  Ehnina, 
dessen  Mitteilun;:  n  üb»  .•  diese  französi:>elic  Kolonie  wir  in  I5and  VI.  S.  IJVi) 
braiddcn.  S(dne  IJ  .-lj.ii  ldnn..en  und  Erfahrnn;i -n  in  lu  tietY  (b's  A^idninti-Volkcs 
mit.  Die  As(diantis,  .v;i-;!e'  vr,  sind  ein  liandi.l;-volk.  von  kb^ineni.  maxierem, 
knexbi^iem  K(>iiierl.tau,  tbä;:L'.  niub.iern  und  krieu'riyeb ;  der  Aber;L;laube 
spielt  bei  ihnen  eine  hehr  ;;i  uihe  UoUo,  Dio  wiehlig.steii  Ue werbe  sind  die  GoUl- 
und  Eisonbearbeitujig,  die  Töpferei  und  die  Seidenweberei.  Die  mineralischen 
und  vegetabilischen  Schätze  des  wasserreichen  Bodens  begünstigen  diese  Gewerbe 
in  hohem  Mafse.  Das  gewonnene  Gold  besteht  nicht  allein  in  Goldstanb,  sondern 
auch  in  Goldkomern.  Die  Wälder  enthalten  wertvolle  Färb-  und  Nutzhölzer; 
besonder»  hervorzuheben  i.-^t  der  Gummibaum.  Das  Gebiet  der  Aschantts  ist 
aufserordeutlich  reich  an  Wild;  ein  50  km  südlich  von  Kumassie  gelegener 


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—  301  — 

85  bis  28  Mdlen  im  Umfuig  messender  See  enthllt  eine  Menge  Speisefische, 
die  geräuchert  in  den  Handel  nnd  zwar  bis  nach  Dahome  kommen.  Einen 

\vichtiger  Handelsartikel  für  die  ins  Innere  gehenden  Karawanen  bildet  die 
Kailannffi.  Ein  Aschantimarkt  bietet  eine  reiche  Auswahl  von  riebensmitteln  nnd 
sonsfignn  l^fclarfsgegenständcn.  u.  a.  Orhson-  ntid  Schaffleisch  znr  Snppen- 
bereituMi^  in  Streifon  gosrhnitten,  Hirsch-,  \Vild.s(  hwcin-  und  Affeufleisrh,  Ge- 
flügel verschiedener  Art,  ferner  Bananen,  Rohrzucker,  lleis,  Enerouma  (ein  dem 
Spargel  ähnliches  Gemüse),  Pfeffer,  Pflanzenbutter,  Orangen,  Ananas,  Guyavcn, 
Citronen  u.  a.,  geräucherten  und  gesalzenen  Fisch,  Palmwein,  Sandalen,  Cala- 
basaen  nnd  TMschiedene  earop&ische  ArtikeL  Die  Früchte  nnd  Qemfise  werden 
alle  im  Luide  enengt;  Kokosnfisse  kommen  nur  an  den  Ifftrkten  der  Küste 
Tor.  Über  die  Spiache,  die  in  drei  Dialekten  gesprochen  wird,  Poesie  nnd 
Musik  nnd  die  primitiven  Musikgeräte  maclite  der  Redner  eine  Reihe  von  Be- 
merkungen. Die  Fetische,  Amulette  und  Talismane  der  Aschantis  sind  aufser- 
ordentlich  zahlreich,  die  meisten  Fetische  sind  in  den  "Wohnungen  nnd  sollen 
vor  Krankheiten,  Schlangen  und  Gift  bewahren.  Von  der  Griuisamkeit  und 
Menschenschläcliterei,  wie  sie  bei  den  Aschantis  noch  heute  gang  und  gäbe  ist* 
erzählte  der  Redner  grauenhafte  Beispiele. 


§  KiakiUai  «iid  Biallteker.  In  einer  der  lotsten  Versammlungen  des  nator- 
wiasenschaftUchen  Vereins  sn  Bremen,  am  81.  April,  machte  Herr  Dr.  Müller-Eixbaeh 
einige  Mitteilungen  über  Eishöhlen  und  Eislöcher,  welche  aufserhalb  der  Schnee- 
grenze gelegen,  doch  teilweise  während  des  ganzen  Jahres  gröbere  oder  kleinere 
Eismassen  enthalten.  Dieselben  finden  sich  gar  nicht  selten,  und  es  sind  z.  B.  die 
Höhlen  von  Dobsrhau  in  Ungarn,  von  Banme  bei  Besant.'on,  am  Untersberg  bei 
Reichenhall,  bei  Roth  in  der  Eifel  allgemein  bekannt,  bei  Grevenbrück  in  Wcst- 
phalen  haben  wir  eine  solche  in  gröfserer  Nähe.  Nach  der  Angahe  von  Pi  ofebsoi 
Schwalbe  hegen  die  Eisbehälter  stets  in  porösem  und  oft  spaltieichem  Kalkstein 
oder  Basalt.  Die  Höhlen  sind  kellerartig,  manche  gan^  niedrig  und  klein,  andere 
60 — 80  m  lang.  Das  Eis  bedeckt  entweder  den  Boden  oder  die  Wftnde  und  die 
Decke,  TereinaeH  erscheint  es  in  tropftteiaartigen  Gebilden,  sowohl  in  der  Form  Ton 
Stalaktiten  wie  von  Stalagmiten.  Die  Dicke  des  Eises  schwankt  awischen  einigen 
mm  und  10  m,  sie  ist  im  Winter  am  geringsten  nnd  im  November  '^ind  einige 
dieser  Höhlen  ganz  eisfrei,  zum  Frühjahr  hin  nimmt  sie  wieder  zu,  wird  gegen 
Mai  am  beträchilichstcn  und  nimmt  von  Juli  an  merklich  ab.  In  verschiedenen 
Jahren  weicht  die  Eisstärke  oft  bedeutend  ab.  Von  den  Eislöchern  aus,  die  in 
ganz  ähnlicher  Gesteinsforniation  gefunden  werden,  bemerkt  man  im  Sommer 
einen  leicht  erklärlichen  und  dann  abwärts  gerichteten  st.urken  Luftzug,  der  aber 
in  geringer  Entfernung  schon  aufhört.  Zur  Erklärung  der  Erscheinung  erscheint 
weder  die  Ansammlung  kalter  Luft  noch  die  Verdunstung  ausreichend,  innerhalb 
engerer  Höhlen  würden  beide  Uisaehen  die  Büdnng  grölserer  Eismassen  nicht 
Teraidassen  können.  Man  hat  deshalb  das  Durdisickem  des  Wassers  durch  das 
poröse  Gestein  als  den  Grund  für  die  Abkühlung  hingestellt  nnd  kann  die  Perio- 
dizität der  Eisbildung  allerdings  gut  damit  erklären.  Im  Winter  nämlich  würde 
die  Eisbildung  in  den  Höhlen  einfarh  deshalb  anfliörcn.  weil  in  (l<  in  zu  stark 
abgekühlten  Boden  ein  Durchsickern  nicht  möglich  ist.  im  Frühjahr  aber  wirkt 
dasselbe  in  dem  auch  jetzt  noch  kalten  Bud«'n  besunclers  stark  und  deshalb 
erfolgt  die  lebhafteste  Eisbildung,  welche  einen  grulsereu  Vorrat  für  den  Sommer 
»ich  ansammeln  läfst.    Wodurch  aber  beim  Durchsickern  das  Wasser  derartig 

a«ogr.  BlStt«r.  BrraMn.  1SS4.  21 


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—  302  — 


erkaltet  winl.  »lafs  es  beim  Austreten  aus  dem  Gestein  sich  in  Eis  verwandelt^ 
bleibt  bei  jener  Aunahme  uiue  noch  ganz  offene  Frage. 

Neue  Nachricliteu  vuti  ileu  üuuiii-inMelu.   Herr  11.  Melcherü,  Vorstaiids- 
mi^;lied  nnserer  OeseUscbaft,  sendete  uns  ans  Shanghai,  den  90.  Joni,  die  nach- 
stehenden Mitteilungen  eines  küntlich  von  den  Bonin -Inseln  xnr&ckgehebiten 
Reisenden.  Wir  geben  den  dankenswerten  Bericht  ohne  weitere  Erglnmogaa 
und  Bemerknngen  wieder;  es  wird,  da  eine  Erforschung  der  Inseln  im  Laufe 
dieses  Winters  durcli  Herrn  Dr.  Gotische  bevorsteht,  sich  später  Gelegenheit 
bietPii.  auf  die  Entdecknngs-  und  Erforschungsgeschichte  der  Inseln  noch  näher 
eiiizugelu'ii.    . AiiL'<"^i<bts  drr  bevorstehenden  Expodition.  welrlie  oline  Zweifel 
interessantes  und  s\i(  htigcs  Material  liefern  wird,  dürfte  es  Sic  besonders  inter- 
essieren zu  hören,  dals  ich  hier  kürzlich  die  Bekanntschaft  eines  Herrn  macht«^, 
der  die  Bonin -Inseln  jüngst  besuchte,  und  da  ich  eititauut  war  über  die  in 
mancher  Beziehung  gl&nxenden  Schildeningen,  gebe  ich  Ihnen  dieselben,  so  wreit 
mir  erinneilich  und  an  der  Hand  eines  dieser  Tage  noch  erhaltenen  bostitigen- 
den  Briefes,  nachstehend  wieder:  Die  Bonin -Inseln,  ein  kleiner  Archipel  too 
etwa  89  Inseln  und  Klippen  im  westiichen  Teile  des  Stillen  Oceans,  etwa 
60()  Meilen  südlich  von  Yokohama  und        Meilen  östlich  von  Shanghai  gelegen, 
sind,  was  kaum  allgemein  bekannt  sein  dürfte,  im  Jahre  lß7ö  durch  die  Japaner 
entdeckt,  alx  i  um  172')  wieder  verlassen  worden.   Zu  Anfang  dieses  Jaln linnderts 
gingen  diesdljon  in  englischen  Besitz,  über,  ohne  jedocli  von  Eti<^laiid  jc  knlonisiert 
oder  faktisch  besetzt  zu  werden  und  wurden  die  liiselu  vor  etwa      Jahren  den 
Japanern  zutüidi,  gegeben.   Wie  verlautet,  hut  die  japanische  Piegiernng  bis  jetzt 
aber  so  wenig  Nutzen  aus  der  zurück  eriangten  Besitzung  gezogen,  dab  man 
momentan  mit  der  Absicht  umgeht,  auf  einigen  der  Inseln  Stra&nstalten  oder 
Verbrecberkolonien  anzulegen.  Vor  40—50  Jahren  sollen  die  ersten  Einwohner 
die  Inseln  aufgesucht  haben  und  zwar  zunächst  Kanakas  von  Honolulu  und  den 
benachbarten  Inseln,  welche  die  ßonitis  gänzlich  unbewohnt  vorgefunden  haben, 
|wie  sich  auch  Spuren  früherer  Revölkernng  bis  soweit  nicht  haben  entdecken 
[lassen.    -  Auch  heute  übersteigt  die  Zahl  der  Einwohner  kaum  MM)  bis  r)00, 
worunter  etwa  1(H)  Kanakas,  während  das  (iros  der  Hevülkorung  lu  der  H:hii»1- 
sache   aus  Japanern  besteht.     Die  japani.s(  he   llet^ierung   veniusgabt  für  die 
Administration  der  Inseln  jetzt  jährlich  12U0UI)  Yen  (etwa  4i)tlO(X)  Mark)  und 
Minami  Jetski  ist  gegenwartig  Gouverneur  derselben.  Excellenz  Itinami  bat  es 
seit  drei  Jahren  an  grofsen  Anstrengungen,  das  Loos  der  kleinen  Einwohnerzahl 
zu  bessern  und  zu  heben,  nicht  fehlen  lassen,  während  von  seinen  Vorgfingem 
iu  dieser  Richtung  herzlich  wenig  geschehen  sein  soU.   F>s  werden  jetzt  zur 
Erleichferung  des  Verkehrs  Wege  und  Brücken  erbant  und  der  Gouverneur  hat 
sogar  auf  der  gröfsten  der  Inseln,  der  Peel -Insel,  eine  Schule  anlegen  lassen, 
die  auffeitblicklif'h  von  einem  Japaner  geleitet  wird,  an  deren  Spitze  aber  ehestens 
ein  l.iigliuuier  gestellt  werch-n  soll.       Industrie,  Handel  und  Handwerk  lieptMi 
jutuiilieh  auf  den  Honin-Inseln  oder  0-(iasawara-Shinui.  wie  diesellx  n  von  lU-n 
Japanern  genannt  werden,  noch  gunz  in  den  Windeln,  doch  dürfte  auch  hierin 
bald  bedeutender  Wandel  geschaffen  werden.  Unter  heftigen  ^insmen,  welche 
im  Marz  dieses  Jahres  die  Inseln  heimsuchten,  und  die  auf  denselben  bedeuten- 
den Schaden  anrichteten,  hatten  auch  manche  der  von  der  Regiernng  errichteten 
Gebäude-  mehr  oder  weniger  gelitten,  weshalb  der  Gonvcmenr  sich  veranlafst 
sah,  in  fremden  Schiffen  gröfsere  Quantitäten  Holz  zn  importieren,  um  den  an- 
gerichteten Schaden  damit  zn  reparieren.  Da  ein  grofser  Holzreichtum  auf  den 


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—  303 


Inseln  selbst  vorhanden  ist,  noiag  dies  als  Beweis  dafür  dienen,  wie  wenig  man 
die  eT|JeneTi  Hilfsquellen  noch  anszunutzen  weifs,  —  ja,  es  wird  sogar  vorgezogen, 
die  fertig  hergestellten  Gebäude  von  Jiq'an  koninicn  zu  lassen,  da  es  noch 
durchaus  an  einigerniafsen  geübten  llandwerkein  fehlt.  Von  Tempeln  oder 
religiösen  Gebräuchen  hat  mein  Berichterstatter  keine  Spur  entdecken  können,  — 
es  klingt  dieses  am  so  auglaublicber,  als  uns  die  Geschichte  und  Erfahrung 
lehrt,  dafs,  wo  Menschen  sich  sosamnieii  finden  und  hftnslich  niederlassen,  auch 
die  Religion  oder  der  Aberglaube  in  irgend  einer  Form  snm  Aosdmck  gelangt 
Solohes  soll  anf  diesen  glftcklichen  Insebii  wie  gesagt,  einstweilen  nicht  der  Fall 
sein,  trotzdem  lel)en  die  Bewohner  snfrieden,  glftcfclich  nnd  friedlichi  nnd  mein 
Freund,  der  in  jeder  Beziehung  entzuckt  war  Yon  dem  was  er  gesehok  und  er- 
lebt hatte,  war  voll  Staunen  darüber,  dafs  diese  Perlen  der  p  wie  er  sich 
ausdrückte,  bislang  so  wenig  Beachtung  gefunden  hälteii.  Die  Inseln  orfreuen 
sich  eines  ewigen  Sommers,  ohne  unter  zu  grofser  Hitze  zu  leiden,  die  Fruchtbar- 
keit ist  ganz  anfsergewohnlich  untl  die  Vegetation  fast  aller  Zonen  würde  hier 
die  günstigste  Entwic.kelung  finden.  —  Schon  vorstehend  erwähnte  ich,  dafs  die 
Inseln  reich  an  Hols  seien  und  swar  gedeiht  dasselbe  nicht  nnr  anf  den  nörd- 
lichen Iniei^^en,  den  Panry-Inseln,  sondern  auch  auf  den  sfldlichen,  den 
Beechey- Inseln,  zu  welchen  letsteren  die  Fed- Insel  gehört,  mit  dem  Hafen 
Lloyd,  «Port  Lloyd".  Dieser  Hafen  ist  leicht  zu^glich,  gewährt  einen 
sicheren  Ankergrund  und  wird  alljährlich  von  Tielen  Schiffen  besucht,  die 
Wasser  und  frische  TiCbensmittel  dort  einnehmen,  auch  gehen  gar  manche  Japa- 
nische Fischer  hier  ihrem  CJewerbe  imcli,  um  ihren  Fang  dem  Mutterlandc  zu- 
zuführen. Dil'  herrlichsten  Waldungen,  belebt  von  Hirschen  und  Wildschweinen; 
erstrecken  sic  h  bis  fast  an  den  Kand  des  Meeres.  Hier  gedeiht  u.  a.  der  Tamanu- 
baum,  welcher  identisch  ist  mit  dem  in  Mexico  vorkommenden  Jaiuuna,  dessen 
Hohe  eine^  prachtvolle  Politur  nnd  Farbe  annimmt  und  daher  dem  Haliagoni 
viel&ch  vorgezogen  wird;  um  so  erstaunlicher  ist  es,  dati  die  Unternehmungs- 
lust der  Menschen  noch  keinen  Nutzen  hieraus  zu  ziehen  gewnfst  hat,  da  die 
Kosten  des  BaumfUlens,  infolge  der  Güte  des  Holzes,  sich  ohne  Zweifel  reichlich 
lohnen  würden.  Die  Kolonisten  bauen,  ohne  viel  Arbeit  daran  zu  verwenden, 
Tabak.  Zuckerrolir,  Kartoffeln,  Korn,  Bananen,  Ananas  u.  s.  w.,  und  könnte  die 
Zahl  der  zu  kultivicrenrlen  Früchte  leicht  nach  Belieben  ausgedehnt  werden. 
Den  zahlreichen  Walfischfungern.  welche  in  diesen  (iewässern  kreuzen,  gewähren 
die  Inseln  schon  heute  eine  erwünschte  Ziifluchtsstättn  und  da  der  Walfisch 
(right  whale?)  in  grolsen  Ziigen  hier  vorkommt,  ilürt'te  die  Errichtung  einer 
Station,  um  den  Fang  von  hier  aus  mit  kleinen  Fahrzeugen  zu  betreiben,  nur  noch 
eine  Frage  der  Zeit  sein.  Auch  von  Schildkröten,  die  in  grofsen  Mengen  hier 
leben,  sollen,  wie  berichtet  wird,  mit  nicht  zu  grofser  Anstrengung,  SO  bis  80  tiglich 
erlegt  werden  können.  —  Der  Enthusiasmus,  welchen  mein  Freund  von  den 
Bonin-Inseln  mit  zurück  brachte,  geht  so  weit,  dafs  er  sich  zu  der  Aeufserang 
verstieg,  das  Paradies,  wenn  je  es  auf  £rden  gefunden  werden  könnte,  nur  auf 
diesen  lieblirhoii  Inseln  siulion  zn  mögen,  nnd  nach  allem,  was  ich  über  die- 
selben geluirt  und  jrtzt  gelesen  hübe,  schlirfse  ich  mich  der  Ansicht  meines 
Frenndes  insoweit  an,  als  ich  glaulje.  dafs  die  seit  Jahrhunderten  vergt-ssenen 
Inseln  ehestens  der  Verborgenheit  entzogen  und  einer  ergiebigen  nut^eulassendcn 
Kultur  entgcgengefübi-t  werden.  Dafs  die  von  unserer  Geographischen  Gesellschaft 
beabsichtigte  Expedition  dieses  Ziel  fördern  möge,  ist  unser  Aller  Wunsch.* 

Nachschrift:  Herr  Dr.  Hirth,  mit  dem  ich  den  einliegenden  Brief 
durchsah,  steOte  mir  ein  Werk  zu  —  Mimoires  relatifs  l  TAsie,  par  M.  J.  Rlaproth. 


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—  304  — 

Membre  da  Conseil  de^  la  Soci6t6  Asiatiqae,  Paris  —  in  dem  ich  einige  Notizen 
finde,  welche  Sie  in  dem  Brief  wohl  noch  verwenden  könnten:  1)  Die  Japaiuache 
Benennong  der  Inseln  O-tiasawara-Shimt»  aach  Okana  wara  Sima,  heibt:  üea 
saus  hommea,  weil  die  Inaein  Mher  stets  unbewohnt  waren.  2)  Fauna  nnd 
Flora  zeigen  grofse  Obereinstimmong  mit  den  Indischen  Inseln.  ,11  y  a  de  grands 
arbres  qni  sont  si  gros,  qn'nn  homme  ne  pent  les  embrasser.  Lenr  bois  est 
dnr  et  bcan.-  Die  prachtvollen  Wälder  zeigen  ein  eigentümliches  Geniisoh  von 
Ptianzon  der  tropischen  und  gemäfsigten  Zonen.  .Quant  aux  oiseaux,  on  y  voit 
differentes  especes  de  perroquets,  des  herons,  des  perdrix.  des  oiseaux  qai 
re&semblent  a  des  manettcs  blanches,  mai  qui  out  trois  pieds  de  longaear. 
Tons  ees  oiseaox  sont  si  pea  faroacbes,  qa'on  pent  les  pendre  avec  la  main. 
VOcAtai  y  est  gtetealement  riebe  en  prodoctions  variAes.* 

Die  RiiMM  Ttn  firo(li*Fri«iriehabuf  *  In  botreff  der  vor  knxier  Zeit  w 

öfTcntlichten  Berichte  über  die  Aufsuchung  der  alten  Rainen  des  ehemaligen 
kurfürstlich  brandenburgischen  Forts  Grofs  -  Friedrichsbnrg  an  der  Gk>ld- 
küste  durch  S.  M.  Korvette  , Sophie"  zu  Anfang  dieses  Jahres  hin  ich  in 
der  TiHge,  noch  einige  weitere  Mitteilungen  machen  zu  können.  Seil  Januar 
1882.  als  Leiter  verschiedener  Expeditionen,  welche  das  Appolonia  Gold 
Mining  Syndicate  in  London  ausrüstete,  an  der  Cioldkübte  thätig,  um  Bericht 
über  die  geologische  Beschaffenheit  der  Küste  sowohl  als  auch  über  den 
Goldreichtam  des  Landes  an  erstatten  eventnell  Lftndereien  an  erwerbeD, 
stiela  ich  anf  einer  meiner  Tonren  am  28.  Jnni  1883  anf  die  Ruinen  dea 
ehemaligen  knrf&ratlich  brandenbnrgischen  Forts  Grob -Friedrichsbnrg,  in 
anmittelbarer  Nähe  des  Dreifingerkaps  gelegen.  Wie  ich  nachher  in  Er- 
fahrnng  brachte,  so  waren  Kapit&n  Barton  und  Commander  Cameron  einige 
Monate  vor  mir  auch  dort  gewesen;  die  Hen-en  waren  damals  zu  demselben 
Zwecke  wie  ich  an  der  Goldküste  anwesend.  Die  Ruinen  liegen  auf  einer  An- 
höhe am  Meeresnfer,  etwa  3  miles  nordwestlich  von  dem  mittleren  Dreitinger- 
kap, welches  auf  4 44'  4ü"  iiördl.  Breite  und  2  '  5'  40"  westl.  Länge  von 
Qreenwich  liegt  Nahe  daran  führt  der  Weg  vorbei,  welcher  der  ganzen  Küste 
entlang  länft,  nnd  von  den  Häuptlingen  der  am  Strande  liegenden  DSrfer,  nnter 
Oberanfsicht  des  englischen  Kommandanten,  zu  dessen  Distrikte  sie  gehdren,  in 
recht  gntem  Znstande  erhalten  wird.  Die  Strecke  dea  Weges  von  Azim  bis 
znm  Dreifingerkap  gebort  zum  Axim- Distrikt.  Von  diesem  Kap  östlich  bis 
znm  alten  unbewohnten  Fort  Badenstein  in  Boutry  steht  die  Aufsicht  dem 
Kommandanten  von  Dix  Cove  zu.  An  der  westlichen  Seite  der  Anliöhc  liegt 
das  recht  ansehnliche  Dorf  Pmicefs,  welches  sich  längs  des  Straiidts  hinzieht 
bis  zu  der  etwa  eine  englische  Meile  westlich  von  dem  Ruinenhügel  gelegenen 
Mündung  des  Priucefsflusses.  Die  Eingeborenen  nennen  den  Flufs  Jianne  Baka. 
Mehrere  Häuser  dieses  Dorfes  sind  teilweise  aus  den  Überresten  des  alten  Forts 
aa^gefnhrt.  Die  wesleyanische  Mission  besitat  hier  eine  grofise,  geräumige,  sich 
in  gntem  Znstande  befindende  Kapelle,  ohne  Zweifel  sind  anch  bei  dem  Bau 
derselben  Materialien  des  Forts  verwendet  Die  Entfonmng  von  Azim,  alle  Weg- 
krümmnngen  eingerechnet,  betrügt  11  miles,  und  man  sieht  von  den  Ruinen  ans 
hell  und  klar  die  weifsen  Manern  des  alten  Forts  St.  Anthony  in  Axim,  welches 
gleichfalls  auf  einer  Anhöhe  am  Meeresufer  sich  befindet  An  mehreren  Stellen 
waren  die  noch  aufrecht  stehenden  Überreste  der  inasifiven  Mauern  von  Bäumen 
besetzt.  Mir  war  es  auffällig,  dafs  mehrere  Partien  des  alten  Gemäuers  aus 
grofseu  gebrannten  Backsteinen  bestanden,  während  andere  von  mir  besuchte 


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—  305 


&UIMII,  wie  diejenigen  anf  Akruraassi  Point  an  der  Uöndang  des  Ankobrah- 
flnsses,  sowie  anch  die  des  alten  Forts  Ruykhaver  am  oberen  Ankobrah  und 
die  des  noch  ziemlich  gut  erhaltenen  Forts  Badenstein  in  Boutiy  ans  rohen 
Diorit-  und  Granitblöcken  bestehen,  welche  durch  swich  verbunden  sind.  Ich 
fiuid  ein  noch  gut  erhaltenes  Gewölbe  vor  und  da  die  Leute  von  Princefs  village 
sich  weigerten  mir  irgendwie  behülilich  zu  ^ein,  indem  sie  behaupteten,  ein 
Leopwd  hfttte  sein  Lstger  dort  anfgeseUsgen ,  nahm  ioh  einige  meiiier  Krn- 
Neg^,  liels  den  Eingang  gehörig  sftnbern,  &Qd  aber  darinnen  solch  eine  Unmasse 
ron  kleinen  Sehiaogen  Tor,  dab  ich  genötigt  wax  mich  snrttelcsosiehen.  Um 
einigermafsen  Dmachan  halten  zu  können,  mnlste  ich,  da  alles  mit  Qestrfipp  und 
Sclilingpflanzen  andorchdringUch  überwuchert  war,  eine  gründliche  Reinigung 
des  Platzes  selbst  vornehmen;  auch  der  vom  Dorfe  dahin  führende  Weg  wurde 
von  meinen  Leuten  mit  ihren  machetes  gründlich  gereinigt.  Seihst  der  Appolonia- 
spräche  hinreichend  mächtig,  fand  ich,  dafs  es  von  ungemeinem  Interesse  für 
die  Einwohner  des  Dorfes  war  zu  hören,  dafs  das  Volk  meiner  Abstammung  die 
Erbauer  dieses  Forts  gewesen  und  versprach  mir  der  Uäupümg,  uaclidem  wir 
nach  landesüblicher  Sitte  uns  gegenseitig  unsem  dash  hatten  ftboreichen  lassen, 
wanigiitens  für  die  Instandhahnug  des  Weges  zu  soigen.  Die  Rainen  des  anderen 
ehemaUgen  brandenburgischen  Forts,  Dorothea,  liegen  etwa  4  miles  Östlich  von 
dem  oben  genannten  mittleren  Kap  anf  einer  Landxonge  am  linken  Ufer  des 
kleinen  Flusses  Aquadah,  nahe  dem  volkreichen  Dorfe  Aqnadah,  wie  dieses  Wort 
jetzt  ansgesprochen  wird  (auf  Karten  Accoda);  es  ist  wenig  mehr  davon  zn  sehen, 
nur  die  Steinhaufen  zeigen  dem  aufmerksamen  Beobachter,  dais  früher  sieh  dort 
Schutzvorri*  litungen  befunden  habeiit  Es  mufs  dieses  ein  nur  kleines  Yer- 
teidigungbwerk  gewesen  sein,  um  die  Mündung  des  Flusses  zu  schützen.  Seit 
August  1883  bin  ich  durch  einen  Agenten  au  diesem  Teile  der  Küste  vertreten 
und  habe  angenblicklich  eine  Faktorei  in  Dix  Cove,  welches  etwa  lö— 16  engl. 
Meflen  östlich  Ton  den  Ruinen  liegt  Von  Dix  Cove  stehe  ich  in  direkter  Ver- 
bindung mit  den  Dörfern  Aquadah  und  Frinceb  und  sftUen  manche  der  Ein- 
wohner SU  meinen  Kunden.  AuÜBer  der  Faktorei  in  Dix  Cove  habe  ich  jetst 
eine  Filiale  in  Axim  und  eine  andere  an  der  Mündung  des  Ankobrahfiusses. 
Die  Strecke  Axim}  Dix  Cove,  Bontry  habe  ich  mehrere  Male  zu  Fufs  gemacht, 
auch  nachts  im  offenen  Boote  ein  halbes  Dutzend  Mal  das  Kap  dor  droi  Spitzen 
nraschifft.  Auf  dem  mittleren  Kap  ist  ein  Leuchtturm.  Die  Dauer  der  Fahrt, 
w^enn  günstig,  beträgt  7 — 8  Stunden.  Die  Tour  von  Dix  Cove  nach  Axim  wird, 
um  die  Seebrise  zu  vermeiden,  immer  nachts  gemacht.  Umgekehrt  segelt  man 
uut  der  Seebrisc  in  bedeutend  weniger  Zeil.  J.  Wulfken,  Bremen. 

§  Detttiehe  f  ffnehuigtfdM  in  Brsslttei.  Wie  anderweit  gemeldet,  traten 
swei  Mi^lieder  der  Deutschen  Südpolar>Expedition,  die  Herren  Dr.  v.  d.  Steinen 
und  Dr.  Glaub,  femer  der  Landuchaflsmiiler  Wilhelm  d.  Sternen  in  diesem 
Frühjahr  von  Argentinien  aus  eine  Forschungsreise  in  die  brasilianischen  Pro- 
vinzen Matto  Grosso  und  Orao  Para  an  und  zwar  längs  des  in  den  Amazonen- 
strom mündenden  Xingü-Flufses,  dessen  oberer  Lauf  noch  völlig  unbekannt  ist. 
Die  Reisenden,  weli  hc  ^ir]i  für  ihr  Vorhaben  die  rntcrstützung  der  brasilianischen 
Regierung  erbaten  und  »  rhielten,  begaben  sirh  von  Huonos-AireR  zunächst  nach 
Asuuciou,  die  geographische  Lage  dieser  Hauptstadt  am  Paraguay  wurde  genau 
ermittelt  u^id  fuhr  die  Expedition  hier  mit  Dampfschiff  auf  dem  Paraguay  nach 
Corumba»  weiter  auf  dem  CuayahA-FlnliB  nach  dem  am  Fufs  der  Serra  Aanl 
belegenen  Orte  Cnayabft.  Von  hier  schrieb  uns  am  26.  Mai  d.  J.  Dr.  Otto  Clanli 


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—  306 


das  Folgende:  .Morgen  treten  wir  onserG  Reise  an.  Unser  Ziel  ist,  wie  Sie 
schon  wissen,  der  Xin^'u.  Wir  reisen  in  Begleitung:;  einer  Militäreprorte  von 
25  Mann  mit  2  IhuiptUMiton  Die  T,ehensiTiitt»'l  sind  für  drei  Monate  berechnet 
und  werden  auf  Ochsen  traiisp<irtii'rt.  l  nsvr  Weg  ist:  dem  Rio  runyaba  entlang 
bis  zur  8erra  Azul,  diese  überschreiten  tind  hinab  zum  liio  Faranatin^Ms. 
einem  Nebenflufs  des  Tapajoz;  darauf  jenseits  des  Paranatingas  ins  Qaellgebiet 
des  Xingu ;  flnlsabw&rts  in  Kanoes,  die  wir  selbst  anfertigen  mOssen.  Die  adligen 
Werksenge  worden  in  reicher  Zahl  von  der  R^emng  geliefert  Wir  hoffen  in 
etwa  Yienehn  T^gen  terra  ineognita  za  betreten.  Bis  anm  Flnüs  Paranatingas 
nfimlich,  wo  einegrölsere  Fazenda  gleichen  Namens  liegt,  ist  beständiger  Verkehr 
von  hier  ans.  Über  Cuayaba  kann  ich  Ihnen  Nichts  berichten,  was  nicht  schon 
bekannt  wäre  Das  Volk  ist  sehr  vcrgnügungslustig  und  wir  wurden  als  Tänzer 
stark  in  Anvpruch  ^enomjuen,  Von  Paranutin^^as  ans  werde  ich  Ihnen  vielb'i'  ht 
schon  einen  kurzen  Bericht  unserer  KrU'l»nissc  zukommen  lassen  können.  Meine 
Reisekollegen  lassen  Sie  bestens  ;^rürs<  n.'*  l'm  Mitte  Septetnber  trafen  in  Berlin 
weitere  vom  Parauatinga-Flufs  datierte  bis  zum  2.  Juli  reichende  Naelinehten 
Ton  Dr.  y.  d.  Steinen  ein,  welche  in  der  Korrespondenz  von  A.  Woldt  veröffentlicht 
Warden.  Nachdem  eine  notwendige  Reduktion  der  zum  Teil  onanTerl&ssigen  mili- 
tärischen Begleitung  voigenommen,  bestand  die  Expedition  im  ganzen  aus 
20  Personen.  Es  heifst  in  diesen  Nachrichten  u.  a.:  «Wir  bleiben  20.  11  gnie 
Soldaten  von  der  Infanterie.  2  Berittene  vom  Piqnct,  3  Kameraden.  Kapitän 
Ca.stro  nnd  wir  drei  (Dr.  Claufs.  mein  Bruder  und  ich).  Die  Maultiere  des 
Piqnets,  die  wir  bisher  peritten  haben,  treten  als  Lasttiere  ein.  so  dafs  wir  von 
letzteren  mit  lü  Oi  hseu  2lJ  übrig  behalten.  Sechs  Ochsen  sind  bereits  verendet, 
oder  als  lebende  Skelette  zurückgelassen  worden.  Die  nötige  Verproviantierunf» 
bringen  wir  hier  zu  stände;  es  geht  nur  wieder  eine  kostbare  Woche  verloren. 
SchÜmmer  sieht  es  mit  den  Eisenwaren  (Tauschmittel)  aus;  wir  mftssen  froh 
sein,  ausrangiertes  und  verrostetes  Material  f&r  den  Einkaufepreis  zu  erhalten. 
Statt  36  sind  wir  unserer  jetzt  21,  ein  stammiger  Bacairi,  der  uns  fär  Jagd  und 
Flofsfishrt  sehr  nützlich  sein  wird,  begleitet  uns.  Wir  sind  bereits  in  das  Sertao- 
leben  gut  eingewöhnt.  Die  Kost.  Bohnen,  Reis,  farinha.  carne  secca  (gesalzenes 
und  an  der  Luft  getrocknetes  F'leisch),  zum  Nachtisch  Rapadura  —  Bonbons 
von  '/ie<?el<f einform  und  Oröfse  —  nnd  Paraguaythee.  dies  Alles  liefert  ein 
monotones  aber  kräftiges  Mahl.  Nur  selten  ist  es  bisher  durch  Hehbraten. 
Tapirragont,  Ameisenbärfzullascli  und  fnselien  Fisch  variiert  worden.  Wenig  nur 
gefallen  uns  die  langen  und  kalten  isaclite  in  der  liäugemattc.  Mittags  30  Grad 
im  Schatten  und  TOr  Sonnenaufgang  10  Grad  mit  reichlichem  Tau  ergjebt 
eine  Temperaturschwankung,  die  uns  zuweilen,  als  wenn  wir  einem  kalten  Flufs- 
bad  entstiegen,  yor  Frost  am  ganzen  Leibe  zittern  liftii  Wir  schlafen  im  vollen 
Anzug  mit  Flanellhemd  und  in  zwei  Ponchos  eingewickelt.  Regen  haben  wir 
während  dieser  fünf  Wochen  noch  nicht  gehabt.  Die  Insektenplnir**  läfst  sich 
ertragen,  wenn  sie  oft  auch  ärgerlich  genug  ist;  Bienen  und  Borracliudos  — 
kleine  Stechfliegen  —  sind  das  sehlimniste  Gesindel.  Das  Terrain  ist  gröfsfen- 
teils  ('ampo  cerrado,  dessen  Physio;^nomie  an  verwilderte  Obstfiärten  erinnert. 
Diese  niedrigen,  krummen,  wenig  belaubten  Bäumrlien  bedecken  lange  Hügel- 
züge, zwischendurch  steht  gegenwärtig  iierbstlich  verfärbtes  Gras,  nnd  nur 
vereinzelte  Blumen  erfirenen  das  Auge.  In  den  Thalgründen  dagegen  entwickelt 
sich  in  schmalen  Streifen  entlang  einem  Flüfschen  oder  Bächlein,  eine  aUerliehete 
und  zuweilen  schöne  Waldlandsehaft,  deren  Zierde,  die  eleganten  und  hohen 
Buritipalmen  wie  Offiziere  neben  der  Kolonne  angestellt,  sich  stolz  am  Bande 


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—  307  — 


erheben  und  in  ihrer  Fächerkrone  bei  jedem  Windhauch  ein  prächtige«  Wechsel- 
spiel von  Licht  und  Schalten  entfalton.  Spärlich  nur  fritt  uns  auf  unserem 
j^eräuüchvollen  Zuge  die  Tierwelt  entgegen.  Jedes  kreischende  Arras-Paur,  jedes 
Hiehende  Reh  ist  ein  Ereignis.  Wir  liabon  erst  einen  einzigen  Jaguar  zu  Gosi(  Iii 
bekommen.  Am  häufigäteu  treiben  die  i lande  noch  ein  cdendcs  Gürteltier  auf, 
dessen  öliges  Fleisch  nar  von  IJebhabern  gewordigt  werden  kann.  —  Die  Karten 
erweisen  sieh  seit  Bosario  sehr  inkorrekt;  die  Lage  der  Arinos-  nnd  Caayab&- 
qnellen  ist  &lsch,  der  Psranatioga  mnls  gen  Westen  rücken.  Um  so  besser  Ar 
uns ;  es  entsteht  Banm  för  den  Xing6  und  wir  dürfen  hoffen,  seine  Zaflosse 
fräher  als,  entsprechend  den  neuesten  Darstellungen  auf  dem  11.  Breitengrade, 
zu  etreiclien."  Als  geschichtliche  Notiz  möchten  wir  anreihen,  dafs  der  Xiugü 
von  seiner  Mündung  bis  znm  6.  Breitengrade  durcli  Prinz  Adalbert  l)p}ahren 
worden  ist.  Die  grofsten  Schwierigkoitou  rb-r  Reise  werden  einmal  in  der  m\it- 
mafslich  feindseiijLjpn  Gesinnung  der  Indianerstiimme,  mit  denen  die  Exqedition 
auf  ihrer  Flufsfahrt  /.usammentreffen  wird,  sodann  in  den  l'alirthindernissen, 
namenitieh  den  zahlreichen  Stromschnellen  des  Xingü,  bestehen. 

§  Knpferbergbaa  Im  Klein-Namaquluid.  In  den  dOer  Jahren  dieses 
Jahrhunderts  war  in  Süd-Afrika  eine  grofse  Bewegung  zn  Gunsten  einer  Auf* 
schliefoung ,  der  mineralischen  Schätze  von  Grofs-  nnd  Klein-Namaqnaland. 
.Prospektende "  Miner  darchzogon  nach  den  verschiedensten  Richtungen  die 
Sandwösteu  und  Berghalden  nördlich  nnd  südlich  vom  ^grooten  Rivier'',  den 
Oranje-FluTs.  Die  damaligen  mit  nnpenügenden  Mitteln  und  geringen  Kennt- 
nissen begonni  uen  ünternchimingen  sind  wieder  aufgegeben  worden  bis  auf  eine 
in  Kli  iti-Xaiiiaqaaland :  es  sind  dies  die  Kupferminen  der  ('ape-('(i[»per-.Mining 
(Company,  welche  jetzt  zu  den  reichsten  und  ergiebigsten  Kupferminen  der  Welt 
gehören.  Die  ersten  Minen  dieses  Disiricts,  bei  Spriugbok,  18 — 20  d.  g.  Meilen 
Ton  der  Küste  wurden  von  einem  Kapstadter  Handelshanse,  Phillips  A  King 
bearbeitet,  aber  erst  nachdem  die  Minen  bei  dem  nahe  gelegenen  Ookiep  er- 
schlossen nnd  der  ganze  Betrieb  dnrch  eine  Kompagnie,  welche  das  Eigentum 
der  genannten  Firma  erwarb,  in  grofsartigem  Mafsstabe  mit  Maschinen,  einer 
zur  Küste  führenden  Eisenbahn,  der  Anlage  des  Seehafens  Port  Nolloth  n.  a. 
timgestaltet  w;ir,  wurden  diese  Kupferminen  von  Süd-Afrika  in  vollstein  Malsc 
ergiebig  und  für  die  Unternehmer  einträ;jilich.  In  den  letzten  Jahren  hat 
di<!  Kompagnie  auf  ein  Aktiiiikapital  von  itnfanglich  14l),tMK),  später  KjCUXK) 
Pfd.  St.  den  Aktionären  jiilulich  H(MXK)  Pfd.  St.  Dividende  bezahlt.  Die  Ookiep- 
Mine  förderte  im  Jahre  1888  lööSö  Tons  Kupfererze,  deren  durchschnittlicher 
Kupfergehalt  29,m  */o  war.  Die  Erze  werden  nach  Swansea  in  Wales  yerschifft 
nnd  dort  verhüttet.  Bas  Kupfer  erlangt  wegen  besonderer  Reinheit  einen  sehr 
guten  Preis. 

Litteratur. 

liehrbnch  der  ({eopliysik  nnd  physikalischen  Oeographie  von  Prof.  Dr. 
Siegmund  Günther.  Stuttgart.  Verlag  von  Ferd.  Knke  1881.  Dci-  nur  vorliegende 
erste  Band  dieses  Werkes  enthält  in  prägnanter,  darum  alx  r  nirgends  unklarer 
Kürze  diejenigen  Lehren  der  alk'emeinen  Erdkunde,  uekhe  man  als  Geophysik 
bezeichnet.  Die  erste  Abteilung  behandelt  die  kosmische  Stellung  der  Erde,  die 
zweite  widmet  sich  der  Oberflftehenform  der  Erde  und  ihrer  Bewegung  imBanme 
nnd  die  dritte  behandelt  die  Warmeverhältnisse  des  Erdinnem,  die  Ynlkane  und 
Erdbeben.  Die  neueren  Ergebnisse  der  mathematischen  nnd  rein  physikalischen 
Erdkonde  sind  hier  hi  möglichst  systematischem  Anfban  der  einzelnen  Lehren 


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tü  e^em  einheitlichen  Ganzen  aufgebaut.  In  »  inrr  rc-ht  lehrreichen  geschichtlich* 
litterarisrhon  Einleitung  wird  die  Entwicklung  der  physikalischen  Geographie  vom 
Altertum  bis  auf  die  Gegenwart  verfolgt  und  somit  in  kurzen  Zügen  ein  Bild 
von  dem  allmählichen  Anwachsen  und  Krsturken  dieser  Wissenschaft,  welche 
die  Brücke  zwischen  der  Naturlehre  und  Erdkun.lt"  bildet,  gegeben.  Neben  der 
streng  mathematisch-physikalischen  Darstellung  chu.ruktcrxbiert  da^  GUathersche 
Lehrbuch  noch  tot  gllcm  die  historische  Entwicklong  der  behandelten  Theoreme 
und  die  Beigabe  eines  anfserordentlich  reichen  Citatenschatsee  am  Bnde  jedes 
gW^beren  Abechnittes,  wodurch  das  Buch  für  jeden  Geographen  ein  unentbehr^ 
liches  Nachschlagewerk  wird.  Hfige  es  dem  verehrten  Verftsser,  der  ans  Qe- 
sundhoitsrücksichten  ein  neues  Mandat  als  Rcichstagsabgeordneter  abgelehnt  hat, 
beschieden  sein,  recht  bald  den  (weiten  Band  erscheinen  su  lassen.  Wo. 

Sophus  Rüge,  kleine  Geographie,  für  die  untere  Lehrstufe  in  drei  Jahres- 
kursen. Zweite  verbesserte  Auflage.  Dresden.  G.  Schönfeld,  1884.  2  Mark. 
Der  Verfiifser  gliedert  den  gesamten  StofF  dergestalt,  dafs  er  in  dem  ersten 
Jaliri'skursus  die  Gruudbegrifle  der  allgemeinen  (ieogrupliie  und  die  Staaten 
deutscher  Nationalität  behandelt  ;  im  zweiten  Kursus  folgen  Erweiti  nnigen  der 
Lehrsätze  der  allgemeiueu  Geographie  und  die  Länderbeschreibuug  der  euro- 
päischen Staaten,  mit  Ansschlnfs  des  deutschen  Beiches;  der  dritte  enthält 
Repetitionen  und  Erweiterungen  der  allgemeinen  Geographie  und  die  Beschreib 
bnng  der  aulsereuropäischen  Erdteile.  Anzuerkennen  ist  das  Bestreben  des 
Ver&fsers,  nicht  blos  Namen  und  Zahlen  mitzuteilen,  stn^em  auch  die  vor» 
kommenden  Begriffe  gehörig  zu  erklären  und  durch  ausf&hrlichere  Darstellangen 
der  Anschauung  zu  Hülfe  zu  kommen.  Neben  manchen  gelungenen  Partien 
enthfilt  das  Buch  einiges  überflüfsiiie,  t.  B.  die  etymologische  Ableitung  geo- 
graphischer Namen,  ferner  unbestimmte  und  deshalb  in  dieser  Form  falsche 
Ausi  iii;indersetzungen,  z.  B.  Seite  24*i.  wornach  man  annehmen  nmfs,  dafs  die  Be- 
völkerung des  Südens  der  Vereimgten  Staaten  vorwiegend  aus  Franzosen  bestehe  j 
zudem  sind  auch  mehrere  wirkliche  Fehler  sieben  geblieben,  z.  B.  auf  Seite  13: 
^Preulsen  zerfiUlt  in  11  Provinzen',  auf  Seite  213:  «Newyork,  auf  einer  Halb- 
insel.' Überhaupt  ist  das  Buch  zu  einem  Umfange  gediehen,  dals  es  durchaus 
unmöglich  erscheint,  den  gesamten  Stoff  in  drei  Jahren  gehörig  durchzuarbeiten 
und  zum  geistigen  Eigentume  des  Schülers  zu  machen.  Am  wenigsten  sagt  die 
im  ersten,  teilweise  auch  im  zweiten  Kursus  eingeschlagene  Methode  zu,  wonach 
erst  die  Staaten-  und  Ortskunde,  darauf  aber  die  Darstellung  der  Oberflächen- 
bilduug  und  Bewässerung  folgt.  Die  äufsere  Ausstattung  des  Buches  ist  gut.  Ü. 

5;  Dr.  A.  Oppels  La  n  d  sc  h  a  f  t  s  k  u  nd  e.  Lieferung  16.  Breslau, 
F.  Hii*t.  IhWl.*)  Dieses  auf  etwa  lU  Hefte  berechnete  Werk  soll  zunächst  als 
erläuternder  Text  zu  den  typischen  Landsciuittsbildern  von  Ilirts  geographischen 
Bildertafeln  dienen.  Der  Verfasser  hat  sich  aber  nicht  damit  begnügt,  die  Bilder 
durch  Schilderungen  zu  umschreiben,  sondern  er  unternahm  es,  auf  Grund  aus- 
gedehnter und  grundlicher  Quellenstudien,  aus  der  Summe  der  Einzellandschaften 
den  Qesamtchaiakter  der  Länder  und  Erdteile  festzustellen,  diesm  in  systematischer 
und  konsequenter  Weise  auf  die  örtlich  herrschenden  Naturbedingungen  surfick- 
zuführen,  den  Einfluls  der  menschlichen  Kultur  auf  den  ursprünglichen  Zustand 
des  Bodens  nachzuweisen,  und  die  gewonnenen  Resultate  bald  in  kurzen  Skizzen, 
bald  in  ansföhrlicben  Charakteristiken  darzulegen.    Ein  solcher  Versuch  der 

*)  Bs  ging  uns  die  Ksehricbt  sn,  daf»  dM  gaiise  Werk,  etwa  45  Bogen  tu 
11  l.iefprangen,  in  wenlffee  Woehan  fertig  rorliegen  wird  D.  Red. 


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—  309  — 


Physiognomik  der  gesamten  Erdoherftiicho  ij<t,  wie  es  in  dem  Vorwort  des 
ersten  Heltes  heifst,  bisher  noch  nicht  gemacht  worden;  der  vorliegende  dürfte 
daher  auf  das  Interesse  dar  Fachlento  und  der  Freunde  der  Erdkmide  in  um 
80  höherem  Grade  Ansprach  haben,  als  er  sich  anf  solchen  Gebieten  bewegt, 
welche  zwischen  der  Kunst  der  Malerei  und  der  Wissenschaft  der  Geographie 
liegen.  Dafs  der  Begriff  »Landschaft'  in  den  beiden,  stofflich  mit  einander  ver^ 
bnndenen,  im  fihrigon  aber  durclians  vors(  lüodenartigen  Zweigen  mensclilicher 
Geistesthätigkf^it  sicli  nicht  überall  deckt,  ist  einleuchtend.  Unter  j,Land- 
schaft"  vorsteht  der  Verfasser  denjenigen  Erdraum,  welcher  sich  von  irgend 
rinein  Punkte  aus  dorn  Blicke  als  ein  Ganzes  darbietet;  je  boschränkter  der  Ge- 
siclitskreis.  desto  kleiner  und  einfacher  ist  das  Bild;  je  freier  der  t^tandpuukt, 
desto  umfassender  und  zusammengesetzter  wird  das  Gomülde.  Die  Samuie  der 
Landschaften  auf  der  ganzen  Erde,  in  diesem  Sinne,  ist  eine  ungeheure,  die 
Mannigfaltigkeit  der  möglichen  Gestaltungen  eine  anfs^rdenÜiche,  nicht  allein, 
weil  die  Zahl  und  die  Art  der  Oberflftchenformen  eine  &st  unendliche  ist,  sondern 
auch,  weil  dieselben  landschaftlichen  Elemente,  von  einer  andern  Seite  gesehen, 
einen  andern,  zuweilen  ganz  entgegengesetzten  Eindruck  machen.  Eine  einiger^ 
mafsen  vollständige  Landschaftskunde  würde  daher  ein  Werk  von  riesigen 
Dimensionen  ergeben,  wenn  nicht  gewisse  Gestalten,  unter  dem  Fiiifln<:«o  «loicher 
oder  ähnlicher  Na1url)edingungen,  auf  enoeretn  Räume  oder  inin  i  halb  der  ganzen 
Erde  wiederkehrt cu  und  in  der  schier  unl»(>;_ncnzti'n  Mannigfaltigkeit  derartiger 
Naturgebilde  eine  gewisse  Einheitlichkeit  hervortreten  liefscn.  „Aber  auch  dann 
erschliefst  sich  noch  eine  so  seltene  Fülle  des  interessantesten  Stoffes  und  eine 
so  verschiedenartige  Gruppierung  der  einseinen  Formen,  dafs  sich  unsere  Dar- 
stellung auf  das  Hauptsächlichste  und  Wesentlichste  beschrfinken  mufote.  Plan- 
mfifsig  ausgeschlossen  sind  daher  Untersuchungen  über  Entstehung,  Begrenzung 
und  spesielle  Gliederung  der  Oberflftchenformen,  statistische  Angaben,  Auf- 
zählungen und  ausführliche  Darlegungen  über  die  Pflanzen-  und  Tierwelt;  wo 
aber  solche  in  vereinzelten  Fällen  gemacht  wurden,  geschah  es  lediglich  zum 
Zwecke  und  im  Interesse  der  Feststellung  des  Landschaftschai-akters."  Das 
Vorwort  schliefst  mit  fol^'enden  Worten:  ,So  glaulK'u  wir  den  Männern  von 
Fach  unser  Werk  als  eine  notwendige  Ergänzung  der  Atlanten  empfehlen  zu 
dürfen;  denn  selbst  das  beste  Kartenblatt  vermag  von  der  wirklichen  Land- 
sehaftsgestaltung  der  Erdoberfl&che  nur  ein  unvollkommenes  Bild  zu  gew&hren, 
da  die  Karte  auf  kleinem  Raum  grofse  Dimensionen  umHsUst  und  keinen  Horiaont 
hat,  wfthrend  in  der  Natur  jede  Landschaft  sich  in  einer  bestimmten  Ab- 
grenzung darstellt."  Dies  ist  vollkommen  einleuchtend.  Wenn  nun  die  Karte, 
um  eine  treue  und  vollständige  Vi»r  ^  Ilnng  hervorzurufen,  notwendig  durch 
bildliche  Anschauung  und  durch  (ias  sclnldernde  Wort  ergänzt  werden  mufs, 
so  erscheint  die  Arbeit  Dr.  Opj»els  in  ihrer  eben  gegebenen  Charakterisiening 
lind  T'cgrenzung  völlig  berechtigt,  auch  scheint  uns  der  Inhalt  der  uns  vor- 
liegenden sechs  Hefte,  welche  den  gröfsten  Teil  der  Länder  Europas  umtassen, 
die  gestellte  Aufgabe  in  anziehender  Weise  und  im  allgemeinen  wie  im  einzehieu 
mit  groCsem  Geschick  zu  lösen.  Der  Freund  der  Erdkunde  wie  ftberhanpt  das 
gebildete  Publikum  wird  in  der  That  in  Oppels  Landschaflskunde  eine  Fülle 
der  Anregung,  Belehrung  und  Unterhaltung  finden. 

Landeskundliche  Bibliographien.  Die  von  dem  Deutschen 
Geographentag  ins  Leben  gerufene  Zentralkomraission  für  wissenschaftliclie 
Landeskunde  von  Deutschland  hat  das  nachfolgende  Cirkular  erlassen:  Die  in 
erfreulichem   Mafse    sich    mehrende  Veröffentlichung   von  bibliographischen 

üeo^.  UtMtcr.  Brem«n«  ISM.  22 

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—  310  — 


Arbeiten  zur  denUchen  Landeskunde  legt  den  Wunsch  n»he,  durch  einheitliche 
Abgrenzung  und  Anordnung  des  weiten  Stoffes  die  Verwertung  diosrr  Sanini-> 
Inngen  für  sicli  und  als  Grundsteine  der  unverwandt  anzusti-ebeniU-n  l5ihliothera 
geographi*  a  Gerninniao  zu  erleichtern.  Die  Zt  ntralkonimission  für  wissenschaft- 
liche Lamleskunde  von  Deutschland  liat  sich  daher,  nachdem  auch  niehrt'ache 
dahin  zielende  Aufforderungen  aus  den  Kr<  iscn  der  Dcarbeiter  landesknndliciier 
Bibliographien  an  sie  gelangt  waren,  entschlossen,  unter  Zugrundelegung  der  bisher 
erschienenen  Veröffentlichungen  dieser  Gattung  folgendes  Norm«bchema  f&r  die 
Oliederong  des  landeskundlichen  Stoffes  in  den  Bibliographien  xn.  empfehlen: 
I.  LandesTermessnng,  Karten,  Pläne.  (In  Unterabteiinngen  vie  die  Bacher  und 
in  derselben  Reihenfolge  zu  ordnen.)  U.  Allgemeine  landeskundliche  Werke 
über  das  ganze  Gebiet,  III,  Natur.  (Allgemeines,  wenn  nötig,  gleich  anznst  iiliefsen.) 
1.  llelief  des  Bodens  und  geologischer  Bau.  2.  Gewässer.  8.  Klima.  4.  Pti.mzcn- 
welt.  5.  Tierwelt.  IV.  Bewohner.  '  Allgemeines,  wenn  Tiöti;z.  gleich  anztischliefsen.) 
1.  Anthropolüu'ie  und  Vorgc'^chichte.  2.  Gankuiule,  Territorialentw  i(  kt  luiij:  Tind 
sonstiges  ( MM»;iiaidu-  li-lli'^tnrisches).  3.  Mundartliches.  Spracle^ren/t-n.  ( »j tsiianicii. 
Sicdelungcn.  4.  ."Sitte  mal  Ürauch.  Sage  und  Aberglauben,  ö.  Bevölkerungsstatistik. 
6.  WirtsehafUiehe  Kultur.  7.  Geistige  Kultur.  8.  GesundheitsverhSItnisse.  (Auch 
Geschichte  der  Epidemien.)  V.  Spezielle  Ortskunde  (nebst  Ortsgeschichte). 

Als  ein  erster  Beitrag  zur  landeskundlichen  Literatur  des  nordwestlichen 
Deutschland  ist  die  von  Herrn  Professor  Buchenau  hier  bearbeitete  und  in  den 
Abhandlungen  des  hiesigen  naturwissenschaftlichen  Vereins  erschienene  Zusammen- 
stellung der  Littcratur  über  die  <*-1  fi  !e>is<  heu  Inseln  hier  zu  erwähnen. 

Bei  Abschliifs  dieses  Heftes  crliiel!<  ii  ein  neues  vom  26.  September 

datiertes  Ciikidar  der  Kommission,  dem  wir  das  Folgende  entnehmen:  Die 
unterzei(  Imete  Kommission  beehrt  sich  hierdurch  die  ergebene  Mitteilung  zu 
machen,  dafs  sie  in  weiterem  Verfolg  di  r  seitens  der  deutschen  Geographeutage 
ihr  flbertiageiwn  Aufgaben  eine  Sammlung  wissenschaftlicher  Abhandlungen  ins 
Leben  zu  rufen  in  Begriff  steht,  welche  unter  dem  Titel :  „  Forschungen  zur  deutschen 
Landes-  und  Volkskunde'  in  dem  Verlage  des  Herrn  J.  Engelhom  in  Stuttgart 
erscheinen  wird.  Dieselbe  soll  sich  über  alles  erstrecken,  was  irgendwie  und 
nach  irgend  einer  Seite  zur  Kunde  des  gesamten  deutschen  Landes  und  Volkes 
ohne  Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen  gehört,  und  wer<len  demnach  eben- 
sowohl Arbeit ni  iiber  Bau  und  Helief  des  Bodens,  über  fossile  Scluätze  desselben 
und  ihre  Verwertung,  über  Klima  und  Hydrographie.  Plianzen-  und  Ticr- 
verbreittmg.  wie  über  die  anthrop(do;_'isclien  und  ethnologj.Nchen  Verhall uisse 
der  Bewohnter,  ihre  Mundarten,  ihre  räumliche  Verteilung  uml  deren  Dichte, 
ihr  Wirtschaftsleben  und  dessen  natürliche  und  örtliche  Bedingtheit,  ihre  Sagen, 
Sitten,  Bräuche  n.  s.  w.  darin  Aufnahme  finden  können.  Wie  dem  ferneren 
Vorgehen  der  Kommission  überhaupt,  so  ist  auch  diesem  Unternehmen  frucht- 
bringender Erfolg  zu  wünschen. 

5;  Ile  de  Sumatra,  Chez  Ics  Atch^'S.  Lohong.  par  Brau  de  Saint-Pol  Lias. 
Paris.  Plön.  1884.  Der  Verfasser,  ein  begeisterter  Verfechter  franziisischer  Ko- 
lonisation, bereiste  z'i  dein  /wecke,  geeignete  Gegenden  für  die  Aidage  französischer 
Plantagen  ausfindif:  y.n  machen,  zunächst  vor  einigen  Jahren  den  unter  V)ntischer 
Süzeränetät  stehenden  Malayenstaat  Perak  und  später  den  nördlichen  Teil  von 
Atschin.  Über  jene  erste  Reise  berichtet  ein  früher  erschienenes  Bündchen. 
Der  hier  vorliegende  Reisebericht  enthält  die  sehr  lebendig  geschilderten  Ein- 
drücke der  Wasser-  und  Landreisen  des  Verfassers  im  nördlichen  Atschin:  von 
einem  der  Badjahs  hat  sich  der  Verfasser  betr&chtUche  Ländereien  zum  Zweck 


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—  311  — 


der  Anlage  von  Flanlagcn  abtreten  lassen,  doch  scheint  es  nach  einer  Stelle 
der  Vonrede  sweifelhaft,  ob  er  die  so  eingeleitete  üntemehmnng  selbst  in 
die  Hand  nehmm  wird.  Das  vie  gesagt  sehr  lesbare  nnterhaltende  Buch 
eiitUUt  einige  nach  Photographien  sehr  m&faig  ansgeföhrte  Olnstrationen  nnd 
ein  den  Lanf  des  Lohonitflnsses  darstellendes  Kärtchen. 

Les  possessions  cspajinolos  du  golfe  de  Guin/^e,  leur  präsent  et  leur  avenir 
pnr  \v  Lieutenant  .Sorela.  Paris  1884.  Lahure.  Die  vorlipfjonde  Schrift  bezweckt 
hauptsächlich  zu  /oigmi,  weUlie  reichen  Hülfs(incllen  ^Spanien  in  seinen  west- 
afrikanischen Knldnien,  der  Insel  Fernando  Po  und  den  Inseln  an  der  Corisco- 
Biii  besitzt  und  wie  lohnend  ihre  mit  Aufwendung  von  Kapitalien  in  Angriff 
genommene  Aosbentong  sein  würde ;  sie  enthält  in  dieser  Richtung  ziemlich  viel 
thatsichliche  Angaben.  Die  beigefügte  Karte  wSte,  wenn  sie  nicht  deutlicher 
hergestellt  werden  konnte,  besser  weggeblieben. 

Among  the  Indians  of  Gnyana  by  Everard  F.  im  Thnm.  London.  Kegan 
Paul.  1883.  Wir  gedenken  an  dieser  Stelle  des  vortrefflichen  Werkes  nur  mit 
einer  kurzen  Anzeige.  Die  in  den  ersten  Kapiteln  gegebene  Schilderung  der 
Natur  Britisch-Ciuyanas,  seines  Klimas,  Vcgetatimi  f  Wälder  nmX  Savaninni),  Tier- 
lebens,  Ströme  u.  a.  bildet  gcwisserniursen  nur  d<Mi  Rahmen  und  die  Einloitnn^» 
für  den  vorzugsweise  ethnologischen  Hauptinhalt  des  Buches,  und  wenn  uns  der 
Verfasser  auch  mit  grofser  Anschaulichkeit  in  die  tropische  Natur  zu  versetzen, 
ans  die  gigantischen  Wälder,  die  endlosen  Savannen,  die  reifsenden  Ströme  mit 
ihxen  prächtigen  WasserfSllen  zn  malen  weifo,  so  ist  es  doch  der  Indianer,  sein 
Leben,  Denken  and  Thnn,  das  den  Haoptgegenstand  des  Stadioms  des  Ver&ssers 
aaf  seinen  längeren,  wiederholten  Reisen  bildete.  Wie  reich  aasgestattet  dieser 
Kern  des  Werkes  ist,  erhellt  daraus,  dafs  die  Ijozüjilichen  18  Kapitel  gegen 
2Ö0  Seiten  füllen  and  dafs  ihnen  10  zum  Teil  farbige  Tafeln  und  48  Holzschnitte 
beigegeben  sind:  sie  betreffen:  die  verschiedenen  Stämme,  ihre  Wohnstätten  und 
Yerbreitung,  Faniilicii-  und  Heiratssysteme,  Erscheinung  und  Kleidung,  Häuser 
und  Ansiedelungen,  sozial*  s  Li  l> 'ii,  Jagd,  Fischerei,  Ackerbaa,  £rnähran£,  Gewerbe, 
Beligion,  Sagen  und  Altertümer. 

Hermann  Rheinhard,  Karte  von  Nordamerika  für  den  Schal-  and 
Frivatgebraach.  Ausgabe  IL  MaCntab:  1  :  6900000.  Wiesbaden,  J.  B.  Berg- 
mann, 1882.  In  Mappe  12  Mark.  Die  genannte  Karte  umfafst  den  nordameri- 
kanischen Kontinent  von  der  Landenge  von  Panama  an,  daia  den  arktischen 
Archipel  mit  der  nordwestlichen  Durchfahrt,  den  Smithsand  and  einen  Teil  von 
Grönland;  das  Tiefland  giebt  sie  in  grünem,  die  Erhebungen  in  bräunlichem, 
mehi'farh,  abor  nicht  scharf  abfrestuften  Kolorit;  die  Gewässer  sind  mit  blau, 
die  Ortsciiafteu  mit  rot  l)ozcichnct;  die  Namen  der  dargestellten  Oeponständc 
durch  Abkürzungen  angedeutet.  Der  Vorzug  der  Karte,  vom  pädagogischen 
Standpunkte  aus  beurteilt,  besteht  in  der  verhältnismäfsigen  Gröfse  des  Mafs- 
stabes,  wodurch  eine  deutliche  Unterscheidung  der  Ilauptobertlächenforraen 
möglich  woide.  Nicht  anzaerkennen  ist  die  schematische  Daistellnng  der 
Gebirgsketten,  deren  relatiTe  Bedentang  meist  nicht  klar  herYortritt  Ton  den 
Eisenbahnen  konnte  w^gen  des  Erscheinongsjahres  der  Karte  weder  die  Northern 
Pacific,  noch  die  Santa  F6-Route  berücksichtigt  werden.  0. 

Im  Verlage  von  Th.  Grieben  (L.  Fernau)  in  Leipzig  beginnt  soeben  zu 
erscheinen:  Dr.  med.  H.  Pioss:  Das  Weib  in  der  Natur-  und  Völkerkunde. 
Anthropolofrisfhe  Studien.  Der  durch  seine  wertvollen  anthropologischen  und 
ethnographisclicn  Arbeiten  wohlbekannt»^  Vcrfassfr  unternimmt  hier  nacii  lang- 
jährigen Studien  eine  Naturgeschiclite  des  Weibes,  vorzugsweise  vom  vulker- 


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—  312  — 


kimdlichen  Standpunkte  ans»  ta  entwerfen,  welche  ein  intereaaantes  Bild  Tom 
Leben  und  Wesen  der  Fma,  wie  es  sich  thatsäohlich  in  allon  Zeiten  nnd  Landen 
vor  den  Augen  des  Natur-  und  Knltnrforschers  darstellty  20  bieten  verspricht. 

Das  Werk,  welches  8  Lit  f»  nni'jon  von  je  S  bis  IJofren  umfassen  winl.  >)ild«'t 
gewisscrniafsi  n  ein  Seitenstück  zu  dem  bereits  in  zweiter  Auflage  vorliegenden 
Werke  de.sselbeu  Verfassers:  Dus  Kind  in  Uranch  nnd  Sitte  der  Völker.  Wo. 

Qaaglio,  Julius».    Die  Erratischen  Blöcke  nnd  die  Eiszeit,  nach  Professor 
Otto  Torell'a  Theorie.   Mit  einer  Karte  der  nördlichen  Eisfiat  in  Europa  und 
Amerika.  Wiesbaden,  Bergnumn  1881.  46  S.  8^  —  Das  vorliegende  Schriftdieii 
bezweckt  einem  gröieeren  Leserkreise  Toreirs  Theorie  ftber  die  yergletschemn^ 
NoTdevropas  nnd  spesiell  Norddentschlands  danralegen.  Einen  solchen  VersncK 
wird  jeder  gern  begrüfsen,  der  weifs.  wie  sehr  hinderlich  der  Verbreitung  jener" 
Ansichten  der  Umstand  war,  dafs  TorelVs  erste  und  grundlegende  Arbeiten 
schwedisch  abgefalst  sind  nnd  vor  wenigen  Jahren  nnr  einer  sehr  gerinjicn  Zalil 
von  Geologen  verständlich  waren.    .\ber  so  sehr  mun  sich  daruiu  r  am  h  freuen 
kann,  dass  dieselben  nun  in  einer  'j'  ^if^iuverstaudlichen  Form  (iar^it  legr  werden 
sollen,  so  lebhaft  uiufs  beklagt  weiden,  dafs  diese  doch  nicht  für  ein  deutsclies 
PQbliknm  genie(kbar  ist,  nnd  da&  sie,   nm  Toreirs  Verdienst  in  hellem 
Lichte  erscheinen  sn  lassen,  die  Verdienste  anderer  Forscher  schmfilert  Solches 
aber  thut  der  Verfasser,  dem  angenscheinlich  die  Arbeiten  von  Agassis  und 
J.  de  Charpentier  über  die  Vereisung  des  Nordens  nicht  nfther  bekannt  sind» 
denn  sonst  würde  er  S.  9  nicht  behaTipten,  dafs  die  Ansichten  dieser  beiden 
älteren  Forschor  übereinstimmten,  auch  würde  er  J.  de  Charpentier's  Theorie  nicht 
als  gegensätzlich  zu  der  Torell'sclien  bezeichnen.   Thatsächlich  ist  ja  diese  letztere 
nur  die  erstere  in  neuer  Begründung,  und  iliese  gegeben  zu  haben  ist  ein  Vor- 
ilienst  TorelTs,    das  nicht  hoch  genug  angeschlagen  werden  kann  und  nicht 
erfordert,  dem  Begründer  der  Gletschertbeorie  Meinungen  beizulegen,  die  derselbe 
immer  bekimpft  hat    Diese  fehlerhafte  historische  Einleitung  ist  die  Arbeit 
Qnaglio*s  an  der  vorliegenden  Schrift,  das  übrige  sind  Obersetznngen  ans 
Toreirs  Publikationen,  welche  nidit  immer  glücklich  gewühlte  Abschnitts 
derselben  bringen  nnd  deneir  stiemlich  unmotiviert  ein  Anssug  ans  einer 
Arbeit  von  Hermann  Credner  zugefügt  ist.    Die  Übersetinngen,  soweit  sie  auf 
schwedischem  Original  beruhen,  sind  voller  Sveacismen.  soweit  sie  englische 
Arbeiten  wiederzugeben  suchen,  voller  .\nglicismen.    So  übersetzt  (^tuaglio  l^oden- 
raoriine  statt  Grundinoriine  ^S.  .')).  Bergart  statt  (i<-stein  (S.  18j,  er  schreibt 
Själland  statt  Seeland  (S.  29).  Qvenstedt  süitt  (^uenstedt  (S.  18),  Aussenmoriine 
statt  Endmoräne  |^S.  20).    Folgender  Satz  möge  illustrieren,  wie  das  Englische 
übersetzt  wird:  —  lindem  in  Addition  zu  der  IntsnsitSt  der  allgemeinen  Er- 
scheinungen eine  bemerkenswerte  Proportion  ....  an  beobachten  ist*.  Aus 
allen  diesen  Thatsachen  erklärt  sich,  dafs  sieh  in  der  Arbeit  die  Aussflge  ans 
den  bekannten  deutschen  Arbeiten  am  besten  lesen,  wenn  nicht  auch  sie  wie 
die  Übersetzungen  durch  gar  zu  viele  Druckfehler  entstellt  würden.    Die  bei- 
gefugte Karte  der  nördlichen  Eisflut  in  Europa  ist  lediglich  eine  Kopie  der 
Torell  schen,  die  durcli  neuere  Arbelfen  längst  überholt  ist,  sie  zeichnet  sich 
ferner  durch  eine    uiiiHutivierte  Begrenzung  der  jetzigen  Wasserflächen  nicht 
gerade  vonheilhaft  aus.  mdeui  u  a.  das  ganze  Meer  zwischen  Island  und  Spitz- 
bergen nicht  zu  den  bebtchenden  Wasserflächen  gerechnet  wird.  Penck. 


Ürack  von  Carl  fldillnmiuui.  BT«iu«a. 

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DanrlVH  T.  4 


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I 


I 

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im» 


DER  ANCARÄ  FLÜSS 

IN 

Si  B  I  RIEM. 

TbjLSxatsU.  Ostzog  Iiis  Ilba. 

Jl^ssta.!}  L.  4  75  000 


» 

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^  Deutsche 

Geographische  ßlätter. 

UerausgegebeQ  von  der 

Geopraphischen  Gesellschaft  in  Bremen. 

B^trig4  und  8onHtip^e  Sendungen  an  die  Redaktion  werden  unter  der  AdroiM: 
Dr.  M.  Liudeman,  Bremen,  Mendestrafse  8,  erbeten. 

Der  Abdruck  der  Original-Aufsätze,  sowie  die  Nachbildung  von  Karten 
und  lUaötrationen  dieser  Zeitschrift  ist  nur  nach  Verständigung  mit 

der  Redaktion  gestattet 

Velksstämme  am  Congo.'^) 

Eine  sociolo^sche  Studie. 

Von  R.  (L  Phillips  in  Ponto  da  Lenha. 

Motive  der  Abhandlung.  Nähere  PrflciHierung  des  Themas.  Klima.  Geographische 
EigeDtUmlicbkeiten.    Fauna  uud  Flora  det>  Wohngebiets  sind  auch  hier  bestimmend 
Ahr  dea  Cluw«ktar  und  dm  soelaleii  Evstond  dee  Volkee.   EinOniiigkeit  der  Bodea- 
produkte.     SJlen    und    Ernten.     Schwinrigkeit    t^cr    Aufbewahrung   von  Vorräten. 
Kruähruugsmittel.    Die  earopäiaoben  liaudeisstationen  als  Vermittler  des  Auatauscbea 
zwischen   dun  Eingeborenen.    Nttlirlicher  Schutz  der  BerOIkemng   gegen  Angriffe. 
Physische  Beschaffenheit  der  Eingeboreiuni.    Ilire  Unempfindlichkeit  gegen  Schmerz 
und  Hitze.    Krankheiten.    Aufserordentliuhe  Yerdauungskraft     Mannbarkeit.  Geistige 
Natar  der  Congostftmme.     Empfindungen  und  Gefühle.     Geringe  Entwickelaug  des 
IStentungenttb.   Herraolnft  der  Sitte.   Mangel  an  Deoklwrkeit.   Diebereien.  GefUlil 
fUr  öffentliche  Gerechtigkeit.    Gemtit  und  8inue.    Verstand.    Denkvermögen.  Mangel 
an  "WifHhegi«r.    Wille.    Der  Aberglaube  der  CongostUmtne.     Fetische  und  ihre  Be- 
nutzung.   Zauberei.     Unschuldsproben.     Keligiöse  Vorstellungen.     Das  Erhaltungs-, 
Verbreitung»-  nnd  Regalierungs-Systeni.   Herrea  and  Sklaven.   Besondere  pelltieebe 
Einrichtungen   der  Stflmme  südlich  vom  Congo.     Königswahl.     Die  ,Ki5nigHleute*. 
l>ie  politische  Stellung  des  weifsen  Kaufmanns.     Einflnfs  der  Weifsen.  Verträge. 
Stenern  «nd  Geseheake.  Oeringe  Meelit  der  KOaige.  Bia  K9aif  hat  aieiit  des  Beelitz 
sein  Reieli  in  eine  fremde  Macht  abzutreten.    Nachteiiiga  Folgen  einer  etwa  von 
Europa  aus  usurpierten  Oberherrschaft  über  die  Eingeborenen.    Zölle  in  Gabun.  Die 
Königreiche  Ngoyo,  Kakongo  und  Loaugo-    Der  Mambnku.    Die  Ziuduuga  uud  ihre 
Yerreelite.   Die  HiMMroago-Btlaiaie.   Dar  Klhiig  voa  Laango  aad  die  iateraationnla 
Gesellschaft.     Der  Orden  der  Zinkimbi.    Die  Nkimbi-Spreohe.     Die  Beschneidung. 
Beilegung  von  Streitigkeiten  auTserhalb  des  Stammes     Familienverhfiltnisse.  Viel- 
weiberei.    Begräbnisse.    Qewerbe  und  Sehiirehrt    Nachteilige  Folgen  von  der  Besitz- 
nahme des  Loango-Gebiets  durch  eine  civilisierte  Maolit  sa  enrartea.  Die  iaieraationale 
afrikanische  Gesellschaft.    Deklaration  der  ll&uptlinge  am  unteren  Congo  gegen  diese 
Oesellscbaft.    Das  Yerfahreu  der  Franzosen  in  Loango.    Täuschung  der  Eingeborenen 
dweh  die  Porta^eeaa.  Keiae  aaropMaeba  Koiamsatioa  ia  Äqoatorialafrlka  mOglieii.  Eiaa 
•arofflieehe  Beritaerireifliag  wird  den  Uatargug  der  «iagaliofaaea  BaaiaaliarlNilttlirMi. 

BotUo  da  Lenha  an  der  Congomftndnng  im  September  1881 

Viele  Beiaende  haben  in  neuerer  Zeit  Uber  sonderbare  Sitten 
berichtet,  die  bei  den  Volksstftmmen  dieser  Gegenden  herrschen, 
aber  die  Thatsachen,  Ober  welche  sie  sich  ansliefsen,  wurden  gewöhnlich 

*)  Anm.  d.  Red.  Einer  Einladung  unserer  Gesellschaft  folgend,  hat  Uerr 
PhilUiNi,  sait  langen  Jaluwi  vod  nooh  jetst  als  Kanfmann  an  der  Congomflndiing 

ansissig,  die  CKkte  gehabt,  uns  diese  Tielfach  wertvollen  und  interessanten  Mit- 
teilungen zukommen  zu  lassen,  wofftr  ihm  aach  an  dieser  Stelle  verbindlicher 

Dank  ausgesprochen  werden  soll.  D.  Red. 

Ü9<tgr.  Blftttcr.  Brvmeu.  IHM.  28 


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—  314  — 

in  unzusammenhängender  Welse  behandelt,  so  dafs  sie  nicht  als 

Teile  eines  Ganzen  erscheinen  und  dadurch  der  Anschein  des  Mangels 
an  Folgerichtigkeit  vermehrt  wird.  Daher  scheint  es  u«>tig,  einen 
zusammenhängenden  t'bcrbliik  über  die  Sitten  und  (it  briluche  dieser 
Volksstämme  zu  geben  und  den  Staudpunkt  anzudiMitcn,  von  welchem 
aus  dieser  scheinbare  Mangel  au  Übereinstimmung  in  Einklang  zu 
bringen  und  das  sociiile  System  derselben  ins  rechte  Licht  zu  stellen  ist 
Ein  anderer  Grund  für  diese  Mitteilungen  liegt  darin,  dafs  seit  kurzem 
zwei  enropftische  Mftchte,  Frankreich  und  Portugal,  und  eine  Ton 
S.  M.  dem  König  von  Belgien  beauftragte  Forschungs-  und  Handels- 
gesellschaft, die  sich  selbst  ^yintemational''  nennt,  sich. für  die  Ange- 
legenheiten dieses  Landes  sehr  interessiert  haben  und  in  ihren  Be- 
mühungen diesen  Leuten  zu  nützen,  durch  schädliche  Einmischnng 
den  Ilauptprinzipien  socialer  Wissenschaft  zuwider  gehandelt  haben 
und  noch  handeln.  Ich  behaupte  nicht,  dafs  das  Prinzip,  wornach 
mächtige  Völker  geneigt  sind  schwache  zu  unterjochen,  verletzt  worden 
sei,  wohl  aber,  dafs  die  ausgesprochenen  Absichten  dieser  Machte 
und  der  „internationalen  Gesellschaft"  zeigen,  dafs  sie  keinen  tieferen 
Einblick  in  das  Problem  der  Civilisation  und  einer  guten  Begierung  be- 
sitzen, als  die  Nichtunterrichteten  im  allgemeinen.  Wenn  sie  in  ihrem 
Verfahren  beharren,  so  wird  das  Besultat  das  sein,  welches  gewöhnlich 
das  Eingreifen  der  Civilisierten  in  die  Angelegenheiten  der  Wilden 
begleitet,  nämlich  Ausrottung  der  letzteren.  Eine  gründliche 
Kenntnis  dieses  Volkes  scheint  daher  dringend  notwendig  zu  werden, 
da  sonst  der  Congorasse  und  indirekt  auch  der  Civilisatioo  selbst 
der  gröfste  Schaden  erwachsen  kann. 

Es  ist  klar,  dafs  in  dem  mir  zur  Verfügung  stehciulen  Kaum, 
selbst  wenn  meine  Kenntnis  ausreichend  wäre,  nicht  alle  Hauptpunkte 
der  Sociologie  dieser  Bassen  behandelt  werden  können,  aber  ich 
hoffe  im  stände  zu  seui,  klare  Vorstellungen  über  die  wichtigsten 
Punkte  meines  Gegenstandes  hervorzurufen. 

Meine  Bemerkungen  beziehen  sich  auf  die  eingeborenen  Stiimme 
von  Kinsenibo  bis  Loango  an  der  Meeresküste  und  von  der  Congo- 
mündung  bis  Borna  oder  höher  hinauf,  aber  sie  tretten  in  der  Kegel 
auch  in  Bezug  auf  viel  nördlichere  Stämme  und  auf  die  ganze 
Gegend  längs  der  beiden  Ufer  des  Flusses  zu. 

Der  Charakter,  der  sociale  Zustand  und  die  Bestrebungen  eines 
Volkes  hangen  so  sehr  von  den  iuilsmlichen  Umständen,  denen  sie 
unterworfen  sind,  ab,  dafs  es  nötig  ist,  eine  Darstellung  des  pliysischou 
Charakters  des  Landes  zu  geben  und  festzustellen,  in  welcher  Weise 
die  Eingeborenen  von  dem  Klima,  den  geognaphischeu  Eigentümlich- 


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keiten,  der  herrschenden  Fauna  und  Flora  und  anderen  modifizieren- 
den Faktoren  beeinflnlst  werden. 

Alierdings  ist  thatsäehlich  anch  von  Gegenden,  in  denen  ein 
heifses  Klima  herrschte,  Civilisation  ausgegangen,  doch  müssen  dabei 

bemerkenswerte  Umstände  beachtet  werden:  erstens,  dafs  die  Civili- 
sation  sich  nach  ihren  frühesten  Stadien  nicht  an  dem  Ort  ihrer 
Entstehung,  sondern  in  rauheren  Himmelsstrichen  ausgebreitet  und 
eine  Entwickelung  genommen  hat,  welche  diejenige  an  den  ersten 
Sitzen  der  Kultur  bald  überflügelte  und  diese  als  halbbarbarisch  oder 
wenigstens  tiefer  stehend  erscheinen  liefs.  Der  zweite  bemerkenswerte 
Umstand  ist,  dafs  die  ersten  Mittelpunkte  der  Kultur  ein,  wenn  auch 
heifes,  so  doch  hohes,  trockenes,  gesundes  Klima  hatten;  niedrige, 
feuchte,  dnnstreiche  Gegenden  haben  niemals  eine  Civilisation  hervor- 
gearufen  oder  eine  solche  erheblich  gefördert 

Zu  dieser  letzteren  Art  von  Land  gehört  der  Teü  des  Erdballes, 
mit  dem  wir  uns  hier  beschäftigen ;  das  feuchte,  heifse  und  erschlaffende 
Klima  mufs  als  ein  ungünstiger  Faktor  betrachtet  werden.  Doch 
[während  die  Sättigung  der  Luft  mit  Feuchtigkeit  oft  85  ^/o  oder 
mehr  beträgt,  so  finden  wir  andererseits  den  mildernden  Umstand, 
dafs  die  Temperatnr  selten  über  33^  C.  im  Schatten  steigt,  und  darnach 
müssen  wir  unsere  ungünstige  Meinung  über  das  Klima  doch  etwas 
abändern. 

*AIs  eine  Bedingung  der  Civilisation  ist  die  Verschiedenheit  in 
den  Produkten  eines  Landes  von  der  grö&ten  Wichtigkeit, 
denn  durch  den  Beitrag,  welchen  Jeder  Teil  des  Landes  zu  den 
BedOrfhissen  der  übrigen  Teile  liefert,  wird  er  von  den  andern  ab- 
hängig und  nur  auf  diese  Weise  kann  ein  lebhafter  Austausch  von 
Waren  stattfinden,  die  von  den  Gegenden,  wo  sie  am  besten  pro- 
duziert werden,  nach  denen,  wo  man  ihrer  bedarf,  cirkuliereu  und 
zerstreute  Stiidte  und  Dörfer  zu  einem  unter  einander  abhängigen 
Ganzen  verbinden.  Diese  Mannigfaltigkeit  an  Ertragsfähigkeiten  in 
den  verschiedenen  Teilen  prägt  sich  hier  nur  wenig  aus,  die  be- 
wohnbaren Teile  des  Landes  sind  sich  in  ihren  Erzeugnissen  zu 
Ähnlich,  um  diesen  Warenaustausch,  diese  Teilung  der  Arbeit  in 
gröfserer  Ausdehnung  zu  gestatten. 

Obgleich  es  unzählige,  sich  weithin  erstreckende  Sumpfdickichte 
giebt,  so  finden  sich  auch  viele  mit  Gras  bewachsene,  leicht  gewellte 
Flächen,  auf  welchen  ohne  grobe  Arbeit  hinreichende  Nahrang  fttr 
die  Bevölkerung  gewonnen  werden  kann.  Das  Gras  abzubrennen 
und  eine  Anzahl  Baumstümpfe  aus  dem  Wege  zu  schaffen,  ist  alles, 
was  zur  Vorbereitung  nötig  ist,  liacken  und  säen  ist  bald  gcthan, 
und  die  Ernte  kann  bestimmt  erwartet  werden.   Die  Ernten  fallen 

28« 


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.solir  versrliiodcii  ;ui^;  Zeit  un»!  Men.^e  dc^  Üc-eiis  sehr  dem 
Wechsel  untorwoifeii  >\ud.  und  da  man  keine  VoiTat^,i»anser  hellt,  so 
ist  eine  schlechte  Ernte  oit  der  Anfan^i;  einer  HunL^ersnot.  Ks  ist 
nicht  reine  Unbedachtsamkeit,  dafs  ^'egen  ilungcrsnut  nicht  vorge- 
sorgt wird;  das  Anfspeichern  vou  Xahnmgsniittelu  ist  hiereine  sehr 
schwierige  Sache,  wie  man  aus  der  leicht  verderblichen  Beschaffeuheit 
der  Nahrangsmittel,  von  denen  ich  eine  Liste  geben  werde,  ersehen 
kann.  Sie  sind  alle  dem  Verfaulen  und  Angriffen  von  Insekten 
(welche  im  Überflufs  vorhanden  sind)  so  sehr  ausgesetzt,  dafs  die 
Bewahrung  selbst  nur  eines  kleinen  Vorrats  fOr  schlechte  Zeiten 
aufserordentlich  grofser  Wachsamkeit  und  Arbelt  bedürfen  würde, 
ohne  dafs  mau  irgend  welche  Gewifsheit  vou  veilialiniisiual>igem 
Nutzen  hätte. 

Die  llauptnaliruugsartikei  sind  Mandioca,  Mai--,  eini-re  Arten 
von  Bohnen,  die  Krdnufs,  die  voamhea  suhtcrranca,  ciiiiue  Yani- 
wur/eln  und  die  Pahnnufs ;  diese  letztere  wird  nicht  kultiviert,  sondern 
abgenommen,  wo  man  sie  gerade  iindet,  und  die  übrigen  Dinge 
wachsen  gleich  gut  in  allen  Teilen,  wo  Ackerbau  getriebeu  wird. 

Die  an  der  Küste  lebenden  Tiere  sind  Schafe,  Ziegen,  Enten 
und  Hühner;  gelegentlich  wird  etwas  Wild  gefangen,  aber  unter  den 
nahe  dem  Meere  oder  Flusse  wohnenden  Stammen  dienen  diese 
wenig  als  Nahrung,  da  hier  die  Hauptnahrungsmittel  Fische  und 
zuweilen  Seegamelen,  Austern  und  einige  Arten  von  Krebsen  iSfnd. 
Ks  findet  sich  also  wenig  Abwechselung  in  den  Nahrungsmitteln, 
welche  die  verschiedenen  Landstrielie  za  liefern  vcrniögen,  der  einzige 
Unterschied  besteht  vielmehr  nur  darin,  dafs  die  Küsten-  und  Flufs- 
stämme  fischen  und  die  binnenländisclien  Stämme  nicht  fischen. 

Wenn  nun  die  Binnenlandstilmme  von  den  K'üstenstammen 
Fische  kaufen  wollten,  so  könnten  sie  das  nur  unter  der  Bedingung 
thnn,  dafs  sie  die  Fische  mit  irgend  einem  Artikel  bezahlten,  den 
die  Küstenstämme  nictit  haben.  Die  Ähnlichkeit  der  Bodenenseng- 
nisse  über  das  ganze  Land  ist  so  grols,  dafs  kein  solcher  Austausch 
beim  Mangel  einer  weiteren  Industrie  möglich  ist  Dieser  Mangel 
wird  durch  die  Haudelsstationen  an  der  Küste  und  am  Flusse  er- 
setzt, sie  können  Produkte  sowohl  von  den  Küsten-,  wie  von  den 
Inlandstümmen  gegen  verschiedene  Waren  kaufen,  deren  alle  be- 
dürfen. So  veranlassen  diese  Faktoreien  nicht  nur  einen  Umlauf 
von  Waren  zwisdien  sich  selbst  und  den  Kii^tcil-  und  Landstämnien, 
sondern  sie  vermitteln  auch  einen  s(dchen  zwischen  den  verschiedenen 
Stammen  selbst.  Denn  nun  sind  die  Produkte  des  iimeren  Landes 
von  Wert  für  die  Küstenstämme,  die  sie  wieder  an  die  Europäer 
verkaufen  und  dem  Fischfuug  obliegen  kouueu,  anstatt  auf  die 


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Krzieliiui^  von  Produkten  luMlacht  sein  zu  iiaissoii,  uud  so  werden 
verschiedene  Arten  von  WartMiuinsätzcn  einpjefiilirt. 

Diese  je  einige  ATeil en  von  einander  entfernt  an  der  Kii.ste 
entlang  und  am  Congotiussc  fast  bis  Vivi  errichteten  enropäischen 
Haudels^tationen  bilden  so  die  Qnelle  des  einzigen  arteriellen  Systems 
socialer  Gemeinschaft,  und  sie  sind  bis  jetzt  die  bedeutendste  Ver- 
mittelung  der  Civilisation,  welche  dieses  Land  besitzt. 

Da  in  keinem  Teile  des  Landes  Bergbau  oder  Bteinbmcharbeiten 
betrieben  werden,  und  wirklich  keine  bestimmte  Beschäftigungen  in 
einem  Teile  mehr  als  in  dem  anderen  stattfinden,  so  müssen  wir 
Schliefisen,  dafs,  wenn  nicht  die  europäischen  Hänser  vorhanden  wären, 
nur  das  PIscbereigewerbe  den  einen  Teil  des  Landes  von  dem  anderen 
unterscheiden  und  jeglicher  Ha lulcls verkehr  verschwinden  würde. 

Uni  eine  sociale  Gemeinschaft  zu  formen,  ist  die  Leichtigkeit 
der  Ausübung  von  Zwang  von  erster  P)edeutung;  wo  eine  Örtlichkeit 
schwer  angreifbar  oder  wo  "Rückzut:  leicht  zu  ermöglichen  ist,  da 
ist  Unterwerfung  unter  eine  vereinigende  Macht  Verhältnis niäfsig 
schwer,  und  die  zwingende  Mitwirkung,  welche  ein  entwickeltes 
politisches  System  bedingt^  wird  unausführbar. 

Nun  gehört  es  aber  zu  den  am  meisten  hervorstechenden  Eigen- 
tümlichkeiten dieses  Landes,  dafs  die  Bewohner  schwer  anzugreifen 
sind,  aber  sich  leicht  zurückziehen  können:  das  dichte  Gebüsch  am 
Ufer  des  Flusses  und  an  den  hügeligen  Abhängen  im  Innenlande 
gewährt  den  Schwarzen  hinreichenden  Schutz,  um  einen  gefährlichen 
Überfall  aus  (kni  lliiitt  iiialt  zu  unternehnieu ;  dabei  sind  die  Land- 
strafsen  von  Ort  zu  Ort  so  schlecht  und  schmal,  dafs  eine  Verfolgung 
auf  diesen  ilufserst  schwierig  sein  würde.  Und  doch  können  hohes 
Gras,  Gebüsche  und  Sümpfe  nur  vermieden  werden,  indem  man  sich 
an  die  Wege  hält,  während  die  Neger  sich  mit  der  gröfsten  Bequem- 
lichkeit zerstreuen  können,  oder  verborgen  liegen.  £s  giebt  nur 
wenige  gute  Quellen,  und  diese  liefern  nur  ein  geringes  Mafs  von 
Wasser;  die  Schwierigkeit  eines  Angriflfes  ist  daher  auÜBerordentlich 
grob. 

Den  überzeugendsten  Beweis,  welchen  Schutz  das  Land  gewährt, 
liefert  uns  das  Ih  gebnis  eines  Angriffes,  den  kürzlich  ein  Kanonen- 
boot auf  die  Stadl  Katala  an  diesem  Flusse  machte.  Zwei  portu- 
giesische Kanonenbcite  ankerten  etwa  -UIO  Yards  von  Katala  und 
eröffneten  ein  heftiges  Geschütz-  un<l  Gewehrt'eucr  von  vierzehn- 
stündiger Dauer.  Die  KingeborciHMi  verbargen  sich  einfach  im  Grase 
und  gaben  zum  Spott  Gegenfeuer  mit  ihren  Steinschlol'sgewehren, 
die  sie  im  Handel  gebrauchen,  bliesen  die  Hörner,  schlugen  die 
Trommeln  und  schofsen  auch  zwei  alte  mit  Pulver  und  Graswatte 


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geladene  Feldkanonen  ab.  Das  Ergebnis  der  Sache  war,  dafs  eine 
Frau  verwundet  wurde,  und  dies  war  nur  zufällig  geschehen,  weil 
sie  sich  gerade  am  Ufer  befand,  als  die  Kriegsschiffe  das  Feuer  er- 
öffneten. In  den  Kriegen  der  Eingeborenen  werden  nur  wenige 
getötet,  sie  finden  so  leicht  Schutz,  dafs  die  Angreilenden  sehr  im 
Nachteil  sein  würden,  und  Verwegenheit  auf  ihrer  Seite  würde  nur 
ihre  Niederlage  sichern.  Da  auf  diese  Weise  ein  jeder  Stamm  für 
seine  Nachbaren  fast  unbezwingbar  ist,  so  entsteht  wenig  Unheil  und 
Zwistigkeiten  lösen  sich  bald  in  »PalaTer^  auf. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  Gharakterzflgen  der  gesamten 
Bevdlkenmg,  so  wollen  wir  zunAchst  ihren  physischen  Zustand  nicht 
als  einen  Faktor  von  offenbarer  Wichtigkeit  in  sich  selbst  betrachten, 
sondern  um  zu  zeigen,  in  welchen  physischen  Kennzeichen  die  Ein- 
geborenen andern  barbarischen  Rassen  gleichen,  in  der  Erwartung, 
dafs  hier  wie  überall,  in  einem  unentwickelten  Körper  auch  ein  un- 
entwickelter Geist  wohnt. 

Da  keine  systematischen  und  überhaupt  nicht  genügend  zahl- 
reiche Messungen  angestellt  worden  sind,  so  kann  ich  nicht  mit 
Bestimmtheit  über  die  bezüglichen  Proportionen  des  Kumpfes  und 
der  Glieder  der  Eingeborenen  sprechen;  aber  augenscheinlich  sind 
sie  ziemlich  klein  gebaut,  breit,  haben  gut  entwickelte  Muskeln  und 
etwas  gröDsere  Eingeweide  als  die  Europäer.  In  letzterem  Punkte 
ist  aber  ein  Irrtum  sehr  leicht  möglich,  da  wir  keine  genOgende 
Anzahl  von  unbekleideten  Europäern  sahen,  mit  welchen  wir  die 
Eingeborenen  vergleichen  könnten.  Von  den  Kindern  kann  ich  mit 
gröfserer  Sicherheit  sprechen,  da  bei  ihnen  das  Hervortreten  des 
Unterleibes  oft  aufserordentlich  bemerkbar  ist.  Mit  ausgestreckten 
Armen  hat  der  Europäer  von  einer  Fingerspitze  zur  andern  dieselbe 
Länge,  wie  vom  Kopf  bis  zu  den  Hacken;  der  Afrikaner  dagegen 
hat  oft  beträchtlich  viel  mehr.  Dies  rührt  aber  eher  von  längeren 
Armen  als  von  kürzeren  Beinen  her,  so  weit  ich  es  nach  dem 
Aussehen  beurteilen  kann,  und  ist  eine  Erscheinung,  die  man  weit 
und  breit  in  den  Terschiedensten  Teilen  der  Welt  unter  den  Wilden 
wahrnimmt.  Kurz  gesagt,  die  oberen  und  unteren  Grlieder  sind 
weniger  verschieden,  als  bei  den  dvilisierten  Menschen. 

In  Hinsicht  der  Muskelstftrke  finden  sich  eigentflmliche  Er- 
scheinungen, in  mancher  Beziehung  schdnen  die  Eingeborenen  die 
Stärke  und  Ausdauer  der  Europäer  zu  übertreifen,  in  anderer  die- 
selbe nicht  zu  erreichen.  So  können  die  Eingeborenen  viele  Stunden 
lang  und  mehrere  Tage  nach  einander  Pfähle  tragen,  an  welchen 
Hängematten  mit  Menschen  darin  befestigt  sind ;  ein  kurzer  Versuch 
wird  beweisen,  dafs  wir  dergleichen  nicht  unternehmen  könnten. 


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Anderseits  würden  sechs  Eingeborene  sich  lange  mit  einem  Ballen 

abiiiiilicu  müssen,  den  zwei  oder  drei  Weil^e  leicht  an  seinen  Platz 
heben  könnten,  und  am  Handf?elenk  fest^i^ehalten  kann  ein  Ein- 
geborener sich  nicht  von  dem  Gritf  eines  einigermafsen  starken 
Europäers  befreien.  Ich  glaube,  die  Erklärung  dieser  soiulerbaren  Er- 
scheinung muls  in  einem  uueutwickelten  Nervensystem  liegen ;  wahr- 
scheinlich könnte  ein  europäischer  Arbeiter  das  Gewicht  von  einem  Ende 
einer  Hängemattenstange  ganz  gut  tragen,  wenn  die  Schwere  vermittelst 
eines  Traghohses  yerteiit  würde ;  aber  das  schmerzliche  Einschneiden 
in  die  Schalter,  das  ohne  irgend  ein  solches  Mittel  eintreten  mülste, 
würde  den  Europäer  unfähig  machen,  die  Stange  in  derselben  Weise 
zu  tragen  wie  der  Eingeborene. 

Es  ist  also  die  ünempfindlichkeit  gegen  Schmerz,  und  nicht 
die  besondere  Stärke  des  Wilden,  der  es  ihm  möglich  macht,  Dinge 
zu  vollbringen,  welche  gröfsere  Kräfte,  als  die  des  civilisiertea 
Mannes  vorauszusetzen  scheinen. 

Die  Ünempfindlichkeit  gegen  Hitze  spricht  sich  besonders 
darin  aus,  wie  selbst  ganz  kleine  Kinder  brennende  Holzkohlen  auf- 
heben und  sie  mit  einer  Bedächtigkeit  in  eine  Pfeife  stecken  können, 
die  unserer  Rasse  unmöglich  wäre.  Auch  Kälte  scheinen  die  Schwarzen 
▼erhältnismälsig  wenig  zu  fühlen;  die  feachten  Morg;eQ  mit  einer 
Temperatur  von  16  oder  17^  C.  nötigen  den  Europäer  noch  ein 
Kleidungsstück  mehr  anzulegen,  oder  sich  gröfsere  Bewegung  zn 
machen,  während  die  Eingeborenen,  obgleich  sie  schauern,  doch  halb 
nackt  bleiben  und  keine  Anstrengung  machen  sich  zu  erwärmen. 
Erst  wenn  der  Tag  weiter  vorrückt  und  es  ganz  notwendig  wird, 
legen  sie  noch  Kleider  an.  Aus  demselben  Grunde  scheint  auch  die 
Bewegung  während  der  Hitze  des  Tages,  die  für  weifse  Rassen 
schwer  ist,  die  Eingeborenen  nicht  iiiizugreit'en :  ohne  Kopfbedeckung, 
ja  sogar  mit  geschoruen  Köpfen  und  nur  mit  einer  Bekleidung  um 
die  Lenden,  arbeiten  sie  im  brennendsten  Sonnenschein  ohne  Be- 
sdiwerde  oder  Widerstreben. 

Ein  anderes  Zeichen  der  nur  einseitigen  Entwickelung  ihres 
Nervensystems  ist,  daTs  eine  plötzlich  erhaltene  Verletzung  i^Mien 
kein  Zusammenschrecken  verursacht  Ich  bin  oft  bei  schweren 
Verletzungen  zugegen  gewesen,  habe  aber  nie  das  geringste  Zeichen 
von  Zusammenschrecken  bei  den  betreffenden  Personen  bemerkt. 
Dies  scheint  mir  eine  treffende  Bestätigung  meiner  Behauptung. 

Es  kommt  mir  sehr  walirscheinlich  vor,  was  ich  weiterhin  auch 
noch  beweisen  werde,  dals  die  körperliche,  geistige  und  politische 
Entwickelung  dieser  Stämme  in  früheren  Zeiten  einmal  höher  ge- 
standen haben  muüs,  als  jetzt   Wenn  es  sich  so  verhält,  so  ist 


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ziemlich  sicher  anzunehaem,  daCs  das  am  spfttesteo  entwickelte 
Nerrensystem  zaerst  Merkmale  von  Yerschlechterong  gezeigt  haben 
wird,  imd  dab  solche  Zeichen  eher  durch  indirekte  Wirkangen,  als 
durch  Ifangd  an  Muskelkraft  her?ortreten. 

Die  Krankheiten,  welche  auch  die  hier  lebenden  Europäer  be- 
fallen, werden  von  den  Eingeborenen  oft  leichter  getragen;  unter 
diesen  könnte  ich  Fieber,  sowohl  andauerndes,  wie  Wechseltieber, 
die  rote  Ruhr,  Bronchitis  und  Rheumatismus  erwähnen.  Es  finden  sich 
indessen  dort  auch  noch  andere  Krankheiten,  von  denen  die  Europäer 
sonderbarerweise  frei  bleiben,  die  aber  unter  den  Eingeborenen  mit 
grofser  Heftigkeit  auftreten.  Zu  diesen  gehören  eiterige  Geschwüre 
an  den  unteren  Extremitäten,  Gicht,  Wasserbruch,  Blattern;  anch 
sind  valvuläre  Herzkrankheiten  nicht  ungewöhnlich. 

Das  Yerdannngssystem  der  Eingeborenen  ist  von  grdfseren 
Dimensionen  als  bei  den  EnropAem.  Sie  können  ungeheure  Quanti- 
täten von  Lebensmitteln  zu  sich  nehmen,  die  mit  unsem  verglichen 
nicht  nahrhaft  und  oft  im  Zustand  halber  F&alnis  sind;  Tiere,  die 
au  Krankheiten  gestorben  sind  oder  verdorbenes  Fleisch  verschlingen 
sie  gierig  ohne  sichtbar  schlechte  Folgen.  Andererseits  aber  können 
sie  sich  auch  lange  Zeit  ohne  grofse  Schwierigkeit  mit  dem  kärg- 
lichsten Proviant  erhalten.  Wie  sich  demnach  erwarten  läfst,  nehmen 
sie  mit  grofser  Schnelligkeit  bald  zu  bald  ab,  je  nach  der  Beschaffen- 
heit ihrer  Nahrungsmittel;  das  kümmerlichste  Geschöpf  hat  nach  einem 
sechs-  oder  achtwöchentlichen  Aufenthalt  in  ewer  Handelsstation  ein 
ganz  gutes  Aussehen.  Diese  unter  vielen  St&mmen  voa  Wilden  sehr 
allgemeine  Eigentflmlidikeit  ist  vermutlich  das  Ergebnis  von  Katur- 
wahl;  wo  die  Emfthrung  vielen  Veränderungen  unterworfen  ist,  ist 
es  von  höchster  Wichtigkeit^  da(s  der  ÜberschuJs  von  Nahrung  in 
Zeiten  des  Überflnsses  in  dieser  Weise  zum  Verbrauch  in  Zeiten 
des  Mangels  aufbewahrt  werde. 

Es  giebt  keine  Mittel  um  festzustellen,  ob  die  Mannbarkeit 
firüher  im  Leben  eintritt,  als  es  unter  den  civilisierten  Völkern  der 
Fall  ist,  da  man  keine  Geburtsregister  führt;  derartige  Nachweisungen 
würden  von  Wichtigkeit  sein,  wenn  sie  zu  haben  wären.  Man  ver- 
mutet, dafs  die  Mannbarkeit  hier  etwas  früher  als  bei  den  Europäern 
erreicht  wird,  doch  ist  es  möglich,  dafs  ihre  begrenzte  Entwickelung 
etwas  langsamer  vor  sich  geht  und  so  der  Unterschied  vielleicht 
nur  gering  ist 

Whr  mflssen  bemerken,  dals  die  geringere  physische  Entwickdung 
der  Schwarzen  von  direktem  Vorteil  für  sie  ist    Das  Klima  und 

die  Beschaffenheit  der  Natur,  welchen  sie  sich  entweder  anpassen 
oder  unterliegen  müssen,  machen  den  Europäer  unfähig,  die  gleiche 


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—  321  — 

Beschäftigiing  zu  oaternehmeii;  niemand  von  uns  könnte  die  Arbeit» 
welche  die  schwarze  Rasse  za  thun  hat,  verrichten,  kein  Versoch 
der  Kolonisation  nnd  Bebaaung  des  Landes  von  Europftem  kdnnte 

gelingen.  Ja,  noch  mehr,  wir  sehen  in  dem  schrecklich  vermehrten 
Totenregister  unter  der  „internationalen  afrikauischeu  Gesellschaft", 
dafs  lange  ehe  die  Leistungen  der  Weifsen  denen  der  Schwarzen 
gleichkommen,  die  Natur  der  Thiitigkeit  jener  ein  Veto  entgegensetzt, 
indem  sie  die  Eindringlinge  dezimiert.  Man  sollte  wohl  bedenken, 
dafo  nur  der  Afrikaner  sein  Land  nutzbar  machen  kann,  und  wenn 
er  sich  zurückzieht,  oder  wenn  es  seiner  Rasse  mifsiingt,  so  ist 
dies  Land  der  gro&en  Welt  nutzlos. 

Qeh^  wir  non  zu  der  geistigen  Natur  der  C!ongost&mme  ttber, 
indem  wir  mit  den  Empfindungen  beginnen,  so  finden  wir  hier  viele 
nnd  wichtige  Merkmale  teilweiser  Entwickelung.  Die  Entwickelung 
der  Gefühle  Iftfst  sich  dnrch  das  Abweichen  des  Verhaltens  von  dem 
durch  Erwägung  Gebotenen  ganz  gut  abschätzen;  so  folgt  in  dem 
niedrigsten,  zu  selbständigem  Auftreten  fähigen  Organismus  auf 
eine  Störung  von  aufsen  ein  fayt  zweckloser  Kampf,  welcher 
möglicherweise  die  Person  ebensowohl  mit  der  Gefahr  in  Berührung 
bringen,  als  sie  weiter  davon  entfernen  kann ;  einige  Stufen  höher 
finden  wir  das  Verhalten  den  besonderen  Anforderungen  gerade  an- 
gepafst ;  in  noch  höheren  Graden  ist  es  verschiedenen  Anforderungen 
durch  direkte  und  indirekte  Mittel  angemessen,  wie  sich  bei  Tieren 
zeigt,  die  anf  der  Lauer  nach  ihrer  Bente  liegen,  oder  bei  Hunden, 
welche  za  künftigem  Gebrauch  Knochen  vergraben.  Bei  dem  Wilden 
hat  sich  diese  Übereinstimmung  in  Zeit  und  Raum  aulserordentlich 
vennehrt,  wie  sich  im  Ackerbau,  in  barbarischen  Künsten  nnd  der- 
gleichen zeigt ;  während  sie  bei  dem  civilisierten  Menschen  die  höchste 
Grenze,  welche  bis  jetzt  erlangt  wurde,  erreicht  hat,  wie  es  sich  in 
Handlungen  zeigt,  die  mit  Überlegung  ausgeführt  werden,  um  auf 
direkte  wie  indirekte  Weise  Zwecke  zu  fördern,  die  in  der  Zukunft 
und  im  Räume  noch  weit  entfernt  liegen. 

Emptindungen  der  Wilden,  die  noch  nicht  die  Stufe  der  * 
Entwickelung  beim  civilisierten  Erwachsenen  erreichten,  mögen 
wohl  denen  des  civilisierten  Jfinglings  oder  Kindes  gleichstehen, 
nnd  die  Handlungen  des  Wilden  bestätigen  diese  Ansicht.  Was 
die  GoDgodttgeborenen  betrifft,  so  werden  ihre  Gefühle  dnrch 
momentane  Erregung  charakterisiert,  ihr  Verhalten  ist  nur 
auf  die  Gegenwart  nnd  das  Naheliegende  gerichtet;  die  ein- 
facheren Regungen,  wie  sie  der  Reihe  nach  entstehen,  thun  sich  in 
Handlungen  kund,  welche  nicht  durch  die  komplicierteren  Gefühle, 
nach  denen  der  civilisierte  Mensch  seine  Handlungen  richtet,  beein- 


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flufst  werden.  Von  Natur  ernst,  werden  die  £iageborenea  durch  irgend 
etwas  Komisches  doch  leicht  zum  Lachen  antreregt;  obgleich  ge- 
wöhnlich freundüdi  mit  einander,  zanken  sie  sich  leicht  heftig  über 
Kleinigkeiten;  sie  lieben  ihre  Weiber  und  Kinder,  aber  gleichwohl 
ist  ihre  böse  Laune  oft  zttgellos.  Beim  Tauschhandel  yon  Waren 
können  sie  am  einen  ganz  geringen  Betrag  feilschen,  nnd  ihr 
Absehen  vor  dem  Geiz  verleitet  sie  znweilen,  mehr  wegzugeben,  als 
sie  beim  Handel  ^anvonneu  haben;  wahrend  sie  für  einen  Angriff 
schweren  Schadenersatz  verlangen,  minieren  sie  sich  znweilen,  um  einem 
verstorbenen  Verwandten  ein  prunkhaftes  Begräbnis  zu  veranstalten. 
Hieraus  ersehen  wir,  dafs  das  augenblicklich  vorherrschende  Motiv 
fast  das  einzige  ist;  vernünftige  Beherrschung,  wie  wir  sie  kennen, 
ist  nicht  zu  finden,  Ideenstreit  kennen  sie  nicht,  und  reifes  Urteil 
wird  nicht  gewonnen.  Die  komplicierteren  Gefühle,  wie  Freiheits- 
liebe und  Eigentumsliebe  sind  nur  wenig  ausgebildet;  so  fühlen  sie 
Leibeigenschalb  auch  nicht  als  Bürde,  w&hrend  sie  auf  den 
Schütz  des  starken  Herrn  ^el  geben.  Daher  überwiegt  auch  das 
Gefühl  der  Sicherheit  dieses  Schutzes  die  Unannehmlichkeit,  dafo 
der  Herr  einen  oft  nnmäfsigen  Anteil  an  dem  Gewinn  seiner  Sklayen 
beansprucht. 

In  Übereinstimmung  mit  dem  unentwickelten  Kigentuni- 
gefühl  ist  der  Eingeborene,  nachdem  er  einen  kleinen  Vorrat  von 
Gütern  aufgehäuft  hat,  ganz  zufrieden  damit,  seine  Zeit  mit  NichLsthun 
hinzubringen,  bis  seine  Bedürfnisse  ihn  zu  erneuter  Anstrenirnng 
zwingen.  Das  Eigentumgefühl  bleibt  u.  a.  schon  insofern  in  einem 
unentwickelten  Zustand,  als  die  Stärkeren  sicherlich  Erpressungen 
an  den  Schwächeren  ausüben  Wörden,  wenn  letztere  irgend  welche 
angewöhnliche  Anstrengungen  machen  wollten,  sich  viel  Besitztum 
zu  sichern. 

Je  mehr  das  Verhalten  den  augenblicklichen  Anforderungen 
entspricht,  wenn  man  die  späteren  Folgen  ganz  aufser  acht  I&fst  — 

desto  gleichf5rmiger  wird  es;  dies  ist  der  Ursprung  der  Sitte,  wie 
•  sie  in  Gleichförmigkeit  des  Verhaltens  bei  unzähligen  Individuen 
sich  zeigt,  wenn  nur  die  Gegenwart  bei  ihnen  in  Betracht  kommt. 
Wenn  diese  unentwickelte  Phase  des  Gemüts  erreicht  ist,  so  regelt 
der  Mensch  sein  Verhalten  nach  dem  seiner  Mitmenschen,  indem  er 
sie  fragt,  wie  sie  das  ihre  regeln  und  denselben  Weg  einschlägt. 
Sogleich  wird  die  Sitte  ihre  eigene  Rechtfertigung  und  die  Ab- 
weichung davon  wird  verurteilt  Diese  Erscheinung  tritt  unter 
diesem  Volke  stark  hervor.  Der  Sitte  folgend  unterwerfen  sich 
die  Eingeborenen  der  Qual  des  T&ttowierens,  des  Ausschlagens  tisd 
Abbrechens  von  Z&hnen,  der  Beschneidung;  aus  derselben  Veran- 


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—  323  — 

lassung  tragen  die  Frauen  mächtige  Metallringe  an  den  Beinen, 
was  sie  beim  Geben  sehr  hindert  Die  Sitte  bestimmt  auch  zum 
grotsen  Teil  das  Bfaterial,  welches  sie  zum  Bau  ihrer  H&user 
gebrauchen,  sie  schreibt  das  Weinen  und  die  erzwungene  Unsauber- 
keit  beim  Tode  eines  Verwandten  vor.  Ja,  sogar  jeder  kleine  Akt 
Ton  Frenndlichkeit  seitens  eines  Europäers  wird  nach  zwei  oder 
drcimulij;er  Wiederholung  nicht  mehr  mit  Dankbarkeit  angenommen, 
sondern  als  ein  Recht  beansprucht. 

Wie  üben  angedeutet,  kann  mau  Dankbarkeit  bei  dieser  Kasse 
nicht  erwarten,  aufser  vielleicht  unter  sehr  ungewöhnlichen  Umständen ; 
auch  zeigen  sie  dieselbe  nicht  untereinauder.  Ein  Besuch  erhält, 
nachdem  er  gastfreundlich  bewirtet  ist,  beim  Scheiden  nach  der  Sitte 
eine  Gabe  und  nur  als  Sitte  betrachtet  er  seines  Wirtes  Hebens- 
wlirdige  Behandlung.  Das  Äquivalent  für  „ich  danke^  ist  vielleicht 
der  am  seltensten  gebrauchte  Ausdruck  in  der  Sprache  der  Ein- 
geborenen, und  wenn  er  gebraucht  wird,  so  wird  er  fast  immer  von 
einem  Untergebenen  an  einen  Höhergestellten  gerichtet. 

Das  elterliche  Gefühl  macht  eine  Ausnahme  und  ist  besser 
entwickelt,  als  man  es  in  einer  Gemeinschaft,  wo  der  Rang  von  der 
Abstammung  in  weihlicher  Linie  abhängt,  erwarten  sollte.  Dies 
werden  wir  näher  beleuchten,  wenn  die  Dorfgemeinschaften  und  die 
Beziehungen  der  Familie  und  der  Sklaven  zum  Haupt  des  Dorfes 
besprochen  werden. 

Der  Neger  ist  diebisch,  doch  beraubt  er  seine  Nachbareu  nicht 
gewaltthfttig,  sondern  beschiänkt  sich  auf  kleine  Diebereien  von 
Dingen,  deren  Verschwinden  kaum  bemerkt  wird;  denn  bedeuten- 
deren Diebstählen  wQrde  sicherlich  Entdeckung  und  Strafe  folgen. 

Das  Gefühl  für  öffentliche  Gereditigkeit  ist  bei  wmtem  mehr 
ausgebildet,  als  man  denken  sollte,  und  so  hervorstechend,  dafs  ich 
geneigt  bin  zu  glauben,  dafs  es  als  Sitte  von  den  Überresten  einer 
vergaugenen  Periode  höherer  Entwickelung  zuriickgobliebeu  ist, 
vielleicht  als  eine  Art  von  natürlicher  Wahl,  da  der  Nutzen  der- 
selben sehr  in  die  Augen  fällt.  Die  öffentliche  Stimme  besteht  auf 
Gerechtigkeit  ^a^geu  Europäer,  liegen  die  benachbarten  Stamme, 
gejxen  die  Sklaven  sowohl  wie  gegen  persönliche  Verwandte,  die 
Sitte  entscheidet,  was  diese  Gerechtigkeit  ist,  und  in  dieser  Hinsicht 
haben  wir  Europäer  mir  wenig  Ursache  zur  Klage.  Ich  will  einen 
mich  selbst  betreffenden  Fall  als  Beispiel  anführen.  Ein  Eingeborener, 
der  einen  Angriff  auf  mich  gemacht  hatte,  wurde  auf  meine  Klage 
hin  zu  emer  Strafe  von  mehr  als  eine  Tonne  Palmkeme  verurteilt, 
und  obgleich  ich  keine  Bürgschaft  erhielt  und  seine  Gegend  verliefs, 
bezahlte  er  die  Strafe  im  Laufe  von  zwei  Jahren.    In  zahllosen 


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324  — 


Streitigkeiten  habe  ich  imnim*  i^ofunden,  diils  dos  öffentlich  ij;oij;ebene 
Versprechen  eines  Häuptlings  treulich  gehalten  wnrde;  in  Privat- 
angelegenheiten würde  ich  allerdings  nicht  mehr  Vertrauen  in  sein 
Wort,  als  in  das  jedes  anderen  £ingeborenen  setzen,  doch  kann  ich 
auch  hier  ein  gflnsUges  Beispiel  erw&hnen.  Eines  Tages  erschien 
ein  Mann  mit  einem  grofsen  Sack  voll  Palmkemen  nnd  sagte: 
„König  Samana  führte  Krieg  mit  dem  „Dittch  honse**  nnd  der 
weifse  Mann  schofs  auf  ihn.  Kurz  vor  seinem  Ende  sagte  er  uns, 
dafs  er  nicht  länger  leben  würde  und  befahl  uns,  hierher  zu  gehen 
und  euch  diese  Palmkerne  als  Zahlung  für  eine  Schuld,  die  er  euch 
zu  entrichten  habe,  zu  bringen.  Jetzt  ist  er  tot,  und  hier  sind  die 
Kerne."  —  Ich  brauche  keine  weiteren  Beispiele  aufznzilhlen;  <lie 
Thatsache,  dafs  unter  den  Eingeborenen  europiäische  Xioderlassungeu 
sind,  deren  Gedeihen  unmöglich  wäre,  wenn  nicht  ein  hoher  Grad  von 
Gerechtigkeit  waltete,  ist  in  sich  selbst  ein  sprechender  Beweis  dieses 
wichtigen  Zuges  in  dem  Ghanaer  der  Eingeborenen. 

Da  die  Empfindungen  ans  zahhreichen  Gruppen  von  Gefühlen 
zusammengesetzt  sind,  die  auf  verschiedenartig  abgestuften  Vor- 
stellungen beruhen,  so  ist  hier  der  geeignete  Platz,  von  der  Thätig- 
keit  des  Gemütes  und  der  Sinne  zu  sprechen.  Die  einzigen  Eigen- 
tümliclikciten,  die  ich  bemerkt  habe,  sind  Schärfe  des  Gesichts  und 
des  Geruches;  die  orstere  ist  etwas,  aber  nicht  viel  mehr  entwickelt 
als  bei  uns.  und  die  letztere  hat  die  EiLrentündichkeit,  dafs  obgleich 
viele  uns  i:;inz  widrige  Gerüche  den  Eingeborenen  ganz  gieichgiltig 
sind,  doch  wieder  andere  Gerüche,  die  uns  nur  wenig  berühren,  den 
Eingeborenen  Abscheu  erregen,  ja  sogar  Erbrechen  verursachen. 
Durch  Folgerung,  wenn  auch  nicht  durch  direkte  Erfahmng,  schliefse 
ich,  dafs  dies  auch  beim  Geschmack  zutriflft. 

Es  ist  merkwürdig,  wie  leicht  die  Eingeborenen  die  Wege  auf 
dem  Lande  sowohl,  wie  in  den  labyrinthartig  verschlungenen  kleinen 
Buchten  wiedererkennen,  obgleich  sie  dieselben  ja  allerdings  so  oft 
durchstreift  haben,  dafs  die  Gedächtnisstärke  doch  wohl  nicht  so 
bedeutend  ist,  wie  es  uns  scheinen  könnte.  Das  Gedächtnis  tür 
die  in  einem  Handscheine  enthaltenen  Aufzeichnungen  ist  wirklicli 
vorzüglich;  nachdem  der  Eigentümer  den  Inhalt  von  zwölf  oder  mehr 
solcher  Scheine  dunligelosen  liat,  ordnet  er  sie  und  vergifst  auch 
nicht  die  kleinsten  Einzelnheiten. 

Prüfen  wir  nun  den  Verstand,  so  finden  wir,  dafs  auch  hier 
wie  beim  Gefühl,  die  Gewohnheit  den  Geist  des  Eingeborenen  von 
seiner  Last  befreit;  er  glaubt,  was  jedermann  sagt,  ohne  seinen 
Verstand  wegen  der  Sache  zu  beunruhigen,  und  die  so  gewon- 
nene Überzeugung  halt  er  trotz  überwältigender  Gegenbeweise 


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—  325  — 


hartniicki^j  fest.  Auch  hier  ist  die  Gewohnheit,  wie  vorher,  ihre 
eigene  Ilecbtfertigung  und  die  Entscheidung  derselben  wird  nie  in 
Frage  gezogen.  Einige  Beispiele  mögen  hier  angeführt  werden: 
Tor  ungeMr  elf  Jahren  wurden  die  Ghigoes  oder  Sandflöhe  mit 
Sandballast  von  Brasilien  her  nadi  Ambnz  gebracht;  sie  yerbreiteten 
sich  bald  nach  allen  Richtangen  hin  und  sind  jetzt  eme  stehende 
Plage  im  Lande.  Auf  Befragen  nach  dem  Ursprung  derselben  ant- 
worteten die  Cabindos,  sie  rührten  davon  her,  daCs  ihr  letzter,  vor 
vicr/i^  Jaliren  verstorbener  König  nicht  begraben  worden  sei.  Es 
war  nutzlos,  sie  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dafs  in  Ainbriz, 
Kinsembo  und  anderen  Gegenden  die  Plage  ebenso  scliliniin  sei; 
nichts  konnte  ihre  t'l)erzeugimg  ersclitittern.  In  gleicher  Weise 
wurde  die  Ursache  einer  anhaltenden  Dürre  in  Landana  den  geist- 
lichen Gew&udern  der  katholischen  Mission  zugeschrieben;  vergebens 
hielt  man  ihnen  vor,  dafs  der  Missionsgarten  ebensosehr  durch  den 
Mangel  an  Kegen  litte,  und  dafs  lAngs  der  ganzen  Kflste  dieselbe 
Zerstömng  der  Ernte  vor  sich  gebe;  nur  ein  reichlicher  Begenfall 
verhütete  endlich  ernstliche  Unzufiriedenheit 

Wir  vergessen  leicht,  daHs  die  Begriffe  von  Ursache  und  Wir- 
kung einer  unendlichen  Menge  verschiedener  Beispiele  -und  eines 
beträchtlichen  Teiles  geistiger  Schulung  bedürfen,  ehe  sie  selbst  von 
einem  kultivierten  Verstände  gut  erfafst  werden  können;  auch  sind 
wir  nur  zu  ireneigt,  dem  Wilden,  dem  in  der  That  die  zu  allgemeinen 
Schlufsfolgerungen  n(itiucn  Erfahrungen  fehlen,  Mangel  an  Folge- 
richtigkeit zuzuschreiben.  Die  Wahrheit  ist,  dafs  eine  oberflächliche 
Anschauung  eher  den  Eindruck  begünstigt,  dafs  eine  gehörige  Kau- 
sal! tiit  nicht  existiere.  W^o  alles,  auch  was  sich  der  Erfahrung  ent- 
zieht, für  wahrscheinlich  gehalten  werden  kann;  wo  es  nicht  möglich 
ist,  ein  Urteil  darüber  zu  bilden,  ob  eine  gegebene  Folge  zufilllig 
oder  notwendig  ist:  da  mufs  das  Forschen  nach  dem  wirklich  Notr 
wendigen  oft  tauschend  sein,  und  wie  ungereimt  die  Schlüsse  eines 
Wilden  auch  scheinen  mögen,  sind  sie  doch  nicht  so  unvernünftig, 
wie  (ins  Erstamien,  das  sie  dem  civilisierten  BeobuLlitcr  oft  verur- 
sachen, der  wirklicli  verlangt,  dais  der  Wilde  Proljleme  lösen  soll 
ohne  genügende  Thatsacheu!  Wie  pflegten  wir,  als  wir  Knaben 
waren,  unsere  V«1ter  nach  allem  und  jedem  zu  fragen,  und  wie  sehr 
befriedigten  ihre  Antworten,  so  mangelhaft  sie  auch  zuweilen  sein 
mochten,  unsere  Gemüter!  So  ist  es  hier;  die  Jungen  lernen,  was 
die  Eltern  sagen,  und  die  Alten  erinnern  sich  dessen,  was  sie  von 
ihren  Vorfahren  gehört  haben,  Kritik  und  Zweifel  kennen  sie  nicht, 
und  die  Sitte  steht  fest 

Die  Mühe  des  Denkens  ist  zu  grofs,  um  sich  lange  damit  ab- 


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—  326  — 

zuf^eben ;  längere  Gedankenreihen  sind  unniöfjlidi.  Selbst  die  An- 
streugunf;,  eine  Anzahl  von  Wörtern  aus  dem  Portugiesischen  in 
ihre  eigene  Sprache,  Fiote,  zu  übersetzen,  wird  ihnen  zu  viel;  sie 
werden  verwirrt,  klagen  über  Kopfweh,  und  geben  mutlos  die  Sache 
auf.  Ihre  Sprache  zeigt  nur  wenige  allgemeine  Begriffe  höheren 
Grades;  WOrter  wie  Wahrheit,  Schönheit,  Güte  haben  keinen  ent- 
sprechenden Ausdnick  in  ihrer  Sprache,  so  weit  ich  gefunden 
habe. 

In  Bezug  auf  konkrete  Dmge  fehlt  es  ihnen  nicht  an  Einsicht, 
und  sie  haben  anemlicb  yiel  Scharfsinn  in  Erfindung  you  Lügen, 
wenn  das  Fürwahrhalten  derselben  zu  ihrem  Nutzen  sein  könnte. 

'  Wie  bei  den  Wilden  im  allgemeinen,  so  zeigt  sicli  auch  bei  diesen 
ein  ausgeprägter  Mangel  au  ])egründetem  Erstaunen ;  wenn  sie  irgend 
etwas  Neues  sehen,  so  ist  leere  Bewunderung  in  ihren  Zügen  wahr- 
nehmbar, diese  ist  aber  sehr  vorübergehend,  und  das  Gesicht  gewinnt 
bald  wieder  seinen  gewöhnlichen  Ausdruck.  Die  neue  Erfahrung 
wird  als  «Sitte  des  weilsen  Mannes'*  klassifiziert.  Wifsbegier  findet 
man  weder  unter  den  Jungen  noch  unter  den  Alten,  doch  hörte  ich, 
dafo  Jünglinge,  die  auf  einer  Reise  nach  England  mitgenommen 
wurden,  bald  eine  aufiserordentliche  Wifisbegier  entwidcelt  und 
beständig  Fragen  gestellt  hätten,  sobald  sie  etwas  Neues  sahen. 

So  viel  über  die  geistigen  Anlagen  in  Bezug  auf  GefElhl  und 
Verstand ;  in  beiden  stehen  die  Eingeborenen  mit  civilisierten  Rassen 
verglichen  zurück,  aber  nicht  im  Vergleich  mit  andern  barbarischen 
Stilmmen,  und  mit  dem  Willen  ist  es  dasselbe.  Obgleich  eigensinnig 
und  halsstarrig,  können  sie  doch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  be- 
einflufst  werden;  auch  in  diesem  Punkte  sind  sie  geneigt,  wie  in 
den  vorerwähnten  Zweigen  geistiger  Tätigkeit,  schnell  ihren  Ein- 
gebungen zu  folgen.  Man  kann  sich  nicht  darauf  verlassen,  dafis  sie 
ihre  Absichten  ausführen  werden,  wenigstens  wenn  bis  zur  Aus- 
führung erst  eine  geraume  Zeit  verflieCien  muls;  jedenfalls  ist  das 
die  Begel,  so  weit  Handelsleute  es  beurteilen  können. 

Nadidem  die  Hauptpunkte  von  psychologischer  Bedeutung  an- 
gegeben worden  sind,  wollen  wir  nun  einige  Arten  des  Aberglaubens 
der  Congostämme  betrachten,  und  da  uns  ihr  Denkvermögen  bekannt 
ist,  wird  es  uns  vielleicht  gelingen  zu  sehen,  dafs  von  ihrem  Stand- 
punkte aus  die  Annahmen  der  Eingeborenen  nicht  entschieden  un- 
verständig, sondern  vielmehr  so  vernünftig  sind,  wie  die  Umstände 
es  erlauben.  Zu  gleicher  Zeit  mufs  man,  um  einige  ihrer  Ideen  zu 
erklären,  voraussetzen,  dafs  die  Basse  in  früherer  Zeit  einmal  höher 
gestanden  hat  als  jetzt,  und  zwar  wahrscheinlich  in  günstiger  £nt- 
wickelung,  wie  in  socialer  Form. 


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—  327  — 

Der  Fetiachismus  ist  hier  wahrscheinlich  ein  ausgearteter  Zweig 
von  Abgötterei,  welcher  der  Gegeustand  der  Verehrung  entzogen 
worden  ist;  wir  würden  vielleicht  einen  Fetiscli,  wie  er  liier  betrachtet 
wird,  als  ein  nicht  verehrtes  Götzenbild,  oder  als  eins,  von  dein  die 
letzte  Spur  von  Verehrung  verschwindet,  bezeichnen.  Ich  kann  mich 
hier  leider  auf  die  Erklärung  der  Abgötterei  nicht  n&her  einlassen; 
da  ich  diesem  Gegenstand  keinen  grolsen  Raum  widmen  könnte,  so 
würde  ich  nar  BegrifiGsTerwirrung  hervornifen.  Wem  daran  gelegen 
ist,  die  Ideen  des  Wilden  bis  zu  der  Stufe,  wo  Abgötterei  getrieben 
wird,  zu  verfolgen,  der  wird  in  Herbert  Spencer's  Soeiology,  Band  I, 
genflgende  Auskunft  darüber  finden. 

Ks  werden  den  Fetischen  als  Götzenbildern  weder  Huldigungen 
noch  Opfer  gebracht,  aber  ich  habe  gehört,  dafs  es  Sitte  ist,  wenn 
man  an  Häut^ern,  in  welchen  bedeutende  Fetische  aufbewahrt  werden, 
vorübergeht,  eine  \'er])eugung  zu  machen;  dies  ist  die  einzige  Spur 
von  Verehrung,  die  ich  habe  entdecken  ktinnen.  Viele  Fetisclu;  sind 
einfach  medizinische  Zaubermittei,  die  um  die  Hütte  oder  neben  das 
fiett  «Ines  Kranken  gestellt  werden;  za  diesem  Zwecke  werden 
auch  h&ufig  reine  und  einfache  Zaubermittei  gebraucht.  Andere 
Fetische  werden  dazu  benutzt,  nm  prophetische  Tr&ume  zu 
erklaren,  wieder  andere  nm  die  Menge  des  Regens  zu  regeln.  Aber 
hauptsächlich  bedient  man  sich  der  Fetische,  um  Übeltäter  zu  ent" 
decken,  und  um  sich  der  Erfüllung  von  Versprechungen  zu  ver- 
gewissern. Diese  Fetische  sind  roh  geschnitzte,  gewöhnlich  mensch- 
liche Figuren,  oft  sehr  unschicklicher  Natur,  deren  Kraft  von  zaube- 
rischen Präparaten,  die  in  die  Aushöhlungen  eingelassen  sind,  her- 
lührt;  die  gewöhnlichsten  stecken  voll  von  Nageln,  die  von  früherem 
Gebrauch  herstammen;  andere,  die  weniger  gebraucht  sind,  haben 
weniger  Nägel,  und  in  einige  werden  gar  keine  hineingeschlagen. 
Die  Art  und  Weise  wie  ein  Fetisch  gebraucht  wird,  läfst  sich  nur 
durch  ein  Beispiel  erklären.  Nehmen  wir  an,  dafo  einem  Trunken- 
bold geboten  wird,  sich  des  Trinkens  zu  enthalten,  und  dafe  man, 
um  sich  seines  Gehorsams  zu  versichern,  sich  eines  Fetisches  bedient 
Man  lafet  den  Fetisch  holen,  und  der  Eigentümer  desselben  bringt 
ihn  zu  dem  bestimmten  Platze;  hier  verspricht  der  Schuldige  dem 
Fetisch,  sich  geistiger  (ietriinke  zu  enthalten,  bei  Strafe  von  dem 
Fetisch  „^fctVesscn"  zu  werden.  Der  Fetisch  wird  vom  Boden  auf- 
gehoben, und  ein  Nagel  zum  Zeichen  des  Versprechens  hinein- 
geschlagen. Der  Wilde  ist  überzeugt,  dafs  er  krank  werden  und 
sterben  wird,  wenn  er  sein  Wort  bricht,  daher  ptiegt  er  gewöhnlich 
sein  Versprechen  aus  Furcht  vor  dem  Fetisch  zu  halten.  Ich  kenne 
Beiiipiele,  wo  solche  Versprechungen  lange  Zeit  gehalten,  aber  endlich 


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—  328  — 

doch  gebrochen  wurden,  da  die  Person  augenscheinlich  den  Zauber 
durch  den  Lauf  der  Zeit  für  gelöst  hielt.  Ob  solche  FAlle  nur  selten 
vorkommen,  weif;?  icli  iiiclit.  In  derselben  Weise  gebraucht  ein 
Mann  zuweilen  einen  Fetisch,  um  irgend  Einen,  der  ihn  seines  Eigen- 
tums beraubt  hat,  zu  töten;  in  diesem  Falle  gesteht  der  Schuldige 
gewöhnlich  lieber,  als  da£s  er  sein  Leben  verwirkt  Dann  ronls  er 
iür  das  HerauszidieD  des  Nagels  eine  grodse  Samme  bezahlen,  und 
auch  von  dem  Eigentftmer  der  gestohlenen  Gfiter  wird  ihm  eine 
schwere  Geldbufse  auferlegt.  FQr  das  Einschlagen  eines  Nagds  in 
einen  Fetisch  wird  nnr  ein  geringes  bezahlt,  aber  ihn  wieder  heraus- 
ziehen zu  lassen  kostet  sehr  viel.  In  den  Fetischen,  deren  man  sich 
bedient,  um  die  Walirheit  einer  Aussage  herauszufinden,  sitzen  oft 
keine  N«'\gel;  der  Nagel  scheint  nur  das  Zeichen  einer  That  zu  sein, 
welclie  ungültig  zu  machen  vielleicht  wünschenswert  sein  könnte, 
aber  in  Fällen,  wo  es  sich  um  eidliche  Aussagen  handelt,  hat  die  in 
Frage  stehende  Person  die  Folgen  einer  Unwahrheit  selbst  auf  sich 
zu  nehmen,  daher  ist  kein  Nagel  oder  irgend  ein  anderes  Zeichen 
erforderlich.  Das  Auflieben  eines  Fetisches  von  der  Erde,  wenn 
ein  Nagel  hineingetrieben  wird,  scheint  nur  zn  geschehen,  um  die 
Handlung  öffentlicher  zn  machen,  oder  wenigstens  seheint  das  ur- 
sprünglich der  Zweck  gewesen  zn  sein;  jetzt  ist  es  einfiich  ein  Teil 
der  Geremonie,  und  niemand  fragt  danach,  warum  es  geschieht 

Vermittelst  dieser  Fetische  sind  irgend  welche  Vergehen,  wie 
Diebstahl,  Verläumdung,  Ehebruch,  der  Entdeckung  und  Strafe  ziem- 
lich sicher  und  kommen  daher  seltener  vor,  und  (his  tagliche  Leben 
der  P'ingeborenen  ist  bemerkenswert  frei  von  derartigen  Verbrechen, 
wie  sie  von  den  schlechteren  Gliedern  civilisierter  Gemeinschaften 
so  häufig  begangen  werden.  Kleine  Diebereien,  wie  ich  schon  vorher 
bemerkt  habe,  und  das  Nichtbezahlen  von  Schulden  sind  die  häufigsten 
Vergehen.  Ich  habe  diese  Thatsachen  in  betreff  der  Fetische  so  mit- 
geteilt, als  ob  die  durch  sie  ausgeübte  Kraft,  an  welche  die  Ein- 
geborenen glauben,  wirklich  vorhanden  wäre;  wenn  wir  die  Unschulds- 
proben besprechen,  werden  wir  sehen,  dats  dies  in  gewissem  Sinne 
wahr  ist  Zuerst  jedoch  wollen  wir  das  Wesen  der  Zauberei  näher 
betrachten. 

Die  Zauberei,  an  welche  die  Eingeborenen  glauben,  ist  das  Ver- 
mögen, Anderen  Schaden  zuzufügen,  oder  sie  zu  vernichten,  ohne 
medizinische  Mittel  anzuwenden;  entdeckt,  wird  sie  mit  dem  Tode 
bestraft.  Dafs  überhaupt  an  Zauberei  geglaubt  wird,  sollte  uns  nicht 
in  Erstaunen  setzen,  wenn  wir  erst  einmal  wissen,  dafs  Leute  in 
ihren  letzten  Augenblicken  sich  oft  als  Zauberer  bekennen  und  auf- 
zählen, wen  sie  durch  ihre  bösen  Einwirkungen  getütet  haben.  Fragen 


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—  829  — 


wir  nun,  was  der  Menscli,  der  andere  behext  zu  haben  gesteht,  von 
sich  selbst  denkt  Ist  er  der  Meinung,  dats  er  Herr  gewisser 
diabolischer  Mftchte  ist,  welche  seine  boshaften  Anschlftge  für  ihn 

ins  Werk  setzen?  Meint  er,  dafs  er  Zauberptianzen  und  -Tiere  ge- 
sammelt, „Höllentrank"  davon  bereitet  und  auf  diese  Weise  einen 
Zauber  gegen  seine  Opfer  gerichtet  hat?  Es  giebt  klare  Beweise 
dafür,  dafs  er  keine  solche  Gedanken  hat,  denn  ich  habe  wenigstens 
einen  Mann  erklären  hören,  dafs  er,  ohne  es  selbst  zu  wissen,  Zauberer 
gewesen  sei;  dafs  er  nun  wisse,  er  habe,  wir  wollen  sagen  A.  oder 
B.  oder  C.  getötet,  aber  nicht  D.  £.  F.,  die  auch  kürzlich  gestorben 
waren.    Ich  muCs  bemerken,  dafs  dieses  Bekenntnis  iu  dem  Augen- 
Mick  gemacht  wurde,  wo  man  dem  Manne  bewies,  dafs  er  wirklich 
ein  Zauberer  uL   Wran  wir  einen  Eingeborenen  fragen,  was  ein 
Zauberer  ist,  so  wird  er  wahrscheinlich  antworten:  ^ein  Zauberer 
wflnscht  jemanden  su  vergiften.*   Aber  in  dem  eben  angeftlhrten 
Falle  wufste  der  Mann  wohl,  dafs  die  Leute,  die  er  behext  zu  haben 
bekannte,  nicht  von  ilnn  vergiftet  worden  waren,  wie  wir  den  Aus- 
druck auffassen,  sonst  würde  er  es  langst  gewufst  haben  und  nicht 
erst  in  dem  Augenblicke,  wo  er  überführt  wurde,  ein  Zauberer  zu 
sein.    Wenn  der  Eingeborene  von  „Gift"  spricht,  so  weifs  er  nichts 
von  den  Wirkungen  desselben  auf  den  menschlichen  Körper;  dafs 
(las  eine  Gift  das  Blut  im  Gehirn  ansammelt,  daCs  ein  anderes  das 
Nervensystem  lahmt  und  ein  drittes  den  nervus  vagus  paralysieren 
sollte,  sind  Begriffe,  die  weit  Uber  das  Fassungsvermögen  des  Ein- 
geborenen hinausgehen;  der  Einflnls  eines  Giftes  ist  ihm  unbekannt 
und  ebenso  der  des  Zauberers.  Das  giftige  Kraut  veranlalst  Krank- 
heit und  Tod,  dasselbe  thut  der  Zauberer;  nach  der  Art  und  Weise 
der  Wirkung  wird  nie  gefragt,  sie  werden  als  gleichartig  zu- 
sammengefafst.    Was  ein  Gift  innerhalb  des  Körpers  ist,  das  ist  der 
Zauberer  aufserhalb  des  Körpers.    Die  einzige  Erklärung,  die  Licht 
in  die  Sache  brinj^t,  ist  die  Voraussetzung,  dafs  das  Übelwollen  und 
die  Feindschaft  einiger  Menschen  tötet;  wenn  ein  Zauberer  gegen 
irgend  jemanden  feindselig  gesinnt  ist,  so  ist  das  hinreichend,  ver- 
derbliche Folgen  für  letzteren  herbeizuführen.  Betrachten  wir  das  oben 
angeftlhrte  Bekenntnis  in  diesem  Lichte,  so  wird  uns  die  ganze  Sache 
verständlich  genug  erscheinen.  Es  wurde  dem  Manne  bewiesen,  da& 
er  ein  Zauberer  war,  dafs  seine  Femdsehaft  andere  töten  kdnnte. 
Er  wofste,  dafis  er  gegen  A.,  B.  und  G.  Feindsdiaft  gehegt  hatte,  und 
sie  waren  gestorben.  Daher  setzte  er  natfirlich  voraus,  dab  er  sie 
getötet  habe,  wahrend  er  sich  billigerweise  an  D.,  E.  und  F.'s  Tode 
unschuldig  erklären  konnte,  da  er  wufste,  dais  er  gegen  sie  keine 
Feindschaft  gehegt  hatte.    Wir  könueu  nun  sehen,  wie  es  kommt, 

0«o(r.  BliUor.   Breia«ii,  ISM.  24 


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—  330  — 


(lafs  eiuige  Leute  sich  selbst  beschuMigeii,  andere  zu  behexen ;  es 
ist  keine  aus  Prahlerei  aufgcbtelltc  lU  haujitung,  nocli  ist  sie  vernunft- 
widrig, im  Oeixenteil  ist  es  die  vernünftigste  Erklärung,  die  sie 
geben  können.  Aber  (hi  diese  Krivlilrung  auf  die  allgemein  ange- 
nommene Vorätelluug  begründet  ist,  daTs  eine  feindselige  Ge- 
sinnung tütet,  80  wird  man  fragen:  wie  ist  dieser  Glaube  über- 
liaupt  entstanden,  nnd  wie  kommt  man  zu  offenkundigen  Mitteln, 
diese  Gesinnung  zu  entdecken?  Diese  Frage  ist  von  der  gröfeten 
Wichtigkeit,  da  ihre  Beantwortung  sich  nicht  nur  auf  die  Eingeborenen 
dieses  Teiles  der  Welt,  sondern  auf  viele  Klassen  von  anderen 
Wilden  bezieht.  Weit  Uber  die  Erde  finden  wir  den  Glanben  oder 
Spuren  eines  ehemaligen  Glaubens  an  Zauberei  und  Unschuldsprobeu 
zur  Entdeckung  derselben  verbreitet;  daher  müssen  wir  bei  allen 
barbarischen  Stflninien  gemeinsame  Erscheinungen  suchen,  welche 
die  Veranlassung  zu  diesen  Ideen  gegeben  haben,  nnd  wir  müssen 
das  Wachstum  derselben  bis  zu  dem  gegenwärt iLien  Standpunkt 
verfolgen.  So  wollen  wir  einstweilen  die  Congostamme  verlassen 
und  uns  zu  ihren  Urvätern  wenden,  zwischen  deren  Entwickelung 
nnd  der  der  jetzigen  Rassen  vielleicht  eine  ebenso  gro&e  Kluft  be- 
steht, wie  zwischen  den  letzteren  und  den  civilisierten  Rassen. 

In  einem  Stamme  von  Wilden  befindet  sich  zuweilen  irgend  ein 
Mann,  der  ,4^in&i^den  vergiften"  möchte;  er  muis  geheime  Mittel  an* 
wenden,  um  die  Rache  des  Mannes  zu  vermeiden,  wie  soll  er  also 
verfahren  ?  Kein  Stamm  Ist  so  unkundig,  nicht  zu  wissen,  dafs  gewisse 
Kräuter  nicht  als  Nahrung  zu  gebrauchen  sind,  indem  sie  die 
Menschen  ernstlich  krank  machen  oder  dieselben  sofort  töten.  I'^in 
primitiver  Stamm,  da  er  noch  keine  klaren  Ideen  über  Mengen- 
verhältnisse hat,  wird  nicht  einen  Augenblick  vermuten,  dafs  eine 
kleine  Dosis  giftiger  Krauter  tötet,  aber  eine  gröfsere  Erbrechen 
verursacht.  Sie  werden  einfach  die  Thatsache  annehmen,  dafs  eine 
gegebene  Pflanze  zuweilen  die  eine  Wirkung  hervprbringt  und 
manchmal  eine  andere.  Wenn  sie  Überhaupt  sich  irgend  welche 
Begriffe  über  Mengenverhftltnisse  machen,  so  werden  sie  annehmen, 
dafe  eine  kleine  Dosis  krank  macht  und  eine  groCse  Dosis  tdtet, 
was  oft  der  wirklichen  Thatsache  gerade  zuwider  ist  Kin  absicht- 
licher Giftmischer,  der  solche  giftige  Pflanzen  in  die  Nahrung  einer 
Anzahl  Leute  tluit,  wird  nichts  davon  essen,  während  die  Opfer  sich 
erbrechen,  wenn  das  Gift  von  besonderer  Art  ist.  Dadurch  entsteht 
natürlich  Verdacht  gegen  den  Niclitessendc.n,  und  luau  zwingt  ilm, 
auch  etwas  von  dem  Gerichte  zu  geniefsen. 

Diese  Aufeinanderfolge  von  Handlungen  kann  wohl  bei  irgend 
welchem  Stamme  von  Wilden  von  vorerwähntem  Charakter,  und  in 


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—  381  — 

Jedem  Teil  der  Welt,  wo  giftige  Kräuter  waehsen,  eintreten.  So 
weit  ist  nichts  Unwahrscheinliches  in  dieser  Vermntung,  sondern  im 
Gegeuteil  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dals  solche  Dinge  fast  üherall 
vorgekommen  sind.  Nachdem  man  den  Giftmischer  gezwungen  hat, 
aus  seiner  eigenen  Schüssel  zu  essen,  wird  das  Ergebnis  in  den 
meisten  Fällen  dasselbe  sein,  denn  seine  Umstände  sind  von  denen 
der  anderen  sehr  verschieden.  Er  ist  in  Angst  wegen  der  Gefahr, 
der  er  sich  ausgesetzt  hat,  und  Furcht  übt  bemerkenswerte  Wir- 
kungen auf  die  Konstitution  aus.  Die  psychologische  Wirkung  der 
Furcht  ist,  dafe  sie  die  Lungen-  und  lfogenner?en  zu  sehr  in  Auf- 
regung versetzt,  indem  sie  die  Thfttigkeit  des  Herzens  yerhindert; 
dieses  lahmt  der  Reihe  nach  die  HuskelhAute  des  Magens  und  ver- 
hindert das  Erbrechen.  Beiläufig  mttssen  wur  auch  heaehten,  daTs 
andere  Wirkungen  die  sein  werden,  die  diknlation  nach  allen  Teilen 
des  Körpers  hin  zu  verlangsamen  und  so  die  Absonderimg  des  Speichels 
zu  verhindern.  Auf  diese  Ergebnisse  werden  wir  weiterhin  zurück- 
kommen. Im  vorliegenden  Falle  pflegt  der  Giftmischer  gewöhnlich 
zu  sterben,  indem  er  oft  seine  Schuld  eingesteht,  während  die  be- 
absichtigten Opfer  genesen.  Der  Wilde  schreibt  diesen  verschiedenen 
Erfolg  nicht  der  Furcht,  sondern  der  bösen  Gesinnung  zu.  Er  sieht, 
dafs  diese  Pflanze  gewöhnlich  Erbrechen  hervorruft,  aber  dafs  sie 
dei^ettigen  tdtet,  der  seinen  Nächsten  zu  taten  beabsichtigt  Weder 
der  Givillsierte  noch  der  Wide  würd  sdiUeben,  dafs  die  Ursache 
des  Todes  des Maivies  die  war,  dafs  er  das  Kraut  in  den  Topf 
that,  daher  wflrde  der  einzig  richtige  Schlufe  der  eben  angegebene 
sein. 

Wie  mag  sich  diese  Idee  nun,  nachdem  sie  einmal  fest  ein- 
gewurzelt war,  weiter  verbreitet  haben?  Augenscheinlich  war  es 
so:  wenn  jemand  krank  war,  und  einen  Andern  im  Verdacht  hatte, 
ihn  vergiftet  zu  haben,  so  verlaugte  er,  dafs  die  verdächtigte  Person 
die  Giftpflanze  geniefsen  mufste,  und  wenn  diese  Person  wirklich 
Feindschaft  gegen  den  Kranken  hc^ie,  so  würde  sie  die  Wirkung 
des  Giftes  fürchten  und  durch  dasselbe  vergiftet  werden.  Aber 
Jetzt  kommt  ein  wichtiger  Schritt:  es  kommt  vor,  dafs  der  ver- 
gütete Mann  seine  feindselige  Gesinnung  eingesteht,  aber  behauptet, 
keinen  tatlichen  Stoff  in  das  Essen  des  Kranken  gethan  zu  haben.  Der 
kranke  Wilde  aber  kann  nieht  begreilsn,  dafs  er  ohne  alle  Ur- 
sache krank  werden  sollte  und  sdireibt  daher  seine  Krankheit  der 
Feindseligkeit  des  andern  zu. 

Viele  Wilde  glauben  nun  nicht,  dafs  sie  aus  natürlichen  Ur- 
sachen sterben  können.  Krankheit  und  Tod  betrachtet  man  als  von 
äusseren  Ursachen  herrührend,  wenn  der  davon  Betroffene  kein  hohes 

24* 


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—  332 


Alter  erreicht  hat  Die  Erwartung  des  Kranken,  dafe  er,  nun  er 
seinen  Feind  los  ist,  genesen  wird,  bewirkt  oft  seine  Heilung,  wie 
es  Zaubersprüche,  Reliquien  und  oft  Arzneimittel  thun;  so  wird  der 
Glaube,  dafs  ITeindseligkeit  Krankheit  und  Tod  venmacfaen  kann, 

bestilti^t,  uud  die  Unschuldsprobe  wird  als  geeignetes  Mittel  betrachtet. 

Die  Unschuldsprobe  durch  Gift  hat  deu  Standpunkt  erreicht, 
bis  zu  welchem  wir  sie  von  ihrer  Entstehung  an  verfolgt  haben; 
hier  bedeutet  Erbrechen  Unschuld,  Tod  oder  Purgieren  bedeutet 
Schuld.  Wir  sehen  nun,  welche  Waluheit  in  der  vermeintlichen 
Macht  der  Fetische  liegt;  für  diejenigen,  die  daran  glauben,  ist  sie 
vermutlich  von  grofsem  EintiuDs,  indem  sie  wahrscheinlich  durch 
chronische  oder  zeitweiUge  Überregung  des  nervus  vagus  Herzkrank- 
heiten hervorruft  und  das  richtige  GHeichgewicht  der  Funktionen  im 
allgemeinen  stdrt. 

Diese  Wirkungen  der  Oiftunschuldsproben,  der  Fetische,  der 
medizinischen  Zaubermittel,  sind  den  Wilden  erkennbar,  wie  sollten 
wir  sie  also  Thoren  nennen,  wenn  sie  an  diese  Dinge  glauben? 
Haben  wir  irgend  einen  weiteren  Anhaltspunkt  psychologisclR'i  Aus- 
legung? Es  giebt  deren  viele.  Icli  will  noch  einige  Unschuldsproben 
von  diesem  Teil  der  Welt  und  auch  von  andern  Gegenden  anführen, 
die  alle  ebenfalls  leicht  erklärlich  sind.  Das  Verlangsamen  der  all- 
gemeinen Cirkulation  unter  EinHufs  von  Furcht  verhindert  oft  die 
Warme,  mit  der  gewöhnlichen  Schnelligkeit  von  einem  Teil  des 
Körpers  zu  andern  Teilen  desselben  zu  ziehen,, so  dafs  z.  B.  eiu 
Schlag  mit  einem  heiüsen  Eisen,  der  Leute  in  gewöhnlichem  Zustande 
nicht  verbrennen  wQrde,  einen  Mann  unter  den  oben  genannten  Um- 
ständen verbrennen  wird.  Daher  ist  es  eine  viel  angewandte  Probe, 
wenn  man  eine  schuldige  Person  aus  einer  Anzahl  von  andern  heraus- 
finden will,  den  Leuten  mit  einem  heifsen  Eisen  zwei  Schlage  auf 
die  Beine  zu  geben,  nachdem  die  Hitze  des  Eisens  von  dem  Fetisch- 
mann so  reguliert  ist,  dafs  sie  gerade  unter  dem  Brennpunkt  steht. 
Sollte  der  Einwurf  gemacht  werden,  dafs  der  Eetischmann  den  vor- 
bereitet, den  er  verbrennen  will,  so  antworte  ich,  dafs  ich  über  eiu 
Dutzend  Leute  auf  diese  Weise  auf  die  Probe  habe  stellen  sehen, 
uud  obgleich  keiner  verbrannt  wurde,  so  schälte  sich  doch  nach  etwa 
vier  Tagen  die  Haut  ab,  und  sie  behielten  alle  wehe  Beine.  Dies 
könnte  nicht  der  Fall  sein,  hätte  der  ^^Dokter"  irgend  eine  Vor- 
kehrung getroffen,  sie  nicht  zu  verbrennen;  es  ist  wirklich  keine 
Ursache  vorhanden,  anzunehmen,  dafs  in  diesen  Dingen  ein  Einver- 
ständnis zwischen  dem  ^Dokter**  und  den  „Kranken*  herrscht. 

Wirft  dies  nicht  auch  ein  Licht  auf  die  früher  in  Europa  so 
viel  angestellte  Unschuldsprobe,  Aber  giflheml  heifse  Platten  zu  laufen? 


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—  333  — 

Elfi  anderes  Beispiel,  das  ich  aofQhreD  möchte,  ist  aus  der 
malaiischen  Welt:  eine  Anzahl  Verdächtigter  wird  in  einer  Reihe 

aufgestellt,  und  jedem  wird  ein  TheelöfFel  voll  trocknen  Reises  ein- 
gegeben, den  er  eine  Zeitlang  iiu  Munde  behalten  mufs;  nach 
Verlauf  der  Zeit  wird  der  Reis  ausgespuckt  und  untersucht.  Es  ist 
kaum  nötig  zu  sagen,  dafs  der  Reis  des  Schuldigen  noch  trocken  ist, 
während  der  der  übrigen  ganz  nafs  von  Speichel  sein  wird. 

Die  Wirkung  der  Fetische  und  Unschuldsproben  kann  nicht 
iminer  richtig  sein,  aber  doch  wahrscheinlich  in  den  meisten  Fällen, 
und  mufs  im  Lauf  der  Jahre  sehr  dazu  beigetragen  haben,  die- 
jenigen ansznrotten,  deren  Charakter  nicht  mit  dem  diesem  Volke 
eigentflmlichen  Charakter  in  Einklang  stand,  und  da  die  Opfer 
der  Giftproben  gewöhnlich  die  unnOtzesten  Glieder  der  Rasse  sind, 
so  mllssen  wir  in  sociologischer  Hinsicht  den  Nutzen  und  die 
Wohlthat  dieser  Proben  anerkennen,  indem  sie  zum  Wohlsein  der 
Rasse,  wenn  auch  nicht  immer  zum  Glück  des  betreffenden  Individuums 
dienen. 

Ueber  Zaubermittel  zur  Verhütung  und  Heilung  von  Krankheiten 
braucht  nui'  wenig  gesagt  zu  werden.  Sie  werden  viel  angewandt 
und  mehr  von  Frauen  als  von  Mannern  und  zwar  gewöhnlich  Inder 
Form  von  aufgereihten  Muscheln,  Fischzähnen,  Samenkörnern  und 
dergleichen;  oft  sind  es  auch  eine  Art  alter  Lappen,  die  etwas 
„Medizin^  enthalten. 

Die  religiösen  Ideen  der  Eingeborenen  sind  leicht  auseinander- 
gesetzt: sie  erkennen  einen  Schöpfer  aller  Dinge,  Zambi,  an,  dessen 
Mutter  Mpungu  nnd  deren  Mutter  Dezn  war.  Ob  dieses  eine  korrum- 
pierte Idee  der  Dreieinigkeit  ist,  die  noch  von  den  Zeiten  der  alten 
portugiesischen  Mission  henilhrt,  kann  ich  nicht  sagen,  es  scheint 
mir,  dafs  Dezu  eine  Korruption  von  Dens  sein  kann,  und  dafs  so 
die  Beziehung  der  Dreieinigkeit  in  eine  fafsliche,  wenn  auch  unrichtige 
Form  gebrnchf  ist.  Mpungu  und  Dezu  sind  vielleicht  am  Leben, 
Tielleicht  tot,  das  kann  niemand  sagen :  Zambi  lebt  oben  im  Himmel. 
Die  Vorstellung  von  Zambi  ist  natürlich  äuCserst  anthropomorphisch, 
in  Zeiten  einer  Epidemie  habe  ich  sagen  hören:  j^Zambi  ist  sdüecht^ 
er  will  alle  töten.' 

In  dieser  Beziehung  bin  ich  selbst  und  sind  einige  andere  zu  ver- 
schiedenen  Schlüssen  gekommen.  Man  hört  oft  den  Namen  Zambi 
Mpungu.  den  die  Missionare  als  einen  doppelten  Namen,  der  eine 
Gottheit  bedeutet,  annehmen.  Ich  neige  zu  der  l'bersetzung  Zambi, 
Sohn  von  Mpungu,  was  mit  ihrer  Spraclie  übereinstimmt,  wenn  es 
sich  um  den  Namen  handelt;  zum  Beispiel  Nene  Mbomazansi  bedeutet 
Neue,  die  Tochter  der  Mbomazansi.  Dies  ist  auch  die  Erklärung, 


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—  334  — 


die.  mir  meine  Berichterstatter  immer  geben,  sie  jedenüUls  betrach- 
ten Zambi  und  Mpungu  abt  Yeracbiedene  Personen.  Es  glebt  keine 
(kbete,  keine  gottesdienstliche  Handinngen  der  Yerdmitag  für  Zambi, 
die  AneikennuDg  seiner  Ezistens  ist  alles,  was  von  irgend  einer 

Religion  vorhanden  ist. 

Seit  kurzem  sind  hier  mehrere  Mijssioii^aiLstalten  gegründet, 
die  bei  der  liebenswürdigen  Natur  des  Negers  ;4ünötigeu  Boden 
finden.  Ein  weiterer  Vorteil  ist,  dafs  sie  keine  verwickelte  My- 
thologie zu  verlernen  haben;  aufserdem  aber  kann  man  wenig  Eniiu- 
tigcndes  über  diesen  Punkt  sagen.  Doch  IMst  sich,  wenn  auch  nicht 
in  einem  Jahre  oder  in  ein  paar  Jahren,  so  doch  im  Lanfe  der 
Zeiten  guter  Erfolg  voraussehen.  Die  Möglichkeit  schn<dler  Ver- 
besserung ist  durch  die  sociale  Wissenschaft  g&nalich  verneint,  aber 
allmahUches  Wacbstom  schdnt  eine  Gewi&heit  Ifan  darf  den  glü- 
henden Berichten  von  wunderbaren  Fortschritten  nicht  zu  viel  tränen, 
andererseits  aker  darf  man  auch  der  bfiswilligen  Geringschfttsnng  der 
Missionsarbeit  nidit  zu  viel  Glauben  beimessen. 

Ich  miifs  jetzt  einiges  über  die  drei  grofseu  Systeme  jeder 
Gemeinschaft  mitteilen:  das  Erhaltungs-,  Verbreitungs-  und  Regulie- 
rungssystem.  Die  zwei  erst  genannten  Systeme  unterscheiden  sich 
nicht  wesentlich  von  einander,  da  die  Eingeborenen  häufig  ihr  Gewerbe 
wechseln.  Ein  und  derselbe  Mann  beschäftigt  sich  bald  mit  der 
Fabrikation  von  Palmöl,  dann  mit  Fisrhen,  dann  mit  Holzf&Uen, 
und  zu  andern  Zeiten  macht  er  den  Erdboden  urbar,  damit  seine 
Frauen  ihn  behauen  können.  Andere  sind  zuweilen  Makler,  zuweilen 
Zimmerleute,  oft  bringen  sie  auch  viel  Zeit  im  Mtalggang  hin. 
Die  Erhalter  sind  meist  die  Frauen,  die  das  Land  behauen,  aber 
das  Urbarmachen  des  Bodens,  das  Einsammeln  der  PalmennlUse 
und  die  Fischerd  besorgt  die  männliche  Bevölkerung.  Im  allgemei- 
nen wird  die  Arbeit  von  Knaben  oder  jungen  Männern  verrichtet, 
die  älteren  Neger  werden  gewöhnlich  von  den  jüngeren  Gliedern 
der  Familie  erhalten.  Das  Verbreitungssystem  ist  hauptsächlich  von 
der  Unterscheidung  in  Küsten-  und  Inlandsdistrikte  und  solche,  wo  es 
europäische  Handelsstatiunen  giebt,  abhängig.  Wie  schon  früher 
erklart  worden  ist,  sind  letztere  die  Hauptstützen  der  Verbreitung, 
wftren  sie  nicht  vorhanden  oder  unthätig,  so  würde  es  wenig  oder 
gar  keinen  wirkliehen  Umsatz  geben.  Da  durch  das  Wachstum  und 
Gedeihen  dieser  drei  Systeme  die  Civilisation  wesentlidi  gefördezt 
wird,  so  kann  man  sich  denken,  wie  gefhhrlich  es  war,-  als  kflrzUch 
die  portugiesische  Regierung  versuchte,  das  Begulierungssystem 
umzustürzen,  obgleich  sie  nicht  im  stände  war,  es  gänzlich  unwirksam 
zu  machen,  und  ferner  das  Verbreitungs-  und  Erhaltungssystem  zu 


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—  335  — 


unterdrücke»,  mdem  m  Steuem  von  allen  Handelsartikeln  erhob,  und 
so  weit  ging,  dafs  sie  doppelt  do  viel  oder  noch  mehr  Eatsehftdigimg 
beim  gewöhnlichen  Umtansch  verlangte. 

Wie  man  hört,  ist  dieses  l  iiLjlüek  vorläufig  abgewehrt,  aber 
nicht  aus  dem  Grunde,  weil  ein  solches  Verlangen  schändlich  wäre, 
sondern  nur  aus  Opposition  seiteus  andrer  Mächte.  Das  Regulierungs- 
systeni  hat  sich  nach  der  Erinnerung  noch  in  dieser  Gegend  lebender 
Europäer  sehr  verändert,  alier  über  eine  weitere  Periode  als  2Ü  Jahre 
zurück  läi'st  sich  wenig  sagen.  Zu  der  damaligen  Zeit  bestand  der 
Hanpthandel  in  Sklaven,  welche  ans  dem  Innern  zum  Yerkaof 
gebracht  vnrden,  deren  aber  viele  von  den  Küstenstftmmen  zu  ver- 
schiedenen Zwecken  gehalten  wurden.  Diese  Sklaven  machten  den 
grdfsten  Teil  der  Bevölkerung  aus;  miter  der  Aulsicht  ihres  Eigen- 
tfimers  wurden  sie  auf  verschiedene  Weise  beschäftigt:  sie  mulsten 
fischen,  ruderten  ihres  Herrn  Kanoe,  bildeten  seine  Leibwache, 
raubten  für  ihn,  führteu  seine  kleinen  Kriege,  bewachten  die  zur 
Ausfuhr  bestimmten  Sklaven ;  während  der  Herr  seinen  Gewinn  dazu 
verwendete,  Kleider  und  Lebensmittel  für  sich  selbst  und  die  Sklaven 
zu  kaufen.  Mit  der  Abschaffung  d.  s  Sklavenhandels  in  Amerika 
trat  eine  Veränderung  in  allen  diesen  Einrichtungen  ein.  Jetzt 
mufsten  die  Sklaven  Produkte  zum  Verkauf  einsammeln,  und  fingen 
bald  an  dies  auf  eigene  Rechnung  zu  thun.  Sie  gewannen  immer 
mehr  Öl  für  sich  selbst  und  immer  weniger  fOr  ihre  Herren.  Wahrend 
die  Sklaven  sc3ion  vor  der  Abschafihng  des  Sklavenhandels  in  Amerika 
indirekt  ihre  Herren  unterhielten,  so  thaten  sie  es  Jetzt  in  direkter 
Weise,  und  da  sie  immer  reicher  wurden,  konnten  sie  immer  mehr 
die  Bedingungen  vorschreiben,  unter  welchen  sie  bereit  waren,  sich 
der  Autorität  zu  unterwerfen. 

Das  sociologische  Gesetz,  dafs  die  Vermehrung  der  Volksmacht 
mit  der  Vermehrung  industrieller  Thätigkeit  Hand  in  Hand  gehe, 
wurde  niemals  durch  ein  klareres  Beispiel  erläutert,  als  durch  das, 
welches  dieses  Volk  uns  geliefert  hat.  Die  Macht  der  Fürsten 
ist  jetzt  nicht  vielmehr  als  nominell,  sie  setzen  einfach  nur  die  Volks- 
entflcheidung  in  Kraft. 

Sowohl  an  der  Kflste  wie  im  Innern  kOmmem  sich  die  H&upt- 
Ihige  nur  wenig  um  die  besonderen  Thätigkeiten  der  Bevölkerung; 
jedermann  wfthlt  seine  eigene  Beschäftigung,  sei  es  Fischen,  Palmöl- 
bereiten  oder  was  sonst,  und  als  Ersatz  fttr  den  Schutz  seines  Herrn 
giebt  man  ihm  einen  Teil  des  Ertrages  ab;  es  ist  nur  wenig  noch 
von  wirklicher  Sklaverei  unter  den  Eingeborenen  zurilckgeblieben. 

Wegen  der  inneren  Zusammengehörijjkeit  der  drei  Systeme  war 
es  nötig  dieselben  gemeinsam  zu  erklären;  aber  das  Regulieruogä- 


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System  mullB  noch  genauer  nach  seiner  Eigentümlichkeit  in  den  ver- 
schiedenen Qegenden  betrachtet  werden.  Die  oben  gemachten  Be- 
merkungen bezieben  sich  auf  die  ganze  Gegend,  von  welcher  mein 
AttfiMts  handelt,  aber  was  ich  jetzt  sagen  werde,  ist  mehr  yon 
spedellerem  Charakter.  In  Bezug  auf  politische  Einrichtungen  haben 
^e  Stamme  sttdlicb  vom  Congo  Eigentttmlichkeiten,  durch  welche 
sie  sich  von  den  andern  absondern,  und  von  diesen  wollen  wir  zu- 
nächst sprechen.  Man  findet  hier  und  da  gewisse  regiereude  Könige, 
die  es  eigentlich  nur  dem  Namen  nach  sind,  da  die  Stimmen  der 
reicheren  Eingeborenen  die  hauptsächlichste  politische  Macht  bilden. 
Die  Thronfolge  findet  mittelst  Wahl  seitens  dieser  reichen  Eiu- 
geborenen  statt,  die  gewöhnlich  eine  blofse  Null  wählen. 

Die  Macht  des  Königs,  soweit  man  sie  so  nennen  kann,  erstreckt 
sich  anf  eine  Anzahl  von  umliegenden  St&dten.  Die  Einwohner 
dieser  Städte  smd  wohlhabende  Handelsleute  mit  ihren  Familien  und 
Untergebenen,  Sklaven  und  deren  Sklaven. 

In  einigen  Gegenden  ist  es  Sitte,  eine  „Königin"  zu  wählen« 
aber  es  geschieht  auch  selbst  da  nicht  immer,  wo  es  eigmiüich 
Gebranch  ist.  Es  gtebt  ein  Gesetz,  wonach  der  König  das  Meer 
nicht  sehen  darf,  welches  wahrscheinlich  aus  der  Idee  entsprungen 
ist,  dafs  sein  Königreich  als  unbegrenzt  betrachtet  werden  soll,  oder 
dafs  es  eine  Entwürdigung  sein  wtlrde,  dahin  zu  sehen,  wohin  seine 
Macht  nicht  reicht.  Deshalb  werden  auch  sein  \  erkehr  oder  seine 
Unterhandlungen  mit  den  weifsen  Kaufleuten,  die  alle  an  der  Meeres- 
küste wohnen,  durch  sogenannte  «Königsleute^  ausgeführt,  von  denen 
der  oberste  „Königsmund^  genannt  ist.  Diese  Leute  kommen  nach 
den  Handelsfaktoreien,  um  den  König  zu  vertreten  und  um  öffent- 
liche Angelegenheiten  für  ihn  zu  besprechen.  Man  kann  sich  jedoch 
nidit  auf  sie  verlassen,  sie  milTsdeuten  dem  König  zuweilen  absicht- 
lich die  Anliegen  der  Handelsleute  und  umgekehrt;  aber  bei 
wichtigen  Gelegenheiten  sind  so  viele  einflufsreiche  Schwarze  bei  den 
Unterhandlungen  sowohl  in  den  Faktoreien,  wie  in  des  Königs  Stadt 
zugegen,  dafs  kein  ernstlicher  Schaden  durch  diesen  Fehler  im 
Regierungssystem  entsteht. 

Die  politische  Stellung  des  weifsen  Kaufmanns  dürfte  nun  genau 
zu  erklären  sein,  da  durch  Iinkenntnis  in  diesem  Punkte  grofse 
Verwirrung  hervorgerufen  werden  kann.  Einem  europäischen  Handels- 
mann w  ird  dieselbe  politische  Stellung  im  Lande  zuerkannt,  wie  dem 
Einflußreichsten  unter  den  Eingeborenen,  sowohl  wegen  seines  vor- 
ausgesetzten Verständnisses  als  wegen  der  Wichtigkeit  der  Station, 
die  er  leitet.  Da  ein  Handelshaus  ein  Gegenstand  von  allgemeiner 
Bedeutung,  ein  Mittel  des  Gedeihens  für  die  benachbarten  Stämme 


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ist,  so  winl  es  mit  grofser  Achtung  betrachtet,  und  der  Kaufiuaan 
liat  aus  diesem  Grunde  bedeutende  ])oIitische  Macht.  Die  WeiCsen 
haben  in  allen  Fragen,  die  sie  direkt  betreffen,  immer  eine  Stimme 
und  selbst  in  einem  Falle,  der  sie  nur  indirdct  berührt,  werden  ihre 
Wftnsche,  wenn  sie  den  einfloTsreichen  Schwarzen  beweisen  kdnnen, 
daf$  ein  liostimmtes  Vorgehen  ihnen  nachteilig  ist,  von  den  Ein- 
geborenen sehr  berücksichtigt 

Es  giebt  einige  einfache  Verträge,  welche  den  politischen 
Verkehr  zwischen  Weifsen  und  Schwarzen  feststellen,  und  wenn 
diese  eingehalten  werden,  so  ist  wenig  Gefahr  zu  Unruhen  vorhanden. 
In  Dingen,  die  lediglich  die  Eingeborenen  betreffen,  hat  der  weifse 
Mann  keine  Stimme,  es  würde  ihm  auch  nichts  daran  gelegen  sein, 
in  solchen  Sachen  2U  Rate  gezogen  zu  werden.  Wenn  ein  König 
erw&hlt  ist,  so  wird  er,  noch  ungekrönt,  zn  den  Niederlassungen 
der  Weifsen  geführt  und  diesen  vorgestellt;  sollten  die  Weilsen 
irgend  einen  triftigen  Grund  haben,  von  der  Volkswahl  abzuraten, 
80  können  sie  ihre  Einwendungen  angeben  und  werden  wahrschein- 
lich die  Krönung  verhindern.  Wenn  der  König  gekrönt  wird,  so 
sidit  er  zum  ersten  Mal  Schuhe  an  und  empfiftngt  die  Kaufleute 
freundlich,  welche  kommen,  um  ihm  die  Hand  zu  schütteln  und  ihm 
ein  kleines  Geschenk  machen.  Man  erwartet  nicht  von  den  Weifsen, 
dafs  sie  „Seiner  Majestiit"  noch  weitere  Besuche  abstatten,  aufser 
wenn  sie  selbst  es  wünschen  sollten;  der  weitere  Verkehr  wird 
ofhciell  durch  den  „Königsmund"  geführt. 

Um  sich  der  Berücksichtigung  einer  Klage  zu  versichern, 
schickt  der  weifse  Handelsmann  dem  König  eine  Flasche  Brannt- 
wein, wenn  dieser  seine  Leute  sendet,  um  sich  nach  der  Sache  zu 
erkundigen.  Manchmal  schickt  der  Handelsmann  dem  König  die 
Flasche  mit  der  Botschaft,  dafs  er  nicht  eher  wieder  nSteuem^ 
zahlen  werde,  als  bis  ein  gewisser  Streit  ausgeglichen  sei.  Dies 
wird  dem  Weifsen  durchaus  nicht  als  eine  Unhöflicbkeit  ange- 
rechnet und  sichert  gewöhnlich  Beachtung  seiner  Beschwerde  zu. 
Hätte  er  das  Geschenk  weggelassen,  so  würde  sein  Benehmen 
Unwillen  erregen,  und  die  anderen  Handelsleute  würden  ihm 
wahrscheinlich  sagen,  dafs  er  wegen  seines  Mangels  au  Lebensart 
zu  tadeln  sei. 

Die  oben  erwähnten  „Steuern''  sind  kleine  Zahlungen,  welche 
dem  König  alle  vier  oder  sechs  Monat  geleistet  werden  je  nach  der 
Sitte  der  Gegcmd.  Ferner  wird  von  jedem  Eingeborenen,  der  Pro- 
dukte verkauft,  eine  kleine  Abgabe  entriditet,  die  von  dem  obersten 
Diener  der  Faktorei  eingesammelt  und  endlich  an  «Mafuka  Dimbo*, 
der  diese  Ehikttnfte  pachtet,  gezahlt  wird. 


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Der  Koiiii:  hnt  wenig  Macht,  ir^ieml  wplrhe  liewe^un^'on  ber- 
vorzuriifeu,  zu  unterbtützen  oder  zu  verhindern,  er  ist  nichts  als 
Präsident  oder  Vorsitzender  und  für  das  aiiständi<;e  Betragen  der 
Eingeborenen  bei  einer  Veräammlung  ist  er  vermuUicb  Yon  grofsem 
Noteen.  Er  ist  gewöhnlich  schon  ein  alter  Mann,  wenn  er  gekrdnt 
wird,  nnd  m  viel  ich  beobaelitet  habe,  lebt  er  meist  nicht  laage; 
man  nimmt  an,  dafs  er  gewöhnlich  vergiftel  wird. 

Aus  diesen  Angaben  ist  zn  ersehen,  daTs  ein  König  nicht  das 
Recht  haben  würde,  sein  Königreich  an  irgend  eine  fremde  Macht 
abzutreten,  noch  weniger  (wenn  ich  den  Ausdruck  gebrauchen  <larf) 
könnte  er  das  thun,  ohne  die  Handelsleute  um  Rat  zu  fragen, 
welche  direkt  davon  betroffen  werden.  So  können  diese  Stanmie 
also  nur  durch  wirkliche  Eroberung  einer  fremden  Macht  unter- 
worfen werden.  Doch  kürzlich  erst  hat  die  englische  Regierung 
vorgesciüagen,  diese  Stämme  Portugal  zu  überliefern,  als  ob  sie  ein 
Eigentum  wären,  mit  welchem  man  schalten  nnd  walten  kann  wie 
man  will,  ein  Verfahren,  dafs  jeder  loyale  Eingeborene  verabscheuen 
würde,  und  welchem  sich  zu  unterwerfen  nur  ^ne  Gewalthemchaft 
ihn  zwingen  könnte!  Ißt  ziemlicher  Qewifeheit  lafst  sidi  freilich  sagen, 
dafe  die  Portugiesen  sie  unbelAstigt  lassen  und  ihnen  gestatten  würden, 
ihre  eingeborenen  Könige  zn  krönen  und  zn  vergiften,  nach  ihrem 
Belieben.  Der  einzige  Unterschied  würde  die  Einlühiung  schwerer 
Steuern  und  lästiger  ZoUhausmafsregeln  sein,  vorgeblich  zum  Schutze 
und  zur  Verbesserung  des  Landes.  Dieses  Verfahren  ist  in  der 
That  von  den  französischen  Behörden  hinsichtlich  gewisser  Küsten- 
gegenden bei  Gabun  ausgeführt  worden;  sie  bestehen  darauf,  dafs 
in  Gabun  Schüfe  die  Zölle  entrichten,  bevor  sie  an  den  Küstenhäfen 
gelöscht  werden,  aber  sie  gew&hren  den  Weifsen  an  solchen  Hafen 
keinen  Schutz.  Die  einzige  zu  erlangende  „Satis&ktion^  ist  die 
Antwort,  dab  Handelsleute  nicht  nach  diesen  Orten,  sondern  nach 
Gabun  hingehen  sollten,  wenn  sie  Schutz  wünschten.  Trotzdem  nmfo 
für  den  Schatz  bezshit  wm^enl  Dieses  System  ist  eine  unverschftrate 
Art  und  Weise,  Eingeborene  und  Handelsleute  zum  Vortml  der 
pjnküufte  der  „Kolonie''  zu  beiaul>eu.  So  wird  der  Machthaber, 
welchem  der  Schutz  des  ganzen  in  Frage  stehenden  Territoriums 
;in vertraut  ist.  der  systematische  Angreifer,  gegen  welchen  es  keine 
Hülfe  giebt.  Es  giebt  noch  indirekte  Einwirkungen,  wichtiger  und 
von  gröfserer  Bedeutung  als  diese,  die  wir  beachten  müssen,  wenn 
wir  den  Gedanken  an  eine  Veränderung  ins  Auge  fassen ;  sie  zeigen, 
dafs  solche  Besitznahmen  den  Eingeborenen  in  jeder  Hinsicht  von 
Nachteil  sind.  Der  Nachweis  der  Ungesetzmäfsigkeit  der  Abtretung 
von  Land  an  fremde  Mächte  bezieht  sich  auf  die  Handelsgebiete  am 


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Congofliuae  und  auf  die  nördlich  davon  gelegenen  Lftnder,  deren 
Begienmgen  wir  jetet  besprechen  wollen. 

Der  Distrikt  zwischen  dem  Gongo  und  Loango,  letzteres  mit 
eingeschlossen,  ist  in  drei  Königreiche  eingeteilt:  Ngoyo  oder  Ca- 
hinda,  Kakongo  und  Loango.  Jedes  ist  von  ziemlich  beträchtlicher 
Ansdehnmig,  und  hinsichtlich  der  GrtVfse  stehen  sie  zn  den  winzigen 
Königreichen  südlich  vom  Congo  in  groiscni  Gegensätze.  Die  König- 
reiche Ngoyo  und  Kakongo  haben  die  Eigentümlichkeit,  ungetähr  seit 
den  letzten  vierzig  Jahren  ^Regentschaften"  zu  sein;  wahrscheinlich 
werden  sie  auch  in  Zukunft  noch  für  unbestimmte  Zeit  ohne  gekröute 
Häupter  bleiben.  Die  Regentschaft"  ist  nur  nominell  und  in  ge- 
wissem Grade  eine  Ceremonie;  irgend  welche  besoBdere  politische 
Macht  scheinen  die  Regenten  nicht  zu  besitzen.  Das  Königreich 
Kakongo  sowohl  wie  Ngoyo  ist  in  bestimmte  Bezirke  eingeteilt,  und 
die  Hänpter  der  bedeutendsten  Städte  halten  Ordnung  und  ent- 
scheiden kleine  Streitigkeiten.  Es  ist  auch  ein  höherer  Beamter 
vorhanden,  der  Mambukn,  d«r  in  soldien  Angelegenheiten  zu  Rate 
gezogen  wird,  die  von  den  Häuptern  der  Bezirke  nidit  entschieden 
werden  können,  auch  giebt  es  einige  Beamte,  die  unter  dem  Titel: 
Mongovo,  Kajiita  bekannt  sind  und  einige  andere.  Der  Mambuku 
würde  dem  Könige  folgen,  wenn  ein  König  vorhanden  wäre,  aber 
da  der  „Regent"  wenig  Macht  hat,  so  ist  der  Mambuku  wirklich  der 
mächtigste  Mann  im  Königreich.  Es  giebt  mehrere  Mambukus  in 
verschiedenen  Gegenden,  aber  nur  einer  von  ihnen  hat  den  erwähnten 
hohen  Rang. 

Das  Königreich  Loango  wird  von  einem  regierenden  König 
beherrscht)  aber  seine  wirkliche  Macht  erstreckt  sich  nur  auf  Ge- 
genden, die  von  seiner  Stadt  aus  leicht  erreichbar  sind;  die  Begierung 
des  Übrigen  Teils  des  Königreichs  (soweit  es  von  den  Franzosen 
oder  der  internationalen  afrikanischen  Gesellschaft  noch  nicht  in 
Beschlag  genommen  wurde)  ist  in  den  Händen  kleiuer  Potentaten, 
sowie  sie  in  Kakongo  und  Ngoyo  bestehen.  Dieser  Übergang 
königlicher  Macht  in  die  Hände  von  Lokalregenten  ist  gewolmlich 
ein  Zeichen  theihveiser  socialer  Auflösung;  der  plötzliche  Wechsel 
der  Verhältnisse  läfst  Unterwerfung  unter  eine  centrale  Autorität 
weniger  zweckmäfsig  ersclieinen  als  sonst,  denn  solcher  Wechsel 
mindert  gewöhnlich  die  Notwendigkeit  militärischer  Leistungsfähigkeit 
Tritt  ein  derartiger  Fall  ein,  so  bleibt  die  monarchische  Form 
erhalten,  aber  die  Volksmacht  steigt  Wo  der  Wechsel  plötzlich 
stattftiidet,  ist  die  bezeichnete  Folge  sehr  wahrscheinlich. 

Im  Köaigroieh  Ngoyo  besteht  eine  Einrichtung,  die  augen- 
scheioiich  aus  einer  Zeit^  die  kriegerischer  war  als  die  jetzige, 


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stammt,  mul  welche,  ob^^leich  sie  ihren  Nutzen  verloren  hat,  doch 
in  der  Form  sich  noch  erhält.  Ich  spreche  von  einer  Anzalil  Nduoga 
(Zindunga  im  Plural)  genannter  Hofbeamten.  Diese  Ijeute  bilden  eine 
geheime  Organisation;  sie  tragen  einen  oiAchtigen  Mantel  aus  Palm- 
blättern,  welcher  sie  vom  Kopf  bis  zmn  Fufs  bedeckt,  und  eine 
abschenlicbe  Maske  flberragt  alles.  Diese  Maske  dient  wahrscheittlich 
dasn,  dafe  jeder  seine  Gefinhrten  erkennen  kann,  aber  sie  wird  oben 
auf  dem  Kopfe  getragen,  das  Gesicht  ist  vom  Mantel  bedeckt  Die 
Öffnung  vom  im  Mantel  gestattet  dem  Träger  herauszublieken, 
ohne  selbst  erkannt  zu  werden,  und  ferner  dient  sie  dazu,  einem 
Hakenstock  freien  Spielraum  zu  gewahren,  mit  welchem  der  Ndunga 
in  allerlei  kleine  Gegenstände  hineinhakt,  die  er  zu  stehlen  Lust 
hat.    Diese  Männer  haben  das  Vorrecht,  alles,  was  sie  erreichen 
köDuen,  zu  stehlen,  ja,  sie  dürfen  sogar  den,  der  sich  ihnen  dabei 
widersetzt,  töten,  und  vor  allem  töten  sie  jeden,  der  ihre  Identität 
entdeckt   Nichts,  das  sie  in  ihrem  Charakter  als  Ndunga  thun,  ist 
strafbar,  und  wenn  sie  sich  im  Walde  verbergen  und  ihre  Tracht 
ablegen,  so  weife  ni^and,  dafs  der  Mann,  der  da  in  seiner  gewdhn* 
lieben  Kleidung  wieder  herauskommt,  Ndunga  ist   Sie  verstellen 
ihre  Sünunen,  wenn  sie  mit  anderen  reden  und  sprechen  mit  Fistel- 
stimme.  Dieses  erhdht  noch  die  durch  ihr  scheufsliches  Aussehen 
hervorgebrachte  Wirkung.    Nur  durch  die  althergebrachte  Sitte  ist 
es  zu  erklären,  dals  bei  dem  gegenwärtigen  socialen  Zustande  des 
Volkes  diese  Inkognitoräuber  noch  geduldet  werden.  Sie  sind  eben 
ein  Überbleibsel  aus  früheren  Tagen,  als  der  König  noch  mächtig, 
als  die  Bevölkerung   noch   in  militärische  Rangstufen  eingeteilt, 
jeder  der  Sklave  der  höheren  und  der  Herr  aller  niederen  Rang- 
stufen war.  Wie  erlangte  aber  in  jenen  Zeiten  der  Schwache  Bei- 
staad gegen  den  Stärkeren,  wenn  er  tyrannisch  behandelt  wurde? 
Er  hatte  einen  unbekannten  Freund ;  der  Ndunga  klagte  den  Unter- 
drQcker  beim  König  an,  ohne  die  Rache  zu  fürchten.  Sie  waren  die  . 
geheime  Polizei,  welche  den  König  von  den  Mifshandlungen  der 
Stärkeren  gegen  die  Schwachen  in  Kenntnis  setzten.   Die  Dienste, 
welche  sie  dem  Volke  leisteten,  waren  von  so  grofsem  Werte,  dafs 
die  Ndunga  für  unverletzlich  angesehen  wurden,  welche  Räubereien 
sie  auch  begehen  mochten.     Ohne  Zweifel  pflegte  der  König  die 
Ndunga  zurückzuhalten,  wenn  er  erfuhr,  dafs  ihre  Handlungen  die 
(Irenze  der  lll&fsigung  überschritten,  aber  sie  müssen  ihre  Stellung 
durch  ihren  unzweifelhaften  Nutzen  behauptet  haben,  und  das  An- 
sehen, welches  sie  auf  diese  Weise  erlangten,  sichert  noch  heute  ihren 
Bestand,  obgleich  sie  ihren  Zweck  nicht  mehr  erfüllen.  Was  ich 
hier  berichte,  ist  die  Tradition,  welche  sich  unter  diesen  Stämmen 


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erhalten  hat,  mit  Ausnalime  der  Yorauasetzttug ,  dafs  es  eine 
kriegerische  Organisation  des  Volkes  gewesen  ist,  wir  müssen  dies 
aber,  wie  ich  glaube,  nach  den  bekannten  früheren  Funktionen 
des  Ndunga  zu  urteilen,  doch  annehmen.  .  Es  ist  ziemlich 
augenscheinlich,  dafs  als  die  Einsetzung  der  Zindnnga  erfolgte,  eine 
eugere  Gemeinschaft  bestanden  haben  mufs,  wogegen  jetzt  die 
einzigen  Spuren  von  Gemeinschaft  gelegentliche  Einmischung  einer 
Stadt  in  die  Angelegt  nheiten  einer  anderen  und  auch  die  Ansprüche 
einiger  1  üräteu  auf  eine  gewisse  Herrschaft  in  einer  der  Nachbai- 
stadte  sind. 

Das  nördliche  Ufer  des  Congo  hat  ähnliche  Züge  hinsichtlich 
der  Regierungsforni  aufzuweisen  und  in  der  Gegend,  von  welcher 
aus  ich  schreibe,  Pouta  de  l^nha,  sind  die  Gemeinschaften  einfacli, 
indem  nur  den  benachbarten  Häuptlingen  von  den  Einwohnern  einer 
Stadt  eine  gewisse  Ehrerbietung,  je  nach  Stand  und  Macht,  bezeugt 
wird;  Yon  einer  Unterordnung  unter  eine  Gentraiherrschaft,  König 
oder  Regent,  ist  hier  nicht  die  Bede.  Wenn  wir  den  FluJb  auf- 
wärts gehen,  finden  wir  in  Borna  acht  gemeinschaftlich  regierende 
„Könige^,  die  in  den  Unterhandlungen  mit  weifsen  Kaufieuten  prft< 
sidiereu.  So  kommen  wir  aucli  hier  wieder  auf  eine  gelegentliche 
Phase  des  Rückschrittes  der  politischen  Organisation;  der  vereinigte 
regierende  Vorstand  hat  etwas  Ähnlichkeit  mit  der  Einrichtnnir  im 
Königreich  Xgoyo,  wo  die  Centralmacht  verschwunden  ist,  und  nur 
einzelne  Lokalregeuten  mit  lediglich  uomiueller  Lehusptiicht  zurück- 
blieben. 

Das  ganze  südliche  Ufer  des  Flusses  und  die  das  nOrdliche 
Ufer  begrenzenden  Inseln,  von  Ponta.da  Lenha  bis  Banana,  wo  die 
Inseln  enden,  sind  von  Stämmen,  die  unter  dem  Namen  Misorongo 
bekannt  sind,  bewohnt,  ihre  Gebräuche  und  Sitten  weichen  von  denen 
der  Stämme  von  Ponta  da  I^enha  etwas  ab.  Sie  werden  von  Lokal- 
kOnigen  und  Beamten  regiert,  die  nur  Häupter  gewisser  Städte 
sind,  aber  mehr  persönliche  Macht  haben  als  ihre  Nachbaren,  die  mit 
dem  Cabindastanmi  ein  Bündnis  geschlossen  haben.  Bis  vor  kurzem 
haben  >if  >i(  li  innner  durcli  ihre  Räubereien  ausgezeichnet,  die  nach 
einem  gewissen  System  betrieben  wurden.  Sie  haben  die  Einrichtung 
der  Ndunga  nicht,  aber  es  giebt  hier  noch  ein  Überbleibsel  einer 
anderen  eigenartigen  Nkimhi  genannten  P^inrichtung,  welche  hrdier 
am  Husse  hinauf  von  den  Yalalafallen  bis  ins  Innere  ia  Blüte  steht. 

Die  Zinkimbi  gleichen  den  Zindunga  von  Cabinda  insofern,  als 
sie  ebenfalls  privilegierte  Räuber,  jedoch  anderer  Art,  sind.  Wir 
müssen  sie  weiterhin  noch  genauer  erwähnen,  da  sie  die  persönliche 
Macht  des  Häuptlings  vermehren.  Wir  finden  hier  auch  die  Sitte 


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der  früheu  Verlobungen  und  überhaupt  eiuige  Eiurichtungen,  die 
TOB  denen  der  anderen  Flufsst&mme  ?erscliieden  sin(},  wie  z.  B.  die 
grftfeere  Streitbarkeit  der  Misoroogo.  Indem  wir  diese  Verschieden- 
heiten betonen,  mflßsen  wir  doch  zugleich  anerkennen,  d&£s  bei  ver- 
minderter  Kriegeliist  und  zunehmender  Industrie  die  Mifiwttode  in 
der  Regierung  sich  abschwädien  und  Termutlich  bald  ganz  Yer- 
sdiwinden  werden. 

In  Bezug  auf  die  Stämme  höher  am  Flusse  hinauf  ist  meine 
Kunde  nur  sehr  mangelhaft.  Ich  mufs  jedoch  erwähnen,  dafs  an 
Orten  des  südlichen  Ufers  «gegenüber  der  Landstrecke  zwischen 
Borna  und  Vivi  (welche  beide  Orte  am  nördlichen  Flufsufer  liegen) 
die  Häuptlinge  bis  zu  einem  gewissen  Grade  Lehnsmänner  des 
Königs  von  Congo  sind,  d.  h.  des  Herrschers  des  ehemaligen  groiseu 
Königreiches  Congo,  das  vom  Flusse  ab  ziemlich  weit  ins  Innere 
reidite  und  an  die  portugiesische  Provinz  Angola  gremste. 

Die  persönliche  Ifacht  des  Königs  von  Congo  scheint  jetzt  anf 
eine  kurze  Strecke  im  Umkreis  um  die  Stadl  San  Salvador  und 
auf  diese  selbst  besdurlnkt  zu  sein,  sdne  Gewalt  Uber  die  unter- 
geordneten Häuptlinge  bezieht  sich  nur  noch  auf  die  Bestätigung 
ihrer  Wahl  durch  die  Ceremonie  der  ^^Krönung''  oder  auf  die  Über- 
reichung ihrer  Amtstracht. 

Seit  ich  diese  letzten  Remerkungen  niederschrieb,  bin  ich  auf 
einen  Umstand  aufmerksam  geworden,  der  die  Kegel,  dafs  gemeinsame 
Gefahr  die  Macht  des  Königs  stärkt,  in  helles  Licht  stellt.  Die 
Entfaltung  oder  Behauptung  königlicher  Macht  hat  bis  jetzt  geruht 
und  ist  erst  durch  die  Notw  endigkeit  des  Schutzes  gegen  die  An- 
sprache der  internationalen  Gesellschaft  erweckt  worden.  Nachdem 
diese  weit  und  breit  das  Recht  der  Herrschaft  „erworben^  hat,  so 
wendet  jetzt  der  K(ynig  von  Congo  dagogen  ein,  da(s  die  betreffenden 
Häuptlinge  seine  Vasallen  seien,  und  verweigert  die  Becbtsabtietung 
anzuerkennen.  Die  in  Frage  stehenden  HftuptliDge  erkennen  natOrlieh 
lieber  Ihre  Abhängigkeit  gegen  den  König  von  Congo,  als  gegen  die 
,j internationale  (iesellschaft"  an,  jetzt  nachdem  sie  wahrgenonmien 
haben,  dals  dieses  die  Bedingung  ihrer  „Verträge"  ist.  und  es  läfst 
sich  voraussetzen,  dafs  von  dieser  Seite  her  versucht  werden  wird, 
der  Gesellschaft  Widerstand  entgegenzusetzen.  —  In  diesen  Gegenden 
hnden  wir  die  Zinkimbi,  die  ich  schon  erwähnte  und  denen  ich  jetzt 
noch  ein  paar  Worte  widmen  muCs.  Die  Zinkimbi  sind  eine  Anzahl 
Eingeborener,  die  fOr  Zauberer  gehalten  werden,  sich  weifs  banalen, 
ihre  Lippen  scbwiizen  und  unbekleidet  gdien,  mit  Ausnahmis  eines 
Zipfels  von  Pftfanbliltei'n,  den  sie  mit  Hfllfe  eines  Bandes  um  den 
Leib  schlingen.  Es  gehört  eine  förmliche  Unterweisung  dazu,  um 


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in  diesen  Orden  eintreten  zu  können.  Der  Neuling  wird  von  dem 
obersten  Zauberer  nnter  den  fiioflufis  eines  kr&ftigen  Eiuschläferungs- 
mifttels  gestellt  und  man  glaubt,  da&j^die  Wirkung  der  Medizin  sei,  den 
Jüngling  zu  töten,  jedoch  der  Zauberer  erweckt  ihn  nach  drei  Tagen. 
Danach  ist  er,  wie  sie  sagen,  ein  anderer  Mensch,  bekommt  auch  einen 
anderen  Namen  und  erhalt  Unterricht  in  der  Kldmbisprache,  eine 
Sprache,  die,  wie  ich  aus  guter  Quelle  erfahren  habe,  den  übrigen  Ein- 
geborenen sowol  ihrer  Bedeutung  als  dem  Ursprung  nach  ganz  un- 
bekannt ist.  Zwei  Monate  lang  ist  da.s  Waschen  verboten  und  allerlei 
feierliche,  geheimnisvolle  Gebräuche  werden  erlernt,  deren  Natur  ich 
nicht  kenne.  Einige  sagen,  dals  Fleischspeisen  dann  für  immer  verboten 
sind,  aber  ich  weis  nicht,  ob  das  wirklich  so  ist.  Diese  Zinkimbi 
sind  den  Häuptlingen  bestimmter  Gegenden  ergeben,  doch  kenne 
ich  ihre  Funktionen  nicht.  Sie  weigern  sich  ihre  Muttersprache  zu 
sprechen,  wenigstens  so  lange  sie  in  ihrer  eigentümlichen  Tracht  sind 
und  sie  dürfen  jeden,  der  sie  mit  ihrem  früheren  Namen  anredet, 
tdten.  Dies  ist  alles,  was  ich  Uber  die  Zinkimbi  weis,  aber  es  ist 
ganz  offenbar,  dafs  eine  so  wie  die  der  Gongoeingeborenen  eingerichtete 
Gemeinschaft,  solch  eine  Institution  nicht  ins  Leben  rufen  konnte;  die 
einzige  mir  hierfür  möglich  scheinende  Erklärung  ist,  dafs  in 
früheren  Zeiten  diese  Gegend  von  einer  erobernden  Basse  über- 
wältigt worden  ist,  die  einen  Orden  von  Priestern  mitbrachten, 
welche  zugleich  Zauberer  waren,  und  dais  einige  aus  der  besiegten 
liasse  in  den  Priesterorden  aufgenommen  worden  sind,  die  dann  die 
Vorrechte  der  Sieger  hatten.  Der  Priesterstand,  der  sich  ge- 
wöhnlich einer  alteren  Sprache  bediente,  als  der  sonst  gebrftuchlichen, 
behielt  diese  geheiligte  Sprache  bei  und  aberlieferte  sie  späteren 
Nachkommen,  wie  die  Nkimbisprache  wurkllch  eine  Überlieferte  ist, 
und  nur  durch  diese  Annahme  kann  ich  eine  Antwort  auf  die  Frage: 
„woher  kam  diese  fremde  Sprache?^  finden. 

üiebt  es  unter  diesen  Hassen  noch  weitere  Zeichen  der  Unter- 
werfung unter  fremde  Eroberer,  als  die  Einiielitung  der  bevor- 
zugten Klasse  der  Zinkimbi?  Ich  weis  nur  von  einem:  die  Cere- 
monie  der  Beschneidung,  welcher  sich  die  ganze  nulnnliche  Be- 
völkerung ohne  Ausnahme  in  allen  hier  besprochenen  Gegenden 
unterwirft.  Ein  sehr  häufiger,  aber  nicht  allgemeiner  Brauch  ist 
auch  (las  Abbrechen  und  Ausschlagen  Yon  Zahnen  (wie  schon  früher 
erwähnt  wurde),  da  dies  aber  .nur  teilweise  geschieht,  so  kann  man 
es  nicht  als  ein  allgemeines  Zeichen  der  Abh&ngigkeit  auffSusen. 
Beschneidung  und  Verstümmelung  im  allgememen  sind  urqirQnglich 
Zeichen  der  Unterordnung,  Friedensbedingungen  einem  besiegten 
Feinde  gegenüber.   Die  Handlungea  unzähliger  Völker  zeigen  ur^ 


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wie  dies  entstanden  ist,  da  die  umgekehrte  Erscheinung,  nämlich 
beschnittene  Eroberer  und  unbeschnittene  Besiegte,  sehr  selten  vor- 
kommt. Dies  ist  also  eine  wahrscheinliche  Bestätigung  der  auf- 
gestellten Theorie,  dafs  der  sociale  Zustand  ?on  tiner  höheren 
Stufe  zu  der  jetzigen  herabgesonken  ist 

Es  würde  viel  gründlicherer  Forschung  bedürfen,  als  ich  sie 
anzustellen  vermochte,  um  zu.  erklären,  wamm  das  südliche  Uüer 
des  Flusses  und  die  untere  Hälfte  der  kommerziellen  Qegend  am 
nördlichen  Ufer  (die  Insel  Misorongo)  Spuren  eines  Streitbarkeits- 
zustandes aufweisen  sollte,  die  man  am  Nordufer  zwischen  Ponta  da 
Lenha  und  Borna  nicht  tindet.  Wollte  ich  auch  eine  Vermutung 
aussprechen,  so  würde  sie  doch  so  unbestimmt  sein,  dafs  nichts  durch 
die  Darlegung  derselben  gewonnen  wäre. 

Wir  müssen  nun  mit  wenigen  Worten  erklären,  auf  welche 
Weise  Streitigkeiten  aufserhalb  des  Stammes  beigelegt  werden.  Es 
ist  schon  erwähnt,  dafs  jede  Stadt,  gegenüber  jeglicher  Gewalt,  die 
Feinde  ihr  entgegensetzen  möchten,  unbezwingbar  ist,  daher  es  auch 
selten  zu  offenen  Kriegen  kommt  Ein  Scharmützel  zwischen  be- 
nachbarten Städten  ist  die  Grenze  offener  Feindseligkeiten.  Wenn 
eine  Stadt  angegriffen  oder  einer  ihrer  Einwohner  ungerecht  be- 
handelt worden  ist,  so  wartet  sie  einen  günstigen  Zeitpunkt  ab,  wo 
sie  einen  aus  der  feindlichen  Stadt  gefangen  nehmen  kann.  Dies 
geschieht  desh.alb,  um  die  andere  Stadt  zu  einem  ^Palaver"  — 
wie  es  genannt  wird  —  zu  zwingen;  durch  einfiufsreiche  Manner 
auf  beiden  Seiten  wird  dann  bestimmt,  was  nun  gesclieheu  soll. 
Wird  die  Stadt,  welcher  der  Gefangene  angehört,  überführt,  so  wird 
ihr  eine  Geldbufse  auferlegt,  und  die  Freundschaft  ist  wieder  her- 
gestellt, oft  vermittelst  Fetischen,  die  zur  Bestätigung  des  Ver- 
sprechens geklopft  werden. 

Ich  will  nun  noch  einiges  über  die  Familienverhältnisse  sagen. 
Eine  kleine  Stadt  besteht  aus  dem  Haupt  der  Stadt,  dessen  Ver- 
wandten, Untergebenen  und  Sklaven.  Es  herrscht  oft  Vielweiberei 
in  den  Familien,  jedenfolls  bei  den  reicheren  Eingeborenen,  während 
der  hierdurch  entstehende  Mangel  an  weiblichen  Personen  in  anderen 
Gegenden  durch  Unzucht  wieder  ausi^eglichen  wird.  Diese  wird 
nicht  als  Schlechtigkeit  und  Sünde  betrachtet,  dagegen  wird  die 
Untreue  eines  Weibes  schwer  verurteilt.  Die  Verwandtschafts- 
verhältnisse sind  oft  bis  zur  Unentwirrbarkeit  verwickelt,  aber  das 
engste  Band  ist  das  zwischen  einem  Kinde  und  seiner  Mutter 
Bruder  (von  derselben  Mutter).  Die  jetzigen  und  früheren  Ver- 
mischungen sind  die  Ursache  dieser  Einriditnng  und  hängen  mit 
einer  Periode  des  Kriegsstandes  zusammen,  von  welcher  keine 


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unmittelbaren  Spnren  znrückgreblieben  sind.    Den  roilitftriscben  Ge- 
setzen müssen  wir  auch  die  Kxogaiiiie,  d.  i.  die  Sitte  eine  Fremde 
zu  beiraten,  zurechnen,  welches  für  einen  Thronbewerber  in  Ngoyo 
und  Kakongo  nötig  war  und  auch  von  einigen  anderen  Würdenträgern 
verlangt  wurde.    Der  Standpunkt  der  Sklaven  ist  schon  auseinander- 
gesetzt und  so  erübrigt  nur  noch  von  den  Untergebenen  zu  sagen, 
dafs  sie  freie  aber  arme  Leute  sind,  welche  freiwillig  oder  um  einer 
Scbuld  willen,  sich  an  eine  Stadt  und  somit  an  das  Haupt  der  Stadt 
halten,  indem  sie  einen  Teil  dessen,  ¥ras  sie  verdienen  abgeben  und 
dagegen  den  Scbtftz  der  Stadt  beanspruchen.  Die  auf  diese  Weise 
gebildete  Familie  ist  oft  hinreichend  für  eine  Stadt,  obgleich  es  oft 
viele  Städte  giebt,  in  denen  mehrere  Familien  leben.  Die  Yerwandt- 
sebaften  sind  oft  nach  vielen  Richtungen  hin  verzweigt,  da  geschlecht- 
licher Verkehr  zwisdicn  einem  Mann  und  zwei  Schwestern  oder 
Mutter  und  Tochter  nicht  gestattet  ist;  vielmehr  würde  eine  solche 
Heirat  unter  <lem  socialen  Verbot  stehen.    Die  Frauen  des  Hauptes 
einer  Stadt  stehen  deshalb  mit  eben  so  viel  Städten  in  verwandtschaft- 
licher Beziehung  als  ihrer  an  der  Zahl  sind  und  so  entsteht  ein  Netzwerk 
von  Verwandtschaften,  das  selbst  den  geduldigsten  Genealogen  verwirren 
würde.   Das  Betragen  der  Familie  eines  Dorfhauptlings  ist  gewöhn- 
lich sehr  gesetzt  und  höflich,  die  Untergebenen  und  SkUven  haben 
mehr  freien  Willen,  und  viele  BevrflUgungen  seitens  des  Häuptlings 
sind  bei  öffentlichen  und  Privatangelegenheiten  nötig.  Die  gegen- 
seitigen Interessen,  die  durch  die  Wechselheuraten  der  Glieder  ver- 
schiedener Stftdte  entstehen,  rufen  oft  starke  Volksparteien  ins 
Leben,  deren  EinHufs  die  Häuptlinge  oft  nötigt,  ihre  eigenen  Ent- 
scheidungen geltend  zu  machen.    Die  schon  seit  vielen  Jahren 
verstorbenen  Könige  von  Niroyo  und  Kakongo  sind  noch  immer  nicht 
begraben  worden  oder  wenigstens  hat  ihr  „offizielles  Begräbnis'*  noch 
nicht  stattgefunden.    Die  Beerdigung  des  Leichnams  eines  Häuptlings 
wird  nicht  immer  als  sein  Begräbnis  betrachtet;  wenn  es  zu  lange 
dauern  würde,  bis  man  im  stände  wilre,  ein  hinreichend  grofs- 
artiges  Begräbnis  zu  veranstalten,  so  wird  der  Leichnam  ohne  alle 
Ceremonie  begraben,  und  man  bewahrt  nur  die  Haar-  und  Nägel- 
abschnitte als  Kennzeichen  der  Person  auf.   Diese  werden  so  lange 
in  Zeug  eingewickelt,  bis  ein  grofses  BQndel  daraus  entsteht,  und 
die  Beerdigung  dieses  Bflndels  in  einem  Kasten  von  der  Gröfse 
eines  Omnibusses  ist  das  eigentliche  offizielle  Begräbnis. 

Die  Eingeborenen  versammeln  sich,  um  (km  Begrabnisse  eines 
hervorragenden  Mannes  beizuwohnen,  und  jede  Stadt  mufs  helfen, 
den  Sarg  zn  tragen  oder  zu  zielien;  Tanzfeste  werden  zu  Ehren 
des  Verstorbeneu  veranstaltet,  Kanonen  abgefeuert,  Uum  getrunken» 

(teogr.  Blitter,  BrraMn  IBM.  26 


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mebrere  Tage  lan^,  bis  die  Vorrate  erschöpft  sind.  Als  Ursacbe, 
dafs  jeoe  beiden  Könige  nicht  begraben  worden  sind,  giebt  mau 
an,  daTs  niemand  reich  genug  sei,  das  Begräbnis  mit  gebflhrender 
Pracht  zu  geben;  ich  bin  jedoch  der  Ansicht,  dals  keiner  Last  dazu 
hat>  eine  so  gftnzlich  nutzlose  Ausgabe,  welche  die  Veranstaltung 
dieser  Begräbnisse  erfordern  wOrde,  zu  übernehmen  und  dafs  folglieh 
ihre  Majestäten  noch  für  nnheslimuibare  Zeit  unbegraben  bleibea 
werden. 

Die  abnehnieutie  Achtung  vor  cerenioniösen  Vorschriften,  die 
sich  so  in  aufsergewöhnlichen  Fällen  zcii;t,  stimmt  im  all^n»nieiiien 
mit  der  allmählichen  Abnahme  des  Kriegsstandcs  und  dem  /unehmeu 
gewerblicher  Th&tigkeiten  überein,  es  sind  nur  wenige  bemerkens- 
werte Ceremonien  vorhanden,  welche  kriegerische  Stamme  besonders 
charakterisieren. 

In  Kunst  und  Fertigkeiten  werden  bemerkenswerte  Fortschritte 
gemacht,  obgleich  nur  wenige  lesen  können  (vielleicht  nicht  mehr 
als  zehn  Cabindas  im  ganzen  und  von  den  anderen  Stammen  kein 
einziger).  Doch  finden  wir,  dafe  Eingeborene  es  unternehmen, 
Schuner  von  zwanzig  Tonnen  zubauen;  einige  Eingeborene  betiudon 
sich  als  Matrosen  au  llord  der  Handelsschiffe,  andere  können  eine 
Seereise  von  beträchtlicher  Entfernung  unternehmen.  Tischler  liefern 
gute  Arbeit,  Schneider  sind  im  btaude,  einen  leidlich  sitzenden 
Anzug  zu  verfertigen  u.  a. 

Wahrend  der  letzten  zwei  Jahre  haben  civilisierte  Nationen 
viel  Eifer  gezeigt,  die  Herrschaft  über  einige  Teile  des  hier  be- 
sprochenen Landes  zu  erhalten,  es  ist  daher  von  Wichtigkeit  zu 
erforschen,  welche  Resultate  man  erzielen  würde,  wenn  man  versuchen 
wollte,  die  Einrichtungen  der  Eingeborenen  umzustürzen  und  die 
Einwohner  civilisierten  Gesetzen  zu  unterwerfen.  Wenn  wir  nns 
nach  den  Ergebnissen  eines  solchen  Vorgehens  in  der  benachbarten 
portugiesischen  Provinz  Angola  und  in  der  französischen  Provinz 
Gabun  umsehen,  finden  wir  Grund  zu  schliefsen,  dafs  eine  solche 
Veränderung  nicht  wünschenswert  sei ;  der  Reichtum,  die  Betrieb- 
samkeit, die  Zahl  der  Bevölkerung  niniiut  ziiMlieuds  ab:  geistige 
Fortschritte  sind,  wenn  überliaupt,  nur  wenig  sichtbar,  und  die 
Hindernisse  im  Handel  vermehren  die  Arbeit,  welche  sonst  für  eine 
bestimmte  Einnahme  genügte,  aufserordentlich. 

Die  Besitznahme  von  Land  dtirch  eine  civilisierte  Macht  kann 
entweder  nominell  oder  effektiv  sein.  Ich  habe  zufallig  den  Punkt 
nomineller  Besitznahme  berührt  und  mochte  erwähnen,  dafs  ein 
grofser  Teil  von  Angola  in  dieser  Weise  besessen  wird.  Es  läfst 
sich  schwer  einsehen,  in  wiefern  dies  von  Nutzen  sein  kann,  da  die 


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Folge  nur  ist,  dafs  Steuern  gezahlt  werden  müssen  und  kein  Vorteil 
dagegen  erlangt  wird;  ich  wüfste  nicht  ein  einziges  Argument,  das 
je  2ur  Verteidigung  eines  solchen  Systems  aa{gestellt  worden  wäre. 
Ich  glaube,  dafo  jeder,  der  sich  der  Hindernisse  der  Unterwerfung, 
die  ich  aagegeben  habe,  erinnert,  mit  mir  übereinstimmen  wird,  daCs 
in  den  meisten  Teilen  dieses  Landes  Besitznahme  nnr  dem  Namen 
nach  eintreten  konnte;  diese  aber  würde  weder  den  Eingeborenen 
noch  den  Eoropifirn  von  Nutzen  sein,  da  der  Handel  und  der  Preis 
der  Waren  mit  nutzlosen  Stenern  belastet  werden  würden.  Wenn 
nominelle  Besitznahme  schon  nachteilig  wftre,  so  würde  wirkliche 
Besitznahme  mch  viel  schlimmer  sein.  Den  Eingeborenen  die  Sicher- 
heit einer  guten  Leitung  zu  nehmen,  welche  sie  besitzen,  und  welche 
ihrem  Standpunkt  eigentümlich  ist  und  statt  dessen  andere  Garantien 
aufzustellen,  welche,  da  sie  unbekannt  und  ungesetzlich  sind  (wenn 
sie  nicht  auch  zugleich  in  Widerspruch  mit  den  Begriffen  des  Wilden 
aber  richtige  Regierung)  keinen  guten  Erfolg  erzielen  wftrden:  den 
Eingeborenen  diese  wirkliche  Sicherheit  zu  ndunen  und  an  die  Stelle 
derselben  trflgerisehe  Versprechungen  zu  setzen,  würde  die  Wilden 
ndtigen,  sich  m  andere  Gegenden  zurflckzuziehen,  wie  das  ja  oft  der 
Fall  ist,  wo  dvilisierte  Bassen  die  Obergewalt  in  Anspruch  nehmen. 
Diejenigen  Eingeborenen  wiederum,  die  sich  entschldfeen  zu  bleiben, 
die  fremden  Verhältnisse  zu  bekämpfen,  ihre  Verstandeskräfte  in 
unp^ewohuter  Weise  anzustrengen,  würden  unter  diesen  ungewohnten 
Verhältnissen  sehr  leiden,  wie  es  Beispiele  aus  der  Biologie  und 
Geschichte  uns  zeigen;  sie  werden  unfruchtbar  und  die  Rasse  stirbt 
aus.    Man  lese  nur  das  Kapitel  über  das  Aussterben  der  Rassen  in 
Darwins  „Die  Abstammung  des  Menschen''  („Descent  of  man"),  und 
man  wird  diese  Angaben  bestätigt  finden.  Wenn  noch  mehr  Beweise 
ndtig  sein  sollten,  so  werden  diese  in  dem  Kapitel  betitelt  „Laws 
of  Multiplication*  (»Gesetze  der  Vermehrung")  in  Herbert  Spencers 
»Biology*  Band  n.  geliefert.    Diese  Betrachtungen  rufen  in  dem 
Leser  die  Überzeugung  hervor,  dafo  diese  Dinge  nicht  nur  so  sind, 
sondern,  dafs  sie  so  sein  müssen.  Die  Bedingungen,  weldie  zur 
Wohlfahrt  einer  wilden  Rasse  nötig,  sind  wirklich  so  begrenzt,  dafs 
wir  wohl  fragen  können,  ob  der  Verkehr  mit  europäischen  Handels- 
häusern in  ihrer  Mitte  die  geistigen  Kräfte  nicht  so  sehr  belastet, 
dafs  er  auf  ihre  Reproduktionskratt  nachteilig  einwirkt.  Viele  ältere 
Küstenbewohner  unter  uns  behaupten,  dafs  die  Bevölkerung  der  Ein- 
geborenen sichtlich  abnehme.  Aber  es  ist  die  Frage,  ob  dieses  nicht 
von  der  venninderten  Einführung  von  Sklaven  aus  dem  Inneni 
w&hrend  der  letzten  achtzehn  Jahre  herrührt.   Die  Frage  kann  als 
eine  allgemeine  bezeichnet  werden;  jedenfalls  Ändert  aber  leider  eine 

86^ 


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Erörterung  derselben  nicbts  daran;  wenn  die  Krankheit  wirklich 
vorhanden  ist,  so  giebt  es  kein  Mittel  dagegen. 

Wir  haben  guten  Grund  zu  befürcliten,  dals  die  Ansprüche  der 
Herrschaft  seitens  Portugals,  Frankreichs  und  der  ^internationalen 
Gesellschaft"  auf  trügerische  Verträge  gegründet  sind;  wir  wissen, 
dals  nur  Furcht  vor  der  Gewalt  die  eingeborenen  Häuptlinge  und  die 
Bevdlkerung  dazu  bewegen  würde,  Fremde  als  Oberherrscher  anzu- 
erkennen. Wir  haben  die  Könige  von  Borna  kürzlich  öffenUich  yer- 
sichem  hören,  dafs  sie  Yon  dem  »Belgischen  Hause"  getauscht  und 
dasu  verleitet  worden  seien,  gewisse  Bedingungen  anzunehmen,  von 
denen  sie  nachher  erfuhren,  dals  dieselben  sie  ihrer  Herrschafi  zu 
Onnsien  der  intematioiialen  Oesellschaft  beraubten.  Weder  vrir  Euro- 
päer noch  die  Eingeborenen  glauben,  dafs  irgend  welche  Regierungs- 
Ijücinite  unsere  Bedürfnisse  verstehen,  wie  wir  selbst  sie  verstehen, 
auch  können  wir  auf  die  Aussicht  auf  Inanspruchnahme  der  politi- 
schen Macht,  die  wir  jetzt  behaupten,  nur  mit  Widerwillen  hinsehen; 
wenn  irgend  jemand  auf  den  Anteil  von  Macht,  den  wir  besitzen, 
neidisch  ist,  so  kann  ihm  leicht  unter  denselben  Bediuguugen  dieselbe 
Macht  gewahrt  werden. 

Folgendes  ist  die  Deklaratk>n  der  Häuptlinge  dieser  Gegend, 
als  vor  einiger  Zeit  der  Agent  des  ^Belgischen  Hauses^,  der  die 
Bomakdnige  hintergangen  hatte,  den  Versuch  machte,  hier  ein  Hans 
zu  ernchten,  als  Einleitung  zu  ein»  gleichen  Betrüge,  wie  ich  zu 
glauben  Ursache  habe:  ^Wir  erkennen,  nicht  nur  als  unsem  Willen, 
sondern  als  das  Gesetz  des  Landes  an,  dafs  unsere  Kronen  nicht  auf 
Fremde  übertragen  werden  können ;  dals  unsere  Nachkommen  zu- 
künftige Rechte  haben,  welche  umzustürzen  wir  keine  gesetzliche 
Macht  besitzen;  und  keine  Verträge  können  als  gültig  anerkannt 
werden,  welche  Anspruch  darauf  machen,  unsere  Herrschaft  von  uns 
zu  erkaufen  oder  höhere  Gewalt  über  uns  zu  setzen. 

„Das  liecht  der  Beratung  ist  den  in  unserem  Ge])iete  lebenden 
Europäern  in  allen  sie  selbst  betreffenden  Fragen  bewilligt  und  ihre 
Meinungen  und  Forderungen  werden  ebensosehr  berücksichtigt,  wie 
die  der  Einflulsreichsten  unserer  Rasse,  indem  kein  Haus  mehr  Vor- 
rechte hat,  als  die  anderen  und  diese  althergebrachte  Sitte  bestätigen 
wir  aufs  nene,  indem  wir  das  Recht  zurückweisen,  irgend  welcheo 
Europäern  höhere  Privilegien  einzuräumen,  als  die,  welche  alle  in 
nnserm  Gebiete  ansäfsigeu  Europäer  besitzen.  Sollten  dennoch  Fremde 
versuchen,  sich  unsere  Unwissenheit  im  Lesen  oder  sonst  etwas  zu 
nutze  zu  machen  und  in  Vertrage  mit  uns  andere  derartige  aus- 
schliefsliche  Rechte  aufzunehmen,  so  erklilren  wir  solche  Vertxäge 
ab  null  und  nichtig  und  den  Gesetzen  des  Landes  zuwider.'' 


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—  349 


Es  kann  keine  hilli;4en'  und  offenere  Kiklüruiig  als  diese  geben. 
Wie  sind  die  Emgeboreneu  in  anderen  Gegenden  behandelt  worden? 

In  lioango  erlangten  die  französischen  Behörden  Gmnd  und 
Boden,  wie  gesagt  wurde,  für  eine  Station  der  £xpedition  von  de 
Brazsft.  Zwei  Monate  spftter  fahrten  sie  Krieg  gegen  die  Eingeborenen, 
brannten  ihre  Stftdte  nieder  und  nahmen  solort  die  ganze  Kflste 
Ton  Ponta  Negra  bis  Kwiln  in  Besitz.  In  Kwilu  fa&te  die  ninter- 
nationale  Gesellschaft^  als  Privathaus  Fufs  nnd  erld&rte  sogleich 
ihre  Oberherrschaft.  In  Landana  benachrichtigte  der  portugiesische 
Kommandeur  Capello  die  Häuptlinge,  dafs  sie,  um  Besitznahme 
seitens  der  Franzosen  zu  verhindern,  ein  Dokument  unterschreiben 
mttfsten,  weh-hes  er  absichtlich  falsch  erklärte.  Dieses  Dokument, 
das  von  einem  Manne  für  so  viele  abwesende  Häuptlinge,  für  andere, 
die  jetzt  schon  längst  tot  sind,  und  von  einigen  untergeordneten 
Mannern  unterzeichnet  wurde,  wird  jetzt  als  ein  Vertrag  ausgegeben, 
der  die  Herrschaft  an  Portugal  überliefert.  In  dieser  Weise  werden 
die  Eingeborenen  ihres  Landes  beraubt,  und  ich  fftrchte,  dafo 
England  zu  viele  KolonisationssOnden  auf  dem  Gewissen  hat,  um 
Einspruch  erheben  zu  kOnnen.  Ich  mOchte  fost  die  Hoffiiung 
aussprechen,  daTs  Deutschland,  das  keines  solcher  ünthaten  ÜberfEIhrt 
werden  kann,  von  einigem  Nutzen  sein  könnte,  diesen  Plündereien 
(Räubereien)  Einhalt  zu  thun. 

liiefse  es  sich  beweisen,  dafs  Vorteil  daraus  erwachsen  könnte, 
wenn  die  eingeborenen  Kassen  verdr.'ingt  würden,  so  verlören  diese 
Bemerkungen  an  Wichtigkeit,  wäre  das  Land  kolonisationsfähig  wie 
Nordamerika,  Neuseeland  oder  Australien,  so  würde  meine  Behaup- 
tung schwer  aufrecht  zu  erhalten  sein.  Aber  alle,  die  dieses  Land 
kennen,  stimmen  darin  aberein,  dafo  nicht  die  geringste  Aussicht 
fOr  weiCse  Ansiedler  vorhanden  ist,  den  Platz  der  Eingeborenen  einzu- 
nehmen; das  ungesunde  Elima  macht  den  Ackerbau  und  viel  Handarbeit 
für  weiCse  Rassen  unmöglich,  wenn  Afrika,  oder  Äquatorialafrika  nicht 
für  die  Afrikaner  ist,  so  ist  es  für  niemand.  Bas  Interesse  des  ganzen 
Landes  beruht  auf  den  IJediiigiin^en,  die  dazu  nötig  sind,  eine  fleifsige, 
volkreiche,  gutgesinnte  eingeborene  Rasse  zu  schützen  und  auf  einer 
Anzahl  von  verständigen,  klugen  Handelsleuten  in  ihrer  Mitte,  mit 
etwas  Missionsgeist  in  sich,  einer  gerechten  Schätzung  des  Verdienstes 
und  von  dem  Wunsche  beseelt,  solcher  keimenden  Civilisation,  wie 
sie  die  Natur  des  Eingeborenen  fähig  ist,  leichtes  Spiel  zu  gewähren. 

Es  mag  sein,  dafs  die  Natur  des  Negers  und  seiner  Umgebung 
eine  entwickelte  Civilisation  nicht  zulassen;  vielleicht  wird  dieses  auch 
fernerhin  ein  Gebiet  sein,  das  für  eine  viel  grdfeere  Entwickelung, 
als  wir  sie  jetzt  schon  sehen,  nicht  passend  ist,  obgleich,  nadi  den 


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—  360 


1 


bisherigea  Fortschiitten  zu  urteilen,  wir  kein  Recht  haben  anzn- 

nehmen,  dafs  diese  Grenze  schon  in  Sicht  sei 

Aber  keine  Prophezeihung  ist  sicherer,  als  die  liehauptuiifj, 
dafs  dieses  Land  nutzlos  werden  wird,  sobald  es  in  die  Hände 
fremder  Mächte  fällt,  die  den  ge^enwärtij^en  wilden  Besitzern  in 
der  Civilisation  weit  voraus  sind.  Iliei  für  giebt  es  noch  eine  andere 
Verallgemeinuug  der  Lehre  der  Sociologie :  dafs  zn  grofse  Ungleich- 
heit zwischen  hereinbrechenden  Gemeinschaften  und  denen,  die  sie 
unterwerfen,  für  die  letzteren  nachteiliger  ist,  und  je  barbarischer 
diese  sind,  desto  unzulässiger  ist  Verschiedenheit  Wir  haben  hier 
eine  Parallele  zu  der  biologischen  Wahrheit,  daCs  Kreuzung  von 
Varietäten  nntzenbringend  sind,  wenn  solche  einander  nahe  stehen, 
aber  die  Wirkung  wird  bald  die  umgekehrte  sein,  wenn  statt  der 
Varietäten  Gattungen  gekreuzt  werden,  da  nun  Fruchtbarkeit  «ne 
Ausnahme  ist,  und  wenn  der  Versuch  mit  fremden  Geschlechtern, 
Familien  oder  Klassen  augestellt  wird,  so  ist  das  Ergebnis  unfrucht- 
bar, da  keine  Nachkommenschaft  erzeugt  wird. 

Gerin^'e  Modifikationen  langsam  auf  einander  folgen  zu  la.^sen, 
allmähliche  Kiitwickelun^,  ist  die  einzii^e  wirkliche  Methode  socialer 
Verbesserung;  durch  plötzliche  Wendungen  ist  noch  nie  die  Civili- 
sation einer  Nation  gelungen. 

Wenn  die  Geographie  sich  zur  Sociologie.  erhoben  hat,  so  ist 
ihre  Aufgabe  gelöst,  und  in  der  Hoffnung,  zn  diesem  Zwecke  etwas 
beigetragen  zu  haben,  flbersende  ich  der  geographischen  Gesellschaft 
zu  Bremen  diese  Au&eichnnngen. 

B.  C.  PhilUps. 


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—  351  — 


Die  Uferianitechaften  des  argentinischen  Cliaco. 

Von  A.  von  Seelstran;  in  Cdrdoba. 


Ktickbliek  auf  die  frühere  Kolonhatfon  der  La  Plata-Llnder.  Der  Chaeo.  Die 
Bann^o-DftmprscbiAihrtBgeBenBehMft.  Die  FlUsse  im  Chaco,  ein  Hindernis  der  Civili- 
sation.  Der  ]*:irrtfj:iiay  niul  seine  Ufer.  !>er  Parani.  Die  Tosca.  Bildanfi^  von  Inseln. 
Waldläufer  und  FalleutiteUer.  Auasenduiig  eiuer  Forachungsexpeditioa  nach  dou  üfur- 
landeebaflaa  des  ClMeo  im  Jahre  1875.  Ooya.  Der  Dampfer  «Lairila*.  Tierleben  am 
l'fer  dr-  San  Gerunimo.  IJeconquista.  Ik-r  Kio  \t'}^r<i  San  Fernaiulo.  Dil'  Otirajo» 
und  die  Indianer.  Expedition  zum  Uermejo.  Kapitän  Polvurlui.  Personal  der  Kxpe- 
ditton.  Daa  Schlachtfeld  von  Curupaitt.  Die  MBndnng  des  Bennejo  in  den  Paraguay. 
SfcromverhlUniBae.  Die  raigonos.  Uferlandscbaft.  Ein  Vucnro.  Die  Mosltitoqnal. 
ZusamracntrefTen  mit  Tobas-lndianern.  Ein  nordamerikanischer  Kapitän.  Fischfang 
der  Indiaoer.  Die  Wuiterreise  stromaufvrärtJi  wegen  zu  Diedrigou  WaaeerstaudcB  od- 
mSgUeh.  Ein  Beeneh  in  einem  Tobaador£  ZnrHek  snm  Paraguay.  Beeogaoeeiemnga- 
fahrt  zum  Flufsarm  Atajo.  Nune  Reise  in  den  Cliaco.  Eine  Holzhaiierkolonie.*  Die 
Tres  BocsH.  .Ti»ger.  Ritt  durch  die  Picada.  Nächtliclic.i  Zeltlager.  Ein  Weisser  als 
iudianiäcber  kaiike  Allgemeineb  Uber  den  Chaco:  WasserverhftUniaae,  Boden, 
Pllanzen-  und  Tierwelt  KUms.  Anaeiehten  flir  Koloniaatioa  nach  ErsdiVpAing 
«ies  Waldes. 

Die  Geschichte  der  La  Plata-Lander  bietet  eine  Beihe  von 
)i(M»b8t  anfiUligen  Erscheinungen,  deren  Erklfirung  erst  durch  em-' 
gehenderes  Studium  ihrer  Entwickeliing  möglich  wird,  wfihrend 

sie  zugleich  eigentamliche  Streiflichter  auf  die  Triebfedern  der  ur- 
sprünglichen Kolonisation  sowie  auf  die  spanische  Staatskiinst  im  allge- 
meinen wirft.  So  sehen  wir  zinn  Heispiel  das  eben  gegründete  Buenos- 
Aires,  an  der  Mündung  des  ganzen  Stromnetzes  so  günstig  als 
möglich  gelegen,  nacli  wenigen  Jahren  verlassen  und  den  Schwerpunkt 
der  spanischen  Macht  175  deutsche  Meilen  tiufsaufwarts  nach 
dem  binnenlandischen  Asuncion  del  Paraguay  (1536)  verlegt.  Und 
von  dort  aus  drängt  dann  später  die  Civilisation,  rQcklAufig  werdend, 
wieder  nach  Santa  und  Buoios-Aires,  spart  aber  das  unmittelbar 
an  Paraguay  stofsende  Gorrientes  für  andere  Zeitidn  auf.  Ja,  Monte- 
video mit  seinem  herrlichen  Hafen  und  dem  direkten  Seeverkehr 
nach  Europa  wird  sogar  erst  1726  gegründet.  —  So  dringt  die 
Bevölkerung  der  Cuyo-Proviuzen,  also  San  Luis,  Mendoza  und  San 
Juan,  nicht  etwa  der  allgemeinen  Richtung  der  Kinwanderung 
geiuäls  von  Osten  über  die  otTenen  Flächen  der  Pampa  vor,  sondern 
übersteigt  die  eisige  Kordillere  von  Chile  aus,  wohin  sie  ihren  Weg 
über  den  Isthmus  von  Panama  genommen  hat.  So  werden  die 
nördlichen  und  mittleren  Proviuzen  Argentiniens,  Saita,  Jujuy, 
Tucuman,  Santiago,  Cördoba  u.  a.  sogar  von  Peru  aus  erobert  und 
bevölkert  und  in  dem  denkwürdigen  Rincon  de  Santi  Spiritu,  an  der 
Mündung  desCarcaraili  in  den  Parani,  stofsen  die  von  den  bolivischen 
Hochebenen  herabgestiegeneu  Scharen  Cabreras,  des  GrUnders  von 
Cdrdoba,  auf  die  Schiffe  Garays,  der  von  Paraguay  aus  den  unteren 


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352  — 


Lauf  des  Stromes  okkupiert  (1579),  beide  bereit,  das  Schwert  über 
ihre  Krclite  eiitsohei<leii  zu  lassen.  —  Und  selbst  als  später  auch 
das  nahe  ^^elegene  Corrientes  von  Asuncion  ans  geirrüiuiet  war  (1588) 
und  damit  die  spanischen  Besitzungen  sicli  iniunterbrocheu  das  liuke 
Ufer  des  Paran4  entlang  erstreckten,  blieb  doch  eine  ansehnliche 
Lücke  auf  dessen  westlicher  Seite  und  sogar  am  rechten  Ufer  des 
Paraguay  unmittelbar  gegenüber  der  Hauptstadt  der  ganzen  La 
Plata-Länder  unerforscht  und  unerobert.  Das  ungeheure  Flachland, 
welches  sich  westlich  vom  Paraguay  und  Parani  bis  zum  Fufse 
der  Hochebenen  von  Argentinien  und  Bolivien  ausdehnt,  und  südlich 
durch  den  unteren  Lauf  des  Salado  sowie  den  Arrogo  del  Hey  begrenzt 
wird,  walireiul  es  sich  nordwärts  im  tropischen  Urwald  verliert,  — 
dies  gewaltige  Gebiet,  welches  mit  dem  Namen  el  Chaco  bezeichnet 
wird,  ist  bis  jetzt  noch  im  Besitz  der  kriegerischen  Urbewohuer 
geblieben,  trotzdem  es  schon  seit  Jahrhunderten  auf  drei  Seiten  von 
der  spanischen  Civilisation  umklammert  wird.  Zwar  wurde  einmal 
der  Versuch  gemacht  eine  Stadt  Concepcion  del  Bermejo  am  unteren 
Laufe  dieses  Flusses  zu  gründen;  doch  mufste  dieselbe  bald  wegen 
der  drohenden  Haltung  der  Indianer  wieder  aufgegeben  werden 
(1630),  und  bei  der  zunehmenden  Schw&che  der  Koloniahregierung 
nimmt  es  eigentlich  wunder,  daüs  es  den  Jesuiten  gelang,  wenigstens 
einen  allerdings  gefahrvollen  Weg  o£Fen  zu  halten,  der  von  ihrer 
Mission  San  Gerdnimo  del  Rey  unter  29®  7'  sOdl.  Br.  am  rechten 
Ufer  des  Parana  entlang  direkt  nach  Asunciou  führte  und  welchen 
wir  auf  den  Karten  aus  dem  18.  Jahrhundert  verzeichnet  finden. 
Nach  der  Vertreibung  dieses  Ordens  geriet  natürlich  jene  Strafse 
in  Vergessenheit,  und  das  Schweigen  der  Wildnis  deckte  von  neuem 
die  geheimnisvollen  Regionen  des  Chaco. 

Erst  in  den  neuesten  Zeiten,  d.  h.  seit  der  Konsolidierung  der 
argentinischen  Bepublik,  hat  sich  die  öffentliche  Aufmerksamkeit  wieder 
dem  verschlossenen  Chaco  zugewendet  Eine  Gesellschaft  erhielt  das 
Privileg  der  Schiffahrt  auf  dem  Bermejo,  und  sendet  periodisch  flach- 
gehende  Dampfer  den  vielgewundenen  Strom  hinauf  bis  zur  Kolonie 
Rivadavia  an  der  Grenze  der  Provinz  Salta,  und  an  dem  Ostnfer 
selbst  haben  nicht  nur  eine  Anzahl  von  Holzschlägem  und  Hftndlem 
ihre  oft  bedeutenden  Ansiedelungen  errichtet,  sondern  in  den  letzten 
Jahren  sind  auch  verschicdeue  Kolonien  dort  gescbaft'en  worden,  und 
gehen  einer  blübenden  Zukunft  entgegen.  Aufserdem  ist  der  argen- 
tinische Teil  des  Gebietes,  vom  Rio  Pilcomayo  südlich,  als  Territorium 
in  den  Staatenverband  der  Re])ublik  eingereiht  worden,  und  aus 
seiner  jungen  Hauptstadt,  Formosa  am  Paraguay,  sind  schon  oft 
siegreidie  Expeditionen  bis  in  das  Herz  des  Landes  vorgedrungen, 


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363 


erfolgreich  unterstützt  von  den  Truiipen,  welche  die  Nordgreose  von 
Santa      gegen  die  Indianer  beschützen. 

Ti'ützdeiii  ist  der  Schleier  noch  lange  niclit  gelüftet,  welcher 
über  dem  Chaco  lagert;  noch  vor  zwei  Jahren  erhielt  dort,  an  den 
Ufern  des  oberen  Pilcomayo,  der  französische  Forscher  Creveaux  den 
Tod  von  den  Händen  der  wilden  Tobas,  und  wenn  auch  soeben  eine 
bolivianische  Expedition  diesen  selben  Flufs  bis  zum  Paraguay 
verfolgt  hat,  so  sind  deren  Resultate  doch  höchst  gering,  da  ihr 
Tagebuch  bei  Gelegenheit  eines  Gefechtes  mit  den  Indianern  verloren 
ging,  somit  nur  das  nicht  Neue  konstatiert  worden  ist,  dalls  ein 
Landweg  von  Paraguay  nach  Bolivien  überhaupt  möglich  sei. 
Natürlich  dürfte  es  nicht  schwer  halten,  mit  einer  besser  geführten, 
wissenschaftlich  geleiteten  Expedition  wenigstens  den  argentinischen 
Chftco  zu  erforschen  und  seine  Hülfequellen  und  Erzeugnisse  bdonnt 
zu  machen ;  aber  der  eigentliche  Grund  jeuer  Anomalie,  der 
Existenz  eines  grofsen,  fruchtbaren  Landstriches,  an  welchem  die 
moder:ie  Kultur  sclieinbar  achtlos  vorübergeschritten  ist,  wird  dadurch 
weder  erklart  noch  beseitigt.  Derselbe  besteht  in  der  Schwierigkeit, 
von  den  grofsen,  schiffbaren  Strömen  Paraguay  und  Paranä  aus  die 
bewohnbaren  Striche  des  Chaco  zu  erreichen.  Diese  Flüsse, 
sonst  die  Hauptträger  der  vordringenden  Ansiedktngt  büden  hier  deren 
vormigUiMes  Hindemis. 

Der  Bio  Paraguay  zuförderst  flielst  in  seinem  unteren  Laufe 
mit  sanfter  Strömung,  die  oft  nur  eine  Seemeile  in  der  Stunde 
betragt,  zwischen  m&fsig  hohen  Ufern  dahm,  welche  zum  Teil 
wenigstens  bei  seinen  Anschwelhingen  überflutet  werden  und  eigentlich 
nur  eine  Art  von  Dämmen  bilden  zwischen  dem  Fhilse  selbst  und 
ausgedehnten,  feuchten  Niederungen,  die  sich  viele  Meilen  breit  zu 
beiden  Seiten  an  demselben  hinziehen.  Nur  wenig  über  dem  Nieder- 
wasser erhoben  und  von  unzähligen  Seen  und  Kanälen  durchzogen, 
füllen  sich  diese  Mai  schen  beim  Anschwellen  des  Flusses  und  entleeren 
»ich  dann  langsam  wieder  durch  eine  Reihe  von  natürlichen  Schleusen, 
welche  die  Strömung  in  die  Uferrander  gerissen  hat.  So  ist  denn 
der  Anblicli  einer  lieblichen  Waldlandschaft,  welchen  die  Ufer  des 
Paraguay  gewähren,  nur  eine  Täuschung.  Diese  stattliche  Vegetation 
nftmlich  bildet  gleichsam  einen  mehr  oder  minder  breiten  Vorhang, 
welcher  die  dahintergelegeuen  ausgedehnten  Snmpflftnder  verhüllt. 
Die  letzteren  aber  sind  mit  grobem  hohem  Grase  und  hohem  Röliricht 
bedeckt,  zwischen  dein  überall  Wasserlachen  hervorleuchten,  wäiuend 
die  höheren  Stellen  von  dicht  verwachsenen  Gruppen  feuchtigkeit- 
liebender Bäume  eingenommen  werden.  Unzähliges  Geflügel  tunnnelt  - 
sich  auf  den  Xeicheu,  der  Tiger  jagt  .dos  scheue  Carpiacho  oder  den 


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—  354 


Sompfhirsch  in  den  Dickichten,  und  dichte  Wolken  von  Moskitos 
ernpÜRngen  den  Eindringling.  Wahrlich  kein  Land,  welches  besonders 
zmn  Weilen  einladet!  So  zog  denn  auch  der  Adelantado  Ayola  vor, 
seine  Stadt  Asnndon  40  deutsche  Mellen  oberhalb  der  Mündung 

des  Flusses  anzulegen,  wo  die  Hügelkette  des  Cerro  Larnbar^  dicht 
an  das  Ufer  herantretend,  wirklich  den  ersten  zur  Besiedeluiii:  ge- 
eigneten Punkt  darbot.  Doch  gerade  gegenüber,  auf  der  Chai  oscite, 
befindet  sich  das  Delta  des  Pilconiayo  und  weiter  abwärts  die 
Mündung  desBerioejo,  welche  Hunderte  von  Quadratmeilen  periodisch 
unter  Wasser  setzen,  so  dals  selbst  in  der  unmittelbaren  Nähe  der 
Hauptstadt  die  Besiedelung  des  rechten  Ufers  stets  wegen  der 
Bodenverhältnisse  selbst  illusorisch  blieb,  gans  abgesehen  von  den 
kriegerischen  Tobas,  welche  ihr  Land  weit  energischer  verteidigten, 
als  die  sanften  Quarani's  auf  der  Paraguayseite.  Auch  Jetzt  noch 
sind  Stftdtchen  wie  Villa  Hayes  (das  frflhere  Villa  Occidental)  im 
nördlichen  Teile  des  Piloomayodeltas,  und  Formosa,  der  neue  Sitz 
der  argentinischen  Kegierungsbehördeu,  nur  Sch()i)fungen  politischer 
Natur,  und  dürften  schwerlich  jemals  liedeutung  erlangen,  da  ihnen 
das  zur  Entwickelung  nötige  Hinterland  fehlt. 

In  ganz  anderer  Weise,  dtu  h  mit  dom>elben  Erfolge,  hat  der 
Rio  Paranä  auf  die  Küste  des  Chaco  eingewirkt:  wjihrend  dort  die 
sumpfigen  Niederungen  hinter  den  Uferdammen  beginnen  und  sich 
tief  ins  Land  hineinziehen,  hat  sich  hier  das  Tiefland  und  ein  unent- 
wirrbares Chaos  von  Inaein  vor  die  eigentlichen  Uferhöhen  gelagert 
und  erschwert  das  Vordringen  zu  denselben  in  gleichem  Malae,  sei 
es  zu  Lande  oder  auf  den  labyrinthischen  Kanälen.  Der  roftchtige 
Strom,  noch  verstärkt  durch  den  Zuflufs  des  Paraguay,  wälzt  seine 
gewaltige  Wassermasse  mit  ungleich  gröfeerer  Geschwindigkeit  als 
dieser  (durchschnittlich  3  sm)  unmittelbar  am  Fufse  der  üferhöhen 
von  Corrientes  und  Entrerios  dahin.  Da  deren  vergängliches  Material, 
die  Tosca  (Thon  mit  Mergel  und  Kalk  gemischt),  dem  zerstörenden 
Anprall  seiner  Wogen  nicht  widerstehen  kann,  hat  er  dieselbe  zu 
einer  oft  senkrechten  Wand  ausgewaschen,  welclie  sich  manchmal 
bis  zu  30  m  über  ihm  erhebt  und  in  ermüdender  Gleichtormigkeit 
senken  Lauf  begleitet.  Grofse  herabgestürzte  Blöcke  der  Tosca  zeugen 
von  der  Gewalt  der  Strömung  und  werden  langsam  zu  Sand  und 
Schlamm  gerieben,  während  zuweilen  eine  härtere,  mehr  kalkhaltige 
Stelle  dieser  Barranca  gleich  einem  Vorgebirge  trotzig  in  den  Strom 
hineinragt,  dessen  Wellen  mit  grofser  Gewalt  an  ihrem  Fufse  vorbei- 
schiefsen.  Alle  diese  Stoffe  nun,  sowie  den  groben  Kies,  welchen 
der  Paraua  aus  seinem  oberen  Laufe  mitgebracht  hat,  lagert  er  in  den 
ruhigeren  Gewässern  der  rechten  Seite  ab,  stets  neue  Inseln  und 


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—  36B  — 


Bftnke  bildend,  die  er  auch  oft  genug  im  wilden  Spiel  des  Hoch- 
wassers wieder  zerstört,  um  sie  weiter  abwärts  von  neuem  anzu- 
häufen.  In  kurzer  Zeit  bedeckt  eine  ü{)})ige  Vegetation  die  kaum 

gebildete  Bank,  angeschwenmite  Bauuibtänime  wurzeln  auf  ihr,  und 
da  jede  fol^'ende  Übertiutung  grofserc  Massen  von  Sedimenten  zwi- 
schen den  Gräsern  und  Büschen  zurücklai'st,  bleibt  das  gefestigte 
Land  als  Wahrzeichen  für  die  Macht  des  Stromes.  Auf  diese  Weise 
sind  die  Tausende  von  gröfseren  und  kleineren  Inseln  entstanden, 
weldie  das  rechte  Ufer  des  Parana  vor  seiner  Vereinigung  mit  dem 
Paraguay  bis  hinab  zur  Mündung  des  Carcarami,  85  deutsche  Meilen 
weit,  begleiten,  und  deren  Breite  so  bedeutend  ist,  dafs  die  Hoch- 
wasser oft  eine  Ausdehnung  von  25—30  km  zwischen  den  ÜferhOhen 
^nehmen,  wfthrend  der  Strom  selbst  bei  seinem  tieften  Stande 
immer  noch  in  mindestens  1 — IVs  km  Breite  dahinflielst. 

Es  ist  begreiflich,  wie  unendlich  dieses  Inselgewirr  die  An- 
näherung an  das  wirkliche  Festland  dtr  rechten  Seite  erschwert; 
denn  aufser  dem  feuchten,  sumpfigen  Boden  und  dem  dichten  Ge- 
strüpp bilden  die  zahlreichen  Kanüle  ebenso  viele  Hindernisse  für 
djis  Vorwärt^dringen,  sei  es  zu  Fufs  oder  zu  Pferde,  und  auf  der  andern 
Seite  tiiulet  sich  nm'  selten  ein  Flulsarm,  welcher  auch  grölseren 
Fahrzeugen,  neben  kleinen  Böten  undKanoasden  Durchgang  gestattete, 
wahrend  derselbe  häufig  durch  angeschwemmte  Baumstamme  oder 
eine  dichte  Decke  schwimmender  Wasserpflanzen,  der  sogenannten 
Gamalotes  ganz  gesperrt  ist.  Vom  29.  Grade  südwärts  folgt  wenig- 
stens ein  grdliserer  Arm  des  Paranä  dem  westlichen  Ufer  und  hat 
die  drei  Jahrhunderte  alte  Besiedelung  der  ProviuE  Santa  ermdg- 
liebt;  doch  von  dort  nach  Norden,  also  am  Ufer  des  eigentlichen 
Chaco,  fehlt  ein  solcher  Seitenkanal,  und  dieser  Unistand  erklärt 
vollständig  die  Vernachläfsigung,  welche  dem  fruchtbaren  und  central 
gelegenen  Chaco  nicht  nur  von  den  spanischen  Eroberern,  sondern 
auch  von  den  jet/i-ieu  Argentinern  zu  Teil  geworden  ist.  Bis  vor 
kurzem  war  diese  ganze  Ufergegend  in  den  Händen  der  kriegerischen 
Eingeborenen,  die  von  der  Jagd  und  dem  Fischfange  lebend,  sich 
zeitweise  den  Kolonien  ?oh  Santa  F6  höchst  unliebsam  durch  ihre 
Baubeinüftlle  bemerkbar  machten.  Die  Inseln  selbst  aber  waren  und 
sind  noch  jetzt  Ton  einer  Menschenklasse  bewohnt,  welche  die  gröfet- 
mdgliche  Ähnlichkeit  mit  den  Waldläufern  und  Fallenstellern  der 
nordamerikanischen  Prarimi  besitzt  Es  sind  dies  Weifee  und  Mestizen, 
deren  nicht  unbedeutende  Anzahl  sich  stets  von  neuem  aus  den 
Deserteuren  und  Verbrecliern  der  umliegenden  Provinzen  rekrutiert, 
obgleich  wol  einzelne  nur  der  Neigung  zum  freien  wenn  auch  harten 
Leben  der  Wildnis  folgeu  mögen.   Sie  gewinnen  ihren  Unterhalt 


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—  366  — 


teils  durch  Jagd  und  Fischfang,  teils  durch  Handel  mit  dem  ge- 
schätzten Tacuararohr  lud  mit  Schindeln  aus  Palmstftmmen,  manch- 
mal aber  benutzen  sie  auch  wol  die  Gelegenheit,  einen  sorglos  an 
der  Inselkfiste  ankernden  Schoner  zu  plündern.  Der  verkohlte 
Schiffsrumpf  treibt  irgendwo  an  den  Strand;  die  geringe  Mannsehaffc 
ist  verschwunden.  Doch  wer  kennt  die  Thüter  und  wer  ist  im  Stande, 
ihnen  in  diesem  Win;>al  von  Wasser  und  Sumpf  zu  folgen?  So 
blieb  denn  der  Chaco  öde  und  unbekannt,  eine  fremde  Er- 
hcheiuung  unter  den  rastlos  vorwärts  strebenden  Provinzen  der 
argentinischen  Republik.  Seine  Sild-  und  Westgrenze  war  durch 
eine  Linie  militärischer  Posten  scharf  bewacht,  und  wenn  auch 
stolze  Dampfer  täglich  ihren  Weg  seinem  geheimnisvollen  Ufer 
entlang  nach  Gorhentes  und  Asuncion  verfolgten,  so  mieden  die 
kleineren  Segler  doch  vorsichtig  das  unbekannte  nnd  oft  gefahr- 
drohende Ufer. 


Endlich,  im  Jahre  1875,  beschlofs  die  Nationalregierung  aach 

auf  diesem  Gebiete  kolonisierend  vorzugehen,  nnd  mir  ward  der 
Auftrag,  als  Chef  einer  Erlorsclmngsexpedition  die  Ufer  des  Chaco 
zu  studieren,  die  einzelnen  Stromarme,  welche  zum  Festlande  führen, 
aufzusuchen  und  günstig  gelegene  Punkte  für  Anlage  von  Kolonien 
zu  ermitteln.  Als  Kollege  in  der  zu  diesem  Behüte  ernannten  Kom- 
mission war  mir  der  Kommandant  der  Nordgrenze  gegen  den  Chaco, 
Oberst  Obligado,  gegeben,  und  so  lag  mir  denn  zunächst  ob,  den- 
selben in  seinem  Hauptquartier  Reconquista  aufzusuchen,  um  die 
Details  der  Unternehmung  zu  besprechen. 

Ich  schiffte  mich  also  Mitte  September  mit  dem  mir  zugeteilten 
Personal  und  den  niMgen  Instrumenten  an  Bord  eines  nach  Asundon 
bestimmten  Dampfers  ein  und  befand  mich  nach  zweitägiger  Fahrt 
von  Buenos-Aires  in  Goya,  einer  correntinischen  Stadt,  welche  unter 
29*  9'  südl.  Br.  meinem  nächsten  Reiseziele  grade  gegenüber  auf 
dem  linken  Ufer  des  Paranä  liegt.  Das  Wort  (Joya  ist  die  Ver- 
stümmelung von  Oregoria,  dem  Namen  der  einstigen  Besitzerin 
des  ^errains,  auf  welchem  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  die 
Stadt  gegründet  wurde.  Sehr  vorteilhaft  an  einem  Seitenarme 
des  Stromes  gelegen,  wurde  dieselbe  schnell  der  Haupthaudelsplatz 
fttr  das  südliche  Corrientes;  doch  ist  ihr  Hafen  jetzt  völlig  versandet, 
so  daTs  die  Dampfer  im  Hauptstrome  selbst  ankern  nnd  der  Ver- 
kehr mit  der  Stadt  durch  Böte  vermittelt  wird.  Trotz  der  durch 
das  Sinken  des  Handels  verursachten  Öde  ist  Goya  unendlich  an- 
ziehend wegen  des  reichen  Kranzes  von  Orangenbäumen,  der  es 
umgiebt  ja  fast  verhüllt,  und  da  unsere  Ankunft  in  den  FrQhling 


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fiel,  war  die  balsamische  Luft  gesell wiliigert  mit  süfseii  Düften:  ein 
gefährliches  Klima  fUr  träumerisch  angelegte  Naturen.  Uns  rifs 
glücklicherweise  schon  am  nächsten  Tage  die  Ankunft  der  «Luisita'', 
einer  Dampfschaluppe,  welche  uns  nach  Reeonquista  fahren  sollte, 
ans  diesen  G&rten  der  Hesperiden.  Und  so  steuerten  wir  denn  quer 
über  den  Parani  in  den  Riacho  de  San  Gerönimo  hinein,  welcher 
nach  dem  Landungsplatz  von  Reeonquista  führt.  Hier  erst,  wo  die 
Ufer  naher  an  einander  treten  und  vor  der  verheerenden  Grewalt  des 
Hochwassers  mehr  geschützt  sind,  kann  man  die  stattliche  Bauin- 
vegetation  hewundern,  welche  die  etwas  höher  gelegenen  Riiiider  der 
Inseln  schmückt.  Da  ragen  der  schlanke  Timb(^  und  der  Lapacho 
über  dem  Blattgewirr  der  Laureles  und  Canelones  in  den  tiefl)lauen 
Äther  emi)nr,  während  Dickichte  von  stacheligem  Bamburohr 
(Tacuara)  -die  niedrigeren  Stellen  bedecken.  Hier  auch  zeigt  sich 
ein  reges  Getümmel  aller  denkbaren  Wasservögel,  die  muntern 
Atten  bevölkerten  die  Gipfel  der  Baume,  Garpinchos  (Wasserschweine) 
stürzten  sich  beim  Nahen  des  Dampfers  in  die  bergende  Flut,  und 
zahhreiche  Yaear^  (Alligatoren)  sonnten  sich  bewegangslos  auf 
den  Schlammbanken  des  Ufers.  Natürlich  wurde  sogleich  ein  scharfes 
Feuer  auf  diese  letzteren  eröffnet  und  manche  glOckliche  Kugel 
versandt;  doch  die  Krone  des  Tages  war  ein  Schufs,  welcher  das 
Mitglied  eines  beweglichen  Affen völkchens  im  Wipfel  eines  .sclilanken 
Timbo  erreichte.  Wcahrend  seine  GefAhrten  laut  kreischend  ent- 
flohen, blieb  das  tötlich  getroffene  Tier  in  der  Gabel  eines  Zweiges 
hängen,  welcher  weit  über  das  Wasser  liinausragte.  Der  Danii)fer  ver- 
langsamte die  Fahrt,  und  Panchito,  ein  wunderhübscher  italienischer 
Schiffsjunge  mit  hellblondem  Lockenkopf,  war  schnell  in  dem  ange- 
hängten Kanoe,  mit  wenigen  Ruderschlagen  am  Fufse  des  Baumes 
und  begann  eifirig  denselben  zu  ersteigen,  um  sich  die  seltene  Beute 
zu  sichern.  Schon  war  er  dem  Affen  nahe,  als  dieser  von  der  ge- 
fOrchteten  Waffe  seiner  Gattung  Gebrauch  machte.  Wir  sahen  ihn 
die  Hand  unter  die  Schwanzwnrzel  stecken  und  dann  auf  das  Ge- 
sicht und  die  eiitblörste  Brust  des  Knaben  eine  Materie  schleudern, 
welche  wohl  nicht  zu  den  wohlriechenden  geborte,  jedesf.ills  aber 
^vie  Feuer  brannte;  denn  Panchito  liefs  sich  mit  lauten»  Schrei  direkt 
von  oben  ins  Wasser  fallen  und  tauchte  einige  Male  sehr  energisch, 
che  er  niedergeschlagen  und  unter  schalleudem  Gelächter  zum  Schilfe 
zurückrudcrt^j. 

Nach  etwa  vierstündiger  Fahrt  (die  Distanz  betrug  34  km  wegen 
der  Windungen  des  Flusses)  landeten  wir  bei  dem  Zollhause  von 
Beconquista,  welches  auf  einer  Insel  gelegen,  den  schmalen  hohen 
Boden  mit  einer  stattlichen  Dampfsagemflhie  teilt,  und  ritten 


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von  dort  noch  fernere  10  km  durch  sumpfige  Niederung  bis  zum 
hochgelegenen  Stadtchen,  welches  sich  um  das  kleine  Fort  und  die 
Depdts  des  Hauptquartiers  gruppiert  An  dieser  Stelle  erhob  sich 
vor  100  Jahren  die  Mission  San  Gerdoimo  del  Hey,  von  der  noch 
jetzt  stattliche  Orangenbftume  Zeugnis  geben,  und  mit  Bezug  hier- 
auf legte  ihr  der  Oberst  Obligado  den  Namen  Beconqnista  (die 
Wiedereroberte)  bei,  als  die  Militärgrenze  bis  zum  Arrogo  del  Rey 
vorgeschoben  wurde.  Noch  standen  die  Häuser  ziemlich  vereinzelt  an 
den  breit  angelegten  Strafsen ;  doch  gab  es  schon  •^ut  versehene  Kram- 
läden, ein  bescheidenes  Gasthaus  und  eine  gut  gehaltene  Schule, 
wahrend  die  Kapelle  erst  von  mir  in  aller  Eile  projektiert  und  ab- 
Ljesteckt  wurde.  Schon  hatte  sich  eine  treibende  Ackerbaubevolkerung, 
meistens  Italiener,  in  der  Nahe  angesiedelt,  eine  Deligencia  ver- 
mittelte den  Verkelu'  über  die  südlicher  gelegeneu  Kolonien  des 
Ufers  mit  dem  40  deutsche  Meilen  entfernten  Santa  Fe,*)  und  die 
verhältnismäfsig  günstige  Lage  au  einem  schiflrijaren  Arme  des 
Parana  sichert  dem  Städtchen  als  einzigem  Hafen  für  den  ganzen 
südlichen  Chaco  und  wahrscheinlich  auch  als  Ausgangspunkt  einer 
Eisenbahn  nach  Santiago  del  Estero,  eine  schöne  Zukunft 

Meine  Abmachungen  mit  dem  Coronel  Obligado,  sowie  der 
fernere  Verlauf  der  Expedition  und  ihre  unmittelbaren  Folgen 
geboren  nicht  in  den  Rahmen  dieser  Darstellung.  Ich  will  mich 
alsa  darauf  besdiränken,  das  merkwürdigste  des  während  sechs- 
monatlicher Kreuzfahrten  Erlebten  zu  berichten,  und  damit  ein  Bild 
von  der  Stellung  zu  geben,  welche  der  CSiaeo  im  Kulturlebmi 
Argentiniens  einzunehmen  berufen  ist 


Mein  erster  Ausflug  von  der  Stadt  Corriente<  aus,  welche  die 
Basis  sämtlicher  Operationen  bildete,  war  nach  dem  ihr  gegendber 
belegenen  San  Fernando.  Dasselbe  bestand  damals  aus  den  Ge- 
höften von  sechs  oder  acht  Holzhändlem,  welche  die  nahen  Waldungen 
meistens  mit  Hülfe  von  halbzahmen  Indianern  vom  Stamme  der 
Guaycurüs  ausbeuteten.  Die  Fahrt  ging  zuerst  über  den  hier  2  km 
breiten  Paranä  nach  der  Landungsstelle  der  Barranqnera,  welche  seit . 
Reconquista  den  ersten  Hafen  auf  der  Ohacoseite  bildet  und  bei 
ihrer  ansehnlichen  Tiefe  (6—7  m  bei  Mittelwasser)  sich  jedenfalls 
zu  einem  Hauptplatze  für  den  zukünftigen  Handel  des  Chaco  heraus- 
bilden wird,  trotzdem  sie  noch  den  periodischen  Überschwemmungen 
ausgesetzt  ist  San  Fernando  ist  von  hier  aus  nur  7—8  km  ent- 
fernt, doch  da  der  Rio  Negro,  an  welchem  es  gelegen,  augenblicklich 

*)  Jetst  wird  ein  Tel^nph  von  Santa      aas  dorthin  gelegt. 


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genügend  Wasser  auf  seiner  Barre  hatte,  (weiter  liinauf  ist  er  Uberall 
2 — 3  in  tief)  zog  ich  diesen  Weg  vor  und  liels  die  „Luisita"  den  viel- 
gevvundenen  Flufs  hinauf  steuern.  Derselbe  entspringt  in  dem  Flachlande 
des  Chaco  selbst,  wahrscheinlich  aus  einer  Reihe  von  Seen  und  Sümpfeo, 
wie  s&mtlicbe  anderen  Bäche  und  Flüsse  des  Ufers;  doch  ist  er  bei 
weitem  der  bedeutendste  unter  dieseo,  da  er  mehr  als  80  km  vor 
seiner  Mündung  schüBH^r  sein  soll,  wenn  auch  die  Expedition  schon 
auf  der  H&lfte  dieser  Strecke  umkehren  mufste,  da  eine  dichte 
Masse  äuCserst  zäher,  fadenf6rmiger  Wasserpflanzen  die  Schifb- 
Bchraube  vollständig  unbrauchbar  machte.  Der  Fluls  ist  zwischen 
40  und  50  m  breit  und  von  prachtvollem  Baumwuchs  eingerahmt, 
welcher  jedoch,  zumal  auf  dem  Nordufer,  nur  einen  schmalen  Vor- 
hang vor  den  schiltbedeckten  Marschen  bildet,  die  sich  bis  zum 
Paraguay  hin  erslrecken.  Nur  an  einer  Stelle  verbreitet  sich  dieser 
nördliche  L'icrsanm  zu  einer  kleinen  Fläche,  weiche  von  der  Kapelle 
de  San  Buenaventura  eingenommen  wird.  Noch  vor  wenigen  Jahren 
herrschte  dort  reges  Leben,  da  jesuitische  Missionäre  den  benach- 
barten Stamm  der  Viletas  bekehrt  und  zum  sonntaglichen  Kirchen- 
besuch  gebracht  hatten;  doch  nahm  letzterer  nach  der  eigenen 
Erklftmng  der  frommen  Gemeinde  ein  plötzliches  finde,  als  die 
Vertettong  von  Hemden,  Zwieback  u.  a.  an  sie  eingestellt  wurde. 
Jetzt  verfiült  das  Kirchlein,  und  die  wenigen  dazu  gehörigen 
Baulichkeiten  sind  mit  Schlingpflanzen  dicht  aberwuchert. 

Die  Ansiedler  von  San  Fernando  hatten  früher  wol  recht  viel 
Geld  aus  dem  Schlagen  und  Versenden  des  Holzes  gezogen;  dies 
be/eugtiii  die  wohnlich  eingerichteten  Ilauser,  die  weit  von  ein- 
ander zerstreut  unter  schattigen  Waldbäumeu  lagen,  jedes  umzäunt 
von  starken  und  hohen  Pallisaden.  Auch  waren  ihre  Vorrats- 
kammern and  Keller  noch  wohl  versehen,  wenigstens  gehören  leine 
Konserven  und  Bordeauxweine,  die  mir  vergesetzt  wurden,  nicht 
grade  zum  Leben  des  Hinterwäldlers ;  doch  beklagten  sie  sich  bitter 
Aber  die  zunehmenden  Schwierigkeiten  des  Geschäftes,  welches  die 
vielfachen  Gefahren  ihres  einsamen  Lebens  nicht  mehr  aufwiege. 
Der  Wald  war  nämlich  schon  derart  seiner  schönsten  Baume  be- 
raubt, daTs  die  eigentlichen  Obrajes,  wo  das  Nutzholz  geschlagen 
wurde,  oft  6 — 8  deutsche  Meilen  entfernt  lagen,  und  ein  grofser 
Tark  von  Wagen  und  Zugochsen  dazu  gehörte,  die  Stämme  bis 
zuni  Hafen  zu  schaffen.  Die  Gefahren  freilich  schufen  die  Herren 
meistens  sich  selbst  durch  Übervorteilung*)  und  schlechte  Behandlung 

♦)  So  wurde  iii  meiner  Oo<^enwart  ein  indianischer  Kurreufübrer  mit 
1  Peso  ^  4  Ji.  für  ein  verloinos  Zündhütclicii  belastet.  Die  Leute  erhalten 
lAinlich  für  ihre  gcfülirUclien  Falirten  nach  den  fernen  Arbeiti>plätxen  Gewehr 
und  Muiitioii  geliefert,  welehe  «ie  bei  der  Bflckkebr  wieder  abliefern  mflsaen* 


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—  360  — 


ihrer  gröfstcnteils  indianisclieu  Arbeiter.  War  dann  durch  irgend 
eine  Brutalität  das  Mafs  der  Geduld  erschöpft,  so  zogen  letztere 
sich  stillschweigend  nnt  Weib  und  Kind  ans  den  Lagern  (tolderia>) 
zurück,  welche  sie  neben  den  Gehöften  bewohnten ;  und  dies  galt 
als  ein  derartig  sicheres  Zeichen  eines  Angriffes  im  nächsten  Xeu- 
inoDd,  dafs  auf  der  Stelle  aus  dem  beuachbarten  Corricntes  Milit&r 
requiriert  wurde.  Jedenfalls  aber  war  dann  die  Arbeit  für  lange 
Zeit  unterbrochen  und  oft  genug  bofote  die  Gemeinde  die  Schuld 
des  einzelnen  durch  den  Verlust  ^eler  Zagochsen,  manchmal  wohl 
auch  durch  den  Tod  eines  ihrer  Glieder.  Unter  solchen  Umständen 
wurde  die  Vermessung  einer  Kolonie,  welche  ich  dort  anordnete, 
mit  Jubel  begrafst:  versprach  doch  das  Zuströmen  von  Ansiedlem 
vielleicht  bessere,  wenn  auch  nicht  so  billige  Arbeiter,  und  macht« 
sie  jedenfalls  den  Angriffen  der  Indianer  ein  Ende.  Augenblicklii  h 
besteht  in  Resistencia,  wie  die  Kolonie  getauft  wurde  wegen  des 
langen  Widerstandes  gegen  die  Einfalle  der  Guaycurüs,  ein  StAdt- 
chen  mit  Kirche,  8duile  und  etwa  80)  Familien,  meistenteils 
italienisclier  Abkunft ,  welche  in  dem  nahen  Corricntes  einen  be- 
quemen Markt  für  ihre  Erzeugnisse  finden.  Die  Obrajiros  aber, 
soweit  sie  nicht  auch  zum  Ackerbau  gegriffen  habe»,  sind  weiter 
gezogen,  um  an  den  Ufern  des  Paraguay  ihr  gefüthrliches  Handwerk 
fort  zn  treiben. 

Während  die  Vermessung  der  Kolonie  vor  sich  ging,  beschloß 
ich,  das  Ufer  des  Rio  Paraguay  zn  rekognoszieren  und  den  Bermejo 
so  weit  hinaufzufahren,  als  der  Tiefgang  meines  kleinen  Dampfer;« 

(1,30  m)  erlauben  würde.  Doch  zuförderst  einige  Worte  über  dieses 
Kriegsfahrzeug  der  argentinischen  Marine:  es  mafs  ungefähr  15  ni 
vom  Bug  zum  Heck,  bei  4  m  Breite  und  enthielt  aufser  der  ziem- 
lich schadhaften  \faschine  eine  kleine  Kajüte  mit  Platz  zum  Scldafeu 
für  vier  Personen  und  einen  unglaublich  engen  Raum  für  die  Mann- 
schaft. Letztere  bestand  aus  zwei  Matrosen,  zwei  Heizern  und  dem 
schon  erw&hnten  Panchito  als  Schifisjungen.  Der  Kapit&n  selbst, 
ein  kleiner  wetterharter  Italiener,  Namens  Polvorini,  hatte  ein  be- 
wegtes Leben  hinter  sich.  Gleich  beim  Beginn  des  Paraguaykrieges 
war  er  in  Kriegsgefangenschaft  geraten  und  erst  nach  zwei 
Jahren  anf  Ansuchen  des  italienischen  Geschäftsträgers  in  Asun- 
cion  mit  vielen  anderen  Landsleuten  mit  einem  Kanonenboote 
direkt  nach  seiner  schönen  Heimat  gesandt  worden.  Doch  Polvorini 
hatte  eine  junge  Frau  in  Buenos-Aires  zurückgelassen  und  wenig 
Interesse  an  der  untreiwilligen  Reise  nach  Kuroi>a.  So  schwannu 
er  denn  in  Montevideo  ans  Land,  kam  nach  Buenos-Aires  zurück 
uud  faud,  wie  schon  »o  mancher  Verscholleue,  das  treue  Gemahl 


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361  — 


als  let'litim'lfsigo  (Tattiu  seines  besten  Freundes.  Docli,  Söhne  des 
]Sl  Jahrhmiderts  und  tüchtige  Gcniiesen,  schlichteten  die  Kivalen 
ihre  Streitfrage  auf  L(ütlichcni  Wege.  Der  Ka])itän  erhielt  seine 
Frau  zurück  und  10  000  Papierthaler  (1600  M.)  als  Schadenersatz, 
und  lebt  zufrieden  mit  ihr  auf  seiner  Station  in  Ooya,  wo  ich  später 
Gelegenheit  hatte,  sie  kennen  zu  lernen.  Nur  zuckte  es  eigentQmlich 
durch  die  verwetterten  Zflge  des  kleinen  Mannes,  als  er  mir  seine 
Abenteuer  anvertraute. 

Dies  also  war  der  Kommandant  meines  kleinen  Fahrzeuges. 
Als  kriegerische  Begleitung  aber  Terfftgte  ich  über  sechs  Linien- 
soldaten, die  mit  ihren  roten  Mützen  h^hst  imposant  aussahen, 
aber  bei  ihren  geringen  nautischen  Kenntnissen  das  Schiffchen  oft 
in  arge  Scli wankungen  brachten. 

Endlich  war  alles  in  Ordnung,  der  Proviant  für  14  Tage 
gebührend  verstaut  und  am  5.  Oktober  schiflTten  wir  uns  ein,  mein 
Freund  Dr.  Katzenstein  vom  Nationalkolleg  in  Corrientes, 
mein  Acyutant  und  ich,  und  dampften  fröhlich  den  stolzen  Paranä 
aulw&rts.  Vorbei  ging  es  an  den  malerischen  Inseln  Medio  und 
Mesa,  und  nach  wenigen  Stunden  bogen  wir  in  den  Paraguay  ein, 
wo  die  Schanzen  des  Cerrito,  damals  noch  von  den  Brasilianern 
besetzt,  den  FluDs  beherrschten  und  ein  stattliches  Panzerschiff  die 
grüngelbe*)  Flagge  des  Kaiserreiches  zeigte. 

Anmutig  strömt  der  Rio  Paraguay  zwischen  niedrigen  Ufern 
dahin;  die  stolze  liarranca  des  Parana  ist  verschwunden  und  nur 
selten  erhebt  sich  das  Gelände  zu  mehr  als  5 — 6  m  über  deren 
Wasserspiegel.  Dagegen  gestattet  die  geringere  Breite  des  Flusses 
f3 — 400  m)  den  prachtvollen  Baumwnchs  zu  bewundern,  welcher 
fast  durchgängig  den  Strom  begleitet,  und  das  Auge  erquickt  sich 
an  dem  tiefen,  üppigen  Grün  seiner  Blätter  und  den  stattlichen 
St&mmen,  welche  daraits  hervorragen.  Die  Strömung  ist  übrigens 
stellenweise  so  schwach,  dafs  wir  das  gewiiis  seltene  Schauspiel 
hatten,  eine  beUdene  Kanoa  stromaufwärts  fahren  zu  sehen  unter 
dem  Drucke  eines  buschigen  Baumzweiges,  welchen  der  findige 
Indianer  statt  Segel  aufgestellt  hatte. 

Die  erste  Nacht  verbrachten  wir  friedlich  genug  unter  unseren 
Moskitonetzen  auf  dem  blutgetränkten  Strande  von  Curnpaitl,  dessen 
jetzt  fast  der  Krde  gleiche  Yerschnnzungen  so  lange  Zeit  den  Angriffen 
der  Argeutiner  uuil  Brasilianer  widerstanden  haben.  Am  folgenden 
Moriren  ])assierton  wir  die  Re<te  der  durch  denselben  unheilvollen 
Krieg  so  berühmten  Festung  üumaitä.  Ein  Bhck  auf  das  ungeheure 

*)  Di«  Deatftch-Bmsüianer  Tergleiclien  dieeelbe  retpektwidrig  genug  mit 
einem  Eidotter  anf  grfinen  Spinat. 

QMgr.  BlKltir.  BramM,  18M.  26 


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—  362  — 


Hufeisen,  welches  der  Fliifs  hier  beschreibt,  erkl&rt  das  schwierige 
des  Passes  nod  das  lange  Zdgem  der  brasilianischen  Panzerschiffe 
denselben  zu  forcieren.*)  Jetzt  vegetiert  dort  in  elenden  Holzbaracken 
eine  BevOlkerang  von  vielleicht  2—300  Seelen  durch  Kleinhandel 

mit  den  vorbeifahrenden  Schiffen,  und  nur  der  siebartig'  durch- 
löcherte Kirchturm  zeugt  vüu  der  Heftigkeit  der  dort  ausge- 
füciiteneu  Kampfe. 

Auf  der  Strecke  von  seiner  Mündung  bis  Humaitu  empfangt 
der  Paraguay  von  dem  Cliacoufer  ausser  mehreren  kleiuen 
Bachen,  welclie  den  Abttufs  der  Seen  und  Sümpfe  seines  Über- 
schwemmungsgebietes bilden,  zwei  gröfsere  Zuflüsse,  den  Qui4  und 
den  Rio  de  Oro.  Beide  sind  bei  hohem  Wasserstande  schiffbar  und 
führen  in  der  Entfernung  von  2—3  deutschen  Meilen  zu  hohem, 
waldreichen  Lande,  dessen  Schönheit  gerOhmt  wird,  und  von  wo 
augenblicklich'  viel  Bauholz  und  Eisenbahnschwellen  den  Flufe  hinab 
gehen.  Mein  Ziel  aber  lag  weiter  nordwftrts,  und  so  ging  es  denn 
vorbei  an  der  verlassenen  Festung  zwischen  den  dichtbewalde teu, 
zuweileu  palmengekrönten  Ufern  hin,  während  eine  leichte  Brise 
den  Sonnenbrand  milderte  und  die  lästifzen  Insekten  verscheuchte, 
bis  endlich  am  Mittag  die  Mündung  des  geheimnilisvolleu  Bermejo 
erreicht  war. 

Dieselbe  liegt  unter  26''  52'  südl.  Br.,  hatte  jedoch  so 
weni<j:  Wasser  auf  der  Barre,  dafs  es  notwendig  erschien,  den 
Kanal  zu  sondieren.  Unterdessen  machten  wir  einigen  Indianern 
unseren  Besuch,  welche  nur  mit  einem  Tuche  um  die  Lenden  be- 
kleidet, auf  der  nahen  Saudbank  fischten.  Sie  hatten  unter  anderen 
eine  riesenhafte  Raya  gefangen,  einen  wie  unsere  Schollen 
abgeplatteten  Fisch,  dessen  Fleisch  zwar  ganz  wohlschmeckend, 
dessen  Schwanz  aber  höchst  gefahrlich  ist,  da  ein  in  ihm  ver- 
borgener sägeförmiger  Stachel  sehr  schmerzhafte  Wuuden  reifst, 
wenn  man  beim  Baden  auf  das  halb  im  Sande  vergrabene  Tier 
tritt.  Pferde  sterben  oft  an  solchen  Verletzungen.  Diese  liaya  nun 
hatte  mindestens  einen  Meter  im  Durchmesser  und  war  so  kraftig, 
dafs  sie  einen  meiner  Begleiter,  der  auf  sie  getreten  hatte,  einfach 
durch  ihre  Zuckungen  zu  Boden  warf,  obgleich  sie  schon  lange  mit 
abgehauenem  Schwänze  in  der  glühenden  Sonne  geleireu  hatte. 

Fische  hier  zu  kaufen  war  überflüssig;  der  Fluiüs  wimmelte  von 
ihnen  und  an  Bord  hatten  wir  genügendes  Angelgerät  und  auch  Angler. 
So  wurde  denn  die  »Luisita*'  vorsichtig  in  den  Bermejo  hineingesteuert, 
und  von  nun  an  war  unser  Vorwartsdringen  einem  Tasten  vergleichbar. 

*)  Die  AUiii-ten  erklärten  deil  Krieg  im  April  1865,  und  erst  am 
18.  Februar  18()8  t'orcierteu  die  bruäihuuiächeu  Fuuzer  deu  Pufs  vuu  Uumtiitä. 


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Freilicli  existiert,  wie  bemerkt,  eine  Gesellscliaft,  welcher  von  der 
Regierung  eine  Prämie  für  (Wo  rnterlialtunt;  einer  Dampfschiffahrt  auf 
dem  Flusse  zugesichert  wurde;  doch  ist  dieUuternehmung  aus  mancherlei 
Ursachen  ins  stocken  gekommen  und  es  war  mir  unmöglich,  einen 
mit  dem  Fahrwasser  vertrauten  Steuermann  in  Corrientes  aufzu- 
treiben. Es  hiefs  also  den  Weg  suchen,  was  seine  bedeutenden 
Schwierigkeiten  hatte;  denn  wenn  auch  der  Bluis  zwischen  80  und 
100  m  breit  ist,  so  bildete  trotzdem  jede  seiner  unzfthligen  Win- 
dungen eine  ernste  Gefahr,  da  bei  dem  niedrigen  Wasserstande  von 
jeder  ausspringenden  Spitze  eine  Sandbank  weit  hinausragte,  wahrend 
auf  der  konkaven  Seite,  wo  der  Stronistrich  die  tiefe  Iliuue  aus- 
wäscht, hunderte  von  angeschwemmten  Bäumen  ihre  Äste  dem 
Dampfer  drohend  entgej^eiistreckten.  Diese  halbverdeckten  raigones 
(die  snags  der  nordamerikaiiisclien  Ströme)  sind  charakteristisch  für 
alle  Flüsse  des  waldreichen  Chaco.  Die  Strömung  fand  ich  1,5  bis 
1,8  engl,  Meilen  in  der  Stunde, '^')  also  stärker  als  im  Paraguay 
selbst,  was  schliefslich  wunder  nimmt  bei  der  90  deutsche  Meilen 
breiten,  anscheinend  horizontalen  £bene,  welche  der  Bermejo  in 
unglaublichen  Windungen  zu  durchfliefsen  gezwungen  ist ;  doch  liegt 
ja  Owan  noch  immer  310  m,  Asuncion  aber  nur  77  m  über  dem 
Meere. 

Der  landschaftliche  Charakter  bleibt  sich  auf  der  Strecke  des 

Flusses,  welche  mir  zu  sehen  vergönnt  war,  gleich.  Zu  beiden 
Seiten  begleiten  ihn  schroft"  abfallemle  Wände  von  4 — 5  m  Höhe  über 
dem  damaligen  Wasserspiegel.  Sie  bestehen  aus  rötlichem  Thon 
mit  eiuer  überliegenden  Srhicht  schwarzer  Erde,  welche  letztere 
wieder  durch  ein  1 — 2  Fuls  dickes  Lager  von  Lehm  bedeckt  ist 
und  damit  den  Beweis  von  der  Höhe  der  jährlichen  Überschwem* 
mungen  liefert,  die  übrigens  auch  au  den  Stämmen  der  Baume  genugsam 
dargethan  wird.  Dicht  verschlungene  Waldpartien  von  verschiedener 
Ausdehnung,  aber  stets  nur  aus  wasserliebenden  Baumen  bestehend, 
begleiten  die  Ufer,  und  wo  dieselben  für  einige  Zeit  einen  fireieren 
Blick  auf  offenes  Land  gewahren;  sieht  man  dieses  mit  grobem 
Grase  und  Röhricht  bestanden,  als  sicheres  Zeichen,  dafs  die  Hoch- 
wavsser  die  ganze  Gegend  überfluten.  In  derselben  Weise  dehnt  sich 
die  Tiefebene  32  Langenminnten  weit  dem  Laufe  des  Flusses  entlang, 
bis  endlich  bei  der  Lisel  Na(  ui  utü  (Ohreule)  das  hohe  Land  und 
damit  die  bewohnbare  llegion  des  Chaco  anfängt. 

Bald  nach  der  Einfahrt  in  den  Bermejo  bot  sich  uns  die  Ge- 
legenheit, ein  Prachtexemplar  von  Yacar^  ganz  in  der  Nahe  zu 

*)  Die  Expedition  des  noidamerikaoischen  Kapitflas  Pftge  fuid  1867  snr 
Zeit  des  H«K;hwas8en  im  Jnni  sogar  eiae  StrOmniig  too  S  bis  d*/4  Heilen. 

26* 


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I 


betrachten.  Auf  einer  Sandbank,  in  der  Sonne  gelagert,  würdigte 
der  alte  Bursche,  der  wohl  6—7  in  lang  sein  konnte,  die  „Luisita* 
kaum  eines  Blickes,  während  seine  kleineren  Genossen  sich  vor- 
sichtig ins  Wasser  gleiten  liefsen,  so  dafs  wir  scliliefslich  kaum 
noch  40  Schritte  von  ihm  entfernt  waren.  Die  erste  Kugel  ging  zu 
tief  und  verletzte  das  Ungeheuer  nur  an  dem  gelblichen  Bauche, 
hatte  jedoch  durchaus  keine  eiuscluichternde  Wirkan?:  denn  statt 
zu  fliehen,  erhob  sich  das  Tier  hoch  auf  den  Vorderbeinen,  öffnete 
mit  lautem  Brüllen  den  gewaltigen  Rachen  und  begann  sich  mit 
dem  Schwänze  die  Weichen  zu  peitschen,  wAhrend  seine  Augen  sich 
unliebenswürdig  genug  auf  uns  hefteten.  So  war  es  denn  Zeit,  ihm 
die  zweite  Kugel  gerade  in  den  Schlund  zu  senden.  Da  schnellte 
sein  Vorderkörper  wohl  einen  Meter  in  die  Höhe,  und  dann  sank  der 
bronzefarbene  Kolofs  schwerfällig  auf  die  Seite. 

Schon  früh  landeten  wir  an  einer  Sandbank,  teils  um  noch 
Zeit  zum  Fischfang  zu  haben,  —  ist  doch  die  Jagd  in  jenen  dicht  ver- 
schlungenen Wäldern  nicht  möglich,  teils  aber  auch,  nm  bei 
Anbruch  der  Dunkelheit  mit  Abendessen  und  Aufschlagen  der 
Moskitonetze  fertig  zu  sein.  Penn  mit  Beginn  der  Abendkahle 
machen  die  MOcken  die  Existenz  unter  freiem  Himmel  zur  grausamen 
Qual,  gegen  welche  alle  Stiche  der  am  Tage  schwärmenden  Jejenes, 
kleiner  Fliegen  von  der  GrOlse  eines  Stecknadelknopfes,  völlig 
anbedentend  erscheinen.  Bald  war  das  ein&che  Nachtmahl  ein- 
genommen, und  wir  lauschteu  im  sicheren  Versteck  nnserer  Netze 
noch  eine  Weile  auf  das  leise  Pl&tschem  des  Flusses,  welches  manchmal 
unterbrochen  durch  den  Ruf  eines  Nachtvogels  oder  den  heiseren 
Schrei  einer  Tigerkatze,  aber  meistens  völlig  übertönt  wird  durch 
das  sonore  Summen  der  Moskitos,  welche  zu  Millionen  jedes  einzelne 
Lager  umschwärmten.  Wehe  dem,  des.sen  Hand  mit  dem  (iewebe 
des  Vorhanges  in  Beriihiung  kommt!  Kr  schreckt  aus  dem  tiefsten 
Schlummer  auf,  als  habe  er  in  glühende  Kolilen  gegrifteu.  Doch 
die  Ermüdung  hilft  über  vieles  hinweg.  Als  uns  aber  bei  grauendem 
Tage  das  dröhnende  Brüllen  der  Affenmftnnchen  in»  nahen  Walde 
weckte,  waren  wir  nicht  wenig  über  den  nächtlichen  Besuch  erstaunt, 
der  uns  zu  Teil  geworden:  quer  durch  den  Laü^erjdatz  und  um 
mehrere  Moskiteros  herum  führten  die  frischen  Si)ui  eii  eines  starken 
Tigers,  der  die  Sandbank  als  bequeme  Kampe  zur  I  ninke  benutzt 
hatte  und  wahrscheinlich  durch  den  ungewohnten  Anblick  der  weifsen 
Vorhiluge  von  Thätlichkciten  zurückgehalten  worden  war.  Glück- 
licherweise führten  wir  keine  Hunde  mit  uns,  sonst  hiltte  diese 
Visite  möglicherweise  für  beide  Teile  unliebsame  Folgen  gehabt. 

Das  Flufsbett  wurde  jetzt  immer  seichter  und  tlie  Schwierig- 


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kciten  der  Fahrt  nielutoii  sich.  Schon  mehrere  Male  war  unser 
Schirtcheii  den  raigones  nur  mit  ^'enaucr  Not  entgangen  und  schon 
war  ein  Leck  in  seinem  eisernen  Boden  provisorisch  mit  Kitt  ver- 
stopft worden,  als  wir  gegen  9  Uhr  morgens  dicht  unter  einer  an- 
sehnlichen Barranca  auf  eiaer  grofseu  Sandbank  festrannten.  Neunzig 
Centimeter  am  Bug  und  wir  brauchten  1,30  m  für  die  Schraube! 
Der  Kapitän,  Katzenstein  und  mein  Adjutant  sondierten  in  der 
Kanoa  und  schließlich  worden  alle  Mann  auf  die  Sandbank  beordert, 
um  die  ,Lui3ita*  mittels  eines  Taues  ins  Fahrwasser  zu  sieben. 
Nur  der  Sergeant  und  einer  der  Soldaten  waren  mit  mbr  an  Bord 
geblieben  und  ich  folgte  mit  regem  Interesse  dem  Mandver,  als 
plötzlich  ersterer  ausrief:  Mire,  los  indios!  (Sieh'  da,  die  Indianer!) 
Und  wirklich  schalten  aus  den  CirasbUscheln,  welche  die  Uferwautl 
krönten,  eine  Anzahl  mit  Bogen  bewaffneter  Indianer  drohend  genug  auf 
uns  herab.  Die  Lage  war  bedenklich,  wenn  jene  wirklich  böses 
im  Schilde  führten ;  denn  sie  konnten  uns  leicht  zwei  oder  drei 
Pfeilsalven  zusenden,  ehe  die  im  Wasser  befindlichen  Leute  zu  den 
Waffen  gelangten,  und  selbst  dann  waren  wir  auf  dem  offenen  Ver- 
deck des  Fahrzeuges  sehr  im  Nachteil,  da  sie  es  vdUig  aus  ihren 
hochgelegenen  Verstecken  beherrschten.  Glücklicherweise  erleichterte 
ein  Regenrifs  den  Au&Ueg  zur  Barranca,  und  so  sprangen  wir  drei 
ans  Land,  dort  hinauf  und  entwickelten  unsere  Schlachtreihe,  Kara- 
biner in  Hand,  vor  etwa  90  Tobas,  welche  uns  etwas  verblflffit  an- 
starrten, doch  den  Pfeil  auf  der  Sehne  hielten.  Dies  Zögern  rettete 
die  Situation.  Meine  Leute  hatten  die  Gefahr  bemerkt,  und  einzelne 
folgten  uns  schon  ans  Land  mit  den  schnell  ergriffenen  Gewehren; 
als  nun  der  Ser^'eant  die  liidiiiner  in  Guarani  ansprach,  welchen 
Dialekt  die  meisten  Eingeborenen  verstehen,  und  sie  über  unsere 
Criedlicben  Absichten  aufklärte,  erheiterten  sich  die  Gesichter  der 
rotbraunen  Bande  und  sie  zog  beglückt  mit  einem  Geschenk  von 
Zwiebäcken  und  Tabak  ab.  Mich  aber  Idurte  dieses  Zusammen- 
treffen,  die  Ufer  des  Flusses  künftig  besser  im  Auge  zu  behalten. 

Endlich  war  die  „Luisita"  wieder  flott,  und  da  auch  das  Fahr- 
wass^  tiefer  wurde,  dampften  wir  Terhftltnism&fsiflr  scbnell  vor- 
wärts, bis  plötzlich  hinter  einer  scharfen  Biegung  das  Segel  eines 
europäix  li  ^rebauten  Bootes  sichtbar  wurde.  Bald  waren  wir  lang- 
seit;  es  war  mit  10  Correntinorn  bemannt  und  ein  Kapitän, 
ein  Nordamerikaner,  kam  an  Bord,  während  wir  sein  Fahrzeug  ins 
Schlepi)taii  nahnien.  Er  war  von  der  Dampfschiffahrtsi^esellschaft 
des  Bermejo  abgesandt,  um  einen  kürzlich  gesunkenen  kleinen 
Steamer  derselben,  welcher  mehrere  Meilen  weiter  aufwärts  liegen 
mufste,  zu  heben  oder  wenigstens  zu  bergen,  was  geborgen  werden 


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konnte.  Natarlich  erz&blte  er  viel  von  den  Listen  und  Tttcken  der 
Indianer,  die  er  als  alter  Bermejofalirer  gründlich  zu  kennen 
behauptete,  und  riet  die  grofste  Vorsicht  im  Verkehr  mit  den- 
selben an. 

Unterdessen  zeigte  sich  auf  dem  südlichen  Ufer  ein  einsamer 
Indianer,  der  die  Wnrflanze  in  der  Hand  im  Schatten  der 
Barranca  unbeweglich  gleich  einem  sitzenden  Storche  dastand  and 
bald  bemerkten  wir  auch  beim  nSherkommen,  dafs  er  dem  Fisch- 
fange allerdings  auf  neue  Art  oblag.  Zu  seinen  Füfsen  nämlich 
befand  sich  ein  kaum  3  m  langes  Wehr  aus  Baumzweigeu,  welches 
schrflg  gegen  (kii  6tnnu  gerichtet,  dem  Wasser  einen  schmalen 
Abtlufs  zwischen  sich  und  dem  Strande  liefs.  Die  in  diesen  Trichter 
hineingetriebenen  Fische  schienen  eine  ziemlic)!  sichere  Beute  des 
geduldigen  Toba  zu  sein,  zum  wenigsten  salien  wir  ihn  einen 
stattlichen  Zävalo  an  der  Spitze  seiner  Lanze  herausziehen. 

Bald  trafen  wir  übrigeus  einen  anderen,  dann  einen  dritten 
Fischer,  und  schlief>lich  lag  eine  ganze  Tolderia  (Dorf)  der  Tobas 
vor  unseren  Augen.  Wahrscheinlich  war  die  Nachricht  von  dem 
friedlichen  Zusammentreffen  am  Morgen  schon  hierher  gedrungen, 
hatten  wir  doch  seitdem  in  grader  Linie  kaum  6Vs  k]n  zurück- 
gelegt; so  füllte  sich  denn  der  Strand  am  Fufse  der  Barranca 
schnell  mit  lachenden,  schwatzenden  Weibern  and  Kindern,  die  uns 
durch  Geberden  einluden,  ans  Land  zu  kommen.  Wir  zogen  es 
jedoch  vor,  die  Fahrt  nicht  zu  witerbrechen,  begnügten  uns  also 
ihnen  Schiffszwieback  und  kleine  Bündel  Tabak  als  Freundschafta- 
zeichen  zuzuwerfen,  die  mit  grofser  Geschicklichkeit  selbst  im  Wafser 
erhascht  wurden,  und  zogen  unentwegt  an  den  lockenden  Sirenen 
Torflber. 

Leider  nahm  unsere  Fahrt  bald  ein  frühzeitiges  Ende.  Kaum 
1  km  weiter  aufwärts  verbreiterte  sich  der  Flufs  anfiUlig  und  die 
Stromrinne  verlor  sich  vollständig  auf  den  Sandbänken.  Die  an- 
gestellte Sondierung  zeigte  überall  nur  0,90  m  über  denselben,  und 
somit  war  ein  ferneres  Vordringen  für  die  „Luisita*  nnmöglich. 
Die  Sonnenbeobachtung  ergab  26°  46'  südl.  Br.  und  58  • 
37,5 '  Länge  von  Greenwich,  wir  waren  also  nur  9  Lilngen- 
minuten  von  der  Mündung  des  Bermejo  entfernt,  obgleich  die  zurück- 
gelegte Strecke  wegen  der  Windungen  des  Flusses  über  26  sm  betrug. 

Hier  trennte  sich  der  Nordamerikaner  mit  seinem  Boote  von 
uns,  und  so  will  ich  denn  kurz  das  traurige  Schicksal  berichten, 
welches  ihn  und  seine  Leute  befiel.  Kr  fan<l  den  gesunkenen  Dampfer 
bei  dem  niedrigen  Wasserstande  leicht  ziig;in^licli  und  konnte  die 
Bergung  der  transportablen  Teile  mit  üülte  eines  ludianerstammes, 


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den  er  für  einige  Stücke  HauniwoUenzeim  und  Kisten  Genever 
mietete,  schnell  und  glücklich  ausführen.  Schon  war  der  Tag  der 
Rflckfahrt  an<;ebrocheu,  und  die  Tobas  kamen,  sich  von  ihm  zu 
verabschieden,  wie  sie  sa^'ten,  doch  diesesmal  nackt  und  ohne  ihre 
Weiber  und  Kinder.  Die  Warnung  eines  GorrentinerB,  dafe  dies  ein 
Zeichen  von  feindlichen  Absichten  sei,  fand  kein  Gehör  bei  dem 
Kapitän;  jBeine  Gaste  drangen  in  das  Fahrzeug,  bemächtigten  sich 
der  Gewehre,  und  der  sonst  so  mifetranische  Yanicee  bezahlte  seine 
erste  Unvorsichtigkeit  mit  dem  Tode.  Nnr  drei  seiner  Lente 
entginjren  dem  Gemetzel  durch  schwimmen,  wenn  auch  ansehnlich 
mit  Pfeilen  gespickt,  und  brachten  die  Kunde  nach  Corrientes.  Die 
Tobas  aber  sandten  trotzig  eine  Heransfordening  an  den  Coronel 
Uriburu.  damals  Gouverneur  des  Cliaco.  Doch  es  würde  zu  weit 
führen,  wollte  ich  von  dessen  Rarhezni;  berichten  und  wie  ihn  die 
Indianer  an  derselben  Stelle  erwarteten  und  heldenmütig  mit  ihren 
Pfeilen  und  Lanzen  den  Kampf  aufnahmen  gegen  die  Rcmingtons 
der  Liniensoldaten.  Einige  fünfzig  Indianer  und  sechs  Weifse  blieben 
auf  dem  Schlachtfelde. 

Ich  aber  ankerte  damals  die  «Luisita"  vor  dem  Dorfe  der 
Tobas  und  ging  mit  nötigen  Yorsichtsmafsregeln  an  Land,  om 
wenigstens  die  Lebensweise  dieses  urwflchsigen  Völkchens  etwas  näher 
kennen  zu  lernen.  Die  Manner  des  Stammes  waren  auf  der  Jagd 
jibwosend ;  doch  empfing  uns  der  weifshaarige  Kazike  sehr  würdig 
inmitten  einiger  vierziir  Weiber  und  nnzilhliger  nackter  Kinder. 
Er  war  mit  dem  landesüblichen  Chiripa  bekleidet,  welcher  in 
Argentinien  von  der  tianzen  ländlichen  Beviilkerung  getragen 
wird:  doch  zierten  ihn  auiserdem  ein  altes  wollenes  Hemd  von 
wahrscheinlich  roter  Farbe  und  ein  fast  noch  älterer  Strohhut. 
Letzterer  bildete  offenbar  ein  Zeichen  seiner  Würde,  da  die  ge- 
wöhnlichen Indianer  das  Haar  durch  ein  einfaches  Band  zusammen- 
zuhalten pflegen.  Die  Weiber  hatten  ebenfalls  eine  grobe  Decke 
um  die  Hflften  geschlagen  und  eine  Art  Jacke  verhtlllte  den  Ober- 
körper. Alle,  mit  Ausnahme  der  Jüngsten  und  Hübschesten,  waren 
im  Gesicht  blau  tattowiert,  was  ihre  Schönheit  gerade  nicht  erhöhte. 
Die  ziemlich  gut  ausgeführte  Zeichnuncr  stellte  einen  Stern  auf  der 
Stirn  vor.  wnhrend  symmetrische  Halbkreise  und  Linien  den  Nasen- 
rücken, die  Backen  und  das  Kinn  schmückten.  Krancisco,  der  Kazike, 
teilte  uns  durch  den  Dohnotscher  mit,  dafs  dies  das  Zeichen  der 
verheirateten  Frauen  sei  (man  heiratet  dort  mit  12  bis  13  Jahren); 
jene  einzige  aber,  welche  dies  Merkmal  nicht  trage,  sei  Christin 
und  besitze  einen  „Heiligen/'  Wirklich  trug  die  kleine  an  einer 
Schnur  ans  roten  Beeren  ein  Sftckchen  am  Halse  und  zeigte  uns 


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ganz  stolz  den  Inhalt,  einen  kleinen  KompaTs,  wie  solcher  an  der  Uhrkette 
getragen  wird;  offenbar  das  Geschenk  eines  galanten  Matrosen  von 

der  Bonne jojzebellsdiaft. 

Das  Dorf  besüind  au^  nur  zwei  Hütten,  oder  besser  gesajn 
Sthup[)on,  die  im  Schatten  nielirerer  Bäume  auf  die  einfadiste  Art 
konstruiert  Nvaren.  Einige  horizontale  Stangen,  welche  auf  gabel- 
förmigen Pfählen  ruhten,  bildeten  den  First  des  Daches,  nnd  mit 
ihnen  gleichlaufend  war  in  Entfernung  von  etwa  3  m  eine  dichte 
Keihe  von  langen,  biegsamen  Zweigen  in  den  Boden  gepflanzt,  vom 
flbergebogen  und  in  die  Firststangen  befestigt  worden.  Das  ganze 
war  mit  Schilf  gedeckt,  womit  auch  die  schmalen  Seiten  geschkissen 
waren,  und  bildete  so  einen  etwa  2Vi  m  hohen  Schuppen  von 
ungefähr  15  m  L&nge,  dessen  einzige  L&ngswand  der  Wetterseite, 
dem  Südosten,  zugekehrt  war,  während  die  andere  Seite  vdUig  offen 
blieb.  Als  alleiniges  MObel  befand  sieh  eine  ungeheure  Pritsche  von 
Buuniästen  darin,  welche  die  ganze  Länge  einualini,  mit  Kohr-  und 
Thierfellen  bedeckt  war  und  der  Familie  als  gemeinsame  Lagerstatt 
zu  dienen  schien.  Wahrscheinlich  übrigens  bildele  dies  nur  ein 
Sommerqmirtier,  da  der  Stamm  des  Fisditanges  wegen  au  den 
Flufs  gezogen  war:  wenigstens  habe  ich  in  anderen  Teilen  des 
Chaco  viel  besser  konstruierte  Hutten  augetroffen. 

Pferde  besafsen  diese  Indianer  überhaupt  nicht;  dieselben 
wurden  ihnen  auch  von  geringem  Nutzen  sein  in  den  waldigen, 
sumpireichen  Regionen.  Doch  weideten  eihige  Schafe  in  der  Nfthe, 
aus  deren  grober  Wolle  die  Weiber  ihre  geringen,  zur  Kleidung 
nötigen  Decken  verfertigen.  Hunde  waren  natürlich  in  grolser  Zahl 
voriiaoden. 

Der  Lebensunterhalt  beruht  fast  ausschliefslich  auf  Jagd  und 
Fischfang,  doch  fanden  wir  aucli  in  den  Toldos  die  Knollen  der 
Hacliira,  einer  Wasserlilie,  nnd  die  Kernschüssc  des  (.'ardo-pifia,  einer 
distelähulichen  Pflanze,  welche  ueröslet  irenossen  werden.  Aul'serdem 
bietet  ihnen  der  Wald  mannigtachc  Früchte  und  Beeren,  sowie  groise 
Mengen  prachtvollen  wilden  Honigs. 

Zum  Schluls  sei  noch  der  Waffen  gedacht.  Die  Tobas  führen, 
ebenso  wie  sämtliche  andere  Eingeborene  des  Ghaco,  Bogen,  Pfeile 
und  Wurflanzen,  deren  Spitzen  ans  eisenhartem  Holze  geschnitzt 
und  noch  auf  fflnfsig  Schritt  einen  Mann  zu  durchbohren,  im  stände 
sind,  und  aufserdem  Macassas  (Keulen),  sowie  die  bekannten  Bolea- 
doras.  Natürlich  sind  sie  Meister  im  Gebrauch  dieser  Waffen,  in 
denen  sie  sich  von  Jugend  auf  üben;  doch  ist  es  immerhin  ein 
hübscher  Anblick,  wenn  ein  zehn-  bis  zwölßÄhriger  Junge  mit  seinem 
Rohrpfeil  eine  Eute  oder  einen  Papagei  aus  der  Luft  so  elegant 


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herunterholt,  wie  es  ein  europftischer  Nimrod  nur  mit  seinem 
Lefancheux  thun  würde.  ^ 

Der  Aufenthalt  in  den  Toldos  war  nicht  einladend;  schien  doch 
die  Reinlichkeit  meiner  Gastfreunde  nur  snbjektiv  zn  seiu,  denn 
Kleider  und  Lager  starrten  von  ehrwürdip;em  Schmutz,  wahrend  die 
Körper  selbst  bei  ihrem  fortwährenden  Hei  umplilLscherii  im  nalicn 
Flusse  rein  genug  sein  mufsteii ;  da  es  anfseideiu  iiiclit  ratsam 
schien,  die  Nacht  in  der  Nähe  des  Dorfes  zuziibriiiL^cn.  verab- 
schiedeten wir  uns  mit  einigen  Geschenken  an  Tabak,  die  von  Alt 
und  Jung  mit  gleicher  Freude  empfangen  wurden.  W&hrend  des 
Ankerlichtras  genossen  wir  noch  den  Anblick  der  gesamten  badenden 
Damenwelt,  welche  sich  übrigens  mit  ebensoviel  Grazie  wie  Schick- 
lichkeit  im  Wasser  tnmmelte  nnd  dann  ging  es  fluTsabwftrts  traurigen 
Sinnes  wegen  der  Vereitelung  unserer  Hoffnungen  und  Pl&ne. 

Jedenfalls  war  ein  neuer  Beweis  für  die  geringe  Schiffbarkeit 
des  Bermejo  geliefert,  der  höchstens  zur  Zeit  des  Hochwassers  mit 
stafken  Dampfern  befahren  werden,  aber  auch  in  diesem  Falle  wegen 
seiner  zahlreichen  Krümmungen  den  Wettstreit  nicht  mit  einer 
Eisenbahn  aufnelnnen  könnte.  Noch  während  meines  Aufenthaltes 
in  Corrientes  langte  dort  der  „(Jobernador  Leguizamou^  mit  Häuten 
beladen  vor  der  Kolonie  Rivadavia  an.  Kr  hatte  elf  Monate  zu 
dieser,  in  grader  Richtung  etwa  ÖÜ  deutsche  Meilen  langen  Reise, 
gebraucht,  d.  h.  fast  w&hrend  der  ganzen  Zeit  mitten  in  der  Wildnis 
auf  einer  Sandbank  festgesessen. 

Unsere  Fahrt  ging  ohne  Unfall  von  statten.  Noch  einmal 
kämpften  wir  um  die  Nachtruhe  mit  den  scharfsichtigen  Bewohnern 
der  Bermejosflmpfe;  doch  diesmal  ohne  Erfolg:  sie  trugen  den  Sieg 
auf  der  ganzen  Linie  davon.  Ein  leiser  Regen  ohne  Luftzug  setzte 
am  Abend  ein  und  verwandelte  die  Decke  jedes  Moskitero  schnell 
in  ein  Wasserreservoir,  aus  dem  ein  gleichmäfsiger  Troi)fenfall  auf 
den  Köriier  herabkam  und  allen  Schlaf  unmöglich  machte.  Die  Kajüte 
der  „Luisita""  war  erstickend  heifs  und  das  Summen  der  Moskitos 
erschallte  in  ihr  wie  das  eines  erzürnten  Bienenschwarmes.  Da  blieb 
kein  anderes  Mittel,  als  das  Feld  zu  r&umen  |ind  die  Nacht  lust- 
wandelnd zwischen  mächtigen  Feuern  zu  verbringen,  deren  dichter, 
bei£sender  Qualm  selbst  der  abgeharteten  Mannschaft  zehnmal  er- 
trftglicher  schien,  als  der  hoffnungslose  Kampf  mit  den  geflügelten 
Feinden.  So  wurde  denn  der  Tag  ^  mit  Jubel  begrfifst,  und  bald 
schwammen  wir  auf  dem  Paraguay,  dessen  frische  Brise  uns  wieder 
attfatmmi  liefs. 

.letzt  konnte  das  Auge  sicli  wieder  an  den  lieblichen  Rildern 
erfreuen,  welche  sich  in  stets  wechselnder  Schönheit  bei  jeder  neuen 


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Biegung  dos  Flusses  entrollten.  ;ui  dem  saftitxen  Waldesj^rün,  das  in 
den  leise  bewerten  Fluten  zitternd  sieh  wiederspiei^elte;  und  an  den 
stattliehen  Palmen,  die  ihr  iietiedertes  Haupt  anmutig  darüber  wiegten. 
Selbst  die  Yacares  schienen  uns  freundlicher  drein  zu  schauen  nach 
der  überstandenen  Moskitopein,  und  die  jiaar  Hundert  Jejenes, 
welche  manchmal  wie  Sandkörner  auf  Gesicht  und  Hände  tielen, 
wurden  für  nichts  geachtet.  Auch  als  die  „Luisita"  an  der  Paraguay- 
seite anlegte,  um  Feuerholz  einzunehmen,  begünstigte  uns  das  Glflck. 
Es  war  ein  yerlassenes  Obraje  und  noch  hig  eine  Menge  von  be- 
bauenen  Stämmen  umher,  welche  wegen  irgend  eines  Fehlers  zurück- 
gewiesen sein  mochten,  uns  aber  ausgezeichnetes  Brennholz  lieferten, 
das  nur  verkleinert  zu  werden  brauehte.  Zu  gleicher  Zeit  aber  war 
der  Platz  wenigstens  etwas  gelichtet,  so  dafs  ein  Eindringen  in  den 
herrlichen  Wald  möglich  wurde.  Da  machte  Dr.  Katzenstetn  endlich 
schdne  Beute  an  Tagfaltern  und  Käfern,  ich  aber  lieferte  drei  Pavos 
del  Monte*)  (Waldhflhner)  in  die  Kflche.  Dann  aber  ging  es  weiter 
hei  Humaitä  vorüber,  wo  ich  noch  schnell  ein  Paar  Tigerfelle  etwas 
teurer  als  in  Buenos-Aires  einkaufte  und  von  der  goldblonden**) 
Tochter  des  Gefe  Politico  mehrere  mates  und  einen  prachtvollen 
Jasmin  eroberte,  vorüber  auch  an  Gnrupait^,  bis  endlich  der  Abend 
sank  und  wir  etwa  10  km  oberhalb  des  Cerrito  ankerten. 

Die  Nacht  verfiofs  ruhi^^  waren  wir  doch  alle  übermüdet,  auch 
verscheuchte  ein  frisches  Lüftchen  das  Hauptheer  der  Moskitos.  Mit 
dem  ersten  Tageslichte  aber  schifften  der  Doktor  und  ich  mit  zwei 
Matrosen  uns  in  der  Kanon  ein.  um  den  Atajo  zu  rekognoszieren, 
einen  Arm  des  Paraguay,  welcher  westlich  von  der  Insel  Cerrito  in 
den  Parana  mündet.  Der  Dampfer  ^inpr  unterdessen  auf  dem  Haupt- 
arme weiter,  um  uns  an  der  südlichen  Mündung  des  Ivanals  zu 
erwarten. 

Die  Fahrt  betrann  unter  schlechten  .\usj)i('ien.  Schon  auf  der 
Barre  überraschte  uns  ein  heftijjrer  Heften,  der  uns  völlig  durclniiifste 
und  das  Boot  beinahe  ganz  anfüllte.  Trotzdem  fanden  wir  einen 
Kanal  mit  fast  3  m  Wasser  und  ruderten  guten  Mutes  hinein  in  den 
stillen  Flufsarm,  dy  wol  150  m  breit  sich  in  grofsen  Windungen 
zwischen  dichten,  üppigen  Waldungen  hinzieht.  Ein  reiches  Tierleben 
trieb  sein  Spiel  am  Ufer  und  auf  dem  Wasser.  Finten,  Taucher, 
GAnse  und  Schwftne  schwammen  in  Scharen  auf  den  klaren  Fluten, 
Stdrche,  Reiher  und  Löffelganse  fischten  an  den  seichten  Stellen, 

*)  Peuelope  cnbütta. 

♦*)  Blondes  Haar  ist  bei  deu  Kreolen  Paraguays  und  Argeutiniens  nicht 
zu  selten.  Dasselbe  ist  wol  von  Einwanderern  aus  den  nördlichen  Gebirgen 
Spaniens  Tereibt 


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—  371  — 

Wasserhühner  lockten  im  Röhricht  und  der  EisTOgel  liefs  seinen 
schnarrenden  Ruf  vernehmen,  wahrend  Papageien  lärmend  über  den 
Wipfeln  der  Baume  schwärmten  und  manchmal  das  Pfeifen  eines 
Adlers  oder  das  dumpfe  Kr&chzen  des  Waldhnhnes  aus  dem  dichten 
Laubwerk  herOberklang.  Rudel  von  Carpinchos  weideten  bald  am 
grasigen  Ufer,  bald  zwischen  den  Wasserpflanzen,  und  manch  Yacar^ 
streckte  den  iiufürmlichen  Kopf  trüge  aus  dein  Gewässer,  um  die 
nicht  gewohnte  Erscheinung  dos  Bootes  stumpfsinnig  zu  beobacliten. 

Doch  bald  verzog  sicli  das  schützende  Tiegen izewfdk  und  die 
Sonne  brannte  unbarmherzig  auf  unsere  Häupter,  ohne  dafs  das 
geringste  Lüftchen  die  Hitze  gekühlt  hätte.  Dabei  war  fast  gar  keine 
StrAmung,  und  schnell  wurde  uns  die  angenehme  t 'berzeugung,  dafs 
wir  mit  aller  Macht  rudern  mufsten,  wenn  wir  überhaupt  vor  Abend 
an  Bord  kommen  wollten;  denn  wenn  auch  die  grade  Entfernung 
nur  22  km  betrag,  so  sahen  wir  schon  jetzt,  dafe  dieselbe  sich  wegen 
der  ungeheuren  Windungen  des  Kanals  leicht  verdoppeln  konnte.  Und 
die  Perspektive  einer  Nacht  in  diesem  feuchten,  sumpfigen  Walde  mit 
Moskitos  und  Tigern  als  Unterhaltung  hatte  wenig  Reize.  So  begannen 
wir  denn,  uns  regelmftfsig  beim  Rudern  abzulösen,  um  die  disponible 
Kraft  so  gleichmäfsig  wie  möglich  zu  verbrauchen.  liangsam  stieg  die 
Sonne  lieber,  und  ihr  Keflex  auf  dem  spiegelglatten  Gewässer  vermehrte 
die  (ilut  der  zwischen  hoben  Baumwäuden  eingeschlossenen  Atmos- 
phäre. Bald  verstummten  auch  die  Stimmen  der  Tiere,  welche  vor 
der  steigenden  Hitze  sich  in  den  Schatten  des  Röhrichts  oder  des 
Waldes  zurückzogen,  und  einsam  lag  die  bewegungslose  Fl&che 
Stahlglanzend  unter  dem  ehernen  Himmel.  Auch  wir  zogen  fttr  eine 
kurze  Weile  das  Boot  in  den  Schatten  eines  überhangenden  Ganelon, 
denn  em  trockenes  Plätzchen  zum  landen  war  nicht  zu  finden,  und 
▼erzehrten  einen  Teil  der  mitgebrachten  Vorrftte  nebst  einer  Flasche 
halbgekochten  Weines;  doch  bald  zwangen  uns  die  massenhaften 
Moskitos  sowie  der  Gedanke  au  das  vielleicht  noch  weit  entfernte 
Ziel  zum  Aun)ruche.  Von  neuem  schlugen  die  Ruder  taktmafsig  die 
grauen  Fluten  und  Stunde  nach  Stunde  verrann  in  schweigender 
Arbeit  auf  der  stillen  Flache.  Und  als  dnnn  die  abendliche  Kühle 
sich  erfrischend  herabsenkte  und  das  ermattete  Auge  von  neuem  sich 
an  dem  Treiben  der  Schwimmvögel  erfreuen  konnte  und  den  Spielen 
des  Wildes  am  buschigen  TIfer,  da  waren  nicht  allein  die  Hand- 
flachen mit  Blasen  dicht  bedeckt,  denn  weder  der  Doktor  noch  ich 
hatten  Je  eine  solche  Lektion  im  rudern  genossen,  sondern  Gesicht 
nnd  Nacken  selbst  der  abgeharteten  Matrosen  fingen  an  sich  voll- 
ständig zu  schalen:  wir  waren  einfach  gesotten.  Noch  aber  kostete 
es  manche  Stunde  scharfen  rudems  und  schon  längst  glänzten  die 


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—  372  — 


Sterne  vom  n&chUichen  Uimiuel,  ehe  wir  die  Lichter  der  „Luisita**  er- 
blickten und  von  ihr  aufgenommen  wurden. 

Eine  Stunde  spAter  ankerte  der  Dampfer  in  Ciorrientes.  Wir 
hatten,  mit  Ausschluß  des  F^rtthstacks,  14  Stunden  lang  unter  einer 
tropischen  Sonne  gerudert  und  45  km  zurflckgelegt,  doch  auch  die 
Genugthuung,  den  Beweis  geliefert  su  haben,  dafs  die  wichtige 
Stellung  des  Oerrito,  welche  die  Brasilianer  so  lange  als  den  Schlflssel 
des  Paraguay  ansahen  und  behaupteten,  durch  den  oben  rekognoszierten 
Kanal  des  Atajo  schon  bei  Mittelwasser  leicht  umj^angen  werden 
kann :  fand  sich  doch  überall  ö  bis  6  m  Tiefe,  also  genügend  Wasser 
füi'  leichte  Kriegsfahrzeuge. 


Noch  einen  Zug  durch  die  verschlungenen  Kanäle  nach  dem  un- 
erforschten FesÜande  selbst  will  ich  schildern,  weil  derselbe  aber 
vieles  bessere  Auskunft  geben  dürfte,  als  eine  allgemein  gehaltene 
Beschreibung.  Es  handelte  sich  darum,  einen  passenden  Ort  fftr  die 
Kolonie  zu  finden,  welche  der  Kongrefs  gegenflber  dem  St&dtchen 
Bella  Vista  dekretiert  hatte,  also  in  erster  Linie  um  den  Wasserweg 
dorthin  nach  dem  Ufer  selbst.  Dieses  Mal  begleitete  mich  der 
Oberst  Obligado,  da  es  sich  fürs  erste  um  eiue  kurze  Rekognoszierung 
handelte.  Wir  sandten  Pferde  und  Leute  von  Belhi  Vista  aus  über 
den  Flufs  und  schitfteu  uns  in  einem  Boote  des  Kriegsdampfers 
„Pavon*^  nach  dem  anderen  Ufer  ein.  Als  Pfadtinder  (Vaqueano)  be- 
gleitete uns  ein  anscheiuender  Halbiudianer,  Gregorio,  welcher  grofses 
Ansehen  unter  den  Seinigen  geniefsen,  ja  sogar  Chef  eines  kleinen 
Stammes  sein  sollte.  Wir  fanden  ihn  im  Städtchen  Felle  und 
StrauC^nfedern  verkaufend,  und  es  war  ersichtlich,  daüs  er  dem  Be- 
fehl des  Obersten  ungern  folgte. 

Schnell  glitt  das  Boot  in  der  ersten  Morgendämmerung  unter 
dem  Ruderschlage  von  vier  kraftigen  Matrosen  zuerst  den  Paranä 
hinab  und  dann,  um  die  Südspitze  der  dem  Städtchen  vorgelagerten 
grolsen  Insel  in  den  Ilauptstroni  einbiegend,  flufsaufwilrts  bis  zur 
Mündunu  des  Yvira})ita  (Nauie  eines  Baumes),  dessen  breiten  Kanal 
wir  noch  einige  Kilometer  weiter  nördlich  folgten.  Doch  bald 
erreichten  wir  .\na-cua  (die  Höhle  des  Teufels),  wo  der  Paranii  Mini, 
welchem  entlang  der  Hauptteil  unseres  Weges  führte,  in  jenem 
Flufsarm  mündet.  Die  Stelle  verdiente  mit  Hecht  ihren  Namen: 
eng  und  voll  plötzlicher  Windungen,  war  sie  angefüllt  von  gefallenen, 
angeschwemmten  Stämmen,  durch  deren  verwickelte  Äste  das  Boot 
mit  Stangen  geschoben  werden  mufste;  zu  gleicher  Zeit  wölbte  sich 
ein  schattiges  Dach  hoher  Bäume  über  dem  ganzen,  so  dafs  nur  ein 


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—  873  — 


kundiges  Auge  die  Einfahrt  zu  entdecken  vermochte.  Endlich  war 
das  Hindernis  überwunden  und  vor  uns  zog  sich  in  sanften  Windungen 
der  etwa  50  m  breite  Flufs  dahin,  seine  hier  ziemlich  hohen  Ufer 
mit  kr&ftigem  Baomwuchs  malerisch  gescbmQckt,  so  dads  wir  in 
Voraussidit  einer  schönen  Fahrt  ^oh  aufatmeten.  Doch  plötzlich 
erfolgte  ein  Stofis,  begleitet  von  dnmpfem  Krachen.  Unser  Boot  safo 
fest  und  f&llte  sich  schnell;  es  war  auf  einen  verborgenen  Baigon 
gelaufen  und  ein  dicker  Ast  durch  den  Boden  gedrungen.  Glttck- 
licherweise  hielt  uns  derselbe  Staiiiiii  wie  angenagelt  auf  der  Ober- 
fläche und  während  einige  das  eindringende  Wasser  ausschöpften, 
andere  aber  das  Leck  mit  Lappen  verstopften,  schnitt  ein  tauchentler 
Corrontiiier  den  Ast  unter  dem  Boote  mit  einer  Säge  ab.  Mit  dem 
Stumpf,  wie  mit  einem  Kork  im  Boden,  eilten  wir  nun,  stets  Wasser 
schöpfend,  nach  der  nächsten  flachen  Uferstelle,  um  das  Boot  auf- 
laufen zu  lassen. 

Der  Zufall  begünstigte  uns.  Der  Platz  (Patocni,  Entenloch) 
war  bewohnt  Euiige  Holzhauer  hatten  sich  zeitweilig  darauf  nieder- 
gelassen und  ihre  FVauen  empfingen  uns  mit  freundlichem  Grufs; 
doch  hatten  zwei  derselben  Flinten  in  der  Hand,  die  dritte  aber  war 
mit  einer  Axt  bewaffnet.  So  kriegerische  Haltung  erklärten  sie 
übrigens  gleicli  mit  der  Nachricht,  dafs  die  am  Ufer  spielenden  ^ 
Kinder  soeben  einen  Tiger  nach  ihrer  Seite  zu  über  den  Flufs 
schwimmen  gesehen  und  sie  sich  auf  seinen  Angriff  vorbereitet 
hatten.  Unsere  Ankunft  verscheuchte  die  Gefahr;  und  wahrend  die 
Matrosen  das  Boot  aufs  Trockne  zogen  und  mit  bereitwillig  gebotenem 
Carpinchofett  kalfaterten,  nahmen  wir  den  landesüblichen  Mate  und 
besichtigten  das  kleine  Lager. 

Unter  mehreren  schattigen  Lorbeerbäumen  waren  zwei  Segel- 
tflcher  zeltartig  aufgespannt,  so  daTs  die  Giebelseiten  vdllig  offen 
blieben  und  die  Leinwand  des  Luftzuges  wegen  noch  etwa  einen 
Meter  vom  Erdboden  entfernt  war.  Einige  aus  Stangen  gefertigte 
Lager,  jedes  mit  dem  entsprechenden  Moskitonetz,  sowie  mehrere 
Klötze  zum  Sitzen  bildeten  die  ganze  Ausstattung.  Angelruten, 
Harpunen  und  Huder  lehnten  an  den  Bäumen  und  in  einem  grofsen 
Topfe,  dem  einzigen,  brodelte  (la>  Krühstück  der  Familie.  Nackte 
Kiiider.  Hunde  und  zwei  Kampfbähne  vervollsUtndigten  die  Scene. 
Die  Männer  aber  waren  in  den  Knnoa  zur  Arbeit  uefaliren,  welche 
im  Schneiden  und  Zurichten  von  Bamburohr  (cana  de  tacuara) 
bestand.  Dasselbe  findet  stets  guten  Absatz  nicht  nur  im  nalien 
Gorrientes,  sondern  auch  in  den  weiter  stromabwärts  gelegenen 
Stftdten,  wohin  es  jährlich  in  vielen  Sehiffisladungen  geführt  wini. 
Aufserdem  f&Wen  diese  Obrajeros  auch  wol  die  Stamme  der  sumpf- 


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liebeüdeu  Caranday-Palme,  welche  in  etwa  8  m  lauge  Stücke  ge- 
schnitten, gespalten  nud  des  Markes  beraubt  werden.  So  zubereitet 
bilden  dieselben  stattliche  Dachpfannen,  mit  denen  die  meisten 
ländlichen  Wohnungen  auf  dem  anderen  Ufer  gedeckt  werden.  Der 
Lebensunterhalt  dieser  Leute  beruht  natürlich,  aufser  dem  wenigen 
mitgebrachten  Maia,  auf  Jagd  und  Fischfang;  doch  trieben  sie  auch 
anderen  Sport  Auf  der  Uferbank  nAmlich  lag  ein  riesenhaft«s 
Yacarö  (es  mafs  6^5  m  von  Schnauze  zur  Schwanzspitze),  welches 
sie  hai'pnniert  hatten  und  dessen  Ausdunstungen  den  Aufenthalt  im 
Lager  nicht  angenehmer  machten. 

Unterdessen  war  unser  Boot  wieder  seetüchtig  und  wir  eilten, 
die  verlorene  Zeit  einzuholen.  Der  Flufsarm  zog  sich  in  ziemlich 
gleicher  Breite  dahin,  die  höheren  Uferbänke  mit  kräftigen  Laub- 
holzbeständen, die  flacheren  Stellen  mit  dichten  Canaverales  iBanibu- 
dickichten)  bedeckt;  docli  selbst  an  den  höchsten  waren  die  Marken 
der  Überschwemmungen  deutlich  erkennbar.  Schou  näherte  sich  die 
Sonne  dem  Mittage  und  brannte  schonungslos  auf  unsere  Köpfe. 
Zwischen  den  hohen  Schilfmauem  ging  kein  Lttftdien,  freilich  auch 
kein  Moskito,  da  diese  liebenswflrdigen  Tiere  viel  zu  zart  sind, 
sich  dem  Sonnenbrande  auszusetzen,  und  wir  begannen  uns  langsam 
dem  Zustande  gesottener  Krebse  zu  nähern,  als  endlich  die  voraus- 
gesandten Leute  und  Pferde  auf  einer  schmalen  Sandspitze  sichtbar 
wurden.  Wir  waren  in  den  Tres  Bocas  (den  drei  Mündungen). 
Hier  teilt  sich  der  von  Norden  kommende  Paraiiä  Mini  iu  zwei 
Arme,  deren  eiuein  wir  soeben  stromaufwärts  rudernd  gefolgt  waren 
(10,7  km  bis  zur  Vereinigung  mit  dem  Yvirai)ita),  während  der  andere 
direkt  südlich  Üiefseud  erst  nahe  bei  Kecou^uista  ia  dem  Uaupt- 
strom  mündet. 

Auch  hier  umgab  uns  dichtes  Bambugebüsch,  doch  ging  immer- 
hin auf  der  weiteren  Wasserfl&che  ein  leiser  Luftzug  und  es  lagerte 
sich  ganz  gut  im  Schatten  einiger  Drachenblutb&ume  (sangre  de 
drago).  W&hrend  des  FrOhstacks  erhielten  wir  Besuch.  Eine  Kanoa 
mit  4  Mftnnem  glitt  schweigend  stromabw&rts  und  ihre  Insassen 
folgten  recht  widerwillig  der  Aufforderung,  sich  dem  Obersten  vor- 
zustellen. Es  waren  Jäger,  die  ihr  ganzes  Gepäck,  bestehend  aus 
Harpunen,  Angeln,  Moskitonetzen  und  einigen  Bündeln  Felle,  mit 
sich  führten;  ein  Hirsch  und  zwei  Carpinchos  waren  das  Ergebnis 
ihrer  letzten  Jagd,  einige  wild  aussehende  Hunde  begleiteten  sie. 
Jeder  war  mit  einem  alten  Minic,i,a*welu'  bewaftnet  und  trug  seinen 
Schiefsbedarf  in  einem  Säckchen  aus  Otterfell  am  Gürtel.  Die 
trotzigen,  wettergebräunten  Gesellen  schauten  ziemlich  verlegen 
drein,  als  Obiigado  sie  einem  VerhOr  unterwarf,  mochte  ihr  Gewissen 


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—  375 


doch  mcht  völlig  reia  sein;  doch  kamen  sie  diesmal  mit  einer  Warnung 
davon  und  bestiegen  sichtbar  erleichtert  ihr  Fahrzeug,  um  so  schnell 
als  möglich  der  gefeLhrlichen  Neugier  des  Obersten  zu  entkonuien. 

Unsere  Pferde  hatten  schon  einen  beschwerlichen  Weg  gemacht 
(von  Bella  Vista  aus  23  km);  denn  zwei  breite  Arme  des  Parani 
hatten  sie  durchschwömmen  und  auf  den  Insehi  selbst  schon  eine 
ansehnliche  Anzahl  von  Bächen  und  Kanälen  gekreuzt  Jetzt  standen 
sie  aneinander?jedräugt  im  Schatten,  in  fortwährender  Bewegung  die 
Stechfliegen  abwehrend,  die  sie  zu  Hunderten  lunschwärniten.  Es 
war  nötig,  einen  Weg  für  sie  durch  das  Tacuaradk  kicht  zu  bahnen, 
das  uns  gute  200  ni  breit  von  der  ofleueu  Niederung  trennte,  und 
es  dauerte  volle  zwei  Stunden,  bis  derselbe  praktikabel  war;  standen 
doch  die  eisenharten  stachlichen  Bohre  so  dicht  wie  die  Halme  eines 
Kornfeldes.  Dieser  Aufenthalt  war  an  sich  wünschenswert  genug, 
denn  die  Nachmittagssoune  war  sengend  heifs;  doch  mahnte  uns  der 
schwierige  Weg,  der  uns  bevorstand,  zur  Eile  und  wir  waren  froh, 
als  wir  endlich  im  Sattel  saDsen.  Zu  acht  ritten  wir  durch  die 
Picada,  die  Hannschaft  des  Bootes  zurflcklassend  und  trabten  dann 
westwärts  durch  das  wogende  Gras,  immer  auf  dem  Albardon  (dem 
erhühLeu  Uferterrain)  dahin,  welcher  sich  zwischen  dem  Palometa- 
cua  (Höhle  der  Palometas,  einer  Fischart)  und  den  Sümpfen 
zu  unserer  licchten  hinzog.  Anfangs  kamen  wir  schnell  genug 
vorwärts  und  erreichten  bald  die  Furt  jenes  Kanales,  in  der 
wohl  einige  zwanzig  Lobos  (Fischottern)  ihr  Spiel  trieben 
und  sich  oft  wie  Delphine  weit  aus  dem  Wasser  schnellten.  Doch 
von  nun  ab  änderte  sich  die  Sache.  Zwar  war  die  hohe  Küste  des 
Cbaco  nur  noch  S  km  entfernt,  und  deutlich  zeichneten  sich  die 
malerischen  Umrisse  ihrer  Walder  gegen  den  abendlidien  Horizont 
ab;  doch  währte  es  drei  hinge  Stunden,  ehe  wir  sie  erreichten, 
da  die  Pferde  auf  dem  sumpfigen  Boden  nur  im  Schritt  vorwärts 
kamen  und  auHser  dem  Arrogo  Pairidi  noch  vier  andere  kleine  Bäche 
zu  durchschwimmen  waren.  Bei  einbrechender  Dunkelheit  und  völlig 
durchuiifst,  laugten  wir  eudlich  am  Fufse  der  Hügelschwelluiig  au 
und  lagerten  in  der  nächsten  Isleta  (Bauminsel)  zwischen  den  Wurzeln 
eines  riesigen  Lapacho,  der  wolil  aiulertlialb  Meter  im  Durchmesser 
haben  konnte,  und  vom  Sturme  gefallt,  ruiiig  weiter  grünte.  Schnell 
waren  die  Pferde  angepflöckt,  die  Sättel  zum  Lager  ausgebreitet, 
und  da  ich  noch  eine  Königsente  (pato  real)  von  ihrem  Horste  ge- 
schossen*), war  auch  unsere  Mahlzeit  nicht  ganz  auf  Charque  (ge*- 
dArrtes  Fleisch)  und  Konserven  beschränkt. 

*)  Die  Königsente  (Cairina  moschata  Bunn.)  nistet  auf  den  liäuiueu.  Ich 
•nälik  also  keine  JagUgeschiclite. 


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—  376  — 


Haid  lag  alles,  ausser  der  Wache  bei  den  Pferdeu,  im  Schlafe, 
nur  der  ()l)erst,  Gregorio  der  Vaqueano  und  ich  rauchten  noch  die 
letzte  Cigarrette  am  verglimmenden  Lauerfeuer,  als  bei  einer  Be- 
merkung des  ersteren  über  einen  in  Corrientes  verübten  Mord  der 
Führer  uns  durch  die  Aufserung  überraschte,  er  habe  davon  in  der 
Zeitung  gelesen.  Wie  kam  ein  lialbindianer  und  Kazike  der  wilden 
Ouaycunis  zu  solcher  Wissenschaft?  Da  erfuhren  wir  denn  folgende 
Geschichte.  Er  var  ein  Weifser  aus  der  Provinz  San  Luis  de  la 
Punta  und  hatte  seine  Vaterstadt  wahrscheinlich  wegen  eines  Desgrada 
(so  umschreibt  man  dort  das  Wort  „Totschlag")  verlassen  mOssen, 
wenigstens  erinnerte  er  sieh  noch  des  Tages  seines  eiligen  Auf- 
bruches. Nach  Montevideo  verschlagen,  ergriff  er  das  Gewerbe  eines 
Cigarrenmachers;  doch  bald  der  sitzenden  Lebensweise  überdrüfsijf, 
war  er  wahrend  des  Paraguaykrieges  als  Viehkäufer  in  die  Dienste 
des  grossen  Armeelieferanten  Don  Mariano  Cabal  getreten,  hatte  als 
solcher  das  aüiirte  Heer  bis  nach  Corrientes  })eLr1eitet  und  sich  dann 
mit  dem  ersparten  Oelde  als  Obrajero  in  San  Fernando  nieder- 
gelassen. Dort  schien  ihm  das  Glück  zu  lächeln.  Seiue  Frau,  eine 
Indianerin,  führte  ihm  die  Kundschaft  ihrer  Stammesgenossen,  der 
Tobas,  zn,  und  da  er  selbst  in  wenigen  Jahren  diese  Sprache  sowie 
andere  verwandte  Dialekte  fertig  sprechen  lernte,  wuchs  sein  kleiner 
Kramladen  —  mit  jedem  OlHraje  ist  ein  solcher  verbunden  —  stetig 
an  Bedeutung  und  er  monopolisierte  den  Handel  mit  den  Eingeborenen. 
Sei  nun  der  Neid  seiner  Genoasen  die  Ursache  gewesen,  oder  vielleicht 
eine  neue  kleine  Desgracia;  die  That**ache  ist,  dafs  Gregorio  auch 
von  hier  tiüchten  miiiste  und  mit  Weib  und  Kind  direkt  zu  seinen 
Schwflgern  in  die  Willder  des  Chaco  zog.  Nach  langem  Umherirren 
(er  behauptete  alle  Stilmme  bis  nach  Oran  hin  besucht  zu  haben) 
hatte  er  sich  an  dem  Ufer  zwischen  llmpedrado  und  Bella  Vista 
niedergelassen  und  einige  10  oder  12  Indianer  um  sich  vereinigt, 
welche  ihn  nach  der  freien  Sitte  des  Volkes  wegen  seiner  Klugheit 
und  Tapferkeit  als  ihren  Chef  anerkannten ;  er  war  also  zur  W' ürde 
eines  Kaziken  emporgestiegen.  Seine  Lebensweise  und  Kleidung 
waren  natflrlich  ganz  die  eines  jener  schon  beschriebenen  Wald- 
läufer; aufserdem  aber  trieb  er  Handel  mit  den  Eingeborenen  und 
tauschte  die  so  gewonnenen  Stranfeenfedern  und  Felle  wieder  in 
jenen  Städtchen  gegen  europaische  Produkte  ein.  Bei  dieser  Gelegen- 
heit war  er  in  die  Hände  des  Obersten  ^^eraten  und  die  Begegnung 
brachte  ihm  wenig  Glück.  Als  er  nändicli  nach  uns  geleisteten 
Führerdiensten  zu  seiner  Ansiedelung  zurückkehrte,  fand  er  dieselbe 
geplündert,  seine  Leute  erschlai^en  und  Krau  und  Kind  in  die  8k!avtTei 
eines  fern  im  luuern  lebeudeu  Stauimes  weggeschleppt.  Zu  schwach. 


"P®H  'd  •^sjni^.TJ?  nStiix  "■^p  tu  ipxn  Xaojwj]  oiy  jap  gjvp 

jioSuoA  HI  )6[  J93PQ2  '^P  1 9q08niM(kiaiin  ^qaca  aif^  «ijniasiads 

uaq9n<>D1iP       ^im^  '«iipQxpsnir  qois  Snqdu  nopansy  ni  loqpfi^neQ 

uid  oiM  'sjaidg  UTB  iionösar)  iiapuasuuJ?  s^>p  Jioiiquy  aap  tJi^qsjaiudS 
^si  naj^jviiDJg  S9p  qospi^^  sbq  'laSQ^v  P"*  Qsqon^  'oaiijqaaswmv 
*9q8>I  9U|azni9  jnn  jm  U3qt?q  -^Bfi»  inan«  ^-jauSaJSaq  aiA  puis 
uojT?n«i?f  pun  iiaai(Ii?x  uoa  u9/^0j^\^  pnn  uajndg  nOi^ipiyzu,]  'ina^sA's 
-jaiqdBjojapX  aqofiqon'^jjqaS  o^joc;  nn  sup  'jans^^  ajasun  juu  ^.ioa\ 
"'^uy  s\}s  'uaqasaii  ua|ntisqomujani?ipux  .hm  uaqeq  xjUun.Taj)ir^^[  jasjo.Tlri 
uj  '[ir^pnq  j^aMTniay  uap  ^qDTa[  .laiia-q^a^^i^  aip  jap  jm?  '^jj^naj^s 
-ja  „^'piJiuai)^"  ajoQBi  aaia  vjuui^vuuvj  uiuz  siq  aao^bq  iuoa  qois 
sjvp  08  'q«  UIVJJ9X  9zvnS  svp  jiü  uanuaiq  sun  j«|uih  -uapog  uap 
U93[99p8q  oomvg  aqyniqSiaAZ  udpnv^sqv  ni  pnn  nuo  soqidS 

t^gqaS  ja^sjnij  aniz  %f^m  6Bm  ^j^b  %si  9pQina  e^fjmiu!^  9013 

-a9q9!|89q  ndpanj^ 

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SÄaipjan«  1 1  Japjojaq  apox  nz  junj  puis  ■^srjaCsiq  'sun  ^lui  q.)si9iji  sup 
n9Jqnj  pun  ÜI9  89  ii9Z|V8  '\>]v.\  a8Sj9m99  n9q9  jpK  s«a  *aa;qa«[qa8 
jiAv  1  ua^i^qaxfsnv  atäq.ioiq  srq  so  uaqcq  uasqj()  ujasun  noA  uqaziajq 
•snBJOA  apjßS^UBAV  aqaiiSoAvaq  ^q.iiaj  si«  '^japiu  ju^j  jaiuuin^  piin 
•j/^TuiajaA  aq^?:>sui[Bj  a:^°o[ai'^jaqti  q.unp  uu^p  uapjOAV  jai^v  'uaii^q 
aoiHJji  sa^jnnj  nia  s)JVA\qvsjny  a3|;iaj)S  aiiia  'ua])jaAV  qoii^Ju^Snz 
jaAvqas  uoqas  jaiq  auin^g  up  'uanoAv  jiAi  t —  ')iazua>(00jx 

J9p  ui  9pgj[ds  %si  zio|i  8vp  —  £an:^|9qj«9S  J9p  puaiqvA  a9i^aiuds 
-JI9Z  8901IVX  JOM  *8ain«q?q<nBf  aap  9puis  a9p  ipois  89a9Boq9d 
QUO j  IIP  Ol  pnn  69:|8Q|9960i  019'  qgv^Qia  %si  89  Svsipgai 
-j9a«ipoi  pon  Ai^nnud  $xb  qooo  09q98  918  *d!)i9j  8!|i9J9q  poi8  890otx 
*n9oiq9D  jnioq98!|q9iH  Jnz  ^oix  S9p  9doin  9q98pid«i8o99 
9|p  Sizuia  JIM  0l9pu[  *puis  )äi:)qaajaq  qanir  nzvp  *U9819AI9  49jqD^ 
9J«qqonBjqun  8n«qojiq)  S[b  nay«}!  aqoii^iiiBS  qois  vp  *lfM  sjBp 
pun  'uapiqasnzuia  sim  sit?  'iiaqtjq  iq^AV  ^-i^P^ii?  auia}(  8pji:A\uo^ai^ 
JIA  sj!?p  ')qa)s  ;sa^^  (^  ua^iajqDSjaqo  uz  nSuix  pun  [aoauj^  uoq.)S'iMZ 
apiaqobjassi?A\^  aip  pun^  jaqn  Si-^iaz^qoaj  am  'naqonsjaA  saji« 
JIA\  na^sjpni  'aqaijqosoq  11/  [aonvj^  map  ua:isaA\^  q.)i?u  udiio^i  uauia 
qoqpjQU  ja:jiaM  aao^kq  jasaip  pun  'ainos  ua^ieqaq  :jqoaj  ai)(und4(Ini?ji 
ai989ip    Ol    98I9j^    J9:Bl|98^dQldun    '^l  qd8l«|pUQJ4ll    'iiq%}J9  X881 

i9po  g88|  uoA  088010  ^V^Hl      9)dnn|piizoiAOji  j  ooqpsnronisvJiq  19019 

JOB  9K  9ip  ^dOIIll9!|8Jtrpi«p9d$  9Z0V8  9ip  8)Vp  ^ai9pz:|0X|  918  OD9j||^ 

*zofod«x      YI™<Kr  ^ovimrejn j  89p  9iinz99B)J0j  a»p  si«  *i90ii«|| 

99$  Omz  09)1919  pon  09^0117  J9Saip  9880[J  9nV  !p[diq3$  ^9)0qf MI9  qoi 


—  S68 


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jaai93[  jnv  puis  jdssvüdO  ^^p  yxvi  aap  pun  d^tiri  aip  9ia 
•sj^jnqao  diQ  *q3i)S  ni  d|||QA  *BSQ!^«a«jrej  eap  s^tasaar  %i9ik  *ou«90>| 
^las  aoi|a8  81111  ua88V|  *andu  aiA  a^in  *ad)JV]g  aip  i^qaiajua  nSajx 
sap  aSotn  aiiasiqdvjdodlil  aip  itvj  uaqvq  jim.  Jiap 

SiiiQ  1119  uid))Hu^'udqd'^x  Ut)pua3<uuodQn  \\v^{  uaqoios  j^J  u^P  \^ 
puii  ajainsu'j  jaiasan  apim]<^ii^  uapi.)oiq.)s  uiop  loq  ^si  S8i(j  'uaqa 
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q.)s.iuj^  uouio  sp.niutr.iU'>!'  iiv)T)\;q  "J{l  ,9c;  jiii:  snn  uopnqoq 
pun  Mji  'S  q]]  uop  ui  uajian?)  aui.is  );it)[.ioA  riunssuynv  o.iouou  tuiij 
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Ui):nqa[vi9  oiq  'ue^iJV^s.iaA  d^addoQ  siqi  piv  p[K(i  uoi[.)s  jaq«  q.ifs  sjmu 
Mu  0^  uuA  a^iajg  auia  ^nq  ja  'paa^^uapaquii  qoiiuiaiz  qaou  japiei 
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'puaqai:|stiz  uapiox  mep  qonv  *qai8  aap  ^iAo^t^  01^  aap  *gi  uro  *uanvq 
i^un^^qai^  aqaiipjQu  aip  'aqavg  9i9^j9Jß  jia  ü9y»x%  'Zl  pun  *n  uty 
*iiaz;)asnz)jioj  u^^'sq  qova  atsia^  aip  ^oa^^vq  uadozaj^jOA  )qatu  jia 
sjvp  81«  ^q9S!)vaia|qajd  nz  JXQ  9i'fV\i{.)v,^  azuvS  aip  q^n«  ua^iaiq  puu 
uiO[5i  nz  jatiB  uqi  uapuuj  'o^uiojisuz  uiqi  .lap  'soqjva  ueq-iii^u^J^nz 
^sqjiMuiz  Kun  sap  /funqonsjo^uQ  ipu  xft?x  uauiD  ua)qoujq.i9A  .iiav. 
•UI8S  iiuUjX  sap  «jn|)|p'>n^  uio  puu  'u-)r;a!quiu  uop.io^  uor;  op.ia.\A 
ja  'ua^yoq  jim  sjvqi  os  uu  it.t.i.is;  ouio  uooor;  'p)i|  u^nsopn^  qn;a 
aap  "pi.)ig  ui  sassu[ji  souia  ^oiqarq[au5  siq)  ii.^m»iis  suu  uii:>[  ipif' 
uiy  "ua^uuu)!  uajii()j.ioA  \jSui^iiu«.iuj  uniz  spi  qoou  jim  jnu'i  uassap 
'q.ii?g  ua:|z:|a|  uap  jia\  ua^jaissud  spaaqv  7,  uap  '^idiqasjvuiq^ 
-vaiuBj  sap  laifi  ua^qaaj  moA  jnü  uaiBA  \[n£  -g  uaQ  ':p<uBia}juB 
ua^piqaqiqoiA  'aauqaiazaq  vub^h  ap  wag  ui^'^tio  jauias  qavu  ;$nz 
-BJdJiqaf)  aaqva  uaaia  jui  aiü  'naqvq  q|nv;a)d  iAu)vg  oi^  ua^uapisirJia 
sap  aaiqs  nz  im.  aap  ^assnij  masaip  m  jia  puis  spnaq«  unf  *gi 
udQ  'OjapoiauaA  nz  i9iznBMZ  ja^nn  iqaio  iqi^z  o^^un  mn  *]{90jnz 
IIM  ua)[«q  laq«  iviupg  aaua^iuaq  jap  env  ja^iaqjy  ua:|saq  uap 
Hiani;}   'aaqaiz)ua  nz  SnnjaiSa^  jap  pun  nassttijaqt)  nz  ivs}(.qq.)^ 

uiajqi  'uajai^uas^?jdaj  >iJi:i\;  öOOFi  »ip-'n  ■l-i'^AV  wöiM*^  '^-i^n 
-pivj^  'jqatj  aip  '^qaajx  sjip  ]q.)iu  jiav  uaquq  '\miß  jau;iar;ü(i  a|oosuaq;)s 
-ua]\  jania>i  jaqu  jiav  vp  :uauuo>|  ua.iqa>|}[.)njnz  uiaip;  uojjijq  pi-MU 
uoJ^nia  \Y  öip  'uaJVAv  ^au^iaiiaq  tiajqujaf)  uaqojaAV  puaijjj  sjiqj 

uiuz  si»!  JIAV  uuaAv  'uauiqauiiz'^iui  ^'ipjjqaiai;^  ua)ßp[og  auaj*  'iqai^'qv  aip 
uaiivq  ji^  -^^oiuio^aq  tiqduqaB^  auia  jaq<Kpio  ^P^S  ^J^P 
'uaaiqau^iai  uau^Z  ^!P  uapiaA  ais  ij^aujnz  t|pir)s  jap  q^vn  uajat) 

—  T68  —  ^  , 

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•t88l  !W  "OB  *^ff  «tf 

aip  jaqii  a9)ioq[dzoi3  d^avssaia^ut  ipoii  )|Vil)ua  pun  t^qaii^^aajiQJdA 
j9q(Kp(0  *8S  laoA  za9puod89.ijio}{  jteqdinjvqosaassiA  s)p]Oiii  *v  ai  dpjim 
aqfdsjdp  tov  a«ipu«MjaA  9am  m  iiiff  Oo  ^^^^  aauia^^;  [>  a 
6»p  jdu^  uduid  qooii  dunsniQdJi^  mz  ann  jatq  U9sjd([i{;)s  ji^v 

-.10(1  i;uiuio(r;a>|  iioi|Osium|is'u.i([  .lap  nin  oi\i  i[.)«u  uoi)ipü(lx%[  .lop 
a9paj|S:jijV  aip  uajqnj  .laquiOAO^  '(j  my  -up  "jt^uiiaH  .wp  u;  ua^qmuAv 
m\)  laq  uoimasie^  .lap  ojr>i.T^]  .)z.iii>i  lut'j  su-ß  uojaii  JoqmoAo]»^ 
a])U3  aaSat)  'stiuo/my  sap  iiiiupiini^  aap  iit?  i;.n?j  '£  •{>  jaqü:>>(0  ^l'^^ili 
uo|:)ip3dx'^  9ip  d^qoidJid  uiunMi^aiax  )uvi  iudßmi^ß  ^  na  luai^Q^uiq 
unu  0900031         'mn«iO  '«iQ  uji9H  sap  q9nq9Svx  ^^P  YPAOg 

*)q98i0jji9  U9sjii9J,i  UOA  i|J9qttipv  U9zoud  09p  qojtip 
'^uo«3i9q  91Ü  9pinji  |n«ii»)on  j9q  'oaooao  nz  8v:i[!J90i«pQg  8jo|,»[ 
9q98)n9p  Jtap  aqi98J9p  9j«a  ouBp  'a9jqt^qti0!q  ^vx%  oap  *!|jSafiaS 
80ti  88  009^  'U9z:|9{:)j[oj  "xyLi^  uap  *U99J00iJa(in  snv  jaiq  uoa 
i{jsju]v  uap  .riM  uapjaAv  pon  iiauoo^  aajni;}iu9mai«6nz  qooo  qa!i>[oniii 
jiAv  uaqvq  a]u.uo^Y  puii  uaaiiAMiasr^  ua^i'^ou  aiQ  •uaqansjiii? 
qa«u  ja^iaM  uaqiassap  sjnp||on?)  uajapuv  iiauia  'iiai>uB{a/;  uz  n^uix 
uap  u}  lun  'os|i?  iia'jsjniu  jia\  tzofrduj^  uap  ui  s«51ui:^uub.iuj  .lap 
'■jiKiVASja  aiA^  ''^sjaiy  uofp^iuy  iiaq.)siin!iiistuq  qaH>^  ia^napai»UB  ii/^uix 
sap  sjn[)uaqaN^  s[i?  ajini'^j  iiaaa}(OA\  uiauias  ui  y^i  pnii  soabij  a;.iin[ 
s^^I^I^S  Ji<^'  ^sjiaq  8jui^  jasaiQ   'a9uv|pui-S{a|tK>«(i  aap  iäanipaisuv 

0909^919«!  i}Vi$UI!|Ba«JVd  01^  OTO  J9019  Ol  J9iq  800  09p099q  Jl^ 

'U9q9izqv  0I91PI  9^8)001  oviidtis  jrap  poo  qais  9!|iqoj  poBOi9t^  *98ioj 
oiqi  i9A  *Xdox  9)Stmj  q9ii8j9!|qas  '99097  lap  iqojajSjq^  8Bp  m 
99Jdni9ddv  poo  (q9j9qo9S90  qvS  aoj^svo  '9qvq  a9J9tpQ«uiaio>inzit9(Mnz 

Wo>l^:i  d|p  .la  sjL'p  'jiiBJvp  a^jiqjija  i^i  qi?  zjiijf  iiqi  nasaiM  Ji^V 
•^uni^Di^^A  Joz  JiJtJj^  (jQx  qoüo  soatisqaoq  3[ji;jy  oOüt-  Jqujaj^on  WA 
qoopaf  a^^uq  Adnx  i  iji?qa^uuT?j^  aip  jnj  ia:)^iuisnaqa'^j  .lap  j^iiniqvz 
-0^1  ua:|«u«|jaA  Ji^w  •^.iaipm?niuio>(>[an.iiiz  ^^\\^'\  01p  i[.)n\]  a;]rq  'q.n^u 
uaq.^«;jiM»U',^I  ui  nio|[U  t>iüi  ja  O'^siaj  pini  '^a^qnu.ioiim  iirUioqaqosai)  map 
iK'A  A«(u  [^  ap.iiiAv  ua'jt?p[o§  uapua.iqa}[iuiaq  uap  uo^  "Ji-^ü'ii'i^  V4^''^"0 
iia^jiu{.»<(  ii.»5rf|:)0u  uap  \\m  ai«  ua^iap-ioaq  pun  uaqaqjini.") 
ad:[>iu9ii  jap      uai^vp^og  U9p  uoa  aaqB  uasjdii^ud  'ua^smnzsnv  iiau 

09|80S  909^19  jn«  aon!P9dX3  91p  *)I0J08  090iq«r0J9)OO  Jlj^  I09)|108 

0198  09pa«qj0A  a^VJJOA  9)vuok  6  ^X^  8ooj9qaisjaA  SiCdnx  qavo 

poaiqvA  *a«pvq  !|atiiA0J«i  a^x  tl  ^0}  ^l^P 

jap  ooisiAag  aaoia  laq  jim  oapntrj  puo  japaiM  ^qoni  um|  i^dnx 


—  068  — 


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'H^H  .i'^in;i|iiii  si.in:.)i;^I  .lop  ju9iui.\>in\-  luauia  in  .uw  m\ip\}m  ]n\n 
Ufupns  nz  .ivu  |  4sq(,»s  umi  uiqi:ii.io(|\)  Adn^^  udpni.wqosadA  qos.ü;j^ 
uiop  jui?  iu)sri.)Q  iiDp  >iunnqo|oj7  jnz  rnnq)  sjoi[  .i^saip  pun  .lor/qjo 
-ja^UQ  m\)  qn(q)af  :n9iq  a«Iux    'Ud])t?q  liiiujiiv^q  Ailiix  pi\  s-^uutjq 

-OD  SiiIQA  89019  )q3i8|ny  ia:|iiti  pov^s  joix  SVQ  '89J1(TI|)|Qi  nosqoo 

ndqon^mus  jap  )sn|jaA  J^p  JVa  siuSiajg  ajidpn^indpaq  9)SJ9  6«(i 

'a8Jio|J8A  )I9Z  piA  i|qa9  uaqong  udp  ioqo  pan 
!|UJajin9  J8!|19M  8jeix  Jdp  sdui9  qois  )t»q  sno^siaia  :8Jidt)iuv|v  pun 
nasqoQ  jap  aojqojudmiiresn/  svp  U98jofg  napaf  :)q3Biu  ^laqay  pi.v 
•jqi]9 — f:  HOA  sStri'jiuiqoBu  pnn  Jm\  i\ — i  noA  sStri^nnJOA  qoiiuqQA 
-aij  uoaquAi  aqj^jjyj/^  aiQ    ^jq  .lopu  .wuiusJuia  uia  oijüso^ 

•qt?.iaq  sop^qiuoj^  oi\{ 

Jap  "iKiiJAUj  sap  ysj>iiyi[an^)  jap  jaiiio  loss\»|p»q|  ua}|[i)jja  uainiuj 
ua?Ji:jqovui  puii  uoiinMäa^v  jaqosidoj-)  ja^^iddu  }un  monia  ni  '^so) 
jaiH  'ua^ai^^saq  uva^ujj  siq)  jiav  oav  'aiwj  aip  jvav  uoqjs  qoij^iJiAv 
qoi|q|vqo&pQvq  '((duqaiazdä  eq^ios  ^it  qauB  eis  pajs  'a8q98}U!n|istuq 
nep  }DV  *a  *z  efA  *a8)j«3  ud^qoeiq^s  px9  pan  jvp*  nsxieig  spi 
8nv99«I j  6989ip  9iii;|qv  9tp  qofs  nana^is  aaqasaS  aiuaj  jap  sny 

lapnq  saaiiismg  iiOAjasauassvjy^  aqail 
-tuadia  8vp  ^Xmdvjiij  sap  aiMOS  ^nozvmy  sap  assQpnaqaf^  ua^q^ai 
uaqDil]ui||8  jap  ^aiqai^naiiö  ^l^'  V^^  ptaaj^sja  inaunuo>j  uap  qajup 
janb  ü9ja||ipjo:)  uap  nOA  in  OOC  9qOH  "öq-^iinfuqosqojnp  jania 
III  qois  «eq.)|üA\  ainqapaJiSUB  sup  ua^ujjaq  puii  sjujj  uap 

^.Top  nam.Tq.isjO(in  '^^^'^^"0  ^RI  ^^P  -^^^J  l  'i^^>liiH  ni^l»  J"^^  -^iav  uaqaijq 
OLnJso)[  sif[    "iijo^is  puu  "nujojnia  ju.w  piK)iiar)  aua«ozqajnp  ai(7 

iiuBi^  jaiuifsqaj^is  j^qoijjqo  iiia  )si  'jaizyjo  ajaiJuuf  jap  'Mojjsuj 
•a'jqoom  ui^pja.sv  in^^sou  aSiu^^  ui  iiunz^n^isja^ufi  aqosiJB:jii!'"  ^^.witä  aip 
qajnpBp  sjBp  'sio^ausag  aap  u\  'uapuv^suBaq  %i(^vl  Jsianuaaiua  a^iojja 
iia^aapisvjj  uap  qajnp  afp  im  na^qoom  qaop  *aaqjajua  jattiaif 
ni  qais  nanBi^nj;  aasnn  jaqsiq  qpn«  a^nao^  ja  ^ootniaq^pB^s  ^vXno 
Ol  jaqovmoapinqos  pnn  Jaiaidg  spi  %si  Xdnj,  *jba  tiapjoA  )[p)a3 
-nz  ninidv}[  jdjaduor  jai^iaAiz  iiia  ja^iaiSag  jaq9|iq|Bq38n988iM  8[ir 
pun  Sanz}Q;|sjia!)nn  jnz  map  ^Hdnj,  sni^idB^  sauia  iqaja^  map  ja^mi 
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qajnp  jiAk  ua^iuai  vqi*^iiO       j:»uuqd4>mß  aiQ  uB  uriUimiuiDsaq^ia;;; 


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•Sqvo.  san  aa)iptiin  pan  oanaid  uaSi^ou  ^iiSuipaquii  aip  naiiJaiSvlSua 
'9un!|8Qj8nY  ajason  jia  oaiiBipav^snoAjaA       jasaip  pnajqvj^ 

*aqa96  diSdAv  uii  jqaui  s^qoiu  asiaH  -i^P  uiiii^a^  uiap  pun  dpjaM 
iia9j08  naddnjx  Jap  danSapdidA  pnn  loviiui^^jodsirejx  -inj  'iiand^s 
i?un>i38p9a  SuluaiSeH  aip  sji?p  'uaSngdraa  pidqosag  uaApiui|ap  nap  jim 

J^uujiDapag"  aq.iKij^'jiIuu  o:)q.)sunMoi?  aip  zuiao.ij  a^p  uajiiapisyjj 
uiiaq  ^^^nsa^  dq^Bjjqdui  qojnp  'aqnj^         sun  uaqvju  .h\v 

-aqvu  9äii|X  d^tdiq^^sjiiLi  map  qduu  ttaijanqidjqdsda  uap  i^p 
Sonqasjopa  jap  jaqn  iua)g  laqaippDidan  ma  jaqsiq  !|iiiaqp8 

*jqam  ^qani  ^iiai^sixa  tuvqpsnasaf)  asaip  qan«  laq«  iaaqaq 
m  sapavq  sap  jamo^^qoiag  aip  ^oaüZ  ^^^P  '^W  '»asnassoif)  <nV8f[ 
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-un  osuaqa  soiiiiojja  Sn^  nasatp  tia^qoviir  oapii^v  ^^P  n^^f^s  hoa 
aiiiJ^uy  piin  aaJ^niiH  'souLiy  sap  iia.wsjnij  map  jnt?  jbavz  pnn  dip\\(^ 
aip  jiuj  zodo^i  o.ipi;j  map  .la^un  aqoios  auia  ?>ui^  Z\Sl  ^-iH^r  uii 
tsnu  üinB<i  üi?s  puii  zkao{)  uoa  uai^uiii  uauopipod\[^i  apiA  qao^ 

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najqojaq  nz  ^qvXnQ  painuaA  ouong  *9d|uqaiia9  apjnA  aig  w  snu 
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SBni]^  ui  jaiirq  uaqoiaj  aip  uaqa  i?p  'nossaJI.iaA  pnn  yoqjjqii  ap.in.vv 
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jap  z)T?idnq()\v  jap  v.\)  ':)qaimia?^  1JH0>1  opJUAv  Jai}]  uiajuw  aiija>i 
-uauoiaj^  japo  ur>}[.nMU[aids  oi.w  sjoji^  os  aip  'naq3)(an^sp[0f)  nas[a.[ 
uap  uaqasiA\z  uapuüj  'na^a'}ja[Jiaq  ai»nx  map  jni?  njaip^  ajqi  dq3[djii 
'oaaiO|oq!^sg  pun  saji^  '«lopntH  I^^Z  H^l-iqo  aBoaziiJaANja'^V]^ 
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—  88S  — 

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s:ji8S.i9J8snn  uiop  uoa  .to  s|B  'iTpTnnöiji.MOA  väv.,\  pun  "^«l^>s 
-TAVZ  9?jv.r}Ss.iqa}f.io  \  jdup  ]p^^^]VP\\\.  v'>n''>Iz.i.3uiuio>[  9ip  .m\n  lo>jr).iy 
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q.)is  r)].T3i>?;a.ia]0T  osso.i{)  (C^VK  '^^^  oiqdti.i^iorir)  jap  ui  isiitrizadc; 
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-ll9Sid9  9ip  UI  piBq  qojiipvp  oapanM  pau  aa^^sq  9jauqs^aniqd|dui3 
jfif^  9q.ii9A  m  *jn«  ii9nosu[9^  pun  ii9iiijij  aip  ua^qons 

*)q98Q|99  J9S89AV  q^-Hip  Jna 
pjiA  isjiiQ  J9p  i9Uin|98i9ds  9ip  n9pi!q  Q9aqog  pan  si9H  *9an9i9i9q 
-HZ  19{I919MZ  III  q9fa9ppaiH  :a9q989Sq«  n9aopvuvA  a9Ui9pf  uoa 
*U9qias3ip  so  piiis  ^lazpiijj^  japaf  loq  i  a9]^BJn9S|ti«  "i)iazq.iia[*?  napj9M 
ti98ia(!s  oq^ipniBg  ist  assoaaiiqasij^  .lasun  i^janaf)  jap  laqoAv  'a[ini§ 
nasjoj^  lUT  nassaJ^TT'JiiiY  .tq!  f  win  '3ion:|r^qnjji  .n\[\  OT  "iQ  VTiiQjaS 
-uia  uoqa'7_  saq.)iisui}q  .lasun  ai  aiAV  iiapanM  oJ^ttj  ua^sq^^u  uiv 

•nai^uuio^  nz  lu^^j  TpT?u  iira 
'.loA  sauiintjoox  pnn  Aun^iKay  map  jnv  v\)  uoa  pun  /i?AOf)  .laqn  ?*d\\^ 
nap  sun  onpp^  luapuos  'ura  imi.irp  iq.)^  qoopaf  ümri  imn  :  uiqdasia}! 
luasan  Ji9qo  ai^  U9qavjd8  'qai^i^Qai  ^laü       *)^iU!9JiaA  aiapuu  pan 

Jtn9Jq9S  ups  *)Zjy  ai9  ^j9q3I9ZllOJ  J9p  '9pim9JI^  9Q9p9iq3«U9A  uaiVA 

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*)j«qnoA  in9n«j9  )nn  nmjfi  J9ugq9S  'J98jojS  ai9  *9n9p«iBjj  i9q 
'^jqinaSi  .i9nini|zsf?inijdm3  8iip  ai  u9p.inM  .uj^   '5:joq9ü9^pj3  ui9Ui9 


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u-^j-i  tiza^J  uauqvj  nannqn\;in  ^iiu  oip  jni?  ui)  pui'^.ioiih  oip  qj.iüp 
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qaopdf  jdqoinuii^s  pmi}{jaK  dq-^lDji^q  t^upuidii  svp  tsuo}|i8g 

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)IW  Sonapjo  pan  ^laqjaqnvg  jaiq  mm  iiqais  "^vj^iiaSa)) 

-)ua  aSi)ja|UQ  japo  a^Ji^sjaz  svp  nvjaqo  aon  !)Jop  pnajqvjuL 
"nqiniijoo  pnn  uopunsy  nz  aqatafFjaA  mi  jaSi}8ao9  is^jasinf  uia  jvm 
^aaaovMdd  sfqvfnQ  d|iax  naq^Fi^ip^s  jqam  map  ui  jim  uap  ^qonjpmg 
J8Q   '1p«i8  d|p  ni  j^avSjaizvdg  narna  jiü  uaiqsvni  spnaqy 

*^Suv|a8  n8!)jv9  uaia^^v^sa^soB  iiasqavAaQ  naqasid 
-01%  %un  qoiai  ^udpaaS^aqire  aap  ni  ntnn  nap  qojnp  *iiapiniqjaA  fn^ 
iiaqoq  najfavi  nama  qojnp  ua^api  pui'^  aipx  tiapioq  9iq  ptqoAvaq 
'uisajx  iiuduof)  map  ^aaddiux  nai^i^aiq  jap  .mapn^mmo^  map  noA 
pjiM  aijiVH  awpui-  J*!P  !*«n»  «asiiVH  ^^^P  »IJIVH  9!P  naqowtt  jamnn/ 
ojasuQ  'napuBj  aiuquiijiiy  ^.lojos  jtm  om  'i)^.iosaq  s.ianaipni  sania  asiu^ü 
map  ui  aaiijcn?)  ?nTi  jRj  oi^TJq  zuiaojj  jap  :piapisT].ij  .laq 
•^.iai[|az.iP(I  n.iain;]^-  q.i.inp  (ir.ia(|n  pins  a8uT?q/l.iar[  oi(j  'nvq  .laiiiia« 
-.Taiso|>^  lua  Mi:uiuiov<  svp  ]jiai(  ^i'V.'iQ^  jap  ua^so  uii  aqoH  -i^uia  jni? 
luo].ii;{)  uoA  uaqaiimn  'aJtiivqqy  jap  sSu^j  jasn^n  u9sju)a\  pnapna|q 
jap  iiaqia}!  ajp  na'jjüf)  uaqnsido.n  iiaqosLwz  imii  :iqais  ']S[Oj  asjüj;s 
-^tiiiBH  aap  UBui  uua^    'uisSqh  uajajqam  jm  ^iidii  w|TfArf) 

■amnvH  "^'>i'^"ui  jap 

ua5jaa(j  aip  qoiaiSnz  nappq  pmi  'pj.iapaJf  niaJ^ai/  uapun.i  iim  pun 
^l^jq^s  pu|s  jaqaiJQ  aip  'iiaqasjrtA  uaqiaqac;  uaq.'>sijtjjprnb  ]mi  pnn 
niai>[  piiis  jasni]}!  ua/^i>(.io^snio  lop  jaisuaj  aip  rnaji^M  5uqoA\aJ^ 
uaqas  nz  Xvtixi^ji^j  pun  aaiui^ua^jy  ui  jaqsiq  ai«;  jiav  ''^jmvQ 
jajapoT!  7.nv$  UOA  jasnvH  aqonpani  uaqai^  ^^JiiJ^S  Jap  ^nvi  lpe)S 
uaqoiilQdSia  Jap  qava  esgvJiig  apaisvgdad  ua3iaQi<lzJ9nt>  tid|mjo| 
-a)g  disjvaqaSajmi  aaSnqatpn  ^im  ama  tjqni  naj^n  map  noA 

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VM)d  '\fiQi{  vpv\^  91(1   'jnvJtrp  njasn^H  )ini  aiaf^ojd  qnn«  ja^anjvp 

—  986  — 


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ni  018019  nt  )9i  03i9t|jg  J9S9|p  Ifd8)id7  8iip  ^ajdjnsjnu  napfaq  oap 
QdqasiMZ  jqa^idA  ^^P  )I999|QU9a  aipQjg  apneSaig  dina  'm  O0f~S 
noA  ai^iajg  aqanaqdsm  aqas  aip  sjni^^  jap  !|vq  t^qvXnQ  lag 

•oaqas  nz  j^iqos 

apnajqvjpqjoA  si?p  um  *J8|f)  m«  aqian  aa9ii«{  jaoia  ni  qoiiuqoMoS 

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-ojj  UB  qoii'^uopjOJasjTiK  o"rq  aiz^^riqosoii  iiOi^nnniniaMqasjaq,^  joa 
ofjoip  qo.inp  naiHHMaJ^  u8iiiinuqoj^  9i(|  -qv  as?n[^.j  map  qDiTii  uapu^M 
-raqaq  nafJupaiii  ni  \\^]\v}  pnn  |9>foi(Ts.i9S9\rvV  ^"^^P  J^Ql)  .la'^ojv  9°Tni8 
U9S9T[  ais   'sasjiij^^f  sap  u.i,>j  i  Tiopiaq  nv  iiaiifunipaisuv  .^I-^  na^iLr) 

'^viCn^  qpmaiiid  jim  aa^qafajid  zivk  *06  ™Y  H8|d(||qaeaidiifq 
oaqo  ODA  ajafx  afp  aqafaA  ni  'qoiis  si»  |a)iiag  a8a«i  ,c/,i — | 
poi6  6a  ioanintig  aap  ws  uosBvyi  oi  aaSntiq  lo^uij  ovof  sap  jaisa^ 
aip  tiia)di)j»A  a^naiaqomx        )^  iqvzuy  Jasjoid  ni  'naqas  nz 

aq^N  '^^P  ^!  "^P  pun  aiq  utwn  ^niino^iaq  .laqian  *niqBz  qoiiraaiz 
pnis  —  Vd^ox  .laqDTiuq^  uqt^qjnjx  "lap  uia  —  SBj[T?qDg  aip  t^jBqqa[ 
jqas  asi  iiaqaiia^o^  s^q  'iiaqo^psTi.ir)  o'^uqapogsim  asiaMuana^s 
u«*.nUiqqoiq  qojtip  'jqais  nvm  in,H{oi/ii/iini  ilij.nuaiuuu  sassiq^  sap  sifinq 
.Tim  qoopaf  qois  piaqos  uüiii:|ü.io^\  ariuldn  asaiQ  •uauuuo^n^.Toqn.iOA 
u.ia|t]in)iuapqi?iO  noaasqj)BM.iaqn  xd^r\v.[  'jiiu  joqqo.TiAj  mauia  uv. 
'uaqaqp  iKizuvpdJ^uiiqoc;  tioa  a^ioo-jc;  a:i.ir»i|osi  oav  'T?p  mm  f;qnrfq 
toiQVg  UZ  oiuBg  UOA  'qan^j^gnz  qdn«j)g  uoa  qais  ^^uuvds  udsqai^Md«^ 
-SaiiH^S  tuasqavAaq  !|ipip  pais  jajn  amas  ^nvq 

aSupani  evp  qunp  nadonpm naipiaipp»  oi  qais  ^laSnfpps  *aia 
^qttXiio  oig  nap  n|  im  oaiqn|  zx^K  '^ZftZ  ^^a  iq9«K  '^P  ^ 

'inre3[  naqasjaqt^  q^ipnap  lajfi  apiaq  wm  flgvp  'qompirp  qotf^uapio 
-jasfn«  piiH  s^Bp  fiooiAiaS  pon  ^lajq  ni  qot  VM^a  laa  ^^i  ^}n\j[  jaQ 
'oapjaM  ^.laiAi'tpi^  iia8«nizirepdiqojja3ton7  pim  -nainria'^  '^a^qonzai? 
qaiApui^  0A\  *iunBaa8  SFpnazBj  'ajOIT  aqnia.nqTiz  naSaii  jajnsjnf^^  .lap 
sSn^q  'iiia  o')ua.iuoT  obc;;  uap  iii  najai[  pun  Xi?n"T?.a'(j  nap  .iia^  uo>joiijaA 
iniiun.ioQ  UOA  qoi|pjo>{  naqovuia'^^aiioj^  puu  uaj«[qoQ;  umz  omn^Ji 
ud.iapuosaq  auia^j  sa  niapni  'naqaifianinmsnx  saj^ipmi?]  9i?.\\ja  uia  d}.u\u} 
■JITTqasjiasaf)  d7.xiv.fi  .?ip  'uapia|  nz  ^]ipu\  .ivfi  jlw  na^^i^q  soii^js-oj^'  pun 
az^jH  noA  'mqauaiiini?  .iqas  .tbav  asia^i  aiQ  uia  ^q^XnQ  jßj  jajduii^Q 
U8ni8i3[  map  ^„ndixoo*"  uiap  qoBU  ua^joj^  ua^sqain  rnti  sun  ua^iqas 
pan  „opidvg"  sap  pjog  m  jim  naqanq  iq^v^  jap  puajqv^ 

*oai|aoiJC)  lajp  %m  !|90jai$z(OH  nia  jqi  naqau  qofs  ^apngaq 
naj^uSaq  nvg  mi  i)sia  nunx  uajiap  «p  i^qa^s  ^q^-^!^ 

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map  eqi8H  ^^o»  ^im  98)«x(8)dn«H  9i(i    *i[V|naiiimuo  8!|ini8i89o« 

ddinid  pnn  2)iidj9\  nanaq  u^qvq  JMmnif  noiossaq  9ip  tujdqpfd 
naqDBg  ^ira  J09n\iH  asoi^ionniiiDs  aSupain  *n9sjvj'js  9pu92n9JD[  qois 
qoil3|niM'jqD8i  :o^pvi9  n9q^sini?3iiJ9niBpT)s  d\\v.       quk  no^onoui  "jsi  918 

*:ipü5S  I9p  üi  uopmvi^  düuud  xid}i\0VÄ(\Äd\  o;uiuip?8q 
uassRi^  u8J9qo  U9p  jwts  iJq^j  oip  .inj  9ui9|3i  9J9.u|oui  u^r;i](  suojiijj 
S9p  U9>(^njq>^^nin)ni?7  ii9iuoziüq  i9avz  nop  uy  M9>piy  .toa  s9ssnLi 
ad)i9jq  ui  OOS — g  -laiq  sap  d^%i]ii  J9p  ui  ümä  jajdoiBQ  j9Q 

•l«U9SJl? 

-9au«H  ^•'o.j  )2!)is9q  poQ  Snii)S9j[  8ii«|a9q9  ^si 

vqnm joo  *U93[99p9q  j3iiiiq9Biafi  J9p  pnn  i99oH  ^IP  aq9l9A 
*a9Sinipi«^  9q9iiSf|9iiU9uii  qais  naspaj^sja  6)iVMQ|opinri  'i9j£iQ99qQqj9 
map  JOB  9dvq  aqosqBqiapniiA  aup  !)«q  aaqa^pms  ™(I  ^ 
vqmxaoo  jn^jrcp  88«)  *aiitn[  a9>[9nqj9qTi  nvoa9  aaqiasjap  ajaani 
sirp  9n«  sjTi|^  moA  min  spip  os  '}Sd]\  98in3q^.i9g  maaia  vn  8nn^$;9,{ 
9qDl9.\i  SjjqmioQ  '\jo^\  xpign  x^^^  n9mv>f  zjtij^  luy  -^jTjqospimT 
9ip  ui  8nnisqD9Aqy  ug^qarjq  9iii]zs'?Jjiq9»^  di?ini9  pun  iioi^in?»29^\  9ip 
9pjTi,w  J9q:)i9j  o-^sgp  'n9:jJ9q^n  '}9iq98u9doJX  map  sun  jim  jq9Ui  9f 
•ilun^jqonaiaa  91p  qo.inp  ^sigin  Pliqsjn|^|  sT?p  •)nniA\9jJ  pn9qy  naJ^df) 

•n9p|iq  ii9pu9$?9f)  001^13  ii«Jf)  .T9S9ip  >l9nqnV 
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jap  laqy  imnvsaq  na8nnpi9Mnani(«j  a^nqapajSsnv  qajmp  Sipn^isaq 
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—  t88  —  ^ 

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*no>^rnu(.Toj  I  unjio^s-  uap  iii?  q.)i|uqoM04i  qois  :^i\|q  .lojcIiia^Q  J8q 
*puis  )naj)8a9z  puBq  dpa9ädi{aB  8vp  diü  sjd^i^vavqQ  aaqidssap  aiasux 
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I9pnpiit?S  8iio:|s  tno^oiiom  jqas  .T9qi?  'iioqos  ^qo9J  :jsi  XT?n2T?.i«<j  map 
juv  uoiDunsy  siq  sj)iiou.io;)  tioa  puii  yiiuarj  map  jWM  sa;ii9UJ0^  siq 
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•laQ    paiqdsqy  saaiy-souaiia  ooa  qoi  raqißa  jBiijqa  i  Tuy* 

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'jiQ  auaH  sap  aqanqaSvx  na^ita^aS^im  %slSk^jfi  san  map  sny 

'$j9njaA  sajiy-sooang  jranjqa^i  -qz  ^  )sia  sjnv{3  -jq 
pnajqvA  'nej^jo-qa^uid  nopunsy  ni  jvniqs^  apn^  aa9a8  S!|i9J9q  n9XBiL 
uauia^lS  nap  uoa  najjöH  ^!(T  •uesjatiqosnzire  noi^ipaditg  J9p  qnis  nm 
'U9nnn()>(aii  .laqn.iaq  pnt?iq3s:)tiaQ  uoa  uaqnsmzui  .n?Av  'uouio^g  nap  uoa 
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—  288 


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>j9i{3n2  d3t)Jtrajai3  appnd|{OA  üsqa  anid  pim  luij^  t!Uvj«j  nii  (idjT;[{  tuuz  siq  soa 
-mii9ii{3g  U93UQi[Udai9  uoqos  ^z^isaq  dinoio^  i>pud|i9jrT{a»poj  ^^t^sna  osdiQ 

•U9p.inA\  ups  :|.n(a>f9;i'>[.iujnz  «>|UdinB 
aap  ^)8j«j9^  a«|j  uap  uai^joa^pog  ju«  sai^iBq^aajny  saiqi  poaiqüm 
jap  naxjdH  |9AZ  ao^i^tni  (^„„^attia^qdijaq  jaqtuj  s^iaiaq  jia  911^ 


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*miiiai«)8iaq  «vdomg  naqau^  iiaiaiqBi[  nap  snv  naqiasaip  va»M. 
Biapnosaq  *9qa9fldq  a^snii  j  jdBi^3|  Jiro  j  maaia  pan  miis  mapansaa 
Qi  pnfd«^  wemd  naaap  iaiiaiq  luaonvK  Sinifpaisiiy  aip  jq|  qaii 
•laMqos  qoop  'uaiaJo^jqDQzqaiA  p»n  ua8«^u«[j  j.isjoiÄ  aSciuy  aip  Jüj 
pia^  sa:)duqoiaza8fm«  uia  ODvq^  .lap  sj«p  '-ij^qpjiaÄzmi  iimos  ^si  s'.j 
•!j3lJBin^l9AV  uap  JDi  8uini9q.iBjaA  ja.iqi  uz  uuap  a^iaMqoso^l  'asqo^Av 
-9£)  aasaip  au^in^  ua|ioiioi)iu  .mz  i?tpu9M:>ou  i^iidt?^  sapua^nopaq 
«f  Bp  '9^j.ii)p  aapjiqsiiKiaq  ja'/:^isaqpiiii.if)  .lauiai^i  pu«;§  japuaquqjqoM 
uia  laq^p  q.)is  qo  'qDiiSBJj  aqas  qoop  sa  )si  os  '•jsjiaq.iaA  'yni^ii^ 
9pu9qn[q  9uia  ^sqjgs  imujo:jLU9X  uiap  p^f^jy  .lail^^Aj.iaAV  os  in?qnv 
jap  qaa«  um^  pufi  'pjjü  aias  i^dgqa&ia  piVAl  aua^aia:^  oaiudiibaq 
jap  ^8ja  jnii  ppsqos  ^aapiiq  oovqo  sap  assiaSÜiazjaiidiraH  ^IP  pvn 
'dnoAimivg  'jaipnz  s^a^s  [qoM  qaira  aaap  na^p  og 
*QapjoA  naqaSaS^n«  pim  ^urnnfja  Ai!|ipipojdan 
QiajaqujOA  aoA  %^  *)9pnq  «jaipaisuY  sap  epinr|8{qp>^  ranz  aSiqpinuo 
aip  saify-floaang  pnn  «inv^  ni  j9q3ios  9|a  *äa9aj3«p  iitiqn9zi9^ 
'!|U|aq9Sj9  qain^J  jqvj9Sj9inEtipni  u9U9punMqa8idA  zmS  iqoiu  qoou  J9p 
laq  U9q9  S9ip  )I9mos  ^U9q9u:)9q  na^^^uu^  n9S9(p  ud\[B  ub  pjiAv  ^qanz 
"I^IA  q^>nv  •U9pj9A\  iqoiuno^^  an^^^w^^^'a  P"^  5|^qBX  11^"  9qDn9.TaA 
-in?quv  9Qniix  uauar>ai84i  .ia|qu3(  rat  pa9jq«AV  'u9JaiAi^in5[  wz  iH{V)^ 
-sjBj^  uiasjoji^  ni  .u[o.ua>|.iir/  s«p  (.j^oduiBOQ  t?iu(qof)  .19p  pun  su.>>;ox 

*'BiDa9'jsiso}i  III  qnuK  (uopunsy  qiT?q.ia')iin  ^laM  ^qoin  ofanuag; 
pun  oivuioaiij  lUdp  uaqasiMz  91s)  iqoMOs  bsouuo^  ^pv^s^dnvH 
jap  Ol  mm  %mßw{  jaqv  %idz  Jaqaiai^  uz  'oaSan  aSaMjassvjy^  map 
noA  Snnajaj^ns  jamanbaq  ui  qaoa  iiaqa  naqiasaip  ^laMOS  *Jdp{iiji 
iiaqoi|n9:^oiif  jap  Sun^naqmy  )iai  jawqaiua^iaii  auaiiqB^a  aisnx 
Jap  UV  aq3iaj[iq«2  qanv  pnn  jafpaifiny  oaqaftraaipR)!  saa^siam  jaoaT 


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ipny  'tieiaeü  was  0669ja)Qi  qoa  ^sq^as  ji|93[jaA)i9j\|^  uap  jdj  9ssm 
-dnazjg  jaatas  aqaiaA  'aaSBsnzsntMOA  pnn  pitM  naiaqaoina  3ni<|i>^^ 
ueipsionaaSj«  jap  aimono3(Q  aap  ui  di^03|iiz  oswqQ  lap  aipiaü 
*aovi|9iazaq  m  Jiaiivu  ilini|{Bi|s  a(p  ^jaMips  %tpm  nn^m  %8i 

•nopjiiaii  9ip  uajdiiuizap 
ua^Haqjiat^jAi  9qDia.imi?z  puii  qo.T8  pjiM  9\\o\\^  9uias  'uapaiqosiua 
'zuvfi  q.iarainn?iJaA  jaq«  J^^^>S  '^«P  t  tiagaipqoa^JS  pun  iiajf^iijv  i^P 
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süp  :)9pi9[  'iJUiijAi  uaqosidojjqpiq  map  uf  ^piiij  qosinnaq  q;)is  qaiApui^ 
snsp  pudiqv^    'saqaiiuq^  jiav  aapui^  udjai)sni?H  ^^^V  P^.  U'^^V 

•^anqoia/aSsnv  uaqiapaü  vooipiUJj^  pun 
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UI  aauDuag  pun  naAvivnf)  'uaSiaj  pan  aaSaiuo  Q^pOQ  aivq^^qaiu^ 
jap  ^nijq  oaSaSiiQ  'naqa^siapiM  aiiaog  uapaaqi^lS  jap  iiaQnQ3[ 
aB8D|(  pnn  uaunivg^  qoon  ^Qaqosji^  pan  pidy  juapa^  pan  ^naqnvix 
a)Z|a«dq  q9!i<>V^8  9Snu9$  v»pi\  sioo^saja^i^  i»q  *8apa«q  aap 
azaajf)  naqoiipQS  jap  a«  zav9  qaoa  jna  uaqppaS  'aaziaj^  sjapiiosaq 
'uaiivdJao  diQ  *n9aaQ3[  aapjaM  :}n«q99aB  ipijoa  )nu  .iqaui  ^qoiu 
^jop  anoz  u^^S^isjyniaS  J9p  asqD^MaSin'Jin^i  u9:|sqoiiq.)i;s:)dnt?q  91p  sjT?p 
'lajiaAv/  uiauia>|  sn^juapaf  s9  ')jiöii.u))un  qoop  Uiaq9i^  11/  pu)?H  9ip 
ire  Ur^vd  ajaqais  sun  uin  'itunf  iiz  qooU  pnis  u9nioio}i  uo;ild|9i)Ui? 
uinuojLi.iaj  ini  s^uipjanau  aip  nnap  'nasjaipps  jm?.u?p  S9:|uaijao3 
ua:)Jt?qq,)Vii9q  map  uoa  anu  '4zpf  sjq  jia\  uannojf  H^HiaJ^i  'Jn-j«^ 
jaqasidoj^qns  qdiisjaiiqossiiB  uoqos  o;)vqQ  sap  aäsin^n9ZJ9U9pog 
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—  6t8  — 


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v\\}ri  'uepjo^  Uli  'uaijoqinini  i^iinqosoq.Tajf]  aqoq  oip  9}uv'\ 

ui8qj>u.i  :|im  i[3!|pua  ois  siq  'uier.ii\;[i|.)>;uiq  9i5iU^  U  »}>^  aqo^f[  Ucin.)jo.ipiuz 
oip  uoq.)|9Ai  III  'uoJ>nn.i9pais^  iiaq^t'H  uoa  U9qooaq.i9)uii  mu  'oii9q%{ 
apu9jni?i').ioj  luiuüzijoq  ^svj  oiiia  :j9p|iq  pim  'rin^tvj  >,'9p  y^aiqol^ 
-sduuuimdMqosjdqQ  map  jaqu  ui  oi  siq  g  uz  ^iq  iäua(|diiq3g;  aap 
-ua)jia)8uv  qa({ZYQld  lfm  qats  ^qaqja  oavqo  sap  panq  aisaj  svq 

'apjDA 

^nqiiqaSa«  daniapaisag  ajqi  pan  ^qasjopa  a^OH  ^^P  Q^^l^aj^is  aSuu 
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auia  qai  ojajQ  uassap  av  oXojjy  innz  i^iq  «^.i^Mpjou  snv 

v:jspibuü.)9^  UOA  asia^i  oiiia  "ni^  aput?']  nz  ipny  iq.isJojJ9  ^i9Ak 
•ras  9pjnM  'igpunra  oj^uo^  map  uacjou  .it?(|i9'jiTuiun  sa^uaujo^j 
.laqnua^^tJÜ  .t91(.)[9.\\  '().iapB?iT?.ix  -i^l'  P^"'  '„tJ^isiuT**  9ip  eyduiisp 
*ujsj^  «iiay  UOA  qoijp.Hiu  puii  qoiipn?;  Tin.vuaij  pun  iiA'iABnrJj^  jop 
'«AOf)  UüA  aqi;>i  ja[)  iii  ii.mDA\*nA)  .uqi  pun  ojjfav;  l'uu"«'j  aop  aiA\ 
'ouijusjnjji  aqoio.iiqi?'/  i(jau(j  'ua^j.iails.iaA  sojs^nuuuj^joq  ila^y  uap 
sa^oiüuiu^  jap  J9pl9^^I  uauajjoMjaA  aip  siq  japo  'sjaqnz  ajai^jasbUj^ 
ajqi  sa  i^idMOs  :)q98J0jja  aapinA  '^moi^sqdjnp  j^unjapaiK  aq^vtf 
auia  jSon^qaiH  Jaq^upBs  ai  'paaSnudst^ua  sapatr[  sap  I3[andia))!|i| 
uf  )8V|  jap  'sajooiy  oih  aq^nuqasa«  jap  amos  ^oput^  odojjy  Jaa 
"uajqtrjaq  |iax  aatsjojd  ainz  apjuA  ^imi  v^smbaoaaH  sat^uajjJOQ 


—  8iLb'  — 


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J9P  *}U!]|  ^ttiKjni,!  jaQ    *aajqm  jqi  nz  9qo|9A  ^naauasi  aivnsH 

inuiiiq«7  8vp  pim  (Kraqo  sap  ljvi{os;put?iJ8jfi  aip  qoi  ot^iuai  ^aayqf 
9Z<81  zjVH^nz  ^Kl  ^IP  'uauoi)ip9dx%[  udjaput?  \u)\o\\  pun  uasoip  ux 


•b^jsijv  uoA  pj^ma  uaSizuw  map  jux?  oioquiBJ«o  ^iv^d 
8U|8  pun  opv^JnflO  ua-^pids  .la^^ds  apan-jc;  auia  pun  „ipo[S[8jnaj/ 
sup  qojnp  iiur/j.To^nmiaunoc;!  joa  qoon  uasoj^TJj^  aap  ain-iy  "a^^M 
-JVJ^  oip  smi  uojai(iy  joqu  ^.lop  uo  \^  uopjaAN  nz  ue)ii?i(d8jut?  %i[.nu 
oipijg  u9iioiijiO{A  jop  noniunAMpsip.in(i  uiioq  um  'ua:na.i  nz  :)apia|>|aq 
pinoji  uiap  ijui  .nm  [nmsoip  moa  so  iiO/?oz  jm  pun  's»oof{  sajx  uap 
ui  a^ouq  lune  >i.)^).iuz  ojduins  -^^^l^  -^'^^''^  a'jsja  sjoj  o^^P-  ^"!^^ 
•uauui8oq  Sun.ii'jUJX  aassauippj  aip  pun  i.ioiz>ou5oiiaj 

SBi  ap  «luo^oQ  aip  aiy  ^jq  -'^P  ''»q->!9J  i'»  i^-    >|.i9M2^  j3su;| 

M9^?i?q  lunz  >[.)njnz  puaJ^ioj  aqju^ 
luop  s}.i\?Avpns  naSojj  uiasjo.i/^  ui  pun  9unn?spii?^v\  u^uJ9|  '"^P  ip^w 
aqoui^fl  o?f|uuos  aip  jaqn  .lo^p.w  sa  ijUiS  i^p  'U9puuMi[.is.i9A  a}l3aplBAV 
jauia  Jd^uiq  qoupua  auaf  s{b  puQ  *ajajia)!^aA\  nz  :)ia]{Si|P"M^S 
siapii^  a8)qi9M)adan  jap  luapais  uap  ^m  paazqauBf  'siojjQpag  map  ai 
'saiafivasap  ^snq  iiaqoji|  jap  ut  qpvja|a  tuapnos  tuadafia  nz  jvS  lapo 
aaqaidJia  nz  sa  ^unnjgoH  ^PUM  naSpqanp  map  ddo|«o 

ma^jvq^s  ai  sa  Snß  %ioi  pan  'jiai^daqpSvf  xoa  id902  ^  va!|Jiaz  pun 
uaqoaqos  apiajii  aiQ  *a)nno3[  aapiaqasja^nn  nasjmu^s  uoa  nai^iv^saf) 
aa3[8a)Oi9  aip  p(vq  *dqaH  janaqas  iapn){  wa  ptvq  aSniuaSirf  snp 
nanap  jntr  'nasjan  uago  na^ipisqojnQ  a^taA  i^gn^q  naqoqosaS  lapauaia 
ja^niq  qasjBinovai  aip  ^a^saq  naddnjSmnvg  )iai  j«a  tisqias  aaaqg 
at0  'dpinM  ^anvuaS  svosox  ^\  'a^fasau  ja^nmifq  Savqqy  nap  ja 
nanap  naipsiMZ  *ua3i3Q|qia/?jaj^  uaximoq)  uap  uoa  jap  ^pnanqaiazaq 
saqa^a  sauia  jnvq  uap  'uiq  uintispi^^Y  jaj^iunp  Uj9  qois  8oz  naj^uiq 
jajasun  nz  pnn  a^noziJOH  uaqoipsaA  mn  ujaj  *napvM}{9njnz  pup^funj 
annog  napuaqaSjn«  8nn  Ja:)uiq  jap  uaiqt?j)c^  aip  anqiin  ajaMqosnT?') 
nassap  ^«  saevjf)  napnaSoM  aq^^q^  a^iaM  auia  qois  o)9)i9.iq  ua)^nY 
naJdsnn  joa  pun  'naSaiis.ia  aqoquy  asi9|  aip  ji?m  nauqng  'apadj^j 
nz  suu  qus  Jdq«  udi»aü|^  ^qu-ij  J^^p  tSiqiu  sjo^jeA  )q.>«N^  ai(| 

••jjio)  U9>[iztj>i  ^au|9  opjox  U9p  .i9qu  qi9A\ 
uias  'uapjaM  uaSoz.i9  luoSauji  nz  soai?;«}^  ueujaj  uap  laq  :)q.iioii9iA 
japu!>j  9HI9S  pu9jq]JÄV  'JS9J  qaou  :|z^af  asiaAVJaqoif^Q^n  ll^q  puu 
n9:jniioJi.K)i^  uinz  J9qT?p  uqi  a:^uut?uja  'uaz:jnunzsni]  J9u.i9j  qjuu  u.iauui 
uouiusjioAUin  rat  ja.iqn,»i  a:|sn9i(7  ua|ioA:^jaA\  auias  'joa  sa  Soz 
.laq'R  jasaiQ  -pu^iisiiog  um  risnibnoan  ni  (qiViiiiqo  "^^-.laqo  uap  uv 
qais  ja  d)paBM  'ua^ui^zja  uz  puu|}  ja^auj^CAaii^  )iui  ^laqiaj^  uajap 


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—  S93  — 


Woche  zu  Ende  gegaogen,  wir  essen  morgens  Reis  und  abends 
Bohnen,  zuweilen  auch  umgekehrt,  mit  Rindfleisch  oder  von  jetzt 
ab  häufiger  Fisch.    Speck  liaben  wir  nur  wenig,  in  der  farinha 
(Mehl)  ist  aucli  schon  böse  gehaust.    Der  Hauptvorrat  besteht  in 
Reis  und  Bohnen.    Es  ist  ein  besonderer  Genufs,  wälirend  des 
Marsches  in  Gedanken  bei  Siechen  oder  im  Kurfürstenkeiler  einzu- 
kehren; schon  bei  der  Idee  Kalbskotelettes  mit  £ierü  könnte  ein« 
Tbräne  io  meinem  Aoge  schimmern.   Keiner  von  uns  würde  der 
Versnchang  widerstehen,  wenn  hier  plötzlich  ein  befrackter  Kellner 
mit  einer  dampfenden  Frankfurter,  Senf  und  Kartoffelsalat  erschiene, 
dafür  eines  unserer  wenigen  Pfund  Sterling  zu  opfern.  Von  Ge- 
tränken nicht  zu  reden.    Sie  entbehren  sich  wunderbarer  Weise 
leichter;  wir  trinken  Wasser,  und  dank  dem  Geschick,  welches  uns 
nur  durch  Sandsteinformation  führt,  immer  gutes  khires  Wasser. 
Nachts  klappern  wir  vor  Kälte,  wir  hatten  mehrfach  nur  sieben  Grad, 
und  mittags  immer  dreifsig  Grad.  Unsere  dicken  Englischlederanzügc 
sind  uns  wert  und  teuer  geworden.    Wir  kleiden  uns  zum  Schlafen 
nicht  aus,  sondern  ziehen  uns  au,  alles  was  wir  haben.   Die  Nachte 
sind  schön  und  sternenhell;  es  giebt  keine  anderen  Wolken,  als  die 
wir  selbst  gemacht  haben ;  es  l&fst  sich  gut  beobachten,  wie  sich 
weifse  CumuM  ans  den  dunklen  Bauchballen  abscheiden;  zum  Regnen 
ist  es  niemals  gekommen.  Schlimm  ist  es,  dafs  unser  Tag  nur  von 
6  bis  6  Uhr  dauert,  Kerzen  und  öl  dOrfen  wir  hier  nicht  Yer- 
schwenden,  da  sie  nur  fBr  Beobachtungen  dienen;  so  plaudert  man, 
fiuf  einem  Ochsenfell  liegend,  bis  8  oder  9  Uhr,  und  zieht  sich  als- 
dann zum  Kampf  mit  der  Hängematte  zurück.  Was  gäbe  ich  darum, 
zuweilen  bis  11  oder  12  Uhr  noch  den  schlechtesten  Eisenbahnroman 
lesen  zu  können!  Doch  haben  wir  eine  gute  Bibliothek;  sie  ist  ra.sch 
katalogisiert:  Schillers  Gedichte,  Goethes  Gedichte  und  den  Faust. 
Gestern  las  ich  beim  Kauschen  des  Wasserfalls,  an  dem  wü'  lagern, 
den  Helenaakt  des  zweiten   leils,  und  mufs  ein  sehr  einfältiges 
Qesicht  gemacht  haben,  als  plötzlich  der  Neger  Mauoel  mit  den 
Worten  vor  mir  stand;  ^Das  Essen  ist  fertig  Sr.  Dr.  Carlosl'^  Nun, 
Helena  hat  dem  Menelaos  wahrscheinlich  auch  nur  schwarze  Suppe 
gekocht  So  hinge  wir  gesund  und  krftftig  bleiben,  wollen  wir  uns 
des  Jäger-  und  Fischerlebens  freuen,  und  gewils  werde  ich  mich 
später  in  Spreeathen  nach  dem  einen  oder  andern  Tag  in  Arcadien 
zurücksehnen.    Lebt  wohl  in  den  Genüssen  des  Daseins,  die  Ihr 
vielleicht  zu  wenig  würdigt!    Ich  aber  gehe  hin   und  tröste  mich 
mit  der  Definition  im  Busch :  Enthaltsamkeit  iht  das  Vergnügen  an 
Dingen,  welche  wir  nicht  kxiegeu.  —  Herzlichste  Grüisc  allerseits. 


BliUer.  BrcnMB.  188i,  28 


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—  394  — 

Mederiandiselie  und  deutsche  Plantagen  an  der 

Ostküste  von  Sumatra. 

Nach  J.  Orftmb«rg,  Prot  Teth,  J.  Cremer  n.  a.,  bearbeitet  von  R.and  L. 


EinltiituiiK^wort.  OUnstige  Natarbedingungeu  für  PlABtagenbaQ  in  .Sumatra. 
Spärliche  Hcvölkerung.  Zafiihrung  fremder  Arbeiter.  örHachon  des  frUheren  Zurück- 
bleibens in  der  Entwickelung.  Die  Meerenge  vou  Malakka  als  Weltverkehrsstraf^e. 
Singapore  ala  Markt-  und  Handelsplatz.  Verflchiedenheit  der  beiderseitigen  Ufer  der 
Meerenge.  Hf>denbt;sc}iaff»!nlieit.  Flii';nf  Vegotation.  VerwiL^timK  der  Nntzholi- 
walduDgen.  Das  Hultanat  Siak  nnd  das  Vertitiltnia  desselbeo  zu  den  Niederlanden. 
OeseUehClidi««.  Di«  VaMllMMtaaten  fliaka.  Daa  R«idi  Dali:  AnsdalinanB,  Waaaar- 
«ystem.  Das  Hnnptdorf  Labuan  (Laboean).  I>er  Sultan  von  Deli.  Anerkennung  der 
niedarlftudlscben  Oberhoheit  durch  den  Sultan.  Die  ersten  enropäischen  Pflanzungen. 
Wolitthlltige  Maferegdn  dea  Snitani.  nitneeiselM  Hlodler.  Wegbao.  Die  BerSlIcening 
des  Sultanats  Deli.  Kultur  des  PfefTtT-'traiiclt.''.  .-\us(lelininig  '''T  «Mu  op.^ii^i  hi  n  Pflan- 
zungen. LandvertrAge.  Die  Plantageuarbeiter.  Zuführung  von  Kulia.  Urundsteuer. 
Erriehtung  der  Deli-Maatsohappij.  AuftehwnDg  der  Tabakdtaltiir.  Ifutkat-  und  Kokoa- 
nnfspflanxnngen.  D;*nipferverbindun(;cn  mit  der  Kolonie.  Cremers  Darstellung  der 
Entwickelung  der  Kolonie  und  ihrer  Zukunft.  Arbeiterfrage.  Erbauung  einer  Eisen- 
bahn durch  die  Plautagcn.  Kaffee-  und  Zuukerkultur.  Ernten  und  Einuabmeu  der 
Deli-HaataekappO*   Zahl  der  Plantagen  und  Betaiiignng  Dentaober. 

Angesichts  der  lebliafteu  Koluuisationsbesti'ebungeii  werden 
einige  Mitteilungen  über  die  in  den  beiden  letzten  Jahrzehnten  an 
einem  unter  niederländischer  Oberhoheit  stehenden  Teile  der  O.st- 
kflste  Sumatras  aus^^eführten,  mit  Erfolg  gekrönten  Kulturversuche 
willkommen  sein.  Seitdem  die  „Deli-Gesellschaft''  in  der  Landschaft 
Deli  ihre  Tbatigkeit  entfaltet  hat,  wurden  bedeutende  Ergebnisse 
besonders  mit  der  Tabakskuitur  erzielt  Die  dort  von  Niederhändem 
und  Deutschen  angelegten  Plantagen  stehen  gegenwärtig  in  hoher 
Blüte ;  gleichwohl  wurden  bisher  jene  Kultivationskolonien  in  Deutsch- 
land im  allgemeinen  noch  viel  zn  wenig  beachtet,  was  um  so  mehr 
Wunder*  nehmen  mutis,  als  der  in  Deli  erzeugte  Tabak  gerade  in 
Deutschland  einen  groCsen  Verbrauchsartikel  bildet  Die  Plantagen 
auf  Sumatra  liefern  einen  Beweis  dafOr,  wie  bedeutende  Ergebnisse 
Kolonien  dieser  Art  unter  günstigen  Verhältnissen  schon  in  relativ 
kurzer  Zeit  liefern  können.  Vor  18  Jahren  kam  der  erste  Delitabak, 
189  Ballen,  in  Amsterdam  an  den  Markt  gebracht  und  im  Jahre  1882 
betrugen  dort  die  Verkäufe  von  Sumatratabaken  21  Millionen  Gulden! 

Auf  Grund  der  Berichte  niederländischer  Zeitschriften  und 
Broschüren  sei  nun  hier  »las  Wichtigste  über  die  Zustände  in  jener 
kleinen  Provinz,  über  die  liodenbescliaHenheit  derselben,  sowie  über 
die  Art  und  Weise  der  Bewirtschaftung  der  Plantagen  inituuLeilt. 

Die  blühenden  Ivulturunternehmungen,  welche  in  der  letzten 
Jahresreilie  in  der  Landschaft  Deli  nnd  den  angrenzciiilf^n  Kolouial- 
besit/un^^cü  an  d»'r  Ostküste  Sumatras  eiitstanilfii,  uelic;!  uns  eine 
klare  Vorstellung  vou  dem  erstaunlichen  uaturiiclu;n  iteichtum  jeuer 


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—  396  — 

grofsea  Insel.  Die  wunderbare  Produktionskraft  scheint  deijenigen 
Yon  Java  in  keiner  Hinsicht  nachzustehen,  und  hei  zunehmender 
Bewirtschaftung  eröffnet  sich  die  Aussicht  auf  eine  gl&nzende  Zukunft. 
Es  fehlt  hier  weder  an  einem  reichen  Schatze  nützlicher  Büneralien, 
besonders  Steinkohlen,  noch  an  vielen  wertvollen  Produkten  aus  dem 
Pflanzenreiche,  noch  an  einem  äufserst  fruchtbaren  und  für  Plantagen 
durchaus  geeigneten  Boden.  Die  Spärlichkeit  der  Bevölkenmjr  bleibt 
freilich  immer  noch  ein  grofses  Hindernis;  d(Hh  auch  hierin  wird 
nach  und  nach,  wenn  erst  die  in  vielen  Gegenden  der  Insel  noch 
herrschende  Barbarei  den  Segnungen  einer  geregelten  Verwaltung 
und  zunehmender  Sicherheit  von  lieben  und  Eigentum  Platz  gemacht 
bat,  Wandel  zum  Besseren  eintreten.  Überdies  haben  die  Unter- 
nehmer in  üeli  gezeigt,  wie  ein  wesentliches  Hindernis,  der  Mangel 
an  Arbeitskräften,  schon  jetzt  durch  die  £infuhr  fremder  Arbeiter 
teilweise  überwunden  werden  kann,  und  bei  dem  fast  beispiellos 
schnellen  Anwachsen  der  Bevölkerung  Javas  wird  es  vielleicht  von 
den  Bewohnern  dieser  Insel  als  ein  Segen  geschätzt  werden,  dafe 
für  die  tSberschüfsige  Hand  und  den  dort  ungesättigt  bleibenden 
Magen  auf  einer  so  nahe  gelegenen  Insel  Arbeit  und  Brot  zu  finden  ist. 

Das  Sultanat  Siak,  das  mit  seinen  Dependenzien  einen  bedeu- 
tenden Teil  der  Ostknste  Sumatras  entlang  sich  ausstreckt,  ist  der 
ausgedehnteste  Uferstaat  der  Stral'se  von  Malakka.  Obgleich  .«sich 
hier  nun  in  einem  schiffbaren  Strome  ein  ausgezeichneter  Weg  für  den 
Handelsverkehr  der  westlichen  Binnenländer  nach  der  Meerenge  von 
Malakka  bietet,  so  herrscht  doch  in  Siak  weder  Handel  noch  Ver- 
kehr. Und  das  trotz  eines  fruchtbaren  Bodens,  der  geeignet  ist  für 
allerlei  Kultur  im  grofsen,  den  reiche  Nutzholzwftlder  bedecken, 
der  sogar  in  den  hoher  gelegenen  Gegenden  zahlreiche  Mineralien 
in  seinem  Schofse  birgt!  Dieses  negative  Vorrecht  verdankt  das 
Land  hauptsächlich  dem  Umstände,  dafs  es  niemand  kennt.  Der 
Strom  der  Ilandelsbewegung,  welcher  sich  besonders  in  den  letzten 
Jahren  durch  die  Stralse  von  Malakka  zog,  ist  an  Siak  vorbei- 
gegangen, er  folgte  einer  anderen  Richtung.  Die  Fürsten  von  Siak 
sind  daher  auch  ebenso  arm  wie  die  si)arliche  Bevölkerung.  Von 
Kutwickelung  findet  sich  keine  Spur,  und  die  Civilisation  mufs  noch 
ihren  ersten  Stempel  auf  Volk  und  Land  drücken.  Die  eigentliche 
Ursache,  weshalb  dieses  so  günstig  gelegene,  an  Hülfsquellen  so 
reiche  Land  so  sehr  zorackblieb,  liegt  in  der  Vergangenheit  des 
Landes,  in  Zustanden  und  Einflüssen,  die  dort  seit  Jahrhunderten 
bestanden  und  bis  auf  die  neueste  Zeit  wirksam  gewesen  sind.  Ohne 
dieser  Ursache  hier  weiter  nachzu.spttren,  sei  nur  bemerkt,  dafs  der 
Zustand  des  Landes  durch  den  von  zwei  rivalisierenden  Mächten, 

28* 

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der  englfschen  und  der  niederlftndischen  osÜDdisclieii  Eompagnie, 

dem  Volke  aufgedrungenen  Schutz  sehr  verschlimmert  worden  ist. 
Letzterer  hat  niu-  Abschliefsung  vom  alliremeiuen  Verkehr  zur  Foli^e 
gehabt  und  auf  die  Blüte  und  Entwickehnig  des  noch  immer  armen 
Landes  mit  seinen  schlummernden  Schätzen  durchaus  lahmend 
gewirkt 

Begrenzt  durch  die  Halbinsel  Malakka  auf  der  einen,  die  Ostr 
IcOste  Sumatras  auf  der  anderen  Seite,  läuft  die  Strafse  von  Malakka, 
unzweifelhaft  einer  der  wichtigsten  Seewege,  von  Nordwest  nach 
Südost;  der  Hand^  vom  Westen  nach  Osten  bat  sich  denn  aadi 
desselben  seit  undenklichen  Zeiten  für  den  Transport  und  Absatz 
der  Waren  bedient  Amerika,  Europa,  Vorder-  und  Hinterindien 
senden  auf  diesem  Wege  Scfaifikladungen  nach  Singapore,  Siam, 
Cochinchina,  Japan  und  zum  Teil  auch  nach  dem  indischen  Archipel. 
Mit  diesem  Warenverkehr  hält  der  Persoiienverkehr  gleichen  Schritt. 

Die  Eröffnung  des  Sue/.kanals  hatte  bekanntlich  eine  enorme 
Zunahme  der  Dampfschiffahrt  zur  Folge;  auch  der  Verkehr  durch 
die  Strafse  von  Malakka  entwickelte  sich  seitdem  bedeutend.  Von 
den  etwa  2000  Dampfschiffen,  die  im  Jahre  1880  jenen  Kanal  pas- 
sierten, werden  gewiüs  800  ihren  Weg  durch  die  Strafse  von  Malakka 
genommen  haben.  Der  Löwenanteil  an  diesem  gewaltigen  Verkehr 
fiUlt  unbedingt  dem  nordöstlichen  Ufer  der  unter  englischem  Ein- 
flüsse stehenden  Stralse  zu,  und  zwar  zum  kleinen  Teile  der  eng- 
lischen Niederlassung  auf  Pnlo'*')  Pinang ,  zumeist  aber  Singapore, 
während  die  niederländische  Seite  der  Strafse,  also  die  Ostküste  von 
Sumatra,  fast  ganz  unbeachtet  und  unbesucht  blieb.    Hat  auch  die 
Entstehung  europäischer  Industrie  in  Deli  an  diesem  Küst  t  ust  riebe 
etwas  mehr  J^eben  und  Verkehr  liervorgerufen,  so  zieht  do(  Ii  auch 
hiervon  Pulo  (Poelo)  Pinang  den  ilauptuutzen.  Die  meisten  Faiirzeuge 
laufen  auf  ihrer  Fahrt  nach  dem  fernen  Osten  Singapore  an,  besonders 
die  Dampfschiffe,  wenn  auch  nicht  immer  um  au  diesem  Stapelplatz 
zu  laden  oder  zu  löschen,  so  doch  in  der  Kegel,  um  Kohlen  einzu- 
nehmen. Irische  Lebensmittel  zu  kaufen  und  Passagiere  abzusetzen, 
deren  Weg  nicht  weiter  als  hierher  oder  in  der  Richtung  nach  dem 
Archipel  führte.  Die  Stra&e  von  Malakka  ist  nicht  allein  ein  be^ 
quemer  Verbindungsweg  für  Ost  und  West,  sondern  überdies  ein 
geräumiges  und  sicheres  Fahrwasser,  in  welchem  Schiffbrüche  zn  den 
Seltenheiten  gehören.    Daher  kommt  es  dcun  auch,  dals  der  Hafen 
von  Singapore  die  bunteste  Maunigialtigkeit  an  Flaggen  zeigt:  dort 


♦)  Das  luedi  i  lüiulische  „oe '  hubcu  wir  überall  durch  „u**  wiedergegeben, 
weil  es  wie  u  auäges>iirucheu  wird. 


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flattert  die  Flagge  von  Siaiii  neben  der  deutschen,  die  amerikanische 
neben  der  niederländischen  und  französischen,  wahrend  der  Norweger 
sein  Kreuz  entfaltet  in  der  Nähe  der  dunkeln  Farben  von  Lingga. 
über  weitaus  vorherrschend  ist  die  englische  Flagge  durch  die  über- 
grofse  Zahl  von  Schiffen,  welche  sie  führen. 

Werfen  wir  nun  einen  Blick  anf  die  beiden  Ufer  der  Strafse, 
80  bieten  diese  hinsichtlich  der  Aufserlich  bemerkbaren  Boden- 
Iteschaffenheit  eine  auffiillende  Verschiedenheit  Die  Kfiste  Mahikkas 
zeigt  abwechselnd  Hflgelreflien  and  Bergspitzen ;  diejenige  Smnatras 
ist  dagegen  so  niedrig,  dafs  Schiffe,  welche  den  Kurs  längs  der 
Nordostseite  halten,  sie  erst  in  Sicht  bekommen,  wenn  sie  dem 
Siiniatraufer  schon  nahe  sind.  Dann  entdeckt  man  ein  dunkeles, 
mattgriines,  ununterbrochen  tlaches  Ufer,  hinter  welchem  keine 
einzige  Hügelspitze  zu  bemerken  ist.  Erst  weiter  nach  Norden 
kommt  etwas  Abwechselung  in  diese  einförmige  Küstenlinie,  indem 
dort  durch  das  Auftreten  einiger  Ausläufer  des  Barisangebirges  das 
Terrain  etwas  ungleichförmiger  wird.  Betrachtet  man  indes  die 
Kflste  Sumatras  ganz  in  der  N&he,  so  bemerkt  man  bald,  dab  diese 
scheinbar  ununterbrochene  Eüstenlinie  in  Wirklichkeit  ganz  anders 
beschaffen  ist,  als  es  ans  der  Feme  schien.  Auch  hier  zeigen  sidi, 
ebenso  wie  längs  der  nordöstlichen  Kflste,  viele  Inselgruppen;  doch 
sind  sie  niedrig,  sumpfig  und  dicht  bedeckt  mit  Baum  und  Gesträuch 
der  Strand  Vegetation.  Diese  ziemlich  umfangreichen  Inseln  werden 
durch  Süfswasserkanäle  gebildet,  die  sie  vom  Festlande  scheiden 
und  welclie  von  den  Malaien  Selats  genannt  werden,  zum  Unter- 
schiede von  den  ziemlich  zahlreichen  und  häufig  nicht  schmalen 
Flußmündungen,  welche  Kwala  heifsen.  Solche  Selats  sind:  Selat 
Rupat,  die  Brouwersstrafse,  die  Padangstrarse,  Selat  Ajer  Itam  u.  a. 
Wie  weit  die  Ostküste  von  Sumatra  sich  eigentlich  erstrecke,  bleibe 
hier  unentschieden.  Die  Regierung  hat  dem  Reiche  Siak  und  dessen 
Dependentien,  als  sie  jenen  Strich  zu  einer  besonderen  Residentschaft 
«rhob»  den  amtlichen  Namen  «Sumatras  Ostkflste''  gegeben,  und  in 
diesem  mehr  beschränkten  Sinne  erstreckt  sich  die  OstkQste  vom 
südlichen  Ufer  des  Tamiangflusses  bis  an  die  Mündung  des  Karapars. 
Diese  beiden  Punkte  bilden  wenigstens  die  äufsersten  Grenzen  von 
Siak  und  seinen  sogenannten  Zugehörigkeiten. 

An  der  Süd  grenze  ist  der  Boden  alluvial,  und  der  Abstand 
von  dem  Barisangebirge  ist  hier  so  bedeutend,  dafs  die  Flüsse, 
welche  an  den  westlichen  Bergabhängeu  entspringen,  auf  ihrem 
langen  Laufe  und  verstärkt  durch  zahlreiche  Nebenflüsse  sich  zu 
ziemlich  breiten  und  tiefen  Strömen  entwickeln,  welche  für  die 
Produkte  aus  dem  Binnenlande  bequeme  Transportwege  bieten. 


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Die  l)edeut(Miil>tpn  Flüsse  im  Süden  sind:  1.  Der  Kaiiipar, 
welclier  (Uircli  den  /usanimenflufs  zweier  grösierer  Flüsse  entsteht  und 
durch  seine  Länge  von  jjrofser  Bedeutung  ist:  er  mündet  der  Insel 
lUuitau  gegenüber  und  fülirt  den  Namen  Kampar-Besar.  Obwohl 
der  Kamparflurs  für  die  binnenländiscbe  Botfahrt  sehr  geeignet  ist» 
so  bietet  er  doch  keine  gute  Kommunikation  mit  dem  Meere:  eine 
grofse  breite  Felsenschicht  versperrt  nämlich  die  Mflndang,  so  daCs 
Fahrzeuge  von  einigem  Tiefgange  nicht  einlaufen  kdnnen.  Auch 
zeigt  sich  an  der  Mttndung  des  Kampars,  sowie  einiger  anderer  FlOsse 
eine  eigentümliche  Naturerscheinnng,  welche  die  Einfahrt  in  die  Flüsse 
manchmal  gtlahiiich  macht.  Bei  einzelnen  Flutzeiten  entsteht 
nftmlich  eine  Art  von  Golfstrom.  In  die  Flufsmünduu«i:  stürzen  von 
aufseu  her  einige  milcht i^^e  Woiicn,  (fie  mit  unwiderstehlicher  Gewalt 
alles  mit  sich  foi  troilsen,  so  dafs  unbewachte  Fahrzeuge  losgerissen 
und  an  den  Ufern  zerschmettert  werden.  Werden  die  Böte  indefs 
bewacht,  so  richtet  solch  ein  aufkommender  Golfstrom  keinen  Schaden 
an;  vielmehr  wissen  erfahrene  Schiffer  insofern  Nutzen  ans  dieser 
Erscheinung  zn  ziehen,  als  sie  mit  der  StrOmung  ihre  Fahrzeuge 
eine  grofse  Strecke  aufwärts  bringen.  2.  Der  Siakflnfs  ist«  was 
Fahrbarkeit  für  grofse  Schiffe  betrifft,  wohl  der  bedeutendste  Flnf« 
der  Ostkttste  (in  dem  hier  angenommenen  beschränkten  Sinn),  so- 
wohl wegen  seiner  ansreichenden  Tiefe,  als  wegen  der  Besdiaffenheit 
seiner  Mündung.  Kriegsschiffe  von  einem  gewissen  Tiefgange  können 
hequem  bis  Pekan  Buru,  das  heifst  ungefiUir  90  Meilen  stromaufwärts 
fahren.  Die  Mttndung  ist  fast  eine  geographische  Meile  (65(X)  m) 
weit.  Die  Tiefe  beträgt  dort  12  bis  14  Klafter,  mit  Ausnahme  einer 
einzelnen  Stelle  in  der  Nähe  der  Insel  Gnntoni:.  wo  mir  3^'2  Klafter*) 
Wasser  steht.  3.  Der  Siak  Ketjil  müudet  wie  der  eigentliche  Siak* 
üufs  ungefähr  eine  Meile  nordwestlich  von  demselben  ebenfalls  in 
die  Brouwei-sstrafse.  Ein  unbedeutender  Strom,  steht  er  mit  dem 
grofsen  Siakflusse  in  keiner  Verbindung. 

Aufserdem  wird  die  Ostkttste  noch  von  einer  Reihe  kleinerer 
Flüsse  durchzogen,  die  alle  für  das  Binnenland  gute  Wasserstrusseu 
bilden.  \'on  geringerer  Bedeutung  sind  in  dieser  Hinsicht:  Serdang, 
Deli,  Langkat  und  Pcrtjut.  Sämtliche  hier  genannte  Flüsse  haben 
den  kleineu  Reichen,  durch  welche  sie  fliofsen.  ihre  Namen  gegeben. 
Im  allgemeinen  ist  der  ausgedehnte  AHuvialboden  der  Flul'sgebiete 
fruchtbar.  Der  Küstensaum  und  die  Umgebung  der  Mündungen  sind 
indefs  nicht  anbaufähig,  weil  das  Land  hier  gleichsam  noch  im  Werden 
begriffen  ist;  hier  herrscht  die  sogenannte  Strandvegetation,  in  welcher 

*)  1  BJafter  (niederl.  vadem)  ^  l/nti  m. 


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die  Rbi/ophoren  mit  ihren  Luftwurzeln  doiiiinieren,  wenn  auch 
einzelne  Exemplare  von  Sonneratia,  Aegiceras  und  Klimacandra  vor- 
kommen. Etwas  mehr  vom  Strande  entfernt  erscheinen  die  Nipa-, 
Sago-  und  Nibungpalmen  mit  den  Pandanen  und  verschiedenen  Rohr- 
arten. Da,  wo  der  Boden  sich  erhebt,  deuten  hochanfsteigende  Wald- 
bäume und  allerlei  Gestrftuch  an,  dafs  die  Sumpfgegend  ihr  Ende 
gefunden  hat.  Tabak,  Ingwer,  Reis  und  Zucker  würden  hier  vor- 
trefflich gedeihen ;  doch  bemerkt  man  nur  hier  und  da  eine  geliclitete 
Stelle  im  Walde,  wo  auf  ziemlich  primitive  Weise  etwas  Reis  und 
Feldfrüchte  gezogen  werden,  während  einige  Fruchtbäume  und  Zucker- 
rolirhalme  neben  einer  erbftrnilichen  Pfahlwohnung  die  Anwesenheit 
von  Menschen  verkünden.  Unter  den  Fruchtbäumen  spielen  Kokos- 
palme, Pisang  und  Pinang  (Areca  catechu)  die  Hauptrolle.  Höher 
hinauf  liefern  die  Wftlder  prachtvolle  Holzarten  und  unzahlige  Wald- 
bftume,  aus  deneu  vorzügliche  Öle  oder  Fette  gewonnen  werden 
können.  Auch  die  Isonandra,  welche  das  im  Handel  sehr  gesuchte 
Getah  perija  *)  liefert,  darf  hier  nicht  unerwähnt  bleiben.  Die  hier 
genaimten  Erzeugnisse,  wie  noch  manche  andere,  als  Harze,  Rohr, 
Drachenblnt,  Nii)ablatter  gelten  als  Buschprodukte,  weil  sie  ohne  Be- 
bauung des  Bodens  gewonnen  werden.  Das  Einsammeln  dieser  Produkte 
verschaflft  vielen  Einwolmern  ihren  Lebensunterhalt;  denn  fast  alle 
sind  bedeutende  Handelsartikel,  in  welchen  jährlich  Tausende  umge- 
setzt werden. 

Schade  nur,  dafs  bei  diesem  Einsammeln  jegliche  Kontrolle 
fehlt  I>ie  Sorglosigkeit,  mit  welcher  der  Eingeborene  dabei  ver- 
ehrt, ist  grofe:  der  Malaie  schneidet  weg  und  schlagt  nieder,  ohne 
sich  um  Wiederanpflanzung  zu  kammem.  Wenn  hiergegen  nicht 
bessere  Sehntzmaferegeln  getroffisn  werden  als  jetzt,  so  werden  sich 
auf  der  Ostküste  Sumatras  frtther  oder  später  dieselben  traurigen 
Erscheinungen  zeigen,  wie  in  dem  Reiche  Bandjerniassin  auf  Borneo, 
wo  Rotan  in  grofsem  Überflufs  wuchs,  aber  die  besten  Sorten  in 
Folge  des  unverständigen  Wegschneidens  durch  die  Einsammler  fast 
ausgerottet  sind,  und  auch  die  Isonandrabännie  durch  das  Fällen 
ohne  Wiederpflanzung  mehr  und  mehr  verschwiaden. 

So  ist  es  auch  gekommen,  dafs  man  auf  der  malaiischen 
Halbinsel  und  besonders  auf  der  Insel  Singapore,  die  früher  so 
reich  an  Getapertja  war,  jetzt  vergeblich  nach  bonandrabaomen 
sucht.  Nur  im  botanischen  Garten  zu  Singapore  soll  sich  nodi  ein 

einziges  Exemplar,  als  eine  Seltenheit,  linden. 


*}  Die  £Dgläuder  schreiben  gutta  perchu,  wodurcli  eine  falsohe  Aussprache 
in  fiufopa  aUg^mein  geworden  iti 


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—  400  — 

Nach  diesen  allgemeinen  BemerkungtMi  über  die  Residentschaft 
der  „Ostküste  von  Sumatra",  welche  einer  grölseren  Abhamllunj^ 
des  Herrn  J.  S.  G.  Gramberg  in  der  „Tydschrift  van  het  Aardr)'ks- 
kundig  (ienootschap"*)  entnommen  sind,  lassen  wir  im  Nachstehenden 
einige  MiUeiluDgen  über  die  Laodächaft  Dell  und  die  dorUgea 
Kulturen  folgen,  sie  sind  aus  einer  früheren  Arbeit  des  Profeasois 
P.  J.  Yeth,  einer  in  neuerer  Zeit  erschienenen  Schrift:  De  Toekomst 
van  Deli  door  J.  T.  Gremer  und  verschiedenen  GelegenheitsscfarifleD, 
sowie  mandlichen  und  brieflichen  Mitteilangen  von  der  Verfa&ltniaBe 
kundigen  Personen  geschöpft.  Zar  Orientierung  mögen  einige  histo- 
rische Kotisen  Aber  das  Sultanat  Stak  und  dessen  Verhftltnis  xu  den 
Niederlanden  vorhergehen. 

Das  Reich  Siak  wurde  bereits  im  Jahre  1745  von  Sultan  Soleiniau 
an  die  niederländisch-ostindische  Konii)agnic  abgetreten ;  doch  war  der 
niederländische  £iüflufs  wahrend  der  fast  ununterbrochenen  Kriege 
und  Empörungen  unbedeutend  und  der  Besitz  ein  unsicherer.  Über- 
haupt hat  sich  der  Einfluls  der  Niederländer  an  der  Strafse  von 
Malakka  seit  An&ng  dieses  Jahrhunderts  sehr  vermindert,  langsamer- 
hand  wurden  die  Verbindungen  mit  der  niederlftndisch^indisehen 
Begierung  abgebrochen.  Auf  Pulo  Pinang  wurde  eine  britisdie 
Niederlassung  gegründet;  darauf  entstand  Singapore  als  englische 
Kolonie.  Englische  Missionare  bearbeiteten  die  Laudeshäupter  und 
die  Kaufleute  im  Interesse  ihrer  Nation,  uud  obgleich  die  Nieder- 
länder im  Jahre  1822  eine  engere  Verbindung  mit  Siak  geschlossen 
hatten,  brachte  der  politische  Missionar  Anderson  im  Jahi'e  1823 
mit  jenem  Reiche  eine  (übrigens  ungültige)  Vereinbarung  zu  stände, 
durch  welche  den  Niederländern  die  Niederlassung  daselbst  unter- 
sagt wurde.  Der  Einflufs  der  Niederländer  wuchs  auch  nicht  durch 
den  zwischen  ihnen  und  den  Engländern  im  Jahre  1824  geschlossenen 
Vertrag,  da  hierbei  die  Stadt  Malakka  für  immer  an  die  Engländer 
flberging.  Erst  im  Jahre  1868  wurde  infolge  besonderer  Ereignisse 
die  niederi&ndische  Autorität  wieder  neu  und  dauerhaft  befestigt  und 
sie  hat  sieh  seitdem  oder  mit  dem  Beginn  der  Landbauuntemehmungsn 
in  Deli  immer  mehr  geltend  gemacht. 

Das  Reich  Siak  besteht  gegenwärtig  aus  dem  eigentlichen 
Siak  und  den  Vasallenstaaten  oder  Dependentieu.  Ersteres  ist  ein- 
geteilt in:  a.  Siak-Besar,  Betong,  Rempak  und  Siak-Ketjil.  Diese 
Landstriche  gruppieren  sich  hauptsächlich  um  den  Unterlauf  des 
Siakflusses.  Die  Hauptnegerei  Siak  ist  ein  armseliger  Wohnpiatz; 


*)  Deel  Tly  No.  2.  Geographische  AantMkeningpn  betreffende  de  Beeideiitie 
SamtMt  Osikiut  door  J.  8.  G.  Gramberg. 


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—  401  — 


nitr  das  Fort  und  die  Wohnungen  des  europftischen  Dien8ti>Pi*son8ls 
bieten  beim  Eintritt  in  diese  Hauptstadt  Siaks  einen  einif^erninfsen 
gefalligen  Anblick,  b.  Bukit-Batu,  eine  an  der  Brouwerstrafse  be- 
teene  Landschaft.  Das  Hauptdorf  (Kampong)  liegt  au  der  Mündung 
des  kleinen  Flusses  gleichen  Namens.  Die  Häuser  sind  als  Pfahl- 
wohnunjjen  in  die  Mündung  hinein  gebaut  und  durch  eine  Art  von 
Trottoir  aus  Brettern  oder  Latten  mit  einander  verbunden.  Hier 
wird  etwas  Handel,  namentlich  mit  Fischen,  getrieben,  c.  Pekan- 
Barn,  am  rechten  Ufer  des  Siakflusses,  liegt  an  der  Handelastrafee 
Ton  der  WestkOste  nach  dem  Meere  und  bildet  eine  Station  für  die 
Kanfleute  aas  den  Binnenlaaden,  welche  mit  Malakka  nnd  SingaiK>re 
in  GeschaftsTerbindnng  stehen.  Der  Verkehr  ist  hier  viel  bedentenderi 
als  am  Hanptplatze  Siak.  Pekan-Baru  würde  wegen  der  Tiefe  des 
Siakflnsses  einen  ausgezeichneten  Endpunkt  für  eine  Eisenbahn  aus 
den  Onibilin- Kohlenfeldern*)  bilden;  grofse  Schiffe  würden  hier 
Kohlen  laden  können,  und  Ben^kalis  könnte  in  diesem  Fall  das 
Hauptdepöt  für  die  Strafsc  von  Malakka  werden,  d.  Die  Landschaft 
Mandau,  welche  sich  zwischen  Siak  und  Pekan-Baru  nordwestlich 
erstreckt,  ist  ziemlich  ausgedehnt,  aber  schwach  bevölkert;  au  den 
Ufern  des  Mandauflusses  erheben  sich  dichte  Wälder,  welche  zahl- 
reiche Kampherb&ume  nnd  prftchtiges  Bauholz  liefern  können.  Der 
Boden  ist  humusreich  und  mithin  sehr  frachtbar.  Nach  den  zu- 
verlässig scheinenden  Mitteilungen  inländischer  Häuptlinge  soll  in 
den  dichten  Wäldern  von  Mandaa  ein  Volksstamm  hausen,  der  bis 
jetzt  noch  keine  Oemeinschaft  mit  der  Aufsenwelt  unterhält.  Der 
Tauschhandel  erfolgt  in  der  Weise,  dafs  die  Waren  an  gewissen 
Plätzen  niedergelegt  und  dann  gegen  andere,  dort  ebenfalls  deponierte 
Artikel,  Buschprodukte,  umgetauscht  werden,  e.  Die  längs  der  Ost- 
küste gelegenen  Inseln  Rupat,  Bengkalis,  Padang,  Rantu  und  zahllose 
kleinere  Inseln  zwischen  den  Mündungen  des  Kampar-  und  des  Siiik- 
fiusses,  früher  ein  beliebter  Versteck  für  die  hier  sich  umhertreibenden 
Seeräuber.  Auf  der  Insel  Bengkalis  befindet  sich  der  Hauptsitz  der  Re- 
sidentschaft nOstkttste  Ton  Sumatra**.  Diese  Insel  wttrde  wegen  ihrer 
Lage  bei  Entwickelung  Yon  Handel  und  Betriebsamkeit  in  Siak  von 
grofser  Bedeutung  werden  kOnnen.  Sie  liegt  nahe  an  der  Mflndung 
des  Siakflnsses,  besitzt  in  der  Brouwerstrafee  eine  Reede,  die  zu 
den  geräumigsten  und  sichersten  im  ganzen  niederländischen  Indien 
gezählt  werden  darf,  und  liat  dabei  durch  die  Padangstrafse  eine 
bequeme  Verbindung  mit  der  Strafse  von  Malakka  und  dem  ganzen 
indischen  Archipel. 

*)  Nfthcrcs  über  die  Ombilin-Kohlciilager  findet  man  in  dem  bwfiglichMl 
Aii£uitz  Ton  D.  D.  Y«th,  Band  IV,  S.  lOö  and  ff.  dieser  Zeitschrift. 


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Die  Vitöallenstaateu  Siaks  sind  teiU  auf  friedlichem  Wegei 
teils  durch  Eroberung  an  Siak  gekommen,  zwei  derselben  gelten 
als  Apanage  des  fürstlichen  Stammhauses.  Die  Zahl  derselben 
betragt  16,  unter  welchen  Deli  in  neuerer  Zeit  durch  die  dort  ge- 
grOndeten  Niederlassungen  und  Knltumntem^mungen  wohl  am 
meisten  bekannt  geworden  ist  und  in  naher  Zukunft  zweifellos  zu 
weiterer  Bedeutung  gekngen  wird.  Die  Landschaft  Deli,  welche 
sich  immer  gegen  die  Suprematie  Silks  gestrftubt  hatte,  wufete  sidi 
im  Jahre  1862  yon  derselben  dadurch  los  zu  machen,  dafs  sie  die 
Sourerftnetät  der  Niederlande  nicht  als  Depeadenz  von  Siak,  sondm 
;,eben  wie  Siak"  anerkannte. 

Das  kleine  Reich  Deli  erstreckt  sich  längs  der  Strafse  von 
MaKikka  vou  der  Mündunf;  des  Labu-Dalam  bis  an  die  Pamatang- 
Onies-Mündiiiig,  d.  i.  ungefähr  von  4®  57'  bis  4*^  22'  n.  B.,  und 
von  98«  25'  bis  98«  47'  ö.  L.  Gr.  Zwischen  den  beiden  Grenz- 
ländern erstreckt  es  sich  hauptsäclilich  von  Nord  nach  Süd,  die 
gröfste  Ausdelinun^^  von  West  nach  Ost  betragt  nnr  15 — 17  geogr. 
Minuten  und  es  sind  vorzugsweise  dies  Flufsi;ebiete  des  Haniparan, 
des  Perak,  des  Deli  und  des  Pertjut.  Die  Oberläufe  dieser  Flüsse 
sind  teilweise  noch  unbekannt,  und  dieser  Umstand,  sowie  die  Un- 
sicherheit der  Autorität,  welche  der  Sultan  von  Deli  über  die 
Batakscben  Häuptlinge  des  Binnenlandes  ausübt,  haben  bis  jetzt  noch 
eine  Festsetzung  der  inneren  oder  südlichen  Grenze  verhindert.  Im 
Jahre  1872  drang  eine  Expedition  von  U^jong  Bandor  (4<>  25^»') 
ans  noch  6Vi  Min.  weiter  nach  Süden  vor;  aber  die  Wohnsitze  der 
dem  Sultan  wenigstens  dem  Namen  nach  unterworfenen  Bataks  er^ 
strecken  sich,  wie  es  scheint,  noch  viel  weiter  in  das  Gentraigebirge 
von  Sumatra  hinein. 

Der  DelifluCs  hdfst  auch  Sungei  Lahnau,  d.  i.  Flnfs  des  Anker- 
platzes, weil  er  etwas  oberhalb  seiner  Mündung  den  Hafen  des 
Hauptdorfes  Deli,  gewöhnlich  einfech  Labuan  genannt,  bildet.  Dieser 
Kampong  ist  die  Besidenz  des  Sultans. .  Die  Bezeichnung  Delis  als 
Kampong  ist  eigentlich  nicht  zutreffend,  denn  unter  diesem  Namen 
versteht  man  gewöhnlich  eine  Gruppe  von  Wohnungen  mit  einer 
Gesamtumzäunung,  wahrend  Labtian  ntdits  weiter  als  dnen  Basar 
von  aneinandergereihten  Kramladen  mit  einzelnen  zerstreut  liegenden 
Wohnungen  in  der  Nähe  des  Ankerplatzes  bildet.  Der  Bazar  von 
Deli  besteht  aus  zwei  langen  Strafsen,  ilie  einen  rechten  Winkel 
bilden.  Die  Häuser  stehen  meistens  auf  Pfählen,  drei  Fuls  über  der 
F.rde  und  haben  ein  niedriges  überhangendes  Dach,  das  eine  Bank 
von  Banibu  beschützt,  die  entweder  als  Sitz,  oder  zum  Auslegen  der 
Waren  dient.    Nur  einzelne  Häupter  sind  aus  Holz  gebaut;  die 


—  403  — 


meisten  Mind  aus  Banibu,  Ntbunglatten  und  Kadjunginatten'*')  zu- 
saimnengefügt  und  die  Dftcher  mit  einer  Klappe  versehen,  um  Licht 
und  Luft  ein-  und  den  Rauch  auszulassen.  Unter  den  Uiiuseru 
wird  gewöhnlich  der  Schmutz  aufgehäuft,  wozu  die  Pfahlbauten  p^ar 
zu  leicht  Veranlassung  geben.  Es  fehlt  übrigens  nicht  au  Gräben 
zum  Abtiuls  des  Wassers,  auch  nicht  an  ziemlich  guten  Wegen,  und 
der  Sultan  hat  in  den  letzten  Jahren  sogar  für  eine  genügende 
Strafsenbeleuchtung  gesorgt.  Am  Ende  des  Bazars  erheben  sich  der 
Dalam  des  Sultans  und  die  Moschee.  Der  erstere  ist  geräumig, 
recht  hübsch  ans  Brettern  gezimmert  und  durch  ttberded^  Gänge 
mit  einer  Vor-  und  Hinterverande  verbunden.  Die  Moschee  ist 
gldchlalls  ans  Brettern  gebaut,  gut  erhalten,  aber  von  geringem 
UmÜMig. 

Im  Jahre  1862  boten  nach  dem  Berichte  eines  Reisenden  sowohl 
der  Dalam  als  der  Bazar  einen  kümmerlichen  Anblick,  und  dieser 
Zustand  verschlimmerte  sich  noch,  als  im  Jahre  1864  der  Bazar  fast 
ganz  in  Flannnen  aufging.  P^s  herrschte  damals  eine  allgemeine 
Niedergeschlagenheit;  der  Handel  stand  fast  still,  und  nur  einzelne 
Bataks  kamen  ab  und  zu,  um  ein  Pferd  zu  verkaufen  und  für  den 
Preis  Leinwand  einzuhandein,  worauf  sie  sich  beeilten,  in  ihr  Ge- 
birge zurflckzukehren.  Die  meisten  hatten  so  grofse  Furcht  vor 
Beraubung  oder  Zwangsverkftnfen,  dafs  sie  lieber  wegblieben. 

Dieser  traurige  Zustand  hat  sich  aber  seitdem  zum  Bessern 
verändert.  1862  hatte  der  Sultan  von  Deli  die  Souveränetät  der 
Niederlande  anerkannt  und  1864  beschlols  die  niederländische 
Tlegierung,  einen  der  fünf  Controleure  für  die  damals  unter  Kiouw 
ressortierende  Abteilung  Siaic  und  Depeudeatien  auf  Deli  einzusetzen. 
Alles  gewann  nun  bald  ein  besseres  Ansehen.  Die  Bewohner  des 
Bazars  bauten  ihre  Kramladen  wieder  auf  und  in  kurzer  Zeit  waren 
die  Spuren  des  Brandes  verwischt  Die  Bataks,  durch  eine  Erklärung 
des  Sultans  beruhigt,  kamen  in  täglich  zunehmender  Zahl  wieder 
nach  Deli,  um  Handel  zu  treiben  und  Deli  begann  gar  bald,  die 
Aufmerksamkeit  der  europäischen  Industriellen  auf  sich  zu  ziehen, 
so  dafs  sich  schon  1867  drei  rnternehmer  1  bis  2  Stunden  oberhalb 
des  Hauptplatzes  niedergelafsen  hatten,  wo  sie  sich  auf  ^ei)achteten 
(iruudstückeu  mit  der  Anpflanzung  von  Tabak,  Kokosnüfsen,  Muskat- 
nüfsen  und  Kaffee  beschäftigten.  Der  Sultan  und  die  (Irofscn  dos 
Reiches  folgten  diesem  Beisj)iele,  legten  THauzungen  für  eigene 
Kechuuog  an  und  trafen  wegen  Anlage  weiterer  Pflanzungen  Über- 

*)  Nibung  (Niboeng)-Areca  nibang.  Kac^aiig  sind  Bl&tier  von  Pandanni- 
uinn,  di«  zu  Matten  geflochten  werden. 


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einkinniiien   mit  Verpfüiideten   (»der  Sklaven,  die  dann   auf  die>e 
Wei.se  ihre  Freiheit  wieder  erlangten.     Man  sairt,  dafs  allein  im 
Jahre  1867  ungefähr  100  auf  diese  Weise  frei  wurden;  seildem  hat 
der  bklaveuhandel  hier  ganz  aufgehört  und  die  Abschaffung  der 
persönlich«!!  Pfändung  ist  schon  damals  vorbereitet  worden.  Einen 
bemerkenswerten  Beweis  von  dem  ihn  beseelenden  Wunsche,  seni 
Volk  zu  heben,  gab  der  Sultan  auch  durch  seine  BemOhungen, 
einen  guten  Sdiulunterricht  einsuftihren:  er  bestritt  die  Koeten 
eines  Schulgeb&udes  und  der  Anstellung  eines  einheimischen  Lehrers. 
In  Sleidung,  Emfthrung,  Wohnung  und  htnalidier  Einrichtung  zeigte 
sich  deutlich  ein  grdfiserer  Wohlstand.   Allmählich  Uelsen  sich  vide 
chiuesische  Handler  in  Deli  nieder,  und  die  in  grofser  Anzahl 
'   entstandenen  steinernen  Häuser  zeugen  von  der  W^ohlhabenheit  ihrer 
Bewohner.    Zu  gleicher  Zeit  begann  auch  die  malaiische  Bevölkerung, 
sich  wieder  auf  den  so  lange  vernachläfsigten  Reisbau  zu  legen, 
so  dafs  es  gar  bald  keiner  Anfuhren  von  Reis  von  Pulo-Pinang 
mehr  bedurfte  und  der  Preis  auf  ein  Drittel  des  friUierea  Be- 
trages sank.    FUr  das  niederländische  Etablissement  war  in  der 
Nahe  des  Bazars  eine  Fläche  Waldgrund  gelichtet,  und  um  die 
Gebftude  hemm  erhoben  sich  inlandische  Wohnungen,  die  einen 
neuen  Kampong  bildeten.    Ohne  Zwang  bahnte  die  Bevdlkerung 
durch  die  Wildnis  einen  dreifsig  Fuüb  breiten  Fahrweg,  um  Deli  mit 
Kampong  Baru  zu  verbinden,  und  seitdem  dieser  an  die  Stelle  des 
firüheren,  sich  stark  schlängelnden  Fufspfades  getreten  ist,  legt  man 
die  Strecke  in  ungefähr  vier  Stunden  zurück,  während  man  früher 
einen  ganzen  Tag  brauchte.  Die  Sicherheit  von  Person  und  Eigentum 
nahm  in  jxleicher  Weise  zu,  besonders  als  der  Sultan  einen  seiner 
Netien,  Kadja  Aman,  der  sich  vieler  Uilubereien  schuldig  gemacht 
hatte,  auf  20  Jahre  in  die  Verbannung  schickte.    Diebstähle,  die 
früher  fast  allnächtlich  vorkamen,  hörten  seitdem  ganz  auf,  während 
doch  zugleich  der  Grausamkeit  in  der  Bestrafung  ein  Ziel  gesetzt  wurde. 
Eine  Lanze,  mit  welcher  man  bisher  die  Verurteilten  getötet  hatte, 
wurde  vom  Sultan  dem  Kontrolleur  Cats  de  Raat  verehrt,  zum  Zeichen, 
dafs  er  für  immer  auf  ihren  Gebrauch  verzichte,  (de  Raat  schenkte  diese 
Lanze  dem  ethnographischen  Museum  der  batavischen  Gesellschaft.) 
Die  Bevölkerung  Delis  besteht,  abgesehen  von  den  Fremden,  aus 
Malaien  und  Bataks.    Erstere  bewohnen  den  Hauptplatz  und  die 
niedrigen  Küstendistrikte  bis  an  den  Fufs  des  Gebirges.  Ihre  Anzahl 
ist  gering,  wenn  auch  ohne  Zweifel  etwas  gröfser,  als  die  2000  Seelen, 
worauf  sie  im  Jahre  1862  von  Netzscher  geschätzt  wurde,  um  so 
mehr,  da  in  den  letzten  Jahren  eine  bedeutende  Einwanderung  von 
anderen  Küstenplätzeu  her  beobachtet  worden  ist.  Zu  ihnen  rechnet 


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man  auch  die  etwa  100  Klingalesen  oder  Abkömmlinge  von  diesen. 
Die  Betriebsamkeit  dieser  Leute  steht  durchschnittlich  auf  einer 
niedrigen  Stufe;  am  meisten  leisten  sie  noch  in  der  Verfertigung 
von  Waffen;  so  verfertigen  sie  schöne  Dolche  (Krisse)  und  Schwerter 
Dach  atschinesiachen  Modellen.  Die  Bataks  sind  weit  zahlreicher 
als  die  Malaien;  spricht  man  doch  yon  Hftnptlingen,  die  Aber  40,000 
und  mehr  Menschen  herrschen.  Zwischen  ihnen  und  den  Malaien 
bestehen  scharfe  Scheidungen  und  zwar  nach  Abstammung,  Sprache, 
Schrift  und  Beligion.  Die  Malaien  sind  Muhamedaner;  die  Bataks 
verehren  die  Geister  der  Natur  und  der  Verstorbenen.  Diese  Bataks 
anerkennen  die  Souveränetät  des  Sultans  von  Deli ;  sie  müfsen  ihm 
gegen  Zahlung  im  Kriege  Beistand  leisten  und  unter  vereinbarten 
Bedinii^nngen  Pfeffer  für  ihn  pflanzen,  haben  aber  weiter  keine 
Abgaben  zu  entrichten.  Pfeffergarten  findet  man  namentlich  zwischen 
den  Flü£i>en  Hamparän,  Perak  und  Langkat  und  wahrscheinlich  höher 
hinauf  im  Gebirge.  Während  der  anhaltenden  inneren  Kriege  war 
übrigens  die  Pfefiferkultur  sehr  zurückgegangen.  Anderson  berechnete 
den  Ertrag  in  1823  anf  26000  Pikols  (1  Pikol  =  100  Kati  oder 
125  Amsterdamer  Pfund  »  61,7tt  kg),  wahrend  der  Hafenmeister 
von  Deli  denselben  in  1863  mit  8300  Pikols  feststellte;  seitdem  hat 
sich  aber  diese  Kultur  wieder  bedeutend  gehoben. 

Der  Boden  Dells  ist,  abgesehen  von  den  Batakschen  Berg- 
distrikten, fast  ganz  flach  und  besteht  aus  einem  niedrigen  Humus- 
boden mit  einem  Untergrunde  von  Marscherde  oder  Klei.  Die 
Fruchtbarkeit  ist  so  grofs,  dafs  eine  sogenannte  Ladang,  eine  zwei 
bis  drei  Jahre  unbearbeitet  gebliebene  Pflanzung,  infolge  der 
beispiellos  kräftigen  und  schnellen  Vegetation  nicht  wieder  zu  finden 
ist.  Diese  günstigen  Umstände  erregten  die  Aufmerksamkeit  scharf- 
blickender und  unternehmender  Europäer,  und  kaum  war  hier  die 
frühere  Unordnung  grüfserer  Rohe  und  Sicherheit  gewichen,  und  der 
gute  ÜVillen  des  Fürsten,  die  Wohlfahrt  seines  Landes,  namentlich  auch 
durch  Verbesserung  der  Wege,  zu  fördern,  erkennbar  geworden,  als 
auch  schon  ein  Amsterdamer,  Jacobus  Nienhuys,  dem  bald  zwei 
Schweizer  und  ein  Deutscher  folgten,  sich  unter  Mitwissen  der 
europilischen  Verwaltung  mit  (Il'ui  Gesuch  an  den  Sultan  wandte, 
dafs  ihm  gestattet  werde,  sich  hier  niederzulassen  und  Kultur- 
versnche  zu  maclien.  Der  scharfblickende  Sultan,  dessen  Land  bis 
dahin,  abgesehen  von  einigen  schmalen  Streifen  längs  der  Flüsse, 
ganz  unbebaut  geblieben  war,  erkannte  darin  sogleich  das  beste 
Mittel,  sein  Land  zu  gröfscrcr  Entwickelung  zu  bringen.  So  wurden 
denn  im  Jahre  1876  die  drei  ersten  Miet-  oder  besser  Erbpachts- 
kontrakte  Aber  Kulturländereien  abgeschlossen,  während  zwei  Jahre 


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Später  die  Zahl  der  Landbauuuternehinuiif^en  schon  auf  sechs 
gestiegen  war.  Die  erst^  wurde  durch  Niederländer  mit  nieder- 
läudiBchem  Kapital  betrieben  und  hatte  mau  die  (lenugthuung,  dafs 
der  nach  Europa  gesandte  Tabak  auf  dem  Amsterdamer  Markt  zu 
ansehnlichen  Preisen  verkauft  wurde.  Im  Jahre  1868  wurden  bereits 
168,000  Amsterdamer  Pfund  Tabak  für  den  europäischen  und  37,500 
ffirden  inländischen  Markt  ausgeführt;  auch  war  schon  die  Gelegenheit 
geboteo,  die  Produkte  für  die  Seereise  nach  Pulo  Pinang  tn  ver- 
sichern, und  die  £inricbtimg  einer  Dampfechiffahrt  zwischen 
und  jener  Insel  wurde  in  Aussieht  genommen.  Die  Pflanzer  arbeiteten 
meistens  mit  chinesischen  Kulis,  aber  auch  mit  Siamesen,  Klingalesen 
und  Javanen;  Letztere  verpflichteten  sich  zur  Bestellung  einer 
bestinrimten  Anzahl  Tabakspflanzen  und  erhielten  darauf  Vorschttsse. 
Obgleich  nun  die  Arbeiter  gut,  teilweise  sehr  gut  verdienten*), 
herrschte  doch  keine  allgemeine  Zufriedenheit;  ein  Teil  der  chiue- 
sisclieii  Arbeiter  suchte  sich,  von  einem  Landsmann  von  Pulo  Pinang 
aufgewiegelt,  den  eingegangenen  Yerpfiichtungen  zu  entziehen  und 
nach  jeuer  Insel  zu  flüchten.  Glücklicherweise  wurde  das  Komplott 
rechtzeitig  entdeckt  und  durch  Bestrafung  der  Badeisführer  luit 
Verbannung  und  Zwangsarbeit  die  Ordnung  wieder  hergestellt.  In 
Artikel  7  des  Begierungsvertrags  mit  Deli  ist  festgesetzt,  dafs  der 
Sultan  ohne  Vorwissen  der  Regierung  keine  Ländereien  an  Europäer 
abtreten  darf;  die  Kontrakte  mflssen  deshalb  an  den  Kontrolleur  von 
Deli  und  durch  diesen  an  den  Residenten  der  Ostküste  Sumatras  zur 
Genehmigung  eingesandt  werden.  Die  Vergebung  des  Landes  geschieht 
in  Form  der  Erbi)acht ;  in  jedem  Kontrakte  findet  sich  die  Bestimmung, 
dals  die  Vergebung  sich  nur  auf  unkultivierte  Lilndereien  erstreckt 
und  (lafs  die  innerhalb  der  Grenze  der  koncessionierten  liäudereieii 
belegenen  AnpHanzungen  der  Einheimischen  und  alle  in  Benutzung 
genommenen  Grundstücke  bei  den  Kamjiongs  nicht  einbegriffen  sind, 
so  dafs  also  die  Interessen  der  einheimischen  Bevölkerung  genügend 
gesichert  bleiben.  Die  Batakschen  Distrikte,  welche  zum  Gebiet  der 
Sukuhaupter  gehören«  blieben  von  der  Landabtretung  ausgeschlossen. 

Anfangs  zahlten  die  Unternehmer  keine  direkten  Abgaben  an 
den  Sultan,  sondern  trugen  nur  auf  indirektem  Wege,  z.  B.  durch 
Zunahme  der   Ein-   und    Ausgangszölle   zur   Vermehrung  der 

iieichseinkünfte  bei.  Bei  den  später  abgeschlossenen  Kontrakten 
hat  der  bultau  eine  Grundsteuer  ausbeduugen,  die  jedoch  erst 

♦)  Gegenwili-tig  betriigt  der  an  die  Kulis  gezahlte  Lohn  7 — 8  mexikanis<'!ie 
Dollars  (;i  4  Schilliug  englisch)  für  iUO(>  Tabukpilauzen,  Je  nach  der  Qualität 
der  letzteren. 


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nach  einigen  Freijabren  zahlbar  werden  sollte.  Im  Jahre  1876 
haben  einige  Unternehmer  die  (Jnindsteuer  zum  ersten  Male  gezahlt, 
lu  den  ersten  Jaliren  bestritt  der  Sultan  die  bedeutend  vergrolserten 
Verwaltungsküsten  aus  seinen  gewöhnlichen  Kinküntten,  ungeachtet 
die  Vermehrung  der  Ausgaben  für  den  T'nterlialt  von  30  Soldaten 
und  12  bis  15  Polizeiaufseheru  und  für  Einrichtung  der  Gefängnisse 
nicht  welliger  als  monatlich  500  Dollars  betrug.  Die  Bevölkeruog 
auf  den  an  Europäer  abgetretenen  Laadereien  ist  sehr  gering,  und 
abgesehen  von  einzelnen  Dienstleiatungen  in  den  Plantagen  kann 
der  Unternehmer  auf  ihre  HOlfe  nicht  rechnen.  Er  ist  deshalb 
gezwungen,  seine  Arbeiten  durch  Kulis  besorgen  zu  lassen,  und 
diese  bilden,  da  ihre  Heranführung  bedeutende  Kosten  an  Vorschflssen, 
Passagen  und  Konimissiousgebühren,  bei  Chinesen  wenigstens  70  bis 
100  Guldeu  per  Kopf,  verursacht,  einen  ausehnlichen  Teil  des 
erforderlichen  Aidagekapitals.  Obschon  die  Kulis  gar  hüufig  dem 
Abschaum  der  cliinesischen  Nation  angehören,  haben  sie  sich  mit 
wenigen  Ausnahmen  sell)st  auf  den  abgelcLioiisten  Plantagen  und  in 
den  bewegtesten  Zeiten  ruhig  und  ordentlich  verhalten,  ihr  Betragen 
unterscheidet  sich  sehr  gttustig  von  dem  der  Chinesen  in  den 
„Straits-Settlements^,  den  englischen  Ansiedluiigen  an  der  Malakka- 
küste. Dort  stellen  sich  die  Dinge  so,  dafe  die  Chinesen  in  den 
Strichen,  wo  eine  geregelte  Verwaltung  besteht,  sich  nicht  selten 
gegen  die  Obrigkeit  auflehnen,  und  da  wo  eine  solche  Verwaltung 
noch  fehlt,  gar  hftufig  grofse  Schandthaten  yerüben.  Dafe  kleine 
Ruhestörungen,  Diebstahl,  Spiel,  Desertion  auch  unter  dem  Arbeits- 
Volk  auf  Deli  von  Zeit  zu  Zeit  vorkommen,  läfst  sich  nicht  leugnen; 
im  allgemeinen  aber  findet  der  Plantagenbesitzer  in  seinem 
persönlichen  Übergewiclit  und  in  der  Stütze,  welche  ihm  die 
Autorität  des  Sultans  und  die  (lesetze  des  Landes  gewahren,  hin- 
reichende Macht,  um  mit  einigen  guten  Aufsehern  die  Ordnung  auf 
seiner  Plantage  zu  handhaben. 

Die  europäischen  Ptianzer  waren  darum  auch  mit  den  erzielten 
Ergebnissen  recht  zufrieden,  und  immer  gröfsere  Kapitalien  wurden 
auf  die  Anpflanzungen,  namentlich  des  Tabaks,  verwendet  Die 
augenscheinlich  günstige  Entwickelung  Delis  erregte  gar  bald  die 
Aufinerksamkeit  der  Fürsten  von  Langkat  und  Serdang,  die  nichts 
sehnlicher  wünschten,  als  dafs  sich  auch  in  ihrem  Lande  Europäer 
niederlassen  möchten.  Schon  im  Jahre  1869  wurden  denn  auch  von 
einem  Niederländer  Schritte  mit  Bezug  auf  Serdan^  Methan,  und 
bereits  im  fol^ienden  Jalire  wurden  dort  sowohl,  als  auch  iu  Langkat 
Kontrakte  aiiLieschlossen,  «lie  jedoch  erst  in   1871  in  Kraft  traten. 

i^iuen  kraftigeu  Auslol's  zu  einer  geduihUcheu  Weitereut Wickelung 


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erfaielt  Doli  durch  die  Errichtung  der  ^yDeli-Maatschappfj**,  einer  Ge- 
sellBchaft,  welche  im  Dezember  1869  staatlich  konzessioniert  wurde. 
Als  Zweck  dieser  Gesellschaft  wurde  bezeichnet:  «Kultivierung  und 
Anbau  der  in  der  Nfthe  Ton  Dell  belegenen  L&ndereien,  Ton  welche» 
die  Gesellschaft  das  Eigentums-,  Erbpachts-  oder  ein  anderes  Recht 
erworben,  wie  aucli  solclier  Grund.^tikke  diuselbst,  die  in  Zukunft 
noch  von  der  Gesellschaft  in  Eigentum,  in  fortdauernde  oder  zeit- 
weilige Benutzung  genuiunien  werden  möchten;  ferner  die  Her- 
stellung der  dazu  erforderlichen  Einrichtungen,  die  Verarbeitung 
der  Produkte,  Transport  und  Verkauf  der  aus  den  Produkten  ge- 
wonnenen Fabrikate  nach  und  an  geeigneten  Märkten."  Von  dem 
anfänglichen  Gesellschaftskapital  von  fl.  300000  hatte  die  nieder- 
ländische Handelsmaatschappü  die  H&lfte  für  ihre  Rechnung  über- 
nommen und  diese  hat  sich,  wie  wir  sehen  werden,  nidit  schlecht  dabei 
gestanden.  Wenn  auch  die  ^^Deli-Maatsdiappy*  bei  weitem  nicht 
alle  europäischen  Landbauanpflanzungen  in  sich  aufioahm,  hat 
sie  doch  von  der  Zeit  an  an  der  Spitze  gestanden  und  den  Ton 
angegeben. 

Die  Anzahl  der  Plantagen  nahm  immer  mehr  zu;  1871  waren 
bereits  20  Kontrakte'  abgeschlossen.  Die  Unternehmer  wendeten  sich 
hauptsächlich  der  Tabakskultur  zu.  Der  Tabak  stand  überall  recht 
üppig,  war  breiter  von  Blatt,  hellfarbiger  und  zarter,  als  der  Kohl- 
tabak  von  Java  und  erzielte  in  Kuropa  hohe  Preise.  Über  den 
Tabaksbau  an  der  Ostküste  von  Sumatra  finden  wir  näheres  in 
einigen  Ausstellungsschriften.*)  Der  beste  Boden  für  die  Kultur  der 
Tabakspfianze  ist  ein  nicht  zu  schwerer  mit  Sand  gemischter  Lehm- 
boden vulkanischer  Bildung.  Vorzugsweise  wird  Waldboden  benutzt 
In  der  Regel  wird  ein  und  dasselbe  StClck  nur  einmal  bebaut,  die 
Pflanzungen  sind  daher  natttrlich  sehr  ausgedehnt,  nftmlich  von 
1600 — ^7000  englische  acres.  Den  eigentlichen  Kulturarbeiten  geht 
die  Anlage  von  Wegen  und  Drainierungen  voraus;  sodann  wird  der 
Wald  abgebrannt,  der  Boden  umgegraben  und  rajolt,  darauf  erst 
werden  die  jungen  Tabaksstauden  gepflanzt.  Die  Arbeiten  verteilen 
sich  aut  das  ganze  Jahr  wie  foli!:t:  Aufschliefseu  des  Waldes  durch 
Wegeanlagen  kurz  vor  Eintritt  der  liegenzeit,  Anfang  September. 
Niederbrennen  des  Waldes  im  Februar,  Graben  und  Kajokn  März 
bis  Ende  Mai,  Pflanzen  April  bis  Ende  Juni,  Ernte  Juni  bis  Ende 
August.  Der  Sumatrataback,  welcher  ebenso  wie  der  Javatabaek, 

•)  Der  Tabak  der  niederländischen  Kolonien,  Geschichte,  Kultur,  Handel. 
Nicht  in  Verlag;  Internationale  Kolonialausstellung  zu  Amsterdam  1883  und; 
T)it'  lieh  Maatschappij  Amsterdam.  Notes  ou  the  Sumatra  Tobacco  distributed 
grat»  9t  the  CalcutU  Uitenutional  Exhibition  1883/84. 


—  409  — 


fast  ausschlieCsUch  nach  Amsterdam  uud  Rotterdam  ausgeführt  wird, 
liefert  ein  vonttgliches  Deckblatt  fttr  Cigaireu.  Die  Deligesellachaft 
legte  auch  Maskat-  und  Kokosnulspflanzungen  an  and  beabsichtigte, 
Yerauche  mit  der  Indigokultur  zu  machen.  Dex  inlandische  Verkehr 
wurde  dareh  Anlegung  neuer  Wege  verbessert,  der  Verkehr  mit  dem 
Aoslande  durch  Indieuststellung  eines  kleinen  Dampfers,  der  alle 
14  'läge  nach  Pinang  fuhr,  erleichtert.  Eine  grofse  Schwierigkeit 
blieb  es  indes,  für  die  stetig  zunehmenden  Pflanzungen  die 
erforderlichen  Arbeitskriltte  zu  beschatien.  Zwar  wurden  1870 
ungefähr  IbO  Ireiwillige  Kulis  von  Samarang  nach  Deli  übergeführt; 
aber  hierdurch  konnte  das  Bedürfnis  nur  zum  kleinsten  Teile  be- 
friedigt werden.  Nur  China  konnte  mit  seiner  überÜüssigenBevölkeruug 
die  nötige  Hülfe  gewähren;  im  Juni  1870  waren  denn  auch  bereits 
dOOO  Chinesen  in  Deli  in  Dienst,  von  welchen  1200  bei  der  Deli- 
gesellflchaft  arbeiteten,  und  ihre  Zahl  nahm  noch  fortwfihrend  zu. 
Auch  die  Kommunikationsmittel  mit  überseeischen  Plätzen  waren 
noch  ungenügend;  doch  worden  dieselben  auis  neue  verbessert 
als  die  British-India-DampfiMhiffahrtsgesellschaft  im  Januar  1872 
eine  regelmäfsige  Fahrt  zwischen  Calcutta  und  Siugapore  einrichtete, 
vou  welcher  auch  Deli  regelmäfsig  berührt  wurde. 

Im  Jahre  1872  wurde  die  Ruhe  und  WOlilfahrt  Delis  plötzlich 
aufs  ernstlichste  durch  die  Empörung  einiger  Häuptlinge  bedroht, 
die  mit  ueitlischeni  Auge  auf  die  grolsen  Vorteile  blickten,  welche 
die  Niederlassungen  der  Kuiopäer  dem  Fürsten  von  Deli  einbrachten. 
Wie  es  in  den  meisten  malaiischen  Lebnsstaaten  der  P'all  ist,  hatten  auch 
in  Deli  vor  der  Abtretung  des  Landes  an  die  Niederlande  die  H&upter 
der  Sttkus  sich  von  der  Suprematie  des  Sultans  fast  ganz  losgemacht 
Doch  als  dieser  Fürst  die  niederlAndische  Sciuverftnet&t  anerkannt 
hatte,  waren  die  Datus  wieder  in  das  durch  die  alten  Landesgesetse 
bestimmte  Verh&ltnis  zurtickgetreten.  In  Folge  des  Krieges  von  1872, 
dessen  Verlauf  hier  nicht  geschildert  werden  soll,  traten  manche 
Veruuderungeu,  namentlich  auch  in  der  Verwaltung  des  Landes  ein; 
im  Jahre  1878  starb  der  für  das  Wohl  seines  Landes  eifrig  strebende 
Fürst;  er  wurde  durch  seinen  sechzehnjährigen  unter  Vormundschaft 
gestellten  iSohn  ersetzt.  Die  europäischen  Unternehmungen  nahmen 
selbst  inmitten  der  Unruhen  nicht  nur  in  Serdang  und  Langkat, 
sondern  auch  in  Deli  an  Zahl  uud  Bldte  zu.  £inige  Jahre  später 
trat  jedoch  nicht  nur  ein  Stillstand  ein,  sondern  von  verschiedenen 
Seiten  werden  groüse  Bedenken  erhoben  gegen  das  Kulturverfabren 
in  Deli  einerseits  und  gegen  die  von  der  niederlimdischen  Regierung 
eingeftthrten  Verordnungen  und  Maforegeln  fttr  Deli  andererseits.  In 
der  niederlAndischen  Tagespreise  wurden  die  Verhältnisse  der  jungen 

GMgr.  Blittor.  Bmb«ii  ifltii,  2ll 

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—  410 


Kolonie  scharf  kritisiert,  allerlei  Vorschlajie  li^enuicht,  um  {lirsi^lben 
sowohl  für  Deli,  wie  für  das  Mutterland  j^üustif(er  zu  gestalten,  und 
„De  toekomst  vau  Deli  op  Sumatra wurde  fast  ein  Steheuder 
Artikel. 

Eine  interessante  Arbeit  über  dieses  Thema  und  überhaupt 
über  die  Verhältnisse  in  Deli  lieferte  Herr  ('remer,  bisher  Haupt- 
administrator der  ,,Deli-Maatschappy"  iu  seiner  Broschüre:  „De 
toekomst  van  Deli."    (Leiden  1881.) 

Aus  dieser  sehr  sachkundigen,  für  die  i^anze  Entwickelunjjs- 
geschichte  der  Deli-Kolonie  wie  für  ihre  Zukunft  hochbedeutsameu 
Schrift  entnehmen  wir  unter  Ühergehun^j  des  polemischen  Teils  noch 
eine  Reihe  thatsächlicher  Angaben  Aber  Deli  und  die  Bewirtschaftung 
der  dortigen  europaischen  Pflanzungen. 

Schon  die  ersten  Pflanzer  in  Deli  legten  sich  neben  dem 
Tabaksban  auch  auf  andere  Kulturen.  Sie  fanden  dort  durch  die 
Eingeborenen  angelegte  Muskatpflanzungen  Tor,  die  vielversprechend 
aussahen;  diese  wurden  teilweise  von  ihnen  gepachtet  und  gaben 
guten  Gewinn.  Sie  fingen  deshalb  sogleich  mit  dieser  Kultur  in 
grOlserem  Mafisstabe  an,  und  schon  von  186S— 70  wurden  aus- 
gedehnte Garten  angelegt,  die  durchaus  nicht  als  unbedeutendes  Bei- 
werk neben  dem  Tabaksbau  anzusehen  waren.  Zu  gleicher  Zeit 
legten  sie,  dem  Beispiele  ihrer  Nachbaren  in  den  Straits-Settlements 
folgend,  ausgedehnte  Kokosplantagen  an.  Hierbei  wurde  nur  Über- 
sehen, dafs  die  dort  in  den  Straits-Settlements  am  Seestrande  be- 
legenen Anpflanzungen  sowohl  hinsichtlich  der  Verschiffung  des 
Produkts,  als  auch  der  Möglichkeit,  die  Anlagen  rein  zu  halten, 
weit  bessere  Bedingungen  boten,  als  ihre  im  Rinneulande  augelegten 
Plantagen.  Nach  kürzerer  oder  lilngerer  Zeit  niufsten  denn  aurh 
die  Anpflanzungen,  in  welche  bedeutendes  Kapital  gesteckt  worden 
war,  wieder  .aufgegeben  werden.  Mit  Kartee,  Kakao.  Indigo  und 
einigen  anderen  Produkten  wurden  ebenfalls  Anbauversuche  gemacht, 
jedoch  mehr  oder  weniger  mit  geringem  Erfolg.  Man  ersieht  hier- 
aus, dals  die  Ansiedler  keineswegs  von  Anfanu'  an  darauf  aus- 
gingen, iu  Deli  fast  ausschlicfslich  eine  extensive  Tabakskultur 
zu  treiben.  Docli  lAlst  sicli  nicht  verkennen,  dals  diese  Kultur  in 
den  letzten  zehn  Jahren  dahin  au>geartet  und  zum  vollständigen 
Raubbau  geworden  ist.  (iegenwärtig  ist  das  Streben  nach  Ver- 
besserung unverkennbar,  aber  der  Hindernisse  gieht  es  uoch  vielerlei. 

Ohne  Zweifel  ist  eine  der  Hauptursachen  des  verminderten 
Interesses  für  die  intensiven  Kulturen  die  unerw^artete  Blüte  der 
Tabakskultur.  Mit  derselben  waren  grofse  (iewinne  zu  erzielen,  au 
Bodftuumugel  brauchte  vorlaufig  nicht  {;eilacht  m  werden  und  eiuer 


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411  — 


Idliiflfclidieii  Dflngung  bedurfte  es  nidiL  Die  Besdiafiteng  der  Arbeits- 
kräfte und  die  Beaufsichtigung,  welche  die  neuen  Ankömmlinge 
fortwährend  erforderten,  sowie  die  mancherlei  Arbeiten,  die  mit 
der  L  rbarmachuiig  und  den  ersten  Kiiiri<  htungen  verbunden  waren, 
erforderten  jedoch  grofse  Anstrengun^^eii  und  Aufmerksamkeit  von 
Seiten  der  Unternehmer,  deren  die  meisten  Neulinge  iii  dem  Fache 
waren.  Andere  Kulturen  wurden  dadurch  bei  Einigen  Nebensache, 
von  Anderen  ^rar  nicht  angefangen.  In  Zukunft  dürfen  sich  nur  noch 
diejenigen  Pflanzer  einen  guten  Gewinn  versprechen,  welche  auf 
gutem  Hoden,  sparsam,  mit  (  berle^umj  und  Eifer  arbeiten.  Vielen 
droht  jetzt  schon  Mangel  an  geeignetem  Land,  wogegen  man  viele 
frühere  Schwierigkeiten  überwunden  liut.  Grund  genug,  wanuu  au 
Einführung  anderer  Kulturen  gedacht  werden  kann  und  mufs. 

Kiue  zweite  Ursache  des  Verfalls  speciell  der  Muskatnufskultur 
liegt  io  den  weniger  guten  Resultaten  derselben  infolge  des  Krftn- 
kelns  und  Absterbens  der  Bäume  in  den  meisten  Anlagen.  Die 
Krankheit  tritt  nicht  überall  auf  und  lafst  sich  wahrscheinlich  mit 
Erfolg  bekämpfen.  Aber  eine  solche  BekAmpfong,  es  sei  durch 
bessere  Beinigung  des  Bodens  und  des  Baumes,  durch  tiefere  Drai- 
nierung,  oder  durch  Anwendung  chenuscber  Ufllfiunittel  n.  a.  ist 
natflrlieh  kostspieliger  Art  und  niemand  ist  geneigt,  greise  Kosten 
darauf  zu  verwenden  bei  ansicherem  Erfolge,  unsicher  sowohl  infolge 
der  Regierungsmafsregel  hetrefib  Umschreibung  oder  Obertragung 
der  Landbaukontrakte,  als  auch  wegen  des  am  1.  Januar  1876  ein- 
geführten Exportzolles.  Wie  drückend  letzterer  ist,  sieht  man  leicht 
ein,  wenn  man  weis,  dals  der  Mudcatnuibhanm  erst  nach  etwa  zwölf 
Jahren  einige,  aber  noch  langst  nicht  die  volle  Frucht  liefert.  Eine 
Anpflanzung  verschlingt  deshalb,  da  sie  regelmäfsig  rein  gehalten 
werden  mufs,  ein  ansehnliches  Kapital  und  die  ersten  Früchte  sind 
zur  teilweiseü  Deckung  der  lietriebsküsteii  sehr  willkommen.  Noch 
einige  Jahre  später  kiauun  diese  vielleicht  voUstämlig  aus  dem 
Nettoertrage  bestritten  werden,  und  danu  beginnt  man,  an  all- 
mähliche Abschreibung  des  Anlagekapitals  zu  denken,  an  Gewinu- 
buchuug  und  Dividendenverteilung  erst  später. 

Nachdem  die  niederländische  Regierung  vom  Sultan  das  Recht 
der  Abgabenerhebung  erlangt  hatte,  wurde  ein  Specialtarif  des  Ein- 
und  Ausfuhrzolls  für  die  Ostküste  Sumatras  aufge.stellt,  nach  welchem 
die  kaum  begonnene  Muskatkultur  mit  einem  Ausgangszoll  von  ti.  H 
per  100  kg  für  Nüsse  und  von  ti.  16  für  Muskatblüte  getroften 
wurde.  Eine  solche  Belastung  bei  Verschiffung  eines  Produkts,  das 
noch  keinen  Gewinn  liefert,  war  gewifs  nicht  ermutigend.  Weitere 
Anpflanzungen  von  Muskatnufsb&umen  und  in  manchen  F&Uen  sogar 


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—  412  — 

die  L  nterhaltuug  der  beäteheuden,  sind  aus  obigem  Grunde  unter- 
blieben. 

Es  unterliegt  tiboHumpt  keinem  /weifcl,  <l;ifs  der  Exportzoll 
im  allgemeinen  einen  nac-hteiii^^en  Eiutlui's  aui  die  Zulvunft  Dells 
ausübt.  Plaue  der  Begierung  über  Aus^lehnung  der  Ausfuhrzölle  in 
Zukunft  erschweren  oder  verhindern  ofi'enbar  die  Anlage  you  Kul- 
turen, die  erst  nach  einigen  Jahren  rentabel  werden. 

Eine  weitere  Störung  in  den  VerhftHnissen  der  Deli-Koloiue 
brachte  das  einige  Jahre  währende  Schwanken  in  Besag  aof  die 
'  Festatellang  und  Geltung  gesetalicher  VorBcfariften  Aber  die  Strafbar- 
keit des  Arbeiters  wegen  Bruches  des  Arbeitskontraktes.  Im  Au^st 
1881  traten  in  dieser  Richtung  feste  Bestimmungen  in  Kraft,  die  im 
allgemeinen  befriedigten,  mit  Ausnahme  der  einen  Bestimmung,  wor- 
nach  Arbeiter,  deren  Kontrakt  erfüllt  ist.  und  die  kein  neues  Ver- 
tragsverhältnis eingehen,  im  Verwaltungswege  für  Hechnung  des 
letzten  Arbeitsgebers  nach  ihrem  letzten  Herkunftsorte  zurück- 
geschickt werden  sollen,  wenn  sie  nicht  genagende  Existenzmittel 
nachweisen  köuneu. 

Bei  Werbung  in  den  Stratts  durch  „iicensed  cooly  brokers'' 
werden  die  Leute  meistens  gegen  Besahlung  einiger  Dollar  extra 
dem  Pflanzer  auf  seine  Besitzungen  geliefert  und  hat  er  das  Bedit, 
die  ungeeigneten  abzulehnen  und  sie  fQr  Rechnung  der  Werber  nach 
ihrem  Herkunftsorte  ssurttckzofienden.  Die  Auswahl  geschieht  bei 
denen,  die  Gelegenheit  dazu  haben,  durch  einen  Arzt.  Weisen  die 
Neulinge  durch  einen  Kuli  oder  Führer  unandoer;,  der  von  Deli  mit 
seinem  erzielten  Gewinn  nach  China  gegangen  ist  und  manchmal 
von  dort  mit  einer  Anzahl  Jiekannter  »»der  I)orfgeu()>.sen  zurück- 
kehrt, also  ohne  Vermittelung  von  „brokers"  angeliracht.  so  gieht 
es  unter  denselben  sehr  selten  Schwache:  ihr  Fülirer  weifs  zu  gut, 
wie  unwillkommen  solche  Leute  sind.  Hat  mau  aber  einen  Alten 
oder  Schwachen  nicht  gut  zurücklassen  können,  dann  crM^  tet  sich 
gewöhnlich  die  ganze  Gesellschaft,  Bürgschaft  für  ihn  zu  leisten  und 
wird  mit  Erfolg  gearbeitet,  dann  wird  ihm  fortdauernd  geholfen. 

Inzwischen  ist  die  Errichtung  eines  Asyls  f&r  invalide  Arbeiter 
geplant  und  soll  eine  solche  wohithfttige  Einrichtung  im  Jahre  1885 
zur  Ausführung  kommen. 

Ein  anderes  Hindernis  für  die  weitere  Entwickelung  der 
rtlanzungen  in  Deli  liegt  in  der  jetzt  besLeheudeu  Art  und  Weise 
der  Umschreibung  (Übertragung)  der  Landbankontrakte.  That- 
silchlich  steht  die  Sache  in  dieser  Beziehung  so,  dals  die  meisten 
Landbannnternelinier  in  Deli  nicht  das  Uecht  haben,  ihre  llnter- 
nehuiuugea  anders  zu  verkaufeu,  als  mit  Genehmigung  und  unter 


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■^vilIkü^li(•her  Feststellunf^  der  lieclingungen  durch  den  Residenten  für 
die  niederländisch-indische  Hegieraug  und  durch  den  Fürsten  mit 
seinen  Reichsgrof»en.  An  andauernde  VerbesBerang  der  Pflanzungen 
kann  nnter  solchen  Umständen  nicht  gedacht  werden.  Eine  fernere 
Erschwerung  der  Einftthrang  von  Knltnren,  die  ein  Prodakt  liefern, 
das  bei  gröfserem  Umfange  geringen  Wert  hat,  als  Tabak  and  die 
man  in  vielen  Fällen,  wie  zum  Beispiel  bei  Kaffee  und  Kakao  gern 
soweit  als  möglich  ins  Binnenland  verlegt,  ist  der  schlechte  Zustand 
der  Haupt we.ne  und  der  Mangel  an  Brücken. 

Während  in  dieser  Beziehung  eine  Abhülfe  hauptsachlich  von 
der  Regierung  erwartet  wird,  haben  es  doch  auch  die  Pflanzer  im 
Selbsthülfe  nicht  fohlen  Inssen.  Das  beweist  zum  Beispiel  die 
jetzt  in  der  Landschaft  Deli  im  Bau  begritiene  Eisenbahn.  Im 
Jahre  1882  suchte  die  Deli-Maatschapp^  bei  der  nieder- 
ländischen Regiernn!?  um  die  Konzession  znm  Bau  einer  Eisenbahn 
nacL  Sobald  dieselbe  erteilt  war,  konstituierte  sich  am  28.  Jnni 
1883  anf  Grund  der  schon  vorher  entworfenen  und  genehmigten 
Statuten  die  Deli— Spoorweg— Maatschappjj  in  Amsterdam  und 
begann  unvensflglich  ihre  Arbeiten.  Der  Sultan  von  Deli  und  seine 
Refchs^rorsen  hatten  schon  im  September  1889  ihr  leibhaftes  Interesse 
für  die  Kntwickelung  ihres  Lanrles  dadurch  bekundet,  dafs  sie  der 
Gesellschaft  den  nötioren  (Irund  und  Boden,  vorbehältlich  der  Rechte 
Dritter,  für  die  Dauer  der  Bahn  kostenfrei  überliel'sen.  Ebenso 
entgegenkommend  hatten  sich  die  in  Frage  kommenden  Erbpächter 
und  Gesellschaften  gezeigt. 

Das  Aktienkapital  wurde  auf  2  60ü  ODO  Gulden  festj^esetzt,  ver- 
teilt auf  2600  Aktien  a  1000  Gulden.  Gezeichnet  wurden  anfangs 
2000  mid  bis  znm  30.  April  1884  noch  101  Aktien.  Der  erste 
Spatenstich  erfolgte  am  1.  Oktober  1883.  Nach  dem  fianplan  «hält 
die  Bahn  eine  Länge  von  34,6  km,  mit  einer  Zweigbahn  Ton  20,9  km. 
Die  Hanptlinie  geht  vom  Anlegeplatz  der  Dampfschiffe  in  Belawan 
in  südlicher  Richtun«;  zunächst  nach  dem  Hauptorte  Medan  (23  km) 
und  dann  weiter  nach  Deli  Tuwa.  Die  Zweijs^linie  erstreckt  sich 
von  Medan  westlich  bis  Timbang  Langkat.  Die  Hauptbahn  erhält 
<lrei  Stationen  —  Belawan,  Medan,  Deli  Tuwa  —  und  ftlnf  Halte- 
stellen: verschiedene  UmsUlnde  veranlafsten  es,  den  Anfangspunkt 
der  Anlage  vorläufig  nach  Labuan  zu  verlegen.  Die  ankommenden 
(lüter  werden  jetzt  ,dur(;h  einen  Schleppdampfer  in  Böcken  dort  hin- 
befördert und  hier  auf  festem  Boden  gelagert.  Die  Strecke 
Labuan— Medan  soll  Anfang  1885,  der  ttbrige  Teil  18ä6  dem  Betriebe 
flbergeben  werden.  Herr  Cremer  schliefst  die  oben  erwähnte  Schrift 
mit  folgenden  Bemerkungen:  Der  Tahaksbau  steht  in  Deli  noch  in 


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Blüte,  bisher  hat  er  sich  noch  immer  aiistredehnt.  eine  fernere  erheb- 
liche Ausdehnung'  ist  indessen  nicht  zu  erwarten.  Nach  den  zum 
Teil  getzUukten  Versuchen  mit  dem  Anhau  von  Liberia-  untl  ara- 
bischem Kaffee  ist  es  die  Absicht,  diese  Produkte  in  ausgedehnten 
PHanzungen  anzubauen.  Mit  Kakao,  Kameh,  Gummi-Klastikuni  u.  a. 
werden  ernstliche  Versuche  gemacht.  Ebenso  denkt  man  aa 
Anpflanzung  guter  Holz-  und  Bambuarten  auf  Gründen,  die  eine 
Ernte  Tabak  und  Reis  geliefert  haben.  An  Zuckerkultar  wird  man 
sich  wegen  des  dazu  erforderliche  Kapitals  wohl  nicht  eher  wagen, 
als  bis  die  Zustände  anhaltend  yerbesaert  sein  werden.  Für  die 
Einwanderung  guter  Arbdter  aus  China  wird  mehr  und  m^r 
Sorge  getragen. 

In  der  allgeineineu  Meinung  stehen  die  Chinesen  nicht  gut  an- 
geschrieben; man  befürchtet  von  ihnen  einen  (iemoralisierenden  Ein- 
fiufs  auf  die  Javanen  Die  Furcht  scheint  übertrieben  zu  sein.  Oemer 
glaubt  deshalb  auch,  dafs  vorliliifijz,  eben  wie  in  den  Straits-Settle- 
ments,  die  Chinesen  den  Reichtum  der  Ostküste  von  Sumatra  aus- 
machen werden.  Die  Resultate  der  Einführung  von  Javanen,  die 
meistens  mit  Frauen  und  Kindern  kommen,  sind  trauriger  Art.  Die 
Einwanderung  aus  Java  bedarf  besonderer  Mafsregeln  und  Fürsorge. 
Lebhaft  wird  gewünscht,  dafs  die  britische  Regierung  die  Anwerbung 
von  Arbeitern  in  Britisch-Indien  gestatte.  Die  Mher  eingewan- 
derten sogenannten  Klings  haben  sich  als  Kftrmer  und  Tagelöhner 
sehr  gut  bewahrt.  Erhalt  die  Verwaltung  jene  Erlaubnis,  dann  ist 
damit  der  Industrie  auf  Sumatras  Ostküste  ein  grofser  Dienst  er- 
wiesen. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich,  dafs  dieser  Industrie,  die 
trotz  der  schweren  Zeiten ,  die  sie  durchgemacht  hat,  beständig 
vorwärts  gekommen  ist,  noch  immer  aus  verschiedenen  Ursachen 
viel  Primitives  anhaftet. 

Ihre  Grundlagen  werden  aber  immer  fester,  sie  gewinnt  an 
Kenntnissen,  Erfahrung  und  Kapital.  Sie  weifs,  was  ihr  fehlt  und 
strebt  nach  Verbesserungen.  Sie  bedarf  dazu  keines  aufisergewOhn- 
lichen  Schutzes,  keiner  Schaffung  künstlicher  Zustände,  sondern  einer 
zweckm&tsigen  Verwaltung.  In  dieser  Richtung  macht  Herr  Gremer 
eine  Reihe  von  Vorschlägen,  welche  sich  an  die  vorstehenden  Aus- 
führungen anschliefsen. 

Zum  Schluls  machen  wir,  auf  Grund  güti«^er  Mitteilung  von 
sachkundiger  Seite,  noch  einige  thatsachliche  Angaben  über  die 
Piautagen  von  Deli  und  der  benachbarten  Gegenden.  Wir  haben 
bereits  bemerkt,  dafs  das  Anlagekapital  der  Deli-Maatschappij  an- 
fftugUch  300000  Gulden  betrug.  Nach  einigen  Jahren  wurde  es  aus 


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den  Beirieh^innahmen  auf  5(10  OOü  Gulden  erhöht.  Eine  weitere 
Erhöhung  erfolgte  1876  und  zwar  auf  800000  Gniden  und  im  Jahre 
1878  wurde  es  bis  auf  2  Millionen  Gulden  gesteigert.  Die  in  den 
letzten  5  Jahren  j^ezalilten  Dividenden  betnij:eu  1880:  37/J  '  o,  18H1 : 
33,2  »/o,  1882:  87.3%  1883:  65  ^/o,  1884:  101  «  o.  Die  in  Araster- 
diini  zun»  Verkauf  gebrachten  Ernten  der  Tabake  von  Sumatra  (haupt- 
sächlich von  IVli  und  I.angkati  b«  trugen  1873  nur  9238  Packen 
(ä  70  kg  ungefähr),  im  Jahre  1876  sclion  28947  Tackeu  und  in  deu 
dai'auf  folgenden  Jahren: 

1877:    36  1H7  l'aclten, 

1878:    48155  , 

1 879 :    57  544  , 

1880:    64965  , 

1881:    82  356  I, 

1882:  102032  , 

1883  :  93509 

(Die  Ernte  von  1883  wurde  durch  ungünstige  Witterung  beeinträchtigt.) 

Der  Wert  dieser  Ernten  war  1873:  2Vs  Millionen  Gülden, 
1876  :  6»/4  Millionen,  1877:  1878  :  9,  1879:  10»/t,  1880:  IIV4, 
1881:  WU  und  1883  :  21  Millionen  Gulden. 

Die  Deli-Maatschappij  eignet  inDeli  undLangkat  11  Plantagen; 
auch  ist  sie  bei  der  Langkat-Association  betdligt,  welche  drei  Plan- 
tagen besitzt.  Die  Durchschnittszahl  der  Arbeiter  einer  jeden  dieser 
Plantagen  wird  auf  660,  zumeist  Kulis  angegeben,  auüserdem  werden 
eine  Anzahl  Malaien  zu  Vorarbeiten,  als:  Lichten  der  Wälder  n.  a. 
beechaftigt.  Ein  beim  Abschlufs  dieses  Artikels  ans  zugehendes  Ver^ 
zeichnis  der  jetzt  in  tler  Besidentschaft  „Ostkflste  Ton  Sumatra* 
bestehendenpriTaten  Unternehmungen  (Plantagen)  ergiebtdie  Zahl  76; 
unter  den  Pächtern  (Einzelnen  oder  Kompagnien)  finden  whr  eine  Anzahl 
deutscher  Namen.  Die  gröfsten  Plantagen  sind  in  Suka  Piring;  es 
sind  vier,  welche  der  Deli-Gesellschuft  und  vier  Unternehmern  ge- 
hören und  im  ganzen  eintMi  Flacheninhalt  von  10o()0  hau's  haben, 
(ein  bau  =  7<M)6,5  qni.j  Die  Kontrakte  gelten  nieist  bis  lu  die 
Mitte  des  nächstens  Jahrhunderts  und  darüber  hinaus. 

Als  erforderliches  Anlagekai)ital  zur  Errichtung  einer  mittel- 
grofsen  Plantage  wird  die  bumme  von  80—100000  Gulden  bezeichnet. 


.  Kj  .  0  L  y  Google 


Kleinere  Mitteilungen. 

§  Ans  der  tieographisehen  tiesellschaft  im  Bremen.   Urnen  GMeUschaft 

veranstaltet  auch  in  diesem  Winter  eine  Reihe  von  Vorträgen:  den  ersten 
wird  nnser  Mitglied.  Herr  Professor  Lanberf .  über  das  Thema:  Wanderungen 
in  Schottland,  hnlffn.    Ende  Dezember  folgen  dann  zwei  Vorträge  des  Herrn 
Professor  Studoi  aus  Bern  über  Tiefseeforschnng.  —  Leider  haben  wir  des 
Todes  zweier  Männer  zu  gedenken,  die  sich  als  Mitglieder  uuiserer  Cie^eil- 
achaft  basondflire  Vefdicnste  erwoibea  knben.   Am  29.  Angoit  d.  J.  rtaib  in 
Akki»  an  der  Goldkfiato  im  48.  Lebeotjalm  der  Bergingeniear  Paulas  Dfthae. 
Über  den  Lebenalaof  dea  Veratorbenen,  der  aich  die  Erforaehmig  der  OoldkUaie 
und  besonders  die  Erschliefsang  ihrer  liineralachitae  aar  Aufgabe  geateUt  hatte 
und  diesem  Ziel  mit  der  grölsten  Anfopferong  und  einer  bewonderongawürdigeB 
Energie  nachstrebte,  haben  wir  von  den  Hinterlassenen  auf  unseren  Wunsch 
einige  Mitteilungen  empfangen,  denen  wir  Folgendes  entnehmen:  Paulus  Friedrich 
Wilhelm  Dahse  wurde  am  15.  Oktober  1842  in  Pronzlan  geboren,  wo  sein  Vater 
Lf>hrer  war.    Die  Eltern  zogen  nach  Potsdam,  dort  besuchte  er  das  Gymnasium 
und  kam  bis  Obertertia.    1857  trat  er  als  Lehrling  bei  einem  Buchhändler  ein, 
aber  daa  atille  Leben  behagte  ihm  nicht,  aehoo  Ton  Kindheit  an  etand  aein  ganzes 
Sinnen  und  Trachten  in  die  Weite.  Sokamer  1860  nach  Bremen  und  machte  ala  See- 
mann mehrere  Bei&en  nach  Nordamerika.  ImHerbstl862fohr  er  anf  dem  Bremer 
Schiff  «Dahomey*  nach  der  Westküste  Afrikas,  wohin  es  ihn  von  jeher  gesogen 
hatte.  Bei  seiner  Rückkehr  im  April  1863  wurde  er  von  dem  hiesigen  Handela- 
hause  Fr.  M.  Victor  Söhne  für  die  der  Firma  nn  der  Westküste  .\frikas  gehören- 
den Faktoreien  engagiert  und  ging  mit  demselben  Schiffe  wieder  hinaus.  Er  war 
dort  in  Adafoah  und  Keta  in  den  Faktoreien  des  genannten  Hauses  thätig.  Im 
Herbst  1866  kehrte  er  zur  Erholung  nach  Deutschland  zurück,  ging  im  Früh- 
jahr 1867  wieder  hinaas  and  übernahm  die  Leitung  der  Faktoreien  in  Akkra. 
1809  war  er  genötigt  ans  GesondheStarftcksichten  seine  Stelle  anbogeboi  vnd 
iron  Afrika»  wie  er  dachAe,  Ar  immer  an  acheiden.  Er  kehrte  nach  Bremen 
sarfick,  aber  ea  hielt  ihn  hier  nicht  lange.  Ziemlich  wieder  hergestellt»  ging  er 
im  Jahre  1870  nach  Californien.  Sieben  Jahre,  bis  1877,  war  er  dort  in  Nevada 
nnd  British  Columbia  (Insel  Vancouver)  in  verschiedenen  Geschäften  thiüg,  er 
erwarb  sich  hier  nebenbei  praktische  Minenkenntnisse    Nach  Afrika  zog  es  ihn 
immer  wieder  hin  und  so  setzte  er  sich  Ende  1877,  nach  Bremen  zurückgekehrt, 
mit  englischen  Kapitalisten  in  Verbindung,  die  eine  Minenkompagnie  bildeten. 
Im  Auftrage  dieser  (resellschaft  reiste  er  nun,  als  bergmännischer  ExploiHtoar. 
wieder  nach  der  Goldküste.   1879  kehrte  er  zur  Berichtei-stattung  nach  England 
sorilek  nnd  ging  noch  in  demselben  Jahre,  begleitet  von  einem  Ingenieur,  Berg- 
nnd  ZimmwlOTteni  wieder  hinans,  alle  erforderlidien  IfiMchinen  nnd  Qerftte  mit 
aich  fthrend.  Er  errichtete  in  Tacqnah,  Goldkfiste,  ein  Qoldbergwerk  nnd  be- 
reiste sodann  das  Land  naeh  verschiedenen  Bichtangen,  immer  nach  Minend» 
SchSiien  forschend.  Nachdem  er  die  Reise  zwischen  Enropa  und  der  Goldkäste 
noch  mehrmals  gemacht,  kehrte  er  im  Frühjahre  1882  lungenkrank  nach 
Deutschland  zurück.    Klima  und  Strapazen,  denen  er  sich  immer  von  neuem 
aussetzte,  hatten  seine  Gesundheit  erschüttei-t.    Er  blieb  nun  Vli  Jahre  in  der 
Heimat,  teils  bemüht,  durch  den  Gebran<  Ii  vcia  Bädern  sieb  wieder  herzustellen, 
teils  mit  emsigen  Studien  für  neue  Kciscn  und  Forschungen  beschäftigt.  Um 
diese  Zeit  schrieb  er  nnter  anderen  einen  vortrefllichen  Artikel  ftber  die  Gold- 
kfiate,  welcher  mit  der  Ton  ihm  ausgearbeiteten  Karte  der  Gk>ldk&sie  (Hab* 
sUb  1 : 760000)  in  Heft  8  Band  V.  (1888)  dieser  Zeitschrift  verOffentUcht  wnide 


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and  lebhaftes  Interesse  erre^.  Dahse  setzte  sich  mit  einer  bergmännischen 
Autorität,  demKöniglichen  Oberbaigdirektoi  von  Oflmbelm  Hftncheii,  in  Yerbindang 
und  übenandta  ihm  oino  Ansahl  von  GMtflinai,  aowoihl  Ton  den  Ctoldminen  der 
Tftcqoah-Hfigel,  als  «ns  anderan  Gaganden  der  QoldkfMe,  teilte  ihm  auch  seine 

Beobachtnngen  mit.  Gümbel  würdigte  in  vollem  Mafin  die  mineraliBohen  Schätze 
der  Goldknste  in  seinen  \SS2  zn  München  erschienenen  ^Beiträgen  znr  Geologie 
der  Goldknstp".  Durchaus  noch  nicht  wieder  hor^estellt  entschlofs  sich  Dnhse 
gegen  Ende  188;-i  zu  einer  neuen  Reise  nach  Westafrika  und  im  Frühjahr  und 
Sommer  sehen  wir  ihn  wieder  dort  rastlos  thätig.  Eine  selir  beschwerliche, 
anter  heftigen  Regengüssen  ununterbrochen  fortgesetzte  Reise  scheint  den 
nächsten  Anlafs  zu  seiner  let2ten  Erkrankung  gegeben  zu  haben.  Dahse  starb, 
wie  bemerkt  in  Akkra  am  89.  Angast  und  wurde  dort  begraben.  Der  Lebens- 
gaag  Dahsea  erinnert  rieMsch  an  den  fionnats,  mit  dem  er  auch,  wie  mit  Bnrton 
nnd  anderen  Afinkafonohem  in  Beriehnng  gestanden  hat  Wir  hoffen  sfiüer  ans 
Briefien  des  Verstorbenen  noch  näheres  über  seine  letzte  Reise  mitteilen  zu 
können.  —  Um  Mitte  November  erhielten  wir  die  Tranerkunde  von  dem  Tode 
Alfred  BrchTus.  Fr  starb  am  LS.  November  in  Feinem  Heiinatsort  Renthen- 
dorf (Thüringen)  an  einem  Nierenleiden,  dessen  erste  Anfänge  aufi  seiner  im 
"Winter  1888/84  ausgeführten  Reise  durch  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
herrührten.  Die  Trauerbotschaft  erregte  weit  über  die  Grenzen  unseres  Vater- 
landes hinaas  allgemeine  Teilnahme,  denn  Brehm  war  wohl  der  populärste  unter 
allen  deatschen  Natorforschem,  nicht  nnr  dnreh  seine  lahlreichen  Werke,  nnter 
ihnen  Tor  allen  das  Tierleben,  sondern  besondeia  anch  dnreh  seine  yortrilge, 
mit  denen  er  —  denn  er  behenaehte  das  Wort  in  seltenem  Grade  —  in  'vielen 
Siidten  Deutschlands,  der  Niederlande,  zoletit  aach  der  Vereinigten  Staaten 
immer  nnd  inuner  wieder  sahireiche  Kreise  von  Zuhörern  zu  fesseln,  m  ei^ 
•wärmen,  ja  man  kann  sagen  zu  begeistern  wufste.  Ans  den  von  Zeitungen  and 
Zeitschriften  veröffentlichten  Nachrufen  und  Nekrologen  wählen  wir  die  nachfolgen- 
den  Mitteilungen.  Brehm  wurde  am  2.  Februar  1829  in  Renthendorf,  wo  sein 
Vater,  der  bekannte  Ornitholog,  Pfarrer  war,  gelioren.  Als  ISjähriger  Jungling 
trat  er  im  Juli  1847  eine  Reise  nach  Afrika  au  und  icehrte  von  dort  erst  im 
Mai  1862  sorftck.  Mit  seltenen  VOTkenntniasea  nnd  lebendigen  Anschannngen 
ansgerfistet,  begann  er  dann  in  Jena  seine  akademischen  Stadien  als  Zoologe  die 
er  in  Wien  fortsetste,  angleieh  aber  anch  die  stattUohe  Beihe  seiner  schrift- 
atellerisehen  Arbeiten,  deren  erste  die  «Beiseskissen  ans  Nordostafrika'  (Jena 
185.S)  waren.  Zwischen  theoretischen  Stadien  und  exakten  Forschungen  in  der 
heimischen  Natur  wie  auf  weithin  führenden  Reisen  einer-  und  der  litterarischen 
Schilderung  dieser  wissenschaftlichen  Erlebnisse  andererseit.«!,  blieb  fortan  sein 
reiches,  thätigcs  Leben  geteilt.  1856  bereiste  er  Spanien,  186()  Norwegen  und 
Lappland,  zum  besonderen  Studium  der  Vogelwolt,  welcher  letzteren  sein  zweites 
gröfseres  Werk:  «Das  Leben  der  Vögel"*  (Glogau  1861  u.  f.  Aufl.)  gewidmet  war. 
Im  Jahre  1868  begleitete  er  den  jagdliebenden  Herzog  Emst  Ton  Coburg- Gotha 
aaf  dessen  Beise  nach  den  BogosUndem  ala  FAhrer.  Die  wissenschaftliche  Ans- 
bente  dieser  Expeditionen  legte  er  in  den  .Eigebnissen  einer  Beise  nach  Habesch' 
(Hamburg  186S)  nieder.  Heimgekehrt,  wurde  er  an  die  Spitse  des  Zoologischen 
Gartens  in  Hamburg  als  Direktor  benifen.  Er  verblieb  bin  1867  in  dieser  Stellnng, 
welche  er  wegen  Zwistigkeiten  aufgab,  in  die  er  mit  dem  VerwaltTin^srat  geriet. 
Mit  dem  Plane  des  grofsartigen  Aquariums  im  Kopfe,  das  er  mii  d«  in  nächsten 
Jahre  in  Berlin  ins  Leben  rief,  siedelte  er  dahin  über.  Schon  Jnlire  vorher  hatte 
er  die  Grundzüge  zu  seinem  Unternehmen,  das  _ Leben  der  Tiere*  im  Zusammen- 
bang mit  vurzuglichcu  iliustrutioncn  zu  schildern,  entworfen  und  aufzubauen 


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angefftDgen.  lo  dem  Zeicshner  Mfttael  fand  er  einen  Msgeieichneiett  Band«e- 
genoaeen.  Beide  Bchilderten  nur  nach  der  Natur,  und  swar  mit  einer  Schärfe, 

einer  Anschaulichkeit,  die  ganz  einzig  geartet  war.  Die  ei-sten  fünf  Bände  Tel^ 
fafste  er  in  den  Jahren  1863  bis  18r»8;  für  den  sechsten  Band,  welcher  die  niederen 
Tiere  behandelte,  fand  er  in  Oskar  Schmidt  und  Tuschenberg  obenbürti<:f  Ver- 
bündete. Eine  zweite  vielfach  umgearbeitete  und  vermehrte  Aiiflapo  in  zolin  Bimden 
begann  um«  Jahr  1874  ihr  Erscheinen.  Neben  den  fortlaufenden  Arbeiten  für 
die  neue  Auflage  dieses  Werkes  schrieb  Brehm  mit  Rofsmäfsler  zusammen  ,Die 
Tiere  des  Waklts-  (Leipzig  1800  07)  und  unter  Mithülfe  der  uamhaftesteu  Fach- 
,  mfaUMr  ein  eingehendes  Hand-  nnd  Lehrbuch  Ar  Yi^lificlttir  und  Liebhaber 
.Gebogene  TOgel*  (Leipzig  1878  u.  1).  Seine  totste  groÜM  Beise  machte  er  Ar 
niiam  OeBeUachaft,  die  damals  noch  den  Namen  ^hurferein  föhrte,  im  Jahre 
1878,  und  swar  mit  Dr.  Finach  und  Graf  Waldbnrg-Zeü  nach  Westsibirien,  sie 
ffthrte  ihn  bis  zum  Alatau  in  Torkestan  und  von  hier  aus  durch  das  Obgebiet 
ZOT  Samojedenhalbiusel  und  bis  zum  Karischen  Meerbusen.  Über  diese  Reise 
berichtete  er  damals  hier  wie  in  anderen  Städten  in  einer  Keihe  von  anziehenden 
Vorträgen.  Ein  Jahr  später  begleitete  er  den  Kronprinzen  Rudolf  von  Österreich 
auf  einer  Reise  im  mittleren  Donaugebiet,  1879  auf  einer  länger  währenden  iu 
Spanien.  Nicht  vergessen  werden  über  den  grofseren  Werken  dürfen  seine  vielen 
Ueinereu  Anftitse  in  Zeitschriften,  in  denen  er  in  vollendeter  nnd  echt  popoliier 
Form  die  Ergebnisse  seiner  Fozachongen  den  weitesten  Kreisen  mitteilte  und 
ingiagUch  machte.  —  Unser  Mitglied,  Herr  Professor  Gottsche  in  Jqpan,  hat, 
nach  brieflicher  Yerstftndignng  mit  dem  Vontande,  den  Antritt  der  im  Auftrag 
unserer  Gesellschaft  zu  unternehmenden  Forschungsreise  nach  den  Bonin- 
Inseln  noch  etwas  hinausgeschoben  und  wird  sich  erst  Anfang  Februar  1885, 
zu  einer  für  Fors«  hnngszwecke  günstigeren  Zeit  als  die  früher  dafür  in  Aussicht 
genommenen  Wintermonate,  nach  jener  Inselgruppe  begeben. 

§  Die  Baseler  Mission  an  der  iioldkiiste.  Über  die  Thätigkeit  dieser 
groDsen  Missionsgesellschaft  au  der  Goldküste  hielt  kürzlich  der  Missionsprediger 
Schrenk  aua  Bern  in  Breflien  einen  MentUchen  Tortrag,  dem  wir  folgende 
thataftcUiche  AafißiMk  entnehmen:  Die  Brftdergemeinde  hatte  schon  im  voii- 
gen  Jahrhnndert  neun  Missionare  an  der  Goldküste;  sie  erlagen  dem  Klima. 
Jm  Jahre  1828  gingen  die  ersten  Missionare  von  Bnsel  nach  der  Qoldküste; 
1842  waren  alle  bis  auf  einen  gestorben.  Sodann  machte  man  den  Versuch, 
durch  die  Brüdergemeinde  christianisierte  westindische  Ne^jer  einzuführen  und 
durch  sie  christliche  Nefjcrjjemeinden  im  Laude  erstehen  zu  lassen,  ein  Versuch, 
der  nur  teilweise  gelungen  ist.  Damals  waren  die  Hülfsniittpl  zur  Anlage  von 
Kolonien  au  der  Goldküste  noch  sehr  mangelhaft,  mufste  mau  bicii  doch  selbst 
tannene  Bretter  zum  Uäuserbau  aus  Amerika  kommen  lassen!  Diese  wurden 
aber,  ebenso  wie  die  Lehmmanem,  von  den  weifiMn  Ameisen,  den  Termiten, 
serfressen.  1872  konnten  wir  Bretter,  soTiel  wir  wollten,  in  Afrika  ans  dem 
dortigen  harten  Holz  geschnitten,  haben,  sie  wurden  uns  vor  die  Thfir  gebracht 
1857  gingen  nämlich  iwei  Industriebrftder  hinaus,  welche  den  N^em  Handwerke 
lehrten.  Der  eine  war  ein  Banmtister,  er  zeigte  den  Negern,  wie  sie  sich  gesunde 
Wohnungen  bauen  konnten.  18Ö9  betrag  die  Zahl  der  Mitglieder  unserer  Ge- 
meinde an  der  Goldküste  etwas  über  7(X).  Nach  dem  Jahresbericht  unserer 
Mission  vom  1.  Januar  d.  J.  zählt  man  jetzt  dort  5ö6(>  Gemeindemitgliedei-. 
Wir  haben  also  nicht  umsonst  gearbeitet.  Vor  allem  war  unser  Augenmerk 
itut  die  Erziehung,  auf  die  Errichtung  von  .Schulen  gewendet  und  zwar  iiabeu 
wir  jetst  Ekmantarscholeu,  Mittelschulen,  einige  kleinere  Lehrerseminare  und 


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ein  theologisches  Seminar  nur  AnBbildaqg  der  eingeborenen  Pforrer.  Im  gansen 
haben  wir  Aber  1000  Schfller.  Als  ich  hinanskam,  konnten  wir  nnr  dadurch 
Schüler  bekommen,  dalk  wir  den  Kindern  Koat,  Wohnong,  Kleidnng  lieferten. 

Das  ist  jetzt  nicht  mehr,  es  wird  jetzt  auch  Schulgeld  bezahlt,  denn  die  Neger 
achStzen  die  Bildung.  Am  1.  Januar  d.  J.  liatten  wir  15  eingeborene  Pfarrer  an 
der  Goldküstr.  10  von  ihnen  sind  erprobte  erfahrene  MJinner  Alle  unsere 
ElenientarKchulen  stchon  unter  eingeborenen  Lehrern  und  Lehrerinnen.  Die 
wichtigste  JStation  au  der  Küste  steht  unter  der  Leitung  eines  Eingehüieneu, 
meines  früheren  Gehülfeu,  Reindoi-f.  Er  spricht  englisch  und  kann  in  drei  afrika- 
jü&chen  Sprachen  predigen.  Es  war  keine  geringe  Aufgabe,  die  nötigen  litte- 
rarischen HtUbmitiel  sam  üntericfat  in  den  Sprachen  des  Landes  an  schaffen, 
fftr  Leaie,  die  in  unswen  Sprachen  nnbekanni,  mobten  eigene  Zeichen  erfanden 
werden.  Jetat  haben  wir  in  der  Asanti*  und  der  Akkrasprache  eine  Gramma- 
tik, ein  Wörterbach,  verschiedene  Schulbücher,  eine  allgemeine  Weltgeschichte, 
die  heilige  Schrift  ond  ein  Oesaogboch. 

§  Die  westafrikanisehen  HaudelHverhältnisse.  Von  der  ii\  Berlin  tagenden 
internationalen  westafrikanischen  Konferenz  ist  bekanntlich  auch  die  wichtige 
Frage  zu  entscheiden,  welche  Ausdehnung  ilem  Begriff  des  Congobeckens  im 
allgenieineu  Interesse  bei  den  darüber  zu  treffenden  internationalen  Vereinbamugen 
SU  geben  sei.  Anch  der  Gust  des  groÜMn  westafrikanischea  Handelshaiises 
C.  Woermaan  in  Hamborg,  der  Beichstagsabgeoidnete  Adolf  Woermann,  wurde 
an  einem  Ontachten  fiber  die  Aqgelegenhett  anfgefordert  nnd  entnehmen  wir 
diesem  Gutachten  die  nachfolgenden  MittaUangen  ftber  den  enrop&iiich-west- 
afrikanifichen  Handel  an  der  Westküste.  Die  ganze  Westküste  Afrikas  teilt  sich 
in  zwei  vollständig  von  einander  getrennte  Handelsgebiete,  und  zwar:  a.  die 
eigentliche  Westküste  vom  Kap  Verde  bis  zum  Kamerun,  und  b.  die  Küste 
südlich  von  dort  bis  zu  der  portugiesischen  Kolonie,  welche  letztere  Strecke  im 
Handel  unter  dem  Namen  Südwestküste  bekannt  ist.  Der  Handel  in  dem  erst- 
genannten Gebiet  ist  bereits  ziemlich  entwickelt,  weil  dort  viele  Kolonien  euro- 
piiacher  Sachte,  sowie  die  Bepnblik  Liberia»  existieren,  nnd  hat  an  allen  diesen 
FIfttsen  der  Timschhaadel  aom  groben  Tefle  bereits  dem  Handel  auf  Basis  einer 
Geldfainta  Fiats  gemacht  An  diese  Strecke  schUeüBt  sich  das  Gebiet  der 
Nigermfindnngen  an,  das  Handelsgebiet  der  sogenannten  OelflQsse.  Hier  herrscht 
der  eigentliche  Tauschhandel.  Die  Werteinheit,  nach  welcher  enropäische  Waren 
verkauft  nnd  afrikanische  Produkte  gekauft  werden,  ist  ein  gewisses  Mafs 
Palmöl,  —  Kru  genannt.  Zu  diesem  Gebiete  gehört  ebenfalls  Kamerun  und 
zwei  südlichere  Häfen,  Malimba  und  Klein-Bafanga,  Am  Tongo  dagegen  herrscht 
ein  vollständig  anderes  System  des  Tauschhundeis,  dort  ist  die  Werteinheit 
ein  gewisses  Mafs  Zeug,  Cong  genannt,  ferner  noch  aus  dem  Sklavenliundel 
herrührend,  die  »bar",  eine  Messing-  resp.  eine  Eisenetange,  nnd  wenn  auch  die 
Habeinheit  in  jedem  Flatse  der  Kflste  Terschieden  ist,  so  ist  es  doch  charakte- 
ristisch, wie  schon  etwas  nördlich  Ton  Gabnn  diese  Terinderte  Zahlu^methode 
beginnt  leb  sdie  schon  darin  einen  Beweis,  dafs  das  Handelsgefaiet,  Ton  dem  die 
Rede  ist,  ein  einheitliches  ist,  von  Ambriz  im  Süden  bis  nördlich  von  Gabon.  Ich 
meine  daher,  dafs  man  nicht  eigentlich  von  dem  Handelsgcbiet  des  Congobeckens, 
sondern  von  dem  Handelsgebiet  von  Gosamtäciuntorialafrika  sprechen  sollte. 
Diese  Ansicht  wird  in  mir  bestärkt,  wenn  icli  den  Elfenbcinhandel  dieses  ganzen 
Gebiets  ansehe.  In  den  grolsen  regelmäfsigen  Liverpooler  Auktionen  wird  ein 
ganz  wesentlicher  (Qualitätsunterschied  gemacht  zwischen  dem  Elfenbein,  welches 
von  der  eigentlichen  Westküste  und  aas  dem  Nigergebiete  kommt,  und  dem 


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Bein,  weldiM  von  der  Sftdwestküsie,  dem  mebrerwälmteii  Handel^lriele 
importiert  wird.  Ersteres  itt  weich,  letsteres  iet  hfirter  und  geht  unter  der 
Beseiehnnog  transparentes  Bein.  Der  nördlichste  Ponkt,  wo  dieses  Bein  an  den 
Markt  kommt,  ist  Baianga,  etwas  sftdlich  Ton  Kamertm,  also  noch  nördlich  von 
Gabnn.  Er  nnterliegt  gar  keinem  Zweifel,  dafs  das  hier  zum  Verkauf  kommende 
Elfenbein  nicht  ans  der  anmiticlbaren  Mfthe  der  Küste,  sondern  weit  ans  dem 
Innern  kommt,  denn  nnr  zn  häufig  pas«!ir»rt  p«.  daf«?,  wenn  die  schwarzen  Händler 
mit  den  Europäern  über  den  Preis  eines  ZahiK  s  nicht  einig  werden  können, 
der  Zahn  wieder  ins  Innere  an  seinen  ersten  Besitzer  zurnckmarschiert  und 
erst  nach  4  bis  6  Monaten  wieder  an  die  Küste  zurückkommt,  um  dann 
schliefslich  doch  verkauft  zu  werden.  Auch  das  auf  dem  Ogowe  vnd  in  Cbibim 
▼eritanfte  EHimbein  kommt  nicht  ans  der  nnmittelbaren  NXlie  dieser  Gebiet^ 
sondern  weiter  ans  dem  Luiem  berans.  Ich  betrachte  den  Blfrobeinbandel  an 
sich  nicht  als  den  wichtijgsten  Handel,  wie  er  ancb  nicht  eigentlich  der  gewinn- 
bringendste ist;  er  sangt  das  Land  aus;  den  Handel  mit  Erzeugnissen  des 
I^ddcns  betrachte  ich  als  rationeller,  aber  der  Elfenbeinhaudel  giebt  ans  ein 
klares  Bild  der  pe«;amfen  Vcrhiiltnisse.  welrlie  in  BefrefF  der  kommerziellen 
Ausdehnung  und  Verbindungen  in  Brtra(}it  koiinno?!  Auch  in  dem  Kantschnk 
zeigt  sich  dasselbe.  Der  Kantschukhandel  existiert  nicht  an  den  Oelflüssen, 
nicht  in  Kamerun;  er  begiimt  bei  Bata  zwischen  Oahnn  und  Kamerun.  Von 
dort  s&dlich  bis  zum  Congo  und  den  portugiesischen  Besitzungen  ist  diet^r 
Artikel  der  Hanpthandelsartikel,  so  dab  sieb  aneh  dadurch  wieder  die  Einheit 
dieses  kommersidlen  Gebiets  dokumentiert  In  dem  Gntacbten  wird  sodann 
noch  nfther  begrflbudet,  weshalb  ancb  das  Qgowegebiet  in  das  in  Aussiebt 
genommene  Sjstem  der  Handelsfreiheit  mit  einbegiüÜBn  werden  sollte. 

§  Ais  Arpiaitiiien.  Man  berichtet  uns  über  Yerschiedene  Forschuqgs- 
nnd  Entdeckungsreisen  in  Argentinien,  welche  beabsichtigt  oder  schon  in  der 
Ausf&hrung  begriffen  sind.  Das  Instttnto  Geografico  Argentino  hat  den  Beschlnls 

gefafst,  eine  Forschongsexpedition  in  das  westliche  andmische  Patagonien  XU 
organisieren,  zu  deren  Leitung  der  durch  seine  Reisen  in  Patagonien  bekannte 
Marinekapitän  rärlo«;  M.  Moyano  designiert  ist.  Die  Expedition  soll  sich, 
vom  See  Nahuel-Huapi  ausgehend,  auf  das  ganze  Gebiet  liintjs  der  (  oitiillera 
bis  zur  Magalhaens-Strasse  erstrecken.  Dis  Regierung  soll  um  üntersfüfzung 
der  Expedition  durch  diu  inilitaiischeu  Grenzposten  und  einen  von  der  Marine 
zu  stellenden  Kutter  augegangen  werden.  Der  letztere  würde  die  Forschungen 
und  Entdeckungen  von  der  Südseite  her  zu  vervollständigen  haben.  (Bei  dieser 
Gelsgenheit  sei  auf  eine  bemerkenswerte  Reise  hingewiesen,  welche  das  Kiieg*^ 
schiff  «Albatrofs*  ki&nlicb  in  den  südamerikanischen  Archipel  gemacht  hat 
Näheres  findet  man  in  einer  Reihe  von  Artikeln  der  ^Kölnischen  Zeitung"  vom 
11.  November  bis  15.  November  d.  J.)  Ende  September  sind  zwei  Expeditionen 
nach  dem  Gran  Chaco  abgegangen,  die  eine  über  Hosario  de  Santa  Fe  den  Parana 
anfwrirts,  die  andere  von  Cordoba  über  Salta;  eine  direkte  in  der  gleichen 
Richtung  wird  von  dem  tiiilieren  prcufsisflien  Kavallerieoffizier,  Herrn 
V.  8tutterheim  gefühi-t  —  Die  Regierang  hat  1(X)ÜU}  Ji  für  Herausgabe  eines 
Atlas  von  Argentiinen  bewilligt. 

§  Ethnologiselie  Keisen.  Das  ethnolotiische  Hülfskomitee  in  Berlin, 
welches  sich  vor  einigen  Jalnon  zu  dem  Zwecke  bildete,  um  durch  Veranstaltung 
von  Sammelreisen  dem  rei(  lu  n  Köniffl.  ethnologischen  Museum  in  Berlin  neue 
Schätze  zuzuführen,  hat  bekumiüich  durch  die  Reise  des  Kapitän  Jukobsen 
einen  groisen  Erfolg  endelt,  wie  dies  sich  eben  wieder  durch  das  grolse  iDu- 


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—  421  — 


strierte  Werk  , Amerikas  Noidwestküste,  Ergebnisse  ethnologischer  Reisen'^  doku- 
mentiert Der  ersten  Publikation  (Berlin,  Asher  &  Co.)  ist  soeben  eine  zweite, 
ebenso  Teich  und  trefflich  aoegeetattete  gefolgt  Fftr  die  Zukunft  scheint  sich 
die  Wirksamkeit  dieses  Komitees  noch  anssadeiuien.  Einmal  ist  Sapit&n  Jakobesn 
aaf  einer  neaen  Sammelreise  begriffen,  die  sich  auf  das  nördliche  Üstasien, 
möglicherweise  auch  auf  Korea  erstrecken  soll.  Femer  sind  zwei  Reisende 
nach  Südamerika  gesaudt,  und  endlich  ein  vierter  ebenfalls  su  Sammeizweckeu 
ndch  der  8üdsec  anf^ebiochen.  Eine  derartige  Förderang  wissenschaftlicher  Zwecke 
darch  Darbietung  der  unentbehrlichen  Geldmittel  verdient  volle  Anerkennang 
nnd,  wir  fügen  hinzu,  auch  Nachahmung  in  anderen  Städten. 

Litieratur. 

United  StslM  Coast  andGeodetic  Snrrey.  J.  K  Hilgard  Sapt  Pacific 
Coast  Pilot  Alaska  Part  I.  Ck>ast  from  Dizon  Entranee  to  Yakntat  Bay 
with  the  Inland  Passage.  Washington  1883.  Bereits  im  Jnhre  1869  erschien  ein 
Coast  Pilot  von  dem  südlichen  Alaska»  der  von  dem  Assistenten  der  Coast 
Survey,  George  Davidson.  verfaTst  worden  war.  Durch  die  Fortschritte  in  der 
geographischen  Kifi)r.s(  hung  des  Gebietes  ist  indessen  die  Ausgabe  eines  neuen 
Coast  Pilots  zum  Bediirt'nis  geworden,  dessen  Ausarbeitung  diesmal  den  bewährten 
Händen  des  bekannten  Alaskaforschers  W.  H.  Dali  übeiliagen  wurde,  dem  wir 
bereits  eine  grofse  Zahl  schöner  Arbeiten  über  Alaska  verdanken  und  vob  dem 
wir  erst  kflzsiich  die  neueste  Oesamtkarte  des  Gebietes  erbaHea  haben.  Aneh 
diese  nmfuig-  und  inhaltreiehe  Arbeit  Terdient  nnbedingto  Anerkennang,  um  so 
mehr,  als  die  SehwieTigkeiten,  die  dem  Verfasser  ans  der  ünvollstftndigkeit  nnd 
ünznTerlSssigkeit  des  ihm  zu  geböte  stehenden  Materials  erwuchsen,  gans 
anlserordentliche  gewesen  sind.  Dali  hat  sein  möglichstes  gethan,  um  aus  der 
Masse  von  unklaren  und  einander  widersprechenden  Nachrichten  ein  t.lmnli(  list 
getreues  Bild  von  der  Desrhaflfenbeit  der  Fahrwasser  und  von  der  Gestaltung 
der  Küsten  im  südlichen  Alaska  Zugewinnen,  doch  muls  er  fast  noch  auf  jeder 
Seite  die  Unsicherheit  der  gewonnenen  Resultate  betonen.  Dies  wird  bogreiflich, 
weuu  man  erfährt,  dafs  für  einen  grofson  Theil  der  Küste  noch  immer  die 
Anfiiahmen  YanconTors  aas  den  Jahren  1192—1794  mafsgebend,  ja  mitunter 
sogar  die  einzige  Qnelle  sind.  Wenn  anch  das  Werk  vorwiegend  die  praktischen 
Bedftrl^Bisse  der  Schiflifthrt  ins  Ange  <ala^  so  erhebt  es  sich  doch  durch  die 
gr&ndliche  Benutzung  der  einschlägigen  Litteratnr  nnd  durch  die  kritische 
Sichtung  des  Quellen matenals  SQ  einer  wissenschaftlichen  Arbeit  von  allgemeinerer 
Bedeutung,  die  allen  denen  willkommen  sein  wird,  welche  sich  für  die  geo- 
graphische Erforschung  der  Nordwestküste  interessieren  Die  10  sauber  aus- 
geführten Karten,  wek'he,  bis  auf  eiiic,  alle  in  dem  gleichen  Mafsstabe, 
1:5(X)()(X)  gezeichnet  sind,  geben  ein  anvchauliches  Bild  der  Küste,  vom  Golf 
von  Georgia  nordwärts  bis  zur  Yakutat-liai.  Aufserdem  sind  noch  eine  Anzald 
Ton  Ansichten  berrorragender  nnd  chaiakteristisdiw  Kostenpunkte  beigefügt. 

A.  K. 

J.  Mar.  Bnijs.  De  Yerspreiding  der  Phanerogamen  van  arktisch 
Europa.  Akademisch  Proefschrift.  Kampen.  Stoomdrokkerü,  Lanrens  van 
Hnlst.  1884.  Nach  einer  historischen  Binleitong  nnd  einigen  allgemeinen  Be- 
trachtungen werden  die  Floren  von  Spitzbergen,  der  B&ren-Insel,  von  Nowaja 

Semlja,  der  Waigatsch-lnsM  ^md  von  dem  arktischen  Kufsland  besprochen  und 
tabellarische  Cbersichten  derselben  gegeben.  Island  rechnet  der  Verfasser  nicht 
dem  Gebiete  der  arktisclien  Flora  zu.  Die  Gesamtzahl  der  aiktischen  Pha- 
nero^men  schätzt  er  auf  5öO  Arten.    Die  Monocotyleu  sollen  in  den  echt 


üigiiizuQ  by  ^üOgle 


—  422  — 


arktischen  Gebieten  etwa  die  Hälfte  der  Dikotylen  ausmachen  Wo  ein  andere? 
Yerhältniä  bisher  beobachtet  worden  ist,  wie  in  Nowaja  äernl^a,  iät  nach  Meinaug 
des  Verfassers  die  Flora  nocli  iiuvollstündig  bekannt. 

A.  Woldt,  Kapitän  Jacobsens  Heise  an  der  Nord  Westküste 
Amerikas  1881 — 1883  zum  Zwecke  ethnologischer  Sammlungen  und  Er- 
kundigungen Hobst  Beschreibung  perhönlicher  Erlebnisse  für  don  deut^rluii 
Leserkreis  bearbeitet.  Mit  Karten  and  zahlreichen  Holzschnitten  nach  Photo- 
graphien und  den  im  KömgUchen  Uxumm  sa  Berlin  befindlich«!  ethnographisdiMi 
Oegenitftnd«n.  Leipog  1884.  Verlag  ▼on  Uax  Spohr.  Im  Anflrage  einet  ethno- 
logischen Komitees,  welches  sich  som  Zwecke  der  Erwerbung  von  ethnologiaclien 
Sammlungen  für  das  Königliche  Museum  in  Berlin  auf  Anregung  des  hoch* 
verdienten  Direktors  der  ethnologischen  Abteilongi  Herrn  Professor  Bastian, 
gebildet  hat  und  dessen  Mitglieder  vorzugsweise  dem  reichen  Kaufmannsstande 
angoliorcn.  luit  Kapitän  Jacobsen  m  den  Jahren  1881  — ISK^  «  ine  Heise  nach  der 
Nordwfytkiisti'  voi)  Amerika  ansjLrfführt,  deren  Ergebnis  lüe  Erwerbung  einer 
aulscrordentiich  reichhaltigen  k^uiiaiilung  ctiinologischer  Gegenstände  war.  Das 
Torliegende  Bach  giebt  ans  nun  in  knapper  Form  einen  Bericht  von  den 
Einielheiten  der  Reisen  der  sich  mögjlichst  an  das  von  Jacobsen  geführte  Tsgs- 
bnch  anschliebt  Dem  Beisenden  bot  sich  unter  den  von  ihm  bssnchten,  von 
der  Knltor  noch  wenig  berührten  Yolksstammen  Gelegsnhait  in  ahMchen 
interessanten  Wahrnehmungen,  deren  Mitteilong  am  so  dankenawerther  int,  je 
dürftiger  die  bisherigen  Nachrichten  über  diese  Gtobieta  lauten. 

Einen  weiteren  Leserkreis  wird  die  Sclülderung  der  persönlichen  Erleb- 
nisse des  Reisenden  der  zahlreichen  und  oft  gefährlichen  Abenteuer,  welche  er 
bei  seinen  ausgedehnten  Bot-  und  Schlittenreisen  in  Britisch  -  Ck)lumbien  und 
Alaska  zu  bestehen  hatte,  interessieren.  Der  einfache  von  dem  Bearbeiter 
augemessen  gewählte  Ton  in  der  Dai-stellung  solcher  Episoden  l&fst  dieselben 
in  wirkungsvoller  Weise  sur  Geltung  kommen.  Ton  dem  Verleger  ist  das  Buch 
anf  das  beste  ausgestattet  worden;  mehrere  sauber  gcsaichneta  Karten  orientieren 
über  den  Yerlanf  der  Heisa,  wahrend  sahireiche  Abbildungen,  namentlich  ethno- 
logischer Gegenstftnde  eine  Anschauung  von  den  gemachten  Erwerbungen  geben. 

§  Voyage  ä  Madagascar  par  J.  S.  Macqnarie.  Paris.  E.  Dentu.  1884.  In 
jener  leichten  unterhaltenden  Weise,  welche  den  tingierten  Reisen  Jules  Vernes 
so  zahlreiche  Leser  gewonnen  hat,  wird  hier  das  französische  Publikum  in 
die  ,.grande  terre",  wie  die  französischen  Kolonisten  auf  Mauritius  und  H^uuiou 
die  Insel  Madagaskar  nennen,  eingeführt ;  Geschichte  und  Politik,  das  Volk  der 
Hovas,  das  Land,  seine  zum  Teil  so  absonderliche  Pflanzen-  und  Tierwelt,  vor 
allem  die  Rechte  Frankreichs  auf  ansehnliche  Teile  der  grofsen  Insel,  werden  hier, 
man  kann  sagen  durchweg  enfthR.  Es  sind  awei  Fransosen,  dar  eine  gebürtig  auf 
Riunioni  welclie  der  yerftsser  von  Pteis  austiehen  ttfirt,  um  eine  in  KaffM- 
plantagen  bei  Tamatsve  bestehende  Erbschaft  anzutreten.  Die  Reiseabenteuer 
der  beiden  Freunde  bilden  die  Folie  für  eine  geographisch-natnrhistorische  Dar- 
stellung, die  freilich  nicht«  Neues  bietet,  aber  durchweg  anziehend  and  inter- 
essant gesfhi  i(  ben  ist.  Das  Buch  ist  mit  einigen  nicht  üblen  Illustrationen  aus- 
gestattet und  dürfte  in  Frankreich  viele  Leser  linden,  zumal  nach  Erledigung 
der  Differenzen  mit  China  die  jetzt  versumpfende  Madagaskarfrage  wohl  dem- 
nächst wieder  in  den  Vordergrund  des  politisclu  n  Interesses  treten  wird. 

§  Voyagt'S.  aventures  et  cuptivitt-  de  J.  Bunnat  chez  les  Achantes  par 
Jules  üros.    Paris.    E.  Plön,  Nourrit  et  Cie.  1884.    Das  Leben  und  die  Schick- 


L.iyui^L,J  cy  Google 


—  423  — 


sale  Joseph  Bomiats,  dieses  luerkw  iudigeu  Maimes,  der  ims  eiueu  groiüea  Teil 
des  Gebiets  der  Qoldküste  und  angrenseiider  TeÜe  ewchloeeen  lut  und  der,  im 
Begriff  ab  Direktor  einer  fnunsösiflchen  MinengeseUsebaft  die  FMchte  lang- 
jfthxiger  Studien  und  Mühen  sn  einten,  am  8.  Jnli  1888,  erst  40  Jahre  ali»  in 
Taqna  an  der  Goldkflsto  an  einem  Brasileiden  starb,  sind  so  reich  nnd  aben- 
teuerlich, rlafs  sie  an  sich  schon  eine  Biogiaphie  Tcvdienen.  Es  kommt  aber 
hinzu,  dals  das  vorliegende  aus  einer  sehr  umfangreichen  Korrespondenz  und 
Tagebüchern  des  Reisenden  geschöpfte  Buch  mancherlei  Neues  über  die  For- 
schungen nnd  Entdeckungen  Bonnats  im  Gebiete  der  Goldküste  nnd  dessen 
Bewohner  und  überhaupt  eine  erste  zusammenhängende  Darstellung  dieser 
Reisen  bietet,  wenn  auch  das  persönliche  Element  überwiegt. 

§  C.  D Gelte r.  Ober  die  Kap  Verden  nach  Rio  Grande  nnd  Fatah-Djallon, 
mit  nhlreichen  Hohtschnitten  nnd  einer  Karte.  Leipzig.  P.  Frohbeig.  1884. 
Dr.  C.  Doelter,  Professor  an  der  üniveiaitftt  Gnu,  machte  in  den  Jahren  1880 
nnd  1881  eine  Reise  nach  Westafrika.  Er  hat  gans  Recht,  wenn  er  in  der  Vor- 
rede die  Meinung  aii'^spricht,  dafs  ^bei  dem  lebhaften  Interesse,  welches  gegen- 
wftrtig  das  gebildete  Publikum  für  die  Kenntnis  des  rfttselhalten  Kontinents  zeigt, 
eine  in  populäre  Form  gefafste  Veröffentlichung  jener  Reise  nicht  ohne  Nutzen 
sein  werde."*  Diese  Reise  bewcpfp  sich  in  verhältnisniäfsi«;  wenig  besuchten 
Gegenden.  Die  ersten  vier  Kapitel  beschäftigen  sich  milden  Kap  Verden,  von  denen 
Deelter  aufser  San  Thiago  (Santiago  ist  falsch)  nocli  mehre le  andere  besuchte; 
Geographie,  landschaftlicher  Charakter,  Fauna,  Flora  und  Bevölkerung,  vor  allem 
die  wenig  bekannte  Geologie  dieser  afrikanischen  Tnlkaninsehi  werden  dargelegt. 
Von  Praya  anf  San  Thiago  bestleg  Doeiter  den  6000  Fnfs  hohen  Pic  San  Antonio. 
Anf  einem  portngiesisehen  Kanonenboote  fahr  Doeltor  sodann  nach  den  portugiesi- 
schen Slolonien  nn  der  Küste  Ton  Senegambien  und  zwar  nach  der  Insel  Bolama 
(Bijagosarchipel),  wo  der  Gouverneur  dieser  Kolonien  residiert.  Es  war  die  Absicht 
Doelters,  den  gegenüber  dem  Bijagosarchipel  mündenden  Rio  nraiide  möglidist 
weit  hinaufzufahren,  um  dann  süd-süd-üstlich  die  von  neueren  französisclnm 
Reisenden  besuchte  Hauptstadt  des  Königreichs  Futah-Djallon,  Timbo,  zu  er- 
reichen und  die  dortigen  Gold-  und  andere  Ei-zlager  zu  untersuchen.  Zunächst 
fuhr  er  in  einer  Barke  zu  einer  am  südlichen  Ufer  des  Rio  Grande  gelegenen 
französischen  Faktorei,  die  wie  die  ganze  KAstengegend  und  die  Landstriche  am 
unteren  Bio  Grande  unter  portugiesischer  Oberhoheit  steht  Von  hier  durch- 
streifte er  SU  Fulii  das  Land  der  Biafisden  und  fuhr  dann  in  einer  Pirogue  bis 
zur  letzten  portugiesischen  Kolonie  am  Rio  Grande,  Bnba,  deren  Garnison  und 
Einwolmer  —  unter  ihnen  französische  Kaufleute  —  soeben  einen  Angriff  der 
die  Pallisadenfesluni!;  belagernden  Futah-Fullahs  zurückgeschlagen  hatten.  Die 
Delaj^crer  zogen  sidi  zurück,  indessen  machten  die  fortdauernden  kriegerisclien 
Yrrliiiltnisse  das  beaijsichtigte  Vordringen  nach  dem  Reiche  Fntah-Djallon  n»i- 
möglicfi,  auch  ein  Dur»  lidringen  zu  Lande  nach  der  portugiesischen  Kolonie  Geba, 
welche  am  gleichnamigen,  parallel  mit  dein  Rio  Grande  und  nördlich  von  dem- 
selben zum  Meere  siehetoden  Fhisse  gelegen  ist,  moXste  ans  demselben  (hunde 
aufgegeben  werden.  So  kehrte  der  Reisende  zunächst  nach  Bolama  zurück  nnd 
erreichte  Ton  hier  zu  Wasser  über  Bissao  Geba,  den  landwirte  am  weitesten 
TOTgeschobeuen  Posten  am  Rio  Geba.  von  wo  aus  mittelst  der  MandingashändU>r 
ein  reger  Tauschverkehr  in  den  Produkten  des  lindes,  hauptsächlich  in  Elfen- 
bein, YTachs.  Gummi,  Erdnüssen  und  Bauhölzern  betrieben  wird.  Weitere  Reisen 
verbot  die  Erkrankung  Doelters,  der  nach  ahertnali»eni  kurzen  Verweilen  anf 
ilen  Kai>  Verden,  zum  Hesu(  Ii  der  geolo^iiscii  interessanten  Insel  San  Antilo.  na«  h 
der  europäischen  Heimat  zui-ückkehrte.     Wenn  nun  auch  der  Reisende  die 


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vorgesteckten  Ziele  nur  xum  kleinsten  Teile  erreichte,  so  tritt  nns  doch  in  dem 
BOKgftkig  aasgearb«it«ton,  Uber  260  Seitm  steiken  Bach«  flb«rall  ein  mit  gaten 
Kenntniuen  auagestsiteter,  scharf  und  nnermfidlich  beobachtender,  Zeit  nad 
KiSfte  fOr  die  Zwecke  seiner  Reise  sotgaam  ansnntsender  Forscher  entgegen. 

Besonders  wertvoll  düi-ften  die  ethnographischen  Antschlüise  sein,  doch  auch  das 
Kapitel  über  die  physikalisi  ho  Geographie,  die  Pflanzen-  und  Tierwelt  des  s&d- 
liehen  Senegairibien  sind  inhalt  reich.  Mit  besonderem  Interesse  liest  man  die 
mit  grofsem  Wohlwollen  und  Nachsicht  für  die  Schwächen  der  Verwaltung  ge- 
schriebenen Bemerkungen  über  die  portugiesischen  Kolonien  in  Westafrika. 
W^enn  der  Verfasser,  welcher  sein  Bach  im  Februar  1883  abschlols,  die  Beteili- 
gung Deutschlands  an  der  westafrikanischen  Kolonisation  fSr  höchst  wünschens- 
wert erklirl^  ao  haben  ihm  die  Thataaehen  seitdem  Becbt  gegeben.  Ton  (gleichem 
Inftoreaae  aind  die  Bemerkungen  Über  die  Wichtigkeit  der  feansösiachen  Sen^gpl- 
bahn  Ar  die  ErachlieCBang  dea  Innern.  Die  Ansatattnng  des  Werks  dorch  lahl- 
reicho  Holzschnitte,  deren  Zeichnungen  nach  den  Skizzen  des  Reisenden  von 
F.  Schlegel  und  A.  Göring  ausgeführt  wurden,  sowie  Druck  und  Papier  machen  der 
Verlagshandlung  alle  Ehre.  Die  Karte  (ohne  Terrainzeichnong)  genügt  rar 
Orientierung 

§  La  (•  o  1  o  jii  s a  t  i  o n  seientifiqne  et  les  colonies  fian<,aiscs,  par  A.  Bordier. 
Paris.  Keinwald.  1884.  Das  Buch  zerfällt,  wie  der  Titel  andeutet,  in  einen  theoretischen 
und  in  «inen  kritisch  beschreibenden  Teil.  In  jenem  werden  in  sieben  Kapitehd  die 
HotiTe,  welche  n  den  Anawandemngen  im  groben  gefthrt  haben,  die  Arten 
der  Kolonien  nnd  ihre  BAckwirknngen  auf  daa  Mutterland,  die  Besiehni^gen 
des  Kolonisten  snm  Biageborenen  u.  a.  besprochen  und  die  geographischen, 
politischen,  wirtschaftlich-social«  n  und  Gesundheitsrücksichten  niüier  dargelegt, 
welche  bei  der  Wahl  von  Kolonien  bestimmend  sein  sollten.  Der  zweite  Teil,  die 
jetzigen  französischen  Kolonien,  giebt  eine  ziemlich  umfassende  Kunde  der  jetzigen 
Verhältnisse  in  den  noch  immer  zahlreichen  französischen  Kolonien:  Algerien, 
Gninea-Küste,  Gabun,  den  Inseln  an  der  afrikanischen  Ostküste,  Indien,  Cochin- 
chuia,  Pulynesieu,  Guyaua,  Antillen;  selbst  die  kleinen  Fischer-Inseln  »St  Pierre 
nnd  Miquelon,  der  Beet  der  einstigen  groben  fransSaiaehen  Kolonien  in  Nord- 
amerika, aind  nicht  veigeaaen.  MitgroÜBer  Offsnheit  beapricht  derYerftaaer  die 
Seh&den  der  Verwaltung,  dabei  werden  die  kommenieUen  und  wirtachafUichen 
Thataaehen  aehr  ToUstindig  nach  den  besten  Quellen  ausammengeatellt,  ao  dal^ 
daa  an  aich  interessante  Werk  auch  als  Naohachlagebnoh  ein  wertfoBea  nnd 
brauchbares  Uülfsmittel  bietet. 

Ethnologischer  Bilderatlas.  Nach  Angaben  und  unter  wissen- 
schaftlicher Leitung  von  Professor  Dr.  Friedr,  Müller.  Wien  1884.  Als  eine  Art 
Krgänzung  von  llölzels  vortrefflichen  geographischen  Chaiakterbildern,  auf  die 
wir  die  Leser  dieser  Ulätter  in  einem  frühereu  Hefte  hinwiesen,  ist  der  hier 
genannte  etimologische  Bilderatlas,  der  in  dem  artistischen  Yerlagsinstitnt  ron 
A.  Bartinger  4  Sohn  in  Wien  su  erscheinen  beginnt,  an  betrachten.  Dieser 
Atlas  wird  ans  awansig  Blittem,  in  dem  grolwn  Formate  Ton  67  cm  Breite  und 
91  cm  H6he,  bestehen  und  «uiiMr  einer  ethnograpischen  Weltkarte  in  Farben- 
druck ausgeführte  ethnologische  Bilder  umfassen.  Die  Bilder  sollen  in  allen 
Teilen  nach  genauen  Vorlagen  hergestellt  und  den  Menschentypen  Photogra])hien 
zu  Grunde  gele<:t  werden.  Blatt  4  ,Di*'  Hotti  ntottoir  und  Platt  11  „Amerikani.sche 
Indianer"  sind  bereits  cibchieueu  und  liegen  mir  vor.  Es  sind  wahrhaft  prächtige 
Bilder!  Von  den  Kii rhhofTschen  .Has.seubildenr  init<'i s<  heiden  sie  sich  nicht 
nur  durch  die  Ausfuhrung  in  Farbe  statt  in  Krcidenianier,  sondern  auch  dadurch, 
dafs  sie  statt  einaelner  grolaer  Brustbilder  Qruppenbflder  charakteristischer 


uiyiiiziüd  by  Google 


425  — 


Hassenden  bieteii.  Behufs  Benutzung  der  Bilder  Ar  Ünterrichtuwecke  ist 
jeiiem  einzelnen  Bilde  auf  besonderem  Blatt  ein  eri&otemder  Text  beigegeben. 
Der  Preis  ffir  das  einzelne  Bild  betrSgt  6»  im  Abonnement  5  Mark.  Dieser 

ethnologische  BilderatluK  ist  natürlich  uicht  für  die  Hand  des  Schülei-s,  sondern 
für  die  r.ohnnittelsamntlungon  der  Sclmle  und  füi  gooo;raphis<he  und  ethno- 
logisrhe  Sanindungen  l)c.stinnnt.  Entsjuechen  die  folgenden  Bilder  den  beiden 
vorli»  i?»  ii<lt'n.  was  hei  der  Leitung  des  Weikfs  dnirh  einen  Mann,  wie  Professor 
MüUfi.  Ml  ln-r  /u  erwarten  ist.  .s»»  wifd  ili.  -,f  Saniiidung  ethnologischer  Bilder 
ein  Aus(  hauuiigsmittc'l  ersten  Hungcs  weiden.  Ich  wiiusche  dem  Unteruehmea 
den  besten  Erfolg.  W.  Wo. 

Debes.  Kirehhoff  &  K  ropatscheck,  Schulatlas  für  die  Ober- 
kla.<>.seu  höherer  J Lehranstalten  in  Haupt-  und  31  Nebenkarten.  Verlag  TOn 
H.  Wagner  &  £.  Debes  in  Leipzig.  Geheftet:  Preis  6  Hark.  In  elegantem 
Leinenband :  Preis  Jk  5.80.  Der  Debessche  Atlas  fOr  die  Mittelklassen  höherer 
Schulen  erfreut  sich  in  den  schulg^graphischen  Kreisen  eines  so  hohen  An- 
sehens, dafs  man  dem  nun  vorliegenden  Atlas  für  die  Oberklassen  sehon  seit 
längerer  Zeit  mit  gror.seni  Interesse  entgegensah,  um  so  mehr,  als  man  wnbte, 
dafs  zur  Bearbeitung  desselfjon  ein  tüchtiger  Kai-tograj^h.  ein  hervorragender 
(Jeograph  und  ein  erfahrener  .Scliuhnaini  ihre  Kräfte  einsot7:ten.  Der  vorliegende 
Atlas  erfüllt  denn  auch  im  hohen  Mal'se  die  Erwartungen,  die  man  unter  diesen 
Umständen  zu  stellen  herethtigt  war;  er  ist  bezüglich  des  w i.s.senschaftlichen 
üchults  sowohl,  wie  in  pädagogisch  -  didaktischer  Beziehung  und  in  seiner 
technischen  Ausf&hmng  vortrefflich.  Die  Karten  gliedern  sich  in  sechs  Ab- 
teilungen: die  L  Abteilung  enthält  ein  grofses  Kartenblatt  snr  mathematischen 
(Geographie,  die  U.  Abteilung  bringt  15  Erdkarten,  welche  vonragsweise  die 
physische  Geographie  behandeln,  also  die  Landhöhen  und  Meerestiefen  der 
Erde,  sowie  die  Verbreitung  der  Vulkane,  die  Januar-  und  Juli-Isothermeu, 
die  Verteilnng  des  Regens,  die  Meeresströmungen  und  den  Weltverkehr,  die 
•  Verbre,itung  der  Pflanzen,  charakteristischer  Säugetiere,  der  Völker  und 
lleligionen  u.  a.  darstellen;  die  III.  Abteilung  behandelt  in  13  Karten  die 
aulsereuropäischen  Erdteile;  die  IV.  Abteilung  bringt  5  Übersichten  von  Europa, 
nämlich  eine  Fluls-  und  Oebirgskarte,  eine  politische  Übersicht,  eine  Karte  über 
die  Bevölkerungsdichte,  eine  Völker^  und  Sprachenkarte  und  eine  Beligionskirte; 
die  V.  Abteilung,  Karte  35— 48^  ist  den  aoberdentBchen  Lindem  Europas  und 
die  VI.  Abteilung,  Karte  49— Mittel- Europa  gewidmet  In  der  Beigabe  der 
Nebenkarten  ist  hier  meiner  Meinung  nach  für  einen  Schulatlas  ein  richtigeres 
Mafs  gclroITen,  als  in  dem  Dierckeschen  Atlas ;  Pläne  von  Hauptstftdten  sind  mit 
Kecht  forlgelaKsen.  dagegen  finden  .sich  Darstellungen  von  geographisch  be- 
sonders wichtigen  Krdstellen,  vom  Isthmus  von  Panama,  den  Kapstaaten, 
der  Meerenge  von  Gibraltar ,  dem  Vesuv,  der  Vulkaninsel  Santorin,  vom 
Gebirgsknoten  von  Mittelasien  u.  a. ,  welche  eine  Fülle  belehrenden  und 
vergleichenden  Materiahi  bieten.  Wie  die  Auswahl  der  Karten  eine  »ehr 
sweckentsprechende  ist,  ebenso  ist  auch  die  Auswahl  der  benannten  Objekte 
(Stfidte,  Nebenflüsse  n.  der^.)  in  den  meisten  Fillen  eine  sehr  geschickte; 
einzelne  Verbesserungen  in  dieser  Richtung  werden  ja  die  sicher  bald  nötig 
werdenden  neuen  Auflagen  von  selbst  hervorrufen.  Dafs  der  Atlas  in  Bezug  auf 
die  Einheitlichkeit  der  Mafsst&be  und  der  Meridianz&ldung  (nach  Greenwich) 
n.  a.  den  heutigen  Anforderungen  entspricht,  kann  bei  den  Herausgebern  als 
selbstverstä!ulli(  h  <rclten.  Auch  ein  handliches  und  bequemes  Format  gehört 
zu  den  Vorzügen  dieses  Atlas. 

Dr.  W.  Wolkenhaner. 

dO 


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KtviMv  Amr  jüiigpt^r  Zeit  emä  nooli  stvti  wertvaUe  kaaAosrftpbiad» 
sl»ttnQfteii  •hiift-  iiimvwtt  eagpren  Iieiäuitj^l»Bte  n  enrälmea:  1)  Plan  ämr 

liiag«f;end  r-oii'  Bremen  onf  dienstlirli»  Teraolttnnng  mit  Bemitxiiiig. 
aintlir<l»<>r  Quollon-rwoguosuiert  aiiil  «rr/eirlumt  von  8ec.*Lcutna)it  (  .  Müller. 
Bl««»»!«'!!  1K*<1.  Vorlajr  von  (i  A.  v.  Halrm.  Dieso  (i:irnisonj!.kni  te.  im  Malsi^taUe 
von  1:J)(HK)  jn'z^'iclmot.  uwd  n>i>  I  HI;ittoin  l)»stph< ml,  hat  znsuimiK-n^f->et7.t 
•MIM'  <Jr»)t'Kt'  Von  H*)  «  III  Ür^itc  iiiitl  So  nn  ll<ilit<  mul  ^lelit  ull«'  titpow;i-a}>hi\.hfu 
\  orltüll iiiNM'  iii  kiui'C't  uml  ]iii<  iit  über  u  ittli«  liet  Weis«.  \^  zur  DiiTbi^lhiiig 
langH»(ltf1ikt  rtitUit  imNorUon  bis  Burji.  im  Süden  bis HeiUgenrode, im  Osten  bis  att 
den  oidli<4istciii  Pnnkt  des  Bremer  Qebirts,  Tenuver,  und  im  Westen  Wftlfitt«faibirftiL 
Ein  luuton  gisbt -im  .VaCustAb»  vpn  1;2(K)PU0  flmf  Obraaichlsk^xts,  die  als 
iitifserste  l^nnkte  Vegesack.  Syke,  Otte^-sbeig  ^nd  Harpstedt .  hat  Ai(i)Ber  Ar 
)iiilitiai>*'li,  iiinl  ti»uri>tis(  li('  /«wetk^,  halte  ich  ilic  Kartt'  auch  für  «ine.Q  heimst 
kukuUiilM'ii  L'üteriicht  anf  hüherer  iStaie  tör  rocht  gooignet  uml  empfehle 
dicst'lln:  «lou  ciulif  iinischni  I.pst'vii  vUeser  Blatter  aii^'»'1t'gcntlirhst.  2)  Plan 
«l«!r  jLi<Mi'n  II  aii>>c8tadf  lii«'m»*n.  Aus  den  im  Auftrag**  dir  BauUepiitation 
in  Breim-ii.  Al)tt  ihmg  \VaN^t  il»;iu,  angt  tVrtij^'f'  u.  auf  (irund  preussischor.  oldeu- 
hnixiMii|.'i  juul  bi:ojm:i  tiigDUi^uietriüQhfr  Autjiahmen  von  dem  Ohervenue&i>ungs» 
in^ti  ktqr.  Herrn  Kiuiunei:rat  Ii.  Fn\AC#e  in  OH^burg  entworfenen  Wcsex-^^troui'. 
kAYteii'  tomftnul8S4.  Koiiunissionawlag  .Yoa.  J,  Kfthtniaans.  BoehbfUidlM 
/nui.  ersten  .Male  wirf)  uiia  tuer  eia  Plan  tou  der  H\»di  Bremen  gebg^teo,  vetcber 
mit  Beiipilauig  trigiDiuiraetTiscber  Mossai^en  ifi  ein  bestiifimtos  festliegendes  Nets> 
geUrajßbt  ist,  aqd  dadut  rU  alle  dio  Majigid  boBoitigt,  welche  'andere  Ksrteu  iu 
Hich  in\gen.  Der  PUuk  bedeckt  eine  Flächt»  von  120.cm  JLSnge  und  94  cm  Hübe. 
lDfi>i>;e  dit'f>er  (uölso  war  os  mö^^lich,  jt'dcs  üi  undstück  mit  seinen  Hofen,  (iärt«*Uy 
Anbauten  ii.  a.  in  d<'U  i'lan  im  jri<  litigen  CirOl'senverhiiltniy  aufzunehmen. 
l>i«-  Uiiusernuimui  iu  üin<l  durch  Kottliuck  angogebeu,  die  öftentlichen  Bauten 
treten  durch  besondereu  Druck  und  durch  Benennung  hurvor,  die  Bl'erdeb^hneH 
.sind  e^'Sicbilich,  Uie  »Strufiieuuamen  sind  oingetrugeu  uud  dd^.Waüscr  ti'iU.  durch 
blaue  Farbe  .denUich  hervor  ;  alles  bis  inp  kleinste  ist  bis  in  die  jüngßie  ZtSik 
lUtia  Pbuw  eingefügt  Pen  Stieh  nndBrnck  des  PJ#ne8  dorcb  das:geQ|grapbia«he  VkhO' 
graphisfdio«  Institut  von.  WiUv.Oreve  in  BeiiUn,  bekwont  durch  die  Eerstettong 
der  (leueralstabsknrtou,  ist  .vorgfilltig  nwA  ge.Kc.hma<  kvoll  Da  J^^s  Uuternehmon 
mit  Beihulfe  de.s  Staate^  ip» 'M^'urk  gesotast  wird,  so  ist  uS'.der  VerlagshaucUmtg 
wöglich,  den  Plan  zu  dem  verluillnifiniäfsig  l>illij>en  Preise  von  la  J£,  auf 
l,(i!U'\\au<l  mit  Stäben  Hufgezogeu  zu  M  zu  liutern.    Der  schon«  PIäu 

winl  Ml  SvhuN-.  Bureau,  Comptoir  uud  .allen  ütTeuUichen  VerkchrbauKtulteju 
trHV)i(  lie  Dk  ui.ic  lei.sten.  W.  Wo. 

5i  Kai  t f  W  (  .V !  -  A  (j  u  a i  o  r  i a  1  -  A  fr  i  k  a s  zur  Veransehaulichung  des  deutschen 
Koltniuilbesitze.s  von  B.  F  r  i  e  d  e  r  i  r  Ii  s  e  n .  Hamburg  1884.  DietM)  unter  B«^ 
nnUung  der  RrgebnisiM)  der  neuesten  Ueison  ausgearbeitete  Karte  bietel  ein  gutes 
Otientierangfmfitlel  in  Bezug  a6f  die  emrop&isohen)  betandofs  die  dantsohei 
ICotmidn  in  Weet-Jlqaatot>lal-AA!ik&  •  Die-U»optkaff«e  (Ma(i»lab  1 :  980000)  .Mieht 
vom  5  ^  ni  Br;'1iis  «im  Äquator,  also  tous  Quaqoa  bis  Qalian;  tme  Nebenkatte 
(MafBstab  1  :  1  öüOOOl^  veraiiKclifMllicht  die  deutschen  und  englischen  Besitzungen 
fiu  der  Sklnvenküste.  Zar  Weiteren  Information  ist  ein  Veraeicbnisder  deuisofaea 
Kuktoi-eion  beigegeben:       •  "■' 

BeriolitiKUttg.  lu  der  mit  U eil  III.  veröffmitltchtcn  Karte  des  Augara- 
flusses  ist  in  der  Erklärung  sum  Karton:  Padnnski-Porog  statt  ^tttromanfMrts* 
stromahvu  lestoni;  ' 

l>rnck  von  Cvl  SchOneoMua.  Brainra. 


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Deutsehe 

Herausgegeben  von  der 

Geoppitiscküi  iMsM  &  Breüi 

durch  Dr.  M«  Lindeman. 


Band  Vm. 


Neue  Folge  der  Mitteilungen  des  früheren  Vereins  für  die 

deutsche  Nordpolarfabrt. 


BREMEN. 

KommisaioDe-Verhig  von  Q.  A.  t.  Hü  lern. 

1885. 


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Gröfsere  Aufsätze: 

1.  Mitfcilnngen  über  den  bayrischen  Wald  (III)  mit  BeitlftgeB  ton  Heid 
und  Fahdt    Von  Dr.  M.  Linderaan.    Mit  Karte   1 

2.  Die  Wohnsitze  und  Wanderungen  der  Bafänland-EskimoB.  Von  Dr. 
Franz  Hoas.  mit  Karte   81 

'.}.  Die  Erforschung  des  Yukou-Gcbiets.  Sommer  1883.  Von  Premiev- 
Lentnant  F.  Sehwatluk  8.  Vom  alten  Fort  Takon  bb  rar  Apboon- 
Mftndnng   86 

4.  Ken- Seeland  in  Vergaqgenlieit  nnd  Gegenwart  Von  Fnleesor  Dr. 
Wilhelm  Stieda   44 

ö.  Die  detiteclie  FonchnogBreisc  durch  Südamerika  1884.  II   66 

6.  Der  Kongo  und  sein  Gebiet.   Von  Dr.  A.  Oppel   101 

7.  Die  argonlinische  Provinz  Bnenos-Aires.    Von  Professor  A.  Soplstranf^  133 

8.  Die  Lap;oa  dos  Patos  in  der  Provinz  Rio  Grande  do  Sol,  mit  Kalle.  H>4 

9.  Der  fünfte  Deutsche  Geogruphentag  in  Ihnnbiirg   203 

10.  Der  Batanga-  oder  Moanja-FIufs  von  Hugo  Zuiler.  mit  Kartenskizze.  121 

11.  Dr.  QnstaT  Na^^htigal  f  216 

12.  Eine  Umi^elaDg  der  Berings-InneL  Herbst  1882.  Beiieberieht  ton 
Leonbard  Stejneger.  Hit  2  Karten  nnd  2  Dlnetiationen  in  Iiicbtdmck.  226 

18.  Die  bidianer  Ton  Guyana.  Nach  Im  Thnm.  Von  Karl  Ton  den  Steinen.  274 

14.  Gucnos-Aires;,  die  Hauptstadt  der  argentinischen  Republik.  Von 
Professor  A.  Seelstrang  in  Cördoba   806 

15.  Fischfang  und  Ja<:^(l  hei  den  Tlinkit-Indianem.  Von  Dr.  Aurel  Kraose, 
mit  drei  Illustrationen   329 

16.  Die  dänische  Expedition  nach  der  Oslküste  Grönlands.  Von  H.  Rink.  341 

17.  Die  Entdeckungsreise  des  Dr.  Otto  Fiusch  an  der  NordostkUste  von 
Nea-Qoinea.  Mai  1886.  Uit  Karte  864 


Kleinere  Mitteilungen: 

1.  Aus  der  geographischen  Gesellschaft  in  Bremen,  72,  217,  286,  372. 
2.  Polarregionen,  83,  219,  289,  378.  8.  Alaska,  85,  386.  4.  Verkehrsweg  ?on 
der  unteren  Fetschoia  Uber  den  Ural  nach  Sibirien,  86.  6.  Bobbenfang  in 
der  If  sgdlan^Sirafira,  86.  6.  Zur  Gesehiehte  der  deutschen  Kolonien  in  Syrien, 

87.  7.  Die  PHaiizenwelt  des  südlichen  Senegambiens,  89.  8.  Von  der  Gold- 
kftste,  89.  9.  Die  Seychellen  und  Almirauten,  95.  10.  Amerikanische  Tief- 
seeforschung, 95.  11.  Die  Kartensammlnnr?  J.  Q.  Kohls  in  Washington,  95. 
12.  Litteratur,  96,  297,  385.  13.  Dr.  Gotisches  Reisen  in  Korea,  221  14.  De- 
siedelnng  Patagoniens,  222.  15.  Geographische  Notizen  aus  Kufslund,  222. 
16.  Zur  Landeskunde  der  Provinz  Hannover,  223.  17.  Die  Kupfererzeugung 
der  Welt,  224.  la  Tristan  D'Acnnha,  224.  19.  Aus  Los  Angeles,  224.  21.  Vom 
Congo,  376.  22.  IHe  Nofd-Bomeo-Kompagmc,  377.  28.  Das  Saterland,  878. 
24.  Die  Fischerei  der  Unterelbe^  888.  2&  Die  Veikehtswege  in  Sibirien,  884 


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Anlage: 

Vm.  Jahnabericht  des  Vontsades  der  geogntphiselieii  GMelbchaft  in  Biernen. 


Karten,  Ansichten  und  Plan: 

/    Tafel  1.    Die  Waldungen  des  bayrischen  Waldes.    Mafsstab  1  4r)n.om). 
>'    Tafel  2.    Das  Baffin-Land,  zur  Darstellung  der  Yorbreitung  der  Eskimostämme^ 
^   Tafel  3.    Überblick   über  die  Ausdehnung  des  ileercs  in  der  Provinz  Bio 

Grande  bei  Beginn  der  alluvialen  Epoche.    Mafsstab  1 :  0,(XX),O()O. 
y    Tafel  4.    Skizze  des  Batanga-  oder  Moanja-Flusses  (deutsches  Kamerungebiei) 

von  Hugo  Zöller. 

/  Tafel  &  l^miiinkisM  der  Beringi-Iiisel  (Hafostab  1:888,000)^  mit  Karton: 

Komandor,  neh  ejgmea  AnfiDahiiieii  Toa  L.  Stejneger. 
Je  Tafel  6.   Grebnitski-Hafeii  auf  BeringB-IiMeli  naeh  den  Anfnalimeii  von 

L.  Stejiief];er. 

Kartenskizze  der  Küste  des  Kaiser  Wilhelm-Landes  von  der  Astrolabe-  bis 
zur  Humboldt-Bai  von  Dr.  0.  Finsch. 
/  A'^*S  Triumphbogen  (Berings-lnsel).    Lichtdruckbild  nach  einer  von  der 

J  Natnr  anfi^ommenen  Zeiehnnng.  S.  298. 

Pestscltaaaja  Bnchta  (Kapfei^Insel)  nahe  dem  Dorfe.    LichtdraekbOd  nach 
~  einer  von  der  Natur  aufgenommenen  Zeichnung.    S.  236. 

Hnna-Iiidianer  beim  Kanoeban.   Zinkotypie  nach  Photographie.   S.  380. 
Indianische  Frauen  und  Kanoes  in  der  Takabucht  Zinkotypie  nach  Photo* 
graphie.    S.  333. 

Wolfsfalle  bei  den  Tschilkats.   Zinkotypie  nach  einer  Zeichnung.    S.  340. 
Plan  des  ^nnterhaniet  der  SchiffbrAchigen  von  der  BeringB-Ezpeditmn.  8. 


uiyiü^uü  Oy  Google 


Deutsche 

Geographische  Blätter. 

H«nMisgegebeii  toh  d«r 

Geographischen  Gesellschaft  in  Bremen. 


Il«itrlg«  waA  tMuitig«  Sandmigeii  m  die  IMhktloii  wwdMi  unter  der  Adresse : 

Der  Abdnck  der  (higiiial*Aiif8fttze,  toirie  die  NaehMldnng  yon  Karten 
und  ninstnitionen  dieser  Zeitschrift  ist  nur  nach  Yeratftadigimg  mit 

der  Redaktion  gestattet. 


Mitteilungen  Ober  den  liayrischen  Wald  (IH) 

Vit  Btitrigen  der  Herren  Re^eraags*  tnd  Ferftrat  Heib  in  Iiandslint 

nnd  J.  f  aMt  in  Dreiden 

von 

M.  Lindeman. 


Biena  TM  I:  die  WaUnngen  des  bayrischen  Waldes,  Aasdehnong,  Besitz, 

Wtldait 


Einleitung.  VerhSltnis  des  Waldes  zur  Gesamtfläche.  Allgemeiner  Überblick. 
Ludftohaftlicbes.  Die  forstlichea  Verhältnisse:  ForstvrirUobaft,  Waldarten,  Oeschicht- 
Heliee,  Bitrilge,  Biffentansrerfalltiiine,  Terükele  TetttetionegraBBen.  Triftsystaaa,  Jagd 
nnd  Wilderer,  Forstrechte  und  staatliche  Oberaufsicht  IMe  Bevölkerung:  Lebene» 
weise,  Erwerb,  Tracht,  Wohnweise,  Sitte  und  Brauch.  Statistik  der  Bevdlkerung  nnd 
der  Aaswanderungen.  Die  Industrie  in  HoU  nnd  Glas,  mineralische  Bodensehätte. 
Lendwirltttliaft,  die  Birkea1»e^,  Wnlderbeit,  Yiehsneht 

Es  ist  das  Verdienst  des  Geograpbentags  zu  Halle,  darauf  hin- 
gewiesen zu  haben,  dafs  das  Streben  nach  Pflege  und  Förderung  der 
£rdkunde  sich  auch  in  der  Bereichenmg  und  Vertiefung  der  Kennt- 
nis von  unserer  deutschen  Heimat,  der  deutschen  Landeslcunde  be- 
thatigen  mflsse.  Diese  Überzeugung  hat  in  der  Ton  jener  Versamm- 
lung im  Jahre  1882  ins  Leben  gerufenen  Kommission  für  die  F<(r- 
demng  der  wissensehaftliehett  deutsehen  Landeskunde  einen  that- 
sÄchlichen  Ausdruck  gefunden.  Seitdem  hat  die  Kommission  eine  vor- 
bereitende Thätigkeit  für  die  Erfüllung  ihrer  grofsen  Aufgabe  begonnen. 
Auch  in  dieser  Zeitschrift  sind  von  Beginn  ihres  Bestehens  au  Bei- 
trage zur  deutschen  Landeskunde  erschienen:  in  den  ersten  Jalir- 
'  gangen  wurden  die  Weichselniederungen,  das  Land  zwischen  Uuter- 
weser  und  Unterelbe  (von  Diercke)  und  die  Lüneburger  Heide  (von 
Steinvorth)  behandelt.  In  Band  IV.  folgten  Mitteilungen  über  den 
bayrischen  Spessart,  mit  einer  die  Waldarten  und  die  Art  des  Be- 
sitzes Yenmschaulichenden  Karte.  Durch  die  in  Band  VI.  (1883) 
erfolgte  Veröffentlichung  zweier  An&atze  über  den  bayrischen  Wald 

a«ogr.  BlXtter.  Bremen«  1886.  % 


üiyiiizea  by  Google 


(von  Qflmbel,  geologische  Skizze  und  Prot  Ebermay«r,  die  klimati' 
sehen  Verhaltnisse)  konnte  die  Betrachtung  ein^  grftfseren  deitsdien 
Waldgehiets  begonnen  werden.  In  Nachstehendem  werden  nun  diese 
Mitteilungen  durch  Beleuchtung  der  forstlichen  Verhältnisse,  der 
Bevölkerung,  der  Industrie  und  Landwirtschaft  weitergeführt  Die 
Bedaktion  geht  von  dem  Oedanken  aus,  dafo  Waldgebiete  sich  eben* 
sogttt  zu  einer  besonderen  Darstellung  eigDen,  wie  politisch  oder 
durch  den  bewohnenden  Volksstamm  einheitlich  abgeg^renzte  Stücke 
deutschen  Landes,  dafs  sie  wie  ein  Gebirg  oder  eine  Küstenstrecke  ihren 
Bewohnern  ein  bestimmtes  Gepräge  verleihen.  Dabei  ist  vorauszu- 
setzen, dafs  von  dem  vorherrsclienden  Wald  das  Leben  der  Bevöl- 
kerung wesentlich  beeinflufst  werde;  die  Art  des  Waldes  und  des 
Besitzes  an  demselben  waren  besonders  ins  Auge  zu  fassen.*) 

Der  „bayrische  Wald"  ist  der  bayrische  Teil  des  Böhmer waldes, 
damit  ist  die  Begrenzung  nach  0.  und  SO.  bezeichnet;  im  Norden 
könnte  man  etwa  das  schon  zur  Oberpfalz  gehörende  Thal  der  Cham 
und  des  Begens  von  der  Stadt  Cham  an,  als  natürliche  Begrenzung 
bezeichnen,  wahrend  im  W.  und  SW.  der  sogenannte  Vorwald  am 
Donauufer  anhebt. 

Unter  den  gröfseren  Staaten  des  deutschen  Reichs  ist  das 
Königreich  Bayern  im  VerkäUnis  MUß  MNWr  Gesamtfiäehe  am  wald- 
feiehttm:  der  Anteil  des  Waldes  an  letzterer  betragt  84^®/«, 
wahrend  z.  B.  die  bezüglichen  Ziffern  betragen:  für  das  R6nigreich 
Preuisen  28^  ^/o*),  für  das  Königreich  Wflrttemberg  30,»  ^/o*),  Sachsen 
81,f^/o,  für  das  GroCsherzogtum  Baden  d3,4^/o  und  fftr  das  Grofs- 
herzogtom  Hessen  31^*/o.  Der  Begierungsbezirlc  Niederbayem  ist 
nicht  der  waldreichste  unter  den  acht  Begiemngsbezirlcen  des  König« 

^)  Etwa  der  vierte  Teil  der  Qesamtfläche  des  deutschen  Reiches  besteht 
aus  Waldgrundstücken.  Dieselben  umfassen  13  906  611  ha,  von  welchen 
4  505  768  ha  oder  32%  auf  Staats-  und  Kronforsten  kommen,  40  989  ha  oder 
0,3 ''/o  sich  im  gemeinfichaftlichen  Besitze  des  Staates  and  einzelner  Gemeinden 
befinden,  2109939  ha  oder  16,2  "/o  auf  Gemeindeforsten,  185987  ba  oder  1,3 
•Ulf  Stifttwaldungen,  844707  ha  oder  2,6  */•  auf  GenonenaehaflBforsten  und 
6718171  ha  oder  48,8  */o  auf  Ftivatwaldangeii  sa  rechnen  sind.  Werden  den 
letzteren  die  Qenossen&chaftswaldungen,  welche  den  einzelnen  Interessenten 
meist  nur  nach  ideellen  Anteilen  gehören,  hinzugerechnet,  so  ergiebt  sich,  dafs 
etwa  die  Hälfte  der  "Waldfläche  sich  im  Eigentum  von  Privatpersonen,  nament- 
lich auc  h  der  kleinen  bäuerlichon  Besitzer  befindet,  während  die  andere  Hälfte 
dem  Staate,  Gemeinden  und  «Stiftungen  gehört.  Yergl.  die  Begründung  zu  der 
QeeetzTorlage  vom  8:  Feluniar  d.  J.  an  den  dentielieii  Reichstag  über  die  Hols- 
aöUeasa 

^  T.  &gen,  die  foitüidien  Yerbfitniaee  PreniMni.  8.  Auflage  von  Donner 

bearbeitet  S.  1. 

')  Bernhard,  Foretstatistik  Deatichlands  S.  66. 


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—  3  — 


reichs,  denn  es  kommen  hier  nur  33  der  Gesamtfläche  auf  Wald, 
gegen  z.  B.  38  in  Unterfranken  und  39  in  der  Pfalz.  Dies  erklärt 
sich  aber  zur  Genüge  daraus,  dafs  das  nicht  zum  bayrischen  Wald 
gehörende,  vorzagsweise  der  Landwirtschaft  dienendf^  Areal  der 
grdfeere  Teil  der  Gesamtflftche  des  Begierungsbezirks  ist. 

Auf  der  diesen  Mitteflangeii  beigegebenen  Karte  sind  die  Ge- 
biete, weldie  den  bayrischen  Wald  im  engeren  Sinne  bilden,  die  drei 
Forstlmter  Wol&tein,  Zwiesel  und  Sehdnberg,  und  angrenzende  Teile 
der  Oberpfalz  dargestellt  Ein  Blick  lehrt,  wie  hier  der  Wald  voll- 
ständig dominiert,  besonders  in  den  höheren,  nahe  der  Landesgrenze 
sich  erstreckenden  Teilen  des  Waldgebirgs;  man  vermöchte  hier,  in 
der  Richtung  von  NW.  zu  SO.  oder  unigekehrt,  mit  wenigen  Unter- 
brechungen auf  einer  Erstreckung  von  100  km  in  Wald  zu  gehen, 
während  die  mittlere  Entfernung  von  der  Landesgrenze  bis  zur 
Donau  etwa  40  km  betrafen  mag.  Das  Verhältnis  der  bewaldeten 
Flache  znr  Gesamtfläche  des  hier  dargestellten  Gebiets  in  Ziffern 
anzugeben,  dazu  fehlt  ans  leider  das  Material^).  Im  Gegensatz  zum 
Spessart,  wo  der  Staatswald  ttberwiegt^),  herrscht  in  dem  Teil  des 
bayrischen  Wäldes,  welcher  zwischen  der  Donau  nnd  den  nordöst- 
lichen Staatswaldungen  jener  drei  Forstnmter  gelegen,  der  Privat- 
wald  Tor,  in  ihm  überwiegt  der  mittlere  und  Klein  -  Besitz. 
Wahrend  z.  B.  im  Spes^^art  das  Laubholz  vorherrscht,  nimmt  in  den 
Staats  Waldungen  des  bajrischeu  Waldes  der  gemischte  Bestand  den 
breitesten  Raum  ein. 

Die  Bodenformation  begünstigte  den  Wald,  welcher  nur  hie  und 
da  in  senkrecht  emporragendem  Gestein  oder  Felsgeklüft  ein 
Hindernis  der  Ausbreitung  fand.  Unter  der  Herrschaft  des  Krumm- 
stabes —  der  Bischöfe  von  Passau  —  beschäftigte  der  Wald  Holz- 
arbeiter nnd  rief  Qlashflttenbetrieb  ins  Leben;   eine  landwirt- 

*)  In  der  1861  zu  Hegensbnrg  erschienenen  Schrift:  Der  Bayerwaid,  von 
H.  Reder,  heifst  es:  „Die  Fläche  des  Waldes  im  engeren  Sinne,  wenn  man  ihn 
auf  das  Urgebirge  beschr&nkt,  betiigt  1 349  183  bayrische  Tagwerke  oder  83,« 
□  Meilen,  im  woitti«D,Tim  Chamb  nad  Regen  begrenst  1488688  bayr.  Tagwerk 
odflff  91|t«  Q]l«il0&  tad  todlieh  bei  AnadehBung  dar  Qrensiii  aber  Cham, 
Nanbin,  Bodenwehr,  Scbwaiidorf  «ad  Regensbturg  1709988^  bayr.  Tagwerke 
oder  181  □Meilen.  Auf  die  mittlere  Qeiamtflficbe  treffen: 


sonsM^h  43,17  °/o.  Ob  diese  Angaben  damals  genau,  ob  sie  noch  jetzt  emiger- 
maben  stttreffen,  kann  Yerikaser  nicht  beurteilen. 

Vgl  Baad  IV.  S.  8  dieser  Zeitsehr.  imd  die  daielbit  beigegebene  Karte. 


Wald  . 
Äcker  . 
Wiesen 


88,t«  OMeaeii, 


Ödnngen  und  Weide 

Gewässer  


yui^L-vj  cy  Google 


schaftliche  Benutzung:  des  Bodens  folc^te  wohl  erst  später,  auf 
dem  gerodeteü  Boden  des  Waldes  und  zwar  vorzugsweise  auf 
niedrigen  Anhöhen  entstanden  die  Märkte,  deren  Nameoseodimg 
noch  vielfach  an  ihren  Ursprung^erinnert. 

Der  Verkehr  zwischen  Bayern  und  Böhmen  bewegte  sich  im 
Korden  durch  jene  Tom  Ghamhach  durchflossene  fdOBeDkong,  im  Süden 
zu  Ältester  Zeit  adf  mitten  durch  den  Wald  geUBhrten  Sanmwegen,  wie 
jener  »goldene  Steig*  von  Paseau  nach  Prachndiz  in  Böhmen.  Spiter 
wurde  von  Deggendorf  über  Regen  nnd  Zwiceel  eine  Strafee  ins 
Böhmisehe  gefuhrt;  an  ihre  Stdle  als  Verkehrsyennittlerin  trat 
in  unserer  Zeit  die  in  kunstvollen  Bauten  aus  dem  Donauthal  zum 
Gebirge  aufsteif?ende  bayrische  Waldbahn.  Das  Urgebirge  bot  keine 
Ausbeute  an  Edel-  oder  Nutzmetalleu.  So  ist  denn  die  Bevölkerung 
im  Verhältnis  zur  Fläche  eine  spärliche  geblieben,  wenn  sie  auch, 
den  jetzigen  geringen  Erwerbsquellen  gegenüber,  sich  an  manchen 
Punkten  als  zu  zahlreich  erweist.  St&dtische  Verkehrscentren 
finden  wir  im  bayrischen  Walde  nicht,  wenn  auch  Grafenau  (mit 
1164  £inw.)  eine  Stadt  ist  Die  Aufgabe  der  Städte  übernehmen 
im  Walde  die  Mftrkte  (Zwiesel  u.  a.)  Die  Stftdte  Cham  und  Furth,  jede 
mit  3000  Einw«,  Mittelpunkte  des  Holzhandels,  gehören  zur  Oberp&lz. 
Die  Torm  Wald  belegenen  Stftdte  haben  Kegensbnrg  34500,  Passau 
15  300,  Straubing  12  600  und  Deggendorf  6200  Einwohner.  Die 
Erschliefsung  neuer  Erwerbsquellen  ist  au  eine  groisere  Zugäng- 
lichkeit  des  Waldes  für  den  Verkehr  gebunden.  Erst  \Yenn  die 
projektirte  Südnordbahn  von  Passau  durch  das  Waldgebirge  nach 
Zwiesel  zur  Ausführung  kommt,  werden  die  in  den  zahlreichen  Ge* 
wässern  des  Gebirgs  vorhaudeueu  Wasserkräfte,  neben  ihrer 
Benutzung  als  »Triftbäche^,  voll  und  ganz  von  der  Industrie  ver- 
wertet werden  können. 

Das  quellenreiche  Waldgebirge  nfthrt  zwei  Flufssjftkme^  das 
des  bei  Regensburg  mandenden  Regens  und,  von  ihm  durch  den  Rinch- 
nacher  Hochwald  als  Wasserscheide  getrennt,  das  der  bei  Passau  sich 
in  die  Donau  ergiefsenden  Dz ;  die  zu  den  beiden  Flflssen  strömenden 
Nebengewässer  durchziehen  das  Gebirge  in  allen  Richtungen,  welches 
so  als  eines  der  am  besten  bewässerten  in  Deutschland  erscheint. 
Der  frühere  Reiclilum  vieler  dieser  Gewässer,  (der  sogenannten  Perl- 
bäche) an  Flursi)erhmischoln  ist  j^rofsentheils  duixh  schlechte  Bewirt- 
schaftung erschöpft,  da  es  an  einer  Handhabe  zu  staatlicher  Oberaufsicht, 
wie  sie  sich  bei  den  Perlgewässern  des  sächsischen  Vogtlandes  bewährt 
hat,  fehlte  uUd  fehlt.  Der  landschaftliche  Gesamtcharakter  des 
Waldgebirges  ist  vorwiegend  ein  ernster,  ja  steUenweise  ein  düsterer. 
So  tritt  er  uns  namentlieh  entgegen,  wenn  whr  im  sadöstliehen 


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—  5  — 

Teil  des  Waldes  von  dem  mit  gewaltigen  Feist rüramern  bedeckten 
Plateau  dea  Dreisesselgebirges  auf  das  uns  umgebende  nur  hie  und 
da  durch  einen  hellgrünen  Wiesen-  oder  Ackerfleck,  ein  Dorf  oder  Kircb- 
lein  unterbrochene  Waldesdunkel  hinabscbauen.  Reich  ist  der  Blick  von 
der  höchsten  Knppe  des  Gebirges,  dem  malerisch  geformten  »grofsea 
Arber*,  sowohl  anf  die  alpenartige  nächste  ümgeaung,  wie  auf  die 
durch  Bodenionnation,  Kultur  und  Besiedelung  mannigfach  geglie- 
derte Landschaft  Von  allen  bedeutenderen  Höhen  bietet  sich  in 
gröfserer  oder  geringerer  Entfernung  das  Donauthal  als  wirkungs- 
voller malerischer  Abschlufs  des  Landschaftsbildes.  Die  zahlreichen 
Seen  des  höheren  Gebirges,  in  deren  Fläche  sich  der  umgebende 
Schwarz wald  wiederspiegelt,  tragen  durch  ihre  dunkle  Färbung  zu 
dem  ernsten  Charakter  der  Landschaft  bei,  die  uns  Adalbert  Stifter, 
selbst  ein  Kind  des  Böhmer  Waldes,  in  unübertrefflichen  Schilderungen 
gemalt  hat.  Jene  braune  Farbe  der  Gewässer  des  Waldes,  die  sich 
selbst  darin  aahlreich  lebenden  Fischen  z.  B.  den  bräunlich  ge- 
färbten Forellen  mitzuteilen  sdieinti  rOhrt  nach  GUmbel  daher,  dals  das 
Wasser,  indem  es  Ober  sich  zersetzendes  alkalihaltiges  Gestein  flieÜBi, 
Alkali  aufnimmt  und  dadurch  die  Fähigkeit  gewinnt,  in  Berührung 
mit  dem  Humus  des  Waldes  oder  dem  Torf  der  zahlreichen  Lohen 
(Moore)  huiiiösc  Bestandteile  von  brauner  Faibe  aufzulösen  und  mit 
sich  zu  nehmen. 

Wenn  auch,  ungleich  anderen  Gebirgen,  der  bayrische  Wald 
an  auf  engem  Räume  sich  bietenden  malerischen  Gegeusätzen  nicht 
eben  reich  und  wohl  daher  die  geringere  Anziehungskraft  gegenüber 
dem  Tonristen  zu  erklären  ist,  so  gehören  doch  die  von  schäumenden 
Waldb&chen  durchrauschten  Wald-  und  Felsenschluchten  der  Bären- 
steiner Leite  bei  Grafenau,  der  Buchberger  Leite  bei  Freiung  und 
die  Yon  Hochwald  eingelafeten  BilslochiUle  am  grolsen  Arber  zu 
den  Perlen  mitteleuropäischer  Landschaft  Das  sich  wie  ein  von 
Wellen  bewegtes  Meer  in  Kuppen  und  Th&lem  hebende  und  senkende 
dunkelgrüne  Waldgebirge  trägt  freilich  in  gewissem  Grade  den 
Charakter  landschaftlicher  Einförmigkeit,  während  der  „Vor- 
wald", die  Gegend  zwischen  dem  Donaugelände  nud  jenem  hinteren 
oder  inneren  Wald,  in  reicher  Abwechslung  ein  freundliches  Land* 
schaftsbild  darbietet:  auf  dem  vielfach  gewellten  Terrain  wird  das 
Einerlei  der  Felder  durch  zahlreiche  Dörfer,  Weiler  und  Einödhöfe, 
hie  und  da  Märkte,  sowie  durch  gröFsere  und  kleinere  Laub-  und 
Kadelholzbestände  unterbrochen.  Nicht  selten  ragt  auch  auf  einer 
bedeutenden  Höhe  ein  altes  Schlofs,  ehedem  der  Sitz  adeliger  Herren 
oder  FOrstbischOflicher  Pfleger,  jetzt,  wie  jene  Engiburg  der  Ritter 
Schwarzensteiner  und  Fflrsteneck,  ein  Braubaus  und  Touristen- 


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herberge,  oder,  wie  Fürstenstein,  die  einstige  Burg  der  edlen  Grafen 
von  Hals,  wohltatigen  Zwecken  gewidmet.  Gute  Strafsen  erleichtem 
wenigi^tens  im  Vorwald  den  Verkehr,  der  im  mittleren  Wald  in 
Deggendorf,  im  (weiter  Donau  abw&rts  gelegenen)  unteren  Wald  in 
Passau  seineu  Mittelpunkt  findet. 

Eines  absouderlichen  Zuges  in  den  Landschaften  des  bayrischen 
Waldes  sei  hier  noch  besonders  gedacht,  es  ist  fler  Qnanfels  des 
Pfiahls,  welcher,  der  Richtung  des  Gebirgikammes  folgend,  auf 
eine  Lioge  von  160  km  durch  den  imttlmn  Teil  des  Wald- 
gebirges sich  erstreckt  und  besonders  in  dem  Feisensddofs  Thierl- 
stein  bei  Cham,  in  den  weifsen  vielfach  aasgesackten  Feisklippea  bei 
dem  Wallfahrtskirchlein  von  St.  Anton  in  Viechtach  und  in  male* 
rischeu  Burgruiue  Weilsenstein  bei  Begeu  zu  Tage  tritt. 

Forstliche  Verhältnisse. 

«Obwohl  In  den  Teilen  des  im  Regierungsbezirke  Ton  Nieder- 
hayem  gelegenen  bayrischen  Waldes,  welche  yon  jeher  Holz  zum 
Betriebe  der  Glashatten  geliefert  haben,  schon  im  Beginn  dieses 
Jahrhunderts  ein  mehr  oder  minder  regetanäbiger  Schlagbetrieb, 
freilich  auch  Kahlhiebe  geführt  wurden,  so  hat  man  doch  in  den 
abgelegenen  Waldteilen,  namentlich  in  den  Hochlagen,  1000  bis 
1200  m  ü.  M.,  den  früher  allein  üblichen  und  möglichen  regel- 
mafsigen  Plftnterbetrieb*)  bis  in  die  neueste  Zeit  beibehalten.  Diese 
Betriebsweise  wurde  teils  durch  die  aufserordentlich  ungünstige 
Lage  des  bayrischen  Waldes  für  den  Holzhandel,  —  im  Osten,  in 
Böhmen  setzt  sich  das  grofse  holzreiche  Wald  gebiet  fort  —  teils 
durch  den  Mangel  an  guten  Verkehrswegen  bedingt,  teils  endlich 
durch  die  herrschenden  Holzarten  begünstigt.  Die  Hauptholzarten 
sind  Fichte,  Weifstanne  und  Buche,  welche  in  mehr  oder  minder 
gleichmä&tger  Mischung,  nicht  selten  auch,  wie  s.  B.  die  Fichte  in 
den  sogenannten  Auen  und  auf  den  Hochlagen  ganz  rein  vor- 
kommen. Diesen  gesellt  sich  noch  die  Föhre  und  in  sehr  schönen 
wnchskrftftigen  Exemplaren  der  Ahorn,  seltener  die  Esche  und  Ulme 

")  Ein  Pläntorwald  nUlt  auch  dem  Unkundigen,  sobald  er  sich  einmal 
daran  gewöhnt  hat,  in  den  regelrecht  bewirtschafteten  Pesfänden  eine  gewisse 
Gleichmäfsigkeit  zu  sehen,  dadurch  leicht  auf,  dafs  er  eben  dieser  Gloich- 
mäfsigkeit  seiner  Zusammensetzung  entbehrt,  im  Gegenteil,  auch  wenn  er  ein 
ungemischter,  ein  zerrissenes  Durcheinander  von  Bäumen  aller  Altersklassen 
und  in  den  Tenchiedensten  Abstafongen  des  Schlusses  ist  Diese  Beschaffen- 
heit  erUOt  d«r  Plfiatonnild  dadveh,  dafii  nicht  nach  einer  gewiBMn  Fttchen- 
feihenfolge  (8ch1agwirt8eliaft)i  londern  nach  Bedfirfkiis  bald  hier  bald  dort 
Knme  heranageacblagen  werden,  iraa  man  «plinleni*  nennt  (BobmSlsler,  der 
Wald,  beraosgegeben  von  M.  WiHkomm.  8.  661.) 


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—  7  — 

bei.  In  den  Privatwaldungen  der  Vorber^je  des  oberen  bayrischen 
Waldes  —  Forstamt  Zwiesel  —  ist  die  Birke  die  herrschende  Holz- 
art und  es  wird  dort  schon  seit  Jahrhunderten  die  sogenannte 
BirkenberRswirtschaft  betrieben,  deren  Wesen  darin  besteht,  dafs 
der  Birkenbestand  im  Alter  von  etwa  30  Jahren  bis  auf  einige 
Samenbäume  auf  den  Hektar  abgetrieben,  die  Fläche  mit  der  Hacke 
zur  Aussaat  mit  Korn  vorbereitet  und  eingesäet  und  einige  Jahre 
bindnreh  nach  der  Ernte  des  Korns  als  Viehweide  benutzt  wird,  bis 
die  angeflogenen  Birken  wiedeor  hiebreif  sind,  worauf  sich  das  ganze 
Verfahren  wiederholt  Weiter  unten  teilen  wir  näheres  über  diese 
merkwürdige  Verbindung  von  Land-  und  Waldwirtschaft  mit 

In  den  geschonten  Staatswaldungen  bilden  Fichten,  Tannen 
und  Buchen  Bestände  von  seltener  unübertrefflicher  Schönheit  und 
einer  anderweit  in  Deutschland  uiclit  vorkommenden  Eigenartigkeit, 
denn  trotz  der  Durchlichtunj?  der  Waldungen  iufol^'e  heftiger 
Stürme  sind  Haubarkeitserträge  von  800  bis  1000  Ster^)  für  den 
Hektar  bei  120-  bis  150jährigem  Alter  durchaus  nicht  gelten  und  in 
vielen  Waldteilen  finden  sich  noch  zahlreiche  St&mme  von  30  bis  40  m 
Höhe  und  einem  Kubikinhalt  von  30  bis  40  Ster;  eine  der  stftricsten 
im  Jahre  1881  gemessenen  Tannen  hatte  folgende  Mafse:  5,io  m 
Umfang  auf  Brusthohe,  1^  m  Durchmesser,  49  m  Höhe,  50,?t 
Kubikmeter  =  66  Ster  Masseninbalt  Diese  großartigen  alten 
Bestände,  mit  den  schon  vor  vielen  Jahren  zu  Boden  gestreckten 
faulenden  Riesenstämnien,  —  sogenannten  Bauen  —  und  ihren 
kolossalen  zum  Himmel  anstrebenden  Schäften  machen  auf  den  Be- 
schauer noch  den  Eindruck  eines  Urwaldes.®) 

Die  Jahreserträge  der  Jahresreiheu  1870 — 80  können  nicht  als 
normale  angesehen  werden,  da  die  Windbruch-  und  Borkenkäfer- 
kalamität der  Jahre  1868  und  1870  noch  viele  Jahre  nachher  fon- 

Dlller  Ster  ventebt  man  die  bei  Seheithols  in  den  Bammnluilt  eioee 
Knbiknietete  eiogeechliehtete  solide  BolnoMse  und  viid  diese  Hasse  in  Bajem 

als  Bechnangseinheit  Ar  alle  Hokmassen  und  Holzertrige  m  Grunde  gelegt 
Man  nimmt  1  Festmctor  =  Raummeter  i  Ster)  oderl  Ster  =  O^n  Festmetsr  an. 
(Wiederholt  aas  Band  IV.  S.  4  dieser  Zeitschrift). 

*)  Solche  urwaldliche  Partien  sah  ich  in  den  nahe  dem  Dreisesselgebirge 
belegenen  Revieren  Bischofsreut  und  Duschlberg,  in  den  Waldorten  Bärenfibs 
und  Rahnenau,  dem  Quellgebiet  der  kalten  Moldau.  In  dem  15  km  von 
Bischofsreut,  bei  Eleonorenhain,  im  Böhmischen  gelegenen  Revier  ^.Schattawa* 
findet  sich  ein  Urwald,  ,in  welchem",  wie  mhr  ein  Forstmann  Ton  dort  her 
achreibt,  .die  vor  12  Jahren  gestorbenen  B&nme  ToUsttndig  in  ihien  Skeletten 
erhalten  sind  nnd  gespensterhaft  ihre  darren  iste  in  die  Lnft  recken.  Anf 
Stänunen,  die  der  Stnrm  niederwarf,  ezsprolMe  nenes  Leben  und  die  Jungen 
hochaufgeschosaenea  Blnme  omfinsen  die  todt  danuederiieg^dea  mit  ihren 
WwaehL*  M.  L. 


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gewirkt  bat  wid  ein  regdmäfoigw  Betrieb  wftbrend  dieser  Zeit  toU- 
stftndig  attsgescUossen  war.  Der  Anfall  an  Windwarfmateriai  be- 
trug in  den   Staatswaldungen  in  den  Jahren  1888  nnd  1870 

2  700  000  Ster.  So  grofse  Holzmeugeu  konnten  trotz  bedeuLeuder 
Vermehrung  der  Arbeitskräfte  —  auch  italienische  Arbeiter  wurden 
herbeigezogen  —  nur  langsam  aufgearbeitet  werden  und  so  trat  als 
weitere  Folge  dieser  enormen  Waldschäden  der  Borkenkäfer  in 
ganzen  Schwärmen  auf;  derFrafs  dieses  Käfers  vermehrte  den  üolz- 
anfall  noch  bedeutend.  Diese  ungeheuren  Holzmasaen  worden  ent- 
weder als  Blochholz,  (sogenannte  HollaDderblöcher  von  3  m  L&nge), 
oder  als  Scheitbolz  aufgearbeitet  und  mittelst  Trift  tbeils  auf  dem 
Regen  nadi  Begensbnrg,  tbeils  auf  der  Dz  nnd  ihren  Nebenbacfaen 
nach  Passau  befördert 

Die  jetzigen  Staatswaldungen  des  bajyrisdien  Waldes  waren  in 
früherer  Zeit  in  verschiedenen  Händen.  Der  sogenannte  untere 
Wald,  welcher  das  Forstami  Wolfstein  in  sich  begreift,  war  Eigen- 
tum der  Fürstbischöfe  von  Passau;  nach  dem  Lüneviller  Frieden, 
1801,  und  dem  Reichsdeputationshauptschlufs  von  1803  kam  er  an 
die  Krone  Bayern;  im  Yolksmuud  heilst  es  von  ihm  noch  heute: 
„im  Bischöflichen.^ 

Der  sogenannte  mittlere  Wald  war  ursprünglich  gröfstenteils 
im  Besitz  des  bayrischen  Staates.  Er  wurde  im  ersten  Viertel 
dieses  Jahrhunderts  —  1811  und  1820  —  an  die  GhLshattenbeeitzer 
in  Schönau,  Riedlbfltte  und  Elingenbruim  gegen  Aufgabe  der  mit 
diesen  Glasbfltten  yerbundenen  sehr  bedeutenden  Forstrecbte  abge> 
treten,  später  jedoch,  1832  nnd  1883,  Tom  bayrischen  Staat  wieder 
zurückgekauft  und  zwar  zu  dem  Preise  von  durchschnittlich 
16  ti.  3  Kreuzer  für  das  bayrische  Tagewerk  (=  */s  ha).  Bei  der 
Säkularisation  der  Propstei  St.  Oswald  wurden  1107  Tagewerk  dem 
Revier  St.  Oswald  zugeschlagen. 

Der  obere  Wald  —  das  Forstamt  Zwiesel,  —  war  zum  gröfsten 
Teil  immer  im  Besitz  des  bayrischen  Staats,  abgesehen  von  nicht 
unbedeatenden  Flächen,  welche  für  Ablösung  von  Forstrechten  ab- 
getreten wurden,  Hafenbrödl  bei  Eisenstein,  Kyssling  bei  Rabenstein, 
von  Privatwaldungen  zur  Ärrondierung. 

Zur  Beurteilung  der  Ertragsüahigkeit  der  Staatswaldnngen  des 
bayrischen  Waldes  darften  folgende  Zahlen  aus  dem  ziemlich  nor- 
malen Jahre  1880  dienen :  die  inroduktive  StaatswaMflftdie  der  Forst- 
ämter Schönberg,  Wolfstein  und  Z wieset)  beträgt  43714  ha  mit 

Also  des  bayrischen  Waldes  nach  dflUl*  engeren  Begriff ;  in  weiterem 
Begriff  gehören  noch  660  ha  Staatswalflongen  vom  K.  Forstrevier  Passau  II. 
(linkes  Donaaofer)  binzo.  Wenn  A.  Bernhardt  in  seiner  Forststatistik  i)eiatach- 


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eineiD  jfthrlichen  Holzanfall  von  232950  Ster«  wovon  etwa  ddVoals 
Nutzholz  aller  Art  und  65<^/o  als  Brennholz  Terkaoft  werden.  Die 
Bmttoeinnahme  in  Gelde  aus  diesem  Anfall  beziffert  sich  auf 
1066500  Jk;  sie  würde  einen  höheren  Betrag  erreichen,  wenn  nicht 
ein  Teil  des  jährlichen  Holzanfalls  an  die  Forstberechtigten  unent- 
geltlich abgegeben  werden  müfste.  Wenn  wir  die  produktive  Staats- 
waldflilche  zu  44374  ha  (einschliefslich  660  ha  im  Revier  Passaii  II.) 
annehmen,  so  dürfte  sich  dieselbe  auf  die  einzelnen  Hols'  und  Be- 
triebsarten wie  folgt  verteilen: 

a.  35  **/o  Nadelholz  —  Fichten  und  Tannen—  im  Hochwald- 
und  Fehmelschlag  (Planterbetrieb),  der  in  den  Hochlagen  —  etwa 
1000  m  —  in  den  regelmafsigeu  Plänterwaldbetrieb  tibergeht. 

b.  65  ^/o  gemischtes  Laub-  und  Nadelholz  im  Hochwald*  und 
Fehmelsdilagbetrieb. 

c.  10  ^/o  Laubholz  ebenso. 

(Bei  diesen,  wie  bei  einigen  weiter  unten  angeftthrten  Zahlen 

ist  zu  betonen,  dafs  sie  auf  sacbverstAndiger  Schätzung  beruhen  und 

daher  auch  auf  absolute  Genauigkeit  keinen  Anspruch  machen.) 

"Weit  bedeutender  ist  die  produktive  Privatwaldfläche  in  den 
drei  Forstämtern :  sie  beträgt  117  357  ha,  hierzu  im.  Bevier  Passau  IL 
17883  ha. 

Verschwindend  gering  ist  dagegen  die  produktive  Fläche  der 
Gemeinde-,  Stiftungs-  und  Körperschaftswaldungen;  dieselbe  beträgt 
nur  2139  ha  und  im  Revier  Passau  II.  249  ha.  Unter  Körperschafts- 
oder Korporationswaldungen  sind  solche  Waldungen  zu  verstehen, 
welche  nicht  der  ganzen,  sondern  nur  einem  Teil  der  politischen 
Gemeinde,  z.  B.  den  Alteingesessenen,  mit  Ausschluß  der  sogenannten 
Hintersassen,  gehören. 

"Ober  die  Bewirtschaftung  und  Erträge  der  nicht  dem  Staat 
gehörenden  Waldungen  hat  nichts  ermittelt  werden  können. 

Dem  Grofsbesitz  gehören  in  den  drei  Forstänitern  (Passau  IL 
hat  keine  solche  Waldungen)  etwa  10110  ha  an.  Demnach  bildet 
der  Grofsbesitz  kaum  */i2  der  Gesamtfläche  der  Privatwaldungen 
der  drei  Forstämter.  Der  Grofsbesitz  verteilt  sich  wie  folgt:  1.  Fürst 
Hohenzollern  bei  bayrisch  Eisenstein  etwa  3000  ha.  2.  Die  Familie 
T.  Poechinger  etwa  10000  ha  zwischen  den  Bevieren  Zwiesel  und 


lands,  Berlin  1B72,  auf  Seite  122  die  bestockte  StaatswaldflSche  des  iMyraehen 
Waldes  ftiif  74370  ha  angiebt,  so  hat  er  wahrscheinlich  auch  noch  Waldongeil 

des  Refriernngsbczirks  Oberpfalz  —  Waldmünchen,  Cliam,  Roding,  Nittenaa  — 
dazu  gerechnet  und  somit  den  Begriff  .bayrischer  Wald"  sehr  weit  und  will- 
kürlich gefafst;  denn  z.  B,  die  Waldungen  bei  und  um  Nittenau  gehören  weder 
lA  Beaebn&g  auf  Boden  noch  auf  Klima  zum  eigentlichen  bayrischen  Walde. 


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—  10  — 

KUngenbninn  (die  Faltostein-  und  die  RftchelbftngB).  3.  Graf  Ton 
Bray  anf  dem  sogeoanntoo  Breitenau  etwa  lOUO— 1200  ha  und 
4.  Gutsbesitzer  Hots  bei  Manth. 

Was  die  Zahl  und  Gröfeenverhältnisse  der  Omeinde',  StiftungB- 
und  KSrpenchaftiwälätmgm  betrifft,  so  sind  in  den  drei  Forste 
amtem  und  Passen  IL  48  Gemeinden  und  85  Stiftungen  WaldbesiUer 
und  zwar  besitzen  34  Gemeinden  Yon  1  bis  16  ha,  7  Gemeinden  17 
bis  33  ha,  6  Gemeinden  von  34  bis  170  ha,  eine  Gemeinde  über 
400  ha.  78  Stiftungen  besitzen  von  1  bis  16  ha,  5  Stiftungen  von 
17  bis  33  ha,  2  Stiftungen  von  34  bis  170  ha. 

Die  beistehende  Karte,  bearbeitet  nach  einem  zu  dem  Zweck 
gütigst  von  dem  Königlichen  Ministerialforstbüreau  in  München  zu 
dem  Zweck  zur  Verführung  gestellten  Ausschnitt  der  amtlichen  ^forst- 
lichen Übersichtskarte''  des  Königreichs  Bayern,  veraiiscbaulicht  die 
Lage  und  den  Umfang  der  Staats-,  Gemeinde-,  Körperschafts-,  der 
Privat-  und  der  Stiftungswaldungen,  sie  unterscheidet  bezüglich  der 
Staatswaldungen  die  reinen  Nadelholzbestande  von  den  aus  Laub- 
und Nadelholz  gemischten  und  zwar  umfafst  die  Karte  auch  die  an- 
grenzenden Theile  des  Regierungsbezirks  Oberpfalz. 

Von  den  Revieren  des  Forstamtsbezirks  Cham  liegen  nämlich, 
laut  gefälliger  Mitteilung  des  Herrn  Forstmeisters  Ullmann  in  Cham, 
die  folgenden  Reviere  im  Grenzgebiete  des  bayrisch« böhmischen 
Waldgebirges: 

1.  im  ndrdtiehen  bayriseh-böhmischen  Grenzgebiet  nördlich  von 
der  ;,die  Chamaner  Furche'  genannten  Eintiefnng  die  ReTiere: 

Waldmflnchen  L  mit  2405  ba  Staatswaldungen, 

.  n.  ,  1975  , 
RÄtz  »  1805  , 
Cham  ,   1010  „  „  ^ 

Im  ganzen  7195  ha  Staatswaldungen. 
Davon  sind  352  ha  vorherrschend  mit  Laubholz,  246  ha  vorherrschend 
mit  Nadelholz,  368  ha  mit  Laub-  und  Nadelholz  in  fast  gleicher 
Mischung  und  6224  ha  nur  mit  Nadelholz  bestockt.  Die  mit  Laub- 
holz gemischten  Bestände  beschränken  sich  auf  die  Reviere  Wald- 
münchen I.  und  Waldmünchen  II.  Zwar  treten  Buche,  Ahorn,  Ulme 
und  andere  Laubbaume  auch  in  den  Revieren  Cham  und  Bötz  auf, 
doch  ist  deren  Beimischung  gering  Der  Stolz  des  Forstmanns  sind 
die  Tannenbestände  des  Sonnhofer  Bergs  (Waldmünchen  II.)  in  der 
Höhe  von  700  m  ü.  M.,  Stamme  bis  d3  m  Lange  mit  einem  jähr- 
lichen Schafe  von  20^30  cm;  der  flppige  Waldboden  macht  Pflan- 
zungen hier  entbehrlich. 

2,  Im  sOdlichen  Grenzgebiet  (sftdlidi  ton  der  genannten  Forche) 


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—  11  — 

nnd  zwar  auf  dem  Höhenzuge  zwischen  dem  Regen  aod  der 
Donau,  das  Revier  Walderbach  mit  698  ha  Staatswaldungen,  unter 
sehr  geringen  Aasnahmen  durch  stellenweise  Beimischung  der  Bnche, 
aus  Nadelholz,  hauptsftchlich  Fichten  und  Tannen  bestehend.  Femer 
die  Reviere  Strahlfeld  mit  1813  ha  und  Roding  mit  1736  ha  Staats- 
waldungen; sie  gehören  zum  Yorhügelland  des  bayrisch-böhmischen 
Waldgebirges  und  werdeu  im  Westen  von  der  Bodenwöhrer  Bucht 
bej^renzt;  sie  weisen  nur  Nadelholzbest&nde,  in  der  Hauptsache 
Föhren  auf.  Auch  in  den  Waldungen  der  Oberpfalz  überwiegt  bei 
weitem  der  Privatwald,  die  Fläche  der  Staatswaldungen  ist  etwas 
über  V«  so  grofs  wie  die  der  Privat  Waldungen,  die  Gemeinde-  und 
Stiftungswaldungen  bilden  nur  etwa  V20  der  gesamten  Waldfläche, 
Die  gröfsten  zusammenhängenden  Waldungen  der  Oberpfalz  sind  an 
der  böhmischen  Grenze  der  Brucker  und  der  Dachsrödener  Forst 
Die  Karte  zeigt  uns,  dafs  die  stärkste  Bewaldung  in  den  höheren 
Lagen  des  Oebirgs  auf  und  nahe  dem  Hauptkamm  l&ngs  der  Landes- 
grenze stattfindet  und  zwar  teilt  sich  hier  der  Besitz  zwischen  dem 
Staat  und  einzelnen  Grofsgrundbesitzem,  namentlich  dem  Herrn 
von  Poschinger  auf  Frauenau  und  dem  Fürsten  von  Hohenzollern, 
jedoch  gehört  der  gröfsere  Teil  dieser  Waldungen  im  Zusammenhange 
dem  Staat;  die  gemischten  Bestände  überwiegen  etwas.  Gröfsere 
Komplexe  Privatwaldunjjen  finden  sich  in  einem  von  der  Eisenbahn 
durchschnittenen  Gebiet  nördlich  von  Deggendorf.  Die  Privat- 
waldungen sind  im  westlichen  Teil  des  bayrischen  Waldes  zahlreicher 
und  weniger  zersplittert  als  im  östlichen  Teil,  wo  Äcker  und  Wiesen 
vorherrschen. 

Im  bayrischen  Waldgebirge,  dessen  mittlere  Höhe  auf  etwa 
600  m  veranschlagt  wird,  wahrend  die  höchste  Erhebung  (gro&er 
Arber)  1453  m  beträgt,  erreicht  der  Fichtenwald  nirgends  seine  ver- 
tikale Vegetatiomgreme,  welche  in  Mitteleuropa  bei  2000  in  beginnt. 
Die  Buche  steht  in  reinen  oder  ^^einischten  Beständen  bis  in  Höhen 
von  1200  m,  in  besonders  günstigen  Lagen  auch  noch  etwas  höher, 
die  Tanne  übersteigt  dagegen  die  Höhe  von  1000  ni  nur  in  ge- 
schützten Lagen.  Die  West-  und  Südwestseite  ist  für  die  Expo- 
sition der  Fichte  am  günstigsten ;  bei  den  austrocknenden  Ostwinden 
mufs,  bei  einer  Exposition  nach  Osten  und  Norden,  die  Lage  eine 
geschätzte  sein,  wenn  der  Baum  gedeihen  soll.  Die  Tanne  sucht, 
bei  ihren  grdfseren  Anforderungen  an  die  Gunst  des  Klimas,  im 
bayrischen  Wald,  namentlich  mit  zunehmender  Höhe,  die  südliche 

Nach  V.  Gümbels  geologischer  Skizze  des  bayr,  Waldes  Band  VI.  S.  25 
dieser  Zeitschrift.  Für  das  Gebiet  des  Staatswaldes  im  Gebirge  dürften  aU 
mittlere  Höbe  750 — 8ÜÜ  m  anzunehmen  sein. 


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—  12  — 

Exposition  oder  geschützte  Lagen  auf.  Die  Buche  zieht,  je  mehr 
sie  sich  der  Grenze  ihrer  Höhen  Verbreitung  nähert,  Südost-  und  Süd- 
seite vor«  im  Gegensatz  zu  ihrem  Verhalten  im  Flach-  und  Hügelland, 
wo  sie  der  grölseren  Feuchtigkeit  halber  auf  den  nördlichen  und 
nordöstlichen  Hängen  besser  gedeiht;  der  Grund  ftr  ersteres  Ver- 
halten liegt  offenbar  in  den  zusagenden  WftrmeyerbSltnissen  der 
bezeichneten  Lagen  im  bajnrischen  Wald,  der  bei  seiner  Höhe  durch 
seine  fast  beständig  feuchte  Atmosphäre  dem  Bedürfnis  nach  Frische 
in  jeder  Exposition  Genüge  zu  leisten  vermag. 

Der  Unterschied  in  der  Vegetationsgrenze,  je  nach  der  ge- 
schützten oder  ungeschützten  Lage  und  nach  der  Expositionsrichtung, 
lafst  sich  bei  der  Menge  der  mitwirkenden  Faktoren  zirternmäfsig 
nicht  angeben.  Jedoch  kann  man  sagen,  dafs  bei  besonders  gaostiger 
Lage  und  Exposition  die  oben  angegebene  Vegetationsgrenze  um 
100  m  überschritten  werden  kann.  In  den  höchst  gelegenen  Revieren 
tritt  der  Ahorn  nicht  mehr  in  grötiseren  Beständen  auf.* 

Eine  wichtige  Bolle  spielt  in  der  Waldwirtschaft  des  bayrischen 
Waldes  noch  heute,  trotz  der  Veränderungen  und  Verbesserungen 
der  Verkehrswege,  die  Trift,  Die  frühesten  Anf&nge  von  Triften  im 
bayrischen  Walde  datieren  aus  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts. Als  natürliche  Triftgewässer  boten  sich  im  unteren  Wald 
die  Hz,  im  oberen  der  Regen  mit  ihren  Armen,  Bachen  und  Zu- 
flüssen. Erst  durch  die  Trift  konnte  der  gewaltige  Holzreichtum 
des  unwegsamen  Wald'zebirges  einigermafsen  verwertet  werden.  Im 
17.  Jahrhundert,  wo  die  Forsten  des  unteren  bavrischen  Waldes  zum 
gröfsten  Teil  noch  unter  der  Landeshoheit  des  Hochstifts  Passau 
standen,  lieferten  die  Wol&teiner  Waldungen  ^  40000  Tagewerk 
i  ha  —  dem  Hochstift  Passau  jährlich  nur  16—17  Oulden  Rein- 
ertrag! Erst  in  diesem  Jahrhundert  wurde  von  der  bayrischen 
Staatsverwaltung,  nachdem  sie  die  Waldungen  des  Hochstifts  Passau 
übernommen  und  durch  Ankaufe  bedeutend  vermehrt  hatte,  die  Bser 
Trift  verbessert  und  durch  die  j^rofsen  Triftbauten  bei  Hals  unweit 
Passau  vervollständijjt.  Noch  in  den  letzten  Jahren  wurden  sehr 
bedeutende  Kanalneubauten  in  verschiedenen  Bevieren  des  Forstamts 
Wolfstein  ausgeführt. 

Von  dem  mit  Wald  bedeckten  hohen  Gebirgsrücken  längs  der 
Landesgrenze  gegen  Südwesten  gehen  vier  Seitenthaler  aus,  die  sich 
in  dem  Ilzthale  vereinigen.    Jedes  dieser  Th&ler  wird  von  einem 
triftbaren  Bache  durchströmt,  an  welchem  sogenannte  Klausen  und  - 
Schwellen  angebracht  sind. 

Wir  verzeichnen  hier  die  Haupttriftbäche  der  drei  Forstämter 
des  .  bayrischen  Waldes  (im  engeren  Sinne).  Im  Forstamt  Schönberg 


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—  18  — 

siud  es  die  kleine  und  grofse  Ohe  (mit  vier  Nebenbachen),  die 
Schwarzach  (mit  drei  einfliefscnden  Bächen),  sodann  die  Schönberger 
Uz  bis  zur  Vereinigung  mit  der  aus  dem  Forstamt  Wolfstein  kom- 
menden Wolfsteiner  Ohe  bei  Fürsteneck,  welche  Bäche  zusammen 
den  Ilzflufs  bilden. 

Triftbäche  des  Forstamts  Wolfstein  sind:  das  Reschwasser  mit 
dem  einmündenden  Scbwarzbache,  das  Teufels-  und  Sauswasser  mit 
zwei  Nebenbachen,  sowie  das  Osterwasser.  Diese  Bft€he  vereinigen 
sich  oberhalb  FOrsteneck  zur  Wolfeteiner  Ohe. 

Ein  bedeutendes  Werk  ist  die  Triftspenre  bei  Passan  (Azstadt). 
Das  Triftwasser  der  Hz  wird  durch  einen  400  Fofs  langen  Felsen- 
durchbrach  geleitet  und  so  eine  Schlangenwindung  der  Hz  von  fast 
dreiviertel  Stunden  Wegs  umgangen.  Das  getriftete  Holz  wird  von 
einem  schwimmenden  Rechen  aufgefangen  und  zur  Verladung  in  die 
Donaudampfer  gelagert.  In  den  letzten  Jahren  sind  im  Ilzgebiete 
durchschnittlich  jährlich  vertriftet  worden :  aus  Staatswaldungen  (der 
Forstämter  Wolfstein  und  Schönberg)  etwa  90 — 100000  Blöcher, 
gleich  30—40000  cbm  und  etwa  70—80  000  Ster  Brennholz  ;  aus 
Privatwaldungen  etwa  60— 70  000  Bldcber,  gleich  15— 20000  cbm 
und  7—8000  Ster  Brennholz. 

Ein  zweites  Trift^rstem  schafft  das  Fln&gebiet  des  Regens  im 
oberen  Wald,  welches  von  den  Wasserzflgen  des  unteren  Waldes, 
dem  nzgebiet,  durch  den  Rinchnacher  Hochwald  geschieden  ist 
Hanpttriftbftche  sind  hier  der  in  Böhmen  entspringende  schwarze 
oder  grofse  Regen  mit  zahlreichen  Nebenge  wassern,  sodann  der  dem 
kleinen  Arbersee  entlüefsende  weifse  Regen.  Durch  Uferschutzbauten, 
Räumung  der  Betten,  Schwellwerke  und  Klausen  sind  tlie  Nebenbäche 
für  die  Trift  besonders  eingerichtet,  auch  wurden  zwei  Triftkanale 
erbaut.  Das  Haupttriftwasser,  der  grofse  oder  schwarze  Regen, 
wurde  durch  Felsensprengungen,  Buhnen  und  Steindamme  korrigiert ; 
er  ist  von  Zwiesel  abwärts  flöfsbar.  Die  im  Jahre  1877  erfolgte 
Eröflbiing  der  bayrischen  Waldbahn  bewirkte,  wie  flberhaupt  in  den 
Verkehrsverh&ltnissen,  so  namentlich  auch  in  der  Trift  des  Begen- 
gebiets  erhebliche  Veränderungen.  Wie  die  Karte  zeigt,  durch- 
schneidet diese  Bahn  den  mittleren  Teil  des  Waldes  in  der  Richtung 
von  SW.  nach  NO.,  indem  sie  von  Deggendorf  an  der  Donau  über 
Zwiesel  nach  Eisenstein  zur  böhmischen  Grenze  und  weiter  zieht. 
Seitdem  wird  das  sogenannte  Blochholz  nur  bis  Bahnhof  Zwiesel  und 
Regen,  manchmal  auch  noch  bis  Cham  in  der  Oberpfalz  getriftet,  wo 
ebenfalls  eine  Bahn  ziemlich  in  der  Richtung  von  West  nach  Ost 
das  bayrische  mit  dem  böhmischen  Eisenbahnsystem  verbindet.  Auch 
das  Brennholz  wird  selten  weiter  als  bis  zum  Bahnhof  Zwiesel  ge« 


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—  14  — 

triftet  Stammlkolz  in  gebmideiien  FUSssen  und  Bretter  gehen  nnr 
noch  selten  snf  dem  Regen  hb  nach  Regensburg,  sie  werden  jetzt 
auf  der  Bahn  be{i5rdert.   Die  Sagemühlen  von  Regen  erhalten  aber 

noch  heute  ihren  Bedarf  an  Blochholz  mittelst  Trift.  Über  den 
IJmfanj?  der  Vertriftuiig  geben  foljjende  Zahlen  Auskunft:  aus  Staats- 
wahhiiiuen  des  Forstamts  Zwiesel  wurden  durchschnittlich  im  Jahr 
45—50  000  ister  Blücher,  gleich  15—17  000  cbm  und  25  000  Ster 
Brennholz  und  aus  Privatwaldungen  6 — 7000  Ster  Blöcher  and 
4000  Ster  Brennholz  vertriftet. 

Forstrechte.  SkudUche  Oberaufsicht  über  die  nicht  dem  Staat 
gehörenden  WMungeiik  Die  den  Gemeinden,  Kdrperachafteii  mid 
Privaten  an  den  Staatswaldnngen  zustehenden  Forstreehte  bestehen 
in  1)  gemessenen  resp.  ungemessenen  Rechten  Brennholz,  2)  unge- 
messenen Rechten  anf  Banhohs  aller  Art,  3)  Streu-  und  4)  Weide- 
rechten. In  neuerer  Zeit  ist  energisch  an  der  Ablösung  der  der 
Forstwirtschaft  schädlichen  Rechte  gearbeitet  worden,  doch  sind  die 
Forstberechtigungen  noch  ziemlich  bedeutend.  So  giebt  es  z.  B.  in 
dem  Revier  am  grofsen  Arber  113  Forstberechtigte;  die  Berechtigung 
besteht  in  einem  „fixierten"  (beschrankten)  Brennholz-  und  in  einem 
nicht-fixierten  Bauholzbezug  (der  letztere  erfolgt  nach  dem  Bedarf 
des  Berechtigten),  auch  Waldstren  kann  sich  der  Berechtigte  nach 
Bedarf  holen. 

Nach  dem  bayrischen  Forstgesetz  von  1862  steht  die  Bewirt- 
schaftung der  Gemeinde-  und  Stiftungswaldungen  unter  der  Ober- 
an&icht  der  Staatsregierung;  sie  soll  sich  anf  Wirtschaftsplftne,  die 
Yon  wissenschaftlich  gebildeten  Technikern  aufgestellt  und  aus- 
geführt werden,  erstrecken.  Die  Wahl  dieser  Techniker  steht  den 
Gemeinden  zu. 

Die  Privat  Waldungen  stehen  nur  insofern  unter  der  Oberauf- 
sicht der  Staatsregieruug,  als  sie  bezüglich  der  freien  Benutzung 
und  Bewirtschaftung  an  gewisse  forstpolizeiliche  Bestimmungen  ge- 
bunden sind.  Die  Besitzer  von  Privatwaldungen  dürfen  also  z.  B. 
Schutzwaldungen  weder  roden  noch  kahl  abtreiben,  im  übrigen  ist 
nur  die  Abschwendang,  also  eine  den  Fortbestand  des  Waldes  sofort 
und  unmittelbar  gefährdende  Handlung  verboten. 

Joifd,  Wüderer,  Was  die  Jagdverhältnisse  anbelangt,  so  sind 
dieselben  im  allgemeinen  durchaus  nicht  glänzend,  im  Gegenteil  ist 
dieser  grofse,  geschlossene  Wald  verhältnismäfsig  arm  an  Wild,  und 
ist  insbesondere  der  Unterschied  zwischen  dem  bayrischen  Hoch- 
gebirge mit  seinem  ausgezeichneten  Stande  an  Hochwild  — -  Hirschen 
und  Gemsen  —  und  dem  Walde  geradezu  überraschend.  Der  Wald 
im  weiteren  Sinne  beherbergt  nur  Rehwild  und  üasen,  Auer-,  Birk- 


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—  16  — 

und  Haselgeflügel,  sowie  Feldhühner  und  Schnepfen;  an  Raubzeug: 
Füchse,  Marder,  Fischottern,  Iltisse  und  Raubvögel  verschiedener  Art. 
Aber  auch  dieses  wenige  Wild  ist  nur  in  den  geschlossenen  Staatswald- 
komplexen in  bemerkenswerter  Zahl  zu  finden,  denn  nur  dort  ist  der 
Behstand  und  der  Stand  an  Auergeflügel  gut,  so  dafs  in  den  letzten 
Jahren  doch  durchschnittlich  etwa  300  Stück  Behböcke  und  50  Stück 
AnerhAhne  —  Hennen  werden  nicht  ge8chi>s8en  —  erlegt  werden 
konnten. 

Der  geringe  Wildstand  ist  Folge  tefls  antoordentlich  schnee- 
rdcher  Winter,  welche  dem  WUdstande  hftnfig  verhängnisvoll  werden, 
teils  nnd  vielleicht  noch  mehr  des  allgemein  verbreiteten  Wflderer- 

unwesens,  welches  Böhmen  und  Bayern  bandenweise  mit  selten  har- 
monischer Gesinnung  treiben.  Diesem  schrecklichen  Unwesen  fallen 
beinahe  jedes  Jahr  1 — 2  Personen  zum  Opfer ;  in  den  letzten  Jahren 
waren  die  Getöteten  beinahe  nur  Wilderer.  Ein  Zusammentreffen 
von  Forstschutzbediensteten  und  Raubschützen  geht  nie  ohne  Blut- 
vergieüsen  ab,  da  es  sich  immer  nur  darum  handelt,  wer  den  Finger 
zuerst  am  Drücker  des  Gewehrs  hat  und  kaltblütig  schiefst. 

Das  sogemumte  Pechlenniwesen,  das  Anhauen  des  Nadelholzes 
mit  der  Hacke  zom  Kaub  des  Harzes,  hat  so  ziemlieh  nachgelassen. 

Die  Bevttkeranf  . 

Die  drei  Forstamter,  welche  den  bayrischen  Wald  im  engeren 
Sinne  bilden,  hatten  bei  der  Zählung  am  1.  Dezember  188Ü  eine 
Bevölkerung  von  180  330  Seelen,  nämlich:  Zwiesel  100  227,  Wolf- 
stein 30  995  und  Schönberg  49108  Seelen. 

Fafst  man  den  Begriff"  „Bayrischer  Wald"  in  weiterem  Sinne 
und  rechnet  man  also  angrenzende  Teile,  namentlich  der  Oberpfalz 
hinzu,  so  ergiebt  sich  natürlich  eine  weit  grössere  Bevölkerungsziffer; 
diese,  ihre  Verteilung  auf  das  Areal  der  einzelnen  Bezirksämter, 
endlich  den  Umfang  der  Auswanderungen  in  den  Jahren  1876  bis 
1883  ergieht  die  umstehende  Tabelle,  welche  ich  der  Gefälligkeit  des 
König].  Statistischeh  Büreau's  in  München  verdanke. 

Der  Abstammung  nach  sind  die  „Waldler'',  wie  sie  sieh  selbst 
nennen,  Altbayern.  Durch  Lebensweise  und  geringen  Erwerb  an 
Abhärtung  und  Entbehrung  gewöhnt,  ist  es  ein  kraftiger  Menschen- 
schlag. Langsamer  als  in  anderen,  dem  Verkehr  zugänglicheren 
Gegenden,  weicht  die  ostbayrische  Volkstracht  der  europäischen 
Kleidermode.  In  der  Frauen-  wie  in  der  Mannertracht  herrscht  die 
dunkle  Farbe  vor.  Die  Kleidung  der  Männer  besteht  aus  engen, 
langen  Lederhosen,  kurzen  Stiefeln,  Bundschuhen  oder  im  Wiuter 
Hoizschuhen,  einer  dunklen  Weste  aus  Tuch  oder  WoUenstoff,  des 


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16 


Ireil  imd  Bertltoong  des  bayeriscben  Waldes  nacb  den  Ziblos^en  foa  1879  b. 


B«iirkiftmter 

b2W. 

ünmittelbMe 


B.-A.  Paaaan, 


Unmittelbare  Stadt 
Passan  


B.-A.  TüihofeB... 


■I 


Amtsgerichte 
LB  =  Landbezirk 
StB  =  Stadtbezirk 
des 

Amtsgerichtes 


BeTOlkerung 


Wegscheid . . 
L.-B.  Pftssaa 


Areal 
in 

□km 


1876 


B.-A*  WoUMeiii.  • . . 

B.-A.  GnfeiMui .... 

B.-A.  Deggendorf.  .| 

Unmittolbwi  Stadt 
Deggendorf  

B.-A.  Bogen.  •*.•.. 


B.-A.  Viechtach.. . 
B.-A.  Regen  


B.-A.  EAtsting. 


B.-A.  Cham. 
B.-A.  Boding 
B.-A.  Stftdtamh« 


i 

-1 


B.-A.  Begensbnig 


Unnütteltare  Stadt 
Begenabnig  


St.-B.  Passau  

Vilshofen  

Osterhofen  

Freynng  

Waldkircben  

OtUaasa  

Hengenbaig  

L.»B.  Deggendorf. 

Si-B.  Deggendorf 

Bogen   

Mitterfels  

Viechtach  

Regen  

Kötzting  

Neokirchen  

Cham  

Furfh  

Beding  

Nittenau  

Stadtamhof  

Regenstaaf  

Wörth  

Kegensburg  II ... . 


274,04 

330,98 
265,70 
354,67 
360,04 
880^9« 
297^ 
270,n 

4,« 

176,51 

337.^3 

410,75 

569,(5 
228,n 
235,4» 
27V 
9S,M 
806^ 


284,44 

271,M 
35ö,M 


Be^enahoig  I  |  17}«r 


6,auiung 

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26 

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14  752 

15  365 

3 

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15. 

24  692 

25  580 

11 

15  387 

16  081 

1  ' 

15  738 

16  382 

1 

1 

13  278 

13  605 

)  ^ 

17466 

17766 

— 

— ■ 

17784 

18778 

5 

( 

19084 

18071 

6768 

6886 

_ 

18649 

18974 

18  073 

18815 

20  772 

20  216 

— 

12 

II 

26215 

25  069 

711 

71i 

13  2.Ö2 
11068 

13  792 
11532 

l  — 

36 

8( 

17  095 
7880 

18212 
8488 

1  ^ 

1 

j 

18968 

14819 

6 

■ 

9766 

10857 

81887 

88868 

1 

14864 

16.466 

1  ^ 

18019 

18487 

1 

1 

16518 

178«9 

1  ^ 

81604 

84616 

4 

166 

44G  mi 

460  921 

r  22"" 

1126114 

I  fi966,34 

Bemerkung  zu  Spalte  1  u.  2.  Die  .Unmittelbaren  Städte"  RegensbuiS 
Biud  direkt  der  K.  Kreisregienin^^  untergeordnet.  1 

Die  Unmittelbare  Stadt  Regensburg,  welche  dem  bayrischen  Walde  k«B 
St&dtA  Passau  und  Deggendorf  bilden  den  „Stadtbezirk*'  des  jeweiligen  Amtsgerichtes,  dl 

Beim  £intrag  der  Bevölkerungsziffer  von  1875  ist  bereits  die  neue  Gericht 
Schönbeig.  | 

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—  17  — 


W'anderung  in  den  Jahren 


204  217 


15  '448  46H  I  15  md  HH  84  ^40  874  HS  888  9.Mi       1262  1297||  92  ;  1257  1  1349 
und  D«ggB(idorf  bilden  keinen  Beatandteil  des  betreffenden  Bezirkaamtes,  sondern 

uizarechnen  sein  dürfte,  bildet  den  Ämtsgerichtsbezirk  Regensbnrg  L,  die  Unmittelbaren 

Laiidbezirke  dieser  Amts^^erichtf  sind  dem  bezüglichen  Uezirksauite  unterstellt. 
Organisation  von  1879  mit  berücksic  htigt.    Die  Stadt  Deggendorf  gehört  zum  Forstamt 

Ueogr.  liiätter.   Br«inwi,  1886.  2 


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Sonntaj^s  aus  Halbseide  in  buntem  Muster,  einer  kurzen  dunklen 
Tuchjacke  (Janker),  einem  Mantel  mit  lanj^em  Kra^jen,  endlich  einem 
Rundhut  nnt  Schnalle  und  Band,  in  welchen  bei  jün^^eren  Leuten 
eine  künstliche  Blume  an  Silberdraht  steckt.  Die  Knöpfe  an  Weste, 
Jacke  und  Rock  müssen  aus  blankem  Metall,  wo  möglich  aus  Silber 
(österreichischen  Gulden)  sein.  Zur  Tracht  der  Frauen  gehören  der 
dunkle  faltenreiche  Rock  von  Zwimzeug  oder  Wollstoff,  knapper 
dunkler  Spenzer,  blaue  Schürze,  sehwarzseidenes  Mieder  mit  Gold- 
borde, seidenes  Hals-  und  dunkles  im  Dreieck  zusammengelegtes 
Kopftadi  mit  bunter  Einfassung,  an  dessen  Stelle  beim  Kirchgang 
die  schwarze  Spitzenhaube  tritt.  Die  Mftdchen  tragen  statt  der 
Stoffe  von  dunklen  Farben  hilutig  solche  von  lebhafteren. 

Die  Wohnweise  ist  die  des  bayrischen  Gebir^^es:  das  auf  Stein- 
unterlage aus  behauenen  Holzstänunen  erbaute  Haus  des  Waldlers 
ist  mit  einem  flachen,  weit  vorspringenden,  steinbeschwerten  Schindel- 
dach, mit  Gallerien  und  kleinen  Fenstern  verseilen,  dabei  hie  und 
da  mit  Schnitzwerk  am  Räude  des  Daches  und  mit  buntem  Anstrich 
an  der  Vorderseite  verziert;  die  inneren  R&ume  sind  häufig  mit 
Brettern  getafelt.  Abgesehen  von  den  Häusern  der  Märkte  oder 
gröüseren  Einöd-  (£inzel-)  höfe  sind  im  Hause  mit  dem  Wohn- 
sugleich  die  Wirtschaftsräume  vereinigt  Zwischen  dem  zweistöckigen 
Wohnhause  des  Bauern  im  Vorderwald  oder  auch  im  Hiuterwald 
(wie  wir  deren  in  der  Gegend  von  Kreuzberg  und  Freiung  gesehen 
haben)  und  den  armseligen  Holzhtttten  im  oberen  Gebirge,  z.  B.  in 
Leopoldsreut  siud  natürlich  sehr  mannigfaltige  Ab.-jtiifungcü,  die 
sich  nach  den  Vermögensverliältnissen  des  Bewohners  richten. 

Sitte  und  Brauch  sind  in  Niederbayern  mit  einigen  Ausnahmen 
wesentlich  dieselben  wie  in  Oberbavern;  während  in  der  Ebene 
sich  bei  dem  lebhaften  Verkehr  manche  Überlieferung  früherer 
Zeit  verloren,  sind  im  Walde  die  Bräuche  bei  Kiudtaufen,  Hoch- 
zeiten und  Begräbnissen  wohl  im  wesentlichen  dieselben  wie  bei 
den  Altvordern,  wir  erinnern  z,  B.  an  die  Ausstellung  der  mit 
frommen  Sprüchen  versehenen  Totenbretter  an  Kreuzwegen.  Die 
Kirehweihen  werden  in  den  reichen,  fruchtbaren  Ebenen  natOrlich 
mit  weit  mehr  Luxus  begangen  als  im  Walde,  während  die  Wald- 
bewohner mit  besonderer  Treue  an  den  kirchlichen  Festen,  den 
Wallfahrten  u.  a.  hangen.  Berühmt  sind  die  Wallfahrten  zum 
Muttergottesbilde  auf  dem  Bogenberge  und  zur  Gnade  (den  heiligen 
Hostien)  in  Deggendorf.  Auch  die  Markttage  in  den  (meist  auf 
einem  Hügel  belegenen;  Markten  sind  gewissermafsen  Festtage  für 
das  Landvolk,  das  zahlreich  herbeiströmt.  Weit  verbreitet  unter  den 
Waidlern  ist  die  Gewohnheit  des  Schnupfeas:  sie  bereiten  sich  den 


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„Brasil"  selbst  unter  Zutat  von  Kalk  und  Schmalz,  statt  iu  Dosen 
führen  sie  ihn  in  gläsernen  Flaschchen  bei  sich.  Die  Ernährunir  ist 
besonders  in  dem  oberen  Theile  des  Gebirges  eine  dürftige;  Milch, 
Mehlspeisen  und  K&rtoffeln  bilden  die  Hauptbestandteile.  , 

Die  InduBtrie. 

Wir  wollen  um  die  Industrie  des  bayrischen  Waldes,  besonders 
diejenige,  welche  sich  auf  die  Produkte  des  Wäldes,  überhaupt  des 
Bodens  stützt,  mit  einigen  Worten  besprechen.  Wir  wenden  ans 
znnftebst  zur  HahmdMtne,  Wahrend  in  der  benachbarten  Oberpfalz, 

in  Roding,  die  Anfänge  einer  Holzschnitzerei  in  der  dortigen  vom 
Staat  und  vom  Ort  unterstüt/teu  Ilolzschnitzschule  existieren,  tindet 
sich  die  Holzbearbeitung  als  ein  Kunstgewerbe,  wie  es  z.  B.  im 
Schwarzwald  sich  entwickelt  hat,  im  bayrischen  Walde  nirgends  ver- 
treten. Die  Bearbeitung  des  Holzes  zu  Bauholz  (BHkbiM  ii,  Brettern,  : 
Schindeln)  geschieht  iu  zahlreichen,  meist  durch  Was^erkratt,  einzeln 
durch  Dampf  getriebeneu  Sagemühlen.  Die  weiteren  iu  industriellem 
zum  Teil  fabrilunilMgen  Betriebe  gewonnenen  Erzeugnisse  sind 
Bretter  zn  Resonanzböden,  Klaviatur-,  Geigen-  und  Deckhdlzer,  Holz- 
draht, Zflttddraht)  Zflndhölzer,  Siebzahrten  (Holzreifen  zu  Sieben), 
Jalousiebrettehen,  Fensterrouleaus,  Spiegelleistenstabe,  Spähne  ver- 
schiedener Art,  z.  B.  für  Buchbinder,  Schaufeln,  Rechen, -Schflsseln, 
Mulden,  Teller,  Holzschuhe  u.  a.  In  Frauenau  besteht  eine  von 
Reichsrat  Ritter  von  Poschinger  errichtete  Fabrik,  in  welcher  Mubcl, 
vorzugsweise  Sessel  aus  gebogenem  (erwärmten  und  gedämpften) 
Buchenholz  hergestellt  werden.  Die  Fabrikation  von  Kesonanzholz 
ist  jetzt  uur  uoch  durch  ein  Etablissement  bei  Finsterau,  eine  ober- 
schläcbtige  übersetzte  Schneids&ge  vertreten,  die  iu  den  letzten 
Jahren  Rohmaterial  (astfreies,  in  gleichmäliiigen  Jahresringen  ge- 
wachsenes Holz)  im  Wert  von  2 — 4000  A  aus  dem  benachbarten 
Staatsrevier  bezogen  hat  Das  im  Jahr  1883  erzeugte  geringe  Quan- 
tum: 8  Kisten  Resonanz-  und  140  Bund  Klaviaturholz,  zeigt  den 
Rückgang  dieser  Industrie.  Ehedem  war  sie  bedeutender,  ihre  Er- 
zeugnisse vermochten  sich  jedoch  nicht  gegen  die  Produkte  Oaliziens, 
Siebenbürgens,  Russlands,  Schwedens,  ja  selbst  Amerikas  zu  be- 
haupten ;  besonders  emphndlich  erwies  sich,  vermöge  der  billigen 
Eisenbahutarife  für  mehrere  Wagenladungen,  die  galizische  Konkurrenz 
nach  den  Absatzgebieten  am  Ilbein.  Man  verspricht  sich  eine 
günstige  Wendung,  wenn  die  projektierte  uutere  Waldbahn  zur  Aus- 
führung kommt  und  An-  und  Abfuhi*  bis  zur  und  von  der  Fabrik 
auf  der  Bahn  geschehen  kann.  Die  Rouleaudrahtfabrikeu  (z.  B.  iu 
Zwiesel)  liefern  die  Stäbe  fOr  Rouleaufabriken  in  Thüringen 

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I 


(Gr.  Breitenbach),  im  Eichsfeldschen,  und  in  Paris.  Pillenschachteln, 
10()  Stück  zu  1  werden  in  den  benachbarten  böhmischen  Grenz- 
bezirkea  von  der  llau&mdustrie  geliefert  und  von  Zwiesel  aus  nach 
England  exportiert 

Zündhölzer  werden  in  grofsen  Men^^en  im  bayrischen  Wald  ge- 
fertigt, in  Packen  ?on  16000  Stock,  in  Fässern  verpackt  und  an 
ZflndholzüiUiriken  bei  Köln  im  Lauenburgisdien,  lächsfeld  n.  a.  ver- 
schickt. Maschinen  (die  z.  K  in  Passan  angefertigt  werden)  ser- 
stücken,  spalten  und  stofeen  das  Holz  in  die  gehörige  Form. 

Wfthrend  die  Bearbeitung  des  Rohholzes  nnd  die  Glasindnstrie 
recht  eigentlich  im  bayrischen  Walde  heimische,  naturwüchsige  Ge- 
werbe sind,  trat  in  neuester  Zeit,  bei  der  bedeutenden  technischen 
Entwickelung  der  Papierfabrikation,  ein  neuer  Industriezweig  in  der 
Herstellung  von  Holzstoff  zu  Pappen  und  Papier  auf,  gestützt  haupt- 
sachlich auf  die  reichen  Holzvurrilte  des  Waldes  und  auf  die  in 
zahlreichen  Flüssen  und  Bächen  sich  bietenden  bedeutenden  Wasser- 
kräfte. Im  bayrischen  Walde  bestehen  mehrere  grofse  Holzstoff- 
fabriken mit  Turbinenbetrieb  (von  je  300—600  Pferdekräften);  in 
allemenester  Zeit  wurde  eine  solche  bei  Teisnach  errichtet^  wo  der 
Regen  zwei  Turbinen  (Jede  zu  900  Pferdekrftften)  betreiben  soll 
und  ein  weiteres  Etablissement  der  gleichen  Art  wird  in  der  N&he 
der  bedeutenden  mechanischen  Papierfabrik  an  der  £rlaa  gebaut 
Auch  hier,  wie  bei  der  übrigen  Grofslndustrie  des  ba3rrischen  Waldes 
machen  sich  der  Mangel  an  guten  Strafseu  und  die  Abgelegeuheit 
der  Eisenbahn  als  grofse  Nachteile  geltend.  In  Passau  wird  die 
Fabrikation  von  Cellulose,  Grünstrohpapier  und  ähnlicher  Erzeug- 
nisse, bei  den  trefflichen  Eisenbahn-  und  Wasserverbindungen  dieser 
Stadt  nach  allen  Richtungen,  schwunghaft  betrieben. 

Ein  wichtiges  Gewerbe  war  und  ist  im  bayrischen  Walde  die 
Glasindustrie.  Über  diese  geben  wir  zunächst  einige  Mitteilungen, 
welche  wir  einem  Fachmann,  Herrn  J.  Fabdt  in  Dresden,  verdanken. 
Sie  wurden  vor  drei  Jahren  geschrieben. 

jyWie  alle  grodsen  Waldkomplexe,  so  haben  anch  die  des  bay* 
risdien  Waldes  von  altersher  die  Glasindustrie  angezogen,  man  betrach* 
tete  diese  als  zu  jener  Zeit  das  einzige  Mittel  zur  Verwertung  der 
ungeheuren,  beim  Mangel  von  Verkehrswegen  sonst  so  gut  als  ganz 
wertlosen  Holzbestände.  Darin  ist  man  unstreitig  dem  böhmischen 
Beispiel  gefolgt  und  iiat  auch  zu  dem  Behufe  bühniische  Glasarbeiter 
herangezogen,  wie  dies  heute  noch  au  dem  Charakter  der  Erzeug- 
nisse des  bayrischen  Waldes  zu  erkennen  ist.  Der  Ursprung  der 
Hütten  Niederbayerns  fällt  mutmafslich  schon  in  die  zweite  Hälfte 
des  15.  Jahrhunderts,  es  sind  indessen  zuverläfsige  geschichtliche 


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Daten  schwer  zu  ermitteln:  ihre  Entwickelung  mufs  bis  zu  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  sehr  geringe  Fortschritte  gemacht  haben,  denn 
wir  finden  darüber  in  den  verschiedenen  geschichtlichen  Abhand- 
inngen der  Glasindustrie  nur  sehr  spflrliche  Andeutungen  und  selbst 
das  sehr  grandliche  Werk  von  Albert  Hg  (Lobuieyr  Glasindustrie) 
enth&lt  hierüber  nichts.  Erst  von  1606  an,  seitdem  die  bis  dahin 
entstandenen  Glashütten  in  den  Besitz  der  Vorfahren  der  Familie 
von  Poschinger  abergegangen  sind,  kann  man  von  einer  Glasindustrie 
des  bayrischen  Waldes  überhaupt  sprechen  und  diese  auch  näher 
verfolgen.  Ihr  Mittelpunkt  ist  die  kleine  Stadt  Zwiesel,  die  vor 
kaum  9  Jahren  durch  den  Bau  der  bayrischen  Gebirgsbahn  ihrer 
Waldeseinsanikeit  entrissen  und  mit  der  Aiifsenwelt  in  eine  rasche 
Verbindung  gesetzt  wurde.  In  ihrer  nächsten  ümgehuni?  waren  zu 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  3  Glashütten,  heute  bestehen  daselbst 
15  mit  21  Schmelzöfen  und  groTsen  Wasser-  und  Dampfschleifereien; 
auf  11  Öfen  wird  Tafelglas,  auf  10  Uohlglas  erzeugt;  weitere  4 
Hatten  liegen  etwas  entfernter,  von  diesen  sind  2  zu  obiger  Gruppe 
zu  rechnen,  wahrend  die  beiden  anderen  das  Ealbfabrikat,  Spiegel- 
glas liefern,  welches  in  Farth  weiter  verarbeitet  wird  und  unter  der 
Benennung  „Nürnberger  Spiegel"  allgemein  bekannt  ist. 

Die  Gesamtproduktion  der  niederbayrischen  Glashütten  kann 
man  auf  jährlich  3  bis  S'/a  Millionen  Mark  veranschlagen. 

Die  natürlichen  Vorteile  für  die  Glasindustrie  lagen  hier  in 
dem  bisher  überaus  niedrigen  Preise  des  Bremihoizes  und  in  der 
Benutzung  vieler  Waldbäche  mit  gutem  Gefalle;  die  Hütten  haben 
dadurch  nicht  nur  eine  sehr  billige  Betriebskraft  für  ihre  Schleife- 
reien, sondern  eine  nicht  hoch  genug  anzuschlagende  Erleichterung 
in  dem  sonst  kostspieligen  Transport  des  Brennholzes.  Dieses  wird 
in  den  Wintermonaten  geschlagen,  gespalten  und  im  Frttl^ahr  bei 
Hochwasser  bis  in  den  Hüttenhof  geflüfet  oder  geschwemmt  Früher 
konnte  man  bei  der  UnvoUkommenheit  der  Glasüfen  nur  gutes 
Scheit^  oder  Prügelholz  verwenden,  durch  Einführung  des  Siemens^ 
sehen  Regenerativofensystems  werden  aber  heute  auch  alle  Holz- 
abfalle. Wurzeln,  Reisig  u.  a.  beim  Schnielzprozefs  verwertet.  Es  ist 
durch  diese  Einrichtung  die  Lebensfähigkeit  der  Hütten  auf  lange 
gesichert,  denn  wenn  seit  dem  Bestehen  der  Eisenbahn  die  Möglich- 
keit der  Ausfuhr  von  FIolz  erhöht  ist,  und  die  Holzpreise  eine 
wesentliche  Steigerung  erfahren  müssen,  so  bleibt  den  Hütten  durch 
Abfalle  und  minderwertige  Sorten  auch  dann  noch  ein  genügendes 
Quantum  Brennstoff  zur  Verfügung. 

Der  Stand  der  ntederbayrischen  Glasindustrie  war  bis  zur 
Gegenwart  ein  recht  blühender  zu  nennen;  die  Tafelhütten  hatten 


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in  ihrer  näheren  Unitzobuni;  ausreichende  Reschnftisrnng  und  wurden, 
dank  dorn  ManL'ol  an  Yerkehrswoiren  von  der  Konkurrenz  des  tiachcn 
Landes  nicht  bi'lielliirt.  Einige  SpezialitAten,  so  namentlich  farbige 
Tafeln  und  Uhrstiirzeu  —  die  einzij<e  Bezugsquelle  letzteren  Artikels 
in  Deutschland  —  haben  sich  ein  über  fast  ganz  Deutschland  ver- 
breitetes Absatzfeld  erworben. 

War  nun  die  abgesonderte  Lage  dieser  Hatten  insofern 
gflnstig,  als  die  nnter  den  Glasmachern  zur  zweiten  Natnr  gewordene 
Wanderlust  nicht  in  einer  Weise  um  sich  greifen  konnte,  nm  den 
Betrieb  zu  st5ren,  so  wufsten  auf  der  anderen  Seite  die  Hotten- 
besitzer,  unter  denen  die  Familie  von  Poschin^rer,  deren  Mitglieder 
heute  allein  12  der  aufgeführten  Öfen  betreiben,  eine  hervorragende 
Rolle  spielt,  die  Na(  hteile  ihrer  Absonderung  dadurch  auszugleichen, 
dalü  sie  mit  eifrigem  Streben  bemüht  waren  ihre  P'abrikate,  beson- 
ders in  der  Ilolilgiasbranche,  stets  zu  verbessern  und  durch  Bereisen 
der  Weltmärkte  sich  ein  Absatzgebiet  zu  erobern,  das  über  die 
Grenzen  des  deutschen  Reiches  hinaus  geht.  —  In  der  That  rivali- 
sieren die  Erzeugnisse  in  TrinkgefaCsen  und  Farbenglasern  einiger 
der  gedachten  Hütten  mit  den  besten  böhmischen  Fabrikaten,  mit 
denen  sie  auch  nach  ihrer  chemischen  Zusammensetzang  —  Kali, 
Kalk,  Ghis  —  identisch  sind.  —  Ein  paar  gigantische  Vasen  von 
3,80  m  Hdhe  in  den  bayrischen  Farben  (Alabast^  nnd  Tnrquis) 
von  Steijrerwald  haben  auf  der  Weltausstellung  in  Paris  1867  gerechte 
Bewundrruiu  hervorgerufen;  die  schönen  iiierglüser,  sogenannte 
Stammseidel,  in  geschmackvollen  Formen  und  mit  oft  reichem  kor- 
rekt ausgeführten  SchliflF,  die  mau  in  allen  Städten  findet,  sind  zum 
grofsen  Teil  Erzeutinisse  des  bayrisdien  Waldes. 

Ein  weiterer  Umstand,  welcher  den  genannten  Glasfabrikanten 
zum  Nutzen  gereicht,  ist  das  unter  ihnen  herrschende  koUegiaiiäche 
nnd  freundsch.iftliche  Verhältnis. 

Ob  die  Verkehrserleichterungeu  durch  die  Bahnverbindung  dieser 
Gruppe  von  Glasfabriken  zum  Nutzen  oder  Nachteil  gereichen  werden, 
bleibt  vorerst  noch  eine  offene  Frage  und  hängt  viel  von  den  An- 
strengungen des  Fabrikherrn  ab.  Jedenfalls  ist  dadurch  das  patriar^ 
chalische  Verhftltnis  zwischen  Hüttenherrn  und  Arbeitern  gefthrdet 
wordni.  Die  Hütten  sind  den  örtlichen  Verhaltnissen  oder  Kunden- 
kreis angemessen  nur  khMU  angelegt,  sie  sind  den  grofsen  Tafelglas- 
fabriken in  Westfalen  und  der  Rheinprovinz  nicht  ebenbürtig;  es 
droht  ihnen  von  dort  aus  eine  verhan2:nisvolle  Konkurrenz,  auch 
könnten  sie  in  vielen  Artikeln  der  Ilöhlglasbranche  durch  das  billigere 
Ualbkrystali  der  rheinischen  und  lotliringischen  Hutten,  sowie  durch 
das  sich  von  Tag  zu  Tag  mehr  bei  nns  einbürgernde  Prefsglas, 


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welcher  Fabrikationsweise  sie  sich  bisher  noch  nicht  angeschlossen 
haben,  leicht  ans  dem  Markte  verdrängt  werden." 

Im  Kreise  Niederbayern  gehören  an  300  Grois-  und  Klein- 
betriebe der  Glasindustrie  an  ;  der  Sitz  derselben  ist  der  bayrische 
Wald.  An  die  Stelle  des  Holzes  als  Feuerungsniateriiil  ist  jetzt 
zum  Teil  die  auf  der  Bahn  herangeführte  böhmische  Braunkohle 
getreten.  Das  Rohmaterial  der  Fabrikation  wird  aus  verschiedenen 
Gegenden  bezogen:  Quarzsand  aua  Sachsen,  Pottasche  und  Metall- 
oxyde  aus  Böhmen,  Soda  aus  Bayern  nnd  Lothringen,  Kalk  aus 
Bayern.  Glashatten  bestehen  in  Riedlhatte,  Frauenan,  Schönbach- 
hatte  bei  Bodenmais,  Seebachhtttte,  Drachselsried,  Lambacii,  Regen- 
hatte, Buchenau  und  Oberzwieeelao. 

Mehrfach  ist  mit  dem  Glashattenbetrieb  ZSbiäMolgf(ü>rQuiMim  ver- 
bunden. Über  einige  dieser  Fabriken  finden  wir  in  den  Berichten  der 
Handels-  und  Gewerbekammer  für  Niederbayern  Mitteilungen,  die  einen 
gewissen  Einblick  in  Art  uud  Umfang  des  Betriebes  gewähren.  So 
betreibt  H.  G.  Roscher  in  Riedlhütte,  Post  Spiegelau,  die  Fenster- 
glasfabrikation mit  direkter  Holzfeuerung  und  als  Nebengeschäft 
Zündhölzerfabrikation  mittelst  Wasserkraft.  Die  1836  ^^e^^^ündete 
Krystallglasfabiik  Theresienthal  bei  Zwiesel  hat  eine  Wasserkraft 
von  20  Pferden  und  zugleich  Dampfbetrieb,  das  Erzeugnis  ihrer 
Schleifwerke  wird  im  deutschen  Reich,  in  Belgien,  England  und 
Nordamerika  abgesetzt  Die  Krystallglasfabrik  von  W.  Steigerwald 
in  Begenhatte  erzeugte  1883  6000  Centner  Glaswaren.  Die  Hohl- 
glasfiibrik  Ton  L.  Stangl  in  Spiegelau  erzeugt  halbweilses  und  wei&es 
Krystall-  und  Farbenhohlglas,  daneben  betreibt  sie  die  Fabrikation 
von  kurzem  Holzdraht,  Jalousiebrettern  und  -Stäben.  Absatzgebiete 
sind  für  Holzwaren  Bayern  und  das  Rheinland,  für  Glas  Bayeru  und 
Elsafs.  Die  1854  gegründete  Glas-  und  Holzwarenfabrik  von  Gebrüder 
Stangl  in  Lichtenthai  bei  Zwiesel  fabriziert  als  Spezialität  Miniatur- 
spiegel. Sie  verarbeitet  jahrlich  6000  Ster  Scheite  und  700  cbm 
Blocbholz.  Der  Wert  der  jahrlichen  Produktion  dieser  mit  Maschinen 
arbeitenden  Fabrik  wird  auf  200000  A  angegeben.  Die  Krystall- 
labrik  von  W.  Steigerwald  in  Riedlhütte  liefert  feine  Holzglaa- 
waren  und  Zandholzdraht,  die  Glasfabrik  von  F.  Schenk  in  Schön- 
bach,  Post  Bodenmais,  rohe  Spiegelgläser  (im  Jahr  1883: 5000 Gentner). 

Durch  den  besonders  im  vorderen  Wald  betriebenen  Flachsbau 
wurde  die  LeinmmdmaiiriB  als  Hausgewerbe  ins  Leben  gerufen  und 
noch  immer  beschäftigt  die  Herstellung  von  „Passauer  Leinen",  das 
besonders  in  Süddeutschland  abgesetzt  wird,  zahlreiche  Hände  in 
kleinen  Betrieben,  wobei  meist  österreirhi>che  uud  belgische  Game 
verarbeitet  werden.    In  Passau  besteht  eine  Weberschule.  Viele 


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sogenannte  Hansirweber  ziehen  mit  geringer  Ware  von  Ort  sm 

Ort;  doch  besteht  als  gröfseres  Etablissement  noch  heute  in  Obern- 
zell die  1781  ge'iiündete  Leinweberei  und  -Bleiche  (üonald). 

"Wir  wenden  uns  zu  der  Ausbeutung  der  mineralisdien  Hoden- 
schätze.  Bonrbau  findet  sich  nur  bei  dem  unteiui  grofsen  Arber 
bcleuonon  Bergflorf  Bodenniais;  bier  liefern  die  Erzlagerstätten  des 
Silberbergs  Majinet-  und  Schwefelkiese,  welche  auf  dem  Königlichen 
Hüttenwerk  zu  Polierrot  (Potce)  und  zu  Eisen-  und  gemischten  Vi- 
triolen verarbeitet  werden ;  Nebenprodukt  ist  Alaun.  Die  Produktion 
betrug  im  Jahr  188B  335620  kg  Pot^e  (welche  teils  ordinftr,  teils 
raffiniert  nicht  nur  im  deutschen  Reich,  sondern  anch  in  Österreich, 
Rufsland,  Frankreich  und  Belgien  abgesetzt  wird),  182260  kg  Eisen- 
vitriol, 41152  kg  gemischte  Vitriole  und  1000  kg  Alaun. 

Femer  sind  die  Gewinnung  von  Thon-  und  Porzellanerde,  die 
ansjjedehntenGraphituruben  von  Pfatienreutb,  Gennaiinsdorf,  Leitzers- 
dorf,  eiKllich  die  (irnnitstoiiilii iiche  bei  Metten,  Deggendorf,  Vils- 
hofen.Cham,  Kothmaisliiig,  Ilaiizenberg,  am  Lüsen  und  Dreisesselberg, 
zu  erwähnen.  Die  Grai>hitscbnielztiegelfal)rik  von  Saxinger  ia 
Obernzell  liefert  jährlich  Fabrikate  im  Wert  von  300000  A; 
die  Fabrikation  erfolgt  mittelst  vom  Wasser  bewegter  Maschinen. 
Unter  den  Steinbrüchen  sind  besonders  die  von  Normannschen 
Granitwerke  bei  Vilshofen  und  Fürstenstein  bedeutend,  sie  liefern 
sowohl  Pflastersteine,  wie  Hausteine  für  Hochbauten. 

Im  übrigen  kann  hier  auf  die  Industrie  des  bayrischen  Waldes, 
namentlich  die  Rüböl-,  Mehl-,  Tabak-,  Ziegel-,  Leder-  und  Maschinen- 
fabrikation, die  Brauereien,  Brennereien  n.  a.,  zum  Teil  bedeutende 
Betriebe,  nicht  naher  eingegangen  werden. 

Landwirtschaft.   Die  Birkenber^e.   Waldarbeit.  Viehzucht. 

Dr.  Günibel  hebt  am  Scbhifs  seiner  geologischen  Skizze  her- 
vor, dafs  die  obertiächlicbe  Zersetzung,  Zerbröckelung  und  Ab- 
witteruog  der  ursprünglich  festen  Gesteinsmassen  des  Untergrundes 
nnd  dip  Vtnschwemmung  des  hierdurch  erzeugten  Gesteinmaterials 
dem  Walde  die  gegenwärtige  Gestaltung  der  Oberflache  und  die 
pflanzennabrende  Decke  gegeben  habe.  Das  durch  meteorologische, 
chemische  und  mechanische  Einwirkungen  geschaffene  lockere  Erd- 
reich, an  dessen  Ausbildung  die  Zeit  unermüdlich  fortarbeitet,  ist, 
wie  Gümbel  sagt,  der  edelste  Schatz,  das  Brodfldtz  des  Waldes. 
Die  flacheren  und  eingetieften  Mulden  sind  mit  oft  tiefgründigem 
Lelun  ausgefüllt,  der  stellenweise  selbst  zur  Ziegelbereitung  brauch- 
baros  Rohmaterial  liefert.  Er  ist  das  Erzeugnis  des  zusanimeu- 
rinneuden  Regeuwassers,  welches  die  zersetzten  thooigea  Teile  von 


—  25  — 


den  BergabbangeD  nach  und  nach  wegschwemmt  und  den  Vertiefungen 
zuführt. 

Neben  den  Bodenverhältnissen  ist  der  Feldbau,  wie  überall,  80 
auch  im  bayrischen  Walde,  von  den  klimatischen  Einwirkungen  und 
der  H^enlage  abhängig;  hauptsächlich  werden  Roggen,  Hafer, 
Kartoffeln,  Flachs  und  Fatterkrftnter  gebaut;  dem  Weizenbau  sind 
Boden  mid  Klima  ungünstig.  Granit  und  Gneifs  sind  die  Tor- 
herrschenden  Felsarten;  je  nach  dem  Mafse  der  Verwitterung  der- 
selben nnterscheidet  man  Sand-  und  Lehmboden;  daneben  noch  den 
durch  Herabführung  der  Verwitterunfxsprodukte  mittelst  Hegen-  und 
Schneewasser  in  die  Thiller  gebihleten  aufgeschwemmten  Boden. 
Der  letztere  bildet  ziemlich  ausgedehnte  Flächen  an  dem  nördlichen 
Ufer  der  Donau  und  zeichnet  sich  hier  nieist  durch  grofse  Frucht- 
barkeit aiis.^\)  Diese  und  die  Ländereien  in  den  von  Nord  nach 
Süd  ziehenden  Thäleru  des  inneren  Waldes  sind  vor  den  rauhen 
Nordwinden  geschützt,  wahrend  der  Nord-  und  Ostwind  über  die 
Hochebenen,  Bergrücken  und  östlichen  Abdachungen  zum  Nachteil 
der  Vegetation  ungehindert  hinziehen  kann.  An  der  Nordseite  und 
in  den  höheren  Lagen  leidet  die  Bodenkultur  natürlich  auch  durch 
die  längere  Daner  der  Schneebedeckung. 

Am  frühesten  tritt  die  Ernte  in  jenen  Iftngs  der  Donau  ge- 
legenen Ebenen  ein.  Etwas  später  erfolgt  sie  in  den  Gegenden  von 
Kölztim^  (385  m  ii.  M.)  und  bei  dem  noch  etwas  höher  gelegenen 
Hauzenberg;  doch  erntet  man  bei  letzterem  Markt  in  der  Kegel 
um  ein  paar  Wochen  fiüher  als  bei  Regen,  das  nicht  ganz  so  hoch 
und  bei  ^chönberg,  das  noch  um  etwa  27  m  höher  lieLrt,  als 
Hauzenberg.  Bei  dem  noch  etwas  hoher  gelegenen  Grafenau  erntet 
man  wiedemm  8 — 14  Tage  später,  und  bei  Zwiesel,  Bodenmais  und 
auf  den  Berghöhen  nm  Bischoferent  erfolgt  der  Komschnitt  am 
spatesten. 

Ober  diese  höchstgelegenen  Gegenden  des  bayrischen  Waldes 
folgen  hier  noch  einige  vom  Verfasser  an  Ort  und  Stelle  gesammelte 
Hitteilungen. 

Zur  Aussaat  gelangen  auf  den  Äckern  in  der  Gegend  von 

Bischofsreut,  deren  mittlere  Höhe  ü.  M.  auf  1000— llüO  m  an- 
genommen werden  kann,  nur  Sommerkorn.  Hafer  und  Flachs,  ferner 
die  Kartoffel.  Auch  ist  (h-nsnut::nmj  und  Wiesoihau  einträglich. 
Die  Zeit  der  Aussaat  richtet  sich  nach  der  des  Eintritts  des  Früh- 
jahrs, beziehentlich  nach  der  des  Schneeabgangs,  welcher  in  der 
Regel  in  die  Zeit  zwischen  der  letzten  Woche  des  April  (frühestens) 

")  Yeigleiche  11  Lidl,  landwirtaehaftllche  Reiae  durch  den  bayrischen 
Wald,  1866. 


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—  26  — 

und  der  letzten  Woche  des  Mai  fftllt,  ansnalnneweiae  Jedoch  anch 

erst  AnfanßT  Juni  stattgefunden  hat.  Im  Winter  betragt  die  Schnee- 
bedeckun^  bei  Bischofsreut  in  der  Regel  1,  in  schneereichen  Wintern 
auch  wohl  2  m.  Die  Erntezeit  für  Sommerkorn  und  Hafer  fällt  in 
der  Gegend  von  Bischofsreut  in  der  Regel  in  den  September,  öfters 
sogar  in  <len  Oktober;  die  Kartoffeln  werden  regelmäfsig  erst  im 
Oktober,  auch  wohl  im  November  gewonnen.  Die  Heuernte  ist 
gewöhnlich  £nde  Juni.  Dabei  kommt  es  h&ufig  vor,  dafs  die  Ernte 
erst  nach  eingetretenem  Schneefall  eingeheimst  wird.  Landwirte, 
die  etwas  s&ttmig  aind  oder  wenige  Arbeitskräfte  zur  Verfflgang 
haben,  mfissen  es  mitunter  erleben,  dafo  auf  abgelegenen  Feldern 
Hafer  und  Flachs  einschneien;  tauscht  dann  die  Hoffhung  auf  den 
Wiedereintritt  winnerer  Witterung,  so  geht  die  ganze  Ernte  zu 
Grunde. 

Im  Jahre  1881  trat  der  erste  Schneefall  am  4.  Oktober  ein,  am 
20.  Oktober  wieder  Schneefall,  darauf  jedoch  bis  zum  2ü.  Dezember 
die  schönste,  häufig  warme  Witterung;  mit  letzterem  Tage  begann 
1881  der  Winter.  Im  Jahre  1880  trat  der  erste  Schneefall  am 
22.  Oktober  ein,  dann  war  bis  Mitte  Dezember  warme  Witterung,  erst 
um  diese  Zeit  erfolgte  reichlicher  Schneefall.  In  den  Jahren  1875 
bis  1879  war  der  Boden  von  Anfang  November  bis  aum  FrUlgahr 
mit  Schnee  bedeckt 

Nach  vielj&hrigen  Erfahrungen  glaubt  unser  Gewährsmann  fOr 
die  Gegend  von  Bischofereut  sagen  zu  können,  dafe  die  Winter  eine 
fiiebenmonatliche  Dauer  —  von  Mitte  Oktober  bis  Mitte  Mai  —  haben. 

Wirtschaftlich  macht  sich  der  WUterungseinflufs  in  diesen  höchsten 
Cregenden  des  Gebirges  dadurch  geltend,  dafs  für  die  Zeit  der  Bestellung 
der  Felder  gegenüber  den  dringlichen  Aufgaben  zu  wenig  Arbeits- 
kräfte vorhanden  sind,  wahrend  in  der  ganzen  übrigen  Zeit  viele 
Arbeitskräfte  un verwertbar  sind  und  gezwungen  feiern.  Dieses  seit 
Generationen  fortbestehende,  in  jedem  Jahre,  ja,  fast  iu  jedem  Monat 
sich  wiederholende  Feiern  und  Stocken  der  Arbeit  hat  den  Waldler 
so  sehr  an  langsame  und  zögernde  Arbeit  gewöhnt,  dafs  er  unfähig 
ist,  in  jenen  kurzen  Zeiten,  wo  die  Arbeit  drängt,  seine  Leistungen 
entsprechend  zu  steigern.  Immer  auf  Änderung  der  Witterung 
hoffend,  lauft  er  eher  Gefahr,  daüs  die  Ernte  halb  verdirbt,  als  dais 
er  sich  entsehlteCtt,  fremde,  also  zu  bezahlende  Arbeitskräfte  heran- 
zuziehen, um  mit  ihrer  Hfllfe  die  Frflchte  rechtzeitig  einzuheimsen. 

In  jenen  hohen  Lagen  des  Waldgebirges  wirft  die  Landwirt- 
schaft nicht  gciiu-  Feldflüchte  ab,  es  müssen  deren  also  eingetülirt 
und  der  Preis  derselben  mufs  durch  Arbeit  verdient  werden.  Die 
Arbeit&gelegeoheit  besteht  hier  nun  lediglich  in  WcUdardeU,  im 


L.iyui^L,J  cy  Google 


—  27  — 


Winter  besonders  im  Transport  von  Holz  aus  dem  Revier  zn  den  im 
Frühjahr  zu  erötfnenden  Triften.  Der  winterliche  Traiisjjort  von 
Holz  ist  nur  bei  Schnrclaiie  möiilicli,  schncereicbe  Winter  sind 
daher  im  Interesse  der  Waldbevölkerung,  schneearuie  ein  Unglück 
für  sie.  Übermafs  von  Schnee  freilich,  insbesondere  andauernde 
Schneemassen,  Schneestürme,  Schneetreiben  erschweren  oder  ver- 
hindem  den  Zag  des  Holzschlittens  auf  den  verw^ten  Bahnen. 

Der  Hinterw&ldler  verdient  beinahe  das  ganze  Jahr  im  Staats- 
walde: im  Frühjahr,  Sommer  nnd  Herbst  mit  Kultur-,  Wege-  und 
Triftbauarbeiten  und  insbesondere  Holüfabrikation ;  im  Winter  mit 
dem  Anzug  der  Blöcher  nnd  des  Scheitholzes  auf  der  Schneebahn  zu 
den  Triftbachen.  Bei  der  Holzaufarbeitung  kann  ein  fleifsiger  Arbeiter 
2 — 2.20  c#.  per  Tag  verdienen;  im  Winter  bei  der  allerdings  ausser- 
ordentlich beschwerlichen  Arbeit  des  Schlittelns  ebenso  viel, 
in  der  Regel  sogar  noch  mehr,  was  bei  den  kurzen  Tagen  zu 
beachten  ist.  Erfordert  das  Werfen  der  Baumriesen  des  bayrischen 
Waldes  sclion  mehr  als  gewöhnliche  Geschicklichkeit,  so  nimmt 
dagegen  das  Holzziehen  die  ganze  Kraft  und  Ausdauer  eines  Hannes 
in  Anspruch,  da  der  Schlitten  in  der  Regel  mit  Vit'-2  cbm  Holz 
beladen  ist,  und  auf  ebener  oder  mftfsig  geneigter  Bahn  gezogen, 
auf  stark  geneigter  Bahn  dagegen  mit  aller  Anstrengung  gehemmt 
und  gelenkt  werden  mufs;  UnglUcksfiÜle  bei  diesem  gefthrlichen 
Geschftfte  sind  nicht  selten. 

Wie  bedeutend  die  Waldarbeit  und  der  Ifolztraiisport  unter 
Umständen  ist,  dafür  ein  Beispiel.  In  den  der  Oberförslerei  liischofs- 
reut  unterstellten  Revieren  wurden  im  Jahr  1880  27— 28  (XX)  Ster 
(Raummeter)  Holz  geschlagen,  die  sämtlich  im  Winter  18^0  81  zu 
verwerten  nnd  zu  verLreben  waren,  davon  wurden  etwa  li^üUO  Ster 
vertriftet.  Die  Zahl  der  in  den  verschiedenen  Waldorten  der  Reviere 
zerstreuten  Holzhauer  betrug  250  Maiin,  die  Staatseinnahme  aus 
dem  geschlagenen  Holz  110000  Jk 

Besonders  oft  finden  wir  unter  den  Ortsnamen  bei  Bischofsreut 
die  Endung  „reut'\  welche  auch  in  anderen  Gegenden  des  bayrischen 
Waldes,  wie  Überhaupt  in  manchen  Waldgebirgen  Deutschlands  auftritt. 
Hier  sind  diese  Ortschaften  alle  ans  Kolonien  hervorgegangen,  welche 
die  Fürstbischöfe  von  Passau  in  diesen  früher  völlig  unbewohntt  n  und 
fast  ertragslosen  Gegciidni  ins  Leben  riefen.  So  wurden  Lcopoldsreut, 
Biscliofsrt'ut,  Auerspergsreut  und  andere  Dörfer  in  diesen  höchsten 
Teilen  des  Waldes  gegründet.  Das  den  Kolonisten  zu  geringen  Preisen, 
vielleicht  umsonst,  gegen  Rodung  zugewiesene  Land  reichte  damals  aus, 
die  Kolonisten  zu  ernähren,  denn  zu  jener  Zeit  war  die  Verehelichung 
und  Niederlassung  von  der  Zustimmung  der  Gemeinde  abh&ngig. 


—  28  - 

Unser  Gewahrsmann  schreibt  weiter :  Die  Freizügigkeit,  Erleichterung 
der  Verehelichun^en  u.  a.  hat  grofse  Nachteile  zur  Folge  gehabt: 
die  Anwesen,  welche  nrsprün'-rlich  eine  Familie  ernährten,  wurden 
geteilt  und  wieder  geteilt.  Die  BovolktTuiig  verläfst  inmcrn  den 
Wald,  sie  zieht  aber,  wenn  der  Wegzug  notwendig,  lieber  nach 
Amerika  als  in  die  nahen  Städte;  der  nur  laugsam  steigende  Ver- 
dienst mit  Waldarbeit  reicht  nicht  aus,  die  stetig  zunehmende  Be- 
völkerung zu  ernähren« 

£8  ist  bereits  der  „Birkmberge^*^  als  einer  dem  Walde  eigen- 
thflmlichen  landwirtschaftlichen  Betriebsweise  gedacht  Mit  Hfllfe 
eines  uns  gütigst  zur  Yerf&gang  gestellten  amtliehen  Berichtes 
können  wir  eine  nftbere  Mitteilung  hierQber  geben  in  der  Beschreibung 
der  Birkenberge  im  Reviere  Draxelsried  (Forstamtsbezirk  Zwiesel) : 

Dft  aiclierlioh  sw«i  FUnfteito  siiiitlieber  Privatwaldiuigta  d«i  Bevier- 
besirkM  Diaxekried,  jetit  Ob«med,  togenaaiite  Biikenbeig»  sind,  welche  (ao- 
naeh  mit  einer  FUche  von  nngefiUir  16000  Tagewerken  k  Vs  ha)  eine  gans 
eigentamliche  Betriebsart  bilden,  so  sei  es  erlaubt,  die  hierfiber  gemachten  Er- 
fehrnngen  hier  in  KQrze  niederzulegen. 

Der  infolge  des  ranhon  Klimas  geringe  Ertrag  der  Felder  verweist  die 
Ijandwirtschaft  vorzüfihch  auf  die  Viehzucht.  Um  die  Kälte  des  landwirtschaft- 
lichen Bodens  zu  mindern  und  seinen  Ertrag  zu  erhöhen,  ist  Diiii^'er  und  hierzu 
Streu  nötig.  Die  Viehzucht  bedart  der  Weide,  ohne  welche  em  starker  Schlag 
von  Hornvieh  nicht  gedeiht 

Streu  und  Weiden  also  shid  es,  die  der  Landwirtschaft  des  Wildlers  not- 
wendig sind.  DringendenüEdls  bezieht  er  seinen  Streubedarf  auch  aus  den 
Sehwanwaldungen;  aber  da  diese  gewöhnlich  viel  höher  liegen  und  unsngftng- 
licher  sind,  so  hat  er  sich  nach  und  nach  in  nichster  Umgebung  seiner  Feld- 
und  Wiescugründc  eine  eigene  Waldart  enogen,  die  sogenannten  Birkenberge, 
welche  ihm  durch  ihren  Laubabfall  den  gröfsten  Teil  seines  Streubedarfs  ver- 
BchafTen,  während  anter  der  liditen  Beschattung  der  kleinbl&tterigen  Birken 
Gras  und  Kräuter  für  sein  Weide vieh  wachsen. 

Diese  Birkenberge  bestehen  zumeist  aus  Birken.  Die  Fichte  spielt  in  den- 
selben nur  eine  untergeordnete  Rolle.  Sie  wird  nur  soweit  geduldet,  als  sie 
den  Schlafs  nicht  so  sehr  vermehrt  und  dem  Graswachse  keinen  Eintrag  bringt 
Da  sie  bei  jeder  Verjüngung  tmd  auch  sonst  an  lichten  Orten  sich  immer  wieder 
einfindet,  so  wird  sie  absichtlich  entweder  schon  in  ihrer  Jugend  Ton  den  Hirten 
du»^  Ausrei&en  mit  der  Wursel  oder  spfiter  mit  der  Hacke  entfernt 

Die  Verjüngung  dieser  Birkenberge  geschieht  durch  die  sogenannte  Reuten- 
oder  Hackwaldwirtschaft  im  20*  bis  40jährigen  Turnus.  £s  sind  n&mlich  dieselben 
in  sogenannte  Keutpliltze  eingeteilt,  von  denen  jährlich  die  eine  oder  andere,  je  nach 
der  llauijarkcit  des  darauf  stockenden  Holzes,  oder  nach  dem  Bedarfe  oder  dem 
germgcu  Erlrage  an  Weidegras  zur  Nutzung  kommt.  Dies  geschieht  durch  kahlen 
Abtrieb  mit  Belassung  von  nur  etlichen  Saraenbäumen  per  Tagewerk. 

Der  Uulzerirug  lät  je  nuch  dem  Wüchse  und  der  Dichtheit  der  Bestockang 
TSischieden  und  schwankt  swischen  8  und  16  Normalklafter,  so  dals  der  Dnreh- 
schnittssnwachs  auf  jfthrlich  0^49  Klafter  geschStst  werden  kann. 

Nach  dem  Abtriebe  wird  der  Boden  entweder  durch  Aufinden  des  auf 
demselben  nmheigestreuten  Beisigs,  durch  ein  sogenanntes  Flnrfeuer  abgesengt 


—  29  — 

and  dann  umgehackt;  die  durch  das  Verbrennen  des  Reisigs  und  Überholzes 
gewonnene  Asche  wird  sodaun  in  den  Boden  gebracht  und  mit  diesem  vermischt, 
oder  es  wird  die  Rasendecke  abgehoben  und  mittels  des  angezündeten  in  Haufen 
gefiammelten  Beisig»  Terbnumt  Die  »uf  letstere  Weise  gewonnene  Basenaache 
wird  auf  den  Boden  Twteilt  und  diese  dnieh  Knnliaeken  aom  Anbau  Ton 
'Winterkorn  im  ersten  und  von  Sommerkom  im  sweiten  Jahre  faa^ch  gemacht 

In  besseren  Lagen  wird  auch  hier  und  da  das  sogenannte  Heidekom 
(Hoadnbrein)  mit  bestem  Erfolge  gebaut.  Findet  noch  ein  weiterer  Fruchtbau  im 
dritten  Jahre  statt,  so  wird  hierzu  Hafer  oder  die  Kartoffel  gewählt  Je  mehr  Jahre 
dieser  Fruchtbau  nacheinander  stattfindet,  desto  verderblicher  für  den  "Wiederwuchs 
der  Birken  ist  derselbe,  da  die  Ausschlagkraft  der  Stöcke  sich  verliert  und 
eine  Bestockung  dann  mehr  von  dem  tSamenabfall  erwartet  werden  niufs. 

Der  Fruchtbau  auf  solchen  Bentplatzen  ist  oft  ziemlich  ergiebig  und  wird 
in  der  Bogel  Ton  den  Banem  ihren  Inwohnern  oder  Hftnslem  all  Lohn  Ar  ihre 
Dienste  überlassen  nnd  angerechnet 

Die  Bent-  oder  Biedeiptttae  werden  in  der  B«gel  sogleich  nach  dem  Ab- 
triebe des  daranf  stoßenden  Holzes  mit  den  aus  den  vorhandenen  Fichten 
gewonnenen  Stangen  gegen  das  Weidevieh  verzäunt,  oder  im  Notfalle  doch  mit 
Strohwischen  dem  Hirten  kenntlich  gemacht.  Diese  Schonung  vor  dem  Weide- 
vieh soll  nach  dem  Fruchtbaue  noch  durchschnittlich  6  Jahre  dauern.  Wo  das 
Weidevieh,  wie  es  fast  allgemein  der  Fall  ist,  unmittelbar  nach  demselben 
zugelassen  wird,  bestocken  sich  die  Flächen  nur  langsam  und  mangelhaft,  sie 
bleiben  lange  und  viele  Jahre  öde  liegen  und  der  Boden  verarmt  Nach  Verlauf 
Ton  nngefthr  10—12  Jahren  wird  schon  Stren  gerecht 

Wie  der  Fdvale  anf  Biri^fn,  so  ftbte  der  Staat  in  den  den  Ortsohaften 
nichst  gskgenen  Talen  seiner  Waldungen  firfther  (noeh  vor  60  Jahren)  andi 
die  Beuten-  oder  Waldfeldwirtschaft  anf  Fichten.  Nach  dem  Fruchtbaue 
erschienen  nftmlich  Fichten  und  Birken,  welch  letztere  ergidiig^  nnd  wertvolle 
Zwischennutzungen  geben,  wihrend  die  ersteren  i^Ster  reine,  gnt  geschlosMne 
Bestände  bilden. 

So  schnell  und  gut  jedoch  der  Wuchs  dieser  auf  Reuten  emporgekommenen 
Fichten  in  der  Jugend  und  etwa  bis  zum  öOsten  Jahre  ist,  so  fängt  er  doch  in 
diesem  Alter  an,  immer  mehr  abzunehmen.  Der  ohnehin  nicht  bedeutende 
H5hewoehs        da  auf  nnd  die  St&mme  werden  leicht  rotfiral 

Die  Erklärung  dieses  ümstandes  sowie  der  Thatsache,  daS&  der  Ertrag 
auch  der  Birkenbeige  an  Hols,  Flrnchti  Streu  nnd  Gras  nach  dem  Yerhiltnisse 
der  mehr  nnd  mehr  abnehmenden  Bodengftte  immer  geringst  wird,  liegt 
-vielleicht  aiehi  ferne.  Das  durch  Verbrennen  des  Bcisigs  und  Übnholses  sowie 
der  in  der  Basendecke  enthaltenen  Graswurzeln  erzengte  Kali  entwickelt  aller- 
dings nicht  nur  auf  das  Gedeihen  der  Feldfrüchte,  sondern  auch  auf  den  Wuchs 
der  Holzpilanzen  in  ihrer  Jugend  einen  günstigen,  befördernden  Einilufs. 

Aufser  dem  Holze,  welches  bei  der  Birkenbergwirtschaft  eigentlich  nur 
die  Nebensache  ist,  liefert  1  Tagewerk  solcher  Bestände  im  Durchschnitte  jähr- 
lich 1  zweispänniges  Fahrtl  Waldstreu  (Laubrechstreu).  Die  Gewinnung  dieser 
leichten  und  den  zumeist  mit  Grasnarbe  überzogenen  Boden  nur  dünn 
bedeckenden  BiikcnlaubsUeu  hat  manche  Schwierigkeiten  und  Hindernisse. 
Winde  verwehen  sie  leicht,  nasse  Witterung  hindert  häufig  ihre  Sammlung  und 
im  FHkhjahre  ist  es  nicht  selten,  dab  das  Gras  dar&ber  hinaoswichst,  ehe  sie 
gewonnen  werden  kann.  Sie  wird  nftmlich  mm  Teüe  im  Herbste,  snm  Teile 
im  FrAbjahre  gsreeht 


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—  80  — 

BesOglidi  der  Weide  endlidi,  welche  den  HMiptertxag  der  Birkenbeige 
liefom  molii,  wire  enianehmen,  dab  3  bis  6  Tegewerke  ein  Stftck  Hommk 
dQrehsehnittlidi  gat  ernibren  oder  im  Bevierbeadce  DrezelBried  wenigstens  sa 
eznibren  haben. 

Die  Weide  besteht  aus  der  sogenannten  Heimweide  für  das  Kahvieh  in 
der  nächsten  Umgebung  der  Ortschaffen,  damit  zur  Molkzeit  heimgetrieben 
werden  kann,  und  aus  der  Hochweide  für  die  Stiere  und  Ochsen,  welche  von 
Mitte  des  Monats  Mai  bis  Mitte  Oktober  in  den  Waldongeu  verbleiben  und  dort 
im  Freirn  oder  auch  in  Bcrgstallen  übernachten. 

Bezüglich  der  Weide  rnuis  aber  bemerkt  werden,  dalü  sie  im  Bezirke  des 
BeTiers  Diazelsried  ULnfig  dem  Holswnchse  schfidlidi  wird,  indem  in  manchen 
Gemeinden  der  Viehstand  tn-  groJs  ist  nnd  die  oben  bemerkte  Schonnngineit, 
sowie  die  n5tige  Tsgewerksahl  fSat  1  Stftck  Weidevieh  nicht  eingehslt4in  wird. 
Hiena  kommt  noch  hie  nnd  da  das  Mittreiben  der  Geisen,  deren  Hanl  selbst 
Birkenpflanzen  nicht  verechont. 

Die  Birkenbergwaldfeldwirtschaft  erfüllt  somit  in  solange,  bis  die  Produk- 
tionsifthigkeit  des  Bodens  erschöpft  ist,  viererlei  landwirtschaftliche  Zwecke : 

a)  sie  giebt  Nahrung  dem  zahlreichen  Viehstande  des  Waldlerlandwirts. 
Im  Alter  von  5—6  Jahren  verkauft  er  die  herangewachsenen  Stücke 
snr  Mast  oder  zu  w^eiterer  Benutzung  uud  erhält  so  bares  Geld, 
welches  neben  dem  Leinwandverisaafs  seine  einzige  Einnahme  ist; 

b)  sie  verschafft  die  fOr  den  sahireichen  Yiehstand  nötige  leicht  bei- 
ffthrbare  Stren  nnd  für  die  Felder  den  nötigen  Dflnger.  Nebenbei 
bewirkt  sie  dadurch,  daüs  die  Schwarzwaldnngen  vor  den  Anforde- 
rungen an  Bechstren  bisher  liier  noch  ziemlich  verschont  bleiben; 

c)  dem  ärmeren  Inwohner  und  ü&usler  ersetzt  sie  den  hinlänglichen 
Besitz  von  liegenden  Gründen,  indem  ihm  jährlich  eine  oder  die 
andere  Kcuttiäche  zur  Bearbeitung  und  Benutzung  überlassen  wird; 

d)  endlich  erfüllt  sie  zugleich  auch  den  Zweck  als  Wald,  indem  sie 
nicht  nur  das  beste  Feuerungsmaterial,  sonderu  auch  Spahn-  oder 
Lichtholz,  Reife,  Wagnerstangen  u.  a.  liefert  und  swar  mit  einem 
jährlichen  Dnrohschnittsertrage,  welcher  jenem  der  Schwan- 
waldnngen  nicht  nm  sehr  vieles  nachsteht 

Die  Vkkßueht  bildet  im  bayrischen  Walde  einen  wesentlichen 
Teil  der  Landwirtschaft  und  besonders  in  manchen  höher  gelegenen 
Gegenden,  z.  B.  am  grofsen  Arber  und  am  Dreisesselberg,  wo  die  um- 
liegenden Gemeinden  zum  Teil  sehr  bedeutende  Weideberechligungen 
in  den  Stautsforsten  haben,  gewährt  sie  eine  wichtige  Erwerbsquelle. 
Am  erofsen  Arber  z.  B.  betrügt  die  Weideberechtigung  des  Reviers 
Bodenmais  etwa  120  Ochsen  und  120  bis  130  Kälber,  also  etwa 
250  Stück  Vieh  allein  von  Bodenmais.  Unter  drei  Hirten  weidet 
dieses  Vieh  abwechselnd  in  bestimmten  Bezirken.  Ochsen  uud  Kälber 
bleiben  den  ganzen  Sommer  über  (von  Anfang  Juni  bis  £ude  Sep- 
tember) in  den  Waldweiden  oben  am  Berge;  die  Hirten  nachtigen 
in  Hatten  auf  einem  sehr  primitiven  Lager  aus  Zweigen  und  Moos. 
Anüserdem  haben  die  Berechtigten  im  Vorwald  (dem  unteren  Teil 
des  Waldes)  das  Weiderecht  f&r  etwa  120  StOck  Milchvieh,  das  des 
Nachts  eingetrieben  wird. 


—  31  — 


Die  Wohnsitze  und  Wanderungen  der  Baffinland- 
Eskimos. 

Von  Dr.  Franz  Boas. 

Hieiza  Tafel  2:  Daa  Baffin-Land  zur  Darstellimg  der  Verbreitimg  der 

Eskimostämme. 


Obwohl  die  Ktteten  der  DavisstrallBe  und  Baffin-Bai,  sowie  der 

Hndsonstrafse  uns  schon  seit  langer  Zeit  in  ihren  ftufsereu  rohen  Um- 
rissen bekannt  sind,  haben  wir  bislaii^,^  sehr  weniges  über  die  Stämme 
erfahren,  welche  diese  Küsten  bewohnen.  Die  folgenden  Seiten  ent- 
halten eine  Schilderung  der  Wohnsitze  und  Wanderungen'  jener 
Eskimostämme  nach  den  Beobachtungen  und  Erkundigungen,  welche 
ich  während  meines  Aufenthalts  im  Cumberland-Sund  imd  an  der 
Davisstrafse  1883  und  1884  gemacht  habe. 

Man  mufs  auf  Baffiuland  sieben  Stämme  unterscheiden,  welche 
in  Bezog  aof  ihre  Dialekte,  im  Hausbau,  der  Art  des  Scblittentreibeiis, 
In  Bezog  aof  religiöse  Feierlichkeiteo,  mancherlei  Terschiedene  Sitten 
nnd  Gebräuche  haben. 

Den  ftufsersten  Südwesten  des  grofsen  Gebietes  bewohnen  die 
Srikossttilarmiut  Das  Land  von  Kings -Kap  nennen  die  Eskimos 
Ssikossuila,  d.  h.  die  eislose  Küste,  da  sich  ini  Winter  daselbst  in 
Folge  starker  Strömung  kein  Landeis  bildet.  Es  scheint,  dafs  sie  sich 
in  zwei  Abteilungen,  die  Bewohner  von  Ssikossuila,  Kings-Kap,  und 
NuiTata,  etwa  Queens-Kap  gliedern.  In  ihrem  Lande  wenig  östlich  von 
Kings-Kap  soll  sich  ein  etwa  70  sm  langer  Sund  Ssarbak  und 
Ssarbarssim  befinden,  in  dessen  Gebiet  sie  Rentiere  jagen.  Jeden- 
falls wandern  sie  nicht  sehr  weit  nach  dem  Nordosten,  da  ich  nur 
▼on  einem  einmaligen  Zusammentreffen  von  Gumberland-Sund-Eskimos, 
welche  sehr  weit  nach  Sttdwesten  vordringen,  mit  einem  Fremden, 
den  ich  f&r  einen  Ssikossailarmio  halte,  gehört  habe. 

An  der  Nordkfiste  der  Hudsonstrasse  finden  wir  noch  einen 
aweiten  Stamm,  die  Akudliarmiut  Ihr  Winterwohnsitz  liegt  an 
der  etwa  südöstlich  laufenden  Steilküste  der  mittleren  Hndsonstrafse, 
welche  hier  von  vielen  Fjorden  besetzt  ist.  Im  Sommer  reisen 
sie  in  den  White  Bear-Sund,  dessen  innersten  Winkel,  Baffins  Winter 
Furnace,  sie  Tudnikten  nennen.  Auf  einem  etwa  20  sm  langen 
Überlandwege  überschreiten  sie  die  Wasserscheide  zu  dem  grofsen 
Süfswasserbecken  Agmak^jua,  das  in  den  nördlichen  See  NettiUing 
entwässert  wird.  Ihre  Kigaks  tragen  sie  auf  dem  Kopfe  bis  an 
diesen  See,  an  dessen  Ufer  sie  ihre  Sommerzelte  au&chlagen. 


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—  32  — 

Noch  weiter  östlich  hefand  sich  früher  eine  bedeutende  Eskimo- 
niederlassung Kaumanang,  vermutlich  nahe  Parrys  Middle  Savage 
Islands,  deren  Bewohner  wohl  den  Akudliak- Eskimos  nahe  Stauden. 

Der  dritte  bedeutendere  Stamm  sind  die  Nu^^umiut  auf  der 
grofsen  plateauarti{j;en  Halbinsel  zwischen  Cumberland-Sund  und 
Frobisher-Bai.  Ich  glaube  nicht,  dafs  die  Bewohner  von  Frobisher- 
Bai  sich  irgend  wie  von  diesen  Eskimos  unterscheiden.  Sie  wohnen 
nicht  viel  weiter  nördlich  als  Okadlik,  der  Gomell  Grinnell-Bai,  nahe 
welcher  die  Kflsie  pldtzlich  nach  Nordwesten  in  den  Gumbcarland- 
Sund  umbiegt.  Die  Bewohner  der  F^bisher-Bai,  Tinnikiljuarbiorsini, 
wandern  über  eine  nichtzosammenhftngende  Kette  ron  Seen  eine 
Entfernung  von  etwa  70  Meilen  zu  dem  See  Agmakdjua,  an  de^n 
Nordostküstc  sie  ^nofse  liciitierherden  finden.  Die  Nuguniiut  jageu 
auf  dem  Hochlande  nördlich  der  Frobisher-Bai,  welches  sich  all- 
mählich nach  Nordwest  zu  vertiaclit  und  durch  einen  j^rofseu  Flufs 
nach  dem  Ciimberland-Sund  zu  entwässert  wird.  Sie  treffen  hier  mit- 
uuter  mit  den  Bewohnern  der  Westküste  des  Sundes  zusammen. 

Das  gesamte  Gebiet  des  Cumberland-Sundes  uennen  die  Eskimos 
Oko,  die  Küste  der  Davisstrafse  von  Padli  bis  Arbütüjung  (C.  Searle 
bis  C.  Eglioton)  Akudnim,  den  Best  bis  Prince  Regents  Inlet  Aggo, 
d.  h.  respektive  die  Leeeeite,  die  Mitte  und  die  Wetterseite,  und 
dementsprechend  sind  die  Bewohner  die  Okomiut,  die  Akudnirmiat 
und  die  Aggomiut 

Die  Okomiut  waren  vor  nicht  gar  langer  Zeit  ein  sehr  mäch- 
tiger Stamm,  welcher  ohne  Zweifel  noch  vor  50  Jahren  an  2500  Seelen 
zählte,  jetzt  aber  auf  kaum  300  Individuen  zurückgegangen  ist. 
Sie  waren  früher  deutlich  in  vier  Stämme  geschieden,  die  Tellirping- 
miut,  die  Kingnuamiut,  die  Kignaitmiut  und  die  Ssaumingmiut.  Die 
alten  Ansiedelungen,  welche  diese  einst  bewohnten,  sind  allerdings 
zum  grolsen  Teil  noch  heute  besucht,  aber  die  Zahl  der  Ansiedler 
ist  ungemein  zusammengeschmolzen. 

Die  Tellirpingmiut  haben  heute  noch  vier  Ansiedelungen,  üme- 
naktnak,  Ityuitnaktuin,  Nuvi\jen  nnd  Kaiossuit;  die  Kingnuamiut  zwei, 
Imigin  und  Anarnitung,  die  Kignaitmiut  eine,  Kikkerion,  die  Ssaa- 
mingmittt  zwei,  Ugjuktung  und  Okkiadliving.  Die  hier  angefahrten 
Pl&tze  sind  die  Winteransiedelungen,  welche  aber  in  andern  Jahres^ 
Zeiten  ganz  verlassen  sind,  da  dann  die  Eskimos  auf  Platzen  leben, 
an  denen  sie  leichter  und  mit  gröfserem  Erfolge  jagen  können.  Doch 
auch  diese  Inseln  sind  stets  die  gleichen  und  stets  zu  der  gleichen 
Jahreszeit  bewohnt. 

Von  ganz  besonderem  Interosse  sind  die  Wanderungen  der 
Tellirpingmiut  zur  Kentierjagd.  Die  Bewohuer  der  drei  südlichen 


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—  33  — 

Ansiedelungen  lel)cu  im  Sommer  auf  dem  Plateau  südwestlich  des 
Sundes,  die  von  Kaiossuit  dftgegen  wandern  nach  Westen  bis  zum 
Fox  Channel. 

Ihre  Lebensweise  hat  sich  in  den  letzten  Jahrzehnten,  wohl  in 
Folge  der  raschen  Yeriuinderuugf  bedeutend  geändert  £in8t  lebte 
ein  grofser  Teil  des  Stammes  Sommer  und  Winter  an  dem  grofsen 
See  Nettüling,  ein  anderer  Teil  nur  im  Sommer  im  Binnenlande,  im 
Winter  aber  am  Ausgange  des  NetÜIUng-FJordes.  Im  Biai,  bevor 
der  Schnee  auf  dem  Lande  ganz  geschmolzen,  verlielsen  sie  mit 
ihren  Schlitten  den  F^ord  nnd  begannen  die  Reise  zum  See  an  der 
kleinen  Bucht  Kangia,  wo  sie  ihre  Kajahs  nnd  Fellböte  zurflckzulassen 
pflegten.  In  möglichster  Eile  überquerten  sie  den  ISee  und  schlagen 
die  erste  Ansiedehm^r  un  den  Ufern  von  Koukdjtia,  des  Flusses,  welcher 
den  See  in  den  Fox  Channel  entwassert,  auf.  Sobald  das  Eis  auf- 
brach, fuhren  die  Männer  in  ihren  Kajaks  den  Flufs  hinab,  folgten 
der  Küste  etwa  40  Meilen  weit  und  ruderten  einen  zweiten  Flufs 
hinauf,  welcher  sie  in  die  Landschaft  Miyoraricyun  führte.  Hier 
jagten  sie  auf  zahllosen  Stellen  die  Rentiere,  und  kehrten  langsam 
von  Norden  her  nach  NeUiiiing  zurück.  Mittlerweile  überquerten 
die  ZurOckgebUebenen  den  See  und  lieben  sich  in  Kagmong  nieder. 
Wenn  die  Männer  mit  ihren  Kajaks  zurftckkehrten,  begann  der 
Stamm  langsam  nach  Osten  zurftckzuwandem  nnd  befand  sieh  zur 
2Mt,  wenn  der  See  sich  aufs  nene  mit  Eis  bedeckte,  in  Issoa,  der 
östlichen  Bucht,  von  wo  sie  nach  dem  Meere  zurückkehrten. 

Heute  verlassen  sie  auch  noch  im  Mai  das  Meer,  nehmen  aber 
keine  Böte  mit  sich.  Sie  fahren  mit  Schlitten,  auf  welche  die  Kajaks 
geladen  werden,  nach  Tikerakdjuak  an  der  Südseite  des  Sees,  von 
wo'  aus  sie  alle  ihre  Jagden  unternehmen.  Viele  Okomiut  aus 
anderen  Ansiedelungen  gehen  heute  auch  zum  See  hinauf,  indem 
sie  in  ihren  Walböten  den  Sund  überqueren  und  die  Böte  zum  See 
hinauftragen.  Sie  kehren  schon  früh  im  Oktober  zurack,  da  sie  vor 
dem  Eintreten  des  Frostes  daheim  in  der  Winteransiedelung  sein 
müssen.  Die  Tellirpingmiut  kehren  erst  Ende  November  zum  Meere 
zurflck. 

Die  Kignuamiut  bewohnen  den  nördlichsten  Teil  des  Sundes 

von  Nettilling-Fjord  im  Westen  bis  American  Harbour  (üssuadlu) 
im  Osten.  Sie  dehnen  ihre  Kentierjagden  über  das  Hügelland  von 
Kignua  aus,  welches  im  Westen  dem  mit  ewigem  Eise  bedeckten 
Gebirgslande  vorgelagert  ist,  das  sich  von  Pagnirtu  bis  Nudlung 
erstreckt.  Sie  pflegen  sich  im  Pommer  in  Lssurtukcyuak  und  Ichaluk- 
c^uak  niederzulassen. 

Die  Kignaitmiut  haben,  seit  die  Walfischftnger  den  Sund  besuchen, 

a#ogr.  BUitw.  Bc«nm,im  3 

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84 


llure  Wolinsitze  dnrcliweg  nach  Kikkertoü  verlegt.  Frfilier  waren 

ihre  Haiiptansiedelungen  in  den  Fjorden  Pa<?nirtu  und  Kigtiait,  wo 
sich  noch  heute  zahlreiclie  Hüttenreste  finden  Ihre  Sommeransie- 
dehin^ieii  bifiiiden  sieh  an  dem  obersten  Theile  des  Fjords  Kignait, 
von  wo  aus  sie  selbst  die  ivüsten  der  Davisstrafse  besucheji.  Die 
Ssauii)in;^m'Ut  endlich  durchstreifen  den  Süd  und  büdostabfall  de» 
Hochlandes,  weiches  sich  südlich  des  Kignait-Fjordes  ausbreitet 

Die  Akudninniat  sind  weit  beweglicher  als  die  Okoniiut.  Sit 
verfallen  in  zwei  Gruppen,  die  Bewohner  von  Padli,  weiche  in  Folge 
vieler  Übersiedelungen  den  Okoniiut  nahe  stefaeUf  und  die  Be- 
wohner von  Arbiüctung.  In  alten  Zeiten  scheint  der  Fjinrd 
Nodlung  ein  Lieblingsplatz  f&r  Sommeraosiedelangen  ge- 
wesen zn  sein.  Von  dort  brachen  sie  auf,  um  in  das  Land 
Majoraridjun  zu  wandern,  welches  die  Okomiut  vom  Fox  Channel 
aus  besuchten.  Heutzutage  gehen  sie  nicht  mehr  so  weit  ins  Bin- 
nenland. Auch  die  Bewohner  von  Arbaktun^  kannten  einst  einen 
Weg  zur  Küste  des  Fox  Channel,  welchen  sie  heute  nicht  mehr 
benutzen. 

Heute  bewohnen  die  Padlimiut  das  ganze  Gebiet  von  £xeter 
bis  Kivitung.  Ein  grolser  Teil  pflegt  sich  am  letzgenannten  Orte 
im  Sommer  niederzulassen,  um  mit  den  Walfischfäugern  Tausch- 
handel zu  treiben.  Sie  bleiben  bis  zum  Winter  daselbst,  Oberaiedeln 
dann  nach  Klkkertnk4jttak  (C.  Broughton)  and  ziehen  im  Frflhling 
nach  C  Searle,  von  wo  ane  sie  zur  nahen  Eiskante  auf  Bftrenjagd 
gehen.  Ein  anderer  Teil  bleibt  im  Padli-Fjord  wohnen,  indem  sie 
den  Sommer  an  dessen  oberstem  Teile  von  Lachsen  und  Rentieren 
leben.  Die  Bewohner  von  Arbaktung  ubersiedeln  im  Sommer  nach 
Niakonaujang  (C.  Raper)  und  gehen  zur  Rentierjagd  an  das  obere 
Ende  der  benachbarten  Fjorde  Ijellirtung,  Innukshuin  oder  Icbalualuin. 
Dieser  Stamm  pflegt  nicht  mit  Re^^elmäfsigkeit  die  gleichen  Platze 
zu  bewohnen.  Manchmal  überwintern  einzelne  in  River  Clyde  oder 
Eglinton-Fjord  (Arbürtüjung),  wahrend  sie  in  andern  Zeiten  wieder 
nach  Arbaktung  zurückkehren.  Ebenso  wenig  beziehen  die  Padlimiut 
aUjfthrlich  die  gleichen  Plätze. 

Die  Aggomiut  teilen  sich  in  zwei  Stftmme,  die  Tadnnnirmint 
vonEclipae*Sand  und  die  Tudnnnirossurmint  von  Admirality  Inlet.  Als 
letzte  sind  die  Bewohner  der  Fury  und  Hecla  Strait  zu  nennen,  welche 
sich  in  die  Iglulingmiut  und  Ssednirmiuten  zu  teilen  scheinen.  Parry 
hörte  1822  über  den  letzeren  Stamm,  welcher  irgendwo  zwischen 

Der  alte  Name  scheint  yergessen  tu  niii.  Nodlang  ist  eigentlich  der 
Name  einer  ganx  kleinen  Bucht  nahe  dem  Aneganga  dea  Fjoidea,  «iid  aber 
ietit  fAr  den  gßaam  Fjord  aagawaiidt 


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35 


Igluling  und  der  Mündung  von  Koukdjua  leben  mu£s,  sprechen;  ich  hörte 
jetzt  nur  einige  sehr  fra^^mentarische  Enthüllungen  über  dieselben« 

Die  Unterscheidung  dieser  Stämme  wird  wesentlich  durch  die  so 
h&ufigen  ÜbersiedeluDgen  einzelner  erschwert^  doch  kann  man  für  die 
Mehrzahl  der  Falle  behaupten,  daCs  ein  solcher  Wanderer  im  Alter 
in  seine  ursprügliche  Heimat  zurückkehrt  Übrigens  pflegen  sich 
übersiedelte  Eskimos  ganz  den  Sitten  des  Stammes  anznschlieCBen, 
unter  dem  sie  gerade  leben. 

Sehr  manigfaltiger  Art  sind  die  Ursachen  für  solche  Reisen. 
Häufig  plant  eine  Familie  weite  Reisen,  um  einen  Verwandten  oder 
Freund  zu  besuchen,  der  in  fernen  Landen  weilt;  Furcht  vor  Blut- 
rache veranlafst  einzelne  auszuwandern  und  im  fremden  Lande  eine 
Zufluchtsstätte  zu  suchen.  Am  iiäufigsten  aber  bilden  Handelszwecke 
die  Ursache  für  weite  Reisen. 

In  alten  Zeiten,  als  nur  die  Küste  der  Davisstralse  von  Schiffen 
besucht  wurde,  die  aber  nicht  viel  mit  den  Eingeborenen  in  Berüh* 
mng  traten,  waren  Eisen  und  andere  Metalle,  Holz  und  Topfsteine 
wichtige  Handelsartikel.  Holz  zum  Bootban  und  zur  Herstellung 
von  Bogen  sammelten  die  Kugnmint  auf  Tudjan  (Resolution  Island), 
das  ungemein  reich  an  Treibholz  ist.  Die  Okomiut  tauschten  es  von 
jenen  ein  und  brachten  es  weiter  nach  Akudnion.  Die  A^gomiut 
und  Akudninniut  erhielten  von  den  Walern  Metalle,  welche  sehr  hoch 
im  Werte  waren,  wie  man  an  ihrer  sparsamen  Verwendung  bei  Waffen 
und  Geräten  ersehen  kann.  Sie  vertauschten  dieselben  an  die 
Okomiut,  welche  selbst  nie  mit  Europäern  in  Berührung  kamen. 

Alle  diese  Verhältnisse  haben  sich  in  der  Zeit,  als  zahlreiche 
SehiffedenCnmberland-Sund bereisten, verändert.  Die E:»kimos erhielten 
als  Ersatz  für  ihre  Dienste  Gewehre  und  Munition,  sowie  reichlich 
Holz  und  Eisen.  Dadurch  kamen  die  alten  Waffen  und  Böte  aufoer 
Gebrauch  nnd  wie  früher  die  Aknilnirmint  durch  ihren  Besitz 
europaischer  Waren  die  Okomiut  in  ihr  Land  gelockt  hatten,  so 
strömten  jene  jetzt  in  Scharen  in  den  Cumborlaml- Sund.  Viele 
Nugumiut  liefsen  sich  vor  allem  in  Umenaktuak  und  Naujateling,  sowie 
in  andern  Plätzen  des  Sundes  nieder.  Die  Ssaumingmiut  verliefseu 
für  eine  Reihe  von  Jahren  ihre  Heimat  vollständig  und  lebten  in 
Kikkerton;  viele  Akuduirmiut  blieben  im  Sunde.  Weiter  erstreckte 
sich  der  Einflufs  der  Waler  aber  nicht.  Da  die  Eskimos  nun  mit 
Feuerwaffen  bekannt  geworden  waren  und  diese  Kenutnis  sich  rasch 
zur  DavisstrafKe  verbreitete«  so  entwickelte  sich  dort  allmählich  ein 
ihnlicfaer  Tauschverkehr  wie  im  Sunde*  Vor  altem  tauschen  die 
Eskimos  an  der  Küste  der  Davisstralse  Bärenfelle  gegen  Gewehre 
und  Munition  du. 


8* 

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—  36  — 

Gegenwärtig  kommen  fast  gar  keine  Walfischfänger  mehr  in 
den  Cumherland-Öimd,  weshalb  sich  nun  eine  Rückströmunj?  geltend 
macht,  indem  sich  viele  Okomiut  au  der  Daviäätralse  uiederlassen, 
am  leichter  >runition  kaufen  zu  können. 

Durch  die  vielen  ÜbersiedeluDgen  und  Wanderungen  einzelner 
Eskimos  wurden  die  St&mme  mit  ungemein  grofsen  Fl&chenrftumen  ihrer 
Heimat  bekannt  und  bildeten  sich  eine  recht  gute  Vorstellung  von  der 
Konfiguration  des  ganzen  Landes.  Der  Gumberland- Sund* Eskimo 
weis  von  den  Stammen  der  Nordkflste  Labradors  und  hat  von  denen 
des  Smith -Sund  wenigstens  gehdrt.  Die  Wege,  auf  welchen  diese 
Kenntnisse  von  Stamm  zu  Stamm  vermittelt  werden,  lassen  sich  auf 
das  Genaueste  verfolgen  und  sind  ohne  Zweifel,  wie  aus  vielen  alten 
Darstellungen  hervorgeht,  von  alters  her  unverändert  geblieben. 

jy\e.  Ssiko.ssuilarmiut  von  Kings-Cape  überqueren  in  ihren  grofsen 
Böten  die  Hudsonstrasfe,  indem  sie  die  drei  Inseln  Mill,  Salisbury 
und  Nottingham  Island  passieren.  Die  Überfahrt  wird  vermutlich 
nicht  sehr  häufig  unternommen,  da  die  Fahrt  in  den  Fellböten  nicht 
ungefährlich  ist  Die  Eskimos  dürfen  wahrend  der  Überfahrt  kein 
Wort  sprechen,  um  nicht  den  Sturm  heraufeubeschwören!  Sie  ver- 
kehren auf  Labrador  mit  den  Iglumiut,  d.  h.  den  Bewohnern  der 
anderen  Seite,  welche,  wie  es  scheint,  sich  bis  zur  UngavarBai  ver- 
breiten. Wenigstens  hörte  ich  diesen  Namen  eines  Landes  im  Sunde 
öfters  erwähnt,  ohne  aber  mit  Sicherheit  behaupten  zu  können,  ob 
es  die  Ungava-Bai  der  Karten  ist.  Vermutlich  delineu  sich  die 
Wandemnijen  der  Ssikossuilarmiut  nicht  sehr  weit  ins  Biuuenland 
aus,  da  die  Okomiut  fast  nie  mit  ihnen  zusammentreffen. 

Vermutlich  verkehren  die  Aku<lliarmiut  und  Ssikossuilarmiut 
ausschliefslich  auf  Boot-  und  Schlittenreisen  längs  der  Küste  und  der 
zahlreichen  Inseln.  Eine  Anzahl  Akudliarmiut  wanderte  vor  einer 
Beihe  von  Jahren  in  den  Cumberland-Sund  ein,  indem  sie  zmn  See 
Agmak4jua  hinauf-  und  zur  Frobisher-Bai  hinabwanderten.  Dieser 
Weg  scheint  frtther  sehr  vielfach  benutzt  gewesen  zu  sein,  was  wohl 
darin  seine  Begrandung  findet,  dafs  die  Stämme  der  Hudsonstrafse 
und  Frobisher-Bai  sich  im  Sommer  während  des  Bentierfanges  an 
dem  See  zu  treflfen  pflegten.  Ein  anderer  Verkehrsweg  zwischen  der 
Hudsonstrafse  und  den  Nugumiut  folut  der  Küste,  doch  fürchten  die 
Eskimos  die  Passage  zwischen  Resolution  Island  und  dem  Festlande 
sehr  wegen  der  reifsondeu  Strömung,  weiche  hier  herrscht.  Die 
Stamme  des  Cumberland-Sundes  und  die  Nugumiut  verkehren  auf 
Boot-  und  Schlittenreisen  längs  der  Küste,  weicher  zahllose  Inseln 
vorgelagert  sind. 

Über  die  interessanten  Überlandreisen  der  Tellirpingmiut 


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babe  ich  schon  oben,  gesprochen,  doch  bleibt  hier  noch  einiges  nach- 

zuhüleu. 

In  alten  Zeiten  wanderten  cinitje  Familien  hinüber  zur  West- 
küste, der  sie  nuch  Norden  hin  folf^ten  und  so  nach  l^liiling  gelangten, 
WO  sie  mehrere  Jahre  lebten.  Später  kehrten  sie  nach  dem  Sunde 
zurück  und  wufsten  gar  viel  von  dem  Reichtum  jenes  Landes  zu 
erzählen.  Dieses  Teranlafäte  drei  Bootsmann scbaften ,  die  gleiche 
Reise  zu  versuchen.  Sie  aber  kamen  elendiglich  durch  Hunger  auf 
einer  kleinen  Landenge  der  Foz-Kanal-Küste  um.  Diese  Unter- 
nehmung, die  vor  etwa  60  Jahren  stattgefunden  haben  müh,  war 
die  letzte  Reise  der  Cumberland-Sund-Eskitnos  längs  jener  Kflste. 
Es  mufs  aber  hervorgehoben  werden,  da(s  nie  irgend  welcher  regeK 
mftfsige  Verkehr  dort  stattgefunden  hat.  Die  Okomiut  gingen  nie 
südlich  von  Kouk^jua  und  nie  nördlich  der  Landschaft  Majorari<yun. 
Andererseits  verirren  sich  die  Igluling-Esfcimos  nnr  sehr  vereinzelt 
bis  zur  Nordkflste  von  Nettilling.  Vor  etwa  90  Jahren  traf  einmal 
ein  Okomio  dnen  Fremden,  den  ich  naeh  der  Beschreibung  seiner 
Kleidung  und  seines  Zeltes  für  einen  Igluling-Eskimo  halten  mufs. 
Ein  Beweis  für  die  Thatsache,  dafs  schon  seit  lan^e  kein  Verkehr 
hier  stattfindet.  We^^i  auch  in  den  Erkundigungen  Halls  iu  igluling, 
welche  sich  nur  bis  Koukdja  erstreckten. 

Die  Cumberland-Sund-Eskimos  kennen  das  Schicksal  jener  drei 
Bootsmannscluiftt'n  sehr  wohl,  haben  aber  die  Nachricht  auf  dem 
weiten  Wege  über  liluling  durch  Eclipse-Sound  und  längs  der  Küste 
der  Davisstraf>e  erhalten. 

Der  cje-aiiUe  Verkehr  zwischen  den  Okomiut  und  den  Akud- 
nirmiut  geht  durch  das  enuH'  und  tiefe  Thal  zwist  hen  den  Fjorden 
Kignait  und  Padli.  Das  Thal  zwischen  beiden  Pagnirtu  wird  heut- 
zutage gar  nicht  benutzt. 

Die  unruhigen  Bewohner  der  Davisstrafse,  welche  sich  bald  im 
hohen  Norden,  bald  weit  südlich  niederlassen,  vermitteln  den  Verkehr 
mit  den  Tudnunirmiut.  Auf  drei  Überlandwegen  verkehren  diese 
mit  den  Bewohnern  der  Fury  und  Hecla  Strait  Der  westlichste 
führt  durch  die  grossen  Ebenen  des  Westens  zum  Fjord  Anaulere^ling 
(Dezterity-Bai),  ein  zweiter  zum  Arctic-Sund,  und  der  ösUicbste, 
welcher  den  Verkehr  zwischen  den  Bewohnern  von  Tudnunirossim 
und  Iglttling  vermittelt,  entlang  der  Kflste  des  Gulf  of  Boothia  zu  dem 
IJord  Tesdpjang  and  Aber  Land  zum  Admuralty  Inlet  Die  Igluling- 
Eskimos  verkehren  häufig  längs  der  Ostküste  der  Melville-Halbinsel 
mit  den  Eiwilling-Eskimos  der  Repnlse-Bai  Sie  scheinen  im  Sommer 
mit  Vorliebe  die  Koste  des  Fox  Channel  bis  zu  einer  Landschaft 
mit  Nameu  Pileing  zu  besuchen,  welche  früher  auch  von  den  Akud- 


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—  38  — 

airmiut  aufgesucht  sein  soll.  Diese  durchquerten  von  der  Hom^Bii 
ausgehend  das  Land  in  zwei  Tagereisen  und  jagten  dann  an  d€& 
Ufern  eines  Sees  in  Pileing. 

Die  Tudnnninnint  und  Tndnunirossinniut  wandern  in  Winten, 
in  denen  eine  feste  Eisdecke  den  Lancaster-Snnd  bedeckt»  hinftber 
nach  North  Devon,  welches  sie  Tadjan  nennen.  Sie  Oberqoeren  den 
Jones -Sand  nnd  leben  zeitweilig  unter  dem  Stamme  von  Lincoln- 
Land,  von  welchem  wir  wohl  öfter  gehört  haben,  der  aber  nie  von 
einem  Weifsen  gesehen  ist.  Nach  Hessels  ist  einiger  Verkehr  zwischen 
den  Iha-Eskinios  und  diesen  Bewohnern  von  Umingmaugnuna,  d.  L 
Moächusochsen-Land. 

Eine  genauere  Kenntnis  dieser  nördlichen  Stämme  von  Ponds- 
Bai  und  Jones- Sund,  sowie  der  Repulse- Bai -Eskimos  würde  von 
grofsem  Interesse  für  die  Lösung  der  Frage  nach  dem  Urspmng 
nnd  den  Wanderungen  dieses  Volkes  sein,  welches  sich  relativ  mit 
grofser  Geschwindigkeit  ttber  die  Küste  des  arktischen  Amnikn  Ycr^ 
breitet  haben  mulik 


Die  Erforscbung  des  Yuken- Gebiets  (Sommer  1883). 

Von  F.  Sehwatka, 
Premier-LeiitiiMit  in  der  Vtreinigten  Sttaton-Annee. 
3.  Vom  alten  Fort  Yukon  bis  zur  Aphoon-Mftndnng.*) 


Berichtis^ne  der  Ilaynondschen  Karte.  Grof^e  Hifsa.  Btarm.  BMehaffenheit 
der  Ufer.  D«r  W  hymper-Flufä  Stroitisclmellen  Di»  Tunana.  Indtanerdörfer.  Nukla- 
kayet.  Ende  der  I-Iof^fabrt  ächanor.  Der  Yakooargat  Landan«;  in  Nalato.  Daa 
Orab  des  Lentnanta  Bamard.  Unwattar  Indianer  in  naidaren  An  der  An^-Mttodwif  * 
Frederik^una  Uandt-lopoHten.  Da»  erste  Ebkimodorf.  Der  Dampfer  ^Takon".  Aakanft 
in  AudrMvaky.   Die  FiiiCftufer.   Kotelik.   Fahrt  aaeb  St.  Miohael. 

Nachdem  Fort  Tnkon  erreicht,  sehloss^en  sich  nnsere  Anfiiahnien 

an  die  des  Kapitäns  Uaymond  von  der  Vereinigten  Staaten- Armee 
im  Jahre  1869  au  und  ergaben  nur  kleine  Berichtigungen  an 
einzelnen  Punkten.  Auf  laugen  Strecken  erwies  sich  die  Karte  des 
Kapitäns  Raymond  so  vortrefflich,  dafs  jedes  weseutliche  Objekt 
identifiziert  werden  konnte,  dagegen  war  sie  wieder  auf  kurze  Ent- 
fernungen seltsam  verworren.  \Vir  erklarten  uns  dieses  anfänglich 
ans  der  verschiedenen  Persönlichkeit  der  Beobachter,  allein  bei 
nnserer  Rückkehr  auf  nnsere  Arbeiten  znrackblickend,  waren  wir  ge- 
neigter, die  Ursache  der  Abweichungen  in  dem  yerftnderlichen 
Wetter  zn  snchen;  offenbar  übte  letzteres  merkliche  Wirkungen  auch 

*)  Die  Abschnitte  1  und  2  worden  in  Band  VU.  1884,  S.  16  und  ff.  und 
S.  163  und  ff.  veröffentlicht. 


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auf  unsere  eigene  Anftiahmen;  Bp&tere  Reisende  mögen  dies  beacbten 
und  dadurch  zu  hoffentlicb  noch  genaueren  Aufnahmen  kosunen. 
Bei  Fort  Tokon  begegneten  wir  dem  Flofsdampfer  der  Alaska  Com* 

pany  und  wir  verproviantierten  uns  mit  Hülfe  desselben  für  unsere 
fernere  Rei^e,  die  wir  am  29.  Juli  früh  auf  unserem  Flols  fort- 
setzten. 

Es  war  drückend  heifs  am  Flufs;  zwischen  6  und  8  ühr  abends 
zeigte  das  Thermometer  8ü^  F.  im  Schatten,  Moskitos  umschwärmten 
uns  in  dichten  Wolken,  als  wir  am  Abend  etwa  um  9  Uhr  unser 
Lager  aufschlagen;  wir  mn&ten  einige  Feuer  anzflnden,  um  diese 
Plagegeister  nur  einigermafsen  erträglich  zu  machen.  Um  10  Uhr 
trat  heftiger  Regen  ein  und  obwohl  es  die  ganze  Nacht  hindurdi 
henbrieselte,  so  liefsen  nns  doch  die  Mücken  und  Moskitoschwarme 
aif^t  zum  Schlafen  kommen.  Am  90.  Juli  Mh  morgens  6  Uhr  25  Mi- 
nuten  waren  wir  wieder  in  Fahrt,  am  Nachmittage  setzte  ein 
heftiger  Sturm  ein,  so  dafs  wir  grofse  Mühe  hatten,  unser  Flofs  zu 
steuern  und  von  den  Bänken  an  der  Lehseite  freizuhalten;  wir 
machten  daher  nur  44  miles  gegen  öOVa  am  29.  Juli.  Der  Wind  war 
aufserordentlich  kalt  und  unangenehm,  ein  scharfer  Gegensatz  zu 
der  heifsen  Witterung  des  vorhergehenden  Tages.  Wenigstens  bot 
sich  nun  der  Vorteil,  dafs  die  Moskitos  fern  blieben  und  wir  einen 
guten  Schlaf  hatten.  Am  1.  August  stürmte  und  regnete  es  so 
stark,  dafo  wir  im  Lager  (44)  blieben;  Reste  eines  Mastodonschenkels 
und  ein  Zahn  dieses  langst  ausgestorbenen  Tieres  wurden  in  den 
Sandbanken  des  Ufers  nahe  dem  Lager  gefunden.  Ohne  Zweifel 
hatten  diese  Reste  ursprünglich  weiter  stromanfwarts  gelegen.  Am 
2.  August  trieben  wir  mit  unserem  Flofs  mehrfach  durch  stilles 
Wasser  und  zwar  verlanj^samte  dies  unsere  Trift  in  der  Weise,  dafs 
wir  in  zwölf  Stunden  nur  26  miles  zurücklegten,  an  den  meisten 
dieser  Stellen  war  die  Strömung  im  Anfange  noch  ziemlich  stark,  je 
tiefer  und  weiter  aber  der  Flufs,  desto  schwächer  wurde  die  Strömung. 
Längs  des  Flufses  zeigten  sich  mehrfach  Spuren  der  Bewohnung 
durch  Indianer,  wir  bekamen  aber  die  letzteren  nicht  zu  Gesicht. 
Unser  nächstes  Lager  (45)  schlugen  wir  an  einem  Punkte  auf,  wo 
sich  wiederum  zu  unserer  Frende  das  Ufer  in  niedrigen  Bergw&llen 
erhebt;  die  letzten  300  miles  ging  unsere  Fahrt  durch  ununter- 
brochen flaches  Land,  die  Bergwalle  ähnelten  anlserordentlich  denen 
des  oberen  Tnkon,  so  dafs  sich  nns  die  Oberzeugung  aufdrängte, 
dafs  es  dieselbe  Formation  ist,  welche  wie  eine  Sehne  zu  dem 
nordwärts  in  die  flache  arktische  Tundra  ausbiegendeu  Yukou  verlauft. 
Bei  Lager  46  trafen  wir  viele  indianische  Gräber;  eines  derselben 
war  ein  Masseugrab,  in  welchem  wohl  ein  Dutzend  Leichen  beerdigt 


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sein  mochten,  vielleicht  infolge  einer  Epidemie.  Bei  diesem  Lager 
wurde  kurz  yor  unserer  Abfahrt  am  4  Angust  ein  Stachelachwein 
(Hystrix  cristata)  durch  einen  der  Leute  getötet;  am  Ufer  zeigten 
sich  bald  darauf  zwei  Wölfe,  sie  waren  so  zahm  oder  so  gleich- 
gültig gegen  unsere  Anwesenheit,  dafo  wir  sie  anfänglich  fOr  in- 
dianische Hunde  hielten;  Indianer  sahen  wir  auch  an  diesen  Tagen 
nicht.  An  verschiedenen  Stellen  des  Ufers  sahen  wir  eisenhaltiges 
Gestein  aus  den  Bergen  hervortreten,  ahnlich  den  Eisenbergeu  am 
Lindeman-See  am  oberen  Yukon.  Weiter  abwärts  fahrend  fanden 
wir  die  Mündung  des  Whymper-Flusses  so  versteckt,  dafs  der  Flufs 
nicht  sichtbar  ist,  doch  ist  das  durch  die  Bergkette  brechende  Flula- 
thal  sehr  deutlich  zu  sehen.  Das  Wasser  der  kleinen  Bäche,  welche 
hier  den  tundraartigen,  torflialtigen  Boden  durchliiefsen,  ist  recht 
durchsichtig  oft  in  dem  MaCse,  dals  mau  bis  auf  den  Boden  ^arch- 
blicken  kann;  die  rotbraune  Farbe  des  Wassers  kontrastiert  bei 
dem  Einflulse  in  den  Tukon  merkwürdig  mit  dem  lehmigen  Wasser 
des  letzteren«  Am  4.  August  setzten  neue  Stflrme  ein  und  wir 
legten  nur  26V«  miles  zurück.  Am  5.  August  passierten  wir  die 
von  früheren  Reisenden  oft  beschriebenen  Stromschnellen  bei  den 
unteren  Uferbergketten;  wir  trafen  besondere  Vorbereitungen  für 
die  Sicherheit  unseres  Flosses,  allein  die  Stromschnellen  waren  so 
unmerklich,  dafs  die  Wellen  sich  nur  am  Ufer  kräuselten,  und  dafs 
wir  darüber  hinkamen,  ohne  es  zu  wissen,  bis  wir  es  in  dem  la- 
dianerdorf  weiter  abwärts  erfuhren.  Diese  Partie  des  Yukon  ist  sehr 
malerisch,  leider  war  aber  das  Wetter  trübe,  so  dafs  wir  keine  photo- 
graphischen Aufnahmen  machen  konnten.  Am  6.  August  verlieTsen 
wir  unser  Lager  (48)  um  Vt  9  Uhr  vormittags.  Von  Süden 
her  kommt  die  Tanana  in  den  Tukon,  ein  ebenso  bedeutender  Strom 
wie  der  letztere;  die  Erforschung  desselben  wftre  eine  schöne  Auf- 
gabe für  künftige  Reisende.*)  Wir  passierten  verschiedene  gut 
bevölkerte  indianische  Dörfer  und  kamen  bald  nach  6  Uhr  nach 
Nuklakayet.  Es  ist  dies  der  am  weitesten  binnenlands  gelegene 
Handelsposten  und  als  solcher  recht  bedeutend.  Wir  fanden  hier 
einen  kleinen  Garten,  wohl  den  nördlichsten  auf  dem  westlichen 
Kontinent,  und  wir  wurden  mit  Rüben  bewirtet,  die  in  diesem  Garten 
gezocren  waren  und  deren  eine  6V«  Pfund  wog.  Hier  verliefsen  wir 
das  Flofs;  wir  hatten  mit  demselben  1300  nliles  zurückgelegt,  wohl 
eine  der  längsten  Flofsreisen,  die  im  Interesse  der  Geographie  gemacht 
worden  sind.  FQr  die  Weiterreise  stand  uns  hier  ein  Schuner  von 
10  Tons  Tragfähigkeit  zur  Verfügung.   Wir  schafften  unsere  Sachen 

*)  Den  letzten  Nachrichten  zufolge  steht  die  Erforschung  des  Tauana  in 
diesem  Sommer  bcYor.  D.  Bed. 


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an  Bord  desselben  und  traten  die  Falirt  stromubwarts  am  8.  August 
an.  Auch  dieses  Fahrzeu^^  trieb  nur  mit  der  St i  Innung  wie  das 
Fiofs.  Wir  hatten  nämlich  nur  ein  kieiiics  Sprietsegel,  das  wir  nur 
bei  {günstigem  Wetter  aufsetzen  konnten,  ein  Fall,  der  selten  eintrat; 
\^ir  erwarteten,  dafs  der  Handelsdampfer,  welchen  wir  bei  Fort 
Yukon  getroffen  hatten,  nns  bevor  wir  die  Mündung  erreichten, 
Überholen  und  ins  Schlepptau  nehmen  wflrde.  Wir  kamen  erst 
spftt  am  Tage  fort  nnd  trieben  nur  37  miles.  Die  Nacht  sehlugen 
irir  unser  Lager  am  Lande  auf,  da  das  Nächtigen  an  Bord  des 
Scbuners,  der  viel  Wasser  zog,  unangenehm  war.  Am  9.  August 
schlug  uns  ein  voller  Sturm  entgegen  nnd  da  das  Schiff  viel  mehr 
vom  Winde  gefafst  wurde,  als  das  Flofs,  so  konnten  wir  nur  8',  2  miles 
zurücklegen.  Der  Schuner  trieb  besser  im  Winde,  wenn  er  mit  seiner 
Breitseite  gegen  die  Strömung  geleijt  wurde,  selbst  wenn  der  Wind 
gerade  entgegen  war.  Am  10.  August  passierten  wir  viele  Indianer- 
dörfer und  überhaupt  waren  Dörfer  Eingeborener  in  der  Nähe  der 
Handelsstationen  zahlreich,  fast  alle  hatten  auf  den  Inseln  Fischerei- 
stationen und  bei  denselben  Fischzaune  zum  Lachsfang,  sowie  Gerüste 
znm  Dörren  der  Fische.  Am  11.  August  war  das  Wetter  erbärmlich, 
wir  legten  die  Strecke  bis  zu  unserem  Lager  (53)  zurttck,  welches 
wir  gerade  gegenüber  der  Mttndung  des  Yukocargut  aufschlugen. 
Am  12.  August  nahe  dem  Indianerdorf  Sakadelontin  sahen  wir  eine 
Anzahl  S&rge  in  den  Bäumen,  znm  ersten  Mal  auf  unserer  Thalfahrt. 
Das  Wetter  blieb  schlecht,  am  13.  August  kam  uns  wieder  ein  Sturm 
entgegen;  an  diesem  Tage  passierten  wir  die  Mündung  des  Koyukuk, 
welcher  von  Norden  kommt.  Unser  Lager  (55)  war  an  diesem 
Abend  auf  einer  Insel  in  einem  anmiitiLren  Tappeihain.  Im  Laufe 
des  14.  August,  wo  wir  uns  Nulato  näherten,  bekamen  wir  zahlreiche 
Dörfer  zu  Gesicht;  die  meisten  Männer  waren  fort,  landeinwärts  auf 
der  Tundra,  um  Rentiere  zu  jagen.  Bald  nach  3  Uhr  landeten 
wir  am  oberen  Teil  von  Nulato;  das  Grab  des  Leutnants  Barnard 
ist  hier  im  Grase  und  Weidengestrttpp  verschwunden;  man  wird  sich 
erinnern,  dafs  dieser  Offizier  der  K.  britischen  Kriegsmarine  in  dieser 
Gegend  hei  dem  damals  russischen  Handelsposten,  als  er  Erkundi- 
gungen nach  Sir  John  Franklin  einzog,  in  einem  Gefecht  mit 
Koyukukindianern  getötet  wurde.  Der  llandelsposten  von  Nulato  ist 
jetzt  aufgegeben  und  auch  die  grofsen  Iiidianerdörfer  rund  umher 
scheinen  halb  verlassen.  Nach  einer  Trift  von  12  Stunden  erreichten 
wir  am  15.  Ausist  einen  Platz,  den  die  Indianer  Kal-tag  nt'iinen. 
Am  16.  August  wütete  ein  so  heftiger  Sturm,  daf^  wir  im  Lager 
bleiben  mufsten;  am  17.  August  konnten  wir  wegen  des  üblen  Wetters 
nur  25  miles  zurücklegen  und  es  war  schwierig,  unsere  Position  zu 


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Jener  Zeit  aaf  der  Karte  des  Kapitäne  Raymond,  bei  weitem  der 
besten  Ober  diese  Gegend,  su  finden,  immerbin  ist  Raymond  sn  enl- 
scbnldigen,  wenn  er  eine  ihnllcbe  Witterung  hatte,  als  wir.  Das 

Unwetter  währte  auch  am  18.  August  fort,  abends  begann  es  zu 
regnen.  Nachmittags  5  Uhr  bemerkten  wir,  dafs  die  Klippen  weiter 
landeinwärts  verliefen,  wir  hatten  ein  mit  Baumstaramen  besäumtes 
steiles  Ufer  vor  uns,  so  raufsten  wir  bis  gegen  9  Uhr  abends  mit 
unserm  Fahrzeug  forttreiben,  bis  wir  an  einer  Stelle  anlef?en  konnten. 
Mit  lebhaftem  Verlangen  erwarteten  wir  den  Flo&dampfer,  der  uns 
los  Schlepptau  nehmen  sollte.  Das  Wetter  besserte  sich  auch  am 
19.  Anglist  nicht.  Auf  unserer  Fahrt  Ton  Lager  59  bis  sahen 
wir  viele  meist  kleine  indianische  IMrfer.  In  der  Nacht  vom  19.  som 
90.  August  artete  der  Sturm  in  einen  Orkan  aus,  gewaltige  8eea 
flberströmten  unseren  Schuner,  der  beinahe  gestrandet  wäre;  das 
geschleppte  Kanoe  wurde  ans  üfer  geworfen  und  sertrOmmert  Alle 
an  Bord  blieben  die  Nacht  über  wach.  Am  21.  August  fuhren  wir 
7  Uhr  50  Minuten  früh  weiter;  am  Nachmittag  begegneten  uns 
Indianer  in  zwei  Baidaren,  die  wie  ein  Kanalboot  vom  Lande  aus 
durch  Menschen  und  Hunde  gezogen  wurden,  um  V«  10  Uhr  abends 
schlugen  wir  unser  Lager  bei  den  auf  der  Karte  von  Raymond 
verzeichneten  Halls  Stromschnellen  auf;  diese  erwiesen  sich  indels 
als  sehr  unbedeutend.  Nahebei  lag  eui  Jngalikdorf  und  unweit 
von  diesem  fanden  wir  einige  mit  Ornamenten  versehene  Grfiber; 
auf  einem  derselben  waren  3  Rentiere  und  zwei  Biber  gemalt 

Nach  einer  Fahrt  von  5  Stunden  erreichten  wir  am  22.  August 
die  Mflndnng  des  Anvik-Flusses,  IVt  miles  unterhalb  des  von  Herrn 
Fredericksen  verwalteten  Handelspostens.  Dieser  war  etwas  be- 
unruhigt über  einige  Schagelukindianer,  welche  kürzlich  vom  unteren 
Strome  heraufgekommen  waren,  um  sich  von  dem  griechischen 
Priester  der  Mission,  welcher  zu  dem  Zweck  hierher  gekommen  war, 
taufen  zu  lassen:  nach  seiner  Meinung  hatten  sie  sich  verabredet^ 
ihn  zu  berauben  und  zu  ermorden.  Herr  iiredericksen,  welcher  hier 
den  Dienst  für  das  meteorologische  Bureau  der  Vereinigten  Staaten 
in  Washington  zu  versehen  hat,  erzählte  mir,  das  Eis  am  Yukon 
sei  bei  Anvik  bisweilen  schon  am  4  September  so  dick,  dafs  es  ein 
Fellboot  zerschneide.  Doch  oft  tritt  die  Eisbildung  erst  spater  ein, 
so  2.  B.  1882  erst  am  12.  Oktober.  In  der  Geilend  von  Anvik  »nd 
die  letzten  Indianerddrfer  am  Flufs,  40  miles  stromabwärts  ,  beginnen 
die  E-skimoniederlassungcn,  welche  bis  zur  Mündung  reichen.  Am 
23.  August  setzten  wir  unsere  Heise  gegen  10  Uhr  vormitt<igs  fort, 
um  Uhr  mittags  passierten  wir  Maka-ianiute,  das  erste  Eskimo- 
dorf, wenn  ich  uicht  irre;  vou  hier  au  waren  die  Bewohner  wieder 


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zahlreicher  und  die  Behausungen  in  ihrer  Anlage  mehr  auf  die  Dauer 
berechnet.  Myriaden  von  Gänsen  zeigten  sich,  offenbar  schickten  sie 
sich  an,  ihre  herbstliche  Wanderung  südwärts  anzutreten.  Während 
wir  im  Lager  63  waren,  trat  Frost  ein,  das  Tischtuch  des  Kochs 
war  steif  gefroren,  auf  stillem  Wasser  bildeten  sich  £isnadeln  and 
am  Morgen  des  folgenden  Tages  zeigte  sich  das  hohe  Gras  stark 
bereift  Um  8  Uhr  Yormittags  fuhren  wir  ab,  bei  einem  leichten 
Gegenwind«  der  indessen  nm  10  Uhr  vormittags  stürmisch  wurde 
Ottd  blieb.  Bald  nach  2  Uhr  kam  der  Dampfer  „Yukon**  in  Sicht 
und  zwar  bei  Petersen  Point  (wir  tauften  die  Stelle  so  nach  unserem 
Kapitän);  bald  duiciuf  nahm  uns  das  Schiff  ins  Schlepptau,  wodurch 
wir  aller  Mühen  und  Sorgen  überhoben  wurden.  Nach  7  Uhr  abends 
erreichten  wir  die  jetzt  verlassene  obere  Mission  und  schlugen  hier 
unser  Lager  auf.  Wir  nahmen  hier  ein  Holzhaus  für  Andreavsky 
an  Bord,  um  9  vormitta;;s  fuhren  wir  weiter  bis  zur  eigentlichen 
Missionsstation,  welche  3  miles  weiter  abwärts  liegt;  hier  kam  der 
griechische  Priester  für  St.  Micliael  an  Bord,  er  machte  die  Reise 
zu  dem  Zweck  mit^  um  Güter  von  dort  zu  holen,  da  er  zugleich  der 
Handelsagent  der  Mission  ist  Den  ganzen  Tag  über  wehte  es  heftig 
und  schlugen  wir  unser  Lager  bei  einem  grofsen  Eskimodorf  auf. 
FrAh  6  Uhr  brachen  wir  wieder  auf  und  erreichten  Andreavsky  gegen 
*/i  6  Uhr  abends.  Hier  blieben  wir  eine  Zeit  lang,  da  Kapitän 
Petersen  hier  die  Handelsstation  verwaltet.  Die  Berge  am  rechten 
Ufer  waren  hier  in  welligen  Linien  niedriger  als  weiter  aufwärts 
und  an  Stelle  der  Baume  trat  niedriges  Weidengebüsch.  Das  süd- 
liche Gelände  ist  von  der  Gegend  von  Kaitag  an  flach,  nur  in  der 
Ferne  erscheinen  Berge.  Am  27.  August  nachmittags  verliefsen  wir 
Andreavsky  und  erreichten  am  18.  August  Kötelik,  welches  7  miles 
Yon  der  Mündung  des  Flusses  entfernt  ist;  hier  blieben  wir  die  Nacht 
und  fuhren  am  nftchsten  Tage  nach  St  Michael  in  Norton-Sund; 
der  kleine  Dampfer  steuerte  in  das  Berlngs-Meer.  Mit  Erreichung 
der  Aphoon*Mündung  war  unsere  Forschungsreise  durch  Alaska  und 
auf  dem  Yukon  zu  Ende.  Es  ist  dieses  die  nördlichste  der  Mflndungen 
des  Yukon ;  dieselbe  ist  sehr  seicht,  denn  bei  Hochwasser  stehen  nicht 
mehr  als  drei  Fufs  Wasser  auf  der  Barre,  doch  würde  eine  Aus- 
tiefung  dieser  Mündung  möglich  sein,  wenn  der  Verkehr  es  erheischte. 


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—  44  — 

Neu -Seeland  in  Vergangenheit  und  Gegenwart 

Vom  Professor  Dr.  Wilfc.  Stte4i. 


0«ographi8«h«  Ltgt.   GrOfse  und  BeTSlkernng.   lfftl«risebe  Ersobebrasf  mm 

Keu-Seeland.  Motallreichtum  Viehzucllt.  Flora.  Ackerbau.  Handel.  Die  UrbewohlMr 
(Maoris).  Kntdtcktin^jspfi^chichte :  Ta?man,  roo{<,  Snrville,  Marion  du  Fresne  o,  a. 
Die  ersten  Miat^ioDäre  und  Kolonistea.  Eugliächer  (>chutz.  Der  erate  englische  Uesidcnt. 
Bnf Useb«  Eifbrraebt  gegen  die  Frensosen.  Die  KenMie  der  Uubbingigkeitserkllning. 
Baron  Thierry.  Die  New  Zealaiid  Tompany.  Enj^lischn  Annektion  1840.  Die  f'om- 
pagnie  nante-bordelaise.  Weitere  Entwickelung.  Verfassung.  Die  K&mpfe  mit  dea 
Maoris.    Pinanssohwierigkeiten.    Das  deutsche  Element    Verkehr  mit  Dentscbland. 

Zwischen  dem  165  ®  und  176 «  ö.  L.  und  35—47  ^  s.  Br.  er- 
strecken sich  drei  von  einander  durch  schmale  Wasserstrafsen  fje- 
trennte  Inseln,  die  in  ihrer  Gesamtheit  den  Namen  ;,Neu-Seeland* 
fahren.  Die  Nord-  und  Mitteliosel  sind  sich  an  Ausdehnung  fast 
gleich;  die  erstere  hat  in  der  Sprache  der  Eingeborenen  die  Be- 
zeichnung ,Te  Ika  a  Mawi'',  d.  h.  so  viel  als  „Tisch  des  Mawi<*,  die 
letztere  wird  „Te  Wahi  Pounamoa**,  d.  „Insel  des  Grünsteins 
(Nephrits)*  genannt.  Die  Südinsel,  sehr  kleinen  Umfanges,  heifst 
Stewart-Insel,  Im  Westen,  im  Osten,  im  Süden  dieser  drei  befinden 
sich  andere  Eilande,  die  gleichfalls  zur  neuseeländischen  Gruppe  ge- 
rechnet werden,  so  die  Chatham-Inseln,  auf  welche  man  in  einer  Ent- 
fernunf?  von  etwa  100  deutscheu  geographischen  Meilen  von  Te  Wahi 
Pounamou  nach  Osten  stöfst,  die  Antipoden-Inseln  im  Südosten,  die 
Auckland-Inseln,  unter  dem  Meridian  der  Südspitze  der  Stewart-Insel, 
über  den  50.  Breitengrad  hinaus,  und  andere. 

Der  Fl&chenraum  der  drei  Hauptinseln  wird  auf  270000  qkm 
angegeben;  es  ist  dies  etwa  die  Grdfse  Italiens,  die  halbe  GrOlse  des 
deutschen  Reichs  oder  die  neunfache  Grdfse  Belgiens.  Die  Be- 
völkerung indefe  betrug  am  31.  Dezember  1882*)  erst  517  707  Kolo- 
nisten und  44097  Maoris,  d.  h.  etwa  zwei  Einwohner  per  Quadrat- 
kilometer, wAlirend  /.  B.  in  Italien  79,  im  deutschen  Reiche 
84  Personen  auf  den  gleichen  Flachenraum  gerechnet  werden.  Der 
natürliche  Zuwachs  der  Bevölkerung  lilfst  hotfen,  dafs  mit  der  Zeit 
sich  hier  günstigere  Verhältnisse  einstellen  werden.  Weuigsteus  war 
der  Überschufs  der  Geboreneu  über  die  Gestorbenen  im  Laufe  des 
Jahres  1882  13  308,  und  betrug  die  Natalitiit  37,3«  auf  1000  Ein- 
wohner, während  die  Mortalität  nur  ll,i9  auf  1000  Einwohner  war. 

*)  Die  neaesten  atatistiscb«!!  Angaben  sind  entnommen  ans  1)  ^Statisties 
of  the  Colony  of  New-Zealand  for  the  year  188S.  Compfled  firom  officlal  records 
in  the  registrar  -  geneials  Offic«.*  WeUington  1883.  S)  Henry  Heylyn  Hayter, 
Victorian  Year-book.  3)  Statistical  Abstract  for  the  fleveial  colonial  etc  of  the 
nnited  King4om  ficom  1S67«-81.  London  1883. 


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—  45  — 

Dabei  fiel  die  Geburtenziffer  dos  Jahres  1882  niedriger  und  die 
Sterbeziffer  etwas  bülier  uns  als  die  entsprechenden  des  Jahres  1881. 
In  diesen  Zahlen  ist  die  Bewegung  der  Bevölkerung  unter  den  Ein- 
geborenen nicht  mit  einbegriffen. 

Alle  Seefahrer  und  Beisende  schildern  den  Anblick  von  Neu- 
seeland als  einen  groisartigen  und  pittoresken  zngleiclL  Es  wird 
nftmlich  die  Insel  in  der  Biehtnng  von  Nordost  nach  Sfldwest  Ton 
einem  grandiosen  Gebirge  als  gewaltigem  Rflckgrat  durchzogen,  das 
anf  der  Kordinsel  bis  zur  Höhe  Ton  2000  m,  auf  der  Mittelinsel 
sogar  über  4000  m  aufsteigt.  Mit  Recht  hat  dieses  Gebirge  von 
den  Europäern  die  Bezeichnung  der  „Südlichen  Alpen**  erhalten. 
Majestätisch  erheben  sich  im  Centruni  des  Gebirges  die  von  Schnee 
und  Eis  schimmernden  Gipfel  des  Mouut  Cook  und  der  benachbarten 
Riesenhöhen  zu  13  000  Fuss  Meereshöhe,  fast  zur  Höhe  des  Mont 
Blanc.  Grofsartige  Gletscherströnie,  herrliche  Gebirgsseen,  prachtvolle 
Wasserfftlle,  Bergpässe  und  düstere  Felsenschluchten,  von  tosenden 
Gebirgsströmen  durchrauscht,  bilden  die  Zierden  einer  wilden  unbe- 
wohnten Gebirgslandsdiaft,  desen  Grolsartigkeit  kanm  ihres  gleichen 
hat     so  schildert  Hocfastetter  die  Eindrflcke,  die  er  empfangen. 

Dieses  Gebirge  hat  aber  nicht  nur  ftsthetische  Reize,  sondern 
auch  den  Vorzug,  manche  nützlichen  Metalle  und  Minerale  zu  bergen. 
Gold,  Silber,  Kupfer,  Eisenspath,  Blei,  Zink,  Schwefel,  Steinkohlen 
finden  sich  in  nicht  unbedeutenden  Mengen  und  werden  in  den  Pro- 
vinzen Auckland,  Nelson,  Otago,  Canterbury  und  Wellington  auch 
schon  ausgebeutet.  Freilich  ist  der  Bergbau  noch  von  keinem  groisen 
Uuifaniie,  denn  er  beschäftigte  nach  den  letzten  Ausweisen  nur 
2138  Personen  in  130  Betrieben,  Zahlen,  die  gegen  das  Jahr  1878 
sogar  einen  Rückgang  anzeigen,  denn  darnach  waren  2369  Personen 
in  133  Betrieben  t&tig.  Die  Steinkohlenindustrie  bes(  hafti^^te  aufser- 
dem  992  Personen  auf  61  Werken  und  förderte  227  918  Tonnen, 
wahrend  sie  im  Jahre  1878  nur  516  Personen  auf  40  Werken  Unter* 
halt  gewahrte.  Den  Hauptbestandteil  des  Bergbaues  repräsentiert 
jedenfalls  die  Goldproduktion,  welche  seit  1866  energisch  in  Angriff 
genommen,  in  den  darauf  folgenden  Jahren  bis  1871  ein  Quantum 
im  Werte  von  50  Millionen  Mark  jährlich  auszuführen  gestattete. 
Seit  1872  hat  der  Export  sich  beständig  vermindert,  er  betrug  im 
Jahre  1882  nur  230  893  Unzen  gegen  505  337  im  Jahre  1873.  Im 
ganzen  hat  Neu -Seeland  nach  den  Aufstellungen  des  Sekretärs  des 
Handels-  und  Zolldepartements,  William  Seed,  vom  1.  April  1857 
bis  31.  Dezember  1882  ein  Quantum  von  10073959  Unzen  Gold  im 
Werte  von  789  282  860  Marie  geliefert. 

Die  grofse  Bedeutung  Neu-Seehinds  ruht  aber  nicht  in  den 


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Schätzen  seines  Mineralreichs.  Die  Viehzucht,  inshesondere  die  Schaf- 
zucht, ist  der  seine  Volkswirtschaft  hestimmende  Produktionszweig 
und  kanm  scheint  eine  andere  Geirend  so  preeij^net  dafür.  Regel- 
mäfsige  Regengüsse  sorgen  für  jederzeit  gute  und  kräftige  Weide 
und  das  Klima  macht  besondere  Schutzgebftude  für  die  Schafe  in 
keiner  Jahreszeit  nötig.  Das  Hauptgewicht  ist  dabei  mehr  auf  die 
Produktion  von  Fleisch  als  von  Wolle  gelegt,  obwohl  bei  der  Aus- 
fuhr zur  Zeit  die  letztere  eine  grofse  Rolle  spielt  Es  heifst  aber, 
dafe  die  Bedingungen  für  die  Uenrorbrinffung  von  Wolle  nicht  so 
gttnstige  seien  wie  in  Australien,  wo  nachweislich  das  Merinoschaf 
die  Feinheit  seines  Vliellws  bewahrt,  während  es  in  Nea-8eelaaA 
entartet  Die  Versocfae,  frisches  Fleisch  bis  nadi  Europa  zu  trans- 
portieren, stehen  bekanntlich  noch  in  ihren  ersten  Stadien  und  wur- 
den von  Neu- Seeland  aus  im  Jahre  1882  zum  ersten  Male  unter- 
nommen. Die  Gesamtzahl  aller  Schafe  wurde  im  Mai  1882  auf 
12Vi  Millionen  Stück  geschätzt;  die  Ausfuhr  von  Wolle  repräsentierte 
im  Jahre  1882  einen  Wert  von  62  371000  Mark,  der  von  Fleisch, 
gesalzen  wie  frisch,  nur  1  571  920  Mark,  wovon  304  880  Mark  auf 
das  frische  Fleisch  entfallen.  Außerdem  gelangten  Talg,  Leder, 
HAute,  Butter  und  Käse  zur  Ausfuhr,  die  bei  fast  allen  den  genann- 
ten Artikeln  seit  1873  eine  steigende  Tendenz  hat,  wenngleich  «eit> 
weilige  Rflckschlftge  nicht  ausgeblieben  sind. 

Liefert  das  Mineralreich  namentlich  Gold  und  Steinkohlen,  das 
Tierreich  Wolle,  Fleisch,  Talg  und  Häute,  so  bleibt  auch  das  Pflanzen- 
reich mit  der  Erzeugung  verschiedener  Produkte  nicht  zurück.  Die 
einheimische  Flora  zeigt  sich  reich  an  Kräutern,  gröfseren  Bau-  und 
Nutzhölzern  und  auch  Getreide  gedeiht  vortrefflich.  Buchen  und 
Gedern  geben  die  schönsten  Hölzer,  der  Kaurigumbaum  eine  sehr 
geschätzte  Gummisorte,  das  Phormium  tenax  den  soj?enannten  neu- 
seeUadischen  Flachs.  Der  rationelle  Ackerbau  ist  dabei  im  allge* 
meinen  noch  wenig  verbreitet.  Von  der  Gesamtfläche  waren  im 
Jahre  1888  5  651255  Acres  landwirtschaftlich  benutzt  und  zwar* 

In  PrasMitMi 
AcMt         d«r  wirtoeh. 

btnotst  Flicht 

1)  zur  Getreidekultur   738822  18,^ 

2)  zur  Gewinnung'  von  Kartoffeln,  Garten- 
gewächsen, Rühen  u.  a.   394  473  6,»8 

3)  als  Wiese  und  Weide   4  322  427  76,4i 

4)  als  gepflügtes,  aber  noch  nicht  besäe tes 

Land   195  533  3,46 

Unter  den  Cereaüeu  wird  vorzugsweise  Weizen  gebaut;  mit 


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—  4?  - 

dieser  Frucht  waren  im  Jahre  1883  390  818  acres  bestellt.  Auf  den 
Anbau  von  Hafer  entfielen  319  8Ö8  acres,  auf  den  von  Gerste 
28  146  acres.  Die  Produktion  von  Weizen  wurde  nach  den  im 
Februar  1883  einf?egangenen  Daten  auf  10  270  591  bushels  ange- 
nommen, die  von  Hafer  auf  10  520  428,  die  von  Gerste  auf  737  163. 
Im  Durchschnitt  ergiebt  sich  mithin  per  acre  eine  Ernte  von 

26,s8  bushels  beim  Weizen, 
d2,M      n      »  Hafer, 
26,1t     n    M  der  Gerste. 

Einen  geringen,  aber  freilich  im  letzten  Jahrzehnt  nicht  nnbe* 
deutend  yergröfenten  Raum  beansprucht  die  Kartofiel,  mit  welcher 
20  488  acres  bestellt  sind  gegen  11617  im  Jahre  1874.  Die  Ernte 
bezifferte  sich  auf  104581  Tons,  d.  h.  auf  5,io  per  acre. 

Alle  die  genannten  Produkte  kommen  auch  zur  Ausfuhr,  von 
der,  um  vollständig  zu  sein,  auch  die  Erzeugnisse  des  Walfischfanges : 
Fischbein,  Speck  u.  a.,  im  jährlichen  Werte  von  vielleicht 
100000  Mark,  genannt  werden  müssen.  Der  gesamte  Umsatz  des 
Aufsenhandels  bezifferte  sich  während  des  letzten  Decenniums  auf 
126—132  Millionen  Marie  in  der  Ausfuhr  und  148—170  Millionen 
Mark  bei  der  Einfuhr.  Im  einzelnen  zeigte  die  Bewegung  folgen- 
des Bild: 

Wert  der 

Sinfkihr  in  Neo-Seeland    Aasfahr  «oft  Nto-SMkad 
in  MilliftHfii  Mifk 


1874 

162,4 

105,0 

1875 

160,s 

116,» 

1876 

138,1 

113,4 

1877 

139,4 

126»» 

1878 

17ö,i 

120,» 

1879 

107^ 

114,» 

1880 

183>« 

187,1 

1881 

149,1 

181,1 

1888 

179,1 

188^1 

Die  Urbewohner  dieses  schOnen  Landes,  dessen  EUma  in  der 
nördlichen  Hälfte  dem  Italiens  und  des  südlichen  Frankreichs,  im 
Süden  dem  von  England  gleichkommt,  sind  die  Maoris,  ein  poly> 
nesisches  Volk,  das  in  schneller  Abnahme  begriffen  ist.  Cook  schätzte 

ihre  Gesamtzahl  auf  400000,  und  wenn  diese  Angabe  wohl  über- 
trieben war,  so  fanden  sich  in  den  Jahren  1835—40  immerhin  mehr 
als  lOUOOO  vor,  während  gegenwärtig  —  nach  dem  Census  von 
1881  —  ihre  Zahl  auf  44  095  gesunken  ist.  Die  Gründe  für  ihre 
Verdrängung  sind  hier  dieselben  wie  bei  anderen  Naturvölkern: 
die  Nachahmung  der  europaischen  Gewohnheiten,  denen  ihr  Körper 
nicht  gewachsen  war,  der  aberm&Csige  Qenuis  des  fetten  Schweine- 


—  48  — 


fleisches,  des  Branntweins,  des  Tabaks.  Sie  bewohnen  gegeDwärtig 
die  Nordinsel,  welche  eine  wftrmere  Temperatur  hat. 

In  Bezug  auf  ihic  körperlichen  und  geistigen  Eigenschaften 
werden  sie  von  allen  Reisenden  auf  eine  hohe  Stufe  gestellt,  und  der 
berühmte  englische  Gesiliichtschieiber  Macaulay  ging  sogar  so  weit, 
ihnen  eine  glanzende  Weltstellung  vorauszusagen.  Die  MAiiiier  sind 
wohlgestaltet,  muskulös,  durchschnittlich  ö^ii  Fufs  hoch,  von  kaffee- 
brauner Hautfarbe,  mit  schwarzem  Haar  und  Adlernase.  Ihre  In- 
telligenz ist  bedeutend  und  hat  ihnen  dazu  verhelfen,  im  Parlamente 
und  am  Ministertische  die  bürgerliche  Gleichberechtigang  mit  den 
englischen  Kolonisten  zu  erringen.  Eine  Schriftsprache  besalsen  sie 
allerdings  nioht  und  verdanken  die  Schreibekunst  erst  den  Engländern. 
Oegenwftrtig  lernen  sie  in  den  für  sie  von  Staats  wegen  errichtelen 
Schulen  englisch,  und  innerhalb  der  Schulzeit  darf  sogar  die  Maori- 
sprache gar  nicht  geredet  werden.  Übrigens  haben  sie  gewisse  Über- 
lieferungen und  Sagen,  die  des  poetischen  Reizes  nicht  entbehren. 
Eine  der  letzteren  erzählt  von  einem  jungen  Mädchen,  das  den 
Flötentönen  ihres  Geliebten  folgend,  im  See  ertrank.  Haben  wir 
hier  die  Hero-  und  Leandersage  in  veränderter  Gestalt,  so  gewinnt 
die  Erzählung  dadurch  einen  besonderen  Beigeschmack,  dafs  der  neu- 
seeländische Hirte  auf  einer  Schalmei  blies,  die  aus  einem  Menschen- 
knochen gefertigt  war.  Dies  deutet  auf  den  Kannibalismus  der  Maoris 
Ob  derselbe  damit  zusammenhangt,  dafs  die  einheimische  Säugetier- 
fauna  so  dürftig  ist  —  kein  Opossum,  kein  Känguruh  — ^  oder  auf 
eigentümliche  rituelle  Vorstellungen  zurückzuführen  ist,  bleibt  dahin- 
gestellt; die  Thatsache  als  solche  ist  durch  viele  glaubwürdige 
Zeugnisse  belegt  worden. 

In  Bezug  auf  ihre  Verfassung  zerfielen  sie  früher  in  eine  Reihe 
einzelner  Stämme  unter  Häuptlingen.  Seit  ungefähr  30  Jahren 
jedoch  hat  die  Mehrzahl  derselben  sich  unter  einem  Könige  vereinigt. 
In  den  lang  dauernden  Kriegen  gegen  die  Engländer  kam  ein  junger 
Häuptling,  Mateue,  auf  den  Gedanken,  durch  eine  derartige  Ver- 
bindung dem  Widerstande  grölseren  Nachdruck  zu  verleihen.  In  der 
That  kam  sie  zu  stände  und  wurde  im  Jahre  1SÖ8  der  erste  Kdrng, 
Fotataw  L,  gewählt,  dem,  da  er,  schon  betagt,  bald  das  Zeitliche 
segnete,  sein  Sohn  als  Potataw  IL  folgte.  Die  Politik,  die  diese 
Herrscher  den  Eindringlingen  gegenüber  beobachteten,  war,  das  Küsten- 
gestade  denselben  preiszugeben  und  sich  auf  Verteidigung  des  Inneren 
des  Landes  zu  beschränken.  Übrigens  haben  die  Engländer  bich  alle 
Mühe  gegeben  die  Maoris  in  ihre  Dienste  zu  ziehen,  haben  sie  zum 
Straiseu-  und  Brückenbau  verwandt,  zu  gewerblichen  Arbeiten  her- 
angezogen und  selbst  iu  die  Polizei  aufgeuouuuen.    Dennoch  sind 


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—  4ft  — 

Reibungen  mit  den  Wilden,  die  ihre  Freiheit  selbstverständlich  über 
alles  schätzten,  nicht  ausgeblieben  und  noch  im  Jahre  1879  hatten 
dieselben  einen  Aufstand  angezettelt,  als  es  sich  darum  handelte, 
eine  Eisenbahn  durch  das  ihnen  «.'ehörige  Gebiet  zu  führen. 

Den  Europäern  ist  Neu-Seeland  schon  seit  dem  17.  Jahrhundert 
bekannt  gewesen,'*')  die  Anfänge  einer  europäischen  Kultur  dagegen 
datieren  erst  seit  wenig  mehr  als  hundert  Jahren.  Abel  Tasuian  war 
es,  der  die  Inseln  im  Jahre  1642  entdeckte.  Von  Batavia  aus- 
segelnd, nahm  er  den  Kurs  sttdüch  und  fand  zuerst  Vandiemensland« 
Es  war  seine  Absicht  von  hier  aus  die  Salomons-inseln  aufzusuchen, 
indes  schlug  er  nicht  den  richtigen  Weg  ein  und  statt  nach  Norden 
SU  kommen,  geriet  er  nadi  Osten.  Am  13.  Dezember  1642  be- 
merkte er  unter  dem  42.  Breitengrade  ein  hohes  bergiges  Land 
vor  sich,  au  dessen  Küste  entlang  er  8  Tage  schiffte,  ehe  er  zu 
einer  Landung  sich  eutschlofs.  Am  Gestade  der  Bai,  in  der  er  vor 
Anker  ging,  zeigten  sich  Männer,  die  durcli  stai  ke  Korpulenz,  bei 
einer  zwischen  braun  und  gelb  schillernden  Hautfarbe,  die  schwarzen 
Haare  zu  einem  Schöpfe  auf  dem  Haupte  zusammengebunden  und 
Ton  einer  langen  Feder  überragt,  auffielen.  Einige  derselben  bliesen 
auf  einer  Art  Trompete,  und  es  belustigte  die  holl&ndischen  Matrosen 
auf  ihren  Instrumenten  zu  antworten,  ohne  dafis  sie  jedoch  dadurch 
die  Aufmerksamkeit  der  Wilden  erregten,  die  sich  endlich  zurQck- 
zogen.  In  der  Hoffnung,  mit  ihnen  freundschaftliche  Beziehungen 
anknQpfeo  zu  können,  beschloili  Abel  Tasman  an  Land  zu  gehen, 
aber  kaum  setzten  sich  die  Schiffe  wieder  in  Bewe^uu-j  auf  das 
L'fer  zu,  so  sah  man  plötzlich  in  wilder  Hast  von  nieluereu  Seiten 
Kanoes  sich  nähern.  Das  gröfste  derselben,  mit  etwa  70  Einge- 
borenen besetzt,  geht  auf  das  kleinere  der  beiden  hollandischen 
Schiffe  zu  bis  auf  eines  Steinwurfs  Entfernung,  und  in  eiuer  den 
Europäern  natürlich  unverstandlichen  Sprache  wird  unter  lebhaften 
Gestikulationen  heftig  auf  sie  eingesprochen.  Die  Niederlander  wissen 
kein  anderes  Mittel  ihre  Gegner  zu  bes&nftigen,  als  daCs  sie  durch 
Aufhissen  weiiser  Tücher  zum  Besuch  ihrer  Schiffe  einladen,  eine 
Aufforderung,  welche  die  Wilden  nicht  verstehen.  Einstweilen  bleibt 
indes  alles  mhig,  bis  eine  Jolle  mit  einigen  Offizieren  und  Matrosen 
Ton  einem  Schiflie  zu  dem  andern  fahren  will.  Die  Wilden  greifen 
an,  töten  mit  Speeren  und  Keulen  drei  der  Matrosen,  so  dafs  die 
Holländer  sich  genötigt  sehen  die  Kanonen  zu  lösen,  worauf  die 

*)  Siehe  für  die  Getduichte  Nen-Seelands  uameuUich  die  AafsüUe  von 
Bhncbard  in  »Revae  des  deox  mondes*,  1878  B.  26.  8.  84  ff.,  1879  B.  36. 
S.  766  1881  B.  47.  8. 166  ft,  1882  B.  49.  8.  855  ff.  Der  Aoftats  desselben 
¥tiftneit  in  1864  B.  68  konnte  bei  dieser  Arbeit  nicht  mehr  benntxt  werden. 

Qwgr.  BUMtr.  Bwmmi»  tm.  i 

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—  50  — 

Eingeborenen  in  wilder  Flucht  anselnanderstürmen.  Abel  Tasman 
halt  es  unter  diesen  Umstanden  für  das  beste,  der  ungastlichen 

Gegend  den  Rücken  zu  kehren,  er  lichtet  die  Anker  und  nimmt  den 
Kurs  nördlich.  Unter  dem  34,  Hreiton<;rade  sieht  er  abermals 
30 — 40  mit  Keulen  und  Stöcken  bewatineto  Insulaner  am  Ufer,  aber 
er  verzichtet  darauf,  mit  ihnen  Verhandlungen  zu  beLriuuen. 

Es  ver^nn*;en  nun  mehr  als  100  Jahre,  ohne  dafs  die  Entdeckung 
des  niederländischen  Seemannes  irgend  welche  Konsequenzen  hatte. 
Cook  entdeckte,  als  er  im  Jahre  1768  Neu-Seeland  wieder  au&nd, 
die  iDsei  gewissermaCBen  zum  zweiten  Maie.  Die  Freude  war  grofe, 
als  in  den  Morgenstunden  des  6.  Oktober  Tom  Mast  des  Cook- 
flchen  Schiffes  aus  Land  gesehen  wurde,  das  man  am  nächsten  Tage 
als  eine  langhingestreckte  KQste  mit  4—5  Hflgelreihen,  welche  durch 
eine  Bergkette  von  enormer  H5he  beherrscht  wurden,  erkannte.  So- 
fort wurde  die  Landung  beschlossen,  denn  man  glaubte  das  unbe- 
kannte Australland  vor  sich  zu  haben.  Indes  war  die  Haltung  der 
am  Ufer  befindlichen  Wilden  bei  dieser  BegeL^nunu  eine  so  feindselige, 
dafs  man  sich  ihrer  nur  mit  Fliutenschüs>en  erwehren  konnte,  und 
schliefslich,  ohne  in  das  Innere  der  Insel  eingedrungen  zu  sein,  uu- 
verrichteter  Sache  aufs  Schiff  zurückkehren  mulste.  Auch  am  nächsten 
Tage  führten  die  Annäherungsversuche  zu  keinem  Erfolge,  obwohl 
Cook  einen  Eingeborenen  der  Insel  Tahiti  bei  sich  hatte,  der  mit  den 
Wilden  verhandeln  konnte.  Aus  Verdruß,  so  resnltatlos  absegeln  zu 
mflssen,  gab  Cook  der  Bai,  in  welcher  er  gelandet  war,  die  Benennung 
;,Poverty-Bai''  (Armuts-Bai)  und  setzte  seine  Fahrt  fort  Gleichwohl 
gab  er  die  Hoffnung,  nähere  Kenntnis  zu  erlangen,  noch  nicht  auf, 
segelte  der  Küste  entlang,  forschte  in  kleinen  Böten  nach  Stellen 
stifsen  Wassers  am  Ufer  und  drang  gegen  Süden  bis  über  den 
40.  Breitengrad  hinaus.  Hier  wurde  in  der  Schiffsmannschaft  der 
Wunsch  laut,  das  anscheinend  nutzlose  Vordringen  nicht  weiter  fort- 
zusetzen und  Cook  mufste  demselben  Folge  geben.  Den  Punkt,  an 
welchem  er  umkehrte,  nannte  er  das  Kap  Turn -again  (Kehr 
wieder  um). 

Auf  dem  Rflckwege  wurden  die  Berührungen  mit  den  Ein- 
geborenen zahlreicher.  Bald  freundschaftlich,  bald  feindselig  auf- 
genommen, findet  Cook  im  ganzen  die  Wilden  nicht  so  undvilisiert^ 
wie  sie  ihm  beim  ersten  Anblick  erschienen.  In  der  Mercury-Bai 
machte  er  Halt,  um  astronomische  Messungen  vorzunehmen  und  hier 
war  es,  wo  unter  Entfaltung  der  grofsbritanischen  Flagge  im  Namen 
Seiner  Majestät  König  Georg  III.  vom  Lande  Besitz  genommen  wurde, 
nachdem  an  einem  der  schönsten  und  ;irüf>>ten  Biiunie  einii/e  Notizen 
über  die  Expedition  uugeächriebeu  worden  waren.  Auf  dex*  weiteren 


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51 


Fahrt  wird  noch  in  mancher  Bai  Halt  gemacht,  an  manchen  Plätzett 
mit  den  Eingeborenen  verhandelt,  Ereignisse,  die,  trotz  unleugbaren 
Interesses,  hier  nicht  alle  besprochen  werden  können.  Es  wird  ge- 
nfigen zu  bemerken,  daCs  Cook  die  Insularitat  Neu-Seelands  feststellte. 
Er  umsegelte  die  Nordinsel,  passierte  die  Gook-Strafse  (Charlotten- 
sand), fiberzeagte  sich  am  Eap  Tum-again  bereits  dagewesen  zu  sein, 
nimmt  den  Kars  sfidlich  und  segelt  dann  nach  Umschiffang  der  Sfld- 
Insel  an  der  westlichen  Küste  der  Mittelinsel  ge^en  Norden.  Am 
27.  März  1770  sind  die  Engländer  wieder  im  Cliarlotten-Sunde  und 
entschliefsen  sich  zur  Heiiiifalirt.  Am  31.  März  werden  die  Anker 
gelichtet  und  im  Scheiden  grüfst  Cook  die  westlichste  Spitze  der 
Meerenge  mit  dem  Namen  ;,Kap  Farewell". 

Fast  gleichzeitig,  während  Cook  im  Dezember  1769  an  der  Süd- 
spitze Neu-Seelands  beschäftigt  war,  lief  unter  dem  35.  Breitengrade 
ein  französisches  Schiff  ein.  Mehr  als  100  Jahre  seit  der  £ot^ 
deckung  Abel  Tasmans  hatte  sich  kein  europäisches  Schiff  hierher 
verirrt  und  nun  erschienen  die  Vertreter  zweier  grofser  Staaten, 
Englands  und  Frankreichs,  zugleich.  Auch  dem  französischen  Kom- 
mandanten, Kapitän  Surville,  der  als  ein  hochmfitiger  und  brutaler 
Mann  geschildert  wird,  gelingt  es  nicht,  mit  den  Eingeborenen  in 
näheren  Verkehr  zu  kommen.  Mehr  dagegen  richtete  zwei  Jahre 
später  ein  anderes  französisches  Geschwader  unter  Führung  des 
Kapitäns  Marion  du  Fresne  aus.  Diesem  gelang  es  mit  Hülfe  eines 
Wörterbuchs  der  Sprache  der  Bevölkerung  Otaheitis,  sich  den  Ein- 
geborenen verständlich  zu  machen  und  sie  freundschaftlich  umzu- 
stimmen. Man  beginnt  einen  lebhaften  Tauschhandel,  Metalle  gegen 
Nahrungsmittel,  Nagel  gegen  Fische,  und  macht  sich  gegenseitig 
Besuche.  Am  Lande  beschenkten  die  Franzosen  die  sich  sammelnden 
Eingeborenen  reichlich  und  Tersetzen  Männer,  Frauen  und  Kinder 
dadurch  in  Entzücken.  Sie  gehen  auf  die  Entenjagd,  fällen  im  Walde 
Bäume  zu  Masten  und  überall  zeigen  sich  die  Wilden  hOlfreich  und 
zur  Unterstfltzung  bereit.  „Wir  würden",  so  erzählte  der  fran- 
zösische Reisebericht,  „wenn  wir  damals  abgereist  wären,  die  vor- 
teilhafteste Meinung  von  den  Bewohnern  Neu-Seelands  nach  Europa 
gebracht  und  sie  als  liebenswürdig,  gastfrei  und  human  geschildert 
haben."  Aber  es  sollte  bald  anders  kommen  und  die  natürliche* 
Wildheit  zunächst  ihr  Recht  behalten.  Eines  Tages  begiebt  sich 
Marion  du  Fresne  mit  zwei  Offizieren  und  vierzehn  Matrosen  ans 
Land.  Als  des  Abends  niemand  zurückkehrt,  hegt  man  auf  dem 
Schiffe  keinerlei  Besorgnis.  Man  glaubte,  der  Kapitän,  von  der 
Nacht  überrascht,  hätte  mit  seinen  Grefährten  in  den  Hütten  der 
Eingeborenen  Zuflucht  gesucht.  Am  nächsten  Morgen  stobt  daher 

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6i 


wie  gewöhnlich  eine  Schaluppe  ab,  um  frisches  Wagser  und  Brenn- 
holz zu  holen.  Eine  Stunde  darauf  >elien  die  auf  deui  Schirt'e  Zuiück- 
gebliebenen  einen  Scliwiinnienden  vom  Ufer  sich  ihneu  nähern.  So- 
fort wird  ein  Hoot  ausgesetzt,  um  dem  mit  deu  Wellen  Kampfenden 
zu  Hülfe  zu  eilen  und  als  man  den  Ertrinkenden  gerettet  hat,  stellt 
sich  heraus,  dafs  er  einer  der  zwölf  Matrosen  ist,  die  vor  kursem 
den  Wasserbedarf  hatten  holen  wollen.  Wieder  zur  Besinnung  ge- 
kommeD,  erzählte  der  Unglückliche,  dafs  er  nur  durch  ein  Wunder 
dem  allgemeinen  Blutbade  entronnen  sei,  welches  die  Wilden  anter 
ihnen  angerichtet  hatten.  Ihm  sei  in  der  allgemeinen  Bestflrzong 
gelangen  ins  Gebüsch  zu  entkommen  and  sich  ins  Meer  werfen  zu 
können.  Marion  du  Fresne  und  seine  Genossen  waren  tags  vorher 
offenbar  in  ahnlicher  Weise  flberrascht  und  erschlagen  worden.  Den 
Frauzo.seu  blieb  daher  nicht.-^  übrig,  aU  die  Anker  zu  lichten  und 
sich  von  dem  unwirtlichen  Ciestade  zu  entfernen. 

In  Enj^land  beschäftigte  mau  sich  unterdessen,  von  Cooks  leb- 
haften Schilderungen  fortgerissen,  viel  mit  der  seltsamen  Insel  und 
rüstete  im  Jahre  1772  eine  neue  Expeditiou  aus,  bei  der  Cook  ein 
Schiff,  Tobias  Furneaux  das  andere  kommandirte  und  an  der  als 
naturf ersehender  Gelehrter  Johann  Reiuhold  Forster  sich  beteiligte. 
Am  13.  Juli  1772  von  Plymoath  aussegelnd,  kam  Cook,  von  widrigen 
Winden  verschlagen,  erst  im  Mai  1773  nach  Neu-Seeland,  wo  Furneaux 
allerdings  schon  frOher  eingetroffen  war  und  Im  Charlottensunde 
Station  genommen  hatte.  Mit  den  Wilden  kam  es  wieder  zu  blutigen 
Rencontres.  Eine  kleine  Schar  von  10  Matrosen,  die  harmlos  beim 
Mahle  am  Ufer  safseu,  wurden  von  deu  Eingeborenen  meuchlings 
überfallen  und  alle  ermordet.  Für  die  Kolonisation  Neu-Seelauds 
war  gleichwol  die  Reise  insofern  nicht  bedeutungslos,  als  man  bchweine 
aussetzte  und  sich  davon  überzeugte,  dafs  europaische  Gemüse  sehr 
gut  gedieheu. 

Auf  diese  Reisen  folgen  die  anderer  englischer  und  französischer 
Seehelden,  des  Kapitäns  George  Vancouver,  des  Kontreadmirals 
Entrecasteanz  —  auch  Cook  selbst  kam  noch  ein  drittes  Mal  nach 
Keu-Seeland  — ^  die  weniger  bemerkenswert  sind,  aber  die  Be- 
ziehungen der  Insel  mit  Europa  doch  immer  um  einen  Schritt  vor- 
^warts  brachten,  so  dais  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  bereits 
ein  recht  reger  Verkehr  blühte.  Walfisclijäger  und  Seehundsfauger 
waren  es,  die  regelmäfsig  zu  erscheinen  begannen  und  durch  sie 
fanden  englische  Missionäre  den  Weg,  mit  deren  Hülfe  die  Kolonisation 
dann  ein  schncUcres  Tempo  anschlug. 

Die  Situation  war  allerdings  noch  immer  eine  recht  ängstliche. 
Obwohl  ein  engiischei  Ai'2t,  Dr.  John  bavage,  der  im  Jahre  1805 


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—  53  — 

Nen-Seeland  besuchte,  von  den  Gegenden  und  Bewohnern,  die  er 
hatte  kennen  lernen,  ein  sehr  freundliches  Bild  entwarf,  so  kam  es 
doch  noch  im  Jahre  1809  vor,  daEs  ein  grofses  Schiff  mit  70  Mann 
an  der  KUste  von  Nea-Seeland  spnrlos  versehwand.    Es  war  das 

englische  Schiff  ^Boyd''  unter  Kapitän  Thomson,    das    eine  Ziihl 
Deportierter  nach  Sydney  gehracht  hatte  und  auf  der  Rückreise  im 
Hafen  von  Wangaroa  anlegte,  um  eine  Laduns:  Bauholz  einzunehmen. 
Wie  sich  nach  Jaliren  herausstellte,  war  der  Überfall  der  Wilden, 
die  das  Schiff  verbraunt  und  alle  Fremdlinge  erschlagen  hatten,  die 
Rache  eines  Maori-Häuptlings,  der  auf  der  Überfahrt  von  Sydney 
nach  Neu-Seeland  von  Kapitän  Thomson  ungerechter  Weise  schlecht 
behandelt  worden  war.  Bot  mithin  der  Aufenthalt  unter  den  räch- 
sftchtigen  Eingeborenen  wenig  Verlockendes,  so  wagten  trotzdem 
englische  Missionare  es  im  Jahre  1814  denselben  die  Wohlthat  des 
Christentums  zuzuwenden.  Samuel  Marsden,  einer  der  Hauptgeist- 
lichen ans  Neu-Süd-Wales,  unternahm  das  schwierige  Werk  des 
Friedens.  Er  schlofs  mit  den  Maoris  einen  Vertrag  ab,  laut  welchem 
ihm  gegen  ein  Dutzend  Beile  ein  Terrain  von  200  acres  in  der 
Insel-Bai  abgetreten  wurde.    Hier  in  Rangihow  baute  sich  Marsden 
ein  Haus  und  liefs  sich  mit  einigen  entschlosseneu  Gefährten  nieder. 
Er  selbst  mufste  nach  einiger  Zeit,  im  Februar  1815,  nacb  Neu- 
Süd-Wales  zurück,  zur  Fortsetzung  seiner  dortigen  geistlichen 
Funktionen,  aber  seine  Begleiter  blieben.   Diese  hatten  es  in  der 
jungen  Kolonie  furchtbar  schwer.  Immer  wieder  brach  die  Wildheit 
der  Neu-Seeländer  durch,  und  wenn  auch  den  Missionaren  direkt 
nichts  zu  leide  geschah,  so  legten  sich  die  Eingeborenen  doch  im 
übrigen  in  ihren  bi^erigen  Gewohnheiten  keinen  Zwang  auf.  Sie 
zogen  nach  wie  vor  auf  Kriegsbeute  aus  und  steckten  bei  der  Rflck* 
kehr  die  Köpfe  der  erschlagenen  Feinde  den  Europäern  vor  die 
Thür  auf  Stangen,  während  sie  den  Körper  verzelirten,  ohne  sich 
durch  die  Prediger,  die  dem  unnatürlichen  Treiben  Einhalt  zu  thun 
■  sich  bemühten,  irre  machen  zu  lassen.    Immerhin  gelang  es  nach 
dreijährigem  Aufenthalte  im  August  1816  eine  Schule  zu  eröffnen, 
die  von  36  Kindern  besucht  wurde,  im  Jahre  1819  konnte  12  Meilen 
sQdlicher  von  Rangihow,  auf  dem  Territorium  von  Keri-Keri,  eine 
neue  Station  angelegt  werden  und  im  Jahre  1823  erlaubte  der 
Zustand  der  Mission  bereits,  sie  als  eine  «blähende*  zu  bezeichnen. 

In  Bezug  auf  die  Ausbreitung  des  Christentums  waren  die 
Erfolge  zunächst  allerdings  nicht  bedeutend,  aber  die  Missionftre 
bewiesen  etwas  sehr  wichtiges,  ndmlich,  dafs  man  in  völliger  Sicher- 
heit unter  diesen  damals  sehr  gefürchteten  Wilden  leben  konnte. 
Dieser  Umstand  trug  zum  Aufschwange  des  geschäftlicheu  Verkehrs 


—  54  — 

viel  bei.  Im  Jahre  1818  giogen  in  der  Insel-Bai  6  WalfischfUnger 
vor  Anker,  von  1823^29  kamen  jalurlidi  einige  zwanzig  dahin,  Im 
Jahre  1830  waren  60  da  nnd  ihre  Zahl  war  120  im  Jahre  1838. 
Das  Schwein  und  die  Kartoffel  waren  neben  der  Jagd  auf  die  Wal« 
fische  der  Grund  der  Anziehung  ftr  die  Seeleute,  die  eben  sieber 
waren  hier  jederzeit  frische  Nahrungsmittel  zu  finden.  Von  diesen 
Schiffen  blieb  häuft*;  ein  Teil  der  Mannschaft  auf  Neu-Seelaud  und 
die  Folge  davon  war,  dafs  sich  schliefslicli  auch  Kaufleute  aus  Sydney 
und  IIobart-Town  (auf  Tasmanien)  niederliefseu.  Von  der  Kultur- 
stufe dieser  Kolonie  darf  man  sich  allerdings  keine  grofse  Vorstellung 
machen;  die  geseilscbaftlichea  Zustande  waren  einfach  grausen- 
erregende. Das  einzige  Gesetz,  welches  regierte,  war  das  Lyndi- 
gesetz;  der  Branntweingenufs  stand  auf  der  Tagesordnung.  Man 
konnte  die  Kolonisten  eigentlich  nur  nach  zwei  Klassen  unter- 
scheiden, erstens  die,  welche  den  Whiskey  verkauften  und  die,  welcbe 
ihn  tranken,  wobei  Übrigens  nicht  anzunebmen  ist,  das  die  ersteren 
letzteres  gar  nicht  thaten.  Korarika,  der  Versammlungsort  der 
Walfischfänger,  wird  als  ein  Pandftmonium  bezeichnet,  wie  es  schwer- 
lich ein  ärgeres  je  in  der  alten  oder  neuen  Welt  gegeben  hat. 

Von  diesem  ärgerlichen  Treiben  hörte  man  in  Europa  nur  wenig 
oder  gar  nichts:  dort,  wo  von  Frankreich  und  England  aus  immer 
wieder  neue  Forschiiimsreisen  unternouimcn  wurden,  hatte  man  nur 
die  schöne  fruchtl)are  Insel  im  Auge  und  schou  1825  hatte  sich  ia 
London  eine  Gesellschaft  von  Trägern  hocharistokratiscber  Namen 
gebildet,  um  die  Kolonisation  Neu-Seelands  zu  unterstützen.  Die- 
selbe hatte  zunächst  freilich  wenig  Glück,  indem  niemand  sich  recht 
getrauen  mochte  dahin  auszuwandern,  wo  die  eingeborene  BeTülkerung 
sich  so  wenig  entgegenkommend  gegen  die  Fremden  zeigte. 

Bald  indefs  nahm  die  Angelegenheit  eine  andere  Wendung.  Die 
Missionare  nämlich,  die  unermüdlich  ihrem  Friedenswerke  oblagen, 
wufsten  es  durchzusetzen,  dafs  die  Maori-Häuptlinge  sich  mit  der 
Bitte  um  Protektion  an  Grofsbritauien  wandten.  Ihrer  13  —  unter 
vielleicht  1(K),  die  auf  der  ganzen  Insel  herrschten  —  sandten  an 
König  Wilhelm  IV.  ein  Schreiben  etwa  folgenden  Inhalts:  ^König 
Wilhelm,  wir,  die  Häuptlinge  von  Neu-Seeland,  versammelt  in  Keri- 
Keri,  wir  schreiben  Dir,  da  wir  erfaliren  haben,  dafs  Du  ein  grofser 
Häuptling  bist  jenseits  des  Meeres  und  bitten  Dich,  der  Freund  und 
Beschützer  unserer  Inseln  zu  sein.  Wir  haben  sagen  hören,  dafs  der 
Stamm  des  Bfarion  sich  unseres  Landes  bemächtigen  will . . .  u.  s.  w.** 
Der  letztere  Passus  bezog  sich  auf  die  Franzosen,  die  seit  1824 
mehrere  Expeditionen  nach  Neu-Seeland  ausgerüstet  hatten  —  un 
Jahre  1824  das  Schi£f  „La  Coquille"  unter  Kapitän  Duperrey,  im 


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—  56  — 

Jahre  1827  das  Schiff  „Astrolabe''  unter  Dumont  d'Urrüle,  im  Jahre 
1831  die  Korvette  »La  Favonto*  unter  Kapitän  Laplaoe  —  und  vor 
denen  die  Wilden  wegen  ihres  hinterlistigen  Vorgehens  gegen  den 
unglüddiehen  Marion  du  Fresne  sich  besonders  fürchten  zu  mfissen 
glaubten.  Die  Bittschrift  der  Maoris  wurde  von  einem  der  Geist- 
lichen, William  Yate,  persönlich  übefbracht  und  fand  in  London  nicht 
nur  bei  den  Missions^esellschaften,  sondern  auch  beim  Kolonial- 
minister  Anklani?,  welcher  sich  zur  Entsendung  eines  sogenannten 
Residenten  nach  Neu- Seeland  eiitschlofs.  Dieser,  ein  Mr.  James  Busby, 
nannte  sich,  als  er  im  Jahre  1H33  auf  der  Insel  erschien,  den  Mis- 
siouäreu  gegenüber  „Konsul,  hatte  aber  keinerlei  offizielle  Funktionen. 
Man  s^h  nur,  dafs  er  über  bedeutende  Geldsummen  verfügte  und  von 
Zeit  zu  Zeit  den  Eingeborenen  reiche  Geschenke  machte.  Seine  ge- 
heime Mission  schien  darin  zu  bestehen  die  Insel  zu  flberwachen, 
dafs  die  Franzosen  an  keiner  Stelle  derselben  festen  Fuls  fbEsten. 

Mit  der  Anwesenheit  des  Residenten  wuchs  zwar  die  Sicherheit 
des  Aufenthalts  für  Europfter  gerade  nicht;  Busby  selbst  sogar  war 
Üeberf&Uen  ausgesetzt.  Noch  immer  kam  es  vor,  dafs  die  Walfisch- 
fanger von  den  Wilden  angegriffen,  die  Mannschaften  ganzer  Schiffe 
niedergemetzelt  wurden.  Immerhin  begannen  die  Anzeichen  einer 
allgemeinen  Kultur  sich  zu  mehren  und  gab  es  Gegenden,  wo  die 
Maoris  sich  ordentliche  Wohngebäude  errichteten  und  Ackerbau 
trieben.  Daher  gelang  es  den  Missionären  sehr  bald,  eine  neue 
Komödie  in  Scene  zu  setzen :  die  Unabhangigkeitserklärung  der  ver- 
einigten Stamme  Neu-Seelands.  Einige  dreifsig  U&uptlinge  versam- 
melten sich  im  Oktober  1835  und  einigten  sich  zu  folgender  Kund- 
gebung: 9 Wir,  die  erblichen  Häuptlinge  und  die  Ersten  aus  den 
Stämmen  der  nördlichen  Hälfte  von  Neu-Seeland,  versammelt  in 
Waltangi,  erklären  die  Unabhängigkeit  unseres  Landes,  welche  von 
den  Anwesenden  als  die  Unabhängigkeit  des  Landes  der  vereinigten 
Stämme  Neu-öeelands  anerkannt  wird."  Der  englische  Resident  und 
zwei  Missionäre  waren  Zeugen  des  Vorgangs,  über  welchen  ein 
Dokument  aufgenommen  wurde,  unter  das  die  Häuptlinge  ihre 
Zeichen  malten.  Von  demselben  wurde  eine  Abschrift  der  eng- 
lischen Regierung  mitgeteilt  und  diese  beeilte  sich  es  gleichfalls  zu 
sanktionieren.  In  der  Insel-Bai  erschien  ein  Kriegsschiff,  dessen 
Kommandant  den  Wilden  drei  Flaggenmuster  vorlegte,  um  sich  eine 
derselben  als  Nationalität«zeichen  auszusuchen.  Nachdem  die  Wahl 
getroffen,  löste  das  Schiff  21  KanonenschOsse  und  fuhr  ab.  Gleich- 
zeitig aber  liefe  sich  in  Hokianga,  weiter  südlich  von  dem  bisherigen 
Wohnsitze  der  Engländer,  ein  zweiter  Resident  nieder. 

Nachrichten  von  diesen  Vori^iiniien  drangen  allmählich  nach 


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—  66  — 

Europa,  wo  man  nun  mittlerweile  auch  beurteilen  gelernt  hatte,  was 
auf  dem  Spiele  stand.  Mehr  und  mehr  wurden  hier  von  verschiede- 
nen Seiten  Wünsche  laut,  an  der  Kolonisation  Nea-Seelands  teUxo» 
nehmen.  Besonders  ein  Mann  bat  Jahre  hindurch  yiel  von  sich  reden 
gemacht  und  bald  die  frans^teiscbe,  bald  die  englische  Regierung  mit 
Bitten  um  Anerkennung  gewiss^  Ansprache  beliatigt«  die  er  auf 
Ken-Seeland  zu  haben  glaubte.  Dieser  Mann  war  der  Baron  Charles 
Thierry;  als  Sohn  eines  französischen  Emigranten  im  Jahre  1793  in 
London  geboren,  hatte  er  sich  in  Oxford  und  Cambridge  erst  mit 
theologischen,  duiin  mit  juristischen  Studien  beschäftigt  und  schlie£s- 
lich  die  Tochter  eines  englisclien  Geistlichen  geheiratet.  Durch  Zu- 
fall macht«  er  die  Bekanntschaft  eines  der  Missionare,  die  in  gewissen 
Zeiträumen  nach  Europa  reisten,  um  das  Interesse  für  Neu*Seeland 
nicht  erkalten  zu  lassen,  und  hörte  von  diesem,  Pastor  KendaU,  dafo 
einige  Maoris  ihm  ein  grolses  Terrain  angeboten  hatten  unter  der 
Bedingung,  dafs  er  sich  in  ihrer  Mitte  ansiedele.  Der  Pastor  seiner- 
seits war  bereit  dieses  Territorium  an  Baron  Thierry  abzutreten, 
der  um  so  lieber  auf  das  Geschäft  einging,  als  zwei  der  Häuptlinge, 
welche  ihren  Seelsorger  nach  England  begleitet  hatten,  ihn  sehr 
freundlich  nach  Neu-Seeland  einluden  und  davon  sprachen,  ihn  als 
ihren  Fürsten  dort  anerkennen  zu  wollen.  Für  26  Beile  tauschte 
Baron  Thierry  —  er  selbst  behauptete  später  20  000  Frauken  ge- 
zahlt zu  haben  —  ein  grofses  Stück  Land  ein,  dessen  Kultivierung 
nunmehr  seine  Lebensaufgabe  bilden  sollte.  Er  lud  durch  öffent- 
lichen Aufruf  jedermann,  namentlich  Geistliche,  ein,  ihm  zu  folgen, 
und  machte  sich  endlich  auf  den  Weg.  £inige  Zeit  verweilte  er  in 
Keu-Sfld- Wales,  um  seine  Anhängerschar  zu  vergröfsem,  die  aber 
doch  nicht  mehr  als  60  Köpfe  zahlte,  als  er  in  Hokianga  eintrat 
Dort  passierte  ihm  nun  das  Mifisgeschick,  dafs  die  Maoris  von  ihm 
absolut  nichts  wissen  wollten  und  der  Besitzergreifung  des  Terri- 
toriums sich  energisch  widersetzten.  Infolge  dessen  verliefsen  seine 
Genossen  ihn  allmählich  und,  von  Subsistenzmitteln  entblöfst,  führte 
der  Baron  Thierry  auf  Neu-Seeland  ein  abenteuerndes  Leben,  bis  er 
im  Jahre  1864  in  Auckland  sUirb. 

Was  dem  Baron  Thierry  zustiefs,  ereignete  sich  auch  mit 
anderen  Europäern.  Die  £in<i:eborenen,  die  mau  stets  mit  Kleinig- 
keiten, mit  ein  paar  Fassern  Branntwein  oder  einigen  Packeten  Tabak 
abgefunden  zu  haben  glaubte,  verkauften  ein  und  dasselbe  StUck 
Land  mehrere  Male  und  wenn  dann  die  betreffenden  K&ufer  ei^ 
schienen,  um  sich  auf  ihrem  Grundstück  niederzulassen,  kam  es  zn 
endlosen  Streitigkeiten. 

Wahrend  dieser  grofsen  Unordnung  bildete  sieh  nnn  in  London 


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—  B7  — 

im  Jabre  1837  eine  Gesellschaft  in  der  Absicht,  die  Kolonisation 

nach  beiden  Seiten,  für  die  Eingeborenen  wie  für  die  Fremden,  vor- 
teilhafter zu  ^(estalten  und  sie  woinö-rlich  unter  gesetzliche  Leitung 
zu  stellen.  Man  wandte  sich  an  den  damaligen  Premierminister 
Melbourne  mit  der  Bitte  um  Unterstützung  der  Bestrebungen,  aber 
dieser  lehnte  ab.  Die  Regierung,  meinte  er,  sollte  sich  in  derartige 
Privatangelegenheiten  nicht  hineinmischen.  Und  dieser  Auffassung 
gem&b  wurde  die  BilU  welche  die  Genehmigung  der  Regierung 
bringen  sollt«,  verworfen.  Nach  allem,  was  yorhergegangen  war, 
kam  diese  Entscheidung  sehr  überraschend,  und  so  wenig  war  man 
auf  diese  Wendung  vorbereitet  gewesen,  dafs  einige  Landleute  und 
Handwerker  ihr  Hab  und  Gut  schon  verkauft  und  zur  Auswanderuug 
gerostet  waren,  welche  au&ugeben  unter  diesen  Umstfinden  ratsamer 
erschien.  Gleichwohl  konnte  man  diese  Ärmsten  nicht  wolil  im  Stiche 
lassen  und  unternahm,  um  ihnen  zu  helfen,  eine  öffentliche  Sub- 
skription, welche  100  000  Pfund  Sterling  aufbrachte,  mit  denen  dann 
die  „New  Zealand  Company"  begründet  werden  konnte,  an  deren 
Spitze  Lord  Durham  trat.  Von  dieser  Gesellschaft  erhielt  Oberst 
William  Wakefield  den  Auftrag  zu  einer  Forschungsreise  nach  Neu- 
seeland, um  eine  für  die  Kolonisation  geeignete  Gegend  ausfindig 
zu  machen.  Am  9.  Mai  1899  segelte  er  von  Gravesend  ab  und  fand 
in  dem  Hafen  von  Nicholson  an  der  ftufserten  Südspitze  der  Nord- 
insel ein  Territorium,  das  allen  Ansprüchen  zu  genügen  schien.  Hier 
hatten  die  Eingeborenen  noch  nicht  die  Gewohnheit  angenommen, 
den  Weifsen  ihr  Land  wiederholentlich  zu  verkaufen,  und  aufser 
einigen  Walfischfangern,  die  sich  dort  häuslich  eingerichtet  und  mit 
Maori-Frauen  verheiratet  hatten,  fanden  sich  keine  Niederlassungen 
von  Europäern.  Gegen  Gewehre,  Pulver,  Kugeln,  Blei,  Messer, 
Spiegel,  Taschentücher  u.  a.  gelingt  es  daher  dem  Oberst  Wake- 
fleld  ein  Terrain  einzutauschen,  grofs  genug,  um  ein  ganzes  König- 
reich daraus  zu  bildeo.  Noch  vor  Ende  des  Jahres  1B39  folgten 
neun  Schüfe  der  Kompagnie,  die  1117  Auswanderer  brachten,  welche 
im  Februar  1840  auf  dem  neu  erworbenen  Gebiete  angesiedelt  wer- 
den konnten. 

Indem  die  private  Initiative  sidi  auf  diese  Weise  half,  hörte 
die  Agitation,  dafs  die  Regierung  die  Hand  auf  die  schünen  Inseln 

legen  sollte,  doch  nicht  auf.   Man  stellte  den  Besitz  derselben  so 

verlockend  wie  möglich  hin.  Zahlreiche  Familien  liefsen  sich  dort 
ansiedeln,  aus  den  Insulanern  vortreffliche  Matrosen  heranziehen,  die 
Schafzucht  zur  Ausdehnung  der  englischen  Wollenindiistrie  verwerten. 
Man  sprach  von  den  Absichten  der  Franzosen  auf  die  Annektion 
Neu-SeeUods,  denen  man  zuvorkommen  müliste,  stellte  es  gewisser- 


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—  58  — 

mafiBeQ  als  eine  Pflicht  hin,  die  Maoris,  eine  der  edelsten  Bafsen,  vor 
dem  Untergange  zu  schlitzen.  So  lange  indefs  keine  Engländer  in 
namhafter  Zahl  auf  Neu-Seeland  wohnten,  nahm  die  britische  Re- 
gierung keine  Kotiz  von  diesen  Anregungen  nnd  das  einzige,  wozu 

sie  sich  entschlofs,  war  die  regelmftfsige  Stationierung  eines  Kriegs- 
schiffes in  der  Insel-Bai.  Ah  jedoch  die  Kolonisation  im  Jahre  1840 
in  pröfserem  Mafsstabe  vor  sich  giftg,  beauftragte  sie  sofort  den 
Koiiiniandanten  dieses  Kriegj^schiffes,  über  die  Abtretung  verschiedener 
Teile  dieser  Insel  mit  den  Kin geborenen  zu  verhandeln  nnd  die  er- 
worbenen Territorien  als  Annexe  zur  Kolonie  von  Neu-SUd-Wales 
hinzuzaschlagen.  In  der  Instruktion,  welche  Kapitän  Hobson  von 
dem  Marquis  Normanby,  dem  damaligen  Kolonialminister,  erhielti 
wnrde  die  Notwendigkeit  eines  freiwilligen  Zugeständnisses  der 
Maoris  zu  dem  beabsichtigten  Schritte  betont.  *  Eapitftn  Hobson,  der 
auf  der  Korvette  ,»Herald''  am  29.  Januar  1840  in  der  Insel-Bai  etn- 
tnfy  berief  eine  Versammlung  der  Kolonisten,  die  in  der  Kapelle 
der  Missionare  stattfand  und  auf  welcher  das  Schreiben  der  Königin 
Viktoria  in  dieser  Angelegenheit  zur  Verlesung  gelangte.  Kein 
Landerwerb  sollte  laut  dieser  Verfügung  mehr  als  gültig  aniresehen 
werden,  wenn  er  nicht  von  einer  in  Sydney  sefshaften  KeuMorungs- 
kommission  geprüft  worden  sei.  Als  Hobson  zum  Untersch reiben 
des  Dekrets  aufforderte,  weigerten  sich  einige  der  Kolonisten,  die 
Begierungsmafsregel  anzuerkennen.  Die  Mehrzahl  jedoch  stimmte, 
von  der  Hoffnung  beseelt,  mehr  oder  weniger  unrechtmäfsig  aocep- 
tiertes  Land  auf  diesem  Wege  als  ihr  Eigentum  sanktioniert  zu 
sehen,  zu. 

Nun  galt  es  femer  das  Zugeständnis  der  Maoris  zu  erlangen. 
Auch  sie  werden  zu  einer  Besprechung  eingeladen,  und  da  sie  zahl- 
reich auf  der  Besitzung  des  Ue^idciiteii,  Mr.  Husby,  am  5.  Februar 
erschienen,  ihnen  in  feierlicher  Rede  die  Sachlage  auseinandergesetzt. 
Sie  hätten  das  Interesse  der  Küniirin  von  England  erweckt  —  so 
sagte  der  Gesandte  —  und  die  gute  Frau  habe  nicht  ermangeln 
wollen,  ihnen  Schiffe  und  Waffen  zu  ihrer  Unterstützung  zu  schicken. 
Ihrer  persönlichen  Freiheit  wolle  sie  nicht  zu  nahe  treten,  aber  sie 
setze  als  selbstverständlich  voraus,  dafs  die  Maoris  von  nun  an  ihr 
Land  an  niemanden  auüser  an  ihre  hohe  fieschdtzerin  würden  ver- 
kaufen wollen.  Als  die  Rede  geendet  und  die  schwierige  Mission  in 
die  einheimische  Sprache  übersetzt  ist,  bricht  ein  Sturm  des  Un- 
willens aus  und  einen  Augenblick  glaubt  Kapitän  Hobson  alles  ver- 
spielt zu  haben.  Aber  auf  eine  heftige  Entgegnung,  welche  zum 
Widerstände  auffordert,  folgt  der  Spruch  eines  vorsichtif^erweise 
vorher  gewonnenen  Häuptlings,  der  zum  Vertrage  rät,  und  dieser 


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kommt  denn  auch  glücklich  zu  stände.  Sechsundvierzip:  neusee- 
ländische Häuptlinge  unterzeichnen  den  Vertrag  von  Waitanf^a  am 
6.  Februar  1840,  der  die  Insel  den  Engländern  preisgiebt.  Darauf 
hin  zieht  Hobson  weiter  auf  der  Insel  herum  und  sammelt  Unter- 
schriften, die  überall  auf  der  Nordinsel  bereitwilligst  zugestanden 
werden.  Nur  im  Hafen  von  Nicholson  stöfst  er  bei  der  neugegrün- 
deteu  Kolonie  auf  Widerspruch  und  diese  Hartnäckigkeit  veranlafst 
ihn  zu  einem  Auisersten  Schritt.  Er  erklärt  einfach  am  21.  Mai  1840, 
dafs  die  Souveränetät  der  eogiischea  Krone  auch  auf  den  sfldUchen 
Teil  der  Nordinsel,  sowie  auf  die  ganze  Mittelinsel  und  die  Sfldinsel 
anegedeimt  sei,  ohne  sich  um  Ablehnung  oder  Zustimmung  der  Be- 
wohner za  künunem.  Feierlichst  wird  die  Besitzergreifung  von  Te 
Wahl  Ponnamou  proklamiert  und  mit  einer  Salve  EanonenschOsse 
hegrüfst.  Damit  glaubte  Grofsbritanieu  alles  gethan  zu  haben, 
was  Rechtens  war. 

Zu  denen,  welche  dem  Treiben  der  Engländer  auf  Neu-Seelaud 
sich  widersetzten,  gehörte  auch  der  Baron  Thierr>^  Er  war  nicht 
müde  «geworden,  seine  bestrittenen  Rechte  ^^eltend  zu  machen  und 
hatte  zuletzt  in  Frankreich  Anklang  gefunden.  Die  Presse  nahm 
sich  seiner  an  und  wies  darauf  hin,  wie  bequem  Frankreich  es  ge- 
habt hätte,  indem  es  zu  Gunsten  des  Barons  intervenierte,  sich  selbst 
eine  bedeutende  Kolonialmacht  za  verschaffen.  Allgemein  begann 
man  sich  lebhaft  für  Neu-Seeland  zu  interessieren  and  Schritte  za 
thon,  um  ein  Stock  davon  zu  erwerben.  Leider  war  es  mittlerweile 
bereits  zu  spät  geworden.  Zunächst  bildete  sich  allerdings  eine 
Kolonisationsgesellschaft,  die  „Compagnie  nante -bordelaise".  Ein 
Herr  Langlois  behauptete  auf  der  Hall)insel  Banks,  an  der  Ostküste 
von  Neu-Seeland,  von  den  Eingeborenen  ein  umfangreiches  Terri- 
torium gekauft  zu  haben  und  dahin  wollte  die  Konipa^^uie  eine 
Expedition  ausrüsten.  Die  Rednern ng  verstand  sich  zu  einem  Ver- 
trage mit  derselben  und  unterstützte  ihr  Vorhaben  durch  eine 
Korvette  und  ein  Transportschiff  In  der  Nacht  vom  10.  auf  den 
11.  Juli  traf  die  Korvette  in  der  Insel-Bai  ein  und  hier  erst  erfuhr 
ihr  Fflhrer,  KapitAn  Lavand,  was  sich  mittlerweile  zugetragen.  £r 
sieht  am  Ufer  das  englische  Banner  flattern  und  drei  der  jungen 
Kolonie  bereits  attachierte  Kriegsschiffe.  Kapitän  Hobson  weigerte 
sich  mit  den  Franzosen  in  Unterredung  zu  treten,  so  lange  sie  ihn 
nicht  als  Gouverneur  von  Neu-Seeland  anerkannt  hatten,  und  erst, 
nachdem  dies  geschehen,  erklärt  er,  dafs  die  fianzü>isclien  Kolonisten 
unter  dem  Schutze  der  englischen  Herrschaft  sich  ruhig  niederlassen 
könnten.  Dazu  erfahrt  Herr  Lavand,  dafs  die  Halbinsel  Banks,  auf 
welche  man  franzOsischerseits  .wohlerworbene  Ansprüche  im  haben 


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glaubte,  nnteFdessen  an  einige  Engländer  Ton  den  Maoris  weiter 
verkauft  sei.  Ingrimm  im  Herzen  und  voll  Schmerz  aber  das  Miüsh 
glflcken  setzt  Lavand  seine  Fahrt  nach  der  Halbinsel  fort,  nm  mit 
dem  Transportschiffe,  das  die  Auswanderer  beherbergte,  zusammen 
zu  treffen.  Dieses  war  schon  am  9.  August  1840  an  dem  Bestim- 
mungsorte eingetroffen,  hatte  aber  von  den  Englandern  nicht  die 
Erlaubnis  zur  LandiuiK  bekommen.  Kapitän  Lavand,  der  am  15.  August 
dazu  kommt,  tindet  die  schrecklichste  Verwirrung  vor.  aus  der  sich 
endlich  ergiebt,  dafs  die  franzosischen  Ansprüche  sich  auf  ein  kleines 
Terrain  nahe  am  Port  Cooper  beschränken.  Die  armen  Auswanderer 
müssen  froh  sein,  dafs  sie  in  einer  von  der  gewöhnlichen  Landungs- 
stelle  auf  der  Halbinsel  etwas  entfernten  Budit  ein  dOrftiges  Unter- 
kommen finden.  Auf  die  Dauer  gefiel  es  den  Franzosen  dort  jedoch 
nicht  Den  Kummer  sich  verspätet  zu  haben,  konnten  sie  nicht 
verwinden,  und  als  spftter  Frankreich  von  den  Marqnesas-Insehi 
Besitz  ergriff,  siedelten  die  Opfer  der  MCk>mpagnie  nante-bordelaise* 
nach  Nukahiva  über.  Ihre  bis  dabin  angelegten  Obstgarten  über- 
liefseu  sie  den  Engländern,  welche,  wie  diese  sagen,  nach  der  Ab- 
reise der  Franzosen  noch  viele  Früchte  von  grolser  Schönheit  und 
seltener  Güte  in  ihnen  ernteten. 

So  war  England  wieder  einmal  in  den  Besitz  einer  der  schön- 
sten und  fruchtbarsten  Kolonien  gelangt.  Bot  dieselbe  momentan 
auch  nicht  so  sehr  viel,  so  berechtigte  sie  doch  zu  den  schönsten 
Hoffnungen.  In  der  That  hat  die  Entwickelung  der  Kolonie,  die  von 
nun  ab  gute  Fortschritte  machte,  denselben  durchaus  entsprochen. 
Wellington,  die  Stadt,  welche  im  Gebiete  des  Hafens  von  Nicholson 
angelegt  war,  erwuchs  schnell  und  wird  von  einem  der  neueren 
Reisenden,  Dr.  Max  Buchner,'*')  als  eine  bescheidene  anmutige  Stadt 
mit  sauhcreu  Strafsen  und  wohleingefafsteii  Trottoirs  im  Charakter 
Old  Englands  geschildert.  Die  meist  kleinen  Ilauser  sind  von  Holz, 
vor  etwa  20  Jahren  vernichtete  ein  Erdbeben  viele  Geliaude. 
Noch  in  demselben  Jahre,  1840.  Nvurde  an  der  Westküste  der  Nord- 
insel die  Stadt  New-Plymouth  erbaut  und  Ackerbauer  aus  Devooshire 
und  Cornwallis,  die  sich  in  der  Umgegend  derselben  niederliefsen, 
gediehen  vorzflglich.  Zu  einer  dritten  Stadt  wurde  gleichfalls  in 
demselben  Jahre  noch  der  Grundstein  gelegt,  au  Auckland,  an  der 
Westküste  von  Neu-Seeland,  einige  Meilen  vom  Hafen  von  Manukau, 
wo  am  19.  September  die  englische  Flagge  aufgehifet  und  in  der 
Folge  der  Sitz  der  Kegierung  aufgeschlagen  wurde.  Am  3.  Mai  1841 
wurde  die  Unabhängigkeit  Neu-Seelands  feierlich  verkündet,  das 
fortan  als  eine  ^rofsbritanische  Kolonie,  getreuut  von  Neu-büd- Wales, 

*)  Eeifie  durch  den  Stillen  Ocean.  S.  87. 


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migeselien  wurde.  Bald  darauf  war  ein  gesetzprehender  Rat  kreirt, 
der  am  24.  Mai  1841  seine  erste  Sitzung  abhielt.  Auf  der  Südinsel 
entstand  zuerst  im  Gebiete  der  Blind-Bai  die  Kolonie  Nelson,  die 
gleichfalls  vorzüglich  gedieh.  Im  Jahre  1847  liefsen  sich  in  Otago 
an  der  Ostküste  der  Südinsel  schottische  Kolonistea  nieder  und  im 
Jahre  1849  trafen  18  Schiffe  mit  3000  Einwanderern  an  Bord  an  der 
Halbinsel  Banks  ein,  auf  welcher  alsdann  die  Niederlassung  Ton 
CanterboTf  begründet  wurde. 

So  stieg  bis  zum  Jahre  1850  die  Zahl  der  Europaer  auf  23000, 
und  als  im  Jahre  1853  Neu-Seeland,  ähnlich  den  australischen  Kolo- 
nien, eine  Verfassung  erhielt,  hatte  man  sechs  Provinzen,  drei  auf 
der  Nordinsel  und  ebensoviele  auf  der  Südinsel.  Die  ersteren  waren 
Auckland,  New-Plymouth  und  Wellington,  die  letzteren  Nelson, 
Canterbury  und  Otago.  Dazu  kamen  später  7)  im  Jahre  1809  die 
Provinz  Hawke  mit  der  Stadt  Napier,  welche  sich  von  der  Provinz 
Wellington  trennte,  8)  die  Provinz  Marlborough,  im  Jahre  1860  von 
Nelson  abgelöst,  9)  die  Provinz  Southland  im  Jahre  1861,  die  auCserste 
Südoet^itze  der  Sfldinsel.  und  10)  im  Jahre  1868  die  Provinz  West- 
land County.  Durch  die  Verlassang  wurden  zwei  Arten  von  Re- 
gierangen geschaffen,  eine  allgemeine  für  die  ganze  Kolonie  und  so 
viele  besondere,  als  es  selbständige  Provinzen  giebt.  Der  Gouverneur 
vertritt  die  Stelle  des  Könij^s.  Neben  ihm  stehen  der  gesetzgebende 
Rat  mit  45  Mitgliedern,  die  auf  Lebenszeit  ernannt  werden,  und  die 
Repräsentanteukammer,  deren  78  Mitglieder  alle  fünf  Jahre  neu  zu 
wählen  sind.  Da  die  gesamte  Bevölkerung  500000  Köpfe  umfafst, 
so  dokunieutiert  in  den  angegebenen  Zahlen  sich  eine  sehr  starke 
Vertretung.  In  den  Provinzen  regiert  der  Superintendent  und  die 
ihm  zur  Seite  stehende  Volksvertretung  ist  ein  wahres  Parlament, 
das  die  Finanzen  und  L&ndereien  der  Provinz  zu  verwalten  hat 

Die  Medüche  Entwickelung  wurde  leider  durch  neue  Aufstande 
der  Eingeborenen  seit  1860  beeinträchtigt.  Unter  denselben  bildeten 
sich  namlkh  zwei  Parteien,  deren  eine  den  Fremden  Land  zu  ver- 
kaufen gesonnen  war,  wahrend  die  andere  nichts  davon  wissen  wollte. 
Da  der  Gouverneur,  Colonel  Browne,  sich  zu  Gunsten  der  ersteren 
einmischte,  kam  es  am  4.  Marz  1860  zu  offenen  Feindseligkeiten 
gegen  die  Kuropäer  und  zur  behlacht  bei  WaYreka  am  30.  Marz  des- 
selben Jahres,  die  unentschieden  blieb  und  mit  Verlusten  auf  beiden 
Seiten  endete.  Ähnlicli  verliefen  die  Kämpfe  von  Waitara  im  Juni 
1860  und  von  Uaurangi  im  Februar  1861.  Die  Engländer  erhielten 
Unterstützung  durch  frische  Truppen,  die  aber  auch  nichts  auszu- 
richten vermochten«  Unter  den  Maoris  strebte  einer  der  Führer, 
Namens  Woiremu  Kingi,  eine  friedliche  Ausgleiehung  an  und  schlug 


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dem  Gouverneur  vor,  die  Streitigkeiten  vor  den  Räten  der  Königin 
in  England  zum  Au^tiai^  zu  brinj^^en.  Ehe  man  sich  über  diesen 
Ausweii  noch  recht  ver>t;iii(liirt  hatte,  wurde  C(donel  Browne  indes 
al)beniten  und  an  mmiiü  stelle  trat  Sir  George  Grey,  der  sofort  sein 
möglich.^tes  that  die  Eingeborenen  zu  versöhnen,  was  ihm  so  jrut 
gelang,  dafs  er  gegen  Ende  Dezember  1861  nach  Auckland  zurück- 
kehrte in  dem  Glauben,  nunmehr  allen  Kam])fen  ein  Ende  bereitet 
zu  haben.  Aber  der  Funken  glimmte  unter  der  Asche  fort.  Schon 
im  September  1862  nahmeo  die  Maoris  wieder  eine  feindliche  Haltung 
ein,  und  im  Juli  1863  sah  sich  General  Oameron  genötigt,  in  ihr 
Gebiet  einzudringen.  Trotz  einiger  Erfolge  der  Engländer  hörten 
die  Maoris  mit  ihrer  verzweifelten  Gegenwehr  nicht  auf  und  kämpften 
mit  beispielloser  Tapferkeit  weiter.  In  Orakao,  wo  3 — 400  Krieger 
nebst  Frauen  und  Kindern  eingeschlossen  waren,  hielten  sie,  an 
Wasser  und  Nahrungsmittelu  Maugel  leidend,  aus,  ohne  der  Auf- 
forderung, sich  zu  ergeben,  Folge  zu  leisten.  In  Wangagua,  am 
14.  Mai  1865,  unterlag  der  Stamm  der  Hau-hau  gegen  die  mit  den 
Engländern  verbündeten  Volksgenossen.  Blutvergiefsen,  Totschlag 
und  kleine  Gefechte  nahmen  aber  kein  Ende  und  erst  nach  sechs- 
jähriger Dauer,  im  Jahre  1866,  schien  man  den  Krieg  als  beendet 
ansehen  zu  können.  Im  Dezember  des  genannten  Jahres  revidierte 
der  Gouverneur  die  Insel  von  einem  Ufer  zum  andern  und  fand 
alles  ruhig.  Endlich  war  die  englische  Kolonie  Herrin  des  Landes 
geworden  und  seitdem  blieb  der  Frieden  ungestört 

Die  Finanzverwaltung,  sofern  sie  die  ganze  Kolonie 
betrifft,  bot  in  den  letzten  Jahren  Anlafs  zu  einigen  Bedenken.*) 
Bis  zum  Jahie  186Ü  war  die  Enbvickelung  eine  solide,  langsam  und 
stetig  vorwärtsgehende,  die  in  den  vierziger  Jahren  freilich  aufser- 
halb  noch  wenig  Vertrauen  erweckte.  Im  Jahre  1843  z.  B.  war  der 
öfiFentliche  Kredit  so  schwach,  dafs  die  Kolonie  vergeblich  eine 
Anleihe  von  15  000  £  in  Sydney  abzuschliefsen  suchte,  obgleich  sie 
sogar  zu  15  Prozent  Zinsen  sich  verstand.  Mit  dem  Jahre  1870,  als  Sir 
Julius  Vogel  ins  Ministerium  trat,  änderte  sich  das  gewaltig.  Damals 
begann  für  Keu-Seeland  eine  neue  Epoche,  indem  grolsartige  Kredit» 
Operationen  unternommen  wurden,  um  allerlei  Verbesserungen  durch- 
führen zu  können.  Der  Gouverneur  war  auf  Beförderung  der  Ein- 
wanderung durch  Unterstfitzung  mit  Geldmitteln  bedacht,  baute 
Eisenbahnen  und  Strafsen,  erweiterte  das  relegrapheuiietz,  plante 
die  Anlage   vou   VVerltcu,  Docks,    Hafenbauten  u.  a.,  und  bis 

*)  Das  Material  zu  diesen  und  den  folgenden  Betrachtungen  siehe  in  den 
letzten  Jahrgängen  des  „Deatsehen  UaiidelsarctiiTs''y  der  Zeitachhft  «Export*  und 
des  ,£cojioiiu8te  Ctan^B'^. 


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zum  Jahre  1881  stieg  infolge  dessen  die  Staatsschuld  bis  auf 
&50  Millionen  Mark.  Augenscheinlich  war  etwas  zu  grofsartig  be- 
wirtschaftet worden.  Die  jährlichen  Einnahmen  betrugen  seit  1873 
etwa  54  bis  höchstens  82  Millionen  Mark,  die  budgetmäCsigen  Aus- 
gaben 42  bis  gegen  86  Millionen  Mark,  man  hfttte  also  auskommen 
können.  Statt  dessen  stieg  die  Staatssdinld  von  218  Millionen  Mark 
auf  mehr  als  das  doppelte.  Die  Verzinsung  der  Staatsschuld  allein 
kostet  gegenwärtig  einige  20  Millionen  Mark  jährlich.  Wahrend  die 
Staatsschuld  bis  zum  Jahre  1873  gröfstenteils  durch  die  Kämpfe  raft 
den  Maoris  bedingt  war,  also  fi;ewissermafsen  als  der  Preis  erscheint, 
welchen  die  Kolonie  für  ilire  Unabhängigkeit  entrichtete,  wurde  ihre 
Zunahme  durch  die  mit  etwas  zu  grofser  Eile  angestrebten  Reformen 
verursacht  und  forderte  infolge  dessen  mehr  zur  Kritik  heraus. 
Zeitweilig  scheint  die  Situation  demgemäfs  drückend  genug  und  die 
finanzielle  Verlegenheit  keine  geringe  gewesen  zu  sein.  Man  dachte 
an  neue  Steuern,  eine  Erhöhung  der  Bieraccise  u.  a.  Es  ist 
nicht  bekannt  geworden,  wie  viel  von  diesen  Planen  ausgefohrt  ist. 
Immerhin  braucht  man  das  Vertrauen  auf  die  Eoloniakegierung 
keineswegs  aufzugeben.  Man  hat,  sogleich  als  der  Krach  ausbrach, 
daran  gearbeitet,  das  Schiff  wieder  flott  zu  machen.  Zahlreiche 
Beamte  wurden  entlassen,  der  Betrieb  der  Eisenbahnen  reduciert, 
der  Staatsbauten  einstweilen  eingestellt  und  kurz,  man  schränkte  die 
Staatsausgaben  ein  und  machte  Ersparnisse  da  wo  es  möglich  war. 
So  dürften  bei  den  reichen  natürlichen  Hülfsquellen  mit  einigen 
guten  Ernten  und  ein  paar  guten  Geschäftsjahren  die  Staatsänauzen 
bald  wieder  in  Ordnung  sein. 

Erscheint  Neu-Seeland  in  dieser  Schilderung  als  eine  rein  eng- 
lische Kolonie,  so  ist  damit  doch  nicht  gesagt,  dafs  man  deutscher- 
seits ganz  divauf  verzichten  muüs,  irgend  welchen  Nutzen  aus  ihr 
zu  ziehen.  Zur  Zeit  hat  das  deutsche  Element  freilich  noch  nicht 
sehr  tief  Wurzel  geschlagen.  Unter  den  500000  Einwohnern  giebt 
es  gegen  5000  Deutsche,  zwei  Dritteile  mannlichen,  ein  Drittel 
weiblichen  Geschechts,  die  größtenteils  auf  dem  Lande  leben  und 
Viehzucht,  Ackerbau  oder  liergbau  treiben.  Unter  41  Deutschen  z.  B., 
die  im  Jahre  1882  auf  Neu-Seeland  um  Naturalisationsurkunden  nach- 
gesucht hatten,  waren  neun  Farmer,  neun  Bergleute  und  vier  Kauf- 
leute und  Kommis.  In  den  Städten,  in  denen  etwa  IhOO  Deutsche 
leben,  sind  dieselben  vorzugsweise  Handwerker,  und  gröfsere  deutsche 
Geschäfthftuser  trifft  man  in  ihnen  vselten  an.  Wohl  aber  sind  in 
einzelnen  englischen  Häusern  die  Chefs  oder  Associ^  der  Firma 
deutscher  Abstammung.  Ansehnliche  Lftden,  welche  Deutschen  ge- 
hören —  Uhrmacher,  Juweliere,  Möbelhändler      findet  man  in 


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Christcbnrch.  Bemerkenswerte  deutsche  Importtinnen  sind  in  Dunedin. 
Immerhin  it>t  seit  1874  die  Zahl  der  Deutschen,  welche  damals 
2819  betru«:,  auf  fast  das  Doppelte  gestiegen. 

Der  direkte  Verkehr  Deutschlands  nach  Neu-Seeland  ist  noch 
sehr  unbedeutend.  Haniburg  bezittert  in  seiner  Hfindelsstatistik  die 
Ausfuhr  dahin  im  Jahre  1880  auf  101200  kg  brutto,  und  führt  sie 
in  den  Jahren  1881  and  1882  gar  nicht  mehr  beaonderB  auf.  Das 
deutsche  HandeisarchiT  giebt  fOr  das  Jahr  1880  einen  Import  deut- 
scher Waren  in  Neu -Seeland  im  Werte  yon  116000  Hark,  im 
Jahre  1882  von  79000  Mark.  Und  anch  die  19  Schiffe  deutscher 
FUgge,  welche  im  Jahre  1882  nnter  749  ttberhaapt  eingegangenen 
registriert  waren,  vermitteln  mehr  den  Verkehr  zwischen  China  und 
Neu-Seelaud,  beziehuiigbweise  ^'üu-beeland  und  den  Inseln  der  büdsee, 
als  zwischen  Deutschland  und  Neu-Seeland.  Dur  Konsum  von  Waren 
deutscher  Provenienz  ist  gleichwohl  nicht  unbedeutend;  nur  werden 
dieselben,  weil  über  London  und  durch  englische  Agenten  bezogen, 
als  engliche  vom  Zollamt  registriert.  In  Dunedin  wie  in  Christchurch 
soll  man  in  den  Laden  nicht  selten  deutsdie  Waren  antreffen,  wie: 
Stiefel,  Schuhe,  Eisen-,  Stahl-  und  Messingwaren,  Spielsachen, 
Klaviere,  Luxus-  und  Lederartikel,  Glas,  Porzellan  n.  a.  Die 
Hamburger  Statistik  gab  im  Jalure  1880  Bier,  Salz,  Cement  nnd 
Mobilien  als  die  in  Neu-Seeland  importierten  Gegenst&nde  an.  Wie 
geringfügig  auch  immer  bisher  der  Handel  nach  Neu-Seeland  ge- 
wesen sein  mag,  so  sollte  man  doch  nichts  unterlassen,  was  dazu 
beitragen  könnte,  dort  tV.stt  r  Fuls  zu  fassen.  Die  Konsumtionbfähig- 
keit  dieser  Insel,  wie  übrigens  auch  die  des  australischen  Kontiueuts, 
ist  eine  sehr  beträchtliche,  und  da  trotz  ulier  nicht  zu  leugnenden 
Fortschritte  auf  gewerblichem  Gebiete  die  Industrie  dort  noch  in 
den  Windeln  Uegt,  auch  nach  Klima  und  sonstigen  Produktious- 
bedingungen  kaum  sehr  lebhaften  Aufschwung  nehmen  dürfte,  so  ist 
hier  ein  sehr  beachtenswertes  Absatzgebiet  auf  l&ngere  Zeit  uoch 
vorhanden.  Neu-Seehind  hat  seine  Staatseinnahmen  von  11  Millionen 
Mark  im  Jahre  1860  auf  82  Millionen  Mark  im  Jahre  1883  zu 
steigern  vermocht  und  daraus  lAllBt  sich  ein  auf  das  Privatein- 
kommen der  Kolonisten  selbst  sehr  gttnstiger  Rflckschlnls  ziehen. 
Gerade  Neu-Seeland  steht  mit  seinen  reichen  Einkommensquellen  den 
übrigeu  australischen  Kolonien  voran.  Nur  Neu -Süd -Wales  uud 
Victoria  habeu  gröfsere  Einnahmenbudgets  als  Neu-Seeland,  alle 
anderen  Kolonien  geringere.  Dazu  kommt,  dafs  der  neue  Zolltarif, 
welcher  am  15.  September  1882  iu  Kraft  trat,  nicht  als  ein  über- 
mäfsig  hoher  bezeichnet  werden  rnuüs.  Viele  Artikel  sind  zollfrei, 
andere  zahlen  15  Prozent  ihres  Werts,  nur  zwei  müssen  2b  Prozent 


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entrichten  (unter  ihnen  Zündhölzer),  die  meisten  werden  nach  Ge- 
wicht und  Stückzahl  besteuert. 

Offenbar  erscheint  bei  diesen  Verhältnissen  die  Aussicht  auf 

  •   

gewinnbringende  Vergröfserung'  unseres  Exports  nach  Neu -Seeland 
sehr  gegrOndet  Für  diesen  Zweck  wäre  es  wünschenswert,  wenn 
grdCsere  deutsche  Firmen  dort  Sommanditen  errichten  und  direkt 
kaufen  und  verkanfen  wollten.  Auch  durch  Konsignationssendungen, 
obwohl  dieselben  immer  eiu  gewagtes  Mittel  sind,  könnte  der  Ver- 
such gemacht  werden,  der  englischen  Konkurrenz  zu  begegnen.  So 
viele  Waren,  abgesehen  von  den  schon  genannten,  werden  in  Deutsch- 
land mindestens  eben  so  gut,  wenn  nicht  besser,  als  in  Grofs- 
britanien  produziert,  wie  z.  B.  Eisendraht  zum  Einzäunen  von 
Ländereien,  Cigarren,  Gold-  und  Silberartikel  u.  a.  Nach  diesen 
wie  nach  anderen,  z.  B.  Stampfwerken,  Bohrmaschinen,  überhaupt 
Maschinen  zum  Bergbaubetriebe,  Werkzeuge  und  Chemikalien,  wie 
die  deutsche  Industrie  sie  massenhaft  erzeugt,  ist  ansehnliche 
Nachfrage* und  lielke  sidi  gewifs  manches  einträgliche  Geschäft 
abschlielsen. 

Der  deutsche  Fabrikanten-  und  Eanfmannsstand  sollte  sich  die 

Gelegenheit  nicht  nehmen  lassen,  seinen  bewährten  Ruf  auch  durch 
neuseeländische  Faktoreien  zu  vergröfsero. 


Die  deutsche  Forschungsreise  durch  Südamerika  1884. 

n. 


Sohwierigkeit  dea  Vorwärtadrüigens  «uf  dem  Eio  Batovy.  Der  Xiugü.  Indianer- 
•ttaun«.  Konflikt  nüt  den  Tninais.  LtdianiBolier  Aokerban  und  FteehereL  Btlüaidvng 
xaA  Sitten.   Mvaik.   BedrUngniase  der  Expedition.    Die  TnnunM-IndiAner.  AoMichten 

für  KnltiTation  der  ludunergebiete. 

In  Heft  4,  Band  VII.  dieser  Zeitschrift  (S.  381  u.  ff.)  haben 
wir  auf  Grund  von  Auszügen  aus  dem  Tagebuch  des  Herrn  Dr.  Claufs 
den  Verlauf  der  merkwürdigen  Entdeckungsreise  ziemlich  ausführlich 
bis  zu  dem  Zeitpunkte  schildern  können,  wo  die  Reisenden  unter 
13®  nfV  s.  Hr.  im  Begriff  standen,  sich  auf  dem  Rio  Batovy,  einem, 
wie  sie  richtig  vermutet  hatten,  Nebentiufs  des  Xingü,  zur  Thalfahrt 
in  einer  Anzahl  aus  der  Rinde  des  Jatobörbaumes  angefertigten  Kanoes 
nach  dem  Xingü  einzuschiffen.  Wir  konnten  auch  noch  unseren 
answartigen  Mitgliedern  and  Freunden  die  wohlbehaltene  Ankunft 
der  Expedition  in  Par&,  also  die  giackliche  Lösung  der  Aufgabe 
melden.  Von  Pari  begaben  sich  die  Herren  Dr.  ClaoTs,  Qebrflder 

Oeogr.  BUtttwr.  Bremen  lim,  5 


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—  66  — 

V.  d.  Steinen  und  alle  anderen  Mitjrlieder  der  Expedition  zunächst 
nach  Rio  de  Janeiro.  Hier  wurde  unsern  deutsihen  LaiKl>lriitoii  die 
glänzendste  Aufnahme  bereitet.  Die  peo.irraphisclie  (ioselLschaft  von 
Rio  veranstaltete  am  3.  Dezember  v.  J.  eine  !•  estsitzunj^  und  in 
dieser  erstattete  Herr  Dr.  Karl  v.  d.  Steinen  einen  allj^enieinen 
Bericht  über  die  Reise.  Vor  einiger  Zeit  kehrten  unsere  Freunde 
nacli  dem  deutschen  Vaterlande  zurück  und  hatten  wir  am  21.  Februar 
in  Berlin  das  Vergnügen,  in  der  Versammlnog  der  anthropologischen 
GeselLBcbaft  einem  Vortrag  des  Herrn  Dr.  Karl  v.  d.  Steinen  beizu- 
wohnen, sowie  eine  Anzahl  Gegenstande  aus  der  von  ihm  mitgebrachten 
hochinteressanten  Sammlung  indianischer  Geräte  zu  sehen.  Weitere 
Veröffentlichungen  Aber  die  ganze  Reise  stehen  bevor  und  dQrfen 
auch  wir  einer  ferneren  Mitteilung  des  Herrn  Dr.  Claufs  entgegen- 
sehen. Inzwischen  niüclitcn  wir  das  in  Heft  4.  begonnene  Ueferat 
über  den  Verlauf  der  Heise  noch  in  diesem  Heft  zu  Ende  führen, 
wir  geben  daher  aus  dem  uns  vorliegenden  Bericht  nbi>r  die  Fest- 
sitzung der  geograi)liischen  Gesellschaft  in  Rio:  Sessao  Solemnc  etc. 
eine  Übersetzung  des  Wichtigsten  aus  dem  Vortrag  des  Herrn  Dr. 
v.d.  Steinen  unter  Weglassung  des  ersten,  bereits  nach  dem  Tage- 
buch des  Herrn  Dr.  Claufs  geschilderten  Teiles  der  Reise. 

Der  traurige  Zustand  unserer  Lasttiere  verlangte  dringend, 
dafs  wir  uns  einschifften.  Schon  hatten  wir  acht  Ochsen  verloren, 
und  der  Rest  hatte  mehr  Knochen  nnd  Wunden  denn  Fleisch,  und 
hatte  keine  längere  Reise  ausgehalten.  Es  fand  sich  kein  Holz  zum 
Bau  eines  Kanoes;  aber  während  die  Natur  uns  jene  furchtbaren 
Wasserfälle,  die  cachoeiras,  in  den  Weg  legte,  gab  sie  zur  selben 
Zeit  uns  auch  einen  Baum,  den  Jatobä,  dessen  Stamm  ohne  wei- 
teres das  beste  Fahrzeug  zum  glücklichen  Passieren  der  Strom- 
schnellen abgab:  man  schnitt  ein  viereckiges  Stück  aus  der  Ildh- 
lung  dieses  Baunies,  und  es  am  Feuer  härtend  hieb  man  mit  Ge- 
schick den  Hinter-  und  Vorderteil  des  Schilfes  zurecht.  Dieser  An- 
fang der  Schiffahrt  war  der  schlimmste  Teil  der  Reise:  es  scheint, 
dals  der  h  hih  mehr  Steine  denn  Wasser  enthält.  Lieber  den  Stein 
des  Sisyphus  in  der  Hölle  bewegen,  denn  ewig  den  Fluls  Batovy 
befohrenl 

Als  wir  nach  19  Tagen  die  ersten  Indianer  trafen,  hatten  wir 
mehr  denn  100  Wasserfälle  passiert,  wir  waren  auf  sechs  Kanoes 
reduziert,  sieben  beschädigte  und  /orhiochene  liefsen  wir  zurück. 
Wir  besafseu  nichts,  was  nicht  ins  Wasser  gefallen  wäre:  die  Pro- 
visionen, als:  gedörrtes  Fleisch,  Bohnen,  Keis,  sind  schlecht  und 
schinnnelig  geworden.  Unsere  Kleidung  war  sehr  mitgenommen, 
endlich  war  Zeit  genug,  uns  der  Strumpfe  und  Stiefel  zu  entledigen. 


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67 


Wir  beobachteten  mit  Vergnügen,  dafs  unsere  Fufssohlen  sich 
härteten,  da  sie  den  Angriffen  der  Insekten  besser  widerstanden. 
Einige  Begleiter  leiden  vom  Sumpiffieber.    Und  anter  solchen  Um* 
ständen  hatten  wir  noch  die  Kanoes  über  die  Steine  zu  ziehen,  die 
Ladung  auf  dem  Rücken  and  was  noch  mehr  ist,  die  Kanoes 
durch  die  engen  Waldwege  zu  transportieren.   Wir  waren  noch  so 
nahe  bei  Cnyabä  nnd  noch  so  weit  von  Para!  —  £s  flttchten  sich 
die  Indianer,  die  tapferen  Bacairis.    Bei  ihrem  ersten  Dorfe  sind 
die  Wasserfalle  zu  Ende.    Nach  unzähligen  Krüinmungen,  nachdem 
vier  Dürfer  der  „Bacairis"  und  ein  anderes  vom  Stumme  der  „Custe- 
nafis*  besucht  war,  erreichen  wir  am  30.  August  die  Mündiin^:  des 
Batovy.    Durchschnittlich  hatte  der  Batovy  eine  Breite  von  70  m, 
dann  und  wann  sich  auf  120  bis  auf  150  m  erweiternd,  seine  Strö- 
mung betr&gt  eine  legua*)  in  vier  Stunden;  wir  trafen  eine  Schlucht 
von  3—4  m  an.   Nur  in  den  ersten  Tagen  kamen  wir  durch  Berg-^ 
land,  späterhin  trafen  wir  Felder  and  nahe  dem  Flusse  selbst 
Dicldcht  Die  MQndang  ist  ein  interessanter  Pankt,  es  vereinigen 
sich  hier  drei  Wasserarme:  vom  Westen  kommt  der  Ronuro  mit 
einer  Breite  von  400  m,  er  nimmt  den  Batovy  auf,  den  Tamitato&la 
der  Bacairis,  und  vereinigt  sich  mit  dem  Culis^u  von  300  m  Breite, 
um  den  Xingü  zu  bilden;  dieser,  gemeiniglich  Paraiui  genannt,  lauft 
schneller  und  hat  im  Anfange  eine  Breite  von  4(X)  m,  später  von 
500—600  m.  —  An  der  Mündung  des  Culiseu  wohnen  die  „Trumais"; 
14  Meilen  im  Norden  des  Xingü  die  Suyas,  welche  von  den  andern 
Stammen  sehr  gefürchtet  werden.    Nahe  diesen  befindet  sich  ein 
anderer  Stamm,  die  Manitsanas,  welche  wir  nur  als  Gefangene  der 
Snyds  kennen.  Es  ist  eine  merkwürdige  Thatsache,  dsSs  gerade  hier 
eine  Beihe  von  Indianerstammen  durcheinander  hausen:  es  giebt  20 
verschiedene  Stämme,  welche,  obwohl  fast  alle  verwandt,  nicht  auf 
gldcher  Kulturstufe  stehen;  am  Batovy  sind  die  Bacairis,  dieGuste- 
natis  and  die  Vauzis,  am  Ronuro  die  Guyaüs  and  am  Hauptarm, 
dem  Gulis^u,  werden  aufser  den  Trumais  noch  13  andere  Stämme 
angeführt,  unter  diesen  die  Minacuas  und  die  !•  aur.icnas,  welche  5 
Dörfer  besitzen.    Man  darf  nun  ans  dem  Umstände,  dafs  die  Indianer 
sich  gegen  uns  nicht  feindlicli  zeigten,  niclit  schliefsen,  daf<  sie  einen 
friedlichen  Charakter  haben.    Sie  hatten  niemals  weifse  Leute  .ire- 
sehen,  wir  überraschteu  sie  alle  und  indem  wir  den  Fluls  hinab- 
fuhren, erschienen  wir  ihnen  plötzlich,  ohne  dafs  sie  unsere  Ankunft 
vorher  ahnten  und  darin  liegt  vielleicht  auch  die  Ursache  des  gleich- 
mausig  ^edfertigen  Betragens.  Wir  waren  ihnen  fremdartig  in  Kr- 


*)  eine  portogieaisohe  legua  =  6,i$  km. 

6« 


—  68  — 

scheiming.  bärtig,  bekleidet,  ohne  Bo<>:cn  und  ohne  Pfeile,  auch 
machten  wir  keine  wunderbaren  Gestikulationen  wie  die  Indianer, 
waren  nicht  verwirrt  und  furchtsam.  Sie  beabsichtigten  uns  za 
schrecken,  wie  es  die  Gewohnheit  dieser  Leute  ist;  sie  schlugen  an 
die  Brost,  maditen  ein  Gezeter  und  wiederholten  viele  Male  den 
Namen  ihres  nnd  anderer  Stftmme:  Katü,  hekatd,  Gustenaü,  hekatü, 
Yauii,  hekatü,  Ttnm&i  u.  a. 

Anf  der  Stelle  beginnen  wir  aneh  einen  Triumphgesaug,  wir 
finden  Gefallen  an  ihnen,  wir  lachen  und  so  bleiben  auch  sie  unbe- 
waffnet.   Sie  sind  sehr  miistraiiisch,  jedoch  behalten  wir  unbedingt 
die  Oberhand.    Wer  nur  einmal  die  Wirkung,  welche 'ein  einfacher 
Revolverschufs  hervorruft,  gesehen  hat,  der  hat  keine  Furcht  mehr 
vor  einem  ganzen  Staiiime,    Wir  hatten  eine  ziemlich  unangenehme 
Begegnung  mit  den  Trumais-Indianern:  Drei  von  ihnen  hatten  uns 
nachts  am  Strande  gesehen;  am  folgenden  Morgen  kehrten  sie  in 
der  Zahl  von  48  mit  14  Kanoes  zurück  nnd  zwar  um  zu  kämpfen. 
Erst  nach  stundenlangen  Verhandlungen  entschlosseiä  sie  sich,  za 
landen  und  sich  uns  zu  n&hem ;  jeder  von  uns  nahm  einen  oder  zwei 
Indianer  zum  Lagerplatze.  Diese,  mifstrauisch,  versuchten  sich  in 
den  Besitz  unserer  Hflte,  Messer,  Flinten  und  anderer  Gegenstände, 
welche  ihre  Neugierde  reizten,  zu  setzen.  Wir  verhinderten  das  in 
freundlicher  Weise.   Einer  der  Indianer  entlud  zufallig  eine  Flinte; 
der  Schrecken,  den  dieser  Schufs  hervorrief,  war  so  grofs,  dafs 
einige  Aui^enbliike  darauf  alle  Indianer  zum  Wasser  liefen,  und  in 
die  Kanoes  sprangen.    Von  panischem  Schrecken  erfüllt,  flohen  sie 
über  den  Flufs  hinüber.    Einer  der  Indianer  schofs  einen  Pfeil  über 
eines  unserer  Kanoes,  in  welchem  sich  die  Soldaten  befanden.  Diese 
antworteten,  indem  sie  ihre  Gewehre  in  die  Luft  abfeuerten.  Darauf 
warfen  sich  alle  Indianer  ins  Wasser  und  erreichten  das  Land,  in- 
dem sie  unter  dem  Wasser  schwammen,  bis  sie  dann  im  Dickicht 
des 'Waldes  verschwanden.   Die  Helmbflsche,  alle  Waffen,  B<^en, 
Pfeile,  Keulen  und  Kanoes  waren  zurackgelassen  und  trieben  auf 
dem  Flusse.  Leider  verloren  wir  so  die  Gelegenheit,  genauere  Stu- 
dien über  diesen  Stamm  zu  machen.    Den  Suyas  zeigte  ich  in 
ihrem  Dorfe  einen   Spiegel.    Als  der  Rückstrahl  der  Sonne  an 
die  Wand  fiel  und  sich  hin-  und  herbewegte,  wichen  alle  erschreckt 
aus,  sie  griffen  zu  den  W^affen  und  bestanden  mit  der  ganzen  Ein- 
wohnerschaft darauf,  dafs  wir  augenblicklich  das  Dorf  verliefseu. 
Diese  Suyis  lagen  uns  alle  Tage  an,  fortzuziehen;  bleiben  sollten 
wir  nur,  wenn  wir  ihnen  verspr&chen,  sie  in  einer  Kriegsexpedition 
gegen  die  Trumais  zu  begleiten. 

Immerhin  ist  anzunehmen,  dals  man  bei  verständiger,  vor- 


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sichtiger  BebandluDg  dieser  Indianer  friedliche  Arbeit  und  gutes 
Betragen  yon  ihaen  erreichen  kann.  Alle  diese  Stamme  sind  in 
Dörfern  angesiedelt,  besitzen  hohe,  runde  Häuser,  in  welchen  Je 
einige  Familien  znsammenwohnen.  Sie  bearbeiten  den  Boden, 
pflanzen  Handioka,  Mais,  sttfse  Kartoffeln,  Yams  und  Baumwolle, 
Bananen  sind  unbekannt,  jedoch  rancht  man  einen  vortrefflichen 
Tabak.  Ihre  üauptkultur  ist  die  der  Mandioka,  aus  deren  Masse  sie 
Kuchen,  Pasteten  und  verschiedene  erfrischeude  Gebäcke  herstellen; 
zu  Hause  bewahren  sie  in  ^rofsen  Korben  reiche  Mandiokavorrüte 
auf.  Sie  betreiben  Fischerei  mit  Pfeilen.  Zur  Zeit  der  Über- 
schwemmungen schliefsen  sie  die  Kanäle  der  Lagunen,  um  die  Fische 
wahrend  der  Trockenheit  herauszusammeln;  sie  spannen  auch  Netze 
an  Wasserfällen  auf.  Sie  haben  keine  Speere,  sondern  Jagen  die  Tiere 
des  Waldes  nur  mit  dem  Bogen  und  Pfeil,  sie  essen  weder  Hirsch  nodi 
Tapir;  aber  sie  lieben  sehr  »Capivdra*  (Wasserschwein)  und 
gerfincherte  Affen.  Sie  haben  sehr  yiel  Furcht  vor  unsem  Hunden; 
nur  die  Manitsanis  haben  ein  Wort  lür  dieses  Tier.  —  Die  Lente 
gehen  nackt,  bemalen  das  Gesicht  und  den  Körper  rot  und  schwarz, 
um  den  Hals  haben  sie  Ketten  aus  Zahnen  oder  Muscheln ;  um  die 
Anne  und  Beine  tragen  sie  Tücher  aus  Baumwolle  und  um  die 
Hüften  eine  Schnur,  auf  welcher  Beeren  oder  Kerne  aufgereiht 
sind.  Die  Kleidung  der  Frauen  ist  sehr  spärlich;  man  erinnert  sich 
des  Märchens  von  der  Keeprluzessio,  welche  ein  Kleid  von  so 
feinem  Gewebe  besafs,  dafs  sie  es  in  einer  Nufsschale  aufbewahren 
konnte.  Nun  die  Frauen  der  Bacairis  und  der  Custenaüs  könnten 
auch  ihre  aus  Palmfasem  gefertigten  Kleider,  wenn  nicht  in  eine 
Nufsschale,  so  doch  wenigstens  in  eine  Schachtel  Zflndhdlzer  legen. 
Sie  weben  jedoch  Netze  zum  Schlafen  ans  Baumwolle  und  den 
Fasern  des  „buruti**,  indem  sie  die  Faden  einfach  um  ein  Rad  aus 
2  Stäben  legen,  welche  in  den  Boden  eingeschlagen  sind.  Die 
Gerate  und  Werkzeuge  sind  Steinäxte,  Meifsel  aus  Knochen  und 
ähnliche  Instrumente;  diese  Indiauer  kennen  gar  kein  Metall. 

Obgleich  von  versciiiedener  Abstammung,  sind  diese  ludianer- 
stämme  in  den  Gewohnheiten  sich  ähnlich.  Ihre  ISprachidiome  sind  dage- 
gen absolut  verschieden,  sie  enthalten  kaum  einige  gemeinsame  Worte. 
Es  ist  daher  durchaus  unmöglich,  dafs  jemand  sich  Überall  ver- 
standlich machen  kann,  wenn  er  auch  eine  der  Sprachen  versteht, 
ood  wir  mn£sten  uns,  um  uns  yerstftndlich  zu  machen,  der  .Zeichen 
und  Geberden  bedienen.  Die  Bacairis  waren  am  gastfreisten,  ftlr 
Gegenstände  von  unbedeutendem  Werte  erhielten  wir  Sfandioka- 
kttchen  in  Mengen,  und  gegen  Messer  oder  Kleider  gaben  sie  uns 
Kanoes.   Die  Bacairis  sind  gut  gebaut,  von  regehnaisiger  Gestalt 


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—  10  — 

und  pflegen  das  Haar  in  Form  einer  Krone  geschnitten  zu  tragen. 
Sie  schmücken  die  Obren  mit  Federkielen  und  den  Kopf  mit 
Diademen  von  Stroh  oder  Federn ;  sie  lieben  Musik  und  blasen  auf 
1  m  langen  FlOten  melancholische  nnd  eintAnige  Melodien,  welche 
zuweilen  von  Tänzen  begleitet  werden,  indem  sie  dazu  mit  dem 
rechten  Fufse  das  Tempo  angeben. 

Der  letzte  Distrikt  war  st&rker  bevölkert  und  die  Einwohner 
haben  einen  mehr  kricj?erischoii  und  tapfern  Charakter,  jedoch 
übersteigt  die  Gesamtzahl  der  Bacairis  nicht  250. 

Die  Ciistenaiis  haben  einen  viel  weniger  angenehmen  Charakter  ; 
sie  rauben  und  fürchten  beraubt  zu  werden.  Nach  Gegenständen, 
die  wir  dort  in  ihrem  Besitze  antrafen,  vermuten  wir,  dafs  sie  grofse 
Reisen  zum  Tauschverkehre  und  zum  Raub  unternehmen.  Trotz 
alle  diesem  ist  es  ein  armer,  wenig  zahlreicher  Stamm,  ungefähr 
30  Köpfe.  —  Wir  kamen  nicht  dazu  die  Vauris  kennen  zu  lernen; 
das  Dorf  blieb  sehr  weit  vom  FlnCse  entfernt  —  Die  Suy&s,  vor 
denen  alle  anderen  St&mme  Furcht  haben,  leben  in  einem  Dorfe 
von  9  H&usem  und  zählt  dieser  Stamm  ungefthr  120  Personen. 
Sie  sind  ein  wenig  gröfser  als  die  anderen;  Männer  und  Frauen 
yelien  völlig  nackt.  Die  Männer  lialteu  auf  der  Lippe  eine  i^rofse 
Scheibe  von  Korkrinde,  die,  leicht  und  niedlich  geformt,  sie  nicht 
am  Essen,  Rauchen  oder  Flötenspiel  hindert.  Sie  trauen  in  deu 
Ohren  eine  Holle  aus  Schilf  vou  jrerinirer  Gröl'se;  die  Ohren  bleiben 
auf  diese  Weise  gesj)alten  und  berühren,  nachdem  solcher  Schmuck 
herausgenommen,  beinahe  die  Schultern.  An  der  Stirn  schaben  sie 
das  Haar  ab,  im  Nacken  tragen  sie  es  sehr  lang.  Sie  haben  Ge- 
schicklichkeit im  Korbfiechten;  niedlichen  Banken  wissen  sie  mit 
ihren  urtümlichen  Instrumenten  vollkommen  die  Form  eines  Vogels 
zu  geben.  Die  Flöte,  welche  sie  gebrauchen,  ist  aus  drei  Rohr- 
stücken verschiedener  Grölse  zusammengesetzt  Die  Zahl  jener 
Indianer  hält  man  für  gröfser  als  sie  in  Wirklichkeit  ist;  wenn  wir 
im  Verhältnis  zu  den  Stammen,  die  wir  kennen,  reclinen,  so  ulaube 
ich  kaum,  dafs  die  ganze  zerstreute  Bevölkerung  'öüÜO  Individuen 
übersteigt. 

Wenige  Taw  nachdem  wir  die  Suyäs  verlassen  hatten,  begann 
eine  andere  schwierige  Zeit  für  uns.  Naclidem  der  Flufs  einige  Zu- 
Strömungen aufgenommen,  erweitert  er  sich  auf  800  bis  900  m  und  hat 
wenig  Strömung.  Die  Höhen  erscheinen  wieder  nahe  an  den  Ufern,  der 
FluTs  mufs  einige  grofse  Biegungen  machen.  Nun  treten  wieder  neue 
Wasserfälle  auf,  aber  unsere  Baumstamm-Kanoes  taugten  schon  nichts 
mehr.  Um  das  Übel  voll  zu  machen,  nimmt  der  Wind  auch  noch 
zu,  wir  haben  Wellen  und  die  stärksten  Gewitter  auszustehen.  Der 


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—  71  — 

allgemeine  Zustand  der  ExpMItion  war  ein  entsciiieden  schlechter, 
fast  alle  litten  von  Fieberanfällen.  Wir  alle  nahmen  morgens  Chinin 
im  Kaffee  zu  uns.  Wir  haben  keine  andere  Nahrun^r  denn  „Piranha" 

(Serrasalmo  ni^;er)  und  „pirarara" ;  man  denke  sich,  mit  welchem 
Vergnüf^en  wir  jeder  2  Unzen  von  dem  Fleische  essen,  welclies  dem 
Schwei netieisch  sehr  ähidich  ist.    Das  Mehl  '/m^  zu  Ende,  das  Salz 
auch,  somit  war  für  drei  Wochen  liindurch  die  Zubereitung  der 
Fische  eine  ungenügende.    Glücklicherweise  erschienen  uns  neue 
Freunde:  die  Yurnmaa-Indianer.  —  Dieser  Stamm  ist  bekannt  aus 
alten  Zeiten:  die  Leute  sprechen  ein  wenig  portugiesisch,  haben 
Flinten  und  leben  auf  Kriegsfufe  mit  den  viel  wilderen  und  kräftigeren 
Gang&s,  welche  die  Landerstriche  am  rechten  Ufer  des  Xingü  be- 
wohnen, und  die  wahren  Herren  des  Flusses  sind:  sie  befahren  ihn  in 
einer  Ai^^dehnung  von  5  Breitengraden.  Jene  kennen  merkwürdiger- 
weise nicht  die  Snyäs,  und  diese  wissen  auch  nichts  von  den  Yurumas. 
Wahrscheinlich  kommen  die  Suyas  aus  Furcht  nicht  die  Wasserfalle 
lierah  und  die  Yurumas  kommen  nicht  herauf  in  der  Besorgnis,  dafs 
sie  sich  zu  sehr  zerstreuen  und  sich  auf  diese  W^eise  im  Kampfe 
mit  den  Carajds  schwachen  würden.    Die  Yurumas  gaben  uns  Böte 
in  Tausch  und  dienten  uns  als  Führer  bis  zu  den  ersten  Ansiedlern. 
Mau  kann  wohl  sagen,  dafs  diese  letzten  lüO  leguas  aus  einer  langen 
Kette  von  Wasserfallen  bestehen.    Ohne  Bote  und  ohne  Fahrer 
wären  wir  alle  verloren  gewesen,  das  ist  sicher.  Am  Ufer  erscheinen 
Palmen,  Aguassü,  Tucum,  häufig  auch  Seringen,  Kastanien  smd  in 
Oberfltti^  an  bestimmten  Stellen.  Aulser  vielen  anderen  nützlichen 
Bäumen  treffen  wir:  Gedern,  Mastixbäume,  Peroba,  Ximbnva  n.  a. 
Am  13.  Oktober  kommen  wir  in  PiranhaquÄra  an,  wo  seiner  Zeit  die 
Reise  des  Prinzen  Adalbert  endete.  Am  15.  begrüfsen  wir  das  Haus 
des  ersten  Ansiedlers,  wo  alles:  Tisch,  Stühle,  Gabeln,  Löffel,  Lampen 
interessante  Neuigkeiten  für  uns  waren.    Am  28.  Oktober  nehmen 
wir  den  Dam[)fer  von  Porto  de  Moz  und  kommen  in  Para.  wirklich 
beinahe  von  allem  entblöfst  an,  doch  alle  waren  am  Leben! 

Zum  Schluls  hob  der  Redner  einige  KrL'obnisse  der  Reise  hervor: 
der  Xiugü  kann  nicht  zur  Verbindung  des  Urwaldes  (;,Mato  Grosso^) 
mit  dem  Par&  benutzt  werden  wegen  der  Wasserfalle;  man  kann 
auch  nicht  an  die  Anlage  einer  Eisenbahn  oder  eines  Wagenweges 
seinem  Laufe  entlang  denken  wegen  des  bergigen  Terrains.  Die 
Reichtümer  des  Pflanzenreiches  sind  zweifelsohne  bedeutende,  die 
Jagd  dagegen  erscheint  luir  eine  mittelmäfsige  zu  sein. 

Der  ein/ige  Weg,  jene  Reichtümer  auszubeuten,  ist  die  Hülfe 
der  Vuriimas.  Dioe  Indianer  licbon  zwar  nicht  die  Arbeit,  jedoch 
Bind  öie  ihr  weuigsteus  nicht  leiudüch.  Wenu  es  selbst  nicht  möglich 


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—  72  — 


wäre,  sie  an  das  Ein>amineln  des  Kaoiitchouks  zu  gewöhnen,  so 
konnten  sie  wenijxstens  doch  noch  als  Lotsen  auf  dein  Flusse  bis  zu 
dem  oben   erwiihnten  Punkte  dienen.    Es  giebt  einige  Tausend 
Indianer  in  den  Niederungen  des  Xiniiü,  ihr  Charakter  ist  vorwiegend 
friedliebend;  in  Zukunft  können  sie  geeignete  Arbeitskräfte  zur 
Rodung  des  Urwalds  liefern;  diese  Provinz  wird  nämlich  nur  dann  fort- 
schreiten, wenn  sie  sich  in  grolsem  Mafsstabe  der  Arbeit  der  Eilt- 
geborenen  bedient  Ich  erwfthne  jetzt  nicht  die  rein  wissenschaft- 
lichen Ergebnisse  unserer  Beise  auf  dem  Gebiete  der  Anthropologie, 
Ethnologie,  und  der  Sprachkunde;  diese  Beobachtungen  werden  wir 
sp&ter,  nachdem  wir  sie  mit  Mu^  geprOft  haben  werden,  veröffent- 
lichen. Wohl  aber  mOchte  Ich  die  Aufmerksamkeit  wiederholt  auf  die 
beträchtlichen  Änderungen  lenken,  denen  infolge  unserer  Reise  die 
geographische  Lage  des  Xiugii  auf  den  Karten  zu  unterwerfen  sein 
wird.   Die  Lage  von  der  grofsen  Biegung  nahe  der  Mündung  ab, 
sowie  die  der  Quellflüsse  weicht  aufserordentlich  von  den  bisherigen 
Angaben  ab.    Wir  haben  eine  Bahn  durch  den  unbekannten  Wald 
geüffnet.  Noch  ist  dieser  W^ald  jungfraulich;  wir  hoffen,  dafs  er 
andere  Freunde  finden  wird,  welche  seine  Schönheit  nicht  in  Ver- 
lassenheit und  Einsamkeit  dahin  welken  lassen,  hoffen,  dafs  der 
Ackerbauer  und  der  Ingenieur  seine  rauhe  Urwflchsigkeit  bemeistem 
werden,  damit  diese  Gebiete  in  üppiger  Fruchtbarkeit  sich  zum 
Segen  der  künftigen  Geschlechter  entwickeln  mögen! 


§  All  to  geograyUsehei  Geielliehaft  ii  Breaea.  Zimftchf»  boiehtoi 
wir  ikber  die  Hörend  cUmm  Winters  im  Kreise  der  Gesellschaft  ge* 
haltenen  Yortr&ge.  Der  erste  betraf  Wandenmgen  in  Schottland,  er 

wurde  von  Herrn  Professor  Laabert  gehalten. 

In  der  Einleitung  hob  der  Redner  allgemeine  üesichtspnnkte 
nnd  Verhältnisse  hervor,  er  betonte  sehr  richtig,  dafs  wir  mit  unserer  Vor- 
stellung von  Schottland  in  der  Regel  den  Gedanken  einer  nördlicheren  Lage 
verbinden,  als  es  in  Wahrheit  hat,  wir  vergessen,  dafs  Schott  luiid  unter  dem- 
selben Breitengrade  aofhöii,  unter  welchem  Norwegen  beginnt  nnd  dals  die 
Brette  von  Petersburg  die  nördlich  Ton  Schottland  gelegenen  SheikndB-Insehi 
irillt  In  der  (hdUse  entspricht  SchotOand,  weichet  einen  FlftehenhihaU  von 
1480  Qoadratneilen  (daninter  800  Qnadratmeflen  Ineeln)  hat»  etwa  der  Fliehe 
Ton  Böhmen,  Mähren  und  österreichisch  Schlesien.  Durch  die  Senke  zwischen 
der  elf  de-  nnd  der  Firthföhrde  nnd  durch  das  vom  Caledonischen  Kanal  duch- 


Kleinere  Mitteilungen. 


—  73  — 


zogene  Thal  von  Glenmore  ist  es  in  ein  Süd-,  Mittel-  nnd  Nordwestschoftland 
gegliedert;  die  Gebirge  siud  im  nördlichen  and  mittleren  Teil,  ihre  Erhebung 
nieht  nkdit  ftber  dio  des  Sehwarawaldes  oder  der  Vogosen  hinaus,  das  am- 
gebende  Meer  ist  Iftr  das  Klima  Schottlaiids  Ton  groDsem  Einflnikk  Die  irinterliche 
Sehneebedeckiing  nmfo  bedeutend  sein.  Die  Felsenkfisten  mit  ihren  Ijorden  und 
vorgelagerten  Inseln  bieten  einen  hcdieii  landschaftlichen  Reis.  Wfihrend  der 
Wald  nicht  über  die  Höhe  von  12^1300  Fufs  reicht,  entwickelt  er  in  den 
tieferen  Lagen  sowohl  im  Laub-  wie  besonders  im  Nadelholz  eine  grofse  Mannig- 
faltigkeit nnd  Fülle,  wie  denn  der  Redner  selbst  anf  seiner  Reise  darch  S«  h<  tt- 
land  nördlich  von  Invemofs  Aranr.irien  von  30  Fufs  und  am  Tay  Ilexbaurae 
von  17  Fufs  Umfang,  zahme  Kastanien  und  Sykomoren  im  Umfange  von  20  bis 
30  Fafs  nnd  echte  Lorbeei  bäume  im  Freien  sah.  Die  Bevölkerung  des  Landes, 
S^/f  MüIioDen,  ist  eine  spärliche.  Ein  Drittel  derselben  drangt  sich  in  dem 
mtehtig  indnstneUen  Cljdethal  sosanunen.  Neben  der  dnrch  seine  malerische 
Lag9  berühmten  Hanptstadt  Edinbor^  nnd  neben  Olasgow  finden  vir  noch 
swei  grttfMi»  Stfidte:  Dnndee  nnd  Aberdeen  und  40  kleinere  StSdte.  Die 
g^ische  Bevölkerung  —  etwa  200000  —  assimiliert  sich  mehr  nnd  mehr  der 
englisch  redenden.  Leicht  und  bequem  ist  jetzt  das  Reisen  nach  und  in  Schott- 
land, wohin  alisommerlirh  zahllose  Scharen  von  Tonristen  ziehen.  Während 
im  vorigen  Jahrhundert  die  Postkutst  he  von  London  nach  Edmburgh  zu  ihrer 
durch  Wegelagerer  nicht  selten  gestörten  Fahrt  11— 12  Tage  brauchte,  reist  man 
jetzt  durchweg  auf  der  Eisenbahn  bis  nach  den  nördlichsten  Funkten  Thurso 
nnd  Wiek.  Nicht  wenig  Anziehungskraft  übt  Schottland  dadurch  auf  den 
Tonristen  ans,  daCs  es  die  Heimat  grolser  Dichter  nnd  die  Bahne  ihrer  Dichtungen, 
«nes  Bnrns  nlld  eines  Scott,  ist  Der  Redner  Ahrte  nnn  ans  seinen  schottischen 
Wandemngen  eine  Reihe  von  reich  gestalteten  Reisebüdera  vor  das  geistige  Ange 
des  Hörers.  Zuerst  führte  er  uns  nach  Invemefs  und  auf  das  nahe  Schlachtfeld  von 
Culloden,  wo  Prinz  , Charlie",  der  letzte  Stuart,  den  letltmi  unglücklichen  Kampf 
kämpfte  und  seine  treuen  Schotten  für  ihn  bluteten,  er  erzählte  von  dem  1847 
in  seinen  jetzigen  Verhältnissen  fertig  gestellten  Caledonischen  Kanal,  der  für 
die  Kauffahrteifahrt  wenig  Bedeutung  hat,  aber  dem  mit  dem  Dampfer  fahrenden 
Touristen  die  mannigfaltigste u  Blicke  in  die  Berg-  und  Seenlandschaft  des 
Inneren  eröffnet.  Am  Endpunkt  des  Kanals  erhebt  sich  der  Ben  Nevis,  auf 
dessen  ftst  immer  von  Wolken  nmhAlltem  Oqpfel  seit  einigen  Jahren  eine 
nieteorol<^gtsche  Station  errichtet  ist  Die  öde  Felsen-,  Moos-  nnd  Hoorlandschaft 
dieses  4400  Fnb  hohen  Beiges  Teiglich  Redner  mit  der  begftnstigteren  Vege- 
tation auf  dem  Pny  de  D6me  in  der  Anvergne.  Eine  andere  Fahrt,  die  der 
Redner  anziehend  schilderte,  war  die  nach  Oban,  der  Gasthofstadt,  und  von  da 
nach  der  wunderbaren  Fingalshöhle  auf  der  Insel  StafTa  und  zu  der  durch  die 
Reste  früh  mittelalterlicher  Klosterbautcn  berühmten  Insel  Jona.  Eme  dritte 
galt  dem  Norden,  dem  anmutig  gelegpnen  Thurso,  der  oft  von  wilden  Fluten 
durchströmten  Pentlandsföhrde ,  den  Orkaden-Inseln  Hoy  und  Mainland  mit 
Kirkwuii  und  den  hochinteressanten  Steiudenkmalen  aus  der  Vorzeit.  Wiek, 
der  groÜBe  Fischereihafen,  mit  seinem  regen  IVeiben  ni^  Arbeiten  snr  Hoch- 
sommeneity  wenn  die  unendlichen  Heringszüge  nahe  dem  Lande  sieben  und 
fielen  Tausenden  Nahmng  bieten,  Perth  im  TWythal  mit  seiner  reichen  Laehs- 
flscherei  n.  a.  wurden  noch  geschiUert  und  stÄloüB  der  Redner  seinen  Vortrag 
mit  der  Versicherung»,  dafs  eine  Reise  nach  Schottland,  selbst  wenn  sie,  wie 
das  leider  häufig  der  Fall,  nicht  vom  Wetter  begünstigt  würde,  Vielehen 
OennÜB  und  Anr^^nng  biete. 


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—  74  — 

Am  29.  und  30.  Dezember  folgten  siroi  Yortrige  4et  Herrn  ProfaMcr 
Stnder  am  Bern  über  Tiefseeforschung.  AI«  Anschaunngsmitfel  hatte 
die  Rcichsseewarfe  in  Hamburg  durch  die  Güte  ihres  Direktors,  des  Hm.  Geh. 
Admiralitätsratfi  Professor  Neumayer  eine  Anzahl  Apparate,  welche  bei  der 
Tiefseeforschung  zur  Gewinnung  von  Grundproben,  zur  Ermittclnns  der  Tiefe 
und  der  Tiefentemperaturen,  sowio  zum  Schöpfen  von  "Wasser  aus  der  Tiefsee 
angewendet  werden,  hergeliehen ;  ferner  warcu  eine  Reihe  grofser  farbiger  Tafeln 
ausgestellt,  welohe  verecbiedene  Gattungen  der  in  der  Tieftee  lebenden  Tiere  ver- 
aofdutnlichten.  Einleitend  warf  der  Redner  einen  Rflckbliek  auf  die  Entrtehung 
nnd  Entwickehing  der  Ooeanograpliie,  indem  er  snnScliBt  daran  erinnerte,  frie 
bis  vor  kurzem  die  Meerestiefe  als  ein  unlösbares  BStael  galt»  da  nur  düe 
KAstenabfölle  und  die  der  Schiffahrt  gc^hrlichen  Untiefen  bekannt  waren.  In 
die  vermeintliche  bodenlose  Tiefe  des  Meeres  verlegt«  die  nimmer  fastende 
Phantasie  die  Kraken,  Secschlangen  und  andere  Ungeheuer,  wogegen  die 
theoretische  Wissenschaft  auf  Grund  ihrer  Formeln  die  Unmöglichkeit  der 
Existenz  lebender  Wesen  in  grofser  Tiefe  einwiesen  glaubte.  Die  Erfahrungs- 
wissens(haft  lehrte  uns  die  scheinbar  unergründlichen  Tiefen  messen,  ihre 
Temperaturen,  Salzgehalt  n.  a.  ermitteln  und  zeigte,  dafs  auch  in  grofsen  Tiefen 
organisches  Leben  anstiere.  Das  Projekt  der  Legung  des  submarinen  Kabela 
durch  den  atlantischen  Oceaa  vor  nunmehr  90  Jahren  gab  den  ersten  AnlaCi 
sur  Untersuchung  des  Meeresbodens.  Dabei  stellte  sich  eine  Menge  neuer  That- 
sachen  heraus.  Der  Boden  des  Oceans  erwies  sieh  in  Höhen  und  Thäler  ge* 
gliedert,  der  Grnndschlamm  enthielt  Reste  niederer  und  Spuren  höherer  Tiere. 
Wallich  brachte,  dnrch  seine  üntersuf'hnngen  an  Bord  des  -Bnlldog*'.  den  that- 
siichlichen  Beweis,  dafs  in  eint  r  Tiefe  von  2300  m  des  nordatlanfischcn  Oceans 
verschiedene  Arten  von  Seesternen  lebten.  Bei  der  Auftischung  eines  Stücks 
suljiuarinen  Kabels  aus  2216  m  Tiefe  des  Mittelmeers  fanden  sich,  daran  angeheftet, 
Korallen,  welche  bisher  nur  aus  den  nördlichen  Meeren  bekannt  waren.  Diese 
^niatsaehen  riefen  eine  gsnse  Beihe  neuer  wissenschaftlicher  Fangen  herror,  sia 
widerlegten  die  Behauptung^  welche  der  englische  Naturforscher  Forbes  auf  Grund 
seiner  Untersuchungen  im  SgÜschen  Meere  au&tellen  au  kfinnen  glaubte,  dab 
nftmlich  das  Tierieben  an  Formen-  und  Grölsenentwickelung  nach  der  Tieft  su 
abnehme  und  in  etwa  400  m  Tiefe  gänzlich  erlösche.  Die  erste  der  nunmehr 
von  verschiedenen  Nationen  ins  Werk  gesetzten  Tiefseeerpeditionen  war  die  von 
Nordcnskjöld  und  Torell  ins  nördliche  Eismeer.  Sic  erwies  das  Vorhandensein 
lebender  Tiere  in  Tiefen  bis  zu  3650  m.  Noch  bedeutsamer  waren  die  Ergeb- 
nisse der  en<zlischen  Expeditionen  von  W.  Thomson,  Dr.  Carpentcr  und  Gwyn 
Jeffreys.  Letzterer  dehnte  1870  die  Untersuchungen  auf  den  westlichen  Teil  des 
Mittelmeeres  aus.  Die  grofse  „ChaUenger'-Expedition,  1873—76,  erstreckte 
endlieh  die  Forschungen  auf  aÜe  Oceane.  Die  hochbedeutenden  Ergcbnissa 
dieser  mit  den  besten  Apparaten  und  den  tüchtigsten  Krftften  ausgestatteten 
Expedition  wurden  im  idigemeinen  charakterisiert  Weiter  gedachte  Redner  der 
deutschen  Expedition  („Gazelle")  unter  Contrcadmiral  Schleinitz,  an  welcher  er 
Teil  genommen  hat.  Von  dieser  in  den  Jahren  1874 — 76  ausgeführten  Expedition 
wurden  die  Tiefenverliältnisse  im  atlantis(  In  n  Ocean.  vor  der  Westküste  Afrikas, 
im  südlichen  indischen  Ocean  zwischen  dem  Kap  der  «niten  Hoffnung  und  West- 
australien, endlich  ansgcdclmter  Flächen  des  grofsen  Oceans  untersucht.  Auch 
die  nördlichen  Meere  winden  durch  die  norwegischen  Expeditionen  unter 
Professor  Mohn  und  durch  den  amerikanischen  Dampfer  ^.Tuscarora"  unter 
Belknap  untersucht  Es  waren  damit  die  Reliefii  des  Bodens  der  Weltmeere  im 


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—  75  — 

grolsen  and  ganzen  ermittelt;  dafs  indessen  im  einxelnen  noch  "neÜ  za  thon 
war,  btwflisen  die  leicheii  Eigebnisse  des  ,BIake*  im  Golf  von  Ifezico  und  in 
der  Floiidastiabe,  der  .Pommenmia*  in  der  Nord-  nnd  Ostsee  nnd  neuerdings 
des  ifTraYsillenr'  nnd  des  ^TaUsman',  der  franadsischen  Ejqwditionvi  unter 
Professor  Milne- Edwards,  im  Mittelmeer  und  im  atlantischen  Ocean. 
Der  Redner  besprach  nun  an  der  Hand  einw  grofsen  zu  dem  Zweck 
angefertigten  farbigen  Illnstrafion  Tind  mit  Hülfe  von  mittelst  Kreide  auf  einer 
Bchwarzon  Tafel  entworfener  Skizzen  die  verschiedenen  im  Laufe  der  Zeit  unter 
fortschreitender  Vervollkommnung  angewandten  Methoden,  die  Meernsticfe  zu 
sondieren,  die  Temperatur  in  den  verschiedenen  MeercsHchichten  zu  messen  und 
das  specifische  Gewicht,  wie  den  Gasgehalt  des  Meereswasscrs  zu  bestimmen. 
Er  beschrieb  dabei  der  Reihe  nach  das  gewfthnliehe  Senkblei,  ferner  das 
Brooksehe  Lot  (HDMnngscjlinder  mit  beweglichen  Armen,  an  denen  die  Lotleino 
befestigt  ist  und  ^ner  durchbohrten  Kugel  als  Gewicht)  und  seine  Tenchiedenen 
Modilikationen,  die  Apparate  aur  Ihbetriebsetsnog  des  Iiots  an  Bord,  besonders 
den  Akkumulator,  welcher  aus  zwei  Holzscheiben,  verbunden  mit  elastischen 
Kantschnkschnüren,  besteht,  die  Ersetzung  der  hänfenen  Lotleine  durch  ein 
Stahldrahttan,  welches  zum  Schutze  gegen  Rost  in  einem  Bad  von  Natronlauge 
aufzubewahren  ist,  nnd  anderes,  worauf  hier  nicht  näher  eingedrungen  werden 
kann.  Weiter  setzte  der  Redner  die  Konstruktion  des  von  Wyvilie  Thomson 
erfundenen  Selbstregistricrungsapparats  zur  Bestimmung  der  Tiefe  auseinander; 
durch  diesen  Apparat  wurde  die  bisherige  langwierige  nnd  leicht  ungenaue 
Graduimug  des  Lotungsdrahtes  Überflüssig.  Für  die  Messungen  der  Tempera- 
turen der  Tiefen  werden  BGnimal-  und  Haaumalthermometer,  die  man  am  Ende 
der  Lotleine  befestigt,  angewendet  In  neuerer  Zeit  werden  auch  ml&ch  die 
sogenannten  Umkehrthermometer  gebraucht  Will  man  eine  Reihe  von  Wasser- 
ticlen  nach  ihrer  Temperatur  bestimmen,  so  senkt  man  entweder  das  Tie£Bee- 
ihermometer  succcssive  in  verschiedene  Tiefen,  oder,  was  bedeutend  sicherer, 
man  befestigt  an  die  Lotleine  in  den  gewünschten  Abständen  eine  Eeihe 
Thermometer  über  einander. 

Der  zweite  Vortrag  begann  mit  einer  Darlegung  der  allgemeinen  Resultate, 
welche  durch  die  so  viel  Zeit,  Geld  und  Mühe  erfordernden  Txcfseeforschungs- 
expeditionen  erreicht  worden  sind«  Die  gröCsten  bis  jetzt  gemessenen  Tiefen 
haben  sich  auibllender  Weise  in  der  Nfihe  der  Landmassen  gefunden,  die 
tieftten  Stellen  der  Oceane  sind:  im  atlantischen  Ocean  bei  St  Thomas  7Q66m, 
im  indischen  Ocean  bei  dem  australischen  Continent  6628  m,  im  grolaen  Ocean 
Ostlich  von  den  Alenten  8513  m,  und  ferner  an  der  peruanischen  Küste.  Nach 
den  Polen  zu  flacht  sich  das  Meer  im  allgemeinen  ab,  doch  findet  sich  im 
europäischen  Eismeer  zw  ischen  Grönland  und  Spitzbergen  ein  bis  zu  4800  m 
tiefes  Becken.  Von  den  Steilküsten  der  Länder  und  Inseln  vertieft  sich  der 
Meeresboden  rascher  als  von  den  Flachküsten.  Auf  den  an  manche  Küsten  sich 
anschliefsenden  Plateaus  des  Meeresbodens  liegen  häufig  den  Kontinenten 
benachbarte  taseln  und  deuten  so  einen  früheren  Zusammenhang  an.  Eine 
Senkung  des  Meeresnireans  um  100  m  würde  uns  z.  B.  Orobbritanien  mit 
Frankreich  Terbunden,  die  Nordsee  bis  auf  eine  Wasserrinne  Tcrkleinert,  die 
Ostsee  grObtentheils  trocken,  Gibraltar  mit  Afrika  Yerbunden  aeigen. 
Ahnliches  würde  sich  in  Asien  und  Australien  zwischen  dem  Festlande  und 
nahe  gelegenen  gröfseren  Inseln  ergeben.  Im  atlantischen  Ocean  finden  wir 
einen  Höhenrücken  von  2U(X)— 8700  m  Tiefe,  der.  sich  von  Nord  nach  Süd 
siebend,  in  seiner  gewondenen  Form  die  Konturen  der  Koutineuto  wiederholt 


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—  76  — 


Auf  diesem  Höhenzuge  li^gm  die  valkanischea  Inseln  der  Asoien,  Aaoeniion  n.  a. 

Die    ähnlichen    Erscheinungen    in    anderen    Oceanen    worden    vom  Redner 
näher  besprochen.    Die  Ablafiornnpen  in  den  Meerestiefen  stammen,  sofern  sie 
ans  Sand,  Geröll  oder  Schlumm  bestehen,  von  den  benachbarten  Küsten.  Der 
grünliche,  blänliche  oder  schwarze  Schlamm  rührt  teilweise  von  den  zersetzten 
Algen  und  Pflanzenresten  der  Küste  her,  teilweise  sind  es  von  den  Flössen  ms 
Meer  himnfgrilkkrto  feine  MinenlteDe.    So  traf  die  „Quelle"  echon  900 
Meilen  von  der  Mtkndong  dei  Kongo  den  8476  m  tiefen  Qmnd  mit  PflaaaoH 
Detritos,  bedeckt  In  der  Nähe  der  Konllenrilfe  und  Kondlenineeln  ist  Kalk- 
■nnd  MM  Korallen-  nnd  Mosoheltrümmeni  vorherrschend.  Als  rein  pdngiaehe 
Ablagerangen  haben  wir  dagegen  den  Globigerinenschlamm  zn  betrachten,  dar 
einen  grofsen  Teil  des  Meeresbodens  in  allen  Oceanen  bedeckt.    Es  ist  das  eine 
kreidearti<:e.  weiche,  feinkörnige  Masse  von  weifser,  gräulich  oder  gelblich- 
weifser  Farbe  (Proben  wurden  vorgezeigt).    Eine  mikroskopische  üniersuchung 
ergiebt,  dafs  sie  fast  vollständig  ans  den  Schalen  mikroskopischer  Geschöpfe, 
den  Foramiuifereu,  besteht    Dieser  Schlamin  bedeckt  in  allen  Oceanen  die 
Tiefen  swischen  460  nnd  6900  m.  Die  Geschöpfe,  deren  Beate  den  Globigerinen- 
tcUamm  bilden,  sind  als  Oberflächenwaaaerbewohner  ermittelt,  aia  laben  swiachaB 
der  Oberflieha  nnd  einer  Tiefe  Ton  2—900  m  nnd  sinken  nach  dem  Abaterban  wai 
dan  Meeresboden;  sie  finden  aich  in  Masaen  nnr  in  bestimmtan  Bieitan  afldlich 
nnd  nördlich  vom  Pol.nrkrois,  werden  aber  durch  Strömungen  weiter  auf  dam 
Meeresboden  verteilt   Nach  einigen  weiteren  Erörterungen  über  den  Schlamm 
des  Meeresgrundes  besprach  der  Redner  die  Temperaturverhaltnisse  der  Oceane 
nnd  zeigte,  wie  es  die  Hegel  sei,  dafs  die  Temperatur  nach  der  Tiefe  zu  ab- 
nimmt, wie  sich  aber  die  Isothermen  der  Meeresschichten  in  den  verschiedenen 
Oceanen  verschieden  gestalten.    Die  Untersuchung  des  Tiefeuwasscrs  anf  seinen 
Gasgehalt  hat  ergeben,  dafs  in  grofsen  Tiefen  noch  immer  eine  für  das  Tier* 
laben  genügende  Menge  von  Qaa  im  Wasser  vorbanden  ist  Dia  Tiafeeeiiataa 
braebtan  bis  jetst  immer  lebende  QasebOpfo  an  die  Obarflftcha,  die  alao  in  d«a 
TSefgrfinden  ihre  Lebensbedingongen  finden  mflasen;  dagegen  arstirbl  daa 
Pflanzenleben,  sobald  die  Sonnenstrahlen  direkt  nicbt  mehr  einwirken  können. 
Der  Globigerinenschlamm  weist  die  reichste  Fanna  anf.   Die  Lösung  der  Frage, 
ob  Li'  lit  in  die  grofsen  Tiefen  dringt,  ist  noch  nicht  versacht.    Auffallend  ist 
die   rote  Färbung  der  m  grofj^on  Tiefen  lebenden  Tiere.    Eine  giolse  Anzahl 
Tielseeticre  sind  blind  oder  die    vorhandenen  Sehorgane  funktionieren  nicht 
Gewisse  Tiefseekrebse  haben,  wie  die  OberHächenkrebse,  bewegliche  Augenstiele, 
die  am  Ende  kolbenförmig  augeschwuUeu   sind ;  ^  oft  besitzen  diese  Kolben 
sogar  Uaine  Hombantfec^ttan,  aber  dar  Farbatoff  des  Auges,  der  die 
seitlieb  ein&Uenden  Strahlen  absorbieren  aoU,  feUt  nnd  der  Sebnanr  ist 
verkttmmert     Bei   der  Erörterang  der  Lebenabedingnogen  der  Tiehee 
tieVe  berührte  Redner  anch  die  Frage,  wie  es  sieb   mit  dem  Dmek  der 
Wassersäule  verhalte,   welche   auf  den  Tieren   laste   nnd   die   nach  der 
früheren    Meinung   jedem    organischen    Wesen   die    Existenz    in    der  Tiefe 
unmöglich   machen  sollte.     Allerdings  ist  der  Wasserdruck   ungeheuer:  in 
einer  Tiefe  von  2000  m  2i^)  Centner  auf  den  Quudratzoll.     Dagegen  ist  zu 
berücksK  litigt  n.  dafs  das  \Va.-ser  auch  bei  hohem  Druck  an  Dichtigkeit  kaum 
zunimmt  nnd  ferner,  duis  die  Tiere  selbst  mit  Wasser  ganz  durchtränkt  sind. 
Aber  anch  Tiere  mit  Lnitrinmen  im  Körper  kommen  vor,  es  sind  dies  die 
Tiebeeflsche.   Bei  diesen  steht  die  Lnft  in  der  Scbwimmblaaa  nnier  einem 
anfeerordentlicben  Dmek.  Steigt  der  Fiaeb  Aber  ein  gewisses  Mab  hinans  in 


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77 


die  Höhe,  so  dehnt  sich  bei  vermindertem  Gewicht  die  Gasraassc  sogleich  aus, 
die  Ausdehnung  der  Blase  ühersteigt  die  Leistun<^sf;ihigkcit  der  Muskeln  und 
der  Fisch  geht  nach  oben.  So  findet  man  hin  uud  wieder  Tiefseefische  an  der 
Oberfläche  treibend,  bei  denen  der  Körper  durch  das  ausgedehnte  Gas  sack- 
förmig aufgetrieben  ist  und  gewöhnlich  Magen  und  Eingeweide  zum  Maule 
heraushängen.  Der  Eeduer  warf  zum  Schlufs  einen  Blick  auf  die  Arten  und 
FonouiB  der  Tierwelt  der  Tiefe,  indem  er  venchiecle&e  derselben  «n  den  focbigaii 
Tkfdn  demonetrierto  and  besonders  eine  wichtige  Erseheinnng  hervorhob:  auf 
den  tiefen  Qlobigerittengrfinden  findet  sieh  eine  FannSy  die  keinerlei  Ähnlich- 
keit mit  derjenigen  der  Küstenregionen  der  Erde  anfweist.  Schlagen  wir  nun 
in  dem  Geschichtsbuch e  der  Erde  nach,  in  den  jetzt  zn  Qehiifen  aufgetürmten 
Gesteinslagen  aus  früheren  Epochen  der  Entwickelnng  unserer  Erdkruste,  so 
finden  wir  dort  in  zu  Steinkernen  umgewandelten  Petrefakten  die  Typen  der 
jetzt  auf  diesen  Meeresgründen  lebenden  Wesen,  die  Seelilien,  Seeigel,  Eryontiden, 
Krebse,  die  wir  für  immer  in  den  Schichten  der  Kreideablagerangen  begraben 
glaubten. 

Am  26.  Januar  d.  J.  sprach  unser  Vorstandsmitglied  Herr  Dr.  Oppel 
Aber  das  Thema:  Die  Zukunft  der  Uenechhe it  auf  der  Erde.  Bei 
den  mancherlei  Aufgaben,  welche  die  Durchforschung  und  DarsteUnng  der  Erd- 
oberflSche  und  ihrer  Besiehungen  aum  Menschen  bieten,  kfinnte  es,  hub  der  ^ 
Bedner  an,  ungerechtfertigt  erscheinen,  die  Aufinerksamkeit  von  dem,  was  ist, 
auf  das,  was  dereinst  mal  sein  wird  oder  kann,  zu  lenken.  Allein  einmal  könne 
keine  Wissenschaft  für  ihre  Entwickelnng  der  Vermutungen  entbehren,  wie 
uns  das  z.  B.  die  Astronomie,  die  Geologie,  die  Kosmologie  zeigen;  sodann, 
wenn  der  Einzelne  für  sich,  für  seine  Familie  den  Blick  von  der  Gegenwart  in 
die  Zukunft  richte,  weshalb  sollte  man  nicht  auch  in  die  Zukunft  eines  Volkes, 
ja  der  gesamten  Menschheit,  einen  Blick  zu  thon  versuchen?  Lege  doch  die 
Gegenwart  oft  Entwickelungskeime,  die  erst  in  später  Zukunft  ausgehen. 
Allerdings  sei  die  Zukunft  unberechenbar;  wer  h&tte  s.  B.  vor  100  Jahren  die 
seitdem  eingetretenen  grofsartigsn  Fortschritte  durch  Erfindungen  der  Technik, 
des  Verkehrs  u.  a.  voraussagen  können?  Immerhin  seien  dem  erfinderischen 
Streben  des  Mensohengeistes  swei  unbesiegbare  Schranken  in  dem  einmal 
gegebenen,  nicht  zn  vergröfsemden  Räume  der  Erdoberfläche  und  in  dem 
Klima  gegeben..  Der  Mensch  benutzt  die  Erde,  er  beherrscht  sie  aber  nicht; 
noch  heute,  wie  im  Altertum,  sind  die  Wüsten,  die  Polarländer,  die  Firn- 
regionen der  Alpen  unbewohnt.  Das  Thema  lasse  sich  in  zwei  Fragen  gliedern, 
die  eine  nach  der  äulsersteu  Zukunft,  dem  Ende  der  Menschheit,  uud  die 
andere  nach  der  uns  lunichst  voraus  liegenden  Zeit  Bezüglich  der  «nteien 
Frage  führte  der  Redner  unter  Darlegung  der  Entwickelungstheorie  aus,  dati 
nach  dieser  Theorie  kein  Anhalt  dafür  gejeeben  sei,  dab  die  Entwickelung  aus 
dem  Protoanthropos  zum  Menschen  sich  noch  weiter,  zu  einem  höheren  Wesen 
fortsälsen  werde.  Die  Frage  des  Fortbestehens  der  Menschheit  sei  an  die 
Existenz  unseres  Planeten,  der  Erde,  geknüpft.  Aus  kosmischen  —  dem  Ab- 
kühiungsprozefs  der  Erdoberfläche  — ,  wie  ans  geologischen  Ursachen  —  dem 
Abtragen  der  Höhen  und  dem  Ausfüllen  der  Tiefen  -  -  sei  bestimmt  zu  folgern, 
dafs  in  Zukunft  die  Erde  einmal  unbewohnbar  wtriU'n  wird.  Diese  Aufstellungen 
begriiudete  Keduor  uäher  uud  bemerkte,  daf:>  allerdings  über  den  Zeitpunkt, 
wann  die  Erde  in  diesen  Zustand  kommen  werde,  die  Meinungen  auseinander- 
gshen;  jeden&Us  liage  derselbe  noch  um  Millionen  von  Jahren  in  der  Zukunft, 
es  sei  ein  Zeitraom,  gagan  den  die  bisherige  Existenqperiode  der  Erde  wie  ein 


—  78  — 

Moment  erscheine.   Dieser  Ausblick  in  die  Zukunft  könne  uns  also  keine  Sorge 
bereiten;  anders  stelle  sich  die  Sache,  wenn  wir  die  in  der  Menschheit  selbst 
liegenden  Tendenten  ins  Auge  Isssen.   Die  Menschheit  als  ein  Oanies  sei  in 
steter  Yermehning  begriffen.    Vier  Momente  wirken  dabei  nnterst&tiend  so» 
sammen:  der  Trieb  nach  Erhaltung  and  Yerlängening  des  individnelkn  Lebens, 
die  Hnmanitftt  und  das  Streben  nach  Beseitigang  der  minnermordendcn  Kriege. 
Wenn  anr-h  einzelne  Völker  und  Volksstfimme,  wie  snm  Beispiel  die  australischen 
Ureinwohner,  die  Polynesier,  einzelne  südafrikanische  Stämme,  die  nordamerikani. 
sehen  Indianer  in  der  Zahl  zusammenschnulzen,  so  sei  dagegen  bei  vielen  Kultur- 
vülkei  n  eine  bedeutoiui«'  Vormchrung  nachgewiesen.  In  S<  lnveden,  d;i-s  schon  1751 
eine  Volkszählung  veranstaltete,  habe  sich,  trotz  vielfach  ungünstiger  Naturbedin- 
gungen, die  Bevölkerang  in  100  Jahren  verdoppelt  In  England  würde  sich  die  Volks- 
sshl  in  der  Zeit  Ton  1801  bis  1882  nm  160  Proaent  Termehrt  haben,  wenn  nicht 
die  Answandemng  OVt  Millionen  Kdpfe  betragen  bitte;  abgssehen  von  dieeer 
betrag  die  Vermehmng  in  jener  Periode  20  Millionen.  Die  BevGlkening  des 
jetzigen  dentschen  Heichsgebiets  betrag  1816  24Vs  Millionen,  1880  45,200,000; 
seit  20  Jahren  wanderten  aber  mindestens  4  Millionen  aus,  mit  diesen  hätte 
sich  die  Bevölkenmg  in  fM  Jabron  vordoppelt.    Nachdem  der  Redner  noch  auf 
die  geringere  Bevülkoniii^'sziinulunc  in  Frankreich  hingewiesen,  hob  er  hervor, 
dafs  nach  dem  Mafsstab  der  jetzigen  Bevölkerungsvermehrung  in  Europa  letzteres 
nach  hundert  Jahren  —  1986  —  600  Millionen  Einwohner  zählen,  also  eine 
allgemeine  Überfüllung  eintreten  würde,   wenn  nicht  die  Auswanderung,  welche 
Nordamerika  schon  bisher  beTdUcerte,  eine  Ableitong  bdte.    Bndlich  wandte 
sich  der  Redner  aar  Erörterung  der  FragOi  wie  lange  etwa  wohl  die  Brde  noch 
im  Stande  sein  werde,  die  anf  ihr  lebende  Menschensahl  an  ennihren.  Durch 
eine  Reihe  Berechnungen  and  Schätzungen  gelangte  Redner  zu  der  Annahme, 
dafs  die  jetzt  1435  Millionen  betragende  Bevölkerungszahl  der  Erde  bis  auf 
35,000  Millionen  steigen  köinie,  dann  aber  die  Gronze  der  Ernährungsmöglichkeit 
erreicht  sei.    Es  würden  dann  H.")0  Menschen  auf  dem  Quadratkilometer  wohnen, 
während  jetzt  in  dem  so  reich  bevölkerten  Belgien  die  bezügliche  Zahl  190,  in 
Deutschland  nur  84  betrage.    Frage  man  nun,  ob  in  Deutschland  eine  Über- 
völkerung bereits  vorhanden,  so  sei  dies  zwar  zu  verneinen,  ludubseu  lasse  sich 
nicht  leugnen,  dafs  wir  nahe  daran  seien,  and  bei  Andanem  der  bisherigen  Za- 
nahme  die  Übervölkerong  bald  eintreten  werde.  Das  einsige  Mittel  dagegen 
sei  das  alte,  schon  in  den  frfihesten  Zeiten  der  Menschheitsgeschichte  ange- 
wandte, die  Answandemng.   Leider  habe  die  deutsche  Nation  versäumt,  an 
rechter  Zeit,  wo  reiche  überseeische  Länder  zu  haben  waren,  Busagreifen ; 
politische  Zerrissenheit  und  innere  Streitigkeiten  hinderten  uns  daran;  jetzt 
endlich  sei  der  Gedanke  der  Kolonisation  wieder  wach  geworden.    Es  sei  unbe- 
dingte   Notwendigkeit  für  das   jetzt  lebende  üeschlecht.  damit  voi-zugehen; 
dabei  sei  aber  die  Auswanderung  so  zn  organisieren,  dafs  der  Deutsche  über  See 
sich  nicht  in  fremden  Volkselementen  verliere,  sondern  feste  Positionen  zur 
Verjüngung  unserer  Nation  gewonnen  werden.  Eine  solche  organisierte  Ans- 
wandemng jetst  ins  Leben  an  mfen  sei  snch  Pflicht  gegen  die  nachfolgenden 
Generationen. 

Am  12.  Febmar  trog  Herr  Pastor  Bftttner  ans  Wormditt  in  Ostpreofien 
TOr,  sein  Thema  war:  aus  meinen  Erl ebn  i s se n  in  Südwestafrik  a.  Die 

sehr  eingehenden  Mitteilungen  des  verehrten  Vortragenden  bezogen  sif  h  haupt- 
sächlich auf  die  Rfwohner  des  örtlich  und  nördlich  von  der  Walfisch-Bai  belegenen 
Hererö-  oder  Dam'ra-Landes:  die  Hererö,  einen  Zweig  der  Familie  der  Hanta- 


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—  79  — 

Völker  nnd  die  schwarzen,  die  Hoitontotteiisprache  redenden  Bergdam'ras.  In 
diesem  Lande  hat  Redner  als  Missionar  und  Leiter  eines  Seminars,  in  welchem 
Eingeborene  zu  Lehrern  und  Predigern  herangebildet  wurden,  über  sieben  Jahre 
gdebt  Erst  ein  Iftng^ror  Aufenthalt,  besonders  das  Stndinm  der  Sprache  setien 
Enxopier  in  stand,  Ikber  Änfsorlichkeiten  hinweg  in  das  Geistes-i  Gemftts- 
vnd  H^nensleben  des  fremden  Volkes  einindxingen.  Im  Jahre  1843  kamen  die 
eisten  rheinischen  Missionare  von  Sftden  her  nach  dem  Hererdlande,  nnd  swar 
nach  Oluthandya;  man  bot  sich  gegenseitig  Gastgeschenke,  z.  B.  Zinnteller  gegen 
Armringe,  nnd  die  deutschen  Missionare  liofscn  sich  im  Lande  nieder.  Aber 
20  Jahre  vergingen,  ehe  man  die  durch  die  Spruche  bereiteten  Schwierigkeiten 
überwunden  hatte  und  die  erste  Frau  getauft  werden  konnte.  "Wenn  man  früher 
der  Meinung  war,  dafs  die  Hererö-  und  die  Huttentottensprache  nicht  gram- 
matisch gegliedert  und  ausgebaut  seien,  so  war  das  ein  Irrtum :  beide  Sprachen 
haben,  wie  die  indogermaoiMlien,  drei  Geschlechter  der  Hauptwörter,  sie  Cormen 
die  letsteten  im  Singolar,  Dual  und  Fliund,  die  Zeitwörter  werden,  wie  bei 
uns,  konjogieri  Eigentfimlich  sind  der  Eottaniottenspnehe  die  auch  in 
die  Kaffemsprache  ftbergegangenen  Schnalzlaute,  deren  BUdnng  anf  vierfache 
Weise :  an  der  Zunge,  an  der  Zahnwurzel,  weiter  oben  und  an  der  Seite 
im  Gaumen  erfolgt.  Die  Hercrosprache  hat  diese  Schnalzlaute  nicht 
Von  beiden  Sprachen  gab  der  Redner  Proben,  indem  er  zwei  an  Herrn  Lüderitz 
ausgestellte,  von  ehemaligen  Schülern  des  Seminars  in  Otyimbingue  geschriebene 
Dokumente  verlas.  Redner  führte  dann  manche  Eigentümlichkeiten  der  Hererö- 
sprache  an,  wie  z.  B.,  dals  die  Hauptwörter  in  18  Klassen  geteilt  werden  u.  a. 
Das  HauptgesprSch  der  Hereiö  dreht  sich  nm  Ihren  wertvollsten  Besits,  nm 
ihr  Yieh.  Aber  in  den  ICftrchen  ans  oialter  Zeit,  die  Ton  Geschlecht  sn  Ge- 
schlecht wieder  erzählt  werden,  besteht  eine  Litemtar,  welche  sich  die  Missionare 
sn  eigen  machten  nnd  durch  Übersetzung  deutscher  Märchen  bereicherten.  Sie 
worden  in  das  fikr  die  Volksschule  bearbeitete  Buch:  der  Kinderfreund,  auf- 
genommen ;  am  meisten  hat  den  Eingeborenen  unser  Märchen  vom  Zaunkönig 
gefallen.  Frage  man  nun  nach  der  Geisteskraft  des  Hererövolkes,  so  gebe  es 
eben  wie  überall  Kluge  und  Dumme;  bemerkenswert  bei  diesem  Hirtenvolk  ist 
der  Unterschied  der  Stände,  welcher  den  Abkömmlingen  der  alten  Stammes- 
bäuptlingc  ein  gewisses  Übergewicht  und  Ansehen  im  Rat  verleihe.  Die  einzelnen 
Familien  unterscheiden  sich  durch  besondere  von  den  Angehörigen  der  Familie 
getragene  Schnrackstftcke  nnd  durch  fiirbige  Marken  anf  dem  der  Familie  ge- 
hörenden Vieh.  Redner  ging  nun  näher  auf  das  häusliche  Leben  und  die  Sitten 
der  Hererds  em.  Der  Mitttilpnnkt  der  Werft  (des  Hauses)  ist  das  heiUge  Feuer, 
von  welchem  alle  übrigen  Feuer  entzündet  werden;  die  älteste  unTerheiratete 
Tochter  des  Häuptlings  hat  es  zu  unterhalten ;  ist  es  erloschen,  so  mnfs  es  in  der 
alten  Weise,  mittelst  Reibens  zweier  Stöcke  wieder  entzündet  werden ;  doch  haben 
jetzt  auch  hier  die  schwedischen  Zündhölzchen  Eingang  gefunden.  Um  den  Herd 
und  den  Häuptling  versammeln  sicli  tUe  Hausgenossen,  hier  werden  die  hölzernen 
Trink-  und  MilchgefuTse  ganz  nach  AugenmaTs  und  ÜberUcferuug  angefertigt, 
wobei  der  Hausherr  die  Arbeit  überwacht  und  leitet,  der  Hansherr  mufs  auch  die 
frisch  gemolkene  Milch  jedw  Kuh  kosten,  was  keine  geringe  Aufgabe  ist,  da  der 
Viehstaad  einer  Tomehmen  Familie  doch  immer  aus  60—60  KAhen  besteht 
Ist  der  Hausherr  nicht  anwesend,  so  treten  an 'seine  Stelle  die  Ahnen,  welche 
roh  in  Holz  geschnitzte  Figuren  vorstellen,  mit  Hülfe  dieses  heiligen  PTolzcs, 
das  kein  Europäer  zu  sehen  bekommt,  geht  unter  bestimmten  Ceremonien  die 
Miichprobe  im  sich.  Die  für  den  Hausvater  bestimmte  Milch  kann,  im  Fall 


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I 


—  80  — 

der  Abwesenheit  desselben,  GSstea  gegeben  werden.  Wenn  ein  Familienluuipt  i 
sein  Ende  nahe  flUdt,  ▼•nammeln  sich  aUe  Venraadton  und  «aeh  andere  im 
Oelohl  der  Teilnahme  nm  das  Hans,  der  Sterbende  erteüt  seinen  Kindern  den  i 
letsten  Bat,  fikr  das  Vieh  m  sorgen  und  ee  m  hehdten,  es  inr  rechten  Zeit  sa 
trinken  n.  a.,  er  pflegt  dann  hinzuzusetzen :  ich  werde  kommen  und  nachsehen. 
Yor  diesem  Erscheinen  der  Geister  Verstorbener  haben  die  Lebenden  einen 
profsen  Respekt;  die  Familie  zieht  häufig  von  dem  Orte  weg,  wo  ihr  verstorbenes 
Haujit  l)igr;ihen  wurde,  oder  sie  beerdigt  die  Leithe  Meilen  weit  von  dem 
Sterbeorte.  Am  h  die  Lieblin^-soehsen  des  Verstorbenen  werden  zur  Totenfeier 
gejagt  und  erstickt;  in  der  Nähe  von  Beerdigungsstättcu  findet  man  oft  eine  ganze 
Beihe  YOn  Ochsenschädebi  aufgehängt  Was  die  Eigentumsverhältnisse  betrifft, 
SO  ist  bei  den  Dam^ras  nnd  Hererte  der  Begjriff  des  Orondeigeninms  nicht 
entwickelt,  es  herrscht  Tielmehr  die  Anschannng,  dab  der  Grand  nnd  Boden  das 
gemeinsame  Eigentnm  aller  Yolk«genoaaen  seL  Aach  Gras»  Hols»  Wiä  geUea 
als  allgemeines  Eigentum.  Wenn  ein  Fremder  ins  Land  kommt,  verwehrt  ihm 
niemand,  seinen  Wohnsits  da,  wo  es  ihm  beliebt,  aufzuschlagen;  für  geleistete 
Dienste,  wie  ?.  B  Brunnen  graben,  hat  er  Gesclienke  zn  entrichten.  Der  Wild- 
reichtum des  Laiuics  ist  durch  die  fremden  Jäger,  welche  von  Capstadt  u.  a. 
herankamen,  voUstundij^  vemit  liti  t,  während  bekanntlich  früher  grofse  Herden 
von  Wild:  Elefanten,  Zebras,  Antilopen  u.  a.  vorhanden  waren.  Jetzt  lohnt  sich 
nicht  einmal  mehr  die  Straufsenjagd.  Wie  massenhaft  die  Tötung  des  Wildes 
8.  Z.  dorch  die  fremden  Jäger  betrieben  warde,  dafür  ersihlt  Redner  ein  Bei- 
splel,  wo  100  snm  ^efl  jonge  Eleihnten  in  einen  Snmpf  getrieben  nnd  ver- 
nichtet Warden.  Schon  die  Anwendang  des  SchieCbgewehrs,  an  StsUe  Ton  Ffefl 
and  Bogen,  habe  das  Wild  verjagt  Weil  nnn  die  Hottentotten  die  Jagd  nicht 
mehr  betreiben  können  nnd  der  Obergang  zu  einem  andern  friedlichen  Gewerbe 
in  Afrika  gerade  so  wie  in  Europa  schwierig  ist,  sind  sie  zu  Räubern  der 
Herden  der  Hererös  und  Dam'ras  geworden.  Das  Eigentum  ist  unterschieden 
in  Familiuneigentum  (Fideicommifs)  und  persönliches  Eigentum.  Von  seinen 
Leuten  kann  ein  Häuptling  nicht  bestolilen  werden,  denn  was  ihm  gehört,  gehört 
allen  Familienangehörigen.  Dieses  gemeinschaftliche  Eigentumsrecht  gehe  so 
weit,  dals  s.  B.  der  Neffe,  Chaim.  oder  Brnder  des  Hftaptlings  ton  diesem  mxm 
seiner  Kleidungsstücke  beansprachen  könne^  w«m  er  es  nichi  gerade  in  Be^ 
nalsang  habe.  Daher  pflege  dam  jeder  alle  KleidoQgBstftcke,  die  er  meht  gene 
weggebe,  fortwährend  anf  dem  Leibe  sa  tragen.  Stirbt  ein  FamHienoberhaapt 
anter  Hinteriassong  von  Frauen  und  unmündigen  Kindern,  so  erbt  der 
nächste  mündige  männliche  Verwandte  alles.  Selbst,  wenn  die  Kinder 
herangewachsen,  haben  sie  keinen  Anspruch  auf  das,  was  dem  Vater 
gehörte;  es  giebt  daher  bei  den  Hererös  auch  keine  jugendliche  Verschwender, 
Allenfalls  giebt  der  Häuptling  ein  Geschenk  an  Vieh  bei  Hochzeiten.  Stirbt 
aber  der  Häuptling,  so  geht  das  von  ihm  als  Vormund  verwaltete  Eigentum, 
som  Beispiel  Vieh,  in  den  Besits  der  bisherigen  MOndel  Uber.  Baraas  entstehen 
oft  verwickelte  Bechtsfragen,  die  der  König  Mahererd  ohne  geschriebenes  Gesets 
nach  Becht  and  Billigkeit  dorch  Bichtersprach  sa  UJsen  hat  Dieses  Gericht 
findet  am  häuslichen  Herd  statt,  wo  der  König,  ein  rOstiger  Sechziger,  umgeben 
von  seinen  Verwandten,  die  heiligen  Zweige  und  Börner  zur  Seite,  nach  Ver- 
nehmung der  Zeugen,  die  freilich  meist  falsches  Zengnis  ablegen,  immer  mit 
grofser  Umsic  ht  und  Menschenkenntnis  das  Recht  findet  und  sich  wirklich  als 
ein  Fürst  erweist  Krage  man  nun:  was  hat  die  Mission  in  Damialaud  gethan, 
SO  könne  man  freilich  nicht  auf  eme  grofse  Zahl  Getaufter  verweisen,  daiaof 


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—  81  — 


komme  m  ja  «ich  nicht  in  dem  HaCm  an,  ab  darauf  daCs  die  Getaoftan 
wiridich  BwnlisBjg»,  tOchtige  Lente  werden.  Deren  habe  die  lüsdon  eine 
(Mise  Ansah!  ersogen,  leider  aber  aeien  viele  dieaer  Besten  ans  dem  Volke  im 
Kriece  gefallen.  Der  Übergang  vom  Heidentum  zum  Chiiftentam  sei  für  den 
Eingeborenen  mit  bedeutenden  Opfern  verbunden,  der  zum  Christentome  Über- 
tretende ent&emde  sich  der  Familie,  er  müsse  die  Mitgift  zurückgeben,  und  da 
er  die  Begr&bnisfeierlichkeiten  der  Verwandten  nicht  mitmacht,  so  entgehen 
ihm  auch  die  üblichen  Geschenke.  Dennoch  sei,  wie  gesagt,  ein  tüchtiger 
Stamm  guter  Christen  herangebildet,  die  ihre  Opferfreudigkeit  u.  a.  dadurch 
bewiesen  haben,  dals  nie  die  Baukubten  der  christlicheu  üuciieu  im  Laude  fa^t 
fM»  am  eigenen  liittehi  bestiittflii  haben.  In  dem  Seminar,  welchem  Bednar 
vorstand,  worden  die  tflchtigsten  Schfller  der  Slementaischnlen  an  Lehrern  und 
Oeirtliehen  gsbüdet;  grofM  Schwierigkmten  waren  dabei  an  ttbenrinden,  da 
erst  Schnibikeher  in  der  Sprache  der  Eiogeborenen  ahgefAfst  werden  mobten. 
Jetzt  verstehmi  die  zur  christlichen  Kirche  Bekehrten  so  viel  Dentseh,  dafs  sie 
die  Bibel  lesen  und  überhaupt  sich  in  der  deutschen  Sprache  ausdrücken 
können.  Neben  dem  Religionsunterricht  werden  sie  auch  noch  in  der  nieder- 
ländiachen  und  englischen  Sprache  und  in  Musik  und  Ciesang  untemchtet.  Die 
Eingeborenen  haben grofses  musikulist  iit  .s  Talent,  in  der  Kirche  wird  der  Gt  bung 
durch  einen  vierstimmigen  Chor  eingeleitet,  Geige,  Horn  und  Jblarmouium  bind 
liablingsinstnunente.  Bedner  hat  die  Erfcdming  gemacht,  dala  die  Eingeborenen 
dorchaos  InldnngrfUiig  sind*  Seinem  Vortrag  reihte  der  Bedner  noch  Er* 
Uttteningen  an  den  dnreh  Güte  der  Herren  Generalkonsul  Dyes  nnd  lAderits 
ansgesteUten  ethnologischen  Gegsnstinden  der  Hererös  nnd  Hottentotten  an;  es 
waren  dies  namentlich  Bekleidungs-  nnd  Schmuckgegenstande  der  lÜnner  nnd 
Fr&nen,  als  z.  B.  Hüften-  und  Strumpfbänder,  lederne  Mützen,  Schürzen, 
Korsetts  aus  Straufseneierschalen,  Castagnetten  aus  den  Cocons  einer  Raupe, 
Gürtel  und  Halsschnüre  aus  Eisen-  und  Porzellanperlen,  Stirnbänder,  Fuder- 
büchsen aus  Schildkrötenschale,  mit  Ochsenschwänzen  verzierte  Lanzen,  Messer, 
endlich  allerlei  aus  Akazienholz  gefertigte  Geräte :  Eimer,  LufTel  u.  a.  ~  Kartcu 
waren  ebenüdls  aasgestellt  Man  darf  wohl  behaupten,  dals  jeder  aofmerluame 
ZnhOver  eineii  gnten  Teil  snverl&ssiger  Knnde  vom  Leben  nnd  Weseo  jener 
Bev^dkerang  dea  weatalkikaniaehen  Neadentsoblands  mit  naeh  Hans  genommen  hat 

BesQg^ch  der  Pablikationen  von  HitgUedem  unserer  Gesellschaft 
haben  wir  zunächst  zu  berichten,  dafs  das  in  Band  VII.  S.  3()8  und  309  dieser 
Zeitschrift  besprochene  Werk  des  Herrn  Dr.  A.  Oppel:  Landschaftskunde. 
Versuch  einer  Physiognomik  der  gesamten  Erdoberfläche  in  Skizzen,  Charakte- 
ristiken und  Schilderungen,  zugleich  als  erläuternder  Text  zum  landschaftlichen 
Teile  von  F.  Hirts  geographischen  Bildertafeln,  nunmehr  vollständig,  in  dem  Um- 
fang von  702  Seiten  und  einem  Sachregister,  im  Verlag  von  F.  Hirt  in  Leipzig 
erschienen  ist.  In  betreff  des  Inhalts  dieser  verdienstlichen  Arbeit  verweisen  wir 
auf  das  in  Baad  VL  dieser  Zeitschrift  Gesagte. 

Die  wisienaehaftliche  Verwertung  der  Ergebnisse  der  von  unserer 
OeasUschaft  in  den  Jahren  1881  und  1888  veianstalteten  Forschungsreise 
der  Mitglieder  Gebrüder  Dr.  Krause  ist  wiederum  ein  Stück  vorwärts  ge> 
sehritten*  Wir  verzeichnen  hier  zunächst  alle  bis  jetzt  ühcr  die  mitgebrachten 
Sammlungen  veröffentlichten  Arbeiten:  1)  Über  Nephrit  und  ähnliches  Metall 
ans  Alaska,  von  A.  B.  Meyer,  Dresden  1884.  2)  Beitrag  zur  Ornithologie  von 
Alaska.  Nach  Sammlungen  und  Noten  von  Dr.  Arthur  Krause  und  Dr.  Aurel 
Krause.  Von  Dr.  G.  Hartlaub  (Cabanis  Journal  für  Ornithologie,  Jahrg.  1883, 
Juli-Heft)   3}  Professor  Dr.  Arzruni,  Mitteilung  über  von  den  Qebr&dem  Dr. 

CI«ogr.  BUttiw.  ■rMMB,S88S.  G 


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—  82  — 

Kraiise  aas  Aluka  mügebiaclite  Ifinenlien.  Protokoll  Uber  die  Sttznag  dor 

schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische   Kaltar  am  14.  November  1888. 
4)  Prof.  V.  Martens  über  von  den  Gebrüdern  Dr.  Kranse  mitgebrachte  Conehylien^ 
in:  Sitzungsberichte  der  Gesellsrhaff  natnrforschender  Freunde  zu  Berlin.  No  9. 
vom  21.  November  1882.    5)  Dr.  Aurel  Krause  und  Dr.  Reinhardt,  über  einige 
Landschnecken  von  der  TBchuktschen-Halbinsel  und  aus  dem  südösllK  hon  Alaska, 
in :  Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  naturforschender  Freunde  zu  Berlin,  Ko.  3, 
SO.  Mftn  1883.  6)  Mnsci  Tschuctschid.  Anctore  Carole  Müller,  Hai.,  in:  Bo- 
tannehM  ContnlUatt  No.  41/43»  1888.  7)  Boilng  rar  KtBatait  dor  Kgoatooem 
fMU»  dM  BeriBg^meoret  tob  Dr.  Fotd.  Bkliton  mit  einer  TM,  Abbaadlngea 
dir  SenekenibergiBelieB  natiiiflwielniideiiOeaenaeluilt  Fkaiikfartl884.  8)  A.  Popp^ 
ftber  die  TOn  den  Herren  Dr.  Krause  im  nördlichen  stillen  Ocean  und  Bcringe- 
meer  gesammelten  freilebenden  Copepoden,  mit  5  Tafeln  (Archiv  für  Natur- 
geschichte, 50.  Jahrg.,  1.  Bd..  S.  281—304.  (Es  .^ind  darin  vier  Arten  beschrieben, 
von  denen  zwei  neue,  Zaus  Aurelii  und  Scutellidium  Arthuri,  nach  den  Sammlern 
benannt  wurden )    9)  Dr.  Kirchenpauer,  nordische  Gattungen  und  Arten  von 
Sertalarideu.  Separatabdruck  aus  den  Abhandlungen  des  naturwisseuschaftiichen 
Tereint  in  Hamborg,  Band  VIII.  Abthlg.  1, 1884  (betrifft  nach  andere  Sammlimgen}. 

tnm  die  Uollndcea  der  Beringsatmbe  erMiieint  deiOBiehat  eine  Ailieit 
von  Dr.  Arthur  Knnee.  Die  Bearbeitung  der  botanischen  Sammlongen,  dmeh 
die  Obeftiedeloiig  QDserei  MÜg^iedee  dee  Hetm  Dr.  Kviti  naeh  AigentiaieB  tw* 
•Sgert,  steht  demnichit  in  Aussicht.  Die  ethnologischen  Ergebniseo 
des  längeren  Aufenthalts  im  südlichen  Alaaka  werden  demnächst  in  einer 
gröfseren  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Aurel  Krause  piibli^iert  werden,  welche  den  Titel 
führt:  Die  Tlinkit-Indianer.  Ihre  Geschichte  und  ihr  gegenwärtiger  Zustand. 
Auf  Grund  der  Ergebnisse  einer  im  Auftrag  der  Bremer  geographischen  Gesellschaft 
von  deu  Doktoren  Arthur  und  Aurel  Kiause  in  den  Jahren  1881;82  nach  der 
BeringastraCse  und  der  Nordwestküste  von  Amerika  ansgeföhrtea  Beiae  ge* 
•eliildert  ton  Dr.  Aard  Knuiae;  mit  oiaer  Karte  und  etir»  40  lUietnIloMB 
(Veiiag  Ton  CoitenoUo  in  Jena).  Abgeaeben  von  der  Bedenlimg  dee  Ctagen- 
itaadea  an  aich  iit  diese  Fablikation  beeoodeis  deehslb  geioehtlMrIigt,  weil  die 
fortschreitende  Civilisation  auch  in  Alaska  die  ursprünglichen  Zustände  an  ver- 
wischen droht.  Es  ist  davon  abgesehen  worden,  in  dieses  Werk  eine  allgemeine 
Beschreibung  der  ganzen  Reise  aufzunehmen,  da  solche  doch  nur  zu  einer  ober- 
flächlichen Behandlung  wissenschaftlicher  Fragen  Raum  gewährt  und  die  Er- 
lebnisse des  Reisenden  mit  seinen  Forschungen  wenig  zu  thun  haben  Übrigens  wird 
in  der  Einleitung  der  Verlauf  der  ganzen  Reise  in  knappen  Worten  geschildert 
Die  vorhandene  ältere  Literatur  ist  in  möglichstem  Umfange  benntat  worden,  «n 
dio  tmpfangenen  Bindrfioko  sn  einem  gansen  Bilde  m  tomllslind^gen. 

Bndlieh  liabeo  wir  noeb  folgende  demnächst  eisebeinende  Arbeiten  von 
lÜtg^iedem  nnserer  Qesellsebaft  ansokflndigen:  1)  Die  geogiapbiseben  Ver- 
hältnisse der  Landdrostei  Stade  von  Seminardirektor  Diercke,  in  der  von  dem 
Provinzial-Landwirthschaftlichen  Verein  zu  Bremervörde  in  Anlafs  seiner  fünfiog- 
jährigen  Jubelfeier  herauszugebenden  Festschrift.  2)  China  and  tbe  Roman 
Orient:  Researches  into  their  ancient  and  mediaeval  relations  as  represented  in 
old  Chinese  records.  Die  chinesischen  Aufzeichnungen  des  Altertums  und 
Mittelalters  als  Quellen  für  eine  Geschichte  des  römischen  Orienthandeis, 
methodisch  gesammelt»  übersetzt  und  erklärt,  von  Dr.  F.  Hirtb  in  Shanghai . 

Ein  Bnef  nnaeres  Ehrenmitgliedes,  des  Herrn  Alexander  Sibiriskoff  in 
Irkntsk,  an  den  ToisCaad  nneerer  OeseUschaft  Aber  seine  Reise  von  der  Petsekoia 
ftber  den  Dral  snm  Ob,  ist  an  anderer  Stelle  dieeer  ZeitMhrift  mitgeteOt 


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—  83  — 


Unser  Mitglied  Herr  Dr.  Gottsche  ist  Anfang  Januar  d,  J.  von  Korea 
nach  Japan  zurückgekehrt  and  schreibt  uns  am  19.  Januar  aus  Yokohama,  dafs 
er  sich  am  5.  Februar  mit  einem  Schuner  nach  den  Bonin-Inseln  einzu- 
tchiffen  gedenke,  um  dort  die  von  unserer  Gesellschaft  gewünschten  Forschungen 


Hon  Htrmtim  Melchers»  Mitglied  dw  Tontsades  niUMm  CMDMhaft, 
ist  kftislMh  Ton  Chmk  wieder  naeh  Bremeii  rarftckgekeluri 


§  Polarregionen.  Die  Verhältnisse  im  europäischen  Eismeer  scheinen 
im  vorigen  Sommer  ganz  absonderlicher  Art  gewesen  zu  sein.  Über  die 
Spitzbergen- Fahrten  der  norwegischen  Fangra&nner  berichtet 
Karl  Pettersen  in  einem  von  einem  Kurtchen  begleiteten  Aufsatz  der  Zeitschrift 
„Tmer*',  ron  welchem  vom  ein  Sepantabnig  vorliegt.  Ausnakmiwtiee  war 
dieeee  Mal  wieder  die  ganze  'Westküste  der  Hanptinsel  Spitsbeigeii  den  Sommer 
ftber  mit  Bis  besetst,  die  Ostseite  SpitsbeigeBs  dagegen  siemlich  frei;  dies 
wird  durch  die  Torherrschenden  Winde  erkifirt  Infolge  dieser  Fahrbarkeit  des 
OStspitsbergenschen  Eismeers  konnte  letzteres  weiter  nach  Osten  befahren 
werden  und  es  wurden  so  drei  luscln,  welche  zwischen  Spitzbergen,  König  Karls- 
(oder  Wiehes-)  Land  und  Franz  Josef-Land  belegen  sind,  entdeckt.  Die  Karte 
veranschaulicht  ihre  Lage.  Ebenso  gunstig  für  die  Schiffahrt  und  ein  Vor- 
dringen nordwärts  in  der  Richtung  nach  dem  Pole  Bin  sind  die  Verhältnisse 
au  der  Ostküste  von  Grünland  gewesen  und  mau  muls  bedauern,  dals 
dieser  seltene  ToitMl  nicht  für  eine  Enideekungsreise  benutxt  worden  ist 
KapitSn  Qiay,  der  bekannte  sckottisehe  Walery  machte  nna  hierflber  nnterm 
10.  nnd  8S.  Januar  d.  J.  einige  Mitteilnngen,  denen  wir  folgendes  entnehmen : 
„Selten  habe  ich  eine  Saison  erlebt,  die  so  günstig  filr  eine  Fahrt  nordwärts 
längs  der  Küste  von  Ostgronland  gewesen  wäre,  als  die  vorigjährige.  Die 
Küste  war  aufserordentlich  eisfrei.  Von  der  Shannon-Insel  südwärts  bis  zum 
66.  Grade  nördl.  Breite  war  unmittelbar  an  der  Küste  kein  Eis.  Ich  kann  nichts 
näheres  über  die  BesehafFoiiheit  des  Landwassers  nördlich  von  der  Shannon- 
Insel  sagen,  aber  das  Eis  seinen  auch  da  sehr  offen.  Von  Shaniion-Iiisel  süd- 
wärts war  ein  offenes  Lundwasser  von  20 — 30  sm.  Breite,  dabei  war  das  Eis, 
welches  in  dieser  Entfernung  vor  der  Küste  lag,  sehr  offen  und  glaabe  ichy  dab 
gegen  Ende  August  südwärts  Ton  der  Shannon-Insel  gar  kein  Eis  mehr  ge- 
wesen ist**  Kapitän  Gmj  erbeutete  7200  Seehunde  nnd  7  Wale,  welche  SOft  Tons 
Thran  lieferten. 

Aus  Tromsö  wurde  uns  das  Ergebnis  der  norwegischen  Eismeer« 

fisch  er  ei  des  vorigen  Sommers  mitgeteilt:  26  Fahnmige  TOn  zusammen 

1134  Registprton.s  Tragfähigkeit  mit  249  Mann  gingen  ans;  zwei  wurden  in  der 
Uinlopeustrafsc  iin  Eis  zerdrückt,  doch  wurde  die  Bemannung  von  anderen 
Fangschiffen  aufgenommen.   Die  Ergebnisse  des  Fanges  waren: 


1884. 

109  St  ViTalrosse   Werth  Kr. 


148 
10001 


WeiJkwale 
gr.  n.  kl. 


Bobben. . . 

83  „  Eisbären  . 
250   „   Rentiere . . 
600  kg  Eiderdaunen 
811  hl  Eishaileber 


Im  ganaen  Wert  Kr. 


10900 
10300 

160814 
4980 

2500 
1268 
12165 

194787 


1883. 

211  Si  WalroBse..  Werth  Kr.  27460 
228  .  Weifimle. 
6426  ,  Bobben... 
80  ,  Eisbäre... 

265   ,  Rentieren  . 
907  kg  Eiderdaunen 
1011  hl  Eishaileber 


86816 
4800 

2650 
2040 
21786 


Im  ganaen  Wert  Kr.  168102 


cy  Google 


—  84  — 

Einige  Notizen  über  die  vorigjährige  arktische  Fischerei  der 
Amerikas  er  mögen  hier  angereiht  werden.  Im  vorigen  Sommer  beteiligten 
aich  an  dieser  Fiacherei  89  Schiffe,  nur  die  Dampfer  hatten  guten  Erfolg,  we3 
de  ach  tiefer  ins  Eis  wagen  kOnnen  als  Segler;  ein  Dampfer,  „Bowhead**,  ging 
Yeiloien.  Der  Ftmg  betrag  dnrchaohnittUch  f&r  jedea  Schiff  627  Barrels  Wal- 
thran  und  8380  Pfund  Barten.  Im  ganzen  zählt  die  amerikanische  Walerflotte 
jetzt  noch  133  Fahrzeuge  verBchiedener  Art  mit  einer  Gesamttragfahigkeü  raa 
31 207  Tons.  Dagegen  zählte  sie  am  1.  Januar  1854  668  Fahrzeuge  von  ins- 
gesamt 208  399  Tons  Trugfähigkeii!  Die  Hälfte  der  im  Hafen  von  Neu-Bedford 
liegenden  Walfungisclnffe  steht  zum  Verkauf 

In  Amerika  wird  für  eine  neue  Polarüxpeditiun,  die  von  Frauz  Josef- 
Land  in  der  Richtung  nach  dem  Pole  vordringen  soll,  agitiert 

In  Sibirien  trat  Dr.  Bnnge  eine  Forschungsreise  nach  der  Noidkilats 
von  Sibirien,  besonders  so  den  Mündungsgebieten  der  Jana  und  Indigirka  und 
den  gegenQberliegenden  Neu-Sibirischen  Inseln  an.  Aus  der  Polar- 
station Sagastyr  im  Lena-Delta  sandte  Dr.  Bnnge  eine  weitere  Reihe  von  Briefen 
an  den  Akademiker  Prof  t.  Schrenk;  sie  bieten  ein  vielseitiges  naturhistorisches 
Interesse  (siehe  die  Melanges  biologiques  des  Bulletins  d.  KaiserL  Akademie  d. 
Wifisenscliaften  18H4  S.  31—105). 

Dr.  Franz  Boas,  dem  wir  den  in  diesem  Blatte  veröfFentlicliten  Aufsatz 
über  die  Wanderungen  der  Eskimos  de^  CumberUiud-iSundes  verdanken,  beschreibt 
in  dem  BfiUetin  Nr.  8,  IBBi  der  amerikanischen  geographischen  Gesellschaft  den 
Verlauf  seiner  Reisen  im  Baffin-Lande.  Leider  war  es  ihm  nicht  möglich, 
eine  grölsere  Expedition  nach  Norden  an  or^nisieren,  da  im  Herbst  1883  unter  den 
Hunden  eine  Seuche  ausbrach,  die  bis  zum  Dezember  die  Hallte  dieser  Zog- 
krftfle  zerstört  hatte.  So  beschränkten  sich  denn  seine  Forschungen  auf  den 
Süden  des  Landes  und  konnten  die  englischen  Seekarten  dieser  Gegenden  in 
vieler  Beziehung  durch  die  Aufnahmen  des  Dr.  Boas  wesentlich  berichtigt 
werden,  wie  dies  die  dem  Aufsatze  beigegebene  Karte  ergiebt. 

Bezüglich  der  dänischen  Grönlandsforschungen  erhielten  wir 
yon  befreundeter  Seile  aus  Kopenhagen,  den  8.  Marz,  folgende  Mitteilungen: 
Die  Kommisaion  für  die  g^logische  und  geographische  üntersaehuQg  OrÜnlaiida 
veiaastaltet  bekanntlich  eine  Expedition  zur  kartographischen  Anfiiahme  nnd 
Untennchang  desjenigen  Teils  der  Westkflste  OiOnlands,  welcher  swischen  den 
Kolonien  Holsteinborg  und  Sukkertoppen,  G?**  bis  65Vt*  n.  B.  belegen  ist 
Diese  unter  der  Leitung  des  durch  seine  Wanderung  auf  dem  grönländischen 
Binneneise  bekannten  Leutnants  Jensen  stehende  Untersuchung  wird  in  diesem 
Jahre  bei  Sukkertoppen  beginnen  und  bis  zum  64",  zur  Kolonie  Godthaab, 
geführt  werden.  An  dieser  Expedition  nimmt  der  Kand.  med.  S.  Hansen  ted 
und  wird  dieser  sich  vorzugsweise  mit  anthrupulogischen  Studien  beschäftigen. 
Die  Expedition  wird  gegen  Ende  März  m  einem  der  grönländischen  Handels- 
achüle  Kopenhagen  verlassen,  im  April  bei  Sukkertoppen  sein  nnd  von  da  in 
Böten  mit  grönländischer  Besatsung  sfldw&rts  gehen,  sobald  die  Kliste  schneefkei 
wird.  —  Die  unter  Führung  des  Leutnants  Holm  ebenfalls  von  der  Kommission  nach 
der  grönländischen  Ostkflste  im  Jahre  1883  ansgesandte  Expedition  hat  den  Winter 
1884/85  an  der  Ostküste,  wahrscheinlich  auf  66  n.  B.,  zugebracht  nnd  wird  ihre 
durch  günstige  Eisverhältnisse  bedingte  Rückkehr  im  Herbst  d.  J.  erwartet 

Die  „Science**  vom  27.  Februar  bringt  Kaite  und  Text  über  die  Ent- 
deckungen der  Greely-Expedition  im  Inneren  von  Grinnel-Land  und 
an  der  Küste  von  Grönland  von  Beaumout-lnsel  bis  zur  Lockwood-insel,  83" 
94'  n.  B;  nnd  40*  40'  w.  L.  Ur. 


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85  — 


AlMka.  Das  ambnkuuische  Journal  iScieuce"  vom  20.  Februar  d.  J. 
berichtet  näher  über  die  in  diesem  Jahre  beabsichtigten  Forschungsreisen 
in  Alaska.  General  Miles,  der  Befehlshaber  des  Militbdistrikts,  so  welchem 
Alttka  gehört»  wird  nnfichst  eine  Ftotie  snr  Bxplorxemng  desTenains  swisehea 
Cooks-Inlet  und  dem  Tanana,  sowie  des  Lauft  des  letsteren  aussenden.  Eina 
andere  Expedition  ist  nach  dem  Coppcr-River  bereits  nnterwegs  nnd  eine  dritte 
soll  die  Erforschung  des  Kowak-  oder  KuakÜussos  fortsetzen.  Die  genannte 
Zeitschrift  bringt  in  ihrer  Nummer  vom  .3<1  Januar  d.  J.  ein  Kärtchen  vom 
Kotzebue-Sund,  welches  die  vorigjährigen  Forbchungen  an  diesem  Flusse  enthält, 
übrigens  von  der  Darstellung  auf  Dalls  neuester  Karte  von  Alaska  nicht  erheblich 
abweicht 


Terkebrsweg  vt i  dar  utem  PatMhtn  Iber  dei  Uni  meh  SIbiriai. 

Herr  Aleiander  Sibiriakoff,  bekannt  durch  seine  nnaasgssetsten  aofopfem* 
den  Bestrebungen,  Sibirien  auf  dem  Seewege  durch  das  europUsche  Nord- 
meer dem  Verkehr  zu  erschliefsen,  hat  im  Torigen  Jahre  eine  nene 
Bonte  —  die  Petschora  aufwärts,  von  da  mit  Rentieren  über  den  üral  zu  den 
Zuflüssen  des  Ob  —  zurückgelegt  und  gehreibt  hierüber  aus  Irkntskan  den  Vor- 
stand unserer  geographischen  Gesellschaft  wie  folgt: 

Irkutsk,  den  8./21.  November  1884,  Ich  bin  am  5.  November  hier  ange- 
kommen und  wünsche  Ihnen  einige  Nachrichten  über  meine  Fahrt  von  der 
Mündung  der  Fetschorai  diesen  FluTs  aufwärts,  über  den  Dral  nach  Beresoff 
mitsutaikn.  Nachdem  ich  Dampfer  ,Nordenskj51d'  in  Boldansky-Bai  gelassan 
hatte,  setste  ich  meine  Fahrt  nach  Sibirien  auf  dem  Dampfer  ,0b*  weiter  feit 
Ich  lieb  »Obi*  in  der  NKhe  von  Ust  Zylma  (mittlere  Petschora)  am  90l  August 
(rassischen  Stils),  nahm  ein  kleines  Boot  nnd  kam  am  8.  September  in  Oranes 
an.  Die  Petschora  ist  ein  guter  Flufs,  wenigstens  bis  Oranez  giebt  es  keine 
Hindernisse  für  die  Navigation.  Es  giebt  jetzt  schon  dort  3  Dampfer  mit  25 — 40 
Pferdekraft,  die  von  Jaxscha  (etwa  600  Werst  von  Üranez)  aufwärts  von  der 
Mündung  jeden  Sommer  fahren.  Von  Oranez  bin  ich  am  15.  September  über 
den  Ural  nach  Schekurik  mit  Rentieren  gereist.  Scheknrik  ist  ein  kleines 
Dorf  mit  emer  russischen  Kirche,  nicht  weit  von  der  Mündung  des  Flusses 
gleichen  Namens,  einem  Nebenflufo  der  Sygva,  welcher  durch  die  Sosw»  mit  dem 
Ob  in  YeibinduQg  steht  Da  in  diesem  Sommer  ein  Ton  mir  gecharterter  Dampfer 
mit  Waian  von  Tobolsk  aus  bis  sur  Hfkndung  des  Fhuses  (Scheknrik)  ohne 
irgend  eine  Schwierigkeit  gekommen  ist  und  da  vorher  auch  ein  Dampfer, 
welcher  dem  Herrn  Poklewsky  gehörte,  den  Ort  besucht  hatte,  so  brauche  ich 
nicht  viel  über  die  Navigation  der  Soswa-Sigva  zu  sagen,  ebenso  wie  über  die 
Fahrt  der  Petschora  von  ihrer  Mündung  atjfwärts  bis  zum  Dorfe  Oranez;  diese 
I  rugi  ist  vielmehr  als  gelöst  zu  betrachten.  Jetzt  noch  einiges  über  die  üral- 
passage.  Die  Passage  ist  blos  170  Werst  lang,  sie  wird  schon  seit  mehreren 
Jahren  benutzt,  nämlich  von  Syrjiiuen,  die  jeden  Winter  vom  Ob  nach  Petschora 
und  vice  versa  auf  diesem  Wege  Provision  u.  a.  mit  Bentieren  transportieren. 
Ich  bin  am  87.  September  nach  Scheknrik  gekommen  und  ging  an  demselben 
Tsge  mit  einem  Boot  weiter  nach  Beresoff  wo  ich  am  1.  Oktober  eingetroffen  bin, 
dort  wechselte  ich  das  Boot  und  ging  gleich  nach  Tobolsk  weiter,  welche 
Stadt  ich  am  18.  Oktober  erreicht  habe.  Ich  hoffe,  dsls  die  Bedingungen  der 
Passage  so  günstig  sich  stellen,  dafs  es  möglich  wire,  auch  eine  Sommerstrafse 
dort  einzurichten;  dann  könnten  die  Waren  von  Europa  in  demselben 
Sommer  Sibirien  orreichen,  und  vice  versa;  die  Kommunikation  würde  ganz 
regelmä£sig  und  sicher  etabliert  Die  Winter-  and  Sommerpassage  über  den  üral 


ist  fut  diwellM.  Die  beiden  gehen  fon  Oiuies  nacli  dem  Beig  8aU»»  «Iw» 
40  Went,  die  Gegend  ist  sehr  sumpfig ;  dann  kommt  die  Sommerpsssige  und  kjwit 
einige  Berge  bis  znm  Finsse  Patez,  sie  gelit  weiter  liinanf  immer  dem  FIimm 

folgend  bis  zu  dem  See,  aas  welchem  der  Flufs  ansfliefst  (der  See  ist  nnjEreflhr 
eine  Werst  lnnp\  dann  steigt  sie  über  den  Ural  hinüber  ("Wasserscheide)  and 
fän<rt  gleich  mit  dem  Flusse  Schekurik.  der  an  der  anderen  Seite  der  Bcr^?-^ 
fliefsf.  an,  hinunterzugehen.    Dann  berührt  sie  den  Nebenflufs  Polia  und  kommt  | 
fast  gerade  nach  dem  Dorfe  Schekurik.    Wir  nahmen  in  einer  Entfernung  von 
25  Werst  einen  kurzen  Weg  nach  Dorf  Schekurik,  verliefsen  den  Polia  (nämlich 
den  Winterweg),  aber  der  Weg  ist  sehr  snmpüg  und  im  Sommer  gar  nicht  sn 
empfehlen.  Die  Ufer  der  Fltksse  Fetsohon,  Soswa-Sygva  sind  bewohnt,  an  d«r 
Petschors  leben  Sjijftaen,  die  schon  siemlich  civilisiert  sind,  an  der  Soswa-Sjgi» 
Ostjaken.   Ich  finde  also,  dab  der  Seeweg  m  Petsebora  alle  Bedingungen  des  | 
Erfolges  hat  und  hoffe,  dnfs  er  später  eine  sehr  wichtige  Bedeutung  für  die  ' 
Kommunikation  zwischen  Europa  und  Sibirien  haben  wird,  sobald  nAmlich  dis 
Dralpassage  gebessert  and  sn  jeder  Zeit  benutzt  werden  kann. 

HochachtangsToU  A.  Sibiriakofl 

§  Robbenlang  in  der  Magellanstrafse.    Die  Pelzrobbe  (Arctocephalns 
Falklandicns)  und  die  Mäbnenrobbe  (Otaria  jubata)  werden  in  der  Magellan- 
straÜM  in  den  Monaten  Deaember  und  Jannar  gefangen.  In  der  letiten  Woche 
des  Novembeis  kommen  diese  Thiers  anf  die  Felsen  der  AnÜwnkflsten  «id 
«erfbn  ihre  Jnng^   Zn.  Ptarnngsptttsen  (rookeriea)  Sachen  sie  sieh  UeSne 
niedrige,  von  der  oceaniscben  Brandung  überspülte  Felseilande  aus.  Hier  ist 
oft  die  Landung  schwierig,  wet^halb  d*  r  Seehondfftnger  gewöhnlidl  schon  einen 
Monat  vor  der  Paarungszeit  in  der  Nähe  einps  Bolchen  Platzes  sein  Fahrzeug  ' 
▼or  Anker  legt.    Sodann  benutzt  er  r!fn  ersten  schönen  Tag,  um  eine  Anzahl 
seiner  Leute  mit  Feuerung,  Zelten  und  einem  reichlichen  Vorrat  an  Provisionen 
zu  landen.    Dieses  letztere,  eine  genügende  Quantität  Lebensmittel,  ist  durch-  , 
aas  notwendig,  denn  es  kann  zwei  bis  drei  Monate  dauern,  ehe  günstiges  Wetter 
und  damit  die  Möglichkeit  der  Landung  und  Einschifting  der  Lente  nnd  dss  i 
Fangs«  wieder  eintritt  Es  sind  FUle  vorgekommen,  wo  die  Seehnndsfibiger  anf  | 
ihrem  Ton  einer  stets  biandenden  See  nmschlobenen  Felsen  Monate  snbringsn 
molsten  und,  obwohl  sie  von  Moseheln  und  dem  vorhandenen  Vorrat  an  See- 
hundsfleisch zehrten,  dem  Hungertode  nahe  waren.  Natflrlich  Terbergen  die 
Kapitäne  der  Fangschiffe  ihre  Kenntnis  von  den  Paamngspliitzen  ?o  viel  als 
möglich  vor  einander  und  man  kann  z  B.  als  sicher  annehincn,  dufs  ein  Kapitän, 
der  auf  Befragen  erklärt,  er  habe  seine  Leute  irgendwo  nördlich  gelandet,  dies 
in  Wahrheit  irgendwo  nach  Süden  hin  geschehen  ist.    Wenn  die  Leute  glücklich 
nach  dem  Fangplatz  gebracht  sind,  kreuzt  der  Schuner  mit  seiner  nun  bedeutend 
reduzierten  Mannschaft  einen  od«r  awei  Monate,  am  nene  JagdsteUen  an  soeheo, 
Oft  entfernen  sie  sich  dabei  Hnnderte  von  Seemeilen  von  der  ersten  Landongi- 
stelle,  sich  darauf  verlassend,  dab  sie  bei  Nacht  iigend  eüie  gesehiUste 
Stelle  finden,  wo  sie  dicht  am  Ufer  ankern,  oder  wenn,  wie  das  meisteos  dsr 
Fall,  das  Wasser  zu  tief,  das  Fahrzeug  an  einem  Banme  festbinden  können. 
Bei  die^m  Kreuzen  liegen  die  Leute  der  Jagd  der  Seeotter  (Lutra  felina)  ob, 
oder  sie  tauschen  das  Fell  dieses  Tieres  von  den  Fenerländem  ein.  welche  es 
entweder  mit  Hunden  jagen  oder  in  dein  mit  Scekraut  bedeckten  Küstenwnfser 
schiefsen.    Das  Fell  der  Secottcr  zeigt  nach  Entfernung  der  langen  brannen 
Haare  (Grannen)  eine  schöne  goldgelbe  Farbe;  der  Preis  wechselt  sehr  nach 
der  eoropftischen  Mode.  Nach  dem  Fange  werden  die  FcUe  der  Otter  sowis  dsr 


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—  87  — 

Robb«  irocluil  genlsen;  man  vtrfiUirt  dabei  in  der  Weise,  dafs  das  Fell  ana- 
gebreitet nnd  an  der  inneren  Seite  mit  Salz  überstreut  wird,  das  Fell  wird  dann 
mit  der  Haarseite  nach  aufsen  zu  einem  Bündel  aufgerollt.  Leider  werden  alle 
Tiere  ohne  Rücksicht  auf  das  Alter  getötet,  so  dafs  die  Ausrottung  dieser  Tiere 
wohl  fior  eine  Frage  der  Zeit  ist  (Nach  Coppinger,  cruise  of  the  Alert.) 

*  2ir  OMeUflü«  4er  i«iiMei  Koltii«!  Ii  BjHiaL  Wir  «mpfingea 
über  diM«  AagekgwilMit  di«  iiftcbilelieiiden  anfkUrenden  MtlteilingMi,  welobt 
wir  VI»  TOB  tachkoncUger  Seite  ▼OD  Hem  Dr>  med. 

yKeligiöse  Überzeugung  hat  zu  der  Gründung  der  deutschen  Kolonien  in  Palästina 
geführt  und  sie  hat  die  Kolonien  trotz  der  bedeutenden  Schwierigkeiten  bis 
beute  erhalten.  Urheber  dieser  religiösen  Bewegung  und  Gründer  der  Kolonien  ist 
Christoph  Hoffmann,  der  jetzt  noch  bei  Jerusalem  auf  der  Kolonie  Rephaim 
lebt;  er  ist  der  Sohn  des  Gründers  der  Gemeinde  Kornthal  (Württemberg)  und 
Bruder  des  verstorbeneu  Oberhofpredigers  Wilhelm  Hoffmann  in  Berlm.  Ein  Mann 
von  ausgeaeichneten  wissenschaftlichen  Kenntnissen,  in  Württemberg  bekannt 
durch  weriroUe  litteiariaiBhe  ArbeitoD,  hatte  er  in  der  biirhlidian  Lelm  («r  halte 
Theologie  atndierQ  keine  Befriedigang  gefunden  und  das  Beeultat  aeinea  Fonohena 
war,  dab  nicht  die  von  den  Terachiedenen  Kirchen  aoi|gaateUten  Lehren  ftr  die 
Menschen  bindend  seien,  sondern  dafs  jeder  Mensch  das  Becht  and  die  Pflicht  habe 
an  forschen,  ob  diese  Lehren  wirklich  die  christliche  Lehre  erfassen.  Bei  seioiil 
Studien  der  Geschichte  und  der  Bibel  fand  er,  dafs  in  der  letzteren  eine  ganz 
andere  Philosophie  und  Religion  enthalten  sei  als  die  Kirchen  vorgeben  und 
dafs  die  in  den  kirchlichen  Lehren  enthaltenen,  für  den  gesunden  Menschen- 
verstand zum  Teil  absolut  unfafsbaren  Probleme  in  der  Bibel  nicht  enthalten 
seien,  sondern  schon  von  der  Zeit  der  Kirchenväter  an  aus  MilsTerstand  als 
biUiieh  angesehen  worden  seien.  Er  ateUte  also  Ar  sieh  die  witUlehe  Ldne 
der  Bibel  fsst»  wirkte  fftr  seine  gewonnene  Anstellt  Ton  1818  an  und  so  bildete 
sieh  in  lainen  Anhftngeni  aOrnfthlich  eine  eigene  Beligionsgenosseaschaft,  die  im 
AnfuBg  der  Sechsiger  Jahre  sich  von  der  protestantische  Kirche  trennte  und 
den  Namen  Gesellschaft  des  Tempels  annahm.   Die  Konsequenz  dieses  Strebens 
f&hrte  im  Jahre  1869  zum  Beginn  der  Kolonisation  in  Palästina,  an  der  sich 
nur  Anhänger  der  Tempelgesellschaft  beteiligten-  Es  entstanden  durch  langsamen 
Zuzug  in  der  ersten  Hälfte  des  siebziger  Jahrzehnts  die  vier  Kolonien  Jaffa» 
Sarona,  Kaifa  und  Rephaim  bei  Jerusalem.    Die  Gegenstellung,  welche  die 
Kirche  gegen  den  Tempel  einnahm,  hatte  eine  vollständige  Isolierung  zur  Folge. 
So  gelang  es  nicht  die  AnfmeAsankeit   aal  Tuser  Unternehmen  als  ein 
nstionalet  an  lenken,  his  in  die  letaten  Jahre  heieini  wo  die  koloniale  Bewegung 
In  Bentachland  erwachte.  Jetst  enfc  fragte  man  nicht  mehr  sowohl  nach  unseim 
QlaehenribeksnntBis,  als  darnach,  dab  wir  Deutsche  sind;  was  auch,  da  ja  in 
Bsotschland  Relij^ionsfreiheit  sein  soll,  nicht  mehr  als  billig  ist  Auch  unsere 
Gegner  muüiten  jetzt  anerkennen,  dafs  der  Tempel  durch  die  Herstellung  der 
Kolonien  eine  beachtenswerte  Leistung  aufzuweisen  habe.    Von  anderer  uns 
nicht  feindlicher  Seite  wurden  die  Kolonien  als  acht  deutsche  Pflanzstätten  im 
Orient  gerühmt  und  gepriesen.    Tempora  mutantur!    Der  Tempel  treibt  keine 
Mission  unter  den  Arabern,  wenigstens  nicht  in  dem  allgemein  übhchen  Sinne, 
d.  h.  er  sucht  keine  Proselyten  zu  machen,  sondern  er  hofft,  dafs  die  Herstellung 
YOB  geordneten  Gemeinden,  an  welchen  die  Einwohner  mit  der  Zeit  naeht  Tei> 
Mdsn  kftnaen  (nnd  daTon  sind  jetst  schon  Anseiehen  Torhanden)  ein  Beispiel 
SB  nehmen,  nachhaltiger  nnd  richtiger  wirken  werde  als  Proee^rtenmaeherei; 
es  htit  ee  also  fttr  wichtiger  die  Eingeborenen  in  ordentlichen  Menschen  in 


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—  88  — 


machen,  als  ihnen  rhristlicho  Dogmatik  einzupflanzen.  Die  SfeHnnp  der  Kolonisten 
znr  türkischt  n  Ucgierung  ist  nnn  die,  dafs  sie  als  deutsche  ünterthanen  und 
Schutz{jenos.sen  dort  leben,  indem  sie  direkt  nnter  dem  deutschen  Konsul  stehen, 
der  ilineu  »Suudcsbeuiutur  und  Eichter  ist  und  sie  bei  der  türkischen  Regierang 
v«rtritt;  jedocli  w»b  das  Omiideig^Dtiiiii  betrifft  stelmi  sie,  wie  fibeiluMipt  alle 
Anslftnder,  unter  t&rkisclier  Qerichtsbukeü  Gnmdeigentiim  kMin  seit  der  mit 
der  Türkei  Tereinberten  Konventioii  (Ende  der  Seohiiger  Jehre)  der  MiclKle 
erworben  werden  und  wird  auf  den  Nftnittn  des  AnsUbudere  eingeschrieben,  der 
einen  Eigentnnisbrief  (Hedschi)  erhält  Du  ang^flanzte  Ackerland  (nicht  Gärten) 
zahlt  Steuer  an  die  türkische  Re^iemiig  vnd  swsr  den  Zehnten,  der  in  natu» 
oder  Geld  entrichtet  werden  kann. 

"Was  nun  die  Kolonien  betrifft,  die  durchschnittlich  50 — 70  Familien  stark 
sind,  so  ist  diejenige  in  der  Ebene  Rephaim  bei  Jerusalem  das  Centrum,  Dort 
ist  die  Ceutralleituug  der  gaiizcu  Tempelgesellschaft,  die  von  einem  Ausschufs 
mit  einem  Yomitzendeii  (8  U&nner)  besorgt  wird.  Dort  waide  ein  Lycenm 
(mit  Pension)  gegründet,  das  die  QymnasialblldiiQg  gisbt,  nnd  wurde  auch  in  den 
letzten  drei  Jahren  Ton  Ch.  Hofltaiann  selbst  ein  theol<^^aoh  akademiseher  Knreos 
gegeben.  In  jeder  der  vier  Kolonien  ist  eine  gute  Dorfschule,  welche  Ton  der  Central- 
leitnng  inspiziert  werden.  Die  Gemeindeverhältnisse  haben  wir  so  geregelt,  dafo  jede 
Kolonie  sich  einen  Gemeinderat  und  Bürgermeister  wählt;  dies  ist  aber  Prirat- 
übor.inkonimen  der  Kolonisten  und  vom  Konsulat  nicht  anerkannt,  war  aber 
natürlich  für  uns  unentbehrlich.  Die  religiösen  Bedürfnisse  werden  durch  die 
von  der  Centraileitung  eingesetzten  Ältesten  befriedigt.  Die  Kolonie  Rephaim  hat 
vorzüglich  Industrielle;  Ackerbau  wird  nicht  betrieben;  dagegen  widmet  sich 
einer  der  Kolonisten  dem  Weinbau,  der  sehr  guten  Ertrag  liefert  In  dw 
Industrie  sind  von  den  Kolonisten  vertreten:  Kanflente,  Apotheker,  BÜdbaner, 
Hotelier,  Schreiner,  Zimmerlente,  Glaser,  Uanrer,  Schneider,  Sebnster,  Bierbrauer, 
Müller,  (1  Dampfimfilile  nnd  1  GÜBpelmlUiie)  1  Arobitekt,  Schlosser  nnd  Sehmied, 
Metzger  n.  a.  Sie  finden  ihr  Fortkommen,  wenn  auch  nicht  glänzend.  Jeder 
Kolonist  hat  für  sich  selbst  zu  sorgen ;  anfangs  bestand  eine  Kolonisationskasse, 
in  welche  die  Mitglieder  des  Tempels  ihr  Geld  einlegten  und  welche  die  Kolonisation 
unterstützte.  Dieselbe  ist  aber  seit  einigen  Jahren  nicht  mehr  akÜT,  da  wir  es 
für  besser  fanden,  wenn  man  jeden  selbst  für  sich  sorgen  läfst. 

Die  Kolomc  Jaffa  ist  der  bei  Jeru.salem  ähnlich;  sie  treibt  ebenfalls 
fast  keinen  Ackerbau,  dagegen  ist  hier  gemäfs  dem  Platze  (Seehafen)  besonders 
das  kanfmftonische  Fach  stark  vertreten,  wovon  ein  Hans  (BreiBeii  A  Co.)  ein 
ganz  bedeutendes  ImportjgesebSft  hat  nnd  flberhanpt  die  erste  Stelle  in  Jallb 
einnimmt  Anch  die  Bewohner  dieser  Kolonie  kommen  gnt  fort 

Die  dritte  Kolonie  Sarona,  eine  Stunde  von  Jaffa  in  der  Ebene  Saron 
gelegcTi,  ist  nun  eine  reine  Ackerbaokolome,  sie  ist  ein  wundemettes,  blühendes 
Dorf,  doch  stockt  sie  gegenwärtig  einigermafsen,  indem  das  flüfsige  Kapital  eines 
gi'ofsen  Teils  der  Kolonisien  durch  Ankauf  des  Landes,  Bau  der  Hauser,  der 
aus  sanitären  Gründen  luxuriöser  gemacht  werden  mufste  als  es  für  Bauern- 
häuser gut  war,  fest  gelegt  ist  und  doch  sollte  noch  mehr  Land  erworben 
werden.  Für  diese  Kolonie  haben  wir  deshalb  hauptsächlich  in  Aussicht  ge- 
nommen, !eine  Dnterstfitznng  durch  Kapital  von  der  denisehen  Nation  an  erwirken 
nnd  weiden  wir  anch,  wenn  die  nJHigen  Yorbereitnngen  getroffen  sind,  damit 
hervortreten. 

Die  vierte  Kolonie  Caifa  oder  Haifa  am  Karmel  ist  gemischt,  teilwdis 
Handel  und  Industrie,  teilweise  Ackerbau  und  ein  grofser  Teil  Weingärtner. 
Sie  hat  bis  jetzt  sehr  schwer  gethan,  vornehmlich  deshalb,  weil  der  £rtiag  der 


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—  89  — 

Weinberge  durch  eine  Traabeukraukheit  fast  vernichtet  wurde,  doch  ist  jetzt 
in  dtm  T»tioiitB«n  .Selnrofeln'  «in  lütlel  gegen  diese  geAmdeiif  io  dab  die 
Eettnng  der  Aidageii  in  Auariclit  atelii 

Um  die  frirtiGliafUicbe  Lage  sa  heben,  wnide  im  letsten  Jahre  eine  ein- 
geschriebene Genossen.schaft,  Firma:  „Verein  f&r  Handel,  Ctowerbe  und  Acker- 
bau in  Palftetina*  gegründet,  an  der  sich  alle  vier  Kolonien  gemeinsam  beteiligten 
und  von  der  wir  hoffen,  dafs  sie  den  Kapitalisten  in  der  Heimat  die  ndtige  Sicher^ 
heit  f&r  Kapitalanlage  bieten  werde." 

Zum  Schlufs  dieser  Mitteilung  sei  anf  die  in  Stuttgart  erscheinende 
"Wochenschrift:  ,Die  Warte  des  Tempels",  Organ  der  Gesellschaft  Tempel  ver- 
wiesen, deren  Ziele  und  Bestrebungen  diese  Zeitschrift  geltend  zu  machen  und 
SO  Tsibreiten  snohi  Die  nWarte  des  Tempels*  giebt  nach  dem  nns  Toriiegenden 
Tvignmm  bestftndig  Nachricht  Ton  den  deotsehen  Kolonien  in  PaUsüna  nnd 
bringt  in  Orignialberichten  von  dort  AnfichlnlSi  ftber  die  Znstinde  des  Orients. 

§  Die  Pftftueiwelt  des  sttdliehen  Sene^ambiens.  Prot  Dftlter  bespricht 

in  seinem  von  nns  in  Heft  4  des  7  Bandes  dieser  Zeitschrift  angezeigten  Werke : 
Über  die  Capverden  nanh  dem  Rio  Grande  und  Futah-Djallon,  die  Pflanzenwelt 
des  südlichen  Sencgambiens  insbesondere  des  ausgedehnten  Gebietes  zwischen  dem 
Rio  Cassini  nnd  dem  Rio  Casamanc^a.  Er  unterscheidet  drei  Vegetationsgebiete. 
Dem  vom  Westen  ankommenden  Reisenden  bietet  die  Kaste  keinen  erhebenden 
Eittdmek:  es  sind  niedere  Ufer,  bewachsen  mit  nndnichdringtichem  Schilf-  nnd 
Bnschwald.  -Ein  Twindertes  BQd  seigen  die  Ufer  nnd  die  nftdiste  Umgebung 
der  groÜMn  ▼on  Osten  nach  Westen  siebenden  Flflsse;  am  Ufer  selbst  hensoht 
die  Mangrore,  deren  Äste  und  Wnraeln  durch  unzählige  ScUii^pflanzen  ver- 
bunden sind.  Oft  beginnt  schon  in  unmittelbarer  Nähe  des  Fluses  der  galerie- 
artige Hocliwald;  an  anderen  Stellen  dagegen  drückt  der  Palmenwald  dichtge- 
drängt und  abwechselnd  mit  grasbedockteu  Lichtungen  oder  auch  der  Busch- 
wald der  Landschaft  das  Gepräge  auf.  Die  Region  des  Buschwaldes  bildet  eine 
Art  Übergang  zwischen  der  Campine,  der  an  Sträuchern  reichen  Savanne  und 
dem  eigentlichen  Hochwalde.  Die  drei  Vegetationsformen :  Campine,  Busch  und 
Hochwald  sind  dabei  rinmÜch  nicht  immer  getrennt,  vielmehr  hkufig  durch 
Übergänge  vobnnden.  Der  oft  meilenweit  nnnnterbrochen  an  den  oberen  Teilen 
der  FMsse  sieh  ausdehnende  Hochwald  ist  durch  Abasien  und  bnchenUinliche 
Biume  charakterisiert.  Die  Caropine  ist  eine  mehr  oder  weniger  mit  Strinchem 
besetzte  Grasflur,  in  welcher  1 — 3  m  hohe  Gramineen  und  Paniceen  vorherrschen. 
Sowohl  Savanne  als  Bnsch  und  Hnrhwald  zeigen  uns  melir  oder  weniger  liüuiig 
jene  durch  ihre  kolossale  Höhe  wie  durcl»  die  ungeheure  Entwickeluug  ihres 
Laubdaches  ausgezeichneten  Bäume,  welche  wie  der  Wollbaum,  die  Adansonie 
n.  a.  das  Staunen  des  Europäers  hervorrufen.  Verschiedene  Bäume  liefern  wert- 
volle Nutzhölzer,  so  z.  B.  der  afrikanische  Mahagonibaum;  unter  den  Kaltur- 
pflaaaen  spielt  die  Bvdnub  die  gröfste  Bolle,  sie  ist  sowohl  im  Innern  wie  an 
der  Kftste  weit  verbreitet  Hais  und  Beis  bilden  Hauptbestandteile  der  Nahruqg 
der  Singebotenen;  Fmchtbiume  wurden  von  den  Portugiesen  aus  ihrem  Vater- 
kade  oder  ans  Brssilien  eingefBhrt  nnd  von  den  Eingeborenen  kultiviert 

Von  der  tioldküste.  Die  nachstehenden  Auszüge  ans  Briefen  unseres  im 
August  v.  J.  verstorbenen  Mitgliedes  Paulus  Dahse  an  seine  Gattin  haben 
zwar  wenig  geographisches  Interesse,  .sie  zeigen  aber  einesteils,  welche  Schwierig- 
keiten Klima  und  Bevölkerung  an  der  Goldküste  einem  bergmännischen  Pionier 
entgegensetzen,  andernteils  mit  welcher  aufopferungsvollen  Hingebung  der  Ver- 

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—  90  — 

iloi!>eiie»  dMsen  LebeiiBUnif  wir  in  Bttd  YIL  S.  Ü6  «.  ff.  duaer  ZaHiehr. 
•nUilt  haben,  tieh  trots  mihm  laideodeii  KAipefs  auneii  UntoiiMhmiiiigNi  Im! 
Ua  tarn  letstan  Augenblick  widmete. 

.An  Bord  der  „Ida",  Freitag,  den  14.  Dez.  83.  Morgen  werden  wir  wohl 
hoffentlich  Madeira  erreichen  und  will  ich  die  Gelegenheit  nichi  übergehen  lassen 
einige  Zeilen  m  achreiben.  Ich  hab^  oippntlich  recht  nngemütlich  mit  dem 
Schiffe  getroffen.  Es  ist  ein  gecharterter  Ihimpfer  und  garnicht  für  solche  Reise 
nach  dem  heifsen  Klima  gebaut.  Die  Kajüte  ist  ganz  hinten,  gerade  über  der 
Schraube,  entsetzlich  eng  und  klein  und  durch  die  Bewegung  der  Schraube 
schüttelt  und  wackelt  alles,  so  dafs  es  kaum  möglich  ist  zu  schreiben  and  xa 
rilnn.  Dia  Kajftto  auf  der  «Dahomey*  war  gerade  noch  mal  so  grofa.  Iii  diaaan 
tBgen  Banm  aind  wir  mit  6  FtaaagiaraB  «ingapliBrdit^  swit  mtmm  a«f  daa 
Bophaa  acMalbn.  Antedem  haben  der  Kapittii,  d«r  Doktor  und  ZaUmeiatar 
nnd  die  drei  Steuerleute  ihr  Logis  auch  hier  nnlaiL  Dia  araton  Tage  warait 
schrecklich,  an  Deck  alles  nafs,  unten  in  der  Kajüte  war  es  vor  Duaat,  vor  dem 
Geruch  von  frischer  Farbe  und  dem  Qualm  der  Öllampen  garnicht  anszuhalten; 
ich  fürchtete  wirklich,  ernstlich  krank  zu  werden,  nm  so  mehr,  da  ich  recht 
angegriffen  an  Bord  kam.  Doch  int  ja  alles  Oott  sei  Dank  gut  gegangen  und 
fühle  ich  mich  heute  bedeutend  besser  und  mit  weniger  Husten. 

Sierra  Leone,  Freetown,  an  Bord  der  „Ida"  Dez.  27.  83.  Gestern  Abend 
find  wir  aadlioh  bia  hierher  gelangt  Sa  iat  iaüMrat  migaannd  wid  «ngamftUiob 
an  Bord,  wir  fühlen  me  alle  aehr  oder  weniger  niaerabal,  fieberiadi  md  aehneB 
die  Zeit  herbei,  wo  wir  am  Ziel  nnaeier  Beiaa  aein  wesdeik  Dar  Ki^pittB  nad 
die  OfBsiere  hier  an  Bord  aind  zu  bedauern.  In  Teneriffa  nnd  Grand  Ganaiy 
war  es  recht  kalt  und  morgens  die  Berge  bis  tief  hinunter  mit  tiefem  Schnee 
bedeckt,  auch  die  folgenden  Tage  war  es  noch  kühl  und  bis  letzten  Sonntag 
trug  ich  noch  den  Shawl  und  abends  den  dicken  Winterüberrock  und  die 
Reisedecke.  Ich  habe  noch  immer  Husten,  darum  nehme  ich  mich  auch  recht 
in  acht.  Heute  über  8  Tage  hoffe  ich  in  Cape  Coast  zu  sein  und  will  Gott 
danken,  wenn  ich  an  Land  bin.  ,  • 

Cape  Coatt,  den  IS.  Jannar  1884.  Zaletet  aohrieb  ich  Dir  von  Biana 
Leone  und  seitdem  hatte  ieh  noch  nicht  wieder  Galegenhaii  mm  achraibaa. 
Letaten  Hontag»  den  7.  d.  M.,  hsmen  wir  endlieh  naoh  einer  hmgan  Beiaa  hier 
aa*  Ich  wohne  hier  bei  Herrn  Bomett  in  Swanzys  Faktorei,  in  einem  achtaea 
gesunden  Hause  und  lebe  ich  ordentlich  auf,  nttk  dem  was  ich  an  Bord  der 
„Ida"  durchgemacht  habe.  Ich  werde  noch  eine  ganze  Woche  hier  bleiben,  da 
ich  noch  verschiedene  Dokumente  hier  vom  Advokaten  ausfertigen  lassen  raufs, 
ehe  ich  nach  Winnebah  gehen  kann.  Burnett  wird  dann  mit  mir  gehen  und 
eine  Woche  bei  mir  bleiben ;  von  ihm  habe  ich  anch  einen  guten  Diener  be- 
kommen, der  nachher  mein  Koch  sein  wird. 

Wwmt^ah,  den  81.  Janr.  1884.  Am  Sonnabend,  den  19.,  verliefsen  H«r 
Bnniett  und  ieh  mit  Dampfsr  Cape  Coaat;  ich  war  vom  Faekan  ao  angegriffen, 
dafo  ich  mich  nachmittags  an  Bord  niederlegen  mnÜBta  nnd  Eta  aof  Kopf  «nd 
Brost  legte;  es  ging  aber  gnt  TorAber.  Abanda  10  Uhr  gingen  wir  tot  Winnebnh 
vor  Anker  und  Sonntag,  den  20.,  morgens  7  Uhr  begaben  wir  uns  an  Land  mit 
unsern  Sachen  und  schlugen  wir  unser  Quartier  in  Swanzys  Faktorei  auf.  Am 
folgenden  Morgen  machten  wir  Besuch  bei  King  Ghartey.  Am  Mittwoch,  den  23., 
gingen  wir  in  Hängematte  nach  Manqnadi.  um  die  dortige  Konzession  in 
Besitz  zu  nehmen.  Manqnadi.  ein  Fischerdorf,  ist  ein  furchtbar  schmutziges 
Nest,  der  GestMik  im  Ort  war  kaum  zu  ertragen;  unglücklicherweise  war  mein 
Zelt  noch  nicht  angekommen  nnd  waim  wir  genötigt,  eines  der  schmntaigen 

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—  91  — 

Hänser  zu  bewohnen.  Nachdem  wir  die  Häuptlingö  von  unserer  Ankunft 
iMiiacliiielitigt  hatten,  wann  dieselben  endlich  ut  FvrilMt«  den  S&i  snminsien 
und  hielten  wir  eine  Zusammenkunft.  Zu  nnserm  gröJSrien  Entannen  erkürten 
dieselben,  dals  King  Qbartey  im  Jahre  1878  gamieht  ihr  Land  gekaoft  h&tte 

und  dafs  ihre  Unterschrift  unter  der  Urkunde  geMseht  w&re.  Yfit  hielten  ihnen 
▼or,  dafs  sie  damit  eine  aufscrst  schwere  Anklage  gegen  King  Qbartey  aus- 
sprächen nnd  wir  die  Sache  jcdoiifalls  rrenan  nntersnchen  würden;  wenn  sie  eine 
falsche  Anklage  vorgebracht  hiitton,  so  würden  sie  schwer  bestraft  werden.  Sie 
bestanden  jedoch  auf  ihrer  Behauptung  und  sagten:  King  Ghartey  hätte  keinen 
Besitztitel  ihres  Landes,  sie  wollten  es  aber  gerne  an  mich  abgeben.  Da  wir  sie 
während  der  Unterhandlung  auf  verschiedenen  Lügen  ertappt  hatten,  so  fragten 
wir  sie,  ob  iigend  einer  Ton  ihnen  sein  Land  seit  1878  an  ixgend  jemand  ver- 
kauft  bitte.  Mit  Ausnahme  eines  chieüB  eriilftrten  sie  sftmtlich  »nein";  diesor 
eine  hatte  im  leisten  Juli  sein  Stuck  Land  an  eine  aus  Mulatten  bestehende 
Kompagnie  abgegeben.  Wir  teilten  ihnen  zum  Schlnfs  nochmals  mit,  dab  wir 
die  Sache  untersuchen  würden  und  bis  wir  nicht  ausgefnnden  hätten,  wer  Recht 
h&tte,  wir  nicht  anfangen  könnten  zu  arbeiten.  Am  Sonnabend,  den  26.,  schrieb 
ich  ein  ausführliches  Protokoll  über  die  Zusammenkunft  nach  den  Notizen,  die 
ich  während  des  palavers  gemacht  hatte.  Auch  schrieben  wir  nach  Arcra  und 
nach  Winnebah,  um  die  Sache  zu  untersuchen.  Sonntag  Morgen  machten  Herr 
Barnett  und  ich  einen  Spaziergang  nach  der  Westgrenze  von  meiner  Konzession 
und  enidedLtett  lu  unserm  Erstaunen,  dalii  daselbst  Pfosten  aafgepfianst  waren 
mit  der  Beseichnung  T.  B.  A.,  dab  also  em  gewisser  Mulatte  von  Winnebah 
dadurch  diesen  Teil  als  sein  Eigentum  reklamiert  Montag  Morgen  riefen  wir 
die  chieÜB  nochmals  susaaunen,  sagten  ihnen  daron  und  fragten,  weshalb  sie  uns 
nichts  davon  gesagt  u.  a.  Wir  hatten  genug  und  gingen  nachmittags  mit 
Boot  nach  Winnebah  zurück,  woselbst  wir  in  2  Stunden  ankamen.  Am  Dienstag 
hatten  wir  eine  Zusammenkunft  mit  King  Ghartey,  wobei  letzterer  sämtliche 
Aussagen  der  chiefs  für  Lügen  erklärte.  Es  ist  klar,  beide  Seiten  versuchen  nur, 
mehr  Geld  zu  erpressen,  es  wird  ihnen  aber  nicht  gelingen.  Herr  Rurnett  hat 
heute  morgen  leider  nach  Cape  Coast  zurückkehren  müssen.  Er  ging  über 
Land,  um  auf  dem  Wege  sftmtliehe  Fsktoreien  zu  inspizieren.  Ich  mnfo  nun 
meine  Berichte  von  Swanzys  abfassen  und  will  heute  noch  einen  offiziellen 
Bericht  an  den  englischen  Distrikt-Kommissioner  hier  über  die  AflTaire  machen.  Am 
Sonnabend  {^he  ich  nach  meiner  Sawo-Sawo-Konzession,  um  die  chiefs  dort  zu 
sehen,  am  Montag  fsnge  ich  an,  die  Grenzen  dieser  Besitzung  zu  vermessen  und 
mit  Pfosten  zu  versehen.    Ein  Gluck,  dafs  dort  kein  palaver  zu  befürchten  ist. 

Winnebah,  den  15.  Febr.  1884.  T'h  habe  hier  fortwahrend  recht  an- 
strengend zu  thun  und  vermisse  sehr  die  Hülfe  des  Herrn  Burnett;  so  lange 
dersclb«  Kh  i  und  mit  mir  war,  nahm  er  mir  alle  anstrengenden  Arbeiten  ab, 
jetzt  inuls  ich  alles  selber  thun,  Du  weifst  ja,  wie  schwarze  Clerks  sind.  Ich 
untersuche  jetzt  die  Umgegend  hier  und  die  fast  täglichen  anstrengenden  M&rsche 
in  Fufii  nehmen  mich  sehr  mit,  so  dafe  ich  oft  einen  Tug  Pause  machen  mub 
und  dann  voUstftadig  kaput  und  zu  jeder  Arbeit  untauglich  bin.  Ich  wandere 
mich  oft,  wie  ich  es  aushalten  kann  und  doch  mufs  ich  mit  Dank  gegen  Gott 
sagen,  dab  mein  Husten  anscheinend  besser  geworden  ist.  Ich  habe  bereits  in 
der  Umgegend  von  Winnebah,  etwa  l*/i  Stunde  von  hier,  weitere  äufserst  reiche 
Zinnlager  entdeckt;  am  Montag  denke  ich  daselbst  mein  Zelt  aufzuschlagen,  um 
weitere  genauere  üntersnchnn;:cn  anzustellen  und  wenn  sich  meine  bisherigen 
Vernmtungen  bt'stitligen.  will  ich  Ende  nächster \V»n  lie  dort  eine  Konzession  kaufen. 
Babe  ich  damit  Erfuig  und  grölsere  Proben  von  dort  nach  London  gesandt,  so 


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—  92  — 

gedenke  ich  die  Gegend  zwischen  luer  und  Cape  Coast  genauer  zu  untenmches, 
wo  ick  weitere  reiche  Zinnlager  vermate;  ich  werde  dann  noch  einige  Kon- 
zessionen erwerben  und  Proben  don  Erzes  nach  London  senden.  Damit  wäre 
dann  meine  eigentliche  Arbeit  beendigt;  doch  gedenke  ich,  da  ich  nicht  gerne 
noch  einmal  von  Euch  fortgehen  möchte,  so  lange  hier  zn  bleiben,  bis  jemand 
von  London  heranspesandt  wird,  um  die  Minen  zu  übernehmen,  vorausgesetzt, 
dafs  mein  Gesundheitszustand  es  erlaubt  Sobald  ich  übrigens  fohle,  dals  ich 
ling^rer  Roh«  bedarf,  so  gehe  loh  auf  ein  paar  Wodien  nach  Cape  Conat  ud 
laaae  mich  von  Bnmett  pflegen. 

Cbp«  (haat,  den  82.  Hin  1884.  Ea  aind  4  Wodien,  aeit  ich  Badi  mssbt, 
geachrieben  habe,  aber  ich  bin  recht  hxank  geweaen  nnd  konnte  deshalb  nicfat 
Ich  hatte  midi  wie  gewöhnlich  zn  sehr  angeatrengt  nnd  tägliche  Märsche  Ton 
4 — 7  Stunden  gemacht,  bis  ich  kapnt  war.  Seit  3  Wochen  bin  ich  hier  in 
Cape  Coast  bei  Bnmett;  die  ersten  16  Tage  mufste  ich  zu  Bett  liegen,  es  war 
kein  Blntsturz,  sondern  vollständige  Erschöpfung.  Jetjst  bin  ich  wieder  all  rights 
nur  noch  etwas  matt  und  werde  mit  niichstem  Dampfer  wieder  nach  Winnebah 
gehen.  Dieses  Mal  werde  ich  vorsichtiger  sein  und  keinen  Marsch  ohne  Uauge> 
matte  thnn. 

Wiimebah,  dan  31.  Min  1864.  Da  die  beldan  letiten  Daafkün  niefat  hiar 
in  Winnebah  anlegten,  hatte  ich  erat  die  Abaicht,  letite  Woche  Uber  Land  von 
Oape  Goaat  hieher  in  gehen.  Aber  ich  fimd  ana,  dala  nur  ein  knner  Spaiior» 

gang  von  10  Minuten  mich  am  Tage  Torher  aehr  analrengte  nnd  ao  aagte  ich 

denn  Bnrnett,  dafs  ich  mit  Boot  hierher  segeln  wolle,  um  die  Anstrengungen  der 
Landreise,  welche  2 — 3  Tage  in  Anspruch  nehmen  würde,  zu  vermeiden.  So 
machten  wir  denn  alles  fertig  nnd  letzten  Mittwoch,  den  26.  d.,  morgens  5  Uhr, 
verliefs  ich  mit  Boot  Cape  Coast  und  Burnetts  brüderliche  Pflege.  Ich  legte 
mich  anf  meine  Decken  und  schlief  bis  gegen  8  Uhr,  wo  ich  etwas  genofs.  Bis 
11  Uhr  war  die  Fahrt  recht  heiÜB,  dann  bekamen  wir  aehr  atarke  Seebrise,  die 
nna  4  ühr  nachmittag»  nach  Winnebah  brachte.  Ich  war  ToUstindig  atetf 
geworden  nnd  ging  achon  vor  7  ühr  m  Bett  Den  niohaten  Tag  mhte  ich  mich 
ana.  Am  Freitag  ging  ich  mit  Boot  Ton  hier  nach  dorn  Ajaaoo  rivor  nnd  den- 
eelben  hinauf  nnd  rekognoszierte  denselben  bis  an  den  «raten  FiUen,  wo  wir 
nicht  weiter  konnten.  Um  4  Uhr  nachmittags  war  ich  wieder  hier.  Morgen 
früh  4  ühr  gehe  ich  von  hier  mit  Boot  nach  Appam,  um  die  dortige  Stein- 
formation zu  untersuchen.  Daselbst  und  in  der  Umgegend  werde  ich  bis  Freitag 
bleiben.  Nächsten  Montag  gedenke  ich  nach  einem  Platze  im  Innern,  etwa 
7  Stunden  von  hier,  aufzubrechen,  um  dort  weitere  Untersuchungen  anzustellen. 
Ich  werde  kanm  im  stände  sein,  vor  Juli  oder  August  die  Küste  za  wriaesen, 
waide  also  den  Sommer  an  Hanae  Yorlieren.  Ich  bleibe  ao  hu^  hier,  bia  ieh 
nnaere  Znknoft  nach  menacUicher  Anaieht  geeiobart  aehe.  Eine  nochmalige 
Trennung  von  Eneh  wire  mein  Tod. 

Winnebah,  den  9.  April  84.  Zuletzt  schrieb  ich  Dir  am  31.  Mts.;  am 
nächsten  Morgen  6  ÜJur  ging  ich  mit  Boot  von  hier  nach  Appam,  etwa  10  milea 
westlich  von  hier,  um  die  dortige  Gegend  zu  nntersnchen.  Ich  that  so  am 
2.  nnd  3.  April,  an  letzterem  Tage  aber  marschierte  ich  etwa  1()  nüles  und  war 
dafür  am  nächsten  Tage  krank ;  ich  legte  mich  aber  gleich  nieder,  machte  raeine 
Medizin,  die  ich  immer  bei  mir  führe  und  konnte  am  Sonnabend,  den  5.,  wieder 
mit  Boot  hierher  zarnckkehren.  Hätte  ich  dieselbe  gute  Konstitation  wie  vor 
3--4  Jahren,  ich  kirne  raadier  vorwlrta,  ao  aber  mnb  ich  allea  sachte  angdien 
laaaen.  Morgen  werde  ich  von  hier  nach  dem  Innern,  doch  nur  etwa  6  Standen 
von  hier,  aufbrechen,  woaeU»t  ich  hoffe  eine  gnte  Konaeaaion  an  erhalten.  Ich 


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08  - 


bin  sehon  di«  ganze  Woche  mit  Vorboiwtangea  zur  Reise  bMob&ftigti  da  ich 

nur  wenig  zm  Zeit  thun  kann. 

VtUage  Ayssass'ie,  April  27.  1884,    Am  10.  d.  Mts.  verliefs  ich  Winnebah 
gegen  Mittag  und  erreichte  abends  8  ühr  Asafu,  eine  Stadt  in  Agunah,  nach 
anstrengender  Reise,  wovon  ich  3  Stunden  hatte  zu  Fufs  machen  müssen.  Die 
nächsten  beiden  Tage,  Freitag  und  Sonnabend,  erforschte  ich  die  ganze  Umgegend, 
fmd  Bwar  Anseichen,  dab  die  ZinniörmaUoii,  nach  welcher  ich  raditey  nicht 
weit  sein  konnte,  aber  diese  selbst  nicht  Alle  diese  Touren  mu(kte  ich  natflrlich 
sa  Fufs  machen.  Am  Montag,  den  14 ,  verlieÜB  ich  Asafu  und  marschierte  wes^ 
wärts  nach  Agena  Swaiden.    Denselben  Nachmittag  und  den  folgenden  Tag 
untersnchte  ich  die  Qegead  mit  demselben  Resultat,  wie  in  Asafu,  aber  ich  sah 
dann,  dafs  das,  was  ich  snchte,  südlich  von  Swaiden  nnd  Asafn  sein  müfste. 
Am  16.  morgens  verliefs  ich  Swaiden,  folgte  einige  Meilen  der  Strafse  nach 
Winnebah,  dann  nahm  ich  einen  Bnschweg  ostwärts    bis  zu  einem  kleinen 
Plantagen dorf.  Hier  engagierte  ich  eim  n  Führer  nnd  liefs  mich  durch  Busch  u.  a. 
nach  dem  Zusammenfiufs  des  kleinen  Akontetlasses  mit  dem  Agusooflusse  fuhren. 
Bd  üntersnchnng  der  Gegend  hier  fimd  ich  die  ersten  Anseichen  von  Pegmatit, 
ich  wnfirte  also,  dab  ich  anf  dem  richtigen  Weg»  war.  Nach  nerstflndigsm 
llsxsche  auf  beschwerlichem  Wegs  erreichte  ich  dieses  Dorf  nnd  schlag  mein 
Quartier  hier  anf.   Ich  war  todmftde,  ruhte  aber  nur  korse  Zeit;  denselben 
Nachmitlag  nntersnchte  ich  die  Umgegend  nnd  nach  ein  paar  Stunden  Arbeit, 
wobei  wir  unsem  Weg  durch  den  Busch  hauen  mufuten,   fand  ich,  was  ich 
suchte,  den  richtigen  Pegmatit  ganz  in  einem  Felsen  mitten  im  Busch,  45  Fufs 
lang,  22  Fufs  weit,  über  der  Oberfläche  hervorragend.    Seitdem  bin  ich  fort- 
während hart  beschäftigt  gewesen,  die  Gegend  weiter  genau  zu  untersuchen. 
Habe  Proben  von  dem  verschiedenen  zu  Tage  tretenden  Gestein  genommen, 
weldie  ich  mit  disssm  Dampfer  nach  London  senden  werde,  habe  die  Qrensen 
der  Konsession,  welche  ich  hier  erwerben  wiU,  abstechen  lassen,  habe  Schachte  n.a. 
gegraben  nnd  werde  morgen  anfingen  die  Konzession  an  vermessen.  In  drei 
Tagen  hoffe  ich  damit  fertig  sn  sein,  werde  dann  die  Dokumente  aosmachen 
nnd  hoffe  Ende  dieser  Woche  soweit  zu  sein,  daCs  ich  die  chiefs  hier  mit  nach 
Winnebah  nehmen  kann,  um  die  Dokumente  von  dem  Distrikfkonnnissar  nnter- 
zeichnen   zu  lassoti.     Darnach  werde  ich  hierher  zurückkehren,  um  weitere 
Proben  von  der  Konzession  zu  nehmen  und  die  Umgegend  weiter  zu  unter- 
suchen,   da  ich  nicht  weit  von  hier  Kupfererze  entdeckt  habe,  welche 
anscheinend  reich  sind.   Gestern  habe  ich  meine  Zuite  von  Winnebah  kommen 
Isssen,  da  ich  es  nicht  Ungar  in  dem  Hanse  aushalten  konnte,  denn  Tags  (Iber 
harte  Arbeit,  abends  nnd  nachts  Moskitos,  Warnen  nnd  Mflcken  war  sn  viel 
nnd  nahm  das  bischen  Kraft,  was  ich  habe,  noch  fort  Nachts  kann  ich  nicht 
linger  ab  swei  bis  vier  Stunden  schlafon.  Es  ist  ein  Wnnder,  dafs  ich  alle 
diese  Strapazen  habe  anshalteii  können,  es  kostet  mir  aber  auch  oft  über- 
menschliche Anstrengungen.   Die  Medizin  gegen  Blutsturz  trage  ich  jetzt  immer 
bei  mir  und  habe  oft  nötig,  extra  starke  Dosen  zu  nehmen,  aber  so  weit  hat 
es  immer  gleich  gewirkt.    In  drei  Tagen  hoffe  ich  die  schwerste  Arbeit  hinter 
mir  zu  haben  und  kann  mir  dann  etwas  mehr  Ruhe  gönnen,  aber  nach  vier 
Monaten  Aufeutlialts  hier  ohne  Resultat  hübe  ich  alles  daran  setzen  müssen, 
wenigstens  eine  Komesifon  in  erhalten.  Jeiaft  bin  idi  snfrieden  nnd  weils,  dafi 
ich  anfinr  Zinn  noch  weitere  Bntdecknngsn  machen  werde. 

Wnmebah,  den  9.  Jnni  1884.  Ich  weü^  nicht  mehr,  wann  ich  Dir  snletst 
gflichrieben  habe,  ich  sehe  nnr,  dab  Deine  Briefe  anbeantwortet  vor  mir  li^n. 
Absr  ich  war  selur  krank  mit  g^ffthrlichem  Fieber  nnd  Lnngsnentifindnng  nnd 


—  94  — 


heute  ist  der  erste  Tag  seit  Wochen,  wo  ich  wieder  im  stände  bin  zu  schreiben. 
Eine  aolserordentlich  starke  Regenzeit  überraschte  mich  im  Bosch,  ehe  ich 
meint  AibeitMi  dort  fartig  bringMi  koimto  und  war  ich  in  den  letatUn  WocImb 
dort,  wo  meine  Zdte  standen  nnd  wo  ich  wohnte,  Ton  Waseer  und  SAmpfes 
umgeben.  Da  hat  mich  das  llalariafieber  gepackt  wie  noch  nie.  Vor  14  Ta^en 
kehrte  ich  hierher  surück  auf  einem  weiten  ümwege,  da  alles  Land  abeiT" 
schwemmt  war;  die  Eingeborenen  dort  wissen  sich  solchen  Wassers  nicht  wo. 
erinnern.   Ich  hatte  8  Träger,  die  oft  bis  unter  die  Schultern  im  Wasser  waren, 
Sie  brachten  mich  aber  glücklich  hierher;  wäre  ich  einige  Tage  länger  dort 
geblieben,  ich  hätte  die  Küste  nicht  wieder  gesehen.    Es  sind  4  Wochen,  seit 
ich  den  ersten  Unfall  hatte.    Ich  hatte  einen  sehr  steilen  Hügel,    woselbst  ich 
die  neuen  Entdeckungen  gemacht  habe,  untersucht  und  war  drei  Mal  auf  Ter- 
schiedenen  Seiten  denselben  heranf  nnd  hinunter  gegangen,  Proben  Ton  dem 
Steinen  nehmend  nnd  als  ich  soletst  mich  wieder  hinanf  arbeitete,  AhUe  ieb 
es  wie  einen  Sehlag.  Ich  machte  mich  gleich  anf  den  Heimweg  nach  mein«» 
30  Minuten  entfernten  Dorfe  nnd  als  ich  nach  vieler  Mühe  dort  ankam,  hatte 
ich  gerade  noch  Kraft  genug,  um  mich  auf  mein  Feldbett  an  werfen,  als  mein 
Bewustseiu  schwand.    Ich  habe  nur  eine  dunkle  Erinnerung  davon,  dafs  mein 
Diener  mich  zudeckte  und  meinen  Kopf  mit  Tüchern  abrieb.    Gott  sei  Dank 
habe  ich  es  soweit  überstanden,  bin  aber  recht  matt  und  abgemagert.  Essen 
kann  ich  nur  wenig,  doch  hat  mir  der  Agent  von  Accra  Champagner  geschickt, 
welcher  meine  Kräfte  aufrecht  hält   Ich  hoffe  zu  Gott,  dals  meine  letzte  Ent- 
deckung des  bisher  noch  nicht  anf  der  Kflste  gefundenen  Eises,  soviel  ich 
ausmachen  kann  Kupfer  und  Silber,  Ton  Erfolg  sein  wird. 

Wumebak,  den  29.  Juni  1884.  Wann  ich  wieder  snrfickkehren  kann,  ist 
noch  ganz  ungewifs,  es  kann  in  ein  paar  Monaten  sein,  es  kann  Iftager  dauern.  ^ 
Ich  habe  noch  keine  Kachrichten  vou  London  über  das  Erz,  was  ich  von  den 
beiden  Konzessionen  nach  London  gesandt  habe,  hoffe  aber  nächste  Woche 
darüber  zu  hTircn,  Von  dem  Ausfall  desselben  wird  viel  abhängen.  Was  das 
eine  Erz  anbetrifft,  so  bin  ich  überzeugt,  e.s  i.st  sehr  wertvoll;  aber  in  London 
gehen  sie  so  eigentümlich  in  den  absay-offices  zu  Werke,  dafs  man  nie  weis, 
was  für  ein  liesultat  herauskommen  wird.  —  Dies  ist  das  erste  Mal,  dafs  ich 
wieder  schreibe  seit  ein  paar  Wochen.  Ich  habe  alles  liegen  lassen,  um  mich 
SU  erholen  und  fange  ich  an,  mich  etwas  besser  au  föhlen. 

Wtmuhah,  den  14.  Juli  1884.  Den  12.  Juli  —  hier  mubte  ich  aufhören, 
da  ich  mal  wieder  Fieber  bekam.  Das  Wetter  ist  äufserst  ungesund  und  fast 
alle  sind  krank.  Rheumatismus  plagt  mich  auch  in  der  ganzen  linken  Seite 
von  der  Schulter  bis  unterhalb  des  Knies  nnd  dabei  die  fortwährenden  Husten 
und  Atembeschwerden  —  es  ist  wirklich  kein  angcuohtues  Dasein.  Dabei  der 
Trubel  mit  den  chicfs,  der  nicht  aus  der  Stelle  rücken  will.  In  wenigen  Wochen 
weide  ich  im  stände  sein,  Dir  zu  schreiben,  wann  ich  die  Küste  verlassen  kann. 
Ich  hätte  Dir  so  viel  zu  sagen  und  zu  schreiben,  aber  bitte  sei  geduldig,  wenn 
ich      Stunde  am  Tische  gesessen  habe,*mnIiB  ich  aufhören. 

Wimuhäh,  den  20.  Juli  1884  Ich  hfttte  diesmal  mehr  geschrieben,  aber 
letsten  Dienstag  hatte  ich  einen  Tag,  wo  ich  mich  Terhftltnismftfsig  wohler  fohlte 
und  hielt  deshalb  ein  palaver,  welches  lange  hinausgeschoben  war,  ab.  Dieses 
regte  mich  aber  wieder  so  auf,  dafs  ich  bis  gestern  fest  gelegen  habe  nnd  heute 
mich  erst  etwas  wohler  füiile.  Kein  Blutspeien,  aber  sonst  der  Auswurf  sehr 
stark  bei  beklemmendem  Husten  mit  fortwährendem  starken  Fieber,  welches 
nach  und  nach  die  Kräfte  verzehrt.  —  Doch  ich  denke,  die  ungesundeste  Jahres* 
seit  ist  vorüber  and  es  wird  nun  besser  werden. 


—  95  — 


Winnebah,  den  6.  Angust  1884.  Ich  habe  die  letzten  Wochen  so  viele 
Zasammenkünfte  and  palaver  gehabt,  dafs  ich  in  den  Zwischenzeiten  stets  das 
Bett  bftten  mnfrte  in  Fiebor  und  Enohöpfang,  deshalb  kann  ich  b«nto  Bvdi 
auch  nar  dieses  kleine  Lebeosseiehen  geben.  Ich  glaube  aber,  dab  ick  endlich 
das  Manqoadie  palaver  sun  guten  SehlnXs  bringen  werde  und  dann  ist  alles 
gat.  Es  ist  auch  hohe  2Seit,  da  viel  länger  meine  Kiftfta  nicht  ausgereicht 
haben  wftrden."  —  Dahse  starb,  wie  wir  mitteilten,  am  29.  Angust    J.  in  Akkra. 

—  Die  Seychellen  and  Alniiranten.    Über  diese  ostafrikanischen  Insel- 
gruppen veröffentlichten  wir  in  Band  V.  1882  S.  170 — 173  einige  Mitteilungen, 
die  wir  hente  noch  durch  einige  Bemerkungen  aus  Dr.  Coppingers  Reisebericht 
(cruise  of  the  Alert  S.  211  u.  £f.)  ergänzen.    Die  Seychellen,  unter  welchem 
Namen  man  eine  Gruppe  Ton  80  Inseln  beseiehnet,  sind  seit  dem  Jahre  17M 
eine  britische  Kolonie;  sie  wurden  damals  den  Fransosen  mit  Waffengewalt  ab- 
genommen. Der  grAfste  Teil  des  Grundes  und  Bodens  ist  im  Besits  der  Naeh- 
kommen  der  alten  französischen  Ansiedler,  diese  sind  ohne  allen  üntemehmnogs* 
geist  und  pflegen  die  Einnahme  aus  ihren  Lindereien  wenig  nützlich  n  Ter- 
wendon     Nnr  sechs  Engländer  betindon  sich  unter  den  gebildeten  Klassen  der 
Bevölkerung,  welche  bei  der  Zählung  im  Jalire  1880  14  035  Köpfe,  darunter 
2029  afrikanische  Neger  zählte;  davon  kamen  auf  die  Hauptinsel  Mah6  11393, 
später  fand  noch  eine  Einwanderung  aus  Mauritius  statt,  so  dafs  die  Bevölkerung 
jetzt  auf  18000  geschätst  wird.  Das  Hauptprodukt  der  ganzen  Inselgruppe  ist  die 
Coeosttfifii,  besw.  das  ans  derselben  gewonnene  Ol,  welches  in  gewaltigen,  tob 
Ochsen  in  Bewegung  gesetsten  Mftrsem  gepiefot  wird;  neben  der  CoeosnnCi 
werden  nooh  Vanille,  Cacao  und  Qewfln  gebaut  In  der  letsten  Jahresreihe 
waren  die  Cocosnnfsernten  unergiebig,  weil  viele  Bäume  infolge  WurzelfiraGws 
an  den  Wurzeln  aasgingen.   Eine  besondere  Cocospalmenart  der  Seychellen  ist 
die  auf  Praslin  waclisondc  coco  de  mcr,  ilire  Frucht  wird  nach  den  Häfen  des 
rothen  Meeres  verschifft,  da  die  Araber  ihr  heilkräftige  Eigenschaften  beimessen. 
Fäi  die  Vanille  soll  der  Boden  der  Insel  besonders  geeignet  sein. 


Amerikanische  XiefseelorsehuDg.  In  der  Nummer  des  amerikanischen 
JonnalB  «Seiinoe'  vom  8a  Januar  1886^  YoL  Y.  4,  giebt  sine  von  Bartlett  er- 
ttnterte  TitiMekarte  dar  cataibischan  See  die  Besnltate  der  in  den  Jahren  1318 
bis  1884  durch  die  amerikanischen  Schiffe  i^Albalrols*  nnd  «Blake*  ansgeffthrten 
Untersuchungen.  Dieselbea  haben  die  Ezisteni  eines  Walles  bestätigt,  welcher 
die  caraihisehe  See  von  dem  atlantischen  Ocean  trennt  und  dessen  tiefste  Ein- 
renkung mit  einer  Tiefe  von  900  Faden  und  einer  Temperatur  von  39*/i  °  F.  sich 
zwischen  den  Inseln  Santa  Cruz  und  St.  Thomas  befindet.  Diese  Beobachtung 
entspricht  den  Folgerungen,  welche  man  aus  den  Üntersuchungcu  der  ,Challenger*- 
Expedition  im  mexikanischen  Golfe  herleitete.  Com  Sigsbee  fand  hier  in  den 
Jahren  1874—1878  in  Tiefen  über  800  Faden  eine  konstante  Temperatur  von 
Wt^  F.,  was  sieh  nur  durch  die  Annahme  aridlrea  lie£i,  dalb  die  caraibische 
See,  ans  welcher  der  Qolf  von  Meadko  sein  Wasser  erhUt,  dnrch  einen  bis  an 
disMr  H«he  reichenden  Wall  vom  Ocean  abgeschlossen  sei.  A.  K. 

§  Die  Kartensammlnn/i;  J.  (ü.  Kahle  ii  Washington.  Bekanntlich  widmete 
'  lieb  unser  verstorbener  Stadtbibliothekar,  der  als  Reisender  und  Geograph  be- 
rühmte Dr.  Kohl,  während  seines  mehrjährigen  Aufenthalts  in  den  Vereinigten 
Staaten  (1854—1858)  dem  Studium  der  RiittUf  knugsgeschichte  vou  Amerika. 
Pie  von  ihm  dort  angelegte  Sammlung  von  Kopien  älterer  in  Werken,  Atlanten, 


I 


-  - 

Aiehiveii  iL     BwopM  xaA  AmftTikM  siedtigetogtar  Kaartaa  giag  in  des  Besits 
dM  Stutadepaiiemeiits  in  Waihington  Über.  In  Ibppen  wohlgeordnet  blieb  die- 
selbe 25  Jahre  fast  unbenutzt  in  Verwahrung  dioeer  Behörde,  da  leider  die  Ver-  | 
einigte-Staatenregierung  die  Büttel  zu  der  von  Kohl  beabsichtigten  VeröfiTent- 
lichung  der  Karten  nicht  bewilligte.    Herr  Justin  Winsor,  der  Bibliothekar  der 
Harvard  üniversitÄt  in  Cambridge,  Miii^sachusetts,  hat  sich  nun  das  Verdienst 
erworben,  von  dieser  wertvollen  Karti-nsaimnlung  einen  mit  zum  Teil  von  Kohl 
selbst    stammenden    erläuternden   iSoieu    versehenen    Katalog  au&zuziehen 
und  Bonnunensnitollin.  DvimUm  wnzde  in  mehreren  Nommem  des  ,Uarnund 
Dnifenity  Bulletin*  von  1889^  188*  nnd  1886  gedruckt  und  nne  liegt  ein  Kxempler 
dieiei  Kataloge  vor,  dae  in  der  BibUothek  der  hieaigen  geogniphieeliea  Genell- 
■ehaft  niedergelegt  wurde.  OberMshrieben  iat  es:  Tke  Kohl  CoJkction  of  earbi 
mapSf  belonging  io  the  Department  of  State,  Washington,  U.  S.  A.,  by  Jastin 
Winsor,  Librarian  of  the  Harvard  Dniversity  Cambridge.    Dem  Katalog  ist  ein 
Lebensabrifs  unseres  verstorbenen  Freundes  vorgedruckt,  in  welchem  seine 
Verdienste  um  die  Geographie  überhaupt,  wie  um  die  Entdeckungsgeschichte 
Amerikas  gebührend  anerkannt,  auch  einige  seiner  zahlriuhcn  Schriften  naher 
besprochen  werden.    Der  Kutaiug  selbst  zerfällt  in  fünf  Abteilungen,  nämlich: 
1)  Die  Welt  vor  Colambus  (25  Nommem),  2)  Die  beiden  Amerika  (87  Nummern), 
8)  Noidamerikn  (68  Nummern),  4)  NftrdUehe  Teile  von  Nordamerika  (108  Nun- 
mem)»  6)  Canada  (78  Nummern).  Die  Nummern  umftiiiiien  nun  Teil  ganie  Serien 
fon  Karten.  Ein  Einblick  in  den  Katalog  aeigt  una  den  bewundemugnr&idigen 
Sammelfleifs  wie  die  groCse  Sachkunde  Kohls  auf  diesem  Gebiete,  und  wenn  auch 
die  historische  Geographie  seit  jener  Zeit  wesentlich  fortgeschritten  ist,  so  bildet 
doch  noch  heute  jene  Kartensammlung  von  Kohl  samt  den  von  ihm  selbst  ver-  i 
fafsten  Kommentaren  zu  einzelnen  Karten  einen  Schatz  and  eine  wichtige  Qaelle 
für  das  Stadium  der  Geographie  Amerikas. 


Littaratur. 

—  Tolmie,  W. Fraaer, andDawaon,  George  M.  Comparatifo Yocabulariea of 
fke  Indian  Tribea  of  Britiah  Columbia.  With  n  map  illnatrating diatri- 
bution.  Geok>gical and  Natural  Hiatorj  Surrej  of  Canada.  AUMSelwyUiDir. 
Die  ethnograpliiachen  Verfaittniaae  Ton  Britisch  Columbien  sind  ziemliob  fiT' 
wickelt  und  die  dürftigen  Angaben,  die  man  biaher  Aber  dieselben  hatte,  wenig 
geeignet,  ein  klares  Bild  von  denselben  zu  geben.  Einen  schätzenswerten  Beitrag 
zu  ihrer  Kenntnis  liefert  nun  die  vorliegende  Arbeit.  Sie  enthält  Wörtersamm- 
lungen  von  27  Indianerstämmen,  die  zu  14  verschiedensprachigen  Völkern  ge- 
hören und  die  von  den  Autoren  Tolmie  und  Dawson,  gröfstenteils  während  des 
Winters  1875—1876,  in  Victoria,  dem  Sammelpunkt  zahlreicher  Indianer  von 
nah  nnd  fern,  erhalten  wurden.  Tolmie,  als  langjähriger  Ant  im  Dienste  dar 
Hudaonbay-Company  und  aeit  1888  fcat  ununterbroehen  in  Britisdk  Columbien 
wobnbalty  iat  mit  den  Verbtttniaaen  der  eingeborenen  Bev6]keruqg  der  Nordweat- 
kfiste  wohl  Tertraut  geworden  nnd  auch  auf  linguiatiaehem  Gebiete  aohon  früher 
durch  Sammlung  von  Yocabularien,  die  von  Scouler  und  Gibbs  veröffentlicht 
wurden,  hier  jedoch  in  verbesserter  Form  wiedergegeben  werden,  thätig  ge- 
wesen —  Dawson  hat  sich  bei  Gelegenheit  der  von  ihm  geleiteten  geologischen 
Aufnahmen  mit  ethnographischen  Studien  beschäftigt  und  namentlich  über  die 
Haidtt.s,  die  Bewohner  der  Königin-Charlotten-Inseln,  eine  wichtige  Arbeit  ge-  ' 
liefert  —  Die  von  den  Autoreu  der  gegenwärtigen  Arbeit  beigegebeue  ethno- 
graphische Karte  fOUt  die  Lftcke  ans  awiachen  den  jon  Dali  Ter9ffentliehteB 

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—  97 


Karten  von  Alaska  und  Washington  Territory.  Sie  enthält  die  Gebiete  von  elf 
indianischen  Volksstämraen,  deren  Grenzen  freilich  der  N;ihir  der  Sache  nach 
nur  annähernd  festgestellt  werden  konnten.  Aurel  Krause. 

—  Map  of  tii«  Donunion  of  Canada,  gcologically  colimd  from  Sarreys  mndft 
by  fhe  Qedogical  Corps  1842  to  1882.  Dam:  DescriptiTe  Sketch  on  the  Phyaical 
Geography  and  Geology  of  the  Domimon  of  Ganada  by  Alfred  Selwyn  and  Q. 
M.  Dawson.  Montreal  1884.  Die  der  in  swei  Blftttem  im  Mafsstab  von  1 : 2  700000 
gezeiclmeten  geologischen  Karte  beigegehene  korse  Beschreibnng  ist  naturgemäfB 
in  zwei  Teile  gesondert,  deren  einer  von  Selwyn  verfafst  ist  und  die  östliche 
Hälfte  von  Canada  behandelt,  der  andere,  von  Dawson  geschriebene,  eine  Über- 
sicht der  geologischen  Verliältnisse  der  westlichen  Hälfte  ^'icbt.  Die  östHrhe 
Uälfte,  welche  durch  eine  Seenkettc  vom  Luke  of  Woods  bis  zum  Eisniccr  von 
der  westlichen  getrennt  ist,  unterscheidet  bich  von  dieser  geologisch  durch  das 
Oborwiegen  der  arcUusehen  Formationen;  anCMr  einigen  sweifelhafien  triassi- 
■eben  Sehiohten  in  Nen-Schottland  nnd  anf  der  Frince  Edward-Insel  sind  jüngere 
als  anr  Kohlenformation  gehörige  Schichten  hier  ftberhanpt  nicht  bekannt  Da^ 
gegen  treten  in  der  Westhftlfte  die  archiiachen  Formationen  gans  zar&ck  nnd 
ineaozoische  und  Tertiärschichten  bedecken  den  gröfsten  Teil  des  Gebietes.  In 
den  an  der  Westküste  sich  hinziehenden  Cordilleren  unterscheidet  Üawson  vier 
Parallelketten,  die  Rocky  Mountain«?,  die  Gold  Range,  die  Coast  Range  und  die 
Vancouver  Range,  welche  letztere  teilweise  unter  den  Spiegel  des  Meeres  tritt. 
Die  Rocky  Mountains,  deren  höchster  Gipfel.  Mount  Murchisun,  eine  Höhe  von 
18  500  Fuls  haben  soll,  werden  durch  mehrere  Fasse  unterbrochen,  von  denen 
der  Bow  Biver  nnd  Kicking  Horae  mit  einer  Höhe  ron  6300  Fnfs  fär  die 
Trace  der  non  bald  Tollendeten  canadischen  Pacificfaahn  ausgew&hlt  wnrde. 

Anrel  Kranae. 

—  Cmise  of  the  ,Alert'.  Fonr  years  in  Httagonian,  Polynesian  and  Maa^ 
earene  waters  (1878-  82),  by  R.  W.  Coppinger.  London.  W.  Swan,  Sonnen- 
schein &  Co.  1883.  Der  Verfasser,  Oberstabsarzt  in  der  britischen  Marine  und 
ein  bekannter  Naturforscher,  hebt  im  Einleitungswort  hervor,  dafs  es  ihm  bei 
Wiedergabe  seiner  mannigfaltigen  Beobachtungen  und  Erfahrungen  hauptsächlich 
darauf  angekommen  sei,  neues  Material  zu  bieten;  er  habe  deshalb,  selbst  auf 
die  Gefahr  von  Lücken  in  seinem  Reisebericht,  alle  die  Uegenden  und  Plätze, 
wdebe  in  bekaanten  nnd  dnrchforachten  Gebieten  belegen,  nur  karz  berührt, 
um  desto  anafikbrlicher  da  Yerweilen  in  kitanen,  wo  sidi  neoes  oder  nnr  wenig 
bekannte»  bot  Die  Richtung  der  Krenae  dea  »Alert*,  jenes  dnrch  die  englische 
Polarexpedition  von  1875  und  1876  berflhmt  gewordenen  Schiffes»  welchea  1878 
wiederum  anter  den  Oberbefehl  von  Sir  George  Nares  gestellt  wnrde,  begünstigte 
in  der  That  dieses  Vorhaben  des  von  der  Admiralität  zum  Natorforscher  der 
Expedition  erwählten  Dr.  Coppinger  in  hohem  Grade,  denn  es  waren  meist  wenig 
bekannte  Meeres-  nnd  Küstengegenden,  in  welche  die  Ordres  der  Admiralität  den 
751  Tons  Tragfähigkeit  messenden  und  eine  Besatzung  von  120  Mann  führenden 
Dampfer  wiesen.  Die  nächste  Aufgabe  bestand  in  der  Fortsetzung  der  von 
»Adventmo*  nnd  .Beagle"  1896—1886  nnd  von  „Naasaa"  1866—69  geführten 
hydrographischen  UBtersachangen  in  der  Ifagellanstralse;  ein  Zweites  war  die 
Brmitlelang  nnd  Bestimmnng  der  Lage  gewisser  iweifelhafter  Biffe  nnd  Insehi 
kn  sfldUohen  groben  Oeean  nnd  endlich  sollten  noch  Teile  der  nArdüchen  nnd 
westlichen  Kästen  von  Australien  rekognosziert  werden.  Im  September  1878 
verlieb  das  Schiff  die  englische  Kflste  (Flymonth).  Die  erste  Station  wnrde  in 

Gwtgr.  BlittMr.  Bimoms  188».  7 


iJiyiiizea  by  Googfc 


—  98  — 


Madeira  gemacht,  doch  schon  unterwegs  dahin,  soweit  es  die  s>t  hiielle  Fahrt  des 
Schiffes  erlaubte,  mit  dorn  Schleppnetz  gearbeitet ;  erst  in  den  tropischen  Wind- 
stiUeii  bei  d«ii  Kap  Yerden  konnte  dM  miehe  IkfUben  der  Heeresoberfläche 
und  auf  den  Bioken  westlidk  von  jenen  Inseln  anch  der  Meeresboden  und  seine 
Fanna  naher  ontersacht  werden.  Nach  einigem  mitLandezknrBionen  Terbnndeuen 
Aufenthalt  in  Montevideo  und  Bnenos -Aires  wurde  nach  den  FaUdands-Insobi 
gesteuert,  deren  Monro  und  Felsenmeere  stuibVrt  wurden.  Darauf,  Anfang  1879^ 
lief  der  .Alert*^  in  die  Mugellanstrafse  ein  und  die  Monate  währenden  Kränzen 
des  Schiffes  hier  und  in  den  Gewässern  des  Arrhipels  westlich  und  nördlich  bis 
zum  Golf  von  Penas  hinauf  boten  bei  zahlreichen  Landungen  reichliclie  Gelegen- 
heit sowohl  zur  Erforschung  des  Landes,  des  Tier-  und  l^flaiizonlebens  wie  zum 
Verkehr  mit  den  Eingeborenen;  von  den  letzteren  werden  die  zwischen  dem 
genannten  Golf  und  dem  Smyth  Channel  wohnenden  Channel-  oder  Chonoa- 
stimme  der  Fenerl&nder  besonders  anstthrlich  beschrieben.  Im  Mai,  an  Anfang 
des  dortigen  Winters,  fuhr  der  , Alert"  nordw&rts  nach  Valparaiso  und  Coqoimbo; 
TOn  letzterem  Hafen  ans  wurde  eine  Kreuze  nach  den  500  railes  westwärts  im 
grofson  Ocean  belegenen  vulkanischen  Inseln  Felix  und  Ambrose  gemacht  und 
letzterer  ein  kurzer  Besuch  abgestattet.   Auch  der  bekannte  Walfischfängerhafen 
Talcahuano  wnrdo  angelaufen  und  Ausflüge  im  Innern  von  Chile  genmehr,  nament- 
lich zur  Hauptstadt  Santiago.    Der  Winter  1H79 — 80  wurde  wiederum  in  den 
patagonischen  Gewässern,  namentlich  im  Trinity ,  Concepcion  und  Inocentes 
Channel,  im  westlichen  Teil  der  iMagellanstrafse  und  im  Skyring  Water  zuge- 
bracht Im  Frfthjahr  1880  besaehte  „Alert*  nochmals  einige  chilenische  Häfen 
and  fahr  dann  nach  TUiiti  Die  südpacifischen  Krensen  erstreckten  sich  auf  die 
Gesellschafts-,  die  Fidschi-  nnd  die  Tonga^Inseln.  Nachdem  „Alert*  in  Sydney 
nachgesehen,  dampft«  er  Ungs  der  Ostküste  von  Australien  aar  Torresstacabo, 
von  deren  Inseln  einige  angelaufen  wurden.  Darauf  wurde  Port  Darwin,  die  erst 
1872  anf^'elegte  Niederlassung  Palmerston,  in  Xordaustralicn  angelaufen  und  hier 
hatte  Dr.  Coppinger  Gelegenheit,  die  Ahnrit:iner  dieses  Teils  von  Australien  zu 
studieren.    Der  letzte  Teil  der  Heise  beiüinie  die  afrikanischen  Inseln  im  in- 
dischen 0(-ean,  die  Almiranten,  Seychellen  und  einige  andere  vereinzelte,  wenig 
bekannte  Eilande.     Nachdem  noch  die  Mozambiqueküste  augelauten,  kehrte 
,iAlert*  Uber  Kapstadt  im  September  1882  nach  Plymoath  sorAck.  Dies  der 
Verlanf  der  Reise.  Anlberordentlich  reich  ist  das  Bach  an  den  mannigfaltigsten 
Beobachtongen  nnd  es  legt  anf  diese  Weise  beredtes  Zeugnis  von  einer  grofsen, 
mit  änfserst  vorsichtigem  Urteil  verbandenen  Oabc  des  Veifassers  ab.  Znm 
Schlufs  möchten  wir  noch  daranf  aufmerksam  machen,  dafo  die  Untersuchungon 
des  ^ Alert''  in  den  westpatagonischen  Gewässern  in  neuester  Zeit  durch  die 
Kreuzen  des  deutschen  Kriegsschiffs  ^Alhatrofs'".  vom  Dezember  1883  bis  März 
1884,  noch  erheblirli  vervollständigt  worden  sind.    Man  vergleiche  hierüber  die 
Berichte  des  Maiinearztes  Dr.  Dreising  in  der  „Kölnischen  Zeitung'  No.  iJ14 
bis  318,  November  1884. 

—  Die  Deutsche  Haimat  Landschaft  and  Yolkstam  von  Dr.  Aag. 
Sach.  Mit  Abbildungen.  Halle  a.  S.  Verlag  der  Bachhandlang  des  Waisen- 
haases.  1886.  800  Seiten.  —  In  einer  recht  guten  Auswahl  charakteristischer 
Beschreibungen  und  Schilderungen  wird  im  vorliegenden  Buche  die  Landschaft 
nnd  das  Volkstum  des  deutschen  Reiches  vorgeführt  und  sum  lebendigen  Ver* 
ständnis  gebracht.  Die  politische  Geographie  ist  ausgeschlossen  geblieben,  da- 
gegen ist  die  natürliche  Beschaffenheit  der  Landschaft  in  Qebiige  and  Ebene 


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—  99  — 


möglichst  in  Beziehung  zum  Anbau  und  zur  Bewirtschaftung  durch  die  Bewoh- 
ner gesetzt,  auch  die  kulturgeächichtliclte  öciic  des  Volkslebens  in  Stadt  uud 
Land  ist  bsi  der  AaswaU  berÜcknehtigL  Die  erste  Abteilung  enthält  Tierzehn 
Anfe&tse,  in  denen  dM  alteDentechlandi  eine  deutsche  Stadt  im  14.  Jahrhundert, 
die  Bargen  im  Mittelalter,  deutsche  Weihnachtsbrinche,  die  deutschen  Wftlder, 
die  einzelnen  Volksst&mme  nnd  deren  Mundarten  o.  a.  geschildert  werden.  Die 
f&nf  anderen  Abteilungen  enthalten  Bes(  lu  eibungen  aus  den  einzelnen  Land- 
schaftsgebieten, dem  "Weichsel-  und  Odergebiet,  dorn  Elb-  und  Wesergebiet,  den 
mitteldeutschen  nnd  sclilesischen  Gebirgslandschaften,  dorn  Rhoin;:ebiet  und 
endlich  dem  nunaugel)U't.  iJu-s  Bucli  ist  durch  41  gute  Abbildungen  gesclimückt 
und  verdient  als  eine  treffliche  Lektüre  für  die  erwachsene  Jugend  und  die  ge- 
bildete Familie  warm  empfohlen  zu  werden.  Dr.  Wo. 

—  Deatsch-Lateimsches  Handbüchlein  der  Eigennamen  aas  der 
alten,  mittleren  nnd  neuen  Geographie  von  Gymnasial-Oberlehrer  Dr.  Q.  A.  Saal- 
feld. Leipzig.  C.  F.  Wintersche  Verlagshandlung.  188&.  ~  Das  738  Spalten 
umfassende  Buch  enthält  ein  Verzeichnis  der  lateinischen  Benennungen  der  be> 
kanntesten  Städte,  Meere,  Seen,  Berge,  Flflsse  u.  a.  in  allen  Teilen  der  Erde, 
doch  haben  die  dcutsclien  Ortschaftsnamen  u.  a.  eine  besondere  Berücksich- 
tigung gefunden.  Im  Vorwoit  hat  der  Verfasser  eine  dankenswerte  Zusammen- 
stellung aller  geographischen  Wörterbücher  lateinischer  Nüinenklulur  gegeben. 
Zwei  Beispiele  mögen  den  Inhalt  des  Buches  erläutern,  8p.  (52  lieifst  es:  Brcnier- 
TÖrde,  St.  ^Geestkreis  Stade,  LundUr.  Stade,  Prov.  llamiover,  an  der  schitlbaren 
Oste),  Vorda  Bremensis.  —  Bremerforda.  —  Bremerrerda^  —  Bremerrorda. 
Sp.  448 :  Nordkap,  Vorgebirge  (390  m  hoch,  nflrdlichstes  Kap  Ton  Norwegen  und 
^anz  Europa  auf  der  norwegischen  Insel  libgertf,  unter  71  10'  n.  Br.  und 
43*  SO'  ö.  L.),  Boreum  Promuntorium.  Dr.  Wo. 

—  Der  Boden  Mecklenburgs  von  Prof.  Dr.  E.  Geinitz.  Stuttgart 
Verlag  von  Engelhorn.  1885.  —  Diese  32  Seiten  umfassende  Schrift  bildet  das 
1.  Heft  (b'r  ..Forschungen  zur  deutschen  Lamles-  nnd  Volkf-knixlo'"',  welche  im 
Auftrage  und  unter  Mitwirkung  der  vom  deutschen  Geogiai)lientag  eingesetzten 
Zentralkomniission  für  wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutschland  erschei- 
nen. Diese  sollen  dazu  helfen,  die  heimischen  laudes-  uud  volkskundigeu  Stu- 
dien SU  fordern,  indem  sie  aus  allen  Gebieten  derselben  bedeutendere  und  in 
ihrer  Tragweite  Aber  einblofs  örtliches  Interesse  hinausgehende  Themata  heraus- 
g;reifen  und  darftber  kftrzere  wissenschaftliche  Abhandlungen  htovorragender 
Fachmänner  bringen.  Sie  wollen  femer  auf  solche  Weise  zugleich  dahin  wir- 
ken. daCs  die  bezüglichen  in  den  verschiedenen  Teilen  unseres  Landes  betriebenen 
Forschungen  mehr,  als  dies  bisher  meist  der  Fall  war,  untereinander  in  Verbindung 
konuncn,  P'ndlirh  sollen  sie  auch  dazu  beitragen,  das  Interesse  für  diese  Stur 
dien  in  den  iiulier  gebildeten  Kreisen  unseres  Volkes  lebhafter  anzuregen  und 
allj^enieiner  zu  machen.  Das  vorliegende  erste  Heft  enthält  eine  Übersicht  über 
den  geologischen  Bau  Meckleubuigs.  Wir  empfehlen  das  Unternehmen  den 
geographisdien  Kreisen.  Dr.  Wo. 

—  §  Von  dem  im  Verlag  von  G.  Freytag  in  Leipsig  und  F.  Tempskj  in 
Prag  erscheinenden  Sammelwerk:  „Das  Wissen  der  Gegenwart",  liegen 
uns  eine  Reihe  darch  Druck  uud  Illustrationen  gut  ausgestatteter  B&ndchen  rot, 
Sie  betreffen:  Das  Kaiserseich  Brasilien  von  A.  W.  Sellin,  Afrikas  Westküste TOn 
Dr.  J.  Falkenstein,  Südafrika  von  Dr.  G.  Fritsch,  der  Australkontinent,  Neusee- 
land, Polynesien,  Mikronesien  und  Melanesien  von  Dr.  £.  Jung,  endlich  die 


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—  100 


KnUacgeseluelite  Ton  F.  Lippert.   Em  niherer  Binbüek  in  diese  PablikatUmea 

giebt  uns  die  Oberzengung,  dafe  das  Material  von  kundiger  Hand  nxsammen- 
getragen,  sorgföltig  gesichtet  und  zu  volkstümlichen  Darstellungen  verarbeitet 
worden  ist.  Der  Preis  des  einzelnen  Bändchens,  1  M,  ist  sehr  niedrig  und  ist 
daher  wohl  eine  weite  Verbreitung  sicher,  um  so  mehr,  als  die  Länder-  and 
Völkerkunde  jetzt  beinahe  jeden  guten  Deutschen  anzugehen  scheint. 

—  §  Walter  Cooie,  the  Western  Pacific,  being  a  description  of  th» 
groope  of  Islands  to  the  North  and  Esst  of  Che  Anstralian  Continent,  witli  a 
map  and  23  illustrations.  London.  Sampson  Low.  1883.  Der  durch  andere 
Reiseberichte  ans  der  australttchen  Inselwelt  bekannte  Verfasser  giebt  hier  in  13 
Kapiteln  lebend  ige  Schilderungen  der  wichtigsten  Inselgruppen  des  westlichen 
grofsen  Oceans,  die  er  alle  besucht  liat  und  von  denen  er  viel,  meist  Interessan- 
tes erzählt.  Die  Frage  des  Arbeiterhandels  erörtert  er  in  einem  besonderen 
Kapitel  nnd  verlangt,  behufs  Beseitigung  der  schreiendsten  Übelstände,  eine 
schftrfere  Beanfsichtigung,  wie  er  denn  anch  von  den  in  jenen  Gewissem  itsr 
tionierten  englischen  Kriegsschiffen  eine  strengere  Kuidhabnng  Ton  Recht  nnd 
Gerechtigkeit  in  allen  Händeln  zwischen  Eingeborenen  und  Weifsen  begehrt,  ala 
bisher  zu  bemerken.  Das  kleine  Buch,  dessen  Inhalt  nach  den  dentst  hcn  An- 
nexionen uns  ganz  besonders  interessieren  muls,  verdient  eine  Übersetzong  ins 
Deutsche. 

—  §  Hamiltons  Mexican  Handbook.  London.  Sampson  Low.  1884. 
Sin  Buch,  das  neben  einer  Darstellung  der  aUgemeinen  geographischen,  BevÖlke- 
xongs-,  staatlichen  Verhältnisse  n.  a.  sehr  ansfUhrliche  Anskonft  über  das  Eisen- 
bahnnets,  das  Minenwesen  nnd  die  H&lfsquellen  Oberhaupt,  sowie  jeder  einzelnen 
Provins  giebt  und  besonders  für  den  Kaufmann  und  Industriellen,  welcher  mit 
Mexiko  in  geschäftliche  Besiehnng  tritt,  viele  nfttaliche  Nachweise  enthält 


Druck  TOB  Ourl  Sobllaaiimnii.  BreoMn. 


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nüUnri«d  o 


P  KS 

•^•RISCHEN-WALDIS. 


Mal'iistab   1  t:SO.UÜO 


ff  m  (Rn-tn  UatidkJ^K^  lifiii ntulf  *  Kaipei  sthnfis  tFalJu i ufrn 

LruAi  1,1/, 


u«oifr.  matter,    nrenen,  ibbo. 


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Deutsche 


Band  vm 


Geographische  Blätter. 

Herausgegeben  tob  der 

Geographischen  Gesellschaft  in  Bremen. 

Beitrug«  und  sonstige  Sendnngeii  an  die  Redaktion  werden  unter  der  Adresse: 
I^.  M.  Uadeaaii,  Bremen,  Mendt^nuie  8,  erbeten. 

Der  Abdruck  der  Original- Aiifsätzo,  sowie  die  Nachbildung  von  Karten 

and  lUnstrationen  dieser  Zeitschrift  iat  nur  nach  Verst&ndigang  mit 

der  Redaktion  gestattet. 


Der  Kongo  und  sein  Gebiet. 

Eine  geographische  Studie  von  Dr.  A.  Op|^ei. 


IHe  wtssenneheftliehe  nnd  volkswirtsebeltliohe  Bedeatnng  dos  Kongogebietes;  Karten. . 

I.  Entdeckung  unfl  Erf<»rschnnß  des  Knnpn  und  seines  ni>])ietes.  Zwei  Perioden:  dl« 
xufiüiige  Berebuiig  von  14S4  bU  1872;  die  syetetnatiache  ErttchlieCsung  de« 
Iststen  Jabrsebntes. 

II.  Dad  KoBgoland  nnd  seine  Natur.    1)  Ansdebuung  nnd  Begrensnng;  BrSrtemng  von 
Streitfragen.    2)  Der  arebitektonisehe  Anfban  (die  ReNefbildung).   S)  Die  geo* 

logifiche  iiildung. 

Ohiie  Zweifel  steht  die  Kongofrage  im  Brennpmilrte  des  allge- 
meinen Interesses  und  hat  eine  nmfangreiche  Littenitnr  an  Schrift- 

und  Kartenwerken  hervoriiernfen.  Wenn  man  sich  nun  ernstlich 
fragt,  ob  der  (iegenstaml  siuneni  inneren  Werte  nach  die  intensive 
Bcachtnng  nicht  nur  der  Geographen  und  Politiker,  sondern  auch 
eines  guten  Teils  des  grofsen  Publikums  verdient,  so  mufs  man  aus 
melireren  Gründen  diese  Bewegung  unserer  Tage  als  eine  voll 
ber,echtigtc  anerkennen;  num  mufs  zugeben,  dafs  die  äquatorial- 
afrikanische  Angelegenheit  weit  davon  entfernt  ist,  dem  modernen 
Sensationsbedürfnis  zu  dienen.  Denn  sieht  man  von  den  politischen 
Vorgängen^  die  sich  vermöge  der  eigentümlichen  Gestaltung  der 
Sachlage  damit  verknüpft  haben  und  die,  weil  Machtfragen  und 
Kriegsmöglicbkeiten  einschliefsend,  immer  die  allgemeine  Auf- 
merksamkeit erregen,  vollständig  ab,  so  erscheint  in  erster  Linie 
die  Wissenschaft  an  der  Kongofrage  beteiligt.  Von  jeher  hat  es 
die  regsamen  Geister  aller  Kulturnationen  gereizt,  unbekannte  Lander 
mit  ihrem  Inhalt  zu  finden  und  zu  erforschen :  aber  die  Zahl  und 
der  Umfang  der  unbekannt  gebliebenen  (iebiete  ist  mit  der  Zeit 
geringer  geworden,  und  man  kann  sagen,  dal's  solche  in  absehbarer 
Zeit  überhaupt  nicht  mehr  vorhanden  sein  werden.  Für  unsere  Zeit 
aber  war  das  Kongogebiet  als  der  einzige  wirklich  ungesehene  nnd 

Ocosr.  Blltler.  Brenen,  g 


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—  102  — 


uuerfoisrlito  griifsere  bewohnte  liuiiin  übriu  u(  l>lieben.  dosseii  sich  zu  be- 
mächtigen die  Wisseiix  haft  wenn  nicht  eine  i'ilicht.  so  doch  ein  historisch 
begrünilotos  Itecht  hatte,  welches  sie  mit  um  so  £?röfsereui  und 
voUereni  Ik'wursl>t;in  ausüben  durfte,  als  es  voUstiludig  siclier  und 
ausgemacht  ist,  dafs  es  zum  letzten  Male  geschielit.    Wenn  das 
Kongogebiet  erforscht  seiu  wird,  dann  ist  die  Erde  vergeben;  was 
übrig  hleil)t  von  den  grofsen  Kontinenten,  ist  Stückwerk  und  Nach- 
lese. Die  £poche  der  Entdeckung  ist  abgeschlossen  und  die  Einzel- 
forschmig  beginnt   Nicht  minder  wichtig  wie  der  Reiz  neuer  Ent- 
deckung ist  der  Umstand,  dafs  das  Kongogebiet  mit  seinen  weiten 
Landerstrecken  und  zahlreichen  Wasseradern  für  ein  wirkliches 
Bedürfnis  der  europäischen  Kulturvölker  aufgespart  zu  sein  scheint. 
In  dem  Aufsuchen  solcher  Distrikte  aber  besteht  eines  der  wesent- 
lichsten Merkmale  der  gegenwartigen  Entdeckungs-  und  Erforschungs- 
thfttigkeit  im  Gegensatz  zu  den  grollen  Leistun'_ren  des  fünfzehnten 
und  sechzehnten  Jahrhunderts,    Während  niUnlieh  damals  wolil  ein 
bestimmtes  bekanntes  Ziel.  Indien  und  llinterasien,  vorhanden  war, 
dessen  Erstrebung  auf  halbem  Wege  zur  Auffindung  ganzer  Erdteile 
führte,  wahrend  also  damals  der  Zufall  eine  grofse  Rolle  spielte,  ist 
an  dessen  Stelle  in  jetziger  Zeit  das  bewufste  Aufsuchen  solchen 
Landes  getreten,  das  womöglich  zur  Aufnahme  der  überschüssigen 
europäischen  Bevölkerungselemente  sich  geeignet  erweist  Die  pro- 
gressive Zunahme  der  europaischen  Völker,  deren  bedrohliches 
Umsichgreifen  wir  an  anderer  Stelle  nachgewiesen,  ist  das  Motiv, 
welche  das  V^langen  nach  neuem,  fi  eiern  Lande  erweckt  und  anch 
das  Interesse  an  dem  Kongogebiet  weit  über  die  Sphäre  einer 
politischen  Aktion  oder  eines  tlücbtigen  Zeitereignisses  erhebt.  Es 
kann  unter  den  lientiLren  Verhältnissen  niclit  mehr  irleicligiiltig  sein, 
ob  ein  (u-biet  von  mehr  als  4(KUH)0  qkm  Ausdehnung  den  Formen 
der  modernen  Kultur  sich  zuganglich  erweist  oder  Tiiclit.   l  iid  wenn 
man  das  letztere  als  richtig  erkennen  würde,  so  dürltc  man  sagen, 
dafs  die  Zukunft  der  europäischen  Vidker  um  eine  grofse  HolTnung 
ftrmer  geworden  sei  und  man  müfste  die  kommenden  Zeiten  in  einem 
noch  ungünstigeren  Lichte  betrachten,  als  es  ohnehin  der  Fall  ist 

Oberhaupt  darf  man  in  dem  ebenbezeichneten  bewufsten  Auf- 
suchen unbekannter,  freier  Landgebiete  einen  charakteristischen  Zug 
unserer  Zeit  erkennen,  der  im  Verein  mit  ihren  anderen  Bestrebungen 
und  Leistungen  als  der  ungeahnten  Abkürzung  von  Raum  und  Zeit 
durch  Verbesserung  der  \  erkehrsmittel,  der  intensiveren  Ausbeutung 
der  Naturschätze,  der  Ersetzung  der  menschlichen  Arbeit  durch 
Maschinen  u.  a.  den  (iesrhiehtsschreibern  der  Zukunft  die  Ver- 
anlassung geben  kann,  mit  unserem  Jahrhundert  eine  neue  historische 


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—  103  — 


Perioih'  liouinnen  zu  lassen.  Und  diese  Epoche  würde  aufser  anderen 
die  Bezeiclumng  erhalten  :  Absrhlufs  der  i]ntdefknnf;en  uad  Unter- 
suchuDg  der  gefundenen  Länder  auf  ihre  Kulturfahigkeit. 

Dieses  doppelte  Interesse,  das  sich  bei  der  Kongofrage  in 
starkstein  Mafae  geltend  macht,  das  wissenschaftlich-geographische 
und  das  —  nennen  wir  es  volkswirtschaftliche,  hat  uns  veranlagt 
an  dieser  Stelle  dem  Kongo  und  seinem  Gebiete  eine  eingehende 
Betrachtung  zu  widmen  und  zu  der  ohnehin  schon  umfangreichen 
Litteratur  fiber  das  Äquatoriale  Afrika  einen  Beitrag  zu  liefern. 
Demselben  ist  mit  voller  Absicht  als  Ziel  gestellt,  alles  Wesentliche 
und  Wiclitifie,  was  bisher  über  dies  Gebiet  durch  Kutdeckun^  und 
Krforscliuuir  bekannt  und  uns  zugänglich  geworden  ist,  zusaninien- 
zufa^sen  und  in  übersichtlicher  Weise  zur  Darstellung  zu  bringen. 
Der  Zeitpunkt  zu  einer  solchen  Arbeit  scheint  aber  deshalb  gerade 
jetzt  LH'eignet  zu  sein,  weil  durch  die  auf  der  r»*^rliner  Konferenz 
erfolgte  Anerkennung:  des  Kongostaates  eine  Periode  in  der  £nt- 
wickelung  unserer  Kentnis  dieser  Gegenden,  die  man  die  vor- 
bereitende nennen  könnte,  abgeschlossen  und  scharf  begrenzt  vorliegt. 
Auf  Grundlage  der  gewonnenen  festen  Verhaltnisse  hat  nun  diejenige 
Thatigkeit  zu  beginnen,  die  wir  als  ein  Charakteristikum  der 
Gegenwart  hinstellten,  nämlich  die  planmäfsige  Erforschung  zum 
Zwecke  und  mit  Nachfoljre  einer  systematischen  Kultivierung  nach 
uiodi'rneni  Mafs>tabe.  Docli  erwarte  man  nicht,  dafs  in  der  vor- 
liegendem Arbeit  alle  Einzelheiten  ErwAhnmig  linden,  dazu  würde 
einmal  der  zur  Verfügung  stehende  Raum  nicht  hinreiclien,  denn 
die  Kongolittcratnr  hat  schon  jetzt  ein  so  vielfaltiges  Material  ge- 
liefeit,  dafs  zu  dessen  Detailverarbeitung  eiu  mehrbilndiges  Werk 
nötig  wäre,  andererseits  sind  gewisse  Teile  des  zugänglich  gewordenen 
Stoßes  gerade  in  den  Kinzelheiten  noch  so  unsicher,  unvollständig 
und  widerspruchsvoll,  dafs  eine  allzu  detaillierte  Mitteilung  eher 
verwirrend  und  abstofsend,  als  aufklarend  und  belehrend  wirken 
könnte. 

Da  nun  eine  fibersichtliche  Darlegung  von  dem  Stande  unserer 
Kenntnis  des  Kongogebietes  gegeben  werden  soll,  so  scheint  es  an- 
gezeigt, den  gesamten  zur  Behandlung  kommenden  Stoff  in  vier 
Ilauptteilc  zu  gliedern;  diese  sind:  I.  Entdeckung  und  Erforsclmng 
des  Koni^o  und  seines  (lebietes:  II.  das  Land  und  avuia  Natur; 
III.  die  einheimische  Bevölkerung  und  ihr  Kult  Urzustand;  IV.  die 
Europäer  am  Kongo,  ihre  Leistungen  und  Aussichten. 

Die  ursprünglich  gehegte  Absicht,  dem  Aufsatz  eine  Karte  des 
Knngogebietes  beizugeben,  wurde  nicht  ausgeführt,  weil  in  den 
letzten  Monaten  eine  Anzahl  Karten,  die  diese  Landstriche  dar- 

9* 

L.iyui^L,J  cy  Google 


—  104  — 


stellen,  ei^chienen  sind;  vor  allen  mö^en  Friederichsens  Karte  von 

Ceutralafrika  1:5  (XX)  000  und  R.  Kiep<^rt>  Carte  du  Bassin  du 
Congo  1:4000 0(K)  als  solche  Arbeiten  utiiaiuit  sein,  welche  den 
nach  Lage  der  Sache  zu  stcllf^iKleii  Anforderungen  Genüge  leisten. 
Nach  Einsicht  derselben  kamen  wir  zu  der  Überzeugung,  dafs  wir 
mit  den  uns  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  etwas  b<*s«  rfs  nicht  hätten 
zu  Stande  bringen  könneUf  eine  einfache  Skizze  aber  zu  liefern 
konnte  deshalb  nicht  in  unserem  Plane  liegen,  weil  Arbeiten  solcher 
Art  fast  Dutzende  zum  Vorschein  gekommen  sind,  und  übrigens 
jeder  auf  dem  Laufenden  gehaltene  Handatlas  die  DdUgen  Anhalts- 
punkte bietet.  Wer  aber  die  speziellsten  kartographischen  Dar- 
stellungen zu  haben  wünscht,  den  verweisen  wir  auf  die  teils  im 
Erscheinen,  teils  in  der  Vorbereitung  begriffenen  Karten  von  Lannoy 
de  Bissy,  Ravenstein  und  Ohavanne. 

L  Entdeeknng  nnd  Erfersebuu^^  des  Kon^o  nid  seines  Cfebietes. 

Unsere  Kenntnis  des  Kongo  ist  genau  4UJ  Jahre  alt;  denn  im 
Jahre  1484  war  es.  als  der  bekannte  Nürnberger  Kosniogra})li 
Martin  liehaini,  von  dem  portugiesischen  Könige  beauftragt,  die 
ümsegelung  Afrikas  aiiszufülireii,  in  Verbindung  mit  dem  Portugiesen 
Diogo  Cäo  (Cani)  die  Mündung  eines  mächtigen  Stromes  entdeckte, 
den  der  letztere  Rio  do  Congo  nannte.  Der  portugiesischen  Sitte 
gemäfs  wurde  auf  einer  Landzunge  des  Stromufers  ein  Stein- 
monnment,  ein  Padr&o,  errichtet;  daher  nannte  Behaim  den  Flufs 
Rio  do  Padrao.  Die  ebenfalls  gebrauchte,  besonders  auf  portu- 
giesischen Karten  wiederkehrende  Benennung  Zaire  ist  eine  Korrup- 
tion des  Wortes  Nzadi,  womit  die  Eingeborenen  den  Unterlauf  des 
Kongo  bezeichneten.  Der  ganze  Zeitabschnitt  von  400  Jahren  liifst 
sich  übersichtlicherweise  in  zwei  Perioden  zerlegen,  die  ebensosehr 
hinsichtlich  ihrer  Dauer  wie  ihrer  Leistung  für  die  Erkenntnis  des 
l'lusses  und  seine>  Gebietes  von  einander  verscliieflen  sind:  die  erste, 
von  1484  bis  zum  Anfang  der  siebziger  Jahre  unseres  Jahrhunderts 
reichend,  ist  sehr  laug,  wenig  ergiebig  und  kann  als  die  Periode 
der  zufälligen  Bereisung  bezeichnet  werden ;  die  zweite,  wenig  mehr 
als  ein  Dezennium  umfassend  und  im  Vergleich  zu  ihrer  kurzen 
Dauer  ftulserst  inbaltreich,  verdient  die  Periode  der  planmäfsigen 
Erforschung  und  der  grofsen  Erfolge  genannt  zu  werden.  Den 
Übergang  zwischen  den  beiden  ungleichartigen  Epochen  bildet  die 
Thfltigkeit  David  Ltvingstone's,  der  sowohl  im  Gebiete  der  gu  >Ilseen 
als  in  dem  der  südlichen  NebenHüsse  die  erste  Bresche  gelegt  hat-, 
insofern  er  durch  Orts-  und  Höhenbestimmungen  die  er  ten  festen 
Positionen  für  die  Karte  des  sü«nichen  Küngogebiete>  >cliuf.  Der 


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—  105  — 


Verlauf  der  Entdeckungen  und  Forschungen  innerhalb  der  beiden 
Perioden  soll  nun  im  folgenden  dargelegt  werden.  Nachdem  die 
von  Martin  Behatm  und  Diogo  C&o  geleitete  Expedition  am 
15.  Januar  1485  bis  zu  15^  37'  s.  Br.,  also  etwas  sQdlich 
von  dem  heutigen  Mossamedes,  vorgedrungen  und  ohne  die  bxl- 
befohlene  Umsegelunjr  Afrikas  ausjreführt  zu  haben,  in  die  Heimat 
zmiickgekehrt  war,  bemächtigten  sich  die  Portu^Mesen  bald  des  süd- 
lichen Kongovorlaiides,  drangen  noch  vor  Kndo  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  bis  nach  Ambassi,  dcni  heutigen  San  Salvador, 
im  Stromgebiete  des  südlichen  KoiinozuHusses  Lunda,  vor  und  er- 
richteten daselbst  im  Jahre  1534  einen  Bischofssitz.  Gegen  Knde 
des  16.  Jahrhunderts  hielt  sich  Duarte  Lopez  längere  Zeit  am  unteren 
Kongo  auf  und  lieferte  eine  genauere  Beschreibung  des  (lebietes, 
die  ftlteste,  welche  bekannt  ist;  zu  derselben  Zeit  war  hier  auch 
der  Engländer  Andrew  Battell,  Uber  dessen  Beobachtungen  Samuel 
Purchas  berichtete;  etwa  hundert  Jahre  später,  ums  Jahr  1668, 
sandte  der  Kapuzinermönch  Giovanni  Gavazzi  nach  längerem  Auf- 
enthalt einen  ansfahrlichen  Bericht  nach  Rom.  Man  sieht,  schon 
damals  wie  noch  heute  folgten  die  Missionare  den  Entdeckern  aut 
dem  Fulse  und  es  scheint,  dafs  diese  schon  im  16.  nnd  17.  Jahr- 
hundert von  den  portugiesischen  Besitzungen  aus  bis  zum  Stanley- 
Vi)(\\  vordrangen,  (Iciiu  l)ereits  im  Jahre  1B8^  wird  ein  "Mnknko,  die 
jener  Gegend  eigentümliche  Benennuni::  für  Häuptling,  erwähnt. 
Die  Portugiesen  selbst  machten,  nachdem  sie  von  den  südlichen  und 
eine  Zeitlang  von  den  nördlichen  Küstenstrecken  Besitz  ergriffen  — 
im  Jahre  1574  besetzten  sie  Loanda,  1597  Benguella  —  keine  An- 
strengungen, weiter  in  das  Innere  vorzudringen,  ehensowenig  die 
Holländer  und  Franzosen,  die  sich  zeitweilig  im  Kongovorlande  fest* 
gesezt  hatten;  diese  hielten  Loanda  von  1641  bis  1648  besetzt,  jene 
^  zerstörten  1783  das  an  der  Bai  von  Kabinda  befindliche  portugiesische 
Fort.  Vom  SchUifs  des  17.  bis  zum  Anfang  des  19.  Zahrhunderts 
herrscht  nun  vi)ll>tandige  Ruhe  in  der  Kutdockuiigsgeschichte  des 
Kongo  und  erst  im  Anfange  dieses  .Jahrhunderts  wurde  der  zerrissene 
Kaden  wieder  geknüi)ft.  Im  .Tahre  1810  schickte  nämlich  die  eng- 
lische Regierung  eine  Expedit  ion  unter  Kapitän  Tuckey  aus.  welcher 
280  miles  =  450  km  auf  dem  Klnsse  und  nach  Pecbuel- 
Loesche  bis  zu  der  Stelle  vordrang,  wo  jetzt  am  südlichen  Ufer  die 
MissioDsstation  Baynesville  liegt,  d.  h.  etwa  halbwegs  zwischen 
Stanleys  Stationen  Isangila  und  Manjanga.  Dieser  Punkt  ist  bis 
zum  Beginn  der  neuesten  Thätigkeit  am  Kongo  mit  Stanley,  Brazza 
und  den  Missionaren  nicht  wieder  erreicht  worden,  obgleich  seit 
Tuckey  kleinere  Reisen,  die  in  der  Regel  aber  die  JellalafUle  — 


106  — 


zwischen  Vivi  und  Isuiiixila  —  nicht  hinauskamen  oJer  nicht  eiunjal 
die>e  erreichten,  mehrmals  jjtemacht  wurden:  so  icihm  Kapitän 
A.  Vidal  im  Jahre  1825  den  Flufs  hin  Punta  da  I.enhjj  anl :  KrqMt  m 
Owen  vermafs  im  Jahre  1826  den  Unterlauf  bis  40  km  von  der 
Mündung;  Ladislaus  Magyar,  alias  Magyar  Laszlö,  fulir  his  zu  den 
Fallen  des  Upa  (Jellala?),  desgleichen  Hunt  im  Jahre  1857  uuü 
Bichard  BurtoD  im  Jahre  186S;  w&hreud  aber  der  Missionar  Duparqnet 
bis  nach  Noldd  gelangte,  machten  Kapitän  Beddingfield  mit  dem  Kriegs- 
schiff jyPluto'  im  Jahre  1860,  John  Monteiro  im  Jahre  1873  und 
Fireiherr  von  Schleinitz  mit  der  ;,GazeUe''  schon  bei  Boma  halt.  £ioe 
Förderung  der  genaueren  Kenntnis  des  Kongountcrlaufes  wurde  aber 
trotz  der  genannten  mehrfachen  Refahrungen  erst  im  Jahre  1875 
bewirkt,  als  infolge  der  Plünderuni^  eines  gestrundeten  eni:li^clien 
Schuners  der  Ivommandant  Mervyn  H.  Modhcott  mit  dorn  Krio'^s- 
schitVe  „Öpitefu^  zur  Züchtigung  der  raul)eri^cllen  Kiuuehorenen 
ausgesandt  und  bei  dieser  Gelegenlieit  mehr  als  Kit)  km  Stroni- 
lauf  von  der  Mündung  an  aufgenommen  wurde.  Das  dadurch 
gewonnene  Material  wurde  zu  einer  Karte  verarbeitet,  die  als 
No.  638  der  britischen  Admiralitätskarteu  veröffentlicht  bis  in  unsere 
Tage  das  beste  Orientiernngsmittel  für  den  unteren  Kongo  abgab. 

Gleich  hier  sei  die  eigentlich  in  die  zweite  Periode  der  Kon^o- 
entdeckungsgeschichte  gehörige  Bemerkung  gemacht,  dafs  eine  be- 
deutende Verbesserung  dieser  Ädmiralitatskarte  durch  die  demnächst 
erscheinende  auf  neuen  Aufnahmen  beruhende  Chavanne'sche  Kart*» 
des  Kongomündungslandes  zu  erwarten  steht.  Denn  wie  Di  .  (.  Iiavaiine 
in  einem  Briefe  an  den  Herausgeber  von  Petermanns  Mitteilungen 
sagt,  hat  er  mehr  als  50  neue  Inseln  zu  verzeichnen,  die  auf  allen 
bisheiigen  Karten  febleu,  während  andere  in  der  augegebeuen  Position 
nicht  existieren. 

Noch  dürftiger  als  mit  der  Erforschung  des  Mün  lungsgebieteö  ^ 
sieht  es  in  der  vorbereitenden  Periode  mit  den  Reisen  im  Innern,  im 
eigentlichen  Kottgobecken  aus;  ja  bis  zum  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
scheint  aufser  Lacerda  Überhaupt  kein  Europäer,  der  Kimde  gegeben 
hätte,  Aber  die  Grenzender  portugiesischen  Besitzungen  vorgedrungen  zu 
sein;  diejenigen  Männer  aber,  welche  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts 
das  Innere  zuerst  durchstreiften,  waren  nicht  Entdeckungsreisende, 
sondern  reisende  eingeborene  Händler,  die  I'ombeiros.  Zwei  solche 
Leute,  Pedl'o  Joao  lUiptista  und  Antonio  Jose,  von  dem  portugiesi- 
schen Kaufmann  Francisco  Honorato  da  Costa  in  Kassan^^e  au>- 
gesendet,  zogen  im  Gebiete  der  südlichen  Zntiüsse  des  Kongo  durch 
das  Reich  des  Mnata  Jamwo  und  von  da  nach  Cazembe  und  Tete 
und  kehrten  im  Jahre  1815  an  die  Westküste  zurück;  diese  Pom- 


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beiros,  deren  Tagebücher  iu  portugitsischer  Sprache  veröffentlicht 
worden  sind,  haben  also  die  erste  nachweisliche  Reise  quer  durch 
Afrika  zwei  Mal  au^crpführt  und  sind  zuerst  von  Westen  her  in  das 
K(>n^'otz(')»ic't  ein-jedniiuen.  Von  SO.  aus  war  dies  etwas  vor  ihnen 
geschehen,  insoierii  Lacerda  im  Jalire  171)9  bis  naeh  Cazend)es  Reich 
vorjredrnngcu  war,  eine  Reise,  welche  in  den  .laluen  1831 — 32  von 
dem  in  Tete  am  unttTen  Zambo-i  stationierten  iiortimiesi>(  hen  Major 
Mouteiro  und  seinem  Hegleiter  <i<imitto  wieiieiliolt  wurde.  Zu  der 
Gruppe  der  reisenden  Kautieute  ;j,»'li(»it  auch  Juaniiiin  l'odriLMU'z 
Graca,  der  im  .l;ihre  1840  von  Ren'iuclla  au^  an  den  (tl)ei('ii  Kassabi, 
jetzt  allgemein  Kassai  irennnnt,  l>is  Diluuda  xorrückte  und  von 
da  in  nordöstlicher  Richtung  weiterreisend  idjer  tlen  Lnhia  Kabebe, 
MuHta  Jauiwos  Residenz,  ebenfalls  erreichte.  ^Yenige  Jahre  spater 
als  Gra^  begann  der  schon  erwähnte,  ehemalige  brasilianische 
Fiottenoftizier  Ladislaus  Magyar  zu  reisen,  der  sich  im  Jahre  1849 
in  Bihe  mit  der  Tochter  eines  Nejerlu'Uiptlings  —  hier  Sol)a  genannt 
—  verheiratet  hatte.  Melirerer  Negerdialekte  mächtig,  besuchte  er 
die  80  interessante  Wasserscheide  zwischen  den  Kongo-  und  Zambesi- 
zuflössen  und  rttckte  in  nördlicher  Richtung  am  linken  Ufer  des 
Kassai  bis  nach  Yab  Quilem  vor,  das  beinahe  unter  8*^  s.  Br.  gelegen 
und  spater  nahezu  von  Buchner  berührt  worden  ist;  von  da  kehrte 
er  auf  einem  etwas  weiter  östlich  gelegenen  Wege,  der  den  Lulua 
eine  Strecke  begleitet,  nach  Bihe  zurttck.  Die  Routen  Magyars 
wurden,  soweit  sie  die  Wasserscheide  des  Kongo  und  Zambesi  nnd 
den  Oberlauf  des  Kas-sai  betreffen,  von  Livingstone  berührt,  als  er 
von  Linyanti  am  Zambesi  kommend,  im  Jahre  1854  nach  Loanda  ging 
und  im  nächsten  Jahre  zum  Teil  auf  demselben  Wege,  teils  etwas 
nördlicher  gehend,  seine  berühmte  grofse  Zambesireise  machte. 
Magyars  Berichte  «'rrc-^ten  bei  ihrem  Ant'tauclien  l)ei  den  Zeitgenossen 
gewisse  Zweit«'!  an  ihrer  Glaubwürdigkeit ;  hinsi<  htlich  der  Orts- 
bestimmungen und  Wegedimensionen  mag  dies  richtig  sein.  Was 
aber  den  allgemeinen  Naturcharakter  der  von  ihm  besuchten 
(legenden  —  Lobale,  Ralunda  und  MoUia anl)elangt,  giebt  er  ihn 
einfach,  anschaulich  und  zutreÜ'end  wieder;  interessant  i>t  nameiiilich 
seine  auch  von  Cameron  bestätigte  P)(;obachtang,  dai's  es  auf  dem 
Hochplateau  der  südliclHMi  Kongozutiüsse  in  den  Nächten  nicht  nur 
recht  niedrige  Temperaturen  giebt,  sondern  gelegentlich  auch  reift 
und  friert.  Diese  Thatsache  ist  bei  einer  Breitenlage  von  iV  s.  Br. 
und  einer  Meereshöhe  1300  bis  1400  m  gewifs  bemerken-werf. 

David  Livingstone  ist,  wie  oben  angedeutet,  der  Vtnnnttler 
zwischen  den  beiden  so  verschiedenartigen  Perioden  iu  der  Kntdeckungs- 
geachichte  des  inneren  Kongobeckens.  Missionar  und  Humanitäts- 


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apostel  von  Haas  aus,  ist  ec  auch  ein  grorser  Eutdecker  und  beachtens- 
urerter  Beobachter ;  zuRleich  ist  er  durch  seine  Schicksale  der  mit  telbare 

Urheber  der  Kiitdeckun«?  des  Mittellaufes  i^eworden.  Ihmu  weiiii 
Livinj^stone  nirliL  eine  zcitlaug  verschollen  ^^ewesen  wäre,  hätte  es 
wahrscheinlich  keinen  Cameron  und  keinen  Stanley  ^'ei^eben.  Als  näm- 
lich Stanley  ihn  fand,  hatte  er  im  Jahre  1865,  vom  Nyassa  kommend, 
den  schon  von  den  Tortugiesen  entdeckten  Tschanibese,  den  man 
jetzt  als  den  Hauptquellliufs  des  Kongo  ansieht  —  überschritten, 
vom  Öüdeude  des  Tanganyika  aus  den  Lualaba  entdeckt  und  iui 
April  1868  den  Mo^osee  erreicht;  von  da  war  er  in  die  Stadt  des 
Gazembe  gegangen  und  hatte  am  18.  Juli  den  Bangweolosee  gefunden; 
nachdem  er  im  Jahre  1869  Blanyema  durchforscht  und  später  (1871) 
Nyangwe  als  der  erste  Europäer  besucht  hatte,  hatte  er  sich  nach 
Udschidschi  begeben.  Die  letete  Reise  nach  dem  Bangweolosee,  im  Jahre 
1873,  kostete  bekanntlich  dem  mutinen  Manne  das  Leben.  Kr  starb 
gerade  au  der  Schwelle  derjenigen  Epoche,  welrh«'  von  seinen  Kifolgeii 
ausgehend  in  kürzester  Zeit  die  Kenntnis  des  Kongogebiete ^  um  ein 
l)edeutendes  Stück  vorwärts  bringen  sollte.  Denn  nun  wurde  die 
Erschliefsung  des  gewaltigen  iStrombeckens  von  Osten  nn  l  >Vesteu 
mit  neuen  Kr&ften  und  nach  neuer  Methode  in  Angritl'  genommen. 

Die  pkmmäfsige  Erforschung  Innerafrihis  hdjtunt.  Eine  eigen- 
tümliche Fttgung  des  Geschickes  ist  es,  dai's  die  Zeit  dieser  Tliatig- 
keit  von  einem  Deutschen  eingeleitet  wird,  ebenso  wie  der  Kongo 
von  einem  Deutschen  entdeckt  ist.  A.  Bastian,  ein  Bremer  von 
Geburt,  war  es,  der  den  Plan  zu  einer  systematischen  Erforschung 
fafete,  die  Gründung  der  deutschen  afrikanischen  Gesellschaft  betrieb 
und  nachdem  er  aus  eigner  Anschanung  die  Loaugoküste  als 
den  besten  Ausgangspunkt  für  weitere  Unternehmungen  erkannte, 
bewirkte,  dafs  die  deutsche  Kxi>edition  von  W  Gülsfeldt  und 
Genossen  hier  in  Chinchoxo  stationiert  wurde.  Dais  der  Ge- 
danke, von  einer  festen  Station  aus  weiter  vorzndrinireu,  richtig 
war,  sowie  dafs  die  Loangoküste  ein  geeigneter  Punkt  ist,  von 
dem  aus  man  auf  kürzestem  Wege  über  das  Küste  ngebirge  in 
das  eigentliche  Kongobecken  gelangen  kann,  dafür  haben  die 
beigischen  und  französischen  Unternehmungen  der  letzten  Jahre  den 
vollständigen  Beweis  erbracht,  denn  sie  haben  gezeigt,  daCs  die 
Niadi-Kuilulinie,  wenig  ndrdlich  von  Loango  gelegen  und  zum  Teil 
von  GüMeldt  rekognosziert,  in  der  That  nicht  nur  die  kürzeste, 
sondern  auch  die  bequemste  Verbindung  mit  dem  Stanley-Pool, 
als  dem  Anfangspunkte  der  nngeliinderten  Schiffbarkeit  auf  dem 
Kongo,  gewährt.  Leider  sollte  es  diesmal  wie  bei  so  mancher 
deutschen  Unternehmung,  mit  der  guten  Idee  sein  Bewenden  haben, 


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die  Loanguexpedition  machte  zwar  eiue  grofse  Anzahl  sorgfältiger 
Beobachtungeu  aller  Art  auf  kleinem  Gebiet,  so  dafs  diese  Küste 

als  die  best  erforschte  in  Äqiuitorialafrika  ^^eUen  kann,  aber  das 
Gebirge  überschritt  sie  iiiclit.  Vergleiclit  man  nun  die  ^ewaltiyen 
Fortscliritte.  welche  durch  die  ener^n'sche  Thätigkoit  Stanleys  im 
Interesse  seiner  Auftraggeber  gemacht  worden  sind  und  bedenkt 
man,  dafs  wenigstens  ein  Teil  davon  im  Interesse  des  deutscheu 
Volkes  und  der  deutseben  Wissenschaft  hätte  geleistet  werden  können, 
80  mufs  man  die  thatsächliche  Entwickelung  der  Verhaltnisse  aufs 
tiefste  beklagen,  ein  Gefühl,  welches  durch  die  späteren  Erfolge  der 
deutschen  Forscher  im  Gebiete  der  südlichen  Zuflüsse  wohl  gemildert, 
aber  nicht  unterdrückt  werden  kann.  Der  Held  des  Kongo,  Henry 
Stanley,  gelangte  am  27.  Oktober  1876  nach  Nyangwe  an  den  Flufs 
zu  einer  Zeit,  wo  die  deutsche  Expedition  von  L'oango  bereits  in 
die  Heimat  zurückgekehrt  war.  und  erreichte  am  8.  August  1877 
Uuma  am  unteren  Kongo,  so  dafs  er  in  der  Tluit  innerhalb  neun 
Momiten  die  grölste  I  jitdecknngsthat  der  neueren  Zeit  auszuführen 
vermochte.  Die  mofsartige  Leistung,  das  Uesultat  einer  klugen 
Benutzung  der  gegebenen  Vertiältnisse  und  einer  durch  nichts  zu 
erschütternden  Willenskraft,  ist  daher  der  wirkliche  Ausgangspunkt 
der  neuesten  Arbeiten  am  Kongo  geworden,  die  im  folgenden  etwas 
n&her  betrachtet  werden  sollen.  Es  empfiehlt  sich,  dabei  nicht  genan 
chronologisch  zu  verfahren,  sondern  die  Eutwickelung  der  Fort- 
schritte nach  den  Örtlichkeiten  und  nach  den  Ausführenden  darzu- 
stellen. Daraus  ergiebt  sich  die  Aufstellung  dreier  Gebiete;  diese 
sind  der  Kongostrom  selbst  und  seine  unmittelbaren  Umgebungen, 
das  nördliche  Nachbargebiet  und  die  Region  der  südlichen  Zuflüsse. 
Die  .\rbeiten  selbst  siiul  von  uichreren  Gruppen  gefördert  worden, 
tlic  aut'angs  teilweise  scheinbar,  und  unklar  verbunden  sich  spater 
scharf  von  einander  schieden,  in  erster  Linie  ist  die  Thäligkeit 
Henry  Stanleys  er>t  im  Auftrage  dor  A^suciation  internationale 
Africaine,  dann  des  Comite  d'etudes  du  Haut  Longo  zu  nennen, 
aus  denen  sich  sjKiter  die  Association  internationale  du  Congn  ent- 
wickelte; diese  arbeiteten  am  Fiufse  und  nördlich  von  den  ätroni- 
schnellen.  Mit  ihnen  traten  die  Franzosen  unter  Savorgnau  de 
Brazza  in  Konkurrent  und  was  den  Kaum  bis  Stanlev-Pool  und 
dessen  Umgebung  anbelangt,  auch  einige  Missionsgesellschaften;  das 
Gebiet  der  sfldlichen  Zuflüsse  blieb  den  Emissären  der  deutschen 
afrikanischen  Gesellschaft  überlassen,  denen  sich  spater  einige  Portu- 
giesen und  neuerdings  auch  ein  Beauftragter  der  Kongoge>el!schaft 
anscldos.-en. 

Das  eben  erwaimte  Görnitz  detudes  du  Haut  Longo  koiu>ti- 


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—  110  — 


tuierte  sich  in  Brüssel  mit  dem  Zwicke,  zu  antersuchen,  ob  es  ein 
Mittel  gebe,  einen  Verkehrsweg  zwischen  dem  oberen  Kongo  und 
dem  Unterlauf  herzustellen  und  Handelsbeziehungen  mit  den  Ein- 
geborenen anzuknüpfen ;  die  Ausfahrung  wurde  Herrn  Stanley  fiber- 
tragen. Dieser  erschien  im  Jahre  1879  mit  einer  Anzahl  Europäern. 
Zanzibar-  und  Kabindalenten,  sowie  mit  einigen  Schiffen  und  fuhr 
184  km  den  Unterlauf  des  Kongo  hinauf  bis  xu  dem  Punkte,  wo  die 
8ehiffl)arkeit  aufhört.  Hier  an  der  Sehwelle  des  westafrikanisehen 
(ieiiirire^  •ii'ündele  er  im  Februar  188Ü  die  erste  Station  Vivi.  Nun 
begann  die  Arbeit.  Von  da  bis  zu  der  SteUe.  wo  das  Fahrwasser 
des  Stromes  besser  wird,  wurde  eine  fahrbare  Strafse  von  83  km 
liftnge  angelegt,  und  an  deren  Ende  mit  Schbifs  des  Jahres,  also 
nach  11  M(uiaten.  als  /.weite  Station  lüangila  gebaut.  Da  die  nächste 
118  km  lange  Strecke  des  Flusses  wenn  auch  nur  mit  grofäer  Vor- 
sicht und  eigens  gebauten  Schiffen  befahren  werden  kann,  ko  ging 
Stanley  auf  dem  Strome  aufwAi-ts  bis  zu  der  Stelle,  wo  die  Schiff- 
barkeit wieder  aufhört,  und  die  dritte  Station  Namens  Manjauga 
wurde  Ende  Mai  1881  angelegt.  Die  Kntferuuni;  zwischen  Manjanga 
und  Stanley-Pool,  welche  152  km  befragt,  gelang  es  bis  Ende  1881 
zurückzulegen,  so  dafs  am  3.  De/eiiibcr  1881  der  erste  Hampter 
auf  dem  inselbesiltcn  l)iiinon>ee  s(  liwaniiu.  Die  Anlegung  der  fünften 
Station  Leopoldville  am  Siiduter  de>  Stanley -Pool  war  aber  mit 
l'nannehmlirhkeiten  anderer  Art  als  hdxalen  und  klimatischen 
Schwierigkeiten  verknüpft.  Vom  Ogowe  her  hatte  nämlich  der 
französische  Foivchungsreiscnde  Savorgnan  de  Brazza  schon  im 
Herbst  1880  den  Kongo  bei  Ngampey  erreicht,  war  auf  füuftii giger 
Kanoefahrt  stromabwärts  geeilt  und  hatte  nach  Abschlufs  eines  Ver- 
trages mit  dem  Batekehauptling  (Batemakoko)  das  Terrain  bei  Mfwa 
am  Nordufer  des  Stanley-Pool  zur  Anlegung  der  Station  Brazzaville 
ausgewählt  (3.  Oktober  1880),  um  darauf  zun&chst  nach  der  Küste 
und  nach  Frankreich  zurückzukehren.  Der  Konflikt,  welcher  ans  den 
Voransprüchen  P>ra/.zas  auf  das  Gebiet  v(»n  8tanley-Fool  nn<l  l'ni- 
gebung  entstan  1  und  der  ain  h  Stanley  im  Jahre  1882  zur  l\iukk«'hr 
nach  Europa  vcianialste.  schien  aidangs  einen  bedrohlichen  Charakter 
nelnnen  zu  wollen,  wurde  aber  spnter  beiL'clo'it  oder  vielmehr  für 
d'e  Weiterai'beit  des  Komitee  dadurch  zum  Teil  unschtldlicli  genuicht. 
düf-  Stanley  eiligst  nach  dem  Kongo  zurückreiste,  um  sowohl  die 
Anlegung  »euer  Stationen  als  auch  den  Al)schlufs  von  Freundschafts- 
vertragen mit  den  Negerhäuptliugen  des  oberen  Kongo  aufs  eifrigste 
zu  betreiben.   Doch  davon  später! 

Stanley -Pool  bildete  auch  das  Ziel  mehrerer  MissionsgeseU- 
Schäften.   Schon  im  Jahre  1878  begründete  die  Baptiste  Missionary 


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—  III  — 


Society  viw  Station  in  San  Snlva^loi-  fAnibiissi)  unter  Hov.  Coniher, 
um  von  da  aus  am  .siidliclHMi  Stionuifer  jenen  See  zu  eireichen; 
der  Mi>>iouar  kam  zwar  nach  verscliie  lenen  fehl^esililai^enen  Ver- 
huchen  bis  nacli  Mnkuta.  wurde  aber  iiier  von  den  Kiniieboreneu 
an^a^<iritien  und  mufste  i^chwer  verwundet  eiligst  >einen  Hückzn^^  un- 
treteu.  Doch  erneuerte  die  Mission  ihre  Versuche  und  nachdem  die 
HeviM'ends  Hentley  und  Cruügington  am  12.  Februar  1881  Stanley- 
Pool  erreicht  luitteu,  eine  neue  Kraft  in  der  Pcrsou  des  Hev. 
GreofeU  eimretreten  und  Comber  wieder  hergestellt  war,  glückte  es 
ihnen,  am  Norduter  drei  Stationen,  Mussuca,  Isangila  und  Wathen 
bei  Manjanga,  auisalegeu.  Darauf  konzentrierten  sie  mit  Aufgabe 
der  beiden  ersten  Punkte  ihre  Thatigkeit  hauptsachlich  auf  das  sfid- 
liche  Ufer,  wo  sie  nacheinander  die  Stationen  Underhill  in  Wanga- 
wanga,  Baynesville  und  schon  am  Stanley-Pool  das  nach  dem  muni- 
fizenten  Förderer  der  Mission  genannte  Arthington  anlegten.  Damit 
nicht  zufrieden,  gingen  die  Rev.  Comber  und  Grenfell  über  Stanley- 
Pool  hinaus,  fuhren  etwa  48  km  in  den  Kuango  hinein;  sie  haben 
nach  den  letzten  Kaehrichten  die  Absicht,  drei  weitere  Stationen 
zu  errichten,  n&mlich  Mushie  am  Kuango,  Bolobo  und  Uebn  am 
mittleren  Konpo. 

I'!twas  später  erschien  die  liivintrstone  Inland  Mission  auf  dem 
neuen  (iebiete:  der  von  ihr  austzt^andte  hiL;enieiir  McCall  'jrüiidcte 
die  Stationen  Panana.  Mata  di  Mikanda  oder  Kinioue  am  Siuluter, 
Pallaballa  obei  lialb  der  Jcllahifalle  und  Banza  Manteka  oberiialb  der 
Isangilafalle.  Darauf  erkrnnkend,  bcjaber  sich  na<  h  Mad«'ira.  wo  er  >tarb. 
Die  Mission,  da^  iMviKtimene  Werk  fortx't/.t'iid.  en  ii  btctt^  noch  die  Sta- 
tionen MiikiliibiiLiU  lind  Lnkuimn.  Ict/tcn»  scliii^  j  -'cüciiübcr  von  Man- 
jan'jra  auf  dem  ^iidlichl'U  L  ter.  Knillich  be-jaiiü  .uu  Ii  e  in  Vci'tn'ter  iler 
französischen  katholischen  Mission,  I'cre  Aii^ouard,  im  Juli  IHSl  in 
der  Ivichtung  mich  dem  Staidey-Tool  zu  reisen,  mit  der  Absicht,  den 
Schauplatz  seiner  ThiUiu'keit  haui»t  .n  blich  an  den  grölsten  der  süd- 
lichen ZuHüssc,  an  den  Kassai  (Ikcleuibu)  zu  verleiren.  WiUire'ad  er 
anfangs  bei  seinen  Landsleuten  in  Brazzaville  weuii?  Knti;e^en- 
kommen  faud,  hat  ihm  neuerdings  Brazza  ein  Stück  Land  zur  An- 
legung einer  Station  bewilligt. 

Durch  die  eben  skizzierte  mehrseitige  Thätigkeit  ist  haupt- 
sächlich innerhalb  der  Jahre  1880  bis  1883  der  Gebirgslanf  des 
Kongo  von  Vivi  bis  Stanley-Pool,  eine  Strecke  von  353  kui,  der- 
jenigen von  Hannover  bis  Frankfurt  am  Main  etwa  gleichkommend, 
mit  eiuer  zweifachen  Reihe  europäischer  Stationen  versehen,  so'  dafs 
man  am  Ufer  hin  alle  paar  Tagemftrsche  eine  Niederlassung  und 
Zufluchtsstätte  findet  Nach  der  uns  gütigst  zugänglich  gemachten 


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—  112  — 


Schrift  von  Wauters :  Les  Beiges  auCoDgo  hat  die  Association  internatio- 
nale du  Congo  allein  folgende  Niederlassungen,  und  zwar  am  rechten 
Ufer:  Borna,  Ikun^la,  Vi  vi,  Isangila  und  Manjan^a;  am  linken  Ufer: 

Nokki,*)  Niiaiii-M})<>zo,  Riibv  Town:  etwas  lüiidoinwärLs:  Vooiuia, 
Lnkungu,  Ngombi,  Liiteto  luid  Ni^oina:  am  liukon  Ufer  des  Stn:ilev- 
Pool :  LoopoUlvillo,  Kinchassa  und  Kiuipoko.  Hii^  Haiipt^tation  i<t 
Vivi,  auf  welcher  unter  der  Oberleitung  des  bir  Francis  de  Winten 
etwa  12  Eiirop&er  angestellt  sind  ;  in  zweiter  Linie  ist  Li^opoldviUe 
mit  10  Europäern  zu  nennen.  Zu  bemerken  ist  noch,  dafs  an  den 
fahrbaren  Strecken  des  Stromes  eine  Anzahl  kleiner  Dampfer 
stationiert  sind. 

Schon  im  Anfang  des  Jahres  1882  war  Stanley  ein  gutes  StQck 
Ober  den  Pool  nach  Osten  voi  gedrungen,  indem  er  mit  dem  Dampfer 

„Enavant"  in  den  Unterlauf  des  ersten  gröfseren  südlichen  Zuflusses, 
des  Kuango  dbari  Xkntu),  moljr  als  130  km  hiiieiiiirefahren  und  aus 
dem  Kuango  heraii>fa]irend  den  tistlich  gelo^enen  Leopoldsee  ent- 
deckt hatte.    Leider  unterliefe  es  Stanley.  Lreiiaue  Ortsbestimmungen 
zu  machen,  überhaupt  die  Lage  der  von  ihm  besuchten  (legentien 
und  Gegenstande  mit  genügender  Sorgfalt  anzugeben.    Daher  kam 
es  denn,  dafs  die  Beobachtungen  der  Baptisteiimissionare  Coraber 
und  Greenfell,  die,  wie  oben  bemerkt,  auch  den  Kuango  besuchten« 
mit  den  Angaben  Stanleys  hinsichtlich  des  Stromlaafe  nicht  überein- 
stimmen, und  fast  scheint  es,  als  hätten  diesmal  die  Diener  der  Kirche  ei  n 
schärferes  Auge  gehabt,  als  der  berühmte  Entdeckungsreisende.  Wähi'end 
Stanleys  Abwesenheit  in  Kuroi)a  ln\tto  das  Werk  der  .\ssf)ciation  zwar 
nicht  geruht,  man  hatte  n.  a.  einige  Stationen  stromaufwärts  angelegt, 
aber  erst  nach  der  Rückkehr  aus  Euroi)a  untern;ihm  11.  Stanley  im 
Jahre  1883  den  llauptvorstofs  nach  ().->teu;  e-^  i-^t  dies  die  erste  lU'i'^e, 
die  im  Zusammenhange  auf  dem  Flusse  in  östlicher  Hichtuug  und 
mit  Dampfern  gemacht  worden  ist.    Die  Einzelheiten  dieser  interes- 
santen Tour  sind  an  einer  früheren  Stelle  der  Geogr.  Blätter  (1884, 
Heft  2)  mitgeteilt  worden,  worauf  wir  verweisen.  Auf  dieser  Fahrt 
hatte  Stanley  in  erster  Linie  die  Zwecke  der  von  ihm  vertretenen 
Gesellschaft  im  Auge  gehabt,  also  eine  Reihe  Stationen  bis  zu  den 
Stanley-Falls  angelegt  und  mit  den  üferhiUiptlingen  Frenndschaft^i- 
veitnigc  rcsj).  Landabtretungen  geschlossen,  für  den  F(utschritt  der 
lOikenntnis  des  mittleren  KouL^o;:ebiete'>  war  dagegen  wenig  abge- 
fallen; duö  wichtigste  geographische  Lrgebuis  war  die  Fahrt  auf 

# 

*)  Die  Nachricht}  dab  Nokki  in  deutschen  Besitz  äbergegaugen  sei,  wurde 
von  anderer  Seite  dahin  berichtigt,  dafs  sich  die  afrikanische  Gesellschaft  nnr 
eine  Art  Vorkaufsrecht  anf  diesen  Pnnkt  gesichert  habe. 


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—  113  — 


dem  früher  Aruwijui  L^enannten  nördlichen  Nebenflusse  Ubingi  bis 
nach  Yamhuga,  2"  13'  n.  Br.;  man  hatte  damals  vorschnell  diesen 
Ubingi  für  den  Unterlauf  des  von  Schweinfurth  und  Junker  besuchten 
Uelle  gehalten,  eine  Hypothese,  die  wir  gleich  damals  fflr  ungenOgend 
begründet  bezeichneten  und  die  jetzt  allseitig  und  definitiv  aufgegeben 
worden  ist;  selbst  auf  der  dem  reich  illustrierten  Werke  von  Wauters : 
Les  Beiges  an  Congo  beigegebenen  Karte  bat  man  es  unterlassen,  den 
ehemaligen  Aruwinii  mit  dem  Uelle  durch  die  bekannte  Punktierung 
zu  verbinden.    Im  üljrigen  hat  Stanley,  so  viel  wenigstens  Dr.  Cha- 
vaniie  von  den  Teilnehmern  an  der  Fahrt  erfahren  konnte,  eine 
eigentliche  Aufnahme  des  Kongo  bis  zu  der  Station  an  den  Stanley- 
Fällen  gar  nicht  gemacht,  sondern  sich  mit  einer  flüchtigen  Bekog- 
nosziemng  beguügt.   Wohl  hat  er  mehrere  Positionsbestimmungen 
vorgenommen,  indessen  dürften  die  L&ngen  s&mtlich  um  0^  40'  bis 
1  ^  50'  —  d.  h.  etwa  50—200  km  zu  weit  östlich  liegen.  Die 
Kenntnis  des  Stromes  selbst,  seiner  Wassertiefe  und  -breite,  seiner 
Inseln  und  Ufer  hat  der  Entdecker  also  ungefthr  auf  dem  Stand- 
punkt gelassen,  den  er  durch  seine  erste  Fahrt  schuf.  Überhaupt 
scheint  mit  dieser  Expeilition  von  1888  die  Thätigkeit  H.  Stanleys 
als  EntdeckuiiLr>reisender  ihren  Al)scldurs  gefunden  zu  haben.  Denn 
bald  luuh  seiner  Rückkehr  traten  die  Fragen  der  politischen  Ge- 
staltung de.s  Kongogebietes  mit  zwingender  Gewalt  iu  den  Vorder- 
grund; es   galt  für  ihn   nach  Europa   zu   eilen,  die  Absichten 
der  Oesellschaft  hauptsächlich   gegen  die  Ansprüche  Portugals 
und  Frankreichs  zu  vertreten  und  das  nur  zum  Teil  und  ober- 
fifichlich  explorierte  Gebiet  in  eine  feste  politische  Form  zu 
bringen.  Wie  dieses  gelungen  ist,  das  zeigen  die  Resultate  der 
Berliner  Konferenz.    Neben  und  nach  Stanley  treten  eine  Anzahl 
hcuiulcr  der  Kougogesellschaft  insotViii  als  beachtenswert  hervor, 
als  sie  neben  den  Zwecke  n  der  Ciesellschaft  auch  die  Kenntnis  der 
von  ihnen  besuchten  biegenden  mehr  oder  minder  förderten.  Für 
den  Kongo  selbst  ist  besonders  <lei*  kürzlich  durch  einen  Schilfs 
umgekommene  Kapitän  Hanssens  zu  nennen.    Dieser  fuhr  vom 
23.  Marz  bis  zum  6.  August  1884  stromaufw&rts,  teils  um  die  Fall- 
station zu  verproviantieren,  teilsdie  früher  gewonnenen  Positionen  durch 
neue  Verträge  zu  kräftigen;  unterwegs  rekognoszierte  er  den  Unter- 
lauf zweier  nördlicher  Nebenflüsse,  des  Ngala  (Mangala),  den  er  etwa 
130  km  weit  befuhr,  nnd  des  von  Stanley  seiner  Zeit  irrtOmlicher- 
weise  Itimbiri  benannten  Mbula,  den  er  in  der  Lange  von  76  km 
keiiiu  n  lei  nte.    Durch  die.se  Untoi  ncliiniingen  hat  Hanssens  einiges 
zur  Kenntniv  der  Landschaften  Itembo,  linsambi,  Libuki  und  Bumbuni 
beigetragen,    später  machte  Kapitän  llHiissens  in  Begleitung  der 


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—  114  — 


Herren  Ciisman  und  Vanden  l'hi>  noch  <Miie  zweite  Fulirt,  über 
deren  llesultatc  nähere  Heriehte  noeh  nieht  /u^anulieli  ^xeworden  sind. 

So  ist  auch  anf  der  1700  km  langen  Strecke  zwischen  dem 
Stanley-Pool  und  den  Stanley-Fallen  eine  Anzahl  vonStationen  begründet 
worden ;  diese  heilsen  in  der  Reihe  von  Westen  nach  Osten :  Msnataj 
Kwaniouth  an  der  Mündung  des  Kuango,  Bolobo,  Lukolela,  Ngongo, 
Äquatorstation,  Bangala,  Upolo,  Aruwimistation  und  Fallsstation. 
Die  Zwischenräume  zwischen  den  einzelnen  Posten  sind  natttrlicb 
bedeutend  gröfser,  als  diejenigen  zwischen  den  Niederlassungen  des 
Gebiruslanfes.  aber  da  aul"  dieser  Abteilung  des  Stromes  das  Fahr- 
wasser weui^sleiis  nicht  dnrch  Stromschnellen  unterbrochen,  wenn 
auch  keineswegs  völlig  bequem  ist,  so  kann  der  Verkehr  verhaltnis- 
m&Iäig  leichter  durch  die  fünf  zur  Verfügung  stehenden  Dampfer 
„En  avant*,  „L'Association  internationale  africaine",  „Royal*', 
„Eclaireur"  und  »Stanley**  bewerkstelligt  werden. 

£s  fehlt  nun  noch  die  Verbindung  der  Fallstation  mit  dem 
Tanganika  und  den  ostafrikanischen  Stationen ;  um  diese  zu  bewirken, 
ist  gegen  Ende  1884  eine  Exi)e(lition  unter  dem  Belgier  Becker  von 
Zanzibar  aufgebrochen,  mit  der  Absicht,  von  Mpala*)  am  Westufer 
des  iaiii;.ihika  nach  Nyangwe  am  Ivongo  zu  gehen  und  dort  eine 
Station  anzulegen.  Wenn  dies  geschehen  sein  wird  —  worüber 
bisher  nocli  keine  Berichte  uns  zugekommen  sind  —  dann  wird  eine 
Kette  von  europilischen  Niederlassungen  quer  durch  das  äquatoriale 
Afrika  ge/.ogen  sein,  welche  als  Ausgangspunkte  für  weitere  Unter- 
nehmungen dienen  können,  eine  Leistung,  die  im  liiublick  auf  die 
Kttrze  der  Zeit  —  es  bedurfte  kaum  sechs  Jahre  —  uns  als  eine 
bewunderungswürdige  erscheint  Ob  das  Werk  den  Aufwendungen 
an  Arbeit,  Geld  und  Menschenleben  entsprechend  ausgefallen  ist, 
darüber  können  und  wollen  wir  kein  Urteil  abgeben. 

Die  Kenntnis  des  Kongooberlaufes,  sowohl  der  Abteilung  zwi- 
schen den  Stanley-Fallen  und  Nvangwe,  als  des  Stückes  von  Nyangwe 
bis  zur  Quelle,  hat  seit  Stanleys  resp.  Living>loues  Leistungen  eine 
Wesentliche  liereielierung  nicht  erfahren.  Nyangwe  wurde  zwar  im 
Jahre  1881  am  1(5.  April  von  Leutnant  Wissmanu  wieder  erreicht,  dieser 
ging  aber  von  da  aus  durch  das  mehrfach  besuchte  Manjema,  wenn 
auch  stellenweise  auf  neuem  Wege,  direkt  nach  dem  Tanganika, 
Auch  das  Gebiet  zwischen  diesem  See  und  dem  Kongo  in  der  Um- 
gebung des  Lukugaflusses  ist  zwei  Mal  bereist  worden,  einmal  von 


♦)  Nach  «loii  iiem-stcn  Naclirichten  lint  die  Kon<j:ot.'t  solls(lK'ift  die  SluHon 
Mpala,  wio  auoh  das  weiter  üi>tUcli  gulegeiie  Kareiiia,  an  die  katboUsclieu  Mis- 
sionare abgetreten. 


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.   -  115  - 


J.  Thomson,  der  im  Jahre  1879  eio  gutes  Stück  südlich  des  von 
Cameron  1874  entdeckten  und  1876  von  Stanley  besuchten  Lukuga 
bis  nach  dem  Orte  MakQombo  (Lst.  50'  s.  Br.,  long.  27^  50') 
vordrang,  ohne  aber  den  Lualaba- Kongo  zu  erreichen;  das  zweite 

Mal  von  dem  Angestellten  der  Association,  Leutnant  Storms,  der 
den  Lukuga  eine  Strecke  weit  verfolLrte  und  konstatierte,  dal's,  je 
weiter  der  Flufs  sich  nach  Westen  l)ewegt,  er  iniuier  sclinialer  wird. 
Ferner  ist  der  von  Livingstone  entdeckte  Moerosee  nach  den  neuesten 
Nachrichten  von  den  deutschen  Reisendeu  Böhm  und  Reichard,  die 
am  1.  Septeniher  1883  von  Mpala  aus  aufgebrochen  waren,  erreicht 
worden,  leider  aber  ist  Böhm,  wie  es  scheint,  von  den  feindseligen 
Eingeborenen  getötet  worden,  und  Reichard  konnte  nur  durch 
schleunigste  Flucht  sein  Leben  retten;  nähere  Berichte  über  den 
beklagenswerten  Vorfall,  sowie  über  die  Ergebnisse  der  Reise  fehlen 
zur  Zeit  gänzlich.  Ebenso  wie  der  Mo§ro  wurde  auch  der  Bang- 
weolosec  von  Leutnant  Girand  im  .lahre  1883  besucht  und  festgestellt, 
dafs  der  Lualaba  aus  dem  südwestlichen  Ende  des  Sees  hervorgeht. 
Was   endlich   das  Gebiet  des  eigentlichen  KongoquelUiusses,  des 
Tschambesi,  anbelangt,  so  ist  dies  neuerdiiigs  von  Stewart,  dem 
Erbauer  der  Strafse  zwischen  dem  Njassa  und  Tanganika,  unter 
a5'  s.  Br.  und  34^  30'  ö.  L.  besucht  worden. 
An  die  Betrachtung  der  Exploration  des  Hauptstromes  schliefeen 
wir  zunächst  die  Entdeckungsgeschichte  des  nSrdlu^en  Nachbar^ 
gdtietes  an;  strenggenommen  gehört  dies  zwar  nur  teilweise  hierher, 
denn  der  Kongo  empfüngt  auf  seinem  Gebirgslanf  nur  kleine  und 
kurze  ZuHüsse,  aber  andererseits  hängt  die  Erforschung  der  Küsten- 
Hüsse,  wie  des  Kuilu-Niadi  und  der  bezüglichen  Wasserscheiden  innig 
mit  der  Kongofraiie  zusammen,  dafs  man  wohl  eine  kleine  Inkonse- 
quenz begehen  dar! ;  den  Ogowe  aber  ziehen  wir  nur  als  Ausgangs- 
punkt in  Betracht.    Im  Jahre  1880  legte  Savorgnan  de  Brazza  am 
Zusammenflusse  des  Passa  und  des  oberen  Ogowe  die  Station  France- 
ville  an  und  trat  darauf  eine  Reise  in  das  Innere  an ;  auf  dem  Lefini, 
dem  Lawson  Stanleys,  fuhr  er  mittelst  Flusses  stromabwärts,  gelangte 
bei  Ngampey  in  den  Kongo  und  nachdem  er  diesem  bis  zum  Stanley- 
Pool  gefolgt  war,  gründete  er  die  vielberufene  Station  Brazzaville, 
um  sich  von  da  nach  der  Küste  zurückzubegeben.   Im  Jahre  1881 
ging  er  wieder  nach  l  laiiceville,  erforschte  besonders  die  Wasser- 
scheiden der  Flüsse  Ogowe,   Alima  und  Leketi  und  gründete  eine 
Station  an  der  Alima,  wurde  aber  in  der  Ausführung  seiner  Pläne 
dadurch  etwas  behindert,  dafs  sein  Adjunkt  Dr.  Bailay  mit  den 
Unterstützungpgcgenstilnden  nicht  erschien.    Nach  einem  kurzen 
Aufenthalte  in  Frankreich  arbeitete  Brazza  auf  dem  vorigen  Felde 


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—  116  — 


I 


seiner  Thiiti^^keit  mit  sa  izünstiijoiii  Erfolge  welter,  dals  or  am 
8.  Februar  1882  die  (.Mn-llo  des  Ouowc  entdeckte;  Anfau;;  .\far/ 
zurückkehrend,  gelaui^te  er  an  den  Niari  (Niadij,  den  Neben- 
tluLs  beziehungsweise  Oberlauf  des  Kuilu.  dessen  Thal  seiner  Ansicht 
nach  einen  bequemeren  Zugang  gewähren  warde  als  der  Ogowe: 
von  der  Quelle  des  Niadi  führt  nämlich  ein  wohl  gauigbaier 
Pafs  in  das  Thal  des  Djne,  Stanleys  Gordon  Bennett  River,  der 
bekanntlich  etwas  unterhalb  der  Station  Brazzavflle  in  den 
Kon(]:o  flltt.  Uro  seine  Entdeckun«;en  mit  den  erforderlichen  Mitteln 
ausbeuten  und  weiter  verfol.ü;on  zu  können,  reiste  Bra/za  im  A])ril 
1882  nach  Frankreich,  wo  es  ihm  iilückte,  von  den  Kannnern  den 
Betrag  von  1  200 ÜH)  Francs  zur  Ansrüstnnii  einer  nnifanjjreichen 
FApedition  nnd  zur  Anlegunii  eines  vorher  ausgearbeiteten  Systems 
von  Stationen  und  Posten  hewiliij^t  zu  erhalten.  Sein  Aufenthalt  in 
Frankreich  zog  sicli  bis  Ende  Mftrz  18>^:*  liiu.  Während  dessen  war 
Stanley,  der  im  Jahre  1882  ebenfalls  in  Europa  gewesen  war,  nach 
dem  Kongo  geeilt  und  hatte  seine  Leute  in  das  Kuilu-Niadigebiet 
geschickt  Schon  Ende  1882  und  in  den  ersten  Monaten  1883 
gingen  von  Isangila  und  der  Kuilumflndung  Expeditionen  aus.  Jene 
unter  Kai»it4ln  Elliot,  diese  unter  Leutnant  Van  de  Vehle,  welche 
nach  zweimonatliclier  Heise  h^i  der  «zef^enwartigen  Station  Kitalti 
i\m  mittleren  Kuilu,  zusainnieut  nifen.  Auch  von  Boma,  Manjanira 
lind  von  der  Küste  braclien  Reisende  wie  Ilanni,  Orban,  Amelot, 
Mikic  und  llanssens  auf  und  durchschwärmten  das  Land.  Die 
dadurch  jjftdi eierten  Thatsachen  wurden  vcm  Dr.  J.  Chavanne  auf 
der  Karte  Afrique  äquatoriale  entre  le  Congo  et  rOgooue 
1  :  20000Ü0  zusammengefafst.  Der  Erforschung  des  Landes  durch 
die  Sendlinge  Stanleys  folgte  die  Besitzergreifung  auf  dem  Fufse, 
indem  die  Leiter  der  Expedition  durch  Gescheoke  und  Versprechung 
jahrlicher  Abgaben  die  betreffenden  einheimischen  Häuptlinge  zur 
Abtretung»  von  solchen  Länderstrecken  hewogen,  welche  zur  Er- 
richtun?  von  Stationen  an  wiclitiiren  Punkten  notwendis:  waren. 
Das  Netz  «h-r  Associationsniederlassnnsen  im  (iebiete  des  Kuilu- 
Xiadi  und  nördlich  davon  ist  sehr  dicht;  an  der  Küste  liefen  von 
Norden  nach  Süden  i^^enannt:  Sette  Caiua,  Majumba,  Hudolfsstadt, 
Grantville.  Alexamlravillc  und  Massab^;  am  Kuilu-Niadi  lietinden  sich 
Baudoinville,  Kitabi,  Franktowu,  Sengi,  Stanley  Niadi,  Stephanie- 
ville  und  Philippeville;  zwischen  dem  Kuilu-Niadi  und  dem  Kongo 
sind  Strauchville,  Mboko  und  Mukumbi  zu  erwähnen.  So  hatte 
Stanley  durch  Entfaltung  einer  aufserordentlichen  Thßtigkeit  seinen 
Rivalen  Brazza  überholt  und  dieser  fand  hei  seiner  Ankunft  auf  der 
von  ihm  zuerst  explorierten  K.uihi-Niadi-/uiiau^ijlinie  an  allen  wich- 


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tigen  Puokten  die  Spuren  der  Association.   Daher  beguttgte  sieb 
Brazza  zutiftchst  damit,  Loango,  Panta  Negra  und  Ngotu  am  unteren 
Kuilu  zu  besetzen  und  ging,  als  dies  gesdieben  war,  an  den  Ogowe 
zurück,  um  seine  Arbeit  von  bier  aus  zu  beginnen.  In  dem  von 
Leutnant  Mizon  ausgebauten  Franoeville  angekommen,  sendete  er 
einige  Leute  nach  dem  Stanley-Pool,  um  die  unterdessen  eingegangene 
Station  Brazzaville  wieder  zu  besetzen,  was  nach  einigen  Weiterungen 
auch  ;?elang.     Aufser  dem  Posten  Alima-Duele  wurde  auch  der 
l^osten  Alinia-Leketi  be^^iüudet  und  der  Nebenfiufs  Nkoni  als  eine 
günstige  Verbindung  zwischen  der  Alinia  und  dem  Ogowe  erkannt. 
Darauf  verfolgte  Dr.  Bailay  die  Alima  bis  zu  ihrer  Mündung  in  den 
Kongo  und  bestimmte  diese  Stelle  zu  1  <^  32'  s.  Br.  und  16  ^  23' 
5.  L.  Gr.  Darauf  begab  er  sich  kongoabwftrts  zu  dem  von  frQher 
bekannten  Bateke^Makoko  und  traf  bier  mit  Brazza  zusammen.  In  der 
Nabe  der  LefinimOndung  wurde  die  Station  Nganscbuno  angelegt.  Da 
durch  diese  Arbeiten  die  ursprflnglichen  Mittel  erschöpft  waren,  so 
bedurfte  es  einer  Nachforderung,  die  in  der  Höhe  von  780  (XK)  Francs 
bewilligt  wurde,    l  nter  den  Mitgliedern  von  Brazzas  Expedition  ist 
Leutnant  Michon  mit  besonderer  Anerkennung  zu  nennen,  der  eine 
treüliche  Heise  von  Franceville  nach  Mayunibe  ausführte,  demnach 
ein  weder  von  Brazza  noch  von  Stanleys  Leuten  besuchtes,  bisher 
unbekanntes  Gebiet  explorierte. 

Die  grofsen  Mühen  und  Opfer,  welche  Stanley  zur  Gewinnung 
des  Niadi-Kuiludistriktes  aufgewendet  batte,  waren  übrigens  fAr  die 
Association  vergeblicb  gewesen:  auf  der  Berliner  Konferenz  wurde 
das  ganze  Land  nebst  dem  rechten  Kongoufer  vom  Stanley-Pool  bis 
nahe  an  den  Äquator  mit  allen  Stationen  ohne  Entschädigung  an 
Frankreich  abgetreten  und  die  Priorität  Brazzas  kam  demnach  zur 
Geltimg.  Die  IlivaliUt  beider  hat  aber  der  Wissenschaft  den  be- 
achtenswerten Dienst  geleistet,  dafs  das  westafrikanische  Gebirge 
zwischen  dem  Kongo  und  dem  Njanga  beziehungsweise  Ogowe  mit  einer 
ungewöhnlichen  Sorgfalt  erforscht  wurde,  wenn  auch  die  Resultate 
davon  noch  nicht  in  ganzer  Ausdehnung  zugänglich  geworden  siud. 

Ganz  anders  stehen  die  Verhftltnisse  in  dem  dritten  Haupt- 
teile  des  Kongobeckens,  dem  Geriete  der  süäliehen  Zuflüsae.  Wahrend 
nflmlicb  sowohl  Brazza  als  Stanley  in  erster  Linie  politische  beziehungs- 
weise Handelszwecke  verfolgten,  waren  diese  bei  den  deutseben  Erfor* 
schem  der  grofsen  Tributäre  ganz  ausgeschlossen ;  weit  beschränkter 
in  den  Geldmitteln  und  oliue  den  Rückhalt  eines  Staates  oder  einer 
kapitalistisch  beteiligten  Association  und  lediglich  auf  die  Beitrage 
gelehrter  Gesellschaften  und  den  Zuschufs  des  Reiches  angewiesen, 
dienten  sie  nur  den  Zwecken  der  Wissenschaft;   ihre  Selbst- 

G«agr.  Blitur.  Branaii,  1886.  9 


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—  118  — 

losigkeit  kommt  m  der  That  der  Bescheidenheit  ihrer  Mittel  gleich 
und  trotzdem  oder  vielleicht  gerade  deshalb  haben  sie  fär  die 
Kenntnis  der  besuchten  Gebiete  im  Verhältnis  mehr  geleistet,  ala  die 
grolse  Schaar  der  Assodationsleute. 

Die  Fflhrung  in  der  Entdeckung  des  südlichen  Kongoheckens 
lag  in  der  Hand  der  deutschen  afirikanischen  Gesellschaft;  es  handelte 
sich  für  sie  zunftchst  darum,  in  solchen  Gegenden  wieder  festen  Fufe 
zu  fassen,  welche  eigentlich  schon  bekannt  gewesen,  aber  seit  dem 
Schwinden  der  portugiesischen  Macht  in  Vergessenheit  geraten  waren. 
Mau  sandte  daher  im  Jahre  1874  den  Ornithologen  von  Homeyer, 
den  österreitliischen  Leutnant  Lux  und  den  Botiiniker  Soyaux,  denen 
sich  der  MecklenburLM  i  Landwirt  Dr.  Paul  Togge  auf  eigene  Kosten 
anschlnfs.  um  von  Li)auda  aus  die  alten  Handelswesc  wieder  aufzu- 
suchen.   Die  Expedition  an  und  für  sich  scheiterte,  denn  Homeyer 
und  Soyaux  kehrten  bereits  in  Malange  um.  Lux  gelangte  nur  bis 
nach  Kimbundu.    Pogge  dagegen   übernahm  die  Reise  und  am 
L5.  Se])tember  1875  von  Kimbundu  aufbrechend,   marschierte  er 
tapfer  ostwärts  durch  das  obere  Stromgebiet  des  Kuango  bis  an  den 
Kassai  nach  Difunda;   hier  schlug  er  eine  nordöstliche  Richtung 
ein  und  nachdem  er  den  Lulua  bei  Kadinga  überschritten  hatte, 
traf  er  am  9.  Dezember  in  der  Residenz  des  Muata  Jamwo  ein. 
Hier  wurde  er  bis  zum  7.  April  1875  zurückgehalten,  ohne,  wie  es 
seine  Absicht  war,  weiter  nach  dem  unbekannten  Osten  vordringen 
zu  können,  denn  nachdem  er  nur  einen  kleinen  Ausflug  in  südöst- 
licher Richtung  gemacht  hatte,  mufste  er  umkehren.  Pogges  Expe- 
dition ist  ein  hübscher  Erfolg,  seine  Reiseberichte  sind  anaiehend, 
seine  Ergebnisse  beachtenswert,  wenn  auch  der  Natur  der  Sache 
nach  exakte  Messungen,  Sammlungen  und  dergleichen  nur  in  beschrank- 
tem Mafse  oder  gar  nicht  gemacht  werden  konnten.  Leider  sollte  sein 
äuüserster  Punkt  in  den  nächsten  Jahren  trotz  ▼erschiedener  Ver- 
suche nicht  überholt  werden;  denn  der  durch  seine  Reisen  in  Süd- 
afrika und  am  Zambesi  bekannte  Ed.  Mohr,  von  der  deutschen 
afrikanischen  Gesellschaft  ausgesandt,  um  auf  der  von  Pogge  ge- 
wonnenen Basis  weiter  zu  arbeiten,  starl)  schon  in  Malange  am 
26.  Deztinber  187().     Ein  gleichüs  Schicksal  t-ieilU'  den  von  der 
portugiesischen  Regierung  mit  iler  ^leologischen  Erforschung  Angolas 
beauftragten  IL  von  Barth- Harniatting.    Derselbe  gelangte  vou 
Duque  de  liiagan/a  aus  nur  ein  wenig  nördlich,  bis  Banza  Manibuln. 
mulste  umkehren  und  starb  in  Loanda.    Durch  Erkundigungen  hatte 
er  wahrscheinlich   niaeheu  können,   dafs  der   auf  den  damaligen 
Karten   tigurierende  mi»r>e  See  Aquilonda  in  dieser  Form  nicht 
existiert  und  die  späteren  exakten  Forschungen  haben  seine  Auf- 


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—  119  — 

fassung  best&tigt.  Doch  war  die  afrikanische  Gesellschaft  durch 
ihre  tdlweisen  Mifserfolge  nicht  entinntigt  worden.  Im  Jahre  1877 
beauftragte  sie  den  Ingenieur  0.  Schfltt,  anf  Pogges  Route  weiter 

"vorzudringen,  und,  was  Pogii^e  nicht  geleistet  hatte,  eine  topogra- 
phische Aufnahme  der  zurückgelegten  Wegestrecken  zu  bewerk- 
stelligen.   Von  Malange  aufbrechend,  aber  von  den  Bangala  ge- 
bindert, den  Kuango  zu  überschreiten,  ging  er  nach  Kinibundu, 
wandte  sich  von  da  nach  Nordost  und  nach  Überschreitung  des 
Kassaizuflusses  Tschikapa  direkt  nach  Nord.   Sein  nächstes  Ziel, 
die  Mttndung  des  Tschikapa  in  den  Kassai,  erreichte  er  nicht, 
sondern  nar  drei  bis  vier  Tagemftrsche  davon  entfernt,  wurde  er  von  dem 
LundafÜrsten  Muata  Musevo  gezwungen.  Halt  zu  machen,  und  da 
Jener  unter  keinen  Umständen  ein  weiteres  Vordringen  nach  Nordost 
gestatten  wollte,  so  entschtols  sich  Schfitt  zur  Umkehr;  nachdem  er 
iHirdwärts    bis  zum  1  ^  10 dem  nördlichsten  Punkte,   den  ein 
Reiseuder  bisher  erreicht  hatte,  vorgedrungen  war,  wandte  er  sich 
zurückkehrend  und  eine  Anzahl  Tributüre  des  Kassai  und  Kuango 
überschreitend,  erst  nordwestwärts  bis  an  den  Lunchico  und  ging 
dann  in  südwestlicher  Richtung  nach  Malange  zurück.  Derselbe 
Umstand,  der  Schütt  sein  eigentliches  Ziel  hatte  verfehlen  lassen, 
nftmlich  der  fe«te  Wille  des  Lundaherrschers,  keinen  Reisenden  die 
Grenzen  seines  Reiches  Qherschreiten  zu  lassen,  sollte  auch  dem 
zweiten  Emissftr,  M.  Buchner,  verhängnisvoll  werden.    Bis  zur 
Mussumba  des  von  Pogge  besuchten  Muata  Jamwo  gelangt,  ver- 
mochte er  weder  den  Widerstand  dieses  Herrschers  noch  das 
Widerstreben  der  Träger,  in  ein  unbekanntes  Innere  vorzudringen, 
zu  besiegen  und  mufste  zurückkehren.    Wenn  num  nun  einerseits 
zu  beklagen  hat,  dafs  weder  Scliütt  noch  Buchner  einen  Fortschritt 
in  der  Entdeckung  neuer  Gebiete  herhciiiihrleu,  so  niuis  anderer- 
seits anerkannt  werden,  dafs  sie  innerhalb  der  ihnen  gesteckten 
Grenzen  Annehmbares  geleistet  haben:  die  Kartographie  gewann 
eine  sichere  Unterlage,  eiqe  gute  allgemeine  Vorstellung  des  Natnr- 
charakters  der  Ydlker  und  der  Verkehrsverhftltnisse  und  manche 
Spezialität  aus  diesem  Gebiete  wurde  erreicht 

Unterdessen  hatten  auch  die  Portugiesen  in  die  Entwicklung 
der  Sache  eingegriffen.  Die  beiden  Reisenden  Hermenegildo  Brito 
Capellü  und  Hoberto  Ivens  waren,  nachdem  sie  sich  von  ihrem  Ge- 
fährten Serpa  Pinto  getrennt  hatten,  von  Bih^  aus  in  das  Gebiet 
der  Quelltlüsse  des  Kuango  vorgedrungen,  wo  sie  sorgfältige  Unter- 
suchungen anstellten.  Ihren  Plan,  an  beiden  Seiten  des  Flusses 
vonückend,  womöglich  bis  an  dessen  Mündung  in  den  Kongo  zu  ge- 
langen, konnten  sie  wegen  der  feindseligen  Haltung  der  BangaU 

9» 


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—  120 


nicht  durchfubieii.  Weuu  sie  nun  leider  sclion  bei  ()^30'  umkehren 
muTsteD  —  also  noch  mehr  ab  3  Grad  oder  etwa  Hni)  km  von  der 
Mündung  entfernt  geblieben  waren,  so  ist  doch  ihre  Expedition  eine 
erfolgreiche  zn  nennen,  hauptsächlich  wegen  ihrer  astronomischen 
Ortsbestimmungen,  welche  der  Kartographie  des  oberen  und  mittleren 
Kuangogebietes  sehr  zu  statten  kamen.  Zur  Ergänzung  dieser  por- 
tugiesischen Resultate  trug  die  Reise  des  Majors  von  Mechow  bei. 
der  mit  Hülfe  eines  mis  Deutschland  niitgei)rai  litcn  zerlegbaren 
Bootes  den  l'lufs  von  7"  'dO'  bis  5**  5'  befulir.  Die  von  da  bis  zur 
Mündung  uocli  unerforschte  Strecke  i.st  seitUeiii  von  Norden  her  in 
Angritt  genonunen  worden.  Wie  schon  erwähnt,  fuhr  Stanley 
185  km  in  den  Strom  hinein;  und  nachdem  die  Baptiütenmissioiiftre 
Comber  und  Grenfell  sich  ebenfalls  hier  versucht  hatten,  gelang  es  dem 
Angestellten  der  Kongoassociation,  Leutnant  Massari,  von  Kwamouth 
am  16.  November  1884  aufbrechend,  bis  zum  4^  s.  Br.  zu  kommen, 
so  dafe  also  em  Im  Verhältnis  kleiner  Teil  des  Kuangolaufes,  n&m- 
lieh  4^  bis  5^  5'  flbrig  blieb.  Neben  anderen  Aufgaben,  diese  LOeke 
auszufüllen,  war  die  nächste  liestininumi:  der  unter  Leitung  des 
Leutnant  Schulze  im  August  1884  von  der  afrikanischen  Gesellschaft 
ausi^esaiKitcii  Kxj)edition,  an  der  sich  die  Herren  Kund,  Woltt',  Hüttner 
und  lappenheck  beteiligen;  da  al)er  jünirst  die  Trauerkunde  ein- 
gelaufen ist,  dafs  Schulze  in  San  Salvador  am  15.  Februar  1885 
starb,  so  ist  es  noch  unbestimmt,  ob  die  des  Hauptes  beraubte 
Expedition  die  genannte  Richtung  einschlagen  wird. 

So  ist  denn  der  Kuango  durch  die  sich  ergänzenden  ver- 
schiedenen Unternehmungen  nahezu  erforscht.  Weniger  gfiustig 
steht  es  mit  der  Entdeckung  der  weiter  nach  Osten  gelegenen  Sfld- 
Zuflüsse,  wenngleich  auch  In'er  beachtenswerte  Fortschritte  erzielt 
winden.  Diese  verdanken  wir  der  grofsen  Heise  von  Pogge  und 
Wifsmann  1881  82,  überhaupt  der  ghln/.endsten  Leistung,  welche 
für  Kechnung  der  deutschen  afrikanischen  (iesellschaft  zu  stände 
gebracht  ist.  Pogge  und  Wifsmann  hatten  den  Auftrag  erhalten, 
eine  dauernde  Station  in  Mussumba  zu  errichten  und  von  da  aus 
Reisen  zur  Erforschung  des  Gebietes  zwischen  dem  Kuango  und 
Lualaba-Kongo  zu  machen,  denn  nach  Pogges  und  Buchners  gleich- 
lautenden B^bachtungen  ist  die  Residenz  des  Muata  Jamwo  gesund 
und  fieberfrei.  Aber  schon  in  Kimbundu  änderten  sie  den  Reisephm, 
einmal  weil  infolge  der  zwischen  den  Lunda  und  den  Kioto  ans- 
gebrochenen  Streitigkeiten  beide  Routen  versperrt  waren,  sodann 
weil  sie  aus  Schütts  und  lUichners  Krfahrungen  die  Unmöglichkeit 
ersahen,  in  Mussumba  ihren  Zweck  erreiclien  zu  kinineu.  Ks  iralt 
nun,  duri^h  einen  schuelleu  Yonnaiäch  nucli  Nordeu  aus  der  Macht- 


Digij,    :  ('odgle 


—  121  — 


Sphäre  «los  Muata  Jamwo  zu  kommi'u.   Die  Kei.seinlen  nahmen  daher 
von  Kimbundu  (31.  Juli  1881)  aus  ihren  Weg  fast  direkt  nördlich 
am  Unken  Ufer  des  Tscbikapa  entlang,  überschritten  den  Kassai  bei 
Kikassa,  um  von  da  aus  zunächst  in  östlicher  Richtung  den  Sitz  des 
Mtikenge  der  Baschilange  zu  erreichen ;  diesen  suchte  zunächst  Pogge 
auf»  wahrend  sich  Wifsmann  zu  dessen  etwas  weiter  östlich  wohnen- 
den Nehenbnhler  Dschingenge  begab.  Obgleich  die  Aussichten,  Yon 
Mukenge  aus  nach  Norden  vorzudringen,  günsti^^  schienen,  ent- 
schlossen sich  die  Reisenden  mit  Rücksicht  auf  ihre  Verhältnisse 
nach  Nyangwe  zu  gehen  und  zunüdist  die  ü:rofse  hier  be<tphende 
Lücke  auszufüllen.    In  nordöstlicher  Richtung  inarschieiend.  wobei 
sie  die  I>egeude  von  einem  grofsen  liier  vorhanden  sein  sollenden 
See  zerstörten  —  der  Mukanibasee  ist  ein  unbedeutendes  Gewässer  — 
erreichten  sie  am  Lubi  beinahe  den  5®s.  Br.,  und  diesen  Strom  wie 
den  Lubilasch,  alias  Sanknrra«  überschreitend,  wandten  sie  sich,  von 
dem  Baschilangeh&uptiing  begleitet,  durch  die  Wohnsitze  vorher  nie 
gesehener  Yölkerst&mme  —  der  Bassange  —  in  ungeffthr  sfldöstllcher 
Richtung  bis  an  den  letzten  grofsen  Kongoflufs,  den  Lomami.  Von 
der  (Ibergangsstelle  rückten  sie  in  nördlicher  Linie  vor  und  den 
Lusnba  passierend  kamen  sie  am  17.  April  18H2  in  Njanjjwc  an. 
Wahrend  nun  Wifsmann  durch  im  wesentliclien  bekannte  Gegenden 
sich  zur  Ostküste  begab,  wo  er  am  15.  November  eintraf,  kehrte 
Pogge  nach  dem  Wohnsitz  Mukeuges  zurück.  Diesen  verliefs  er  am 
9.  November  1883  —  also  nach  einem  mehr  als  einjcährigen  Aufent- 
halte —  und  nachdem  er  durch  einen  Vorstofs  nach  Norden  den 
Znsammenflofs  des  Lnlna  mit  dem  Kassai  festgestellt  hatte,  begab 
er  sich,  der  Hauptsache  nach,  auf  bekannten  Wegen  in  das  por- 
tugiesische Territorium  zurftck.  Eben  in  Loanda  angekommen,  starb 
der  selbstlose,  unermüdliche  Mann  am  16.  März  1884,  noch  nicht 
4*)  Jahre  alt,  infolge  der  durch  die  Beschränktheit  seiner  Mittel 
wenn  nicht  herbeiiroführten,  so  doch  gesteigerten  Anstrengungen. 
Der  Tod  Pogges  bedeutet  für  die  Afrikaerforschunix  einen  schweren, 
in  gewisser  Beziehung  unersetzlichen  Verlust;  er  ist  der  eigentliche 
Bahnbrecher  im  Südkongogebiet  und  wenn  er,  am  Leben  blri])end, 
auch  keine  Reise  mehr  gemadit  hatte,  so  hätte  die  ausführliche  Dar- 
stellung seiner  Erlebnisse  nnd  Beobachtungen  sowie  die  gründliche 
Kenntnis  der  ReiseverhAltnisse  seinen  etwaigen  Nachfolgern  wert- 
volle Dienste  leisten  können.  So  ist  die  Wissenschaft  nur  auf  die 
glücklicherweise  erhaltenen  Tagebücher,  die  er  aber  nur  bis  zum 
17.  Dezember  1883  führte,  angewiesen  und  mit  seinem  Hinscheiden 
ist  vieles  Wertvoile,  vielleicht  Unschätzbare  für  immer  verloren 
gegangen. 


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^  122  — 


Noch  ehe  Pogge  die  Küste  erreicht  hatte,  war  >pin  eheniiili^ier 
Gefahrte  Wifsmann,  diesmal  im  Dienste  der  Konsogesellschaft,  zu 
einer  neuen  Reise  aufgebrochen.  In  Malange  im  Februar  mit 
jenem  zusammentretfend,  reorganisierte  er  hier  seine  lixpedition  und 
rückte  am  17.  Juli  zunächst  auf  Schütts  und  Büchners  Wegen  vor. 
Am  Lu8€hikoflu8se  teilte  sieb  die  Expedition;  der  eine  der  eorop&ischen 
Teilnehmer  ging  dem  Lnschiko  entlang  nach  Norden,  um  den  etwa 
einen  Breitengrad  stromabwftrts  wohnenden  Moata  Kampana  za  be- 
suchen, das  Gros  dagegen  zog  in  nord(ystlicher  Richtung  zum 
Muene-Tombe  am  Tschikapa.  Von  da,  am  12.  Oktober  1884,  ist 
Wifsmanns  letzter  Brief  datiert;  er  gedenkt  demnach  den  Ka.ssai 
abwärts  zu  marschieren  bis  zum  Einflüsse  des  Lulua,  dort  mit  deni 
Bakubahäuptlinge  Lukengo  einen  Vertrag  zu  schliefsen.  eine  Station 
zu  gründen  und  von  da  mit  den  von  den  mitgeii(»mnicnen  Zinimer- 
leuten  zu  bauenden  Böten  den  Kassai  hinab  zum  Kongo  zu  fahren, 
wo  er  im  April  1886  einzutrefl'en  hoflY.  Vor  den  Mündungen  des 
Ruki  und  Lulengu,  deren  einer  für  den  Austiulä  des  Karsai  gehalten 
wird,  kreuxt  einer  der  Associationsdampfer,  nm  eventuell  die  an- 
kommende Expediton  Wifsmanns  aufzunehmen. 

Wir  haben  den  Gang  der  Entdeckung  im  südlichen  Kongo- 
gebiet  bis  sum  letzten  Stadium  verfolgt.  Nachdem  sdion  vorher 
teilweise  durch  Livingstone  und  Magyar,  später  durch  Cameron  die 
Wasserscheide  gegen  den  Zambesi  mit  relativer  Geuaui^^keit  fest- 
gestellt worden  war,  ist  der  mittlere  Teil  des  Südkon^olandes  haupt- 
sächlich durcli  deutsche  Reisende  in  erheblichem  Mafse  gefördert 
worden,  stellenweise  mit  solcher  Sorgfalt,  dafs  nur  noch  wenig  zu 
thun  übrig  bleibt  Überschaut  man  freilich  den  ganzp  i  ni^ geheuren 
Raum  des  Stldkongobeckeiis,  so  sind  da  noch  viele  und  groXse  Locken 
auszufallen,  eine  Arbeit,  die  hoffentlich  in  der  nächsten  Zukunft  ge- 
lingen wurd.  Doch  darf  man  sich  schon  jetzt  nicht  verhehlen,  dafs 
die  wissenschaftliche  Erforschung  dieser  Gebiete  mit  der  offiziellen 
Anerkennung  des  Kongofreistaates  in  ein  neues  Stadium  eingetreten 
ist.  Der  freie  Verkehr  innerhalb  der  Grenzen  desselben  ist  zwar 
gewährleistet,  aber  es  bleibt  wohl  einstweilen  zu  bezweifeln,  ob  in 
Zukunft  uninteressierte  Forschungsreisende  zum  Nutzen  des  Kongo- 
staates, d.  h.  einer  Anzahl  beteiligter  Kapitalisten,  das  noch  fast 
ganzlich  unbekannte  Segment  zwischen  dem  5^  s.  Br.  und  der 
groüsen  Kongoknrve  ezplorieren  werden.  Treten  sie  aber  in  den 
Dienst  jenes  Staates,  so  bleibt  zu  befürchten,  dafs  von  den  Ergeb- 
nissen eben  nur  so  viel  an  das  Licht  der  Öffentlichkeit  dringt,  als 
den  Interessen  des  Auftraggebers  dienlich  erscheint.  Diese  Befttrch- 
tung  liegt  nicht  nur  in  der  Natur  der  Sache,  sondern  auch  in  dem 


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—  123  — 


bisherigen  Gebahreu  der  Kongogesellsckaft  begriiudet.  bchon  in 
letzter  Zeit  ist  in  geographischen  Kreisen  vielfach  und  mit  Recht 
die  Klage  ttber  Geheimnisibuerei  erhoben  worden;  erwägt  man  nun, 
dafs  an  manchen  Stellen  imsere  Kenntnis  des  Kongo  noch  an  der- 
selben Stelle  steht,  wie  vor  acht  Jahren,  bedenkt  man,  dafe  das  ver- 
Qfifentlichte  neuere  Material  zum  grofsen  Teile  von  selbständigen 
Leuten  herrührt,  überlegt  man  endlich,  dafs  die  anfangs  mit  der 
internationalen  Association  ver(juiikte  Kongogesellschaft  sechs  Jahr 
und  insgesamt  mit  mehr  als  hnndert  Kurojiäern  gearbeitet  hat,  so 
ist  dies  eine  Thatsache,  die  zu  denken  giebt  nnd  Befürchtungen 
oben  ausgesprochener  Art  wenigstens  nicht  ausschliefst.  Dafs  diese 
nicht  zur  Wirklichkeit  werden  mögen,  können  wir  im  Interesse  der 
Geographie  nor  auf  das  dringendste  wünschen! 

II.  Das  Kongolan^  nnd  seine  Natur. 
Dafo  das  Bild,  welches  wir  von  dem  Kongoland  im  folgenden 
zu  entwerfen  versuchen  wollen,  ein  nnvollkommenes«  Iflckenhaftes 
ond  provisorisches  sein  mnfs,  wird  fflr  die  Leser  der  vorstehenden 

Entdeckungsgeschichte  etwas  selbstverständliches  sein.  Ehe  wir  indes 
'  an  die  Aufgabe  selbst  herantreten,  mag  es  gestattet  sein,  eine 
kurze  allgemeine  Bemerkung  über  das  Verhältnis  zwischen  den  zwei 
wichtigsten  geographischen  Dnrstellungsmitteln,  der  Karte  und  der 
Abhandlung,  zu  machen,  ein  Verhältnis,  das  unseres  Erachteus  von 
den  Geographen  nicht  immer  in  der  wünschenswerten  Weise  beachtet 
wird.  Karte  und  Abhandlung  oder  Beschreibung  eines  Gebietes 
sollen  sich  gegenseitig  ergänzen,  aber  nicht  ineinander  übergreifen. 
Eine  Anfisählung  der  Kongoznflüsse,  nur  mit  dem  Zwecke  sie  zu 
nennen,  das  würde  z.  B.  ein  Übergriff  der  Beschreibung  in  die  Karte 
sein,  eine  kartographische  Darstellung  der  Vegetationsverhältnfsse 
dagegen,  wie  sie  Johnston  seinem  bekannten  Buche  „der  Kongo" 
beigegeben  hat,  bedeutet  den  anderen  Fehler;  jene  erweckt  Lange- 
weile und  tötet  die  räumliche  Vorstellungskraft,  diese  erzeugt  irrige 
Begriffe,  denn  wenn  Johnston  eine  ^rofse  Flache  gleichmäfsig  mit 
grüner  Farbe  überzieht  und  Dense  forest  dazu  schreibt,  so  ist  das 
nicht  nur  sehr  voreilig,  —  denn  jene  Gegenden  sind  entweder  gar 
nicht  oder  nur  rontenweise  bekannt  —  sondern  auch  irrtümlich  ge- 
handelt Die  Karte  ist  so  recht  geeignet  räumliche  Veriialtnisse, 
als  Grenzen,  Lage  nnd  Verlauf  von  Gewässern,  Situationen  von 
Orten,  Ausdehnung  und  allgemeinie  orographische  Beschaffenheit  von 
Terrainerh^ungen,  auszudrücken  und  dafür  giebt  es  keinen  voll- 
kommenen Ersatz,  was  Leiclitigkeit  und  Schnelligkeit  der  Orientierung 
anbetrifft.   Je  gröfser  der  Mafsstah  einer  Karte  ist,  desto  voll- 


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—  124  — 


koiiimener  und  ausführlicher  wird  sie  jene  Verhältnisse  darstellen 
köDiiei),  ja  es  wird  möglich  sein  auch  anderes  anzudeuten,  z.  B.  ob 
ein  Distrikt  Wald,  Wiese  oder  Kulturland  ist  u.  a.    Je  kleiner  aber 
der  Mafsstab  einer  Karte  ist,  desto  mehr  mufs  sie  sich  auf  die 
Topographie,  Orts-  und  Staateukunde  beschränken  und  für  alles 
übrige  tritt  die  BeschreibuDg  ein.   Dies  gilt  namentlich  f&r 
Karten  neu  entdeckter  und  daher  nur  strichweise  bekannter 
Gegenden,  also  anch  für  das  Kongogebiet  beziehungsweise  Centntl- 
afrika.  Es  ist  daher  die  kartographische  Darstellung  anderer 
Gegenstände   als   der  oben   angedeuteten  eine  sehr  mfrsliche 
Sache;  sieht  man  z.  B.  die  geologisclicn  Karten  von  Westafrika 
(Lenz)  oder  Ostafrika  (Thomson)  an,  so  sind  darauf  Strecken  mit 
bezeichnender  Farbe  versehen,  die  überhaupt  kein  Europaer  gesehen 
hat,  es  ist  vielleicht  nur  ein  Reisender  in  der  Entfernung  v(in 
einigen  hundert  km  vorbeigegangen;  umgekehrt  konnnen  wirklieb 
erforschte  Gebiete  auf  solchen  Karten  in  so  kleinem  Malsstabe  zum 
Ausdruck,  daCs  die  Resultate  mehr  oder  weniger  verloren  gehen. 
In  allen  solchen  Fällen,  d.  h.  überall  da,  wo  die  Karte  nicht  mit 
einer  nach  Lage  der  Sache  zweifellosen  Deutlichkeit  und  Richtigkeit 
spricht,  beginnt  das  Gebiet  der  schriftlichen  Darstellung;  was  dort 
angedeutet  ist,  führt  sie  aus  und  besonders  in  Fragen  zweifelhafter 
Art  kann  sie  mit  den  Nüancen  ihres  Ausdrucks  die  Wahrheit  wenn 
nicht  treffen,  so  doch  ihr  so  nalie  wie  möglich  kommen.    Und  das 
ist  ja  der  /weck  der  Wissenschaft. 

Indem  wir  im  folgenden  bestrebt  sein  werden,  dem  eben 
prinzipiell  erörterten  Unterschied  zwischen  Karte  und  Abhandlnnir 
gerecht  zu  werden,  gliedern  wir  den  Inhalt  des  Kapitels  ,tDas 
'KwgoUmd  und  aeitie  Nakar"  in  eine  Anzahl  Unterabteilungen. 
Diese  sind:  1)  Ausdehnung  und  Begrenzung,  2)  architektonischer 
Aufbau  (Reliefbildung),  3)  geologische  Zusammensetzung,  4)  allgemeine 
Oberflflchenbeschaffenheit  oder  Landschaftskunde,  5)  meteorologisch- 
uatur w i sse usch af tl i ch e  Spezialitäten. 

Was  die  äufseren  Verhältnisse  des  Kongostroni^ebietes  an- 
belan^'t,  so  ist  nur  soviel  sicher,  dals  es  ein  kolossales,  rings  von 
Anhölien  eingeschlossenes  Biunenbecken  ist,  das  durch  eine  schmale 
gewundene  Spalte  mit  dem  Ocean  in  Verbindung  steht,  die  Atts- 
dehmmg  und  Begrenzung  selbst  sind  zur  Zeit  noch  völlig  problematisch, 
bedingen  sich  daher  gegenseitig;  besonders  je  nachdem  man  die 
zur  Zeit  absolut  unklare  Nordgrenze  annimmt,  mfissen  die  Raum- 
zahlen  betrachtliche  Schwankungen  erleiden.  Nach  Friederichsen, 
der  in  seiner  Karte  von  Centraiafrika  das  äusserste  Maximum  dar- 
stellt, beträgt  der  gröfste  nordsüdliche  Durchmesser  des  Kongobeckens 


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12B  — 


21  Breitengrade,  also  rund  2360  km,  gleich  der  Entfernnng  von 
Frankfurt  a.  M.  nach  dem  Nordkap  oder  von  New-Orleans  nach  dem 
Winnipegsee,  also  weitmehr  als  das  Luftmafs  des  Bfississipi)!.  Der 
grOfste  westOstliche  Durchmesser  gerade  durch  über  dem  6^  s.  Br. 

gemessen,  triebt  22  Lftngengrade,  also  reichlich  2U00  km.  Daraus  würde 
ein  Flächeninhalt  von  mehr  als  4  (KK)  000  qkm  oder  die  beinahe  acht- 
fache Gröfse  des  deutschen  Reiches  resultieren,  eine  Zahl,  die  mit 
Hinzurechnung  kleiner  Nachhargebiete  auch  von  den  Vertretern 
der  Kongogesellschaft  aufgestellt  wurde.  Nach  einer  älteren, 
von  Aug.  Peterniann  angestellten  planimetrischen  Berechnung 
betragt  das  Areal  des  Kongogebiets  59100  Quadratmeilen  oder 
rund  3260000  qkm,  von  dem  der  Kongofreistaat  nach  den 
Berechnungen  des  Geometers  B.  Trognitss  vom  deutschen  Beich 
1 633 100,  von  Belgien  und  Frankreich  2074 100  qkm  anerkannt  er- 
halten hat,  also  ganz  bedeutende  Lftnderstrecken,  die  der  Wahr- 
scheinlichkeit nach  zum  gröfsten  Teil  aus  gut  bewässciteiii,  der 
Agrikultur  zugänglichem  l>oden  bestehen.  Die  Grenzen  des  Kongo- 
stromgebietes sind  im  Süden  mit  genügender,  im  Osten  mit  teilweise 
genügender  Sicherheit  festgestellt.  In  letzterer  Richtung  sind  haupt- 
sächlich zwei  Punkte  klarzustellen,  von  denen  der  eine  den  Tanganika, 
der  andere  den  Luta-Nzige  betrifft.  Nach  der  allgemeinen  Annahme 
steht  ja  der  Tanganika  mit  dem  Lualaba-Kongo  durch  den  Lukuga 
in  Verbindung.  Aber  mit  diesem  Flusse  hat  es  doch  eine  eigne 
Bewandtnis.  Zunächst  ist  sein  Flufelauf  nur  eine  Strecke  weit  verfolgt, 
seine  Mündung  in  den  Kongo  aber  nicht  konstatiert  Stanley  zwei- 
felte seiner  Zeit  an  der  Möglichkeit,  dafs  der  Lukuga,  wie  der  Ent- 
decker Cameron  wollte,  ein  Abtiuls  des  Tanganika  sei,  Thomson 
dagegen  verfolgte  das  Gewäs.scu*  weiter  und  konnte  sehen,  wie  es 
sich  we^twnrts  durch  ein  allmählich  vertieftes  und  gekrümmtes  Thal 
hinwindet,  bis  es  seineu  Lauf  durch  eine  grofse  Ebeue  fortzusetzeu 
schien;  nach  den  Aussagen  der  Finieborenen  soll  es  von  Aquilonda  aus 
viel  langsamer  lliefsen,  sich  verbreitern  und  sogar  seeartige  Buchten 
bilden.  Noch  merkwürdiger  wird  die  Sachlage,  wenn  man  die 
Mitteilungen  des  letzten  Reisenden  am  Lukuga,  des  Belgiers  Sturms, 
beracksichtigt.  Dieser  konstatierte  am  16.  Juli  1888,  dafs  an  der 
Mündung  des  Flusses  die  Wasser  des  Sees  sich  auf  eine  Breite 
von  1000  bis  1500  m  zurückgezogen  hal>en.  Der  Lukuga  .^elbst 
hat  am  Ufer  etwa  die  l^reite  von  1500  bis  20CHj  m;  diese  nimmt 
aber  rasch  ab  und  betragt  4  km  vom  See  nur  noch  -100  km ;  erst 
au  dieser  Stelle  wird  die  Strömung  nach  deui  Kongo  hin  i>emerkbar. 
Noch  weiter  westwärts  ist  der  Flufs  nur  200  m  breit,  hat  ein  tief 
eingegrabenes  Bett  und  bildet  nach  eingezogenen  Erkundigungen 


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—  126  — 


Stromschnellen.  Soweit  die  Berichte  Storms.  Nach  alledem 
hat  man  es  vielleicht  hier  mit  einer  Bifurkation  zu  thnn  and 
es  ist  wahrscheinlich,  dafs  der  Tanganika  nur  in  mittelbarer 
Welse  mit  dem  Kongobecken  zusammenhani^'t,  also  strenggenommen 

nicht  dazu  ^^ehört.  Damit  wird  denn  auch  die  Zugehörii^lieit  des 
Luta-Nzige  hinfallig,  denn  dieser  steht  niödicherweise  durch  einen 
Wasserarm,  den  hisher  niemand  gt^seheu  hat,  mit  dem  Tanganika- 
see in  Yerbill^lunl,^  möglicherweise  aber  auch  nicht,  ein  anderer 
Zusammenhang  mit  dem  Kongobecken  ist  aber  nicht  nachweisbar. 

Zur  Nordgrenze  übergehend,  gelaniren  wir  auf  ein  (iebiet, 
auf  dem  die  Hypothesen  wuchern.  Da  ist  zuerst  die  Ueile- 
frage  zu  erw&hnen.  Leute  wie  Schweinfürth  und  Juncker,  weldie 
an  dem  fraglichen  Flusse  waren,  haben  sich  dahin  geäufsert,  dafs 
der  Uälle  nicht  zum  Stromsystem  des  Kongo  gehdrt,  Nachtigai  war 
der  Meinung,  dafs  er  den  Oberlauf  des  Schari  darstellt:  andere  wie 
Chavanne  verbanden  ihn  schon  vor  Stanlevs  Fahrt  1883  mit  dem 
damals  Ariiwimi  genannten  Ubingi :  da  seitdem  keinerlei  neues  Mate- 
rial zur  Entscheidung  der  Sache  gewonnen  ist,  so  lie-^t  keine  Ver- 
anlassung vor  die  Meinung  zu  ändern,  welclie  wir  im  zweiten  Hefte 
des  Jahrgangs  1884  der  Geographischen  Blatter  äufserten;  man  miifs 
auch  heute  noch  sagen:  non  liquet.  Da£s  der  Uelle  der  Oberlauf 
des  Ubingi  sein  kann,  ist  möglich,  da  hn  allgemeinen  das  Terrain 
des  Ü6ilequellgebietes  höher  liegt  als  der  Kongokuf,  denn  dort  findet 
man  Höhen  von  700  and  mehr  m,  der  Kongo  dagegen  befindet 
sich  unterhalb  der  Stanley-Falle  in  einer  Meereshöhe  von  450  m,  aber 
da  zwischen  den  beiden  bekannten  Punkten  immer  noch  ein  Raum 
von  gut  zwei  Breitengraden  oder  225  km  unerforscht  ist.  und  in 
der  Entwickelung  von  Flurssystemen  oft  eine  trerinire  Anhöhe  strom- 
ablenkend wirken  kann,  so  liegt  kein  zwingender  (irund  für  jene 
Uelle-Ubingi-Hypothese  vor.  Überhaupt  möchten  wir  diese  Gelegen- 
heit benutzen,  um  uns  gegen  die  bei  manchen  Kartographen  vor- 
handene Neigung  zu  punktierten,  also  hypothetischen  Flulslaufen  zu 
äufsern.  Die  Hypothese  kann  ja  in  wissenschaftlichen  Dingen  nicht 
entbehrt  werden,  aber  man  mufs  sie  mit  Vorsicht  und  nur  auf  der 
Basis  zwingender  GrOnde  anwenden;  ebenso  wfthlerisch  mufe  man 
sich  hinsichtlich  der  durch  blofse  Erkundigung  gewonnenen  Berichte 
verhalten.  In  beiden  Beziehungen  geht  z.  B.  Friederichsen  auf  seiner 
mehrfach  erwaiinten  Karte  von  Centralafrika  entschieden  über  das  er- 
laubte Mafs  hinaus;  er  hat  das  ganze  System  der  nönllichen  Zutiüsse  mit 
punktierten  Linien  ausgezeiclinet;  er  verbindet  z.  B.  den  Ngala  mit  dem 
Mbomo,  der  nach  den  bislierigen  Karten  zum  Uelle  gehört,  obgleich 
die  bekannten  Teile  derselben  mindestens  4ö0  km  von  einander  ent- 


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—  127  — 


fernt  sind.  Uns  scheint,  dafs  mit  solchen  willkürlichen  Phantasie- 
gebilden  niemandem  gedient  ist,  wir  halten  es  im  Gegenteil  fttr 

besser,  auf  derartigen  Karten  inöj;lichst  alle  Hypothesen  auszu- 
schliefseii,  damit  das  erforschte  Gebiet  von  dem  völlig  unbekannten 
oder  durch  Frkundijrungen  bekannt  «rewordeiien  Distrikten  sich  klar 
und  deutlich  abhebt;  da^  entgegengesetzte  Verfahren  kann  nur  ver- 
wirrend wirken. 

Weniger  problematisch  als  mit  der  Begrenziing  des  Kongo- 
beckens steht  es  mit  dessen  archüektomschem  Aufbau^  soweit 
es  sieh  um  den  Grundrifs  handelt,  denn  die  Einzelheiten  zeigen 
begreiflidierweise  noch  grofse  Lücken.  *  Wie  schon  der  hftufig 
gebrauchte  Name  andeutet,  ist  das  ganze  Gebiet  in  der  That 
ein  riesijsfes  Becken  fast  quadratischer  Form,  dessen  Rftnder  im  Durch- 
schnitt KJOÜ — 15CX)ni  über  den  Meeresspiegel  gehoben,  in  dem  Ober- 
tiächenbau  des  centralen  Afrika  sich  vor-jezeichnet  finden.  Dies 
ist  bekanntlich  ein  grofses  Pbiteau  von  HOO  m  Mittelhöbe,  dessen 
äiifsere  dem  Meere  genäherte  I  hinken  im  Laufe  der  Zeit  Gebirgs- 
formen  annahmen  und  mit  einem  ungebirgigen,  teils  Hachen, 
teils  hügeligen  Yorlande  versehen  wurden.  Der  etwa  850  km  breite 
Westrand  des  Plateaus,  das  sogenannte  westafrikanische  Schiefer- 
gebirge, über  dessen  orographischen  Bau  wir  besonders  durch 
£.  Pechuel-Loesche  aufgeklart  worden  sind,  entspricht  dem  Typus 
der  Faltengebirge,  wie  sie  sich  an  den  Grenzen  der  Kontinente  auch 
anderwärts  linden,  z.  B.  die  Alleghanies  iu  Nordamerika.  In  den 
Bildungsprozefs  fler  Osttlanke  haben  die  vulkanischen  Kriifte  einge- 
griffen, denn  wie  bekannt  zieht  von  Abessinien  nach  Sflden  zum 
Njassa  eine  vulkanische  Spalte  und  dir  in  deren  GefolLre  auftretenden 
Störungen  haben  diesem  Gebiete  eine  gröfsere  Unregelmiiisigkeit 
und  Mannigfaltigkeit  verliehen;  sie  haben  den  ursprünglichen  Plateau- 
rand nicht  nur  in  disharmonischer  Weise  zerrissen,  sondern  ihn 
auch  stellenweise  zu  grdfserer  Höhe  emporgehoben  und  das  ihre  zu 
der  Bildung  der  grofsen,  jetzt  seebedeckten  Spalten  beigetragen. 
Der  Südrand  des  Kongobeckens  besteht  im  Westen  aus  einer  er- 
höhten Plateanwölbung,  wie  man  sie  z.  B.  in  Europa  zwischen  Böhmen 
und  Mähren  findet;  interessant  ist  hier  der  Umstand,  dafs  zur 
Regenzeit  ein  Teil  der  Wasserscheide  zwischen  dem  Kontio  und  dem 
Zambesi  eine  überschwemmte  Fhlrlie  biblet.  von  der  einijj;c  Kinn- 
sale nach  Norden,  andere  nach  Öüden  Hielten.  Weiter  iiit  Osten 
am  Bangweolosee  macht  der  Grenzwall  des  Kongobeckens  den  Ein- 
druck eines  Gebirges.  Was  den  Nordrand  anbelangt,  so  scheinen  hier, 
wenn  man  Vermutungen  aufstellen  darf,  ahnliche  Verhältnisse  wie  an 
derSfldgrenze  vorzuliegen.  Die  BinnenÜ&che,  also  das  eigentliche 


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—  128  — 


Kongobecken,  hat  im  Gebiete  der  sttdlichen  Nebenllflsse  wenigstens  ein 
durchaus  gleichartiges  Gepräge;  sie  ist  in  deren  Quellgebiet  ziemlich 
mannigfaltig,  da  die  fl&cherartig  ausgebreiteten  Urspmngsbftche  das 

Terrain  zu  högelitren  beziehungsweise  bergijren  Erhebungen  unregel- 
mäfsi^^cr  Form  miigestaltet  haben;  weitor  nordwärts,  wo  die  einzelnen 
Haujttnehenflüsse  ihre  Individualität  nusLropragter  zeigen,  tritt  jene 
(ileic'hnu\fsiirkpit  iiniie^torttT  zu  TaLTO.    Durch  die  im  L%'inzen  süd- 
nördlich verlautenden  Flüsse  ist  nämlich  die  ^auze  Fläche  in  eine 
Anzahl  langer,  schmaler,  schwach  gewölbter  Plateaus  geteilt,  die 
von  Westen  nach  Osten  sich  in  ermüdender  Kintönigkeit  wiederholen. 
Diesen  Charakter  tr&gt  clas  Plateau  nach  M.  Buchner  schon  in  der 
Nahe  von  Malange;  in  steter  Reihenfolge,  sagt  er,  erheben  sich 
flache  Plateaukurven,  deren  Sehnen  500  und  deren  Abscissen  20  m 
betragen,  Aber  die  Horizontale,  d.  b.  jeden  halben  Kilometer  treffen 
wir  auf  einen  Bach,  der  ungefähr  20  m  eingegraben  ist.  Die  grofscn 
Flüsse  haben  natürlich  tiefere  Furchen  —  zwischen  50— 1(X)  ni  — 
in  das  riatcMii  eingerissen,  aber  auch  hier  sind  die  Niveauunter- 
schiede nicht  beträchtlich  und  die  Form  der  schwaclien  Wölbung 
kehrt  wieder.    Das  beweisen  z.  B.  Wissmanns  Höhenniessungeu. 
Danach  liegt  die  Übergangsstelle  der  Kxpeditiou  über  den  Kassai 
etwa  520  m,  diejenige  ttber  den  Lubi  470  m  über  dem  Meere.  Die 
grdfste  dazwischen  gelegene  Erhebung  beträgt  820  m  (Kinga  Lun^). 
Da  nun  beide  Flufspassagen  etwa  200  km  von  einander  entlernt  sind, 
so  kommt  hier  im  Durchschnitt  auf  200  km  Weg  eine  Erhebung  von 
300 — 350  m,  auf  den  km  3 — 4  m,  also  eine  Steigung,  wie  sie  in 
jeder  Tiefebene  vorhanden  ist.    Die  Hereisung  des  Südkou^oplateaus 
würde  demnach  rücksichtlich  der  Höhen  Verhältnisse  keine  Schwierig- 
keiten darbieten,  wenn  es  el)L-n  nicht  von  Siulen  nacli  Norden  von 
zahllosen  Rinnsalen  und  deren  TributÄreu  durchzo^»en  wäre,  die 
zwischen  dem  Kassai  und  Lubi  sämtlich  schluchtenartig  mit  steilen 
Wauden  40—60  m  tief   in   die  Fläche   eingerissen   sind.  Die 
Absenkung  derselben  von  Süden  nach  Norden  scheint  übrigens 
in   ziemlich  gleichmäfsiger  Weise  zu  erfolgen.    Während  die 
Wassen^cheide  zwischen  den  KongozuÜflssen  und  dem  Quellgebiet 
des  Zambesi  etwa  1440  m  über  dem  Meere  lient,  befindet  sich  der 
Spiegel  der  ersteren  zwischen  dem  6.  und  7  ^'  s.  Br.  in  einer  zwischen 
4(H)  und  r)r)0  m  scliwankcndcn  Höhe,  so  der  Kuan^M>  hei  6"  30  in 
40ti  m,  der  Kassai  in  520,  der  Lubi  470,  der  Lnbilasch  5C)7  ni; 
dazn  stimmt  auch  die  Lage  dos  allerdings  ein  gutes  Stück  nörd- 
licher gelegenen  Njangwe,  o3()  m.    Wenn  mau  nun  bedenkt,  dafs 
jene  Wasserscheide  im  Durchschnitt  bei  12**  liegt  und  als  Mittel- 
höhe der  Flufespiegel  bei  6  ^  450  m  annimmt,  so  betr&gt  die  Ab- 


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—  129  — 


dachiing  auf  6  Breiteimraden  oder  rund  670  km  etwa  iOüi)  m  oder 
da  die  Tieferlegung  des  Niveaus  ziemlich  gleichinäfsig  erfolgt,  nicht 
ganz  2  ni  auf  KXK)  m,  eine  für  ein  nicht  gebirgiges  Land  durchaus 
minimale  Niveaudifterenz.  Eine,  etwas  genauere  Vorstellung  von 
diesen  Verhältnissen  gewinnt  man  bei  der  Durchsiebt  der  Höhen- 
messnngen  Wifsmanns,  die  bei  Gelegenheit  des  fast  direkten  Kord- 
marsches  der  Expedition  von  Kimbundo  nach  Kikassa  gewonnen 
wurden.  Von  Kimbundu  10  °  s.  Br.  und  1230  m  hoch  bis  Kassange 
am  unteren  Tsclukapa,  7  ^  10'  und  640  ui  hoch,  wird  fast  jede 
folgende  Messunir  niedriger  als  die  vorhergehende  und  wo  wirklich 
einmal  nach  Norden  zu  ein  Anstieg  erfoli^t,  handelt  es  sich  um 
hüclistens  20  m;  die  südnördliche  Ahdachung  des  Südkongoplateaus 
dem  Tschikapa  entlang  hetragt  also  kaum  2  m  auf  lUüO  m.  In 
Wirklichkeit  ist  freilich  das  Land  nicht  so  eben,  wie  es  nach  dem 
Gesagten  scheinen  könnte;  dafür  wird  es  von  zu  vielen  Rinnsalen 
verschiedenster  Gröfse,  vom  schmalen  Bach  bis  zum  1000  m  breiten 
Strome,  durchzogen.  Das  Land  der  Tasselange  zwischen  dem  Eassai 
und  Lnlua  z.  B.  ist  eine  wellig  koupierte  Ebene.  „Manche  Gegend**, 
sagt  Toggc,  ^uuichte  iih  als  echter  Flachländer  hergig  nennen,  so 
tief  liegen  die  Mulden  mit  ihren  tief  eingefurchten  Bftchen,  welche 
die  ebenen  Plateaus  von  einander  scheiden."  Eigentliche  Berge 
gieht  es  demgeniüfs  nicht:  wo  derartige  (Jebilde  vorkommen,  kann 
es  sich  immer  nur  um  kieine,  isolierte  Piateauteile  handeln;  eineu 
solchen  von  etwa  100  m  relativer  Höhe  traf  Pogge  auf  der  Rück- 
reise und  genols  von  da  eine  gute  Aussicht  auf  die  vorliegende 
Ebene  mit  ihren  Kampinen,  Wäldern,  zahlreichen  Ölpalmen  und 
Dörfern.  FUr  Seenbildung  ist  ein  Gebiet  von  der  eben  geschilderten 
Beschaffenheit  nicht  geeignet ;  daher  haben  sich  auch  die  Erzfthlungen 
von  grofsen  Wasserbecken  als  Mythen  erwiesen. 

Nach  allem  was  man  über  das  Südkongolaml  weifs,  mufs  man 
annehmen,  dafs  die  Keliefhihhmg  vom  Kuango  bis  zum  Lomami,  dem 
östlichen  gröfseren  Nebentlufs,  ungefähr  dicNtlbe  bleibt;  so  sagt  z.  B. 
auch  Cameron  von  deu  Zuflüssen  des  letzteren,  dafs  sich  ein  jeder 
ein  enges,  tiefes  Bett  in  dem  fast  ebenen  IMateau  ausgehöhlt  hat 
und  noch  südlich  von  Kiluilui  bei  9  bis  10®  s.  Br.  marschierte  er 
durch  eine  Beihe  vollkommen  ebener  Flachen.  Östlich  von  Lomami 
bis  zum  Westrand  des  Tangantka  aber  nimmt  das  Land  eine  andere 
Gestalt  an;  es  wird  felsig,  hügelig,  ja  bergig  und  unischliefst  eine 
Anzahl  gröfserer  und  kleinerer  Seebecken.  Thomson  beschreibt 
zwar  das  Gebiet  südlich  von  Lukuga  als  eine  weite  Kbene,  aber 
nördlich  von  dem  Flusse  kommt  Manjema  mit  seinen  wild  zer- 
klüfteten, doch  niedi'igeu  Grauitgebirgen  und  fortwalirend  weckioluder 


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Sceuerie;  dies  ist  das  landschaftlich  schönste  Laud,  das  Wilämanu 
iu  Afrika  sah. 

Die  Bescliafteuheit  des  Nordkongolandes  ist  auf  der  Strecke 
von  Njangwe  bis  an  den  Äquator  völlig  unbekannt,  da  hier  eine  Land- 
reise  niemals  ausgeführt  wurde.  Was  dagegen  die  durch  Brasza 
tmd  seine  Leute  erforschte  Wasserscheide  zwischen  dem  Kongo  und 
dem  Ogowe  anbelangt,  so  hat  auch  diese  die  Form  eines  Plateaas, 
das  zwischen  600  und  800  m  hoch,  von  den  zahlreichen  radial  ab- 
strömenden Gewässern  in  mannigfaltiger  Weise  nmgebildet  ist. 

So  sind  die  Höhenverhältnisse  des  Kongobeckens  im  Vergleich 
zu  seinen  Längen-  und  Breitendiniensionen  geringfügig.  Dasselbe 
gilt  von  den  Niveauunterschieden  in  unmittelbarer  Nähe  des  Haupt- 
stromes selbst.  Dieser,  mehr  als  4000  km  lang  und  in  der  Breite 
zwischen  450  und  16000  m  wechselnd,  entspringt  als  Tschambesi  in 
einer  Höhe  von  1B20  m.  Stufenweise,  bald  einen  See  bald  Strom- 
schnellen bildend,  legt  er  seinen  Spiegel  niedriger.  Diese  Absätze 
werden  durch  den  Bangweolosee  1125  m,  MoSrosee  1090  m,  Njangwe 
530  m,  die  Stanley-Fälle  an  deren  Nordende  450  m  und  Stanley-Pool 
263  m  bezeichnet  Am  auffallendsten  ist  die  geringe  Niveandifferenz 
zwischen  den  zwei  letzten  Punkten,  nümlich  kaum  200  m  auf  einer  Strecke 
von  1700  km,  woraus  die  Neigung  des  Stromes,  sich  seeartig  aus- 
zul>reiten  und  zahllose  In.seln  einzuschliefseu,  zu  erklären  ist.  Ob 
das  Bett  des  Kontjo  duich  den  Bau  der  Oberfläche  irgendwie  vor- 
gezeiehnet  oder  auch  rnu*  angedeutet  war,  ist  eine  Frage,  zu  deren 
sicherer  Beantwortung  es  zur  Zeit  an  genügendem  Beobachtungs- 
material fehlt.  Nach  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Sache  muls 
man  sie  verneinen ;  die  gesamte,  durch  die  riesigen  Becken  erzeugte 
Wassermasse  suchte  vielmehr  die  rehitiv  niedrigste  Stelle  des  centralen 
Plateaus  und  grub  sich  eine  Bahn  bis  zu  der  Stelle,  wo  es  ihr  gelang, 
in  vielfach  gewundenem  Laufe  sich  durch  die  Köpfe  der  Wälle 
des  westafrikanischen  Schiefergebirues  hindurchzuzwängen  und  das 
ursprüngliche  Niveau  des  Bettes  nach  und  nach  tiefer  bis  zu  seiner 
jetzigen  Stelle  zu  verlegen.  Krosionsthäler  sind  aber  nicht  nur  die 
verschiedenen  Abteilungen  des  Hauptstromes,  sondern  auch  die  Betten 
der  Nebenströme,  die  demgemäls  sämtlich  das  üefere  Niveau  mit 
Hälfe  von  Stromschnellen  gewinnen. 

Diese  Bemerkung  führt  uns  zu  der  geolagisckm  Bildung  und 
Ge8teinMU8ammensäjmn0  des  Kongobeckens.  Obwohl  die  darftber 
beobachteten  Thatsachen  nur  sehr  spärlidi  sind,  wird  es  dodi  ge- 
lingen, eine  allgemeine  Vorstellung  von  der  Entstehungsweise  dieses 
Gebietes  zu  gewinnen,  wenn  man  zunächst  das  ganze  Zentralalirika 
iuü  Auge  fafst  und  die  von  Lenz,  Pechuel-Loesche,  Thomson  u.  a. 


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—  131 


gemachten  Beobachtungeu  kombiniert.    Danach  besteht  Centrai- 
afrika aus  einer  un<^eheuren,  an  den  Rändern  teils  gefalteten,  teils 
aufgestfllpten  und  vulkaDisch  gestörten  Urgesteinsscholle  von  Granit, 
Gneis  nnd  Thonschiefer.   An  die  aalaeren  Ränder  dieser  plumpen 
Masse  brandete  noch  in  der  sdoindftren  Epoche  das  Meer.   In  der 
tertiären  Zeit  bildeten  sich  an  den  beiderseitigen  Kasten  Ablage- 
rungen nnd  schufen  den  in  Breite  schwankenden  HOgelsaum,  welcher 
gegenwärtig  zwischen  die  Küsten  und  die  Basis  der  ursprünglichen 
Handerhebungen  eingeschaltet  ist.     Das  vvestafrikanische  Gebirge 
zerfallt  nach  Pechuel-Loesche  in  zwei  verschieden  gebaute  Abtei- 
lungen :  die  westliche,  in  welcher  die  Schichten  unter  Winkeln  von 
20 — 45  Grad  nadi  SW.  einfallen  und  von  SO.  nach  NW.  streichen, 
reicht  bis  in  die  Nähe  der  Station  Manjanga:  in  der  östlichen  sind 
die  Schichten  horizontal  gelagert  Was  die  Gesteinaarten  anbelangt, 
so  folgen  in  der  Richtung  von  W.  nach  0.  teils  aufeinander,  teils 
wechsellagemd  Glimmerschiefer,  quarzitische  Sandsteine  und  Gneis 
bis  Isangila,  von  da  jenseits  des  den  Flufs  durchsetzenden  GrQnstein- 
riifs  graue  und  rötliche  Thonschiefer  und  quarzitische  Sandsteine 
bis  Stanley-Pool ;  das  wasserscheidende  Plateau  zwischen  dem  Kongo  und 
dem  Ogowe  besteht  aus  Granit.    Im  östlicheu  Centraiafrika  erscheinen 
nach  Thomson  an  der  Basis  des  Hochlanrles  rote  kalkhaltige  Sand- 
steine»  Schieferthone,  Kalk  und  Kohlen.schichten,  die  wegen  des  Mangels 
an  Fossilien  schwer  bestimmbar  sind ;  die  Basis  des  Hochlandes  selbst 
zeigt  einen  Wechsel  der  Gresteine;  die  zerklüfteten  Böschungen  be- 
stehen aus  Glimmerschiefer  und  Hornblende;  weiterhin  tritt  Granit 
auf,  der  an  vielen  Stellen  von  vulkanischen  Gängen  durchbrochen 
ist.  Der  Tanganika  liegt  teils  in  Sandstein,  teils  in  Thonschiefer; 
westlich  davon  folgt  dunkelroter  Sandstein.  Dieser  ruht  an  manchen 
Stellen  auf  Granit,  welcher  an  vielen  Orten  infolge  der  Wegspühuig 
des  Sandsteins  zu  Tage  tritt.    Letzterer  ist  nach  Thomsons  Meinung 
in  thu'Mi  groiseu  Binnenmeere  entstanden,  welches  das  ganze  Kongo- 
gebiot,  vom  Tanganika  bis  zum  westatrikaiiischen  Schiefergebirge 
eingenommen  haben  muTs.    „Wahrscheinlich'^,  sagt  Thomson,  «ist 
dieses  grofee  Becken  eine  Aushöhlung  in  dem  ursprünglichen  See- 
bette gewesen  und  bei  der  Erbebung  des  Festlandes  als  groCser 
Salzsee  zurQckgeblieben.  DaTs  es  ursprflnglich  ein  Salzwasser  ge- 
wesen, scheint  die  Thatsache  nachzuweisen,  dafs  viele  Muscheln  am 
Tanganikasee  einen  entschiedenen  Meerestypus  haben.'* 

Die  Beobachtungen  über  die  Gesteinszusammensetzung  des 
Binnenplateaus  sind  lückenhaft:  soweit  sie  vorhanden  sind,  legen  sie 
den  Schlufs  nahe,  dafs  die  (irundlaize  des  (ianzen  granitisch  ist. 
Von  Maiijema  z.  B.  sagt  Wifsmanu,  dais  liier  niedrige  Grauitgebirge 


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—  182  — 


Ulis  den  Tlions<hieferlatren  von  Tun^anika  hervorragen;  Poir.^e  kon- 
statiert am  Lonianii  das  Vorhandensein  von  Granit,  im  Luluai:ebiet 
haben  sich  die  Bäche  bis  auf  die  ^Granitsohle"  einiresclinitten :  aiuh 
Cameron  stiefs  anf  seiner  Reise  im  südliclien  Iv(»nLrnt:e])iet  in 
deu  Flufseinschnitten  auf  Granit  ;  dasselbe  bestätigt  Büchner,  iudem 
er  sagt,  dafs,  wenn  sich  die  Wasserl&ufe  nnprewöhulich  tief  ein- 
gegraben haben,  man  an  ihren  Ufern  Granit,  Gneis  und  anderes 
Urgestein  trifft  Auch  die  Bemerkung  Bnehners,  dafs  das  tod  ihm 
besuchte  Gebiet  durch  eine  aufserordentliche  Armut  an  Ver- 
steinerungen sich  auszeichnet,  wurde  von  anderen  Reisenden  lllr 
die  betreffenden  Gebiete  bestätigt. 

Obgleich  nun  das  ei  trentliche  Koni?obecken  fast  ausschliefslich 
aus  allen  Gesteinen  besteht,  treten  diese  doch  verhiUtnismäfsiir  selten 
sichtbar  zu  Taire,  ein  I  nistand.  der  «lie  j;e(dot?ische  ErforscliuiiL^ 
sehr  ersclnvert;  ^sie  siud  vielmehr  bis  zu  einer  gewissen  Tiefe  zer- 
setzt und  das  aus  diesem  Vorgang  entstandene,  die  wirkliche  Ober- 
fläche fast  des  ganzen  belcannten  Kongogebietes  ausmachende  Pro- 
dukt ist  der  Laterit  Dieser  rötliche  Lehm,  dessen  Kenntnis  haupl- 
sachlich  Pechnel-Loesche  verdankt  wird,  ist  die  eigentliche  Erdkrume 
des  Kongolandes;  sie  findet  sich  nicht  nur  anf  den  Binnenplateaos, 
sondern  auch  gewisse  Gebirgsrücken,  besonders  diejenigen  an 
Oebirgslauf  des  Kongo,  bestehen  an  ihrer  UberHilche  last  ausschliefs- 
lich aus  Laterit.  Derselbe  ist  dalier  nicht  nui"  beachtenswert  für 
eine  etwaiire  Kultur  des  (iehietes,  sondern  tritt  auch  im  Charakter 
der  Landschaft  so  l)estimmend  hervor,  <lafs  Pechuel-Loesche  jeden- 
falls mit  Recht  sagt:  „Hot  ist  die  vorherrschende  Farbe  des  Bodens 
im  tropischen  Afrika." 


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—  133  — 

Die  argentinische  Provinz  Buenos -Aires. 

Von  A.  SeeUtraig.') 

Grenzen  und  Flächeninhalt.  Charakter  des  Landes.  Flora  und  Fanna.  Klima. 
Bev4(1k«ning  und  Aanhl  der  Prenda».  SMdte.  Terkehmnittal.  Vtrwaltnng.  Neue 
Hauptstadt.  Schuleri.  Industrie  und  Handel.  Ackerbau.  Viehzucht.  Ausflug  nach 
dein  Westen :  Chivilcuy.  Diligencia.  Pulperia.  Salto.  Las  Saladas.  Koj&d.  Grund 
»eines   Stillstande«.    Vaqueano.    Schafiacht     Kindviehznoht.    Pferdezucht.  Asotea. 

Lendepekeletionea.   F^rtia.   ClnÜftr.   Oolonia  Tiodolina.  BliMillM^$ecd. 

Die  Provinz  Biienos-Aires  ist  bei  weitem  die  reichste  und  aus- 
gedehnteste Tiovinz  der  Republik,  sie  übt  einen  entscheidenden 
Einflufs  auf  die  Geschicke  des  Landes  aus;  dieses  Übergewicht  hat 
oft  genug  durdi  ehrireiziges  Streben  nach  der  ausschliefslichen  Führer- 
schaft zu  bhitigen  Kontiikten,  ja  zum  zeitweiligen  Zerreilsen  dea 
staatlichen  Verbandes  geführt.  Doch  lassen  wir  die  trübe  Erinnerung 
an  Vorfälle,  deren  Wiederholung  bei  der  jetzigen  Lage 'der  Ver- 
hältnisse mit  Fug  und  Recht  als  unmöglich  bezeichnet  werden  kann. 

DU  Ormum  dea  Staaks  sind  im  Kordosten  der  Parani,  im 
Osten  das  Atlantische  Meer,  im  Süden  der  untere  Lauf  des  Rio  Negro 
und  im  Westen  eine  unregelmäfsige  Trace,  welche  zuerst  von  Arroyo 
de!  Medio,  dann  durch  eine  südwestlich  laufende  Linie  und  schliefslich 
in  grofser  Aasdehnung  durch  den  fünften  Meridian  westlich  von 
Buenos-Aires  (OS*' 21' 33''  Greenw.)  gebildet  wird.  Die  auf  solche 
Weise  umschriebene  Oberfläche  wird  auf  310  307  qkin  berechnet, 
betragt  also  mehr  als  die  Hälfte  des  gesamten  deutschen  Reiches, 
und  kann  ohne  Zweifel  eine  verhaltnisinafsig  ähnliche  Volkszahl  er- 
nähren, da  der  bei  weitem  grdfsere  Teil  des  Bodens  sich  fOr  den 
vorteilhaftesten  Ackerhau  eignet.  Bis  Jetzt  freilich  tragen  die  Er- 
zeugnisse der  Provinz  vorwiegend  den  Charakter  der  Weidewirtschalt, 
was  leicht  erklärlich  durch  die  augenblicklich  noch  sehr  sparsame 
Bevölkerung,  die  nur  612000  Seelen  betragt,  und  durch  den  flberreichen 
Ertrag,  welchen  unter  solclien  Verhältnissen  die  Viehzucht  gewährt. 
Trotzdem  liegt  ihre  Zukunft  in  der  Entwickelung  des  Ackerbaues, 
und  gerade  auf  sie  ist  das  geflügelte  Wort  des  genialen  Staatsmannes 
Sarmiento  anzuwenden:  „die  argentinische  Republik  wird  gewaltig 
dastehen,  sobald  das  letzte  Riad  (wohlverstanden  das  halbwilde)  aus 
ihr  verschwunden  istt* 

Das  Land  tragt  im  allgemeinen  einen  höchst  gleichförmigen 
Charakter,  den  einer  weiten  nur  leise  gewellten  Ebene,  die  nach 

^)  Dieses  Thema  wurde  von  uoserem  £hrenmitgliede  Herrn  Professor 
S«ektrang  in  einem  Vortrage  bohandolt,  wdohen  derselbe  am  19.  Juni  1884  in 
QBMter  QaMUachaft  bieU.  Dtr  Vortrag  wurde  uw,  nim  vervoUstiiidigt  vad 
woilar  auigellUirft,  aom  Abdmek  in  nmerar  Zeitiehrift  von  Harm  Prot  Seabtiang 
freandliclMi  aar  Verfttgnng  geatellL  D.  Red. 

Ocegr.  «Itter.  Bremen.  ISflOb  10 


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~  134  — 

Westen  zu  sich  etwas  starker  zu  undulieren  beginnt  An  den  Ufern 
des  Paranä  bildet  dieselbe  einen  etwa  20  m  hohen,  oft  steilrechteo 
Abhang  (barranca),  aenkt  sich  dann  sadwftrta  langsam  zum  Bio  Salado 
hinab,  welcher  in  einer  Reihe  von  verketteten  Seen  die  Provinz  von 
Westen  nach  Osten  durchstrSmt,  dehnt  sich  hierauf  ttber  160  km 
weit  als  mit  Lagunen  durchsetzte  Tiefebene  hin,  am  in  den  Gebirgen 
von  Tandil,  der  Ventana  (1000  m)  und  Carumalto  eine  plAtzlicfae 
Unterbrechung  zu  finden,  und  begleitet  schlieisliGh  in  nur  mäfsiger 
Erhebung  die  Ufer  des  Meeres  bis  zum  schiffbaren  Rio  Negro.  Die 
SeekOste,  welche  sich  in  gewaltigem  Bogen  nach  Osten  hin  aus- 
baucht, ist  niedrig,  vou  sandigeu  Dünen  bekrftnzt  und  gewahrt  selbst 
flach  gehenden  Schiffen  nur  au  wenigen  Stell eu  Zugang. 

Auch  die  Flora  ist  wenigstens  insofern,  als  dieselbe  den  Charakter 
der  Landschaft  bedingt,  aufserordentlich  gleichmftfsig.  Ein  dichter  Gras- 
wudis  bedeckt  die  weit  gedehnten  Fhichen.  Nur  besteht  derselbe 
im  Süden  und  Südwesten  aus  den  harte«,  aber  höchst  nahrhaften 
Grasern  der  Panii>a  (Pasto  fuerte);  während  diese  im  Norden  und 
Nordosten  unter  dein  Eiutiusse  der  stetig  fortschreitenden  Kultur 
zarteren  Krautern  und  üppigem  Klee  (Pasto  tierno)  Platz  gemacht 
haben,  in  diesen  Itegioneo  sind  auch  besoadei'e  Disteln  eigentümlich, 
welche  die  hoher  gelegenen  Striche  oft  meilenweit  bedecken.  Die 
Gegenden  des  harten  Grases  bringen  eine  unserer  Kardendistel  ähn- 
liche PHauze  hervor,  und  über  dem  Klee  des  Pasto  tierno  erheben 
sich  dichte  Wälder  des  hohen  Cardo  asnal,  dessen  starke,  holzige 
Stengel  und  flockige  Samenköpfe  in  der  Ausstellung  betrachtet  werden 
konnten.  Die  feuchten  Niederungen  aber  sind  erf&Ut  von  der  buschigen 
Ck>rtadera,  einem  schilfertigen  Grase,  und  erhalten  durch  dessen 
weifee  Blütenfahnen  ein  oft  höchst  mehincholisches  Aussehen.  Nur 
in  den  östlichen  Marschen  finden  sich  einige  ausgedehnte  doch  niedrige 
Waldungen  von  Chaflar,  EspiniUo  und  Tata,  und  die  sanften  Hfigel- 
wellen  des  Nordens  sind  gekrönt  von  einsamen  Ombüs,  die  als 
Landmarken  weithin  sichtbar  die  Flache  beherrschen.  Sämtliche 
anderen  Repräsentanten  der  Baumvegetation,  wie  Pappeln,  Weiden, 
Paraisos,  Eucalyj)tus  und  die  ganze  Reihe  der  europäischen  Fruclit- 
bäume,  sind  lUiL^eptlanzt  und  im  otienen  Felde  sichere  Zeichen  eines 
in  ihieiii  Scliatteii  verborgenen  Hauses. 

Ähnliches  ist  von  der  Fauna  zu  sagen.  In  den  schiltigeu 
Niederungen  der  weniger  bevrdkerteu  Regionen  befinden  sich  noch 
einige  Jaguare  und  Pumas,  und  die  Höhen  des  Südwestens  sind  oft 
reich  belebt  von  Guauakos,  Straufsen  und  Rehen;  doch  dieses  Tier- 
leben zieht  sich  natürlich  stets  weiter  vor  der  andringenden  Zivili- 
sation in  die  Pampa  zurück.    Auch  die  schmackhaften  Muiitaä 


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135  — 

fOürteltiere)  sowie  die  Martineta  fein  grofses  Rebhuhn)  finden  sich 
üur  im  Pasto  fuerte,  wahrend  die  Viscacha  ihren  Hohlenbau  überall, 
wo  nur  hoher,  trockener  Boden  vorhandeD,  aolegt  und  das  kleinere 
Rebhuhn  (perdis)  scheu  ver  den  Thoren  von  Bnenos-Aires  getroffen 
wird.  WasservSgel  sind  begreiflicherweise  bei  dem  gro&en  Reich- 
tam  an  Seen  zahlreich  vertreten  und  beleben  malerisch  die  weit- 
gedehnten Lagunen,  deren  schilfiges  oder  sandbedecktes  Ufer  schon 
von  weitem  erkennen  läfst,  ob  ihr  Inhalt  trinkbar  oder  salzhaltig  ist. 
Doit  tumniehi  sich  Scharen  von  Strandhluferu  und  Enten,  Gänse 
und  Schwane  durcWcreuzen  die  schimmelnde  Flache  in  grofseu  Ge- 
schwadern, Störche  schreiten  gravitätisch  am  Ufer  und  bis  an  die 
Brust  am  Wasser  stehen  schweigsame  Löffelgänse  oder  rote  Flamingos. 
Überall  verbreitet  aber  sind  der  wachsame  Kiebitz  und  die  niedliche 
Lechuza  (eine  Tageule),  ein  kleiner  Fuchs  und  der  von  den  Schaf- 
zflchtern  gefhrchtete  Geier  (carancho).  Alles  Heerdenvieh  dagegen, 
auf  welchem  jetzt  gerade  der  Reichtum  der  Provinz  beruht«  ist  ebenso 
so  ausschließlich  europftischen  Ursprunges,  als  die  Kulturgewächse 
mit  eimsiger  Ausnahme  etwa  des  türkischen  Weizens.  In  wie  grofe- 
artiger  Weise  besonders  das  Rindvieh  sich  schon  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten vermehrt  hatte,  möge  die  ThatSiU-he  beweisen,  dufs  im 
Jahre  1654  der  Rat  von  Buenos-Aires  gezwungen  war,  die  Milizen 
der  Umgegend  zur  Verteidigung  der  Stadt  und  ihrer  Garten  gegen 
die  verwilderten  Herden  aufzubieten.   Eine  Seuche  n&mlich  hatte 
die  schwarzen  Sklaven,  welclie  dieselben  hüteten,  hinweggerafft  und 
da  man  den  indianischen  Knechten  nicht  traute,  war  das  Hornvieh 
einige  Jahre  lang  ohne  Aufsicht  geblieben  und  bedrohte  nun  emstlifefa 
die  Pflanzungen  der  jungen  Kolonie.  Von  jener  Zeit  ab  wurden 
regelmäfsige  Erlaubnisscheine  für  das  Töten  von  einigen  Tausend 
Stück  wilden  Viehs  ausgestellt,  deren  Häute  und  Talg  den  einzigen 
Ausfuhrartikel  nach  Europa  bildeten,  während  das  Fleisch  einfach 
den  Füchsen  und  Geiern  zur  Speise  überlassen  wurde.    Wie  weit 
diese  Zustände  sich  geändert  haben,  wird  sich  im  weitereu  Verlauf 
dieser  Mitteilung  ergeben. 

Das  KUma  der  Provinz  ist  gemafsigt  und,  trotz  dereu  grofser 
Ausdehnung,  an  allen  Punkten  fast  das  gleiche,  was  wohl  durch  die 
Nfthe  des  Meeres  und  die  ebene  Bodengestaltung  begründet  wird. 
Katflrlich  stOrmen  infolgedessen  auch  die  Winde  mit  gro&er  Gewalt 
darflber  hin.  Bei  früherer  Gelegenheit  schilderte  ich  bereits  den 
kalten,  regenbringenden  Sfldoster  und  den  gewaltigen,  doch  erfrischen- 
den Pampero ;  aber  für  gewöhnlich  wölbt  sich  der  Himmel  heiterblau 
über  der  grünen  Fläche.  Die  mittlere  Jahrestemperatur  liegt  zwischen 
den  Isothermen  von  15°  und  17°  C.  — 

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—  136  — 


Unter  so  gfinstigen  Witterangs-  und  BodenverhAltnisseQ  nimmt  es 
eigentlich  wunder,  dafs  die  Provinz  nicht  wenigstens  schon  seit  hundert 
Jahren  emen  mächtigen  Aufischwung  genommen  mid  eine  dichtere  Bt-  \ 

voVAerwn^  erlauj?t  habe.  Doch  dieselben  Ursachen,  welche  das  Wachstum  , 
der  Hauptstadt  verzöi^erten,  wirkten  auch  auf  dem  ofteneu  Lande.  ' 
noch  vermehrt  durch  die  hiluti^eii  und  furchtbaren  Kinfalle  der  In-  \ 
dianer,  die  nicht  selten  bi<  auf  wenige  Meilen  von  Buenos- Aires  selbst  | 
gelangten.    So  betrug  denn  im  Jahre  1744  die  gesamte  Land-  I 
bevölkerung  nicht  mehr  als  60&4  Seelen  und  der  Zensus  des  Vize- 
kOnigs  Geballos  (1778)  ergab  nur  das  doppelte:  12  ^  KOpfe.  Natürlich 
beschrankte  sich  damals  die  Ausdehnung  der  spanischen  Bfacht  allein 
auf  die  unmittelbaren  Ufer  des  La  Plata  und  Parani,  und  erstreckte 
sich  von  dort  kaum  mehr  als  8  — 10  Leguas  ins  Innere. 

Auch  während  der  Wirren  der  späteren  Revolutionsperiode 
wuchs  die  Bevölkerung  nur  sehr  allmählich,  so  dafs  man  dieselbe 
1823  auf  etwa  75()(K)  schätzen  konnte  und  selbst  im  Juhre  1884 
nicht  mehr  als  177  (HR)  Seelen  gefunden  wurden,  die  fast  sämtlich 
im  Norden  des  nur  hundert  und  etliche  Kilometer  von  Buenos-Aires 
entfernten  Kio  Salado  zusammengedrängt  lebten.  Doch  von  nun  ab 
begann  ein  grofsurtiges,  stetes  Wachstum,  welches  immer  von  neuem 
die  zo  enge  Fessel  der  Indianergrenzen  sprengte  und  weiter  nach 
Südwesten  hinausschob.  Schon  im  Jahre  1869  worden  317000 
Seelen  gezahlt,  und  der  letzte  Zensus  von  1881  weist  sogar  612  000 
nach,  also  in  12  Jahren  eine  Vermehrung  der  Volkszahl  um  66  Prozent! 

Das  Verhältnis  der  Argentiner  zu  den  Ausländern  stellt  sich 
dabei  wie  3:1;  doch  dürfen  wir  nicht  aufser  acht  lassen,  dafs 
selbst  so  sorgfältig  geleitete  Zählungen,  wie  die  letzte,  an  der  unser 
Landsmann  Dr.  Latzina  einen  hervorragenden  Anteil  nahm,  stets 
vou  dem  Grundsätze  der  Konstitution,  welcher  die  dort  von  fiemden 
Eltern  geborenen  Kinder  für  Argentiner  erklärt,  ausgehen  müssen. 
Würden  im  Gegenteil  die  Nachkommen  der  Nationalitat  ihrer  V&t» 
ZQgeschrieben,  so  dürfte  das  Verhältnis  sich  höchst  wahrscheinlich 
wie  3 : 2,  vielleicht  sogar  wie  1:1  gestalten.  Im  übrigen  stehen 
auch  hier,  was  die  Anzahl  betrifft,  die  Italiener  in  erster  Linie 
(57000);  ihnen  folgen  die  Spanier  (33000)  und  dann  die  Franzosen 
(20  70Ü),  wenn  auch  unter  letzteren  sich  ausnehmend  viele  Basken 
befinden,  welche  eigentlich  ihren  spanischen  Vettern  zugerechnet 
werden  müssen.  In  weitem  Abstände  finden  wir  dann  die  Engländer 
mit  90(X)  und  die  Deutschen  sogar  nur  mit  15U0  Köpfen  vertreten; 
doch  sind  dieselben  fast  ausscblierslich  Grolsgrundbesitzer,  iaUeo 
somit  bedeutend  mehr  ins  Gewicht. 

Jenes  vorhin  erwähnte,  periodische  Verschieben  der  Indianer- 


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—  137  — 


grenze  hat  gegenwärtig  sein  Ziel  erreicbt.  Der  letzte  Schritt  in 
dieser  Richtung  war  die  Besetzung  der  Linie  Bahia  BlancarGuamini- 
Italö,  welche  im  Jahre  1876  durch  den  verdienstvollen  Staatsmann 

und  Krie^'sminister  Dr.  Ahina  in  der  Art  j^^esichert  wurde,  dafs  der 
am  meisten  i^eliUirdete  Teil  mit  einem  340  km  langen  Graben  nebst 
den  entsprechenden  Forts  ausgerüstet  wurde,  vielleicht  in  Krinnenmg 
an  den  römischen  Pfahlgrabeu  in  Deutsehland.  Der  spatere  Feldzng 
des  gegenwartigen  Presidenten,  (leneral  Roca,  beseitigte  die  ganze 
ludiauergefahr,  indem  er  die  räuberischen  Uordeu  über  den  Rio  Negro 
hinausdrängte  (1879),  welcher  jetzt  von  den  argentinischen  Truppen 
bewacht  wird.  So  dient  denn  der  »Graben  des  Dr.  Älmaf^  noch 
als  eine  Art  von  Polizeikordon  gegen  die  Marodeure  der  Pampa, 
and  die  zahlreichen  Fortines  der  letzten  dreiHsig  Jahre  bilden  ent» 
weder  die  friedliche  Behausung  irgend  eines  Viehzüchters,  oder  sie 
sind,  pflnstig  gelegen,  zu  Stadtchen  herangewachsen,  in  welchen  die 
liindliclieu  Behörden  ihren  Sitz  haben  und  die  oft  schon  durch  die 
Eisenbahn  mit  Buenos- Aires  in  Verbindung  stehen. 

Dergleichen  Städte  besitzt  die  Provinz  96 ;  doch  sind  die  meisten 
nichts  weniger  als  volkreich,  da  sie  gewöhnlich  blol's  einige,  allerdings 
reich  ausgestattete,  Kaufläden,  Kneipen  und  die  für  den  landlichen 
Bedarf  arbeiteuden  Handwerker  beherbergen.  So  giebt  es  z.  B.  nur 
eine  Stadt  von  über  10000  Einwohnern,  San  Nicol^  am  Parand 
gelegen  und  günstiger  Hafen  zur  direkten  Verschiffung  von  Wollen 
und  Hftuten  nach  Europa.  Die  Seelenzahl  yon  ferneren  sechs  St&dten 
erhebt  sich  über  5000  und  andere  24  bleiben  zwischen  dieser  Ziffer 
und  Die  gesamte  städtische  Bevölkerung  aber  betragt  nach 

dem  letzten  Zensus  169  000  Köpfe,  also  etwas  mehr  als  ein  Drittel 
der  Volkszahl  überhaupt. 

Der  Vrrkehr  in  der  ausgedehnten,  doch  so  sparsam  bevölkerten 
Provinz  wird  durch  die  ebene  Bodengestaltung  unendlich  erleichtert, 
da  ja  fast  niemals  ein  ernsteres  Terrainhin demis  zu  überwinden  ist, 
es  sei  denn  ein  Bach  oder  kleiner  Flufs,  welche  häufige,  gute 
Führten  und  neuerdings  auch  zahlreiche  meist  eiserne  Brücken  (227) 
leicht  passierbar  machen.  In  der  letzten  Zeit  jedoch  verursachen  die 
riesenhaften  Einzäunungen  des  Grofsgrundbesitzes  bedeutende  Schwie^ 
rigkeiten,  da  ihretwegen  die  Wege  oft  nicht  zu  Gunsten  des  allge- 
meinen Interesses  verlegt  werden,  so  dals  der  Mangel  eines  darauf 
hinzielenden  (iesetzes  sehr  fühlbar  geworden  ist. 

Fünf  Eisenstrafsen  durchziehen  das  Land  von  Buenos-Aires  aus. 
Alle  sind  sehr  solid  gebaut  und  ihre  grofse  Spurweite  von  l.HH  m 
erleichtert  den  Gütertransport  sehr  beträchtlich.  Die  grofee  Süd- 
bahn, Eigentum  einer  englischen  Gesellschaft^  geht  direkt  nach  dem 


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—  138  — 


wichtigen  Hafen  von  Bahia  Bianca  und  beherrscht  das  ganze  unjze- 
heure  Gebiet  zwischen  ihr  und  dem  Meere,  welches  sie  noch  durch 
eine  Nebenlinie  von  Altamirano  nach  Tandil  weiter  erschliefst.  Die 
Westbahn,  vom  Staat-e  selbst  erbaut  und  bewirtschaftet,  verbindet 
die  reichen  westlichen  Distrikte  mit  der  Hauptstadt  durch  eine  lange 
Stammlinie  bis  zum  Nueve  de  Julio,  und  zwei  ZweigbahneiL,  vob 
denen  die  eine  südlich  nach  Lobos  führt,  die  andere  aber  sich  nord- 
wärts nach  Pergamino  vendet  und  schlieÜBlich  das  wichtige  San 
NicoUs  erreicht.  Zwei  fernere  Bahnen,  nach  Campana  and  nach 
dem  Tigre,  erleichtem  den  Verkehr  mit  dem  Parani,  welcher  sich 
hauptsftchlieh  nach  diesen  Flnfshäfen  richtet    Die  Erstgenannte  hat 
kürzlich  Erlaubnis  erhalten,  die  ganze  Strecke  bis  nach  llosario 
auszubauen  (etwa  400  km);  wir  werden  also  bald  auch  eine  Ufer- 
bahn besitzen,  was  ohne  Zweifel  ein  schönes  Zeugnis  für  die  Leb- 
haftigkeit und  Bedeuttmg  des  Verkehrs  in  dem   niirtllichen  Teile 
der  Provinz  ablegt.   Öchliefslich  führt  noch  eine  fünfte  Linie  von 
Baenos-Aires  nach  der  Ensenada  und  nach  der  neuen  Provinzial- 
hanptstadt  La  Plata;  auch  diese  soll  demnächst  bis  nach  Magdalena 
verlAngert  werden.   Femer  ist  noch  die  transandinische  Bahn  xn 
erwähnen,  welche  von  Mercedes,  der  Station  an  der  Westbahn,  aus- 
gehend quer  dnrch  die  Pampa  nach  Villa  Mercedes,  einem  Haupt* 
punkte  der  andinischen  Bahn  im  Innern  der  Republik  gebaut  wird, 
und  die  somit  Mendoza  und  später  auch  Chile  in  direkte  Verbindung 
mit  dem  La  Plata  setzt. 

Die  Ausdehnung  sämtlicher  in  Betrieb  befindlicher  Strecken  | 
betragt  augenblicklich  1650  km,  was  mehr  als  ein  Viertel  aller 
Eisenbahnen  Argentiniens  ausmacht  (5600  km),  und  schon  ist  die 
Erlaubnis  zum  Bau  von  ferneren  15CX)  km  an  eine  ausländische 
Gesdlschaft  erteilt 

Was  nun  die  Yerhindung  der  einzelnen  Oampstädtchen  mit 
den  Bahnstationen,  von  welchen  viele  schon  selbst  Städte  geworden 
sind,  anbetrifft,  so  wird  dieselbe  durch  Postkutschen  (diligencias) 
vermittelt.  Es  existieren  zu  diesem  Behufe  25  grofse  Privatuiiter- 
nehmungen,  welche  über  262  Wagen  und  11 000  Pferde  gebieten. 
Somit  kommen  mehr  als  40  Zugtiere  auf  das  Gefährt;  doch  ist 
diese  ungewöhnlich  grofse  Zahl  dadurch  erkLlrlich,  dafs  die  Tiere 
zum  grofsen  Teile  einzig  auf  Grasfutter  angewiesen  sind,  die  Zug- 
kraft also  durch  deren  Menge  erzielt  werden  mufs.  Aulserdem  über- 
nehmen zahlreiche  Karavanen  von  jenen  riesenhaften  zweirädrigen 
Ochsenkarren,  welche  für  Argentinien  typisch  geworden  sind,  den 
Gütertransport  von  und  nach  den  Eisenbahnen. 

Über  die  Telegraphen  endlich  will  ich  nur  anführen,  dafe  soltM 


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—  139  — 


ein  Städtchen  dieses  mächtigen  llebeis  des  geistigen  und  merkan- 
tilen Verkehrs  ermangelt,  und  dafs  die  Ausdehnung  sämtlicher 
Linien  5400  km  betragt,  also  40  Prozent  des  ganzen  argentinischen 
Netzes  (13760  km)  ausmacht. 

Die  VermUimg  der  Provinz  liegt  in  den  Händen  eines  Gou- 
vemeors,  der  für  drei  Jahre  vom  Volke  direkt  gewählt  wird,  seine 
beiden  Minister  aber  oder  besser  seine  Sekretäre  nach  Gutdünken 
ernennt.  Neben  demselben  stellt  die  ;;esctzgebende  üewalt,  aus  zwei 
Kammern  zusammengesetzt,  und  der  höchste  Justizhof.  Dieser  dient 
als  lezte  Instanz  für  die  vier  Gerichtsbezirke  des  Landes,  deren  jeder 
einen  Richter  erster  Instanz  und  ein  Appellationstribunal  besitzt.*) 
Die  städtischen  Gemeinden  verwalten  sich  selbst,  und  jeder  Aus- 
lander hat  das  Recht,  für  die  Munizipalitätsämter  zu  wählen  und 
gewählt  zu  werden.  Dagegen  sind  die  80  Distrikte  (Partidos)  des 
offenen  Landes  Friedensrichtern  untergestellt,  welche  von  der  Re- 
gierung ernannt,  wie  die  preulsischen  Landrate  einen  mächtigen 
politischen  Einflufs  ausüben.  Ihnen  ähnlich  sind  in  dieser  Beziehung 
die  Befehlshaber  der  Nationalgarde  (comandante  de  campaiia),  deren 
Prototyp,  der  Direktor  Rosas,  seinen  Namen  mit  blutigen  Zügen  in 
die  Geschichte  geschrieben  hat.  Auch  ihre  Bestallung  hängt  vom 
Gouverneur  der  Provinz  ab;  doch  darf  derselbe  keine  stehenden 
Truppen  unterhalten,  sondern  besitzt  nur  einige  Bataillone  gut  dis- 
ziplinierter Polizetsoldaten  zur  Aufrechterhaltung  der  dffentUchen 
Ordnung. 

Die  Granduug  der  neuen  HaitgptetaeH  La  FUUa  wird  mit  vielem 
Eifsr  und  Aufwand  betrieben  und  ist  nach  dem  Plane  einer  mächtigen 
Weltstadt  projektiert,  welches  Ideal  sie  jedoch  kaum  erreichen  dOrfte. 
Schon  jetzt  ist  sie  durch  Zweigbahnen  mit  den  grofsen  Schlagadern 

des  offenen  Laudes,  der  Süd-  und  We^tbahii,  verbunden,  und  ein 
grofsartiger  Hafeu  ist  in  der  benachbarten  Bucht  der  Eusenada  in 
Angriff  genommen.  Natürlich  nmfsteu  diese  bedeutenden  Ausgaben, 
welche  auf  80  Millionen  Mark  veranschlagt  siud,  durch  eine  besondere 
Anleihe  gedeckt  werden;  doch  betrugen  auch  die  gewölinlichen  Ein- 
nahmen der  Provinz  im  Jahre  1883  31  Va  Millionen  Mark. 

Um  schliefslich  einen  Begriff  vom  Stande  des  üiUerrichtsweeens 
zu  geben,  entnehme  ich  dem  Zensus  von  1881,  dafs  zu  dieser  Zeit 
429  Schulen  mit  629  Lehrern  und  Lehrerinnen  existierten,  welche 
von  115  900  Scheuern  beiderlei  Geschlechts  besucht  wurden.  Wahrlich 
ein  schönes  Resultat,  wenn  wir  uns  die  Schwierigkeiten  vergegen- 

*)  Ein  neuM  giolMs  Gcftagnis  wird  in  der  Sierra  Baya  bei  Asnl  errichtet, 
da  dae  Mhere  in  Baenos-Ahrea  sogleich  mit  der  Stadt  aeibet  der  National- 
rtfpanuig  äbgetraten  wnrde. 


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wärtigen,  welche  für  die  Kinder  der  Laodbevöikeruug  aus  deo  enormexi  1 
Entfernungen  entsprin;^en.  I 

Industrie  und  Handel  tragen  natürlich  jetzt,  nach  Abtrennung 
der  früheren  Hauptstadt,  einen  vorwie^jeiHl  ländliclien  Charakter, 
und  erstere  beschäftigt  sich  hauptsächlich  mit  den  Artikeln  des  ! 
eigenen  Verbrauches.  So  finden  wir  denn  an  geeigneten  PUUcen 
grofee  Banracas,  Saladeros  und  Gerbereien,  w&hrend  MiUilen,  Scifea- 
siedereien,  Destillationen  u.  a.  ttber  das  ganze  Gebiet  zerstreut 
sind.  Auch  zwanzig  Dmckereien  bestehen  in  jenen  kleinen  Land- 
stadteben,  deren  geistiges  Leben  jedenfalls  ein  sehr  rejres  ist.  da  sie 
aufser  den  grofsen  Buenos-Aires- Blättern  aus  eigener  Kraft  nicht 
weniger  als  38  politisdie  Zeitungen  unterhalten.  l>ie  Intensität  des 
binnenländischen  Handelsverkehrs  wird  durch  die  ansehnliche  Zahl 
von  5790  gröfseren  untl  kleineren  Geschäftshäusern  dargethan,  und 
die  Filialen  der  reichen  Provinzialbank  sind  in  14  der  gröfseren 
Stftdte  geöfihet.  Dagegen  ist  es  schwer,  den  überseeischoi 
Handel,  an  dem  ja  der  Staat  in  so  hervorragender  Weise  Teil 
nimmt,  zu  überschauen,  da  derselbe  hat  aussdütefelich  Uber  Buenos- 
Aires  selbst  erfolgt  und  somit  In  der  Statistik  dieser  Stadt  und  der 
Republik  überhaupt  eingeschlossen  ist. 

Ackerbau  wird   verhftltnisniäfsig   wenig    getrieben,    so    sehr  j 
auch  im  allgemeinen  der  Boden,  welcher  sämtliche  Krzeuguisse  ' 
der    gemäfsigten    Zone   hervorbringt,    ^ich    dazu    eignet.  Doch 
ist  einesteils  die  Viehzucht  noch  übergenügend,  die  geringe  Ein-  | 
wohnerzahl  mühelos  und  reichlich  zu  ernähren,  und  dann  fehlen  ' 
auch  noch  die  sehr  bedeutenden  Arbeitskräfte,  welche  im  stände 
wftren,  nur  die  Hälfte  der  Provinz  unter  den  Pflug  zu  bringen  und  | 
zu  erhalten.  So  sind  denn  gegenwartig  allein  die  nächsten  Um- 
gebungen der  Städte  angebaut,  auch  bestehen  nur  zwei  Kolonien, 
die  eine  im  Barradero  am  Parani  von  Schweizern  bevölkert,  and 
die  andere  nicht  weit  von  Azul  in  Olavarria,  wo  sich  vor  wenigen 
Jahren  eine  Schar  von  Deutsch-Russen  ansiedelte;  doch  beträut  die  ; 
urbare  Flache  schon  immerhin  mehr  als  eine  lialbe  Million  Hektaren 
und  liefert  ein  nicht  geringes  Kontingent  zu  den  Cerealicn.  welche 
in  der  letzten  Zeit .  mit  so  gutem  £rfolge  aus  der  Republik  nach 
Europa  verschilft  wurden. 

Die  Viehmeht  dagegen  ist  groDsartig  entwickelt  und  bildet  bei 
weitem  die  vornehmste  Industrie  des  Landes.  Zahlen  reden:  nach 
der  Zahlung  von  1881  besaüs  die  Provinz 

4*/4  Millionen  Stück  Rindvieh, 
2V5       „         „    Pferde  und  i 
bVh       n         n  Schafe 


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—  141  — 


ohne  (las  andere  Kleinvieh  zu  reclinen,  und  der  Wert  des  gesamten 
Viehstandes  wurde  auf  834'/3  Millionen  Mark  geschätzt. 

Bei  so  euormem  Beichtum  au  Herden  ist  natürlich  nicht  nur 
das  Vermögen,  sondern  atich  das  Leben  der  Landimvohner,  welche 
den  weitaus  gröfsten  {*!»)  Teil  der  Bevölkerung  bilden,  völlig  auf 
der  Viehzucht  basiert;  und  so  möge  mich  denn  der  Leser  auf  einem 
Ausfluge  nach  dem  Westen  zu  begleiten,  der  uns  der  Reihe  nach 
die  yerachiedenen  Wirtsehaltsarten  vor  Augen  führen  und  zugleich 
mit  den  Sitten  des  Volkes  bekannt  machen  wird. 

In  wenigen  Stunden  führt  uns  die  Westbahn  nach  Chivilcoy, 
einem  rührigen  Stadtchen  von  8LKX)  Einwohnern,  in  dessen  Uniiregend 
ein  ansehnlicher  Weizenbau  betrieben  wird.  Von  hier  aus  müssen 
wir  die  Diligencia  nach  Salto  benutzen  (Entfernung  72  km),  unserer 
ersten  Etappe  auf  der  Exkursion,  und  da  noch  eine  Stunde  Zeit  ist, 
wird  in  der  nahen  italienischen  Fonda  (Gasthaus)  gefrühstückt.  Ein 
kleines,  nicht  sehr  reinliches  Honoratiorenzimmer  empfängt  uns,  die 
Speisen  sind  ein  Gemisch  von  italienischer  und  spanischer  Küche, 
dodi  der  Wein  trinkbar  und  der  französische  Kellner  aufmerksam. 
So  folgen  wir  denn  mit  Widerstreben  dem  Mayoral  (Kondukteur), 
welcher  uns  zum  Einsteigen  auffordert,  und  dasselbe  steigert  sich 
noch  beim  Anblick  des  Marterinstrumentes,  das  unserer  harrt.  Es 
ist  eine  riesenhafte,  sehr  solid  gebaute  Postkutsche,  unter  deren 
ehrwürdiger  Schmutzkruste  wir  mit  Mühe  deu  Namen  „La  Protegida 
del  Salto"*  herauslasen.  Acht  magere,  scheublickende  Tiere  sind 
daran  befestigt,  in  der  Weise,  dafs  die  vier  mittleren  zu  zwei  vor 
einander  gespannt,  mit  europäischem,  wenn  auch  höchst  grobem 
Geschirr,  an  der  Brust  ziehen,  während  die  vier  Nebenpferde  nur 
enien  breiten  Gurt  aus  roher  Haut  (die  cincha)  tragen  und  durch 
eine  darin  eingehakte  Kette  au  dem  Wagen  befestigt  sind.  Auf  dem 
erhöhten  Kutschersitz  thront  der  Treiber,  eine  enorm  lange  Peitsche 
und  die  acht  Zügel  in  der  Faust,  neben  ihm  ist  der  Sitz  des  Mayorals 
und  darunter  eine  Art  von  Inijteriale  mit  Kaum  für  zwei  bis  drei 
Passagiere,  I)as  Dach  des  Wagens  trägt  aufser  dem  Gejuick  noch 
mannigfache  andere  Güter:  wir  bemerken  ein  eisernes  Bettgestell, 
eine  grofse  Kaffeemühle,  mehrere  Sacke  Kartoffeln,  Spaten  und  was 
sonst  für  Gegenstände  im  Auftrage  der  benachbarten  Estanzieros 
YOp  Kondukteur  mitgebracht  worden  sind.  Darunter  aber  öffnet 
sich  der  Eingang  zum  Ällerheiligsten.  Auf  zwei  schmalen  Bftnken 
ist  notdürftig  Phitz  für  je  drei  Reisende,  und  da  wir  bestürzt  beim 
Anblick  von  sechs  Insassen  zurücktreten,  bedeutet  uns  der  Mayoral, 
€8  wäre  regiementsmafsig  Platz  für  acht,  im  übrij^en  möchten  wir 
schnell  einsteigen,  da  die  Zeit  dränge.   Schon  ziehen  auch  die  Pferde 


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I 


—  142  — 

an,  wir  fallen  in  die  Arme  und  auf  den  Scholis  unserer  Leideas- 
genoesen,  schachteln  ans  auf  irgend  eine  Weise  zwischen  dans^dbeB 

ein  nnd  entdecken,  dafs  diese  Verpackung  höchst  zweckmäfsig  ist 
bei  den  furchtbaren  Stöfsen,  welche  nnser  Fahrzeug  jeden  Augenblick  j 
in  den  tiefen  Löchern  des  ausgefahrenen  Weges  empfängt  und  frei- 
gebig mitteilt.    Endlich  sind  wir  aus  den  ewig  langen  Strafseii  heraus, 
welche  dicht  mit  Baumen  beptiauzt  in  rechtwinkliger  Trare  die 
Obstgürten  und  Kleefelder  der  Stadt  durchkreuzen,  und  nun  geht 
es  auf  breiterem  Wege  im  Galopp  über  die  weite  Fläche,  bald  in 
weitem  Bogen  über  die  kur^  Grasdecke  hin,  eine  sompfige  Stelle 
umfahrend,  bald  haarscharf  an  den  Eckpfosten  vorbei  in  das  TImmt 
einer  Einzftannng  einbiegend.  Gleichmfitig  raucht  der  Kutscher  die  j 
kurze  Kalkpfeife  (ist  also  jedenfalls  ein  Fremder)  und  ftthrt  das 
dampfende  Gespann  meisterhaft  auf  der  nicht  ungefilhrliehen  Strafse : 
uns  aber  hüllt  bald  eine  dichte  Staubwolke  derart  ein,  dals  wir  trotz  | 
der  Hitze  sorglich  die  Fenster  schliefscMi  nnd  nur  höchst  selten  im  i 
Stande  sind  einen  Heiter  oder  eine  ängstlich  fliehende  Schafherde  | 
in  den  Staubwirbeln  zu  unterscheiden.  i 
Endlich  hält  das  Gef&hrt  vor  einem  Holzschuppen,  in  welchem  i 
acht  frische  Pferde  zum  wechseln  bereit  stehen.  Unsere  Tiere  sind  i 
schweiisbedeckt,  mit  fliegenden  Flanken  und  herausqnelleuden  Augen  I 
angelangt;  kaum  abgeschirrt,  wftlzen  sie  sich  im  Staube  und  trollen 
dann  langsam,  aber  sichtbar  erfrischt,  zur  Weide  ins  offne  Fdid, 
wahrend  der  neue  Posteug  mit  uns  fortstürmt,  als  hinge  ein  Ver- 
mögen an  jeder  verlorenen  Minute.    Doch  plötzlich  niäfsigt  sich  die 
fliegende  Hast,  die  Kutsche  hält,  und  der  langsam  verwehende  Staub 
erlaubt  uns,  zuerst  die  Umrisse  und  dann  die  Gebäude  eines  statt- 
lichen Gehöftes  zu  unterscheiden,  welches  umringt  von  einem  Obst- 
garten  am  Wege  liegt.    V,a  ist  eino  Tulperia,  ein  Kramladen. 
An  der  Giebelseita  des  zunächst  befindlichen  Hauses  ist  eine  Art 
oflene  Laube  angebracht,  welche  durch  ein  stark  vergittertes  Fenster 
mit  dem  Laden  in  Verbindung  steht  Durch  dieses  werden  alle 
KleinverkAufe,  besonders  aber  der  Ausschank  von  Getrftnken  ver- 
mittelt nnd  nur  den  Honoratioren  ist  der  Eintritt  in  den  eigentlichen 
Geschäftsraum  gestattet.    So  stehen  denn  auch  einige  gesatterte 
Pferde  an  dem  herumreichenden  Drahtzaune  und  die  Eigner  lehnen 
mit  einem  <ilase  Branntwein  oder  Limonade  an  dem  Fenster,  währ<yid 
ihnen  Zucker  und  Yerba,  Kerzen,  Seife  u.  a.  zugewogen  werden. 
An  Festtagen  entfaltet  sich  hier  ein  reges  Leben;  ist  doch  die 
Pulperia  der  gesellige  Mittelpunkt  der  Nachbarschaft.    Dann  sieht 
man  häufig  fünfzig,  ja  hundert  oft  reich  gezäumte  Pferde  im  Schatten 
der  umstdienden  Baume  angebunden.  Die  Landleute  im  malerischen 


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Schmuck  des  Gaucho  beobachten  dicht  gedrängt,  docli  in  tiefem 
Schweigen,  die  Wechselfälle  eines  Hahnenkanipfes,  oder  spielen  lustig 
scherzend  ä  la  taba,  wobei  es  darauf  ankommt,  den  kleinen  würfel- 
ähnlichen Knochen  aus  dorn  Hufj5:elenk  eines  Rindes  i  la  taba)  auf 
acht  bis  zehn  Schritt  derartig  zu  werfen,  dafs  er  aufrecht  stehen 
bleibt.   Wetten  von  ziemlichem  Betrage  werden  io  beiden  Spielea 
gemacht ;  doch  der  Eifer  und  das  allgemeine  Interesse  erreichen  den 
Gipfdpnokt  bei  den  häufigen  Bennen,  fUr  welche  fast  jeder  Pulpero 
eine  gut  geebnete  Bahn  (cancha)  unterhält  Auf  ihren  besten  Rossen 
umringen  die  Zuschauer  die  kurze  Strecke  (selten  mehr  als  600  m), 
am  Ziel  hftlt  der  Preisrichter,  gewöhnlich  eine  obrigkeitliche  Person 
des  ländlichen  Bezirkes,  bei  welchem  auch  die  Einsätze  verlier 
niedergelegt  werden,  und  am  Anfang  der  Bahn  tummeln  die  halb- 
nackten Keiler  ihre  uugesattelteu  Keuner,  indem  sie  dieselben  durch 
kurzes  Ansprengen  anzufeuern  suchen  und  sich  gegenseitig  zum 
Beginnen  auflordeni.   Eudlich  ist  der  Eifer  der  Rosse  aufs  höchste 
'^pstiegen,  oder  auch  die  gesetzlich  erlaubte  Zahl  von  16  dieser 
Partidas  (Anläufe)  erreicht,  und  mit  lautem  Zuruf  fliegen  die  Reiter 
oft  Knie  an  Knie  gedrängt  dahin.  Nun  werden  eifrig  Wetten  zu- 
gerufen und  angenommen,  jubelnde  aber  auch  zornige  Schreie 
erfOllen  die  Luft  und  der  Richter  fällt  emstblickend  sein  Urteil,  das 
nicht  selten  wegen  versuchten  Betruges  auf  Wiederholung  des  Rennens 
lautet.    Natürlich  ist  unterdessen  auch  dem  Anis  und  der  Cana  (der 
Vorlauf  vom  Rum)  oder  dem  feurigen  spanischen  Vina  carlou  eifrig 
zugesprochen  worden,  und  Wtahrend  bei  sinkender  Nacht  in  einer 
beoachbarteu  üütte  der  Gato  oder  die  Zamba  getanzt  wird,  oder 
eine  Gruppe  eifriger  Zuhörer  den  Ges&ugen  des  Payador  lauscht^ 
werden  vor  der  Pulperia  die  Ereignisse  des  Tages  immer  erregter 
besprochen,  bis  schließlich  ein  höhnendes  Wort  durch  schweren 
Schlag  mit  dem  Peitschenstiel  oder  jähen  Messerstofs  beantwortet  wird. 

Doch  kehren  wir  zurttck  zu  unserer  Diligencia,  deren  M ayoral 
unterdessen  dem  Pulpero  Briefe  und  anderweitig  Mitgebrachtes  aus- 
gehändigt hat,  und  treten  in  den  reservierten  Teil  des  Ladens,  um 
ein  Glas  kühles  Bier  zu  trinken.  Dort  findet  sich  ziemlich  alles 
vereinigt,  was  den  Bedürfnissen  der  Landbevölkerung  entsi)richt  oder 
auch  deren  Phantasie  reizen  könnte,  von  Sattelzeug,  Messern,  Sicheln 
und  Eisendraht  zu  Zäunen  bis  zu  Reis,  Zwieback,  Konserven  und 
Getränken  aller  Art,  von  Knöpfen,  Nadeln,  Kattunen  und  billigen 
Schmucksachen  bis  zu  Ponchos,  seidenen  Tflchem  und  Frauenkleidem 
Mch  der  vorletzten  Mode.  Zu  gleicher  Zeit  treibt  der  Besitzer, 
noch  einen  schwunghaften  Handel  mit  H&uten,  Fellen,  Wolle  und 
Getreide,  weldie  er  den  unbegQterten  Nachbaren  gegen  Vorschnfis 


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von  Geld  und  Waren  abkiuft,  und  so  ist  es  begreiflich,  wie  dergleiclien 

Geschäfte  oft  einen  sehr  reichlichen  Gewinn  abwerfen,  wenn  auch 
die  einsame  La^re  manchmal  Lehen  und  Eigentum  des  Pulpero  in 
nicht  geringe  Gefahr  brin^^Mi  mag. 

Aber  schon  mahnt  der  Kondukteur  zum  Aufbruch  und  wir  be- 
nutzen die  Icurze  Frist«  ehe  dicke  Staubwolken  uns  von  neuem  ein- 
hüllen,     h  unsere  Reisegefährten  zu  mustern.   Zufonlerst  sind  da 
drei  Offiziere,  welche  zu  ihrem  Regiment  an  der  Indianergrenze 
gehen:  sie  haben  die  Platze  der  Imperiale  eingenommen,  tragen  ein 
burschikoses,  stark  an  das  Lagerleben  erinnerndes  Wesen  zur  Schan, 
und  zeichnen  sich  durch  rote  Hosen,  glanzledeme  Reitstiefel  sowie 
silberne  Reitgerten  aus.    Ihre  Unterhaltung  dringt  nicht  zu  uns; 
doch  verlieren  wir  schwerlich  etwas  daran.    Im  Innern  das  Wagens 
haben  wir  zunächst  zwei  Ilandelsbeflissene  aus  Salto.    Die  bleiche 
Farbe  der  runden  Gewichter  und  der  kurzgehaltene,  diclitp  Hart  kenn- 
zeichnet sie  als  Gallegos  (Nordspauier);  sie  sprechen  vom  Preise  der 
Schnittwaren  und  rauchen  unaufhörlich.    Ihnen  gegenüber  sitzt  ein 
Manu  in  Landestracht,  mit  klugen,  entschlossen  blickendeu  Augen 
und  langem  schön  gewelltem  Barte.  Er  hAlt  in  rotseidenem  Tuche 
einen  Eampfhahn  auf  dem  Schofse  und  teilt  uns  mit,  dafä  er  nach 
Bojas  gehe,  wo  es  eine  Wette  Aber  10  000  Papierthaler  (Jk  1600) 
auszufechten  gelte.  Ein  stattlicher  Mann,  ein  Estanziero  der  Umgegend, 
lehnt  in  der  nächsten  Ecke,  trotz  der  Wärme  eingehüllt  in  den  P<»ncho 
und  den  Hals  gegen  den  Staub  mit  einem  seidenen  Tuche  bedeckt, 
neben  ihm  sein  Töchterchen,  von  der  man  leider  nur  die  dunklen 
Augen  unter  dem  schwarzen  rebozo  (leichtes  Umschlagetucli)  hervor- 
blitzen  sieht,  während  die  zierliche  üand  unabl&ssig  den  Fächer  be- 
wegt.  Eine  korpulente  Italienerin,  von  der  weiter  nichts  zu  sagen, 
sowie  ein  Gefahrte  und  ich  bilden  den  Rest  der  Passagiere,  welche 
s&rotlich  bald  wieder  unter  den  heftigen  Stöfsen  des  Wagens  ver- 
bunden mit  der  unleidlichen  Hitze  in  die  frdhere  ergebene  Apathie 
versinken. 

Noch  zweimal  werden  die  Pferde  gewechselt;  Nacht  senkt  sich 
auf  die  Erde  und  der  reichlich  fallende  Tau  löscht  den  Staub  soweit, 
dafs  es  möglich  wird,  die  Fenster  zu  öffnen  und  der  erfrischenden 
Kühle  Zutritt  zu  gewähren.  Da  erizLlnzen  endlich  Lichter,  Hecken 
und  Bäume  huschen  vorüber,  Häuser  drängen  sich  aneinander  und 
unter  wütendem  Hundegebell  und  den  entsetzlicbon  Klängen  eines 
verbogenen  Hernes  hftlt  der  Wagen  triumphierenden  Einzug  in  SaUo. 
Wir  steigen  im  wohlbekannten  Hotel  am  Platze  aus,  erhalten  ein 
recht  gutes  Zimmer  und  schreiten  sofort  zur  Reinigung  unserer 
Personen,  die  allerdings  erst  nach  dreimaligem  Waschen  gelingt;  hat 


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—  146  ~ 

doch  der  Staub  eine  dichte  Kruste  auf  den  Gesichtern  gebildet  und 
Bart^  und  Kopfhaar  vollständig  durchdrungen. 

Auf  dem  Gange  zum  Speisezimmer  bewundern  wir  noch  das 
gewandte  Billardspiel  einiger  einfachen  Landleute,  nehmen  dann 
ein  nicht  übles  Nachtessen  ein  und  begeben  uns  sofort  zur  wohl- 
verdienten Ruhe,  weldier  uns  der  Kondukteur  leider  behn  Morgen- 
i^iiiuen  eiilreifst,  da  es  gilt  das  50  Kin.  entfernte  Rojas  schon  um 
10  Uhr  zu  erreichen.  Auf  diese  Weise  sehen  wir  freilich  wenig 
von  der  Stadt  Salto,  die  mit  ihren  3800  Einwohnern  in  einem  der 
reichsten  schafzüilitenden  Distrikte  der  Provinz  gelegen,  wohl  eines 
längeren  Besuches  wert  scheint.  Wir  bemerken  auf  der  Plaza  die 
hübschen  Blumenanlagen  und  eine  stattliche  Kirche,  rasseln  durch 
die  noch  öden  Strafsen,  nehmen  einen  ferneren  Passagier  auf  und 
biegen  dann  beim  Friedhofe  vorbei  links  ab,  um  dem  Ufer  des 
Fifl&chens  zu  folgen,  welches  hier  durchaus  nicht  wie  seine  Brüder 
langsam  zwischen  grünen  Wiesen  dahüiglettet,  senden  über  eine 
breite  Kalkschwelle  kecken  Sprung  (Salto)  wagt  und  damit  seinen 
eignen  Namen  sowie  den  der  Stadt  selbst  rechtfertigt.  Bald  erreichen 
wir  eine  grofsartige  Wassermühle  „del  Gliptodonte",  so  genannt 
nach  den  riesigen  Resten  eines  vorsündtlutlichen  Gürteltieres,  welches 
hier  gefunden  wurde,  überschreiten  einen  Nebenflufs  auf  eleganter, 
eiserner  Brücke  und  befinden  uns  endlich  wieder  auf  dem  offenen 
Lande,  welches  sich  hier  in  leichten  Hügelwellen  vor  uns  ausbreitet 
Noch  ruht  der  Tau  auf  den  Grftsem,  kein  Staub  belfistigt  uns  und 
fröhlich  galoppieren  die  Pferde  in  den  frischen  Morgen  hinein.  Ein 
Trupp  von  acht  riesenhaften  Ochsenkarren  lagert  noch  am  Wege, 
Die  Treiber  sind  beschäftigt,  ihre  Tiere  zu  je  sechs  an  die  bunt- 
bemalten, unbehülflichen  Fahrzeuge  zu  schirren,  welche  mit  Häuten 
nach  dem  Salto  und  wohl  zur  Eisenbahn  gehen,  sie  begrüfsen  uns 
freundlich.  Wir  aber  fahren  noch  eine  Weile  durch  hohe  Distelfelder 
daliiii,  immer  der  Telegraphenleitung  nach  Rojas  folgend,  und  halten 
dami,  um  die  Pferde  zu  wechseln,  neben  einem  schloisartigen  Gebäude^ 
welches  hinter  zierlichem  Eisengitter  und  zwischen  schattigen  Bäumen 
gar  einladend  und  malerisch  daliegt  Wir  sind  auf  der  grofsen 
Erimieia  de  las  Saktdas,  der  reichen  Familie  der  Dorrego  gehörig, 
wo  auf  16  leguas  (43200  ha)  Land  nicht  weniger  als  36000  Stück 
Hornvieh  weiden.  Statt  auf  dem  prächtigen  Besitze  ein  Herren- 
lehen zu  führen,  ziehen  die  Eigentümer  es  vor,  im  bequemeren 
ßuenos-Aires  zu  hausen,  und  überlassen  die  Verwaltung  den»  Mayor- 
domo,  wenn  ich  nicht  irre  einem  Deutschen. 

Nur  noch  eine  Station  trennt  uns  vom  Ziele  der  Fahrt.  Schnell 
passiereu  wir  den  Kluis  von  neuem  auf  lauger  Eisenbrücke,  halten 


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—  146  — 


einen  Augenblick  am  Thore  des  Drahtzaiines,  welcher  Las  Saladas 
umgiebt  uod  schon  taucht  am  Horizonte  der  schlanke  Glockenturm 
von  22q/<u  auf,  der  meilenweit  die  Umgegend  beherrscht.  Ver- 
Bcliiedene  recht  beschwerliche  Meilen  sind  auch  noch  zu  fiberwinden; 
yor  uns  nftmlich  dehnt  sich  eine  weite  mit  zahlreichen  Seen  und 
sumpfigen  Teichen  bedeckte  Niedenmg  (Cailada).   Schnell  genug  ist 
der  Grund  erreicht;  doch  nun  beginnt  eine  schier  endlose  Reihe  von 
kritischen  Situationen.    Bald  versinkt  ein  Rad  bis  zur  Achse  in 
irgend  einem  schmutzigen  Loche,    das  unbehülfliclie  Gefährt  mit 
augenblicklichem  Umschla^ieii  briiiohend,  bald  geht  es  des  härteren 
Bodens  wegen  direkt  durch  eine  nicht  aüzutiefe  Lagune  und  endlich 
bleibt  der  Wagen  zwischen  den  hohen  Binsen  einer  sumpfigen  Stelle 
gar  völlig  stecken.    Doch  hier  ist  auch  der  Schluds  unserer  Leiden; 
Tiere  und  Treiber  arbeiten  gleich  kr&ftig,  eine  energische  Drehung 
nach  rechts  giebt  den  Vorderpferden  festeren  Boden  unter  die  Hufe 
und  nun  gehts  im  wilden  Laufe  die  langsam  ansteigende  Anhdhe 
hinauf,  von  welcher  die  GArten  und  Hftuser  des  Stidtchens  herab- 
winken. Bald  halten  die  kein  henden  Gaule  kotbespritzt  vor  der  Fonda 
und  Don  Estevan,  ein  stattlicher,  eisf^rauer  Baske,  geleitet  uns  freund- 
lich in  unser  reinliches  Zimmer.    Wir  sind  alte  Bekannte  seit  der 
schrecklichen  Pest  des  gell)en  Fiebers,  welche  Anfang  des  Jahres  1871 
die  Stadt  Buenos-Aires  verheerte.    Damals  unternahm  ich  von  hier 
aus  einen  fröhlichen  Ritt  von  44  leguas  (220  km)  nach  den  Tortugas, 
einer  Station  an  der  Eisenbahn  von  Rosario  nach  Cördoba,  um  den 
Sanitatskordon  ssu  umgehen ;  Jetzt  gilt  es  —  mit  Besug  auf  die  Ent- 
fernung —  (46  leg.=2dO  km)  eine  ähnliche  Reise  nach  dem  Fortin 
Gaimsa,  einem  der  Hauptpunkte  der  Stldgrense  von  Cördoba.  Doch 
ist  allerdings  inzwischen  die  Indianergefahr  verschwunden,  und  jenes 
Fort,  welches  damals  noch  nicht  existierte,  seitdem  schou  wieder  der 
Mittelpunkt  eines  friedlichen  Städtchens  geworden. 

Don  Estevan  verspricht  für  die  nötigen  Pferde  und  Diener 
zu  sorgen,  wir  aber  unternehmen  einen  Gang  durch  die  Strafsen 
von  Rojas.  Auch  dieses  bildete  vor  etwa  40  Jahren  eine  Haupt- 
station der  damaligen  ludianergrenze ;  bald  entstand  eine  Ansiedlung 
von  kleinem  Viehzüchtern,  einigen  Ackerbauern  und  Handelsleuten 
unter  dem  Schutze  seiner  ein&chen  Befestigungen  und  jetzt  zahlt 
der  Ort  2300  Einwohner;  doch  wflrde  er  bei  seiner  günstigen  Lage 
viel  bedeutender  sein,  wenn  nicht  der  G'rofsgrundbesitz  der  Umgegend 
seine  Entfaltung  hinderte,  ein  Loos,  welches  noch  mancher  jungen 
Stadt  der  Provinz  zu  Feil  wird.  Die  Regierung  nilmlich  bestimmt 
zum  Weichbilde  eines  neuen  Städtchens  gewöhnlich  4  Quadratleguas 
(10  800  ha),  welche  ausschlielslich  dem  Ackerbau  vorbehalten  bleiben 


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—  147  — 

und  Terkault  das  entfernter  gelegene  Land  ohne  weitere  Bedingangen, 
so  dafe  es  natflrlich  znr  Yiebzucht  benutzt  wird.  ZerfiLllt  dieses 
nun  in  viele  kleinere  Parzellen  von  etwa  Vi  hii  zn  3  oder  vier 
Quadratleguas,  deren  Eigentümer  auf  der  Seholle  leben  'nnd  dabei 
zu  ansehnlichem  Wohlstande  gelangen,  so  entwickelt  sich  begreiflicher 
Weise  ein  reger  Verkehr  in  der  Stadt  selbst.  Fällt  aber,  wie  es 
bei  Kojas  geschehen,  durch  spätere  Ankäufe  der  weitaus  gröfsere 
Teil  des  umliegenden  Distriktes  in  die  Hände  nur  weniger  Grofs- 
grundbesitzer,  welche  ihre  Estanzien  durch  Verwalter  bewirtschaften 
lassen  und  nicht  nur  deren  Produkte  im  grofsen  verkaufen,  sondern 
auch  die  Verbrauchsartikel  direkt  aus  der  Hauptstadt  beziehen,  so 
liegt  es  auf  der  Hand,  dafis  der  Zwischenhandel  darunter  leidet  und 
das  Städtchen  selbst  stagniert,  ja  zurückgeht  So  befinden  sich 
denn  auf  den  etwa  110  Qnadratleguas,  welche  zum  natflrlichen  Ver^ 
kehral>ezirk  von  Rojas  geboren,  4  grofse  Eetanzien  mit  nicht  weniger 
als  66  leguas  Oberfläche,  während  der  Rest  unter  24  kleineren  Be- 
sitzern geteilt  ist.  Diese  Zahl  reicht  natürlich  nicht  aus,  um  den 
Handel  und  Wandel  des  Ortes  in  Schwung  zu  erhalten,  während 
auch  die  vier  dem  Ackerbau  gewidmeten  leguas  wenig  mehr  als 
das  für  den  eigenen  Verbrauch  Hinreichende  erzeugen,  da  bis  jetzt 
die  weiten  Transporte  selbst  den  Verkauf  des  Weizens  erschwerten. 
Glücklicherweise  ist  Hoffnung  auf  baldige  Änderung  dieser  Znst&nde, 
wenigstens  für  Rojas  vorhanden,  da  der  Bau  einer  Eisenbahn  von 
dort  nach  dem  7  leguas  (35  km)  entfernten  Pergamino  schon  dekretiert 
ist,^)  welches  seinerseits  seit  Imrgm  nicht  nur  mit  dem  nahen  Hafen 
S.  Nicolas,  sondern  auch  mit  Bnenos-Aires  in  Verbindung  steht 

In  Erwartung  dieser  besseren  Zukunft  liegt  unterdessen  das 
Städtchen  einsam  und  träumend  da.  Nur  die  nächsten  um  die  Plaza 
gelegenen  lläuserblOcke  sind  regelmäfsig  bebaut  und  der  Fahrweg 
zwischen  ihnen,  wenn  auch  nicht  fjfepflastert,  doch  in  gutem  Stande 
und  mit  aus  Ziegeln  geformten  Hürgeräteigen  versehen;  doch  darüber 
hinaus  beginnen  Gartenmauern,  Zäune  und  niedrige  Lehmhütten,  nur 
an  den  Stralsenecken  durch  grüCsere  Häuser  unterbrochen,  deren 
aus  Ziegeln  und  Lehm  aufgeführte  Wftnde  des  Bewurfes  entbehren, 
da  Kalk  und  Sand  teure  Artikel  sind,  und  die  mit  ihrem  schmutzigen 
Rotbraun  trübe  genug  ausschanen.  Der  Platz  selbst  ist  mit  statt- 
lichen Paraisobäumen  umpflanzt,  unter  denen  ein  reinlich  gehaltener 
Weg  und  einige  Bänke  für  die  Möglichkeit  einer  abendlichen  Pro- 
menade si)re(')ien ;  doch  ist  sein  Inneres  einfach  mit  Luzerne  besät 
and  die  in  den  argentinischen  Städten  unvermeidliche  Unabhängigkeits- 

*)  Diese  Strecke,  sowie  üire  Verlftngsnutg  naeh  Janin,  ist  Mitdem  tchon 
aen  V«rk«hr  aberg«b«ii.  Min  1885. 


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Säule  gereicht  ihm  kaum  zur  Zierde.  Um  ihn  reihen  sich  einige 
hühsche  Häuser,  deren  oft'ene  Thüren  den  Einhlick  auf  freuDdliche 
Gärten  gewahren,  ein  hafsliches  Gemeindehaus  (Cahildo)  und  eiae 
sehr  schöne,  geschmackvolle  Kirche.  Leider  ist  dieselbe  aus  Mangel 
an  Mitteln  nicht  vollendet,  so  dafs  der  Gottesdienst  in  einem  schennen- 
fthnlichen  Gebftade  abgehalten  werden  mnfa.  Die  Post-  und  Tele- 
graphenstation, eine  Apotheke,  ein  Kaffeebaus,  mehre  grölsere  ond 
kleinere  Läden,  sowie  Werkstätten  von  Schneidern,  Schreinern  und 
Backern  vollenden  das  Bild  dir  Strafsen,  deren  Öde  durch  einiije 
gesattelte  Pferde  vor  irgend  einer  Schenke  oder  durch  den  schläf- 
rigen Posten  vor  dem  Cabildo  nur  noch  gehoben  wird. 

In  der  l  onda  hatte  sich  unterdessen  der  versprochene  Führer 
und  Eigentümer  der  Pferde  eingefunden,  er  wurde  uns  als  der  be- 
wahrteste Va^ptetmo  der  Gegend  empfohlen.  Camilo  liodriguez,  wie 
er  sich  nannte,  war  ein  Mann  im  Anfang  der  Sechziger,  hochgewachaen 
und  mager,  mit  langem  weilsen  Bart  und  Brauen,  unter  welchen 
die  dunklen  Augen  klug  und  mutig  hervorblitzten.  £r  besab  einiges 
Vieh,  welches  er  auf  gepachtetem  Boden  weidete;  doch  hatten  ihn 
die  Liebe  zum  ungebundenen  Leben  der  Pampa  von  Jugend  auf 
hinausgetrieben  zu  den  grofsen  Jagdzügen,  wie  dieselben  noch  jetzt 
von  oft  mehren  Hundert  Reitern  mit  miiitäri.scher  Organisation  unter- 
nommen werden,  und  hatte  zugleich  bei  den  häufigen  kriegerischen 
Expeditionen  gegen  die  Indianer,  als  diese  noch  bis  Kojas  und  Junin 
streiften,  so  gute  Dienste  sowohl  als  I'ührer  iu  der  pfadlosen  Pampa, 
als  auch  im  Gefechte  selbst  geleistet,  dafs  seine  Meisterschaft  in 
allen  mit  dem  Leben  in  der  Wildnis  verknttpiten  Dingen  allgemein 
anerkannt  wurde,  und  die  Wahl  als  Chef  einer  Jagdexpedition  stets 
auf  ihn  fiel.  Er  kannte  auf  hundert  leguas  hinaus  jede  Lagune, 
jeden  BaÜado  oder  Gailada,  er  war  der  Gefangenschaft  der  kriege- 
rischen Ranqueles  enttiohen  und  hatte  von  den  Üferu  des  Chadi- 
Leuvü,  120  leguas  weit,  mit  dem  besten  Pferde  des  Kaziken,  den 
er  erlegte,  seinen  Wei^  ohne  Irren  nach  der  Heimat  gefunden,  vou 
ihm  erzählte  man  aucli,  dafs  er  oft  des  nachts  am  (ieschmack  des 
gekauten  Grases  die  verlorene  Richtung  erkannt  und  weiter  verfolgt 
habe.  Die  Begleitung  eines  solchen  Mannes  für  einen  langen  und 
Immerhin  nicht  ganz  gefahrlosen  Bitt  war  also  unschätzbar,  und  ich 
zögerte  nicht  seine  Dienste  für  eine  ziemlich  runde  Summe  zu  ge- 
winnen. Er  hatte  mir  vom  folgenden  Tage  ab  sich  selbst  und  zwei 
weitere  Peone,  sowie  die  nötigen  Pferde  zur  Reise  nach  Gainza  und 
zurttck  zur  Verfttgang  zu  stellen,  und  auch  für  den  Lebensunterhalt 
während  des  Kittes  zu  sorgen,  der  ja  zum  grofsen  Teil  durch  die 
ächte  i'ampu,  d.  h.  durch  völlig  unbewohntes  Land  ging.    Mir  da- 


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gegen  lair  ob.  Zucker  und  Yerba  (Matej  für  uns  alle,  sowie  die 
Sättel  für  die  eigenen  Tiere  zu  beschaffen.  Diese  waren  vorhanden, 
wir  hatten  sie  selbst  mitgebracht,  und  auch  die  kleinen  Einkäufe 
hielten  Dicht  lange  auf,  konnten  wir  ja  nur  etwas  Tabak  und  Kognak, 
sowie  einige  Zwiebäcke  und  Konserven  in  den  Satteltascben  verteilen. 

So  fand  uns  denn  schon  der  grauende  Morgen  bereit;  doch 
dauerte  es  lange  genug,  ehe  der  ungeduldig  erwartete  Camilo  mit 
ttoseren  Tieren  erschien,  da  er  selbst  fast  zwei  leguas  entfernt 
wohnte,  und  schön  stand  die  Sonne  ziemlich  hoch  am  Himmel,  als 
wir  die  Strafsen  des  noch  schlafenden  Städtchens  hinter  uns  liefsen. 
Der  Morgen  war  frisch,  die  Pferde  ausgeruht  und  mufsten  scharf 
im  Zügel  gehalten  werden  auf  dem  ausgefahrenen  Wege  zwischen 
den  Gärten;  doch  bald  öffnete  sich  freies  Land  rechts  und  links, 
das  Terrain  fiel  schwach  nach  dem  nicht  fernen  Rio  de  Rojas  ab, 
der  seine  blauen  Gewässer  in  weiten  Windungen  durch  das  grünende 
Thal  zog,  und  im  scharfen  Qalopp  ging  es  hinab,  bald  war  die  Fuhrt 
durchritten,  das  von  Regengassen  tief  gefurchte  Ufer  erstiegen, 
um  von  neuem  den  sanften  Anstieg  auf  guter  Strafee  und  zwischen 
hohen  Distelfeldem  hinan  zu  eilen,  einem  weife  leuchtenden  Hause 
zu,  welches  zur  Linken  zwischen  dichten  Pfirsich-  und  Paraiso- 
bäumen  uns  entgegen  liu  hte.    Es  war  die  Kesitziing  eines  alten  Be- 
kannten, Mr.  Patrick  Murphy,  eines  Irlünders,  den  die  Landleute 
Don  Patricio  nannten,  der  sich  zu  behäbigem  Wohlstande  empor 
gearbeitet,    und    wohin   Camilo    den  Rest    der  l'ferde  mit  den 
Peonen   dirigiert  hatte,  teils  um  die  Tiere  nicht  zu  ermüden 
und  auch  weil  es  schwierig,  die  frei  gehenden  Gaule  in  den  Straisen 
einer  Stadt  zusammen  zu  halten.  Da  waren  sie  denn  auch:  zwei 
tüchtige,  freiblickende  Gauchos  in  ihrer  malerischen  Tracht,  mit  den 
langen,  hirschf&ngerähnlichen  Messern  (facön)  quer  im  Gürtel,  je 
zwei  Paar  boleadoras  um  den  Leib  geschlungen,  die  kleinen  Hüte 
tief  im  Nacken  und  dem  wehenden  Poncho.    Nicht  weit  davon  wei- 
dete auch  unsere  Tropilla  aus  ferneren  zehn  losen  Pferden  und  der 
Madrina  (Leitstute)  bestehend,  so  dafs  wir  im  ganzen  über  15  Reit- 
pferde disponierten.    Diese  Zahl  scheint  unverhiUtnismafsig  grofs.  da 
gewöhnlich  zwei  Tiere  selbst  für  eine  längere  Reise  von  taglich 
20  leguas  völlig  ausreichen;  doch  hatten  wir  ja  mehrere  Tage  aus- 
schlielslich  von  der  Jagd  zu  leben,  mufsten  also  auf  die  baldige  Er- 
müdung der  G&ule  gefabt  sein;  und  so  hatte  denn  jeder  Peon  sein 
eigenes  Jagdpferd  mitgebracht  und  auch  der  Alte  noch  einige  andere 
zugefügt.  Vorsicht  konnte  nichts  schaden  und  kostete  nichts. 

Doch  längst  hatte  uns  Don  Patricio  erspäht  und  mich  erkannt. 
Unter  wütendem  llundegebell  rief  er  ein  schallendes  Willkommen 

Qaogr.  BUUcr.  Uremea,  IX 


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—  löO  — 


und  die  Einladung,  n&her  zu  treten,  herüber.  Da  half  kein  Strftnben: 
eine  Weigerung  hätte  den  Alten  gekrankt.  So  schritten  wir  denn 
nicht  ohne  Mühe  an  den  Pferchen  der  Schafe  vorüber,  deren  Ab- 
flüsee  quer  über  unseren  Weg  liefen,  und  zwischen  den  klaffenden 
büsblickenden  KOtem  hindurch  zum  gastfreien  Iren,  der  in  Hemd- 
armein  und  langen  Stiefeln  freudigen  Handschlag  bot  und  in  das 
Speisezimmer  nötigte. 

„Don  Patricio,  ich  bin  sehr  eilig.   Ich  mufo  heute  noch  nach 
der  Teodolina.*' 

„Ach  das  sind  von  hier  blos  15  le*inas;  die  reiten  Sie  in  5 
Stunden,  haben  also  Zeit  ^'enug  zum  Fiiihstücken.    Hc  Alto!*' 

^Nein,  lasäeu  Sie,  iüi  darf  uicht  scharf  reiten,  morgen  geht  es 
nach  üain/a.'^ 

„Ja,  das  ist  etwas  anderes.    Da  nehmen  Sie  wenigstens  einen 
Schluck  auf  den  Weg  und  sehen  mein  neues  Tilbury  au.   Aber  auf  • 
der  Rückkehr  lasse  ich  Sie  nicht  vorüber.'* 

Dagegen  war  nun  nichts  einzuwenden.  Das  (ilas  Genever  wurde 
getrunken,  eine  Zigarrette  geraucht  und  von  meiner  Reise,  den  be- 
vorstehenden Wahlen  sowie  von  Don  PaUricios  Prozefs  mit  seinem 
Nachbar  geplaudert.  Dann  erzahlte  er  uns,  wie  er  vor  bald  zwanzig 
Jahren  als  Schafer  eines  Estanziero  seine  Laufbahn  begonnen  habe, 
spftter  mit  2000  Schafen  ein  Stück  Land  auf  der  anderen  Seite  von 
Rojas  gepachtet  und  nun  schon  seit  ö  Jahren  sein  jetziges  Besitz- 
tum gekauft  und  bar  bezahlt  habe.  Es  seien  3  Quadratleguas  und 
habe  er  augenblicklich  neben  2000  Stück  Hornvieh  gegen  18000 
Schafe  darauf.  Er  veredle  dieselben  mit  RambouilletbOcken,  die 
ihm  freilich  viel  Geld  kosteten,  doch  mehr  Wolle  lieferten  und  eine 
härtere  Konstitution  bes&foen  als  die  kleineren  NegretU. 

Nun  muJEsten  wir  natürlich  hinaus,  um  die  Stammherde  zu 
bewundern,  welche  soeben  aus  dem  Pferch  (corral)  gelassen  wuixle, 
da  unterdessen  der  Tau  von  den  Gräsern  getrocknet  war;  wir  er- 
fuhren zu  ^fjeicher  Zeit,  dafs  die  ril)riuen  Schafe  unter  sieben  Schäfern 
verteilt  waren,  deren  bescheidene  (iehüfte  auf  der  Kstauzie  zerstreut 
lagen.  Diese  Leute  hüten  ihre  Herden  zu  Pferde  oime  den  Beistand 
von  Hunden;  oft  jedncli  zielien  sie  es  vor.  dieselben  vnn  der  eigenen 
Hütte  aus  zu  i»eobacliten,  zu  welchem  Zwecke  eine  lanLie  Leiter  am 
Giebel  derseiijen  leimt,  wahrend  der  gesattelte  Gaul  vor  der  Thür 
steht.  Nur  zur  Lauimzeit,  im  Marz  und  April,  ist  die  Aufsicht  etwas 
schärfer,  da  viele  der  jungen  Tiere  bei  der  urofsen  Zahl  der  Herde 
von  den  Müttern  abkommen  und  rettungslos  den  Füchsen  und  Aas- 
geiern zur  Beute  fallen  würden,  wenn  der  Schafer  oder  eines  seiner 
Kinder  nicht  die  Herde  begleitete  und  die  verirrten  Lammer  2B 


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—  151  — 


(lieser  oder  zum  Piiesta  (Gehfift)  znrückbrAchte.  Oft  begegnet  man 
einem  Knaben  mit  drei  oder  vier  Tiercheu  auf  dem  Sattel,  die  er 
kunstgerecht  mit  der  Peitschenschnur  emporgehoben  hat. 

Eine  andere  Zeit  vermehrter  Arbeit  erwachst  dem  SchafEÜchter 
zur  Schur,  welche  in  den  Frflhling,  also  von  Oktober  his  Dezember 
f&llt»  nnd  mufe  er  sich  dann  oft  beeOen,  weil  die  reifen  Samen- 
kapseln des  Klees,  die  „carretilla*,  sich  sonst  in  grofsen  Mengen  an 
die  Wolle  der  Tiere  heften  und  dieselbe  fUr  den  Markt  entwerten. 
Dann  ziehen   Scharen   von  Mietarbeitern   von  einer  Kulanz ie  zur 
andern,  die  Schafe  werden  ungewaschen  in  den  corral  getrieben 
und  im  Scliatten  eines  Schuppens  geschoren;  doch  eben  nicht  sonderlich 
aufmerksam,  da  die  Arbeit  drängt  und  nach  dem  Stück  bezahlt  wird. 
So  bleibt  denn  eine  nicht  unbedeutende  Menge  Wolle  stehen,  auch 
werden  die  Tiere  häufig  verletzt  und  dann  die  Wunden  einfach  mit  Teer 
bestrichen.   Die  Vliefse  gehen,  mit  Bindfaden  zosammengebunden,  in 
Karren  nach  der  nächsten  Eisenbahnstation  nnd  von  dort  nach  den 
Barracas,  den  grofsen  Depots  der  Prodnktenh&ndler  in  San  NicoliU 
und  besonders  Buenos-Aires.    Diese  endlich  versenden  die  feinen 
Wollen  fast  ausschliefslich  nach  Havre,  die  mittleren  und  geringen 
Seiten  aber  nacli  Antwerpen  und  den  deutschen  Ilafeu,  während 
nach  England  fast  gar  keine  lia-Plata-Wolle  geht. 

Die  Schafe  werden  mit  einer  Zange  oder  dem  Mes>er  an  den 
Ohren  markiert,  wie  in  Deutschland;  man  rechnet  ihren  Ertrag  im 
Durchschnitt  auf  P/4 — 2  kg  ungewaschener  Wolle  für  den  Kopf,  doch 
konnte  derselbe  mit  einiger  Sorgfalt  recht  gut  auf  2'/s  kg  gebracht 
werden.  Die  Wolle  selbst  gilt  an  Ort  und  Stelle  10—20  A  die 
Arroba  (llVs  kg),  Je  nach  der  Güte  und  den  Konjunkturen  des 
Marktes,  während  der  Preis  von  mittelfeinen  Schafen  in  der  Herde 
zwischen  4  nnd  6Vt  A  sehwankt,  die  fetten  Hammel  aber  mit  6-— 9  Jk 
bezahlt  werden.  Man  nimmt  an,  dafs  auf  einer  Quadratlegua  mit 
normalem  Grasstande  20Ü0Ü  Schafe  ausreichende  Nahrung  linden 
und  fügt  denselben  gern  noch  etwa  150()  Kühe  hinzu,  da  der  Weide- 
gang des  Rindviehes  die  (irasnarben  erhalten,  der  der  Scliafe  allein 
aber  diese  mit  der  Zeit  ruinieren  soll,  und  rechnet  den  Durchschnitts- 
ertrag  einer  gut  verwalteten  Schafestanzie  auf  15  ^/o  des  angelegten 
Kapitals. 

Während  Don  Patricio  uns  diese  und  ähnliche  Mitteilungen 
machte,  sich  auch  beklagte,  dafs  er  noch  nicht  genügend  Geld  erspart 
habe  zur  Einzäunung  seines  ganzen  Besitztums,  wodordi  die  Be- 
wirtschaftung desselben  sehr  gefördert  werden  wttrde,  war  es  hohe 

Zeit,  die  Reise  fortzusetzen.  Wir  bewunderten  also  noch  in  der 
Eile  das  neue  vierrädrige  Tilbury,  welches  seine  Frau  und  Töchter 


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—  152  — 


von  nun  ab  zur  sonntäglichen  Messe  nach  Rojas  führen  sollte,  warfen 
noch  einen  Blick  auf  das  nette,  einstöckige  Haus  mit  dem  koketten 
Aussichtstürmchen  (Mirador)  und  bestiegen,  nach  einem  letzten  Grufs 
an  die  freundlichen  Bewohner,  die  ungeduldig  scharrenden  Pferde. 
Jetzt  war  Eile  nötig,  wenn  wir  nicht  zur  Frühstückszeit  wieder 
durch  die  Gastfreiheit  eines  befreundeten  Estanziero  aufgehalten 
werden  wollten,  und  so  liefsen  wir  denn  die  Tropilla  in  langem 
Trabe  voraiisf»ehen,  wahrend  wir  selbst  im  bequemen  Galopp  folgten, 
oft  die  Reittiere  zügelnd,  welche  der  wohlbekannten  Glocke  am 
liulbe  der  Madrina  allzu  hitzig  nachstrebten. 

Bald  trat  der  Weg  auf  die  grofsartige  Besitzung  von  Don 
Saturnino  Uuzue  über,  welche  36  Qiiadratleguas  (97  200  ha  =  17.i 
deutsche  Geviertmeilen)  uuifafst  und  völlig  eingezäunt  ist.  Ein  solcher 
Zaun  besteht  aus  starken  Pfählen  des  unverwüstlichen  Nandubayholzes, 
welche  in  Entfernung  von  10 — 15  ni  tief  in  die  Erde  gepflanzt  sind. 
Durch  in  diese  gebohrte  Löcher  werden  4 — 6  starke  Eisendrähte 
gezogen  und  mittelst  alle  100  m  angebrachte  kleine  Sperrwerke 
straff  gespannt,  während  zu  gleiclier  Zeit  drei  oder  vier  leichte 
Holzplatten  den  Parallelismus  derselben  zwischen  je  zwei  f^fosten 
aufrecht  erhalten.  Ein  solcher  Zaun  ist  ziemlich  teuer,  da  zumal 
die  Pfähle  ausschliefslich  aus  Santa  und  Entrerios  eingeführt 
werden  müssen,  und  kostet  etwa  750—1000  M.  für  den  laufenden 
Kilometer;  dodi  ist  der  Nutzen  desselben  so  allgemein  anerkannt, 
dafs  heutzutage  selten  eine  grOfsere  Estanzie  ohne  solchen  gefunden 
wird:  verhindert  er  doch  einesteils  das  Zerstreuen  des  Viehes  und 
zum  teil  auch  wenigstens  die  grdfseren  Diebstähle,  Überdies  macht 
er  dem  oft  scbwer  empfundenen  Übelstande  ein  Ende,  daüs  fremde 
Herden  in  Zeiten  der  Dürre  den  Grasstand  des  eigenen  Besitzes 
schädigen.  Von  Zeit  zu  Zeit,  und  besonders  an  den  Heerstrafsen, 
sind  diese  Zäune  durch  30  ni  breite  Thore  unterbrochen,  welche 
wilhi  t  iid  des  Tages  geöttnet  bleiben  müssen  und  von  einem  der  Hirten 
gehütet  werden,  dessen  Gehöft  (puesto)  zu  diesem  Behuf  daneben 
errichtet  ist. 

Solches  Thor  nun  gestattete  uns  den  Zutritt  zur  f  ürst  liehen 
Besitzung  Dou  Saturuinos,  zeichnete  sich  aber  im  übrigen  nur  durch 
die  solide,  zweckmalsii:»'  liauurt  des  Wilrterhause-^,  sowie  den  freund- 
lichen Obstgarten  dahinter  aus;  doch  fanden  wir  das  grofse  Herden- 
thor selbst  durch  Ivetten  versperrt  uud  mufsten  die  scheue  Tropilla 
unserer  Gäule  mit  ziemlicher  Mühe  durch  den  schmalen  Eingang 
treiben,  welcher  daneben  für  Karren  imd  Reiter  geöffnet  war.  Von 
nun  ab  galoppierten  wir  ohne  nnzuhalten  zwei  Stunden  lang  auf 
glattem  Wege  Uber  die  schwachen  Uügelwellen  der  Estanzie.  Rechts 


—  153  — 


und  links  tauchten  stattliche  Paestos  auf,  oft  mit  schlanken  Miradores 
geziert,  alle  aber  mit  schattigen  Fruchtgftrten  und  ausgedehnten 
Liizemefeldem ;  auf  den  Höhen  grasten  Scharen  von  scheuen,  neu- 
gierigen Stuten,  die  Niederungen  waren  bedeckt  mit  Tausenden  von 
Rindern,  die  träge  um  blaue  Lagunen  lagerten,  von  Zoit  zu  Zeit 
stob  eine  Herde  Schafe,  die  auf  dem  zarteren  Grase  weidete,  bei 
unserem  Nahen  auseinander,  und  rprhts  aus  der  Tiefe  blitzten 
manchmal  die  Seen  des  Rio  de  Rojas  herüber,  welcher  dieses  unge- 
heure Terrain  durchschneidet.  tJber  uns  aber  wölbte  sich  wolken- 
loser, heiterer  Himmel,  Geier  und  Falken  kreisten  hoch  in  der  Luft 
und  ein  Zug  Schwäne  flog  laut  kr&chzend  nach  Norden. 

Welch  schöner  Besitz  für  einen  Privatmann,  um  darauf  zu 
weilen  „procul  negotiis**,  Grolses  schaffend,  mit  grofsen  Mitteln  zum 
eigenen  (rewinn  und  zum  Vorteil  des  Landes,  wo  noch  so  vieles  zu 
bessern  und  ordnen !  Ein  Herrensitz  in  der  wahren  Bedeutung  des 
Wortes.  Da  liegt  er  auch  rechts  in  der  blaulichen  Niederung.  Recht 
gut  kenne  ich  San  Joaquin,  das  ich  öfter  besucht  habe,  mit  seinen 
Pfirsichwäldern  und  den  weitgestreckten  Mais-  und  [.uzernefeldern, 
dem  Stall  für  die  edlen  Hen^^ste,  dem  Schuppen  zur  Schafschur, 
den  Corralen,  der  Küche  und  dem  Gesindehause.  Auch  der  Wohnung 
des  Eigentümers  erinnere  ich  mich:  sie  besteht  aus  einem  £fs^  und 
zwei  Schlafzimmern,  und  der  Blumengarten  davor  ist  sogar  mindestens 
20  m  lang  und  halb  so  breit  Doch  diesmal  hüte  ich  mich  wohl, 
dorthin  zu  gehen;  denn  kostbare  Zeit  würde  verlorengehen  bei  der 
gastfreien  Aufnahme,  die  mir  der  Verwalter,  Herr  R.,  ein  Deutscher, 
zu  teil  werden  liefse.  Don  Satiirnino  aber,  der  Besitzer  dieses 
Fürstentums,  weilt  höchst  selten  auf  der  Kst-anzic.  Er  eignet  noch 
drei  andere  eben  so  stattliche  Etablissements  weiter  im  Süden  der 
Provinz,  aufser  einem  grofsen  Landgute  dicht  bei  Mercedes,  der 
Station  an  der  Westbahn,  wo  das  Schlachtvieh  noch  einmal  auf- 
gemästet wird,  ehe  es  die  letzten  12  leguas  zur  Hauptstadt  zurück- 
legt So  kommt  er  denn  nur  zeitweise  mit  seinem  Postzuge  von 
englischen  Bossen,  die  Eisenbahn  verschmähend,  um  nach  dem  Rechten 
zu  sehen,  steigt  vielleicht  einmal  zu  Pferde,  wie  damals,  als  er  mich 
auf  eine  Anhdhe  führte  und  beim  Anblick  des  von  Rindern  wimmelnden 
Thaies  stolz  ausrief:  „Mire,  eso  se  llama  hacienda!"  (Sehen  Sie,  das 
nennt  man  Vieh!)  und  kehrt  befriedigt  nach  seinem  Palaste  in 
Buenos-Aires  zurück. 

Auf  dem  riesenhaften  Terrain  der  Estanzie  weiden  etwa  6()  (XX) 
Stück  Rindvieh  und  ungefähr  15  (XX)  Stuten,  doch  verhaltnisma^g 
wenige  Schafe  (ich  glaube  4()(X)0).  Letzteres  hat  seinen  Grund  in 
dem  Umstände,  dafe  der  j^Camp*'  zum  groCsen  Teile  noch  mit  Pasto 


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faerte  bestanden  ist,  welches,  den  Schafen  wenig  zuträglich,  erst 
durch  den  Weidegang  der  Rinder  verfeinert  werden  mnfs.  Man 
sucht  diese  Umbildung  hier  dadurch  zu  befördern,  dnfs  mm  sowohl 

die  Corrale  als  auch  die  gröfseren  Einfriedigungen  des  Mastviehes 
von  Zeit  zu  Zeit  verlegt,  also  den  Boden  intensiver  düngt,  ja  bogar 
Distelsiimen  direkt  an  geeigneten  Stellen  ausstreut. 

Die  Rindviehzucht  selbst  ist  natürlich  höchst  einfach  und  wird 
durch  die  Umzäunung  noch  mehr  erleichtert,  da  ja  das  Zusamiueu- 
halten  der  Herden,  sowie  das  Gewöhnen  der  neu  gekauften  Tiere 
an  den  Umkreis  der  Besitzung  (querencia)  hier  unnötig  werdett 
So  bestehen  denn  die  Hauptarbeiten  dieses  Betriebes  nur  in  dem 
Markieren  beziehungsweise  Verschneiden  des  Jungviehes  (la  llierra) 
und  in  dem  Absondern  (el  Aparte)  der  zum  Verkauf  bestimmten  Tiere. 
Zu  jenem  Geschäft,  welches  wegen  der  Handhabimi?  von  oft  wütenden 
Stieren  durchaus  nicht  ungefährlich  ist,  wfthli  mau  die  kühle  Jahres- 
zeit.   Die  Herde  wird  in  eine  gröfsere  Kinzaunung  gelassen  und  die 
Kiilber  sowie  etwa  noch  nicht  markierte  Tiere  durch  herittcne  Pcoue 
(Knechte)  in  den  Corral  getrieben,  welcher  natürlich  kein  leichter 
Pferch  ist  wie  auf  den  Schäfereien,  sondern  durch  dicht  an  einander 
gestellte  hohe  Pfahle  gebildet  wird,  die  noch  mit  Eisendraht  oder 
Streifen  roher  Haut  fest  verbunden  sind.   Wahrend  nun  ein  Reiter 
dem  Tiere  seinen  Lazo  um  die  Hömer  wirft  und  dieses  verzweifelte 
Anstrengungen  sich  davon  zu  befreien  macht,  schleudert  ein  zweiter 
seine  Schlinge  derart,  dafs  die  Hinterflifse  des  Gefangenen  hinein- 
treten und  fesselt  dieselben  durch  einen  schnellen  Ruck.  Hierauf 
treiben  beide  ihre  Pferde  in  entgegengesetzter  Ilichtung,  bis  die 
Lazos  sich  straff  ziehen,  das  Tier  aber  entweder  selbst  zu  Boden 
fällt,  oder  doch  leicht  durch  den  Anprall  eines  dritten  Reiters  auf 
die  rechte  Seite  niedergeworfen  werden  kann.    In  dieser  Stellung 
wird  es  von  den  beiden  Eulazadores  gehalten,  wahrend  andere  Peoue 
die  gewünschte  Operation  an  ihm  vollziehen.   Doch  nun  heilst  es 
noch,  das  oft  halb  betäubte,  hftufig  aber  wfitende  Tier  von  seinen 
Fessehl  zu  befreien.  Zu  diesem  fiehufe  steigt  der  dritte  Reiter  voiu 
Pferde,  löst  vorsichtig  den  Lazo  von  den  Hörnern  und  springt  eilig 
in  den  Sattel,  während  nun  erst  auch  der  zweite  Enlazador  die  bis 
dahin  straft*  gezogene  Schlinge  lockert  und  dem  Gefangenen  damit 
das  Aufstellen  erlaubt.    Häufig  genug  geht  dann  das  gequälte  Tier 
auf  den  nächsten  besten  seiner  Peiniger  los,  welche  dann  alle  ihre 
Reitkunst  zur  Hülfe  nehmen  müssen,  um  unverletzt  zu  entweichen. 

Auf  grofsen  Etablissements,  wie  das  gegenwärtige,  werden  die 
jungen  Ochsen  (NovUloä)  von  Anfang  an  in  besonderen  Einzäunungen 
(Potreros)  gehalten,  um  das  lastige  Absondern  derselben  zum  Yer- 


löö  — 


kauf,  sei  es  als  Zugtiere,  sei  es  als  Sclüachtvieh  zu  venneiden.  Auch 
die  nicht  mehr  zur  Zucht  tauglichen  Kühe  werden  ans  demselben 
Grunde  besonders  eingeschlossen. 

.  Das  meiste  Schlachtvieh  geht  nach  den  grofsen  Saladeros  (ein 
2^/t-jfthriger  Novillo  gilt  60—70  Jk)  und  oft  ist  os  ein  interessantes 
Schauspiel,  einen  Trupp  von  drei  oder  vierhundert  dieser  halbwilden 
Tiere,  von  Reitern  umringt,  über  die  grüne  Flache  traben  oder  gar 
in  die  geöffneten  Corrale  der  Scblaclithiluser  stürzen  zu  sehen.  Dort 
werden  die  Haute  gesalzen,  ebenso  die  gröfseren  in  Scheiben  zer- 
schnittenen i'ieischteile,  welche  als  carne  tasajo  nach  Brasilien  und 
der  Habana  verschilft  werden,  während  erstere,  sowie  der  gewonnene 
Talg  nach  England  und  den  Nordseehäfen  gehen.  Hörner,  Bein- 
knochen,  getrocknetes  Blut  und  Knochenasche  werden  ebenfalls  nach 
Eoropa  versandt,  ja  selbst  die  Schwanzwedel  und  Darme  finden  ihren 
Weg  dorthm,  letztere  zur  Wnrstbereitung. 

Das  übrige  Vieh  hat  al  corte,  d.  h.  grofs  und  klein  zusammen, 
einen  Durchschnittswert  von  etwa  40  M>.  das  Stück;  doch  bezahlt 
man  Milchkühe  und  Zugochsen  mit  dein  Doppelten  und  Vierfachen 
dieser  Summe.  Jene  besonders  sind  auf  dem  Lande  ein  so  seltener 
Artikel,  dafs  selbst  in  Lnofsen  Estanzieu  oft  kein  Trojden  Milch,  ge- 
schweige denn  etwas  Butter  zu  linden  ist.  Denn  zuförderst  ist  es 
notwendig,  die  frischmilchende  Kuh  aus  der  grofsen  Herde  einzn- 
fangen  und  mit  dem  Kalbe  nach  den  Hausem  zu  bringen,  wo  sie 
tagelang  angebunden  und  bei  karger  Nahrung  steht,  ehe  sie  die  An- 
naherang  des  Menschen  soweit  erlaubt,  dafs  man  ihr  die  Vorder- 
and  HinterfQfee  fesseln  und  die  Milch  entziehen  kann.  Hierauf  wird 
sie  freigelassen,  das  Kalb  aber  bleibt  im  Schatten  eines  Baumes  be- 
festigt, oder  in  einer  besonderen  kleinen  EintViedi^AiuiLi,  dem  „Chiquero", 
als  Geifsel  für  die  Wiederkehr  der  Mutter,  welche  sich  auch  regel- 
niäfsig  morgens  und  abends  einstellt,  jedoch  in  den  nächsten  Woclien 
noch  stets  zum  Melken  gefesselt  werden  inuf<.  Unter  solchen  Um- 
standen ist  es  begreiflich,  dafs  Milch  zu  den  Seltenheiten  gehört 
und  nur  in  jenen  Hausem  zu  finden  ist,  wo  Damen  für  längere  Zeit 
weilen  oder  wo  rüstige  Weiber  vorhanden  sind,  weiclie  diese  Mftnner- 
aibeit  selbst  verrichten  können. 

Die  Basse  des  Rindviehes  ist  im  allgemeinen  keine  besonders 
gute,  da  man  ja  ehiesteils  bis  vor  kurzem  gar  keine  Sorgfalt  auf  die 
Zucht  verwandte,  und  aufserdem  beim  Verkaufen  des  Schlachtviehes 
natürlich  stets  die  geMindesten  und  fettesten  l  lere  ausgesucht  wurden, 
die  schwächeren  und  mageren  dagegen  zur  Nachzucht  zurückblieben. 
Doch  hat  man  jetzt  anu^efangen,  sich  mit  AuttrischuuL;  des  Hintes  zu 
beschäftigen,  und  zu  diesem  Zwecke  btiere,  besonders  von  der  Durham- 


—  156  — 


oder  Shorthornrasse,  aus  England  einjjeführt.   Die  >o  erzielten  Mi-ch 
linge  sollen,  selbst  bei  knappem  Futter,  uoch  eine  genügende  Mennf 
Fleisch  liefern;  dock  ist  ihre  Haut  nicht  so  kräftig  und  wertvoll  als  | 
die  des  eingeborenen  Rindes.  I 

Auch  die  FferdeaudU  war  bis  auf  die  neuere  Zeit  aiemlidi  ! 
▼ernacblftssigt  Zwar  besitzen  die  meisten  Estansieros  grofse  Statea* 
herden  zur  Zucht  der  bedeutenden  Anzahl  von  Arbeitspferden,  welche 
jedes  gröfsere  Etablissement  erfordert;  doch  da  man  stets  die  bestes 
und  fettesten  Stuten  an  die  Saladeros  verkaiitte,  welche  diej^elben 
auf  Haut  und  Fett  ausbeuten,  zugleich  aber  die  gröfsten  und  stärksten 
Hengstfüllen  verschnitt,  um  sie  als  Reitpferde  zu  benutzen,  denn  es 
werden  dort  ja  nur  Walladie  treritten,  so  blieben  mir  die  kleinsten 
und  schwächsten  Tiere  zur  Fortplianzung  der  Rasse  übrig,  und  von 
Verbesserung  oder  Auflfrischung  des  Blutes  war  keine  Rede.  Asserdem 
waren  und  sind  gute  Pferde  ein  sehr  gefährdeter  Besitz.  Als  Kriegs- 
material fielen  natürlich  stets  die  besten  Tiere  den  vielfachen  Revo- 
lutionen und  inneren  Zwistigkeiten  der  frühereu  Jahre  zum  Opfer, 
wenn  nicht  etwa  die  sämtlichen  vorhandenen  G&ule  verloren  gingen; 
und  überdies  bildet  die  Vorliebe  für  fremde  Pferde  und  Reitger&t 
eine  hervorragende  Schwäche  des  Gaucho,  wie  so  luanclier  anderen 
ländlichen  Bevölkerung  Europas  und  Amerikas,  so  dafs  ein  irgendwie 
brauchbares  Tier  nicht  sicher  ist  im  offenen  Camp.  j;i  oft  nicht  eiu- 
mal  im  Hofe  des  Besitzers.  Da  ist  es  denn  nicht  zu  verwundern, 
dafs  ^n  ade  die  tüchtigeren  und  ernsteren  Estauzieios  die  Zucht  guter 
Pferde  als  ein  schlechtes  Geschäft  aufgaben  und  sich  mit  den  ein- 
fachsten Gäulen  begnügten,  an  denen  wenig  zu  verlieren  war  und 
deren  Menge  den  geringen  Arbeitswert  ausgleichen  mufste.  Nur 
einzelne  Sporting-characters,  besonders  im  Süden  der  Provinz,  be- 
hielten den  kosts[)ieligen  Geschmack  für  schOne  Rosse,  und  von  dort 
her  kommen  auch  jetzt  noch  die  besten  und  gröfsten  Tiere,  die 
allerdings  auch  selten  mehr  als  1,58  m  Bandmafs  haben. 

Seitdem  jedoch  geordnetere  politische  Zustände  die  Waiirschein- 
lichkeit  militärischer  Requisitionen  bedeutend  verringert  haben,  und 
zumal  seitdem  die  allgemeine  Durchführung  der  Drahtzäune  die 
Pferdediebstahle  erschwert,  ist  auch  die  alte  Lust  des  Argentiuers 
am  springenden  Rosse  mächtig  erwacht,  und  jetzt  sind  es  gerade 
die  GrofiBgrundbesitzer,  welche  die  Veredlung  der  eingeborenen  Rasse 
energisch  in,  die  Hand  genommen  haben.  Englisches  und  Trakehner 
Vollblut  ist  hochgeschätzt  und  wird  auf  vielen  groCsen  Estaosieo 
gezüchtet,  halbblütige  Pferde  tragen  die  meisten  Preise  auf  den 
Rennen  davon  und  binnen  kurzem  dürfte  die  argentinische  Pferde- 
zucht den  alten  iiut  als  die  beste  von  Südamerika  wieder  erreicht  habe». 


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Natürlich  hat  auch  Don  Saturnino  Ünzu^  die  Notwendigkeit 
erkannt,  das  Blut  seiner  Rosso  aufzufrischen,  und  zwei  edle  englische 
Fuchshengste  stehen  \u\  Stall  von  San  Joaquin.  Seine  Herden  aber 
und  die  Tropillas  der  Arbeitspferde  unterscheiden  sich  wenii;  von 
der  gewöhnlichen  Rasse  (ihre  Gröfse  beträgt  kaum  1,5(J  ni),  nur  sind 
letztere  aus^esnrlite  Tiere  und  in  brillantem  Zustande,  da  bei  der 
Fülle  des  Materiales  jedes  Pferd  kaum  einmal  im  Monate  gesattelt 
wird.  Die  TropillaB  de  mansos  (zahme  Pferde)  xfthlen  etwa  20  bis 
30  Stack,  gewöhnlich  von  einer  Farbe  und  sind  derartig  an  die 
Glodce  der  beigefflgten  Leitstate  gewöhnt,  dafs  es  genügt,  nur  diese 
in  den  Pferch  zu  treiben,  damit  sämtliche  anderen  Gftole  ihr  auf 
der  Stelle  folgen.  Jeden  Abend  aber  wird  ein  neuer  Trupp  für  den 
Dienst  des  folgenden  Tages  bereit  gestellt,  seien  es  die  Falben  oder 
die  Grauschimmel,  die  Füchse  oder  die  Braunen,  und  es  ist  interessant, 
das  Ergreifen  und  Satteln  dieser  scheuen,  wohlgenilhrten  Tiere  zu 
beobachten,  die  sich  oft  nicht  ohne  Ivampf  in  den  Willen  des 
Reiters  fügen. 

Die  Art  des  Markierens  und  Versebneidens  der  Füllen  ist  völlig 
der  schon  bei  dem  Rindviehe  beschriebenen  ähnlich;  doch  ist  es  wohl 
der  Mühe  wert,  noch  einen  Blick  auf  die  Weise  ihrer  Zähmung  zu 
werfen,  wobei  man  allerdings  sehr  summarisch  zu  Werke  geht.  Das 
junge  Pferd  wird  mit  der  Schlinge  gefangen,  zu  Boden  geworfen 
und  eine  starke  Halfter  um  seinen  Hals  gelegt,  die  Hinterfüfse 
werden  oberhalb  der  llufgelenke  gefesselt  und  um  den  zahnlosen 
Teil  des  Unterkiefers  wird  als  (iebifs  ein  dünner  Kiemen  (bocado) 
aus  roher  Haut  gebunden,  an  welchem  die  Zügel  befestigt  werden. 
Nun  erlaubt  man  dem  Tiere  aufzuspringen  und  legt  demselben,  das 
sich  vorlAufig  in  sein  Schicksal  ergiebt,  auch  noch  eine  zweite  Fessel 
Aber  die  Knie  der  Vorderfüfse,  so  dafs  es  diese  zwar  bewegen, 
doch  nicht  schlagen  kann.  Um  es  auch  am  beidsen.  zu  bindern, 
ergreift  ein  Mann  dasselbe  mit  einer  Hand  am  Halfter  und  mit  der 
anderen  am  linken  Ohr;  und  jetzt  erst  wird  ihm  die  ungewohnte 
Bürde  des  Sattels  auf  den  Rücken  gelegt.  Dieser  besteht  aus  drei 
bis  vier  wollenen  und  ledenieu  Decken  und  eine  in  Paar  tlaclier.  rohr- 
gepolsteter  Wülste,  welche  in  die  hohlen  Teile  des  Kückens  eingreifen 
und  wird  dnrcli  einen  spannenbreiten  (iurt  (cincha)  aus  rohem  Leder 
befestigt.  Im  gegenwärtigen  Falle  vertreten  stets  zwei  Hölzchen 
die  Stelle  der  Steigl)ügel;  sie  sind  durch  Riemen  mit  dem  Sattel 
verbunden  und  der  nackte  Fufs  des  Reiters  niht  auf  ihnen  mit  den 
zwei  vorderen  Zehen.  Ein  im  Bttgel  Hängenbleiben  und  Geschleift- 
werden ist  folglich  unmöglich. 

Solchen  Sattel  (recado)  also  besteigt  der  Domador  (Bändiger); 

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—  168  — 


die  Fesseln  de>  1  ieres  werden  schnell  aber  vorsichtig  gelöst  und 
Halfter  und  Ohr  freigegeben,  wfthrend  zwei  Männer  eilig  auf  ihre 
fertig  gehaltenen  Pferde  springen,  um  fllr  alle  möglichen  Falle  bereit 
den  Bändiger  zn  begleiten.  Oft  bleibt  das  zitternde  Pferd  unbeweglich 
stehen  und  mufs  erst  durch  Schläge  und  Zurufe  angetrieben  werden; 
meistens  aber  versucht  es,  sich  durch  verzweifelte  Sprflnge  des  Reiters 
zu  entledigen  und  stOrmt  endlich  in  wütendem  Laufe  blindlings  ins 
Freie,  rechts  und  links  begleitet  von  den  beiden  Domadors.  Nach 
16  bis  20  Minuten  ist  das  junge  Pferd  gewöhnlich  völlig  erschöpft 
und  willenlos.  .Man  sattelt  es  ab  und  läfst  es  mit  dem  Halfter  am 
Halse  laufen;  doch  von  nun  an  wird  es  tiif^lich  ein  oder  zweimal 
geritten,  bis  es  zahm  wird.  Natürlich  mustern  die  Tiere  bei  so  ge- 
waltsamer Behandlung  sehr  ab  und  viele  erleiden  anschnlielie  Ver- 
letzungen, ja  werden  von  vornherein  lahm  auf  den  Yorderfüfsen; 
doch  wird  schwerlich  ein  vernünftigeres  Verfahren  angewandt  werden, 
so  lange  der  Preis  der  ungezahinten  Pferde  ein  so  i^erinuer  bleibt 
(24—48  .#.)  Auch  die  zahmen  I^ferde  selbst  werden  aus  dein>elben 
Grunde  ohne  jede  Sorgfalt  behandelt,  natürlich  mit  Ausnahme  der 
wertvollen  Rennpferde,  und  selten  erreicheu  sie  ein  Alter  von  mehr 
als  10  oder  12  Jahren,  da  man  ihnen  nicht  nur  die  gröfstcn  Strapazen 
auferlegt,  sondern  sie  auch  selbst  im  Winter,  völlig  in  Schweifs 
geritten,  unbedenklich  den  schneidenden  Winden  und  scharfen  Nacht- 
irösten  aussetzt 

Doch  zurflck  zu  unserer  Reise.  Ein  zweiständiger  Kitt  brachte 
nns  endlich  nach  der  Palama,  dem  Puesto  Don  Satuminos,  welcher 
eines  der  Ausgangsthore  dieser  ungeheuren  Besitzung  hfltet.  Schon 
brannte  die  Sonne  sengend  vom  wolkenlosen  Himmel  und  in  ver- 
schärfter Gangart  strebten  wir  einer  Awka  zu,  welche  ich  zum 
FrUhstäcksplatze  ausgewählt  hatte.  Wie  ein  Turm  stieg  des  einsame 
Haus  aus  der  welligen  Fläche  hervor,  die  unter  dem  Einfluf:)  der 
Hitze  zn  zittern  anfing  und  den  Augen  manch  täuschendes  Sj>uv^^el* 
bild  vorführte;  bis  endlich,  mit  jedem  Galoppsprung  verkleinert  und 
verhäfslicht,  die  traurige  Wirklirlikeit  in  ihrer  ganzen  ()dc  vor  uns 
lag.    Es  empfing  uns  ein  kasteniorniiges  Geb.lude  aus  verwitterten 
Ziegeln,  etwa  5  m  im  Geviert,  4  m  hoch,  mit  einem  flachen  Dache 
(A/otea)  und  Brnstwehr  gekrönt.    Ein  stark  vergittertes  Fenster, 
ohne  Spur  von  Glas,  und  eine  schwere  starke  Thür  i^estatlcten  Luft 
und  Licht  Eintritt,  und  in  der  Ecke  k'hnt  eine  Leiter,  welche  zur 
Falltür  im  Dache  fülirt,  dem  letzten  /ntluchtsoit  der  r>ewohner  bei 
den  früher  so  häutigen  ImlianereintiUlen.    Das  Moltiliar  besteht  ans 
einem   Haufen  Fellen,  worauf  die  ganze  Familie  schbitt.  einigem 
Küchengerät  und  vier  Pferdescbädeln  als  Sitzen.  Kinder,  Uuude  und 


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—  iö9  — 


Flöhe  zwingen  uns,  schleunig  das  Freie  zu  buchen,  und  uns  im 
schmalen  Schatten  der  kahlen  Wand  niederzulassen. 

Glücklicherweise  ist  Tiburcio,  der  Hausherr,  abwesend«  denn 
sonst  niüfsten  wir  Konversation  macben,  die  einzige  Münze,  mit  der 
mau  diese  gastfreien,  wenn  auch  armen  Leute  bezahlen  kann;  und 
DoÜa  Giemencia,  ein  starkknochiges,  hageres  Weib,  begnOgt  sich, 
uns  in  aller  Demut  einige  Mates  zu  kredenzen,  wahrend  ihre  struppigen 
Buben  und  Mädchen  die  Fremden  neugierig  anstarren  nnd  unsere 
Peone  den  Spiefsbraten  bereiten. 

Die  Lajj:e  dieser  Familie  ist  bald  geschildert,  sie  ist  die  eines 
grofseii  Teiles  der  Grenzbevölkerung.    Der  Grund  und  Boden  ist 
Eigentum  eines  der  grofseu  Landhaic  der  Hauptstadt,  welcher  in 
dieser  Gegend  etwa  180  Quadratleguas  (4859,79  km)  besitzt,  ohne 
mehr  als  höchätens  5ÜÜÜ  Stück  Vieh  darauf  zu  ernähren.   lu  den 
sechziger  Jahren,  wo  diese  Gegend  noch  aufserhalb  der  Indianer- 
grenze lag,  verkaufte  die  Regierung  das  Land  in  Parzellen  von  je 
3  leguas  zu  höchst  billigen  Preisen  und  mit  zehn  jährlichen  Zahlungen, 
jedoch  mit  der  Bedingung,  dafs  darauf  ein  Haus  errichtet  und  eine 
bestimmte  Anzahl  (500)  Vieh  gehalten  werden  sollte.  Niemand 
durfte  mehr  als  eine  dieser  Parzellen  direkt  in  Besitz  nehmen;  doch 
niemand  konnte  verhindern,  dafs  sämtliche  Angestellte  und  Knechte 
eines  wohlhabenden  Mannes  jeder  für  sidi  ein  solches  Stück  bean- 
spruchten und  zugeschrieben  erliielten,  um  es  auf  der  Stelle  au  den 
„Patioü"  selbst  zu  verkaufen.  So  entstanden,  dem  Sinüc  des  Gesetzes 
völlig  entgegen,  sehr  ausgedehnte  Besitzuugeu,  die  noch  jetzt  an 
vielen  Stellen  der  Besiedlung  und  Verwertung  des  Landes  höchst 
schftdlich  sind.  Der  Spekulant  baute  eine  der  eben  beschriebenen 
Azoteas  auf  jeder  Parzelle,  grub  einen  Brunnen  und  formierte  den 
unerl&fslichen  Gorrai  durch  ein  Viereck  von  Gr&ben  mit  nach  Innen 
aufgeworfenem  V^alle.   Daun  sachte  und  fand  er  leicht  irgend  einen 
armen  Gaucho,  dessen  gerin^^c  Herde  er  durch  Hinzufügung  der 
billigsten  Tiere,  also  von  Stuten,  auf  die  gesetzmafsige  Zahl  brachte, 
und  erlaubte  ihm  im  neuen  Hause  zu  wohnen,  wiilireiid  der  halbe 
Ertrag  des  gemeinschaftlichen  Viehes  als  Pacht  gerechnet  wurde. 
Mauche  von  diesen  Mediaueros  sind  dabei  wohlhabend  geworden, 
der  Grundeigentümer  aber  hat  jedenfalls  ein  glänzendes  Gesch&ft 
gemacht,  denn  mit  der  Auslage  von  etwa  4000  Jk  für  Hans  nnd 
Vieh,  und  der  auf  zehn  Jahre  verteilten  Zahlung  des  Kaufpreises 
von  12  bis  16000  A  fttr  die  Quadratmeile  ist  er  in  Besitz  von 
L&ndereien  gelangt,  die  jetzt  das  vier-  und  fttufikche  wert  sind. 

Der  Bewohner  unserer  Azotea  hatte  offenbar  keine  Seide  ge- 
sponnen m  den.  16  Jahren  seines  Aufenthaltes,  der  Grund  lag  wohl 


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—  160  — 


zum  guten  Teile  in  der  eigenen  Faulheit  :  nicht  einen  f^aam  halte  \ 
er  wahrend  der  ganzen  Zeit  gepflanzt,  obgleich  hesondera  Weiden  wA 
Pappeln  sehr  gut  gedeihen,  die  Graben  des  Pferches  waren  zerfallen  i 
und  halb  ausgefallt,  und  das  Dach  des  Hauses  stark  durchlöchert  I 
Etwa  600  Stuten  und  Ktthe  bildeten  sein  ganzes  Besitztum,  so  daüs 
die  Erhaltung  der  zahlreichen  Familie  fast  ausschliefslicb  von  der 
Jagd  abhing;  und  auf  solchem  Austiuge  befand  sich  augenblicklich 
der  biedere  Hausherr.  Da  war  es  denn  nicht  zu  verwundern,  dafs 
das  prachtvolle  Hippenstück,  welches  Camilo  unterdessen  gebraten 
und  am  Spielse  zwischen  uns  auf  der  Erde  aiif;j:estcllt  hatte,  da? 
lebhafteste  Interesse  auch  bei  Frau  und  Kindern  unseres  Wirtes  er- 
regte. War  doch  solches  Rindtleisch  für  sie  otienbar  eine  Seltenheiir 
in  diesem  Lande,  dessen  Uerdenreichtum  sprichwörtlich  ist!  Mais, 
Kürbis  und  die  oft  recht  karge  Jagdbeute  bOdeten  ihre  aosschliefe* 
liehe  Nahrung.  Und  trotzdem  gedeiht  der  Nachwuchs  prächtig,  da 
bei  so  rauhem  Leben  nur  die  kräftigsten  die  zarten  Kindeijabre 
überdauern,  und  wächst  zu  einem  rüstigen  und  unabhängigen,  weai 
auch  gänzlich  unwissenden  Gcsclilechte  heran.  Kiiiigo  von  der  Mutter 
erlernte  Gebetfornieln  bilden  den  ganzen  Schatz  des  Wissens  und 
Lesen,  oder  ^ar  Schreiben,  sind  angestaunte  Künste;  doch  treibt  ein 
KJjfthriger  Junge  die  wilde  Stutenherde  ebenso  geschickt  in  «leii 
Pferch,  als  der  Herr  Vater,  und  ein  12  -  14jahriger  tindet  den  weiten 
Weg  zur  Stadt,  verkauft  dort  verstäudig  seine  Straufsenfedern  oder 
Rehfelle,  ersteht  die  kleinen  Bedürfnisse  der  Familie,  und  ist  nach 
einem  6— 8stflndigen  Ritte  am  Abend  wieder  zu  Hanse.  Ein  ernster 
Zweig  eines  Studiums  ist  ttbrigens  auch  die  Kenntnis  samtlicher 
Viehmarken  auf  10  Meilen  in  der  Runde,  und  oft  sieht  man  des 
morgens  in  der  Küche  Alt  und  .Iniig  eifrig  damit  beschäftigt,  während 
des  Matetrinkens  auf  der  glattgestrichenen  Asche  alle  möglichen 
Hieroglyjdien  zu  zeichnen  und  zu  deuten. 

Unterdessen  ist  die  gröfstc  Hitze  vorüber,  wir  haben  ein 
Stündchen  auf  den  Sätteln  geschlafen;  jetzt  noch  einen  Mate,  ein 
Händedruck,  ein  „gracias  Senora''  und  fort  geht  es  im  gleichmä(sigen 
Galopp  nach  Südwesten.  Der  Weg  ist  zu  einem  Geleise  zusammen- 
geschrumpft, welches  sich  oft  nur  durch  tieferes  Grün  von  dem 
gelblich  wogenden  Grasmeere  abzeichnet.  Zwischen  den  HQgel- 
schwellungen  ziehen  sich  feuchte  Niederungen  von  Nordwest  nadi 
Sfldost;  die  kleinen  Teiche  und  Binsendickichte  derselben  sind  von 
zahlreichen  Wassergevögel  bevölkert  und  manchmal  steht  ein  Reh 
oder  gar  eiu  Straufs  vor  unseren  Pferden  auf,  um  in  weiten  Sätzeu 
die  gefahrlichen  Heiter  zu  meiden.  Drüben  im  Süden  scheint  eine 
grofse  Estanzie  zu  liegen;  wenigstens  steigt  zwischen  hohen  Bäumen 


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—  161  — 


eine  zweistöckige  Azotea  auf.  Es  ist  eitel  Täuschung:  auf  der 
endloseii  Fläche  verliert  sich  jeder  Mafsstab  der  vereinzelten 
Gegenstände,  selbst  höhere  Büschel  der  Cortadera  nehmen  grols- 
artige  Verhältnisse  an,  und  jene  Baume  sind  einfach  etwa  acht- 
jährige Weiden,  welche  zum  Schutz  der  Tiere  auf  den  Grabenrand 
des  Pferches  gepflanzt  sind,  das  stattliche  Haus  aber  besitzt  zwei 
Zimmer  und  ist  mit  der  Brustwehr  etwa  8  m  hoch.  Oft  habe  ich 
in  S.  Garlos  flbemachtet  beim  alten  Zacarias  Freies,  einem  der 
Mediaueros  jenes  Laudhaies.  Der  wünlif^e  Greis  hat  bessere  Tage 
gesehen;  ich  bin  ihm  für  manches  verpflichtet  und  könnte  seiner 
Einladung  dort  zu  nächtigen  keinen  Widerstand  leisten.  Also  vor- 
bei, denn  scheu  sinkt  die  Sonue  und  noch  drei  leguas  liegen 
vor  uns. 

Nun  taucht  ^uch  weit  zur  Linken  die  riesige  Weide  des 
Fwrtm  Chanar  auf.  Dort  war  ich  im  Jahre  1868  Zeuge  eines 
grofsen  Indianereinfalles,  und  noch  stehen  mir  die  wilden  Gestalten 
vor  der  Erinnerung,  die  plötzlich,  um  11  Uhr  des  Ifittags,  wie  aus 
der  Erde  gewachsen,  die  WftUe  umkreisten.  Wir  waren  im  ganzen 
26  Weifse,  die  Besatzung  und  meine  Peone  zusammengerechnet; 
doch  kam  es  den  „Pampas"  weniger  auf  Kampf,  als  auf  Beute  an 
und  so  nahmen  sie  einfacli  die  Pferde  des  Forts  mit  sich,  zugleich 
60  meiner  eigenen  Tiere  und  meine  sämtlichen  Zugoclisen. 
Selbst  eine  Schafherde,  obgleich  schwer  und  langsam  zu  treiben, 
entging  ihnen  nicht,  und  gegen  Abend  sahen  wir  die  Staubwolken 
des  Raubzuges  langsam  abziehen,  ohne  auch  nur  an  Verfolgung 
denken  zu  können,  da  allein  meine  beiden  Reitpferde,  im  Innern 
des  Forts  angebunden,  dem  Handstreiche  entgangen  waren.  Wie 
fein  war  der  Überfall  vorbereitet,  und  wie  wunderbar  die  Rettung 
des  Pferdehirten  und  anderer  Personen,  die  von  den  Indianern  im 
freien  Felde  überrascht  wurden!  Vielleicht  erzähle  ich  später  ein- 
mal davon. 

Jetzt  ist  das  Fort  in  friedliche  Estanzie  uniKOwandelt,  wozu 
seine  tiefen  Gräben  und  weiten  Luzernefelder  sich  vortrefflich  eignen. 
Unser  Weg  aber  biegt  in  weitem  Bogen  herum  nach  Süden,  schon 
beginnt  es  zu  dunkeln,  noch  eine  Viertelstunde  platschen  die  Pferde 
in  den  breiten  Sümpfen,  welche  sich  zur  Lagtuia  del  Chaüar  liin- 
ziehen,  und  dann  heben  sich  auf  der  nächsten  HQgelwelle  dunkle 
Puakte  scharf  gegen  den  letzten  Schein  des  Abendrotes  ab.  Es  sind 
die  Häuser  und  Hfltten  der  Kolonie  TeodoUna,  wo  wir  die  Nacht 
verbringen  wollen. 

Dieselbe  ist  die  Schöpfung  des  bewufstea  Spekulanten,  ihre 
Aulage  wurde  ihm  bei  Gelegenheit  eines  aufsergewöhulich  grofsen 


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—  162 


Landkaufes  (106  leg.  s=  2916  km)  von  Seiten  der  Regierung  zur 
Bedingung  gestellt.  Da  nun  vor  15  Jahren  nicht  daran  m  denken 
war,  enropftische  Einwanderer  dO  leguas  weit  vom  ParanA  in  der  dden 
und  noch  recht  gefährlichen  Pampa  anzusiedeln,  dies  jedenfalls  aueh 
eine  beträchtliche  Summe  gekostet  haben  würde,  zog  unser  Landhai 
es  vor,  die  Kolonie  mit  der  eingeborenen  LandbevOlkemng  zu  be* 
stocken,  da  von  den  grofsen  Estanzias  stets  mehr  nach  aufsen  ge- 
drängt wird  und  deren  Neigungen  sich  grade  dem  halbwilden  Leben 
der  Grenzer  trefflich  ani)a.ssen.  So  wurde  denn  den  erraten  fünfzig 
Familien  je  eine  „Chacra'*  von  20  C'iiadras  (33,75  ha)  i/esrhenkt 
unter  der  Bedingung,  eine  Azotea  darauf  zu  errichten,  und  in  der 
Ilotiüung  fernere  Ansiedler  luTbeizuziehen.  Die>  ist  allerdings 
nicht  gescliehen,  trotzdem  der  Kigentünier  ein  Haus  für  den  Ver- 
walter und  eine  Kapelle  erl)auto;  doch  hat  er  seinen  Kontrakt  erfüllt, 
einen  i)rachtvollen  Strich  Luuiles  für  geringe  Kosten  gesichert  und 
demselben  erhöhten  Wert  gegeben. 

Da  liegt  nun  die  Kolonie  recht  malerisch  auf  dem  hohen  Ufer 
der  3 — 5  km  breiten  Lagune;  doch  das  Leben  und  Weben  einer 
rülirigen  Bevölkerung  fehlt  ihr  ganzlich:  sie  ist  einfach  tot.  Auf 
dem  ausgedehnten  Platze  vor  der  Kirche  weiden  die  Pferde  des  Herrn 
Friedensrichters,  ein  Kramladen  ist  schon  zu  viel  für  den  unbedeu- 
tenden Bedarf  der  Kolonisten,  und  diese  leben  einfach  von  der 
Viehzucht  und  Jagd,  kaum  dafs  sie  den  für  das  eigene  Leben 
nötigen  Mais  bauen.  So  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dafs  die  Pro- 
dukte der  9  Ackerbau-Kolonie"  in  einigen  Rindshauten  und  Straofsen- 
fedem  nebst  Rehfellen  bestehen.  Möge  der  schon  begonnene  Bau 
der  Eisenbahn  nach  Rojas  ihr  Lebenskraft  einflöfsen! 

Im  gastlichen  Hause  des  Friedensrichters  ist  die  Nacht  schnell 
und  angenehm  vergangen.  Jetzt  geht  es  hinaus  in  die  freie  Pampa, 
ohne  Grenze,  ohne  Siedlung,  nur  noch  betreten  vom  streifenden 
Fufse  des  Jagers  und  bevölkert  mit  Herden  flüchtigen  Wildes. 
Noch  hftnift  der  Tau  an  allen  Gräsern,  die  Strahlen  der  hinter  uns 
aufgehenden  Sonne  millionenfach  zurückwerfend,  und  über  den 
Häui)tern  wölbt  sitli  ein  glorreicher,  tiefl>lauer  Himmel,  Leise 
wiehern  die  Pferde.  Dann  ist  lange  Zeit  nichts  weiter  hörbar  als 
ihr  taktmaisiger  Hufschlag  und  das  leichte  Streifen  ihrer  Füi'se  an 
dem  dichten,  kniehohen  Grase.  Längst  ist  die  letzte  Spur  dos 
We^es  verschwunden,  und  in  grader  Linie  geht  es  bald  quer  über 
flache  Niederungen  mit  aufleuchtenden  Teichen  und  Seen,  bald 
Uber  langgedehnte  mit  förmlichen  Walderu  mannshoher  Ivardendistela 
gekrönte  Hügelrttcken. 

Plötzlich  deutet  der  Vaqueano  auf  eine  Gruppe  dunkler  Punkte, 


—  163 


etwa  eine  halbe  Meile  entfernt:  „Straufse!"    Schnell  sind  die  Dis- 
positionen zur  Ja^d  getroffen.    Die  Tropilla  fol^t  der  eingeschlagenen 
Riclitunu:  unter  Obhut  eines  der  Peone,   wir  andern   vier  aber 
galoppieren  rechts  hin  dem  Walde  zu.   Freilich  sind  wir  nur  wenige, 
iinrt  die  Hülfe  von  uns  zwei  Europftern  ist  problematisch,  da  wir 
nicht  erfahren  im  Gebrauch  der  Boleadoras ;  doc^  helfen  wir  immerhin 
deo  Halbsirkel  vergröfsem,  welcher  die  scheuen  Tiere  einschlieisen 
soll.   Zudem  sind  die  Pferde  frisch,  der  Jagdeifer  grofis  und  die 
Notwendigkeit  ein^  haldigen.  Frahstücks  recht  fahlhar.  So  geht  es 
denn  in  schneller  Gangart,  uns  allmählich  ausbreitend  dem  Wilde 
zu.    Ks  sind  ein  männliches  Tier  und  vier  Weibchen,  die  mit  lang 
vorgestrecktem    Halse  grasend,    gravitätisch    umhersteigen ;  doch 
bald  haben  sie  uns  gesehen  und  stäuben  in  eiliger  P'lucht  auseinautier. 
„Auf  den  Macho!"  (das  Männchen)  ruft  Camilo,  und  nun  heifst  es 
Sporen  einsetzen  I   Erregt  werfen  die  Pferde  den  Kopf  ein-  oder 
zweimal  zurück,  dann  strecken  sie  sich  und  fort  geht  es  im  wildesten 
Laufe:  sie  kennen  den  Zweck  des  Rennens,  und  dürsten,  sich  mit 
den  schnellen  Kindern  der  Pampa  zu  messen. 

Glücklicherweise  begünstigt  uns  der  Boden:  das  hohe  Gras  ist 
vor  einem  Monat  verbrannt,  und  ein  dichter  Rasenteppidi  breitet 
sich  vor  uns  aus.  Dergestalt  kann  manches  Hindernis  gesehen  und 
verniiiMlon  werden;  doch  nicht  die  zahlreichen  Hiihlen  der  Gürtel- 
tiere, noch  die  <ler  Maulwürfe.  Und  da  hat  auch  schon  der  Schecke 
des  andern  Peons  in  ein  solches  Loch  getreten  und  überschlägt  sich 
vollständig.  Der  Heiter  aber  ist  über  den  Kopf  des  Pferdes  ge- 
sprungen und  aufrecht  stehen  geblieben,  ohne  die  langen,  offnen 
Zügel  aus  der  Hand  zu  lassen.  Kaum  ist  das  erschreckte  Tier 
wieder  auf  den  Fülisen,  so  sitzt  er  auch  darauf  und  rast  hinter  uns 
her,  um  den  Zeitverlust  einzuholen. 

Schon  sind  wir  dem  Straufse  nahe,  wahrend  die  Weibchen  sich 
seitwärts  gewandt  haben.  Er  Iftuft  mit  ungeheuren  Schritten  vor 
mir  her,  die  mit  langen  Federn  geschmückten  Flügel  halb  aus- 
breitend, und  ich  mache  den  Revolver  fertig,  wenn  es  auch  ein 
höchst  unsicherer  Scliufs  wäre.  Da  schlägt  er  idötzlich  einen  Haken, 
und  stürmt  rechts  seitwärts  gerade  vor  Camilo  vorüber.  Das  ist 
sein  Verderben.  Augenblicklich  schwirren  die  Bolas  durch  die  Luft, 
umschlingen  den  langen  Hals  und  werfen  das  gehetzte  Tier  zu  Boden. 
Und  wie  der  Blitz  steht  auch  der  Alte  neben  ihm  und  durchschneidet 
die  Kehle  seiner  Beute. 

Dem  Jftger  bringt  dieser  Sieg  etwa  IVs  Pfund  Federn  ein, 
nngefthr  5  Mark,  uns  aber  einen  Braten  zum  Frühstück.  So  wird 
(leuu  das  erlegte  Tier  auf  die  Croupe  eines  Pferdes  gebunden  und 


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—  164  — 


wir  eilen  der  schon  fernen  Tropilla  zu.  An  der  nicbsten  Lagune 
wird  Halt  gemacht;  Brennstoff  liefern  die  Kardendisteln  in  Falle, 
ttnd  bald  braten  Bmst  und  FlOgel  des  Vogels  am  schnell  entzündeten 
Feuer.  Die  Pferde  weiden  frei  im  Hörbereich  der  Glocke,  welche 
die  Leitstttte  trägt ;  nur  eines  bleibt  fOr  alle  Falle  an<^'eptlöckt.  Wir 
aber  strecken  uns  auf  die  ausgebreiteten  Satteldecken  und  „erheben 
die  Hände  zum  lecker  bereiteten  Mahle",  während  die  Ereignisse 
der  Jagd  lebhalL  besprochen  werden  und  der  alte  Caniilo  vielleicht 
eines  seiner  Abenteuer  aus  den  Indianerkriegen  zum  besten  giebt. 
Ein  Mate  und  eine  Cigarette  beschliefsen  (bis  FrQiistiUk;  dann  wird 
gesattelt,  und  fort  stäubt  der  Trupp  dem  fernen  Südwesten  zu  über 
die  pfadlose,  graswogende  Pampa. 


Die  Lagoa  dos  Patos. 

Von  Dr.  UermaBu  v«tt  Iheriiig. 


Hierzu  Tafel  3:  Überblick  über  die  Aasdehnung  des  Meeres  in  der  Provinz 
Rio  Qvande  bei  Beginn  der  aUaTialen  Epoche.  Mabstab:  1:9000000. 

Einlvltsnde  Bemtrkanf en.  Hydrographiselie  VerhUtnime  der  Provins  Bio  Grmnd« 

Der  Kiinal  do  Norte.  Die  Harre-Komtnission.  Pi«  Lagoa  dos  Patos  rnregelmirsig- 
fceit  der  Flat«-elle  an  der  KUttte  tou  Rio  tiraudo.  Eiiiiliir^  der  Winde.  Va^^ute  und 
Enchente.  Die  Lagoa  mirim.  Der  S.  Gonvaloflurd.  HaUgelialt  de«  Wassers  bei  Rio 
Grande.  Tierleben  der  Lagoa  dos  Pktot.  Die  Fi»clu'reien  \<in  Uio  Grande.  Ent* 
deckung  einer  prÄhistorisclien  Niederlassung  bei  Rio  Grande.  Beweist'  einer  früheren 
Ausdehnung  de.s  Oceaus  in  dan  Innere  der  l'rovinx  Rio  Grande.  Neue  Theorie  Uber 
die  BiMaof  der  PanipMfoniietiön. 

Die  Provinz  Rio  Grande  do  Snl  besitzt  bekanntlich  in  der  Lagoa 

dos  Patos  nnd  der  mit  dieser  in  Verbindung  stehenden  La.i^ou  mirim 
die  ^'rüf^ten  Binnenseen  Brasiliens.  Ks  war  lange  mein  Wunsch, 
diese  meines  Wissens  nie  zuvor  von  einem  Naturforseher  studierten 
Wasserbecken  einem  eingelienderen  Studium  zu  unterziehen,  zumal 
mit  Rücksicht  auf  die  sie  bewohnende  Tierwelt,  und  dazu  bot  mir 
das  Jahr  1884  reichlich  (Gelegenheit,  während  dessen  ich  mein  Domizil 
in  der  Stadt  Rio  Grande  nahm,  woire^en  ich  unmittelbar  vorher 
eine  Zeitlaug  in  Pedras  brancas  am  Guahyl)a,  Porto  Ale^'ie  ^eu^eii- 
über,  gelebt  hatte,  wodurch  ich  (ielegenheit  bekam,  den  Haujitzutiuls 
der  l.iagoa  dos  Patos,  den  miyestätiscben  Guahybastrom,  zu  studieren, 
welcher  dort  selbst  schon  seeartig  erscheint,  iu  der  That  auch  h&ulig 
als  Lagoa  de  Yiamad  bezeichnet  wird.  Wenn  nun  auch,  wie  gesagt, 
meine  Forschungen  wesentlich  faunistische  Ziele  verfolgten,  so  er^ 
sich  doch  auch  in  geographischer  Hinsicht  so  viel  Interessantes  und 


—  165  — 

bisher  kaum  oder  nicht  Bekanntes,  dafs  die  folgende  Darstellung 
ihre  Berechtigung  in  sich  selbst  enthftlt.^) 

Die  allgemeinen  Daten  über  Lage,  Ausdehnung  und  ZnflOsse 
dieser  Seen  sind  aus  den  geographisehen  Kompendien,  wie  z.  B.  aus 
Wappaeus  Handbuch  Brasiliens  leicht  jeu  entnehmen.  Von  einer  Wieder- 
holung  dieser  bekannten  Daten  ist  daher  hier  ganz  abgesehen,  nur  in 
einigen  Hauptzügen  seien  die  wesentlichereu  Momente  kurz  berührt. 
In  hydrographischer  Beziehung  zerfallt,  von  mancherlei  kleineren, 
direkt  in  den  Oceau  sich  ergiefsenden  Flüssen  abgesehen,  die  Provinz 
Kio  Grande  do  Sul  im  wesentlichen  in  zwei  Gebiete,  ein  östliches 
und  ein  westliches.    Letzteres  ist  durch  den  üruguaystrom  reprä- 
sentiert, jenes  durch  die  beiden  grolsen  Lagoas  und  ihre  Zuflüs.se. 
Die  Lagoa  mirim  ist  die  kleinere,  wie  auch  ihr  Name  (mirim^  klein) 
besagt,  und  sie  empftngt  auch  keine  sehr  bedeutenden  Zuflüsse.  Der 
wichtigste  derselben  ist  der  bis  zur  Stadt  gleichen  Kamens  fftr  kleuie 
Dampfer  schiffbare  Jaguarad.  Diese  Lagoa  steht  mit  der  Lagoa  dos 
Patos  durch  einen  flufsartigen  Kanal,  den  S.  Gongalo  in  Verbindung, 
dessen  Anfangsteil  bei  der  Lagoa  mirim  als  „Sangradouro"  bezeichnet 
wird.    Die  Lagoa  dos  Patos  empfängt  an  ihrem  westlichen  Ufer  die 
von  der  Serra  dos  Fapes  und  der  Serra  do  lierval  herabkommenden 
Gewässer,  unter  denen  der  Camaquamflufs  weitaus  der  stärkste  ist, 
und  setzt  sich  bei  der  Ponta  de  Itapuam  in  den  Guahybastrom  fort, 
der  seinerseits  durch  den  Zusammenflufs  des  Jacuhy,  Gaby,  Rio  dos 
Sinos  und  Gravatahy  gebildet  wird.  Die  ganze  enorme  Wassermenge, 
welche  somit  in  der  Lagoa  dos  Patos  angesammelt  wird,  steht  mit 
dem  atlantischen  Ocean  nur  durch  einen  schmalen,  kurzen  Ausflulia, 
den  Ganal  do  Norte,  in  Verbindung,  welchen  man  anfangs  für  einen 
Flul's  hielt  und  daher  Rio  Grande  nannte.    Die  Sandbänke,  welche 
sich  au  der  Ausmündung  dieses  Kanales  in  den  Ocean  vorfinden, 
bilden  die  berüchtigte  Barre  von  Rio  Grande.    Die  brasilianische 
Regierung  läfst  gegenwartig  diese  Barre  durch  eine  Kommission  von 
Ingenieuren  studieren,  um  damit  die  Grundlage  für  die  Herstellung 
efaies  allezeit  offenen  und  hinreicheDd  tiefen  Fahrkanales  zu  ge- 
winnen.   Diese  Kommission,  unter  Leitung  eines  brasilianischen 
Ingenieurs,  Dr.  Bicalho,  stehend,  hat  kOrzlich  ein  groüses,  nicht 
im  Buchhandel  erschienenes  Relatorinm*)  Aber  ihre  Studien  ver- 
Itffentlicht,  auf  welches  ich  mehrfach  zurückkommen  werde.  Freilich 
sei  gleich  bemerkt,  dafs  die  ganze  Arbeit  nach  der  wissenschaftlichen 

^)  Diese  Abhaudlang  schliefst  sich  gewissermafsen  als  Weiterführuog  an 
memen  Artikel  ,Am  Onahyhft*  aa,  der  im  Jahrgang  1884  oder  1885  von  .Unsere 
Zeit"  erseheuien  wird.) 

*)  Melhoramento  da  Barra  do  Bio  Grande  ^o  Sul.  Behtorio  appreaentado 
ao  Gtovemo  imperial.  Bio  de  Janeiro  Typographla  oadonal  1883. 

GMgr.Biittw.  mmun,  tm.  18 


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—  166  — 


Seite  hin  sehr  anfechtbar,  ja  vielfecb,  wie  z.  B.  im  meteorologischen 
Teile,'  ganz  unbrauchbar  ist,  da  dieser  nidit  nur  Yon  Rechen-  und 
Druckfehlern  wimmelt,  sondern  auch  so  leichtsinnig  zusammengestellt 

ist,  dafs  z.  B.  für  einige  Jahrgänge  die  Monatsmittel  der  Temperatur 
liöiier  angegebeij  sind  als  die  Maximal  Der  technische  Teil  dieses 
Relatoriums  ist  von  eniem  mit  den  Verhaltnissen  der  Barre  seit 
Jahren  genau  bekannten  deutschen  Ingenieur,  Herrn  VV.  Ahrous, 
einer  vernichtenden  Kritik  unterzogen  worden,  und  im  Senate  hat 
Staatsrat  Avila  in  einer  niciit  widerlegten  Rede  nachgewiesen,  dafs 
die  Fähigkeiten  des  leitenden  Ingenieurs  noch  nicht  einmal  dazu 
liinreichend  waren,  brauchbare  Baggermaschineii  zu  bestellen  — 
gleichwohl  bleibt  alles  beim  alten.  Der  brasilianische  Nativisnius 
sträubt  sich  gegen  die  Berufung  kompetenter  auslandischer  Kraite, 
von  anderen  wichtigeren  Motiven  ganz  abgesehen. 

Die  Lagoa  dos  Patos  verdankt  ihren  Namen  nicht,  wie  öfter 
irrig  angegeben  wird,  den  grofseu  Patos-P^nten  (Cairina  moschata  L.), 
welche  an  ihr  nur  selten,  bei  Rio  Grande  z.  B.  gar  nicht  vorkommen, 
sondern  den  in  früherer  Zeit  in  ihrer  Umgebung  hausenden  Patos- 
Indianern.  Sie  läuft  wesentlich  der  Küste  parallel,  von  der  sie  nur 
durch  einen  schmalen,  stellenweise  nur  5 — 6  km  breiten  Streifen 
niederen  Alluviallandes  getrennt  ist.  Auch  ihr  Niveau  liegt  wesent- 
lich mit  dem  des  Oceans  gleich,  so  daCs  Segelischifife  in  der  Lagoa 
h&ufig  die  im  Ocean  nahe  der  Kttste  segelnden  Fahrzeuge  deutlich 
erkennen.  Es  liegt  nur  eine  Nivellierungsarbeit  vor,  welche  von 
der  Barrekommission  bei  Estreito  ausgeführt  wurde  und  eine  Niveau- 
difi'erenz  beider  Wasserspiegel  um  8  cm  ergab,  eine  verschwindend 
kleine  Differenz,  zumal  wenn  man  die  Kntlemung  des  betretfenden 
Platzes  von  der  Barra.  welche  etwa  7ö  km  beträgt,  in  Betracht 
zieht.  Aul'serdem  ist  ja  das  Niveau  fast  nie  l;\iigere  Zeit  hindurch 
an  einem  Platze  gleichbleibend.  Für  die  l)eurteilung  der  Niveaii- 
schwankungen  selbst  und  ihrer  Ursachen  fehlen  zur  Zeit  noch  hin- 
reichend )»(»<itive  Daten  1'-;  sind  wesentlich  vier  Momente,  welche 
hierbei  in  Detracht  kommen:  die  nach  den  Jahreszeiten  wechselnde 
Menge  der  von  den  Flüssen  zugeführten  Wassermassen .  die  in 
gleicher  Weise  von  der  Jahreszeit  abhangige  Gröfse  der  Verdunstung, 
die  vom  Meere  her  eindringende  Flut  und  flie  Kinwirkung  der  Winde. 
All  diese  Faktoren  bedingen  einen  steten  Wechsel  des  Niveaus  in  der 
Lagoa  und  im  Canal  do  Norte. 

Ein  regulaTer  Wechsel  von  £Me  md  FUU  existiert  an  der 
Küak  von  Rio  (xrande  nicM,*)  wird  aber  von  St  Cathadna  an  all- 

*)  Dieae  so  anfBOlige  TlutHwhe  dürfte  schwer  so  erU&ren  sein,  sanalbei 
Bescbrinkiing  der  Ersoheiaang  auf  ein  sehr  geringes  Kfistengebiet    Sie  aei 


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—  167  — 

lu&hiich  ^egen  Norden  immer  deutlicher.    Was  man  daher  hier  im 
Rio  Grande  resp.  im  Ganal  do  Norte  Flut  (mar6)  nennt,  ist  an  keine 
regelnUUsigen  Zeitpunkte  gebunden  und  mehr  vom  Winde  abhängig 
als  Yon  der  Flutwelle.  Die  Fluthöhe  resp.  Höhe  des  Wasserstandes 
wird  nahe  bei  der  Barre  in  dem  Orte  Barra  bei  der  Inspectoria  des 
1  Lotsendienstes  und  in  dem  Rio  Grande  gegenüber  gelegenen  Orte 
S.  Jose  de  Norte  gemessen.    Der  Nullpunkt  des  Pegels  (^mare- 
^rapho")  entspricht  der  Höhe  des  normalen  niedersten  Wasserstandes. 
Wenn  dieser  ausnahmsweise  bei  starker  seewärts  gehender  Strömung 
sehr  zurückgebt,  so  beobachtet  man  auch  bis  zu  0,25  m  unter  Null. 
Das  bis  jetzt  beobachtete  Maximum  der  Flut,  welches  bei  Barra  ge- 
messen wurde,  betrug  2  m,  die  gvöDste  infolge  einer  einzelnen  Flut 
dort  beobachtete  Erhöhung  belief  sich  auf  1,40  m.    „Die  Fluten*^, 
sagt  das  citierte  Relatorium,^)  »sind  aufserordentlich  unregelmftfsig 
infolge  der  bedeutenden  Einwirkung  der  Winde.   Die  Winde  verur- 
sachen im  Canal  do  Norte  Niveaudiflferenzen  bis  zu  30  cm  zwischen 
der  Inspectoria  des  Lotsen wesens  und  S.  Jos^  do  Norte,  wobei  sii  h 
bisweilen  das  Niveau  dieses  letzteren  Punktes  unter  dem  von  Barra 
befindet.    Gleiche  Niveanscbwankungeu  finden  in  der  Lagoa  dos  Pa- 
tos  statt,  zwischen  Itapoam  und  Estreito,  wo  sich  Observations- 
marken  befinden.    Unter  dem  EinduTs  der  Winde  (allein?)^  hat 
die  Wasserhöhe  binnen  8—14  Tagen  geschwankt  um  0,«»  m  in 
Itapuam  und  um  0,7o  m  in  Estreito.    An  einem  und  demselben 
Tage  steigt  das  Niveau  in  Itapuam  und  sinkt  in  Estreito  oder 
umgekehrt^    wobei   Niveauschwankungen    von   0,m  bis  0,4o  m 
beobachtet  werden. 

Der  Bericht  der  Barrekommission  scheint  uiir  für  die  Niveau- 
schwankungen zu  einseitig,  den  Wind  als  Faktor  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Ein  weiterer  Faktor  ist  jedenfalls  durch  Begen  und  Ver- 
dunstung gegeben.  Die  atmosphärischen  Niederschläge  zeigen  in 
der  That  erhebliche  Differenzen  nach  den  Jahreszeiten,  so  dafs  man 
sagen  kann,  die  Hauptregeuzeit  ist  der  Winter  (Juni,  Juli,  August). 
In  Rio  Grande  sind  durch  das  Hafenamt  (servi^o  da  conserva^ao  do 
porto)  seit  1877  regelmäfsige  Messungen  mit  dem  Onibrometer 
(„Pluviometer'')  angestellt  worden.  Ich  gebe  im  folgenden  die  be- 
zügliche Tabelle  in  Millimetern. 


d«Mii  ZOT  bMonderen  Beachtang  empfohlen,  welche  aicb  der  mShuamen  aber 
dankbiren  Aufgabe  unterziehen  wollen,  die  wohl  nachgerade  als  unhaltbar  sich 
heiaiissteUeude  Lehre  Whewells  von  der  Entstehung  der  FlotweUe  lediglich  im 
•tiUeD  Ocean,  einer  genauen  Praiong  sn  nnteraiehen. 
«)  l  c  ]^  aid. 


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—  168  — 


Jahr 

Frühjahr 

Summer 

Herbst. 

Winter 

1 

Im  ^jotm 

1877 

238^ 

884,» 

'  1       1   III  3Bas3B5e3BMai 

831^ 

290^1 

1078 

UU 

870,« 

891,t 

687|t 

1S9QU 

1879 

178^ 

187,4 

966^ 

197,« 

1880 

816^ 

908«« 

94^ 

860u 

1881 

806^ 

98^ 

888»t 

886^ 

1888 

199^ 

828^ 

181^ 

848^ 

8S8^ 

Mittel 

196^ 

194^ 

288^ 

860,1 

970^ 

Es  entfällt  also  mehr  als  Vs  resp.  ttber  36®/o  der  gesamten  jährlichen  | 
Regenmenge  auf  den  Winter.    Namentlich  in  der  zweiten  Hälfte  des  j 
Septembers  und  zu  Anfang  Oktobers  sind  stari^e  und  anhaltende  ' 
Regengüsse  sehr  gewöhnlich,  so  dafs  man  mit  einiger  Sicherheit  aaf 
die  Enchente  de  S.  Miguel   (Michaelisüberschwemmang)  recbiiai 
kanD.  Wenn  daher  ohnehin  schon  im  Winter  die  Luft  am  m^stw 
mit  Waaserdampfen  gesättigt  ist,  so  kommt  noch  hinzu,  daCs  auch 
die  erhebliche  Temperaturemiedrigung  die  Verdunstung  auf  ein  weit  i 
geringeres  Mafs  beschrankt.   Gesteigerte  Wasserzufuhr  und  vermin-  ! 
derte  Verdunstung  müssen  ja  notwendig  in  dieser  Jahreszeit   das  | 
Niveau  der  Lagoa  auf  der  überhaupt  möglichen  Höhe  erhalten. 
Wenn  dies  auch  nicht  durch  direkte  Messungen  konstatiert  ist,  so 
wird  es  doch  durch  den  Umstand  erwiesen,  dafs  im  Winter  das 
Wasser  der  Lagoa  nie  salzig  wird,  wie  das  im  Hochsommer  fast 
regeimälsig  der  Fall  ist.   Das  Seewasser  aber  dringt  offenbar  nur 
dann  massenhaft  in  die  Lagoa  ein,  wenn  deren  Niveau  infolge  zu- 
mal der  gesteigerten  Verdunstung  unter  dasjenige  des  Oceans  her- 
untersinkt Ich  komme  auf  diesen  Punkt  weiterhin  noch  zurück. 

Den  Haupteinflufs  auf  den  Niveauwechsel  in  der  Lagoa,  zumal 
aber  im  Canal  do  Norte,  haben  die  Winde.  Es  sind  auch  hierüber 
von  1877 — 1882  in  Rio  Grande  Beobachtungen  angestellt  worden, 
welche  wichtig  genug  sind,  um  wenigstens  kurz  mitgeteilt  zu  werden. 
Von  den  Winden,  von  denen  man  oft  diejenigen  von  Osten  bis  Süd- 
westen als  ventos  do  mar  bezeichnet  im  Gegensatze  zu  den  ventoe  oder 
der  yira^ao  da  terra,  ist  der  Nordost  weitaus  der  häufigste  und  im 
allgemeinen  auch  der  stärkste.  Vorherrschend  sind  Nordost  im 
Sommer  und  westliche  Winde,  zumal  Südwest,  im  Winter.  Der 
Südwestwind  wird  hier  bald  als  Pampeiro,  bald  als  Rebojo  bezeich- 
net. Er  ist  namentlich  in  den  ersten  Stunden  nicht  selten  von 
orkanartiger  Heftigkeit.  Glücklicherweise  hält  er  nicht  lange  au. 
auch  können  die  Seeleute  sein  Herannahen  schon  einige  Zeit  zuvor 


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—  169  — 


erkennen  und  danach  ihre  Mafsregeln  treffen    Mit  einem  allgemein 
bekaunten  Trivialnamen  ist  aufser  ihm  nur  noch  der  Westwind  be- 
legt, der  Minuaoo,  welcher  besonders  im  Winter  durch  seine  Kalte 
sich  unangenehm  geltend  macht  und  in  der  Regel  bei  klarem  Himmel 
drei  Tage  anhält.  Der  Südost,  weldier  das  Meer  heftig  und  tief 
erregt,  treibt  oft  die  Schiffe  anf  die  Küste,  deren  i^Zimmermann*' 
ihn  daher  die  Seelente  nennen.    Der  feuchteste  Wind  der  Rio 
Grandeküste  ist  der  Nordwest.   Der  stärkste  Wind  ist  im  allge- 
meinen der  Nordost,  doch  kommt  ihm  an  Heftigkeit  der  Pampeiro 
nicht  selten  nahe.    Wären  mir  nicht  die  nachstehend  mitgeteilten 
Zahlen  zur  Hand  gewesen,  so  würde  ich  unbedenklich  den  Pampeiro 
für  denjenigen  Wind  erklärt  haben,  der  die  gröfste  Heftigkeit  zeigt. 
Wirkliche  Orkane  oder  Cyclonen  kommen  übrigens  fast  nie  an  der  Rio 
Grandeküste  vor.   Die  mittlere  und  maximale  Stärke  der  einzelnen 
Winde  giebt  nach  den  Anfnahmen  Ton  1877—1882  die  folgende 
Tabelle,  in  welcher  die  Geschwindigkeit  in  Metern  pro  Sekunde  an- 
gegeben ist  Der  stärkste  in  jenem  Zeitraum  beobaditete  Wind  war 
ein  Nordost  yon  43,«  m  Geschwindigkeit  in  der  Sekunde.  Im  Jahr  1883 
wurde  ein  WSW.- Wind  (also  ein  Pampeiro)  von  38,5  m  gemessen. 


WindrielitnBg 

Mittal 

N.  E.^)  (Nordost) 

10,8« 

43,60 

* 

E.  N.  K 

9,55 

30,60 

£. 

7,55 

27,80 

E.  S.  £• 

6,93 

22,90 

S.  E. 

6,84 

24,00 

S«  S.  £. 

7,S6 

23,40 

S. 

7,84 

29,50 

s.  s.  w. 

1^ 

27,90 

s.  W. 

8,is 

35,90 

w,  s*  w. 

7^1 

24,S0     (88^  IB  IMI) 

w. 

35,80 

W.  N.  W. 

7,so 

30,70 

N.  W. 

6,07 

21,90 

N.  N.  W. 

7,u 

20,80 

N. 

6,5S 

22,10 

N.  N.  E. 

8,76 

3(Vio 

*)  Ich  habe  M&t  Oit  mit  E.r  Wost  mit  W.  bcaeichiioL  In  pofftagiwiMh- 
loMiliMinchon  PübükfttioiMii  bodontet  0.  mcht  Ost,  sondern  Weit  Sndoesto 
ist  Südwest,  Sneste  ist  Sfldosti  Este  oder  Lcsto  =  Ost.  Es  wäre  im  Interesse 
der  geographischen  Litteratnr  zn  wünschen,  dars  sich  gemeinsame  intematioiiale 
Vereinbamngen  über  gieichmäfsige  Bezoichnunp  der  Himni*  Isf'orrpndpn  crziplen 
liefsen,  resp.  die  Vorschläge  des  Wiener  Meteorologen-Konf^reis  aucli  von  den 
lOBUUiiMhen  Nationen  acceptiert  würden,  aleo  £.  für  Ost  und  W,  für  Westen. 


Die  nach  Stärke  und  Häufigkeit  bemerkenswertesten  Winde 
sind  also  einerseits  um  Nordost,  andererseits  um  We.<t -Südwest 
gruppiert  Beide  sind  von  sehr  verschiedenem  EinÜufs  auf  die  Bant 
resp.  die  Hdhe  des  Wasserstandes  üher  ihr  und  die  im  Kanal  za 
heohachtenden  Strömungen.  Im  allgemeinen  ist  fQr  den  Canal  do 
Norte  zu  sagen,  dafe  das  Wasser  steigt  hei  sfidlichem,  sinkt  hei 
nördlichem  Wind.  Bei  NO.  und  NW.  entsteht  Vasante  (von  vasar  =  ent- 
leeren), tl.  h.  eine  aus  der  Lagoa  in  den  Ocean  gerichtete  Ströniuo::. 
durch  welche  der  Wasserstand  über  den  Sandltäiikeii  <ler  Harrf  so 
herabgesetzt  wird,  dafs  die  ^^ehiffahrt  sehr  geheiiniit  und  bei  leb- 
haftem Winde  ganz  unterbrochen  wird.  Dann  ist  tlie  Barre  «imprae- 
ticavel*'  und  zahlreiche  Dampfer  und  Segelschiffe  harren  vor  der 
Einfahrt  auf  den  Moment,  wo  mit  Wechsel  oder  NachlaCs  des  Win- 
des die  Einfahrt  möglich  wird.  „Mansa**  ist  die  Barre,  wenn  sie 
ganz  ruhig  liegt,  oon  voga  —  con  vagalhaö  ^  brava  sind  die  nicfast 
höheren  Stadien.  Der  Lotsen-  und  Signaldienst  ist  Obrigens  in  der 
Barre  gut  organisiert,  ebenso  wie  auch  an  der  Lagoa  dos  Patos  and 
an  der  Küste  die  Leuchttürme  vortrefflich  eingerichtet  und  gt;\vi^sen- 
haft  bedient  sind.  Brasilien  darf  sich  dieser  Leistungen  wohl  rühmen, 
recht  im  Gegensatz  zu  seiner  sonstigen  kostspieligen  und  trotz  mehr 
als  überreichen  Personales  schleppenden  und  buinnieligcn  Verwal- 
tung. In  der  Ortschaft  Barra,  einem  kleinen  aber  sauberen  freund- 
lichen Orte,  welcher  lediglich  den  Lotsen  und  deren  Familien  zum 
Wohnplatze  dient,  erhebt  sich  neben  der  schlanken  ans  unheworfenen 
Backsteinen  errichteten  Sftnle  des  Ijeuchtturmes  ein  vierseitiges, 
weifsgetönchtes  turmartiges  Gebäude,  die  Atalaia,  auf  welcher  sich 
oben  die  Warte  mit  Femrohr  und  zwei  Flaggenstangen  befindet, 
von  welcher  aus  durch  Flaggensignale  die  Tiefe  des  Fahrwassers 
angezeigt  wird,  welche  meist  zwischen  11 — 15  Palmen  ä  O,«  ni 
variiert.  Schon  von  weitem  gewahrt  nian  bei  der  Ankunft  die  rote 
Säule  des  Leuchtturms  und  das  weifsschinimenidc  Bauwerk  der  Ata- 
laia. Zwischen  beiden  liegt  eine  einfache  aber  geräumige  Kirche, 
welche  in  ihrem  hinteren  und  seitlichen  Teile  Zimmer  enthält,  die 
gegenwärtig  der  Barrekommission  zum  Kontor  dienen. 

Die  Strömung  aus  dem  Kanal  ins  Meer  heilst,  wie  bemerkt, 
iiYasante'^,  die  entgegengesetzte  „Enchente."  Letzteres  Wort  be- 
deutet eigentlich  Überschwemmung,  wird  jedoch  auch  gleichbedeutend 
mit  Flut  gebraucht,  wie  Vasante  mit  Ebbe.  In  Brasilien  unter* 
scheidet  man  die  bei  uns  durch  die  unzweideutigen  Ausdrücke  Flut 
und  Ebbe  bezeichneten  Phänomene  nicht  durch  scharf  bestimmte  Aus- 
drücke, daher  aufser  den  eben  erwähnten  Namen  für  Flut  auch 
marö  und  mar^  alto  und  preames  in  Gebrauch  ist,  für  £bbe  Mar^ 


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baixa  oder  Baixamar.  Mar6  bezeichnet  Flut  im  allgemeinen,  auch 
Springflut.  Nur  letztere  ist  es,  die  sich  in  Bio  Grande  geltend 
machen  kann,  da  ja,  wie  gesagt,  das  reguläre  Phänomen  von  Ebbe 
und  Flut  hier  nicht  existiett.  Es  ist  offenbar  auch  ein  Mifsgriff, 
wenn  die  Barrekommission  die  besprochenen  Verhaltnisse  von  va- 
sante  und  enchente  mit  Kbbe  und  Flut  in  Verbindung  bringt,  denn 
diese  haben  doch  mit  der  Wimlrichtung  nichts  zu  thuu,  jene  aber 
sind  davon  nicht  nur  abhängig,  sondern  ausschliofslich  durch  sie  be- 
dingt, so  zwar,  dafs  es  bisher  nicht  möglich  war,  hiervon  den  An- 
teil zu  scheiden,  den  etwa  Springfluten  oder  ähuliche  Erscheinungen 
anch  haben  wenlen. 

So  bietet  denn  der  Canal  do  Norte  das  sonderbare  Phänomen 
dar,  die  Ausgangspforte  zur  Entleerung  der  gesamten  Wassermasse 
eines  riesigen  Areales  zu  sein,  ohne  eine  konstante  Strömungsricfa- 
tnng  zu  besitzen.  Es  ist  dies  nur  verständlich,  wenn  man  daran 
festhält,  dafs  das  Niveau  der  Lagoa-  nicht  oder  kaum  von  jenem  des 
(Jceans  verschieden  ist,  und  die  Strömungen  daher  lediglich  der 
Ausdruck  von  Ausgleichungen  der  Niveanstörungen  sind,  welche  durch 
die  Winde  verursacht  wurden.    Solchen  Eintiufs  der  Winde  hat  man 
nicht  nur  in  der  Lagoa  dos  Patos  zu  konstatieren,  sondern  auch 
noch  im  Guahyba,  wo  ich  sie  an  der  Mündung  des  Fasso-fundoflusses 
in  der  Nähe  von  Ted  ras  brancas  beobachtete.    Oftmals  habe  ich 
dort  aus  dem  schlammigen  Boden  die  beim  raschen  Zurückgehen 
des  Wassers  zurflckgebliebenen  grofsen  Muscheto  herausgenommen, 
wo  Tags  zuvor  noch  20 — 30  cm  hoch  Wasser  stand.    Auch  an  der 
Hflndung  des  S.  Louren^flnsses  in  die  Lagoa  dos  Patos  ist  der 
Eintiufs  des  Windes  auf  die  Höhe  des  Wasserstandes  ein  so  bedeu- 
tender, dafs  die  Möglichkeit  des  Passierens  der  Barre  wesentlich 
von  der  Windrichtung  bestimmt  wird.  Diese  Barre  ist  sehr  seicht,  der 
schmale  S.  Lourenzotlufs  überhaupt  nur   2  oder  3  km  weit  auf- 
wärts fahrbar.    Als  ich  kürzlich  mit  iSegelschiff  (s.  g.  Hiate)  von 
Rio  Grande  kommend,  diese  Barre  passierte,  hatte  sie  nur  4  Palmen 
(i  0,1t  m)  Tiefe  des  Fahrwassers,  wfthrend  das  Schiff  4Vi  Palmen 
tief  ging.  Diese  Differenz  liefe  sich  noch  überwinden,  indem  an  dem 
voiausgefohrenen  Anker  das  Schiff  fiber  die  Sandbank  hingezogen 
wurde.   Am  folgenden  Tage  bei  3  oder  3Vs  Palmen  Fahrwasser 
wäre  dies  nicht  möglich  gewesen.   Da  hier  aber  keine  grofse  An- 
schwemmung, Strömung  u.  a.  statt  hat,  wird  es  sehr  leicht  sein, 
durch  Baggern  einen  guten  Fahrkaual  herzustellen,  der  lange  Jahre 
sich  erhalten  dürfte.     Die   Provinzialregicrung  geht  gegenwärtig 
mit  der  Absicht  um,  mit  der  ihr  gehörigen  Baggcnua^chioe  diese 
natzliche  Arbeit  ausführen  zu  lassen. 

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172  — 


Das  Wasser  an  der  Barre  des  S.  Lourengoflusses  steigt  bei 
Nordostwind,  fallt  bei  Westwind.  Im  Sommer  hat  die  Barre  von 
S.  Louren^o  bei  Nordostwind  4V/2— 5  Palmen  Wasser,  bei  Westwind 
2—3  Palmen.  Die  Schiffe  sind  daher  für  das  Passieren  der  Bam 
ganz  auf  die  Windrichtung  angewiesen.  Die  Uferlinie  der  LagoA 
dos  Patos  streicht  in  der  Gegend  der  Mündung  des  Lonren^fluases 
von  NNE.  nach  SSW.  Es  ist  daher  auch  einleuchteod,  dab  west- 
liche Winde  das  Wasser  vom  üfer  wegnehmen,  Östliche  es  gegen  das- 
selbe antreiben.  Während  der  S.  Louren^flufs  in  wesentlidi  west* 
östlicher  Richtunj.^  tiiefst  und  ausmündet,  hat  der  Canal  do  Norte 
eine  wesentlich  von  Nord  nach  Süden  gerichtete  Lage.  Es  ist  daher 
auch  leicht  begreiliich,  dafs  die  Einwirkung  der  Winde  sich  ver- 
schieden äufsern,  der  vorherrschende  NE.  au  der  Barra  geral  ein 
Sinken,  an  der  Barra  des  S.  Loureo^  ein  Steigen  des  Wassers 
zur  Folge  haben  rauls. 

Das  was  oben  über  Niveau-  und  Strömungsverhaltoisse  der 
Lagoa  dos  Patos  erörtert  wurde,  bietet  auch  die  Erklärung  für 
die  eigenartigen  Bedingungen,  welche  der  S.  Gon^alo  darbietet» 
der  Yerbindungskanal  von  der  Lagoa  mirim  zur  Lagoa  dos  Patos. 
In  Brasilien  nennt  man  solche  Seeabflüsse  Sangradouros,  doch  hat 
in  diesem  Falle  der  Sprachgebrauch  letzteren  Ausdruck  auf  den 
Anfangsteil  des  Kanales  beschränkt,  auf  die  Cbergangsstrecke  der 
Lagoa  mirim  in  den  S.  Gongalo.  Gerade  dieser  Sangradouro,  an 
dessen  nördlichem  Ufer  der  kleine  jetzt  zur  Villa  erhobene  Ort 
Santa  Izabel  liegt,  das  man  auf  alteren  Karten  auch  als  „Canudos'*  ^) 
eingetragen  findet,  bietet  der  Schiffahrt  am  meisten  Hindernisse, 
während  der  S.  Gon^o  selbst  fast  durchweg  sehr  tief  ist.  Es  sind 
daher  audi  uulftngst  Baggerarbeiten  hier  ausgeführt  worden,  doch 
ist  ünmerhin  aus  diesem  Grunde  wie  wegen  der  Barre  des  JaguariS^ 
flusses  die  Schiffahrt  nur  kleineren  Fahrzeugen  und  wenig  tief 
gehenden  Dumpfern  möglich.  Zwischen  Rio  Grande  und  JaguaräÖ 
verkehrt  wöchentlich  einmal  ein  kleiner  Dampfer  für  Personen  und 
Frachtverkehr,  während  der  mehr  westwärts  nahe  der  Endaussackung 
der  Lagoa  mirim  gelegene  auch  zur  Villa  erhobene  Ort  St.  Victoria 
do  Palmar  keinerlei  regelmäfsige  Schiffsverbindung  besitzt. 

Die  Lagoa  mirim,  welche,  zumal  durch  den  breiten  aber  wenig 
tiefen  Jaguaraoflufe  eine  nicht  unbedeutende  Wassermasse  zugeführt 
erhält,  entleert,  wie  bemerkt,  für  gewöhnlich  ihr  überschüssiges 
Wasser  durch  den  S.  Gon^lo  in  die  Lagoa  dos  Patos.  Auch  der 

")  Die  frühere  Freqnezia,  jetsige  Villa,  heifst  St.  Izabel  dos  Canados. 
Letzterer  Name  bezog  sich  auf  den  am  gegenäberli^enden  Ufer  gelegenen  Ort 
CaiiadoB. 


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—  173  — 

I 

S.  Gon^lo  erh&It  noch  einige  Znflttsse,  unter  denen  aber  nnr  der 
Bio  Piratinim  nennenswert  ist,  welclier  namentlich  nach  starken 
Regengüssen  bedeutend  anschwillt.    Der  8.  Geniale  selbst  aber 

steigt  auch  nach  stärkstem  Regen  nie  mehr  als  höchstens  um  0,5o  m, 
ein  Umstand,  dessen  Vorteile  die  Anwohner  der  niederen  Ufer- 
gelände wohl  zu  schätzen  wissen.  Der  S.  Gon(;alo  hat  keinerlei 
Fall  oder  auspresprochene  Strömung,  es  ist  daher  auch  wohl  nicht 
ganz  zutreffend,  wenn  er  in  geographischen  Werken  und  Karten 
als  Rio  oder  Flufs  bezeichnet  wird,  denn  er  hat  nicht  einmal  eine 
konstante  Strömungsrichtung.  Wenn  im  Hochsommer  bei  ge- 
steigerter Verdunstung  das  Niveau  in  der  Lagoa  dos  Patos  und 
der  Lagoa  mirim  sinkt,  so  dringt  aus  dem  Ocean  auch  in  letztere 
durch  den  8.  GoD^alo  8eewa8ser  ein  und  das  Wasser'  der  Lagoa 
wird  brakisch  bis  zur  Ponta  negra,  drei  Leguas  vor  der  Barre  des 
Jaguaräbflusses.  Während  der  grofsen  Trockenheit  von  1856  dehnte 
sich  das  Salzwasser  bis  zur  Barre  des  Jafftianiötiusses,  1850  aber 
fast  über  die  ganze  Lagoa  mirim  hin  aus.  Wenn  dann  in  solchen 
Zeiten  starker  „Secca*"  durch  heftige  Regen  der  Piratinimflufs  plötz- 
lich stark  anläuft,  so  strömt  der  S.  Gon^alo  wie  ein  reifsender  Flufs 
an  St.  Izabel  vorUber  zur  Lagoa  mirim.  Wir  haben  somit  im 
S.  Gon^o  den  jedenfoils  seltenen  Fall  eines  Flusses  oder  richtiger 
Seeabflusses  gegeben,  welcher  bald  vor-  bald  rQckwärts  fliefet  Ist 
auch  das  ganze  Yerhftltnis  vom  hydrostatischen  Gesichtspunkte  ans 
sehr  leicht  verständlich,  so  scheint  doch  ein  solcher  Fall,  wie  der 
hier  geschilderte,  nicht  oder  nur  in  wenigen  Beispielen  bekannt  zu 
sein.  Ich  erinnere  mich  weder  ähnliches  gelesen  zu  haben,  noch 
kann  ich  in  v.  Kloedens  Erdkunde  oder  anderen  geographischen 
Werken  derartiges  beschrieben  finden.  So  mufs  ich  es  denn  Geo- 
graphen von  Fach  überlassen,  dieser  Thatsache  deu  rechten  Phitz 
anzuweisen  und  Vergleichungsmaterial  heranzuziehen. 

Dieser  8.  Gont^lofluis  scheint  mir  in  mehr  wie  einer  Be- 
ziehung von  Interesse.  Seeschiffe  wOrden  bei  seiner  Befahrung, 
sobald  sie  die  Barre  desselben  unterhalb  Pelotas  passiert,  keine 
Schwierigkeit  finden.  Interessante  Angaben  v^danke  ich  einem 
der  älteren  Bewohner  von  St.  Izabel,  Herrn  Kapitao  Jos^  Maria 
da  Silveira.  Wie  er  mir  mitteilte,  besteht  die  Insel,  welche  im 
Sangradouro  liegt,  erst  seit  etwa  50  Jahren.  Der  S.  Goncalo  tiofs 
an  der  St.  Izabelseite.  also  am  westlichen  Ufer,  und  rifs  dann  am 
östlichen  einen  Kanal  ein,  welcher  die  betretende  Insel  bildete. 
Auf  gleiche  Weise  entstanden  die  anderen  Inseln  weiter  strom- 
abwärts, nur  eine  nahe  bei  der  11ha  das  mogas  gelegene  kleine 
Insel  bildete  sich  vor  etwa  16  Jahren  auf  andere  Weise.  Sie  be- 


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—  174  — 

I 

sUnd  früher  als  Sandbank  und  erhob  sich  langsam  über  den  Spiegel 
des  Wassers,  ans  dem  sie  jetzt,  schon  mit  Bttscfawerk  Aberzogen, 

einige  Palmen  hoch  emponaLri. 

St.  Iziibel  und  die  rmgebung  bestehen  wesentlich  durch  die 
Viehzucht.  Ackerhau  oder  Industrie  findet  sicli  nicht,  nur  Kalk- 
steinbrüche werden  in  der  Nahe  ausgebeutet.  Seinen  Verkehr  hat 
St.  Izabel  mit  Pelota.s.  Der  Weg  führt  aber  nicht  an  dem  vielfach 
sumpfigen  Ufer  des  S.  Gon^alo  hin,  besonders  weil  hier  der  Pira- 
tinimflafe  nicht  passierbar  wäre.  Die  Strasse  überschreitet  diesen 
Flufs  am  Passo  de  Maria  Gomes,  etwa  fünf  Meilen  von  St  IzabeL 
Das  flache  felsige  Bett  des  Flusses  ist  dort  für  Wagen  leicht  passier- 
bar, nnr  bei  hohem  Wasserstande  mufs  die  Fähre  benutzt  werden. 
Dicht  neben  diesem  Übergang  steht  jetzt  die  neue  Eisenbahnbrücke 
der  Linie  Rio  Grunde,  Pelotas,  Bagi,  der  sogenannten  Südbaha  der 
Provinz. 

Der  Wechsel  in  der  Strömuugsrichtung  vollzieht  sich,  wie  be- 
merkt, auch  im  Canal  do  Norte  bestandig,  je  nach  dem  Wind. 
Die  mittlere  Geschwindigkeit  der  Strömung  im  Canal  do  Norte  be- 
trägt ungefähr  eine  Seemeile  (1852  m)  pro  Stunde  oder^etwa  O^so  m 
pro  Sekunde.  Um  einen  Beleg  fttr  die  Art  dieses  Wechsels  zu  geben, 
lasse  ich  hier  in  Übersetzung  aus  dem  Relatorium  der  Barre- 
kommission einen  Passus  folgen.  „Am  14.  September  1883  war 
Strömung  der  Enchente  (Flut)  infolge  des  frischen  SSE.-Windes. 
Naclideni  am  folgenden  Tage  der  Wind  in  NIv  umgeschlagen,  be- 
gann die  Vasante,  bis  am  20.  September  der  Canal  do  Norte  see- 
wärts strömte  wie  ein  majest;Uischer  Strom,  mit  einer  Geschwindig- 
keit von  etwa  zwei  fSeemeilen  pro  Stunde.  Der  Wasserstand  sank 
erheblich.  Das  beobachtete  Maximum  in  der  Geschwindigkeit  der 
Vasante  belief  sich  auf  1,35  m  pro  Sekunde. 

Am  22.  September  nach  11  Uhr  wurde  an  der  Oberfläche 
Vasante  von  O^s  m  pro  Sekunde  beobachtet,  während  in  der  Tiefe 
von  2  m  schon  merkbare  Enchente  bestand.  Einige  Stunden  darauf 
war  das  Oberflächenwasser  bis  gegen  2  m  Tiefe  zur  Ruhe  ge- 
kommen, während  in  der  Tiefe  unterhalb  2  m  Enchente  bestand, 
mit  einer  Geschwindigkeit  der  Strönmn?  von  0.f.s  m  pro  Sekunde 
(über  eine  Seemeile  ])ro  Stunde).  Das  ( )l)erflaclieiiwasser  war  schwach 
brakisch  und  zeigte  mit  dem  Aräometer  von  Baum(^  0,5  ^  an,  wo- 
gegen das  Wasser  der  Ticfenströmung  stark  salzig  war  und  3,5 " 
mafs.  Es  trat  also  das  stark  salzige  Seewasser  unter  dem  Kanal- 
Wasser  in  der  Tiefe  ein.** 

Das  Maximum  an  Geschwindigkeit  zeigte  1881  eine  Vasante 
von  etwa  3  m  pro  Sekunde  oder  6  Seemeilen  pro  Stunde.  Diese 


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—  176  — 


Vasante  rifs  am  südiichen  Ufer  des  Kanales  grofee  Landstreeken 
weg,  mit  ihnen  auch  das  Hans  eines  Macaco  genannten  Bewohners, 

und  versandete  die  Ikirre  in  schlimmster  Weise.     Ks  ist  stets  die 
Vasante,  welche  durch  Abreifsen  von  Uf^nnassen  und  Fortschwemmen 
des  Sandes  den  gröfsten  Schaden  thiit,  und  zwar  greift  sie  daliei 
nur  das  südliche  Ufer  an.    Letzteres  ist  daher  steil  und  das  Wasser 
dabei  tief,  während  am  nördlichen  Ufer  der  Strand  sehr  flach  und 
allmählich  sich  senkt,  so  zwar,  dafs  bei  dem  Orte  Barra  die  aof 
eingerammten  Pfählen  ruhende  Landungsbrücke  etwa  fflnl  Minuten 
weit  in  das  Wasser  bineingebaut  ist  und  trotzdem  selbst  die 
kleinsten  Dampfer  flür  gewöhnlich  nicht  an  dem  «Trapicho^  anlegen 
können.  Der  Ingenieur  Ahrons  hat  darauf  hin  als  eine  der  wesent- 
lichsten Aufgaben  für  die  Öffnung  der  Barre  die  Verstopfung  dieser 
"Versandungsquelle,  die  Festlegung  des  südlichen  Kanalflusses  ge- 
fordert.   Der  Chef  der  Barrekomniission  aber,  Dr.  Biealho,  legt 
hierauf  nur  sekundären  Wert   und    glaubt   hauptsächlich  durch 
Baggern  die  Barre  öflfiien  zu  können,  und  diese  seine  Meinung  hatte 
er,  der  nie  zuvor  ähnliche  Arbeiten  geleitet,  bereits  vier  Tage  nach 
seiner  Ankunft  in  Rio  Grande  dem  Ministerium  mitgeteilt,  bevor  er 
nur  irgend  welche  ernstere  Studien  aber  die  emschlägigen  Verhält- 
nisse hatte  anstellen  können,  wie  aus  den  Verhandlungen  im  Senate 
hervorging.    Trotzdem  bleibt  alles  wie  bisher,  denn  in  Brasilien 
kommt  es  bei  solchen  Angelegenheiten  nicht  auf  die  Fra^e  an,  ob 
oder  was  jemand  leisten  kann,  sondern  darauf,  zu  welclier  Partei 
er  gehört  und  welcher  Protektion  er  sich  erfreut. 

Hinsichtlich  der  oben  berührten  Strömungsverhältnisse  sei  liier 
noch  darauf  hingewiesen,  dafs  die  Barrekoniniission  n;ich  einer  von 
ihr  augestellten  Beobachtung  die  Existenz  der  brasilianischen  Küsten- 
strömung ganz  läugnet,  obwohl  ihre  Fahrt  sich  bis  148  Seemeilen 
ostwärts  der  Barre  ausgedehnt  hatte.  Von  manchen  Seeleuten 
werde  eine  noch  weiter  nach  Osten  abgelegene  Strömung  des  grauen 
Wassers  (das  aguas  Verdes)  angegeben,  welche  vielleicht  die  brasi- 
lianische Kflstenströmung  darstelle.  Innerhalb  des  untersuchten 
Gebietes  seien  lediglich  solche  Strömungen  mit  einer  Geschwindig- 
keit von  15-  29  Seemeilen  pro  24  Stunden  beobachtet  worden,  wie 
sie  die  Winde  hervorbrächten.  Es  ist  aber  die  Frage,  oli  die  an- 
gewandten Untersuchungsmet  ho  len  zutreffend  waren,  wenigstens  sind 
mir  in  diesem  Sinne  Zweifel  geaufsert  worden,  und  das  Keäultat 
wird  bestritten. 

Ein  weiterer  hier  näher  zu  erörternder  Punkt  ist  der  Wechsel 
im  SdlsgßkoM  des.  Wassers  bei  Rio  Grande  nnd  im  Canal  do  Norte. 
Ich  habe  bei  Rio  Grande  diesen  Wechsel  schon  um  deswillen  genau 


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—  176  — 

▼erfolgt,  weil  damit  weitgehende  Änderungen  der  Tierwelt  Hand  in 
Hand  gehen.  Während  die  Angaben  der  Barrekommission  in  Graden 
der  Baum^schen  Aräometerskala  angegeben  sind,  habe  ich  meinen 
Aräometer  in  See^salzlösungen  von  1,  2,  3  und  4  °/o  geprüft  und 
dennoch  den  Salzgehalt  der  Wasserproben  ermittelt.  Die  vielerlei 
Angaben,  welche  man  über  Salzgehalt  und  specifisches  Gewicht  des 
Meerwassers  findet,  stimmen  vielfach  unter  sich  nicht  genau  überein ; 
ich  kann  daher  keine  völlig  zuverlässigen  Zahlen  liefern,  doch 
dürfte  im  allgemeinen  folgendes  Verhältnis  der  Wahrheit  wenigstens 
ziemlich  nahe  kommen.    Es  entspricht  einem 

Salzgehalt  von  1  ^/o  eia  specifisches  Gewicht  von  1,mt9 
»  »    2<»/o  .         ^  »        »,  1»«» 

n  »    3®/o  ,  „  n        »  Ii«" 

»  ,     4*/0    u  9  jf  ff 

Der  Salzgehalt  des  atiantiachen  Oceans  soll  im  Mittel  etwa 
3,4     bis  3«»  V9  sein,  was  einem  spedfischen  Gewicht  von  l,<m  hia 
1,MTT  entspricht  In  der  Aiftometerskala  von  Baumö  entspricht 
1  ^  dem  spedfischen  Gewicht  von  l,o«t6 

2*  »  n  »       ^  1.«« 

3*    a  „  »  n 

^*    »  n  n  n  l.^ao 

Nach  der  Barrekommission  ist  der  Salzgehalt  des  Oceans 
4^  Baumö  resp.  entsprechend  dem  spedfischen  Gewicht  von  l.oim. 
Der  stärkste  von  mir  gemessene  Salzgehalt  war  3,s5  (specifisches 
Gewicht  von  nahezu  1,m5).  Diese  Wasserprobe  entnahm  ich  der 
Lagoa  dos  Patos  in  der  Gegend  von  Estreito,  etwa  75  km  von  der 
Barre  entfernt,  am  16.  Februar  1884.  Hier  war  das  Wasser  also 
schon  sehr  stark  salzig,  und  prächtiges  Meerleucbten  kündete  nachts 
auch  dem  Auge,  dafs  dieser  Binnensee  nicht  oder  weni.;^^tens  hier 
und  am  Ende  des  Sommers  nicht  Süfswasser  enthalt.  Es  war  somit 
wenig  verdünntes  Meerwasser  bis  in  die  Gegend  von  P^streito  ein- 
gedraogen.  Erst  oberhalb  Estreito  machte  sich  die  Mischung  mit 
Süfswasser  geltend.  In  der  Gegend  der  Camaquammündung  war 
der  Salzgebalt  schon  etwas  weniger  als  1  ^/o,  bei  Christo vao  Pereira 
in  der  Nahe  von  Mostardaa  hatten  wir  Süfswasser.  Der  Wftrter 
des  dortigenLeuchttnnnes  aher  versidierte  mir,  dafs  häufig  im  Sommer 
das  Seewaaser  anch  hia  dahin  nnd  selbst  noch  wdter  hinauf  vor- 
dringe, wobei  dann  die  vorhandenen  Sflfewasserfiscbe  ahstOrben. 

Ünter  diesen  Umstanden  erwartete  ich  denn  an  der  Koste, 
S.  Job6  do  Norte  gegenüber,  das  reine  schwere  Oceanwasser  za 
erhalten.  Ich  war  daher  nicht  wenig  erstaunt,  als  die  dort  ent- 
nommene Wasserprobe  nur  einen  Sahsgehalt  von  2^     ergab,  ent- 


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—  177  — 

sprechend  einem  specifiacben  Gewichte  nicht  von  1,mt,  wie  ich  erwartet 
hatte,  sondern  nur  von  l^ani.  Der  scheinbare  Widersprach  lOst  sich 
leicht  aof  dmch  Berücksichtigung  des  Zeitpunktes,  indem  nftmlich 
diese  Probe  am  90.  Juli  genommen  wurde,  mitten  im  Winter.  In 

dieser  Jahreszeit  aber  reicht,  wie  schon  früher  erörtert,  derEinfloTs 
des  Sülswassers  viel  weiter  gegen  die  Barre  und  einer  der  Ingenieure 
der  Barrearbeiteu  versicherte  mir,  auch  weit  aufserhalb  der 
Barre  gelegentlich  noch  fast  süfses  Brackwasser  an  der  Küste  ge- 
funden zu  haben.  Die  Stelle,  au  welcher  ich  jene  Wasserprobe  ein- 
schöpfte, mag  etwa  5—7  km  von  der  Barre  entfernt  sein. 

Es  geht  hieraus  hervor,  dafs  der  Salzgebalt  in  der  Lagoa, 
beziehungsweise  deren  unterem  Teile,  sowie  im  Canal  do  Norte  und 
vor  der  Barre  in  außerordentlichem  Grade  wechselt  Während  aber 
die  Veränderungen  an  der  Barre  und  im  Kanal  wesentlich  vom 
Wechsel  der  Winde  bedingt  erscheinen,  macht  sich  im  übrigen  auch 
ein  Einflufs  der  Jahreszeit  geltend.  Im  Sommer,  wenn  die  der  Lagoa 
zuströmenden  Flüsse  weniger  Wasser  führen  und  die  Verdunstung 
eine  stärkere  wird,  dringt  Seewasser  in  den  unteren  Teil  der  Lagoa 
ein  und  bei  weiterem  Fortbestehen  der  zu  Grande  liegenden  Bedin- 
gungen bis  zur  Gegend  von  Mostardas  und  selbst  weiter.  Eine 
genauere  Untersuchung  würde  vermutlich  auch  erweisen,  dafs  das 
Meerwasser  in  der  Tiefe  wmter  vordringt  als  obeiflftchlich.  Natürlich 
wechselt  der  Zeitpunkt  des  Eintretens  dieser  Yorgftnge,  sowie  die 
Grenze,  bis  zu  welcher  das  Seewasser  vordringt,  je  nach  Mafsgabe 
der  Temperatur,  Regenvertheilung  u.  a.  in  den  einzelnen  Jahren 
ganz  aufserordentlich.  Im  Gegensatze  dazu  macht  sich  im  Winter 
die  Oberherrschaft  des  Süfswassers  geltend.  Während  im  Canal  do 
Norte  auch  im  Winter  unter  dem  Einflufs  der  Winde,  beziehungs- 
weise der  Strömunuen  der  Salzgehalt  bedeutenden  Schwankungen 
unterliegt,  führen  die  hiervon  weniger  berührten  Aussackungen  der 
Lagoa  in  der  Nähe  von  Rio  Grande  im  Winter  wesentlich  schwach- 
salziges  oft  fast  aüfses  Wasser. 

Im  Hafen  von  Rio  Grande  selbst  war  das  Wasser  während  des 
Winters  (Juni  bis  August)  1884  meist  zwischen  0,»-^,9  ^/o  salzhaltig. 
Bei  anhaltender  eingehender  Strömung  wurd  aber  auch  im  Hafen 
von  Rio  Grande  das  Wasser  stärker  salzig.  Während  im  Juli  durch- 
schnittlich der  Salzgehalt  kaum  0,6  °/o  betrug,  und  ich  noch  am 
25.  Juli  O.r. 0  mafs,  war  am  29.  Juli  der  Salzgehalt  plötzlich  auf 
2,80  "/o  gestiegen.  Am  31.  Juli  freilich  war  er  schon  wieder  auf 
•  l,»*^/o,  am  1,  August  auf  l,i8%  zurückgegangen. 

Bei  Rio  Grande  ist  kein  oder  wenigstens  nie  ein  erheblicher 
Unterschied  zwischen  dem  aus  der  Tiefe  entnommenen  Wasser  und 


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—  178  — 

dem  der  Oberfläche  zu  bemerken.  Anders  ist  es  im  Canal  do  Norte, 
wo  ich  am  25.  Juli  das  Wasser  der  Oberflache  1,2  °/o  salzhaltig  fand, 
in  der  Tiefe  von  5  m  aber  zu  2,8*^/o.  Am  3().  Juli  aber  war  an 
derselben  Stelle  das  Wasser  der  Oberfläche  nur  um  Vio^'o  schwächer 
als  das  von  7  m  Tiefe  (2,7  ^/o).  Aus  den  Beubachtuugeu  der  Barre- 
kommission lasse  ich  dann  hier  noch  einige  Zahlen  folgen,  welche 
sich  auf  lti83  ausgeführte  Messungen  bezieben.  Der  Salzgehalt  iai 
in  Graden  nach  Baum6  ansgedrQckt  Unter  Tiefe  ist  die  Tiefe- 
region  yerstanden,  aus  der  die  Probe  stammt 


a  ivaw 

Wind 

ff  iitift 

ueiAai&  vUMav 

15. 

September 

überlläche 

E. 

0,5 

4  m 

II 

0,8 

6  , 

1,0 

16. 

September 

Oberfläche 

K.  E. 

0.0 

n 

14  m 

0.a 

22. 

September 

Oberflache 

S.  £. 

3^ 

14  m 

3»* 

27. 

September 

7  « 

S.  V 

2^ 

n 

14  , 

9 

3^ 

17. 

Oktober 

Oberfläche 

N. 

0,5 

» 

14  m 

n 

0,5 

18. 

Oktober 

Oberfläche 

S. 

0,5 

7  m 

1,0 

n 

14  „ 

3,0 

Der  Wechsel  im  Salzgehalte  ist  mithia  im  Endabschnitte  der 
Lagoa  dos  Patos  sowie  im  Canal  do  Norte  ein  außerordentlich  grofser. 
Während  aber  im  Kanal  sowie  in  der  Umgebung  von  Rio  Grande 
oft  binnen  wenigen  Tagen  die  Strtoungserscheinungen  hochgradige 
Schwankungen  des  Salzgebaltes  zur  Folge  haben,  sind  die  weiter  ab 
gelegenen  Teile,  jenseits  des  S.  Gon^alo,  von  diesen,  man  konnte 
sagen  lokalen  Erscheinungen  des  Kanals  nicht  beeinflufst;  der  Salz- 
gehalt in  ihnen,  soweit  er  überhaupt  iH)ch  reicht,  hängt  von  anderen 
Momenten  ab,  von  ilem  Niveaustaude  der  Lagoa. 

Es  ist  begreitiich,  dafs  solche  Veränderungen  nicht  ohne  be- 
stimmenden Einfliifs  auf  das  Tierlehen  der  Lagoa  bleiben  können. 
Es  giebt  keine  allgemeinen  Gesetze  über  das  Verhältnis  der  Wasser- 
Uere  zur  chemischen  Zusammensetzung  ihres  Wohnelementes,  im 
allgemeinen  aber  vertragen .  Tiere,  welche  an  eine  bestimmte  Be- 
schaffenheit des  Wassers  gewöhnt  sind,  schwer  oder  nicht  bedeutende , 
Alteration  desselben.  Niemals  kann  man  Quallen,  Seerosen,  See- 
Sterne  u.  a.  im  .SOfswasser  am  Leben  erhalten,  und  die  meisten  im 


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Sttlswasser  lebeodeu  Krebse,  Schnecken,  Muscheln  u.  a.  gehen  sehr 
rasch  zu  Gnmde,  wenn  sie  in  Meerwasser  versetzt  werden.  Andere 
Tiere  aber  vertragen  mehr  oder  minder  bedeutende  Schwankungen 
im  Salzgebalte,  sei  es,  daCs  sie  wie  manehe  Seefisehe  zur  Laichzeit 
in  die  Flfisse  gehen,  sei  es,  dals  sie  in  Flufismandungen,  sogenannten 
Ästuarien  leben.   Man  nennt  na«sh  Moebius  Vorgange  Tiere,  welche 
erhebliche  Schwanknngen  im  Salzgehalt  ertragen,  euryhaliue,  solche, 
welche  nur  sehr  geringfügiiie  Alterationen  desselben  aushalten  können, 
steuoluiliue.  Es  niufs  aber  doch  konstatiert  werden,  dafs  hochgradiger 
Wechsel,  innerhalb  der  ganzen  Skala  von  Süfswasser  bis  zum  fast 
vierprozentigeu  Meerwasser,  abgesehen  von  verschiedenen  Fischen,  im 
allgemeinen  nur  von  überaus  wenigen  Tieren  ertragen  wird.    Es  ist 
daher  auch  kein  Wunder,  dafs  die  Tierweit  des  Rio  Grande-Aestuars 
so  auiserordentlich  arm  ist.  Von  grOfsem  Crastaceen  kommen  da- 
selbst lediglidi  Heliee  granulata,  eine  Lupeaart  und  Palaemon  bra- 
siliensis  regelmäßig  nur  in  gröfserer  Anzahl  vor,  im  Sommer  kommt 
dann  noch  Peneus  brasiliensis  Latr.  hinzu,  der  „OamarSo'*,  eine  sehr 
grofse  und  wohlschmeckende  Garneele.    Die  guuze  Molluskenfauna 
ist  reduziert  auf  zwei  noch  dazu  nirgends  massenhaft  angetroffene 
Muscheln  —  Solecurtus  platensis  und  Corbula  (Azara)  labiata  und 
eine  winzige  Schnecke,  Hydrobia  ")  australis.    Diese  letztere  findet 
sich  allerdings  zu  Millionen.   Die  Ufer  der  seichteren  Buchten  um 
Rio  Grande  herum  sind  nämlich  mit  dichten  Pflanzenmassen  durch- 
setzt, die  teils  aus  Konfenrenmassen  teils  aus  Ulvea  und  einer  Art 
Seegras  besteben.  In  diesen  Pflanzenmassen  ist  Hydrobia  flberaus 
gemein,  aufiserdem  findet  man  in  denselben  einige  kleine  Cmstaceen, 
eine  Brjozoe  und  einige  Infusorien  n.  a.  grolse  Epistylis-Kolonien. 
Nichts  von  Würmern,  Nacktschnecken  u.  a.,  von  Echinodermen  u.  a. 
natürlich  zu  geschweigen. 

Auch  die  Zahl  der  Fische  ist  eine  beschränkte,  wiewohl  manche 
Arten  in  solchem  Moniten  zu  haben  sind,  dafs  die  Fischerei  eine 
nicht  unbedeutende  Erwerbsquelle  der  Bevölkerung  bildet.  Jenynsia 
lineata  und  Girardiuus  decemraaculatus  sind  überall  und  massenhaft 
anzutreffen,  seltener  andere  Cyprinodonten.  Von  gröfseren  efsbaren 
Fischen  sind  folgende  während  des  gröfsten  Teiles  des  Jahres  an- 
zntieffen  und  jedenfalls  vom  Salzgehalte  nicht  durekt  oder  wenigstens 
nur  m  mafsigem  Grade  abhängig: 

^  Dieselbe  Erscheinung  weisen  die  Arten  dieser  Gattung  an  anderen  Orten 
ml.  Ackermann,  Beitrage  zar  phys.  Geogi-aphie  der  Ostsee,  Hamburg  1883, 
lagt  8.  SS4:  gVüUig  onempfindliGh  gegen  die  physikalischen  YerhiltnkM  de« 
Wassers  der  innern  Ostsee  ist  anscheinend  nur  eine  Tierform,  Hydrobia  ulvae 
f.  Palndinelia  stagnalis,  eine  schalentragende  Schnecke,  welche  bei  Goihad  noch 
diM«lbe  Gröfse  aofweisi  wie  in  der  Nonlsee/ 


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Lobotes  auctorutu  Gthr.  sog.  Breixereive. 
Pögonias  chromis  L.  sog.  Miraguaya. 
Pogonias  fesciatos  Lac.  sog.  Buriquete. 
Umbrina  sp.  (martinicensis  G.  V.)  sog.  Papa  terra. 

Sciaena  aduata  Ag.  sog.  Corviua  und  Cascuda. 

Ancylodon  jaculidens  C.  V.  sog.  Pescadinha. 

Atherinichthys  bouariensis  C.  V.  sog.  Peixe  rey. 

Mugü  lizza  C.  V.  sog.  Dainha. 

Pseudorhombus  vorax  (?)  sog.  Lingoado  oder  Zunge. 

Arius  Oommersonii  Lac  sog.  Bagre. 

Clupea  aurea  Ag.  sog.  Javelha. 
Es  sind  dieses  die  auf  dem  Markte  von  Rio  Grande  am  häu- 
figsten vertretenen  Fische,  die  zum  Teil  wie  namentlich  die  in 
grossen  ausgewachsenen  Exemplaren  Cascuda  genannte  Cor  vi  na  jeden 
Tag  vertreten  sind,  nicht  selten  in  enonnen  Massen.  Andere,  wie 
die  Bagres,  fehlen  im  Sommer,  weil  sie  in  dieser  Zeit  oben  in  der 
Lagoa  dos  Patos  oder  im  Guahyba  weilen.  Gorvina,  Dainha,  Peixe 
rey  und  Linguado  sind  wohl  die  am  meisten  an  das  Leben  in  dem 
Kanäle  angepafsten  Fische.  Andere,  wie  die  riesigen  Miraguayas, 
halten  sich  nur  in  der  Nahe  der  Barre  auf  und  kommen  nur  weiter 
herein,  wenn  das  Seewasser  weit  und  anhaltend  vordringt.  Diese 
Miraguaya  ist  identisch  mit  dem  „Trouimler"  der  nordamerikanischen 
Ostküste,  einem  dort  sehr  geschätztcMi  Handelsfische,  dessen  Ver- 
breitung his  Südbrasilien  —  vielleicht  mit  Überspringuug  der 
tropischen  Distrikte  —  bisher  ebenso  wenig  bekannt  war  als  diejenige 
des  gleichfalls  sehr  geschätzten  Lobote&  Unter  den  minder  h&nfig 
beobachteten  Fischen,  solchen  also,  welche  nnr  im  Hochsommer  mit 
dem  Meerwasser  in  dem  Ocean  eindringen,  befinden  sich  teils  solche, 
welche  bisher  nnr  ans  Rio  de  Janeüro  oder  von  sonstigen  Orten  der 
Kflste  Brasiliens  bekannt  waren,  teils  solche,  die  noch  in  der 
La  lUatamündung  leben,  lui  ganzen  linden  sich  unter  den  über 
40  Arten  von  Fischen  von  Rio  Grande  10  Arten,  also  etwa  25%, 
welche  auch  im  Ästuar  des  La  Plata  vorkommen.  Dieser  Prozentsatz 
wird  wohl  noch  erhöht  werden  bei  besserer  Kenntnis  der  Fische  des 
La  Plata-Ästuares,  welches  bisher  noch  nicht  so  eingeheud  studiert 
wurde  wie  dasjenige  von  Rio  Grande.  Fttr  letzteres  dürften  meine 
Untersnchnngen,  aber  welche  ich  an  anderer  Stelle  eingehender 
berichten  werde,  insofern  als  hinreichend  erschöpfend  gelten,  als 
weitere  von  mhr  nicht  beobachtete  Arten  wesentlidi  nor  nnter  den 
im  Hochsommer  eindringenden  marinen  Fischen  m  erwarten  sein 
dürften,  wfthrend  dagegen  die  eigentliche  ständige  Bewohnerschaft 


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des  Astuares  uns  jetzt  im  wesentlichen  eben  so  wohl  bekannt  ist, 
als  es  die  Fische  der  in  die  Lagoa  ausmündenden  StrOme  sind. 

Von  Schildkröten  kommt  bisweilen  die  grofse  Suppenschildkröte 
Thala880chely8  caretta  (Lina.)  auf  den  Markt,  wo  sie  dann  als  seltene 
Delikatesse  teuer  (20--25  Jk)  yerkaoft  wird.  Aufserdem  lebt  im 
Brackwasser  um  Rio  Grande  noch  Platemys  Hilarii  L.  B.,  die  idi 
auch  aus  dem  JaguarS^nsse  erbielt,  während  Im  Gebiete  der  west* 
liehen  Zuflüsse  der  Lagoa  dos  Patos  Hydromedusa  Maximiliani  Fitz, 
angetroffen  wird.  Von  Säugetieren  halten  sich  im  Rio  Grande-Ästuar 
nur  zwei  Delphine  auf,  Stenodelphis  Blainvillei,  der  übrigens  sich  in 
seiner  Lebensweise  streng  an  das  Seewasser  zu  halten  scheint,  und 
ein  greiser  Delphin,  wahrscheinlich  Delphinus  cymodoce  Gray,  dessen 
ich  noch  nicht  habiiaft  habe  werden  können;  nur  ein  defekter 
Schftdel  diente  mir  zum  Anhalte. 

Wahrend  somit  die  eigentliche  Tierwelt  des  Rio  Grande-Astnares 
infolge  der  Mr  die  Entfoltung  jedweden  Tierlebens  so  ungünstigen 
Bedingungen  im  ganzen  als  eine  recht  dOrftige  zu  bezeichnen  ist, 
bildet  dagegen  der  Reichtum  und  die  Mannigfaltigkeit  der  die  Land- 
schaft belebenden  Vögel  einen  um  so  angenehmeren  Kontrast.  Die 
Zahl  der  beobachteten  Arten  von  Enten,  Schnepfen,  Strandläufern, 
Seeschwalben,  Möven  u.  a.  ist  in  der  That  eine  sehr  beträchtliche. 
Es  würde  viel  zw  weit  führen,  hier  darauf  näher  einzugehen,  und  so 
sei  nur  noch  hervorgehoben,  dafs  unter  ihnen  sich  auch  die  kreiden 
südamerikanischen  Schwäne  befinden,  Oygnns  nigricollis,  der  soge- 
nannte Pato  arminho  und  Cygnus  eoscoroba,  der  sogenannte  Caporo- 
xocca.  Am  merkwflrdigsten  sind  in  dieser  bunten  Gesellschalt  einige 
VOgel,  Ton  denen  man  bisher  nicht  wulste,  dafe  sie  bis  zur  bra- 
silianischen Küste  hm  sich  verbreiten,  da  ihr  Wohngebiet  wesentlich 
in  die  antarktische  Region  fällt,  so  namentlich  ein  Pinguin  aus  der 
Gruppe  Spheniscus.    Ich  traf  einmal  nach  einem  starken  Sturme 
ein  totes  Exemplar  an  der  Küste,  weifs  aber  auch  von  niehreren 
anderen  Fällen,  in  welchen  der  Vogel  lebendig  gefan*]:en  wurde.  In 
ähnUcher  Weise  erhielt  ich  zweimal  von  deu  Fischern  einen  im  Netz 
gelegenen  Taucher,  Podiceps  dominicus  Lath.,  wfthrend  man  des 
Überaus  scheuen  gi;a&en  Tauchers,  des  sogenannten  Mergalhao  (Podi- 
ceps bicomis  licht.),  nur  durch  einen  sehr  glücklichen  Schnfs  habhaft 
werden  kann,  da  der  K<^f  ftai  regehnftfsig  im  Moment  verschwindet, 
wo  der  Finger  den  Hahn  der  Flinte  in  Bewegung  setzt  Auffallend 
war  mir,  dafs  der  auf  den  Flüssen  so  hftufige  Pbalacrocorax  bra- 
silianus  (sogenannter  Bigna)  auch  die  Salzflut  als  Jagdgrund  nicht 
verschmäht. 

Im  Verhaltnisse  zur  Dürftigkeit  der  übrigen  Tierwelt  des  Rio 

.0«otr.  amtir.  Bmimb,  18«.  13 


uigui^cü  UV  <jüOgle 


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Grande- Astuares  erscheint  die  Klasse  der  Fische  verhält iii.suiaisig 
reich  vertreten,  da  ich  iin  ganzen  während  etwa  eines  Jahres  gegea 
50  Arten  derselben  sammelte.    Allein  von  dieser  Zahl  sind  die  Süfs- 
wasserfische  auszuscheiden,  welche  bei  Übei*schwemmungen  der  Flü^ 
nicht  selten  mit  bis  Rio  Grande  beziehungsweise  bis  ias  Meer  gerissen 
werden.   Dafs  in  solchen  Fällen  Überschwemmungen  von  Flüssen  die 
Ursache  sind,  geht  schon  aus  den  Mengen  von  lediglich  in  sftssem  Waner 
▼oikonunenden  Pflanxen«  basonders  Pontederien,  dem  Agua*p6  der 
Brasilianer,  hervor,  welche  dann  doieh  den  Kanal  hMuichtreibeB. 
In  einem  Falle,  in  welchem  mich  das  AnftreUm  von  SOfewaasediachen, 
besonders  von  Pimelodus  sapo  unter  den  Fischen  des  Marktes  wäh- 
rend mehrerer  Tage  frappierte,  führten  die  Nachforschungen  zum 
Ergebnisse,  dafs  unmittelbar  zuvor  der  S.  Gongaloflufs  infolge  hef- 
tiger Regengüsse  stark  angelaufen  war.    So  lange  diese  Flufsfische 
bei  Vasante  sich  noch  in  wesentlich  sUfsem  Wasser  betiuden,  werden 
sie  in  normalem  Zustande  angetroffen,  kommen  sie  aber  in  salziges 
Wasser,  so  weiden  sie  rasch  betäubt  und  sind  in  diesem  Zoslaiide 
vom  Boot  aus  leicht  au  grei&n,  weiterhin  sterben  sie  ab  und  treiben 
ins  Meer  hinaus  oder  werden  ans  Ufer  geworfen.  So  fand  ich  bei 
8.  Jo86  do  Norte  am  Ufer  des  Kanales  einmal  Macrodon  trahira  ond 
erfuhr  denn  auf  Befragen,  dafs  häufig  genug  Süfswasserfische  ver- 
schiedener Art  ans  Ufer  getrieben  würden. 

Was  hier  nur  vereinzelt  vorkommt,  gesdiieht  weiter  oben  in 
der  Lagoa  dos  Patos  in  grofsem  Mafsstabe,  wenn  im  Hochsommer 
das  Meerwasser  weit  hinein  in  die  Lagoa  vordringt.  Dann  werden 
die  Süfswasseriische  taumelig  („torkelig"),  und  massenhaft  heben  die 
Leute  sie  aus  dem  Wasser  ins  Boot.  Unzählige  aber  gehen  zu 
Grunde  und  verpesten,  ans  Ufer  getrieben,  die  Luft  Die  Fische  be- 
greifen ofienbar  nicht,  aus  welcher  Bichtnng  das  Seewasser  eindringt, 
so  dafs  sie  sieh  auch  vor  ihm  nicht  zurttckaiehen  können.  So  löscht 
denn  die  Natur,  grausam  und  rflcksichtslos  wie  sie  ist,  die  ganze 
vorhandene  Tierwelt  periodisch  mit  eineni  öchhige  ans,  soweit  diese 
nicht  eben  aus  eurvbalinen  Formen  besteht  Es  ist  denn  aus 
diesem  Grunde  die  Tierwelt  der  Lagoa  dos  Patos  auch  iu  ihrem 
mittleren  Teile  ebenso  arm  wie  bei  Rio  Graude..  Bei  dem  Leucht- 
turme Christovao  Pereira  iu  der  Bucht  von  Mostaidas  hndeu  sich 
von  Mollusken  lediglich  die  beiden  schon  erwähnten  Arten  von  Cor- 
bnhi  und  Hydrobia,  eine  Dttritigkeit,  weldie  seltsam  kontrastiert  gegen 
das  reich  entwickelte  MoUuskenleben  im  Guatyba,  in  welchem  zshlr 
reiche  Arten  von  Anodonta,  Unio,  Leila,  Cyrena,  Aj^pullaria,  Ghilini, 
Hydrobia  u.  a.  leben.  An  dekapoden  Krebsen  finden  sich  teils  noch 
diejenigen  des  Guatyba,  teils  die  bei  Rio  Grande  beobachteten  Arten. 


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Ich  war  nicht  wenig  überrascht,  einzelne  Corbolaschalen  mit  lebenden 
Balanus  beseUt  zu  finden,  die  iu  sülBem  Wasser  sonst  nicht  oder 
nur  ausnahmsweiae  angetroffen  werden.  Es  ist  somit  auch  zoologisch 
«in  scharfer  Gegensata  auggesprochen  zwischen  dem  Guatyba,  der 
in  seiner  Tierwelt  noch  ganz  den  Charakter  seiner  NebenflOsse  auf- 
weist und  der  Lagoa  dos  Patos.  Ein  ganz  Ähnliches  Verhältnis  besteht 
zwischen  der  Lagoa  mirim  und  dem  Jaguarfioflnsse.  Die  Gorbala 
labiata,  welche  letzterem  fehlt,  kündet  auch  hier  wieder  den  eigen- 
artigen Seecharakter,  wogegen  man  im  Jaguarao  Arten  von  Planorbis, 
Physa  u.  a.  findet,  welche  der  Lagoa  mirim  fehlen,  wenigstens  iu 
ihrer  nordöstlichen  Hälfte,  da  ich  über  die  andere  nicht  berichten  kann. 

Wie  das  Eindringen  des  Meerwassers  die  Flulstische  zum  Ab- 
sterben bringt,  so  ist  umgekehrt  auch  das  plötzliche  Vorherrschen 
des  SOsswassers  für  die  marinen  Fische  verhAngnisvoll.  Empfindlich 
sind  in  dieser  Hinsieht  besonders  die  Miraguayas.  Wenn  diese  an 
der  Barre  oder  im  Endteile  des  Kaoales  bei  starker  Yasante  pldtzlich 
in  reines  Süfewasser  versetzt  werden,  so  ist  der  Erfolg  der  gleiche, 
wie  er  fHlher  fttr  dieFlnfsfische  in  umgekehrter  Lage  geschildert  wurde. 

Die  fast  von  Tag  zu  Tag  wechselnden  Bediiiguugeii  des  Salz- 
gehaltes im  Kanäle  äufsern  auf  die  Fische  nur  relativ  wenig  Einflufs, 
und  wenn  auch  mit  Enchente  ab  und  zu  echte  Seefische  iu  den  Kanal 
gelangen,  so  handelt  es  sich  hierbei  doch  mehr  um  vereinzelte  Fälle. 
Im  ganzen  aber  gilt  als  ßegel,  dafs  die  Seefische  erst  dann  im 
Kanal  und  in  der  Lagoa  sich  in  gröfserer  Menge  einstellen,  wenn 
Ittr  l&ngere  Zeit  im  Endabschnitte  der  Lagoa  das  Seewasser  die 
alleinige  Herrschaft  gewinnt,  also  im  Hochsommer,  von  Januar  an 
für  einige  Monate.  Im  Verlaufe  des  ganzen  Winters  1884  erschienen 
keine  Haie,  Rochen  oder  andere  im  Sommer  häufig  beobachteten 
Seefische  auf  dem  Markte  und  auch  im  Dezember  kamen  sie  noch 
ganz  selten  und  vereinzelt. 

Es  ist  niithiu  der  Charakter  der  Fischfauua  im  Rio  Grande- 
Ästuar  im  Winter  ein  ganz  anderer  als  zu  Ende  des  Sommers  oder 
im  Herbst.  Es  scheint  mir  das  ein  zumal  für  geologische  Ver- 
haltnisse beachtenswertes  Moment  Man  findet  hliutig  Kontroversen 
darüber,  ob  die  oder  Jene  Zusammensetzong  der  fossilen  Fischfauna 
einer  mkher  untersuchten  Lagerstätte  auf  eine  Flufsmandung  mit 
Brackwasser  oder  auf  einen  See  oder  eine  Meeresbucht  hinweise. 
Wenn  nun  auch  die  hier  geschilderten  Verhältnisse  infolge  des 
Mangels  von  regelmäfsigem  Wechsel  von  Ebbe  und  Flut  einen  be- 
sonderen eigenartigen  Charakter  bewahren,  so  werden  doch  einiger- 
mafsen  ahnliche  Erscheinungen  überall  da  auftreten  müssen,  wo  der  ins 
Meer  müudeude  Strom  in  seinem  Unterlauf  beziehungsweise  End- 

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abschnitte  kein  Geftll  mehr  hat  und  somit  mehr  oder  minder  seeaitig 

erscheint,  iu  seinem  Niveaustande  von  demjeuigeu  des  Meeres  und 
von  der  (iröfse  der  Verdunstung  vorzu^^\s  eise  abhäni^i^.  Unter  solchen 
Umstanden  kann  denn  die  Liste  der  Fische  eines  Ästuares  eine  so 
sonderbare  Kombination  von  Fhifs-,  See-  und  Hrackwasserarten 
darbieten,  dafs  allerdings  ein  Verständnis  der  zu  Grunde  liegenden 
Bedingungen  nicht  ohne  weiteres  möglich  ist.  Ohnehin  sind  wohl 
systematische  Studien  über  die  wechselnden  Bedingungen  des  Tier- 
lebens der  Ästuarien  nur  selten  oder  in  wenigen  F&llen  angesteUi 
worden.  Faunistisch  aber  mnfs  sich  ein  Ästuar  wie  das  hi^  ge- 
schilderte Ydllig  anders  verhalten,  wie  dasjenige  eines  Stromes, 
welcher  anch  nahe  seiner  MOndung  noch  starkes  GeftU  besitzt  und 
daher  noch  weit  in  den  Ocean  hiiieiu  nachweisbar  bleibt.^)  Über 
das  gegenseitige  Verhalten  von  süfseni,  brackischem  und  vollsalzigem 
Wasser  an  den  Flufsmtindunjien  liegen  durch  Dr.  J.  B.  Lorens^) 
sehr  gründliche  Studien  vor.  Derselbe  wies  nach,  wie  von  der  FluJCs- 
müudung  aus  das  Sülswasser  sich  weit  seewärts  erstreckt  als  geschlos- 
sene M.osse,  die  am  weitesten  sich  an  der  Obertiäche  erhalt  und  im 
vertikalen  Schnitt  die  Form  einee  Keiles  besitzt,  dessen  Spitze  see- 
wärts und  oberflächlich,  dessen  Basis  etwas  nach  innen  Tm" 
der  Flufsmttndnng  im  Flulsbette  gelegen  Ist,  indem  das  Meer- 
wasser eine  kurze  Strecke  weit  sich  in  das  Fln&bett  hinein- 
schiebt, als  Spitze  eines  unter  dem  Süfswasserkeile  gelegenen  Salz- 
wasserkeiles. Verhältnisse  dasregen,  wie  die  hier  geschilderten,  hat 
Dr.  Lorenz  nicht  kennen  gelernt.  Seine  Studien  beziehen  sich 
übrigens  lediglich  auf  die  ph\  sikalisdien  Bedingungen  der  Astua- 
rien. Arbeiten,  welche  gleichmalsig  die  physikalischen  und  die  fau- 
nistischen  Bedingungen  eines  bestimmten  Ästuares  zum  Gegenstande 
eingehender  Forschung  gemacht  hätten,  sind  mir  nicht  bekannt, 
doch  ist  das  ohne  Zweifel  wesentlich  Schuld  meiner  nach  dieser 
Richtung  nicht  ausreichenden  Kenntnis  der  einschlägigen  Litterator. 

Im  Anschlösse  an  die  obige  Schilderung  der  Tierwelt  der 
Lagoa  dos  Patos  und  des  Canal  do  Norte  des  froher  fOr  einen  Flu(s 
gehaltenen  „Rio  Grande",  mögen  hier  einige  Daten  über  das  Fischerei' 
wesen  von  liio  Grande  folgen. 

Die  Küste  der  Provinz  ist  flach  und  sandig;  sie  bietet  den 
Schiffern  keinerlei  geschützte  Plätze,  zumal  auch  nicht  in  der  Nähe 
von  Hio  Grande,  weshalb  denn  auch  eine  eigentliche  Küstenfischerei 

*)  So  führt  z.  B.  der  La  Platu  noch  bei  Buenos -Aires  reines  Süfsw.-isser ; 
erst  bei  Moiituvideo  trifft  mau  das  Brackwasser  mit  Azara  lubiata  u.  a.  an. 

*)  J.  iL  Lofeng,  Bnckmsentadieii  an  den  adriaüschen  Kästen.  Sitssber. 
der  K.  Akad.  d.  Win.  U.  Abth.  Bd.  UV.  Jalug.  1866^  S.  2  ff. 


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nicht  existiert  und  die  Fischer  nur  selten  und  nie  weit  sich  von  der 
Barre  mit  ihr^  schwachen  Bdten  herauswagen.  £s  wird  daher  der 
fischfang  im  wesentlichen  im  Oanal  do  Norte  bis  zur  Barre  und 

bis  gegen  liio  Grande,  sowie  in  deu  angrenzenden  Aiisbuchtnngen 
der  Lagoa,  namentlich  dem  Sacco  da  Mangneira,  betrieben,  wobei 
stets  mehrere  Fischer  zusammenwirken.    Für  die  einzelnen  Haupt- 
sorten  von  Fischen,  denen  sie  nachstellen,  giebt  es  verschiedene 
Sorten  von  Netzen.   Vor  kurzem  eriiefs  die  Munizipalkammer  von 
Bio  Grande  ein  Gesetz,  wonach  zur  Hauptfortpfianzungszeit,  im 
Sommer,  nur  grobmaschige  Netze  zum  Fang  dürfen  verwendet 
werden.  Ausgenommen  ist  davon  nur  das  Gamaraonetz,  das  feinste 
von  allen,  welches  aber  meist  nahe  dem  Ufer  über  sandigen  Stellen 
benützt  und  dann  an  Land  gezogen  wird.   Die  Netze  fertigen  die 
Schilfer  selbst  an,  teils  aus  russischem  Hanf  (fio  da  Kussia),  teils 
aus  einheimischen  Fasern,  besonders  Tucuni,  den  Blattfasern  einer 
niederen  stacheligen  Buschpalme  (Astrocarium  vulgare.***)  Dieselbe 
kommt  zwar  auch  in  der  Provinz  Rio  Grande  vor.  wo  sie  in  älteren 
Zeiten  den  Indianern  den  Stoff  zu  ihren  Bogensehoea  lieferte,  doch 
wird  sie  jetzt  hier  nicht  verwertet  und  der  von  den  Fischern  ver- 
brauchte Tucum  kommt  von  Pemambuco.   Auüserdem  werden  zur 
Netzfabrikation  die  Fasern  aus  den  Blattern  der  Pita  benutzt,  einer 
grofsen  firomeliacee,  welche  an  der  nördlichen  Hälfte  der  Küste  von 
Bio  Grande  nicht  selten  ist.  Die  Fischer  an  den  wenigen  kleinen 
Küstenplätzen  im  nördlichen  Teil  des  riograndenser  Küstengebietes, 
wie  in  Tramandahy,  Adreira  u.  a.  benutzen  ebenso  wie  diejenigen 
von  St.  Catharina  vorzugsweise  Pita  zur  Netzfabrikation.    Die  ein- 
zelnen Netze  haben  meist  ihre  Namen  nach  den  Fischsorten,  für  die 
sie  bestiiimit  sind,  wie  z.  B.  rede  de  dainha,  rede  de  cascuda  u.  a. 
Merkwürdig  ist  es,  dafs  die  Fischer  somit  schon  ungefähr  voraus 
beurteilen  können,  was  sie  fangen  wollen  oder  werden.  In  manchen 
Fällen,  wie  z.  B.  bei  den  im  Mai  in  enormer  Menge  kommenden 
Dalnhas  (spr.  Da-inja)  riditet  sich  dies  nach  der  Jahreszeit  Für 
Bagre  und  Miraguaya  ist  der  Winter  beziehungsweise  der  Frühling 
die  Fangzeit.   Einige  Fische  verraten  ihre  Anwesenheit  durch  Ge- 
räusche.   Es  ist  das  namentlich  der  Miraguaya  und  die  Cor  vi  na. 
Von  ersterem  ist  es  längst  bekannt,  dafs  er  eigentümliche  Töne  er- 
zeugt, die  zumal  dann  höchst  autfallend  werden,  wenn  sich  der  Fisch 
an  das  Schiff  anlehnt.    Man  hört  aber  auch  aus  der  Tiefe  herauf 
die  sonderbaren  Geräusche  dieser  Fische  und  die  Fischer  richten 
uch  danach  mit  dem  Fange  ein.   Wie  dieselben  behaupten,  ist  der 
Ton  der  Miraguaya  ein  dumpfer,  bumm,  bumm  ahnlich,  während 
^)  Auch  vencliiedene  BActrisarten  sind  unter  dieser  Bemichnnng  bekannt. 


—  186  — 


jener  der  Corvina  wie  chrrr,  chrrr  laute;  die  ersteren  sollen  nie  vor- 
mittags, sondern  von  Mittag  bis  in  die  Nacht  herein  .trommeln'', 
weshalb  denn  auch  nur  nachmittags  und  abends  ihnen  nachgestellt 
irird.  Das  Miraguayanetx  ist  etwa  60  m  lang.  Mit  Angeln  wird 
nur  der  Bagre  gefangen.  An  die  einzelnen  Angeln  der  zum  Fang 
ausgelegten  SchnOie  werden  Krabben  (Heiice  grannlata,  der  s.  g. 
Catanhao)  befestij^t,  die  man  an  seichten  sumpfigen  prasbesetarten 
Uferstrecken  der  Lagoa,  besonders  der  geschützteren  Buchten,  in 
beliebiger  Menge  haben  kann.  Im  Guahyba,  wo  den  Bayres  im 
Dezember  und  Januar  wahrend  ihrer  Fortpflanzun^szeit  nacbf^estellt 
wird  und  jener  l  aschenkrebs  fehlt,  benutzen  die  Fischer  als  Köder 
für  die  Angel  die  getrockneten  riesigen  Eier  des  Fisches.  Der 
Bagre  hat  n&mlich  eine  höchst  sonderbare  Brutpflege,  indem  er  die 
riesigen  Eier  von  Kirschengrölse  ins  Maul  nimmt  und  da  behftlt  Ina 
zum  Ausschlttpfen  der  jungen  Brut  R  Hemü^^)  hat  hierQber 
schon  berichtet,  ich  habe  nur  hinzuzufttgen,  dafs  es  lediglich  die 
Wdbchen  sind,  welche  diese  Brutpflege  Obemehmen. 

Jeden  Tag,  abgesehen  natürlich  wenn  etwa  heftiji^e  Regen  und 
Stürme  die  Arbeit  auf  dem  Wasser  unmöixlich  machten,  ist  der 
Mercado  (Markt)  in  Üio  Urande  mit  Fischen  besetzt.  Hautig  ;>ind 
s&mtliche  Abteilungen  der  sauberen  Markthalle  mit  Fischen  überfüllt 
und  gute  Kontrolle  sorgt,  daXs  nur  frischgefangene  Fische  znm  Verkaufe 
gelangen.  Aufserdem  giebt  es  4  bis  5  grofse  Fischereien,  welche 
nicht  für  das  Marktbedflrfhis,  sondern  für  den  Export*  arbeiten. 
In  der  gröfsten  derselben,  derjenigen  des  Arranoo,  habe  ich  vielerld 
interessante  Informationen  empfangen,  auf  welche  ich  mich  im 
wesentlichen  bei  den  folgenden  Zahlenangaben  stütze.  Es  war  mir 
nicht  mo.i^lich,  Angaben  von  der  Alfandega,  der  ZoUstation,  über  den 
ümfani^  des  FiXportes  an  Fischereiprodukten  zu  erhalten  und  es  war  mir 
deshalb  lieb,  wenigstens  die  Angaben  des  Fischers  Arranco  zu  bekommen, 
die  zwar  lediglich  auf  Schätzung  beruhen,  aber  den  Vorzug  besitzen, 
Yon  der  in  diesen  Dingen  kompetentesten  Person  zu  stammen.  Das 
ganze  Anwesen  dieses  Fischers  ist  grofs,  solid  und  sauber,  und  nicht 
allein  dem  Umfange  des  Betriebes  nach  das  bedeutendste  in  Rio  Grande, 
sondern  audi  das  in  Bezug  auf  Sorg&lt  und  Sauberkeit  in  der  Produktion 
best  geleitete.  Die  gewonnenen  Produkte  werden  meist,  in  Fässern 
oder  Tonnen  verpackt,  nach  Rio  de  Janeiro,  Bahia  oder  Pernanibuco, 
zum  Teil  auch  wie  besonders  Camaroes,  nach  Montevideo  gesandt. 
Die  nach  Bio  de  Janeiro  bestimmten  Waren  gehen  meist  mit  Dampfer 


B.  Hemel,  Beiträge  znr  Kenntnis  der  Wirbeltiere  Sadbrwiliens.  ArdÜT 
t  Naturgesch.  Jahrg.  36,  I  S.  70. 


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—  187  — 


(2  #  000  Bs.  Fracht  för  das  Fafs),  diejeoigen  filr  Bahia  oder  Pernam- 
baco  irarden  im  Segelschiff  (navio)  verladen. 

Die  iür  die  Grofsfischerei^  also  für  den  Export  in  Betracht 
kommenden  Fische  sind  in  erster  Stelle  Dainha  und  Ba^re,  ferner 
Miraguaya  und  Breixereive,  sowie  endlich  die  Camaräokrcbse. 

Miraguaya  ist  der  gröfste  Fisch.  Er  kommt  nur  getrocknet  in  den 
Handel.  Man  zerlegt  ihn  zu  diesem  Zwecke  in  die  beiden  Seiten- 
hai ften,  welche  gesalzen  und  getrocknet  werden.  Auf  die  Arroba, 
etwa  15  Kilo,  gehen  7—8  solcher  Hälften.  Die  Uauptfangzeit  ist 
Winter  und  Frühjahr.  In  der  Fischerei  des  Arranco  werden  etwa 
400  Arrobas  im  Jahr  präpariert,  im  ganzen  dürften  an  1000  Arrobas 
davon  in  Bio  Grande  hergestellt  werden.  Die  Arroba  wird  mit 
3  $  000  Bs.  (ä  etwa  Jk  2)  bezahlt 

Brekcermei^^r,  Br&cheräve)  ebenfalls  ein  grolser  schwerer  Fisch, 
wird  höher  geschfttst  als  der  vorige,  mit  dem  er  oft  zusammen  gefangen 
wird,  er  ist  aber  seltener,  so  dafs  im  ganzen  kaum  2(jO  Arrobas 
davon  zum  Export  gelangen  mögen. 

Dainha.  Die  Hauptfun^^zeit  ist  im  Mai.  Ks  werden  dann  oft  solche 
Mengen  gefangen,  dafs  die  Fischer  nur  so  viele  aus  dem  Netze  entnehmen 
als  sie  gut  behalten  können  und  den  Best  wieder  ins  Wasser  werfen. 
Man  macht  sie  mit  Salz  in  Fässern  ein.  Das  Fafs  (barril)  nimmt 
108— lao  Stack  auf,  und  wird  mit  etwa  15  $  000  Bs.  bezahlt, 
indem  fOr  das  Hundert  kleinerer  12$  000  Bs.  fttr  das  Hundert 
grofser  169  000  Bs.  bezahlt  wird.  In  der  Fischerei  des  Arranco 
werden  etwa  500  Fafs  eingepökelt  Anfserdem  gehen  viele  andere 
mit  Salz  in  Stücken  oder  Tonnen  (barrica).  Sodann  werden  von 
den  Dainlias  die  Eier  zu  Kaviar  verarbeitet.  Sie  werden  erst 
getrocknet  und  dann  mit  Salzlake  (salmor)  eingemacht  und  in  Fafs- 
chen  oder  in  die  Blechgefäfse,  in  welchen  Petroleum  in  den  Handel 
kommt,  verpackt.  Diese  »ovos  de  peixe''  gehen  auch  zum  Teil  nach 
Europa  —  vielleicht  um  dort  als  ^Kaviar"  verkauft  zu  werden. 
Es  sind  übrigens  nur  die  Dainhas,  deren  Eier  für  diesen  Zweck  taugen. 

C&rtfkia  beziehungsweise  Cascuda  wird  für  den  Export  wenig 
geschätzt,  daher  auch  nur  in  geringem  Umfang  getrocknet 

Bagre  ist  mit  Dainha  der  wichtigste  Fisch  der  Grofsfischerei. 
Er  wird  gesalzen  und  getrocknet.  Es  geht  aber  nicht  in  Hälften, 
sondern  ganz,  indem  er  längs  des  Bauches  aufgeschnitten  und  aus- 
gebreitet wird,  so  dafs  man  den  ganzen  Fisch  mit  Einschlnfs  des 
Kopfes  vor  sich  hat.  Die  Fischer  im  Innern  der  Provinz  dai^cgen 
schneiden  den  Kopf  weg  und  sieden  Thran  daraus;  in  Rio  Grande 
dagegen  benutzt  man  für  letzteren  Zweck  lediglich  die  Eingeweide. 
Das  Hundert  Bagre  wird  mit  10  eOüO  Bs.  bezahlt,  in  der  Fischerei 


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—  188  — 


d6B  Arranco  werden  jfthrlich  20 — 30000  Bigre  präpariert»  im  gaaseo 
exportiert  man  an  80000  aus  Rio  Grande  nach  dem  llorden  des 
Kaiserreiches.  Das  ziemlldi  tliranig  schmeckende  Fleisch  ist  mehr 

eine  Nahrung  der  unteren  Volksklassen. 

Sehr  nützlich  ist  der  Bagre  durch  das  aus  dem  Kopfe  und  den 
Eiugeweiden  gewonnene  Fett.  Dieser  Fischthran  (Azeite  de  peixe) 
findet  in  der  Provinz  Rio  Grande  selbst  viel  Verwendung  bei  den 
Gerbern,  Sattlern  and  Lederarbeitern  überhaupt,  es  wird  daher 
wohl  nur  relativ  wenig  davon  exportiert  Man  bezahlt  die  Medida 
(4  Flaschen)  mit  l,floo— 1,sm  Rs. 

Endlich  liefert  dieser  nützliche  Fisch  auch  noch  in  seiner 
Schwimmblase  einen  sehr  gesuchten  Artikel,  „colla"  (Leim)  genannt. 
Gerade  in  der  Behandlung  dieser  Blasen  zeichnet  sich  die  Fischerei 
des  Arranco  aus,  indem  derselbe  die  Blase  rein  herausschält,  — 
während  andere  oft  noch  Stücke  der  Umgebung  daran  hängen  lassen,  — ■ 
und  sie  erst  trocknet,  nachdem  sie  durch  Entwässern  des  Blutes  ge- 
reinigt. Diese  getrocknete  Blase  sieht  blafs  gelblichweifs,  durch- 
sichtig aus  und  wird  als  eine  Art  Hausenblase  sehr  geschätzt.  Die 
Arroba  wird  mit  12— 13  $  000  Rs.  bezahlt.  Der  Gesamtexport  von 
Rio  Grande  soll  sich  auf  etwa  1000  Arrobas  belaufen,  die  großen- 
teils nach  den  Vereinigten  Staaten  geben. 

Was  endlich  die  Camaroes  (spr.  Kamarongs)  betrifft,  so  sind 
diese  überaus  wohlschmeckenden  und  sehr  grofsen  Gameelen  nicht 

nur  in  enormen  Mengen  während  des  Hochsommers  und  Herbstes 
auf  dem  Markte  frisch  vertreten,  sondern  sie  werden  auch  in  Menge 
getrocknet,  Sie  werden  zuerst  gekocht  und  dann  von  der  Sonne  in 
3—4  Pagen  getrocknet.  Man  packt  sie  in  Tonnen,  welche  mit 
12  *()IK)  Ks.  bezahlt  werden.  Arranco  sagte  mir,  dafs  er  allein 
30() — 4(X)  Tonnen  voll  präpariere,  in  den  Exportlisten  finde  ich  aber 
kaum  300 — 400  Tonnen  pro  Jahr  notiert,  wahrend  nach  obigem 
Mafsstabe  ein  E.xport  von  8(K) — lüOO  Tonnen  zu  erwarten  wäre. 
Genau  sind  allerdings  die  Exportlisten  keineswegs.  Diese  Krebse, 
welche  zumal  auch  bei  Südwest  in  Massen  in  den  Kanal  herein- 
getrieben werden,  finden  sich  nur  im  Sommer  und  Herbste  vor.  Im 
Winter  fehlen  sie  ganz.  Sie  sollen  dann  im  Schlamm  eingegraben 
liegen.  I>en  Garneelen  der  deutschen  Küsten  gegenüber  sind  sie 
wahre  Riesen.  Gleichwohl  ist  das  Fleisch  zart  und  dberaus  wohl- 
schmeckend. Sie  mOlsten  daher  sich  auch  besonders  für  eine  sorg- 
föltige  Behandlung  zum  Export  nach  Europa  eignen,  wogegen  die 
getrockneten  Gamardes  sehr  an  SchnuckhafUgkeit  verlieren.  Neuer- 
dings ist  abrigens  in  Rio  Grande  eine  Fischkonservenfabrik  ent- 


—  189  — 


Stenden,  welche  besonders  Dainbas  und  Seezungen,  sowie  wabr- 
sdieiBliefa  auch  Gamardes  einmadit 

Es  balt  sehr  schwer,  den  Umfang  des  Exports  an  Fischerei- 
produkten zu  ermitteln,  eine  sorgfältige  Statistik  des  Handels 
existiert  nicht.  Ich  habe  aber  aus  den  üher  den  Kxport  von  Rio 
Grande  in  einer  dortigen  Zeitung,  dem  „Comraercial"  veröffentlichteu 
Mitteilungen  mir  für  das  Jahr  1881  folgende  Tabelle  zusammen- 
stellen können. 

Es  wurden  exportiert  ans  Rio  Grande  im  Jahre  1881 : 

Gesalzene  Dainbas   22 198  Stttck, 

Fässer  mit  Dainbas   778  Fafe, 

Bagres   39660  Stack, 

Passer  mit  Fischen   679  FaTs, 

Bündel  n.  a.  mit  Fischen   889  Bündel, 

Miraguayas-arrobas   89  Arrobas, 

Gesalzene  Fische   21  790  Stück, 

Tonnen  mit  Camaroes   269  Tonnen. 

Es  \sS&i  sich  hieraus  der  Anteil  der  einzelnen  Fiscbsorten 
nicht  sicher  ermessen.  Viel  zu  niedrig  ist  der  Ansatz  an  Miragua- 
yas,  doch  rührt  das  offenbar  daher,  weil  diese  unter  den  Rubriken 
Fische  in  Bündeln,  S&cken  a.  a.  einbegriffen  sind.  Die  gesalzenen 
einzelnen  Fische  dürften  grüfistenteils  in  Bagres  bestanden  haben, 
wfthrend  die  Fftsser  mit  Fischen  vorzugsweise  Dainhas,  Gorvinas  n.  a. 
müssen  enthalten  haben.  Aus  den  folgenden  Jahren  fehlen  mir  die 
Angaben  für  einzelne  Monate  gänzlich,  wie  denn  auch  diejenigen  für 
1881  sicher  nicht  senau,  d.  h,  also  zu  niedrig  bemessen  sind.  Indem  ich 
aber  alles  bezügliche  Material  einerseits  und  die  Angaben  der  Ex- 
porteure andererseits  kombinierte,  komme  ich  zur  Aufstellung  folgender 
Tabelle  als  Ausdruck  des  ungefähren  Umfanges  der  zum  Export  j^ol  angen- 
den Fischereiprodokte  Rio  Grandes  und  ihres  beziehnngsweisen  Wertes. 


Gesalzene  Dainbas  

F&sser  mit  Dainbas . . . . 


Miragnayas  -  arrobas  

Breixereive,  Corvina  u.  a. 


40 

III 

1 

80 

1 000  Arrob. 


jilOtOOOpr.  100 
äl6»O0Opr.Fafs 
älOtOOOpr.  100 

ä  3$  000pr.Arrb. 


Ifbr. 


4: 
22: 
8:000  n 

3:000  „ 
4:500  „ 


Camaroes   öOOTonnena  12s (XX) pr. Tonne  6:{KX)  „ 

Hausenblase  von  Bagre.'  1000  Arrob.'a  12 $000 pr.  Arrb.  12:000  „ 

Unter  Rubrik  Breixereive  u.  a.  fa.sse  ich  die  nur  in  kleineren 
Posten  gehenden  Artikel,  wie  n.  a.  auch  Daiuha-Caviar,  Bagre- 
Thran  n.  a.  zusammen.  Der  Gesamtwert  der  exportierten  Fischerei- 
produkte dürfte  sich  daher  auf  ungeföhr  60000  Mihreis^')  oder 
zwischen  100000—120000  Jk  belaufen. 


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Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dafs  der  Fischereibetrieb  voo 
Bio  Gnuide  sich  noch  bedeutend  ansdehnen  lieüBeL  Wmm  aacfa  der 
Katar  der  Seche  nach  der  Export  Rio  Grandes  an  FischereiprodiilEten 
mit  seinen  gesalzenen  nnd  getrockneten  Fischen  torziigsweiae  aaf 
den  Markt  im  nördlichen  Brasilien  angewiesen  ist,  so  befinden  sidi 
doch  auch  eine  Reihe  von  Artikeln  unter  diesen  Produkten,  welche 
sich  rasch  ihren  Platz  auf  dem  Weltmarkt  sichern  köunten,  und  es 
dürfte  sehr  im  Interesse  der  brasiliauischen  Küstenbevölkerunjr 
liegen,  wenn  die  brasilianischo  Re*xierun«?  der  bisher  weder  in  Bra- 
silien noch  sonst  wo  in  Südamerika  speziell  studierten  oder  gepflegten 
Seefischerei  die  im  Interesse  der  Volkswohlüabrt  ihr  zukommende 
Beachtung  wollte  za  Teil  werden  lassen.  Namentlich  die  Dainhas 
nnd  Zungen,  sowie  die  Camaröes  dürften  iQr  den  Aberseeischea 
Export  einst  von  Bedeutung  werden.  Das  einzige  Produkt,  welches 
bereits  gut  eingeführt  ist  und  auch  in  beliebigen  Mengen  noch  weiteren 
Absatz  finden  könnte,  ist  Bagre-Blase. 

Das  Bild,  welches  hier  von  den  physikalischen  und  biologiscbeu 
Erscheinungen  und  Bedingungen  der  Lagoa  dos  Patos  entworfen 
wurde,  würde  uuvollstäiulig  sein,  wenn  nicht  auch  die  ycologischen 
Verhältnisse  in  Betracht  gezogen  werden  könnten.  Über  dieses  bis- 
her meines  Wissens  noch  nie  studierte  Thema  vermag  ich  eine  Reihe 
▼on  wesentlichen  Beobachtungen  mitzuteilen,  welche,  so  nnvollsttodig 
sie  audi  noch  sind,  immerhin  einen  Anhalt  gd>ett  zur  Beurteilung 
der  ehemaligen  Ausdehnung  der  Lagoa  dos  Patos. 

So  weit  historische  Nachrichten  reichen,  haben  sich  die  Ver* 
haltnisse  der  Lagoa  und  des  Canal  do  Norte  nicht  wesentlich  geän- 
dert, da  man  schon  im  16.  Jahrhundert  die  Einfahrt  in  den  Kanal 
in  wesentlich  gleicher  Weise  angetroffen  haben  soll.  Von  mancherlei 
untergeordneten  Veränderuiiiren  sehe  ich  hier  ab.  Im  allgemeinen 
aber  steht  es  als  Erfahrungssatz  der  Bewohner  fest,  dafs  die  Küste 
langsam  vorrücke,  wobei  namentlich  auf  successive  mehr  ins  Land 
hineingerUckte  Teile  gestrandeter  Schiffe  hingewiesen  wird.  Land- 
marken zur  genauen  Verfolgung  dieses  Vorganges  existierten  merk- 
wOrdigerweise  bis  Tor  kurzem  nicht  Dagegen  glaubte  die  Barre- 
komroission  aus  der  Vergleichung  älterer  und  neuerer  Karten  einen 
Anhalt  fflr  den  Umfang  des  Wachstums  der  Kfiste  gewonnen  zu 
haben,  welches  danach  einem  jährlichen  Vorrücken  um  6  m*^)  ent- 
sprechen sollte.    In  dem  zitierten  Relatorium  sind  eine  Reihe  von 

»)  Wihrend  beim  Normalkone  Yon  84  der  Milreii  etwa  8  Jt  ist,  tteUt 
sich  bei  jetsigem  Knne  tod  80  der  Wert  aehr  viel  niedriger,  ao  dafB  ein  Konto 
(1000  Milreis)  stritt  2000  Jk  Wert  zu  haben  nor  noch  1000  Jü  entaprichi 

")  1.  c.  S.  287. 


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—  191  — 

Karten  ans  dem  Ende  des  vorigen  and  dem  Laufe  dieses  Jahrhunderts 
auf  gleichen  Malsstab  reduziert  neben  einander  gestellt.  Aus  der 
Kombination  einiger  derselben,  deren  volle  Zuverlässigkeit  voraus- 
gesetzt, j?eht  allerdings  ein  solches  Vorrücken  der  Küste  hervor, 
allein  dazwischen  trifft  man  auch  andere  Karten,  welche  sich  in  das 
gewünschte  Resultat  nicht  einfügen.  Unter  solchen  Umständen  ist 
es  eine  Sache  der  Willkür,  wenn  man  gerade  die  für  den  gegehenen 
Zweck  geeigneten  Karten  sich  ausw&hlt  —  eine  Grundlage  für  wissen- 
schaftliche Schlufsfolgernngen  können  diese  Kartendifferenzen  nicht 
bilden.  Andererseits  giebt  das  Belatorium  an,  dafs  successive  weiter 
▼or  der  ftnlsersten  Landspitze  gelegene  Sandb&nke  mit  dem  Fest- 
lande in  Verbindung  getreten  seien,  dadurch  Buchten  abschliefsend, 
welche  allmählich  immer  mehr  eingeengt  und  versandet  seien,  um 
schliefslich  ganz  zu  verschwinden.  Den  Karten  zufolge  scheinen 
allerdings  solche  Vorgänge  stattgefuiideu  zu  haben,  allein  es  fehlt 
au  sicheren  Kriterien  zur  Vergleichung,  so  dafs  meines  Erachtens 
zuverlässige  Resultate  nach  dieser  Richtung  auf  kartographischem 
Wege  nicht  zu  erlanpren  sind.  Andererseits  hrhauptete  ein  hoch- 
bejahrter Greis,  welcher  immer  in  der  Nähe  der  Barre  gelebt,  dafs 
sich  die  Durchfahrt  für  die  Schiffe  jetzt  weiter  nach  Süden  zu  be- 
finde als  froher,  indem  der  frtthere  Kanal  durch  Anwachsen  der 
Sandb&nke  zu  einer  Bucht  abgeschlossen  worden  sei.  Es  scheint 
mir  dies  nadi  allem  sehr  wahrscheuüicb,  doch  vermilst  man  bis 
jetzt  jede  solide  Grundlage  für  weitergehende  Folgerungen  über  das 
Wachstum  der  Küste. 

Eine  Vermutung,  welche  sich  mir  nach  dieser  Richtung  hin  auf- 
gedrängt hat,  möchte  hier  ihren  Platz  finden.  Ich  habe  in  der  Nähe 
der  Hydraulica,  wenige  Kilometer  von  Rio  Grande  entfernt,  eine 
prähistorische  Niederlassung  exploriert.  Der  betretfeude  kleine 
HOgel,  teilweise  vom  Bahnkörper  durchschnitten,  zeigt  zu  oberst 
eine  zwischen  Vs — 1  m  machtige  Schicht  hellen  Sandes,  der  genau 
denvenigen  der  Kflste  entsprechend  durch  den  Wind  hergetrieben 
sdn  mufs.  Unter  diesem  mit  spiürlicher  Qrasdecke  Aberzogenen 
Sande  iftlgt  eine  60—60  cm  dicke  Schicht  schwarzbrauner  fetter 
Erde.  Eine  ebensolche  Schicht  findet  sich  auch  auf  allen  benach- 
barten Hügelu,  allein  viel  heller  und  sandartiger.  Die  auffallend 
dunkle  Färbung  weist  für  den  uns  eben  beschäftigenden  Hügel  darauf 
hin,  dafs  aufser  dem  Buschwerke  und  sonstigem  Pflanzeuwucli>e  noch 
eine  andere  Quelle  für  die  Umwandlung  des  sandigen  Bodens  in 
eine  humusartige  Masse  mufs  vorhanden  gewesen  sein,  und  das  kann 
keine  andere  gewesen  sein  als  die  Massen  von  Nahrungsresten, 
welche  die  hier  wohnhafte  Bevölkerung  dem  Boden  anvertraute. 


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—  192  — 

Derselbe  ist  völlig  durchsetzt  von  Knochen  und  Fischgraten,  Schnecken- 
schalen,  Kohlen,  Urnenscherben  u.  a.  In  den  obersten  Lagen  findet 
man  stellenweise  noch  Reste  von  Wohnungen,  Backsteine,  Eisen- 
gerät und  glasierte  Topfscherben.  In  den  tieferen  Schichten  aber 
fehlen  solche  Anzeichen  europäischer  Kultur.  Die  rohen  fingerdicken 
schlecht  und  ohne  Glasur  gebrannten  Topfscherben  weisen  ebenso 
auf  ehemalige  Besiedelung  durch  Indianer  hin,  wie  eine  geschliffene 
beziehungsweise  polierte  Steinaxt  ans  Porphyr,  beziehungsweise 
porphyrartigem  Gestein. 

£8  haben  somit  hier  nacheinander  erst  die  wilden  Urbe wohner, 
später  portugiesisdie  Einwanderer  gewohnt.  Weitere  Nach- 
forschungen ergaben  denn  in  der  That,  dafe  vor  GrOndung  der 
jetzigen  Stadt  Rio  Grande  an  Jener  Stelle  die  Niederlassung  Santa 
Anna  bestand,  sowie  dafis  der  Flözsand  erst  im  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts jene  frOher  mit  Buschwald  llberzogenen  niederen  Hflgel 
Oberdeckte.  Wenn  man  genau  wOfete,  wie  viel  Zeit  erforderlich  ist, 
um  durch  eine  ziemlich  dürftige  Y^etation  und  mafsige  Sandzufuhr 
durch  den  Wind  eine  Sandschicht  in  Ackerland  umzuwandeln,  so 
würde  man  genau  das  Alter  dieser  60  cm  dicken  Schicht  berechnen 
können,  unter  welcher  der  feste  reine  Meeressand  folgt.  In  den 
Niederungen  kommt  man  sehr  rasch  auf  diese  letztere  Lage,  da 
kaum  20 — 30  cm  tief  und  in  sehr  schwachem  Mafse  die  spärliche 
Grasnarbe  die  Farbe  des  Sandes  gebräunt  hat.  Vielleicht  sind  daher 
die  höher  gelegenen  Teile  schon  bewohnt  gewesen,  wahrend  die 
Niederung  noch  unter  Wasser  stand. 

Auf  diesen  Gedanken,  dafs  zur  Zeit  jener  Iiidianernieder- 
lassungen,  von  denen  ich  auch  mehrfach  weiter  fort  au  anderen 
Hügeln  in  der  Nähe  des  JSacco  da  Mangueira  eben  solche  Spuren 
antraf  —  natürlich  dort  ohne  die  Reste  moderner  Kultur  —  wurde 
ich  nun  auch  durch  den  Umstand  gebracht,  dafs  unter  den  Kesten 
der  Mahlzeiten  sich  auch  zahlreiche  zerschlagene  Schalen  der  Voluta 
angulata  und  Voluta  brasiliensis  befanden.  Wenn  diese  grofsen 
Schnecken  den  Indianern  zur  Nahrung  dienten,  so  mufs  zu  jener 
Zeit  das  Wasser  im  Sacco  da  Mangueura  noch  stark  salzig  und  von 
Seetieren  bewohnt  gewesen  sein,  was  denn  auf  irgend  welche  andere 
Verteilung  von  Land  und  Meer  hinweisen  würde.  Vielleicht  dafs 
bei  genauerem  Studium  der  KOste  von  Rio  Grande  und  der  daselbst 
vorkommenden  Muschelhaufen,  der  sogenannten  Sambagu}  die  hier 
mitgeteilten  Beobachtungen  wenigstens  als  ein  Wink  fOr  die  weitere 
Richtung  der  Forschungen  dienlich  sein  könnten.  Für  jetzt  gestatten 
dieselben  noch  keine  bestimmten  Schlufsfolgerungen. 

Die  Beweise,  welche  mir  bis  jetzt  für  die  ehemalige  bedeutendere 


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—  193  — 


Ausdehnung  des  Meeres  vorliegen,  sind  wesentlich  folgende:  Es 
silid  an  vielen  Stellen  Walfischknochen  gefunden  worden^  welche 
eine  weit  bedeutendere  Tiefe  und  Ausdehnung  der  Lagoa  in  frflherer 
Zeit  voraussetzen.  So  ist  bei  St  Victoria  do  Palmar,  zwischen 
der  Küste  nnd  der  Lagoa  mirim  ein  Walfischgerippe  im  Boden 
gefunden  worden,  welches  natürlich  die  Bewohner  sehr  interessierte. 
Man  hat  die  heiden  üuterkieferaste  als  Thürpfosten  für  einen  Vieh- 
hof verwandt.  Solche  Funde  und  ähnliche  von  Seemuscheln  heim 
Graben  von  Brunnen  haben  unter  dem  intelligenteren  Teile  der  Be- 
völkerung in  diesen  Gegenden  an  der  Küste  von  der  Lagoa  mirim 
langst  die  Überzeugung  eingebürgert,  dafs  die  ganzen  niederen 
Küstengel&nde  früher  Meeresboden  waren.  In  der  Nahe  von  St  Vic- 
toria konnte  ja  in  der  That  ein  Walfisch  nur  stranden  zur  Zeit,  wo 
der  Albardao  ^)  (Nehrung)  noch  unter  Wasser  stand. 

Bei  Bio  Grande  wurden  1884  bei  Ausgrabung  des  Piano 
inclinate  zur  Reparatur  von  Schiffen  einige  Rückenwirbel  nnd 
Rippen  von  einer  grofsen  Balaeuopteru  ausgegraben,  welche  mehrere 
Meter  tief  im  Boden  lagen.  Aucli  vor  Estreito  sah  ich  Walfisch- 
knochen, während  heutigen  Tages  gröfsere  Waltische,  wenn  sie  ge- 
legentlich mit  heftigem  Rebojo  in  den  Kanal  gedrängt  werden, 
höchstens  bis  in  die  Gregend  von  S.  Jos<^  do  Norte  gelangen  und 
dort  stranden.  Der  merkwürdigste  Fund  dieser  Art  ist  aber 
jedenfalls  der  eines  Schwanswirbels  eines  grofisen  Bartenwals 
(Balaenoptera)  im  Guahyba  bei  Porto  Alegre.  Dieser  Herrn  Jakob 
Petersen  gehörige  Knochen  wurde  bei  Uferbauten  aus  dem  Guahyba- 
bette  ausgegraben.  Wenn  also  Walfische  am  Ende  der  Diluvialzeit 
noch  bis  Porto  Alegre  gelangen  konnten,  so  mufs  die  Lagoa  dos 
Patos  zu  jener  Zeit  noch  Ocean  und  der  Guahyba  eine  Bucht  des- 
selben gewesen  sein.  Die  ganze  Jacuhyebene  aber  gehörte  dann 
ohne  Zweifel  bis  ins  Centrinn  der  Provinz  hinein  noch  gleichfalls 
diesem  Guahybagoife  au.  Eine  Parallele  hierzu  bieten  die  Funde 
von  Walfischknochen  im  Boden  der  Inseln,  welche  an  der  Mündung 
des  Parana  in  den  La  Piatastrom  liegen,  während  gegenwartig 
verirrte  Walfische  in  das  La  PhitarÄstnar,  kaum  einige  Kilometer 
weit  Ober  Buenos-Aires  hinauf,  eindringen. 

Einen  weiteren  Beweis  für  die  frQhere  Ausdehnung  des  Oeeans 
weit  In  das  Innere  der  Provinz  Rio  Grande  liefert  der  Befund  von 
marinen  Konchylien  bei  Sauta  Izabel,  am  Übergang  der  Lagoa  mirim 

**)  AlbanUÖ  nennt  man  den  schmalen  Straifen  Küstenlandes,  welcher  die 
Lagoa  mirim  vom  Oeean  trennt  Der  entsprechende  Streifen,  entlang  der 
Lagoa  dos  Piatoa,  heilst  dagegen  nicht  Albaidao,  soU  auch  ein  anderes  Profil 
daibieten. 


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—  1«4  — 


in  den  3.  Gon^alo.  Dort  finden  sidi  stellenweise  massenhaft  in  ge- 
ringer Tiefe  von  20 — 40  cm,  oder  auch  oherfiftdiUdi  und  nicht 
sehr  weit  vom  Ufer  entfernt  Anhäufungen  von  Konchylien,  welche 

grüfstenteils  aus  Corbiila  labiata  bestehen,  zwischen  denen  aber 
auch  zahlreiche  Stücke  der  au  der  Küste  der  Provinz  häufigen 
Auster  und  von  einer  Anzahl  anderer  alle  noch  heute  an  der  Küste 
zu  findender  Muscheln  und  Schnecken  angetroifen  werden.  Nur  die 
Corbula  ist  wohl  erhalten,  alle  anderen  sind  zerbroclien  oder  ab- 
gerieben und  wohl  nicht  direkt  vom  Ocean  hier  abgelagert.  Wenn 
aber  auch  die  Corbula  labiata  auf  Brackwasser  hindeutet,  so  zeigen 
die  Schalen  von  Austern  und  andere  nur  im  Meer  vorkommenden 
Arten  von  Mollusken,  sowie  Zähne  von  Haien  und  von  Miraguaya, 
dafs  zur  Zeit  der  Ablagerung  der  Oceau  freien  Zutritt  in  diese 
Gegend  hatte.  Ich  bemerke  hierbei,  dafs  man  auch  bei  Rio  Grande 
noch  weit  einwärts  von  der  Barre  am  Ufer  des  Kanales  beim  Orte 
Barra  u.  a.  vielfach  Schalen  von  Seekonchylien  findet,  obwohl  diese 
im  Kanal  selbst  nicht  leben.  Ich  habe  mich  von  der  aulserordent- 
liehen  Tierarrnnt  des  Kanales  wiederholt  durch  Untersuchungeii  nü 
dem  Schleppnetse  Überzeugt,  die  mir  nur  Sand  und  wenige  Bruch- 
stüclce  der  Schalen  von  Corbula  und  Solecurtua  ergaben.  So  wie 
mur  scbeüit,  geht  Corbula  mehr  dem  brackischen  Wasser  nach, 
wahrend  Solecurtus  weiter  gegen  den  Ocean  zu  lebt  In  der  Tiefe 
enthielt  der  Boden  von  Bio  Grande,  soweit  ich  ihn  bei  oben  er- 
wähnter Ausgrabung  kennen  lernte,  in  dem  mehr  thonigen  wie 
sandigen  Grunde  nur  Solecurtus,  während  ich  in  gleichem  Grunde 
jetst  bei  der  Stadt  Rio  Grande  nur  Corbula  lebend  antraf. 
Dafs  aber  die  Seemuscheln,  welche  man  bei  Barra  —  nicht 
aber  bei  S.  Jos6  do  Norte  oder  Cocorata  —  am  Ufer  findet, 
wirklich  von  aufsen  herangeschweuimt  sind  und  nicht  dem  Kanal- 
bette entstannnen,  beweisen  aucli  di^  Ergebnisse  der  Bagger- 
arbeiten, welche  in  der  Nähe  der  Barre  ausgeführt  wurden 
und  sehr  wenige  Koncliylien  zu  Tage  förderten,  von  lebenden  Mol- 
lusken aber  lediglich  Solecurtus.  In  ähnlicher  Weise  können  auch 
bei  St.  Izabel,  als  noch  die  Lagoa  mii'im  ein  Teil  des  Oceans  war, 
die  Wogen  Seekonchylien  in  das  von  Corbula  besiedelte  Ästuar  ein- 
geschwemmt haben  —  sehr  weit  aber  geht  am  Ästuar  diese  Ver- 
schlagnng  toter  Schalen  nicht,  nur  3—5  km  weit  Jedenfalls  also 
mufs  zur  Zeit  jener  Ablagerungen  —  und  genau  dieselbe  Schicht 
mit  Corbula  und  Austern  u.  a.  vmrde  im  Sangradouro  bei  den 
Baggerarbeiten  durchschnitten  —  die  unmittelbare  Einwirkung  des 
Oceans  sich  bis  St  Izabel  erstreckt  haben.  Mao  wird  daher  wohl 
kaum  irren,  wenn  man  die  ehemalige  Barre  von  St  Izabel  als  ein 


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—  195  — 


Teil  eines  riesigen  Ästuares  auiTafst,  dessen  verkümmerter  Rest 
heute  im  Jaguaräoflusse  uns  vorliegt.  Obwohl  im  Jaguaräo  nur  ächte 
Flufsmolluskea  leben,  habe  ich  doch  verriebene  and  dem  Aussehen 
nach  stthfoflsUie  eilutelne  Schalen  von  Corbula  labiata  mehrfaeh  am 
Ufer  in  der  Nfthe  ?on  Jagoaraö  gefunden.  Auch  wurde  mir  eine 
OlivandUaria,  die  noch  heute  an  der  Kllate  gemein  ist,  mit  der  Be- 
hauptung flbergeben,  sie  sei  etwa  1  Legna  landeinwärts  von  JaguarS5 
an  einem  kleinen  See  gefunden  worden,  in  dem  man  bei  niederem 
Wasserstande  vielfMch  derartige  Konchylien  finde.  Leider  liefs  sich 
des  hohen  Wasserstandes  halber  hierüber  nichts  ermitteln.  Zur  Zeit 
aber,  wo  im  Jaguarao  die  Corbula  noch  lebte,  mufs  die  Gegend 
einen  See  gebildet  haben,  der  sich  wohl  weit  landeinwärts  erstreckte. 
Es  ist  genau  dasselbe  Verhältnis,  wie  es  im  Norden  der  Provinz 
«wischen  Jacuhy  und  Lagoa  dos  Patos  bestand.  Zur  Zeit,  als  riesige 
Walfisch«  in  den  Aber  Porto  Alegre  hinaus  sich  erstreckenden  Golf 
eüidringen  konnten»  und  das  weite  Jaeuhythal  bis  an  die  Vorberge 
der  Serra  von  einer  groÜBen  Lagoa  —  man  könnte  sie  Lagoa  do 
Jacuhy  nennen  —  eingenommen  war,  bildete  auch  das  Jaguaräothal 
im  weiteren  Sinne  genommen  ein  grofses  Seebecken.  Damals  also 
waren  die  Lagoa  dos  Patos  und  die  Lagoa  mirim  noch  Teile  des 
Oceans,  und  es  wird  die  Aufgabe  künftiger  Forschungen  sein,  die 
ehemaligen  Küsten  des  Meeres  zu  ermitteln.  Ein  Überblick  über 
die  Ausdehnung  des  Meeres  in  der  Provinz  Rio  Grande  zu  Ende  der 
diluvialen  und  bei  Beginn  der  alluvialen  Epoche  giebt  die  beigefttgte 
Karte,  Bei  Arroio  grande,  nördlich  und  ostw&rts  von  Porto  Alegre, 
soll  an  den  Jorgen  in  geringer  Hohe  die  alte  Kflsienlinie  noch 
an  den  Seekonchylien  kenntlich  sein  nnd.  die  sahireichen  zum  Teil 
noch  mit  dem  Ooean  in  standiger  oder  seitweiser  VerMndung 
stehenden  Seen  des  Küstenstriches  stellen  ja  offenbar  liiickbleibsel 
des  Meeres  dar.  Im  Norden  setzte  die  Costa  da  serra,  im  Westen 
die  Serra  dos  Taipes  und  die  Serra  do  llerval  dem  Vordringen  des 
Meeres  Schranken.  Völlig  unaufgeklärt  ist  zur  Zeit  noch  die  frühere 
Ausdehnung  der  Lagoa  do  Jacuhy  und  der  Lagoa  do  Jaguarao, 
hierüber  können  erst  spatere  entscheidende  Funde  Auskunft  gehen. 
Als  einer  der  lotsten  Vorg&nge,  durch  welche  infolge  der  langsamen 
Hebung  der  ganaen  Kttste  die  heutige  Konfiguration  sich  ausbildete, 
dOrfte  der  Verschlnls  der  Barre  au  bezeichnen  sein,  durch  welche 
die  Lagoa  mirim  im  ftulsersten  Süden  der  Provins  oder  im  Estado 
oriental  mit  dem  Ocean  in  Verbindung  stand.  Dortige  lokale 
Traditionen  geben  noch  die  Stelle  dieser  Verbindung  au.  Die  Gegend 
um  St.  Victoria  enthält  sehr  ausgedehnte  Sümpfe  mit  zum  Teil  noch 
brackischem  Wasser  und  u.  a.  eine  Lagoa,  welche  bei  hober  Flut 


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—  106  — 


noch  Wasser  aus  dem  Meere  empfingt.  Es  mflfste  eine  selir  dank- 
bare Aufgabe  sein,  den  Bahnen  dieses  vermutlich  erst  in  historischer 
Zeit  verloren  gegangenen  Zusammenhanges  an  Ort  und  Stelle  nach- 
zuspüren. St.  Victiiria  ist  freilich  etwas  abgelegen,  und  schwierig 
zu  erreichen. 

Es  wird  keineswegs  einer  bedeutenden  Hebiin}^  der  Küste  be- 
durft haben,  um  aus  den  el)en  f^eschilderten  Verhältnissen  der  Aus- 
breitung des  Meeres  die  heutige  Konfiguration  der  Küstengebiete 
hervorgehen  zu  lassen.  Wahrscheinlich  würde  eine  Senkung  der 
ganzen  Küstenpartie  der  Provinz  um  über  10 — 15  m  oder  weniger 
genügen,  um  die  Lagoa  des  Patos  und  die  Lagoa  mirim  wieder  zu 
Teilen  des  Oeeans  zu  machen.  Erhebt  sich  doch  die  Ebene,  auf 
welcher  Rio  Grande  erbaut  ist,  kaum  um  3  m  aber  das  Meere»- 
niveau.  Angesichts  ao  geringfflgiger  HAbendifierenaen  wird  man 
wohl  auch  nicht  irren,  wenn  man  die  ganzen  beaflglichen  Vorginge 
als  rehitiv  jungen  Datums  ansidlit.  Darauf  weist  Ja  aueh  die  Iden- 
tität der  foesUen  Koncbylien  von  St  Isabel  mit  den  noch  heutigeo 
Tages  an  der  Kfiste  zu  sammelnden  hin.  Die  Frage  dreht  tk^ä 
lediglich  darum,  ob  wir  die  betreifenden  Foesilien  für  alluvialen  oder 
diluvialen  Ursprungs  halten  sollen.  Unsm  Kenntnis  der  geolo- 
gischen Yerhftltnisse  Rio  Grandes  ist  zumal  mit  Rfleksieht  auf  sedi- 
mentäre Formationen  eine  so  dflrftige,  dafs  eine  derartige  Diskoasien 
nur  einen  provisorischen  Charakter  tragen  kann.  Profile  mit  sicher 
trennbarem  Anteil  von  Alluvium  und  Diiuviuni  sind  mir  bis  jetzt 
nicht  bekannt.  Am  besten  mufs  das  Diluvium  im  Süden  der  Provinz, 
80  z.  B.  hei  Pedras  Altas  aufgeschlossen  sein,  wo  in  ihm  zahl- 
reiche Knochen  der  ausgestorbenen  südamerikanischen  diluvialen 
Kdentaten  u.  a.  enthalten  sind.  Von  Laovas  sah  ich  einen  grofsen 
Schneidezahn  vom  Toxodon,  welcher  dort  in  ziemlicher  Tiefe  aus- 
gegraben wurde.  Aus  den  Kiistendistrikten  und  dem  in  hier  nach- 
gewiesener Ausdehnung  früher  vom  Ocean  eingenommenen  Gebiete 
sind  mir  keinerlei  Funde  von  Knochen  diluvialer  Säugetiere  be- 
kannt. Es  wird  daher  wohl  zu  jener  Epoche  die  lütere  Küstenlinie 
noch  erheblich  weiter  landeinwärts  gelegen  haben  und  es  wird,  wenn 
man  deu  geringen  Grad  von  Hebung  und  die  Identität  der  bezQg» 
liehen  MuscheUi  mit  heute  lebenden  zusammenhAlt,  wohl  wahr- 
scheinlich, dafe  wir  es  in  der  alten  Kflstenlinie  der  früher  ge- 
schilderten Ausdehnung  mit  den  Grenzen  des  Meeres  im  Beginne  der 
AUuvial^che  zu  thrni  haben. 

Ich  konnte  hiermit  diese  Studie  für  abgeschlossen  betraditen, 
wenn  es  mir  nicht  schiene,  da&  die  hier  geschilderten  Verhältnisae 
80  viele  Berahrungspunkte  zn  den  geologischen  Bedingungen  der 


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197  — 


neuesten  Formationen  von  Argentinien  bieten,  dafs  sie  auch  für  die 
£rkl&rung  jener  so  sehr  verschiedenartig  beurteilten  Verhältnisse 
wesentlicb  mit  beitragen  könnte.   Wenn  ich  in  der  Äuffussmig  der 
I^a$iipa8  und  ihrer  ffeologiachen  EntwiMungsbedm^fmgett  wieder  mehr 
auf  den  Standponkt  Damoim  surackkomme  und  mich  dabei  zum 
Teil  wenigstens  in  Widerspruch  befinde  mit  dem  von  Burmeisier 
vertretenen,  so  verhehle  ich  mir  keineswegs,  wie  gewagt  es  ist,  eine 
abweichende   Meinung    dem    in    diesen    Fragen  kompetentesten 
Forscher  gegenüber  zu  vertreten.   Eine  Berechtigung  zur  Begrün- 
dung einer  eigenen  Auffassung  würde  ich  mir  daher  auch  in  dieser 
Frage  gar  nicht  vindizieren,  wenn  nicht  die  Beurteilung  der  Bil- 
dungsweise der  Pampas  notwendig  auch  aut  volle  Kenntnis  der 
faunistischen  Bedingungen  von  Meer.  Süss-  und  Brackwasserbecken 
angewiesen  wäre,  nach  welcher  Richtung  biu  ich  die  ersten  Be- 
obachtungen in  dem  Seesysteme  der  Provinz  Rio  Grande  angestellt 
habe,  welches  fOr  die  im  La  Platagebiete  zur  Diluvialzeit  zu  prft- 
sumlrenden  hydrographischen  und  Isnnistischen  Bedingungen  in  der 
Gegenwart  das  einzige  heranziehbare  Yergleichungsobjekt  reprä- 
sentiert.   Besteht  doch  eine  notwendige  Korrelation  zwischen  dtii 
geologischen  Auffassung  sedimentärer  Formationen  mit  ihren  orga- 
nischen Einschlüssen  und  der  zoologischen  Erfor<rhung  der  Verbrei- 
tung der   Tiere  und  ihrer   physischen  Existenzbedingungen.  So 
wird  denn  auch  eiue  rein  faunistische  Studie  unter  Umständen  zur 
AufklAmng  schwietiger  geologischer  Probleme  beitragen  können. 

Der  geologische  Aufbau  der  weiten  centralargentinischen  Ebene 
ist  im  ganzen  ein  sehr  enilscher.  Unter  dem  sandigen  meist  über 
etwa  *  2  m  mächtigen  Alluvium  folgt  wenn  wir  hier  kurz  Burmeisters 

klassische  Schilderung  rekapitulieren  wollen,  die  machtige  Diluvial- 
ablagerung des  Pampaslehmes.  Es  ist  diese  berühmte  Punipas- 
formation,  welche  in  ihrer  unteren  Abteilung  die  Knochen  und 
Skelette  der  wunderbaren  südamerikanischen  ausgestorbenen  Diluvial- 
8&uger  einschliefst,  welche  vornehmlich  durch  Lund  und  Bur^ 
wmtter  bdcannt  gemacht,  so  allgemeines  Interesse  bei  Zoologen 
und  Geologen  «rregt  hat  Marine  Konchylien  fehlen  im  allge- 
meinen in  dieser  Formation,  die  Überhaupt  an  solchen  Einflüssen 
ftufserst  arm  ist.  Unter  ihr  folgt  die  patagonische  Formation,  welche 
man  als  obermiocftn  oder  unteres  Plioeftn  auffafst  und  die  ihre  Be- 
zeichnung dem  Tmstande  verdankt,  dafs  sie  in  Patagonien  die 
Oberfläche  einnimmt,  indem  dort  das  Diluvium  nicht  entwickelt  ist, 


H.  Burmeister.    D6scriptiOD  physique  de  la  R^publique  argeuLiuc 
Tom.  II  Paris  1876. 

G«ogr.  BUttar.  Bram»,  1886.  14 


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—  198  — 

welches  im  allgemeinen  swischeii  dem  34^—88^  a.  Br.  seine  sfldliche 
Grense  erreicht  Von  dem  hierunter  noch  nachgewiesenen  anterea 
Tertiär,  der  versteinerungslosen  Gnaraniformation,  sei  hier  gans 
abgesehen. 

Die  grofse  Ausdehnung  der  marinen  patagonischen  Formation 
beweist,  dafs  zu  Ende  der  Tertiarepoche  Argentinien  mit  Patagonien 
und  wahrscheinlich  noch  einem  Teil  der  weiteren  nach  Norden  an- 
grenzenden Gebiete  der  kleinen  La  Plata-Repuhliken  und  Brasiliens 
vom  atlantischen  Ocean  überdeckt  waren.    Andererseits  steht  durch 
weiter  zn  erwähnende  Funde  fest,  dafs  in  der  jetzigen  Erdejiorhe 
das  Meer  weiter  in  das  La  Plata-Ästuar  und  über  die  Küstenstriche 
hineinragte  und  dieses  ganze  Ästuar  einen  ungleich  gröfseren  Um- 
üftng  hatte.  Da  es  zwischen  diesen  verschiedenen  Stadien  Übergtage 
gegeben  haben  mufis  und  das  Tertiftrmeer  ja  nicht  mit  einmal  ver- 
sdiwnnden  sein  kann,  so  liegt  es  sehr  nahe  anzunehmen,  dafs  die 
Grenzen  dieses  Zwiscbenstadiums  durch  die  Ausdehnung  des  Dilo* 
yinms  markiert  weiden,  welches  ja,  wie  wir  schon  erwAhnten,  «ioen 
viel  geringeren  Umfang  einnimmt  and  in  Fatagonien  gans  fehlt, 
welches  also  zu  jener  Zelt  schon  aus  dem  Meere  emporgehoben  ge- 
wesen sein  mub.    Dementsprechend  hat  denn  auch  lyOrbignf 
des  Diluvium  der  Pampas  als  marine  Bildung  anfgefabt,  eine  Auf- 
fassung, gegen  welche  man  das  Fehlen  mariner  KonchyHen  als  schwor- 
wiegendes  Argument  geltend  gemacht  bat.  Ihrwin  hat  dagegen 
die  Pampasformation  als  Ablagerung  eines  riesigen  Ästnars  mit 
wesentlich  brackischem  Wasser  aufgefafst.  Der  Mangel  von  Konchy- 
lien  veraulaföte  denn  Jiraiard,  sich  die  Kntstehung  dieser  Schicht 
als  eine  subaerische  nach  Art  der  Dünenbildung  vorzustellen.  Eine 
Widerlegung   dieser   Theorie   findet   man   bei   Burmeister.  Der 
letztere  Forscher  seinerseits  hält  au  der  Ablagerung  des  Pampas- 
lehmes aus  Süfswasser  fest.    Wahrend  aber  nach  Darwin  eine  ähn- 
liche Theorie  schon  früher  durch  W.  Farush  vertreten  wurde,  wobei 
die  Ablagerung  durch  Flüsse  vermittelt  sein  sollte,  so  bezweifelt 
Burmeister     .  deren    wesentliche   Anteilnahme    und   hält  heftige 
Regengüsse  für  die  hauptsächlichste  Quelle  der  Anschwemmungen. 

Wir  hätten  somit  für  die  Bildung  der  Pampasformation  fol- 
gende Theorien  aufgestellt: 

1.  Bildung  durch  das  Meer;  marine  Überschwemmung, 

(D*Orhigny.) 

2.  Bildung  in  einem  istnarium.  (Darwin,) 

3.  Bildung  durch  den  Wind.  (Brawurd,) 

*<)  L  e.  p.  186^  190  und  196. 


.  Kj      L  y  Google 


—  199  — 


4.  Bilduug  durch  Flufsanschwemnuuigen.  (Farish.) 

5.  Bildung  durch  Regengüsse.  (Burmeister,) 
Daran  achliefse  ich  meine  eigene  Auffassung  als 

6.  Bildung  in  Sttbwasserseen. 

Gegen  die  Ansichten  yon  D*Orbignif  und  Darwin  macht 
Burmeister  vor  allem  geltend,  dafe  die  Ausdehnung  der  For- 
mation jede  solche  Hypothese  ansschliefse.  Der  Pampaslehm  gehe 
nicht  nnr  in  Argentinien  auf  mehr  als  600  m  und  höher  hinauf, 
sondern  in  Bolivien  finde  er  sich  selbst  bis  in  Höhen  von  über 
4000  in.  Da  man  so  kolossale  Hebungsvorgänge  für  diese  wenig 
zurückgelegenen  Perioden  nicht  anzunehmen  berechtigt  sei  und 
auch  das  Fehlen  mariner  Konchylien  im  Diluvium  gegen  eine  solche 
Annahme  spr&che,  so  könne  der  Pampasiehm  nicht  in  einem  gröfseren 
Wasserbecken  abgelagert  sein.  Für  Burmeister  ist  hierbei  ent- 
scheidend die  Gleichartigkeit  der  Diluvialschicht  und  die  Überein- 
stimmung der  in  ihr  eingeschlossenen  Saugetiere.  Hiermit  wird 
aher  doch  lediglich  die  Gleichalterlgkeit  der  Schicht  und  der  ein- 
heitliche Ursprung  des  Bildnngsmateriales  hewieaen.  Es  ist  ja  aber 
gewifs  keine  unwahrscheinliche  Annahme,  sich  vorzustellen,  dai's 
dasselbe  Bildungsmaterial  des  Diluviums  in  den  Gebirgen  und  Hoch- 
ebenen durch  Regengüsse  und  Flüsse,  in  der  Tieiebene  durch  See- 
und  Ästuarbildungen  seine  Verbreitmig  gefunden.  Teilt  doch  hin- 
sichtlich des  Alluviums  Burmeister  selbst  mit,  wie  dasselbe  teils, 
nämlich  an  der  Küste  auf  marinen,  teils  nämlich  am  Paranastrome 
auf  brackischen  Ursprung  hinweist,  oder  auch  wie  am  südlichen  Bio 
Salado  auf  Entstehung  aus  sfllsem  Flulswasser.  In  gleicher  Weise 
kann  und  wird  auch  das  Diluvium  an  den  yerschiedenen  Orten  seiner 
Ahlagerung  unter  verschiedenartigen  Bediogungen  abgesetzt  worden 
sein.  Gemeinsam  und  einheitlich  ist  eben  nnr  das  Büämgsmateriai 
der  Formation,  nicht  aber  die  Bddunys weise. 

Wir  wissen  durch  Darwin,  dafs  die  Küste  von  Argentinien 
und  in  höherem  Grade  noch  von  Patagonien  nach  der  Tertiärzeit 
eine  sehr  beträchtliche  Hebung  erfahren  hat.  Fand  doch  Darwin 
in  mehr  als  400'  Höhe  an  der  patagonischen  Kflste  Meereskon- 
chylien,  welche  mit  den  noch  jetzt  in  jener  Region  lebenden  sich 
als  völlig  identisch  herausstellten.  Auch  sind  zahlreiche  Belege  dafflr  an- 
geführt, dafe  das  Ufer  des  Parana  beziehungsweise  des  La  Plata  wah- 
rend der  Alluvialepoche  um  mindestens  20—90  m  gehoben  wurde. 
Rechnet  man  hierzu  den  Effekt  der  Hebungsvorgange  während  der 
Diluvialzeit  und  die  Thatsache  der  ehemaligen  weit  gröfseren  Aus- 
dehnung des  La  Plata-Ästuares,  so  wird  es  leicht  genug  verstandlich, 
wie  zur  Diluvialzeit  die  greise  argentinische  Tiefebene  unter  Wasser 

14^  • 


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—  200  — 

sein  mufete.  Wie  weit  der  Einflufs  des  Meeres  sich  zu  jener  Zeit 
erstreckte,  können  erst  sp&tere  Fnnde  zeigen.  Was  in  dieser  Art 
bis  jetzt  bekannt  wnrde,  ist  noch  sehr  kflmmerlich.  Burnteisier 
erwähnte  diverse  solcher  Fuude,  ohne  ihnen  jedoch  grÖ&ere  Be- 

deutuuij,  beizulegen. 

Die  Armut  des  Diluviums  an  Resten  wirbelloser  Tiere  spricht 
wie  mau  versichert,  ixe<xe\\  die  Ansicht  von  dessen  niiirinoin  Ur- 
spriin*;e.  An  und  für  sich  freilich  können  fossiiarnie  SSclüchten  elniu 
so  wohl  marine  sein  wie  aus  Sülswasser  abgelagerte.  Der  dem 
Meere  erst  vor  relativ  kurzer  Zeit  entstiegene  Boden  der  Küsten- 
striche  von  Hio  (hande  ist.  so  viel  bis  jetzt  bekannt,  vollkommen 
ohne  Konchylien,  deren  man  doch  am  Strande  jeder  Zeit  beliebige 
Mengen  haben  kann.  Allein  die  Erklärung  liefert  otienbar  der  Um- 
stand, da£s  der  Boden  nur  aus  reinem  hellen  Saude  besteht,  in  dem 
ich  von  Foraminiferen  wesentlich  nur  Kotalia  und  Rotalien  ähnliche 
Formen  fand.  Das  ungleich  feinere  Material  des  Paiupaslehmes  aber, 
in  welchem  übrigens  Foranuniferen  ganz  fehlen,  hatte  so  gut  wie 
Knochen  auch  die  derberen  Muschel-  und  Schneckenhäuser  konser- 
yieren  mOssen,  wenn  es  deren  gegeben  hfttte.  Wenn  wir  uns  in  der 
heutigen  Schöpfung  nach  Bedingungen  umsehen,  welche  denen  der 
Pampasablagerungen  entsprechen  könnten,  so  finden  wir  lediglich  die 
von  Azora  labiata  bewohnten  Binnenseen,  welche  eine  gleiche  Ar* 
mut  an  Tierleben  aufweisen.  Es  ist  dabei  auch  zu  beachten,  dafe 
die  Azara  labiata  eine  ziemlich  feine  zerbrechliche  Schale  hat,  die 
sich  nur  da  leicht  erhalten  wird,  wo  gröfsere  Anhftnfiingen  derselben 
sich  vorrtnden.  Burmeister  macht  darauf  aufmerksam,  dafs  die 
Azara  im  Alluvium  Argentiniens  meist  nesterweise  massenhaft  auf- 
tritt. Dem  steht  die  in  Hio  Grande  gemnchte  Fjiuhrung  zur  Seite, 
dafs  an  bestimmten  Stellen,  wie  z.  B.  der  i'uuta  alegra  in  der  Lagoa 
mirim  sich  diese  Muschelschalen  in  enormen  Massen  anhäufen  — 
jedenfalls  ein  Ausdruck  der  herrschenden  Wind-  und  Strömungs- 
verhnltnisse  in  Verbindung  mit  lokalen  Geätaltaugsverbaltnisseu  des 
Ufers. 

Die  Ufer  des  Canals  do  Norte  sind  absolut  konchylienleer.  auch 
das  Schleppnetz  bringt  nur  si)arlichste  Keste  weniger  .\zara>  oder 
Solecurtus  zu  Tage.  lUd  selbst  sehr  viel  weiter  landeinwärts  tindet 
man  an  der  Lagoa  dos  l'atos  nur  die  beiden  früher  erwähnten 
kleinen  Mollusken,  wfthrend  doch  Küste  wie  Flufs  (Guahyba)  so  reich 
entfaltetes  Tierleben,  auch  an  Mollusken  aufweisen.  Wir  sehen  also, 
wie  der  öftere  W'echsel  im  Sflfs-  und  Salzwasser  der  Entfaltung  des 
Tierlebens  hinderlich  ist  und  dieses  fast  gänzlich  austilgt,  wo  voll- 
salziges  Meerwasser  und  Süfswasser  abwechselnd  sich  verdrängen. 


.  Kj      L  y  Google 


201  — 


'Wefxn  äbnliche  Verhältnisse  auch  in  den  Pampas  bestanden,  so  ist 
uns  nicht  nnr  das  Vorkommen  der  Azara  labiata  weit  stromaufwärts 

erklärt  —  und  man  braucht  kein  Prophet  zu  sein,  um  den  künf- 
tigen Nachweis  eines  viel  weiteren  Verbreitungs^^ebietes  der  Azara 
für  Argentinien  vorauszusajjeu  —  sondern  auch  der  anderweite 
Manizel  an  Konchylien.  Burnieister  hält  Azara  labiata  für  hezoich- 
nend  für  das  Alluvium,  Es  wäre  aber  immerhin  möglich,  dafs  man 
sie  auch  noch  im  Diluvium  aufhndet.  Wenn  aber  zur  Diluvialzeit 
die  Pampas  unter  Wasser  waren,  sei  es  von  einem  vielbuchtigen 
grofsen  Binnensee  eingenommen,  sei  es  von  einem  zusammenhängen- 
den Systeme  von  Seen,  so  ist  jedenfalls  der  Eingang  in  das  Riesen- 
ftstnar  ein  sehr  viel  weiterer  gewesen  als  etwa  bei  Rio  Grande  im 
Verhältnisse'  zur  Lagoa.  Je  offener  aber  der  Zugang  vom  Meere 
her  war,  um  so  weiter  hinein  miifstcn  Wind  und  Strömung  ihren 
Einflufs  geltend  machen.  Da  aulserdem  die  Tiefe  dieses  Beckens 
keine  bedeutende  sein  konnte,  dasselbe  also  bei  enormer  Ausdehnung 
eine  relativ  sehr  beträchtliche  VerdunstungsHäche  besafs,  so  müssen 
sich  dieselben  Vorgäni^e  wiederholt  haben,  die  wir  von  der  Lagoa 
dos  Patos  kennen  lernten  —  Uberwiegen  des  Süfswassers  zur  nassen 
Jahreszeit,  Vordringen  des  Salzwassers,  wenn  bei  Regenmangel  und 
starker  Verdunstung  das  Niveau  der  Binnenseen  sank. 

Über  die  Konfii^uration  dieser  Seen  wird  man  sich  keine  klare 
Vorstellung  machen  können,  so  lange  nicht  mehr  Detailstudien  und 
zumal  genaue  Höhenkarten  vorliegen.  Auf  der  genauesten  mir  zur 
Zeit  vorliegenden  Karte  von  Argentinien  ist  die  südlichste  Partie 
der  bierras  das  pampas,  die  Sierra  de  Ventana,  durch  eine  Kette 
niederer  Erhebuniren  und  Berge  (cerros)  mit  den  Ausläufern  der 
Sierra  de  Cordoba  verbunden.  Damit  wäre  eine  wenn  auch  vielleicht 
mehrfach  durchbrochene  Brücke  gegeben  zwischen  den  südlichen 
Gebirgszügen  der  Pampas  und  den  centralen,  durch  welche  ein 
kleines  südliches  und  ein  gröberes  nördliches  Becken  geschieden 
worden  wären.  Wenn  auch  diese  Becken  durch  den  weiten  Zusam- 
menhang mit  dem  Meere  zum  Teil  mehr  goltaitig  erscheinen  mufs- 
ten,  so  bedingte  doch  die  geringe  Tiefe  des  Wassers  und  das  be- 
ständige Nachdrängen  enormer  Mengen  von  Süfswasser  einen  über- 
aus wechselvollen  Zustand  in  der  chemischen  Zusammensetzung  des 
Wassers  und  eben  dieser  Umstand  ist  es,  der  die  Armut  an  Tier- 
leben erklart.  Die  Leichen  der  diluvialen  Sauger  sind  ja  ohne 
Zweifel  zumeist  angeschwemmt.  Man  hat  sich  aber  keineswegs  vor- 
zustellen, dab  sie  von  den  Anden  und  dem  Hochlande  Boliviens  her- 


*^  Von  A.  de  Seelstraag  y  A  Toiurmeiite.  Boenos-AiiM  1876. 

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—  202  — 


gekommen  seien,  da  auch  die  central-  und  südargentinischen  Sierras, 
die  Cnchilla  j?rande  und  die  Ausläufer  der  brasilianischen  Serra  geral 
zahlreiche  Wohnp^ebiete  für  diese  ausgestorbenen  Sauger  mflssen 
dargeboten  haben.  Das  ganze  Terrain  wird  ja,  zumal  in  der  Nfthe 
der  Gebirgszüge  und  ihrer  Auslaufer,  sehr  mannigfaltig  im  Wechsel 
von  Buchten,  Inseln,  sumpfigen  Niederungen  u.  a.  gewesen  «sein.  Es 
ist  daher  auch  verst&adlich,  wie  manche  Individuen  am  Orte  selbst 
konnten  im  Schlamme  eingebettet  bleiben,  wo  sie  ertranken.  Bwr- 
meister  hat  ohne  Zweifel  hierin  Recht,  wenn  er  darauf  besteht, 
dafs  nicht  alle  Leichen  von  weither  angetrieben  sein  konnten.  Darauf 
weist  ja  unter  anderem  der  von  Bwmimtiter^  urgierte  Fall  hin, 
wo  die  ganzen  Skelette  von  zwei  Mylodon  gracilis,  einem  alten  Tiere 
mit  seinem  Jungen  nahe  bei  einander  w<Alerhatten  aufgefunden 
wurden. 

Hierin  wie  in  vielen  andren  Punkten,  wie  z.  B.  der  Auffassung 
der  Salinas  als  ehemaliger  Süfswusserbecken  schliefse  ich  mich  ganz 
der  AuffuiSöiing  Burmeisters  an,  stimme  ja  auch  darin  mit  ihm 
übereiü,  dafs  ein  grofser  Teil  des  Pampasdiluvium  aus  Süfswasser 
beziehungsweise  Brack-  und  Wechselwasser  mufs  abgelagert  sein. 
Auch  Burmeisters  Auflassung  von  der  Beteiligung  lokaler  Über- 
schwemmungen infolge  heftiger  Regengüsse  wird  man  für  Fälle 
wie  den  oben  geschilderten  und  in  Verbindung  mit  Flufsansrhwem- 
mungeu  für  die  Gebirge  und  Hochplateaus  als  wesentliches  Moment 
bei  der  Bildung  des  Diluviums  anerkennen  müssen.  Wenn  dagegen 
Burmeister  diesem  Faktor  eine  noch  viel  weiter  gehende  Be- 
deutung beimiÜBt,  und  gegen  die  Annahme  von  der  Bildung  der 
Pampas  der  argentinischen  Ebene  in  stehendem  und  fliefsendem  Wasser 
zumal  den  Mangel  an  Sfllswasserkonchylien  geltend  madit,  so  ist  diese 
Schwierigkeit  durch  die  hier  niedergelegten  faunistischen  Studien 
aus  dem  Wege  gerAumt  Es  giebt  in  der  That,  wenn  wir  uns  hier 
speziell  an  die  VerhAltnisse  des  aufiBertropischen  Sfldamerlkas  halten, 
kein  so  tierarmes  Wasser  als  das  zwischen  Flufs  und  Ästuar 
eingeschobene  Seebeeken.  Wenn  die  auffallende  fast  bis  zum  ab* 
soluten  Mangel  gesteigerte  Armut  des  Pampasdiluvium  bisher  alle 
Beobachter  frapi)iert  und  zu  den  verschiedenartigsten  und  gewag- 
testen Hypothesen  verleitet  hat,  so  erscheint  sie  bei  der  hier  be- 
gründeten Auffassung  nur  als  eine  notwendige  Folge  der  ungün- 
stigen Bedingungen,  welche  allem  Tierleben  iu  solchen  Wasserbecken 
geboten  sind,  in  welchem  süfses  und  salziges  Wasser  infolge  ge- 
ringer Niveaudiiferenz  leicht  und  vielfach  um  die  Herrschaft  ringen. 


"»)  1.  c.  p.  190. 


—  203  — 

,  Unter  solchen  Umständen  wird  man  in  den  westlichen  Teilen  der 
Paapas  ein  Oberwiegen  des  Sülswassers,  in  den  Östlichen  dasjenige 
des  Brack-  nnd  Meerwassers  in  den  seltenen  Funden  ausgedruckt  za 

finden  erwarten  dürfen.  In  der  That  ist  auch  in  der  Tosca  des  Dilu- 
viums bei  Buenos-Aires  eine  fossile  Koralle  gefunden  worden  und 
Burmeister  weist  auf  andere  ähnliche  Funde  bin.  Solche  Stücke 
können  übrigens  auch  durch  die  Wogen  viel  weiter  landeinwärts 
getrieben  werden,  wie  z.  B.  das,  was  ich  eben  über  die  Seekonchylien 
an  der  Barre  sagte,  beweist. 

Indem  ich  hiermit  diese  Mitteilungen  abschliefse,  gebe  ich 
mich  der  Hoffnung  hin,  dafs  das  Interesse,  welches  sich  für  mich  an 
die  physischen  und  faunistischen  Verhältnisse  der  grö&ten  brasi- 
lianischen Binnenseen  und  an  die  Erforschung  ihrer  ehemaligen 
gröfseren  Ausdehnung  knüpft,  auch  bei  anderen  durch  diese  Ab- 
handlung erregt  werde,  und  dafs  dieselben  zumal  auch  die  vielen 
Freunde  geologischer  Forschung,  welche  in  dieser  Provinz  leben,  zur 
Beobachtung  und  Mitteilung  einschlägiger  Thatsachea  anregen 
möchten. 

Die  angefügte  Karte  hebt  die  Ausdehnung  des  Meeres  zu  Be- 
ginn der  Alluvialzeit  durch  punktierten  Thon  hervor.  Die  Grenzen 
lassen  sich  bis  jetzt  nur  für  die  Lagoa  dos  Patos  genauer  angeben, 
wogegen  die  Ausdehnung  der  Lagoa  do  Jacnhy  und  mehr  noch  der 
Lagoa  de  Jaguai^  sich  nur  aus  den  topograplyschen  Yerhftltnissen 
ersehlfo&en  lassen. 

Bm  Grande,  20.  Januar  1885. 


Der  fünfte  Deutsche  Geographentag 

in  flanbirg. 


Über  den  5.  Deutschen  Geographentag,  welcher  in  der  Oster- 
woche,  vom  9.  bis  11.  April,  in  Hamburjx  stattfand,  sind  bereits 
eine  Reihe  mehr  oder  weniger  ausführlicher  lierichte  sowohl  durch 
die  Zeitungen  als  durch  Fachblätter  veröffentlicht  worden.  Um  nun 
nicht  zu  wiederholen,  beschränken  wir  uns  auf  die  folgenden  Be- 
merkungen. Die  Beteiligung  an  dem  Geographentage  war  eine  zahl- 
reidiere,  als  auf  irgend  einer  der  froheren  Versammlungen,  was 
hauptsächlich  der  regen  Teilnahme  der  Hamburger  Eanfinannschaft 
ZQ  verdanken  war.  In  der  Scblufesitzung  wurde  die  Zahl  der  Teil- 
nehmer zu  604:  augegeben;  die  betreffenden  Rahlen  der  früheren 

*•)  1.  e.  p.  3». 

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204 


Geographentage  sind:  Berlin  (1881)  70;  Halle  (1882)  434;  Frank- 
fort  a.  M.  (1883)  504;  München  (1884)  346.  Die  von  dem  Ham- 
burger Komitee  sowohl  für  die  Verhandlnngen  als  ftlr  die  Ansstelliuig 
getroffenen  Vorbereitangen  waren  trefflich,  ja,  was  die  Vortrage  betrift, 
so  hatte  das  Komitee,  vielleicht  in  der  Besorgnis,  dafe  dieser  oder  jener 
Redner  im  letzten  Moment  plötzlich  Verhinderung  bekommen  möchte, 
des  Guten  fast  zu  viel  gethan.    Man  hat  beklagt,  dafs,  um  die  an- 
gekündigten Vorträge  auch  sämtlich  zur  Geltung  kommen  zu  lassen, 
keine  Zeit  zu  Diskussionen  gelassen  worden  sei,  während  eine  Be- 
leuchtung einzelner  in  den  Vortragen  behandelter  Themata,  wie 
z.  B.  der  Mitteilungen  des  Dr.  Fischer  über  die  Idimatischen  Ver- 
hftltuisse  Afrikas   in  bezug  auf  die  Verwendung  überschüssiger 
deutscher  Arbeitskr&fte,  von  einem  anderen  Standpunkte,  als  es  der 
von  dem  Vortragenden  eingenommene  ist,  im  hohen  Grade  wünschens- 
wert gewesen  wäre.  Das  mag  seine  Berechtigung  haben,  allehi  die  Ge- 
legenheit zur  Diskussion  wurde  stets  von  dem  Präsidenten  geboten, 
dieselbe  wurde  eben  nur  selten  benutzt.  Für  die  Zukunft  möchten  wir, 
um  eine  vielseiti^^e  Beleuchtung  des  von  einem  Redner  behandelten 
Themas  durch  Diskussion  zu   erleichtern,  das  Verfahren  empfehlen, 
welches  in  der  geograiihi sehen  Gesellschaft  in  London  üblich  ist.  Dort 
werden  nämlich,  wenn  ein  wichtiges  Thema  zur  Ei'örterung  vorliegt, 
von  dem  Vortragenden  verfafisto  kurze  Auszüge  aus  dem  von  ihm 
zu  haltenden  Vortrage  vorher  gedruckt  an  alle  diejenigen  Mit- 
glieder verteilt,  bei  denen  eine  besondere  Kenntnis  odef  ein  Interesse 
an  dem  Gegenstande  vorausgesetzt  wird.  So  hat  auch  die  Gegenrede 
in  gewissem  Mafse  Gelegenheit  zur  Vorbereitung  und  die  Geltend- 
machung verschiedener  Gesichtspunkte  ist  mehr  gesichert   £s  ist 
in  der  That  wohl  nur  wenigen  möglich,   einem  sorgfaltig  aus- 
gearbeiteten Vortrag  über  ein  mit  Vorliebe  nach  allen  ilichtnngen 
durchforschtes  Gebiet  so  auf  der  Stelle  gegenüber  zu  treten,  wenn 
man  nicht  einige  Zeit  vorher  wenigstens  in  den  Gedankengang  des 
Redners  eingeweiht,  ist  und  sich  das,  was  sich  etwa,  vielleicht  nach 
Einsicht  von  mancherlei  litterarischem  Material,  dagegen  oder  dazu 
sagen  läfst,  hat  zurechtlegen  köunen.  Bei  groCsen  Fragen  empfiehlt 
sich  dieses  Verfahren  gewifs.  Man  kann  derartige  Diskussionen  nicht 
mit  politischen  Debatten  auf  eine  Stufe  stellen,  denn  in  letzteren 
sind  die  Vorlagen,  um  die  es  sich  handelt,  jedem'  Teilnehmer  ge- 
läutig; es  handelt  sich  da  teils  um  Details,  teils  um  die  Geltend- 
machung verschiedener  i)o]itischer  Prinzipien.    Dem  Vortragenden 
würde  mit  solcliem  Vei'fahren  nicht  zu  nahe  geschehen,  vermöge 
der  ihm  beiwohnenden  Sachkenntnis  wird  er  immer  im  stände  sein, 
seine  Meinung  auch  in  der  Diskussion  wirksam  zu  vertreten  und 


—  206  — 

die  ganze  Verhandlung  gewinnt  für  die  Teilnehmer  bedeutend  an 
Interesse. 

An  den  drei  VersammlunErstagen,  9.  bis  11.  April,  wurden  21 
Vorträge  gehalten,  nur  ein  Gegenstand  veranlafste  eine  ausführliche 
Diskussion,  die  deutsche  Landeskunde,  und  wurde  die  bisherige 
Thätigkeit  der  vom  Geographeotage  für  diese  Angelegenheit  ins 
Leben  gentfsnen  Kommission  von  der  einen  Seite  lebhaft  kritisiert, 
Ton  der  and^  warm  verteidigt»  Wir  haben  mehrfach  Gelegenheit 
gehabt,  der  Tbfttigkeit  dieser  Kommission,  sowie  ihrer  jetzt  in  zwei 
Hefken  vorliegenden  Pablikationen  ^znr  deutschen  Landes-  und  Volks- 
kunde" zu  gedenkeu;  die  Konmiissiou  wurde  neu  .s^ewillilt  und  wird 
sicher  unter  Beachtung  der  gemachten  Aussetzungen  —  soweit 
solche  berechtigt  —  eine  fernere  erspriefsliche  Thätigkeit  auf 
diesem  für  die  geographische  Wissenschaft  so  bedeutungsvollen  Ge- 
biete entfalten. 

Die  Wahl  der  Themata  der  Vorträge  war,  so  schien  es  uns, 
eine  recht  glttckliche;  im  Vordergrand  stand  neben  der  Polarforschung 
Afrika,  dem  vier  Vortr&ge  gewidmet  waren,  zwei  dieser  Yortrftge 
worden  von  Kanfleuten  gehalten  und  betrafen,  wie  der  dritte,  kolo- 
nisatorisebennd  kommerzielle  Fragen  und  Thatsachen,  in  das  Gebiet 
der  Handelsgeographie  fiel  die  Berichterstattung  Ober  den  Panama- 
kanal, von  Entdeckungsreisen  hörten  wir  die  trefflichen  Referate  von 
Dr.  Boas,  Dr.  v.  d.  Steinen  und  Dr.  Claufs;  die  Ethnologie  und  die 
historische  Geographie  waren  durch  die  Vortrage  von  Strebel 
(Mexikanische  Altertümer)  und  Dr.  Michow  (über  die  iiltore  Geo- 
graphie von  Rufsland)  vertreten.  Es  ist  ja  ganz  natürlich  und  ge- 
rechtfertigt, dafs,  da  auf  eine  gröfsere  Anzahl  Ortsbewohner  als 
Teilnehmer  gerechnet  werden  mnfe,  der  Charakter  des  Orts,  hier 
der  ersten  deutscbeo  Seehandelsstadt,  mit  entscheidend  sein  mnfs  für 
die  Wahl  der  zu  behandelnden  Gegenstände.  Darum  mofete  auch 
die  auf  froheren  Tagen  sehr  bevorzugte  Schulgeographie  in  Hamburg 
znrttoktreten. 

Von  den  Vorträgen  besprechen  wir  nur  zwei  iiiemata  aus- 
führlicher, für  alle  anderen,  namentlich  die  so  hochwichtigen  Afrika- 
vorträgp  müssen  wir  auf  den  gegenwartig  in  der  Vorbereitung  be- 
griffenen amtlichen  Bericht  über  den  5.  Deutschen  Geographentag 
verweisen. 

Das  erste  Thema:  die  antarktische  Forschung,  ihre  Notwendigkeit 
und  Durchführbarkeit,  wurde  durch  einen  sehr  eingehenden  Vortrag 
des  Geheimen  Bats  Professor  Dr.  Neumaiferi  des  Direktors  der 
Seewarte  des  deutschen  Reichs,  eingeleitet  Der  Bedner  erinnerte 
zunächst  an  das  grosse  Werk  der  internationalen  Polarforscfanng, 


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—  206  — 

welches  jetzt,  wenigstens  bezüglich  Deutschlands,  seinem  Abschhisse 
durch  Veröffentlichung  der  Ergebnisse  der  Beobachtungen  nahe  ist. 
Bereits  auf  dem  vorigjährigen  Geographentage   zu  München  hat 
Badner,  getreu  einer  langjährigen  durch  Rede  und  Schrift  betrie- 
benen  Agitation,  die  Notwendigkeit  der  antarktischen  Forschung  be* 
tont  und  der  Geographentag  enuuinte  ein  Komitee  für  Betreibang 
der  Angelegenheit,  als  dessen  Beriditerststter  nnn  Professor  Nea* 
mayer  erseldea.  Redaer  wies  zonSchst  auf  die  grefo  rftimdlche 
Ausdehnung  des  nnbekannteii  Gebiets  am  Sttdpol  hin.    IHe  geogra- 
phische Forschung  würde  namentlich  an  die  Ergebnisse  der  Reise 
des  amerikanischen  Robbenfangers  Morell  anzuknüpfen  haben,  welcher, 
nächst  Wedell,  am  weitesten  gegen  den  Südpol  hin  vorgedrungen  zu 
sein  scheint.    Die  erdphysikalische  Forschung  habe,  wie  naher  nach- 
gewiesen wurde,  in  den  unbekannten  Südpolargegenden  jedenfalls 
reiche  Früchte  zu  erwarten,  ebenso  die  Meteorologie,  die  Klima- 
tologie,  die  Hydrographie.  Schliefslich  besprach  der  Redner  die  Art 
und  Weise,  wie  er  sich  die  Ausführung  einer  Südpolarezpeditioa 
durch  einen  gedgneten  Dampfer  und  der  Etsmeeriiahrt  kundige 
deutsdie  Seelente  denke.  (Karten  und  die  Zeichnung  eines  Dampfers 
illustrierten  den  Vortrag.)  Professor  RaM  aus  Mflnchea  kommt, 
indem  er  die  Bedeutung  und  die  zu  erwartenden  Ergebnisse  der 
antarktischen  Forschüug  uoch  weiter  beleuchtet,  zu  der  Behauptung, 
dafs  die  Wissenschaft  sich  in  bezug  auf  das  Südpolargebiet  bisher 
in  einem  grofsen  Notstand  befand,  dem  im  Interesse  nicht  blos  der 
Geographie  abgeholfen  werden  müsse.    Er  hebt  namentlich  hervor, 
dafs  eine  erfolgreiche  Südpolarforschung  uns  die  wissenschaftlich  so 
wichtigen  Vergleichungsmomente  gegenüber  den  Resultaten  der  bisher 
Torzugsweise  betriebenen  Nordpolarforscbung  liefern  werde.  Dr. 
jUbreM  Fendk  ans  MOnehen  -zeigte  in  längerem  Vortrage,  welche  I 
wichtigen  Resultate  die  Polarfersdiung  schon  bisher  für  das  Tier^  I 
und  Pflansenlehen  und  für  die  Klimata  der  Erde  in  Mheren  Perio-  i 
den  geliefert  habe  und  wie  eine  Erforschung  der  Antarktis  die  in 
dieser  Richtung  gewonnenen  Resultate  sicher  bereichern  werde.  | 
Als  letzter  Referent  in  der  Angelegenheit  trat  Professor  Peters  . 
(Kiel)  auf.    Er   vertrat  das  Interesse  der   mathematischen  Geo- 
graphie,  indem  er  unter  übersichtlicher  Darlegung  der  seit  dem 
17.  Jahrhundert  begonnenen  Gradmessungsarbeiten  hervorhob,  dafe  ' 
durch    Anstellung   von  Pendelbeobachtungen  in  jenen  Regionen  I 
ein  neuer  wichtiger  Beitrag  zur  Feststellung  der  Gestalt  der  Erde 
geliefert  werden  dürfte.    Somit  wurde  der  Gegenstand  vielseitig 
und  von  berufenen  Kriften  beleuchtet    Ein  BeschluDi,  der  etws 
Schritte  zur  AusfShrung  einer  deutschen  Sadpcdarezpedition  bitte 

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—  207  — 


einleiten  können,  wurde  nicht  gefafst.  Es  war  dies  gewifs  gerecht- 
fertigt, da  eben  bedeutende  Mittel  erforderlich  und  die  Aussichten 
zur  Beschaffung  solcher  zur  Zeit  wohl  sehr  ^rerinj^  sind.  Mehr  und 
mehr  tritt  jetzt  bei  den  geographischen  Forschungsreisen  die  kolo- 
nisatorische und  kommerzielle  Seite  in  den  Vordergrund,  indes  kaoo 
man  mit  Sicherheit  erwarten,  dafs  die  rein  wissenschaftliche  Seite 
der  geographischen  Forschung  Uber  kurz  odor  lang  wieder  zu  ihrem 
Bechte  kommen  und  der  Znsammenhang,  wie  die  Kackwhrkung  der- 
selben auf  das  gesamte  wirtschaftliche  und  Kulturleben  mehr  und 
mehr  erkannt  werden  wird.  In  dieser  Erwägung  wird  es  ratsam 
sein,  dafe  der  Geographentag  von  Zeit  zu  Zeit  Von  neuem  seine 
Stimme  zu  Gunsten  der  Südpularer forsch ung  erhebe;  schliefslich  wird 
der  Erfolg  nicht  ausbleiben. 

Über  ein  anderes  der  Vortragsthemata  möchten  wir  wegen 
seiner  grofsen  Bedeutung  für  Handel  und  Schiffahrt  hier  noch  etwas 
näher  referieren,  es  ist  der  PanamakanaL  Das  den  iuternatioualen 
Seeverkehr  neue  Bahnen  eröffnende  Unternehmen  wurde  vom  kauf- 
mannischen  (Kaufmann  JBggeH  aus  Hamburg)  und  vom  technischen 
Gesichtspunkt  (Baumeister  J^e^  aus  Kassel)  beleuchtet  Den  letz- 
teren Mitteilungen  war  folgendes  zu  entnehmen. 

Die  Gesdiichte  der  Entwürfe  zur  Durchstechnng  der  Dariscfaen 
Landenge  reicht  in  die  Zeit  der  Entdeckung  Amerikas  zurück. 

Lesseps  war  es  vorbehalten,  den  oft  projektierten  Kanalbau  als 
offenen  Durchstich  ohne  Schleusen  in  Anj^^ift'  zu  nehmen.  Die  tech- 
nischen Schwierigkeiten,  die  Kosten  und  Zeitdauer  der  grofsen  Unter- 
nehmung wurden  ina  Anfang  unterschätzt.  Der  Entwurf  von  Wyse, 
die  Lioie  Panama-Limonbai,  erhielt  unter  13  anderen  den  Vorzug. 
Die  Lange  des  Kanals  ist  75  km,  die  Breite  22-^  m,  die  Tiefe 
8  m;  stellenweise  findet  eine  Erweiterung  statt  Die  gröfste 
Schwierigkeit  bildet  die  Durchbrediung  der  vulkanischen  Cerros; 
120  Millionen  Kubikmeter  sind  zu  bewegen,  davon  ist  nur  weiches  Ma- 
terial. Die  Arbeiten  sind  in  drei  Sektioiien  im  vollem  Gange  und  reidien 
die  33  Hauptbauplätze  schon  jetzt  vom  Atlantischen  bis  zum  Grofsen 
Ocean.  Zur  Durchbrechung  des  Gebirges  wird  Dynamit  verwendet, 
der  atlantische  Hafen  ist  fertig,  der  am  Grofsen  Ozean  begonnen. 
Eine  Niveaudifferenz  besteht  nicht,  doch  ist  die  Flutwelle  im  Stillen 
Ocean  bedeutender  als  im  Atiantischeu.  Der  Leiter  der  Kanalbauten 
ist  bekanntlich  ein  Deutscher,  Dingler.  An  Arbeitern  ist  bei  der 
hohen  Löhnung,  8 — 10  FikB,  täglich,  kein  Mangel ;  der  Hauptstamm 
derselben  sind  Farbige  aus  den  AntiUen.  Die  Vollendung  Ende  1888 
ist  nicht  unwahrscheinlich,  wenn  nicht  auiserordentliche  Ereignisse 
hemmend  dazwischen  treten.  Soweit  der  Techniker.  Weuiger  gOnstig 


—  208  — 

war  das  Prognostiken,  welches  Herr  Eggert  der  wirtschaftliclieD 
Seite  des  grofsen  Untemebmens  stellte.  Nach  Vollendung  des  Kanals 

tritt  Kalifornien  in  einen  direkten  Schiffsverkehr  mit  Enropa,  der 
um  die  Hälfte  kürzer  ist  als  der  bisherige  um  Kap  Horn.  Jetzt 
betrage  die  Ausfuhr  Kaliforniens  zur  See  nach  Europa,  hauptsachlich 
Weizen,  400  Schiffsladungen,  nur  2  pCt.  sind  Dampfer.  Der  Ver- 
kehr mit  den  nördlichen  Staaten  Südamerikas  an  der  pacifischen 
Seite  werde  nur  bei  Einführung  friedlicher  Zustände  in  jenen  Repu- 
bliken sich  aufschwingen,  Chile  dagegen  könne  vermöge  seiner  süd- 
lichen Lage  nicht  viel  Vorteil  gegenüber  dem  bisherigen  Wege  durdi 
die  Magellanstrafee  gewinnen.  Ferner  kommen  die  SQdseeinseflii, 
China  und  Japan  in  Betracht  Dieser  Verkehr  umf&fst  jetzt  2440 
Schiffe  von  2380000  Reg-Tons  Tragfähigkeit,  darunter  verhaltnis- 
mäfsig  wenige  Dampfer.  Sicher  werden  in  Zukunft  die  Frachtdampfer 
auch  auf  dieser  neuen  grofsen  Weltverkehrsstrafse  das  Segelschiff 
verdrängen.  Nach  Mafsgabo  der  Entwickelung,  welche  der  Verkehr 
zwischen  Kuropa  einerseits  und  Indien,  dem  asiatischen  Osten  und 
Ostafrika  andrerseits  durch  den  Suezkanal  gewonnen  habe,  sei  zu 
erwarten,  dafs  '^/s  des  obigen  Verkehrs,  also  nur  etwa  1500  QUO 
Reg.-Tons,  die  Panamawasserstrafee  einschlagen  werden.  Immerhin 
sei  das  Unternehmen  von  der  weitgehendsten  Bedeutung  fttr  den 
internationalen  Verkehr.  Auf  Grund  vielfacher  eigener  Anschauung 
glaubt  Redner  übrigeus  nichts  dafs  die  jetzige  oberste  Bauleitung 
durch  Lesseps  die  enormen  Bauschwierigkeiten  richtig  schätse,  Klima 
und  Boden  seien  weit  ungünstiger  als  im  Terrain  des  Suezkanals. 
Der  Redner  madite  diese  liemerkungen  auf  (irund  der  von  ilim  an 
Ort  und  Stelle  in  Mittelunierika  erlangten  Einsichten  und  Kenntnisse; 
immerhin  sollte  man  meinen,  dafs  aucli  für  Chile  trotz  seiner  Abge- 
legenheit  der  Kaualweg  vor  der  oft  gefährlichen  und  stürmischen, 
jedenfalls  zeitraubenden  Fahrt  durch  die  Magellanstrafse  den  Vorzug 
um  so  mehr  gewinnen  werde,  als  das  bis  jetzt  völlig  unproduktive, 
fast  nur  von  Wilden  bewohnte  Patagonien  keine  Gelegenheit  zum 
Zwischenverkehr  bietet 

Wenn  wir  uns  nun  zuletzt  zu  der  so  reichen,  vielseitig 
interessanten  Ausstellung  wenden,  so  sehen  wir  uns  auch  hier  nur 
auf  die  Wiedergabe  eines  allgemeinen  Eindrucks  beschränkt:  wer 
die  Versammlungen  nicht  versäumen  wollte,  dem  blieben  für  die 
Besichtigung  tler  Ausstellung  nur  die  frühen  Morgenstunden  und 
die  Zwischenpausen  der  Verhandlungen ;  die  letzteren  wurden  aber, 
wie  billig,  der  Erholung,  I  nterhaltung  und  dem  Frühstück  geweiht. 
Das  Neue  und  Charakteristische  dieser  Ausstellung,  im  Vergleich- 
zu  früheren^  waren  die  WelUutndelsprodukte,  die  völkerkundlichen 


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—  209  — 

Objekte  und  die  Ausrüstungsgegenatäude  für  wissenschaftliche  Keiseu. 
Dank  der  aiifserordentlichen  Vielseitigkeit  des  Hamburger  See- 
handels,  dem  fintgegeDkommeii  der  grofsen  Importhäuser,  der  Be- 
reitwilligkeit zur  Darleihung  geeigneter  Sachen,  sowohl  seitens  der 
groCsen  wissenschaftlichen  Sammlungen  (naturhistorisches  Museum, 
Museum  Godefroy,  Museum  für  Völkerkunde,  botanisches  Museum), 
wie  seitens  einzelner  patriotischer  Bürger,  war  hier  in  kurzer  Zeit 
ein  Handelsmuseuiii  in  einer  Vollständigkeit  und  instruktiven  An- 
ordnung zu  Stande  gekommen,  wie  die  eifrigsten  Bemühungen  in 
irgend  einer  anderen  deiitsclien  Stadt  es  in  vielen  Jahren  nicht 
würden  schaffen  können.  Nur  hinweisen  wollen  wir  beispielsweise 
auf  das  asiatische  und  afrikanische  Elfenbein  und  die  sibirischen 
Mammutzähne,  geordnet  nach  Qualitäten  und  Bezugsländern,  roh, 
halb  bearbeitet  und  in  Schmuckgegenstände  der  verschiedensten  Art 
verwandelt,  auf  die  Färb-  und  Gerbstoffe,  Faserstoffe,  Droguen,  die 
Harze,  ÖlMchte,  Erze,  die  besondere  Kollektion  westafnkanischer 
Handelsprodukte,  auf  die  dazu  gehdrenden  Tabellen  und  Karten, 
femer  auf  die  einzelnen  unter  „Reiseausrüstung"  begriffenen  Ab- 
teilungen: Bekleidung,  Lagereinriclitung  und  sonstiges  Gepäck, 
Proviant,  Arzneien  und  Verbandmittel,  Bewaffnung,  Instrumente 
und  Saninielapj)arate,  Geldarten  untl  Tauschmittel,  endlich  die 
Transportmittel ;  wir  konnten  uns  hier  überzeugen,  dals  der  wissen- 
schaftliche Reisende  seine  Ausrüstung  jetzt  nicht  mehr  wie  früher 
in  Paris  oder  London  zu  beschaffen  braucht,  sondern  bei  der  Ham- 
burger Industrie  alle  nur  denkbar  erforderlichen  Gegenstande  in 
bester  Qualität  und  reichster  Auswahl  findet,  ein  wesentlicher  Vor- 
tdl  auch  für  den  deutschen  Geschäftsmann,  der  überseeische  Lftnder 
zu  kürzerem  oder  l&ngerem  Aufenthalt  aufsucht.  Recht  bedeutend 
war  auch  die  ethnologische  Abteilung;  hier  war  namentlich  die 
Völkerkunde  von  Ost-  und  Westafrika,  Mexiko,  Persien,  Australien, 
Ceylon  und  verschiedener  Südsee-lnselgruppou  durch  ganze  Kollek- 
tionen vertreten. 

Was  die  Abteilung  „Bücher,  Karten  und  Verwandtes"  betrifft, 
SO  war  wohl,  dmxh  die  nach  Schhifs  des  Geographentages  noch  eine 
ganze  Woche  hindurch  fortgesetzte  Dauer  der  Ausstellung,  den  in 
Hamburg  wohnenden  Herren  Gelegenheit  zu  einem  näheren  Studium 
gegeben,  die  meisten  auswärtigen  Herren  werden  sich,  wie  Yer- 
fesser,  mit  einer  allgemeinen  Umschau  in  dieser  so  reichhaltigen 
Abteilung  haben  begnügen  mttssen.  So  bemerken  wir  nur,  dals 
nächst  den  letztjahrigen  Publikationen  der  deutschen  geographischen 
Anstalten  diese  Abteilung  eine  höchst  wertvolle  Sammluiig  von 
Karten  der  Nordsee  und  ihrer  Küstenländer,  von  der  ältesten 


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(Nürnberß:er)  Publikation  von  1493  an,  bis  auf  die  neueste  Zeit, 
Karten,  Plaue,  Ktliefs  von  Hamburg  und  der  ünterelbe,  ferner  die 
geographiscben  Publikationen  Hamburgs,  von  des  ehrsamen  Ham- 
burger Schiifsbarbiers  Martens  Spitzbergenscher  Reisebeschreibong 
(1675)  bis  auf  die  neuesten  Afrikakarten  der  kartographischen 
Anstalt  Ton  Fdederichsen  und  die  Veröffentlichungen  der  Reich»- 
Seewarte  enthielt.  Wenn  wir  schlieCslich  erwähnen,  dals  diese 
Kartenabteilung  im  Katalog  745  Nummern  s&hlte,  so  wird  man  sii^ 
▼on  der  Reichhaltigkeit  des  hier  aus  Vergangenheit  und  Gegenwart 
Gebotenen  eine  Vorstellung  inaclien  können.  Der  „Bericht  über 
den  5.  Geograpbentag"  wird  ohne  Zweifel  auch  die  Ausstellung  ein- 
gehend würdigen.  Erwähnen  wollen  wir  nur  noch  für  die  Mit- 
glieder unserer  Gesellschaft  folgende  aus  Bremen  eingesandte 
Karten:  1.  Von  der  Bremer  Stadtbibliothek:  J.  Ziegler,  Quae  intus 
continentur  Syria,  Palaestina,  Arabia,  Aegyptus,  Schondia,  Holmiae 
excidii  historia,  Argentor.  apud  P.  Opilionem,  1532.  NobiUs  Saxoniae 
fL  visurgls  cum  terris  a^jacentibus  ab  inclyta  Brema  ad  ostinm 
maris  J.  Janasonius,  ca.  1660.  2.  Aus  dem  hiesigen  Staatsarchiv: 
Karte  der  Weser  von  Bremen  bis  sum  Meere.  M.  S.  d.  17.  Jahr- 
hunderts, Plan  de  1a  Jahde  et  de  Pembouchure  du  Weser,  lev^ 
par  BeauteinpS'Baupre  en  1812,  publik  par  ordre  du  roi  en  1821, 
grav6  par  Coli  in.  Übersicht  der  trigonometrischen  Messungen  von 
1824,  nebst  einem  Teile  der  früheren  hannoverschen,  holländischen 
und  dänischen  Dreiecke.  (Nach  Messungen  von  Gaufs,  Meridian  der 
Göttinger  Sternwarte  M.  S.)  und:  Charte  von  den  Mündungen  der 
Weser,  Jahde  und  Elbe,  nach  eignen  Messungen  und  Beobachtungen 
Ton  Joh.  Bosse.   1838.  Bremen. 

Die  Ausflttge,  denn  auch  dafür  hatte  das  nach  allen  Richtungen 
unermOdlich  thätige  Komitee  gesorgt,  wurden  mehr  oder  weniger 
von  dem  schlechten  Wetter  beeinträchtigt.  Besonders  gilt  dies  von 
der  Wanderung  durch  die  neuen  groisartigen  Hafen-  und  Lagerhaus- 
anlagen, welche  der  Zollanschlufs  Hamburgs  notwendig  macht.  Der 
Besuch  der  Seewarte  wird  besonders  für  die  oberländischen  Teil- 
nehmer sehr  instruktiv  gewesen  sein.  Sehr  befriedigt  war  die 
geringe  Anzahl  Teilnehmer  an  der  Dampferfahrt  zu  den  Elbmarschen 
oberhalb  Hamburgs,  am  Sonntag,  den  12.  April.  Auch  die  Festlich- 
keiten: das  Bankett  im  Sagebielschen  Saale,  die  allabendlichen  ge- 
selligen Zusammenkünfte  im  Pavillon  des  Dammthorsbahnhofes  ver- 
liefen harmonisch  und  zu  aller  Befriedigung.  Besonders  der  letzte 
Abend,  mit  seinen  lustigen  und  ernsten  Liedern,  die  sich  der 
scheidende  Bobert  Flegel  zur  letzten  Ermnerung  an  die  deutsche 
Heimat  fUr  seme  Reise  nach  dem  Niger  und  Kamerun  erbat,  die 


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—  211  — 

zündenden  patriotischen  Ansprachen  werden  noch  lange  im  Oe- 
dAchtnis  der  Teilnehmer  bleiben.  Vor  allem  gilt  letzteres  aber 
auch  von  der  gastfireundschaftlichen  Gesinnung,  welche  die  Harn* 
burger  Henen,  an  ihrer  Spiise  die  Herzen  BOrgermelster  Dr.  Kirehen- 
pauer,  Professor  Neumayer,  Friederichsen,  Dr.  Matsen,  Dr.  Midiow 
u.  a.  allen  Teilnefamem  erwiesen.  Diejenigen«  weldie  den  5.  Geo- 
graphentag  Torbereitet  und  geleitet  haben,  dürfen  auf  ein  in  jeder 
Beziehung  gelungenes  Werk  zurückblicken. 

Im  nächsten  Jahr  wird  der  Geographentag  in  Dresden  zu- 
sammenkommen, wo  sich  in  dem  Verein  für  Erdkunde,  in  zahl- 
reichen wissenschaftlichen  Instituten  und  Sammlungen,  wie  in  der 
Fremdenkolonie  genug  kräftige  persönliche  und  sachliche  Anhalte 
bieten,  um  die  Versammlung  zu  einer  gleich  inhaltsreichen  zu  ge- . 
stalten,  wie  es  die  Hamburger  war.  M.  L. 


Der  Batanga-  oder  Moanja'*')-Flur$. 

Von  Higt  Ziller. 

Hierzu  Tafel  4:  Skizze  des  Batanga-  oder  Moanja- Flusses  (Deutsches  fcameruu- 

gtbiet)  Yon  Hugo  ZOUer. 

Die  Thatsache,  da£s  es  in  Westafrika  ganz  dicht  an  der  Küste 
ausgedehnte  Landstrecken  giebt,  die  noch  heute  so  unbekannt  sind, 
wie  es  vor  Stanley  der  obere  und  mittlere  Kongo  war,  diese  That- 
aaehe  ist  bis  vor  Jahresfrist  blos  den  Geographen  von  Fach  bekannt 
gewesen.  Seit  Jedoch  Dr.  Nachtigal  im  Togo-  und  Kameninland  die 
deutsche  Flagge  gehifet  hat,  wurde  auch  ein  weiteres  Publikum, 
welches  sich  sonst  nur  wenig  mit  geographischen  SpezialStudien  zu 
beschäftigen  pflegt,  darauf  aufmerksam,  dafs  wir  über  die  Verhaltnisse 
und  die  Beschaffenheit  dieser  Gebiete  noch  beinahe  gar  nicht  Bescheid 
wufsten.  Erscheint  es  nicht  im  höchsten  Grade  befremdend,  dafs 
Gegenden,  wie  Togo  oder  das  südliche  Kamerungebiet,  an  deren 
Seestrand  deutsche  und  englische  Kaufleute  seit  vielen  Jahren 
anslssig  sind,  schon  wenige  Kilometer  landeinwärts  teils  noch 
heute  yOllig  unerforscht  sind,  teils  bis  vor  kurzem  völlig  uner- 
forscht waren!  Die  Erklnmng  dieses  scheinbaren  Katsels  ergiebt 
sich  einesteils  daraus,  dafe  die  Kaufleute,  die  doch  xnnAchst  an 
ihr  Geschäft  denken  mfissen,  nach  gethaner  Arbeit  alhni  mflde 

*)  Auf  der  Kartenskizze  ist  irrt&mhch  Moaxil*  gedruckt,  was  hiennit 
berichtigt  wird.  D.  Red. 


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—  212  — 

sind,  als  dais  sie  noch  Lust  uud  Neigung  iui-  utiogiaphische  For- 
schungen verspürten,  andererseits  ist  das  Vordringen  in  den  noch 
unbekannten  oder  bis  vor  kurzem  unbekannt  gebliebenen  Ländern, 
selbst  wenn  blos  (ranz  geringe  Entfernungen  in  Betracht  kommen, 
durcliaiis  nicht  so  leicht,  wie  der  Neuling  sich  das  vorstellen  mag. 
Es  gehören  dazu  aufser  einiger  persönlicher  Energie  so  viele  Vor- 
bereitungen und  so  reichliche  Geldmittel,  daf:^  der  Oedanke,  als  ob 
vielbeschäftigte  Kauflente  sich  aus  eigener  Initiative  mit  dergleichen 
Dingen  abgeben  könnten,  einzelne  Ausnahmen  abgerechnet,  von  vorne 
herein  aasgeschlossen  ist.  Denn  sowohl  die  eingeborenen  Küsten- 
stämme, wie  auch  die  zunächst  hinter  diesen  wohnenden  Völker 
wachen  so  eifersü('htig  über  ihr  Monopol  des  Zwischenhandels,  dafs 
sie  mit  allen  Mitteln,  die  List  und  Gewalt  ihnen  an  die  Hand  geben, 
das  Vordringen  weiTser  Manner  su  verhindern  oder  doch  zu  er- 
schweren suchen.  Hat  man  erst  einmal  den  sich  längs  des  ganzen 
Gestades  von  Westafrika  dahinziehenden  Saum  miüstrauischer  und 
eifersüchtiger  Kflstenvölker,  dessen  Strecke  angeblich  zwischen  50 
und  100  km  wechselt,  dttrehbrQchel^  so  soll  nach  dem  fiberein- 
stimmenden Urteil  der  meisten  Afrikareisenden  das  weitere  Vor- 
dringeiL sowohl  leichter  als  auch  sehr  viel  billiger  sein. 

Mu  solchem  Vordringen  ist  es  eine  eigentümliche  Sache,  und 
mit  Ausnahme  des  Hazai  d>i(iels  wüfste  ich  kaum  ein  Ding,  bei  dem 
der  Zufall  eine  grOfsere  Rolle  übernähme.  An  diesem  Punkte  mag 
man  —  wie  es  mir  beispielsweise  am  Mungo-Flufs  erging  —  wochen- 
lang warten  und  vergeblich  sich  abmühen,  ohne  das  Allergeringste 
zu  erreichiMi.  Und  dann  urplötzlich  gelingt  einem  an  einem  anderen 
'  Orte  beinahe  spielend,  was  am  ersteren  Platz  mit  aller  Energie  nicht 
hatte  durchgesetzt  werden  können.  Der  geneigte  Leser,  der  im 
folgenden  von  meiner  kleinen  Bootfahrt  auf  dem  Batanga-Flufs  liest, 
wird  denken:  „das  ist  ja  so  lacherlich  leicht,  dafs  es  längst  vorher 
hätte  geschehen  sollen."  Ja  allerdings,  aber  es  ist  nicht  geschehen 
und  die  Gründe,  weshalb  es  nicht  geschehen  ist,  werde  ich  mir  ge- 
statten weiter  unten  des  näheren  darzulegen. 

Zunächst  ein  paar  Worte  darüber,  wie  ich  überhaupt  dazu 
kam,  mich  mit  jenem  nicht  einmal  dem  Namen  nach  bdcaanten 
Batangtt-Flufe  zu  beschäftigen,  von  dem  auf  allen  bisherigen  Karten 
blos  die  als  Seebucht  sich  darstellende  Mflndung  Terzdchnet  ist 
Generalkonsul  Dr.  Kachtigal,  der  durch  seine  amtliche  Thätigkeit 
verhindert  wurde,  sich  mit  den  geographischen  und  sonstigen  Ver^ 
h&ltnissen  der  unter  deutschen  Schutz  gestellten  Lander  in  dem 
Grade  zu  beschäftigen,  wie  er  dies  persönlich  nur  allzu  gern  gethan 
haben  wflrde,  hat  mhr  mehr&eh  sowohl  kleine  politische  Auftrage 


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203 


.Unter  solchen  Umständen  wird  man  in  den  westlichen  Teilen  der 
Pampas  ein  Überwiegen  des  Safewassers,  in  den  Ostlichen  dasjenige 
des  Brack*  und  Meerwassers  in  den  seltenen  Funden  aiisgedrückt  zu 
finden  erwarten  dflifen.  In  der  That  ist  auch  in  der  Tosca  des  Dilu- 
▼inms  bei  Bnenoe-Aires  eine  fossile  Koralle  gefunden  worden  und 
Bmrmeister  weist  auf  andere  ahnliche  Funde  hin.  Solche  Stücke 
können  übrigens  auch  durch  die  Wogen  viel  weiter  landeinwärts 
getrieben  werden,  wie  z.  B.  das,  was  ich  eben  über  die  Seekouchylieu 
an  der  Barre  sagte,  beweist. 

Indem  ich  hiermit  diese  Mitteilungen  abschliefse,  ^^ebe  ich 
mich  der  Hoffunag  hin,  dafs  das  Interesse,  welches  sich  für  mich  an 
die  physischen  und  faunistischen  Verhältnisse  dar  gröCsten  brasi- 
lianischen Binnenseen  und  an  die  Erforschung  ihrer  ehemaligen 
grftlseren  Ausdehnung  knüpft,  auch  bei  anderen  durch  diese  Ab- 
handlung erregt  werde,  und  dafe  dieselben  zumal  auch  die  vielen 
Freunde  geologischer  Forschung,  welche  in  dieser  Provinz  leben,  zur 
Beobachtung  und  Mitteilung  einschlagiger  Thatsachen  anregen 
möchten. 

Die  angefügte  Karte  hebt  die  Ausdehuuug  des  Meeres  zu  Be- 
ginn der  Alluvialzeit  durch  punktierten  Thon  hervor.  Die  Greuzeu 
lassen  sich  bis  jetzt  nur  für  die  Lagoa  dos  Patos  genauer  angeben, 
wogegen  die  Ausdehnung  der  Lagoa  do  Jacuhy  und  mehr  noch  der 
Lagoa  de  Jaguarao  sich  nur  aus  den  topograplyscben  Verhaltnissen 
erachlielBen  lassen. 

Um»  Ormde,  20.  Januar  1885. 


Der  fünfte  Deutsche  Geographentag 

in  Hamborg. 


Über  den  5.  Deutschen  Geographentag,  welcher  in  der  Oster- 
woche,  vom  9.  bis  11.  April,  in  Hamburg  stattfand,  sind  bereits 

eine  Reihe  mehr  oder  weniger  ausführlicher  Berichte  sowohl  durch 
die  Zeitungen  als  durch  Fachblätter  veröffentlicht  worden.  Um  nun 
nicht  zu  wiederholen,  beschränken  wir  uns  auf  die  folgenden  Be- 
merkungen. Die  Beteili^'ung  an  dem  Geograplienta^ie  war  eiue  zahl- 
reichere, als  auf  irgend  einer  der  früheren  Versainndungen,  was 
hauptsächlich  der  regen  Teilnahme  der  Hamburger  Kaufmannsrhnft 
zu  verdanken  war.  in  der  Schlufssitzung  wurde  die  Zahl  der  Teil- 
nehmer zu  604  angegeben;  die  betreffenden  Zahlen  der  frübereq 

»•)  1.  c  p.  385. 


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—  214  — 


ihre  Vorschrift »mi  lialteii,  würch'n  v«»ii  ihren  in  Kloby,  beziehentlich 
in  Ciabuii  wolineiiilcii  \'or;resetzten  ciniMi  Vorweis  zu  erwarten  ijehabt 
haben,  wenn  sie  ihre  Lente  ü!)erhauiit  zu  deruleiciien  nicht  ^'e.schäft- 
lichem  Thun  verwandt  hätten.    Sie  hal)en  sich  darauf  beschränkt, 
an  mebrtftgigen  Festeu  in  iliren  unbeholfenen  Brandungsböten  strom- 
aufwärts zu  segeln,  was  jedoch  so  langsam  ging,  dafs  Alahämbi,  des 
Königs  Japite  Residenz,  vor  meiner  Ankunft  überhaupt  erst  zweimal 
erreicht  worden  ist.  Anders  die  Engländer,  die  in  etwas  ausgedehn- 
terem Mafse  dem  aufsergescbäftlichen  Sport  huldigen  zu  dflrfen 
glaubten.    Der  Enjilander  Stone  gilt  als  derjenige,  der  vor  mir  am 
weitesten  stromaufwärts  t^elantrt  ist.    Er  hat  jedoch,  da  er  keine 
bewaftnete  Mannschaft   mit   sich   führte   und  von  dem   für  -eine 
I]au(lel>iiiteressen  furchtenden   HiUiptling  Ndschea  zurückgetrieben 
wurde,  den  Strom  aucli  blos  bis  eine  kleine  Strecke  über  Maham))i 
hinaus  (etwa  bis  Lialo)  befahren.    Ins  Land  der  liakok»»  war  vor 
mir  nocli  kein  Weifser  gelangt  und  die  Kautieute  erzählten  sich, 
dafe  weder  die  Küstenstämme  (Klein -Batanga- Leute  und  Beundo- 
Lente)  ein  Vordringen  bis  zu  den  Bakoko  gestatten,  noch  auch  diese 
selbst  den  Weilsen  besonders  freundlich  aufnehmen  würden. 

Wenn  ich  vorhin  erwähnte,  dafs  die  von  ihren  Geschäften  und 
ihrer  Pflicht  allzu  sehr  in  Anspruch  genommenen  Kaufleute  nur  in 
seltenen  Fallen  das  Hinterland  der  von  ihnen  bewidmteu  Küste  er- 
forschen \\enii?n,  so  fühle  ich  mich  doch  verptiichtet  hinzuzufügeu, 
dafs,  .sobald  einmal  an  diesem  oder  jenem  Punkte  eine  Expedition 
ins  Innere  unternommen  werden  soll,  der  Rat  und  der  Bei.stand  der 
durch  täglichen  Verkehr  mit  de»  Eingeborenen  vertraut  gewordenen 
Kaufleute  von  geradezu  unersetzlichem  Werte  ist.  Wahrend  der 
Anstois  zu  unserer  Bootfahrt  von  mir  ausging  und  während  ich  auch 
die  für  solch  kleine  Reise  durchaus  nicht  unbedeuteuden  (namentlich 
durch  die  unumgänglichen  Geschenke  an  Könige  und  Häuptlinge 
verursachten)  Kosten  trug,  ist  die  Inszenierung  und  Durchführung 
des  Unternehmens  das  ausschliefsliche  Verdienst  meiner  beiden 
ruiingeu  Üegleiter. 

Wir  haben  den  Köni'j  .lapite  und  den  llüuptiing  Xdscliea  durch 
Überredung  und  reiclie  (lesclieiike  auf  unsere  Seite  gebracht,  ja  so- 
gar veranlafst,  dafs  Jai)ites  Sohn  nnd  Ndschea  selbst  uns  begleiteten. 
Nacli(l(Mn  solchergestalt  der  Boden  für  ein  weiteres  Vordringen 
geebnet  war,  haben  wir  die  Bakoko,  die  uns  bei  Dj.twantya  mit 
zwei  stark  bemannten  Kriegskanoes  angreifen  beziehentlich  zurück- 
treiben wollten,  durch  den  Anblick  unserer  Waffen,  durch  Ent- 
schlossenheit und  ruhigen  Zuspruch  veranlafst,  uns  trotz  der  un- 
geheuren Aufregung,  die  allenthalben  in  dem  dicht  bevölkerten 


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Bakoko- Lande  herrschte,  unbehelligt  weiter  ziehen  zu  lassen,  und 
haben  dann  nach  zweitägiger  Fahrt  in  ungeffthr  18  am.  Ent- 
fernung von  der  Küste  den  Punkt  erreicht,  wo  der  Batanga-Flufe, 
Ober  den  etwa  10  m  hohen  Abhang  eines  terrassenförmigen  Plateaus 
hemnterstflrzend,  anfhdrt  schiffbar  zu  sein.  Dem  Wasserfall,  der 
einer  der  grdfsten  von  Westafrika  sdn  dfirfte,  habe  ich,  von  dem 
Rechte  des  P^ntdeckers  Gebrauch  machend,  den  Namen  Neven- 
Dumont-Fnlle  ;j:egeben.  Die  in  der  Nähe  wuhneiulcii  Kin'^eborenen 
behaupteten,  dafs  der  Kluis  weiter  oberhalb  abermals  auf  einer 
weiten,  von  keinen  Wasscrt'iillen  oder  Stromschnellen  unterbrochenen 
strecke  schiffbar  sein  würde.  Über  das  Aussehen  der  Flufsufer 
wird  der  Leser  sich  nach  der  beigegebenen  Karteuskizze,  auf  der 
ich  die  am  meisten  hervortretenden  Baumarten,  die  Höhe  der  Ufer- 
b^chung  nnd  andere  Einzelheiten  eingetragen  habe,  eine  ann&hemd 
richtige  Ansicht  zu  bilden  vermögen.  Da  von  den  auf  der  englischen 
Seekarte  eingetragenen  Gebirgen,  die  nördlich  und  sfldlich  von  Klein- 
Batanga  bis  dicht  an  die  Kflste  herantr^»n  sollen,  nicht  das  Geringste 
zu  sehen  war,  so  glaube  ich  guten  Grund  zu  der  Annahme  zu  haben, 
dals  diesell)en  überhaupt  nicht  existieren. 

Der  Wert  unserer  kleinen  Entdeckung,  wenn  man  sie  so  ntMinen 
darf,  ist  ein  zweifacher.  Erstens  wurde  durch  Herrn  Dettniei  ini^. 
der,  während  ich  die  Kompafsbeobachtungen  machte,  das  Loggen 
und  Loten  flbemoromen  hatte,  festgestellt,  dafs  die  Wassertiefe 
vollkommen  ausreiche,  um  Küstendam]ifer  vom  Tiefgange  des  Wör- 
mannschen  „Mpongwe**  bis  zum  Wasserfall  gelangen  zu  lassen,  und 
zweitens  liefert  der  Zusammenhang  des  Batanga -Flusses  mit  dem 
Edea-  oder  Malimba-Flufs  einerseits,  dem  Lokundje-Flufs  anderer- 
seits dott  Beweis,  dafs  sich  das  am  Südostabhange  des  Kamemn- 
gebirges  beginnende  Mflndungsdelta  von  Kamerun  bis  zum  3.  Grad 
n.  Br.  erstreckt  und  demnach  aulserordentlich  viel  gröfser  ist, 
als  bisher  angenuninien  wurde.  Kine  für  Danipfscliitle  benutzbare 
Wasserst rafse .  die  in  gerarler  Richtung  18  sn».  weit  landem- 
wärts  führt,  besitzt  immerhin  eine  gewisse  Bedeutuug,  was  um  so 
mehr  in  Betracht  zu  zieheo  sein  dürfte,  da  von  allen  sich  in  das 
Astuarium  von  Kamorun  ergiefsenden  Flössen  höchstens  noch  der 
Mungo  auf  eine  gleiche  oder  gröfsere  Strecke  schiffbar  ist.  Die 
Wassennenge  des  Batanga-Flusses,  der  von  den  Eingeborenen  Moanja 
genannt  wird,  dürfte  derjenigen  des  Mungo  beinahe  gleichkommen, 
Obertrifft  dagegen  diejenige  des  Abo  oder  Wuri  ganz  bedeutend. 

Wahrend  wir  öber  Jenes  Kamerunland  im  engeren  Sinne,  in 
dem  Holls  Stadt  und  Acquas  Stadt  licueu,  schon  ziemlich  genau 
Bescheid  wissen,  ist  über  daä  südliche  Kameruugcbiet  fast  noch  gar 


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—  216  — 

nichts  bekannt,  und  ich  gebe  mich  der  Hoffnung  hin,  dafs  meine 
Beobachtungen  und  Aufzeichnungen,  die  ich  demnächst  auszuarbeiten 
und  za  vefdffenUichen  beabsichtige,  wenigstens  die  Kenntnis  der 
KOstenstricbe  um  ein  Erkleckliches  erweitern  werden.  Der  Ueioe 
Lokan^je^Flofs,  der  die  Grenze  swischen  Klein -Batangn  und  der 
Landsdiaft  «Plantttion''  darstellt,  sdieidet  gleichseitig  sw^  geo- 
logisch nnd  landschaftlich  sehr  verschiedene  Gegenden  von  einander, 
nämlich  das  flache  Milndungsdelta  der  verschiedenen  Kamerun-Flüsse 
und  das  bergige  Land,  welches  weiter  südwärts  an  einzelnen  Stellen 
bis  dicht  an  die  Küste  heranreicht.  Nach  den  Ortsbestimmungen  der 
„Möwe"  liegt  die  Wörmannsche  P^aktorei  von  Klein  -  Batanga  unter 
3°  16'  35''  n.  Br.,  der  Ort  Plantation  liegt  unter  3<>  3'  50"  n,  Br., 
Grofs-Batanga  unter  2°  52'  58"  n.  Br.,  die  Wörmannsche  Faktorei 
an  der  Campo-Bai  unter  2^  22'  7"  und  die  Batta- Faktorei  anter 
1«  b2f  T  n.  Br.  Von  der  Handelsbedeutnng  der  hervorragendsten 
Plfttze  des  sfldlichen  Kamemngehiets,  welche  jedoch  beständig  and 
sehr  schnell  steigt,  whrd  man  sich  daraus  ein  Bild  machen  können, 
dafs  schon  jetzt  MaUmba  alljfthrlich  9000  englische  Pfund  Elfenbein 
liefert,  Klein  -  Batanga  dagegen  HOOG  Pfund  und  Grofs-Batanga, 
der  bedeutendste  Elfenbeinplatz  au  dieser  ganzen  Küste,  sogar 
29  000  Pfund.  An  Palmöl  bringt  Malimba  etwa  45a)0  und  Klein- 
Batanga  etwa  25  000  Imperial -Gallons  iu  den  Handel.  Palmkerne 
werden  nur  in  verhältnismäfsig  geringer  Menge  verschifft,  n&mlich 
von  Malimba  180  und  von  Klein-Batanga  110  Tons. 

Höchst  wünschenswert  wäre  es,  wenn  nnsere  Regierung  sich 
bei  dem  gans  unumgänglich  notwendigen  Austausch  deutsdier  und 
fransOdcher  Gebietsteile  nicht  allzu  freigebig  erwiese.  Frankreicha 
Ansprüche  sind  sehr  windiger  Art  und  wenn  man  ihm  den  Benito- 
Fiuls,  auf  den  die  Iranziysischen  Kolonialbehörden  grofsen  Wert 
legen,  völlig  überliefse,  so  dürfte  doch  wenigstens  die  Batta-Bai  als 
die  Öüdgrenze  der  deutschen  Besitzungen  anzuerkennen  sein. 


Dr.  Gustav  Nachtigal  f. 


Am  28.  April  verschied  auf  See,  nahe  Kap  Pahnas  an  der 
afrikanischen  Westkfiste,  Dr.  Gustav  Nachtigal  an  den  Folgen 
ttbergrofser  Anstrengungen  und  des  afrikanischen  Klimas.  Tief  und 
allgemein  ist  die  Trauer  ob  des  Verlustes,  welchen  unser  Vaterland 
durch  den  Tod  Nachtigals  erlitten  hat.  Lange  Jahre  und  mit  reichem 
Erfolg  diente  er  unserer  Wissenschaft,  dem  grofseji  Werk  der 


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Entdeckung  Afrikas,  welchem  Deutschland  schon  so  viele  edle  Krftfte 
hingegeben  hat  Sein  letzter,  gleich  ehrenvoller,  aber  auch  sorgen- 
nnd  arbeitsreicher  Dienst  war  dem  Vaterlande,  der  Sicherung  von 
Gebieten  an  der  afrikanischen  Westküste  für  deutschen  Handel  und 
dentsche  Kolonisation  gewidmet  Auch  diese  schwierige  Aufgabe 
löste  Nachtiizal  zur  Genugthuung  der  Nation,  zu  voller  Befriedigung 
der  Reichsregierung.  In  würdiger  Weise  hat  die  grofse  Trauer- 
versainmlung  in  Berlin  das  Andenken  an  Nachtigal,  die  glänzenden 
Eigenschaften  des  Forschers,  die  hingebende  Vaterlandsliebe  des 
Patrioten,  den  liebenswürdigen  Charakter  des  Menschen  gefeiert. 
Der  Gedanke,  dem  Gedächtnis  Nachtigals  ein  Denkmal  zu  errichten, 
hat  allgemeine  Sympathie  gefunden  und  geht  seiner  Verwirklichung 
entgegen.  Möge  sich  denn  bald  in  Stein  oder  Erz  ein  dem 
Seefahrer  weithin  sichtbares  Wahrzeichen  auf  Kap  Palmas  erheben, 
der  Nachwelt  ein  sichtbares  Zeugnis  von  der  Liebe  nnd  Yer- 
ebruDg  des  deutschen  Volks  für  seinen  Qeisteshelden! 


§  Aus  der  ,c:PO^raphis(hen  Uesellschaft  in  Bremen.  Am  15.  April  hielt 
Herr  Dr.  A.  Fenck  aus  München,  korrespondierendes  Mitglied  der  Gesellschaft, 
«inen  Vortrag  über  die  bayrischen  Alpen.  In  der  Einleitung  hob  er  die  bei 
aller  Unregelmafsigkeit  bestehende  Symmetrie  im  Bodenban  des  dentschen  Beicba- 
gebiets  hervor:  im  Norden  wie  im  Sftden  erstrecken  sich  weite  Ebenen,  swisch«! 
ihnen  steigen  die  Berge  der  Mittelgebirge  anf,  nnd  während  im  Norden  das 
ewig  bewegte  Meer  die  Grenze  bilde,  ragen  im  Süden  die  schneebedeckten 
Zinnen  der  Hochalpen  auf.  Sodann  charakterisierte  er  die  Erscheinnng  der  letz- 
teren, wie  sie  sich  perspektivisch  von  der  Münchener  Hochebene  aus  biete:  die 
lünggcst reckten  Rücken  der  Vorberge,  die  schroffen  Felsgestalten  der  deutschen 
Kalk-  oder  bayrischen  Alpen,  endlich  die  znrkerhntförmigen  oder  .«äpenartif^en 
Weifsgipfel  der  Zentralalpen.  Wenn  au(  h  der  Anblick  kern  so  grulhaitiger  sei, 
wie  die  der  Schweizer  Alpen  von  ihrem  niedrigeren  Vorlande  ans,  so  vereinigen 
nah.  doch  in  diesen  Gebirgen  zahllose  Reize  eigener  Art.  Redner  bezeichnete 
nnn  ranichBt  an  der  Hand  einer  groben  Karte  die  natftiliehen  Orensen  der 
deoteeben  Alpen  nnd  sodann  die  verschiedenartige  orographische  Qesfaltong  der 
letetoren.  Da  sind  xnnichst  Im  Westen  die  wiesenreiehen,  um  das  Thal  der 

*)  Wegen  des  aufaergewöhnlich  grui'^en  Umfaugs  eines  Teils  der  vorstebendon 
AafUtw  aittfilicn  die  kleineren  Mltteilnngen,  fUr  welche  uns  ein  mannigfliltigss  Ha- 
terial  vorlag,  nehr  btsohrtnkt  nnd  anch  der  LUtnratnrberleht  für  das  aächato  Heft 
anrttekfelegt  werden.  Die  Redaktion. 


Kleinere  Mitteilungen/) 


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Iiier  gruppierten  Allgäuer  Alpen,  ein  Fächer  von  Thälern,  getrennt  durch  radiär 
gestellte  Hochgebirgskämme ;  jenseits  des  Lech  ist  das  Aassehea  des  Gebirges 
ein  anderes:  die  kahlen,  am  Fiila  mit  Geröll  bedeckten,  Ton  dunklem  8c1iwars> 
wald  beskumten  Felsen  bilden  parallele  K&mme,  die  Th&ler  erscheinen  als  Lasg^ 
thUer,  welche  hier  nnd  da  durch  ein  Qnerthal  verbunden  sind.  Jenseits  der 
Salsach,  in  den  Berchtesgadener  Alpen,  stellt  sich  nns  das  Gebirge  in  var^el- 
mftfsig  begrenzten  Felsmassiven  dar,  deren  an  der  Oberfläche  gewellte  Plateans 
von  tiefen  Abgründen  durchsetzt  sind.   Der  Redner  ging  nun  näher  auf  die 
Geschichte  der  Entstellung  der  Alpen  ein.  welrho  in  der  Triaspcriodf   als  eine 
Halbinsel  vor  dem  Südrando  des  Fcstluinli  s  la[;en  iiml  l)ri  ihrem  Andran^ien  an 
letzteres  vielfach  gequetscht,  gefaltet  und  in  Trümmer  anffrolöst  wurden;  die 
harten  Teile  trotzten  der  Yenvitterung,  die  weichen  wurden  weggeführt  and 
riefen  so  die  Thalbildung  hervor.   Weiter  zeigte  der  Redner  den  Binflufs  der 
hirteren  and  weicheren  Gesteine  auf  die  Vegetation,  besonders  den  Wiesen-  und 
Waldwuchs,  sodann  die  Einwirkung  des  mit  den  Höhenverh&ltnissen  wechselnden 
Klimas.'  Bis  1500  und  1600  m  reicht  die  Buche,  das  Nadelhok  steigt  weiter 
auf,  aber  immer  kröppelhafter  wird  sein  Aussehen,  bis  ihm,  als  Knieholz,  die 
wichtige  Aufgabe  znföllt,    das  Herabrntschen  des  Schnees  an  verheerende 
Lawinen  zu  verhindern.    Die  Alpengewächse  in  der  Höhe  von  1800  — 2f'><^  m 
liieten  dieselben  Formen  wie  die  Florn  Nordskandinaviens  nnd  Grönlan  Is.  Nur 
g*^rin<:p  Flächen  der  bnyrisrhcn  Alpen  tnnchen  in  die  mit  2.^00  m  beginnende 
Region  des  ewigen  .Schnees  ein;  so  licfjen  im  Gebiet  des  deutschen  Reirhes  nur 
o — 6  Gletscher  von  bescheidenen  Dimensionen,  sie  sind   meist  unzugangluh. 
Redner  wandte  sich  nun  znr  Bewohnnng  nnd  Bewirtschaftung  des  so  eigen- 
artigen Alpengebiets  durch  den  Menschen.  Die  fdr  den  Pflug  nutsbare  Fl&che 
ist  heschrSnkt,  doch  kann  der  Bauer  Berglehnen  mit  einer  NeigongBfläche  ^n 
45  *  noch  beackern.  Der  Wald  nimmt  grofse  Flächen  im  Gebirge  ein,  Tor  allem 
ist  es  die  Alpenweidewirtschaft,  welche  dem  Menschen  die  Exislensbedingnngen 
schafft.   Das  Winter-  und  das  Soramerleben  des  Älplers  mit  seinen  Mfthen  nnd 
Sorgen  schildeite  der  Hedner  in  sinniger  Weise.    Nur  Fiiner,  der  .Täger.  lebt 
Somnu'rs  und  Winters  itn  Hochgel)ir«:e.  or  st<  11t,  «Inn  h  ("bting  ^egen  die  gefahr- 
vollsten ( iel>ir<;s\viliinisse  gestählt,  dem  Ilirsi  li  oder  dvv  (iemse  iiarli,  d»>n'Ti  off 
be.spn)(  lien<'s  Aussterbr-n  bei  dem  jetzigen  rationellen  ,l;<^'(ll)eii i.  h  su  ImUI  im  lit 
ZU  befürchten  steht,  man  schätzt  die  Zahl  der  Gemsen  im   b;i}iisclien  Gebirge 
noch  auf  20  000  Stück.   Die  Bewohner  der  deutschen  Alpengebiete,  Bayern  und 
Schwaben,  zeigen  fast  so  scharfe  Unterschiede  wie  Süddeutsche  nnd  Kord- 
deutsche. Diese  Unterschiede  aeigen  sich  annachst  in  wirtschaftlicher  Beziehung: 
im  bayrischen  Alpengebiet  leben  70  *!o  vom  Ackerbau,  20     sind  Handwerker, 
im  schwäbischen  Teil  sei  der  letatere  Frozentsata  30  ^  o,   rdinlich  sei  das  Ver^ 
hältnis  bezüglich  der  Kaufleute.  Auch  die  Lebensgewohnheiten  sind  verschieden: 
die  Bauern   im   bayrischen   Teil    leben  in  Einzelgehöften,    die  Schwaben  in 
Dr»rft'rn.    Ferner  zeige  die  Einrif-htunj.'  des  Dauernhauses  hn  beiden  Stämmen 
jirolse  Abweiciiungen.   Das  schwiiliische  F.lement  zeichne  sich  dnri  Ii  ein»  <iit.iM  re 
Ptührjgkeit  und  Emsigkeit  aus,  dies  »  rfzebe  die  hohe  terlmisc  In-  Kniwit  k.-lung 
der  Alpenwirt«chaft,  der  Wiesenbau,  die  Industrie.  Im  Gegensatz  zum  schwäbischen 
Teil,  wo  der  Wald  vernachlässigt  werde  und  zurückgehe,   sei  im  bayrischen 
der  Wald  die  Haaptqnelle  der  Ernährung  nnd  die  Bewirtschaftung  des  Waldes 
sei  denn  auch  dort  eine  weit  bessere,  als  im  schwäbischen  Teil,  wie  es  denn 
auch  im  bayrischen  Teile  der  Alpen  ebenso  wie  im  Böhmer  Wald  noch  soge- 
nannten Urwald  gebe,  Strecken,  die  nie  von  der  Axt  gelichtet  wurden  Die 


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Schätze  des  WuMes  in  filier  Weise  zn  lifb^^n,  tlafs  duinit  ancli  zut^leich  die 
grofson  Salzl!i<_'«'r.  niif  uvlt  hen  der  Thüu  des  lierclitesgadener  üehiets  imprägniert 
sei,  nutzbar  gciintrht  werden,  tlazu  sei  eine  8()  km  lanjje  Soolleitung  durch  das 
Gebirge  bis  Roseuheuu  gebaut,  iji  welcher  sich  das  Sulz  unter  Zuriicklassung 
des  Schlammes  löst,  um  dann  dem  Sicdeprozefs  unterworfen  zu  werden,  bei 
wekhem  das  an  Tefscbiedenea  Paukten '  herang^öfste  Hoiz  Terweiidet  wird.  — 
Lebhafter  Beifiill  lohnte  den  Redner  ftr  seine  an  Beobaehtnngen  reichen  geist- 
vollen AnsfAhrangen,  die  wir  hier  nar  andenten  konnten. 

Herr  Or.  C.  Qottsche  hat  leider  die  im  Auftrag  der  Gesellschaft  Über- 
nommeue UnterBachungsreise  von  Japan  nach  den  Boiiin-Inseln  nicht  aasführen 
können  infolge  verschiedener  Umstände,  namentlich  aber  auch  deshalb,  wed  er, 
durch  die  Strapazen  seiner  koreanischen  Reise  anpo^^rifTen,  auf  ärztlichen  Hat 
nach  Euroi>a  zurüekkehren  mufste.  An  einer  anderen  Stelle  dieser  Mitteilungen 
finden  sieh  einige  nähere  Angaben  über  die  Reisen  des  Herrn  Dr.  C.  Gottsche 
in  Korea.  Die  sanitlu  lu  u  Ausrüstungsgegeuätände  sind  aus  Japan  wieder  au 
unsere  Gessellschaft  geschickt  worden  und  wünscht  letztere  darüber  za  Qonsten 
einer  anderen  Unternehmung  in  Terfugen.  N&heres  findet  man  in  der  Notiz  am 
Schlnfs  dieses  Heftes. 

Ans  Argentinien  schrieb  unser  Mitglied,  Herr  Dr.  F.  Kurts,  Professor 
der  Botanik  in  Cördoba,  dafs  er  —  Mitte  Febraar  —  im  Begriff  stehe,  im 
Auftrag  des  Kriegsministers  sich  einer  Expedition  nach  dem  Gran  Chaco  anzn- 
schliefsen.  Leiter  der  Expedition  ist  der  Zoologe  Dr.  E.  L.  Hohnberg,  ferner 
nehmen  der  Paläontologe  Dr.  Florentius  Amcghiuo  und  drei  Assistenten  teil. 
Für  die  Flufsfahrten  wurde  der  Ex[)e(lition  ein  Dampfer  zur  Verfügung  gestellt. 

Unserem  Ehrenmitgliedc.  Herrn  Professor  Seeist  rang  in  Curdoba,  i.st  von 
der  argentinischen  Regierung  die  Leitung  der  Herausgabc  eines  Atlas  der 
Republik  Argentinien  übertragen  und  dazu  eine  bedeutende  Summe  zur  Ver- 
fügung gestellt  worden.  Vier  der  27  Bl&tter  des  Atlas  sind  bereits  im  Druck. 

Ans  Samen  von  15  verschiedenen  Arten  von  B&nmen,  Str&nchern  und 
Stauden,  welchen  die  Herren  Dr.  Krause  aus  Alaska  mitgebracht  hatten,  wurden 
im  König),  botanisch»'!!  Garten  in  Berlin  Pflänzlinge  gezog^,  die  bis  jetzt  sehr 
gut  gedeihen.  Ein  T<  il  dieser  Pflfinzlinge  wurde  in  den  Baumgarten  eine»  Land- 
guts in  St.  Magnus  bei  Bremen  versetzt  und  gedeiht  auch  hier  sehr  gut. 

Über  die  Beteiligung  unseres  MitgUedes,  des  Herrn  Seiuiuardirektors 
Diercke,  an  der  Fe^tsrhrift  über  den  Regierungsbezirk  Stade  finden  sich  au 
anderer  Stelle  dieser  Mitteilungen  einige  näher»-  Aiigubeii. 

Eine  von  dem  Mitglied,  Ilerin  L.  Halenbeek,  herausgegebene  Karte  der 
Umgegend  Vegesacks  wird  im  nächsten  Hefte  besprochen  werden. 


Ptlar  regio  neu.  In  der  geographischen  Gesellschaft  /u  Kupeiiiiagen  waren 
im  Dezember  v.  J.  die  Gegeustande  ausgestellt,  welche  liof  dem  Treibeise  bei 
Jnlianehaab  in  Grönland  gefanden  und  als  Reste  der  ^Jeannette '-Expe- 
dition erkannt  worden  waren.  (Vergl.  Band  VII.  S.  899  dies.  Zeitschr.)  Als 
im  August  die  erste  Nachricht  von  diesem  Funde  aus  Grönland  einlief,  war  man 
in  Nordamerika  geneigt,  dieselbe  »•inem  falschen  oder  inisverstandenen  Berichte 
der  Grönländer  zuzuschreiben.  Nachdem  aber  die  Üichligkeit  dieser  (Quelle 
bewiesen  worden  ist.  soll  ein  anderer  Verdacht  gegen  den  Fund  sich  auch, 
namentlich  in  Xordamerika,  ausgebreifet  haben,  indem  behauptet  wir»1.  <lars  »lie 
genannten  Uegeiistände  in  dcmselbeu  Sommer  von  der  Maimsciiaft  eines  Schiffes 


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aufserhalb  der  Küste  Grönlands  aufs  Eis  piüktizicrt  geworden  seien  Diese  Er- 
klärungsweise scheint  jedoch,  insofern  sie  sich  nicht  auf  Thatsachen  >:randet, 
ungefähr  ebenso  schwor  durchfülirliur  zu  sein,  als  der  Nachweis  der  Wanilerung 
der  Heste  von  Sibirien  nach  Grönland  selbst.  Psychologische  und  physische 
Gründe,  Zeit  and  Raum  betrefiende  Fragen  scheinen  sich  dagegen  ta  rereinigen. 
Die  UnmögUclilwit  Übt  Bich  ja  allerdings  nieht  bewataen,  man  darf  woU  abar 
hoffen,  data  diejenigen,  die  im  ataade  Bind,  den  genannten  Veidacht  mit  hcutimm 
ten  Thataachen  in  belegen,  diese  Tevftffentiichen  weiden. 

Ais  die  Identitit  der  Reste  naehgewiesen  war,  anchte  man  bekaantUch  aof 
verschiedene  Weise  den  Weg  an  erklären,  den  sie  snrAckgelegt  haben  mfilaten. 

Es  ist  sogar  die  Vermufnug  aufgestellt  (Ton  R.  S.  Newall  in  der  Zeitschrift 
„Naturo-  Oes.  4  S.  lOS),  sie  seien  norden  um  Grönland  durch  den  Smith 
Sund  gekommen,  von  andern,  dafs  sie  «wischen  Franz-Josephs-Land  und  Nowaja- 
Semlja  Jen  Weg  genommen  haben.  Aber  jene  Annahme  widerspricht  den 
Strömungen  in  der  Davis-Strafse,  und  was  die  letztere  betrifft,  ist  die  Bewahrung 
der  Scholle  uegen  Zersforuii}.'  nicht  mit  der  Wahl  dieses  Weges  vereinbar 
Professor  Mohn  in  Kristiania  hat  sich  deshalb  für  die  Annahme  eintr  Wanderung 
norden  um  Franz-Josephs-Land  gerade  nach  Ostgrönlaud  unter  SO*  o.B.,  und  von 
da  Ifti^  der  Kttste  ausgesprochen.  In  der  QeseUschaft  der  Wiaaenachafteii  in 
Kristiania  hat  er  seine  Chrfinde  dafür  niher  anseinaadergeBetst  Er  hat  die  aa- 
gewandte  Zeit  mit  der  ans  anderen  Grftnden  wahrscheinlichen  SehnelU^ceit  dar 
Strömungen  in  Zusammenhang  gebracht,  nnd  die  einzige  Weise  nachgewieaan, 
in  der  die  Scholle  den  zerstörenden  Wirkungen  zweier  Sommer  hätte  wider- 
stehen können.  Seine  Erklärung  setzt  allerdings  ein  seltenes,  allein  an  und 
für  sich  kein  unmögliches  Zusammentreffen  der  Umstände  voraus.  Die  Scholle 
hfitte  einen  Weg  gew^ählt.  auf  welchem  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  Juliane- 
haab  jährlich  auch  mit  Treibholz  aus  Sibirien  versehen  wird. 

H.  B. 

Dem  auf  Grund  der  Tagebücher  Kapitän  De  Loug's  verfalsten  Werk  über 
die  ^Jeannette^-Expedition  ist  nun  ein  von  Ingenieur  G.  W.  Melville  bear- 
beitetes gefolgt,  daa  den  Titel  fährt :  ,In  the  Lena  Delta'  nnd  gleichzeitig  in  Amerika 
(ia  Boston  bei  Hooghton  Ififflin  A  Cy.)  und  in  London  (bei  Longman)  ausgegebea 
wird.  Vor  jener  frftheren  hat  die  iürbett  If elTiUea  den  Reis  des  Selbaterlebtea, 
Selbstgesehenen,  Selbaterfahrenen  znm  Tefl  vorana,  da  MelTÜle  persdnÜch  oad 
aktiv  an  allen  Schicksalen  und  Wendungen  der  niirrlücklichen  Bzpedition  teil- 
nahm. Als  Anhang  sind  dem  mit  4  Karten  und  16  Illustrationen  ausgestatteten 
Werk  ein  Bericht  über  die  Aufsuchung  der  Greeley-Expedition  und  ein  Plan 
über  eine  Expedition  zur  Erreiehunfj  des  Nordpols  beigegeben.  Es  handelt  sich 
um  das  bereits  früher  von  uns  erwähnte,  hauptsächlich  auf  Leigh  Smiths  Er- 
fahrungen gestützte  Projekt  des  Vordringens  längs  der  in  ihrer  nördlichen 
Ersireckung  noch  nicht  ermittelten  Westküste  von  Franz-Joseph-Land.  Es  werden 
die  matmafslich  jedes  Jahr  eintretende  Erreichbarkeit  dieses  adrdlichslen 
Landea  an  Schiff  and  die  durch  Smith  und  Weyprecht  bewiesene  MOg^chkeü 
des  Rflekxngs  m  Boot  geltend  gemacht  Zonfichst  wftrden  in  Torfaereitendea 
Hundeschlittenfahrten  Depots  in  der  ffiditong  polwirts  in  errichten,  die  eigsat» 
liehe  Polexpedition  aber  ohne  weitere  Zugkraft  zu  unternehmen  sein.  Den  Er- 
folg der  1.  tzteren  hält  Melville  für  wahrscheinlich,  wenn  Depots  am  Lande  bis 
zu  8ö»  N.  B.  gelegt  werden  können.  —  Eine  andere  Unternehmung  bereitet  der 
dänische  Leutnant  Uovgaard  vor,  derselbe  will  im  k.  J.  Ostgrönland  aof- 


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221  — 


suchen  Tind  itt  flim  za  dem  Zweck  dmr  Idiia»  Dampfer  ^Dymphna*  nur  Ver* 
Agnug  gestellt  worden. 

Von  der  imter  d«r  Leitung  det  Leutaaute  Jensen  antgesandten  dftnisclieii 
Expedition  snr  weiteren  Unteisnehnng  dar  Westküste  (hfinlands  sind  die  ersten 

Berichte  ans  Snkkertoppen  den  X6.  Mai  eingegangen.  Der  vorige  Winter  war 
in  Nordgrönland  sehr  streng. 


Dr.  Gottsches  Kelsen  in  Korea.  Unser  Mitglied,  der  Privatdozent  Herr  Dr. 
C  Oottsche  ans  Kiel,  ist  vor  knrzem  von  einem  SVajfihrigen  Aufenthalt  in  Ost- 
asien zarückgekebH.  Es  war  demselben  vergönnt,  längere  Zeit  in  Korea  zu 
verweilen,  und  dort  eine  Reflie  von  ErfUbnmgen  sn  ■ammeln,  wekhe  mit  den 
hergebraditen  Angeben  unserer  geographischen  HaadbBcher  wenig  ftberein- 
stimmen* 

Die  LKage  der  Ton  Herrn  Dr.  Gottsehe  nntemommenen  Beiaea  belftnft 

sich  anf  über  2700  km  und  wurden  dabei  alle  acht  Provinzen  des  Landes, 
sowie  84  der  etwa  .%0  Distrikte  berührt.  Die  wannen  Empfehlungen,  mit  welchen 
So.  Exzellenz  von  Mfillcndorff.  der  bekannte  Minister  des  Königs  von  Korea,  den 
Reisenden  versehen  hatte,  erleichterten  ihm  seine  Aufgabe  in  jeder  Weise. 
Dr.  G.  ist  von  Fach  Geologe,  und  so  war  es  seine  nächste  Pflicht,  bestimmte 
Distrikte  auf  Kohlen  und  andere  nutzbare  Mineralien  zu  untersuchen;  aber 
darch  die  thatkräftige  Unterstützung  der  koreanischen  Behörden  wurde  es  mög- 
lich, auch  über  EinwobnerialiV  StenerfeibMtnisse,  Ernteerträge,  Prodnktk», 
HandelsbewegQng  n.  a.  sablreiche  statistische  Aqgaben  an  sammeln,  welche  das 
abfllllge  Urteil  des  jüngsten  englischen  Blanbnehes  (Korea  I.  1885)  in  sehr 
merkwfirdigem  Lichte  erscheinen  lassen. 

Als  überraschendes  Besoliat  ergab  sich,  dals,  während  der  Halbinsel  sonst 
etwa  9  Millionen  Einwohner  zugeschrieben  werden,  ihre  Bevölkerung  mit  12 
Millionen  noch  unterschätzt  ist,  da  der  offisielle  Zensus  nur  die  erwachsenen 
Personen  uufzilhlt. 

Die  liauptatiitionen  der  Reise  (mau  vergleiche  die  Karte  in  Petermanns 
Mitteilungen  188^{.  Taf.  X.)  waren :  Söul,  Ichhön,  Kwisau,  MungyÖng,  Sangju, 
Wiheung,  Kyöngju,  Ulsan,  Tonguai,  Pusan,  Changwön,  Kosöng,  Hatong,  Okkwa, 
Kwangjo,  Moan,  Mokpho,  Hainam,  T5ngam,  Naju,  Chaugsöng,  Chönju,  Chinsan, 
Kongin,  Chtaam,  Snwftn,  Fhaja»  KaisAng»  IchhOn  (in  KangwOndoX  Sing6,  Snan, 
Samdenng,  Fh3rOngjang^  Chasao,  Kaichdn,  YSngpyftn,  Unsen,  Wiwdn,  Kangg6, 
Changjin,  Hwanghwaryung,  Hamheong,  Tdngheung,  Wöqsan,  Anbyön,  Hoiyang, 
Kimhwa  und  Phochön.  Zur  Ausführung  waren  138  Tage  erforderlich;  aber  ob- 
wohl die  Schnelligkeit  keine  sehr  grofse  war,  mufsten  doch  gewisse  Gebiete, 
wie  Botanik  und  Zoolotrio  etwas  stiefniüttorlich  behandelt  werden,  da  der  Schwer- 
punkt natürlicJi  in  den  geologischen  Beobachtungen  zu  suchen  ist.  welche  Korea 
als  einen  sehr  alten  und  im  Dan  mit  der  angrenzenden  Mandschurei  mmg  ver- 
wauüteii  Teil  des  asiatischen  Kunünentes  darstellen. 

Von  der  hohen  Entwickelung,  welche  koreanische  Kunst  und  Wissenschaft 
im  Mittelalter  erreicht  haben,  nnd  welche  das  Land  ehedem  anm  geistigen 
Nfthrvater  Japans  stempelten,  waren  leider  nnr  noch  unbedeutende  Spuren 
an&ufinden. 

Wie  wir  hören,  beabsichtigt  Herr  Dr.  Gottsche  sesn  reiches  Material  in 
Berlin  zu  Tcrarbeiten. 


16 


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—  222 


§  BesieMKiff  Pfttagiiieii.  im  Band  VII.  S.  886  verdfluitUchteii  wir  «iimi 
AnÜBEts  &ber  FutagonieD  und  sone  Benedelimg  von  A.  von  Seebtxaog.  Et 
waren  darin,  nntar  offenar  Darlagong  dar  Schatten-  and  Idchtaaiten,  dia  Oegandan 
baaaichnet,  walcha  nch  für  europäische  Kolonisation  eignen.  Heute  können 
wir  Torlänfig  mitteilen .  dafs  wsd  Gmnd  eines  swiaoban  einer  schlaswig-hol- 
steinisclien  (Tesellsduift  und  der  argentinischen  Regierung  abgeschlossenen  Ver- 
trages ein  bedeutendes  Landeigentum  im  Quellgebict  <los  Rio  \ogro  behuf^ 
künftiger  Kolonisation  en^'orben  ist.  Das  Unternehmen  stützt  suh  u.  a.  auf  ein 
deutsches  Haiuielshaus,  welches  schon  seit  längerer  Zeit  in  Canuen  de  Fata- 
gones  besteht. 


Oaa|;npUiflha  Natiiei  awi  RilUaid.   Nach  ainar  Angaba  dar  Wochan- 

achrift  „Sibir'*  (No.  9,  24.  Fabmar  1885,  Jrkni8k)fthrte  Hr.  Zlatkowskij  im 
Auftrage  dar  Ostsibirischen  Abteilung  der  Kais.  mss.  Oeogr.  Ges.  gaologiacha 
Untersuchungen  in  den  Bezirken  von  Krasnojarsk  und  Kansk  des  Gouvernements 
Jonissejsk  aus.  In  einem  der  Gesellschaft  abgestatteten  Berichte  hat  der  ge- 
nannte Forsrhor  als  mit  Sicherheit  konstatiert  anfuhren  können:  Ablagerungen 
des  silurisrlien  Systems  (mit  Trilobiten  und  undeutlichen  Korallen,  in  diese 
Zeit  fallen  auch  Porphyr-  und  Diabasdurchbrüche  hinein),  devonische  Bildungen 
(mit  Korallen,  sowie  Abdrücken  von  Lepidodendren  und  Knorrieu  (?)  —  besonders 
beim  Dorfe  Botojskoje.)  Dia  dannffolgandan  Epochen:  Carbon,  Perm  und 
THaa  fahlen;  dar  Jura  ist  durch  wenige  Pflanzenreste  vertraten;  dia  Kreide  und 
das  Tartlftr  fahlen  wiadamm  und  aa  folgt  direkt  daa  Quartier  mit  reichen  Baatan 
vom  Mammut,  von  Rhinozeroten  und  Hirscharten,  mit  Menschcnknochan  and 
Steinwerkzeugen.  Heim  Dorfe  Rybnojo  wurden  zahlreiche  Baumstämme  ge* 
funden.  welche  in  Eisenerze  umgewandelt  sind;  ebenso  erficben  sich  weitans- 
gedehntc  Kohlenablagernn^en.  Diese  Angabe  ist  nicht  <;aui',  verständliclj.  da 
nach  Obigem  die  sonst  (Stern-  und  Braun-)  Kohlen  fülireiuleu  iformatiouen 
gerade  fehlen  oder  eine  nur  gering«'  Entwickelung  besitzen  sollen. 

..Nowos-ti''  vom  12.  März  bericiiten,  dafs  die  russische  Bergverwaltung 
eine  Expedition  nach  den  nördlichen  Ausläufern  des  Urals  auszurüsten  gedenkt, 
um  daselbst  nach  Edelmetallen,  deren  Vorhandensein  vermutet  wird,  suchen  zu 
lasaan.  Spesiell  sollen  Nachforschungen  über  Gold  und  Pbtin  angestellt  werden, 
▼on  denen  latstorea  bekanntlich  im  Jahre  und  swar  gleiohieitig  in  den 

DemidowBchen  Beaitiungen  von  Nümj-Tugll  und  den  fiakalischan  von  Gorob- 
lagodktak  entdeckt  worden  ist  —  Die  Expedition  bat  aich  aufserdem  noch  cur 
Aufgabe  gestellt,  die  Gegend  geologisch  eingehend  zn  durchfoisehan  und  eventuell 
auch  auf  Kupfer-,  Zinn-(?)  und  Eisen-Erzvorkommnisae,  sowie  auf  Steinkohleu- 
lager zn  achten.  Anch  ökonomische  Fragen,  wie  z.  B.  der  Eintluls  der 
Hüttenwesen  auf  die  Forstwirtschaft,  die  Lage  der  Hüttenarbeiter  u.  a.  sollen 
zum  Ticgenstande  der  Studien  gemacht  werden.  Die  Dauer  der  Thätigkeit  der 
Expedition  ist  noch  nicht  festgestellt,  indes  wird  beabsichtigt,  deren  Per^üUill 
in  mehrere  Gruppen  zu  teilen,  damit  sie  ihre  Arbeiten  in  12  bis  18  Mouaten 
zu  Ende  ftthren  kann. 

In  einer  den  Ministerien  der  Finanzen  und  des  Wegebaus  eingereichten 
Eingabe  macht  Harr  Sibiriakow  daa  Anerbieten,  aina  bequeme,  das  Gouver- 
nement Archangelsk  mit  Stbinan  verbindende  Chaussee  auf  eigene  Kosten 
anzulegen,  falls  Ihm  f&r  eine  gewisse  Zeit  die  Berechtigung  erteilt  wird,  einige 
Ersengnisae  dea  Auslandes  durch  den  Hafen  von  Archangalak  lollfrai  einsuföhran. 


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(^Nowoje  Wremja.")  —  Die  gegenwärtige  Eigentümerin  der  bekannten  Kupfer^ 
graben  von  Bogndowak  aaiUnl(et«BO(y^  n.  Br.)  Fkan  Polowsew»,  beabsichtigt 
die  Stadt  Bogosloiwak  mit  dem  Dorfe  FiUdna,  an  der  Sömva»  dnrdi  eine  Eieen« 
bahn  an  ▼erbinden,  eowie  eine  Zweigbahn  naoh  üaadlje,  an  der  Küma,  lu  föhr«n, 

wodurch  die  Flufssyeteme  des  enropfiischen  Rnfslands  and  Sibiriens  miteinander 
durch  einen  Schienenweg  verbanden  werden  würden.  (^Nowojo  Wromjn'*.)  — 
^Iswestija'^  (U-r  Kai«?  ms«;.  Ooofrr.  Gof:.  txi  St.  Potorsbnrg  (1885,  Heft  2.  p.  118 
bis  130)  bringen  einen  vorläufigen  Berulit  des  Prof.  JSorokin  aus  Kasan  über 
seine  vorwiegend  zum  Zwecke  botanisciiev  Studien  im  vorigen  Jahre  unter- 
nommene Heise  nach  den»  russischen  Tien-Shan.  Diese  Reise  geschah  mit 
Unterstützung  seitens  des  Genei-algouvemears  von  Westsibiricu,  Herrn  Kolpa- 
kowskQ  nnd  dauerte  vom  1.  Juni  bis  sum  17.  September.  Von  Kasan  ging  es 
flbor  Perm,  Jekaterinbnig,  Tjumto,  Semipalfttinsk,  Kopal,  Wjemyj,  darauf  wurde 
die  atte  Strafse  nach  Kuldsha  befolgt,  der  Falk  von  Turtschen  Aberschritten 
and  das  Thal  des  Asy  (aam  Tschiliksystem  gehörig)  erreicht  Der  weitere  Weg 
führte  über  das  gTOÜBartige  Tschflikthal,  dasjenige  des  Flusses  Tnpi.  bis  zum 
Issyk-Kul.  Von  hier  aus  wurden  mehrere  "Wussorsc  hoiden  zwischen  den  Neben- 
flüssen des  Nar>'n  überschritten,  bis  das  Ferghanagebiet  erreicht  wurde.  Von 
Nanianaaii  aus  schlug  Sorokin  den  Rückweg  über  Tschast,  Kokan,  Chodschent 
und  Taschkent  ein. 


Zur  Landeskunde  der  Provinz  Hannover.  Die  zur  Jubelfeier  des  land- 
wirtschaftli(;lien  Vereins  in  Bremervörde  im  August  d.  .T.  herauszugebende  Fest- 
schrift wird,  wie  nachstehende  Mitteilungen  annehmen  lassen,  einen  wertvollen 
Beiti-ag  zar  Landeskunde  der  Provins  Hannover,  besonders  des  Regierungsbezirks 
Stade  bieten.  Die  Schrift  wird  enthalten:  L  Einen  gsschichtlichen  Teil 
1)  Übersicht  Aber  die  Geschichte  des  Landes.  Seminarlehrer  Schröder.  2)  Ein 
Rückblick  auf  die  landwirtschaftliche  Entwickelnng  des  Landes.  Superinten- 
dent Wiedemann-Bargstedt.  3)  Kulturbetrachtungen  aus  der  Heimat.  Hermann 
Allmers.  4)  Die  Volkstrachten  (mit  6 Darstellungen).  Seminarlehrer  Schröder.  II.  Geo- 
graphischer Teil.  1)  Geographisrlic  Boschroibung  des  Landes.  Soininanlirektor 
Diercke.  2)  Die  geologischen  Verhältnisse  des  Landes.  Dr.  W.  O  l'ocke.  H)  Die 
Flora  des  Landes.  Derselbe.  4)  Die  Fauna  des  Landes.  Lehrer  Li  inkiiiaun-Walle. 
5)  Die  klimatischen  Verhältnisse.  Diercke.  6)  Die  Bevölkerung  n;u  li  ihrer  Ver- 
teilung. Diercke.  7)  Verkehrsgeographie  des  Landes.  Diercke.  III.  A^jrarpolitischer 
Teil  Gnmdeigsntum.  Omndsteuerveranlagung.  Bodenbenutsung  und  Ertrags* 
Verhältnisse.  Besitsverhältnisse,  Erbfolge.  Hdfegesetz.  Ablösungen,  Tetlungen, 
Verkoppelungen.  Deich- und  Schleusmiwesen.  Entp  und  Bewässerungen,  sonstiges 
Heliorationsweseu.  Bearbeiter:  Justizrat  MQller-Yerdcn,  Regierungsrat  Reinick* 
Anrieh.  Baurat  Pampel-Stade,  Senator  Holtermann-Stade.  IV.  Landwirtschaftlicher 
Teil.  Der  landwirtschaftliche  Betrieb  in  den  Marschen,  auf  dw  (iecst  und  im 
Moor.  Garten-  und  Obstbau.  Acker-  und  Wiesenbau.  Viehzuchr  niul  Vieli- 
haltung.  Landwirtschaftliche  Maschinen.  Gesinde  und  Arbeiterveriialf ni>se. 
Landwirtschaftliche  Nebcugcwerbe.  Aljsatz-  und  Bezugsvcrhältnisse.  Beselu  eibung 
von  Wiilschaften.  Forsten  und  Holzungen.  Das  landwirtschaftliche  Vereins- 
wesen.  Geschichte  des  Provinsial-Landwirtschaftsvereins.  Die  Ackerbaaschole 
zu  Bremervörde*  Verschiedene  Bearbeiter.  V.  Statistischer  TeiL  Seminar* 
direktor  Diercke.  Betgegeben  werden  dem  auf  etwa  90  Bogen  berechneten 
Werke  auÜBer  6  TrachtenbUdem  3  gröbere  Bilder:  die  A^kerbanschule  su 


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Bremervörde,  ein  ahlinder  BanenhanB,  ein  Baxiexnhof  auf  der  Geest,  eine  Karte 
des  BegiemngibeiiilEes  m  1 : 800^1000  tob  Diereke  und  (kMer,  und  18  steüstiaclie 
Karten  in  1 :  1/X»,000l 


Die  Kupferf  räseu^ung  der  Welt.    Nach  einer  in  dem  Jonrnal  der  Londoner 
Uandelskaoimer  luitgeteiituu  Öachverstäudigenschätzang  ist  die  Erzeugung'  von 
Kupfer  ¥001  Jalire  1879,  wo  lie  148  156  Tons  betrug,  auf  211 613  Tons  im  Jalu^ 
1884  gertiegea  Die  «reitMa  bedMleadite  Snaugung  findet  in  duL  Vmänigteu 
Staaten  itatt,  aie  betrag  dort  689G0  1884  mbb  83350  im  Jalire  1879;  ea  iat 
dies  hanptaftehlieh  der  grofiMn  Eipebigkeit  der  Koplerminen  am  oberen  See  sn 
danken     Das  zweitbedeatandata  Land  ist  aodann  Chile,  dieaea  liierte  1884 
41648  Tons,  über  6000  Tons  weniger  als  im  Jahre  1879.    Spanien  nnd  Portugal 
lieferten  1884  43  (WX)  Tons,  darunter  RioTinto  allein 21  504,  <Iaun  fnl-t  Deutschland 
mit  18000  Tons  im  Jahre  1884  gegen  iMMKJ  im  Jahre  1879  und  Australien  mit 
13  300  im  Jahre  1884  gegen  9500  im  Jahre  1879.    Die  Kap-Kolonie  lieferte  in 
den  Jahren  1S8084  jährlich  öUOü  Tons  ans  den  Minen  der  Kap-Kapferminen» 
Compagnie  in  Kleiu-Namaqoalaud. 


Tristan  d^Aeiiha.  Dieee  einsam  im  ifidatlantischen  Ooean  auf  halbem 

\^^  ge  zwischen  Bio  nnd  Kapstadt  belegene  Feleeninsel  wurde  wieder  einmal  im 
Dezember  v.  J.  von  einem  englischen  Kriegsschiff,  „Opal",  Kapt.  Brooke,  besucht. 
Die  Einwohnerschaft  bestand  aus  54  inüimlichen  und  52  weiblichen  Indiridnen. 
die  in  15  Steinhäusern  wohnen.  Die  Bodenkultur  beschränkt  sich  auf  den 
Anbau  von  Kartoffeln  auf  30  acres  Land,  auch  giebt  es  einige  Obstbäume. 
Die  Herden  bestehen  aus  6 — 700  Stück  Hornvieh  und  5 — 600  Schafen.  Eine 
grofoe  Plage  sind  Ratten.  Im  Jahre  1883  wurden  20  Schiffe  von  der  Insel  aus 
geaichtet.  Ben  Schüfen  kann  die  Inael  jedeneit  bisehes,  gutee  Fleisch  gegen 
Mehl,  KleidnngMtAcke,  Polver  nnd  Battengift  Uefem. 


Zur  BMohtimg. 

Da  die  von  der  Geographischen  Gesellschaft  in  Bremen  geplante  Erfor- 
schungsrelse  nach  den  Bonin-Inseln  nicht  zur  Ausführung  gekommen  ist,  so 
atehen  die  sämtlichen  zu  dem  Zweck  neu  angeschafften  Ausriistungsgegenst&nde 
zm  VerfcMf.  C«  alnd  dies  luneiitlieh:  Eine  Gentral-OopiieMiiite  ntt  Blohs- 
fliafeii-EialeoBii>l>i'  (fiurattaht)  Mbit  allMi  erfMeriloheii  ZibehSr  md  relcMiehem 
Sohlol^nitarial,  von  Or^yte,  ein  Arlomottr,  ein  Mnxlninnh  nMl  ein  Mnlnma- 
Themonieter,  Apparate  und  Materialien  zum  Konservleren  von  beluieelien  nnd 
zoologischen  Objekten,  namentlich  Gliser  in  grfifserer  Anzahl,  Pressen,  Netze,  ein 
anatomisches  Besteck  u.  a.  Nähere  Auskunft  wird  erteilt  durch  die  Vorstands- 
mitglieder G.  Albrecht,  Langenstrafse  44,  Or.  Wolkenbaner,  Besselstrafse  29  nad 
Dr.  LindeoMui,  Mendestrarse  8,  Bremen. 


Dmät  VM  Carl  SehlbMaiMiiL  Btshma. 


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Biinil\Tn  ia  fVl  l. 


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'^»-  Deutsche  '^™- 

Geographische  Blätter. 

Herausgegeben  von  der 

Geog^raphischen  Gesellschaft  in  Bremen. 


Baitrftge  und  sonatige  Sendungen  an  die  liedaktion  werden  unter  der  AdreMe: 
Br.  M.  Lindeman,  Bremen,  Mmäe$tras»e  8,  erbeten. 

Der  Abdruck  der  Original-Aufsätze,  sowie  die  Nachbildung  von  Karten 
und  Illastrationen  dieser  Zeitschrift  ist  dut  nach  YerstftDdigung  mit 

der  Bedaktion  gestattet. 

Eine  Umsegelung  der  Berings-Insel. 

Herbst  1882. 

Reisebericht  vou  Leonhard  Stejueger. 


Sanni  T!aM  5t  Umttfaäkfsse  der  BerinffB-Innl,  kMptaSelilleh  itacih  ttgmm  Aufkuhmeii  Ton  Leon* 

hard  8teJnef(«r(lUI!nUb:l;S83000),  mit  Karton iKomMldor,  von  L.  Stejoegcr,  und  Tafel  6:  Grebnitskl- 
Hafen  auf  BeHaf^s-Toxel.  nach  den  Aufoahmen  von  lt.  Stejoo^er;  ferner  zwei  lUuütrationon  (Üotit- 
4f1Kk)l  SteUer's  'rriinnphDo(;<>n  (Beriu^ü-Iii^ol)  uud  Pestschaiiuja  liui  litti  <'K tipfcr-Imiel),  nahe  deaiDOTf| 

eiiflUcli;  l'lau  <lu8  Wliiterhauses  der  Schiffbrüchigen  der  13vriu^!<-Expeaition. 

Erinnerung  an  Bering  und  Steller.  Eutachlufs  der  Umsegelung  der  Berings-Insel. 
Wahl  der  Jahreaseit.  Fahrzeug,  Personal  und  sonstige  Vorbereitungen.  Abfahrt  Das 
Dorf  G*van  oder  Grebnitski- Hafen.  Fedoskija  Buchta.  Kartoffel-  und  Kübengärteo. 
Rindersuoht.  Heuernte.  Gute  Auasichten  für  Schafzucht.  Kitnvij  Mys.  Beschaffenheit 
der  KUato.  Tolstoj  Mya.  Was  unter  einer  Nepropusk  geuaunteu  Küatenstrecke  sa 
Tentehen  ist.  Felseakltote.  St«ll«ra  Triumphbogen.  BmtpUtie  der  Pelsrobben.  Seltener 
Abeiidschniana.  Der  Mansjik.  Beraubung  der  Brutplätze.  Die  Qladkoväkaja  Bucht». 
Stellers  Her^'.  Jagd.  Nerpcn.  Meeresvegetation.  Peresihejek  (I.sthmus).  Yogelberg. 
Die  Lissonkovaja  Buchta.  Qeatrandeter  Wal.  Drei  Kisutsche  (Lachaart)  gefangen. 
Hflekeaplage.  Jnachins  Thal.  Die  Beeotterbnebt  Seliwierlte  Landung.  Die  ScMacht 
Schipitslna.  T^ntainscho  Aushetite.  Variettten  des  Polarfuch.ses.  Ergebnisse  der 
Fnohajagd  auf  der  Berings-Insel  Ton  1871  — 1883.  Beschreibung  des  Fuchsfangs  auf 
der  Berings-IufeL  Kommuniamas  vnd  Individnal- Wirtschaft  Fortsetzung  der  Fahrt. 
Stotscbnoj  Mys.  Zerrissene  FelaenkUste.  Gavaruschetschia  Buchta.  Nerpen-  (Seebnnds) 
Jagd.  Seeottern.  Kolonie  von  Seevögeln.  Dreistigkeit  eines  Blaufuchses.  Das 
Vorgebirge  Peregrobuoj.  Ankunft  in  Tolstoj  Mys.  Seeknhreste.  Riff.  Dreizehige 
HOwen.  WUdea  Wetter.  Geswangene  Mlebttgiing  am  Strande.  Daa  Unwetter  dauert 
fort  Komandor.  Auffindung  von  Resten  der  Expedition  Beringe.  Abergllabischer 
Widerstand  der  aR'utischen  Bootsleute.  Die  Ruinen  der  Wohnungen  Bering*»  und 
seiner  Gefährten.  Das  Thal  von  Polovino.  Bachforellen.  Brombeeren.  Staraja  Gavan. 
Badaett  Hans  nnd  Charten.   UmaebMhmg  von  TookQ  Mja.   Sarannaja  Bnebta.  Das 

Wetter  bi-.^scrt  sich.  Ankunft  in  der  Sarannaja  Buchta.  Lachswehr.  Botanisoher 
Fand.    Frohes  Mahl.  Umschiffung  der  Nordspitze  der  Berings-Insel.  Rttokkehr. 

Es  sind  schon  mehr  als  hundert  und  vierzig  Jahre  verflossen, 
seitdem  der  berühmte  dänische  Seefahrer  im  rassischen  Dienste  Yitns 
Bering  mit  seinen  Unglücksgefährten  auf  einer  unbekannten  und  unbe- 
wohnten Insel  hundert  englische  Meilen  östlich  von  Kamtschatka  landete, 

nachdem  sie  monatelang  auf  dtui  imgabtlicheu  Wellen  des  iiürdlichcn 
Stillen  Oceuiis  henimgetriebca  waren.  Fast  die  ganze  Mannschaft 
war  von  Skorbut  augegriti'en,  viele  starbeUf  auch  der  Kommandeur; 

Ueegr.  BlXtter.  Breneii,  18M.  17 


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—  226  — 

das  Schiff  wurde  an  den  Klippen  zerschlagen,  der  kalte  stürmische 
Winter  mehrte  die  Leiden,  kurz  die  ganze  Expedition  mit  allen 
Teilnehmern  schien  dem  Untergänge  geweiht  zu  sein.  Es  war  aber 
einem  deut scheu  Manne  zu  verdanken,  dafs  nicht  nur  die  Mehrzahl 
der  Teilnehmer  am  Leben  blieb,  sondern  auch  die  Expedition  einen 
unvergelslichen  Namen  in  der  Geschichte  der  Wissenschaft  sich  erwarb. 

Bering  liefe  der  Insel,  auf  welcher  er  starb,  seinen  Kamen, 
nnd  die  Gruppe,  zu  welcher  sie  gehört,  KomandorskiJ  Ostrova,  wank 
nach  seinem  Rang  benannt.  Noch  sind  nach  ihm  getanft  die  Bertngs- 

See,  die  Berings-Strafse,  ein  Vorgebirge  in  Asien  und  ein  Meerbusen 
in  Amerika.  Was  erinnert  aber  in  diesen  Regionen  un  den  unsterb- 
lichen Steller,  den  lierodot  dieser  entfernten  Länder  ?  Suchet  auf 
der  Karte  der  Insel,  welche  er  so  geistvoll  beschrieb,  nach  seinem 
Namen!  Nirgends  ist  er  zu  finden,  während  drei  Vorgebirge  mit 
den  Namen  der  Leutnants  und  Steuermänner  Berings  belegt  sind, 
die  doch  das  ganze  Unglück  verschuldeten:  Kap  Vaxel,  Kap  Chitrovo 
nnd  Kap  Jushinl  Der  Better,  der  Verewiger  der  Expedition  ist 
dagegen  in  Vergessenheit  geraten.  Es  ist  hohe  Zeit,  dals  das  Yer- 
säomte  nachgeholt  werde,  nnd  ich  rechne  es  mir  zur  Ehre  an,  dals 
es  mir  vergtant  ist,  diesem  grofsen  deutschen^  Forschongsreis^den 
in  den  „Deutschen  Geographischen  Blattern"  die  lange  versagte 
Gerechtigkeit  widerfahren  zu  lassen.  Die  höchbte  Bergspitze  der 
Berings-Insel  wird  fortan  Mount  Steller  litif^sen! 

Um  den  jetzigen  Zustand  dieser  Insel,  auf  welcher  Steller  mit 
den  Überlebenden  den  Winter  1741 — 42  verbrachte,  und  von  welcher 
er  ans  seine  nnabertreffliche  Beschreibung  hinterlassen  hat,^)  2U 
schildern,  wähle  ich  eine  Bootexpedition,  welche  ich  im  Herbste  1882 
unternahm;  durch  sie  umschiffte  ich  die  Insel,  bekam  sie  also  von 
allen  Seiten  zu  sehen. 

Eine  solche  Umsegelung  gehörte  mit  zu  dem  Programme,  das 
ich  mir  für  meine  Unternehmuni^iMi  entworfen  hatte.  Es  si»lltt'  vine 
Art  Rekognoszierungstour  sein,  um  auf  die  loirbtoste  Weise  au.-Uudii,' 
zu  machen,  wo  es  sich  in  der  Zukunft  am  besteu  verlohnen  würde, 
die  Kräfte  zur  Erforschung  zu  konzentrieren.  Der  Plan  war  wohl 
bedacht,  die  Gründe  für  und  wider  erwogen.  Die  Gegengründe 
stausten  sich  darauf,  dafs  eine  Umsegelung  in  einem  offei^a  Boote 
etwas  gewagt  sei,  weil  die  Insel  der  Häfen  fast  gftnzUch  entbehrt,  so 
dafs  schon  bei  geringem  Winde  —  und  der  ndrdliche  Padfische  Ocean 
verdient  seinen  friedlichen  Namen  ganz  entschieden  nicht  —  eine 
Landung  gefährlich,  wo  incliL  gänzlich  unmöglich  wird,  der  gewaltigen 

PftÜM,  neu«  tundischa  Beitiäg»  IL  1798. 


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—  227  — 

Brandung  wegen.    Noch  kam  hinzu,  dafs  die  dortigen  Aleuten  zag- 
hafte Seeleute  sind,  wenn  sie  nicht  in  ihren  leichten,  mit  Seehunds- 
fellen überzogenen  Bajdarken  sitzen.    Auch  die  Jahreszeit  war  nicht 
besonders  günstig:  es  begann  schon  herbstlich  zu  werden,  und  der 
Nebel,  wegen  dessen  die  Berings-See  so  berüchtigt  ist,  war  leider 
etwas  gewöhnliches.  Die  Gründe,  welche  zu  Gunsten  des  Unter- 
nehmens sprachen,  waren  andererseits,  dafs  es  die  einzig  mögliche 
Weise  war,  zmn  Ziel  zu  kommen,  weil  die  Fahrt  mit  Hundeschlitten 
zu  roflhsam  sein  würde,  bevor  der  Schnee  kam,  and  dann  wflrde  es 
wiederum  unmöglich  sein,  nach  BffHna  (Seekuh-Skeletten)  zu  suchen. 
Sollte  ich  80  glücklich  werden,  ein  solches  zu  finden,  so  war  auch 
ein  Boot  das  einzige  Beförderungsmittel,  um  das  Skelett  mit  uach 
Hause  zu  bringen.    Also,  frisch  gewagt,  halb  gewonnen! 

Zwei  Umstände  verhinderten  mich,  den  Hochsommer  für  diese 
Expedition  zu  benutzen.  Erstens  hatte  ich  damals  noch  niemanden, 
der  während  meiner  Abwesenheit  die  meteorologischen  Beobachtungen 
übernehmen  konnte  und  zweitens  konnte  ich  vor  Schlufs  des  Pelz- 
robben- (Ckülorhifius  ursmua)  Schlagens  keine  Leute  bekommen. 

Erst  im  Monat  August  konnte  ich  an  die  Ausführung  meiner 
Plüne  denken.  Der  geftllige  Agent  der  russisch  r  amerikanischen 
Handelsfirma,  welche  die  Inseln  gepachtet  hat,  Herr  G.  Ghernick, 
übernahm  gütigst  die  Observationen  der  meteorologischen  Station; 
der  Starosta  —  der  gewählte  Gemeindevorsteher  der  Eingeborenen  — 
wählte  unter  den  sich  meldenden  Freiwilligen  die  sechs  zuverlässigsten 
Seeleute  und  Schützen  aus;  Kapitän  John  Sandman,  der  liebens- 
würdige Generalagent  der  Firma,  versah  mich  mit  allerlei  not- 
wendigen Ausrüstungsgegenständen,  und  der  um  die  Inseln  so  hoch- 
verdiente Verwalter  derselben,  Herr  Hofrat  N.  von  Grebnitski,  machte 
mir  überhaupt  erst  die  Expedition  möglich,  indem  er  mir  das  groüse 
Boot  der  russischen  Krone  zur  Verfügung  stellte.  Audi  gab  er 
ErUiubnis,  Pelzrobben  zum  Proviant  zu  schlachten  und  femer  See- 
hunde zu  diesem  Zwecke  zu  schiefsen,  obwohl  die  Schonzeit  erst 
mit  dem  31.  August  aufhdrte;  kurzum,  alle  waren  mir  mit  Bat  und 
That  behülflich. 

Das  Boot  war  ziemlich  schwerfällig  imd,  wie  es  sich  später 
zeigte,  fast  untauglich  zum  Kreuzen,  jedoch  stJUiir,  neu,  dicht  und 
ziemlich  genlumig.  Die  Segel  waren  verhältnismafsig  klein,  aber 
neu.  Wir  hatten  keine  Zeit,  vielleicht  auch  nicht  Fantasie  genug, 
um  es  mit  einem  speziellen  Namea  zu  taufen,  und  nur  als  die 
«Krons  Schlupka"  wurde  sie  von  anderen  unterschieden;  beim  all- 
täglichen Gebrauch  hieb  sie  einfach  ^Sehlupka^.  Hineingestauet 
worden  nun  eine  Kiste  fttr  meine  Sammlungen,  eine  Kiste  (100  Pfd.) 

17» 


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Hartbrot,  etwas  gesalzenes  Fleisch,  Zacker,  Thee,  Kochkessel,  einiges 
Werkzeug,  darunter  Äxte,  eine  Erdiiacke  und  ein  paar  Spaten; 
schliefslich  noch  ein  altes  Bajdarä^y^e'^e],  welches  als  Zelt  dienen  sollte, 
nebst  Bärenfellen  und  wollenen  Decken.  Delikatessen  wurden 
nicht  mitgenommen,  weil  ich  es  mir  zur  Regel  gemacht  habe,  auf 
dergleichen  Expeditionen  von  dem  gleichen  Proviant  zu  leben  wie 
die  Leute.  Das  einzige  war  einige  Flaschen  Alkohol  für  die  Ruderer 
nach  harter  Arbeit  und  bei  schlechtem  Wetter  und  für  die  —  See- 
tiere. Von  Schiefswaffen  nahmen  wir  mit:  sieben  gezogene  Flinten 
und  zwei  ausgezeichnete  Yogelbttchsen.  Mit  Instrumenten  war  ich 
leider  schwach  versehen,  was  seinen  Grund  in  meiner  eiligen  Abreise 
▼on  Amerika  hatte.  Ein  Azimuth-Kompafo,  ein  Anerold  und  Ther- 
mometer waren  deshalb  alles,  was  ich  mitnehmen  konnte. 

Aufser  einem  der  Bedienten  der  Handelskompagnie,  einem  Letten 
aus  Riga,  welcher  mich  als  Freiwilliger  begleitete,  bestand  die 
Mannschaft  aus  sechs  halb-  bis  siebenachtel-bluts-Aleuten  mit  Ignatij 
BadÄefi^  einem  schlanken,  hohen,  kräftigen  Kinundfünfziger,  als 
Steuermann,  während  die  übrigen,  Dinis  Burdukovskij,  Jeograf 
Grigorjeff,  Vasilij  Maltsoff,  Gavriel  Pankoff  und  Grigorg  Startsoff*, 
junge  Leute  zwischen  20  und  30  Jahren  waren. 

Alles  war  jetzt  zur  Abreise  fertig.   Wir  zögerten  aber  noch 

einige  Tage,  weil  das  Wetter  ziemlich  ungünstig  war,  Nebel  uuil 
Stilten  oder  schwacher  Gegenwind  herrschten,  so  dais  von  segeln 
keine  Rede  sein  konnte. 

Als  aber  der  21.  August  kam,  ohne  Veränderung  zu  bringen, 
beschlossen  wir  dennoch  zu  fahren,  und  lieber  zu  rudern,  als  ruhig 
im  Dorfs  zu  warten. 

Das  Dorf,  in  welchem  die  dreihundert  £inwohner  der  Berings- 

Insel  wohnen,  liegt  am  Fufse  eines  unirefähr  260  Fufs  hohen  Basalt- 
rückens, unter  dessen  nördlichem  Abhang  und  so  dicht  am  Ufer, 
dafs  die  winterliche  Brandung  die  Häuser  bespritzt  und  die  Um- 
zäunung der  (iebäude  der  Kompagnie  herausgerissen  hat.  Um  die 
Lage  näher  zu  bezeichnen,  sei  erwähnt,  dafs  es  au  der  westlichen 
Seite  der  Insel  gelegen  ist,  nicht  weit  von  der  Nordwestspitze,  iu 
der  inneren  Ecke  einer  schwachen  Einbuchtung  der  Küste.  In  Ver- 
bindung mit  einem  Inselchen,  —  Toporkoff  genannt,  von  den  vielen 
hier  bratenden  TcparM,  Seepapageien  (Lunda  drrhaia)  —  wird 
dadurch  eine  Art  Hafen  gebildet,  der  diesen  Namen  aber  kaum 
verdient. 

*)  Eine  Bajdarä  ist  ein  grofm  acht-  bis  sechszelinniderigeK  Boo^  welches 
au  «inem  mit  SeelöwenfeUen  flbenogenen  Hobgestell  bettoht 


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—  229  — 

Gerade  in  der  Ecke,  in  welcher  das  Dorf  liegt,  mflndet  ein 
ruhiges  Ftfl&chen;  es  ist  dasselbe,  welches  Steller  mit  dem  Namen 
„Osemaja^  belegte,  und  welches  er  folgendermafsen  schilderte :  „Der 

andere  Platz  ist  115  Werst  von  der  südöstlichen  Landspitze  und 
50  von  der  nordwestliclieii  befindlich,  und  noch  weiter  kennbar, 
weil  das  Land  sich  an  eben  dem  Ort  aus  Norden  nach  Westen  wendet, 
in  dem  Winkel  aber  selbst  ein  Fl (i Ischen  sich  öffnet,  welches  unter 
allen  auf  diesem  Eiland  das  beträchtlichste,  und  bei  hohem  Wasser 
an  der  Mündung  6  bis  8  Fufs  tief  ist.  Dieser  Flufs  fällt  aus  dem 
gröfäten  Insee  auf  diesem  Lande^)  und  wird  von  der  See  ab  nach 
dem  Insee  immer  tiefer,  so  dafs  man  ohne  grofse  Mühe  durch 
denselben  in  den  auf  IVa  Werst  yon  der  Mündung  entfernten  Insee 
kommen,  und  daselbst  desto  sicherer  stehen  kann,  weil  selbiger 
rings  umher  mit  steilen  Felsen  als  Mauern  umgeben  ist,  die  wieder 
alle  Winie  bedecken.  Ich  habe  diesen  Flufs  Osemaja*)  genannt, 
und  ist  der  Ort  vor  anderen  dadurch  noch  kenntlicher,  dafs  der 
Mündung  gegenüber  im  Süden  eine  kleine  Lisel'M  liegt,  die  im 
Umkreis  eine  Meile  grofs,  und  nur  eine  Meile  von  der  Flulsmüuduug 
entfernt  liegt. 

Diese  Beschreibung  zeigt,  daCs  vieles  sich  seit  der  Zeit  geändert 
hat,  hier  wird  es  aber  genügen,  zu  bemerken,  dafs  der  Flufs  jetzt 
bedeutend  untiefer,  ausgenommen  an  der  Mündung,  und  die  See 
kleiner  ist  als  damals,  so  dafs  sie  jetzt  nur  fOr  Bigdarken  zugänglich 
ist.  Ich  werde  zu  diesen  Thatsachen  andererorts  zurückkehren, 
wenn  ich  die  Bearbeitung  der  gesammelten  Beweise  fOr  die  Hebung 
des  Landes  vollendet  haben  werde. 

Das  Dorf,  welches  von  den  Eingeborenen  schlechthin  „Gavan", 
Hafen,  genannt  wird,  hat  erst  in  neuerer  Zeit  einen  eigenen  Namen, 
indem  die  Manuskrijitkarten  der  russischen  Kriegsschiffe  es  jetzt 
Grebnitski<  Hafen,  nach  dem  jetzigen  Administrator,  nennen.  Alle 
Bewohner  der  Insel  haben  hier  ihre  Wohnungen,  teils  hölzerne,  rot 
angestrichene  Hftuser,  teils  niedrige  Erdhütten,  Jurten. "^j  Die  Häuser 
liegen  an  regelmftfsigen  Strafsen,  und  wären  die  Schlittenhunde  nicht 

•'')  Dies  ist  ein  Irrtum.  Gavanskoje  Osero  ist  nicht  der  gröfste  Binnensee; 
diesen  hat  Stoller,  wie  es  scheint,  nicht  gekannt.  Aach  nicht  unter  der  Annahme, 
dafs  die  ganze  den  Biiniensee  jetzt  umgebende  Tundra  damals  unter  Wasser 
stand,  würde  jener  der  gröfste  sein. 

*)  Bedeatot:  «von  der  Insee.*  L.  S. 

()  Toporkoff.  L.  S. 

•)  Nene  Nordische  Beitrige  n,  1798,  peg.  268—267. 

')  Nach  Nordenskjölds  Darstellung  sollte  man  glauben,  dafs  die  Häuser 
ungemein  klein  und  kleiner  wie  die  Jurten  wiren;  dies  i&t  aber  nicht  der  Fall. 
Di«  Bänser  siod  bedeutend  gröfser  und  varüren  zwischen  24'  X  20*  and  19'  X  16'. 


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—  230  — 

da  und  die  Stangengerüste  mit  den  getrockneten  Lachsen  oder  die 
stinkenden  Robbenkadaver,  das  kleine  Dorf,  welches  eine  dem 
sibirischen  Heiligen  Inakentg  geweihte  Kirche,  die  stattlichen  Geb&ade 
der  Kompagnie  und  das  ansehnliche  Haus  des  Beamten  anfisuweisea 
hat,  würde  einen  Vergleich  mit  manchem  Ort  von  Ahnlicher  GröHse 
in  den  reichsten  und  best  zivilisierten  Teilen  von  Europa  glänzend 
aushalten  können.  Im  grofsen  und  ganzen  läfst  sich  von  den  dortigen 
Verhältnissen  nur  lobend  reden.  Die  Leute  sind  glücklich,  glücklicher 
wie  viele  Millionen  ihrer  Mitmenschen,  und  könnten  noch  glücklicher 
sein,  wenn  sie  es  nur  wollten.  Holfeutlich  wird  es  dem  Herrn  von 
Grebnitski,  dem  jetzt  eine  gebildete  Frau  zur  Seite  steht,  gelingen, 
seine  Pi&ne  für  das  Wohl  der  Gemeinde  weiter  zu  führen.  Auch 
der  Handelskompagnie  gebührt  alle  Ehre  für  die  Sorgfalt  und 
Opferwilligkeit,  womit  sie  bestrebt  ist,  den  Eingeborenen  nach  allen 
Bichtungen  hin  hülfreich  zu  sein.  Ich  erwähne  nnr,  dafs  sie  samt- 
liche Hauser  der  Eingeborenen  gebaut  und  denselben  mentgeUUch 
Oberwiesen  hat,  dafs  es  die  Absicht  ist,  so  lange  zu  bauen,  bis  alle 
Familien  mit  Häusern  versehen  suid,  dali  sie  m  diesem  Jahre  wahr- 
scheinlich eine  neue  Kirche  bauen  wird  u.  a. 

Aufser  diesem  Dorfe  giebt  es  noch  vier  ziemlich  bedeutende 
AnsiedelunLren  von  Erdhütten  auf  der  Insel,  die  nur  zu  gewissen 
Zeiten  bewohnt  sind,  n&miich  Fedoskya,  Staraja  Gavan,  Öarauua 
und  Sevemy,  welche  wir  später  kennen  lernen  werden. 

Nun  nur  noch  ein  paar  Worte  zu  der  beigefügten  Karte. 
Wie  gesagt,  der  sogenannte  Hafen  ist  ftuCserst  offen,  und  bei 
westlichen,  besonders  nordwestlichen  Winden  walzen  sich  die  schäu- 
menden Wogen  des  Oceans  unbehindert  gegen  die  Küste.  Die 
sicherste  Einfahrt  ist  zwischen  der  Toporkoff -Insel  und  dem  Riff; 
doch  mufs  man  si(h  näher  an  erstere  halten,  um  den  ziemlich 
weit  ausliegenden  Basaltklippen  des  Riffes  zu  entgehen;  bei  hohem 
Wasser  und  ruhiger  See  brechen  die  Wellen  nicht  über  die  aussersten 
Klippen.  Den  besten  Ankergrund  hat  man  auf  6  Faden  Wasser, 
Boothaus  am  Riff  S,  Kompaguies  Flaggenstange  0  zu  0  N,  alles 
per  Kompafs.  Bei  hohem  Wasser  und  ziemlich  ruhiger  See  kann 
dicht  an  den  Häusern  der  Kompagnie  mit  Boot  gehuidet  werden; 
bei  niedrigem  Wasser  ist  es  nur  unter  Leitung  eines  tüchtigen 
Lootsen  müglich,  der  die  Sandbänke  an  der  Mündung  des  Flülschens 
kennt  Während  der  Ebbe  oder  wenn  heftiger  sadwestlicher  Wind 
weht,  kann  man  ziemlich  bequem  an  dem  rotangestrichenen  Boot- 
hause direkt  S  vor  dem  Ankerplätze  landen.  Bei  starkem  Nordwest 
ist  das  Landen  schlechterdings  unmöglich.  Die  nördliche  Hinfahrt 
ist  nicht  frei  von  Gefahien,  erstens  von  Seiten  der  zahlreichen 


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—  231  — 

Klippen  an  der  Nordwestspitze,  Zapadnfj  Mys,  herum,  wo  das  Wasser 
noch  obendrein  ziemlich  untief  ist,  so  dafs  es  manchmal  bei  heftigen 
Stürmen  weit  ins  Meer  hinausbrandet,  sondern  auch  wegen  der  zwei 
Steingruppen,  die  zwischen  Kitovij  Nepropusk  und  Arij  Kamen 
liegen,  und  die  bei  hohem  Wasser  und  ruhiger  See  nicht  zu  entdecken 
sind.  Nordenskjöld  kam  mit  der  „Vega*'  diesen  Weg,  and  die 
Bewohner  versicherten  mich,  daCs  sie  emsUich  besorgt  waren,  es 
kdnnte  dem  unbekannten  Dampfer  ein  Unglück  passieren,  als  sie  ihn 
▼on  der  Seite  und  ziemlich  nahe  ans  Land  herankommen  sahen. 
Der  Polovino  Kamen,  dessen  al^ntischer  Name  Alitana  ist,  und  der 
zwischen  Toporkoff  und  der  Arij -Insel  liegt,  ist  immer  sichtbar. 
Am  besten  ist  es  jedoch,  immer  südlich  von  der  Arij  Kamen  zu  gehen, 
wie  es  die  rufsischen  Kriegsschiffe  be.sUiiidig  thun.  Die  Gegend  ist 
sehr  leicht  an  zwei  Gruppen  eigentümlicher  Tafelberge  kenntlich, 
die  durchschnittlich  600  Fufs  hoch  und  ziemlich  gleicher  Höhe  sind. 
Die  westliche  Grui>pc  besteht  aus  zwei,  die  östliche  aus  drei  dieser 
runden,  oben  flach  abgeschnittenen  Berge  mit  den  gleichförmig 
abfallenden  Seiten,  und  wenn  man  von  Kamtschatka  kommt  und 
gerade  auf  den  Hafen  zusteuert,  erkennt  man  sie  schon  Ton  weiter 
Feme.  Ein  besserer  Name  als  Tafelberge  ist  die  Bezeichnung  der 
Eingeborenen,  die  sie  Bajdaren  oder  Lotken  nennen,  denn  wirklich 
sehen  sie  wie  auf  das  Land  geschleppte  und  umgekehrte  riesige 
Bajdaren  aus. 

Aber  zu  unserer  Reise  zurück!  Am  Montag  Morgen,  den 
21.  August,  ruderten  wir  aus  ;,dem  Hafen"  hinaus.  Nachdem  das 
Riff  umschifft,  war  das  Dorf  unseren  Augen  entschwunden.  Der 
Kurs  wurde  sogleich  auf  das  nächste  Vorgebirge,  Kitovij  Mys 
(Walfisch -Kap)  gestellt  und  nun  ging  es  langsam  gegen  Südost 
Zwischen  Riff  und  Kito?y  zieht  sich  «das  Land  zurück,  eine  weite 
offene,  doppelt  gerundete  Bucht  bildend.  Auf  den  älteren  Karten 
ist  hier  ein  Vorgebirge  angegeben,  welches  Fedoskga  Mys  genannt 
wird,  so  etwas  existiert  aber  nicht;  bei  dem  Platze  Fedosk^a,  wo 
die  meisten  Kartoffelgärten  der  Eingeborenen  gelegen  sind,  fängt 
aber  ein  felsiges  Riff  an,  das  die  ganze  Insel  mit  wenigen  Unter- 
brechungen, die  meistens  auf  der  Westseite  vorkommen,  umgiebt  und 
das  Fahrwasser  um  die  Insel  so  gefährlich  macht.  Fedoskija  Buchta 
war  mir  schon  genügend  bekannt,  wefswegen  wir  dort  nicht  landeten; 
hier  mögen  aber  doch  ein  paar  Worte  über  den  dort  betriebenen 
Ackerbau  und  die  Landwirtschaft  eingeschaltet  werden. 

Das  dortige  Klima  verbietet  natürlicherweise  den  Anbau  von 
irgend  weldier  Getreideart  Für  Kartoffeln  und  Rttbeo  genügt  aber 
gewöhnlich  der  feuchte  und  kOhle  Sommer,  der  doch  bisweilen  — 


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—  232  —  j 

80  zum  Beispiel  im  Jahre  1884,  wie  man  mir  berichtet  hat  —  nkibt  I 
viel  mehr  wie  ein  „grOner  Winter"  ist.   Gewöhnlich  aber  reidit 
die  Wftrme  bin,  um  die  Einwohner  mit  diesen  Produkten  zn  ver- 

sehen.    Wenn  sie  aber  die  Sache  ein  bischen  besser  verständen, 
uiul  wenn  sie  ein  wenig  mehr  Arbeit  darauf  verwenden  würden,  j 
könnte  die  Ernte  wohl  noch  bedeutend  besser  ausfallen.  Kartoffel- 
g.lrt«^!  tiiulen  sich  an  zwei  Stellen  auf  der  Insel.    Erytens  bei  Sta- 
raja  Gavan,  einem  H (Ittendorf  au  der  östlichen  Seite  der  In.sel, 
gerade  i^'e^enüber  dem  Grebnitski-Iiafen,  wo  in  früheren  Zeiten  die 
Hauptniederlassung  war  und  wo  die  kleinen  Falirzeuge  der  Pelz-  | 
abenteurer  ankerten,  das  aber  jetzt  nur  zeitweise,  das  heifst  während  I 
der  Kartoffelernte  und  des  Fuchsfangs,  bewohnt  wird.  Die  Lage  ist 
hier  ziemlich  gut  und  der  Boden  ausgezeichnet;  es  ist  aber  zu  ent- 
fernt vom  Hauptdorfe  und  die  Fahrt  dorthin  im  Sommer  mit  Hunde- 
schlitten zu  beschwerlich,  um  eine  genügende  Aufsicht  der  Garten  l 
zu  erlauben,  wenn  die  Leute  nicht  auf  dem  Platze  wohnen,  und 
dazu  scheinen  sie  erstens  wenig  Neigung  zu  haben,  weil  sie^  viel 
mehr  auf  die  Geselligkeit,  als  auf  den  Kartoflfelbau  geben:  zweitens 
sieht  es  die  Verwaltung  auch  nicht  gern,  dafs  die  Bewohner  sich 
zu  lange  weit  vom  Dorfe  aufhalten.    Der  zweite  Platz,  Fedosk^a, 
eben  der,  an  dem  wir  jetzt  vorüberfuhren,  liegt  aber  viel  n&her,  so 
dafe  man  in  einigen  Stunden  dahin  gehen  kann.  Nichtsdestoweniger 
sind  die  Gärten  den  ganzen  Sommer  ohne  Aufsicht,  weil  die  Manner 
mit  dem  Robbenfang  und  die  Frauen  mit  dem  Lachsfang  beschäftigt 
sind.   Dazu  kommt,  dafs  der  Boden  arm  und  kalt,  die  Lage  we^st- 
lieh,  die  Bearbeitung  so  oberflächlich  wie  nur  möglich,  und  die  Aus- 
saat viel  zu  dicht  ist,  so  dafs  man  sich  eher  wundern  mufs,  dafs 
eine  Durchschnittsgröfse  der  Kartoffeln  von  4  Centimeter  Durch- 
messer erzielt  wird,  und  dafs  Rüben  von  der  doppelten  Gröfse  nicht 
selten  sind.    Viel  bessere  Resultate  würen  zweifelsohne  zu  erlangen, 
wenn  die  Gärten  direkt  neben  dem  Dorfe  nni^olei^t  werden  könnten; 
dies  ist  aber  kaum  möglich  der  zahlreicheu  Schlittenhunde  wegen, 
die  sich  wohl  zu  sehr  für  die  Gikrtnerei  interessieren  würden.  So 
steht  es  mit  dem  »Ackerbau*.  Was  nun  die  „Viehzucht*  betrifft, 
so  ist  es  mit  diesem  Zweig  der  „Landwirtschaft*  nicht  yiel  besser 
bestellt.  Die  Handelskompagnie  hat  es  sich  angelegen  sein  lassen, 
das  Halten  von  Kühen  bestmöglichst  zu  ermuntern.    Sie  hat  des- 
halb als  ein  ;xutes  Beispiel  einen  geräumigen  Stall  gebaut,  unterhalt 
eine  Anzahl  von  Rindern  —  während  meines  Aufenthaltes  nicht 
weniger  als  18  —  und  beschenkt  bisweilen  den  einen  oder  anderen 
der  Einwohner  mit  einem  der  Tiere.    Wie  es  aber  jetzt  ge- 
ordnet ist,  kann  die  Sache  unmöglich  gelingen,  aus  verschiedenen 


—  233  — 

Gründen.  Erstens  giebt  es  in  der  ganzen  Gegend  keinen  einzigen 
Mensdien,  der  $uch  nar  den  mindesten  Begriff  von  Viehzucht  hat; 
kein  einziger  ist  «Landmann**  gewesen  in  dem  Sinne,  wie  wir  es  hier 
nehmen.  Wenn  sie  es  auch  so  weit  gebracht  haben,  dafs  sie  wissen, 
wie  eine  Kuh  gemollcen  werden  soll,  so  weifs  keiner  von  den  Leuten 
anderes  mit  der  Milch  anzufangen  als  sie  einfach  zu  verzehren,  und 
um  die  Einwohner  mit  frischer  Milch  zu  versehen,  ist  doch  der 
ganze  Apparat  zu  j^rofsartig  und  der  Mühe  kaum  wert.  Die  Kom- 
pajjnie  sandte  eine  Patent-Buttermaschine  heraus,  aber  keiner  ver- 
steht sie  zu  benutzen,  und  keiner  kümmert  sich  auch  darum;  aber 
selbst  wenn  jemand  es  verstände  und  wollte,  es  wäre  keine  Milch 
da  zu  buttern,  denn  unter  den  18  Stück  Vieh  der  Kompagnie  waren 
nur  4  Milchkühe,  und  da  sie  von  der  kamtschatischen  Basse  sind, 
80  verweigern  sie  die  Milch,  sowie  man  ihnen  die  K&Iber  nimmt 
Es  ist  ziemlich  bezeichnend,  dafs  mit  einem  Viehstand  von  achtzehn 
Köpfen  die  Milch  bisweilen  nicht  einmal  fOr  die  kleine  Haushaltung 
des  Agenten  ausreichte.  Nun  kommt  noch  hinzu,  dafs  die  Ein- 
geborenen sclnverlii  Ii  dazu  zu  bringen  sind,  feste  Dienste  zu  nehmen, 
so  dafs  es  nicht  selten  schwer  hält,  eine  Frau  zu  finden,  die  das 
Melken  übernehmen  will,  oder  einen  Burschen,  den  Stall  rein- 
zuhalten, oder  Kinder,  um  die  Kühe  zu  hüten  und  zu  treiben.  Futter 
wachst  reichlich  in  den  Thälcrn  über  die  ganze  Insel,  besonders 
um  das  Dorf  herum.  Im  Spatsommer  wird  es  abgemäht,  getrocknet 
so  gut  wie  es  sich  in  dem  feuchten  Klima  machen  l&fst  und  in 
grolsen  Schobern  aufgestapelt,  die  entferntesten  kaum  anderthalb 
deutsche  Meilen  vom  Dorfe.  Dieses  Heumachen  ist  aber  eine  be- 
deutende Afibire.  Nicht  dafs  die  Herren  Mäher  des  morgens  früh 
hinausgeben  und  abends  zurückkehren,  nein,  sie  müssen  mit  einem 
Zelte  von  der  Kompagnie  versehen  werden,  der  Samovar  darf  nicht 
fehlen,  und  nichts  wie  Zwieback  geiressen  werden,  und  dieses  Kam- 
pieren und  Heumaclien  wird  deshalb  eher  als  eine  Vergnügunirstour 
betrachtet  wie  eine  notwendige  Arbeit.  Ist  das  Wetter  gut,  so 
arrangieren  die  im  Dorfe  zurückgebliebenen  Freunde  und  Verwandte 
„Pic-nics",  was  nicht  immer  der  Arbeit  förderlich  ist;  ein  ameri- 
kanischer oder  europaischer  Bauer  leistet  wahrend  der  Erntezeit 
ebensoviel,  wie  zehn  von  den  Eusso-AlSuten,  und  doch  ist  der  Tage- 
lohn  auf  der  Insel  ebenso  hoch  oder  höher  als  an  manchen  Stellen 
in  Deutschland  auf  dem  Lande.  Erst  wenn  der  Winter  kommt, 
kann  das  Heu  mit  dem  Hundeschlitten  auf  dem  Schnee  nach  Hause 
gebracht  werden.  Dann  geht  es  wiederum  lustig  her!  Zahlreiche 
Schlitten  mit  nenn  bis  dreizehn  vorirespannten  Hunden  werden  en'-ja- 
giert,  uad  wahrhaft  bunt  und  malerisch  ist  es  dann,  wenn  die  ganze 


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—  234  — 

Karawane  auf  dem  Eise  in  einer  Linie  dem  Dorfe  ziitrabt,  und  wenn 
sie  Einzug  halten,  begrüfst  von  dem  Heulen  und  Bellen  der  zu  Hause 
gebliebenen  Hunde,  wahrend  der  freudestrahlende  Aleute  hoch  ob^ 
auf  dem  Heufuder  seine  belleoden  Unterthanen  mit  den  alles  über- 
täubenden Zurufen  »Kaki^  und  »Hu*  oder  »Hugi'  rechts  odor  links  zn 
lenken  sucht.  Wenn  der  Winter  Torflber  ist,  so  sehen  wir  ringsherum 
noch  manchen  von  den  entferntesten  Schobern  nnberOhrt,  denn 
wer  konnte  wohl  im  voraus  wissen,  wie  lange  der  Wnter  dauern 
und  wie  viel  jede  Kuh  fressen  würde  ?  Kann  es  dann  Wunder 
nehmen,  dafs  es  billiu:er  ist,  Heu  in  Ballen  aus  Californien  einzu- 
führen?! NordenskjOld  macht  die  halbwegs  prophetische  Benierkunij 
(Exped.  „Vej^a",  Anier.  Ausg.  p.  618\  ,.dafs  die  Berings-Iiisel 
ohne  Schwierigkeiten  grofse  Heerden  von  Rindern  unterhalten 
wird,  vielleicht  ebenso  zahlreich,  wie  die  Heerden  der  Seekühe,  die 
Mher  an  seinen  Küsten  weideten*^  Mir  ist  es  aber  gftnzlich  uner- 
findlich, mit  welchem  Nutzen  Rinderzucht  hier  getrieben  werden 
könnte.  Es  ist  mir  zwar  erz&hlt  worden,  dats  es  die  Idee  gewisser 
Herren  sei,  eine  grOfsere  Kompagnie  zu  bilden,  welche  eine  solche 
Industrie  im  grofsen  auf  den  Aleutischen  Inseln  treiben  sollte.  Ich 
will  glauben,  es  sei  möglich  für  einige  arbeitsame  und  genügsame 
Familien  in  Alaska  und  auf  den  aleutischen  Inseln,  sich  dabei 
kümmerlich  zu  ernähren;  wie  man  aber  auch  nur  für  einen  Autien- 
blick  glauben  kann,  dafs  eine  Kompagnie  dabei  Geld  verdienen 
würde,  so  lange  noch  freies  Land  in  Amerika  und  Sibirien  leicht 
zu  haben  ist,  bleibt  mehr  als  unbep:reiflich.  Weil  ich  also  der 
Meinung  bin,  daCs  mit  Vorteil  betriebene  Rinderzucht  in  den  dortigen 
Regionen  eine  Unmöglichkeit  sein  wird,  nnd  weil  ich  emsthaft  daza 
anraten  würde,  die  besagte  Wirtschaft  auf  den  Kommander-Inseln 
aufzugeben,  will  ich  damit  nicht  gesagt  haben,  dafe  jede  Art  Ton 
Viehzucht  hier  ungereimt  sei.  Im  Gegenteil,  ich  glaube,  dafs  eine 
verständige  Schafzucht  reichlich  das  Geld  und  die  Mühe  verlohnen 
würde.  Speziell  auf  den  letzgenannten  Inseln  würde  sie  gerade  das 
zu  Stande  bringen,  was  mit  dem  jetzigen  Versuch  der  Einführung 
von  Rindern  seitens  der  Handelskonipagnie  bezweckt  wurde.  So 
lange  die  Pelzrobben  immer  noch  reichlich  an  den  Inseln  vorkommen 
und  sich  vermehren,  wie  sie  es  jetzt  thun,  werden  die  dortigen 
Einwohner  kein  weiteres  »Vieh*"  bedürfen,  vorausgesetzt,  dafs  die 
Preise  des  Robbenpelzwerkes  auf  dem  Weltmärkte  in  der  Zukunft 
nicht  aufserordentlich  heruntergehen.  Dafs  die  heutigen  günstigen 
Verhältnisse  immer  fortdauern  werden,  ist  aber  keineswegs  aus- 
gemacht; denn  erstens  mag  es  passieren,  dafs  die  Tiere,  z.B.  durch 
eine  Pest,  plötzlich  so  reduziert  werden,  dafs  der  Fang  der  übrig 


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—  236  — 

gebliebenea  nicht  hinreichen  würde,  um  die  Einwohner  za  unter- 
halten, und  zweitens  ist  anch  die  Möglichkeit  da,  daÜis  das  Pelzwerk 
aufser  Mode  kommen,  oder  daCs  es  so  täuschend  nachgeahmt  werdisn 
konnte,  dafs  es  sich  nicht  mehr  verlohnen  wfirde,  die  Felle  von  so 

entfernten  Regionen  zu  holen;  hat  doch  die  alte  russische  Kompagnie 
einmal  erfahren  müssen,  dafs  sie  die  Fracht  bis  London  nicht  zu 
decken  im  stände  waren.    Sollte  solch  eine  Kalamität  eintreffen,  so 
würden  die  dortigen  Einwohner  sicherlich  dem  Hungertode  ent- 
gegensehen, denn  die  —  zwar  zahlreichen  —  Lachse  im  Sommer 
und  die  Seevögel  würden  nicht  dazu  reichen,  mehr  als  500  Menschen 
zu  unterhalten.  Dazu  würde  eine  gute  Heerde  von  Schafen  mächtig 
beitragen,  und  die  Einwohner  der  dortigen  Inseln  würden  dann 
besser  situiert  sein,  als  die  Islander  und  die  Bewohner  der  Färder. 
Dafs  Schafe  auf  den  Kommander-Inseln  gedeihen  würden,  wird  eine 
Yergleichung  mit  Island  und  den  FftrOem  au^r  Zweifel  stellen.  Ich 
will  hier  nur  die  Thatsache  anführen,  dafs  drei  Pferde,  welche  im 
Herbste  1862  nach  der  Berings- Insel  gebracht  worden,  den  ganzen 
"Winter  im  Freien  verlebten.    Keine  einzige  Nacht  waren  sie  unter 
Dach;  kein  einziges  Mal  wurden  sie  gefüttert  und  doch  überstanden 
sie  den  Winter  so  gut,  dafs  sie  im  A})ril  1883  in  besserem  Stande 
waren  als  da  sie.  Im  Oktober,  hinüberkamen!  FiS  ist  aber  natürliclier- 
weise  notwendig,  eine  geeignete  Rasse  zu  wählen,  nicht  etwa  Schafe 
aus  Califomien,  sondern  eine  der  abgehärtetsten  Küstenrassen  des 
nördlichen  Europas,  und  dann  wohl  vorzugsweise  die  schottische 
„Black-face^  Rasse.  Eins  rnuDs  aber  vorausgehen,  bevor  Schafzucht 
eingeführt  werden  könnte:  es  müfsten  die  Schlittenhunde  abgeschafft 
werden;  und  diese  sind  wohl  eigentlich  Schuld  daran,  dafs  ein  Ver- 
such mit  Scliafen  niclit  langst  unternommen  wurde.    Selbst  unter 
den  jetzigen  Verhaltnissen  sind  die  Hunde  überflüssig.   Es  wilre 
ein  leiclites  und  billiges,  einen  guten  Weg  zwischen  dem  Dorfe  und 
der  nördlichen  Kobben-„rookery"  anzulegen  mit  einem  Zweig  nach 
„Sarauna",  wo  die  gröfste  Lacbsfischerei  stattfindet,  und  einige 
Pferde  würden  wohl  hinreichen,  um  das  nötige  Salz  nach  der 
jyBookery^  oder  die  getrockneten  Fische  von  Saranna  zu  führen. 
Jetzt  dienen  die  Hunde  wesentlich  dazu,  um  Treibhobs,  welches  um 
die  Küste  herum  aufgelesen  wird,  nach  dem  Dorfe  zu  bringen. 
Nach  den  Aussagen  der  Einwohner  nimmt  aber  das  Treibholz  jähr- 
lich ab,  und  schon  jetzt  bringt  das  Dampfschiff  jährlich  ein  bis 
zwei  Ladungen  Birkenholz  aus  Kamtschatka;  aber,  wie  ich  anderer- 
orts  zu  beweisen  gedenke,  giebt  es  genug  Brennmaterial  für  Ge- 
nerationen in  der  nächsten  Nähe  des  Dorfes  in  Gestalt  weiter 
Strecken  von  Torfmooren.  —  Es  giebt  jetzt  mehr  wie  60ü  Hunde 


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auf  der  Berings-Insel ;  ßOO  Schafe  würden  eine  gute  Stammheerde 
bilden,  ans  welcher  in  Zeiten  der  Not  eine  neue  Industrie  herror- 
wachsen  könnte. 

Bis  EitoTÜ  Mys  ist  die  Kttste  niedrig;  von  da  an  treten 
die  Ber<i;e  ßtmz  nahe  an  das  Meer.  Dicht  am  Wasser  läuft  ein 
schmaler  Strand,  hinter  welchem  ein  perpendikulärer  Absturz,  75  bis 
100  Fufs  hoch,  welcher  die  abwochsolnd  braunen  und  grauen  Schichten 
des  Sandsteines  in  horizontaler  Lage  zeigt.  Die  obere  Kante  dieser 
Wand  ist  schräge  abLreschnitten,  und  unten  am  Fnfse  ist  das  herab- 
gefallene Geröll  gelagert,  so  daCs  der  Durchschnitt  ungefähr  so 
aussieht : 


Durch  herabrieselndes  Wasser  vertikal  gefurcht  und  ausgeschnitten, 
nimmt  dieser  Absturz  an  maiu  heu  Stollen  das  Aussehen  von  Bastio- 
nen, Thtirmen  und  anderen  Festungswerken  an,  und  erscheint  dann 
äufserst  malerisch.  Auf  den  Absturz  folgt  gewöhnlich  eine  schwach 
ansteigende  Strecke,  von  wo  sich  dann  die  abgerundeten  uml  mit 
^[oos  und  Flechten  bekleideten  Berge  unter  einem  Böschungswinkel 
ei'heben,  der  gewöhnlich  45^  bi-  50^  botnigt.  Die  Höhe  der  nächsten 
Berge  variirt  zwischen  900  und  1200  Fufs  englisch.  Das  ganze  Innere 
der  Insel  ist  eine  verworrene  Masse  dieser  Kuppen,  die  kein  System 
eines  Verbindungsrackens  zu  vereinigen  scheint,  an  allen  Seiten  sind 
sie  isoliert  durch  tiefgescbnittene  Thftler,  deren  Seiten  gleichförmig 
in  einer  Steigerung  von  dem  ziemlich  langsam  fliefsenden  Bache, 
der  den  Thalgrund  einnimmt,  bis  zur  Spitze  sich  erheben.  Die 
Bergesabhange  sind  mit  gleichförmigem  klein  gebröckeltem  Geröll 
bedeckt,  das  unter  Moms  und  Flechten  halb  verborgen  ist. 

Um  12  Uhr  landeten  wir  am  Tolstoj  Mys,  wo  wir  ein  leichtes 
Frühstück  einnahmen;  das  heifst,  wir  kochten  Thee,  den  die  Aleutea 
in  grofsen  Quantitäten  zu  trinken  den  Russen  abgelernt  haben,  and 
genossen  dazu  unsere  guten  Zwiebäcke.  Der  Charakter  der  Küsten 
blieb  ziemlich  unverändert  während  unserer  weiteren  Fahrt,  nur 
wurden  die  Abstürze  an  manchen  Plätzen  höher,  nämlich  da,  wo  die 
Berge  ganz  nahe  an  das  Meer  traten.  An  einigen  Stellen  ist  die 
horizontale  Lage  der  Schichten  abgebrochen,  sie  sind  dann  gebrochen 
oder  gebogen,  für  eine  Strecke  einen  Winkel  von  ungefähr  45* 
bildend.  Ks  verschwindet  hier  der  schmale  Strand  und  die  lotrechten 
Felseu  stürzen  direkt  ius  Meer,  ohne  dafs  man  unten  zu  Fufs  oder 


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Am* 


Ltditdnirk  vou  Rflmmler  A  Jona?,  Drw«lm, 


Pestschanaja  Buchta,  Kupfer -Insel, 
nahe  dem  Dorf 


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—  287  — 


mit  Schlitten  vorbeikommen  kann.  Solche  Stellen  werden  Nepropush 
geuaimt.  Ein  solcher  befindet  sich  gleich  jenseits  Podutjosnaja 
Reschka,  wo  die  Schicliteu  auf  einer  Strecke  von  ungefähr  einer 
halben  englischen  Meile  in  Unordnung  geraten,  während  sie  auf 
beiden  Seiten  vollständig  horizontal  sind.  Am  Podutjosnaja  ist  eine 
Jurte  —  eine  Erdhütte,  wo  im  Winter  die  Steinfuchsjäger  wohnen, 
und  von  hier  ist  ein  leichter  Übergang  nach  Bigan,  das  etwas 
nördlicher  an  der  (totUehen  Ettste  der  Insel  liegt. 

An  einer  Tbalöffhung  lag  die  frohere  Poludjonniga  Odinotschka. 
Von  hier  ziehen  sich  die  Berge  ein  wenig  znrQcfc,  die  Kttsien- 
linie  wird  niedriger,  aber  dafür  um  so  pittoresker,  besonders 
südlich  von  der  vorspringenden  Ecke,  die  ich  als  „South  Rookery 
North  Cape*^  bezeichnet  gesehen  habe.  Es  hat  der  Felsen  hier  ganz 
den  Anschein  einer  grofsartigen  Ruine  einer  mittelalterlichen  Festung. 
Genaue  Studien  an  Ort  und  Stelle  haben  mich  überzeugt,  dafs  dies 
der  Platz  ist,  von  dem  Steller  folgendermafsen  schreibt  (N.  Nord. 
Beitr.  U,  pag  262):  „Ich  habe  .  .  .  seltsame  Ansichten  und  Natur- 
spiele unter  diesen  Felsentrümmern  angetroffen,  wie  bei  der  von 
mir  benannten  PesUschera  (SteUersh6hle),  wo  die  Gebirge  eine  Mauer 
und  die  Absätze  daran  Bastionen  und  andere  Festungswerke  sehr 
natürlich  vorstellen.  Hinter  der  Höhle  stehen  eine  Menge  einzelner 
Klippen  hin  und  wieder  am  Ufer  zerstreut,  darunter  man  sich 
Ruinen  von -Mauern  und  Pfeilern,  Gewölbe  und  Bögen  vorstellen, 
und  unter  deren  einigen  hindurch  gehen  kann." 

Um  4  Uhr  15  Minuten  landete  ich  an  dem  einzigen  noch  geblie- 
benen dieser  Bögen,  durch  welchen  Steller  wohl  einmal  geschritten 
ist.  Es  ist  ein  Prachtstück  einer  ganz  isoliert  stehenden  natürlichen 
Ehrenpforte,  die  ich  Steller  zur  Ehre  ^Stellers  Triumphbogen" 
genannt  habe.  Kein  Ehrendenkmal  ziert  sein  Grab  auf  der  wüsten 
Steppe;  Kufslaiui  hat  ihm  niemals  seinen  Freimut  und  seine  Kritik 
der  Ungerechtigkeiten  der  Behörden  vergeben,  aber  Stellers  Name  - 
wird  doch  nicht  vergessen  werden,  und  sein,  mit  den  lieblichen 
weiCsen,  gold&ugigen  Blumen  des  C^r^^anMeiiHimardiMimgeschmackter 
und  mit  den  gelben  Schichten  der  Flechten  (kdqplaea  murormi  und 
erenulata  bunt  dekorierter  Triumphbogen  ist  ein  Denkmal,  wolil 
würdig  des  grofseu  Forschers.  Eine  Skizze,  die  ich  hiermit  die 
Ehre  habe,  den  Lesern  der  „Deutschen  Geographischen  Blatter"  vorzu- 
legen, wurde  jetzt  gezeichnet,  worauf  ich  zu  Fu[s  die  Strecke  bis 
zu  unserem  Nachtlager,  wohin  sich  meine  Gefährten  mit  der  j^Schlupka^ 
schon  begeben  hatten,  zurücklegte. 

Gleich  südlich  von  Stellers  Bogen  ist  der  Wasserfall  (Padun) 
und  die  «Südliche  Bookery''  (Polu4jonn«ja  Loschbischtscha),  ein 


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—  238  — 

▼erbaltnismäfeig  kleiner  Pelzrobbengrund,  dessen  ganze  Beeatznng 

ich  auf  zwanzig  bis  fünfiindzwanzi<?taiisend  Tiere  schätze,  und  von 
wo  jährlich  ungefähr  zweitausend  CholiistJaJci  („Junggesellen*',  drei- 
uud  vierjährige  Männchen)  abgetrieben  und  geschlachtet  werden. 
Es  ist  dies  der  einzige  Piatz  auf  der  Westseite  (oder  Südseite  wie 
Steller  sie  ijezeichuet),  wo  jetzt  Pelzrobben  liegen,  während  sie  zur 
Zeit  von  Stellers  Winterung  weit  zahlreicher  waren,  nach  seinen 
Äudserungen  za  schliefscn.  Er  sagt  nämlich  unter  anderem:  .  .  .  . 
«unzfthlige  Heerden  folgten  nach  und  fflUten  binnen  wenigen  Tagen 
die'  ganze  Kttste  dennaCsen  aa,  dafo  man  ohne  Leib-  und  Lebens- 
gefabr  nicht  mehr  vorbei  kommen  konnte;  ja  an  einigen  Stellen,  wo 
sie  den  Boden  ganz  bedeckten,  zwangen  sie  uns  oft,  den  Weg  aber 
das  Gebirge  zu  nehmen  ....  diese  Tiere  landeten  nur  auf  der 
südlichen  Seite  der  Insel,  dem  Lande  Kamtschatka  gegenüber.*  Aus 
diesem  Citate  geht  hervor,  dafs  er  die  zur  Zeit  gröfste  und  —  die 
eben  erwähnte  ausgenommen  —  einzige  „Rookery",  die  ^nördliche" 
nicht  kannte,  und  dafs  die  Westseite  damals  viel  reichlicher  besetzt 
war  wie  heutzutage.  Jetzt  braucht  man  nicht  Umwege  über  die 
Berge  zu  nehmen,  um  vorbeizukommen.  Zwar  bückte  ich  meinen 
Racken,  um  mich  hinter  dem  hohen,  ans  Ärehan(feaeay  Fieris  und  Spirwa 
bestehenden  Pflanzenwncher  zu  verbergen,  als  ich  die  stinkende, 
brüllende,  blökende  und  mit  den  langen  Fingerlq»pen  der  Hinter- 
fasse sich  fikchelnde  Masse  {kassierte,  aber  dies  geschah  nur,  um  die 
kostbaren  Tiere  nicht  zu  stören.  Übrigens  fing  es  schon  an  zu 
dunkeln,  so  dafs  ich  keine  Zeit  zu  längerem  Weilen  und  Beobachten 
hatte.  Das  kleine  Flüfschen  unterhalb  des  Wasserfalls  —  eine  auf 
der  Beiings-Iiisel,  wo  die  Thäler  schon  sehr  tief  eingeschnitten  sind, 
ziemlich  seltene  Erscheinung  —  wurde  durchwatet,  und  endlich 
langte  ich  an  unserem  Zelte  an,  wo  meine  Aleuten  die  fünf 
geschlachteten  Pelzrobben  reinigten.  W^ährend  unser  Abendmahl, 
aus  Robbenfleiscb,  bereitet  wurde,  fand  ich  noch  Zeit,  einige  Bilanzen 
zu  sanuneln,  darunter  Ddphrnüm  elaktm,  das  ich  anderswo  auf  den 
Inseln  nicht  bemerkt  habe. 

Für  mich  wurden  die  Zungen  und  Herzen  der  Pehsrobben 
reserviert.  Wahrend  ich  kein  Bewunderer  des  Fleisches  dieser  Tiere 
bin,  mufs  ich  doch  zugeben,  dafs  die  genannten  Teile  wahre  Deli- 
katessen sind,  wenn  frisch  und  gut  zubereitet.  Frisch  gegessen 
geben  die  Zungen  den  besten  Rentierzungen  kaum  etwas  nach,  aber 
man  darf  sie  nicht  liegen  lassen,  denn  schon  am  folgenden  Morgen, 
als  ich  sie  kalt  zum  Frühstücke  vermehrte,  war  ein  thraniger  Geschmack 
nichts  weniger  als  eine  Verbesserung.  Gut  gebraten  schmecken  die 
Herzen  Ochsennieren  tauschend  ahnlich.  Die  Mahlzeit  muüste  deshalb 


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—  239  — 

als  befrieiligeud  betraclitet  werden ;  die  Szene  vor  dem  Zelte,  wo  unser 
Lagerfeuer  hoch  aufloderte  und  meine  Aleuten  ihre  grofsen  Bissen 
aus  dem  siedenden  Kessel  herausfischten,  war  aufserst  originell;  die 
Luft  war  nach  dortigen  Verhältnissen  milde  (12,8°  C);  die  unter- 
gegangene Sonne  hinterliefs  noch  einige  Rosa-  und  Purpur  streifen 
an  dem  bewölkten  westlichen  Himmel;  ein  schwaches  Lüftchen  aus 
Sttd  kräuselte  kaum  das  Meer,  dessen  letzte  lange  Wellen  am  Strande 
kaum  fUnfieig  Schritte  yot  unseren  Füfsen  abstarben;  die  ganze 
Natur  war  lauter  Friedel  Kein  Wunder  also,  dals  ich  den  ersten  Tag 
der  Reise  als  glücklich  beendet  betraditete,  und  da£s  ich  voll  Mut 
und  Wohlbehagen  in  mein  Bärenfell  hineinkroch  und  mich  zur 
Kühe  legte.  Einer  nach  dem  anderen  schlichen  meine  Gefährten 
unter  unser  altes  Segel,  das  wir  mit  dem  Prachtnamen  Zelt 
(Palatka)  belegten,  und  bald  waren  wir  alle,  Mongoieu  und  Kaukasier, 
in  tiefem  Schluinmer  versunken. 

Als  ich  am  anderen  Morgen  aus  dem  Zelte  kroch,  fand  ich  die 
•  Leute  mit  Kugelgiefsen  beschäftigt,  indem  sie  anstatt  SchmelzlöiTel 
ein  Stückchen  Birkenwurzel  benutzten.  In  diesem  wurde  eine  kleine 
Vertiefung  ausgehöhlt,  das  Blei  in  die  Mulde  und  obenauf  eine 
glühende  Kohle  gelegt  Man  erwartete  nämlich  heute  »Kerpen*  — 
Seehunde  (Phoea  viMina)  zu  begegnen,  und  deshalb  wurde  auch 
der  „Mansjik"  aufgeblasen,  um  zu  prtHfen  ob  er  luftdicht  sei.  Der 
„Mausjik"  ist  ein  Seehundsfell,  sehr  sorgfältig  und  kunstfertig  ab- 
gezogen, damit  so  wenige  und  so  kleine  Offnungen  entstehen  wie 
nur  möglich;  diese  werden  nachher  alle  zugenäht,  eine  einzige  aus- 
genommen, an  welcher  ein  hölzernes  Mundstück,  das  sich  mit  einem 
Propfen  schliefeen  läfst,  festgemacht  wird.  Durch  dieses  Loch  wird 
dann,  wie  in  eine  Schwimmblase,  Luft  hineingeblasen  und  das  Fell 
nimmt  die  Form  des  Seehundes  an.  Der  „Mani^ik''  wird  benutzt,  um 
die  Seehunde  aus  dem  Wasser  zu  locken,  indem  er  auf  einen  der  Steine 
am  Strande  gelegt  wird.  Nach  stattgehabtem  Gebrauch  wird  die 
Luft  herausgepreßt  und  der  aMani^ik*  zusammengerollt  in  die  Baj- 
darke  gelegt.  Während  nun  diese  Vorbereitungen  vor  sich  gingen, 
nahm  ich  meine  meteorologischen  Beobachtungen  vor  und  sammelte 
noch  einige  Pflanzen  und  Fossilien.  Das  Barometer  war  um  drei 
Millimeter  seit  gestern  Abend  gestiegen;  es  war  auch  ein  unbe- 
deutendes wärmer  (13,8  °C.),  und  der  Wind  hatte  sich  völlig  gelegt. 
Der  Himmel  war  noch  immer  ganz  mit  grauen  Nimbuswolken  be- 
deckt, sah  jedoch  nicht  drohend  aus.  Unter  den  Pflanzen  waren 
BanmeUhs  EschscholUU  und  die  weitverbreitete  Oxpia  digynüt^ 
welche  an  einer  kalten  Quelle,  kaum  einhundert  Meter  vom  Meere 
entfernt,  und  beinahe  in  dessen  Niveau  wuchsen,  die  interessantesten. 


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Dicht  neben  der  Quelle  laj,'  noch  (22.  August)  ein  kleines  Fleckchen 
vorigjährigen  Schnees,  und  doi'h  war  dieser  Sommer  ein  günsti^^er! 

Einige  Eingeborene,  welche  hier  in  einem  kleinen  Hihi>chen 
über  der  „liookery"  Wache  hielten,  repräsentierten  „die  am  Strande 
winkenden  Freunde",  als  die  „Krons-Schhipka"  sich  endlich  langsam 
entfernte.  Diese  Wachen  an  den  Liegeplätzen  der  Pelzrobben  sind 
leider  sehr  notwendig,  denn  es  kreuzen  jedes  Jahr  Schuner  herom, 
die  keine  Gelegenheit  unbenfltzt  lassen,  wenn  sie  glauben,  daüs  sie 
die  ffRookeries**  unbehindert  plündern  können.  Es  werden  diese  Ton 
Abenteurern  geführten  und  meistens  mit  Japanern  oder  Sandwich- 
insulanern bemannten  Piraten  in  Japan  und  auf  den  Sandwichinseln 
ausgerüstet;  eine  Handelsreise  oder  Fischfang  wird  als  Vorwand 
benutzt.  An  den  Komniander-Inseln  gelingen  die  Anschläge  selten 
oder  nimmer;  so  wurde  im  Jahre  1881  auf  Copper  Island  ein  Land- 
gang der  Mannschaft  des  Schuners  „Diana"  mit  einem  Kugelregen 
begrtifst,  der  einen  Maun  tötete  und  vier  andere  verwundete.  Im 
Jahre  1883  wurde  ein  Schuner  gekapert  und  konfisziert,  und  im 
Jahre  1884  norh  zwei  oder  drei.  Die  russische  Regierung  ist  ge- 
nötigt jedes  Jahr  eines  oder  mehrere  Kriegsschiffe  dort  zu  stationieren. 
Ärger  geht  es  noch  im  ochotskischen  Meere  zu.  Im  Herbst  1883 
landeten  dort  sechs  Schuner  sedizig  Bewaffnete  an  der  kleinen 
Felseninsel  Tjulenij,  die  eine  kleine  Pelzrobben-Rookery  bildet.  Der 
Kossak  und  die  sechs  Aleuten,  die  d«»rt  stationiert  waren,  um  Wache 
zu  halten,  wurden  mit  dem  Tode  bedroht,  und  um  nicht  weiter 
bedrängt  zu  werden,  gingen  diese  au  Bord  eines  passiereudeu 
Dampfers,  der  sie  nach  dem  Festlande  brachte. 

Wir  passierten  die  „Kasarma",  eine  verworrene  Klippenmasse, 
welche  am  nördlichen  Eingange  der  Qladkovskaja  Buchta  steht, 
liefen  aber  in  diese  letztere  nicht  hinein,  weil  ich  dieselbe  für  eine 
später  zu  unternehmende  Landexpedition  resmiert  hatte.  Von 
Qladkovskaja  führt  nftmlieh  in  östlicher  Richtung  ein  niedriger  Ober- 
gaug nach  Polovino  an  der  östlichen  Seite  hinQber.  Es  ist  dieser  Thal- 
einschnitt so  tief  und  so  gerade,  dafs  es  aus  einer  gewissen  Entfernung 
zur  See  aussieht,  als  wäre  die  Insel  hier  in  zwei  geteilt.  Die  Berge 
auf  beiden  Seiten  sind  sehr  hoch,  besonders  auf  der  Südseite,  wo 
in  der  That  die  höch-ste  Bergspitze  der  ganzen  Insel  emporragt,  die 
„Süpka"  oder  „Utjos'',  welche  ich  Mount  Steiler  getauft  habe.  Jetzt 
aber  bekameu  wir  von  dem  schönen  Berge  nichts  zu  sehen,  weil 
der  Nebel  sich  herabgeseukt  hatte,  so  dals  kaum  mehr  wie  die 
untersten  hundert  Meter  sichtbar  waren;  ja,  um  halb  zehn  hatten 
wir  sogar  ei^ien  halbstandigen  leichten  Regen.  Auch  an  der  Dikuja 
Buchta  fuhren  wir  yoraber,  landeten  aber  an  deren  südlicher  Ecke, 


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—  241  — 


wo  eiu  Nepropusk,  und  wo  viele  Seevögel  in  und  an  den  zalil- 
reichen  Höhlen,  Klüften,  Klippen  und  Absatzen  hausten.  Hier  schofs 
ich  meine  erste  rotbeinige  dreizehige  Möwe  (Bissa  brevirastris)y  und 
auch  ein  junges  Exemplar  der  seltenen  und  merkwürdigen,  b&rtigen 
und  zopfigen  Zwerglumme  (Smorhytuhus  pygmaeus),  während  meine 
Begleiter  eine  „Nerpa"  erlegten.  Sie  waven  hoch  erfreut,  weil  sie 
das  „Nerpen'fleisch  dem  der  Pelzrobben  entschieden  vorziehen,  be* 
sonders  jetzt,  wo  sie  den  {jjanzen  Sommer  nichts  wie  letzteres  ge- 
gessen hatten.  Von  hier  ist  die  Küste  hoch  und  steil  bis  nach 
„ Peresche jek".  Ein  schmaler  sandiger  oder  steiniger  Saum  bildet 
den  Strand.  Mit  meinem  Feldglase  spähete  ich  nach  Nerpen,  aber 
vergebens.  Zahlreiche  Steiufüchse  gatften  uns  verwundert  an,  das 
war  alles.  Auf  dem  Meere  sahen  wir  mehrere  grofse  Finwale,  die 
ich  fttr  Balaenoptera  velifera  hielt.  Als  wir  uns  dem  „Pereschejek'* 
näherten,  fanden  wir  das  Meer  weit  hinaus  mit  den  enormen  Blättern 
einer  Laminaria  so  bedeckt,  dals  wir  grofse  Mtthe  hatten  uns  durch- 
zuarbeiten. Die  unterseeischen  Wälder,  deren  Kronen  hier  an  die 
Oberfläche  reichen,  decken  steilenweise  ganze  Quadratroeilen  (engl.). 
Hier  niufs  ein  Liebliugsaufenthalt  der  Stellerschen  Seekuh  (Rytina 
gigas)  gewesen  sein! 

Pereschejek  (d.  h.  Isthmus)  heifst  eigentlich  die  niedrige  und 
schmale  Landzunge,  welche  hier  ein  felsiges,  von  Tausenden  von 
Ohrenlunden  (Lunda  cirrhata)  bewohntes  Inselchen  —  oder,  richtiger, 
vormaliges  luselchen,  jetzt  nur  Halbinsel  —  mit  der  Hauptinsel  ver- 
bindet. Unter  dem  Wort  Pereschejek  versteht  man  aber  gewöhnlich 
nicht  nur  die  Zunge,  sondern  auch  die  frühere  Insel,  sowie  die  öst- 
lieh  von  derselben  liegende  Bucht  mit  der  dortigen  »Jurte*.  Da- 
gegen ist  es  ganz  irrig,  den  niedrigen  Obergang  zwischen  Ghidkov- 
skiga  und  Polovino  so  zu  bezeichnen.  Wie  man  mir  versicherte,  war 
das  Inselchen  früher  ganz  selbständig;  es  habe  sich  die  Verbindung 
erst  allmählich  gebildet  und  erhoben,  so  dafs  jetzt  nur  bei  Hoch- 
wasser ein  schmaler  und  untiefer  Kanal  einer  leichten  Kajdarke  die 
Durchfahrt  gestattet.  Wir  mufsten  also  um  den  Vogelborg  herum- 
fahren, was  mich  aber  nicht  verdrofs,  denn  der  Anblick  der  un- 
zähligen Luuden  (Lunda  cirrhata),  wie  sie  aus  ihren  selbstgegrabeuen 
Höhlen  neugierig  auf  uns  hinabblickten,  war  im  höchsten  Grade  an- 
zidiend  und  fär  den  Ornithologen,  natürlicherweise,  doppelt  interes- 
sant Zwischen  dem  saftigen  OrOn,  das  den  Felsen  oben  bekleidete, 
streckten  sie  ihre  schwarzen  Hälse  hervor;  das  weifse  Gesicht,  die 
strohgelben  Ohrenbflschel,  welche  sich  wie  die  Hömer  eines  Widders 
nach  hinten  umbiegen,  und  der  prächtig  Scharlach  und  apfelgrün 
gefärbte  grofse  Schnabel  gaben  den  Vögeln  eiu  guuz  besonderes 

a«ogr.  BtfttMr.  Bramra  1885.  13 

.  ly  .,^ .  .  y  Google 


—  242 


Aossehen;  die  Tausende  sidi  hin  und  her  bewegenden  EOpfe  sahen 
irie  wunderbare  tropische  Blumen  aus.  Der  Felsen  selbst  ist  hoch, 
steil  und  toII  Risse  und  Höhlen;  an  seinem  Fnfs  brachen  sich  die 
Wellen  mit  donnerndem  Getöse.  Eine  solche  Szene  prägt  sich  ia 
das  Gedächtnis  für  das  Leben! 

Wir  konnten  jetzt  das  Segel  benutzen  und  steuerten,  nachdem 
die  Pereschejek-Halbinsel,  welche  nördlich  und  südlich  lieirt,  umschiflFt 
war,  mehr  in  östlicher  Richtung.  Hinter  der  Halbinsel,  das  heifst 
östlich  von  derselben,  öifnen  sich  drei  gröfsere  Buchten  nach  Nord 
und  Nordost.  Der  ersten  haben  wir  schon  oben  gedacht;  die  zweite 
heilst  Qoiodnsja  Buchta;  die  dritte  und  gröDste  ist  die  Lissonko^a 
Buchta.  An  der  inneren  Ecke  der  letzteren  liegt  eine  Jurte,  und 
als  ich  erfahren  hatte,  dads  ein  grdiseres  Flflfsch^  dort  einmfinde, 
das  aus  zwei  siemlich  bedeutenden  Seen  kommt,  beschlofs  ich  dort- 
hin zu  steuern  und  in  der  Jurte  unser  Nachtlager  zu  errichten. 

An  der  nördlichen  Einfahrt  ragen  liohe  Felsen  senkrecht  empor, 
eigentümlich  gefurcht  und  zerrissen,  so  dafs  sie  eine  riesige  Kircheu- 
orgel  darstellen.  Felsige  Ritfe  strecken  sich  weit  hinaus,  über  denen 
sich  die  wilden  Wogen  schäumend  brechen.  Das  scharfe  Auge 
Badaeffs  entdeckte  einen  am  Strande  liegenden  weifsen  Gegenstand 
und  er  bat  mich,  mit  meinem  Binocle  zu  untersnehen,  was  es  sei. 
Ohne  Unge  su  sögem  erklärte  ich  es  fflr  einen  gestrandeten  Walfisch- 
kadaTer.  Die  „Schlupka"  wurde  gewendet,  das  Segel  herabge- 
nommen, und  unter  dem  Triumpbgeschrei  „Kit!  Kit!"  (ein  Walfisch! 
ein  Walfisch!)  der  Alönten,  wurde  eiligst  ans  Land  gerudert. 

Da  lag  ein  fünfzig  Fufs  langes,  schon  weifs  gebleichtes  und 
widrig  stinkendes  Monstrum,  das  ich  als  Balaenoptcra  vdifcra  be- 
stimmte. Nichtsdestoweniger  wurde  meinen  Aleuten  der  Mund 
wässerig  nach  dem  leckeren  Bissen,  und  kaum  hatte  unser  Boot  den 
Boden  berührt,  als  sie  ins  Wasser  sprangen  und  mit  Äxten  un<l  Messeru 
versehen  ans  Land  wateten,  über  die  Schwauzhune  heräeieu  und 
grofse  Stücke  heraushieben,  die  sie  gleich  hinabzuwürgen  anfingen, 
indem  sie  erst  in  die  Schnitte  hineinbissen,  und  dann  den  Bissen 
zwisdien  den  Z&hnen  und  den  Fingern  abschnitten.  Ach,  wie  waren 
meine  lieben  zivilisierten  Aläuten  in  einem  Augenblick  verwandelt! 
Sobald  sie  wieder  sprechen  konnten,  trat  Badaeff  mit  einem  delikaten 
Schnittchen  auf  mich  zu,  damit  ich  es  prüfe.  Es  wollen  mich  die 
Leser  gefalligst  entschuldigen,  dafs  ich  mich  der  Tortur  nicht  unter- 
warf, um  ihnen  sagen  zu  können,  wie  halbverfaulter  Walspeck 
schmeckt;  der  Geruch  war  mir  mehr  als  genügend!  Sie  hielten 
nun  auf  aleutisch  einen  sehr  animierten  Kriegsrat,  während  dessen 
sie  noch  immer  tüchtig  hiueinbissen;  das  Resultat  war,  dals  sie  mich 


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—  248  — 

aulforderten  hier  einen  Tag  zu  bleiben,  damit  sie  die  Sehnen  lieraiis- 
schneiden  könnten;  sie  möchten  auch  etwas  von  dem  Specke  für 
sich  und  ihre  Freunde  zuhause  zurechtmachen.  Das  konnte  ich 
denn  eigentlich  uicht  verweigern,  um  so  mehr  als  ich  selbst  den 
Wunsch  liegte,  etwas  länger  zu  verweilen,  um  das  Tier  genauer  zu 
untersuchen  und  detaillierte  Messungen  desselben  vorzunehmen.  Ab- 
gesehen daTon  werden  die  Sehnen  helfen  die  Kosten  der  Expedition 
8U  bezahlen,  und  der  Speck  wird  meine  Leute  bei  guter  Laune 
halten.  Die  Sehnen  werden  hoch  geschätzt  als  Zwirn  für  die  Begen- 
kleider  (^Kaml^jki''),  die  sie  aus  SeehundsgedSrmen  oder  der  Haut 
des  Schlundes  der  Robben  yerfertigen,  sowie  auch  für  die  aus  rohen 
Seehundsfellen  genähten  wasserdichten  Stiefel  oder  Mokkasins 
(„Tarbassi"),  deren  Sohlen  aus  der  Haut  des  Seelöwen-„flippers" 
(Eumetopias  SteUeri)  hergestellt  werden.  Wenn  die  Kleider  oder 
Stiefel  nafs  werden,  schwellen  auch  die  als  Zwirn  benutzten  Wal- 
sehnen, und  machen  sie  auf  diese  Weise  wasserdicht,  indem  die  Naht- 
löcher  ausgefüllt  werden.  £s  werdeu  deshalb  Sehnen  importiert,  da 
es  verhältnismäCsig  selten  vorkommt,  dafs  ein  ganzer,  grofser  Wal- 
fisch, wie  dieser,  ans  Land  getrieben  wird.  Man  sagte  mir  nachher, 
dais  die  ganze  Ausbeute  der  jetzt  gewonnenen  Sehnen  80  bis 
90  Bubel  wert  sei. 

Wir  fuhren  nun  ab,  nachdem  wir  einen  kleinen  Vorrat  von 
Speck  mitgenommen,  und  steuerten  auf  die  Jurte  zu,  die  an  dem 
südöstlichen  Ende  der  Bucht  gelegen  ist.  Ich  inspizierte  die  Hütte 
sogleich,  fand  sie  aber  in  einem  durchaus  nicht  einladenden  Zustande. 
Sie  bestand  einfach  in  einer  in  die  Sanddüne  gegrabene  Höhle,  deren 
Wände  und  Dach  inwendig  mit  Treibholz  ausgekleidet  waren.  Da 
sie  überdem  selir  feucht  war,  zog  ich  mein  Zelt  vor,  und  liefs  es 
dicht  am  Strande  hinter  der  ersten  Sanddünenreihe  errichten.  Die 
Alöuten  aber  wollten  lieber  in  der  Jurte  schlafen,  ein  Arrangement, 
womit  ich,  besonders  unter  den  jetzigen  walfischduftenden  Yerhftli- 
nissen,  s^  zufirieden  war.  Das  Boot  wurde  Ober  die  Sandbarre 
gezogen  und  iu  dem  recht  tiefen  FlüfBchen,  das  hier  ausmttndeti  dicht 
neben  dem  Zelte  sicher  und  bequem  geankert. 

Plötzlich  wurde  ich  von  einem  lustigen  Geschrei  der  Leute 
hinausgelockt,  und  sah  zu  meinem  grenzenlosen  Erstaunen  den 
Grigorij  Startsoff  sich  so  absonderlich  benehmen,  dafs  ich  anfangs 
besorgte,  er  sei  verrückt  geworden.  Denn  unten  in  dem  Flüfschen 
sprang  er  ganz  splitternackt  umher  und  focht  wütend  mit  einer 
langen  Stange.  Das  Wasser  spritzte  hoch  auf  und  bald  schlug  er 
mit  dem  Stecken  den  sonst  so  ruhig  dahin  flieüsenden  Strom,  bald 
warf  er  jenen  wie  eine  Lanze  oder  einen  Wur&piels  mit  aller  Macht 

18* 


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—  244  — 

in  den  Sandboden  des  Baches  hinein.  Die  anderen  liefen  am  Ufer 
schreiend  auf  und  ab  in  einer  unbeschreiblichen  Aufregung.  Der 
ganze  Auftritt  dauerte  kaum  so  lauge  Zeit,  als  es  erfordert  hat,  diese 
Stelle  niederzuschreiben,  und  bevor  ich  noch  fragen  konnte,  was  dies 
alles  bedeute,  hob  Grigory  mit  einem  Triumpbgeschrei  eium 
prächtigen,  BÜberglftozeDden,  an  dem  Endhaken  des  Stabes  zappeln- 
den Lachs  aus  dem  Wasser  empor.  Es  war  ein  fttn&ehnpfündiger 
j^iaUseh"  (OneorkifndMS  kisuüeh),  die  beste  Ladisart  der  Insel 
und,  nach  der  »Tscbewitscha*^,  die  beste  des  ganzen  nördlichen 
pazifischen  Oceans.  Startsoff  nharpnnierte'  noch  zwei  andere, 
nnd  somit  genossen  wir  eine  köstliche  Mahlzeit,  die  sich  meine 
Gefahrteu  mit  Walspeck  noch  delikater  machten.  Meine  einzige 
Bedingung  war:  kein  Speck  in  den  Topf! 

Die  Mücken  waren  besonders  lästig,  und  ich  konnte  sie  nur 
dadurch  in  Respekt  halten,  dafs  ich  in  der  inneren  Ecke  des  Zeltes 
ein  kleines  Feuer  anmachte,  auf  dem  ich  dann  Insektenpulyer  statt 
Weihrauch  verbrannte. 

Am  folgenden  Morgen  zogen  wir  nach  dem  Walfisch  wieder 
hinaus,  und  der  Tag  verging  mit  Messungen,  Einsammlung  von 
allerlei  niederen  Seetierchen,  Abbalgen  einiger  Schneehühner, 
Niederschreiben  von  Notizen  über  dieselben,  Journal  führen  u.  a. 

Der  Wind  nahm  mittlerweile  zu,  und  da  die  Bucht  gegen 
Südwest,  von  wo  der  Wind  gerade  kam,  ganz  offen  und  ungeschützt 
liegt,  wuchs  die  See  bald  derart,  dafs  wir  bei  der  donnernden 
Brandung  darauf  verzichten  mufsten,  am  folgenden  Tage  unser  Buot 
flott  zu  niachen.  Am  nächsten  Morgen  war  der  Wind  allerding^^  viel 
leichter,  so  dafs  wir  hoffen  durften,  etwas  spater  am  Tage  abzufahren. 
Unsere  Hoffnung  wurde  aber  vereitelt,  und  so  mufsten  wir  auch  noch 
den  24.  August  in  Lissonkoviya  mit  Warten  verbringen. 

Lissonkovaja  Buchta  ist  ebensowenig  wie  die  zwei  Buchten  von 
Pereschejek  und  Golodnaja  auf  den  publizierten  Karten  der  Berings- 
Insel  zu  finden,  obwohl  sie  die  bedeutendste  Einbuchtung  der  ganzen 
Insel  ist.  Auf  der  Karte  von  Tebinkofßs  Atlas  ist  ein  gröfserer 
Insce  etwas  nördlicher  angemerkt,  der  durch  ein  kleines  Flüfschen 
an  einer  hervorspringenden  Küstenpartie  ins  Meer  fällt.  Dieser  See 
ist  aber  in  der  That  der,  welcher  in  dem  Thal  hinter  der  von 
mehreren  Reihen  von  Sanddünen  bcgranzten  Lissonkovaja  Buchta 
verborgen  liegt.  Dieses  Thal,  welches  die  Fortsetzung  der  Bucht 
bildet,  ist  an  allen  Seiten  von  steilen  aber  gerundeten,  ungefnlir 
1200  bis  1500  Fufs  hohen  Bergen  eingerahmt,  und  steht  durch  Passe 
von  800  bis  900  Fufs  Höhe  mit  den  Thalern  von  Tolstoj  Mys  und  Ko- 
mandor,  —  letzteres  das  Winterquartier  der  schiffbrüchigen  Beringschen 


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—  246  — 

Expedition,  —  in  Verbindung.  Das  Tlial  selbst  ist  ziemlich  weit  und 
niedrig,  und  drei  Seen,  von  welchen  der  eine  von  nicht  unbeträcht- 
licher Grölae,  nehmen  einen  Teil  des  Thalbodens  ein  und  münden 
durch  das  erwähnte  Flüfschen  aus.  Der  Aufenthalt  in  LissonkoTaja 
setzte  mich  in  Stand,  eine  von  Steller  geschilderte  und  benannte 
LokaUtftt  zu  bestimmen,  denn  das  heutige  Lissonkoviga  Ist  entschieden 
sein  „JnsdiiniPad'',  so  genannt  nach  dem  Steuermann  derBeringschen 
Expedition.  Steller  sagt  nämlich  (N.  Nord.  Beitr.  II,  pag.  266): 
»Die  sOdliche  [d.  h.  westliche]  Seite  der  Insel  ist  in  Hinsicht  der 
Seeküsto  ganz  anders  als  die  nördliche  [d.  h.  östlichej  beschatfen; 
und  obgleich  das  Ufer  viel  steiniger  und  zerbrochener  ist,  so  befinden 
sich  doch  auf  selbiger  zwei  Plätze,  wo  man  ohne  alle  Gefahr  unter 
das  Land  gehen  und  mit  kleinen  oder  flachen  Fahrzeugen,  z.  B. 
Scherrböten,  in  die  Müaduog  der  Flüsse,  oder  vielmehr  Inseen,  die 
sich  durch  einen  kurzen  Kanal  in  die  See  ergiefsen,  einlaufen,  und 
als  in  einem  Hafen  stehen  kann.  Der  erste  Platz  ist  7  holländische 
Meilen  von  der  sOdi^stlichen  Landspitze  [Kap  Manati]  in  einer  grofsen 
Einbacht  befindlich,  die  in  der  See  von  weitem  sehr  eigen  dnrch 
die  an  der  westlichen  Ecke  befindlichen  Steinpfeiler  bemerkt  werden 
kann;  und  eben  diese  Stelle  ist  von  nns  Jusekvni  Tod  (Jnschins 
Thal)  genannt  worden,  nach  dem  ersten  Finder  derselben,  Steuermann 
Juschin."  Jetzt  ist  die  Mündung  des  Flusses  versandet,  und  die 
Bucht  selbst  zu  off'en,  um  Schutz  für  Fahrzeuge  zu  gewähren.  Zu 
einem  Hafen  taugt  sie  noch  viel  weniger  als  der  „Gavan*'. 

Das  Wetter  war  bis  jetzt  sehr  nebelig  gewesen;  erst  am 
Abend  des  24.  klärte  es  sich  ein  wenig,  so  dafs  ich  die  Spitzen  der 
Berge  zu  sehen  bekam.  Der  Augenblick  wurde  zu  einer  Skizze  von 
Jusdiins  Thal  benutzt 

Am  25.  Angttst  endlich  dorften  wir  uns  hinauswagen.  Es 
gelang  uns  auch  nach  vieler  MOhe  das  Boot  durch  die  am  Strande 
noch  gewaltig  brechenden  Wogen  sicher  hinausznschieben:  ein 
Mann  stand  im  Wasser  auf  jeder  Seite  und  sie  hielten  das  Boot 
gerade  gegen  die  ankommende  Welle,  wahrend  die  anderen  mit  den 
Ruderstangen  fertig  safsen.  Sowie  die  Welle  das  Boot  flott  machte, 
sprangen  die  zwei  gleichzeitig  hinein,  und  die  Ruderer,  ohne  einen 
Augenblick  zu  verlieren,  holten  kräftig  aus,  so  dafs  wir  schon  durch 
den  Kamm  der  zweiten  Welle  schnitten,  als  die  erste  auf  dem  Sande 
mit  gewaltigem  Lärm  sich  brach. 

Um  halb  zehn  landeten  wir  in  Bcbrawqja  (die  Seeotterbucht) 
unter  noch  schwierigeren  Umstinden,  denn  diese  «Buchta**  ist  nur 
eme  schwache  Einbuchtung  der  Kflste.  Die  Bucht  und  das  Thal, 
welches  hier  ausmflndet,  sind  kleiner,  haben  aber  übrigens  denselben 


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Charakter  irie  Lissonkoviga.  Hinten  im  Thale  liegt  ein  kleiner  See, 
▼on  welchem  der  ziemlich  tiefe,  aber  an  der  Mttndung,  wie  alle 
hiesigen  FIttllschen,  g&nzlich  versandete  Bach  in  die  nördliche  Ecke 
der  Bucht  ausflielst  Am  südlichen  Eingänge  nehmen  die  Felsen 
bastionenahnliehe  Formen  an,  mit  verschiedenen  isolierten  Pfeilern 
und  Thürmen,  deren  gröfster  einen  „Pereschejek*'  im  verkleinerten 
Mafsstabe  darstellt.  Wegen  der  vielen  dort  brütenden  „Toporki" 
(Lunda  cu  rhata)  wird  der  Ort  Toporkoff  Stolp  genannt.  Auch  un- 
zählige dreizehige  Möwen  (Rissa  pollicaris)  brüten  dort  auf  den 
I  elsenterrassen  und  an  der  ÖÖnung  der  ziemlich  grolsen  Höhle,  die 
das  Meer  hier  gebildet  hat 

Es  lag  mir  aber  viel  daran,  hier  zu  landen,  weil  ich  Nachrichten 
eingezogen  hatte,  die  mich  vermuten  liefsen,  dafs  ich  hier  Seekuh- 
knochen  finden  wQrde,  so  dafe  ich  das  Landen  zu  wagen  beschlolä, 
obwohl  es  nicht  ganz  gefahrlos  war,  denn  die  Wogen  brachen  mit 
Gewalt  an  dem  ziemlich  schroffen  Straniie,  welcher  hier  nicht  ans 
Sand,  sondern  ans  groben  abgerundeten  Steinen  bestand;  auch  lagen 
einige  nicht  freundlich  ausschauende,  halb  und  ganz  verborgene 
Klippen  umher,  die  nur  sichtbar  wurden,  wenn  eine  recht  grofse 
Welle  Ober  dieselben  hineinbrach.  Ein  Landgang  wurde  nun  auf 
die  Weise  bewerkstelligt,  dafs  wir  erstens  unsere  Anker  aufserhalb 
der  Brandung  fallen  liefsen.  Einer  der  Leute  in  seinen  wasserdichten 
Kleidern  von  Seehundsschlünden  stand  im  Ilintersteven,  der  jetzt 
dem  Lande  zugekehrt  wurde,  mit  dem  aufgerollten  Landtaue  bereit, 
wahrend  die  anderen  an  den  Ruderstangen  blieben,  um  das  Boot 
perpendikulär  auf  die  Wellenlinie  zu  halten;  Badaelf  hielt  die 
Ankertaue.  Nun  kam  eine  grofse  Welle  antrebraust  und  hob  uns 
hoch  auf  ihren  schwellenden  Busen;  Badaeff  fierte,  so  dafs  wir  mit 
gegen  das  L^fer  schwammen;  nun  spram;  Maltsoff,  der  Bur<fhp  mit 
dem  Landtaue,  ins  Wasser  und  raunte,  halbwegs  von  der  \Velle 
geschleudert,  den  steil  abfallenden  Strand  hinauf,  erreichte  das 
Trockene,  während  er  die  Taue  abrollen  liefs;  sobald  er  ins  Wasser 
sprang,  holte  Badaeff  die  Ankertaue  ein  und  die  anderen  ruderten 
ans  Leibeskräften;  so  kam  er  aufs  Trockene  und  wir  in  tiefes 
Wasser,  ehe  die  Woge  brach  und  sich  zurückzog.  Jetzt  wurde 
abwechselnd  an  den  zwei  Tauen  gefiert  und  geholet;  auf  diese  Weise 
kamen  fünf  von  uns  ans  Land. 

Das  Resultat  war  aber  keineswegs  im  Verhältnis  zu  den 
Beschwerden,  denn  eine  gebrochene  Seekuhrippe  war  alles,  was  ich 
erbeutete,  uud  obendrein  bekam  ich  meine  Seehundmokkasins  voll 
Wasser,  als  ich  die  lüppe  aus  dem  FlUfscheu  herausfischte. 


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Beim  Einschiffen  wurde  dasselbe  Verfahren  in  umgekehrter 
Reihenfolge  angewendet,  nur  war  es  viel  schwieriger,  sich  in  die 
ziemlich  hohe  „Schlupka"  hineinzuschwiugen,  als  aus  derselben  ins 
Wasser  hinauszuspringen. 

Nach  anderthalbstündigem  Rudern  einer  hohen  und  steilen 
KQste  entlang,  wahrend  welcher  wir  die  auf  amerikanischen  Karten 
«»Pinnade*  genannte^  a&alenförmige  und  einsamstehende  Klippe,  die 
als  Landmarke  dient,  passierten,  landeten  wir  in  die  kleine  j,8eh^iisma* 
genannte  Einbuchtung.  Trotzdem  sie  noch  offener  aussieht  als 
Bobrowaja,  war  die  See  bedeutend  ruhiger,  was  wohl  den  zwei 
halbverborgenen  Felsenriffen,  die  an  beiden  Seiten  die  innere  Bucht 
begrenzen,  zuzuschreiben  ist.  Der  Platz  selbst  ist  sehr  kenntlich 
an  einem  hölzernen  Kreuze,  das  die  alte  rufsisch  -  amerikanische 
Kompagnie  vor  mehr  als  zwanzig  Jahren  auf  der  Kante  der  ungefähr 
30  Fufs  hohen  Küsteueskarpe  errichten  liels.  Scbipitsina  ist  kein 
eigentliches  Thal,  nur  eine  tiefe,  von  einem  kleinen  Bache  durch- 
rauschte Schlucht  schwingt  sich  links  zwischen  die  hohen  Berge 
hinein. 

Es  war  noch  ziemlidi  frtth;  weil  es  aber  unmöglich  war,  noch 
heute  die  Südostspitze  zn  umschiffen  und  den  nftchsten  Ladduuf^splatz 
auf  der  anderen  Seite  zu  erreichen,  beschlossen  wir,  in  Schipitslna 

zu  übernachten.  Die  Abendstunden  wollte  ich  zum  Botanisieren 
benutzen,  wahrend  die  jüngeren  Schützen  die  „Nerpenjagd"  versuchen 
wollten.  Da  Schipitsina  keine  Jurte  hat  —  es  gehört  zum  Distrikt 
der  Fuchsjager  in  Bobrowrija  —  mufste  das  Zelt  für  alle  acht  gebaut 
werden.  Als  das  stattliche  aus  Bootmast  und  Kuderstangen  errichtete 
und  mit  den  Segeln  bedeckte  Bauwerk  fertig  war,  machte  ich  bei 
mir  selbst  die  philologische  Bemericung,  dals  die  Ähnlichkeit  zwischen 
der  rufsischen  „FdUxtka*'  (Zelt)  und  dem  lateinischen  Fidatnm  (Palast) 
irielleicht  doch  nicht  ganz  zufällig  sei,  obwohl  letzteres  Wort  dem 
Palatinerhügel  Boms  entstammt.  So  yiel  ist  aber  gewi£E»,  dafs  die 
Bemerkung  mir  damals  viel  tiefsinniger  erschien  wie  heute.  Ich 
dachte  ferner  an  Attila,  dessen  Palast  auch  nur  ein  Zelt  gewesen, 
und  sann  nach,  ob  seine  Hunnen  ebenso  wohlriechend  gewesen, 
wie  jetzt  meine  Aleuten,  umsomehr  als  ich  mich  nicht  erinnern 
konnte,  gelesen  zu  haben,  dafs  die  Hutinen  in  Fäulnis  übergegangenen 
Walfischspeck  zu  essen  brauchten.  So  viel  wufste  ich  aber  nun, 
daCs,  wenn  Attila  in  seinem  Palaste  sechs  solche  Kerle  je  geherbergt» 
er  ein  grOfserer  Held  gewesen  ist»  als  ich  geglaubt  habe.  Mir  war 
es  Jedoch  jetzt  eine  Kleinigkeit,  nachdem  ich  die  faulende  Bestie 
gemessen,  beschrieben  und  abkonterfeit  hatte,  und  besonders  nach 
der  heutigen  Fahrt,  denn  die  Leute  hatten  die  Hftlfte  von  meinem 


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—  248  — 

Salze  bekommen,  und  salzten  den  Speck  im  Boden  des  Bootes  ein! 
Wie  hatte  ich  so  hartherzig  sein  können,  es  ihnen  za  ▼erwetgera, 
eine  solche  nngevdhnliche  Delikatesse  fOr  Familie  und  Freunde  mit 
nach  Hanse  zu  bringen!  Wufste  ich  ja  doch,  dafs  mich  das  ganze 
Dorf  bei  unserer  Rttckkehr  segnen  wttrde.  Aber  nie  in  meinem 
Leben  ist  mir  eine  Wohltliat  so  schwer  geworden. 

Das  Sammeln  war  niiht  iinergiebii^.  Von  Vögeln  bemerkte  ich 
zwar  nur  Schneehühner  (Lagopus  ridgivaiji),  den  Sporner  (Calcarius 
lapponicus)  und  eine  Pieplorche  (Anthm  (justavi);  von  Pflanzen 
sammelte  ich  aber  einige  Arten,  die  ich  noch  nicht  hatt«,  z.  B. 
die  üppige  und  starkriecbende  Spiraea  kamischaticaf  die  Picris 
hieracioides  var.  japotnca^  die  eine  Höhe  von  drei  bis  vier  Fufs 
erreicht,  sowie  eine  Form  von  Saxifraga  punctata,  die  Asa  Gray  als 
nahe  seiner  Varietät  nana  bezeichnet 

Die  Jäger  kamen  mit  einer  jungen  »Nerpa*  (Fhoea  vümima) 
zurQck,  ein  willkommener  Zuwachs. 

Am  nilchsten  Morgen  war  Badaeff  so  glücklich,  zwei  junge 
^weifso"  Polarfüchse  zu  erlegen.  Wie  bekannt  ist  Vtdpes  lagop^is 
diclu  oniatisch,  d.  h.  es  giebt  von  dieser  Art  zwei  bestilndi^^e  Farben- 
varietftten  oder  ^Pliasen".  die  eine  .bbaulich"  und  nicht  weil's  im 
Winter,  die  andere  mehr  fahlfarbig,  welche  letztere  im  Winter  ganz 
weifs  wird.  Was  dieser  „Dichromatismus''  eigentlich  sei,  wissen  wir 
noch  nicht  genau.  Es  ist  oft  angenommen,  dafs  die  weifse  Varietät 
eine  nördlichere  sei,  und  dafs  der  Steinfuchs  nur  dort  einen  weiOsen 
Winterpelz  anlegt,  wo  die  Härte  des  Winters  und  die  Schneemenge 
es  erfordert.  Es  mufe  aber  bemerkt  werden,  dafs  auch  die  Sonmier- 
kleider  verschieden  sind,  und  ebenfalls  auch  die  Farbe  der  Jungen. 
Zweitens  sind  nicht  die  Füchse,  die  in  einem  intermediären  Klima 
leben  aueh  intermediär  in  Farbe,  sondern  die  weifsen  unter  einer 
südlichen  Breite  sind  eben  so  rein  weifs,  wie  die  in  den  eisig.sten 
Gegenden  geborenen.  Endlicli  widersprechen  die  Erfahrungen,  die  wir 
gerade  auf  diesen  Inseln  machten,  einer  solchen  Theorie  entschieden. 
Auf  der  Kupferinsel  nämlich  sind  die  Füchse  alle  „blau",  kein  weifser 
wird  gefunden,  während  diese  letztere  Varietät  auf  der  Berings-Insel 
vorkommt)  obwohl  jetzt  nur  in  unbedeutender  Menge.  Früher  war 
sie  zwar  häufiger,  wie  wir  aus  den  Nachrichten  der  ersten  Erforscher 
ersehen,  aber  nicht  in  dem  Grade,  wie  man  bisweilen  angegeben 
findet.  Über  die  Füchse  schreibt  Steller  wie  folgt:  „Ich  kann  wohl 
während  meines  Aufenthalts  auf  der  Insel  auf  mich  allein  über  20i) 
gemordete  Tiere  rechnen.  Den  dritten  Tag  nach  meiner  Ankunft 
erschlug  ich  binnen  3  Stunden  über  70  Stück  mit  einem  Beil,  aus 
deren  Fellen  das  Dach  über  unserer  üütte  verfertigt  ward  .... 


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—  249  — 

Obgleich  wir  ihre  schöuen  Felle,  deren  es  hier  woM  Uber  ein  DriUeil 
van  der  blMiehen  Art  gi^i^  Dicht  achteten,  auch  nicht  einmal 
abzogen,  lagen  wir  doch  beständig  gegen  sie  als  nnsere  geschworenen 
Feinde  zu  Felde.''  Es  ist  aber  wohl  eine  Frage,  ob  hier  nicht  ein 
Schreib-  oder  Dmckfehler  vorliegt,  denn  an  einer  anderen  Stelle 
sagt  er:  „Die  blänlichen  Füchse,  welche  wir  in  unbesclireiblicher 
Menge  auf  dieser  Insel  fanden."  Auch  finde  ich  nicht,  dafs  er 
irgendwo  von  der  „weifsen^  Abart  spricht.  Ein  weiterer  Beweis 
für  die  Richtigkeit  dieser  Annahme  findet  sich  in  Müllers  Samml. 
Rusf.  Gesch.  III,  ])ag.  245  (gedruckt  1758),  ^vo  an^e,L^eben  wird,  dafs 
die  Schiflfbrüchigen  der  Berings-Expedition  keine  anderen  Landtiere 
als  die  obenerwähnten  Stemfüchse,  und  mehr  blaue  al$  weisse^  bemerkt 
haben.  Sie  waren  aber  nicht  so  zart  von  Haaren  als  die  sibi- 
rischen .  .  .  Ferner,  im  Winter  1745—46  worden  2000  blaue 
auf  der  Insel  gefangen,  in  1747—48  3000;  nichts  wird  gesagt  von 
weifsen;  1751—54  wurden  6844  blaue  und  200  weifse  getdtet  Eine 
Partie  Jager  von  9  Mann  erbeutete  in  1756—57  700  blaue;  eine 
andere  Partie  brachte  in  1757  nach  Kamtschatka  1222  Füchse 
zurück,  Farbe  nicht  angegeben.  Diese  Zahlen  deuten  kaum  darauf 
hin,  dafs  sich  die  blauen  Füchse  in  der  Minderzahl  befanden. 
Spatere  Nachrichten  geben  an,  dafs  in  1783 — 84  die  Füchse  auf  der 
Berings-Insel  meistens  weifs  waren;  wie  es  sich  damit  verhalt,  kann 
ich  nicht  sagen,  soviel  steht  aber  fest,  dafs  das  Verhältnis  in  diesem 
Jahrhundert  ein  ganz  anderes  ist.  Zwar  war  die  weilse  Rasse 
ziemlieh  hiufig,  aber  schliei^ilich  ist  sie  beinahe  ausgerottet  worden, 
seitdem  die  Kompagnie  anfing,  die  weilsen  gut  zu  bezahlen  und 
zugleich  befahl,  dafo  sie  zu  allen  Jahreszeiten  getötet  werden  sollten. 
Jetet  sehen  die  Eingeborenen  selbst  ein,  wie  notwendig  es  ist,  die 
weilsen  auszurotten,  damit  sie  das  WTrtvoUere  Pelzwerk  der  blauen 
durch  Mischung  nicht  verschlechtern,  und  sie  töten  nun  die  weifsen, 
wo  und  wann  sie  ihrer  habhaft  werden  können.  Die  folgende  Tabelle 
zeiirt  deutlich,  wie  irrig  die  Angabe  Nordenskjöids,  die  Steinfüchse 
seien  jetzt  selten  und  meistens  weifs,  war. 


Anzahl  der  auf  der  Berings-Insel  getöteten  und  exportierten  Fttchse. 


Saison. 

Blave  FAelise. 

1871—72 

836 

4 

1872—73 

580 

28 

1873-74 

514 

24 

1874—75 

0 

0 

1875—76 

1087 

50 

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—  250  — 


1876—77 

573 

19 

1877—78 

0 

0 

1878—79 

789 

0 

1879—80 

0 

0 

1880-81 

0 

0 

1881-82 

1447 

20 

1882—83 

872 

13 

Der  durchschnittliche  Wert  des  Fanges  hetr&gt  für  die  Ein- 
geborenen jährlich  (die  Jahre  mitgerechnet,  in  welchen  kein  Fang 
betrieben  wird)  uujzefahr  1600  Silberrubel,  was  bei  einer  Bevölkerung 

von  flwas  über  300  Seelen  beinahe  18  Rubel  für  jeden  Mann  im 
Alter  von  über  18  Jahren  ausmacht.  Hieraus  geht  deutlich  hervor, 
Vüu  welcher  Bedeutung  der  Fuchsfang  für  die  Einwohner  ist,  zumal 
er  in  eine  Jahreszeit  fällt,  welche  sehr  p^ünstig  für  das  Einsammeln 
von  Treibholz  ist,  und  wo  sie  sonst  nichts  weiter  zu  thun  haben. 
£3  ist  also  kein  Wander,  dafs  die  Jagd  eifersüchtig  überwacht  wird, 
und  da  sie  nach  einem  zvl  gleicher  Zeit  rationellen  und  kommanisti- 
schen  System  betrieben  wird,  mag  eine  Schilderung,  wie  sie  geordnet 
ist,  nicht  ohne  Interesse  sein. 

Die  blauen  Steiufüclise  (Feszi)  werden  nur  zwischen  dem 
10,  November  und  31.  Dezember  alten  Styls  gefangen,  und  zwar 
nur  mit  gewissen  Arten  von  gesetzlich  zulässigen  Fallen;  geschossen 
werden  sie  nicht,  um  sie  nicht  scheu  zu  machen.  Es  sind  die  Füchse 
deshalb  sehr  zahm,  und  ich  könnte  viele  kuriose  Geschichten  davon 
erz&hlen,  wenn  sie  freilich  auch  nicht  mehr  so  zutraulich  und  unver- 
schämt sind,  wie  zu  Stellers  Zeiten.  Weil  die  Füchse  sich  besonders 
in  der  Nahe  der  Kflste  aufhalten,  darf  man  auch  nicht  nach  dem 
1.  September  (a.  8.)  mit  Hundeschlitten  längs  der  KOate  fahren. 
Auch  darf  daselbst  wahrend  derselben  Zeit  kein  Sehuls  abgefeuert 
werden. 

Der  Fang  wird  aber  nicht  jedes  Jahr  betrieben,  weil  die  Er- 
fahrung lehrte,  dafs  der  Zuwachs  verhältnismftfsig  gröfser  wird,  weuu 
die  Tiere  ein  oder  zwei  Jahre  geschont  werden.  Je  nach  den  Um- 
ständen wird  die  Jagd  also  für  ein  oder  zwei  Jahre  eingestellt,  wie 
aus  der  oben  gegebenen  Tabelle  ersichtlich. 

Die  Insel  ist  in  19  Fuchsfangdistrikte  eingetheilt,  die  von  etwas 
verschiedener  GrO£se  sind,  je  nach  der  Anzahl  und  GrdOse  der  Hütten 
(Jurten  oder  Odinotschken),  die  sich  in  jedem  befinden.  So  sind  die 
Distrikte  Gavan  (das  Hauptdorfj,  Fedoskija,  Severnoje,  Saranna  und 


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—  261  — 

Stanga  Gavan,  in  deren  jedem  ein  Isleines  Dorf  gelegen  (alle  aber  mit 
Ausnahme  von  Gamm  nur  in  einem  Teil  des  Jahres  regelm&fsig 
bewohnt),  die  gröfsten.  In  allen  übrigen  findet  sich  nur  eine  Hütte 
(mit  Ausnahme  von  Ladiginsk,  ?on  welchem  weiter  anten  die  Bede), 
welche  nur  wfthrend  des  Fuchsfanges  und  für  Reisen,  die  man  wegen 
der  Seehnndsjagd  oder  der  Treibholzsuche  unternimmt,  benutzt  werden. 
Je  nach  der  Ergiebigkeit  des  Distriktes  und  der  Gröfse  der  Hütte 
werden  die  Männer  über  18  Jahre  (1883  ungefähr  90)  verteilt,  wo- 
möglich so,  dafs  alle  gleiche  Chancen  haben.  Uni  die  letzteren  noch 
weiter  gleichförmig  zu  verteilen,  wird  das  Loos  gezogen  und  eine  regel- 
mäfsige  Reihenfolge  eingerichtet,  so  dafs,  wenn  die  Runde  um  ist, 
ein  jeder  im  Laufe  der  Zeit  in  allen  Distrikten  gejagt  hat.  Dabei 
ist  jedoch  zu  bemerken,  dafs  die  bequemsten  Platze  für  die  alten 
Leute  reserviert  werden,  auch  wird  natürlicherweise  dafür  Sorge  ge- 
tragen, dafs  an  einem  Orte  nicht  lauter  junge  und  unerfahrene 
Burschen  zusammenkommen.  Nachdem  die  Distrikte  verteilt  sind, 
Terständigen  sich  die  Jager  jedes  Distriktes  darüber,  ob  sie  in  Ge* 
melnschaft  oder  jeder  fttr  sich  die  Jagd  betreiben  wollen.  Im  ersteren 
Falle  teilen  sie  die  Ausbeute,  Ddls  Ladi^nnsk  eine  Ausnahme  bildet, 
hängt  folgendermaff^en  zusammen:  den  patriarchalisch -kommunisti- 
schen Prinzipien  der  Verwaltung  der  Insel  nach,  ist  der  Boden  Gesamt- 
eigentum der  Einwohner,  und  keiner  ist  berechtigt  einen  Teil 
desselben  als  privates  Eigentum  oder  für  einen  ausachlielslichen 
Gebrauch  zu  usurpieren.  Dessen  ungeachtet  ist  es  ein  paar  Männern, 
die  arbeitsamer,  umsichtiger  oder  habgieriger  wie  die  übrigen,  ge- 
lungen, an  dem  FlüCschen  Ladiginski^a  eine  Art  Gehüfte  tou 
Erdhütten  zu  etablieren.  Sie  betreiben  hier  den  Lachsfang  in  dem 
Flüfschen  allein,  lesen  alles  Treibholz  der  Gegend  fSr  sich  auf, 
liegen  auch  von  dort  dem  Fnchsfang  ob,  kurz  benehmen  sich  als  die 
Eigentümer  des  Distriktes,  der  in  jeder  Beziehung  einer  der  er- 
giebigsten ist.  Eine  dieser  Familien  ist  besonders  unternehmend, 
sie  ist  deshalb  vielleicht  die  eindufsreichste  der  Insel,  die  übrigen 
Bewohner  aber  sehen  diese  Übergriffe  mit  nicht  ganz  freundlichen 
Blicken  an,  und  ich  hörte  im  stillen  viel  miXsgünstige  Äulserungen. 
Nun  zurück  zu  unsere  Reise  I 

Wir  verlieüsen  Schipitsina  um  8  Uhr  und  mit  vollen  Segeln 
steuerten  wir  nun  der  Südspitze  der  Insel  zu,  einer  immer  steiler 
und  zerrissener  werdenden  Rüste  entlang,  deren  senkrechte  Abstürze 
hier  auf  wenigstens  000  Fufs  geschfttzt  werden  müssen.  Stotschnoj 
Mys,  wie  die  Eingeborenen  das  „Kap  Manati**  der  Karten  nennen, 
ist  ein  langes  messerscharfes  Vorgebirge  von  prachtvoll  zerrissenen 
Formen.   Dort  biegt  die  Küste  plötzlich  gegen  Norden,  in  welcher 


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—  252  — 

Richtung  sie  dann  bis  Pere<:ro])noj  Mys  läuft.  Diese  Strecke  ist 
besonders  unzugänjilich,  sowohl  von  der  Landseite  wie  von  der  See, 
denn  das  Meer  drangt  hier  bis  an  das  Gerippe  der  Berge,  und  die 
Thäler  sind  kurz  und  steil,  während  es  keine  Buchten  von  Bedeutung 
giebt  und  zahlreich  Kepropuski  die  Passage  am  Strande  versperreiL 
Es  giebt  deshalb  nnr  wenige  Landungsplätze,  und  die  Eingeborenen 
besuchen  die  Küste  hier  nur  Anüserst  selten,  mit  der  Ausnahme  von 
Peregrobnaja  Buchta,  wo  eine  Odinotschka  ist 

Als  wir  das  Vorgebirge,  das  sich  mit  einem  langen  getthrlichen 
Riflf  weit  in  die  See  hinausstreckt,  um  halb  zehn  Uhr  umsegeln  wollten, 
fanden  wir,  dafs  der  Wind  auf  der  anderen  Seite  uns  entgegen  war. 
Es  war  ein  wenig  Seegang,  der  jedoch  nicht  der  Rede  wert  war, 
nichtsdestoweniger  wurden  meine  Gefflhrten  kleinlaut  und  wollten 
umkehren.  Ich  versuchte  zu  kreuzen,  aber  die  „Schlupka"  zeicrte 
sich  hierzu  ganz  unfähig.  Unter  diesen  Versuchen  kamen  wir  doch 
endlich  soweit  hinaus  in  See,  dafs  wir  die  (totliche  Küste  zu  Gesicht 
bekamen,  und  als  ich  den  Leuten  zu  verstehen  gab,  dafs  ich  nichts 
von  umkehren  wissen  wollte  und  obendrein  nach  glflcklicher  Ankunft 
in  Gavaruschetschia  —  oder  Gavaruschkaja,  wie  sie  es  ausspradien  — 
einen  Schnaps  versprach,  wurde  zu  den  Ruderstangen  gegriffen  und 
ohne  weitere  Abenteuer  langten  wir  am  besagten  Orte  an.  Hier, 
auf  einigen  grofsen  aus  dem  Meer  ragenden  Steinen,  lag  eine  kleine 
Schar  Seehunde,  Fhoca  vUulina,  auf  die  wir  eine  erfolglose  Kanonade 
eröftneteu. 

Gavaruschetschia  Buchta  verdient  den  Namen  Buchta  kaum, 
denn  die  Einbuchtung  der  Küste  ist  sehr  schwach.  Ein  Bach  mündet 
hier  ans,  und  eine  Art  von  Thal  oder  vielmehr  das  oben  kesseiförmige 
Ende  eines  vormaligen  Thaies  steigt  steil  an  den  Geburgsseiten  hinauf. 
Der  Strand  ist  etwas  breiter  als  gewöhnlich  auf  dieser  Seite,  aber 
grofs  ist  der  Raum  zwischen  den  Gebfrgswftnden  und  dem  Meer 
nicht.  Es  war  ziemlich  schwierig,  einen  passenden  Platz  für  unser 
Lager  zu  finden;  der  Abend  war  kühl  und  der  Wind  äufserst  un- 
angenehm, so  dafs  wir  eine  möglichst  geschützte  Ecke  aufsuchen 
mufsten;  hier  waren  wir  aber  in  Gefahr,  von  den  herabfaUeuden 
Steinen  der  steilen  Felsenwand  getroffen  zu  werden. 

Die  erschreckten  „Nerpen",  die  eine  Gesellschaft,  wie  die  unsere, 
wohl  niemals  gesehen  hatten,  schwammen  jetzt  vorsichtig  an  der 
Küste  auf  und  ab,  und  so  oft  eine  derselben  den  Kopf  spfthend  über 
dem  Wasser  erhob,  geriet  unsere  ganze  Gesellschaft  in  Aufregung, 
fertig  zum  aufspringen,  wenn  sie  wieder  hinuntertauchte.  Die 
Methode  meiner  Gefährten  war  mir  sehr  interessant,  so  da(s  ich  sie 
hier  beschreiben  will. 


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—  253  — 

Gerade  da,  wo  wir  uns  gelagert  hatten,  ist  der  Strand  ziem- 
lich breit,  vielleicht  6üO  m;  er  besteht  aus  Rollsteinen,  die  von 
der  Wasserlinie  landwärts  an  Gröfse  zunahmen,  die  kleinen  so 
grols  wie  Thalerstücke,  die  gröfsten  nicht  kleiner  wie  ein  Kindes- 
kopf« Der  Abfall  des  Strandes  ist  ziemlich  l)e(leuteDd,  er  bildet 
aber  nicht  eine  einzige  Böschung,  sondern  besteht  aus  drei  durch 
ungefiibr  gleich  breite  Terrassen  scharf  getrennten  Abhängen.  Sobald 
die  Seehunde  nun  wieder  untertauchten,  grilfen  die  nächst  Sitzenden 
2a  ihren  Flinten  —  alte  Soldaten -Mundlader,  nur  eines  war  ein 
Berdangewehr  —  und  Hefen  nun  tief  gebadet  so  schnell  wie  möglich 
der  Meeresliuie  zu,  indem  jeder  ohne  anzuhalten  gleich  im  Autaug 
des  Laufes  einen  grofsen  Stein  mit  der  linken  Hand  aufhob  und 
mitnahm.  Am  Ziel  angelaugt,  legte  er  sich  platt  auf  den  Bauch 
nieder,  brachte  den  mitgenommenen  Stein  unter  seine  Flinte  als 
Anlage  an,  und  erwartete  nun  das  Wiederauftauchen  des  Seehunds- 
kopfes. Geschah  dies  aber  noch  bevor  er  seine  Station  erreichte, 
80  hielt  er  im  laufen  plötzlich  inne,  geduldig  wartend,  bis  das  Tier 
wieder  yerschwand  und  er  sein  laufen  fortsetzen  konnte.  Diesmal 
kam  Maltsoff  mit  seiner  Berdanflinte  zuerst  zum  Schiefsen:  die  Nerpa, 
mitten  durch  den  Schädel  getroffen,  legte  sich  sogleich  auf  die  Seite 
und  färbte  das  Meer  ringsum  mit  ihrem  Blute  rot.  Nun  gilt  es 
ihrer  sogltielj  habhaft  zu  werden,  denn  binnen  wenigen  Minuten 
wird  sie  vor  den  Augen  des  glücklichen  Schützen  sinken,  wenn  er 
nicht  vorher  hinaus  kommen  kann.  Die  Schlupka  ist  hoch  auf  den 
Strand  gezogen,  ist  daher  nicht  zu  benutzen.  Aber  schnell  wie  ein 
Schauspieler,  der  sein  Kostüm  für  die  Verwandlung  schon  voraus 
arrangiert  hat,  wirft  Maltsoff  seine  Kleider  ab,  giebt  sie  den  heran- 
eilenden Kameraden,  und  ehe  ich  kaum  begriff  was  vorging,  hatte 
er  sich  ins  Wasser  gestürzt  und  schwamm  nun  tief  im  Wasser,  nach 
Art  der  Hunde,  der  Nerpa  zu.  Jetzt  hat  er  die  beiden  Vorderpfoten 
ergriffen,  aber  wie  ans  Land  mit  der  Beute  gelangen?  Maltsoff 
weifs  Rat:  er  fafst  die  Bartborsten  des  Seehundes  zwischen  seine 
Zahne  und  bugsiert  das  Tier  so  mit  grofser  Anstrengung  ans  Ufer, 
wo  er  von  uns  mit  lauten  Beifalls-  und  Freudenausrufen  begrüfst 
wurde,  als  er  über  und  über  rot  von  dem  Blute  seines  Opfers  aus 
Land  stieg. 

Während  wir  unsere  Mahlzeit  einnahmen,  sah  ich  ein  schwarzes 
Pünktchen  weit  hinaus  in  See  sich  schnell  vorwärts  bewegen.  Ich 
frag  sogleich  den  Badaeff:  Nerpa?  Er  starrte  das  Pünktchen  einen 
Augenblick  an  und  rief  dann  in  groCser  Aufregung:  «Bohr",  BobrI'' 
Die  ganze  Gesellschaft  ward  elektrisiert,  denn  es  war  in  der  That 
ein  »Seebiber"  (Laiax  Mris)^  das  kostbarste  Pelztier,  welches  es 


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—  264  — 

überhaupt  giebt  Die  Leute  begannen  jetzt  sehr  eifrig  za  pfirafea 
iind  zu  gestikulieren,  um  das  neugierige  Tier  naher  anzulocken,  zur 

Zeit  war  es  zu  weit  entfernt,  als  dafs  man  einen  Schufs  hatte  wagen 
können.   Der  Seebiber,  oder  die  Seeotter,  wie  er  wohl  auch  jrenannt 
wird,  änderte  seinen  Kurs  nicht,  sondern  schwamm,  auf  dem  Kücken 
lici^^end,  weiter,  richtete  sich  aber  dann  und  wann  in  die  Höhe,  um 
nachzuschauen,  was  der  Lärm  bedeuten  mochte,  und  entschwand 
endlich  unseren  Augen  hinter  dem  Nepropuak.   Eine  Kugel,  die  ihm 
nachgesandt  wurde,  blieb  natürlicherweise  erfolglos.   Als  Stelier  mit 
seinen  Unglflcksgefährten  auf  der  Insel  tiberwinterte,  waren  die 
Seebiber  so  b&nfig,  dafs  er  schreiben  konnte:  «Obrigens  verdiente 
dieses  Tier  die  gröfste  Hochachtung  von  uns  allen,  da  es  uns  über 
sechs  Monate  fast  allein  zu  unserer  Nahrung  und  zugleich  als  Arznei 
gegcu  die  skorbii tischen  Krankheiten  gedient  hat".    Sie  kehrten  mit 
über  700  Fellen   „als   Wahrzeichen"   nacli  Kamtschatka  zurück. 
Während  der  nadiher  folj^enden  Zeit  wurden  sehr  viele  Seebiber 
getötet;  so  in  1745  1600  Stück,  in  1748  ungefähr  1850:  Tolstychs 
Expedition  bekam  im  Winter  1749—50  nur  47,  während  Jugoff, 
welcher  auch  die  Kupfer -Insel  besuchte,  in  1754  mit  790  zurück- 
kehrte.   1754—55  wurden  auf  der  Berings- Insel  von  Dru^iniBS 
Leuten  nur  fünf  Biber  getOdtet  In  dem  Beridit  von  Tolstycfas 
zweiter  Expedition,  «ekbe  den  Winter  1756—57  dort  zubrachte, 
heilst  es  ausdrOcklich,  dafo  nsich  in  diesem  Jahr  keine  Biber  ein- 
fanden."  Zwar  hatten  sie  die  Insel  wohl  kaum  ganz  yerlassen,  oder 
sie  kamen  von  der  Kui)ter-lusel  hinüber,  aber  häufig  wurden  sie  auf 
der  Berings-Insel  nie  wieder.    So  heifst  es  zum  Beispiel  von  Trapez- 
niküffs  Expedition  1762 — 63,  dafs  sie  „nur  zwanzig  Seebiber  schlugen, 
welche  itzt  wegen  der  häufigen  Beunruhigung  diese  Insel  verlassen 
hatten  oder  doch  )»ehr  sparsam  geworden  waren.''    Jetzt  aber  ist 
der  Seebiber  auf  der  Berings-Insel  gänzlich  ausgerottet ;  weil  er  aber 
an  der  benachbarten  Kupfer -Insel  noch  ziemlich  häufig  sich  fort- 
pflanzt, zeigt  sich  ein  einzelnes  Tier  bisweilen  an  unserer  Insel,  und 
im  Winter  treibt  auch  wohl  dann  und  wann  eine  getötete  Seeotter 
hinüber  und  wird  Yom  Meere  ausgeworfen.  Das  ist  aber  alles,  was 
noch  an  diesen  einst  so  herrlichen  Tierreichtum  erinnert. 

Den  nächsten  Morgen,  den  27.  August,  besuchte  ich  noch  vor 
unserer  Abreise  die  Kolonie  der  hier  zahlreich  brütenden  Seevögel. 
Die  steilen  Felsenwände  waren  von  oben  bis  unten  bevölkert,  oben 
die  „Ipatki"  und  „Toporki"  (Fratercula  comicukUa  und  Lunda  cir- 
rhata),  dann  die  „Arren"  {Uria  lamvia  arra)  und  schliefslich,  am 
niedrigsten,  die  rotfülaigen  „Stummelmöven''  (Rissa  brevirottrit)^ 
von  den  Russen  nGavaruschki*,  das  heilst  die  MGeschw&tzigen",  ge- 


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nannt,  von  welchen  die  ganze  Bucht  den  Namen  bekommen  hat. 
Die  letzteren,  welche  ihre  für  einen  Seevogel  sehr  wohlgebauten 
Nester  an  die  schroffen  Wände  geklebt  hatten,  flogen  jetzt  ab  und 
zu,  um  die  im  Neste  sitzenden  Jungen  zu  füttern.  Die  bl&ulich  und 
weiüs  gefärbten  Vögel  mit  den  roten  FUlsen  und  dem  für  eine  Möve 
kurzen  Schnabel  sahen  Tauben  nicht  unähnlich,  und  die  Szene  auf 
dem  Markusplatz  Venedigs  tancbte  nnvillkttrlich  in  meiner  Erinne- 
rung aut  Ich  schofs  einige,  um  aie  za  präparieren,  und  als  ich 
eine  aoflas,  kam  ganz  unbemerkt  und  ruhig  ein  junger  Blaufuchs 
um  die  Ecke.  Als  ich  ganz  still  blieb,  ging  er  gerade  auf  mich  zn, 
roch  an  meinen  Beinkleidern,  genau  als  wäre  er  ein  Hund,  der  sein 
Leben  zwischen  Menschen  verbracht  hätte,  und  wollte  mir  dann  die 
Möve,  die  ich  in  der  Hand  hielt,  entreifsen,  bis  ich  ihm  einen  Schlag 
mit  dem  Vogel  beibrachte.  Er  wich  einen  Schritt  zurück,  sah  mich 
höchst  verwundert  von  oben  bis  unten  an,  kehrte  mir  dann  den 
Bücken  und  entfernte  sich  sehr  langsam,  blieb  aber  dann  und  wann 
stehen,  um  einen  halb  vexierten,  halb  mystifizierten  Blick  auf  mich 
zu  werfen.  Die  Sache  schien  ihm  ganz  unbegreiflich  zu  sein  I  Diese 
und  andere  Geschichten,  die  ich  erlebte,  beweisen  deutlich,  dafs  die 
SteinfQchse  der  Berings-Insel  noch  ziemlich  dreist  sind,  obwohl  sie 
natfirücherweise  seit  SteUers  Tagen  einige  Fortschritte  in  „Menschen- 
fui'cht"  gemacht  haben. 

Wir  waren  schon  um  5  Uhr  auf,  kamen  aber  vor  halb  sieben 
nicht  zur  Abfahrt,  weil  die  Vorbereitungen  zur  Abreise,  das  Her- 
unternehmen der  „Palatka",  das  an  Bord  bringen  der  Bagage  u.  a. 
viel  Zeit  in  Anspruch  nahm.  Übrigens  wurde  noch  eine  „Nerpa" 
geschossen,  die  erst  abgehäutet  und  gereinigt  werden  mufste.  Das 
Wetter  war  gut,  ein  frischer  Südwind  blies  uns  in  die  Segel  hinein, 
und  der  Himmel  schien  sich  aufzuklaren.  Das  Barometer  war  seit 
dem  Abend  vorher  um  einen  Millimeter  gefallen;  die  Temperatur 
war  +  13^  C.  Bäsch  legten  wir  nun  die  Stredce  bis  Tolstoj  Mys 
zurück.  Die  Kflste  hier  verläuft  ziemlich  geradlinig,  die  tiefen  Ein- 
buchtungen und  vorspringenden  Vorgebirge,  welche  die  Tebinkoffsche 
Karte  zeigt,  bestehen  nur  in  der  Kiubildung  des  Zeichners.  Hie 
und  da  mündet  ein  Wiidbach  aus  und  der  Strand  macht  eine  schwache 
Kurve  einwärts;  so  einen  Platz  nennen  die  Eingeborenen  dann  eine 
„Buchta",  für  die  sie  denn  auch  spezielle  Namen  haben;  wir  pas- 
sierten daher  Hanna-eta  (Aleutisch,  bedeutet  „Bucht  mit  Insee")  und 
Majotnik.  Die  letzte  ^Buchta"  vor  Tolstoj  ist  Peregrobnaja ;  diese 
ist  schmaler  und  tiefer  eingeschnitten;  hier  ist  auch,  wie  schon 
bemerkt,  eine  Odinotschka  fOr  den  Fuchsfang.  Das  Vorgebirge 
zwischen  diesen  zwei  Buchten,  Peregrobnoj  Mys,  ist  hoch  und  schroff 


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und  bildet  einen  unnmgftnglichen  Nepropnsk.  Es  ist  dies  die  süd- 
östlichste Ecke  der  Insel  und  deshalb  dasselbe,  was  die  Karten  Kap 
Ghitrow  nennen,  welches  letztere  nicht  Toltoj  Mys  ist,  wie  gewdhn- 

lieh  angenommen  wird,  denn  hinter  Peregrobnoj  biegt  die  Kflste 
schon  gegen  Nordwesten  und  lolbtoj  liegt  bedeutend  westlicher  wie 
Peregrobnoj  Mys. 

Wir  umsdiift'ten  letzteres  und  eine  ansclieinend  tiefe  Bucht, 
in  welche  zwei  Thäler  zwischen  zurücktretenden  Bergen  ausmündeten, 
lag  im  Sonnenschein  vor  uns.  Herrlich  grün  waren  die  Thalgründe 
nnd  BergabhftDge,  darüber  wölbte  sich  ein  klarer  blauer  Himmel, 
wfthrend  an  beiden  Seiten  die  hohen  und  sehnten  Vorgebirge  Pere- 
grobnoj und  Tolstoj  das  Natnrbild  majestätisch  begrenzten;  hinter 
uns  wogte  das  machtige  Meer  und  unten  am  Horizont  sammelten 
sich  dfistere  zusammengeballte  Massen  von  Gnmnluswolken,  die  uns 
die  Kupferinsel  verbargen.  Wir  aber  eilten  dem  uns  lockenden 
Ruheplatz  zu!  Tolstoj  ist  zwar  kein  Parailies;  für  uns  aber,  die 
wir  nun  so  lange  nur  die  trostlose  Küste  mit  ihren  kahleu,  schroffen, 
oben  in  Nebel  getauchten  Felsen  gesehen  hatten,  war  damals  diese 
Bucht  ein  hochersehutes  Ziel;  munter  und  hoffnungsvoll  steuerten 
wir  auf  die  Jurte  zu. 

Wir  landeten  um  halb  neun,  und  die  ganze  Gesellschaft  löste 
sich  nun  auf,  jeder  ging  seines  Weges,  einige  um  «Nerpen*  zu 
schiessen,  andere  um  einen  alten  Adler  zu  beschlelchen,  der  hier 
horstet.  Ich  selber  sammelte  Fossilien,  Pflanzenreste  und  Mollusken, 
wahrend  dann  und  wann  auch  die  eine  oder  die  andere 
Crustacee  oder  Würmer  in  die  Hasche  wanderten.  Gegen  Mittag 
wurde  mir  gemeldet,  es  sei  ein  Seekuhskelett  gefunden!  Man 
begreife  meine  Aufregung  und  die  Eile,  mit  welcher  die  Spaten 
ergriffen  wurden!  Wir  hatten  erst  eine  Strecke  zu  gehen,  und  als 
ich  zur  Stelle  kam,  fand  ich,  dafs  der  Bericht  sich  bestätigte.  Aus 
dem  linkeo  Ufer  des  aus  Süden  kommenden  Baches  ragten  einige 
Rippen  hervor.  Der  Bach  hatte  sich  ailm&hlich  in  den  SandhOgel 
hineingefressen  und  so  nach  und  nach  die  Knochen  entbldst  und 
weggewaschen.  Als  wir  zu  graben  anfingen,  sahen  wir  sogleich, 
dafs  es  das  Schwanzende  war,  welches  fehlte.  Die  Entfernung  von 
der  See  war  ungefähr  500  Fufs  und  das  Skelett  lag  ungefähr 
10—12  Fufs  über  der  Hochwassermarke.  Es  war  in  einem  Sandhügel, 
der  einer  der  inneren  Düuenreihen  angehört,  eingebettet.  Der 
Hügel  war  ungefähr  12  Fufs  hoch,  und  das  Skelett,  welches  auf 
dem  Kücken  mit  dem  Kopf  gegen  Westen  lag,  befand  sich  in  un- 
gefähr gleicher  Entfernung  von  dem  Boden  und  der  grasbekleideten 
Oberfläche  des  Httgels.  Der  Sand  war  feucht  und  fein,  von  der 


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n&uilicheu  Art,  wie  er  noch  heutigen  Tages  am  nahen  Strande  tAg* 
lieh  vom  Meere  ausgeworf^  wird,  und  zeigte  abwechselnd  branne 
und  blaue  Schichten.  Nahe  an  den  Knochen  war  der  Sand  bis- 
weilen schwärzlich,  irridesderend,  was  daher  rührte,  dafs  die  Knochen 

schon  in  sehr  weit  vorgerücktem  Auflösnngszustande  sich  befanden; 
dies  wurde  mir  gleich  nach  wenigen  Spatenstichen  klar.    In  der 
That,  das  Skelett  war  als  solches  wertlos.    Die  einzelnen  Knochen 
hielten  nicht  so  lange  zusanimeu,  dafs  man  sie  unverletzt  empor- 
heben konnte,  ihr  eigenes  (iewicht  war  zu  schwer.  Selbst  die  Rippen, 
die  sonst  von  beinalie  elfenbeinartiger  Konsistenz  und  Schwere  sind, 
waren  durch  und  durch  verfault,  und  einige  Knochen  so  weich,  dafs 
sie  sich  wie  grflne  Seife  anfühlten.  Um  alle  Umstände  aber  genau 
zu  erforschen,  setzte  ich  die  Ausgrabung  fort,  bis  alle  Beste  zu 
Tage  gefördert  waren.  Alles  in  allem  wurden  gefunden:  MRflcken- 
Wirbel  mit  den  dazu  gehörigen  Rippen,  die  Halswirbel,  der  Schftdel, 
das  Brustbein,  zwei  Schulterknochen,  zwei  Oberaraiknochen.  aber 
nur  ein  Unterann.    Alle  Knochen  waren  in  ihrer  natürlichen  Lagt', 
mit  Ausnahme  des  Brustbeines,  welches  aui'serhalb  des  Skeletts  lag, 
nahe  an  der  rechten  Vorderextremität,  wahrend  das  linke  Vorderglied, 
nur  aus  Schulterblatt  und  Oberarm  bestehend,  innerlialb  des  Brust- 
korbes lag.    Obwohl  keiner  der  Knochen  uns  von  Nutzen  war. 
betrachtete  ich  die  Arbeit  doch  nicht  als  verloren,  weil  ich  dadurch 
konstatieren  konnte,  erstens  unter  welchen  Verhältnissen  viele  von 
diesen  Skeletten  zu  Grunde  gegangen  sind,  und  zweitens,  dafs  die 
Insel  sich  erhoben  hat,  seitdem  diese  Reste  am  damaligen  Ufer 
versandet  wurden. 

Badaeflf  drängte  jetzt  zur  Weiterreise,  weil  es  bald  Hochwasser 
sein  würde.  Von  Tolstoj  Mys  aus  streckt  sich  näiidich  ein  lange> 
Riff  weit  in  die  See  hinaus.  Dieses  Kiff,  welches  mit  einer  einzigen 
Unterbrechung  die  Küste  bis  zum  Komandor  umgiebt,  ist  ganz 
Üach  und  bei  kleinem  Wasser  trocken,  es  bietet  dann  einen  wunder- 
baren Anblick,  da  die  ganze  Fläche  von  schnurgeraden,  regelmüfsigen 
Furchen  wie  ein  sorgfaltig  gepflflgtes  Ackerfeld  dnrchsetzt  ist.  Die 
Schichten  des  Gesteines  treten  hier  unter  einem  Winkel  von  ungefähr 
45^  ans  Licht  Dicht  am  Ufer  ist  eine  untiefe  Rinne,  ein  paai* 
Meter  breit,  die  unserer  Schlupka  nur  bei  Hochwasser  eine  Passage 
erlauben  konnte.  Um  nun  diese  Rinne,  die  uns  einen  Umweg  von 
vielen  Meilen  ersi)ai  te,  benutzen  zu  können,  mahnte  uuser  Steuermann 
zum  baldigen  Aufbruch. 

Ich  schickte  die  Leute  voraus,  um  das  Boot  zurechtzumachen 
und  folgte  dann  selbst  langsam  nach.  An  der  Mündung  des  kleinen 
Fiaischens  safs  eine  aus  Tausenden  und  Abertausenden  bestehende 

0«Bir.  Blitlw.  BrtMflS».  X9 

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Schar  dreizeliiirer  Möven.  die  dicht  neben  einander  gedrängt  die 
weite  Sandflftche  bedeckten.  Wie  glänzte  das  reine  Weifs  des 
Körpers,  wie  schön  nahm  sich  dabei  das  zarte  Aschblau  der  Mantel 
aus,  wie  herrlich  kontrastierten  die  gelben  Schnäbel  and  die  zinnober- 
roten Füfse!  Es  durfte  aber  mein  verzflcktes  Beschauen  nicht  lange 
dauern,  denn  die  Zeit  war  zu  knapi),  aucb  hatte  ich  an  die  Leute 
zu  denken,  die  eine  Möve  dem  delikatesten  Schneehuhn  vorziehen 
\väitien,  und  endlich  hatte  iili  auch  einige  Bälge  üir  meine  Samm- 
lung nötig.  Ein  Schnls.  und  wie  ein  Schneegestöber  hob  sieh  die 
geflügelte  Masse  kreischend  und  scinciend  und  flog  davon,  walirend 
ich  die  getöteten  autlas.  Von  den  acht  Vögeln,  die  auf  dem  Sande 
liegen  blieben,  waren  zu  meiner  grofsen  Überraschung  drei  schwarz- 
füfsig.  Ich  war  deshalb  überrascht,  weil  ich  die  zwei  Arten,  die 
rotfafsige  und  die  schwarzfüfsige  nie  in  einem  Haufen  gemischt  ge- 
sehen hatte,  und  auch  weil  ich,  als  sie  auf  dem  Sande  standen, 
keinen  einzigen  schwarzfflfsigen  Vogel  hatte  entdecken  können, 
trotzdem  ich  darnach  besonders  gespäht  hatte. 

Koch  war  das  Boot  nicht  ganz  fertig.  Ich  setzte  mich  des- 
halb auf  dem  feinen,  schwarzen,  glimzenden  Sande  des  Strandes 
nieder  und  flng  an  ihn  aufzuwühlen.  Dabei  stiefs  icli  auf  eine 
Amphipode  aus  der  Gattung  Orchestia,  welche  ich  früher  nicht  ire- 
sehen  hatte.  Es  war  eine  ziemlich  dicke  und  breite  Art,  glatt  und 
glänzend  wie  Porzellan,  sie  zeichnete  sich  durch  lebhafte  und  ab- 
wechselnde Farben  aus.  Einige  waren  schön  bläulich  violett,  etwas 
lichter  an  der  Uuterseite;  andere  weifs  mit  grofsen  bräunlichen 
oder  olivengrünlichen  Flecken.  Das  äufserste  Glied  des  zweiten 
Gnathopods  war  schön  rosa  und  der  Haken  lilla  violett.  Sie  lagen 
2 — 3  Zoll  tief  im  trockenen  Sande  mauz  unbeweglich;  erst  einige 
Augenblicke,  nachdem  sie  ausgegraben  waren,  fingen  sie  an  lebhaft 
heruniziilui])fen  und  Versuche  zur  Flucht  zu  machen. 

Endlich,  ein  Viertel  vor  vier  Uhr,  ging  es  weiter.  Wir  be- 
nutzten die  schmale  Rinne  und  hielten  uns  so  nahe  an  das  Ufer, 
dafs  die  Ruderstangen  an  vielen  Orten  nicht  benutzt  werden 
konnten.  Sie  waren  auch  ganz  flberflflssig,  der  frische  Südwind 
trieb  uns  auch  ohne  Segel  so  rasch  vorwärts,  daTs  es  bisweilen 
nötig  wurde,  eine  zu  reiTsende  Fahrt  zu  verhindern,  denn  nicht 
selten  war  das  Wasser  so  untief,  dafs  der  Kiel  unserer  Schlupka 
aiit  den  Steinen  des  Bodens  hinwegsclieuerte.  Bald  hatten  wir 
auf  diese  Weise  den  Tolstoj  Mys  umschifft  und  hoff'ten  innerhalb 
einer  Stunde  in  Komandor  landen  zu  können.  Bis  jetzt  wurden  wir 
so  von  dem  Geschick  begünstigt,  dafs  wir  walirscheinlich  zu  zuver- 
sichtlich geworden  waren.  Es  war  deshalb  eine  um  so  unangenehmere 


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Überrascbong,  als  uns  jenseits  dieser  Vorgebirge  starker  Nebel 
und  ein  stürmischer  Gegenwind  empfingen.  Wir  versachten  zu 
rudern,  die  Rinne  war  aber  zu  schmal,  und  gegen  den  Wind 

konnten  wir  nicht  segeln.  Es  wurde  deshalb  beschlossen,  ein  Tau 
ans  Land  zu  hrin^^ni  und  die  Schlupka  längs  dem  Strande  zu 
schleppen.  Drei  Mann  zot^en  dann  an  dein  Taue,  ein  Mann  an 
jeder  Seite  schob  mit  den  Kuderstanj^en  das  Boot  vorwärts,  und 
Maltsoir,  in  seiner  wasserdichten  Kamleika,  watete  voran  an  dem 
linken  Bnjj,  um  das  Boot  vom  Ufer  abzuhalten  und  die  Steine,  die 
im  Fahrwasser  lagen,  zu  sitrnalisiert'n.  Eine  Weile  ging  es  ganz 
gut  auf  diese  Weise,  der  Wind  aber  wuchs  mit  grofser  Geschwindig- 
keit, so  dafs  wir  schliefslich  nur  langsam  vorwärts  kamen.  Er  war 
eigentlich  südlich  und  wehte  folglich  vom  Lande;  als  wir  dicht 
unter  einer  hohen  und  steilen  Küste  gegen  Nordwesten  fuhren,  hatte 
man  glauben  sollen,  wir  würden  nicht  viel  von  dem  Sturme  zu  leiden 
haben.  Die  lokalen  Verhältnisse  waren  aber  der  Art,  dafs  es  dem 
Lande  entlang  wehte.  In  den  engen  und  tiefen  Thälern,  die 
Sfld  und  Nord  laufen  und  hier  ausmfinden,  wird  der  Wind  so  zu- 
sammengeprefet,  dafs  er,  wenn  er  aus  der  Enge  binausbricht,  sich 
mit  Gewalt  an  beiden  Seiten  ausbreitet  Sfldlidi  von  der  Thal- 
mOndung  brauste  er  deshalb  dem  Lande  eftüang  uns  entgegen; 
wenn  wir  die  Kluft  passiert  hatten,  beulte  uns  der  Sturm  eine 
Weile  nach,  was  in  dem  Nebel  noch  gefährlicher  wurde.  Äufserst 
mühsam  arbeiteten  wir  uns  vorwärts,  und  als  zuletzt  die  Stärke 
des  Windes  zum  Sturme  heranwuchs,  mufeten  wir  die  Kamleiken 
anziehen,  die  zum  Staubregen  zerpeitschten  Wogenkamme  hätten 
uns  sonst  bald  durehnilfst.  Die  Leute  holten  gut  aus.  Besonders 
den  Maltsoff  mufste  ich  bewundern,  wie  er  dort  im  Wasser  voran- 
ging, das  ihm  manchmal  unter  die  Arme  reichte,  unverdrossen  und 
unbekümmert  um  den  Sturm,  der  ihm  das  salze  Meer  in  die 
Augen  peitschte,  während  er  sorgfaltig  den  Boden  sondierte 
und  das  Boot  in  den  richtigen  Kanal  lenkte!  Ich  konnte  nicht 
umhin,  ihm  einen  guten  Schnaps  zu  versprechen,  zu  verab- 
reichen nach  glücklicher  Ankunft  in  Komaudor,  und  da  dies 
natürlicherweise  auch  den  anderen  mit  geltend  betrachtet 
wurde,  so  zogen  alle  mit  erneuertem  £ifer.  £s  wurde  aber  noch 
schlimmer.  Der  Wind  wehte  kaum  weniger  wie  50  (engl.)  Meilen 
m  der  Stunde,  der  Nebel  wurde  dichter  und  di<  hter,  und  es  begann 
za  regnen.  Auf  der  ftufseren  Kante  des  Kiifes  brachen  die  Wogen 
des  Oceanes  in  wilder  Wut;  heulend  und  zischend  fielen  die  Wind- 
stOÜae  von  de%  Grebirgeswänden  auf  unser  hfllfloses  Boot  herunter; 
die  Wässer  der  See  und  des  Himmels  stürzten  vereinigt  über  uns 

19* 


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her;  das  fliehende  Tageslicht  fing  an  zu  Terbergen,  was  ans  der 
Nebel  noch  zu  sehen  erlaubt  hatte;  das  Nasser  begann  wiederum 
zu  fallen,  und  noch  hatten  wir  eine  ?anze  Strecke  bis  zu  Komandor. 

Es  wurde  uns  klar,  dafs  wir  vor  Kiii]}ruch  völliger  Dunkelheit  nicht 
das  letzte  Vorgebirge  dublieren  konnten.  Ein  kurzer  Kriegsrat 
wurde  fjehalten  und  beschlosseu,  nicht  länger  um  das  Unmögliche 
zu  kämpfen,  sondern  gerade,  wo  wir  uns  befanden,  das  Boot  ans 
Land  zu  ziehen  und  uns  für  die  Nacht  so  vorzabereitea,  wie  es 
eben  möglich  war. 

Gesagt^  gethanl  Nirgends  war  ein  auch  nur  einigermafoen 
geschütztes  Platzchen  zu  entdecken,  und  wir  muisten  deshalb 
mit  dem  Strande  fürlieb  nehmen.  Dieser  war  hier  einige  hundert 
Meter  breit,  ganz  horizontal,  und  eine  Strecke  von  der  See  land- 
einwärts mit  hohem  nassem  Gras  bewachsen.  Parallel  mit  dem 
Ufer  war  er  mit  einigen  untiefen  Furchen  versehen,  und  in  einer 
deröelbeu  beschlossen  wir  das  Boot  und  uns  selbst  zu  verbergen. 
Erst  wurden  alle  Sachen  aus  der  Schlupka  auf  den  Strand  gebracht; 
das  Boot  selbst  wurde  hinaufgezogen,  und  während  zwei  der  Leute 
ein  Feuer  aus  nassem  Treibholze  anzumachen  versuchten,  bemühten 
die  anderen  sich  um  die  nicht  leichtere  Arbeit,  in  diesem  Sturme 
eine  niedrige  Palatka  hinter  der  umgekehrten  Schlupka  zu  errichten. 
Beides  gelang  schliefslich,  und  bald  murmelte  uns  der  trauliche 
Samovar  seine  trOstende  Melodie  vor.  Wer  wurd  es  uns  wohl  unter 
diesen  Umstanden  verargen,  dafs  wir  den  Thee  recht  stark  machten 
und  Ilm  noch  obendrein  mit  der  von  den  Seetiere u  geraubten,  in 
diesen  Gegenden  kostbaren  und  hochgeschätzten  Flüssigkeit,  ver- 
mischten, die  überhaupt  notwendig  ist.  um  einen  wirkuugsvdllen 
„Toddy"  herzustellen!  Noch  vor  Schlafengehen  WHirden  die  Schieis- 
waffen nachgesehen  und  tüchtig  eingeölt,  und  erst  um  11  Uhr  krochen 
wir  todesmüde  und  durchnäfst  in  unsere  Schlafsacke. 

Welch  eine  Nacht  1  Der  Regen  gofs  in  Strömen  herab,  und  bald 
war  es  innerhalb  der  Palatka  eben  so  nafe  wie  drauCsen:  fürchterlich 
heulte  der  Orkan  und  drohte  uns  das  elende  Zelt  über  die  Köpfe 
wegzublasen ;  und  alles  übertönend  brüllte  der  gewaltige  Ocean  sem 
Akkompagnement  dazu!  Dafs  meine  Gedanken  mit  Bering,  Steller 
und  deren  Gefährten,  die  hier  in  nächster  Nähe  gelebt  und  gelitten 
hatten,  in  dieser  Nacht  beschäftigt  waren,  brauche  ich  kaum  zu  er- 
zählen. Welche  wunderbaren  Schicksale,  die  die  verschiedensten 
Menschen  hier  an  diesen  Ort  hingeworfen  hatten,  Menschen,  die  zu 
diesem  entlegenen  Winkel  der  Erde  hindrangen,  um  die  eigene  uner- 
sättliche Wifsbegierde  und  die  ihrer  Mitmenschen  zufrieden  zu  stellenl 
Dann  verglich  ich  die  unsäglichen  Beschwerden  und  MtUien  jener 


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—  261  — 


Männer,  die  vor  140  Jahren  hier  die  juniifräuliche  Krde  dieser 
Insel  zum  ersten  Male  betraten,  mit  den  kleiiilii  hen  Widerwärtig- 
keiten, die  mich  für  einen  Aiiizenblick  befallen  hatten;  ich  verglich 
ihren  Heldenmut  und  ihre  Standhaftigkeit  mit  meiner  eigenen  Nieder- 
geschlagenheit und  Zaghaftigkeit,  die  Vergleidiung  war  nicht 
schmeichelhaft  iür  mich  seihst,  aseigte  mir  aher,  dafis  ich  keine 
Ursache  zur  Klage  hatte,  und  flöCste  mir  neuen  Mut  ein.  Es  regte 
sich  etwas  wie  Stolz  in  mir,  dafs  ich  jetzt  nahe  an  dem  Platz  war, 
wo  Steller  und  beine  Gefährten  winterten,  ich  legte  mein  Haupt 
zur  Ruhe,  und  trotz  Sturm  und  Regen  löste  der  stärkende  Schlaf 
bald  meine  Glieder.  War  doch  jetzt  ein  kühner  Traum  meiuer 
frühesten  Jugend  zur  Wirklichkeit  geworden! 

Ich  will  den  folgenden  Tag  in  aller  Eile  vorübergehen  lassen. 
Das  Wetter  blieb  nämlich  unverändert  dasselbe:  Begen  und  Sturm 
und  Sturm  und  Regen!  Wir  hatten  weiter  nichts  zu  thun  als  im 
Zelte  zu  hleihen  und  die  Sachen  von  einem  Platze  zum  andern^  wo 
es  im  Augenhlicke  am  wenigsten  trdpfelte,  zu  rQcken. 

Auch  mnfsten  die  Flinten  drei  bis  viermal  gereinigt  und  geölt 
werden;  jedesmal,  wenn  sie  hervorgeholt  wurden,  fanden  wir  sie  rot  von 
Rost,  denn  bei  Hochwasser  spritzte  noch  die  salzige  Douche  der  Braudung 
über  uns  hinweg.  Trotz  alledem  versuchte  ich  noch  etwas  zu  sammeln. 
Ich  kroch  zum  Strande  hinab,  denn  die  Windstöi'se  waren  so  heftig, 
dafs  mau  kaum  aufrecht  stehen  konnte.  Ks  war  aber  umsonst,  denn 
wie  mein  Tagebuch  aussagt,  „es  war  als  ob  nicht  einmal  die  Bewohner 
des  Meeres  sich  zur  Thürs  hinauswagten,  und  nur  einige  der  gew(^hn- 
lichsten  Strandschnecken,  speziell  LUorim  sitkana,  die  ihr  eigenes 
Haus  mit  sich  auf  dem  Bücken  tragen,  waren  zu  sehen.  So  leer 
bin  ich  doch  niemals  von  einer  Exkursion  hier  zurückgekehrt!"  Den 
anderen  Sammlungen  ging  es  natürlicherweise  sehr  übel:  Pflanzen 
und  Vogclbälge  sahen  erbärmlich  aus;  es  ist  nur  ein  grofses  Wunder, 
dafs  etwas  gerettet  wurde.  Ein  nasser  Naturforscher  mit  nassen 
Sammlungen,  wenn  sie  nicht  gerade  Spiritussachen  sind,  ist  doch 
ein  wahrer  Jammer! 

Gegen  Abend  lieTs  der  Wind  beinahe  gänzlich  nach,  und  die 
Existenz  wurde  ein  wenig  erträglicher.  Das  Barometer  stieg  einen 
halben  Millimeter,  und  grofee  Pl&ne  für  den  morgigen  Tag  wurden 
geschmiedet. 

Der  Morgen  des  29.  hielt  nicht  was  der  vorhwgehende  Ahend 
versprochen  hatte.    Das  Barometer  war  wiederum  gefidlen,  und 

Regen  und  >.ebel  verbargen  die  Umgebungen.  Der  Morgen  verging 
mit  putzen  und  ölen  der  Miuten,  nachsehen  der  Samndnngen  u.  a., 
und  als  später  am  Vormittage  der  Kegeu  etwas  uachiieis,  begab  ich 


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—  262  — 

micb  auf  eine  kurze  Rekognoszierung  nach  ,,KomaDdor';  so  wird 

der  Platz  genannt,  wo  die  Expedition  des  Kommandeurkapitans  j 
Bering  überwinterte.  Währenddefs  überlegte  ich  meine  Plane,  und 
sammelte  unterwegs.  Auf  dem  Sande  an  dem  kleineu  Flüfschen  fand 
ich  einen  kleinen  Sandkäfer  (Cicindela),  die  einzigen  der  Art.  die 
mir  auf  der  Insel  zu  Gesicht  kamen;  einen  Küsselkäfer  erbeutete  ich 
unter  einem  kleinen  Stück  Treibholz,  sowie  auch  eine  kleine  nackte  ! 
Landschnecke  (lAmax  hyperbarem),  die  allgemein  über  die  Lftnder 
der  Bering-See  verbreitet  ist  Einige  Pflanzen  wurden  auch  ein- 
gelegt, so  z.  B.  Noitu/rHim  pahsh^  Bammadm  r^pene  u.  a.  Ach, 
es  ist  ein  gar  mafsiges  Vergnügen  Pflanzen  zu  sammeln,  wenn 
selbst  die  Riemen  der  Pflanzenmappe  von  Schimmel  grün  werden ! 

Bei  Komandor  mündet  ein  ziemlich  breites  Thal  aus,  dessen 
Hauptrichtung  SSW. — NNO.  läuft.  Wie  die  meisten  der  hiesigen 
Thäler  ist  der  Boden  eben,  von  einem  langsam  liiefsenden  Flüfschen 
durchschlängelt,  das  dicht  neben  dem  nördlichen  Abhänge  die 
niedrige  Dflnenreihe  durchbricht,  und  sich  dann  in  die  schwach  ein- 
geschnittene Bncht  ergielst  Das  Küstenriff  ist  hier  unterbrochen 
und  somit  entsteht  hier  eine  Art  Hafen,  über  dessen  Sicherheit  aber 
das  Schicksal  der  Beringschen  Expedition  die  beste  Illustration 
liefert.  Das  Ufer  ist  flach  und  besteht  aus  feinem  Sand.  Die 
Klippen,  auf  welchen  Berings  Scliiff  scheiterte,  müssen  deshalb  die 
seitlichen  Kitfe  gewesen  sein.  In  einem  Berichte^)  lese  ich,  dafs 
.,20  fathoms  distance  right  or  left  of  their  course,  high  basaltic 
boulders  and  jagged  pinnacles  arose  from  the  sea.''  Giebt  es  eine 
authentische  Quelle,  die  die  Scene  derart  schildert?  Ware  das  der 
Fall,  so  hätten  sich  die  Umgebungen  in  merkwürdiger  Weise  w&hrend 
der  verflossenen  140  Jahre  geändert.  Fehlerhaft  ist  die  Schilde- 
rung aber  jedenfalls  wenigstens  teilweise,  denn  Basalt  glebt  es  in  der 
ganzen  Nadibarschalt  nicht.  —  Das  Thal  wird  gegen  dasMeersu  durch 
mehrere  Reihen  niedriger  Sanddünen  geschützt.  Diese  sind  alle  gras- 
bewachsen, die  zwei  vorderen  sind  jedoch  nicht  mit  einem  zusammen- 
hängenden Rasen  bedeckt,  vielmehr  wuchs  der  Strandhafer  (Elt/tnus) 
lose  im  Sande  empor.  Hinter  der  zweiten  Reihe,  unweit  des 
Flüfschens,  ungefähr  120  m  von  der  Hochwassermarke  und  wenigstens 
6  Fufs  über  der  höchsten  Springflut,  sind  verschiedene  Sachen  der 
Beringschen  Expedition  gefunden  worden.  Nach  dem  Mittagessen 
begaben  wir  uns  mit  Spaten  versehen  an  diesen  Platz.  An  mehreren 
Stellen  war  die  Erde  aufgewühlt  und  kleine  Glasperlen  lagen  rings 
umhergestreut,  denn  von  hier  hat  die  weibliche  Bevölkerung  der 


H.  W.  EUiott,  Monogr.  Seal  Islands,  Washington  1882,  p.  114. 


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—  263  — 

Insel  ihren  Vorrat  von  diesem  Luxusartikel  geholt.  Ich  las  auch 
ein  kleines  Papierdatchen  ^oll  auf.  Es  sind  ganz  gewöhnliche  kleine, 
matte  Glasperlen  mit  sehr  kleinen  Ldchern;  einige  grofse  blaue, 
durchsichtige  und  fazettierte  Perlen  wurden  auch  gefunden.  Diese 

werden  jetzt  sehr  hoch  f^eschätzt  und  gewölinlich  an  der  Sehnen- 
scbnur,  welche  die  ()ffuuug  der  Kuiiilejken-Kapuze  zusamuienschnürt, 
als  Zierrat  hefestigt.  Diese  Perlen  rühren  jedenfalls  von  der 
Expedition  her,  die  sie  als  Tauschmittel  für  die  wilden  Bewohner 
der  zu  entdeckenden  Länder  mitgeuommen  hatte.  Unter  dem 
Basen,  der  ungefähr  6  Zoll  dick  war,  fand  ich  verschiedene  Gegen- 
stände aus  Eisen,  Messing,  Hohs,  Leder,  Scherben  Ton  Glas, 
Porzellan  und  gröberem  Steinzeng,  sowie  auch  eine  ganze  Menge 
Marienglas  in  dttnnen  Scheiben,  die  wohl  auch  als  Bezahlungsmittel 
dienten.  Besonders  interessant  waren  mir  die  Bruchstücke  eines 
messingenen  russischen  Wappenschildes  mit  dem  Kaiserlichen  Doppel- 
adler, weil  sie  mir  beweisen,  dafs  der  Fund  wirklich  von  der 
Beringschen  Expedition  herrührt.  Einige  verrostete  Kartätschen- 
kugeln deuteten  auf  dasselbe  hin;  ja  es  fanden  sieh  noch  Spuren 
des  Pulvers,  denn  Klumpen  von  äufserst  fein  pulverisierter  Holzkohle 
wurden  an  mehreren  Stellen  zu  Ta^e  gebracht.  Die  meisten  Sachen 
gehören  aber  dem  gestrandeten  Schiffe  an,  iirie  eiserne  Bolzen  und 
Ringe,  hölzerne  Blockscheiben  u.  a.  Vielleicht  am  allerwichtigsten 
waren  einige  unansehnliche,  aber  ziemlich  frisch  aussehende  Holz- 
spane, die  grade  so  aussahen,  als  waren  sie  vor  nicht  sehr  langer 
Zeit  aus  ziemlieh  massivem  Sehiffsbauholz  mit  der  Axt  frehanen.  Es 
kuiiii  nünilich  wohl  nur  geringem  Zweifel  unterliegen,  dals  dies  der  Platz 
ist,  wo  das  neue  Fahrzeug  gezimmert  wurde.  Dafs  nicht  mehr  von 
dem  Holze  vorhanden  war.  läfst  sich  leicht  erklären  auf  einer  holz- 
armen  Insel,  wo  die  Einwohner  für  Brennholz  auf  das  ausgewaschene 
Treibholz  gröfstentheils  angewiesen  sind.  Es  geht  daraus  hervor, 
dafs  die  ftofseren  zwei  Diinenreihen  seit  Stellers  Zeit  gebildet  sind, 
und  es  wird  dadurch  die  auch  auf  andere  Phänomene  gestützte 
Annahme  bestätigt,  dafs  die  Insel  im  steigen  begriffen  ist. 

Leider  dauerte  es  nicht  lange,  bevor  der  Regen  wieder  anfing. 
Der  Nebel  kam  in  dichten  Massen  das  Thal  hinab,  und  bald  wurden 
wir  genötigt,  die  hervorgeholten  Schätze  einzupacken  und  schleunigst 
zu  unserer  „Palatka"  zu  retirieren. 

Nach  Hause  gekommen  teilte  ich  den  Leuten  mit,  dafs  ich  den 
folgenden  Morgen  die  Reste  der  Wohnungen,  wo  die  Schiffbrüchigen 
überwinterten,  zu  untersuchon  beabsichtige.  Es  entstand  dann  ein 
Gemurmel  und  eifriges  Ratschlagen  in  aleutisch,  und  aus  den  Ge- 
herden  wurde  mir  sogleich  klar,  dafs  mein  Plan  keinen  Beifall  fand. 


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—  264  — 


Badaeff  brachte  nun  allerlei  f^inwendungen  vor,  wanim  es  am  besten 
sei,  dafs  ich  von  meinem  Vorhaben  abstehe.   Die  waren  aber  aik 
so  gekünstelt  und  nichtssagend,  rlafs  es  mir  sehr  bald  klar  wurde, 
dafe  er  die  wahre  Ursache  seiner  MiüsbiUigaDg  zu  verbehlea  ver- 
sachte. Endlich  kriegte  ich  es  heraus:  die  Leute  waren  fiberseiigt, 
dafis  das  abscheuliche  Wetter  durch  mein  graben  an  der  Stelle,  wo 
die  Beringsche  Tragödie  gespielt  hatte,  entstanden  sei.  Man  hatte 
schon  öfters  erfahren,  dafs  Sturm  und  Regen  ähnliche  Versuche  wie 
der  jetzige  zum  scheitern  brachten,  selbst  wenn  anderswo  auf  der 
Insel  gutes  Wetter  geherrscht  hatte.  War  das  Wetter  nicht  schön, 
als  wir  Tolstoj  verliefsen?  Vergebens  wandte  ich  ein,  dafs  der  Sturm 
viel  schlimmer  gewesen  sei,  bevor  ich  zu  graben  anfing;  es  war  klar, 
dafs  sie  eine  abergläubische  Scheu  vor  der  Stelle  hatten,  und 
fürchteten,  es  möchte  uns  alle  ein  Unglück  als  Strafe  für  meine 
gotteslitaterliche  Neugierde  treffen.   Schon  anfangs,  wenn  idi  Vögel 
und  dergleichen  nnnfitze  Dinge  zu  sammeln  begann,  sahen  mich  die 
Leute  als  einen  Halbverrückten  an,  der  nicht  wufste  was  mit  seinem 
vielen  Oelde  anzufangen,  denn  ungeheuer  reich  mufte  ja  der  sein, 
der  sich  solche  Extravaganzen  erlauben  konnte !  Ganz  verrückt  kam 
ich  ihnen  vor,  als  es  bekannt  wurde,  dafs  ich  allerlei  Getier  in 
Spiritus  aufbewahre,  anstatt  die  angebetete  „W^odka"  selbst  zu  trinken 
und  Tap  und  Nacht  besoffen  zu  sein.     Als  die  merkwürdiiren 
meteorologischen  Instrumente  aufgestellt  wurden  ;  speziell  wenn  die 
Windmühle  des  Anemometers  mit  den  vergoldeten  Halbkugeln  zu 
kreisen  anfing,  und  ich  dr^mal  t&glich  dort  hinunter  ging,  allein 
abends  nm  11  Uhr  mit  der  Laterne  bewaffnet,  um  za  sehen,  wie 
viel  der  Wind  geblasen  und  es  in  einem  Buche  anfiraschreiben,  schien 
die  Sache  nicht  mehr  so  nnschnldig  zu  sein.    Dafs  ich  aber  die 
Dreistigkeit  ??ehabt,  die  Ruhe  von  Komandor  sacrilegisch  zu  stören, 
war  beinahe  zu  viel.    Ja,  hätte  ich  noch  eine  Summe  Geldes  dort 
herausgegral)cn !  Aber  ich  hatte  einige  alte  Holzspahne,  vermodertes 
Ledorzeug,  gerostete  Nägel  und  dergleichen  Kram  mit  der  LMöf-ten 
Sorgfalt  in  Papier  gewickelt  und  verpackt,  nachdem  ich  die  Sachen 
mit  Inschriften  kreuz  und  quer  versehen  hatte!  Ich  war  über  einige 
gerostete  Stücke  Messingblech,  das  ich  auf  verschiedene  Weise  zu- 
sammenzustellen versucht  hatte,  ganz  in  Extase  gerathen!  Was 
konnte  das  doch  alles  bedeuten?  Dann  hatte  ich  gar  sonderbare 
Fragen  gemacht:  ob  sie  wohl  wüfsten,  wo  Bering  und  die  anderen 
Toten  der  Expedition  begraben  liegen.   Könnte  es  wohl  meine  Ab- 
sicht sein,  noch  obendrein  die  Leichen  hervor  /u  graben?  Sicher- 
lich, man  thuc  am  besten,  solch  einem  Manne  nicht  zu  viel  zu  ent- 
decken, oder  gai'  in  seinem  \  orhaben  zu  helfen,   bouderbar,  ikii 


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ein  Mann,  der  doch  sonst  ganz  yernünfUg  erscheint,  der  so  freund- 
lich nnd  zuvorkommend  ist,  solche  Grillen  hegte  t  Dies  und  manches 
fthnlidie  wurde  wohl  gesagt  und  gedacht,  und  die  Leute  kamen 
unter  sich  überein,  mir  so  wenig  wie  möglich  bei  meinen  Unter- 
suchungen in  Komandor  behülflich  zu  sein.  Ich  konnte  ihnen  nicht 
zürnen,  denn  von  ihrem  Stamlpunkte  hatten  sie  ja  vollkommen  recht, 
und  sonst  waren  sie  ja  immer  willig  und  hehülflich. 

Dafs  ich  aber  meiueu  Plan  nicht  aufgab,  brauche  ich  wohl 
kaum  zu  versichern. 

Der  30.  brachte  kerne  Besserung  im  Wetter;  zwar  war  der 
Wind  leicht,  da  er  aber  aus  Süden  kam,  brachte  er  genug  Nebel 
und  Regea  mit,  um  mich  ernstlich  in  meinen  Untersuchungen  zu 
hindern. 

Mein  erster  Gang  war  zu  den  Ruinen  der  Wohnungen,  in 
denen  die  Schiffbrüchigen  vor  141  Jahren  den  Winter  zubrachten. 
Oben  an  einer  hervorspringenden  Kaute  des  westlichen  Bergabhanges, 
da,  wo  dieser  die  nördliche  Ecke  des  Thaies  bildet,  steht  ein  groDses 
griechisches  Kreuz,  und  die  Tradition  ist,  daÜB  gerade  unter  dem- 
selben Bering  begraben  wurde.  Das  jetzige  Kreuz  ist  neuen 
Datums;  das  alte  von  der  damaligen  russischen  Kompagnie  errichtete, 
demn  Stumpf  jetzt  noch  in  der  Erde  steckt,  wurde  von  einem 
Sturme  zerbrochen,  und  niemand  dachte  daran,  es  aufs  neue  zu 
errichten,  bis  Herr  von  Grebnitski  dafür  Sorge  trug.  Gerade 
Südost  von  dem  Kreuze,  dicht  an  der  Kante  eines  scfaroiTen,  etwa 
20  Fu£b  hohen  Abhanges,  liegen  die  noch  ziemlich  wohl  erhaltenen 
Reste  des  Hauses,  die  aus  drei  Fufs  dicken  und  etwa  3  Fufs  hohen, 
aus  Torf  gebauten  Mauern  bestanden.  Ein  sehr  üppiger  Graswucbs 
bedeckte  alles,  und  unzählige  Moskitos  im  gen  auch  dazu  bei,  die 
Untersuchungen  mühsam  zu  machen.  Die  Läugenrichtung  des 
Hauses  ist  genau  N.— S.  per  Kompafs.  Es  besteht  aus  zwei  Teilen, 
einem  gröfsereu  nördlichen  und  einem  kleineren  südlichen,  deren 

Arrantienn  nt  und  Dimen- 
sionen aus  der  beigegebenen 
Skizze  ersichtlich  sind.  Be- 
merkt sei  noch,  dafs  in  der 
Mitte  der  nördlichen  Wand 
ein  seichter  Einschnitt  ist, 
als  ob  dort  ein  Fenster 
angebracht  gewesen.  Der 
^-  ganze  Boden  war  jetzt  mit 

dickem  Rasen  bekleidet,  und  so  konnte  deshalb  nicht  die  Kede  davon 
sein,  diesen  zu  entfernen.  Mit  einem  Bajonette  sondierte  ich  die 


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gaase  Fläche,  aber  nichts  von  Bedeutung  wurde  gefunden.  Bei  o 
wurden  einige  Holzkohlen  und  verbranntes  Holz  unter  dem  Rasen 
entdeckt,  und  Holzkohlen  kamen  auch  in  der  Thttröffiiung  zwischen 
beiden  Räumen  vor.  Bei  b  fanden  sich  einige  Steine,  wahrend  sich 
sonst  keine  vorfanden.  In  der  Mitte  des  Vorzimmers,  auch  unter 
dem  Rasen,  lagen  einige  verrostete  Nftgel  und  Bolzen. 

Vierzig  Mann  flberlebten  den  Winter;  es  kann  also  die  ganze 
Mannschaft  nicht  in  dem  Hause  gewohnt  haben.  Ein  Teil  derselben 
wird  wohl  in  den  „Gruben"  im  Sande  unterhalb  der  Hügel,  von 
denen  Steller  spricht,  fxehaust  haben.  Und  in  der  That,  die  iieste 
der  „Gruben"  existieren  noch,  obwohl  sie  keine  bestimmte  Form 
mehr  haben,  und  so  von  Pflanzen  wuchs  überwuchert  .^ind,  daf^  nichts 
daraus  zu  machen  war.  Ein  paar  Steinfüchse  hatten  ihre  Höhlen 
daselbst  gegraben,  und  die  tianze  Brut  kam  nun  hervor,  um  uns 
neugierig  aus  nächster  Nahe  zu  l)etrachten.  Steller  und  seine  Leute 
sind  dahin,  aber  der  Steinfuchs,  der  ilmeu  so  viele  Possen  spielte 
und  ihnen  so  lästig  ward,  ist  noch  auf  dem  Platze!  Die  „Gruben", 
jetzt  nur  von  einem  verworrenen  Sandhaufen  von  Fuchsgängeu 
durchzogen,  liegen  dicht  an  dem  Flüfschen,  wo  es  eine  scharfe 
Biegung  gen  Westen  macht  und  in  den  Abhang,  auf  dem  das  Haus 
steht,  hineinschneidet. 

Jetzt  fing  der  Regen  mit  Gewalt  an  und  vereitelte  somit  meine 
Absicht,  ein  genaueres  Groquis  der  Umgebungen  aufzunehmen  und 
einige  Skizzen  zu  zeichnen.  Nur  ein  paar  Linien  konnten  zu  Papier 
gebracht  werden,  und  daraus  entstand  der  hier  beigefQgte  Versuchi 
die  Situation  von  «Komandor'^  zu  veranschaulichen. 

Es  schien,  als  ob  die  Leute  Recht  bekommen  sollten,  denn  so 
weit  wir  urteilen  konnten,  schien  es,  als  ob  besseres  Wetter  an 
beiden  Seiten  vorwalte,  und  dafs  nur  das  Kommandorski-Tbal  mit 
Nebel  und  Regenwolken  dicht  bepackt  sei.  Ich  sah  ein,  dafs  ich 
diesmal  nichts  weiter  ausrichten  konnte  und  gab  deshalb  meine 
Zustimmung  zur  anLi('nl)licklichen  Abreise.  Auch  ich  sehnte  mich 
nach  trockenen  Kleidern  und  einer  Gelegenheit,  meine  Sammlungen 
zu  durchmustern  und  zu  trocknen.  Dieses  Wetter  war  ein  wenig 
zu  schlimm  selbst  für  einen,  der  in  Berizen  geboren  ist.  Zugleich 
beschlofs  ich,  direkt  nach  Staraja  (iavnn  zu  steuern  und  die  zwischen- 
liegende Küste  diesmal  nicht  weiter  zu  berücksichtigen.  Hierzu 
trugen  mehrere  Umstände  bei.  Besondere  zoologische  Objekte  konnte 
ich  hier  nicht  erwarten,  und  da  die  Eingeborenen  hier  regeluiäfsig 
mit  Huadeschlitteu  fahren,  wufsten  wir,  dafs  hier  keine  Seekuh- 
skelette zu  erwarten  waren.  Endlich  hatte  ich  schon  eine  zweite 
Expedition  nach  Komandor  geplant,  die  zu  einer  Zeit  stattfinden 


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sollte,  wo  der  Ptinnzenwu('hs  nicht  so  auiserordcntlich  hoch  sein 
würde.  Dann  wollte  ich  mit  Uundeschlittea  die  ganze  Küste  bis 
Tolstoj  befahren  und  nntersiichen.  Noch  kam  hinzu,  dafs  die  Leute 
anfingen  sich  nach  dem  Dorfe  za  sehnen.  Die  Feuchtigkeit  und  das 
unbehagliche  Wetter  der  letzten  Tage  hatten  sie  demoralisiert, 
besonders  auch  deshalb,  weil  wir  anf  der  folgenden  Strecke  der 
Küste  keine  Kerpen  sso  erwarten  hatten. 

Der  Wind  war  ganz  leicht,  so  dafs  wir  nur  langsam,  bald  segelnd, 
bald  rudernd,  vorwärts  kamen,  umsomehr  als  wir  des  Küstenriffes 
wegen,  weil  das  Wasser  jetzt  fiel,  ziemlich  weit  hinaus  mulsten. 
Etwas  nördlich  von  Komandor  passierten  wir  das  jirofse  offene 
Thal  von  Polovino,  das  hinten  von  dem  Mount  Öteller  geschlossen 
wird,  auf  einer  sp&teren  Expedition  habe  ich  von  dieser 
Scenerie  eine  Skizze  gezeichnet.  Diesmal  war  das  Thal  mit' 
Nebel  g^llt  und  von  dem  höchsten  Berge  der  Insel  sahen  wir 
nichts.  Ungefähr  um  12  Uhr  landeten  wir  bei  Bujan,  nm  unser 
Mittagsmahl  zu  bereiten.  Bachforellen  (Sahdkiua  mtämaX  Golzi, 
wie  sie  hier  genannt  werden,  sowie  einige  Gh>rbuscha  (OnearhifM^wa 
gorhuscha,  engl.  Dog  Salmon)  wurden  im  nahen  Flüfschen  gefangen, 
letztere  aber  wieder  weggeworfen,  denn  wer  mochte  wohl  die  grobe, 
buckelige  Gorbuscha  essen,  wenn  Golzi  in  Überflufs  zu  haben  sind? 
Während  der  Zubereitiniiien  streifte  ich  etwas  umher,  um  Adler, 
Falken  oder  wenigstens  Enten  zu  schielsen;  es  waren  aber  keine  zu 
sehen.  Dagegen  wurde  eiue  kleine  Brombeerenkolonie  (Bubus  M' 
latm)^  bestanden  mit  schönen  hochroten  Beeren,  entdeckt,  die  uns 
köstlich  mundeten.  Einige  Pflanzen,  die  ich  anderswo  auf  der  Insel 
nicht  bemerkt  habe,  wurden  auch  gesammelt,  so  AcMRea  mäit^fiora^ 
und  das  prachtvolle  EpiloJmm  laHfdIimm  in  voller  Blflte. 

Endlich  um  halb  fünf  langten  wir  In  Staraja  Oavan  an,  unser 
Ziel  für  heute.  Wie  der  X.une  (alter  Hafen)  besagt,  liegt  der  Platz 
an  dem  vormaligen  Hafen,  der  aber  nichts  mehr  von  einem  Hafen 
ist,  als  der  neue  gerade  gegenüber  auf  der  andern  Seite  der  Insel 
gelegene  Grebnitski- Hafen.  Gegen  Süden  wird  er  von  einem  langen 
(1  km  W. — 0.)  ziemlich  felsigen  T^ifll'e  geschützt,  er  liegt  aber  nach 
Nordosten  ganz  offen.  Während  der  ersten  Glanzperiode  der  Insel 
landeten  die  Pelzjäger  hier,  und  zogen  ihre  Schitiki  vund  Böte  auf 
den  Strand  hinauf,  um  sie  gegen  die  Wut  der  Wellen  zu  beschützen. 
Ein  kleines  Dorf  von  Erdhütten,  das  aber  nur  z^weilig  bewohnt  ist, 
und  ziemlich  wohlerhaltene  Kartoffel-  und  Rübengftrten  liegen  hier 
unter  dem  südlichen  Abhang  des  Thaies,  welches  breit  und  flach 
/.wischen  den  schrolTen  Bergen  gegen  Westen  hineinbiegt.  Der  Thal- 
bodeu  ist  von  mehr  wie  mannesbohem  Tliauzen wuchs,  der  ein  bei- 


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—  268  — 

nahe  undurchdringliches  Gewirr  von  Ardiangdica  officinnlis.  Ari*- 
miski  vidgaris  tilesii  Pieris  hhraiioides  jajmnim,  Spiram  kamt  sehe- 
tica,  Aconitum  delphini/olium,  Veratrum  aitrunf  w.  a.  bildet,  gänzlich 
überwuchert,  und  von  einer  Seite  bis  zur  anderen  schl&ogelt  sich 
der  tief  eingeschnittene  Flufs  dem  Meere  langsam  zu. 

Die  Schlupka  wurde  in  den  Flufs  hinaufgebracht,  und  wir 
schlagen  unser  Quartier  in  der  groDsen  und  reinlichen  üatte  l^ndiiffft 
aul  Ein  tflchtiges  Feuer  wurde  angemacht,  die  Sachen  alle  ans- 
gepadci  und  zum  trocknen  ausgelegt.  Mir  wurde  ganz  mutlos,  als 
ich  die  Verheerung  sah,  welche  die  N&sse  angerichtet  hatte.  So 
viele  Arbeit  umsonst!  Ich  rettete  noch  den  Balg  des  seltenen  Simor- 
hynchus  pygmaetia  im  Jugendkleide,  eine  rotfüfsige  Stummelmöve 
und  einige  Schneehühner. 

Nachher  ging  ich  mit  Badaeff  hinaus,  um  seinen  Garten  zn 
inspizieren.  Der  Boden  ist  sehr  reich,  und  die  Garten  liegen  hier 
gegen  Osten  und  Süden,  so  dafs  die  hiesigen  Verhältnisse  besser 
sind  wie  sonst  auf  der  Insel.  Die  Rüben  und  Kartoffeln  waren  auch 
von  respektabler  Grölise»  speziell  wenn  man  in  Betracht  zieht,  dafs 
sie  Tiel  zu  dicht  standen.  Aber  solche  Resultate  werden  nicht  alle 
Jahre  erzielt,  wie  die  folgenden  Jahre  bewiesen,  und  manchmal 
werden  die  Kartoffeln  nicht  gröfser  wie  Fingernägel.  Von  Ackerbau 
nnter  solchen  Yerhältuisseu  zu  reden  ist  beinahe  lächerlich.^) 

•)  Nmeh  JNatnn**  (voL  32,  Juni  4,  1885,  p.  113)  hrt  Dr.  Dybowski  eine 
liittoflniig  an  die  Rnasische  Geographische  GeaeUschaft  gerichtet«  in  welcher  er 
von  der  Beringy-Insel  getagt  haben  soll,  dab  er  „is  sore  that  agrienltnre  conld 
be  earried  on  it."    Dr.  Dybowski  verlebte  swar  vier  Jahre  in  Kaoattschatka, 

besacbte  die  Inseln  aber  gewfihnHch  nnr  einmal  im  Jahre  für  ein  paar  Tag*  , 
nnd  hat  alles  in  allem  nnr  wenige  Wochen  auf  denselben  zugebracht.  Ich 
darf  dem  einen  Aufenthalt  von  18  Monaten,  während  welchen  dreimal 
täglich  meteorologische  Observationen  genommen  wurden .  sowie  ähnliche 
während  anderer  12  Monate  angestellte  Beobachtungen  mit  gröfster  Zuversicht 
ejitgegensetzen,  und  wage  zu  behaupten,  dafs  ein  regelmäfsiger,  oder  gar  sich 
verlohnender  Ackerbau  auf  den  Kommander-Inseln  unmöglich  ist.  Der  Charakter 
der  gedachten  Notiz  mag  am  besten  durch  ein  anderes  Citat  erläutert  werden, 
worin  es  heilet:  .the  ei^Iom's  [DybowsJcis]  ezperimente  of  planting  foresiptreee 
proYed  qoite  snccessfiiL*  Dab  es  sieh  hier  kaum  tun  das  snfiUlige  koabSüm 
eines  .nicht'  handelt,  scheint  darans  hervorzngehen,  dab  im  folgenden  Sab 
getagt  wird,  dab  das  Experiment,  Rentiere  an  akklimatisierai  «proved  also  qnüe 
snccessfaL"  Nun  ist  es  eine  Thatsache,  dab  ein  Veisuch,  einige  junge  Bäume 
ans  Kamtschatka  hinüber  nnd  fortzubringen,  ganz  natürlich  scheiterte.  Kein 
einziger  überlebte  das  Experiment,  und  kein  einziger  Baum  findet  sich  auf  der 
Insel.  Wie  reimt  sich  das  mit  dem  obigen  Citate?  Damit  sei  nicht  geleugnet, 
dafs  das  Anpflanzen  von  Räumen  an  geschützten  Stellen  vielleicht  gelingen 
könnte,  aber  es  würde  Ausdauer,  Geld  und  Erfahrung  beanspruchen,  und  es 
müfsten  auch  wohl  härtere  Baumarteu  sem,  als  Kamtschatka  sie  hervorbringt 


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—  269  — 

Der  Abend  war  angenehm  im  Vergleich  mit  den  vorhergehenden, 
lind  trotz  der  Mückenpein  und  ihrem  Antidote,  der  Rauchplage,  fiel 
ich  bald  in  tiefen  Schlummer,  froh,  noch  einmal  unter  festem  Dache 
2m  schlafen. 

Der  letzte  August  fing  an  wie  der  vorhergehende  Tag,  mit 
Nebel  und  Regen,  letzterer  war  jedoch  sehr  leicht.  Abwechselnd 
segelnd  und  rudernd  umsdiiiTteu  wir  um  10  I  hr  den  östlichsten  Vor- 
sprung der  ganzen  gegen  Nordost  hervorstehenden  llalbiiisel,  welche 
unter  dem  gemeinsamen  Namen  Tonkij  Mys  bekannt  ist,  ein  Name, 
der  aber  speziell  den  nördlichen  Vorsprung  derselben  Halbinsel  be- 
deutet, welcher  von  Severnoje  und  Saranna  gesehen,  ganz  schmal 
hinauslauft   Die  erw&hnte  östliche  Spitze,  welche  die  Nordostapitze 
der  ganzen  Insel  bildet,  ist  ein  schroffes  felsiges  Vorgebirge,  an 
dem  vorbei  keine  Passage  auf  dem  Strande  möglich  ist,  weshalb  sie 
speziell  Nepropusk  benannt  wird.  Sie  ist  das  Kap  Waxel  der  Karten 
und  Stellers  zweite  „Ne  obchodimii  Utös*,  von  dem  er  sagt,  dafs 
er  „hinter  der  sich  nach  Norden  streckenden  Landspitze,  welche  sehr 
steil  und  au  den  Ufern  voller  Klippen  und  ai)gefallener  Felsstücke 
ist",  (N.  Nord.  Beitr.  II,  p.  262).  gelegen,  sowie  Tonkij  selbst  sein 
^Sewernoi  nos"  (p.  258)  ist.  Kurz  bevor  wir  Kap  Waxel  passierten, 
landeten  wir  in  der  sogenannten  Travnaja  Buchta,  um  nach  Seekuh- 
skeletten zu  suchen.  Das  Ufer  war  steinig,  und  eine  starke  Brandung 
machte  die  Landung  sehr  beschwerlich.  Wir  adoptierten  die  Methode, 
die  wir  in  Bolrowaja  so  praktiseh  befunden  hatten;  hier  war  jedoch 
die  Gefahr  bedeutend  gröfser,  weil  die  Strandsteine  viel  umfangreicher 
waren.    Wir  waren  auch  so  glücklich,  die  gewünschten  Knochen 
zu  erlangen;  wegen  der  steinigen  Beschaffenheit  des  Platzes  waren 
sie  nur  teilweise  von  Rasen  und  Erde  bedeckt,  und  daher  ziemlich 
stark  beschädigt.  Es  waren  aber  meistens  Rippen,  die  jetzt  so  selten 
sind,  weil  die  Eingeborenen  sie  schou  längst  anstatt  Eisen  als  Kuft'en 
ihrer  Schlitten  verbraucht  haben,  und  da  sie  mit  anderen  Knochen 
einem  Tiere  angehörten,  um  so  willkommener.  Zwei  freilich  ziemlich 
defekte  Schädel  wurden  auch  gesammelt,  femer  so  viele  Knochen, 
als  unser  Boot  noch  tragen  konnte.  Die  gebrechlichen  Sachen  unter 
aolchen  Umstanden  einzuladen,  war  mit  vielen  Schwierigkeiten  ver- 
bunden; die  leichteren  Knochen  wurden  von  den  auf  dem  Ufer 

Dftb  es  hier  leichter  sein  wUrde  als  an  der  dSaischen  oder  norwegisoheii  West^ 
kfiste,  ist  kaam  glaublich,  und  irir  vrissen  ja,  wie  mle  mifoliuigeiie  Teiaaehe 
und  wie  viel  Oeld  und  Arbeit  es  dort  gekostet  hat.  Die  obige  Notiz  sagt  auch, 
dafs  die  „Commodore  Islands"  are  „situated  3O0  niiles  cast  of  Kamtschatka", 
und  noch  ähnliches  mehr.  Wie  viel  ist  dem  Dr.  Dybowski  zususchreibeii,  and 
wie  viel  dem  Bearbeiter? 


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—  270  — 


Stehenden  herüberj^eworfen  und  von  dem  im  Vordersieveii  de? 
Bootes  stationierten  Manne  geschickt  aufgefangen. 

Bis  jetzt  hatten  wir  eioen  leichten  Sttdwind,  auf  der  anderen 
Seite  von  Tonk^  Mys  wurden  wir  aber  von  einem  starken  westlicboi 
Gegenwind  mit  Nebel  und  Regen  empfangen.  Gegen  die  wachsendes 
Wellen  machten  wir  nur  langaame  Fortschritte,  bis  der  Wind  spftter 
etwas  mehr  nördlich  ging.  Als  wir  um  2  Uhr  auf  die  Sarannaja 
Buchta  eindrehten,  begannen  die  Wolken  sich  zu  verleilen,  so  dafs 
wir  binnen  kurzem  blauen  Himmel  und  wärmeren  Sonnenschein 
hatten.  Ein  jeder  wird  verstellen,  wie  behaglich  wir  uns  dadurch 
fühlten,  und  einstimmig  wurde  beschlossen  hier  zu  übernachten. 

Am  Ufer  hatte  sich  schon  die  ganze  mannliche  Bevdlkemng 
des  kleinen  Dorfes  versammelt,  um  uns  willkommen  zu  heifsen.  Wir 
erfuhren  hier,  dafs  im  Gavan  alles  gut  stehe.  Meine  Leute  verteilten 
sich  unter  Freunde  und  Bekannte,  und  ich  wurde  in  der  geräumigen 

und  reinlichen  Jurte  der  Burdukovskischen  Familie  einquartiert. 

Saranna  liegt  am  Austiusse  der  kurzen  Sarannaja  Keschka, 
durch  welche  sich  der  kaum  2  km  entfernte  Sarannoje  Ozero, 
der  gröfste  Binnensee  der  Insel,  ergiefst.  In  diesen  See,  dessen 
Spiegel  ungefähr  40  Fufs  ttber  dem  Meere  liegt,  gehen  die  ver- 
sdiiedenen  Lachsarten  im  Sommer  hinauf,  um  zu  laichen.  In  dem 
quer  über  dem  Flnls  gebauten  i^Zaporr"  oder  Lachswehr  wird 
jahrlich  der  grOfste  Teil  der  ffir  den  Winterverbrauch  der  Bewohner 
notwendigen  Fische  gefangen.  Manchmal  werden  hier  in  einem 
Sommer  bis  70000  Lachse,  meistens  ..Krasnaja  Riba"  (Oncorhynrhu.< 
nerka)  und  „Kisutsch"  (0.  kisufsch),  zum  dörren  anf'jehftnirt.  Dieser 
Fang  wird  besonders  zu  der  Zeit  boti-iobon.  wo  die  Milnner  mit  dem 
Schlachten  der  Pelzrobben  beschäftigt  sind,  und  die  ganze  weibliche 
Bevölkerung  zieht  dann  nach  Saranua,  um  die  Fische  zu  reinigen 
und  zum  dörren  vorzubereiten. 

Den  Abend  benutzte  ich,  um  die  Höhe,  an  welche  sich  das 
Dorf  anlehnt,  zu  besteigen,  und  dort  zu  botanisieren.  Der  Hügel 
ist  ungefähr  300  Fufs  hoch,  oben  nur  mit  Lichenen  und  Alpen- 
gewächsen  spärlich  bedeckt.  Hier  erbeutete  ich  jedoch  die  zwei 
Glanzpreise  meiner  Keise,  die  seit  der  ersten  Entdeckung  verschollene 
Bryanthis  Gmcllni  und  die  neue  Cassiopc,  welche  einer  Preissel- 
beerenstaude  so  ähnlich  sieht,  dafs  ich  sie  dafür  hielt,  und  welche 
dem  Professor  Asa  Gray  die  Veranlassung  gab,  die  neue  Art  als 
C.  oxycoccoides  zu  beschreiben.  Von  anderen  Pflanzen  nenne  ich 
nur  Aartemisia  rkhardsomana  und  Tofjddia  ealfetdata, 

»)  Proc.  U.  S.  Nat.  Mus.  1ÖÖ4,  p.  öS^. 


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Am  nächsten  Morgen,  während  ich  meine  Toilette  unten  am 
Flusse  machte,  sammelte  ich  noch  zahlreiche  Exemplare  einer  grofsen 
SOfswasserschnecke  (Xtmnaea  ovata)^  deren  Vorkommen  auf  dieser 
kleinen  Insel  als  sehr  auffallend  bezeichnet  werden  mafs. 

Mein  alter  Freund,  Afonasij  Nozikoff,  fungierte  als  Oberaofeeher 
oder  Starosta  des  Platzes,  mid  ihm  lagen  daher  die  Pflichten  der 
Gastfreiheit  ob.  Er  holte  einen  prachtvollen  Kisutbcli  deshalb  aus 
dem  „Zaporr*  heraus,  ich  meinerseits  gab  Tliee  und  Hartbrot 
(Zuchari)  zum  besten.  Nach  dem  Abendessen  setzte  uns  die  Frau, 
die  hübsche  Katharina  Ivanova,  frisch  gepflückte  orangegelb  glü- 
hende Multebeeren  (Maroschki,  Eubtis  chamaemorus)  vor,  die 
uns  herrlich  mundeten,  obwohl  sie  bei  weitem  nicht  den  Geschmack 
und  besonders  nicht  das  Arom  der  norwegischen  besafsen.  Um 
nicht  znrftckzustehen  brauete  ich  für  meine  aläntischen  Freunde 
eine  Bowle  Punsch,  die  erst  die  rechte  Feststimmung  Uber  die  Ver- 
sammlung brachte. 

Um  halb  acht  morgens,  den  15.  September,  verliefsen  wir 
wieder  das  gastliche  Saranna.  Der  Wind  war  leicht  Südost,  der 
Himmel  bewölkt,  und  bahi  kamen  Nebel  und  Uegeu ;  die  Temperatur 
war  -f  10.2  °  C.  Die  Leute  wollten  gern  noch  an  demselben  Abend 
in  Gavan  eintretien,  denn  es  war  Sonnabend,  und  die  Badstuben 
alle  schön  geheizt.  Sie  machten  mir  daher  den  Vorschlag,  dafs  ich 
die  Umsegelung  der  Nordwestspitze  der  Insel  für  diesmal  aufgeben 
möge.  Sie  wollten  dann  das  Boot  anf  folgende  Weise  nach  Gayan 
bringen:  Erst  sollten  wir  die  Sarannaja  Reschka  hinauf  und  in  den 
Sarannoje  Ozero  hineinfahren ;  dann  Ober  den  See  bis  an  ein  kleines 
Flttfschen  an  dem  westlichen  Ende  desselben,  und  diesen  hinauf  in 
einen  anderen  kleineu  See  hineindringen.  Mit  Hülfe  mehrerer 
solcher  Flüfschen  und  Seen  würden  wir,  nach  Meinung  der  Leute, 
schliefslich  den  Gavan  erreichen,  nnchdein  wir  das  Boot  eine  kleine 
Strecke  über  die  Wasserscheide  gesrhlcpitt  luitten.  Erstens  hatte  ich  mir 
aber  in  den  Kopf  gesetzt,  die  Insel  zu  umschiB'en,  zweitens  hielt  ich  es 
für  unmöglich,  unsere  schwere  und  tiefgeladene  Schlupka  in  einem 
Tag  so  quer  über  die  Insel  zu  schleppen,  und  ich  bin  noch  heute 
fest  überzeugt,  dafs  ich  darin  Recht  hatte.  Mit  einem  kleinen 
Nachen  h&tte  es  sich  wohl  thun  hissen,  und  in  Bajdarken  ist  die 
Route  sogar  leicht;  wir  wAren  aber  sicherlich  stecken  geblieben, 
und  folglich  lehnte  ich  den  Antrag  entschieden  ab,  um  so  mehr  als 
ich  hoffte,  wenn  der  Wind  sich  nur  etwas  günstig  fügen  würde, 
die  Nordwe.>tecke  zu  umschiffen  und  vor  Nacht  in  Oavan  zu  sein. 

Um  V«10  Uhr  passierton  wir  die  NorJ^pitze  der  Insel,  Sever- 
nij  Myä  (Kap  Juschin  der  Karten),  wo  die  grolse  „Kookery''  (Losch- 


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bischtscha)  der  Pelzrobben  sich  befindet.  Nebel  hüllte  das  Dorf  ein, 
und  um  keine  Zeit  zu  verlieren,  segelten  wir  durch  die  auf  allen 
Seiten  um  uns  herum  öchwimnienden,  springenden,  tauchenden, 
brüllenden,  blökenden  Robben  hindurch  und  rasteten  nicht  eher,  als 
bis  wir  um  1  Uhr  an  Pestschanij  Mys  landeten,  kurz  vor  Zapadiiij 
Mys,  der  Nordwestspitze  (siehe  die  Kartenskizze  des  Hafens). 

Von  der  Fahrt  längs  der  Kttste  und  über  den  Charakter  der 
Küste  selbst  will  ich  nichts  weiter  sagen,  als  dsSs  ungefähr  zwei- 
drittel des  Weges  von  Saranna  bis  Sevemy  eine  niedrige,  gefUirliche 
Klippe  eine  ganze  Strecke  an  der  Efiste  vorhanden  ist  Sie  liegt 
nngeffthr  Nordnordost  von  dem  Emilianovskij  Mys  und  wird 
Emilianovskij  Kamen  genannt. 

Während  der  Thee  zubereitet  wurde,  bestieg  ich  noch  den 
ungefähr  35  Fufs  hohen  .\bsturz  der  Küsteuterrasse,  und  fand  da 
oben  zu  meiner  grofsen  Ü))errascbung  ein  ziemlich  reichhaltiges 
Knochenlager,  das  aus  Knochen  von  iSteinfüchsen,  Seebibern,  Robben 
und  allerlei  Seevögeln  bestand.  Zuerst  dachte  ich  einen  alten  .Adler- 
horst vor  mir  zu  haben,  aber  bald  stellten  sich  folgende  Fakta 
heraus,  die  dagegen  sprachen:  1)  Die  grofse  Ausdehnung  des  Lagers; 
wahrend  dieser  kursorischen  Untersuchung  konnte  ich  es  auf  un- 
gefähr 600  O-Fufs  verfolgen,  und  es  waren  genug  Beweise  dafülr  vor> 
banden,  dafs  es  früher  weit  gröfser  gewesen,  ausgewaschen  nnd 
heruntergefallen  war.  2)  Die  Knochen  lagen  in  wohl  gesonderten 
dünnen  Schichten  von  Rasen  und  Sand  bei  einer  gesamten  Mächtig- 
keit von  2  Fufs;  B)  Keiner  der  Knochen  zeigte  Spuren  von 
äufserer  Gewalt.  Die  feinsten  Vogelrippen  waren  ganz  unverletzt, 
und  ein  Schädel  eines  kleinen  Seevogels  zeigte  alle  die  zarten 
Knochen  und  Fortsätze  des  Gaumen  vollständig  und  unbeschädigt. 
4)  Kein  einziger  Fischknochen  war  zu  entdecken,  obwohl  ich  speziell 
darnach  suchte.  5)  Das  Vorhandensein  von  Knochen  eines  so  greisen 
Thieres  wie  der  Seelöwe  {Eumekpias  SkikirL) 

Für  mich  liefert  der  Fund  den  Beweis,  dafe  diese  Terrasse 
einst  den  Strand  bildete,  zu  einer  Zeit,  wo  die  Fauna  der  Insel 
wesentlich  dieselbe  war  als  jetzt,  und  dafs  die  Insel  sich  wenigstens 
80  Fufs  gehoben  hat  seit  der  Zeit,  wo  diese  Ablagerung  gebildet 
wurde.  Ich  will  hier  noch  bemerken,  dal's  ich  später  die  Rt'>te  einer 
ähnlichen  ADsannnlung  und  in  gleicher  Höhe  auf  der  korrespondiereudeii 
Terrasse  am  KifT  dicht  beim  Dorfe  gefunden  habe,  ein  Fund,  der 
mich  in  der  obigen  Deutung  noch  bestärkt 

Von  den  gesammelten  Knochen  sind  einige  von  besonderem 
Interesse;  beffentlich  werde  ich  bald  im  stände  sein,  Nfiheres  darüber 
der  wissenschaftlichen  Welt  vorzulegen. 


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—  273  — 

Auf  der  anderen  Seite  (ies  Zapaduij  Mys  war  der  Wind  wieder 
gegen  uns,  und  was  noch  schlimmer  war,  er  wuchs  in  jeder  Stunde, 
Wir  setzten  tapfer  unseren  Weg  fort,  bis  endlich  eine  tüchtige 
Sturzsee,  welche  die  Schlupka  halb  füllte,  uns  zum  Nachdenken 
brachte.  Weiterfahren  war  jetzt  unmöglich,  weshalb  wir  be- 
schlossen, Land  zu  suchen.  Das  Boot  wurde  in  die  kleine  Bucht 
zwiadien  Kito^jj  Nepropnsk  und  Eitovy  Mys  hinan^ezogen  und  die 
Palatka  zum  letzten  Mal  gebaut. 

Aus  der  Zeltttfihuug  konnte  ich  mit  dem  Feldglase  in  die 
Fenster  meiner  eigenen  Wohnung  im  Dorfe  hineinsehen!  Links 
liegt  das  Badhaus,  wo  jetzt,  Sonnabend  Nachmittag,  tüchtig  ein- 
geheizt   wird!    Rechts   ist   das   grofse    Haus   der  Kompagnie, 
wo    der    aus    dem    Schornsteine    aufsteigende    Rauch  andeutet, 
da£ä  Inakentij  das  Abendessen  zubereitet!    Die  Aussichten  auf 
ein  Dampfbad,  eine  zivilisierte  Mahlzeit,  reine  und  trockene 
Kleider  und  ein  ordentliches  Bett  noch  heute  Abend  waren 
zu  verführerisch,  und  ohne  weitere  Verhandlungen  nahm  ich  meine 
Flinte  und  meine  Kotizbttcher,  liefs  das  tthrige  liegen  und  wanderte 
auf  dem  langen,  mühsamen  Wege  im  tiefen  Sande  des  Ufers  dem 
Dorfe  zu.    Noch  bevor  ich  halbwegs  war,  überraschte  mich  das 
nächtliche  Dunkel,  und  als  ich  vor  dem  Flusse  diesseits  des  Dorfes 
anlangte,  fand  ich  ihn  viel  tiefer  als  gewöhnlich.    Das  Wasser  ging 
mir  über  die  Hüften,  aber  was  achtete  ich  das  jetzt,  wo  ich  in  die 
Badstube  gehen  und  dort  andere  Kleider  anziehen  konute!  im 
Dorfe  erwartete  uns  niemand,  ich  fand  die  Hausthüre  geschlossen. 
So  feuerte  ich  beide  Laufe  meiner  Flinte  als  Signal  ab,  das  zunächst 
nur  von  den  600  Hunden  des  Dorfes  mit  infernalem  Heulen  beant* 
wortet  wurde.    Bald  kam  aber  Freund  Chemick  zum  Vorsehein, 
und  nun  wurden  mir  bald  alle  oben  genannten  Genosse  der  Zivili- 
sation zu  teil. 

Den  nächsten  Tag  brachten  die  Leute  die  Schlupka  ein. 

So  endete  meine  Umsegelung  der  Berings-Insel ;  die  ganze 
nächste  Woche  konute  ich  vor  Rheumatismus  weder  stehen,  gehen 
noch  liegen! 


Ckogr.  BUltter.  Brenwii.  IMk 


80 

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—  274  — 

Die  Indianer  von  Guyana. 

Nach  Im  Tharn. 
Von  Kail  Tfi  4ei  Stoiiea. 


fittokbliek  auf  einif«  frflberfl  Foncbnngen  bttHglich  der  saduMHfltMiHhii 

Indianer.  Im  Thums  Reisen  und  Woris.  Zahl,  Stimme  nnd  WohnKebiet  der  Indiaaer 
Britisch-Gayanas.  Änfeere  Erscheinung  nnd  Kleidang.  Hauseinrichtaas.  BitiCi  ni 
Qebrtttche.    Gewerbe.    Feste.    ReligUtoe  Vorstelltingen.  Altartttmer. 

Je  mehr  nch  das  Interesse  der  Forseber  gegenOber  den  saU- 
losen  Bfldainerikeiiischeii  Horden  verschiedenartigsten  ürspmags 
abstumpfte,  —  ermOdet  von  dem  unendlichen  Gewirr  der  Sprachen, 
das  allen  Yersnchen  einheitlicher  ZusammenftuBSung  Troti  zu  bieteo 
scheint  nnd  das  um  so  rätselhafter  wird,  als  die  sonstigen  anthro- 
pologischen Merkmale  lait  den  linguistischen  Differenzen  keinen 
Schritt  halten,  —  je  mehr  man  sich  infolgedessen  gewöhnte,  in 
stummer  Resignation  einen  Stammesnamen  zum  andern  in  die  grolse 
Sammelbüchse  zu  werfen,  eine  um  so  lebhaftere  Aufmerksamkeit  hat 
man  immer  den  Kariben  und  den  Tupi  gewidmet  Sie  versprechen 
der  Untersuchung  ein  danlLbareres  Feld;  denn  so  zersplittert  auch 
diese  beiden  Gruppen  in  sidi  selbst  bereits  im  Jahrhundert  der 
Entdeckung  angetroffen  worden,  konnte  man  ihnen  doch  auf  Gnmd 
ihrer  enormen  nnd  siemlich  kontinuierlichen  Ausdehnung  gewisser- 
malsen  den  Rang  von  zwei  Nationalitaten  zubrechen,  welche  in  der 
Geschichte  des  südamerikanischen  Kontinents  eine  bedeutsame  Rolle 
übernommen  hatten. 

Auf  den  kleinen  Antillen,  vom  Orinoco  bis  zum  Amazonas  waren 
Kariben,  auf  dem  Amazonas  selbst,  an  der  Küste  bis  zum  La  Plata 
und  hoch  den  Paraguay  hinauf  waren  Tupi  die  herrschenden  Völker. 
Die  Bedeutung  der  letzteren  ist  eine  dauernde  geworden  durch  die 
Erhaltung  ihrer  Sprache,  des  Guarani,  welches  noch  heute  floriert 
und  sogar  im  paraguayischen  Parlament  nur  notgedrungen  dem 
spanischen  weicht  Wo  aber  ist  der  scfareckenverbreitende  Name 
der  Kariben  geblieben?  Die  Nachkommen  jener  gefOrchteten  Kanni- 
balen sitsen  friedfertig  in  den  Savannen  nnd  Waldern  Guyanas. 
Was  die  Fortschritte  des  Reisenden  hemmt,  sind  Wasserfälle,  sind 
Fieber,  Nahrungssorgen  und  Strapazen  aller  Art,  der  Indianer  aber,  den 
er  richtig  zu  behandeln  versteht,  wird  sein  guter,  helfender  Freund. 

Unter  dem  Eindruck  des  ähnlichen,  erobernncrslustigen  Cha- 
rakters der  Tupis  und  der  Kariben  hat  mau  sich  eine  Verwandtschaft 
derselben  aufzustellen  bemüht.  Während  d'Orhiffnif  diese  apodiktisch 
behauptet»  halt  der  vorsichtigere  Jdärtius^  da  er  die  Lttckea  des 
Beweismaterials  empfindet,  sie  nur  fflr  wahrscheinlich,  bedarf  aber 


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275  — 

gleichzeitig  der  von  den  Kariben  besetzleu  Guyanas,  um  sie  zur 
Heimat  seiner  in  mehr  ^Geistreicher  als  überzeugender  Form  kon- 
struierten Gruppe  der  „Guckstämme''  zu  steini)elu. 

Jedoch  weder  die  Gucktheorie  noch  die  Annahme  der  ver- 
wandtschaftlicbeu  Abstammung  von  Kariben  und  Tupis  sind  baltbar: 
das  sei  bier  nur  eine  vorläufige,  zur  Kennzeichnung  des  Stand- 
ponktos  aber  nnerl&lslicbe  Behauptung,  für  welcbe  die  bald  zu 
verOffentUchenden  Ergebnisse  der  Sekingiieag^eä^ioH  solide  Stützen 
liefern  werden.  Das  Wort  „Kariben'',  dem  schon  in  frühesten  Zeiten 
eine  kollektive  Bedeutung  unterlegt  wurde,  ist  nnendlicb  gemifs- 
braucht  worden.    So  hat  man  denn  das  Kind  mit  dem  Bade  aus- 
geschüttet; während  sie  in  Wirklichkeit  einen  selbständigen,  scharf 
zu  präzisierenden  Volkskerii  darstellen,  dessen  Berühruntren  mit  den 
Tupis  nicht  in  Frap:e  gezogen  werden  sollen,  der  aber  in  keiner 
Weise  mit  ihm  einer  ursprünglichen  Gemeinsamkeit  der  Abstammung 
unterzuordnen  ist,  ist  man  gar  so  weit  gegangen,  die  Kariben  ein 
Mischvoik  der  Küste,  und  ihre  Sprache,  das  allerdings  von  einigen 
Sammlern  iMtohst  unkritisch  notierte  Galibi  eine  lingua  franca  zu 
nennen,  die '  es  in  der  Tbat  durch  den  Verkehr  am  Meeresufer  all- 
m&hlich  geworden  sein  mag,  die  es  aber  von  Hanse  aus  keineswegs 
gewesen  ist.   Im  Quellgebfet  des  Schingü  wird  ein  ^Galibl*^  ge- 
sprochen, das  wegen  des  von  ihm  eingenommenen  durchaus  isolierten 
Bezirks  die  Gewähr  leistet,  den  echten  unvertalschten  Kern  zu 
enthalten. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dafs  es  für  die  angedeuteten  fundamen- 
talen i^'ragen  von  erheblicher  Bedeutung  ist,  die  Küste  beiseite  zu 
lassen,  und  dals  dem  Innern  der  Guyanas  das  wesentliche  Interesse 
anhaftet. 

Über  die  grundlegenden  Mitteilungen  Sehomburgks  sind  wir 
noch  nicht  weit  hinausgekommen;  einen  wichtigen  Beitrag  hat 
Crevaux  durch  die  Schilderung  der  Rucuyen  und  der  Apalai  ge- 
liefert, welche  das  Quellgebiet  des  dem  Schingü  gegenüber  ein- 
mündenden Flusses  Paru  bewohnen.  Unter  diesen  Umständen  hat 
eine  neue  Darstellung  der  Indianerverhältnisse  im  britischen  Guyann 
i^egründeten  Anspruch  auf  unsere  Aufmerksamkeit.  Der  Autor. 
Everard  F.  im  Thum,  betitelt  sein  Buch:  „arnong  the  Indians  of 
Guiana  being  sketches  chiefly  anthropologic  from  the  interior  of 
British  Guiana/'  (London  1883,  428  Seiten.*)  Es  ist  mit  10  Voll- 
bildern und  43  Vignetten,  zum  Teil  nach  Photographien  illustriert, 
sowie  mit  einer  Karte  von  Britisch  Guyana  ausgestattet 

♦)  Bei  Kegan  Pjial  erschienen,  bereiU  aui  IS.  '6X1,  Band  Vli,  dieser  Zeit- 
lehnfl  kus  angezeigt  D.  Rad 

20* 


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Üie  drei  ersten  Kapitel  enthalten  die  engere  Reisebeschreibuiig. 
IV.  und  V.  sind  einer  allgemeiBen  Schilderung  des  Pflanzen-  und 
TIerlebenfi  gewidmet,  die  vierzehn  übrigen  beschliftigen  sich  not 

den  Iiuliiinerstämmen. 

Im  Thurn  hat  sich  1877 — 79  in  Britisch  Guyana  aufgehalten 
und  ist  Ende  1881  dorthin  zurückgekehrt.    Es  stand  ihm  Danipfer- 
verbindunf;  zu  Gebote  von  Georgetown  nach  der  Essequibomündung, 
und  flufsaufwärtä  bis  zu  dem  45  englische  Meilen  entfernten  Bartica 
grove,  wo  der  Mazaruni  sich  mit  dem  Essequibo  vereinigt.  Dort  wurde 
die  Kanufahrt  angetreten  mit  einer  Mannschaft  von  Malrasiindianeni, 
man  lenkte  in  den  Nebenfluls  Rupnnuni  ein  und  erreichte  in 
49  Tagen  Pirara,  eine  Niederlaasnng  von  Makud;  alsdann  wenige 
Tage  aber  Land  an  den  Takutu,  einen  Nebenflnfe  des  Branco,  neue 
Flufsfahrt,  Besuch  des  Forts  S.  Joaquim;  auf  dem  Takutu  zurück, 
in  den  lren^%  über  Pirara  heimwärts,  und  nach  sechsmonatlicher 
Abwesenheit  wieder  in  Georgetown.    Anfserdem  wird  eine  Toui*  au 
deu  pittoresken  „Kaieteur",  einen  Fall  des  Potaro,  beschrieben. 

Der  Verfasser  liat  ein  scharfsichtiges  Auge  für  die  umgebende 
Natur;  er  versteht,  was  nicht  vielen  Besuchern  und  sehr  selten 
nur  den  Angehörigen  jener  Länder  gelingt,  ein  objektives  Bild  der 
tropischen  Welt  zu  z^chnen;  er  ist  weder  pathetisch  noch  humo- 
ristisch, aber  er  hat  einen  Maren  Stil  und  eine  übersichtliche  An* 
Ordnung;  er  reflektiert  viel,  wird  aber  niemals  langweilig  und 
trivial,  und  erzeugt  überall  den  Eindruck,  daüs  er  seinen  Gegen- 
stami  liebt:  man  liest  ihn  mit  Vertrauen. 

Mögen  die  Schilderungen  des  Tier-  und  Plianzenlebens  wenig 
neues  bringen,  sie  haben  den  grofsen  Vorzug,  daf^  sie  in  Kürze 
trelfend  sind;  man  berauscht  sich  weder  an  den  Wundern  des  Urwalds, 
noch  regt  man  sich  auf  an  den  Abenteuern  der  Jagd,  allein  man  ge- 
winnt die  Physiognomie  der  Landschaft  wie  sie  ist,  und  erfährt  von 
den  zahlreichen  Tierfonnen  alles,  was  der  Reisende  wirklich  sieht 

Der  liberwiegende  Inhalt  des  Buches  gehdrt  der  eingeborenen 
Bevölkerung  des  britischen  Guyana.  Dieselbe  wird  bei  einem  Flachen- 
raum von  70000  engl.  Quadratmeilen  auf  wenig  über  20000  Seelen 
geschätzt.  Nach  Aussonderung  der  Synonima  und  einiger  nur 
zeitweilig  über  die  Grenzen  passierender  Stämme  ergiebt  sich  die 
folgende  Zusammenstellung: 

Ackawoi,  Echte  Kariben,  Taruma, 

Amaripas,  Makusi,  Wapiaua, 

Arawak,  Maopityans,  Warrau, 

Arekuna,  Paramona,  Woyowai, 

Atorais,  Pianoghotto,  Zurumntas. 


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Mit  Ausscbluls  der  Maopityan,  Taruma  und  Woyowai,  über 
die  keine  sicheres  Kenntnisse  vorliegen,  wird  eine  weitere  Klassi- 
fikation unternommen  in  Nationen  (branch),  welche  eine  eigene 
Sprache  besitssen,  rnid  Stamme  (tribe),  welche  nur  dialektisch  unter- 
schieden sind: 


Nation. 

Warraa 
Arawak 

Wapiana 


Kariben 


stamm. 

Warrau 
Arawak 

Echte  Wapiana 

Atorais 
Amaripas 
Echte  Kariben 
Ackawoi 

Makusi 

Arekuna 


Dnterabteilong. 


Parainona 
I  Pianoghotto 
\Zwunnutas 


Wahrend  innerhalb  der  Warrau-  und  der  Arawaksprache  nur 
sehr  weninje  und  leichte  Abweichun^^en  der  Aussprache  auftreten, 
so  dafs  sie  k^ine  Einteilunf?  erfahren,  haben  die  Wapiana  drei  und 
die  Kariben  vier  deutlich  differenzierte  Idiome.  Das  Makusi  und 
Arekuna  sind  sehr  ähnlich  und  beide  Sprachen  werden  auch  von  dem 
Ackawoi-Iudianer  verstanden.  Der  Dialekt  der  echten  Kariben  zeigt 
die  unverkennbare  Verwandtschaft,  ist  aber  etwas  mehr  verschieden. 

Diese  Klassifikation  widerspricht  in  keiner  Weise  dem  aus 
anderen  Quellen  bekannten  Material  —  im  Gegenteil,  laCst  sich  leider 
dorther  bedeutend  sicherer  ableiten,  als  ans  den  nenn  Worten,  mit 
denen  Im  Thnrn  seine  Darstellung  illustriert 

Sollte  er  ausführlichere  Aufzeichnungen  besitzen,  so  wäre  es 
(Irin^iend  zu  wünschen,  dals  er  sie  veröffentliche.  Die  betreffenden 
Wörter  seien  aus^rewählt,  weil  sie  die  j^eriugste  Gefahr  einer 
Verschiedenheit  des  Sinnes  zwischen  dem  Englischen  und  Indianischen 
böten.  Warum  fehlen  alsdann  aber  die  wichtigsten  aller  Vergleichs- 
wörter, die  keinem  Müsverstandnis  ausgesetzten  Körperteile  wie 
Zunge,  Zahn,  Nase  n.  a.  ?  Auch  sind  einige  der  angefahrten  für  eine 
konzentrierte  Tabelle  ohne  erheblichen  Wert,  weil  sie  erfahmngs- 
gemafs  auch  unter  verwandten  Stammen  abweichen  können. 

Dankenswert  ist  die  Zorflckweisung  des  Wortes  Garibisi,  das 
auch  bei  SehomburgJc  als  Stanimesnarnen  erscheint.  Dies  sei  nur 
ein  Aruaksvort,  ^ Karibenort"  bedeutend,  das  die  Aruak  gebrauchen, 
wenn  man  eine  Niederlassung  der  Kariben  passiert,  und  zu  dem 
Mifsverstandois  Aulais  gegeben  hat,  dafis  es  sich  um  eiueu  besouderu 


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—  278  — 


Karibenstamm  —  die  Carabisi  —  handle,  die  nicht  existieren.  — 
In  einer  Note  äufsert  Im  Thurn  den  Glauben,  dafs  die  Warrau. 
wenn  ausreicbendes  Ver^leichsmaterial  vorläge,  sich  als  einen 
Guaraiiistamm  herausstellen  würden.  Dieser  Nachweis  wäre  von 
gröfster  Wichtigkeit,  da  er  die  Theorie  der  Tupi Wanderungen 
wesentlich  beeinflussen  und  bestimmen  würde,  —  was  jedoch  ist  mit 
der  unmotivierten  Vermutung  gethan? 

Zur  Gharaktenstilc  der  ftufseren  Erscheinnng  wird  angefUrt: 
die  TTarroii  haben  die  geringBteKörpergrö£senndHuskelentwickelaDg. 
Der  Nacken  ist  kurz  und  dick,  der  Rumpf  nuYerhaitnismAfeig  lang 
im  Vergleich  zu  den  Extremltilten,  die  FQfse  sind  breit  und  platt 
Die  Physiognomie  fällt  durch  ihr  blüdcs,  ausdrucksloses  Wesen  auf. 
Die  (luukle  Farbe  der  Haut  wird  auf  die  durch  Uureiulichkeit  er- 
zeugte Schmutzkruste  zurückgeführt. 

Die  Aruak  sind  ein  weni^'  gröfser.  und  obwohl  auch  untersetzt 
und  breit,  besser  proportioniert.  Hautfarbe  etwas  lichter,  Gesichts- 
ausdruck weit  intelligenter. 

Ungewöhnlich  grofs,  schlank  und  wohlgebaut  sind  die  Wu^piiama, 
ihre  Zflge  regelmäfsig  und  hObsch.  Am  dunkelsten  sind  die  Katibein^ 
zumeist  die  Arehuna,  Die  ^^Echtm  Kariben**  (stets  als  y,Tme  Caribs* 
bezeichnet),  etwas  grdfser  als  die  Amak,  haben  eine  bedeutendere 
Körperkraft,  die  sich  auch  in  ihren  plumperen  Gesichtszügen  wieder- 
spiegelt. Ein  wenig  kleiner  und  graziler  sind  die  Ackauoi.  Die 
Makusi  zeichnen  sich  durch  einen  intelligenten,  aber  etwa;»  furcht- 
samen Blick  aus. 

Alle  diese  Indianer  lassen  sich  ebensowenig  nach  ihrer  Lebens- 
weise wie  nach  ihren  physischen  Merkmalen  streng  charakterisieren. 

Die  Warrauy  von  den  übrigen  verachtet,  nur  selten  einer 
Art  von  Zivilisation  zugänglich,  wohnen  in  erbfinnlichen  Hfitten,  die 
sich  auf  Pf&hlen  über  sumpfigem  Boden  oder  gar  Uber  dem  Wasser 
erheben  und  sind  aufeergewöhnlich  unreinlich.  Dire  Spezialitat  ist 
die  Herstellnng  von  Kanns  für  die  umgebenden  8tftmme.  Seit 
kurzem  sind  sie  bewogen  worden,  sich  in  betrachtlicher  Anzahl  nahe 
den  Missionen  anzusiedeln. 

Am  reinlichsten  sind  die  Aruak;  sie  sprechen  bämtlich  englisch, 
tragen  wenigstens  in  (legenwart  der  Weifsen  Kleider,  und  haben  so 
vieles  von  ihren  ursprünglichen  Gewohnheiten  eingebülät.  Sehr 
deutlich  erhalten  ist  jedoch  ihre  Abneigung  gegen  andere  StAmme, 
besonders  ihr  Hafs  gegenüber  den  Echten  Kariben. 

Die  Wcgpiam,  einschliefslich  der  ihnen  zugehörigen  Aiorm 
und  Amaripa  sind  die  Handelsleute,  welche  den  Verkehr  der  Er- 
zeugnisse zwischen  den  verschiedeneu  Stammen  vermitteln.  Wie  die 


—  279  — 

Warrau  an  der  Küste,  sind  sie  die  Kanubauer  des  Innern.  Sie 
allein  essen  die  Mandioka  in  Form  des  Mehls  (der  brasilianischen 
Farinha),  nicht  als  Brote  oder  Kuchen. 

Die  sämtlichen  Karihen  werden  wegen  ihres  kriegerischen 
Wesens  gefürchtet.  Die  Mehhn  Kariben  bewohnen  keine  bestimmten 
Distrikte,  sondern  sind  durch  die  ganze  Gegend  zerstreut  Die 
Töpferei  ist  ihre  Spezialität  Doch  rivalisieren  hierin  mit  ihnen  die 
AdktMoi,  welche  Im  Gegensatz  zn  ihnen  harmlos  und  etwas  sehen 
sind.  Zwischen  den  nahverwandten  Makim  und  Arekuna  besteht 
eine  ausgesprochene  Feindseligkeit,  die  Makusi  fürchten  sich  vor  den 
Arekuna,  von  denen  sie  höchst  geringschätzig  angesehen  werden. 
Beiden  ist,  wie  den  zivilisierten  Aruak,  groüse  Sauberkeit  nach- 
zurühmen. 

Was  die  geographische  Verteilung  angeht,  so  ist  die  Küsten- 
regian  besetzt  im  Norden  von  den  Warrau,  nächst  der  Orinoko- 
mftndung;  weiter  sttdlich  von  den  Aruak,  zersprengt^  hauptsächlich 
nach  Norden,  wohnen  die  Echten  Kariben.  Wenige  der  letzteren 
sind  auch  der  Wäldregion  zuzurechnen,  welche  fast  ganz  den  Ackawoi 
angehört.  In  der  Savannenregion  haben  verschiedene  Stämme  be- 
stimmte, wenn  auch  nicht  geographisch  scharf  abzn^^renzende  Distrikte 
inue,  von  dem  Orinoko  beginnend  die  Arekuna.  Makusi,  die  Wapiana, 
(einschl.  Atorai  und  Amaripa)  die  Tanuna,  (einschl.  der  Reste  der 
Maopityan)  und  endlich  ganz  isoliert  die  Piansgbotto. 

Zur  Erörterung  des  wichtigsten  Punktes,  der  Wanderungs- 
geschichte dieser  Volkerschaften,  unterscheidet  Im  Thum  zwischen 
eingeborenen  nnd  fremden,  sagen  wir  zwischen  älteren  undjOngeren 
Stammen.  Die  alteren  seien  die  Warrau,  Aruak  und  Wapiana, 
die  jOngeren  die  Kariben;  die  ersteren  sind  einig  in  ihrem  Hafo 
gegen  die  letzteren.  Die  ftiteren  verfertigen  ihre  HängemeMm  aus 
Palmfasemj  von  der  in  Guyana  sehr  gewöhnlichen  Mauritia  flexuosa, 
die  jüngeren  aus  Baumwolle,  und  gleichzeitig  ist  die  Art,  wie  die 
Faden  beiderseits  gesponnen  werden,  verschieden. 

Als  die  Kariben  einwanderten,  nimmt  Im  Thum  an,  wohnten 
die  Warrau,  wie  auch  in  der  Hauptsache  noch  jetzt,  an  den 
Sümpfen  der  Orinokomündung,  die  Aruak  weit  längs  der  Küste, 
die  Wapiana  nnd  andere  Staramfragmente  in  den  Savannen. 

Die  ungenOgende  Motivierung  dieser  Hypothese  ist  angenftUig: 
sie  ist  auf  das  vom  politischen  Zufall  bestimmte  Gebiet,  wdches 
sieh  Britisch  Guyana  nennt,  zugeschnitten,  wahrend  das  Verhältnis 
zu  den  in  den  Nachbarstaaten  ansässigen  Kariben  gar  nicht  in  Er- 
wägung gezogen  wird.  Auch  läfst  sich  durch  Beobachtungen  so 
allgemeiner  Art,  wie  sie  der  Autor  ins  Feld  führt,  die  Chronik  der 


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—  280  — 

Wanderungen  nur  vermuten,  aber  nicht  feststellen.  Er  spricht  sich  flr 
die  Ansicht  ans,  dafs  die  Kariben  von  den  Antillen  auf  das  Fest-  i 
land  gelangt  seien,  obgleich  er  die  starken  Gegengrüode  zu  gunatoi  | 

des  umgekehrten  Weges  nicht  entwaffoet    Abgesehen  jedoch  von 
(lern  letzterwähnten  Punkte  ist  es  sehr  gut  mö^^lich,  dafs  Im  Thurn  ' 
Kecht  behalt,  dafs  die  Warran,    Aruak   und  Wapiana   vor   den  i 
Karibeii  das  britische  Guyana  eingenommen  haben:  dies  mufs  durch 
eine  weit  erschöpfendere  lieliaiidldug  des  Gegenstandes  entschieden 
werden,  für  die  in  dem  Hinweis  auf  die  dilfereate  Herstellung 
Hangematten  ein  höchst  scbatssenswerter  Beitrag  gegeben  wird. 
Wenngleich  die  Aruaik  sprachlich  einen  einheitlichen  Stamm 
'  repräsentieren,  zerfMlt  ihre  Gemeinschaft  doch  von  altersher  in  eine 
Anzahl  Famüim,  zwischen  denen  keine  Heiraten  stattfinden.  In 
jüngerer  Zeit  ist  dieses  System  lax  geworden  und  der  heutigen 
Generation  wieder  bezüglich  seines  Ursi)rungs  noch  betreffs  der 
Deutung  der  den  Familien  zukommeiulen  Namen  verständlich.  Etwa 
1830  veröffentlichte  Hillhousc  eine  Liste  von  23  solcher  Familien- 
namen, die  als  vollzählig  galt.    Im  Thurn  erweitert  sie  jedoch 
auf  47  und  zweifelt  nicht,  dafs  sie  in  Wirklichkeit  noch  gröfser 
sein  sollte.   Obwohl  er  sie  drucken  liefs  und  an  die  geeigneten 
Personen  verschickte,  xm  möglichst  genauen  AufschluCs  Aber  den 
Sinn  der  einzelnen  Namen  zu  erhalten,  war  seine  Bemühung  f&r 
viele  derselben  erfolglos,  weil  sie  langst  obsolet  geworden  sind. 
Feststeht,  dafs  sie  vorwiegend  von  häufigeren  Pflanzen-  und  Tier- 
namen Guyanas    abgeleitet    werden    müssen.    Zur  Entstehungs- 
geschichte haben  die  Aruak  selber  zwei  traditionelle  Erklärungen, 
die  eine,  dafs  zur  Zeit,  als  die  Volkszahl  sehr  anwuchs,  die  Ein- 
teilung auf  Vorschlag  eines  Hän])tlings  in  einer  Versammlunsf  erfolgt 
sei,  und  dafs  jedes  Familienbaupt  einen  augenblicklichen  Einfall  zu 
Hülfe  genommen  habe,  um  seinen  Namen  zu  bestimmen,  —  die  andere, 
welche  stärker  in  der  Überzeugung  der  Aruaks  wurzele  nnd  ver- 
breiteter sei,  dafo  jede  Familie  von  den  betreffenden  Pflanzen  oder 
Tieren  abstamme.  Die  Namen  wurden  rein  erhalten  dadurch,  da& 
sie  nur  in  weiblicher  Linie  forterbten  und  Heirat  mit  Verwandten 
mütterlicher  Seite  nicht  gestattet  war. 

Es  folgt  nun  ein  Kapitel  über  die  äufsere  ErscJwinuny  und 
die  Kleidung  der  Guyanaindianer.  Die  Hautfarbe,  durchschnittlich 
die  sehr  rothen  Zimmets,  ist  heller  bei  den  Bewohnern  des  Waldes 
als  denen  der  Savanne.  Es  wird  häufig  gebadet,  ansgenomraen 
seitens  der  Warraus  und  einiger  Ackawoihorden,  die  sich  niemals 
waschen.  Entstellung  der  Schädelfoi'm  ist  nicht  mehr  in  Gebrauch. 
Die  bekannte  Bandumschnürung,  die  schon  .in  früher  Jugend  erfolgt 


—  281  — 


und  eine  Anschwellung  der  Waden  erzeugt,  findet  sich  bei  den 
Weibern  der  Makusi  und  Arekuna  Aber  den  Knöcheln,  bei  den 
Flauen  der  Echten  Eariben  auTserdem  unterhalb  des  Knfegdenks. 
Die  Weiber  der  Echten  Kariben  und  Ackawoi  tragen  in  der  durch- 
bohrten Unterlippe  eine  Nadel  oder  ein  zugespitztes  Stück  Holz. 
Die  Männer  schmücken  sich  mit  einer  runden  oder  ha]biii()n{lförmip:en 
Silber-  oder  Kupferj)hitte,  welche  an  einem  durch  die  Nasenscheide- 
wand  jzeführten  Qnerstabchen  über  die  Oberlippe  herabhängt,  und 
haben  durch  ein  Loch  der  Unterlippe  ein  glockenartiges  Ornament 
befestigt,  wo  an  Steile  des  Klöppels  ein  Bündel  langer  Baumwollen- 
fäden niederf&llt.  Die  Bekleidung  besteht  bei  den  Weibern  in  einem 
kurzen  Schurz,  bei  den  Männern  in  einem  über  den  Damm  ge- 
gezogenen, vom  und  hinten  mit  dem  Gürtelband  verschlungenen 
Tuch.  Gelegentlich  werden  kurze  Mantel  aus  Baumwolle  getragen, 
mit  weifsen  Daunflocken  verziert;  doch  soll  die  Kunst,  sie  zu  weben, 
abhanden  gekommen  sein.  Ferner  sind  zu  erwähnen  die  hübschen 
Federkronen,  Halsbänder  von  Eberzäh  neu,  baumwollene  Armbänder, 
Schnüre  von  Beeren  oder  Saniei)köruern. 

Für  den  Bau  des  Hauses  giebt  es  drei  Typen:  die  elende,  auf 
5—6  Fufs  hüben  Pf&hlen  errichtete  Hütte  der  Warrau  im  sumpfigen 
Gebiet,  die  offene,  meist  viereckige  Hütte  des  Waldbewohners  und 
das  runde,  dickwandige,  lehmbeworfene  Haus  des  Savannen-Indianers. 

Nadidem  der  gewöhnliche  Verlauf  eines  Tages  geschildert 
worden,  beschäftigt  sich  Im  Thum  mit  der  Besprechung  der  weh^sten 
Lebmsabs^iUe. 

Die  Einrichtung  der  „couvaäe",  des  männlichen  Wochenbettes, 
ist  tief  gewurzelt.  Sie  erscheine  in  dem  Glauben  an  ein  geheimnis- 
volles Band  zwischen  Vater  und  Kind  begründet;  das  Kind  leide, 
wenn  der  Vater  sich  über  die  vorgeschriebenen  Hegeln  hinwegsetze; 
es  bekomme  vorstehende  Zähne,  wenn  sich  der  Vater  nicht  des 
Capybarafleisches  enthalte  u.  a.;  wenn  er  bade,  rauche,  Waffen  in  die 
Hand  n&hme,  mächtige  Speisen  geniel'se,  könne  dies  dem  Kinde  so 
übel  bekommen,  als  ob  es  selbst  dergleichen  gethan  hatte.  —  Der 
Naum,  gewdhnlich  einer  Pflanze  oder  einem  Vogel  entlehnt,  wird 
von  den  Eltern  oder  von  dem  Zauberarzt,  dem  »peaiman*  (sonst 
page),  bald  nach  der  Geburt  gegeben,  aber  einem  Aberglauben  zu 
Liebe  in  der  Anrede  vermieden,  und  durch  die  Bezeichnung  des 
Verwandtschaftsgrades  oder  allgemeine  Titulatur  ersetzt.  —  Verlo- 
hungen  von  Kindern  kommen  häufig  vor,  sind  aber  nicht  bindend. 
Die  Fr;iu  bann  durch  Kauf  erworben  werden;  auch  geben  die  Eltern 
sie  für  einen  ihnen  geleisteten  Dienst  zur  Belohnung.  Nach  der 
Hmal  lebt  der  Mann  und  arbeitet  bei  dem  Schwiegervater.  So  lange 


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—  282  — 


keine  Kinder  vorhanden  >ind,  ist  Scheidun*;  gestattet:  in  jenem  Fall 
dagegen  wird  das  Weggeben  des  Mannes  als  Desertion  betrachtet 
Die  alten  Heiratszeremonien    werden   nnr  noch  selten  vorge- 
nommen. Bei  den  Makiud  enth&lt  sich  der  Mann  einige  Zeit  nach 
der  Heirat  des  Fleisches.  Die  Warraa  haben  zaweilen  acht  oder 
sehn  Weiber;  auch  bei  den  Wapiana  besteht  Polygamie,  wahrend  sie 
bei  den  Karlben  nur  Teretnzelt  Torkommt.  Der  Peaiman  bedient 
sich  seiner  einflufsreichen  Stellung,  um  sich  einen  ganzen  Harem 
zuzulegen.  —  Die  meisten  Indianer  sterben    fiiih,  gewöhnlich  an 
Auszehrung  oder  Dysenterie;  auch  werden  die  Alten  nicht  respektiert, 
sondern  höchst  widerwillig  von  den  unzufriedenen  Jungen  -refüttort. 
Den  überlebenden  nächststehenden  Verwandten  ist  von  Trauer  und 
Teilnahme  wenig  anzumerken.    Im  Hause  wird  ein  Loch  gegraben; 
ist  es  grofs  genng,  wird  dem  in  eine  Hängematte  eingewickelten 
Leichnam  eine  sitsende«  bei  den  Aekawoi  eine  stehende  SteUong 
gegeben.  Doch  nimmt  man  es  mit  diesen  Vorschriften  nicht  genas 
und  bettet  unter  Umständen  den  Toten  nach  Belieben  und  Bequem» 
lichkeit  Ober  dem  Grabe  wird  ein  Feuer  angezündet,  man  tanzt, 
trinkt  und  rühmt  in  Klageliedern  die  Tugenden  des  Hingeschiedenen, 
dann  wird  das  Haus  für  immer  verlassen.    Bei  den  Makusi  werden 
die  Zauberärzte  auf  einem  besondem,  eigentümlich  geformten  Hügel 
begraben,  der  sich  isoliert  in  der  Savanne  gegenüber  dem  Nordrand 
der  Canakooberge  erhebt. 

Mit  besonderer  Sorgfalt  und  Sachkenntnis  werden  von  Im  Thum 
Waffen,  deren  Herstellung  und  Gebrauch,  Landbau,  Zubereitung  der 
Nahrung,  Töpferei,  Weben,  Korbflechterei,  Kanubau,  Zusammen- 
setzung der  Zierraten  und  des  Federschmucks,  Musikinstrumente, 
Prftparation  Ton  ölen,  Wachs,  Farben,  Behandlung  des  Tabaks 
n.  a.  beschrieben.  Dieser  Teil  des  Buches  entzieht  sich  wegen  dear 
mannigfachen,  aucl^  der  Illustration  bedürfenden  Einzelheiten  dem 
knappen  Referat. 

Jeder  Stamm  zeichnet  sich  durch  eine  ihm  eigentümliche 
Manufaktur  aus:  die  Handler  dürfen  selbst  feindliches  Gebiet  iinbe- 
iästigt  passieren.  Als  Spezialitäten  werden  aufgeführt:  für  die 
Warrau  Kanus,  eine  Sorte  Hangemfttten«  für  die  Wapiana  der- 
gleichen Kanus,  welche  sie  den  Stämmen  des  fernen  Innern  liefern, 
fOr  die  Makusi  Pfeilgift  und  hauptsftchlich  baumwollene  HftngematteD, 
für  die  Arekuna  Baumwolle,  welche  die  Makusi  und  andere  tou  ihn«i 
eintauschen,  nnd  samtlicher  Bedarf  an  Blasrohren,  die  einer  nur 
in  Venezuela  heimischen  Palme  entstammen,  für  die  Taruma  und 
die  Woyowai  ein  vollständiges  Monopol  der  Mandioka-roste,  sowie 
Zucht  und  Dressur  von  Hunden,  für  die  Echten  Kariben  Töpferei, 


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'—  283  — 

für  die  Arnak  Hängematten  aus  Palmfaser  und  Topfwaren  fOr  den 
eigenen  Konsam.  Nur  die  Aclcawoi  nehmen  mit  keinem  Produkt 
an  dem  Tauschhandel  Teil  und  müssen  alles,  was  sie  bedürfen,  sieh 

selbst  schaffen,  was  vielleicht  durch  die  ihnen  von  allen  anderen 
Stämmen  bezeugte  Abneigung  erklärt  wird.  Fortwährend  begegnet 
man  unterwegs  solchen  Händlern,  die  von  Distrikt  zu  Distrikt  lange 
Beisen  unternehmen. 

Bei  dem  scheuen  Charakter  des  Indianers  wird  es  dem  Weissen 
nur  selten  möglich,  seinen  Festlichheitenj  den  Paiwarigelageu  beizu- 
wohnen. Paiwari  ist  das  aus  gekautem  Mandiokabrod  bereitete,  der 
G&hrung  ausgesetzte  Hanptgetrftnk,  wahrend  „casiri*  —  in  Brasilien 
caxiri,  gleieh  dem  paiwari  —  hier  ein  appetitlicheres,  aus  sOfoen 
Kartoffeln  und  Zuckerrohr  gebrautes  ErMsehungsmittel,  genannt 
wird.  Einladungen  zu  dem  Feste  werden  von  dem  Häuptling  an  die 
befreundeten  Niederlassungeu  erlassen ;  Knotenschuüre  geben  die 
Zahl  der  ausstehenden  Tage  an.  Unter  einförmigen,  ewig  sich 
wiederholenden  Begrüfsungsfornieln  werden  die  Besucher  empfangen." 
Bei  Tagesanbruch  wird  der  Körper  so  schön  und  ausgiebig  als 
möglich  bemalt  und  mit  allem  Schmuck  des  glücklichen  Besitzers 
behangen;  man  bewaffnet  sieb  mit  Klappern,  Trommeln,  Flöten, 
federverzierten  Musikinstrumenten  aller  Art  und  Stäben,  deren 
Spitze  eine  rohgeschnitzte  Tierfigur  aufsitzt.  Man  formiert  ehie 
Prozession,  diese  umkreist  den  kanuartigen  Trog,  in  dem  das  Qetr&nk 
aufgefüllt  ist,  und  iin  langsamen  Rhythmus  die  Instrumente  schwingend, 
mit  den  Füfsen  stampfend,  singen  alle  in  monotoner  Weise  „hia-hia- 
hia".  Plötzlich  ein  lautes,  gelles  Durcheinauderschreien,  die  Prozession 
löst  sich  auf,  die  Weiber  bringen  zu  trinken,  sie  trinken  selbst  und 
die  Prozession  beginnt  aufs  neue.  Etc.  in  infin.  Bei  einigen 
Stämmen  werden  die  Bewegungen  gewisser  Tiere,  des  Affen,  des 
Jaguar,  nachgeahmt.  Die  Ackawoi  haben  einen  Tanz,  in  dem 
jeder  ein  anderes  Tier  darstellt  und  dessen  Bild  auf  dem  Stocke 
trflgt.  Bei  den  Makusi  werden  gelegentlich  der  Feste  Wettrennen 
veranstaltet.  Der  eigentümliche  Tanz  der  Aruak,  in  welchem  zwei 
gegenttbergestellte  Beihen  sich  paarweise  mit  Peitschenhieben  zu- 
setzen, dürfte  jetzt  nahezu  ausgestorben  sein.  Die  Warrau  haben 
einen  Schildtauz,  zwei  Kämpfer  springen  mit  den  4  Fufs  hohen  und 
3  P'ufs  breiten  Schildern  gegeneinander  und  suchen  einander  vom 
Platz  zu  drängen. 

Eine  besonders  für  ein  allgemeineres  Publikum  sehr  lesens- 
werte Studie  enthalten  die  Kapitel,  welche  den  religiösen  VorsMmgen 
gewidmet  sind.  Hier  zeigt  sich  das  Bemahen  des  Verfassers,  sich 
auf  den  Standpunkt  des  Indianers  zu  stellen  und  den  Fehler  zu  ver- 


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—  284  — 


meinen,  dafs  er,  um  jene  za  beurteilen,  die  Basis  der  eignen 
ADschauuQgen  unterlegt,  im  schönsten  Liebte  und  es  gelingt  ihm  in- 
folge dessen,  auf  entwicklungs- geschichtlichem  Wege  die  innere 
Logik  des  indianischen  Glaubens  in  sehr  geftlliger  Form  zur  Dar- 
stellung zu  bringen.  Seinen  Ausgangspunkt  bildet  der  «Animismus* 
des  roten  Mannes:  wie  der  Mensch,  haben  auch,  nur  dorcii  die 
anfsere  Form  unterschieden,  die  Tiere  ibre  eigene  Sprache,  ja 
Felsen,  Flüsse,  Wasserfälle,  die  Natur  überbaupt,  ihr  seelisches 
Leben.    Jeder  Körper  der  belebten  und  unbelebten  Welt  besitzt  eine 
Seele:  sie  trennen  sich  in  Schlaf  und  Tod.    Dies  Verliältnis  offenbart 
sich  deutlich  im  Traum,  der  anders  unverständlich  wäre.    Der  In- 
dianer zieht  deshalb,  wie  Im  Tburn  mit  einigen  drastischen  Beispieles 
illustriert,  einen  andern,  von  dem  er  im  Traum,e  übles  erfahr^ 
ohne  weiteres  zur  Rechenschaft  heran  und  macht  des  letztaren 
Kdrper  für  die  Streiche  seiner  Seele  verantwortlich.  Der  Glaobe 
an  die  Fortdauer  nach  dem  Tode  ist  in  dem  Animismus  von  selbst 
^thalten,  allein  die  Frage  der  Unsterblichkeit,  der  ewigen  Fort- 
dauer, ist  liiermit  uoc\\  nicht  identisch  und  wird  von  dem  Indianer 
überhaupt  nicht  gestellt.    Was  unter  dem  Namen  ^der  Alte  im 
Himmel"  von  einer  bestinmiten  Gottesidee  zu  existieren  scheint, 
ist  auf  den  Urlieber  des  Stammes  und  die  Abstammung  aus  anderer 
Gegend,  auf  einen   im  Lauf  der  Zeiten   mit   der  Glorie  des 
Mythus  umgebenen  mächtigen  Häuptling  zurückzuführen.  —  Wenn 
jemand  stirbt,  bleibt  etwas,  etwas  geht    Das  Bild   in  der 
Pupille  ist  versehwunden,  heben  die  Makusi  hervor,  damit  ist 
die  Seele  weg.  Nur  durch  den  „  Animismus^  wurd  die  enorme 
Fülle  des  Aberglaubens  Terständlich,  welche  den  beiden  mit 
einer  so  wichtigen  KoUe  im  Iiniiaiieilebeu  bedachten  Instituten  des 
„Kenaima"  und  des  „Feaiman"  anhaftet.    Der  Kenainia,  d.  h.  ein 
Rächer,  ein  Vergelter,  ist  im  stände  —  das  jj^laubt  jeder  Indianer, 
wenn  er  den  Vorgang  auch  von  sich  selber  nicht  verstehen  würde, 
doch  von  jedem  andern  —  jene  Trennung  von  Körper  und  Seele, 
welche  die  Natur  in  Schlaf  und  Tod  vornimmt,  willkürlich  auszu- 
führen und  dadurch  einem  andern  BOses  zuzufügen.   Alles  Übel, 
Kranksein  und  Unglück  ist  das  Werk  irgend  eines  Kenaima,  dem 
die  unsichtbaren  Kräfte  gehorchen.    Gegen  ihn  schützt  nur  eins, 
der  Zauberarzt,  der  Peaiman.    Der  Verfasser  hat  sich  in  einer 
einsamen  Hütte  selbst  den  Prozeduren   eines  solchen  Künstlers 
ausgesetzt,  der  ilun  ein  hartnackiges  Kopfweh  vertreiben  wollte.  Ein 
unaufliörliches  Geheul.  Wechselreden  zwisclien  dem  ventriloquisti.sch 
vorzüglich  ausuebildeten  Peainiau   und  den  in  allen  Dissonanzen 
wimmernden  oder  kreit>chenden,  verschiedenartigsten  Kenaimas,  riefen, 


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^  285 

da  sie  die  Dauer  von  sechs  Stunden  beanspruchten,  einen  stuporöseü 
Zustand  hervor,  welcher  an  der  Macht  des  Zauberers  keinen  Zweifel 
liefe,  wenn  er  auch  die  Kopfschmerzen  steigerte. 

In  nahem  Zusammenhang  mit  den  religidsen  Vorstellungen  des 
Indianers  und  ebenso  mit  geschichtlichen  Ereignissen  der  Vergangenheit 
stehen  eine  Reihe  von  „folk-lore  teils"  und  „fire-side  tales",  die  Im 
Tburn  gesammelt  hat  und  in  einem  besonderen  Kapitel  vorfühil,. 

Der  letzte  Abschnitt  gehört  den  Antiquitäten,  den  Bilderfelsen, 
dm  Muschelhaufen,  den  Steinworkzeugen,  den  Steiiikreisen  und  den 
liuinenstätten  alter  Niederlassungen.  Mit  den  beiden  ersten  Kate- 
gorien beschäftigt  sich  der  Verfasser  etwas  eingehender  und  auf 
Grund  eigener  Forschung. 

Er  unterscheidet  zwischen  zwei  Formen  der  Büdersehriß, 
der  tief  (V«— Vt'O  eingeschnittenen  und  der  blos  oberflächlich 
eingeritzten.  Sie  scheinen  nie  an  demselben  Orte  aufzutreten; 
jene  findet  sich  am  Mazeruni,  Essequibo,  Ireug,  Gotinga,  Potaro 
und  lierbice,  diese  nur  an  dem  Corentyn  und  seinen  Nebenflüssen, 
wo  sie  aber  häutig  vorkommt;  die  erstere  sei  wahrscheinlich  mit 
geschärften  Werkzeugen,  die  letztere  durch  Reibung  mit  Steinen 
und  feuchtem  Sand  hervorgebracht.  Auch  das  Sujet  ist  verschieden. 
Der  typisch  wiederkehrende  Gegenstand,  den  die  Flachzeichnung 
darstellt,  ist  eine  lang  rechteckige  Figur,  die  durch  einen  mit  Kadien 
besetzten  Halbkreis  gekrönt  wird.  Die  Tiefbilder  hingegen  sind 
immer  in  grdfserer  oder  geringerer  Anzahl  auftretende  rohe  Nach- 
ahmungen von  Menschen,  Affen,  Schlangen  u.  a.,  oder  sehr  einfache 
Kombinationen  einiger  graden  oder  krummen  Linien,  und  stets  bedeutend 
kleiner  als  die  Flachbilder.  Durch  eine  am  Rio  Negro  befindliche 
Darslelluü.i;  eines  Schiffes  nach  Art  einer  spanischen  Gahone,  die 
etwa  dem  16.  Jahrhundert  angehöre,  werde  bewiesen,  dafs  die  Kunst 
noch  nach  dem  Erscheinen  der  ersten  Europäer  ausgeübt  worden 
sei.  Das  beschriebene  Rechteck  vergleicht  Im  Thum  mit  einer  öfters 
in  Mexiko  gemalten  ähnlichen  Figur,  die  eine  derartige  Überein- 
stimmung zeige,  dafs  man  sich  des  Gedankens  einer  gewissen 
Yerbindung  zwischen  den  beiden  Landern  nicht  erwehren  könne. 

Die  EjSkkenmdädmger^  deren  etwa  ein  Dutzend  bekannt  ge- 
worden sind,  sind  alle  auf  den  Pomeroondistrikt  beschr&nkt  und 
befinden  sich  immer  nahe  fliefsendem  Wasser  in  stark  geschfltzter 
Lage.  Der  gröfste  ist  bei  Sireeki,  250'  lang,  90'  breit,  20-25' 
hoch.  Sie  bestehen  hauptsilchlich  aus  Anhäufungen  von  Schalen 
der  Neritina  lineolata  und  sind  schichtenweise  angeordnet,  indem 
sie  in  gewissen  Abstünden  durch  ein  dünnes  Stratum  einer  harten, 
gebrannten  Masse  unterbrochen  werden.  In  geringerer  Anzahl  und 


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—  28«  — 

2\var  um  so  häufiger,  je  naher  der  ürinocomüudung.  .sind  auch 
Austerschalen  eingeschh^ssen.  Man  hat  im  übrigen  gefunden:  zer- 
streut Menschenknochen,  die  zur  Entleerung  des  Marks  gespalten 
waren,  Steinwerkzeuge,  grofse  Mengen  scharfkantiger  Fragmente 
Yoo  h&ibdurchscheinendem  Quarz,  und  vereinzelt:  silberne  Orna- 
mente, Topfscherben  o.  a.  In  dem  Piraccahaufen  entdeckte 
Im  Thurii  3  Fdis  unter  der  Oberfläche  das  Rdhrchen  einer  Tabakspfeife 
von  europäischer  Arbeit  Er  ist  der  Ansicht^  dafis  die  Muschel- 
haufen von  Echten  Earlben  herrflhren,  welche,  von  den  Inseln  kom- 
mend, hier  in  feindlichem  Gebiet  landeten  nnd  gen((tigt  waren,  ein 
elendes  Leben  zu  fristen;  so  erklären  sich  der  Kanibalismus,  die 
festungsartige  Position,  die  Austern,  der  beschränkte  den  Antillen 
nächst  gelegene  Distrikt;  ferner  die  srhlechten  Werkzeuge,  das 
mangelnde  Töpfergeschirr  des  für  seine  Streifzüge  nur  mit  dem 
Notwendigsten  ausgerüsteten  Indianers.  Die  Hypothese  ist  geschickt, 
aber  nicht  recht  ttberzeugend.  Alles  freilich,  was  zu  gunsten  eines 
niedrigen,  armseligen  Volksstammes  spricht,  pafst  auch,  für  den 
raublustigen  Abenteurer  einer  höherstehenden  Nationalität.  Warum 
sollen  die  Warrau,  die  nachweislich  jene  Gegenden  bewohnt  haben 
nnd  noch  heute  in  kleinem  Malsstabe  Muschelhaufen  anlegen,  sich 
niemals  auf  das  Meer  gewagt  und  einige  Austern  mitgebracht  haben, 
sie,  die  besten  Kanubauer?  Dafs  sie  heute  ein  miserables  Volk 
sind,  beweist  nichts  gegen  früheren  Kannibalismus,  wie  Im  Thurn 
deduziert.  Und  sind  auf  den  Antillen  Muschelhaufen  nachgewiesen? 
Kamen  die  Kariben  nur  an  der  Orinocomündung  in  die  Lage,  sich 
so  dürftig  zu  ernähren? 

Im  Thurn  ist  nun  einmal  von  der  Ansicht  beherrscht,  dafs  die 
Kariben  tlber  die  Antillen  eingewandert  seien,  und  l&uft  Gefahr,  die 
Konseqnenzen  jener  Hypothese  zugleidi  als  GrOnde  fftr  dieselbe  zu 
Yerwerten.  Am  Ufer  des  Flusses,  in  dessen  Niederung  die  Musdiel* 
häufen  zerstreut  sind,  lebt  der  Verfasser  allem  Anschein  nach  noch 
gegenwartig:  wenn  dementsprechend  zu  hoüeii  steht,  dafs  er  seine 
Untersuchungen  fernerhin  vervollständigt,  sei  ihm  vor  allem  die 
Linguistik  ans  Herz  gelegt.  Alle  anderen  Schlüsse,  so  viele  mehr 
oder  minder  wahrscheinliche  Vermutungen  sie  anregen  mögen, 
werden  bei  der  enormen  Verschiebung  jener  Völkerschaften  unsicher 
durch  die  Verwischung  jeder  klaren  Grenze:  die  Wege  sind  aus- 
getreten und  eine  Spur  loscht  die  andere.  Vielleicht  sind  die 
physischen  Merkmale  noch  zfther  in  der  Erhaltung  und  widerstands- 
fthiger,  was  nfltzt  es,  wenn  ihre  Differenzen  so  subtil  sind,  dafs  sie 
unserer  Bestimmung  entschlapfen?  Jedenfalls  hat  man,  wie  Stdü 
tttr  die  Mayasprachen  Guatemalas  nachweist,  die  Veränderlichkeit 


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-  287  — 


der  anierikanischea  Idiome  sehr  überschätzt;  man  iniifs  nur  das 
Wiciitige  und  nicht  das  Nebensächliche  vergleichen.  Es  ist  aber 
die  höchste  Zeit,  systematisch  zu  sammeln.  Warnend  erhebe  sich 
vor  jedem,  der  beim  Zusammensturz  der  indianischen  Welt  aoch 
retten  und  bergen  will,  die  gespenstige  Erseheinung  des 
Atttienpagays. 


§  Ans  der  Geographischen  Oesellschaft  in  Bremen.  Kürzlich  ist  als  eines 
der  wichtigsten  wissenschaftlichen  Ergebnisse  der  von  unserer  üeseUschaft  in  den 
Jahren  1881  und  1882  veranstalteten  Beise  nach  Nordostasien  und  Nordwest» 
amerika  im  Verlag  tob  Hermaiiii  Coetenoble  in  Jena  das  Werk:  die  Tlinkit- 
Indianer,  von  Dr.  Aurel  Kranse,  im  Umfiuig  von  4S0  Drookseiten  und 
ausgestattet  mit  einer  Karte,  4  TMn  nnd  32  illnstrationen  ersdüenen.  Der 
YerfiMser  dieser  ansgezeiehneten,  auf  sorgOttigen  eigenen  Beobachtungen  und 
einem  umfassenden  und  gründlichen  Studium  aller  früheren  Reiseberichte  und 
bezüglichen  Werke  beruhenden  Arbeit  leitet  dieselbe  im  Vorwort  u.  a.  mit  folgen- 
den Bemerkungen  ein:  „Die  lebhafte  Teilnahme,  mit  welcher  gegenwärtig  ethno- 
logische Forschungen  verfolgt  werden,  mufs  jedem,  der  mit  eigenen  Angeii  den 
drohenden  Untergang  der  Naturvölker  wahrgenommen  hat,  aufs  vollste  gererlit- 
fertigt  erscheinen.  Wohl  entbehren  noch  weite  Strecken  unseres  Erdballes  einer 
gründlichen  Untersuchung  in  geographischer  und  naturwissenschaftlicher  Be- 
tiehnug;  nodi  'kokt  der  Entdeekermhm  den  Beisenden  in  polare  Eiswftsten  und 
in  das  unbekannte  Innere  der  anfoereoropiiseben  Kontinente;  aber  die  natOr^ 
liehe  Beschaffenheit  der  Erdoberfliche  verftndert  sich  nnr  langsam,  und  ohne 
groiMn  Nachteil  fAr  den  allgemeinen  Fortschritt  der  phTsischen  Wissenschaften 
können  diese  Forschungen,  so  wichtig  sie  auch  sind,  kommenden  Geschlechtern 
überlassen  werden.  Die  NaturTÖlker  dagegen,  bei  denen  der  ruhige  Qang  der 
Entwickelung  durch  die  Berührung  mit  der  Zivilisation  jäh  nnterbrochpn  worden 
ist,  gehen  aller  Orten  einer  schnellen  Umwandlung  und  Kntartung,  oder  selbst 
völliger  Vernichtung  entgegen.  Vergeblich  werden  sich  S{)ütere  Jahrhunderte 
bemühen,  die  Versuinnnissc,  welche  die  Geg*  nwart  durch  die  Vernachlässigung 
der  noch  vorhandenen  Reste  dieser  Volker  sich  hat  zu  Schulden  kommen  lassen, 
wieder  gat  zu  machen.  Gerade  der  durch  die  Erfindungen  der  Nensait  ein- 
geleitete gewaltige  Anftchwnng  in  der  Entwickelung  des  Henscheng^cUeehts, 
der  aneh  die  Wissenschaften  anf  eine  kanm  geahnte  HOhe  gehoben  hat,  droht 
einer  der  jAngsten  derselben,  der  Ethnologie,  den  Boden  tn  entdehen.  Wohl  ist 
die  Wichtigkeit  ethnologischer  Forschungen  allgemetn  awrkannt ;  lehrt  uns  doch 
das  Stadinm  der  Naturvölker  die  Qeschi«  lilo  unserer  eigenen  Vorzeit  verstehen, 
indem  es  uns  einen  Blick  in  dus  Völkerleben  derjenigen  Zeiten  eröffnet,  über 
die  schriftliche  Aufzeichnungen  nicht  vorhanden  sind.  —  Aber  die  Aufgabe  ist 
nicht  leicht.  Es  genügt  nicht,  dals  der  Entdeckungsreisende  hier  und  da  Beob- 
achtungen macht,  die  er  bei  der  Schilderung  seiner  Reiseerlebnisse  gelegentlich 
mitteilt;  es  genügt  nicht,  dals  die  ethnologischeu  Museen  sich  mit  den  Qebrauchs- 


Kleinere  Mitteilungen. 


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gegenständen  ünd  Knnsteneagnissen  der  Naturvölker  füllen,  &o  wichtig  auch 
dergloiehen  Sttomilungen  sind.  Em  QmftaBend«ie8  Stadium  that  not,  am  ob 
m&gUchst  tnaes  Qeiamtbild  Toa  dem  Leben  der  Natortölker  za  gewimien;  m 
liogerer  Veikehr  mit  ihnen,  die  Kenntnis  ihrer  Sprache  ist  erforderlich,  um  ihre 
Gehr&nche  ond  ihre  religiösen  VorsteUonf^en  Terstehen  za  lernen  und  in  ihren 
Gedankengang  einzudringen.    Die  vorliegende  Arbeit,  das  Ergebnis  einer  von 
meinem  Bruder  und  mir  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  onternommeneu  Heise 
nach  der  Nordwestküste  Amerikas  uiui  eims  fast  einjährigen  Aufenthalts  unter 
den  Tlinkit  -  Indianern,  kann  nur  als  em  kleiner  Beitrag  zur  Geschi<  litc  der 
amerikanischen  Völker  angesehen  werden.   Die  Zeit  war  zu  kurz,  die  Vorbildung 
für  di'U  besonderen  Zweck  zu  gering,  unsere  Thätigkeit  bei  beschränkten  Mitteln 
zu  vielüu  Ziuleu  zugewuudt,  als  duls  das  Ergebnis  em  allseitig  beiriodigeudes 
hüte  sein  können.   Wenn  ich  mich  trotsdem  dasa  entschlossen  habe,  auf 
Qrond  unserer  Ermittelnngen  ond  der  voifaandenen  Litterahir  die  nachstehende 
SchUderang  des  11inkit>Yo1hes  an  geben,  so  bewog  mich  dasa  einmal  die  ün- 
snlfingliehkeifc  der  bisher  Uber  dieses  Volk  Tsröffentlichten  Nachrichten,  dann 
die  Übeisengong,  dafs  eine  omfusendere,  aof  eigenen  Beobachtungen  beruhende 
Arbeit  von  anderer  Seite  kaum  zu  erwarten  ist,  ja  bald  nicht  mehr  möglich 
sein  wird."    Gehen  wir  nun  etwas  näher  auf  den  Inhalt  des  Werkes  ein,  so 
dürfen  wir,  Bezug  nehmend  auf  die  in  dieser  Zeitschrift  früher  veröffentlichten 
Reiseberichte  d«r  Herren  Gebinider  Krause,  über  die  Einleitung,  welche  den 
Verlauf  der  ganzen  Reise  nach  Tschuktschenland  und  Alaska  kurz  schildert, 
hinweggehen.    Das  cnste,  mit  .Hi.storische  Übersicht"  bezeichnete  Kapitel  ist  ein 
höchst  wertToller  Beitrag  zur  geographischen  Entdeckungsgeschichte,  insofern 
als  nicht  blos  die  deutschen,  englischen,  amerikanischen,  franaösischen  und 
spanischen  Beiseberichte,  sondern  auch  die  in  mssisdier  Sprache  vorhandenen 
Qaellenschriflen,  namentlich  die  Berichte  der  mssisch-amerikaaisGhea  Kompagnie, 
die  Werke  von  Tichmenew  und  Weniaminow,  im  ^uisen  über  100  Werke  bei 
Ausarbeitung  dieser  historischen  Darstellung  benutzt  wurden.  Dieselbe  ist  über- 
sichtlich in  drei  Abteilungen:  Periode  der  Entdeckungsfahrten  von  lä88 — 1794, 
Periode  der  russischen  Herrschaft  und  Periode  der  amerikanischen  Herrschaft, 
geordnet;  bedeutende  Gestalten,  organisatorische  Talente  ersten  Uau^i  j.,  wie  jener 
Alexander  Baranow  und  der  Priester  Weniaminow.  treten  uns  m  der  hiiiieruug 
der  an  Kämpfen  und  Anstrengungen  für  das  Zivilibierungswerk  reit  lu  ii  rus.si.schen 
Herrschaft  entgegen.  Das  zweite  Kapitel  enthält  eine  geographische  Beschreibung 
des  vom  66l  bis  60.  Oxad  n.  Br.  sich  entieckendea  Wohi^sebiets  der  TUnkifts; 
die  Felsenkftste  ist  serrissen,  vielfach  ausgebachtet  und  dnxch  Meeresanne  in 
Inseln  geteilt,  deren  Inneres  grolsenteils  noch  unbekannt  Die  Gebixge  und  volkaai* 
sehen  Erscheinungen,  die  heilsen  Quellen,  der  geognosUsche  Bau,  die  Erse  ond 
nutzbaren  Mineralien,  die  geringe  Zahl  der  FluliBläufe,  die  Wittemngsverhältnisse, 
die  durch  reichliche  Niederschläge  bedingte  üppige  Vegetation,  das  l'ierlebeu 
und  besonders  der  grofse  Fischreichtum  der  Gewässer  werden  naher  dargelegt 
Die  folgenden  Kapitel,  2 — 14,  bilden  nun  den  Hauptinhalt  des  Buchs,  eine  voll- 
standige  Monographie  der  Tlinkit- Indianer ;  wir  heben  daraus  folgende  Punkte 
hervor:   Name,  Zahl,  Einteilung  in  Stanunc  und  Geschlechter;  die  W\)huwoi.-jc. 
Kleidung  und  Schmuck;    Gesundheitszustand,  geistige  Fähigkeiten,  Sklaverei; 
das  Leben  im  Hause  und  am  Herd;  Beschäftigung  der  M&nner  und  Frauen; 
Spiele,  die  Achtung  vor  dem  Eigentum,  die  germge  Reinlichkeit  Haupt- 
beschfiltigangpn  der  ICftnner  sind  Jagd,  Fischerei  und  Handel  Wie  vir  aber 
auf  der  Ausstellung,  welche  hier  in  Bremen  ans  den  von  den  Qebrfidem  Kians» 


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—  289  — 

nntgebrachten  Sammlnnt/on  voraiist.iltct  wurde,  f^cselien  haben,  sirul  die  Tlinkits 
auch  ein  Industrievolk;  an  der  Ausübung;  der  bei  ihueu  heimischen  originellen 
Kunstgewerbe  sind  vorzugsweise  die  Frauen  beteiligt;  mit  zum  Teil  sehr  primi- 
tiven Werkzeugen  werden  die  verschiedenartigsten  Gegenstände  des  Haushalts, 
Kleider  und  Schmucksachen,  Hausgerät  aller  Art  aus  dem  Material,  welches  die 
Naftur  bietet,  gesohiiHBt  und  g^sdiiiiiedet,  geflochten  und  gttfrebi  Sehr  ein- 
gehend sind  die  Kittmlungen  ther  die  meist  vom  TerfiMBer  selbst  beobachteten 
Sitten  nnd  Oebrinche,  Uber  die  Feste,  Aber  Streit  nnd  Kampf,  endlieh  Aber  die 
Mythen  nnd  das  Schamanentam.  Bs  folgen  Bniefato  ttber  Naehbarrölkeri 
namentlich  die  Haidas,  die  Tschimssians,  die  Bilballa  und  die  Völker  im  Innern 
von  Süd-Alaska.  AuTserordentlich  wichtig  sor  ethnologischen  Kenntnis  eines 
Volkes  ist  natürlich  die  Sprache;  hierüber  enthält  Kapitel  14  eine  Reihe  von 
Beobachtungen,  welche  die  Lautbildung  und  den  Bau  der  Sprache  betreffen; 
es  wird  ein  ziemlich  umfangreiches  Wörterverzeichnis  mitgeteilt.  Eigentümlich 
ist  die  Zeitrechnung  der  Tlinkits:  das  Jahr  wird  in  zehn  Monate  von  ver- 
schiedener Zeitdauer  eingeteilt;  August  bis  Oktober  heiTst  z,  B.  der  grofse  Monat, 
NoTember  heilst:  Schnee  auf 'den  Bergen,  Dezember:  der  erste  Schnee  fallt, 
Apffl:  die  eisten  Blnmen  erscheinen,  Jnni:  die  YOgel  legen  Bier  n.  s.  t  Der 
Anbang  enthält  anf  18  Seiten  ein  Teneichnis  der  Yon  dem  Teifuser  benntsten 
üttecatar,  ein  alphabetisehes  Verzeichnis  der  in  dem  Buch  vorkommenden  Namen, 
endlich  eine  instruktive  Erklärung  der  vier  illnstrierten  Tafeln,  weldie  die  Hans- 
und die  Fischerei  gerate  der  Tlinkit,  die  Bereitung  des  Fischöls,  sowie  endlich 
Waffen  und  verschiedene  Geräte  veranschaulichen.  Aolserdem  finden  wir  im 
Text  32  ansprechend  ausgeführte  Abbildungen,  welche  Tlinkits  in  ihren  ver- 
schiedenen Beschäftigungen,  Landschaften,  Häuser,  Holzschnitzereien,  namentlich 
Wappenpfähle  u.  a.  darstellen.  Endlich  ist  eine  von  Dr.  Krause  entworfene 
ethnographische  Karte  des  südöstlichen  Alaska  beigegeben,  welche  die  Wohn- 
gebiete der  verschiedenen  Indiauerstamme  bezeichnet  —  Wir  zweifeln  nicht,  dais 
die  IGlgliedflr  md  l^ennde  unserer  Qeaellaehalt  ihr  Interene  durch  Abnahme 
eines  Exemplais  des  Werks,  dessen  Preis  ein  sehr  mSbiger,  11  lisrk,  ist,  bethitigen 
werden  nnd  möchten  diese  lüttoflnng  nicht  scblieÜBen,  ohne  darauf  aniinertaam 
an  machen,  dab  Ton  den  Herren  Gebrttder  Kranse  bis  sor  Pnblikation  dieses 
Buchs  15  Berichte  und  Arbeiten  verSliuitlieht^  die  mitgobraehten  naturwissen- 
schaftlichen nnd  ethnographischen  Sammlungen  den  Massen  in  Bremen,  Bam- 
bule und  Berlin  überwiesen  und  dafs  diese  Sammlungen  bis  jetzt  erst  zum 
kleinsten  Teil  bearbeitet  wurden;  15  Fubiikationen  sind  bis  jetst  darüber  er- 
schienen. 

Unser  korrespondierendes  Mitglied,  Herr  Dr.  F.  Hirth,  übersendet  uns 
folgende  gelehrte  Publikation:  China  and  the  Roman  Orient:  researches 
iuto  their  ancient  and  mediaeval  relations,  as  represeuted  in  old  Chinese  records 
bj  F.  Birth.  Leipzig  nnd  Manchen  bei  0.  Birth,  Shanghai  nnd  Hongkong  bei 
Kelly  ft  Walsh.  Als  das  Ergebnis  seiner  gelehrten  Untenmohnngen  beaeichnet 
der  Ver&sser,  dalb  das  Iiand  Ta-te*in,  der  «ferne  Westen'  d«r  alten  chinesischen 
SehriftsteDer,  nidbt  das  römische  Reich  mit  Born  als  Hauptstadt,  sondern  der 
Miehe  Teil  desselben:  Qyrien,  Ägypten  und  Kleinaaien'  gewesen  sei 

Polarregionen.  Die  hydrographischen  Beobachtungen  der 
Nordens kjöldschen  Expedition  nach  Grönland  im  Jahre  1883 
sind  von  Axel  Hamberg  bearbeitet  und  von  Nordenskjöld  in  den  Proceedings 
of  the  royal  geographica!  society  mitgeteilt  worden.   Im  folgenden  wollen  wir 

G«Ofr.  Blätter.  Bremen  188&.  21 


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—  290  — 

die  wichtigsten  derselben  kurz  wiedergeben.  Sie  beziehen  sich  nur  anf  Salz- 
gehalt und  iempcruiur  iu  verschiedeueu  Tiefen,  Richtung  and  Geschwindigkeu 
der  StrOmung  achoinen  wohl  wegen  Zeitmangels  leider  nicht  beobaehtei  zu  sein, 
und  doch  wftiden  diese  etat  mancheii  ans  den  erstertn  gezogenen  Sehlüssea 
ihre  rechte  Bedentniig  und  Chmndlage  geben.  —  Das  spesifische  Qewicht  wurde 
mit  feinen  nnd  sorgfiltig  geprfliten  Ariometem  bestimmt^  da  diese  jedodi  stets 
im  Vergleich  zn  der  Tolnmetrisohen  Analyse  mit  salpetersanmm  Silber,  sich  als 
unsicher  erwiesen  haben,  so  wurden  eben&lls  Chlorbestiaunnagen  TOrgmonimen, 
welche  sehr  gat  unter  einander  stimmten. 

Die  Dänemarkstrasse  zwischen  Island  und  Grönland  ist  vom  hydro- 
graphischen Standpunkte  von  besonderem  Interesse,  weil  Strömungen  von  ganz 
verschiedener  Art  sich  hier  auf  einem  verhiiltnisnuilsig  kleinen  Paiura  begegnen. 
Die  warme  oder  Irmingerströmuug,  welche  die  West-  und  Nordküste  Islands 
bespült,  ist  durch  die  dänische  Expedition  der  „Fylla^lS?? — 78  recht  gut  unter- 
sacht worden,  während  der  an  der  Ostkfiste  Grönlands  henmtersetseade  ksHe 
Strom  nnr  an  der  Kante  Ton  Kapitin  Honrier,  Kommandanten  des  »Ingolf , 
im  Jahre  1879  etwas  studiert  worden  ist  Der'letsfcere  beobachtete  während 
seiner  Fahrt  Ifings  des  Pf^axstroms  stets  eine  verhältnism&lsig  hohe  Temperstor 
am  Boden  des  Meeres  und  schlofs  daraus,  dafs  der  Polarstrom,  nachdem  er  die 
Bodenanschwellnng  awischen  Island  nnd  Grönland  passiert  hat,  auf  einer  Schicht 
verhältnismafRig  warmen  "Wrissers  dahinfliefst.  Dieses  Resultat  ist  von  der 
Nordeuskjüldschen  Expedition,  welche  den  Polarstrom  durchqueren  konnte, 
vollauf  bestätigt  worden.  Die  von  Hamberg  aus  den  Beobachtungen  gezogenen 
Schlüsse  sind  die  folgenden: 

1)  Der  kalte  Folarbtrum  au  der  Ostküste  Grönlands  fliefst  in  seinem 
ganzen  Verlaufe  von  66  ^  bis  Kap  Farvel  anf  warmem  Wasser.  Abgesehen  Ton 
einer  sehwaohen  gelegentlichen  Erwärmung  der  oberen  Schichten  (die  wohl  dnreb 
die  Einstrahlung  der  Sommersonne  bewirkt  wird)  nimmt  die  Temperatnr  ?on 
oben  nach  nnten  so.  2)  Die  vertikale  Dicke  des  Polarstiomes  scheint  von  der 
Tiefe  des  Meeres  abhängig  an  sein,  derart,  dab  die  Temperatur  0^  erst  in 
gräberer  Tiefe  gefonden  wird,  wenn  die  Tiefe  des  Wassers  gröfser  ist  3)  In  dem 
wärmeren  Wasser  des  atlantischen  Oceans  aulserhalb  der  Polarströmung  nimmt 
die  Temperatur  natürlich  von  oben  nach  unten  ab.  An  der  Grenze  beider 
Gewässer,  des  Polarstromes  und  des  atlantischen  Oceans  nimmt  die  Temperatur 
zuerst  dem  Polarstrom  entsprechend  zu,  später  dem  Gesetze  des  atlantischen 
Oceans  gemäfs  ab.  4)  Wie  schon  Hoffmeyer  augedeutet  hat,  ist  das  Ober- 
flächenwasser der  kalten  Strömung  weniger  salzhaltig  als  das  Wasser  des 
wärmeren  Irnüngerstromes.  Es  findet  nahezu,  wenigstens  in  gewissen  Grenzen, 
Fioportionslitftt  awischen  Salzgebslt  nnd  Temperatur  statty  indes  eine  höhere 
Tempeiatnr  stets  einen  grOfiseren  Salzgehalt  andeutet  ö)  nnd  6)  Es  scheint, 
dab  der  Salzgehalt  im  Sommer  im  Sfiden  höher  ist  als  im  Norden 
nnd  dals  dies  Yeiiiältnis  mit  den  Jahreszeiten  wahrscheinlich  starken 
Änderungen  unterworfen  ist.  7)  Innerhalb  des  Polarstroms  findet  eine  rasche 
Zunahme  des  Salzgehaltes  mit  der  Tiefe  statt.  8)  In  dem  Irmingerstrom  wurde 
eine  langsame  Zunahme  des  Salzgehalts  in  den  oberen  Schichten  und  eine 
langsame  Abnahme  in  den  unteren  gefunden.  9)  Trotz  der  Zunahme  der 
Temperatur  mit  der  Tiefe  innerhalb  des  Polarstromes  und  der  Abnahme  des 
Salzgehaltes  innerhalb  des  Irmingerstroraes  ist  doch  die  Zuiiahnif  des  Salz- 
gehaltes in  dem  einen  und  die  Abnahme  der  Temperatur  lu  dem  anderen  ge- 
nügend, um  an  bewirken,  dafii  in  beiden  Strömungen  eine  regehnäüuge  Zonakme 


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—  291  — 

des  BpMifiMiwD  Oewklits  (bei  der  TtompentiU'  in  rituX  also  eine  Lageiuug  dea 
Waaeen  nach  dem  bekanntea  physikalucheii  Qetetse  etatlfiiidet  10)  Das 
spesifiache  Gewicht  bei  der  Temperatur  in  ritn  iat  bei  deraelben  Tiefo  geringer 
innerhalb  der  Bohnatrömimg  ab  anberhalb  deiaelben.  Der  kalte  Strom 
fiiefst  daher  Über  einen  kompakten  Strom  «armen  Wasseta  ans  dem  atbuitiachen 
Oceaa  hin. 

In  Folge  des  beträchtlich  niedrigeren  spezifischen  Gewichtes  des  kalten 
Stromes  drängt  sich  die  warme  and  schwerere  Strömung  unter  den  erstereu 
und  hebt  denselben  in  die  Höhe. 

Diese  Hebung  kann  in  dem  südlichen  Teile  während  des  Herbstes  (nach 
den  Beobachtungen  lu  öy^  43'  N.  und4.i^  iti'  W.)  auf  0,10  m*)  gebchütut  werden. 
Da  aber  das  Wasser  dea  Pobntromes  im  Norden  weniger  sidzhaltig  zu  sein 
aoheint  als  im  Sflden,  so  mnfii  der  nfirdliehe  Teil  noch  höher  liegen  and  der 
Strom  wird  an  der  OatkQste  GMnlanda  eine  naoh  Sfiden  ganeigto  Fliehe  hinab- 
flielhen,  wobei  aatOrlich  gehörige  Bftekaicht  aof  kleine  Diveigcnien  vnd.  die 
Ansiehung  dea  festen  Landes  genommen  wetden  mnCk  Je  gatinger  der  Salz- 
gehalt, desto  st&rker  sollte  die  Neigang  sein,  desto  grdfiMT  aber  auch  die 
Geschwindigkeit  der  Strömung.  Folglich  mübte  die  StrdmnngageschwindiglLeit 
den  Veränderungen  des  Salzgehaltes  entsprechen. 

Hieran  schliefst  sich  eine  kurze  Diskussion  der  Frage,  zu  welcher  Jahres- 
zeit der  £isgürtel  au  der  Südostküste  Grönlands  am  leichtesten  durchsegelt 
werden  könne.  Wir  begnügen  ans  damit,  das  Resultat  su  resümieren,  zu  dem 
Herr  Hamberg  gelangt  ist 

Gestützt  auf  daa  Obige  können  wir  annehmen,  dafo  der  Folarstrom  schon 
im  Januar  nnd  Febmar  in  aainem  nördlichen  Tefle  ansnaehwdlen  beginnt, 
sein  Maximum  wfthrend  der  FriUgahrsmonate  erreicht  und  w&hrend  des  Sommers 
in  Stirke  abnimmt,  10  daii  er  wihrend  des  Herbatas  nnd  Wintesa  verhittnia- 
mibig  wenig  bedeutend  iat  Alle  diese  Teiinderungm  treten  im  afidlichen 
TeQe  natürlich  später  auf  als  im  nördlichen. 

Es  wird  dann  ausgeführt,  dafs  alle  früheren  vergeblichen  Versuche,  die 
Ostküste  Grönlands  zu  erreichen,  im  Juni  bis  zur  ersten  Hälfte  des  August 
gemacht  worden  seien,  während  der  erfolgreiche  Versuch  Nordenskjölds  im 
September  ausgeführt  wurde. 

Wenn  Herr  Hamberg  dann  die  Frage  aufwirft,  ob  ein  Versuch  im  Ok- 
tober oder  November  nicht  noch  erfolgreicher  sein  würde,  so  glaubt  Referent 
dieae  Fhige  entsehieden  raneinen  an  mHaaen,  demi  in  dieaen  Uonaten  iat  die 
BUdnng  jungen  Eiaea  snriiehen  den  Schollen  achon  ao  erheblich,  dab  jedea 
Dorchdringen  denelben  nnmö^^ieh  aein  dttrfte;  anch  beginnt  dann  die  atfirmiache 
Jahieaaeitr  welche  daa  Eia  von  Norden  her  in  raachere  Bewegung  aetit  nnd 
neben  aehnellerem  Wechsel  in  der  Laga  dea  Eiaea  namentlich  anch  gröfime 
Massen  derselben  nach  Süden  führt 

Überhaupt  dürfte  es  gewagt  sein,  aus  dem  einmaligen  Gelingen  der  Er- 
reichung Ost-Grönlands  auf  66  Schlüsse  mit  Bezug  auf  die  Möglichkeit  öfteren 
Erfolges  zu  sichern. 

Es  ist  zu  bedauern,  dafs  Herr  Hamberg  weder  die  meteorologischen  Ver- 
hältnisse, noch  die  Strömungen  dieser  Gewässer,  soweit  sie  nach  Richtung  und 

Dieaer  Wert  acheint  nm  daa  sehnfiache  in  grob  in  aein.  Die  be* 
treffenden  spesHIachen  Gewichte  sind  ninlicsh  folgende:  ObeiflAehe  1/18686, 
in  aOO  m:  1,08716. 


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—  292  — 

Geschwindigkeit  bekannt  sind,  in  den  Bereich  seiner  Untezsnehiingeii  gezogen 
bat  Er  wflide  maaeha  sainer  Folgemngen  daducli  noch  weitar  haban  arliiitaa 
können  und  ar  wftide  Tiallaicht  Ar  ainige  aman  andaran  Oeaiohtepiuikt  ge- 
wonnan  haben,  wota  wir  ? or  allam  dia  üraachan  dar  Polantxömuagan  laehnaa, 

welche  wir  eher  den  herrschenden  Winden  *)  als  dan  Vanohiadanheiten  des  Salz- 
gehalts soBchreiben  mdchten.  Frailich  ist  nicht  zu  verkennen,  daCi  die  Beob- 
achtungen, (leren  He»n«fthnng  wir  gawUnacht  h&tten,  grolÜBe  nnd  ampfindlicha 

Lücken  aufweiüeu. 

Im  dritten  Abschnitt  wird  die  Existenz  des  von  Petermaun  behaupteten 
warmen  Stromes  in  der  Baffins-Bai,  welcher  sich  bis  in  den  Sinith-Sund,  Jones- 
Snnd  und  Luucaster-Sund  hiueiu  erstrecken  sollte,  näher  erörtert.  Dr.  Bessels 
von  der  Polarisexpedition  glaubte,  dals  diese  von  Peteruiann  als  Verzweigung 
dea  GolCrtiomB  anganommana  StiÖmiuig  nicht  axirtiafa  nnd  in  dar  That  ha4 
aach  dia  Nordanalgdldacha  Expedition  längs  dar  W«atkfiBla  Qrftnlandt  mir 
niadriga  Tamparator  gaAinden.  Dam  gegenübar  wird  jadooh  auf  dia  Thirfncfaa 
hingewiesen,  daCs  Carpantar  fem  von  dar  grdnUndiaehan  Kflata  aaUiBt  noch  bis 
78®  Bieite  Schichten  vcrhältnismäCsig  warmen  Wassers  nachgewiesen  habe  und 
barvorgahoben ,  dafs  der  doch  thatsächlich  ezistiarande  Polarstrom  an  der 
amerikanischen  Küste  notwendig  einen  Gegenstrom  aus  dem  atlantischen  Ocean 
zur  Folge  haben  müsse.  Dies  beweise  auch  das  von  Irniinger  bereits  vor  30 
Jahren  nachgewiesene  Umbiegen  des  an  der  Ostküste  üroulands  herunter- 
kommenden Eises  nach  Norden  in  die  Baffins-Bai  hinein.  Die  Abkühlung  durch 
eben  dieses  Eis  sei  nun  auch  die  Ursache,  dals  sich  die  aus  dem  atlantischen 
Ooaan  nacb  Nordan  sataenda  Str5nmng  aiob  nicht  durch  hdbare  Wanurtamperatnr 
vanata.  Diata  AnÜMinng  scheint  doxchans  anneiunbar  an  sein.  Wann  aber 
dia  Patarmannsoha  Anaioht,  dab  dieia  StrOmnng  ain  Zweig  das  ,OolCrtn>Bia' 
sei»  adoptiart  wird,  ao  ist  dam  geganikbar  daranf  sn  varwaisan,  dab  dia  naaara 
Auffassung  dem  Qtdfirtrom  als  solchem  eine  viel  beschränktere  Ausdehnung 
giabt.  Die  in  Frage  stehende  Strömung  dArfta  eine  AusgleichnngMtr&mnng, 
hervorgerufen  durcii  den  im  Westen  herabkommenden  Polarstrom,  sein  und 
dürt'ie  daher  aus  den  benachbarten  Meeresteilen  herstammen,  was  natürlich 
nicht  ausschliefst,  dafs  westindische  Treibprodukte,  welche  an  der  westgron- 
ländischeu  Küste  gefunden  wurden,  gelegentlich  aus  dem  Golfstrom  in  die  nord- 
atlantischö  Driftstroinung  und  aus  dieser  in  die  Baftinshaiströmung  übertreten 
könneUi  so  dan  Anschein  hervorrufend,  als  ob  das  Wasser  der  letzteren  direkt 
ans  dem  GolMrom  stamme. 

Dar  fotgenda  viarta  Abschnitt  ist  der  Erftrtamng  eigentAmliebsr  Tampa- 
latnrrarbiltaissa  das  Wasaais  in  den  giOnlftadisehaa  Fjorden  gawidmai  Dia 
Beobachtungen  ergeben  nämlich,  daJs  dia  Tampaiatnr  an  der  Oberfliche  (im 
Sommer)  recht  hoch  ist,  dann  rasch  abnimmt,  in  etwa  150  m  Tiefe  ein  Minimum 
unter  Null  erreicht  und  von  da  ab  bis  zum  Grunde  wieder  nicht  uncrhebUob 
(zwischen  1  und  2^/^  Gradi  zunimmt.  Der  Salzgehalt  des  Wasser.s  folgt  dem 
oben  unter  4  erwähnten  lUsultat,  dafs  er  mit  der  Temperatur  abnumat,  so  dafs 
das  spezifische  Gewiclit  bei  den  Teiuperatureu  m  ritu  doch  eine  regclinäfsigo 
Zunahme  von  der  Ubertlache  bis  zum  Grunde  zeigt.  Dies  Verhalten  i.st  l'uuz 
dem  in  den  norwegischen  Fjorden  analog,  für  welche.s  Mohn  im  Ergauzuiigb- 
heit  63  von  Petermauus  Mitteilungen  eine  Erkl&ruug  gegeben  hat,  dahin  gehend, 

*)  Vaiglaieba  dia  bydiographiadian  Beobachtungen  während  dar  Haaaa- 
txift  u.  a.   Dia  awaita  dentscba  Nordpolfahrt  lS69/m  Band  IL  S.  fiSl  n. 


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—  293  — 


dafs  die  Erwärmung  der  Oberfläche  dem  gegenwärtigen  Sommor,  das  darauf 
folgende  Minimum  der  Temperatur  dem  vorhergehenden  Winter  und  die  höhere 
Temperatur  des  Bodenwassers  der  übriggebliebeueu  Wirkung  des  letzten  Summers 
aaine  Entstehnng  Teidanke.  Dem  Referenten  ist  das  erwftlinte  Ergänzungsheft 
angenblieUich  nicht  sagäuglicli,  er  mnfs  eben  die  Eridftrung  geben,  wie  er  sie 
in  der  Arbeit  Yon  Hamberg  gefonden  hat,  obwohl  sie  etwas  an  Unklarheit  an 
leiden  seheint  Diese  ErUSrang  soll  nnn  nach  Bamberg  aof  die  grftnlindischea 
Fjorde  nur  teilweise  anwendbar  sein,  wegen  der  vom  Inlandeise  in  die  Fjorde 
sich  hineinschiebenden  Gletscher  und  der  Yon  ihnen  losgelösten  Eisberge;  es 
wird  dahor  die  Erklärung  in  der  Woiso  gegebon,  dafs  die  hohe  Oberflädien- 
temperatur  durch  die  direkte  Insolation,  das  Minimum  der  Mittelsc  hiclit  (lnr<  Ii 
das  Inlandeis  (Gletscher  und  Eisberge)  hervorgerufen  werde,  während  die  höhere 
Temperatur  der  untersten  Schicht  sich  nur  durch  die  Verbindung  der  Fjorde 
mit  der  See  erhalten  könne. 

Der  fünfte  und  letzte  Abschnitt  behandelt  die  Temperatarrerhältnisse  in 
verschiedenen  Tiefen  der  Baffin-Bai.  Diese  sind,  wie  die  Lage  der  Bai  swischen 
swei  Oceanen,  dem  atlantischen  and  dem  arktischen  nnd  mit  beiden  in  Ver- 
bindung stehend,  erwarten  Iftfirt,  sehr  komplisierte,  indem  wftrmere  und  ktttere 
Wasserschichten  mit  einander  in  verschiedenster  Weise  abwechseln. 

Während  das  spezifische  Gewicht  des  atlantischen  Wassers  wenig  ver- 
änderlich ist,  ist  das  des  Polarwassers  sehr  wechselnd.  An  der  mit  Eis  be- 
deckten Oberttäche  hat,  während  des  Sommers,  das  Wasser  ein  geringes 
spe/ifisches  Gewicht,  während  die  unverdünnten  unteren  Schichten  wegen  der 
niedrigen  Temperatur  eine  hohe  Dichtigkeit  besitzen.  Eine  Oberfläche  polaren 
Wassers  von  niedriger  Temperatur  und  geringem  Salzgehalt,  darunter  eine  ver- 
hältnismäfsig  warme  Schicht  und  zu  unterst  wieder  eiue  kalte,  sollte  daher  aus 
diesen  Cfarftnden  das  einfiMhste  Veihftltnis  sein,  welches  in  den  Tiefen  der  Baffinr* 
Bai  sich  vorfindet  und  dies  wird  in  der  That  anch  öfter  gefunden.  Aber  neben 
dieser  eingehen  nnd  regelm&ÜBigen  Temperatorverteilnng  kommen  anch  sehr 
komplisierte  Verhiltnisse  vor.  So  wurde  in  der  Melville-Bai  eine  Beihen- 
temperatnrmessang  genommen,  wekhr  3  Maxima  und  2  Minima  der  Temperatur 
aeigte.  Der  Salzgehalt  scheint  mit  der  Tiefe  sehr  rasch  susunehmen.  Er  betrag 
an  der  Oberfläche  zwischen  2,^  und  3,3  "  o,  in  der  Tiefe  von  625  m  3,ur, 

Aus  den  Beobachtungen  der  Nordenskjöldschen  Expedition  im  Jahre  1883 
scheint  hervorzugehen,  dafs,  wenigstens  im  genannten  Jahre,  sich  zwischen 
dem  Polarwasser  von  verschiedenem  spezifischen  Gewichte  eine  Schicht  ver- 
hältnisraäfsig  warmen  Wassers  befand,  welche  aus  dem  atlantischen  Ocean 
stammte  und  an  der  Westküste  Grönlands  entlang  bis  nach  Smith>Sand  sich  erstreckte. 

Nares  nnd  Mob  glaubten  in  den  tieferen  Teflen  dieser  Gewisser  und  ihrer 
Fortsetsungen  nach  Norden  einen  schwachen  Strom  von  dem  aüantischeo  Ocean 
her  gefunden  zu  haben.  B. 

Wfthrend  Leutnant  Jürgens  von  der  russischen  Polarstation  von  der  Lena- 
Mflndung  zurückkehrte,  führt  Dr.  A.  Bunge  seine  (früher  bereits  erwähnte) 
Expedition  nach  der  sibirischen  Eismeerküste  ans.  Zunächst  sollte  der  Dnterlauf 
der  Jana  erforscht  und  sodann  zu  den  Neu-Sibirischen  Inseln  vorgedrungen 
werden.  Von  dieser  Reise  darf  man  sich  wertvolle  Ergebnisse  versprechen:  die 
von  den  Promischlenniks,  den  Jägern  alljährlich  zum  Zwecke  drr  Gewinnung 
von  Mammutzähnen  für  den  Handel,  besuchten  Neu-Sibirischen  Inseln  wurden 
bisher  noch  nicht  wissenschaftlich  durchforscht.  Die  letzten  kartographischen 
Aulbahmen  stammen  von  der  WraDgel-Anjon-Expedition. 


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—  294 


Seit  laugen  Jahreü  strebt  man  in  Canada,  Manitoba  und  die  nord- 
westlichen Teile  des  Dominiums  mittelst  einer  sommerlichen  Schiffahrt 
durch  die  Hadsons-Bai  mit  nordearopäischen  Häfen  in  direkte  Ver- 
bindung zu  briDgoL  Im  Lmls  dw  lalixes  1884  wnide  der  SMhmidfkiig- 
Dampfur  sNtptnn*  miter  Befehl  des  Leutnants  Gordon  ni  dem  Zweck  nach 
der  Hudsons -Bai  gesandt  Der  in  dem  amerikanischen  Joimial  Science 
vom  13.  März  abgedmokte  Bericht  Oordons  mnlirte  den  Verlast  eines 
Schraubenflügels  iniblgs  einer  BerühruDg  mit  starkem  Treibeis  konsta- 
tieren; freilich  ging  er  nirht  quer  durch  die  Bai  nach  Fort  Churchill  oder 
York  Factory,  dem  geplanten  Ansfuhrhafen,  sondern  in  einem  Boppn  Ifings  der 
Nord- und  Westküste ;  an  verschiedenen  Küstonpunkten  der  Hudsons-Bai  wurden 
nämlich  meteorologische  Stationen  vorläufig  für  ein  Jahr  errichtet;  auch  auf 
das  Tier-  und  Pflanzenleben  sollte  sich  die  Aufmerksamkeit  der  Beobachter  richten. 
In  diesem  Sommer  sollte  der  von  der  englischen  Regierung  geliehene  Dampfer 
„Alert**  die  Untersochnng  der  Hadsons-Bai  and  -Strasse  fortsetien  and  die 
Stationen  besnohen;  das  Besnltat  ist  bis  jetzt  nicht  bekannt 

Die  kartographischen  Ergebnisse  der  beiden  »merikanisehen 
Polarstationen  liegen  jetst  vor  und  swar  1.  in  einer  vom  hydrographiaehen 
Amt  (Kommander  Bartlett)  in  Washington  herausgegebenen  Karte:  BafTin  Bay 
and  Lincoln  Sea,  in  welcher  die  Entdeckungen  der  Lady-Franklin-Bai  Station 
im  Innern  von  Grinnell-Land  und  an  der  Nordkäste  von  Grönland  bis  zum 
40 "  W  Ii.  Gr.  (Kap  Kane'»  dargestellt  sind  und  2.  in  einer  vom  Kriegsdepartoment 
daselbst  edierten  Karte  des  Leutnants  P.  G.  Kay :  Map  of  explorations  in  North- 
western Alaska,  welche  den  Verlauf  der  Küste  von  Kap  Lisbourne  bis  Kap 
Simpson  und  die  Ergebnisse  der  von  der  Station  üglaraie  bei  Point  Barrow  aus 
einesteils  längs  der  Kttste  nach  Osten  zum  Mackay  Inlet,  anderuteils  südlich 
ins  Innere  Ifngs  des  Meede  Bifers  bis  über  den  TOl  Bieitengrat  antenomnienen 
Pntersnchnngslkhrten  enthlli 

Über  die  Znginglichkeit  der  Ostktlste  Grönlands  in  höheren 
Breiten  wihrend  des  Bommen  1885  teilte  ans  Herr  Kapitfin  Qtay  anl  Qrnad 
seiner  BeobachtuDgen  wihrend  seiner  diesjährigen  Walfischereikrenie  folgendes 
mit  Die  Treibeisgrenze  lag  dieses  Mal  sehr  weit  nach  Westen,  mindestens 
180  milcs  von  Prince-Charles-Foreland  (Spitzbergen);  auf  74"  n.  Br.  war  sie  in 
14'^  w,  L.  Gr.  und  auf  71"  n.  Br.  in  16^  w.  L.  Gr.  .Ich  fuhr  im  August  längs 
der  Ostküste  von  der  Insel  Shannon  bis  zur  Öffnung  von  Scoresby  -  Sund ; 
zuweilen  in  Sicht  des  Landwassers  und  zuweilen  weiter  hinaus.  Bei  der  Liver- 
poolküste fuhr  icli  zwi.schen  das  Landeis,  fand  aber  keine  Wale.  Das  Eis  war 
für  einen  Dampfer  offen  genug,  wenn  auch  nicht  ganz  so  offen  wie  zu  Zeiten  in 
früheren  Jahren." 

Die  dftnische  Expedition  kehrte  Ton  Sttdost-Oiönland,  wosieswischen 
66  nnd  66*  n.  Br.  winterte,  nach  Kopenhagen  sarAek. 

A08  Los  Angeles  in  CalifornieB.  (Reisemitteilung  des  Vorstandsmitgliedes 
Herrn  H,  Melchers.)  Im  Wandel  der  Zeiten  ändern  sich  auch  die  Ansichten  der 
Menschen  und  zwar  geht  ein  solcher  Wandel  in  den  Anschauungen  oft  Verhältnis' 
mäfsig  rasch  vor  sich.  Während  bis  vor  wenigen  Jahren  die  Kolonialpolitik  als 
ein  fiberwondener  Standpunkt  angesehen  wnide  and  diejenigen  Linder  beneidens- 
wert erschienen,  welche  sich  nicht  mit  der  Last  von  Kolonien  sn  plagen  branchtsn, 
ist  jetst  bei  nns  in  Deotsehknd  die  Ansicht  in  den  Yordeigrand  getreten,  dafo 
Kolonien  den  wahren  Boden  fOr  die  Entwickelang  des  Nationalwohlstandes  bilden. 
Angesichts  der  groben  Anstrengungen,  welche  Dentschland  letsthin  anf  dem 


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—  296  — 


Qefaieto  der  Kolonialpolitlk  nutelite  lud  der  siemlich  allgememen  Begeisteniiig 
fikr  KolomAn  und  Kolooisatioiieii,  dtbrft«n  die  oacMolgenden  Mittetlnqgen  Ar  die 
Leaer  dieser  BUUAer  Ton  einigem  Intereeee  sein.  Za  den  Anliftngeni  einer  Kolonial- 

politik,  die  am  jeden  Preis  deutsche  Kolonien  erwerben  möchten,  gehöre  ioh 
freilich  nicht,  auch  kann  ich  mieh  der  Beförchtong  nicht  verschlicfsen,  dars  die 
jetzige  Schwärmerei  für  Kolonien  nmsowoniger  zn  praktischen  Resultaten  fahren 
wird,  als  der  branchbare  Teil  der  Welt  bereits  vergeben  und  es  jetzt  fast  nn- 
möglich  erscheint,  deutsche  Kolonien  mit  gesundem  Klima  zu  erwerben.  Während 
die  jetzige  Koloiiialbewegung  ursprünglich  von  dem  Wunsche  ausgiug,  den  deut- 
schen Arbeiter  dem  Mutterlande  zu  erhalten  und  ihn  in  deutsche  Kolonien  zu 
dirigieren,  sind  wir  von  der  Aussicht,  dem  deutschen  Arbeiter  im  Auslande  eine 
deateche  Heimat  za  grfinden,  beute  nooh  ebensoweit  entfernt  wie  vordem,  denn 
die  bislang  erworbenen  Lftndeistrecken  können  memals  Answandenugsgebiete 
für  dentscbe  Arbeiter  oder  Landbebaner  werden,  wogegen  sie  allenfdis  den 
Interessen  von  Handel  und  Industrie  dienen  können.  Dem  deutschen  Kaufmann 
bieten  nun  freilich  die  Kolonien  anderer  Nationen  dieselben  Vorteile  wie  den 
betreffenden  eigenen  Angehörigen,  und  haben  wir  in  dieser  Beziehung  der 
liberalen  englischen  Handels-  und  Kolonialpolitik,  die  zwischen  britischen  Unter- 
thanen  und  Ausländern  durchaus  keinen  Unterschied  macht,  viel  zu  danken. 
Ich  weise  auf  die  grofse  Zahl  von  deutschen  Kaufleuten  hin,  die  in  fremden 
Kolonien  zu  Wohlstand  gelangten,  um  nachher  daheim  die  Früchte  ihrer  Arbeit 
zu  geniefseu.  Ich  verkenne  allerdings  die  grofseu  Vorteile  nicht,  die  dem  Mutter- 
lande  ans  einem  re^  Handel  mit  eigenen  Kolonien  erwachsen,  setse  auch  bei 
den  Dentschttn,  im  Gtograsatse  su  manchen  anderen  Nationen,  aUe  diejenigen 
guten  Bedingungen  voraus,  auf  denen  der  Erfolg  der  Kolonisation  beruht  Dafs 
der  Deutsche  ein  hervorragender  Kolonisator  ist,  hat  er  bereits  zur  Ctonfige  in 
allen  den  transatlantischen  Ländern,  wo  er  sich  in  gröfserer  Zahl  zum  Betriebe 
der  Landwirtschaft  niederläfst,  bewiesen.  Unter  diesen  Ländern  s&hlen  in  erster 
Linie  die  Vereinigten  Stsiaten,  und  die  nachfolgende  Schilderung  gilt  eben  einer 
jener  Kulturschöpfungen,  an  denen  deutsche  Arbeit,  deutscher  Unt-ernehmungs- 
geist  und  Kapital  in  bedeutendem  Umfange  beteiligt  war  und  ist,  und  in  sehr 
erheblichem  Mafse  zum  Erfolg  beigetragen  hat,  —  Auf  meiner  Reise  von  China 
über  San  Francisco,  Neworleans  und  Newyork  nach  Deutschland,  im  Herbst  1884, 
machte  ich,  nachdem  ich  San  Fraucisco  verlassen,  meine  erste  Station  in  Los 
Angeles.  Ich  verweilte  dort  einige  Tage  und  möchte  diese  sich  rasch  su  grofter 
Bitte  ent&ltende  Stadt  und  deren  Umgebung  mit  einigen  Worten  schildern.  Die 
geographische  Lage  von  Los  Angeles  Ck>untf  wird  durch  84*  nördL  Breite  und 
120*  westL  LSnge  Green  wich  beselchnet;  4812  en^.  Quadratmeilen  grob,  gehört 
sie  seit  1848  zu  den  Vereinigten  Stxiaten  Nordamerikas.  Die  Stadt  liegt  etwa 
480  miles  südöstlich  von  San  Francisco  in  einer  schönen  fruchtbaren  Ebene  und 
hat  etwa  40000  Einwohner,  gegen  3500  in  1874.  Spanische  Padres  gründeten 
die  Stadt  vor  mehr  als  100  Jahren;  nun  ist  sie  schon  seit  langer  Zeit  berühmt 
durch  überreiche  Ernten  von  Orangen,  Oliven  und  anderen  tropischen  Früchten. 
Finden  sich  hier  doch  hnndertjährige  Olivenbäume,  welche  noch  rcgelmäfsig 
Ertrag  hefern!  Seit  der  in  1882  erfolgten  Eröffnung  der  Eisenbahn  von  San 
Francisco  nach  Neworleans  nahmen  Stadt  and  Distrikt  einen  fast  beispiellosen 
Aubchwung  und  heute  ist  Los  Angdes  im  Staate  Califoniien  die  am  meisten 
aofblfttmnde  Stadt.  Die  Bevölkerung,  früher  fisst  anssehlie&lich  II esdkaner  und 
Leute  spanischer  Abkunft,  besteht  heute  zum  grölsten  Teil  aus  Amerikanern  und 
Enrop&enL  Unter  letsteren  sind  die  Deutschen  in  der  Mehrsahl,  und  viele  unter 


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—  296  — 


ihnen  nehmen  hervorragende  Stellnngen  ein.    Die  anfsergewöhnlich  günstigen 
kliraafischen  Verhältnisse  hahon.  nnd  wie  mir  scheint  mit  voller  Berechtigung, 
dieser  Grafschaft  den  Namen  des  amerikanischen  Italiens  eingetragen.  Welche 
Anziehungskraft  Los  Angeles  übt,   das   zeigen   uns  die  zahlreichen  schönen 
Wohlige V);inde.  welche  bemittelte  Lente  aus  allen  Teilen  der  Welt  hier  errichteten. 
Sie  thateu  das  wohl  mit  Recht:  bietet  sich  ihnen  hier  doch  nicht  nur  eine  aar 
genehme  Häuslichkeit  im  herrlidiileii  Slims  der  Welt,  sondern  auch  neben  mseh 
auf bltthendem  Handel  nnd  Gewerbe  ▼ortreffliche  Eraehnngianatattan  fftr  ihre 
Sdbne  nnd  TQcbter.  Alle  Qesehiftn-  nnd  Bildnngsinstitnte,  «ie  Yerlcehnmitlel 
einer  modernen  gr&(aeren  Stadt  find  hier  vertreten:  wir  finden  zwei  Bparbankem 
nnd  Tier  Handelshanken  mit  bedentenden  Depositen,  w&hrend  im  Jahre  1874 
eine  Bank  für  alle  Bedarfnisse  aasreichte;  ferner  Gas-  nnd  Wasserleitung,  elektrisc  hrs 
Licht  nnd  Strafscneisenbahnen.  grofse  Gasthäuser,  Theater,  kurzum  Annehmlich- 
keiten und  Bequemlichkeiten  aller  Art.    Los  Angeles  liegt  an  der  Southern 
Pacitic  Eisenbahn;  von  hier  erstrecken  sich  Zweiglinien  nach  dem  etwa  18  railes 
entfernten  Santa  Monicaam  Stillen  Ocean,und  narh  dem  27  miles  entfernten  Hafen- 
orte Wilmington,  wo  zahlreiche  Schiffe  jederzeit  Kohlen,  Holz,  Zement  und 
andere  Einfahrartikel  einbringen.    Die  Industrie  der  Stadt  ist  eine  Tielseiti^ 
nnd  bedeutende.  Bind  doch  hier  indnstrielle  Etabliteemente  und  MQUen  ftr  Mdil- 
und  Ftepierfitbrikationf  Brauereien,  Gerbereien,  Wagenfibbxiken,  Eisengieieerei, 
EtabHeaements  fAr  Einmaeben  und  Trocknen  Ton  Fkrnchten,  RognakdestülatioBeB 
und  die  grölsten  Kellereien  der  Welt  vertreten.  Die  Weinberge  von  Loa  Angelet 
sind  zahlreich  und  ausgedehnt;  ein  eimigw  Weinbauer  besitzt  allein  3000  Akres 
Wcinland  in  einem  Komplex;  mehrere  haben  deren  600—1000  Akres,  während 
die  Besitzer  von  20-^100  Akres  nach  Hunderten  zählen.    Seit  Eröffnnng  der 
Eisenbahn,  welche  Arizona,  Neu  Mexiko,  Texas  und  andere  Staaten  dem  Klein- 
und  Grofshandel  erschlofs,  beträgt  der  monatliche  Umsatz  des  Kleinhandels  mit 
jenen  Staaten  etwa  ein  Viertel  Million  Dollars  in  Apfelsinen,  Zitronen.  Bananen, 
Oliven,  Gnava,  Trauben,  Rosinen,  Mandeln,   Nüssen,  Wein,  Honig,  Gemüsen, 
Fleiacb,  Qeflfigel,  Eiern,  Butter  n.  a.;  die  Bevölkerung  ist  dalier  im  ganzen  dne 
reeht  woUhabende.  Hat  sich  doch  das  abgabenpflicbtige  Eigentum  ton  1874  bis 
1884  dem  Wert  naoh  mebr  als  yerdrei&cht!  Die  jihrlicben  Ab^iben  betragen 
nur  1  */«.  Wie  die  klimatischen  Terhaltnisse  bei  einer  Durcbachnittstemperatnr 
von  61    F.  =  13   R.,  so  sind  die  Bodenverhältnisse  ganz  besonders  günstige. 
Der  Boden  ist  weicher  mit  Sand  Yermischter  Lehm,  der  leicht  an  bearbeiten 
und  so  anfsergewöhnlich  ertragfähig  ist,   dafs  Düngmittel  voraussichtlich  für 
lange  Jahre  entbehrlich  sind.    Die  Bewässerung  ist  durch  Flüsse,  Quellen  und 
artesische  Brunnen  eine  reiche,  auch  sind  Wasserleitungen  durch  den  gröfsten 
Teil  des  Landes  angelegt.  So  produziert  Los  Angeles  thatsächlich  während  des 
ganzen  Jahres,  ohne  Unterbrechung.    Im  Lande  wird  Gold,  Silber,  Kupfer 
und  Zinn  gewonnen,  diese  Industrie  befindet  sich  aber  noch  ganz  in  der 
Kindheii   Obfl^ch  der  Wert  des  Grundes  und  Bodens  infolge  bedeutender 
Naehfiags  wesentlich  im  Werte  gestis^  ist  und  jetst  meistenteils  sehr  hoeh 
gehalten  wird,  so  giebt  es  doch  noch  Torteilbafte  Gelegenheiten,  sn  Terhiltais^ 
mftbig  billigen  Preisen  Land  in  guter  Beschaffenheit  and  gOiütiger  Lege  su 
erwerben.   Ich  habe  ein  Grundstück  (Ranch)  besichtigt,  das  etwa  15000  Akres 
grofs,  seit  7—8  Jahren  bearbeitet  wird,  in  dieser  Zeit  hat  es  regelmälsig  reiche 
Ernten  von  Weizen  und  Gerste  geliefert  und  niemals  durch  Trockenheit  ge- 
litten.   H«  suikUk^  Erwähnung  als  Beweis  für  die  unerreichte,  fast  wunderbare 
Fruchtbarkeit,  verdienen  die  sogenannten  Volunteerernten.    Wiutei-fröste  sind 


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hier  selten  und  nie  so  streng,  dafs  die  Keime  der  Körner,  welche  beim  ernten 
and  dreschen  aus  den  Ähren  fallen,  erfrieren  können.  Nach  Eintritt  des 
Regenwetters  im  Dezember,  beginnen  diese  Körner  zu  treiben  und  produzieren 
eine  neae  Ernte,  ohne  jegliche  Bearbeitung  des  Bodens.  Auf  einem  mit  Gerste 
bestettton  Felde,  das  in  oben  genanntem  Oroadiittek  gMtt,  enitete  der  Be* 
ntier  naeb  eeiner  Angabe  im  Jabie  1879  50  Bnihel  vom  Akie^  daranf  olun 
nene  Anssaat  so  macben  1880  25  Bnsbel  nnd  1881  26  Bnsbel  vom  Akn, 
Reichhaltige  QneUen  und  avteeieche  Brunnen  liefimi  genügende  Mengen  WasBer, 
um  die  Obstgärten  zu  versorgen,  in  denen  alle  europäischen  ond  subtropischen 
Fruchte  üppig  gedeihen.  Eine  Familie  kann  sich  hier,  wie  man  mir  mitteilte, 
dnrch  Erworb  und  rationelle  Bewirtschaftung  von  10—20  Akres  gut  ernähren. 
Ich  habe  die  thatsächlichen  Verhältnisse,  wie  sie  heute  vor  Augen  liegen,  kurz 
geschildert  und  füge  nur  noch  hinzu,  dafs  die  Entwickelung  des  Handels  und 
des  Verkehrs  durch  die  Eisenbahnverbindungen  täglich  weitere  Fortschritte 
macht  Ein  fernerer  grofser  Aufschwung  fist  daher  kaum  zweifelhaft;  sollte 
nnn  im  Lanfe  der  Jahre  aneh  noeb  die  Heistellang  des  Kanals  dnxdi  die 
Panamalandcnge  Terwirklicht  werden,  dann  wfirde  gerade  bier  eine  groHnrUge 
Entwiokelnng  des  gesamten  Handels  nnd  eine  nngeabnte  Werterböbnng  des 
Gmndeigentnms  die  natArlicbe  Folge  sein.  Wilmiqgton,  der  Bafen^iis  tod 
Los  Angeles,  steht  in  regelmUsigor  DaTnpfcrverbindnng  mit  San  Francisco. 
Los  Angeles  County,  vermöge  umfangreicher  Baumanpflanznogen,  besonders 
auch  des  Eucalj-ptns,  welcher  nach  einigen  Jahren  schon  ein  vorzügliches 
Feuerungsmaterial  liefert,  ist  seit  mehreren  Jahren  während  der  Regenzeit  ganz 
besonders  begünstigt  nnd  hat  im  letzten  Jahre  selbst  bis  zu  30"  Regen  gehabt, 
also  bedeutend  mehr  als  San  Francisco.  Auch  in  diesem  Jahre  ist  der  Regen- 
fall bis  jetzt  schon  so  ergiebig  gewesen,  dafs  die  Ernttiiussii  liten  daselbst  vor- 
züglich sind,  eine  wesenÜicbe  Preisnböhung  von  Grundeigentum  daher  sa  er- 
warten ist;  selbst  als  Kapitabmlage  könnte  icb  daber  die  Saebe  warm  befBr- 
worten,  da  mir  das  ganse  Los  Angeles-OescbSft  anf  gesonder  Basis  an  mben 
scbeint. 

Geographische  Litteratur. 
Nepomuk  Zwick h,  Führer  durch  die  Oetzthaler  Alpen.  Mit  einer 
Karte  der  Oetzthaler-Stubaiergruppe,  einer  Spezialkarte  des  hintern  Oetzthales, 
einer  Karte  der  Arlbergbahn,  einer  Rontcnübersichtskarte  und  8  Panoramen, 
Gera-  Leipzig-  Wien-  Innsbruck.  Amthorsche  Verlagsbuchhandlung,  1885.  227  S. 
Nachclein  schon  in  früheren  Jahren  einige  Teile  der  österreichischen  Hochalpen 
monographisch  für  den  lieisegebrauch  bearbeitet  worden  waren  —  wir  nennen 
beispielsweise  den  bereits  in  fierter  Auflage  vorliegenden  .FQbrer  dnrcb  die 
Dolomiten  von  Jolins  Menrer*  nnd  die  ,8enntbaler  Alpen  von  J.  F!riscban(*->, 
bat  sieb  Herr  Nepomnk  Zwickh  der  Mflbe  nnteraogen,  das  besnebieste  Qelnet 
Tirols,  die  Oetstbaler  Alpen,  f&r  die  Zwecke  der  Tooristen  in  einem  besonderen 
Bande  darzustellen.  Ohne  Zweifel  ist  dadurch  einem  vorbandenen  Bedürfiiis 
in  durchaus  angemessener  Weise  fiecbnung  getragen  worden,  denn  die  eben 
bezeichnete  Alpengruppe  wird  von  vielen  Reisenden  als  das  ausschliefsliche 
Wanderziel  ausersehen  und  sie  verdient  es  auch  sowohl  wegen  der  grofsen 
Mannigfaltigkeit  ihrer  landschaftlichen  Gestaltung  als  auch  wegen  der  anziehenden 
Eigenart  ihrer  Bevölkerung.  Für  solche  Alpinisten  aber,  welche  sich  später 
einmal  die  höchsten  Gipfel  zu  den  Zielen  ihrer  Wanderung  zu  stellen  die  Absicht 
baben,  kann  die  Oetzthaler  Gruppe  als  eine  Art  Vorstudie  empfohlen  werden, 


—  298  — 


da  hier  alle  Formen  der  alpinen  Welt  auf  verhältnismäfsig  engem  Raum  rusam- 
mengedrängt  sind,  die  Schwierigkeiten. und  Gefahren  der  Besteigung  aber  auch 
Anfängern  oder  Mindergefibten  b«i  richtiger  Reisedisposition  und  guter  Fährung 
ttbenrindbMr  «ncliAiara.   ZiricUis  Arbdt  ist  jran  im  angemeima  als  eine 
woUgelnngeiie  und  tflchtige  Lustaiig  sa  beseicbnen.  Fflr  den  Abtdhnitt  dw 
Alpen»  dar  im  Norden  und  NoidwMten  dnrch  den  Inn,  im  Sfidweston  und  Sfiden 
dnieli  die  Etsch,  im  Osten  durch  die  Brennerbahn  begremt  wild,  aind  alle 
Angaben  gemacht,  welche  den  Besucher  des  Gebiets,  mag  er  nun  Thsdgfingar 
oder  Bergsteiger  sein,  irgendwie  interessieren  können.   Was  an  dem  Texte  aoa- 
aoietzen  ist,  betrifFt  nicht  desseii  Reichhaltigkeit  oder  Zuvorlässigkeit  —  in  beiden 
Beziehungen  entspiirht   das  Hiuli  allen  vernünftig  und  sachgemäfs  gestellten 
Anforderungen  — ,  dagegen   erscheint   die  Anordnung  verbessenings bedürftig. 
Da  es  sich  hier  um  eine  grofse  Zahl  von  Einzelheiten  handelt,  von  denen  jede 
im  bestimmten  Falle  von  Wichtigkeit  sein  kann,  so  hätten  einerseits  die  ver- 
«diiedeBen  Tbalabechnitte,  s.  B.  des  Oeiithales  scb&rfer  geschieden  werden 
milaseni  andensits  die  sahlieichen  Einsehaehtetonicen  in  die  Hanptsfitie  vermieden 
werden  sollen;  denn  wenn  sieh  der  VerfiMser  anch  die  groCse  Mühe  gegeben  hal, 
seine  Zwischenbemerkungen  doroh  venchiedenartjgen  Drack  sn  beseichneni  so 
ist  dadurch  der  eben  hervorgehobene  Mangel  nicht  beseitigt  worden.   Ein  Beise- 
bnch  mufs  übersichtlich,  klar  und  einfach  geschrieben  sein  and  der  Verfasser 
wird  gut  thun,  wenn  er  nach  dieser  Richtung  sein  Buch  verbessert.   Was  die 
beigegebenou  Karten  anbetrifft,  so  scheinen  sie  nicht  auf  den  neuesten  Materialien 
zu  beruhen,  wenigstens  hat  der  Unterzeichnete  auf  der  von  ihm  begangenen  lloute 
einige  anfällige  Mängel  bemerkt;  auf  der  Karte  des  hinteren  Üetzthales  fehlt 
z.  B.  das  sogenannte  Ramol  (RamoUiaus)  und  auf  der  Übersichtskarte  des  ganzen 
Gebietes  ist  die  Fabrstraüse  im  Etschthale  (in  der  Gegend  von  Latsch)  entschieden 
fidseh  angegeben.  A.  OppeL 

«- Lennis,  Synopsis  der  Tierkunde.  Dritte  Auflage  Ton  Bubert 
Ludwig,  Professor  in  Oiefoen.  II  Baad,  1.  Abteilung.  Hannoter,  Hahnsche 
Buchhandlung.  1881  Die  vorliegende  Abteilung  der  Synopsis  zeigt  bei  genauer 
Durchsicht,  dafs  der  Inhalt  alle  Vorzftge  aufweist,  die  wir  schon  an  dem  ersten 
Bande  des  Werkes  rühmen  konnten.  (Gcogr.  Blätter,  Bd.  VII.  p,  217).  Diese 
Schrift  umfafst  den  vierten  Kreis  der  Tiere  und  von  dem  fünften  die  Insekten. 
Zum  vierten  Kreise  werden  die  Molluskoiden  gerechnet,  welche  nach  Milne- 
Edwards  und  Huxley  in  Armfüfser  (Biacluopodcn)  und  Moostierchen  (Brjozoen) 
zerfallen.  Die  Vereinigung  dieser  äufserlich  so  sehr  verschiedenen  Tierklassen, 
deren  Arten  vorzugsweise  im  Meere  leben  und  in  den  älteren  Perioden  der  Erde 
ungleich  zahlreicher  auftraten,  ist  durch  die  übereinstimmende  Entwickelung 
begründet  Die  Insekten,  welche  früher  den  sweiten  Kreis  der  Tiere  bildetto, 
sind  hier  awar  sum  fftnften  degradiert,  nehmen  aber  dennoch  das  hervorragendste 
Interesse  in  Anspruch.  In  der  den  Oliederffklsem  voigedruckten  litteratnr- 
flbenicht  werden  aaÜMr  den  verschiedenen  Jahresberichten  allein  14  eotomolo- 
gische  Zeitschriften  aufgezählt,  von  denen  8  in  deutscher  Zunge  (5  in  Deutsch- 
land, 2  in  Wien,  1  in  der  Schweiz),  2  in  England  nnd  je  eine  in  Holland,  Frank- 
reich, Italien  und  Rufsland  erscheinen.  Schon  Lcunis  hatte  diese  Tierklasse 
mit  offenbarer  Vorliebe  behandelt,  aber  in  der  neuen  Auflage  ist  die  Seitenzahl 
gegen  die  frühere  fast  genau  verdoppelt.  Es  ist  ein  Vergnügen,  noch  weit  mehr 
wie  beim  .alten  Leunis"  die  Schilderungen  der  allgemeineren  Abschnitte  über 
Nervensystem  und  Sinnesorgane,  Atmung,  Verdauung,  Entwickelung,  Lebens- 
weise und  geographische  Verbreitung  der  Insekten  zu  lesen.  Die  änfsere  Aus- 
stattung, der  Druck  und  die  Abbildungen  haben  im  lachen  Verhiltniase  gegen 


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299  — 


die  vorige  Auflage  gewonnen.  Über  einige  der  nachgenannten  Tiere  hätten  wir 
im  Interesse  des  Bnchs  etwas  ausführlichere  Mitteilungon  gewünscht,  wogegen 
denn  verschiedene  ^seitene"*  Arten  von  Käfern,  Schmetterlingon,  Heuschrecken  u.  a. 
recht  gut  hätten  ausfallen  können.  Von  den  Lenchtorganen  der  Lampyriden. 
mit  denen  sich  schon  Treviranus  eingehend  beschäftigte,  wird  nur  gesagt:  „dafs 
ne  mrter  dma  Einflguw»  dm  NenreasysteniB  stehen."  Ebenso  wird  die  durch 
Lhiagstone  berfthmt  gewordene  TBetae-Hiege,  Olosaiaa  monttam,  irelche  sn 
den  flchwarsten  Plagen  Sftdafrikae  gehört,  nnr  andentangsweise  ervihnt  Bei 
der  Koehenitte  venniieen  wir  eine  Abhüdong  dieies  teehniaoh  ao  wichtigen  In- 
aekts,  sowie  neuere  Angaben  Über  die  Kultur  und  Gewinnung  deaeelben,  worüber 
nur  (liß  letzte  Notiz  aus  dem  Jahre  18dO  nach  der  vorigen  Auflage  abgedruckt 
ist.  Dafs  der  Kleinschmetterling,  Ephestia  Kühniella,  die  amerikanische  Mehl- 
motte, nicht  verzeichnet  ist,  darf  uns  kaum  wundern,  da  diese  neue  Landplage 
wohl  erst  nach  dem  Druck  der  vorliegenden  Abteilung  in  Deutschland  so  massen- 
haft aufgetreten  ist.  Wünschenswert  wäre  es,  die  Beschreibung  dieses  Tierchens 
noch  im  Nachtrage,  der  ohnehin  bei  dem  raschen  Fortschreiten  der  Wissen- 
schaft erforderlich  werden  dürfte,  zu  bringen.  —  Wir  wünschen  der  mühevollen 
Arbeit  dea  YerfiMaeca»  dem  dieae  geringen  Anaafeelliuigen  nur  das  Interesse  be- 
knnden  mögen,  welches  sein  Werk  enegt  hat,  die  weüeate  Terbreitang.  H. 

—  Bei  W.  Friediieh  in  L^»^  exachien:  Ial»nd,  Land  nnd  Leute,  Go- 
aehiehte,  Litteimtar  nnd  Sprache,  von  Br.  Fh.  Sehweitser.  Unsere  littenlar 
besafs  bislai^  kein  einziges,  nnr  elnigermafsen  ausführliches  Werk  über  die 
Geschichte  und  Litteratar  der  fernen  gormanischen  Inselbewohner,  und  wir  aind 
dem  Verfasser  zu  Danke  verpflichtet  für  seine  vortrefflich  geschriebene,  auf 
gründliches  Quellenstudium  basierte  Arbeit,  bei  der  eine  eingehende  Kenntnis 
der  nordischen  Sprachen  ihn  unterstützte.  In  der  ältesten  Geschichte  des  Landes 
hat  er  vielleicht  die  Beteiligung  der  Irländer  zu  wenig  betont  und  der  geogra- 
phischen Entdeckungen  der  Isländer  um  das  Jahr  Tausend  herum  nicht  genügend 
Erwähnung  gcthan.  Im  übrigen  aber  ist  in  diesem  Abrifs  der  Geschichte  des 
Ydlkea  allea  weaenOiche  gegeben  nnd  in  der  Geschichte  der  iaUadiachenLittenip 
tnr,  dem  SpeaaUische  dea  Antors,  die  fast  */a  des  gaasen  Werkes  omfabt,  Iftfot 
sich  dasselbe  geradem  als  ein  «Nachschlagebnch*  gebmnchen.  Ein  aokhea 
aottte  es  nach  der  im  Vorwort  ansgespiochenen  Absicht  des  VerfiMsen  aber  für 
iaiftndische  Fragen  auch  in  Besng  auf  Land  und  Leute  sein.  Das  aber  ist  es 
auch  bei  allerbescheidensten  Ansprüchen  nicht  Da  alles  geographische,  meteoro- 
logische, naturwissenschaftliche  und  ethnographische  Material  auf  23  Seiten  be- 
schränkt ist,  so  kann  man  auch  nur  wenig  erwarten.  Sieht  man  aber,  in  welch 
geradezu  grotesker  Weise  der  Verfasser  seiner  Phantasie  hier  und  da  die  Zügel 
schiefsen  läfst,  z.  B.  wenn  er  eine  Schilderung  des  Innern  oder  eines  vulkani- 
schen Ausbruches  giebt,  so  mufs  man  den  Unkundigen  warnen,  darin  , nachzu- 
schlagen über  inländische  Fragen."  Ein  paar  Beispiele  mögen  es  beweisen: 
pag.  12  (Scbildening  einer  BmptioB):  ....  «Hier  brechen  siedende  Waaser 
hervor,  in  denen  Eisberge  schwimmen,  dort  gleiten  »Uea  verheerende  Gletscher 
mit  Windeseile  n&her.  Baa  Thal  erflUlt  der  tosende  Lavastrom.  Am  Hang 
krachen  Beifrtftne  nnd  Lawinen.  Bnrch  die  Lflfte  gellt  die  nnwideiatehliche 
Windsbraut."  —  pag.  10.  (Schilderung  der  Natur  Islands):  »mit  seltsamen, 
zauberischen  Luftapiegelbildem  neckt  sie  den  Reisenden,  die  durch  die  Nacht 
flackernden  Irrlichter  locken  ihn  auf  unrechte  Wege,  rings  um  seine  Bahn  senden 
die  heifsen  Quellen  ihre  Rauchsäulen  hoch  in  die  Luft;  hier  bobbeln  und  wallen 
die  Schlammquellen,  dort  steigt  unter  mehr  oder  weniger  lautem  Gotöse  »muc 
Springqaelle  empor"  u.  a.  —  Man  kann  aber  Tagereisen  weit  das  Land  durch- 


—  300 


reisen,  ohne  eines  der  angedeuteten  Phänomene  zn  sehen  und  nahe  bei  einander 
hat  man  sie  nirgends.  Solcher  Beispiele  liefsen  sich  noch  mehrere  anführen, 
doch  mögen  die  gegebenen  genügen  zur  Charakterisiemng  des  geographisch- 
aatiirwisMaieliafUidieii  Stud^pvsklis  dm  Anton.         Dr.  IL  Keilhaelc 

~  Geographische  Charakterbilder  aas  DeatBcUaad  (Alpenland, 
Deatechei  Reioh  and  Deatseh-Öiterreieh)  Von  H.  A.  Daniel  Zweite  Auflage. 
Nea  bearbeitet  and  erweitert  Ton  Berlh.  Vols.   Mit  68  Dinitiaiioiien  and  4 
Karten.   Leipzig,  Faes's  Verleg  (R.  Reisland)  1886.  410  Seiten.  Durch  seil» 
frischen  und  lebenswahren  und  zugleich  bebag^ch  anmutenden  Schildernngea 
ist  H.  A.  Daniels  Handbuch  der  Geographie  zu  einem  Hausbuch  des  deutschen 
Volkes  geworden.    Es  war  daher  ein  glücklicher  Gedanke  von  Direktor  H.  O. 
Zimmermann,  von  denjenijjen  Bänden  Daniels,  in  welchen  diese  Vorzüge,  durch- 
wärmt von  edler  Vatorlandsliebe,  am  ansprechendsten  zu  Tage  treten,  in  seinem 
^Deutschland  für  die  Jugend-*  eine  Auslese  zu  bieten.    Das  Buch  fand  denn 
aach  eine  günstige  Aufnahme  und  erscheint  nun  bereits  in  vorliegender  zweiter 
Anllage.  Da  dieielbe  aoi^eich  beettmmt  ist,  dae  Reihe  geographischer  CbaiahtaK^ 
bilder  ans  allen  Erdteilen  m  eri^en,  wekhe  tfpische  oder  bedeutungsvolle 
Stitten  and  Soenen  ans  der  Erd-  nnd  Vt^lkeiknnde  wie  aus  der  Batdeehn^gs- 
gescbichte  nach  dem  Sobiidemngen  nnd  Benchten  von  Angeniengen  in  freier 
Bearbeitung  vorführen,  das  Interesse  an  wecken  und  zu  spornen,  so  ist  die  vor- 
liegende zweite  Ausgabe  von  dem  neuen  Heraasgeber  nach  vielen  Seiten  ver- 
ändert und  neu  bearbeitet.    In  sechs  Abteilungen,  welche  I^and  nnd  Leute,  das 
Alpenland,  das  oberdeutsche  Donauland,  das  westdeutsche  Rheinland,  da.s  mittel- 
deutsche Bergland  und  das  norddeutsche  Tiefland  umfassen,  erhält  der  Leser 
anziehende  Charakterbilder  unseres  deutschen  Vaterlandes.  Auch  unserem  Bremen 
nnd  dem  „Bremer  Ratskeller*  ist  eine  besondere  kleine  Schilderung  gewidmet. 
Die  laUreichen  und  hübschen  Abbildungen,  welche  diese  nene  Auflage  noch  be> 
sonders  Tor  der  eisten  aasseiehnet,  weiden  gewilk  aach  dsia  beitragen,  dab 
aDsuiels  Deniechlaad  Ar  die  Jagend'  aach  anter  veiindertem  Titel  nnd  in  tar- 
Inderter  Qestaltang  sn  den  alten  Frennden  sich  sshlieiehe  neae  hinsa  erwiibt, 
was  wir  demselben  wünschen.  Wo. 

—  Otto  Hftbncrs  Geographisch-statistische  Tabellen  aller  Länder  der  Erde. 
Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Fr.  v.  Juraschek.  Verlag  von  Wilhelm  Rommel 
Frankfurt  a.  M.  1885.  Dies  allgemein  bekannte  und  mit  Rocht  beliebte  Werkchen 
enthält  Name  und  Regierungsform  des  Landes,  Geburtsjahr  und  Regierungs- 
antritt des  Staatsoberhauptes,  Fliichenmhalt,  Bevölkerung;  Einwohner  auf  den  Qua- 
dratkilometer; Staats-Eiimalunon  und  -Ausgaben,  Schulden;  Papiergeld,  Bank- 
noten; Armee,  Kriegs-  und  HundelüMotte,  Eisenbahnen  und  Telegraphenlängen; 
Landeemtoen,  Oewiehte  nnd  Habe,  AasÄihmzeugnisse,  Hauptstidte  and  wiefa» 
tigrte  Orte  nebst  Emwohnentshl  sller  Linder  der  Erde.  Becht  wertvoll  sind 
aach  einige  angefügte  Tabellen  sa  statistischen  Vein^ohen,  welche  die  Dsten 
der  Yolksbewegnng  (Qebnrteni  Sterbefiille,  Tcaanngen),  sowie  der  EnteeigebnisBe 
enthalten;  ferner  l^bellen  lÄer  die  Nationalitaten  und  Religionen  in  Europa, 
über  die  Menschenrassen  n.  a,  Für  den  Hwadgebranch  eignet  sich  die  be- 
qneme  Bochaosgabe  {IJi)  in  trefflicher  Weise  and  sei  daram  bestens  empfoblsD. 

Wo. 

—  Schulgeographie  von  Professor  Aifr  od  Kirchhoff.  Vierte  ver- 
bessi'itc  Auflage.  Halle  a.  S.  Verlag  der  Buchhandlung  des  Waisenhauses.  IR*^. 
Auf  die  ümg$i8taltung  des  geographischen  Schulunterrichts  im  letzten  Jahrzehnt 
hat  ohne  Zweifel  Professor  Kircbhoff  einen  bedeutungsvollen  Einflofs  ausgeübt, 
den  gröfrten  gewils  darch  seine  vor  vier  Jahren  tum  eiaten  Male  «tsehieatae 


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—  Söi  — 

,Schalgeographie*.  Ich  stimme  vollkommen  Prof.  F.  Martens  Behauptung  bei, 
da£s  dieselbe  für  den  Lehrer  unschätzbare  Winke  über  das  Qnantum  des  vor- 
zutragenden Lehrstoffes  und  das  Quäle  der  Behandlung  desselben  enthält.  Es 
ist  daher  eine  erfreuliche  Thatsache,  dafs  bislang  Jahr  für  Jahr  eine  neue  Auf- 
lage nötig  wurde,  wird  dadurch  doch  der  Beweis  geliefert,  dals  die  neueren 
geogrupiiischen  Anschauungen  in  immer  weitere  Kreise  eindringen.  —  Die  vor- 
liegende Tierto  Auflage  mitenelieidet  itdi  Ton  den  Torigen  besonden  dadnidi, 
dalii  in  dezselben  aUe  geographisehen  Hetidiaiuuagabeii  anüMr  nach  Feno  aaeh 
nach  Qxeenwieh  ang^gebea  aincL  HolliuiiliGh  ist  aber  die  Zeit  nicht  fem,  wo  die 
geognphischen  Sehnlbüeher  der  Doppelangaben  der  Areale  in  Qoadiatmeilen  nnd 
Quadratkilometern  und  der  geographischen  Länge  nach  Ferro  und  Greenwich 
enthoben  sind.  Von  den  beiden  dem  Bache  seit  der  dritten  Auflage  angehängten 
graphischen  Darstellungen  erwarte  ich  wenig  Nutzen  und  ich  sähe  dieselben 
lieber  wieder  fortfallen.  Die  englische  Aussprachebezeichnung  bei  St.  Helena, 
Mauritius,  Kanada  halte  ich  für  überflüssig,  jedermann  wird  dieselbe  doch  nnr 
deutsch  aussprechen.  Wo. 

—  Lehrbuch  der  üeophysik  und  physikalischen  Geographie  von  Professor 
Dr.  Siegmnnd  Günther.   Stuttgart,  Verlag  von  Ferd.  Encke,  1885.   2  Bände. 
Im  dritten  Hefte  des  vorigen  Jahrgangs  machte  ich  die  Leser  d.  Z.  auf  den  da- 
mals Torliegenden  ersten  Band  dieses  ansgeseiehneten  geophysikalischen  Lehr- 
baebs  anümerksam;  der  mreite  Band  ist  jetst  gefolgt  nnd  sei  mir  daher  ge- 
stattet, auch  auf  diesen  mit  einigen  Bemerkongen  hinsaweisen.  Der  Torliegende 
zweite  Band  behandelt  in  seiner  ersten  Abteilung,  der  vierten  des  ganien 
Werkes,  die  magnetischen  nnd  elektrischen  Erdkräfte,  die  fünfte  Abteilung,  die 
ausführlichste,  ist  der  Atmosphärologie  gewidmet.    Um  den  reichen  Inhalt  des 
Buches  anzudeuten,  führe  ich  beispielsweise  von  der  Atmosphärologie  die  zehn 
Kapitelüberschriften  an.    Diese  sind:  die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Atmo- 
sphäre, ihre  Gestalt  und  Ausdehnung,  die  Beobachtungs-  und  Berechnnngs- 
methoden  der  Meteorulogie,  die   nieteorulugische   Optik,  die  atmosphärische 
Elektriaitftt,  die  kosmische  Meteorologie,  die  dinamische  Meteorologie,  die  all- 
gemeine Klimatologie,  die  spesieUe  Klimatol^sie  der  Erdoberfliche»  die 
sftkolaren  Schwankungen  des  Klimas  und  endlich  die  angewandte  Meteorologie. 
Die  sechste  Abteilung  behandelt  dann  weiter  die  Oceanographie  und  oceanische 
Physik,  die  siebente  die  dynamischen  Wechselwirkungen  zwischen  Meer  und 
Land,  die  achte  das  Festland  mit  seiner  Süfswasserbedeckung  und  die  neunte 
als  Anhang  die  Biologie  und  physische  Erdkunde  in  Wechselwirkung.    \Vie  der 
erste  Band,  so  ist  auch  dieser  zweite  neben  der  streng  mathematischen  Dar- 
stellung vor  allem  durch  die  historische  Eutwickelung  der  behandelten  Theoreme 
charakterisiert.  Der  jedem  Kapitel  angefügte  ausserordentlich  reiche  und  bis  in 
die  neueste  Zeit  reichende  Citatenschatz,  sowie  die  beiden  Bänden  angehängten 
Namenverzeichnisse  machen  das  Buch  f&r  jeden  Geographen  zu  einem  un- 
entbehrlichen Nachschlagebuche.  Das  GHInthersche  I<shrbuch  bildet  trots  der 
sablreich  Torbandenen  Hülftmittel  aum  Studium  der  physikalischen  Erdkunde 
einen  höchst  schfttsenswerten  Zuwachs  inr  IVtchlitteratnr;  der  eiste  Band  hat 
denn  auch  von  den  berufensten  Seiten  volle  Anerkennung  gefunden  und  ich 
zweifle  nicht»  daÜB  diese  jetst  auch  dem  ganaen  Werke  in  erhöhtem  Mabe  an 
teil  werde.  Dr.  W.  Wolkenhauer. 

—  Lehrbuch  der  Erdkunde  für  höhere  Lehranstalten  von  Dr.  H.  J.  Klein. 
Zweite  verbesserte  und  vermehrte  Auflage.  Mit  55  Karten,  sowie  mit  102  land- 
schaftlichen, ethnographischen  und  astronomischen  Illustrationen.  Verlag  von 
Friedrich  Vieweg  &  iSoha,  Braonschweig  1885.    (363  Seiten,  Preis  2.80^) 


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—  302 


Der  Inhalt  des  vorliegeadoii  Lehrbuches  gliedert  sich  iu  vier  Abteilungen  :  die 
erste  entli&lt  die  physische  Erdkunde,  die  zweite  die  beschreibende  Erdkunde, 
welche  wieder  in  eine  allgemeine  Meeresbeschreibung  und  eine  allgemeine  Land- 
baiehnibimg  serftUt,  die  dritte  behandelt  die  YOtter^  und  SteatoDkande  und 
eadlieh  die  Tiefte  die  astronomisclie  Erdkunde.  Vom  p&dagogiecheii  Steadponkto 
aot  ttlM  eich  menclie»  geg^  die  scherfe  Trannnng  der  sweiten  und  drifttea  Ai»- 
telhuig  eag^  aadeneüs  Terdient  das  weise  MaCdialten  besfigüdi  des  Stoffes^ 
besonders-  an  Namen  und  Zahlen,  voUe  Anerkennung.  Die  eingedruckten  land« 
schaftlichen,  ethnographischen  und  astronomischen  Illustrationen  bilden  eine 
treffliche  Beigabe  zum  Texte,  dagegen  halte  ich  die  zahlreichen  Karteuskizzen 
für  ein  Schulbuch  gröfstenteils  für  überflüssig.  Gegen  die  erste  Auflage  zeigt 
diese  zweite  mannigfache  Besserungen  im  einzelnen;  iu  der  Staatenkunde  des 
deutschen  Reiches  ist  die  bereits  1879  eingeführte  neue  Gerichtsverfassung  aber 
auch  in  dieser  AuHage  noch  übersehen.  Darnach  sind  an  mehreren  btelleu  kleine 
Verbessemngen  einzairagen.  Die  staatskandlichen  Angaben  bei  den  einzelnen 
Staaten  des  deatsohen  Reiches  sind  aneh  nqgleichm&fsig,  bei  einigen,  s.  B. 
Baden,  ist  die  Begiemngrform  angegeben,  bei  anderen,  Hessen,  Oldenbuij^ 
Saehsen-Weimar,  niehi  B.  140  bleibt  die  Angabe:  ,Jede  Provins  hat  ein  Be- 
giemngskoUegiam,  deisen  einzelnen  Abteilungen  ein  Ober-Regierongsiat  Tor- 
steht*  als  wenig  wissenswert  wohl  besser  fort.  Die  astronomische  Erdkunde  ist 
sehr  geschickt  und  hübsch  behandelt.  Die  Aasstattang  des  Baches  ist  eine 
recht  gute.  Wo. 

—  J.  Podd  u  b  11  y  i :  Schulatlas  von  Ku  i  slan  d.  St  Petersburg  18*^4. 
August  Deubners  Verlagsbuchhandlung.  Preis  1  Rubel.  Vertasser  liat  ersieu> 
das  Prinzip  befolgt,  das  Gleichartige  zusammen  zu  gruppieren,  um  die  Aufmerk- 
samkeit des  Schülers  dadurch  mehr  zu  konzentrieren;  zweitens  wendet  er  die 
graphische  Datstellnng  an,  um  das  sa  Vergleichende  dentUeher  herforlieten  n 
lassen  nnd  einzuprägen;  endlieh  drittens  becweekt  er  dnreh  diagiammatisehe 
Tabellen  eine  VeransohaiiliofaQng  statistischer  Thatsaehen,  welche,  in  dieser  Weise 
dazgestelit,  dem  Schiller  sogftngUcher  sind.  Die  angewandten  Diagramme  sin4 
Quadrate,  die,  in  100  kleinere  geteflt,  Proaente  angeben,  \\obei  natürlich  nnr 
ganze  Zahlen  zur  Darstellung  gelangen.  „Der  geographische  Unterricht*,  heilat 
es  in  der  Vorrede,  „mufs  auf  den  Lehranstalten  in  der  Weise  gehandhabt  werden, 
dais  der  Schüler  mit  Abschlufs  seiner  Studien  sich  nicht  auf  blofse  Aufzählung 
von  Thatsaehen  beschränkt  oder  sich  nicht  nur  auf  einzelne  Teilgebiete  bezüg- 
liche Kenntnisse  erwirbt,  sondern  eine  klare  Vorstellung  über  die  physikalischen 
sowohl  als  auch  Produktionsbedingungen  des  ganzen  Heimatlandes  erlangt.** 
Das  Werk  besteht  aus  13  Kartenbl&ttem,  aus  denen  man  sich  ein  ziemlich  voll- 
ständiges  Bild  über  die  physikslisoh-geographischen  YerhSltnisse  des  mssascbea 
Beiches  bilden,  sngjleich  aber  auch  wertTolle  Informationen  ftber  die  Produktion 
nnd  deren  Charakter  in  einzelnen  Teilen  des  Landes  schfipfon  kann.  —  Auf 
jedem  Blatte  sind  neben  der  Hauptkarte  eine  Reihe  Ideinttw  Kärtchen  und 
Diagramme  enthalten,  die  z.  B.  die  Verbreitung  bestimmter  Bodenarten,  das 
Verhältnis  von  Wasser  und  Land,  von  Wald  and  Ackerland  n.  a.  veranschau* 
liehen.  Aus  graphischen  Darstellungen  ersieht  man  z.  B.  die  relativen  Höhen 
der  Berge,  die  Tiefe  der  Meere,  die  Länge  der  Flüsse  u.  a.  Die  Diagramme 
endlich  zeigen  in  kleinen  Quadraten  ausgedrückt  das  Prozentveihältnis  z.  B.  der 
einzelnen  Stämme  oder  Religionen  in  der  Qesamtbevulkcrung.  die  relative  Ver- 
breitung verschiedener  Kulturptiaiueu  u.  a.  In  Nachstehendem  gehen  wir  aui 
den  Inhalt  der  einseinen  BUtter  etwas  niher  ein.  Bktt  1  ist  eine  Karte  des 
enrc^Üschen  BnUands  mit  Aqgsbe  der  Höhen,  dar  Tiefe  der  MeorOi  dar  Fttme 


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303 


nnÄ  der  Oouvernementseinteilang.  Dnrch  verschiedene  Farben  nnd  Nuancfttl 
sind  bestimmte  Höhen-  und  Tiefenintervalle  unterschieden.  —  Auf  denselben 
Blatte  sind  als  kleine  Kärtchen  beigegeben:  die  Pläne  von  St.  Petersburg  und 
Moskau,  das  Dnjeprdelta,  die  Gegend  zwischen  dem  Ladogasee  und  dem  Finnischen 
Meerbusen,  die  Niederung  zwischen  Don  und  Wolga,  der  Oberlauf  sowie  das 
Delta  des  letztgenannten  Fliiates,  die  S&dk&ste  der  Krim,  die  Teilung  des  eoro- 
pilachflii  RdUMidg  in  Ctobiete,  eine  Bodeokaxte.  Femw  sind  graphisch  dar- 
geatelk:  die  reUtiTe  LIage  der  Flflaae;  tabellariseh  sommmengestellt  sind  die 
Liagen  der  Qienieai  das  Terhittnis  der  MeeresnlBfuisdekniiQg  sam  Flidieaienm 
des  Landes  bei  verschiedenen  eorop&ischen  Staaten.  Drei  Diagianune  veran- 
scbanUclien  die  Ausdehnang  der  zu  den  Teisehiedcnen  Seen  gehörigen  Fluls- 
systeme,  den  Flächenranm  der  wichtigsten  europäischen  Länder  im  Vergleich 
zum  europäischen  Rufsland,  endlich  die  relative  Gröfse  des  europäischen  und 
asiatischen  Rufslaiid.  —  Blatt  2  ist  eine  klimatische  Karte  des  ouropäi.sclieu 
RuTsland  mit  Angabe  der  Isothermen,  Isochimenen  und  Isotheren.  der  Kegeu- 
mengen.  Auf  zwei  Tabellen  findet  man:  die  Dauer  der  Jahreszeiten  in  ver- 
schiedeneu gröfseren  Städten  Europas  und  RuXslands ;  eine  vergleichende  Angabe 
der  mitOeren  Sommer-,  Winter^  nnd  Jahrestemperatur  in  dem  Strich  zwischen 
65.  bis  67.  Grad  n.  Br.,  sowie  die  Differens  iwisehen  Masirnnm  nnd  Minimnm 
de«  Temperatnr.  —  Blatt  3  bringt:  «ne  Bevölkeningskavte  des  enroptiscben 
Bnlslaiid  nach  Stimmen,  nach  Religionen  und  naeh  der  Dichtigkeit;  TabeUen 
fthren  Tor:  die  relative  Bevölkerungsdichtigkeit  in  den  europäischen  Staaten, 
beaogen  auf  eine  Qoadratmeilc ;  die  Einwohnerzahl  in  den  wichtigsten  Städten. 
Prozentisch  ist  dargestellt:  die  Bevölkerung  der  einzelnen  Staaten  Europas,  be- 
zogen auf  die  Gesamtbevölkerung  dieses  Kontinents;  die  slawischen  Stämme  in 
Europa;  die  Stämme  im  europäischen  Rufslaud  im  allgemeinen;  die  relativen 
auf  die  finnischen  Volksstämme  sich  beziehenden  Zahlen;  das  Verhältnis  der 
Bevölkerungsdichtigkeit  in  den  Hauptteilen  des  Landes  (europäisches  Rufsland, 
Finnland,  Sibirien,  Kankasien,  Turkestan),  die  Verhältniszahlen  der  männlichen 
nnd  weiblichen  Bevölkerung;  EinteHnng  der  BerOlkemog  nach  den  Volksklassen, 
nach  Religionen.  —  Anf  Blatt  4  sind  Teranscliaalicht:  die  Terbreitang  der 
Wilder  (Tersefaiedene  Nnancen  seigen  die  Intensitfttsgrade  der  Bewaldung),  die 
relatiTe  Höhe  der  Getreideprodaktion  (mit  Angabe  der  nördlichsten  Qrense  für 
einselne  Getreidearteu) ;  die  Aasdehnung  des  Ackerlandes;  die  Verbreitung  nnd 
Art  der  Kulturpflanzen.  Diagrammatisch  sind  dargestellt :  das  Verhältnis  deryon 
Wald  und  Ackerland  eingenommenen  Flächen;  die  Verteihing  des  Landes  unter 
verschiedenen  Volksklassen  und  dem  Staat.  —  Blatt  ;>  enthält  die  Karte  von 
Kaukasien  mit  Berücksiclitigung  der  Wälder  und  Verbreitung  der  Weinrebe. 
Eine  besondere  Karle  ist  der  Getreide  produzierenden  Region  (Mittel-  und  Süd- 
rufsland;  gewidmet.  Diagramme  beziehen  sich  auf  die  Verbreitung  der 
Wiesen,  die  Tabakknltar,  den  Weinbau,  die  Zackerrübenplantagen.  (Die  ab- 
solute Menge  der  Erseugnisse  ist  über  jedem  Diagramm  Teneichnet)  —  Blatt  6. 
Die  ^aaptkarte  betrifft  die  sttdrussischen  Steppengoareinements  unter  Angabe 
Ton  Fabriken  und  Gestfiten.  Aus  kleineren  Karten  entnimmt  man  die  Yer^ 
breitung  der  Viehsncht,  der  Bienenzucht  im  europäischen  Bobland  und  Kaukasien, 
der  Seidenraupenzucht  in  Kaukasien,  der  Reutienucht  und  Jagd  im  Norden,  des 
Fischfanges,  unter  spezieller  Darstellung  der  Rayons  am  Kaspischen  Meere.  Die 
Diagramme  beziehen  sich  auf  dieselben  Gegenstände  und  führen  verschiedene 
Unterabteilungen  vor,  z.  B.  die  relativen  Mengen  der  gewöhnlichen  Schafrassen 
und  der  Merinos  u.  a.  Die  Pferdezucht  ist  auch  für  Sibirien  mit  berück- 
sichtigt Der  jährliche  Ertrag  des  Fischfanges  und  spesiell  des  Exports  ver- 


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Schiedener  Fischarteii  uud  -Prodnkte  aus  Astrachan  sind  ebenfalls  für  sich  in 
Prozenten  dargestellt;  ebenso  dor  Ertrag  aus  der  Gewinnung  von  Honig  und 
"Wachs.  —  Blatt  7  ist  eine  Karte  des  europäischen  Rufsland  und  Kankasiens, 
welche  die  Erzvorkommnisse  uud  andere  nutjsbare  Mineralien  angiebu  Drei 
kkine  Kiitehen  stellen  die  Stoinkohleobecken  des  Donez,  der  Umgegend  von 
MötkAo  nnd  des  Weiebselgebiels  dar.  Der  reUtiveD  Menge  gewonnener  Stein- 
kohle  (im  Jahre  1880  waren  es  200  Millionen  Pud)  ist  ein  Diagramm  gewidmet 
Eine  IÜ>elle  f&hrt  vor,  wie  viel  prodnzierto  Steinkohle  nnd  GnÜMisen  auf  den  Kopf 
in  den  verschiedenen  enropäischen  Lindem  kommen.  —  Blatt  8.  Karte  des  Urals 
mit  Angabe  der  Hüttenwerke.  Zwei  Kärtchen  zeigen  die  Verteilung  der  Ghibttsen- 
nnd  Stahlproduktion  im  ganzen  Lande.  In  Diagrammen  findet  man  Angaben  über 
die  Mengen  gewonnenen  Goldes  (Sibirien  und  UralV  Silbers  (  Altai,  Nertschinsk, 
Kaokasien,  Ural),  Kupfers,  Eisens,  Salzes  (nach  Gebieten  und  n;i(  h  Gewinnnngs- 
qaellen)  uud  derNaphta.  Zwei  kleinere  Kärtchen  geben  die  Apscheron-Halbiusel 
sowie  die  Lage  der  Salzseen  östlich  der  Wolga  wieder.  —  Blatt  9  ist  der  in- 
dastrielieu  Produktion  gewidmet:  so  drei  gesonderte  Karten  der  Baumwollen- 
Warenfabrikation,  den  Lederol  Wolle-,  Leinenwarenersengnissen.  Eine  Karte 
zeigt  den  Fabrikeneitrag  im  allgemeinen.  Die  Diagnunme  hertteksichtigen  den 
Ertrag  der  einaelnen  FMduktionsbranehen  nach  Gonvememente  sowohl  (aniaer 
den  genannten  Indostrien  aneh  die  Bfibenanckerindutrie)  als  aneh  die  relativen 
Erträge  jedes  Industriezweiges,  bezogen  auf  die  Gesamtheit.  —  Aus  Blatt  10 
und  11  ersieht  man  die  Eisenbahn«  wie  die  Waaaerkommnnikationen,  darunter 
einige  in  etwas  gröfserem  Mafsstabe,  wo  es  sich  um  gröfsere  Zentren  handelt. 
Diagramme  stellen  den  Export  und  Import  dar,  sowohl  die  einzelnen  Artikel 
bezeichnend,  als  auch  unter  Angabe,  auf  welchen  Stralsen  der  Verkehr  er- 
folgt u.  a.  Auch  findet  man  die  Zahl  der  für  den  inneren  Verkehr  im 
Jahre  1880  gebauten  Schiffe  auf  einem  Diagramm  dargestellt.  —  Blatt  12  bezieht 
sich  auf  das  asiatische  BoXsl&nd  und  fuhrt  in  gedrängter  Weise,  was  in  den 
vorheigehenden  Ar  das  «oropftiachc  galt,  vor:  Topographie  (fftr  sich  sind  der 
Oberlanf  des  STT-Daija»  die  Teke-OasOi  die  Mfindong  des  Okg,  die  Insel  Sachalin, 
der  altaische  Beigdistrikt  daigwtellt).  Schematisch  finden  wir  wiedemm  die 
Berghöhen  nnd  die  FlnÜBUngen,  dnrch  Diagramme  die  OberflfichengrÖben,  die 
Befölkemngsmengen,  die  Verteilung  der  Bevölkerung  nach  Religionen  nnd 
Stimmen,  die  Kopfzahl  und  relativen  Mengen  des  Viehs,  endlich  den  Handels- 
verkehr (Ein-  und  Ausfuhr)  dargestellt.  -  -  Das  letzte,  13.,  Blatt  zeigt  die  Be- 
wegung in  der  Bevölkerung,  d.  h.  den  Zuzug  zu  bestimmten  Zentren,  sowie  die 
Richtung,  welche  die  temporär  auswandernde,  nach  Arbeit  suchende  Bevölkerung 
aus  dem  mittleren  Rufsland  nimmt.  Diese  ^flottierende*  Bevölkerang  findet  eine 
Beschäftigung  entweder  in  Fabriken  oder  beim  Ackerbau,  oder  beim  Fis«.hfang 
und  der  Tierjagd.  —  Fünf  kleine  Kärtchen  illustrieren  die  fünf  hauptsächlichsten 
HaosindnstriMweige.  —  Das  reichhaltige  Material,  welches,  wie  hier  angedeutet, 
auf  so  wenigen  Blittem  snsammengebiacht  worden  ist,  l&lst  es  begreiflich  er- 
scheinen, daüi  dieser  ,Schnlatlas*  eine  gAnstige  Anfiiahme  in  BulUand  gefanden 
hat,  nnd  dafs  er  in  weniger  als  einem  Jahre  nach  seinem  Erscheinen  bereite  in 
sweiter  Auflage  vorliegt.  A2. 

—  Das  Werk  von  Dr.  Aurel  Krause  über  die  Tlinkit-Indianer  ist 
oben  unter  der  Rubrik  ans  der  geographischen  Gesellschaft  in  Bremen  näher 
besprochen. 


Draok  vou  Carl  Bdiaaemann.  nremen. 


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«^^  Deutsche 

Geographische  Blätter. 

Henmsgegebeii  ron  der 

Geographischen  Gesellschaft  in  Bremen. 


Beiträge  aud  sonstige  Sendungen  an  die  Redaktion  werden  unter  der  Adresse: 
Br.  H.  LlndenaB,  Mremem,  Mutdttinm  8,  erbtttea. 

Der  Abdmck  der  Original-Aofs&tze,  sowie  die  Nachbildung  von  Karten 
nnd  Illnstrationen  dieser  Zeitsdirift  ist  nur  nach  Yerstftndigting  mit 

der  Bedaktion  gestattet 

Buenos -Aires, 

die  Hauptstadt  der  argentinisehea  AepablilL.*) 
Von  A.  Seelstraig  in  Cdidoba. 


ffinleltnnf  .   Erster  Eindrook.  GasehiolititeiheB.   Ül«  SieDerie  der  Stedt  Pfftrde- 

bahnen.    Öffentliche  Gebttude.    Vergnügungen.   Verkehrsmittel.   Klima.  Bevölkerung 
Strafsenleben.  Ein  Tag  in  Bnenos-Aires.    VolkBfeato.  KamevaL.  Hand«!  und  Induatri^ 
Politisches. 

Vom  Bord  des  Dampfers,  welcher  den  Fremden  zum  La  Plata 
gebracht  hat,  ist  die  Stadt  Bnenos-Aires  als  weilise,  zackige  Linie 
Uber  dem  westlichen  Horizonte  kaum  sichtbar:  das  Fahrwasser  des 

mächtigen  Stromes  gestattet  den  grofsen  Schiffen  nicht,  sich  näher 
heran  zu  legen,  so  dafs  erst  auf  dem  kleineren  Steamer,  welcher 
uns  ans  Land  bringt,  die  Umrisse  derselben  sich  klarer  entwickeln. 
Docli  im  selben  Mafse  verliert  sich  auch  der  Überblick,  die  äufsereu 
Segmente  des  halbkreisförmig  in  den  FluTs  vorspringenden  Grimd- 
risses  werden  verdeckt,  und  vor  uns  erhebt  sich  eine  vielfach  ge- 
gliederte, hoch  ansteigende  Hausermasse  mit  flachen  Dächern  und 
zahlreichen,  weifsschimmemden  AussichtstOrmchen  (miradores),  über 
welchen  die  Kuppeln  nicht  weniger  Kirchen  sich  gegen  den  Äther 
abheben. 

Doch  bevor  wir  uns  an  der  hölzernen  Landungsbrücke  aus- 
schiffen, die  weit  in  die  seichten  Gewässer  hineinragt,  wollen  wir 
einen  kurzen  Blick  auf  die  Vorgeschichte  der  Stadt  werfen.  Die 
ursprüngliche  Ansiedelung,  welche  der  Adelantado  del  Rio  de  la 
Plata,  Don  Pedro  de  Mendoza,  an  diesem  Ufer  anlegte  (2.  Februar  1535), 
befand  sich  etwas  südlicher  und  erhielt  ihren  Namen,  Puerto  de 
•  SS:  Maria  de  Buenos-Aires,  von  dem  Ausrufe  eines  seiner  Begleiter: 

***)  Diese  Mitteilungen  bildeten  den  Hauptinhalt  eines  von  Herrn  Professor 
Seelstrang  im  Kreise  der  Oesellschaft  gehaltenen  Vortmgs. 

Üeogr.  Butler.   Bremen  lMi>.  22 


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—  306 


„Quo  huciios  aires  son  r^to«^!"  (Wolch"  gute  Lflfte  wehen  liier I)  Doch 
schon  nach  wenigen  Jahren  zwangen  die  fortgesetzten  Angritie  der 
wüdeo  Querandis  die  geringe  Bevölkerung  zur  Aufgabe  des  Punktes 
und  zur  Vereinigung  mit  der  Hauptmacht  der  Spanier  in  Asuodon 
del  Paraguay,  und  erst  bedeutend  spftter  wurde  die  Stadt  von  neuem 
an  ihrem  jetzigen  Orte  von  Juan  de  Garay  gegründet  (1580),  wel- 
cher ihr  den  Namen  Ciudad  de  la  Sautisima  "nrinidad  y  puerto  de 
Buenos- Aires  beilegte.  Von  dem  Worte  „Puerto*  (Hafen)  stammt 
übrigens  der  Name  „Portenos^  ab,  welchen  ihre  Bewohner  mit  Stolz 
beanspruchen:  ist  sie  doch  der  einzige  Hafen  für  das  ganze,  unge- 
heure Fhil'si^ehiet  des  I.a  Plata. 

Die  Entwickelung  der  Stadt  können  wir  am  besten  nach  ihrer 
wachsenden  Einwohnerzahl  beurteilen.  Durch  Jahrhunderte  war  die 
Zunahme  eine  höchst  langsame,  Dank  der  engherzigen  Kolonialpolitik, 
welche  den  Handelsverkehr  aUeia  mit  dem  Mutterlande  gestattete, 
ja  sogar  die  Niederlassung  von  NichtSpaniern  ein&ch  verbot;  und 
so  nimmt  es  denn  nicht  wunder,  da(s  noch  1778  eine  vom  Vize- 
könig  Ceballos  veranstaltete  Zfthlung  nur  37  670  Seelen  ergab.  Auch 
in  der  darauf  folgenden  Epoche  der  Unabhftni^igkeitj^-  und  Revolutions- 
kriege konnte  die  Bevölkennig  nur  geringe  Fortschritte  machen:  war 
ihr  doch  das  Erl)teil  der  altspanischen  Indolenz  geblieben,  und  lockten 
die  unaiifliörlichen  Wirren  nur  wenige  Fremde  zur  Ansiedelung.  TniV/.- 
dem  war  dieselbe  im  Jahre  1825  schon  auf  70000  gestiegen  und 
belief  sich  kurz  nach  dem  Sturze  des  Diktatoi*s  liosas  auf 
91 365  Seelen  (1855).  Doch  von  nun  ab,  unter  dem  Einflüsse  frei- 
sinniger Institutionen,  hob  sich  das  ganze  Land  und  damit  Buenos- 
Aires  in  grofsartiger  Weise.  Der  Zensus  von  1869  ergab  178  787  Ein- 
wohner, und  augenblicklich  werden  mehr  als  300000  gerechnet;  ihre 
Zahl  hat  sich  also  in  den  letzten  30  Jahren  mehr  als  verdreifacht. 

Der  lundruch,  welchen  die  Stadt  auf  den  Nordeurojiüer  macht, 
ist  entschieden  ein  fremdartiger,  sobald  mau  einmal  über  die  zen- 
tralen Teile  hinauskommt.  In  diesen  allerdings  fallen  nur  die  ver- 
hältnismafsig  engen  btrafsen  auf  (etwa  12  m);  doch  sind  die  Laden 
so  glänzend,  das  Gewühl  der  Menschen  so  grofs,  und  so  viel  Gefährte 
und  Pferdebahnwagen  kreuzen  sich  unaufhörlich,  dafs  wenig  Zeit 
zum  Beachten  der  Unterschiede  flbrig  bleibt  und  man  sich  recht  gut 
in  einer  italienischen  oder  sttdfranzösischen  Stadt  glauben  könnte. 
Anders  ist  der  Anblick  der  weiter  entfernten  Viertel,  welche  dem 
Mittelstande  zum  Wohnsitz  dienen.  Dort  dehnt  der  Hftuser  lange 
Zeile  sich  endlos  und  ziemlich  monoton  liin.  Die  tiachen  Dächer 
der  fast  ausnahmslos  einstöckigen  (iehilude,  sowie  die  Eisengitter 
vor  allen  Fenstern  bringen  einen  l)einahe  orientalischen  Eindruck 


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—  307  — 


hervor;  und  schaut  man  durch  die  stets  geöffneten  Haiisthiireu  ins 
Innere,  so  wird  der  Blick  angenehm  üherrascht  durch  die  Fülle 
blühender  Gewächse,  welche  die  luftigen  Höfe  zieren,  in  schönem 
Gegensatz  mit  der  Sonnenglut  der  einsamen  Strafoen.  Yon  Zeit  za 
Zeit  heben  eine  Pinie  oder  ein  Eukalyptus  ihre  düsteren  Häupter 
gegen  den  tiefblauen  Himmel,  oder  die  Kuppel  und  Doppeltürme 
einer  Kirche  unterbrechen  die  Aussicht.  Nur  der  Ruf  der  italieni- 
schen, ambulanten  Verkäufer  von  Früchten  und  Fischen,  oder  die 
Klinfjel  der  Wasserkarren  sind  zu  vernehmen,  doch  in  kurzen  Zeit- 
räumen rasseln  die  Kutschen  der  Pferdebahn  zum  Zentrum  oder  nacli 
den  Vorstädten.  Und  wendet  man  den  Schritt  zu  diesen  selbst,  die 
in  weitem  Halbkreis  die  Stadt  umkränzen,  so  bleiben  zwar  auf  den 
Hauptstrafsen,  welche  sich  nun  bedeutend  erweitern,  die  Häuser  fast 
ebenso  dicht,  wenn  auch  ungleich  eleganter ;  doch  öffiien  sich  in  den 
Querwegen  oft  höchst  charakteristische  Blicke  auf  Hecken  von  Agayen 
(hier  pitas  genannt),  aus  denen  schlanke  Blütenschäfte  hoch  in  den 
Äther  emporschießen,  und  auf  niedrige  Lehmhütten,  die  im  Schatten 
von  riesigen  Ombüs  oder  üppigen  Feigenbäumen  ein  noch  ebenso 
traumhaft  bescheidenes  Dasein  zu  iühien  scheinen,  als  vor  hundert 
und  mehr  Jahren.  Der  Strom  des  grofsstädtischen  Lebens  aber  hat 
sich  völlig  auf  drei  bis  vier  Hauptadern  konzentriert,  welche  sich 
meilenweit  hinziehen,  dicht  eingefafst  von  glänzenden  Gärten  und 
koketteu  Landhäusern,  bis  nach  Flores  (10  km),  nach  Belgrano  (11  km) 
und  Barracas  (5  km).  An  diesen  baumbeschatteten  Wegen  und  in 
den  zwei  zuerst  genannten  Stadtchen  wohnt  die  Aristokratie  des 
Geldes  und  der  Intelligenz  in  stetem  und  leichten  Verkehr  mit  dem 
Herzen  der  Stadt  durch  die  häufigen  Züge  der  Eisenbahnen  und  die 
unanfhürlich  pulsierenden  Tramwaywagen. 

Diese  Pferdebahnen  bilden  einen  Hauptzweig  in  der  Physiognomie 
von  Buenos- Aires,  dessen  heutiges  Leben  und  Ausdehnung  vornehm- 
lich durch  sie  bedingt  wird.  Die  altspanische  Sitte  der  einstöckigen 
Häuser  mit  grofsen  und  mehrfachen  Höfen,  welche  ausnahmslos  nur 
von  einer  Familie  bewohnt  werden,  erfordert  eine  bedeutende  Flächen- 
ausdehnung; und  als  vor  etwa  25  Jahren  die  ökonomisch  mögliche 
Peripherie  der  Stadt  erreicht  war,  sah  man  sich  genötigt,  dem  zu- 
nehmenden Wohaungsmangel  durch  hohe,  drei-  bis  vierstöckige  Ge- 
bäude in  den  Zentralquartieren  abzuhelfen,  da  die  entfernteren, 
frischer  gelegenen  Stadtteile  nur  den  Equipagen  der  oberen  Zehn- 
tausend zugänglich  waren.  So  konnte  denn  damals  der  Umkreis  der 
Stadt  noch  leicht  mit  einem  Halbmesser  von  etwa  km  von  tler 
fast  am  Flufsufer  befindlichen  Plaza  de  la  Victoria  aus  umschrieben 
werden,  und  als  natürliche  Folse  dieses  Zusainmendrängens  der 

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-  808  — 

stetig  wacliseiideii  lievölkening  auf  ireringem  Räume  (etwa  295  ha) 
unil  unter  einer  heifsen  Sonne  nahm  der  Gesundheitszustaiid  sicht- 
lich ab,  Cholera  und  das  bis  daliin  unbekannte  gelbe  Fieber  (1871) 
traten  auf  und  der  sprüchwörtliche  Ruf  der  Stadt  der  «guten  Lüfte" 
kam  in  ernstliche  Gefahr,  sich  in  das  Gegenteil  zu  yerwandeln.  Da 
tauchte  der  Gedanke  an  die  selbst  in  Europa  noch  neuen  Pferde- 
bahnen auf  und  erhielt  nach  langen  Kämpfen  seine  erste  prahtisdie 
Lösung  durch  die  Gebrüder  Lacroze  in  der  Linie,  welche  die  Plaza 
Once  de  Setiembre  mit  dem  Zentrum  verbindet  (1869).  Seitdem 
ist  das  Netz  bis  auf  153  km  (fast  22  deutsche  Meilen)  gewachsen, 
nicht  weniger  als  13  lange  Strafsen  von  Ost  nach  West,  und  14 
andere  von  Nord  nach  Süd  sind  mit  diesen  Linien  durchzogen,  und 
die  aufgestaute  Bevölkerung  konnte  sich  über  die  entlegensten  Quar- 
tiere ausbreiten,  so  dafs  sie  jetzt  einen  Flächenraum  von  4540  ha 
einnimmt.  Augenblicklich  ist  Buenos -Aires  die  Stadt,  welche  bei 
weitem  sm  meisten  dieses  nützlichen  Verkehrsmittels  besitzt,  and 
diesem  sowie  dem  sp&ter  ausgeführten  grolsartigen  System  von 
Kloaken  und  Wasserleitungen  ist  die  Wiederherstellung  des  alten, 
schon  arg  gefUirdeten  Gesundheitszustandes  zu  verdanken. 

Doch  kehren  wir  zum  handeltreibenden,  gewerbthätigen  Innern 
der  Stadt  zurück,  die  als  geistige  und  kommerzielle  Kapitale  de< 
Landes  ein  ungemein  reges  Leben  besitzt,  und  betrachten  die  Merk- 
male, durch  welche  sich  dasselbe  in  seinen  verschiedeneu  Phasen 
dokumentiert,  d.  h.  die  ö/fmtlichen  Gebäude,  welche  in  ansehnlicher 
Zahl  vertreten  sind. 

An  Kirchen  und  Kapellen  zuförderst  besitzt  Buenos- Aires  26, 
von  denen  sich  allerdin^^  wenige  durch  architektonische  Schönheit 
auszeichnen,  zumal  da  die  H&lfte  noch  aus  der  Zeit  der  Kolonial- 
herrschaft herstammt  und  ganz  entschieden  dem  Zopfstile  angehört. 
Doch  imponieren  gerade  diese  alteren  durch  die  Gröfse  ihrer  Dimen- 
sionen und  geben  ein  anschauliches  Bild  von  dein  religiösen  Eifer 
der  damaligen  und  der  jetzigen  Bevölkerung.  Denn  wenn  vor 
hundert  Jahren  bei  einer  Einwohnerzahl  von  etwa  50  (XK)  Seelen 
13  grofse  Tempel  für  den  Frömmigkeitstrieb  der  Tortenos  nötig 
waren,  so  mufs  dieser  seitdem  unzweifelhaft  beträchtlich  erkaltet 
sein,  da  für  die  jetzige  sechsfache  Bevölkerung  schon  die  nur  doppelte 
Anzahl  von  Gotteshausern  genügt,  von  denen  noch  außerdem  vier 
dem  protestantischen  und  eins  dem  israelitischen  Kultus  geweiht 
sind.  Immerhin  bilden  viele  dieser  Kirchen  mit  ihren  hohen  Kuppeln 
und  schlanken,  meist  doppelten  Glockentfirmen  einen  malerischen 
Schmuck  der  ausgedehnten  Stadt,  und  einzelne  haben  sogar  ent- 
schieden Anspruch  auf  künstlerische  Vollendung,  wie  die  von  einem 


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—  309  — 

Deutschen  erbaute  Si.  Felicitas  iu  Barracas,  die  gotischen  Tempel 
der  deutsch-evangelischen  und  der  presbyterianischen  Gemeinde  und 
die  gewaltigen  Dome  der  noch  nicht  gauz  beendeten  Piedad  und 

von  S.  Salvador. 

Nächst  diesen  fallen  am  meisten  die  stattlichen  Markthallen 
ins  Gesicht,  deren  neun,  fast  durchgängig  mit  Glas  gedeckt,  sich  in 
den  verschiedenen  Vierteln  erheben  und  bei  ihrer  grofsen  räumlichen 
Ausdehuung  von  oft  BO  m  Seite  den  täglichen  Konsum  verkehr  auf 
höchst  zweckmäfsige  Weise  erleichtern  und  zur  Anschauung  bringen. 

Im  Mittelpunkte  der  Stadt  selbst  finden  wir  deren  eigentliches 
kommerzielles  Herz,  die  Börse,  ein  stilvolles  aber  kleines  Gebäude, 
welches  vor  kaum  23  Jahren  vollendet,  schon  jetzt  bei  weitem  nidit 
für  die  Bedflrfhisse  des  Handels  ausreicht.  Ein  nener,  sehr  statt- 
licher Palast  wird  augenblicklich  zu  diesem  Zwecke  errichtet,  und, 
nahe  um  diesen  grui)piert  erheben  sich  die  massiven  prunkvollen 
Bauten  der  grofsen  Bankinstitute,  sieben  an  der  Zahl,  welche  sich 
dreist  neben  den  schönsten  Europas  zeigen  dürfen.  Hier  sehen  wir 
die  elegante  Provinzial-  und  die  luxuriöse  H)i)othekenbank  und  be- 
wundern die  solide  Pracht  der  beiden  englischen,  der  italienischen, 
sowie  der  des  Herrn  Carabassa.  Nur  die  Nationalbank  selbst,  weiche, 
von  der  Zentralregiemng  unterstützt,  einer  grofsartigen  Zukunft  ent- 
gegengeht, begnttgt  sich  noch  mit  unansehnlichen,  wenn  anch  be- 
quemen R&nmen. 

Und  neben  diesen  Zeugen  eines  gesunden  Wohlstandes  bleiben 
die  Zollniederlagen  für  die  eingeführten  Güter  nicht  zurück.  Die 
sogenannte  „neue  Aduana^,  1855  erbaut,  ist  schon  längst  nicht  mehr 
im  Stande,  den  Cberflufs  an  Waren  zu  fassen.  Zwei  andere  riesen- 
hafte Gebäude,  deren  Architekten  Deutsche,  sind  in  den  letzten 
Jahren  eutätauden  und  zieren  das  Ufer  des  La  Plata  in  würdiger 
Weise,  während  drei  lange  hölzerne  Brücken  das  Ausladen  der 
Güter  möglichst  erleichtem.  Beträgt  doch  auch  der  der  jähr- 
lich hier  durch  den  Zoll  gehenden  GQter  die  ansehnliche  Summe  von 
328  MUlionen  Mark. 

Leider  ist  es  nm  den  Hafen  selbst  sehr  schlecht  bestellt  Der- 
selbe ist  eigentlich  nur  eine  Rhede,  denn  die  gröfseren  Seeschiffe 
von  über  18  Fufs  Tiefgang  müssen  auf  6  Seemeilen  Entfernung  vor 
Anker  gehen,  so  dafs  die  Aus-  und  Einschiffung  von  Menschen  und 
Gütern  mit  grofsen  Kosten  und  Schwierigkeiten  verknüpft  ist.  Schon 
seit  30  Jahren  erscheint  periodisch  ein  ungeheures  Hafenprojekt; 
doch  ebenso  regelmäfsig  wird  dasselbe  aus  mannigfachen  und  kompli- 
zierten Gründen  verschoben  oder  verworfen ;  ja  selbst  die  Partei- 
politik bleibt  dieser  steten  Negative  nicht  fern.    Unterdessen  hat 


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—  310  — 

sich  au  der  Mündung  des  lliachuelo,  eines  Flüfschens  4  km  südlich 
von  der  Stadt,  ein  reges  Leben  entwickelt.  Stattliche  Uferbauten 
unigürteu  dasselbe,  umdrängt  von  Hunderten  kleinerer  Fahrzeuge, 
und  ein  breiter  Kanal  wird  seit  einigen  Jahren  quer  durch  die  Sand- 
bänke des  La  Plata  bis  zu  dessen  Stromrinne  ausgebat^gert  Doch 
wenn  auch  schon  mancher  Ozeandampfer,  durch  die  Flut  begünstigt, 
in  der  Boca  del  Riachuelo  seine  Passagiere  und  Ladun^^  unmittelbar 
neben  den  Eisenbahnwagen  landen  konnte,  so  scheint  doch  die  blei- 
bende Vertiefung  dieses  Kanals,  ohne  zu  grodse  Kosten,  zweifel- 
hafter Natur,  und  die  eigentümlichen  Terrainverhaltnisse  dürften 
den  Technikern  noch  manche  Nuls  zu  knacken  geben,  dem  Handel 
aber  femer  bedeutende  Ausgaben  verursachen. 

Doch  fahren  wir  fort  die  Stadt  selbst  zn  besichtigeD.  Die 
Regierungsgebäude  sind  dem  Wesen  einer  Bepublik  entsprechoid 
einfach  und  wenig  in  die  Augen  fsUend  Der  Kongrefo  ist  auCBerst 
schlicht  und  zeichnet  sich  eigentlich  nur  durch  eine  niedrige  Kuppel 
und  den  sftulengetragenen  Portikus  von  den  benachbarten  Hausein 
aus.  Doch  die  Post  erhebt  sich  stattlich  in  modernem  Renaissance- 
stil an  der  Plaza  de  la  Victoria,  und  der  daneben  gelegene  Palast 
der  Nationalregierung  wird  nach  seiner  Vollendung  einen  würdigen 
Sit/  für  die  obersten  Verwaltungszweige  bilden.  Dort  sind  alle 
Ministerien  mit  den  entsprechenden  Büreaus  vereinigt;  nur  das 
Departement  des  Ackerbaues  betindet  sich  in  dem  zugehörigen  Ver- 
suchsgarteu  aufserhalb  der  Stadt,  und  die  so  wichtige  Abteilung  der 
öfteutlicheu  Bauten,  sowie  die  der  Einwanderung  sind  in  Privat- 
häusern untergebracht.  An  der  eiit^jegeniresetzten  Seite  desselben 
Platzes  dehnt  sich  das  massige  aber  schmucklose  Stadthaus  (Cabildo) 
hin,  dessen  Turm,  neuerdings  erhöht  und  verziert,  ein  Leuchtfeuer 
für  den  Hafen  tr&gt  Auch  das  schOne  Gebäude  der  Münze  ist  noch 
zu  erwähnen,  welche  seit  einigen  Jahren  argentinisches  Geld  in 
groDser  Vollkommenheit  ausprägt,  ebenso  das  Kadettenhaus  in  Pa- 
lermo, dem  ehemaligen  Palaste  des  Diktators  Rosas;  während  die 
Marineschule  sich  noch  auf  Privatbesitz  befindet 

Dagegen  sind  die  Bauten,  welche  der  Gesundheits-  und  Wohl- 
thfttigkeitspflege,  sowie  anderen  gemeimiatzigen  Zwecken  diene», 
zahhreich,  ihrer  Bestimmung  wOrdig  und  legen  ein  schönes  Zeug- 
nis fhr  den  praktischen  und  opferwilligen  Sinn  der  Porteftos  ab.  Elf 
Krankenhäuser,  darunter  fUnf  yon  den  Residenten  fremder  Natkmeo 
unterhalten,  zwei  Irrenanstalten  und  eine  Reihe  von  Asylen  für 
Wöchnerinnen,  Findelkinder,  Waisen,  Arme,  Einwanderer  u.  a.  m. 
sind  zweckentsprechend,  ja  oft  reicli  ausgestattet.  i:in  grofsartiges 
Zellengefaugnis  bietet  liaum  für  700  Sträliingc  und  birgt  aufserdem 


.  Kj      Ly  Google 


—  311  — 

in  seinen  Mauern  die  verschiedenartigsten  Werkstätten  und  Maschinen 
zu  deren  Beschäftigung,  sowie  ein  stattliches  Gebäude  für  die  Kriminal- 
gerich tsharkeit.  Drei  Gasau^italton  versorgen  die  Stadt  mit  Leuclit- 
material,  iiitd  das  i^ereinij^te  Wasser  des  La  Plata  wird  schon  jetzt 
zu  mehr  als  6000  Hauslialtuugeu  geleitet,  auch  sind  die  Maschinen, 
welche  für  den  Bedarf  des  dreifachen  der  aiigeablicklichen  Bevölke- 
ntog  sorgen  werden,  bereits  aufgestellt.  Interessant  sind  schliefslich 
die  Bauten  zur  Entwässerung  der  Stadt,  deren  Straisen  früher  nach 
einem  schweren  Begengusse  oft  fufshoch  ttberschwemmt  waren  und 
sich  an  einseinen  Stellen  in  reifsende  Bftche  verwandelten.  Nicht 
selten  ertranken  Menschen  in  letzteren  und  der  Verkehr  zwischen 
den  hohen  Bürgerstiegeu  wurde  durch  eiserne  Drehbrücken  vermittelt. 
Jetzt  durchziehen  meilenlange,  gewölbte  Tunnels  den  Untergrund 
und  führen  diese  Sturnitluteu  schadlos  in  den  Flufs.  Nicht  weniger 
als  km  solcher  Leitungen  sind  iu  Aussicht  genommen  und  45  km 
schon  vollendet. 

Zahlreiche  Platze  unterbrechen  die  sich  rechtwinklig  kreuzenden 
Straisen;  dieselben  sind  nach  Art  der  englischen  Squares  grolsartig 
bepflanzt  und  auf  einigen  erheben  sich  die  Statuen  berühmter 
Patrioten,  wie  die  San  Martins  und  Aisinas.  Der  Hauptplatz 
(de  la  Victoria)  ist  mit  Springbrunnen,  der  ünabhftngigkeitss&ule 
und  dem  Reiterstandbilde  des  Generals  Belgrano  geziert.  Von  dort 
zieht  sich  nordwärts  der  schöne  Paseo  de  Julio  am  hochaufgemaucr- 
ten  Kai  des  Flusses  entlang;  weiterhin  öffnen  sich  die  prachtvollen 
Anlagen  der  Recoleta  mit  etwas  barocken  Felsgrotten,  doch  reichen 
Wasserkünsten,  und  im  nahen  Palermo  ist  ein  grofsartiger  Park 
geschaffen,  dessen  breite  Palmenallee  an  sonnigen  Wintertagen  den 
Sammelplatz  der  feinen  Welt  bildet. 

Auch  für  den  geistigen  Bedarf  ist  reichlich  gesorgt  Eine 
Universit&t/)  1824  durch  den  edlen  Präsidenten  Rivadavia  gegründet, 
wird  von  siebenhundert  Schülern  besucht,  welche  in  drei  Fakult&ten 
Rechts-  und  Staatswissenschaft,  Medizin  und  plivsisch-  mathematische 
Materien  studieren.  Eine  höhere,  staatliche  Erziehungsauatait 
(Colegio  nacional)  bereitet  auf  den  Besuch  dieser  Hochschule  vor, 
während  eine  groise  Heihe  von  Mittel-  und  Elementarschulen  (darunter 
auch  die  der  deutsch-evangelischen  Gemeinde)  für  den  Unterricht 
der  weniger  hochstrebenden  oder  bemittelten  Klassen  sorgen. 
Das  naturhistprische  Museum  unter  Leitung  des  verdienstvollen 
Dr.  Burmeister  enthalt  eine  reiche  Sammlung  der  fossilen  Fauna 

Der  Kursus  von  1<S82  erjjab  ,%  Professoren  und  öl(!  Schüler  für  das 
Nationalkollegium,  sowie  264  öffentliche  und  Privatschulen  mit  einem  PerKonul 
von  das  Lehreru  und  Lehreriimen  und  2i)iö2  ächülern  beiderlei  üechiechts. 


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—  312  — 


Argentinieni?,  luid  dab  anthropologische  und  archfiologische  Kabinet 
besitzt  wertvolle  Beitrage  zur  Urgeschichte  dieäes  wisfienschaftlich 
noch  so  wenig  bekannten  Gebietes.  AuTserdem  liefern  zwei  grofM 
Bibliotheken  vielfaches  Material  zur  geistigen  Fortbildui^,  und  ver^ 
sehiedene  andere,  spesiell  für  die  weniger  Gebildeten  berechnete, 
verbreiten  Klarheit  der  Anschanungen  auch  in  diesen  Schichten  des 
Volkes. 

Ebensowenig  fehlt  es  an  Orten  zur  Zerstreuung  und  Belusti- 
gung der  Portenos.  Sieben  Theater,  darunter  das  riesenhafte 
Teatro  Colon,  die  Oper  und  das  Nationaltheater,  spenden  eine  Fülle 
der  Unterhaltung  von  ernsten,  hochtönenden  spanischen  Dramen 
oder  der  neuesten  Oper,  bis  zum  französischen  Lustspiel  und  der 
heiteren  Operette.  Mehr  als  ein  Zirkus  dtihet  sich  eqnestrischen 
KOnsten;  und  wenn  es  natürlich,  dafo  diese  sowie  grofsartige  Welt- 
rennen beim  rossebftndigenden  Volke  der  Argentiner  in  hoher  Gunst 
stehen,  so  ist  es  ebenso  lobend  zu  erwähnen,  dafo  Stiergefechte 
schon  seit  langen  Jahren  unmöglich  geworden  sind.  Nur  im  benach- 
barten Montevideo  werden  dieselben,  meines  Wissens  nach,  noch 
geduldet  und  eifrig  betrieben.  Auch  Kestaurants,  Caf^s  und  Bier- 
stuben in  allen  Schattierungen  der  Eleganz  sind  unendlich  reich  ver- 
treten; doch  fehlt  leider  ein  hauptsächliches  Erheitenmgselement 
grade  des  deutschen  Volkes  fast  gänzlich:  jene  G&rteu,  welche  am 
Ende  eines  mehr  oder  minder  weiten  Spazierganges  gelegen,  uns 
nötigen,  ihre  bescheidenen  Genosse  mit  etwas  körperlicher  An- 
strengung zu  erringen,  und  zu  gleicher  Zeit  d^  Cteist  erfrischen 
durch  Anblick  der  dem  Stftdter  doppelt  reizenden  Schönheiten  einer 
ländlichen  Natur.  Kurz,  es  fehlen  fast  vollständig  „Kafifeegärten* 
als  Ziel  der  Promenaden. 

Die  Verkehrsmittel  der  argentinischen  Hauptstadt  sind  der 
Entwickelung  angemessen,  welche  dieselbe  nach  allen  Richtungen 
hin  dokumentiert.  Fünf  srofse  Kisenstrafsen  setzen  Buenos-Aires 
zunächst  mit  der  es  umschlielseuden  Provinz  dieses  Namens  in  Ver- 
bindung, deren  weite  Flache  sie  nach  allen  Himmelsgegenden  durch- 
kreuzen, und  dann  auch  mittelbar  mit  den  übrigen  Staaten  der 
Republik,  da  von  zweien  derselben,  der  Nord-  und  der  Can^anabahn, 
die  grofoen  Dampfer  ausgehen,  welche  den  ParanA  hinauf  zuerst 
Rosario,  den  Hafen  des  Innern,  anlaufen,  dann  aber  bis  Asnndon 
und  Cuyabä  hin  den  Verkehr  der  Uferländer  des  mächtigen  Stromes 
vermitteln.  Den  Uruguay  aufwärts  fahren  häufig  Dampfschiffe 
direkt  vom  Hafen  selbst  ab,  und  schwimmende  Paläste  verbinden 
dreimal  in  der  Woche  die  Stadt  mit  dem  nahen  Montevideo.  Zu 
gleicher  Zeit  herrscht  natürlich  ein  lebhafter  Verkehr  von  Seglern 


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—  313  — 


auf  diesen  Gewftsseru,  der  am  besten  dnrch  die  Zahl  von  2500  Flufs- 
fohrzeugeu,  welche  in  den  amtlichen  Listen  eingeschrieben  stehen, 
dargethan  wird.    Dem  überseeischen  Verkehr  aber  dienten  im 

Jahre  1882  nicht  weniger  als  6(K)0  Dampfer  und  Segler  mit  einer 
Ladefähigkeit  von  etwa  1^^2  Millionen  Tonnen,  und  dnrchschnittlich 
laufen  im  Monate  45  Steamer  ein,  wAhrend  ebenso  viele  den  Uafen 
verlassen. 

Ein  an^gedehntes  Telegraphennetz,  dessen  Mittelpunkt  Buenos- 
Aires,  ist  heutzutage  so  unerläfslich  und  selbstverständlich,  da(s 
es  kaum  der  Erwähnung  bedarf,  auch  ist  natttrlich  die  submarine 
Verbindung  mit  Rio  de  Janeiro  und  Europa  vorhanden;  doch  wirk- 
lich grofsarUg  ist  das  Spinnengewebe  von  Telephondrähten,  das  sich 
Über  die  Stadt  hinzieht  und  seinesgleichen  in  der  Welt  nicht 
findet.  Die  bedeutenden  Entfernungt^u  zwischen  den  Geschäftszentren 
der  Börse  einerseits  und  der  Plaza  Once  de  Setiembre  (4  km), 
Banacas  (5  km)  und  dem  Hafen  in  der  Boca  del  Riachuelo  (4  km) 
anderseits  erklären  die  Nützlichkeit  und  riesige  Ausdehnung  dieses 
Netzes,  welches  derartig  ausgebildet  ist,  dals  nicht  nur  sämtliche 
Geschäftshäuser,  sondern  auch  alle  Hotels  und  viele  Restaurants 
damit  in  Verbindung  stehen.') 

Der  staunenswerten  Verbreitung  der  Pferdebahnen  geschah 
schon  vorhin  Erwähnung,  und  möge  der  Verkehr  auf  denselben 
durch  den  Umstand  gekennzeichnet  werden,  dafs  in  der  Calle  Piedad 
die  Wagen  sich  in  Abständen  von  je  zwei  Minuten  folgen.  Natürlich 
•  ist  unter  solchen  Verhältnissen  die  Zahl  der  Mietkutschen  eine 
ziemlich  beschränkte,  da  selbst  vor  jeder  Eisenbahnstation  und 
jedem  Theater  oft  4  —  5  verschiedene  Trannvays  ihre  Wagen  für 
die  Ankunft  des  Zuges  oder  den  Schlufs  der  Vorstellung  bereit 
halten;  doch  sind  trotzdem  sehr  gut  ausgestattete  Droschken  in  genü- 
gender Anzahl  auf  den  öffentlichen  Platzen  zu  finden  und  Luxus- 
gefährte, häufig  mit  edlen  englischen  oder  Trakehner  Bossen  bespannt, 
bilden  in  den  Nachmittagsstunden  dnen  hervorragenden  Schmuck 
der  eleganten  Strafsen. 

Dank  den  Pferdebahnen,  diesen  Wohlthätem  von  Buenos-Aires, 
sind  auch  die  meisten  Stralsen  treftiich  gepflastert,  wenn  auch  noch 
manches  entlegene  Viertel  wahrhaft  cyklopische  Steiuilänime  auf- 
zuweisen hat.    Die  Munizipalität  nämlich  gab  und  giebt  keine 

^)  iii  Buenos- Aires  kommt  1  Telephonabonnent  auf  173  Einwohner. 

»  Paris                ,  1        ,  ,        «   865  , 

n  Wien               ,  1       ,  9        p  IITO  , 

•  Berlin              .  1       ,  ,        ,  1990  , 

,  London            „  1       ,  »        »  2375  , 


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—  314  — 

Erlaubnis  zur  Anlache  einer  neuen  Strafse,  als  unter  der  Bedingung, 
dafs  die  entsprechenden  StraOsen  im  Weicbbilde  selbst  mit  behanenen 
Steinen  gepflastert,  die  entfernteren  aber  makadamisiert  werden. 
Da  nun  die  Stadt  auch  selbst  höchst  entschieden  in  dieser  Richtung 
vorgeht  (augenblicklich  z.  B.  sind  5  km  StraCBenpflaster  in  Sub- 
mission vergeben),  so  ist  die  Fahrbarkeit  des  Stadtbezirkes  eine  ans- 
gezeichnete.  Diese  Anuelmilit  hkiii  wird  noch  duicli  den  Um- 
stand erhöht,  dafs  sämtliche  Fuhrwerke  die  Si)m-weite  der  Pferde- 
bahnen anj?enonimen  liabeu,  also  über  die  breitköpfigen  Spinnen 
wie  auf  Gummiräderu  dahinrolleu. 

Doch  einen  gefährlichen  Feind  für  das  Pflaster  und  den  Säckel 
des  Rates  bilden  die  riesenhaften  Lastkarren.  Dieselben  sind  eigens 
dazu  bestimmt,  bei  niedrigem  Wasserstande  weit  möglichst  in  den 
Flufs  hinaus  zu  fahren,  um  die  Ladung  der  Böte  direkt  zu  empfin- 
gen, wenn  dieselben  nicht  an  den  LandungsbrQcken  anlegen  können. 
Zu  diesem  Behufe  stellt  man  sie  auf  nur  zwei  R&der  und  gi^t 
ihrem  Boden  eine  Höhe  von  etwa  IV«  m.  Denke  man  sich  nun 
eine  Last  von  einer  bis  anderthalb  Tonnen  allein  auf  zwei  Stütz- 
punkten ruhend  und  durch  irgend  einen  Zufall  in  den  Fugen  der 
Steine  oder  neben  den  Schienen  des  Tramways  eingekeilt,  und  ferner 
an  der  Spitze  des  Hebelarmes,  also  der  Deichsel,  drei  kraftige 
Pferde  eine  kleine  Schwenkung  ausführend,  um  das  Hindernis  zu 
aberwinden.  Die  unmittelbare  Folge  ist  klar:  die  Steine  werden 
aus  ihrer  Lage  gedrängt  oder  zermalmt,  die  unglückliche  Schiene 
aber  derartig  verbogen,  dals  die  nächste  Kutsche  entgleist  und  binnen  • 
zehn  Minuten  fünf  bis  sechs  fernere  hinter  ihr  stehen.  Will  dann 
noch  das  Mifsgeschick,  dafs  in  der  schmalen  Strafse  irgend  ein  an- 
derer Karren  sich  verfährt  oder  gar  bricht,  dann  staut  sich  die 
Flut  des  Verkehrs,  die  Wagenlenker  schreien,  eine  hohe  Polizei 
legt  sich  ins  Mittel  und  die  Passagiere  setzen  ihren  Weg  zu  Fufs 
fort,  murrend  gegen  Hat  und  Stadtverordnete,  die  so  gar  wenig  für  die 
Bequemlichkeit  des  Bürgers  thun.  Doch  der  eigentliche  Grund  des 
Übelstandes  ist  in  der  Seichtigkeit  des  Landungsplatzes  zu  suchen, 
welcher  die  ganze  Stadt  in  Mitleidenschaft  zieht:  der  Verkehr  in 
den  Strassen  von  Buenos -Aires  hängt  von  der  Wassertiefe  des 
Hafens  ab. 

Schliefslich  sei  noch  des  Klimas  gedacht,  des  lachenden,  sonnigen 
Himmels,  der  sich  über  der  vieltürniigeu  Stadt  wölbt,  und  der  er- 
frisclienden  Brisen,  welche  darüber  hinwehen.  Mit  Hecht  kann  man 
dasselbe  dem  Süditaliens  vergleichen,  wie  dem  auch  die  mittlere 
Jahrestemperatur  von  17°  C.  nicht  unähnlich  ist  Selten  steigt  das 
Thermometer  über  a4<>  C.  in  den  heilsen,  trockenen  Monaten  (Januar 


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—  315  — 

und  Februar)  und  ebenso  scdten  sinkt  dasselbe  auf  4^  unter  dem 
Gefrierpunkte  iv&brend  des  tiefsten  Winters  (Juli  und  August).  Ge- 
witter sind  nicht  häufig,  doch  sdiwer,  wenn  auch  kurz.  Nur  im 
Winter  regnet  es  manchmal  zwei  bis  drei  Tage  hinter  einander.') 

Dann  peitscht  ein  heftiger  Südost  die  Gewftsser  des  La  Plata  gegen 
das  Ufer,  die  Schilfe  tauzeu  auf  der  unsicheren  Uhede  und  die  klei- 
neren suchen  Schutz  in  den  Kanälen  von  San  Fernando  und  des 
Tigre  oder  im  Inseldelta  des  Taranä.  Dann  schlagt  oft  jede  einzelne 
Welle  über  die  Hafeuuiauer  hinweg  auf  den  Pasco  de  Julio,  die 
Strafsen  sind  leer,  und  fröstelnd  drängen  sieh  die  Städter  um  die 
spärliche  Flamme  der  Kamine.  Doch  bald  lacht  eine  warmende 
Sonne  am  klaren  Firmament,  die  Strafsen  und  Spazierg&nge  füllen 
sich  mit  fröhlichen  Gesichtern,  und  Überzieher  oder  Muff  und  Pelz* 
mantel  scheinen  nur  des  Schmuckes  wegen  getragen  zu  werden.  Der 
Frühling  ist  stürmisch,  doch  selten  rauh:  dagegen  die  Herbsttage 
von  wunderbarer  Milde  und  Klarheit  der  Atmosphäre.  Wenn  aber 
im  Hochsommer,  nach  wocheulanger  Hitze  und  Dürre,  endlich  der 
südwestliche  Horiz(mt  sich  bewölkt,  dann  tritt  eines  jener  Phänomene 
ein,  welche  furchtbar  in  ihrem  Erscheinen,  doch  rasch  verlaufen  und 
segensreiche  Folgen  zurücklassen.  Gedankenschnell  erhebt  sich  die 
Wolkenwand,  von  gelben  Rändern  umsäumt,  in  wenigen  Minuten  hat 
sie  die  Sonne  verfinstert  und  den  Zenith  erklommen,  die  Luft  füllt 
sich  mit  im  offenen  Lande  aufgewirbeltem  Distelflaum  und  schwarzem 
Staube,  so  d&fs  man  oft  im  vollen  Sinne  des  Wortes  die  Hand  vor 
Augen  nicht  sieht  und  an  den  Hftusem  hintastend  irgend  eine  gast- 
frei geöffnete  Thür  sucht;  und  dann  bricht  das  Gewitter  los  mit 
blendenden  Blitzen  und  hallendem  Donner,  ein  kalter,  schneidender 
Südwestwind  (Pampero)  jagt  die  staubschweren  Regentropfen  gegen 
die  Mauern,  deren  weifse  Oberflache  sich  mit  einer  schwarzen  Kruste 
überzieht,  und  die  Strafsen  sind  augenblicklich  in  tosende  Giefs- 
bache  verwandelt.  Aber  schon  nach  einer  Viertelstunde  schweigt 
der  Sturm,  die  Sonne  bricht  herrlich  aus  den  Wolken  hervor  und 
balsamische  Kfihle  durchzieht  die  vor  kurzem  noch  so  gltthende, 
lechzende  Stadt 

Dies  ist  der  Schauplatz,  auf  welchem  sich  das  schnell  pulsierende 
Leben  der  Portefios  bewegt. 

Betrachten  wir  nun  die  einzelneu  Bestandteile  dieser  viel- 
sprachigen BevölJcemng,  von  der  jedenl'alls  die  Hälfte  noch  auf 
fremder  Erde  geboren  ist. 

*)  Die  jährliche  Regenmenge  beträgt  865,«  mnii  der  höchste  raomitliche 
Hiedeischlag  (im  Oktober)  96^  mm  nnd  der  niedrigste  (im  Juli)  42,t  mm.  INese 
ICittol  sind  ans  den  meteorologischen  Beobachtmigen  von  1866—76  gewonnen. 


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—  316  — 


Die  erste  Stelle  gebührt  den  CriolhSy  d.  h.  den  dort  von  Eltern 
spanischer  Ahstammnng  geborenen  und  in  den  argentinischen  Sittoi 
aufgewachsenen  Porteüos.  Ein  Teil  derselben  stammt  von  reichen, 

altan^esessenen  Familien,  die  seit  Jahrhunderten  im  Wohlstande  er- 
zogen, eine  stattliche,  ehrgeizige  Aristokratie  bihlen  und,  ij:anz  unähnlich 
den  Newyorker  „Knickerbockers",  noch  heutzutage  ihren  Stolz  darin 
setzen,  nicht  blos  die  ältesten,  sondern  aucli  die  verdienstvollsten 
Geschlechter  zu  bilden.  So  sieht  mau  die  Söhne  der  besten  Familien 
mit  Eifer  die  Rechte  oder  Medizin  studieren,  und  findet  sie  unter 
den  ersten  im  Forum  und  am  Krankenbette.  Aus  ihnen  entwickeln 
sich  jene  talentvollen,  uneigennützigen  Staatsmänner,  welche  der 
Bepublik  von  jeher  zur  schönen  Zierde  gereicht  haben.  —  Neben 
ihnen  figurieren  seit  etwa  90  Jahren  die  Abkömmlinge  der  einfachen 
Landbevölkerung,  die  ohne  weiteres  Zuthun  enorm  bereichert  durch 
die  grofsartige  Wertsteigern ng  des  Landes  und  der  lleerJen,  in 
kurzer  Zeit  zu  Millionaren  emporgewachsen  sind.  Auch  unter  diesen 
hat  die  angestammte  spanische  Noblesse  manch  stattlichen  Kavalier, 
manch  hervorragenden  Staatsmann  erzeugt;  doch  im  allgemeinen 
haben  leider  Geistesbildung  und  Gefühl  für  die  bürgerlichen  Flüchten 
selten  Schritt  gehalten  mit  den  gesteigerten  Vermögensumständen, 
so  dafo  in  dieser  Klasse  noch  oft  genug  der  Rotürier  an  allen  Ecken 
und  Enden  hervorguckt.  Aber  wie  grofis  und  einschneidend  auch 
der  Unterschied  zwischen  alter  und  neuer  Aristokratie,  und  wie 
verschiedenartig  ihr  Erscheinen  in  der  öffentlichen  Welt,  so  bewun- 
dernswert taktvoll  und  würdig  ist  das  Auftreten  der  Damen  beider 
Klassen.  Mit  der  persönlichen  Anmut  und  Schönheit,  welche  die 
spanische  Rasse  auszeichnen,  vereinigen  sich  hier  Eleganz  und 
formenvolles  Benehmen  nebst  klarem  Geiste  und  wahrer  Herzens- 
bildung derartig,  dafs  der  Beobachter  sich  hingerissen  und  unter- 
jocht fühlt  von  so  viel  Liebreiz  und  Frauentugend.  Und  wenn  die 
alteren  Damen  auch  nicht  selten  eine  gewisse  Hinneigung  zur 
Eirchlichkeit  an  den  Tag  legen,  so  sind  sie  darum  nicht  minder 
treue  Gattinnen  und  tttchtige  Familienmütter.  Die  Frauen  dieser 
Stände  9ind  wahrlich  die  Blüten  des  argentinischen  Volkes. 

Die  Lebensweise  ist  in  diesen  Familien  natürlich  tast  ganz  nach 
europäischem  Stil  eingericlitet;  die  meisten  haben  sich  längere  Zeit 
in  der  alten  Welt  aufgehalten,  so  dafs  man  sich  oft  in  den  Zirkeln 
der  guten  französischen  Gesellschaft  glaubt.  Wir  müssen  nämlich 
nicht  vergessen,  dafs  der  gebildete  Argentiner  vollständig  französische 
Sympathien  hat,  einesteils  weil  die  gesamte  politische  Entwickelung 
des  Volkes  eng  verknüpft  ist  mit  der  jener  Nation,  und  dann  weil 
die  Charaktmigentttmlichkeiten  beider  sich  in  vielen  Stücken  recht 


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—  317  — 

ähulich  sind;  nur  kennzeichnet  den  Arjj:entiner  stets  eine  gröfsere 
Gehaitenheit  und  Würde  selbst  in  den  einfachsten  Angelegenheiten 
des  täglichen  Lebens.  Dagegen  sei  hier  gleich  erwähnt,  daCs  die 
unteren  Volksklassen  noch  völlig  die  dem  Altspanier  anwurzelnde 
Abneigung  gegen  seine  Nachbarn  auf  der  anderen  Seite  der 
Pyrenäen  bewahrt  haben.  —  Als  Yereiniguugspiinkte  fOr  diese  ver- 
feinerten Gesellschaftskreise  dienen  zwei  grofse  Klubs,  del  Progreso 
und  dcl  Plata,  deren  periodische  Bälle  einen  gläuzendeu  Luxus  mit 
"viel  gutem  Ton  zur  Er.scheiimnü:  bringen. 

Zum  Mittelstande,  wenn  wir  darunter  die  in  bescheidenen  Ver- 
hältnissen lebenden  Portefios  beiireifen  wollen,  gehören  verhältnis- 
mälsig  wenige  Familien.  Es  sind  dies  kleinere  KauÜeute,  einige  Beamte 
und  die  Schar  jener  Advokaten  und  Notare,  Ärzte,  Ingenieure  und 
Periodisten,  deren  beschränkte  Einnahmen  sie  verhindern,  am  Treiben 
der  Beichen  teilzunehmen.  Das  Lehen  dieser  ist  einfach  genug, 
wenn  auch  stets  grolses  Gewicht  auf  die  äuIiBere  Erscheinung  gelegt 
wird;  so  findet  man  z,  B.  stets  glänzend  eingerichtete  Empfangs- 
zimmer, trotzdem  der  Rest  des  Hauses  oft  recht  sparsam  möbliert 
ist,  und  die  weiblichen  Familienglieder  zeigen  einen  in  Deutschland 
unbekannten  Luxus  der  Toilette,  welcher  sie  jedoch  nicht  hindert, 
thätig  und  eigenhändig  in  das  Hauswesen  selbst  einzugreifen. 
Während  die  Männer  dös  Tages  ihren  Geschäften  obliegen,  die 
Abende  aber  im  Ca£6  oder  in  politischen  Versammlungen  hinbringen, 
teilt  das  Leben  der  Frauen  sich  zwischen  den  Sorgen  der  Wirt- 
schaft und  der  Kindererziehung,  nur  zeitweilig  unterbrochen  durch 
einen  abendlichen  Spaziergang  in  den  glänzend  erleuchteten  Haupt- 
strafisen, den  Besuch  einer  Freundin  oder  den  des  Theaters.  ^Auch 
dorthin  gehen  die  Damen  meist  allein  und  zwar  der  Billigkeit  wegen 
auf  die  höchste  Gallerie,  welche  ausschliefslich  ihnen  vorbehalten 
ist  und  stets  einen  reichen  Kranz  lieblicher  Gesichter,  und  hinter 
wehenden  Fächern  hervorblitzendc  Augen  aufweist. 

Unter  den  arbeitenden  Klassen  fehlen  die  Handwerker  fast 
ganz,  oder  treten  doch  wenigstens  gegen  die  Fremden  völlig  in  den 
Hintergrund.  Nur  etwa  bei  den  Schriftsetzern  und  Zigarrenmachem 
dürften  mehr  Eingeborene  gefunden  werden ;  auch  ist  die  Anfertigung 
von  Seife  und  Kerzen  ein  spezifisch  argentinisches  Gewerbe.  Dagegen 
liefern  die  GrioUos  den  weitaus  grdfsten  Teil  der  Karrenfährer, 
sowie  der  Arbeiter  in  den  grofsen  Schlachthäusern,  Gerhereien  und 
Baracken.  Es  ist  dies  ein  rüstiges  Volk,  das  tüchtig  zu  arbeiten, 
aber  auch  zu  geuiefson  versteht,  und  bei  ihnen  linden  wir  noch  die 
nationalen  Tänze  und  Gesftnge,  sowie  den  altgewohnten  Hahnen- 
kampf, doch  auch  Ivarten,  Wein  und  als  Schlufs  nur  zu  oft  ein 


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—  318  — 


regelrechtes  Gefecht  mit  dem  Messer.  —  Neger  sind  sehr  wenig 
vorhanden,  so  dafs  man  vielleicht  ebensoviel  in  den  Strafsen  von 
London  sehen  könnte,  nnd  bekleiden  dieaelben  üast  ansnahmlos  hohe 
Chargen  als  Kutscher  in  den  reichen  Hftnsem  nnd  als  Fortiers  der 
yerschiedenen  Ministerien. 

Bei  der  fremden  Bevölkerung  herrscht  naturgemlfs  das  m&nn- 
liehe  Geschlecht  bedeutend  vor:  ist  es  doch  stets  der  rüstige, 
watttMifälii^^e  Teil  eines  Volkes,  der  sich  zur  Auswanderung  entschliefst, 
wiilircud  die  Frauen  mit  ungleich  gröfserer  Zähigkeit  an  der  heimischen 
Erde  hangen. 

Der  Zahl  nach  stehen  hier  die  Italiener  voran.  Unter  ihnen 
finden  sich  tüchtige  Ärzte,  Advokaten  und  Ingenieure,  doch  auch 
viele  wegen  ihrer  Habsucht  und  anderer  Untugenden  vermfeM 
Priester.  Einige  greise  HandelshAnser,  Kunsüaden,  Eisen-  und 
Schiffisgeschäfle  werden  von  ihnen  betrieben,  zugleich  ist  das  Detail- 
gescbäft  mit  Kolonialwaren  und  den  täglichen  Yerbrauchsartikdn 
fast  ausschliefsllch  in  ihren  Hftnden.  Der  Neapolitaner,  wenig  Freund 
der  harten  Arbeit,  durchzieht  die  Strafsen  als  Hausierer.  Schuh- 
flicker,  Fisch-  und  Obstverkänfer;  der  Genuese,  als  ^^eborener 
Seemann,  beherrscht  die  Küsteiischitiuhrt  und  den  Bootsverkehr 
des  Hafens,  wabrend  der  Norditaliener  teils  Garten-  und  Gemüsebau 
in  oft  recht  grofseni  Mafse  treibt,  teils  als  Destillateur,  Schlachter 
nnd  Bäcker  oder  als  Bau-  und  Bekleidungsbandwerker  reichlichen 
Verdienst  findet.  Wenn  auch  aller  Orten  die  charakteristischen  Rufe 
des  Morra  erschallen  und  die  Boccia  geworfen  wird,  so  leben  sie 
doch  sämtlich  höchst  genfigsam  und  ökonomisch,  was  am  besten 
aus  ^em  Umstände  hervorgeht,  dafs  in  nur  zwei  Banken  der  Stadt 
nicht  weniger  als  38  Millionen  Mark  von  ihnen  in  kleinen  Beträgen 
deponiert  sind.  Der  schwunghaft  betriebenen  italienischen  Bank 
geschah  schon  Erwähnung.  Für  den  Gemeinsinn  der  Kolonie  genügt 
ein  stattliches  Hospital,  und  drei  täglich  erscheinende  Zeitnui^en 
kennzeichnen  den  Grad  ihrer  Teilnahme  an  den  poUtischeu  und 
litterarischen  Ereignissen  der  Gegenwart. 

Kaum  geringer  an  Zahl  und  Bedeutung  sind  die  ÄUapanier, 
wenn  dieselben  auch  wegen  der  Gleichheit  der  Sprache  weniger  in 
die  Augen  fallen  und  sich  schneller  assimilieren.  Zu  ihnen  gehören 
einige  tüchtige  Litteraten  nnd  nicht  wenige  Priester,  auch  treiben  sie 
einen  sehr  betrachtlichen  Handel  mit  den  wertvollen  Erzeugnissen 
ihres  Heiniatlantles,  sowie  mit  Schnitt-  und  Modewaren.  Der 
richtige  Gallego,  so  bezeichnet  der  Volksmund  die  ungebildeten 
Klassen  der  iberischen  Einwanderung,  ist  mit  Vorliebe  vigilante 
(rolizeisoblat),  aguatero  (Wasser verkaufer),  changador  (Lastträger) 


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—  319  — 

oder  Diener  in  den  arcren tinischen  Familien,  und  ihre  Ehrlichkeit 
neben  auffälligem  Verstandesmangel  wird  gerühmt  Die  Basken 
dagegen,  mit  ihren  l&ndlichen  Gewohnheiten,  haben  auch  hier  vor- 
wiegend  eine  l&ndliche  Profession  ergriffen,  sie  treiben  Milchwirtschaft 
und  bringen  das  Produkt  ihrer  Meiereien  tftglich  oft  drei  Meilen 
weit  zu  Pferde  nach  der  Stadt  Dieselben  bilden  hierbei,  zwischen 
sechs  grofsen  Blechkannen  hockend,  neben  den  liautig  ebenfalls  be- 
rittenen Brotausträgeru,  einen  charakteristischen  Zug  in  der  Phy- 
siognomie des  erwachenden  Dueiios-Aires.  Aufserdem  findet  ein 
grofser  Teil  derselben  Beschilftigiing  in  den  Schlachtereien  und 
WoUdepots  von  Barracas,  so  dufs  diese  Vorstadt  zumal  bountags 
ein  entschieden  baskisches  Gepräge  trägt  Dann  drängen  sich  dort 
die  kräftigen  Männer  mit  den  nicht  weniger  stattlichen  Weibern  in 
der  malerischen  Tracht  ihrer  Berge  nach  der  Cancha  de  Pelota,  um 
das  nationale  Ballspiel  za  üben  oder  die  Barra  (die  eiserne  Stange) 
zu  werfen.  Tüchtige  Arbeiter,  ehrenhaft  von  Gräinnung  und  ehrbar 
an  Sitten,  bilden  sie  unstreitig  das  beste  Element  der  europäischen 
Einwanderung  an  den  Ufern  des  La  Plata.  Selbst  eine  Zeitschrift, 
der  ^Laurac  Bat"  erscheint  in  baskischer  Sprache,  und  da  zu 
gleicher  Zeit  die  allgemein  spanischen  Interesseu  durch  zwei  fernere 
Blätter  vertreten  sind,  so  scheint  die  durchschnittliche  Bildung  der 
Spanier  in  Buenos-Aires  auf  höherer  Stufe  als  jene  der  Italiener  zu 
stehen,  welche  nur  zwei  Zeitungen  besitzen.  —  Ein  schönes  Kranken- 
haus wurde  vor  einigen  Jahren  durch  freiwillige  Beiträge  gegrOndet 
Unter  den  Repräsentanten  des  franMösiseken  Volkes  finden  sich 
aufser  Ingenieuren  und  Ärzten  nur  wenige  Grolshändler  und  einige 
Barraqueros.  Dagegen  sind  die  grofsen  Gasthäuser,  die  Bestaurants 
und  CMs  fast  ausschliefslich  in  ihren  Händen,  ebenso  die  Mode- 
geschnfte.  Bazare  und  Friseurladen.  Und  fügt  man  dazu  noch  die 
feinen  Schneider  und  Schuster,  sowie  den  nützlichen  Stand  der 
Kellner  und  Köche,  so  dürfte  das  französische  Element  genügend 
charakterisiert  sein.  Freilich  rechnet  die  Statistik  auch  die  Bewohner 
des  Nordabhanges  der  Pyrenäen  zur  selben  Nation,  und  damit 
schwillt  allerdings  die  Zahl  der  französischen  Kolonie  sehr  bedeutend 
an;  doch  halten  sich  diese  Basken  ganz  zu  ihren  spanischen  Vettern» 
denen  sie  in  jeder  Beziehung  sehr  ähnlich  sind,  und  müfsten 
eigentlich  zu  diesen  gezählt  werden,  da  sie  auch  häufig  kaum  ein 
Wort  ihrer  offiziellen  Landessprache  verstehen.  —  Die  geistige 
Ilegsamkeit  des  gallischen  Volkes  zeigt  sich  in  drei  Zeitungen,  von 
denen  besonders  der  .Courier  de  la  Plata'*,  sehr  gewandt  redigiert, 
sich  eines  grofsen  Leserkreises  auch  unter  den  Nichtfrauzoseu  erfreut. 
Auch  besitzt  die  Kulouic  ein  stattliches  Hospital. 


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—  320  — 

Die  Beutsclyin  folgen  erst  in  vierter  Linie  und  dürften  kaum 
die  Zahl  von  6000  Seelen  übersteigen ;  doch  betinden  sie  sich  meist 
in  guten,  angesehenen  Stellungen  und  sind  als  einzelne  wegen  ihrer 
anerkannten  Tüchtigkeit  und  Pflichttreue  gescbAtzt  Leider  kau 
man  dasselbe  nicht  Yon  der  Gesamtheit  aussagen,  welcher  die 
frankophilen  PorteOos  der  gebildeteren  Klassen  noch  immer  nicht 
die  Ereignisse  der  letzten  Jahre  verzeihen  können.  —  Zu  des 
Ärzten  and  Ingeniearen,  den  Schalmftnnem  nnd  Gelehrten  von 
Buenos-Aires  stellt  unser  Volk  ein  sehr  bedeutendes  Kontingent 
und  unter  den  deutschen  Kaufleuten  tinden  sich  wohl,  mit  den  eng- 
lischen, die  bedeutendsten  Importhäuser  von  Schnitt-  und  Eisenwaren. 
Getränken,  Tabak  u.  a.  ni.,  während  zujrleich  ein  grofser  Teil  des 
Exportes  an  Wollen  und  H&uten  durch  ihre  Uande  geht.  Die 
Apotheken  und  lUichhandlungen,  die  Gerbereien,  Branereien,  Litho- 
graphien und  Maschinenwerkst&tten  der  Deutschen  z&hlen  zu 
den  besten  der  Stadt,  und  als  Beweis,  dab  anch  hier  das  Handweik 
seinen  goldenen  Boden  bewahrt,  finden  wir  die  Möbeltischler  and 
Tapezierer,  die  Sattler,  Schneider,  Schuster  und  Bftcker  samtlich 
in  blühenden  Verhältnissen.  Dieser  allgemeine  Wohlstand  bekundet 
sich  auch  äufserlich  durch  die  stattliche  evangelische  Kirche  uutl 
eine  tüchtig  geleitete  Schule  für  beide  (Geschlechter,  an  welcher  den 
Knaben  die  Bildung  eines  deutschen  Realgymnasiums,  jedoch  mit 
Weglassung  etwa  der  Prima  und  Sekunda,  erteilt  wird.  Aufserdem 
unterb&lt  die  Gemeinde  ein  sehr  zweckmäfsig  angelegtes  Kranken- 
haus« Das  gesellige  Leben  wird  durch  die  Anwesenheit  zahlreicher 
Damen  verschönt,  und  findet  seinen  Ausdruck  in  einer  Keihe  Yon 
Vereinigungen,  deren  hauptsächlichste  der  Tum-,  der  litterarische 
nnd  der  Gesangverein,  sowie  die  Germania  und  Konkordia  hier  er- 
wähnt sein  mögen ;  doch  ist  auch  der  Verkehr  der  einzelnen  Familien 
unter  einander  ein  sehr  reger  und  angenehmer.  Natürlich  fehlt  es 
ebenfalls  nicht  an  Zeitschriften;  es  erscheinen  davon  die  „Deutsche 
La-Plata-Zeitung'^  und  das  „Argentinische  Wochenblatt";  doch  sind 
leider  die  dortigen  Deutschen  trotz  aller  Vaterlandsliebe  zu  kosmo- 
politisch, um  nicht  zu  gleicher  Zeit  die  grofsen  argentinischen 
Blätter,  den  englischen  „Standard"  und  den  französischen  „Courrier"^ 
zu  lesen,  ja  darüber  die  eigenen  Zeitungen  zu  Ternachlässigen,  so 
dafs  sich  unsere  periodische  Litteratur  in  Buenos-Aires  noch  nicht 
die  ihr  gebührende  Stellung  erworben  hat. 

Noch  geringer  an  Zahl  sind  die  Engländer^  doch  jeden&Us 
ebenso  bedeutend  in  Bezug  auf  Stellung  und  Einflufs  als  die 
Deutschen.  Auch  unter  ihnen  finden  sich  tüchtige  Ärzte  nnd 
Ingenieure,  sowie  sehr  gewichtige  Finnen  im  Einfuhrhandel,  wahreud 

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zwei  grofse  Banken  ihren  gewaltigen  Einflnfe  auf  den  Oeldverkehr 
ausüben.   Buchhandlungen  nnd  Apotheken  erfreuen  sich  des  besten 

liule.s;  doch  fehlen  der  Kleinliaudel  sowie  der  Handwerkerstand  fast 
ganzlich.  Trotzdem  unterhalten  die  Anglosachsen,  zu  denen  ich 
hier  ebenfalls  nach  dortigem  Gebrauche  die  Bürger  der  Vereinigten 
Staaten  rechne,  nicht  weniger  als  drei  Kirchen,  und  das  älteste 
Hospital  gehört  ihnen:  sind  ihre  Beziehungen  zum  La  Plata  doch 
auch  weitaus  von  der  längsten  Dauer  und  findet  sich  ihr  Kapital  in 
allen  grödseren  Unternehmungen  des  Landes.  Mehrere  Klubs  ver- 
folgen neben  geselligen  auch  litterarische  und  gymnastische  Zwecke, 
und  drei  Zeitungen  dienen  den  Interessen  der  englisch  redenden 
Kolonie. 

Noch  manche  andere  europäische  Nationen  sind  im  viel- 
sprachigen Bueuos-Aires  vertreten ;  doch  wenn  ihre  Söhne  auch  oft 
genug  persönlichen  Wohlstand  und  Ansehen  erlangt  haben,  so  ver- 
schwinden sie  doch  gegen  diese  vier  Hauptgrui)pen  und  werden 
hänhg  mit  der  ihnen  verwandten  zusammen  gerechnet.  So  gelten 
die  Österreicher  je  nach  ihrer  Nationalität  für  Deutsche  resp.  Italiener 
und  die  Schweizer  assimilieren  sich  den  drei  verschiedenen  Volks- 
st&mmen,  deren  Sprache  sie  reden.  —  Den  gebildeten  Repräsentanten 
aller  fremden  Nationen  öffnet  sich  der  aristokratische  F^mdenklnb, 
welchem  anzugehdren  noch  vor  kurzem  als  eine  besondere  Auszeich- 
nong  unter  den  dort  residierenden  Ausländem  betrachtet  wurde. 

Diese  so  verschiedenartigen  Elemente,  deren  jedes  einen  he- 
deutenden  Teil  seines  Nationalcharakters  bewahrt  hat,  formen  ein 
vielgestaltiges,  interessantes  Ganze,  das  sich  natürlich  am  besten 
und  unmittelbarsten  im  Strafsefüeben  darthut,  worin  alle  nach  ihrer 
besonderen  Eigentümlichkeit  eingreifen.  Betrachten  wir  also  dasselbe 
an  einem  Frühlingstage,  ehe  die  gute  Gesellschaft,  Yor  der  steigen- 
den Sonnenhitze  fliehend,  die  Stadt  verlassen  hat. 

Schon  um  2  Uhr  morgens  erdrdhnt  das  Strafoenpflaster  unter 
ganzen  Zflgen  von  Ocbsenkarren,  denen  wahrend  des  Tages  der 
Emtritt  verwehrt  ist  und  welche  die  Einsamkeit  der  Nacht  benutzen, 
um  den  Markthallen  frische  Gemüse  und  andere  Verbrauchsartikel 
zuzuführen.  Ihnen  folgen  bei  zunehmendem  Lichte  Wagen  mit 
Luzerneklee,  die  berittene  Schar  der  Milchleute  und  Brotverteiler 
und  endlich  die  Zeitungsjungen,  welche  einige  zwanzig  verscliiedene 
Morgenblätter  mit  gellendem  Schreien  ausrufen.  Handwerker  eilen 
zu  ihrer  Arbeit  und  die  ambulanten  Händler  mit  Fischen,  Obst  u.  a. 
verteilen  sich,  von  den  Märkten  kommend,  in  den  entfernteren 
Vierteln,  willkommene  Vermittler  für  die  kleineren  Haushaltungen. 
Qegen  7  Uhr  füllen  sich  die  Straben  mit  frommen  Damen,  die  mit 

Q«ogr.  Bllttar.  BrMra»  18».  2B 


—  322  — 

ihren  Töchtern  zur  Frühmesse  gehen,  manchmal  begleitet  von  eioem 
oder  dem  anderen  filteren  Herrn;  die  Pferdebahnen  rasseln  hfinfiger 
nach  dem  Zentrum  und  die  vornehme  Köchin  fihrt  stolz  auf  ihr 
m  Markte,  während  der  berittene  Koch  irgend  einer  Baracke  nach 

der  Vorstadt  zurückkehrt,  den  gefüllten  Marktkorb  mühsam  auf 
dem  Sattel  balancierend.  Nun  beginnen  auch  die  Kinik-r  den 
Schulen  zuzuströmen,  und  oft  sieht  man  die  rosi^ren  Kleinen  mit 
ihren  Mappen  in  der  Hand  aus  dem  Tramway  steigen,  der  sie  viel- 
leicht eine  halbe  Meile  weit  befördert  hat.  Doch  von  9  Uhr  ab 
sind  diese  Gefahrte,  sowie  die  Eisenbahnzüge  angefüllt  von  Ge- 
sehAftsleuten,  welche  in  grane  Staubmäntel  gehallt  und  emaig  die 
Morgenzeitnng  studierend,  zur  Stadt  fahren.  Sie  haben  in  ihren 
Gartenhftnsem,  nnd  auch  die  besser  gestellten  Kommis  besitzen 
deren,  schon  ganz  substantiell  gefrOhstOekt  und  eilen  anf  die  Kontore, 
welche  sie  erst  des  Nachmittags  verlassen  werden.  So  fülleu  sich 
denn  bald  die  zentralen  Strafsen  mit  einer  geschäftigen  Menge  in 
demselben  Mafse  als  sich  die  entfernteren  entvölkern,  die  Buden 
werden  geöffnet,  halbnackte  Lasttrf\t:or  und  schwerbeladene  Karren 
kreuzen  sich  nach  allen  Richtungen,  die  Schellen  und  Hörner  der 
Pferdebahnwagen  ertönen  unaufhörlich  und  das  vielgestaltige  Treiben 
des  Tages  beginnt  in  allem  Ernste.  Gegen  11  Uhr  fahrt  auch  der 
wohlhabende  Advokat  nach  seinem  Bflreau,  die  Tribunale  und  Schreib- 
stuben öffnen  sich  nnd  in  der  S&ulenhalle  vor  dem  Stadthause,  wo 
dieselben  sich  befinden,  drangt  sich  die  dichte  Masse  des  prozefs- 
lustigen  Publiknms,  die  Langsamkeit  des  Gertehtsverfohrens  ver- 
wünschend und  auf  die  Worte  der  schwarzhärtigen,  schwarzgekleideten 
Anwälte  lauschend,  welche  ihren  gläultigcii  Opfern  nicht  blos  die 
schnelle  Erlediuuni:  ihrer  Sache,  sondern  auch  deren  LM"in-tigeii  Auf- 
gang als  unfehlbar  verkünden.  Doch  erst  um  Mittag  schreiten  die 
Angestellten  der  Ministerien  würdig  durch  den  Schwärm  der  Bitt- 
steller zu  ihren  Kabinetten  im  Regierungspalast;  auf  ihren  Schultern 
ruht  das  Wohl  des  Staates,  fanf  lange  Arbeitsstunden  stehen  ihnen 
bevor,  und  das  Anhören  so  vieler  Gesuche  wird  die  Mflhe  des  Tages 
nicht  verringern. 

Unterdessen  hat  sich  das  kanfraännlsche  Leben  an  der  Börse 
konzentriert,  deren  Geschaftsstunde  zwischen  12  und  Vii  Uhr  fällt, 
wenn  auch  das  Lokal  noch  bis  4  Uhr  geöffnet  blciht.  Eine  lantie 
Reihe  von  Wagen  nnd  nicht  wenige  Keitpferde  blockieren  die  be- 
nachbarten Strafsen,  ernste  GrofshAndler  schreiten  gewichtig  die 
Stufen  hinauf,  geschäftige  Makler  eilen  durch  <lie  gedrängte  Menge 
und  die  Kunstausdrücke  für  Wechselkurse  nnd  Staatspapiere  schwirren 
durch  die  Luft,  untermischt  mit  den  schrilleu  Uufen  der  Zeitungs- 


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—  323  — 

jungen,  welche  die  Nachmittagsblätter  ankündigen.  £s  ist  drückend 
heife,  auf  der  engen  StraCse  findet  sich  wenig  Schatten  and  noch 
weniger  Luftzug.  Doch  Qott  Mammon  fragt  nicht  nach  dem  per- 
sönlichen Wohlbefinden  sdner  Anbeter ;  auch  sie  müssen  im  Schweilse 

ihres  Angesichts  das  Brod  verdienen,  welches  ihnen  manchmal  wohl 
recht  ungleich  zugemessen  wird.  Glücklicherweise  bieten  zahlreiche 
Bierhallen  und  Lunchrooms  io  unmittelbarer  Nähe  dem  verschmach- 
tenden Sterblichen  Erquickung;  und  es  gewährt  ein  wohlthucndes 
Gefühl,  die  glühenden  Gesichter  der  eifrigen  Herren  zeitweilig  in 
den  kühlen  Schatten  dieser  Zufluchtsorte  tauchen  zu  sehen.  Der 
Körper  verlangt  sein  Recht.  Ober  all  diesem  Getümmel  aber  wehen 
zahlreiche,  riesenhafte  Fahnen,  welche  zu  Auktionen  von  allen  denk- 
baren Artikeln  einladen,  bunte  Flaggen  verkünden  die  Abfahrtszeiten  der 
verschiedenen  Dampfer,  an  den  Strafoenecken  lehnen  stumme  Mftnner 
mit  Plakaten  und  Anzeigen  der  abendliehen  Vergnügungen,  und  die 
gewaltigen  Kuppeln  der  Kathedrale  und  der  Merced  ragen  ernst 
hinauf  in  den  tiefblauen  Äther. 

Langsam  ebbt  das  geschäftliche  Leben  zurück.  Um  5  Uhr 
werden  die  Kontore,  Tribunale  und  Verwaltungsbüreaus  geschlossen 
und  die  Völkerwanderung  des  Morgens  ergiefst  sich  nun  mit  ver* 
doppelter  Lebhaftigkeit  hinaus  in  die  Vorstädte  und  nach  den  Land- 
häusern, da  jetzt  alle  zu  gleicher  Zeit  der  Tagesarbeit  enteilen. 
Doch  schon  vorher,  bei  beginnender  Kühle,  haben  die  Hauptstrafsen 
Viktoria,  Perü  und  Florida  ein  anderes  Ansehen  gewonnen.  Eine 
zahlreiche  elegante  Damenwelt  lustwandelt  auf  ihnen  unter  dem 
VoTwande  wichtiger  Einkäufe  in  den  glänzend  ausgestatteten  Laden. 
Geschmackvolle,  wenn  auch  häufig  zu  reiche  Toiletten,  Hüte,  Schirme 
und  Fächer  nach  der  neuesten  Mode  heben  die  anmutigen  Gestalten 
und  feurigen  Augen  der  schönen  Portefias  vorteilhaft  hervor,  und 
prächtige  Equipagen  mit  der  Creme  der  vornehmen  Welt  vollenden 
ein  so  anziehendes,  farbenprächtiges  Bild,  dafs  es  nicht  zu  ver- 
wundern, wie  auch  die  jungen  Elegants  es  für  durchaus  nötig  er- 
achten, Auge  und  Kürper  nach  den  Mühen  der  Schreibstube  durch 
einen  Spaziergang  in  denselben  Straben  zu  erfrischen. 

Leider  wollen  selbst  Schmetteriinge  essen  und  auch  Blumen 
bedürfen  der  Nahrung.  So  verdden  denn  ebenfalls  diese  eleganten 
Strafeen  in  den  Stunden  von  fünf  bis  sieben  Uhr,  um  dann  von 
neuem  in  vermehrter  Schönheit  zu  strahlen,  da  einesteils  die  brillante 
Erleuchtung  der  Schaufenster  den  Marchenaugen  der  Frauen  neuen 
Glanz  verleiht,  dann  aber  auch  die  Anzahl  der  Promenierenden  häufig 
der  Art  zunimmt,  dafs  an  einzelnen  Stellen  Queue  gebildet  werden 
nittfo.  In  den  grofsartigen  Modeläden  strömt  die  Schar  schaulustiger 

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324  — 


Damen  ein  und  aus,  oft  freilich  ohne  etwas  zu  kaufen,  die  präch- 
tigen Konditoreien  füllen  sich  mit  Eis  essenden  Schönen  und  bei  der 
freieren  Sitte  des  Südens  wird  im  Vorübergehen  unter  schon  Be- 
kannten manch  fröhliches  Scherzwort  gewechselt.  Langsam  ent- 
leert sich  dann  die  Promenaden,  Theater  und  Gesellschaften  absorbieren 
einen  ?iuten  Teil  des  Publikums,  und  der  Rest  der  jungen  Männer- 
welt sucht  Unterhaltung  in  den  zahlreichen  Klubs  und  CahVs. 

Des  Sonntags  dagegen  bietet  Buenos -Aires  ein  ganz  ver- 
schiedenes Bild.  Die  Läden  sind  geschlossen  und  die  belebtesten 
Strafseu  ausgestorben.  Wer  irgend  kann  von  der  fremden  Bevölke- 
rung, zieht  hinaus  ins  Freie.  Dort  siud  die  Kabaretts,  Fondas  und 
Caf6s  voll  heiteren  Volkes,  der  ferne  aristokratische  Park  von 
Palermo  wimmelt  von  Spaziergängern  und  in  der  Boca  del  Riachuelo 
drängen  sich  die  Vergnügunirsböte.  Die  wohlhabenderen  Familien, 
besonders  Deutsche  und  Engländer,  unternehmen  Picknicks  nach  den 
Inseln  des  Tigre,  nach  San  Isidro  und  anderen  Orten,  wo  grflner 
Rasen  und  kühler  Baumschatten  zum  ruhen  einladen;  der  fran- 
zösische Haarkrftnsler  aber  zieht  schwer  bewaffnet  hinaus,  unschuldige 
Vöglein  zu  morden.  Nur  der  minder  begüterte  CrioUo  teilt  diese 
allgemeine  Beweglichkeit  wenig:  er  neigt  nicht  zu  weiten  Spazier- 
gängen und  da  er  keine  Equipage  besitzt,  bleibt  er  zu  Hause.  Schon 
früh  ist  er  sittig  zur  Messe  gegangen  mit  Weib  und  Kind;  und 
besitzt  er  Töchter,  so  bat  er  sich  über  die  Gruppen  modisch  ge- 
kleideter Jünglinge  geärgert,  welche  den  Vorhof  des  Tempels  füllten. 
Dann  abw  verbrachte  er  den  Tag  einsam  zwischen  Zeitung,  Mate 
und  Zigarretten,  mit  der  einzigen  Abwechselung  des  höchst  frugalen 
FMhstüekes  und  der  obligaten  Sonntagssiesta.  Doch  endlich 
erwacht  auch  seine  Familie  zur  würdigen  Feier  des  Tages.  Die 
Hausfrau  nebst  den  Töchtern  tritt  gegen  fünf  Uhr  stattlich  geschmückt 
unter  die  Hausthttr,  und  die  jungen  Männer  promenieren  in  den 
gewöhnlich  so  einsamen  Strafsen  des  entlegenen  Viertels.  Spüter 
erfolgen  Besuche,  die  Freundinnen  vereinigen  sich  und  bald 
wird  fröhlich  nach  dem  Piano,  ja  selbst  zur  Guitarre  getanzt, 
während  Bier  und  Thee  die  Runde  machen.  Aber  schon  um  11  Uhr 
herrscht  tiefes  Schweigen  in  der  Vorstadt,  etwa  vom  Klirren  eines 
Pferdebahnwascens  unterbrochen,  und  weithin  schallen  die  Schritte 
des  verspäteten  Fufsgängers  zum  Verdrusse  eines  Galans,  der  durch 
das  eitersüchtige  (iitter  mit  der  Geliebten  plaudert. 

An  Volksfestlichkeikn  sind  aufser  der  Feier  der  beiden  nationalen 
Gedenktage  (25.  Mai  und  9.  Juli),  welche  in  der  herkönnulichen  Parade 
und  einem  grofsartigen  Feuerwerke  besteht,  die  Pferderennen  her- 
vorzuheben, welche  hei  der  nngeborenea  Vorliehe  des  Argentiners 


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325  — 


für  hi|»])ische  Spiele  .^irh  ile>  all^'emeinsteii  Interesses  bei  Fremden 
und  Criollos  erfreuen.    Im  iibrigen  verlaufen  dieselben  in  Buenos- 
Aires  {^elbst  ganz  naeb  tler  in  Europa  üblichen  Weise,  wovon  die 
Carreras  auf  dem  offenen  Lande  allerdincrs  vollständig  abweichen, 
und  sind  denselben  zwei  schöne  Bahnen  gewidmet,  die  w&hrend  der 
Saison  den  Tummelplatz  des  reit-  und  wettlustigen  Publikums  bilden. 
Ein  unseren  Kirchweihen  ähnliches  Fest  ist  das  de  Nuestra  'Seiiora 
de  la  Recoleta,  welches,  nrspranglich  spanischen  ürspranges,  am 
8.  September  gefeiert  wird,  doch  mehrere  Tage  hing  w&hrt  Da 
dasselbe  mit  dem  Ende  des  Winters  znsammenflllt,  so  ist  es  ffir 
die  Portenos  zum  Frühlingsfeste  geworden,  und  schon  am  frühen 
Morgen  zieht  männiglich  hinaus  nach  dem  Bajo  de  la  Kecoleta, 
einer  ausgedehnten  Wiese,  welche  sich  zwischen  der  hochgelegenen 
Kirche  dieses  Namens  und  dem  La  PlaUi  ausbreitet,  um  dort  im 
Schatten  prächtiger  Weiden  den  Tag  mit  essen  und  trinken,  si)ielen 
und  tanzen  zu  verbringen.   Hier  bietet  sich  eine  gute  Gelegenheit, 
das  Volksleben  der  Hauptstadt  in  seiner  harmlosen,  liebenswürdigen 
Weise  zu  beobachten.   Frohes  Lachen  und  Scherzen  ertönt  von 
allen  Seiten  und  häufig  wird  der  Zuschauer  eingeladen,  an  den 
Spielen  oder  am  Male  teilzunehmen;  doch  selten  hdrt  man  ein 
brutales  Wort  oder  ist  gezwungen  einer  jener  Raufereien  beizuwohnen, 
welche   an  anderen  Orten  so  gewöhnlich  sind.    Die  angeborene 
Höflichkeit  und  Würde  der  spanischen  Rasse  verleugnet  sich  selbst 
nicht  bei  den  niederen  Volksschichten.   Natürlich  erhebt  sich  dort 
auch  eine  iiaiize  Stadt  von  Zelten  und  Buden,  in  welchen  Schau- 
spiele und  Erfrischungen  aller  Art  feilgeboten  werden,  ebensowenig 
fehlen  Karussele  und  Glücksspiele ;  doch  hat  leider  der  Platz  selbst 
einen  grofsen  Teil  seiner  natürlichen  Heize  verloren,  seit  be 
Gelegenheit  der  Revolution  von  1880  die  schönsten  der  hundert- 
jährigen Weiden  umgehauen  wurden,  um  als  Palissaden  an  den 
Befestigungen  der  Stadt  zu  dienen.  —  Ähnliche  Feste,  wenn  auch 
von  geringerer  Bedeutung,  werden  noch  bei  den  Kapellen  von 
St.  Lucia  und  St.  Cristobal  gefeiert. 

Was  soll  ich  nun  vom  Karneval  erzählen,  diesem  ungeheuren, 
bacchantischen  Festtaumel,  welcher  Buenos-Aires  in  untileich  höherem 
Mafse  ergreift  als  wohl  irgend  eine  Stadt  des  südamerikanischen 
Kontinentes*?  Das  Bild  dieser  dreihunderttausend  ^lenschen,  welche 
in  den  wenigen  Strafsen  des  Korso  zusammengedrängt  drei  Tage 
kng  einzig  der  Freude  und  dem  Grenusse  des  Daseins  leben,  spottet 
jeder  Schilderung.  Das  alte  nationale  Spiel  des  gegenseitigen 
Begiefsens  mit  Wasser  und  des  Werfens  von  damit  gefüllten  Eier- 
schalen wird  freilich  nur  noch  in  den  Vorstädten  und  gegen  das 


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polizeiliche  Verbot  betrieben,  obgldeh  auch  dieses  bei  der  W&mw 

der  Jahreszeit  seine  Reize  hatte;  dagegen  erreichen  jetzt  die 
Portenos  beider  Geschlechter  denselben  Zweck  ebenso  gründlich, 
wenn  auch  bedeutend  kostspieliger,  durch  «inhalteudes  Benetzen 
des  Nächsten  mit  dem  wohlriechenden  Wasser  der  Pomitos, 
eleganter  kleiner  Spritzen  aus  Blei,  ähnlich  denjenigen,  in 
welchen  die  Ölfarben  der  Maler  aufbewahrt  werden,  und  die 
einen  feinen  Strahl  wohl  zehn  Schritte  weit  treiben.  I>och  dieee 
Privatecherze  yerschwinden  ToUst&ndig  vor  dem  überw&ltigeDden 
Eindmck  des  Korso,  welcher  allabendlich  die  beiden  HanptstraliBea, 
Florida  und  Yictoria,  in  der  Länge  Ton  fast  2  km  dnrehzieht 
Denke  man  sich  diese  ganze  endlose  Strecke  mit  Gasbögen  taghell 
erleuchtet  und  mit  tausenden  von  wehenden  Flaggen,  Festons  und 
Teppichen  geschmückt ;  denke  man  sich  ferner  auf  den  Bürgersteigen 
eine  dichte  Menge  von  fröhlichen,  höflichen  Menschen  langsam  dahin- 
flutend  und  sämtliche  Fenster  mit  den  schönsten  Franen  des  an 
diesen  so  reichen  Buenos- Aires  besetzt,  alle  im  vollen  Ballstaate 
und  alle  gleich  bereit,  den  Korso  zu  schauen,  wie  energisch  teil- 
zunehmen am  heiteren  Spiel  der  Pomitos.  Und  dazwischen  hin 
wnlzt  sich  nnn,  eine  Tielgegliederte  Schlange,  die  doppelte  Kolonne 
der  verschiedensten  GefUirte,  von  der  eleganten  Equipage  mit  dem 
Reprisentanten  der  feinen  Gesellschaft  und  dem  geschmadnroU  ver- 
hängten Wagen,  welchen  eine  Gesellschaft  von  etlichen  zwanzig 
maskierten  und  gleich  kostümierten  jungen  Mädchen  einnimmt,  bis 
zum  zweiräderigen  Karren,  der  einem  halben  Dutzend  grotesk  ^re- 
kleideter  Neger  zum  Vehikel  dient,  oder  der  rollenden  Plattform, 
auf  der  sich  irgend  eine  karnevaleske  Allegorie  abspielt.  Scherze 
und  Blumen  fliegen  von  Wagen  zu  Wagen,  steigen  auf  aus  der 
umstehenden  Menge  und  werden  lachend  derselben  zurückgegeben; 
unternehmende  Jflnglmge  erklimmen  die  Tritte  oder  das  Hinterteil 
der  Kutschen,  um  fröhliches  Gefecht  zu  beginnen  mit  deren  Insassen, 
welche  mit  gläsernen  Stkshern  kaum  das  Gesicht  vor  dem  indiskreten 
Pomitos  schützen  können,  und  ein  allgemeiner  Schauer  von  wohl- 
riechendem Wasser  erfüllt  die  Luft.  Durch  all  dies  Gewimmel  und 
Getöse  aber  schallt  von  Zeit  zu  Zeit  lustige  Musik:  es  sind  Com- 
parsas,  Scharen  von  20  bis  100  jungen  Leuten,  die  in  buntem 
Maskengewande  mit  wehenden  Fahnen  und  zum  Klange  von  selbst 
ausgefiüurten  Melodien  im  Korso  einherziehen.  Dieselben  sind  klub- 
artig  organisiert  und  haben  sich  wochenlang  in  den  jetzt  gespielten 
Melodien  geübt,  sei  es  mit  der  einfadien  Guitaire,  Trommeln  und 
Becken,  sei  es  mit  Geigen  und  FlOten  oder  gar  mit  dem  viel- 
stinmiigen  Orchester  einer  vollständigen  Milit&rmustk.  Nach  ScUub 


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des  Korso  werdea  sie  sich  unter  den  Töaen  ihrer  Instrumente  in 
den  StraHsen  zerstreuen,  mn  bei  bekannten  Familien,  wo  man  sie 
schon  mit  Ungeduld  erwartet,  Besnche  abzustatten  und  die  Nacht 
hindurch  zn  tanzen.    Und  wem  kein  gastfreies  Haus  die  Thflren 

öffnet  während  die.ser  Nachte,  der  findet  reichlich  Gelegenlieit, 
an  dem  Freiideutaurael  teilzunehmen,  in  den  reichgeschmückten 
Salons  der  beiden  aristokriitisclicn  Gesellschaften  del  Progreso  und 
del  Plata,  wo  die  Elite  der  eingeborenen  Aristokratie  gerade  bei 
dieser  Gelegenheit  ihren  höchsten  Glanz  entfaltet,  oder  auch  in  den 
hunderten  von  Maskenballen,  welche  Ton  allen  Theatern  und  Yer- 
gnttgungslokalen  der  verschiedensten  Art  veranstaltet  werden. 
Scharen  von  Masken  wogen  die  Nacht  hindurch  in  den  Strafsen, 
von  einem  Ballsaale  znm  anderen  ziehend,  fortwährend  ertönt  das 
elgentfimliche  Rufen  in  den  höchsten  Fisteltönen,  womit  dieselben 
sich  untereinander  begrüfsen,  und  wenn  endlich  die  Sonne  des 
folgenden  Tuges  schon  hoch  herai>glilnzt  vom  wolkenlosen  Firmament, 
sieht  man  noch  häufig  vermummte  Dämchen  mit  ihren  Galanen 
gleich  aufgescheuchten  Ncachtvögeln  durch  die  schon  belebten  Strafsen 
flattern.  Auf  so  viel  Lust  folgt  auch  hier  ein  Moment  der  Er- 
nüchterung: der  Aschermittwoch,  und  in  der  grauen  Dämmerung 
dieses  Tages  blickt  wohl  so  mancher  wehmütig  auf  den  geleerten 
Oeldbeutel  und  die  so  schnell  verrauschten  Augenblicke  des  Genusses ; 
doch  alle  haben  sich  köstlich  vergnflgt  und  schmieden  schon  jetzt, 
während  sie  den  gewohnten  Beschäftigungen  nachgehen,  tausend 
heitere  r^läne  fQr  den  nächsten  Karneval. 

Auch  meine  Schilderung  mufs  sich  nun  zu  einem  nüchternen, 
wenn  auch  wichtigen  Ge-^enstande  wenden,  zum  Handd  und  der 
Industrie  dieser  grol'sen  Stadt,  deren  Ertrag  in  letzter  Linie  doch 
auch  die  Lust  des  Faschings  bestreiten.  Schon  erwähnte  ich  den 
beträchtlichen  Wert,  welcbeu  die  jährlich  durch  den  Zoll  von 
Bnenos-Aires  gehenden  Waaren  repräsentieren  (328  Millionen  Mark); 
derselbe  steigerte  sich  im  Jahre  1882  auf  354Vs  Millionen  durch  die 
steuerfrei  ein-  und  ausgeführten  Artikel,  während  der  Transithandel 
TV«  Millionen,  der  Binnenhandel  mit  den  Flassen  aber  60V8  Millionen 
betrng.  Diese  Zahlen  beweisen  genugsam  die  grofse  kommerzielle 
Thätigkeit  der  Stadt,  wie  denn  auch  die  Statistik  desselben  Jahres 
nicht  weniger  als  717  Grofshändler  und  927  Agenten,  Makler,  Trans- 
portgeschäfte u.  a.  m.  aufzählt.  Auch  der  Kleiidiaiidel  i<t  mit 
4844  Läden  vertreten.  Für  die  Krnähnniix  der  Stadt  sorgen  309 
Etablissements,  als  Mühlen,  Üackereieu,  jS'udelfabrikeii  u.  a.  m., 
ohne  die  Schlachtereien  zu  rechnen,  welche  als  spezifisch  ländliche 
Geschäfte  angesehen,  also  auch  in  jenem  Verzeichnis  nicht  aufgeführt 


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werden.  Dage^eu  tiuden  sich  iu  deinselbeu  58  Destillationen,  Likör- 
fobriken  und  Bierbrauereien  (7),  sowie  1244  BekleidimgakfiiisUer, 
worunter  nidit  wenige  Putzmacherinnen.  Dmdfereien,  Photo-  und 
Lithographien  wurden  97  ermittelt,  Gasthftuser,  Gafifis  u«  a.  m. 
1159,  und  die  verschiedenartigsten  ferneren  Professionen  waren  dnrdi 
190S  Steuerzahler  vertreten.  An  Zeitungen  und  ZeitselnifteD,  wenn 
wir  solche  unter  die  industriellen  Unternehmungen  rechnen  dürfen, 
erschienen  98,  Ingenieure  gab  es  31,  und  Aerzte,  sowie  ihrer  \Yi$sen- 
schaft  nahe  stehende  Personen  wurden  341  gezählt  Doch  leider 
verschwei^rt  die  Statistik,  vielleicht  aus  einem  begreiflichen  Grefuhl, 
die  Legion  von  Advokaten  und  Auwalten,  welche  mit  Recht  als  eine 
Plage  der  Stadt  bezeichnet  werden. 

Auch  ttber  FMiaehea  will  ich  kurz  sein.  Seit  der  Wieder- 
vereinigung des  argentinischen  Gemeinwesens  im  Jahre  1862  hatte 
Buenos-Aires  den  wenig  neidenswerten  Vorzug,  zu  gleicher  Zeit 
Hauptstadt  der  Provinz  gleichen  Namens  und  provisoriseher  Sitz  der 
National gewalt  zu  sein.  Trotzdem  nun  aber  dies  Verhältnis  eine 
Menge  von  Kompetenzkonflikten  herbeiführte,  für  welche  auch  jährlich 
die  stehende  Gesetzesvorlage  „ley  de  la  Capital'*  Abhülfe  zu  scharten 
suchte,  so  waren  doch  zu  viel  entgegengesetzte  Interessen  im  Spiele, 
als  dafs  man  jemals  über  die  theoretische  Anerkennung  dieses  un« 
haltbaren  Zustandes  hinaus  gekommen  wäre.  Da  bot  die  Rebellion 
des  eigenen  Gouvemeun  von  Buenos-Aires,  des  Dr.  T<yedor,  eine 
passende  Gelegenheit,  die  heikle  Frage  mit  einem  Male  zu  erledigen. 
Die  Provinz  trat  die  Stadt  und  deren  nächste  Umgehung  an  den 
Gesamtstaat  ab,  und  der  Nationalkongrefs  erklftrte  dieselbe  am 
21.  September  1880  zur  Hauptstadt  der  Republik,  wahrend  jene  anf 
der  Stelle  begann,  mit  grofser  Energie  einen  neuen  Mittelpunkt  für 
ihre  Verwaltung  im  nahe  gelegenen  La  Plata  zu  schaffen. 

So  bildet  denn  jetzt  der  Stadtbezirk  von  Buenos-Aires  einen 
selbständigen  Teil  der  Republik,  sendet  als  solcher  seinen  Ab- 
geordneten zu  beiden  Häusern  des  Kongresses  und  wird  durch  einen 
direkt  vom  Präsidenten  ernannten  Intendente  verwaltet,  weichem  die 
Versammlung  der  Stadtvenurdneten  zur  Seite  steht  Bei  der  Wahl 
dieser  Körperschaft  haben  Auslander  das  Recht,  nicht  nur  zu  stimmen, 
sondern  auch  ernannt  zu  werden;  wir  begegnen  also  dem  in  der 
Bepublik  einzigen  Fall,  dafs  dieselben,  ohne  das  Bürgerrecht  erlangt 
zu  haben,  sich  au  der  inneren  Verwaluing  eines  der  Bundesstaaten 
beteiligen  können.  Die  Einnalunen  der  Stadt,  welche  eine  tüchtige 
Polizei  und  gut  organisierte  Feuer \y ehr  unterhält,  behefen  sich  1883 
auf  9  2m  OCX)  Mark  und  ihre  Ausgaben  auf  8  880000  Mark,  üefsen  so- 
mit noch  Kaum  zu  bedeutenden  Ersparnissen. 


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—  329  —  , 

Dies  ist  in  grofseu  Umrissen  das  jetziire  Biieiios-Aires  mit 
seinen  stattlichen  Kirchen  und  meilcnhingen  Strafsen,  seinen  eleganten 
Landhäusern,  blühenden  Gärten  und  der  vielsprachigen,  thatkräftigen 
Bevdlkemng,  weiche  auf  geistigem  wie  materiellem  Gebiete  gleich 
rastlos  und  bewufst  voran  drangt  Die  Zukunft  der  Stadt  audi  nur 
annfthemd  voraussagen  zu  wollen,  scheint  umnöglich;  denn  noch 
sind  ja  die  Hülfeqnellen  des  ungeheuren  Hinterlandes,  dessen  allmnigen 
Hafen  sie  bildet,  nicht  im  entferntesten  erschlossen.  Selbst  nach 
Abzug  der  südlichen  Regionen  Argentiniens,  die  später  einmal  nach 
Bahia  Bianca  oder  Patagones  gravitieren  dürften,  bleiben  ihr  noch 
immer  2V4  Millionen  qkm  tribntptiichtig;  ohne  die  aufserhalb  der 
Republik  gelegenen  Flufsgebiete  des  Parana,  Paraguay  und  Uruguay 
zu  rechnen,  also  viermal  so  viel  als  der  Flächeninhalt  von  ganz 
Deutschland.  Und  wenn  wir  selbst  davon  ein  ferneres  Dritteil  auf 
Gebirge,  Salzwüsten  und  Oedland  schreiben,  so  ist  dennoch  klar, 
dafe  auf  dem  Beste  von  IVs  Millionen  qkm  gut  50  bis  80  Millionen 
Menschen  ein  reichliches  Auskommen  finden  werden.  Aller  Konsum 
aber  und  jedes  Produkt  dieser  ungeheuren  Volkszahl  mufe  und  wird 
stets  seinen  Weg  über  Buenos-Aires  nehmen.  So  kann  man  denn 
mit  vollem  Rechte  schon  jetzt  den  Nameu  adoptieren,  welchen  der 
stolze  Porteüo  seiner  schönen  Stadt  beilegt:     Beina  del  La  Flata, 


Fischfang  und  Jagd  bei  den  Tlinicit- Indianern.*^ 

Von  Dr.  Auel  Kraue. 

15:ui  und  Gebrauch  des  Kiinocs.  Verschiedene  Arten  des  I-,ach.-.faiis;os ;  Zurichten 
und  Trocknen  der  Lachse  lür  den  Winterbedarl'.  Der  Forellenfang.  Dor  Ssagfang 
und  die  Berettmig  des  FieehOIe.    Heringsfang  nnd  BittHmmela  des  Heringerogeas. 

Dorsch-  und  Hellbutteufiin::  d^r  St'epf<ngptierc ;  Seeottern,  Kobben,  Delphine  nnd 

Walfische.  Jagd  der  Landsitugeticre.  Fallen  für  Bären  and  andere  Pelztiere.  Jagd 
auf  Bergschafe,  Bergziegen  und  Kentiere;  Jagd  auf  Vögel. 

Die  Thätigkeit  eines  Tlinkit  richtet  sich  in  erster  Linie  auf 
den  Fischfang;  durch  ihn  vornehmlich  erwirbt  er  seinen  Unterhalt, 
ihm  widmet  er  auch  den  gröfsten  Teil  seiner  Arbeitszeit.  Auf  die 
Herstellung  der  erforderlichen  Geräte  verwendet  er  grofse  Sorgfalt, 
und  nicht  geringen  Scharfsinn  hat  er  in  der  Erfindung  und  Zu- 
sammenstellttng  derselben  bekundet 

*)  Die  Redaktion  ist  der  Verlagsbuchhandloiig  von  Hermann  Costcnoblo  in 
Jena  für  die  gütige  Erlaabnia  sam  Abdruck  dieses  Kapitels  ans  dem  in  ihrem 
Verlag  erschienenen  Werke  unseres  Mitgliedes  Herrn  Dr.  Aurel  Krause  über  die 
Tlinkit-Indiancr  und  ferner  für  die  gestattete  Benntznog  der  Uolzschuitte  zu 
lebhaftem  Dank  verpflichtet. 


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Unter  allen  dem  Tlinkit  für  den  Fisdifaiiir  erforilerlirlieu  Ge- 
rätschaften steht  (las  Kanoe  oben  an,  sowohl  seiner  ßedeutun}^  nach, 
als  seiner  zweckinäfsigen  und  kunstvollen  Bauart  wegen.  Diese 
Kanoes  werden  gewöhnlich  in  der  Winterszeit  ausi^oarbeitet,  die 
besseren  und  gröfseren  aus  dem  Stamme  der  roten  Zeder.  Thuja 
gigantea  Nutt.,  weniger  gute  aus  dem  der  Sitkafichte,  IMcea  Sitcheusis 
Carr.,  oder  aus  Pappelbäumen.  Starke  und  gesunde  Stamme,  die 
nicht  gekrümmt  und  nicht  spiralig  gedreht  simu  dürfen,  werden 
dazu  ausgesucht.  Das  Fällen  geschieht  noch  jetzt  meist  in  der 
Weise,  dafs  mit  der  Axt  in  den  stehenden  Baum  auf  der  Windseite 
ein  Loch  geschlagen  und  daselbst  ein  Feuer  angezündet  wird,  welches 
langsam  weiter  frifst,  bis  nach  einigen  Tagen  der  Stamm  um:>türzt 


Hnna-Indiancr  beim  Kanoebau.   Nach  eiuer  Photographic. 


Alsdann  wird  zuerst  die  Aufsenseite  mit  einer  nach  Art  eiuer  Hacke 
geformten  Axt  bearbeitet,  und  erst  wenn  sie  die  gewünschte  Form 
erhalten  hat,  mit  der  Aushöhlung  begonnen.    Zur  Erreichung  einer 

Auf  der  Vancouver-Insel  sah  ich  eine  verbesserte  Methode  dieser  Art 
des  Fällens  von  englischen  Holzhauern  angewendet,  die  darin  bestand,  dafs  mit 
den  weiten  horizontalen  Bohrlöchern,  in  welchen  das  Feuer  angezündet  wurde, 
schräge  Bohrlöcher  kommunizierten,  welche  als  Zugkanäle  dienten.  —  Diese 
Methode  führte  viel  schneller  zum  Ziel,  und  schon  nach  24  Stunden  konnte 
durch  dieselbe  einer  jener  Baumriesen,  welche  die  dortigen  Waldungen  aus- 
zeichnen, zu  Fall  gebracht  werden. 


,  Googi 


—  331  — 


f^leithiiKif^igen  Wandstärke  werden  von  aufseii  im  Abstände  von  2 
bis  8  dm  kleine  Löcher  bis  zu  einer  bestimmten  Tiefe  hinein tjebohrt 
und  in  dieselben  hölzerne  Stifte  gesteckt;  kommt  der  Ai^beiter  vou 
innen  an  dieselben,  so  wei£s  er  sich  nach  ihnen  zu  richten.  Um  ein 
möglichst  grofses  Kanoe  aus  einem  gegebenen  Stamm  herstellen  zu 
können,  wird  derselbe  ungef&hr  zu  '/s  seines  Durchmessers  dazu 
verwendet;  das  so  geschaffene  Kanoe  hat  denmach  eine  sehr  unge- 
schickte Form;  die  Seitenwände  sind  oben  nach  innen  eingebogen, 
Vorder-  und  Hinterende  sind  nur  weni«:  erhöht,  so  dafs  das  Fahrzeug 
auf  dem  Wasser  aufserordentlich  leicht  unischlageu  würde.  Die 
passende  Rundung  des  Bauches  und  damit  zugleich  auch  eine  gröfsere 
Stabilität  wird  nun  durch  das  folgende  Verfahren  erreicht.  Das 
Kanoe  wird,  nachdem  die  vorhin  erwähnten  Bohrlöcher  in  den 
Wänden  durch  Holzptiöcke  fest  verstopft  sind,  mit  Wasser  gefüllt 
und  dieses  durch  Einbringen  heiXser  Steine  zum  Kochen  erhitzt; 
dann  werden  Querholzer  eingefügt,  welche  die  nachgiebig  gewordenen 
Seitenw&nde  auseinanderpressen  und  allmählich  durch  immer  längere 
ersetzt  werden,  bis  schlielsUch  eine  regelmäfsige  und  zweckmäfsige 
Ausbauchung  erzielt  worden  ist. 

Die  Kanoes  werden  in  sehr  verschiedenen  Gröfsen  angefertigt, 
die  kleinsten  sind  nur  für  2  oder  3  Leute  berechnet,  die  gröfsten 
tragen  30  und  mehr  Manu.  Lisiansky  sah  einige,  die  45  Fufs 
mafsen  und  wohl  60  Mann  fassen  konnten*).  Mitunter  werden  die 
Wände,  wie  auch  Lütke  angiebt,  noch  durch  Seitenplauken  erhöht. 
Bei  den  grölseren  sind  die  Schnäbel  öfters  mit  geschnitzten  Figuren 
verziert  und  die  Seitenwände  bunt  bemalt.  Nach  Lütke  führen  sie 
auch  Namen,  wie:  Sonne,  Moud,  Gestirn,  Erde,  Insel,  Schamane, 
Walfisch,  Otter,  Adler,  Rabe  und  dergleichen,  deren  entsprechende 
Figuren  am  Vorder-  und  Hinterteil  angebracht  sind^). 

In  der  Form  sind  alle  Kanoes  gleich,  lanir,  schmal  und  vorn 
und  hinten  hoch  zugespitzt.  Da  weder  ein  Kiel  vorhanden  ist,  noch 
Ausleger  benutzt  werden,  gehört  die  ganze  Geschicklichkeit  eines 
Tlinkit  dazu,  bei  stürmischem  Wetter  und  hohem  Wellengange  das 
leichte  Fahrzeug  vor  dem  Umschlagen  zu  bewahren.  In  kleineren 
mnls  er,  um  den  Schwerpunkt  möglichst  tief  zu  erhalten,  direkt  auf 
dem  Boden  mit  vorgestreckten  Beinen  sitzen  oder  auf  den  Knieen 
hocken ;  aber  auch  in  gröfseren  dürfen  Bewegunjren  nur  mit  grofser 
Vorsicht  ausgeführt  werden.  Die  Kanoes  werden  mit  kurzen,  etwa 
IV»  m  langen  Schaulelrudern,  Paddeln,  fortbewegt.    Diese  haben 

Lisiaubky  240. 
•)  Lütke  I,  212. 


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—  382  — 

einen  iiiirt  in  (icstalt  v'um'  Krücke  und  werden  in  dor  Wui.se  rejj;ieri. 
dafs  die  eine  Hand  den  Knopf  festhält  nnd  ilin  naeli  vorwärts  druckt, 
während  die  andere,  welche  die  Mitte  des  Ruders  erfalst  hat,  die 
Schaufel  durch  das  Wasser  zieht.  Ähnliche  nur  etwas  lAngere 
Schaufeln  dienen  zum  Steuern.  Bei  Feierlichkeiten  werden  audi 
bunt  bemalte  Ruder  benutzt 

Entsprechend  der  Summe  von  Arbeit,  welche  auf  die  Her- 
stellung eines  guten  Kanoes  verwandt  wird,  stehen  dieselben  auch 
in  hohem  Werte.  Zu  Holmbergs  Zeit  hatte  ein  grofses,  sogenanntes 
Kriegskanoe  in  russischen  Waren  einen  entspreclienden  Wert  von 
800  Banko-Hubeln*),  jetzt  werden  von  den  Amerikanern  bis  zu 
150  Dollars  für  die  grüfseren  gezahlt. 

Ein  so  wertvolles  Stück  wird  von  dem  Tlinkit  auch  sorgsam 
behandelt.  Beim  Anlanden  wird  das  Auflaufen  auf  Steine  oder  Felsen 
möglichst  vermieden,  aus  dem  Bf  reiche  der  Flut  werden  sie  getragen 
und  nicht  geschleift,  bei  der  Fahrt  im  Sonnenschein  halt  er  die 
Wftnde  durch  Bespritzen  mit  Wasser  feucht,  bei  der  Rast  am  Strande 
sucht  er  sie  durch  wollene  Decken  oder  durch  Matten,  welche  aus 
Zedembast  gefertigt  sind,  Tor  der  Einwirkung  der  Sonnenstrahlen 
zu  schützen.  Wird  aber  dennoch  das  Boot  einmal  schadhaft,  wie 
es  bei  der  geringen  Stärke  der  Wände,  welche  nur  etwa  2 — 3  cm 
beträgt,  gar  zu  leicht  geschieht,  so  bessert  er  den  Schaden  auf  das 
sorgfältigste  aus,  indem  er  neue  Wandstücke  einsetzt,  die  Risse 
mittelst  der  Wurzeln  der  Sitkatichte  imd  der  gelben  Zeder  zu- 
sammennäht oder  durch  schwalbenschwanzförmig  ausgeschnittene 
Holzstacke  zusammenzieht  und  schliefslich  die  Fugen  wasserdicht 
mit  Harz  verschmiert 

Trotz  der  Geschicklichkeit,  welche  die  Tlinkit  in  der  Hand- 
habung des  Kanoes  besitzen,  wagen  sie  sich  doch  nicht  gern  mit  ihm 
bei  stOrmischem  Wetter  in  die  offene  See  hinaus.  Werden  sie  aber 
während  der  Fahrt  von  einem  plötzlichen  Unwetter  überrascht,  so 
zeigen  sie  sich  der  Gefahr  völlig  gewachsen.  Mit  gespannter  Auf- 
merksamkeit beobachten  sie  dann  jede  herankommende  Welle,  und 
wenn  eine  aufsergewöhnlich  hohe  das  leichte  Knnoe  umzuwerleu 
droht,  so  schlagen  sie  mit  ihren  üudern  dach  auf  dieselbe,  was  den 
Eindruck  gewährt,  als  drückten  sie  die  Woge  herunter,  während  sie 
in  Wahrheit  das  Boot  auf  sie  hinaufbeben. 

Es  scheint  nicht,  dafs  die  Tlinkit  den  Gebrauch  der  Segel  vor 
der  Ankunft  der  Europ&er  kannten.  Jetzt  ist  derselbe  allgemein, 
doch  pflegt  man  nur  vor  dem  Winde  zu  segeln. 


*)  Holraberg  27. 

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—  333  — 


Indianische  Frauen  und  Kanoes  in  der  Taku- Bucht.    Nach  einer  Photographie, 

Wenn  auch  die  Meeresstrafsen  und  Buchten,  an  welclien  der 
Tlinkit  seine  Ansiedelungen  erbaut  hat,  aufserordentlich  fischreich 
zu  sein  pflegen,  so  findet  er  doch  nicht  zu  jeder  Jahreszeit  hier 
gute  Gelegenheit  zum  Fange.  Er  niufs  den  wandernden  Fischzügen 
folgen  und  bald  hier  an  der  Mündung  eines  Flusses,  bald  dort  in 
einer  flachen  Bucht  sein  Lager  aufschlagen,  oder  auch  mit  Angel 
und  Leine  hinaus  in  das  offene  Meer  fahren.  So  ist  denn  oft  für 
Wochen  und  Monate  das  Boot  sein  zweites  Heim,  und  in  demselben 
führt  er  auch  fast  all  seinen  Hausrat  und  die  Jagd-  und  Fischerei- 
gerüte  mit  sich. 

Keinem  Fisch  stellt  der  Tlinkit  so  eifrig  nach  wie  dem  Lachs, 
denn  dieser  ist  es,  der  seinen  Unterhalt,  zumal  im  Winter  und  auf 
Keisen,  wenn  andere  Nahrungsmittel  knapp  werden,  sichert.  —  Je 
nach  den  verschiedenen  Arten  und  Lokalitaten  sind  die  Methoden 
des  Lachsfanges  verschieden ;  im  folgendem  sollen  hauptsächlich  nur 
diejenigen  dargestellt  werden,  die  wir  selbst  am  Tschilkatflufs  zu 
beobachten  Gelegenheit  hatten.  Drei  Lachsarten  werden  hier  unter- 
schieden; die  geschätzteste  von  diesen  ist  der  rote  Lachs,  der 
durchschnittlich  ein  Gewicht  von  7  kg  und  eine  Länge  von  75  cm 
erreicht.  Ende  Juli  beginnt  derselbe  den  Flufs  hinaufzusteigen;  der 
llauptfang  geschieht  aber  erst  in  den  drei  folgenden  Monaten:  Juli, 


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334  — 

August  und  September.  Dem  rotoii  Lachs  folgt  der  weifse,  und  in 
einzelnen  Bächen  der  Buckellachs.  Man  fängt  nun  den  Lachs  ent- 
weder niif  Lachsspeeren  oder  mit  Haken  oder  in  Fallen.  Die  Lach»- 
Speere  besteben  ans  einer  4  bis  5  m  langen  Stange,  an  deren  Ende 
eine  lange  eiserne,  früher  knöcherne  Spitze,  die  sägeartig  mit  zahl- 
reichen tiefen  Einschnitten  versehen  ist,  lose  aufgesteckt  wird.  Der 
Fisch  wird  vom  Boote  aus  mit  dem  Speere  gespiefst;  die  Spitze  l(lst 
sich  dabei  aus  und  bleibt  infolge  der  zahlreichen  Widerhaken  im 
Fleisch  stecken,  während  sie  zugleich  durch  eiueu  Lederriemen  mit 
der  Stange  in  Verbindung  gehalten  wird.  Auf  diese  Weise  verhütet 
mau,  dals  der  wild  um  sich  schlagende  Fisch  die  Stange  zerbreche. 

Die  zweite  sehr  primitive  Art  des  Fanges  wird  gewöhnlich 
vom  Ufer  aus,  aber  anch  aus  dem  Kanoe  in  seichtem  Wasser,  be- 
trieben. Der  Fischer  senkt  eine  lange,  mit  einem  einfachen,  eisernen 
Haken  versehene  Stange  in  das  Wasser  und  zieht  sie  mit  eisem 
scharfen  Ruck  Aber  den  Kiesboden  zu  sich  heran,  mit  einer  Be- 
wegung, die  an  die  Handhabung  eines  Rechens  erinnert.  Das  trübe 
Wasser  des  Tschilkatflusses  erlaubt  es  uicist  nicht,  den  in  der  Tiefe 
schwimmenden  Fisch  zu  sehen;  aber  die  Mense  der  aufsteigenden 
Lachse  ist  doch  so  grofs,  dafs  häufig  genug  einer  derselben  von  dem 
spitzen  Uaken  durchbohrt  wird. 

Am  ergiebigsten  sind  die  Lachsfallen.  Auch  ihre  Einrichtung 
ist  eine  sehr  einfache.  Qner  durch  den  Flnfe,  vorzugsweise  an 
Stromschnellen  wird  ein  Flechtwerk  gezogen,  jedoch  mit  einzelnen 
Durchlässen.  Vor  diesen,  d.  h.  stromaufw&rts,  werden  geflochtene 
Körbe  anjsrebracht,  welche  ganz  nach  Art  unserer  Fischreusen  gebaut 
sind  und  auch  dieselben  Dienste  thun.  —  Diese  Art  des  Lachsfanges 
ist  auch  von  La  Perouse  bei  den  Eingeborenen  in  der  Lituja-Bai 
beobachtet  worden^). 

Der  gefangene  Fisch  wird  nun,  nachdem  Kopf,  Schwanz  und 
Flossen  abgeschnitten  worden  sind,  durch  einen  Längsschnitt  auf 
der  Bauchseite  geöffnet  und  dann  auf  den  Racken  der  L&nge  nach 
aber  einen  hölzernen,  dachförmig  konstruierten  Bock  gelegt,  so  dab 
die  beiden  Körperh&lften  Ober  die  Seiten  desselben  heraberfallen. 
und  Eingeweide  und  Rückgrat  bequem  herausgenommen  werden 
können.  Bei  dieser  Arbeit,  die  von  den  Frauen  besorgt  wird, 
wälirend  der  Fang  Sache  der  Männer  ist,  bedient  man  sich  meist 
halbmondförmig  geformter  iMesser  mit  rundem  Griff. 

Die  ausgenommenen  Lachse  werden  dann  auf  Stangengerüste 
gehängt,  gleichfalls  mit  der  Fleischseite  nach  aulsen.    Soviel  wie 

*)  La  Perouse  I,  169. 


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—  33Ö  — 


möglich  sucht  man  sie  vor  Regen  und  direktem  Sonnenschein  durch 
grüne  Zweige  zu  schützen;  bei  nassem  Wetter  werden  sie  auch 
wohl  innerhalb  des  Hauses  aufgeh&ngt  und  Im  Notfall  auch  über 
dem  Feuer  noch  getrocknet.  Die  getrockneten  Lachse  legt  man 
flach  ausgebreitet  auf  einander  und  schnürt  sie  zu  Bündeln  zusammen, 
welche  zu  gelegcntliciicm  Gobranche  aufbewahrt  Nverden. 

Ist  auf  diese  Weise  der  Wintervorrat  gedeckt,  so  wird  der 
Rest  des  Fanges  zur  Bereitung  von  Öl  benutzt.  Hierzu  eignet  sich 
besonders  der  sehr  fette,  aber  weniger  schmackhafte  weifse  Lachs. 
Die  Ölbereitung  geschieht  durch  Auskochen  in  Kanoes,  in  derselben 
Weise  me  bei  dem  eigentlichen  Olfisch,  dem  i^Ssag*^,  bei  dem  wir 
sie  gleich  näher  beschreiben  werden. 

Von  yiel  geringerer  Bedeutung  als  der  Lachslang  ist  der 
Forellenfang,  der  besonders  zur  Winterszeit  und  nur  zur  Befriedigung 
des  augenblicklichen  Bedflrfiiisses  betrieben  wird.  In  das  Eis  der 
Flüsse  werden  an  Stellen,  nnter  denen  etwa  1  m  tiefes  Wasser  vor- 
handen ist,  kleine  Löcher  geschlagen  und  ein  Köder  in  diesen  aaf 
den  Boden  versenkt.  Neben  der  gemachten  Öffnung  kauert  nun  der 
Indianer  nieder,  völlig  verhüllt  von  einer  wolleneu  Decke,  die  das 
direkte  Tageslicht  ablullt  und  dadurch  ebensowohl  einen  Blick  in 
die  schwach  erleuchtete  Tiefe  ermögliciit.  als  auch  den  Fischen  die 
drohende  Gefahr  verbirgt,  und  regungslos  erwartet  er  mit  dem  in 
das  Wasser  gesenkten  Fischspeer  die  herannahenden  Foreilen,  um 
sie  mit  schnellem  und  sicherem  Stofse  aufzuspiefsen.  Der  zu  diesem 
Fange  benutzte  Speer  hat  eine  kurze  mittlere  Spitze  von  Eisen  und 
zwei  Iftngere  seitliche  Zinken  aus  Holz,  deren  jede  mit  einem  nach 
innen  gerichteten  eisernen  Nagel  versehen  ist  Diese  Zinken  weichen 
nun  beim  Stofse  elastisch  auseinander,  wobei  sich  die  schräge  ein- 
gesetzten Ntägel  dem  Fische  in  die  Seiten  drücken. 

Ende  Februar  erscluiint  in  den  Flüssen  des  Tschilkatgebictes 
ein  kleiner,  zu  den  Stinten  gehöriger  Fisch,  Thaleichthys  pacificus 
Gir.,  der  von  den  Eingeborenen  „Ssag",  von  den  Englandern  und 
Amerikanern  ^sniallfish"  genannt  wird.  Da  zu  dieser  Zeit  der 
Wintervorrat  sich  schon  seinem  Ende  zuzuneigen  priegt,  wird  die 
Ankunft  des  Ssag  freudig  begrüfst  und  jung  und  alt  beeilt  sicli,  den 
schmackhaften  Fisch  wahrend  der  kurzen  Dauer  des  Aufstieges  zu 
fangen.  Der  Ertrag  dieses  Fanges,  der  nicht  allzu  reichlich  aus- 
fidlt,  ist  jedoch  nur  für  den  augenblicklichen  Gebrauch  bestimmt. 
Zwei  Monate  später  dagegen,  Ende  April  bis  Mitte  Mai,  erscheint 
derselbe  Fisch  in  viel  gröfseren  Scharen;  auch  sind  die  Individuen 
dann  starker  und  fetter.  Jetzt  wird  der  Fang  im  grofsen  betrieben, 
teils  mit  lieubeu  und  liakeu,  die  den  beim  Lachsfange  gebrauchten 


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Ähnlich  sind,  nur  ontsj)rochend  encjer  und  dünner  kon.stniiert  werden, 
teils  mit  Handnetzeu,  welche  wahrend  des  Winters  von  den  Frauen 
aus  Tiersehnen  angefertigt  worden  sind.    Die  gefangenen  Fisclii- 
werden  behufs  der  Ölgewiunung  in  Kanoes  geworfen,  welche  mau 
halb  im  Sande  vergr&bt  und  noch  durch  Pfosten  sichert  (iie  ao 
beiden  Längsseiten  eingeschlagen  und  durch  quer  über  das  Kanoe 
gespannte  Stricke  strafiT  angezogen  werden.   Daneben  werden  in 
einem  starken  Holzfener  Steine  von  Faust-  bis  Kopfgröfse  erhitst^ 
welche  man  dann  mittelst  einer  Holzzange  in  die  mit  Wasser  und 
Fischen  gefüllten  Kanoes  legt.   Das  Wasser  gerät  bald  ins  Sieden, 
und  indem  man  beständig  erhitzte  Steine  zufügt,  wird  es  einige 
Stunden  lang  kocliend  erlialten.    Die  abgekühlten  Steine  werden 
mit  einer  meist  siebartig  durchlöcherten  llolzscliaiifel  lierausgenommeD 
und,  nachdem  sie  auf  einer  Art  Holzrost,  der  über  das  Kanoe  gelegt 
wird,  mit  warmem  Wasser  abgespült  worden  sind,  nochmals  erhitzt, 
worauf  der  eben  beschriebene  Prozefs  noch  einige  Male  fortgesetzt 
wird.    Der  auf  der  Oberliäche  des  Wassers  schwimmende  Thran 
wird  darauf  durch  ein  halbkreisförmig  gebogenes  Stück  Zederrinde 
in  den  vorderen  Teil  des  Kanoes  fibergefährt  und  hier  mit  Holz- 
löffeln in  grofse  vierkantige  Hobskisten  übergeschdpft;  durch  längeres 
Stehenlassen  imd  durch  Abschöpfen  in  kleinere  Kisten  wird  er 
gereinigt.  —  Nach  dem  Erkalten  hat  der  Thran  das  Aussehen  und 
die  Konsistenz  des  Ganseschmalzes;  auch  soll  er,  wenn  er  aus 
frischen  Fischen  bereitet  wird,  nahezu  weifs  und  recht  wohlschmeckend 
sein.    Wenn  er  jedoch,  wie  es  gew<"ihnlich  geschieht,  aus  Fischen 
gewonnen  wird,  die  bereits  10  bis  14  Tage  in  einer  (iriibe  gelegen 
haben,  ist  er  für  einen  einigermafsen  zivilisierten  Gaumen  unge- 
niefsbar.  —  Der  im  Kanoe  zurückgebliebene  Brei  von  halbzerkoclitem 
Fisch,  welcher  noch  viel  Thran  enthalt,  wird  zur  weiteren  Aus- 
nutzung in  engmaschige,  aus  Wurzeifasem  geflochtene  Körbe  gefüllt, 
und  Wasser  und  Thran  durch  die  Poren  derselben  hindurchgeprefet 
Auch  durch  Austreten  mit  den  blofsen  und  keineswegs  Torfaer  be- 
sonders gereinigten  Fülsen  im  Kanoe  selbst  und  durch  nochmaliges 
Kochen  mit  heifsen  Steinen  wird  eine  möglichst  Tollständige  Ab- 
sonderung des  Thranes  bewirkt. 

Ein  mittelgrofses  Kanoe,  das  etwa  3  Mann  trägt,  liefert, 
wenn  es  mit  Fischen  gefüllt  war,  etwa  5  bis  6  Gallonen  Fischthran. 
Im  Jahre  1882  kamen  im  Tschilkatgebiet  auf  den  Mann  8  bis  12 
Kanoes,  was  als  ein  günstiges  Ergebnis  galt.  Der  Thran  dient  fast 
ausschliefslich  zur  Nahrung  und  wird  namentlich  zusammen  mit  ge- 
dörrtem Lachs  genossen.  Im  Herbste  werden  mit  ihm  ebenso  wiemit  dem 
Lachsfett  auch  verschiedene  Beeren  fttr  den  Winterbedarf  eingemacht 


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—  337  — 


Mitte  April  ist  die  Zeit  des  Heringfani^es;  in  dichten  Schwärmen 
ziehen  dann  die  Fische  zum  Laichen  in  die  flachen  Buchten,  und 
nur  germge  Mühe  erfordert  ihr  I  nng.   Etwa  3  m  lange  Stangen, 
die  am  unteren  Ende  mit  einer  Reihe  scharf  zagespitzter  Nagel 
Tersehen  sind,  werden  dazu  benutzt;  sie  werden  nach  Art  eines 
Schanfelruders  diurch  das  Wasser  geführt,  wobei  sich  die  Fische  auf 
den  Nageln  anfspiefoen,  mitunter  je  einer  auf  jedem  derselben.  Durch 
einen  kurzen  Schlag  auf  den  Bord  des  Kanoes  Iftfst  man  dann  die 
aufj?espiefsten  Fische  in  das  Boot  fallen.    Auf  diese  einfache  Weise 
wird  in  kurzer  Zeit  ein  Kanoe  mit  Fischen  ^^efiillt.  Dieselben  werden 
dann  je  nach  Bedarf  frisch  verzehrt  oder  an  Schnüren  getrocknet 
und  für  spiiteren  Gebrauch  aufbewali'rt.    Zugleich  mit  dem  Fange 
der  Heringe  sammelt  mau  auch  ihren  Bogen.    In  den  Buchten,  in 
welchen  die  Heringe  zu  laichen  pflegen,  werden  Fichtengezweig  und 
anderes  Reisig  wahrend  der  Kbbezeit  auf  den  blofsgelegten  Strand 
gelegt  und  in  verschiedener  Weise  daselbst  befestigt  Nachdem  die 
Fische  ihren  Bogen  an  dem  Reisig  abgesetzt  haben,  wird  es  wieder 
eingesammelt  und  an  Schnüren  oder  auch  auf  ausgebreiteten  Tflchern 
getrocknet.  Durch  Abbrühen  werden  dann  die  Eier  tou  den  Zweigen 
losgelöst  und  trocken  oder  mit  Fett  gemischt  für  den  Winter  aufbewahrt. 

Der  Dorsch-  und  der  Hcilbuttenfaiig  ist  besonders  ergiebig 
an  der  Aufseuküste,  aber  auch  im  Crofs-Sunde  und  in  der  Chatham- 
Strafse  wird  derselbe  betrieben.  Ein  unförmlich  grofser  Holzhaken 
mit  eisernem,  schritge  eingesetztem  Nagel  und  fast  stets  mit  mehr 
oder  weniger  kunstvoll  geschnitzten  Figuren  verziert,  dient  als  Angel- 
haken, als  Köder  irgend  ein  Fisch,  namentlicli  Stücke  vom  roten 
Lachs.  Die  Leinen  werden  ans  dem  Baste  der  roten  Zeder,  Thuja 
gigantea  Nutt.,  oder  aus  Thiersehnen  geflochten;  auch  werden  die 
langen,  fingerdicken  Stengel  des  Riesentanges,  Macrocystis  pyrifera 
Ag.,  welche  von  bedeutender  Widerstandsfähigkeit  sind,  dazu  be- 
nutzt*). Diese  Leine  wird  auf  den  Meeresgrund  mittelst  eines  Stein- 
senkers hinabgelassen  und  an  ihrem  oberen  Ende  ein  hölzerner 
Schwimmer  in  Gestalt  eines  Tieres  befestigt,  welcher  anzeigt,  wenn 
ein  Fisch  angebissen  hat;  durch  Tierblasen  wird  das  ganze  Gerät 
flott  erlialten.  Auf  diese  \Veise  können  zwei  Leute,  die  gewöhnlich 
zusammen  in  einem  Kanoe  ausziehen,  melirere  Leinen,  bis  zu  15  Stück, 
auslegen  und  beobachten^).  —  Hat  sich  nun  ein  Fisch  an  dem  Angel- 
haken festgebissen,  so  ^vird  er  an  der  Leine  heraufgezogen  und, 
sowie  er  über  Wasser  kommt,  durch  einen  kurzen  Schlag  auf  den 

•)  VgL  auch  ScheUchow  bei  Pallas  VI,  m  imd  Uohnberg  31. 

*)  Ygl.  auch  La  Perouse  I,  169;  Langsdorff  II,  115. 
Q«ogr.  Bllttar.  Bramen  1886. 


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—  342  — 

tiossenen  Jahren  uuf  erhebliche  Weise  erweitert  worden.  Es  darf 
liicrbei  nicht  verjressen  werden,  dafs  der  berühmte  Nordenskjöld  im 
Jalire  1883  den  Weg  von  der  See  aus  direkt  zu  einem 
Punkte  südlich  von  70  ^  n.  Br.  iaad;  allein  so  bemerkenswert 
dieses,  einfocfa  auf  der  Rückreise  von  West^rönland  ausgeführte 
Unternehmen  audi  erschien,  so  war  der  Besuch  am  Lande  doch 
allznknrz,  um  uns  einen  wesenttichen  Beitrag  zur  Kenntnis  desselben 
zn  liefern.  Dagegen  sind  die  in  den  Jahren  1884  und  1886  unter  der 
Leitung  des  dänischen  Marineleutnants  Holm  ausgeführten  Unter- 
suchungen daselbst,  als  entschieden  Epoche  machend  zu  be- 
trachten. 

Kapitän  Graah  erreichte  bekanntlich  von  der  Westküste  aus 
zu  Boot  als  äulsersten  Punkt  die  Dannehrogs-Insel  unter  65V4^  n.  Br. 
Als  ein  Hauptverdienst  seiner  Reise  war  wohl  die  vorläufige  Ent- 
scheidung der  Frage  von  der  Lage  der  alten  Kolonie  „Österbygden" 
zn  betrachten,  indem  er  nfimlich  so  wichtige  Gründe  für  die  Annahme 
zu  Wege  brachte,  dafs  diese  im  Westen  des  Kap  Farewell  zu  suchen 
sei,  dafo  man  sidi  im  allgemeinen  ganz  bei  dieser  Entscheidung  be- 
ruhigte. In  den  letzten  Jahren  ist  aber  doch  wiederum  die  Ver- 
mutung aufgetaucht,  dafs  man  am  Ende  doch  die  Beste  jener  alten 
Kolonie  auf  der  Island  gegenüber  liegenden  Kdste  finden  werde. 
Es  wurde  hervorgehoben,  dafs  auf  der  Strecke  von  Kap  l  arewell 
bis  65Vi  n.  Br.  nur  die  aufserste  Küste,  nicht  aber  das  Innere  der 
Fjorde  untersucht  sei,  und  dafs  von  ßb^ji^  bis  70''  n.  Br.  noch  kein 
Reisender  das  Land  betreten  habe.  Die  hierauf  gegründeten  Zweifel 
wurden  freilich  nur  von  wenigen  geteilt,  allein  immerhin  forderten 
sie  ja  doch  zu  Untersuchungen  auf,  die  auch  aus  ganz  allgemeinen 
geographischen  Gründen  als  wünschenswert  betrachtet  werden  mufsten. 
War  es  ja  doch  für  unsere  Zeit  eine  höchst  auffallende  Thatsache, 
dafs  diese,  Island  so  nahe  liegende  Ktlste  mit  ihren  Einwohnern 
uns  noch  so  gut  wie  unbekannt  war!  Es  wurde  deshalb  im  Jahre 
1883  von  Kopenhagen  mit  einem  der  Schiffe  des  grdnlftndischen 
Handels  eine  I'^xpedition  nach  der  Westküste  gesandt  um  daselbst 
nach  dem  Beispiele  Graahs  die  nötigen  Vorbereitungen  zu  einer 
neuen  Bootreise  zur  Ostküste  zu  treffen.  Die  Instruktion  für  dieselbe 
ging  hauptsächlich  darauf  aus.  auf  der  von  Graah  bereisten  Strecke 
die  inneren  Fahrwasser,  die  Fjorde  mit  dem  sie  umgebenden  festen 
Lande  zu  untersuchen,  und  berührte  nur  als  eventuell,  unter  günsti- 
gen Umstanden,  die  Aufgabe  wo  möglich  über  den  Aufsersten  Punkt 
Graahs  vorzudringen.  Am  3.  Oktober  dieses  Jahres  ist  diese  Expe- 
dition als  eine  in  jeder  Beziehung  wohl  ausgeführte  nach  Kopenhagen 
zurückgekehrt.  Die  wichtigsten  Resultate  derselben  sind  folgende: 


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—  343 


1 )  Die  Ke.iscndeu  siiul  92  euglisthc  (23  danische)  Meilen  jenseits 
der  Dannebrü^s-lnsel  voi>,'edrungen  und  haben  dort  überwintert; 

2)  bis  zu  06  "  n.  Br.  ist  die  Küste  mit  ihren  Fjorden  ilhnlich  wie 
die  dänischen  Handelsdistrikte  der  Westküste  untersucht,  kartogra- 
phisch aufgenommen,  und  über  die  Beschatfeuheit  der  Strecke  bis 
zum  68  °  n.  Br.  hat  man  durch  die  Eingeborenen  ziemlich  sichere 
Kundschaft  erlangt;  3)  während  der  Überwinterung  hat  man 
Gelegenheit  gehabt  sich  mit  der  höchst  eigentümlichen,  primitiven 
Kulturstufe  der  dortigen  Einwohner  bekannt  zu  machen;  4)  die 
Lage  der  „Österbygd"  ist  jetzt  als  definitiv  entschieden  zu  betrach- 
ten. — •  In  anbetracht  der  Wichtigkeit  dieser  Resultate  fOr  die  Kunde 
von  Grönland  im  allgemeinen  dürfte  ein  kurzer  Bericht  über  den 
Verlauf  der  Reise,  durch  welche  sie  erlangt  wurden,  niclit  ohne 
Interesse  sein,  und  namentlich  darf  ich  wohl  hoffen,  dafs  derselbe 
einer  Gesellschaft,  die  >']r]\  um  die  Untersuchung  derselben  Kegionen 
der  nördlichen  Breitengrade  so  grofse  Verdienste  erworben  hat,  nicht 
unwillkommen  sein  wird. 

Die  Reisegesellschaft,  welche  1883  von  Kopenhagen  ausging, 
bestand  aus  dem  Premierleutnant,  jetzt  Kapit&n  G.  Holm  als 
Leiter,  Premierleutnant  Garde,  Mineralog  Knutsen  (Norweger) 
und  Botaniker  Eberlin.  Erst  am  8.  Juli  langten  sie  bei  der  süd- 
lichsten Kolonie,  Jnlianehaab,  an.  Nur  um  zu  rekognoszieren  und 
ein  Depot  niederzulegen,  begab  die  Expedition  sich  am  23.  Juli  auf 
eine  vorläufige  Fahrt  nach  der  Ostküste.  Sic  bestand  jetzt  aus 
40  Personen  in  4  Fellböten  oder  Umiaks  und  9  Kajaks.  Bei  Kassin- 
gertok,  unter  ungefähr  61°  n.  Br.,  an  der  Ostküste,  errichteten  sie 
eine  Hütte,  in  welcher  sie  ihr  Depot  niederlegten;  gerne  wären  sie 
damit  etwas  weiter  gegangen,  aber  die  Grönländer  weigerten  sich 
zu  folgen,  und  somit  kehrte  man  nach  der  Westküste  zurück,  um 
dem  Plane  gemäfs  bei  Nanortalik,  wo  man  am  16.  September  ankam, 
zu  überwintern.  Nachdem  der  Winter  mit  den  gewöhnlichen  fieob« 
achtungen  nnd  sonstigen  Arbeiten  Terbracht  war,  wurde  am 
5.  Mai  1884  die  eigentliche  Entdeckungsreise  angetreten.  Unsere 
Tier  Beisenden  hatten  für  ihre  Begleitung  2  Halbgrönländer  als 
Dolmetsche  und  Gehttlfen,  und  31  Grönländer,  Männer  und  Ruderin- 
nen, in  4  Feilboten  und  7  Kajaks.  Der  gewiihnliche  Kampf  mit 
dem  Treibeise  auf  der  Ostküste  unterijlieb  auch  diesmal  nicht, 
sobald  sie  die  Stidspitze  Grönlands  umschifft  hatten,  und  die  erste 
Hälfte  des  Sommers  setzte  ihre  Geduld  auf  eine  harte  Probe.  Am 
2.  Juli  trafen  sie  bei  Anoritok  eine  gröfsore  Gesellschaft  von  Ost- 
grönländem,  welche  im  Jahre  vorher  die  Westküste  des  Handels 
w^n  besucht  hatten,  aber  auf  der  Rückreise  genötigt  worden 


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waren,  20  überwintern,  ehe  sie  ihre  Heimatpl&tze  im  Norden  errdchen 
konnten.  Diese  Ostländer  gesellten  sich  jetzt  samtlich  zar  Expe- 
dition auf  der  weiteren  Reise.  Es  war  der  Plan,  dafs  Garde  imd 
Eberliu  mit  der  Hälfte  der  IJesatzuu^^  nach  der  Westküste  znrück- 
keliren  sollte,  um  dort  wieder  zu  überwintern.  Aber  schon  -m 
17.  Juli  mufste  man  die  Hälfte  der  Westländer  umkehren  lasöeu. 
weil  sie  sich  weigerten,  für  dieses  Jahr  weiter  zu  gehen.  Unsere 
vier  Keisenden  setzten  dennoch  mit  dem  übrijzcn  Teil  der  Begleiter 
die  Beise  fort  und  zwar  bis  Tingmiarmiut  unter  62*^  38'.  Hier  erst 
trennten  sie  sich  am  13.  Juli;  Garde  und  Eberlin  begaben  sich 
wieder  nach  Süden,  flberall  die  noch  nicht  hinl&nglich  unbesochten 
Wege  verfolgend,  um  die  Karten  za  vervollst&ndigen.  Sie  erreichten 
Nanortalik  am  26.  September,  um  früh  im  folgenden  Jahre  mit 
einer  neuen  Ausrüstung  Ihren  Ge^lhrten  entgegenzureisen.  Wir 
verlassen  sie  deshalb  hier,  um  mittlerweile  den  anderen  Reisenden 
auf  ihrer  Fahrt  iu  den  öden  und  unbekaunteu  Norden  zu 
folgen. 

Die  Umstände,  unter  weklien  Holm  und  Knutsen  am  30.  Juli  1884 
bei  der  Trennung  von  ihren  Gefährten  von  aller  Verbindung  mit,  und 
Hülfe  von  der  zivilisierten  Welt  wenigstens  für  ein  Jahr  Abschied 
nahmen,  waren  nicht  eben  ermunternde.  Zur  Besatzung  für  ihre 
zwei  schwer  geladenen  B5te  hatten  sie  von  der  Westlcüste  nur  noch 
sechs  Ruderinnen,  nebst  einem  Eajakmann,  wozu  sich  für  eine  kurze 
Strecke  unter  den  Ostl&ndem  noch  vier  Ruderinnen  und  ein  Steuer- 
mann hatten  gewinnen  lassen;  aulser  diesen  folgten  noch  der 
grönländische  Katechet  Hanserak  und  der  eine  Dolmetsch, 
Johann  Petersen.  Dagegen  gesellten  sich  bei  der  Abfahrt  noch 
mehrere  Böte  mit  ebenfalls  nach  Norden  reisenden  Ostlfuulern  zu 
ihnen.  Die  gewöhnliche  Fröhlichkeit  war  augenscheinlich  aus  deo 
Mienen  der  westgrouliindischen  Kuderinnen  gewichen,  das  Gefühl  der 
Trennung  von  den  letzten  Gefährten  der  Heimat,  mit  der  unsicheren 
Zukunft  in  Aussicht  hatte  sie  mit  ungewöhnlichem  Ernst  erfüllt,  und 
das  trübe  regnerische  Wetter  trug  dazu  bei,  den  Mut  noch  tiefer 
herabzustimmen.  Bald  aber  hatte  man  Gelegenheit  zu  erfahren,  wie 
leicht  die  Stimmung  in  den  Gemütern  dieses  Volkes  wechselt  Der 
Hinmiel  klflrte  sich  auf,  während  man  durch  den  schmalen  Sund 
hinter  «Tingmiarmiut  fuhr,  und  als  dazu  seine  freundlich  grünenden 
Ufer  ganz  besonders  zur  Einsammlung  der  in  Grönland  so  beliebten 
Quannen  oder  Augelicastengel  einluden,  klärten  sich  auch  die  Gesichter 
auf.  Jetzt  minderten  sich  auch  mit  jedem  Tage  die  Eishindernisse 
und  erhiubteu  ziemlich  regelmäfsige,  wenngleich  wegen  der  schweren 
Ladungen  nicht  sehr  lauge  Tagereisen.    Beim  ersten  VVohuplatze, 


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Uuianak,  t reimten  sich  zwei  der  ostläudiächen  Böte  von  der  Eskorte, 
und  es  blieben  nur  noch  zwei  dabei. 

Zum  besseren  Verständnisse  des  Folgenden  möge  dienen,  dafis 
in  den  Berichten  zwischen  den  nördlichen  und  den  südlichen  Ost- 
l&odem  gesondert  wird.  Die  Wobnpl&tse  dieser  beiden  Abteilungen 
sind  dnrch  eine  die  Dannebrogs-Insel  einscblieisende  öde  und  fOr 
Bootreisen  teilweise  gefährliche  Strecke  von  einander  getrennt.  Die 
südlichen  haben  einen,  wenn  i^leich  spärlichen,  so  doch  ziemlich 
ret?elinafsigen  Handelsverkehr  mit  der  Westküste,  von  den  nordlichen 
haben  aber  nnr  selten  einzelne  an  diesen  teilgenommen.  Unter 
Wohnplatze  versteht  man  Plätze  für  Winterwohnungen,  und  obgleich 
letztere  auch  jedesmal  an  beliebigen  Orten  aufgebaut  werden  können, 
die  Plätze  auch  in  der  That  ab  und  zu  gewechselt  werden,  giebt  es 
doch  bestimmte  Örüichkeiten,  die  yon  alters  her  hauptsächlich  benutzt 
worden  sind,  dieselben  Familien  pflegen  dort  in  der  Regel  frflher 
oder  sp&ter  ihre  alten  Wohnplätze  wieder  zu  beziehen.  Unsere 
Reisenden  hatten  nun  nach  der  Trennung  noch  Tier  h&ufiger  benutzte 
sfldliche  Pl&tze  zu  passieren,  nämlich  ümanak,  Akorninarmint, 
Igdloluarsuk  und  Umevik.  Dann  folgten  die  nihdlichen,  von  denen 
Sermilik  und  Angmasalik  als  die  wichti^^sten  bekannt  waren. 

Wie  sich  schon  von  selbst  versteht,  wurde  es  mit  jedem  Tage 
des  Vorrückens  nach  Norden  hin  schwieriger,  Hülfe  und  Geleit 
für  die  fernere  Reise  von  den  Einwohnern  zu  erhalten.  Selbst  auf 
der  Westküste  stehen  sie  doch  noch  in  der  Regel  den  Europäern  so 
fremd  gegenüber,  dafs  man  es  ihnen  billigerweise  nicht  zum  Vorwurf 
madien  darf,  wenn  sie  beim  Eingehen  von  Eontrakten  für  längere 
Fahrten  vorsichtig  und  zurückhaltend  sind.  Man  bedenke  die  Wichtig- 
keit der  Jahreszeit  für  ihren  eigenen  Erwerb,  und  die  Schwierigkeit 
für  sie,  die  Zwecke  der  fremden  Reisenden  zu  begreifen,  besonders 
wenn  diese  auf  sprachlich  mangelhafte  Weise  ihnen  erklärt  werden! 
An  dieser  Schwieiii^keit  strandete  auch  hauptsächlich  Graah,  es 
glückte  ihm  nicht,  das  Vertrauen  der  Eingeborenen  zu  gewinnen,  und 
sein  Mangel  au  eiuem  tüchtigen  Dolmetsch  trug  dabei  die  gröfste 
Schuld.  In  dieser  Beziehung  waren  unsere  Reisenden  crlücklicher 
gestellt,  aber  dennoch  war  die  gröfste  Vorsicht  im  Umgänge  not- 
wendig, um  sich  das  Vertrauen  ihrer  eigenen  Leute  so  wie  das  der 
Ostländer  zu  sichern.  Unter  den  Reisegesellschaften,  deren  Böte  der 
Elpedition  folgten,  befand  sich  auch  ausnahmsweise  eine  „nordl&ndische^, 
die  von  einer  Handelsreise  zurückkehrte,  weshalb  es  von  Wichtigkeit 
schien,  diese  Begleiter  für  die  fernere  Reise  festzuhalten.  Das  Ober- 
haupt derselben,  Umerinak,  ging  scheinbar  auf  Holms  Vorschlag  ein, 
mit  nach  der  Gkigeud  von  Angmagsalik  zu  folgen  und  als  Wegweiser 


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zu  dienen.  Er  zeichnete  sich  durch  eine  gewisse  Beredsamkeit  und 
Gewandtheit  aus  und  ergofs  sich  hesonders  in  Lobreden  über  das 
Land  Augmagsalilt;  es  wurde  aber  in  der  Folge  klar,  dafs  man  sich 
hier  unversehens  durch  einen  Diplomaten  hatte  tauschen  lassen. 

Am  2.  August  kamen  sie  bei  Akominarmiut  an.  Sie  waren 
hier  noch  in  Beziehung  auf  die  fttr  das  Reisen  dienliche  JahressEeit 
um  einen  Monat  hinter  Graah  zurück.  Hier  war  nur  eine  Familie 
mit  einem  Zelte,  die  übrigen  waren  nach  Igdloluarsuk  gezogen. 
Das  Treibeis  hatte  auch  hier  erst  in  den  letzten  Tagen  die  KüvSte 
verlassen,  was  seit  vielen  Jahren  nicht  so  spät  eingetreten  war. 
Hier  fanden  sich  seltsamerweise  zwei  Weiber,  die  von  ihrem  Vater 
wegen  mangels  an  Söhnen  als  Kajakfahrer  und  Seehundsfänger  erzogen 
waren.  Ihre  Kleidung  sowie  ihr  Betragen  war  ganz  wie  das  der 
Manner.  Es  versteht  sicli  deshalb,  dafs  sie  beim  Handel  mit  den 
Reisenden  keine  Perlen  und  Selnnucksachen,  soiuioru  Messer  und 
Pfeilspitzen  suchten.  Im  Gegensatz  zu  der  ungünstigen  Schilderung, 
die  Graah  von  dieser  (iegend  gic)>t,  fand  man,  dafs  sie  ein  noch 
freundlicheres  Aussehen  als  die  Umgebungen  der  letztViesuchten 
Wohnplätze  hatte;  nur  den  Verdriefslichkeiten  und  Täusciiungen,  mit 
denen  er  hier  lülmpfen  mufste,  kann  es  zugeschrieben  werden,  d&fs 
er  alles  in  einem  so  düsteren  Lichte  sab. 

Noch  am  2.  August  reisten  sie  weiter  und  erreichten  am 
folgenden  Tage  Igdloluarsuk.  Die  Zahl  der  Einwohner  an  diesem 
und  dem  letzten  Wohnplatze,  ümerik,  zusammen  hatte  seit  Graahs 
Zeiten  sehr  abgenommen.  Von  südlichen  Ostländern  überhaupt  fanden 
sich  jetzt  nur  135  gegen  die  von  Graah  berechneten  650,  der  Rück« 
gang  wird  hauptsächlich  Auswanderungen  nach  der  Westküste  zuge- 
schrieben, Auliser  wenigen  Südländern  wohnten  bei  Igdloluarsuk 
die  Verwandten  der  mit  Holm  folgenden  Nordländer;  im  Jahre  1882 
waren  sie  zusammen  hierher  gezogen,  darauf  1883  einige  von  ihnen 
nach  der  Westküste  gereist,  um  zu  handeln,  und  diese  waren  es, 
welche  jetzt  mit  Holm  folgend  zurückkamen.  Kein  Wunder  deshalb, 
dafs  der  obengenannte  Umerinak  sich  hier  schon  zu  Hause  fühlte;  hier 
war  es,  wo  er  die  Maske  fallen  liefs  und  seinem  früheren  Ver- 
sprechen zuwider  erklärte,  dafs  er  hier  bleiben  und  in  diesem  Jahre 
durchaus  niclit  nach  Angmagralik  gehen  wolle.  Sein  Schwager  und 
Schwiegervater  waren  nicht  abgeneigt,  aber  Umerinak  setzte  seintti 
Willen  durch;  doch  wollten  sie  bis  Umcrik  folgen  und  dort  über- 
wintern. Die  übrigen  Nordländer  gaben  nur  schwankende  und 
iiiisiciiere  Zusagen.  Da  entschlofs  Holm  sich  zu  zeigen,  dafs  er 
ül>erliau]it  die  Hülfe  der  Ostlaiider  ganz  entbehi'en  könne,  und  er 
erklärte  ihnen,  dafs  er  auch  ohue  sie  weiter  reisen  wolle.   Wie  die 


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Folge  zeigte,  war  diese  Wenduug  uicht  ganz  ohne  Wirkung;  der 
Schatz  von  Handelswaren,  den  die  Reisenden  mit  sich  führten*  übte 
eine  grofse  Anzieliungskraft,  und  erst  jetzt  sollten  die  Leate  fülileo, 
was  die  Trennung  von  denselben  zu  bedeuten  habe. 

Die  gegenwärtigen  Bewohner  dieser  äufsersten  südlichen  Plätze 
gehörten,  wie  schon  angedeutet,  teilweise  zu  den  Nordländern,  und 
machten  auf  unsere  Reisenden  entschieden  den  Eindruck  von  Wild- 
heit. Keiner  von  ihnen  liatte  die  Westküste  besucht  oder  überhaupt 
Europäer  gesellen,  weslialb  sie  diese  auch  halb  ihren  fabelhaften 
Bewohnern  des  Binnenlandes  an  die  Seite  stellten.  Die  Keisenden 
ihrerseits  mufsten  auch  beim  Anblick  der  Menschen  erstaunen,  welche 
hier  bei  ihrer  Ankunft  am  Ufer  standen,  um  sie  zu  empfangen.  Ihre 
Kleidun<.'  war  aulfallend  leicht,  die  Beinkleider  nur  aus  einem  Streifen 
Fell  bestehend,  dessen  Breite  bei  den  Frauen  zwei  Zoll,  bei  den 
Männern  etwas  mehr  betrug,  und  der  doch  in  Beinkleider  geformt 
war.  Die  Stiefel  reichten  bis  an  die  Knie.  Der  Oberkörper  war  in 
einen  Pelz  aus  ganz  dünn  bereitetem  Leder  gehüllt.  Die  hüchst 
originellen  Mittel  zur  Bedeckung  der  Beine  waren  dieselben,  welche 
im  Winter  in  den  Häusern  gebraucht  werden;  Oberhaupt  entsprach 
diese  Kleidung  dem  Anscheine  nach  eher  einem  tropischen,  als  einem 
arktischen  Klima.  Es  braucht  wohl  nicht  hinzugefügt  zu  werden, 
dafs  andererseits  alles  was  die  Keisenden  mit  sich  führten,  die  Neu- 
gierde und  das  Erstaunen  der  Ostländer  erregte.  Da  die  meisten 
derselben  aus  Sermelik  waren,  uuterliefsen  sie  nicht  ihren  Ort  als 
Winterquartier  zu  empfehlen  und  dabei  gelegentlich  Andeutungen 
auf  den  bösen  Ruf  ihrer  Nachbaren  in  Angmagsalik  zu  machen. 

Von  Igdloluarsuk  brach  also  Holm  am  6.  August  ganz  ohne 
Begleitung  von  Ostländern  auf.  Seine  beiden  Böte  hatten  jedes  nur 
drei  Ruderinnen  und  das  eine  den  Kajakmann  Samuel  als  Steuer- 
mann; dazu  waren  sie  noch  schwerer  beladen  als  bisher,  da  nämlich 
die  Ostländer  einen  Teil  des  Gepäcks  in  ihren  Böten  transportiert 
liatten.  Ks  kam  niia  noch  hinzu,  dals  ^iv,  jetzt  die  Wegstrecke  vor 
sich  hatten,  auf  welcher  Graah  am  meisten  wegen  Hunger,  Kalte 
und  Eis  gelitten  hatte,  und  somit  waren  allerdings  die  .Vussichten 
hier  nicht  die  besten.  Endlich  wurde  auch  das  Treibeis  so  dicht, 
dafs  es  sie  uoter  ö3°  45'  zu  landen  zwang.  Als  sie  nun  am 
folgenden  Tncro  sich  mit  Mühe  durch  das  Labyrinth  der  Eisschollen 
weiter  fortarbeiteten,  entdeckten  sie  plötzlich  zu  ihrem  Erstaunen 
sämtliche  Böte  der  Nordländer,  von  Igdloluarsuk  kommend,  hinter 
sich.  Diese  schienen  jetzt  offenbar  von  Eifer  ergriffen,  der  Expedition 
zu  folgen,  und  am  8.  August  wurde  mit  ihnen  der  lange  Gletscher 
Golbergerheide  passiert  Man  fing  in  der  That  an  zu  hoffen,  dafs 


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die  Nordländer  sich  bedacht  hätten,  aber  als  jenseits  des  Gletschers 
die  Mflndung  des  Gyldenlöve-Fjords  durchfiahren  werden  sollte,  be- 
merkte man  bei  den  bej;leitenden  Böten  eine  bedenUidie  Neigong 
landeinwärts  zu  steuern,  und  es  zeigte  sidi  nur  zu  bald,  da&  ihr 
Ziel  der  letzte  sfidländlsche  Wohnplatz,  Umerik,  sei.  Hier  beab- 
sichtigten sie  zu  flberwintem,  ehe  sie  sich  auf  die  Fahrt  an  der 
unwirtbaren  Küste  entlang  wagten,  welche  sie  noch  von  der  Heimat 
trennte,  und  sie  hatten  gehofft,  dafs  die  fremden  Reisenden  noch  in 
der  letzten  Stunde  sich  bedenken  und  mit  ihren  Schätzen  ebenfalls 
in  Umerik  niederlassen  würden.    Beunruhigt  durch  die  Richtung, 
welche  sie  einschlugen,   frnpte  liolm  sie  um  die  Ursache.  Sie 
antworteten  ausweichend ;  als  aber  auf  der  anderen  Seite  des  Fjords 
offenes  Fahrwasser  nach  Norden  sich  zeigte,  ohne  dafs  die  B(')te  sich 
demselben  zuwendeten,  kam  die  Wahrheit  an  den  Tag.   Sie  ver- 
suchten jetzt  Überredung,  Holm  aber  antwortete  dnfaeh:  «Ich  leiae 
nach  Angmagsalik  oder  so  weit  als  ich  in  diesem  Jahre  kommen 
kann."  Noch  einmal  wurden  Oberredungen  versucht,  und  endlich 
von  der  Expedition   zuguterletzt   ein  Handel  um  getrocknetes 
Fleisch  eingeleitet:  für  diesen  Zweck  nuifste  man  landen  und  bekam 
dabei  Gelegenheit,  noch  einmal  die  Warenkisten  zu  öffnen  und  die 
Anziehungskraft  der  europäischen  Sclmtze  zu  prüfen  —  und  dieses 
half.  Es  waren  der  Böte  im  ganzen  vier,  drei  derselben  l)liobon  \m 
Umerik,  aber  der  Besitzer  des  vierten,  lUnguaki,  wurde  erst  be- 
denklich, und  dann  war  die  Aussicht,  für  seinen  Pflegesohn  eine 
Flinte  zu  erwerben,  endlich  entscheidend.    Am  folgenden  Tage 
meldete  er  sich  als  Begleiter,  und  somit  war  denn  der  Erfolg  der 
Expedition,  die  hier  allerdings  in  eine  kritische  Lage  geraten  war, 
vorläufig  gesichert 

Vom  11.  bis  16.  August  wurden  sie  auf  der  Skrams-Insei 
durcli  Sturm,  der  ihre  Zelte  umrifs,  aufgehalten.  Dann  hatten  sie 
bei  starkem  Ostwind  abwechselnd  mit  Eis  und  mit  hoher  See  zu 
kiHni)feu.  Dabei  wurden  zwei  der  lluderinneu  krank,  so  dafs  nur 
noch  zwei  für  jedes  der  schwer  beladenen  Böte  übriix  waren.  Unter 
diesen  etwas  kläglichen  Umstanden  landeten  sie  endlich  auf  der 
Dannebrogs-Insel ;  der  Anblick  des  Landes  an  und  für  sich  sollte 
hier  nicht  zur  Erheiterung  beitragen:  kahle  Felsen,  Gletscher, 
Schnee  und  Eis  war  alles,  was  man  ringsum  sah.  Und  doch,  als 
sie  die  von  Graah  erbaute  Warte  erblickten,  wie  sie  nach  Verlauf 
von  50  Jahren  noch  scheinbar  unverändert  da  stand,  konnten  de 
sich  nicht  enthalten,  eine  Festlichkeit  zu  veranstalten.  Zugleich 
wurden  die  Steine  herabgenommen  und  das  Innere  durchsucht,  aber 
durchaus  nichts  gefunden,  was  von  Graah  niedergelegt  sein  konnte. 


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Jetzt  wurde  die  Warte,  einen  Bericht  über  den  Besuch  einschliefsend, 
sorgfaltig  wieder  aufgeführt,  worauf  man  am  26.  August  weiter 
reiste.  Man  hatte  also  jetzt  ganz  unbekannte  Gegenden  vor  sidi 
uad  der  Eintritt  in  dieselben  war  auch  kein  freundlicher.  Der 
Ikersnak-Sund,  den  man  am  ersten  Tage  zu  durchfahren  hatte,  war 
mit  Oletschereis  von  der  einen,  und  Meereis  von  der  anderen  Seite 
angefüllt,  und  als  man,  um  offenes  Fahrwasser  zu  suchen,  weiter 
seewärts  steuerte,  stellte  ein  starker  Nordwind  mit  Schnee  und 
Seegang  sich  ein.  Unbekannt  mit  der  Örtlichkeit  wurde  die  FApe- 
dition  von  den,  mit  ihrem  kleinereu  und  besser  besetzten  Boote 
schneller  rudernden  Ostl ändern  ^^etrenut;  man  suchte  Laud,  aber 
der  Kompafs  war  wegen  des  Seeganges  unbrauchbar,  dazu  wurde 
das  Eis  dichter,  und  als  das  Land  erblickt  wurde,  bot  es  nur  steile 
Ufer  dar.  £ndlich  klärte  es  ein  wenig  auf,  ein  Kt^akmann,  der  sie 
suchte,  kam  zum  Vorschein,  und  nachdem  die  armen  Ruderinnen 
alle  ihre  Kräfte  aufgeboten  hatten,  erreichte  man  abends  einen 
Xiandungsplatz.  Hier  warfen  die  letzteren  ganz  erschöpft  sich  auf 
den  Strand  und  sagten,  sie  mflfsten  jetzt  sterben.  Auch  diesmal 
war  jedoch  ihre  Verzweiflung  nur  ein  kurzer  Übergang.  Die  so 
sehr  gefürchtete  Grenze  zwischen  Nord  und  Süd  hatte  man  jetzt 
hinter  sich,  und  man  befand  sich  am  Einganiie  des  namentlich  von 
Umerinak  so  hoch  gepriesenen  Landes,  in  welchem  jeder  Tag  sie 
an  anmutigen  Gegenden  und  bewohnten  Platzen  vorüberführen 
sollte.  Am  28.  August  ging,  es  weiter,  mit  Ilinguaki  zur  Seite; 
derselbe  war  ein  paar  Jahre  fort  gewesen  und  deshalb  mit  dem 
jetzigen  Zustande  in  seiner  Heimat  unbekannt  £twa8  vor  Sermilik 
erblickten  sie  die  ersten  Menschen,  nämlich  eine  reisende  Boot- 
gesellschaft. Nach  üblicher  Sitte  wurde  hier  allgemeine  Wehklage 
angestimmt,  in  Erinnerung  der  seit  dem  letzten  Zusammensein 
verstorbenen  Freunde  und  Verwandte,  und  deren  Zahl  soll  diesmal 
wegen  einer  in  Angmagsalik  1882  und  Sermilik  1883  stattgefundenen 
Hungersnot  keine  geringe  gewesen  sein.  Ilinguaki  stand  in  seiner 
Heimat  in  hohem  Anseilen,  nicht  allein  als  ein  in  seinen  Zauber- 
künsten wohlbewamloiter  Angakok,  sondern  auch  als  mutiger  Jäger; 
mit  seinem  aus  Treibholz  und  einem  Stück  eisernen  Reifens 
verfertigten  Speere  hatte  er  10  Eisbären  erlegt.  Nur  in  Heirats- 
angelegenheiten schien  er  etwas  flüchtiger  Natur  zu  sein,  da  er 
nach  zwei  liiiescheidungen  erst  in  der  dritten  Frau  die  rechte 
gefunden  hatte. 

Der  Name  Sermilik  (Gletscher  habend)  bezieht  sich  eigentlich 
auf  einen  Fjord  und  danach  zun&chst  auf  einen  bestimmten  Wohnplatz, 
zugleich  aber  auch  mehrere  andere  Wohnplatze  am  Ufer  desselben 


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Fjords  entlang  bezeichnend.  Am  30.  August  kam  die  Expedition 
hier  an,  und  sogleich  fanden  sich  von  den  verschiedenen  Plätzen 
Besucher  ein,  um  die  fremden  Wesen  in  Augenschein  zu  nehmen, 
deren  Natur  als  wirkliche  Menschen  erst  durch  üinguaki  beglaubigt 
werden  mulste.  Dann  wurden  diese  Fremdlinge  in  die  Zelte  geladen, 
und  nicht  ohne  Hindeutung  auf  die  weniger  liebenswürdigen  Eigen- 
schaften der  Anginagsaliker  suchte  man  auch  hier  sie  zu  überreden, 
sich  jetzt  für  den  Winter  zur  Ruhe  zu  begeben. 

Hier  hei  Scrniüik  fanden  sich  noch  Jceine  Feuencaffcn,  ilie  Jaud 
wurde  allein  mit  Harpune,  Lanze  und  Pfeil  betrieben.  Die  ilufsere 
ivüste  zieht  sich  hier  von  Westen  nach  Osten;  der  Fjord  hat  eine 
nördliche  Richtung,  scheint  etwa  60  englische  Meilen  lan?  zu  sein,  bis 
aus  Binneneis  zu  reichen  und  von  demselben  Eisberge  zu  empfangen. 

Am  31.  August  war  man  im  Regrift'  ins  Root  zu  steigen,  als 
l)lötzlich  der  Ruf:  „Nanok''  erscholl  und  den  Reisenden  noch 
Gelegenheit  bot  zu  beobachten,  wie  15  Kajakke  in  einem  Augenblicke 
vom  Lande  stiefscn  und  kurz  darauf  unter  üionotonem  Gesang  mit 
einem  getöteten  Eisbären  zurückkehrten.  Darauf  ging  es  weiter 
und  um  die  Mittagszeit  wurde  die  Bucht  passiert,  welche  sich  später 
als  König  Oskars -Hafen  erwiesen  hat.  Weder  unsere  Reisenden, 
die  in  diesem  Jahre  noch  ohne  Briefe  von  Europa  waren,  noch  die 
Eingeborenen  wufeten  damals  irgend  etwas  von  dem  Besuche 
Nordenskjölds  an  dieser  Stelle  im  Jahre  vorher.  Fünf,  an  Lachsen 
reiche  Elfe  (Flü&chen)  münden  in  diese  Riiclit.  die  des  Fanges 
wegen  häufig  von  den  Angmagsalikern  besucht  wird.  Um  6  Uhr 
nachmittags  landeten  sie  bei  Tasiusarsuk  kangigdlek,  dem  ersten 
der  Wohnpl&tze,  die  nach  dem  Fjorde,  um  den  sie  gruppiert  sind, 
mit  dem  gemeinschaftlichen  Namen  Angmagsalik  bezeichnet  werden. 
Es  stand  hier  ein  grofses,  von  fünfzig  Menschen  bewohntes  Hans. 
Es  versteht  sich,  dafs  die  Verwunderung  und  Neugierde  dieser  Leute 
grenzenlos  war.  Um  in  Ruhe  ihr  Abendbrot  verzehren  zu  können, 
mufsten  die  Reisenden  ihr  Zelt  fest  zubinden;  allein  trotzdem  wufsten 
die  Neugierigen  sich  Gucklöcher  zu  verschaffen,  um  dieses  seltene 
Schauspiel  zu  geniefsen.  Bei  näherer  Untersuchung  der  Umgebungen 
fand  man  in  etwa  20  Minuten  Entfernung  eine  Hausruine,  die  fDr 
die  Einrichtung  der  Winterwohnung  zweckm&fsig  befunden  wurde. 
Sie  war  jetzt  überwachsen  und  seit  Jahren  unbenutzt  gewesen, 
weil  ein  Wahnsinniger  daselbst  gestorben  und  begraben  worden  war. 
Der  Ort  entsprach  ganz  den  Bedürfnissen  der  Expedition.  Es  war 
eine,  gcuon  die  See  beinahe  offene  Landzunjie,  mit  schwach  hügligem 
Lande  riiiLi>uui.  Von  einer  nahen  Anhöhe  hatte  man  die  Aussicht 
über  den  malerischen  Angmagsalik- Fjord  mit  seinen  steilen  Felsen 


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im  Hintergrande.  Es  war  dazu  ein  guter  Fangplatz  und  die  freie 
Lage  versprach  vorteilhafte  Bedingangen  for  meteorologische  Beob- 
acfatuDgen. 

Bis  zum  13.  September  wurde  hier  gebaut,  wobei  es  natOrlich 
nicht  an  Zuschauern  fehlte.  Tftglich  kamen  Besucher  von  den  um- 
liegenden Wohnpifttzen.    Die  Frauen  waren  etwas  snrflekhaltend; 

die  Männer  winkten  zum  Freundschaftszeichen  bei  der  Ankunft  und 
brachten  Fleisch  von  Bären  und  Seehunden,  Speck  und  andere  Be- 
dürfnisse. Als  Tauschmittel  waren  denn  vor  allem  Eisenwaaren 
sehr  gesucht,  und  zur  Unterhaltung  der  Gäste  lieferten  Uhr,  Kompafs, 
Scbiefswaffen,  Spiegel,  Lupe,  Fernrohr  u.  a.  reichlichen  Stoff,  alles 
wollten  sie  besehen  und  befühlen.  Es  dauerte  aber  lange,  ehe  unsere 
christlichen  Westgrönlftnder  ihre  Furcht  vor  den  Heiden  des  fernen 
Nordens  bezwingen  konnten.  Nach  ihren  mit  der  Sagenwelt  ver- 
flochtenen und  von  Kindheit  an  eingeimpften  Vorstellungen  war  bei 
diesen  Stammverwandten  dne  Mordthat  kein  ungewöhnliches  Ereignis, 
und  sogar  der  Hang  zum  Kannibalismus  eine  mitunter  vorkommende 
Leidenschaft.  Sie  meinten,  selbst  unter  den  besten  Freunden  der 
Expedition  drei  Totschläger  entdeckt  zu  haben,  und  eine  der 
Kuderiuiit'ii  wurde  buchstäblich  krank  aus  Furclit,  gegessen  zu 
werden,  weil  die  Heiden  sie  gekniüeu  und  ilire  Beine  hatten  sehen 
wollen,  und  sie  selber  sich  dabei  ihrer  besonders  runden  und  musku- 
lösen Form  wohl  bewufst  war.  Diese  Bewohner  des  Angmagsalik- 
Fjordes  sprachen  nun  wiederum  ihrerseits  geringschätzend  von  ihren 
Nachbar'en  auf  dem  noch  etwas  weiter  nach  Norden  gelegeneu  Ser- 
miligak;  ein  paar  MOrder,  sagte  man,  hauseten  dort  und  ein  Angakok, 
der  mit  der  alten  sagenhaften  Kunst,  die  Seele  aus  dem  Leibe  zn 
eskamotieren,  besonders  vertraut  sei.  Man  würde  dort  freilich  gast- 
frei empfangen  und  unterhalten,  allein  bei  der  Abreise  seiner  Seele 
beraubt.  Auch  standen  die  Männer  dort  als  sehr  schlechte  Ehe- 
gatten im  Verruf. 

Da  nun  dieses  letztgenannte  Sermiligak  der  äufserste  bewohnte 
Ort  war,  von  dem  die  Augmagsaliker  etwas  wufsten,  begaben  sich 
unsere  Forscher  nach  der  Vollendung  dos  Hausbaues  wieder  auf  die 
Beise,  um  noch  vor  Winter  dorthin  zu  gelangen.  Der  Weg  führte 
sie,  von  Inseln  geschützt,  an  freundlichen  Ufern  vorüber,  das  Land 
entsprach  durch  seinen  einladenden  Anblick  ganz  der  rühmenden 
Schilderung,'  die  Umerinak  von  demselben  gegeben  hatte.  Dazu 
hatte  man  jetzt  sechs  Ruderinnen  zur  Bedienung  des  leicht  geladenen 
Botes  und  einen  jungen  Heiden  zum  W^^eiser.  Nur  das  Wetter 
zeigte  sich  ungünstig,  indem  Sturm  mit  Schnee  und  Regen  die  ersten 
fünf  Tage  anhielt. 


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Von  Sermiligak  aus  fuhren  die  Reisenden  am  20,  September 
noefa  etwas  weiter  und  bestiegen  eine  1600  Fufs  bebe.  Insel,  auf 
deren  Gipfel  eine  6  Fufs  hohe  Wart«  errichtet  und  in  dieselbe 

folgender  Bericht  einpjeschlossen  wurde: 

„Die  l'cllboütcxpedition  nach  der  Ostküste  Grönlands  er- 
reichte diesen  Punkt  (im  Osten  des  Sermiligak- Fjordes)  am 
20.  September  1884,  Nahm  in  des  Königs  von  Dänemark  Namen 
die  von  uns  als  den  —  soweit  bekannt  —  ersten  Europäern  be- 
reiste Strecke  in  Besitz  und  nannten  das  Land  „König  Kristian 
des  Neunten  Land'^,  sowie  diese  Insel:  „Erik  des  Roten  Insel". 
Kein  Eis  seewnrts.  Kehren  um,  um  bei  Tasuisarsuk  (Angmagsalik- 
Fjord)  zu  überwintern.    Alles  wohl!" 

Europaer  sowohl  als  Grönlander  unterschrieben  diese  Urkunde, 
die  Flagge  wurde  aufgezogen,  und  die  Feier  mit  einem  Gläschen 
Rum  beschlossen.  Von  der  naheliegenden  „Leif  des  Glücklichen 
InseP  hatte  man  noch  etwa  28  englische  Meilen  weiter  Aussicht  nach 
Nordosten.  Nach  den  von  hier  aus  angestellten  Messungen  und  den 
Erkundigungen  bei  den  Einwohnern  läfst  sich,  die  weitere  Küste 
bis  68°  n.  Br.  betreffend,  folgendes  schliefsen:  früher  wurde  dieser 
äufserste  Punkt  des  Fanges  halber  öfters  besucht,  aber  seitdem  vor 
einigen  Jahren  eine  Bootsgesellschaft  hier  verhungerte,  nicht  mehr. 
Mehrere  Fjorde  durchschneiden  das  Land,  welches  allerdings  nicht  so 
schön  ist  wie  das  nm  Tingmiarmiut  und  Angmagsalik  hemm,  aber 
auch  nicht  so  schlecht  wie  die  Küste  zwischen  diesen  beiden  Orten. 
Unter  67^  findet  sich  ein  Fjord,  an  dem  Angmagsaliker  des'^arwal- 
fanges  wegen  zu  flberwintern  pflegen.  Weiter  als  bis  zum  Fjorde 
Eangerdluarsuk,  unter  etwa  68  ®  n.  Br.,  war  nodi  niemand  gewesen, 
aber  ein  Angmagsaliker  hatte  dort  einmal  ein  noch  kOrzlich  vorher 
bewohntes  Hans  vorgefunden. 

Die  Jahreszeit,  die  Brandung  des  Meeres  und  das  unruhige 
Wetter  mahnten  jetzt  emstlich  umzuk^ren.  Auf  der  Bllekreise 
wählte  man  einen  andern  Weg  zwischen  den  vielen  Inseln  und  be- 
suchte samtliche  Wohn|)latze  um  den  Angmagsalik-Fjord  herum. 
Auch  das  Ende  desselben,  unter  66®  8'  n.  Br.,  wurde  erreicht. 
Eine  schöne  und  grofsartige  Natur  entfaltete  sich  hier  dem  Blicke, 
indem  die  Berge  am  Fjord  mit  ihren  Gletschern  sich  bis  zu  6()(X^) 
Fufs  erheben.  Das  Binueneis  wurde  aber  erst  hinter  diesen  Höhen 
beobachtet. 

Am  2.  und  3.  Oktober  bezogen  die  Reisendon  endlich  ihre 
Winterwolinung.  Es  war  eine,  nach  grönlandischem  Muster  aus 
Rasen  und  Steinen  gebaute  Hütte,  mit  zwei  Räumen  für  die  Be- 
wohner und  einem  dazwischen  für  den  Vorrat,  sie  bewährte  sich  den 


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—  353  — 


ganzen  Winter  hindurch  als  warm  und  zweckinäfsig  in  jeder  Be- 
ziehuug.  Es  versteht  sich  von  selber,  (la£s  die  Heizung  durch  See- 
hundspeck in  grönländischen  Lampen  bewerkstelligt  wurde.  An 
Arbeit  und  Beschäftigung  war  den  ganzen  Winter  hindurch  kein 
Mangel,  zumal  die  grönlAndischen  Nachbaren  einen  aufserordenttichen 
Hang  zur  Geselligkeit  an  den  Tag  legten.  Ihre  häufigen  Besuche 
wurden  durch  die  Yermittelnng  des  Dolmetschers  Johan  Petersen 
und  des  Katecheten  Hanserak  eine  ergiebige  Quelle  zur  Bereicherung 
unserer  Kenntnis  von  diesem  Volke.  Erzählungen,  Sagen,  Ge- 
brauche, religiöse  Vorstellungen,  sowie  auch  sprachliche  Eigentüm- 
liclikeiten,  alles  wurde  mit  Sorgfalt  aufgeschrieben,  und  die  Offen- 
heit und  Redseligkeit  der  Gaste  erkMchterte  diese  Arbeit  über  Er- 
warten. Selbst  die  Angakoks  zeigten  sich  nicht  abgeneigt,  die 
Geheiumisse  ilirer  KUnste  zu  entschleiern. 

Die  Gesamtzahl  der  ^^nürdlichen"  Ostlander,  auf  Sermilik, 
Angmagsalik  und  Sermiligak  verteilt,  wurde  als  413  betragend  aus- 
gefunden;  die  weiblichen  Individuen  übertrafen  die  m&nnlichen  mit 
lO^/o.  Wohnungen,  Waffen  und  Hausgerat  sind  wie  in  Westgrön- 
land zu  Egedes  Zeiten,  alles  mit  Sorgfalt  ausgearbeitet  und  teil- 
weise Proben  von  Kunstverzierungen  zeigend.  Alles  eiserne  Werk- 
zeug, so  auch  die  niedlichen  Nähnadeln,  waren  aus  Reifen  oder  sonstigen 
au  Schiffstrüniniern  gefundenen  Bruchstücken  verfertigt.  Es  landen 
sich  auch  noch  einige,  wenngleich  wohl  nur  kaum  mehr  benutzte 
steinerne  Messer.  Die  Kajake  waren  mit  Schnitzwerk  aus  Narwal- 
horn geziert.  Vogeljagd  wurde  fast  nur  von  Kindern  mit  Bogen 
und  Pfeil  betrieben. 

Ehen  werden  in  einem  sehr  frühen  Alter  geschlossen  und 
Scheidungen  sind  h&ufig.  Im  Sommer  divertiert  man  sich  mit  den 
gewl^hnlichen  Zusammenkauften  unter  freiem  Himmel,  bei  denen 
T&nze  unter  Begleitung  der  Trommel,  mit  Gesängen  und  namentlich 
den  bekannten  Streitliedem  aufgefflhrt  werden.  Bei  den  Winter- 
gesellschaften in  den  H&nsem  bieten  die  von  den  Angakoks  ge- 
gebenen Vorstellungen  mit  Geisterbeschwörung  ein  wesentliches 
Mittel  zur  Unterhaltung  dar.  Auch  die  europäischen  Gaste  wohnten 
ditMMi  abenteuerlichen  Festlichkeiteu  bei  und  haben  lebhafte  Schil- 
derungen davon  gej^eben. 

In  Beziehung  auf  körperliche  Gestalt  waren  diese  nördlichen 
Ostländer  von  den  südlichen  und  teilweise  den  Westländern  etwas  ver- 
schieden. Sie  waren  schlank,  wohlgewachsen,  hatten  charaktervolle 
markierte,  ovale  und  hübschere  Gesichter  als  jene.  Auch  schienen 
sie  reinlidier  als  die  Westländer,  und  auf  ihre,  teilweise  mit  schönen 
Stickereien  gezierten  Kleidungsstücke  war  mehr  Fleifo  verwendet 

a«ogr.  BUttar.  Br«in«a,  ISW.  85 


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3Ö4  — 


Die  Spuren  früherer  europäischer  Besuche  oder  Anäiedeluugeo, 
welche  gesehen  wurden,  oder  von  denen  die  Einwohner  his  zum 
68®  n.  Br.  etwas  wufeten,  waren  so  nnsicher  und  flberhaupt  so 
verschwindend,  dals  an  das  Vorhandensein  von  Ruinen  der  alten 
Österbygd  irgendwo  auf  dieser  ganzen  Kttste  nicht  zu  denken  ist 

Im  Herbst  verschwand  das  Treibeis  von  der  See.  Die  Tem- 
peratur war  selten  kälter  als  -f-  10®  C.  bis  zum  Februar,  wo  sie 
-f-  25®  C.  erreichte.  Der  Nordwest  oder  Westwind  trat  liier  als 
warmer  Fölin  auf.  Leider  war  hier  in  diesem  Jalire  grofser  Mansrel 
an  Hunden  und  deshalb  Sdilittenfahrt  nur  weni-^  zu  benutzen.  Im 
Sommer  1885  untersuchte  die  Expedition  den  Sennilik-Fjord,  ver- 
liefs  am  5.  Juli  Kristian  des  IX.  Land,  traf  am  16.  Juli  die  ihr 
unter  Gardes  Leitung  entgegenkommende  Abteilung,  und  erreichte 
mit  dieser  zusammen  am  1.  August  wieder  die  Westküste. 


Die  Entdeckungsreise  des  Dr.  Otto  Finsch  an  der 
NordostkUste  von  Neu-Guinea.  Mai  1885. 

Hienn  Kartonslvizze  der  Kiisto  des  Kaiser  "Wilhelms-Landes  von  der  Astrolabe- 
bis  znr  Humboklt-Bai,  von  Dr.  0.  Finsch,  aus  Heft  IV.  der  von  der  Neu-Gmnea- 
Kompagnie  zu  Berlin  herauBgegebenen  „Nachrichten  for  und  über  Kaiser  Wilhehns« 

Luid  and  dem  Bianuurck-AxohipeL*' 

Einleitung.  Übersteht  der  fünf  vor  Dr.  Finsch  1884  and  1885  an  den  Kitoteii 
VOB  Nen-Guinca  ausgeführten  Entdeckungsreisen.  Bericht  über  die  Reise  nach  der  Nord- 
ostkUste. WaHkü.ste  Kanoes.  Kap  dt'lla  Torre.  Ynlkan-TTisol.  Kaiserin  Augosta-Fliif:«. 
Flache  Küste.  Krauel-Baoht  Entgegenkommen  der  Eingeborenen.  HUgel  and  Ge- 
birgc  an  der  Rttete  bis  Bnmboldt-Bai.  Die  Inseln  Chreasien  vnd  Heta.  DaUnHuin- 
Hafen.  Landexkursion.  Melanesiche  Gastfrenndschaik.  Tabaksbau.  Hansemann-RfiBtSi 
Insel  (Jn.ip  WaldberRe  an  der  Küste.  Eingeborene.  Kokoshaine.  Die  Sainson- 
Inseln.  Der  Btirliti-llateu.  Guido-Kora-Huk.  Lagune.  Flufsmünduug  am  Kap  Kon- 
kordia.  In  der  Angrlirs-Bai.  Fk-iedlielie  Eingeborene.  Der  SeehstrobSvlb.  Hamboldt-Bai. 
Exkursion  nach  dem  Dorfe  Tobadi  Diebische  Eingeborene.  Explorierung  der  Küste 
zwischen  Veuus-Point  und  Kap  Kroisilies.  Friedrich  Wilhelm-Hafen.  Die  Bismarck- 
Kette.    Der  Hansemann-Berg.    In  der  Astrolabe-Bai. 

M.  L.  Die  jetzij^^e  Bewegung  in  Deutschland  für  Kolonisation 
in  überseeischen  Luiidern  und  die  Erwerbung  deutscher  Schutz- 
gebiete in  Afrika  und  Polynesien  werden  ohne  Zweifel  im  Laufe  der 
Zeit  der  Geographie  manche  wertvolle  Frucht  bringen,  manche  bis 
dahin  lückenhafte  Kenntnis  bereichern  und  vertiefen.  ist  erklärlich, 
dafs  die  von  den  zunächst  Beteiligten  in  den  nenen  Kolonialgebieten  uiit 
dem  Gedanken  wirtschaftlicher  Nutzbarmachung  derselben  veranstalte- 
ten Forschungen  und  Untersuchungen  gewissermafsen  linen  einseitigen 
Charakter  an  sich  tragen,  allein  man  darf  vertrauen,  dafs  der  wirt- 
schaftliche Zweck  nicht  immer  allein  im  Vordergrund  bleiben,  viel- 
mehr der  dem  Deutschen  eigene  Trieb  nach  Erkenntnis  um  ihrer  selbst 
willen  sich  auch  hier  betätigen  und  neben  dem  Vorteil  der  eigenen 


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—  355  — 


Nation  die  BereiclieriinjLj  eines  geistigen  Genieiiiguts  der  zivilisierten 
Welt,  der  Länder-  und  Völkerkunde,  im  Sinne  unseres  unsterblichen 
Ritters  ernstlich  ins  Auge  gefafst  werden  wird.   Die  Untersuchungen 
und  Studien  Hugo  ZdUers  an  der  WestkOste  von  Afhka  und  namentlich 
im  deutschen  Kamemngebiet  sind  als  Arbeiten  dieser  Art  freudig 
zn  begrOfsen.    Beiche  Ergebnisse  darf  unsere  Wissenschaft  sieh 
deshalb  auch  wohl  von  der  Übernahme  eines  Teils  von  Neu-Guinea 
unter  die  Oberhoheit  des  deutschen  Reichs  versprechen.   Das  von 
August  Petermann  vor  16  Jahren  ausges]>r(>cliene  Wort:  dafs  die 
emUiche  Entdeckuii^^  und  Erforschung  von  Neu-Guinea  eine  der 
brennendsten  Fragen  der  Creograi)]iie  sei,  gilt  im  wesentlichen  noch 
heute.    Zwar  ist  manches  seitdem  geschehen,  eine  ganze  Reihe  von 
Forschern:  Italiener,  Niederlander,  Deutsche,  Engländer,  ein  Russe 
und  ein  Franzose  haben  von  verschiedenen  Punkten  der  Küste  aus 
Untersuchungen  des  Landes,  naturwissenschaftliche  Sammlungen  und 
Studien  der  Bevölkerung  angestellt  Die  Mission  hat  sich  an  der 
Nord-  und  SfldostkOste  niedergelassen,  englische,  deutsche  und 
niederländische  Kriegsschiffe  haben  da  und  dort  die  Lage  und  Be- 
schaffenheit der  Ufer  und  vorgelagerten  Inseln  festgestellt.  Die 
Greschichte  der  früheren  Neu-Gninea-Fahrten  ist  durch  die  trefflichen 
Arbeiten  der  Niederländer  Leupe,  Robide  van  der  Aa,  und  neuer- 
dings Haga  klar  gelegt,  allein  noch  ist  das  weite  Innere  mit  seinen 
mächtigen  Gebirgszügen  uniiekannt.    Bis  an  den  Fufs  des  Centrai- 
gebirges, dessen  hohe  Spitzen  an  der  Ostseite  dem  Seefahrer  weithin 
erkennbar  sind,  ist  an  einer  Stelle  der  Italiener  d'Albertis  187()  von 
der  Südküste  aus  über  4  Breitengrade  auf  dem  Flytiusse  vorge- 
drungen; der  Niederländer  Morris  kam  1884  mit  dem  Regierungs- 
dampfer ^Habicht"  von  der  niederländischen  Nordküste  auf  dem 
Mamberan-  oder  Bochuasenflufo  über  einen  Breitengrad  ins  Innere,  eine 
Sandbank  in  diesem  Flufs  am  Fufs  des  van  Bees-Gebirges  hemmte 
ein  weiteres  Vordringen.  Diese  Kunde  und  die  Erforschung  einiger 
kleinerer  an  der  SüdostkOste  mündenden  Flüsse  ist  alles,  was  wir 
von  dem  niutinafslich  sehr  reichen  Stromsystem  der  grofsen  Insel 
wissen;  die  Pdanzen-  und  Tierwelt,  die  Bevölkerung  des  Innern 
sind  uns  nach  wie  vor  ein  Gelieimnis. 

Unsere  bisherige  Kenntnis  von  der  Nordostküste  Neu-Guineas 
zwischen  der  Astrolabe-  und  Humboldt-Bai  basierte  im  wesentlichen 
auf  den  Aufnahmen  und  Berichten  des  französischen  Admirals 
Dümont  d'Urville  mit  der  Korvette  „Astrolabe"  im  August  1827 
und  auf  den  Berichten  des  englischen  Beisenden  Wilfred  Powell,  der 
zu  verschiedenen  Malen,  in  den  Jahren  1875,  1876,  1877,  1878  und 
1879,  diese  Küste  besuchte,  im  ganzen  achtzehn  Monate  mit  der  Er- 

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forschung  dieses  Teils  von  Neu-6uinea  und  mit  dem  Studium  der 

Bevölkerunjr  zubrachte,  die  Küste  von  der  China-Strafse  bis  zur 
Pointe  d  ürville,  eine  Strecke  von  lÜCXi  niiles,  befiihr,  aber  wie 
er  selbst  sagt,  ^^')  keine  eigentlidie  Kiistenanf nähme  machte.  In  der 
Astrolabe  -  Bai  verweilte  der  russische  KiMst  iide  Miklucho- Maclay 
in  den  Jahren  1871  und  1B72.  Seine  Berichte  sind  in  Zeit- 
schriften vielfach  zerstreut;  ein  Gesamtergebuis  seiner  ethnolo- 
gischen Studien  ist  bis  jetzt  niclit  erschienen.  Erst  den  Reisen 
unseres  Vorstandsmitgliedes,  Herrn  Dr.  Otto  Finsch  und  den  bei 
diesen  Expeditionen  erfolgten  Eüstenaufnahmen  durch  den  Ton 
unserem  Mitgliede,  Herrn  Kapitän  Eduard  Dallmann«  geführten 
Dampfer  „Samoa**  ist  eine  genauere  Kenntnis  und  Kartierung  der 
ganzen  Kfistenstrecke  zu  yerdanken.  Diese  Reisen  wurden  Ton 
Dr.  Finsch  im  Auftrage  der  „Neu-Guinea- Kompagnie  zu  Berlin" 
ausgeführt  und  es  ist  bekannt,  mit  welchem  Geschick  und  Glück 
Herr  l)r.  Finsch  die  ihm  übertragene  schwierige  Aufgabe  gelöst 
hat.  Die  Berichte  des  Herrn  Dr.  Finsch  sind  nun  kürzlich,  soweit  sie  von 
allgemeinem  Interesse,  in  den  von  der  genannten  Kompagnie  heraus- 
gegebenen „Nachrichten"  Yeröffentlicht  worden  und  wir  verdanken 
es  dem  freundlichen  Entgegenkommen  der  Kompagnie,  dafs  wir  in 
nachstehendem  den  Bericht  des  Herrn  Dr.  Finsch  Aber  seine  Er- 
forschung der  Kflste  zwischen  Astrolabe-  und  Humboldt-Bai  (der 
Orenze  des  deutschen  Schutzgebiets)  samt  der  ebenfalls  in  den 
„Nachrichten**  publizierten  Karte  unseren  Lesern  mitteilen  können. 
Herr  Dr.  Finsch  hat  im  vorigen  und  in  diesem  Jahre  von  Nen- 
Britannien  aus  im  liuiizen  fünf  Keisen  längs  der  Nord-  uud  Ostküste 
von  Neu-Guiuea  ausgeführt,  welche  in  ihrer  Konfiguration  schon 
durch  ihren  bergigen  Charakter  sich  wesentlich  von  der  bekannt- 
lich fiachen,  niedrigen  Südküste  unterscheiden. 

Die  erste  Reise  wurde  mit  dem  Dampfer  „Samoa*,  Kapitän 
Dallmann,  von  Mioko  am  7.  Oktober  1884  angetreten,  sie  währte, 
soweit  sie  die  Erforschung  von  Neu-Guinea  betraf,  bis  zum  25.  Oktober. 
Es  wurde  zunächst  die  von  Dflmont  d^Uryille  entdeckte  Astrolabe-Bai 
angelaufen,  wo  die  »Samoa"  bis  zum  18.  Oktober  ankerte;  you  hier 
aus  nordwärts  gehend  entdeckte  Dr.  Finsch  am  19.  den  Friedrich 
Wilhelms-Hafen  und  wurde  am  Ufer  dieses  Hafens  eine  Flagge  errichtet. 
Sodann  wurde  die  Kü.ste  nordwärts  bis  Kap  Croisilles,  darauf  eine 
lange  Strecke  süd-,  dann  ostwärts  bis  Kap  Cretin  unter  gelegentlichen 
Landungen  e.xploriert.  Auf  dieser  Ueise  war  es,  wo  Dr.  Finsch  (hiü 
merkwürdige  Terrasseuland  au  der  Küste  von  Village-lsiand  bis 

^)  ProceedingB  of  tbe  Royal  Qeogr.  Societr.  Yol  V.,  No.  9.  (September  1883.) 
S.  605  Q.  ff. 


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hinter  Fortifikation  Point,  von  dem  uns  Powell  erzfthlt  and  das  aach 
schon  Kapitän  Moresby  bei  seinen,  mit  dem  englischen  Kriegsschiff 
»Basilisk*'  in  den  Jahren  1873  und  74  ausgeführten  Aufnahmen  der 
SQd-  und  Ostküste  sichtete,  näher  untersuchte  und  als  gehobenen 
Korallenboden  erkannte. 

Am  13.  November  lief  die  ^Samoa"  wieder  vom  Mioko  aus. 
Das  diesmalige  Gebiet  der  Entdeckungen  und  Forschungen  waren 
der  Hüon-Golf  und  die  nördlich  von  demselben  vorspringende  Küste, 
zwei  gute  Häfen,  der  Adolf-  und  der  Finsch-IIafen.  wurden  erschlossen. 
Am  24.  November  traf  die  „Samoa^  mit  dem  dcutsrhen  Kanonenboot 
„Hyäne"  zusammen,  welches  mit  dem  deutsrhen  Kriegsscbifif 
«Elisabeth"  die  Neu- Guinea-Küste  weiter  nordwestlich  exploriert  hatte, 
nun  in  den  B'insch-Hafen  legte  und  dort  am  27.  November  die  Kaiserlich 
deutsche  Flagge  heifiste.  Die  „Elisabeth^  hatte  mit  der  ,|Hyäne^ 
vom  17.  bis  20.  November  in  Friedrich  Wilhelms-Hafen  geankert,  auch 
hier  diese  Flagge  gebeifet  und  war  dann  nach  Neu-Brittannien  ge- 
gangen. Am  28.  gingen  „Samoa**  und  „Hyäne**  wieder  aus,  die 
erstere  fuhr  eine  Strecke  nordwärts  längs  der  Küste,  explorierte  noch 
Teile  der  Küsten  von  Neu-Britannien  und  Neu-Irland  und  kehrte  am 
9.  Dezember  nach  Mioko  zurück. 

Die  (hüte  im  Dezember  1884  ausgeführte  Reise  richtete  sich 
nach  der  Ostküste  südlich  vom  Huon-Goll  und  bis  zum  Ostkap  und 
war  reich  an  geographischen  Ergebnissen ;  zum  grofsen  Teil  sind  es 
Gebiete,  die  jetzt  unter  englischen  Schutz  gestellt  sind,  während 
man  früher  annehmen  durfte,  dafs  England  sein  Protektorat  auf  die 
SOdkttste  beschränken  wflrde. 

Die  vierte  Reise  fällt  in  die  Zeit  vom  23.  März  bis  18.  April 
1885.  Auf  dieser  wurde  von  Dr.  Finsch  in  der  Nähe  von  Bentley- 
Bai  (westlich  vom  Ostkap)  auf  von  den  Eingeborenen  erworbenem 
Land  eine  Station  begründet  und  besetzt.  Als  die  Abmachung  zwischen 
Deutschland  und  England  über  die  Grenzen  der  beiderseitigen  Schutz- 
gebiete in  diesen  Gegenden  bekannt  wurde  und  es  sicii  somit  ergab, 
dafs  Bentley-Bai,  wie  die  ganze  Küstenstrecke  bis  zum  8°  s.  Br. 
hinauf  unter  englischen  Schutz  gestellt  war,  wurde  die  Besatzung 
der  Station  zurückgezogen.  Wie  die  „Nachrichten  der  deutschen 
Neu-Guinea-Kompagnie^  mitteilen,  hat  auch  diese  Reise  zur  besseren 
Kenntnis  der  vorher,  wie  erwähnt,  durch  den  bekannten  englischen 
Marinekapit&n  Moresby  mit  dem  ^Basilisk''  befahrenen  Küsten  vom 
Ostkap  bis  Chads-Bai  mancherld  erwünschtes  Material  geliefert, 
doch  wird  darüber  nichts  näheres  berichtet. 

Die  fünfte  Reise  des  Dr.  Finsch  endlich  umfafste  das  ganze 
Küstengebiet  von  Deutsch-Neu-Guiuea  von  der  Astrolabe-Bai  bis  zur 


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Humboldt- Bai,  wo  das  niederländische  Neii-Giiinea  bej^innt,  eine  Strecke 
von  96  fzeo^a-aphischen  Meilen.  Sie  wahrte  vom  5.  bis  2B.  Mai  d.  J. 
Der  Bericht  über  diese  Reise  folgt  nachstehend. 

Znr  Erläuterung  in  betrofT  der  früheren  Rekognoszieningen  bemerken  wir 
noch  folgendes.  Nachdem  schon  im  Jahre  1823  durch  die  .rofinillo-,  Admiral 
Duperrey,  diese  Küste  aus  der  Entfernung  von  10— lö  Heues  gesichtet,  wurde 
dieselbe  auf  2 — 5  lieues  Entfernung  im  August  1827  durch  die  französische 
Kriegskorvette  ^Asti'olabe'  unter  Oberbefehl  des  Admirals  Dümont  d'Drville  aaf- 
IceiioiimiaL*'}  Am  6.  August  war  die  «Astiolftbe*  tot  der  nftch  ihr  genaimtan  Bai; 
die  beiden  Kaps  am  Eingange  erhielten  die  Namen  Bignj  und  Dnperrey.  Aach 
die  weiter  längs  -der  Kflste  gegebenen  fitansöeisohen  Namen  stammen  von  dieeer 
Expedition.  Die  Korvette  segelte  dann  nordwirts  swischen*  dem  Festlande  mul 
der  Dampier-Insel  durch,  dessen  mindestens  800  Toiscn  hohe  Kegelspitze  meist 
in  weifsen  Wolken  gehüllt  war.  Der  Küste  folgend  befand  sich  die  aAstrolabe' 
am  7  August  südlich  von  der  Vulkan-liisel.  In  der  Nähe  vom  Kap  Jüllien 
veränderte  das  Seewasser  seine  blaue  Farbe  in  srbmuf/iges  grün  und  nahe  der 
Küste  in  gelb.  Baumstämme,  Zweige,  Früchte  trieben  darin  und  aus  Besorgnis 
vor  Riffen  hielt  die  „Astrolabe''  vom  Laude  ab.  (Auch  Kapitän  Moresby  hat 
diese  Verfärbung  des  Seewassers  und  treibende  Baumstämme  bemerkt  Seine 
Vermntongp  dab  hier  ein  giofser  Flnfs  mflnde,  hat  die  Bntdeckong  des  Dr.  Finsch, 
wie  sich  weiter  nnten  ergeben  wird,  bestitigL)  Am  9.  Angnst  passierte  die 
HAstrolabe*  die  d'ürrüle-  nnd  andere  Insein  in  der  NShe.  Am  10.  seigten  sich 
zwischen  der  Faragnet-  nnd  Sainson-Insel  sechs  mit  Eingeborenen  bemannte 
Piroguen.  Wiederholt  wurde  das  Schiff  durch  die  Strömung  weiter 
nach  Westen  versetzt.  Am  11.  war  die  „Astrolabe^  vor  dem  Angriff  Hafen  (anse 
de  Tattaque),  so  genannt,  weil  sich  hier  dem  Schiff  20  Pirogtien,  jede  mit  3 — 8 
bewaffneten  Leuten,  näherten  und  von  der  vordersten  ein  Pfeil  auf  das  Schiff 
gesendet  wurde.  Eine  Oewehrsalvc  und  ein  Kanonensrhnfs  trieben  die  Böte  znr 
sofortigen  Flucht.  Auf  zwei  lieues  Entfernung  wurde  die  Küste  bis  zur  Humboldt- 
Bai  verfolgt;  die  .Astrolabe"  lief  aber  hier  nicht  ein»  sondern  landete  erst  in 
dem  bekanntesten  Hafen  von  Nen-Qnineai  in  Dorei,  an  der  KQste  des  nord- 
westliehen  Teils  von  NeorChunea.  An  der  von  Dr.  Finsch  in  nachfolgendem  Bericht 
beschriebenen  Kftste  trat  die  „Astrolabe*  weder  in  Verkehr  mit  SingeboxeMt 
noch  landete  sie  oder  sandte  Landungspartien  ab.  Die  für  ein  Segelschiff 
besonders  groJsen  Schwierigkeiten  des  Fahrwassers  durch  fiiffis»  Strdmnngen  nnd 
Stilten  mögen  hiervon  abgehalten  haben. 

Wir  verliefsen  am  5.  Mai  10  Uhr  früh  Mioko,  nahmen 
Kars  nördlich  von  den  French-Inseln  nach  den  Schouten-lDselu  und 
sichteten  in  der  Frühe  des  8.  Mai  Vulkan-Insel,  spater  Lesson-Insel 
und  Blosseville-Insel  und  das  Festiand  von  Neu-Ouinea,  das  als  eine 
niedrige  Hflgelkette  erschien.  Gegen  2  Uhr  kam  auch  westwärts 
Kttste  zum  Vorschein,  mit  Wipfeln  von  B&umen,  die  wie  eine  Hecke 
aussahen  und  die  Küste  offenbar  als  Flachland  bezeichneten.  Zu  der- 
selben Zeit  bemerkten  wir  etwa  10  Meilen  westlich  v<m  Viilkan-Insel, 
soweit  das  Auge  reichte,  grünes  Wasser  vor  uns,  vou  dem  tiefblauen 

")  Vergl.  Dumont  d^Urville,  voyage  de  rAstiolnbe,  histoire  de  voyage. 
Band  IV.,  Kap.  87. 


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—  369  — 

scharf  abgesetzt  darch  einen  weitsen  Schaumstreifen,  der  von  weitem 

g«anz  der  Brandung  ähnelte,  wie  das  Ganze  durchaus  einem  Riff.  Es 
zeijite  sich  jedoch  bald,  dals  das  griiue  Wasser  keinem  Riff  angehörte, 
sondern  von  Flüssen  der  Küste  herrührte,  ähnlich  wie  wir  dies  be- 
reits im  Hüon-Golf  kennen  gelernt  hatten,  denn  trroCse  Treibholz- 
stämme, zum  Toll  noch  mit  Zweigen  und  Blättern,  iiefsen  diesen 
Ursprung  des  hellen  Wassers  mit  Sicherheit  erkennen. 

Nachdem  Kapit&n  Dallmann  eine  Zeitlang  längs  des  grünen 
Wassers  gefahren  war,  ging  er  um  2  Uhr  40  Minuten  in  dasselbe 
hinein,  und  wie  zu  erwarten,  ergab  das  Lot  keinen  Grund.  Wur 
steuerten  S.  zu  W.  halb  W.  gerade  auf  die  Kttste,  auf  der  eine  her- 
vorragende Gruppe  hoher  Kasuarineo  stand,  und  gingen  4  Uhr 
25  Minuten  in  6  Faden  und  etwa  2  sm  von  der  Kflste  zu  Anker. 
Die  Küste  erschien  als  dichter  Waldgürtel,  von  einzelnen  höheren 
dichten  Baumgruppen,  schwarz  wie  Nadelholz  uiul  aus  Kasuarinen 
gebildet,  unterbrochen.  —  Bald  sahen  wir  an  drei  Stellen  am  Ufer 
Rauchsäulen  aufsteigen,  und  gegen  5  Uhr  kamen  mehrere  Kanoes 
mit  Eingeborenen  längsseits,  mit  denen  ich  handelte.  Am  Ufer  war 
ein  Dorf  zu  erkennen,  sowie  dichte  Bestände  von  Kokospalmen,  die 
sich  hauptsächlich  ostwärts  zu  erstrecken  schienen.  Nach  Peilungen 
war  unser  Ankerplatz  4^  1'  s.  Br.,  144^  43'  ö.  L.,  also  etwa  3  Meilen 
Ostlich  von  Venus-Point  der  Karte,  welcher  Punkt  sich  nur  durch 
eine  Gruppe  hoher  Kasuarinen  auszeichnet  Weiter  wesüich,  wie 
durch  Inseln  mit  niedrigem  Gebüsch  verbunden,  erschien  eine  ähnliche 
durch  hohen  Bestand  von  Kasuarinen  ausgezeichnete  Waldecke,  ver- 
mutlich Kap  della  Torre  der  Karten.  Noch  ehe  völlig  Nacht  ein- 
brach, sahen  wir  aus  der  Kraterspitze  von  Vulkau-Iusel  Feuer,  später 
Feuerschein,  aufsteigen. 

9.  Mai.  Das  Wasser  war  heute  früh  viel  heller  ;j;efarbt  als 
gestern  Abend.  Gegen  die  Fortsetzung  der  Küstenfahrt  entstanden 
Bedenken,  weil  iu  dem  trüben  Wasser  Riffe  und  Untiefen  sich  nicht 
erkennen  Iiefsen  und  das  Schiff  daher  in  hohem  Grade  gefährdet 
würde.  Sie  wurde  gleichwohl  versucht,  indem  beschlossen  wurde, 
unter  öfterem  Loten  nur  langsam  vorwärts  zu  gehen,  und  die  Fahrt 
gelang  ohne  ün&ll  für  Schiff  und  Mannschaft,  da  sich  meine  An- 
nahme als  richtig  erwies,  dafs  in  brackischem  Wasser  Korallenriffe 
nicht  vorkommen.  Wir  gingen  9'/4  Uhr  wieder  unter  Dampf;  der 
iiuiunel  war  trübe  und  bedeckt,  heftiger  Platzregen  nieder. 
Westlich  von  Venus-Point  zeigte  sich  die  Mündung  eines  gröfseren 
Flusses;  das  Meerwasser  nahm  davon  eine  trüb-lehmfarbige  Färbung 
an;  viel  Treibholz,  darunter  grolse  Baumst&mme  mit  Wurzeln  und 
Blättern,  trieb  herum. 


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—  360  — 

Veuus-Point  ist  ein  Vors[)run<;  des  bewaldeten  Flachlandes,  das 
sich  hier  weit  ausdehnt,  Inland  bis  zu  einer  niedrigen  Hügelkette, 
die  sich  längs  dieser  ganzen  KOste  zu  erstrecken  scheint  Der  Ufer* 
säum  behielt  immer  dasselbe  Ansehen:  dichter,  jedoch  nicht  sehr 
hoher  Urwald,  mit  einzelnen  Beständen  hdherer  dichter  Kasuarinen, 
einem  nadelholzartigen  Baum,  der  an  unsere  Lärche  erinnert 

Wir  waren  der  MOndung  des  erwähnten  Flusses  gegen  1  Uhr 
gegenüber,  sahen  aber,  dafs  eine  Barre  mit  heftiger  Brandung  den 
Eingang  versagte.  Um  2  Uhr  wurde  das  Wasser  noch  schmutziger 
braun  und  süfe,  und  wir  sshen  die  Mündung  eines  zweiten,  weit 
bedeutenderen  Flusses,  gegen  den  wir  zuhielten  und  vor  welchem  wir 
um  3  Uhr  io  b^U  Faden  Schlick  zu  Anker  gingen.  Um  4V>  Uhr 
ging  ich  mit  dem  Steuermann  und  vier  Ruderern  im  Whaleboot  in 
diesen  Fiufs  hinein  und  kam  nach  Dunkelwerden  zurück.  Wir  fanden 
keine  eigentliche  liarre,  wenigstens  keine  Brandung,  sondern  überall 
3  Faden  Tiefe,  jedoch  eine  starke  Strömung,  gegen  die  wir  nur 
mit  Segeln,  unterstützt  durch  den  günstigen  Wind,  anarbeiten  konnten. 
Wir  brauchten  von  dem  Schifte,  das  etwa  2  Meilen  von  der  Mündung 
lag,  IVs  Stunden,  um  bis  in  den  Flufs  hineinzugelangen.  Die 
Strömung  mag  4 — 5  (engl.)  Meilen  in  der  Stunde  betragen,  was 
beweist,  dafs  der  Flufs  weit  aus  dem  Innern  kommt;  dafür  sprechen 
ebenfalls  die  grofseu  Massen  von  Treibholz  —  ganze  schwimmende 
Inseln  — ,  welche  er  mit  sich  führt.  Der  Flufs  ist  an  der  Mündung 
mindestens  V'2  sm  breit  und  wahrscheinlich  schiffbar,  was  indes  nur 
durch  eine  genauere  Untersuchung  festgestellt  werden  kann.  Da 
dieser  Flufs,  welcher  voraussichtlich  eine  W^asserst^afse  ins  Innere 
eröffnet,  ohne  Zweifel  der  bedeutendste  von  Kaiser  Wilhelms-Land 
und  nächst  dem  Fly  und  Rochussen  der  gröfste  in  Neu-Guinea  ist, 
habe  ich  denselben  nach  Ihrer  Majestät  Kaiserin  AugustapFlufs  ge- 
nannt Er  liegt  nach  Kai)itan  Dalimanns  Bestimmungen  df^  62' 
s.  Br.,  144^  32'  ö.  L.,  etwa  3  Meilen  Östlich  von  dem  sogenannten 
Kap  della  Torre  der  Karten.  Die  Blosseville-Insel  und  die  Gamot- 
Insel,  letztere  von  der  ersteren  verdeckt,  peilen  den  Flufs  Sfld.  Ich 
traf  an  der  Mündung  Eingeborene,  mit  denen  ich  aber  nicht  in  Vei^ 
kehr  treten  konnte,  da  die  starke  Strömung  das  Landen  verhinderte. 

10.  Mal  Gingen  6  Uhr  45  Minuten  weiter,  passierten  gegen 
7  Uhr  Kap  della  Torre,  das  eigentlich  kein  Kap,  auch  keine  be- 
sonders vorspringende  Ecke,  sondern  nur  eine  flache  Ecke  mit  Be- 
ständen hoher  Kasuarinen  ist  Die  Kflste  bis  auf  etwa  30  Meilen 
bewahrt  einen  sehr  gleichmäfsigen  Charakter:  Flachland  mit  dichten 
Kasuarinen  und  Nipapalmen,  welche  beide  auf  sumpfiges  Terrain 
schliefsen  hissen;  keine  Kokospalmen  und  Menschen;  weiter  Inland 


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361  — 


eine  Hügelkette.  Um  10  Uhr  passierten  wir  einen  dritten  Flufs, 
der  vielleicht  wie  der  erste  nur  ein  Nebenarm  des  Kaiserin  Angusta- 
Flusses  ist,  nnd  vor  dem  es  heftig  brandete.    Das  Meerwasser 

war  schmutzig  hell  bis  dunkelmiiii.  —  Nachmittags  sahen  wir  eiue 
tiefere  Bucht  (Kraiiel-Bncht)  vor  uus,  deren  westliclie  Hälfte  von 
300 — 4:CX)  Fufs  hohen,  dichtbewaldeten  Hügeln  begrenzt  war,  und 
deren  westlichste  Ecke  ein  leicht  kenntliches  Kap,  das  ich  später 
Kap  Dalimann  nannte,  bildete.  Da  östlich  von  Kap  Dallmann  die 
Küste  tiefere  Buchten,  die  möglicherweise  Häfen  bieten  konnten,  zu 
haben  schien,  so  steuerten  wir  darauf  zu.  Sie  erwiesen  sich  jedoch 
nicht  als  zugftngliche  und  geschützte  Ankerplätze.  Eine  gegen  4  Uhr 
plötzlich  aufepringende  heftige  Brise  aus  Ost  zwang  uns,  tiefer  in 
der  Bucht  Schutz  zu  suchen,  und  wir  gingen  daselbst  um  5  Uhr 
35  Minuten  nachmittags  in  8  Faden  Sand  etwa  eine  Meile  vom  Ufer 
zu  Anker.  Dieser  Ankerplatz  liegt  nach  Kapitän  Dallmann  3**  45' 
s.  \)Y.  und  148°  57'  ö.  L.  Bis  zu  diesem  Punkte  verzeichnete  ich 
fünf  Flüsse  und  neun  Siedelungeu,  doch  kamen  uui*  au  einer  Stelle 
Kauoes  mit  Einireborencn  ab. 

11.  Mai.  Sclion  um  5V2  Ulir  kamen  Eingeborene  (nach  und 
nach  zwölf  Kanoes)  ab,  die  uns  freiwillig  Speisen  (Sago,  Taro)  zum 
Geschenk  anboten,  eine  mir  durchaus  neue  Freigebigkeit.  Sie  zeigten 
sich  als  stille,  ruhige  Leute,  die  ttber  die  Geschenke  sehr  erfreut, 
von  eisernen  Beilen  jedoch  noch  keine  Verwendung  zu  kennen  schienen. 
Sie  kamen  willig  an  Bord  und  überreichten  mir  ein  Kokosblatt,  in 
welches  sie  einen  Knoten  schlugen,  ein  Zeichen,  das,  wie  ich  später 
wiederholt  beobachtete,  in  diesem  Teile  von  Neu-Guinea  als  Friedens- 
zeichen gilt.  Wir  gingen  früh  8^/4  Uhr  weiter.  Die  Küste  erhielt 
hier  ein  verändertes  Auschen.  Wuhicud  von  Venus-Poiut  bis  zu 
der  Bucht,  wo  wir  ankerten,  die  ausgedehnteste  Flachküste  war, 
welche  ich  bis  jetzt  in  Neu-Guiuea  gesehen  hatte  (wenn  iuhiud  auch 
immer  etwas  Hügelkette),  so  begann  nunmehr  von  dieser  Bucht  an 
lilugs  der  Küste  oder  dieselbe  unmittelbar  bildend,  Hügel-  bis  Ge- 
birgsland,  das  sich  ununterbrochen  bis  Humboldt -Bai  hinzog.  Vor, 
also  östlich  von  Kap  Dallmann,  hat  die  300—600  Fufs  hohe,  steil 
abfallende,  dicht  bewaldete  Küste  drei  Einbuchtungen,  die  indes  keine 
Anker-  oder  Hafenplätze  bieten.  Die  Kflste  bekommt  durch  aus- 
gedehnte grüne  Hänge,  die  Matten  gleichen,  durch  einzelne  H&user 
und  kleine  Kokoshaine  ein  freundliches,  fast  zivilisiertes  An- 
sehen. 

Mit  dem  Passieren  von  Kap  Dallmann  sahen  wir  (rUrville-Insel 
vor  uns,  einen  hohen,  langgestreckten,  dichtbewahleteii  Bergrücken, 
von  keineswegs  vulkauartigem  Aussehen ;  das  davor  liegende,  auschei- 


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neod  niedrige,  dichtbewaldete  Vorland  ergab  sich  als  die  Insel  Gres- 
sien  der  Karte,  hier  unrichtig  verzeichnet. 

Westlich  von  Kap  Dallmann  bildete  die  Küste  mehrere  groDse 
Buchten,  die  von  900—400  Fufs  hohen,  dichtbewaldeteu  Hftgeln 

begrenzt  wurden,  hier  und  da  aber  auch  Vorland  zu  besitzen  schienen. 

Der  Wald  bestand  durchgehends  aus  Laubbäumen,  nicht  mehr  aus 
Kasuarinen.  Hinter  den  üferhüf?eln  oder  Berj^en  erhoben  sich  an- 
sehulich  höhere  Gebirge,  die  h\s  zu  4000  Fufs  reichen  mochten. 

Um  1  Uhr  niUierteu  wir  uns  der  Insel  Gressien,  deren  ganze 
Westseite  eine  sanft  ansteigende  Grastiäche  bildet,  die  herrliches 
Weideland  für  Schafe  abfjeben  kann. 

Um  1  Uhr  50  Minuten  waren  wir  einer  kh'inen.  dichtbewaldeteu 
IIl^el  (^feta-Insel  von  mir  genannt)  gegenüber,  von  der  westlich  eine 
Bucht  sich  öttuet,  die  wir  untersuchten  und  in  der  wir  um  3  Uhr 
in  10  Faden  Sand  zu  Anker  Idingen.  Dic^c  Bucht  erwies  sich  als 
ein  sehr  guter  Hafen,  den  ich  Dallmann-Hafen  taufte.  Er  ist  im 
Osten  von  Meta-lnsel,  im  Norden  vou  üresöien,  im  Westen  durch 
die  Dallmann-Strasse  gebildet. 

Die  Küste  von  Sahl-Huk  bis  Dallmann-Hafen  ist  sehr  beachtens- 
wert, da  sie  schöne,  allmählich  ansteigende  Flachen,  zum  Teil  mit  Gras 
bedeckt,  und  bis  zu  den  Gebirgen  viel  offenes  Land  besitzt.  Ebenso 
ist  die  Insel  Gressien  mit  ihren  GrasHächen  sehr  bemerkenswert. 
Kanoes  mit  Eingeborenen  kamen,  noch  ehe  wir  zu  Anker  gingen, 
I&ngsseit,  und  ich  bedeutete  ihnen,  dais  ich  gleich  an  Land  kommen 
wflrde.  Ich  unternahm  daher  alsbald  eine  Landezkursion,  hegleitet 
von  einer  grofsen  Menge  Eingeborener,  die  mich  nach  einem  grofsen 
schönen  Dorfe,  Rabu,  begleiteten  und  mich  hier  mit  groCser  Auf- 
merksamkeit und  Freundlichkeit  behandelten.  In  der  That  waren 
sie  die  freundlichsten  Eingeborenen,  die  ich  bisher,  nicht  allein  an 
diesem  Teile  der  Kttste,  sondern  in  ganz  Melanesien  angetroffen 
habe.  Sie  bereiteten  uns  ein  Mahl,  boten  uns  Land,  Schweine  und 
U&user  an,  und  wünschten  sehr,  dafs  wir  uns  hei  ihnen  niederlassen 
möchten.  Die  erste  wirkliche  Gastfreundschaft  in  Melanesien  wurde 
mir  hier  zu  teil,  ohne  dafs  ich,  was  sehr  beachtenswert  ist,  zuerst 
Geschenke  verteilte.  Die  Laiidexkursion  zeigte  mir  zugleich,  dafs 
sich  hier  hübsche  Flachen  mit  Gras  und  schönem  schwarzen  Boden 
tiiiileii.  Die  Lreologische  Formation  besteht,  wie  ich  dies  auf  allen 
Küsteiistrecken  von  Neu-(5niiiea  l)islier  gefunden  habe,  aus  gehobenem 
ivorallboden  (Korallfels),  der,  in  Verwitterung  ttberue^jrangen,  guten 
Boden  abgiebt.  Die  Eingeljorenen  waren  reichlich  mit  Lebensmitteln 
versehen,  besafsen  <zut  L'optleizte  Plantaben  und  kultivierten  u.  a. 
einen  recht  passabel  scheinendeu  Tabak.  Sowohl  das  Land  um  Dali- 


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manns-Hafeu,  wie  die  Insel  Gressieu  (Muschu  der  P'ingeboreneu)  mit 
ihren  schönen  Grasfl&chen,  scheinen  in  der  That  fttr  Niederlassungen 
sehr  geeignet. 

12.  Mal.  Zum  grofsen  Leidwesen  der  Eingeborenen,  die  alles 
aufboten,  um  uns  zurückzuhalten,  veriielsen  wir  früh  9  Uhr  Dali- 
mann-Hafen  und  gingen  durch  Dallmann-Strasse.  ,Pomone-Poiot* 
ist  ähnlich  wie  Kap  della  Torre,  eine  flache,  mit  hohen  Kasuarinen 

bestandene  Ecke,  aber  nicht  mit  Sicherlieit  auszumachen.  Ich  nannte 
die  Küste  von  Kap  della  Torre  bis  zu  Pomone-Point,  weklie  durch 
die  Sanioa  zuerst  in  ihrer  j^anzen  Länge  (65  Meilen)  befahren  worden 
ist:  Hanseniann-Küste.  Sie  verhlnft  in  fast  gerader  Linie;  Karto- 
graphen und  Geographen  hatten  hier  eine  tiefe  Bai  vermutet. 

Wegen  anhaltenden  Begens  und  dicker  Luft,  die  zum  Teil  die 
Küste  verhüllten,  gingen  wir  schon  um  10  Uhr  50  Minuten  früh  an 
demselben  Tage  in  7  Faden,  gegenüber  der  Insel  Guap  (der  östlich 
vor  «Paris-InseP  der  Karte  als  Punkt  bezeichneten  Insel)  zu  Anker 
und  blieben  wegen  des  anhaltend  schlechten  Wetters  daselbst  liegen.  — 
Guap  ist  reichlich  bevölkert,  und  die  Eingeborenen  kamen  in  zahl- 
reichen Kanoes  ab,  um  mit  uns  zu  handeln ;  sie  brachten  u.  a.  schönen 
Jams  an.  Sie  füliiten  Unmassen  von  Bögen  und  Pfeilen  mit  sich, 
betrugen  sich  aber  ganz  ruhig  und  anständig.  —  Im  Laufe  des 
Nachmittags  liörte  ich  aus  einem  Kanoe  meinen  Namen  nennen;  es 
waren  darin  einige  der  guten  Leute  aus  dcni  Dorfe  Rabu,  die  uns 
nachgeeilt  waren,  um  uns  nochmals  zur  Rückkehr  aufzufordern. 
Auch  wollten  sie  unter  allen  Umständen  mit  uns  westwärts  gehen, 
und  nur  mit  Mtthe  konnte  ich  sie  freundlich  zurückhalten,  indem  ich 
ihnen  Rückkehr  versprach. 

Bei  den  Eingeborenen  heilst:  d*Urvill&-Insel  Kairu,  Gressien- 
Insel  Muschu,  die  Insel  östlich  vor  Paris-Insel  Guap,  die  Insel  Paris 
Aarsau,  die  Insel  westlich  hinter  Paris-Insel  Unei,  Sapa-Point  Kara-  * 
wap.    An  der  Südspitze  von  d'Urville-Insel  scheinen  viele  Plantagen 
der  t^ingeboreuen  zu  sein. 

13.  Mai.  Das  Wasser,  welches  gestern  tief  dunkelgrün  gefärbt 
war,  war  heute  früh  infolge  der  vielen  Regengüsse  schmutzig  hell- 
grün; es  müssen  also  hier  herum  ebenfalls  Flüsse  münden.  Da  hier 
eine  starke  westliche  Strömung  durch  die  Strafse  zieht,  gingen  wir 
nur  mit  deren  Hülfe  weiter,  Aarsau-fParisj-Insel  ist  dicht  bewaldet, 
ohne  Kokospalmen,  wenig  bevölkert;  Unei  ist  unbewohnt  Die  Küste 
des  Hauptlandes  besteht  aus  600 — 800  Fufs  hohen,  dicht  bewaldeten 
Bergzflgen,  die  alle  von  Ost  nach  West  streichen,  keine  Th&ler  frei- 
lassen, wenig  Vorland  besitzen  und  deshalb  für  Kultur  nicht  viel 
Aussicht  zu  bieten  scheinen.   Übrigens  geben  viele  vereinzelte  Plan- 


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ta^^en,  wie  stets  an  den  steilen  Hän*;cii,  der  Landschaft  ein  freund- 
liches und  zivilisiertes  Aussehen.  Auch  ist  die  Küste  gut  bevölkert, 
denn  auf  einer  Strecke  von  10  Meilen  zählte  ich  8  grofse  Dörfer 
von  je  12—20  Ilausern:  doch  bemerkte  ich  nichts  von  den  Ein.se- 
borenen,  die  sich  wohl  aus  Furcht  fernhielten.  — •  Gegen  10  Uhr 
erreichten  wir  eine  etwas  vorsprinnende  bewaldete  Hügelwand  mit 
einem  grofsen  grünen  GrusHeck.  die  vielleicht  Sajia-Point  sein  kann  ; 
ein  Sapa-Point,  wie  es  auf  der  Karte  eingetragen  ist,  giebt  es  nicht! 
Weiterhin  öffnete  sich  zwischen  den  Uferbergen  eine  weite  Thal- 
mulde; hier  münden  brausende,  über  Felsen,  die  einem  Wehre 
gleichen,  herabstürzende  Gebirgsflüsse ;  hohe  kerzengerade  Baume 
versprechen  gutes  Bauholz.  Auch  hier  folgten  verschiedene  Uferdörfer 
mit  kleinen  Kokosbainen.  Gegen  5  Uhr  5  Minuten  etwa  1  Meile 
vom  Ufer  gingen  wir  in  7  Faden  Schlick  zu  Anker.  —  Zahlreiche 
Eingeborene  in  zum  Teil  kolossalen  Kanoes  kamen  längsseit  und 
brachten  schlecht  zubereitete  Paradiesvögel,  sowie  Unmassen  von 
Pfeilen  und  Bögen  zum  Tausch.  Sie  zeichneten  sich  durch  enorme 
verfilzte  Haartonren,  die  einer  Allongeperrflcke  ähnlich  waren,  ans; 
waren  übrigens  ruhige  Leute,  die  sich  an  Bord  ganz  anstftndig 
betrugen. 

Am  14.  Mai  brachen  wir  frOh  8  Uhr  20  Minuten  auf.  Die 
Küste  bestand  aus  dicht  bewaldetem  Vorland,  mit  vielen  Siedelungen 
und  Kokosbainen ;  hinter  diesem  Vorland  hoben  sich  dicht  bewaldete 
Berge  und  das  an  3000  Fufs  hohe,  ebenfalls  dicht  bewaldete 
Torricelligebirge.  Dasselbe  hört  schon  da  auf,  wo  auf  d^  Karte 
i^Passir-Point"  steht;  dieser  Punkt  mit  samt  dem  Riff  existiert  nicht. 
Dieses  Vorland  verdient  Beaclitung,  da  es  das  einzige  lohnende  Kopra- 
gebiet  an  dieser  ganzen.  ül)rigcns  gut  besiedelten  Küste  ist. 

Genien  11  Uhr  lagen  die  Sainson-lnsehi  vor  uns,  zwischen  denen 
noch  kein  Schiff  vor  uns  durchgefahren  ist.  d'Urville  vei/eichnet 
zwischen  der  Insel  Dudemain  und  Faraguet  ein  Korallriff.  Das- 
selbe existirt  nicht:  dagegen  ist  anscheinend  die  Stralse  zwischen 
Dudenuiin  und  dem  Festlande  durch  Felsen  für  Schiffe  geschlossen. 
Wir  fanden,  daf^  die  durch  Uiffe  verbundenen  Sainson-Iiiseln :  Faraguet, 
Sainson  und  die  kleine  biNlier  nameidose.  von  mir  SanslVuici  benannte 
Insel,  einen  treIVlichen  Hafen  bilden,  der  sehr  geschützte  Ankerung 
bietet,  und  den  ich  Berlin-Hafen  nannte.  Die  Strafse  zwischen 
Sansfouci-Insel  und  dem  Festlande  nannte  ich  Babelsberg-Straüse. 
Sansfouci-Insel  ist  sehr  stark,  Dudemain  mäfsig  bevölkert. 

Wir  gingen  östlich  um  Dudemain  und  näherten  uns  wieder  der 
Festlandsküste  bei  einer  Huk,  die  ich  Guido  Kora  benannte  und  die 
sich  wohl  ausmachen  lafet.  Der  Charakter  der  Küste  von  Guido 


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Kora-Hnk  ist  ausgedehntes  Waldvorland,  Yon  bewaldeten  Hageln 
begraizt«  dahinter  gleich  bewaldete  höhere  Berge;  dieser  ganze 
Strich,  reich  an  Siedelangen,  Kokosbeständen  und  Flfissen,  scheint 
sehr  beachtenswert.  Im  Laufe  des  Nachmittags  hdrten  Kokospalmen 

und  Siedelungeii  auf,  es  begannen  wieder  Kasuarinen  den  Strand  zu 
sAumen,  hier  und  da  von  niedri*2:em  Gestrüpp  unterbiuclien,  über  das 
man  hinwe??  eine  ausgedehnte  Lagune  landeinwärts  erblickte,  die 
erste  Erscheinung  dieser  Art  an  der  ganzen  Küste.  Diese  Lagune 
schien  sich  weit  iuland  auszinlclincu  und  wurde  von  einer  Hügelkette 
begrenzt,  hinter  welcher  ein  höheres  Gebirge  mit  ausehuiicheren, 
wohl  an  3000  Fufs  hohen  Kuppen  sich  erhob.  In  der  Lagune  zeigten 
sich  viele  Siedelungen  (Pfahldörfer). 

Um  6  Uhr  10  Minuten  gingen  wir  in  7  Faden  Mud  zu  Anker. 

Die  Lotungen  an  diesem,  wie  an  den  vorhergehenden  Tagen 
haben  ergeben,  dafs  an  dieser  Kttste  auf  eine  bis  zwei  Meilen  Ent- 
fernung überall  guter  Ankergrund  zn  finden  ist  und  nirgends 
Korallriffe  existieren,  dafs  diese  Küste  also  für  Schifife  durchaus  zu- 
gänglich ist. 

Am  15.  Mai  gingen  wir  6  Uhr  45  iMinuten  weiter.  IJie  Färbung 
des  Wassers  wechselte  wie  bisher  von  hell  bis  zu  dunkelgrün,  weil 
ausmündende  Flüsse  mit  ihrem  Süfswasser  noch  immer  das  Meer- 
wasser beeintiulstea.  Das  Vorland  der  Küste  verschwand,  die  zum 
Teil  steil  abfallenden  Uferberge  bildeten  die  Küste  selbst,  an  der  sich 
hier  und  da  Felssohle  (kein  Korallfels)  zeigte.  Die  Küste  wie  die 
dahinter  liegenden  höheren  Gebirge,  die  westwärts  an  Höhe  zu- 
nehmen, sind  dicht  bewaldet.  Kein  Karan-Biff  (12  Meilen  lang), 
kein  Mt-Eyries  der  Karten  t  Weiterhin  behielt  die  Küste  im  wesent^ 
liehen  denselben  Charakter;  das  bewaldete  Vorland  wie  das  Vorland 
überhaupt  hörten  auf;  es  gab  keine  Siedelungen  und  keine  Kokos- 
palmen. Die  das  Ufer  bildenden  Hügel  waren  nicht  hoch,  etwa 
300  bis  500  Fufs,  aber  dahinter  erhoben  sich  höhere  Gebirgsketten. 
Wir  passierten  gegen  2  Uhr  45  Minuten  drei  kleine  Inseln,  nahe  au 
der  Küste  und  eigentlich  nur  dicht  bewaldete  Felsen,  und  erblickten 
vor  uns  ein  Kap,  einen  dichtbewaldeteu,  steil  abfaUenden  Hügel  vor 
welchem  es  brandete.  Hinter  diesem  Kap,  das  ich  später  Konkordia 
nannte,  erhob  sich  in  der  Ferne  ein  dicht  bewaldeter  ansehnlicher 
Berg  von  mehreren  tausend  Fufs  Höhe,  der  Bougainville,  welcher  mit 
dem  Mt-Eyries  der  Karten  identiscb  ist.  Als  wir  Kap  Konkordia, 
an  dem  ein  Riff  ausstreckt,  passiert  hatten,  sahen  wir  eine  Ein- 
buchtung, die  einen  guten  Hafen  versprach.  Wir  gingen  vorsichtig 
lotend  hinein,  fanden  allenthalben  genügende  Tiefe  und  Helsen  3  Uhr 
50  Minuten  in  7  Faden  Schlick  den  Anker  fallen.  —  Diese  Bucht 


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ist  ,.1'anse  de  l  attainie"  nach  d'I'rvilk'  oilor  Attak-Bni  <l(»r  Karten. 
d'Urville  bemerkte  1827  diese  Buclit  und  versuclde  hiue.inziigehen, 
kam  aber  nielit  dazu,  weil  15  Kaiines  voll  stark  bewaffneter  Ein- 
frol)orenon.  bei  denen  er  feiiidlithe  Absichten  vermutete,  es  ihm 
geratener  machten,  weiter  zu  jiehen.  Auf  diese  Weise  blieb  Attak- 
Bai  unbesucht  und  die  „Sanioa"  war  das  erste  Schiff,  welches 
hier  ankerte.  Wir  waren  bald  von  zahlreichen  Kanoes  mit  Ein- 
geborenen unirin«rt,  welche  alle  Unmassen  von  Pfeilen,  Bögen  und 
Speeren,  auch  Kürasse  und  Schilde  führten,  doch  zeiutoii  sie  sich  als 
ganz  friedliche  Leute,  die  aufserordentlich  auf  Tauschhandel  erpicht 
waren  und  deren  wir  uns  selbst  nach  Dunkelheit  kaum  erwehren 
konnten.  Angriffs-Bai  ist  keineswegs  eine  Bai,  sondern  ein  treff- 
licher, geschätzter  Hafen,  rings  von  bewaldeten  Bergen  amgeben 
und  von  Sandstrand  mit  Kokospalmen  umsiMunt.  Ich  bemerkte  keine 
Siedelungen,  wonach  anzunehmen  ist,  daCs  die  zahlreichen  Ein- 
geborenen in  einer  schmalen  Nebenbucht  wohnen. 

16.  Mai.  Sdion  vor  Tagesanbruch  umlagerten  uns  etliche 
dreifoig  Kanoes,  die  wie  gestern  schwer  bewi^et  waren.  Wir 
hiewten  um  7  Uhr  Anker  und  gingen  westlich  weiter.  —  Die  Küste 
behielt  denselben  Charakter  —  dichtbewaldete,  steil  bis  zum  Meere 
abfallende  Berge  —  bei.  Schon  um  8  Uhr  20  Minuten  sahen  wir 
die  Uferlandschaft  wie  durch  eine  Öffnung  unterbrochen,  die  ich  als 
die  Einführt  zu  Humboldt-Bai  erkannte.  Im  weiteren  Verlauf  er- 
wies sich  diese  Annahme  als  richtig,  denn  nach  und  nach  konnte 
man  deutlich  Point  Bonpland,  sowie  das  Cyclopgebirge  ausmachen, 
während  Point  Uaillie  wegen  unklarer  Luft  nicht  deutlich  hervor- 
kam. —  Zunächst  hielt  jedoch  der  Kapitän  anstatt  auf  Point  Pon- 
[iland  auf  die  Küste  zu  und  liefs  hier  vor  der  xMündung  eines 
ziemlich  jxrolsen  Flussi's,  den  icli  später  Sediat  roh,  nach  unserem 
ei*sten  Steuermann,  nannte,  nach  Ankerunt;  suchen.  Dieser  Flufs 
färbte  das  Meer  wieder  auf  Meilen  hin  schmutzig?  braun  und  grün, 
aber  wir  kamen  seiner  Münduni;  und  dem  Ufer  ziemlich  nahe,  ehe 
wir  fjrci^en  12  Uhr  in  7  Faden  Schlamm  etwa  1*  2  Meilen  von  der  Aus- 
mündung des  Sechstroh  zu  Anker  gingen,  etwa  2^  'M  '  s.  P»r.  und 
141**  2'  ö.  L.  Der  neue  Flufs  ist  nicht  zugänglich,  sondern  durch 
eine  Harre  versperrt,  /ahlreiche  Eingeborene,  viel  dreister  und 
zudringlicher  als  bisher,  kamen  durch  die  Brandung  und  längsseit. 
um  nut  uns  zu  handeln.  Ich  bemerke  hierbei,  dafs  auf  meine  Ver- 
anlassung der  Manuscliaft  das  eigene  Handeln  untersagt  wai*.  Es 
ist  dies  im  Verkehr  mit  unbekannten  Stämmen  durchaus  notwendig, 
weil  anderenfall»  unter  Umstünden  für  ein  kleines  Schit!"  mit  so 
geringer  Bemannung  wie  die  „Samoa''  führte,  der  Handelsverkehr 


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—  S67  — 


verhftngDisToll  werden  kann.  Ich  habe  stets  nur  geduldet,  dafe  eine 
beschrankte  Anzahl  Eingeborener  und  zwar  nur  auf  Quarterdeck 
kam,  und  habe  stets  allein  mit  ihnen  verkehrt,  eine  Mafsregel,  die 
sich  zur  Vermeidung  von  Konflikten  und  zur  Sicherung  des 

Schiffes  als  sehr  dienlich  erwiesen  hat. 

17.  Mai.    Wir  dampften  früh  nach  Humboldt-Bai  hinein,  die 
ringsum  von  Bergen  nmschlossen,  übrigens  zu  offen  ist,  um  einen 
sehr  geschützten  Hafon  zu  bilden;  auch  brandet  es  au  der  ganzen 
Südostseite  st^rk.    Wir  gingen  erst  in  die  östliche  Nebenbai,  aber 
alles  schien  wie  ausgestorben;  dann  gingen  wir  nach  der  lunenbai, 
im  Nordwesten,  wo  wir  gegen  12  Uhr  nahe  der  Landzunge,  weiche 
die  Binnenbai  begrenzt,  in  7  Faden  Sand  zu  Anker  Jcamen.  Aus 
dieser  Binnenbai  kamen  zahlreiche  Kanoes,  je  mit  2  bis  10  Ein- 
geborenen bemannt,  die  sich  alle  sehr  zudringlich  und  frech  be- 
wiesen nnd  alle  an  Bord  kommen  wollten.  Ich  ging  mit  Kapitän 
Dallmann  im  Whaleboot  sogleich  in  die  Binnenbai ,  wo  vier  Dörfer 
lagen,  darunter  das  durch  seineu  sog»  lünuiteu  „Teniiicl"  berühmte 
Dorf  Tobadi.    Dieses  Dorf  ist  wie  die  übrigen  in  Humboldt-Bai 
ein  Pfahldorf  und  zwar  das  interessanteste  und  grülhartigste,  welches 
ich  bis  jetzt  sah.    Seine  Hauser,  vor  allem  ai)er  der  an  HO  Fufs  hohe 
„Tempel",  eigentlich  das  „Junggesellenhaus",  mit  vielen  Schnit^iereien, 
sind  wahre  Kunstbauten  des  Alters  der  Steinzeit!  Die  Eingeborenen 
liefsen  mich  übrigens  ungestört  alles  ansehen  und  selbst  zeichnen, 
und  betrugen  sich,  abgesehen  von  Taschendiebstfthlen,  ganz  ordentr 
lieh.  Ich  zahlte  in  Tobadi  im  ganzen  31  Hftuser,  davon  nur  12  grolse, 
und  kam  zu  dem  Schlnfs,  dafs  in  ganz  Humboldt-Bai  nicht  mehr 
als  1500  Bewohner  in  etwa  11  Dörfern  sein  mögen.  An  einem  Hause 
fand  ich  mit  Rottan  befestigt  das  holländische  Wappenschild  mit  der 
Devise:  .,Je  maintiendrai";  ich  bedeutete  den  Leuten,  es  auch  ferner 
gut  zu  bewachen,  indem  ich  ihnen  einige  kleine  Geschenke  gab. 
W'ir  kamen  uegen  4  Uhr  nach  der  „Samoa''  zurück,  die  von  Kauoes 
förmlich  belagert  schien ;   nicht  weuigcr  als  75  mit  mindestens 
400  Eingeborenen  lagen  längsseits.    Da  diese  üumboldtianer,  die 
gern  stehlen,  sehr  zudringlich  waren,  hatten  wir  Mühe,  sie  von  Bord 
zu  halten;  so  viele  ihrer  wir  über  die  Schanzkleiduug  hinabwarfeu, 
80  viele  kletterten  auf  der  anderen  Seite  wieder  herauf.  Bei  der 
Masse  von  Eingeborenen,  die  alle  zugleich  »Zsigo"  (Eisen)  schrieen, 
alle  zugleich  handeln  wollten  and  untereinander  in  Streit  gerieten, 
war  an  Tauschhandel  nicht  zu  denken,  wir  beschlossen  daher, 
Humboldt-Bai  zu   verlasseu  und  gingen  um  4  Uhr  30  Minuten 
unter  L)ampf  und  in  See,  zum  grofsen  Leidwesen  der  Eingeborenen, 
die  uns  zum  bleiben  einluden.   Es  wftre  leicht  möglich  gewesen,  dafs 


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es  bei  dem  drei&ten  uud  diebischen  Wesen  der  Eiugeboreiieii  zu 
Kontlikten  gekommen  wäre,  die  freilich  ein  emsiger  Schreekscha£s 
gelöst  haben  würde ;  ich  hielt  es  aber  für  besser,  dies  zu  vermeiden. 
Die  «Samoa''  war  das  erste  Handelsschiff,  welches  Humboldt-Bai 
besuchte;  vor  uns  waren  nur  fünf  Kriegsschiffe  hier  gewesen,  darunter 
zuletzt  1875  der  „Ghallenger<*.^) 

18.  Mai.  Die  Mittu!j;sl)eobachtiiii^<  {2^  29'  S.  und  Ui^  54'  0.) 
zeigte  uns,  dafs  wir  seit  den  letzten  18  Stunden  nur  65  Meilen,  also 
schlechten  Fort^ran?  gemacht  liatten,  uud  daran  knüpfteu  sich  Ik- 
trachtungen  über  die  Rückreise. 

Es  kam  in  Frage,  ob  wir  dieselbe  direkt  nach  Mioko  antreten, 
oder  ob  wir  nicht  auch  das  noch  fehlende  Stflck  Kflste  von  Venns- 
Point  bis  Kap  Groissilles  befahren  und  naher  untersuchen  sollten. 
Ungeachtet  der  gegen  letztere  Fahrt  aus  der  Geringheit  des  Kohlen- 
vorrats entnommenen  Bedenken  entschlossen  wir  nns  dazu  und  sind 
durch  den  Erfolg  belohnt  worden.  Wir  sichteten  am  19.  Mai  d"Urville- 
Insel,  am  19.  und  20.  die  übrigen  Inseln  der  Schoutengruppe. 
Südlieli  von  Jacquinot  kamen  wir  wieder  in  scharf  abgesetzt  grünes 
Wasser,  das  jedoch  keine  Besorgnis  mehr  erweckte.  Rlosscville- 
lusel,  ein  steiler  etwa  KXX) — 1200  Fufs  hoher  bewaldeter  alter  Krater, 
zeichnet  sich  durch  viele  grofse  uud  schone  Plantagen  und  dadurch 
aus,  dafs  am  Rande  des  Kraters  in  800 — 1000  Fofs  Höhe  grofse, 
hübsche  Dörfer  stehen.  —  Das  grttne  Wasser  ging  nach  und  nach  m 
schmutziges  über,  und  vor  Lesson-Insel  kamen  wir  in  den  Haupt- 
ansflufs  des  Kaiserin  Augusta-Flufses,  dessen  lehmfarbenes  Wasser 
sich  sonach  an  15  Meilen  und  weiter  von  der  Küste  kenntlich  macht 
Letztere  war  gegen  Abend  ebenfalls,  wenn  auch  ziemlich  verschwom- 
uicn,  zu  sehen. 

Am  21.  Mai  früh  Ix'faiulen  wir  uns  zwischen  Vulkan-  und  Aris- 
Insel.  Die  letztere  ist  niclits  als  ein  toter  Kraterrand.  Vulkan-Insel 
dagegen  ist  eine  heiTliche  iusel  mit  eiuem  4üü0— ÖOOO  Fufs  hohen 

Die  Humboldt-Bai  wurde  zuerst,  1858,  von  dem  uiederläudischen  Kriegs- 
dampfer .Etna"  besacbt  (veigL  Finsch,  Nea^Qninea,  S.  1S2),  feraer  im  Oktober  1870 
von  dem  niederlftadtBchen  Uinister-RMidenten  van  der  Cndi  mit  dem  Begierangs- 
dampfer  «Dassoon*,  im  Mai  1874  von  dem  englischen  KapitBn  Moresbj  mit  dem 

.Basilisk",  im  Februar  1875  vom  aChaUenger"  auf  sdner  Weltumsegelung,  im 
Dezember  desselben  Jahres  von  dem  niederländischen  Kriegsdarapfcr  ,Soeia- 
baja"  mit  dem  itAÜenischen  Naturforscher  Beccari,  im  Juni  1878  wiederum  vom 
Kriogsdampfer  ^Etna"  mit  dem  brkamiten  Forscher  Roseuberg,  im  Mfirz  IHSl 
vom  niederläudischen  Kriegsdampfer  .Uatavia"  mit  Kontrolleur  van  OUlonborgh. 
endlich  im  Se[)tember  durch  den  Regißrungsdampfer  -Sing  Tjiu"  mit  d^m 

Besidenten  Morris.  Auch  Powell  besuchte  nach  seinen  Berichten  auf  den  zu 
Eingang  dieses  Artikeh  envfthnten  Reisen  die  Humboldt-Bai.       D.  Bed. 


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imposanten  Pik,  aas  dessen  Spitze  Rftach  aufstieg.  Auch  hörten  wir 
anterirdisches  Getöse  und  Donner.  Die  Insel  ist  bewohnt,  der  Berg 
bis  anf  etwa  drei  Fünftel  seiner  Höhe  bewaldet^  doch  nicht  sehr  dicht; 
an  der  Sfldseite  läuft  er  in  ausgedehnte  sanfte  Flftchen  und  Ebenen 
mit  Gras  und  Plantagen  ans.  Allem  Anschein  nach  bietet  die  Insel 
ausßfedehntes,  sehr  fruchtbares  Kulturland.  Mit  Häfen  dagegen  scheint 
es  nicht  gut  bestellt. 

d'Urville,  welcher  1828  Humboldt -Bai  sichtete,  jedoch  nicht 
hineinging,  dann  ostwärts  aufserhalb  der  Schouten-Inseln  segelte,  fuhr 
zwischen  Vulkan-Insel  und  dem  Festlande  durch  und  von  hier  bis 
Kap  Croisilles  der  Jüiste  entlang,  aber  viel  weiter  von  derselben 
entfernt  als  wir. 

Wir  passierten  gegen  9  Uhr  die  Bucht  mitLaing-Insel,  Flachland, 
das  sieh  bis  Venus-Point  zu  erstrecken  scheüit  Weiter  ostwärts 
beginnt  HQgelhind,  das  je  weiter  um  so  lieblicher  whrd,  und  sich 
bis  hinter  die  Legoarant-Inseln  erstreckt.  Es  gehört  mit  zu  dem 
schönsten,  das  ich  in  Nen-Gninea  sah,  und  dürfte  als  Weide-  und 
Kulturland  ganz  ausgezeichnet  sein.  Im  wesentlichen  ist  der  Charakter 
dieses  grünen  Hügellandes  loluender:  auf  einen  dichtbewaldeten 
Uferstreif  folgt  weiter  inland,  mit  vielen  grünen  sanften  Hangen,  eine 
bewaldete  Hügelkette,  die  weiter  Östlich  höher  wird  (300  —  400  Fufs) 
und  zuweilen  bis  ans  Ufer  tritt.  Das  letztere  verlauft  in  sanften 
Buchtungen,  welche  biedelungen  mitKokoshainen  und  an  den  Bergen 
Plantagen  zeigen.  Diese  Dörfer  dehnen  sich  zuweilen  zu  dem  stattlichen 
Umfang  von  20  und  mehr  Häusern  aus.  £he  wir  die  Lagoarant- 
Inseln  erreichten,  was  gegen  12  Uhr  geschah,  &nden  wir  zwei  ganz 
Ähnliche,  kleine  neue  Inseln  (Nielsen-Inseln)  und  zfthlten  an  der  Kttste 
bis  hierher  nach  und  nach  neun  Dörfer.  Die  Buchtungen  scheinen 
übrigens  nicht  ganz  riffirei;  doch  ist  die  Schiffahrt  überall  ungehindert 
und  bietet  keine  Schwierigkeiten.  Im  Laufe  des  Nachmittags  sahen 
wir  eine  BuchLuug  mit  zwei  Inseln,  welche  in  Verbindung  mit  KiÜen 
einen  hübschen  kleinen  Hafen  bilden,  Hatzfeldt-Haten,  in  den  wir 
3  Uhr  25  Minuten  in  9  Faden  Sehlick  zu  Anker  gingen.  Der  Hafen 
liegt  nach  Kapitän  Dallmanns  Angaben  unter  4P  24'  südl.  Br., 
145°  9'  östl.  L. 

Ich  unternahm  gleich  eine  Landexkursion.  Das  Land  bietet 
viel  Sandboden,  aber  auch  ausgedehntes  Grasland  mit  Plantagen  der 
Eingeborenen,  die  weiter  östlich  vom  Hafen  ein  grölseres  Dorf 
haben.  Auch  münden  wie  überall  an  der  Küste  kleine  Flüsse  nnd 
Badie.  Der  Hafen  bietet  bis  nahe  ans  Ufer  trefflichen  Ankergrund. 
Die  Eingeborenen  zeigten  sich  durchaus  f^reundlich  nnd  wollten  das 
Boot  festhalten,  nur  um  uns  am  weggehen  zu  hindern. 

Ueogr.  Blitter.   Bremeu.  1886.  26 

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23.  Mai.  Wir  verliefsen  Hatzfeldt- Hafen  früh  6  Uhr  25  Minuten. 
Die  grüuen  Hügel  höreu  hier  auf  uud  an  deren  Stelle  treten"^dichtr 
bewaldete  höhere  üferberge,  hinter  welchen  weiter  ioland  sich  eine 
3000—4000  Fufä  hohe  Gebirgskette  erhebt.  Etwas  (tatiich  tod 
Hatzfeldt-Hafen  springt  eine  Ecke,  Samoa-Hok,  Tor,  mit  der  wieder 
grüoe  Grasuferberge  beginnen,  die  sich  bis  Kap  Goardon,  das  aas 
einem  sanft  ansteigenden  (400—600  Fnfs)  hoben  GrashOgd  besteht, 
fortsetzen.  Eine  heftige  steife  Brise  ans  Südost  liefs  uns  nur  sehr 
langsam  vorwärts  kommen.  Franklin- Bai.  die  nunmehr  vor  uns 
lag,  dringt  keineswegs  so  tief  ein,  wie  in  der  Karte  angegeben  ist 
sondern  ist  iranz  sanft  gebiulitet.  Mit  ihr  verschwinden  die  gi'ünen 
Grushüuel  mehr;  es  treten  niedrigere  an  die  Reihe,  die  dichter 
bewaldet  sind,  aber  inuner  noch  einzelne  grüne  Flecke  zeigen.  Längs 
des  Strandes  kommen  noch  einzelne  Dörfer  und  Kokoshaine  zum 
Vorschein,  aber  das  Land  in  Franklin-Bai  erscheint  bei  weitem 
nicht  so  schön  wie  das  zwischen  Samoa-Huk  und  Kap  Goardon.  Die 
Bucht  zeigte  viel  hellblaues,  aber  klares  Wasser,  Yon  dem  nnans- 
gemacht  blieb,  ob  es  von  Flössen  oder  von  Riffen  herrOhrte.  — 
Weiter  ostwärts  verliert  die  Küste  noch  mehr  von  ihrem  Ansehen; 
von  Neptunkap  an  sind  Siedelungen  und  Kokospalmen  kaum  mehr 
sichtbar.  Das  Ufer  besteht  aus  dichtbewaldelen  Bergen,  hinter 
denen  sich  zuweilen  noch  die  Hochgebirgskette  weiter  im  Innern 
erkennen  läfst.  Längs  der  Küste  scheint  ein  sclnnaler  Riffstreif  zu 
liegen.  Wir  waren  in  der  Nacht  sehr  langsam  vorwärts  gekommen, 
erreichten  aber  doch  vor  6  Uhr  früh  am  24.  Mai  Kap  Croisilles 
und  gingen  gegen  10V2  Uhr  in  Friedrich  Wilhelm-Hafen  zu  Anker. 
Die  auf  der  Karte  mit  „extensive  plains"  bezeichneten  Ebenen 
existieren  nicht;  Juno-Point  der  Karte  ist  eine  Insel,  bei  welcher 
sich  mutmafslich  die  Einfahrt  zu  einem  bisher  noch  anbekannten 
Hafen  findet  Von  hier  bis  Friedrich  Wilhelm-Hafen  zieht  sich  an- 
unterbrochen eine  Reihe  von  Inseln  hin,  die  von  weitem  wie  Koste 
aussehen.  Ehe  wir  in  den  Hafen  einfuhren,  hatten  wir  das  Gltlck, 
die  höcii.^ten  bpitzen  der  von  uns  entdeckten  Bismarckkette  für 
kurze  Zeit  zu  erblicken.  Dieses  gewaltige  Gebirge  muls  weit  im 
Innern  lie.L^en  und  ist  nur  höchst  selten  zu  sehen. 

Jvaum  waren  wir  zu  Anker  gegangen,  als  die  Eingeborenen  in 
ihr(Mi  Kanoes  ankamen  und  mich  wie  einen  alten  i?reund  willkommen 
hiefsen.  Ich  liefs  gleich  das  Boot  klar  machen  und  begab  mich 
nach  den  Inseln  BUia  und  Tiar,  wo  ich  überall  sehr  freundlich,  und 
man  kann  sagen,  fast  mit  Herzlichkeit  aufgenommen  wurde. 
Mein  Freund  Knram  auf  Bilia  hatte  die  am  20.  Oktobor 
aufgezogene  Flagge   sorgfältig   verwahrt  in  dem  sogenannteD 


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„Tempel",  der  aber  kein  Tempel,  sondern  das  »Junggesellen- 
haus**  ist.^«) 

24.  Mai.  Schon  vor  Tagesanbruch  waren  zahlreiche  Kanoes 
der  Eingeborenen  langseit,  die  sich  lebhaft  nadi  allem  erkundi^n, 

Yor  allem:  „Wann  ich  das  Panu  (Dorf)  bauen  werde Ich  ver- 
tröstete sie  und  ging,  von  ihren  Segeuswiinschen  begleitet,  8  ühr 
45  Minuten  früh  aus  dem  Hafen.    Der  ganze  Hafen  ist  von  an- 
scheinend (lichtem  Urwald  umgehen,  aber  nicht  weit  inland  erhebt 
sich  eine  1200  bis   1500  Fufs   holie  Bergkette  mit   vielen  und 
greisen  Plantagen  der  EiDgeborenen  uud  mehreren  sehr  hervor- 
ragenden Kuppen  und  Spitzen,  unter  denen  der  „Hansemannberg** 
besonders  in  die  Augen  fallt.  —  Nach  einem  kurzen  Besuche  auf 
der  Insel  Bilibili,  die  sehr  gut  bevölkert  ist,  und  wo  ich  sehr  gut 
aufgenommen  wurde,  gingen  wir  2  Uhr  15  Minuten  mittags  in 
Konstantin-Hafen  zu  Anker;  die  alten  Flreunde  Saul,  Jago  u.  s.  w. 
fanden  sich  alsbajd  ein  und  bewillkommneten  uns  herzlich.  Ich 
ging  sogleich  mit  ihnen  an  Land,  besuchte  unser  Grundstück,  auf 
welchem  unser  Haus  mit  den  Steinkohlen  in  gutem  Stande  sich 
vorfand,  und  ging  dann  nach  den  Dörfern  Korendu  Maua  und  Bongu, 
wo  alle  sich  freuten,  mich  wieder  zu  sehen. 

G^gen  ö  Uhr  30  Minuten  an  Bord  zurückgekehrt,  lichteten  wir 
Anker  und  traten  die  Heimreise  an.  Da  das  Schiff  nur  noch  wenige 
Kohlen  an  Bord  hatte,  und  daher  zu  leicht  beladen  war,  so  hatten 
wir,  namentlich  in  der  Nacht  zum  25.  Mai  und  an  diesem  Tage 
schwer  gegen  die  See  und  den  Südost  anzukämpfen,  ja  zuweilen 
war  das  Schiff  kaum  steuerfahig.  Dennoch  erreichten  wir  am  Nach- 
mittag des  28.  Mai  wohlbehalten  Mioko. 

Die  auf  dieser  Reise  zurückgelegte  üntieriiung  beträgt 
1510  Meilen,  davon  längs  der  Küste; 

von  Konstantin-Hafen  bis  Brokenwater-Bai  ISO  Mellen, 
von  Brokenwater-Bai  bis  Humboldt-Bai      255  „ 
zusammen  385  Seemeilen  oder  96  geographische  Meilen. 

Die  Witterungsverhaltuisse  auf  dieser  Reise  waren  nach  den 
mitgeteilten  Reob;\clitungstabellen  der  Art,  dafs  das  Tagesmittel  der 
Temperatur  zwischen  2.")  und  29^  C.  betrug,  die  Temperatur  von  27® 
war  die  häufigste.  In  der  Windrichtung  herrschte  der  Südost  vor. 
An  zen  Tagen  wurde  fiegen,  an  vier  Tagen  Gewitter  verzeichnet. 


**)  Diese  Benenmuig  kommt  einem  Qebftade  sOi  in  welchem  Knaben  nnd 
JQBglinge  bb  mm  20.  Lebensjahre  zusammen  wohnen  nnd  in  welches  Weiber 
ud  If  Sdohen  keinen  ZatrlH  haben. 

26« 


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—  a72  — 


Vermutlich  werden  noch  weitere  Mitteilungen  über  die  von  der 
Kea-Guinea-Kompagnie  veranstalteten  Kfistenreisen  folgen. 

Ferner  möchten  wir  daran  erinnern,  dafs  wahrscheinlich  schon 
jetzt  mehrere  Forschungsexpeditionen  ins  Innere  unterwegs  sind.  Die 
Berichte  derselben  werden  uns  durchweg  Neues  bringen. 


Kleinere  Mitteilungen. 


§  Ans  der  geographischen  Gesellschaft  in  Bremen.  Die  Bestimmung  und 
Verteilung  der  durch  die  Herren  Dr.  Krause  mitgebrachteü  naturwibsen- 
schaftliohen  Sammlangen  nähert  sich  dem  Abeehlnsse.  Bezüglich  der 
Botanik  schrieb  schon  an  9»  Juni  unser  ICitgliedi  Herr  Professor  F.  KnrtSy  mis 
Cördoba  (Argentinien)  an  den  Vorstand  miserer  Gesellschaft  folgendes:  ,Bei 
meiner  Abreise  aus  Europa  (den  10.  Angnst  1884)  war  die  Bestimmung  der  Pflaosea 
bis  auf  dit  Gräser  und  Cyperaceen  fertig.  Im  beiden  ziemlich  schwierigen 
Familien  hiibe  ich  hier  (ilic  Litteratur  nahm  ich  mit)  provisorisch  bestimmt 
und  F.xomplare  jeder  Art  ;m  Herrn  John  Macona,  Government  Botanist  of 
Canada  —  augonltlicklich  wohl  der  besto  Kr-nner  der  nordischen  Flora  Nord- 
amerikas—  zur  llevision  geschickt.  Sobald  cies.sen  Destimmnngen  hier  eintrefi'eü, 
kann  ich  das  bo  weit  fertige  systematische  Manuskript  vollenden  und  die  all- 
gomeiuereu  Kesultaie  der  Expedition  Krause  < —  in  botanischer  Beziehung  — > 
niederschreiben.  Die  ,Plantae  Eranseanae'  werden  5—7  Drockbogen  umfassen 
und  in  der  Zeitschrift  der  Berliner  botanischen  Gesellschaft  veröffentlicht  werden. 
Mit  dem  Mannskript  sngleich  sende  ich  die  absugebenden  Herbarien^  die  ich 
alle  selbst  etikettiert  habe,  zur  Verteilnng  an  verschiedene  Museen.  Ich  hoHs, 
dafs  die  Sache  mit  Ende  des  Jahres  erledigt  sein  wird.  Eine  Cbersicht  der  sa 
▼erwertenden  Herbarien  werde  ich  Ihnen  binnen  kurzem  schicken  können.* 

Die  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Artliur  Krause  über  die  Mollusken  des  Berings- 
Meeres  ist  vollendet  und  wird,  wie  uns  der  Verfasser  mitteilt,  demnächst  im 
Druck  erscheinen.  Von  dem  bearbeiteten  Material  wurde,  den  getroffenen  Ver- 
abredungen geuuifs,  ein  Exemplar  dem  Königlichen  zoologischen  Museum  iu 
Berlin,  ein  zweites  der  Smithsonian  Institution  überwiesen;  über  den  Best  der 
Sammlang  wird  demnfichst  verfügt  werden. 

Das  fleilsige  Werk  unseres  Mitgliedes,  des  Herrn  Dr.  Aurel  Eranse,  IU>er 
die  Tlinkit-Indianer,  findet,  wie  nns  Besprechungen  desselben  in  FachwitBchriflen 
des  In-  und  Auslandes  seigen,  allgemeine  Anerkennung.  So  s.  B.  schlieGit  ein 
etwa  IVa  Seiten  langes  Jteferat,  welches  das  4.  Heft  der  von  Yirehow  heraos- 

gegebenen  Zeitschrift  für  Ethnologie  bringt,  mit  folgenden  Worten:  ^Das 
vortrefllichc  Buch  kann  daher  im  besten  Sinne  des  Wortes  als  ein  wissenschaft- 
liches bezeichnet  werden.  Es  ist  eine  Zierde  unserer  neueren,  so  reichen  ethnologischen 
Litteratur  und  es  wird  gewifs  auf  lange  hinaus  als  ein  wichtiges  Qaellenwerk 
benutzt  werden.* 

Auch  in  diesf  m  Winter  veranstaltet  unsere  Gesellschaft  Vorträge.  Der 
Kreis  des  Au<litorinms  ist  dadurch  erweitert,  dafs  der  Vorstand  des  deutschen 
ILolonialvereins,  Abteilung  Bremen,  sich  mit  dem  Vorstande  unserer  Gesellschaft 
SU  diesem  Zweck  veroinigt  hat  und  nunmehr  Mitglieder  und  Freunde  beider 


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—  373  — 

Vdreine  teilnehmen.  Der  erste  dieser  Vorträge  fand  am  17.  November  vor  einem 
mtr  zahlreichen  Kreise  im  kleinen  Unionj^saalo  stuft;  Herr  Dr.  Karl  Peters 
aas  Berlin  spru(  }v  über  «Ii»'  K  olonisal  lonsbcst  rebungon  der  dmtsch- 
ostu f  r  i  k  a Iii s (•  Iif  n  tiesellschat't,  über  soino  Ende  vorifren  .laliros  ausgeführte 
Reise,  auf  welcher  er  das  jetzt  der  Gesellschaft  gohöreiide  Gebiet  in  Ostnfrika 
erworben  hat  aud  über  die  wirtschaftliche  Verwertung  dieses  neuen  deutschen 
KoloniallandQs. 

Über  die  Beteiligung  unseres  Mitgliedes,  des  Herrn  Regi«a-ungs-  und 
SchnliatB  Diercke  in  Oänabrfick,  an  der  Bearbeitung  der  Festschrift  zur 
SOjibrigen  Jubelfeier  des  ProTinsial-Landwirtschafts- Vereins  an  Bremerrörde 
referieren  vir  an  anderer  Stelle. 

Unser  Mitglied,  HerrL.  Halenbeek,  bat  eine  Exknrsionskarte  der  Um- 
gegend von  Vegesack  bearbeitet;  aach  über  diese  wird  unter  „Litteratnr*  bericbtet. 


§  Polarregioiien.  Der  von  der  englischen  Bepiernni:  zn  einer  Befahrnng 
der  Hudsons- Bai  an  Canada  überlassene  Dampfer  .Alort"  kehrte  am 
18.  Oktober  nach  Halifax  zurück.  Als  Ergebnis  dieser  Heise  wird  hingestellt, 
dafs  die  Hadsons-Bai  in  der  Zeit  vom  Jnli  bis  Oktober  f&r  eigens  dazu  einge- 
richtete nnd  ansgerfistete  Fahrzeuge  schüfbar  sei  nnd  dab  sich  ftlso  diese  Ronte 
Ton  Europa  nach  dem  Nordwesten  Amerikas  eigne.  Schon  vor  7  Jahren  tauchte 
der  Plan  auf,  sommerliche  Dampferfahrten  Ton  Liverpool  nach  der  Hndsons-Bid 
zu  unternehmen,  derselbe  kam  jedoch  nicht  zur  Ausführung  und  auch  jetzt  wird 
das  damit  verbundene  Risiko  der  Beschidigang  der  Fahrseuge  und  ihrer  wert- 
vollen Ladung  durch  Eis  von  der  weiteren  Verfolgung  eines  solchen  Planes  ab- 
halten. Für  die  Meteorologie  der  Hudsonp-Bai  sind  dadurch  wertvolle  Besnltate 
erzielt,  da^  nn  verschiedenen  Punkten  der  K^^^•f^•  Üiuljiu  litungsstationen  errichtet 
wurden,  an  denen  ein  Jahr  hindurch  Observalioneji  angestellt  worden  sind.  Die 
Stationen  sind  jetzt  vorläufig  wieder  aufgehoben  und  hatD.  .Alert^  das  Personal 
derselben  mit  surftckgebracht.  Ober  die  Fischereien  der  Hudsons-Bai  er&bren 
wir  Nftheres  aus  einem  uns  Torliegenden  Bericht,  welcher  von  dem  Anfsichts- 
beamten  dieser  Fischereien  erstattet  wurde  und  in  dem  Jahresbericht  des 
Fisehereidepartements  von  Canada  fikr  IHS.j  einen  Platz  gefunden  hat  Der 
Berichterstatter,  Commander  Gordon,  befiiln  f  (lewässer  der  Bai  allsommerlich 
nach  verschiedenen  Richtungen  mit  dem  Dampfer  ^Neptun*.  Die  Fischerei  wird 
teils  von  S(  liiffen  ans  Massachusetts  und  Connectictit,  tell^  von  der  Hudsons-Bai- 
Kompa;_'nie  l)i,  tiie])cn.  Die  Amerikaner  beschäftigen  sich  ausschliefslieh  mit  dem 
^Valtang  und  /war  ist  nach  dem  Bericht  das  Geschäft  ein  sehr  einträgliches, 
da  in  der  IIudsuns-Hui,  ungleich  so  vielen  anderen  Folargewässern,  die  Polarwale 
noch  sehr  zahlreich  vorkommen.  Die  amerikanischen  Walfischfanger  ptiegon  im 
Juli  ans  ihren  Heimatshftfen  in  Massachusetts  und  Connecticut  auszugehen  und 
wintern  bei  Marble  Island,  an  der  Nordwestktlste  der  Bai.  Im  Juni  des  folgenden 
Jahres  sfigen  sie  ihre  Schiffe  aus  dem  Eise  und  gehen  nach  den  Fischgrfinden 
der  Bai,  die  in  einem  Rows  Welcome  genannten  Teile  derselben  liegen.  Jeden 
Sommer  werden  nngefähr  10  Wale  getddtet,  die  einen  Wert  von  4ü(K){)  Dollar 
darstellen.  Die  Hudsons-Bai-Komparrnie  betreibt,  hauptsächlich  bei  Churchill 
nnd  in  der  Ungava-Pai,  den  Weii'swaltang,  der  bei  ablaufendem  Was-^ser  in  Buchten 
mit  Netzen  geschieht  und  ebenfalls  sehr  eint niL'üf  Ii  ist.  Jeder  Weilswal  ist 
KX)  Dollar  wert.  Der  Thran  wird  unmittelbar  na(  h  dem  Fange  an  der  Küste  in 
.  eigenen  Bremiureieu  ausgekocht   Der  Walrofsfang  schlügt  auch  nie  fehl,  er  wird 


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—  374  — 


mit  fSlupoii  bei  Marblc  Island  betrieben  und  liefert  jährlich  TCKX)  Dollar.  Endlu  h 
IsSßt  die  Kompagnie  iu  dou  Mündangen  der  Flüsse  Lachse  oud  Luchäiürelleu 
fischen.  HMh  dem  Berielii  stnd  dieFisdieieieii  derHndmna-Bai  noch  einer  eehr 
hedentenden  Anidehnong  llhig. 

Nachträglich  sei  noch  znr  Frage  der  Scfaiffbarkeit  d«  r  Hadaons-Bai  ge- 
meldet, dafs  ein  der  Hadsons-Bai-Kompagnie  gehörendes  Schiff  bei  Moose  Factory 
auf  Grund  geriet  und  ein  Wrack  geworden  ist.  Ob  und  was  von  der  einen  Wert 
Ton  1  Million  Dollar  angeblich  darstelleudcn  Ladaug  geborgen  wurde,  darüber 
wird  nichts  berichtet. 

—  Von  Herrn  Carl  H.  Kyder,  Prexnierleutnant  in  der  Köuigl.  dänischen 
Kriegsmarine  und  Teilnehmer  der  dänischen  Forschungsexpeditiou  in 
Slidwestgrönland,  erhielten  wir  folgende  vorläufige  Nachrichten  tkher  den 
Verlauf  dieser  Expedition:  Igdlorfik  hei  Sakkertoppen,  S&dgrönland,  Juni  1886. 

Wie  Sie  wissen,  reiste  die  unter  der  Führung  des  Premierleutnants  Jensen 
stehende  Expedition  mit  der  Bark  ^Thorwaldsen*  des  „(üöiihindischen  Handels- 
am 21.  März  d.  J.  von  Kopenhagen  ab  und  kam  nach  einer  leidlich  schnellen 
Keisf  tun  26.  April  in  Gudthaab  au.    In  diesem  Zeitraum   waren  auf  dem 
Atlaulischen  Ocean  stürmische  östliche  Winde  durchaus  vorherrscliend.   In  der 
HOndung  der  Davis-StraTse  swischen  68«  U'  n.  Br.,  88*  40'  w.  L.  und  69»  10' 
n.  Br.,  60*  34'  w.  L.  trieben  wir  vor  einem  schweren  Sturm  ans  Ost  (mifoweisend). 
Mit  Ausnahme  vereinaelter  Eisfelder  begegneten  wir  aof  der  Reise  keiner  Spur 
von  Eis.   Der  Winter  war  in  Sudgrönlaud  im  ganzen  milde  gewesen,  jedoch 
halte  sich  von  März  an  in  den  Fjorden  und  zwischen  den  Inseln  unter  dem 
Einflnssp  von  vielen  Windstillen  schweres  Eis  gebildet,  welches  den  Fang  der 
Grünländer  erheblich  behinderte,  so  dafs  einige  sogar  sich  genötigt  sahen,  nach 
anderen  Orlen  m  nehen,  wo  die  Strömung  die  Eisbildung  verhindert  Nach 
einigem  Anfenthtlt  in  Godthaab  ging  das  SchüT  weiter  nordw&rts  nach  8akker> 
toppen,  wo  es  am  9.  Mai  ankam.  Hier  ging  die  Expedition  von  Bord.  Die 
Vorbereitungen  zu  der  Reise,  d.  h.  die  Beschaffung  eines  Wciborboots  u.  a., 
sowie  schlechtes  Wetter  mit  heftiu'etn  Schnoi  fnll  bewirkten,  dafs  die  Exi?rdition 
erst  am  2ü.  Mai  zu  ihrer  Fahrt  aufljrechen  konnte.    Mit  einem  Weiberboot  und 
2  Kajaks  gingen  wir  nach  Norden,  um  eine  Verbindung  zwischen  der  vorjährigen 
und  der  diesjährigen  Aufnahme  zu  bewerkstelligen.  Es  gl&ckte  nns  nicht  ganz 
bis  zum  Ende  in  die  Fjorde  einsodringen,  da  das  Wintereis  noch  bis  weit  hinaus 
fest  lag.    Nur  in  einem  der  Fjorde,  dem    »BwigkeitsQord*  (grOnlftndisch 
«Kangerdluarsuatsiak'),  beinahe  östlich  von  der  Anslicgerstelle  Kangamiut,  gelang 
es  6 — 8  Meilen  hincinzudringen.    Es  ist  ein  interessanter  Fjord  zu  bereisen.  Er 
charakterisiert  sich  durch  hohe  steile  Bergwände  mit  einer  Menge  in  d^n  Fjord 
mündenden  Glefh  ljern.    (Leutnaut  Jensen,  der  im  vorigen  Jahre  bis  zum  Ende 
der  Fjordes,  etwa  12  Meilen  von  der  Mündung  vordrang,  zählte  deren  42.)  Wir 
verharrt«!  nnn  hier  in  der  llihe  und  bis  su  den  änfseren  Inseln,  womof  wir 
wieder  nach  Sftden,  nach  Snkkertoppen,  snrAckkehrten. 

Ans  Alaska.  Die  ^Science''  vom  23.  Oktober  bringt  wichtige  Nachrichten 
über  Forschungen  in  Alaska.  Leutnant  Allen,  der  Führer  einer  militärischen 
Expedition,  welche  das  Quellgebiet  des  Atnah-  oder  Kupfer-Flusses  erforschen 
sollte,  ist  am  12.  Oktober  mit  dem  Kutter  „Corwin"  nach  San  Franzisco  zurück- 
gekehrt Er  hat  die  von  Iieatnant  Abercrombie  vergeblich  vetsnehte  Angabe 
gelöst  nnd  ist  ans  dem  Qaellgebiet  des  Atnah  in  das  des  Tananah  übergegangen, 
welchen  letzteren  Flnfs  er  bis  in  seiner  Mfindnng  in  den  Tnkon  verfolgte.  Weiter 


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—  37Ö  — 


ging  die  Expedition  den  Yukou  abwärts  bis  zur  See.  Da  ein  nicht  unbeträclit- 
licli«r  Teil  der  ganzen  Route  darch  bisher  völlig  anerforschtes  oder  docli  nur 
waaig  bdcMinteft  Gebiet  führte,  darf  man  auf  n&here  Nachrichten  gespannt  sein. 

Die  Toijihiigen  Üntersachniigen  der  in  die  Hotham-Bneht  sich  ergielaendeii 
Flüsse,  des  Kowak  und  des  Inland,  Nunatok  Oiler  Noatok- Flusses  wurden  dimsh 
Leutnant  Cantwell  und  Ingenieur  McLenegan  erfolgreich  fortgesetzt; 
Leutnant  Stoney  hat  seine  Vorbereitungen  zu  der  von  ihm  beabsichtigteu  Über- 
winterung im  Innern  der  Hotham-Bucht  getioff.  n.  Di'r>'  lb(jn  Nummer  t  ntnt  bmeu 
wir,  dafs  der  diesjährige  Wal  tisch  fang,  ebenso  wie  die  Pelxroijüen-  und  Secotter- 
jagd  sehr  erfolgreich  gewesen  sind;  den  Walfang  betrieben  40  Segler  and  drei 
Dampfer,  der  Fang  betrog  126  Wale.  Ans  Kadiak  wird  auch  Ton  einer  gnten 
Kartoffel-  und  Gemüseernte  berichtet.  —  Der  Yalkan  St  Aagastin  im  Cooks  Inlet 
entsendet  noch  immer  Raucli  un*!  D.mipf  aus  zalilr«  i(  hcn  Spalten.  —  An  der 
Montague-Insel  im  Prinz  Wilholm-.Sund,  ist  ein  .SduiTsrest  aufgetischt  word -n, 
der  wie  einige  ifl  einer  Büchse  euthaltcue  chinesische  Münzen  ergeben,  von 
der  asiaiischeu  Küste  stammte. 

Yon  den  Goldminen  im  südöstlichen  Alaska  soll  namentlich  die  Tradwell- 
oder  Faris-Mine  «inen  bedeutenden  Ertrag  gegeben  haben.  Nach  Errichtung 
einer  neuen  Stampfmühle  wurden  95000  $  Gold  als  Eigebnia  der  ersten  25  Tage 
Arbeit  nach  Süden  gesandt  Dieser  Erfolg  hat  auch  aar  Wiederaafnalime  der 
Arbeiten  an  den  Sitka-Minen  geführt,  welche  iwar  weniger  ausgedehnt  aber 
viel  reicher  sein  sollen. 

Die  Nummer  der  ^Science"  vom  3Ü.  Oktober  enthält  einige  weitere  Mit- 
teilungen über  die  Allensche  Expedition.  Danach  ging  Allen  den  westlichen 
Arm  des  Kupfer-Flusses  anfwärte;  der  Östliche  kaum  minder  starke  soll 
angeblich  seinen  Unprung  in  der  Nähe  des  Lynnkanals  haben.  Der  Flub  wird 
als  anCserordentlich  reifsend  geschildert;  von  Mineraüien  wurden  Kupfer,  Silber 
und  Spuren  von  Gold  gefunden. 

Auch  über  die  oben  erwähnte  Erforschung  dos  Kowak-FIusses  durch 
Leutnant  Cantwell  und  des  Noatok  durch  McLenegan  werden  einige  nähere, 
Angaben  gemacht  —  Mr.  Woolfe,  der  bekannte  Korrespondent  des  ,New-York 
Herald"  und  Reisegefährte  Jacobsena  im  Jahre  1882,  hat,  wie  mitgeteilt  wird, 
die  Küste  Ton  Kap  Lisbume  bis  Hotham  Inlet,  namentlich  behu&  ethnogn^hlscher 
Forschungen  bereist  Als  Ergebnis  seiner  Beobachtungen  gedenkt  er  eine  Karte 
zusammenzustellen,  w  elche  die  Küstenstrecke  von  Point  BarrowbisKap  Krusenstem 
(am  Eingange  dts  Nurton-Sunde.s)  darstellt  Woolfe  hat  auch  bt-kannten 
Koliknlager  zwischen  Kap  Lisburne  und  Icy  Cape  besucht  und  will  ausgedehnte 
neue  Lagerstitteu  der  vorzüglichsten  Steinkohle  entdeckt  haben.  A.  IL 

In  einer  Adresse  au  die  anthropologische  Sektion  der  American  Association 
for  the  advanoemtatof  Science  hat  unser  korrespondierendes  Uit|^,  Herr  Prof.  W. 
H.  D  all  als  ViceprSsident  der  genannten  Gesellschaft,  eine  neue  Übersicht  über  die 
Verbreitung  der  eingeborenen  Stämme  in  Alaska  gegeben,  in 
welcher  er  besonders  die  Ergebnisse  der  in  den  leteten  Jahren  gemachten 
Forschungsreisen  bcrücksichti'_'t.  Neben  Dalls  eigenen  Uutersuchmiijon  und 
denen  anderer  amerikanischer  torscher  finden  auch  die  Arbeiten  auswärtiger 
Expeditionen,  namentlich  derjenigen  Nordenskjölds  und  der  von  unserer 
Gseellschaftins  Werk  gesefasteit  der  Gebrüder  Krause  ToUe  Berüeksicbtigung  und 
Anerkennung.  Doch  war  das  jüngst  erschienene  Werk  von  Aurel  Krause,  welches 
die  unter  den  Zinkit  gemachten  ethnographisdten  Wahmehmungon  lusammen- 
fafst,  noch  nicht  in  die  Hände  Dells  gelangt 


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Vom  Congo.  Unser  korrespondierendes  Mitglied,  Herr  R.  C.  Phillips, 
schreibt  uns  aus  Banana,  den  10.  Oktober,  fol{2;endes: 

,Wir  befinden  uns  gegenwärtig  nominell  unter  dir  Regierung  des  Königs 
der  Belgier;  allein  kein  einziger  Eingeborener  läfst  sich  anrh  nur  einen 
Augenblick  tränmen,  ddSs  er  mit  einer  anderen  Macht  als  der  seines  Ort&häaptUngs 
zu  thnn  hat,  die  Antoritfit  des  «nnabhäugigeu  Staates*  kann  sieh  aach  nielit 
einmal  in  den  nlchsten,  geschweige  in  den  entfernter  gelegenen  Doribebaftea 
gehend  machen.  Bis  so  weit  war  der  wichtigste  Akt  der  nenen  Begieniag  das 
Verbot  des  Verkaufs  von  Perknssionsgewehren,  Hinterladerwaffen  und  MnnitioB 
für  solche  und  zwar  bei  einer  Strafe  von  25  ()(X)  Frks.  Leider  haben  übereifrige 
Opponenten  der  Regierung  dieses  Verbot  als  überhaupt  gegen  Feuerwaffen 
gerichtet  niifsverstanden;  dies  trifft  nicht  zu.  Die  belgische  Partei,  die  Trägerin 
des  ^unabliüngigen  Staates",  hat  bisher  das  Monopol  der  Verbreitung  unwahrer 
Berichte  ül)er  dcvssen  Aktion  gehabt  und  ich  bedaure  sehr,  dafs  ihre  Gegner  za 
schlechten  Mitteln,  um  ein  Odiuiu  auf  sie  zu  werfen,  greifen  mufsten.  Doch 
allmählich  nimmt  die  öffentliche  Meinung  wieder  einen  gesunden  Ton  an,  wenn 
man  auch  freilich  sagen  mnl%  dafo  es  an  spät  ist,  den  Yor  nenn  Monaten  hasUg 
geftllten  Sprach  nnurostünen.  Der  Terstorbene  Dr.  Q.  Naehtigal  war  meines 
Wissens  von  seiner  Begiemng  mit  der  Erwerbung  von  Schnfigehieten  som 
Zweck  der  Kolonisation  beauftragt;  in  dieser  Stellung  durfte  er  das  Auftreten 
der  internationalen  Association  nicht  öffentlich  mifsbilligeni  aber  aus  Privat» 
gesprochen,  die  ich  mit  ihm  hatte,  weifs  ich,  dafs  er  die  ganze  Sache  als  einen 
rit  -ip-en  llumbug  ansah,  wie  wir  es  auch  thun,  Ganz  in  demselben  Sinne  lautete 
<lri  Au  ^i>ruch  des  Herrn  Tisdel,  Komraissär.s  der  Vereinigten  Staaten,  und  ich 
beliaupte,  jeder,  der  Gelegenheit  hat,  die  Dinge  hier  an  Ort  und  Stelle  zu  sehen, 
wird  ebenso  urteilen.  Die  einzigen  gebildeten  Engländer,  welche  noch  bis  jetzt 
hier  waren,  Oberst  J.  de  Winton  und  Major  Parminter,  rüsten  sich  zur  Abreise 
und  das  nächste  wird  also  eine  rein  belgische  Begierang  sein.  Wir  denken  nvn 
so:  wenn  der  König  dnrch  einihches  Dekret  den  Handel  mit  gewissen  Feaer^ 
Waffen  bei  einer  Strafe  Ton  25000  Frks.  rerbieten  kann,  wo  hört  da  seine 
Macht  auf?  Ist  es  nicht  Despotismna,  wenn  wir  zur  Zahlung  Ton  Steuern  in 
beliebiger  Höhe,  zum  Ertragen  von  Belästigungen  aller  Art,  zum  Dulden  jeder 
Einmischung  in  die  Kaufs-  und  Verkaufsgeschäfte  «irzwun^en  werden  können, 
ohne  auch  nur  eine  Stimme  dabei  zu  habeuy  Wir  Kaiiriiuio  hier  fürchten  die 
Büchsen  und  Gewehre  der  Eingeborenen  nicht,  weil  diese  uns  brauchen,  wohl 
aber  fürchten  die  Usurpatoren  Wicdervergeltung  der  zahlreichen  Angriffe,  die 
sie  auf  die  wahren  Eigentümer  des  Landes  gemacht  haben. 

In  Pontu  da  Lenha,  wo  ich  mich  bis  vor  kurzem  aufhielt,  hat  niemand 
gewagt,  König  Leopold  zu  proklamieren,  auch  werden  die  Eingeborenen  es 
nicht  dulden,  dafo  irgend  eine  fremde  Macht  unter  ihnen  Autoritfit  ausübe.  Ich 
möchte  hier  doch  an  die  eigentümliche  Weise  erinnern,  wie  hier  die  Froklsr 
mation  erfolgte.  Die  Association  wulste  wohl,  dafo  keiner  der  Htairtlinge  sich 
auf  ihre  Einladung  einfinden  wdrde,  sie  forderte  daher  die  europaischen  Kauf- 
leutc  auf,  die  Häuptlinge  herzurufen;  dabei  wurde  zugleich  aii;,'(  i1entct.  dafs  die 
Sache  schon  in  Berlin  abgemacht  sei,  weshalb  Opposition  keine  gute  Fol^'cn 
haben  werde.  Meine  Antwort  würde  gelautet  haben:  Die  Konfcren?:  <;iebt  emh 
die  Erlaubni.s,  dies  Land  zu  okkupieren;  thut  das  :ilso.  und  wenn  es  gesclichen, 
will  ich  anerkennen,  dafs  ihr  es  gethan  habt;  abrr  hii  Scheinproklamation^n 
will  ich  nicht  dabei  sein.  Die  Häuptlinge,  acht  oder  zehn,  wurden  in  das 
Qebftnde  der  Association  eingelassen,  wo  sie  etwa  50  bewaffnete  Haussamiauer, 


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bereit  nach  Befehl  TOixagebeii,  firnden;  ein  kaCboUseher  Priester  sagte  den 
Hinptlingen  in  ihrer  Sprache,  dab  König  Leopold  jetzt  hier  König  sei,  aber  er 
wfirde  sie  ungestört  lassen,  wenn  sie  nicht  Krieg  öder  Unmhen  stifteten. 

,Yexateht  ihr  das?"  sagte  der  Ridre.  .Ja''  war  dio  Antwort  der  Scliwaraen. 
j,Nnn,  dann  ist  hier  etwas  Rnm  nnd  Zeug  für  euch  und  ihr  könnt  nach  Hause 
gohcn!-*  Dies  war  der  Vorgang  bei  der  rroklaniatioii.  (]och  hnho  ich  noch  eines 
wcilsoii  Mannes  Erwäliimng  zu  thun,  der  angctiian  ini^  rimMn  Seidongouand  und 
einein  aufrrokremptcn  Hut  auf  einem  mit  einem  Löwi  iiii  11  bedockten  Stuhl  dabei 
saXs,  der  arme  Manu,  er  that  sciu  Bestes  unter  den  üniständen. 

Die  Aflsodation  Terachiflle  mit  dem  letzten  Postdampfer  ein  Quantum 
Elfenbein,  das  fftr  ne  in  Stanley  Pool  dnrch  Kapitän  Sanlez  gekauft  war;  ich 
erwtUine  dies  nnr,  weil  immer  hervorgehoben  wird:  die  Association  treibe 
k«ne  Handelsgeachifte. 

Das  alter  ego  der  Association,  das  anonyme  bt  l<j;ische  Handelshaas,  macht 
allerdings  znr  Zeit  keine  Geschäfte,  ans  dem  anf  der  Hand  liogondm  Grunde, 
weil  es  von  der  Association  die  Erlangung  eines  ausschliefslichcn  Handolsvorteils 
hofft,  in  dessen  Besitz  es  sich  dann  für  die  Kosten  seiner  jetzigen  Uuthätig- 
keit  eutschüdigen  wird. 

Der  Dampfer  ,Lu  Viile  d  Anvors"^  ist  verloren  gegangen;  die  Art  und  Weise 
des  Verlustes  ist  charakteristisch  für  unsere  Regierung :  Der  Kapitän  war  nach 
Europa  abgereist  nnd  erhielt  der  Maschinist  den  Oberbefehl.  Dnrch  die  ihm 
erteilte  Weisung,  niher  nach  dem  Lande  au  su  halten,  war  er  so  Iconfas 
geworden,  data  er  zu  nahe  dem  Lande  und  mit  dem  Schiffe  auf  einen  Felsen 
lief.  Ich  bedauere  ganz  besonders  den  Verlust  des  Schiffes,  denn  wir  werden 
durch  höhere  Steuern  den  Schaden  tragen  müssen.  Schon  ist  eine  Grundsteuer 
vorgeschlagen;  man  scheint  indessen  sich  niclif  klar  gemacht  zu  haben,  dafs 
Grundsteuern  vorn  Grundeigentümer  gezahlt  werden,  —  Nacbricliton  vom 
Loango  melden  mir,  die  französischen  Beamten  dort  verführen  so  tyrannisch 
und  willkürlich,  dafs  der  Handel  ruiniert  wird  und  die  jungen  Leute  das  Land 
verlasseu;  die  Regierung  wünschte  eine  Expedition  in  das  Innere  zu  senden,  sie 
konnte  indes  keine  Trüger  finden,  lieb  auf  die  Fischerleute  feuern  nnd  ihre 
Netze  in  Beschlag  nehmen.  Bei  einer  anderen  GMegenheit  wurde  eine  Konskription 
der  jungen  eingeborenen  lOnner  unternommen,  man  wollte  sie  zum  Einesenderen 
nach  Gabun  schicken.  Die  Folge  ist  gewesen,  dafs  diese  jungen  Leute  sich  von 
den  Küstenstftdten  ins  Innere  und  in  das  benachbarte  portugiesische  Gebiet 
snrückgezogen  haben  1" 


§  Die  Nord-Borneo-Company.  Der  Fortgang  der  Kolonisationsarbeiten, 
welche  dio  mit  König!,  grofsbritannischer  (  harter  ausgestattete  englische  Kom- 
pagnie in  den  von  den  Sultanen  von  Brunei  und  Sulu  erworltoncn  Gebieten 
Nordborneos  betreibt,  hat  für  uns  in  Deutschland  jetzt  ein  näheres  Interesse  als 
sonst,  seitdem  ausgedehnte  tropische  Landschuften  unter  deutschen  Schutz 
gestellt  worden  sind.  Von  einem  der  leitenden  Beamten  der  Gesellschaft  worden 
nun  kflndick  dem  Königlichen  Kolonialinstitut  in  London  eine  Reihe  von  Hit- 
teflungen  gemacht,  denen  die  nachfolgenden  Angaben  entnommen  sind.  Bas 
Gebiet  der  Gesdlschaft  hat  eine  Flfiche  von  20,000  engl.  Qnadratmilea,  wovon 
600  mflea  Küste,  es  liegt  zwischen  116  und  Wi)^  ö.  L.  Gr.  und  zwischen  dem 
4.  und  7.*  n.  Br.  Ein  im  Durchschnitt  zwischen  4(KX)  und  7000  Fufs  hoher 
Gebirgszug  erstreckt  sich  in  der  Richtung  NO.  zu  SW.  Niedrij^ere,  waldbedeckte 
Bergketten  zweigen  sich  von  diesem  Uanptgebirgszug  nach  beiden  Seiten  znr 


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—  878  — 


Kttste  ab,  swiseheii  ihnen  breiten  sieb  fraehttMue  von  Flfissen  gut  bewSaieit» 
Thtler.  Die  Kftote  ist  im  gansen  flach  und  niedrig»  oft  besetst  mit  Kasnariaeih 
hainen;  hier  und  da  auf  sumpfigem  Grand  oder  an  den  Flnlsmllndiuigea  treiren 

wir  llangroTebüsche,  nur  an  eiüzeliic  n  Stellen  der  Käste  finden  sich  Sandstein* 
klippcn  oder  erstreckt  sich  der  Wald  bis  unmittelbar  an  die  See.  An  natür- 
lichen Hfifen  ist  die  Küste  reich;  besonders  geschützt,  und  von  der  Seehandeb»- 
f^trafso  zwischen  Australien  und  China  nnr  5  Standen  Dampferfahrt  abgelegen 
ist  der  Hafen  Sandakan,  wo  sirh  bereits  an  .''-<HKi  rhines^on  niedergelassen  haben. 
Eine  Reihe  von  Flüssen  sind  tur  Üachgehende  Dampfer  schiffbar,  doch  hüben 
die  meisten  an  ihrer  Mündnng  Barren.  Das  Gebiet  der  Gesellschaft  wird  als 
Tortreffiich  geeignet  snr  Anlage  yon  Plantagen  geschildert  nnd  werden  ala  nr 
Knltnr  aaf  Bomeo  besonders  passende  Fflansen:  Tabak,  Zneker,  Nanelea  gambtz; 
Kampherbanm,  verschiedene  Nntzholsarten  n.  a.  beseichnet  Kohlenlager  aind 
Tielfach  vorhanden,  eines  wird  bereits  abgebaut  und  liefert  den  Dampfern  eine 
gute  Kohle.  Die  Ausbcnte  der  See  besteht  in  Tripang  (dies  ist  die  richtige 
Schreibweise,  nicht  Trepang,  wie  man  dieso  rrcdörrte  Tlolothnrie  vielfach  mit 
der  englischen  Schreibweise  bezeichnet),  SchiUlkittten-  nnd  Perlmn?<^)ielschalen. 
Die  Eingebort  II*  n  an  den  Kiisten  sind  Muhammedaner.  Fortwährend  findet  eine 
starke  Einvvauilerung  chinf.'>s.sriier  Arbeiter  statt,  die  namentlich  auf  den  von  ver- 
schiedenen Firmen  angelegten  Tabaksplautagen  Beschäftigung  finden.  Sie 
werden  wie  in  Sumatra  nach  dem  Habe  der  geleisteten  Arbeit»  nicht  mit  Tag- 
lohn besahlt.  I>er  in  Bomeo  gebaute  Tabak  soll  dem  besten  Snmatiatnfaak 
gjleich  sein.  Nutzhols  wurde  im  Jahre  1884  bereits  in  ansehnlichen  Mengen 
nach  Australien  und  China  ausgeführt.  Die  North-Bomeo-Company  baut  in 
ihrer  Versnchsplantago  zu  Silam  Liberiakaffee,  Hanf,  Kakao,  Pfeffer.  Im  (Gebiet 
der  Kompagnie  ist  der  indische  Strafkodex  eingeführt;  den  Sicherheitsdienst  ver- 
richten 180  Polizeibeamte.  Das  Halten  von  Sklaven  wird  für  die  Zukunft  da- 
durch abgeschafft  werden,  daf.s  1.  jeder  Handel  und  Einfuhr  von  Sklaven  ver- 
boten ist,  2.  der  Schuldner  nicht,  wie  früher,  zur  Zaiilung  seiner  Schuld  vom 
Gläubiger  in  Sklaverei  genommen  werden  darf,  3.  alle  von  Eliernj  die  Öklaven 
sind,  seit  November  1883  geboreneu  Kinder  frei  sind. 


Das  Saterland.  Die  „Weserzeitang"  brachte  vor  einiger  Zeit  mehrere 
FeuilletonskiffiEen  ftber  das  Saterland,  jener  Tom  grolsen  Verkehr  abgelegenen 
Hochmoorgegend  im  westlichen  und  mittleren  Teile  des  GroCkhenBogtams 
Oldenburg,  aus  der  Feder  des  Herrn  Dr.  philol.  Th.  Siebs,  welcher  sum  Zwnek 
des  Studiums  der  dort  im  Volksmund  noch  Torhandenen  friesischen  Sprach- 
altertümer  eine  Wanderung  dahin  unternahm.  Einige  Stellen  aus  diesen  Mit- 
teilungen werden  auch  für  die  Leser  unserer  Zeitschrift  von  Interesse  sein.  Wir 
fahren  auf  der  Station  Bremen-Leer  bis  zur  Station  Apen,  gingen  über  Barssel 
nach  Strücklingen,  und  von  dort  aus  durchstreiften  wir  das  Saterland.  Ich 
fand  meine  Erwartungen  nicht  getiiu.scht,  und  ilcslmlb  brachte  ich  späterhin  längere 
Zeit  dort  zu,  die  ich  u.  a.  dazu  benutzte,  das  Wissenswerteste  über  die  kulturgeschicht- 
lichen und  sprachlichen  Verhältnisse  jener  Gegend  zusammenzustellen.  Die  Abge- 
schlossenheit des  Saterlandes  besteht  darin,  dafo  es  nach  allen  Richtungen  von  Moor 
umgeben  ist.  Ein  Hochmoorstrich,  der  im  HolUndischen  in  der  Gegend  Ton  ZwoUe 
beginnt,  zieht  sich  in  nordöstlicher  Richtung,  die  ProvinzHannorer  durchschneidend, 
durch  das  Grofsherzogthum  Oldenburg.  Dieses  Hochmoor  ist  an  verschiedenen 
Stellen  von  Saiidrücken  durchzogen,  und  auf  einem  solchen  liegen  die  drei  Kirch- 
derfer  des  Saterlandes:  Strücklingen,  Ramsloh  und  Scharrel.  Lange  Zeit  gkubte 


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—  379  — 


man  den  Namen  „Saterland-  mit  dem  Muor  in  direkte  Verbindung  bringen  zu  müssen, 
indem  man  ibn  Yon  sOt (Braunen,  Sumpf)  ableitete.  Die  Ulteste  Fonn  des  Namens  aber, 
aach  der  vir  uns  zum  Zwecke  einer  gewissenhaften  Erkl&nmg  doch  umeeben 
möesen,  erscheint  als  »Sagelterland"  in  einer  Urkunde  vom  Jahre  1400.  Am 
Südrande  des  Eümmlinger  Waldes  liegt  ein  Dorf,  Sögel  f^enannt,  das  früher 
Haupt-  und  Mittelpunkt  einer  Grafschaft,  der  comitia  Sigbiltra,  war.    Die  Be- 
deutung jenes  Dorfes  ist  längst  entschwunden,  und  auch  die  nächste  Umgebung 
erinnert  sich  derselben  nicht  mehr.    Aber  für  einen  Teil  Hör  ehemaligen  Graf- 
schaft hat  sich  der  alte  Name  erhalten,  und  zwar  fiir  <!us  Sa;M'ltfrl;iii(l.  Diese 
Erklärung  kennt  man  natürlich  an  Ort  xind  Stelle  nicht.  d<>ir  giebt  es  andere 
Versionen.    So  erzählt  man  sich,  die  Voiruiucn  iiätteu  keine  Kirche  gehabt,  und 
da  sie  nun  2u  einer  acht  Stunden  weit  entfernten  Kapelle  pilgern  mufstcn,  um 
ihren  Gottesdienst  an  halten,  bitten  sie  sich  schon  am  Satertage  auf  den  Weg 
gemacht:  daher  hätten  sie  den  Namen  „Satem*  erhalten.  Freilich  hätte  die  Kirche 
nicht  einmal  so  weit  entfernt  zu  sein  brauchen,  dafs  man  sie  vom  Mittelpunkte 
des  Saterlandes  ans  erst  in  acht  Stunden  hätte  erreichen  können.    Danuils  konnte 
man  Ja  Ton  Verkehrsmitteln  kaum  reden,  denn  die  Sandwego,  die  jetzt  während 
der  längsten  Zeit  des  Jahres  socriir  (h'n  "Wii^rcnverkehr  ermöglichen,  sind  erst  zu 
Anfang  dieses  Jahrhundcrrs  l-^   r  lKtf<  n;  Kanäle  gab  es  auch  no' h  nicht:  das 
Moor  aber  ist  nur  bei  aiiluiltenil-T  Darre  oder  nach  .starkem  Froste  passierbar. 
Der  Satcrläuder  war  an  seine  Heimat  gekettet,  denn  kleine  Reisen  bedingten 
schon  grofse  Anstrenguugen.   Wer   schon   den  bemitleidet,   welcher,   in  der 
Umgegend  einer  schOnen  Natur  lebend,  an  der  Scholle  klebt,  wie  wird  er  erst 
den  Saierlander  jener  Tage  bedauern  müssen!  Noch  heute,  wo  die  Kultur  dort 
eifrig  ihr  Werk  getrieben  hat,  bietet  das  liand  einen  trostlosen  Anblick:  keine 
Wiesen,  die  durch  ihr  saftig  schwellendes  Grün  das  Auge  erquicken:  keine 
Bäume,  die  in  malerischer  Gruppierung  den  fernen  Blick  begrenzen!  Die  Hoch- 
moore sind  fast  alle  auf  früherem  Waldgrunde  gebildet,  denn  in  ihrer  Tiefe 
findet  man  uocli  viele  Wurzelstfu-ke  von  Eichen.  Erlen  und  Birken,  ja  ganze 
Baumstämme,  die  in  eine  kohlig«;  ZcrsL-tzung  übergegangen  sind.    Eichen.  Erlen 
und  Birken  wachsen  auch  heute  noch,  im  Saterlande,  sie  geben  den  Gchüfteu, 
die  sie  umrahmen,  ein  freundlicheres  Ansehen  —  aber  es  sind  meist  winzige, 
^äiliche  Bäumchen,  und  um  sich  llber  ihr  Wachstum  freuen  zu  können,  mu£i 
man  schon  geborener  Saterländer  sein.  Dieser  rfthmt  uns  die  Schönheiten  seines 
Landes,  wir  aber  können  nicht  finden,  was  er  findet:  es  ist  nicht  unser  Vater« 
land.  TadtuB  sagt  in  der  «Germania'':  »quis  Qermaniam  peteret,  informem  terris, 
asjicram  coelo,  tristem  cultu  aspectu(iue,  nisi  si  patria  sit?*   Nur  das  Gefähl 
der  Heimatsliebo  macht  es  erklärlich,  dafs  der  Satorlä.'ider,  selbst  wenn  er  andere, 
frnclitbare,  liebliche  (ioj^oiiden  gesehen  liat,  dcnnoi  li  Vorzüge  in  seinem  Vater- 
lande findet  und  sie  besingt.    Im  Volke  leben  dort  die  Verse: 

„Sälter,  letet  i'iz  hir  bliu. 

Hir  bl  diu  6  in  Sälterlond, 

Hir  konn'  wi  upt't  beste  liuje, 

Hir  izz  fän  un  gors  un  sond." 
(Saterländer,  lasset  uns  hier  bleiben, 
Hier  beim  Flufs  im  Saterland, 
Hier  können  wir  am  besten  leben, 
Hier  ist  Moor  und  Qras  und  Sand.) 
Klingt  das  nicht  wie  ein  SpottUed?  Und  es  ist  doch  nichts  weniger  als  ein 
solches.  Der  erste  Vers  könnte  uns  vermuten  lassen,  es  sei  darauf  gemfinzt, 


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—  380  — 


der  AnswanderoDg  in  besserp  Gegpiiden  za  Btonern,  aber  es  ist  zu  einer  Zeit 
gedichtet,  wo  diese  zn  den  stltcnsten  Fällen  fjehörte.  In  den  letzten  Jahren  hat 
sie  freilich   gröfscre  Dimenf^ionon  an;:cnominen,  so  dals  sich  der  Stnnd  der 
Bevülkeruui:  stets  anf  dersrlhen  Hölip  f/elialtin  bat.    Schon  seit  län^rorer  Zeit 
zählt  Scharrel,  das  gröLstc  Kirchspiel,  etwa  liKX),  Ramsloh  und  Strücklingen 
je  900  Einwohner.    In  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  hingegen  stieg  die 
Zahl  der  Bevölkerung  auf  das  Doppelte  und  die  Scharnier  gründeten  in  nicht 
za  weiter  Entfemniig  Tom  Heimatedorfe,  wo  ihnen  der  Banm  za  eng  geworden 
war,  eine  Niederlaesong,  die  sie  Neoschanrel  nannten.  Der  Aoswanderang  hdnnte 
jenes  Liedeben  heutzutage  allerdings  keinen  Abbrach  than,  wenn  es  auch  aUes, 
was  seiner  Zeit  in  den  Augen  der  Bewohner  den  Wert  des  Landes  ausmachte^ 
zu  seinem  Lobe  hervorhebt.    Zuerst  wird  ^dui  e"'       erwähnt,  die  auch  das 
.Sater  Tief^  heifst.    Es  ist  der  Flufs,  der  das  Land  in  der  Richtung  nach  Nord- 
westen durchströmt.    Zn  jener  Zeit,  als  dies  Lied  entstand,  bildete  er  die  einzige 
Verkehrsstrafse.    Aber  noch  iu  anderer  lliTisirht  war  er  für  das  Land  von  hoher 
Wichtigkeit.    Der  Wasserreichtum,  den  dim  schwunnnigc  Torfmoor  im  Hochmoor 
festhält,  macht  dieses  in  seinem  höheren  Teile  unzugänglich,  auch  gedeihen  doit 
nor  SampfgrSser  and  Haidekrftater  kftmmerlich.  An  den  BSndem  .jedoch,  wo 
das  Wasser  dnrch  Gräben  abgeleitet  wird,  sinkt  das  Hoor  bedeatend  zasammen 
and  darch  Behacken  and  Brennen  wird  es  znr  Bachweizenkoltor  hergerichtet 
Die  Graben  nun  vereinigen  sich,  and  Torstarkt  durch  die  Marka  und  Ohe,  zwei 
aas  den  benachbarten  Qeeststrecken  kommende  Bäche,  bilden  sie  den  Flufs,  der 
den  sandigen  Boden  des  Saterlandes  bewässert  und  ertragfähig  macht.    So  wird 
mit  Hecht  vor  allem   die  .e"  im  Liede  gepriesen.    Weiterhin  wird  iu  jenen 
Versen  die  BescliafFenlicit  des  Hodens  gerühmt,  der  aus  Moor,  Gras  und  Sand 
bestehe.    Nun  auch   hierin  zeigt  sich,    dafs  der  genügsame  i^uteilander  sein 
Heimatland  absolut  schätzt  und  es  nicht  etwa  mit  anderen  Gegenden  vergleicht. 
Eine  naive  Emphndung  spricht  ans  den  Versen:  ist  es  doch  fihnlich  damit,  als 
wenn  wir  im  Liede  das  Geschick  preisen  wollten,  das  ans  die  Erde  and  nicht 
einen  andereren  Planeten  zam  Wohnsitz  geschenkt  hat,  —  and  wir  wissen  doch 
nicht,  wie  es  ans  aof  einem  solchen  behagen  wArde.  Die  tiefinnige  Zafriedenheit 
spricht  ans  an.  Das  Land  an  und  für  sich  bietet  seinen  Bewohnern  gsr  nichtB; 
was  es  ihnen  gewährt,  sie  haben  es  durch  mühevolle  Arbeit  errungen.  Wie  man 
das  Moor  zur  Burhweizenkultur  herrichtet,  haben  wir  erwähnt.    Eine  andere, 
vortt'ilhaftcre  Urbarmachung   des  Moorbodens  geschieht  durch  die  sogenannte 
Fehnknltur;  fehn  oder  fän  bedeutet  .Sumpfe.  „Moor**.    Die  obere  Schicht  des 
Moores  wird  abgestochen  und  als  Torf  auf  den  Kanälen  nach  der  Marsch  gebracht. 
Als  Rückfracht  bringen  die  Schiffer  von  dort  tierischen  Dünger  oder  Schlick  mit,  der 
anf  die  abgetorfteFlfiche  geworfen  wird  and,  mit  dem  Moorboden  vermischt,  fracht^ 
bares  Land  bietet.  Binnen  knrzer  Zeit  ändert  sich  das  Aassehen  solcher  Strecken. 
Der  Qagelstraach,  die  Sampfhaide  and  namentlich  die  gemeine  Haide  gediehen 
dort  frtkher  in  grofser  Üppigkeit,  sie  machen  haapts&chlich  die  Flora  des  unkul- 
tivierten Moores  aus.  Sotrald  aber  die  Oberfläche  mit  Dunger  bestreat  ist,  treten 
das  lieblich  doftende  Euchgras  und  Terschiedene  Arten  des  Kiees  an  ihre  Stelle. 


Wie  viele  Namen  der  Flüsse  und  Bäche  jener  Gegend  bezeichnet 
nichts  anders  als  .Wasser''.    Die  .ä"  der  Danen,  die  vielen  .Auen"  des  nord- 
we.stlichen  Deutschlands,  die  .Achen''  der  bUyerischen  Gegenden  (Salzach),  die 
„ö-',  „Ohe"  und  die  A'  des  Saterlandes  (Leda,  Marka)  :  alle  diese  Namen  smd 
desMlben  Stammes  und  Ursprungs. 


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—  381 


JKatürlich  kann  diese  Moorkultnr  nnr  da  festen  Fnfs  fassen,  wo  Wasserstrafsen 
den  Titoisport  erleichtern,  denn  es  sind  grofse  Quantitäten  Torf  wegsnechaffen. 
Übrirrens  sind  aiicli  Kanalbanton  durch  dir-.so  Fehnanlagen  veranlafst  worden, 
denn  mit  diosoii  Fchuf  man  Oasen  in  der  Wüste  des  Moores.  Der  ganzen  üm- 
gej^end  haben  die  Gründungen  von  Rhauder-  und  Augustfehn  Vorteil  gebracht. 
Im  gesamten  Saterlando  ist  der  Verkehr,  namentlich  durch  die  letztgenannte 
Alllage,  bedeutend  gehoben  worden,  da  sie  nicht  nur  als  Exportplatz  des  Torfes 
Wichtig  ist,  sondern  auch  selbat  grofse  Mengen  desselben  verbraucht.  In  Hüttenwerken 
wird  dort  n&mlidi  die  Verarbeitung  von  Roheisen  Torgenommen,  nnd  der  Torf 
wird  bier  teils  als  Brennmaterial,  teils  in  Form  von  Torfgas  aar  Eisen*  und 
Stablbereitung  verwandt.  Derselbe  wird  ans  dem  Saterlande  herbeigeschafft, 
denn  dort  ist  fast  mit  jeder  bäuerlichen  Besitzung  Torflinderei  verbunden,  anf 
welcher  znm  eigenen  Bedarf  der  Haushaltung,  aber  anch  zum  Verkaof  gestoclien 
wird.  Täglich  ziehen  die  Leute  aufs  Moor  hinaus,  um  dort  die  apringe  Feldarbeit 
zu  thnn  oder  Torf  zu  graben.  Derselbe  wird,  narlidrin  er  an  der  Luft  trorkon 
geworden  ist,  auf  Ackerwagen  ins  Dorf  geschatl't.  Abei-  mit  dem  Fahren  ist  es 
eine  schwierige  Öache.  Den  Pferden  werden  kleine  runde  liolzbretter,  Hangster- 
bricken genannt,  unter  die  Fübe  gebunden,  am  diesen  eine  gröCsere  Fläche  zu 
geben  und  so  das  Einsinken  zu  yerhindem.  —  Muiche  Leute  haben  auch  in  der 
N&he  ihrer  Behausung  ein  mehr  oder  minder  groliws  Stück  Land,  das  bebaut 
werden  mnfs.  Bier  wachsen  hauptsfichlich  Kartoffeln,  Gemüse,  Boggen,  Hafer 
und  Gerste,  aber  alles  imr  in  geringer  Güte  und  Menge.  Man  zieht  aus  dem 
Sandboden  trotz  aller  Bemühungen  nur  wenig  Vorteil.  Der  Bachweizen  mufs 
für  alles  Ersatz  bieten  und  so  gew*ährt  der  meliorierte  Moorboden,  was  das  Geest- 
land mit  semr-u  Sandhügeln  und  die  an  den  Utern  der  ^e"*  gelegenen  Strecken 
nicht  in  genügender  Menge  aufzubringen  vermögen.  Aber  auch  das  nicht 
kultivierte  Moor  licfci-t  indirekt  ein  wichtiges  Produkt,  den  Honig.  Die  Bienen, 
deren  Zucht  sehr  eifrig  betrieben  wird,  sammeln  ihn  in  grofscr  Masse  aus  den 
duftigen  Hudekr&utem,  und  so  bietet  der  Exporthandel  mit  demselben  manchem 
Landmann  einen  guten  Nebenverdienst.  In  yielen  Siteren  Berichten  über  das 
Saterland  liest  man,  die  Hinner  kümmerten  sich  gar  nicht  um  die  Arbeit, 
sondern  fitnllenzten  und  lieÜBen  alles  durch  ihre  Frauen  besorgen.  Darin  wollte 
man  natürlich  eine  alte  germanische  Sitte  wiederfinden,  wie  sie  uns  durch  Tacitus 
überliefert  ist.  Aber  die  Sache  liegt  ganz  anders.  Die  Männer  arbeiten  so  gut 
wie  die  W  eiber,  freilich  sind  sie  nicht  fleifsiger  als  jene.  Die  Feldarbeit  wird 
häutig  von  den  Frauon  verrichtet.  Sie  haben  Zeit  genug  dazu,  denn  der  Haus- 
frau als  solcher  bleibt  iu.st  als  einzige  Thätigkeit  übrig,  für  die  Mahlzeit  zu 
sorgen.  Auf  lieinliciikeit  und  Ordnung  im  Haashalte  wird  weniger  gesehen. 
Welch  ein  Kontrast  swischen  der  Behausung  des  Saterlfinders  und  der  ostfiriesi- 
schen  Wohnung!  Die  Sauberkeit  ist  natürlich  sehr  abhängig  von  der  Einrichtung 
des  Hauswesens;  wo  Menschen  und  Vieh  in  demselben  Raum  beisammen  wohnen, 
darf  man  es  mit  der  Rdnlidikeit  nicht  so  genau  nehmen,  und  das  ist  hier 
namentlich  bei  den  älteren  Häusern  der  Fall.  In  den  Dörfern  des  Satcrlandes 
finden  wir  weit  mehr  alte  Bauernhäuser  erhalten,  als  in  den  meisten  übrigen 
(i»';^',  ti(len  des  nordwestlichen  Deutschlands.  Über  den  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
aln  r  ragt  wohl  das  Alter  von  keinem  derselben  hmaus.  Besonders  im  Dorfe 
Hollen  sind  viele  aus  jener  Zeit  erhalten.  Sie  unterscheiden  sich  in  ihrer  Bauart 
wenig  von  den  we.stfälischen  Wohnungen.  Die  Seitenmaucru  sind  sehr  niedrig, 
so  dafs  das  grofse  Strohdach  bis  auf  den  geringen  Abstand  TOn  etwa  5  Fnfo 
Ton  der  Erde  entfernt  ist  Auch  von  der  Vorderseite  des  Hauses  ist  wenig  mehr 


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—  382  — 

ZU  sehen,  als  das  giüfse  Thor,  denn  f;tst  die  f:auzc  übrij?c  Front  wird  durcli  den 
Walm  dos  Darlios  gebildet,  der  als  .honi*  weit  über  den  Eincan^i  hinansragt. 
Vor  der  Tliür  dos  ilauscs  ttehend,  ist  man  gegen  den  Regen  völlig  gescUuLzt, 
Wir  treten  darch  das  Thor  ein  nnd  befinden  uns  anf  der  gerinniigen  Dreachdielei 
die  ,tal*  genannt  wird.  Zn  beiden  Seiten  sind  die  Stallungen  för  das  Vieli, 
welches  mit  dem  Kopfe  der  Diele  zugewandt  steht  In  einem  friesischen  Lande 
ist  das  sehr  aoffäUig,  nnd  es  läfst  sich  wohl  als  praktische  Nachahmung  sächsischer 
Bitte  erklären.    Es  ist  nfinilich  einer  der  Hanptnnterscliicde  der  friesischen  und 
sächsischen  Uänser,  dafs  in  ersteren  das  Vidi  mit  dem  Kopfe,  in  letzteren  mit 
dem  llintort*  ile  der  Wand  zugekehrt  steht.  Die  friesische  Manier  ist  die  reinlichere: 
in  einigen  Ilän.seru  des  Saterlandcs  finden  wir  sie  noch  vor,  in  den  meisten 
Fällen  aljcr  ist  die  sächsische  Sitte  eingedrungen,  da  auf  diese  Weise  eine  weit 
reichere  Düngei-produktion  stattiindet,  und  diese  ist  ja  für  das  Saterland  von 
besonders  hohem  Werte,    über  den  Viohställen,  zu  beiden  Seiten  des  Hauses, 
befindet  sich  die  ;,Hillc-,  der  Aufbewahrangsort  für  das  Viehfntter.  Der  S^en 
der  Enite  ruht  auf  dem  ger&amigen  Boden  ftber  der  Diele.  Im  Hiniergnmde 
dezselben  brennt  lastig  das  offene  Feuer,  das  dem  häuslichen  Verkehr  als  Mittel- 
punkt dient.  An  einem  grofeen  Haken  hängt  ein  schwerer  kupferner  Kessel 
lierab.  «Das*  Feuer  wird  fortwährend  unterhalten,  an  Torf  mangelt  es  Ja  nicht. 
In  manchen  Hausern  dient  er  abcnd.s  sogar  zur  Beleuchtung,  und  bei  seinem  dunkel- 
roten Scheine  verriclifet  man  Handarbeiten,  man  unterhält  sich  oder  liest  aus 
einem  nützlichen  Buche  vor.    Da  die  alten  Häuser  keinen  Schornstein  haben, 
so  verbleitet  sich  der  Torfrauch  im  ganzen  Hau^e  und  macht  eine  Ranchkammer 
überliussig.    i'lei.seh  und  Speck  hui  man  an  den  Dcckbuikeii  über  dem  Feuer 
aufgehängt  Der  Fiats  su  beiden  Seiten  des  Heerdes  wird  „Flet"  genannt  Der 
Platz  dient  als  Wohnzimmer,  Schla£ilmmer  und  Kftche.  An  der  Hinterwand 
sind  niedrig^  Schränke  angebracht,  und  auf  diesen  stehen  Börte,  mit  Tiden 
Tellem  und  Schüsseln  ans  Zinn  oder  Steingut  geschmückt  Ihre  Güte  und  Zahl 
richtet  sich  im  allgemeinen  nach  den  Vermögensverhältnissen ;  manche  sind  mit 
sehr  reich  nnd  geschmackvoll  ausgeführten  Bildern  oder  Arabesken  versehen, 
und  bei  wohlhabenden  Leuten  sieht  man  wohl  vierzig  bis  fünfzig  Gefafse  zur 
Zierde  nnd  zur  Erinnerung  au  vergangene  Tage  aufgestellt.    An  den  Seitenwänden 
befinden  .sich  übereinander  die  alkovenartigen  Bellen,  die  durch  Vorhänge  oder 
Bretterverschläge  verdeckt  sind.    Gegenüber,  an  der  Fernst  crseite,  stehen  grofse 
Truhen  zur  Aufbewahrung  von  Kleidungsstücken.   Das  ist  die  Au&siattuug  des 
Wohnraumes,  von  dessen  Mittelpunkt,  dem  Heide,  aus  man  jegliches  Leben  und 
Treiben  im  Hause  überachauen  kann.  Wenn  man  von  einigen  Bumpelkammeni 
absieht,  enthält  das  alte  saterländische  Bauernhaus  keine  weitere  Bäomlichkeiten. 
Jetzt  freilich  hat  sich  in  der  Einrichtung  vieles  geändert  Man  erkennt  mehr 
und  mehr  die  praktischen  Vorteile  der  abgeschlossenen  Bäume,  und  nun  richtet 
man  nicht  nur  die  neuen  Häuser  nach  diesem  Prinzip  ein,  sondern  baut  die 
meisten  alten  um.    Auch  in  ihrem  Aufsern  sollen  sich  die  Wohnungen  während 
der  letzten  Jahrzehnte  sehr  verändert  haben.    Die  Dürfer  Hollen  und  Fuimsloh 
haben  wohl  am  beizten  den  alten  Charakter  bewahrt.   Gewisse  Eigentümlichkeiten 
aber  sind  sämtlichen  Dörfern  des  Saterlaudes  gemeinsam.    Tacitus  erzählt,  die 
alten  Germanen  hätten  jedes  Haus  mit  einem  Kamp  umgeben,  und  diese  Sitte 
sehen  wir  in  den  meisten  Gegenden  Deutschlands  bis  auf  den  heuUgen  Tag 
erhalten.  Anders  ist  es  hier:  die  Hänser  eistrecken  sieh  nicht  etwa  in  weiten 
Zwischenräumen  längs  einer  Stralse,  sondern  sie  sind  auf  einem  engen  Baum 
konzentriert  Das  hat  seinen  Grund  in  der  Qualität  des  Bodens.  Das  Dorf  erscheint 


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—  383  — 

uns  von  woitom  als  ein  Komplex  von  Bäumoii.  donn  wie  klein  diose  aurh  soin 
mögpn,  sie  erheben  sich  doch  über  die  Strohdächer  der  niedrigen  Häuser.  Nur 
der  Kirchturm  und  die  Windmühle  sind  weithin  sichtbar  und  bilden  die  Wal)r- 
zcichen  des  Ortes.  Durcli  öde  Moorgegenden  und  sandige  Strecken  hat  uns  die 
Landstrafse  in  das  Dorf  gefülirt:,  weichet  in  seinem  engsten  Umkreise  von  Wiesen 
und  Feldern  umgrenzt  ist.  Auf  den  StnüSBen  nnd  Wegon  innerhalb  des  Dorfes 
herrscht  eine  gewisse  Reinlichkeit,  die  das  Innere  der  H&nser  sehr  Tennissen  lieb. 
Inmitten  des  Dorfes  liegt  die  Kirche,  ein  ans  groben  Backsteinen  anfgefOhrtes 
Qebäude.  Sie  ist  im  13.  oder  14.  Jahrhundert  im  gothischen  Stile  erbaut,  klein 
und  niedrig.  Die  Westseite  ist  mit  einem  niederen  Turme  geziert,  in  welchem 
die  Glocken  hängen.  Wcdor  das  Anfsorn  der  Kirche,  noch  das  Innoro,  das  durch 
kleine,  schiefsscliurtenartigc  Fenster  nur  matt  erhellt  ist,  gewährt  Interesse.  In 
anderen  friesischen  Gegenden  Ineten  uns  die  alten  Gotteshäuser  und  die  sie  um- 
gebenden Grabstätten  hochwichtige  Denkmale  der  Vergangenheit,  namentlich 
die  alten  Sarkophage  and  Grabplatten  zählen  zu  den  merkwürdigsten  Kesten 
alter  Zeit  Dayon  findet  man  hier  nichts,  nur  kleine  Holzkrense  nnd  hin  nnd 
wieder  ein  Sandsteinmonnment  geben  uns  Kunde  ans  jüngst  Tergangener  Zat. 
Hochinteressant  hingegen  sind  fftr  den  AHertnmsfomoher  die  Reste,  welche  die 
das  Saterland  umgebenden  Moorstrecken  in  ihrem  Schoofse  bergen,  und  deren 
Alter  weit  mehr  als  ein  Jahrtausend  zählt.  Gewaltige  Gerippe  hingst  verstorbener 
Tiere,  uralte  Pflanzenreste,  Waffen  und  Hausgeräte  hat  das  Moor  durch  seine 
konservierenden  Bestandteile  erhalten.  Aber  das  sind  prähistorische  Altertümer; 
geschichtliche  Erinneningen  an  ältere  Zeiten  finden  wir  im  Baterlande  nur 
wenige:  wir  finden  sie  nicht  durch  Kunstwerke  präsentiert,  und  auch  die  Urkunden 
bieten  uns  fast  nichts.  So  kommt  es,  dai's  wir  über  die  Vorzeit  jenes  Landes 
nur  wenig  sicheres  berichten  kAnnen.* 


Die  FiMherei  itt  Uiterelb«.  In  dem  kflrzlich  bei  Ptoey  in  Berlin  er- 
schienenen Handbuch  der  Fischsncht  und  Fischerei  lesen  wir  unter  obiger 
Überschrift  u.  a.  folgende  Bemerkungen,   Dab  ein  so  gewaltiger  Strom  Ton 

V«— V«,  an  der  Mündung  einer  ganzen  deutschen  Meile  Breite  gar  verschiedene 
Wassertiefen  zeigt,  ist  erklärlich.  Bei  tiefer  Ebbe  tauchen  kahle  Sande  and 
Inseln  und  Schlickflächen  in  trühf^raner  Farbe  auf,  der  Schiffer  mufs  das  Fahr- 
wasser, welches  sich  rechts  und  links  hinüber  und  vor  der  Mündung  zwischen 
meilenweiten  Wattgründon  nnd  Sanden  in  mehreren  Armen  nach  der  Nordsee 
hinzieht,  gar  genau  kcnium,  will  er  nicht  festlaufen.  Wenn  die  einströmende 
Flut  alle  diese  Flächen  wieder  bedeckt,  dann  ragen  nur  die  Spitzen  von  Kohr- 
wftldern,  welche  an  geschfttsten  Stellen  und  in  Buchten  ftppig  wuchern,  oder 
einselne  Grasbfilten  aus  übergelaufenen  Wiesen  Uber  die  hti  immer  trübe  Flut 
hervor.  Nur  bei  lang  anhaltendem  stnfen  Ostwinde,  der  die  eindringende 
Meeresflut  aufhSlt,  kann  das  Wasser  zeitweilig  klar  erscheinen.  Es  mufs  ein 
recht  uahrungsreiches  Wasser  sein,  die  Unterelbe,  denn  sie  enthält  aufserordentlich 
viele  Fische,  gewisse  Arten,  wie  den  richtigen  Flufsmündungsfisch.  den  Stint 
und  den  hier  .Stuhr"  genannten  Kaulbarsch  in  ungeheurer  Mf  ii^e.  Neben  den 
Fischen,  welche  zwischen  Süfs-  und  Salzwasser,  wenigstens  Brackwasser,  wechseln, 
als  Elbbntt,  Lachs,  Stör,  Maitisch,  Aal  und  Neunauge,  neben  Seehunden  und 
Delphinen  kommen  reine  Süfswasscrtischo  aller  Arten  vor,  aus  denen  ich  iicrvor- 
hebe:  Schnäpel,  Brachsen,  Näsling,  Kaap,  (Quappe,  Sandart,  Hecht  QiMl  Barsch 
und  die  genannten  Stint  und  Stiüir.  Auch  der  nichtsnntsige  Stichling  ist  in 
kolossaler  Masse  vorhanden.   Dab  solcher  Beiohtom  nicht  unbenntst  bltibt| 


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dafür  sorgt  ein  hochbedeatender  Fisdicreibetrieb,  imd  es  möchte  kaum  einen 

nnteren  Flnfsluuf  geben,  in  welchem  die  Fisc  horoi  so  intensiv  ausgenutzt  wird, 
wie  die  Untcrolbi«.  Glü -klic  lu  rwciso  ist  «lor  überstarken  Bclischung  ein  nicht 
zu  beseitigciuler  lliegel  vorrjesciiobcii  dadurch,  dafs  dieser  Teil  der  Elbe.  Dank 
der  grofsen  Handelsstadt,  eine  Weltverkehrsstralse  ist.  Das  Fahrwasser  ist  Tag 
und  Nacht  belebt  von  Danipferu  und  Segelschiffen  jeder  Art.  die  in  Bewegung 
sind  oder  Tor  Anker  liegen,  hier  mofs  der  Fischer  wohl  wegbleiben,  und  die 
Baken  und  Betonnungen,  welche  den  Schiffern  die  Strafse  weisen,  beengen  die 
Fischerei  mit  beweglichen  Garnen,  als  Zug-  und  Ttoibnetsen,  ebenüaUs.  So  finden 
wir  denn,  dafo  von  Hamburg  anflbiglich  an  der  holsteinischen  Seite  die  Fischerei 
nur  wenig  betrieben  werden  kann,  während  sio  desto  lebhafter  an  hannoverscher 
Seite  ist,  weil  das  Fahrwasser  mehr  am  nördlichen  Ufer  entlang  geht.  Nachher 
aber  zidit  sich  der  Schiffsverkehr  mehr  nach  dem  hannoverscheu  Ufer  und 
dann  wird  mehr  an  der  holsteinischen  Seite  gefischt.  So  lange  das  Wasser  offen 
ist,  und  das  Treibeis  ir^'end  ein  Fischen  zulärst,  ruht  das  Fischen  niemals,  und 
hat  sich  nur  die  Betriebsweise  nach  der  Jahreszeil  und  nach  den  Fischen  zu 
ändern.  —  Bekanntlich  befischen  von  der  Elbe,  aus  Finkenwärder  und  Blankenese, 
eine  groCse  Anzahl  Hochseefischer  mit  ihren  Ewern  die  Nordsee  mit  Kurre  und 
Langleine,  und  liegen  nur  im  Winter,  wenn  das  Wetter  aUnranh  wird,  etwa 
von  Ende  Oktober  oder  Tom  November  an  bis  Ifitte  Mftrz,  in  der  Elbe  im 
Winterlager.  Aber  die  meisten  davon  suchen  anch  die  Winterzeit  aussonntzen, 
und  bofiscbcn  die  Eibe,  wo  die  Wogen  sich  nicht  so  gewaltig  türmen  wie  da 
draufsen,  mit  der  Kiirro  auf  Elbbutten  und  Stuhre  (Kaulbarsche)  und  was  sich 
sonst  fangen  lassen  will,  ein  Betrieb,  der  leider  der  Elbfischcrei  grofsen  Schaden 
zufügt   


§  Die  V'erkehrswege  in  Sibirien  scheinen  jetzt  endlich  einer  wesent- 
lichen Verbesserang  entgegenzogehen.  Der  Waren-  und  resp.  Personentranqport 
vom  mittleren  Ural  durch  Sibirien  bis  Irkutsk  und  sum  Baikal-See  nahm  bisher 
folgende  Bichtung.  Von  der  Wolga,  die  hunderte  Yon  Dampfern  befahren,  war 
des  Sommers  Dampferverbindung  auf  ihrem  Nebenflüsse  Kama  bis  nach  Perm. 
Von  hier  aus  ist  schon  seit  längerer  Zeit  eine  Eisenbahn  bis  nach  Jekaterinbuig 
in  Betheb.  Hier  aber  hat  der  Wagen  und  im  Winter  der  Schlitten  die  Weiter- 
beförderung, zunächst  bis  zu  der  am  Flüfschen  Tura  gelegenen  336  km  entfernten 
sibirischen  Ciren/stadt  Tjumcn,  zu  ül)ernolimen.  Im  Sommer  kann  dann  der 
Transport  o.stx^urts  eine  grofse  Strecke,  nämlich  etwa  'iöliO  Werst  (ungeßhr 
ebenso  viele  Kilometer)  zu  NVasser  und  zwar  auf  den  1  lüs.sen  Tura,  Tobol.  Ob 
und  Tom  bis  Tomsk  geschehen.  Yon  hier  jedoch  mufs  za  jeder  Zeit  der  Land- 
weg, auf  dem  Bolschoi  Trakt,  der  grofoen  sibirischen  Heerstrabe,  bis  Irkutsk, 
eine  Strecke  von  etwa  1660  Werst,  eingeschlagen  werden.  Im  Sommer  ist  der 
Bolschoi  Trakt  oft  durch  Staubmassen  oder  Regengfisse  nur  mit  dra  grölsten 
Schwierigkeiten  au  passieren.  Im  Winter  ist  die  ganze  Strecke  von  Tjnmen  bis 
Irkutsk  zu  Schlitten  zurückzulegen,  eine  Transportweise,  die  bei  weitem  der 
besonders  in  den  Übergangszeiten,  Frühjahr  und  Herbst,  an  Beschwerden  reichen 
Wagenreise  vorzuziehen  ist.  Nun  melden  die  Zeitungen,  dafs  die  Eisenbahn 
kürzlich  von  Jekaterinburg  bis  Kamysclilow,  eine  Strecke  von  135  Kilometern, 
eröffnet  worden  ist,  und  dafs  die  Vollendung  der  noch  fehlenden  2i>*>  Kilometer 
bis  Tjumeu  wahrscheinlich  schon  im  nächsten  Sommer  ertul^en  wird.  Damit 
wftre  dann  eine  Schienenwegverbinduug  zwischen  den  zwei  gröfsten  Wassef^ 
straCiMnnetzen  des  europäischen  und  asiatischen  Bulslands,  dem  Wolga-  and 


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dem  Ob  -  Irtisch  -  System,  hergestellt  und  der  Warenverkehr  von  und  nach 
dem  produktcnrcicheu  Westsibirieu  bedeutend  erleichtert.  Es  ist  aber  volle 
Aussicht  auf  eine  noch  eingreifendere  Ycrbcsäcruug  der  Wasserwege  in 
Sibirien  bis  spätestens  zum  Jahre  1888  vorhanden.  Schon  seit  längerer 
Zeit  plante  man  die  Anlage  einea  Kanals  swischen  dem  Ob  und  JeniMej.  Hit 
einem  solchen  Kanal  wire  eine  nnwiterbrocbene  Wasserrerbindang  Tom  Ob 
mittelst  der  Angara  bis  nach  Irkntsk  nnd  sam  Baikal-See  geschaffen.  Die  Unter- 
suchungcn  ergaben,  dafs  ein  Nebenflufs  des  Ob,  der  Ket,  und  ein  Ncbenflnls 
des  Jenissej,  der  Kafs,  mittelst  der  beiderseitigul  Zuflüsse  sich  so  nahe  liegen, 
dafs  nur  ein  Landrücken  von  7'/3  Werst  Länge  zu  durchstechen  und  die  be- 
treffenden Zuflüsse  7M  regulieren  sind,  um  eine  schiffbare  \Vasserverbindung 
zwischen  den  beiden  grufüen  Strömen  zu  schaffen.  Diese  Anlage  wurde  im 
grolscu  Ganzen  schon  im  Jahre  1883  von  der  Regierang  genehmigt,  die  Arbeiten 
selbst  sind  aber  erst  seit  1884  im  Gange.  Inzwischen  haben  auch  die  auf 
Kosten  des  Herrn  Sibiriakoff  durch  den  iQgenienr  Roneberg  Torgenommenen 
UntersnchoQgen  der  AagaiafiUe  *)  «fgebeui  dab  eine  Begnliemng  des  Stromes  an 
diesen  Stellen  behnfr  der  Schiffbarmachnng  keine  Sehvieri^Letten  machen  wird. 
Man  hat  schon  berechnet,  dafs  die  Transportkosten  auf  dem  neuen  Wasserwegs 
sich  um  die  Hälfte  der  jetzigen  Transportkosten  (zur  Zeit,  wo  sie  am  niedrigsten, 
nämlich  im  Winter)  erraufsigen  werden.  Dabei  ist  eine  Schiffahrtsabgabe  mit- 
gerechnet, welche  das  Anlagokapital  des  Kauala  und  der  Regulierungen,  10  Mil- 
lionen Rubel,  verzinsen  und  abtragen  soll.  Somit  steht  Sibirien  eine  bedeutende 
Verkehrsverbesserung  bevor,  die  ihre  Wirkungen  bis  zu  der  Amarprovinz  and 
China  füklbar  machen  wird. 

Geog^phisohe  Utteratur. 
Allgemeines. 

—  Alennder  Supan.  Qrundsikge  der  phTsischen  Erdkunde.  Leipsig, 

Veit  1884.  492  S.  Es  ist  nichts  Zufälliges,  wenn  wir  binnen  korsem  drei 
gröfsere  Yersnche,  eine  Qesamtdarstellang  der  physischen  Erdkands  an  gsbon, 
haben  erscheinen  sehen:  die  zweite  Auflage  der  Peschol-Leipoldtschen  physischen 
Erdkunde,  das  Lehrbuch  der  Geophysik  und  physikalischen  Geographie  von 
Sieg.  Günther  und  die  im  Titel  genannte  Schrift.  Es  spricht  diese  Thatsache 
füx  ein  tief  empfundenes  Bedürfnis  nach  Gestaltung  einer  Disziplin,  die  lange  im 
Kreise  der  Geographen  vernachlässigt,  seit  Jahren  in  den  Vordergrund  des  me- 
thodischen Interesses  getreten  ist  und  von  den  Terschiedensten  Grensdisaplinen 
neue  Keime  empbngsn  hat  War  für  die  Entstehung  des  erst  genannten  Werkes 
ein  rein  sulSUiger  Umstand  die  Ursache,  daCi  man  glaubte,  aus  Vorlesungen  und 
Aufrätaen  Pescheis  ein  System  der  physischen  Erdkunde  zusammenschweifsen 
zu  können,  so  hat  die  gescbichtlich-litterarische  Neigang  Günthers  nns  ein  wohl 
durchdachtes,  ungemein  reichhaltiges  Repertorium  der  physischen  Erdkunde 
geliefert.  Ein  darstellendes  Werk  aus  einem  Gufs  in  edler,  populärer  Form  und 
doch  auf  jeder  Seite  die  Beherrschung  des  Stoffs  und  die  gründliche  Forschung 
bekundend,  entwarf  dagegen  Supan.  Wenn  es  sich  durch  diese  Form  auch  zu- 
gleich an  das  gebildete  Publikum  wuudet,  so  ist  es  doch  zugleich  mit  zu  viel 
pädagogischsm  Takt  abgefafst,  um  nicht  seinen  Leserkreis  Tomehmlich  unter 
deigenigen  so  suchen,  welche  sich  dem  wissenschaftlichen  Studium  der  Erd- 
kunde ergeben  wollen:  den  Studierenden  deutscher  Hochschulen,  den  Lehrern 

*)  Vergleiche  den  Ao&ats  und  die  Karten  des  Herrn  Raneborg  in  Band  VII. 
dieser  Zeitschrift  S.  868  u.  H 

Ocofr.  Blitlw.  BrtmM,  1886.  87 


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der  Geographie.    Und  in  der  That.  nach  näherer  Einsicht  kann  ich  nicht  urahm. 
es  für  eine  ganz  ausgezeichnete  Ergänzung  jener  Lehrmittel  zu  erklären,  welche 
dein  heutigen  Stadium,  in  dem  Studierende  aus  allen  philosophischen  F;lchem 
sich  der  Geographie  sawenden,  Bechnang  tngen.  Es  ist  möglich,  da£s  künftig 
die  geographisehen  Fadildirer  sich  allein  ans  den  NalnnriBsenschalUeni  und 
Mathematikeni  lekrntiercn,  nr  Zeit  bilden  diese  die  Minderheit  und  daher  sind 
streng  wissenschaftliche  Lehrbflcher,  wie  s.  Z.  die  Gfbithersche  Geophysik,  ftr 
die  meisten  zu  hoch.    Das  Supansche  dürften  dieselben  TSllig  in  sich  aufnehmen 
können.   Gehen  wir  auf  den  Inhalt  des  Werkes  ein,  so  maten  die  Selbständig- 
keit der  Abgrenzung  nach  den  vorschiedonpii  Grenzdisziplinen,  auch  wenn  man 
nicht  immer  mit  ihr  einverstanden  sein  kann,  die  kuizcn,  aber  klaren  methodo- 
logischen Bemerkungen  uns  wohlthuend  an.    Es  ist  eine  eigenartige  Gestaltung 
der  gesamten  physischen  Erdkunde  in  Grundzügen,  die  zunächst  die  Geophysik 
im  engern  Sinn  oder  die  auf  den  ganzen  Erdkörper  bezüglichen  Lehreu  aos- 
schlieibt  nnd  nur  einige  thatsichliche  Hauptpunkte  in  propidentischer  Fenn 
Toransschickt   Das  erste  Kapitel  ftber  die  Gestaltung  der  Erdoberfläche  be- 
handelt nur  die  grofsen  Zfige  der  Kontinentalmasse  und  delt  auf  die  Danaschen 
Hanptlinien  der  Architektonik  ab,  die  uns  in  beschreibender  Form  TorgeflUirt 
werden.    Dio  vier  folgenden  behandeln  in  musterhafter  Darstellung  die  geo- 
graphische Meteorologie  und  Klimatologie.  Hier  geht  Beschreibung  und  erklärende 
Entwirkelung  Hand  inlinnd,  und  es  vermochte  der  Verfasser  sowohl  eigene  Zu- 
sammenfassungen wie  Einzelgedanken   zu  bieten,  da  er  selbst  auf  diesem  Ge- 
biete grundlegend  gearbeitet  hat.  Die  trefFlichen  Charakterisierungen  der  Wärme-. 
Wind-,  Regen-,  Klimagebiete  werden  durch  sorgfältig  ausgewählte  und  gegliederte, 
ganz  knappe  Tabellen  erläutert  Insbesondere  regen  die  Vennehe,  die  Erdober- 
fläche in  Klimagebiete  au  teilen,  an,  da  dieselben  Aberhaupt  erst  neuesten  Da- 
tums, soweit  es  sich  um  gröfsere  Spezialisierung  handelt  —  Supan  nimmt  deren 
84  an  —  und  erst  allm&hlieh  allgemeine  Annahme  erlangen  werden,  wenn  die 
verschiedenen  Forscher  snm  gleichen  Resultat  gekommen  sein  werden.  Dss 
sechste  Kapitel  führt  uns  in  nuce  den  Inhalt  der  neuen  Wissenschaft  der 
Oceanographie  vor.    Durch  Rchematische  Fi^rnron  wird  elementar  zn  erlÜHterri 
gesucht,  was  sonst  durch  Formeln  entwickelt  wird,  wie  die  tliooretischr  Ebbt 
und  Flut,  die  Wellenbewegung  u.  a.    Die  nächsten  drei  Kapitel  umfassen  das  von 
Geologen  wie  Geographen  umstrittene  Gebiet  der  Morphologie  der  festen  Ober- 
fläche, welches  in  weitem  Umfange  aber  doch  mit  stetigem  Bewufstsein  der  Ge- 
fshr  einer  Abschweifung  vorgefQhrt  wird  und  in  leichter,  anspruchsloser  Form 
den  Leser  über  den  Stand  der  meisten  Streitfragen  orientiert  Was  anKlassiS- 
kationsversuchen  bisher  an  Tsge  gefördert  ist,  findet  sich  hier  snsammen- 
getrsgen, aber  selten  ohne  dafs  in  dem  einen  oder  andernPnnkt  die  Entwirkelung 
weitergeführt  wird.   Es  wirkt  dies  Kapitel  besonders  anregend  durch  die  Fülle 
der  Beispiele  für  die  verschiedenen  Formen,  so  dafs  ein  betriu-htlicher  Teil  der 
geologisch-geographischen  Litteratur  hier  eine  sichtende  Auswahl  gefunden  hat. 
Im  Gigensatz  z.  B.  gegen  die  Darlegung  der  entsprechenden  Partien  in  Hoch- 
stettcrs  Abschnitt  in  der  bekaniitoa  , Allgemeinen  Erdkunde",  für  den,  als  Geo- 
logen, dies  oder  jenes  Beiüpiei  genügt,  tritt  hier  das  Bestreben  des  Geographen 
hervor,  möglichst  alle  gleichartigen  Erscheinungen  der  Erdoberflftche  su  berück- 
sichtigen.  Wir  machen  in  dieser  Hinsicht  auf  den  Abschnitt  über  die  Gebiigs 
aufmerksam,  der  auch  durch  &ei  ausgewfthlte  Abbfldungen,  Quefschnitte  n.  a 
erläutert  ist.   Unter  letzteren  sind  freilich  manche  zu  detailliert  für  den  MaGi- 
stab,  obwohl  die  Wahl  einer  möglichst  geringen  Oberh&hung  der  Profile  sn 


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loben  ist.  Snpan  fafst  als  "Dual ist  dio,  physische  Erdkunde  in  dem  weitem  fSinn 
auf,  wo  ihr  nur  die  Authvopogeographie  gegenübertritt  und  widmet  daher  der 
geographischen  Verbreitung  der  Organismen  noch  einen  ausführlichen  Abschnitt. 
Bekanntlich  hüben  Geographen  von  Fach  dies  Gebiet  bisher  am  wenigsten  mit 
eigenen  Forschungen  oder  zusammenhängenden  Darstellungen  betreten.  Fast 
alles  TeidAiiki  nuui  Botaniktni  und  2SoologeiL  Man  biaiifilit  nur  an  Namen  wie 
QriBebaeb,  Engler,  Schmardau  WaUace  an  erinnern,  oline  der  ftlteren  an  gedenken. 
Um  80  mehr  verdient  ea  herrorgalioben  an  werden,  wie  aehr  Snpan  aneh  dies 
ihm  fimndere  Maiemi  geistig  za  duroharbeiien  und  zu  gestalten  gewnlst  hai, 
ohne  in  naturhisioiisdie  Detailliernng  zu  fallen  oder  durch  Namen  oluae  Klang 
für  den  Geographen,  wenn  ich  diesen  Ausdruck  gebraueben  darf,  zu  ermüden. 
Die  Beziehungen  zwischen  Klima  und  Pflanzenwelt  bieten  die  meisten  geo- 
graphischen Gesichtspunkte  und  treten  daher  auch  bei  Supau  in  den  Vorder- 
grund. Indessen  ist  nach  dem  Vorgänge  Englers  und  Wallaces  überall  auch 
dem  historischen  Faktor  bei  der  Zusammensetzung  von  Floren  und  besonders 
Faunen  Rechnung  getragen,  d.  Ii.  dem  ehemaligen  Zusammenhang  heute  durch 
Ifeeresstiaben  oder  Wüsten  getxemiter  Landmassen  oder  mngekehxt  der  einstigen 
bolienug  heute  ansammenhftogender  Gehiete.  Bei  allen  hier  herangesog^en 
Hypothesen  hilt  Snpan  dorehaua  liadB  nnd  drftckt  sich  selten  in  apodiktischer 
Form  ans,  was  dem  heutigen  Standpunkte  unserer  Kenntnisse  ja  dorchaos  ent- 
spricht. Von  besonderem  Interesse  sind  die  Versuche,  Englers  Florenreiche  und 
Wallaces  Faunenreiche  zu  kombinieren.  Eine  andere  Frage  ist  freilich,  ob  wir 
uns  mit  der  Gattungs-  und  Arienstatistik  von  Pflanzen  und  Tieren  wirklich 
noch  auf  dem  Boden  der  Geographie  beänden.  Kulturpflanzen  und  Haustiere 
werden  in  ihrer  Verbreitung  nur  gestreift,  da  dies  Gegenstand  der  Anthropo- 
geographie  sei.  Ein  aosfahrliches  Register  erleichtert  die  Übersicht  des  Buches, 
dem  Gitate  leider  feUeo.  Allerdinga  hat  das  gebildete  Publikum  an  den  ein- 
gestreuten Automamen  genog,  und  detaillierte  Belege  gehörten  nicht  in  den 
Rahmen  des  Werkes.  Aber  eine  Hittelstiabe,  die  wir  fOr  die  folgenden  Auf- 
lagen empfehlen  möchten,  war  hier  sicher  angebracht.  Die  Studierende  Jugend 
wird  oft  vergeblich  nach  dem  Titel  der  wichtigen,  zu  Rate  gezogenen  Schriften 
suchen.  Der  Umfang  des  Werkes  würde  durch  diese  Hinzufügnng  nicht  um 
einen  halben  Bogen  vermehrt  sein.  Höchst  ttbezsichtlich  and  sauber  sind  die 
20  beigegebenen  Kärtchen. 

Göttingen.  H.  Wagner. 

§  Grundzüge  der  Handels-  und  Verkehrsgeographie  von  Dr.  Emil 
Deckert,  Leipzig  1885.  Frohberg.  Mit  grofsera  Fleifs,  Umsicht  und  ge- 
schickter Auswahl  sind  in  diesem  nur  204  Seiten  eines  kleinen  Formats  zählen- 
den Buche  die  wichtigsten  Thatsachen  des  Wirtschaftslebens  der  Erde  und 
ihrer  Abhängigkeit  Ton  den  Naturbedingungen  ausammengetragen  und  in  geord- 
neter Weise  dargelegt  Zunächst  werden  die  Oseane  in  einigen  besonders  in 
Betracht  kommenden  physikalischen  Verhältnissen,  ferner  als  Froduktions- 
gebiete  und  Weltverkehrsstrafscn,  sodann  die  grofsen  Festländer  oder  Kon- 
tinente in  ihrer  Ausdehnung  und  Gestaltung,  klimatischen  Verhältnissen,  Be- 
wässerung u.  a.;  darauf  die  Völker,  die  Produktions-,  die  Handels-  und  Verkehrs- 
verhältnisse der  Erde  im  ganzen  abgehandelt.  Diesem  allgemeinen  Teil  folgt 
die  Betrachtung  der  bezüglichen  Verhältnisse  der  fünf  Weltteile,  wobei  Europa, 
Asien  und  Australien  nach  Staaten  resp.  Kolonialreichen,  Afrika  und  Amerika 
nach,  wie  der  Yerfiuser  sich  ansdrHekt,  Wirlsehaltaigebieten  betrachtet  werden. 
0egon  einseines  lieben  sich  Einwendungen  erheben,  im  allgemeinen  mufii  man 

27* 


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—  388  — 


ftagen,  <lafs  Dockers  Arbeit  sich  in  der  heatigen  Zeitströmang  als  ein  viel- 
begelirteii  uüizUciies  Uuudbuch  ervveisün  wird. 

Europa. 

Die  Alpen,  nach  H.  A.  Daniels  Schilderang  neu  bearbeitet  von  Professor 
Dr.  E.  Richter.  Leipzig.  Fuess  Verlag  (R.  Raisland).  1885.  Die  grofse  Aus- 
braitmig  der  AlpenYeraioa  —  alleiii  der  .Deatsche  und  österreichische  Älpen- 
verein'  sShlte  1884  nicht  weniger  als  110  Sekttonen  mit  Cut  14000  Mitfclieden 
«08  «Heil  Stiaden  —  teigt  am  besten,  welche  Bedeatnng  und  welches  Interesse 
die  Alpen  nnd  deren  Bereisang  Ar  die  enropUsehe  Menschheit  gewonnen  haben. 
DensahlreicheaFrenndon  nnserer  schönen  Alpen  bietet  sich  nun  in  der  obigen  vor 
knrsem  erschienenen  kleineu  Monographie  (96  Seiten)  ein  ebenso  lehrreicher  als 
angenehmer  Führer  durch  ihr  weites  Gebiet;  dieselbe  enthält  den  Abschnitt 
^Die  Alpen"  aus  Daniels  grofsnn  und  bcliehtpii  ;zeo;iraphischen  Ilanrlbuche  iu 
einer  Neubearbeitung  von  einem  der  bestt  ii  niid  gründlichsten  Kenner  derselben, 
dem  vorjährigen  Präsidenten  des  deutsi  hcn  und  österreichischen  Alpenvereins. 
Die  Abschnitte  über  Thalbildang,  über  Gletscher,  über  die  Entstehaug  des  Ge- 
birges sind  Tottsttndig  neu,  ebräso  ftst  alle  HOhemahlen,  anch  ist  die  Eintei- 
lung der  Alpen  glüulieh  geSndert  Ungeändert  blieben  hingegen  die  ansffihr- 
liehen  nnd  znm  teil  sehr  anmutigen,  koltnrellen  and  landschaftlichen  SchiMe- 
rungen.  Wir  wünschen  dem  Torliegenden  Bache,  dessen  Fteis  nor  1,60  M.  ist, 
fiele  Leser  and  Leserinnen.  Wo. 

Der  Hars  in  Gescliichts-,  Kaltnr-  and  Landschaftsbildern 
geschildert  von  F.  Günther.  HannoTcr,  Vei!lagTonGarl]Ceyer(GastaY  Prior).  188& 
Ein  tdchtiger  Kenner  unseres  schönen  nnd  nach  vielen  Seiten  interessantes 

Haisgebirges  unternimmt  es  in  dem  vorliegenden  Werke  eine  eingehende  Schilderang 
dieser  mächtigen  Gebirgsinsel,   ihrer  Natur,  ihrer  landschaftlichen  Schönheit, 
sowie  der  Geschichte,  Sitten  und  Gebräuche  der  Bewohner  zu  geben.    Das  Werk 
erscheint  in  7—8  elegant  broschierten  liieferunfien   und  soll  bis  Ende  d.  J. 
vulU'iiilet  sein.     Der  Preis  der  etwa  6  B()<zrii   starken  Lieferung  ln-tragt  1  Ji 
Die  vorliegenden  4  Lieferungen  berechtigen  zu  der  Hoffnung,  dals  uns  im  obigen 
Weike  eine  recht  tfichtige  and  ans  den  besten  Qaellen  geschöpfte  Heimatskonde 
des  Hanes  geboten  wird.  Im  ersten,  allgemeinen  Teil,  der  die  drei  ersten 
Liefeningen  am&bt,  bringt  «Der  Hars*  xanftchst:  Die  alte  Gan-  and  DaOiesaa- 
Einteilnng.   Die  TorgeschichtUchen  Giab-  and  Wohnstitten  and  Befesti^uigen. 
Die  Besiedelnng  des  Harzes.   Reste  und  Sparen  des  Heidentams.    Die  alten 
Verkehrsstrafsen.    Dann  folgt  eine  Schilderang  der  Harzbewohner  nach  Sprache, 
Charakter,  Sitte  und  Beschäftifjun».    Die  letzten  Abschnitte  behandeln  endhch 
das  Gebirge  selbst,  nämlich  die  innere  Gliedoruug  tlesselben,  den  Ikiu  des  Harzes, 
die  mineralischen  Schätze  und  ihre  Gewinnung.     In    der   vierten  Lieferung 
beginnen    die    Einzelbilder,    in   welchen  Städte,    Burgen   und  Klöster,  Land 
and  Leute  geschildert  werden.   Aus  dem  Inhalt  der  ersten  dieser  Hefte  nennen 
wir:  nfield,  Walkenried,  Lanterberg,  Schanfeld,  Pöhlde,  Henberg,  Catlenboig, 
Osterode.  Soviel  für  jetst,  nach  VoUendaQg  des  Werkes  hoffiui  wir,  nochmals 
and  aasffthrlicher  darauf  surflcksukommen.  Wo. 

—  Das  deutsche  Reich  in  seiner  Entwickelang  and  Gestaliang.  Ein 
geographisches  Handbuch  Ton  F.  Joh.  If  1kl  1er.  Jisngensalsa,  Scholbnchhandlung 
1884.  8^40  Ji  Der  YeifiMser  behandett  die  physikalische  Geographie»  die  ststi- 
stiBchen,  nationalOkonomischen  und  politischen  Zustände  des  deatMhen  Eeiehes 


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—  889  — 


in  übersichtlicher  Weise  and  kurzer,  abgerissener  Darstcllang.  Seine  Zasaiumen- 
stollnng  eotliUt  viel  Material  «od  sengt  Ton  ventSadigem  Urteil.  Zu  tadeln  ist 
der  Umstand,  dab  er  sicli  der  alten  Mafoe  bedient  Manches  ist  auch  veraltet, 
anderes  fiilsdi,  wieder  anderes,  was  er  seinem  Plane  gemSb  hAtte  behandeln 
mOssen.  fehlt,  z.  B.  vermifst  man  eine  präzise  ErUfirang  der  deutschen  Reichsver- 
fassnng  in  ihrem  Yerh&ltniBBeza  den  Verfiuwnngen  der  BandesstaatMD.  A.  Oppel. 

Asien. 

—  Afghanistan  u  nd  seine  Nachbarländer.  Nach  den  nenestan 
Quellen  geschildert  von  Dr.  Hermann  Roskoschny.  Leipaig,  Gressner  4 
Schramm.  Von  diesem  Werke  liegt  jetzt  der  erste  Brind  vor.  Derselbe  nm- 
fafst  vior  Abschnitte;  der  erste  derselben,  S.  1 — 92,  gicbt  eine  sehr  eingehende 
Schilderung  des  allmählichen  Vordringens  Hufslands  gegen  Indien ;  der  zweite 
Abschnitt  behandelt  das  afghanische  Turkestan.  d.  h.  die  nördlichen  und  nord- 
östlichen Provinzen  Afghanistaus,  Alaimene,  liukh,  Kundus,  iiadachschan  u.  a., 
welehe  sa  dem  Beiche  des  Emirs  in  mehr  oder  minder  losem  Terhiltnis  stehen, 
daran  reiht  sich  im  dritten  Abschnitt  die  Sehüderang  des  eigentlichen 
Afghanistan  nach  Land  nnd  Leuten;  der  letste  Abschnitt  beschreibt  das  nörd- 
liche Nachbargebiet,  das  interessante  Kafiristan,  welches  noch  Tor  kurzem  sn 
den  nnbekanntesten  Ländern  Hochasiens  gehörte.  Zaldreiche  vortreffliche  Hlustra- 
tionen  nnd  einige  kleinere  Karten  dienen  aar  £rl&atemng  des  Textes  nnd  ei^ 
höhen  den  Wert  des  Baches.  W. 

—  Russisch-Zentral-A  sien  nebst  Kuldscha,  Buchara,  Chiwa  und 
Menv.  Von  Henry  Lansdell.  Deutsche  Ausgabe  von  H.  von  Wobeser.  Mit 
vielen  lUnstintionen  im  Text,  vier  doppelseitigen  Tonbildern  und  Karte.  3  Bünde. 
Leipzig  1885.  Ferdinand  Hirt  »ii  Sohn.  20  Mark.  Der  Verfasser  hat  sich  zuerst 
durch  ein  Buch  über  seine  Reise  durcli  Sihiiien,  welche  er  1879  zu  religiösem 
und  philunthrüpischeni  Zwecke  unternommen,  um  nämlich  mit  Unterstützung 
eugUächer  Gesellschaften  Bibeln  und  religiöse  ßrochüren  in  den  Gefängnissen  zu 
verteilen,  in  weiteren  Kreisen  vorteilhaft  bekannt  gemacht  Zn  gleichem  Zwecke 
hat  Henry  Lansdell  dann  im  Jahre  1882  anch  die  ttbrigen  Teile  Rnssisch-Asiens 
besucht  nnd  dieser  Beise  verdanken  wir  die  vorliegende  interessante  nnd  an- 
siehend  geschriebene  Reiseschilderung.  Für  die  Länder-  nnd  Völkerkunde  des 
russischen  Zentralasiens  liefert  der  tüchtig  gebildete  und  gut  beobachtende  Ver- 
fasser durch  sein  Werk  manchen  schätzenswerten  Beitrag.  Auch  an  instruk- 
tiven stati.stischen  Daten  ist  das  Werk  reich.  Zahlreiche  Illustrationen,  nament- 
lich Völkertypen,  und  eine  Karte  von  iiussisch-Asien  vom  Kaspi-See  bis  l^aldscha» 
im  Malsstabe  I:6ö00ü0ü  erhöhen  den  Wert  des  Buches.  W. 

—  China  und  die  Chinesen  von  Tscheng  Ki  Tong.  Einzige  autori- 
sierte Übersetzung  von  Adolph  Schulze.  Leipzig,  C.  Reifsner.  1885.  Das  ge- 
nannte Weikchen  besteht  aus  einer  Anzahl  von  Aufsätzen,  welche  der  Oberst 
und  Militärattache  bei  der  Kai.serlii  h  chinesischen  (iosandtschaft  in  Paris.  Ibclieng 
Ki  Tong,  vor  einiger  Zeit  in  der  ,Uevue  des  deux  mondes''  verofleutlicht  und 
der  sprachgettbte  Berliner  Schntsmann  Adolph  Schnlse  nicht  Übel  im  Deatsche 
Ubertrag^n  hat,  gewifs  eine  seltene  Vereinigung  von  Antor  nnd  Obersetser!  Ohne 
Zweifel  ist  es  interessant,  von  einem  gebildetm  nnd  dnrch  sehnjlhrigen  Aufent- 
halt in  Europa  auch  mit  der  europftischen  Kultur  bekannt  gewordenen  Chinesen 
über  gewisse  Zustande  seiner  Heimat,  die,  wie  er  glaubt,  von  europäischen 
SchriftoteUexn  l&ckenhaft  beobachtet  oder  schief  dargestellt  worden  sind,  unter- 


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—  390 


ricMet  sa  weidMi,  samal  der  YeiCuner  eim  gmoidte,  nieht  Mlteii  lesMindt 

Schreibweise  entfaltet  und  durch  die  Analogien,  welche  er  dem  earopäischen 
Leben  entnimmt,  manche  Verhältnisse  seiner  Heimat  anschaulicher  zu  beschreiben 
voiTnafT.  als  os  ilnn  ohne  dieses  mofrlu  li  gewesen  wäre  Die  Gegenstände,  welche 
er  bald  kürzer,  bald  ausführlicher  bespricht,  sind  die  Faimlie,  die  Religion  luid 
Philosophie,  die  Ehe  und  Ehescheidung,  die  Frau,  div  Schriftsprache,  die  Ge- 
lehrten, die  vorgeschichtliche  Zeit,  die  Sprüchwörter  uiul  Sentenzen,  die  Er- 
ziehung, der  Ahnenkultus,  die  arbeitenden  Klassen,  die  Poesie  u.  a.  m.  Dem 
FeUwy  den  er  europiiacben  DaisteUem  cbinesieelier  YerbiltniMe  som  Vonnirf 
macht,  ist  Herr  Tscheng  Ki  Tong  übrigens  auch  nicht  entgangen;  denn  da,  w» 
er  sich  Aber  enropibche  ZnstSade  inJiwrt,  verfifilt  er  ebenfSdls  snweilen  in 
folscbe  oder  schiefe  Anfbssnngen,  und  wenn  er  sich  auch  zehn  Jahre  in  unserem 
Erdteile  aufgehalten  hat,  so  hat  er  doch  nur  die  grofsstädtische  Gesellschaft 
kennen  gelernt,  deren  allgemeine  Zustände  sich  von  denen  der  grofsen  Volks!- 
massen  eben  sehr  unterscheiden.  Dafs  man  unterlassen  hat,  dem  hübsch  aus- 
gestatteten Buche  ein  llegister  der  Kapitelüberschriften  beizugeben,  sei  füglich 
noch  bemerkt.  A.  0  p  p  e  L 

§  Reise  nach  der  Insel  Sachalin  in  den.lahren  1881 — 82  von  J.  S.  Pol- 
jakow.  Aus  dem  Russischen  übersetzt  von  Dr.  Arzruni,  Professor  an  der 
Königl.  technischen  Hochschale  in  Aachen.  Berlin,  A.  Asher  A  Co.  1884.  Wohl 
mit  Recht  beaeichnet  der  (Ibersetser  die  von  ihm  fkbertragenen  Briefe  des  be- 
kannten Sibirienreisenden  an  die  rassische  geographische  Gesellschaft  ftber 
seine  Forschungen  aof  der  Insel  Sachalin  als  das  voUst&ndigste,  was  in  neuerer 
Zeit  über  diese  Insel  geschrieben  wurde  und  die  Übersetzung  war  daher  gewifs  be- 
rechtigt. Der  Verfasser  bereiste  die  Insel  während  14  Monaten  in  den  Jahren 
1881  und  1882  sowohl  an  ihren  Küsten  nls  im  Innern  sanaturwissonschaftlichen 
und  ethnologischen  Studien  und  Sammlungen,  wie  zur  Beurteilung  der  Koloni- 
sationsfähigkeit. In  erster  Bezichmi'^  teilt  er  mit,  dafs  er  enorme  Sammlungen 
aus  allen  Gebieten  der  x^Jaturwihsenschaft  mitgebracht  habe.  Für  besonders 
wichtig  erklärt  er  die  anthropologischen  und  ethnographischen  Objekte,  nament* 
lieh  solche  Ton  den  jetst  aasgestorbenen  wahzaoheittlich  denAinosangehürendea 
Creinwohneni,  die  Termntlich  tot  160—200  Jahren  an  einer  Gegend  saUreieher 
waren,  als  die  gesamte  gegenwartige  BeTÜlkemng  der  Insel  Was  die  wirt- 
schaftliche Entwickelang  der  Insel  betrifft,  so  verspricht  er  sich  am  meisten 
▼om  Kohlenbergbau,  Viehzucht  und  Fischerei,  während  er  für  den  Ackerbau  bei 
den  ungünstigen  klimatischen  und  Bodenverhältnissen  wenig  Erfolg  voraus- 
sieht. —  Bekanntlich  bereiste  Kapitän  Jacobsen  für  das  Berliner  ethnologische 
Komitee  in  der  Zeit  vom  Oktober  1884  bis  Januar  1885  die  Insel  und  stehen 
nun  aucli  von  diesem  Mitteilungen  von  daher  zu  erwarten.  Femer  wurde  berichtet, 
dafs  eine  Karte  von  Sachalin  in  Rufsland  tei  tig^'ostLllt  ^ei. 

§  Un'  Estate  in  Siberia  fra  Osüacchi,  Samoiedi,  Sirieui,  latari,  KirgluM 
e  Baskiri.  Hit  144  Hlastrationen  and  drei  Karten.  T<m  Stephen  Sommier. 
Florenz  1885^  Hermann  Loescher.  Herr  Sonusuer  machte  im  Sommer  and 
Herbst  1880  grojsenteüs  dieselbe  Beise  wie  vier  Jahre  frOher  die  von  nnsenr 
Gesellschaft,  dem  damaligen  Polarvereine,  aai^esandte  West-Süunsdie  Expeditioo. 
Erst  im  Sommer  (Jani),  nicht  wie  jene  schon  im  März,  brach  Herr  Sommier 
auf,  um  über  Moskau,  Nischni-Nowgorod,  Kasan,  Perm,  Jekaterinburg  nach 
Tjunion  zu  reisen.  Von  hier  wandte  er  sich  nach  Tobolsk,  gelangte  mit  DaniptVr 
aut  dorn  Irtisch  nach  Samarova  und  trat  von  hier  die  Lodkafahrt  stromabwärts 
bis  zur  Obmünduug  an,  während  uu&ere  Keisenden  von  Tjumeu  sich  sonächst 


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—  391  — 


südwärts  in  den  Altai  nnd  sodann  erst  auf  die  Strom-  und  Tundrareise  begaben. 
Im  Herbste  rückkehrend  reiste  Herr  Sommier  von  Tobolsk  über  Wcrchne- 
Uralsk  durch  die  Steppe  nach  Orenburg,  von  wo  ihn  der  Bahnzug  wiedenim 
zur  Wolga  (Samara)  und  weiter  nach  Moskau  und  Petersburg  brachte.  Von 
Obdorsk  befuhr  Herr  S.  mit  Lodka  das  Ästuar  des  Ob  bis  zu  den  Inseln  bei 
Jam-Sale;  die  beigegebene  Karte  (Mafsstab  1  :  560,(K)())  ist  im  wesentlichen  dfr 
von  Uaga  1881  in  der  dänischen  geographischen  Zeitschrift  veröffentlichten  Karte 
entnommen,  bei  welcher  wiederum  die  in  Finschs  Werk  veröffentlichte  Karte 
des  Grafen  Waldburg-Zeil  benutzt  wurde;  für  den  südlichen  Teil  wurde  noch 
die  von  Moissejef  1881  herausgegebene  Karte  mit  verwertet.  Der  Hauptzweck  der 
Reise  war  das  Studium  der  Flora  und  der  Völkerstämme.  Um  seine  botanischen 
Sammlungen  zu  bereichern,  unternahm  Herr  S.  von  Obdorsk  oder  vielmehr  von 
dem  gegenüber  liegenden  linken  Ufer  des  Ob  eine  Wanderung  über  die  Tundra 
zum  Uralgebirge,  allein  Regen  und  sumptiges  Terrain  nötigten  nach  einigen 
Tagen  zur  Umkehr  nach  Obdorsk.  Für  die  gute  wahrheitsgetreue  Darstellung 
haben  wir  das  uns  auf  Befragen  brieflich  ausgesprochene  Zeugnis  eines  Mitgliedes 
der  deutschen  Expedition  von  1876,  des  Herrn  Grafen  Waldburg-Zeil.  Eine 
nähere  Einsicht  in  das  über  600  Seiten  starke  tjT)ographisch  sehr  elegant  aus- 
gestattete Werk  hat  uns  überzeugt,  dafs  Herr  S.  mit  grofsem  Fleil's  die  bezüg- 
lichen älteren  und  neueren  Werke  studiert  und  benutzt  hat.  Mit  Hlustrationen 
ist  das  Buch  aufserordentlich  reich  versehen,  Herr  S.  hat  dazu  auch  Photo- 
graphien, die  ihm  von  verschiedenen  Reisenden  zu  dem  Zweck  zur  Verfügung 
gestellt  wurden,  und  ferner  Abbildungen  aus  vorhandenen  Werken  benutzt.  Ein 
alphabetischer  Index  und  eine  Liste  der  einschlägigen  Litteratur  fehlen  ni(  ht. 
So  wird  denn  das  Werk  in  Italien  sicher  zur  besseren  Kenntnis  eines  grofsen 
Teils  von  Sibirien  und  seiner  Bevölkerung  dienen.  —  Die  Ergebnisse  der 
botanischen  und  ethnologischen  Studieji  des  Herrn  S.  erscheinen  besonders. 

Afrika. 

—  Der  Kongo  und  die  Gründung  des  Kongostaates.  Arbeit  und 
Forschung.  Von  Henry  M.  Stanley.  Aus  dem  Englischen  von  IL  von  Wo- 
beser.  Autorisierte  deutsche  Ausgabe.  Mit  über  100  Abbildungen,  zwei  giofsen 
und  mehreren  kleinen  Karten.  In  zwei  Bänden.  Leipzig,  F.  A.  Brockhaus.  1885. 
3Q  M  ungebunden.  Ein  Werk,  welches  den  berühmtesten  und  erfolgreichsten 
Entdeckungsreisenden  dieses  Jahrhunderts  zum  Verfasser,  die  Beschreibung  des 
80  lange  verhüllt  gebliebenen  wasserreichsten  Flusses  Afrikas  und  die  zusammen- 
hängende Geschichte  eines  der  merkwürdigsten  Staatengebilde  aller  Zeiten  zum 
Gegenstande  hat,  durfte  der  spannenden  Erwartung  der  weitesten  Kreise  gewifs 
sein.  Denn  nicht  nur  die  Geographen  und  Kolonialpolitiker  aller  Schattierungen, 
die  Kaufleute  und  Kultivatoren  in  spe  richteten  ihre  Aufmerksamkeit  auf  den 
Kongo,  sondern  auch  das  grofse  gebildete  Publikum,  das  die  Vorgänge  in  Afrika 
teils  aus  Neugierde  und  Erregungsbedürfnis,  teils  aus  wirklicher,  sachlicher  und 
persönlicher  Teilnahrae  verfolgt  und  das  teils  entweder  durch  die  Zeitungen 
oder  durch  die  Ereignisse  selbst  auf  das  Erscheinen  des  Werkes  vorbereitet 
war,  sah  ihm  mit  Ungeduld  entgegen.  Jetzt  nachdem  Stanleys  litterarische 
Arbeit  dem  deutschen  Publikum  seit  mehreren  Monaten  vorgelegen  hat  —  die 
französische  Ausgabe  soll  merkwürdigerweise  erst  in  diesen  Tagen  fertig  werden  — 
und  nachdem  Urteile  von  den  verschiedensten  Seiten  und  Standpunkten  aus 
abgegeben  worden  sind,  kann  man  wohl  den  allgemeinen  Eindruck  dahin 
zusammenfassen,  dafs  die  a  priori  an  das  Werk  gestellten  Erwartungen  nicht 


—  892  — 


in  ToUem  ÜmCMige  befriedigt  worden  und.  Abgesehen  tob  soldiai  Stimmen, 
welche  sich  in  diiekten  Oegensats  sa  Stanleys  Person  vnd  Thitigkeit  stetttea, 
sind  aach  von  wohlwollenden  und  unvoreingenommenen  Beurteilem  Terschaednie 
Aossiellungen  an  den  beiden  Bänden  gemacht  worden,  die  meines  Emehtott 
ihre  volle  Begründung  haben.    Dafs  nichtsdestoweniger  das  neueste  Rongowerk 
Stanleys  ein  hochbedentendes  ist  und  in  vielen  Teilen  für  die  Geogi-nphie  und 
Kolonisationsgeschichte  Zentralafrikas  einen  bleibenden  Wert  besitzt,  das  ver- 
dient andererseits  mit  unbedingter  Entschiedenheit  hervorgehoben  zu  werden. 
"Wie  der  Titel  besagt,  verfolgt  H.  Stanley  in  seinem  Werke  einen  doppelten 
Zweck.  Er  will  den  Kongo  nnd  die  OrQndnng  des  Kongoetaates  beschrmben 
nndseigen,  wie  bei  seiner  leisten  IhftüglEeit  in  Afrika,  Arbeit  nndForsehung 
sich  die  Hand  reichten.  Demgemftfii  bestand  seine  Anfgabe  sonichst  darin,  die 
thstsächlichen  Vorg^ge  der  fttnf  Jahre  1879—84  darsostellen.  Und  in  Wirk- 
lichkeit hat  Stanley  diesem  Gesichtspunkte  in  aosftthrlichster  Weise  Rechnung 
getragen.   Alle  die  Arbeiten,  welche  zamal  unter  seiner  persönlichen  Leitang 
ausgeführt  worden  sind  mit  dem  Zwecke,  eine  Kette  fester  Stationen,  einerseits 
von  der  Mündnng  des  Kongo  bis  an  die  sogenannten  Stanky-FiUU .  andererseits  in 
dem  nördlich  vom  unteren  Flusse  gelegenen  Gebiete,  zu  errichten,  sind  auf  das 
eingehendste  beschrieben  und  der  Schwierigkeiten,  welche  dem  Fortschritte  dieser 
Arbeit  entweder  durch  das  Terrain  oder  das  Klima  oder  die  Eingeborenen  oder 
die  Mangelhaftigkeit  der  Arbeitsmittel  nnd  -krSIte  bereitet  wurden,  ist  in  der 
amfio^^hsten  Weise  gedacht  wordra,  ja  man  kann  behaupten,  dab  der 
Yer&sser  mit  den  darauf  becfi^^ichen  Hitteilnngep  mehr  Baum  geftOt  hat,  als 
eine  in  allen  Teilen  befriedigende  Darstellung  strenggenommen  gefordert  hätte. 
Weitschweifigkeit  und  Umständlichkeit  sind  Fehler,  welche  dem  Kongowerke 
unbedingt  zum  Vorwurfe  gemacht  werden  müfsen;  und  diese  haben  ihren  Grund 
nicht  nur  in  dem  Umstände,  dafs  der  Verfasser  bei  manchen  Vorkommnissen 
länger  als  nötig  vorweilt,  sondern  auch  in  der  von  Stanley  schon  in  seinen 
früheren  Keisebesclireibungen  an^t  wendeten  Methode,  bei  gewissen  Gelegenheiten 
einerseits  seine  Tagebuchnot  izeu  über  Dekaden  von  Seiten  emzuschulteu,  anderer- 
seits die  Unterhandlungen,  welche  mit  den  eingeborenen  Fürsten  behüte  Ab- 
soUielhung  Ton  Friedens-  und  Freundsohaftsvertrigen  oder  Landabtretuug  ge- 
pflogen wurden,  in  Form  von  Dialogen  wied«»ugeben.   Wiederholungen  und 
eine  gewisse  Storeotypität  mufoten  die  Folgen  solcher  DaisteHungsmanier  sein. 
Fernerhin  ist  nicht  zu  verkennen,  dafs  Stanley  seine  Persönlichkeit  sehr  stark 
in  den  Vordergrund  rückt  und  seine  eigene  Arbeitsleistung  mit  hellstem  Lichte 
beleuchtet.    Seine  Mitarbeiter,  znnial  die  europäischen,  kommen  schlechter  weg; 
er  gedenkt  zwar  mancher  von  ihnen  mit  Lob  und  Aaszeichnung;  die  Mehraahl 
aber  tadelt  er  teils  wegen  ihres  ungeschickten  Verhaltens  dem  Klima  gegenüber, 
teils  wegen  ihrer  mangelhaften  Leistungen;  ja,  in  manchen  Fällen  erwähnt  er 
ihrer  mit  herben  W^orten  und  bitterem  Sarkasmos.   Diese  Stellen  machen  nicht 
nur  einen  unerfreulichen  Eindruck  auf  den  unbeteiligten  Leser,  sondern  sie 
legen  auch  Zeugnis  ab  von  einer  nerrOsen  Überreistheit  des  YerfiMsers,  die  ra 
unterdrfleken  Stanley  in  seinem  eigenen  Interesse  wohlgethan  hätte.  Denn  weno 
auch  das  Verhalten  einzelner  Europäer  ein  wenig  angemessenes  gewesen  sein 
mag,  so  unterliegt  es  doch  andererseits  keinem  Zweifel,  dafs  er  ohne  ihre  Hülfe 
nicht  das  erreicht  hätte,  was  er  geleistet  hat,  und  es  will  scheinen,  als  ob  die 
Zahl  der  pflichttreuen  Mitarbeiter  die  der  pflichtvergessenen  überwogen  habe. 
Die  Arbeit  am  Kongo,  besonders  die  Thätigkeit  Stanleys,   nimmt  also  den 
breitesten  Kaum  in  dem  Werke  ein;   eine  bescheidenere  HoUe  spielt  die 


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—  393  — 


Forschung.  Dafür  ist  zunächst  zu  erwähnen,  dafs  eine  giofse  Anzahl  exakter 
Höhen-  und  Breitenmessnngen  gemacht  worden  sind,  aber  nicht  mitgeteilt 
werden;  besonders  konnte  dadurch  der  Verlauf  des  Kongo  selbst  von  den  Stanley- 
FftOen  bis  Uk  die  Mftndnng  um  ein  erhebliches  konrekter  dargestellt  werden,  und 
wer  die  neae  Kongokarte,  welche  diesem  Werke  beiliegt,  mit  dem  ersten  Ent- 
würfe in  «Throngh  the  dark  continent"  vergleicht,  dem  werden  anf  den  ersten 
Bück  die  seitdem  gewomienen  Fortschritte  and  Verbesserangen  klar  werden. 
Von  den  Forschungen,  welche  nördlich  vom  unteren  Kongo  im  Niadi-Kniln- 
Gebiete  gemacht  werden,  ist  dagegen  kanm  die  Rede;  dieselben  kommen  ja 
auch  nur  zum  Teil  auf  Rechnung  der  ehemaligen  Kongogesellschaft  und  ihrer 
Agenten.  Ausführlicher  wird  dupe<:en  der  KxknrsiDnen  gedacht,  welche  von 
Stanley  in  einigen  der  NebeiiHüsse  des  Kongo  y^  uiadit  \viu(l»  ]i  uiul  welche 
auLer  anderem  zur  Entdeckung  zweier  Seen,  des  König  L('üi»uld  U.  iSees  und 
des  Msntsrnba-Sees  führten.  Im  allgemeinen  aber  mxxk  gesagt  werden,  dafs 
dnreh  den  f&nfjaluigcn  Anfenthalt  Stanleys  am  Kongo  wenig  wirklieh  neues 
Haterial  der  geogtaphischen  Wissenschaft  sagefahrt  worden  ist;  doch  soll  mit 
diesem  ürteU  keine  persönliche  Bem&ngelang  verbunden  sein.  Eingehender  als 
mit  der  Forschung  beschäftigt  sich  Stanley  mit  den  klimatischen  Wirkungen 
und  der  Kolonisationsfahigkeit  des  Kongogebictcs.  Die  Mitteilungen  and  Er- 
fahrungen, welche  über  den  ersten  Gegenstand  in  den  beiden  Banden  enthtilten 
sind,  verdienen  jedenfalls  die  grölste  Beachtung,  und  wenn  aucli  die  bei  dieser 
Gelegenheit  aufgestellte  Fiebertheorie  von  den  Medizinern  nicht  als  richtig  be- 
funden werden  sollte,  so  sind  doch  die  Winke  und  Ratschläge  über  das  Ver- 
halten dem  Klima  gegentiber  ohne  Frage  höchst  schätzenswert.  Was  die 
KolonisationsfiUiigkeit  des  Kongogebietes  im  weitesten  Sinne  anbelangt,  so  ist 
Stanlej  Optimist;  er  g^abt,  dab  das  Binnenbecken  des  Kongo  mindestens  einer 
ihnlichen  wirtsdialtlichen  Entwickelong  fShig  sei,  wie  das  Hississippibecken* 
Ob  er  mit  dieser  Ansicht  Recht  hat,  das  wird  die  Zukunft  lehren.  Dafs  er  sich 
in  manchen  seiner  Angaben  geirrt  hat,  in  anderen  vielleicht  Wunsch  und 
Wirklichkeit  verwechselt  liat,  das  unterliegt  wolil  keinem  Zweifel.  Dafs  aber 
Stanley  absichtliche  Unwahrheiten  in  sein  Buch  aufgenommen  haben  soll,  wie 
neuerdings  von  gewisser  Seite  behauptet  wird,  davon  hat  sich  der  Unterzeichnete 
nicht  überzeugen  können.  A.  Oppcl. 

—  Ch.  leBrun-Renaud,  les  possessions  franyaises  de  rAfi  utue 
occidentale.  Ouvrage  accompagne  de  deux  cartes.  Paris,  libraine  militaire 
de  L.  Baudoin  et  Cie.  Paris,  1886.  Dieses  Bach  kann  in  erster  Linie  allen 
denen,  welche  sich  über  die  geschichtlichen,  natfirlichen,  ethnographischen  und 
knltaThistorischen  Yerhältnisse  der  firanzösischen  Besitsangen  an  der  Westküste 
Afrikas  onterrichten  wollen,  als  ein  übersichtlicher,  znverlSssiger  nnd  nicht  za 
umftnglicher  Leitfaden  empfohlen  werden;  aber  anch  den  fuchmäfsigen  Geographen 
wird  es  in  manchen  Benehongen  gate  Dienste  leisten,  deshalb  weil  der  Ver- 
fasser in  der  Lage  war,  aus  offiziellen,  ihm  zugänglichen  Quellen  manche  bisher 
unbekannte  Thatsache  zu  entnehmen.  Ober  den  Rahmen  seiner  eigentlichen 
Aufgabe  geht  der  Verfasser  insofern  hinaus,  als  er  einerseits  die  Entstehungs- 
geschichte des  Kongostaates  mit  in  den  Bereich  seiner  Darstellung  zieht, 
andererseits  in  dem  letzten  Kapitel  seines  Buches  eine  Übersicht  sowie  eine 
Art  Benrteiliii^  der  deatscbeii  kolonia^Utkchen  Untemehmongen  gieH  Man 
mofa  anerkennen,  dab  Herr  Gh.  le  Bran-Benaad  sich  verstftndig,  and  wenn  auch 
nidht  fshlmfirei,  so  doch  ohne  Chanvinismns  über  diese  Angelegenheit  änHiert 
und  sieh  jedeniMls  eine  viel  sntreffendere  and  objektivere  Ansicht  über  den 


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—  394  — 


Zweck  nod  den  Wert  der  deatschea  Kolonintion  gebüdet  hat,  als  bo  mandier 
unserer  Mitbürger.  Ob  er  freilich  mit  dem  Sohlnlssstse  seines  Baches  das 
Rechte  trüR»  das  wollen  wir  dahin^sestellt  sein  lassen.  Dieser  Isntet  n&mlich: 
L'ex6cution  dn  Programme  de  politiqae  coloniale,  inaugnrSe  par  le  grand 
ohanceÜeri  mena^  de  pbrter  un  coap  fatal  ä.  rinflaence  des  paissances  coloniales 
snr  lenre  possef^sions  cxterieares,  en  nunant  leor  commerce,  et  apparalt  gros 
de  conflits  pour  Tavenir.  A.  OppeL 

—  Afrika  Der  dunkle  Erdteil  im  Lichte  unserer  Zeit.  Von  A.  v. 
Schwei ger-Lerchenf cid.  Mit  300  Illustrationon  in  Holzschnitt  und  18 
kolor.  Karten.  Wion,  A.  Hartlebens  Vorlag.  Afrika  steht  dermalen  im  Vorder- 
grunde der  geographischen  Inttiessen.  Weiten  Kreisen  wird  deshulH  eine 
Schilderung  dos  bislang  dunklen  Erdteils  aus  der  Feder  von  Sthwciger- 
Lerchenfeld,  des  beliebten  geographischen  Modeschriftstellers,  gewifs  willkomiiien 
sein.  Nach  einem  einleitenden  Abschnitte  über  die  Entdecknngsgcschichte 
Afrikas  schildert  der  Verfasser  sonftchst  die  als  physikalische  Ganze  sieh  dar* 
stellendett  Banptabschnitte  des  Erdteils,  Südafrika,  Zentralafrika,  Sndao, 
Sahara,  Nordafrika  nnd  die  Inseln.  Die  Schlnfsabteilnng  des  Werkes,  das  in 
30  Lieferungen  a  GO  Pfg.  erscheint,  soll  dann  in  einem  Abrifs  von  Gesamt- 
afrika das  Klima,  die  Naturprodukte,  die  Knlturvcrhältnisse.  Krieg,  Jagd, 
staatliche  Verhältnisse,  Pioligionen.  Sitten  und  CJebräuche.  Waffen,  Geräte  u  a. 
behandeln.  Ein  Han]^tschmuck  de.s  Werkes  sind  die  zahlreichen  Illnstr;itioiu  n. 
auch  die  Kartenbeilagen  verdienen  hervorgehoben  zu  werden.  Iho  Ausstaltung 
des  Buches  ist  trefflich  und  wir  können  das  Bach  zur  Einführung  in  die 
Geographie  Afrikas  empfehlen.  W. 

—  Forschungsreisen  in  der  deutschen  Kolonie  Kamerun 
von  Hugo  Zoll  er.  Zweitor.  mit  3  Karten  und  IG  lllustiationen  aosgestatieter 
Band.    Berlin  und  Stuttgart,  W.  Spemanu,  188Ö.   Jk  5. 

Die  Metamorphose,  wodurch  aus  einem  Zeitungsreporter  ein  geogray^hischer 
Schriftsteller,  beziehungsweise  ein  Forschungsreisender  hervorgeht,  ist  bekanntlich 
nicht  neu  und  H.  Stanley  darf  als  der  berühmteste  und  glänzendste  Vortreter 
dieses  Typus  bezcitduiet  werden.  Unter  uns  Deutschen  hat  unseres  W^issens  diese 
Verwandlung  zum  ersten  Male  Herr  Hugo  Zöller  und  zwar  in  der  glücklichsten 
Weise  durchgemacht.  Zeugnis  davon  1^  eine  Beihe  Ton  Bftchem  ab,  welche 
smneist  Torher  als  Artikel  in  der  Kfilnisehen  Zeitung  erschienen,  sich  sämtlich 
dorch  frische  Daxstellnn^  gesundes,  mabrolles  Urteil  nnd  warmen,  Ton  aUen 
Extremen  freien  Patriotismns  vorteilhaft  auszeichnen.  Wie  die  übrigen  Schriften 
des  geschätzten  Verfassers,  ist  auch  der  Torli^ende  Band,  welcher  den  dritten 
Teil  der  Serie:  ,,Die  deutsclien  Besitzungen  an  der  westafrikanischen  Küste* 
ausmacht,  ebenso  angenehm  wie  hdirreich  zu  lesen  und  darf  seitens  des  Beur- 
teilers mit  voller  Überzeugung  den  weitesten  Kreisen  zur  Lektüre  ompfolilen 
werden.  Man  findet  dann  eine  auschaulu  he  Beschreibung  des  Mündungsdeltas 
der  Kameruntlüsse  und  eines  Abstechers  mit  Dr.  Nachtigal  ius  Mungo-Land. 
Ferner  werden  afrikanische  Jagdabenteuer  geschildert.  Anziehend  ist  die 
Beorteilnng  des  Negercharakters,  lehrreich  die  Beschreibung  des  Enropaerlebens 
in  Kamerun,  eingehend  die  Ethnographie  der  Dualla.  Eine  besondere  Aufmerk- 
samkeit verdienen  die  Abschnitte  ftber  den  Handel  sowie  über  dan  Wert,  die 
Zukunft  und  das  Klima  der  deutschen  Besitzungen  in  Westafrika.  DenAbaehlnis 
des  Buches  bilden  einige  Kapitel  über  die  ältere  Geschichte  von  Kamerun,  über 
die  kriegerischen  Ereignisse  im  Dezember  1984  und  über  die  deutsche  Verwaltnqg 


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395  — 


iu  Kamerun.  AubaugHweise  ist  ein  kleines  Vokabular  der  liervorragendüteu 
Sprachen  und  Dialekte  beigefügt.  Zur  besseren  Veransehanlicbung  des  geschrie- 
benen Wortes  dienen  sowohl  die  beigefügten  Karten,  welche  auf  Originalskixzen 
des  VerfEttsers  benihen,al8  anch  die  Bilder,  welche  teils  der  Qarteulanbe  entnommen, 
teils  nach  den  an  Ort  nnd  Stelle  von  Zöller  anlgenommenen  Photographien  her- 
gestellt sind.  A.  Oppel. 

$  Brandenbnrg-Frenfsen  anf  der  Westküste  von  Afrika 
1681  bis  1721.  Verfafst  vom  Grof.'^on  Ocnoralstab,  Abteihing  für  Kriegsgeschichte. 
Mit  einer  Übersichtskarte  und  fünf  Skizzen.  Berlin  188ö  Ernst  Siegfried  Mittler 
nnd  Sohn.    Im  Februar  1884  bosuc  hte  das  deutsche  Kriegsschiff  , Sophie"  die  • 
Westküste  von  Afrika  und  es  wurden  bei  dieser  Gelegenheit  dnrcli  den  Kom- 
mandanten Korvettenkapitän  Sfubenraucii  die  in  der  Nähe  des  Kaps  der  drei 
Spitzen  noch  vorhanduiicn  Kuiiu  ii  des  alten  brandenburgi-sclieu  Forts  „ürois- 
Friedrichsburg''  besucht  und  genau  anfgenommen,  es  wttide  von  da  anch  ein 
altes  Geschützrohr  mitgebracht,  das  nnn  auf  Befehl  unseres  Kaisers  in  der 
Bnhmeshalle  zu  Berlin  anigestellt  werden  soll  (vergl  die  besfig^die  Ifitteilong 
in  dieser  Zeitschrift  Band  VII,  S.  304  n.  f.).  Die  jetidge  beinahe  ansschliefslich  ans 
Akten  und  Urkunden  des  KOnigl  geheimen  Staatsarchivs  zu  Berlin  geschöpfte 
Arbeit  enth&lt  nun  die  erste  vollständige  Darstellung  der  Geschichte  und  des 
Untergangs  jener  })randenbnrgisrlien  Kolonien.  GemafM  dfin  (^harakter  jener  Zeit 
und  im  Gegens;itz  zu  der  heutigen  waren  jene  Kolonion  voji  Anb'.'ginn  mili- 
tärische.  Die  kommerzielle  Seite  trat  gleitlib^ani  nur  ^;ekundür  und  in  Verbindung 
mit  der  militärischen  in  der  .Afrikanischen  Kom[)aguie-  auf,  welche  von  dem 
Schöpfer  des  Ganzen,  dem  Grofsen  Kurfürsten,  bald  nachdem,  1681,  das  Terrain 
an  der  Ooldkflste  Ton  den  afrikanischen  Häuptlingen  dnrch  einen  Itranden- 
bnrgischen  Kriegsschiffskapitän  erworben  war,  ins  Leben  gemfen  wurde.  Gleich 
nach  Errichtung  des  Hauptforts,  Orols- Friedrichsburg,  seigte  sieh  die  Feind- 
schaft der  Holländer,  aber  auch  die  "Htpferkcit  der  preufsischen  Kolonial- 
gamisonen  in  vielen  Kämpfen.    Zu  dem  räumlich  beschränkten  Besitz  an  der 
Goldküste  kam  1G85  die  Insel  Arguin  nnd  eine  Küstenstrecke  von  150  Meilen 
an  der  Küste  von  Senegainhien    1<)8()  übernahm  der  Grofse  Kurfürst  das  Eigen- 
tum der  afrikanischen  Kompagnie,    1()88  starb  er  und  damit  war  auch  das 
Schicksal  der  neuen  Kolonien  entsrliieden.   Der  deutsche  Handel  dahin  florierte 
noch  eine  Zeitlang,  allein  die  Geltendmachung  Preufscns  als  Seemacht  trat  unter 
den  Nachfolgern  des  Grolsen  Kurfftrsten  zurück  und  1717  wurden  ^on  König 
Friedrich  Wilhelm  L  die  brandenburgischen  Kolonien  in  Westalrika  an  die 
holländisch-westindische  Kompagnie  Terkauft.  In  der  gansen  Darstellung  ist 
natOrlicherweise  das  Schweigewicht  auf  die  militärische  Seite  der  Sache  gelegt 
und  mit  lebhaftem  Interesse  liest  man  die  langjährige  tapfere  Verteidigung  der 
Veste  Grofs-Friedrichsburg  durch  den  in  preufsischcm  Dienst  stehenden  Neger^ 
Häuptling  Jan  Cuny  und  des  Forts  Arguin  durch  den  heldenmütigen  Kapitän 
Jan  Wynen.  —  Vielleicht  wird  auch  die  wirtschaftliche  Seite  jener  früheren 
brandenburgischen  Kolonien  noch  einmal  auf  Grund  der  Akten  der  afrikanischen 
Kompagnie  näher  beleuchtet,   als  es  in  der  vorliegenden  Schrift  geschehen 
konnte;  z.  B.  heifst  es  darin  bezüglich  der  Kolonie  an  der  Küste  von  Sene- 
gambien:  «Die  neue  brandenburgische  Kolonie  erstreckte  sich  ftber  160  Heilen 
an  der  senegambischen  KQste,  Tom  kanarischen  Kap  bis  cum  Senegal;  der 
Handel  entwickelte  sich  Tortr^nich,  geraume  Zeit  war  Arguin  der  grölste  Stapel- 
platz für  den  internationalen  Gummihandel,  so  dafs  die  afrikanisclie  Gesellschaft 
in  dieser  Beoiehung  eine  Art  Weltmonopol  besafo,  das  den  besondem  Meid  der 


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profsen  Kolonialmächte  erregte."  Und  weiter:  ,Das  Komniirzium  auf  dieser 
Arguynscheu  Koste  besteht  voraehmlich  in  Gummi,  auch  etwas  Gold,  SklaTen, 
Elefuteiitllui«!!,  Beioarsteineo,  Pfeffer,  H&aten  v<m  Tigern,  Oehsen,  Bocken, 
CftbriHen,  weilwm  und  schwansem  Ambia  de  Gria,  anweilen  viel,  snweflen  weni^ 
nachdem  die  See  solchen  auswirft,  Stranfsfedern,  Fisch  und  Sali  in  grolser 
Menge.  Die  Laft  in  Argnyn  ist  gesund,  and  ob  es  daselbst  schon  grofe  Hitze 
giebt,  so  werden  doch  die  Leate  gemeiniglich  sehr  alt."  Die  Übersichtskarte,  wie 
die  nach  den  Originalzeichnnngen  augefertigten  Pläne  uui  AbbildOQgen  dienen 
dem  Zweck  der  Orientierung  sehr  gut 

Amerika. 

§  Teuili  Ceiiäus  of  the  Uuited  States  1830.  Vol.  II.  Statistics  of 
Mannfactnres.  Der  aUe  sehn  Jahre  nach  Veranstaltang  des  Cenaos  nen 
herausgegebene  Censosbericht  ist  i^eichsam  das  grobe  Hauptbuch  der  VereinigteB 
Staaten.  Viele  tausende  sind  an  der  Einsammlung^  Ordnung  und  Ausarbeitung 
der  Masse  von  Thatsachen  beschftftigt,  welche  den  Inhalt  des  Weikes  bilden, 
eines  Werkes,  das  bisher  mit  dem  riesigen  Wachstum  der  Vereinigten  Staaten 
sich  stets  ausiredehnt  hat  und  nunmehr  für  den  letzten  Censns  nicht  weniger 
als  28  starke  Qnartbändc  füllen  wird!  Dabei  ist  dieses  gewaltige  Druckwerk 
auch  äufserlich  auf  das  eleganteste  und  solideste  ausgestattet,  trefflich  aus;.'eiuhrte 
Karten  und  Illustrationen  sind  und  zwar  oft  in  grofser  Zahl  bei^'tgehfn  und  es 
werden  keine  Koston  gescheut,  wenn  es  sich  darum  handelt  irgend  eine  Beziehung, 
eine  Eutwickelung  durch  Tabellen,  graphische  Darstellungen  und  längere 
historische  Berichte  klar  su  legen.  Der  Torliegende,  uns  von  Herrn  Seaton, 
dem  obersten  Leiter  des  Censns,  gütigst  fibersandte  Bericht  ist  1196  Seitm 
stark,  enthSlt  eine  Beihe  Karten  und  Dlustrationen  und  besteht  ans  folgenden 
Einzelberichten:  Statistik  der  Manufakturen  von  E.  M.  Hollerith;  über  das 
Fabrikensystem  (mit  vielen  Abbildungen  Ton  Arbeiterwohnungen  n.  a.)  von  C.  D. 
Wright;  über  mechanische  Werkstätten  von  Professor  Trowbridge  und  Charles 
H.  Fitch;  über  die  Steingut-  und  Metallwarenindustrie  von  denselben;  über 
die  Eisen-  und  Stahlindustrie  von  J.  M.  Swank;  über  die  Seidenindustne  von 
W.  C.  Wyküff;  über  die  Baumwollenindustrie  von  E.  Atkinson;  über  die  WoUen- 
indostrie  von  0.  W.  Bond;  über  chemische  Produkte  und  die  Salzgewinnung 
von  W.  L.  Bowland;  endlich  über  die  Glasindustrie  von  J.  D.  Weeks.  Den 
Ver&ssem  dieser  Berichte  war,  das  ergiebt  sich,  der  fireieste  Spielraum  gewählt 
und  so  werden  denn  in  dem  Abschnitt  der  Manufakturen  s.  B.  auch  die 
Arbeiterwohnungen  und  die  KorporativoAssodationen  in  enropaisehen  Staaten 
in  vergleichenden  Darstellungen  unter  Beigabc  von  Plftnen  nnd  Illustrationen 
abgehandelt  ;  der  Bericht  über  die  Glasindustrie  der  Vereinigten  Staaten  enthfdt 
zugleich  mehr  oder  weniger  ausführliche  Darstellungen  über  die  Entwickelung 
der  Glasindustrie  in  den  europäischen  Staaten  u.  a.  Die  Karten  veninschaulichen 
die  Anwendung  der  Dampf-  und  der  Wasserkraft  in  den  verschiedenen  Teilen 
der  Vereinigten  Staaten,  die  Örtlichkeiten  der  Eisen-  und  Stahlindasthe  and- 
der  Salzgewinnung 

§  Une  anuee  au  Cap  Horn,  par  le  docteur  liyades,  mit  zahlreichen 
Illustrationen.  In:  Le  Tour  du  monde,  Heft  1276  und  1277,  20.  und  27.  Juni 
1886.  In  Band  VII  S.  170  n.  ff.  dieser  Zeilschrift  haben  wir  Torläafige  Beiichto 
über  die  geographischen  und  naturwissenschaftlichen  Ergebnisse  der  in  der 
Orange-Bai  1882—1883  etablierten  fransösischenPohurstation  gegeben.  Durch  die 
Güte  des  Verfitssers  geht  uns  nun  die  Torliegende  mit  einer  Beihe  gans  ans- 


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gczeicliiieter  Illustrationen  ausgestattete  Arbeit  zu,  welche  in  zehn  Abschnitten 
folgende  Punkte  behandelt:  1.  Zweck,  Organisation  und  Vorbereitungen.  2.  An- 
kunft in  der  Orange-Hai,  Einrichtung  und  Aufnahme  bei  den  Ein«!eboren(Mi 
3.  Die  amerikanischen  Seehuudsji^er.  4.  Die  englische  Mission  in  Uschuia  am 
Beagle-KaoaL  6.  Der  VeDii8*yor&bergang,  der  Sommer  in  der  Orange-Bai,  die 
Gartenanlagen  in  der  Station.  6.  Die  Arbeiten  der  Station:  Jagd,  FiBchfiuig, 
photographiscbe  Anfiiahmen.  7.  Exkursionen  nach  vereehied^en  Richtungen. 
8.  Die  Fenerl&nder  dei  Kap  Horn-Archipels.  9.  Verkehr  mit  den  Eingeborenen. 
Die  naturhistorischen  Samnüongen  der  StaMon.  10.  Abreise  nndBflckkehr  nach 
Frankreich. 

Ethnologie. 

Original  mitteilungen  aus  der  ethnologischen  Abteilung  der 
Königlichen  Museen  zu  Rorlin.  Herausge;^eben  von  der  Verwaltung.  Ereter 
Jahrgang,  Heft  1.  Berlin  1885.  W.  JSpemann.  Diese  m  ue  ethnologische  Zeit- 
schrift wird  mit  einer  Gedächtnistafel  eröffnet:  In  monioriam  Dr.  G.  Nachtigal 
t  April  1885,  beerdigt  in  Kap  Pahnas  in  Afrika.  Zur  vorläufigen  Orientierung 
ftber  den  Inhalt  bringen  wir  ans  dem  Vorwort  Bastiane  folgende  Stellen  zum 
Abdruck.  «In  tranemder  Erinnerong  an  einen  onvergefslichen  Namen  tritt  neu 
eine  Zeitschrift  ins  Leben,  fcLr  eine  junge  WisBenschaft,  die  in  dem  unaufhaltp 
samen  Verschwinden  des  f&r  ihr  eigenes  Wachstum  bedürftigen  Arbeitsmaierials 
ftbeiall  von  flüchtiger  Verg&nglichkeit  getroffen,  am  schwersten  und  bittersten 
diese  empfindet,  wenn  ihr  jählings  diejenigen  Forscher  und  Freunde  entrissen 
werden,  anf  deren  fernerer  Förderung  und  Hülfe  die  Hoffnungen  für  die  Zu- 
kunft beruhten.  Klein  bleibt  bis  jetzt  der  Mitarbeiter  Kreis,  ein  winzig  kl»  iiier 
für  die  üncrniefhliciikeit  der  Aufgabe,  die  vorliej^t,  und  möge  ohne  Verzug  des- 
halb der  Nachwuchs  heranreifen,  das  zu  retten,  was  noch  fertig  steht,  —  zu 
arbeiten,  solange  ein  Rest  des  Tageslichts  noch  d&mmert,  ehe  die  Nacht  kommt, 
im  unausbleiblichen  Untergang  der  Naturstftmme  (Ar  ihre  psychischen  Origi- 
naütSten).  Indem  so  diese  Publikation  mit  einem  Nekrolog  zu  erMhen  war, 
beginnt  sie  mit  Auftfihlung  der  im  Kltoig^ichen  Husram  ans  Nachtigals  Reisen 
vorhandenen  Sammlungen.  —  Im  Anschlufs  an  die  Resultate  der  durch  die 
Kaiserliche  Admiralität  veranhifsten  Erforschung  der  Ostcrinscl  (s.  Beiheft  sum 
Marineverordnnngsblatt  No.  41*  foljit  das  Verzeichnis  der  dem  Museum  dadurch 
zageführten  Suinnilungon,  sowie  (aus  dem  Insclmcer  der  Südsee  gleichfalls)  ein 
Beitraj;  von  der  besten,  zur  Zeit  alleinigen.  Autorität  für  Mikronesien,  dem  dort 
seit  Juli  reu  thätigen  Reisenden  Kubary,  in  Weiter!  ührung  der  eingehend  sach- 
kundigen Monographien,  welche  demselben  in  der  ethnologischen  Litteratar  von 
früher  her  bereits  su  danken  sind.  Da  es  sich  ermöglicht  hat,  Vereinbarungen 
mit  ihm  ansuknl^fen,  und  umfassende  Materialien  seitdem  eingelaufen  sind, 
wird  noch  in  der  Fortsetzung  der  Hefte  Gelegenheit  geboten  sein,  seine  an  Ort 
und  Stelle  gepflegten  Studien  allgemeiner  Benutzung  zugänglich  zu  machen. 
Femer  bringt  dieses  erste  Heft  Mitteilungen  über  die  Sammlungsergebnisse  des 
ReisPTiilcn  Hohdo.  der  im  Auftrage  des  Museums  in  Südamerika  thätig  war, 
sodann  aus  den  duK  h  Vermittelung  der  Kaiserliciien  Oesandtschaft  in  Peking, 
in  altbewährter  Gönnerschaft  des  Herrn  von  Brandt,  zugegangenen  Sammlungen 
die  Umschriften  taoistischer  l'empelbilder,  ferner  eine  Besprechung  tibetischer 
Knltasfiguren,  und  zam  Scblufs  ist  durch  Güte  Bischofs  Thiel  eingesandt  ein 
Yokabular  aus  Costarica  angefügt,  mit  einem  Kommentar  durch  Herrn  E.  Seier, 
der  der  ethnologischen  Abteilung  seine  Mitarbeit  gewidmet  hat  und  auch  den 
Bericht  ttber  die  sfidamerikanischen  Sammlungen  eingeleitet  hat* 


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—  398  — 


i;  Ethno^raphisrho  Beiträge  ztir  Kenntnis  der  c  a  ro  1  i  n  is  c  h  e  n  Tnspl- 
gruppc  und  N;t'  hli;iis(  h.'jtt,  von  J.  Kubury.  Heft  I:  Die  sozialen  Einrichtnncren 
der  Pelaner.  Herliii  188.).  A.  Asliev  &  Co.  In  der  vom  ^^rofsen  Verkehr  bis- 
her nur  wenig  berührten  ücgend  des  ozeanischen  Archipels,  welcher  die  jetzt 
80  viel  beiprocbene  Carolmengruppe  an^iehört,  habtti  akh,  wk  schon  Meiixicke 
bemerkt,  manche  ethnische  Eigentfimlichkeiten  bewahrti  welche  in  andeno 
Teilen  der  anstralischen  Inselwelt  lange  fftr  immer  verloren  gegangen  sind. 
Der  von  der  ethnologischen  Abteilang  des  KönigL  Mnsenms  in  Berlin  schon 
seit  län^jerer  Zeit  geliep^e  "Wnnsch,  für  VerToUstftndigting  der  in  dieser  Richtung 
nnr  qpärlioh  vorhandenen  Sammlangen  *  ino  geeignete  Persönlichkeit  zu  ge- 
winnen, ist  jetzt  in  Hrfüllnng  gegangen,  lia  das  unter  dem  Vorsitz  des  Herrn 
Bankier  Isidor  Kichter  in  Horlin  bestehende  ethnologische  Komitee  als  Reisenden 
und  Sammler  für  da.«  Königl.  Museum  den  durch  seine  langjährige  erfolgreiche  und 
verdienstvolle  Thätigkeit  für  das  Godeffroy-Museum  bekannten  Verfasser  engagiert 
hat.  Zwei  Sendungen  mit  Sammlangen  für  das  Museum  sind  bereits  eingetroffen  und 
als  eine  wertvolle  litterarische  Fracht  dieser  Verbindnng  ist  die  Veidffiuitlichang 
der  vorliegenden  Arbeit  über  die  sosialen  Einrichtangen  der  Pelaner  so  beseichnea. 
Diese  ethnologischen  Beittftge  grnppieren  sich  sa  folgenden  Abschnitten:  Das 
Familienleben  der  Pelauer.  Die  Yerhältnissei  innerhalb  einer  Gemeinde.  Die 
Verhältnisse  der  Gemeinden  zu  einander. 

—  Ploss,  H.,  Dr.  med..  Das  Weib  in  der  Natur-  und  Völker- 
kunde. Anthropolocrische  Studien.  2  Bände.  Leipzig  1884.  Th.  Griebel« 
Verlag  iL.  Fernau).  Der  durch  seine  wertvollen  anthropologischen  und  ethno- 
graphischen Arbeiten,  besonders  durch  sein  früher  erschienenes  Werk  .Das 
Kind",  vorteilhaft  bekannte  Verfas.ser  hat  in  dem  vorliegenden  Werke  eine 
solche  erstaunliche  Fülle  von  Daten  über  die  Natar  des  Weibes  and  über  seine 
sociale  Stellang  bei  den  verschiedensten  Ydlkem  der  Erde  ansammeogetragen, 
daüB  dasselbe  in  hohem  MaDw  einen  schfttsenswerten  Beitrag  sa  einer  Matof- 
geschichte  des  Mensehen  bildet  Es  ist  hier  nicht  am  Ort,  anf  den  rächen  oad 
interessanten  Inhalt  des  Buches  einzng*  lun ;  wir  empfehlen  das  Bach  aber  dem 
Firennde  anthropologischer  und  völkerkundlicher  Studien  bestens.  W. 

§  Der  Papua  des  dunklen  Inselreichs  im  T.irhte  psychologischer  Forsrhnng 
von  Adolf  Bastian.  Berlin  1885.  Weidmann.  Das  vorliegende  über  :M>0 
Seiten  umfassende  Werk  enthält  nach  einem  kurzen  einleitenden  Kapitel  über 
die  Entdeckungsfahrten  nach  Neu-Gninea  in  drei  Kapiteln  eine  Fülle  von  Mit- 
teilungen über  Religion  und  Sitte,  Hecht  und  Gebräuche.  Stämme,  Sage  and 
Familie  n.  a.  bei  den  Papuas. 

Sohalgeographie. 

Lange  Zdt  ist  der  geographische  Scfaalanterridit  das  Aschenbrödel  anter 
den  übrigen  ünterrichtsgegenst&nden  gewesen.  DaÜB  ansere  Zeit  sich  anschickt, 
darin  gründlich  Wandel  zu  schaffen,  beweist  a.  a.  auch  das  Erscheinen  mehrerer 
tüchtiger  methodischer  Schriften  über  den  geographischen  Unterricht.  Es  ist 
hier  nicht  der  Ort,  auf  dieselhon  näher  einzugehen,  wohl  sei  es  aber  erlaubt, 
auch  an  dieser  Stelle  dieselben  namiiaft  zu  iii;i<  hcn.  1)  Methodik  des  geographisehen 
Unterrichts  von  Heinrich  Matzat.  Berlin;  Verlag  von  Paul  Parey.  LSSi. 
382  Seiten.  Preis  8  2)  llülfsbuch  für  den  L'nterricht  in  der  Ertiknnde  von 
A.  HammeL  Halle,  Ed.  Anton.  1885.  400  Seiten.  Preis  4,40  Jk  3)  Vor- 
lesnngen  über  Hülfsmittel  and  Methode  des  gcogi-aphischen  Unterrichts.  Von 
Prof.  Dr.  Richard  Lehmann.  Halle,  Verlag  von  Taosch  A  Qroese.  1885.  (Bis 
jetzt  1.  Heft).  Interesairenden  Kreisen  empfehle  ich  diese  Schriften  angelsigent- 
liehst  aar  Beacbtang.  Wo. 


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899  — 


Versch  iedenes. 
§  Festschrift  zur  öOjfihrigen  Jubelfeier  des  Provinzial-Landwirtschafts- 
vereins  zu  Bremervörde  Erster  Teil.  Stade  1885,  A.  Pockwitz.  Es  ist  ge- 
wifs  sehr  erfreulich  und  anerkennenswert,  dafs  der  Provinzial-Landwirtseliafts- 
verein  zu  Bremervörde  seine  Jubelfeier  zur  Heraus«;abe  dieses  durch  Inhalt  und 
fiuffiere  Ansstattang  gleich  ftusgezeichneteii  Werkes  benatit  bat,  das,  weit  über 
eine  Darstellaiig  der  Landwirtschaft  hinans,  uns  ein  Tollständiges  historisches, 
topographisches  und  geographisch-statistisches  Bild  des  Landes  awisehen  Unter- 
weser und  ünterelbe,  historisch  gesprochen :  der  Herzogtftmer  Bremen  nnd  Verden 
und  des  Landes  Hadeln,  oder,  nach  der  Verwaltungseinteilung  der  hcatigen 
Provinz  Hannover:  des  Regierungsbezirks  Stade,  bietet.  Bisher  fehlte  es  an 
einem  neuereu  tf^po^jraphisrhen  Werk  über  dieses  Oobiet,  das  nicht  blus  land- 
wirtschaftlich, sondi  I  II  durch  Nuturbedingungen  und  historische  Verhältnisse  im 
Vergleich  zu  anderen  deutschen  Landen  höchst  eigenartig  gestaltet  ist,  wie  schon 
vor  einigen  Jahren  ein  verehrtes  Mitglied  unserer  Gesellschaft,  das  auch  an  dem 
vorliegenden  Werke  einen  bedentenden  Anteil  hat,  in  einem  dnrch  eine  Karte 
bereicherten  Anfsats  in  dieser  Zeitschrift  dargelegt  hat*).  Der  Inhalt  des  vor- 
liegenden  I,  Bandes  serfiUlt  in  einen  geschichtlichen,  einen  geographisch-nator- 
wissenschafllichen  nnd  einen  landwirtschaftlichen  Teil.  Der  nns  näher  interes- 
sierende geographischnrntorwisscnschaftliche  Teil  nmfafst  an  IßO  Seiten;  in  ihm 
werden  zunächst  die  neueren  Karten  des  Regierungsbezirks  besprochen,  die  Lage, 
Grenzen  und  Gröfse  angegeben  und  es  wird  sodann  die  geographische  Be- 
schreibung des  Landes  durch  Darlegung  der  Bodengestaltunfj  nach  ihrer  Ilaupt- 
gliederunjz:  Marscli  —  Moor  —  Geest,  im  einzelnen  ausgeführt,  wobei  denn  auch 
den  ürenzhüsseu  Elbe  und  Weser  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet  wird.  Eine 
im  Ifalsstab  von  1 : 350,000  hergestellte  farbige  Karte  ist  dabei  eine  wertvolle 
Zugabe.  Ein  «weiter  Abschnitt  Ton  Dr.  W.  0.  Focke  in  Bremen  legt  die  geo- 
logischen YerhUtnisse,  namentlieh  die  Entstehung  des  BlocUehms  nnd  Geschiebe- 
mergels,  die  geologischen  Formationen  nnd  die  nntxbaren  Bodenarten  dar.  Der- 
selbe Naturforscher  hat  auch  das  Kapitel  über  die  Pflanzonwelt  verfafst,  in  welchem 
die  Veränderungen  in  der  Vegetation  des  Landes,  die  einheimischen  Gewächse  in 
ihrem  gesellschaftlichen  Auftreten,  die  Flora  in  ihren  Beziehungen  zu  Boden 
und  Klima,  ferner  zur  Tierwelt  und  zum  ^^enschen  beleuchtet  werden.  Die 
Tierwelt  in  ihren  versf  Incilonen  Al)teilungen  wird  von  Herrn  A.  Brinkmann  in 
Walle  bei  Bremen  beiiundelt.  Endlich  werden  die  klimatisclien  Verhältnisse: 
Temperatur,  Feuchtigkeit  und  Niederschläge,  Luftdruck,  Winde  und  Gewitter 
unter  Beigabe  von  Tabellen  Yon  G.  Diercke  erOrtert  Ans  dem  historischen 
Teil  seien  besonders  die  dnreh  gnte  Abbildungen  erl&nterten  Abschnitte  über 
den  allgemeinen  Knltnrfortschritt  des  Bezirks  nnd  spesiell  ftber  die  Knltnr  der 
Harschen  von  Hermann  Allmers,  sowie  der  Abschnitt  über  die  Volkstrachten 
von  Seminarlehrer  Schröder  in  Stade  hervorgehoben.  —  Diesem  an  600  Seiten 
umfassenden  T  Teil  wird  demnächst  ein  zweiter  folgen,  welcher  neben  einer 
Reihe  landwirtscliaftlicher  Mitteilungen  eine  spezielle  Statistik  ans  der  T'eder 
des  Herrn  Diercke  bringen  wird.  Für  längere  Zeit  ist  damit  ein  gutes  (^uuUon- 
werk  der  Heimatskunde  Isordwestdeutschlands  geschaffen. 

§  Verhandlungen  des  fünften  deutschen  Qeographentags,  zu  Hamburg 
am  9.,  10.  und  11.  April  1885.  Im  Auftrage  des  Zentralansschnsses  des  deutschen 
Geographentags  herausgaben  Ton  Dr.  H.  Michow  in  Hamburg.  Mit  swei  Karten. 

♦)  Deutsche  geographische  Blätter,  Band  II,  S.  213  u.  AT.:  Das  Land  zwi- 
aehen  Unter-Weser  und  Unter-Elbe,  von  C  Diercke. 


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Berlin  188ö,  Dietrich  Reimer.  Der  237  Seiten  zählende  gut  aosgestatteie  Band 
enthält  zunächst  die  ErGfinnugsansprache  des  BürgermeistetB  Dr.  KirehenpMAr, 
sodann  die  gehaltenen  Vorträge  nnd  Berichte^  16  an  der  Zahl,  weiter  Berichte 
Aber  die  secha  Sitsnngen  and  die  Anaflflge,  endlich  eine  MitteUnng  fiber  dia 

geographische  Ansatellang«  Don  Schhifs  bilden  Verzeichnisse  der  Besacher  und 
der  Mitglieder  des  Geographentags.  Beigegeben  sind  zu  den  Vorträgen  des  Oeh. 

Admiralitätsnit.s  Neumayer  und  des  Herrn  Westendarp  eine  Karte  des  antarkti- 
schen Gebiets  südlich  von  Kap  Horn  und  eine  Karte,  welche  das  matmaliliche 
Verbreitungsgebiet  des  £lefanten  in  Afrilsa  darstellt. 

Karten. 

§  Exkursionsknrte  zur  ümgegend  von  Vegesack  Entworfen  nrx^  ge- 
zeichnet von  L  Halen  bock  Bremen,  G.  Hunckel  ISSö.  Unser  Mitglied 
Herr  Halcnbeck  bearbeitet  seit  hnim  r  Zeit  die  Topographie  und  Ueschirhte  lier 
ümgegend  von  Bremen.  Ihm  verdanken  wir  eine  ganze  Reihe  von  Heften, 
welche  anter  dem  Titel:  „Aasilüge  in  Bremens  weiterer  Umgebang''  und  aas- 
gestattet mit  kleinen  Kartenskissen  und  Plänen  sich  dem  Tonristen  -~  nnd 
deren  gieht  es  anch  f&r  nnsere  an  landschaftlichen  Beisen  arme  Umgegend 
manche,  —  als  nach  den  ▼«mchiedeosten  Bichtangen  hin  kundige  F&hrer  dar- 
bieten. Das  vorliegende  im  Malsstab  1 : 50,000  aasgeföhrte  Kärtchen  stellt  das 
beliebtoste  Exknrsionsgebiet  der  Bremer,  die  anmst^  hügelig-wahlige  Gecst- 
laudschaft  um  Vegesack  dar,  es  reicht  nördlich  bis  zur  Garlstedter  Heide,  süd- 
lich bis  Grambke,  westlich  bis  Warfloth  und  östlich  bis  Scharmbeek  und  zur 
Kirche  von  St.  Jürgen.  Es  enthält  u.  a.  folgende  Unterscheidungen;  Eisen- 
bahnen, Chausseen,  Haupt-,  Neben-  und  (rot  punktiert)  Fnfswegc.  Deiche,  llitter- 
und  Landgüter,  Kiefern-  und  Laubwald  i^grün),  Ackerland,  Heide,  Moor  u.  a. 
Die  aasgedehnteste  Waldstrecke,  zum  gröfseren  Teil  Nadel-,  zum  klaianen  Teil 
Laabhols,  ist  jetxt  der  neoangelegte  Heidhofforst  in  Verbindnng  mit  SehmidlB 
Kiefern  und  der  in  westöstkcher  Bichtang  7'/«  km  lange  Elm. 

9  Qeneralkarte  der  Südost- earop&isehen  Halbinsel  (Unter -Donau- 
und  Balkan -Länder,  Königreich  Hellas)  bearbeitet  von  Heinrich  Kiepert. 
3  Blätter.  Mafsstab:  1  :  1,600,000.  Zweite  berichtigte  Ausgabe.  Berlin, 
Dietrich  Reimer  188').  Diese  in  Schrift-  wie  Terrainstich  sehr  gelungene 
Karte  unseres  berühmten  (ieographen  und  Kenners  des  Orients  enthält  die 
Unterscheidungen  nach  Villajets  des  osmanischen  Reichs  und  nach  Provinzen 
des  hellenischen  Königreichs,  sie  reicht  südlich  bis  Kandia,  nördlich  bis  Kroa- 
tien, Slavonien,  Ungarn,  Siebenbürgen,  Bessarabien,  westlich  über  den  sfid- 
libhen  Teil  des  Adriatischen  Heeres  hinans  bis  Sttdost-Italien  and  in  Klein- 
aiien  bis  Kintahia.  Zwei  Kartons  stellen  den  Hellespont  and  den  Bosporos 
dar.  Besonders  für  den  Politiker  ist  in  jetsiger  Zeit  der  politischen  K&ni|ife 
im  Orient  die  Karte  ein  sehr  gutes  Orientiernngsmittel. 

§  Ein  uns  von  Justos  Perthes  in  Gotha  zugesandter  Prospekt  kfindigt  die 
Herausgabe  eines  Atlas  von  Japan  seitens  dieses  Verlags  an.  Derselbe, 
ent\v<>rf(>n  und  gezeichnet  von  Bruno  Hassonstein,  besteht  aus  siebin 
Kartt  nbluttern  im  Mafsstab  von  1  :  1,0(>0.()00  und  einer  Übersichtskarte  im 
Mals-sfabe  vuii  1  :  7.:)fX).()()().  Die  erste  Abteilung,  Sektion  L  bis  IV.,  enthaltend 
Zentral-  und  .Süd-Japan  bis  38'  n.  Dr.,  ist,  wie  der  Prospekt  mitteilt,  bereits 
erschienen;  die  zweite  Abteilaug,  Tier  Blfttter,  enthaltend:  Nordjapan,  Tesso, 
Kurilen  und  eine  Übersichtskarte  des  gansen  Beiches  nebet  Korea  nnd  Osiasien, 
erscheint  im  Laafe  des  nftchsten  Jahres. 

Druck  von  Uwl  B«lifiii««MkBa.  BrooMa» 


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THI8  BOOK  18  PUB  OS  THE  LAST  DATE 

AN  ^N^ß^^l^^^^^^yRP^ 

WILL  BE  ASSESbED  FOR  FAILURE  TO  RETURN 
THI8  BOOK  ON  THE  DATE  DUE.  THE  PENALTY 
WILL  INCREASE  TO  50  CENTS  ON  THE  FOURTH 
DAY  AND  TO  $1.00  ON  THE  6CVENTH  DAY 
OVERDUE. 


JAN  29  1947 


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rai  cm.  Nov  1 1 


SEP  3*69-4 

DEC  2  s  70  2  9 


_jjBRARYU$E    JAN  22  1975  4 


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LD  2l-100m.l2/43  (87968) 


Deutsche  g€  ographische 


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JAN  29  19^7 


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